24. Kapitel

Worin das Abenteuer in der Sierra Morena fortgesetzt wird

Es erzählt unsre Geschichte, daß Don Quijote mit größter Aufmerksamkeit dem elenden Ritter vom Gebirge zuhörte, der folgendermaßen das Gespräch eröffnete: »Gewiß, Señor, wer Ihr auch sein möget – denn ich kenne Euch nicht –, ich danke Euch für Euer freundliches Benehmen und die Höflichkeit, die Ihr mir bezeigt habt, und wünschte mich in der Lage zu finden, daß ich mit etwas mehr als gutem Willen dem Eurigen, den Ihr mir durch Euren herzlichen Empfang bewiesen habt, dienstbereit entgegenkommen könnte. Allein mein Schicksal will mir, um die mir erwiesenen Wohltaten zu erwidern, nichts andres vergönnen als den frommen Wunsch, sie zu vergelten.«

»Die Wünsche, die ich meinesteils hege«, entgegnete Don Quijote, »bestehen nur darin, Euch zu dienen, so daß ich bereits entschlossen war, aus diesem Gebirge nicht zu weichen, bis ich Euch gefunden und von Euch erfahren hätte, ob für das Leiden, dessen schweren Druck Ihr durch Eure seltsame Lebensweise erkennen lasset, irgendein Heilmittel zu finden wäre; und wenn ein solches aufzusuchen erforderlich sein sollte, war ich willens, es mit aller erdenklichen Sorgfalt aufzusuchen. Und falls Euer Mißgeschick von jener Art wäre, die jeglicher Tröstung die Tür verschlossen hält, dann wollte ich, so gut ich es vermöchte, es mit Euch beklagen und beweinen; denn auch das ist Trost in den Leiden, eine Seele zu finden, die Mitleid mit ihnen fühlt. Und wenn in der Tat meine gute Absicht es verdient, einen Dank durch Bezeigung irgendeiner Höflichkeit zu empfangen, so bitte ich Euch um der großen Höflichkeit willen, die ich in Eurem ganzen Wesen ersehe, und beschwöre Euch zugleich bei dem, was Ihr in diesem Leben am meisten geliebt habt oder liebt, mir zu sagen, wer Ihr seid, und mir mitzuteilen, was Euch dahin gebracht hat, in dieser öden Wildnis zu leben und zu sterben wie die vernunftlosen Tiere; denn unter diesen weilt Ihr, Euch selbst so entfremdet, wie Eure Kleidung und Euer Aussehen es zeigt. Und ich schwöre«, fuhr Don Quijote fort, »bei dem Ritterorden, den ich, obschon unwürdig und sündhaft, empfangen habe, und bei meinem Beruf als fahrender Ritter, wenn Ihr Euch hierin, Señor, mir gefällig erweist, Euch mit all dem ernsten Bemühen dienstlich zu sein, zu welchem ich mich dadurch verpflichtet fühle, daß ich der Mann bin, der ich bin, indem ich entweder Eurem Leiden Hilfe bringe, wenn ihm Hilfe möglich ist, oder es mit Euch beweine, wie ich verheißen habe.«

Der Ritter vom Walde tat, wie er Den von der traurigen Gestalt so reden hörte, nichts weiter, als ihn anzuschauen und wieder anzuschauen und ihn abermals von oben bis unten zu beschauen, und als er ihn lange genug angeschaut hatte, sagte er zu ihm: »Wenn ihr Leute etwas für mich zu essen habt, so gebt es mir um Gottes willen, und sobald ich gegessen habe, werde ich alles tun, was man von mir verlangt, zum Dank für die guten Wünsche, die man mir hier bezeigt hat.«

Sogleich holten Sancho aus seinem Sack und der Ziegenhirt aus seiner Umhängetasche so viel hervor, daß der Lumpenritter seinen Hunger damit stillen konnte; er aß wie ein Blödsinniger, so hastig, daß er sich von einem Bissen zum andern keine Zeit ließ, indem er eher alles verschlang als verschluckte; und während er aß, sprachen weder er noch die Zuschauer ein einziges Wort. Als er mit dem Essen fertig war, winkte er ihnen zu, ihm zu folgen. Sie taten es, und er führte sie auf ein grünes Rasenplätzchen, das hinter einem nicht weit entfernten Felsen lag. Dort angekommen, ließ er sich im Gras nieder, und die andern taten dasselbe, ohne daß einer ein Wort sprach, bis der Lumpenritter, nachdem er sich zurechtgesetzt, zu sprechen anhob: »Wenn ihr Herren wünscht, daß ich euch in kurzen Worten die Unermeßlichkeit meines Mißgeschickes berichte, so müßt ihr mir versprechen, daß ihr mit keiner Frage oder sonst etwas den Faden meiner traurigen Geschichte unterbrecht; denn an derselben Stelle, wo ihr meine Erzählung stört, an der nämlichen wird sie auch stehenbleiben.«

Diese Worte des Lumpenritters brachten unserm Don Quijote das Märlein seines Schildknappen wieder ins Gedächtnis, als er die Zahl der über den Fluß gesetzten Ziegen nicht wußte und die Geschichte deshalb ins Stocken geriet.

Kehren wir indessen zu dem zerlumpten Jüngling zurück. Er fuhr mit folgenden Worten fort: »Diese Warnung erteile ich, weil ich rasch über den Bericht meiner Leiden hinwegkommen möchte; denn sie mir ins Gedächtnis zurückzurufen dient mir zu nichts anderm, als neue Schmerzen den früheren hinzuzufügen, und je weniger ihr mich fragt, desto schneller werde ich mit der Erzählung zu Ende kommen: wiewohl ich, um euren Wunsch vollständig zu erfüllen, nichts von Wichtigkeit unerzählt lassen will.«

Don Quijote versprach es ihm im Namen der übrigen, und auf diese Bürgschaft hin begann er folgendermaßen: »Mein Name ist Cardenio, meine Heimat eine der vornehmsten Städte hier in Andalusien, mein Geschlecht edel, meine Eltern reich, mein Unglück so groß, daß es meine Familie betrauern und meine Eltern beweinen mußten, ohne es mit all ihrem Reichtum abwenden zu können; denn Mißgeschick, das vom Himmel kommt, zu heilen, das vermögen gar selten die Güter, die das Glück verliehen. In jener meiner Heimat, auf jenem Fleckchen Erde lebte ein Himmel, ein Mädchen, in das die Liebe alle Herrlichkeit gelegt hatte, die ich mir je erhoffen konnte. So hohe Schönheit schmückte Luscinda, ein Fräulein ebenso edler Geburt und reichen Vermögens wie ich, aber von glücklicherem Geschicke und von minderer Beständigkeit, als meinen redlichen Absichten gebührte. Diese Luscinda liebte ich, hegte ich im Herzen, betete ich an seit meiner zartesten Kindheit, und sie liebte mich mit all der Einfalt und Treue, die sich von ihren jungen Jahren irgend erwarten ließ. Unsre Eltern kannten unsre Neigung, und sie war ihnen nicht unwillkommen; denn sie sahen wohl, daß, wenn sie sich ferner entwickelte, sie kein andres Ziel haben könnte als unsre Vermählung, also etwas, das die Gleichheit unsres Standes und Vermögens gewissermaßen von selbst herbeiführen mußte.

Unsere Jahre nahmen zu und mit ihnen unser beider Liebe, so daß es den Vater Luscindas bedünkte, er sei aus Rücksichten der Schicklichkeit verpflichtet, mir den Zugang zu seinem Hause zu versagen, worin er einigermaßen die Eltern jener von dem Dichter soviel besungenen Thisbe nachahmte. Dies Verbot hieß, Flamme zu Flamme zu fügen und Begierde zu Begierde; denn wenn sie auch der Zunge Schweigen geboten, so konnten sie es doch der Feder nicht gebieten, die da größere Freiheit besitzt als die Zunge, dem geliebten Gegenstande zu erkennen zu geben, was in der Seele verborgen liegt; denn gar oft pflegt die Anwesenheit dessen, was wir lieben, die entschiedenste Absicht und die keckste Zunge verlegen und stumm zu machen. O Himmel, wieviel Briefchen schrieb ich ihr, wie köstliche, sittige Antworten empfing ich, wieviel Lieder dichtete ich, wieviel Liebesgesänge, in denen das Herz seine Gefühle offenbarte und schilderte, seine glühenden Wünsche malte, in seinen Erinnerungen schwelgte, seine Neigung lebendig erhielt!

Endlich aufs Äußerste gebracht, als ich fühlte, wie meine Seele vor Sehnsucht nach ihrem Anblick fast verschmachtete, entschloß ich mich, das ins Werk zu setzen und mit einem Schlag zu Ende zu führen, was mir als das Angemessenste erschien, um den ersehnten und verdienten Liebeslohn zu erringen; mit andern Worten, ich wollte sie von ihrem Vater mir als rechtmäßige Gattin erbitten, und so tat ich denn auch. Er antwortete mir, er sei mir dankbar für meine Absicht, ihm Ehre zu erweisen und mich selbst durch ein ihm angehörendes Liebespfand zu ehren; aber da mein Vater am Leben sei, so komme es diesem von Rechts wegen zu, einen solchen Antrag zu stellen. Denn falls es nicht mit dessen vollster Zustimmung und freudigem Entgegenkommen geschähe, so sei Luscinda kein Weib, um verstohlenerweise genommen oder gegeben zu werden. Ich dankte ihm für seine Güte, da es mir schien, er habe in dem Gesagten ganz recht, und mein Vater würde einwilligen, sowie ich es ihm mitteilte.

In dieser Absicht, gleich im nämlichen Augenblicke, ging ich, meinem Vater meine Wünsche darzulegen. Aber als ich in sein Gemach eintrat, fand ich ihn mit einem offenen Briefe in der Hand; er überreichte mir diesen, ehe ich nur ein Wort vorbrachte, und sprach: ›Aus diesem Briefe wirst du, Cardenio, den Wunsch ersehen, den der Herzog Ricardo hegt, dir Gunst zu erweisen.‹

Dieser Herzog Ricardo, wie ihr Herren wohl wissen werdet, ist ein Grande von Spanien, dessen Erbherrschaft im besten Teil unsres Andalusiens liegt. Ich nahm und las den Brief, der so verbindlich war, daß es mir selbst unrecht erschien, wenn mein Vater es unterließe, die in demselben ausgesprochene Bitte zu erfüllen. Sie bestand darin, daß er mich sogleich an den Wohnort des Herzogs senden sollte, der wünschte, ich möchte der Begleiter, nicht der Diener seines ältesten Sohnes sein, und er nehme es auf sich, mich in eine Stellung zu bringen, wie sie der Achtung entspreche, welche er für mich hege.

Ich las den Brief und blieb stumm, zumal als ich meinen Vater sagen hörte: ›In zwei Tagen mußt du reisen, Cardenio, um des Herzogs Verlangen zu entsprechen, und sage Gott Dank dafür, daß er dir einen Weg eröffnet, zu erreichen, was du, ich weiß es, so sehr verdienst.‹ Zu diesen Worten fügte er manchen väterlichen Rat.

Es kam die bestimmte Zeit meiner Abreise; ich sprach Luscinda in der Nacht, ich sagte ihr alles, was vorgefallen, und ebenso ihrem Vater und bat ihn, einige Tage hingehen zu lassen und seiner Tochter Vermählung so lange hinauszuschieben, bis ich sähe, was Ricardo mit mir vorhabe; er versprach es mir, und sie bekräftigte es mir mit tausend Eidschwüren und tausend Ohnmächten.

Ich langte endlich bei Herzog Ricardo an; ich ward von ihm so wohl aufgenommen und so gut behandelt, daß sogleich der Neid sein Werk begann, den die alten Diener des Hauses gegen mich hegten, weil sie glaubten, daß die Beweise der Gunst, die mir der Herzog gab, ihnen zum Nachteile gereichen würden. Wer sich jedoch über mein Kommen ganz besonders freute, war der zweite Sohn des Herzogs, namens Fernando, ein stattlicher Jüngling von adliger Sitte, freien Sinns und verliebter Natur, welcher sehr bald so warm um meine Freundschaft warb, daß er aller Welt Anlaß gab, darüber zu reden; und wiewohl der ältere mich auch sehr gern hatte und mir Gunst erwies, so verstieg er sich doch lange nicht zu der Überschwenglichkeit, mit der Fernando mich liebte und behandelte. So geschah es denn – da unter Freunden nichts so geheim ist, daß man es nicht einander mitteilte, und die Vertraulichkeit, deren ich mit Fernando pflog, schon nicht mehr Vertraulichkeit, sondern innige Zuneigung war –, so geschah es denn, daß er mir alle seine Gedanken offen darlegte, insbesondere einen Liebesgedanken, der ihn einigermaßen in Unruhe versetzte. Er liebte ein Bauernmädchen aus der Vasallenschaft seines Vaters; sie hatte sehr reiche Eltern und war so schön, züchtig, verständig und sittsam, daß keiner, der sie kannte, sich zu entscheiden wußte, welche von diesen Eigenschaften sie vollkommener oder in höherem Grade besitze.

Diese Vorzüge des schönen Bauernmädchens reizten die Wünsche Fernandos so sehr, daß er, um die jungfräuliche Tugend des Mädchens zu besiegen, sich entschloß, ihr die Ehe zu versprechen; denn es auf andre Weise zu versuchen hieß, das Unmögliche zu begehren. Ich, durch meine Freundschaft verpflichtet, suchte mit den besten Gründen, die ich wußte, und mit den sprechendsten Beispielen, die ich beibringen konnte, ihm seinen Vorsatz auszureden und ihn davon abzubringen. Aber da ich sah, daß ich nichts damit erreichte, beschloß ich, seinem Vater, dem Herzog Ricardo, die Sache mitzuteilen. Allein Don Fernando, schlau und verständig genug, hatte dieses geargwöhnt und gefürchtet; denn er sah ein, daß mir als getreuem Diener die Pflicht oblag, etwas, das der Ehre des Herzogs, meines Herrn, so sehr nachteilig sei, nicht verborgen zu halten. Und sonach sagte er mir, um mich irrezuführen und zu täuschen, er finde kein besseres Mittel, die Reize, die ihn so gefesselt hielten, aus seiner Erinnerung zu verbannen, als sich auf einige Monate zu entfernen. Wir beide wollten diese Entfernung dazu benutzen, meinen Vater zu besuchen, und als Anlaß dazu wollte Fernando bei dem Herzog vorgeben, er beabsichtige, schöne Pferde in meiner Vaterstadt, welche die besten der Welt züchtet, auf dem Markte sich anzusehen und zu erhandeln.

Kaum hörte ich ihn das Wort sagen, als ich mich von meiner Liebe hingerissen fühlte, und wäre sein Entschluß auch nicht so löblich gewesen, so würde ich ihn als einen der denkbar vernünftigsten gepriesen haben, da ich erkannte, welch herrliche Veranlassung und günstige Gelegenheit sich mir bot, meine Luscinda wiederzusehen. In diesem Gedanken und Wunsche billigte ich sein Vorhaben und bestärkte ihn darin und riet ihm, es in möglichst kurzer Frist ins Werk zu setzen, weil in der Tat trotz der festesten Vorsätze die Abwesenheit stets ihre Wirkung übe. Aber als er mir seinen Plan mitteilte, hatte er bereits – wie später zutage kam – die Liebe seines Bauernmädchens, indem er ihr die Ehe versprach, genossen, und er wartete nur auf eine Gelegenheit, sich ohne Gefahr zu entdecken, da er sehr zu fürchten hatte, wie der Herzog, wenn er seinen törichten Streich erfahre, denselben aufnehmen werde. Es geschah nun – da bei jungen Männern die Liebe meistenteils keine wirkliche ist, sondern Begierde, die, weil sie zum letzten Zweck den Genuß hat, endet, sobald sie ihn errungen; und was Liebe schien, weicht alsdann immer mehr zurück, weil es nicht über das Ziel hinaus kann, das die Natur ihm gesetzt, ein Ziel, das sie der wahren Liebe nicht gesetzt hat –, ich will sagen, daß, sobald Don Fernando die Gunst seines Bauernmädchens genossen hatte, seine Sehnsucht abnahm, seine Leidenschaft erkaltete. Und wenn er anfangs die Absicht, die Liebe durch Entfernung zu heilen, nur vorschützte, so war es jetzt sein ernstlicher Wille zu reisen, um ihr nicht die zugesagte Erfüllung zuteil werden zu lassen.

Der Herzog erteilte die Erlaubnis und befahl mir, ihn zu begleiten; wir kamen in meine Vaterstadt, mein Vater empfing ihn seinem Stande gemäß, ich sah Luscinda augenblicklich, und meine Wünsche lebten wieder auf, wiewohl sie auch schon bisher weder erstorben noch erkaltet waren. Zu meinem Unglück sprach ich darüber mit Don Fernando, weil es mich bedünkte, das Gesetz der Freundschaft, die er mir so herzlich bezeigte, gestatte mir nicht, ihm irgend etwas zu verbergen. Ich pries ihm so sehr Luscindas Schönheit, Anmut und Klugheit, daß mein Lob in ihm den Wunsch erweckte, ein mit soviel guten Eigenschaften geschmücktes Fräulein mit eigenen Augen zu sehen. Zu meinem Unheil erfüllte ich ihm diesen Wunsch und zeigte sie ihm eines Nachts beim Licht einer Kerze an dem Fenster, wo wir beide uns zu sprechen pflegten. Er sah sie da im Hausgewande, und bei ihrem Anblick hatte er alle Schönheiten, die er jemals gesehen, im Nu vergessen; er verstummte, verlor das Bewußtsein, war verzückt, in einem Wort: so von Liebe bewältigt, wie ihr im weiteren Verlauf der Geschichte meines Unglücks hören werdet.

Und um seine Leidenschaft noch heftiger zu entfachen – die er mir verbarg und nur, wenn er einsam war, dem Himmel offenbarte –, wollte es das Schicksal, daß er eines Tages ein Briefchen von Luscinda fand, worin sie mich bat, sie von ihrem Vater zur Gattin zu verlangen; es war so verständig abgefaßt, so sittig, so liebevoll, daß Don Fernando, als er es gelesen, mir sagte, in Luscinda seien alle Gaben der Schönheit und des Geistes vereint, die bei den andern Weibern auf Erden sich nur verteilt fänden. Wohl ist es wahr, und ich will es jetzt eingestehen: obschon ich erkannte, wie gerechtfertigt seine Lobeserhebungen waren, so war es mir doch höchst unwillkommen, sie aus seinem Munde zu hören, und ich begann, besorgt und wohl mit Recht mißtrauisch gegen ihn zu werden; denn kein Augenblick verging, wo er nicht verlangte, wir sollten von Luscinda reden, und stets brachte er das Gespräch auf sie, wenn er es auch an den Haaren herbeiziehen mußte. Das erweckte in mir eine unbestimmte, unerklärliche Eifersucht, gewiß nicht, weil ich ein Wanken in Luscindas Redlichkeit und Treue besorgte; aber trotzdem ließ mich mein Schicksal gerade dasjenige befürchten, wovor ihre Treue mich sicherte. Don Fernando verlangte stets die Briefe zu sehen, die ich an Luscinda schrieb, und die Antworten, die sie mir sandte. Nun traf es sich einmal, daß Luscinda mich um ein Ritterbuch zum Lesen bat, das sie sehr gern hatte; es war die Geschichte vom Amadís von Gallien …«

Kaum hatte Don Quijote ein Ritterbuch nennen hören, als er einfiel: »Hätte mir Euer Gnaden zu Anfang Eurer Geschichte nur dies eine gesagt, daß das gnädige Fräulein Luscinda Ritterbücher gern habe, so bedurfte es keines andern Rühmens, um mich von der Hoheit ihres Geistes zu überzeugen; denn selbiger könnte unmöglich so ausgezeichnet sein, als Ihr, Señor, ihn geschildert habt, wenn sie des Geschmackes an so köstlichen Büchern ermangelte. Sohin ist es ganz unnötig, noch mehr Worte aufzuwenden, um mir Luscindas Schönheit, innern Wert und Verstand zu schildern; schon um deswillen, daß ich von ihrer Neigung zu Ritterbüchern berichtet worden bin, anerkenne ich sie für das schönste und geistvollste Weib auf Erden; und ich möchte wohl, werter Herr, Euer Gnaden hätte ihr zusammen mit dem Amadís von Gallien den vortrefflichen Rüdiger von Griechenland gesendet; ich weiß, das Fräulein Luscinda hätte viel Vergnügen an Daraida und Garaya gehabt und an den geistvollen Worten des Schäfers Darinel, an jenen bewundernswerten Versen in seinen Hirtengedichten, die er mit soviel Anmut, Verständnis und edler Unbefangenheit zu singen und darzustellen wußte. Aber die Zeit kommt vielleicht einmal, wo diese Unterlassungssünde wiedergutgemacht werden mag, und dies zu tun wird nicht längere Zeit beanspruchen, als daß es Euer Gnaden beliebe, mit mir nach meinem Dorf zu kommen, allwo ich Euch über dreihundert Bücher geben kann, die das Labsal meiner Seele und die Wonne meines Daseins sind. Freilich glaube ich, daß ich keines mehr habe, dank der Bosheit bösartiger und mißgünstiger Zauberer. Nunmehr verzeihe mir Euer Gnaden, daß ich dem Versprechen, Euern Vortrag nicht zu unterbrechen, zuwidergehandelt habe; aber wenn ich von Rittersachen und fahrenden Rittern reden höre, steht es ebensowenig in meiner Gewalt, mich des Sprechens darüber zu enthalten, als die Strahlen der Sonne unterlassen können zu wärmen und die des Mondes, die Erde mit Tau zu feuchten. Sonach wollet verzeihen und fortfahren, daran ist jetzt am meisten gelegen.«

Während Don Quijote sprach, was soeben berichtet worden, hatte Cardenio den Kopf auf die Brust sinken lassen; er schien in Gedanken vertieft, und obschon ihn Don Quijote zweimal ersuchte, seine Erzählung fortzusetzen, richtete er den Kopf nicht auf und erwiderte kein Wort. Nach einer geraumen Weile erst erhob er ihn und sprach: »Es läßt sich mir nicht aus den Gedanken bringen, und niemand auf Erden kann mir’s daraus wegbringen oder mich zu einer andern Meinung bereden, ja, der wäre ein dummer Lümmel, der das Gegenteil meinte oder glaubte – es ist nicht anders, als daß jener Schurke, der Meister Elísabat, mit der Königin Madásima buhlerischen Umganges pflog.«

»Das nimmermehr!« entgegnete Don Quijote mit heftigem Zorn. »Ich schwöre es bei dem und jenem« – und er stieß den Schwur mit seinem vollen Wortlaut aus, wie er zur Gewohnheit hatte – »es ist dies die größte Bosheit oder vielmehr Niederträchtigkeit. Die Königin Madásima war eine sehr vornehme Dame, und man darf nicht annehmen, daß eine so hochgestellte Prinzessin mit einem Hühneraugenschneider hätte buhlen mögen. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner und Schurke, und dessen will ich ihn belehren zu Fuß oder Roß, bewehrt oder unbewehrt, bei Nacht oder Tag oder wie es ihm am genehmsten ist.«

Währenddessen schaute ihm Cardenio sehr aufmerksam ins Gesicht. Ein Anfall seines Wahnsinns war bereits wieder über ihn gekommen, und er war nicht fähig, seine Erzählung weiterzuführen, ebensowenig, als Don Quijote sie angehört hätte; so sehr hatten diesem die Äußerungen, die er über die Königin Madásima hatte hören müssen, alles verleidet. Eine seltsame Geschichte! Er nahm sich ihrer so ernstlich an, als wäre sie wirklich seine wirkliche und angestammte Gebieterin; so umstrickt hielten ihn seine verwünschten Bücher.

Wie nun Cardenio, der schon nicht mehr bei Sinnen war, sich mit Lügner und Schurke und andern dergleichen Schimpfnamen betiteln hörte, nahm er den Spaß übel, hob einen daliegenden Kieselstein auf und warf ihn dem Ritter so gewaltig auf die Brust, daß er ihn rücklings zu Boden streckte. Als Sancho Pansa seinen Herrn so behandelt sah, stürzte er mit geballter Faust auf den Rasenden, aber der Lumpenritter empfing ihn so streitbar, daß er ihn mit einem einzigen Faustschlag zu seinen Füßen niederwarf, ihm sofort auf den Leib sprang und ihm nach Herzenslust die Rippen zertrat. Der Ziegenhirt wollte abwehren und mußte derselben Fährlichkeit unterliegen, und nachdem Cardenio sie alle übermannt und zerbleut hatte, ließ er sie liegen und zog sich mit vornehmer Gelassenheit in sein Versteck auf dem Gebirge zurück.

Sancho erhob sich vom Boden und wollte in seiner Wut darüber, so unverschuldet Prügel bekommen zu haben, an dem Ziegenhirten Rache dafür nehmen; er trage die Schuld, sagte er, weil er sie nicht gewarnt habe, daß der Mann zuzeiten von seiner Verrücktheit befallen werde; hätten sie das gewußt, so wären sie auf ihrer Hut gewesen und hätten sich in acht nehmen können.

Der Ziegenhirt entgegnete, er habe es ja gesagt, und wenn Sancho es überhört habe, so sei es nicht seine Schuld. Sancho widersprach, der Ziegenhirt blieb seinerseits die Antwort nicht schuldig, und das Ende all der Reden und Gegenreden war, daß sie sich an den Bärten packten und einander so kräftige Faustschläge versetzten, daß, hätte Don Quijote nicht Frieden zwischen ihnen gestiftet, sie sich in Stücke zerrissen hätten.

Sancho rief, während er und der Ziegenhirt noch einander gefaßt hielten, beständig: »Laßt mich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt! Denn an diesem Menschen, der ein Bauer ist wie ich und nicht zum Ritter geschlagen, kann ich ohne alle Gefährde mir Genugtuung nehmen für die Unbill, so er mir angetan, und als ein Mann von Ehre Faust gegen Faust mit ihm kämpfen.«

»Das ist richtig«, sprach Don Quijote, »jedoch ich weiß, daß er an dem Vorgefallenen keinerlei Schuld trägt.«

Damit stellte er den Frieden zwischen ihnen wieder her, und nun fragte Don Quijote den Ziegenhirten abermals, ob es möglich sei, Cardenio aufzufinden; denn er sei höchst begierig, das Ende seiner Geschichte zu erfahren. Der Ziegenhirt antwortete, was er ihm schon früher gesagt, daß er nämlich nichts Gewisses über seinen Aufenthalt wisse; wenn der Ritter indessen viel in der Umgegend umherziehe, so müsse er ihn jedenfalls finden, entweder bei Verstande oder verrückt.

25. Kapitel

Welches von den merkwürdigen Dingen handelt, die dem mannhaften Ritter von der Mancha in der Sierra Morena begegneten, und wie er die Buße des Dunkelschön nachahmte

Don Quijote nahm von dem Ziegenhirten Abschied, bestieg wiederum den Rosinante und befahl Sancho, ihm zu folgen; der tat es in sehr übler Laune. Allmählich kamen sie in die wildesten Gegenden des Gebirges, und Sancho verging fast vor Begierde, mit seinem Herrn Zwiesprache zu halten, wünschte jedoch, der Ritter möchte den Anfang machen, damit er nicht dessen Gebot überträte. Da er aber ein so langes Stillschweigen nicht aushalten konnte, so sagte er ihm: »Señor Don Quijote, gebt mir Euren Segen und meinen Abschied, ich will jetzt auf der Stelle wieder heim in mein Haus und zu meinem Weib und zu meinen Kindern; mit denen kann ich wenigstens plaudern und besprechen, was ich will. Denn wenn Euer Gnaden verlangt, daß ich bei Tag und Nacht diese Einöden durchstreife und mit Euch nicht rede, wenn mich die Lust ankommt, so heißt das mich lebendig begraben. Wenn nur das Schicksal wollte, daß die Tiere sprächen, wie sie zu Zeiten des Isopeter gesprochen haben, so wäre es nicht so schlimm, wie es ist; dann könnte ich mit meinem Esel besprechen, was mir in den Sinn käme, und damit würde ich meine Trübsal so leidlich verbringen. Es ist ein hartes Schicksal, und man kann’s nicht in Geduld tragen, sein ganzes Leben lang nach Abenteuern suchen zu gehen und nichts zu finden als Fußtritte und Wippen, Steinwürfe und Faustschläge. Und bei all dem soll man sich noch den Mund zunähen und sich nicht zu sagen getrauen, was der Mensch auf dem Herzen hat, gerade als ob man stumm wäre.«

»Ich verstehe dich schon, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »du vergehst vor Sehnsucht, daß ich den Bann löse, den ich auf deine Zunge gelegt. Gut, nimm ihn für gelöst und rede, was du willst, unter dem Beding, daß diese Lösung nicht länger dauern darf, als während wir durch dies Gebirge ziehen.«

»So sei es denn«, sprach Sancho, »wenn ich nur jetzt plaudern darf; denn späterhin, Gott weiß, was uns da beschieden sein mag. Also fange ich gleich an, mir diesen Freipaß zunutze zu machen, und sage: Was hatte Euer Gnaden für Grund, sich dieser Königin Madam-sie-mag, oder wie sie sonst heißt, so anzunehmen? Oder was tat es zur Sache, ob jener Sabbath ihr guter Freund war oder nicht? Wärt Ihr ruhig darüber weggegangen – denn Ihr hattet ja nicht über die beiden zu Gericht zu sitzen –, so glaub ich, wär auch der tolle Kerl mit seiner Geschichte weitergegangen, und man hätte sich den Wurf mit dem Kieselstein erspart und die Fußtritte und ein halb Dutzend oder mehr knöcherne Maulschellen.«

»Wahrlich, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »hättest du gewußt, wie ich es weiß, welch ehrenhafte und vornehme Dame die Königin Madásima war, ich zweifle nicht, du hättest gesagt, daß ich nur zuviel Geduld bewies, da ich den Mund nicht in Stücke riß, aus dem solche Lästerungen gekommen; denn eine ungeheure Lästerung ist es zu sagen, ja nur zu denken, daß eine Königin mit einem Pflasterschmierer Buhlschaft treibe. Das Wahre an der Geschichte ist, daß jener Meister Elísabat ein sehr kluger Mann war, der stets guten Rat wußte und der Königin Madásima als Hofmeister und Arzt bedienstet war. Aber zu denken, sie sei seine Geliebte gewesen, ist ein Unsinn und der höchsten Strafe wert. Und damit du siehst, daß Cardenio gar nicht wußte, was er sagte, mußt du in Erwägung ziehen, daß er bereits von Sinnen war, als er so sprach.«

»Das meine ich eben«, erwiderte Sancho, »und es war kein Grund, die Worte des Verrückten zu beachten; denn hätte das Glück Euch nicht zur Seite gestanden und hätte es den Kieselstein nach dem Kopfe anstatt nach der Brust gelenkt, so wäre es uns schön ergangen, weil wir uns jener Dame annehmen wollten, die Gott in Grund und Boden verdamme! Und sag mir einer, ob Cardenio nicht als ein Verrückter wäre freigesprochen worden?«

»Gegen verständige und gegen verrückte Leute ist jeglicher fahrende Ritter verbunden, die Ehre der Frauen zu verfechten, von welchem Stande sie auch sein mögen, wieviel mehr der Königinnen von so hohem Wert und so hoher Würde, wie die Königin Madásima war, der ich um ihrer vortrefflichen Eigenschaften willen ganz besondere Anhänglichkeit widme. Denn außer dem, daß sie schön war, besaß sie auch vorzügliche Klugheit und große Geduld in allen Widerwärtigkeiten, deren sie gar viele zu bestehen hatte, und der Rat Meister Elísabats und der Umgang mit ihm waren ihr von großem Vorteil und Trost, um ihre Leiden mit Klugheit und Standhaftigkeit zu tragen. Und hiervon nahm der unwissende und übelwollende Pöbel Anlaß, zu sagen und zu glauben, sie sei seine Geliebte gewesen; aber es ist gelogen, sage ich nochmals, und tausendmal gelogen ist’s von allen, die solcherlei glauben und sagen.«

»Ich aber sag es nicht, ich aber glaub es nicht«, versetzte Sancho, »es geht sie allein an, wie sie miteinander fertigwerden; was sie sich eingebrockt haben, mögen sie selber essen; ob sie’s miteinander gehabt haben oder nicht, sie hatten’s vor Gott zu verantworten. Ich kehre vor meiner Tür und weiß nichts von Nachbars Besen; was schiert mich fremder Leute Handel und Wandel? Wer da kauft mit Lügen, tut den eignen Beutel betrügen; und wahr bleibt’s immer: Nackt bin ich, nackt war ich geboren, hab nichts gewonnen noch verloren. War’s aber auch so, was geht’s mich an? Glaubst du, im Haus gab’s Speck in Mengen, gibt’s nicht mal Haken, ihn dranzuhängen. Aber wer kann das freie Feld mit Türen abschließen? Wieviel ärger wurde nicht der liebe Gott verlästert!«

»Gott steh mir bei«, sprach Don Quijote, »wieviel dummes Zeug reihst du aneinander! Was hat der Gegenstand unsres Gesprächs mit den Sprichwörtern zu tun, die du auf einen Faden ziehst? So lieb dir dein Leben ist, Sancho, schweige still, und künftig kümmere dich darum, deinen Esel anzutreiben, nicht aber um Dinge, die dich nichts angehn; und nimm all deine fünf Sinne zusammen und merke dir: alles, was ich getan habe und tue und tun werde, ist durchaus in Vernunft begründet und entspricht durchaus den Regeln des Rittertums, die ich besser kenne als alle Ritter auf Erden, die sich zu ihnen bekannt haben.«

»Señor«, entgegnete ihm Sancho Pansa, »ist denn das eine richtige Regel des Rittertums, daß wir in der Irre, ohne Weg und Steg, in diesen Bergen umherziehen, um einen verrückten Kerl aufzusuchen, den, wenn wir ihn gefunden, vielleicht die Lust anwandelt, mit dem angefangenen Werk ein Ende zu machen, ich meine nicht mit seiner Erzählung, sondern mit Eurer Hirnschale und meinen Rippen, und der sie uns dann vollends zusammenschlägt?«

»Schweig, sag ich dir nochmals, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »denn ich tue dir zu wissen, daß nicht bloß der Wunsch, den Verrückten zu finden, mich in dieser Gegend umherführt, vielmehr das Verlangen, hier eine Großtat zu verrichten, die mir in allen bis jetzt entdeckten Landen des Erdkreises ewigen Namen und Ruhm gewinnen soll, und sie soll von solcher Art sein, daß ich mit ihr auf alles, was einen fahrenden Ritter vollkommen und hochberühmt machen kann, das Siegel drücken werde.«

»Und ist diese große Tat mit großer Gefahr verbunden?« fragte Sancho.

»Nein«, antwortete Der von der traurigen Gestalt. »Zwar könnten die Würfel immerhin so fallen, daß wir keinen Pasch, sondern einen Fehler geworfen hätten; aber alles wird von deiner Beflissenheit abhängen.«

»Von meiner Beflissenheit?« fragte Sancho.

»Ja«, sprach Don Quijote. »Denn wenn du bald zurückkehrst, von wo ich dich hinzusenden gedenke, so wird meine Pein bald enden und meine Glorie bald beginnen. Doch da es nicht recht wäre, dich länger im Ungewissen und in Erwartung dessen zu lassen, worauf meine Worte abzielen, so sollst du wissen, daß Amadís von Gallien einer der vollkommensten unter den fahrenden Rittern war. Nein, ich habe nicht gut gesagt, einer der vollkommensten: er war der Erste, der einzige, der Meister unter allen, die es zu seinen Zeiten auf Erden gab. Da kann sich Don Belianís verkriechen, er und alle, die da sagen, er sei dem Amadís in irgend etwas gleichgekommen! Sie alle sind im Irrtum befangen, das schwör ich; und damit basta. So sag ich ferner, wenn ein Maler in seiner Kunst Auszeichnung erlangen will, so ist er bestrebt, die Originale der allerbesten Künstler, die er kennt, zum Vorbild zu nehmen; und die gleiche Regel gilt für jede bedeutende Berufsart und Tätigkeit, die zur Zierde des Gemeinwesens dient. In ähnlicher Weise verfährt und muß verfahren, wer den Namen eines klugen, herrlichen Dulders erlangen will; er muß nämlich den Ulysses nachahmen, in dessen Person und Drangsalen uns Homer ein lebendiges Bild der Klugheit und des gelassenen Erduldens malte; wie denn auch Vergil uns in der Person des Äneas die Mannhaftigkeit eines frommen Sohnes und den Scharfblick eines tapfern und erfahrenen Feldherrn gezeigt hat. Sie haben uns diese Helden nicht gezeichnet und beschrieben, wie sie waren, sondern wie sie sein mußten, damit den künftigen Geschlechtern ein Beispiel ihrer Tugenden bleibe. In gleicher Weise war Amadís der Polarstern, der Morgenbote, die Sonne der tapfern und treuliebenden Ritter, den wir alle nachahmen müssen, die wir unter dem Banner der Liebe und des Rittertums kämpfen. Da dies nun so und nicht anders ist, so finde ich, Freund Sancho, daß der fahrende Ritter, der ihn am meisten nachahmt, am nächsten dem Ziele ist, die Vollkommenheit des Rittertums zu erreichen.

