34. Kapitel

Worin die Novelle vom törichten Vorwitz fortgesetzt wird

Wie man zu sagen pflegt, daß ein Heer ohne seinen Feldherrn und eine Burg ohne ihren Burgvogt einen schlechten Eindruck machen, so sage ich: ohne ihren Gatten macht eine jugendliche Ehefrau noch einen viel schlimmern Eindruck, wenn nicht die zwingendsten Gründe dies verhindern. Ich finde mich in so übler Lage ohne Euch und so außerstande, diese Abwesenheit zu ertragen, daß, wenn Ihr nicht schleunig kommt, ich gehen muß, um im Hause meiner Eltern zu leben, ob ich auch das Eure ohne Hüter lasse. Denn der Hüter, den Ihr mir zurückgelassen, falls er nämlich in dieser Eigenschaft bei uns geblieben, der, glaube ich, hat mehr sein eigenes Gelüsten im Auge, als was Euch angeht. Und da Ihr ein verständiger Mann seid, habe ich Euch nicht mehr zu sagen, und es wäre auch nicht einmal gut, wenn ich Euch mehr sagte.

Diesen Brief empfing Anselmo, und er ersah daraus, daß Lotario bereits das Unternehmen begonnen und daß Camila geantwortet haben mußte, wie er es wünschte, und über die Maßen vergnügt ob solcher Nachrichten, sandte er an Camila mündliche Antwort, sie möge wegen ihrer Wohnung durchaus keine Änderung treffen; denn er werde in aller Kürze zurückkehren. Camila war erstaunt über Anselmos Antwort, die sie in noch größere Verlegenheit als zuvor setzte. Sie getraute sich nicht, in ihrem Hause zu bleiben, und noch weniger, in das ihrer Eltern zu ziehen; denn beim Dableiben lief ihre Ehre Gefahr, und beim Wegziehen handelte sie gegen das Gebot ihres Gatten. Endlich entschloß sie sich zu dem, was gerade zum Schlimmsten für sie ausschlug, nämlich zu bleiben, mit dem Vorsatz, Lotarios Gegenwart nicht zu meiden, weil sie ihren Dienern keinen Anlaß zum Gerede geben wollte. Und schon tat es ihr leid, ihrem Gatten den erwähnten Brief geschrieben zu haben, da sie befürchtete, er möchte etwa denken, Lotario habe irgendeine Leichtfertigkeit in ihrem Benehmen bemerkt, die ihn veranlaßt hätte, ihr gegenüber nicht die Achtung zu bewahren, die er ihr schuldete. Aber ihrer Tugend sich bewußt, verließ sie sich auf Gott und ihren redlichen Sinn und hielt sich damit für stark genug, um allem, was Lotario ihr sagen möchte, schweigend zu widerstehen, ohne ihrem Gatten weitere Mitteilung zu machen, um ihn nicht in Händel und Widerwärtigkeiten zu verwickeln. Ja, bereits sann sie auf ein Mittel, wie sie Lotario bei Anselmo entschuldigen könne, wenn dieser sie fragen sollte, warum sie ihm jenen Brief geschrieben habe.

In diesen Gedanken, die freilich mehr ehrenhaft als verständig und zu ihrem Besten waren, saß sie des folgenden Tages da und hörte Lotario an, welcher diesmal so in sie drang, daß Camilas Festigkeit zu wanken begann, und Ihre Sittsamkeit hatte genug zu tun, um die Augen zu hüten, daß sie das zärtliche Mitleid nicht verrieten, welches Lotarios Worte und Tränen in ihrem Busen geweckt hatten. All dies bemerkte Lotario wohl, und alles versetzte ihn in noch heißere Glut. Nun aber bedünkte es ihn unerläßlich, solange noch Anselmos Abwesenheit ihm Zeit und Gelegenheit vergönne, die Belagerung dieser Feste mit größerem Nachdruck zu betreiben, und so eröffnete er mit Lobreden auf ihre Schönheit seinen Angriff auf ihre Eigenliebe. Denn es gibt nichts auf Erden, was die umschanzten Türme weiblicher Eitelkeit rascher überwältigt und beseitigt als diese Eitelkeit selbst, wenn sie sich auf die Sprache der Schmeichelei stützt. Kurz, Lotario untergrub mit aller Kunst und Unermüdlichkeit den Fels ihrer keuschen Tugend mittels solcher Minierarbeiten, daß Camila, wäre sie auch ganz von Erz gewesen, hätte fallen müssen. Er weinte, flehte, verhieß, schmeichelte, drängte beharrlich und log mit so heißem Gefühl, mit so viel Zeichen der Aufrichtigkeit, daß er Camilas Sittsamkeit zum Scheitern brachte und endlich einen Triumph errang, den er am wenigsten erhofft und am meisten ersehnt hatte. Camila ergab sich, Camila fiel: aber was Wunder, da ja auch Lotarios Freundschaft nicht standhielt? Ein deutliches Beispiel, das uns zeigt, daß man die Leidenschaft der Liebe nur besiegen kann, wenn man vor ihr die Flucht ergreift, und daß niemand gegen einen so machtvollen Feind den Kampf wagen kann, dessen wenn auch nur menschliche Kräfte zu besiegen man göttlicher Kräfte bedarf.

Leonela allein erfuhr von der Schwäche ihrer Herrin; denn sie ihr zu verbergen war den Verrätern an der Freundschaft, dem neuen Liebespaar, nicht möglich. Lotario mochte Camila den Plan Anselmos nicht anvertrauen; und daß jener selbst ihm die Gelegenheit verschafft habe, so weit zu gelangen, mochte er ihr ebensowenig sagen, damit sie seine Liebe nicht geringer schätze und damit sie glaube, daß er nur aus zufälligem Anlaß und ohne überlegte Absicht, nicht aber mit Vorbedacht sich um ihre Gunst beworben habe.

Nach wenig Tagen kehrte Anselmo nach Hause zurück und ward nicht inne, was jetzt in demselben fehle, nämlich worauf er am wenigsten gehalten und was er doch am höchsten geschätzt hatte. Er suchte sogleich Lotario auf und fand ihn in dessen Wohnung; sie umarmten einander, und Anselmo verlangte von ihm Kunde, ob ihm Leben oder Tod beschieden sei.

»Die Kunde, die ich dir geben kann, mein Freund Anselmo«, sprach Lotario, »ist die, daß du ein Weib hast, das verdient, Beispiel und Krone aller tugendhaften Frauen genannt zu werden. Die Worte, die ich an sie gerichtet, waren in den Wind gesprochen; meine Anerbietungen wurden verschmäht; die Geschenke wurden nicht angenommen; ein paar erheuchelte Tränen, die ich vergoß, wurden ganz gehörig verspottet. Kurz, so wie Camila der Inbegriff aller Schönheit ist, so ist sie auch der Juwelenschrein, worin die Sittsamkeit verwahrt ist, worin die Liebenswürdigkeit und Keuschheit ruhen wie auch alle anderen Tugenden, die ein ehrenhaftes Weib preisenswert und glücklich machen können. Nimm dein Geld wieder, Freund, ich hatte nicht nötig, es anzurühren; denn Camilas unnahbare Tugend läßt sich nicht von niedrigen Dingen wie Geschenken und Versprechungen besiegen. Sei zufrieden, Anselmo, und begehre nicht noch mehr Proben als die bisherigen; und da du trockenen Fußes durch das Meer der schweren Quälereien und argwöhnischen Zweifel gegangen, die man um der Frauen willen so oft erleidet, so wage dich nicht abermals in die tiefe See neuer Widerwärtigkeiten, erprobe nicht mit einem anderen Lotsen die Güte und Festigkeit des Schiffes, das dir der Himmel zugeteilt hat, um an dessen Bord das Meer dieses Lebens zu befahren. Sei vielmehr überzeugt, daß du schon im sicheren Hafen bist, lege dich fest vor dem Anker besonnener Erwägung und bleibe ungestört da liegen, bis man dir dereinst den Zoll abfordert, von dem uns kein Adel der Welt jemals befreien kann.«

Anselmo war höchst glücklich über Lotarios Worte und glaubte ihnen wie einem Orakelspruch. Allein trotzdem bat er ihn, das Unternehmen nicht aufzugeben, wäre es auch nur aus Neugier und um der Unterhaltung willen; wiewohl er inskünftig nicht mehr so nachdrückliche Bemühungen aufzuwenden brauche. Er wünsche nur noch, daß er ihr unter dem Namen Chloris einige Verse zu ihrem Lobe schreibe; er selbst werde ihr mitteilen, Lotario sei in eine Dame verliebt, der er den Namen Chloris beigelegt habe, um mit dem Anstand, den man ihrer Tugend schuldig sei, sie besingen zu können. Und wenn Lotario sich nicht die Mühe geben wolle, die Verse zu schreiben, so würde er selbst sie dichten.

»Das wird nicht erforderlich sein«, sprach Lotario, »denn so feindlich sind mir die Musen nicht, daß sie mich nicht etliche Stunden des Jahres besuchen sollten. Erzähle du nur Camila, was du mir soeben von meiner angeblichen Liebschaft gesagt hast; die Verse werde ich schon schreiben, und wenn nicht so vortrefflich, wie es der Gegenstand verdient, doch wenigstens so gut es mir möglich ist.«

Bei dieser Verabredung blieb es zwischen dem vorwitzigen und dem verräterischen Freunde; und als Anselmo nach Hause zurückgekommen, richtete er an Camila eine Frage, die sie längst erwartet und über deren Ausbleiben sie sich sehr gewundert hatte: nämlich aus welcher Veranlassung sie ihm jenen Brief geschrieben habe.

Camila antwortete, sie habe den Eindruck gehabt, daß Lotario sie etwas freier ansehe als während Anselmos Anwesenheit im Hause; sie sei aber schon ihres Irrtums gewahr geworden und glaube, es sei lediglich eine Einbildung von ihr gewesen, weil Lotario bereits vermeide, sie zu besuchen und mit ihr allein zu sein.

Anselmo entgegnete ihr, sie könne ganz sicher sein, daß ihr Verdacht unbegründet sei; denn Lotario liebe ein vornehmes Fräulein in der Stadt, die er unter dem Namen Chloris besinge; wenn es aber auch nicht so wäre, so sei bei der Redlichkeit Lotarios und der innigen Freundschaft zwischen ihnen beiden nichts zu befürchten.

Indessen, wenn Camila nicht von Lotario erfahren hätte, daß jenes Liebesverhältnis zu Chloris bloß erfunden sei und daß er es seinem Freunde Anselmo nur erzählt habe, um ein paar Augenblicke dem Lobe Camilas selbst widmen zu können, so wäre diese ohne Zweifel in das verzweiflungsvolle Netz der Eifersucht geraten. Sie war jedoch schon vorbereitet, und so kam sie ohne Kummer über den Schreck hinaus.

Am folgenden Tage, als alle drei bei Tische saßen, bat Anselmo seinen Freund, ihnen einiges von dem vorzutragen, was er für seine geliebte Chloris gedichtet habe, zu deren Lob er, da Camila sie nicht kenne, gewiß alles vorbringen dürfe, was ihm beliebe.

»Wenn Camila sie auch kennte«, erwiderte Lotario, »würde ich nichts verschweigen; denn wenn ein Verliebter seine Dame als schön preist und sie als grausam tadelt, so tut er damit ihrem guten Rufe keinen Eintrag. Indessen, es sei dem, wie ihm wolle; was ich sagen darf, ist, daß ich gestern auf Chloris‘ Undankbarkeit ein Sonett geschrieben habe, das also lautet:

In stiller Ruh der Nacht, wenn mit Behagen
Am holden Schlaf die Sterblichen sich weiden,
Die arme Summe meiner reichen Leiden
Will ich dem Himmel dann und Chloris sagen.

Und wenn die Sonn, das Weltall zu durchjagen,
Eilt, aus des Ostens Rosentor zu scheiden,
Mit Qualen dann, die sich in Seufzer kleiden,
Erneu ich meiner Sehnsucht alte Klagen.

Wenn dann die Sonne senkrecht ihre Strahlen
Zur Erde schickt von ihrem Sternenthrone,
So kommen Tränen schmerzlicher geflossen.

Und kehrt die Nacht, so kehren meine Qualen,
Und immer find ich, meiner Treu zum Lohne,
Den Himmel taub und Chloris‘ Ohr verschlossen.«

Das Sonett gefiel Camila, aber noch mehr gefiel es Anselmo; er lobte es und behauptete, die Dame sei allzu grausam, die für so wahre Empfindungen kein Mitgefühl zeige.

Darauf bemerkte Camila: »So soll also alles, was verliebte Dichter sagen, wahr sein?«

»Insofern sie Dichter sind, reden sie nicht wahr«, entgegnete Lotario; »aber insofern sie Verliebte sind, bleiben sie doch noch immer hinter der Wahrheit zurück.«

»Daran ist nicht zu zweifeln«, versetzte Anselmo – alles nur, um die Wünsche Lotarios bei Camila zu unterstützen und ihnen mehr Geltung zu verschaffen. Camila aber hatte um so weniger acht auf Anselmos Kunstgriff, je mehr ihre Liebe bereits Lotario gehörte; und da sie an allem ihre Freude hatte, was von Lotario herrührte, und da sie überzeugt war, daß seine Wünsche und Verse nur sie zum Ziele hatten und daß sie die wahre Chloris sei, bat sie ihn, wenn er noch ein Sonett oder andere Verse auswendig wisse, möchte er sie vortragen.

»Allerdings weiß ich noch ein Sonett«, entgegnete Lotario, »aber ich glaube nicht, daß es so gut, oder richtiger gesagt, nicht weniger schlecht als das erste ist; und ihr werdet das sofort beurteilen können, denn es lautet so;

Ich sterb – und glaubst du nicht, daß es geschehe,
Wird um so sichrer Todes Band mich binden;
Und dir zu Füßen soll mein Leben schwinden,
Eh ich bereu der Liebe göttlich Wehe.

Wenn ich in des Vergessens Reich mich sehe,
Um sterbend noch im Elend mich zu winden,
Reißt mir die Brust auf! Leicht wird es sich finden,
Ob drin dein Antlitz als Altarbild stehe.

Dies Heiltum, ich verwahr es für die Stunde
Der letzten Not, mit der dein streng Gebaren
Und dein Verschmähen meine Treue strafen.

Weh dem, der unter düstrem Himmelsrunde
Durch fremde Meere, durch des Wegs Gefahren
Hinschifft, wo kein Polarstern winkt, kein Hafen!«

Auch dies zweite Sonett lobte Anselmo wie schon vorher das erste, und so fügte er Glied auf Glied zu der Kette, die seine Ehre umstrickte und in Bande schlug. Denn während Lotario ihm die Ehre am tiefsten verwundete, schmeichelte er ihm, daß sie am höchsten glänze, und jede Stufe, die Camila tiefer zum Abgrund der Unwürdigkeit hinabstieg, erschien ihrem Gatten als eine Staffel hinauf zum Gipfel der Tugend und des guten Rufs.

Unterdessen geschah es, daß Camila, als sie sich einmal, wie dies öfter vorkam, mit ihrer Zofe allein befand, zu ihr sprach: »Ich bin beschämt, liebe Leonela, wenn ich bedenke, wie wenig ich es verstanden habe, mich in Achtung zu setzen, da ich mich Lotario aus freiem Willen so rasch hingegeben und ihn meinen Besitz nicht wenigstens durch langes Warten erkaufen ließ. Ich fürchte, er wird meine Übereilung oder vielmehr meinen Leichtsinn mißachten und nicht daran denken, mit welcher Gewalt er mich bedrängte, um mir den Widerstand unmöglich zu machen.«

»Das darf meiner Gebieterin keinen Kummer machen«, entgegnete Leonela, »denn es hat nichts zu bedeuten und ist kein Grund, die Hochachtung zu mindern, wenn man rasch gibt, was man geben will, falls die Gabe nur wirklich vortrefflich und an sich schätzbar ist. Auch pflegt man zu sagen, wer gleich gibt, gibt doppelt.«

»Aber«, versetzte Camila, »man sagt auch: was wenig kostet, wird um so weniger geschätzt.«

»Dies Wort paßt aber hier nicht«, erwiderte Leonela, »denn die Liebe, wie ich sagen hörte, fliegt das eine Mal, das andere Mal geht sie zu Fuß; bei dem einen läuft sie, bei dem andern schleicht sie langsam; den einen macht sie kühl, den anderen setzt sie in Glut; dem einen schlägt sie Wunden, den anderen trifft sie zu Tode. In einem Augenblick beginnt sie die Laufbahn ihrer Wünsche, und im nämlichen Augenblick hat sie sie schon durcheilt und beendet. Am Morgen eröffnet sie die Belagerung einer Feste, am Abend hat sie sie überwältigt; denn es gibt keine Gewalt, die der Liebe widersteht. Und da das nun einmal so ist, worüber beunruhigt Ihr Euch, was befürchtet Ihr, da es doch Eurem Lotario ganz ebenso ergangen sein muß, als die Liebe die Abwesenheit unseres Herrn zum Werkzeug Eurer Besiegung erkor? Und es war unumgänglich, daß während dieser Abwesenheit zu Ende geführt wurde, was die Liebe beschlossen hatte, und daß Ihr nicht so lange die Zeit verlort, bis Anselmo sie gewann, um zurückkehren zu können, und alsdann infolge seiner Anwesenheit das Werk unvollendet geblieben wäre. Denn die Liebe hat keinen bessern Helfer, um ihre Anschläge auszuführen, als die Gelegenheit. Der Gelegenheit bedient sie sich bei all ihrem Tun, besonders zu Anfang. All dieses weiß ich gründlich, mehr aus eigner Erfahrung als vom Hörensagen, und das werde ich Euch schon einmal erzählen, Señora; denn auch ich bin von jugendlichem Fleisch und Blut. Überdies, Señora Camila, habt Ihr Euch ihm nicht so unverzüglich ergeben und übereignet, daß Ihr nicht vorher in Lotarios Augen, Seufzern, Worten und Verheißungen und Geschenken seine ganze Seele erkannt und in ihr und in seinen Tugenden ersehen hättet, wie würdig Lotario war, geliebt zu werden. Da dem nun so ist, so laßt Euer Herz nicht durch solche zimperlichen und ängstlichen Gedanken beunruhigen, sondern seid versichert, daß Lotario Euch hochschätzt, wie Ihr ihn hochschätzet, und lebet froh und zufrieden damit, daß, wenn Ihr auch ins Liebesgarn gefallen seid, der Mann, der Euch gefangenhält, von hohem Wert und achtungswürdig ist und daß er nicht nur die vier S hat, die, wie es heißt, jeder richtige Liebhaber zu eigen haben muß, sondern auch das ganze Abc. Wißt Ihr das nicht, so hört mir zu. Ihr sollt sehen, wie ich dies auswendig hersage. Lotario ist also, soviel ich ersehe und wie ich glaube: aufrichtig, bieder, chevaleresk, dienstwillig, edel von Geburt, freigebig, großmütig, hochherzig, inbrünstig, jung, klug, liebevoll, mutig, nachsichtig, offenherzig, pflichtgetreu; das Q fehlt, weil es quer ist; reich; dann, was die vier S besagen, nämlich scharfsinnig, standhaft, sorgfältig, schweigsam, und das X paßt nicht auf ihn, es ist ein harter, altmodischer Buchstabe; das Y haben wir nicht, und das Z heißt zornmütig, wenn es Eure Ehre gilt.«

Camila lachte über das Abc ihrer Zofe und hielt sie für noch erfahrener in Liebessachen, als sie sagte; und das gestand Leonela selber ein, indem sie Camila entdeckte, sie habe eine Liebschaft mit einem jungen Mann von gutem Hause aus derselben Stadt. Camila geriet darob in Bestürzung; sie fürchtete, dies werde der Weg sein, auf dem ihre eigene Ehre Gefahr laufen könne. Sie drang in sie mit Fragen, ob ihr Verhältnis weiter gehe als auf bloße Worte. Leonela antwortete ihr, ohne sich sonderlich zu schämen, vielmehr mit um so größerer Dreistigkeit, es gehe allerdings weiter. Denn es ist feststehende Tatsache, daß die Verirrungen der Gebieterin den Dienerinnen das Schamgefühl benehmen und daß diese, sobald sie die Frau straucheln sehen, sich nichts daraus machen, wenn sie selber hinken und die Frau es weiß.

Camila konnte nichts andres tun als das Mädchen bitten, von ihrem Liebesverhältnis dem Manne nichts zu sagen, den es als seinen Geliebten angab, und seine eignen Angelegenheiten geheim zu betreiben, damit sie weder zu Anselmos noch Lotarios Kenntnis kämen.

Leonela versprach ihr dies, hielt jedoch ihr Versprechen auf solche Weise, daß sie Camilas Besorgnis, ihren guten Ruf durch die Zofe einzubüßen, zur Gewißheit machte. Sobald nämlich die sittenlose und dreiste Leonela sah, daß das Betragen ihrer Herrin ein andres war, als bisher gewohnt, erfrechte sie sich, ihren Geliebten ins Haus zu bringen und darin zu hegen, indem sie sich darauf verließ, daß Camila, wenn sie ihn auch zu Gesicht bekäme, nicht wagen würde, ihn zu verraten. Denn diesen argen Nachteil unter andern ziehen die Sünden der Gebieterin nach sich, daß sie sich zur Sklavin ihrer eignen Dienerinnen macht und gezwungen ist, deren zuchtloses Betragen und Schändlichkeiten ihnen verbergen zu helfen. So geschah es mit Camila, welche, wiewohl sie einmal und vielmal sah, daß Leonela sich mit ihrem Geliebten in einem Zimmer ihres Hauses aufhielt, nicht nur nicht wagte, sie zu schelten, sondern ihr Gelegenheit verschaffte, ihn zu verstecken, und ihr alle Störungen aus dem Weg räumte, damit er nicht von ihrem Manne erblickt würde. Aber sie konnte doch nicht verhindern, daß Lotario ihn einmal bei Tagesanbruch herauskommen sah.

Lotario erkannte den Mann nicht; er glaubte zuerst, es müsse ein Gespenst sein. Aber als er sah, wie der Mann einherging, den Mantel um sich zog und sich sorgfältig und vorsichtig verhüllte, ließ er den kindischen Gedanken und verfiel auf einen andern, der ihnen allen zum Verderben gereicht hatte, wenn Camila nicht Rat geschafft hätte. Lotario fiel es nicht ein, daß dieser Mann, den er zu so ungewöhnlicher Stunde aus Anselmos Haus kommen gesehen, dieses um Leonelas willen betreten haben könnte; ja, es kam ihm nicht in den Sinn, daß Leonela auf der Welt war; er glaubte lediglich, daß Camila, geradeso, wie sie ihm gegenüber nachgiebig und leichtsinnig gewesen, es auch für einen andern sei. Denn derartige Folgen zieht die Sünde des sündhaften Weibes nach sich, daß sie das Vertrauen auf ihr Ehrgefühl bei dem nämlichen Mann nicht mehr findet, dem sie sich, von Bitten gedrängt und überredet, hingegeben hat, und daß er nicht zweifelt, sie gebe sich noch bereitwilliger andern hin, und daß er jedem Verdachte, der ihn darob befällt, unfehlbar Glauben schenkt. Und es mußte Lotario wirklich in diesem Augenblick allen gesunden Menschenverstand eingebüßt haben; es mußte aus seinem Geiste jeder vernünftige Gedanke gewichen sein; denn ohne daß er einen solchen zu fassen vermochte, der zweckmäßig oder auch nur vernünftig gewesen wäre – ohne sich zu besinnen, ja ehe noch Anselmo aufgestanden war, unfähig, sich zu zügeln, und blind vor eifersüchtiger Wut, die ihm das Herz zernagte, sterbend vor Begierde, sich an Camila zu rächen, die ihn doch mit nichts beleidigt hatte, eilte er zu seinem Freunde und sprach zu ihm: »Wisse, Anselmo, daß ich seit vielen Tagen schon mit mir gekämpft und mir Gewalt angetan habe, um dir nicht mitzuteilen, was ich nicht vermag noch recht finde, dir länger zu verbergen. Wisse, daß Camilas Standhaftigkeit bereits besiegt ist und sie sich allem hingibt, was ich mit ihr anfangen will; und wenn ich gezögert habe, dir diese Tatsache zu offenbaren, so geschah es, um zu erforschen, ob es wirklich eine leichtfertige Begierde bei ihr war oder ob sie es tat, um mich auf die Probe zu stellen und zu erfahren, ob der Liebeshandel mit ernstlicher Absicht unternommen sei, den ich auf deinen Wunsch hin mit ihr begonnen. So glaubte ich auch, wenn sie die tugendhafte Frau wäre, die sie sein sollte und für welche wir beide sie hielten, sie würde dir bereits Kunde von meiner Liebeswerbung gegeben haben. Allein, da ich gesehen, daß sie zögert, erkenne ich, daß die Zusagen, die sie mir gegeben, ernst gemeint sind, nämlich sie wolle, wenn du wieder einmal von Hause entfernt bist, mich in der Kammer sprechen, wo deine Sachen aufbewahrt sind« – und es verhielt sich wirklich so, daß Camila ihn dort zu treffen pflegte. »Ich will aber nicht, daß du übereilt auf Rache ausgehst, denn die Sünde ist noch nicht begangen außer in Gedanken, und es könnte ja sein, daß von diesem Augenblick bis zu dem, wo der Gedanke zur Tat würde, er sich bei Camila änderte und an seiner Stelle die Reue wach würde. Und sonach, da du bisher stets in allem oder doch in vielem meinen Rat befolgt hast, so befolge auch den, den ich dir jetzt eröffnen will, damit du ohne Täuschung und mit peinlicher Überlegung mit dir einig wirst, was das Zuträglichste in der Sache ist. Gib vor, du entferntest dich auf zwei oder drei Tage, wie du sonst manchmal zu tun pflegst, und richte es so ein, daß du in deiner Gerätekammer versteckt bleibst. Die Teppiche, die dort hängen, und noch andre Sachen, hinter denen du dich verbergen kannst, bieten dir alle Bequemlichkeit dazu. Dann wirst du mit deinen eignen Augen und ich mit den meinigen sehen, was Camila will. Und wenn es das Schlechte ist, was man eher fürchten als erwarten muß, dann kannst du in der Stille, mit Umsicht und Klugheit, der Strafrichter deiner Schmach sein.«

Betäubt, voll Staunen und Verwunderung, stand Anselmo da bei Lotarios Worten; denn sie überraschten ihn zu einer Zeit, wo er sie am wenigsten erwartete, weil er Camila bereits für die Siegerin über Lotarios Scheinangriffe hielt und bereits die Glorie des Sieges zu genießen begann. Er blieb geraume Zeit in Schweigen versunken, starrte auf den Boden, ohne mit den Wimpern zu zucken, und endlich sagte er: »Du hast gehandelt, Lotario, wie ich es von deiner Freundschaft erwartete; tue, was du willst, und beobachte hierbei eine solche Verschwiegenheit, wie sie, du siehst es wohl ein, in einem so unvermuteten Falle sich gebührt.«

Lotario versprach es ihm, und als er Anselmo verließ, reute ihn bereits alles, was er ihm gesagt hatte; er sah ein, wie albern er gehandelt, da er sich ja an Camila hätte rächen können, ohne einen so grausamen und schimpflichen Weg zu wählen. Er verwünschte seine Unvernunft, schalt seinen leichtsinnigen Entschluß und wußte nicht, wie er es anfangen sollte, das Geschehene ungeschehen zu machen oder der Sache einen erträglichen Ausgang zu verschaffen. Endlich ward er mit sich eins, Camila alles mitzuteilen, und da die Gelegenheit hierzu nicht fehlte, so traf er Camila noch desselben Tages allein. Sobald sie sah, daß sie ungestört mit ihm sprechen konnte, sagte sie zu ihm: »Wisset, Freund Lotario, daß ich einen Kummer im Herzen habe, der mir es so schwer drückt, daß es mich bedünkt, es wolle in der Brust zerspringen, und es wäre ein Wunder, wenn es das nicht tut, da Leonelas Unverschämtheit so weit gekommen ist, daß sie jede Nacht einen Liebhaber in unser Haus einläßt und bis zum Tage mit ihm zusammenbleibt. Und dies geschieht auf Kosten meines guten Rufes, da jeder, der den Mann etwa zu ganz ungewöhnlicher Stunde aus meinem Hause kommen sieht, volle Freiheit hat, davon zu halten, was er will. Und was mich besonders quält, ist, daß ich sie weder bestrafen noch ausschelten kann; denn der Umstand, daß sie die Vertraute unsres Verhältnisses ist, hat meinem Munde einen Zaum angelegt, daß ich das ihrige verschweigen muß, und ich fürchte, daß daraus ein Unheil für uns entstehen kann.«

Bei den ersten Worten Camilas glaubte Lotario, es sei eine List, um ihm einzureden, daß der Mann, den er weggehen sah, nicht ihr, sondern Leonela angehöre; aber als er sah, wie sie weinte und tief bekümmert war und ihn um Hilfe bat, mußte er endlich der Wahrheit Glauben schenken, und mit dieser Überzeugung erreichte seine Beschämung und Reue über das Geschehene den äußersten Grad. Trotzdem erwiderte er Camila, sie solle unbekümmert sein, er werde Vorkehrung treffen, der Frechheit Leonelas Einhalt zu tun. Dann erzählte er ihr, was er, hingerissen von der wahnsinnigen Wut der Eifersucht, Anselmo gesagt habe und wie sie verabredet hätten, daß dieser sich in der Gerätekammer verbergen solle, um dort Zeuge ihrer Untreue zu sein. Er flehte Camila um Verzeihung an ob dieses verrückten Streichs und erbat sich ihren Rat, um ihn wiedergutzumachen und aus einem so verwickelten Labyrinth, in welches seine Unbesonnenheit ihn verlockt hatte, einen guten Ausgang zu gewinnen.

Camila war höchlich erschrocken, als sie Lotarios Erzählung vernahm, und mit großer Entrüstung und vielen und verständigen Worten schalt sie ihn und tadelte seinen argen Verdacht und den törichten, verwerflichen Entschluß, den er gefaßt habe. Wie jedoch das Weib von Natur weit mehr als der Mann die Anlage hat, für das Gute wie das Böse schleunigst den Weg zu finden, während dieser Vorzug ihr gebricht, wenn sie mit bewußter Absicht überlegen will, so fand Camila im Augenblick den Weg, um aus einer scheinbar so rettungslosen Lage Rettung zu schaffen. Sie sagte zu Lotario, er möge nur Anselmo veranlassen, sich am nächsten Tage an dem erwähnten Ort zu verstecken; denn gerade aus diesem Umstand, daß er sich verstecke, gedenke sie für sie beide das bequemste Mittel zu gewinnen, um künftighin sonder Angst und Schrecken sich miteinander vergnügen zu können. Und ohne ihm ihren Plan gänzlich zu offenbaren, bemerkte sie ihm nur, er solle wohl achthaben, wenn Anselmo versteckt sei, zu kommen, sobald Leonela ihn rufe, und auf alles, was sie ihm sagen würde, genauso antworten, wie wenn er nicht wüßte, daß Anselmo ihn höre.

Lotario drang in sie, ihm ihr Vorhaben vollständig mitzuteilen, damit er mit um so größerer Sicherheit und Vorsicht alles beobachte, was ihm notwendig erscheinen würde. »Ich sage Euch«, entgegnete Camila, »es ist weiter nichts nötig als dies eine, mir zu antworten, wie ich Euch fragen werde.«

Camila wollte ihm nämlich ihren Plan nicht vorher auseinandersetzen; weil sie besorgte, er möchte dem Entschlusse, der ihr so zweckmäßig erschien, nicht folgen wollen und lieber einen andern erwählen, der unmöglich so gut sein könnte.

So entfernte sich denn Lotario. Anselmo reiste am nächsten Tage ab unter dem Verwand, seinen Freund in dem bewußten Dorfe zu besuchen, und kehrte zurück, um sich zu verstecken, was er mit größter Bequemlichkeit tun konnte, da sie ihm absichtlich von Camila und Leonela verschafft wurde. In seinem Versteck also, mit jener entsetzlichen Angst, die etwa derjenige empfinden mag, der da erwartet, mit seinen eigenen Augen zuzuschauen, wie man das Innerste seiner Ehre zerschneiden und zerlegen wird, sah er sich jetzt auf dem Punkte, das höchste Gut zu verlieren, das er in seiner geliebten Camila zu besitzen glaubte.

Sobald Camila und Leonela sicher waren, daß Anselmo versteckt sei, traten sie in die Gerätekammer, und kaum hatte Camila den Fuß über die Schwelle gesetzt, als sie tief aufseufzte und sprach: »Ach, Leonela, meine Liebe, wäre es nicht besser, ehe ich mein Vorhaben ausführe, das ich vor dir geheimhalte, damit du es nicht zu hindern versuchst – wäre es nicht besser, du nähmest Anselmos Dolch, den ich von dir verlangt habe, und durchbohrtest mit ihm dieses entehrte Herz? Aber nein, du sollst es nicht: denn es wäre eine Ungerechtigkeit, daß ich die Strafe für fremde Schuld zahlen soll. Erst will ich wissen, was Lotarios freche und schamlose Augen an mir gesehen haben, daß er sich erdreisten durfte, mir einen so lasterhaften Wunsch offen darzulegen, wie er ihn zur Verunehrung seines Freundes und zu meiner Entwürdigung mir offenbart hat. Stelle dich ans Fenster dort, Leonela, und rufe ihn; denn ohne Zweifel steht er schon auf der Straße, um seine böse Absicht auszuführen; aber vorher soll meine eigene Absicht zur Ausführung kommen, die so grausam wie ehrenhaft ist.«

»Weh mir, teure Herrin«, rief die schlaue, schon eingeschulte Leonela, »was wollt Ihr mit diesem Dolche? Wollt Ihr Euch vielleicht das Leben nehmen oder es Lotario rauben? Beides würde Eurem Ruf und Namen zum Verderben gereichen. Besser ist es, Ihr verheimlichet die Kränkung und gewähret dem schlechten Menschen keinen Anlaß, jetzt ins Haus zu kommen und uns allein zu finden. Bedenket, Señora, wir sind schwache Weiber, und er ist ein Mann und entschlossenen Sinnes, und da er mit seinem bösen, blinden, leidenschaftlichen Vorsatz kommt, so wird vielleicht, eh Ihr den Eurigen ausführet, er etwas vollbringen, das schlimmer für Euch wäre als der Verlust des Lebens. Schmach auf unsern gnädigen Herrn Anselmo, daß es ihm beliebte, diesem frechen Gesicht soviel Gewalt in seinem Hause einzuräumen! Und wenn Ihr ihn wirklich umbringt, Señora, was Ihr, wie ich fürchte, tun wollt, was sollen wir mit ihm anfangen, wenn er umgebracht ist?«

»Was, meine Liebe?« antwortete Camila, »wir lassen ihn liegen, damit Anselmo ihn begraben möge; denn es ist nur gerecht, daß er die Mühe hat, seine eigne Schande unter die Erde zu bringen. Ruf ihn, so tu es denn endlich; denn solang ich zögere, für die Kränkung meiner Ehre die gebührende Rache an ihm zu nehmen, bedünkt es mich, ich verletze die Treue, die ich meinem Gatten schulde.«

All dieses hörte Anselmo, und bei jedem Worte, das Camila sprach, nahmen seine Gedanken eine neue Richtung; als er aber hörte, sie sei entschlossen, Lotario zu töten, wollte er hervorstürzen und sich ihr zeigen, damit nichts der Art geschehe. Allein es hielt ihn der Wunsch zurück, zu sehen, was das Endziel solch tapferen Benehmens und ehrenhaften Entschlusses sein würde, wobei er sich vornahm, zur rechten Zeit hervorzutreten, um ihre Absichten zu hindern.

Da fiel Camila in eine tiefe Ohnmacht und warf sich auf ein Bett, das in der Kammer stand. Leonela begann bitterlich zu weinen und sprach: »Weh mir Elenden, wenn ich so glückverlassen wäre, daß sie mir hier stürbe in meinen Armen, sie, die Blume aller Sittsamkeit auf Erden, die Krone der tugendsamen Frauen, das Vorbild aller Keuschheit!« Und noch andres von ähnlichem Inhalt, so daß niemand sie gehört hätte, der sie nicht für die betrübteste, treueste Dienerin auf Erden und ihre Herrin für eine neue und arg bedrängte Penelope gehalten hätte. Es dauerte nicht lang, bis Camila aus ihrer Ohnmacht erwachte, und als sie wieder zu sich kam, sprach sie: »Warum gehst du nicht, Leonela, und rufst den treuen Freund seines Freundes, den treusten, den jemals die Sonne gesehen oder die Nacht verborgen hat? Mach ein Ende, lauf, spute dich, geh hin, auf daß bei deinem Zögern die Glut meines Ingrimms sich nicht Luft mache und die gerechte Rache, die ich erhoffe, in Drohungen und Verwünschungen vorübergehe.«

»Ich gehe schon und rufe ihn, teure Herrin«, versetzte Leonela, »aber Ihr müßt mir zuerst diesen Dolch geben, damit Ihr nicht, während ich fort bin, etwas tut, das alle, die Euch von Herzen lieben, ihr Leben lang beweinen müßten.«

»Geh unbesorgt, Leonela, meine Gute, ich werde nichts der Art tun; denn mag ich auch nach deiner Meinung verwegen und einfältig sein, wenn ich meine Ehre schütze, so werde ich es doch nie in solchem Maße sein wie jene Lukretia, von der man erzählt, sie habe sich das Leben genommen, ohne ein Unrecht begangen zu haben und ohne vorher den umzubringen, der die Schuld an ihrem Mißgeschick trug. Ich will sterben, wenn ich sterben soll; aber es soll nicht geschehen, ohne mir Rache und Genugtuung an dem verschafft zu haben, der mich veranlaßt hat, hierherzukommen und über sein Erdreisten zu weinen, das sich so ganz ohne meine Schuld hervorgewagt hat.«

Leonela ließ sich lange bitten, ehe sie wegging, um Lotario zu rufen. Aber endlich ging sie, und in der Zwischenzeit bis zu ihrer Rückkehr ging Camila auf und ab und sagte, als ob sie mit sich selber spräche: »So helfe mir Gott; wäre es nicht vernünftiger gewesen, ich hätte Lotario abgewiesen, wie ich es schon oft getan habe, als ihm den Anlaß zu geben, wie ich ihn ihm jetzt wirklich gebe, mich für schlecht und sittenlos zu halten, wenn auch nur für so lange Zeit, wie ich brauche, ihn seines Irrtums zu überführen? Ja, es wäre besser gewesen, ohne Zweifel. Allein ich würde keine Rache und die Ehre meines Mannes keine Genugtuung erhalten, wenn er so unverdient straflos und so ungehemmten Schrittes von dem Orte zurückkehrte, wohin sein böses Vorhaben ihn geführt. Zahlen soll der Verräter mit seinem Leben, was er mit so unzüchtiger Begier geplant hat; erfahren soll die Welt, wenn es je zu ihrer Kunde dringt, daß Camila nicht nur ihrem Gatten Treue gehalten hat, sondern ihn an dem Manne gerächt hat, der sich erkühnte, ihn zu kränken. Aber bei alledem glaube ich, es wäre besser gewesen, Anselmo hiervon in Kenntnis zu setzen. Indessen habe ich es ihm bereits in dem Briefe angedeutet, den ich ihm nach dem Dorfe schrieb, und ich vermute, wenn er nichts tut, um das Schlimme abzuwenden, auf das ich ihn damals aufmerksam machte, so nur deswegen, weil er aus lauter Redlichkeit und Zutrauen nicht glauben wollte noch konnte, daß in der Brust eines so erprobten Freundes irgendein Gedanke Raum haben könnte, der gegen seine Ehre gerichtet wäre. Ja, auch ich habe es lange Zeit nicht geglaubt und würde es nimmer geglaubt haben, wenn seine Frechheit nicht so weit gegangen wäre, daß endlich all die Geschenke, die er ohne Umschweife darbot, und seine weitgehenden Versprechungen und seine unaufhörlichen Tränen mir es klar erwiesen. Aber wozu jetzt diese Betrachtungen? Bedarf es vielleicht zu einem beherzten Entschlusse dessen, daß man erst darüber zu Rate gehe? Wahrlich nein. Fort dem mit dem Verräter! Zu mir her die Rache! Hereintreten soll der falsche Mann, er komme, er nahe sich, er sterbe, er sei vernichtet, und geschehe dann, was geschehen mag. Rein und keusch kam ich in dessen Gewalt, den der Himmel mir zu meinem andern Ich gab, und rein will ich von ihm scheiden, und im äußersten Fall scheide ich gebadet in meinem keuschen Blute und im unreinen Blute des falschesten Freundes, den je die Freundschaft auf der Welt gesehen.«

Während sie dies sprach, lief sie im Zimmer auf und ab mit gezücktem Dolch, mit unsicheren großen Schritten und gebärdete sich so, daß es aussah, als hätte sie den Verstand verloren und als wäre sie kein zartes Weib, sondern ein rasender Meuchelmörder.

Anselmo, von den Teppichen verhüllt, hinter denen er sich versteckt hatte, war über alles das hoch erstaunt; und schon bedünkte es ihn, was er gesehen und gehört, sei selbst einem noch größeren Verdacht gegenüber genügende Rechtfertigung, und schon wünschte er, es möchte die Probe, die hier bei Lotarios Erscheinen angestellt werden sollte, ganz ausfallen, da er fürchtete, es könne unversehens ein Unglück geschehen. Und schon war er im Begriffe, sich zu zeigen und hervorzutreten, um seine Gattin zu umarmen und aus allem Irrtum zu reißen, da hielt er sich noch zurück; denn er sah, daß Leonela mit Lotario an der Hand zurückkam.

