14. Kapitel

Welches Grisóstomos Gesang der Verzweiflung enthält, nebst andern unerwarteten Ereignissen

Grisóstomos Gesang

Da du es willst, daß rings von Mund zu Munde,
Von Volk zu Volk erschallt, grausame Schöne,
Wie hart dein Herz und wie es mir ergrimme,

So leih ich Schmerzenston mir aus dem Grunde
Der Hölle selbst, daß mir die grausen Töne
Entstellen den gewohnten Klang der Stimme.

Und meinem Wunsch gehorchend, der das schlimme
Geschick, so deine Frevel mir verheißen,
Laut künden will, wird wilder Schmerz erbrausen
Und wird mir, um zu steigern Qual und Grausen,
Vom blutgen Herzen Stücke mit sich reißen.

Sollst du Gehör leihn, nein, dem krassen Stöhnen
Des Jammers, der tief aus erkrankten Herzen
Hervor sich ringt mit Wahnsinn, mit Entsetzen,
Um mich zu letzen
und dich doch zu schmerzen.

Des Wolfes fürchterlich Geheul, des Leuen
Gebrüll, das gräßliche Gezisch der schuppigen Schlange,
Aus fremden Untiers Schlund das heisere Bellen;

Und das Gekrächz der Krähen, die da dräuen,
Daß Unheil naht; die Stürm im Donnergange,
Wild kämpfend auf empörten Meereswellen;

Des Stiers Gebrülle, den im Kampf zu fällen
Dem Feind gelang; der Turteltaube Girren
Um ihres Gatten Tod; der düstre Sang der Eule,
Der vielbeneideten; das Angstgeheule
Verdammter Geister, die im Dunkel schwirren;

Mir sollen sich all diese Kläng entringen,
Mit meiner Seele ineinanderklingen
In einem Schrei, daß wirr zusammenbrechen
Die Sinne all; denn was mein Herz bedränge,
Heischt neue Klänge,
um es auszusprechen.

Nicht soll des Vaters Tajo Sandgefilde
Mich hören, nicht der Bätis, der in Düften
Des Ölbaums hinwallt zu des Südens Pforten:

Ausklingen soll mein Schmerz, der grimme, wilde,
Auf hohen Felsen und in tiefen Klüften,
Von toter Zunge, in lebendigen Worten;

Oder in dunklen Tälern und an Orten,
In deren Öde Menschen nie verkehren
Oder die nie den Sonnenstrahl gewahren,
Oder wo wilder Bestien giftge Scharen
Sich an des flachen Nils Gestade nähren.

Und wenn auch nur in leblos öder Heide
Das Echo, auferweckt von meinem Leide,
Verkündet deine Härte sondergleichen,
So wird es doch – ein Vorrecht meinem
Wehe – In Fern und Nähe
rings die Welt durchstreichen.

Verschmähn bringt Tod; Verdacht, ob er vergebens
Sich regt, ob wahr, weiß die Geduld zu morden;
Tod bringt auch Eifersucht, die schlimmste Plage.

Zu lange Trennung nagt am Mark des Lebens;
Gegen die Angst, daß du vergessen worden,
Hilft auch kein sichres Hoffen beßrer Tage.

Dies all ist sichrer Tod. Ich aber frage:
Welch Wunder, daß ich fort mein Dasein führe,
Entfernt, verschmäht, von Eifersucht durchlodert!
Wahrheit der Argwohn, der mein Leben fordert!
In der Vergessenheit, an der ich schüre

Des Busens Glut, in soviel Qualen, nimmer
Ersah mein Blick der Hoffnung fernsten Schimmer,
Ich wage selbst nicht mehr, ihr nachzustreben,
Nein, um mich zu versenken in mein Leiden,
Schwör ich zu meiden
sie fürs ganze Leben.

Kann man im selben Augenblicke hoffen
Und fürchten? Wer mag hoffen und vertrauen,
Wo für das Fürchten stärkre Gründe walten?

Vom Blick der nahenden Eifersucht getroffen,
Soll schließen ich mein Äug; ich muß sie schauen
Durch tausend Wunden, so die Seel zerspalten.

Wer wird dir nicht die Tür weit offenhalten,
Mißtrauen, wenn Mißachtung ihre Züge
Entschleiert zeigt, in jeder kleinsten Handlung
Verdacht zur Wahrheit wird, o schlimme Wandlung!
Und reine Wahrheit sich verkehrt zur Lüge?

Gib, Eifersucht, Tyrannin in den Landen
Der Liebe einen Dolch! Mit Todesbanden,
Verschmähung, komm, mit festgedrehten Stricken!
Doch ach, schon fühl ich, wie Erinnerungen,
Die mich bezwungen,
alles Leid ersticken.

Doch muß ich sterben. Und damit ich künftig
Nie Heil erhoffen darf in Tod und Leben,
Will ich festhalten meinen Wahn und sagen:

Daß, wer recht liebt, recht handelt und vernünftig;
Daß der am freisten, der zumeist ergeben
Sich von der Liebe läßt in Bande schlagen;

Daß dir die Feindschaft stets zu mir getragen,
Schönheit der Seele wie des Leibs beschieden;
Daß ich’s verschulde, wenn du mich vergessen;
Daß durch das Leid, das sie uns zugemessen,
Die Lieb ihr Reich hält in gerechtem Frieden.

Mit solchem Wahn und mit grausamem Strange
Das Ziel beschleunigend, zu dem seit lange
Dein Hohn mich führt, geb ich, dem Erdenqualme
Entrückt, den Lüften Leib und Seele, ohne
Daß einst mir lohne
Lorbeer oder Palme.

Durch soviel Unrecht, das du mir erwiesest,
Gabst du das Recht mir und gabst mir die Lehre:
Sein Recht zu tun dem lang verhaßten Leben.

Sieh meines Herzens Wunden an, du liesest
Darin, wie freudevoll ich dir’s gewähre,
Mich deinem Groll als Opfer hinzugeben.

Erkennst du dann vielleicht, mein treues Streben
War wert, daß deiner Augen Himmelshelle
Bei meinem Tod sich trübe – doch geschehe
Das nie! Dich rühre nie das kleinste Wehe,
Wenn ich mein Herze dir zur Beute fälle.

Nein, lachend, wenn zum Grab gehn meine Reste,
Zeig, daß mein letzter Tag dir wird zum Feste!
Doch töricht, daß ich solchen Rat verschwende;
Da es ja anerkannt, wie Ruhm und Ehre
Es dir gewähre,
wenn so rasch mein Ende.
Nun kommt, ’s ist Zeit, vom schwarzen Höllenpfade,
Kommt! Tantalus, der ewgen Dursts Geplagte,
Und Sisyphus, den Stein emporzuschwingen

Bemüht, Ixion unter seinem Rade,
Und Tithyus, der vom Geier stets Genagte,
Die Schwestern, die in ewger Mühsal ringen:

Laßt euren Jammerschrei herüberklingen
In meine Brust, kommt all mit dumpfer Klage,
Und – falls sie dem Verzweifelten gebühren
Dem Leichnam Totenchöre aufzuführen,
Ob auch die Welt das Bahrtuch ihm versage.

Du, Höllenpförtner, auch mit den drei Rachen,
Ihr Ungeheuer, all ihr tausendfachen,
Eur Grundbaß klinge drein, der rauhe, harte;
Denn wert ist keiner Beßren Leichenfeier
Ein toter Freier,
den die Liebe narrte.

Lied der Verzweiflung, nun du von mir scheidest,
Glaub, daß du darum nicht Verlust erleidest;
Denn da dem Quell, draus deine Tön entspringen,
Mein Unglück wird zur reichern Glückesgabe,
Darfst du am Grabe
selbst nicht traurig klingen.

Grisóstomos Gesang gefiel allen Zuhörern wohl; wiewohl der Vorleser sagte, das Gedicht scheine ihm nicht dem Bericht zu entsprechen, den er über Marcelas Züchtigkeit und Tugend vernommen, denn darin klage Grisóstomo über Eifersucht, Verdacht und Abwesenheit, alles zum Nachteil von Marcelas gutem Ruf und unbescholtenem Namen.

Darauf antwortete Ambrosio als der genaue Kenner der geheimsten Gedanken seines Freundes: »Damit Ihr, edler Herr, Euch wegen dieses Zweifels beruhigt, wird es Euch angenehm sein zu erfahren, daß der Unglückliche damals, da er dieses Gedicht schrieb, sich aus Marcelas Nähe fernhielt; er hatte sich freiwillig von ihr entfernt, um zu erproben, ob die Abwesenheit ihre gewöhnlichen Rechte bei ihm geltend machen würde. Und da es nichts gibt, was den entfernten Liebenden nicht quälte, und sich keine Besorgnis denken läßt, die ihn nicht ergriffe, so fühlte sich Grisóstomo gepeinigt von eingebildeter Eifersucht und von einem Argwohn, vor dem er sich ängstigte, als ob er wirklich in seiner Seele vorhanden wäre. Und so bleibt alles völlig in seiner Wahrheit, was der Ruf von Marcelas Tugend rühmt. Denn außer daß sie grausamen Sinnes ist und etwas Hoffart und sehr viel Geringschätzung an den Tag legt, darf und kann der Neid selbst Ihr keinen Fehler anheften.«

»So ist’s in Wahrheit«, erwiderte Vivaldo; und eben war er im Begriff, ein andres Blatt, das er gleichfalls aus dem Feuer gerettet, zu lesen, als eine wunderbare Erscheinung – so kam sie allen vor – ihn davon abhielt, welche unversehens sich den Blicken zeigte. Hoch oben nämlich auf dem Felsen, an dessen Fuße man das Grab aufwarf, erschien die Schäferin Marcela in so hoher Schönheit, daß sie ihren Ruf noch weit überstrahlte. Die sie bis jetzt noch nicht gesehen hatten, schauten mit schweigender Bewunderung zu ihr hinauf, und die bereits ihres Anblicks gewohnt waren, blieben nicht weniger gefesselt als jene, die sie nie gesehen.

Aber kaum hatte Ambrosio sie gewahrt, als er mit Gebärden lebhafter Entrüstung ihr zurief: »Kommst du vielleicht, du grimmer Basilisk dieser Berge, um zu sehen, ob in deiner Gegenwart die Wunden dieses Unglücklichen, dem deine Grausamkeit das Leben geraubt, zu fließen beginnen, oder um von dieser Höhe wie ein anderer Nero gefühllos auf die Flammen seines brennenden Roms zu schauen oder um diesen unseligen Leichnam mit Füßen zu treten wie die undankbare Tochter den ihres Vaters Servius Tullius? Sag uns nur unverzüglich, warum du kommst oder was eigentlich dein Begehr ist; denn da ich weiß, daß alle Gedanken Grisóstomos nie einen Augenblick im Leben aufhörten, dir dienstbar zu sein, so will ich es bewirken, daß, obschon er selber tot, dir das ganze Denken und Wollen all derer zu Diensten sei, die seine Freunde waren.«

»Ich komme keineswegs, Ambrosio«, antwortete Marcela, »in einer Absicht, wie du deren manche genannt hast, sondern um mich selbst zu verteidigen und klarzumachen, wie vernunftwidrig sie alle denken, die mir an Grisóstomos Leiden und Tod schuld geben. Und so bitte ich euch alle, die ihr zugegen seid, mir Aufmerksamkeit zu schenken; denn es wird nicht vieler Zeit noch der Aufwendung vieler Worte bedürfen, um die Verständigen von einer wahren Tatsache zu überzeugen.

Der Himmel schuf mich, wie ihr es saget, schön, und von solcher Schönheit, daß sie, ohne daß ihr anders vermöchtet, euch zwinge, mich zu lieben; und um der Liebe willen, die ihr mir bezeigt, sagt ihr, ja fordert ihr, soll ich verpflichtet sein, euch zu lieben. Wohl kann ich mit dem natürlichen Verstande, den Gott mir gegeben, einsehen, daß alles Schöne liebenswert ist; aber das kann ich nicht begreifen, wieso aus dem einzigen Grunde, daß es geliebt wird, dasjenige, was man um seiner Schönheit willen liebt, auch verpflichtet sein soll, den Liebenden wiederzulieben. Zumal es sich ja ereignen könnte, daß der Liebhaber des Schönen häßlich wäre, und da das Häßliche Haß verdient, ziemt es einem Manne gar übel, dem Weibe zu sagen: Ich liebe dich, weil du schön bist; du mußt mich lieben, obschon ich häßlich bin. Aber gesetzt den Fall, es sei die Schönheit beiderseits gleich, so müssen darum noch nicht die Neigungen beiderseits gleiche Wege verfolgen; denn nicht jede Schönheit erweckt Liebe, manche erfreut den Anblick und unterwirft sich nicht die Herzen. Wenn aber jede Schönheit Liebe erweckte und die Herzen unterwürfe, so würden die Neigungen in Wirrsal und ohne sichern Weg hin und her schwanken, so daß sie gar nicht wüßten, auf welches Ziel sie ausgehen sollten; denn da die schönen Menschen zahllos sind, müßten auch die Wünsche zahllos sein, und doch, wie ich sagen hörte, kann sich wahre Liebe nicht teilen und muß freiwillig sein und nicht erzwungen. Da dem nun so ist – und ich bin überzeugt, es ist so –, warum wollt ihr, daß ich mein Herz mit Gewalt bezwinge, da ich doch durch nichts weiter verpflichtet bin, als daß ihr versichert, mich zu lieben? Wo nicht, so sagt mir doch: wenn der Himmel, wie er mich schön erschuf, mich häßlich geschaffen hätte, wäre es gerecht, wenn ich mich über euch beschwerte, weil ihr mich nicht liebtet? Außerdem müßt ihr erwägen, daß ich die Schönheit, die ich besitze, mir nicht selbst erkoren; wie sie eben ist, so hat der Himmel sie mir als Gnadengabe verliehen, ohne daß ich sie mir erbeten oder auserwählt habe. Und wie die Viper wegen des Giftes, das sie in sich trägt, obwohl sie damit tötet, keine Anschuldigung verdient, weil die Natur es ihr gegeben, so verdiene auch ich deshalb, weil ich schön bin, keinen Vorwurf; denn die Schönheit ist bei einem sittsamen Weibe wie das entfernte Feuer oder wie die scharfe Schwertklinge: jenes brennt und diese schneidet keinen, der ihnen nicht nahe kommt. Die Ehre, die Tugenden sind der Seele Zierden, ohne welche der Leib, mag er auch schön sein, nicht als schön betrachtet werden kann. Da nun Sittsamkeit eine der Tugenden ist, die den Leib am meisten zieren und verschönern, weshalb soll diejenige, die um ihrer Schönheit willen geliebt wird, die Tugenden aufgeben, um den Wünschen dessen zu entsprechen, der bloß seiner Neigung wegen mit allen Kräften und Künsten danach trachtet, sie ihr zu rauben? Frei bin ich geboren, und um in Freiheit leben zu können, hab ich die Einsamkeit der Fluren erkoren; die Bäume dieser Berghöhen sind meine Gesellschaft, die klaren Fluten dieser Bäche sind meine Spiegel; den Bäumen und Bächen geh ich teil an meinen Gedanken und meiner Schönheit. Ich bin ein entferntes Feuer, eine beiseite gelegte Schwertklinge. Die ich durch meinen Anblick mit Liebe erfüllte, hab ich durch meine Worte enttäuscht; und wenn Wünsche sich von Hoffnungen nähren, so habe ich weder Grisóstomo noch sonst jemandem irgendeine Hoffnung gewährt, und so kann man wohl sagen, daß ihn eher sein eigensinniges Beharren als meine Grausamkeit getötet hat. Legt man mir aber zur Last, daß seine Absichten redlich waren und daß ich deshalb verpflichtet gewesen, ihnen Gehör zu geben, so sage ich: als an diesem nämlichen Orte, wo jetzt sein Grab gegraben wird, er mir das redliche Ziel seiner Wünsche offenbarte, erklärte ich ihm, daß die meinigen dahin gingen, in beständiger Einsamkeit zu leben und nur den Schoß der Erde dereinst die Frucht meiner Zurückgezogenheit, und was von meiner Schönheit alsdann noch übrig, genießen zu lassen. Und wenn er nun trotz dieser Aufklärung, der versagten Hoffnung zu Trotz, beharrlich bleiben und gegen den Wind segeln wollte, was Wunder, daß er mitten auf dem Meere seiner sinnlosen Torheit unterging? Hätt ich ihn hingehalten, so wäre ich falsch gewesen; hätt ich ihn zufriedengestellt, so hätte ich gegen meine bessere Überzeugung und Absicht gehandelt.

Er beharrte auf seinem Sinn, wiewohl über alles im klaren; er verzweifelte, ohne gehaßt zu werden: erwäget nun, ob es recht ist, seines Leidens Schuld mir aufzubürden. Es beschwere sich, wer getäuscht worden; es verzweifle, wem erweckte Hoffnungen fehlgeschlagen; den ich zu mir rufe, der hege Zuversicht; wem ich Zugang verstatte, der rühme sich dessen; aber es nenne nicht der mich grausam und Mörderin, dem ich nichts verspreche, den ich nicht täusche, nicht rufe, nicht zulasse. Der Himmel hat bis jetzt nicht gewollt, daß ich durch den Zwang des Geschickes liebe, und zu glauben, daß ich aus freier Wahl lieben werde, ist zwecklos. Diese allgemeine Absage diene allen, die mich zu ihrem eignen Besten umwerben; und fürderhin sei es klargestellt, daß, wenn jemand um meinetwillen sterben sollte, er nicht aus Eifersucht oder Zurücksetzung stirbt; denn wer keinen liebt, darf auch keinem Eifersucht einflößen, und Enttäuschung darf man nicht für Verschmähung erklären. Wer mich ein Untier, einen Basilisken nennt, der soll mich als etwas Schädliches und Böses meiden; wer mich undankbar nennt, soll mir nicht huldigen; wer unerkennbar, möge mich nicht kennenlernen; wer grausam, suche nicht meine Nähe: denn dies Untier, dieser Basilisk, diese Undankbare, diese Grausame, diese Unerkennbare wird nie und nimmermehr jene herbeiwünschen, ihnen huldigen, ihre Bekanntschaft und ihren Umgang suchen.

Wenn rastlose Leidenschaft und ungestümes Begehren Grisóstomo den Tod gebracht haben, warum soll mein sittsames Benehmen, meine züchtige Zurückhaltung beschuldigt werden? Wenn ich meine Reinheit im Verkehr mit den Bäumen des Waldes bewahre, wie kann der verlangen, daß ich sie opfere, der da verlangt, daß ich Verkehr mit Männern unterhalte? Ich besitze eigne Habe, wie ihr wisset, und begehre fremder nicht; ich bin freien Standes, und es behagt mir nicht, mich von jemand abhängig zu machen. Ich liebe und hasse niemand; nicht täusche ich daher diesen und werbe um jenen, nicht treibe ich Spiel mit dem einen noch Scherz mit dem andern. Der sittsame Umgang mit den Mägdlein dieser Dörfer und das Hüten meiner Ziegenherde ist meine Unterhaltung; meine Wünsche haben diese Berghöhen zur Grenze, und wenn sie je darüber hinausstreben, so geschieht es doch nur, um die Schönheit des Himmels zu betrachten, eine Beschäftigung, die die Seele zu ihrer ersten Wohnung zurückleitet.«

Und mit diesen Worten, ohne eine Entgegnung hören zu wollen, wandte sie ihnen den Rücken und bog ins tiefste Dickicht eines nahen Bergwaldes ein, während sie alle Anwesenden in hohem Staunen über ihren Verstand und über ihre Schönheit zurückließ. Und einige aus der Zahl jener, die sich vom mächtigen Geschoß ihrer schönen Augenstrahlen getroffen fühlten, machten Miene, ihr zu folgen, ohne die unumwundene Absage, die sie vernommen, sich zunutze zu machen.