Eine aber in der Reihe seiner Taten, worin selbiger Ritter seine Umsicht, Tapferkeit, Mannhaftigkeit, Gelassenheit im Erdulden, Standhaftigkeit und Liebestreue am meisten bewährte, war, daß er sich, von dem Fräulein Oriana zurückgestoßen, auf den Armutsfelsen zurückzog, um da Buße zu tun, und den Namen Dunkelschön statt des seinigen annahm; gewißlich ein bedeutsamer Name, geeignet für die Lebensweise, die er sich aus freiem Willen erkoren hatte. Nun ist es für mich weit leichter, ihn hierin nachzuahmen, als Riesen entzweizuhauen, Schlangen den Kopf abzuschlagen, Drachen zu töten, Kriegsheere in die Flucht zu jagen, Seegeschwader zu zerschmettern und Verzauberungen zunichte zu machen; und da zu solchen Bußübungen diese Örtlichkeiten so höchst passend sind, so sehe ich nicht ein, warum man die Gelegenheit vorüberlassen sollte, die mir jetzt ihre Haarlocke so bequemlich darbietet.«

»Aber was eigentlich«, fragte Sancho, »will Euer Gnaden an so abgelegenem Orte tun?«

»Habe ich denn nicht schon gesagt«, antwortete Don Quijote, »daß ich Amadís nachahmen, das heißt die Rolle eines Verzweifelnden, Verrückten, Rasenden durchführen und gleichzeitig den gewaltigen Don Roldán nachahmen will, da er bei einer Quelle die Beweise fand, daß Angelika die Schöne mit Medor Schändliches begangen, und da er aus Schmerz darüber toll wurde und die Bäume ausriß, die Wasser der klaren Quellen trübte, Hirten erschlug, Herden niedermetzelte, Hütten in Brand steckte, Häuser niederriß, Pferde hinwegschleppte und tausend andre unerhörte Streiche vollführte, die ewigen Gedächtnisses und Ruhmes würdig sind? Und wenn ich den Roldán oder Orlando oder Roland – denn alle drei Namen führte er, jenen bei den Spaniern, den andern bei den Italienern, den dritten bei den Deutschen – nicht Punkt für Punkt in all den Tollheiten, die er tat, sagte und dachte, nachahmen will, so will ich doch wenigstens eine Skizze von denjenigen geben, die mir die wesentlichsten scheinen; auch könnte es sein, daß ich mich am Ende entschlösse, mit der alleinigen Nachahmung des Amadís mich zu begnügen, welcher keine Tollheiten schädlicher Art beging, sondern nur tränenreiche und empfindsame, und dadurch so großen Ruhm erwarb wie der, so dessen am allermeisten gewonnen hat.«

»Mich indessen will es bedünken«, sprach Sancho, »daß die Ritter, die dergleichen taten, dazu wider Willen angetrieben wurden und Grund hatten, ihre Alfanzereien und Bußübungen zu treiben; aber welchen Grund hat Euer Gnaden, toll zu werden? Welche Dame hat Euch abgewiesen, oder welche Anzeichen habt Ihr gefunden, die Euch annehmen lassen, daß das Fräulein Dulcinea von Toboso irgendwelche Kinderei mit einem Mohren oder Christen verübt hat?«

»Dies eben ist der Punkt«, antwortete Don Quijote, »und darin zeigt sich die ausgesuchte Galanterie meines Vorhabens. Daß ein fahrender Ritter mit Grund verrückt wird, darin ist nichts Freiwilliges, dafür gibt’s keinen Dank; die rechte Probe ist, ohne Anlaß wahnsinnig zu sein, damit meine Geliebte denken muß: wenn das am grünen Holze geschieht, was soll’s erst am dürren werden! Außerdem habe ich dazu Veranlassung genug in der langen Abwesenheit, die ich mir von meiner ewig mir gebietenden Herrin Dulcinea von Toboso auferlegt habe. Hast du ja doch von dem Ambrosio, dem Schäfer von neulich, gehört: wer abwesend ist, erleidet und befürchtet jegliches Übel. Sonach, Freund Sancho, verwende keine Zeit darauf, daß du mir anratest, von einer so ausbündigen, so glücklich erdachten, so unerhörten Nachahmung abzustehen. Toll bin ich und toll bleib ich, bis du mit der Antwort auf einen Brief zurückkommst, den ich meiner Herrin Dulcinea durch dich zu übersenden gedenke; und wenn sie so ausfällt, wie es meine Treue verdient, dann wird es mit meinem Wahnsinn und meiner Buße zu Ende sein; und wenn sie im entgegengesetzten Sinne ausfällt, dann werde ich im Ernste toll werden und als ein solcher alsdann nichts mehr empfinden. Mithin, auf welche Weise sie auch immer antworten mag, entrinne ich den Seelenkämpfen und Nöten, worin du mich zurücklassest, und ich werde entweder bei Verstande das Glück genießen, das du mir bringst, oder in der Verrücktheit das Unheil nicht empfinden, das du mir verkündest. Aber sage mir, Sancho, hast du den Helm des Mambrin in guter Verwahrung bei dir? Denn ich sah wohl, wie du ihn vom Boden aufhobst, als jener undankbare Mensch ihn in Stücke schlagen wollte. Jedoch er vermochte es nicht, woraus sich die Vortrefflichkeit seines Metalls ersehen läßt.«

Darauf antwortete Sancho: »Beim lebendigen Gott, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, manches, was Euer Gnaden sagt, ist nicht auszuhalten noch in Geduld zu ertragen und bringt mich auf den Gedanken, daß alles, was Ihr mir vom Rittertum sagt und vom Erobern von Königreichen und Kaisertümern und vom Verschenken von Insuln und von der Zuteilung von Gnaden und Herrlichkeiten, was Brauch fahrender Ritter ist – daß all das nur Wind und Lüge sein muß und alles nur Babel oder Fabel oder wie wir’s nennen wollen; denn wenn einer Euer Gnaden sagen hört, daß eine Barbierschüssel der Helm des Mambrin ist, und wenn Ihr in ganzen vier Tagen oder länger nicht aus diesem Irrtum kommt, was soll er anders denken, als daß, wer solcherlei sagt und behauptet, schwach am Verstande sein muß? Die Schüssel hab ich in meinem Sack bei mir, ganz voller Beulen, und ich bringe sie mit, weil ich sie zu Hause ausbessern und mir den Bart daraus einseifen will, wenn Gott mir die große Gnade erweist, daß ich mich einstmals wieder bei Frau und Kindern sehe.«

»Sieh, Sancho, bei demselben Gott, bei dem du itzo geschworen«, sprach Don Quijote, »schwör ich, du hast den beschränktesten Verstand, den ein Schildknappe auf Erden hat oder jemals hatte. Wie ist es möglich, daß du während der ganzen Zeit, seit du an meiner Seite bist, nicht begriffen hast, daß alles, was mit fahrenden Rittern vorgeht, wie Hirngespinste, Albernheit und Unsinn aussieht und in allem stets verkehrt ist? Und nicht etwa, weil es wirklich so ist, sondern weil mit unsereinem beständig ein Schwarm von Zauberern umherzieht, die alles, was uns betrifft, verwechseln und vertauschen und nach ihrem Belieben umwandeln, je nachdem sie Lust haben, uns zu begünstigen oder uns zugrunde zu richten. So kommt es, daß, was dir wie eine Barbierschüssel aussieht, mir als der Helm Mambrins erscheint, und einem andern wird es wieder was andres scheinen. Und es war eine seltene Vorsicht des Zauberers, der auf meiner Seite ist, daß er allen als eine Schüssel erscheinen läßt, was wahr und wirklich Mambrins Helm ist. Denn sintemal dieser so hohen Wertes ist, würde mich alle Welt verfolgen, um ihn mir wegzunehmen. Da die Leute aber in ihm nur eine Bartschüssel sehen, so liegt ihnen nichts daran, ihn zu erlangen, wie sich dies bei dem Kerl zeigte; der ihn zerschlagen wollte und ihn auf dem Boden liegenließ, ohne ihn mitzunehmen; denn wahrlich, wenn er ihn gekannt hätte, so hätte er ihn niemals liegenlassen. Verwahr ihn gut, Sancho, für jetzt habe ich ihn nicht nötig; vielleicht will ich alle diese meine Rüstungsstücke ablegen und mich nackt ausziehen, wie ich zur Welt kam, wenn mich etwa die Lust anwandelte, bei meiner Bußübung mehr dem Roldán als dem Amadís zu folgen.« Unter diesen Gesprächen gelangten sie an den Fuß eines hohen Berges, der mitten unter vielen andern allein ragte wie ein abgeschnittener Felsblock; an seinem Abhang floß ein sanftes Bächlein, und rings um ihn her dehnte sich ein Wiesenrain, so grün und üppig, daß es die Augen des Beschauers erfreute. Es standen viel Waldbäume und mancherlei Pflanzen und Blumen umher, die dem Orte lieblichen Reiz verliehen. Diesen Platz wählte der Ritter von der traurigen Gestalt, um seine Buße zu verrichten, und sobald er ihn erblickte, hob er an, mit lauter Stimme zu sprechen, als wäre er wirklich von Sinnen: »Das ist der Ort, o ihr Himmel, den ich dazu bestimme und erkiese, das Unglück zu beweinen, in das ihr selbst mich gestürzt habt; das ist der Platz, wo das Naß meiner Augen die Wasser dieses Bächleins vermehren soll und wo meine unaufhörlichen tiefen Seufzer das Laub dieser Waldbäume unaufhörlich in zitternde Bewegung setzen werden zum Zeugnis und Erweis der Pein, die mein in der Irre schweifendes Herz erduldet. O ihr, wer ihr auch seiet, ländliche Gottheiten, die ihr an diesen unwirtlichen Orten euren Aufenthalt habt, hört die Klagen des unglücklich Liebenden, den eine lang dauernde Trennung und eingebildete Eifersucht in diese Wildnis geführt haben, Jammer zu erheben und schmerzlich zu klagen ob des harten Sinnes, den jene Undankbare, jene Schöne zeigt, die die äußerste Grenze und Vollendung aller menschlichen Schönheit ist. Und ihr, Nymphen der Quellen und der Bäume, die ihr im Dickicht der Wälder zu hausen pfleget: so wahr mögen die leichtfüßigen zuchtlosen Satyrn, die euch, wenn auch vergeblich, mit Liebe umwerben, niemals eure süße Ruhe stören, so wahr ihr mir helfen wollet, mein Mißgeschick zu bejammern, oder wenigstens nicht ermüden werdet, es anzuhören. O Dulcinea von Toboso, du Tag meiner Nacht, du Glorie meiner Pein, du Polarstern meiner Pfade, du Leitstern meines Glückes, so wahr der Himmel es dir gut in allem ergehen lasse, was du von ihm erbittest, so wahr erwäge, du Milde, den Ort und Zustand, wohin die Trennung von dir mich gebracht; so wahr möge ein freundliches Benehmen von dir dem Benehmen entsprechen, das meine Treue fordern darf. O ihr einsamen Bäume, die ihr von heut an meiner Verlassenheit fürderhin Gesellschaft leisten sollt, gebt mit sanftem Bewegen eurer Zweige ein Zeichen, daß euch meine Anwesenheit nicht mißfällt. O du mein Schildknappe, erfreulicher Gefährte mir in guten und bösen Tagen, nimm wohl ins Gedächtnis auf, was du mich hier wirst beginnen sehen, damit du es der Ursache alles dessen vortragen und berichten kannst.«

Mit diesen Worten stieg er von Rosinante hernieder, nahm ihm in einem Augenblick Zaum und Sattel ab, und indem er ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf die Kruppe gab, sprach er: »Dir gibt die Freiheit, der ihrer entbehrt, o mein Roß, du so rühmlich ausgezeichnet durch deine Taten wie unglücklich durch dein Schicksal. Geh, wohin du willst; auf der Stirne trägst du geschrieben, daß dir an Behendigkeit nicht der Hippogryph Astolfos gleichkam noch der gepriesene Frontin, der dem Bradamante so teuer zu stehen kam.«

Als Sancho das sah, sagte er: »Gottes Segen mit dem Menschen, der uns der Mühe überhoben hat, jetzt auch meinen Grauen abzusatteln; es würde ihm an Lob und Preis und am Streicheln mit der Hand nicht gefehlt haben. Freilich, wenn er hier wäre, so würde ich keinem erlauben, ihn abzusatteln; dazu wäre auch kein Grund; denn auf die Generalfragen nach Verliebtsein und Verzweifeltsein hätte er doch keine Zeugenaussagen zu geben, da sein Herr weder verliebt noch verzweifelt war. Und sein Herr war ich, als Gott mir noch die Gnade erwies. Und wahrlich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, wenn es mit meiner Abreise und Euer Gnaden Tollheit ernst gemeint ist, so wird’s am besten sein, den Rosinante wieder zu satteln, um den Grauen, der uns abgeht, zu ersetzen, was für meine Hin- und Herreise Zeit erspart; denn mache ich beides zu Fuß, so weiß ich nicht, wann ich hinkomme noch wann ich zurückkehre, sintemal ich doch am Ende ein schlechter Fußgänger bin.«

»So sage ich dir denn, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »es geschehe, wie du begehrst; denn dein Plan dünkt mich nicht übel; und ich sage weiter, von jetzt ab in drei Tagen sollst du fort, denn in der Zwischenzeit sollst du mit ansehen, was ich um ihretwillen tue und rede, damit du es ihr berichten kannst.«

Darauf versetzte Sancho: »Was brauche ich denn noch mehr zu sehen, als ich schon gesehen habe?«

»Das verstehst du ja gut!« entgegnete Don Quijote. »Es erübrigt mir noch, die Kleider zu zerreißen, die Waffen umherzustreuen und mit dem Kopf wider die Felsen dort zu rennen und noch andres dieser Art, was dich in Erstaunen setzen wird.«

»Um Gottes willen«, sprach Sancho, »sehe sich Euer Gnaden vor, wie Ihr mit dem Kopfe anrennen wollet; denn Ihr könntet an einen so scharfen Felsen geraten und so hart anstoßen, daß mit dem ersten Anrennen das ganze Gebäude Eurer Buße zugrunde ginge. Ich freilich wäre der Meinung, wenn es nun einmal Euer Gnaden bedünkt, daß das Anrennen mit dem Kopf hier notwendig ist und dies Werk ohne solches nicht getan werden kann, daß Ihr Euch begnügtet, sintemal doch all dieses nur erdichtetes und nachgemachtes Zeug und im Spaß gemeint ist, daß Ihr Euch begnügtet, sage ich, mit dem Kopf gegen das Wasser zu rennen oder gegen etwas Weiches, wie zum Beispiel Baumwolle, und dann überlaßt mir alle weitere Sorge; denn ich will schon unsrer Gebieterin berichten, Euer Gnaden rannte mit dem Kopfe gegen eine Felsenecke, härter als die Spitze eines Demants.«

»Ich danke dir für deine gute Absicht«, antwortete Don Quijote, »aber ich tue dir kund und zu wissen, daß alles, was ich hier vornehme, keineswegs zum Spaß, sondern sehr ernst gemeint ist. Denn sonsten würde ich den Geboten des Rittertums zuwiderhandeln, welche uns vorschreiben, niemalen eine Lüge zu sagen, unter Androhung der Strafe für rückfällige Ketzer; die eine Handlung aber anstatt der andern zu verrichten ist ganz dasselbe wie lügen. Sonach muß bei mir das Anrennen mit dem Kopfe wahr, kräftig und echt sein, ohne daß Spitzfindigkeit oder Selbsttäuschung damit zu tun haben darf. Es wird aber nötig sein, mir etwas Scharpie dazulassen, um mich zu verbinden, da das Schicksal gewollt hat, daß wir des Balsams ermangeln, der uns verlorenging.«

»Ein größerer Verlust ist’s, des Esels zu ermangeln«, entgegnete Sancho, »da mit ihm die Scharpie und alles andere verlorengegangen. Jedenfalls bitte ich Euer Gnaden, jenes verwünschten Tranks nicht mehr zu gedenken; denn wenn ich ihn nur nennen höre, dreht sich mir die Seele im Leibe herum, wieviel mehr der Magen! Außerdem bitte ich, daß Ihr annehmet, die drei Tage seien schon vorüber, die Ihr mir zur Frist gesetzt habt, um die Tollheiten, die Ihr verübt, mit anzusehen. Ich nehme sie für gesehen und erwiesen an und für eine durch gerichtliches Urteil festgestellte Tatsache, und ich will unserm Fräulein Wunderdinge davon berichten. Schreibt nur den Brief und fertigt mich gleich ab; denn ich hege den lebhaftesten Wunsch, zurückzukehren und Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer zu holen, worin ich Euch zurücklasse.«

»Fegefeuer nennst du es, Sancho?« entgegnete Don Quijote, »du tätest besser, Hölle zu sagen, ja noch Schlimmeres, wenn es das gäbe.«

»Wer die Hölle hat«, erwiderte Sancho, »da ist keine Erlöschung mehr, wie ich sagen hörte.«

»Ich verstehe nicht, was du sagen willst mit ›Erlöschung‹«, sprach Don Quijote.

»Erlöschung ist«, antwortete Sancho, »wenn einer in der Hölle ist, so kommt er niemals mehr heraus und kann’s auch nicht. Aber bei Euer Gnaden wird’s umgekehrt gehen, oder es müßte mit meinen Füßen schlecht bestellt sein, wenn ich Sporen dran trage, um Rosinante anzutreiben. Wenn ich nur richtig nach Toboso zu unserm gnädigen Fräulein Dulcinea komme, so erzähle ich ihr solche Dinge von den Dummheiten und Tollheiten – das ist ja all eins –, die Euer Gnaden verübt hat und fortwährend verübt, daß ich sie bald geschmeidiger mache als einen Handschuh, sollte sie auch anfänglich härter sein als eine Korkeiche; und mit ihrer zärtlichen, honigsüßen Antwort komm ich durch die Lüfte zurück wie ein Hexenmeister und hole Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer heraus, das eine Hölle scheint und es doch nicht ist, da Ihr Hoffnung habt, herauszukommen, was die nicht haben, die in der Hölle sind, wie ich schon gesagt, und ich glaube auch nicht, daß Euer Gnaden anders sagen wird.«

»Es ist allerdings so«, sprach Der von der traurigen Gestalt. »Aber wie sollen wir’s anfangen, um den Brief zu schreiben?«

»Und die Esels-Anweisung dazu?« fügte Sancho bei.

»Alles wird niedergeschrieben werden«, sagte Don Quijote, »und da kein Papier da ist, wäre es gut, wir schrieben ihn, wie die Alten taten, auf Baumblätter oder auf Wachstäfelchen, wiewohl das jetzt ebenso schwer aufzutreiben wäre wie Papier. Doch eben ist mir’s in den Sinn gekommen, worauf ich den Brief ganz gut und besser als gut schreiben kann, nämlich in das Notizbuch, das Cardenio angehörte, und du wirst Sorge tragen, es auf Papier abschreiben zu lassen, mit guter Handschrift, am ersten besten Ort, wo sich ein Schulmeister findet; wenn das nicht, so kann jeder Küster dir ihn abschreiben. Gib ihn aber keinem Aktuar zum Abschreiben; denn die bedienen sich einer Aktenschrift, die der Gottseibeiuns nicht lesen kann.«

»Wie soll es aber mit der Unterschrift werden?« fragte Sancho.

»Niemals waren die Briefe des Amadís unterzeichnet«, antwortete Don Quijote.

»Ganz gut«, versetzte Sancho, »aber die Anweisung muß notwendig unterzeichnet sein, und wenn die abgeschrieben wird, so wird man sagen, die Unterschrift ist falsch, und ich bin um die Esel.«

»Die Anweisung soll im Notizbuche selbst unterzeichnet werden, so daß meine Nichte, wenn sie dieselbe sieht, keine Schwierigkeiten machen wird, sie zu berichtigen. Soviel aber den Liebesbrief betrifft, wirst du die Unterschrift daruntersetzen: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt. Und es wird nichts ausmachen, daß sie von fremder Hand ist; denn soviel ich mich entsinne, kann Dulcinea weder schreiben noch lesen und hat in ihrem ganzen Leben meine Handschrift, also auch einen Brief von mir, nicht gesehen. Meine Liebe und die ihrige waren stets eine platonische und erstreckten sich nie weiter als zu einem züchtigen Anblicken, und auch dies nur von Zeit zu Zeit, so daß ich mit Wahrheit schwören darf, in den zwölf Jahren, seit denen ich sie inniger liebe als das Licht meiner Augen, die einst im Schoße der Erde modern werden, habe ich sie höchstens viermal gesehen, und zudem kann es auch sein, daß unter diesen vier Malen sie nicht ein einziges Mal bemerkt hat, daß ich sie anschaute. In solcher Sittsamkeit und Zurückgezogenheit haben sie ihr Vater Lorenzo Corchuelo und ihre Mutter Aldonza Nogales erzogen.«

»Ei je, ei je«, sprach Sancho, »die Tochter von Lorenzo Corchuelo ist unsere Gebieterin Dulcinea von Toboso, sonst auch Aldonza Lorenzo geheißen?«

»Dieselbe«, antwortete Don Quijote, »und sie ist’s, die da verdient, die Gebieterin des ganzen Weltalls zu sein.«

»Ich kenne sie ganz gut«, sprach Sancho, »und kann sagen, daß sie im Spiel die Eisenstange so kräftig wirft wie der stärkste Bursche im ganzen Ort. Beim Geber alles Guten, das ist eine tüchtige Dirne, schlecht und recht, hat Haare auf den Zähnen und kann jedem jetzt fahrenden oder in Zukunft fahrenden Ritter, der sie zur Gebieterin erkiest, was zu raten aufgeben. Was Teufel hat sie für eine Kraft im Leibe, was hat sie für eine Stimme! Ich sage Euch, sie ist einmal oben auf den Glockenturm des Dorfes hinauf, um vom Brachfeld ihres Vaters Knechte heimzurufen, und wiewohl selbige mehr als eine halbe Stunde fern vom Orte waren, haben sie sie gehört, als hätten sie unten am Turm gestanden. Und das Beste an ihr ist, daß sie durchaus nicht zimperlich ist, sie hat was von so einer Person aus der Residenz, alle hat sie zum besten und hat über alles ihren Spott und Scherz.

Jetzt sage ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, nicht nur kann und soll Euer Gnaden Tollheiten ihretwegen verüben, sondern kann auch mit großem Recht verzweifeln und gar sich aufhängen; denn keiner, der es erfährt, wird umhinkönnen, zu sagen, daß Ihr ausnehmend wohl daran getan, und wenn Euch auch darum der Teufel holen sollte; und gerne möchte ich schon auf dem Wege sein, nur um sie zu sehen, sintemal es schon viele Tage her ist, daß sie mir nicht vor die Augen gekommen; auch muß sie ganz wie verwechselt aussehen; denn nichts verdirbt den Frauenzimmern so sehr ihr Gesicht, als wenn sie in der Sonne und freier Luft im Felde herumlaufen! Auch muß ich Euer Gnaden wahr und wahrhaftig sagen, daß ich bisher in großer Unkenntnis der Sachen gewesen. Ich war nämlich ernst und treulich des Glaubens, das Fräulein Dulcinea müsse irgendeine Prinzessin sein, in die Euer Gnaden sich verliebt hätte, oder sonst ein Frauenzimmer solcher Art, daß sie die von Euer Gnaden gesendeten reichen Gaben verdiente, wie das Geschenk, das Ihr ihr mit dem Biskayer und mit den Galeerensklaven gemacht habt. Und ohne Zweifel werden es noch viele andere Gaben sein, nach den Siegen zu schließen, die Ihr zur Zeit errungen haben müßt, wo ich noch nicht Euer Schildknappe war. Aber wenn man’s bei Licht betrachtet, was kann dem Fräulein Aldonza Lorenzo, will sagen dem Fräulein Dulcinea von Toboso, daran liegen, daß die Besiegten, die Euer Gnaden hinsendet und hinsenden wird, kommen und sich auf die Knie vor ihr werfen? Denn es wäre ja möglich, daß gerade zur Zeit, wo selbige ankämen, sie mit dem Hecheln von Flachs oder Dreschen auf der Tenne beschäftigt wäre, und jene würden sich dann schämen, sie in dem Aufzug zu sehen, und sie würde über das Geschenk lachen und sich ärgern.«

»Ich habe dir schon früher oftmals gesagt, Sancho«, sprach Don Quijote, »daß du ein gewaltiger Schwätzer bist und, obwohl am Verstande stumpf, doch häufig spitzig sein und sticheln willst. Damit du jedoch siehst, wie dumm du bist und wie verständig meine Handlungsweise, sollst du von mir ein Geschichtchen hören. Vernimm also: Eine schöne junge Witwe, unabhängig und reich, insbesondere aber lustigen Humors, verliebte sich in einen jungen Laienbruder, einen untersetzten kräftigen Burschen; sein Vorgesetzter brachte es in Erfahrung, und eines Tages sagte er zu der wackeren Witwe diese Worte als brüderliche Zurechtweisung: ›Ich bin erstaunt, Señora, und nicht ohne vielfachen Grund, wie eine so vornehme, so schöne, so reiche Frau wie Euer Gnaden sich in einen so schmutzigen, gemeinen und dämlichen Menschen wie den gewissen Jemand verlieben mochte, da doch in diesem Stift so viele Doktoren, so viele Graduierte und so viele Theologen sind, unter denen Euer Gnaden wie aus einem Korb mit Birnen hätten wählen und sagen können: Den mag ich gern, den mag ich nicht.‹ Aber sie antwortete ihm mit heiterer Laune und größter Unbefangenheit: ›Werter Herr, Euer Gnaden ist in großem Irrtum und urteilt sehr altmodisch, wenn Ihr meinet, ich hätte mit dem gewissen Jemand eine schlechte Wahl getroffen, ob er Euch auch noch so dämlich vorkommt. Denn wozu ich ihn mag, dazu hat er soviel und mehr Kenntnis von der Philosophie wie Aristoteles selber.‹ Sonach, Sancho, wozu ich Dulcinea liebhabe, dazu ist sie mir soviel wert wie die erhabenste Prinzessin auf Erden. So ist’s, und nicht alle Poeten, welche eine Geliebte unter einem Namen besitzen, den sie ihr nach Belieben beilegen, haben eine solche in Wirklichkeit. Glaubst du, daß die Amaryllis‘, die Phyllis‘, die Sylfias, die Dianas, die Galatheas, die Filidas und andre dergleichen, mit denen die Bücher, die Romanzen, die Barbierstuben, die Komödienbühnen angefüllt sind, wirkliche Damen von Fleisch und Blut und wirklich die Geliebten jener waren, die sie verherrlichen und verherrlicht haben? Gewiß nicht; vielleicht erdichten sie sich die meisten, um für ihre Verse einen Gegenstand zu schaffen und um für liebeglühende Jünglinge und für solche, die der Liebe würdig seien, zu gelten. Und so genügt es mir, daß ich denke und glaube, die treffliche Aldonza Lorenzo sei schön und sittig, und was ihren Stammbaum betrifft, das tut wenig zur Sache; denn man wird nicht hingehen und die Ahnenprobe mit selbigem vornehmen, um ihr einen der militärischen Ritterorden Spaniens zu verleihen, und ich nehme nun einmal an, sie sei die vornehmste Prinzessin in der ganzen Welt. Denn du mußt wissen, Sancho, wenn du es nicht schon weißt: zwei Dinge allein vor allen andern bewegen das Herz zur Liebe, nämlich große Schönheit und guter Ruf, und beides findet sich im höchsten Grade bei Dulcinea; in der Schönheit aber kommt keine ihr gleich, und im guten Ruf kommen wenige ihr nah. Und um alles mit einem Wort abzuschließen, ich denke mir, daß alles sich genauso verhält, wie ich sage, ohne daß es etwas zuviel oder zuwenig ist; und ich male mir sie in meinem Geiste, wie ich sie mir wünsche, ebenso an Schönheit wie an Vornehmheit; und ihr kommt Helena nicht nahe noch reicht Lucrezia an sie heran noch irgendeine andre von den berühmten Frauen der vergangenen Zeiten, sei es eine Griechin, Barbarin oder Lateinerin; und es sage ein jeglicher, was er will; denn werde ich darob von Unverständigen getadelt, so werden mich doch die strengsten Richter darum nicht verurteilen.«

»Ich gestehe es ein«, antwortete Sancho, »Euer Gnaden hat in allem recht, und ich bin ein Esel. Doch ich weiß nicht, warum ich den Esel in den Mund nehme; denn man soll im Haus des Gehenkten nicht vom Strick reden. Jetzt her mit dem Brief, und Gott befohlen, denn ich mache mich davon.«

Don Quijote holte das Notizbuch hervor, ging beiseite und begann den Brief gemächlich zu schreiben. Als er ihn beendigt, rief er Sancho und sagte ihm, er wolle ihm den Brief vorlesen, damit er ihn auswendig behielte, wenn er ihn etwa unterwegs verlieren sollte; denn von seinem Mißgeschick sei alles zu besorgen.

Darauf erwiderte Sancho: »Schreibt ihn lieber zwei- oder dreimal hier ins Buch und gebt mir’s, ich will es schon wohlverwahrt mitnehmen. Jedoch daran zu denken, daß ich ihn auswendig lerne, ist ein Unsinn; denn mein Gedächtnis ist so schwach, daß ich oft sogar vergesse, wie ich heiße. Indessen trotz alledem, lest mir ihn vor, es wird mir ein groß Vergnügen machen, ihn anzuhören, denn der Brief ist sicher wunderschön.«

»Höre denn, er lautet also«, sprach Don Quijote.

Don Quijotes Brief an Dulcinea von Toboso

Allherrschende, erhabene Herrin!
Der von der Schwertesspitze der Trennung Durchbohrte, der im Innersten des Herzens Wundgeschlagene, wünscht Dir, süßeste Dulcinea von Toboso, das Heil, das er selbst nicht hat. Wenn Deine Huldseligkeit mich mißachtet, wenn Deine Fürtrefflichkeit sich nicht zu meinen Gunsten neiget, wenn Deine Verschmähung mich zu Boden drücket, dann, so ich auch genugsam zu dulden weiß, mag ich nicht wohl mich fürderhin in dieser Pein aufrechterhalten, die, außerdem daß sie eine gar schwere Bürde ist, sich über die Maßen langwierig anläßt. Mein guter Schildknappe Sancho wird Dir völligen Bericht erstatten, o schöne danklose Maid, heißgeliebte Feindin mein, wie es mir aus Ursach Deines Willens ergeht. So Du Gelieben trägst, Dich mir zur Hilfe bereitzustellen, so bin ich Dein; wo nicht, dann tue, was Dir belieben mag, und so ich mein Leben beschließe, hernach hab ich Deinem grausamen Sinne und meinem Wünschen ein voll Genüge getan.
Der Deine bis in den Tod,
Der Ritter von der traurigen Gestalt.

»Bei meines Vaters Seelenheil«, sprach Sancho, als er den Brief angehört, »das ist das Erhabenste, was ich je vernommen. Hol mich der Geier, wie sagt Euer Gnaden ihr hier alles, was Ihr wollt, und wie gut paßt hier in die Unterschrift hinein: Der Ritter von der traurigen Gestalt. Ich sag’s im Ernst, Euer Gnaden hat den Teufel im Leib; es gibt nichts, was Ihr nicht wüßtet.«

»Alles«, entgegnete Don Quijote, »ist zu dem Berufe erforderlich, den ich übe.«

»Wohl denn«, sprach Sancho, »nun setze Euer Gnaden auf die andre Seite die Anweisung auf die drei Esel und unterzeichne sie sehr deutlich, damit man die Unterschrift gleich beim Ansehen erkennt.«

»Mir recht«, sagte Don Quijote; und nachdem er sie geschrieben, las er sie ihm vor. Sie lautete also:

Beliebe Euer Gnaden, Fräulein Nichte, gegen diese meine Esels-Prima an meinen Schildknappen Sancho Pansa verabreichen zu lassen drei Esel von den fünfen, die ich daheim im Stall habe und die Euer Gnaden anbefohlen sind; welche drei Esel ich ihm zur Ablieferung und Zahlung anweise für drei andre, die ich hier von ihm empfangen habe, demnach sie gegen diesen Wechselbrief und seine Empfangsbescheinigung in Richtigkeit gehen. So geschehen tief inmitten der Sierra Morena, am zweiundzwanzigsten August dieses gegenwärtigen Jahrs.

»So ist’s gut«, sprach Sancho. »Nun wolle ihn Euer Gnaden unterschreiben.«

»Es ist nicht nötig, ihn zu unterschreiben«, entgegnete Don Quijote, »sondern nur meinen Schnörkel darunterzusetzen, was das nämliche wie die Unterschrift und für die drei Esel hinreichend ist, ja für dreihundert.«

»Ich verlasse mich auf Euer Gnaden«, erwiderte Sancho, »laßt mich nun, ich gehe den Rosinante zu satteln, und bereitet Euch, mir Euren Segen zu geben; denn ich will auf der Stelle fort, ohne die Narreteien zu sehen, die Euer Gnaden jetzt vornehmen will; ich werde aber sagen, ich sah Euch so viele verüben, daß ich deren nicht mehr begehrte.«

»Zum wenigsten verlange ich, Sancho, und dieweil es solchergestalt nötig ist, verlange ich, sage ich nochmals, daß du zusiehst, wie ich mich splitternackt ausziehe und ein oder zwei Dutzend tolle Streiche begehe; ich will sie in weniger als einer halben Stunde fertigbringen, damit du, nachdem du sie mit eigenen Augen gesehen, mit gutem Gewissen die andern beschwören kannst, die du noch etwa hinzufügen willst; und ich versichere dir, du kannst deren nicht so viele erzählen, als ich auszuführen gedenke.«

»Um Gottes willen, Herr Ritter, laßt mich Euer Gnaden nicht nackend sehn; das würde mich allzusehr betrüben, und ich könnte nicht umhin, Tränen zu vergießen. Ich habe den Kopf noch so voll von dem Gejammer, das ich gestern über das Grautier vollführte, daß ich nicht imstande bin, mich abermals in Flennen einzulassen. Wenn es Euch jedoch sehr darum zu tun ist, daß ich ein paar Tollheiten mit ansehe, so verübt sie in den Kleidern, und zwar solche, die nur kurze Zeit brauchen und Euch am ersten zur Hand sind; besonders da für mich nichts dergleichen vonnöten ist und ich, wie schon gesagt, Zeit für meine Rückkehr ersparen würde, die da stattfinden soll mit all den guten Nachrichten, die Euer Gnaden wünscht und verdient. Wo aber nicht, so soll sich das Fräulein Dulcinea nur auf was gefaßt machen. Denn wenn sie nicht antwortet, wie sich’s gebührt, so tu ich ein feierliches Gelübde zu allem möglichen, ich will ihr die richtige Antwort mit Fußtritten und Ohrfeigen aus dem Leibe reißen. Denn wo in aller Welt möchte man es auch leiden, daß ein so berühmter fahrender Ritter wie Euer Gnaden mir nichts, dir nichts verrückt wird für eine … Das Fräulein soll mich nur nicht zwingen, das Wort zu sagen; denn bei Gott, ich fahre heraus damit und will ihr ihr Fett geben; ich geb’s im Dutzend billiger, wenn’s auch keiner sein Lebtage kaufen will. Ja, dazu wär ich der rechte Kerl! Sie kennt mich nicht recht; denn wenn sie mich kennte, sie täte mich fasten, denn ich schmecke gar nicht gut.«

»Auf mein Wort, Sancho«, sprach Don Quijote, »du kommst mir vor, als wärest du ebensowenig bei Verstand wie ich.«

»Ich bin nicht so verrückt wie Ihr«, entgegnete Sancho, »aber ich bin hitziger. Doch lassen wir das beiseite; was will Euer Gnaden denn essen, bis ich zurückkomme? Wollt Ihr die Straße unsicher machen wie Cardenio und es den Hirten abjagen?«

»Diese Sorge darf dir keine Schmerzen machen«, antwortete Don Quijote; »denn wenn ich es auch hätte, äße ich doch nichts andres als die Kräuter und Früchte, die mir das Feld und die Bäume hier darbieten, weil die Hauptsache bei meinem Vorhaben darin besteht, nicht zu essen und noch andre Kasteiungen auf mich zu nehmen.«

Darauf sagte Sancho: »Wißt Ihr, was ich besorge? Ich möchte den Rückweg zu diesem Orte, wo ich Euch verlasse, nicht finden, so heimlich ist das Versteck.«

»Du mußt dir gehörige Kennzeichen machen«, sprach Don Quijote. »Ich werde darauf bedacht sein, mich aus der Umgegend nicht zu entfernen, ja ich habe vor, auf die höchsten Felsen hier zu steigen, um zu sehen, ob ich dich aufspüre, wenn du zurückkehrst. Jedoch wird es am sichersten sein, daß du von dem Ginster, der sich hier in Menge findet, etliche Zweige abschneidest und sie von Strecke zu Strecke hinstreust, bis du ins Blachfeld kommst; die werden dir zu Marksteinen und Merkzeichen dienen, gleichsam wie der Faden im Labyrinthe des Theseus, auf daß du mich bei deiner Rückkehr findest.«

»So will ich’s tun«, erwiderte Sancho Pansa.