Kaum erblickte ihn Camila, so zog sie mit dem Dolche einen langen Strich vor sich auf dem Fußboden und sprach zu ihm: »Lotario, habe acht auf meine Worte; wenn du dich erkühnen solltest, diesen Strich hier zu überschreiten oder nur ihm nahe zu kommen, werde ich im Augenblick, wo du dies wagst, mir die Brust mit diesem Dolche durchbohren, den ich in Händen trage. Aber ehe du mir hierauf mit einem Wort entgegnest, sollst du erst noch andre Worte von mir vernehmen; nachher magst du antworten, was dich gut dünkt. Zuerst verlange ich von dir, Lotario, mir zu sagen, ob du Anselmo, meinen Gatten, kennst und was du von ihm hältst; und zweitens verlange ich auch zu wissen, ob du mich kennst. Antworte mir darauf und sei nicht etwa verlegen und denke nicht lange nach, was du mir antworten sollst; denn es sind keine schwierigen Dinge, die ich frage.«

Lotario war nicht so kurzsichtig, daß er nicht von dem ersten Augenblicke an, wo Camila ihm den Auftrag gab, er solle Anselmo veranlassen, sich zu verstecken, begriffen hätte, was sie zu tun gedenke; und so ging er auf ihre Absichten so geschickt und so im rechten Augenblick ein, daß beide es fertigbrachten, ihre Lügen für mehr als zweifellose Wahrheit gelten zu lassen. Daher antwortete er ihr folgendermaßen: »Ich glaube nicht, schöne Camila, daß du mich hierherberiefst, um mich nach Dingen zu fragen, die so ganz außerhalb der Absichten liegen, mit denen ich hierherkomme. Wenn du es tust, um meine Hoffnung auf die verheißene Gunst weiter hinauszuschieben, so hättest du sie hinhalten können, als ich dir noch ferner stand; denn das ersehnte Glück wird uns um so mehr zur Pein, als die Hoffnung, es zu besitzen, uns näher gewesen. Doch damit du nicht sagst, daß ich auf deine Fragen nicht antworte, erkläre ich, daß ich deinen Gemahl Anselmo kenne, daß wir uns beide seit unsren frühsten Jahren kennen; und was du ja ohnehin von unsrer Freundschaft weißt, das will ich dir nicht sagen, damit ich mich nicht selber zum Zeugen der Kränkung mache, die mich die Liebe ihm anzutun heißt, die Liebe, diese allgewaltige Entschuldigung für noch weit größere Verirrungen. Dich kenne ich und hege für dich dieselbe Achtung wie er. Denn wäre dem nicht so, ich würde wahrlich für mindere Schätze der Seele und des Leibes, als du besitzest, nicht dem zuwiderhandeln, was ich meinem eignen Werte schuldig bin, nicht den heiligen Gesetzen wahrer Freundschaft zuwiderhandeln, die ich jetzt um eines so mächtigen Feindes willen, wie die Liebe ist, breche und gewaltsam verletze.«

»Wenn du das eingestehst«, entgegnete Camila, »du Todfeind alles dessen, was mit Recht geliebt zu werden verdient, wie wagst du vor der Frau zu erscheinen, die, du weißt es, doch der Spiegel ist, aus dem das Bild des Mannes herausblickt, an dem du dich spiegeln solltest, damit du sähest, wie wenig er dir Veranlassung gibt, ihn zu kränken! Aber weh mir Unglücklichen! Schon seh ich ein, was dich dazu gebracht hat, so wenig auf das zu achten, was du dir selber schuldest. Es muß wohl ein allzu freies Benehmen meinerseits gewesen sein, denn Mangel an Sittsamkeit mag ich es nicht nennen, da es nicht aus Überlegung und Vorsatz hervorgegangen, sondern aus irgendwelcher Unbedachtsamkeit, wie sie die Frauen ahnungslos begehen, wenn sie meinen, sie hätten keine schüchterne Zurückhaltung nötig. Oder ist dem anders, so sage mir: Wann, du falscher Mensch, habe ich auf all dein Flehen je mit einem Wort oder Zeichen geantwortet, das in dir auch nur einen Schatten der Hoffnung erwecken konnte, daß ich deine ruchlosen Wünsche erfüllen würde? Wann wurden deine liebeglühenden Worte nicht von mir mit Ernst und Strenge in ihr Nichts zurückgewiesen und verurteilt? Wann fanden deine großen Verheißungen, wann deine noch größeren Geschenke bei mir Glauben und Annahme? Aber da es mich bedünkt, es könne niemand lange Zeit in seinen Liebesbestrebungen verharren, wenn sie nicht durch eine Hoffnung aufrechtgehalten werden, will ich mir selbst die Schuld an deiner Zudringlichkeit beimessen, da ohne Zweifel irgendwelche Unbedachtsamkeit meinerseits deine Bewerbungen so lange Zeit genährt hat, und so will ich es denn mich büßen lassen und mir die Strafe auferlegen, die deine Schuld verdient hat. Und damit du siehst, daß, wenn ich gegen mich so grausam bin, ich unmöglich anders gegen dich sein kann, habe ich dich kommen lassen zum Zeugen des Opfers, das ich der gekränkten Ehre meines so ehrenwerten Gemahls zu bringen gedenke, den du mit vollstem Bedacht und jedem dir möglichen Bemühen schwer beleidigt hast und den auch ich durch meinen Mangel an Zurückhaltung beleidigt habe, da ich die Gelegenheit nicht vermied – wenn ich sie vielleicht manchmal dir wirklich gegeben –, wo deine bösen Absichten begünstigt und gebilligt scheinen konnten. Nochmals sage ich dir: meine Befürchtung, eine Unbedachtsamkeit von mir habe so wahnwitzige Gedanken in dir hervorgerufen, ist es, was mich am meisten quält und mich drängt, Hand an mich selbst zu legen und mich zu bestrafen. Denn würde mich ein andrer Blutrichter strafen, so würde vielleicht meine Schuld mehr als jetzt ruchbar werden. Doch bevor ich dies vollbringe, will ich im Sterben den töten und mit mir hinübernehmen, der meinen Durst nach Rache befriedigen soll; und im Jenseits, sei es, wo es sei, werde ich dann die Strafe erschauen, welche die unparteiische und nie sich beugende Gerechtigkeit dem Manne zuteilt, der mich in eine so verzweiflungsvolle Lage gebracht hat.«

Indem sie dieses sprach, stürzte sie mit unglaublicher Gewalt und Schnelligkeit auf Lotario zu, mit entblößtem Dolch, mit so glaubhaftem Anscheine der Absicht, ihm die Klinge in die Brust zu stoßen, daß er selbst beinahe im Zweifel war, ob dies Verstellung oder Ernst sei. Denn er sah sich wirklich genötigt, Geschick und Stärke anzuwenden, um Camila an einem Dolchstoß gegen ihn zu hindern. So lebenstreu wußte sie diese schmachvolle Erfindung darzustellen, diesen seltsamen Betrug zu spielen, daß sie, um ihm die Farbe der Wahrheit zu geben, ihn mit ihrem eignen Blute röten wollte; denn da sie sah, sie könnte mit ihrem Dolche Lotario nicht treffen, oder sich anstellte, als könnte sie es nicht, rief sie aus: »Wenn mir das Schicksal mein so gerechtes Vorhaben nicht völlig zu Ende zu führen gestattet, so soll es dennoch nicht die Macht haben, mir zu wehren, daß ich es wenigstens teilweise zur Ausführung bringe.« Und hiermit rang sie aus aller Macht ihre mit dem Dolch bewehrte Hand frei, die Lotario festhielt; sie entwand ihm die Waffe, richtete die Spitze auf eine Stelle, wo es leicht war, sie nicht tief eindringen zu lassen, stieß sich den Dolch oberhalb der Rippen in die linke Seite nahe an der Schulter, ließ ihn in der Wunde stecken und brach dann wie ohnmächtig zusammen.

Leonela und Lotario standen bestürzt und außer sich ob solchen Vorgangs und zweifelten auch dann noch an der Wirklichkeit des Geschehenen, als sie Camila auf den Boden hingestreckt und in ihrem Blute gebadet sahen.

Lotario eilte in größter Hast, voller Angst und atemlos herzu, um den Dolch herauszuziehen. Als er aber die unbedeutende Wunde sah, erholte er sich von seiner Angst und geriet aufs neue in Verwunderung über die Klugheit und Verschlagenheit und das außerordentliche Geschick der schönen Camila. Um nun auch seinerseits zur Sache das beizutragen, was ihm vorzugsweise oblag, begann er eine lange, schmerzliche Wehklage über dem daliegenden Körper Camilas, als ob sie wirklich hingeschieden wäre, und stieß zahlreiche Verwünschungen aus, nicht nur gegen sich selbst, sondern auch gegen denjenigen, der ihn in diese Lage gebracht habe; und da er wußte, daß sein Freund Anselmo ihn hörte, sagte er Dinge von der Art, daß jeder Zuhörer weit mehr Mitleid mit ihm als mit Camila fühlen mußte, selbst wenn er sie für tot gehalten hätte.

Leonela nahm sie in ihre Arme und legte sie aufs Bett, wobei sie ihn bat, jemanden herbeizuholen, der sie insgeheim verbinden sollte; sie bat ihn zugleich um seinen Rat und seine Meinung darüber, was man Anselmo über diese Wunde ihrer Herrin sagen solle, falls er etwa zurückkäme, ehe sie geheilt sei. Er antwortete, man möchte sagen, was man für gut finde, er wisse keinen Rat, der da helfen könne; nur das eine empfahl er ihr, sie möchte suchen, die Blutung zu stillen. Er aber wolle hingehen, wo kein Mensch ihn mehr zu Gesicht bekomme. Und mit Äußerungen tiefen Leides und Schmerzgefühls entfernte er sich aus dem Hause.

Sobald er sich aber allein und an einem Orte fand, wo niemand ihn sehen konnte, hörte er nicht auf, sich zu bekreuzigen und zu segnen vor Verwunderung über Camilas Verschlagenheit und Leonelas so gänzlich sachgemäße Streiche. Er erwog, wie überzeugt Anselmo nun sein müsse, daß er eine zweite Portia zur Gemahlin habe, und sehnte sich danach, mit ihm zusammenzutreffen, um die Lüge und ärgste Verstellung, die man sich je erdenken konnte, im gemeinsamen Gespräch hoch zu preisen.

Leonela stillte derweilen ihrer Herrin das Blut, dessen aber nicht mehr floß, als hinreichend war, um den listigen Trug glaubwürdig zu machen. Sie wusch die Wunde mit etwas Wein aus, legte ihr einen Verband an, so gut es ging, und während des Verbindens tat sie Äußerungen, die, wenn auch nicht bereits andere vorhergegangen wären, genügt hätten, in Anselmo den Glauben zu befestigen, daß er in Camila ein hohes Vorbild aller Frauentugend besitze. Zu den Worten Leonelas kamen jetzt auch die Äußerungen Camilas, welche sich der Feigheit bezichtigte und des Mangels an Mut, der ihr gerade in dem Augenblicke gefehlt habe, wo sie seiner am meisten bedurfte, um sich das Leben zu nehmen, das ihr so sehr verhaßt sei. Sie bat das Mädchen um Rat, ob sie diesen ganzen Vorfall ihrem geliebten Manne sagen solle oder nicht. Die Zofe meinte, sie solle es verschweigen; denn sonst würde sie ihn in die Notwendigkeit versetzen, sich an Lotario zu rächen, was er doch nicht ohne eigne große Gefahr tun könne, und eine brave Frau sei verpflichtet, ihrem Manne keine Veranlassung zu Streithändeln zu geben, vielmehr ihm solche aus dem Wege zu räumen, soweit ihr nur möglich.

Camila erwiderte, sie sei mit ihrer Meinung ganz einverstanden und werde sie befolgen; aber auf jeden Fall sei es zweckmäßig, zu überlegen, was man Anselmo über die Ursache der Wunde sagen solle, da es nicht fehlen könne, daß er sie sehe.

Leonela antwortete, sie bringe keine Lüge über die Lippen, nicht einmal im Scherz.

»Und ich, meine Liebe«, entgegnete Camila, »wie soll ich mich darauf verstehen, die ich mich nicht getraue, eine Unwahrheit zu erfinden oder auch nur zu bezeugen, wenn selbst mein Leben davon abhinge? Wenn wir also nicht wissen, wie wir aus der Sache herauskommen, so wird es am besten sein, wir gestehen ihm die nackte Wahrheit, damit er uns nicht bei einer Unwahrheit ertappt.«

»Seid ohne Sorge, Señora«, versetzte Leonela. »Von heute bis morgen werde ich darüber nachdenken, was wir ihm sagen sollen, und vielleicht, da die Wunde sich gerade an dieser Stelle befindet, könnt Ihr sie verbergen, daß er sie nicht zu sehen bekommt, und vielleicht ist der Himmel so gnädig, unsre Absichten zu begünstigen, die so gerecht und so tugendsam sind. Beruhigt Euch, teure Frau, und bemühet Euch, Eure Aufregung zu beschwichtigen, damit unser Herr Euch nicht in so heftiger Gemütsbewegung findet; und alles andre stellt meiner und Gottes Fürsorge anheim, der immer gutem Vorhaben seinen Beistand schenkt.«

Mit höchster Aufmerksamkeit hatte Anselmo dagestanden und das Trauerspiel vom Untergang seiner Ehre angehört und aufführen sehen, ein Trauerspiel, dessen Personen es mit so ungewöhnlichem und wirkungsvollem Gefühlsausdruck darzustellen wußten, daß es schien, sie hätten sich in die volle Wirklichkeit der Rollen verwandelt, die sie doch nur spielten. Er sehnte den Abend herbei und die Möglichkeit, sein Haus zu verlassen und seinen treuen Freund Lotario zu sprechen, um sich mit ihm Glück zu wünschen ob der köstlichen Perle, die er in der neugewonnenen Überzeugung von der Tugend seiner Gattin gefunden hatte. Frau und Zofe sorgten dafür, daß ihm bequeme Gelegenheit wurde, aus dem Hause zu kommen; er ließ sie nicht ungenutzt und ging auf der Stelle, seinen Freund Lotario aufzusuchen; und als er ihn gefunden, da läßt sich wahrlich nicht beschreiben, wievielmal er ihn umarmte, was alles er ihm über sein Glück sagte und wieviel Lob und Preis er auf Camila häufte.

Alles das hörte Lotario an, ohne daß es ihm möglich war, das geringste Anzeichen von Freude von sich zu geben; denn in seiner Erinnerung stellte sich ihm sogleich vor, wie gräßlich er seinen Freund betrogen und wie unverantwortlich er ihn beleidigt habe. Und wiewohl Anselmo bemerkte, daß Lotario keine Freude bezeugte, glaubte er, der Grund sei nur, weil der Freund Camila verwundet zurückgelassen habe und die Schuld daran trage; und daher sagte er ihm unter andrem, er möge sich über den Vorfall mit Camila keine Sorge machen; denn die Wunde müsse ohne Zweifel unbedeutend sein, da die Frauenzimmer verabredet hätten, sie vor ihm geheimzuhalten, und demnach nichts zu fürchten sei. Sonach möge Lotario von nun an lediglich in freudigem Genuß und heiterem Sinne mit ihm leben, da er durch Lotarios Bemühen und Beistand sich zum höchsten Glück erhoben sehe, das er sich jemals wünschen konnte; und er verlange, sie sollten sich künftig mit nichts andrem unterhalten, als zum Preise Camilas Verse zu dichten, die seine Gattin im Gedächtnis der kommenden Jahrhunderte verewigen sollten.

Lotario pries seinen schönen Vorsatz und versprach, zur Aufführung eines so herrlichen Baues das Seinige beizutragen. Hiermit blieb denn Anselmo der am besten betrogene Ehemann, der auf Erden zu finden war. An seiner eignen Hand brachte er nun den Ruin seines guten Namens in sein Haus zurück, im Glauben, er bringe das Werkzeug seiner Verherrlichung; Camila empfing ihn dem Anscheine nach mit finstrem Gesicht, aber mit frohem Herzen.

Diese Betrügerei hielt eine Zeitlang vor, bis nach Verfluß weniger Monate das Glück sein Rad drehte, das bis dahin mit so vieler Kunst verhehlte Verbrechen an den Tag kam und Anselmos törichter Vorwitz ihn das Leben kostete.

29. Kapitel

Welches von dem anmutigen Kunstgriff und schlauen Mittel handelt, so angewendet ward, um unsern verliebten Ritter aus der gar harten Buße zu erlösen, die er sich auferlegt hatte

»Dies ist, meine Herren, der wahrhafte Verlauf meines Trauerspiels. Bedenkt und urteilt jetzt, ob für die Seufzer, die ihr gehört, die Worte, die ihr vernommen, und die Tränen, die aus meinen Augen geflossen, nicht genügsame Veranlassung war, in reichlichster Fülle zutage zu treten. Und wenn ihr die Art meines Unglücks erwägt, werdet ihr erkennen, daß Tröstung vergeblich ist, da es kein Mittel gegen mein Leiden gibt. Ich bitte euch um nichts weiter, als daß ihr, was ihr mit Leichtigkeit tun könnt und müßt, mir Rat erteilet, wo ich mein Leben verbringen kann, ohne daß mich Furcht und Entsetzen ob der Möglichkeit tötet, von den Leuten, die mich suchen, entdeckt zu werden. Denn wiewohl ich weiß, daß die große Liebe meiner Eltern zu mir jedenfalls mir eine gute Aufnahme bei ihnen verbürgt, so fühle ich mich doch schon bei dem bloßen Gedanken, vor ihren Augen nicht so, wie sie es hofften, erscheinen zu müssen, von so großer Scham ergriffen, daß ich es für besser erachte, mich für immer aus ihrer Gegenwart zu verbannen, als mit der Besorgnis in ihr Angesicht zu schauen, daß sie das meinige jener Sittsamkeit entfremdet sehen, die sie sich von mir ehemals versprechen durften.«

Hier schwieg sie, und ihr Antlitz bedeckte sich mit einer Blässe, die ihrer Seele Schmerz und Scham wohl klar zeigte; und in ihren Seelen empfanden die, so ihr zugehört, soviel Betrübnis wie Staunen ob ihres harten Geschicks. Und wiewohl der Pfarrer ihr sofort seinen Trost und Rat erteilen wollte, nahm Cardenio zuerst das Wort und sprach: »Also du, Señora, bist die schöne Dorotea, die einzige Tochter des reichen Clenardo?«

Dorotea war hoch erstaunt, als sie den Namen ihres Vaters hörte und die ärmliche Erscheinung des Mannes sah, der ihn genannt hatte; denn es ist schon bemerkt worden, in wie jämmerlichem Aufzug Cardenio einherging. Daher sagte sie zu ihm: »Und wer seid Ihr, guter Freund, daß Ihr so den Namen meines Vaters wißt? Denn bis jetzt, wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihn in der ganzen Erzählung meines Unglücks noch nicht genannt.«

»Ich bin«, antwortete Cardenio, »jener vom Glück Verlassene, den Luscinda, wie Ihr erzählt habt, Señora, für ihren Gatten erklärte; ich bin der unselige Cardenio, den jener Elende, der auch Euch in dies Elend verlockte, dahin gebracht hat, daß Ihr mich in diesem Zustande seht, abgerissen, nackt, jeder menschlichen Tröstung und, was schlimmer ist, des Verstandes entbehrend, da ich ihn nur besitze, wenn es dem Himmel manchmal beliebt, mir ihn auf kurze Zeit zu vergönnen. Ich bin es, Dorotea, der bei den Missetaten Don Fernandos zugegen war und der dort harrend stand, um aus Luscindas Munde das Ja zu hören, mit dem sie sich zu seinem Eheweib erklärte. Ich bin es, der den Mut nicht hatte, den Verlauf ihrer Ohnmacht und das Ergebnis des Briefes, den man in ihrem Busen fand, abzuwarten, weil meine Seele nicht die Kraft besaß, soviel herbe Schicksale auf einmal zu ertragen. So schied ich vom Hause und von der Geduld, ließ einem Gastfreunde einen Brief zurück mit der Bitte, ihn in Luscindas Hände zu legen, und begab mich hierher, um in dieser Einöde mein Leben zu beschließen, das ich von dem Augenblicke an wie meinen Todfeind haßte. Allein das Verhängnis hat es mir nicht rauben wollen; es begnügte sich, mir den Verstand zu rauben, vielleicht weil es mich für das Glück aufbewahren wollte, Euch zu finden. Denn wenn wahr ist, was Ihr eben erzähltet – und ich glaube, es ist wahr –, so wäre es noch immer möglich, daß der Himmel uns einen bessern Ausgang unserer Mißgeschicke vorbehalten hätte, als wir gedacht; denn da, wie nun feststeht, Luscinda sich mit Don Fernando nicht vermählen kann, weil sie die Meine ist, und Don Fernando nicht mit ihr, weil er der Eure ist, und Luscinda sich so offen und unumwunden ausgesprochen hat, so dürfen wir wohl hoffen, der Himmel werde uns zurückerstatten, was unser ist, weil es ja noch immer sein Dasein behauptet und weder uns entfremdet noch zunichte geworden. Und da wir also diesen Trost besitzen, der nicht etwa aus sehr ferner Hoffnung erzeugt noch auf törichten Einbildungen gegründet ist, so bitte ich Euch, Señora, in Eurem ehrenhaften Sinn einen andern Entschluß zu fassen, wie auch ich tun will, und Euer Gemüt auf das Erhoffen besseren Glücks zu bereiten. Ich schwöre Euch bei Ritterwort und Christentreue, ich werde Euch nicht verlassen, bis ich Euch im Besitz Don Fernandos sehe, und wenn ich ihn nicht mit vernünftigen Gründen dazu bewegen kann, daß er anerkenne, was er Euch schuldig ist, dann werde ich von der freien Befugnis Gebrauch machen, die mir dadurch vergönnt ist, daß ich ein Edelmann bin und also mit voller Berechtigung ihn herausfordern kann, um ihm nach Gebühr für die Ungebühr zu lohnen, die er Euch zufügt; meiner eignen Kränkungen will ich nicht eingedenk sein und deren Bestrafung dem Himmel überlassen, um auf Erden den Eurigen abzuhelfen.«

Bei Cardenios Worten stieg Doroteas Erstaunen auf den höchsten Grad, und da sie nicht wußte, wie sie ihm für so große Anerbietungen danken sollte, wollte sie seine Füße umfassen und küssen; aber Cardenio ließ es nicht zu. Der Lizentiat antwortete für beide und sprach seine Billigung aus ob der edlen Worte Cardenios; insbesondere aber drang er in sie beide mit Bitten, gutem Rat und freundlichem Zureden, sie möchten mit ihm in sein Dorf gehen, wo sie sich mit allem, was ihnen fehlte, versorgen könnten, und dort werde man dann Anstalt treffen, wie Don Fernando aufzusuchen, wie Dorotea zu ihren Eltern zu bringen oder wie sonst alles vorzunehmen sei, was ihnen zweckmäßig erscheine. Cardenio und Dorotea dankten ihm und nahmen die angebotene Freundlichkeit an.

Der Barbier, der allem gespannt und schweigend beigewohnt hatte, brachte nun auch seine wohlgemeinten Worte an und erbot sich mit nicht geringerer Bereitwilligkeit als der Pfarrer zu allem, was ihnen dienlich sein könne. Auch berichtete er in Kürze den Beweggrund, der sie hierhergeführt, und die seltsame Verrücktheit Don Quijotes, sowie daß sie seinen Schildknappen erwarteten, der weggegangen sei, um den Ritter aufzusuchen. Wie im Traume erinnerte sich jetzt Cardenio des Streites, den er mit Don Quijote gehabt, und er erzählte ihn den andern, aber er wußte nicht zu sagen, um was es sich dabei gehandelt habe.

Indem hörten sie lautes Rufen und erkannten Sancho Pansas Stimme, der, weil er sie an der Stelle, wo er sie verlassen, nicht mehr fand, mit schallendem Geschrei nach ihnen rief. Sie gingen ihm entgegen und fragten ihn nach Don Quijote; er erzählte ihnen, wie er ihn halbnackt gefunden, im bloßen Hemde, ganz schwach, blaßgelb im Gesicht, sterbend vor Hunger und nach seiner Herrin Dulcinea seufzend. Und wiewohl er ihm gesagt, sie selbst befehle ihm, diesen Ort zu verlassen und nach Toboso zu ziehen, wo sie ihn erwarte, so habe er doch entgegnet, er sei festiglich entschlossen, vor ihrer Huldseligkeit sich nicht erschauen zu lassen, bis denn er solcherlei Taten getan, daß man tätlich befinde, wie er würdig sei ihrer liebwerten Gunst. Und wenn das so weiterginge, so liefe er Gefahr, weder ein Kaiser zu werden, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit sei, noch auch nur ein Erzbischof, was doch das geringste sei, was er werden könne. Daher möchten sie sich überlegen, was zu tun sei, um ihn von dort wegzubringen.

Der Lizentiat erwiderte ihm, er solle unbesorgt sein, sie würden ihn, so widerwillig er sich auch bezeige, schon fortbringen; und er erzählte alsbald Dorotea und Cardenio, was sie sich ausgedacht, um Don Quijote zu heilen oder wenigstens nach seinem Hause zurückzuführen, worauf Dorotea sagte, sie würde das hilfsbedürftige Fräulein besser darstellen als der Barbier; zudem habe sie Kleider hier, um die Rolle ganz nach der Natur zu spielen. Sie möchten ihr nur die Sorge überlassen, alles vorzustellen, was zur Ausführung ihres Plans erforderlich sei; denn sie habe viele Ritterbücher gelesen und verstünde sich gut auf den Stil, in dem die bedrängten Fräulein sprächen, wenn sie sich Vergünstigungen von fahrenden Rittern erbäten.

»Dann ist weiter nichts erforderlich«, sprach der Pfarrer, »als daß man es sogleich ins Werk setze; denn gewiß, das Glück zeigt sich uns günstig, da so ganz unvermutet, meine Herrschaften, die Tür zu eurem Heil sich zu erschließen beginnt und das, dessen wir bedurften, sich uns gleichzeitig darbietet.«

Dorotea holte alsbald aus ihrem Kissenüberzug ein reiches Schleppkleid von einem gewissen feinen Wollstoff hervor nebst einer Mantilla von prächtigem grünem Zeug und aus einem Kästchen ein Halsband mit andern Kostbarkeiten, womit sie sich in einem Augenblick so ausstaffierte, daß sie wie eine vornehme reiche Dame aussah. Alles dies und noch andres, sagte sie, habe sie aus dem Elternhause für alle Fälle mitgenommen, und bis jetzt habe sich noch keine Gelegenheit geboten, wo sie es hätte brauchen können. Alle waren entzückt von ihrer Anmut, ihrem lieblichen Wesen, ihren Reizen, und aller Urteil stand nun fest, daß Don Fernando sich auf Frauen wenig verstehe, da er eine so ungewöhnliche Schönheit verschmähe. Wer aber am meisten staunte, war Sancho Pansa; denn es bedünkte ihn – wie es auch wirklich der Fall war –, er habe alle seine Lebtage ein so schönes Geschöpf nicht mit Augen gesehen. Er bat daher den Pfarrer sehr angelegentlich, er möchte ihm doch sagen, wer dieses holdselige Ritterfräulein sei und was selbige in dieser unwirtlichen Gegend zu suchen habe.

»Diese schöne Dame«, antwortete der Pfarrer, »Freund Sancho, ist nichts mehr und nichts weniger als die hohe Prinzessin, die Erbin im rechten Mannesstamme vom großen Königreich Mikomikón, und selbige hat sich auf die Suche nach Eurem Herrn begeben, um eine Vergabung und Vergünstigung von ihm zu erflehen, die darin besteht, daß er einer Ungebühr oder Unbill abhelfen soll, so ein böser Riese ihr angetan. Und ob des Ruhmes echten rechten Rittertums, welchen Euer Herr in allen bis jetzt entdeckten Landen hat, kommt besagte Königstochter von Guinea, um ihn aufzusuchen.«

»Glückliches Suchen und glückliches Finden!« sprach hier Sancho Pansa, »und zumal, wenn mein Herr soviel Glück hat und die Unbill wiedergutmacht und das Unrecht wieder zurechtbringt und jenen Bankert von Riesen totschlägt, von dem Euer Gnaden erzählt; und totschlagen wird er ihn allerdings, wenn er ihn nur findet, vorausgesetzt, daß es keine Spukgestalt ist; denn gegen Spukereien hat mein Herr keinerlei Gewalt. Aber um eins will ich Euer Gnaden vor anderm bitten, Herr Lizentiat; nämlich, damit nicht etwa meinen Herrn die Lust anwandelt, Erzbischof zu werden, was ich gar sehr fürchte, so soll Euer Gnaden ihm den Rat geben, sich gleich mit der Prinzessin da zu verheiraten, und so wird’s ihm unmöglich gemacht, die erzbischöflichen Weihen zu empfangen, und er gelangt mit aller Leichtigkeit zu seinem Kaisertum und ich ans Ziel meiner Wünsche. Denn ich habe mir’s wohl überlegt, und ich finde, soviel mich angeht, es ist nicht gut für mich, wenn mein Herr ein Erzbischof wird, weil ich für die Kirche nicht zu brauchen bin, sintemalen ich verheiratet bin. Und soll ich dann herumlaufen und Dispens einholen, daß ich trotz Frau und Kindern von einer Kirchenpfründe Einkommen haben darf – nein, da würde man niemals fertig damit. Sonach dreht sich alles darum, daß mein Herr sich mit dem Fräulein da verheiratet; ich weiß aber noch nicht, wie Ihro Gnaden heißt, und darum nenne ich sie nicht mit ihrem Namen.«

»Sie heißt Prinzessin Míkomikona«, antwortete der Pfarrer, »denn da ihr Königreich Mikomikón heißt, so ist es klar, daß sie so heißen muß.«

»Daran ist kein Zweifel«, versetzte Sancho. »Ich habe auch schon viele ihre Familien- und Stammesnamen von dem Ort entlehnen sehen, wo sie geboren waren; so nannten sie sich Pedro von Alcalá, Juan de Ubeda oder Diego von Valladolid; und dasselbe muß auch in Guinea der Brauch sein, daß die Königinnen den Namen ihres Königreichs annehmen.«

»So wird es wohl sein«, sprach der Pfarrer, »und was Eures Herrn Verheiratung betrifft, so will ich dabei tun, was nur in meinen Kräften steht.«

Hierüber war Sancho ebenso vergnügt wie der Pfarrer erstaunt über seine Einfalt und über die Leichtgläubigkeit, mit der er sich die nämlichen Torheiten wie sein Herr in den Kopf gesetzt, da er es für zweifellos hielt, daß dieser es zum Kaiser bringen würde.

Inzwischen hatte sich Dorotea bereits auf das Maultier des Pfarrers gesetzt, und der Barbier hatte seinen Farrenschwanz hart vor dem Gesicht befestigt. Sie forderten Sancho auf, sie zu Don Quijote zu führen, und wiesen ihn an, sich nicht merken zu lassen, daß er den Lizentiaten oder den Barbier kenne; denn wenn sein Herr es zum Kaiser bringen solle, so käme es hauptsächlich darauf an, daß er sie nicht kenne. Zwar wollten weder der Pfarrer noch Cardenio mit den andern gehen; Cardenio nicht, damit Don Quijote nicht an seinen Streit mit ihm erinnert werde, und der Pfarrer, weil seine Gegenwart für den Augenblick noch nicht nötig war. So ließen sie denn jene voranziehen und folgten ihnen langsam zu Fuße nach. Der Pfarrer hatte es inzwischen nicht versäumt, Dorotea zu unterweisen, was sie zu tun habe, worauf sie erwiderte, sie möchten nur ohne Sorge sein; alles werde, ohne daß nur ein Titelchen daran fehle, so geschehen, wie es die Ritterbücher erheischen und schildern.

Dreiviertel Meilen etwa mochten sie gewandert sein, als sie Don Quijote inmitten unwegsamer Felsen entdeckten, bereits wieder angekleidet, jedoch ohne Rüstung. Und sobald Dorotea seiner ansichtig ward und von Sancho hörte, es sei Don Quijote, gab sie ihrem Zelter einen Schlag mit der Geißel. Der Barbier folgte ihr nach, und als sie in seine Nähe kamen, sprang der wohlbebartete Bartscherer vom Maultier herab und nahm Dorotea in die Arme; sie stieg munter und mit großer Leichtigkeit ab und warf sich vor dem Ritter auf die Knie. Obschon dieser sich aufs äußerste bemühte, sie aufzuheben, so stand sie doch nimmer vom Boden auf und tat zu ihm folgende Ansprache: »Von dieser Scholle werde ich nimmer emporstehen, Ritter sonder Furcht und Tadel, bis Dero Fürtrefflichkeit und Edelmut mir eine Vergünstigung zusagt, welche Euch zu Ehren ausschlagen wird und Eurer Person zum Preise und zu Nutz und Frommen der trostlosesten, der bedrängtesten Jungfrau, welche Gottes Sonne je erschaut hat; und wenn in Wahrheit die Mannhaftigkeit Eures starken Armes dem Ruf Eurer unsterblichen Gloria entspricht, dann seid Ihr verpflichtet, großgünstigen Beistand der Glückverlassenen zu leihen, die dem Heldengeruch Eures Namens von so fernen Landen nachzieht und Euch aufsucht zur Errettung aus ihrer Trübsal.«

»Ich werde Euch kein Wörtlein antworten, allerschönste Herrin mein«, erwiderte Don Quijote, »und ein mehreres in Euren Sachen nicht anhören, bis daß Ihr Euch vom Boden erhebet.«

»Ich werde mich nicht erheben«, antwortete das schmerzensreiche Fräulein, »so nicht zuvor von Eurer Huld die Gunst, die ich erbitte, mir zugesagt worden.«

»Ich sage sie Euch zu und gewähre sie«, versetzte Don Quijote, »mit dem Beding jedoch, daß sie nimmer vollbracht werden dürfe zur Schädigung und Beschwer meines Königs, meines Vaterlands und derer, die da den Schlüssel hat zu meinem Herzen und meiner Freiheit.«

»Sie wird nicht zur Schädigung und Beschwer gereichen allen selbigen, die Ihr benamset habt, mein edler Herr«, entgegnete das schmerzensreiche Fräulein.

Mittlerweilen näherte sich Sancho Pansa dem Ohr seines Herrn und flüsterte ihm leise zu: »Señor, ganz wohl kann Euer Gnaden ihr Begehr gewähren; denn es ist ein wahres Nichts. Es besteht bloß darin, daß Ihr einen gewaltigen Riesen totschlagen sollt, und die da, welche es begehrt, ist die hohe Prinzessin Míkomikona, die Königin im großen Reich Mikomikón in Äthiopien.«

»Möge sie sein, was sie wolle«, entgegnete Don Quijote, »ich werde tun, wozu ich verpflichtet bin und was mir mein Gewissen vorschreibt, gemäß dem Beruf, zu dem ich geschworen.«

Und sich zu dem Fräulein wendend, sprach er: »Möge Eure erhabene Huldseligkeit sich erheben, denn ich gewähre Euch Beistand und Vergünstigung, so Ihr begehrt.«

»Wohl denn«, sprach das Fräulein, »mein Begehr ist, daß Eure großherzige Person sofort mit mir dahin eile, wo ich Euch zu führen gedenke, und daß Ihr mir verheißet, Euch keines andern Abenteuers noch Verlangens anzunehmen, bevor Ihr mir zur Rache helfet an einem Bösewicht, der wider alles göttliche und menschliche Recht sich meines Reiches angemaßt hat.«

»Hiermit tu ich kund, daß ich selbiges gewähre«, erwiderte Don Quijote, »und sonach könnt Ihr, edle Herrin, itzund wie hinfüro Euch des Trübsinns abtun, der Euch drückt, und Euer darniedergelegenes Hoffen neuen Mut und Kraft gewinnen lassen. Denn mit Hilfe Gottes und meines starken Armes werdet Ihr Euch alsbald wieder eingesetzt sehen in Euer Reich und sitzend auf dem Stuhle Eurer alten weitreichenden Herrschaft, zu Trutz und Ärgernis allen Schurken, die dem zuwider sein möchten. Und nun Hand ans Werk, denn im Zaudern, sagen die Leute, sitzt die Gefahr.«

Das hilfsbedürftige Fräulein gab sich beharrlichst alle Mühe, ihm die Hände zu küssen; aber Don Quijote, der in all und jedem sich als ein feingesitteter und höflicher Ritter zeigte, gab das nie und nimmer zu, hob sie vielmehr vom Boden auf und umarmte sie mit feinster Sitte und Höflichkeit und befahl sodann Sancho, Rosinantes Sattel und Gurt gehörig zu besorgen und ihn gleich auf der Stelle zu waffnen. Sancho nahm die Rüstung herunter, die wie ein Siegesmal an einem Baum hing, zog Rosinantes Gurt nach und waffnete seinen Herrn in einem Augenblick. Und als dieser sich wohlgerüstet sah, sprach er: »Auf nun, ziehen wir in Gottes Namen hin, dieser hohen Herrin Beistand zu leisten.«

Der Barbier lag noch immer auf den Knien und gab sich die größte Mühe, das Lachen zu verbeißen und seinen Bart festzuhalten, dessen Abfallen vielleicht ihnen allen ihren wohlgemeinten Plan vereitelt hätte. Da er aber sah, wie die Gunst schon gewährt war und wie eilfertig Don Quijote sich bereitmachte, die Zusage zu erfüllen, so stand er auf und faßte seine Herrin an der Hand, und beide gemeinsam hoben sie auf das Maultier. Sofort bestieg Don Quijote den Rosinante, der Barbier setzte sich auf seinem Tiere zurecht, Sancho aber wanderte zu Fuß, wobei er an den Verlust seines Grauen dadurch, daß er ihn jetzt entbehren mußte, aufs neue gemahnt wurde. Aber all dieses ertrug er mit Freuden, weil es ihn bedünkte, sein Herr sei jetzt auf dem Wege, ja ganz nahe daran, ein Kaiser zu werden. Denn er glaubte, Don Quijote werde sich ohne Zweifel mit dieser Prinzessin verheiraten und aufs mindeste König von Mikomikón werden. Nur das machte ihm Kummer, daß dies Königreich im Negerland läge und die Leute, die man ihm zu Untertanen gäbe, sämtlich Neger sein würden.

Hierfür aber fand er alsbald in seiner Vorstellung ein gutes Mittel, und er sprach zu sich selber: Was liegt mir dran, ob meine Untertanen Schwarze sind? Was braucht’s weiter, als sie aufs Schiff zu laden und nach Spanien zu bringen, wo ich sie verkaufen kann und man mir sie bar bezahlen wird? Und mit dem Gelde kann ich alsdann ein Gut, das den Adel verleiht, oder ein Amt kaufen, um davon all meine Lebenstage geruhsam zu leben. Ja, leg dich nur schlafen! Und hab nicht so viel Verstand und Geschick, um eine Sache ordentlich anzufangen und dreißig- oder meinetwegen zehntausend Untertanen im Handumdrehen zu verschachern! Nein, bei Gott, ich will sie mir aufjagen, groß und klein, im Ramsch, oder wie ich’s sonst fertigbringe; und sind sie auch schwarz, so will ich ihre Farbe in Silberweiß oder Goldgelb verwandeln! Kommt nur, glaubt nur, ich tät wie ein Blödsinniger an den Fingern kauen!

Mit diesen Gedanken war er so beschäftigt und so vergnügt, daß er den Kummer vergaß, zu Fuße gehen zu müssen.

All dieses beobachteten Cardenio und der Pfarrer hinter Dornbüschen hervor und wußten nicht, wie sie es anfangen sollten, sich der Gesellschaft anzuschließen. Jedoch der Pfarrer, der ein gar erfinderischer Kopf war, kam gleich darauf, wie ihr Zweck zu erreichen sei; er nahm nämlich eine Schere, die er in einem Futteral bei sich trug, schnitt Cardenio mit großer Behendigkeit den Bart ab, zog ihm seinen eigenen grauen Rock an, gab ihm den schwarzen Mantel darüber, und er selbst blieb nur in Hosen und Wams. Cardenio aber war ein so ganz anderer als vorher geworden, daß er sich selbst im Spiegel nicht erkannt hätte. Als dies vollbracht, gelangten sie, obschon während ihrer Umkleidung die andern weitergegangen waren, ohne Mühe früher als diese auf die Landstraße, weil das viele Gestrüpp und die schlimmen Wege in der Gegend die Leute zu Pferd nicht so schnell fortkommen ließen als die zu Fuß. Wirklich gelangten sie sogleich beim Abstieg vom Fußweg auf die ebne Straße, und als Don Quijote mit den Seinigen herunterkam, stellte sich der Pfarrer hin und betrachtete ihn ernst und bedächtig, gab durch Gebärden kund, daß er ihn wiedererkenne, und nachdem er ihm geraume Zeit ins Gesicht geschaut, eilte er ihm mit offnen Armen entgegen und rief laut: »Gesegnet sei die Stunde, da ich ihn wiedersehe, ihn, den Spiegel des Rittertums, meinen trefflichen Landsmann Don Quijote von der Mancha, des Edelsinns Blume und Perle, Schutz und Rettung der Bedrängten, Quintessenz der fahrenden Ritter!« Und dieses sagend, umfaßte er am Knie das linke Bein Don Quijotes. Der aber war höchst betroffen über alles, was er den Mann sagen hörte und tun sah. Er betrachtete ihn mit höchster Aufmerksamkeit und erkannte ihn endlich; er war schier entsetzt, den Pfarrer hier zu sehen, und tat sein möglichstes, um vom Pferde zu steigen. Allein der Pfarrer ließ es nicht zu; weshalb Don Quijote sprach: »Laßt mich, Herr Lizentiat; es ist nicht recht, daß ich zu Pferde sitze, während Euer Hochwürden zu Fuße ist.«

»Das werde ich nie und unter keiner Bedingung zugeben«, entgegnete der Pfarrer. »Wolle Eure erhabene Person nur zu Pferde bleiben, denn zu Pferde vollbringt Ihr die größten Heldentaten und Abenteuer, die zu unsern Zeiten erlebt worden. Für mich aber, einen – obschon unwürdigen – Priester, ist es schon genug, mich auf die Kruppe eines Maultiers dieser Herrschaften zu setzen, die mit Euer Gnaden des Weges ziehn, falls es ihnen nicht zuwider ist. Und auch auf solchem Sitze schon wird es mir sein, als ritte ich auf dem Pferde Pegasus, ja auf dem Zebra oder Schlachtroß, das jenen berühmten Mohren Muzaraque trug, der noch heutigen Tages in dem breiten Hügel Zulema verzaubert liegt, nicht fern von der berühmten Stadt Complutum.«

»Daran hatte ich wirklich nicht gedacht, mein geehrter Herr Lizentiat«, erwiderte Don Quijote, »und ich bin überzeugt, meine gnädige Prinzessin wird geruhen, aus Gefälligkeit gegen mich, ihrem Knappen zu befehlen, daß er Euer Hochwürden den Sitz auf dem Sattel seines Maultiers einräume; er aber kann sich auf die Kruppe setzen, falls das Tier es verträgt.«

»Gewiß verträgt es das, soviel ich glaube«, versetzte die Prinzessin, »und ich weiß auch, daß es nicht nötig ist, solches meinem Herrn Knappen anzubefehlen; denn er ist so höflich und von feiner Sitte, daß er nicht zugeben wird, daß ein geistlicher Herr zu Fuße geht, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, daß er reite.«

»So ist es«, sagte der Barbier, stieg im Nu ab und bot dem Pfarrer den Sattel an; und dieser nahm ihn ein, ohne sich lange bitten zu lassen. Aber das Schlimme dabei war, daß, als der Barbier auf die Kruppe steigen wollte, das Maultier, das ein Mietgaul war – was zur Genüge besagt, daß es bösartig war –, die Hinterfüße in die Höhe warf und ein paarmal so mächtig ausschlug, daß, wenn es den Meister Nikolas auf Brust oder Kopf getroffen hätte, er sich seine Reise zur Auffindung Don Quijotes zum Teufel gewünscht hätte. Aber auch so schon erschrak er darob so heftig, daß er zu Boden stürzte und dabei so wenig acht auf den Bart hatte, daß er ihm abfiel. Als er sich nun ohne Bart sah, wußte er sich nicht anders zu helfen, als daß er sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckte und jammerte, es seien ihm die Backenzähne ausgeschlagen. Als Don Quijote diesen ganzen Knäuel Bart ohne Kinnbacken und ohne Blut weit von dem Gesicht des hingestürzten Knappen liegen sah, sprach er: »So mir Gott helfe, das ist ein großes Wunder! Das Tier hat ihm den Bart abgeschlagen und aus dem Gesichte gerissen, grade als hätte man ihn vorsätzlich abgeschnitten.«

Der Pfarrer sah, wie sein Anschlag Gefahr lief, aufgedeckt zu werden, holte den Bart in aller Eile und brachte ihn zu der Stelle, wo Meister Nikolas noch schreiend lag, drückte dessen Kopf an seine Brust und setzte ihm den Bart mit einem Ruck wieder an, wobei er etliches murmelte, was, wie er sagte, ein Zaubersegen sei, der die Kraft habe, Bärte festzumachen, wie sie gleich sehen würden. Als er ihm nun den Bart wieder angelegt hatte, trat er zur Seite, und da zeigte sich der Barbier so heil und so wohlbebartet als vorher. Darob verwunderte sich Don Quijote über die Maßen und bat den Pfarrer, wenn er Gelegenheit dazu finde, möge er ihn den Zauberspruch lehren; denn er meine, dessen Kraft müsse sich noch auf viel mehr als auf das Ansetzen von Bärten erstrecken. Es sei doch klar, daß da, wo der Bart ausgerissen worden, Haut und Fleisch wund und zerrissen sein müßten; da aber der Spruch all dieses heile, so sei er für noch andres als den Bart mit Nutzen zu gebrauchen.