Sowie Don Quijote dies bemerkte, erachtete er hier sogleich die rechte Gelegenheit gekommen zur Übung seiner Ritterpflicht, bedrängten Jungfrauen beizustehen; und die Hand an den Knauf seines Schwertes legend, sprach er mit lauter, vernehmbarer Stimme: »Keiner, wes Standes und Ranges er auch sei, erkühne sich, der schönen Marcela zu folgen, bei Strafe, meinen wütigen Groll zu erfahren. Sie hat mit klaren, genügenden Gründen dargelegt, wie sie geringe oder gar keine Schuld an Grisóstomos Tode trägt und wie fern sie dem Gedanken steht, auf die Wünsche irgendeines ihrer Liebeswerber einzugehen; und aus sotanen Gründen ist es gebührend, daß, anstatt Marcela zu folgen und zu verfolgen, sie geehrt und hochgeschätzt werde von allen Redlichen auf dieser Erde, sintemal sie erweiset, daß auf selbiger sie allein es ist, die in so tugendsamen Gesinnungen lebt.«

Ob es nun um der Drohungen Don Quijotes willen geschah oder weil Ambrosio sie ersuchte, bald zu Ende zu bringen, was sie ihrem guten Freunde schuldig waren, keiner von den Hirten rührte sich oder wich von der Stelle, bis das Grab fertiggegraben, Grisóstomos Papiere verbrannt und sein Leichnam – nicht ohne reichliche Tränen der Umstehenden – in die Erde versenkt worden. Dann verschlossen sie die Gruft einstweilen mit einem Felsblock, bis der Grabstein bereit wäre, den Ambrosio, wie er mitteilte, fertigen zu lassen gedachte, mit einer Inschrift, die folgendes aussagen sollte:

Hier ruht aus ein liebend Herz,
Und sie, die ihm schuf die Leiden,
Da die Herd er ging zu weiden,
Weidet sich an seinem Schmerz.

Schön war, die den Tod ihm gab,
Aber grausam ohnegleichen: –
So führt nun in Amors Reichen
Tyrannei den Herrscherstab.

Sodann streuten sie auf das Grab viele Blumen und Zweige, und nachdem sie alle ihrem Freunde Ambrosio ihr Beileid bezeigt, nahmen sie von ihm Abschied. So taten auch Vivaldo und sein Gefährte, und Don Quijote nahm Urlaub von seinen Wirten und den beiden Reisenden, welche ihn baten, mit ihnen nach Sevilla zu kommen, weil dieser Ort sich so dazu eigne, Abenteuer zu finden, daß sie sich in jeder Gasse und hinter jeder Ecke häufiger bieten als irgendwo auf Erden. Don Quijote dankte ihnen für den guten Rat und für den ihm bezeigten Willen, ihm förderlich zu sein, erklärte aber, daß er für jetzt nicht nach Sevilla gehen wolle und dürfe, bis er dieses ganze Gebirge von den Räubern und Wegelagerern gesäubert habe, mit denen es, wie es allgemein heiße, angefüllt sei.

Da die Reisenden sein edles Vorhaben ersahen, wollten sie nicht weiter in ihn dringen, sondern nahmen nochmals Abschied, verließen ihn und verfolgten ihren Weg weiter, wobei es ihnen nicht an Stoff zur Unterhaltung fehlte sowohl über Marcelas und Grisóstomos Geschichte als auch über die Narreteien Don Quijotes. Dieser indessen beschloß, die Hirtin Marcela aufzusuchen und alles ihr zu erbieten, was er zu ihrem Dienste vermöchte. Allein es erging ihm anders, als er dachte; wie dieses nun im Fortgang unserer wahrhaftigen Geschichte erzählt werden soll.

15. Kapitel

Worin das unglückliche Abenteuer erzählt wird, welches Don Quijote begegnete, als er den ruchlosen Yanguesen begegnete

Es erzählt der gelahrte Sidi Hamét Benengelí, daß Don Quijote, sobald er sich von seinen Wirten und von allen andern, die der Beerdigung des Schäfers Grisóstomo beigewohnt, verabschiedet hatte, sofort mit seinem Schildknappen den Weg in denselben Wald nahm, in welchen, wie sie gesehen, die Schäferin Marcela sich begeben hatte. Sie waren zwei Stunden lang darin umhergeschweift, hatten sie allerorten gesucht, ohne sie finden zu können, und gelangten endlich an eine Wiese voll frischen Grases, an der ein Bach vorbeifloß, so anmutig und kühl, daß er sie einlud, ja sie nötigte, hier die Stunden der Mittagshitze zu verbringen, die sich bereits mit drückender Gewalt einzustellen begann.

Don Quijote und Sancho stiegen ab, und das Grautier und Rosinante frei umher das reichlich vorhandene Gras abweiden lassend, gingen sie daran, alles Eßbare aus Sanchos Habersack in den Magen einzusacken, und ohne viel Umstände wurde, was darin war, in gemütlicher Eintracht und Kameradschaft von Herrn und Diener aufgegessen.

Sancho war es nicht zu Sinn gekommen, dem Rosinante eine Spannkette anzulegen; er war unbesorgt, da er den Gaul als ein so sanftes und so wenig brünstiges Tier kannte, daß alle Stuten von den Gehegen von Córdoba ihn nicht zu etwas Ungebührlichem hätten verleiten können.

Nun aber fügten es das Schicksal und der Teufel, der nicht immer schläft, daß eine Koppel galizischer Stuten in diesem Tale weidete, geführt von Treibern aus Yanguas, die die Gewohnheit haben, Mittagsruhe mit ihren Tieren an Orten, wo es Gras und Wasser gibt, zu halten; und der Platz, wo Don Quijote sich gelagert, war den Yanguesen sehr gelegen. Da geschah es denn, daß den Rosinante die Lust ankam, mit den jungen Galizierinnen zu kurzweilen, und gleich wie er sie witterte, ganz aus der Art schlagend, ohne seinen Herrn um Erlaubnis zu bitten, setzte er sich kecklich in einen kurzen Hundetrab und sprengte hin, um seinem Herzensdrang bei ihnen obzuliegen; aber die Stuten, die offenbar mehr Lust zur Weide als zu anderm hatten, empfingen ihn so mit Hufen und Zähnen, daß sie ihm alsbald den Gurt sprengten und er ohne Sattel und Bügel dastand. Was ihn dabei am schmerzlichsten berühren mußte, war, daß die Säumer, sobald sie sahen, daß ihren Stuten Gewalt geschehen sollte, mit Knütteln herzuliefen und ihm so viel Prügel aufzählten, daß sie ihn übel zugerichtet zu Boden streckten.

Don Quijote und Sancho, welche die Abprügelung Rosinantes mit angesehen, kamen jetzt keuchend herbei, und der Ritter sprach zu seinem Knappen: »Soviel ich sehe, Freund Sancho, sind dies nicht Ritter, sondern gemeines Volk und von niedriger Herkunft; ich sage dies, weil du hier mir allerdings beistehen kannst, die gebührende Rache zu nehmen für die Schmach, die vor unsern Augen Rosinante zugefügt worden.«

»Was Teufel für Rache sollen wir nehmen«, entgegnete Sancho, »wenn ihrer mehr als zwanzig und unser nur zwei sind, und vielleicht gar nur anderthalb?«

»Ich zähle für hundert«, entgegnete Don Quijote. Und ohne mehr Worte zu verlieren, griff er zum Schwert und fiel über die Yanguesen her; und dasselbe tat Sancho Pansa, befeuert und angetrieben durch das Beispiel seines Herrn. Und gleich zum Beginn versetzte Don Quijote dem einen einen Hieb, der ihm den Lederkittel samt einem großen Teil der Schulter spaltete. Die Yanguesen, die von nur zwei Leuten sich mißhandelt sahen, während ihrer so viele waren, griffen zu ihren Knütteln, und die beiden in die Mitte nehmend, begannen sie mit gewaltigem Nachdruck und Ingrimm auf sie loszudreschen. Die Wahrheit verlangt zu sagen, daß sie schon mit dem zweiten Schlag Sancho zu Boden streckten und dem Ritter das nämliche geschah, ohne daß seine Gewandtheit oder sein mutiger Sinn ihm geholfen hätten, und sein Geschick wollte, daß er zu Rosinantes Füßen zu Fall kam, der sich noch nicht wiederaufgerichtet hatte. Woraus man denn ersehen kann, wie wütig die Knüttel in den Händen ergrimmter Bauern dreinschlagen.

Als nun die Yanguesen die arge Bescherung sahen, die sie hier angerichtet, packten sie mit größtmöglicher Schnelligkeit ihren Tieren die Traglasten wieder auf, verfolgten ihren Weg und ließen die beiden Abenteuergierigen in übler Verfassung und noch üblerem Gemütszustand liegen.

Don Quijote

Der erste, der wieder zu sich kam, war Sancho Pansa, und da er sich neben seinem Herrn hingestreckt sah, sagte er mit schwacher, kläglicher Stimme: »Señor Don Quijote! Ach, Señor Don Quijote!«

»Was willst du, Freund Sancho?« versetzte Don Quijote mit demselben schwächlichen, jammervollen Ton wie Sancho.

»Ich möchte, wenn’s möglich wäre«, antwortete Sancho Pansa, »daß mir Euer Gnaden ein paar Tropfen von jenem Tranke des Schwerenbrast gäbe, wenn Ihr ihn hier zuhanden habt; vielleicht nützt er ebenso für zerschlagene Knochen wie für Hieb- und Stichwunden.«

»Hätt ich ihn hier, ich Unseliger, was ginge uns dann ab?« entgegnete Don Quijote. »Aber ich schwöre dir, Sancho Pansa, auf fahrenden Ritters Wort, ehe zwei Tage ins Land gehen, wenn es das Glück nicht anders fügt, wird er in meinem Besitz sein, oder ich müßte keine Hand mehr regen können.«

»So? In wieviel Tagen meinen denn Euer Gnaden, daß wir die Füße rühren können?« versetzte Sancho.

»Soviel mich angeht, muß ich sagen«, antwortete der wohlzerdroschene Ritter Don Quijote, »daß ich diesen Tagen eine Frist nicht bestimmen kann. Aber ich trage Schuld an allem, ich durfte nicht zum Schwerte greifen gegen Leute, die nicht wie ich zum Ritter geschlagen sind; und so glaube ich, daß zur Strafe für diese Übertretung der Gesetze des Rittertums der Gott der Schlachten verstattet hat, daß mir diese Züchtigung zuteil geworden. Deshalb, Sancho Pansa, ist es gebührlich, daß du wohl auf das merkest, was ich dir jetzt sagen will; denn es ist hochwichtig für unser beider Wohlfahrt: wenn du nämlich siehst, daß solches Gesindel uns eine Unbill zufügt, so warte nicht ab, daß ich zum Schwert greife, denn das werde ich unter keinerlei Umständen tun, sondern lege du Hand ans Schwert und züchtige sie gehörig nach Herzenslust. Kommen ihnen aber Ritter zu Hilfe und Beistand, so werde ich dich zu verteidigen und sie aus aller Macht zu befehden wissen; denn du wirst schon an tausend Merkzeichen und Proben gesehen haben, wieweit die Gewalt dieses starken Armes reicht.«

Mit solcher Hoffart hatte den armen Herrn die Besiegung des mannhaften Biskayers erfüllt.

Aber die Anweisung, die Don Quijote ihm gegeben, gefiel dem Knappen keineswegs so sehr, daß er eine Antwort darauf hätte unterlassen mögen. Und so sagte er: »Edler Herr, ich bin ein friedfertiger Mann, sanftmütig, geruhigen Sinnes, und weiß mich über jede Unbill hinwegzusetzen; denn ich habe Frau und Kinder zu ernähren und zu erziehen. Und so bitte auch ich Euer Gnaden, wohl darauf zu merken, denn vorschreiben kann ich ja nichts: daß ich unter keinerlei Umständen je zum Schwert greifen werde, weder gegen Bauern noch gegen Ritter, und daß ich von jetzt ab, bis ich vor Gott erscheine, jede Ungebühr verzeihe, die man mir angetan hat oder antun wird, einerlei ob der mir sie angetan oder antut oder antun wird, vornehm oder gering, reich oder arm, adelig oder bürgerlich ist, ohne irgendeinen Stand oder Beruf auszunehmen.«

Als sein Herr ihn so reden hörte, entgegnete er: »Ich möchte nur, daß ich Atem genug hätte, um ohne Beschwer reden zu können, und daß der Schmerz an der Rippe hier sich ein klein wenig lindern wollte, um dir klarzumachen, in welchem Irrtum du befangen bist. Gib acht, du sündiger Tropf: Wenn der Wind des Glückes, der uns bisher so zuwider war, sich zu unsern Gunsten dreht und uns die Segel unsres Wunsches schwellt, auf daß wir sicher und ohne Gegenwind noch Hindernis an einer der Insuln landen, die ich dir versprochen habe, wie würde es um dich stehen, wenn ich sie unterwürfe und dich zu ihrem Herrn einsetzte? Du wirst mir dieses ja zur Unmöglichkeit machen, weil du weder Ritter bist noch es werden willst und weil du weder Mut noch Willen hast, zugefügte Unbilden zu rächen und dein Fürstentum zu verteidigen. Denn du mußt wissen, in neu eroberten Reichen und Provinzen sind die Gemüter der Eingeborenen nie so ruhig noch so völlig auf seiten des neuen Herrn, daß man nicht stets besorgen müßte, daß sie irgendwelche Neuerung vornehmen wollen, um die Zustände wieder zu ändern und aufs neue, wie man sich ausdrückt, ihr Glück zu versuchen. Notwendig also muß der neue Besitzer den Verstand haben, sich richtig zu benehmen, und tapfern Mut, um bei jedem Vorkommnis zu Angriff und Abwehr bereit zu sein.«

»Bei dem Vorkommnis von heute«, antwortete Sancho, »hätte ich wohl den Verstand nebst dem tapfern Mut besitzen mögen, worüber Euer Gnaden sprechen; aber ich schwör’s auf armen Mannes Wort, mir steht der Sinn mehr nach einem Pflaster als nach Unterhaltung. Seht zu, gnädiger Herr, ob Ihr Euch aufrichten könnt, und dann wollen wir Rosinante auf die Beine helfen, wiewohl er’s nicht verdient. Nie hätt ich so was von Rosinante geglaubt; denn ich hielt ihn für einen keuschen, so friedfertigen Jungen wie mich selbst. Freilich, mit Recht sagt man, es braucht geraumer Zeit, um die Leute kennenzulernen, und nichts Gewisses gibt’s in diesem Leben. Wer hätte gedacht, daß nach jenen so gewaltigen Schwerthieben, wie sie Euer Gnaden dem Unglücksmann, dem fahrenden Ritter von dazumal, versetzt hat, gleich darauf mit der Eilpost dieses gewaltige Unwetter von Prügeln kommen sollte, das sich über unsre Rücken entladen hat?«

»Jedenfalls muß der deinige, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »auf solche Ungewitter eingerichtet sein; jedoch der meinige, von Jugend auf an feine Leinwand und Batist gewöhnt, muß natürlich den Schmerz dieses Mißgeschicks weit mehr fühlen; und wäre es nicht darum, daß ich denke – was sage ich, denke? –, daß ich mit völliger Gewißheit weiß, wie solche Unannehmlichkeiten von dem Waffenhandwerk unzertrennlich sind, so möchte ich gleich vor lauter Ingrimm des Todes sein.«

Darauf entgegnete der Schildknappe: »Werter Herr, da solcherlei Unannehmlichkeiten doch einmal die Ernte sind, die das Rittertum einheimst, so sagt mir, ob solche Ernten sehr häufig oder ob sie an ihre bestimmten Zehen gebunden sind, wo sie eintreffen? Denn mich wahrlich will’s bedünken, daß nach zwei Ernten wir für eine dritte nicht mehr nützlich sind, wenn Gott uns nicht mit seinem unendlichen Erbarmen beisteht.«

»Du mußt dir zu Gemüte führen, Freund Sancho«, erwiderte Don Quijote, »daß das Leben der fahrenden Ritter tausend Gefahren und Widerwärtigkeiten ausgesetzt ist und daß es darum nicht mehr noch minder in allernächster Möglichkeit steht, daß die fahrenden Ritter Könige und Kaiser werden, wie die Erfahrung an vielen und verschiedenen Rittern gezeigt hat, von deren Erlebnissen ich sichere Kunde habe. Und wenn der Schmerz es zuließe, könnte ich dir gleich von etlichen erzählen, die durch die Kraft ihres Armes allein zu den hohen Stufen emporgestiegen sind, wovon ich dir gesagt, und diese selben haben sich vorher und nachher in allerhand Nöten und Trübsalen befunden. Denn der tapfere Amadís von Gallien sah sich in der Gewalt seines Todfeindes Arcalaus, des Zauberers, von dem es für erwiesen gilt, daß er dem guten Ritter, als er ihn gefangen und an eine Säule in seinem Hof gebunden hatte, zweihundert Streiche und mehr mit dem Zaum seines Rosses aufmaß. Ja, es gibt einen Autor, der in geheimen Geschichten zu Hause ist und in nicht geringem Ansehen steht, der sagt, daß derselbe den Sonnenritter in einer gewissen Burg mittels einer gewissen Falltüre, die unter seinen Füßen zusammenstürzte, gefangennahm, und wie er hinabfiel, fand er sich in einem Abgrund tief unter der Erde an Händen und Füßen gebunden, und da gab man ihm eines jener Klistiere, wie man sie nennt, von Schneewasser und Sand, woran er beinahe des Todes geworden wäre; und wenn ihm nicht in dieser großen Not ein Zauberer, sein treuer Freund, Hilfe gebracht hätte, so wäre es dem armen Ritter gar übel ergangen. Sonach kann ich denn wohl unter soviel fürtrefflichen Männern auch mitgehen; denn größer sind die Unbilden, die sie erlitten haben, als die wir jetzt erleiden; und ich will dich nur gründlich belehren, daß Hiebe und Stiche, die man mit Werkzeugen empfängt, die zufällig zur Hand sind, die Ehre nicht kränken; dies steht im Gesetz des Zweikampfs mit ausdrücklichen Worten geschrieben. Wenn also ein Schuhmacher jemanden mit dem Leisten schlägt, den er in der Hand hat, so kann man, obwohl dieser wirklich aus einem Stück Holz geformt ist, darum noch keineswegs sagen, der damit Geschlagene sei geholzt worden. Dies tue ich dir kund, damit du nicht etwa denkst, daß wir, obschon in diesem Streite weidlich zerschlagen, deshalb eine Ehrenkränkung erlitten; denn die Waffen, die jene Leute führten und womit sie uns zerdroschen, waren nichts andres als die Knüppel, die sie in der Hand führten, und keiner von ihnen, soviel mir in der Erinnerung ist, hatte Stoßdegen; Schwert oder Dolch.«

»Mir ließen sie keine Zeit, auf so vieles achtzugeben«, entgegnete Sancho; »denn kaum legte ich Hand an mein mächtig Ritterschwert, da haben sie mich mit ihren Tannenstecken so auf die Schultern gesegnet, daß sie meinen Augen die Kraft zu sehen und meinen Beinen die Kraft zu stehen benahmen und mich hinwarfen, wo ich noch liege und wo der Gedanke, ob die Geschichte mit den Knüppelhieben eine Ehrenkränkung war oder nicht, mir keinen Kummer macht, wohl aber der Schmerz von den Schlägen; die werden mir im Angedenken wie auf dem Rücken fest eingeprägt bleiben.«

»Trotz alledem tu ich dir zu wissen, Freund Pansa«, erwiderte Don Quijote, »daß es kein Angedenken gibt, dem die Zeit nicht ein Ende macht, und keinen Schmerz, den der Tod nicht austilgt.«