Don Quijote

Er schnitt eine Anzahl Zweige ab, bat seinen Herrn um seinen Segen und verabschiedete sich von ihm, nicht ohne reichliche Tränen von beiden Seiten. Dann stieg er auf den Rosinante, den Don Quijote ihm dringendst anempfahl mit dem Auftrag, auf den Gaul achtzuhaben, als ob er es selber wäre, und begab sich auf den Weg nach der Ebene, wobei er von Zeit zu Zeit die Ginsterzweige ausstreute, wie es sein Herr ihm angeraten. Und da zog er von dannen, während ihn Don Quijote noch fortwährend damit behelligte, er solle ihm wenigstens bei zwei tollen Streichen erst zusehen.

Aber er war noch keine hundert Schritte geritten, da kehrte er um und sprach: »Ich muß sagen, Señor, Euer Gnaden hat sehr recht gehabt; denn damit ich ohne Gewissensbeschwer beeidigen kann, daß ich Euch Narreteien verüben gesehen, ist es recht und billig, daß ich wenigstens eine mit ansehe, wiewohl Ihr mir eine absonderlich große bereits in Eurem Hierbleiben gezeigt habt.«

»Hab ich es dir nicht gesagt?« versetzte Don Quijote. »Warte nur, Sancho, so geschwind wie ein Vaterunser wird’s getan sein.«

Und er zog sich in aller Eile die Hosen aus, so daß er im bloßen Hemde dastand, machte dann im Nu etliche Luftsprünge und patschte sich dabei mit der Hand auf die Fußsohlen, schlug dann ein paar Purzelbäume, den Kopf unten, die Füße in die Höhe, und enthüllte dabei solche Dinge, daß Sancho, um sie nicht noch einmal zu sehen, den Rosinante am Zügel umlenkte und sich für hinreichend zufriedengestellt erachtete, daß er nunmehr schwören konnte, sein Herr sei wirklich verrückt. Und so wollen wir ihn seines Weges ziehen lassen bis zur Rückkehr, die nicht lange anstand.

19. Kapitel

Handelt von dem verständigen Gespräche, das Sancho mit seinem Herrn führte, und von dem Abenteuer, so dem Ritter mit einer Leiche begegnete, nebst andern großartigen Ereignissen

»Es will mich bedünken, mein edler Herr, daß all diese Unglücksfälle, die uns in den letzten Tagen zugestoßen sind, ganz gewiß die Strafe für die Sünde waren, so Euer Gnaden gegen die Pflichten Eures Rittertums begangen hat, indem Ihr den Eidschwur nicht gehalten, den Ihr getan, auf keinem Tischtuch Brot zu essen noch mit der Königin zu kurzweilen, samt alledem, was Euer Gnaden darauf noch weiter sagte und zu halten schwur, bis Ihr jenen Helm des Malandrin geraubt, oder wie der Mohr sonst heißt, ich erinnere mich nicht recht.«

»Du hast sehr recht, Sancho«, sprach Don Quijote, »aber um dir die Wahrheit zu sagen, es war mir aus dem Gedächtnis gekommen, und du kannst es ebenfalls für gewiß halten, daß um deiner Schuld willen, weil du mich nicht zur rechten Zeit daran erinnert hast, dir die Geschichte mit dem Wippen widerfahren ist. Aber ich will es wiedergutmachen; denn im Ritterorden gibt es Mittel und Wege, alles wieder auszugleichen.«

»So? Hab etwa ich etwas geschworen?« erwiderte Sancho.

»Es kommt nicht darauf an, daß du nicht geschworen hast«, sprach Don Quijote; »genug, daß ich einsehe, daß du als teilhaftig an der Sünde nicht sehr sicher bist, frei auszugehen. Aber ob so oder nicht so, es wird nicht übel sein, uns mit einem Sündenablaß zu versehen.«

»Nun, wenn es so ist«, sagte Sancho, »so möge Euer Gnaden acht haben, nicht abermals dieses zu vergessen wie jenes mit dem Eidschwur. Vielleicht kommt den Spukgestalten die Lust wieder, sich mit mir nochmals eine Ergötzlichkeit zu machen und gar mit Euer Gnaden selbst, wenn sie Euch so hartnäckig in der Sünde finden.«

Unter diesen und andren Gesprächen wurden sie inmitten der Landstraße von der Nacht überfallen und hatten nicht und fanden nicht, wo sie ihr Haupt hinlegen sollten; und was die Sache erst recht Schlimmes hatte, war, daß sie schier Hungers starben, da mit dem Fehlen des Zwerchsacks ihnen ihre Speisekammer und ihr Mundvorrat fehlten. Und um das Unglück vollständig zu machen, stieß ihnen ein Abenteuer auf, das ohne Nachhilfe romanhafter Phantasie in Wirklichkeit wie ein solches aussah.

Die Nacht war nämlich mit ziemlicher Finsternis hereingebrochen, und trotzdem ritten sie des Weges fürbaß; denn Sancho meinte, da es eine Landstraße sei, würde er zwei, drei Meilen weiter zweifellos an derselben eine Schenke finden. Und wie sie dergestalt dahinzogen, die Nacht finster, der Schildknappe hungrig und der Herr voll Eßbegierde, sahen sie, daß auf derselben Straße, die sie ritten, ihnen eine große Menge Lichter entgegenkamen, die nicht anders denn wandelnde Sterne aussahen. Sancho fiel bei dem Anblick beinahe in Ohnmacht, und Don Quijote ward es nicht wohl bei der Sache; der eine zog seinem Esel die Halfter an, der andre seinem Gaul die Zügel, und so hielten sie still und beobachteten aufmerksam, was dies sein möchte. Und sie sahen, daß die Lichter ihnen näher kamen und immer größer schienen, je mehr sie heranzogen. Bei diesem Schauspiel begann Sancho zu zittern, als hätte er Quecksilber eingenommen, und dem Ritter stand das Haar zu Berge. Dieser indessen ermannte sich einigermaßen und sprach: »Ohne Zweifel, Sancho, muß dies ein sehr großes, ein sehr gefährliches Abenteuer sein, wo es vonnöten sein wird, all meine Mannhaftigkeit und Tapferkeit zu zeigen.«

»Ich Unglückseliger!« entgegnete Sancho, »wenn etwa dies ein Abenteuer mit Geisterspuk sein sollte, wie mir es das Aussehen hat, wo soll man Rippen genug hernehmen, um das Abenteuer auszuhalten?«

»Mögen sie so viele Spukgeister sein, wie sie wollen«, antwortete Don Quijote, »ich werde nicht gestatten, daß sie dir nur an ein Fädchen deines Gewandes rühren. Wenn die Spukgestalten neulich ihr Spiel mit dir getrieben, so war’s, weil ich nicht über die Mauerbrüstung hinüberspringen konnte; jetzt aber befinden wir uns im freien Feld, wo ich mein Schwert nach Willkür schwingen kann.«

»Und wenn sie Euch verzaubern und lahmen, wie sie es jüngst getan«, sagte Sancho darauf, »was wird es frommen, im freien oder nicht freien Feld zu sein?«

»Trotz alledem«, entgegnete Don Quijote, »bitte ich dich, Sancho, fasse rechten Mut; denn welchen ich habe, wird dich die Erfahrung lehren.«

»Mut will ich schon fassen, wenn Gott will«, antwortete Sancho.

Nun zogen sich die beiden seitwärts der Straße und beobachteten aufs neue mit Aufmerksamkeit, was jener Vorgang mit den wandelnden Lichtern bedeuten möchte. Gleich darauf erblickten sie viele Gestalten in weißen Hemden, und diese furchtbare Erscheinung gab dem Mute Sancho Pansas den letzten Stoß. Ihm klapperten die Zähne wie einem, den der Frost eines viertägigen Fiebers gepackt hat, und dies Klappern und Knirschen ward noch stärker, als die beiden deutlich erkannten, was es war; sie sahen nämlich gegen zwanzig Leute mit weißen Chorhemden, alle beritten, brennende Fackeln in den Händen, und hinter ihnen kam eine in Trauer gehüllte Tragbahre, welcher wieder sechs Berittene folgten, ebenfalls in Trauer gekleidet vom Kopf bis zu den Hufen ihrer Maultiere; denn an dem ruhigen Schritt, mit dem sie einherzogen, sah man wohl, daß es keine Pferde waren. Die Hemdenträger murmelten etwas vor sich hin mit leisem kläglichem Ton.

Diese seltsame Erscheinung, zu solcher Stunde und in so menschenleerer Gegend, war wohl genügend, um Sanchos Herz, ja auch das seines Herrn, mit Furcht zu erfüllen; und so hätte es allerdings bei Don Quijote sein können, da bei Sancho bereits der letzte Rest von Mut verlorengegangen. Allein seinem Herrn erging es jetzt umgekehrt, da gerade in diesem Augenblick in seinem Geiste mit Lebensfarben die Vorstellung auftauchte, es sei dies eines der Abenteuer aus seinen Büchern.

Nämlich die Sache gestaltete sich ihm so, als sei die Tragbahre eine Leichenbahre, auf der ein hart verwundeter oder erschlagener Ritter liegen müsse, den zu rächen ihm allein vorbehalten sei. Und ohne sonst etwas zu erwägen, legte er seinen Spieß ein, setzte sich im Sattel fest und stellte sich mit edlem Feuer und Anstand inmitten des Weges auf, wo die Hemdenmänner notwendig vorüber mußten. Und als er sie in seiner Nähe sah, erhob er die Stimme und sprach: »Haltet, ihr Ritter, wer ihr auch sein möget, und gebt mir Auskunft, wer ihr seid, woher ihr kommt, wohin ihr wollt und was ihr auf dieser Bahre traget; denn nach allen Anzeichen, entweder habt ihr oder man hat an euch eine Ungebühr verübt, und es ziemt sich und ist notwendig, daß ich es wisse, entweder um euch für das Böse zu züchtigen, das ihr getan, oder aber um euch zu rächen ob des Unrechts, so man euch getan.«

»Wir müssen eilig weiter«, antwortete einer von den Hemdenträgern, »denn das Wirtshaus ist fern, und wir können uns nicht damit aufhalten, Euch all die Auskunft zu erteilen, die Ihr verlangt.«

Und seinem Maultier die Sporen gebend, ritt er weiter.

Don Quijote nahm die Antwort höchlich übel, und dem Maultier in die Zügel fallend, sprach er zu dem Reiter: »Haltet und seid höflicher und gebt mir Auskunft; wo nicht, seid ihr alle mit mir in Fehde.«

Das Maultier war scheu, und so plötzlich am Zügel gefaßt, schreckte es zusammen, bäumte sich hoch auf und schleuderte seinen Reiter über die Kruppe zur Erde. Ein Bursche, der zu Fuße nebenherging, begann, als er den Hemdenträger fallen sah, auf Don Quijote zu schimpfen, und dieser, ohnehin schon in Zorn entbrannt, fällte, ohne weiter zuzuwarten, seinen Spieß, stürzte sich auf einen der in Trauer Gehüllten und warf ihn hart verwundet zu Boden, und wie er sich darauf gegen die andern wendete, war es wahrlich der Mühe wert, zu sehen, mit welcher Hurtigkeit er sie angriff und sie auseinanderjagte; es schien nicht anders, als wenn Rosinanten augenblicks Flügel gewachsen wären, so leicht und stolz trabte er einher. Die Männer mit den Hemden waren alle furchtsame, waffenlose Leute, und so ließen sie ohne Widerstreben und im Nu den Kampf beruhen und begannen mit ihren brennenden Fackeln über das Feld zu eilen, so daß sie den Teilnehmern an einem Maskenzuge glichen, wie sie in Nächten der Lustbarkeit und Festfreude umherstreifen. Auch die Leute in den Trauerkleidern, von heftiger Furcht befallen und wie gefangen in ihren Schleppen und Priesterröcken, konnten sich nicht von der Stelle regen, so daß Don Quijote sonder Fährlichkeit sie sämtlich durchbleute und sie sehr wider ihren Willen das Feld zu räumen zwang; denn alle glaubten, das sei kein Mensch, sondern ein Teufel aus der Hölle, aus der er herausgekommen, um ihnen die Leiche abzunehmen, die sie auf der Bahre trugen.

Bei all diesem war Sancho ein aufmerksamer Zuschauer, hoch erstaunt ob der Kühnheit seines Herrn, und sprach für sich: Ohne Zweifel ist dieser mein Gebieter so tapfer und mutig, wie er selber sagt.

Auf dem Boden lag eine brennende Fackel neben dem ersten, den sein Maultier abgeworfen; bei deren Licht konnte Don Quijote den Mann sehen, und sich ihm nähernd, setzte er ihm die Eisenspitze des Spießes aufs Gesicht und rief ihm zu, sich für geschlagen zu bekennen, sonst würde er ihn töten. Worauf der Gefallene die Antwort gab: »Geschlagen bin ich zur Genüge; denn ich kann mich nicht bewegen, weil ich ein Bein gebrochen habe; ich flehe zu Euer Gnaden, wenn Ihr ein christlicher Ritter seid, mich nicht zu töten. Ihr würdet eine Sünde gegen die Kirche begehn; denn ich bin Lizentiat und habe die niederen Weihen empfangen.«

»Wer Teufel hat Euch denn hierhergebracht«, sagte Don Quijote, »da Ihr doch ein Mann der Kirche seid?«

»Wer, Señor?« entgegnete der Gefangene, »mein Unglück!«

»So droht Euch ein noch größeres«, sagte Don Quijote, »wenn Ihr mir nicht auf alles Genüge tut, was ich Euch vorher gefragt.«

»Euer Gnaden ist leicht Genüge getan«, antwortete der Lizentiat, »und sonach sollt Ihr erfahren, daß ich, wenn ich auch hierzuvor mich einen Lizentiaten genannt, doch nur Baccalaureus bin und Alonso López heiße, aus Alcobendas gebürtig bin und aus der Stadt Baéza mit elf andern Geistlichen komme, eben jenen, welches die sind, die sich mit den Fackeln zur Flucht gewendet haben. Wir gehen nach der Stadt Segovia zur Begleitung einer Leiche, die auf dieser Tragbahre liegt und welche die eines Ritters ist, der in Baéza verstorben, wo er beigesetzt wurde. Jetzt, wie gesagt, führen wir seine Gebeine in sein Erbbegräbnis über; dasselbe ist in Segovia, von wo er gebürtig ist.«

»Und wer hat ihn umgebracht?« fragte Don Quijote.

»Gott, vermittels eines pestartigen Fiebers, das ihn befiel«, erwiderte der Baccalaureus.

»Demnach«, versetzte Don Quijote, »hat mich unser Herrgott der Mühsal überhoben, die ich auf mich hätte nehmen müssen, ihn zu rächen, wenn ein anderer ihn umgebracht hätte. Aber da ihm der den Tod gesendet, der es so gewollt hat, so läßt sich nichts tun als stillschweigen und sich ducken; denn das nämliche würde ich selber tun, wenn er mich aus dem Leben abriefe. Und ich will, daß Euer Wohlehrwürden erfahre, daß ich ein Ritter aus der Mancha bin mit Namen Don Quijote und daß mein Beruf und mein Brauch ist, durch die Lande zu fahren, um alle Frevel und Verbrechen abzutun und alles Schlechte gut und alles Krumme gerade zu machen.«

»Ich weiß nicht«, entgegnete der Baccalaureus, »wie man das heißen kann, alles Krumme gerad machen; denn mich, der ich gerade war, habt Ihr krumm gemacht, da Ihr schuld seid, daß mein Bein entzwei ist, und es wird mein Leben lang nicht wieder ganz werden. Und daß Ihr Verbrechen abtut, soll heißen, daß Ihr viel im Zerbrechen tut und daß Ihr mich auf immerdar zu einem gebrochenen Mann gemacht; und indem ich Euch begegnet bin, der Ihr auf Abenteuer zieht, kommt mir dieser Abend teuer zu stehen.«

»Nicht alles«, antwortete ihm Don Quijote, »verläuft in gleicher Weise. Das Schlimme war, Herr Baccalaureus Alonso Lopéz, daß ihr des Nachts einherzoget, mit diesen Chorhemden bekleidet, mit brennenden Fackeln, Gebete murmelnd, in Trauer gehüllt, so daß man euch wirklich für nicht geheuer, für etwas aus der andern Welt halten mußte; und so konnte ich nicht umhin, meiner Pflicht gemäß zu handeln und euch anzugreifen. Ich hätte euch auch angegriffen, wenn ich sicher gewußt hätte, ihr wäret der Satan selbst und seine Teufel aus der Hölle; denn für solche hab ich euch beständig gehalten und erachtet.«

»Da es mein Schicksal einmal so gewollt hat«, sagte der Baccalaureus, »so bitte ich Euer Gnaden, fahrender Herr Ritter, durch den ich so übel gefahren bin, helft mir unter diesem Maultier hervor, das mich mit meinem einen Bein zwischen Steigbügel und Sattel eingeklemmt hält.«

»Da hätte ich wahrlich bis morgen fortreden können!« sagte Don Quijote, »worauf habt Ihr denn gewartet, mir Eure Not zu klagen?«

Sogleich rief er Sancho Pansa herbei, aber der kümmerte sich nicht ums Kommen, da er eben damit beschäftigt war, einen Proviantesel zu plündern, den mit Eßwaren wohlbeladen die guten Herren mitführten. Sancho machte aus seinem Filzmantel einen Sack; raffte zusammen, soviel ihm möglich war und in die neue Reisetasche hineinging, packte alles auf sein Tier, und dann folgte er dem Zuruf seines Gebieters, half den Herrn Baccalaureus unter der Wucht des Maultiers hervorziehen, gab ihm die Fackel in die Hand, und Don Quijote sagte ihm, er möchte dieselbe Richtung wie seine Gefährten verfolgen und sie von seinetwegen um Verzeihung bitten ob der Unbill, die zu unterlassen nicht in seiner Macht gewesen sei.

Auch Sancho sprach zu ihm: »Wenn vielleicht jene Herren wissen wollen, wer der Held war, der sie so zugerichtet, so möget Ihr ihnen sagen: Es war der berühmte Don Quijote von der Mancha, der auch mit einem andern Namen der Ritter von der traurigen Gestalt genannt wird.«

Hiermit machte sich der Baccalaureus davon, und Don Quijote fragte Sancho, was ihm jetzt eher als sonst Anlaß gegeben habe, ihn den Ritter von der traurigen Gestalt zu heißen.

»Ich will’s Euch sagen«, antwortete Sancho, »ich hab’s getan, weil ich eine Zeitlang dastand, Euch beim Lichte der Fackel anzuschauen, die jener so übelfahrende Mann trägt, und in Wahrheit hat Euer Gnaden seit kurzer Zeit die jämmerlichste Gestalt, die ich je gesehen. Daran muß entweder die Ermattung von dem Kampfe schuld sein oder das Fehlen Eurer Vorder- und Backenzähne.«

»Nicht dies ist es«, entgegnete Don Quijote, »sondern den weisen Zauberer, der ohne Zweifel die Obliegenheit hat, die Geschichte meiner Taten zu schreiben, wird es bedünkt haben, daß ich gut daran tue, irgendeinen Beinamen anzunehmen, wie alle bisherigen Ritter einen solchen annahmen; einer hieß Der vom flammenden Schwert, einer Der vom Einhorn, dieser Der von den Jungfrauen, jener Der vom Vogel Phönix, der eine Der Ritter vom Greif, der andere Der vom Tod, und unter diesen Namen und Zeichen waren sie auf dem ganzen Erdenrunde bekannt. Und also sag ich, daß der bereits erwähnte Zauberer dir es in die Gedanken und auf die Zunge gelegt haben muß, jetzt gerade solltest du mich den Ritter von der traurigen Gestalt nennen, wie ich mich auch hinfüro zu nennen gedenke. Und damit der Name um so besser auf mich passe, bin ich willens, sobald Gelegenheit sich bietet, mir auf den Schild eine sehr traurige Gestalt malen zu lassen.«

»Es ist nicht nötig, Zeit und Geld auf die Anfertigung einer solchen Gestalt zu verwenden«, sagte Sancho; »Euer Gnaden brauchen weiter nichts als Eure eigne Gestalt sehen zu lassen und denen, die Euch anschauen, das Antlitz zuzuwenden; dann werden sie ohne weitere Umstände und ohne Bild und ohne Schild Euch Den von der traurigen Gestalt benamsen. Glaubt, ich sage Euch die Wahrheit; denn ich bin Euch gut dafür – aber das will ich nur im Scherz gesagt haben –, daß der Hunger und der Mangel an Zähnen Euch ein so jämmerliches Aussehen gibt, daß das traurige Gemälde wohl entbehrlich sein wird.«

Don Quijote lachte über Sanchos Witz, aber trotzdem nahm er sich vor, sich mit diesem Namen zu nennen, sobald er seinen Ritterschild oder seine Tartsche, so wie er es sich ausgedacht, malen lassen könne. Dann sprach er: »Es ist mir klar, Sancho, ich bin im Kirchenbann, weil ich Hand an Heiliges gelegt, juxta illud: si quis suadente diabolo et cetera, obwohl ich weiß, daß ich nicht die Hand, sondern diesen Spieß anlegte. Zumal ich auch nicht glaubte, gegen Geistliche oder überhaupt Kirchliches vorzugehen, denn das alles achte und verehre ich als Katholik und getreuer Christ, der ich bin, sondern gegen Spukgestalten und Scheusale aus der andern Welt. Und selbst wenn dem so wäre, so habe ich noch im Gedächtnis, was sich mit dem Cid Ruy Diaz zutrug, als er den Sessel des Gesandten jenes Königs vor Seiner Heiligkeit dem Papste zerschmetterte, der ihn in Bann tat, und am selben Tage erschien der wackere Rodrigo von Vivár allen als ein höchst ehrenwerter tapferer Ritter.«

Als der Baccalaureus dieses hörte, zog er von dannen, wie schon gesagt, ohne ihm ein Wort zu entgegnen. Don Quijote hätte gern nachgesehen, ob der Körper, den man auf der Bahre trug, nur aus den Gebeinen bestand oder was sonst; aber Sancho gab es nicht zu und sprach zu ihm: »Señor, Euer Gnaden hat dies schwere Abenteuer am gefahrlosesten unter allen bestanden, die ich bisher erlebte. Aber es könnte immerhin geschehen, und diese Leute, wiewohl besiegt und auseinandergejagt, kämen zur Überlegung, daß ein Mann allein ihr Besieger war, und würden, ärgerlich und beschämt darüber, sich wieder sammeln und uns aufsuchen und uns was zu raten aufgeben, daß wir daran zu denken hätten. Mein Esel ist wohlversorgt, das Gebirg nahe, der Hunger drückt uns; da gibt’s nichts anderes zu tun, als uns in rascher Gangart zurückzuziehen, und dann, wie man sagt: Zum Grabe, wem der Leib tot, und wer am Leben, zum Laib Brot.«

Und den Esel vor sich hertreibend, bat er seinen Herrn, ihm zu folgen; und dieser, da ihm Sancho recht zu haben schien, folgte ohne fernere Widerrede. Nach einer kurzen Strecke Wegs, die sie zwischen zwei Hügeln wanderten, fanden sie sich in einem räumigen, versteckten Tal, wo sie abstiegen und Sancho seinen Esel ablud, und hingestreckt in das grüne Gras, nahmen sie zu gleicher Zeit ihr Frühstück, Mittagessen, Vesperbrot und Abendmahl, alles das vom Hunger gewürzt, und befriedigten ihren Magen mit gar mancher kalten Speise, welche die geistlichen Begleiter des Verstorbenen – denn dergleichen Herren lassen es sich nicht leicht an etwas fehlen – auf ihrem Proviantesel mit sich geführt hatten.

Aber jetzt stieß ihnen ein neues Unglück zu, das Sancho für das ärgste von allen hielt; sie hatten nämlich weder Wein zu trinken noch auch nur Wasser, um die Lippen zu netzen. Wie sie sich so vom Durste gequält sahen, bemerkte Sancho, daß die Wiese, auf der sie lagerten, mit frischem zartem Gras über und über bewachsen war, und sprach, was im folgenden Kapitel gesagt werden soll.

2. Kapitel

Welches von der ersten Ausfahrt handelt, die der sinnreiche Don Quijote aus seiner Heimat tat

Nachdem er alle diese Vorkehrungen getroffen, wollte er nicht länger warten, sein Vorhaben ins Werk zu setzen; es drängte ihn dazu der Gedanke an die Entbehrung, die die Welt durch sein Zögern erleide, derart waren die Unbilden, denen er zu steuern, die Ungerechtigkeiten, die er zurechtzubringen, die Ungebühr, der er abzuhelfen, die Mißbräuche, die er wiedergutzumachen, kurz, die Pflichten, denen er zu genügen gedachte. Und so, ohne irgendeinem von seiner Absicht Kunde zu geben und ohne daß jemand ihn sah, bewehrte er sich eines Morgens vor Anbruch des Tages – es war einer der heißen Julitage – mit seiner ganzen Rüstung, stieg auf den Rosinante, nachdem er seinen zusammengeflickten Turnierhelm aufgesetzt, faßte seine Tartsche in den Arm, nahm seinen Speer und zog durch die Hinterpforte seines Hofes hinaus aufs Feld, mit gewaltiger Befriedigung und Herzensfreude darob, mit wie großer Leichtigkeit er sein löbliches Vorhaben auszuführen begonnen.

Don Quijote

Aber kaum sah er sich in freiem Feld, als ihn ein schrecklicher Gedanke anfiel, und zwar ein solcher, der ihn beinahe dahin gebracht hätte, das angefangene Unternehmen wieder aufzugeben: nämlich der Gedanke, daß er nicht zum Ritter geschlagen sei und daß gemäß dem Gesetze des Rittertums er gegen keinen Ritter die Waffen führen könne noch dürfe; und wenn er es sogar schon wäre, so müßte er doch eine weiße Rüstung tragen, ohne ein Abzeichen auf dem Schild, bis er sich eines durch seine Tapferkeit gewänne. Diese Erwägungen machten ihn in seinem Vorsatze wankend; aber da seine Torheit mehr vermochte als jeglicher Vernunftgrund, nahm er sich vor, sich von dem ersten besten, auf den er stieße, zum Ritter schlagen zu lassen, in Nachahmung vieler andern, die so getan, wie er in den Büchern gelesen hatte, die ihn in solche Geistesrichtung versetzt hatten. Was die weiße Rüstung betraf, so dachte er die seine, wenn er Gelegenheit habe, dergestalt zu putzen, daß sie weißer werde als ein Hermelin. Und damit beruhigte er sich und setzte seinen Weg fort, ohne einen andern einzuschlagen, als den sein Pferd wollte; denn er meinte, gerade darin bestünde das rechte Wesen der Abenteuer.

Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. – Und in der Tat ritt er eben darüber hin.

Und er sagte weiter: Glücklich das Zeitalter und glücklich das Jahrhundert, wo dereinst ans Licht treten die ruhmvollen Taten mein, würdig, in Erz gegraben, in Marmor gemeißelt, auf Tafeln gemalt zu werden zum Angedenken in aller Zukunft! O du weiser Zauberer, wer auch immer du seiest, dem es zuteil werden soll, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte zu sein, ich bitte dich, meines guten Rosinante nicht zu vergessen, meines ewigen Gefährten auf all meinen Wegen und Bahnen.

Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet.

An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte.

Beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas begegnete, was zum Erzählen wäre, und darüber wollte er schier verzweifeln; denn gern hätte er gleich zur Stelle auf jemand treffen mögen, an dem er die Tapferkeit seines starken Armes erproben könnte.

Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andre sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand, ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren; und daß, nach allen Seiten hin spähend, ob er irgendeine Burg oder einen Hirtenpferch entdeckte, wo er eine Zuflucht finden und seinem großen Notstand abhelfen könnte, er nicht weit von dem Weg, den er ritt, eine Schenke erblickte. Da war ihm, als sähe er einen Stern, der ihn zur Pforte – wenn auch nicht in den Palast – seiner Erlösung leitete. Er beschleunigte seinen Ritt und langte eben zur Zeit an, wo es Abend wurde.

Hier standen von ungefähr an der Tür zwei junge Frauenzimmer, aus der Zahl jener, welche man Die von der leichten Zunft benennt; sie waren auf der Reise nach Sevilla mit Maultiertreibern, die zufällig diese Nacht in der Schenke Rast hielten. Und da es unsern Abenteurer bedünkte, alles, was er auch immer dachte, sah oder sich einbildete, sei so beschaffen und trage sich so zu wie die Dinge, die er gelesen hatte, so kam es ihm sogleich vor, da er die Schenke sah, sie sei eine Burg mit ihren vier Türmen und Turmhauben von glänzendem Silber, ohne daß ihr ihre Zugbrücke und ihr tiefer Graben fehlte, nebst allen jenen Zubehörungen, womit man dergleichen Burgen malt. Er ritt näher an die Schenke heran – die ihm eine Burg schien –, und eine kurze Strecke von ihr hielt er seinem Rosinante die Zügel an und wartete, daß irgendein Zwerg sich zwischen den Zinnen zeige, um mit einer Drommete oder dergleichen das Zeichen zu geben, daß ein Ritter der Burg nahe. Da er aber sah, daß man zögerte, und Rosinante nach dem Stall Eile hatte, ritt er vor die Tür der Schenke und erblickte die beiden liederlichen Dirnen, die dort standen und die ihm als zwei schöne Fräulein oder anmutvolle Edelfrauen erschienen, die vor der Burgpforte sich erlusten mochten.

Im selben Augenblicke geschah es zufällig, daß ein Schweinehirt, der eine Herde Schweine – denn es ist nicht zu ändern, so heißen sie einmal – von den Stoppelfeldern heimtrieb, in sein Horn stieß, auf welches Zeichen sie heimwärts ziehen; und augenblicklich stellte sich unserm Don Quijote alles dar, was er wünschte, nämlich daß ein Zwerg das Zeichen seiner Ankunft gebe. Und so, mit außerordentlicher Befriedigung, nahte er der Schenke und den Damen; diese aber, als sie einen in solcher Weise gerüsteten Mann, mit Speer und Tartsche, heranreiten sahen, wollten voller Angst in die Schenke hinein. Jedoch Don Quijote, der aus ihrer Flucht auf ihre Ängstlichkeit schloß, hob das Pappdeckelvisier empor, und sein dürres, bestäubtes Gesicht halb aufdeckend, sprach er zu ihnen mit freundlicher Gebärde und sachter Stimme: »Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.«

Die Dirnen schauten ihn an und suchten mit den Augen hin und her nach seinem Gesicht, das das schlechte Visier zum Teil verdeckte; aber da sie sich Jungfrauen nennen hörten, ein so ganz außerhalb ihres Berufs liegendes Wort, konnten sie das Lachen nicht zurückhalten, und es war so arg, daß Don Quijote in Zorn geriet und ihnen sagte: »Gut steht Höflichkeit den Schönen, und zudem ist zu große Einfalt das Lachen, so aus unerheblicher Ursache entspringt. Indessen sage ich Euch das nicht, auf daß Ihr Euch etwa kränktet oder unfreundlichen Mut zeigtet; denn der meine steht auf andres nicht, als Euch zu Diensten zu sein.«

Diese von den Damen nicht verstandene Sprache und die übel aussehende Gestalt unsres Ritters vermehrten bei ihnen das Lachen und dies Lachen bei ihm den Ärger, und er wäre vielleicht sehr weit gegangen, wenn im nämlichen Augenblick nicht der Wirt gekommen wäre, ein Mann, der, weil sehr wohlbeleibt, sehr friedfertig war. Als dieser die seltsam entstellte Figur sah, bewehrt mit so schlecht zusammenpassenden Rüstungsstücken wie Zügel und Speer, Tartsche und Koller, war er ganz nahe daran, den Fräulein in den Äußerungen ihrer Heiterkeit Gesellschaft zu leisten; doch da er diese ganze Kriegsmaschinerie in der Tat fürchtete, entschied er sich dafür, ihn mit Höflichkeit anzureden, und somit sprach er zu ihm: »Wenn Euer Gnaden, Herr Ritter, Herberge sucht, so wird, mit Ausnahme des Bettes – denn in dieser Schenke gibt es keines –, alles andre sich hier im größten Überflusse finden.«

Als Don Quijote das demütige Benehmen des Befehlshabers der Feste sah – denn dafür hielt er den Wirt und die Schenke –, antwortete er: »Für mich, Herr Kastellan, genügt jegliches, was es auch immer sei, denn

Meine Zierat sind die Waffen,
Und mein Ausruhn ist der Kampf,

und so weiter.«

Der Wirt vermeinte, daß er ihn Kastellan geheißen, sei darum geschehen, weil er ihm einer von den ehrlichen Kastilianern, das ist Gaunern, geschienen, wiewohl er doch ein Andalusier war, freilich einer vom Strande von Sanlúcar, nicht weniger diebisch als Cacus und kein geringerer Schalk als ein Student oder ein Page. Und somit entgegnete er ihm: »Hiernach ist ohne Zweifel Euer Bette harter Felsen, Euer Schlaf ein stetes Wachen; und da dem so ist, so könnt Ihr getrost hier absteigen mit der Gewißheit, daß Ihr in dieser Hütte Gelegenheit und Gelegenheiten findet, um in einem ganzen Jahre, wieviel mehr in einer Nacht, nicht in Schlaf zu kommen.«

Und so redend, hielt er Don Quijote den Steigbügel; der stieg mit vieler Schwierigkeit und Mühe ab, da er den ganzen Tag noch nichts über die Lippen gebracht hatte. Alsbald sagte er dem Wirt, er möchte ihm für sein Pferd besondre Fürsorge tragen, denn es sei das allerbeste Tier, das auf Erden sein Futter fresse. Der Wirt beschaute es, und es dünkte ihm lange nicht so preisenswürdig, als Don Quijote sagte, ja nicht einmal halb so gut, und nachdem er es im Stall untergebracht, kam er wieder, um zu sehen, was sein Gast begehre. Diesem waren die Fräulein – die sich bereits mit ihm ausgesöhnt – im Begriffe, die Rüstung abzunehmen; doch obwohl sie ihm bereits das Koller von der Brust und das Schulterblech gelöst, verstanden und vermochten sie nimmer, ihm die Halsberge aus dem Verschluß zu bringen, noch ihm das nachgemachte Visier abzunehmen, welches er mit grünen Schnüren festgebunden trug; es wäre erforderlich gewesen, diese zu zerschneiden, weil man die Knoten nicht lösen konnte, aber er wollte unter keiner Bedingung dareinwilligen. Und so blieb er diesen ganzen Abend mit seinem Turnierhelm auf dem Kopfe, was die komischste und seltsamste Figur abgab, die zu erdenken war. Beim Abnehmen der Rüstung, da er sich einbildete, die Landstreicherinnen, die ihn entwehrten, seien vornehme Frauen, Damen aus dieser Burg, sprach er zu ihnen mit höchst anmutigem Gebaren:

»Niemals ward annoch ein Ritter
So wie jetzo Don Quijote
Wohl bedient von holden Damen,
Da er kam aus seinem Dorfe;
Edle Fräulein pflagen sein,
Und Prinzessen seines Rosses,

oder seines Rosinante; denn dies, meine Damen, ist der Name meines Pferdes und Don Quijote von der Mancha der meinige. Denn obschon ich mich nicht zu erkennen geben wollte, bis meine zu Eurem Dienst und Frommen vollführten Taten mich kundbar gemacht hätten, so ist doch der Drang, diese alte Romanze dem gegenwärtigen Zwecke anzupassen, Veranlassung geworden, daß Ihr meinen Namen lang vor der rechten Zeit erfahret. Allein der Tag wird kommen, wo Euer Erlaucht mir gebieten mögen und ich gehorchen und die Tapferkeit meines Armes den Wunsch offenbaren kann, den ich Euch zu dienen hege.«

Die Mädchen, an solcherlei Redensarten nicht gewöhnt, erwiderten kein Wort; sie fragten ihn nur, ob er etwas zu essen wünsche. »Wohl möchte ich einen Imbiß nehmen, was es auch sei«, antwortete Don Quijote; »denn wie ich merke, würde es mir sehr zustatten kommen.«

Zufälligerweise war es gerade Freitag, und in der ganzen Schenke gab es nichts als geringen Vorrat von einem Fische, den man in Kastilien Stockfisch, in Andalusien Kabeljau, in andern Gegenden Laberdan, in wieder andern Forellchen nennt. Man fragte ihn, ob vielleicht Seine Gnaden Forellchen genießen möchten, da kein andrer Fisch ihm vorzusetzen da sei. »Wenn nur viele Forellchen da sind«, erwiderte Don Quijote, »so können sie zusammen für eine Forelle dienen; denn es ist ganz dasselbe, wenn man mir acht Realen in Einzelstücken, wie wenn man mir ein Achtrealenstück gibt, um so mehr, da es doch sein könnte, daß es sich mit diesen Forellchen verhielte wie mit dem Kalbfleisch, das besser ist als Kuhfleisch, und mit dem Zicklein, das besser als der Geißbock. Aber sei es, wie es sei, es soll nur gleich kommen, denn die Mühsal und das Gewicht der Rüstung läßt sich nicht tragen ohne den Unterhalt des Magens.«

Man stellte ihm den Tisch vor die Tür der Schenke, um der Kühle willen, und es brachte ihm der Wirt eine Portion des schlecht gewässerten und noch schlechter gekochten Stockfisches und ein Brot, so schwarz und schmierig wie seine Rüstung. Aber es war gar sehr zum Lachen, ihn essen zu sehen, denn da er den Helm auf dem Kopfe hatte und das Visier in die Höhe hielt, so konnte er nichts mit seinen eigenen Händen in den Mund stecken, wenn nicht ein andrer es ihm gab und hineinsteckte; und so pflag eine jener Damen dieses Dienstes. Jedoch ihm zu trinken zu geben war unmöglich und würde unmöglich geblieben sein, wenn der Wirt nicht ein Schilfrohr ausgehöhlt und ihm das eine Ende in den Mund gehalten und zum andern ihm den Wein eingegossen hätte. Und alles dies nahm er mit Geduld auf, damit er nur nicht die Schnüre seines Visiers zu zerschneiden brauchte.