»Allerdings ist das der Fall«, entgegnete der Pfarrer und versprach, ihn den Spruch bei erster Gelegenheit zu lehren.

Sie kamen nun überein, für jetzt solle der Pfarrer aufsteigen, und die andern drei sollten streckenweise mit ihm abwechseln, bis sie zu der Schenke kämen, die noch etwa zwei Meilen entfernt sein müsse. Während so drei ritten, nämlich Don Quijote, die Prinzessin und der Pfarrer, und drei zu Fuß gingen, Cardenio, der Barbier und Sancho Pansa, sprach Don Quijote zu dem Fräulein: »Herrin mein, Eure Hoheit wolle die Führung übernehmen, wohin Euch zumeist Begehr ist.«

Bevor sie antworten konnte, sprach der Lizentiat: »Zu welchem Reiche will Eure Herrlichkeit uns führen? Vielleicht zum Königreich Mikomikón? Ja, so muß es sein, oder ich verstehe mich schlecht auf Königreiche.«

Dorotea verstand, sie merkte, daß sie ja antworten müsse, und sagte demgemäß: »Ja, Herr Lizentiat, zu diesem Königreiche geht mein Weg.«

»Wenn dem so ist«, sprach darauf der Pfarrer, »so müssen wir mitten durch mein Dorf reisen, und von da wird Euer Gnaden den Weg nach Cartagena einschlagen, wo Ihr Euch, so das Glück will, einschiffen könnt; und ist der Wind günstig, die See ruhig und ohne Stürme, so seid Ihr wohl in weniger als neun Jahren in Sicht des großen Sees Mäona, ich meine Mäotis, der wenig mehr als hundert Tagereisen diesseits von Euer Hoheit Königreich liegt.«

»Euer Gnaden ist im Irrtum, werter Herr«, sprach sie, »denn es ist noch nicht zwei Jahre her, seit ich von dort abgereist bin, und wahrlich hatte ich dabei niemals gut Wetter. Und dessenungeachtet bin ich jetzt hierhergelangt, um hier zu erblicken, was ich so sehr ersehnte, nämlich den Herrn Don Quijote von der Mancha, von welchem, sobald ich den Fuß auf Spaniens Boden setzte, Kunde zu meinen Ohren drang; und diese Kunde ist’s, die mich antrieb, ihn aufzusuchen, um mich seinem Edelmut zu befehlen und mein Recht dem Heldentum seines unbesieglichen Arms anzuvertrauen.«

»Nicht weiter! Laßt ab von solchem Lobpreis«, sprach hier Don Quijote, »denn aller Art von Schmeichelei bin ich feind; und selbst wenn dies keine Schmeichelei wäre, so verletzen solche Reden doch immer meine keuschen Ohren. Was ich sagen kann, Herrin mein, ob ich nun Heldensinn besitze oder nicht – was ich davon besitze oder nicht besitze, soll Eurem Dienste gewidmet sein, bis ich des Lebens verlustig gehe. Und indem wir dies bis zu seiner Zeit beruhen lassen, bitte ich den Herrn Lizentiaten, mir zu sagen, welche Ursach ihn hierhergeführt hat, so ganz allein, ohne Diener und so leicht gekleidet, daß ich darob wahrhaft erschrocken bin.«

»Darauf werde ich kurz antworten«, erwiderte der Pfarrer. »Euer Gnaden wisse, daß ich mit Meister Nikolas, unserm Freund und Barbier, nach Sevilla ging, um gewisse Gelder zu erheben, die ein Verwandter von mir, der vor vielen Jahren nach Indien gegangen, mir geschickt hatte. Es war nicht wenig: es überstieg sechzigtausend vollgewichtige Pesos, was keine Kleinigkeit ist. Als wir aber gestern durch diese Gegend kamen, überfielen uns vier Räuber und nahmen uns alles ab, ja selbst den Bart, und dergestalt haben sie uns ihn abgenommen, daß der Barbier sich einen falschen ansetzen mußte; und auch diesen jungen Mann« – hier zeigte er auf Cardenio – »haben sie übel zugerichtet und aller Habe beraubt. Und das Schönste bei der Sache ist, daß man in der ganzen Umgegend sich erzählt, unsre Räuber gehören zu einer Kette Galeerensklaven, die gerade hier in der Nähe ein tapferer Mann befreit hat, ein Mann von solcher Heldenkraft, daß er sie trotz dem Kommissär und den Wächtern von den Fesseln losmachte. Der Mann muß gewiß nicht bei Verstande sein oder ein ebenso arger Schurke wie sie selber oder ein Mensch ohne Herz und ohne Gewissen, da er den Wolf unter die Schafe losließ, den Fuchs unter die Hühner, die Mücke unter die Honigtöpfe. Er wollte die Gerechtigkeit betrügen, wider seinen König und angestammten Herrn sich auflehnen, da er gegen dessen gerechte Gebote handelte; er wollte, sag ich, die Galeeren ihrer Arme berauben, die Heilige Brüderschaft in Aufruhr bringen, sie, die schon seit vielen Jahren ruhte; kurz, er wollte eine Tat ausführen, die seiner Seele Verderben und seinem Leibe keinen Gewinn bringen wird.«

Sancho hatte dem Pfarrer und dem Barbier das Abenteuer mit den Galeerensklaven erzählt, das sein Herr so ruhmvoll zu Ende gebracht, und deshalb drückte sich der Pfarrer bei seiner Erzählung so stark aus, um zu sehen, was Don Quijote sagen oder tun werde. Der aber wechselte die Farbe bei jedem Wort und wagte nicht zu sagen, daß er der Befreier dieser Biedermänner gewesen.

»Diese also«, sagte der Pfarrer, »waren es, die uns beraubten, und Gott in seiner Barmherzigkeit verzeihe es jenem, der nicht zuließ, sie ihrer wohlverdienten Strafe zuzuführen.«

3. Kapitel

Wo die anmutige Art und Weise erzählt wird, wie Don Quijote zum Ritter geschlagen wurde

Von diesem Gedanken gequält, kürzte er sein kneipenhaft mageres und kärgliches Mahl ab, und kaum war es beendet, rief er den Wirt, schloß sich mit ihm im Pferdestall ein, fiel vor ihm auf die Knie und sprach: »Nie werde ich von der Stelle aufstehen, wo ich liege, tapferer Ritter; bis Eure edle Sitte mir eine Gunst gewährt, die ich von Euch erbitten will und die zu Eurem Preise und zum Frommen des Menschengeschlechtes gereichen wird.«

Der Wirt, der seinen Gast zu seinen Füßen sah und solcherlei Reden hörte, ward ganz betroffen, betrachtete ihn und wußte nicht, was tun oder sagen, und drang in ihn, sich zu erheben; aber er wollte durchaus nicht, bis der Wirt sich genötigt sah, ihm zu erklären, er gewähre ihm die Gunst, die er von ihm erbitte.

»Nichts Geringeres erwarte ich von Eurer hohen Großmut«, antwortete Don Quijote, »und so sag ich Euch denn, daß die Gunst, die ich von Euch erbeten und die mir von Eurem Edelmute gewährt worden, darin besteht, daß Ihr morgen am Tage mich zum Ritter schlagen sollt. Diese Nacht werde ich in der Kapelle dieser Eurer Burg die Waffenwacht halten; und morgen, wie ich gesagt habe, wird erfüllt werden, was ich so sehr ersehne, damit ich, wie es sich gebührt, durch alle vier Weltteile ziehen kann, Abenteuer aufsuchend zum Frommen der Hilfsbedürftigen, wie es auferlegt ist dem Rittertum und den fahrenden Rittern, wie ich einer bin, deren Verlangen auf solcherlei Großtaten gerichtet ist.«

Der Wirt, der, wie gesagt, etwas vom verschmitzten Schalk in sich trug und schon einigen Argwohn hatte, daß es seinem Gast am Verstand fehle, war, sobald er solche Reden von ihm gehört, auch sogleich völlig davon überzeugt; und damit er diesen Abend etwas zu lachen hätte, entschloß er sich, auf des Ritters Grillen einzugehen. Und so sagte er ihm, er treffe durchaus das Richtige mit seinem Begehr, und ein solches Vorhaben sei so vornehmen Rittern, wie er einer scheine und wie sein stattliches Aussehen verkünde, eigentümlich und naturgemäß. Er selbst habe ebenso in den Jahren seiner Jugend sich diesem ehrenvollen Berufe hingegeben und verschiedene Weltgegenden durchzogen, um auf seine Abenteuer auszugehen, ohne daß er die Fischervorstadt von Málaga und das Riaránsche Häuserviertel daselbst, den Kirchenplatz zu Sevilla, den Krämermarkt zu Segovia, den Olivenplatz zu Valencia, den kleinen Zwinger von Granada, den Strand von Sanlúcar, den Pferdebrunnenplatz zu Córdoba und die Kneipen von Toledo vernachlässigt hätte, nebst verschiedenen andren Gegenden, wo er die Leichtigkeit seiner Füße und Fertigkeit seiner Finger geübt, viel Unrechtes getan, viele Witwen in Versuchung geführt, manche Jungfrauen zu Fall gebracht, manche Unmündige hintergangen; endlich, er habe sich fast bei allen höheren und unteren Gerichten, die es in Spanien gibt, bekannt gemacht, und schließlich sei er zu dem Entschluß gekommen, sich in diese seine Burg zurückzuziehen, wo er von seinem Vermögen lebe und auch von fremden, und in selbiger nehme er alle fahrenden Ritter auf, von was Art und Stande sie auch immer seien, lediglich aus großer Zuneigung, die er zu ihnen hege, und damit sie zur Vergeltung seiner guten Absicht ihre Habe mit ihm teilten. Er sagte ihm ferner, in dieser seiner Burg gebe es keine Kapelle, die Waffenwacht zu halten, denn sie sei niedergerissen worden, um sie neu aufzubauen; aber im Notfalle, das wisse er, könne man die Wacht halten, wo man wolle, und diese Nacht könne er sie in einem Hofe der Burg halten; am Morgen, so es Gott beliebe, würden die gebührenden Feierlichkeiten in solcher Weise stattfinden, daß er des Ritterschlags teilhaftig werde und bleibe, und zwar als ein so echter Ritter, daß in der Welt nichts echter sein könne.

Dann befragte er ihn, ob er Geld bei sich führe. Don Quijote entgegnete, er habe keinen Pfennig in der Tasche, denn er habe nie in den Geschichten der fahrenden Ritter gelesen, daß irgendeiner Geld mitgenommen hätte.

Darauf versetzte der Wirt, er sei im Irrtum; denn zugegeben, daß es in den Geschichten nicht geschrieben stehe, weil deren Verfasser gemeint, es sei unnötig, so selbstverständliche Dinge, die bei sich zu haben so unerläßlich sei, wie Geld und reine Hemden, ausdrücklich zu erwähnen, so müsse man darum nicht glauben, daß sie dieselben nicht bei sich führten. Und also möge er für gewiß und erwiesen halten, daß alle fahrenden Ritter – von denen so viele Bücher angefüllt und vollgepfropft sind – wohlbeschlagene Börsen mit hinausnahmen, um allerhand Zufälligkeiten begegnen zu können, und daß sie imgleichen Hemden bei sich führten, auch ein klein Kästchen voll Salben, um die Wunden zu pflegen, die sie empfingen. Denn nicht in jedem Falle habe es in den Gefilden und Einöden, wo sie kämpften und wundgeschlagen wurden, jemanden gegeben, der ihrer pflegte; wenn es nicht etwa der Fall war, daß sie irgendeinen weisen Zauberer zum Freunde hatten, der ihnen gleich zu Hilfe kam und in den Lüften auf einer Wolke eine Jungfrau oder einen Zwerg herbeibrachte, mit einer Flasche Wassers von solcher Kraft, daß sie, wenn sie einen Tropfen davon kosteten, gleich auf der Stelle von allen Hieben und Wunden geheilt waren, als wäre ihnen nie ein Leid geschehen. Aber stets, wenn das nicht zur Hand war, hielten die früheren Ritter es für das Richtige, daß ihre Schildknappen mit Geld versehen sein sollten, so auch mit andern notwendigen Dingen, wie Scharpie und Salben, um sich die Wunden zu verbinden. Und wenn es geschah, daß die besagten Ritter keine Knappen hatten – was wenige und seltene Fälle waren –, so führten sie selbst dies alles in einem sehr schmächtigen Mantelsäckchen, das beinahe gar nicht wie ein solches aussah, auf der Kruppe des Pferdes, so als ob es etwas andres von besonderer Wichtigkeit wäre; denn wenn nicht um solchen Behufes willen, war dies Mitnehmen von Mantelsäcken unter den fahrenden Rittern in der Regel nicht zulässig. Deshalb gebe er ihm den Rat – da er es ihm sogar befehlen könne als seinem Patenkind im Rittertum, was er ja so bald sein würde –, von jetzt hinfür nie ohne Geld und ohne die herkömmlichen Vorräte auszuziehen, und er würde, wenn er sich’s am wenigsten versehe, finden, wie gut er damit fahre.

Don Quijote versprach ihm, mit aller Pünktlichkeit zu tun, was ihm angeraten worden. Und alsbald wurde Anordnung getroffen, daß er die Waffenwacht in einem zur Seite der Schenke befindlichen großen Hofe halten sollte. Er nahm all seine Rüstungsstücke zusammen, legte sie auf einen Trog, der vor einem Brunnen stand, und seine Tartsche an den Arm nehmend, ergriff er seinen Speer und begann mit edlem Anstand vor dem Troge auf und ab zu wandeln. Und, gerade wie er dies Wandeln begann, da begann auch die Nacht hereinzubrechen.

Der Wirt erzählte allen, die in der Schenke waren, von der Narrheit seines Gastes, der Waffenwacht und dem Ritterschlag, den er erwarte. Verwundert über eine so seltsame Art von Verrücktheit, gingen sie hin, um ihn von ferne zu beobachten, und sahen, wie er mit gelassener Haltung bald auf und ab ging, bald, an seinen Speer gelehnt, die Blicke auf die Rüstungsstücke richtete und sie eine geraume Zeit nicht aus den Augen ließ. Die Nacht war indessen vollends hereingebrochen, und der Mond war von solcher Helle, daß er mit dem Gestirn, das sie ihm lieh, wetteifern konnte, so daß, was immer der angehende Ritter tat, von allen deutlich gesehen wurde.

Nun aber gelüstete es einen der Maultiertreiber, die sich in der Schenke aufhielten, seiner Koppel Tiere Wasser zu geben, und dazu war erforderlich, die Waffen Don Quijotes wegzunehmen, die auf dem Brunnentrog lagen. Der, als er jenen herankommen sah, sprach zu ihm mit lauter Stimme: »O du, wer auch immer du seiest, verwegener Ritter, der du herannahest, um die Waffen des tapfersten Abenteurers zu berühren, der da je sich mit einem Schwert umgürtet, siehe wohl zu, was du tust, und berühre sie nicht, wenn du nicht das Leben lassen willst zur Buße für deine Verwegenheit.«

Der Treiber sorgte sich nicht um diese Worte – und es wäre besser gewesen, er hätte sich gesorgt, denn dann hätte er für sich gesorgt, ehe er in Sorge geriet –; vielmehr faßte er die Riemen und schleuderte die Rüstungsstücke eine weite Strecke von sich hinweg. Sowie Don Quijote dies gesehen, erhob er die Augen gen Himmel, und seine Gedanken – wie es sich kundgab – zu seiner Herrin Dulcinea wendend, sprach er: »Seid mir gegenwärtig, meine Herrin, bei diesem ersten Kampfe, der sich dieser Euch lehenspflichtigen Brust darbietet; es gebreche mir nicht in dieser ersten Gefährde Eure Gunst und Euer Schutz.«

Diese und andre dergleichen Reden führend, ließ er die Tartsche los, hub den Speer mit beiden Händen und versetzte damit dem Maultiertreiber einen so gewaltigen Schlag auf den Kopf, daß er ihn zu Boden stürzte, so übel zugerichtet, daß, wenn er mit einem zweiten nachgefolgt wäre, der Mann keines kundigen Meisters zu seiner Heilung bedurft hätte. Dies getan, las er seine Rüstungsstücke zusammen und fing wieder an, mit derselben Ruhe wie vorher auf und ab zu wandeln.

Kurze Zeit darauf kam, ohne zu wissen, was vorgegangen – denn der Maultiertreiber lag noch betäubt da –, ein andrer mit derselben Absicht, seinen Mauleseln Wasser zu geben, und wie er hinging, die Waffen wegzunehmen, um den Brunnentrog abzuräumen, da, ohne daß Don Quijote diesmal ein Wort sprach oder Gunst und Schutz von jemand verlangte, ließ er abermals die Tartsche los, hub abermals den Speer, und wenn er diesen nicht in Stücke brach, so brach er doch den Kopf des Treibers in mehr als drei Stücke, denn er schlug ihn in vier auseinander. Bei dem Lärm kamen alle Insassen der Schenke herzu, und unter ihnen der Wirt. Als Don Quijote dieses sah, faßte er die Tartsche in den Arm, nahm das Schwert zu Händen und rief: »O Herrin der Schönheit, Mut und Stärke dieses meines entkräfteten Herzens! Nun zur Stunde ist es Zeit, daß du die Augen deiner Hoheit auf diesen Ritter, deinen Gefangenen, richtest, der eines so großen Abenteuers in Erwartung steht.«

Damit gewann er nach seiner Meinung so mächtigen Mut, daß er, wenn auch alle Eseltreiber der Welt ihn angegriffen, den Fuß nicht rückwärts gewendet hätte.

Die Reisegefährten der Verwundeten, die diese in solchem Zustand sahen, begannen von fern Steine auf Don Quijote regnen zu lassen; der aber deckte sich, so gut er konnte, mit seiner Tartsche und wagte sich nicht von dem Troge zu entfernen, weil die Waffen nicht unbewacht bleiben durften. Der Wirt schrie, sie sollten ihn gehen lassen, denn er habe ihnen bereits gesagt, daß der Mann verrückt sei, und als Verrückter würde er freigesprochen werden, selbst wenn er sie samt und sonders totschlüge. Auch Don Quijote schrie, aber viel lauter, schalt sie Meuchler und Verräter; der Burgherr sei ein feiger Wicht und von schlechter Art, da er zugebe, daß die fahrenden Ritter solchermaßen behandelt würden, und wenn er den Ritterorden schon empfangen hätte, so würde er ihm seinen Frevel zu Gemüte führen. »Aber ihr schmähliches, gemeines Gesindel, euer achte ich nicht im geringsten; werfet, nahet euch, kommt heran und greift mich feindlich an, soviel ihr es vermöget; ihr sollt die Zahlung sehen, die ihr für eure Torheit und Frechheit davontragt.«

Das sagte er mit so viel Feuer und Entschlossenheit, daß er seinen Angreifern eine entsetzliche Furcht einflößte; und sowohl deshalb als auch auf das Zureden des Wirtes ließen sie endlich ab, auf ihn zu werfen, und er ließ es zu, die Verwundeten wegzuschaffen, und kehrte wieder zu seiner Waffenwacht mit derselben Ruhe und Gelassenheit wie zuvor.

Dem Wirt gefielen die Späße seines Gastes durchaus nicht, und er beschloß, es kurz zu machen und ihm den verwünschten Ritterschlag sogleich zu erteilen, ehe ein neues Unglück dazwischenkomme. Er trat also zu ihm heran und entschuldigte sich ob der Frechheit, welche dies niedrige Gesindel gegen ihn verübt habe, ohne daß er selbst irgend etwas davon gewußt; aber sie seien für ihr Unterfangen gehörig gezüchtigt. Er sagte ihm ferner, er habe ihm bereits mitgeteilt, daß in dieser Burg keine Kapelle sei; für das, was noch zu tun bleibe, sei sie auch nicht nötig. Der wesentliche Punkt, um die Ritterwürde zu empfangen, bestehe lediglich im Schlag auf den Nacken und auf die Schulter, nach dem, was er von den Ordensbräuchen in Erfahrung gebracht, und dies könne mitten auf freiem Felde vorgenommen werden; auch habe Don Quijote schon seine Schuldigkeit getan in betreff der Waffenwacht, die mit nur zwei Stunden abgetan werde; um so mehr, da er über vier dabei zugebracht habe.

All dieses glaubte ihm Don Quijote und erklärte, er stehe hier bereit, um ihm zu gehorsamen, er möge nur mit tunlichster Beschleunigung ein Ende machen; denn wenn er noch einmal angegriffen werde und sich dann schon zum Ritter geschlagen sehe, so gedenke er keinen Menschen in der Burg lebend zu lassen, ausgenommen die, so er, der Burgherr, ihm gebieten würde; die würde er aus Rücksicht auf ihn leben lassen.

So gewarnt und in Besorgnis vor solchen Taten, holte der Kastellan sofort ein Buch herbei, wo er die Streu und die Gerste eintrug, die er den Maultiertreibern verabreichte, und mit einem Endchen Licht, das ein Junge ihm hielt, und mit den beiden besagten Fräulein kam er zum Standort Don Quijotes, befahl ihm niederzuknien, las in seinem Schuldregister, als ob er ein fromm Gebet hersage, erhob mitten im Lesen die Hand und gab ihm einen kräftigen Streich auf den Nacken und danach einen sanften Schlag auf die Schulter mit seinem eignen Schwerte, wobei er immer zwischen den Zähnen murmelte, als ob er ein Gebet spräche. Dies vollbracht, gebot er einer der Damen, sie solle ihm das Schwert umgürten; sie tat es mit leichter Unbefangenheit und großer Zurückhaltung; denn deren bedurfte es nicht wenig, um nicht bei jedem Punkte der Feierlichkeiten vor Lachen zu platzen; allein die mannhaften Taten, die sie schon von dem angehenden Ritter gesehen, hielten ihre Lachlust in Schranken.

Beim Umgürten des Schwertes sagte ihm die gutherzige Dame: »Gott mache Euer Gnaden zu einem recht glücklichen Ritter und gebe Euch Glück in den Kämpfen.«

Don Quijote fragte sie, wie sie heiße, damit er fürderhin wisse, wem er für diese empfangene Gnade verpflichtet sei; denn er gedenke ihr teil an der Ehre zu geben, die er durch seines Armes Kraft erringen würde.

Sie antwortete mit vieler Demut, sie heiße die Tolosa und sei die Tochter eines Flickschneiders, der aus Toledo gebürtig sei und unter den Buden von Sancho-Bienaya wohne; und wo auch immer sie sich aufhielte, würde sie ihm zu Diensten sein und ihn immer für ihren Herrn erachten.

Don Quijote entgegnete ihr, aus Liebe zu ihm solle sie ihm die Gunst erweisen, sich hinfüro ein Don vorzusetzen und sich Doña Tolosa zu nennen. Sie versprach es ihm.

Die andre legte ihm den Sporn an, und es gab mit ihr ungefähr die nämliche Zwiesprache wie mit dem Schwertfräulein. Er fragte sie nach ihrem Namen; sie sagte, sie nenne sich die Müllerin und sei die Tochter eines ehrbaren Müllers aus Antequera. Auch sie bat der Ritter Don Quijote, sie solle sich das Don vorsetzen und sich Doña Müllerin nennen, wobei er ihr ebenfalls seinen Dienst und Dank anbot.

Als nun in Galopp und Hast die bis dahin nie gesehenen Feierlichkeiten abgetan waren, konnte Don Quijote die Stunde nicht erwarten, sich zu Pferde zu sehen und auf die Suche nach Abenteuern auszuziehen; und sogleich den Rosinante sattelnd, stieg er auf, umarmte seinen Wirt und sagte ihm, indem er ihm für die Gnade dankte, ihn zum Ritter geschlagen zu haben, so seltsamliche Dinge, daß es unmöglich gelingen kann, sie getreulich zu berichten. Der Wirt, um ihn nur bald außerhalb der Schenke zu sehen, antwortete mit ähnlichen Redensarten den seinigen, wenn auch in weit kürzern Worten; und ohne ihm die Gebühr für die Bewirtung abzufordern, ließ er ihn in Gottes Namen von dannen ziehen.

30. Kapitel

Welches von der Klugheit der schönen Dorotea handelt, nebst andern sehr ergötzlichen und unterhaltenden Dingen

Kaum hatte der Pfarrer geendet, so rief Sancho: »Nun, meiner Treu, Herr Lizentiat, der diese Heldentat getan, das war mein Herr, und nicht, als ob ich es ihm nicht vorher schon gesagt und ihn gewarnt hätte, er solle wohl bedenken, was er tue, und es sei eine Sünde, sie zu befreien, denn sie kämen auf die Galeeren, weil sie ausgemachte Schurken seien.«

»Dummkopf«, fiel hier Don Quijote ein, »den fahrenden Ritter geht es nichts an, und es ist nicht seine Sache zu untersuchen, ob die Bekümmerten, mit Ketten Beladenen, Bedrückten, die er auf den Wegen antrifft, um ihrer Schuld willen oder um ihres Unglücks willen in solchem Aufzug umhergehen und sich in solchem Elend befinden; es ist seine Aufgabe, lediglich ihnen als Hilfsbedürftigen beizustehen, er hat auf ihre Leiden zu sehen und nicht auf ihre Schelmenstreiche. Ich traf einen wahren Rosenkranz, eine aufgereihte Schnur jammervoller unglückseliger Leute, und mit denen tat ich, was meine Ordenspflicht mir gebeut, und mit allem übrigen mag es werden, wie es will. Und wem das mißbehagt, mit Respekt vor der heiligen Würde des Herrn Lizentiaten und vor seiner hochgeehrten Person, dem sag ich, er versteht gar wenig in Sachen des Rittertums und lügt wie ein Hurensohn und schlechter Kerl, und das will ich ihm mit meinem Schwerte so beweisen, wie es anderswo ausführlicher geschrieben steht.«

So sprach er, setzte sich in den Bügeln fest und drückte die Sturmhaube in die Stirn, denn die Barbierschüssel, die nach seiner Meinung der Helm des Mambrin war, hatte er so lang am vorderen Sattelknopf hängen, bis er sie von den Mißhandlungen, die sie von den Galeerensklaven erlitten, wieder heilen lassen könnte.

Dorotea, die verständig und voll witziger Einfälle war, wollte, da sie Don Quijotes verschrobene Eigenheiten bereits wohl kannte und sah, daß alle, mit Ausnahme Sancho Pansas, ihn zum besten hielten, nicht zurückbleiben und sprach, als sie ihn so aufgebracht sah: »Herr Ritter, es möge Euer Gnaden im Angedenken bleiben, daß Ihr mir eine Vergünstigung zugesprochen habt und daß Ihr Euch in Gemäßheit derselben keines andern Abenteuers annehmen dürft, so dringlich auch selbiges sein möge. Beruhige Euer Gnaden Euer Herze; denn hätte der Herr Lizentiat gewußt, daß durch diesen nie besiegten Arm die Galeerensklaven ihre Befreiung erlangten, so hätte er sich lieber mit drei Stichen den Mund vernäht, ja, er hätte sich dreimal auf die Zunge gebissen, ehe er ein Wort gesagt hätte, so Euer Gnaden zum Ärgernis gereichte.«

»Gewiß, darauf schwör ich«, versetzte der Pfarrer, »ja, ich hätte mir lieber den halben Schnurrbart abgeschnitten.«

»So werd ich denn schweigen, Herrin mein«, sprach Don Quijote, »und werde den gerechten Zorn niederkämpfen, der bereits in meinem Busen emporgestiegen, und werde geruhig und friedsam einherziehen, bis daß ich Euch die zugesagte Vergünstigung ins Werk gesetzt. Aber zum Entgelt dieses redlichen Fürhabens bitte ich Euch, mir zu sagen, sofern es Euch nicht zur Unannehmlichkeit gereicht: von was für Art ist Eure Bedrängnis? Imgleichen, wie viele, wer und welcher Art sind die Feinde, an denen ich die Euch gebührende, zufriedenstellende und vollständige Rache zuwege bringen soll?«

»Mit Freuden will ich dies tun«, antwortete Dorotea, »so es Euch nicht etwa beschwerlich fällt, großem Leid und Bedrängnissen Euer Ohr zu leihen.«

»Solches wird mir nicht beschwerlich fallen«, entgegnete Don Quijote.

Worauf Dorotea erwiderte: »Sintemalen dem so ist, so merket auf meine Rede, liebwerte Herren.«

Kaum hatte sie dies gesagt, so stellten sich Cardenio und der Barbier ihr zur Seite, begierig, zu vernehmen, wie sich die kluge Dorotea ihre Geschichte ersinnen werde. Das nämliche tat Sancho, der aber ebenso in Täuschung über sie befangen war wie sein Herr. Sie aber, nachdem sie sich im Sattel zurechtgesetzt und sich mit Husten und allerhand Bewegungen zum Sprechen vorbereitet, begann folgendermaßen: »Zuvörderst will ich Euch wissen lassen, meine hochpreislichen Herren, ich heiße …«

Hier stockte sie; denn ihr war der Name entfallen, den der Pfarrer ihr beigelegt hatte. Er aber kam ihr zu Hilfe, denn er merkte wohl, wo sie der Schuh drückte, und sprach: »Es ist kein Wunder, gnädiges Fräulein, daß Euer Hoheit in Verwirrung gerät und außer Fassung kommt beim Erzählen so trüber Schicksale, die es ja in der Regel an sich haben, daß sie dem von ihnen Gequälten oftmalen das Gedächtnis rauben, dergestalt, daß er sich nicht einmal seines eigenen Namens erinnert; und so haben Eure Schicksale mit Eurer Herrlichkeit getan, da es Euch entfallen ist, daß Ihr Euch die Prinzessin Míkomikona nennt, die Erbin des großen Königreichs Mikomikón. Mit diesem Fingerzeig wird Eure Hoheit alles, was Euch zu berichten beliebt, leichtlich wieder in Hochdero vom Schmerz angegriffenes Gedächtnis zurückbringen.«

»So ist es in der Tat«, entgegnete das Fräulein, »und nun glaub ich, wird es hinfüro nicht mehr erforderlich sein, mir einen Fingerzeig zu geben; ich denke, ich werde mit meiner wahrhaften Geschichte glücklich in den Hafen einlaufen. Die aber ist, daß der König, mein Vater, welcher Tinakrio der Weise hieß, hochgelahrt war in der Kunst, so man Magie benennt. Durch seine Wissenschaft brachte er es heraus, daß meine Mutter, welche Königin Jaramilla hieß, früher als er sterben, er aber bald darauf ebenfalls aus diesem Leben scheiden müßte und ich als vater- und mutterlose Waise zurückbleiben würde. Dies jedoch bekümmerte ihn, wie er sagte, nicht so sehr, als ihn die klar von ihm erkannte Gewißheit beängstigte, daß ein ungeschlachter Riese, der Beherrscher einer großen Insel, die fast an unser Reich grenzt, namens Pandafílando mit dem finstern Blick – also genannt, weil es eine ausgemachte Sache ist, daß er, wiewohl seine Augen an ihrer richtigen Stelle stehen und gradaus sehen, dennoch immer scheel blickt, als ob er wirklich schielte; das tut er aber aus Bosheit und um jeden, den er ansieht, in Furcht und Schrecken zu setzen –, also, sag ich, mein Vater sah voraus, daß selbiger Riese, sobald er meine Verwaisung erführe, mit großer Macht mein Reich überziehen und es vollständig raube und mir nicht ein einzig Dorf als Zufluchtstätte übriglassen würde. Zwar wußte er auch, daß ich all diesem Verderben, all diesem Unheil entgehen könne, wenn ich mich mit ihm vermählen wollte; allein seines Erachtens durfte er nicht glauben, es werde mir je in den Sinn kommen, eine so ungleiche Ehe einzugehen. Und darin sagte er die reine Wahrheit; denn es fiel mir nicht im entferntesten ein, mich mit selbigem Riesen zu verehelichen; aber ebensowenig mit einem andern, und wenn er auch noch so groß und ungeheuerlich wäre. Mein Vater sagte mir ferner, sobald er tot sei und ich den Pandafílando in mein Reich einbrechen sähe, solle ich mich nicht etwa damit aufhalten, mich zur Wehr zu setzen, weil ich mich dadurch zugrunde richten würde; sondern ich solle ihm das Königreich frei und ohne Hindernis überlassen, wenn ich vermeiden wolle, mich dem Tod und meine guten, getreuen Untertanen dem völligen Verderben preiszugeben; denn es werde unmöglich sein, mich vor der teuflischen Kraft des Riesen zu schirmen. Vielmehr solle ich sofort mit etlichen meiner Leute mich auf den Weg nach den hispanischen Landen begeben, wo ich Rettung aus meinen Nöten finden, nämlich einen fahrenden Ritter treffen würde, dessen Ruhm zu diesen Zeiten über dieses ganze Reich verbreitet sei, und selbiger Ritter solle, wenn ich mich recht erinnere, Don Gesotten oder Dunkelschote heißen.«

»›Don Quijote‹ wird er gesagt haben«, fiel hier Sancho Pansa ein, »oder mit andern Worten: Der Ritter von der traurigen Gestalt.«

»So ist’s in Wirklichkeit«, sprach Dorotea. »Ferner sagte mein Vater, der Ritter werde hoch von Wuchs und hager von Gesicht sein und werde auf der rechten Seite unter der linken Schulter oder nahe dabei ein braunes Muttermal mit Haaren wie Borsten haben.«

Als Don Quijote das hörte, sprach er zu seinem Schildknappen: »Komm her, mein Sohn Sancho, hilf mir die Kleider ablegen; ich will nachsehen, ob ich der Ritter bin, von dem jener gelahrte König geweissagt hat.«

»Warum will denn Euer Gnaden die Kleider ablegen?« fragte Dorotea.

»Um zu sehen, ob ich das Muttermal habe, von welchem Euer Vater gesprochen hat«, antwortete Don Quijote.

»Dazu ist kein Auskleiden vonnöten«, sprach Sancho, »weiß ich ja doch, daß Euer Gnaden ein Muttermal mit den besagten Merkmalen mitten auf dem Rückgrat hat, ein Zeichen, daß Ihr ein Mann von großen Kräften seid.«

»Das genügt«, sprach Dorotea, »denn unter guten Freunden muß man nicht auf Kleinigkeiten sehen, und ob es an der Schulter oder am Rückgrat ist, tut wenig zur Sache; genug, daß ein Muttermal vorhanden ist, und da mag es denn sein, wo es wolle, sintemal alles doch ein Fleisch ist. Und ohne Zweifel hat mein Vater in allem das Richtige getroffen, und auch ich hab’s getroffen, indem ich meine Sache dem Herrn Don Quijote anbefahl. Er ist’s offenbar, von dem mein Vater gesprochen, da die Merkzeichen des Gesichts zu denen des hohen Rufes stimmen, dessen dieser Ritter nicht nur in Spanien, sondern in der ganzen Mancha genießt. Denn kaum war ich in Osuna gelandet, da hörte ich von ihm so viel Heldentaten erzählen, daß mir gleich mein Herz sagte, er müsse der nämliche sein, den ich aufzusuchen gekommen.«

»Aber Herrin mein, wie kann Euer Gnaden in Osuna gelandet sein«, fragte Don Quijote, »wenn es doch kein Seehafen ist?«

Ehe jedoch Dorotea noch antworten konnte, kam der Pfarrer zuvor und sagte: »Gewiß hat die gnädige Prinzessin sagen wollen, daß nach ihrer Landung zu Malaga der erste Ort, wo sie Kunde von Euer Gnaden erhielt, Osuna war.«

»So habe ich sagen wollen«, sprach Dorotea.

»Und so ist’s in Richtigkeit«, versetzte der Pfarrer. »Euer Majestät wolle nur weitersprechen.«

»Es ist da nichts weiterzusprechen«, entgegnete Dorotea, »als daß letztlich mein Schicksal, indem es mich den Herrn Don Quijote auffinden ließ, sich so günstig gestaltet hat, daß ich mich schon für die Königin und Herrin meines gesamten Reiches ansehe und erachte, sintemalen er nach seiner edlen Sitte und Großherzigkeit mir die Vergünstigung zugesagt hat, mit mir hinzuziehen, wohin ich ihn führen werde; und führen will ich ihn nirgends anderswohin, als wo ich ihn dem Pandafílando mit dem finstern Gesicht gegenüberstelle, damit er ihn töte und mir das wiedererstatte, was der Riese sich widerrechtlich angemaßt hat. Und all dies wird nach Herzenswunsch geschehen; denn so hat es geweissagt Tinakrio der Weise, mein edler Vater. Selbiger hinterließ auch mündlich und schriftlich in chaldäischer Schrift oder in griechischer – denn lesen kann ich sie nicht –: Wenn dieser Ritter, von welchem er geweissagt, den Riesen geköpft hat und sich dann mit mir vermählen will, so solle ich auf der Stelle und ohne Widerrede mich ihm zu seiner rechtmäßigen Ehegattin überantworten und ihm den Besitz meines Königreiches zugleich mit dem meiner Person gewähren.«

»Wie bedünkt dich das, Freund Sancho?« fiel hier Don Quijote ein, »hörst du, was vorgeht? Sagte ich dir es nicht? Sieh nun, ob wir nicht alsbald ein Königreich zu beherrschen und eine Königin zu heiraten bekommen!«

»Darauf will ich einen Eid leisten«, sprach Sancho, »ein lumpiger Bankert, der sich nicht gleich verheiratet, sowie er dem Herrn Pantoffelhand die Kehle abgeschnitten hat! Denn, potz! wie ist die Königin so häßlich! Ich wollte, es täte jeder Floh in meinem Bett sich in so was verwandeln!«

Und mit diesen Worten machte er ein paar Luftsprünge und schlug sich dabei auf die Fußsohlen mit Freudenbezeigungen über alles Maß, faßte sofort die Zügel von Doroteas Maulesel und hielt ihn an, warf sich auf die Knie vor ihr und bat sie, ihm die Hände zu reichen, damit er zum Zeichen, daß er sie zu seiner Königin und Gebieterin annehme, einen Kuß daraufdrücken dürfe.

Wer von den Umstehenden hätte beim Anblick der Verrücktheit des Herrn und der Einfalt des Dieners nicht lachen müssen? Dorotea reichte ihm wirklich die Hände und verhieß, ihn zu einem großen Herrn in ihrem Reiche zu machen, falls der Himmel ihr das Glück verleihe, daß sie es wiedererlange und besitze. Sancho dankte ihr dafür mit solchen Ausdrücken, daß er bei allen lautes Gelächter hervorrief.

»Dieses also, meine Herren«, fuhr Dorotea jetzt fort, »ist meine Geschichte; es erübrigt mir nur noch, euch zu sagen, daß von all dem Geleite, das ich aus meinem Reiche mitnahm, mir allein dieser biedre bärtige Knappe übriggeblieben; die andern alle sind in einem heftigen Sturm angesichts des Hafens ertrunken. Er und ich sind wie durch ein Wunder auf zwei Brettern ans Land entkommen; und so ist der Verlauf meines Lebens durchaus Wunder und verborgenes Rätsel, wie ihr bemerkt haben werdet. Wenn ich aber in irgendeinem Punkte zu weitläufig gewesen bin oder nicht so ganz das Richtige gesagt, wie ich sollte, so werft die Schuld auf den Umstand, welchen der Herr Lizentiat zu Anfang meiner Erzählung hervorhob, daß langdauernde und ungewöhnliche Nöte dem das Gedächtnis rauben, der sie erleidet.«

»Mir, erhabene und hochgemute Prinzessin«, sprach Don Quijote, »sollen es all die Nöte nicht rauben, die ich zu Eurem Dienst ertragen werde, so groß und unerhört sie auch sein mögen. Und so bestätige ich aufs neue die Vergünstigung, so ich Euch zugesagt habe, und schwöre, mit Euch bis ans Ende der Welt zu ziehen, bis ich mich Eurem ingrimmigen Feinde gegenübersehe, welchem ich gedenke durch die Hilfe Gottes und meines Armes Stärke den Kopf abzuschlagen mit der Schneide dieses, ich will nicht sagen guten Schwertes, dank dem Ginés von Pasamonte, der mir das meinige geraubt hat.«

Die letzten Worte murmelte er zwischen den Zähnen und fuhr dann fort: »Und habe ich ihm den Kopf abgehauen und Euch in friedlichen Besitz Eures Landes gesetzt, dann soll es Eurem Willen anheimgestellt sein, über Eure Person so zu verfügen, wie es hinfüro Euch belieben mag. Denn solang mein Gedächtnis anderwärts in Beschlag genommen, mein Wille gefangen, meine Denkfähigkeit verloren ist um jener Holden willen, die … ich sage nicht mehr! … so lange ist es mir nicht vergönnt, auch nur in Gedanken der Möglichkeit einer Vermählung ins Auge zu schauen, und wäre es mit dem Vogel Phönix selber.«

So großes Mißfallen hatte Sancho an den letzten Worten, die sein Herr über das Ablehnen der Verheiratung sprach, daß er mit gewaltigem Ärger die Stimme erhob und sprach: »Verdammt sei ich! Bei Gott, ich schwör’s, daß Euer Gnaden, Herr Don Quijote, nicht bei vollem Verstand ist. Denn wie ist’s möglich, daß Euer Gnaden nur im Zweifel sein kann, ob Ihr eine so hohe Prinzessin wie diese heiraten wollt? Glaubt Ihr etwa, das Schicksal wird Euch hinter jedem Chausseestein ein solches Glück bieten, wie es Euch jetzt geboten wird? Ist vielleicht unser Fräulein Dulcinea schöner? Wahrhaftig nicht, nicht einmal halb so schön; ja, ich darf sagen, daß sie dem Fräulein hier nicht das Wasser reicht. Wenn es so geht, zum Henker! wie soll ich die Grafschaft kriegen, auf die ich warte, wenn Euer Gnaden Artischocken auf hoher See suchen will? Heiratet, heiratet auf der Stelle, und mag Euch der Satanas behilflich sein, und nehmt mir dies Königreich, das Euch mit Kußhänden zugeworfen wird, und wenn Ihr König seid, macht mich zum Markgrafen oder zum Statthalter, und hernach mag meinetwegen der Teufel die ganze Welt holen.«

Don Quijote, der solche Lästerungen gegen seine Herrin Dulcinea ausstoßen hörte, konnte das nicht aushalten; er erhob seinen Spieß, und ohne den Mund nur einmal aufzutun, versetzte er ihm zwei so mächtige Streiche, daß er ihn zu Boden warf, und hätte nicht Dorotea laut aufgeschrien, er solle doch mit Schlägen einhalten, so hätte er ihm sicher auf der Stelle das Leben genommen.