»So? Welch ein größeres Unglück kann es geben«, versetzte Pansa, »als ein solches, das darauf warten muß, daß die Zeit es austilge und der Tod ihm ein Ende mache? Wenn dies unser Mißgeschick eins von denen wäre, die man mit ein paar Pflastern heilt, da wäre es noch nicht so arg; aber ich sehe es schon, alle Pflaster im Spital werden nicht ausreichen, um es nur auf den Weg der Besserung zu bringen.«

»Laß ab von dergleichen«, antwortete Don Quijote, »raffe dich aus deiner Schwäche zu neuen Kräften auf, so will auch ich tun; wir wollen einmal nachsehen, wie es mit Rosinante steht; denn wie mich bedünkt, ist dem armen Kerl nicht gerade der kleinste Teil an diesem Unheil zugefallen.«

»Das ist nicht zu verwundern«, entgegnete Sancho, »da er ja auch ein fahrender Ritter ist. Allein worüber ich mich wundere: mein Esel kommt davon mit gesunder Haut und wir mit geschundener Haut.«

»Das Schicksal läßt bei allen Unfällen stets ein Pförtchen offen, durch das ihnen Abhilfe kommen kann«, sagte Don Quijote; »ich meine nämlich, dies Tierlein kann wohl den Rosinante, der uns jetzt abgeht, ersetzen und mich von hier nach einer Burg tragen, allwo man meiner Wunden pflegen könnte. Zumal ich ein solches Reiten nicht für Unehre erachte, da ich mich erinnere gelesen zu haben, daß jener gute alte Silen, der Führer und Erzieher des heitern Gottes der Fröhlichkeit, als er in die hunderttorige Stadt einzog, zu seinem großen Behagen auf einem gar schönen Esel ritt.«

»Es wird wohl wahr sein«, erwiderte Sancho, »er muß so geritten sein, wie Euer Gnaden sagt; aber es ist ein großer Unterschied, ob man reitet oder quer drüberhängend liegt wie ein Sack mit Kehricht.«

Darauf versetzte Don Quijote: »Die Wunden, die man in Kämpfen empfängt, verleihen eher Ehre, als daß sie solche rauben. Sonach, Freund Pansa, keine Gegenrede mehr, sondern, wie ich dir gesagt, richte dich auf, so gut du kannst, und setze mich so, wie es dir am bequemsten ist, auf deinen Esel, und machen wir uns davon, ehe die Nacht kommt und uns in dieser Einöde überfällt.«

»Aber ich habe Euer Gnaden sagen hören«, entgegnete Pansa, »es sei der fahrenden Ritter Art, auf öder Heide und in Wüsteneien den meisten Teil des Jahres zu schlafen, und sie hielten dies für ein besonderes Glück.«

»Das heißt«, sagte Don Quijote, »wenn sie nicht anders können oder wenn sie verliebt sind; und dies ist so in Wahrheit begründet, daß es manchen Ritter gegeben hat, der auf einem Felsen im Sonnenbrand und im Schatten der Nacht und in allem Ungemach unter freiem Himmel zwei Jahre zubrachte, ohne daß seine Gebieterin darum wußte. Und einer von diesen war Amadís, als er unter dem Namen Dunkelschön auf dem Armutfelsen seinen Aufenthalt nahm, ich weiß nicht, ob acht Jahre oder acht Monde lang; denn ich bin nicht klar in der Rechnung; genug, er verweilte dorten, Buße zu tun für ich weiß nicht welche Widerwärtigkeit, die ihm das Fräulein Oriana angetan. Aber lassen wir das nun, Sancho, und komm zu Ende, bevor dem Esel auch ein Unglück widerfährt wie Rosinanten.«

»Das war ja der Teufel!« sprach Sancho; und mit einem Dutzend Ach und Weh und zwei Dutzend Seufzern und vier Dutzend Flüchen und Verwünschungen über den, so ihn hier hingebracht, erhob er sich, blieb aber auf halbem Wege zusammengekrümmt stehen wie ein türkischer Bogen, ohne daß er sich vollends aufrichten konnte. Aber bei all dieser Beschwer und Mühsal setzte er seinen Esel instand, der, ebenfalls die ungewöhnliche Freiheit dieses Tages benutzend, ein wenig weiter umhergeschweift war. Sodann half er dem Rosinante auf, der, wenn er eine Zunge gehabt hätte, sich zu beklagen, sicher nicht hinter Sancho noch seinem Herrn zurückgeblieben wäre. Endlich brachte Sancho den Ritter auf den Esel, koppelte Rosinante hinter ihm fest, und den Esel an der Halfter führend, nahm er seinen Weg, so gut es ging, in der Richtung, wo er die Heerstraße vermutete; und er hatte noch keine halbe Meile zurückgelegt, als das Schicksal, das die Dinge zum Bessern zu lenken anfing, die Landstraße seinen Blicken darbot, an der er eine Schenke entdeckte, die aber ihm zum Ärger und dem Ritter zum Vergnügen durchaus eine Burg sein sollte. Sancho blieb dabei, es sei eine Schenke, und sein Herr, es sei nicht so, sondern eine Burg; und so lang dauerte der Streit, daß sie Zeit hatten hinzukommen, bevor er zu Ende war; und ohne weitere Prüfung der Sache begab sich Sancho mit seinem ganzen Zug in die Schenke.

1. Kapitel

Welches vom Stand und der Lebensweise des berühmten Junkers Don Quijote von der Mancha handelt

An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Junker, einer von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen haben. Eine Schüssel Suppe mit etwas mehr Kuh- als Hammelfleisch darin, die meisten Abende Fleischkuchen aus den Überbleibseln vom Mittag, jämmerliche Knochenreste am Samstag, Linsen am Freitag, ein Täubchen als Zugabe am Sonntag – das verzehrte volle Dreiviertel seines Einkommens; der Rest ging drauf für ein Wams von Plüsch, Hosen von Samt für die Feiertage mit zugehörigen Pantoffeln vom selben Stoff, und die Wochentage schätzte er sich’s zur Ehre, sein einheimisches Bauerntuch zu tragen – aber vom feinsten! Er hatte bei sich eine Haushälterin, die über die Vierzig hinaus war, und eine Nichte, die noch nicht an die Zwanzig reichte; auch einen Diener für Feld und Haus, der ebensowohl den Gaul sattelte als die Gartenschere zur Hand nahm. Es streifte das Alter unsres Junkers an die fünfzig Jahre; er war von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte, ein eifriger Frühaufsteher und Freund der Jagd. Man behauptete, er habe den Zunamen Quijada oder Quesada geführt – denn hierin waltet einige Verschiedenheit in den Autoren, die über diesen Kasus schreiben –, wiewohl aus wahrscheinlichen Vermutungen sich annehmen läßt, daß er Quijano hieß. Aber dies ist von geringer Bedeutung für unsre Geschichte; genug, daß in deren Erzählung nicht um einen Punkt von der Wahrheit abgewichen wird.

Man muß nun wissen, daß dieser obbesagte Junker alle Stunden, wo er müßig war – und es waren dies die meisten des Jahres –, sich, dem Lesen von Ritterbüchern hingab, mit so viel Neigung und Vergnügen, daß er fast ganz und gar die Übung der Jagd und selbst die Verwaltung seines Vermögens vergaß; und so weit ging darin seine Wißbegierde und törichte Leidenschaft, daß er viele Morgen Ackerfeld verkaufte, um Ritterbücher zum Lesen anzuschaffen; und so brachte er so viele ins Haus, als er ihrer nur bekommen konnte. Und von allen gefielen ihm keine so gut wie die von dem berühmten Feliciano de Silva verfaßten; denn die Klarheit seiner Prosa und die verwickelten Redensarten, die er anwendet, dünkten ihm wahre Kleinode; zumal wenn er ans Lesen jener Liebesreden und jener Briefe mit Herausforderungen kam, wo er an mancherlei Stellen geschrieben fand: Der Sinn des Widersinns, den Ihr meinen Sinnen antut, schwächt meinen Sinn dergestalt, daß ein richtiger Sinn darin liegt, wenn ich über Eure Schönheit Klage führe. Und ebenso, wenn er las: …die hohen Himmel Eurer Göttlichkeit, die Euch in göttlicher Weise bei den Sternen festigen und Euch zur Verdienerin des Verdienstes machen, das Eure hohe Würde verdient. Durch solche Redensarten verlor der arme Ritter den Verstand und studierte sich ab, um sie zu begreifen und aus ihnen den Sinn herauszuklauben, den ihnen Aristoteles selbst nicht abgewonnen noch sie verstanden hätte, wenn er auch zu diesem alleinigen Zweck aus dem Grab gestiegen wäre. Er war nicht sonderlich einverstanden mit den Wunden, welche Don Belianís austeilte und empfing; denn er dachte sich, wie große Ärzte ihn auch gepflegt hätten, so könnte er doch nicht anders als das Gesicht und den ganzen Körper voll Narben und Wundenmale haben. Aber bei alldem lobte er an dessen Verfasser, daß er sein Buch mit dem Versprechen jenes unbeendbaren Abenteuers beendet; und oftmals kam ihm der Wunsch, die Feder zu ergreifen und dem Buch einen Schluß zu geben, buchstäblich so, wie es dort versprochen wird; und ohne Zweifel hätte er es getan, ja er wäre damit zustande gekommen, wenn andere größere und ununterbrochen ihn beschäftigende Ideen es ihm nicht verwehrt hätten.

Vielmals hatte er mit dem Pfarrer seines Ortes – der war ein gelehrter Mann und hatte den Grad eines Lizentiaten zu Siguenza erlangt – Streit darüber, wer ein besserer Ritter gewesen, Palmerín von England oder Amadís von Gallien; aber Meister Nikolas, der Barbier desselbigen Ortes, sagte, es reiche keiner an den Sonnenritter, und wenn einer sich ihm vergleichen könne, so sei es Don Galaor, der Bruder des Amadís von Gallien, weil dessen Naturell sich mit allem zurechtfinde; er sei kein zimperlicher Rittersmann, auch nicht ein solcher Tränensack wie sein Bruder, und im Punkte der Tapferkeit stehe er nicht hinter ihm zurück.

Schließlich versenkte er sich so tief in seine Bücher, daß ihm die Nächte vom Zwielicht bis zum Zwielicht und die Tage von der Dämmerung bis zur Dämmerung über dem Lesen hingingen; und so, vom wenigen Schlafen und vom vielen Lesen, trocknete ihm das Hirn so aus, daß er zuletzt den Verstand verlor. Die Phantasie füllte sich ihm mit allem an, was er in den Büchern las, so mit Verzauberungen wie mit Kämpfen, Waffengängen, Herausforderungen, Wunden, süßem Gekose, Liebschaften, Seestürmen und unmöglichen Narreteien. Und so fest setzte es sich ihm in den Kopf, jener Wust hirnverrückter Erdichtungen, die er las, sei volle Wahrheit, daß es für ihn keine zweifellosere Geschichte auf Erden gab. Er pflegte zu sagen, der Cid Rui Diaz sei ein sehr tüchtiger Ritter gewesen, allein er könne nicht aufkommen gegen den Ritter vom flammenden Schwert, der mit einem einzigen Hieb zwei grimmige ungeheure Riesen mitten auseinandergehauen. Besser stand er sich mit Bernardo del Carpio, weil dieser in Roncesvalles den gefeiten Roldán getötet, indem er sich den Kunstgriff des Herkules zunutze machte, als dieser den Antäus, den Sohn der Erde, in seinen Armen erstickte. Viel Gutes sagte er von dem Riesen Morgante, weil dieser, obschon von jenem Geschlechte der Riesen, die sämtlich hochfahrende Grobiane sind, allein unter ihnen leutselig und wohlgezogen gewesen. Doch vor allen stand er sich gut mit Rinald von Montalbán, und ganz besonders, wenn er ihn aus seiner Burg ausreiten und alle, auf die er stieß, berauben sah und wenn derselbe drüben über See jenes Götzenbild des Mohammed raubte, das ganz von Gold war, wie eine Geschichte besagt. Gern hätte er, um dem Verräter Ganelon ein Schock Fußtritte versetzen zu dürfen, seine Haushälterin hergegeben und sogar seine Nichte obendrein.

Zuletzt, da es mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen; nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen und durch die ganze Welt mit Roß und Waffen zu ziehen, um Abenteuer zu suchen und all das zu üben, was, wie er gelesen, die fahrenden Ritter übten, das heißt jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen und sich in Gelegenheiten und Gefahren zu begeben, durch deren Überwindung er ewigen Namen und Ruhm gewinnen würde. Der Arme sah sich schon in seiner Einbildung durch die Tapferkeit seines Armes allergeringsten Falles mit der Kaiserwürde von Trapezunt bekrönt; und demnach, in diesen so angenehmen Gedanken, hingerissen von dem wundersamen Reiz, den sie für ihn hatten, beeilte er sich, ins Werk zu setzen, was er ersehnte.

Und das erste, was er vornahm, war die Reinigung von Rüstungsstücken, die seinen Urgroßeltern gehört hatten und die, von Rost angegriffen und mit Schimmel überzogen, seit langen Zeiten in einen Winkel hingeworfen und vergessen waren. Er reinigte sie und machte sie zurecht, so gut er nur immer konnte. Doch nun sah er, daß sie an einem großen Mangel litten: es war nämlich kein Helm mit Visier dabei, sondern nur eine einfache Sturmhaube; aber dem half seine Erfindsamkeit ab, denn er machte aus Pappdeckel eine Art von Vorderhelm, der, in die Sturmhaube eingefügt, ihr den Anschein eines vollständigen Turnierhelms gab. Freilich wollte er dann auch erproben, ob der Helm stark genug sei und einen scharfen Hieb aushalten könne, zog sein Schwert und führte zwei Streiche darauf, und schon mit dem ersten zerstörte er in einem Augenblick, was er in einer Woche geschaffen hatte; und da konnte es nicht fehlen, daß ihm die Leichtigkeit mißfiel, mit der er ihn in Stücke geschlagen. Um sich nun vor dieser Gefahr zu bewahren, fing er den Vorderhelm aufs neue an und setzte Eisenstäbe innen hinein, dergestalt, daß er nun mit dessen Stärke zufrieden war; und ohne eine neue Probe damit anstellen zu wollen, erachtete und erklärte er ihn für einen ganz vortrefflichen Turnierhelm.

Jetzt ging er, alsbald nach seinem Gaule zu sehen, und obschon dieser an den Hufen mehr Steingallen hatte als ein Groschen Pfennige und mehr Gebresten als das Pferd Gonellas, das tanium pellis et ossa fuit, dünkte es ihn, daß weder der Bukephalos des Alexander noch der Babieca des Cid sich ihm gleichstellen könnten. Vier Tage vergingen ihm mit dem Nachdenken darüber, welchen Namen er ihm zuteilen sollte; sintemal – wie er sich selbst sagte – es nicht recht wäre, daß das Roß eines so berühmten Ritters, das auch schon an sich selbst so vortrefflich sei, ohne einen eigenen wohlbekannten Namen bliebe. Und so bemühte er sich, ihm einen solchen zu verleihen, der deutlich anzeige, was der Gaul vorher gewesen, ehe er eines fahrenden Ritters war, und was er jetzo sei; denn es sei doch in der Vernunft begründet, daß, wenn sein Herr einen andern Stand, auch das Roß einen andern Namen annehme und einen solchen erhalte, der ruhmvoll und hochtönend sei, wie es dem neuen Orden und Beruf zieme, zu dem er sich selbst bereits bekenne. Und so, nachdem er viele Namen sich ausgedacht, dann gestrichen und beseitigt, dann wieder in seinem Kopfe andre herbeigebracht, abermals verworfen und aufs neue in seiner Vorstellung und Phantasie zusammengestellt, kam er zuletzt darauf, ihn Rosinante zu heißen, ein nach seiner Meinung hoher und volltönender Name, bezeichnend für das, was er gewesen, als er noch ein Reitgaul nur war, bevor er zu der Bedeutung gekommen, die er jetzt besaß, nämlich allen Rossen der Welt als das Erste voranzugehen.

Nachdem er seinem Gaul einen Namen, und zwar so sehr zu seiner Zufriedenheit, gegeben, wollte er sich auch selbst einen beilegen, und mit diesem Gedanken verbrachte er wieder volle acht Tage; und zuletzt verfiel er darauf, sich Don Quijote zu nennen; woher denn, wie schon gesagt, die Verfasser dieser so wahren Geschichte Anlaß zu der Behauptung nahmen, er müsse ohne Zweifel Quijada geheißen haben und nicht Quesada, wie andre gewollt haben. Jedoch da er sich erinnerte, daß der tapfere Amadís sich nicht einfach damit begnügt hatte, ganz trocken Amadís zu heißen, sondern den Namen seines Königreichs und Vaterlands beifügte, um es berühmt zu machen, und sich Amadís von Gallien nannte, wollte er ebenso als ein guter Ritter seinem Namen den seiner Heimat beifügen und sich Don Quijote von der Mancha nennen; damit bezeichnete er nach seiner Meinung sein Geschlecht und Heimatland ganz lebenstreu und ehrte es hoch, indem er den Zunamen von ihm entlehnte.

Da er nun seine Waffen gereinigt, aus der Sturmhaube einen Turnierhelm gemacht, seinem Rosse einen Namen gegeben und sich selbst neu gefirmelt hatte, führte er sich zu Gemüt, daß ihm nichts andres mehr fehle, als eine Dame zu suchen, um sich in sie zu verlieben; denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht, ein Körper ohne Seele. Er sagte sich: Wenn ich um meiner argen Sünden willen oder durch mein gutes Glück draußen auf einen Riesen stoße, wie dies gewöhnlich den fahrenden Rittern begegnet, und ich werfe ihn mit einem Speerstoß darnieder oder haue ihn mitten Leibes auseinander, oder kurz, besiege ihn und zwinge ihn zu meinem Willen, wird es da nicht gut sein, eine Dame zu haben, der ich ihn zusenden kann, um sich ihr zu stellen, so daß er eintrete und sich auf die Knie niederlasse vor meiner süßen Herrin und mit demütiger und unterwürfiger Stimme sage: Ich bin der Riese Caraculiambro, Herr der Insel Malindrania, den im Einzelkampf der nie nach voller Gebühr gepriesene Ritter Don Quijote von der Mancha besiegt hat, als welcher mir befohlen, ich solle mich vor Euer Gnaden stellen, auf daß Euer Herrlichkeit über mich nach Dero Belieben verfüge?

O wie freute sich unser Ritter, als er diese Rede getan, und gar erst, als er gefunden, wem er den Namen seiner Dame zu geben hätte! Und es verhielt sich dies so – wie man glaubt –, daß an einem Ort in der Nachbarschaft des seinigen ein Bauernmädchen von recht gutem Aussehen lebte, in die er eine Zeitlang verliebt gewesen, obschon, wie man vernimmt, sie davon nie erfuhr noch acht darauf hatte. Sie nannte sich Aldonza Lorenzo, und dieser den Titel einer Herrin seiner Gedanken zu geben deuchte ihm wohlgetan. Er suchte für sie nach einem Namen, der vom seinigen nicht zu sehr abstäche und auf den einer Prinzessin und hohen Herrin hinwiese und abziele, und so nannte er sie endlich Dulcinea von Toboso, weil sie aus Toboso gebürtig war; ein Name, der nach seiner Meinung wohlklingend und etwas Besonderes war und zugleich bezeichnend wie alle übrigen, die er sich und allem, was ihn betraf, beigelegt hatte.