Wie man so weit war, kam zufällig ein Schweinschneider vor die Schenke, und wie er anlangte, blies er vier- oder fünfmal auf seiner Rohrpfeife. Das bestärkte Don Quijote vollends darin, daß er in irgendeiner berühmten Burg sei und daß man ihn mit Tafelmusik bediene und daß der Stockfisch eine Forelle, das Brot Weizenbrot, die Dirnen edle Damen und der Wirt Burgvogt dieser Feste sei; und somit fand er seinen Entschluß und seine Ausfahrt wohlgelungen. Was ihn jedoch hierbei noch sehr quälte, war, sich noch nicht zum Ritter geschlagen zu sehen, weil es ihn bedünkte, er könne sich nicht rechtmäßig in irgendwelches Abenteuer einlassen, ohne vorher den Ritterorden zu empfangen.

20. Kapitel

Von dem noch nie erhörten und noch nie gesehenen Abenteuer, welches selbst der allervortrefflichste Ritter auf Erden nicht mit so wenig Gefahr bestanden hätte als der mannhafte Don Quijote von der Mancha

»Es ist nicht anders möglich, edler Herre mein, dieses Gras gibt Zeugnis, daß hier herum eine Quelle oder ein Bach sein muß, der das Gras befeuchtet, und sonach wird es gut sein, etwas weiterzuwandern; dann finden wir bald einen Ort, wo wir den schrecklichen Durst lindern können, der uns quält; denn der verursacht ohne Zweifel größere Pein als der Hunger.«

Der Rat gefiel Don Quijote; er nahm Rosinante am Zügel, Sancho seinen Esel am Halfter, nachdem er auf denselben die Überbleibsel des Mahles geladen, und sie wanderten die Wiese tappend hinauf, da die Finsternis der Nacht sie durchaus nichts erkennen ließ. Sie hatten aber nicht zweihundert Schritte zurückgelegt, als zu ihren Ohren ein mächtiges Rauschen von Wasser drang, als ob es von gewaltigen hohen Felsenklippen herabstürze. Das Rauschen freute sie über die Maßen; aber als sie hielten und horchten, in welcher Richtung sich dies Rauschen hören lasse, da vernahmen sie plötzlich ein andres Getöse, das ihnen die Freude über das Wasser zu Wasser machte, besonders dem armen Sancho, der von Natur furchtsam und gar geringen Mutes war. Sie hörten nämlich ein taktmäßiges Stampfen, dazu ein gewisses Klirren von Eisen und Ketten, was im Verein mit dem wütigen Tosen des Wassers jedes andere Herz als das Don Quijotes mit Bangen erfüllt hätte. Die Nacht war, wie gesagt, finster, und sie waren eben in ein Wäldchen hochwipfliger Bäume gelangt, deren Blätter, von sanftem Winde bewegt, schauerlich leise rauschten, so daß die einsame Öde, die Lage des Ortes, die Finsternis, das Brausen des Wassers mit dem Surren der Blätter, alles, alles Grausen und Entsetzen weckte, zumal als sie bemerkten, daß weder das Stampfen aufhörte, noch der Wind ruhte, noch der Morgen herannahte, zu allen welchen Schrecknissen noch das kam, daß es ihnen durchaus unbekannt war, wo sie sich befanden.

Aber Don Quijote, im alleinigen Geleite seines unverzagten Herzens, sprang auf Rosinante, und seinen Schild an den Arm nehmend, schwang er seinen Spieß und sprach: »Sancho, mein Freund, du mußt wissen, daß ich, durch des Himmels Fügung in diesem eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in ihm das Goldene zur Auferstehung zu wecken. Ich bin der, für den die Gefahren, die Großtaten, die Werke des Heldentums aufgespart sind; ich bin der, sage ich nochmals, durch den die Ritter der Tafelrunde, die zwölf Pairs von Frankreich und die neun Männer des Ruhms wiederauferstehen und welcher die Platir, die Tablante, Olivante und Tirante, die Sonnenritter und Belianís in Vergessenheit bringen wird, sowie die ganze Schar der berühmten fahrenden Ritter der vergangenen Zeit, indem ich in dieser jetzigen, in der ich lebe, solche gewaltigen Werke, außerordentlichen Dinge und Waffentaten vollbringen werde, daß sie die glänzendsten, welche jene Helden vollbracht, in Schatten stellen sollen. Du bemerkst wohl, biederer, pflichtgetreuer Knappe, die Finsternisse dieser Nacht und ihre seltsam tiefe Stille, das dumpfe verworrene Rauschen von diesen Bäumen herab, das erschreckliche Brausen dieses Wassers, das wir aufzusuchen kamen und das so gewaltig toset, als ob es von dem hohen Mondgebirge stürzte und herniederströmte; und endlich jenes unaufhörliche Stampfen und Hämmern, das uns an die Ohren pocht und sie zerquält. All dies zusammen wie jedes einzelne für sich wäre hinreichend, um Furcht, Schrecken und Entsetzen in die Brust des Gottes Mars selbst einzugießen, wieviel mehr also dessen, der solcher Begebnisse und Abenteuer nicht gewohnt ist. Wohlan, alles dies, was ich dir male, sind nur Reizmittel und Auferwecker meines Mutes, der bereits mich so erfüllt, daß das Herz mir schier den Busen sprengt vor Gier, mich in dieses Abenteuer zu stürzen, ob es sich auch noch so schwierig zeige. Mithin zieh dem Rosinante den Gurt etwas fester an und bleibe hier mit Gott und erwarte mich an dieser Stelle, bis drei Tage vorüber sind, und nicht länger. Kehre ich binnen dieser Frist nicht zurück, so kannst du dich nach unserm Dorfe heimwenden, und von da, um einen großen Dienst und ein gutes Werk an mir zu tun, gehst du nach Toboso, wo du meiner unvergleichlichen Herrin Dulcinea sagst, daß der Ritter, den sie in Banden hielt, gestorben, weil er sich an Taten wagte, die ihn würdig machen sollten, sich den ihrigen zu nennen.«

Als Sancho diese Worte seines Herrn vernahm, brach er mit der denkbar größten Rührung in Tränen aus und sprach zu ihm: »Señor, ich weiß nicht, warum Euer Gnaden sich in dies so schreckliche Abenteuer stürzen will; es ist jetzt Nacht, hier sieht uns keiner; ganz gut können wir einen andern Weg einschlagen und der Gefahr ausweichen, sollten wir auch drei Tage lang nichts zu trinken bekommen. Und da niemand da ist, der uns sieht, ist um so sicherer niemand da, der uns der Feigheit bezichtigen kann. Zumal ich auch gar oft den Pfarrer unsres Orts, den Euer Gnaden ja sehr gut kennt, predigen hörte: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Sonach ist es nicht recht, Gott zu versuchen mit einem so ungeheuren Wagnis, aus dem zu entrinnen nur durch ein Wunder möglich; und es ist schon genug an den Wundern, die der Himmel für Euer Gnaden getan, indem er Euch davor bewahrte, gewippt zu werden, wie es mir geschehen, und Euch siegreich, frei und mit heiler Haut aus der Mitte all der vielen Feinde, die die Leiche geleiteten, herausgerissen hat. Und wenn all dieses Euer hartes Herz nicht rührt und erweicht, so möge es sich rühren lassen durch den Gedanken, ja durch die Gewißheit, daß, sowie Euer Gnaden sich von hier entfernt, ich alsbald vor Angst meine Seele jedem beliebigen preisgebe, der Lust hat, sie zu holen. Ich zog aus meiner Heimat fort und verließ Kinder und Weib, um Euer Gnaden zu dienen, weil ich glaubte, herauf- und nicht herunterzukommen. Aber wie Habgier den Säckel sprengt, so ist nichts geworden aus meinen Hoffnungen; denn als ich gerade am zuversichtlichsten erwartete, die verwünschte und unglückselige Insul zu gewinnen, die Euer Gnaden mir versprochen hat, da seh ich, daß Ihr zur Vergütung und Entschädigung dafür mich jetzt in einer öden, von allem Menschenverkehr fern abliegenden Stätte verlassen wollt. Bei dem einzigen Gott, lieber Herre mein, wollet nicht solchergestalt an mir missetun. Wollt Ihr aber durchaus nicht ablassen, diese Tat zu wagen, so verschiebt es wenigstens bis morgen; denn wie mir die Erfahrung zeigt, die ich mir erwarb, als ich Schäfer war, muß es von jetzt bis zum Frührot nicht drei Stunden sein, da die Schnauze des kleinen Bären sich über unserm Kopfe befindet und die Mitternacht in der Linie des rechten Armes steht.«

»Wie kannst du, Sancho«, sprach Don Quijote, »sehen, wo jene Linie steht, noch wo die Schnauze oder wo der Kopf, wovon du sprichst, sich befindet, wenn die Nacht so finster ist, daß am ganzen Himmel nicht ein einziger Stern erscheint?«

»Das ist wahr«, entgegnete Sancho, »aber die Furcht hat tausend Augen und sieht, was unter der Erde, wieviel mehr, was oben am Himmel ist, da man ja auch schon durch richtige Überlegung wissen kann, daß von jetzt bis zum Tage nur noch wenige Zeit fehlt.«

»Mag fehlen, was da will«, erwiderte Don Quijote, »von mir soll weder jetzt noch jemals gesagt werden, daß Tränen und Bitten mich von dem abgebracht haben, was zu tun ich nach Rittersitte verpflichtet war. Und so bitte ich dich, Sancho, zu schweigen; denn Gott, der mir es ins Herz gelegt, mich jetzt an dies so unerhörte und so schreckliche Abenteuer zu wagen, wird darauf bedacht sein, für mein Wohlergehen Sorge zu tragen und deinen traurigen Sinn zu trösten. Was du zu tun hast, ist, dem Rosinante den Gurt fest anzuziehen und hierzubleiben; denn sehr bald kehre ich wieder, lebend oder tot.«

Als nun Sancho den letzten Entschluß seines Herrn vernahm und sah, wie wenig seine Tränen, Ratschläge und Bitten bei jenem vermochten, nahm er sich vor, seine Zuflucht zur List zu nehmen und ihn womöglich zu zwingen, bis zu Tagesanbruch zu warten. Während er also dem Rosinante den Gurt fester schnallte, schnürte er sachte und unvermerkt dem Gaul beide Beine mit der Halfter seines Esels zusammen, so daß Don Quijote, als er fortreiten wollte, dazu nicht imstande war, weil der Gaul sich nur in kurzen Sprüngen bewegen konnte. Als Sancho den guten Erfolg seines tückischen Anschlags gewahr wurde, sprach er: »Wohlan, Señor, der Himmel, von meinen Tränen und flehentlichen Bitten bewegt, hat es so gefügt, daß Rosinante sich nicht von der Stelle rühren kann, und wenn Ihr dennoch auf Eurem Sinn beharren und ihm Sporn und Peitsche geben wollt, so würde das heißen, das Geschick zu erzürnen und, wie man sagt, wider den Stachel zu locken.«

Don Quijote geriet darob in helle Verzweiflung, und je mehr er dem Gaul die Sporen einsetzte, um so weniger konnte er ihn von der Stelle bringen. Ohne daß er auf die Zusammenschnürung des Gaules kam, hielt er es nun für geraten, ruhig zu bleiben und abzuwarten, entweder bis der Tag käme oder bis Rosinante sich wieder frei bewegen könne; denn er zweifelte gar nicht daran, daß die Geschichte von etwas ganz anderem als von einem listigen Streich Sanchos herrühre. Und daher sagte er zu ihm: »Da es einmal so ist, Sancho, daß Rosinante sich nicht rühren kann, so bin ich es zufrieden, abzuwarten, bis die Morgenröte lacht, wiewohl ich weinen möchte über die Frist, die sie zu kommen zögert.«

»Es ist kein Grund zu weinen«, antwortete Sancho, »ich will Euer Gnaden mit Erzählen von allerhand Geschichten von jetzt bis zu Tagesanbruch unterhalten, wenn Ihr nicht etwa absteigen und Euch nach Brauch der fahrenden Ritter ein wenig aufs Gras werfen wollt, um zu schlafen, damit Ihr desto besser ausgeruht seid, wenn der Tag und mit ihm der Augenblick kommt, Euch an das Abenteuer ohnegleichen zu wagen, das Euer harret.«

»Was heißest du absteigen; was heißest du schlafen?« sprach Don Quijote. »Gehöre ich etwa zu den Rittern, die in Gefahren der Ruhe pflegen? Schlafe du, der du zum Schlafen geboren bist, oder tue, was du sonst willst; ich aber werde tun, was meinem Vorhaben am besten ziemt.«

»Erzürnt Euch nicht, werter Herre mein«, entgegnete Sancho, »ich habe es nicht in solchem Sinne gesagt.« Und sich dicht an ihn drängend, legte er die eine Hand auf den vordem, die andre auf den hintern Sattelbogen, so daß er den linken Schenkel seines Herrn umfaßt hielt, ohne daß er es wagte, sich um eines Fingers Breite von ihm zu entfernen; solche Angst empfand er ob der gewaltigen Stöße, die noch immer, einer nach dem andern, im Takt erschollen.

Jetzt sagte ihm Don Quijote, er solle irgendeine Geschichte erzählen, um ihn zu unterhalten, wie er es ihm versprochen habe; worauf Sancho erwiderte, er wolle es allerdings tun, das heißt, wenn es ihm die Angst vor dem, was er höre, gestatten würde. »Aber trotz alledem«, so sprach er, »will ich mir Mühe geben, eine Geschichte vorzutragen, und wenn ich es fertigbringe, sie zu erzählen, und wenn ich nicht gestört werde, so ist es die beste unter allen Geschichten, und Ihr müßt gehörig aufmerken, denn ich fange jetzt an.

Es war einmal, das ist schon lange her, und wenn was Gutes kommt, so soll’s für jedermann kommen, und alles Böse soll für den sein, der nach Bösem trachtet. Und hierbei merket wohl, lieber gnädiger Herr: die Alten setzten bei ihren Märlein nicht so mir nichts, dir nichts einen beliebigen Anfang, sondern das war immer ein Spruch von Cato, dem römischen Zänkerinus, und der lautet: Alles Böse für den, der nach Bösem trachtet. Und das paßt hier, wie ein Ring an den Finger paßt, das bedeutet, daß Ihr Euch in Ruhe faßt und nirgends hingeht, nach Bösem zu trachten, sondern daß wir auf einem andern Weg zurückkehren, sintemal uns keiner zwingt, diesen Weg zu verfolgen, wo tausend Ängste über uns hereinbrechen.«

»Verfolge du deine Geschichte«, sprach Don Quijote, »und für den Weg, den wir zu verfolgen haben, überlaß mir die Sorge.«

»Ich sage also«, fuhr Sancho fort, »in einem Ort in Estremadura war ein Zieger, ich meine einen, der die Ziegen hütete, welcher Zieger oder Ziegenhirt, wie ich in meiner Geschichte finde, Lope Ruiz hieß; und dieser Lope Ruiz war in eine Hirtin verliebt, die Torralba hieß, welche Hirtin, die da Torralba hieß, die Tochter eines reichen Herdenbesitzers war, welcher reiche Herdenbesitzer …«

»Wenn du auf diese Weise deine Erzählung erzählst, Sancho«, sprach Don Quijote, »und zweimal wiederholst, was du sagst, wirst du nicht in zwei Tagen fertig. Sag alles ordentlich, eins nach dem andern, und erzähl es wie ein vernünftiger Mensch. Wo nicht, sag lieber nichts.«

»Auf die Art, wie ich’s erzähle«, antwortete Sancho, »werden bei mir zu Lande alle Märlein erzählt, und auf andre Art kann ich nicht erzählen, und Euer Gnaden tut nicht wohl daran, zu verlangen, daß ich einen neuen Brauch aufbringe.«

»Sprich denn, wie du willst«, entgegnete Don Quijote, »und da ich nach des Schicksals Willen nicht vermeiden kann, dich anzuhören, so fahre fort.«

»Also, herzliebster Herre mein«, fuhr Sancho fort, »wie ich schon gesagt, der Hirt war in Torralba, die Hirtin, verliebt, die war eine kugelrunde Dirne und spröde und hatte schier etwas vom Mannsbild an sich; denn sie hatte ein dünnes Schnurrbärtchen, ich meine, ich sehe sie noch vor mir.«

»Also hast du sie gekannt?« fragte Don Quijote.

»Ich hab sie nicht gekannt«, antwortete Sancho, »aber der mir diese Geschichte erzählt hat, der sagte mir, sie sei so gewißlich wahr, daß ich, wenn ich sie einem andern wiedererzählte, ganz wohl behaupten und beschwören könnte, ich hätte alles selber gesehen. Also wie ein Tag nach dem andern so kam und ging, so hat der Teufel, der niemals schläft und alles gern untereinanderbringt, es fertiggebracht, daß die Liebe, die der Hirt zur Hirtin trug, sich in Haß und feindseligen Sinn verwandelt hat, und die Ursache waren, wie böse Zungen sagen, eine schwere Menge Eifersüchteleien, zu denen sie ihm Anlaß gab, Dinge, die über die rechten Schranken hinausgingen und ans Verbotene grenzten; und der Hirte hatte von der Zeit an einen so großen Widerwillen gegen sie, daß er, um sie nicht mehr zu sehen, aus der Gegend wegziehen wollte, um wohin zu gehen, wo er sie nimmer vor die Augen bekäme. Die Torralba, als sie sich von Lope verschmäht sah, bekam sie ihn gleich sehr lieb, weit lieber als je zuvor.«

»Das ist die eigentümliche Natur der Weiber«, sagte Don Quijote, »den zu verschmähen, der liebend um sie wirbt, und den zu lieben, der sie haßt. Fahre fort, Sancho.«

»Es geschah nun«, sprach Sancho, »daß der Hirt seinen Entschluß ins Werk setzte, und seine Herde vor sich hertreibend, wanderte er durch das Gefilde von Estremadura, um nach den portugiesischen Landen hinüberzuziehen. Das hat die Torralba erfahren, ist hinter ihm hergewandert und ihm von weitem gefolgt, zu Fuß, ohne Strümpfe und Schuhe, mit einem Schäferstab in der Hand und einem Zwerchsack am Hals, worin sie, wie erzählt wird, ein Stückchen von einem Spiegel und einen halben Kamm trug und ein Töpfchen mit ich weiß nicht was für Schminke fürs Gesicht. Aber laßt sie bei sich tragen, was sie tragen mag, ich will mich jetzt nicht damit aufhalten, es näher zu ermitteln. Ich will nur sagen, daß man sagt, der Hirt kam mit seiner Herde hin, um über den Fluß Guadiana zu setzen, und der war um selbige Jahreszeit hoch angeschwollen und schier über seine Ufer getreten; und am Orte, wo er hinkam, war kein Boot und keine Fähre und kein Ferge, der ihn und seine Herde aufs andre Ufer hinüberbrächte, worüber er sich sehr betrübte; denn er sah, daß die Torralba schon ganz nahe war und ihm gewiß mit ihren Bitten und Tränen sehr beschwerlich fallen würde. Jedennoch, er tat sich lange umschauen, bis er zuletzt einen Fischer erblickte, der ein Boot bei sich hatte, und das war so klein, daß nur eine Person mit einer Ziege hineinging; aber trotzdem sprach er ihn an und wurde handelseinig mit ihm, er solle ihn übersetzen und die dreihundert Ziegen, die er bei sich hatte. Der Fischer stieg ins Boot und setzte eine Ziege über, fuhr zurück und setzte wieder eine über, fuhr abermals zurück und setzte abermals eine über; nun wolle Euer Gnaden genaue Rechnung über die Ziegen führen, die der Fischer nach und nach übersetzt; denn wenn sich Euch eine aus dem Gedächtnis verliert, so ist die Geschichte gleich aus, und es wird unmöglich, nur noch ein Wörtlein davon zu erzählen. Ich gehe also weiter und sage, der Landungsplatz auf dem andern Ufer war voller Kot und schlüpfrig, und der Fischer brachte lange zu mit dem Hinüber- und Herüberfahren; aber dessenungeachtet fuhr er zurück, um wieder eine Ziege zu holen, und wieder eine und nochmals eine.«

»Nimm an, er habe sie alle übergesetzt«, sagte Don Quijote, »und fahre nicht ewig so hinüber und wieder herüber, sonst wirst du in einem ganzen Jahr nicht fertig mit dem Übersetzen deiner Ziegen.«

»Wieviel Ziegen sind nun jetzt hinüber?« fragte Sancho.

»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?« antwortete Don Quijote.

»Das eben habe ich ja gesagt, Ihr solltet genaue Rechnung führen; denn, bei Gott, die Erzählung ist aus, es läßt sich unmöglich fortfahren.«

»Wie kann das sein?« entgegnete Don Quijote; »ist es denn so wesentlich bei der Geschichte, die übergesetzten Ziegen Stück für Stück zu wissen, daß du, wenn man sich um eine in der Zahl irrt, mit der Erzählung nicht fortfahren kannst?«

»Nein, Señor, ich kann’s durchaus nicht«, erwiderte Sancho; »denn als ich Euer Gnaden fragte, wieviel Ziegen hinüber seien, und Ihr mir antwortetet, Ihr wüßtet es nicht, im selben Augenblick ging mir alles aus dem Gedächtnis weg, was noch übrig zu sagen war, und wahrhaftig, es war höchst wertvoll und ergötzlich.«

»Demnach«, sagte Don Quijote, »ist’s mit der Geschichte jetzt aus?«

»So aus ist’s wie mit meiner Mutter selig«, sprach Sancho.

»In Wahrheit sage ich dir«, entgegnete Don Quijote, »du hast da eine ganz neue Mär oder Erzählung oder Geschichte vorgebracht, eine der merkwürdigsten in der Welt, die jemand zu erdenken vermöchte, und eine solche Art, sie zu erzählen und sie abzubrechen, wird man all seine Lebtage nicht so leicht wiederfinden und hat sie noch niemals gefunden. Ich habe in der Tat von deinem Scharfsinn nichts andres erwartet. Aber ich wundre mich nicht darüber; denn wohl mag dir das unaufhörliche Stampfen den Geist wirr gemacht haben.«

»Das kann alles sein«, antwortete Sancho, »aber ich weiß ganz sicher, in meiner Erzählung läßt sich nichts weiter sagen; denn wo der Irrtum im Zählen der Ziegen anfängt, da hört die Geschichte auf.«

»Mag sie in Gottes Namen aufhören, wo sie will«, sagte Don Quijote, »wir aber wollen zusehen, ob Rosinante sich jetzt von der Stelle rühren kann.«

Er gab dem Gaul nun wiederum die Sporen, und der sprang wieder in kurzen Sätzen in die Höhe und blieb dann stehen, so festgebunden war er.

Jetzt aber – ob nun die Kühle des bereits nahenden Morgens daran schuld war oder ob Sancho am Abend allerlei Abführendes verspeist hatte oder ob es nur der naturgemäße Verlauf der Dinge war, was am ehesten glaublich ist –, jetzt kam ihn der Wunsch und Drang an, zu verrichten, was kein andrer für ihn verrichten konnte. Indessen war die Furcht, die in sein Herz eingezogen, so groß, daß er sich nicht getraute, von seines Herrn Seite nur um die Breite des Schwarzen am Nagel zu weichen. Daß er aber daran dächte, von seinem Gelüste abzustehen, das war ebenso unmöglich. Was er nun tat, um aus der Klemme zu kommen, war dies: er nahm die rechte Hand vom hintern Sattelbogen weg und zog dann mit ihr behutsam und in aller Stille die laufende Schleife auf, die allein und ohne weiteres Hilfsmittel seine Hosen in die Höhe hielt, und sowie er sie gelöst, fielen die Hosen sofort herab und hingen um ihn her wie Beinschellen. Hierauf zog er, so gut es ging, das Hemd in die Höhe und streckte in die Lüfte zwei Sitzteile hinaus, die nicht allzu klein waren. Dieses vollbracht – und er glaubte, es sei damit das meiste bereits geschehen, was er zur Rettung aus diesen schrecklichen Bedrängnissen und Ängsten zu tun hatte –, überkam ihn eine andre, noch größere Besorgnis; es bedünkte ihn nämlich, er werde nicht ohne Geräusch und Lärm sein Geschäft verrichten können. Da begann er die Zähne zusammenzubeißen und die Schultern hochzuziehen und den Atem soweit nur möglich anzuhalten; aber unerachtet all dieser Vorsichtsmaßregeln war er so unglücklich, daß er zuletzt ein kleines Geräusch hören ließ, sehr verschieden von dem, das ihn so sehr in Besorgnis setzte.

Don Quijote hörte es und fragte: »Was für ein Getöne ist dieses, Sancho?«

»Ich weiß nicht, Señor«, antwortete er, »das muß ein neues Begebnis sein; denn bei jedem Abenteuer ist es nicht geheuer, und Glück und Unglück fängt nimmer mit Kleinem an.«

Jetzt begann er wieder sein Glück zu versuchen, und es gelang ihm so wohl, daß er ohne ein weiteres Geräusch und Getöse sich endlich von der Last befreit sah, die ihm so viele Not gemacht hatte. Aber da bei Don Quijote der Sinn des Geruchs so entwickelt war wie der des Gehörs und Sancho sich so dicht an ihn geheftet hielt, daß die Düfte beinahe in gerader Linie aufstiegen, so konnte es nicht fehlen, daß etwelche in des Ritters Nase drangen, und kaum war das geschehen, da kam er ihr schon zu Hilfe und klemmte sie zwischen die Finger und sprach mit näselndem Ton: »Mich bedünkt es, Sancho, du hast große Furcht.«

»Freilich hab ich die; aber woran merkt das Euer Gnaden jetzt mehr als sonst?«

»Daran, daß du jetzt mehr als sonst riechst, und nicht nach Ambra«, antwortete Don Quijote.

»Das kann wohl sein«, sagte Sancho, »aber ich habe keine Schuld daran, sondern Ihr, der Ihr mich bei nachtschlafender Zeit umherschleppt, ein Leben zu führen, wie ich platterdings nicht gewohnt bin.«

»Ziehe dich drei, vier Schritte seitwärts, Freund«, sprach Don Quijote – alles das, ohne die Finger von der Nase wegzunehmen –, »und hinfüro berücksichtige besser, wer du bist und was du mir schuldig bist; die häufigen Gespräche, die ich mit dir führe, haben diese Mißachtung erzeugt.«

»Ich will wetten«, entgegnete Sancho, »Euer Gnaden meint, ich hätte etwas mit mir vorgenommen, was ich nicht sollte.«

»Es wird schlimmer, wenn man dran rührt«, versetzte Don Quijote.

Mit diesen Gesprächen und andern ähnlicher Art verbrachten Herr und Diener die Nacht. Als aber Sancho bemerkte, daß der Morgen mit starken Schritten herankomme, schnürte er Rosinante mit größter Behutsamkeit los und band sich die Hosen fest. Wie Rosinante sich frei sah, schien er, wenn er auch von Hause aus keineswegs feurig war, sich doch einmal zu fühlen und stampfte etlichemal mit den Vorderfüßen, denn aufs Kurbettieren – er möge es nicht übelnehmen –, darauf verstand er sich nicht. Wie nun Don Quijote sah, daß Rosinante sich wieder rührte, hielt er es für ein gutes Zeichen, und zwar für das Zeichen, daß er sich an jenes erschreckliche Abenteuer wagen solle.

Inzwischen hatte die Morgenröte ihr Antlitz völlig entschleiert, die Gegenstände wurden deutlicher, und Don Quijote sah, daß er sich unter hohen Kastanienbäumen befand, die einen sehr dunkeln Schatten warfen. Er hörte auch, daß das Stampfen nicht nachließ, aber er sah nicht, wer es veranlassen mochte, und so, ohne längeres Zögern, ließ er Rosinante die Sporen fühlen, und indem er nochmals von Sancho Abschied nahm, gebot er ihm, drei Tage höchstens seiner hier zu warten, wie er es ihm schon früher gesagt; und wenn er mit Schluß dieser Frist nicht zurückgekehrt sei, so möge er es als gewiß annehmen, es habe Gott beliebt, daß bei diesem gefahrvollen Abenteuer seine Tage zu Ende kommen sollten. Er wiederholte ihm die Meldung und Botschaft, die er von ihm seiner Herrin Dulcinea überbringen sollte; und bezüglich des Lohns für seine Dienste möge er keine Sorge haben, denn er habe, bevor er aus seinem Dorfe geschieden, sein Testament fertig hinterlassen, in dem Sancho sich für alles, was seinen Lohn betreffe, im Verhältnis zu seiner Dienstzeit befriedigt finden werde. Wenn aber Gott ihn aus dieser Gefahr heil und gesund und ohne Schädigung hervorgehen lasse, so könne er auf die versprochene Insul sicherer als sicher rechnen.

Aufs neue fing Sancho zu weinen an, als er aufs neue die betrübsamen Worte seines guten Gebieters vernahm, und entschloß sich, ihn bis zum letzten Ausgang und Ende dieses Handels nicht zu verlassen. (Aus Sanchos Tränen und so ehrenhaftem Entschluß folgert der Verfasser dieser Geschichte, er müsse von guter Art und altchristlichem Geblüt gewesen sein.)

Diese Gesinnungen rührten seinen Herrn einigermaßen, doch nicht so sehr, daß er irgend Schwäche gezeigt hätte; vielmehr sein Gefühl, so gut er konnte, verhehlend, schlug er den Weg nach der Gegend ein, woher das Getöse des Wassers und des Stampfens zu kommen schien. Sancho folgte ihm zu Fuß und führte, wie er zur Gewohnheit hatte, an der Halfter seinen Esel, den ewigen Genossen seiner glücklichen und unglücklichen Schicksale.

Als sie ein gut Stück Weges unter diesen Kastanienbäumen und schattigen Wipfeln zurückgelegt, gelangten sie auf einen kleinen Wiesenrain am Fuße hoher Felsen, von denen ein mächtiger Schwall Wassers herniederstürzte. Am Fuße der Felsen standen etliche schlecht aussehende Hütten, die eher Trümmer von Gebäuden als Häuser schienen, und sie hörten nun, daß aus deren Mitte das Gelärm und Getöse jenes Stampfens hervorscholl, das noch immer nicht aufhörte. Vor dem Tosen des Wassers und des Stampfens scheute Rosinante, und indem Don Quijote ihn beruhigte, ritt er Schritt vor Schritt zu den Häusern hin, wobei er sich seiner Gebieterin von ganzem Herzen empfahl und sie anflehte, ihm bei dieser erschrecklichen Kriegsfahrt und Rittertat beizustehen, und dabei sich auch Gott empfahl, daß er sein nicht vergesse. Sancho wich ihm nicht von der Seite und streckte zwischen Rosinantes Beinen den Hals und das Gesicht vor, soviel wie möglich, um zu sehen, ob er endlich entdecken könne, was ihn so in Spannung und Ängsten hielt.

Noch weitere hundert Schritte mochten sie zurückgelegt haben, da zeigte sich ihnen beim Umbiegen um eine Ecke unverdeckt und offenbar die eigentliche Ursache – eine andre konnte es nicht sein – jenes grausig schallenden und ihnen so entsetzlichen Getöses, das sie die ganze Nacht so in Spannung und Furcht gehalten; und es waren – wenn es dir, o Leser, nicht zum Verdruß und Ärgernis gereicht –, es waren sechs Stämpfel einer Walkmühle, die mit ihrem abwechselnden Auf- und Niederstoßen den Lärm verursachten.

Als Don Quijote sah, was es war, verstummte er und ward starr von oben bis unten. Sancho schaute ihn an und sah, daß er den Kopf auf die Brust hängen ließ, was deutlich verriet, daß er sich beschämt fühlte. Auch Don Quijote schaute seinen Knappen an und sah, daß er die Backen aufgeblasen und den Mund zum Lachen verzogen hatte, mit unverkennbarem Anzeichen, daß er herausplatzen wolle; und sein Trübsinn vermochte doch nicht so viel über ihn, daß er beim Anblick Sanchos das Lachen hätte unterdrücken können. Wie aber Sancho bemerkte, daß sein Herr den Anfang gemacht hatte, ließ er sich freien Lauf, so unaufhaltsam, daß er sich mit beiden Fäusten die Seiten halten mußte, um nicht vor Lachen zu bersten. Vielmal hielt er inne, und ebenso vielmal brach er wieder so gewaltsam wie zu Anfang in Lachen aus. Schon hierüber war Don Quijote des Teufels; aber es kam noch ärger, als er Sancho wie zum Hohn sagen hörte: »Du mußt wissen, Freund Sancho, daß ich durch des Himmels Fügung in diesem eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in demselben das Goldne zur Auferstehung zu wecken; ich bin der, dem die Gefahren, die Großtaten, die Werke des Heldentums vorbehalten sind.«

Und so wiederholte er nacheinander die sämtlichen oder doch die meisten Worte, die Don Quijote das erstemal, als sie das erschreckliche Stampfen hörten, gesprochen hatte.