»Denkt Er«, sagte er zu ihm nach einer kleinen Weile, »Er Bauernflegel, es soll immer so gehen, daß ich die Hände in die Hosen stecke, und es soll stets alles damit abgetan sein, daß Er sündigt und ich Ihm verzeihe? Oh, das bilde Er sich nicht ein, verfluchter Schurke; denn das bist du jedenfalls, sintemal deine Zunge die unvergleichliche Dulcinea anzutasten gewagt hat. Weißt du nicht, du Lump, du Bettler, du Taugenichts, wenn nicht die Kraft wäre, die sie meinem Arm eingießt, daß ich deren nicht so viel hätte, um nur einen Floh umzubringen? Sage Er doch, Er Schelm mit der Vipernzunge, wer hat das Königreich erobert und dem Riesen den Kopf abgeschlagen und Ihn zum Markgrafen gemacht – denn all dieses ist meines Erachtens schon so gut wie geschehen und ein für allemal abgemacht –, wer, wenn nicht Dulcineas Tapferkeit, die meinen Arm zum Werkzeug ihrer Heldentaten genommen hat? Sie kämpft in mir und siegt in mir, und in ihr lebe ich und atme und habe Leben und Dasein in ihr. Er Bankert, Er Schuft, wie undankbar ist Er! Sieht sich aus dem Staub der Erde erhoben zu einem Edelmann mit Rittergut, und eine so große Wohltat vergilt Er der Wohltäterin mit Lästerungen!«

Sancho war nicht so übel zugerichtet, daß er nicht all die Worte seines Herrn deutlich vernommen hätte. Er erhob sich ganz hurtig vom Boden, nahm Deckung hinter Doroteas Zelter, und von dieser Schutzwehr aus sprach er zu seinem Herrn: »Sagt mir, Señor, wenn Euer Gnaden entschlossen ist, diese große Prinzessin nicht zu heiraten, so ist’s klar, daß Ihr das große Königreich nicht bekommt, und wenn Ihr’s nicht bekommt, welche Gnaden könnt Ihr mir erweisen? Das ist’s eben, was mir weh tut. Heiratet, gnädiger Herr, heiratet unter allen Umständen diese Königin, wir haben sie ja zur Hand wie vom Himmel herabgeschneit, und nachher könnt Ihr immerhin wieder zu unserm Fräulein Dulcinea zurückkehren. Denn sicher hat es schon manchen König in der Welt gegeben, der sich eine Nebenfrau hielt. Den Punkt aber von wegen der Schönheit, da laß ich mich nicht drauf ein; denn in aller Wahrheit, wenn sie doch gesagt werden muß, beide gefallen mir, wiewohl ich das Fräulein Dulcinea niemals mit Augen gesehen.«

»Wie kannst du sie nicht gesehen haben, gotteslästerlicher Verräter?« entgegnete Don Quijote. »Hast du mir nicht eben erst eine Botschaft von ihr gebracht?«

»Ich meine«, antwortete Sancho, »ich habe sie nicht mit genügsamer Muße angesehen, um mir ihre Schönheit im einzelnen und ihre Vorzüge Punkt für Punkt zu merken; aber so im ganzen gefällt sie mir.«

»Nun, hiernach will ich dir deine Schuld nachsehen«, sprach Don Quijote, »vergib auch du mir die Kränkung, die ich dir zugefügt, die ersten Regungen hat der Mensch nicht in seiner Gewalt.«

»Das seh ich wohl«, erwiderte Sancho, »und so ist bei mir die Lust zu plaudern immer die erste Regung, und ich kann’s nicht lassen, wenigstens einmal herauszusagen, was mir auf die Zunge kommt.«

»Trotzdem«, sprach Don Quijote, »bedenke, Sancho, was du sprichst; denn der Krug geht so lange zum Brunnen … Weiter sag ich nichts.«

»Schon gut«, entgegnete Sancho, »es lebt ein Gott im Himmel, der sieht die Fallstricke, die dem Menschen gelegt werden, und wird Richter sein, wer von uns beiden sich ärger versündigt, ich, wenn ich unrecht rede, oder Ihr, wenn Ihr unrecht handelt.«

»Laßt nun genug sein«, sprach Dorotea, »eilet hin, Sancho, und küßt Eurem Herrn die Hand, bittet ihn um Verzeihung und nehmt Euch fürderhin besser in Obacht bei Eurem Loben und Tadeln und sagt jener Dame Toboso nichts mehr Böses nach, von der ich nichts weiter weiß, als daß ich ihr zu Diensten bereit bin. Vertraut auf den lieben Gott, und es wird Euch nicht an einem Erbgut fehlen, wo Ihr wie ein Prinz leben könnt.«

Sancho ging gesenkten Hauptes hin und bat seinen Herrn um die Hand; dieser reichte sie ihm mit ernster Haltung zum Kusse und gab ihm dann seinen Segen. Hierauf sagte der Ritter zu Sancho, sie wollten ein wenig vorangehen; er habe wichtige Dinge ihn zu fragen und mit ihm zu besprechen. Sancho tat also. Die beiden gingen den andern eine kleine Strecke voraus, und Don Quijote sprach: »Seit du gekommen bist, habe ich weder Gelegenheit noch Muße gefunden, um dich nach mancherlei Umständen betreffs der Botschaft, die du hingetragen, und der Antwort, die du gebracht hast, zu fragen; jetzt aber, da der Zufall uns Zeit und Gelegenheit vergönnt hat, so versage du mir nicht die Glückseligkeit, die du mir durch so erfreuliche Kunde verschaffen kannst.«

»Fragt, edler Herr«, entgegnete Sancho, »soviel Ihr nur wollt, und ich will mit allem ebensogut zu Ende kommen, wie ich den Anfang gemacht habe. – Aber, Herre mein, eins bitt ich Euer Gnaden, tragt mir doch fürderhin nicht alles so lange nach.«

»Weshalb sagst du dieses, Sancho?« fragte Don Quijote.

»Deshalb«, antwortete Sancho, »weil die Prügel von soeben doch mehr für den Streit ausgeteilt wurden, den neulich des Nachts der Teufel zwischen uns beiden angezettelt, als für meine heutigen Äußerungen wider Fräulein Dulcinea, welche wie eines heiligen Märtyrers Gebresten – wiewohl sie keines an sich hat – von mir geschätzt und verehrt wird, bloß weil sie Euer Gnaden angehört.«

»Fang nicht wieder davon an, Sancho, so dir dein Leben lieb ist«, entgegnete Don Quijote, »denn das macht mir Verdruß; damals habe ich dir verziehen, aber du weißt, neue Sünde fordert neue Buße.«

Während die beiden sich in diesem Gespräch ergingen, sagte der Pfarrer zu Dorotea, sie habe sich sehr klug gezeigt sowohl in der Erzählung und deren Kürze als auch in der Ähnlichkeit, die diese mit den Ritterbüchern hatte.

Sie erwiderte, gar oft habe sie sich mit dem Lesen solcher Bücher unterhalten, aber freilich wisse sie nichts von der Lage der Provinzen und Seehäfen, und so habe sie auf gut Glück gesagt, sie sei in Osuna gelandet.

»So habe ich es mir gedacht«, sprach der Pfarrer, »und deshalb kam ich gleich mit meiner Bemerkung zu Hilfe, durch die alles wieder ins rechte Geleise gebracht wurde. Aber ist es nicht erstaunlich, wie leichtgläubig der unselige Junker all diese Erfindungen und Lügen für wahr hinnimmt, bloß weil sie den Stil der Albernheiten aus seinen Büchern an sich tragen?«

»Freilich«, sprach Cardenio, »und so merkwürdig und unerhört ist diese Leichtgläubigkeit, daß, wenn man sie lügnerisch erfinden und mit Kunst ersinnen wollte, ich nicht glaube, daß es einen so geistreichen Schriftsteller gäbe, um auf so etwas zu kommen.«

»Es ist aber noch etwas andres dabei«, sagte der Pfarrer. »Sieht man von den Albernheiten ab, die dieser wackre Junker vorbringt, wenn es sich um seine närrischen Einbildungen handelt, so sind alle seine Äußerungen höchst vernünftig, sobald man mit ihm über andre Dinge redet, und bewähren in ihm einen hellen heiteren Geist, so daß ein jeder ihn, vorausgesetzt, daß man nicht an sein Ritterwesen rührt, für einen Mann von durchaus gesundem Verstande halten muß.«

Während sich diese in solcher Unterhaltung ergingen, setzte Don Quijote die seinige fort und sprach zu Sancho: »Laß uns, Freund Sancho, unsere Zänkereien ins Meer versenken, und sage mir jetzt, ohne daß du dem Ärger und Groll Raum gibst, wo, wie und wann hast du Dulcinea gefunden? Womit beschäftigte sie sich? Was für ein Gesicht machte sie, als sie meinen Brief las? Wer hat ihn dir abgeschrieben? Kurz, sage alles, was in diesem Falle du des Wissens, Erfragens, Beantwortens wert erachtest, ohne daß du etwas hinzusetzest oder erlügest, um mir Angenehmes zu erweisen, oder etwas abkürzest, um mich etwas Unangenehmes nicht hören zu lassen.«

»Señor«, antwortete Sancho, »wenn ich doch die Wahrheit sagen soll, so hat mir niemand den Brief abgeschrieben; denn ich habe den Brief gar nicht mitgenommen.«

»Es ist so, wie du sagst«, sprach Don Quijote, »denn das Notizbüchlein, in das ich ihn schrieb, habe ich zwei Tage nach deinem Weggang in meinem Besitz gefunden. Es war mir das höchst unangenehm, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was du anfangen solltest, wenn du das Fehlen des Briefes bemerken würdest, und ich dachte beständig, du würdest umkehren, sobald du ihn vermißtest.« »Das wäre auch geschehen«, entgegnete Sancho, »hätte ich mir ihn nicht ins Gedächtnis eingeprägt, als Euer Gnaden ihn mir vorlas. Da konnte ich ihn denn einem Küster vorsagen, der ihn mir aus dem Kopfe niederschrieb, Punkt für Punkt, so daß er mir sagte, er habe zwar schon viele geistliche Bannbriefe gelesen, doch nie einen so hübschen Brief wie diesen.«

»Hast du ihn noch im Gedächtnis, Sancho?« fragte Don Quijote.

»Nein, Señor«, antwortete Sancho. »Sobald ich ihn hergegeben hatte und sah, daß er mir zu nichts mehr nütze war, verlegte ich mich drauf, ihn zu vergessen. Wenn mir doch noch was in der Erinnerung ist, so ist es der Satz von der fürchterlichen, ich will sagen fürstlichen Gebieterin und der Schluß: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt. Und inmitten zwischen diese zwei Stellen setzte ich mehr als dreihundert ›Herzliebchen‹ und ›mein Leben‹ und ›Licht meiner Augen‹.«

31. Kapitel

Von der ergötzlichen Zwiesprache, die Don Quijote und sein Schildknappe Sancho Pansa miteinander hielten, nebst andern Begebnissen

»All dieses mißbehagt mir keineswegs«, sprach Don Quijote, »fahre fort. Du kamst also hin, und womit beschäftigte sich die Königin der Schönheit? Sicher fandest du sie, wie sie Perlen aufreihte oder mit Goldfaden eine neue Devise für mich, den in ihren Fesseln liegenden Ritter, stickte.«

»So hab ich sie nicht gefunden«, entgegnete Sancho, »sondern wie sie auf ihrem Hof zwei Scheffel Weizen siebte.«

»Dann sei gewiß«, sagte Don Quijote, »die Körner dieses Weizens waren, von ihrer Hand berührt, eitel Perlenkörner. Und wenn du genau hingesehen hast, Freund, war der Weizen von der guten oder rötlichen Art?«

»Es war nichts andres als gemeiner gelber Weizen«, antwortete Sancho.

»Nun, dann versichere ich dir«, sprach Don Quijote, »von ihren Händen gesiebt, gab er ohne Zweifel das feinste Semmelbrot. Doch weiter: als du ihr meinen Brief überreichtest, hat sie ihn geküßt? Hat sie mit ihm die Stirn berührt? Hat sie ihn mit jener Feierlichkeit empfangen, wie sie eines solchen Briefes würdig war? Oder was hat sie überhaupt getan?«

»Als ich ihn ihr reichen wollte«, antwortete Sancho, »hatte sie gerade eine tüchtige Menge Weizen im Sieb und war mitten im heftigsten Schütteln, da sagte sie zu mir: ›Lieber Freund, legt mir den Brief auf den Sack dort; ich kann ihn nicht lesen, bis ich den ganzen Vorrat hier fertig gesiebt habe.‹«

»Wie verständig!« sprach Don Quijote, »sie tat dies jedenfalls, um ihn mit Muße zu lesen und sich an ihm zu ergötzen. Weiter, Sancho: Während sie bei ihrer Beschäftigung war, welche Zwiesprache hielt sie mit dir? Was fragte sie dich über mich? Und du, was hast du ihr geantwortet? Komm einmal zu Ende, erzähle mir alles, nicht eine Achtelnote darfst du auslassen.«

»Sie hat mich gar nichts gefragt«, sprach Sancho, »ich aber erzählte ihr, wie es Euch aus Liebe zu ihr erginge, indem Ihr Euch kasteiet, vom Gürtel aufwärts entblößt, in diesem Gebirge steckend, als ob Ihr ein Wilder wäret, auf dem Erdboden schlafend, ohne je auf einem Tischtuch zu essen, ohne Euch den Bart zu kämmen, Euer Schicksal beweinend und verwünschend.«

»Wenn du gesagt hast, ich verwünsche mein Schicksal, so muß ich deine Worte verwünschen«, sagte Don Quijote. »Denn ich segne es vielmehr und werde es zeit meines Lebens segnen, daß es mich der Gunst würdig gemacht hat, eine so hohe Gebieterin wie Dulcinea von Toboso zu lieben.«

»Ja, so hoch ist sie«, versetzte Sancho, »daß sie mir wahrhaftig um mehr als eine Faust über ist.«

»Wie, Sancho«, fragte Don Quijote, »hast du dich mit ihr gemessen?«

»Wir haben uns auf die Weise gemessen«, antwortete Sancho, »daß wir, als ich herzuging, um ihr einen Sack Weizen auf einen Esel laden zu helfen, so nahe zusammenkamen, daß ich sehen konnte, sie sei um eine gute Handbreit größer als ich.«

»Aber bekleidet und schmückt sie diese Körpergröße nicht mit tausend Millionen Reizen der Seele?« rief Don Quijote. »Und eines wirst du mir nicht in Abrede stellen, Sancho: als du ihr so nahe kamst, Sancho, spürtest du da nicht einen sabäischen Wohlgeruch, einen balsamischen Hauch, ein ich weiß nicht was Fürtreffliches, das ich nicht zu nennen imstande bin, ich meine einen Duft oder Dunst, als ob du im Laden eines feinen Handschuhmachers wärest?«

»Ich kann weiter nichts sagen«, entgegnete Sancho, »als daß ich so ein gewisses männliches Gerüchlein verspürte, und das kam wohl daher, daß sie von der vielen Arbeit schwitzte und schier triefte.«

»Das kann’s nicht gewesen sein«, sprach Don Quijote, »sondern du hast sicher den Schnupfen gehabt oder mußt dich selbst gerochen haben; denn ich weiß gar wohl, wonach sie duftet, diese Rose unter Dornen, diese Lilie im Tal, diese flüssige Ambra.«

»Das kann alles sein«, erwiderte Sancho, »denn häufig geht von mir der Geruch aus, der mir damals von des Fräuleins Dulcinea Gnaden auszugehen schien. Allein darüber darf man sich nicht verwundern; denn ein Teufel ist geradeso wie der andre.«

»Nun gut«, fuhr Don Quijote fort, »sie hat also ihren Weizen jetzt fertig gesiebt und in die Mühle geschickt – wie benahm sie sich, als sie meinen Brief las?«

»Den Brief«, sprach Sancho, »den hat sie gar nicht gelesen; denn sie sagte, sie könne nicht lesen noch schreiben; vielmehr zerriß sie ihn und zerstückte ihn in kleine Fetzen und sagte, sie wolle ihn niemandem zu lesen geben, damit man im Dorf nicht ihre Geheimnisse erfahre; und es sei schon hinreichend, was ich ihr mündlich über Euer Gnaden Liebe zu ihr gesagt und über die absonderliche Kasteiung, die Ihr von ihretwegen fortwährend übt. Und schließlich sagte sie mir, ich solle Euer Gnaden sagen, sie küsse Euch die Hände und trage mehr Lust, Euch zu sehen als Euch zu schreiben. Und sonach bitte und befehle sie Euch, nach Sicht des Gegenwärtigen sollt Ihr Euch aus diesen Wildnissen entfernen und sollt mit dem Verüben von Narreteien aufhören und sollt Euch gleich auf den Weg nach Toboso begeben, wenn Euch eben nichts Wichtigeres aufstoße; denn sie habe große Begier, Euer Gnaden zu sehen. Sie lachte mächtiglich, als ich ihr sagte, Euer Gnaden nenne sich den Ritter von der traurigen Gestalt. Ich fragte sie, ob der Biskayer von neulich gekommen sei; sie sagte mir, ja, und es sei ein sehr wackerer Mann. Auch fragte ich sie nach den Galeerensklaven; allein sie erwiderte mir, sie habe bisher keinen zu Gesicht bekommen.«

»Soweit geht alles gut«, sprach Don Quijote. »Aber sage mir, welch ein Kleinod hat sie dir, da sie dich verabschiedete, für die Nachricht geschenkt, die du ihr von mir brachtest? Denn unter Rittern und Damen von der fahrenden Zunft ist es bräuchliche, alte Sitte, den Knappen, Zofen oder Zwergen, die den Rittern Nachricht von den Damen und diesen von ihren fahrenden Helden bringen, irgendein köstlich Kleinod zum Lohn zu verehren als Dank für ihre Botschaft.«

»Das mag wohl so sein, und ich halte es für einen löblichen Brauch, allein das kann nur in vergangenen Zeiten so gewesen sein. Jetzt muß es nur Sitte sein, ein Stück Brot und Käse zu verehren; denn das war es, was mir das Fräulein Dulcinea über die Hofmauer hinüberreichte, als ich mich von ihr verabschiedete; ja, zum genaueren Wahrzeichen war es geringer Schafkäse.«

»Sie ist freigebig über die Maßen«, entgegnete Don Quijote, »und wenn sie dir kein Kleinod von Gold gab, so war der Grund ohne Zweifel, daß sie im Augenblick keines zur Hand hatte. Doch ein warmer Rock ist auch nach Ostern noch zu brauchen: ich werde sie sehen, und es soll alles gutgemacht werden. Weißt du, was mich wundert, Sancho? Daß es mich bedünkt, du seiest durch die Lüfte hingeeilt und zurückgekommen; denn du bist von hier bis Toboso hin und zurück kaum mehr als drei Tage geblieben, während es von hier bis dort über dreißig Meilen sind. Deshalb meine ich, jener gelahrte Schwarzkünstler, der sich meiner Angelegenheiten annimmt und mein Freund ist – denn notwendig ist ein solcher vorhanden und muß vorhanden sein, sonst wäre ich kein echter, rechter fahrender Ritter –, ich sage also, selbiger hat dir sicherlich zu reisen geholfen, ohne daß du es gemerkt hast. Denn es gibt Zauberer, die einen fahrenden Ritter entführen, derweil er in seinem Bette schläft, und ohne zu wissen, wie und wieso, erwacht er des andern Morgens mehr als tausend Meilen von dem Ort entfernt, wo er sich am Abend zuvor befunden. Und wenn es nicht in dieser Weise vor sich, ginge, so könnten die fahrenden Ritter nicht in ihren Fährlichkeiten einander zu Hilfe kommen, wie sie dies bei jeder Gelegenheit tun. So trifft es sich einmal, daß einer in den armenischen Gebirgen mit einem Drachen im Kampfe steht oder mit sonst einem grimmigen Ungetüm oder mit irgendeinem Ritter und im Gefechte den kürzeren zieht und schon auf dem Punkte steht, das Leben zu verlieren – und ehe ich mich’s versehe, läßt sich hoch oben auf einer Wolke oder einem feurigen Wagen ein andrer Ritter sehen, sein Freund, der sich kurz vorher in England befand; der bringt ihm Hilfe und errettet ihn vom Tode, und am Abend sitzt er in seinem Wohngelaß und hält sein Nachtmahl nach Herzenslust. Und doch sind es gewöhnlich von einem Ort zum andern zwei-, dreitausend Meilen, und alles das geschieht durch Kunst und Wissen jener gelahrten Zauberer, so diese mannhaften Ritter in ihre Obhut nehmen. Sonach, Freund Sancho, fällt es mir nicht schwer zu glauben, daß du in so kurzer Zeit von diesem Ort nach Toboso hin- und zurückgekommen bist, da, wie gesagt, irgendein befreundeter Zauberkünstler dich sicherlich im Flug durch die Lüfte entführt hat, ohne daß du es merktest.«

»So wird’s gewesen sein«, sprach Sancho, »denn meiner Treu, Rosinante lief, als wäre er ein Zigeuneresel mit Quecksilber in den Ohren.«

»Freilich muß er Quecksilber in den Ohren gehabt haben«, versetzte Don Quijote, »oder gar eine Legion Teufel; denn die sind Wesen, die ohne Ermüdung, und so weit es sie nur immer gelüstet, reisen und andern zu reisen helfen. Aber lassen wir das beiseite und sage mir: Was, meinst du, soll ich jetzt tun in Ansehung des Gebotes meiner Herrin, daß ich sofort vor ihr Angesicht treten soll? Denn wiewohl ich weiß, daß ich verpflichtet bin, ihrem Gebote zu gehorsamen, so sehe ich mich doch durch die Vergünstigung, die ich dieser Prinzessin, die sich bei uns befindet, zugesagt habe, in die Unmöglichkeit versetzt, es zu tun, und es nötigt mich das Gesetz des Rittertums, meinem Wort eher als meiner Neigung zu genügen. Einerseits peinigt und drängt mich das Verlangen, meine Herrin zu sehen, andererseits treibt und ruft mich meine feste Zusage wie auch der Ruhm, den ich bei diesem Unternehmen erlangen werde. Indessen, was ich zu tun gedenke, soll dieses sein: Ich will mich eiligst auf den Weg zu dem Riesen machen und, gleich wenn ich hinkomme, ihm den Kopf abhauen und die Prinzessin friedlich in ihr Reich einsetzen, und dann will ich unverweilt zurückkehren, um das Licht zu schauen, das all meine Sinne erleuchtet, und ich will ihr dann so bedeutsame Entschuldigungsgründe vorbringen, daß sie schließlich mein Zögern gutheißt, sintemal sie einsehen wird, daß alles zur Erhöhung ihrer Glorie und ihres Ruhmes gereicht. Denn alles, was ich durch die Waffen in diesem Leben mir gewonnen habe, gewinne und gewinnen werde, alles das wird mir nur dadurch zuteil, daß sie mir großgünstigen Beistand verleiht und daß ich der Ihrige bin.«

»Oh, oh«, sprach Sancho, »wie arg geschädigt seid Ihr doch an Eurem Hirn! Sagt mir einmal, Señor, ist Euer Gnaden gesonnen, diese Kriegsfahrt vergeblich zu fahren und eine so reiche Heirat vorüber- und verlorengehen zu lassen wie diese, wo man Euch ein Königreich zur Mitgift reicht, welches, so hab ich’s allen Ernstes sagen hören, mehr als zwanzigtausend Meilen im Umkreis hält und Überfluß an allem hat, was der Mensch zum Leben braucht, und größer ist als Portugal und Kastilien zusammen? Schweige mir um Gottes willen und schämt Euch dessen, was Ihr gesagt, und folgt meinem Rat und nehmt mir’s nicht übel und heiratet gleich im ersten besten Dorf, wo sich ein Pfarrer findet, und wo nicht, so ist ja unser Lizentiat hier, der wird es aufs beste verrichten. Und merkt Euch, daß ich zum Ratgeben alt genug bin und daß der Rat, den ich Euch jetzt gebe, für Euch durchaus paßt: Besser ein Spatz in der Hand als zehn Tauben auf dem Dach; denn wer Gutes kann haben und Böses will, wird ihm Gutes erteilt, so schweige er still.«

»Erwäge, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »wenn du den Rat, mich zu verheiraten, deshalb gibst, damit ich nach Tötung des Riesen gleich König werde und die Macht habe, dir Gnaden zu erweisen und dir das Versprochene zu gewähren, so tu ich dir zu wissen, daß ich, auch ohne mich zu vermählen, deinen Wunsch sehr leicht erfüllen kann. Denn bevor ich in den Kampf ziehe, werde ich mir als Zugabe zu meiner Belohnung ausbedingen, daß, wenn ich ihn siegreich bestehe, auch falls ich nicht heirate, mir ein Teil des Königreichs übereignet werden muß, auf daß ich ihn jedem nach meiner Wahl schenken kann; und sobald man ihn mir übergibt, wem soll ich ihn schenken als dir?«

»Das ist klar«, erwiderte Sancho, »jedoch beachte Euer Gnaden, daß Ihr mir ihn an der Seeküste aussucht, damit ich, wenn mir der Aufenthalt nicht behagt, meine schwarzen Untertanen einschiffen und mit ihnen anfangen kann, was ich schon gesagt habe. Auch dürft Ihr für jetzt nicht daran denken, Euch unserm Fräulein Dulcinea vorzustellen, sondern zieht hin und schlagt den Riesen tot, und da wollen wir die Sache zum Schluß bringen; denn bei Gott, ich bin überzeugt, es wird viel Ehre und viel Vorteil dabei herauskommen.«

»Ich sage dir, Sancho«, sprach Don Quijote, »du hast ganz recht, ich werde deinen Rat annehmen, insofern er darauf hinausgeht, daß ich erst mit der Prinzessin hinziehe, bevor ich Dulcinea aufsuche. Und ich warne dich, daß du keinem, auch nicht denen, die jetzt unsre Begleiter sind, etwas von alledem erzählst, was wir hier gesprochen und verhandelt haben. Denn sintemal Dulcinea so zurückhaltend ist und nicht will, daß man ihre Gesinnungen kenne, so wäre es nicht wohlgetan, wenn ich oder ein andrer durch mich sie offenbaren würde.«

»Aber wenn dem so ist«, sprach Sancho, »wie kann Euer Gnaden dann diejenigen, die Ihr durch Eures Armes Kraft besiegt, verpflichten wollen, daß sie hingehen und sich unserm Fräulein Dulcinea stellen, da dies geradesoviel heißt, wie mit Eurem Namen zu unterschreiben, daß Ihr sie von Herzen gerne habt und ihr Liebhaber seid? Und da es unerläßlich ist, daß alle, die hinkommen, sich vor ihr auf die Knie werfen und sagen müssen, daß sie von Euer Gnaden wegen kommen, um ihr Huldigung zu leisten, wie können da Euer beider Gefühle im verborgenen bleiben?«

»O wie dumm, wie einfältig bist du!« versetzte Don Quijote. »Siehst du nicht, Sancho, daß all dieses zu ihrer größeren Verherrlichung gereicht? Denn du mußt wissen, Sancho, nach diesem unserm Ritterbrauch ist es eine große Ehre, wenn eine Dame viele fahrende Ritter hat, die ihr dienen, ohne daß deren Gedanken auf ein weiteres Ziel gehen, als ihr zu dienen und ihr einzig und allein deshalb zu dienen, weil sie die hohe Dame ist, die sie ist, und ohne einen andern Lohn für ihr vielfaches und tugendsames Streben zu erhoffen, als daß die Dame dareinwillige, sie zu ihren Rittern anzunehmen.«

»Mit dieser Art Liebe«, sprach Sancho, »habe ich predigen hören, soll Gott lediglich um seiner selbst willen geliebt werden, ohne daß uns Hoffnung auf Himmelslohn oder Furcht vor Höllenstrafe treibt. Ich zwar möchte eher von dessentwegen, was er vermag, ihm meine Liebe und Dienste weihen.«

»Ei, daß dich der Teufel, was für ein Bauernkerl!« sprach Don Quijote. »Was für gescheite Sachen gibst du auf einmal von dir! Es sieht geradeso aus, als hättest du studiert.«

»Nein, aufs Wort, ich kann nicht einmal lesen«, entgegnete Sancho.

Indem rief ihnen Meister Nikolas zu, ein wenig zu warten, sie wollten haltmachen, um an einem Brünnlein zu trinken, das sich dort fand. Don Quijote hielt an, zu Sanchos nicht geringem Vergnügen, der schon müde war, soviel lügen zu müssen, und besorgte, sein Herr möchte ihn mit seinen eignen Worten fangen; denn obgleich er wußte, daß Dulcinea eine Bäuerin aus Toboso war, so hatte er sie doch in seinem ganzen Leben nicht gesehen.

Inzwischen hatte sich Cardenio die Kleider angezogen, die Dorotea trug, als sie sie fanden, und wiewohl nicht besonders gut, waren sie doch weit besser als die, welche er ablegte. Sie stiegen an der Quelle ab, und mit dem, was der Pfarrer sich in der Schenke hatte geben lassen, befriedigten sie, wenn auch nur ungenügend, den großen Hunger, den sie alle verspürten.

Während sie damit beschäftigt waren, kam ein des Weges wandernder Bursche zufällig vorüber. Er betrachtete die an der Quelle sitzenden Leute mit großer Aufmerksamkeit, stürzte auf Don Quijote zu, schlang die Arme um dessen Beine, hob bitterlich zu weinen an und sprach: »O lieber Herr! Kennt mich Euer Gnaden nicht mehr? So seht mich genau an, ich bin jener Bursche Andrés, den Euer Gnaden von dem Eichbaum, an den ich gebunden war, losgemacht hat.«

Don Quijote erkannte ihn, ergriff ihn bei der Hand und wendete sich zu den Anwesenden, indem er sprach: »Auf daß die Herrschaften sehen, wie wichtig es ist, daß es fahrende Ritter auf Erden gebe, welche den Ungebührlichkeiten und Unbilden steuern, die verübt werden von den frechen und schlechten Menschen, so auf selbiger leben, so sollt ihr erfahren: Vor einigen Tagen kam ich vorübergezogen an einem Walde und hörte Geschrei und Schmerzenslaute von einem schwer leidenden, hilfsbedürftigen Menschen. Sofort eilte ich, von meiner Berufspflicht angetrieben, nach der Gegend, woher meines Bedünkens die kläglichen Töne erschollen, und fand, an eine Eiche gebunden, diesen Jüngling, welcher vor euch stehet, worüber ich mich in tiefstem Herzen freue; denn er wird mir ein Zeuge sein, der alle meine Worte bekräftigen wird. Ich sage also, er war an die Eiche gebunden, entkleidet von der Mitte des Körpers bis hinauf, und da stand und zerfleischte ihm die Haut mit den Zügeln seiner Stute ein Bauer, der, wie ich alsbald in Erfahrung brachte, sein Dienstherr war. Und sobald ich ihn erblickte, befragte ich ihn um die Ursache so gräßlicher Geißelung. Der Grobian antwortete; er prügle ihn, weil selbiger sein Diener sei und weil gewisse Nachlässigkeiten, die er verschuldet, mehr in Spitzbüberei als in Dummheit ihren Grund hätten. Worauf dieser Knabe sprach: ›Señor, er peitscht mich nur deshalb, weil ich meinen Dienstlohn von ihm verlange.‹ Der Herr antwortete mit, ich weiß nicht was für schönen Worten und Ausreden, die ich zwar anhörte, aber nicht gelten ließ; kurz, auf mein Gebot ward er losgebunden, und ich nahm dem Bauer einen Eid ab, ihn mit nach Hause zu nehmen und ihn zu bezahlen, Real für Real, und sogar in Münzen vom schönsten Schlag. Ist dies nicht alles wahr, mein Sohn Andrés? Hast du nicht bemerkt, mit welcher gebietenden Würde ich es ihm befahl und mit welcher Demut er alles zu tun verhieß, was ich ihm auferlegte, ihm zu wissen tat, ihm anbefahl? Antworte, sei nicht verlegen, sprich ohn alles Bedenken; sag diesen Herrschaften, was vorgegangen, auf daß man sehe und wohl beachte, wie es in Wirklichkeit den großen Nutzen hat, den ich dargelegt, daß es auf den Wegen weitum fahrende Ritter gibt.«

»Alles, was Euer Gnaden gesagt hat, ist sehr wahr; aber der Ausgang der Sache war ganz das Gegenteil dessen, was Euer Gnaden sich vorstellte.«

»Wieso das Gegenteil?« fragte Don Quijote, »also hat dich der gemeine Bauer nicht bezahlt?«

»Nicht nur nicht bezahlt«, antwortete der Junge, »sondern sobald Euer Gnaden aus dem Busch hinaus und wir zwei allein waren, band er mich wieder an denselben Eichbaum und versetzte mir aufs neue so viel Hiebe, daß ich geschunden war wie ein heiliger Bartholomäus; und bei jedem Hieb, den er mir aufmaß, gab er einen Witz und Spott zum besten, um sich über Euer Gnaden lustig zu machen, und hätte ich nicht so arge Schmerzen gelitten, so hätte ich über seine Späße lachen müssen. Kurz, er hat mich so zugerichtet, daß ich bis jetzt in einem Spital war, um mich von dem Leid und Weh heilen zu lassen, das ich dem heillosen Bauer zu verdanken hatte. An alldem trägt Euer Gnaden die Schuld; denn wäret Ihr Eures Weges fürbaß gezogen und wäret nicht hingekommen, wohin Euch niemand gerufen, und hättet Ihr Euch nicht in fremde Händel gemischt, so hätte sich mein Herr damit begnügt, mir ein, zwei Dutzend Hiebe aufzuzählen, und dann hätte er mich alsbald losgebunden und mir bezahlt, was er mir schuldig war. Aber da Euer Gnaden ihn so ohne Not an der Ehre angegriffen und ihm soviel Niederträchtigkeiten angehängt, da entbrannte in ihm der Zorn, und da er ihn nicht an Euch auslassen konnte, so ließ er, als er sich allein sah, das Unwetter über mich so gewaltig losbrechen, daß ich meine, ich werde all meine Lebtage kein rechter Mann mehr werden.«

»Mein Fehler war«, sagte Don Quijote, »daß ich mich von dort entfernte. Ich hätte mich nicht entfernen sollen, bis ich dich bezahlt gesehen hätte. Wohl hätte ich durch lange Erfahrung belehrt sein müssen, daß kein Bauernlümmel sein gegebenes Wort hält, wenn er sieht, daß es ihm nicht dienlich ist, es zu halten. Aber du erinnerst dich auch, Andrés, daß ich geschworen habe, wenn er dich nicht bezahle, würde ich auf die Suche nach ihm ziehen und ihn auffinden, wenn er sich auch in einem Walfischbauche verbergen sollte.«

»So ist es in Wahrheit«, versetzte Andres, »aber es hat nichts geholfen.«

»Sogleich sollst du sehen, ob es helfen wird«, entgegnete Don Quijote; und mit diesen Worten stand er schleunigst auf und befahl Sancho, den Rosinante zu zäumen, der umherweidete, während sie speisten. Dorotea fragte ihn, was er vorhabe. Er antwortete, er wolle den Bauern aufsuchen und für ein so schändliches Benehmen züchtigen und ihn zwingen, den Andrés bis auf den letzten Maravedí zu bezahlen, allen Bauern in der ganzen Welt zu Trotz und Ärger. Worauf sie antwortete, er möge bedenken, daß er sich in kein andres Unternehmen einlassen dürfe, bis er das ihrige zu Ende geführt; und da er dies besser als irgend jemand wisse, so möge er sein Gemüt beruhigen bis nach der Rückkehr aus ihrem Königreich.

»So ist es in der Tat«, entgegnete Don Quijote, »und es ist unvermeidlich, daß Andrés bis zur Rückkehr, wie Ihr, Señora, bemerkt, sich in Geduld fasse; aber ich schwör ihm abermals und verheiße aufs neue, nicht zu ruhen, bis ich ihm Rache und Bezahlung verschafft habe.«

»Ich hab keinen Glauben an diese Schwüre«, sprach Andrés, »lieber hätt ich jetzt etwas, um nach Sevilla zu kommen, als alle Rache auf der ganzen Welt. Wenn Ihr hier etwas für mich zu essen und mit auf den Weg zu nehmen habt, so gebt mir’s, und Gott befohlen Euer Gnaden und alle fahrenden Ritter zusammen, und möchten sie alle zu ihrer Strafe so wohl fahren, wie ich mit ihnen gefahren bin!«

Sancho nahm aus seinem Vorrat ein Stück Brot und ein Stück Käse, gab es dem Burschen und sagte: »Nehmt, Freund Andrés, denn auf jeden von uns trifft ein Teil von Eurem Unglück.«

»So? Welch ein Teil trifft auf Euch?« fragte Andrés.

»Dieser Teil von meinem Käse und Brot, den ich Euch gebe«, antwortete Sancho, »denn Gott mag wissen, ob er mir demnächst einmal fehlen wird oder nicht. Ihr müßt nämlich wissen, guter Freund, wir Schildknappen der fahrenden Ritter sind gar vielem Hunger und widrigem Geschick ausgesetzt und auch noch andrem, was sich besser fühlen als sagen läßt.«

Andrés griff nach seinem Brot und Käse, und da er sah, daß keiner sonst ihm etwas gab, ließ er den Kopf hängen und nahm den Weg zwischen die Beine, wie man zu sagen pflegt. Jedoch sagte er noch im Scheiden zu Don Quijote: »Ich bitt Euch um Gottes willen, fahrender Herr Ritter, wenn Ihr mich wieder einmal irgendwo antrefft, und solltet Ihr auch sehen, daß man mich in Stücke haut, so kommt mir nicht zu Hilfe und steht mir nicht bei, sondern laßt mich in meinem Unglück. Denn dieses kann doch nie so groß sein, daß das Pech nicht noch größer wäre, das mir von Eurem Beistande kommen würde, Herr Ritter, den Gott verdammen wolle samt allen fahrenden Rittern, soviel ihrer je zur Welt gekommen!«

Don Quijote wollte sich erheben, um ihn zu züchtigen; jedoch der Bursche machte sich so eilig davon, daß keiner sich getraute, ihm folgen zu können. Don Quijote aber stand aufs tiefste beschämt ob der Erzählung des Andrés, und die andern mußten sich große Mühe geben, das Lachen zu verbeißen, um seine Beschämung nicht aufs Äußerste zu treiben.

28. Kapitel

Welches von dem neuen und lieblichen Abenteuer handelt, das dem Pfarrer und dem Barbier in dem nämlichen Gebirge begegnete

Beseligt und hochbeglückt waren die Zeiten, wo der kühnste aller Ritter, Don Quijote von der Mancha, auf die Erde gesendet ward. Denn weil er den so ehrenhaften Entschluß hegte, den bereits verlorengegangenen und schier erstorbenen Orden der fahrenden Ritterschaft neu zum Leben zu erwecken und der Welt wiederzugeben, so genießen wir jetzt in unserm Zeitalter, das ergötzlicher Unterhaltung so sehr ermangelt, nicht nur die Lieblichkeit seiner wahrhaften Geschichte, sondern zugleich auch die in diese eingestreuten Erzählungen und Nebengeschichten, die zum Teil nicht minder anmutig und wahrhaftig sind wie die Geschichte selbst. Diese nun, indem sie ihren wohlgehechelten, wohlgezwirnten und wohlgehaspelten Faden wiederaufnimmt, erzählt, daß, sobald der Pfarrer sich anschickte, Cardenio zu trösten, eine zu seinen Ohren dringende Stimme ihn darin störte, welche sich in klagendem Ton also vernehmen ließ: »O Gott! Sollte es denn möglich sein, daß ich schon den Ort gefunden habe, der der kummervollen Last dieses Körpers, die ich so sehr wider meinen Willen trage, zur verborgenen Grabstätte dienen könnte? Ja, es muß so sein, wenn die Einsamkeit, die diese Berge verheißen, nicht lügt. Ich Unglückselige! Welche weit erwünschtere Gesellschaft werden diese Felsen und Gebüsche, da sie mir es vergönnen, mein Leid dem Himmel zu klagen, mir zu meinem Vorhaben bieten als jedes menschliche Wesen, da es keines gibt, von dem jemals Rat in den Zweifeln, Linderung im Schmerze, Hilfe in Nöten zu erhoffen ist!«

Der Pfarrer, und die mit ihm waren, hörten und vernahmen deutlich all diese Worte, und da sie in der Nähe gesprochen schienen – wie es auch wirklich der Fall war –, erhoben sie sich, den Klagenden aufzusuchen. Sie waren nicht zwanzig Schritte weit gegangen, als sie hinter einem Felsen am Fuß einer Esche einen Jüngling in Bauerntracht sitzen sahen, dessen Antlitz sie anfangs noch nicht erblicken konnten, da er es herabgeneigt hielt, weil er sich in dem vorüberfließenden Bach die Füße wusch. Sie näherten sich dem Jüngling so leise, daß er sie nicht bemerkte; auch war er auf nichts achtsam als auf das Waschen seiner Füße, die nicht anders aussahen als zwei Stücke blanken Kristalls, erzeugt zwischen den übrigen Steinen des Baches. Sie staunten ob der Weiße und Zierlichkeit der Füße, die, wie es die Zuschauer bedünkte, sicher nicht dazu bestimmt waren, auf Erdschollen zu treten oder hinter dem Pflug und Ochsengespann herzugehen, worauf doch die Tracht des Jünglings hindeutete. Da sie nun sahen, daß sie nicht wahrgenommen worden, so gab der Pfarrer, der voranging, den andern beiden einen Wink, sich hinter Felsblöcken, die dort umherlagen, versteckt und still zu halten. Sie taten es und beobachteten dann mit großer Aufmerksamkeit, was der Jüngling vornahm. Er trug einen kurzen braunen Frauenmantel mit zwei Schößen, den ein weißes Tuch eng um den Leib gürtete; so trug er auch Beinkleider mit Gamaschen von graubraunem Tuch und auf dem Kopf eine graue Jagdmütze; die Gamaschen waren bis zur Mitte des Beines hochgestreift, das in der Tat aus weißem Alabaster gebildet schien. Nun war er zu Ende mit dem Waschen der schönen Füße, zog unter der Mütze ein Handtuch hervor und trocknete sie. Und wie er es hervornahm, hob er das Gesicht in die Höhe, und die Zuschauer hatten nun Gelegenheit, eine unvergleichliche Schönheit zu erblicken, so daß Cardenio mit leiser Stimme zu dem Pfarrer sagte: »Da dies nicht Luscinda ist, so ist es kein menschliches, sondern ein göttliches Wesen.«

Der Jüngling nahm die Mütze ab, und als er den Kopf nach allen Seiten hin schüttelte, sah man Haare sich lösen und herabwallen, die den Strahlen der Sonne Neid einflößen konnten. Daran erkannten sie, daß, was ein Bauernknabe schien, ein Weib war, ein zartes Weib, ja das schönste, das die Augen der beiden je erschaut hatten, ja selbst Cardenios Augen, wenn sie nicht Luscinda gesehen und gekannt hätten; denn später versicherte er, daß nur Luscindas Reize mit denen dieses Mädchens wetteifern könnten. Die reichen blonden Haare bedeckten ihr nicht bloß die Schultern, sondern hüllten sie rings ein und ließen mit Ausnahme der Füße nichts von ihrem Körper sehen, so lang und üppig waren sie; und dabei diente ihnen zum Kamm ein Händepaar, so schön, daß, wenn die Füße im Wasser Stücke Kristalles schienen, die Hände in den Locken jetzt Stücken gepreßten Schnees glichen. Alles das erhöhte in den drei Zuschauern die Bewunderung und das Verlangen zu erfahren, wer sie sei. Sie beschlossen daher, sich zu zeigen; aber als sie eine Bewegung machten, um aufzustehen, erhob das schöne Mädchen den Kopf, strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und sah nach den Leuten hin, die das Geräusch verursacht hatten. Kaum hatte sie sie erblickt, so sprang sie auf die Füße, und ohne daß sie sich die Zeit nahm, die Schuhe anzuziehen oder die Haare aufzubinden, ergriff sie mit größter Hast ein neben ihr liegendes Bündel mit Kleidern, wie es den Anschein hatte, und wollte voll Verwirrung und Schrecken die Flucht ergreifen. Aber sie war nicht sechs Schritte weit gelaufen, als sie zu Boden sank, da ihre zarten Füße die scharfen Spitzen der Steine nicht ertrugen.