10. Kapitel

Von den anmutigen Gesprächen, die zwischen Don Quijote und seinem Schildknappen Sancho Pansa stattfanden

Unterdessen hatte sich Sancho, von den Dienern der Mönche ziemlich übel zugerichtet, wiederaufgerafft, hatte dem Kampfe seines Herrn achtsam zugeschaut und im Herzen zu Gott gebetet, er möchte den Ritter den Sieg und mit dem Sieg irgendwelche Insul gewinnen lassen, um ihn als deren Statthalter einzusetzen, wie er ihm versprochen. Wie er nun sah, daß der Waffenstreit zu Ende war und sein Herr wieder auf den Rosinante steigen wollte, eilte er hinzu, ihm den Steigbügel zu halten, und ehe der Ritter im Sattel war, warf er sich vor ihm auf die Knie, faßte ihn an der Hand, küßte sie und sprach: »Geruhe Euer Gnaden Señor Don Quijote, mir die Regierung über die Insul zu verleihen, die in diesem schweren Kampfe gewonnen worden; denn so groß sie auch sein mag, ich fühle mich mit genug Kraft gerüstet, um sie ebenso und ebensogut zu regieren als irgendeiner, der in der Welt jemals Insuln regiert hat.«

Darauf antwortete Don Quijote: »Merke Er sich, Freund Sancho, daß dieses Abenteuer und andre ähnlicher Art keine Insuln-, sondern Kreuzwegs-Abenteuer sind, bei denen man nichts andres gewinnt, als daß man ein Ohr weniger und einen zerschlagenen Schädel davonträgt. Habe Er Geduld, denn es werden sich Abenteuer uns bieten, wo ich Ihn nicht nur zum Statthalter machen kann, sondern zu noch etwas Höherem.«

Sancho bedankte sich höflich, küßte ihm nochmals die Hand und den Saum des Panzers und half ihm aufs Pferd; er aber bestieg seinen Esel und folgte seinem Herrn nach, der in weitausgreifendem Trabe, ohne sich von den Damen in der Kutsche zu verabschieden oder noch ein Wort mit ihnen zu wechseln, in ein nahe liegendes Gehölz einbog.

Sancho folgte ihm im vollsten Trott seines Esels, aber Rosinante hielt einen so guten Schritt ein, daß er besorgte zurückzubleiben und genötigt war, seinem Herrn laut zuzurufen, er möge auf ihn warten. Don Quijote tat also und hielt Rosinante am Zügel so lange an, bis ihn der ermüdete Schildknappe eingeholt. Der nun, als er ihn erreicht hatte, sagte: »Mich bedünkt, Señor, es wäre gescheit, in einer Kirche Zuflucht zu suchen; denn wenn ich ermesse, wie sehr der Mann, mit dem Ihr gefochten, übel zugerichtet ist, so wäre es nicht zuviel vorausgesetzt, daß man der Heiligen Brüderschaft den Fall zur Kenntnis brächte und uns gefangennähme, und wahrlich, wenn das geschieht, so werden wir gehörig zu schwitzen haben, bevor wir aus dem Gefängnis herauskommen.«

»Schweig«, versetzte Don Quijote, »wo hast du denn jemals gesehen oder gelesen, daß ein fahrender Ritter vor Gericht gestellt worden, so oftmals auch durch sein Schwert jemand wider Willen ins Gras gebissen?«

»Von Widerwillen weiß ich nichts«, antwortete Sancho, »habe ihn auch niemals gegen jemand gehabt; ich weiß nur, daß die Heilige Brüderschaft sich mit denen zu tun macht, die sich im freien Feld schlagen, und auf das andre laß ich mich nicht ein.«

»Nun, darum sei nur unbekümmert«, entgegnete Don Quijote, »denn ich würde dich aus den Händen der Chaldäer, geschweige aus denen der Brüderschaft herausreißen. Aber sage mir, bei deinem Leben sage mir, hast du je einen mannhafteren Ritter in allen bis heut entdeckten Landen des Erdkreises gesehen? Hast du in Geschichtsbüchern von einem andern gelesen, der kühneren Mut beim Angreifen hat oder gehabt hat, mehr Festigkeit beim Beharren im Kampf, größeres Geschick im Dreinschlagen, mehr Gewandtheit beim Niederwerfen des Feindes?«

»Die Wahrheit wird eben die sein«, antwortete Sancho, »daß ich niemals irgendeine Geschichte gelesen habe; denn ich kann weder lesen noch schreiben; aber darauf getrau ich mich zu wetten, daß ich zeit meines Lebens keinem vermesseneren Herrn als Euer Gnaden gedient habe, und wolle Gott, daß diese Vermessenheit ihre Bezahlung nicht da finde, wo ich gesagt habe. Um was ich aber Euer Gnaden bitte, ist, einen Verband anzulegen; denn es läuft Euch viel Blut aus dem einen Ohr, und ich habe hier Scharpie und etwas weiße Salbe im Zwerchsack.«

»Alles dessen könnten wir entraten«, entgegnete Don Quijote, »wenn ich daran gedacht hätte, eine Flasche von dem Balsam des Fierabrás zu bereiten; denn mit einem einzigen Tropfen könnte sich Zeit und Medizin ersparen lassen.«

»Was für eine Flasche, was für ein Balsam ist das?« fragte Sancho Pansa.

»Es ist ein Balsam«, antwortete Don Quijote, »von dem ich das Rezept im Kopf habe, bei dem man den Tod nicht zu befürchten hat und bei dem der Gedanke, an einer Verwundung zu sterben, gar nicht aufkommen kann. Wenn ich ihn also bereite und ihn dir übergebe, so hast du nichts weiter zu tun, als daß du, wenn du mich bei irgendeinem Kampf mitten auseinandergehauen siehst, wie das gar oft zu geschehen pflegt, mir die eine Hälfte des Körpers, die zu Boden gefallen ist, sachte und mit großer Fürsicht, ehe das Blut gerinnt, an die andre Hälfte, die im Sattel geblieben, ansetzest, wobei du achthaben mußt, sie genau und richtig aneinanderzufügen; unverzüglich gibst du mir zwei Schluck und nicht mehr von besagtem Balsam zu trinken, und du wirst sehen, gleich bin ich so gesund wie ein Fisch.«

»Wenn das wirklich so ist«, sagte Pansa, »so verzichte ich von diesem Augenblick an auf die Statthalterschaft der versprochenen Insul und begehre zum Lohn meiner vielen redlichen Dienste weiter nichts, als daß Euer Gnaden mir das Rezept dieses vortrefflichsten Trankes gibt; denn hier bin ich sicher, daß die Unze allenthalben mehr als zwei Realen wert sein muß, und mehr brauche ich nicht, um mein Leben in Ruhe und Ehren hinzubringen. Aber nun fragt sich’s, ob die Bereitung viele Kosten macht.«

»Für weniger als drei Realen lassen sich drei Maß herstellen«, erwiderte Don Quijote.

»Gott verzeih mir meine Sünden!« rief Sancho, »worauf warten denn Euer Gnaden, um ihn zu bereiten und mich es zu lehren?«

»Still, Freund«, versetzte Don Quijote, »noch größere Geheimnisse denke ich dich zu lehren und noch größere Gnaden dir zu erweisen; doch für jetzt wollen wir uns den Verband anlegen, denn das Ohr tut mir weher, als mir lieb ist.«

Sancho holte aus dem Zwerchsack Scharpie und Salbe hervor; als aber Don Quijote seinen zertrümmerten Helm zu sehen bekam, meinte er den Verstand zu verlieren, und die Hand auf den Schwertgriff legend, die Augen gen Himmel erhebend, sprach er: »Ich tue einen Eid zum Schöpfer aller Dinge und zu den heiligen vier Evangelien, als hätte ich sie ausführlichst geschrieben hier vor mir, ein Leben zu führen wie der große Markgraf von Mantua, als er den Tod seines Neffen Baldovinos zu rächen schwur, nämlich auf keinem Tischtuche sein Brot zu essen noch mit seinem Weibe der Kurzweil zu pflegen, nebst andren Dingen mehr, deren ich mich nicht entsinne, die ich aber hier ausdrücklich mit erwähnt haben will, bis ich vollständige Rache an dem geübt habe, der mir solcherlei Schmach angetan.«

Als Sancho das hörte, sagte er: »Beachte Euer Gnaden, Señor Don Quijote, wenn der Ritter erfüllt hat, was Ihr ihm auferlegtet, nämlich sich meinem gnädigen Fräulein Dulcinea von Toboso zu stellen, so hat er ja alles vollbracht, was seine Pflicht war, und verdient weiter keine Strafe, wenn er nicht ein neues Vergehen verübt.«

»Wohl gesprochen, du hast es ganz richtig getroffen«, antwortete Don Quijote, »und so erkläre ich denn den Eidschwur für nichtig, insoweit er darauf zielte, aufs neue an ihm Rache zu üben; jedoch ich tue abermals und bestätige den Schwur, ein Leben zu führen, wie ich gesagt, bis dahin, daß ich einen ebensolchen und einen ebenso guten Streithelm, als dieser ist, irgendeinem Ritter mit Gewalt abnehme. Und denke nur nicht, daß ich das so ins Blaue hineinrede; nein, ich weiß schon, wen ich hierbei nachzuahmen habe; denn das nämliche hat sich buchstäblich so mit dem Helm des Mambrín zugetragen, der dem Sakripant so teuer zu stehen kam.«

»Solche Eidschwüre solltet Ihr des Teufels sein lassen, Herre mein«, versetzte Sancho; »sie gereichen der Gesundheit zum großen Schaden und dem Gewissen zur argen Beschwer. Oder meint Ihr nicht? Nun, so sagt mir gleich einmal, wenn wir vielleicht viele Tage lang keinen treffen, der mit einem Helm bewehrt ist, was sollen wir tun? Soll der Schwur dennoch gehalten werden, trotz so vieler Mißstände und Unbequemlichkeiten, als da sind: in den Kleidern schlafen und an keinem bewohnten Orte schlafen und tausend andre Kasteiungen, die jener alte Narr von Markgraf in seinem Eidschwur aufführte, welchen Euer Gnaden jetzt wieder in Kraft setzen will? Überleget Euch einmal gründlich, daß auf all diesen Wegen keine Leute in Rüstung einherziehen, sondern Maultiertreiber und Kärrner, die nicht nur Helme nie tragen, sondern sie vielleicht ihr Leben lang nicht haben nennen hören.«

»Darin täuschest du dich«, sagte Don Quijote, »nicht zwei Stunden werden wir uns auf diesen Kreuzwegen umgetrieben haben, so werden wir mehr Leute in Rüstung zu sehen bekommen, als einst gegen Albraca zogen, um Angelika die Schöne im Kampf zu gewinnen.«

»Wohlan denn, es mag so sein«, versetzte Sancho, »und wolle Gott, daß es uns gut geht und die Zeit bald kommt, jene Insul zu gewinnen, die mich so teuer zu stehen kommt, und dann mag ich meinetwegen gleich sterben.«

»Ich sagte dir schon, Sancho, du brauchst dir darob keinerlei Sorge zu machen; denn wenn es auch an einer Insul fehlen sollte, so ist das Königreich Dänemark oder das Reich Soliadisa gleich zur Hand, die werden dir passen wie ein Ring am Finger; und zumal sie auf dem festen Lande liegen, mußt du darob um so vergnügter sein. Aber lassen wir das für die geeignete Zeit, und für jetzt sieh, ob du in deinem Zwerchsack etwas mitführst, das wir essen könnten; dann wollen wir alsbald auf die Suche nach einer Burg gehen, wo wir diese Nacht Wohnung nehmen und den besagten Balsam bereiten wollen; denn ich schwör dir’s bei Gott, mein Ohr schmerzt mich gewaltig.«

»Hier hab ich eine Zwiebel und etwas Käse und etliche Stücklein Brot, ich weiß nicht wieviel«, erwiderte Sancho; »aber das sind keine Gerichte, wie sie sich für einen so gewaltigen Ritter wie Euer Gnaden schicken.«

»Wie schlecht verstehst du dich darauf!« antwortete Don Quijote. »Ich tue dir zu wissen, daß es den fahrenden Rittern eine Ehre ist, einen ganzen Monat nichts zu essen, und selbst wenn sie essen, nur was ihnen gerade zuhanden kommt; und das würde dir außer Zweifel stehen, wenn du wie ich so viele Geschichten gelesen hättest. Und so viele es deren waren, so habe ich doch in keiner von allen berichtet gefunden, daß die fahrenden Ritter gegessen hätten, wenn es nicht durch Zufall oder bei köstlichen Festmahlen geschah, die man ihnen gab. Die andren Tage verbrachten sie mit Nichtigkeiten. Und wiewohl sich begreifen läßt, daß sie nicht ohne Essen und ohne Verrichtung aller andren natürlichen Bedürfnisse bestehen konnten, denn am Ende waren sie Menschen wie wir, so muß man auch begreifen, daß, sintemal sie den größten Teil ihres Lebens durch Wälder und Einöden und ohne einen Koch hinzogen, ihre gewöhnlichste Nahrung in ländlicher Kost, wie du sie mir jetzt anbietest, bestanden haben muß. Sonach, Freund Sancho, betrübe dich nicht über das, was mir gerade recht behagt; wolle du nicht eine neue Welt schaffen oder das fahrende Rittertum aus seinen Angeln heben.«

»Verzeihe mir Euer Gnaden«, sagte Sancho; »denn da ich weder lesen noch schreiben kann, wie ich Euch schon einmal gesagt, so kenne und begreife ich nicht die Regeln des Ritterhandwerks; und so will ich denn fürderhin den Zwerchsack mit allerlei trockenem Obst für Euer Gnaden versehen, der Ihr ein Ritter seid, und für mich, weil ich keiner bin, will ich andere Dinge, wie Geflügel und sonstige nahrhaftere Kost, vorsehen.«

»Das sage ich nicht«, entgegnete Don Quijote, »daß für die fahrenden Ritter ein Zwang bestehe, nichts andres als das besagte trockne Obst zu verzehren, sondern nur, daß ihre gewöhnliche Nahrung offenbar aus solchem bestehen mußte sowie aus gewissen Kräutern, so sie auf dem Felde fanden, die sie kannten und die auch ich kenne.«

»Es ist eine treffliche Gabe«, antwortete Sancho, »derlei Kräuter zu kennen; denn wie ich mir denke, wird’s eines Tages nötig werden, diese Kenntnis zu benützen.«

Und nun holte er hervor, was er, wie schon gesagt, bei sich hatte, und es aßen die beiden miteinander als ein paar friedliche gute Gesellen.

Jedoch vom Wunsche getrieben, eine Herberge für die Nacht aufzusuchen, beendeten sie in aller Kürze ihr armselig trocknes Mahl, saßen sofort auf und beeilten sich höchlich, einen bewohnten Ort zu erreichen, bevor es Nacht würde.

Aber es schwand ihnen das Tageslicht hinweg und damit auch die Hoffnung, das Ersehnte zu erreichen, gerade als sie bei ärmlichen Hütten von Ziegenhirten angelangt waren, und so beschlossen sie, die Nacht dort zuzubringen. Sosehr es dem guten Sancho verdrießlich war, zu keiner bewohnten Ortschaft gelangt zu sein, so sehr war es seinem Herrn vergnüglich, unter freiem Himmel zu schlafen; denn es bedünkte ihn, daß jeder solche Vorfall eine tatsächliche Ausübung des Besitzrechts sei, welche ihm den Beweis seines Rittertums erleichtern müsse.

11. Kapitel

Von dem, was Don Quijote mit den Ziegenhirten begegnete

Er wurde von den Ziegenhirten mit Freundlichkeit aufgenommen, und nachdem Sancho den Rosinante und sein Eselein, so gut er konnte, versorgt hatte, ging er dem Geruche nach, den etliche Stücke Ziegenfleisch von sich gaben, welche brodelnd in einem Kessel am Feuer standen; und wiewohl er gern auf der Stelle nachgesehen hätte, ob sie schon so weit wären, um sie aus dem Kessel in den Magen zu versetzen, so mußte er es doch unterlassen, weil die Hirten sie bereits vom Feuer wegnahmen, Schaffelle auf den Boden breiteten, schleunigst ihre ländliche Tafel zurichteten und die beiden mit freundlicher Bereitwilligkeit zu dem einluden, was sie vorzusetzen hatten. Sie lagerten sich zu sechsen – so viele waren ihrer zur Hütung bei den Ziegen – um die Felle her, nachdem sie zuvor Don Quijote mit bäurischen Höflichkeiten ersucht hatten, sich auf einen Kübel zu setzen, den sie zu diesem Zwecke umgestülpt und ihm hingestellt hatten. Don Quijote setzte sich, und Sancho blieb stehen, um ihm den Becher, der von Horn war, zu kredenzen.

Als ihn nun sein Herr stehen sah, sprach er zu ihm: »Auf daß du innewerdest, Sancho, wieviel Gutes das fahrende Rittertum in sich begreift und wie diejenigen, die in irgendwelcher Stellung in seinem Dienste arbeiten, bald dahin gelangen, bei der Welt in Ehre und Achtung zu stehen, so will ich, daß du hier an meiner Seite und in Gesellschaft dieser biederen Leute niedersitzest und daß du ganz eins und dasselbe mit mir seiest, der ich doch dein Brotherr und angeborener Gebieter bin, aus meiner Schüssel issest, und trinkest, woraus ich trinke; denn von der fahrenden Ritterschaft kann man dasselbe sagen wie von der Liebe: sie macht alle Dinge gleich.«

»Große Gnade!« entgegnete Sancho; »allein ich kann Euer Gnaden sagen, wenn ich was Gutes zu essen hätte, so würde ich ebensogut und noch besser stehend und für mich allein essen, als wenn ich neben dem Kaiser säße. Ja, wenn ich die Wahrheit sagen soll, weit besser schmeckt mir, was ich in meinem Winkel ohne Umstände und Reverenz verzehre, wenn’s auch nur Brot mit einer Zwiebel ist, als die Truthähne andrer Tafeln, wo ich genötigt wäre, hübsch langsam zu kauen, wenig zu trinken, mich jeden Augenblick abzuwischen, nicht zu niesen noch zu husten, wenn’s mich ankommt, und noch andre Dinge zu unterlassen, die das Frei- und Alleinsein vergönnt. Sonach, edler Herre mein, diese Ehren, die Euer Gnaden mir dafür antun will, daß ich Diener und Genosse der fahrenden Ritterschaft bin, wie ich es denn als Euer Gnaden Schildknappe wirklich bin: verwandelt sie in etwas andres, das mir ersprießlicher und vorteilhafter sein würde; denn selbige Ehren, obschon ich sie für richtig empfangen annehme, ich verzichte darauf für alle Zeit von jetzt ab bis zum Ende der Welt.«

»Trotz alledem mußt du dich setzen; denn wer sich erniedrigt, den wird Gott erhöhen.« Und ihn am Arme fassend, nötigte er ihn, sich an seiner Seite niederzusetzen.

Die Ziegenhirten konnten das Kauderwelsch von Schildknappen und fahrenden Rittern nicht verstehen und taten nichts als essen und schweigen und ihren Gästen ins Gesicht sehen, wie sie mit viel Anstand und Appetit faustgroße Stücke hinunterschluckten.

Als man mit dem ersten Gang, der Fleischspeise, zu Ende war, schütteten sie einen großen Haufen getrockneter Eicheln auf die Schaffelle und setzten zugleich einen halben Käse auf, härter als Mörtel. Dabei blieb der Hornbecher nicht müßig; denn bald voll und bald leer, wie ein Eimer am Ziehbrunnen, ging er so häufig in die Runde, daß er von den zwei Schläuchen, die da zu sehen waren, einen mit Leichtigkeit leerte.