Als nun Don Quijote sah, daß Sancho sich über ihn lustig machte, verdroß und erzürnte es ihn dermaßen, daß er seinen Spieß erhub und seinem Knappen zwei solche Schläge versetzte, daß, wenn dieser sie so, wie er sie auf den Rücken bekam, auf den Kopf bekommen hätte, der Ritter von der Verpflichtung, den Lohn zu zahlen, befreit gewesen wäre, es müßte denn an dessen Erben sein. Als Sancho merkte, daß er für seinen Scherz so bösen Ernst einheimste, bekam er Angst, sein Herr möchte darin noch weitergehen, und sprach mit großer Demut: »So beruhigt Euch doch, gnädiger Herre, ich machte bei Gott nur Spaß.«

»So?« antwortete Don Quijote, »wenn Er Spaß macht, ich spaße nicht. Komm Er mal her, Bruder Lustig; meint Er etwa, wenn dies nicht Stampfel einer Walkmühle gewesen wären, sondern sonst ein gefahrvolles Abenteuer, ich hätte nicht den Mut bewiesen, der zur Unternehmung und Vollführung eines solchen gehört? Bin ich als Ritter etwa verpflichtet, die Töne zu kennen und zu unterscheiden und zu wissen, welche von einer Walkmühle herrühren und welche nicht? Zumal es auch sein könnte, und es ist so in der Tat, daß ich in meinem Leben keine gesehen habe, während Er sie wohl gesehen haben muß als ein schlechter Bauer, der Er ist, inmitten derselben geboren und erzogen. Andernfalls mache Er doch einmal, daß diese sechs Stämpfel sich in sechs Riesen verwandeln, und stelle sie mir vors Gesicht, einen nach dem andern oder alle zusammen, und wenn ich sie nicht alle niederwerfe, daß sie die Pfoten in die Luft hinaufstrecken, dann mache Er sich lustig über mich nach Belieben.«

»Laßt genug sein, Herre mein«, versetzte Sancho, »ich bekenne ja, daß ich im Scherze zu weit gegangen bin. Aber sagt mir doch jetzt, wo wir wieder gut miteinander sind, so wahr soll Euch Gott aus allen Abenteuern, die Euch aufstoßen, so heil und gesund heraushelfen, wie er Euch aus diesem geholfen: war’s nicht zum Lachen und ist’s nicht zum Lachen, wenn man es erzählt, wie große Angst wir hatten? Wenigstens wie ich meinesteils hatte; denn von Euer Gnaden weiß ich ja, Ihr kennt keine, Ihr wißt nicht, was Furcht und Schrecken ist.«

»Ich stelle nicht in Abrede«, entgegnete Don Quijote, »was uns begegnete, ist lachenswert; aber es ist nicht des Erzählens wert; denn nicht jedermann hat so viel Verstand, um eine Sache am richtigen Ende anzufassen.«

»Wenigstens«, versetzte Sancho, »verstanden Euer Gnaden Dero Spieß am richtigen Ende anzufassen und ihn mir richtig nach dem Kopf zu richten und mich freilich nur auf den Rücken zu treffen, Dank sei Gott und der hurtigen Vorsorge, mit der ich seitwärts auswich. Na ja, Ende gut, alles gut; und ich hab sagen hören, wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Zudem heißt es, wenn vornehme Herren einem Diener ein böses Wort gesagt haben, pflegen sie ihm gleich darauf ein Paar Hosen zu schenken; aber ich weiß nicht, was sie ihm zu schenken pflegen, wenn sie ihn mit Prügeln beschenkt haben, falls nicht etwa die fahrenden Ritter Insuln schenken oder auch Königreiche auf dem festen Lande.«

»Wohl könnten die Würfel so fallen«, sprach Don Quijote, »daß alles, was du sagst, am Ende zur Wirklichkeit würde. Jetzt entschuldige, was geschehen, da du verständig bist und weißt, daß der Mensch die ersten Regungen nicht in der Gewalt hat. Und habe du hinfüro acht auf eines, daß du dich im Zaume haltest und unterlassest, in dreister Weise mit mir zu sprechen; denn in den Ritterbüchern allen, die ich gelesen – und die sind zahllos –, habe ich nie gefunden, daß irgendwelcher Schildknappe so viel mit seinem Herrn gesprochen wie du mit dem deinigen; und in Wahrheit, ich rechne dies dir und mir für einen großen Fehler an: dir, insofern du mir geringe Ehrerbietung erweisest, mir, insofern ich mir nicht höhere Ehrerbietung erweisen lasse. War doch Gandalin, der Schildknappe des Amadís von Gallien, Graf von der Festland-Insel, und man liest von ihm, wenn er mit seinem Herrn sprach, hatte er immer die Mütze in der Hand und more turquesco den Kopf geneigt und den Körper gebückt. Und dann, was sollen wir von Gasabál, dem Schildknappen Don Galaors, sagen, der so schweigsam war, daß, um uns den hohen Grad seines wundersamen Stillschweigens klarzumachen, sein Name in jener so großartigen wie wahrhaften Geschichte nur ein einziges Mal genannt wird! Aus all dem, was ich gesagt, wirst du schließen, Sancho, daß es unerläßlich ist, zwischen Herrn und Knecht, Gebieter und Diener, Ritter und Knappen einen Unterschied zu machen. Sonach wollen wir von heut an einander fürderhin mit mehr Achtung behandeln und uns nicht foppen; denn in welcher Weise auch immer ich mich über Ihn erzürnen mag, so wird es für den irdenen Topf immer schlimm ausgehen. Die Gnadenerweise und Vergabungen, die ich Ihm versprochen, werden schon zu ihrer Zeit kommen, und wenn sie nicht kommen sollten, so wird wenigstens der Dienstlohn nicht verlorengehen, wie ich Ihm schon gesagt habe.«

»Alles das ist ganz gut, was Euer Gnaden sagt«, sprach Sancho, »aber ich möchte wissen – falls etwa die Zeit für die Gnadenbeweise nicht kommen sollte und es nötig würde, die Zeit des Dienstlohns in Betracht zu ziehen –, wieviel der Schildknappe eines fahrenden Ritters in jenen Zeiten verdiente und ob sie auf den Monat eins wurden oder auf den Tag, wie ein Handlanger beim Maurer.«

»Ich glaube nicht«, sagte Don Quijote, »daß die besagten Schildknappen jemals um Lohn dienten, sondern nur auf das Belieben ihrer Herren; und wenn ich dir nun in dem verschlossenen Testament, das ich in meinem Hause zurückließ, einen Lohn ausgesetzt habe, so geschah es in Voraussicht kommender Möglichkeiten, weil ich noch nicht weiß, wie in diesen unsern unglückseligen Zeiten das Rittertum sich bewährt, und ich nicht möchte, daß um Kleinigkeiten meine Seele in jener Welt Pein erlitte; denn in dieser, mußt du wissen, Sancho, gibt es ohnehin keinen gefahrvolleren Beruf als den der abenteuernden Ritter.«

»Allerdings ist dies wahr«, sprach Sancho, »sintemal schon das bloße Gelärm der Stämpfel einer Walkmühle das Herz eines fahrenden Abenteurers von solcher Tapferkeit wie Euer Gnaden in Unruhe und Bestürzung bringen konnte. Aber Ihr könnt vollständig sicher sein, daß ich von jetzt an meine Lippen nicht mehr auftun will, um über irgend etwas, das Euer Gnaden betrifft, mir einen Scherz zu erlauben, nein, sondern nur um Euch als meinen Gebieter und angebornen Herrn zu ehren.«

»Tue so«, erwiderte Don Quijote, »auf daß du lange lebest auf Erden; denn nach Vater und Mutter muß man die Dienstherren ehren, als ob sie die Eltern selbst wären.«

21. Kapitel

Welches von dem großartigen Abenteuer mit dem Helme Mambrins handelt und wie derselbige zur reichen Beute gewonnen ward, benebst anderem, was unserm unbesieglichen Ritter zustieß

Indem begann es ein wenig zu regnen, und Sancho hätte es gern gesehen, sie wären in die Walkmühle eingekehrt; aber gegen diese hatte Don Quijote wegen des Schimpfes und Spottes von vorher einen solchen Widerwillen, daß er sie durchaus nicht betreten wollte. Sie bogen daher nach rechts ab und gerieten auf einen andern Weg, als den sie tags zuvor eingeschlagen hatten. Bald darauf bekam Don Quijote einen Reiter zu Gesicht, der auf dem Kopfe ein Ding trug, das wie Gold glänzte, und kaum hatte er ihn erblickt, da wandte er sich zu Sancho und sprach: »Es will mich bedünken, Sancho, es gibt kein Sprichwort, das nicht die Wahrheit sagt; denn alle sind sie Sprüche, die aus der Erfahrung selbst, der Mutter aller Wissenschaften, entnommen sind, namentlich jenes, das da lautet: ›Wo eine Tür sich schließt, tut sich eine andre auf.‹ Ich sage dies deshalb: wenn das Glück diese Nacht uns seine Tür zuschloß, als wir es suchten und es uns mit den Mühlstämpfeln täuschte, so schließt es uns anjetzo eine andre weit auf zu einem andern, besseren, einem zweifelloseren Abenteuer, und wenn es mir nicht gelingt, durch diese Tür einzugehen, so wird die Schuld die meine sein, ohne daß ich sie auf meine geringe Kenntnis von Mühlstämpfeln oder auf die Dunkelheit der Nacht schieben darf. Und dies sag ich, weil, wenn ich mich nicht täusche, jemand auf uns zukommt, der den Helm des Mambrin auf dem Kopfe trägt, ob dessen ich den Schwur getan, den du kennst.«

»Bedenke Euer Gnaden ernstlich, was Ihr sagt, und noch ernstlicher, was Ihr tut«, sprach Sancho; »denn ich wünschte nicht, daß es wieder Mühlstämpfel wären, die uns den Verstand vollends zerstampften und zerschlügen.«

»Hol dich der Teufel, Mensch!« versetzte Don Quijote; »was hat der Helm mit Mühlstämpfeln zu tun?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Sancho, »aber, meiner Treu, dürfte ich so viel reden, wie ich sonst pflegte, vielleicht gab ich solche Gründe an, daß Euer Gnaden einsähen, wie Ihr in dem, was Ihr sagt, Euch geirrt habt.«

»Wie kann ich darin irren, du Treuloser voller Bedenklichkeiten?« sprach Don Quijote. »Siehst du nicht jenen Ritter, der auf einem Apfelschimmel uns entgegenkommt und einen goldenen Helm auf dem Haupte trägt?«

»Was ich sehe und erspähe«, entgegnete Sancho, »ist nichts andres als ein Mann auf einem Esel, dunkelgrau wie der meinige, der auf dem Kopfe etwas Glänzendes trägt.«

»Das ist eben der Helm des Mambrin«, sagte Don Quijote, »mach dich auf die Seite und laß mich allein mit ihm, da wirst du sehen, wie ich, ohne ein Wort zu reden, um Zeit zu ersparen, mit diesem Abenteuer zu Ende komme und der Helm mein wird, den ich so sehr ersehnt habe.«

»Mich auf die Seite machen, das will ich schon besorgen«, erwiderte Sancho, »aber Gott gebe, sag ich noch einmal, daß wir auf einen grünen Zweig kommen und nicht in die Walkmühle.«

»Ich habe Ihm schon gesagt, guter Freund, Er soll mir nicht mehr, nicht einmal in Gedanken, die Geschichte mit der Walkmühle erwähnen«, sprach Don Quijote, »sonst gelobe ich … Ich will jetzt nichts weiter sagen, aber ich walke Ihm die Seele aus dem Leibe.«

Sancho schwieg aus Furcht, sein Herr möchte das Gelöbnis in Ausführung bringen, das er ihm so mitten ins Gesicht geschleudert.

Es hatte aber mit dem von Don Quijote gesehenen Helm, Roß und Reiter folgende Bewandtnis:

In dieser Gegend befanden sich zwei Ortschaften, die eine so klein, daß sie weder Apotheke noch Barbier hatte, die andre, dicht dabeiliegende hingegen hatte beides, und so bediente der Barbier der größeren auch die kleinere. In der letzteren sollte ein Kranker zur Ader gelassen und einem andern der Bart geschoren werden, und deshalb kam der Barbier und hatte eine Bartschüssel von Messing bei sich. Das Schicksal wollte, daß es gerade zu regnen anfing, und damit sein Hut, der wohl neu sein mochte, keine Wasserflecken bekomme, stülpte er die Bartschüssel auf den Kopf, welche, weil sie sauber poliert war, eine halbe Meile weit glitzerte. Er ritt auf einem grauen Esel, wie Sancho gesagt hatte, und dies war der Anlaß, daß ein Apfelschimmel und ein Ritter und ein goldner Helm sich vor Don Quijotes Augen zeigten. Denn alles, was er sah, wußte er seinem wahnwitzigen Ritterwesen und seinen Phantasien von fahrenden Abenteurern, womit er so übel fuhr, mit großer Leichtigkeit anzupassen. Und als er sah, daß der arme Reiter näher kam, legte er den gesenkten Spieß ein, ohne sich in Worte mit ihm einzulassen, und sprengte im vollsten Lauf Rosinantes auf ihn zu in der Absicht, ihn durch und durch zu stoßen; und wie er ihn erreichte, rief er, ohne seinen rasenden Galopp zu mäßigen: »Verteidige dich, elendes Geschöpf, oder überantworte mir aus freien Stücken, was mir mit so großem Rechte gebührt.«

Der Barbier, der, ohne dergleichen irgendwie geahnt oder befürchtet zu haben, sah, wie diese Spukgestalt über ihn herstürzte, hatte kein andres Mittel, sich vor dem Lanzenstoß zu wahren, als von seinem Esel herabzugleiten, und kaum hatte er den Boden berührt, da sprang er flüchtiger als ein Hirsch wieder auf und begann über das Blachfeld zu rennen, daß ihn der Wind nicht eingeholt hätte. Er ließ die Bartschüssel am Boden liegen; mit dieser begnügte sich Don Quijote und sagte, der Heide habe klug gehandelt und den Biber nachgeahmt, der, wenn er sich von den Jägern heftig bedrängt sieht, sich mit den Zähnen dasjenige abbeißt und wegreißt, wegen dessen, wie sein angeborner Instinkt ihn belehrt, er verfolgt wird. Er befahl Sancho, den Helm aufzuheben; dieser nahm ihn in die Hand und sprach: »Bei Gott, die Barbierschüssel ist nicht übel und ist ihre acht Realen so gut wie einen Pfennig wert.«

Damit gab er sie seinem Herrn; der setzte sie gleich auf den Kopf, drehte sie von einer Seite auf die andre, suchte den unteren Verschluß und sprach, als er keinen daran fand: »Ohne Zweifel muß der Heide, nach dessen Maß dieser herrliche Turnierhelm ursprünglich geschmiedet worden, einen sehr großen Kopf gehabt haben, und das schlimmste ist, daß die untere Hälfte daran fehlt.«

Als Sancho die Barbierschüssel einen Turnierhelm nennen hörte, konnte er das Lachen nicht unterdrücken; aber es kam ihm die Zornmütigkeit seines Herrn in den Sinn, und er hielt mitten in seiner Heiterkeit inne.

»Worüber lachst du, Sancho?« fragte Don Quijote.

»Ich lache«, antwortete Sancho, »weil ich an den großen Kopf des Heiden denke, der diesen Helm besaß, welcher nichts anderm als einer Barbierschüssel aufs Haar gleichsieht.«

Don Quijote

»Weißt du, Sancho, wie ich es mir vorstelle? Daß dies herrliche Stück von dem gefeiten Helm durch irgendeinen merkwürdigen Zufall jemandem in die Hände gefallen ist, der seinen Wert nicht zu erkennen und nicht zu schätzen wußte. Jedoch in der Gewißheit, daß er vom feinsten Golde war, muß er, ohne zu ahnen, was er tat, die eine Hälfte eingeschmolzen haben, um sie zu Geld zu machen, und aus der andern Hälfte machte er, was den Anschein einer Barbierschüssel hat, wie du sagst. Doch sei dem, wie ihm wolle; mir, der ich den Helm kenne, macht seine Veränderung gar nichts aus; am ersten besten Ort, wo sich ein Schmied findet, will ich ihn so zurechtmachen lassen, daß ihm jener Helm nicht voranstehen, ja nicht gleichkommen soll, den der Gott der Schmiedekunst für den Gott der Schlachten gefertigt und geschmiedet hat. Mittlerweile werde ich ihn tragen, so gut es geht; denn etwas ist besser als nichts, zumal er jedenfalls hinreichen wird, mich vor einem Steinwurf zu schirmen.«

»Das«, sprach Sancho, »kann der Fall sein, wenn man nicht aus Schleudern wirft, wie es in der Schlacht zwischen den zwei Kriegsheeren geschah, wo sie Euer Gnaden auf die Backenzähne regneten und Euch das Krüglein zerbrachen, darin jener hochgebenedeite Trank war, der mich schier nötigte, die Eingeweide herauszubrechen.«

»Es tut mir nicht besonders leid, daß er mir abhanden gekommen«, sagte Don Quijote, »denn du weißt ja, Sancho, daß ich das Rezept dazu im Gedächtnis habe.«

»Auch ich hab’s im Gedächtnis«, erwiderte Sancho, »aber wenn ich ihn jemals im Leben bereite oder versuche, das soll meine letzte Stunde sein; besonders da ich nicht gedenke, mich in Gelegenheiten einzulassen, wo ich ihn nötig haben könnte, vielmehr mit all meinen fünf Sinnen darauf achthaben und mich hüten will, daß ich Wunden weder schlage noch geschlagen bekomme. Ob ich etwa noch einmal gewippt werde, davon will ich nicht reden; denn vor dergleichen Unfällen kann man sich nicht gut wahren; und wenn sie eintreffen, läßt sich nichts tun, als die Schultern an den Kopf zu ziehen, den Atem an sich zu halten, die Augen zu schließen und sich gehn zu lassen, wohin das Schicksal und die Bettdecke uns schleudern will.«

»Du bist ein schlechter Christ, Sancho«, sprach Don Quijote, als er das hörte, »denn du vergissest nimmer die Kränkung, die man dir einmal angetan. Aber wisse, daß es die Art edler, großmütiger Herzen ist, Kindereien unbeachtet zu lassen. Welchen Fuß hat man dir gelähmt, welche Rippe dir zerbrochen, wo den Kopf dir zerschlagen, daß du den Possen, den man dir gespielt, nicht vergessen kannst? Denn alles wohl erwogen, war es doch nur Scherz und Zeitvertreib; und wenn ich es nicht dafür ansähe, wäre ich längst dorthin zurückgekehrt und hätte zur Rache für dich mehr Unheil angerichtet als die Griechen um der geraubten Helena willen, welche, wenn sie in der jetzigen Zeit oder meine Dulcinea in jener gelebt hätte, sicher gewesen wäre, keinen so großen Ruf der Schönheit zu erlangen, als sie besitzt.«

Und hierbei stieß er Seufzer bis hoch in die Wolken aus.

Und Sancho sprach: »So mag’s denn für Scherz hingehn, da aus der Rache doch kein Ernst werden kann. Aber ich weiß, wie der Ernst und wie der Scherz beschaffen war, und ich weiß auch, daß er niemals meinem Gedächtnis entschwinden wird, geradeso, wie man ihn niemals meinem Rücken wieder abnehmen kann.

Indes, lassen wir das beiseite und sagt mir, was wir mit diesem Apfelschimmel anfangen sollen, der wie ein grauer Esel aussieht, den jener Martin, den Euer Gnaden niedergeworfen, hier herrenlos im Stich gelassen. Denn nach der Eile zu schließen, mit der jener sich aus dem Staube machte und das Hasenpanier ergriff, hat er keine Lust, ihn jemals wiederzuholen, und bei meinem Bart, der Graue ist ein tüchtiges Tier.«

»Nimmer bin ich dessen gewohnt«, entgegnete Don Quijote, »die ich besiege zu plündern, noch ist es Ritterbrauch, ihnen das Roß zu nehmen und sie zu Fuße ziehen zu lassen, wenn nicht etwa der Sieger das seine im Kampf eingebüßt hat; denn in solchem Fall ist es verstattet, das des Besiegten zu nehmen als in ehrlicher Fehde gewonnen. Sonach, Sancho, laß diesen Gaul oder Esel oder für was du ihn sonst ausgeben willst; denn sobald sein Herr uns von hier entfernt sieht, wird er zurückkehren, ihn zu holen.«

»Gott weiß«, entgegnete Sancho, »wie gern ich ihn mitnehmen oder wenigstens gegen den meinigen vertauschen möchte, der mir lange nicht so gut scheint. Wahrlich, streng sind die Gesetze des Rittertums, da sie nicht einmal so weit zu gehen verstatten, daß man einen Esel gegen einen andern vertausche. Ich möchte aber wissen, ob ich nicht wenigstens das Geschirr vertauschen darf.«

»Darin bin ich nicht ganz sicher«, antwortete Don Quijote, »und im Zweifelsfall, bis ich einmal eines Bessern belehrt bin, sage ich, daß du es vertauschen magst, sofern du dessen dringend benötigt bist.«

»So dringend bin ich dessen benötigt«, erwiderte Sancho, »daß, wenn das Eselsgeschirr meiner eignen Person dienen sollte, ich es nicht nötiger haben könnte.«

Und da er nun mit Berechtigung und Bestallung versehen war, nahm er alsogleich die mutatio capparum vor und putzte sein Tier aufs allerfeinste heraus, indem er es mit allen verfügbaren Vermögensteilen aus der Hinterlassenschaft des andern Esels bereicherte.

Dies vollbracht, frühstückten sie von den Überbleibseln, die sie aus dem Feldlager des Packesels erbeutet hatten. Sie tranken Wasser vom Bach der Walkmühle, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden, so großen Widerwillen hatten sie gegen selbige wegen der Angst, in die sie die Stämpfel versetzt hatten.

Nachdem dergestalt der Zorn und auch die Schwermut gänzlich abgetan waren, stiegen sie auf, und ohne einen bestimmten Weg einzuschlagen – weil es die Art der fahrenden Ritter ist, niemals eine bestimmte Richtung zu verfolgen –, ritten sie, wohin Rosinantes Belieben ging; denn dessen Willen zog stets den seines Herrn und auch den des Esels nach sich, welcher unverbrüchlich, wohin auch immer der Gaul voranschritt, ihm in redlicher Liebe und Brüderlichkeit folgte. Bei alledem gerieten sie wieder auf die Landstraße und zogen dieselbe entlang, aufs Geratewohl und ohne irgendeinen Plan.

Während sie so des Weges ritten, sprach Sancho zu seinem Herrn: »Señor, will mir Euer Gnaden die Vergünstigung zukommen lassen, daß ich eine kleine Zwiesprache mit Euch halte? Denn seit Ihr mir das harte Gebot des Stillschweigens auferlegtet, sind mir schon vier Gedanken und mehr im Magen verfault; und einen, den ich jetzt auf der Zungenspitze habe, den möchte ich nicht umkommen lassen.«

»Sag ihn her«, sprach Don Quijote, »und sei kurz in deinen Reden; denn keine ist angenehm, wenn sie weitschweifig ist.«

»Ich sage also, Señor«, versetzte Sancho, »seit einigen Tagen bis zum heutigen habe ich mir’s überlegt, wie wenig man dabei Gewinn und Nutzen hat, auf die Suche nach diesen Abenteuern zu gehn, die Euer Gnaden diese Einöden und Kreuzwege entlang sucht. Denn hier, wenn Ihr auch die allergefährlichsten siegreich besteht und zu Ende führt, ist niemand da, sie zu sehen und zu erfahren; und so müssen sie in ewigem Stillschweigen verbleiben, zum Nachteil Eurer Absicht und all dessen, was sie verdienen. Demnach wäre es meines Erachtens weit eher geraten, unvorgreiflich Eurer bessern Beurteilung, wir sollten hinziehn, irgendeinem Kaiser oder sonst einem großen Fürsten zu dienen, der da einen Krieg auf dem Hals hätte und in dessen Diensten Euer Gnaden die Mannhaftigkeit Eurer Person, Eure große Kraft und Euren Verstand, der noch größer ist, an den Tag legen kann; und sobald der Herr, dem wir alsdann dienen würden, dies alles ersehen hat, so muß er uns notwendig belohnen, jeglichen nach seinen Verdiensten. Und dort wird’s auch nicht an jemandem fehlen, der Eure Taten zum ewigen Gedächtnis schriftlich aufzeichnet. Von den meinigen sag ich nichts; denn die werden doch nicht über die Grenzen des Knappentums hinausgehn; obwohl ich sagen kann, wenn es in der Ritterschaft bräuchlich ist, Taten der Knappen zu beschreiben, so werden die meinigen auch nicht zwischen den Zeilen steckenbleiben.«

»Du sprichst nicht übel«, sagte Don Quijote. »Aber bevor man zu diesem Punkte kommt, ist es unerläßlich, durch die Welt zu streichen und gleichsam zur Beglaubigung seiner selbst auf Abenteuer zu ziehn, damit man, wenn etliche siegreich zu Ende geführt sind, einen solchen Namen und Ruf erlange, daß der Ritter, wenn er sich an den Hof irgendeines großen Monarchen begibt, schon durch seine Werke bekannt ist. Und kaum haben ihn dann die jungen Burschen durchs Stadttor einreiten gesehen, so laufen sie hinter ihm und um ihn her und schreien überall: Das ist der Ritter von der Sonne oder von der Schlange oder von sonst einem Abzeichen, unter dem er große Taten vollbracht hat. Das ist er, werden sie sagen, der im Kampfe Mann gegen Mann den Riesen Brocabruno, den Helden von großer Kraft, besiegt hat, der den Groß-Mamelucken von Persien aus der langen Verzauberung entzaubert hat, in der er schier neunhundert Jahre lag. So wird man vom einen zum andern seine Taten auszurufen gehn, und bei dem Lärm der Jungen und des andern Volkes wird sich der König jenes Reichs an den Fenstern seines königlichen Palastes zeigen, und sobald er den Ritter erblickt, wird er ihn an seiner Rüstung oder an dem Abzeichen auf seinem Schilde erkennen und notwendig rufen müssen: Auf, auf, hinaus, ihr meine Ritter, alle, die an meinem Hofe weilen, um die Blume der Ritterschaft, die da herannaht, zu begrüßen! Auf dieses Gebot werden alle hinauseilen, und der König wird bis zur Mitte der Treppe hinabschreiten und wird ihn innigst umarmen und wird ihn willkommen heißen mit einem Kuß aufs Angesicht. Dann führt er ihn sogleich an der Hand ins Gemach der Frau Königin, allwo der Ritter sie mit ihrer Prinzessin Tochter findet, welche notwendig eine der allerschönsten und vollendetsten Jungfrauen ist, die man weit und breit in den bis jetzt entdeckten Landen des Erdenrundes nur irgend mit harter Mühe aufzufinden vermöchte. Hierauf geschieht es unverzüglich, daß sie die Augen auf ihn wendet und er die seinigen auf sie, und jedes von beiden deucht dem andern eher etwas Göttliches als Irdisches, und ohne zu wissen, wie oder wieso, finden sie sich gefangen und verstrickt in das unlösliche Liebesnetz und in großen Herzensnöten, weil sie keine Mittel wissen, einander zu sprechen, um ihre Qualen und Gefühle zu offenbaren.

Von da wird man ihn ohne Zweifel in ein andres reich ausgeschmücktes Gemach des Palastes führen, wo man ihm die Waffen abnimmt und einen kostbaren Scharlachmantel zum Umlegen bringt, und wenn er in Waffen stattlich aussah, so erscheint er ebenso, ja noch stattlicher im ritterlichen Wams. Der Abend kommt, er speist mit König, Königin und Prinzessin; er wendet seine Augen nicht von ihr ab, er blickt sie verstohlen an, den Umstehenden unbemerkt, und sie tut dasselbe mit derselben Vorsicht, denn, wie gesagt, sie ist ein äußerst kluges Fräulein. Die Tafel wird aufgehoben, und plötzlich tritt zur Tür des Saales ein häßlicher, winziger Zwerg herein und hinter ihm zwischen zwei Riesen eine holdselige Dame, welche den Anwesenden ein gewisses Abenteuer mitteilt, das ein Zauberer in uralter Zeit angelegt hat, und wer es glücklich besteht, wird für den besten Ritter auf Erden erachtet werden. Sogleich gebeut der König allen, die zugegen, sich an dem Abenteuer zu versuchen. Aber keiner bringt es zum Ende und Abschluß außer dem fremden Ritter zu seines Ruhmes sonderlichem Frommen. Darob ist die Prinzessin hochvergnügt und erachtet sich beglückt und über alles Maß dafür belohnt, daß sie ihre Gedanken einem so hohen Ziele zugewendet und hingegeben hat. Das beste dabei ist, daß dieser König oder Fürst, oder was er sonst ist, einen äußerst hartnäckigen Krieg mit einem andern, ebenso mächtigen Herrn wie er zu führen hat, und der fremde Ritter, nachdem er ein paar Tage am Hof gewesen, bittet ihn um die Vergünstigung, ihm in dem besagten Krieg seine Dienste zu widmen. Der König gewährt sie ihm mit bereitwilliger Freundlichkeit, und der Ritter küßt ihm die Hand für die Gnade, so er ihm erweist.

In derselbigen Nacht verabschiedet er sich von seiner Gebieterin, der Prinzessin, im Garten, auf den ihr Schlafgemach geht, am Fenstergitter, wo er schon gar manchmal mit ihr gesprochen, wobei stets eine Zofe, die der Prinzessin großes Vertrauen besitzt, die Vermittlerin und Mitwisserin war. Er seufzt, sie fällt in Ohnmacht, die Zofe bringt Wasser, ist auch sehr bekümmert, weil der Morgen kommt und sie nicht möchte, daß sie entdeckt würden, um der Ehre ihrer Herrin willen. Zuletzt kommt die Prinzessin wieder zu sich und reicht durchs Gitter hindurch ihre weißen Hände dem Ritter. Der küßt sie tausend- und aber tausendmal und badet sie in seinen Tränen. Es wird unter beiden verabredet, auf welche Art sie sich ihre guten oder schlimmen Schicksale zu wissen tun wollen, und die Prinzessin bittet ihn, ja nur so kurz wie möglich auszubleiben. Er verheißt es ihr mit vielen Eidschwüren; er küßt ihr abermals die Hände und entfernt sich mit so vielem Schmerzgefühl, daß es ihn fast das Leben kostet.

Von hier aus geht er in sein Gemach, wirft sich aufs Bett, kann vor Schmerz ob seines Scheidens nicht schlafen, steht sehr früh am Morgen auf, geht, sich von König und Königin und Prinzessin zu verabschieden; er hört, nachdem er den beiden ersten Lebewohl gesagt, die Tochter Prinzessin sei unwohl und könne keinen Besuch empfangen. Der Ritter vermutet, der Schmerz ob seines Scheidens sei die Ursache. Das durchbohrt ihm das Herz, und wenig fehlt, daß er deutliche Zeichen seines Kummers gäbe. Die Zofe, die Vermittlerin, ist zugegen, sie merkt sich alles, geht und sagt es ihrer Herrin, die sie mit Tränen empfängt und ihr sagt: eine ihrer größten Kümmernisse sei, daß sie nicht wisse, wer ihr Ritter ist und ob er von königlichem Geschlecht ist oder nicht. Die Zofe versichert, solche Feinheit des Benehmens, solcher Adel der Sitte und solche Tapferkeit wie die ihres Ritters fänden sich nur bei einem Mann von ehrenreicher und königlicher Art. Die bekümmerte Prinzessin findet darin Trost und ist auch bestrebt, getröstet zu erscheinen, um sich bei ihren Eltern nicht in Verdacht zu bringen; und zwei Tage darauf zeigt sie sich wieder öffentlich.

Schon ist der Ritter von dannen gezogen, er kämpft im Kriege, besiegt den Feind des Königs, gewinnt viele Städte, triumphiert in vielen Schlachten. Er kehrt an den Hof zurück, sieht seine Gebieterin am gewohnten Fenstergitter, es wird verabredet, daß er sie zum Lohne seiner Dienste von ihrem Vater zur Gattin begehre. Der König will sie ihm nicht geben, weil er nicht weiß, wer der Ritter ist. Aber trotz alledem, ob sie nun entführt wird oder ob es auf irgendeine andre Weise geschieht, wird die Prinzessin am Ende seine Gattin, und am Ende muß ihr Vater es noch für ein großes Glück erachten. Denn am Ende kommt es an den Tag, selbiger Ritter ist der Sohn eines gewaltigen Königs, von welchem Reiche, weiß ich nicht; denn ich glaube, es wird wohl auf der Karte nicht zu finden sein. Der Vater der Prinzessin stirbt, sie erbt alles, kurz und gut, der Ritter wird König. Hier kommt es nun gleich zu den Gnadenerweisen für den Knappen und für alle, die ihm geholfen, zu einem so hohen Stand emporzugelangen; er verheiratet seinen Schildknappen mit einem Fräulein der Prinzessin, und ohne Zweifel wird dies die Zofe sein, die bei seinem Liebeshandel die Vermittlerin abgab, und sie ist die Tochter eines sehr hochgestellten Herzogs.«

»So will ich’s haben, und ehrlich Spiel!« sagte Sancho, »daran halte ich mich; denn alles muß bei Euer Gnaden, der Ihr Euch den Ritter von der traurigen Gestalt nennet, buchstäblich so eintreffen.«

»Zweifle nicht daran«, erwiderte Don Quijote; »denn auf dieselbe Weise und ganz mit demselben Verlauf der Dinge, wie ich dir dieses erzählt habe, stiegen und steigen noch die fahrenden Ritter empor zum Range von Königen und Kaisern. Jetzt fehlt nur noch, uns umzuschauen, welcher König unter Christen oder Heiden Krieg und eine schöne Tochter hat; aber wir haben Zeit, das zu bedenken, weil, wie ich dir gesagt, man erst Ruhm anderwärts erlangen muß, bevor man an den Hof geht. Auch mangelt mir noch etwas andres; denn gesetzt den Fall, es fände sich ein König mit Krieg und einer schönen Tochter und ich hätte unglaublichen Ruhm im ganzen Weltall erworben, so weiß ich doch nicht, wie es sich finden könnte, daß ich von königlichem Geschlecht oder zum wenigsten eines Kaisers Vetter im zweiten Grad wäre. Denn der König wird mir seine Tochter nicht zum Weibe geben wollen, wenn er dies nicht erst vollständig in Erfahrung gebracht hat, wie sehr auch immer meine Taten es verdienen, so daß ich um dieses Mangels willen fürchte zu verlieren, was mein Arm wohl verdient hat. Freilich bin ich ein Edelmann von anerkanntem Freigeschlecht, ein Mann von Vermögen und Grundeigentum, ein Mann, gegen den jeder Frevel gesetzlich mit fünfhundert Dukaten gebüßt wird; und es könnte sein, daß der Zauberer, der meine Geschichte schreibt, meine Verwandtschaft und Abstammung so gut ermittelte, daß ich mich zuletzt als eines Königs Urenkel oder Ururenkel herausstellte.