Als die drei das sahen, eilten sie zu ihr hin, und der Pfarrer war der erste, der sie anredete: »Haltet inne, Señora, wer Ihr auch sein möget; denn die Ihr hier erblicket, haben nur die Absicht, Euch Dienste zu leisten; es ist wahrlich kein Grund zu einer so zwecklosen Flucht, die Eure Füße weder aushalten noch wir gestatten könnten.«

Auf all dieses entgegnete sie kein Wort, voll Staunen und Verwirrung. Jene traten nun zu ihr heran, der Pfarrer faßte sie an der Hand und fuhr fort: »Was Eure Tracht, Señora, uns leugnet, das entdecken uns Eure Locken. Klar erkennen wir, daß die Ursache von nicht geringer Bedeutung sein kann, die Eure Schönheit in so unwürdige Tracht verhüllt und in eine so öde Wildnis wie diese geführt hat, in der es nur ein Glücksfall war, daß wir Euch fanden, um Euren Leiden, wenn nicht Heilung, so doch wenigstens freundlichen Rat zu bieten. Denn kein Leid kann so drangvoll sein oder so zum Äußersten steigen, daß es ablehnen dürfte, solange das Leben nicht zu Ende geht, mindestens den Rat anzuhören, den man dem Leidenden aus guter Absicht erteilt. Sonach, wertes Fräulein oder werter Herr, oder was Ihr sein wollt, erholt Euch von dem Schrecken, in den unser Anblick Euch versetzt hat, und erzählt uns Eure guten oder schlimmen Schicksale; denn in uns allen zusammen und in jedem von uns werdet Ihr ein Herz finden, das gerne mit Euch Eure Mißgeschicke mitfühlt.«

Während der Pfarrer diese Worte sprach, stand das verkleidete Mädchen wie betäubt und schaute sie alle an, ohne die Lippen zu bewegen oder ein Wort zu sagen, wie ein Bauer vom Dorf, dem man unversehens seltene, von ihm noch nie erblickte Dinge zeigt. Da aber der Pfarrer ihr abermals mancherlei in ähnlichem Sinne sagte, so brach sie endlich ihr Schweigen, und einen tiefen Seufzer ausstoßend, begann sie: »Da die Einsamkeit dieser Felsen mich nicht zu verbergen vermochte und das freie Herabwallen meines aufgelösten Haares meiner Zunge nicht zu lügen verstattet, so wäre es umsonst, jetzt noch vorzugeben, was man mir höchstens aus Höflichkeit und kaum aus einem andern Grunde glauben würde. Da dies nun so ist, sage ich, meine Herren, daß ich euch für euer Anerbieten Dank schulde und daß dasselbe mir die Verpflichtung auferlegt, euch in allem, was ihr von mir verlangt, Genüge zu leisten, obschon ich fürchte, die Erzählung meines Unglücks werde bei euch in ebenso hohem Grade wie das Mitleid das Schmerzgefühl hervorrufen; denn ihr werdet kein Heilmittel finden, ihm abzuhelfen, noch Trost, um es zu ertragen. Aber trotzdem, damit in eurer Meinung meine Ehre nicht zweifelhaft erscheine, nachdem ihr nun in mir ein Weib erkannt und mich jung, allein und in dieser Tracht hier gesehen habt – Umstände, die zusammengenommen, wie jeder schon für sich allein, jeglichen guten Ruf zugrunde richten können –, so muß ich euch erzählen, was ich verschweigen möchte, wenn ich es dürfte.«

Dies alles sagte sie, die sich nun als ein so reizendes Mädchen darstellte, ohne zu stocken mit fließender Sprache und süß tönender Stimme, so daß ihre verständige Art nicht minder als ihre Schönheit die Zuhörer mit Bewunderung erfüllte. Aufs neue wiederholten sie ihre Anerbietungen, drangen aufs neue in sie, ihr Versprechen zu erfüllen, und ohne sich länger bitten zu lassen, nachdem sie erst in aller Bescheidenheit ihre Fußbekleidung angelegt und ihr Haar zusammengebunden, setzte sie sich auf einem Stein zurecht. Und indem die drei um sie herstanden und sie sich Gewalt antun mußte, um die Tränen zurückzuhalten, die ihr unwillkürlich ins Auge traten, begann sie mit ruhiger, klarer Stimme die Geschichte ihres Lebens:

»Hier in Andalusien ist ein Städtchen, von dem ein Herzog den Titel führt, der ihn zu einem Granden von Spanien macht. Dieser hat zwei Söhne, von denen der ältere der Erbe seines Stammsitzes und dem Anscheine nach auch seiner guten Eigenschaften ist. Was aber das Erbteil des jüngeren sein mag, weiß ich nicht, wenn nicht etwa die Verräterei des Bellido und die Heimtücke Ganelons. Zu den Vasallen dieses Granden gehören meine Eltern, gering von Geschlecht, aber so reich, daß, wenn die Gaben der Geburt denen ihres Glückes gleichkämen, sie mehr nicht zu wünschen und ich niemals zu fürchten gehabt hätte, mich in dem unglücklichen Zustande zu sehen, in dem ich mich jetzt befinde; denn vielleicht entspringt mein Mißgeschick aus dem ihrigen, das ihnen nicht vergönnte, von erlauchter Geburt zu sein. Allerdings sind sie nicht von so niederem Stande, daß sie sich dessen zu schämen hätten; aber auch nicht von so hohem, um mir den Glauben zu benehmen, daß gerade ihr geringer Stand mein Unglück verschuldet habe. Mit einem Wort, sie sind Landleute, schlichte Menschen, deren Geschlecht sich nie mit einem übelberufenen Stamme vermischt hat, alte Christen, so uralt, daß sie, wie man zu sagen pflegt, moderig geworden, so uralte, daß ihr Reichtum und ihre vornehme Lebensweise ihnen allmählich den Rang von Junkern, ja von Rittern erwirbt. Was sie indessen als ihren höchsten Reichtum und Adel schätzten, war, mich zur Tochter zu haben; und da sie keinen anderen Erben besaßen und Eltern voll zärtlicher Liebe waren, so wurde ich von ihnen so verwöhnt, wie nur jemals Eltern ein Kind verwöhnen konnten. Ich war der Spiegel, in dem sie sich schauten, der Stab ihres Alters, das Ziel all ihrer Wünsche, die sie nur zwischen mir und dem Himmel teilten und von welchen, da sie stets nur das Beste wollten, die meinigen nie im geringsten abwichen. So wie ich die Herrin ihres Herzens war, ebenso war ich die ihres Vermögens. Durch mich wurden die Diener angenommen und entlassen, die Aufstellungen und Rechnungen über Aussaat und Ernte gingen durch meine Hand; ich führte Buch über die Ölmühlen, die Weinkeltern, die Zahl des großen und kleinen Viehs und der Bienenstöcke, kurz, über alles, was ein so reicher Landmann wie mein Vater besitzen kann und besitzt. Ich war die Oberverwalterin und Gebieterin und war es mit solchem Eifer meinerseits und zu solcher Zufriedenheit ihrerseits, daß ich in der Tat nicht leicht zuviel davon sagen kann. Die Zeit, die mir vom Tage übrigblieb, nachdem ich den Oberknechten, Aufsehern und Tagelöhnern das Erforderliche angewiesen, verwendete ich zu Beschäftigungen, wie sie den Mädchen so ziemlich wie unentbehrlich sind, wie die, welche die Nadel, das Klöppelkissen und besonders häufig das Spinnrad darbieten. Und wenn ich manchmal; um den Geist zu erfrischen, diese Arbeiten ließ, so nahm ich meine Zuflucht zum Lesen irgendeines erbaulichen Buches oder auch zum Harfenspiel, weil die Erfahrung mich lehrte, daß die Musik das beunruhigte Gemüt wieder beruhigt und die Sorgen erleichtert, die im Gemüte entstehen. Dies also war meine Lebensweise im elterlichen Hause, und wenn ich sie in allen Einzelheiten erzählt habe, so geschah es nicht etwa, um großzutun oder um meinen Reichtum zu zeigen, sondern um verständlich zu machen, wie ganz schuldlos ich aus dem Zustande, den ich geschildert, in den unglücklichen geraten bin, in welchem ich mich gegenwärtig befinde.

Nun fügte es sich, während ich mit so vielerlei Beschäftigungen und in einer Zurückgezogenheit, die man mit der eines Klosters vergleichen konnte, mein Leben zubrachte, ohne, wie mich bedünkte, von jemand anderem als von Dienern des Hauses gesehen zu werden – denn an den Tagen, wo ich zur Messe ging, geschah es so früh am Morgen, und ich war so verschleiert und so schüchtern, daß meine Augen kaum mehr vom Boden sahen als die Stelle, auf die ich den Fuß setzte –, da fügte es sich trotz alledem, daß mich die Augen der Liebe erblickten, oder besser gesagt, die des Müßiggangs, scharfsichtiger als die des Luchses, mit welchen die Liebeswerbung Don Fernandos umherschaute – denn dies ist der Name jenes Sohnes des Herzogs, von dem ich euch erzählt habe.«

Die Erzählerin hatte kaum Don Fernando genannt, als Cardenios Gesicht die Farbe wechselte; der Schweiß brach ihm aus unter solcher Aufregung, daß der Pfarrer und der Barbier, die es bemerkten, in Furcht gerieten, es möchte der Anfall von Raserei über ihn kommen, der, wie man ihnen erzählt hatte, von Zeit zu Zeit ihn übermannte. Allein Cardenio tat nichts weiter, als daß er in Angstschweiß ruhig dastand und das Bauernmädchen unverwandt anschaute, indem er schon ahnte, wer sie sei.

Ohne Cardenios Aufregung zu bemerken, fuhr das Mädchen so mit seiner Geschichte fort: »Noch hatten seine Augen mich kaum gesehen, als er, wie er mir später sagte, sich von Liebe zu mir so gefangen fühlte, wie sein Benehmen mir es vollständig kundgab. Aber damit ich rasch zu Ende komme, meine Leiden zu erzählen, die nicht zu zählen sind, übergehe ich mit Schweigen all die Schritte, die Don Fernando unternahm, um mir seine Neigung zu offenbaren: er bestach alle Leute meines Hauses, gab und anerbot meinen Verwandten Geschenke und Gunstbezeigungen; jeden Tag war in meiner Straße ein Fest und eine Lustbarkeit, in den Nächten ließen die Ständchen niemanden zum Schlafe kommen; die Briefchen, die, ich weiß nicht wie, in meine Hände gelangten, waren zahllos, voll liebeglühender Worte und Anerbietungen, mit mehr Verheißungen und Schwüren als Buchstaben darin. Doch alles dies stimmte mich nicht zu freundlicher Gesinnung, verhärtete mir vielmehr das Herz, als wäre er mein Todfeind und als hätte er alles, was er vornahm, um mich ihm geneigt zu machen, zu dem entgegengesetzten Zwecke getan. Nicht als ob mir Don Fernandos liebenswürdiges Benehmen mißfallen oder ich seine Bewerbung für Zudringlichkeit erachtet hätte; nein, ich empfand, ich weiß nicht was für ein Behagen, mich von einem so vornehmen Herrn so geliebt und gefeiert zu sehen, und es tat mir nicht leid, in seinen Briefen mein Lob zu lesen. Denn in diesem Punkte bedünkt es mich, so häßlich wir Frauen auch sein mögen, so gefällt es uns immer, wenn man uns schön nennt. Aber all diesen Bemühungen traten meine Sittsamkeit und die redlichen Warnungen meiner Eltern entgegen, die bereits Don Fernandos Neigung vollständig in Erfahrung gebracht hatten, da ihm gar nichts daran lag, daß die ganze Welt davon erfahre. Meine Eltern sagten mir, meiner Tugend und Rechtschaffenheit allein überließen und vertrauten sie ihre Ehre und ihren guten Ruf; ich möchte die Ungleichheit zwischen meinem und Don Fernandos Stand erwägen; daraus würde ich sehen, daß er bei all seinem Dichten und Trachten, wenn seine Worte auch anders lauteten, nur sein Vergnügen und nicht mein Bestes im Auge habe. Und wenn ich wünschte, ihm irgendein Hindernis entgegenzustellen, damit er von seiner unziemlichen Bewerbung ablasse, so würden sie mich unverzüglich verheiraten, mit wem ich es am liebsten unter den Angesehensten unseres Ortes und der ganzen Nachbarschaft wolle, da ihr großes Vermögen und mein guter Ruf mir jeden Anspruch erlaubten. Mit diesen bestimmten Versprechungen und der Wahrheit, die ihren Vorstellungen zugrunde lag, bestärkte ich mich in meinem festen Sinn, und niemals gestattete ich mir, Don Fernando das geringste Wort zu erwidern, das ihm, wenn auch nur von ferne, Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche hätte bieten können. Jedoch all diese Vorsicht meinerseits, die er wohl nur für Sprödigkeit hielt, hatte offenbar nur die Wirkung, seine lüsterne Begierde noch mehr zu entflammen; denn nur so kann ich die Neigung nennen, die er mir bezeigte. Wäre sie das gewesen, was sie sein sollte, so würdet ihr nie von ihr gehört haben; denn ich hätte alsdann nie einen Anlaß gehabt, euch von ihr zu erzählen. Zuletzt erfuhr Don Fernando, daß meine Eltern damit umgingen, mich zu verheiraten, um ihm jede Hoffnung auf meinen Besitz zu benehmen, oder mindestens damit ich mehr Hüter hätte, mich zu hüten. Diese Nachricht, oder war es nur seine Vermutung, bewog ihn zu einer Tat, die ihr jetzt hören sollt.

Als ich nämlich eines Nachts mit einem Mädchen, das mich bediente, in meinem Zimmer allein war, dessen Türen ich wohlverschlossen hatte aus Besorgnis, daß etwa durch Nachlässigkeit meine Ehre gefährdet würde, da – ohne zu wissen oder nur vermuten zu können wie, trotz all dieser Vorsicht und Sorgfalt, in der Einsamkeit und Stille meiner Klause – sah ich ihn plötzlich vor mir stehen; – ein Anblick, der mich so betäubte, daß er meinen Augen die Sehkraft benahm und meine Zunge stumm machte. So war ich nicht einmal vermögend, um Hilfe zu rufen; auch glaub ich, er würde mir nicht Zeit dazu gelassen haben; denn er stürzte sogleich auf mich zu, umfaßte mich mit seinen Armen – da, ich sagte es schon, betäubt wie ich war, ich keine Kraft zur Verteidigung hatte – und begann so mit mir zu sprechen, daß ich noch heute nicht begreife, wie die Lüge so geschickt sein kann, ihren Worten so völlig den Anschein der Wahrheit zu geben. Der Verräter wußte sich so anzustellen, daß Tränen seinen Worten, Seufzer seinen Gesinnungen den Stempel der Aufrichtigkeit aufdrückten. Ich armes Kind, so ganz allein im eignen Hause, ohne alle Erfahrung in solchen Dingen, begann, ich weiß nicht, wie es kam, diesem Gewebe von Falschheit Glauben zu schenken, jedoch nicht so weit, daß ich mich zu einem Mitgefühl von nicht geziemender Art hätte hinreißen lassen. Und so, nachdem die erste Bestürzung bei mir vorübergegangen war und ich einigermaßen die verlornen Lebensgeister wieder gesammelt, sagte ich ihm mit mehr Entschlossenheit, als ich mir selbst zugetraut hätte: ›Wenn jetzt, so wie ich in deinen Armen bin, Señor, ich in den Pranken eines grimmigen Löwen wäre, und ich könnte mir Rettung aus ihnen dadurch sichern, daß ich etwas zum Nachteil meiner Ehre sagte oder täte, so wäre es mir geradeso möglich, es zu tun oder zu sagen, wie es möglich ist, daß nicht gewesen wäre, was gewesen ist. Wenn du also meinen Körper mit deinen Armen umschlungen hältst, so halte ich meine Seele fest im Bande meiner guten Vorsätze, die so verschieden von den deinigen sind, wie du es erkennen würdest, wenn du sie durch Gewalttätigkeit gegen mich zur Ausführung bringen wolltest. Ich bin deine Untertanin, nicht aber deine Sklavin; der Adel deines Blutes hat keine Macht und darf sie nicht haben, die geringere Würde des meinen zu entehren oder auch nur geringzuschätzen, und ich achte mich so hoch als Mädchen vom Land und Bäuerin wie du dich als vornehmer Herr und Edelmann. Bei mir würden Gewalttaten erfolglos bleiben, deine Reichtümer keinen Wert haben; deine Worte vermögen mich nicht zu berücken, deine Seufzer und Tränen mich nicht zu rühren. Ja, wenn ich die Handlungsweise, die ich dir vorwerfen muß, allenfalls bei dem Mann fände, den mir meine Eltern zum Gemahl erwählt hätten, dann würde allerdings seinem Willen der meinige sich fügen und mein Wille von dem seinigen nicht abweichen; dann würde ich, wenn mir nur die Ehre bliebe, ob auch die innere Freude fehlte, dir aus freien Stücken hingeben, was du, Señor, jetzt mit solcher Gewaltsamkeit erstrebst. Das alles habe ich dir gesagt, weil nicht daran zu denken ist, daß jemand von mir etwas erlangte, der nicht mein rechtmäßiger Gemahl ist.‹

›Wenn du‹, sagte der treulose Edelmann, ›nur hierüber Bedenken trägst, schönste Dorotea‹ – denn so heiße ich Unglückliche – ›so gebe ich dir die Hand darauf, ich bin dein Gemahl, und daß dies Wahrheit ist, dessen Zeugen seien die Himmel, denen nichts verborgen ist, und dies Bild Unsrer Lieben Frau, das du hier hast.‹«

Als Cardenio hörte, daß sie Dorotea heiße, geriet er abermals in heftige Aufregung, und er fand die Richtigkeit seiner anfänglichen Vermutung vollends bestätigt; aber er wollte die Erzählung nicht unterbrechen, um zu hören, was der Ausgang einer Geschichte sein werde, die er schon so ziemlich kannte. Er sagte nur: »Also Dorotea ist dein Name, Señora? Eine andre desselben Namens habe ich wohl schon erwähnen hören, deren Unglück vielleicht dem deinigen ähnlich ist. Aber fahre fort; es wird die Zeit kommen, wo ich dir Dinge sage, die dich in ebenso hohem Grade erstaunen als betrüben mögen.«

Dorotea wurde jetzt auf Cardenios Worte und auf seine seltsame, zerlumpte Kleidung aufmerksam und bat ihn, wenn er etwas von ihren Verhältnissen wisse, möge er es ihr doch sogleich mitteilen. Denn wenn das Schicksal ihr noch etwas Gutes übriggelassen, so sei es ihr Mut, jedes Unheil, das sie überfalle, zu ertragen in der Gewißheit, daß keines kommen könne, das ihres Bedünkens ihre jetzigen Leiden nur im geringsten zu mehren, nur um einen Augenblick zu verlängern vermöchte.

»Und ich würde nicht einen Augenblick verlieren, Señora«, erwiderte Cardenio, »dir meine Gedanken mitzuteilen, wenn, was ich vermute, sicher wäre; bis jetzt aber geht uns der rechte Augenblick dazu noch nicht verloren; auch ist es von keiner Bedeutung für dich, es zu erfahren.«

»Dem sei, wie ihm wolle«, versetzte Dorotea, »was in meiner Geschichte jetzt vorgeht, war, daß Don Fernando das Muttergottesbild nahm, das in meinem Zimmer hing, und es zum Zeugen unsrer Vermählung anrief. Mit den stärksten Worten und mit unerhörten Eidschwüren gab er mir das bindende Wort als mein Ehegatte, obwohl ich ihn, bevor er es noch völlig ausgesprochen, ermahnte, wohl zu überlegen, was er tue, und zu erwägen, wie sein Vater darob zürnen werde, ihn mit einer Bäuerin, seiner Untertanin, vermählt zu sehen. Er solle, sagte ich, sich von meiner Schönheit, wie sie nun einmal sein möge, nicht verblenden lassen, da sie nicht hinreichend sei, um in ihr Entschuldigungen für seinen Fehler zu finden. Wenn er mir aber um seiner Liebe willen etwas Gutes erweisen wolle, so wäre es dieses, daß er mein Geschick meinem Stande völlig gleichbleiben lasse; denn so ungleiche Ehen bringen niemals rechten Genuß und verharren nicht lange in der freudigen Stimmung, mit der sie beginnen. Alles dieses, was ich euch hier sage, sagte ich ihm damals und noch viel anderes, dessen ich mich nicht mehr entsinne; aber all meine Vorstellungen vermochten ihn nicht von der Verfolgung seines Planes abzubringen, ganz so wie ein Käufer, der nicht beabsichtigt zu zahlen, beim Abschluß des bezüglichen Handels sich nicht erst lange mit Feilschen aufhält.

Ich ging inzwischen wenige Augenblicke mit mir zu Rate und sagte zu mir selbst: Wahrlich, ich wäre nicht die erste, die auf dem Wege der Heirat von geringem zu hohem Stand emporgestiegen, und Don Fernando wäre nicht der erste, den Schönheit oder blinde Leidenschaft – was eher anzunehmen – bewogen hätte, eine Lebensgefährtin zu wählen, die seinem hohen Range nicht gleichsteht. Wenn ich also keine neue Welt und keinen neuen Brauch schaffe, so ist es wohlgetan, diese Ehre zu erfassen, die mir das Schicksal bietet, selbst wenn auch bei ihm die Liebe, die er mir zeigt, nicht länger währen sollte, als die Erreichung seiner Wünsche währt; denn vor Gott werde ich ja doch seine Gemahlin sein. Wenn ich ihn aber geringschätzig abweisen wollte, so sehe ich ihn in einer Verfassung, daß er, anstatt das Mittel pflichtgemäßer Handlungsweise, das der Gewalttätigkeit anwenden wird. Und dann wird es mir geschehen, daß ich Entehrung erleide und keine Entschuldigung habe für die Schuld, die mir jeder beimessen würde, der nicht wüßte, wie unverschuldet ich in diese Lage geraten bin. Denn welche Gründe würden ausreichen, meine Eltern und Dritte zu überzeugen, daß dieser Edelmann ohne meine Zustimmung in mein Gemach gekommen?

All diese Fragen und Antworten wälzten sich in einem Augenblick hin und her in meinem Geiste; und was mehr als alles mich überwältigte und mich zu einer Nachgiebigkeit bewog, die, ohne daß ich es ahnte, mein Verderben werden sollte, das waren Don Fernandos Schwüre, die Zeugen, die er anrief, die Tränen, die er vergoß, und endlich seine edle Gestalt und Liebenswürdigkeit, was alles, begleitet von so vielen Beteuerungen wahrer Liebe, wohl jedes andre Herz, so frei und sittig wie das meine, zu besiegen vermocht hätte. Ich rief meine Dienerin, damit ihr Zeugnis sich auf Erden dem Zeugnis des Himmels beigeselle. Don Fernando wiederholte und bestätigte seine eidlichen Verheißungen aufs neue, rief neue Heilige zu den vorherigen als Zeugen an und schleuderte tausend Verwünschungen für alle kommende Zeit auf sein Haupt, wenn er sein Gelöbnis nicht erfüllen sollte. Abermals zwang er Tränen in seine Augen, verdoppelte seine Seufzer und preßte mich fester in seine Arme, aus denen er mich nie gelassen hatte. Und hiermit, als mein Mädchen das Zimmer wieder verlassen hatte, büßte ich den Namen eines Mädchens ein und erwarb er den eines vollendeten Verräters und wortbrüchigen Schurken.

Der Tag, der auf die Nacht meines Unheils folgte, kam nicht so rasch, als Don Fernando, wie ich überzeugt bin, es wünschte; denn wenn einmal erlangt ist, was die Lüsternheit begehrt, so kann kein größerer Genuß nachfolgen, als den Ort zu verlassen, wo sie befriedigt worden. Ich schließe das aus dem Umstande, daß Don Fernando große Eile hatte, sich von mir zu entfernen. Mit Hilfe meiner listigen Dienerin – es war dieselbe, die ihn herein zu mir gebracht hatte – sah er sich vor Tagesanbruch auf der Straße, und beim Abschied sagte er mir, doch nicht mit so viel Leidenschaftlichkeit und Ungestüm, als da er kam, ich solle sicher sein, daß seine Treue stetig und seine Eide unverbrüchlich und wahrhaft seien; und zu größerer Bekräftigung seines Wortes zog er einen kostbaren Ring vom Finger und steckte ihn mir an.

So ging er, und ich blieb in einem Zustande zurück, ich weiß nicht, ob betrübt oder heiter; in Verwirrung jedenfalls und in tiefen Gedanken, das kann ich sagen, und beinahe ohne Besinnung ob des ungeahnten Ereignisses. Ich hatte nicht den Mut oder ich dachte nicht daran, mein Mädchen zu schelten ob des begangenen Verrats, daß sie Don Fernando in mein eignes Gemach eingelassen; denn noch war ich nicht einig mit mir, ob es Glück oder Unglück sei, was mir begegnet war. Beim Abschied sagte ich ihm, da ich jetzt die Seinige sei, könne er, wie diese Nacht, durch Vermittlung der nämlichen Dienerin mich auch andre Nächte besuchen, bis er es wolle, daß das Geschehene veröffentlicht werde. Allein er kam keine Nacht mehr, ausgenommen die folgende, und ich bekam ihn auf der Straße und in der Kirche über einen Monat nicht zu sehen, währenddessen ich mich bemühte, nach ihm zu forschen, obgleich ich wußte, daß er im Städtchen war und fast jeden Tag auf die Jagd ging, was seine Lieblingsbeschäftigung war. Jene Tage und jene Stunden, wohl weiß ich noch, wie sie mir bitter und schmerzlich waren, und wohl weiß ich, wie ich damals an Don Fernandos Treue zu zweifeln, ja den Glauben daran zu verlieren begann; und das auch weiß ich noch wohl, wie meine Dienerin jetzt die Worte zu hören bekam, die sie, zur herben Mißbilligung ihres Erdreistens, früher nicht von mir gehört hatte. Ich weiß, wie ich mir Gewalt antun mußte, um über meine Tränen und die Mienen meines Gesichts zu wachen, damit ich meinen Eltern keine Veranlassung gäbe, mich über die Gründe meiner Mißstimmung zu befragen und mich zum Ersinnen von Lügen zu nötigen. Aber alles dies endete in einem Augenblick, als nämlich der Augenblick kam, wo jede Rücksicht beiseite gesetzt, jeder Gedanke an Ruf und Ehre vergessen wurde, wo die Geduld zu Ende ging und meine geheimsten Gedanken zutage traten; und das geschah darum, weil man wenige Tage später im Ort erzählte, in einer nahegelegenen Stadt habe sich Don Fernando mit einer Dame vermählt, die über alle Maßen schön sei, die Tochter sehr vornehmer Eltern, wiewohl nicht so reich, daß sie um ihrer Mitgift willen Anspruch auf eine so hohe Verbindung hätte erheben können. Man sagte, sie heiße Luscinda; man erzählte auch anderes, was bei ihrer Vermählung vorgegangen und was staunenswert ist.«

Cardenio hörte den Namen Luscinda – indessen tat er nichts weiter, als daß er die Schultern hochzog, sich auf die Lippen biß, die Brauen runzelte und gleich darauf zwei Tränenbäche aus den Augen herniederstürzen ließ. Doch Dorotea hörte darum mit der Fortsetzung ihrer Erzählung nicht auf und sprach: »Die schmerzliche Nachricht kam mir zu Gehör; aber statt daß mein Herz darob zu Eis erstarren sollte, entbrannte es so gewaltig von Ingrimm und Raserei, daß wenig daran fehlte, ich wäre laut schreiend auf die Gassen hinausgestürzt und hätte die schmähliche Tücke und Verräterei offen verkündet, die gegen mich verübt worden. Aber diesen Wutanfall dämpfte für den Augenblick der Gedanke, ich müßte noch in derselben Nacht das ins Werk setzen, was ich zu tun vorhatte: nämlich diese Tracht anzulegen, die mir einer von den Hirtenbuben meines Vaters dazu geliehen, und nachdem ich diesem mein ganzes Unglück anvertraut hatte, bat ich ihn, mich nach der Stadt zu begleiten, wo sich, wie ich gehört, mein Feind aufhielt. Er mißbilligte mein Unterfangen und tadelte meinen Entschluß; aber da er mich auf meinem Willen fest beharren sah, erbot er sich, mir bis ans Ende der Welt, wie er sich ausdrückte, treue Gefolgschaft zu leisten. Sogleich packte ich in einen leinenen Kissenüberzug ein Frauengewand, ein paar Kleinodien und etwas Geld für den Notfall, und in der Stille jener Nacht, ohne meine verräterische Zofe zu benachrichtigen, begleitet von meinem Diener und von tausenderlei Gedanken, verließ ich mein Haus und begab mich auf den Weg nach der Stadt, zwar zu Fuß, aber wie beflügelt von dem Wunsche, rechtzeitig hinzukommen, wenn auch nicht, um zu hindern, was ich für geschehen hielt, so doch wenigstens Don Fernando aufzufordern, er solle mir sagen, wie er das Herz gehabt habe, so etwas zu tun.

In dritthalb Tagen gelangte ich, wohin ich begehrte. Als ich die Stadt betrat, fragte ich nach dem Hause von Luscindas Eltern, und der erste, an den ich diese Frage richtete, antwortete mir mehr, als ich hätte wissen mögen. Er sagte mir das Haus und alles, was sich bei der Vermählung der Tochter des Hauses zugetragen: alles so stadtbekannt, daß überall im Orte die Leute zusammenstehen, um davon zu erzählen. Er berichtete mir, an dem Abend, wo Don Fernando sich mit Luscinda vermählte, sei sie, nachdem sie das Jawort gegeben, in eine tiefe Ohnmacht gesunken, und als ihr Gatte sich ihr genähert, um sie aufzuschnüren, damit sie Luft schöpfe, habe er bei ihr einen von ihrer eigenen Hand geschriebenen Brief gefunden, worin sie sagte und beteuerte, sie könne nicht Don Fernandos Gemahlin werden, weil sie die Cardenios sei, welcher, wie der Mann mir sagte, ein sehr vornehmer Edelmann aus derselben Stadt ist, und wenn sie Don Fernando das Jawort gegeben, so sei der Grund, daß sie nicht von der Pflicht des Gehorsams gegen ihre Eltern habe abweichen wollen. Kurz, solche Äußerungen habe der Brief enthalten, daß er ersehen ließ, sie habe die Absicht gehabt, sich nach geschehener Trauung umzubringen; der Brief gab die Gründe an, weshalb sie sich das Leben genommen habe. Alles dies, sagt man, wurde durch einen Dolch bestätigt, den man, ich weiß nicht in welchem Stück ihrer Kleidung fand. Wie nun Don Fernando das ersah, bedünkte es ihn, daß Luscinda ihn zum besten gehabt, verhöhnt und verachtet habe. Er stürzte sich auf sie, ehe sie noch wieder zu sich gekommen, und wollte sie mit dem nämlichen Dolche, den man bei ihr gefunden, erstechen; und er hätte das auch vollführt, wenn ihre Eltern und die andern Anwesenden ihn nicht daran gehindert hätten. Ferner heißt es, daß Don Fernando sogleich die Stadt verließ und Luscinda sich nicht vor dem folgenden Tage von ihrer Ohnmacht erholte, wo sie dann ihren Eltern erzählte, daß sie in Wahrheit die Gattin jenes Cardenio sei, dessen ich erwähnte. Auch erfuhr ich, jener Cardenio sei, soviel die Leute sagten, bei der Trauung zugegen gewesen, und als er sie vermählt sah, was er nie geglaubt hätte, sei er in Verzweiflung aus der Stadt enteilt und habe Luscinda einen Brief zurückgelassen, worin er die Kränkung, die sie ihm angetan, zu aller Kenntnis brachte und sagte, er werde hingehen, wo ihn Menschen nimmer zu sehen bekämen. Dies alles war in der ganzen Stadt bekannt und verbreitet, alle Leute redeten davon. Aber sie redeten noch mehr, als sie erfuhren, Luscinda sei aus dem Hause ihrer Eltern und aus der Stadt verschwunden. Man konnte sie nirgends finden; ihre Eltern verloren schier den Verstand darüber und wußten nicht, welches Mittel sie ergreifen sollten, um sie wieder zu erlangen.

Diese Nachrichten ließen meine Hoffnungen wieder aufdämmern, und ich hielt es nun für besser, Don Fernando nicht, als ihn vermählt gefunden zu haben. Es deuchte mich, die Pforte zu meiner Rettung sei noch nicht völlig verschlossen, und ich bildete mir ein, möglicherweise habe der Himmel dies Hindernis der zweiten Ehe entgegengestellt, um ihn zur Erkenntnis seiner Verpflichtungen gegen die erste und zur Einsicht zu bringen, daß er ein Christ und seinem Seelenheil mehr schuldig sei als menschlichen Rücksichten. All diese Gedanken wälzte ich in meinem Geiste hin und her und sprach mir Trost zu, ohne Trost zu finden, und spiegelte mir ferne, schwache Hoffnungen vor, um die Last dieses Lebens weitertragen zu können, das ich jetzt verabscheue.

Während ich nun noch in der Stadt weilte und, weil ich Don Fernando nicht fand, ungewiß war, was ich tun sollte, kam ein öffentlicher Ausruf mir zu Ohren, in welchem ein großer Finderlohn jedem versprochen wurde, der meinen Aufenthalt nachwiese, wobei mein Alter und die Kleidung, die ich trug, genau angegeben waren; und zugleich hörte ich sagen, man erzähle, daß der Junge, der mich begleitete, mich aus dem Hause meiner Eltern entführt habe. Das traf mich ins Herz, weil ich erkannte, wie tief mein Ruf gesunken war, indem man es nicht hinreichend fand, daß ich ihn durch meine Flucht eingebüßt, sondern noch hinzufügte, mit wem ich geflohen, während der Genannte doch so tief unter mir und meiner redlichen Gedanken so unwert war. Im Augenblick, wo ich den öffentlichen Ausruf hörte, eilte ich zur Stadt hinaus mit meinem Diener, der bereits verriet, daß er in der Treue, die er mir verheißen, zu wanken begann. Noch in der nämlichen Nacht, da wir fürchten mußten, entdeckt zu werden, gelangten wir mitten in die dichten Waldungen dieses Gebirges.

Aber wie man zu sagen pflegt, ein Unglück reicht dem andern die Hand, und das Ende eines Leidens ist der Anfang zu einem neuen und schweren Leiden, so erging es mir. Denn sobald mein redlicher Diener, bisher treu und zuverlässig, mich in dieser Einöde sah, wollte er, von seiner eignen Schurkerei mehr als von meiner Schönheit angereizt, die Gelegenheit benutzen, die ihm seines Bedünkens diese Wüstenei darbot, und alle Scham und noch mehr die Furcht Gottes wie die Achtung vor mir außer Augen setzend, verfolgte er mich mit Liebesanträgen. Und da er sah, daß ich mit gebührenden, streng verweisenden Worten der Schamlosigkeit seiner Zumutungen begegnete, ließ er die Bitten beiseite, mit denen er es zuerst versucht hatte, und begann Gewalt zu brauchen. Allein der gerechte Himmel, der selten oder nie seine Obhut und Gunst redlichem Wollen versagt, stand dem meinigen bei, so daß ich mit meinen geringen Kräften und mit geringer Anstrengung ihn in einen steilen Abgrund hinabstürzte, wo ich ihn liegenließ, ich weiß nicht, ob tot oder lebend; und ohne Zögern, mit größerer Behendigkeit, als mein Schrecken und meine Ermüdung zu gestatten schienen, flüchtete ich tiefer ins Gebirge, ohne andern Gedanken und Plan, als mich da versteckt zu halten, um meinem Vater und denen, die in seinem Auftrage nach mir suchten, zu entgehen.

Ich weiß nicht, wieviel Monate es her ist, seit ich zu diesem Zwecke diese Gegend betrat; ich fand hier einen Herdenbesitzer, der mich als seinen Diener in ein Dorf im Innersten des Gebirges mitnahm. Ich diente ihm während dieser ganzen Zeit als Hirtenjunge und suchte mich immer auf dem Felde aufzuhalten, damit ich dieses Haar vor ihm verbergen könnte, das mich heute so unvermutet euch verraten hat. Aber all mein Mühen und all meine Vorsicht waren und blieben erfolglos, da mein Herr zuletzt doch in Erfahrung brachte, daß ich kein Mann sei, und in ihm der nämliche böse Gedanke aufstieg wie bei meinem Diener. Da jedoch das Glück nicht immer mit den Nöten, die es uns sendet, auch die Rettungsmittel gewährt, so fand ich keine Abgründe und Schluchten, um dem Herrn vom Leben und Lieben zu helfen, wie ich sie früher für den Diener gefunden; und darum hielt ich es für das geringere Übel, ihn im Stiche zu lassen und mich abermals in diesen Wildnissen zu verbergen, als meine Kraft oder meine Vorstellungen ihm gegenüber zu versuchen.

So nahm ich aufs neue zu meinem Versteck meine Zuflucht, um einen Ort zu suchen, wo ich ungestört mit Seufzern und Tränen zum Himmel beten könnte, daß er sich meines Unglücks erbarme und mir Geisteskraft verleihe und seine Hilfe, um aus diesem Elend zu kommen oder das Leben in dieser Einöde zu lassen, ohne daß ein Angedenken bleibe an diese Unglückliche, deren Erlebnisse so ganz unverschuldet den Stoff dazu gegeben, daß in ihrer Heimat und in fremden Landen sie in den Mund der Leute und in üble Nachrede gekommen ist.«

26. Kapitel

Worin die auserlesenen Absonderlichkeiten, die Don Quijote aus purer Verliebtheit in der Sierra Morena verrichtete, fortgesetzt werden

Indem die Geschichte sich nun wiederum zur Erzählung dessen wendet, was Der von der traurigen Gestalt begann, als er sich allein sah, berichtet sie, daß Don Quijote, sobald er in seinem erwähnten Aufzug, vom Gürtel abwärts nackend, vom Gürtel aufwärts bekleidet, sich in Purzelbäumen und im Radschlagen versucht hatte und sah, daß Sancho fortgeritten war, ohne noch mehr von seinen Torheiten abwarten zu wollen, sofort auf eine Felsenspitze stieg und hier wiederholt über einen Punkt nachdachte, den er sich schon sehr oft überlegt hatte, ohne jemals zu einem Entschlusse zu kommen. Es war dies die Frage, was wohl besser sei und sich eher für ihn schicke, den Roldán in dessen gewalttätigen oder den Amadís in dessen schwermütigen Verrücktheiten nachzuahmen; und er redete so zu sich selber:

Wenn Roldán ein so tapferer Ritter und so streitbar war, wie jeder sagt, was Wunder? Er war am Ende ja gefeit, und niemand konnte ihn umbringen, außer wenn man ihm eine von den großen Stecknadeln für einen Groschen durch die Fußsohle stach, und deshalb trug er immer Schuhe mit sieben eisernen Sohlen. Indessen nützten ihm seine Kniffe nichts gegen Bernardo del Carpio, der dahinterkam und ihn im Tale Roncesvalles in seinen Armen erstickte. Aber lassen wir einmal beiseite, was seine Tapferkeit betrifft, und kommen wir auf den Punkt mit dem Verlieren des Verstandes, so ist es gewiß, er verlor ihn wegen der Merkzeichen, die er an der Quelle fand, und wegen der Mitteilung jenes Hirten, daß Angélika zweimal oder öfter ihr Mittagsschläfchen mit Medor gehalten, einem kraushaarigen Mohrenjungen, dem Edelknaben Agramants. Und wenn er sich überzeugt hielt, es sei dies wahr und seine Geliebte habe ihm eine Ungebühr angetan, so tat er nicht zuviel, daß er verrückt wurde. Aber ich, wie kann ich ihn in seinen Tollheiten nachahmen, wenn ich ihn nicht in dem Anlaß zu selbigen nachahme? Denn meine Dulcinea von Tobosa, das wage ich zu beschwören, hat all ihre Lebtage keinen Mohren, wie er es ist, gesehen, in seiner eignen Volkstracht und ist heute noch so rein, wie ihre Mutter sie geboren. Und ich würde ihr ein offenbares Unrecht antun, wenn ich was andres von ihr dächte und in die Art von Verrücktheit verfiele wie der rasende Roldán. Anderseits finde ich, daß Amadís von Gallien, ohne den Verstand zu verlieren und Narreteien zu verüben, solchen Ruhm eines liebestreuen Ritters erwarb, daß ihn keiner darin übertrifft. Und was er tat, wie seine Geschichte bezeugt, war nichts andres, als daß er, zurückgewiesen von seiner Gebieterin Oriana, die ihm geboten, vor ihrem Antlitz nicht wieder zu erscheinen, bis sie ihm es verstatte, sich in Gesellschaft eines Einsiedlers auf dem Armutsfelsen verbarg und sich Weinens ersättigte, bis der Himmel ihm mitten in seiner größten Not und Bedrängnis endlich zu Hilfe kam. Und wenn dies wahr ist, und es ist wahr, warum will ich die Mühsal auf mich nehmen, mich gänzlich auszukleiden oder diesen Bäumen ein Leids zu tun, die mir keinerlei Böses zugefügt? Was hab ich für Grund, das klare Wasser dieser Bächlein zu trüben, die mir zu trinken geben sollen, wenn es mich gelüstet? Nein, hoch lebe das Angedenken des Amadís! Er werde von Don Quijote von der Mancha nachgeahmt in allem, was er vermag. Von Don Quijote wird man sagen, was von jenem gesagt worden: Wenn er nicht Großes vollbracht hat, so strebte er sehnsüchtig danach, Großes zu vollbringen; und wenn ich von meiner Dulcinea nicht verstoßen noch verschmäht wurde, so genügt mir schon, wie ich bereits gesagt, daß ich von ihr abwesend bin. Auf denn, Hand ans Werk, kommt mir ins Gedächtnis, Taten des Amadís, und lehrt mich, womit ich beginnen soll, euch nachzuahmen! Doch ich weiß schon, das allermeiste, was er tat, war beten und sich Gott befehlen, und so will ich auch tun.