Nachdem Don Quijote seinen Magen gehörig befriedigt hatte, nahm er eine Handvoll Eicheln auf, betrachtete sie nachdenklich und erhob die Stimme zu folgender Rede: »Glückliche Jahrhunderte, glückliches Zeitalter, dem die Alten den Namen des Goldenen beilegten, und nicht deshalb, weil das Gold, das in unserm eisernen Zeitalter so hoch geschätzt wird, in jenem beglückteren ohne Mühe zu erlangen gewesen wäre, sondern weil, die damals lebten, die beiden Worte dein und mein nicht kannten. In jenem Zeitalter der Unschuld waren alle Dinge gemeinsam. Keiner bedurfte, um seinen täglichen Unterhalt zu gewinnen, einer andern Mühsal, als die Hand in die Höhe zu strecken, um ihn von den mächtigen Eichen herabzuholen, die freigebig jeden zu ihren süßen gereiften Früchten einluden. Klare Quellen und rieselnde Bäche boten ihnen in herrlicher Fülle ihr wohlschmeckendes, kristallhelles Wasser. In den Spalten der Felsen, in den Höhlungen der Bäume hatten die sorgsamen klugen Bienen ihr Gemeinwesen eingerichtet und boten ohne Eigennutz einer jeglichen Hand die reiche Ernte ihrer köstlich süßen Arbeit. Die gewaltigen Korkbäume spendeten von selbst, ohne andre Bemühung als die ihrer freundlichen Bereitwilligkeit, ihre breite leichte Rinde, und mit dieser begannen die Menschen ihre auf rohen Pfählen ruhenden Häuser zu decken, lediglich zum Schutze gegen des Himmels Unfreundlichkeit. Alles war Friede damals, alles Freundschaft, alles Eintracht; noch hatte des gekrümmten Pfluges schwere Schar sich nicht erdreistet, die heiligen Eingeweide unsrer Urmutter zu zerreißen und zu durchfurchen; denn ohne Nötigung bot sie überall aus ihrem weiten fruchtbaren Schoße, was nur immer die Söhne, deren Eigentum sie damals war, zur Sättigung, Erhaltung und Ergötzung bedurften. Ja, damals wandelten die unschuldigen schönen Mägdlein von Tal zu Tal und von Hügel zu Hügel, das Haar in Flechten oder frei fliegend, ohne andre Bekleidung, als was erforderlich, um zu verschleiern, was die Ehrbarkeit zu verhüllen gebietet und stets geboten hat; und ihr Putz war nicht solcher Art, wie er jetzt bräuchlich, den der Purpur von Tyrus und die mit so mannigfachen Zubereitungen zermarterte Seide kostbar machen, sondern er bestand aus ineinandergeflochtenen Blättern von grünem Kletterkraut und Efeu, womit sie vielleicht ebenso prächtig und geschmückt einhergingen wie jetzt unsre Hofdamen mit den seltenen und erstaunlichen Erfindungen, die der müßige Drang nach Neuem sie gelehrt hat.

Damals schmückten sich die Liebesworte des Herzens mit derselben Einfachheit und Unschuld, wie das Herz sie gedacht, ohne nach künstlichen Wendungen und Redensarten zu suchen, um ihnen einen vornehmen Anstrich zu geben. Noch hatten Betrug, Arglist, Bosheit sich nicht unter Wahrheit und Einfalt gemischt. Die Gerechtigkeit hielt sich innerhalb ihrer eignen Grenzen, ohne daß die Herrschaft der Gunst oder des Eigennutzes sie zu stören oder zu verletzen wagte, welche jetzt das Recht so arg schädigen, verwirren und verfolgen. Das Gesetz der Willkür hatte sich noch nicht im Geiste des Richters festgesetzt; denn es gab damals nichts und niemanden zu richten. Die Jungfrauen und die Ehrbarkeit wandelten, wie ich gesagt, allerwegen einsam und allein, ohne Besorgnis, daß fremde Dreistigkeit und lüsterne Absicht sie schädigten, und Unkeuschheit entsprang bei ihnen nur aus ihrer Neigung und eignem freiem Willen. Jetzt aber, in diesen unsren abscheulichen Zeiten, ist keine sicher, wenn auch ein neues Labyrinth wie das kretische sie verbärge und verschlösse; denn auch hier dringt mit der Anreizung der verruchten Umwerbungen die Liebespest herein und bringt ihre ganze Enthaltsamkeit zum Scheitern. Ihnen zur Beschirmung wurde, da im Fortgang der Zeiten die Schlechtigkeit stets höher wuchs, der Orden der fahrenden Ritter eingesetzt, um die Jungfrauen zu verteidigen, die Witwen zu schützen und den Waisen und Hilfsbedürftigen beizustehen. Zu diesem Orden gehöre auch ich, ihr guten Ziegenhirten, denen ich für die Gastlichkeit und freundliche Aufnahme, die ihr mir und meinem Schildknappen zuteil werden lasset, herzlich danke; denn obwohl nach dem Naturgesetz jeder Lebende verpflichtet ist, den fahrenden Rittern Gunst zu erweisen, so weiß ich doch, daß ihr, ohne diese Verpflichtung zu kennen, mich aufgenommen und wohl bewirtet habt; und darum ist es recht und billig, daß ich mit aller Freundlichkeit, deren ich fähig bin, die eure dankend anerkenne.«

Diese lange Rede, welche ganz gut hätte unterbleiben können, hielt unser Ritter aus dem Anlaß, daß die ihm gespendeten Eicheln ihm das Goldne Zeitalter in Erinnerung brachten, und so gelüstete es ihn, diese zwecklosen Worte an die Ziegenhirten zu richten, welche ohne ein Wort der Erwiderung ihm mit offenem Munde und still vor Verwunderung zuhörten.

So schwieg auch Sancho und verzehrte Eicheln und besuchte gar häufig den zweiten Schlauch, den sie, um den Wein zu kühlen, an einer Korkeiche aufgehängt hatten.

Don Quijote brauchte mehr Zeit zum Reden als das Abendmahl, um zum Schluß zu kommen. Als dieses zu Ende war, sagte einer der Hirten: »Auf daß Euer Gnaden mit um so mehr Recht sagen könne, daß wir Euch, Herr fahrender Ritter, bereitwilligst und freundlichst aufnehmen, wollen wir Euch noch eine Lust und Ergötzlichkeit bereiten und einen unsrer Kameraden bitten, daß er Euch was singt. Er wird bald hier sein; er ist ein gar geschickter Bursche und gar sehr verliebt, und obendrein kann er lesen und schreiben und spielt die Fiedel, daß man sich nichts Schöneres wünschen kann.«

Kaum hatte der Hirte ausgeredet, als der Ton der Fiedel zu ihren Ohren drang, und bald kam auch der Fiedelspieler selbst, ein Jüngling von etwa zweiundzwanzig Jahren und äußerst angenehmen Manieren. Seine Kameraden fragten ihn, ob er schon zu Abend gegessen, und da er mit Ja antwortete, sagte ihm der Hirte, der dem Ritter das Anerbieten gemacht hatte: »Demnach, Antonio, kannst du uns gewiß den Gefallen tun, ein wenig zu singen, damit hier unser Herr Gast sieht, daß es auch im Gebirg und Wald Leute gibt, die etwas von der Musik verstehen. Wir haben ihm von deinen Kunstfertigkeiten erzählt und wünschen, daß du sie ihm zeigst und ihm beweist, daß wir die Wahrheit gesagt; und so bitte ich dich denn bei deinem Leben, setz dich und sing uns das Lied von deiner Liebschaft, das dein Oheim, der Kaplan, verfaßt hat und das allen Leuten im Ort so gut gefallen hat.«

»Sehr gern«, erwiderte der Jüngling, und ohne sich lange bitten zu lassen, setzte er sich auf den Stumpf einer gestutzten Eiche, stimmte seine Fiedel und begann alsbald mit anmutigem Gebaren zu singen:

Antonio an Olalla

Ja, du liebst mich, und ich weiß es,
Wenn dein Mund auch schweigsam bliebe,
Deine Augen selbst nie sprachen,
Stumme Zungen sie der Liebe.

Da ich weiß, du bist verständig,
Mußt du wahrlich mich erkiesen,
Denn wenn Liebe recht erkannt wird,
Wird sie nie zurückgewiesen.

Manchmal hast du zwar, Olalla,
Mir gezeigt so rauhe Mienen,
Daß von Stein dein weißer Busen,
Und die Seel aus Erz erschienen.

Doch in deinem spröden Zürnen,
Das als Tugend wird gepriesen,
Hat gar manchmal mir die Hoffnung
Ihres Mantels Saum gewiesen.

Deinem Lockton fliegt mein Herz nach,
Dessen Glut nie konnte sinken,
Wenn du zürntest, und nie steigen,
Wenn Erhöhung schien zu winken.

Doch wenn holde Miene Lieb ist,
Dann schließ ich aus deinen Mienen,
Daß mein Hoffen an das Ziel kommt,
Das als Traumbild mir erschienen.

Und wenn treue Dienste helfen
Spröder Herzen Gunst erringen,
Muß gar manches, das ich tat,
Meiner Sache Hilfe bringen.

Oft ja sahst du, wenn Beachtung
Meinem Tun du hast geliehen,
Daß ich montags trug, was sonst mich
Freut‘ am Sonntag anzuziehen.

Weil sich Lieb und schmucke Kleidung
Immer gut zusammen schicken,
Wollt ich stets, daß deine Augen
Mich in feiner Tracht erblicken.

Wie ich tanzte dir zuliebe,
Kam, um Ständchen dir zu bringen,
Rühm ich nicht; du hörtest nachts oft
Bis zum Hahnenschrei mein Singen.

Nicht sag ich, wie deiner Schönheit
ich manch Loblied angestimmet,
Daß, obwohl ich Wahrheit sprach,
Manche Maid mir drob ergrimmet.

Die aus Berrocal, Teresa,
Sprach, als ich dich jüngst gepriesen:
»Manch Verliebter sieht als Engel,
Was sich bald als Aff erwiesen.

Das kommt von erborgten Haaren
Und den Futtern, Bändern, Ringen
Und von den erlognen Reizen,
Die selbst Amor hintergingen.«

Gleich straft ich sie Lügen; kam ihr
Vetter gleich, ihr beizuspringen,
Bot mir Kampf; du weißt, was er da
Und was ich vermocht im Ringen.

Nicht lieb ich so oberflächlich,
Nicht auch wag ich dich zu minnen
Von gemeiner Lüste wegen;
Tugendsamer ist mein Sinnen.

Seidne Bande hat die Kirche,
Gut, um sich darein zu schmiegen;
Unters Joch leg deinen Nacken,
Werd ich meinen drunter biegen.

Sonst, beim größten Heilgen schwör ich,
Wenn du deinem treuen Diener
Absagst, zieh ich vom Gebirge
Fort und werd ein Kapuziner.

Hiermit beschloß der Ziegenhirte sein Lied, und während Don Quijote ihn bat, noch etwas zu singen, wollte doch Sancho Pansa nichts davon wissen, weil er mehr Lust hatte zu schlafen, als Lieder zu hören. Und so sagte er denn zu seinem Herrn: »Euer Gnaden könnte sich wohl jetzt gleich niederlegen, wo Ihr diese Nacht zubringen sollt; denn die braven Leute haben den ganzen Tag über so viel Arbeit, daß sie ihnen nicht erlaubt, die Nächte mit Gesang zu verbringen.«

»Ich verstehe dich schon«, entgegnete Don Quijote, »und es ist mir ziemlich klar, daß deine Besuche beim Weinschlauch mehr mit Schlaf als mit Musik belohnt sein wollen.«

»Es schmeckt gottlob uns allen gut«, antwortete Sancho.

»Das leugne ich nicht«, versetzte Don Quijote; »aber mache dir’s bequem, wo du willst; denn denen von meinem Beruf ist es ziemlicher zu wachen, als zu schlafen. Jedoch bei alledem war’s gut, wenn du noch einmal nach meinem Ohre sähest; denn es schmerzt mich mehr als nötig.«

Sancho tat, wie ihm befohlen, und als einer der Hirten die Wunde bemerkte, sagte er ihm, er möge nur unbesorgt sein; er wolle ein Mittel anwenden, womit sie leicht heilen würde. Er pflückte einige Blätter vom Rosmarin, der dort herum in Menge wuchs, kaute sie und mengte etwas Salz darunter, legte sie aufs Ohr und verband es sorgfältig, mit der Versicherung, daß er keines Heilmittels weiter bedürfe; und so war es in der Tat.

12. Kapitel

Von dem, was ein Ziegenhirt der Tischgesellschaft Don Quijotes erzählte

Indem kam ein anderer Junge herzu, einer von denen, die ihnen die Lebensmittel aus dem Dorfe holten, und sagte: »Wißt ihr, was im Dorf vorgeht, Kameraden?«

»Wie können wir das wissen?« antwortete einer von ihnen.

»So hört denn«, fuhr der Junge fort, »heute morgen ist der berühmte studierte Schäfer, der Grisóstomo, gestorben, und man munkelte, er sei aus Liebe zu jenem Teufelsmädchen gestorben, der Tochter des reichen Guillermo, derselben, die in Hirtentracht durch die abgelegenen Wildnisse dorten herumzieht.«

»Du meinst wohl Marcela«, sagte einer.

»Die mein ich«, antwortete der Ziegenhirt, »und was das schönste ist, er hat in seinem Letzten Willen verordnet, man solle ihn im freien Feld begraben, als wäre er ein Mohr gewesen, und zwar unten am Felsen, wo die Quelle bei dem Korkbaum ist; denn wie es heißt – und sie erzählen, er selbst habe es gesagt –, ist das der Ort, wo er sie zum erstenmal gesehen. Und noch andere Dinge hat er bestimmt, die, wie die Geistlichen im Dorf sagen, nicht geschehen dürfen und die auch nicht recht sind; denn sie kommen einem vor wie Bräuche von Heiden. Auf all das aber entgegnet sein Herzensfreund, der Student Ambrosio, der auch die Hirtentracht wie er angelegt, daß alles so geschehen muß, ohne daß ein Tüpfelchen daran fehlt, wie es der Grisóstomo verordnet hinterlassen hat, und darüber ist der ganze Ort in Aufruhr. Aber wie die Leute sagen, wird zuletzt doch alles geschehen, was Ambrosio und alle die Schäfer, seine guten Freunde, wollen, und morgen kommen sie und wollen ihn mit großer Pracht begraben, an derselben Stelle, wie ich gesagt. Und ich denke mir, da gibt es viel zu sehen; ich wenigstens will nicht unterlassen hinzugehen, auch wenn ich wüßte, daß ich morgen nicht mehr ins Dorf zurück könnte.«

»Wir alle tun das gleiche«, erwiderten die Hirten und wollten das Los werfen, wer dableiben sollte, für alle andern die Ziegen zu hüten.

»Hast recht, Pedro«, sprach einer von ihnen, »aber zu losen braucht ihr gar nicht; ich will für alle dableiben; und nicht aus tugendsamen Beweggründen oder Mangel an Neugier, sondern weil ich wegen des Splitters, den ich mir vor einigen Tagen in den Fuß gestochen habe, nicht gehen kann.«

»Trotz alledem sind wir dir dankbar dafür«, entgegnete Pedro.

Don Quijote fragte Pedro, wer jener Verstorbene und wer jene Schäferin sei. Darauf erwiderte Pedro, alles, was er wisse, sei, daß der Verstorbene ein reicher und vornehmer Herr gewesen, aus einem Dorfe dort im Gebirge; er sei lange Jahre in Salamanca Student gewesen und dann mit dem Ruf eines hochgelahrten und sehr belesenen Mannes in sein Dorf zurückgekommen. »Sonderlich, sagten die Leute, verstand er die Wissenschaften von den Sternen und wußte, was Sonne und Mond dort am Himmel treiben; denn er sagte uns jedesmal pünktlich die Hindernisse von Sonne und Mond.«

»›Finsternisse‹ heißt’s, guter Freund, und nicht ›Hindernisse‹, wenn diese beiden großen Himmelslichter sich verdunkeln«, sagte Don Quijote.

Aber Pedro kümmerte sich nicht um Kleinigkeiten und fuhr mit seiner Erzählung fort: »So hat er auch proffenzeit, ob es eine gute Ernte oder ein Mistjahr gäbe.«

»›Mißjahr‹ wollt Ihr sagen«, fiel Don Quijote ein.

»Mißjahr oder Mistjahr«, antwortete Pedro, »kommt alles auf eins heraus. Und ich sag Euch, durch all das, was er ihnen sagte, wurde sein Vater samt Freunden steinreich; denn sie taten, was er ihnen riet, je nachdem er ihnen sagte: ›Säet dieses Jahr Gerste und keinen Weizen; dieses Jahr könnt ihr Kichererbsen säen und keine Gerste; das nächste Jahr wird ein Jahr reichster Ölernte sein, in den drei folgenden wird man keinen Tropfen eintun.‹«

»Diese Wissenschaft heißt man Astrologie«, sagte Don Quijote.

»Ich weiß nicht, wie sie heißt«, versetzte Pedro; »aber ich weiß, daß er alles das wußte und noch mehr. Kurz und gut, es gingen nicht viel Monate ins Land, seit er von Salamanca kam, da zeigte er sich auf einmal als Schäfer gekleidet mit seinem Krummstab und Schafpelz; den langen Rock, den er als ein studierter Mann trug, hatte er abgelegt, und zugleich mit ihm kleidete sich als Schäfer sein Herzensfreund Ambrosio, der beim Studieren sein Kamerad gewesen. Ich hab zu sagen vergessen, daß der Grisóstomo, der Verstorbene, ein großer Mann war im Dichten und Reimen, so daß er es war, der die Hirtenlieder für die Christnacht machte, auch Fronleichnamsstücke, die die Burschen aus unserem Ort aufführten, und jeder sagte, sie wären über alle Maßen schön. Wie die Leute vom Ort plötzlich die beiden studierten Jünglinge in Schäfertracht erblickten, waren sie höchlich verwundert und konnten den Grund nicht erraten, der sie zu einer so sonderbaren Verwandlung bewogen hatte. Inzwischen war der Vater des Grisóstomo gestorben, und er erbte ein sehr großes Vermögen sowohl an fahrender Habe als auch an Grund und Boden und eine nicht geringe Menge von großem und kleinem Vieh und einen großen Haufen bares Geld; über alles das war er nun der uneingeschränkte Herr. Und in Wahrheit, er war das alles wert, denn er war ein guter Kamerad und war mildtätig und ein Freund der Redlichen und hatte ein Gesicht wie ein wahrer Segen Gottes. Später hat man in Erfahrung gebracht, daß er aus keiner andern Ursach seine Tracht veränderte, als weil er in diesen abgelegenen Gründen jener Marcela nachgehen wollte, die unser Junge vorher genannt hat; in die hatte sich der arme Kerl von Grisóstomo, der anjetzo tot ist, verliebt. Und jetzt will ich Euch sagen, denn es gehört sich, daß Ihr es wisset, wer dies Mägdlein ist, vielleicht, oder auch ganz gewiß, habt Ihr dergleichen Euer Lebtage nicht gehört, und wenn Ihr auch länger lebt als Jerusalem.«

»Sagt ›Methusalem«‹, versetzte Don Quijote, der die Wortverwechslung des Ziegenhirten nicht leiden mochte.