Denn ich muß dir zu wissen tun, Sancho, es gibt zweierlei Art von Familien und Geschlechtern auf der Welt; die eine Art entnimmt und leitet ihre Abstammung von Fürsten und Monarchen, und die Zeit hat sie nach und nach zunichte gemacht, und sie endigen in einer Spitze gleich einer Pyramide; die andre hat ihren Ursprung von geringen Leuten gehabt und steigt von Stufe zu Stufe, bis ihre Abkömmlinge zuletzt zu großen Herren werden. Sonach ist der Unterschied, daß die einen waren, was sie nicht mehr sind, und die andern sind, was sie vorher nicht waren; und ich könnte ja zu den letzteren gehören, so daß nach gründlicher Erforschung mein Ursprung vornehm und ruhmreich gewesen wäre, womit sich der König, der mein Schwiegervater werden soll, zufriedengeben müßte. Und wenn nicht, muß mich die Prinzessin so heiß lieben; daß sie trotz ihrem Vater, wenn sie auch klärlich wissen sollte, ich sei eines Wasserträgers Sohn, mich zu ihrem Herrn und Gemahl annehmen wird; und wo nicht, so tritt hier der Fall ein, daß ich sie entführe und sie hinbringe, wohin es mich gerade gelüstet, und die Zeit oder der Tod wird dem Zürnen ihrer Eltern ein Ende machen.«

»Hier tritt dann wohl auch der Fall ein«, sagte Sancho, »wovon etliche Gottlose so reden: Erbitte nicht gütlich, was du mit Gewalt nehmen kannst. Zwar noch besser paßt es, zu sagen: Besser frei streifen durch Wald und Auen, als auf edle Fürbitten bauen. Ich meine nämlich, wenn der Herr König, Euer Gnaden Schwiegervater, sich nicht erweichen lassen will, Euch unsre erlauchte Prinzessin hinzugeben, so ist nichts andres zu tun, als, wie Euer Gnaden sagt, sie zu entführen und sie anderswohin zu bringen. Aber das Schlimme dabei ist, mittlerweile, bis Friede gemacht wird und das Königreich in Frieden genossen werden kann, so lange mag der arme Schildknappe in betreff der Gnadenerweise vor Jammer und Not vergehen, falls nicht etwa die Jungfrau Vermittlerin, die seine Frau werden soll, mit der Prinzessin von dannen zieht und er die Zeit seines Unglücks mit ihr zubringt, bis der Himmel andres über ihn verhängt; denn ich denke, sein Herr kann sie ihm auch auf der Stelle zur rechtmäßigen Gattin geben.«

»Das kann keiner verwehren«, sprach Don Quijote.

»Demnach, wenn es so geschehen kann«, erwiderte Sancho, »so bleibt nichts übrig, als uns Gott zu befehlen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen und abzuwarten, wohin es die Dinge leiten mag.«

»Gott füge das so«, versetzte Don Quijote, »wie ich es wünsche und du es nötig hast, Sancho; und wer sich für einen Lumpen hält, der mag eben ein Lump bleiben.«

»So soll es sein, bei Gott«, sprach Sancho. »Ich aber bin ein Christ von altem Blut, und um ein Graf zu werden, ist mir das genug.«

»Genug und mehr als genug«, sprach Don Quijote; »und wärest du es sogar nicht, so tät es auch nichts zur Sache; denn wenn ich König bin, kann ich dir den Adel verleihen, ohne daß du ihn kaufst oder mir irgend Dienste dafür leistest. Und habe ich dich zum Grafen gemacht, sieh, da bist du von selbst ein Ritter, und die Leute mögen reden, was sie wollen, sie müssen dennoch, so hart es ihnen ankommt, dich mit dem Titel Euer Gnaden anreden.«

»Und soll mich der und jener«, sprach Sancho, »wie will ich meinen Kittel zu Ansehen bringen!«

»Titel mußt du sagen, nicht Kittel«, bemerkte Don Quijote.

»Mag sein«, entgegnete Sancho, »ich sage, ich will es schon recht machen. Denn so wahr ich lebe, ich bin eine Zeitlang Pedell bei einer Brüderschaft gewesen, und der Pedellenrock stand mir so gut, daß alle Leute sagten, ich sähe ganz danach aus, um der Obere selbiger Brüderschaft werden zu können. Wie erst dann, wenn ich mir einen langen Herzogsrock um die Schultern hänge oder mich nach fremder Grafen Brauch in Gold und Perlen kleide? Gewiß kommen die Leute hundert Meilen weit her, mich zu sehen.«

»Gut aussehen wirst du jedenfalls«, sprach Don Quijote, »aber du wirst dir den Bart öfter scheren lassen müssen; denn wie du ihn jetzt trägst, dicht, struppig und unordentlich, wenn du ihn nicht alle zwei Tage mindestens mit dem Schermesser kürzest, sieht man auf einen Büchsenschuß weit, was du bist.«

»Was ist denn da weiter«, entgegnete Sancho, »als daß ich einen Barbier nehme und ihn mit Wochenlohn im Haus halte? Und sollte es nötig sein, so lasse ich ihn hinter mir hertraben wie den Stallmeister eines Großen.«

»Ei, woher weißt du«, fragte Don Quijote, »daß die Großen ihre Stallmeister hinter sich hertraben lassen?«

»Ich will’s Euch sagen«, antwortete Sancho. »In früheren Jahren war ich einmal einen Monat lang in der Residenz, und da sah ich einen Herrn, der war sehr klein, und die Leute sagten, er sei sehr groß; und sah, wie hinter ihm ein Mann zu Pferde kam, ihm immer dicht nachfolgte, mochte er sich hierhin oder dorthin wenden, so daß es gerade aussah, als wäre er sein Schwanz. Ich fragte, warum der Mann nicht neben ihm reite, sondern immer hinter ihm her; da hieß es, das sei sein Stallmeister, und es sei bei den Großen der Brauch, solche hinterherreiten zu lassen. Seit der Zeit weiß ich es so gründlich, daß ich’s nie mehr vergessen habe.«

»Ich muß sagen, daß du recht hast«, sprach Don Quijote, »und daß du deinen Barbier ebenso mit dir nehmen kannst; denn die Bräuche sind nicht alle mit einemmal aufgekommen noch zugleich und zusammen erfunden worden, und du kannst der erste Graf sein, der seinen Barbier im Gefolge führt; und außerdem ist es eine Sache größeren Vertrauens, den Bart zu scheren, als ein Pferd zu satteln.«

»Die Sache mit dem Barbier mag mir anheimgestellt bleiben«, sagte Sancho, »und Euch, Herr Ritter, dafür zu sorgen, daß Ihr König werdet und mich zum Grafen macht.«

»So sei es«, antwortete Don Quijote; und wie er seine Augen aufhob, sah er, was im folgenden Kapitel gesagt werden soll.

16. Kapitel

Was dem sinnreichen Junker in der Schenke begegnete, die er für eine Burg hielt

Der Wirt, welcher Don Quijote quer über dem Esel liegen sah, fragte Sancho, was dem Mann fehle. Sancho antwortete ihm, es sei nichts, er habe nur einen Fall von einem Felsen getan und sich dabei den Rücken ein wenig gequetscht.

Der Wirt hatte eine Frau, die nicht des Charakters war wie sonst gewöhnlich die Leute dieses Gewerbes; denn sie war von Natur liebreich und mildtätig und hatte Mitgefühl mit dem Unglück ihrer Nebenmenschen. So kam sie denn gleich herbei, um des Ritters zu pflegen, und rief ihre Tochter, ein junges Mädchen von sehr hübschem Aussehen, ihr beim Verbinden ihres Gastes zu helfen.

In der Schenke diente auch eine Magd aus Asturien, breit von Angesicht, mit flachem Hinterkopf und stumpfer Nase; auf dem einen Auge war sie blind, mit dem andern sah sie nicht viel. Allerdings ersetzten die Reize ihrer Gestaltung die sonstigen Körperfehler; sie maß nicht ganz sieben viertel Ellen von den Füßen bis zum Kopf, und der Rücken, der sie ein bißchen schwer belastete, nötigte sie mehr, als ihr lieb war, zur Erde zu blicken. Diese liebliche Maid nun war der Tochter behilflich, und die beiden rüsteten dem Ritter ein elendes Bett auf einem Dachboden, der deutliche Spuren davon aufwies, daß er in früheren Zeiten lange Jahre hindurch als Strohspeicher gedient hatte. Daselbst hatte auch ein Maultiertreiber seine Schlafstätte; man hatte ihm sein Bett etwas entfernt von dem des Ritters aufgeschlagen, und obschon es nur aus den Sätteln und Decken seiner Saumtiere bestand, war es doch weit vorzüglicher als dasjenige Don Quijotes, welches nur auf zwei Bänken von ungleicher Höhe stand, vier ungehobelte Bretter hatte und darüber eine Matratze, die wie eine von Ratzen zernagte Matte aussah und dazu voller Knollen war, die man, wäre nicht durch ein paar Risse hindurch die Wolle zu sehen gewesen, beim Anfühlen für Kieselsteine halten mußte; ferner zwei Bettlaken wie aus dem steifen Leder eines Mohrenschilds und darüber eine Pferdedecke, deren Fäden man zählen konnte, ohne um einen in der Rechnung zu kurz zu kommen.

Auf dies verwünschte Bett nun legte sich Don Quijote, und alsbald bepflasterten ihn die Wirtin und ihre Tochter von oben bis unten, wobei ihnen Maritornes leuchtete, denn so hieß die Asturianerin; und als die Wirtin beim Auflegen der Pflaster Don Quijote so sehr mit Striemen bedeckt fand, meinte sie, das sehe mehr nach Schlägen aus als nach einem Fall.

»Schläge waren’s nicht«, sagte Sancho, »sondern der Felsen hatte viele Spitzen und viele Stellen zum Stolpern, und jede hat ihm ihren Striemen aufgemalt.« Und er fuhr fort: »Richtet’s doch so ein, Señora, daß etliche Scharpie übrigbleibt, es wird noch sonst einer da sein, der sie brauchen kann, denn auch mir tut es ein wenig im Kreuz weh.«

»Sonach«, entgegnete die Wirtin, »seid Ihr wohl auch gefallen?«

»Ich bin keineswegs gefallen«, sagte Sancho Pansa, »sondern von dem Schrecken, meinen Herrn fallen zu sehen, tut mir der ganze Körper so weh, daß es mir ist, als wären mir tausend Prügel und mehr aufgezählt worden.«

»Das kann wohl der Fall sein«, sagte die Haustochter, »denn auch mir ist’s oftmals vorgekommen, daß ich träumte, ich fiele von einem Turm herunter und fiele immer und käme nimmer unten auf dem Erdboden an, und daß ich, wenn ich dann vom Traum erwachte, mich so zerschlagen und abgemattet fand, als ob ich wirklich gefallen wäre.«

»Da eben liegt der Hase im Pfeffer, Frau Wirtin«, erwiderte Sancho Pansa; »denn ohne daß mir was träumte, vielmehr war ich so wach und wacher, als ich jetzt bin, hab ich kaum weniger Striemen auf meinen Körper bekommen als mein Herr Don Quijote.«

»Wie heißt der Herr?« fragte die Asturianerin Maritornes.

»Don Quijote von der Mancha«, antwortete Sancho Pansa, »und er ist ein abenteuernder Ritter und einer der besten und gewaltigsten, die man von langen Zeiten her bis jetzt in der Welt gesehen.«

»Was ist denn ein abenteuernder Ritter?« fragte die Magd weiter.

»Seid Ihr so neu in der Welt, daß Ihr das nicht wißt?« entgegnete Sancho Pansa. »So wisset denn, mein Kind, daß ein abenteuernder Ritter ein Ding ist, das im Handumdrehen Prügel bekommt und Kaiser wird; heut ist er das unglücklichste Geschöpf, das hilfsbedürftigste auf Erden, und morgen hat er zwei, drei Königskronen seinem Schildknappen zu vergeben.«

»Wie kommt’s also«, sagte hier die Wirtin, »da Ihr doch der Knappe dieses so trefflichen Herrn seid, daß Ihr nicht wenigstens eine Grafschaft irgendwo besitzet?«

»Dazu ist es noch zu früh«, antwortete Sancho, »denn es ist erst einen Monat her, seit wir auf die Suche nach Abenteuern gehen; und bis jetzt ist uns noch kein rechtes, echtes in den Wurf gekommen, und es gibt Fälle, wo man ein Ding sucht und ein anderes findet. Aber wahr ist’s, wenn Don Quijote, mein Herr, von seiner Wunde oder seinem Fall wieder genest und wenn ich nicht davon zum Krüppel werde, möchte ich meine Aussichten nicht gegen das vornehmste Rittergut in Spanien vertauschen.«

Bei dieser ganzen Unterhaltung war Don Quijote ein sehr aufmerksamer Zuhörer; und nun setzte er sich im Bette aufrecht, so gut er konnte, nahm die Wirtin bei der Hand und sprach zu ihr: »Glaubet mir, huldselige Herrin, Ihr könnt Euch glücklich preisen, daß Ihr in dieser Eurer Burg Herberge gegeben meiner Person, als welche so geeigenschaftet ist, daß ich selbst sie nur deshalb nicht lobe, weil, wie man zu sagen pflegt, Eigenlob stinkt, aber mein Knappe wird Euch sagen, wer ich bin. Ich sage Euch nur dies: ewig wird der Dienst, so mir von Euch getan worden, in meinem Gedächtnis eingeschrieben bleiben, auf daß ich Euch Dank dafür erweise, solang mir das Leben andauern mag. Und wollte der hohe Himmel, daß die Liebe mich nicht so unter ihre Gebote gebeugt und den Blicken jener schönen Undankbaren so Untertan gemacht hätte, die ich nur leise zwischen den Lippen nenne, dann wären jetzt die Augen dieses schönen Fräuleins die Herren meiner Freiheit.«

Die Wirtin und ihre Tochter und das gute Ding von Maritornes waren ganz verwirrt, als sie die Worte des fahrenden Ritters hörten, die sie geradeso verstanden, als hätte er Griechisch gesprochen, obschon sie doch so viel begriffen, daß alles auf Höflichkeiten und süße Redensarten hinauslief; und als Leute, die solcher Sprache nicht gewohnt waren, staunten sie ihn an und verwunderten sich und bewunderten ihn. Er dünkte sie ein ganz anderer Mann, als wie sie ihnen sonst vorkamen, sie dankten ihm für seine Höflichkeiten mit Worten aus dem Kneipenlexikon, verließen ihn dann, und die Asturianerin Maritornes verband Sancho, der es nicht weniger nötig hatte als sein Herr.

Der Maultiertreiber hatte sich mit der letzteren verabredet, sie wollten sich in dieser Nacht zusammen erlusten, und sie hatte ihm ihr Wort darauf gegeben, daß, sobald die Gäste zur Ruhe gegangen und ihre Herrschaft schliefe, sie ihn besuchen und ihm seine Wünsche in allem, was er von ihr begehre, befriedigen wolle. Und es wird von diesem wackern Mägdlein berichtet, daß sie ein derartiges Wort niemals gab, ohne es zu halten, selbst wenn sie es im dichten Wald und ohne Zeugen gegeben; denn sie war gar stolz auf ihren Adel, hielt es aber keineswegs für eine Schande, in der Schenke zu dienen, da, wie sie sagte, Unglück und traurige Lebensschicksale sie zu diesem niedern Beruf gebracht hätten.

Mitten in diesem Speicher, durch dessen Dach die Sterne schienen, stand zuerst das harte, enge, elende, vermaledeite Bett Don Quijotes, und nahe dabei hatte Sancho das seinige aufgeschlagen, das nur eine Matte von Schilf und eine Decke enthielt, welche sichtlich eher aus rauhem zerschlissenem Segeltuch als aus Wolle bestand. Nach diesen beiden Betten kam das des Maultiertreibers, hergerichtet, wie gesagt, aus den Saumsätteln und dem ganzen Aufputz seiner zwei besten Maulesel, deren er übrigens ein volles Dutzend hatte, alle mit glänzendem Fell, wohlgenährt und ganz vorzüglich. Denn er war einer der reichsten Säumer von Arévalo, wie der Verfasser dieser Geschichte berichtet, der seiner besondere Erwähnung tut, weil er ihn sehr gut kannte; man will sogar behaupten, er sei mit ihm weitläufig verwandt gewesen. Außerdem war Sich Hamét Benengelí ein sehr gründlicher und in allem genauer Geschichtsschreiber, und das läßt sich deutlich ersehen, da er die bis hierher erzählten Umstände, wiewohl so geringfügig und unbedeutend, nicht mit Stillschweigen übergehen wollte. Daran kann sich mancher wichtigtuende Geschichtsschreiber ein Beispiel nehmen, der uns die Tatsachen so verstümmelt und kurz zusammengefaßt berichtet, daß wir sie kaum mit den Lippen zu kosten bekommen; wobei die Autoren aus Sorglosigkeit oder böser Absicht oder Unwissenheit das Wesentliche des Werkes im Tintenfaß stecken lassen. Da sei doch der Verfasser des Tablante de Ricamonte tausendmal gepriesen, wie nicht minder der jenes Buches, worin die Taten des Grafen Tomillas erzählt werden; und mit welcher Genauigkeit beschrieben diese all und jedes!

Sonach berichte ich nun, daß der Maultiertreiber, sobald er nach seinen Tieren gesehen und ihnen das zweite Futter gereicht hatte, sich auf seine Saumsättel streckte, in Erwartung seiner allzeit pünktlichen Maritornes. Sancho lag bereits wohlbepflastert in seinem Bett, und obschon er sich Mühe gab zu schlafen, wollten es ihm doch seine Rückenschmerzen nicht gestatten, und Don Quijote mit den seinigen lag mit offenen Augen da wie ein Hase. Die ganze Schenke war in Schweigen versunken, und nirgends war in ihr ein Licht zu sehen als das einer Lampe, die mitten im Torweg hing. Diese wundersame Ruhe und die Gewohnheit unsres Ritters, stets an die Begebnisse zu denken, die die Bücher, die Urheber seines Unglücks, bei jedem Schritt und Tritt erzählen, erzeugte jetzt in seiner Phantasie eine der seltsamsten Tollheiten, die in der Tat dem Menschen einfallen können. Und zwar bildete er sich ein, er sei in eine herrliche Burg gekommen – denn wie gesagt, Burgen waren in seiner Meinung alle Schenken, wo er Herberge nahm – und die Tochter des Schenkwirts sei die des Burgherrn, die, besiegt von seiner anmutigen Art, sich in ihn verliebt und verheißen habe, diese Nacht hinter dem Rücken ihrer Eltern zu ihm zu kommen, um eine gute Weile bei ihm zu liegen. Indem er nun sogleich dieses Hirngespinst, das er sich selbst gewoben, für wirklich und wahr hielt, fing er an, ängstlich besorgt zu werden und an die arge Notlage zu denken, in der sich seine Sittsamkeit demnächst befinden würde, und er nahm sich in seinem Herzen vor, keinen Treubruch gegen seine Herrin Dulcinea von Toboso zu begehen, wenn selbst die Königin Ginevra mit ihrer Kammerfrau Quintañona ihm vor die Augen träte.

Wie er nun über dies tolle Zeug nachdachte, nahte sich Zeit und Stunde – für ihn eine Unglücksstunde! –, wo die Asturianerin kommen wollte. Im Hemd und barfuß, das Haar in eine Barchenthaube gebunden, mit leise-vorsichtigen Schritten trat sie in die Kammer, wo die drei übernachteten, um ihren Maultiertreiber zu suchen. Allein kaum nahte sie der Tür, als schon Don Quijote ihres Kommens inneward, sich ungeachtet seiner Pflaster, unter beständigen Rückenschmerzen, im Bett aufrecht setzte und die Arme ausstreckte, um in ihnen seine holdselige Jungfrau, die Asturianerin, zu empfangen, die, ganz in sich gebückt und schweigend, mit vorgehaltenen Händen hinschlich, um ihren Geliebten zu finden. Sie stieß gegen Don Quijotes Arme; er faßte sie mit aller Macht am Handgelenk, und indem er sie an sich zog, ohne daß sie ein Wort zu sprechen wagte, nötigte er sie, auf dem Bette niederzusitzen. Er befühlte ihr sogleich das Hemd, und obschon es von Packleinwand war, schien es ihm vom feinsten, zartesten Batist; um das Handgelenk trug sie Glaskügelchen, für ihn hatten sie den Schimmer kostbarer orientalischer Perlen; ihre Haare, die nach Roßhaar aussahen, stellte er sich vor als Fäden glänzenden Goldes aus Arabien, deren lichter Schein den der Sonne selbst verdunkle; und ihr Atem, der ohne Zweifel nach übernächtigem Fleischsalat roch, dünkte ihm so köstlich, als hauche sie aus ihrem Munde süßen, würzigen Duft aus. Kurz, er malte sie sich in seiner Einbildung ganz nach demselben Muster und Aussehen, wie er es in seinen Büchern von jener Prinzessin gelesen hatte, die, besiegt von Liebe, mit all ihrem Schmucke kam, wie es dort beschrieben ist, den wund geschlagenen Ritter zu besuchen. Und so blind war der arme Junker, daß weder das Befühlen noch der Atem noch alles sonstige, was das gute Fräulein an sich hatte und was jeden andern als einen Maultiertreiber zum Erbrechen gebracht hätte, ihn zu enttäuschen vermochte. Vielmehr deuchte es ihm, er habe die Göttin der Schönheit in den Armen, und sie eng umfaßt haltend, begann er mit leiser und von Liebe bewegter Stimme zu ihr zu sprechen: »Wohl möcht ich mich in der Lage befinden, huldselige, erhabene Herrin, eine solche Gunst vergelten zu können, wie Ihr mir sie mit dem Anblick Eurer huldseligen Schönheit zu erweisen geruht; aber dem Schicksal, das nimmer müde wird, die besten Männer zu verfolgen, hat es beliebt, mich auf das Bett hinzustrecken, wo ich so zerschlagen und zermalmt liege, daß, wenn ich auch die Neigung fühlte, Eurer Neigung zu entsprechen, es unmöglich wäre. Und überdies gesellt sich zu dieser Unmöglichkeit eine noch größere, nämlich, daß ich meine Treue der unvergleichlichen Dulcinea von Toboso, der einzigen Herrin meiner geheimsten Gedanken, verpfändet habe. Wenn dies nicht dazwischenträte, so würde ich kein so einfältiger Ritter sein, die glückliche Gelegenheit, die Eure große Güte mir bieten wollte, ungenutzt vorüberzulassen.«

Maritornes war voller Trübsal und schwitzte vor Angst, sich so von Don Quijote festgehalten zu sehen, und ohne seine Reden zu verstehen oder auch nur auf sie zu achten, suchte sie still und schweigsam sich von ihm loszumachen. Der gute Kerl von Maultiertreiber, den seine tugendlosen Begierden wachhielten, hatte seine Dirne im Augenblick, wo sie zur Tür hereintrat, gleich bemerkt und horchte gespannt auf alles, was Don Quijote sagte. Eifersüchtig, daß die Asturianerin ihm für einen andern das Wort gebrochen haben sollte, schlich er näher an des Ritters Bett heran und hielt sich ruhig, um zu erfahren, worauf diese Redensarten hinausgingen, die er nicht verstehen konnte. Als er aber sah, daß die Magd rang, um loszukommen, und Don Quijote sich abarbeitete, um sie festzuhalten, gefiel ihm der Spaß gar übel; er reckte den Arm hoch empor und ließ einen so furchtbaren Faustschlag herniederfahren auf die hagern Kinnbacken des verliebten Ritters, daß dessen Mund ganz im Blute schwamm; und damit noch nicht zufrieden, sprang er ihm auf die Rippen und stampfte mit den Füßen rascher, als wenn er im Trab liefe, von einer auf die andere, von der ersten bis zur letzten. Das Bett, etwas schwächlich und auf nicht sehr festen Grundlagen ruhend, konnte die hinzukommende Last des Säumers nicht aushalten und brach zusammen.

Von dem großen Lärm wachte der Wirt auf und kam gleich auf den Gedanken, es müßten das Händel sein, bei denen Maritornes beteiligt sei, weil sie, da er laut nach ihr gerufen, keine Antwort gab. Mit diesem Verdachte stand er auf, zündete ein Licht an und eilte dahin, wo er die Schlägerei gehört hatte.

Als die Magd ihren Herrn kommen sah und dessen fürchterliche Wut bemerkte, flüchtete sie in großer Angst und Aufregung ins Bett Sancho Pansas, der inzwischen eingeschlummert war und noch schlief, und kauerte sich da in einen Knäuel zusammen. Der Wirt kam mit den Worten herein: »Wo bist du, Metze? Gewiß ist das wieder einer von deinen Streichen!«

In diesem Augenblick erwachte Sancho, und da er den Klumpen fühlte, der schier auf ihm lag, dünkte es ihn, er habe das Alpdrücken, und er begann nach allen Seiten mit Fäusten um sich zu schlagen; und da er mit nicht wenigen von diesen Streichen auf Maritornes traf, so setzte diese in dem Schmerz, den sie fühlte, alle Scham beiseite und zahlte ihm das Empfangene mit so viel Schlägen heim, daß sie ihm zu seinem Ärger den Schlaf vollends vertrieb. Als er sich so mißhandelt sah und nicht einmal wußte, von wem, richtete er sich auf, so gut er’s vermochte, und umfaßte Maritornes, und es erhub sich zwischen den beiden das hartnäckigste und komischste Scharmützel der Welt.

Als jetzt der Maultiertreiber beim Lichte des Wirts sah, wie es seiner Dame erging, ließ er von Don Quijote ab und stürzte herzu, ihr den nötigen Beistand zu leisten. Der Wirt kam in gleicher Eile, aber in ganz anderer Absicht, denn er wollte die Magd züchtigen, da er nicht zweifelte, sie allein habe zu dieser ganzen Musik den Anlaß gegeben. Und wie man zu sagen pflegt: Hund auf Katze, Katze auf Ratze, Ratze tot auf dem Platze, so schlug der Maultiertreiber auf Sancho, Sancho auf die Magd, die Magd auf ihn, der Wirt auf die Magd, und immer ein Schlag nach dem andern, und alle setzten ihre Arbeit so eilig fort, daß keiner einen Augenblick ausruhen mochte. Das schönste bei der Sache war, daß dem Wirte das Licht verlöschte, und wie sie nun im Dunkeln blieben, schlugen sie aufs Geratewohl so unbarmherzig aufeinander los, daß sie, wo sie nur immer mit der Faust hintrafen, nirgends einen heilen Fleck ließen.

Zufällig war in der nämlichen Schenke ein Landreiter, einer von denen, die zur so betitelten alten Brüderschaft von Toledo gehören, diese Nacht eingekehrt. Als dieser nun gleichfalls das ungewöhnliche Getobe dieser Schlägerei hörte, griff er nach seinem Amtsstab und der blechernen Büchse mit seiner Bestallung darin und tappte im Dunkeln in die Kammer hinein mit den Worten: »Achtung vor der Justiz! Achtung vor der Heiligen Brüderschaft!«

Der erste, der ihm in den Wurf kam, war der schwer durchwalkte Don Quijote, der in seinem zusammengebrochenen Bette dalag, rücklings mit aufgesperrtem Munde, ohne Bewußtsein; und vor sich hintastend, faßte er ihn am Barte und hörte dabei nicht auf zu rufen: »Achtung vor der Justiz!« Da er aber sah, daß der Mann, den er festhielt, sich nicht regte noch bewegte, meinte er, derselbe sei tot und die in der Kammer Befindlichen seien seine Mörder, und in diesem Verdacht erhub er die Stimme noch lauter und rief: »Man schließe die Tür der Schenke, man gebe acht, daß keiner von dannen gehe; denn hier haben sie einen Menschen totgeschlagen!«

Dieses Wort setzte alle urplötzlich in Schrecken, und jeder ließ die Schlacht so ruhen, wie sie im Augenblicke stand, wo ihm die Stimme ins Ohr klang. Der Wirt zog sich in sein Gemach, der Maultiertreiber auf seine Saumsättel, die Dirne in die Mägdekammer zurück; nur Don Quijote und Sancho, die Unglückseligen, konnten sich nicht von der Stelle bewegen, wo sie lagen.

Jetzt ließ der Landreiter Don Quijotes Bart los und ging nach Licht hinaus, um nach den Verbrechern zu fahnden; aber er fand keines, weil der Wirt bei dem Rückzug nach seinem Zimmer absichtlich die Lampe ausgelöscht hatte. So sah er sich genötigt, den Küchenherd aufzusuchen, wo er denn mit Aufwand vieler Mühe und Zeit sich eine andre Lampe anzündete.

17. Kapitel

Weiterer Verlauf der unzähligen Drangsale, die der mannhafte Don Quijote und sein wackerer Schildknappe in der Schenke zu bestehen hatten, die der Ritter zu seinem Unglück für eine Burg ansah

Jetzt war Don Quijote aus seiner Betäubung wieder erwacht, und mit demselben Ton der Stimme, womit er tags zuvor seinem Knappen zugerufen, als er »dorten in dem Tal der Knüppel« niedergestreckt lag, begann er jetzt wieder: »Sancho, guter Freund, schläfst du? Freund Sancho, schläfst du?«

»Was soll ich schlafen, ich Ärmster!« antwortete Sancho voll Verdruß und Ärger; »ist es doch nicht anders, als hätten diese Nacht alle Teufel ihr Spiel mit mir getrieben.«

»Das darfst du wohl glauben, ohne Zweifel«, entgegnete Don Quijote; »denn entweder verstehe ich mich nicht darauf, oder diese Burg ist verzaubert; du mußt nämlich wissen … Doch was ich dir jetzt sagen will, das mußt du mir schwören bis nach meinem Tode geheimzuhalten.«

»Wohl, ich schwöre es«, erwiderte Sancho.

»Ich sage das«, versetzte Don Quijote, »weil es mir zuwider ist, daß irgend jemand an seiner Ehre geschädigt werde.«

»Ich sage ja, ich schwöre«, sprach Sancho abermals, »daß ich es bis zum Ende Eurer Tage geheimhalten will, und wollte Gott, ich könnte es schon morgen offenbaren.«

»Tu ich dir denn so viel Leides an«, entgegnete Don Quijote, »daß du mich in so kurzer Zeit tot sehen möchtest?«

»Ich sag es nicht von dessentwegen«, antwortete Sancho, »sondern weil es mir zuwider ist, die Sachen lange bei mir aufzuheben, und ich möchte sie mir nicht durch langes Aufbewahren verfaulen lassen.«

»Aus welchem Grunde auch immer du dein Versprechen hältst«, sagte Don Quijote, »ich verlasse mich immer am meisten auf deine Treue und Anständigkeit; und so sollst du denn erfahren, daß ein Abenteuer, eines der seltsamsten, die zu preisen mir je beschieden sein wird, diese Nacht mir begegnet ist. Und um dir es in Kürze zu erzählen, so sollst du wissen, daß vor wenigen Minuten die Tochter des Burgherrn hier zu mir gekommen, das reizendste, allerschönste Fräulein, das schier in allen Landen der Welt zu finden. Was könnte ich dir von der köstlichen Zier ihrer Person sagen? Was von ihrem herrlichen Geiste? Was von andern verborgenen Dingen, die ich, um meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso die ihr schuldige Treue zu wahren, unberührt und in Stillschweigen begraben lasse! Nur das will ich dir sagen: weil der Himmel neidisch auf ein so großes Glück war, das ein günstiges Schicksal mir in die Hand gegeben, oder weil vielleicht – und das ist wohl das sicherste! – diese Burg, wie gesagt, verzaubert ist – zur selben Zeit, wo ich mit ihr im süßesten, liebeglühendsten Gespräche war, da kam unsichtbar, und ohne daß ich wußte woher, eine Hand, die zu irgendwelchem Arm irgendwelches ungeheuren Riesen gehörte, und versetzte mir einen solchen Faustschlag auf die Kinnbacken, daß sie ganz in Blut gebadet sind; und darauf zerprügelte er mich derart, daß ich jetzt schlimmer dran bin denn gestern, als die Pferdetreiber wegen Rosinantes Dreistigkeit uns die bewußte Ungebühr antaten; woraus ich denn schließe, daß der Schatz der Huldseligkeit dieses Fräuleins in der Hut irgendeines verzauberten Mohren stehen und nicht mir bestimmt sein muß.«

»Auch mir nicht«, entgegnete Sancho, »denn mich haben mehr als vierhundert Mohren so durchgewalkt, daß die Prügelei mit den Knüppeln dagegen purer Kuchen und Zuckerbrot war. Aber sagt mir doch, hochedler Herr, wie benennt Ihr denn dies herrliche, rare Abenteuer, nachdem es uns so bekommen ist, wie hier zu schauen? Freilich Euch nicht so übel wie mir, da Ihr in Eure Arme jene unvergleichliche Schönheit bekamt, die Ihr beschrieben habt; aber ich, was bekam ich als die schwersten Prügel, die ich, glaub ich, je in meinem Leben erhalten kann? Wehe mir und der Mutter, die mich geboren! Ich bin kein fahrender Ritter und gedenke es nie zu werden, und in allen Fällen, wo wir übel fahren, bin immer ich’s, der am übelsten fährt!«

»Also auch du hast Prügel bekommen?« fragte Don Quijote.

»Wehe über meine ganze Sippschaft! Habe ich Euch nicht schon gesagt, daß dem so ist?« sprach Sancho.

»Mache dir darum keinen Kummer, Freund«, erwiderte Don Quijote, »denn ich will nunmehr den köstlichen Balsam bereiten, mittels dessen wir in einem Nu heil sein werden.«

In diesem Augenblick war endlich der Landreiter mit dem Anzünden seiner Lampe fertig geworden und kam herein, um sich nach dem Manne umzutun, den er für tot hielt; und sobald Sancho ihn hereinkommen sah und gewahrte, daß er im Hemde war, mit einem Tuch um den Kopf, die Lampe in der Hand und mit bitterböser Miene, fragte er seinen Herrn: »Ob das vielleicht der verzauberte Mohr ist, der noch einmal kommt, um uns Hiebe zu verabreichen, wenn er etliche noch auf Lager hat?«

»Der Mohr kann’s nicht sein«, antwortete Don Quijote, »denn die Verzauberten lassen sich von niemandem anschauen.«

»Wenn sie sich nicht schauen lassen, so lassen sie sich fühlen«, sagte Sancho; »wer nein sagt, dem kann mein Rücken davon erzählen.«

»Auch der meinige könnte das«, erwiderte Don Quijote; »aber es ist dies kein genügendes Merkzeichen, daß man ihn für den verzauberten Mohren halten sollte.«

Der Landreiter trat näher, und als er sie in so ruhiger Unterhaltung fand, blieb er ganz verdutzt stehen. Allerdings lag Don Quijote noch ausgestreckt auf dem Rücken, ohne sich bewegen zu können, so zerschlagen und mit Pflastern bedeckt war er. Der Landreiter fragte ihn: »Nun, wie geht’s, guter Junge?«

»Ich würde höflicher reden«, antwortete Don Quijote, »wenn ich du wäre; spricht man hierzulande so mit fahrenden Rittern, du Lümmel?«

Der Landreiter konnte es nicht ertragen, sich von einem so jämmerlich aussehenden Menschen so grob behandelt zu sehen; er hob die Lampe mit all ihrem Öl hoch empor und schleuderte sie Don Quijote ins Gesicht, so daß er ihm den Schädel gar übel zurichtete. Da alles nun im Dunkeln blieb, entfernte er sich auf der Stelle, und Sancho Pansa sagte: »Ohne Zweifel, Herr Ritter, ist dies der verzauberte Mohr, und er muß gewiß den Schatz für andre aufbewahren, und für uns bewahrt er nur Hiebe mit der Faust und Schmisse mit der Lampe.«

»So ist’s«, antwortete Don Quijote, »und man darf sich aus solchen Verzauberungs-Geschichten nicht viel machen, auch nicht sich darüber in Harnisch bringen oder ärgern lassen; denn da sie unsichtbar und bloße Phantome sind, würden wir doch keinen finden, an dem wir uns rächen könnten, so große Mühe wir uns auch darum gäben. Steh auf, Sancho, wenn du kannst, und rufe mir den Vogt dieser Burg und sorge dafür, daß ich etwas Öl, Wein, Salz und Rosmarin bekomme, um den heilsamen Balsam zu bereiten; in der Tat glaube ich, ich habe ihn jetzt sehr nötig; denn es dringt mir viel Blut aus der Wunde, die dies Gespenst mir geschlagen hat.«

Sancho erhob sich mit nicht geringem Schmerz in den Knochen und tappte im Dunkeln nach dem Zimmer des Wirts, und da er auf den Landreiter stieß, welcher lauschte, wie es mit seinem Gegner werden möchte, sprach er ihn mit den Worten an: »Lieber Herr, wer Ihr auch seid, erweist uns die Gnade und Wohltat, uns ein wenig Rosmarin, Öl, Salz und Wein zu geben; es ist dies nötig zur Medizin für einen der besten fahrenden Ritter auf Erden, welcher hier im Bette liegt, wund geschlagen von den Händen des verzauberten Mohren, der sich in dieser Schenke aufhält.«

Als der Landreiter solcherlei Dinge hörte, hielt er ihn für einen verrückten Menschen, und da es jetzt schon zu tagen begann, öffnete er die Tür der Schenke, rief den Wirt und sagte ihm, was der gute Kerl verlange. Der Wirt versah ihn mit allem, was er wünschte, und Sancho brachte es zu Don Quijote, der dasaß und sich mit beiden Händen den Kopf hielt und über den Schmerz vom Wurf der Lampe klagte, der ihm doch weiter nichts als ein paar hochgeschwollene Beulen geschlagen hatte; was er für Blut hielt, war nur Schweiß, den er in der Beängstigung des über ihn hereingebrochenen Unwetters vergoß. Indessen, er nahm seine Heilmittel, schüttete sie zusammen, mischte sie tüchtig und ließ sie eine gute Weile kochen, bis ihm deuchte, sie seien nun fertig zum Gebrauch. Dann verlangte er eine Flasche, um den Trank einzufüllen, und da es eine solche in der Schenke nicht gab, entschloß er sich, ihn in einen für Öl bestimmten Topf oder Krug von Blech zu gießen, den ihm der Wirt aus Gefälligkeit zum Geschenk machte; und dann betete er über den Krug an die achtzig Vaterunser, ebenso viele Ave-Maria, Salve Regina und Credo, und zu jedem Wort schlug er ein Kreuz wie beim Segensprechen. Bei alledem waren Sancho, der Wirt und der Landreiter zugegen; denn der Maultiertreiber hatte sich sachte davongemacht, da er auf die Versorgung seiner Tiere bedacht war. Wie alles fertig war, wollte Don Quijote sofort die treffliche Wirkung, die er sich von diesem köstlichen Balsam versprach, an sich selbst erproben, und so trank er von dem, was in den Krug nicht hineingegangen und nach dem Kochen im Topfe zurückgeblieben war, ungefähr einen halben Schoppen. Und kaum hatte er es hinuntergeschluckt, so fing er an, sich dermaßen zu erbrechen, daß ihm nichts im Magen blieb, und mit der Beklemmung und Anstrengung des Erbrechens kam ihm ein reichlicher Schweiß, weshalb er verlangte, man solle ihn warm zudecken und allein lassen. Es geschah also, er fiel in Schlummer und blieb darin über drei Stunden; und nach deren Verfluß erwachte er, am ganzen Körper erleichtert, und fühlte solche Besserung in seinen zerschlagenen Gliedern, daß er sich für genesen hielt und nun wirklich daran glaubte, daß er den Balsam des Fierabrás richtig und wirklich erlangt habe und mit diesem Heilmittel hinfüro sonder Furcht an alle Streithändel, Kämpfe und Schlachten gehen könne, so gefahrvoll sie auch seien.