Hierbei dienten ihm zum Rosenkranz die großen Galläpfel eines Korkbaums, die er zu zehn aneinanderreihte und zu denen er dann einen größeren fügte. Was ihn aber sehr bekümmerte, war, daß er weit und breit keinen Einsiedler fand, um ihm zu beichten und Trost bei ihm zu suchen. So vertrieb er sich denn die Zeit damit, auf dem schmalen Wiesenrain sich zu ergehen und auf die Rinden der Bäume und in den feinkörnigen Sand zahlreiche Verse zu schreiben und einzugraben, alle seinem Trübsinn entsprechend, doch einige zum Preise Dulcineas. Aber nur folgende waren, nachdem man den Ritter dort aufgefunden, vollständig erhalten und noch lesbar:

O ihr Bäum in diesem Hage,
Gras und Blumen, grün und rot,
Die ihr hier entsprießt, ich frage:
Freut euch meines Herzens Not?
Wohl, wenn nicht, hört meine Klage.
Wenn ich trüb den Hain durchtrotte,
Bebet nicht, mir ist zu weh ja!
Euch zum Trotz, ob man auch spotte,
Hat geweint hier Don Quijote,
Weil ihm fern war Dulcinea
Von Toboso.

Hier in Waldes Finsternissen
Muß der treuste aller Ritter
Seiner Herrin Anblick missen;
Hat ein Dasein gar so bitter,
Ohne wann und wie zu wissen.
Lieb‘ war seines Hirns Marotte,
Liebe bracht ihm großes Weh ja!
Fässer voll, beim höchsten Gotte!
Hat geweint hier Don Quijote,
Weil ihm fern war Dulcinea
Von Toboso.

Alles Unrecht auszumerzen,
Will zum Kampf den Gaul er spornen;
Fluchend ihrem harten Herzen,
Unter Felsen, unter Dornen,
Find’t der Arme stets nur Schmerzen.
Wie am Licht versengt die Motte,
Fühlt er Glut und gräßlich Weh ja!
Da er Amorn ward zum Spotte,
Hat geweint hier Don Quijote,
Weil ihm fern war Dulcinea
Von Toboso.

Nicht weniges Gelächter erhob sich bei denen, die diese Verse fanden, als sie den Zusatz »von Toboso« bei dem Namen Dulcinea lasen; sie vermuteten, Don Quijote habe notwendig glauben müssen, man werde die Strophen nicht verstehn, wenn er Dulcinea ohne Toboso nenne. Und in der Tat glaubte er das, wie er später selbst eingestand.

Noch viel andre schrieb er, aber, wie gesagt, außer diesen drei Strophen konnte man nichts ins reine bringen oder vollständig lesen. So brachte er seine Zeit damit hin, zu reimen, zu seufzen und die Faune und Waldgötter dieses Haines, die Nymphen der Bäche, die schmerzen- und tränenreichen Echos anzurufen, daß sie ihm Gehör, Antwort und Tröstung geben möchten; auch suchte er etwelche Kräuter, um sich davon zu nähren, bis Sancho wiederkäme. Wäre dieser, wie er drei Tage ausblieb, drei Wochen ausgeblieben, so wäre der Ritter von der traurigen Gestalt so verunstaltet worden, daß ihn seine eigene Mutter nicht erkannt hätte.

Jetzt wird es sich empfehlen, daß wir unsern Ritter in seinen Seufzern und Versen vergraben sein lassen und erzählen, wie es Sancho auf seiner Gesandtschaftsreise erging. Als er auf die Landstraße gelangt war, suchte er den Weg nach Toboso, und am nächsten Tage gelangte er zu der Schenke, wo ihm das Unglück mit dem Wippen begegnet war. Kaum hatte er sie erblickt, da kam es ihm schon vor, als flöge er wiederum in den Lüften auf und nieder, und er begehrte nicht ins Haus, wiewohl er gerade zu einer Stunde angekommen war, wo er wohl hinein gedurft und gesollt hätte. Denn es war Essenszeit, und er hatte die größte Lust, etwas Warmes zu genießen, nachdem es lange Tage nur kalte Küche gegeben hatte. Dies Bedürfnis drängte ihn, sich dicht an die Schenke heranzuwagen, noch immer im Zweifel befangen, ob er hinein solle oder nicht. Und während er noch so dastand, kamen aus der Schenke zwei Männer heraus, die ihn sogleich erkannten.

»Sagt mir, Herr Lizentiat«, sprach der eine zum andern, »ist der auf dem Gaule nicht Sancho Pansa, von dem die Haushälterin unsers abenteuernden Ritters erzählt hat, er sei mit ihrem Herrn als Schildknappe von dannen gezogen?«

»Freilich ist er es«, antwortete der Lizentiat, »und dies ist das Pferd unsers Don Quijote.«

Sie mußten ihn wohl kennen; denn die beiden waren der Pfarrer und der Barbier seines eigenen Dorfs, die nämlichen, welche die Untersuchung und das große Ketzergericht über die Bücher gehalten hatten.

Sobald sie nun nicht mehr zweifeln konnten, Sancho Pansa und Rosinante vor Augen zu haben, traten sie näher hinzu, voller Begierde, etwas über Don Quijote zu erfahren, und der Pfarrer rief ihn bei seinem Namen an und sprach: »Freund Sancho Pansa, wo ist denn Euer Herr?«

Sancho Pansa erkannte sie ebenfalls auf der Stelle und nahm sich vor, den Ort, wo, und den Zustand, wie sein Herr sich befand, geheimzuhalten; und so antwortete er ihnen, sein Herr sei an einem gewissen Ort mit einer gewissen Sache beschäftigt, die ihm von großer Wichtigkeit sei, die er aber nicht verraten dürfe, wenn es auch sein Leben und das Licht seiner Augen gelten sollte.

»Nein, nein«, entgegnete der Barbier, »Sancho Pansa, wenn Ihr uns nicht sagt, wo er sich befindet, so müssen wir glauben, ja wir glauben schon wirklich, daß Ihr ihn umgebracht und beraubt habt, da Ihr auf seinem Pferde geritten kommt. In vollem Ernst, Ihr müßt uns entweder den Herrn des Pferdes zur Stelle schaffen, oder aber…«

»Bei mir sind Drohungen durchaus nicht angebracht, ich bin kein Mann, der jemanden beraubt oder umbringt; mag einen jeden sein Schicksal umbringen oder der liebe Gott, der ihn geschaffen hat. Mein Herr verweilt dort in dem Gebirge mitten drin und tut da Buße nach Herzenslust.«

Und nun, in aller Geschwindigkeit und ohne einmal anzuhalten, erzählte er ihnen, in welchem Zustand der Ritter sich dort umhertreibe, welche Abenteuer ihm begegnet seien und wie er selbst den Brief an das Fräulein Dulcinea von Toboso überbringe, welches die Tochter von Lorenzo Corchuelo sei, in die Don Quijote bis über die Ohren verliebt sei.

Die beiden verwunderten sich höchlich über Sancho Pansas Mitteilungen; und wiewohl sie Don Quijotes Verrücktheit und deren besondere Art schon kannten, so waren sie jedesmal, wenn sie davon erzählen hörten, aufs neue verwundert. Sie baten Sancho, ihnen den Brief vorzuweisen, den er an das Fräulein Dulcinea von Toboso bringe. Er antwortete ihnen, der Brief sei in einem Notizbuch niedergeschrieben und es sei seines Herrn Befehl, ihn am nächsten Ort, wohin er komme, auf Briefpapier abschreiben zu lassen; worauf der Pfarrer bemerkte, er solle ihm den Brief nur zeigen, er würde ihn mit bester Handschrift ins reine übertragen. Sancho griff mit der Hand in den Busen, um das Büchlein hervorzuholen; aber er fand es nicht und hätte es nicht finden können, wenn er bis zum heutigen Tag gesucht hätte; denn es war in Don Quijotes Händen geblieben, und dieser hatte es ihm nicht übergeben noch hatte Sancho daran gedacht, es ihm abzufordern.

Als Sancho sah, daß er das Büchlein nicht fand, ward sein Gesicht totenblaß, er befühlte sich abermals den ganzen Körper in größter Hast, sah abermals, daß es nicht zu finden war, fuhr sich ohne weiteres mit beiden Fäusten in den Bart und riß ihn sich zur Hälfte aus und versetzte sich in aller Geschwindigkeit und ohne Unterbrechung ein halb Dutzend Faustschläge ins Gesicht und auf die Nase, daß sie ganz in Blut schwamm.

Als der Pfarrer und der Barbier das sahen, fragten sie, was ihm denn begegnet sei, daß er sich so übel zurichte.

»Was soll mir begegnet sein«, antwortete Sancho, »als daß ich im Handumdrehen drei Esel verloren habe, jeder groß und stark wie eine Burg.«

»Wie das?« fragte der Barbier.

»Ich habe das Notizbuch verloren«, erwiderte Sancho, »worin der Brief für Dulcinea war und eine Anweisung mit der Unterschrift meines Herrn, worin er seine Nichte beauftragte, mir drei Esel von den vieren oder fünfen zu geben, die im Stalle sind.«

Und hierbei erzählte er ihnen den Verlust seines Grauen. Der Pfarrer tröstete ihn: wenn sein Herr aufgefunden würde, so wolle er diesen veranlassen, die Anweisung zu erneuern und auf Papier auszufertigen, wie es Brauch und Gewohnheit sei; denn die in ein Notizbuch eingeschriebenen würden nie angenommen noch berichtigt.

Damit gab sich Sancho getröstet und sagte, wenn dieses so sei, mache ihm der Verlust des Briefes an Dulcinea weiter nicht viel Kummer; denn er wisse ihn beinahe auswendig, und so könne man ihn aus dem Gedächtnis niederschreiben, wo und wann man wolle.

»Nun, dann sagt ihn her«, sprach der Barbier, »so wollen wir ihn denn aufschreiben.«

Sancho Pansa hielt eine Weile still, kratzte sich den Kopf, um den Brief in sein Gedächtnis zurückzurufen, stellte sich bald auf den einen Fuß, bald auf den andern, schaute ein paarmal zu Boden, ein paarmal gen Himmel, und nachdem er sich schier einen halben Finger abgenagt, während die andern in Spannung dastanden und abwarteten, daß er ihnen den Brief vorsage, sprach er nach Verfluß geraumer Zeit: »Bei Gott, Herr Lizentiat, der Teufel soll holen, was ich von dem Briefe noch weiß, ausgenommen, daß er zu Anfang lautete: Hohe, berstende oder fürchterliche Herrin.«

»Es wird nicht«, meinte der Barbier, »berstende oder fürchterliche, sondern herrschende oder fürstliche geheißen haben.«

»Ganz gewiß«, versetzte Sancho; »denn wenn ich mich recht entsinne, hieß es weiter: Der Wundgeschlagene, der am Schlafe keinen Teil selbst nicht mehr hat, der Durchbohrte küßt Euer Gnaden die Hand, undankbare und unbekannte und höchst geringgeschätzte Huldseligkeit. Und dann sagte er was vom Heil und Unheil, das er ihr zuschicke, und so lief es da aus, bis es unten hieß: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt.«

Die beiden hatten nicht geringes Vergnügen an dem guten Gedächtnis Sancho Pansas und lobten es gar sehr und verlangten, er solle ihnen den Brief noch zweimal vorsagen, damit sie ihn ebenfalls auswendig lernten, um ihn seinerzeit niederzuschreiben. Er sagte den Brief noch dreimal her, und jedesmal brachte er wiederum dreitausend Verkehrtheiten zutage. Hierauf erzählte er auch die Erlebnisse seines Herrn; aber er sprach kein Wort von dem Wippen, das er in dieser Schenke ausgestanden, in die er durchaus nicht hinein wollte. Auch erzählte er, daß sein Herr, wenn er ihm die gute Botschaft von dem Fräulein Dulcinea bringe, die er ihm bringen solle, sich auf den Weg begeben müsse, um Kaiser oder wenigstens Monarch zu werden; denn so hätten sie es unter sich ausgemacht, und das zu werden sei bei seiner persönlichen Tapferkeit und der Stärke seines Arms was sehr Leichtes; und wenn er es geworden, wolle sein Herr ihn verheiraten; denn alsdann werde er schon Witwer sein, und das könne gar nicht anders kommen, und werde ihm eine Hofdame der Kaiserin zum Weibe geben, die habe zum Erbe ein reiches, großes Stammgut auf dem Festland, und da seien keine Insuln oder Insulinen dabei, denn die möge er gar nicht mehr.

Sancho sagte all dieses mit solcher Gelassenheit, wobei er sich hier und da die Nase schneuzte, und mit so großer Einfalt, daß die beiden aufs neue in Staunen gerieten, indem sie erwogen, wie gewaltig Don Quijotes Tollheit sein müsse, da sie auch den Verstand dieses armen Teufels nachgezogen habe. Sie wollten sich nicht damit abmüden, ihn aus seinem Irrtum zu reißen; denn da dieser Sanchos Gewissen nirgends beschwerte, hielten sie es für besser, ihn darin zu lassen, und ihnen selbst würde es zu größerer Ergötzlichkeit gereichen, seine Torheiten anzuhören. Somit sagten sie ihm, er möge zu Gott um seines Herrn Erhaltung beten; denn es sei allerdings denkbar und sehr möglich, daß er es im Laufe der Zeit zum Kaiser bringe oder doch wenigstens zum Erzbischof oder einer andern Würde von gleichem Rang.

Darauf antwortete Sancho: »Werte Herren, wenn das Glück das Rad der Dinge so drehte, daß es meinem Herrn in den Sinn käme, nicht Kaiser, sondern Erzbischof zu werden, so möchte ich wissen, was die fahrenden Erzbischöfe ihren Schildknappen zuzuwenden pflegen.«

Der Pfarrer sagte darauf: »Sie pflegen ihnen eine Pfründe ohne oder mit Seelsorge zu verleihen oder einen Küsterdienst, der ihnen viel an festem Einkommen trägt, außer den Nebeneinkünften, die man ebenso hoch anzuschlagen pflegt.«

»Dazu ist erforderlich«, entgegnete Sancho, »daß der Schildknappe unverheiratet ist und mindestens versteht, bei der Messe zu dienen, und wenn es so kommt, ach, ich Unglücklicher, bin verheiratet und weiß nicht einmal den ersten Buchstaben vom Abc! Was soll’s mit mir werden, wenn meinen Herrn die Lust anwandelt, Erzbischof zu werden und nicht Kaiser, wie es Brauch und Sitte der fahrenden Ritter ist?«

»Habt darum keine Sorge, Freund Sancho«, sprach der Barbier. »Wir wollen gleich Euren Herrn bitten und ihm den Rat erteilen, ja es ihm zur Gewissenspflicht machen, daß er Kaiser und nicht Erzbischof wird; denn das wird ihm viel leichter fallen, da er mehr ein streitbarer als ein studierter Mann ist.«

»Das kommt mir auch so vor«, versetzte Sancho, »wiewohl ich sagen kann, daß er zu allem Geschick hat. Was ich meinerseits zu tun gedenke, ist, unsern Herrgott zu bitten, er möge ihn dahin lenken, wo er dem Himmel am besten dienen und mir die meisten Gnaden erweisen kann.«

»Ihr redet wie ein gescheiter Mann«, sprach der Pfarrer, »und werdet wie ein guter Christ handeln! Was aber für jetzt geschehen muß, ist, Anstalt zu treffen, wie man Euren Herrn von dieser unnützen Buße frei machen kann, der er, wie Ihr erzählt, jetzt obliegt. Und um zu überlegen, welch ein Verfahren wir dabei einzuhalten haben, und auch um das Mittagsmahl einzunehmen, wozu es nun Zeit ist, wird es am besten sein, hier in die Schenke einzutreten.«

Sancho sagte, sie ihresteils möchten nur hineingehen, er aber würde sie hier außen erwarten und später ihnen den Grund sagen, weshalb er nicht hineingehe und es ihm nicht angemessen scheine, hineinzugehen; aber er bitte sie, ihm etwas zu essen herauszubringen, und zwar etwas Warmes, und etwas Gerste für Rosinante. Sie gingen hinein und ließen ihn draußen, und bald darauf brachte ihm der Barbier etwas zum Mahl.

Hierauf überlegten sich die beiden gründlich, welch ein Mittel sie anwenden wollten, um ihren Zweck zu erreichen. Da geriet der Pfarrer auf einen Gedanken, der ganz nach dem Geschmacke Don Quijotes und zugleich ihren Absichten höchst dienlich erschien. Es sei ihm nämlich der Einfall gekommen, sagte er zum Barbier, er wolle sich die Tracht eines fahrenden Fräuleins anlegen, jener aber solle Sorge tragen, sich so gut wie möglich als Knappe zu verkleiden; und so wollten sie sich zu Don Quijote begeben. Der Pfarrer wolle vorgeben, er sei ein in Trübsal befangenes hilfesuchendes Fräulein und wolle eine Vergünstigung von ihm heischen, welche er als ein mannhafter fahrender Ritter nicht umhinkönne ihr zu gewähren; und die Vergünstigung, die sie von ihm zu heischen gedenke, bestehe darin, mit ihr zu ziehen, wohin sie ihn führen werde, um einer Ungebühr abzuhelfen, die ihr ein böser Ritter angetan; und zugleich wolle sie ihn anflehen, nicht zu verlangen, daß sie ihren Schleier hebe, und sie nimmer um ihre Verhältnisse zu befragen, bis er ihr von jenem bösen Ritter ihr Recht verschafft habe. Er sei fest überzeugt, fügte der Pfarrer bei, Don Quijote werde auf alles eingehen, was sie unter solchen Vorwänden von ihm begehren werde, und auf diese Weise würden sie ihn von dort fortbringen und nach seinem Dorfe führen, wo sie suchen würden, ob es für seine sonderbare Verrücktheit ein Heilmittel gebe.

27. Kapitel

Wie der Pfarrer und der Barbier ihr Vorhaben ins Werk setzten, nebst andern Ereignissen, würdig, in dieser großen Geschichte erzählt zu werden

Dem Barbier gefiel der Einfall des Pfarrers nicht übel; er fand ihn vielmehr so vortrefflich, daß sie ihn gleich zur Ausführung brachten. Sie erbaten sich von der Schenkwirtin einen langen Weiberrock und Kopftücher, wofür sie ihr den neuen Chorrock des Pfarrers zum Pfande ließen. Der Barbier machte sich einen Bart zurecht aus einem grauen und rötlichen Farrenschwanz, an welchem der Wirt seinen Kamm stecken hatte.

Die Wirtin fragte sie, wozu sie die Sachen haben wollten. Der Pfarrer erzählte ihr in kurzen Worten von Don Quijotes Verrücktheit; diese Verkleidung sei das Mittel, ihn aus dem Gebirge fortzubringen, wo er sich gegenwärtig aufhalte. Wirt und Wirtin errieten sogleich, daß der Verrückte derselbe sein müsse wie der Gast mit dem Balsamtrank, der Herr des gewippten Schildknappen. Sie erzählten dem Pfarrer alles, was sich in ihrem Hause zugetragen, ohne das zu verschweigen, was Sancho so sorgfältig verschwieg.

Sodann kleidete die Wirtin den Pfarrer dergestalt um, daß man nichts Schöneres auf der Welt sehen konnte; sie zog ihm einen wollenen Rock an, ganz mit handbreiten, ausgezackten Streifen von schwarzem Samt umzogen, nebst einem Leibchen von grünem Samt, mit Säumen von weißem Atlas besetzt, welches, wie der Rock, ohne Zweifel zu König Wambas Zeiten gemacht war. Der Pfarrer litt nicht, daß man ihm eine Haube aufsetzte, sondern er tat ein Mützchen von gestepptem Linnen auf den Kopf, das er für die Nacht zum Schlafen bei sich trug; um die Stirn legte er eine Binde von schwarzem Taft, und aus einer andern Binde machte er einen Schleier, mit dem er sich Gesicht und Bart dicht bedeckte. Er stülpte seinen Hut auf, der so breit war, daß er ihm als Sonnenschirm dienen konnte, zog seinen Mantel über und setzte sich nach Frauenart auf sein Maultier, der Barbier auf das seinige, mit seinem Bart, der bis zum Gürtel herabhing, halb rot, halb weiß, da er, wie gesagt, aus dem Schwanz eines scheckigen Ochsen gemacht war.

Sie nahmen Abschied von allen, auch von dem guten Ding Maritornes. Die versprach ihnen, sie wolle, wiewohl eine Sünderin, einen Rosenkranz dafür beten, daß Gott ihnen gute Erfolge verleihe bei einer so schwierigen und so christlichen Sache, wie sie unternommen hätten. Aber kaum waren sie aus der Schenke fort, da kam dem Pfarrer das Bedenken, daß er übel daran getan, sich so zu verkleiden, weil ein solcher Aufzug für einen Geistlichen unschicklich sei, selbst wenn für ihn auch noch soviel davon abhinge. Er sagte dies dem Barbier und bat ihn, sie möchten ihre Anzüge miteinander vertauschen; denn es sei weit richtiger, daß er das hilfesuchende Fräulein vorstelle; er seinerseits wolle den Knappen spielen, und dergestalt werde er seiner Würde weniger vergeben. Wenn der Barbier aber das nicht wolle, so sei er entschlossen, nicht weiterzugehen, wenn auch den Don Quijote der Teufel holen sollte.

Mittlerweile kam Sancho herzu, und als er die beiden in solchem Aufzug erblickte, konnte er das Lachen nicht an sich halten. Der Barbier aber ging auf alles ein, was der Pfarrer verlangte, und indem sie die Verkleidung miteinander vertauschten, belehrte der Pfarrer den Barbier, welch Benehmen er einzuhalten und welche Worte er bei Don Quijote anzubringen habe, um ihn zu bewegen oder vielmehr ihn zu zwingen, mit ihm zu kommen und den Lieblingsplatz zu verlassen, den er sich für seine eitle Bußübung erlesen hatte.

Der Barbier entgegnete, er werde, auch ohne daß er ihm Unterricht gebe, die Sache aufs beste besorgen. Für jetzt aber wollte er seine Tracht noch nicht anlegen, bis sie in Don Quijotes Nähe wären, und so faltete er die Frauenkleider zusammen, der Pfarrer legte seinen Bart an, und sie verfolgten ihren Weg unter Sancho Pansas Führung. Dieser erzählte ihnen derweilen, was ihnen mit dem Irrsinnigen begegnet war, den sie im Gebirge angetroffen, verschwieg jedoch den Fund des Mantelsacks und seines Inhalts; denn wiewohl einfältig, war der Bursche ziemlich habgierig.

Des andern Tags kamen sie an den Ort, wo Sancho die Zweige als Merkzeichen ausgestreut, um die Stelle zu finden, wo er seinen Herrn gelassen hatte; er erkannte den Ort sogleich und sagte ihnen, hier sei der Zugang und hier könnten sie sich denn auch anziehen, wenn das wirklich für die Erlösung seines Herrn nötig wäre. Sie hatten ihm nämlich vorher schon gesagt, auf diesen ihren Anzug und diese Verkleidung komme alles an, wenn man seinen Herrn von der argen Lebensweise abbringen wolle, die er sich erwählt habe. Auch hatten sie ihm dringend ans Herz gelegt, seinem Herrn nicht zu verraten, wer sie seien; und wenn er ihn danach fragte – wie er ihn denn jedenfalls fragen würde –, ob er Dulcineen den Brief übergeben habe, so sollte er ja sagen, und da sie nicht lesen und schreiben könne; so habe sie ihm mündlich geantwortet, daß sie ihm bei Strafe ihrer Ungnade befehle, zu einer Zusammenkunft mit ihr gleich auf der Stelle aufzubrechen, weil dies von höchster Wichtigkeit für ihn sei. Denn hierdurch und durch das, was sie ihm zu sagen gedächten, hielten sie es für sicher, ihn einer besseren Lebensweise wieder zuzuführen und ihn zu vermögen, daß er sich sogleich auf den Weg begebe, um Kaiser oder Monarch zu werden. Daß er aber Erzbischof werden sollte, das sei nicht zu befürchten.

Alles dies hörte Sancho aufmerksam an und prägte es sich fest ins Gedächtnis, dankte ihnen auch gar sehr für ihre Absicht, seinem Herrn anzuraten, Kaiser und nicht Erzbischof zu werden; denn er sei der Überzeugung, daß die Kaiser weit mehr als die fahrenden Erzbischöfe imstande seien, ihren Schildknappen Gnaden zu erweisen. Auch sagte er ihnen, es würde gut sein, wenn er vorausginge, Don Quijote aufzusuchen und ihm die Antwort seiner Gebieterin mitzuteilen, und diese würde schon hinreichend sein, ihn zum Verlassen seines jetzigen Aufenthalts zu bewegen, ohne daß sie sich in soviel Mühsal einließen.

Sanchos Vorschlag gefiel ihnen wohl, und so entschlossen sie sich abzuwarten, bis er mit der Nachricht vom Auffinden seines Herrn zu ihnen zurückkomme.

Sancho ritt in jene Schluchten des Gebirgs hinein und ließ die beiden in einer derselben zurück, die ein sanftes Bächlein durchfloß, über welches niedere Felsen und etliche umherstehende Bäume einen angenehmen und frischen Schatten verbreiteten. Die Hitze und der Tag, an dem sie dort anlangten, war eben wie im Monat August, wo in jenen Gegenden der Sonnenbrand äußerst heftig zu sein pflegt; die Stunde war die dritte des Nachmittags; alles das machte das Plätzchen um so angenehmer, so daß es sie einlud, dort die Rückkunft Sanchos zu erwarten. So taten sie denn auch.

Während sie nun dort geruhsam und im Schatten verweilten, drang an ihr Ohr eine Stimme, die, ohne daß der Ton eines Instruments sie begleitete, süß und köstlich klang. Darüber erstaunten sie nicht wenig, da es sie bedünkte, dies sei kein Ort, wo sich jemand finden könnte, der so trefflich sänge; denn wenn man auch zu rühmen pflegt, es seien in den Wäldern und Feldern Schäfer mit vorzüglicher Stimme anzutreffen, so sind dies eher Übertreibungen von Dichtern als wahre Tatsachen. Ihr Erstaunen wuchs, als sie bemerkten, was sie singen hörten, seien Verse, nicht wie von bäurischen Hirten, sondern wie von geistvollen Personen hochgebildeten Standes. In dieser Überzeugung bestärkte sie der Inhalt der Verse, als sie folgendes hörten:

Was läßt mich in Gram vergehen?
Verschmähen.
Was mehrt meiner Sorgen Wucht?
Eifersucht.
Was erschwert mein herbes Leiden?
Scheiden.
Und so will mich Hoffnung meiden,
Und kein Rettungsport steht offen,
Da mir morden all mein Hoffen
Eifersucht, Verschmähen, Scheiden.

Was macht mir das Dasein trübe?
Liebe.
Was drängt jedes Heil zurück?
Das Glück.
Wer hat mir dies Leid gebracht?
Himmels Macht.
Und so wird des Todes Nacht,
Fürcht ich wohl, mich bald erfassen,
Da vereint sind, mich zu hassen,
Liebe, Glück und Himmels Macht.

Wer gewinnt der Liebe Gut?
Wankelmut.
Wer heilt einstens meine Not?
Der Tod.
Wer macht bald von Schmerz mich frei?
Raserei.
Und so kömmt’s nur Toren bei,
Heilung könne je gelingen,
Wo allein kann Rettung bringen
Wankelmut, Tod, Raserei.

Die Stunde und Jahreszeit, die Einsamkeit des Ortes, die Stimme und Geschicklichkeit des Sängers, alles erweckte in den beiden Hörern Staunen und Vergnügen. Sie verhielten sich ruhig, in Erwartung, noch mehr zu hören; da jedoch das Stillschweigen noch eine Weile dauerte, beschlossen sie, den Ort zu verlassen, um den Künstler aufzusuchen, der mit so trefflicher Stimme sang. Aber gerade als sie dies ausführen wollten, veranlaßte sie die nämliche Stimme, sich nicht zu rühren; denn sie drang aufs neue zu ihren Ohren und sang dieses Sonett:

O heilige Freundschaft, die auf leichten Schwingen,
Die weil dein Scheinbild nur uns blieb hienieden,
Zum selgen Chor, dem Himmelsheil beschieden,
Emporgeeilt, dem Staub dich zu entringen!

Von dorten läßt du Kunde zu uns dringen
Von dem, was uns verhüllt ist, Recht und Frieden,
Von wahrer Tugend, die uns längst gemieden,
Von Heucheltaten, die Verderben bringen.

Verlaß den Himmel oder untersage,
O Freundschaft, daß sich Trug in dich verkleide,
Vor dem kein redlich Streben kann bestehen.

Erlaubst du’s, daß er deine Maske trage,
So wird die Welt, von Zwietracht, Haß und Neide
Erfüllt, im alten Chaos bald vergehen.

Der Gesang schloß mit einem tiefen Seufzer, und die beiden blieben abermals in aufmerksamer Erwartung, ob etwa noch mehr gesungen würde; aber als sie bemerkten, daß die Liedertöne sich in Schluchzen und schmerzliches Ächzen verwandelten, beschlossen sie nachzuforschen, wer der Unglückliche sei, dessen Stimme so schön wie sein Jammern schmerzvoll war. Sie waren nicht weit gegangen, da erblickten sie beim Umbiegen um eine Felsenecke einen Jüngling von Gestalt und Aussehen, ganz wie Sancho Pansa es geschildert hatte, als er ihnen die Geschichte Cardenios erzählte; aber als dieser ihrer ansichtig wurde, blieb er, anstatt wie sonst zusammenzuschrecken, ruhig sitzen, den Kopf auf die Brust gebogen wie einer, der in Nachdenken versunken ist, ohne daß er die Augen aufschlug, um sich umzusehen, außer das erstemal, als sie so unvermutet auf ihn zukamen. Der Pfarrer, der ein beredter Mann war, näherte sich ihm, als bereits mit seinem Unglück vertraut – da er ihn an den Merkmalen erkannt hatte –, und mit kurzen, aber höchst verständigen Worten bat er ihn und redete ihm zu, er möge dieses elende Leben aufgeben, damit er es hier nicht gar einbüße, was doch von allem Unglück das größte wäre.

Cardenio war jetzt gerade bei vollem Verstand, frei von jenem Wutanfall, der ihn so oft außer Besinnung brachte; und als er sie daher in einer bei den Leuten, die in seiner Einöde verkehrten, so ungebräuchlichen Tracht erblickte, geriet er natürlich einigermaßen in Verwunderung, zumal sie über seine Verhältnisse wie über eine allbekannte Sache sprachen, was er aus den Worten des Pfarrers deutlich entnehmen konnte. Sonach antwortete er folgendermaßen: »Wohl sehe ich, geehrte Herren, wer ihr auch sein möget, daß der Himmel, der stets Sorge trägt, den Guten und oftmals auch den Bösen zu helfen, mir, ohne daß ich es verdiene, an diese vom gewöhnlichen Verkehr der Menschen so entfernten, so abgelegenen Stätten edle Männer sendet, die mir mit eindringlichen und mannigfachen Vernunftgründen vor Augen stellen, wie unvernünftig es von mir ist, ein solches Leben zu führen, und die sich bemühen, mich aus demselben zu erlösen und auf einen bessern Weg zu bringen. Aber da sie nicht wissen, was ich nur zu gut weiß, daß ich, von diesem Leide befreit, sofort in ein andres, größeres fallen muß, so werden sie mich vielleicht für einen Mann von schwachen Geisteskräften oder, was noch schlimmer, für ein ganz vernunftloses Wesen halten müssen. Und es wäre kein Wunder, wenn es so wäre; denn mir schimmert es im Bewußtsein durch, daß die Gewalt, welche die Vorstellung meiner unglücklichen Schicksale auf mich übt, so mein ganzes Innere erfaßt und so viel zu meinem Verderben vermag, daß ich manchmal widerstandslos zu Stein erstarre und alle menschliche Empfindung, alle Kenntnis meiner selbst verliere. Daß dem so ist, das sehe ich erst ein, wenn die Leute mir erzählen und mir Kennzeichen davon geben, was ich getan habe, solange der schreckliche Wutanfall mich beherrschte. Dann bleibt mir weiter nichts übrig, als vergeblich zu jammern und zwecklos mein Schicksal zu verfluchen und zur Entschuldigung meines Wahnsinns jedem, der mich hören will, dessen Ursache zu erzählen. Denn wenn die Verständigen die Ursache hören, werden sie über die Wirkung nicht erstaunt sein, und wenn sie kein Heilmittel wissen, werden sie mir wenigstens nicht die Schuld geben, und ihr Zorn über meine Ausschreitungen wird sich in Betrübnis ob meines Unglücks verwandeln. Und ist es nun der Fall, daß ihr Herren mit derselben Absicht kommt, wie andere schon gekommen, so bitte ich euch, eh ihr mit euren verständigen Vorstellungen fortfahrt, laßt euch die Geschichte meiner Leiden erzählen, die nicht zu zählen sind; vielleicht, wenn ihr sie gehört, werdet ihr euch die Mühe sparen, für ein Unglück Trost spenden zu wollen, das jedem Troste unzugänglich ist.«

Die beiden, die gar nichts andres wünschten, als aus seinem eignen Munde die Ursache seines unglücklichen Zustands zu erfahren, baten ihn um Mitteilung derselben, wobei sie sich erboten, zu seiner Heilung oder Tröstung nichts anderes zu tun, als was er selbst verlangen würde. Und daraufhin begann der arme Mann seine jammervolle Geschichte fast mit denselben Worten und Umständen, wie er sie Don Quijote und dem Ziegenhirten wenige Tage vorher erzählt hatte, als aus Anlaß des Meisters Elísabat und der Gewissenhaftigkeit Don Quijotes in Aufrechterhaltung der Würde des Rittertums die Erzählung unbeendet blieb, wie unsre Geschichte es schon berichtet hat. Jetzt aber wollte es das gute Glück, daß sein Wutanfall länger ausblieb und ihm vergönnte, die Erzählung zu Ende zu führen. Und als er so bis zu dem Umstand mit dem Briefe kam, den Don Fernando im Buche vom Amadís von Gallien gefunden hatte, erwähnte er, daß er denselben vollständig im Gedächtnis habe und daß er folgendermaßen lautete:

Luscinda an Cardenio

Jeden Tag entdecke ich in Euch Vorzüge, die mich verpflichten und zwingen, Euch höher zu achten. Wollt Ihr also von dieser Schuld, in der ich gegen Euch stehe, mich befreien, ohne Euch mit meiner Ehre bezahlt zu machen, so könnt Ihr dies sehr leicht bewerkstelligen. Ich habe einen Vater, der Euch kennt und mich von Herzen liebt; er wird, ohne meinen Wünschen Zwang anzutun, jene Wünsche erfüllen, die Ihr von Rechts wegen hegen müßt, wenn Ihr mich wirklich so hochschätzt, wie Ihr es sagt und wie ich es glaube.

»Durch dies Briefchen ward ich bewogen, um Luscindas Hand anzuhalten; dies Briefchen war es, das Luscinda in Don Fernandos Augen als eine der geistvollsten und klügsten Damen ihrer Zeit erscheinen ließ; dies Briefchen erweckte in seinem Herzen den Wunsch, mich zugrunde zu richten, bevor der Wunsch meines Herzens zur Erfüllung kommen könnte. Ich erzählte Don Fernando, woran Luscindas Vater Anstand nehme: er erwarte nämlich, daß mein Vater selbst bei ihm um Luscinda anhalte, was ich ihm nicht mitzuteilen wagte, weil ich fürchtete, er werde darauf nicht eingehen, und zwar nicht etwa deshalb, weil ihm Luscindas Stand, Vortrefflichkeit, Tugend und Schönheit nicht genügend bekannt wären und er nicht wüßte, daß sie hinreichende Eigenschaften besitze, um jedes andre Geschlecht Spaniens zu adeln; sondern weil ich seinen Wunsch kannte, ich möchte mich nicht so rasch vermählen, damit man erst erfahre, was Ricardo mit mir vorhabe. Kurz, ich sagte ihm, ich könne es nicht auf mich nehmen, meinem Vater die Mitteilung zu machen, sowohl um dieser Schwierigkeit willen als auch gar mancher andern noch, die mich mutlos machten, ohne daß ich sie zu bezeichnen wußte; nur war ich überzeugt, es werde, was ich wünsche, niemals in Erfüllung gehen. Auf all dieses entgegnete mir Don Fernando, er selbst übernehme es, mit meinem Vater zu sprechen und ihn zu vermögen, daß er mit dem Vater Luscindas rede.

Ha, du Marius, du nach jeder Art von Erfolg begierig! Du grausamer Catilina! Ruchloser Sulla! Tückischer Ganelon! Verräterischer Bellido! Rachsüchtiger Graf Julian! Habsüchtiger Judas! Verräterischer, grausamer, rachsüchtiger, betrügerischer Mensch, welch schlimmen Dienst hatte er dir erwiesen, der Arme, der mit solcher Unbefangenheit dir die Geheimnisse und Freuden seines Herzens anvertraute? Welche Beleidigung habe ich dir zugefügt? Welche Worte habe ich dir gesagt oder welche Ratschläge dir gegeben, die nicht stets darauf abgezielt hätten, deine Ehre, deinen Vorteil zu wahren? Aber worüber klage ich, ich Unseliger! Da es doch gewiß ist: Wenn die Mißgeschicke ihre Strömung von den Sternen aus entquellen lassen, so ist keine andere Kraft, da sie aus der Höhe nach unten kommen und mit Wut und Gewalt herniederstürzen, so ist keine andre Kraft auf Erden, die ihnen widerstreben, kein menschliches Bemühen, das ihnen vorbeugen könnte. Wer konnte denken, daß Fernando, ein Edelmann von solchem Rang, verständig, mir durch meine Dienste verpflichtet, mächtig genug, um alles zu erreichen, was seine Liebeswünsche erstreben mochten, wo auch immer sie ihr Ziel suchten, daß dieser Mann danach brannte, mir – wie man zu sagen pflegt – mein einziges Schäflein zu rauben, das ich noch nicht einmal mein eigen nannte! Doch es mögen diese Betrachtungen als zwecklos und unnütz beiseite bleiben, und lasset uns den abgerissenen Faden meiner unseligen Geschichte wieder anknüpfen.

Ich sage also, daß Don Fernando, weil ihm meine Gegenwart zur Ausführung seines falschen, schlechten Vorhabens hinderlich schien, mich zu seinem älteren Bruder zu schicken beschloß unter dem Vorwand, von ihm Geld zur Bezahlung von sechs Pferden zu verlangen. Diese hatte er absichtlich und lediglich zu dem Zwecke, mich zu entfernen, um seinen tückischen Plan besser ausführen zu können, an dem nämlichen Tage gekauft, wo er sich erbot, mit meinem Vater zu sprechen, und deshalb wollte er, ich solle fort, das Geld zu holen. Konnte ich einen solchen Verrat voraussehen? War es etwa möglich, ihn nur zu ahnen? Gewiß nicht; vielmehr erbot ich mich sehr gern, auf der Stelle abzureisen, so vergnügt war ich über den guten Kauf.

Dieselbe Nacht sprach ich Luscinda, erzählte ihr, was ich mit Don Fernando verabredet hatte, und sagte ihr, sie möge fest darauf bauen, daß unsere redlichen, gerechten Wünsche in Erfüllung gehen würden. Sie bat mich, ob Fernandos Verräterei so ahnungslos wie ich, ich möchte auf baldige Rückkehr bedacht sein; denn sie glaubte, die Krönung unsrer Wünsche würde sich nur so lange verzögern, als mein Vater zögere, mit dem ihrigen zu reden. Ich weiß nicht, wie es geschah, ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie diese Worte gesprochen, die Kehle war ihr wie zugeschnürt, so daß sie von dem vielen, was sie, wie mich bedünkte, mir noch sagen wollte, nicht das geringste herausbringen konnte. Ich war ganz betroffen über diesen mir ganz neuen, noch nie bei ihr erlebten Anfall; denn bisher hatten wir stets, wenn uns das gute Glück und mein eifriges Bemühen die Gelegenheit verschafften, uns heiter und wohlgemut unterhalten, ohne jemals Tränen, Seufzer, Eifersucht, Argwohn oder Besorgnis in unser Gespräch zu mischen. Nie tat ich etwas andres, als daß ich mein Glück pries, das sie mir zur Geliebten gegeben. Ich hob ihre Schönheit in den Himmel, ich bewunderte ihre hohen Vorzüge und ihren Geist; sie gab mir alles mit Zinseszinsen zurück und lobte, was ihrer Liebe an mir des Lobes würdig schien. Dabei erzählten wir uns hunderttausend Kindereien und Geschichten von unsern Nachbarn und Bekannten, und das Höchste, wozu meine Kühnheit sich verstieg, war, daß ich fast mit Gewalt eine ihrer schönen weißen Hände ergriff und sie an meine Lippen drückte, soviel die Enge des niedrigen Fenstergitters, das uns trennte, es zuließ. Aber in der Nacht, die dem trüben Tag meiner Abreise vorherging, weinte sie, ächzte, seufzte und entfernte sich dann und ließ mich in Verwirrung und Bestürzung zurück, ganz entsetzt über die nie erlebten, so traurigen Zeichen von Angst und Schmerz, die ich an Luscinda bemerkt hatte. Um jedoch meine Hoffnungen nicht selbst zu zerstören, schrieb ich alles der Gewalt ihrer Liebe zu und dem Schmerze, den die Trennung in allen wahrhaft liebenden Herzen erregt.

Niedergeschlagen und in tiefen Gedanken reiste ich endlich ab. Mein Herz war voller Ahnungen und argwöhnischer Besorgnisse, ohne zu wissen, was es argwöhnte und was es ahnte. Das waren klare Zeichen, die mir das traurige Schicksal und Unheil vordeuteten, das meiner harrte. Ich langte an dem Orte an, wohin ich gesandt war, ich übergab dem Bruder Don Fernandos die Briefe, wurde bestens aufgenommen, aber keineswegs bestens abgefertigt; denn er befahl mir zu meinem großen Leidwesen, acht Tage lang zu warten, und zwar an einem Ort, wo ich seinem Vater nicht zu Gesicht käme, da sein Bruder ihm geschrieben, eine gewisse Summe Geldes ihm ohne dessen Vorwissen zu schicken. All dieses war eine Erfindung des falschen Don Fernando; denn es fehlte seinem Bruder keineswegs an Geld, um mich auf der Stelle abzufertigen. Es war das ein Auftrag und Befehl der Art, daß es mich drängte, ihm nicht zu gehorchen. Denn es schien mir unmöglich, so viele Tage fern von Luscinda das Leben zu ertragen, zumal ich sie in dem trüben Gemütszustande verlassen, von dem ich euch berichtet habe. Aber trotzdem gehorchte ich als ein treuer Diener, obschon ich wohl einsah, es geschehe auf Kosten meiner Wohlfahrt.