»Ach, das Jerusalem hat auch ein langes Leben gehabt«, entgegnete Pedro, »und wenn es so geht, Herr, und Ihr mir jeden Ritt an den Worten mäkeln wollt, so werden wir in einem Jahr nicht fertig.«

»Entschuldiget, guter Freund«, entgegnete Don Quijote, »ich sagte es nur, weil ein so großer Unterschied zwischen Jerusalem und Methusalem ist; aber Eure Antwort war sehr gut, denn allerdings hat Jerusalem noch ein längeres Dasein als Methusalem. Und fahret nun mit Eurer Geschichte fort, ich will Euch in nichts mehr hineinreden.«

»Ich sage also, liebster, bester Herr«, sprach der Ziegenhirt, »daß in unserm Dorf ein Bauer lebte, der noch reicher war als Grisóstomos Vater; der hieß Guillermo, und ihm schenkte Gott neben dem vielen und großen Reichtum eine Tochter, deren Geburt die Mutter das Leben kostete; das war die bravste Frau, die man weit und breit im Lande finden mochte. Mir kommt’s vor, ich sehe sie noch, mit jenem Gesicht, auf dem zu einer Seite die Sonne und zur andern der Mond leuchtete, und vor allem war sie fleißig zur Arbeit und eine Freundin der Armen, weshalb ich glaube, ihre Seele wohnt jetzt zur Stunde in jener Welt im Genusse von Gottes Seligkeit. Aus Schmerz über den Tod einer so vortrefflichen Frau starb ihr Mann Guillermo und ließ seine Tochter Marcela unter der Vormundschaft ihres Oheims, eines Geistlichen, der in unserm Ort die Pfründe innehat. Das Kind wuchs zu solcher Schönheit heran, daß es uns an die erinnerte, die seine Mutter in so hohem Grade besessen, und bei alldem war doch das allgemeine Urteil, daß die der Tochter sie noch übertreffen werde. Und so ist’s auch gekommen; denn als sie zum Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren gelangte, schaute sie keiner an, ohne daß er nicht Gott lobpries, der sie so schön geschaffen, und schier jeder war auf den Tod verliebt in sie. Ihr Oheim hielt sie unter guter Aufsicht und in großer Eingezogenheit; aber trotzdem verbreitete sich der Ruf ihrer absonderlichen Schönheit so sehr, daß um derentwillen sowohl als ihres großen Reichtums wegen nicht nur von den Leuten aus unserem Dorfe, sondern von denen aus der ganzen Gegend, viele Meilen in der Runde, und zwar von den angesehensten, der Oheim täglich angegangen, mit Bitten bestürmt und heftig gedrängt wurde, sie ihnen zum Weibe zu geben. Aber er, ein richtiger guter Christ, wenn er sie auch gern verheiratet hätte, als er sie in dem Alter dazu sah, wollte es nicht ohne ihre Einwilligung tun, – gewißlich ohne daß er ein Auge auf den Vorteil und Erwerb hatte, den ihm die Verwaltung von Hab und Gut des Mädchens bot, wenn er ihre Verheiratung hinausschob. Und wahrlich, in mehr als einem Plauderkränzchen im Dorfe ist das zum Lobe des geistlichen Herrn gesagt worden. Ihr müßt nämlich wissen, fahrender Herr Ritter, daß in diesen kleinen Ortschaften über alles geschwatzt und alles bös mitgenommen wird; und seid überzeugt, wie ich es bin, daß der Geistliche über die Maßen brav sein muß, der seine Pfarrkinder nötigt, Gutes von ihm zu reden, zumal auf dem Lande.«

»So ist’s in Wahrheit«, sagte Don Quijote, »und fahrt weiter fort; denn die Erzählung ist sehr anziehend, und Ihr, mein guter Pedro, erzählt sie so hübsch, daß man sein Wohlgefallen daran haben muß.«

»Möge Gottes Wohlgefallen mir nicht gebrechen, denn das ist die Hauptsache. Und fürs übrige müßt Ihr wissen, daß, obschon der Oheim seiner Nichte Vorschläge tat und ihr die Vorzüge eines jeden ihrer vielen Freier im besondern auseinandersetzte und sie bat, zu heiraten und die Wahl nach ihrem Geschmack zu treffen, sie nie eine andre Antwort gab, als daß sie sich für jetzt nicht verheiraten wolle, und sie halte sich wegen ihrer großen Jugend nicht für geeignet, die Lasten der Ehe zu tragen. Auf diese dem Anscheine nach ganz triftigen Gründe hörte der Oheim mit seinem Zureden auf und wartete ab, bis sie etwas mehr in die Jahre käme und selbst nach ihrer Neigung einen Lebensgefährten wählen würde. Denn er sagte, und sagte sehr mit Recht, die Eltern sollten ihren Kindern nicht wider ihren Willen einen Hausstand gründen. Aber sieh da, ehe man sich’s versieht, eines Tages kommt die launische Marcela in der Tracht einer Schäferin gegangen; und ohne daß ihr Oheim oder die Leute im Ort, die es ihr alle abrieten, etwas dagegen vermochten, fiel es ihr ein, mit den andern Mädchen vom Dorf aufs Feld zu gehen und ihre Herde selbst zu hüten. Und wie sie nun unter die Leute ging und man ihre Schönheit ohne Schleier erblickte, da kann ich gar nicht gebührend sagen, wieviel reiche Jünglinge, so Junker wie Bauern, seitdem die Tracht des Grisóstomo angenommen haben und überall auf der Flur umher ihr den Hof machen.

Zu denen, wie ich Euch schon gesagt, gehörte auch der Verstorbene, und die Leute sagten, er habe zuletzt aufgehört, sie zu lieben, und sie nur noch angebetet. Man muß aber nicht denken, daß Marcela, weil sie sich solcher Freiheit und solch zwanglosem Leben, wobei so wenige oder gar keine Zurückgezogenheit möglich, ergeben hat, darum irgendein Merkmal, auch nur mit dem geringsten Anschein, hätte sehen lassen, das ihrer Ehrbarkeit und Züchtigkeit zur Schädigung gereichte; vielmehr ist die Wachsamkeit, mit der sie ihre Ehre hütet, so groß und solcher Art, daß von allen, die ihr dienen und um sie werben, keiner sich je gerühmt hat noch in Wahrheit je rühmen kann, sie hätte ihm nur die kleinste Hoffnung vergönnt, seinen Wunsch zu erreichen. Denn sie will zwar die Gesellschaft und Unterhaltung mit den Hirten nicht fliehen noch vermeiden und behandelt sie höflich und freundlich; sobald aber einer von ihnen, wer auch immer, so weit geht und ihr seine Absichten entdeckt, seien sie auch so redlich und heilig, wie es das Begehren einer Heirat ist, schleudert sie ihn weit von sich weg, wie aus einer Wurfmaschine geschossen. Und mit dieser Art von Benehmen richtet sie mehr Schaden in diesem Lande an, als wenn die Pest darin einzöge. Denn ihre Umgänglichkeit und Schönheit verleitet die Herzen derer, die mit ihr verkehren, ihr Huldigung und Liebe zu widmen; aber die Verschmähung und Enttäuschung, die sie ihnen werden läßt, treibt die Leute der Verzweiflung entgegen, und so wissen sie nicht mehr, was sie ihr sagen sollen, außer sie mit lauter Stimme grausam und undankbar zu schelten, nebst andren Benennungen solcher Art; Ausdrücken, die ganz richtig ihre Gemütsart kennzeichnen. Wenn Ihr, Herr, Euch einmal hier verweiltet, würdet Ihr finden, wie die Berge und Täler hier widerhallen von den Wehklagen der Verschmähten, die ihr nachlaufen. Nicht weit von hier ist ein Platz, wo etwa zwei Dutzend hoher Buchen stehen, und da ist keine, die nicht auf ihrer glatten Rinde den Namen Marcela eingegraben und eingezeichnet trägt, und hie und da ist eine Krone darüber in den Baum geschnitten, als ob der Verliebte sagen wollte, daß Marcela die Krone aller irdischen Schönheit trägt und verdient. Hier stößt ein Schäfer Seufzer aus, dort wehklagt ein andrer, an jener Stelle hört man verliebte Lieder, an dieser verzweiflungsvolle Trauergesänge. Es gibt manchen, der die ganze Nacht unter einer Eiche oder einem Felsgrat sitzen bleibt; und ohne daß er die tränenvollen Augen schließt, in seine Gedanken verloren und verzückt, hat ihn öfters die Sonne noch am Morgen dort gefunden; es gibt manchen, der, ohne seiner Qual einen Ausweg oder einen Augenblick Ruhe zu vergönnen, sich mitten in der Hitze des drückendsten Sommermittags auf den glühenden Sand hinstreckt und seine Klagen zum erbarmungsvollen Himmel schickt; und über diesen und über jenen und über all diese und all jene, frei und unbefangen, triumphiert die schöne Marcela. Und wir alle, die wir sie kennen, stehen in Erwartung, wo ihre Hoffart am Ende hinauswill und wer der Glückliche sein wird, der einen so schrecklichen Charakter bändigen und einer so außerordentlichen Schönheit Herr werden soll. Sintemal nun alles, was ich berichtet, so zweifellos wahr ist, so denke ich, es ist ebenso mit den Angaben über die Ursache vom Tode des Grisóstomo, die unser Bursche uns berichtet hat. Und so rat ich Euch, Señor, unterlasset nicht, Euch morgen bei seinem Begräbnis einzufinden; es ist gewiß sehr sehenswert; denn Grisóstomo hat viele Freunde, und von hier bis zu der Stelle, wo er begraben sein wollte, ist’s keine halbe Meile.«

»Ich halt es wohl im Sinn«, sagte Don Quijote, »und danke Euch für das Vergnügen, das Ihr mir mit dem Vortrag einer so anziehenden Geschichte gewährt habt.«

»Oh!« entgegnete der Hirt, »ich weiß lange nicht die Hälfte von all dem, was sich mit den Liebhabern der Marcela zugetragen hat; aber möglicherweise finden wir morgen unterwegs einen Schäfer, der uns alles erzählt. Jetzt aber wird’s gut sein, wenn Ihr unter Dach und Fach schlafen geht; denn die Nachtluft könnte Eurer Wunde Schaden tun, wiewohl das Heilmittel, das Euch aufgelegt worden, derart ist, daß von keinem widrigen Zufall mehr etwas zu besorgen steht.«

Sancho Pansa, der schon längst das lange Gerede des Hirten zum Teufel wünschte, bat auch seinerseits darum, sein Herr möge in Pedros Hütte schlafen gehen. So tat er es denn, und der größte Teil der Nacht verging ihm unter Gedanken an seine Gebieterin Dulcinea, in Nachahmung der Liebhaber Marcelas. Sancho Pansa machte sich’s zwischen Rosinante und seinem Esel bequem und schlief, nicht wie ein verschmähter Liebhaber, sondern wie ein wohlzerprügelter Schildknappe.

Vorrede

Müßiger Leser! Ohne Eidschwur kannst du mir glauben, daß ich wünschte, dieses Buch, als der Sohn meines Geistes, wäre das schönste, stattlichste und geistreichste, das sich erdenken ließe. Allein ich konnte nicht wider das Gesetz der Natur aufkommen, in der ein jedes Ding seinesgleichen erzeugt. Und was konnte demnach mein unfruchtbarer und unausgebildeter Geist anderes erzeugen als die Geschichte eines trockenen, verrunzelten, grillenhaften Sohnes, voll von mannigfaltigen Gedanken, wie sie nie einem andern in den Sinn gekommen sind? Eben eines Sohnes, der im Gefängnis erzeugt wurde, wo jede Unbequemlichkeit ihren Sitz hat, jedes triste Gelärm zu Hause ist. Friedliche Muße, eine behagliche Stätte, die Lieblichkeit der Gefilde, die Heiterkeit des Himmels, das Murmeln der Quellen, die Ruhe des Geistes tragen viel dazu bei, daß die unfruchtbarsten Musen sich fruchtbar zeigen und dem Publikum Erzeugnisse bieten, die es mit Bewunderung und Freude erfüllen.

Es geschieht wohl, daß ein Vater einen häßlichen Sohn besitzt, der aller Grazie bar ist, und die Liebe, die er für ihn hat, legt ihm eine Binde um die Augen, daß er dessen Fehler nicht sieht, vielmehr sie für witzige und liebenswürdige Züge erachtet und sie seinen Freunden als scharfsinnige und anmutige Äußerungen erzählt. Jedoch ich, der ich zwar der Vater Don Quijotes scheine, aber nur sein Stiefvater bin, ich will nicht mit dem Strom der Gewohnheit schwimmen, noch dich, teurer Leser, schier mit Tränen in den Augen bitten, wie andre tun, daß du die Fehler, die du an diesem meinem Sohne finden magst, verzeihen oder nicht sehen wollest; denn du bist weder sein Verwandter noch sein Freund, hast deinen eignen Kopf und deinen freien Willen wie der Allertüchtigste auf Erden und sitzest in deinem Hause, darin du der Herr bist wie der König über seine Steuergelder, und weißt, was man gemeiniglich zu sagen pflegt: unter meinem Mantel kann ich den König umbringen. Alles dieses enthebt und befreit dich von jeder Rücksicht und Verpflichtung, und so kannst du von dieser Geschichte alles sagen, was dir gut dünkt, ohne zu besorgen, daß man dich schelte ob des Bösen, noch belohne ob des Guten, das du von ihr sagen magst.

Nur hätte ich sie dir gerne bar und nackt geben mögen, nicht aufgeputzt mit einer Vorrede und dem unzählbaren Haufen und Katalog der üblichen Sonette, Epigramme und Lobgedichte, die man den Büchern an den Eingang zu setzen pflegt. Denn ich kann dir sagen, obschon diese Geschichte zu schreiben mich manche Mühe gekostet hat, so erschien mir doch keine größer, als diese Vorrede auszuarbeiten, die du hier liesest. Oft nahm ich die Feder, um sie niederzuschreiben, und oft ließ ich sie wieder fallen, weil ich nicht wußte, was ich schreiben sollte. Und wie ich einmal so unschlüssig dasaß, mit dem Papier vor mir, die Feder hinter dem Ohr, den Ellbogen auf dem Schreibtisch und die Hand an der Wange, erwägend, was ich sagen sollte, da trat unversehens ein Freund von mir herein, ein Mann von Witz und großer Einsicht; und als er mich so nachdenklich sah, fragte er mich um die Ursache. Ich hielt nicht damit zurück und sagte ihm, ich dächte über die Vorrede nach, die ich zur Geschichte des Don Quijote schreiben müsse und um derentwillen ich mich in einem solchen Zustand befände, daß ich sie gar nicht schreiben und ebensowenig die Taten dieses so edlen Ritters ans Licht treten lassen wolle.

»Denn wie könnt Ihr verlangen, daß mich die Vorstellung: ›Was wird jener alte Gesetzgeber, den man den großen Haufen nennt, dazu sagen?‹ nicht ratlos mache, wenn er sehen wird, daß nach so vielen Jahren, seit ich im Schweigen der Vergessenheit schlafe, ich jetzt mit all meinen Jahren auf dem Halse mit einer Mär hervortrete, die da so dürr ist wie Dünengras, aller Erfindung bar, mangelhaft im Stil, arm an geistreichem Spiel der Worte und aller Gelehrsamkeit und Wissenschaft entbehrend, ohne Zitate am Rand und ohne Notate am Schluß des Buches; dieweil doch, wie ich sehe, andre Bücher alles dies haben und, selbst wenn sie fabelhaften und weltlichen Inhaltes sind, so voll von Aussprüchen des Aristoteles, des Plato und der ganzen Schar von Philosophen einhersteigen, daß sie die Leser in Staunen setzen und daß diese deren Verfasser für belesene, gelehrte und wohlberedte Männer halten. Und wie erst, wenn sie die Heilige Schrift anführen! Man möchte nicht anders glauben, als daß sie lauter heilige Thomase sind oder andre Kirchenlehrer, und dabei beobachten sie die Schicklichkeit so geistvoll, daß, wenn sie in einer Zeile einen verliebten Bruder Liederlich gemalt haben, sie in der nächsten ein Stücklein christlicher Predigt hinschreiben, daß es ein Vergnügen und Genuß ist, es anzuhören oder zu lesen. Alles dessen muß mein Buch entbehren, denn ich habe nichts am Rand zu zitieren, nichts am Schluß zu notieren, und noch weniger weiß ich, welchen Autoren ich in meinem Buche folge, um sie, wie alle tun, nach dem Abc an den Eingang zu stellen, beim Aristoteles anfangend und endigend mit Xenophon und mit Zoilus oder Zeuxis – obschon der eine ein Lästermaul und der andre ein Maler war. Auch wird es meinem Buche an Sonetten zum Eingang fehlen, wenigstens an solchen, die von Herzogen, Marquesen, Grafen, Bischöfen, Edeldamen oder weltberühmten Poeten verfaßt wären. Freilich, wenn ich mir solche von zwei oder drei befreundeten Handwerksburschen erbäte, so weiß ich, sie würden sie mir geben, und zwar so gute, daß ihnen die jener Herren nicht gleichkämen, die am meisten Ruf in unsrem Spanien haben.

Kurz, werter Herr und Freund«, fuhr ich fort, »ich habe beschlossen, daß der Herr Don Quijote in seinen Archiven in der Mancha begraben bleiben soll, bis der Himmel jemanden beschert, der ihn mit so vielen Dingen, die ihm jetzt fehlen, ausschmücke; denn ich fühle mich wegen meiner Unzulänglichkeit und meiner mangelhaften literarischen Bildung unfähig, hier abzuhelfen, und bin auch von Natur zu bequem und zu träge, um nach Autoren suchen zu gehen, die da sagen sollen, was ich für mich schon ohne sie sagen kann. Daher kommt’s, daß ich so unschlüssig und aufgeregt war, wie Ihr mich gefunden habt; und sicher war der Grund, den ich Euch dargelegt habe, ein genügender, um mich in solche Zustände zu versetzen.«

Als mein Freund das hörte, schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn, und in ein mächtiges Gelächter ausbrechend, sagte er zu mir: »Bei Gott, Gevatter, jetzt erst werde ich eines Irrtums völlig los, in dem ich die lange Zeit her lebte, seit ich Euch kenne, denn bisher hielt ich Euch immer in allen Euren Handlungen für verständig und besonnen. Aber jetzt sehe ich, daß Ihr so fern davon seid wie der Himmel von der Erde. Wie ist es möglich, daß Dinge von so geringer Bedeutung, und denen so leicht abzuhelfen ist, die Macht haben, einen so reifen Geist zu beirren und zu verwirren wie den Eurigen, der so dazu angetan ist, weit größere Schwierigkeiten zu bewältigen und aus dem Wege zu räumen? In Wahrheit, das kommt nicht vom Mangel an Geschick, sondern aus Überfluß an Trägheit und aus Denkfaulheit. Wollt Ihr sehen, ob ich die Wahrheit sage? Nun, so schenkt mir einige Aufmerksamkeit, und da werdet Ihr finden, wie ich im Handumdrehen all Eure Bedenklichkeiten zunichte mache und Euch alles das herbeischaffe, dessen Mangel, wie Ihr sagt, Euch so verlegen macht und entmutigt, daß Ihr es aufgebt, die Geschichte Eures berühmten Don Quijote, des Lichtes und Spiegels der gesamten fahrenden Ritterschaft, ans Licht der Welt treten zu lassen.«

»Sagt«, entgegnete ich ihm, als ich dies hörte, »auf welche Weise wollt Ihr die Leere meiner Besorgnis ausfüllen und Helle in das Chaos meiner Verlegenheit bringen?«

Darauf antwortete er: »Das erste, woran Ihr Euch stoßt, nämlich daß Sonette, Epigramme oder Lobgedichte Euch für den Eingang des Buches fehlen, und zwar solche, die von Personen von Ansehen und Adel herrühren – dem kann dadurch abgeholfen werden, daß Ihr selbst einige Mühe darauf wendet, sie anzufertigen, und nachher könnt Ihr sie taufen und jeden Namen, der Euch beliebt, daruntersetzen und könnt sie dem Priester Johannes aus Indien oder dem Kaiser von Trapezunt als Kinder unterschieben, da man von ihnen, wie ich weiß, Nachricht hat, sie seien berühmte Poeten gewesen; und wenn sie es auch nicht gewesen wären und wenn es dann ein paar Pedanten und Schwätzer gäbe, die hinterrücks nach Euch beißen und gegen Eure Angabe belfern wollten, so achtet das nicht eines Dreiers wert; denn wenn sie Euch auch die Lüge nachweisen, so werden sie Euch doch nicht die Hand abhauen, mit der Ihr’s geschrieben habt.