Sancho Pansa, der die Besserung seines Herrn gleichfalls für ein Wunder hielt, bat sich aus, was im Kruge war, und das war nicht wenig. Don Quijote überließ es ihm, Sancho nahm den Krug mit beiden Händen, und mit starkem Glauben und noch stärkerer Begier setzte er die Lippen an und goß sich kaum weniger ein als vorher sein Herr.

Don Quijote

Nun war aber der Kasus dieser: der Magen des armen Sancho war ohne Zweifel nicht so reizbar wie der seines Herrn, und mithin, ehe es bei ihm zum Erbrechen kam, befielen ihn solche Beklemmungen und Übelkeiten mit so viel Angstschweiß und Ohnmächten, daß er ernstlich und wirklich glaubte, seine letzte Stunde sei da, und in seinem Jammer und Elend den Balsam verfluchte, samt dem Spitzbuben, der ihn ihm gegeben.

Als ihn Don Quijote in diesem Zustand sah, sprach er zu ihm: »Ich glaube, Sancho, all dies Leid kommt dir davon, daß du nicht zum Ritter geschlagen bist; denn ich bin der Meinung, dieser Trank muß denen nicht helfen, die es nicht sind.«

»Wenn Euer Gnaden das wußte«, entgegnete Sancho, »wehe über mich und meine ganze Sippschaft! Warum erlaubtet Ihr, daß ich ihn kostete?«

In demselben Augenblick tat der Trank seine Wirkung, und der arme Schildknappe begann sich aus beiden Kanälen so hastig zu entleeren, daß weder die Schilfmatte, auf die er sich wieder geworfen, noch die Decke von Segeltuch, die er über sich gezogen, jemals mehr zu brauchen waren. Er schwitzte und zerfloß ganz in Schweiß, mit solchen Krämpfen und Anfällen, daß nicht nur er, sondern alle glaubten, es ginge mit seinem Leben auf die Neige.

Dies Ungewitter und Elend hielt fast zwei Stunden an, nach deren Verfluß sich Sancho keineswegs wie sein Herr befand, sondern so zerschlagen und entkräftet, daß er sich nicht aufrecht halten konnte. Indessen wollte Don Quijote, der, wie gesagt, sich erleichtert und genesen fühlte, unverzüglich auf die Suche nach neuen Abenteuern gehn, indem es ihn bedünkte, alle die Zeit, die er hier am Ort zögere, werde der Welt und all denen, die in der Welt seines Schirms und Beistands bedürftig seien, wider Gebühr entzogen, zumal bei der Zuversicht und dem Vertrauen, das er auf seinen Balsam setzte. Und somit, von seinem Begehr angetrieben, sattelte er selbst den Rosinante, legte dem Esel die Decke auf und half auch dem Schildknappen, sich anzukleiden und sein Tier zu besteigen. Hierauf setzte er sich zu Pferd, und als er im Vorüberreiten in einem Winkel der Schenke einen Feldhüterspieß stehen sah, ergriff er ihn, um sich dessen als eines Ritterspeers zu bedienen. Alles, was sich in der Schenke befand – es waren mehr als zwanzig Personen –, stand da und schaute ihm zu; so auch stand und schaute die Wirtstochter, und er ebenfalls verwandte kein Auge von ihr und stieß von Zeit zu Zeit einen Seufzer aus, den er aus tiefstem Herzen heraufzuholen schien, und alle dachten, er seufze vor Schmerz ob seines zerprügelten Rückens, oder wenigstens dachten es diejenigen, die abends zuvor gesehen, wie er mit Pflastern belegt wurde.

Als beide nun auf ihren Tieren saßen, hielt Don Quijote am Tor der Schenke, rief den Wirt herzu und sagte ihm mit gelassener, würdevoller Stimme: »Zahlreich und sehr groß sind die Gnaden, Herr Burgvogt, die ich in dieser Eurer Burg empfangen, und ich fühle mich höchlich verpflichtet, sie Euch mein Leben lang zu verdanken. Wenn ich sie Euch damit heimzahlen kann, daß ich Euch an einem übermütigen Feind, der Euch etwelche Unbill angetan, Rache schaffe, so wisset: mein Beruf ist kein andrer, als den Schwachen beizustehn und die zu rächen, die Unrecht erleiden, und Treulosigkeit zu bestrafen. Forschet nach in Euren Erinnerungen, und wenn Ihr etwas von solcherlei Art mir anzuvertrauen habt, so braucht Ihr es nur zu sagen; denn bei dem Ritterorden, den ich empfangen, verheiße ich, Genugtuung und Vergeltung Euch ganz nach Eurem Begehr zu verschaffen.«

Der Wirt antwortete ihm mit derselben Gelassenheit: »Herr Ritter, ich habe nicht nötig, daß Euer Gnaden mich ob irgendwelcher Unbill räche; denn wenn mir eine solche widerfährt, weiß ich schon eine Rache zu nehmen, wie sie mir beliebt; ich bedarf nichts weiter, als daß Euer Gnaden mir für die Nacht in dieser Schenke die Zeche zahlet sowohl für Stroh und Gerste, die Eure beiden Tiere bekamen, als auch für Abendessen und Betten.«

»So ist dies also eine Schenke?« fragte Don Quijote hierauf.

»Und eine höchst angesehene«, antwortete der Wirt.

»Bis jetzt lebte ich also im Irrtum«, entgegnete Don Quijote, »denn ich glaubte wirklich, es sei eine Burg, und das keine geringe. Aber da es sich so verhält, daß es keine Burg, sondern eine Schenke ist, so kann eben für jetzt nichts geschehen, als daß Ihr von wegen der Zahlung mich entschuldigt; denn ich kann der Ordensregel der fahrenden Ritter nicht zuwiderhandeln, von welchen ich mit Gewißheit weiß – ohne daß ich bis jetzt etwas Gegenteiliges gelesen hätte –, daß sie niemals für Herberge oder sonst was in der Schenke, wo sie einkehrten, bezahlt haben. Denn von Gesetzes und Rechts wegen schuldet man ihnen jegliche gute Aufnahme, die ihnen zuteil wird, zum Entgelt für die unerträgliche Mühsal, die sie erdulden, indem sie auf Abenteuer ausziehen bei Nacht und bei Tag, im Winter und Sommer, zu Fuß und zu Pferd, mit Durst und Hunger, in Hitze und Kälte, allen Unbilden des Himmels und allem Ungemach der Erde ausgesetzt.«

»Darum habe ich mich gar wenig zu kümmern«, entgegnete der Wirt, »man zahle mir, was man mir schuldig ist, und lassen wir die Ritterschaft beiseite und die Unbilden und das Vergelten; einen Entgelt brauche ich nicht, mein Geld will ich haben und weiter nichts.«

»Ihr seid ein alberner, nichtsnutziger Schenkwirt«, entgegnete Don Quijote, gab Rosinante die Sporen, schwang seinen Spieß und ritt zur Schenke hinaus, ohne daß jemand ihn anhielt, und entfernte sich eine tüchtige Strecke, ohne acht darauf zu haben, ob sein Schildknappe ihm folge.

Der Wirt, der sah, wie er davonritt und nicht zahlte, machte sich an Sancho Pansa, um sein Geld zu bekommen. Der aber sagte, nachdem sein Herr nicht habe zahlen wollen, so werde auch er nicht zahlen; denn da er der Schildknappe eines fahrenden Ritters sei, so gelte dieselbe Regel und Rechtsordnung für ihn wie für seinen Herrn, nämlich durchaus nichts in Wirtshäusern und Schenken zu zahlen. Darüber wurde der Wirt sehr aufgebracht und drohte ihm, wenn er nicht zahle, so werde er sich sein Geld auf eine Weise verschaffen, daß es ihm übel bekommen solle. Sancho erwiderte ihm, nach den Gesetzen des Rittertums, das seinem Herrn zuteil geworden, würde er nicht einen einzigen Pfennig bezahlen, wenn es ihn auch das Leben kosten sollte; denn er wolle nicht daran schuld sein, daß der gute alte Brauch der fahrenden Ritter abkomme, noch solle irgendwelcher Knappe der besagten Ritter, der künftig auf die Welt kommen würde, sich über ihn beschweren und ihm die Verletzung eines so gerechten Gesetzes vorwerfen.

Nun wollte es der Unstern des unglücklichen Sancho, daß unter den Gästen der Schenke sich ein Tuchscherer aus Segovia, drei Nadler vom Pferdebrunnenplatz in Córdoba und zwei Trödler vom Markte zu Sevilla befanden, alles lustige Leute, wohlaufgelegt, schadenfroh und zu jedem Mutwillen gestimmt; alle diese, wie von einem Gedanken beseelt und angetrieben, gingen auf Sancho los und zogen ihn vom Esel herunter; einer von ihnen holte drinnen die Bettdecke des Wirts, und sie warfen ihn darauf. Als sie aber die Augen in die Höhe richteten, fanden sie, daß die Stubendecke für ihr Werk zu niedrig war; sie beschlossen mithin, in den Hof zu gehen, der nur den Himmel über sich hatte, und hier legten sie Sancho mitten auf die Bettdecke und begannen ihn in die Höhe zu schnellen und hatten ihren Spaß mit ihm wie mit einem Hunde auf Fastnacht.

Don Quijote

Das Geschrei, das der arme gewippte Sancho ausstieß, war so gewaltig, daß es zu den Ohren seines Herrn drang; dieser hielt an, um aufmerksam zu horchen, und glaubte schon, daß ein neues Abenteuer im Anzug sei, bis er zuletzt deutlich erkannte, es sei sein Schildknappe, der da so schreie. Sogleich wendete er um und eilte in einem schwächlichen Galopp zur Schenke; und da er sie verschlossen fand, ritt er um sie herum, um eine Stelle aufzufinden, wo er hinein könne. Aber kaum war er zur Hofmauer gelangt, die nicht sehr hoch war, als er das arge Spiel erschaute, das man mit seinem Knappen trieb. Er sah ihn in den Lüften auf und nieder fliegen mit so viel Anmut und Behendigkeit, daß ich überzeugt bin, hätte sein grimmiger Zorn es ihm gestattet, so hätte er lachen müssen. Er versuchte, vom Sattel aus auf die Mauer zu steigen, aber er war so zerwalkt und zerschlagen, daß er nicht einmal absteigen konnte. Und so begann er vom Gaul herunter gegen die Burschen, die den guten Sancho wippten, so viel ehrenrührige Schmähungen und Schimpfworte auszustoßen, daß es unmöglich ist, sie alle niederzuschreiben. Allein sie hörten darum weder mit ihrem Gelächter noch mit ihrer Beschäftigung auf, sowenig Sancho in seinem Fluge sein Jammern ließ, in das er bald Drohungen, bald Bitten mischte. Aber alles das half ihm wenig, half ihm gar nichts, bis sie zuletzt aus lauter Ermüdung von ihm abließen.

Nun brachten sie ihm seinen Esel zur Stelle, setzten ihn darauf und legten ihm seinen Mantel um. Als das mitleidige Ding von Maritornes ihn so abgemattet sah, dünkte es sie gut, ihm mit einem Krug Wasser zu Hilfe zu kommen, und sie holte es ihm aus dem Brunnen, weil es da um so frischer war. Sancho nahm den Krug, aber als er ihn schon an den Mund setzte, hielt er wieder inne auf das laute Rufen seines Herrn, der ihm zuschrie: »Sancho, mein Sohn, trinke kein Wasser; mein Sohn, trinke es nicht, es ist dein Tod! Sieh, hier habe ich den benedeiten Balsam« – und er zeigte ihm den blechernen Krug mit dem Tranke –, »und mit zwei Tropfen, die du davon trinkst, wirst du sicher wiederum heil und gesund.«

Auf diesen Zuruf sah Sancho ihn schief an und schrie noch lauter als sein Herr: »Ist es Euer Gnaden vielleicht schon aus dem Gedächtnis, daß ich kein Ritter bin, oder wollt Ihr, daß ich vollends herauswürgen soll, was ich von heut nacht her noch von Eingeweiden im Leib habe? Mag Euer Trank zu allen Teufeln gehen, und laßt mich in Ruhe.«

Diese Worte enden und das Trinken anfangen war eins. Als er aber beim ersten Zuge spürte, daß es Wasser war, wollte er damit nicht fortfahren und bat die Maritornes, sie möchte ihm Wein bringen. Das tat sie denn auch äußerst gutwillig und zahlte mit ihrem eigenen Gelde; denn in der Tat sagt man von ihr, daß sie, obgleich sie ein derartiges Leben führte, doch Spuren und leise Züge eines christlichen Gemütes zeigte.

Mitten im Trinken setzte Sancho seinem Esel die Fersen in die Weichen, stieß das Tor der Schenke sperrangelweit auf und trabte hinaus, höchst zufrieden, daß er nichts bezahlt und seinen Willen durchgesetzt hatte, wenn auch auf Kosten seines gewöhnlichen Bürgen, nämlich seines Rückens. Allerdings blieb sein Zwerchsack zur Zahlung der Schuld beim Wirte zurück; allein Sancho merkte es nicht, in solcher Benommenheit zog er von dannen.

Der Wirt wollte das Tor fest verriegeln, sobald er Sancho draußen sah; aber die ihn gewippt hatten, gaben es nicht zu. Denn das waren Leute, die, auch wenn Don Quijote in Wahrheit ein fahrender Ritter von der Tafelrunde selbst gewesen wäre, darum doch keinen Deut auf ihn gegeben hätten.

18. Kapitel

Worin die Unterredung berichtet wird, welche Sancho Pansa mit seinem Herrn Don Quijote hatte, nebst anderen erzählenswerten Dingen

Als Sancho bei seinem Herrn anlangte, war er in so hohem Grade ermattet und entkräftet, daß er seinen Esel nicht einmal anzutreiben vermochte. Wie Don Quijote ihn in solchem Zustande sah, sprach er zu ihm: »Jetzt bin ich vollends überzeugt, Sancho, mein Guter, daß diese Burg oder Schenke verzaubert ist; denn jene, die in so scheußlicher Weise sich einen Zeitvertreib mit dir machten, was konnten sie sein als Spukgestalten und Wesen aus der andern Welt? Und ich behaupte das um so mehr, als ich fand, da ich über den Rand der Hofmauer hinüber den Auftritten deines schmerzlichen Trauerspiels zuschaute, daß es mir nicht möglich war, hinüberzukommen, und noch weniger, vom Rosinante abzusteigen, weil man mich ohne Zweifel verzaubert hatte. Sonst, ich schwör dir’s, so wahr ich der bin, der ich bin: hätte ich hinaufklimmen oder absteigen gekonnt, ich hätte dich dergestalt gerächt, daß jene Menschen und Wegelagerer immerdar dieses Spaßes hätten gedenken müssen, obwohl ich wußte, daß ich damit den Gesetzen des Rittertums zuwiderhandelte, welche, wie ich schon oftmals gesagt, dem Ritter nicht gestatten, gegen jemanden, der kein Ritter ist, die Hand zu erheben, es sei denn zur Verteidigung seines Lebens und seiner Person im Falle dringender und äußerster Notwehr.«

»Auch ich«, versetzte Sancho, »hätte mich gerächt, wenn ich gekonnt hätte, ob zum Ritter geschlagen oder nicht geschlagen: aber ich konnte eben nicht. Jedoch bin ich der Überzeugung, daß diejenigen, die ihre Kurzweil mit mir trieben, weder Spukgestalten noch verzauberte Menschen waren, wie Euer Gnaden sagt, sondern Menschen von Fleisch und Blut wie wir, und jeder von ihnen, wie sie einander zuriefen, als sie mich wippten, hatte seinen Namen. Der eine hieß Pedro Martínez und der andre Tenorio Hernández, und der Wirt, hörte ich, hieß Juan Palomeque der Linkshänder. Sohin, gnädiger Herr, daß Ihr nicht über die Mauer springen und nicht vom Gaul absteigen konntet, das lag an anderm als an Verzauberungen. Und was ich mir aus alledem abnehme, ist, daß diese Abenteuer, auf die wir ausziehen, uns am Ende und zu guter Letzt in so viel Unglück bringen werden, daß wir nicht mehr wissen, wo unser rechter und wo unser linker Fuß ist. Ja, was besser und gescheiter wäre, das, nach meinem geringen Verstand, wäre, zu unserm Ort heimzukehren, jetzt, wo es Erntezeit ist, und nach unsern Angelegenheiten zu sehen, statt daß wir von Irland nach Wirrland und von Brechhausen nach Pechhausen ziehen, wie’s im Sprichwort heißt.«

»Wie wenig Verständnis hast du«, antwortete Don Quijote, »in betreff des Ritterwesens! Schweig und habe Geduld; denn einst wird kommen der Tag, wo du mit eignen Augen siehst, welch ehrenvolle Sache es ist, diesen Beruf zu üben. Oder sage mir doch: Welch größeren Genuß kann es auf Erden geben, oder welch Vergnügen läßt sich dem vergleichen, eine Schlacht zu gewinnen und über seinen Feind zu triumphieren? Ohne Zweifel keines.«

»So muß es wohl sein«, versetzte Sancho, »wiewohl ich es nicht weiß; ich weiß nur, daß, seit wir fahrende Ritter sind oder seit Euer Gnaden es ist – denn ich habe keinen Grund, mich zu einer so ehrenwerten Gesellschaft zu zählen –, wir noch niemals eine Schlacht gewonnen haben, es sei denn die gegen den Biskayer, und auch aus dieser kam Euer Gnaden nur mit einem halben Helm und halben Ohr weniger davon. Von da an bis jetzt war alles nur Prügel und abermals Prügel, Faustschläge und abermals Faustschläge, wobei ich nur das voraus hatte, daß ich gewippt wurde und daß mir dies von verzauberten Personen widerfuhr, an denen ich mich nicht einmal rächen kann, um wenigstens zu erfahren, wie groß das Vergnügen ist, den Feind zu besiegen, wovon Euer Gnaden mir sagt.«

»Das ist ja eben der Kummer, den ich empfinde und den auch du empfinden mußt, Sancho«, antwortete Don Quijote; »aber hinfüro werde ich darauf Bedacht nehmen, stets ein so meisterlich gearbeitetes Schwert zur Hand zu haben, daß, wer es führt, keinerlei Verzauberung ausgesetzt ist. Vielleicht kann es auch geschehen, daß das Glück mir jenes Schwert beschert, das Amadís führte, als er sich den Ritter vom flammenden Schwert nannte; das war eines der besten, so je ein Ritter auf Erden besaß; denn außerdem, daß ihm die besagte Zauberkraft innewohnte, schnitt es wie ein Schermesser, und es gab keine noch so feste und gefeite Rüstung, die ihm standhielt.«

»Ich habe so viel Glück«, sagte Sancho, »daß, wenn es geschähe und Euer Gnaden gelänge es, ein solches Schwert zu finden, so würde es doch am Ende wie der Balsam nur denen, die den Ritterschlag empfingen, dienen und frommen, und die Schildknappen, die mag der Jammer aufessen.«

»Fürchte das nicht«, sprach Don Quijote, »der Himmel wird es besser mit dir fügen.«

Unter solchen Gesprächen zog Don Quijote mit seinem Schildknappen dahin; da sah er, daß ihnen auf ihrer Straße eine große, dichte Staubwolke entgegenkam, und bei diesem Anblick wandte er sich zu Sancho und sprach: »Das ist der Tag, o Sancho, an dem man erschauen wird; welches Glück mein Schicksal mir vorbehalten hat; das ist der Tag, sage ich, an dem sich so gewaltig wie je die Kraft meines Armes zeigen wird und an dem ich Taten zu tun gedenke, die alle kommenden Jahrhunderte hindurch im Buche des Ruhmes verzeichnet bleiben sollen. Siehst du die Staubwolke, die dorten sich erhebt, Sancho? Wohl, sie ist ganz und gar von einem großmächtigen Heere aufgewirbelt, das mit seinen mannigfachen unzähligen Mannschaften dort hergezogen kommt.«

»Demnach müßten es zwei Heere sein«, sagte Sancho; »denn dort erhebt sich gleichfalls von der entgegengesetzten Seite eine ähnliche Staubwolke.«

Don Quijote schaute nochmals hin und sah, daß dem wirklich so war. Da freute er sich über die Maßen, da er nicht zweifelte, es seien zwei Kriegsheere, die da kämen, einander anzugreifen und inmitten dieser weiten Ebene sich zu schlagen. Denn er hatte zu jeder Stunde und Minute die Gedanken voll von jenen Kämpfen, Verzauberungen, Begebnissen, unsinnigen Unternehmungen, Liebschaften, Herausforderungen, die in den Ritterbüchern erzählt werden, und was er sprach, dachte und tat, lief alles auf dergleichen Dinge hinaus. Die Staubwolken aber, die er gesehen, waren von zwei großen Herden Schafen und Hammeln aufgerührt, die von zwei verschiedenen Seiten her dieses selben Weges kamen, die man aber des Staubes wegen nicht erkennen konnte, bis sie ganz nahe gekommen. Don Quijote bestand mit solchem Nachdruck darauf, es seien gewaffnete Heere, daß Sancho es zuletzt wirklich glaubte und ihm sagte: »Gnädiger Herr, was aber sollen wir denn nun tun?«

»Was?« entgegnete Don Quijote, »den Bedrängten und Notleidenden beistehen und Hilfe leisten. Und du mußt wissen, Sancho: das Heer, das uns gerade entgegenkommt, das führt und leitet der große Kaiser Alifanfarón, Herr der großen Insel Trapobana; das andere, das mir im Rücken heranzieht, ist das seines Feindes, des Königs der Garamanten, Pentapolín mit dem aufgestreiften Arm, weil er stets mit entblößtem rechtem Arm in die Schlacht geht.«

»Warum sind sich denn die beiden Herren einander so feind?« fragte Sancho.

»Sie sind einander feind«, antwortete Don Quijote, »weil dieser Alifanfarón ein hartnäckiger Heide ist und sich in die Tochter des Pentapolín verliebt hat, die ein äußerst schönes und zudem sehr liebenswürdiges Fräulein ist; dazu ist sie eine Christin, und ihr Vater will sie dem heidnischen Könige nicht geben, wenn er nicht vorher dem Gesetze seines falschen Propheten Mohammed entsagt und sich zu seinem Glauben wendet.«

»Bei meinem Barte«, sagte Sancho, »ich will nicht gesund sein, wenn der Pentapolín nicht sehr wohl daran tut, und ich werd ihm beistehen, soviel ich nur vermag.«

»Da wirst du tun, was deine Pflicht fordert, Sancho«, sprach Don Quijote; »denn um an dergleichen Schlachten teilzunehmen, ist es nicht vonnöten, den Ritterschlag empfangen zu haben.«

»Das begreife ich wohl«, entgegnete Sancho. »Aber wo werden wir unsern Esel hintun, um sicher zu sein, daß wir ihn nach dem Handgemenge wiederfinden? Denn so beritten in die Schlacht zu ziehen ist, glaub ich, bis zum heutigen Tag nicht der Brauch.«

»So ist’s in Wirklichkeit«, sagte Don Quijote. »Was du mit dem Tiere tun kannst, ist, es aufs Geratewohl laufen zu lassen, möge es sich nun verlieren oder nicht; denn wir werden so viel der Pferde haben, nachdem wir als Sieger aus der Schlacht gekehrt, daß sogar Rosinante Gefahr läuft, daß ich ihn vielleicht gegen ein andres Roß vertausche. Indessen habe jetzt acht auf meine Worte und schau auf, denn ich will dir über die vornehmsten Ritter berichten, die sich bei diesen zwei Heeren befinden; und auf daß du sie besser sehen und dir merken kannst, ziehen wir uns auf jenes Hügelchen zurück, das dort ansteigt; von da muß man beide Heere übersehen können.«

Sie taten also und stellten sich auf einer Höhe auf, von welcher man die beiden Herden, die unserm Don Quijote zu Heeren wurden, recht gut gesehen hätte, wenn die von ihnen aufgerührten Staubwolken nicht den beiden Beobachtern die Augen bis zur Blindheit getrübt hätten. Aber trotzdem in seiner Einbildung erschauend, was er nicht sah und was nicht vorhanden war, begann er mit lauter Stimme also zu sprechen: »Jener Ritter, den du dorten mit gelber Rüstung siehst, der im Schild einen gekrönten Löwen führt, der zu eines Fräuleins Füßen demutvoll liegt, ist der mannhafte Laurcalco, Herr der silbernen Brücke. Der dort mit der goldgeblümten Rüstung, der im Schilde drei silberne Kronen im blauen Felde führt, ist der furchtbare Micocolembo, Großfürst von Quirossia. Jener zu seiner Rechten, mit den riesenhaften Gliedern, ist der nie zagende Brandabarbarán von Boliche, Herr der drei Arabien, der mit einer Schlangenhaut bepanzert ist und als Schild eine Tür hat, welche, wie der Ruf sagt, von jenem Tempel stammt, den Simson zusammenriß, als er durch seinen eignen Tod an seinen Feinden Rache nahm. Aber wende deine Augen nach dieser andern Seite, und da wirst du vor dir und an der Spitze dieses andren Heeres den stets siegreichen und nie besiegten Timonel von Carcajona sehen, den Fürsten von Neu-Biscaya, dessen Rüstung in vier Farben geviertelt ist, Blau, Grün, Weiß und Gelb, und der im Schild eine goldene Katze im purpurnen Felde führt mit der Umschrift Miau, was der Anfang des Namens seiner Dame ist, welche, wie man wissen will, die unvergleichliche Miaulina ist, die Tochter des Herzogs Alfeñiquén von Algarbien. Jener dort, der den Rücken seines gewaltigen Streitrosses drückt und belastet, die Rüstung weiß wie Schnee, den Schild weiß und sonder Wappen und Zeichen, ist ein angehender Ritter, Franzose von Nation, namens Peter Papin, Herr der Herrschaften Utrique. Dieser andere, der seinem leichten Zebra die eisenbeschlagenen Fersen in die Flanken stößt und blaue Eisenhütlein im Wappen führt, ist der mächtige Herzog von Nerbio, Espartafilardo vom Busch, der als Sinnbild im Schilde eine Spargelstaude führt, mit der Devise auf kastilianisch: Rastrea mi suerte (Spüre meinem Geschicke nach).«

Und auf diese Weise nannte er nacheinander zahlreiche Ritter von den beiden Geschwadern, die er in seiner Einbildung schaute, und allen gab er ihre Rüstungen, Farben, Wappen und Sinnbilder aus dem Stegreif, fortgerissen von seiner erfinderischen, unerhörten Verrücktheit. Und ohne einzuhalten, fuhr er fort: »Dies Geschwader vor uns bilden und formen Leute verschiedener Volksstämme: hier sind die, welche die süßen Wasser des berühmten Xanthus trinken, die Bergbewohner, welche die Massylischen Gefilde umwandern, die, welche den Staub feinsten Goldes im glücklichen Arabien sieben, die, so sich der herrlichen frischen Ufergelände des klaren Thermodon erfreuen, die den goldführenden Paktolus auf vielfach verschiedene Weise zur Ader lassen, die in ihren Versprechungen unzuverlässigen Numidier, die Perser, durch Bogen und Pfeile berühmt, die Parther und Meder, die im Fliehen fechten, die Araber mit beweglichen Wohnstätten, die Skythen, so grausam als hellfarbig, die Äthiopier mit durchbohrten Lippen und andere Völker ohne Zahl, deren Gesichtszüge ich kenne und sehe, wiewohl ich mich ihrer Namen nicht erinnere. In jener andern Schar zeigen sich die, so die kristallhellen Wellen des olivenreichen Bätis trinken, die, welche ihr Antlitz im Naß des immerdar reichen goldenen Tajo baden und erfrischen, die, welche der fruchtbringenden Wasser des göttlichen Genil sich erfreuen; die, deren Füße die tartessischen Fluren, an Triften reich, beschreiten, die, welche sich am elysäischen Gelände von Jeréz ergötzen, die Manchaner, reich und mit blonden Ähren bekränzt; die im Eisenhemde einhergehen, alte Überbleibsel des gotischen Bluts; die im Pisuerga sich baden, der so berühmt ist durch die Weichheit seines Gewässers; die, so ihre Herde weiden auf den ausgedehnten Auen des vielgekrümmten Stromes Guadiana, der ob seines verborgenen Laufes berühmt; die, so zittern von der Kälte der waldigen Pyrenäen und vom Schnee des hochgipfligen Apennin; endlich alle, so ganz Europa enthält und umschließt.«

Hilf, Himmel, wieviel Provinzen zählte er auf, wieviel Völkerschaften nannte er, wobei er einer jeden mit wunderbarer Fertigkeit die eigentümlichen Bezeichnungen lieh, die ihr zukamen, ganz vertieft und versunken in die Dinge, die er in seinen Lügengeschichten gelesen hatte. Sancho Pansa hing an des Ritters Lippen, ohne die seinigen zu einem Wort zu öffnen, nur hier und da den Kopf umwendend, um zu sehen, ob die Ritter und Riesen, die sein Herr nannte, auch ihm sichtbar würden; und da er nicht einen zu Gesicht bekam, sprach er zu ihm: »Gnädiger Herre, der Teufel soll’s holen, weder Mensch noch Riese noch Ritter, soviel auch Euer Gnaden benamset, läßt sich weit und breit sehen; ich wenigstens erblicke keinen, es muß alles vielleicht nur Zauberei sein wie die Spukgestalten heut nacht.«

»Wie kannst du das sagen?« entgegnete Don Quijote; »hörst du nicht das Wiehern der Rosse, das Blasen der Trompeten, das Rollen der Trommeln?«

»Ich höre nichts andres«, antwortete Sancho, »als vielfaches Blöken von Schafen und Hammeln.«

Und so war’s auch in der Tat; denn die beiden Herden kamen bereits näher.

»Die Furcht, die du fühlst, Sancho«, sprach Don Quijote, »macht, daß du nicht recht siehst und hörst; denn eine der Wirkungen der Furcht ist, die Sinne zu verwirren, so daß die Dinge nicht als das erscheinen, was sie sind. Ist’s der Fall, daß du so arge Angst hast, so zieh dich seitwärts und laß mich allein; denn allein schon bin ich Manns genug, um der Partei, der ich meinen Beistand gewähre, den Sieg zu verschaffen.«

Und mit diesen Worten gab er Rosinanten die Sporen, und mit eingelegtem Speer stürmte er wie der Blitz den Hügel hinunter. Sancho schrie ihm nach: »Kehret um, Señor Don Quijote, denn ich schwör’s zu Gott, es sind Hammel und Schafe, die Ihr angreifen wollt; kehrt um! Weh über den Vater, der mich gezeugt! Was für Tollheit! Seht doch nur hin, es ist kein Riese da und kein Ritter, keine Katzen, keine Rüstungen, keine geviertelten und keine ganzen Schilde, keine Eisenhütlein, blaue nicht und nicht verteufelte; was tut Ihr? O ich armer Sünder gegen Gott und Menschen!«

Allein Don Quijote kehrte nicht um; vielmehr ritt er voran mit dem lauten Ruf: »Auf, ihr Ritter, die ihr unter dem Banner des mannhaften Kaisers Pentapolín mit dem aufgestreiften Arme dienet und fechtet, folgt mir alle, und ihr sollt sehen, wie leicht ich ihn an seinem Feinde Alifanfarón von Trapobana räche!«

Mit diesen Worten drang er mitten in die Schlachtschar der Schafe hinein und begann sie mit solcher Kühnheit und Entschlossenheit anzuspießen, als zückte er den Speer wirklich auf seine Todfeinde. Die Schafknechte und die Herren der Herde, die mit ihren Tieren daherkamen, schrien ihm zu, er solle davon ablassen; aber da sie sahen, daß sie nichts ausrichteten, zogen sie ihre Schleudern aus dem Gurt und begannen ihm die Ohren mit faustgroßen Steinen zu begrüßen. Don Quijote kümmerte sich nicht um die Steine, vielmehr sprengte er nach allen Seiten hin und her und rief: »Wo bist du, hochmütiger Alifanfarón? Komm heran! Her zu mir! Ein Ritter, ganz allein bin ich hier, will Mann gegen Mann deine Kraft erproben und will dir das Leben rauben, zum gerechten Lohn für den schlimmen Lohn, den du dem Pentapolín bezahlt, dem Garamanten!«

In diesem Augenblick kam ein Bachkiesel geflogen, traf ihn in die Seite und schlug ihm zwei Rippen in den Leib hinein. Als er sich so übel zugerichtet sah, zweifelte er nicht, er sei zu Tode getroffen oder doch schwer verwundet; da fiel ihm sein Trank ein, er zog sein Krüglein hervor, setzte es an den Mund und begann das heilsame Naß in den Magen zu gießen. Aber ehe er das ihm genügend scheinende Maß völlig heruntergeschüttet, kam wieder eine Krachmandel und traf ihn so voll auf Hand und Krug, daß sie diesen in Stücke zerbrach, unterwegs ihm drei oder vier Vorder- und Backenzähne ausschlug und ihm zwei Finger arg zerquetschte. Derartig war der erste Wurf und derartig der zweite, daß der arme Ritter nicht anders konnte: er mußte vom Pferde herab zu Boden stürzen. Die Hirten liefen auf ihn zu und glaubten, sie hätten ihn umgebracht; und so trieben sie denn in großer Eile ihre Herde zusammen, luden die toten Tiere auf, deren es über sieben waren, und ohne sich nach was anderm umzutun, zogen sie von dannen.