Aber am vierten Tage meines Aufenthaltes kam ein Mann, mich aufzusuchen, und brachte mir einen Brief, an dessen Aufschrift ich erkannte, er sei von Luscinda, da sie deren Handschrift zeigte. Ich öffnete ihn mit Angst und Schrecken, da ich mir wohl dachte, nur eine hochwichtige Sache könne sie veranlaßt haben, mir zu schreiben, was sie so selten tat, wenn ich am nämlichen Orte mit ihr war. Ehe ich den Brief las, fragte ich den Mann, wer ihm denselben übergeben habe und wie lange er unterwegs gewesen; er antwortete mir, als er zufällig um die Mittagsstunde durch eine Straße der Stadt gegangen, habe ihn eine sehr schöne Dame aus dem Fenster angerufen, die Augen voller Tränen, und habe ihm in großer Hast gesagt: ›Guter Freund, wenn Ihr, was Euer Ansehen zeigt, ein Christ seid, so bitte ich Euch um Gottes willen, gleich, ja gleich diesen Brief nach dem Ort und zu dem Mann zu bringen, wie in der Aufschrift angegeben. Beides ist genugsam bekannt, und Ihr werdet damit unserm Herrgott ein wohlgefälliges Werk verrichten. Und damit es Euch nicht an den nötigen Mitteln fehle, es verrichten zu können, nehmt, was in diesem Tüchlein ist.‹ – ›Und mit diesen Worten warf sie mir ein Taschentuch durchs Fenster zu, worin hundert Realen und der goldene Ring, den ich hier trage, eingebunden waren, nebst dem Briefe, den ich Euch gegeben. Und auf der Stelle, ohne meine Antwort abzuwarten, entfernte sie sich vom Fenster, sah aber noch vorher, wie ich den Brief und das Tuch nahm und ihr mit Zeichen bemerklich machte, daß ich ihren Auftrag ausrichten würde. Und da ich mich sonach für die Mühe des Überbringens an Euch so reichlich bezahlt fand und aus der Aufschrift ersah, daß der Brief für Euch bestimmt war – denn, Señor, ich kenne Euch ganz gut –, und da ich durch die Tränen der schönen Dame mich dazu verpflichtet fühlte, so beschloß ich, mich auf keinen Dritten zu verlassen, sondern selbst zu reisen, um Euch den Brief zu überbringen, und in sechzehn Stunden, so lang ist es her, daß sie mir ihn anvertraute, habe ich den Weg zurückgelegt, der, wie Ihr wißt, achtzehn Meilen beträgt.‹

Während dieser dienstfertige und unerwartete Briefbote mit mir sprach, hing ich an seinen Worten, und die Beine zitterten mir so sehr, daß ich mich kaum aufrecht halten konnte. Dann öffnete ich den Brief und sah, daß er folgenden Inhalts war:

Das Wort, das Euch Don Fernando gab, mit Eurem Vater zu reden, damit er mit dem meinigen rede, hat er mehr zu seiner eignen Befriedigung als zu Eurem Frommen erfüllt. Wisset, Señor, daß er mich zur Gemahlin begehrt hat, und mein Vater, verleitet durch so vieles, was nach seiner Meinung Don Fernando vor Euch voraushat, ist auf dessen Wünsche so bereitwillig eingegangen, daß von jetzt in zwei Tagen die Vermählung stattfinden soll, und zwar ganz im geheimen und unter uns, so daß nur der Himmel und einige Leute vom Hause Zeugen sein sollen. In welcher Lage ich mich befinde, mögt Ihr Euch denken. Ob es Euch erforderlich erscheint zu kommen, das möget Ihr erwägen, und ob ich Euch wahrhaft liebe oder nicht, wird der Verfolg der Sache Euch zu erkennen geben. Wolle Gott, daß dieser Brief in Eure Hände gelange, bevor meine Hand gezwungen wird, sich in die des Mannes zu legen, der die Treue, die er gelobt, so schlecht zu halten weiß.

Das war im wesentlichen, was der Brief enthielt und was mich bestimmte, mich sogleich auf den Weg zu begeben, ohne eine weitere Antwort oder Geld abzuwarten; denn klar erkannte ich jetzt, daß nicht um Pferde, sondern um das Ziel seiner Wünsche zu erkaufen, Don Fernando sich bewogen fand, mich zu seinem Bruder zu schicken. Der grimmige Haß, den ich nun gegen Don Fernando faßte, und zugleich die Furcht, das geliebte Pfand zu verlieren, das ich mir mit so vielen Jahren der Sehnsucht und Huldigung gewonnen, verlieh mir Vogelschwingen; wie im Fluge gelangte ich des andern Tages in meine Heimat, gerade zur rechten Zeit, um Luscinda sprechen zu können. Ich kam im geheimen in den Ort und ließ mein Maultier im Hause des braven Mannes, der mir den Brief gebracht; und das Glück ließ es mich jetzt so gut treffen, daß ich Luscinda an jenem Fenstergitter fand, dem Zeugen unsrer Liebe. Auf der Stelle erkannte mich Luscinda, und ich erkannte sie; aber nicht so, wie sie mich hätte erkennen sollen, nicht so, wie ich sie hätte erkennen sollen. Aber wer auf Erden könnte sich rühmen, die verworrenen Gedanken und den wankelmütigen Sinn eines Weibes ergründet und verstanden zu haben? Gewiß niemand.

Also weiter. Sobald Luscinda mich erblickte, sprach sie: ›Cardenio, ich bin zur Hochzeit angezogen, schon erwarten mich im Saale Don Fernando, der Verräter, und mein Vater, der Habsüchtige, nebst andern Zeugen, die eher Zeugen meines Todes als meiner Vermählung sein sollen. Fasse dich, mein Freund, und suche bei dieser Opferung zugegen zu sein, und kann ich sie nicht durch meine Worte abwenden, so trage ich einen Dolch verborgen bei mir, der die entschlossenste Gewalt von mir fernzuhalten vermag, und so wird denn das Ende meines Lebens zugleich der Anfang deiner wahren Kenntnis von meiner Liebe sein.‹

Ich antwortete ihr in Bestürzung und Hast, voller Besorgnis, es werde mir zur Antwort nicht Zeit genug bleiben: ›Mögen deine Taten, o Geliebte, deine Worte wahr machen; und trägst du einen Dolch bei dir, auf daß man dich achten lerne, so trage ich hier ein Schwert, um dich damit zu verteidigen oder mich zu töten, wenn uns das Schicksal feindlich bleibt.‹

Ich glaube nicht, daß sie meine Worte alle vernehmen konnte; denn ich merkte, daß sie eilig abgerufen wurde, weil der Bräutigam wartete. Jetzt brach die Nacht meines Elends an, die Sonne meiner Freuden ging unter, meine Augen blieben ohne Licht, mein Geist ohne Besinnung. Ich gewann es zunächst nicht über mich, ihr Haus zu betreten, ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen; aber da ich erwog, wie wichtig meine Gegenwart um dessentwillen sei, was sich unter diesen Umständen zutragen könne, so ermannte ich mich, soviel ich vermochte, und trat in ihr Haus ein. Da ich alle Ein- und Ausgänge schon längst aufs genaueste kannte, so wurde ich – zumal bei der allgemeinen Unruhe, die, obzwar insgeheim, das ganze Haus durcheinanderbrachte – von niemandem bemerkt. So fand ich, ohne daß man meiner ansichtig wurde, Gelegenheit, mich in einer Fensternische des Hochzeitssaales selbst zu verbergen, die von den Spitzen und Säumen zweier Vorhangteppiche verdeckt war, zwischen denen hindurch ich alles, was im Saale vorging, sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Wer vermöchte jetzt zu sagen, wie mein Herz gewaltsam pochte, während ich dort stand, wer die Gedanken zu sagen, die mich überfielen, die Betrachtungen, denen ich mich hingab! Es waren ihrer so viele und solchen Inhalts, daß sie nicht auszusprechen sind, ja, daß es nicht gut wäre, sie auszusprechen. Es genüge Euch, zu hören, daß der Bräutigam in den Saal trat, ohne einen andern Festschmuck als die Alltagskleider, die er zu tragen pflegte. Als Zeugen brachte er einen Vetter Luscindas mit, und im ganzen Saale war niemand Fremdes zugegen, sondern nur die Diener vom Hause. Kurz darauf trat Luscinda aus ihrem Ankleidezimmer, in Begleitung ihrer Mutter und zweier Zofen, so herrlich gekleidet und geschmückt, wie es ihres Standes und ihrer Reize würdig war, als die wahre Vollendung vornehmer Pracht und buhlerischen Glanzes. Ich war so erregt und außer mir, daß es mir nicht möglich war, ihre Kleidung in ihren Einzelheiten zu beobachten und mir zu merken; ich konnte nur auf die Farbe ihrer Gewänder achten – sie waren rot und weiß – und auf das Funkeln der Edelsteine und Kleinode in ihrem Kopfputz und an ihrem ganzen Anzug. All dies wurde noch überstrahlt von dem wunderbaren Reiz ihrer schönen blonden Haare, die, im Wettstreit mit den köstlichen Steinen und dem Lichte der vier Fackeln, die den Saal erhellten, Luscindas Schönheitslicht den Augen in höherem Glanze zeigten. O Erinnerung, Todfeindin meiner Ruhe! Was frommt es, die unvergleichliche Schönheit meiner angebeteten Feindin mir jetzt vorzustellen? Ist es nicht besser, o grausame Erinnerung, daß du mich nur daran mahnest und mir vorstellst, was Luscinda damals getan, damit ich, von so offenbarer Kränkung getrieben, nur darauf sinne, wenn nicht Rache zu erlangen, so doch wenigstens dies Leben zu enden? Möge es euch nicht ermüden, werte Herren, diese Abschweifungen von meinem Gegenstand zu hören; mein Leiden ist nicht von jener Art, daß man es kurz und oberflächlich erzählen kann oder darf; denn jeder Umstand dabei scheint mir einer ausführlichen Darlegung wert.«

Hierauf entgegnete der Pfarrer, es ermüde sie keineswegs, ihm zuzuhören, vielmehr hörten sie die Einzelheiten, die er ihnen erzähle, sehr gerne an; denn sie seien derart, daß sie verdienten, nicht mit Stillschweigen übergangen zu werden, sondern dieselbe Aufmerksamkeit zu erhalten wie der Hauptinhalt der Erzählung.

»Wohl denn«, fuhr Cardenio fort; »als sie alle im Saal waren, trat der Pfarrer des Kirchspiels herein, ergriff beider Hände, um das bei solcher feierlichen Handlung Übliche vorzunehmen; und als er die Worte sprach: ›Wollt Ihr, Jungfrau Luscinda, den hier anwesenden Herrn Don Fernando zu Eurem rechtmäßigen Ehegatten nehmen, wie es die heilige Mutter Kirche vorschreibt?‹ da streckte ich Kopf und Hals ganz aus dem Vorhang hervor und horchte mit gespanntem Ohr und bangem Herzen auf Luscindas Antwort, von der ich mein Todesurteil oder die Verheißung meines Lebens erwartete. Oh, wer in jenem Augenblick sich erkühnt hätte, hervorzustürzen und ihr zuzurufen: Ha, Luscinda, Luscinda, bedenke, was du tust, überlege, was du mir schuldest! Bedenke, daß du die Meinige bist und einem andern nicht angehören kannst! Erwäge wohl, daß das Ja aus deinem Munde hören und mein Leben verlieren beides in einem und demselben Augenblick folgen wird. Oh, Verräter Don Fernando, Räuber all meines Heils, Tod meines Lebens! Was begehrst du? Bedenke, daß du das Ziel deiner Wünsche nie im christlichen Sinne erreichen kannst, denn Luscinda ist meine Gattin, ich bin ihr Gemahl. Oh, ich Wahnsinniger! Jetzt, wo ich von ihr abwesend und fern von der Gefahr bin, jetzt sage ich, daß ich hätte tun sollen, was ich nicht tat; jetzt, wo ich mein höchstes Gut mir rauben ließ, fluche ich dem Räuber, an dem ich mich rächen konnte, wenn ich den Mut dazu gehabt hätte, wie ich ihn jetzt habe, um Klagen auszustoßen. Ja, weil ich damals feige und verstandlos war, so geschieht mir nicht zuviel, wenn ich jetzt beschämt, reuevoll und irrsinnig sterbe.

Der Geistliche erwartete Luscindas Antwort; sie zögerte damit eine längere Weile, und als ich schon dachte, sie wolle den Dolch ziehen, um eine Heldentat zu tun, oder wolle die Zunge entfesseln, um ein Bekenntnis abzulegen oder falschen Voraussetzungen die Wahrheit entgegenzustellen, die mir zum besten gereichen würde, da hörte ich sie mit kraftloser, matter Stimme sagen: ›Ja, ich will.‹ Das nämliche sagte Don Fernando; er gab ihr den Ring, und sie waren mit unauflöslichem Bande aneinander gebunden.

Der Bräutigam näherte sich, seine Gattin zu umarmen; sie drückte die Hand ans Herz und fiel ohnmächtig ihrer Mutter in die Arme.

Nun bleibt mir noch zu sagen, in welchem Zustande ich mich befand, als ich durch das Ja, das ich vernommen, meine Hoffnungen für betrogen, Luscindas Worte und Verheißungen für falsch erkannte und mich der Möglichkeit beraubt sah, jemals das Glück wiederzugewinnen, das ich in diesem Augenblick verloren hatte. Ich stand ratlos da, vom Himmel, wie mich dünkte, verlassen, feind der Erde, die mich bisher genährt, während die Luft mir den Atem für meine Seufzer und das Wasser mir das spärliche Naß für meine Augen versagte; nur das Feuer mehrte seine Glut so sehr, daß ich vor Ingrimm und Eifersucht durch und durch entbrannte.

Alles war in Bestürzung über Luscindas Ohnmacht; und als ihre Mutter sie aufschnürte, damit die Luft Zugang zu ihrer Brust habe, fand man an ihrem Busen ein verschlossenes Papier, welches Don Fernando sogleich an sich nahm und beim Licht einer Fackel durchlas. Kaum hatte er es gelesen, so setzte er sich nieder auf einen Stuhl und stützte das Kinn auf die Hand mit allen Zeichen tiefen Nachsinnens, ohne sich um die Mittel zu kümmern, die man bei seiner Gattin versuchte, um sie aus der Ohnmacht zu wecken. Da ich so das ganze Haus in Aufruhr sah, wagte ich es, mich zu entfernen, gleichviel, ob ich dabei gesehen würde oder nicht, mit dem festen Entschlusse, wenn man mich bemerkte, eine solche Handlung der Verzweiflung zu begehen, daß alle Welt den gerechten Groll meines Herzens erkennen sollte an der Züchtigung des falschen Don Fernando, ja auch der ohnmächtig daliegenden Verräterin. Aber mein Schicksal, das mich wohl für noch größere Leiden – wenn es größere gibt – aufbewahrt haben muß, fügte es, daß mir in jenem Augenblick nur zuviel der Vernunft zu Gebote stand, die mich seitdem verlassen hat. Und sonach wollte ich, ohne Rache an meinen schlimmsten Feinden zu nehmen – was leicht gewesen wäre, da keiner an mich dachte –, die Rache an mir selbst nehmen und die Strafe, die jene verdienten, an mir vollstrecken, und das vielleicht mit größerer Härte, als gegen sie wäre angewendet worden, wenn ich sie damals getötet hätte. Denn der Tod, den man plötzlich erleidet, beendet die Qual im Augenblick; aber den Tod unter Martern lange verzögern heißt unaufhörlich töten, ohne dem Leben ein Ende zu machen. Kurz, ich verließ ihr Haus und eilte zum Hause des Mannes, bei dem ich das Maultier gelassen. Ich hieß ihn mir das Tier satteln, und ohne ihm Lebewohl zu sagen, stieg ich auf und ritt zur Stadt hinaus und mochte, als ein anderer Lot, nicht wagen, das Antlitz zu wenden und mich nach ihr umzuschauen. Und als ich mich im freien Feld allein sah, die Dunkelheit der Nacht mich umhüllte und ihre tiefe Stille mich einlud, meine Klagen zu ergießen, da erhob ich meine Stimme, ohne Scheu oder Besorgnis, daß ich gehört werden könnte, und entfesselte meine Zunge zu so vielen Verwünschungen gegen Luscinda und Don Fernando, als hätte ich mir damit Genugtuung verschafft für die Schmach, die sie mir angetan. Ich nannte Luscinda grausam, gefühllos, falsch, undankbar, vor allem aber habgierig, da der Reichtum meines Feindes ihrer Liebe die Augen verschlossen habe, um sie mir zu entziehen und sie dem hinzugeben, gegen welchen das Glück sich wohlwollender und freigebiger erwiesen hatte.

Und doch, mitten im Sturm dieser Verwünschungen und Schmähungen suchte ich nach Entschuldigungen für sie und sagte, es sei nicht zu verwundern, wenn ein zurückgezogen lebendes Mädchen, im Hause der Eltern zum Gehorsam gegen sie erzogen und daran gewöhnt, ihren Wünschen nachgegeben habe, da sie ihr einen solchen Edelmann zum Gemahl gaben, so vornehm, so reich, so stattlich, daß die Abweisung dieses Bewerbers der Vermutung Raum gegeben hätte, sie ermangele entweder des Verstandes oder habe ihre Neigung anderwärts vergeben, was ihrem guten Namen und Ruf so sehr zum Nachteil gereicht hätte. Dann sagte ich mir wieder: Wenn sie vorgegeben hätte, ich sei ihr Gatte, würden die Eltern erkannt haben, daß sie an mir keine so schlechte Wahl getroffen hätte, um nicht Entschuldigung bei ihnen zu finden; denn ehe sich Don Fernando ihnen anbot, konnten sie selber, wenn sie ihre Wünsche mit dem Maßstabe der Vernunft maßen, keinen Bessern zum Gemahl ihrer Tochter wünschen. Mithin hätte sie wohl, bevor sie das Äußerste über sich ergehen ließ – ihre Hand hinzugeben –, sagen können, ich hätte ihr bereits die meinige gegeben; und sicher würde ich allem zugestimmt und alles genehmigt haben, was sie in einem solchen Falle zu ersinnen vermocht hätte. Am Ende kam ich zu dem Schlusse, daß zuwenig Liebe, zuwenig Urteilskraft, zuviel Ehrsucht und Streben nach Größe die Schuld trugen, daß sie die Worte vergaß, mit denen sie meine feste Hoffnung und redliche Neigung getäuscht, hingezogen und aufrechterhalten hatte.

Unter solchen lauten Klagen, in solchen Seelenqualen ritt ich den Rest der Nacht dahin, und beim Morgengrauen stieß ich auf einen Zugang zu diesen Gebirgszügen, welche ich drei Tage lang ohne Weg und Steg durchirrte, bis ich zuletzt an Weideplätzen haltmachte, die ich weiß nicht mehr auf welcher Seite dieser Berge liegen, und dort befragte ich mich bei Herdenbesitzern, nach welcher Richtung hin die wildeste Gegend des Gebirges liege. Sie sagten mir, hierherum sei sie zu finden; und sogleich ritt ich her mit der Absicht, hier mein Leben zu beschließen.

Kaum hatte ich diese Wildnis betreten, so fiel mein Maultier tot nieder, weil es ausgehungert und abgemattet war oder weil es, was mir glaublicher scheint, der unnützen Bürde ledig sein wollte, die es an mir trug. So mußte ich zu Fuß wandern; die Natur hielt es nicht mehr aus, ich war von Hunger zerquält und hatte niemanden und mochte niemanden suchen, der mir beistände. Und so lag ich, wie lange weiß ich nicht, auf dem Erdboden hingestreckt; dann erhob ich mich, ohne Hunger zu spüren, und fand ein paar Ziegenhirten mir zur Seite. Diese waren es ohne Zweifel, die meiner Not abgeholfen; denn sie erzählten mir, in welchem Zustand sie mich gefunden und wie ich so viel Unsinn und tolles Zeug gesprochen, daß ich offenbar den Verstand verloren haben müßte. Seitdem habe ich es auch in mir empfunden, daß ich wirklich nicht immer meinen Verstand völlig habe, sondern bisweilen so schwach und matt, daß ich tausend Tollheiten begehe, mir die Kleider vom Leibe reiße und in diese öden Wildnisse laut hinausschreie, mein Schicksal verwünsche und zwecklos den geliebten Namen meiner Feindin wiederhole. Alsdann habe ich keinen andern Gedanken oder Willen, als daß ich in wildem Aufschrei mein Leben enden möchte; und wenn ich dann wieder zur Besinnung komme, so finde ich mich so abgemattet und zerschlagen, daß ich mich kaum regen kann. Meine Wohnung ist meist in der Höhlung eines Korkbaums, die gerade den Raum bietet, diesen elenden Körper darin zu bergen. Die Ziegen- und Rinderhirten, die in diesem Gebirge umherziehen, fühlen Erbarmen mit mir und fristen mein Leben, indem sie mir Nahrungsmittel auf die Wege und Felsensteige hinlegen, wo sie vermuten, daß ich vorüberkomme und das mir Bestimmte finden werde. Und wenn ich dann auch nicht bei Sinnen bin, so läßt das natürliche Bedürfnis mich erkennen, was mich nähren soll, und erweckt in mir den Drang, es zu begehren, und den Willen, es zu nehmen. Zu andern Malen, wenn ich bei Verstande bin, sagen sie mir, daß ich die Schäfer, die mit Speise vom Dorf zu den Hürden kommen, öfters auf den Wegen überfalle und ihnen die Speise mit Gewalt abnehme, wenn sie mir auch alles gern aus freien Stücken geben wollten.

In solcher Weise verbringe ich den elenden Rest meiner Tage, bis es dem Himmel dereinst gefällt, entweder meinem Leben oder meinem Gedächtnis ein Ende zu machen, auf daß ich mich der Schönheit und Verräterei Luscindas und der Freveltat Don Fernandos nicht mehr erinnere. Tut der Himmel dieses, ohne mir zugleich das Leben zu rauben, so will ich meine Gedanken auf einen besseren Weg lenken; wo nicht, so bleibt nichts übrig, als zum Himmel zu beten, daß er meiner Seele gnädig sei; denn ich fühle in mir weder Mut noch Kraft, um meinen Körper aus diesem Elend zu befreien, in das ich ihn aus freier Wahl gebracht habe.

Dies ist, liebe Herren, die bittere Geschichte meines Unglücks; sagt mir, ob es derart ist, daß es mit anderm Schmerzgefühl, als ihr an mir bemerkt habt, sich hätte schildern lassen. Müht euch nicht damit ab, mich zu bereden oder mir anzuraten, was die Vernunft euch als ersprießlich zu meiner Heilung erscheinen läßt; denn es würde mir nicht mehr helfen als das Rezept eines vortrefflichen Arztes dem Kranken, der die Arznei nicht einnehmen will. Ich will nicht gesunden ohne Luscinda; und da es ihr gefällt, einem andern zu gehören, während sie mein eigen ist oder sein sollte, so soll es mir gefallen, dem Unglück zu eigen zu sein, da ich doch dem Glück angehören könnte. Sie wollte mit ihrer Wandlung mein Verderben unwandelbar machen; so will ich denn selbst auf mein Verderben bedacht sein, um ihren Willen zu erfüllen. Den nach mir Kommenden aber wird es ein warnendes Beispiel sein, daß ich allein unter allen dessen ermangelt habe, was die Unglücklichen sonst im Übermaß haben, denn ihnen allen pflegt gerade die Unmöglichkeit, Trost zu finden, zum Troste zu werden, während sie mir noch größere Schmerzen und Leiden verursacht, da ich denken muß, daß sie selbst mit dem Tode nicht enden werden.«

Hiermit beschloß Cardenio seine lange Erzählung, seine so unglückliche als liebeglühende Geschichte. Und gerade als der Pfarrer sich anschickte, ihm einige Worte des Trostes zu sagen, ward er darin durch eine Stimme gestört, die ihm zu Ohren drang, und sie hörten in klagenden Tönen sprechen, was im folgenden Kapitel erzählt werden soll; denn hier schließt für jetzt der weise und sorgfältige Geschichtsschreiber Sidi Hamét Benengelí.

22. Kapitel

Von der Befreiung, die Don Quijote vielen Unglücklichen zuteil werden ließ, welche man wider ihren Willen dahin führte, wohin sie lieber nicht wollten

Es erzählt Sidi Hamét Benengelí, der arabische Autor aus der Mancha, in dieser sehr bedeutsamen, hochtönenden und höchst bescheidenen, lieblichen und wundersamen Geschichte, daß, nachdem zwischen dem ruhmreichen Don Quijote von der Mancha und seinem Schildknappen Sancho Pansa die Unterhaltung stattgefunden, die am Schlusse des einundzwanzigsten Kapitels berichtet worden, Don Quijote seine Augen erhob und auf der Straße, die er zog, etwa zwölf Leute zu Fuß sich entgegenkommen sah, alle, wie die Kügelchen am Rosenkranz, an einer langen Kette mit den Hälsen aneinandergereiht und alle mit Handschellen gefesselt. Auch zogen mit ihnen daher zwei Männer zu Pferde und zwei zu Fuß; die Reiter trugen Musketen mit Radschlössern, die zu Fuß hatten Wurfspieße und Schwerter.

Sobald Sancho sie erblickte, sprach er: »Das ist eine Kette von Galeerensklaven, Zwangsarbeiter für den König, die auf die Galeeren kommen.«

»Wie? Zwangsarbeiter?« fragte Don Quijote, »ist es möglich, daß der König irgendeinem Zwang antut?«

»Das sag ich nicht«, antwortete Sancho, »sondern es sind Leute, die um ihrer Vergehungen willen gezwungen werden, dem König auf den Galeeren zu dienen.«

»In einem Wort also«, versetzte Don Quijote, »wie dem auch sei, diese Leute gehen nur gezwungen, wohin man sie führt, und nicht aus eignem Willen.«

»So ist’s«, antwortete Sancho.

»Wohlan«, sprach sein Herr, »so fällt dies in den Bereich meiner Aufgabe, Gewalttätigkeiten zu verhindern und den Bedrängten Hilfe und Beistand zu leisten.«

»Beachte Euer Gnaden«, sagte Sancho, »daß die Gerechtigkeit, das heißt der König selbst, solchen Leuten weder Zwang noch Gewalt antut, sondern sie züchtigt zum Entgelt für ihre Vergehungen.«

Indem kam die Kette der Galeerensklaven heran, und Don Quijote bat die begleitenden Wächter mit äußerst höflichen Worten, sie möchten so gütig sein, ihn zu belehren und ihm die Ursache oder die Ursachen mitzuteilen, weshalb sie die Leute auf solche Weise dahinführten. Einer der berittenen Wächter antwortete, es seien Galeerensklaven, Leute, zu des Königs Diensten bestimmt, die auf die Galeeren kämen, und mehr sei nicht nötig zu sagen und mehr brauche er nicht zu wissen.

»Dessenungeachtet«, entgegnete Don Quijote, »wünsche ich von jedem derselben die besondere Ursache seines Unglücks zu erfahren.«

Diesen Worten fügte er noch andre und so höfliche bei, um sie zu der gewünschten Auskunft zu bewegen, daß der zweite von den berittenen Wächtern ihm sagte: »Obschon wir das Protokoll und die beglaubigte Urteilsabschrift für jeden dieser Elenden bei uns haben, so ist doch keine Zeit dazu, die Schriften hervorzuholen und zu lesen. Euer Gnaden möge näher herankommen und sie selber befragen. Sie werden schon alles sagen, wenn sie wollen, und sie werden wollen; denn es sind Leute, die Vergnügen daran haben, Schurkenstreiche zu begehen und zu erzählen.«

Mit dieser Erlaubnis, die Don Quijote sich genommen hätte, wenn man sie ihm nicht gegeben, näherte er sich der Kette und fragte den ersten, um welcher Sünden willen es ihm so schlecht ergehe. Der Mann antwortete: weil er verliebt gewesen sei, ergehe es ihm jetzt so übel.

»Um nichts mehr?« versetzte Don Quijote. »Wenn man die Leute wegen Verliebtseins auf die Galeeren schickte, dann könnte ich schon seit manchem lieben Tag dort sitzen und rudern.«

»Die Liebe ist nicht der Art, wie Euer Gnaden meint«, sagte der Sträfling, »die meinige ging auf einen Waschkorb voll Weißzeug, den ich mit allen Kräften umfing, und hätte die Justiz mir ihn nicht mit Gewalt abgenommen, so hätte ich ihn mit meinem Willen bis zum heutigen Tage nicht fahrenlassen. Ich wurde auf frischer Tat ergriffen, es war also kein Grund zur Folter, der Prozeß war bald zu Ende geführt, man salbte mir den Rücken mit einem Hundert und gab mir als Zugabe drei Jahre Wasserkur, und damit war die Sache fertig.«

»Was heißt Wasserkur?« fragte Don Quijote.

»Wasserkur heißt Galeerenstrafe«, antwortete der Züchtling, ein Junge von etwa vierundzwanzig Jahren und gebürtig aus Piedrahita, wie er angab.

Dieselbe Frage richtete Don Quijote an den zweiten, der kein Wort erwiderte, so traurig und schwermütig schritt er einher. Aber der erste antwortete für ihn und sprach: »Dieser, Señor, befindet sich hier, weil er ein Kanarienvogel ist, ich meine, weil er ein Musiker und Sänger war.«

»Wie das?« erwiderte Don Quijote, »kommt man auch wegen Musik und Gesang auf die Galeeren?«

»Allerdings, Señor«, versetzte der Sträfling, »denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man in der Not singt.«

»Weit eher«, erwiderte Don Quijote, »habe ich noch sagen hören: Lied versüßt Leid.«

»Hier ist’s umgekehrt«, sagte der Sträfling, »wer einmal singt, hat sein Leben lang zu weinen.«

»Das verstehe ich nicht«, sprach Don Quijote.

Aber einer der Wächter sagte ihm: »Herr Ritter, in der Not singen heißt bei diesem unheiligen Volk: unter der Folter eingestehen. Dieser Sünder wurde auf die Folter gelegt, und er hat sein Verbrechen bekannt; er hat Fleisch geklaut, das heißt Vieh gestohlen, und da er eingestand, wurde er zu sechs Jahren Galeere verurteilt, ungerechnet zweihundert Streiche, die er bereits auf dem Rücken mitbringt. Er geht immer in sich gekehrt und trübsinnig einher, weil die andern Spitzbuben, sowohl die dort geblieben als auch die hier an der Kette gehen, ihn mißhandeln, ihn schlechtmachen, verhöhnen und verachten, weil er eingestanden hat und nicht den Mut besaß, nein zu sagen; denn sie sagen, das Nein habe auch nicht mehr Silben als das Ja, und ein Verbrecher habe schon Glücks genug, wenn über Leben und Tod seine eigne Zunge und nicht die von Zeugen und Beweisen zu entscheiden hat, und ich meinesteils bin der Meinung, daß sie hierin nicht gerade auf dem Holzweg sind.«

»Auch ich bin dieser Meinung«, entgegnete Don Quijote und ging weiter zum dritten und fragte ihn das nämliche wie die andern.

Der Gefragte antwortete ihm sofort und mit großer Dreistigkeit: »Ich gehe auf zehn Jahre in die edle Wasserkur, weil mir zehn Dukaten fehlten.«

»Ich würde Euch sehr gern zwanzig geben«, sagte Don Quijote, »um Euch aus diesem bösen Handel herauszuhelfen.«

»Das kommt mir vor«, entgegnete der Sträfling, »wie wenn einer mitten auf hoher See Geld hat und doch Hungers stirbt, weil er keine Möglichkeit hat, sich das Nötige einzukaufen; ich meine nämlich, wenn ich die zwanzig Dukaten, die mir Euer Gnaden jetzt anbieten, zur rechten Zeit gehabt hätte, so hätte ich dem Aktuar die Feder damit geschmiert und dem Anwalt ein solches Licht im Kopf angesteckt, daß ich jetzt auf dem Marktplatz in Toledo und nicht auf dieser Landstraße wie ein Hund angekoppelt einherstiege. Aber Gott ist groß; Geduld, und damit gut.«

Don Quijote ging weiter zum vierten, der ein Mann von ehrwürdigem Angesicht war, mit einem weißen Barte, der ihm bis über die Brust herabfiel. Als er sich nach der Ursache fragen hörte, weshalb er sich hier befinde, fing er zu weinen an und erwiderte kein Wort; aber der fünfte Züchtling diente ihm als Zunge und sprach: »Dieser Ehrenmann geht für vier Jahre auf die Galeeren, nachdem er durch die üblichen Straßen in Galatracht spazierengeritten.«

»Das heißt«, sagte Sancho Pansa, »wie mich bedünkt, er ist auf dem Schandesel durch die Straßen gestäupt worden.«

»So ist es«, sagte der Sträfling, »und das Verbrechen, für das man ihn mit dieser Strafe belegt hat, ist, daß er für manche Bank und manches gute Haus den Leibmakler machte; ich meine, daß er auf die Galeere muß, weil er ein Kuppler war und weil er auch vom Schwarzkünstler einen Anstrich hatte.«

»Hättet Ihr diesen Anstrich nicht hinzugetan«, sagte Don Quijote, »für die bloße Kuppelei hättet Ihr nicht verdient, auf den Galeeren zu rudern, viel eher, sie als General zu befehligen. Denn das Geschäft eines Kupplers ist nicht derart, wie man wohl glauben mag; es ist ein Geschäft für Leute von Verstand und in einem wohlgeordneten Gemeinwesen ganz unentbehrlich. Es sollten nur Leute von gutem Hause es betreiben dürfen, und es sollte auch einen Aufseher und Examinator für sie geben, wie es deren für andre Berufsarten gibt; ihre Anzahl sollte festgesetzt und bekanntgemacht werden wie bei den Börsenmaklern. Dadurch würde viel Unglück vermieden, das daraus entspringt, daß dies Geschäft und Amt sich in den Händen einfältiger Leute ohne Einsicht befindet, wie zum Beispiel armseliger Weiber, Weiber ohne Sitte, Gelbschnäbeln von Lakaien und Possenreißern von geringem Alter und noch geringerer Erfahrung, die gerade in den dringendsten Fällen, und wenn es gilt, einen Anschlag auszuführen, an dem viel gelegen ist, die Brocken von der Hand zum Mund kalt werden lassen und nicht wissen, was rechts und was links ist. Ich würde mich gern noch weiter hierüber auslassen und die Gründe angeben, weshalb es angemessen wäre, diejenigen, welche einem so unentbehrlichen Beruf im Gemeinwesen obliegen sollen, einer strengen Auswahl zu unterwerfen, aber Ort und Zeit sind nicht dazu geeignet, indessen, ich will es schon einmal jemandem sagen, der dafür zu sorgen und Abhilfe zu schaffen imstande ist.

Jetzt sage ich nur, daß das Mitleid, das ich darüber empfand, dieses weiße Haar und ehrwürdige Angesicht wegen Kuppelei in solcher Drangsal zu sehen, mir durch den Zusatz, daß der Mann sich mit Hexerei abgegeben, gänzlich benommen ist. Zwar weiß ich wohl, es gibt keine Hexenkünste auf Erden, die den Willen zu lenken und ihm Gewalt anzutun vermögend wären, wie etliche einfältige Leute glauben; ich weiß, daß unser Wille frei ist und daß es weder Kräuter noch Zaubereien gibt, die ihn zu irgend etwas zwingen könnten. Was ein paar alberne Weibsbilder und ein paar verschmitzte Betrüger indessen zu tun pflegen, ist, daß sie gewisse Tränke und Gifte bereiten, womit sie die Leute verrückt machen, unter dem Vorgeben, es wohne ihnen die Macht bei, zur Liebe zu zwingen; während es, wie gesagt, unmöglich ist, dem Willen Gewalt anzutun.«

»So ist es«, sagte der biedere Alte, »und in Wahrheit, Señor, in betreff der Hexerei war ich schuldlos, und die Kuppelei kann ich nicht leugnen. Aber es kam mir nie in den Sinn, daß ich damit ein Unrecht beginge; denn meine ganze Absicht war nur, daß die Welt in Freuden, Ruhe und Frieden leben sollte, ohne Hader und Verdruß. Aber dieser gute Zweck hat mich nicht davor bewahrt, daß ich jetzt dahin muß, von wo ich keine Rückkehr hoffen kann, so schwer lastet auf mir das Alter und ein Blasenleiden, das mir keinen Augenblick Ruhe läßt.«

Und hier begann er wieder wie vorher zu weinen, und Sancho hatte so großes Mitleid mit ihm, daß er einen halben Silberreal aus dem Busen zog und ihm als Almosen gab.

Don Quijote ging weiter und fragte einen andern nach seiner Vergehung, und dieser antwortete nicht mit geringerer, sondern vielmehr mit weit größerer Dreistigkeit als der vorige: »Ich gehe an dieser Kette, weil ich mit ein paar Bäschen, leiblichen Verwandten von mir, zuviel Kurzweil getrieben und dazu auch mit zwei Schwestern, die aber nicht leibliche Verwandte von mir waren. Kurz, ich kurzweilte so viel mit ihnen allen, daß zuletzt durch die Kurzweil die Verwandtschaft zu solcher Verwicklung anwuchs, daß kein Lehrmeister im Kirchenrecht sich darin zurechtfinden könnte. Es wurde mir alles bewiesen, Gönner fehlten mir, Geld hatte ich keins, es war drauf und dran, daß es mir an den Hals ging, sie verurteilten mich zu sechs Jahren Galeere, ich war’s zufrieden, es ist die Strafe meiner Sünden. Ich bin jung, so möge mir nur das Leben erhalten bleiben, mit dem Leben ist alles noch fertigzubringen. Wenn Euer Gnaden etwas bei sich hat, um diesen armen Teufeln beizuspringen, so wird Gott es Euch, Herr Ritter, im Himmel wiederzahlen, und wir hienieden werden nicht unterlassen, Gott in unsern Gebeten für Euer Gnaden Leben und Gesundheit anzuflehen, daß das eine so lange und die andre so gut sei, wie Ihr nach Eurem edlen Aussehen es verdient.«

Der Mann war in Studententracht, und einer der Wächter sagte, er sei ein großer Schwätzer und trefflicher Lateiner.

Zuletzt nach allen diesen kam ein Mensch im Alter von dreißig Jahren, von sehr hübschem Äußern, nur daß er, wenn er die Augen aufschlug, mit dem einen in das andre hineinsah. Dieser war in etwas andrer Weise gefesselt als die übrigen. Denn er hatte am Fuß eine so lange Kette, daß sie sich ihm um den ganzen Körper herumwand, und zwei eiserne Ringe um den Hals; der eine war an der Kette angeschmiedet, der andre war ein sogenannter Haltefest, ein Klemm-Eisen, von welchem bis zum Gürtel zwei Eisenstäbe herabhingen; in diese griffen zwei Handschellen ein, in welche seine Hände mit einem großen Vorlegeschloß eingeklemmt waren, so daß er weder mit den Händen zum Munde reichen noch den Kopf so weit bücken konnte, um bis zu den Händen zu gelangen.

Don Quijote fragte, warum dieser Mensch soviel Fesseln mehr trüge als die andern. Der Anführer der Wache antwortete, weil der Kerl allein mehr Verbrechen begangen habe als alle andern zusammen und weil er so verwegen und ein so abgefeimter Schelm sei, daß sie, obgleich sie ihn so gefesselt hielten, dennoch seiner nicht sicher seien, sondern immer befürchten müßten, er werde ihnen entspringen.

»Was für Verbrechen können auf ihm lasten«, sagte Don Quijote, »wenn er doch keine größere Strafe verdient hat, als daß er auf die Galeere kommt?«

»Er kommt auf zehn Jahre hin«, sagte der Führer, »und das ist soviel wie bürgerlicher Tod. Verlanget nichts weiter zu wissen, als daß dieser Biedermann der berüchtigte Ginés de Pasamonte ist, den man auch Gineselchen von Parapilla nennt.«

»Herr Kommissär«, sagte hierauf der Galeerensträfling, »sachte, sachte – wir wollen uns jetzt nicht damit abgeben, Namen und Zunamen auseinanderzusetzen. Ginés heiße ich und nicht Gineselchen, und Pasamonte ist mein Geschlecht und nicht Parapilla, wie Ihr sagt, und kümmere sich jeder um den Balken in seinem eigenen Auge, und da wird er nicht wenig zu tun haben.«

»Schlag Er keinen so hohen Ton an«, entgegnete der Kommissär, »Er Spitzbube über alle Spitzbuben hinaus, wo nicht, so werde ich Ihn schon zum Schweigen bringen, Er mag wollen oder nicht.«

»Man sieht wohl«, antwortete der Sträfling, »der Mensch denkt und Gott lenkt; aber es kommt mal ein gewisser Tag, da soll ein Gewisser schon erfahren, ob ich Gineselchen von Parapilla heiße oder nicht.«

»Nennen sie dich denn nicht so, du Gauner?« sagte der Führer.

»Freilich tun sie’s«, antwortete Gines, »aber ich will’s schon fertigbringen, daß sie mich nicht mehr so nennen, oder ich will mir das Haar ausreißen, wo und wie, sag ich nur zu mir selber. Herr Ritter, wenn Ihr uns was zu schenken habt, so schenkt es uns gleich und geht mit Gott; denn Ihr werdet schon langweilig mit Eurem ewigen Fragen nach fremder Leute Schicksalen. Und wollt Ihr die meinigen erfahren, so wisset, ich bin Ginés von Pasamonte, dessen Leben beschrieben ist von diesen seinen eigenen Fingern.«

»Der Kerl redet wahr«, sagte der Kommissär, »er selbst hat seine Geschichte so beschrieben, daß sie nichts zu wünschen übrigläßt, und er hat das Buch als Pfand für zweihundert Realen im Gefängnis gelassen.«

»Und ich gedenke es auszulösen«, sagte Gines, »wenn es auch für zweihundert Dukaten verpfändet wäre!«

»So vortrefflich ist es?« sagte Don Quijote.

»Es ist so vortrefflich«, antwortete Gines, »daß Lazarillo de Tormes nur gleich einpacken kann und mit ihm alle die Bücher, die sonst noch in dieser Art geschrieben sind oder noch geschrieben werden. Was ich Euch darüber sagen kann, ist, daß es nur Wahrheit berichtet und so hübsche und ergötzliche Wahrheit, daß es keine Lügen geben kann, die ihr gleichkämen.«

»Und wie betitelt sich dies Buch?« fragte Don Quijote.

» Das Leben des Ginés de Pasamonte«, antwortete Ginés.

»Und ist es ganz beendet?« fragte Don Quijote.

»Wie kann es beendet sein«, antwortete er, »da mein Leben noch nicht zu Ende ist? Geschrieben sind meine Erlebnisse nur von meiner Geburt an bis zu dem Augenblick, wo sie mich dies letzte Mal auf die Galeeren geschickt haben.«

»Also seid Ihr schon einmal dort gewesen?« fragte Don Quijote.

»In Gottes und des Königs Diensten bin ich schon einmal vier Jahre lang dort gewesen«, antwortete Gines, »und ich weiß schon, wie das Kommißbrot und der Farrenschwanz schmecken, und es ist mir nicht allzu leid, wieder hinzukommen; dort hab ich Gelegenheit, mein Buch zu Ende zu bringen; denn ich habe noch gar vieles zu sagen, und auf den spanischen Galeeren hat man mehr Ruhe, als nötig ist, obwohl deren nicht viel zu dem nötig ist, was ich noch zu schreiben habe, da ich es all auswendig weiß.«

»Du scheinst ein geschickter Mensch zu sein«, sagte Don Quijote.

»Und ein unglücklicher«, versetzte Gines, »denn einen guten Kopf verfolgt immer das Unglück.«

»Es verfolgt die Schurken«, sagte der Kommissär.

»Ich hab’s Euch schon einmal gesagt, Herr Kommissär«, fiel Pasamonte hier ein, »sachte, sachte! Denn die bewußten Herren haben Euch diesen Stab nicht dazu anvertraut, um uns arme Teufel, die wir hier an der Kette gehen, zu mißhandeln, sondern uns zu führen und dahin zu bringen, wohin Seine Majestät befiehlt; wenn nicht, beim Leben des … Genug! Denn es könnte geschehen, daß die Flecken, die sich jemand in der Schenke gemacht, eines Tages bei der Wäsche herauskämen; drum schweige ein jeder und sehe sich vor in seinen Handlungen und noch mehr in seinen Worten. Jetzt aber vorwärts, denn es ist nun Spaßes genug.«

Der Kommissär hob seinen Stock, um Pasamonte zur Antwort auf seine Drohungen eins zu versetzen, aber Don Quijote legte sich ins Mittel und bat ihn, den Menschen nicht zu mißhandeln; denn es sei doch nicht zuviel verlangt, daß einer, dem die Hände so gebunden seien, wenigstens die Zunge frei habe. Und sich zu sämtlichen Leuten an der Kette wendend, sprach er: »Aus allem, was ihr mir gesagt, teuerste Freunde, habe ich klar entnommen, daß, obschon um eurer Schuld willen euch die Züchtigung zuteil wird, ihr doch an der Pein, die ihr erleiden sollt, kein sonderlich Behagen habt, daß ihr vielmehr höchst ungern und sehr wider eure Neigung derselben entgegengeht und es wohl möglich ist, daß nur die wenige Standhaftigkeit, die jener eine unter der Folter zeigte, der Mangel an Mut bei diesem andern, der Mangel an Gönnern bei jenem dritten und überhaupt die verkehrte Beurteilung von Seiten des Richters die Ursache eures Verderbens und der Grund war, weshalb ihr nicht zu eurem Rechte gekommen, das ihr doch auf eurer Seite hattet. Alles das stellt sich mir jetzt im Geiste vor und sagt mir, rät mir, zwingt mich, an euch den Zweck zu zeigen, um dessentwillen der Himmel mich auf die Erde geschleudert und mir geboten hat, mich hienieden zu weihen dem Orden der Ritterschaft, welchem ich in der Tat geweiht bin, und dem Gelübde, das ich in diesem Orden abgelegt, jedem Hilfsbedürftigen und jedem, den die Höheren unterdrücken, beizustehen. Jedoch da ich weiß, daß es zu den Eigenschaften der Klugheit gehört, was sich im Guten erreichen läßt, nicht im Bösen zu tun, so will ich diese Herren Wächter nebst Kommissär gebeten haben, sie möchten belieben, euch loszubinden und in Frieden ziehen zu lassen, da es an andern Personen nicht mangeln wird, um dem König bei bessern Anlässen zu dienen; denn es scheint mir ein hartes Ding, die zu Sklaven zu machen, die Gott und die Natur frei erschufen.

Überdies, ihr Herren von der Wache«, fügte Don Quijote bei, »haben diese armen Leute nichts Böses gegen euch selber verübt. Mag denn jeglicher von ihnen zusehen, wie er mit seinen Sünden zurechtkommt; es ist ein Gott im Himmel, der es nimmer versäumt, den Bösen zu strafen, und es ist nicht recht, daß Männer von Ehre sich zu Henkern ihrer Nebenmenschen hergeben, wenn für sie selbst gar nichts dabei auf dem Spiel steht. Ich begehre dessen mit der Ruhe und Sanftmut, die ihr an mir sehet, damit ich, wenn ihr demgemäß handelt, euch etwas zu verdanken habe; wenn ihr es aber nicht gutwillig tut, so werden dieser Speer und dies Schwert mit der Stärke meines Arms bewirken, daß ihr es gezwungen tut.«

»Ein reizender Unsinn!« versetzte darauf der Kommissär, »allerliebst, in welche Spitze der lange Rattenschwanz Eurer Rede ausläuft! Die Sträflinge in des Königs Haft, verlangt Ihr, sollen wir Euch freigeben, als ob wir die obrigkeitliche Befugnis hätten, sie der Fesseln zu entledigen, oder Ihr sie hättet, uns dergleichen zu befehlen! Geht in Gottes Namen Eurer Wege, Señor; setzt Euch den Nachttopf zurecht, den Ihr auf dem Kopfe tragt, und laßt Euch nicht ohne Not in Händel ein wie die Ratze, die die Katze fangen will.«

»Ihr selbst seid die Ratze und die Katze und der Schurke dazu«, entgegnete Don Quijote.

Und wie gesagt, so getan: er stürmte so blitzschnell auf ihn an, daß er ihm nicht Zeit ließ, sich zur Wehr zu setzen, und ihn mit einem Speeresstoß schwer verwundet zu Boden warf. Und es traf sich glücklich für den Ritter, denn es war gerade der mit der Muskete. Die übrigen Wächter standen in Staunen und Bestürzung ob des unerwarteten Ereignisses; aber sie faßten sich wieder, und die zu Pferde nahmen ihre Schwerter zur Hand, die zu Fuß ihre Wurfspieße und stürzten zum Angriff auf Don Quijote, der sie in vollster Ruhe erwartete. Und ohne Zweifel wäre es ihm übel ergangen, hätten nicht die Galeerensklaven die ihnen gebotene Gelegenheit benutzt, ihre Freiheit zu erlangen, und es fertiggebracht, die Kette, an die sie angeschmiedet waren, zu sprengen. Der Aufruhr wurde so allgemein, daß die Wächter bald gegen die Sträflinge, die sich losmachten, bald gegen Don Quijote, der sie angriff, sich wenden mußten und daher nirgends etwas ausrichten konnten.

Sancho seinerseits half dem Ginés de Pasamonte aus seinen Fesseln, und dieser war der erste von allen, der, frei und aller Bande ledig, über das Feld hinsprang, den zu Boden gestürzten Kommissär anfiel, ihm das Schwert und die Muskete entriß, und indem er mit der letzteren bald auf den einen zielte, bald auf den andern anlegte, ohne je abzudrücken, so blieb bald keiner von der Wache mehr auf dem ganzen Plan; alle flohen davon, teils vor Pasamontes Muskete, teils vor dem gewaltigen Steinregen, den die bereits frei gewordenen Sträflinge auf sie fallen ließen.

Jetzt wurde es doch Sancho ob dieses Vorfalles sehr betrübt zumute; denn es kam ihm der Gedanke, die geflüchteten Wächter würden der Heiligen Brüderschaft Kenntnis von dem Fall geben und diese würde unter Sturmgeläute ausziehen, um die Verbrecher aufzuspüren. Das sagte er auch seinem Herrn mit der Bitte, sie möchten beide sich auf der Stelle davonmachen und sich auf dem nahen Gebirge versteckt halten.

»Das ist alles ganz gut«, sprach Don Quijote, »aber ich weiß, was sich gegenwärtig zu tun gebührt.«

Und sofort rief er die sämtlichen Galeerensklaven herzu, die in großer Aufregung umherliefen und bereits den Kommissär bis auf die Haut ausgezogen hatten; sie stellten sich um ihn in die Runde, um zu hören, was er ihnen anbefehle, und er sprach so zu ihnen: »Männern von guter Art geziemt es, empfangene Wohltaten mit Dank zu vergelten, und eine der ärgsten Sünden gegen Gott ist die Undankbarkeit. Ich erwähne das, werte Herren, weil ihr durch den Augenschein in Erfahrung gebracht habt, welche Wohltat ihr von mir empfangen; zu deren Entgelt, so wünsche ich, so ist mein Wille, sollt ihr, mit der Kette beladen, von der ich euren Nacken befreit habe, euch unverzüglich auf den Weg machen und nach der großen Stadt Toboso ziehen und euch dort dem Fräulein Dulcinea von Toboso stellen und ihr sagen, daß ihr Ritter, Der von der traurigen Gestalt, hiermit Meldung sende, sich ihr zu befehlen, und ihr sollt ihr Punkt für Punkt jeden Punkt dieses herrlichen Abenteuers berichten bis zur Erlangung eurer ersehnten Freiheit durch meine Hand; und dieses vollbracht, möget ihr auf gut Glück hingehen, wohin ihr wollet.«

Ginés de Pasamonte gab Antwort für die andern alle und sprach: »Was Euer Gnaden uns befiehlt, edler Herr und unser Befreier, das zu erfüllen ist die unmöglichste aller Unmöglichkeiten; denn wir können nicht auf den Straßen zusammen wandern, sondern jeder muß allein und jeder für sich bleiben und muß suchen, sich tief im Innern der Erde zu bergen, um nicht von der Heiligen Brüderschaft aufgefunden zu werden, die ohne Zweifel ausziehen wird, uns nachzuspüren. Was Euer Gnaden tun kann und was zu tun die Billigkeit von Euch verlangt, ist, daß Ihr diese Prinzessinnensteuer nebst Wegezoll, so wir dem Fräulein Dulcinea leisten sollen, in eine gewisse Zahl Ave-Marias und Credos verwandelt, um sie von Euretwegen zu beten, und das ist etwas, das sich jederzeit vollführen läßt, bei Tag und bei Nacht, auf der Flucht oder im Ausruhn, im Frieden oder Krieg. Aber wer da glaubt, daß wir jetzt wieder zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurückkehrten, ich meine, unsre Kette wieder auf uns nähmen und uns auf den Weg nach Toboso begäben, der glaubt, daß wir jetzt Nacht haben, obwohl es kaum um die zehnte Tagesstunde ist, und verlangt von uns gerade dasselbe, als wollte man Birnen vom Ulmenbaum verlangen.«

»So schwör ich denn bei dem und jenem«, rief Don Quijote, der bereits in Harnisch geraten war, »du Junker Hurensohn, Gineselchen von Parapilla oder wie du sonst heißen magst, du sollst ganz allein dahin, den Schwanz zwischen den Beinen wie ein Hund, mit der ganzen Kette auf dem Rücken!«

Pasamonte war der Mann nicht dazu, sich viel gefallen zu lassen, und es war ihm auch schon klargeworden, daß Don Quijote nicht richtig im Kopfe war, da er den Unsinn begangen, sie in Freiheit zu setzen. Als er sich nun so beschimpfen hörte, gab er seinen Kameraden einen Wink, diese traten etwas zurück und begannen so viele, viele Steine auf Don Quijote regnen zu lassen, daß er nicht Hände genug hatte, sich mit der Tartsche zu decken, und der arme Teufel von Rosinante achtete des Sporns so wenig, als wäre er aus Erz gegossen.

Sancho kauerte sich hinter seinen Esel und benutzte ihn als Schutzwehr gegen den Ansturm des Ungewitters und Steinhagels, der auf beide herniederregnete. Don Quijote konnte sich mit seinem Schilde nicht so völlig decken, daß ihn nicht Kieselsteine, ich weiß nicht wie viele, mit voller Gewalt auf den ganzen Körper trafen und ihn zu Boden streckten; und kaum lag er da, so fiel der Student über ihn her, riß ihm die Barbierschüssel vom Kopf und schlug sie drei-, viermal über seinen Rücken und ebenso viele Male auf den Erdboden, so daß sie fast in Stücke ging. Die Gauner zogen ihm das Röcklein ab, das er über der Rüstung trug, und hätten ihm auch gern die Strümpfe genommen, wenn die Beinschienen es nicht verhindert hätten. Dem Sancho nahmen sie seinen Mantel und ließen ihm kaum die Unterkleider; und nachdem sie die sonstige Beute des Kampfes unter sich verteilt, zogen sie von dannen, jeder seines Weges für sich und weit mehr darauf bedacht, der gefürchteten Brüderschaft zu entgehen, als sich die Kette aufzuladen und sich dem Fräulein Dulcinea von Toboso zu stellen.

Eselein und Rosinante, Sancho und Don Quijote, sie blieben allein zurück; der Esel gesenkten Hauptes und nachdenklich, hier und da die Ohren schüttelnd, weil er meinte, noch habe das steinerne Ungewitter, das seine Ohren heimsuchte, nicht ausgetobt; Rosinante neben seinen Herrn hingestreckt, denn ein Steinwurf hatte auch ihn zu Boden gestürzt; Sancho bis aufs Unterwams ausgeraubt und voller Angst vor der Heiligen Brüderschaft; Don Quijote höchst ingrimmig, sich von den nämlichen Leuten so übel zugerichtet zu sehen, denen er soviel Gutes erwiesen hatte.

23. Kapitel

Von dem, was dem ruhmreichen Ritter Don Quijote in der Sierra Morena zustieß; was eines der rarsten Abenteuer gewesen, so in dieser wahrheitsgetreuen Geschichte erzählt werden

Als Don Quijote sich so übel zugerichtet sah, sprach er zu seinem Schildknappen: »Immerdar, Sancho, habe ich sagen hören, gemeinem Volke Gutes tun heißt Wasser ins Meer tragen. Hätte ich deinen Worten gefolgt, so hätte ich mir dieses Ungemach erspart, aber es ist einmal geschehen; Geduld, und wir wollen künftighin durch den Schaden gewitzigt sein.«

»Geradeso wird Euer Gnaden gewitzigt werden«, entgegnete Sancho, »wie ich ein Türke bin. Aber da Ihr sagt, wenn Ihr mir gefolgt hättet, wäre Euch dieses Unglück erspart geblieben, so folgt mir jetzt, und es wird Euch ein andres, weit größeres erspart bleiben; denn ich tue Euch zu wissen, daß bei der Heiligen Brüderschaft mit dem Rittertum nichts zu machen ist, und sie gibt keine zwei Pfennige auf alle fahrenden Ritter der Welt. Und wißt nur, schon meine ich, ihre Pfeile mir um die Ohren sausen zu hören.«

»Du bist ein geborener Feigling, Sancho«, sprach Don Quijote, »aber damit du nicht sagst, ich sei halsstarrig und tue nie, was du mir rätst, so will ich für diesmal deinem Rate nachgeben und dem Ansturm ausweichen, den du so sehr fürchtest; aber es geschieht nur unter einer Bedingung, nämlich daß du nie im Leben oder Tod jemandem sagst, ich sei vor dieser Gefahr aus Furcht zurückgegangen und gewichen, sondern lediglich um mich deinen Bitten gefällig zu erweisen. Und wenn du je was anderes sagen würdest, so lügst du das, und in der Gegenwart bis in alle Zukunft und in der Zukunft bis in alle Gegenwart strafe ich dich Lügen und sage, daß du lügst und lügen wirst, sooft du es denken oder sagen magst. Und erwidre mir nichts weiter; denn schon bei dem bloßen Gedanken, daß ich vor einer Gefahr zurückgehe und weiche, sonderlich aus dieser jetzigen, die etwas wie einen Schatten von Furcht im Geleite hat, gelüstet es mich, auszuharren und ganz allein die Heilige Brüderschaft, die du erwähnst und fürchtest, zu erwarten, und nicht nur diese, sondern auch alle Brüder der zwölf Stämme Israel und die sieben Makkabäer und Kastor und Pollux und dazu alle Brüder und Brüderschaften, die es in der ganzen Welt gibt.«

»Señor«, erwiderte Sancho, »zurückgehen ist nicht fliehen, und das Warten ist nicht Klugheit, wenn die Gefahr größer ist als der Nutzen vom Warten. Es ist die Art weiser Männer, sich heute für morgen aufzubewahren und nicht alles auf einen Tag aufs Spiel zu setzen; und wisset, wenn ich auch nur ein roher Kerl und Bauer bin, so verstehe ich doch etwas davon, wie man sich im Leben zu benehmen hat. Sonach laßt Euch nicht gereuen, daß Ihr meinen Rat angenommen, sondern besteigt den Rosinante, wenn Ihr könnt, oder wenn nicht, will ich Euch helfen, und folgt mir nach; denn mein bißchen Verstand sagt mir, wir haben anjetzt die Füße nötiger als die Hände.«

Don Quijote stieg zu Pferd, ohne ihm ein Wort zu entgegnen, Sancho auf seinem Esel zog voran, und so gelangten sie zu den nahen Vorbergen der Sierra Morena. Sancho beabsichtigte, das ganze Gebirge zu durchziehen und auf der andern Seite, bei Viso oder Almodóvar del Campo, wieder herauszukommen und sich ein paar Tage lang in jener Wildnis zu verbergen, damit die Heilige Brüderschaft sie nicht finde, wenn sie ihnen nachspüre. Was ihn in dieser Absicht besonders bestärkte, war, daß er den Mundvorrat, den der Esel trug, aus dem Treffen mit den Galeerensklaven unversehrt davongekommen fand, und nach der Sorgfalt, mit der sie alles durchsucht und mitgenommen hatten, hielt er dies für ein wahres Wunder.

Wie der Ritter nun so mitten ins Gebirge kam, da frohlockte sein Herz; denn es bedünkte ihn, diese Gegenden seien ganz die geeigneten für die Abenteuer, denen er nachging. Es kamen ihm die wundersamen Vorfälle wieder ins Gedächtnis, die sich in ähnlichen Einöden und Wildnissen mit so manchem fahrenden Ritter zugetragen hatten; er war in diese Dinge so versunken und war so verzückt, daß er an nichts andres mehr dachte. Auch Sancho hatte, sobald er überzeugt war, daß er jetzt eine sichere Gegend durchziehe, keine andre Sorge, als seinen Magen mit den noch übrigen Resten von der geistlichen Beute zu befriedigen, und so schritt er hinter seinem Gebieter her, beladen mit allem, was der Graue hätte tragen sollen, holte aus dem Sack hervor, lud in seinen Wanst ein und hätte nicht einen Pfennig darum gegeben, ein neues Abenteuer zu finden, solange er ein so vergnügliches Dasein führte.

Indem schlug er die Augen auf und sah, daß sein Herr hielt und sich mühte, ich weiß nicht was für einen Packen, der auf dem Boden lag, mit der Spitze seines Spießes aufzuheben; daher beeilte er sich, ihm dabei zu helfen, falls es nötig sein sollte. Er kam gerade im Augenblick herzu, als der Ritter mit dem Eisen seines Spießes ein Sattelkissen und einen daran befestigten Mantelsack emporhob, beide halb, wenn nicht ganz vermodert und zerschlissen; aber sie waren so schwer, daß Sancho ihm beistehen mußte, um sie heraufzuheben. Sein Herr befahl ihm nachzusehen, was in dem Mantelsack sei; er tat es in größter Eile; und wiewohl der Mantelsack mit Kette und Vorlegeschloß verwahrt war, sah Sancho durch die vermoderten Stellen und Risse hindurch, was er enthielt, nämlich vier Hemden von feinem Batist nebst noch andern Sachen von Leinwand, alles sauber und schön, und in einem Tüchlein fand er ein artiges Häuflein Goldtaler. Und als er die sah, sprach er: »Gepriesen sei der Himmel nebst allen Heiligen, daß er uns endlich ein Abenteuer zugeschickt hat, das etwas einträgt!«

Und als er weitersuchte, fand er ein kleines, reichverziertes Notizbuch; das verlangte Don Quijote von ihm und gebot ihm, das Geld zu nehmen und für sich zu behalten. Sancho küßte ihm die Hände für diese Gnade; alles Leinenzeug aus dem Mantelsack sackte er ein und packte es in seinen eigenen Sack zu dem Mundvorrat.

Als Don Quijote das sah, sprach er: »Es bedünkt mich, Sancho, es kann gar nicht anders sein, irgendein in dieser Gegend unbewanderter Wanderer muß über das Gebirge gekommen sein, und Wegelagerer müssen ihn angefallen und umgebracht und ihn zu diesem versteckten Orte geschleppt haben, um ihn zu begraben.«

»Das kann nicht sein«, entgegnete Sancho, »denn wären es Räuber gewesen, so hätten sie dies Geld nicht hier gelassen.«

»Du sprichst wahr«, sprach Don Quijote, »und sonach kann ich nicht erraten und darauf kommen, wie es zugegangen sein mag. Doch warte einmal, wir wollen sehen, ob in diesem Notizbüchlein sich etwas geschrieben findet, mit dessen Hilfe wir das Gewünschte entdecken und erfahren könnten.«

Er öffnete es; und das erste, was er darin, wie einen ersten Entwurf, doch mit sehr guter Handschrift, eingetragen fand, war ein Sonett, das er laut las, damit auch Sancho es hören könne, und das auf diese Weise lautete:

Entweder, Lieb, hast Kenntnis du der Seelen
Zuwenig, oder zuviel Grausamkeit,
Oder ich bin verurteilt, daß mein Leid
Weit über alles Maß mich darf zerquälen.

Doch ist die Lieb ein Gott, so kann’s nicht fehlen,
Daß sie die Seelen kennt; auch ist kein Streit,
Daß Götter nimmer grausam. Wer denn weiht
Mich Qualen, die so süß und mich entseelen?

Sag ich, du tust es, Phyllis, das war sündlich;
So Gutem kann sich Böses nicht verbinden,
Noch kommt mein tödlich Weh aus Himmels Händen.

Bald werd ich sterben, das erhoff ich stündlich;
Denn für ein Leid, des Grund nicht aufzufinden,
Vermocht ein Wunder Heilung nur zu spenden.

»Aus diesen Reimen«, sprach Sancho, »kann man nichts entnehmen. Freilich steht darin: ›Du tust vieles‹, und damit kann man vielleicht herausbringen, wer es denn tut.«

»Was heißt das: ›Du tust vieles‹?« sprach Don Quijote.

»Ich meine«, sagte Sancho, »Euer Gnaden hätten gelesen: ›Du tust vieles‹.«

»Nicht ›vieles‹, sondern ›Phyllis‹ sagte ich«, erwiderte Don Quijote, »und dies ist ohne Zweifel der Name des Fräuleins, über welches sich der Verfasser dieses Sonetts beklagt; und aufs Wort, es muß ein richtiger Poet sein, oder ich verstehe nichts von der Kunst.«

»Also versteht sich Euer Gnaden auch auf Reime?« fragte Sancho.

»Mehr, als du glaubst«, entgegnete Don Quijote; »und das sollst du sehen, wenn du einmal einen Brief, von oben bis unten in Versen geschrieben, an meine Gebieterin Dulcinea von Toboso zu bringen hast. Denn du sollst wissen, Sancho, daß sämtliche oder doch die meisten fahrenden Ritter der vergangenen Zeit große Dichter und große Musiker waren; denn diese beiden Talente, oder besser gesagt, Himmelsgaben gehören zum Wesen der fahrenden Helden, wenn sie verliebt sind. Allerdings zeigen die Strophen der früheren Ritter mehr Naturanlage als Formvollendung.«

»Lest weiter«, sprach Sancho, »Euer Gnaden wird schon etwas finden, das unsern Wunsch befriedigt.«

Don Quijote schlug das Blatt um und sprach: »Das ist Prosa und scheint ein Brief.«

»Ein Brief zum Verschicken?« fragte Sancho.

»Zu Anfang scheint er nicht das, sondern ein Liebesbrief«, antwortete Don Quijote.

»Dann wolle Euer Gnaden ihn laut lesen«, sprach Sancho, »denn ich habe großes Vergnügen an Liebessachen.«

»Ganz gern«, versetzte Don Quijote.

Er las ihn laut vor, wie Sancho ihn gebeten hatte, und fand ihn dieser Art lautend:

Dein falsches Versprechen und mein zweifelloses Mißgeschick führen mich an einen Ort, von wo die Nachricht von meinem Tode früher zu Deinen Ohren gelangen wird als der Laut meiner Klagen. Du hast mich hinweggestoßen, o Undankbare, für einen, der mehr besitzt, aber nicht mehr wert ist als ich; aber wäre die Tugend ein Reichtum, den man zu würdigen wüßte, so würde ich nicht fremdes Glück zu beneiden noch eignes Unglück zu beweinen haben. Was Deine Schönheit auf erbaute, haben Deine Taten niedergestürzt; um jener willen erachtete ich Dich für einen Engel, an diesen erkenne ich Dich für ein Weib. Lebe in Frieden, Du Schöpferin meines Unfriedens, und ewig bleibe Dir die Verräterei Deines Gemahls verborgen, das gebe der Himmel, damit Du nicht bereuen müssest, was Du getan, und ich mich nicht gerächt sehe durch das, was ich nicht wünsche.

Als Don Quijote den Brief gelesen, sagte er: »Hieraus läßt sich noch weniger als aus den Versen etwas andres entnehmen, als daß der Schreiber des Briefes ein verschmähter Liebhaber ist.«

Und indem er fast das ganze Notizbuch durchblätterte, fand er noch mehr Verse und Briefe, von welchen er einige lesen konnte und andre nicht; aber bei allen war der Inhalt nur Klagen, Jammern, eifersüchtige Vorwürfe, Versöhnung und Verhöhnung, Begünstigung und Verschmähung, jene wonnevoll gefeiert, diese schmerzlich beweint. Während Don Quijote das Buch durchsah, sah Sancho den Mantelsack durch und ließ weder in diesem noch im Sattelkissen einen Winkel undurchsucht, ungeprüft, unergründet, keine Naht, die er nicht aufgetrennt, kein Flocken Wolle, den er nicht auseinandergezupft hätte, damit ja nichts aus Lässigkeit oder Unachtsamkeit zurückbliebe – solche unmäßige Begier hatten die gefundenen Goldstücke in ihm erregt, deren mehr als hundert waren. Obschon er nichts weiter fand als das bisher schon Gefundene, so war er nun doch ganz zufrieden mit dem Wippen auf der Bettdecke, dem Erbrechen nach dem Trank, der Einsegnung mit den Knüppeln, den Faustschlägen des Maultiertreibers, dem Verlust seines Zwerchsacks, dem Raub seines Mantels und mit all dem Hunger, Durst und der Mühsal, so er im Dienste seines Herrn erlitten. Und es bedünkte ihn, er sei schon besser als gut bezahlt mit dem Lohn, der ihm durch die Überlassung des Fundes geworden.

Der Ritter von der traurigen Gestalt indessen war über die Maßen begierig zu erfahren, wessen Eigentum der Mantelsack sei, und schloß aus dem Sonett und dem Briefe, aus den Goldstücken und aus den feinen Hemden, er müsse einem Verliebten von Stande angehört haben, den Verschmähung und üble Behandlung von Seiten seiner Dame zu irgendeinem verzweifelten Schritt getrieben. Da jedoch in dieser unwegsamen, unwirtlichen Umgebung sich niemand blicken ließ, bei dem man sich hätte erkundigen können, so dachte er nur noch daran, weiterzukommen, und schlug den Weg ein, den sein Pferd gehen wollte, das heißt, den es gehen konnte, wobei er sich beständig einbildete, es könne in diesen dicht verwachsenen Wildnissen irgendein seltsames Abenteuer nicht ausbleiben.

Wie er so in diesen Gedanken hinritt, erblickte er auf einer Höhe, die sich seinen Augen darbot, einen Menschen mit ungemeiner Leichtfüßigkeit von Fels zu Fels, von Strauch zu Strauch dahinspringen. Er glaubte zu bemerken, der Mann sei halbnackt, mit dichtem schwarzem Bart, reichlichem und verworrenem Haar, die Füße unbeschuht, die Beine unbekleidet; die Schenkel trugen Hosen, dem Anscheine nach von fahlem Samt, aber so in Fetzen, daß man an vielen Stellen die Haut durchsah; den Kopf hatte er unbedeckt. Und obschon er mit der geschilderten Behendigkeit vorübersprang, sah und merkte sich der Ritter von der traurigen Gestalt all diese Einzelheiten. Aber wiewohl er es versuchte, konnte er ihm doch nicht nacheilen; denn der schwachen Kraft Rosinantes war es nicht vergönnt, über diese steilen Höhen zu setzen, zumal der Gaul von Hause aus kurzschrittlich und von gar bequemer Natur war.

Don Quijote vermutete sogleich, dieses müsse der Eigentümer des Kissens und Mantelsacks sein, und nahm sich vor, ihn aufzusuchen, wüßte er auch, daß er eines ganzen Jahres bedürfte, um ihn in diesen Bergen zu finden. Daher befahl er Sancho, auf der einen Seite den Weg über den Berg abzuschneiden, er werde den über die andre Seite einschlagen, und es wäre das vielleicht das rechte Mittel, um den Mann zu treffen, der so rasch vor ihren Augen vorübergeeilt.

»Das kann ich nicht«, antwortete Sancho, »denn sobald ich mich von Euer Gnaden entferne, so kommt auf der Stelle die Furcht heran und überfällt mich mit Schreckbildern und Spuk von tausenderlei Gestalt; und was ich sage, das möge Euch zur Nachricht dienen, daß ich von jetzt an mich nie mehr einen Fingerbreit aus Eurer Gegenwart entfernen werde.«

»So sei es«, sprach Der von der traurigen Gestalt, »es gefällt mir sehr wohl, daß du dich auf meinen Mut verlassest; er wird dich nie im Stich lassen, selbst wenn deine Seele deinen Leib im Stich ließe. Jetzt komm hinter mir her, Schritt für Schritt, oder wie du irgend kannst, und mache deine Augen zu Laternen; wir wollen um diesen Hügel herum; vielleicht treffen wir den Mann, den wir gesehen und der ohne Zweifel kein anderer ist als der Eigentümer unseres Fundes.«

Worauf Sancho erwiderte: »Viel besser wäre es, ihn nicht zu suchen; denn wenn wir ihn finden und er etwa der Eigentümer des Geldes sein sollte, so ist es klar, ich muß es ihm wiedergeben.

Und demnach wäre es besser, ohne dieses nutzlose Bemühen aufzuwenden, ich behielte es mit gutem Gewissen, bis einmal auf eine andere Weise ohne absichtliches Aufsuchen und Bemühen der wahre Eigentümer zum Vorschein kommt; und vielleicht geschähe das zu einer Zeit, wo ich es schon ausgegeben hätte, und dann: wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.«

»Darin irrst du, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »denn da wir schon auf die Vermutung gekommen, wer der Eigentümer ist, und wir ihn schier vor Augen haben, so sind wir verpflichtet, ihn aufzusuchen und ihm das Geld zurückzuerstatten; und falls wir ihn nicht aufsuchen, so hat schon unsere gegründete Vermutung, daß er es ist, uns ebenso strafbar gemacht, als wenn er es wirklich wäre. Mithin, Freund Sancho, mache dir keinen Kummer darüber, daß wir ihn aufsuchen, schon um deswillen, daß mir ein wahrer Kummer benommen wird, wenn ich ihn finde.«

Und so spornte er seinen Rosinante, und Sancho folgte ihm nach, zu Fuß und beladen dank dem Ginés de Pasamonte. Nachdem sie den Berg zum Teil umkreist hatten, fanden sie ein Maultier mit Sattel und Zaum in einem Bache liegen, tot, von Hunden halb aufgezehrt und von Raben zerfleischt; und das alles bestärkte sie in der Vermutung, jener Flüchtling sei der Eigentümer des Maultiers und des Kissens. Während sie das Tier betrachteten, vernahmen sie ein Pfeifen wie von einem die Herde hütenden Schäfer, und plötzlich zeigten sich ihnen zur linken Hand Ziegen in ansehnlicher Menge, und hinter ihnen erschien auf der Höhe des Berges der Hirt, der sie hütete, ein alter Mann. Don Quijote rief ihn laut an und bat ihn, er möchte zu ihnen herunterkommen. Der Hirt schrie zurück, wer sie an diesen Ort gebracht habe, den selten oder nie ein Fuß betrete, wenn nicht die Füße der Ziegen, der Wölfe oder anderer wilder Tiere, die hier herumstrichen.

Sancho entgegnete, er möge nur herabkommen, sie würden ihm über alles volle Auskunft erteilen.

Der Ziegenhirt stieg denn herab, und sich Don Quijote nähernd, sprach er: »Ich will wetten, Ihr betrachtet Euch den Mietesel, der hier im Hohlwege liegt; er liegt weiß Gott schon sechs Monate da. Sagt mir, habt Ihr vielleicht seinen Herrn dort herum angetroffen?«

»Wir haben niemand angetroffen«, antwortete Don Quijote, »nur ein Sattelkissen und einen Mantelsack haben wir nicht weit von hier gefunden.«

»Den hab auch ich gefunden«, entgegnete der Ziegenhirt, »aber ich mochte ihn nicht vom Boden aufheben noch auch nur ihm nahe kommen, aus Furcht, daß mir was Unangenehmes zustoßen und man mich wegen Diebstahls verklagen könnte; denn der Teufel ist schlau und wirft dem Menschen oft etwas unter die Füße, daß er darüber strauchelt und fällt, ohne zu wissen, wann und wie.«

»Gerade das sag ich auch«, versetzte Sancho, »ich hab ihn auch gefunden und wollte ihm auf Steinwurfsweite nicht nahe kommen; ich hab ihn dort gelassen, und dort mag er bleiben, wie er da lag, denn ein Hund mit der Schelle ist ein böser Geselle.«

»Sagt mir, guter Freund«, sprach Don Quijote, »wißt Ihr, wer der Eigentümer dieser Sachen ist?«

»Was ich sagen kann«, antwortete der Ziegenhirt; »ist dies: es wird so was wie sechs Monate her sein, nicht viel mehr oder weniger, da kam zu dem Hirtenpferch, der so was wie drei Meilen von hier ist, ein junger Herr von feiner Gestalt und stattlichem Aussehn und ritt auf diesem selben Maultier, das tot daliegt, und hatte dasselbe Sattelkissen nebst Mantelsack, den ihr, wie ihr sagt, gefunden habt, und habt ihn nicht angerührt. Er fragte uns, welch eine Gegend im Gebirge am wildesten sei und am tiefsten versteckt; wir sagten ihm, es sei gerade der Strich, wo wir uns jetzt befinden. Und es ist so, in der Tat; denn wenn ihr nur eine halbe Stunde tiefer hineindringt, so glückt’s euch vielleicht nie, wieder herauszukommen, und ich bin verwundert, wie ihr nur hierhergelangen konntet; denn es gibt weder Weg noch Steg, der zu diesem Orte führt. Ich sage also, wie der junge Mann unsre Antwort vernahm, so wendete er die Zügel und nahm den Weg nach der Gegend, die wir ihm bezeichnet hatten; wir aber standen alle da, erfreut ob seines stattlichen Wesens und verwundert ob seiner Frage und ob der großen Eile, mit der er, dieweil wir zuschauten, davonritt und sich in die Berge schlug. Und seit damalen bekamen wir ihn nicht mehr zu Gesicht, bis er ein paar Tage später einen unsrer Schäfer anpackte und über ihn herfiel, ohne ein Wort zu sagen, und versetzte ihm eine schwere Menge Faustschläge und Fußtritte und machte sich sogleich über den Packesel, der bei der Herde gehalten wird, und nahm dem alles weg, was er an Brot und Käse trug, und wie alles getan war, wandte er sich mit unbegreiflicher Behendigkeit zurück, um sich im Gebirge zu verstecken.

Als ich und noch etliche Ziegenhirten das erfuhren, so machten wir uns auf und suchten nach ihm, wo das Gebirge am unwegsamsten ist, schier zwei Tage lang, wo wir ihn dann fanden, wie er in der Höhlung einer dicken, mächtigen Korkeiche stak. Er kam uns ruhig und freundlich entgegen, sein Anzug war bereits zerschlissen, das Gesicht entstellt und von der Sonne verbrannt, so daß wir ihn kaum erkannten, wenn nicht seine Tracht, die uns erinnerlich war, uns überzeugt hätte, er sei der Mann, den wir suchten. Er grüßte uns höflich und sagte uns mit wenigen und recht verständigen Worten, wir sollten uns nicht wundern, daß er in solchem Aufzug umhertreibe; denn so gezieme es ihm, um eine gewisse Buße zu vollbringen, die ihm um seiner vielen Sünden willen auferlegt worden. Wir ersuchten ihn, uns zu sagen, wer er sei, aber wir konnten das durchaus nicht bei ihm fertigbringen. Auch baten wir ihn, wenn er etwas zum Unterhalt nötig habe, ohne den er doch nicht bestehen könne, so solle er uns sagen, wo wir ihn finden könnten; denn wir würden es ihm mit größter Liebe und Fürsorge bringen; und wenn das etwa auch nicht nach seinem Sinn wäre, so möchte er wenigstens kommen und es verlangen, anstatt es den Hirten wegzunehmen. Er dankte für unser Anerbieten, bat um Verzeihung für die bisherigen Gewalttätigkeiten und erbot sich, fürderhin alles um Gottes willen zu erbitten, ohne irgendeinem beschwerlich zu fallen. Was seinen Wohnungsort betreffe, sagte er, er habe keinen andern, als den ihm der Zufall darbiete, wo ihn die Nacht überrasche. Und als er das gesprochen, brach er in so bittere Tränen aus, daß wir, die ihm zugehört, von Stein hätten sein müssen, um nicht mit ihm zu weinen, wenn wir bedachten, wie wir ihn das erstemal gesehen hatten und in welchem Zustand wir ihn jetzt sahen; denn, wie ich gesagt, er war ein gar feiner, angenehmer Junker, und mit seinen höflichen und verständigen Worten bewährte er, wie er aus gutem Hause und von vornehmer Bildung sei. Waren wir, die ihm zuhörten, auch nur einfältige Bauersleute, so war doch sein feiner Anstand derart, daß er genügend war, um von der bäurischen Einfalt selbst begriffen und erkannt zu werden. Und wie er gerade im besten Reden war, hielt er unversehens inne und verstummte und heftete die Augen geraume Zeit auf den Boden, während wir alle schweigend und staunend dastanden, voll Erwartung, was es mit dieser Verzückung werden sollte, und mit nicht geringer Betrübnis, so was ansehen zu müssen; denn aus der Art, wie er die Augen aufriß und dann wieder lange Zeit starr auf den Boden sah, ohne nur die Wimpern zu bewegen, dann die Augen schloß und die Lippen zusammenpreßte und die Brauen in die Höhe zog, erkannten wir alsbald, daß ihn wieder ein Anfall von Verrücktheit plötzlich heimgesucht habe.

Er bewies uns sofort, daß unsre Vermutung Wahrheit sei; denn mit gewaltiger Wut sprang er vom Boden empor, auf den er sich geworfen, und fiel über den ersten her, den er in seiner Nähe fand, mit so wahnsinnigem Ingrimm, daß, wenn wir ihn nicht aus seinen Händen gerissen, er ihn mit Faustschlägen und Bissen umgebracht hätte. Und während er das tat, schrie er beständig: ›Ha, du verräterischer Fernando! Hier, hier sollst du mir die Missetat bezahlen, die du an mir begangen! Diese Hände sollen dir das Herz ausreißen, in dem alle Schlechtigkeiten zusammen hausen und ihren Sitz haben, vorab Trug und Tücke!‹

Diesen Worten fügte er noch andre hinzu, und alle liefen darauf hinaus, dem Fernando Böses nachzureden und ihn des Verrats und Treubruchs zu beschuldigen. Mit nicht geringer Beschwer hatten wir endlich den Hirten seiner Wut entrissen, und er, ohne ein Wort weiter zu reden, verließ uns, rannte fort und verbarg sich hinter jenem stachligen Gestrüpp und Dornhecken, so daß er es uns unmöglich machte, ihm zu folgen. Daraus entnahmen wir, daß seine Verrücktheit ihn nur zuzeiten befällt und daß jemand des Namens Fernando ihm etwas sehr Arges angetan haben muß, so arg, wie der Zustand es zeigt, zu dem er ihn heruntergebracht hat. All dieses sahen wir mehr und mehr bestätigt, wenn er vom Wald auf den Weg herauskam, und das geschah gar vielmal; einmal, um die Schäfer zu bitten, ihm etwas Essen zu bringen, ein andermal, um es ihnen mit Gewalt zu nehmen. Wenn er nämlich seinen Anfall von Wahnsinn hat und die Hirten es ihm aus freien Stücken anbieten, so nimmt er es nicht an, sondern raubt es mit Faustschlägen; und wenn er bei Verstande ist, so erbittet er sich’s um Gottes willen, höflich und freundlich, und sagt vielen Dank dafür und läßt es dabei nicht an Tränen fehlen.

Und wirklich muß ich euch sagen, liebe Herren«, fuhr der Ziegenhirt fort, »gestern beschloß ich mit vier andern Burschen, zwei davon meine Knechte, die zwei andern aber Freunde von mir, ihm so lange nachzuspüren, bis wir ihn finden, und haben wir ihn gefunden, so wollen wir ihn, sei es mit Gewalt, sei es im guten, nach der Stadt Almodóvar bringen, acht Meilen von hier, und dort wollen wir ihn heilen lassen, falls für sein Leiden noch Heilung möglich; oder wir erfahren wenigstens, wenn er einmal bei Verstand ist, wer er ist und ob er Verwandte hat, denen man Nachricht von seinem Unglück geben kann. Das ist es, liebe Herren, was ich auf eure Fragen zu antworten habe; und seid überzeugt, daß der Besitzer der Sachen, die ihr gefunden habt, derselbe ist, den ihr so behende und halbnackt an euch vorüberrennen saht.«

Don Quijote hatte ihm nämlich bereits gesagt, wie er den Menschen über die Höhen hinspringen gesehn.

Der Ritter war voll Staunens ob der Mitteilungen des Ziegenhirten und wurde um so begieriger, zu erfahren, wer der unglückliche Verrückte sein möchte. Was er vorher schon zu tun im Sinne hatte, das wurde jetzt bei Ihm zum festen Vorsatz: im ganzen Gebirge nach ihm zu spähen und keinen Winkel und keine Höhle dort undurchsucht zu lassen, bis er ihn fände. Aber das Schicksal fügte es besser, als er dachte und hoffte; denn in diesem nämlichen Augenblick erschien in einer Felsenschlucht, die sich auf die Stelle hin öffnete, wo sie sich befanden, der junge Mann, den der Ritter suchte. Er kam daher und murmelte etwas zwischen den Lippen, was man nicht von nahem hätte verstehen können, wieviel weniger aus der Entfernung. Sein Aufzug war, wie bereits geschildert; nur bemerkte Don Quijote, als er näher kam, daß das zerrissene Lederkoller, das er auf dem Leibe trug, nach Ambra roch; was ihn denn vollends überzeugte, daß jemand, der so gekleidet sei, nicht von geringem Stand sein könne.

Der Jüngling trat zu ihnen heran und grüßte mit tonloser, heiserer Stimme, doch mit vieler Höflichkeit. Don Quijote erwiderte den Gruß nicht minder artig, stieg von Rosinante ab, ging auf ihn zu und umarmte ihn mit edlem Gebaren und zierlichem Anstand und hielt ihn eine gute Weile so innig umschlungen, als hätte er ihn schon seit langen Zeiten gekannt. Der andre, den wir den »Lumpen von der jämmerlichen Gestalt« nennen könnten wie Don Quijote den Ritter von der traurigen, schob diesen, nachdem er sich die Umarmung hatte gefallen lassen, ein wenig beiseite, legte die Hände auf des Ritters Schultern, stand eine Zeitlang im Anschauen da, als wollte er nachsinnen, ob er ihn erkenne, und war vielleicht nicht weniger verwundert, Don Quijotes Gesicht, Gestalt und Rüstung zu sehen, als Don Quijote verwundert war, ihn zu sehen. Der erste, der endlich nach der Umarmung das Wort nahm, war der »Lump von der jämmerlichen Gestalt«, und er sprach, was nachher erzählt werden soll.