Was nun den Punkt betrifft: am Rande die Bücher und Schriftsteller aufzuführen, woraus Ihr die Lehrsprüche und Kernworte entlehnt, die Ihr in Eurer Geschichte anwendet, so braucht es weiter nichts, als es so einzurichten, daß hie und da zu gelegener Zeit etliche Sprüche oder lateinische Brocken vorkommen, die Ihr etwa schon auswendig wißt oder die aufzusuchen Euch doch nur geringe Mühe kostet; wie zum Beispiel, wenn Ihr da, wo Ihr von Freiheit und Gefangenschaft handelt, folgendes hinschreibt:

Non bene pro toto Libertas venditur auro –

und dann gleich am Rande den Horaz anführt, oder wer sonst es gesagt haben mag. Wenn Ihr etwa von der Gewalt des Todes handelt, dann gleich herbei mit:

Pallida mors aequo pulsat pede pauperum tabernas,
Regumque turres.

Wenn von der Freundschaft und Liebe, die Gott befiehlt gegen den Feind zu üben, dann gleich auf der Stelle in die Heilige Schrift hineingegriffen, was Ihr mit einem wenigen von Beflissenheit fertigbringen könnt, und entlehnt nichts Geringeres als Gottes eigene Worte: Ego autem dico vobis: diligite inimicos vestros. Wenn Ihr von bösen Gedanken handelt, so kommt mit dem Evangelium herbei: De corde exeunt cogitationes malae. Wenn von der Unbeständigkeit der Freunde, so ist Cato da, Euch sein Distichon zu geben:

Donec eris felix, multos numerabis amicos;
Tempora si fuerint nubila, solus eris.

Und mit diesen lateinischen Brocken und anderen der Art werden sie Euch doch zum mindesten für einen Grammatiker halten, was zu sein heutzutage nicht wenig Ehre und Vorteil bringt.

In betreff des Schreibens von Anmerkungen zu Ende des Buches, das könnt Ihr mit aller Sicherheit folgendergestalt machen: Wenn Ihr in Eurem Buch irgendeinen Riesen nennt, so richtet es so ein, daß es der Riese Goliath sei, und allein schon damit, was Euch soviel wie nichts kosten wird, habt Ihr eine große Anmerkung, denn Ihr könnt hinsetzen: Der Riese Golías oder Goliath war ein Philister, den der Hirte David mit einem gewaltigen Steinwurf im Terebinthental tötete, wie solches im Buch der Könige berichtet wird, in dem und dem Kapitel, wo ihr es geschrieben finden könnt.

Hierauf, um Euch als gelehrt in den schönen Wissenschaften und als welt- und länderkundigen Mann zu zeigen, legt es so an, daß in Eurer Geschichte der Fluß Tajo genannt werde, und gleich seht Ihr Euch wieder mit einer wundersamen Anmerkung versorgt, indem Ihr hinsetzt: Der Fluß Tajo wurde nach einem spanischen Könige so benannt; er hat seinen Ursprung an dem und dem Ort und verliert sich im Großen Ozean, nachdem er die Mauern der berühmten Stadt Lissabon geküßt, und man meint, er führe Goldsand. Wenn Ihr etwa von Räubern handelt, will ich Euch die Geschichte von Cacus geben, denn ich weiß sie auswendig. Wenn von leichtfertigen Weibern, so ist der Bischof von Mondonedo zur Stelle, der Euch Lamia, Lais und Flora bieten wird, welche Anmerkung Euch ein großes Ansehen geben muß; wenn von grausamen, wird Euch Ovid die Medea hergeben. Wenn von Zauberinnen und Hexen, so hat Homer die Kalypso und Vergil die Kirke. Wenn von tapfern Feldherrn, so wird sich Euch kein Geringerer als Julius Cäsar selbst in seinen Kommentarien darbieten und Plutarch Euch tausend Alexander geben. Wollt Ihr von der Liebe handeln, so werdet Ihr mittels eines Lots Kenntnis von der toskanischen Sprache auf Leone Ebreo stoßen, der Euch das Maß bis zum Überlaufen füllen kann. Und wenn Ihr nicht in fremde Lande gehen wollt, so habt Ihr in Eurem Hause den Fonseca Von der Liebe zu Gott, worin alles inbegriffen ist, was Ihr und der Allersinnreichste nur immer bei einem solchen Gegenstand zu wünschen vermögt. Kurz, es braucht weiter nichts, als daß Ihr Euch die Mühe gebt, diese Namen zu nennen oder diese Geschichten, die ich hier bezeichnet habe, in der Eurigen zu berühren, und mir laßt dann die Sorge, die Notate und Zitate beizusetzen; ich schwör Euch drauf, ich will Euch die Ränder füllen und noch ein Dutzend Blätter am Ende des Buches verbrauchen.

Kommen wir nun zu der Anführung der Schriftsteller, die bei den andern Büchern üblich ist und die zu Eurem Buch fehlt. Die Abhilfe dafür ist sehr leicht, denn Ihr habt nichts weiter zu tun als ein Buch herbeizusuchen, das sie alle von A bis Z, wie Ihr sagt, bereits angeführt hat. Nun wohl, dies nämliche Abc setzt Ihr in Euer Buch; denn wenn man auch daraus, daß Ihr so gar wenig nötig hattet, die vielen Schriftsteller zu benutzen, die Lüge deutlich ersieht, so liegt nichts daran; und vielleicht gibt’s immerhin jemanden, der so einfältig ist, zu glauben, Ihr hättet in Eurer einfachen und schlichten Geschichte sie doch alle benutzt. Und wenn auch zu weiter nichts, so wird jener große Katalog von Schriftstellern wenigstens dazu dienen, dem Buch auf einen Schlag Ansehen zu verschaffen. Zudem wird sich nicht leicht einer finden, der sich an die Untersuchung begibt, ob Ihr ihnen gefolgt oder nicht gefolgt seid, da ihm gar nichts daran liegen kann. Und dies ist um so mehr der Fall, da, wenn ich recht verstehe, dies Euer Buch nicht eines jener Dinge nötig hat, die, wie Ihr sagt, ihm fehlen; denn das Ganze ist nur ein Angriff auf die Ritterbücher, an die Aristoteles nie gedacht, von denen der heilige Basilius nichts gesagt und bis zu denen Cicero sich nicht verstiegen hat; und ebensowenig gehört in den Kreis seiner erdichteten Narreteien die strenge Genauigkeit geschichtlicher Wahrheit wie die Beobachtung der Sterndeuterei; auch sind ihm von keinem Wert die geometrischen Messungen noch die Widerlegung der Beweisführungen, deren sich die Redekunst bedient. Ebensowenig soll es irgendwem etwas vorpredigen und so das Menschliche mit dem Göttlichen vermischen – eine Art von Vermischung, die kein christlicher Geist zur Schau tragen soll. Ausschließlich soll es in allem, was es darstellt, sich der Nachahmung befleißigen, und um so vollkommener diese sein wird, um so besser wird ausfallen, was Ihr schreibt. Und da dies Euer Werk auf weiter nichts ausgeht, als das Ansehen und die Gunst zu zerstören, die die Ritterbücher in der Welt und bei der Masse genießen, so ist kein Grund, weshalb Ihr betteln gehen solltet um Kernsprüche der Weltweisen, um gute Lehren der Heiligen Schrift, Erfindungen der Dichter, hohe Worte der Redekünstler, Wunder der Heiligen; sondern Ihr habt nur darum bemüht zu sein, daß in schlichter Weise, mit bezeichnenden, anständigen und wohlgefügten Worten, Euer Stil und Satzbau klangvoll und anmutig dahinschreite; indem Ihr in allem, was Ihr erreichen könnt und was Euch möglich ist, Euern Endzweck getreulich darstellt und Eure Gedanken zum Verständnis bringt, ohne sie zu verwickeln und zu verdunkeln. Strebet auch danach, daß beim Lesen Eurer Geschichte der Schwermütige zum Lachen erregt werde, der Lachlustige noch stärker auflache, der Mann von einfachem Verstande nicht Überdruß empfinde, der Einsichtsvolle die Erfindung bewundere, der sinnig Ernste sie nicht mißachte und der Kenner nicht umhinkönne, sie zu loben. Mit einem Worte, richtet Euer Augenmerk darauf, das auf so schlechter Grundlage ruhende Gerüste jener Ritterbücher niederzureißen, die von so vielen verabscheut und von einer noch weit größeren Anzahl gepriesen werden; und wenn Ihr dieses Ziel erreicht, so werdet Ihr nichts Geringes erreicht haben.«

Mit tiefem Schweigen saß ich und hörte meinem Freunde zu, und so tief prägten sich mir seine Worte ein, daß ich, ohne eine Widerrede zu versuchen, ihnen meine Gutheißung erteilte und mir vornahm, aus diesen selben Worten meine Vorrede zusammenzutragen. In ihr also wirst du, holder Leser, die Verständigkeit meines Freundes ersehen sowie mein gutes Glück, in einem so bedrängten Augenblicke einen solchen Ratgeber gefunden zu haben, und zugleich die Quelle deiner eigenen Befriedigung darüber, daß du die Geschichte des berühmten Don Quijote von der Mancha so lauter und so ganz ohne Abirrungen erhältst; des Mannes, von dem unter allen Bewohnern des Gefildes von Montiel die Meinung geht, daß er der keuscheste Liebhaber und der tapferste Ritter gewesen, den man von vielen Jahren her bis zu dieser Zeit in jenen Gegenden gesehen. Ich will den dir geleisteten Dienst, daß ich dich einen so edlen und ehrsamen Ritter kennen lehre, nicht zu hoch anschlagen; aber danken sollst du mir, daß du Bekanntschaft mit seinem Schildknappen, dem berühmten Sancho Pansa, machst, in welchem ich dir, nach meiner Ansicht, den Inbegriff aller knappenhaften Witze vorführe, die in dem Haufen der Ritterbücher sich zerstreut finden.

Und hiermit, Gott möge dir Heil gewähren und mich nicht vergessen. Leb wohl.

Urganda die Unerkannte an das Buch Don Quijote von der Mancha

Wenn zu Trefflichen zu ko-mmen
Du, mein Buch, erstreben ka-nnst,
Wird dir kein Gelbschnabel sa-gen,
Daß du es nicht gut getro-ffen.
Doch packt Ungeduld dich o-ft,
Weil du Eseln wirst zu ei-gen,
Wirst du sehn im Nu, daß kei-ner
Auf den Kopf den Nagel tre-ffe,
Ob er sich die Finger le-cke,
Sich als Mann von Geist zu zei-gen.

Und da die Erfahrung spri-cht:
Wer an guten Baum sich le-hnt,
Daß den guter Schatten de-ckt,
Beut dein Stern in Béjar di-r
Einen Baum, der königli-ch,
Fürsten trägt als seine Frü-chte
Und an dem ein Herzog blü-ht,
Der ein neuer Alexa-nder;
Wage dich in seinen Scha-tten,
Denn dem Kühnen lacht das Glü-ck.

Abenteuer sollst du si-ngen
Eines Ritters aus der Ma-ncha,
Dem der Bücher hohler Ta-nd,
Die er las, den Kopf verwi-rrte.
Frauen, Waffen, edle Ri-tter
Hatten so ihn eingeno-mmen,
Daß er wie Roland der to-lle
Ganz von Liebeswut befa-ngen
Sich errang mit starken A-rmen
Dulcinea von Tobo-so.

Male du nicht eitle Bi-lder
Auf den Schild, denn wenn der he-ftige
Spieler stets auf Bilder se-tzt,
Wird er gegen As verli-eren.
Sei demütig in der Wi-dmung!
Und dann wird kein Spötter ru-fen:
Welch ein Konnetabel Lu-na,
Welch karthagischer Hanniba-l,
Welch ein König Franz in Spa-nien
Will noch übers Schicksal mu-rren!

Da der Himmel nicht gewo-llt,
Daß so viel Latein du wi-ssest
Als der Neger Juan Lati-no,
Meide du lateinische Bro-cken.
Nicht zitier mir Philosophen,
Sei nicht überfein haarspa-lterisch;
Sonst verzieht den Mund zum La-chen
Wer den Pfiff versteht, und ru-ft
Gellend dir ins Ohr den Spru-ch:
Warum Kniffe mir und Phra-sen?

Nicht beschreib in breitem Schwu-lst
Fremder Leute Lebensba-hn;
Weitab stehn und liegen la-sse
Dinge, die dem Leser Wu-rst.
Dem schlägt man auf die Kapu-ze,
Der zu breit sich macht mit Wi-tz,
Du arbeite nur und schwi-tze,
Zu erringen guten Ru-f;
Denn wer Albernheiten dru-ckt,
Leiht sie aus auf ewige Zi-nsen.

Merke dir: der ist ein Na-rr,
Der da unterm Glasdach wei-lt
Und trotzdem nach Steinen grei-ft
Und sie wirft auf Nachbars Da-ch.
Doch der Mann von Urteilskra-ft
Geht bei allem, was er schrei-bt,
Als war Blei an seinen Bei-nen;
Und wer das Papier bedru-ckt,
Um Backfischchen zu erlu-sten,
Hat versimpelt seine Zei-t.

Amadís von Gallien an Don Quijote von der Mancha

Sonett

O du, in dem die Lieb Nachahmung weckte
Des Tränenlebens, das mich quält‘ und plagte,
Als auf dem Armutsfelsen ich verzagte,
Weil mich Entfernung und Verschmähung schreckte;

Du, der zum Trank der Augen Salzflut leckte
Und dem zur Mahlzeit, wenn dich Hunger nagte
Und Silber, Zinn und Kupfer dir versagte,
Die Erd auf harter Erd ein Tischchen deckte;

Leb du in Zuversicht, daß dir auf immer
– So lang zum mindsten, als die Feuerpferde
Apollos in der vierten Sphäre kreisen –

Dein Name hell wird sein von Ruhmesschimmer,
Dein Vaterland das erst‘ auf dieser Erde,
Dein Autor einzig unter allen Weisen.

Don Belianis von Griechenland an Don Quijote von der Mancha

Sonett

Ich brach, hieb, sprach, schlug Beulen, hab vollbracht
Mehr als der fahrenden Ritter ganz Geschlecht,
Kühn, brav, stolz, tausend Frevel schwer gerächt
Und hunderttausend wiedergutgemacht.

Der Ruhm verewigt meiner Taten Pracht;
Stets war mein Lieben sanft, freigebig, echt.
Im Zweikampf war ich jeder Pflicht gerecht;
Ein Riese galt als Zwerg mir in der Schlacht.

Zu Füßen mir hatt ich Fortuna liegen;
Am Stirnhaar hielt mein schlauer Sinn mit Spotte
Die kahle Glatze der Gelegenheit.

Doch hob sich auch mein Glück im steten Siegen
Über des Mondes Hörner – Don Quijote,
Auf deine Heldentaten hab ich Neid.

Die Dame Oriana an Dulcinea von Toboso

Sonett

O schöne Dulcinee! Hätt ich’s vollbracht,
Mein Miraflores einst, mir zum Ergetzen
Und Labsal, nach Toboso zu versetzen,
Mit deinem Dorf zu tauschen Londons Pracht!

O zierte deine Denkart, deine Tracht
Mir Seel und Leib! wie froh würd ich mich schätzen,
Den Ritter, der beglückt in deinen Netzen,
Zu schaun im Kampfe gegen Übermacht!

Hätt ich’s vollbracht, mit keuschem Sinn zu meiden
Herrn Amadís, wie du dem höflich feinen
Quijote dich entzogst trotz seinen Qualen!

Ich wär beneidet dann, statt zu beneiden,
Blieb froh statt traurig und genoß den reinen
Glücksbecher, ohne Zeche zu bezahlen.

Gandalin, Schildknappe des Amadís von Gallien, an Sancho Pansa, den Schildknappen Don Quijotes

Sonett

Heil, edler Mann, dir! Als des Schicksals Macht
Dich mit dem Amt des Knappentums belohnt,
Hat’s dich mit allem Pech so ganz verschont,
Daß deine Pflichten du mit Glanz vollbracht.

Jetzt wird nicht Sens und Spaten mehr verdacht
Den fahrenden Knappen, simpler Geist nun wohnt
Im Knappentum; der Hochmut, der den Mond
Mit Füßen treten will, wird ausgelacht.

Ich neide deinen Ruhm, dein Eselein;
Jedoch dein Zwerchsack, der dich kennen lehrt
Als höchst fürsichtig, geht mir noch darüber.

Heil nochmals dir, du Biedrer, dem allein
Hat unser spanischer Ovid gewährt
Ehrsamen Gruß mit einem Nasenstüber.

Von dem Zierlichen, dem Poeten für Allerhand, auf Sancho Pansa

Sancho Pansa bin ich, Kna-ppe
Des Manchaners Don Quijo-te;
Einst hab ich Reißaus geno-mmen,
Meines Lebens klug zu wa-rten.
Villadiego sah das Ga-nze
Der Politik in der Le-hre,
Aus Gefahr sich fortzuste-hlen;
Also sagt die Celesti-na,
Die ein göttlich Buch mir schi-ene,
Wenn’s nicht gar zu menschlich wä-re.

auf Rosinante

Des Babieca Enkelso-hn,
Rosinante hochberü-hmt,
Meine Schwächen abzubü-ßen,
Dient ich einem Don Quijo-te;
War im Langsamlaufen gro-ß;
Doch dem gaulhaft klugen Si-nn
Nie ein Gerstenkorn entgi-ng;
Was mich Lazarillo le-hrte,
Der, dem Blinden Wein zu ste-hlen,
Sich ins Maul den Strohhalm hi-elt.

Der rasende Roland an Don Quijote von der Mancha

Sonett

Du bist kein Großer zwar des Reichs, indessen
Muß man als Größten dich der Großen ehren,
Du Sieger, unbesiegt von ganzen Heeren;
Dir gleich zu sein, darf keiner sich vermessen.

Von Liebe zu Angelika besessen,
Zog rasend ich, Roldán, zu fernen Meeren,
Und Opfer bracht ich auf des Ruhms Altären,
Daß nie mein Name sinket in Vergessen.

Obschon du den Verstand wie ich verloren,
Kann ich dir gleich nicht sein; das Weltall schätzt
Weit höher deinen Ruf und deine Taten.

Mir wirst du gleich, wenn du den stolzen Mohren,
Den wilden Skythen bändigst, der uns jetzt
Gleich nennt im Lieben, das vom Glück verraten.

Der Sonnenritter an Don Quijote von der Mancha

Sonett

Nie hat mein Schwert so kühn wie deins gedroht,
Du span’scher Phöbus, du voll Lieb und Witz,
Und deinem Arm weicht meiner, der als Blitz
In Ost und West viel Feinde schlug zu Tod.

Den Thron verschmäht ich, den die Welt mir bot,
Verließ im Orient den Königssitz
Für Claridianas Anblick, denn mich litt’s
Nur, wo ich sah mein holdes Morgenrot.

Heiß liebt ich sie, das hehre Wunderbild;
Als sie mich kalt verstieß, griff ich die Rotte
Der Höllen an, die ich mit Schrecken schlug.

Doch du, ein echter Gote, wild und mild,
Bist ewig groß durch Dulcinee, Quijote,
Und sie durch dich berühmt als keusch und klug.

Solisdan an Don Quijote von der Mancha

Sonett

Junger Quijote, so Ihr Euch geschwächt
Das Hirn und seid zur Narrenzunft gesprochen,
So sagt kein Mensch doch, daß Ihr was verbrochen,
Noch eines Schelmenstücks Euch habt erfrecht.

Wohl Eure Taten sitzen drob zu Recht.
Auf Ritterfahrt habt Frevel Ihr gerochen,
Und tausendmal zerschlugen Euch die Knochen
Manch böser Wicht und mannich loser Knecht.