Während der ganzen Zeit stand Sancho auf dem Hügel und schaute den Tollheiten seines Herrn zu, raufte sich den Bart und verwünschte die Stunde und Minute, wo ihn das Schicksal mit seinem Herrn bekannt gemacht. Als er ihn nun auf dem Boden ausgestreckt liegen und die Schäfer schon entfernt sah, eilte er vom Hügel herab, näherte sich ihm und fand ihn in sehr üblem Zustand, wiewohl er das Bewußtsein nicht verloren. Da sprach Sancho zu ihm: »Hab ich’s Euch nicht gesagt, Señor Don Quijote, Ihr solltet umkehren, weil die, so Ihr angreifen wolltet, keine Kriegsheere, sondern Schafherden wären?«

»Ja, auf solche Weise vermag jener Schurke von Zauberer, mein Feind, alles verschwinden zu lassen und umzugestalten! Du mußt wissen, Sancho, daß es den besagten Zauberern sehr leicht ist, alles vor uns erscheinen zu lassen, was sie wollen, und der Bösewicht, der mich verfolgt, neidisch auf den Ruhm, den er mich im Begriffe sah von diesem Kampfe zu gewinnen, hat die Feindesgeschwader in Schafherden verwandelt. Und wo du dies nicht glaubst, so mußt du, bei meinem Leben! eines tun, damit du deines Irrtums loswirst und siehst, daß volle Wahrheit ist, was ich sage: steig auf deinen Esel und reite ihnen sachte nach, und du wirst sehen, sobald sie sich ein weniges von hier entfernt haben, verwandeln sie sich wieder in ihr erstes Wesen, hören auf, Hammel zu sein, und sie sind wieder echte, rechte Menschen, wie ich dir sie zuerst geschildert. Aber entferne dich nicht jetzt, denn ich habe deine Hilfe und Unterstützung nötig. Komm zu mir her und sieh nach, wieviel Backen- und Vorderzähne mir fehlen; denn es kommt mir vor, als wäre nicht einer mir im Munde übrig.«

Sancho näherte sich seinem Herrn so dicht, daß er ihm beinahe mit den Augen in den Mund kam. Das geschah aber in dem Augenblick, wo der Balsam bereits in Don Quijotes Magen seine Wirkung getan, und gerade als Sancho sich näherte, um ihm in den Mund zu sehen, warf der Ritter mit größerer Gewalt, als eine Büchse schießt, alles aus, was er bei sich hatte, und schleuderte das Ganze dem mitleidigen Schildknappen ins Gesicht. »Heilige Mutter Gottes!« rief Sancho, »was ist mir da geschehen? Gewiß ist der Sündenmensch auf den Tod verwundet, da er Blut aus dem Munde bricht.«

Aber indem er es sich etwas genauer betrachtete, merkte er an Farbe, Geschmack und Geruch, daß es keineswegs Blut, sondern der Balsam aus dem Kruge war, den er ihn hatte trinken sehen; und der Ekel, der ihn dabei befiel, war so groß, daß der Magen sich in ihm umdrehte und er sein ganzes Inneres auf seinen eigenen Herrn herausbrach; und beide sahen nun gar köstlich aus.

Sancho lief zu seinem Esel hin und wollte aus dem Zwerchsack etwas holen, um sich zu reinigen und seinen Herrn zu verbinden, und als er ihn nicht fand, war er nahe daran, den Verstand zu verlieren. Er verwünschte sich aufs neue und nahm sich im Herzen vor, seinen Herrn zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren, wenn er auch den Lohn für die gediente Zeit und die Aussicht auf die Statthalterschaft der versprochenen Insul verlieren müßte. Inzwischen erhub sich Don Quijote, und die linke Hand an den Mund haltend, damit die Zähne ihm nicht vollends herausfielen, faßte er mit der rechten die Zügel Rosinantes, der seinem Herrn bisher nicht von der Seite gewichen war – so treuen Gemütes und gutherzigen Charakters war er –, und wandte sich zu seinem Knappen hin, der dastand, über seinen Esel gelehnt, die Hand an der Wange, wie ein Mensch in tiefsten Gedanken. Und als Don Quijote ihn so dastehen sah, mit allen Zeichen großer Traurigkeit, sprach er zu ihm: »Wisse, Sancho, kein Mensch ist mehr als ein andrer, wenn er nicht mehr vollbringt als ein andrer. All diese Ungewitter, die uns treffen, sind Anzeichen, daß der Himmel sich bald aufheitert und unsre Angelegenheiten wieder gut gehen werden; denn es ist nicht möglich, daß Glück oder Unglück von Dauer sind. Daraus folgt, daß, nachdem das Unglück lange gedauert hat, das Glück jetzt nahe ist; und so darfst du dich nicht ob des Mißgeschicks betrüben, das mir begegnet, der du keinen Teil daran hast.«

»Wie? Ich nicht?« antwortete Sancho. »War vielleicht der Mann, den sie gestern gewippt haben, ein andrer als der Sohn meines Vaters? Und der Zwerchsack, der mir heute fehlt mit all meinen Habseligkeiten, gehörte er einem andern als mir selbst?«

»Was? Der Zwerchsack mangelt dir, Sancho?« versetzte Don Quijote.

»Freilich mangelt er mir«, antwortete Sancho.

»Demnach haben wir heute nichts zu essen«, sprach Don Quijote.

»So würde es sein«, erwiderte Sancho, »wenn es auf den Feldern hier an den Kräutern fehlte, die Euer Gnaden versichert zu kennen und mit denen sich stets derartigem Mangel abhelfen läßt bei den so sehr vom Unglück verfolgten fahrenden Rittern, wie Euer Gnaden einer ist.«

»Bei alledem«, antwortete Don Quijote, »nähme ich anitzo mit größerem Begehr ein Viertellaibchen Brot oder einen Laib und ein paar Heringe als alle Kräuter, die Dioskórides in seinem Buche beschreibt, selbst wenn Doktor Lagunas Kommentar beigebunden wäre. Aber sintemal es so ist, steig auf deinen Esel, Sancho, du Guter, und ziehe hinter mir drein; Gott, der Fürsorger aller Dinge auf Erden, wird uns nicht im Stiche lassen, zumal da wir so völlig in seinem Dienste wandeln, wie wir tun; denn er verläßt nicht die Mücken in der Luft noch die Würmlein auf dem Erdboden noch die junge Froschbrut im Wasser, und er ist so barmherzig, daß er seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen über Ungerechte und Gerechte.«

»Euer Gnaden«, sprach Sancho, »taugte besser zum Prediger als zum fahrenden Ritter.«

»Die fahrenden Ritter«, erwiderte Don Quijote, »verstanden von allem und mußten von allem verstehen, Sancho. In alten Zeiten gab es manch fahrenden Ritter, der inmitten eines Heerlagers ebenso bereit war, eine Predigt oder Rede zu halten, als hätte er seine akademischen Grade auf der Hochschule zu Paris erhalten, woraus zu schließen, daß weder der Speer die Feder noch die Feder den Speer jemals stumpf gemacht hat.«

»Nun gut, so sei es an dem, wie Euer Gnaden sagt«, entgegnete Sancho. »Machen wir uns jetzt von dannen und sehen, wo wir diese Nacht herbergen, und wolle Gott, daß es ein Ort ist, wo es keine Bettdecken zum Wippen und keine Wipper gibt, keine Spukgestalten, keine verzauberten Mohren; denn wenn es dergleichen dort gibt, so laß ich alles im Stiche und gehe zum Teufel in die Hölle.«

»Geh deinen Weg lieber zu Gott, mein Sohn«, sprach Don Quijote, »und reite voran in jeder Richtung, die du willst; denn diesmal überlasse ich es deiner Wahl, uns Herberge zu nehmen. Doch gib einmal die Hand her und fühle mit dem Finger und sieh genau nach, wieviel Vorder- und Backenzähne mir auf der rechten Seite in der oberen Kinnlade fehlen; denn da fühl ich den Schmerz.«

Sancho steckte ihm die Finger in den Mund, befühlte die Kinnlade und sprach: »Wieviel Backenzähne pflegte Euer Gnaden auf dieser Seite zu haben?«

»Vier«, antwortete Don Quijote, »und alle außer dem Weisheitszahn ganz und gesund.«

»Euer Gnaden bedenke wohl, was Ihr saget«, entgegnete Sancho.

»Vier sag ich, wenn es nicht fünf waren«, antwortete Don Quijote; »denn in meinem ganzen Leben ist mir weder Vorderzahn noch Backenzahn ausgefallen noch ausgezogen noch von Fäule oder Fluß angefressen worden.«

»Nun denn, in der unteren Kinnlade habt Ihr auf dieser Seite nicht mehr als zwei Backenzähne und einen halben und in der obern keinen halben und keinen ganzen mehr; denn da ist alles glatt wie die flache Hand.«

»Ich Unglückseliger!« sprach Don Quijote, als er die traurige Nachricht erfuhr, die ihm sein Knappe mitteilte; »lieber möchte ich, man hätte mir einen Arm abgeschlagen, nur müßte es nicht der sein, der das Schwert führt; denn ich tue dir zu wissen, Sancho, ein Mund ohne Backenzähne ist wie eine Mühle ohne Mühlstein, und ein Zahn ist weit höher zu schätzen als ein Diamant. Aber alledem sind wir ausgesetzt, die wir uns zum strengen Orden des Rittertums bekennen. Steig auf, Freund, und sei Wegeführer, ich werde dir folgen und gleichen Schritt nach deinem Belieben mit dir halten.«

Sancho tat also; er nahm seinen Weg dahin, wo er Herberge zu finden dachte, ohne von der Landstraße abzuweichen, die dort viel begangen war. Als sie nun Schritt vor Schritt hinritten, denn Don Quijotes Zahnschmerz gestattete ihnen weder zu rasten noch an Eile zu denken, wollte Sancho ihn unterhalten und durch Gespräch zerstreuen; und unter mancherlei Dingen, die er ihm sagte, war auch das, was im folgenden Kapitel berichtet werden soll.

13. Kapitel

Worin die Geschichte der Schäferin Marcela beschlossen wird, nebst andern Begebenheiten

Aber kaum begann der Tag sich an den Fenstern des Ostens zu zeigen, als fünfe von den sechs Ziegenhirten sich vom Lager erhoben und hingingen, Don Quijote zu wecken und ihn zu fragen, ob er noch immer des Vorhabens sei, zu dem vielbesprochenen Begräbnis des Grisóstomo zu gehen; dann würden sie ihm Gesellschaft leisten. Don Quijote, der nichts andres wünschte, stand auf und befahl Sancho, augenblicklich zu satteln und den Tieren Zaum und Halfter anzulegen; dieser tat es mit besonderer Eilfertigkeit, und ebenso eilig begaben sich alle auf den Weg. Und sie waren noch keine Viertelmeile gewandert, als sie beim Kreuzen eines Pfades etwa ein halb Dutzend Schäfer ihnen entgegenkommen sahen, alle in schwarzen Schafpelz gekleidet, das Haupt mit Zweigen von Zypressen und bitterm Oleander bekränzt. Jeder trug einen dicken Stab von der Stechpalme in Händen.

Mit ihnen zugleich kamen des Weges zwei Edelleute zu Pferd, in stattlicher Reisetracht, nebst drei Dienern zu Fuß, die ihr Gefolge bildeten. Als sie zusammentrafen, grüßten sie einander höflich, und da sie sich gegenseitig nach ihrem Reiseziel erkundigten, stellte es sich heraus, daß sie alle nach dem Ort der Bestattung wollten; und so zogen sie nun gemeinschaftlich des Weges weiter.

Einer von den Herren zu Pferd wandte sich an seinen Gefährten und sagte: »Mich dünkt, Señor Vivaldo, für eine ganz richtige Verwendung unserer Zeit müssen wir diesen Aufenthalt erachten, dem wir uns unterziehen, wenn wir diese merkwürdige Bestattung ansehen; denn sie kann nicht anders als merkwürdig ausfallen, nach den seltsamen Dingen, die diese Hirten uns von dem verstorbenen Schäfer wie von der todbringenden Schäferin erzählt haben.«

»So bedünkt es auch mich«, antwortete Vivaldo, »und ich sage, nicht nur einen Tag, sondern weitere vier Tage würde ich dran wenden, sie zu sehen.«

Don Quijote fragte sie, was sie über Marcela und Grisóstomo gehört hätten. Der Reisegefährte erwiderte, diesen Morgen seien sie den Schäfern begegnet und hätten, da sie diese in so düsterer Tracht gesehen, gefragt, aus welchem Anlaß sie in solchem Aufzug einhergingen; einer von ihnen habe es ihnen berichtet und von dem seltsamen Wesen und der Schönheit einer Schäferin namens Marcela erzählt und von der Liebe zahlreicher Jünglinge, die um sie geworben, sowie vom Tode jenes Grisóstomo, zu dessen Begräbnis sie jetzt hinzögen. Kurz, er erzählte alles, was Don Quijote bereits über Grisóstomo gehört hatte.

Dieses Gespräch ward abgebrochen und ein anderes begonnen, indem der Fremde, der Vivaldo hieß, an Don Quijote die Frage richtete, was ihn veranlasse, dergestalt gerüstet eine so friedliche Gegend zu durchwandern.

Darauf antwortete Don Quijote: »Die Ausübung meines Berufes verwilligt und verstattet es mir nicht, daß ich in andrer Tracht einhergehe. Gute Tage haben, Wohlleben und Ruhe genießen, das ist für weichliche Höflinge erfunden; aber Mühsal, Rastlosigkeit und Waffen sind für diejenigen allein geschaffen, so die Welt fahrende Ritter nennt und unter welchen ich, obschon des Berufes unwürdig, der geringste bin von allen.«

Kaum hörten sie das, als alle ihn auch schon für verrückt hielten; und da sie der Sache noch mehr auf den Grund kommen und erforschen wollten, welcher Art seine Verrücktheit sei, wandte sich Vivaldo wiederum an ihn und fragte, was mit den »fahrenden Rittern« gemeint sei.

»Haben denn Euer Gnaden«, entgegnete Don Quijote, »niemals die Jahrbücher und Geschichten von England gelesen, worin von den ruhmreichen Taten des Königs Artur gehandelt wird, welchen wir in unserm heutigen Kastilianisch den König Artus nennen und von dem die alte Sage in dem ganzen Königreich Großbritannien geht, daß er nicht gestorben, sondern durch Zauberkunst in einen Raben verwandelt ist, und daß er im Lauf der Zeiten wieder zur Herrschaft kommen und Reich und Zepter wiedererlangen wird? Weshalb denn auch niemand nachweisen kann, daß von jener Zeit ab bis heute jemals ein Engländer einen Raben getötet hätte. Nun denn, zu Zeiten dieses edlen Königs wurde jener hochberühmte Orden der Ritter von der Tafelrunde gestiftet. Und damals trug sich, genau bis aufs Tüpfelchen, die Liebesgeschichte zu, die dort von Lanzelot vom See und der Königin Ginevra erzählt wird, wobei jene würdige Dame Quintañona Vermittlerin und Mitwisserin war; und daraus entstand dann jene allbekannte Romanze, an der sich unser Spanien so satt gesungen hat:

Niemals ward annoch ein Ritter
Also wohl bedient von Damen,
Wie es wurde Lanzelot,
Da er herkam aus Britannien –

samt jenem so süßen und lieblichen Verlauf seiner Liebes- und Heldentaten. Und seitdem hat von einem zum andern jener Orden des Rittertums sich weiter verbreitet und sich über viele und mannigfaltige Teile der Welt ausgedehnt; und zu ihm gehörten, durch ihre Taten vielberufen und weitbekannt, der mannhafte Amadís von Gallien mit all seinen Söhnen und Enkeln bis ins fünfte Glied und der tapfere Felixmarte von Hyrkanien und der nie nach Verdienst gepriesene Tirante der Weiße, und viel fehlt nicht, daß wir schier noch in unsern Tagen den unbesiegbar gewaltigen Ritter Don Belianis von Griechenland gesehen und gehört und Umgang mit ihm gepflogen. Das also, werte Herren, heißt zu den fahrenden Rittern gehören, und der Orden ihres Rittertums ist der, den ich erwähnte und dem, wie auch schon erwähnt, ich, obwohl ein sündhafter Mensch, zugeschworen bin; und der Beruf, zu dem sich die besagten Ritter bekannten, zu ihm bekenne auch ich mich, und so ziehe ich durch diese Einöden und Wüsteneien und suche Abenteuer, entschlossenen Sinnes, dem gefährlichsten, so das Schicksal mir darbietet, meinen Arm und mein ganzes Selbst zu widmen, zum Schutze der Schwachen und Hilfsbedürftigen.«

Aus diesen seinen Reden wurde es den Reisenden vollends klar, wie es bei Don Quijote nicht richtig im Kopfe sei und welche Art von Narretei ihn beherrsche, und sie gerieten darüber in die nämliche Verwunderung wie alle, die zum erstenmal mit ihm bekannt wurden. Vivaldo, der ein gescheiter Kopf und fröhlichen Humors war, wollte sogleich, um den kurzen Weg, der nach Angabe der Leute ihnen noch bis zu dem felsigen Bestattungsort übrigblieb, ohne Langeweile zurückzulegen, dem Ritter Gelegenheit geben, in seiner Narretei noch weiter zu gehen. Und so sagte er ihm: »Mich bedünkt, Herr Ritter, daß Euer Gnaden sich einem äußerst strengen Berufe gewidmet hat, und ich bin des Glaubens, daß der Orden der Kartäuser minder streng ist.«

»So streng mag er wohl sein«, erwiderte Don Quijote; »aber ob so notwendig in der Welt, da bin ich nicht zwei Finger breit davon entfernt, es zu bezweifeln. Denn soll ich die Wahrheit sagen; so tut der Soldat, der ausführt, was sein Hauptmann ihm vorschreibt, nicht weniger als der Hauptmann selbst, der es ihm befiehlt. Damit will ich sagen, daß die Mönche in aller Friedlichkeit und Ruhe vom Himmel das Wohl der Erde erflehen; aber wir Soldaten und Ritter bringen zur Ausführung, was sie erbeten, indem wir alles Irdische mit der Kraft unsrer Arme und der Schneide unsres Schwertes verteidigen, und zwar nicht unter schützendem Dach, sondern unter freiem Himmel, ein Ziel den Sonnenstrahlen im Sommer und dem starrenden Frost im Winter. Sonach sind wir die Beamten Gottes auf Erden und der Arm, durch den hienieden seine Gerechtigkeit vollstreckt wird. Und da nun die Geschäfte des Krieges, und was ihn angeht und sich auf ihn bezieht, nicht anders als mit Schweiß und Arbeit und übermäßiger Mühsal betrieben werden können, so folgt daraus, daß, die ihn zum Beruf erkoren, ohne Zweifel größere Beschwer erdulden, als die in friedlicher Ruh und Stille dem Gebete zu Gott obliegen, daß er die Schwachen beschütze. Ich will nicht sagen, noch kommt es mir je in den Sinn, daß der Stand des fahrenden Ritters ein so tugendsamer sei wie der eines unter geweihtem Verschluß lebenden Klosterbruders; ich will nur aus dem, was ich zu erdulden habe, folgern, daß er ohne Zweifel mühseliger und mit Prügeln geplagter und hungriger und durstiger, jämmerlicher, zerlumpter und lausiger ist. Denn es ist unleugbar, die fahrenden Ritter der früheren Zeit erfuhren vielerlei Mißgeschick im Verlauf ihres Lebens. Und wenn etliche durch die Kraft ihres Armes zum Kaisertum aufstiegen, wahrlich, so kostete es sie ein gut Teil ihres Schweißes und Blutes; und wenn denen, die zu solchem Rang emporgelangt sind, Zauberer und Weise gefehlt hätten, um ihnen zu helfen, so hätten sie sich sicher um das Ziel ihrer Wünsche betrogen und in ihren Hoffnungen getäuscht gefunden.«

»Dieser Meinung bin ich auch«, sagte der Reisegefährte; »aber unter mancherlei anderem mißfällt mir namentlich etwas gar sehr. Nämlich wenn sie gerade im Begriffe sind, ein großes und gefährliches Abenteuer zu bestehen, wobei augenscheinliche Gefahr ist, das Leben zu verlieren, so kommt es ihnen im Augenblick, wo sie es bestehen wollen, nie in den Sinn, sich Gott zu empfehlen, wie jeder Christ bei solcherlei Gefahren zu tun verpflichtet ist, vielmehr empfehlen sie sich ihrer Dame mit solcher Inbrunst und Andacht, als wenn sie ihr Gott wäre; und das gehört zu den Dingen, die nach Heidentum schmecken, wie mich dünkt.«

»Werter Herr«, antwortete Don Quijote, »das kann unter keiner Bedingung anders sein, und übel fahren würde der Ritter, der anders handelte. Denn es ist nun einmal in Brauch und Übung bei der fahrenden Ritterschaft, daß der fahrende Ritter, sobald er an eine große Waffentat geht, seine Gebieterin vor Augen hat und die Blicke zärtlich und liebevoll auf sie richtet, als ob er sie bitte, ihm Huld und Schutz zu verleihen in der Fährlichkeit vor ungewissem Ausgang, die er zu bestehen sich anschickt. Und selbst wenn keiner ihn hört, ist er verpflichtet, ein paar Worte leise zwischen den Zähnen zu sprechen, in denen er sich ihr von ganzem Herzen empfiehlt; und davon gibt’s unzählige Beispiele in den Geschichten. Und das hat man nicht so zu verstehen, daß die Ritter deshalb unterlassen sollen, sich Gott zu empfehlen; denn dazu bleibt ihnen Zeit und Gelegenheit im Verlauf des Waffenwerks.«

»Trotz alledem«, entgegnete der Reisende, »bleibt mir doch noch ein Bedenken. Ich habe nämlich oftmals gelesen, daß zwischen zwei fahrenden Rittern ein Wortwechsel sich entspinnt, und wie ein Wort das andre gibt, entbrennt der Zorn in ihnen, sie wenden die Rosse, nehmen eine tüchtige Strecke zum Anlauf, und ohne weiteres wenden sie wieder um, im vollsten Rennen ihrer Gäule, zum Ansturm gegeneinander, und mitten im Anrennen empfehlen sie sich ihren Damen. Und was sich dann beim Aufeinandertreffen zu begeben pflegt, ist, daß der eine, vom Speer des Gegners durch und durch gestochen, über die Kruppe des Pferdes herabstürzt; und dem andren auch geschieht es, daß er, wenn er sich nicht an der Mähne des seinigen festhielte, den Fall zu Boden nicht vermeiden könnte. Und da weiß ich nicht, wie der Tote eine Möglichkeit gefunden haben soll, sich im Verlauf eines so eilig abgemachten Waffenwerks Gott zu empfehlen. Besser wäre es gewesen, er hätte die Worte, die er im Rennen darauf verwendet, sich seiner Dame zu empfehlen, auf das verwendet, was er als Christ schuldig und verpflichtet war zu tun. Und dies um so mehr, als ich der Meinung bin, nicht alle fahrenden Ritter haben Damen, denen sie sich empfehlen können; denn nicht alle sind verliebt.«

»Das ist unmöglich«, antwortete Don Quijote. »Ich sage, unmöglich kann es einen fahrenden Ritter ohne Dame geben; denn denselbigen ist es so zu eigen und angeboren, verliebt zu sein, wie dem Himmel, Sterne zu haben, und zuverlässig hat man nie eine Geschichte gelesen, wo ein fahrender Ritter ohne Liebeshandel vorkäme, und im Fall es einen gäbe, so würde er gerade darum nicht für einen echten Ritter gehalten werden, sondern für einen Bastard, der in die Burg des besagten Rittertums nicht durch die Tür, sondern über die Mauer weg eingedrungen wäre wie ein Wegelagerer und Dieb.«

»Trotz alledem«, sagte der Reisegefährte, »bedünkt es mich, wenn ich mich recht entsinne, gelesen zu haben, daß Don Galaor, der Bruder des tapferen Amadís von Gallien, niemals eine bestimmte Geliebte hatte, der er sich hätte empfehlen können; und trotzdem ward er um nichts geringer geachtet und war ein höchst streitbarer, wohlberufener Ritter.«

Darauf entgegnete Don Quijote: »Werter Herr, eine Schwalbe macht keinen Sommer, außerdem weiß ich, daß dieser Ritter insgeheim allerdings gar sehr verliebt war; nur war der Umstand, daß er alle, die ihm gefielen, gern hatte, seine angeborne Eigentümlichkeit, gegen die er nicht aufkommen konnte. Aber am Ende bleibt es doch völlig erwiesen, daß er eine einzige hatte, die er zur Herrin seiner Herzensneigungen erkoren, und dieser empfahl er sich ganz häufig und ganz im geheimen; denn er legte besonderen Wert darauf, ein das Geheimnis wahrender Rittersmann zu sein.«

»Wenn es also zum Wesen der Sache gehört, daß jeder fahrende Ritter verliebt sein muß«, sagte der Reisende, »so darf man sicherlich glauben, daß auch Euer Gnaden es ist, da Ihr zu diesem Stande gehört; und sollte es der Fall sein, daß Euer Gnaden keinen besonderen Wert darauf legt, alles so geheimzuhalten wie Don Galaor, so bitte ich Euch so inständig, als ich vermag, namens dieser ganzen Gesellschaft und meiner selbst, uns über Namen, Heimat, Stand und Schönheit Eurer Dame zu berichten; denn sie kann sich jedenfalls glücklich schätzen, wenn die ganze Welt erfährt, es sei ihr Huldigung und Liebe von einem solchen Ritter gewidmet, wie Euer Gnaden erscheint.«

Hier stieß Don Quijote einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ich kann nicht versichern, ob die süße Feindin mein es gern sieht oder nicht, daß die Welt wisse, daß ich ihr huldige; ich kann nur sagen, als Antwort auf ein so höfliches Ersuchen, daß ihr Name Dulcinea ist; ihre Heimat Toboso, ein Ort in der Mancha; ihrem Stande nach muß sie mindestens eine Prinzessin sein, da sie meine Königin und Gebieterin ist; ihre Schönheit überirdisch, da in ihr zur Wahrheit werden all die unmöglichen und nur von kühner Phantasie erträumten Reize, womit die Dichter ihre Geliebten begabt haben. Ihre Haare sind Gold, ihre Stirn ein Paradiesgarten, ihre Brauen gewölbte Regenbogen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen, Perlen ihre Zähne, Alabaster ihr Hals, Marmor ihre Brust, Elfenbein ihre Hände, ihre Weiße ist Schnee, und die Teile, welche die Ehrbarkeit dem menschlichen Anblick verdeckt, sind der Art, daß, wie ich denke und urteile, nur eine feinsinnige Beobachtung sie zu preisen, doch nicht mit andern zu vergleichen imstande ist.«

»Den Stammbaum, das Geschlecht, die Sippschaft wünschten wir zu erfahren«, versetzte Vivaldo.

Worauf Don Quijote antwortete: »Sie ist nicht aus dem Geschlechte der alten römischen Curtius, Gajus und Scipio noch der neueren Colonna und Orsini, sie ist nicht vom Stamme der Moncada oder Requesens von Katalonien, ebensowenig der Rebella und Villanova von Valencia, der Palafoj, Nuza, Rocaberti, Corella, Luna, Alagón, Urrea, Fos und Gurrea von Aragón; der Cerda, Manrique, Mendoza und Guzmán von Kastilien, der Alencastro, Pallas und Meneses von Portugal; sondern sie ist vom Hause derer von Toboso von der Mancha, einem Geschlechte, das zwar ein neues, aber doch ein solches ist, daß es den erlauchtesten Familien künftiger Jahrhunderte einen edlen Ursprung gewähren kann. Und hiergegen soll mir niemand Widerspruch erheben, es sei denn unter der Bedingung, welche Zerbin an den Fuß des Siegesmals schrieb, das er aus den Waffen Rolands errichtet hatte:

Es rühre keiner diese Waffen an,
Der nicht Roldán im Streit bestehen kann.«

»Obschon ich dem Geschlechte der Cachopines von Laredo angehöre«, entgegnete der Reisegefährte, »will ich doch nicht wagen, es mit dem Hause derer von Toboso von der Mancha zu vergleichen; wiewohl – die Wahrheit zu sagen – ein solcher Geschlechtsname mir noch nie zu Ohren gekommen ist.«

»Sonach wäre er Euch nicht zu Ohren gekommen?« erwiderte Don Quijote.

Mit großer Aufmerksamkeit hörten alle die übrigen Wanderer dem Gespräch der beiden zu, und selbst den Ziegenhirten und Schäfern wurde klar, an welch hohem Grad von Verrücktheit unser Don Quijote litt. Nur Sancho Pansa war des Glaubens, alles, was sein Herr sagte, sei volle Wahrheit, trotzdem er wußte, wer er war, und er ihn von Jugend auf kannte; nur woran er einigermaßen Anstand nahm, war, an die Sache mit der schönen Dulcinea von Toboso zu glauben; denn nie war ein solcher Name oder eine solche Prinzessin ihm zur Kenntnis gekommen, obschon er so nahe bei Toboso wohnte.

Unter solchen Gesprächen zogen sie des Weges, als sie sahen, daß aus einer Schlucht, die sich zwischen zwei hohen Bergen öffnete, etwa zwanzig Schäfer herabkamen, alle in schwarze Schafpelze gekleidet, den Kopf geschmückt mit Kränzen, die, wie man nachher in der Nähe sah, hier aus Taxus, dort aus Zypressenzweigen geflochten waren. Sechs von ihnen trugen eine Bahre, die mit einer Masse mannigfaltiger Blumen und Zweige bedeckt war. Bei diesem Anblick sprach einer der Ziegenhirten: »Die dort kommen, die tragen Grisóstomos Leiche, und am Fuß dieses Berges ist die Stelle, die er zu seinem Grabe bestimmt hat.«

Sie beeilten sich daher, an den Ort zu gelangen, und sie kamen gerade hinzu, als die Träger die Bahre eben niedergesetzt hatten. Vier von ihnen waren beschäftigt, mit spitzen Pickeln die Gruft am Rande einer harten Felswand zu graben. Mit Höflichkeit begrüßten sich alle gegenseitig, und Don Quijote und seine Begleiter richteten sofort ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Bahre und erblickten auf derselben, mit Blumen überdeckt, einen Leichnam in Schäfertracht, dem Anscheine nach im Alter von dreißig Jahren; und noch im Tode zeigte er, wie schön sein Antlitz und wie stattlich sein Aussehen im Leben gewesen war. Auf der Bahre lagen um ihn her einige Bücher und viele Papiere, teils offen und teils verschlossen. Sowohl die zuschauten als auch, die das Grab bereiteten, und alle andern, die zugegen waren, beobachteten ein wundersames Schweigen, bis einer der Träger zu dem andern sagte: »Seht wohl zu, Ambrosio, ob dies die Stelle ist, die Grisóstomo bezeichnet hat, da Ihr wollt, daß alles so ganz genau vollstreckt werde, was er in seinem Letzten Willen bestimmt hat.«

»Hier ist die Stelle«, antwortete Ambrosio, »denn hier hat mein unglücklicher Freund mir oft die Geschichte seines Mißgeschicks erzählt. Hier, sagte er mir, habe er zum erstenmal jene Todfeindin des menschlichen Geschlechts erblickt. Hier auch war’s, wo er ihr zum erstenmal seine Gesinnungen offenbarte, die so rein waren wie reich an Liebe; und hier war’s, wo Marcela zum letztenmal und unwiderruflich ihm kundgab, daß sie ihn verschmähe und alle Hoffnung ihm versagt sei, so daß er dem Trauerspiel seines elenden Lebens ein Ende machte; und hier wollte er, zum Angedenken so großen Unglücks, in den Schoß der ewigen Vergessenheit versenkt werden.«

Und sich zu Don Quijote und dessen Reisegefährten wendend, fuhr er folgendermaßen fort: »Dieser Körper, ihr Herren, den ihr mit Augen voll frommen Mitgefühls betrachtet, umschloß eine Seele, in welche der Himmel eine unendliche Fülle seiner reichsten Gaben gelegt. Dies ist der Körper jenes Grisóstomo, der einzig war an Geist, einzig an feiner Sitte, unvergleichlich an liebenswürdigem Wesen, ein Phönix in der Freundschaft, großmütig ohne Grenzen, würdevoll ohne Anmaßung, heiter, ohne zu niedrigem Scherz herabzusteigen, und, in einem Worte, der Erste in allem, was gut und edel, und ohnegleichen in allem, was unglücklich ist. Er liebte treu und wurde gehaßt; er betete an und ward verschmäht; er flehte zu einem reißenden Tier, er wollte einen Marmorblock rühren, er lief dem Winde nach, er erhob seine Stimme in der einsamen Öde, er weihte seine Dienste der Undankbarkeit, von der er als Lohn empfing, dem Tode zur Beute zu werden inmitten seiner Lebensbahn, der ihr Ende bereitet ward von einer Hirtin, die er bestrebt war unsterblich zu machen, auf daß sie im Angedenken der Menschen fortlebe; und das könnten wohl diese Blätter dartun, auf die ihr hinblickt, wenn er mir nicht geboten hätte, sie dem Feuer zu übergeben, sobald ich seinen Körper der Erde anvertraut habe.«

»Da würdet Ihr mit größerer Härte und Grausamkeit gegen sie verfahren«, sagte Vivaldo, »als ihr eigener Verfasser; denn es ist nicht gerecht noch verständig, den Willen eines Mannes zu vollziehen, dessen Anordnungen die Grenzen alles vernünftigen Denkens überschreiten. Auch Cäsar Augustus würde es nicht für recht erachtet haben, die Ausführung dessen zu gestatten, was der göttliche Mantuaner in seinem Letzten Willen verordnet hatte. Sonach, Señor Ambrosio, wenn Ihr den Körper Eures Freundes der Erde übergeben müßt, so wollet doch seine Schriften nicht der Vergessenheit übergeben; denn es ist nicht wohlgetan, daß Ihr, was er als ein schwergekränkter Mann verfügt hat, als ein unüberlegter vollstrecket. Verleihet vielmehr diesen Blättern Leben, damit sie es der Grausamkeit Marcelas auf ewig verleihen, um in den kommenden Zeiten den Lebenden zum Beispiel zu dienen, daß sie es meiden und scheuen, in solche Abgründe zu fallen. Denn ich und alle, die wir hier zugegen sind, wissen bereits die Geschichte dieses Eures durch Liebe in Verzweiflung gestürzten Freundes; wir kennen Eure Freundschaft und die Ursache seines Todes und die Verfügungen, die er bei seines Lebens Ende hinterlassen hat; eine jammervolle Geschichte, aus der man entnehmen kann, wie groß Marcelas Grausamkeit, Grisóstomos Liebe und die Treue Eurer Freundschaft gewesen und welches Ziel die erreichen, die mit verhängtem Zügel den Weg hinstürmen, den sinnlose Liebe ihnen vorzeichnet. Gestern abend erfuhren wir den Tod Grisóstomos, und daß er an diesem Orte bestattet werden solle, und deshalb haben wir, aus Neugier und aus schmerzlichem Mitgefühl, unsere gerade Straße verlassen und uns vorgenommen, mit unsern Augen zu sehen, was zu hören uns so sehr betrübt hatte. Zur Vergeltung nun für diese unsere Teilnahme und für den Wunsch, der in uns lebendig wurde, noch Hilfe zu leisten, wenn sie möglich wäre, bitten wir dich, Ambrosio, als verständigen Mann – ich wenigstens meinerseits gehe dich flehentlich an –: Laß ab von dem Vorhaben, diese Papiere zu verbrennen, und laß mich einige davon mit mir nehmen.«

Und ohne die Antwort des Schäfers abzuwarten, streckte er die Hand aus und nahm einige von den zunächst liegenden Blättern. Wie Ambrosio das gewahrte, sprach er: »Aus schuldiger Höflichkeit will ich zugeben, daß Ihr die Blätter, die Ihr schon genommen, behalten möget; aber zu denken, daß ich darauf verzichte, die übrigen zu verbrennen, wäre ein eitler Gedanke.«

Vivaldo, im lebhaften Wunsch, den Inhalt der Blätter kennenzulernen, faltete sofort eines auseinander und sah, daß die Überschrift lautete: Gesang der Verzweiflung. Das hörte Ambrosio und sprach: »Dies ist das letzte, was der Unglückliche geschrieben; und damit Ihr sehet, wie weit ihn sein Elend gebracht hat, leset es laut, daß man Euch hören kann; die Zeit, die man braucht, das Grab herzustellen, wird Euch dazu völlig ausreichen.«

»Das will ich sehr gerne tun«, sagte Vivaldo; und da die Anwesenden sämtlich den nämlichen Wunsch hegten, stellten sie sich in die Runde, und er las mit vernehmlicher Stimme das Gedicht vor, das folgendes aussagte: