D’Artagnan trifft einen alten Bekannten

D’Artagnan kehrte also, ganz in Gedanken versunken, zurück; er fand ein lebhaftes Vergnügen daran, den Sack mit den Talern des Kardinals zu tragen, und dachte an den schönen Diamanten, der ihm gehört, und den er einen Augenblick an dem Finger des ersten Ministers hatte glänzen sehen.

Wenn dieser Diamant je wieder sein eigen würde, wollte er sich ein Stück Land um sein Ahnenschloß kaufen und auf das Erscheinen einer reichen Erbin warten und diese heiraten. Dann hätte ich, träumte er weiter, drei Knaben; aus dem einen würde ich einen vornehmen Herrn wie Athos, aus dem zweiten einen schönen Soldaten wie Porthos, und aus dem dritten einen leutseligen Abbé wie Aramis machen. Meiner Treu, das wäre weit besser als das Leben, das ich führe. Aber leider ist Monsignore Mazarin ein Filz, der sich seines Diamanten nicht zu meinen Gunsten entäußern wird.

Als er in die Rue Tiquetonne kam, hörte er einen großen Lärm und bemerkte eine auffallende Zusammenrottung unweit seiner Wohnung.

Als er sich näherte, sah er, daß die Zusammenrottung nicht vor seinem Gasthofe, sondern vor dem benachbarten Hause stattfand. Man stieß ein gewaltiges Geschrei aus, man lief mit Fackeln umher, und beim Schimmer dieser Fackeln gewahrte d’Artagnan Uniformen.

Er fragte, was vorgehe. Man antwortete ihm, ein Bürger habe einen von den Garden des Kardinals eskortierten Wagen mit etwa zwanzig von seinen Freunden angegriffen; aber es sei eine Verstärkung hinzugekommen, und man habe die Bürger in die Flucht geschlagen. Der Anführer der Rotte habe sich in das nächste Haus geflüchtet, und man durchsuche nun dieses Haus.

D’Artagnan, der nicht mehr so hitzig und unbesonnen war wie vor zehn Jahren und auch an seine Taler dachte, ging unbekümmert um den Lärm in die Rehziege zur schönen Madeleine, die ihn nicht erwartete und sich, voll Angst über den Straßenauflauf, doppelt seiner Ankunft freute.

D’Artagnan befahl, ihm sein Abendessen nachzubringen, nahm seinen Schlüssel und seinen Leuchter und stieg in sein Zimmer hinauf. Um der Vermietung nicht zu schaden, hatte er sich mit einem Zimmer im vierten Stocke begnügt. Unsere Wahrheitsliebe nötigt uns sogar, zu bemerken, daß das Zimmer unmittelbar über der Dachrinne und unter dem Dache lag.

Hier war seine erste Sorge, in einem alten Sekretär, an dem nichts als das Schloß neu war, seinen Sack zu verschließen. Als einen Augenblick nachher sein Abendbrot aufgetragen und die Flasche Wein herbeigebracht war, entließ er den Aufwärter, schloß die Türe und setzte sich zu Tische.

Dies geschah nicht etwa, um ungestört nachdenken zu können. D’Artagnan war kein Grübler, der sich durch unnötige Sorgen den Genuß des Mahles und den Schlaf raubte. Er hatte Hunger und verzehrte sein Abendbrot; nach dem Abendbrot legte er sich nieder und schlief bis zum Tagesanbruch. Da erwachte er in voller körperlicher und geistiger Frische. Er sprang mit militärischer Entschlossenheit aus dem Bette und ging nachdenkend in seinem Zimmer umher.

Im Jahre 43, sagte er, ungefähr sechs Monate vor dem Tode des seligen Kardinals habe ich einen Brief von Athos erhalten. Was schrieb er mir? Er wohne auf einem kleinen Landgut, ja, so ist es, auf einem kleinen Landgut; aber wo? So weit war ich gekommen, ich besinne mich, ich befand mich gerade im Laufgraben vor dem belagerten Besançon, als ein Windstoß den Brief fortnahm. Früher hätte ich ihn gesucht, obgleich ihn der Wind an einen sehr bedrohten Ort getragen hatte. Aber die Jugend ist ein großer Fehler … wenn man nicht mehr jung ist. Ich kann also nicht an Athos denken. Weiter … Porthos.

Ich habe einen Brief von ihm erhalten. Er lud mich zu einer großen Jagd auf den Monat September 1646 ein. Da ich zu dieser Zeit wegen des Todes meines Vaters in Bearn war, so wurde mir der Brief unglückseligerweise nachgeschickt. Ich war abgereist, als er ankam. Aber er verfolgte mich und erreichte Montmedy einige Tage, nachdem ich diese Stadt verlassen hatte. Endlich traf er mich im Monat April. Da er mir aber erst im April 1647 zukam, und die Einladung für den Monat September 46 war, so konnte ich keinen Gebrauch davon machen. Wir wollen diesen Brief einmal holen; er muß bei meinen Papieren liegen.

D’Artagnan öffnete eine kleine alte Truhe, fand bald den Brief, verlor aber keine Zeit mit dem Durchlesen, sondern beeilte sich, nach der angegebenen Adresse zu sehen. Die Adresse war Schloß du Ballon.

Porthos hatte nichts weiter dazugesetzt. In seinem Stolz glaubte er, jeder kenne das Schloß, dem er seinen Namen gegeben hatte.

Zum Teufel mit dem eitlen Burschen, sprach d’Artagnan. Immer derselbe! Es würde mir übrigens am besten passen, bei ihm anzufangen, da er wahrscheinlich Geld in Fülle besitzt, nachdem er 800 000 Livres von Herrn Coquenard geerbt hat. Das ist gerade das, was mir fehlt. Athos wird sich zum Narren getrunken, Aramis muß sich in seine Andachtsübungen versenkt haben.

D’Artagnan warf noch einen Blick auf Porthos‘ Brief. Er hatte eine Nachschrift, und diese Nachschrift enthielt folgende Worte:

Ich schreibe mit demselben Kurier an unsern würdigen Aramis in sein Kloster.

Ja, in sein Kloster; aber in welchem Kloster ist er? Es gibt 200 in Paris und 3000 in Frankreich. Und als er sich ins Kloster begab, hat er vielleicht zum drittenmal seinen Namen gewechselt. Aber nur Geduld, wir wollen sehen. Ich habe von ihm, dem lieben Freunde, auch einen Brief bekommen. Er bat mich um einen kleinen Dienst, den ich ihm auch leistete. Aber wohin habe ich diesen Brief gelegt?

D’Artagnan dachte einen Augenblick nach und ging dann an den Ständer, an welchem seine alten Kleider hingen. Er suchte sein Wams vom Jahre 1648, und da d’Artagnan ein ordnungsliebender Mann war, so fand er es an seinem Nagel. Er streckte die Hand in die Tasche und zog ein Papier heraus. Es war gerade der Brief von Aramis.

Herr d’Artagnan, schrieb ihm dieser, Ihr wißt, daß ich Streit mit einem gewissen Edelmann gehabt habe, der heute abend mit mir auf der Place Royale zusammentreffen will. Da ich zu der Kirche gehöre und die Sache mir schaden könnte, wenn ich sie einem andern mitteilte, als einem so sichern Freunde, wie Ihr seid, so schreibe ich Euch, damit Ihr mir als Sekundant dienen möget.

Ihr kommt durch die Rue Neuve-Sainte-Catherine; unter der zweiten Laterne rechts findet Ihr Euern Gegner. Unter der dritten werde ich mit dem meinigen sein. Ganz der Eurige,

Aramis.

Hier war nicht einmal ein Gott befohlen beigefügt. D’Artagnan erinnerte sich, er war nach dem bestimmten Orte der Zusammenkunft gegangen, hatte den bezeichneten Gegner gefunden, dessen Namen ihm nie bekannt wurde, und ihm einen schönen Degenstich in den Arm beigebracht. Dann war er aus Aramis zugeschritten, der ihm entgegenkam, denn er hatte seine Sache bereits abgemacht.

Es ist geschehen, hatte Aramis gesagt. Ich glaube, ich habe den Unverschämten getötet. Doch, lieber Freund, wenn Ihr meiner bedürft, so wißt Ihr, daß ich Euch ganz ergeben bin.

Darauf hatte Aramis ihm die Hand gedrückt und war verschwunden.

Er wußte also ebensowenig, wo Aramis war, als wo Athos und Porthos sich aufhielten. Und die Sache fing an, ziemlich bedenklich zu werden, als er das Geräusch einer Glasscheibe, die man in seinem Zimmer zerbrach, zu hören glaubte. Er dachte sogleich an seinen Sack, der in seinen Sekretär eingeschlossen war, und stürzte aus seiner Kammer. Er hatte sich nicht getäuscht, in dem Augenblick, wo er durch die Türe eintrat, kam ein Mann durch das Fenster herein.

Ah, Elender! rief d’Artagnan, der den Eindringling für einen Dieb hielt, und griff nach seinem Degen.

Ums Himmels willen, Herr, rief der Mann, steckt Euern Degen in die Scheide und tötet mich nicht, ohne mich zu hören.

Ich bin gewiß kein Dieb; ich bin ein ehrlicher Bürger, der sein Haus in der Straße hat, und heiße … Doch ich täusche mich nicht, Ihr seid Herr d’Artagnan.

Und du Planchet! rief der Leutnant.

Euch zu dienen, Herr, sprach Planchet, im höchsten Grad entzückt, wenn es mir möglich wäre.

Vielleicht, erwiderte d’Artagnan. Aber was zum Teufel läufst du um sieben Uhr morgens in dieser Jahreszeit auf den Dächern umher?

Gnädiger Herr, sprach Planchet, Ihr müßt wissen … doch nein, Ihr könnt es nicht wohl wissen …

Nun, was denn? sprach d’Artagnan. Aber zuerst stecke eine Serviette vor das Fenster und ziehe den Vorhang vor.

Planchet gehorchte.

Nun, so sprich, sagte d’Artagnan. – Gnädiger Herr, vor allen Dingen, sagte der kluge Planchet, wie steht Ihr mit Herrn von Rochefort? – Vortrefflich. Warum denn? Rochefort? Du weißt wohl, daß er jetzt einer meiner besten Freunde ist. – Ah, desto besser! – Aber was hat denn Rochefort damit zu tun, daß du so in mein Zimmer dringst? – Ah, gnädiger Herr, ich muß Euch zuerst sagen, Herr von Rochefort ist …

Planchet zögerte nur einen Augenblick, dann berichtete er, wie die Bürgergruppe, durch die sich die Eskorte bei der Rückführung Rocheforts in die Bastille einen Weg bahnte, unruhig geworden sei, wie Herr von Rochefort um Hilfe gerufen habe, wie er, Planchet, darauf herbeigeeilt sei und ihn befreit habe. Leider, fuhr Planchet fort, kam in diesem Augenblick eine Patrouille vorüber; sie vereinigte sich mit den eskortierenden Garden und rief uns an. Ich zog mich fechtend nach der Rue Tiquetonne zurück. Man verfolgte mich auf den Fersen, und ich flüchtete mich in das Haus hier nebenan. Man umzingelte und durchsuchte es, aber vergebens: ich hatte im fünften Stock eine mitleidige Person gefunden, die mich zwischen zwei Matratzen verbarg. In diesem Versteck blieb ich bis Tagesanbruch, und da ich dachte, man würde die Nachforschungen wieder anfangen, so wagte ich mich auf die Dachrinnen, um zuerst einen Eingang und dann einen Ausgang in irgend einem Hause zu finden, das nicht bewacht wäre. Dies ist meine Geschichte und auf Ehre, gnädiger Herr, ich würde in Verzweiflung geraten, wenn sie Euch unangenehm wäre. – Nein, sprach d’Artagnan, im Gegenteil, und bei meiner Treue, es freut mich sehr, daß Rochefort seine Freiheit erlangt hat. Aber weißt du auch, daß du, wenn du den Häschern in die Hände fällst, ohne Gnade und Barmherzigkeit gehenkt wirst? – Bei Gott, ich weiß es, rief Planchet; darum war ich auch so erfreut. Euch zu treffen. Wenn Ihr mich verbergen wollt, so kann dies niemand besser, als Ihr. – Ja, sagte d’Artagnan, das will ich auch, obgleich ich nicht mehr und nicht weniger wage, als meinen Grad, wenn es bekannt würde, daß ich einem Rebellen Zuflucht gegeben habe. – Ah! gnädiger Herr, Ihr wißt wohl, daß ich mein Leben für Euch wagen würde. – Du könntest sogar beifügen, du habest es gewagt, Planchet. Setze dich und speise in Ruhe, denn ich sehe, daß du die Überreste meines Abendbrots mit einem sehr ausdrucksvollen Blicke anschaust. – Ach, gnädiger Herr, Ihr rettet mir zweimal das Leben, denn ich habe seit gestern mittag kaum zwei Bissen gegessen.

Und er setzte sich zu Tische und fing an zu schlingen, wie in den schönen Tagen der Rue des Fossoyeurs. Endlich stieß er jenen Befriedigungsseufzer des ausgehungerten Menschen aus, der besagt, daß er nach einer ernsten und soliden Abschlagszahlung einen Halt machen will.

Nun sprich, sagte d’Artagnan, welcher dachte, der Augenblick sei gekommen, das Verhör zu beginnen. Verfahren wir der Ordnung nach: Weißt du, wo Athos ist? – Nein, gnädiger Herr, antwortete Planchet. – Teufel! Weißt du, wo Porthos ist? – Ebensowenig! – Teufel! Teufel! Und Aramis? – Auch nicht. – Teufel! Teufel! Teufel! – Aber, versetzte der kluge Planchet, ich weiß, wo Bazin ist. – Wie, du weißt, wo Bazin ist? – Ja, gnädiger Herr. – Und wo ist er? – In Notre-Dame. – Und was macht er in Notre-Dame? – Er ist Mesner. – Bazin Mesner in Notre-Dame? Weißt du es gewiß? – Ganz gewiß; ich habe ihn gesehen, ich habe ihn gesprochen. – Er muß wissen, wo sein Herr ist. – Ohne Zweifel.

D’Artagnan dachte nach. Dann nahm er seinen Mantel und seinen Degen und schickte sich an, fortzugehen.

Gnädiger Herr, sagte Planchet mit kläglicher Miene, wollt Ihr mich so verlassen? Bedenkt, daß ich nur auf Euch meine Hoffnung setze. – Man wird dich hier nicht suchen, entgegnete d’Artagnan. – Aber wenn man hierher käme, versetzte der kluge Planchet, bedenkt, daß ich für die Leute des Hauses, die mich nicht haben hereingehen sehen, ein Dieb wäre. – Das ist richtig. Sprichst du irgend ein Patois? – Ich spreche noch etwas Besseres, ich spreche eine Sprache, ich spreche Flamändisch. – Wo zum Teufel hast du es gelernt? – In Artois, wo ich zwei Jahre im Felde gewesen bin. Hört: Goeden Morgen, mynheer, ick ben begeerig te weeten hoe gezondheids omstand. – Das nennt er eine Sprache! Doch gleichviel, sagte d’Artagnan; es kommt ganz gelegen.

D’Artagnan ging an die Türe, rief einen der Aufwärter und befahl ihm, der schönen Madeleine zu sagen, sie möge heraufkommen.

Was macht Ihr, Herr? rief Planchet, Ihr wollt unser Geheimnis einer Frau anvertrauen!

Sei ruhig, diese wird nichts verraten.

In diesem Augenblick trat die Wirtin ein. Sie lief mit lachender Miene herbei, denn sie hoffte, d’Artagnan allein zu finden; als sie aber Planchet erblickte, wich sie erstaunt zurück.

Meine liebe Wirtin, sagte d’Artagnan, ich stelle Euch hier Euern Herrn Bruder vor. Er kommt von Flandern, und ich nehme ihn einige Tage in meine Dienste.

Meinen Bruder, sprach die Wirtin, immer erstaunter.

Wünscht doch Eurer Schwester guten Morgen, Meister Peter.

Wilkom zuster, sagte Planchet.

Goeden dag, broeder, sprach die Wirtin voll Verwunderung.

So ist es gut, sagte d’Artagnan, der Herr ist Euer Bruder. Er kommt von Amsterdam. Ihr kleidet ihn in meiner Abwesenheit. Wenn ich zurückkehre, das heißt in einer Stunde, stellt Ihr ihn mir vor, und obgleich er kein Wort Französisch spricht, nehme ich ihn doch auf Eure Empfehlung, da ich Euch nichts abschlagen kann, in meine Dienste. Ihr versteht?

Das heißt, ich errate, was Ihr wünscht, und mehr bedarf es nicht, erwiderte Madeleine.

Ihr seid eine kostbare Frau, meine schöne Wirtin, ich baue ganz auf Euch.

Hierauf machte d’Artagnan Planchet ein Zeichen des Einverständnisses und verließ das Zimmer, um sich nach Notre-Dame zu begeben.

Anna von Österreich im Alter von sechsundvierzig Jahren

Allein mit Bernouin, blieb Mazarin einen Augenblick nachdenklich; er wußte viel, aber er wußte immer noch nicht genug. Mazarin war Betrüger im Spiel. Er beschloß, die Partie mit d’Artagnan nicht eher anzufangen, als bis er alle Karten seines Gegners genau kennen würde.

Monseigneur hat nichts zu befehlen? sagte Bernouin.

Allerdings, antwortete Mazarin, leuchte mir, ich gehe zu der Königin.

Bernouin nahm eine Kerze und ging voraus.

Es war ein geheimer Gang vorhanden, der von den Zimmern und dem Kabinett Mazarins nach den Zimmern der Königin führte, und den der Kardinal benutzte, so oft er sich zu Anna von Österreich begab.

Als Bernouin in das Schlafzimmer gelangte, in dem dieser Gang mündete, traf er Madame Beauvais. Madame Beauvais und Bernouin waren die innigen Vertrauten dieser schon alten Liebe, und Madame Beauvais übernahm es, den Kardinal bei Anna von Österreich zu melden, die sich mit ihrem Sohne, König Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.

In einem großen Lehnstuhl sitzend, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete Anna von Österreich das königliche Kind, das, auf dem Boden liegend, in einem großen Schlachtenbuch blätterte. Anna von Osterreich war die Königin, die sich am allerbesten mit Majestät zu langweilen wußte. Sie blieb zuweilen stundenlang in ihr Schlafgemach oder in ihr Betzimmer zurückgezogen, ohne zu lesen oder zu beten.

Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Das Kind erhob sich auf einem Knie und schaute, die Stirne runzelnd, seine Mutter an.

Warum kommt er so, sagte es, ohne um Audienz zu bitten?

Anna errötete leicht. Es ist wichtig, versetzte sie, daß ein erster Minister in Zeiten, wie sie jetzt sind, der Königin zu jeder Stunde über alles berichten kann, ohne daß er die Neugierde oder die Mutmaßungen des ganzen Hofes anzuregen braucht.

Aber man hat mir auf meine Frage gesagt, daß der Herr von Richelieu nicht so kam, sprach das unbeugsame Kind.

In diesem Augenblick trat Mazarin ein. Der König stand auf, nahm sein Buch, schloß es und trug es auf den Tisch, bei dem er aufrecht stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, ebenfalls zu stehen. Mazarin bückte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte eine tiefe Verbeugung vor dem König, der ihm mit einem ziemlich stolzen Kopfnicken dankte; aber ein Blick seiner Mutter tadelte ihn, daß er sich den Gefühlen des Hasses hingab, die er seit seinen Kinderjahren gegen den Kardinal hegte, und er empfing mit lächelnden Lippen das Kompliment des Ministers.

Anna von Österreich war bemüht, auf Mazarins Gesicht die Ursache dieses unvorhergesehenen Besuches zu erraten, denn der Kardinal kam gewöhnlich erst dann zu ihr, wenn sie allein war.

Der Minister machte ein unmerkliches Zeichen mit dem Kopf, die Königin wandte sich an Madame Beauvais und sagte: Es ist Zeit, daß sich der König schlafen legt. Ruft Laporte.

Ludwig XIV. biß sich in die Lippen und erbleichte. Als einen Augenblick nachher Laporte eintrat, ging er gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu küssen.

Nun, Louis, sagte Anna, warum küßt Ihr mich nicht?

Ich glaubte, Ihr wäret böse auf mich, Madame, Ihr jagt mich fort.

Ich jage Euch nicht fort. Ihr habt nur vor kurzem erst die Blattern gehabt, seid noch leidend, und ich fürchte, das lange Wachen könnte Euch anstrengen.

Ihr habt das nicht gefürchtet, als Ihr mich heute in den Palast schicktet, um die abscheulichen Edikte zu erlassen, über die das Volk so sehr murrte.

Und der König entfernte sich, ohne seine Mutter zu küssen und ohne den Kardinal zu grüßen.

Ganz gut, sprach Mazarin, ich sehe es gerne, daß man Seine Majestät mit Abscheu vor der Heuchelei erzieht. – Wie meint Ihr dies? fragte die Königin mit beinahe schüchternem Tone. – Nun, Seine Majestät gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie geringe Zuneigung er für mich hat, was mich indessen nicht abhält, seinem Dienste, so wie dem Eurer Majestät, völlig ergeben zu sein. – Ich bitte Euch für ihn um Vergebung, erwiderte die Königin. Er ist ein Kind, das noch nicht alle seine Verpflichtungen gegen Euch zu erkennen vermag.

Der Kardinal lächelte.

Aber, fuhr die Königin fort, Ihr seid ohne Zweifel in einer wichtigen Angelegenheit gekommen. Was gibt es?

Mazarin setzte oder vielmehr lehnte sich in einen weiten Stuhl zurück und sprach in schwermütigem Ton:

Was es gibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald gezwungen sein, uns zu verlassen, wenn Ihr nicht Eure Ergebenheit für mich so weit treiben wollt, mir nach Italien zu folgen. – Und warum dies? fragte die Königin.

Weil, wie es in der Oper Thisbe heißt: »Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«

Ihr scherzt, Herr, sagte die Königin mit einem Versuch, ihre frühere Würde wieder anzunehmen.

Ach nein, Madame, sprach Mazarin, ich scherze nicht im geringsten. Glaubt mir, ich möchte eher weinen, habe ich nicht Euch selbst eines Tages ganz freundlich dem Herzog von Orleans zulächeln sehen, als er sagte: Euer Mazarin ist der Stein des Anstoßes, er entferne sich, und alles wird gut gehen? – Was sollte ich machen? – Oh! Madame, es scheint mir, Ihr seid die Königin. – Ein schönes Königtum, der Gnade des ersten besten Tintenklecksers vom Palais Royal oder des elendesten Strohjunkers im Reich preisgegeben! – Ihr seid aber stark genug, um die Leute von Euch zu entfernen, die Euch mißfallen. – Das heißt, die Euch mißfallen, antwortete die Königin. – Mir? – Allerdings. Wer hat Frau von Chevreuse fortgeschickt? – Eine Intrigantin, welche gegen mich die Kabalen fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu angefangen hatte. – Wer hat Frau von Hautefort fortgeschickt, die mir so sehr ergeben war, daß sie die Gnade des Königs ausschlug, um in der meinigen zu bleiben? – Eine Heuchlerin, die Euch jeden Abend beim Auskleiden sagte, einen Priester lieben, heiße seine Seele verderben; als ob man Priester sein müßte, weil man Kardinal ist! – Wer hat Herrn von Beaufort verhaften lassen? – Ein Brausekopf, der von nichts Geringerem sprach, als von meiner Ermordung. – Ihr seht wohl, Kardinal, versetzte die Königin, daß Eure Feinde auch die meinigen sind. – Das ist nicht genug, Madame. Eure Freunde müssen auch die meinigen sein. – Meine Freunde? Herr! sprach die Königin und schüttelte den Kopf. Ach, ich habe keine mehr! – Ja, sucht nur unter Euren ehemaligen Freunden, unter denen, die Euch gegen den Herzog von Richelieu kämpfen und ihn sogar besiegen halfen.

Wo will er hinaus? murmelte die Königin und schaute den Kardinal unruhig an.

Ja, fuhr dieser fort, unter gewissen Umständen wußtet Ihr mit dem mächtigen, feinen Geiste, der Eure Majestät charakterisiert, mit Hilfe Eurer Freunde die Angriffe dieses Gegners zurückzuschlagen. – Ich? sagte die Königin, ich habe nur gelitten. – Ja, sprach Mazarin, wie die Frauen leiden, indem sie sich rächen. Kommen wir zur Sache. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? fuhr Mazarin, der Königin ins Gesicht schauend, fort.

Anna von Österreich empfing den Stoß mitten im Herzen.

Sollte der Gascogner geschwatzt haben? murmelte sie. Dann fügte sie laut bei:

D’Artagnan? wartet doch. Ja gewiß, dieser Name ist mir bekannt: d’Artagnan, ein Musketier, der eine meiner Frauen liebte. Ein armes Geschöpfchen, das meinetwegen an Gift starb.

Ist dies alles? fragte Mazarin.

Die Königin schaute den Kardinal erstaunt an.

Aber, mein Herr, sagte sie, es scheint, Ihr unterwerft mich einem Verhör. – Bei dem Ihr jedenfalls, erwiderte Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seinem stets süßen Tone, nur nach Eurer Phantasie antwortet. – Drückt Euren Wunsch klar, aus, mein Herr, und ich werde ebenso antworten, sagte die Königin, die ungeduldig wurde. – Wohl, Madame, antwortete Mazarin, sich verbeugend. Ich wünschte, Ihr ließet mich an Euren Freunden Anteil nehmen, wie ich Euch an dem bißchen Gewandtheit und Talent Anteil nehmen ließ, womit mich der Himmel begabt hat. Die Umstände sind von ernster Bedeutung, und man muß energisch handeln. – Abermals! sprach die Königin, ich glaubte, mit Herrn von Beaufort wären wir quitt. – Ihr habt nur den Strom gesehen, der alles niederreißen wollte, und das stehende Wasser nicht wahrgenommen. – Vollendet! sagte die Königin. – Nun wohl, fuhr Mazarin fort; ich dulde alle Tage Unverschämtheiten, die sich Eure Prinzen und Eure betitelten Knechte gegen mich erlauben, lauter Automaten, die nicht sehen, daß ich ihren Faden in der Hand halte. Wir haben allerdings Herrn von Beaufort verhaften lassen, aber das war der ungefährlichste von allen. Noch ist der Prinz vorhanden. – Der Sieger von Rocroi? Daran könnt Ihr doch nicht denken! – Ja, Madame, und zwar sehr oft, aber Pazienza, wie wir Italiener sagen. Dann, nach Herrn von Condé, ist der Herzog von Orleans da. – Was sagt Ihr? der erste Prinz von Geblüt, der Oheim des Königs! – Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, sondern der feige Meuterer, der unter der vorigen Regierung, angetrieben von seinem launenhaften, phantastischen Charakter, gestachelt von erbärmlichem Ärger, verzehrt von einem platten Ehrgeiz, eifersüchtig auf alles, was ihn an ritterlichem Sinn und Mut übertraf, aufgebracht darüber, daß er wegen seiner inneren Hohlheit nichts war, sich zum Echo aller Verleumdungen, zur Seele aller Kabalen machte. Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, ich wiederhole es, sondern der Mörder eines Chalais, Montmorency und Cinq-Mars, der jetzt dasselbe Spiel zu spielen versucht und sich einbildet, er werde die Partie gewinnen, weil er jetzt nicht mehr einen drohenden, sondern einen lächelnden Mann sich gegenüberstehen hat. Aber er täuscht sich, er wird verlieren, und es liegt nicht in meinem Interesse, bei der Königin diesen Gärungsstoff der Uneinigkeit zu dulden, mit dem der verstorbene Kardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang in Aufruhr erhalten hat.

Anna errötete und barg ihren Kopf in beiden Händen.

Ich will Eure Majestät nicht demütigen, fuhr Mazarin mit etwas ruhigerem Tone, aber zugleich mit seltsamer Festigkeit fort. Man soll die Königin ehren und ihren Minister achten, denn in aller Augen bin ich nur dieses.

Was soll ich denn tun? fragte Anna von Österreich, gebeugt unter dieser gebietenden Stimme.

Ihr sollt in Eurem Gedächtnis den Namen der treuen, ergebenen Männer suchen, die trotz Herrn von Richelieu über das Meer gefahren sind, Spuren ihres Blutes die ganze Straße entlang zurücklassend, um Ew. Majestät einen gewissen Schmuck zu bringen, den sie Herrn von Buckingham gegeben hatte.

Anna von Österreich erhob sich, majestätisch und zornig, als ob eine Feder sie aufgeschnellt hätte, und schaute den Kardinal mit dem Stolz und der Würde an, wodurch sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig gewesen war.

Ihr beleidigt mich, Herr, sagte sie. – Ich will, fuhr Mazarin unbeirrt fort, ich will, daß Ihr für Euern Gatten tut, was Ihr einst für Euern Liebhaber getan habt. – Abermals diese Verleumdung? rief die Königin; ich hielt sie für tot und erstickt, denn Ihr hattet sie mir bis jetzt erspart. Jetzt sprecht Ihr mir aber ebenfalls davon. Desto besser, denn die Frage wird jetzt ein für allemal unter uns abgemacht werden, versteht Ihr mich? – Aber, Madame, sprach Mazarin, erstaunt über diese Rückkehr der Kraft, ich verlange gar nicht, daß Ihr mir alles sagen sollt. – Und ich will Euch alles sagen, entgegnete Anna von Österreich. Hört also: Es gab wirklich zu jener Zeit vier ergebene Herzen, vier ritterliche Seelen, vier treue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre retteten. – Oh! Ihr gesteht! rief Mazarin.– Ist nur die Ehre der Schuldigen auf das Spiel gesetzt, mein Herr, und kann man nicht einen Menschen, eine Frau besonders, durch falschen Schein entehren? Ja, der Schein war gegen mich, und ich sollte entbehrt werden, und dennoch, ich schwöre es Euch, war ich nicht schuldig. Ich schwöre es …

Sie suchte nach etwas Heiligem, worauf sie schwören könnte, zog aus einem unter der Tapete verborgenem Schranke ein kleines, mit Silber eingelegtes Kistchen von Rosenholz hervor, stellte es auf den Altar und fuhr fort: Ich schwöre auf diese heilige Reliquie, ich liebte Herrn von Buckingham, aber Herr von Buckingham war nicht mein Liebhaber.

Und was für eine Reliquie ist es, auf die Ihr diesen Eid leistet? sprach Mazarin lächelnd; denn ich muß gestehen, als Römer bin ich ungläubig; es ist ein Unterschied unter den Reliquien.

Die Königin machte einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse los und übergab ihn dem Kardinal.

Öffnet, mein Herr, sprach sie, und seht selbst.

Mazarin nahm erstaunt den Schlüssel und öffnete das Kistchen, worin er nur ein vom Rost zerfressenes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war.

Was ist das? fragte Mazarin.

Was das ist, mein Herr? sprach Anna von Österreich mit königlicher Gebärde und indem sie ihren immer noch vollkommen schönen Arm über das Kästchen streckte, ich will es Euch sagen; diese zwei Briefe sind die einzigen, die ich ihm je geschrieben habe; dieses Messer ist das, mit dem ihn Felton ermordet hat. Leset die Briefe, mein Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich gelogen habe.

Es ist gut, Madame, sagte Mazarin, indem er unwillkürlich nach dem Messer griff, es aber nach einem Blick auf seine blut- und rostzerfressene Scheide schaudernd in das Kästchen legte, ich baue auf Euern Eid.

Ja, mein Herr, sprach die Königin, das Kistchen wieder verschließend und ihre Hand darauf legend; es ist allerdings wahr. Diese Reliquie klagt mich an, daß ich stets undankbar gegen die gewesen bin, welche mich gerettet haben, und alles taten, um ihn zu retten; daß ich dem braven d’Artagnan, von dem Ihr soeben spracht, nichts gegeben habe, als die Erlaubnis, meine Hand zu küssen, und diesen Diamanten.

Die Königin streckte ihre schöne Hand gegen den Kardinal aus und zeigte ihm einen herrlichen Edelstein, der an ihrem Finger funkelte.

Er hat ihn, wie es scheint, in einem Augenblick der Verlegenheit verkauft: er hat ihn verkauft, um mich zum zweitenmale zu retten, denn es geschah, um einen Boten an den Herzog zu schicken und ihn zu benachrichtigen, daß er ermordet werden solle.

D’Artagnan wußte es also?

Er wußte alles. Wie er dies machte, weiß ich nicht. Kurz, er verkaufte den Ring an Herrn des Essarts, an dessen Finger ich ihn sah, und von welchem ich ihn wieder kaufte; doch dieser Diamant gehört ihm, mein Herr, gebt ihm denselben in meinem Namen zurück, und da Ihr das Glück habt, einen solchen Menschen in Eurer Nähe zu besitzen, so sucht Vorteil daraus zu ziehen.

Ich danke, Madame, sprach Mazarin, ich werde Euren Rat benützen.

Und nun, sagte die Königin, als hätte die Aufregung sie völlig entkräftet, habt Ihr noch etwas anderes von mir zu fordern?

Nichts, Madame, erwiderte Mazarin mit seinem einschmeichelndsten Tone, ich habe Euch nur zu bitten, mir meinen ungerechten Verdacht zu vergeben, aber ich liebe Euch so unendlich, daß man nicht staunen darf, wenn ich selbst über die Vergangenheit eifersüchtig bin.

Ein Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck umspielte die Lippen der Königin.

Der Kardinal nahm die Hand der Königin, küßte sie zärtlich und zog sich zurück.

Kaum hatte er sich entfernt, als sich die Königin in das Gemach ihres Sohnes begab und Laporte fragte, ob der König zu Bette gegangen sei. Laporte deutete mit der Hand auf das schlafende Kind.

Anna von Österreich stieg auf die Stufen des Bettes, näherte ihre Lippen der Stirn ihres Sohnes und drückte sanft einen Kuß darauf; dann ging sie stille, wie sie gekommen war, wieder weg und sagte bloß zu dem Kammerdiener: Sorget dafür, mein lieber Laporte, daß der König dem Kardinal, gegen den er und ich so große Verbindlichkeiten haben, ein freundlicheres Gesicht macht.

Gascogner und Italiener

Inzwischen war der Kardinal in sein Zimmer zurückgekehrt. Er fragte Bernouin, ob nichts Neues vorgefallen und ob keine Meldung gekommen sei, und hieß ihn auf seine verneinende Antwort abtreten. Sodann öffnete er die Türe des Korridors und hierauf die des Vorzimmers und sagte zu dem auf der Bank sitzenden und mühsam den Schlaf bekämpfenden Leutnant:

Folgt mir, mein Herr!

Vortrefflich, murmelte d’Artagnan, Rochefort hat mir Wort gehalten; das Gute kommt mir, scheint’s, im Schlaf.

Herr d’Artagnan, sagte Mazarin, nachdem er sich gesetzt und eine bequeme Stellung eingenommen hatte, Ihr seid mir immer als ein braver, mutiger Mann vorgekommen.

Das ist möglich, dachte d’Artagnan, aber er hat sich Zeit gelassen, es mir zu sagen. Dessenungeachtet bückte er sich vor Mazarin bis auf den Boden, um sein Kompliment zu erwidern.

Nun wohl, fuhr Mazarin fort, der Augenblick ist gekommen, um aus Eurem Talent und aus Eurem Mut Nutzen zu ziehen.

Die Augen des Offiziers schleuderten gleichsam einen Freudenblitz, der sogleich wieder erlosch, denn er wußte nicht, wo Mazarin hinaus wollte.

Befehlt, Monseigneur, ich bin bereit, Eurer Eminenz zu gehorchen.

Herr d’Artagnan, fuhr Mazarin fort, Ihr habt unter der letzten Regierung gewisse Taten vollbracht …

Eure Eminenz ist zu gut, daß sie sich dessen erinnert … Es ist wahr, ich habe den Krieg mit ziemlich günstigem Erfolg mitgemacht …

Ich spreche nicht von Euren Kriegstaten, entgegnete Mazarin, denn obgleich sie einiges Aussehen machten, so sind sie doch von andern übertroffen worden.

D’Artagnan spielte den Erstaunten.

Wie? sprach Mazarin, Ihr antwortet nicht? – Ich warte darauf, versetzte d’Artagnan, daß Monseigneur mir sage, von welchen Taten er zu sprechen die Gnade hat. – Ich spreche von den Abenteuern in … Ihr wißt wohl, was ich sagen will? – Ach nein, Monseigneur, antwortete d’Artagnan ganz erstaunt. – Ihr seid verschwiegen? Desto besser! Ich spreche von jenem Abenteuer der Königin, von den Nestelstiften, von der Reise, die Ihr mit drei von Euren Freunden gemacht habt. – He, he! dachte der Gascogner, ist das eine Falle? Da müssen wir fest halten.

Und seine Züge drückten ein Erstaunen aus, um das ihn Mondori und Bellerose, die besten Schauspieler jener Zeit, beneidet hätten.

Sehr gut! rief Mazarin lachend. Bravo! man hat mir mit Recht gesagt, Ihr seiet der Mann, dessen ich bedürfe. Aber sprecht immerhin, denn die Königin selbst entbindet Euch Eures Schwures. – Die Königin! sagte d’Artagnan mit einem Erstaunen, das diesmal nicht gespielt war. – Ja, die Königin. Und zum Beweise, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche, hat sie mich beauftragt, Euch diesen Diamanten zu zeigen, von dem sie behauptet, Ihr kennt ihn, und den sie von Herrn des Essarts wieder erkauft hat.

Mazarin streckte die Hand nach dem Offizier aus, und dieser seufzte, als er den Ring wiedererkannte, den ihm die Königin an jenem Ballabend im Stadthause geschenkt hatte.

Es ist wahr, sagte d’Artagnan, ich erkenne diesen Diamanten, der der Königin gehört hat. – Ihr seht also wohl, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche. Antwortet mir, ohne weiter Komödie zu spielen. Ich habe Euch schon gesagt und wiederhole, daß Euer Glück davon abhängt. – Meiner Treu, Monseigneur, ich habe es sehr nötig, mein Glück zu machen. Ew. Eminenz vergaß mich so lange. – Das läßt sich in acht Tagen gut machen. Ihr seid hier; aber wo sind Eure Freunde? – Ich weiß es nicht, Monseigneur. – Wie, Ihr wißt es nicht? Wo werdet Ihr sie da wiederfinden? – Überall, wo sie sich aufhalten; das ist meine Sache. – Gut … Eure Bedingung? – Geld, Monseigneur, so viel, als unsere Unternehmungen fordern. Ich erinnere mich zuweilen nur zu gut, wie sehr uns Geldmangel hemmte, und ohne diesen Diamanten wären wir auf dem Wege liegen geblieben. – Teufel! Geld, und zwar viel, sprach Mazarin. Wie rasch Ihr darauf losgeht, Herr Offizier! Wißt Ihr, daß in den Kassen des Königs kein Geld ist? – Macht es wie ich, Monseigneur, verkauft die Diamanten der Krone. Glaubt mir, man führt große Dinge nur schlecht aus mit kleinen Mitteln. – Nun wohl, sprach Mazarin, wir werden Euch zu befriedigen suchen. Richelieu, dachte d’Artagnan, hätte mir bereits fünfhundert Pistolen Handgeld gegeben. – Ihr gehört also mir? – Ja, wenn meine Freunde wollen. – Aber falls sie sich weigern, kann ich auf Euch zählen? – Ich habe nie etwas Gutes ganz allein getan, antwortete d’Artagnan, den Kopf schüttelnd.– Sucht sie also auf. – Was soll ich ihnen sagen, um sie zu bestimmen, Eurer Eminenz zu dienen? – Ihr kennt sie besser als ich; nach ihren Charakteren versprecht ihnen. – Was soll ich ihnen versprechen? – Sie mögen mir dienen, wie sie der Königin gedient haben, und meine Dankbarkeit wird glänzend sein. – Was sollen wir tun? – Alles, denn es scheint, Ihr wißt alles zu tun. Fürs erste, sucht Eure Freunde. – Monseigneur, vielleicht sind sie nicht in Paris; ja dies ist sogar wahrscheinlich, ich werde reisen müssen. Ich bin nur ein sehr armer Musketierleutnant, und die Reisen sind teuer.

Mazarin blieb einen Augenblick nachdenklich, als ob sich ein gewaltiger Kampf in seinem Innern entspänne. Dann ging er auf einen dreifach geschlossenen Schrank zu und zog einen Sack hervor, den er wiederholt in der Hand wog, ehe er ihn d’Artagnan gab.

Nehmt dies, sprach er mit einem Seufzer, es ist für die Reise.

Wenn es spanische Dublonen oder Goldtaler sind, dachte d’Artagnan, so können wir noch ein Geschäft miteinander machen.

Er verbeugte sich vor dem Kardinal und schob den Sack in seine weite Tasche.

Nun, das ist abgemacht, versetzte der Kardinal, Ihr reist. – Ja, Monseigneur. – Schreibt mir alle Tage und gebt mir Nachricht von Euren Unterhandlungen. – Ich werde nicht ermangeln, Monseigneur. – Gut. Doch halt, der Name Eurer Freunde …? – Nach kurzem Schweigen antwortete d’Artagnan entschlossen: Der Graf de la Fère, sonst Athos genannt, Herr du Ballon, sonst Porthos genannt, und der Chevalier d’Herblay, gegenwärtig Abbé d’Herblay, früher Aramis genannt.

Der Kardinal lächelte.

Junker, sprach er, die sich mit falschen Namen unter die Musketiere hatten aufnehmen lassen, um nicht ihre Familiennamen zu kompromittieren … lange Stoßdegen, leichte Börsen. Man kennt das.

Wenn es Gottes Wille ist, daß diese Stoßdegen in den Dienst Eurer Eminenz treten, erwiderte d’Artagnan, so wage ich den Wunsch auszudrücken, die Börse Eurer Eminenz möge leicht und die ihrige dafür schwer werden; denn mit diesen drei Männern und mit mir kann Eure Eminenz ganz Frankreich und sogar ganz Europa in Bewegung setzen, wenn es Euch beliebt.

Diese Gascogner, sprach Mazarin lächelnd, kommen den Italienern in der Prahlerei gleich.

In jedem Fall, sagte d’Artagnan mit einem ähnlichen Lächeln, in jedem Fall stehen sie, wenn es sich um das Schwert handelt, über ihnen.

Und er trat ab, nachdem er um einen Urlaub gebeten hatte, der ihm sogleich bewilligt und von dem Kardinal selbst unterzeichnet wurde.

Sobald der Kardinal allein war, rieb er sich die Hände.

Hundert Pistolen! murmelte er, hundert Pistolen! Um hundert Pistolen habe ich ein Geheimnis erhandelt, wofür Herr Richelieu zwanzigtausend Taler bezahlt hätte. Diesen Diamanten nicht zu rechnen, fügte er bei und warf einen verliebten Blick auf den d’Artagnan vorenthaltenen Ring, der wenigstens zehntausend Livres wert ist.

D’Artagnan aber näherte sich, kaum daß er draußen war, der ersten Laterne und schaute rasch in den Sack.

Silbertaler! rief er verächtlich, ich vermutete es! Ach, Mazarin, Mazarin! Du hast kein Vertrauen zu mir. Desto schlimmer! Das wird dir Unglück bringen.

Dann ging er in die Rue Tiquetonne, wo er in der Herberge zur Rehziege wohnte.

Wir wollen kurz erzählen, wie d’Artagnan dazu gekommen war, diese Wohnung zu wählen.

Der gute Broussel

Aber zum Unglück für den Kardinal war der gute Broussel nicht zu Tode getreten worden. Er ging ruhig durch die Rue-Saint-Honoré, als d’Artagnans Pferd ihn scharf an der Schulter streifte und in den Kot warf.

Die Leute, die den Unfall mit angesehen hatten, liefen herbei, fragten den stöhnenden Mann nach seinem Namen, und sobald er gesagt hatte, er heiße Broussel, sei Rat im Parlament und wohne in der Rue Saint-Landry, erhob sich ein Schrei aus der Menge, ein furchtbar drohender Schrei.

Broussel! rief man, Broussel, unser Vater! Der Mann, der unsere Rechte gegen Mazarin verteidigt! Broussel, der Freund des Volkes, getötet, mit den Füßen zerstampft von diesen Schurken von Kardinalisten! Zu Hilfe! Zu den Waffen! Tod diesen Schurken!

Im Nu war der Haufen lawinenartig geschwollen; man hielt einen Wagen an, um den kleinen Rat hineinzulegen; aber ein Mann aus dem Volke machte eine Bemerkung, bei dem Zustand des Verwundeten müsse die Bewegung der Karrosse das Übel nur noch verschlimmern; Fanatiker erboten sich, ihn auf den Armen zu tragen, und dieser Vorschlag wurde mit Begeisterung begrüßt und einstimmig angenommen. Gesagt, getan! Das Volk hob ihn drohend und sanft zugleich auf und trug ihn fort.

Der Rat war stolz auf diese Anhänglichkeit des Volkes, die er in solchem Maße nicht vermutet hatte. Zugleich fürchtete er aber an jeder Ecke, es möchte ein neuer Reitertrupp kommen und ihn völlig zermalmen.

Mehrmals wiederholte er daher mit erloschener Stimme: Eilen wir, Kinder, denn in der Tat, ich leide sehr.

Nicht ohne Mühe gelangte man an Broussels Haus. Die Menge hatte bereits das ganze Viertel in Aufregung gebracht. Am Fenster eines Hauses mit sehr schmalem Eingang bemerkte man eine alte Dienerin, die sich aufs heftigste gebärdete und aus Leibeskräften schrie, und eine betagte Frau, die in Tränen ausgebrochen war. Diese beiden Personen befragten mit sichtbarer Unruhe das Volk, das nur mit verworrenem, unverständlichem Geschrei antwortete.

Als aber der Rat von acht Männern getragen, ganz bleich zum Vorschein kam und mit scheinbar brechendem Auge seine Wohnung, seine Frau und seine Dienerin betrachtete, da fiel die gute Dame Broussel in Ohnmacht, und die Magd stürzte, die Arme zum Himmel erhebend, auf die Treppe, um ihrem Herrn entgegenzugehen, und schrie: O mein Gott! mein Gott! Wenn nur Friquet da wäre, um einen Wundarzt zu holen!

Friquet war da, denn wo ist ein Pariser Straßenjunge nicht?

Friquet hatte natürlich den Pfingsttag benutzt, um sich vom Herrn der Taverne einen Urlaub zu erbitten; er war an der Spitze des Zuges. Wohl kam ihm gleich anfangs der Gedanke, einen Wundarzt zu holen, aber er fand es belustigender, aus vollem Halse zu schreien: Sie haben Herrn Broussel getötet! Herrn Broussel, den Vater des Volkes! Es lebe Herr Broussel!

Zum Unglück für Friquet, der eine wichtige Rolle bei dem Zug spielte, beging er die Unklugheit, sich an die Fenstergitter im Erdgeschoß anzuklammern, um die Menge zu leiten. Dieser Ehrgeiz richtete ihn zu Grunde. Seine Mutter bemerkte ihn und schickte ihn nach dem Arzt.

Dann nahm sie den guten Mann in ihre Arme und wollte ihn ins oberste Stockwerk tragen; aber unten an der Treppe stellte sich der Rat wieder aus seine Beine und erklärte, er fühle sich stark genug, um allein hinaufzusteigen. Er bat daher Gervaise (so hieß die Magd), sie möge das Volk zum Rückzug zu bewegen suchen, aber Gervaise hörte nicht auf ihn.

O mein armer Herr! mein lieber Herr! rief sie. – Ja, meine Gute, ja, Gervaise, murmelte Broussel, um sie zu beschwichtigen; sei unbesorgt, es wird nichts sein. – Ich soll mich beruhigen, während Ihr gerädert, zertreten und zermalmt seid! – Nein, nein, entgegnete Broussel, es ist nichts, beinahe nichts. – Nichts? und Ihr seid mit Kot bedeckt! Nichts, und Ihr, habt Blut an Euren Haaren! Ah, mein Gott, mein Gott! mein armer Herr! – Still doch! sagte Broussel, still! – Blut, mein Gott, Blut! rief Gervaise. – Einen Arzt! einen Wundarzt! einen Doktor! brüllte die Menge. Der Rat Broussel stirbt! Die Mazariner haben ihn getötet! – Mein Gott! sprach Broussel voll Verzweiflung, die Unglücklichen werden machen, daß mein Haus abgebrannt wird. – Stellt Euch ans Fenster und zeigt Euch! – Zum Henker! ich werde mich wohl hüten; das paßt für den König gut, sich zu zeigen. Sage ihnen, Gervaise, es gehe besser mit mir. Sage ihnen, ich wolle nicht ans Fenster kommen, sondern mich ins Bett legen, und sie möchten sich entfernen. – Aber, warum sollen sie sich entfernen? Es macht Euch Ehre, wenn sie da sind. – O! siehst du nicht, sprach Broussel, dessen Verzweiflung immer mehr zunahm, sie machen, daß man mich verhaftet, daß man mich hängt! Ach, sieh da, meine Frau ist unwohl. – Broussel! Broussel! rief die Menge. Es lebe Broussel! Einen Wundarzt für Broussel!

Sie machten einen solchen Lärm, daß das, was Broussel vorhergesehen hatte, wirklich geschah. Eine Abteilung von Wachen trieb den übrigens harmlosen Haufen mit Musketenkolben auseinander. Aber beim ersten Geschrei: Die Wache, die Soldaten! schlüpfte Broussel, der fürchtete, man könnte ihn für den Anstifter dieses Auflaufes halten, ganz angekleidet in sein Bett.

Kaum war durch die Wachen einigermaßen in der Straße die Ruhe wiederhergestellt, so klopfte es stark an der Türe.

Seht, wer klopft, sagte Broussel; öffnet aber nur vertrauten Freunden, Gervaise.

Gervaise sah nach. Es ist der Herr Präsident Blancmesnil, sprach sie.

Dann ist es gut, erwiderte Broussel, öffnet nur!

Laßt hören! sprach der Präsident, als er eintrat. Was haben sie Euch getan, mein lieber Broussel? Man sagt, Ihr wäret beinahe ermordet worden.

Es ist nicht zu leugnen, man führte ohne Zweifel etwas gegen mein Leben im Schilde, antwortete Broussel mit der Festigkeit eines Stoikers.

Mein armer Freund, sie wollten mit Euch anfangen; aber die Reihe wird an jeden von uns kommen, und da sie uns nicht in Masse besiegen können, so werden sie einen nach dem andern zu vernichten suchen.

Wenn ich davonkomme, sagte Broussel, so will ich sie alle unter dem Gewicht meines Wortes zermalmen.

Ihr werdet davonkommen, erwiderte Blancmesnil, um sie ihren Angriff teuer büßen zu lassen.

Frau Broussel weinte heiße Tränen. Gervaise war in Verzweiflung.

Was gibt es denn? rief ein hübscher junger Mann mit kräftigen Formen, in das Zimmer stürzend. Mein Vater verwundet!

Ihr seht ein Opfer der Tyrannei, junger Mensch, sprach Blancmesnil, als wahrer Spartaner.

Wehe denen, die Euch berührt haben, mein Vater, versetzte der junge Mann und wandte sich nach der Türe.

Jacques, sprach der Rat, hole lieber einen Arzt.

Ich höre das Geschrei des Volkes, rief die Alte, ohne Zweifel ist es Friquet, der einen bringt. Aber nein, es ist eine Karrosse!

Blancmesnil schaute durchs Fenster. Der Koadjutor, sagte er.

Der Herr Koadjutor! wiederholte Broussel. Ei, mein Gott, wartet doch, daß ich ihm entgegengehe!

Und seine Wunde vergessend, wäre der Rat Herrn von Retz entgegengelaufen, wenn ihn Blancmesnil nicht aufgehalten hätte.

Nun, mein lieber Broussel, sagte der Koadjutor eintretend, was gibt es denn? Man spricht von Hinterhalt, von Ermordung. Guten Morgen, Herr Blancmesnil. Ich habe im Vorüberfahren einen Arzt mitgenommen und bringe ihn.

Ah, gnädiger Herr, sagte Broussel, wieviel Gnade bin ich Euch schuldig! Es ist wahr, ich bin schrecklich niedergeworfen und von den Musketieren des Königs mit Füßen getreten worden.

Sagt des Kardinals, sprach der Koadjutor, sagt Mazarins. Aber wir wollen ihn alles teuer bezahlen lassen, seid unbesorgt. Nicht wahr, Herr von Blancmesnil?

Blancmesnil verbeugte sich, als die Türe von einem Läufer aufgestoßen wurde. Ein Lakai in großer Livree folgte ihm und meldete: Der Herr Herzog von Longueville.

Wie! rief Broussel, der Herr Herzog hier! Welche Ehre für mich! Ah, Monseigneur!

Mein Herr, sagte der Herzog, ich komme seufzend über das Schicksal unseres bravsten Verteidigers. Seid Ihr denn verwundet, mein lieber Rat? – Wenn ich es wäre, Monseigneur, so würde mich Euer Besuch heilen. – Ihr leidet jedoch? – Sehr, sagte Broussel. – Ich habe einen Arzt mitgebracht, versetzte der Herzog; erlaubt Ihr ihm einzutreten? – Ganz gewiß.

Der Herzog machte seinem Lakaien ein Zeichen, und dieser führte einen schwarzen Mann ein.

Ich hatte denselben Gedanken, wie Ihr, mein Prinz, sprach der Koadjutor.

Die beiden Ärzte schauten sich an.

Ah, Ihr seid’s, mein Herr Koadjutor, sagte der Herzog. Die Freunde des Volkes treffen sich auf dem rechten Gebiet. – Das Geschrei hatte mich erschreckt, und ich eilte herbei. Aber ich glaube, es wäre das dringendste, daß die Ärzte unsern braven Rat untersuchten. – Vor Euch, meine Herren? sprach Broussel ganz schüchtern. – Warum nicht, mein Lieber? – Wir wollen eiligst erfahren, wie es mit Euch steht. – Ei, mein Gott, sagte Frau Broussel, was soll dieser neue Lärm bedeuten?

Man sollte glauben, es wäre Beifallsgeschrei, sprach Blancmesnil und lief ans Fenster.

Wie! rief Broussel erbleichend, was gibt es denn noch?

Die Livree des Herrn Prinzen von Conti, sprach Blancmesnil. Der Herr Prinz von Conti selbst.

Ah, meine Herren, sagte der Prinz eintretend, als er den Koadjutor erblickte, Ihr seid mir zuvorgekommen. Doch Ihr müßt mir deshalb nicht grollen, mein lieber Herr Broussel. Als ich Euren Unfall erfuhr, glaubte ich, es würde Euch vielleicht an einem Arzt fehlen, und machte einen Umweg, um den meinigen mitzunehmen. Doch wie ist es mit dem Mordversuch?

Broussel wollte sprechen, aber es fehlte ihm an Worten. Er erstickte beinahe unter dem Gewicht der Ehrenbezeigungen, mit denen man ihn überhäufte.

Ei, mein guter Doktor, seht nach, sagte der Prinz zu einem schwarzen Manne, der ihn begleitete.

Meine Herren, sprach einer der Ärzte, es handelt sich also um eine Konsultation.

Wie Ihr wollt, doch beruhigt mich geschwind über den Zustand des lieben Rates.

Die drei Ärzte näherten sich dem Bette, Broussel zog die Decke mit aller Gewalt an sich, wurde aber trotz seines Widerstandes entblößt und untersucht. Er hatte nur eine Quetschung am Arm und eine andere am Schenkel.

Die drei Ärzte schauten sich an, denn sie begriffen nicht, wie man die drei gelehrtesten Männer der Pariser Fakultät wegen einer solchen Lappalie hatte zusammenrufen können.

Nun, sagte der Koadjutor. – Nun? sagte der Herzog. – Nun? sagte der Prinz. – Wir hoffen, der Unfall wird keine Folgen haben, sprach einer der drei Ärzte, und wollen uns zum Behuf einer Verordnung ins nächste Zimmer zurückziehen.

Broussel! Kunde von Broussel! rief das Volk. Wie geht es Broussel?

Der Koadjutor lief ans Fenster; bei seinem Anblick schwieg das Volk.

Meine Freunde, sagte er, beruhigt Euch. Herr Broussel ist außer Gefahr. Seine Wunde ist jedoch bedeutend, und die Ruhe sehr notwendig für ihn.

Der Ruf: Es lebe Broussel! Es lebe der Koadjutor! erscholl sogleich aus der Straße.

Herr von Longueville war eifersüchtig und ging auch ans Fenster.

Es lebe Herr von Longueville! rief man ebenfalls.

Meine Freunde, sagte der Herzog, mit der Hand grüßend, entfernt Euch im Frieden und gönnt unsern Feinden nicht das Vergnügen, von einer Zusammenrottung zu reden.

Schön, Herr Herzog, sprach Broussel von seinem Bette aus. Das heiße ich als guter Franzose sprechen.

Ja, meine Herren Pariser, rief der Prinz von Conti, ebenfalls ans Fenster tretend, um seinen Anteil an dem Beifall zu bekommen. Ja, Herr Broussel bittet Euch. Überdies bedarf er der Ruhe, und der Lärm könnte ihm schaden.

Es lebe der Prinz von Conti! schrie die Menge, und der Prinz verneigte sich.

Alle drei verabschiedeten sich nun von dem Rat, und die Menge, die sie in Broussels Namen weggeschickt hatten, geleitete sie. Sie waren bereits auf dem Quai, als Broussel immer noch von seinem Bette aus Komplimente machte.

Die alte Magd schaute ihren Herrn mit Bewunderung an. Er war in ihren Augen um einen Fuß größer geworden.

So geht es, wenn man seinem Vaterland nach seinem Gewissen dient, sagte Broussel mit Befriedigung.

Die Ärzte entfernten sich, nachdem sie sich eine Stunde lang beraten und für die Quetschungen Umschläge mit Wasser und Salz verordnet hatten.

Es war den ganzen Tag eine Wallfahrt von Karossen. Die ganze Fronde ließ sich bei Broussel einschreiben.

Friquet kehrte um Mitternacht zurück; er hatte keinen Arzt finden können.

Die Vorbereitungen zum Wiedersehn

Nun? sagte, im Hofe des Gasthauses zur Rehziege sitzend, Porthos zu seinem Freund d’Artagnan, der mit langem, verdrießlichem Gesicht aus dem Palais-Kardinal zurückkehrte, nun, er hat Euch übel empfangen, mein braver d’Artagnan?

Meiner Treu, ja! dieser Mensch ist offenbar ein abscheuliches Geschöpf. Was eßt Ihr da, Porthos?

Ihr seht ja; ich tauche etwas Zwieback in spanischen Wein. Macht es ebenso.

Ihr habt recht. Gimblou, ein Glas!

Der mit diesem harmonischen Namen angerufene Kellner brachte das verlangte Glas, und d’Artagnan setzte sich zu seinem Freunde.

Wie ist die Sache abgelaufen? – Gott verdamm‘ mich, es war nicht möglich, die Sache auf zweierlei Arten darzustellen; ich trat ein, er schaute mich von der Seite an, ich zuckte die Schultern und sagte: Monseigneur, wir sind nicht die Stärkeren gewesen. – Ja, ich weiß alles, aber erzählt mir die einzelnen Umstände. – Ihr begreift, Porthos, ich konnte die Einzelheiten nicht erzählen, ohne unsere Freunde zu nennen, und wenn ich sie nannte, so richtete ich sie zu Grunde. – Bei Gott! – Monseigneur, sagte ich, sie waren zu fünfzig, und wir waren zu zwei. – Ja, antwortete er, aber das verhinderte keineswegs einen Austausch von Pistolenschüssen, wie ich gehört habe. – Allerdings sind von der einen, wie von der andern Seite einige Patronen verbrannt worden. – Und die Schwerter haben den Tag gesehen? fügte er bei. – Oder vielmehr die Nacht, Monseigneur, antwortete ich. – Ah! ja, fuhr der Kardinal fort; ich hielt Euch für einen Gascogner, mein Lieber. – Ich bin nur Gascogner, wenn ich siege, Monseigneur. – Diese Antwort gefiel ihm, denn er lachte. – Das dient mir zur Lehre, sprach er, daß ich meinen Garden bessere Pferde gebe, denn wenn sie Euch hätten folgen können, und jeder so viel getan hätte, wie Ihr und Euer Freund, so hättet Ihr Euer Wort gehalten und mir ihn tot oder lebendig gebracht.

Das kommt mir gar nicht so schlimm vor, versetzte Porthos.

Ich war im Begriff, mich zu entfernen, als er mich zurückrief. – Drei von Euern Pferden sind tot oder verschlagen? fragte er. – Ja, Monseigneur. – Wieviel waren sie wert? – Das war, scheint mir, ein guter Klang, sprach Porthos. – Tausend Pistolen, antwortete ich. – Tausend Pistolen? sagte Porthos, oh! oh! das ist viel, er versteht sich auf die Pferde und wird wohl gehandelt haben. – Meiner Treu, er hatte Lust dazu, der Filz, denn er machte einen furchtbaren Sprung und schaute mich an. Ich schaute ihn auch an; dann begriff er die Sache, steckte die Hand in einen Schrank und zog Anweisungen auf die Bank von Lyon heraus. – Für tausend Pistolen? – Für tausend Pistolen … der Knauser, nicht eine einzige mehr. – Ihr habt sie? – Hier sind sie. – Meiner Treu, ich finde das anständig, sprach Porthos. – Anständig, gegen Leute, die nicht nur unmittelbar vorher ihre Haut gewagt, sondern ihm einen großen Dienst geleistet haben! – Einen großen Dienst! und welchen? fragte Porthos. – Bei Gott, es scheint, ich habe ihm einen Parlamentsrat zertreten. – Wie, das schwarze Männchen, das wir an der Ecke des Saint-Jean-Kirchhofes niedergeworfen haben? – Ganz richtig, mein Lieber. Dieser Mensch war ihm unbequem. Leider habe ich ihn nicht ganz platt getreten, er wird davonkommen und ihm abermals unbequem sein. – Ei, ei, sagte Porthos, und ich habe erst noch mein Pferd zurückgerissen, das gerade aus ihn losrennen wollte. Ein andermal will ich’s besser machen. – Der Knicker hätte mir den Rat jedenfalls bezahlen müssen. – Ei, meinte Porthos, er war ja nicht ganz zertreten. – Ah! Herr von Richelieu hätte gesagt: Fünfhundert Taler für den Rat! Doch sprechen wir nicht mehr davon. Wieviel kosten Euch Euere Tiere, Porthos? – Ach, mein Freund, wenn der arme Mousqueton da wäre, er könnte es Euch bei Heller und Pfennig sagen. – Gleichviel, schätzt sie zehn Taler mehr oder weniger. – Vulkan und Bayard kosteten mich jeder ungefähr zweihundert Pistolen; schlage ich Phöbus auf hundertundfünfzig an, so wird die Rechnung ungefähr herauskommen. – Dann bleiben also vierhundertundfünfzig Pistolen, sprach d’Artagnan ziemlich zufrieden. – Ja, versetzte Porthos, aber Sattel und Zeug. – Das ist bei Gott wahr. Wieviel hierfür? – Wenn ich hundert Pistolen für alle drei rechne … – Gut, hundert Pistolen, sprach d’Artagnan. Dann bleiben noch dreihundert und fünfzig Pistolen. Porthos nickte beifällig mit dem Kopfe.

Geben wir die fünfzig Pistolen unserer Wirtin für unsere ganze Zeche, sprach d’Artagnan, und teilen wir die übrigen dreihundert.

Teilen wir sie.

In diesem Augenblick schlug es neun Uhr auf der benachbarten Kirche. D’Artagnan bebte.

Ach, es ist wahr, sagte Porthos, es schlägt neun Uhr, und um zehn Uhr sollen wir aus der Place Royale zusammentreffen.

Ach! Porthos, schweigt! rief d’Artagnan mit einer Bewegung der Ungeduld; erinnert mich nicht hieran, das hat mich seit gestern verdrießlich gemacht. Ich gehe nicht hin.

Und warum? fragte Porthos.

Weil es eine schmerzliche Sache ist, zwei Männer zu sehen, die unsere Unternehmung zum Scheitern gebracht haben, und diese Zusammenkunft etwas verbirgt!

Oho! entgegnete Porthos, das glaubt Ihr selbst nicht, d’Artagnan.

Es war so. D’Artagnan hielt Athos nicht für fähig, sich einer List zu bedienen; aber er suchte einen Vorwand, diese Zusammenkunft zu vermeiden.

Wir müssen hingehen, fuhr der stolze Grundherr von Bracieux fort; sie würden glauben, wir haben Angst. Ei, mein lieber Freund, wir haben wohl fünfzig Feinden auf der Landstraße Trotz geboten, wir werden wohl auch zwei Freunden auf der Place Royale stand halten.

Ja, ja, sagte d’Artagnan, ich weiß es; aber sie haben die Partei des Prinzen ergriffen, ohne uns davon in Kenntnis zu setzen; Athos und Aramis trieben ein Spiel mit mir, das mich empört. Gestern haben wir die Wahrheit entdeckt; wozu soll es dienen, heute noch etwas anderes zu erfahren?

Ihr mißtraut also wirklich?

Aramis allerdings, seitdem er Abbé geworden ist. Ihr glaubt gar nicht, mein Lieber, wie er sich verändert hat. Er sieht uns auf dem Wege, der ihn zum Bistum führen soll, und es wäre ihm vielleicht nicht unangenehm, uns auf die Seite zu schaffen.

Ah! bei Aramis ist es etwas anderes, sprach Porthos, das würde mich nicht wundern.

Herr von Beaufort kann auch einen Versuch machen, uns festnehmen zu lassen.

Bah! er hatte uns in der Hand und ließ uns wieder ziehen, übrigens wollen wir aus der Hut sein, uns bewaffnen und Planchet mit einem Karabiner mitnehmen.

Planchet ist Frondeur, sagte d’Artagnan.

Zum Teufel mit den Bürgerkriegen! rief Porthos, man kann weder auf seine Freunde noch auf seine Lakaien mehr rechnen. Ah! wenn der arme Mousqueton da wäre! Das ist ein Mensch, der mich nie verlassen wird.

Ja, solange Ihr reich seid. Ja, Ihr habt recht, Porthos, gehen wir hin, aber wohl bewaffnet. Gingen wir nicht, so würden sie sagen, wir hätten Angst.

Holla! Planchet, rief d’Artagnan. Planchet erschien. – Laß die Pferde satteln und nimm deinen Karabiner. – Aber, gnädiger Herr, gegen wen ziehen wir? – Wir ziehen gegen niemand, antwortete d’Artagnan, es ist eine reine Vorsichtsmaßregel, falls wir angegriffen würden. – Ihr wißt, gnädiger Herr, daß man den guten Rat Broussel, den Vater des Volkes, umbringen wollte. – Wirklich? rief d’Artagnan. – Ja, aber er wurde schön gerächt. Das Volk hat ihn auf seinen Armen nach Hause getragen, und wenn er jetzt wollte … – Nun, wenn er wollte … Planchet fing an zu trällern:

Ein Frondewind
Bläst frisch und munter,
Bläst Mazarin
Den Hut herunter.

Zur selben Zeit ritten Athos und Aramis durch das Faubourg Saint-Antoine in Paris ein. Sie hatten sich auf dem Wege gestärkt und eilten, um nicht zu spät zum Rendezvous zu kommen. Bazin allein folgte ihnen, denn Grimaud war, wie gesagt, zurückgeblieben, um Mousqueton zu pflegen, und sollte sich dann unmittelbar zu dem jungen Grafen Bragelonne begeben, der zu dem Heere nach Flandern ging.

Nun müssen wir irgend eine Herberge aussuchen, sagte Athos, um ein städtisches Gewand anzuziehen, Pistolen und Raufdegen abzulegen und unsern Bedienten zu entwaffnen. – O! keineswegs, mein lieber Graf; erlaubt mir, nicht nur nicht Euerer Meinung zu sein, sondern Euch zu der meinigen zu bringen. – Und warum dies? – Weil wir zu einer Kriegsverhandlung gehen. – Was wollt Ihr damit sagen, Aramis? – Daß sich auf der Place Royale die Landstraße von Vendome fortsetzt. – Wie, unsere Freunde … – Sind unsere gefährlichsten Feinde geworden; Athos, glaubt mir, wir dürfen nicht trauen. – O! d’Herblay! – Wer sagt Euch, daß d’Artagnan nicht seine Niederlage uns schuld gegeben und den Kardinal davon in Kenntnis gesetzt hat? Wer sagt Euch, daß der Kardinal nicht diese Zusammenkunft benutzen wird, um uns fassen zu lassen? – Wie, Aramis, könnt Ihr denken, d’Artagnan und Porthos würden zu einer solchen Niederträchtigkeit die Hand bieten? – Ihr habt recht, unter Freunden wäre es eine Niederträchtigkeit, aber unter Feinden ist es eine List.

Athos kreuzte die Arme und ließ sein schönes Haupt auf die Brust fallen.

Was wollt Ihr, Athos, die Menschen sind einmal so beschaffen und zählen nicht immer zwanzig Jahre, sagte Aramis. Wir haben grausam die Eitelkeit verletzt, von der sich dieser Mann blindlings leiten läßt. Er ist besiegt worden. Habt Ihr nicht gesehen, wie groß seine Verzweiflung war? Was Porthos betrifft, so hing vielleicht sein Baronstitel vom Gelingen dieser Angelegenheit ab. Wir sind ihm im Wege gewesen, und er wird für diesmal noch nicht Baron. Wer weiß, ob diese Baronie nicht in Verbindung mit unserer Zusammenkunft steht! Wir wollen auf unserer Hut sein, Athos.

Aber wenn sie ohne Waffen kämen? Welche Schmach für uns, Aramis!

O! seid unbesorgt, mein Lieber, ich stehe Euch dafür, es wird nicht so sein. Überdies haben wir eine Entschuldigung: wir kommen von der Reise und sind Rebellen.

O! Aramis, Aramis, sagte Athos mit traurigem Kopfschütteln, bei meiner Seele, Ihr macht mich zum unglücklichsten Menschen! Ihr entzaubert ein Herz, das für die Freundschaft nicht ganz abgestorben war; seht, Aramis, es wäre mir beinahe ebenso lieb, wenn man es mir aus der Brust risse, das schwöre ich Euch. Geht hin, wie Ihr wollt, Aramis; ich gehe ohne Waffen.

Nein, ich lasse Euch so nicht gehen. Es handelt sich nicht um einen einzelnen, um Athos allein oder den Grafen de la Fère, durch diese Schwäche verratet Ihr eine ganze Partei, der Ihr angehört und die auf Euch zählt.

Es geschehe, wie Ihr sagt, antwortete Athos.

Und sie setzten in trüber Stimmung ihren Weg fort.

Kaum gelangten sie durch die Rue du Pas-de-la-Mule zu den Gittern des verlassenen Platzes, als sie unter der Arkade an der Mündung der Rue Sainte-Catherine drei Reiter erblickten.

Es waren d’Artagnan und Porthos, die, in ihre Mäntel gehüllt, unter denen die Schwerter hervorsahen, herbeiritten. Hinter ihnen kam Planchet, die Muskete am Schenkel.

Athos und Aramis stiegen vom Pferde, als sie d’Artagnan und Porthos erblickten. D’Artagnan bemerkte, daß die drei Pferde, statt von Bazin gehalten zu werden, an die Ringe der Arkaden gebunden wurden. Er befahl Planchet das gleiche zu tun wie Bazin.

Dann gingen sie zwei und zwei, von den Bedienten gefolgt, einander entgegen und grüßten sich höflich.

Sie beschlossen, um ungestört zu sein, sich in den Garten der Palais Rohan zu begeben, zu dem sich Aramis anheischig machte, den Schlüssel zu holen.

Aramis entfernte sich sogleich, forderte aber Athos zuvor noch auf, nicht so allein im Bereich von d’Artagnan und Porthos zu bleiben; aber Athos lächelte nur verächtlich und machte einen Schritt auf seine alten Freunde zu, die beide auf ihrem Platz blieben.

Aramis klopfte nun am Hotel Rohan an; bald erschien er wieder mit einem Manne, welcher sagte:

Ihr schwört mir, Herr? – Nehmt, erwiderte Aramis und gab ihm einen Louisd’or. – Ah! Ihr wollt nicht schwören, gnädiger Herr? versetzte der Haushofmeister, den Kopf schüttelnd. – Ei! kann man denn wegen gar nichts schwören? sprach Aramis. Ich versichere Euch nur, daß zu dieser Stunde diese Herren unsere Freunde sind. – Ja, gewiß, sagten mit kaltem Tone Athos, d’Artagnan und Porthos.

D’Artagnan hatte das Gespräch gehört und verstanden.

Ihr seht, sagte er zu Porthos. – Was sehe ich? – Daß er nicht schwören wollte. – Schwören, worauf? – Dieser Mann wollte, Aramis solle ihm schwören, daß wir uns nicht schlagen wollen. – Und Aramis wollte nicht schwören? – Nein. – Dann wohl acht gegeben!

Athos verlor die zwei Redenden nicht aus dem Auge. Aramis öffnete das Tor und ging auf die Seite, damit d’Artagnan und Porthos eintreten konnten. Beim Eintreten brachte d’Artagnan den Griff seines Degens in das Gitter und war genötigt, seinen Mantel wegzuschieben. Bei dieser Gelegenheit entblößte er die glänzenden Kolben seiner Pistolen, auf denen sich ein Strahl des Mondes abspiegelte.

Seht Ihr, sagte Aramis, indem er mit der einen Hand Athos‘ Schulter berührte und mit der andern auf d’Artagnans Gürtel deutete.

Ach! ja, sprach Athos mit einem tiefen Seufzer.

Die Place Royale

Alle vier gingen stillschweigend bis in die Mitte des Platzes. Da aber in diesem Augenblick der Mond aus den Wolken hervortrat, dachten sie, sie könnten an dieser entblößten Stelle zu leicht gesehen werden, und zogen sich unter die Linden, wo der Schatten stärker war, zurück.

Es waren Bänke in bestimmter Entfernung voneinander aufgestellt. Athos machte ein Zeichen; d’Artagnan und Porthos setzten sich auf eine Bank, Athos und Aramis blieben vor ihnen stehen.

Nach einem kurzen verlegenen Schweigen sprach Athos: Meine Herren, ein Beweis der Macht unserer alten Freundschaft ist unsere Gegenwart an diesem Ort. Keiner hat gefehlt, keiner hat sich also einen Vorwurf zu machen.

Hört, Herr Graf, erwiderte d’Artagnan, statt uns Komplimente zu sagen, die wir vielleicht beiderseits nicht verdienen, wollen wir uns als Leute von Herz erklären.

Das ist ganz mein Wunsch, antwortete Athos. Ich weiß, daß Ihr offenherzig seid; sprecht also mit Eurer ganzen Offenherzigkeit; habt Ihr mir oder dem Herrn Abbé d’Herblay etwas vorzuwerfen?

Ja, sprach d’Artagnan. Als ich die Ehre hatte, Euch in Euerm Schlosse Bragelonne zu besuchen, überbrachte ich Euch Anträge, die Ihr wohl begriffen habt. Statt mir wie einem Freunde zu antworten, spieltet Ihr mit mir wie mit einem Kinde, und diese Freundschaft, die Ihr so sehr preist, ist nicht durch den gestrigen Zusammenstoß unserer Schwerter, sondern durch Eure Heuchelei in Eurem Schlosse gebrochen worden.

D’Artagnan! sagte Athos im Tone sanften Vorwurfs.

Ihr habt Offenherzigkeit von mir verlangt, sprach d’Artagnan, hier ist sie. Ihr fragt mich, was ich denke, ich sage es Euch. Und nun habe ich Euch, Herr Abbé d’Herblay, dasselbe zu eröffnen. Ich handelte ebenso bei Euch, und Ihr habt mich ebenfalls getäuscht.

In der Tat, mein Herr, Ihr seid seltsam, sprach Aramis. Ihr kamt zu mir, um mir Vorschläge zu machen. Aber habt Ihr mir sie auch gemacht? Nein; Ihr habt mich nur ausgeforscht, und weiter nichts. Nun, was habe ich Euch gesagt? Mazarin sei ein Knauser, und ich würde Mazarin nicht dienen. Das ist das Ganze. Sagte ich Euch, ich würde keinem andern dienen? Im Gegenteil, ich gab Euch, glaube ich, zu verstehen, daß ich dem Prinzen angehörte. Wir haben sogar, wenn ich mich nicht täusche, ganz angenehm über den sehr wahrscheinlichen Fall gescherzt, daß Ihr von dem Kardinal den Auftrag erhalten würdet, mich zu verhaften. Wart Ihr Parteimann? Ja, allerdings. Nun wohl, warum sollten wir unsererseits nicht auch Parteimänner sein? Ihr hattet Euer Geheimnis, wie wir das unsere hatten. Wir haben dieselben nicht ausgetauscht; desto besser. Das beweist, daß wir unsere Geheimnisse zu bewahren wissen.

Ich mache Euch keinen Vorwurf, mein Herr, sagte d’Artagnan; nur weil der Graf de la Fère von Freundschaft gesprochen hat, unterwerfe ich Euer Benehmen einer Prüfung.

Und was findet Ihr dabei? fragte Aramis stolz.

Das Blut stieg d’Artagnan sogleich in den Kopf; er erhob sich und antwortete: Ich finde, daß es das Benehmen eines Jesuiten-Zöglings ist.

Als Porthos d’Artagnan sich erheben sah, erhob er sich ebenfalls. Die vier Männer standen also einander aufrecht und drohend gegenüber.

Bei d’Artagnans Antwort machte Aramis eine Bewegung, als wollte er die Hand an sein Schwert legen.

Athos hielt ihn zurück und sprach: D’Artagnan, Ihr kommt heute noch ganz empört über unser gestriges Abenteuer hierher. D’Artagnan, ich hielt Euch für so hochherzig, daß eine zwanzigjährige Freundschaft bei Euch eine viertelstündige Niederlage der Eitelkeit überdauern müßte. Laßt hören, sagt: glaubt Ihr mir also etwas vorwerfen zu können? Habe ich gefehlt, so werde ich meinen Fehler gestehen.

Die ernste klangreiche Stimme von Athos übte immer noch auf d’Artagnan ihren alten Einfluß aus, während ihn Aramis‘ durch die Aufregung schrill und kreischend gewordenen Töne aufbrachten. Er antwortete daher: Ich glaube, mein Herr Graf, Ihr hättet mir in Eurem Schlosse Bragelonne eine vertrauliche Mitteilung machen sollen, und dieser Herr eine ähnliche in seinem Kloster. Ich würde mich dann nicht in ein Abenteuer eingelassen haben, wo Ihr mir den Weg versperren mußtet. Weil ich jedoch diskret war, muß man mich nicht ganz und gar für einen Dummkopf halten. Hätte ich den Unterschied zwischen den Leuten, die Herr d’Herblay auf einer Strickleiter empfängt, und denen, die er auf einer hölzernen Leiter empfängt, ergründen wollen, so würde ich ihn wohl zum Sprechen genötigt haben.

Worein mischt Ihr Euch? rief Aramis, bleich vor Zorn, weil ihm auf einmal die Ahnung aufstieg, d’Artagnan könnte ihn bespäht und mit Frau von Longueville gesehen haben.

Ich mische mich in das, was mich angeht, und gebe mir das Ansehen, als hätte ich nicht bemerkt, was mich nicht angeht. Aber ich hasse die Heuchler, und in diese Kategorie setze ich die Musketiere, welche die Abbés spielen. Und dieser Herr, fügte er, sich gegen Porthos wendend, bei, dieser Herr ist meiner Meinung.

Porthos, der noch nicht gesprochen hatte, antwortete nur mit einer Silbe und mit einer Gebärde. Er sagte: Ja! und legte die Hand an den Degen.

Aramis machte einen Sprung rückwärts und zog den seinigen. D’Artagnan beugte sich, bereit zur Verteidigung oder zum Angriff.

Nun streckte Athos mit der majestätischen Gebärde, die nur ihm eigentümlich war, die Hand aus, zog langsam den Degen aus der Scheide, zerbrach das Eisen über seinem Knie und warf die Stücke beiseite. Dann wandte er sich gegen Aramis und sagte: Zerbrecht Euern Degen.

Aramis zögerte.

Es muß sein, sprach Athos und fügte mit leiserem, sanfterem Tone bei: Ich will es.

Noch bleicher, aber dem beherrschenden Einfluß des erhabenen Geistes folgend, zerbrach Aramis in seinen Händen die biegsame Klinge, kreuzte die Arme und wartete, bebend vor Wut.

Dieser Vorgang veranlaßte d’Artagnan und Porthos, zurückzuweichen. D’Artagnan zog seinen Degen nicht, Porthos steckte den seinen wieder in die Scheide.

Nie, sprach Athos, langsam seine rechte Hand zum Himmel erhebend, nie, ich schwöre es vor Gott, der uns in dieser feierlichen Pacht hört und sieht, nie wird mein Schwert die Eurigen berühren; nie wird mein Auge einen Blick des Zornes, nie mein Herz einen Schlag des Hasses für Euch haben. Wir haben miteinander gelebt, miteinander gehaßt und geliebt. Wir haben unser Blut vergossen und vermischt, und vielleicht besteht zwischen uns ein noch mächtigeres Band, als das der Freundschaft, nämlich das Band des gemeinsamen Verbrechens; denn wir haben alle vier ein menschliches Wesen verurteilt und hingerichtet, das wir von dieser Welt auszutilgen Wohl nicht berechtigt waren, obgleich es mehr der Hölle als dieser Welt anzugehören schien. D’Artagnan, ich habe Euch immer wie einen Sohn geliebt. Porthos, wir haben zehn Jahre Seite an Seite geschlafen; Aramis ist Euer Bruder, wie der meinige, denn Aramis hat Euch geliebt, wie ich Euch noch liebe, wie ich Euch stets lieben werde. Was kann der Kardinal Mazarin für uns sein, die wir die Hand und das Herz eines Mannes wie Richelieu bezwungen haben? Was kann dieser oder jener Prinz für uns sein, die wir die Krone auf dem Haupte eines Königs befestigt haben? D’Artagnan, ich bitte Euch um Verzeihung, daß ich gestern den Degen mit Euch gekreuzt habe. Aramis tut dasselbe gegenüber Porthos. Und nun haßt mich, wenn Ihr könnt; aber ich, ich schwöre Euch, daß ich trotz Eures Hasses nur Achtung und Freundschaft für Euch haben werde. Nun, wiederholt meine Worte, Aramis, und wenn sie wollen und Ihr wollt, so verlassen wir unsere alten Freunde auf immer.

Es herrschte einen Augenblick ein feierliches Stillschweigen, das von Aramis unterbrochen wurde.

Ich schwöre, sagte er mit ruhiger Miene und redlichem Blick, aber mit einer Stimme, in der ein letztes Zittern der Ausregung nachklang, ich schwöre, daß ich keinen Haß mehr gegen die hege, die meine Freunde waren; ich schwöre, daß ich es bedaure, Euren Degen berührt zu haben, Porthos; ich schwöre endlich, daß sich nicht nur der meinige nicht mehr gegen Eure Brust wenden, sondern daß in der Tiefe meiner geheimsten Gedanken für die Zukunft nicht einmal ein Schein von feindseligen Gefühlen gegen Euch mehr übrig bleiben wird. Kommt, Athos.

Athos machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

O! nein, nein! geht nicht! rief d’Artagnan, hingerissen von einer unwiderstehlichen Aufwallung, welche die Wärme seines Blutes und die angeborene Rechtschaffenheit seiner Seele verriet; geht nicht, denn ich habe auch einen Eid zu leisten. Ich schwöre, daß ich den letzten Tropfen meines Blutes, den letzten Fetzen meines Fleisches geben würde, um die Achtung eines Mannes, wie Ihr, Athos, die Freundschaft eines Mannes, wie Ihr, Aramis, zu erhalten. Und er stürzte in Athos‘ Arme.

Mein Sohn! rief Athos, ihn an sein Herz drückend.

Und ich, sagte Porthos, schwöre nichts; aber ich ersticke, hol‘ mich der Teufel! Wenn ich mich gegen Euch schlagen müßte, ich glaube, ich würde mich durchbohren lassen, denn ich habe auf der ganzen Welt nur Euch geliebt. Und der ehrliche Porthos zerfloß in Tränen, während er sich Aramis in die Arme warf.

Meine Freunde, sprach Athos, das ist es, was ich erwartete, was ich von zwei Herzen wie die Eurigen hoffte; ja, ich habe es gesagt und wiederhole es, unsere Geschicke sind unwiderruflich verbunden, obgleich wir auf verschiedenen Wegen wandeln. Ich achte Eure Meinung, d’Artagnan; ich ehre Eure Überzeugung, Porthos; aber obgleich wir uns auf entgegengesetzten Seiten schlagen, bleiben wir doch Freunde. Die Minister, die Prinzen werden wie ein Strom dahingehen, der Bürgerkrieg wird wie eine Flamme erlöschen, aber wir, wir werden bleiben, das sagt mir ein Vorgefühl.

Ja, sprach d’Artagnan, seien wir stets Musketiere und behalten wir als einzige Fahne die berühmte Serviette der Bastei Saint-Gervais, auf die der große Kardinal drei Lilien sticken ließ.

Ja, sagte Aramis, Kardinalisten oder Frondeurs, was liegt uns daran? Halten wir fest an unsern ergebenen Freunden, unsern lustigen Brüdern.

Und jedesmal, rief Athos, so oft wir uns im Gefechte treffen, nehmen wir bei dem einzigen Worte: Place Royale! den Degen in die linke Hand und reichen uns die Rechte, und wäre es mitten im Blutbad! Dies ist also abgemacht, fuhr er fort. Auf, meine Herren, Eure Hand. Seid Ihr ein wenig Christen?

Bei Gott! versetzte d’Artagnan.

Wir werden es bei dieser Gelegenheit sein, um unserem Schwur treu zu bleiben, sagte Aramis.

Ah, ich bin bereit, bei allem zu schwören, was man nur will, selbst bei Mohammed! Der Teufel soll mich holen, wenn ich je so glücklich gewesen bin, als in diesem Augenblick.

Und der gute Porthos trocknete seine noch feuchten Augen.

Hat einer von Euch ein Kreuz? fragte Athos.

Porthos und d’Artagnan schauten sich an, wie Menschen, denen man mit einer ganz unerwarteten Frage kommt.

Aramis lächelte und zog aus seiner Brust ein diamantenes Kreuz, das an einer Perlenschnur an seinem Halse hing. Hier ist eines, sagte er.

Nun wohl, versetzte Athos, schwören wir auf dieses Kreuz, das trotz seines Stoffes immerhin ein Kreuz ist, schwören wir, unter allen Umständen und immer einig zu sein, und möchte dieser Schwur nicht nur uns allein, sondern auch unsere Nachkommen binden. Ist dieser Eid Euch genehm?

Ja, antworteten sie einstimmig.

Ah! Verräter, flüsterte d’Artagnan ganz leise Aramis ins Ohr, Ihr habt uns auf das Kruzifix einer Frondeuse schwören lassen.

Zwei ehemalige Feinde

D’Artagnan kam um halb neun Uhr in die Bastille. Er ließ sich bei dem Gouverneur melden, der ihm, als er erfuhr, daß er im Namen und auf Befehl des Ministers kam, bis auf die Freitreppe entgegenging.

Der Gouverneur der Bastille war damals Herr du Tremblay, ein Bruder des berüchtigten Kapuziners Joseph, dieses furchtbaren Günstlings von Richelieu, den man die graue Eminenz nannte.

Herr du Tremblay empfing d’Artagnan mit der größten Höflichkeit und lud ihn ein, mit ihm zu Nacht zu speisen.

Ich würde dies mit dem größten Vergnügen tun, sprach d’Artagnan; aber wenn ich mich nicht täusche, steht auf dem Umschlag des Briefes: sehr eilig.

Das ist richtig, sagte Herr du Tremblay. Holla, Major, man lasse Nro. 256 herabkommen.

Beim Eintritt in die Bastille hörte man auf, ein Mensch zu sein, und wurde eine Nummer.

D’Artagnan schauderte beim Gerassel der Schlüssel. Er blieb zu Pferde, ohne absteigen zu wollen, und betrachtete die Gitterstangen, die tiefen Fenster und die ungeheuern Mauern.

Ich verlasse Euch, sprach Herr du Tremblay, als ein Glockenschlag erklang. Man ruft mich, um den Entlassungsbefehl zu unterzeichnen. Auf Wiedersehen, Herr d’Artagnan.

Der Teufel soll mich holen, wenn ich dir deinen Wunsch zurückgebe, murmelte d’Artagnan. Schon bei einem Aufenthalt von fünf Minuten fühle ich mich krank. Ich denke, daß ich lieber auf dem Stroh sterben, als auf dem Posten eines Bastillegouverneurs zehntausend Livres Renten sammeln möchte.

Kaum hatte er diesen Monolog vollendet, als der Gefangene erschien. Sobald d’Artagnan ihn erblickte, machte er eine Bewegung des Erstaunens, die er aber sogleich wieder bewältigte. Der Gefangene stieg in den Wagen, ohne, wie es schien, d’Artagnan erkannt zu haben.

Meine Herren, sagte d’Artagnan zu den vier Musketieren, man hat mir befohlen, den Gefangenen auf das schärfste zu bewachen. Ich will daher zu ihm hineinsteigen. Herr von Lillebonne, habt die Güte, mein Pferd am Zügel zu führen.

Sehr gern, mein Leutnant, antwortete der Angeredete.

D’Artagnan sprang vom Pferde, gab den Zügel dem Musketier, stieg in den Wagen und rief in einem Tone, in dem sich unmöglich auch nur die geringste Bewegung erkennen ließ: Ins Palais Royal, im Trab!

Sogleich entfernte sich der Wagen, und d’Artagnan warf sich, die herrschende Dunkelheit benutzend, dem Gefangenen um den Hals.

Rochefort! rief er, Ihr, Ihr seid es! Ich täusche mich nicht! – D’Artagnan! rief Rochefort erstaunt. – Ach, mein armer Freund, fuhr d’Artagnan fort; da ich Euch seit vier bis fünf Jahren nicht gesehen habe, so hielt ich Euch für tot. – Meiner Treu! erwiderte Rochefort, es ist kein großer Unterschied zwischen einem Toten und einem Begrabenen, und ich bin ein Begrabener. – Wegen welches Verbrechens seid Ihr in der Bastille? – Ich weiß es nicht. – Mißtrauen gegen mich, Rochefort? – Nein, auf Edelmannswort, denn ich kann unmöglich aus der Ursache hier sein, die man angibt. – Welche Ursache? – Als Dieb. – Ihr, Dieb? Rochefort, Ihr scherzt. – Nun, so hört, was geschehen ist. Eines Abends nach einer Orgie bei Reinard in den Tuilerien mit dem Herzog d’Harcourt, Fontrailles, von Rieux und anderen treiben wir in tollem Übermut das von dem Herzog von Orleans erfundene Vergnügen, in den Pariser Straßen den Leuten unvermerkt die Mäntel abzuziehen. Ich und Rieux hatten uns auf das eherne Pferd am Pont Neuf geschwungen, das Heinrich IV. trägt, als auf den Hilferuf eines Bestohlenen die Wache erscheint. Die andern entkommen, ich und Rieux werden, als wir vom Denkmal herunterspringen, gefaßt. Man steckt mich ins Gefängnis, und als ich nach acht Tagen an den Kardinal schreibe, holt man mich ab und führt mich in die Bastille, wo ich seit fünf Jahren sitze. Nun, was meint Ihr hierzu? – Nein, mein lieber Rochefort, das kann nicht der Grund Eurer Einkerkerung sein, Ihr werdet ihn übrigens wahrscheinlich jetzt erfahren. – Wohin führt Ihr mich denn? – Zu dem Kardinal. – Was will er von mir? Ihr müßt es wissen, denn daraus, daß Mazarin Euch gesandt hat, sehe ich, daß Ihr jetzt sein Günstling seid. – Ich weiß es nicht, ich befand mich zufällig im Vorzimmer, und der Kardinal wandte sich an mich, wie er sich an jeden andern gewendet hätte. Ich bin immer noch Leutnant bei den Musketieren, und dies, wenn ich richtig zähle, seit ungefähr einundzwanzig Jahren. – Es ist Euch doch kein Unglück widerfahren, und das ist schon viel. – Welches Unglück sollte mir widerfahren? Irgend ein lateinischer Vers sagt: Der Blitz trifft die Täler nicht; und ich bin ein Tal, mein lieber Rochefort, und zwar eines von den tiefsten. – Mazarin ist also immer noch Mazarin? – Mehr als je, mein Lieber; man sagt, er sei mit der Königin verheiratet. – Verheiratet! – Ist er nicht ihr Gemahl, so ist er sicherlich ihr Geliebter. – Einem Buckingham widerstehen und einem Mazarin nachgeben! – So sind die Frauen, versetzte d’Artagnan philosophisch. – Die Frauen Wohl, aber die Königinnen! – Ei, mein Gott, in dieser Hinsicht sind die Königinnen zweimal Frauen. – Und Herr von Beaufort ist immer noch im Gefängnis? – Immer noch, warum? – Da er mir wohlwollte, so hätte er mich herausbringen können. Und wie steht es mit dem Krieg? – Man wird ihn haben. – Mit Spanien? – Nein, mit Paris. – Was wollt Ihr damit sagen? – Hört Ihr die Flintenschüsse? – Ja. Nun? – Es sind aufrührerische Bürger. – Glaubt Ihr, man könnte aus den Bürgern etwas machen? – Gewiß, sie versprechen alles, und wenn sie einen Führer hätten … – Es ist ein Unglück, nicht frei zu sein. – Ei, mein Gott, verzweifelt doch nicht. Wenn Mazarin Euch holen läßt, so geschieht es einfach, weil er Euch braucht, und wenn er Euch braucht, nun, so mache ich Euch mein Kompliment. Es ist lange her, daß niemand meiner mehr bedurft hat; Ihr seht auch, wie weit ich es gebracht habe. – Beklagt Euch doch bei ihm! – Hört, Rochefort, einen Vertrag … – Welchen? – Ihr wißt, daß wir gute Freunde sind. – Bei Gott, ich trage die Male Eurer Freundschaft an mir: Drei Degenstiche! … – Nun wohl, wenn Ihr wieder in Gunst kommt, vergeßt mich nicht. – So wahr ich Rochefort heiße, aber unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. – Abgemacht: hier ist meine Hand. – Die erste Gelegenheit also, die Ihr findet, um von mir zu sprechen … – Ich spreche von Euch: und Ihr? – Ebenso. – Und soll ich von Euren Freunden sprechen? – Von welchen Freunden? – Von Athos, Porthos und Aramis. Habt Ihr sie denn vergessen? – Beinahe. – Was ist aus ihnen geworden? – Ich weiß es nicht. – Wirklich? – Ah, mein Gott ja, wir haben uns verlassen, wie Ihr wißt; sie leben noch, das ist alles, was ich von ihnen sagen kann. Von Zeit zu Zeit erhalte ich mittelbare Nachrichten von ihnen; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, in welchem Winkel der Erde sie sich aufhalten. Nein, auf Ehre! ich habe nur noch Euch zum Freunde, Rochefort. – Und der herrliche, wie nanntet Ihr doch den Burschen, den ich zum Sergeanten im Regimente Piemont machte? – Planchet. – Ja, so ist es, der herrliche Planchet; was ist aus ihm geworden? – Er hat einen Zuckerbäckerladen in der Rue des Lombards geheiratet. Der Bursche war stets ein großer Freund von Süßigkeiten. Er ist nun Pariser Bürger und treibt in diesem Augenblick wohl ohne Zweifel Aufruhr. Ihr werdet sehen, er ist Schöppe, ehe ich Kapitän bin. – Nur munter! mein lieber d’Artagnan, wenn man ganz unten am Rade ist, so dreht sich das Rad und hebt einen empor. Vielleicht ändert sich Euer Schicksal noch diesen Abend. – Amen, sprach d’Artagnan, den Wagen anhaltend.

D’Artagnan stieg, da sie sich ihrem Ziele näherten, wieder zu Pferde und setzte sich an die Spitze der Eskorte. Fünf Minuten nachher gelangte man in den Hof des Palais Royal. D’Artagnan führte den Gefangenen über die große Treppe und ließ ihn durch das Vorzimmer in den Korridor gehen. Vor der Tür zu Mazarins Kabinett angelangt, wollte er eben sich melden lassen, als Rochefort die Hand auf seine Schulter legte und lächelnd zu ihm sagte:

D’Artagnan, soll ich Euch eines sagen, woran ich auf dem ganzen Wege dachte, als ich die Gruppen von Bürgern sah, durch die wir fuhren und die Euch und Eure vier Leute mit flammenden Augen betrachteten? – Sprecht, antwortete d’Artagnan. – Ich durfte nur um Hilfe rufen, um Euch und Eure Eskorte in Stücke hauen zu lassen, und dann war ich frei. – Warum habt Ihr es nicht getan? – Geht doch! Geschworene Freundschaft! Aber wenn mich ein anderer als Ihr geführt hätte …

D’Artagnan neigte das Haupt, sprach zu sich: Sollte Rochefort besser geworden sein, als ich? und ließ sich bei dem Minister melden.

Laßt Herrn Rochefort eintreten, rief mit ungeduldigem Tone Mazarin, sobald er die zwei Namen gehört hatte, und sagt Herrn d’Artagnan, er möchte warten; ich bin noch nicht mit ihm fertig.

Diese Worte machten d’Artagnan ganz heiter. Lange Zeit hatte niemand seiner bedurft, und diese Aufforderung erschien ihm als ein glückliches Vorzeichen. Was Rochefort betrifft, so brachte sie auf diesen keine andere Wirkung hervor, als daß sie ihm seine vollständige Fassung verlieh. Er trat in das Kabinett ein und fand Mazarin am Tische sitzend in seiner gewöhnlichen Tracht, d. h. als Monsignore, was ungefähr die Kleidung der Abbés jener Zeit war, ausgenommen, daß er violette Strümpfe und einen violetten Mantel trug.

Die Türen schlossen sich wieder. Rochefort sah Mazarin verstohlen an und ertappte den Minister auf einem Blick, der den seinigen kreuzte.

Rochefort hatten die fünf Jahre, die er im Gefängnisse zugebracht, sehr alt gemacht. Seine schwarzen Haare waren ganz weiß geworden, und auf dem einst bronzefarbigen Gesicht lag eine Blässe, die auf Erschöpfung deutete.

Bei seinem Anblick schüttelte Mazarin unmerklich den Kopf mit einer Miene, die wohl sagen wollte: Dieser Mensch scheint mir nicht mehr zu großen Dingen zu taugen.

Nach einem kurzen Stillschweigen zog Mazarin aus einem Stoß Papiere einen offenen Brief hervor, zeigte ihn dem Edelmann und sagte: Ich habe hier einen Brief gefunden, worin Ihr um Eure Freiheit nachsucht, Herr von Rochefort. Ihr seid also im Gefängnis?

Rochefort erwiderte bebend: Es scheint mir, Ew. Eminenz wußte das besser, als irgend jemand. – Ich? keineswegs. Es sind noch eine Menge von Gefangenen aus der Zeit des Herrn von Richelieu da, deren Namen ich nicht einmal weiß. – Wohl, doch bei mir ist es etwas anderes, Monseigneur, und Ihr wußtet den meinigen, denn auf einen Befehl von Ew. Eminenz bin ich nach der Bastille gebracht worden. – Ihr glaubt? – Ich weiß es gewiß. – Ja, in der Tat, ich glaube mich dessen zu erinnern. Habt Ihr Euch damals nicht geweigert, für die Königin eine Reise nach Brüssel zu machen? –Ah! ah! sprach Rochefort, das ist also die wahre Ursache. Ich suche sie seit fünf Jahren. Aber, Monseigneur, ich ging nicht nach Brüssel, weil ich der Königin dort nichts nützen konnte, ja, meine Anwesenheit dort ihr geradezu schaden mußte. – Ich sage nicht, daß dies die Ursache Eurer Verhaftung sei. Verstehen wir uns recht, ich stelle die Frage an Euch, und nicht mehr. Die Königin allerdings hat in Eurer Weigerung nichts anderes gesehen, als eine einfache Weigerung. Ihre Majestät die Königin hatte sich unter dem verstorbenen Kardinal sehr über Euch zu beklagen.

Rochefort lächelte verächtlich und sagte: Gerade weil ich Richelieu gut gegen die Königin gedient hatte, mußtet Ihr, da er tot war, Monseigneur, begreifen, daß ich Euch gegen die ganze Welt gut dienen würde.

Ich, Herr von Rochefort? sagte Mazarin, ich bin nicht wie Herr von Richelieu, der auf die Allmacht abzielte. Ich bin ein einfacher Minister, der keiner Diener bedarf, insofern ich selbst der Diener der Königin bin. Ihre Majestät aber ist sehr empfindlich, sie wird Eure Weigerung erfahren und für eine Kriegserklärung gehalten haben; da sie nun wußte, daß Ihr ein Mann von hervorragenden Eigenschaften und folglich sehr gefährlich seid, mein lieber Herr von Rochefort, so hat sie mir wohl den Befehl gegeben, mich Euer zu versichern. Auf diese Art befindet Ihr Euch in der Bastille.

Gut, Monseigneur, sagte Rochefort, es scheint mir, wenn ich infolge eines Irrtums in der Bastille sitze …

Ja, ja, versetzte Mazarin, allerdings, das läßt sich ins reine bringen; Ihr seid ein Mann, um gewisse Sachen zu begreifen und, wenn Ihr sie einmal begriffen habt, sie gut zu betreiben.

Das war die Meinung des Herrn Kardinals von Richelieu, und meine Bewunderung für diesen großen Mann vermehrt sich noch dadurch, daß Ihr die Güte habt, mir zu sagen, es sei auch die Eurige.

Das ist wahr, versetzte Mazarin. Der Herr Kardinal hatte viel Politik, und darin bestand seine große Überlegenheit im Vergleich zu mir, der ich ein ganz einfacher, schlichter Mann bin. Was mir schadet, das ist der Umstand, daß ich eine ganz französische Offenherzigkeit besitze.

Rochefort preßte die Lippen zusammen, um nicht zu lachen.

Ich komme also zur Sache; ich bedarf guter Freunde, treuer Diener. Wenn ich sage, ich bedarf, so will ich damit sagen, die Königin bedarf. Ich tue alles nur auf Befehl der Königin, versteht mich wohl: es ist nicht wie bei dem Kardinal von Richelieu, der alles nur aus eigener Laune tat. Ich werde auch nie ein großer Mann sein, wie er; dagegen bin ich ein guter Mann, Herr von Rochefort, und hoffe Euch dies zu beweisen.

Rochefort kannte diese seidenweiche Stimme, durch die zuweilen ein Zischen klang, das dem der Schlange glich.

Ich bin ganz bereit, Monseigneur, zu glauben, sagte er, obgleich ich meinesteils wenig Beweise von der Gutmütigkeit habe, von der Ew. Eminenz spricht.

Ah! Herr Rochefort, ich sagte Euch bereits, daß ich keinen Teil an Eurer Gefangenschaft hatte. Die Königin – Zorn einer Frau und einer Prinzessin, was wollt Ihr? Aber das geht, wie es kommt, und nachher denkt man nicht mehr daran …

Ich begreife, Monseigneur, daß sie nicht mehr daran denkt, da sie fünf Jahre im Palais Royal mitten unter Festen und Höflingen zubrachte; aber ich, der sie in der Bastille zubringen mußte …

Ei, mein Gott, Herr von Rochefort, glaubt Ihr, das Palais Royal sei ein so angenehmer Aufenthaltsort? Nein, nein, ich versichere Euch, wir haben auch gewaltiges Getöse gehabt. Doch sprechen wir nicht mehr hiervon. Ich spiele wie immer offenes Spiel und frage: Herr von Rochefort, seid Ihr von den Unseren?

Ihr müßt begreifen, Monseigneur, daß ich nichts Besseres wünschen kann, aber ich bin mit allen gegenwärtigen Angelegenheiten nicht im mindesten vertraut. In der Bastille spricht man über Politik nur mit den Soldaten und den Gefängniswärtern, und Ihr habt keinen Begriff, Monseigneur, wie wenig diese Leute mit den Vorgängen auf dem laufenden sind. Ist Herr von Bassompierre immer noch einer von den siebzehn Seigneurs?

Er ist tot, mein Herr, und das ist ein großer Verlust. Er war ein der Königin ergebener Mann, und die ergebenen Leute sind selten.

Bei Gott, ich glaube wohl, sprach Rochefort. Wenn Ihr welche habt, so schickt Ihr sie in die Bastille.

Aber wodurch beweist sich die Ergebenheit? sagte Mazarin.

Durch die Tätigkeit, antwortete Rochefort.

Ah! ja, durch die Tätigkeit, versetzte der Minister nachdenkend, aber wo finden sich Männer von Tätigkeit?

Rochefort zuckte die Achseln und erwiderte: Es fehlt nie daran, Monseigneur; nur sucht Ihr schlecht. Richelieu hat immer treue und ergebene Diener gehabt, und doch habe ich Leute gekannt, fuhr er fort, denn er dachte, es sei jetzt die Zeit gekommen, d’Artagnan Wort zu halten, ich habe Leute gekannt, die durch ihre Gewandtheit hundertmal den Scharfsinn des Kardinals scheitern ließen, durch ihre Tapferkeit seine Leibwachen und seine Spione geschlagen haben, Leute, die ohne Geld, ohne Unterstützung, ohne Kredit einem gekrönten Haupt eine Krone erhielten und den Kardinal dahin brachten, daß er um Verzeihung bitten mußte. – Aber die Leute, von denen Ihr sprecht, sagte Mazarin, in seinem Innern lächelnd, daß Rochefort dahin gelangte, wohin er ihn führen wollte, diese Leute waren dem Kardinal nicht ergeben, da sie gegen ihn kämpften. – Nein, denn sie wären besser belohnt worden; aber sie hatten das Unglück, derselben Königin ergeben zu sein, für die Ihr soeben Diener verlangtet. – Ah! sprach Mazarin mit bewunderungswürdiger Gutmütigkeit, wenn ich solche Menschen kennen würde. – Ei! Monseigneur, Ihr habt einen seit sechs Jahren vor Eurer Türe und habt ihn seit sechs Jahren zu nichts gut geglaubt. – Wen denn? – Herrn d’Artagnan. – Den Gascogner? rief Mazarin mit vortrefflich gespielter Verwunderung. – Dieser Gascogner hat eine Königin gerettet, und Herr von Richelieu mußte gestehen, daß er ihm gegenüber an Geschicklichkeit, Gewandtheit und Politik nur ein Schüler sei. – Wirklich? – Wie ich es Ew. Exzellenz zu sagen die Ehre habe. – Erzählt mir das ein wenig, mein lieber Herr von Rochefort. – Das ist sehr schwierig, Monseigneur, sagte der Edelmann lächelnd. Aber ich kann Euch ein Märchen erzählen, ein wahres Feenmärchen, dafür stehe ich Euch, Monseigneur. – Oh! sprecht, Herr von Rochefort; ich liebe die Märchen ungemein. – Ihr wollt es? sagte Herr von Rochefort, indem er in diesem feinen, listigen Gesicht eine Absicht wahrzunehmen suchte. – Ja.

Nun, so hört. Es war einmal eine Königin … aber eine mächtige Königin, die Königin eines der mächtigsten Reiche der Welt, der ein Minister sehr übel wollte, weil er ihr zuvor zu wohl gewollt hatte. Sucht nicht, Monseigneur, Ihr könnt nicht erraten, wer. Alles das ereignete sich lange Zeit, ehe Ihr in das Reich kamt, wo diese Königin regierte. Es erschien aber am Hofe ein Botschafter, so tapfer, so reich und so artig, daß alle Frauen sich in ihn verliebten, und die Königin selbst, ohne Zweifel wegen der Art und Weise, wie er die Staatsangelegenheiten behandelt hatte, die Unklugheit beging, ihm einen Schmuck zu schenken, der so merkwürdig war, daß er sich nicht ersetzen ließ. Da dieser Schmuck vom König war, so forderte der Minister diesen auf, von der Fürstin zu verlangen, daß sie gerade die bezeichneten Juwelen bei dem nächsten Balle tragen solle. Es ist überflüssig, Euch zu bemerken, daß der Minister aus einer gewissen Quelle erfahren hatte, wie der Schmuck dem Botschafter gefolgt war, der in großer Entfernung jenseits des Meeres lebte. Die große Königin war verloren, wie die letzte ihrer Untertaninnen, denn sie stürzte augenscheinlich von ihrer höchsten Höhe herab.

Wirklich?

Nun gut, Monseigneur, vier Menschen entschlossen sich, sie zu retten. Diese vier Menschen waren keine Prinzen, keine Herzöge, keine mächtigen Männer, keine reichen Männer, es waren vier Soldaten mit großem Herzen, gutem Arm und flinkem Degen. Sie reisten ab. Der Minister erfuhr ihre Abreise und schickte Leute auf ihren Weg aus, um sie zu verhindern, zu ihrem Ziele zu gelangen. Drei wurden durch die zahlreichen Angriffe kampfunfähig gemacht, aber ein einziger gelangte in den Hafen, tötete oder verwundete die, welche ihn festnehmen wollten, schiffte über das Meer und brachte den Schmuck der großen Königin zurück, die ihn an dem bestimmten Tag an die Schulter heften konnte. Was sagt Ihr von diesem Zuge, Monseigneur?

Das ist herrlich, sprach Mazarin träumerisch.

Nun, ich weiß noch ähnliche.

Mazarin sprach nicht mehr, er dachte nach.

Ihr habt mich nichts mehr zu fragen, Monseigneur? sagte Rochefort nach einigen Minuten. – Doch, Herr d’Artagnan war einer von diesen vier Menschen, sagt Ihr? – Er war der, welcher das ganze Unternehmen leitete. – Und wer waren die anderen? – Monseigneur erlaube, daß ich Herrn d’Artagnan überlasse, sie Euch zu nennen. Es waren seine Freunde und nicht die meinigen; er allein hätte einigen Einfluß auf sie, und ich kenne sie nicht einmal unter ihren wahren Namen.

Ihr mißtraut mir, Herr von Rochefort. Ich will ganz offenherzig sein: ich bedarf Euer, seiner, aller. – Fangen wir bei mir an, Monseigneur, da Ihr mich habt holen lassen und ich nun hier bin; dann möget Ihr zu ihnen übergehen. – Ihr, mein lieber Herr von Rochefort, sollt einen Vertrauensposten bekommen, Ihr geht nach Vincennes, wo Herr von Beaufort gefangen ist; Ihr bewacht ihn mir auf das schärfste. Nun, was habt Ihr denn? – Ihr schlagt mir etwas Unmögliches vor, sprach Rochefort und schüttelte mit betrübter Miene den Kopf. – Wie! etwas Unmögliches? Und warum ist diese Sache unmöglich? – Weil Herr von Beaufort einer meiner Freunde ist, oder vielmehr, weil ich einer der seinigen bin. Habt Ihr vergessen, Monseigneur, daß Beaufort bei der Königin für mich gut gestanden hat? – Herr von Beaufort ist seit jener Zeit der Feind des Staates. – Ja, Monseigneur, das ist möglich; aber da ich weder König noch Königin, noch Minister bin, so ist er nicht mein Feind, und ich kann Euer Anerbieten nicht annehmen. – Das nennt Ihr Ergebenheit? Ich wünsche Euch Glück: Eure Ergebenheit verpflichtet Euch nicht zu sehr bedeutenden Dingen, Herr von Rochefort. – Monseigneur, verwendet mich zu irgend etwas anderem, gebt mir eine Sendung, laßt mich tätig sein, aber auf der offenen Straße, wenn es möglich ist. – Mein lieber Herr von Rochefort, sagte Mazarin mit seiner spöttischen Miene, Euer Eifer reißt Euch fort, Ihr haltet Euch noch für einen jungen Mann, weil das Herz immer noch jung ist, aber die Kräfte fehlen Euch. Glaubt mir, Ihr bedürft jetzt vor allem der Ruhe. Holla! irgend jemand herein! – Ihr verfügt also nicht über mich? – Im Gegenteil, ich habe verfügt.

Bernouin trat ein.

Rufe einen Huissier, sprach Mazarin, und bleib‘ in meiner Nähe, fügte er mit leisem Tone bei.

Ein Huissier trat ein, der Kardinal schrieb einige Worte, die er diesem Mann zustellte, grüßte sodann mit dem Kopf und sagte: Gott befohlen, Herr von Rochefort.

Rochefort verbeugte sich ehrfurchtsvoll und sagte: Ich sehe, Monseigneur, man führt mich wieder in die Bastille. – Ihr seid gescheit. – Ich kehre dahin zurück, Monseigneur, aber ich wiederhole Euch, Ihr habt unrecht, daß Ihr mich nicht zu verwenden wißt. – Euch, den Freund meiner Feinde? – Warum nicht? Ihr hättet mich zum Feind Eurer Feinde machen sollen. – Glaubt Ihr, es gebe nur Euch allein? Seid überzeugt, Herr von Rochefort, ich werde Leute finden, welche so viel wert sind, als Ihr.

Man führte Rochefort in den Hof, wo er seinen Wagen und seine vier Mann Eskorte fand; aber er suchte vergebens seinen Freund.

Ah, ah! sagte Rochefort zu sich selbst, das verändert die Sache auf eine furchtbare Weise. Wenn jetzt noch so viel Volk auf den Straßen ist, so wollen wir Herrn von Mazarin zu beweisen suchen, daß wir, Gott sei Dank, noch zu etwas ganz anderem taugen, als zur Bewachung eines Gefangenen.

Eines der vierzig Fluchtmittel des Herrn von Beaufort

La Ramée erwartete am Pfingsttage die sechste Abendstunde mit ebensoviel Ungeduld, als der Prinz. Schon am Morgen beschäftigte er sich mit allen Einzelheiten, und da er sich in dieser Beziehung nur auf sich selbst verließ, so machte er dem Nachfolger des Vaters Marteau einen persönlichen Besuch. Dieser hatte sich selbst übertroffen, er zeigte ihm eine wahre Ungeheuerpastete, auf dem Deckel verziert mit dem Wappen des Herrn von Beaufort. Die Pastete war noch leer, aber neben ihr lagen ein Fasan und zwei Feldhühner, so niedlich gespickt, daß sie aussahen, wie Nadelkissen. Das Wasser lief La Ramée im Munde zusammen, und er kehrte, sich die Hände reibend, ins Zimmer des Herzogs zurück.

Um das Maß des Glückes voll zu machen, hatte Herr von Chavigny, wie wir erzählt haben, im vollen Vertrauen auf La Ramée, eine kleine Reise unternommen und sich auch bereits an demselben Morgen entfernt, wodurch La Ramée Untergouverneur des Schlosses geworden war.

Grimaud sah verdrießlicher als je aus.

Herr von Beaufort hatte am Morgen mit La Ramée eine Partie Ball gespielt, und Grimaud hatte ihm hierbei durch ein Zeichen zu verstehen gegeben, er möge auf alles acht geben.

Vorwärts marschierend bezeichnete Grimaud den Weg, den man am Abend verfolgen sollte. Der Ort, an dem das Ballspiel stattfand, hieß der innere Schloßhof. Es war ein ziemlich verlassener Platz, der nur in dem Augenblick, wo Herr von Beaufort seine Partie machte, mit Wachen besetzt wurde. Bei der Höhe der Mauer schien sogar diese Vorsichtsmaßregel überflüssig.

Man hatte drei Türen zu öffnen, ehe man zu diesem Hofe gelangte. Jede Türe wurde mit einem andern Schlüssel geöffnet, und La Ramée trug diese drei Schlüssel bei sich.

Als Grimaud in den Hof kam, setzte er sich wie zufällig in eine Schießscharte und ließ die Beine außen an der Mauer hinabhängen. Offenbar sollte hier die Strickleiter befestigt werden.

Dieses, für den Herzog von Beaufort leichtbegreifliche Manöver war natürlich für La Ramée nicht verständlich.

Die Partie begann. Diesmal war Herr von Beaufort im Zuge, und man hätte glauben sollen, er lege mit der Hand die Bälle dahin, wohin sie nach seinem Willen fallen sollten. La Ramée wurde gänzlich geschlagen.

Vier von den Wachen waren Herrn von Beaufort gefolgt und hoben die Bälle auf. Als das Spiel vorüber war, machte sich Herr von Beaufort über die Ungeschicklichkeit La Ramées lustig und bot ihm für die Wachen zwei Louisd’or an, um mit ihren vier andern Kameraden auf seine Gesundheit zu trinken.

Die Wachen baten um die Erlaubnis hierzu, und La Ramée erteilte sie ihnen auch, aber erst für den Abend. Bis dahin mußte sich La Ramée mit wichtigen Dingen beschäftigen. Da er Gänge zu machen hatte, so wünschte er, daß man während seiner Abwesenheit den Gefangenen nicht aus dem Gesichte verliere.

Endlich schlug es sechs Uhr; obgleich man sich erst um sieben Uhr zu Tische setzen sollte, so war das Abendessen doch schon bereit und aufgetragen. Auf einem Schenktisch stand die kolossale Pastete mit dem Wappen des Herzogs, und nach der goldenen Farbe der Kruste zu urteilen, schön gar gebacken. Die übrigen Bestandteile des Mahles standen ganz im Verhältnis zu der Pastete.

Alle waren ungeduldig: die Wachen wollten trinken gehen, La Ramée wollte sich zu Tische setzen, und Herr von Beaufort wollte entweichen.

Grimaud allein blieb immer gleich geduldig. Man hätte glauben sollen, Athos habe ihn nur in der Voraussicht dieses großen Ereignisses erzogen.

Es gab Augenblicke, wo der Herzog von Beaufort, wenn er ihn anschaute, sich fragte, ob er nicht träume, und ob dieses Marmorgesicht wirklich ihm zu Dienste sei und sich im gegebenen Moment beleben würde.

La Ramée entließ die Wachen, indem er ihnen noch anempfahl, auf die Gesundheit des Prinzen zu trinken. Sobald sie weggegangen waren, schloß er die Türen, steckte die Schlüssel in seine Tasche und deutete, gegen den Prinzen gewendet, mit einer Miene aus den Tisch, die sagen wollte: Wenn es Monseigneur gefällig wäre?

Der Prinz schaute Grimaud an. Grimaud schaute die Uhr an. Es war erst ein Viertel auf sieben Uhr, die Flucht war auf sieben Uhr bestimmt. Man hatte also noch drei Viertelstunden zu warten.

Um eine Viertelstunde Zeit zu gewinnen, schützte der Prinz eine Lektüre vor, die ihn sehr anspreche, und bat, das Kapitel vollenden zu dürfen. La Ramée näherte sich und schaute ihm über die Schultern, um zu sehen, was für ein Buch so anziehend für den Prinzen sei, daß es ihn abhielt, sich zu Tische zu setzen, wenn die Mahlzeit schon aufgetragen war.

Es waren die Kommentare Cäsars, die er selbst, gegen die Befehle Chavignys, dem Prinzen vor drei Tagen verschafft hatte.

La Ramée gelobte sich, nie mehr der Gefängnisordnung zuwiderzuhandeln.

Mittlerweile öffnete er die Flaschen und roch an der Pastete.

Um halb sieben Uhr erhob sich der Prinz und sagte mit großem Ernste:

Cäsar war entschieden der größte Mann des Altertums. – Ihr findet dies, Monseigneur? sprach La Ramée. – Ja. – Nun wohl, und ich, versetzte La Ramée, ich ziehe Hannibal vor. – Und warum dies, Meister La Ramée? fragte der Herzog. – Weil er keine Kommentare hinterlassen hat, erwiderte La Ramée mit einem schweren Seufzer.

Der Herzog begriff die Anspielung, setzte sich zu Tische und bedeutete La Ramée, er möge ihm gegenüber Platz nehmen.

Der Gefreite ließ sich dies nicht zweimal sagen.

Es gibt kein so ausdrucksvolles Gesicht, wie das eines Gourmands, der sich vor einer guten Tafel befindet. Als La Ramée aus den Händen Grimauds seinen Suppenteller empfing, malte sich auf seinem Gesicht das Gefühl vollkommener Glückseligkeit. Der Herzog schaute ihn lächelnd an.

Ventre-saint-gris! La Ramse! rief er; wißt Ihr, daß ich, wenn man mir sagte, es gebe in diesem Frankreich einen glücklicheren Menschen, als Ihr, es nicht glauben würde?

Und meiner Treu‘! Ihr hättet recht, Monseigneur, sprach La Ramée; ich gestehe, daß ich Hunger habe. Ich kenne keinen lieblicheren Anblick, als eine wohlbestellte Tafel, und wenn Ihr beifügt, fuhr La Ramée fort, daß der, welcher die Honneurs dieser Tafel macht, der Enkel Heinrichs des Großen ist, so werdet Ihr begreifen, Monseigneur, daß die Ehre, die einem zu teil wird, das Vergnügen, das man genießt, verdoppelt.

Der Prinz verbeugte sich, und ein unmerkliches Lächeln erschien auf dem Antlitz Grimauds, der hinter La Ramée stand.

Mein lieber La Ramée, sprach der Herzog, in der Tat, nur Ihr versteht es, ein Kompliment zu drehen. – Nein, Monseigneur, erwiderte La Ramée aus übervollem, ehrlichem Herzen, nein, ich spreche wahrhaftig bloß, was ich denke. Es liegt kein Kompliment in dem, was ich Euch hier sage. – Also seid Ihr mir zugetan? fragte der Prinz. – Das heißt, erwiderte La Ramée, ich wäre untröstlich, wenn Eure Hoheit Vincennes verließe. – Eine sonderbare Manier, Eure Zuneigung kundzugeben. – Aber, Monseigneur, entgegnete La Ramée, was würdet Ihr außen machen? Irgend eine Tollheit, durch die Ihr Euch mit dem Hofe überwerfen würdet, brächte Euch in die Bastille, statt nach Vincennes. Herr von Chavigny ist, ich gebe es zu, nicht liebenswürdig, fuhr La Ramée, ein Glas Madeira schlürfend, fort? aber Herr du Tremblay ist noch viel schlimmer. – In der Tat? sprach der Herzog, der sich über die Wendung belustigte, die das Gespräch nahm, und von Zeit zu Zeit auf die Pendeluhr schaute, deren Zeiger mit verzweiflungsvoller Langsamkeit vorrückte. – Was wollt Ihr von dem Bruder eines in der Schule des Kardinals von Richelieu gefütterten Kapuziners mehr erwarten? Ah, Monseigneur, es ist ein großes Glück, daß die Königin, die Euch stets wohlwollte, wie ich wenigstens sagen hörte, die Idee hatte, Euch hierher zu schicken, wo es einen schönen Spaziergang, Ballspiel, gute Tafel, gute Lust gibt. – In der Tat, sprach der Herzog, wenn man Euch hört, La Ramée, bin ich sehr undankbar, daß ich einen Augenblick den Gedanken gehabt habe, mich von hier zu entfernen. – O! Monseigneur, das ist der höchste Grad von Undankbarkeit, versetzte La Ramée; aber Eure Hoheit hat wohl nie im Ernste daran gedacht. – Allerdings, sprach der Herzog, und ich muß Euch gestehen, es ist vielleicht eine Torheit, ich leugne es nicht, aber ich denke von Zeit zu Zeit noch daran. – Immer durch eines von Euren vierzig Mitteln, Monseigneur? – Gewiß, versetzte der Herzog. – Monseigneur, sagte La Ramée, da wir unsere Herzen gerade so erschließen, so nennt mir doch eines von den vierzig Mitteln, die Eure Hoheit ersonnen hat. – Gern, sprach der Herzog. Grimaud, gebt mir die Pastete. – Ich höre, sagte La Ramée, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, hob sein Glas in die Höhe und blinzelte mit dem Auge, um die untergehende Sonne durch den flüssigen Rubin zu sehen, den es enthielt.

Der Herzog warf einen Blick auf die Pendeluhr. Noch zehn Minuten, und es schlug sieben Uhr.

Grimaud stellte die Pastete vor den Prinzen, der sein Messer mit der silbernen Klinge nahm, um den Deckel abzuheben. Aber La Ramée reichte, voll Besorgnis, es könnte dem schönen Stück ein Unheil widerfahren, dem Herzog sein eigenes Messer, das eine eiserne Klinge hatte.

Ich danke, La Ramée, sprach der Herzog und griff nach dem Messer.

Nun, Monseigneur, sagte der Wächter, das ausgezeichnete Mittel?

Soll ich es Euch nennen? versetzte der Herzog, dasjenige, auf das ich am meisten rechnete, das Mittel, das ich zuerst anzuwenden entschlossen war?

Ja, gerade dieses, antwortete La Ramée.

Gut, sprach der Herzog, mit einer Hand die Pastete aufhebend und mit der andern mittelst seines Messers Kreise beschreibend. Ich hoffte vor allem zum Wächter einen braven Burschen zu haben, wie Ihr seid, Herr La Ramée.

Schön, sagte La Ramée, Ihr habt ihn, Monseigneur. Hernach?

Und ich freue mich darüber.

La Ramée verbeugte sich.

Ich sagte mir, fuhr der Prinz fort, habe ich einmal in meiner Nähe einen braven Burschen, wie La Ramée, so werde ich danach trachten, ihm durch einen Freund von mir, von dem er nicht weiß, daß ich in Verbindung mit ihm stehe, einen Menschen empfehlen zu lassen, der mir ergeben ist, und mit dem ich mich über die Vorkehrungen zu meiner Flucht verständigen kann.

Gut, gut, sagte La Ramée, gar nicht übel ersonnen.

Nicht wahr? versetzte der Prinz, zum Beispiel den Diener irgend eines braven Edelmannes, eines Feindes von Mazarin.

Still, Monseigneur, sprechen wir nicht über Politik.

Habe ich diesen Menschen bei mir, fuhr der Herzog fort, und er ist geschickt und weiß meinem Wächter Vertrauen einzuflößen, so wird dieser sich auf ihn verlassen, und ich erhalte Nachricht von außen.

Ah ja, aber wie dies, Nachricht von außen? fragte La Ramée.

O! nichts leichter, antwortete der Herzog von Beaufort, bei einer Ballpartie zum Beispiel.

Beim Ballspiel! rief La Ramée, der mit der größten Aufmerksamkeit dem Herzog zuzuhören anfing.

Ja, hört. Ich schleudere einen Ball in den Graben; es ist ein Mensch da, der ihn aufhebt. Der Ball enthält einen Brief. Statt den Ball zurückzuwerfen, um den ich ihn gebeten habe, wirft er mir einen andern zurück. Dieser Ball enthält auch einen Brief. Auf diese Art tauschen wir unsere Gedanken aus, und niemand hat etwas davon gesehen.

Teufel! Teufel! sagte La Ramée, sich hinter den Ohren kratzend, Ihr tut wohl daran, es mir zu sagen. Ich werde die Ballaufheber überwachen.

Der Herzog lächelte.

Aber, fuhr La Ramée fort, das ist am Ende doch nur ein Mittel, zu korrespondieren. – Mir scheint, das ist schon viel. – Doch noch nicht genug. – Ich bitte um Vergebung. Zum Beispiel, ich schreibe meinen Freunden: Findet Euch an dem und dem Tag, zu der und der Stunde mit zwei Reitpferden jenseits des Grabens ein. – Nun, und hernach, sagte La Ramée mit einer gewissen Unruhe, wenn diese Pferde nicht Flügel haben, um den Wall zu ersteigen und Euch abzuholen? – Ei mein Gott, erwiderte der Prinz in nachlässigem Tone, es ist nicht nötig, daß die Pferde Flügel haben, um den Wall zu ersteigen, es genügt, daß ich ein Mittel habe, um hinabzukommen. – Welches? – Eine Strickleiter. – Jawohl, versetzte La Ramée und suchte zu lachen; aber eine Strickleiter kann man nicht wie einen Brief in einem Balle schicken. – Nein, aber man schickt sie in etwas anderem. – In etwas anderem? In was denn? – In einer Pastete zum Beispiel. – In einer Pastete? – Ja; denkt Euch einmal, mein Haushofmeister Noirmont habe den Laden des Vaters Marteau gekauft. – Und dann? fragte La Ramée schaudernd. – La Ramée, ein Gourmand, erblickt seine Pasteten, findet, daß sie besser aussehen, als die seiner Vorgänger, und erbietet sich, mich davon kosten zu lassen. Ich nehme es an, unter der Bedingung, daß La Ramée mit mir davon kostet. Zu größerer Bequemlichkeit entfernt La Ramée die Wachen und behält nur Grimaud, um uns zu bedienen. Grimaud ist der Mann, den mir einer meiner Freunde gegeben hat, der treue Diener, mit dem ich mich verständige, bereit, mich in jeder Beziehung zu unterstützen. Als Augenblick meiner Flucht ist sieben Uhr bezeichnet. Einige Minuten vor sieben Uhr … – Einige Minuten vor sieben Uhr? versetzte La Ramée, dem der Schweiß auf der Stirne zu perlen anfing. – Einige Minuten vor sieben Uhr, antwortete der Herzog, die Tat mit dem Worte verbindend, nehme ich den Deckel von der Pastete ab. Ich finde darin zwei Dolche, eine Strickleiter und einen Knebel. Ich setze einen der Dolche La Ramée auf die Brust und sage zu ihm: Mein Freund, es tut mir unendlich leid, aber wenn du nur eine Gebärde wagst, wenn du den geringsten Schrei ausstößt, bist du verloren.

Der Herzog hatte, wie gesagt, seinen Worten unmittelbar die Tat folgen lassen. Er stand bei La Ramse und hielt ihm die Spitze seines Dolches mit einem Ausdruck auf die Brust, der keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit übrig ließ.

Währenddessen zog der allezeit schweigsame Grimaud aus der Pastete einen zweiten Dolch, die Strickleiter und die Maulbirne hervor.

La Ramée folgte jedem dieser Gegenstände mit wachsendem Schrecken.

O, Monseigneur! rief er und schaute den Herzog mit einem erstaunten Entsetzen an, das diesen unter allen andern Verhältnissen hätte laut auflachen lassen, Ihr seid nicht der Mann, mich zu töten. – Nein, wenn du dich nicht meiner Flucht widersetzt. – Aber Monseigneur, wenn ich Euch fliehen lasse, bin ich verloren. – Ich zahle dir den Preis deiner Stelle zurück. – Ihr seid fest entschlossen, den Turm zu verlassen? – Bei Gott! – Alles, was ich Euch zu sagen vermag, ist nicht im stände, eine Änderung in Eurem Entschluß herbeizuführen? – Ich will noch diesen Abend frei sein. – Und wenn ich mich verteidige, wenn ich rufe, wenn ich schreie? – So töte ich dich, so wahr ich ein Edelmann bin. In diesem Augenblick schlug die Uhr.

Sieben Uhr! sagte Grimaud, der noch kein Wort gesprochen hatte.

Sieben Uhr! rief der Herzog, du siehst, ich bin noch zurück.

La Ramée machte eine Bewegung, die sein Gewissen beschwichtigen sollte.

Der Herzog runzelte die Stirne, und der Gefreite fühlte, daß die Klinge des Dolches, die seine Kleider durchdrungen hatte, nun auch seine Brust durchdringen wollte.

Gut, Monseigneur, sagte er, das genügt, ich werde mich nicht rühren. – Beeilen wir uns, sprach der Herzog. – Monseigneur, eine letzte Gnade. – Welche? Sprich geschwind! – Bindet mich gut, Monseigneur. – Warum dich binden? Damit man mich nicht für Euern Schuldgenossen hält. – Die Hände, sagte Grimaud. – Nicht von vorn, von hinten. – Aber womit? sagte der Herzog. – Mit Eurem Gürtel, Monseigneur, versetzte La Ramée.

Der Herzog machte seinen Gürtel los und gab ihn Grimaud, der La Ramée auf die gewünschte Weise die Hände band.

Die Füße, sprach Grimaud.

La Ramée streckte die Beine aus. Grimaud nahm eine Serviette, zerriß sie in Streifen und band La Ramée.

Nun meinen Degen, sprach La Ramée, bindet den Griff.

Der Herzog riß seinen Hosenträger ab und erfüllte das Verlangen seines Wärters.

Jetzt die Maulbirne, sprach der arme La Ramée; ich verlange sie, denn man würde mir sonst den Prozeß machen, weil ich nicht geschrieen habe. Drückt sie hinein, Monseigneur, drückt sie hinein!

Grimaud schickte sich an, den Wunsch des Gefreiten zu erfüllen, welcher durch eine Bewegung andeutete, er habe noch etwas zu sagen.

Sprecht, rief der Herzog.

Monseigneur, antwortete La Ramée, wenn mir Euretwegen ein Unglück widerfährt, so vergeßt nicht, daß ich eine Frau und vier Kinder habe.

Sei ruhig. Stopf zu, Grimaud!

In einer Minute war La Ramée geknebelt und auf den Boden gelegt. Einige Stühle wurden umgeworfen, als hätte ein Kampf stattgefunden. Grimaud nahm aus den Taschen des Gefreiten alle Schlüssel, welche sie enthielten, öffnete zuerst die Türe des Zimmers, verschloß sie dann wieder doppelt, als sie hinausgegangen waren, und beide schlugen den Weg nach der Galerie ein, die in den kleinen Hof führte. Die drei Türen wurden hintereinander mit einer Behendigkeit geöffnet und geschlossen, die Grimaud alle Ehre machte. Endlich gelangte man auf den Ballspielplatz; er war völlig verlassen, keine Wachen, niemand am Fenster.

Der Herzog lief nach dem Walle und erblickte jenseits des Grabens drei Reiter mit zwei Handpferden. Er wechselte ein Zeichen mit ihnen: sie waren also seinetwegen da.

Inzwischen band Grimaud die Strickleiter an.

Vorwärts, sprach der Herzog.

Ich zuerst, Monseigneur? fragte Grimaud.

Allerdings, antwortete der Herzog. Wenn man mich erwischt, so wage ich nicht mehr, als das Gefängnis. Erwischt man dich, so wirst du gehenkt.

Das ist richtig, sagte Grimaud und fing sogleich das gefahrvolle Hinabsteigen an. Der Herzog sah ihm mit unwillkürlicher Bangigkeit nach; er hatte bereits drei Vierteile der Mauer hinter sich, als plötzlich der Strick zerriß … Grimaud stürzte in den Graben.

Der Herzog stieß einen Schrei aus; aber Grimaud ließ keinen Seufzer vernehmen, und dennoch mußte er schwer verwundet sein, denn er blieb auf der Stelle liegen, auf die er gefallen war.

Sogleich glitt einer der Männer, die jenseits warteten, in den Graben herab, band unter den Schultern Grimauds das Ende eines Strickes an, und die zwei andern, welche das entgegengesetzte Ende hielten, zogen Grimaud zu sich hinauf.

Steigt herab, Monseigneur! rief der Mensch, der im Graben war. Die Entfernung beträgt nicht über fünfzehn Fuß, und der Rasen ist weich.

Der Herzog war bereits am Werke. Er hatte eine schwierige Arbeit, denn durch den Bruch waren die Stützpunkte teilweise verloren gegangen; er konnte nur mit Hilfe seiner Faustgelenke herabkommen, und dies aus einer Höhe von mehr als fünfzig Fuß. Aber der Prinz war, wie gesagt, geschickt, kräftig und kaltblütig; in weniger als fünf Minuten befand er sich am Ende des Strickes. Er ließ los und fiel auf seine Füße, ohne sich zu beschädigen.

Sogleich stieg er die Böschung des Grabens hinan, auf dessen Höhe er Rochefort fand; die zwei andern Edelleute waren ihm unbekannt. Den ohnmächtigen Grimaud hatte man bereits auf ein Pferd gebunden.

Meine Herren, sprach der Prinz, ich werde Euch später danken, aber jetzt ist kein Augenblick zu verlieren. Vorwärts also, vorwärts, wer mich liebt, folge mir!

Und er schwang sich auf ein Pferd, ritt im gestreckten Galopp von dannen, atmete mit voller Brust und rief mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Freude: Frei… frei!… frei…

D’Artagnan kommt gerade zur rechten Zeit

D’Artagnan nahm in Blois die Summe in Empfang, die Mazarin, in dem Verlangen, ihn wieder bei sich zu sehen, ihm für seine zukünftigen Dienste zu geben sich entschlossen hatte.

Von Blois nach Paris waren es vier Tagereisen für einen gewöhnlichen Reiter. D’Artagnan langte um vier Uhr nachmittags am dritten Tage vor der Barrière Saint-Denis an. In früheren Zeiten hätte er nur zwei gebraucht. Wir haben bereits gesehen, daß Athos drei Stunden nach ihm abgereist, aber vierundzwanzig Stunden vor ihm angekommen war.

Planchet hatte die Gewohnheit scharfer Ritte verloren, d’Artagnan machte ihm seine Weichlichkeit zum Vorwurf.

Ei, Herr, vierzig Meilen in drei Tagen, ich finde, das ist sehr anständig für einen Menschen, der mit gerösteten Mandeln handelt.

Bist du wirklich Kaufmann geworden, Planchet, und gedenkst du im Ernste, jetzt, da wir uns wiedergefunden haben, in deinem Laden fortzuvegetieren?

Ach, versetzte Planchet, Ihr allein seid für ein tätiges Leben geschaffen. Seht Herrn Athos an; wer würde in ihm den abenteuerlichen Rittersmann wiedererkennen? Er lebt jetzt als wahrer Landedelmann, als wahrer Herrenbauer. Gnädiger Herr, es gibt in der Tat nichts Wünschenswerteres, als ein ruhiges Dasein.

Heuchler, sprach d’Artagnan, man sieht wohl, daß du dich Paris näherst, und daß es in Paris für dich einen Galgen und einen Strick gibt.

Als sie jetzt in Paris einritten, drückte Planchet seinen Hut ins Gesicht, da er durch Straßen ziehen sollte, wo er sehr bekannt war, und d’Artagnan strich seinen Bart in die Höhe.

Sie bogen in die Rue Tiquetonne, wo Porthos in der Rehziege des Freundes harren sollte. Der Herr von Bracienx, der gelangweilt zum Fenster hinausschaute, bemerkte auch die beiden Reiter sofort und stand augenblicks auf der Schwelle des Gasthauses.

Ah, mein Freund, sagte er, wie schlecht haben’s meine Pferde hier!

In der Tat! versetzte d’Artagnan, es tut mir unendlich leid um diese schönen Tiere.

Und ich auch, sprach Porthos, ich habe es auch schlecht hier, und wäre nicht die Wirtin, fuhr er, sich mit seiner selbstzufriedenen Miene auf den Beinen wiegend, fort, die ziemlich zuvorkommend ist und einen Spaß versteht, so würde ich anderswo ein Lager gesucht haben.

Die schöne Madeleine, die sich während dieses Gespräches genähert hatte, machte einen Schritt rückwärts und wurde bleich wie der Tod, als sie Porthos‘ Worte hörte. Sie glaubte, die Scene mit dem Schweizer würde sich wiederholen; aber zu ihrem großen Erstaunen änderte d’Artagnan keine Miene und sagte, statt sich zu ärgern, lachend zu Porthos:

Ja, ich begreife, lieber Freund, die Luft der Rue Tiquetonne ist nicht so gut wie die im Tale von Pierrefonds. Aber beruhigt Euch, Ihr sollt eine bessere bekommen. – Wann dies? – Meiner Treu bald, hoffe ich. – Ah, desto besser!

Mein lieber Du Vallon, da Ihr in voller Kleidung seid, so führe ich Euch auf der Stelle zum Kardinal. – Bah! wirklich? fragte Porthos, die Augen weit aufreißend. – Ja, mein Freund. – Eine Vorstellung? – Erschreckt Euch das? – Nein, aber es bringt mich in Verwirrung. – O! seid unbesorgt, Ihr habt es nicht mehr mit dem früheren Kardinal zu tun, und dieser wird Euch nicht durch seine Majestät niederschmettern. – Gleichviel, Ihr begreift, d’Artagnan, der Hof! – Ei, mein Freund, es gibt keinen Hof mehr. – Die Königin! – Ich wollte sagen, es gibt keine Königin mehr. Die Königin? Beruhigt Euch, wir werden sie nicht sehen. – Und Ihr sagt, wir gehen auf der Stelle ins Palais Royal? – Auf der Stelle. Nur werde ich, um nicht zögern zu müssen, eines von Euern Pferden entlehnen. – Nach Belieben, sie stehen Euch alle vier zu Diensten. – Ah, ich bedarf in diesem Augenblick nur eines. – Nehmen wir unsere Bedienten nicht mit? – Ja, nehmt Mousqueton, das wird nicht übel sein. Planchet hat seine Gründe, nicht an den Hof zu gehen. – Mouston, sprach Porthos – seit der Erhöhung Porthos‘ zum Großgrundbesitzer, die diesen veranlaßt hatte, seinen Namen ungewöhnlich zu verlängern. hatte Mousqueton den seinen durch Kürze verfeinert – sattelt Vulkan und Bayard!

Ihr habt recht, fuhr Porthos fort, der mit Wohlgefallen seinem alten Diener nachschaute; Ihr habt recht, d’Artagnan, Mouston genügt, Mouston sieht hübsch aus.

D’Artagnan lächelte.

Und Ihr? sagte Porthos, kleidet Ihr Euch nicht um? –

Nein, ich bleibe, wie ich bin. – Aber Ihr seid mit Schweiß und Staub überzogen, und Eure Stiefel sind ganz schmutzig. – Dieses Reisenegligé wird zum Beweis für den Eifer dienen, mit dem ich dem Befehle des Kardinals Folge leistete.

In diesem Augenblick kam Mousqueton mit den drei Pferden zurück. D’Artagnan schwang sich in den Sattel, als ob er seit drei Tagen ausgeruht hätte.

Sie entfernten sich rasch und gelangten gegen ein Viertel auf acht Uhr zu dem Palais-Kardinal. Eine Menge von Menschen trieb sich in den Straßen umher, denn es war gerade das Pfingstfest. Und diese Menge sah mit Erstaunen die zwei Kavaliere vorüberziehen, von denen der eine so frisch aussah, als käme er aus einer Kleiderhandlung, und der andere so bestaubt, als kehre er unmittelbar vom Schlachtfeld zurück. Mousqueton zog ebenfalls die Blicke der Müßiggänger auf sich, und da der Roman Don Quixote damals sehr viel gelesen wurde, so sagten einige, er sei Sancho Pansa, der, nachdem er einen Herrn verloren, zwei gefunden habe.

Als sie in das Vorzimmer gelangten, fand sich d’Artagnan wieder im bekannten Lande. Musketiere von seiner Kompagnie hielten gerade Wache. Er ließ den Huissier rufen und zeigte ihm den Brief des Kardinals, der ihm einschärfte, unverzüglich zurückzukehren. Der Huissier verbeugte sich und trat bei Seiner Eminenz ein.

D’Artagnan wandte sich gegen Porthos um und glaubte ein leichtes Zittern an ihm wahrzunehmen. Er lächelte, näherte sich seinem Ohr und sagte zu ihm:

Guten Mut, mein braver Freund, laßt Euch nicht einschüchtern; glaubt mir, das Auge des Adlers ist geschossen, und wir haben es nur mit einem einfachen Reiher zu tun. Haltet Euch aufrecht, wie damals in der Bastei Saint-Gervais, und verbeugt Euch nicht zu tief vor diesem Italiener; das würde ihm einen armseligen Begriff von Euch geben.

Gut, gut, antwortete Porthos.

Der Huissier erschien wieder und sagte: Tretet ein, meine Herren, seine Eminenz erwartet Euch.

Mazarin war dabei, so viele Namen als immer möglich von einer Pensions- und Unterstützungsliste zu streichen. Er sah aus einem Winkel seines Auges d’Artagnan und Porthos eintreten, und obgleich sein Blick bei der Meldung des Huissiers gefunkelt hatte, so schien er doch nicht im geringsten bewegt.

Ah, Ihr seid es, mein Herr Leutnant? sagte er. Ihr habt Euch beeilt; gut, seid willkommen.

Ich danke, Monseigneur. Ich bin hier auf Befehl Eurer Eminenz, und ebenso Herr Du Ballon, einer von meinen ehemaligen Freunden, der seinen Adel unter dem Namen Porthos verbarg.

Porthos verbeugte sich vor dem Kardinal.

Ein herrlicher Kavalier, sprach Mazarin.

Porthos drehte den Kopf rechts und links und machte Schulterbewegungen voll Würde.

Der beste Degen des Königreichs, Monseigneur, sprach d’Artagnan. Dies wissen viele Leute, die es nicht sagen und nicht sagen können.

Porthos verbeugte sich vor d’Artagnan.

Mazarin liebte die schönen Soldaten beinahe ebensosehr, wie später der König Friedrich von Preußen. Er bewunderte die nervigen Hände, die breiten Schultern und das feste Auge von Porthos. Es kam ihm vor, als hätte er das Heil seines Ministeriums und des Königreichs aus Fleisch und Knochen geschnitten vor sich.

Und Eure zwei anderen Freunde? sagte er.

Porthos öffnete den Mund, denn er glaubte, es sei für ihn jetzt Zeit, auch ein Wort anzubringen. D’Artagnan machte ihm aus dem Augenwinkel ein Zeichen.

Unsere anderen Freunde sind in diesem Augenblick verhindert, sie werden später mit uns zusammentreffen.

Mazarin hustete leicht.

Und dieser Herr ist wohl freier als sie und tritt gerne wieder in den Dienst? fragte Mazarin. – Ja, Monseigneur, und zwar aus reiner Ergebenheit, denn Herr de Bracieux ist reich. – Reich? sagte Mazarin, dem dieses einzige Wort stets große Achtung einflößte. – Fünfzigtausend Livres Renten, sagte Porthos.

Dies war das erste Wort, das er aussprach.

Aus reiner Ergebenheit, versetzte Mazarin mit seinem feinen Lächeln, aus reiner Ergebenheit? – Monseigneur glaubt vielleicht nicht recht an dieses Wort? fragte d’Artagnan. – Und Ihr, Herr Gascogner? sagt Mazarin, seine Ellenbogen auf seinen Schreibtisch und sein Kinn aus seine zwei Hände stützend. – Ich, erwiderte d’Artagnan, glaube an die Ergebenheit, wie z. B. an einen Taufnamen, auf den natürlich ein irdischer Name folgen muß. Es gibt ja mehr oder minder ergebene Naturen; aber am Ende jeder Ergebenheit muß immer irgend etwas sein. – Und Euer Freund, was würde er am Ende seiner Ergebenheit wünschen? – Monseigneur, mein Freund hat drei herrliche Güter. Er wünschte nun, Monseigneur, daß eines von diesen drei Gütern zu einer Baronie erhoben würde. – Weiter nichts? sagte Mazarin, dessen Augen vor Freude glänzten, als er sah, daß er Porthos‘ Ergebenheit belohnen konnte, ohne die Börse zu öffnen. Weiter nichts? Die Sache wird sich machen lassen. – Ich werde Baron! rief Porthos und tat einen Schritt vorwärts. – Ich habe es Euch gesagt, versetzte d’Artagnan, indem er ihn bei der Hand zurückhielt, und Monseigneur wiederholt es Euch. – Und Ihr, Herr d’Artagnan, was wünscht Ihr? – Monseigneur, sprach d’Artagnan, im September sind es zwanzig Jahre, daß mich der Herr Kardinal von Richelieu zum Leutnant bei den Musketieren gemacht hat. – Und Ihr wollt, daß Euch der Kardinal Mazarin zum Kapitän mache?

D’Artagnan verbeugte sich.

Nun wohl, dies ist nicht unmöglich. Man wird sehen, meine Herren, man wird sehen. Sagt nun, Herr Du Ballon, sprach Mazarin, welchen Dienst zieht Ihr vor? den in der Stadt? den im Felde?

Porthos öffnete den Mund, um zu antworten.

Monseigneur, sagte d’Artagnan, Herr Du Ballon ist wie ich, er liebt den außerordentlichen Dienst, d. h. die Unternehmungen, welche man für tollkühn und unmöglich hält.

Diese Gasconnade mißfiel Mazarin nicht.

Ich muß aber gestehen, ich habe Euch kommen lassen, um Euch einen sitzenden Posten zu geben. Ich hege eine gewisse Unruhe. Aber was ist das? sprach Mazarin.

Man vernahm in der Tat einen gewaltigen Lärm im Vorzimmer; beinahe zu gleicher Zeit öffnete sich die Türe des Kabinetts, und ein mit Staub bedeckter Mann stürzte herein und schrie:

Herr Kardinal! Wo ist der Herr Kardinal?

Mazarin glaubte, man wolle ihn ermorden, und mich, seinen Stuhl vor sich schiebend, zurück. D’Artagnan und Porthos machten eine schnelle Bewegung, die sie zwischen den Eindringling und den Kardinal brachte.

Ei, mein Herr, sagte der Kardinal, was gibt es denn, daß Ihr hier eintretet, wie in die Hallen?

Monseigneur, erwiderte der Offizier, an welchen dieser Vorwurf gerichtet war, ich wünschte Euch sogleich und insgeheim zu sprechen. Ich bin Herr de Poms, Offizier bei den Wachen im Dienste des Gefängnisses von Vincennes.

Der Offizier war so bleich, so entstellt, daß Mazarin, überzeugt, den Überbringer einer wichtigen Nachricht vor sich zu sehen, d’Artagnan und Porthos durch ein Zeichen bedeutete, sie sollten dem Boten Platz machen.

D’Artagnan und Porthos zogen sich in einen Winkel des Kabinetts zurück.

Sprecht, mein Herr, sprecht geschwind, sagte Mazarin, was gibt es? – Monseigneur, antwortete der Bote, Herr von Beaufort ist soeben aus dem Schlosse Vincennes entwichen.

Mazarin stieß einen Schrei aus und wurde noch bleicher, als der Überbringer der Nachricht. Er fiel wie vernichtet in seinen Lehnstuhl zurück.

Entwichen! sagte er, Herr von Beaufort entwichen? – Monseigneur, ich habe ihn von der Terrasse herab entfliehen sehen. – Und Ihr habt nicht auf ihn schießen lassen? – Er war außerhalb der Schußweite. – Aber was tat Herr von Chavigny? – Er war abwesend. – Und La Ramée? – Man fand ihn gebunden im Zimmer des Gefangenen, einen Knebel in seinem Munde und einen Dolch neben ihm. – Aber der Mensch, den er sich beigegeben hatte? – Er war ein Genosse des Herzogs und entsprang mit ihm.

Mazarin stieß einen Seufzer aus.

Monseigneur, sagte d’Artagnan und machte einen Schritt gegen den Kardinal. – Was? fragte Mazarin. – Es scheint mir, Eure Eminenz verliert eine kostbare Zeit. – Wieso? – Wenn Eure Eminenz Befehl erteilte, dem Gefangenen nachzusetzen, so könnte man ihn vielleicht noch einholen. Frankreich ist groß und die nächste Grenze sechzig Meilen entfernt. – Und wer wird ihm nachsetzen? rief Mazarin. – Ich, bei Gott! – Und Ihr würdet ihn festnehmen? – Warum nicht? – Ihr würdet den Herzog im Felde bewaffnet festnehmen? – Wenn Monseigneur mir Befehl erteilte, den Teufel zu verhaften, so faßte ich ihn bei den Hörnern und führte ihn hierher. – Ich auch, sprach Porthos. – Ihr auch? versetzte Mazarin und schaute die zwei Männer voll Anstaunen an. Aber der Herzog wird sich nicht ohne blutigen Kampf ergeben? – Es sei! rief d’Artagnan, dessen Augen sich entflammten. Zur Schlacht! Wir haben uns seit langer Zeit nicht mehr geschlagen? nicht wahr. Porthos? – Zum Kampfe! sprach Porthos. – Und Ihr glaubt, Ihr könnt ihn wieder einholen? – Ja, wenn wir besser beritten sind, als er. – Dann nehmt, was Ihr von Wachen hier findet, und eilt ihm nach. – Ihr befehlt es, Monseigneur? – Ich unterzeichne, sprach Mazarin, nahm ein Papier und schrieb einige Zeilen. – Fügt bei, Monseigneur, daß wir alle Pferde nehmen können, die wir auf dem Wege treffen. – Ja, ja, sagte Mazarin, Dienst des Königs. Nehmt und eilt! – Gut, Monseigneur. – Herr Du Vallon, fügte Mazarin bei, Eure Baronie sitzt hinter dem Herzog von Beaufort auf dem Rosse; Ihr braucht ihn nur zu fassen. Was Euch betrifft, mein lieber d’Artagnan, Euch verspreche ich nichts, aber wenn Ihr ihn tot oder lebendig zurückbringt, so mögt Ihr fordern, was Ihr haben wollt. – Zu Pferde, Porthos! rief d’Artagnan und faßte seinen Freund bei der Hand. – Hier, antwortete Porthos mit erhabener Kaltblütigkeit.

Und sie stiegen die große Treppe hinab, nahmen die Wachen mit, die sie auf ihrem Wege fanden, es waren etwa zehn Mann, und riefen: Zu Pferd! Zu Pferd!

D’Artagnan und Porthos schwangen sich, der eine auf Vulcan, der andere auf Bayard, Mousqueton setzte sich auf Phöbus.

Folgt mir, rief d’Artagnan.

Marsch, sprach Porthos.

Und sie stießen die Sporen in die Flanken ihrer edlen Renner, und diese flogen wie der Sturmwind durch die Rue Saint-Honors.

Nun, Herr Baron, ich hatte Euch Leibesübung versprochen, Ihr seht, daß ich Wort halte.

Ja, mein Kapitän, antwortete Porthos.

Sie wandten sich um; Mousqueton hielt sich, mehr schwitzend als sein Pferd, in schuldiger Entfernung. Hinter Mousqueton galoppierten die zehn Garden. Erstaunt traten die Bewohner der anliegenden Häuser auf die Türschwellen, und aufgejagte Hunde folgten bellend den Reitern.

An der Ecke des Saint-Jean-Kirchhofes warf d’Artagnan einen Mann nieder, aber es war dies ein zu geringfügiges Ereignis, um Leute, die so große Eile hatten, aufzuhalten. Die galoppierende Truppe setzte ihren Weg fort, als hätten ihre Pferde Flügel.

Ach! nichts auf der Welt ist geringfügig, und wir werden sehen, daß durch diesen scheinbar nichtsbedeutenden Unfall beinahe die Monarchie verloren gegangen wäre.

Die lange Straße

Sie ritten in gleicher Eile durch das ganze Faubourg Saint-Antoine und den Weg nach Vincennes entlang. Bald befanden sie sich außerhalb der Stadt, bald im Walde, bald im Angesichte des Dorfes.

Die Pferde schienen sich bei jedem Schritt immer mehr zu beleben, und ihre Nüstern fingen an, rot zu werden, wie glühende Öfen. D’Artagnan, der seinem Pferd beständig die Sporen eindrückte, war höchstens zwei Fuß vor Porthos voraus. Mousqueton folgte auf zwei Pferdelängen, die Garden ritten in einer Entfernung je nach der Tüchtigkeit ihrer Tiere.

Von einer Anhöhe herab erblickte d’Artagnan eine Gruppe von Personen, die auf der andern Seite des Grabens standen, vor dem Teile des Turmes, der eine Aussicht nach Saint-Maur bot. Er sagte sich, daß der Gefangene in dieser Richtung entflohen sei, und daß er hier Auskunft erhalten würde. In fünf Minuten gelangte er zu diesem Punkte, wo ihn nach und nach die Garden wieder einholten.

Die Menschen, welche die erwähnte Gruppe bildeten, waren sehr geschäftig. Sie betrachteten die nahe an der Schießscharte hängende und zwanzig Fuß vom Boden abgebrochene Strickleiter; sie maßen mit ihren Augen die Höhe und tauschten allerlei Vermutungen aus. Oben auf dem Walle gingen Wachen mit bestürzter Miene auf und ab.

Ein Posten von Soldaten, von einem Sergeanten befehligt, entfernte die Bürger von der Stelle, wo der Herzog zu Pferde gestiegen war.

D’Artagnan ritt gerade auf den Sergeanten zu.

Mein Offizier, sprach der Sergeant, man darf sich nicht hier aufhalten. – Dieser Befehl ist nicht für mich, erwiderte d’Artagnan. Hat man die Flüchtlinge verfolgt? – Ja, mein Offizier; aber leider sind sie gut beritten. – Wie viele sind es? – Vier Gesunde und ein Fünfter, den sie verwundet mitgenommen haben. – Vier! sprach d’Artagnan und schaute dabei Porthos an. Hört Ihr, Baron, es sind ihrer nur vier.

Ein freundliches Lächeln erleuchtete Porthos‘ Antlitz.

Und wieviel haben sie Vorsprung? – Zwei und eine Viertelstunde, mein Offizier. – Zwei und eine Viertelstunde? das ist nichts. Wir sind gut beritten, nicht wahr. Porthos?

Porthos stieß einen Seufzer aus; er dachte an das, was seiner armen Pferde harrte.

Sehr gut, sagte d’Artagnan; und nun sprecht, in welcher Richtung sind sie weggeritten?

Was das betrifft, mein Offizier, so hat man verboten, es zu sagen.

D’Artagnan zog aus seiner Tasche ein Papier und erwiderte:

Befehl des Königs! – Dann sprecht mit dem Gouverneur. – Und wo ist der Gouverneur? – Im Felde.

Der Zorn stieg d’Artagnan ins Gesicht, seine Stirne faltete sich; seine Schläfe wurden blutrot.

Ha, Elender! sagte er zu dem Sergeanten.

Er öffnete das Papier, bot es mit einer Hand dem Sergeanten und nahm mit der andern aus seinen Halftern eine Pistole, die er spannte.

Befehl des Königs, sage ich dir. Lies und antworte, oder ich schieße dich über den Haufen. Welchen Weg haben sie eingeschlagen?

Der Sergeant sah, daß d’Artagnan ernsthaft sprach.

Straße nach Vendome, antwortete er.

Und durch welches Tor sind sie entflohen?

Durch das Tor von Saint-Maur.

Wenn du mich täuschest, Elender, sprach d’Artagnan, so wirst du morgen gehenkt.

Und wenn Ihr sie einholt, so kommt Ihr nicht wieder, um mich hängen zu lassen.

D’Artagnan zuckte die Achseln, machte seiner Eskorte ein Zeichen und ritt weiter.

Hier durch, meine Herren, hier durch, rief er und wandte sich nach dem Tor des bezeichneten Parkes.

Aber nun, da der Herzog entkommen war, hatte es der Torwächter für geeignet erachtet, das Tor doppelt zu verschließen. Man mußte ihn zwingen, es zu öffnen, wie man den Sergeanten gezwungen hatte, und dadurch gingen wieder zehn Minuten verloren.

Als das letzte Hindernis überwunden war, setzte die Truppe ihren Ritt mit derselben Geschwindigkeit fort. Doch nicht alle Pferde bewährten sich gleich gut; einige konnten den zügellosen Lauf nicht lange aushalten. Drei hielten nach einer Stunde inne; eines fiel.

D’Artagnan, der den Kopf nicht umwandte, bemerkte es nicht einmal. Porthos sagte es ihm mit ruhiger Miene.

Wenn wir nur zu zwei ankommen, erwiderte d’Artagnan, das genügt, da sie nur zu vier sind.

Das ist wahr, sprach Porthos. Und er stieß seinem Pferde wieder die Sporen in den Bauch.

Nach zwei Stunden hatten die Pferde zwölf Meilen, ohne anzuhalten, zurückgelegt. Ihre Beine fingen an zu zittern, und der Schaum, den sie schnaubten, befleckte die Wämser der Reiter, während der Schweiß durch ihre Hosen drang.

Ruhen wir einen Augenblick, um die unglücklichen Tiere Atem holen zu lassen, sagte Porthos.

Nein, reiten wir sie zu Tode, rief d’Artagnan, und erreichen so das Ziel. Ich sehe frische Spuren; erst vor einer Viertelstunde sind sie hier vorübergekommen.

Die Oberfläche der Straße war wirklich von Pferdehufen zerstampft, wie man bei den letzten Strahlen der Sonne bemerkte.

Sie setzten sich wieder in Marsch; aber nach zwei Meilen stürzte das Pferd Mousquetons.

Gut! sprach Porthos, Phöbus ist verloren. – Der Kardinal wird ihn mit tausend Pistolen bezahlen. – O, rief Porthos, darüber bin ich weg. – Reiten wir vorwärts und das im Galopp, – ja, wenn wir können.

D’Artagnans Pferd weigerte sich tatsächlich, weiterzugehen; es atmete nicht mehr. Ein letzter Spornstreich ließ es zusammenbrechen.

Ah, Teufel, sagte Porthos, Vulkan ist verschlagen.

Mord und Teufel! schrie d’Artagnan und faßte sich mit der Faust bei den Haaren. Man soll also hier stille halten! Gebt mir Euer Pferd, Porthos. Doch, was zum Teufel macht Ihr?

Bei Gott! ich falle, erwiderte Porthos, oder vielmehr Bayard bricht zusammen.

D’Artagnan wollte das Pferd zum Aufstehen bringen, während sich Porthos, so gut er konnte, aus den Steigbügeln zog; aber er bemerkte, daß dem Tiere das Blut aus den Nüstern schoß.

Drei sind hin! sagte er. Nun ist alles vorbei!

In diesem Augenblick ließ sich ein Wiehern vernehmen.

Stille! sprach d’Artagnan. – Was gibt es? – Ich höre ein Pferd. – Es ist das eines unserer Kameraden, die uns einzuholen suchen. – Nein, versetzte d’Artagnan, es ist voraus. – Dann ist es etwas anderes, sprach Porthos, und er horchte ebenfalls, das Ohr in der von d’Artagnan angegebenen Richtung vorstreckend.

Gnädiger Herr, sagte Mousqueton, der, nachdem er sein Pferd auf der Straße zurückgelassen hatte, seinen Herrn zu Fuß einholte, gnädiger Herr, Phöbus konnte nicht wieder stehen, und…

Stille doch, versetzte Porthos.

In diesem Augenblick drang wirklich ein zweites Gewieher, von dem Nachtwind herbeigetragen, zu der kleinen Gruppe.

Es ist fünfhundert Schritte von hier! Vorwärts! rief d’Artagnan. – In der Tat, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, fünfhundert Schritte von uns liegt ein kleines Jägerhaus. – Mousqueton, deine Pistolen! – Ich habe sie in der Hand. – Porthos, nehmt die Eurigen aus Euern Halftern. – Ich habe sie. – Gut, sprach d’Artagnan, indem ei ebenfalls nach den seinigen griff. – Ihr versteht nun Porthos? – Nicht ganz. – Wir reisen im Dienste des Königs. – Nun? – Für den Dienst des Königs verlangen wir diese Pferde. – So ist es, sprach Porthos. – Darum kein Wort mehr und ans Werk!

Alle drei rückten in der Nacht schweigsam wie Gespenster vor. An einer Wendung der Straße sahen sie ein Licht mitten unter Bäumen glänzen.

Hier ist das Hans, sprach d’Artagnan ganz leise; laßt mich gewähren, Porthos, und macht es mir nach.

Sie schlichen von Baum zu Baum und gelangten, ohne gesehen zu werden, bis auf zwanzig Schritte zu dem Hause. In dieser Entfernung erblickten sie beim Scheine einer unter einem Schuppen hängenden Laterne vier stattliche Pferde. Ein Knecht striegelte sie. Neben ihm lagen ihre Sättel und Zäume.

D’Artagnan näherte sich rasch und machte dabei seinen zwei Gefährten ein Zeichen, sich einige Schritte hinter ihm zu halten.

Ich kaufe diese Pferde, sagte er zu dem Knecht.

Dieser wandte sich erstaunt um, jedoch ohne etwas zu sprechen.

Hast du nicht gehört, Bursche? versetzte d’Artagnan. – Allerdings, erwiderte er. – Warum antwortest du nicht? – Weil diese Pferde nicht zu verkaufen find. – Dann nehme ich sie. Und er legte die Hand an das, welches in seinem Bereiche war. Seine Gefährten erschienen in diesem Augenblick und taten dasselbe.

Aber, meine Herren, rief der Lakai, sie haben eine Strecke von sechs Meilen zurückgelegt und sind kaum eine halbe Stunde abgesattelt.

Eine halbe Stunde Ruhe genügt, versetzte d’Artagnan, und sie sind dann nur um so besser im Atem.

Der Knecht rief um Hilfe.

Eine Art von Verwalter kam gerade in dem Augenblick heraus, wo d’Artagnan und seine Genossen den Pferden die Sättel auf den Rücken legten.

Der Verwalter wollte Lärm machen.

Mein lieber Freund, sagte d’Artagnan, wenn Ihr ein Wort sprecht, schieße ich Euch zusammen.

Und er zeigte ihm den Lauf einer Pistole, die er sogleich wieder unter seinen Arm steckte, um sein Geschäft fortzusetzen.

Aber mein Herr, sagte der Verwalter, wißt Ihr, daß diese Pferde dem Herrn von Montbazon gehören?

Desto besser, erwiderte d’Artagnan, es müssen gute Tiere sein!

Herr, sprach der Verwalter, während er Schritt für Schritt zurückwich und die Tür zu erreichen suchte, ich sage Euch, daß ich meine Leute rufe.

Und ich die meinigen, antwortete d’Artagnan, ich bin Leutnant bei den Musketieren des Königs, habe zehn Wachen, die mir folgen, und Ihr … holt … hört Ihr sie galoppieren? Wir wollen doch sehen! Seid Ihr fertig. Porthos? fuhr er fort. – Ich bin fertig. – Und Ihr, Mouston? – Ich auch. – Dann zu Pferde und vorwärts!

Alle drei schwangen sich auf ihre Rosse.

Herbei! rief der Verwalter. Herbei, Bediente, und die Karabiner heraus!

Vorwärts! sprach d’Artagnan; es könnte hier Musketenfeuer geben.

Und alle drei ritten wie der Wind davon.

Zu Hilfe! brüllte der Verwalter, während der Knecht nach dem benachbarten Hause lief.

Hütet Euch, Eure Pferde zu töten! rief d’Artagnan und brach in ein schallendes Gelächter aus.

Feuer! antwortete der Verwalter.

Ein Schimmer, dem eines Blitzes ähnlich, beleuchtete den Weg, und zu gleicher Zeit mit dem Knalle hörten die drei Reiter die Kugeln Pfeifen, welche sich in der Luft verloren.

Sie schießen wie Bedientenvolk, sagte Porthos; zur Zeit des Kardinals von Richelieu schoß man besser. Erinnert Ihr Euch der Straße nach Grevecoeur, Mousqueton? – Ja, gnädiger Herr, die rechte Hinterbacke tut mir noch weh.

– Wißt Ihr gewiß, daß wir auf der Spur sind, d’Artagnan? fragte Porthos. – Bei Gott! habt Ihr denn nicht gehört? Was? – Daß diese Pferde Herrn von Montbazon gehören?

– Nun! Herr von Montbazon ist der Gatte der Frau von Montzabon. – Weiter? – Und Frau von Montzabon ist die Geliebte des Herrn von Beaufort. – Ah, ich? begreife, sagte Porthos, sie hatte Relais gelegt. – Richtig. – Und wir eilen dem Herzog mit den Pferden nach, die er zurückgelassen hat. – Mein lieber Porthos, Ihr besitzt wirklich einen erhabenen Verstand, sprach d’Artagnan mit seiner halb süßen, halb sauren Miene. – Bah! sagte Porthos, wie ich bin, so bin ich.

So ritt man eine Stunde, die Pferde waren weiß vom Schaum, und das Blut floß ihnen vom Bauch.

He! was habe ich da unten gesehen? sagte d’Artagnan. – Ihr seid sehr glücklich, wenn Ihr in einer solchen Nacht etwas seht! versetzte Porthos. – Funken! – Ich habe sie auch gesehen, sprach Mousqueton. – Ah, ah! sollten wir sie eingeholt haben? – Gut, ein totes Pferd, sagte d’Artagnan, indem er sein Roß von einer Wendung zurücklenkte, die es gemacht hatte. Es scheint, sie sind auch mit ihrem Atem zu Ende. – Es kommt mir vor, als hörte ich das Geräusch einer Truppe von Reitern, sprach Porthos, auf die Mähne seines Pferdes vorgebeugt. – Unmöglich; sie sind zahlreich. Dann ist es etwas anderes. – Noch ein Pferd, sagte Porthos. – Tot? – Nein, verendend. – Gesattelt oder abgesattelt? – Gesattelt. – Dann sind sie es! – Mut! Wir haben sie! – Aber sie sind zahlreich, sprach Mousqueton. Wir haben sie nicht, sondern sie haben uns. – Bah, versetzte d’Artagnan, sie werden uns für stärker halten, da wir sie verfolgen; dann werden sie Furcht bekommen, und wir werden sie zerstreuen. – Das ist sicher, sagte Porthos. –, Ah! seht Ihr! rief d’Artagnan. – Ja, abermals Funken. Diesmal habe ich sie auch wahrgenommen, sprach Porthos. – Vorwärts, vorwärts! sagte d’Artagnan mit seiner scharfen Stimme, und in fünf Minuten werden wir lachen.

Und sie jagten abermals fort. Wütend vor Schmerz, flogen die Pferde auf der finstern Landstraße hin, auf deren Mitte man eine Masse, düsterer, dunkler, als der übrige Horizont, zu erblicken anfing.