Und so dich Dulcinee gen Euch erbost
Und tut Euch Leids und bringt Euch auf den Hund
Und Eurem Weh kein willig Labsal gibt,

In solchen Nöten sei Euch dies zum Trost:
Daß Sancho sich aufs Kuppeln nicht verstund,
Ein Dummkopf er, sie hart, Ihr nicht verliebt.

Zwiegespräch zwischen Babieca und Rosinante

Sonett

B. So hager, Rosinante, so verschlissen?
R. Weil’s Arbeit stets und niemals Futter gab.
B. Wirft Euch der Dienst nicht Stroh und Gerste ab?
R. Mein Herr verabreicht mir nicht einen Bissen.

B. Ihr loser Knecht, schämt Euch in Eu’r Gewissen!
Ein Eselsmaul reißt seinen Herrn herab.
R. Er ist ein Esel von der Wieg ans Grab;
Seht nur, wie er der Liebe sich beflissen!

B. Ist Lieben Torheit? R. Doch nicht viel Vernunft.
B. Du bist ein Philosoph. R. Das kommt vom Hungern.
B. Verklagt den Diener, der auf Euch nichts wandte.

R. Wem sollt ich’s klagen bei der Bettlerzunft,
Wo Herr und Diener in der Welt rumlungern
Und grad so schäbig sind wie Rosinante?

1. Der in ein dürres Blatt verwandelte Thaler.

Gringoire und der ganze Wunderhof befanden sich in einer entsetzlichen Unruhe. Seit einem ganzen Monate wußte man nicht, was aus der Esmeralda geworden war: was den Herzog von Aegypten und seine Freunde, die Bettler, aufs höchste betrübte; ebenso wenig wußte man, was mit ihrer Ziege geworden war: was namentlich den Schmerz Gringoire’s verdoppelte. Eines Abends war die Zigeunerin verschwunden und hatte seitdem kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Alle Nachforschungen waren fruchtlos geblieben. Einige neckische Landstreicher theilten Gringoire mit, daß sie ihr an jenem Abende in der Gegend der Sanct-Michaelsbrücke begegnet wären, wie sie mit einem Offiziere davon gegangen sei; aber dieser Ehemann nach Zigeunerbrauch war ein ungläubiger Philosoph; und überdies wußte er besser, als irgend jemand, wie sehr seine Frau noch Jungfrau war. Er hatte sich ein Urtheil bilden können, welche unbezwingliche Schamhaftigkeit sich aus der Kraft des Amuletes und der Tugendhaftigkeit der Zigeunerin – beides vereinigt – ergaben; und er hatte mathematisch genau die Widerstandskraft dieser Keuschheit gegen die zweite Möglichkeit berechnet. Er war also nach dieser Seite hin beruhigt.

Demnach konnte er sich dieses Verschwinden nicht zusammenreimen. Das war sein tiefer Kummer. Er wäre noch magerer darüber geworden, wenn das ein Ding der Möglichkeit gewesen wäre. Er hatte darüber alles vergessen, sogar seine literarischen Neigungen, selbst sein großes Werk: »De figuris regularibus et irregularibus,« 41 welches er mit dem ersten Gelde, das er bekommen würde, drucken zu lassen ausgerechnet hatte (denn er faselte vom Drucke, seitdem daß er das »Didascalon« des Hugo von Sanct-Victor, welches mit den berühmten Typen des Wendelin von Spira gedruckt ist, gesehen hatte.)

Eines Tages, als er trübselig vor dem Criminalgefängnisse vorbeiging, bemerkte er eine ziemliche Menschenmenge an einer der Thüren des Justizpalastes.

»Was giebt’s da?« fragte er einen jungen Mann, welcher herauskam.

»Ich weiß nicht, mein Herr,« antwortete der junge Mann. »Man sagt, daß eine Frau abgeurtheilt wird, welche einen Offizier erdolcht hat. Wie es scheint, steckt Hexerei dahinter; der Bischof und der Official haben sich in die Sache gemengt, und mein Bruder, welcher Archidiaconus von Josas ist, haftet mit seinem Leben dafür. Nun wollte ich mit ihm sprechen, aber ich habe nicht an ihn kommen können wegen des Gedränges, was mir sehr unangenehm ist, denn ich brauche Geld.«

»O weh, mein Herr!« sagte Gringoire, »ich wollte, ich könnte Euch welches leihen; aber wenn meine Hosentaschen durchlöchert sind, so sind die Thaler nicht schuld daran.«

Er wagte nicht, dem jungen Manne zu sagen, daß er seinen Bruder, den Archidiaconus, kenne, zu welchem er seit der Scene in der Kirche nicht hingegangen war: eine Nachlässigkeit, die ihn in Verlegenheit setzte.

Der Student setzte seinen Weg fort, und Gringoire schickte sich an, der Menge zu folgen, welche die Treppe zum großen Verhandlungssaale hinaufdrängte. Er hielt dafür, daß es nichts Besseres gäbe, die Melancholie zu verjagen, als einen Criminalproceß, bei dem die Richter gewöhnlich so viel lächerliche Albernheiten zum besten geben. Das Volk, unter das er sich gemischt hatte, ging vorwärts und drängte sich schweigend weiter. Nach einem langsamen und langweiligen Trippeln unter einem langen Gange hin, der sich im Palaste, wie der Grundkanal des alten Bauwerkes, hinschlängelte, gelangte er an eine niedrige Thüre, die in einen Saal führte, welchen, über die Köpfe der wogenden Menge hinweg, seine Körperlänge gestattete mit dem Auge zu prüfen.

Der Saal war groß und düster, was ihn noch größer erscheinen ließ. Der Tag ging zur Neige; die hohen Spitzbogenfenster ließen nur einen blassen Lichtstrahl hereindringen, der halb erlosch, ehe er bis zur Wölbung, einem ungeheueren Gitterwerk aus Steingebälk, vordrang, dessen zahllose Figuren in der Dunkelheit bunt durcheinander zu laufen schienen. Hier und da standen schon mehrere angezündete Kerzen auf Tischen und warfen ihre Strahlen auf die Köpfe der Schreiber, welche auf Aktenbündel geneigt waren. Der vordere Theil des Saales war vom Volke besetzt; zur Rechten und Linken saßen Männer in Amtskleidern an Tischen; im Hintergrunde, auf einer Erhöhung, zahlreiche Richter, deren letzte Reihen sich in der Dunkelheit verloren, mit starren und finstern Gesichtern. Die Mauern waren mit zahllosen Lilien besäet. Man unterschied undeutlich ein großes Kruzifix über den Richtern, und überall Piken und Hellebarden, von deren Spitzen das Licht der Kerzen strahlend zurückfiel.

»Herr,« fragte Gringoire einen seiner Nachbarn, »was stellen diese Personen vor, die da unten wie Prälaten auf dem Concile Platz genommen haben?«

»Mein Herr,« sprach der Nachbar, »zur Rechten, das sind die Oberkammerräthe, und zur Linken die Untersuchungsrichter: die Meister in schwarzer Tracht und die Herren in rother Tracht.«

»Da über ihnen,« fuhr Gringoire fort, »wer ist denn der dicke Rothe, der schwitzt?«

»Das ist der Herr Präsident.«

»Und jene Hammel hinter ihm?« bemerkte Gringoire, welcher, wie wir schon gesagt haben, dem Beamtenstande nicht gewogen war, was vielleicht mit dem alten Grolle zusammenhing, welchen er seit seinem dramatischen Mißgeschicke dem Justizpalaste nachtrug.

»Das sind die Herren Richter der Cassationskanzlei des königlichen Palastes.«

»Und vor ihm das Wildschwein?«

»Das ist der Herr Gerichtsschreiber des Parlamentsgerichtshofes.«

»Und zur Rechten das Krokodil?«

»Meister Philipp Lheulier, der peinliche Anwalt des Königs.«

»Und zur Linken jener große schwarze Kater?«

»Meister Jacob Charmolue, der Procurator des Königs beim Kirchengerichtshofe, mit den Herren vom geistlichen Gericht.«

»Nun denn, Herr,« sagte Gringoire, »was thun denn alle diese braven Leute da?«

»Sie richten.«

»Wen richten sie? Ich sehe den Angeklagten ja nicht.«

»Es ist ein Frauenzimmer, Herr. Ihr könnt sie nicht sehen; sie dreht Euch den Rücken zu und wird uns von der Menge verborgen. Halt! Da ist sie, wo Ihr eine Anzahl Partisanen seht.«

»Was ist das für ein Weib?« fragte Gringoire. »Wißt Ihr ihren Namen?«

»Nein, Herr; ich bin eben erst hereingekommen. Ich nehme nur an, daß es sich um Zauberei handelt, weil der Official dem Processe beiwohnt.«

»Nur zu!« sagte unser Philosoph, »wir werden sehen, wie alle diese Leute im Amtskleide Menschenfleisch essen. Es ist ein Schauspiel, wie alle andern.«

»Herr,« bemerkte ein Nachbar, »findet Ihr nicht auch, daß Meister Jacob Charmolue eine sehr sanfte Miene macht?«

»Herr!« antwortete Gringoire. »Ich traue keiner Sanftmuth, welche scharfgeschnittene Nasenflügel und dünne Lippen hat.«

Hier geboten die Nachbarn den zwei Plauderern Ruhe. Man nahm eine wichtige Zeugenaussage entgegen.

»Gnädige Herren,« sagte mitten im Saale ein altes Weib, deren Gesicht dermaßen unter ihren Kleidungsstücken versteckt war, daß man sie einen wandelnden Lumpenhaufen hätte nennen mögen, »gnädige Herren, die Sache ist ebenso wahr, als es wahr ist, daß ich, die ich hier stehe, die Falourdel bin, die seit vierzig Jahren auf der Sanct-Michaelsbrücke wohnt, und pünktlich Abgaben, Schoß und Grundzins zahlt; es ist die Thür gegenüber vom Hause Tassin-Caillarts, des Färbers, welches auf der Seite stromaufwärts steht. Jetzt eine arme Alte, war ich einstmals ein schönes Mädchen, gnädige Herren! Seit einigen Tagen sagte man zu mir: »Frau Falourdel, laßt Euer Spinnrad nicht zu sehr des Abends schnurren; der Teufel hechelt gern mit seinen Hörnern den Rocken alter Weiber. Es ist gewiß, daß der gespenstige Mönch, welcher vergangenes Jahr sein Wesen in der Nähe des Tempelherrenhauses trieb, jetzt in der Altstadt herumschweift. Frau Falourdel paßt auf, daß er nicht an Eure Thüre klopft.« Eines Abends, ich spann mein Rad, klopft man an meine Thüre. Ich frage, wer da ist. Es flucht jemand. Ich öffne. Zwei Männer treten ein. Ein Schwarzer mit einem schönen Offiziere. Man sah nur die zwei Augen des Schwarzen, zwei glühende Kohlen. Alles übrige war Hut und Mantel. Da sagen sie zu mir: »Die Stube zur heiligen Martha.« Das ist meine Oberstube, gnädige Herren, mein reinlichstes Zimmer. Sie geben mir einen Thaler. Ich stecke den Thaler in meine Schublade und sage bei mir: »Das ist dazu bestimmt, morgen Kaldaunen in der Schlächterei La Gloriette zu kaufen.« Wir steigen hinauf. Als wir in der Oberstube angekommen sind, und während daß ich den Rücken drehte, verschwand der schwarze Mann. Das setzte mich ein wenig in Erstaunen. Der Offizier, welcher schön wie ein vornehmer Herr war, steigt wieder mit mir herab. Er geht weg. Die Zeit ein Viertel Strähne zu spinnen war um, als er mit einem schönen jungen Mädchen zurückkommt, einer Puppe, die wie eine Sonne geglänzt hätte, wenn sie geputzt gewesen wäre. Sie hatte einen Bock, einen großen Bock, schwarz oder weiß, ich kann mich nicht mehr erinnern, bei sich. Das machte mich nachdenklich. Das Mädchen geht mich nichts an, aber der Bock!… Ich habe diese Thiere nicht gern, sie haben einen Bart und Hörner. Das sieht einem Manne ähnlich. Und dann riecht es nach dem Hexensabbath. Jedoch, ich sage nichts. Ich hatte den Thaler. Das ist recht, nicht wahr, Herr Richter? Ich lasse das Mädchen und den Offizier in die Oberstube hinaufsteigen, und ich lasse sie allein, das heißt mit dem Bocke. Ich steige wieder herab und setze mich wieder zum Spinnen nieder… Ich muß Euch sagen, daß mein Haus ein Erdgeschoß und ein erstes Stockwerk hat; es geht von hinten auf den Fluß, wie die andern Häuser der Brücke auch, und das Fenster des Erdgeschosses und das Fenster des Oberstockes öffnen sich nach dem Wasser zu… Ich war also im besten Spinnen. Ich weiß nicht, warum ich an jenen gespenstigen Mönch dachte, den der Bock mir in den Kopf gesetzt hatte, und dann war das hübsche Mädchen ein wenig wild aufgeputzt. Plötzlich höre ich einen Schrei oben, und etwas auf den Boden fallen, und wie das Fenster sich öffnet. Ich laufe zu dem meinigen, welches darunter ist, und ich sehe vor meinen Augen eine schwarze Masse vorbeischießen, die ins Wasser stürzt. Es war ein als Priester gekleidetes Gespenst. Es war heller Mondenschein. Ich habe es sehr gut gesehen. Es schwamm nach der Altstadt zu. Am ganzen Leibe zitternd rufe ich dann die Nachtwache. Die Herren von den Zwölfern treten ein, und im ersten Augenblicke sogar, da sie nicht wußten, worum es sich handelte, und weil sie vergnügt waren, haben sie mich geschlagen. Ich habe es ihnen auseinandergesetzt. Wir steigen hinauf, und was finden wir da? Meine arme Stube ganz in Blut schwimmend, den Hauptmann der Länge nach hingestreckt mit einem Dolche im Nacken, das Mädchen sich todt stellend, und den Bock ganz wüthend. »Gut,« sage ich, »ich werde mehr als vierzehn Tage lang den Fußboden zu waschen haben. Ich werde ihn abkratzen müssen, das wird schrecklich werden.« Man trug den Offizier davon, den armen jungen Mann! und das ganz entblößte Mädchen … Halt! das Schlimmste ist, daß am andern Morgen, als ich den Thaler nehmen wollte, um Kaldaunen zu kaufen, ich ein dürres Blatt an seiner Stelle gefunden habe.«

Die Alte schwieg. Ein Gemurmel des Entsetzens lief durch den Zuhörerraum. »Dieses Gespenst, dieser Bock, alles das riecht nach Hexerei,« sagte ein Nachbar Gringoire’s. – »Und dieses dürre Blatt!« fügte ein anderer hinzu. – »Kein Zweifel,« fuhr ein dritter fort, »das ist eine Hexe, die im Verkehre mit dem gespenstigen Mönche steht, um die Offiziere auszuplündern.« Gringoire selbst war nicht abgeneigt, dieses alles entsetzlich und wahrscheinlich zu finden.

»Weib Falourdel,« sagte der Herr Präsident mit Würde, »habt Ihr dem Gerichtshofe nichts weiter zu sagen?«

»Nein, gnädiger Herr,« antwortete die Alte, »außer, daß man in dem Berichte mein Haus als ein schiefes und stinkendes Loch bezeichnet hat; was doch beschimpfend sich ausdrücken heißt. Die Häuser auf der Brücke haben kein vornehmes Aussehen, weil dort Menschen im Ueberflusse wohnen; aber nichts desto weniger wohnen dennoch Fleischer dort, welche reiche Leute und mit schönen, sehr reinlichen Frauen verheirathet sind.«

Der Beamte, welcher auf Gringoire den Eindruck eines Krokodils gemacht hatte, erhob sich.

»Stille!« sagte er. »Ich bitte, meine Herren, nicht aus dem Auge zu verlieren, daß man einen Dolch bei der Angeklagten gefunden hat. Weib Falourdel, habt Ihr jenes Blatt mitgebracht, in welches sich der Thaler verwandelt hat, den Euch der Teufel gegeben hatte?«

»Ja, gnädiger Herr,« antwortete sie; »ich habe es wiedergefunden. Hier ist es.«

Ein Gerichtsdiener überreichte das todte Blatt dem Krokodile, welches traurig den Kopf schüttelte, und händigte es dem Präsidenten ein, welcher es dem Procurator des Königs beim Kirchengerichtshofe zustellte, so daß es die Runde im Saale machte.

»Das ist ein Birkenblatt,« sagte Meister Jacob Charmolue; »ein neuer Beweis von der Zauberei.«

Ein Rath nahm das Wort.

»Zeugin, zwei Männer sind zu gleicher Zeit bei Euch eingetreten. Der schwarze Mann, den Ihr zuerst verschwinden, nachher in Priesterkleidern in der Seine habt schwimmen gesehen, und der Offizier. Welcher von beiden hat Euch den Thaler gegeben?«

Die Alte überlegte einen Augenblick und sagte:

»Es war der Offizier.«

Ein Murmeln durchlief den Saal.

»Ah,« dachte Gringoire, »das ist eine Thatsache, die meine Ueberzeugung schwankend macht.«

Währenddem schlug sich Philipp Lheulier, der peinliche Anwalt des Königs, von neuem ins Mittel.

»Ich erinnere die Herren daran, daß der gemeuchelte Offizier in der auf seinem Krankenbette geschriebenen Zeugenaussage erklärt, daß in dem Augenblicke, wo der schwarze Mann sich ihm zugesellt habe, der Gedanke dunkel in ihm aufgestiegen sei, daß dies sehr möglich der gespenstige Mönch sein könnte, und hinzufügte, daß das Gespenst lebhaft in ihn gedrungen sei, der Angeklagten das verabredete Stelldichein zu geben, und auf seine, des Hauptmanns, Bemerkung hin, daß er ohne Geld wäre, ihm den Thaler gegeben hätte, mit dem der genannte Offizier die Falourdel bezahlt hat. Folglich ist der Thaler eine Münze aus der Hölle …«

Diese folgerichtige Bemerkung schien bei Gringoire und den andern Skeptikern des Zuschauerraumes alle Zweifel zu zerstreuen.

»Die Herren haben die Aktenstücke in Händen,« fügte der Anwalt des Königs hinzu, während er sich niedersetzte; »sie können die Aussage des Phöbus von Châteaupers zu Rathe ziehen.«

Bei diesem Namen erhob sich die Angeklagte; ihr Kopf überragte die Menge, Gringoire erkannte entsetzt die Esmeralda. Sie war blaß, ihre Haare, die früher so zierlich geflochten und mit Zechinen beflittert waren, fielen wirr hernieder; ihre Lippen waren bleich, ihre hohlen Augen flößten Schrecken ein. Ach, leider!

»Phöbus!« sprach sie in Geistesverwirrung, »wo ist er? Ach, gnädige Herren, ehe ihr mich tödtet, Erbarmen, sagt mir, ob er noch lebt?«

»Schweiget, Weib,« antwortete der Präsident, »das ist jetzt nicht unsere Angelegenheit.«

»Oh! aus Mitleiden sagt mir, ob er am Leben ist!« wiederholte sie, indem sie ihre schönen abgemagerten Hände faltete; und man hörte ihre Ketten an ihrem Gewande hinunterklirren.

»Nun denn!« sagte trocken der Anwalt des Königs, »er liegt im Sterben. Seid Ihr zufrieden?«

Die Unglückliche fiel auf ihren Schemel zurück, stumm, ohne Thränen, bleich wie ein Wachsbild.

Der Präsident neigte sich nach einem Manne hin, der vor seinen Füßen saß, eine goldene Mütze und ein schwarzes Gewand trug, eine Kette um den Hals und einen Stab in der Hand hatte.

»Thürhüter, führet die zweite Angeklagte herein.«

Aller Augen wandten sich nach einer kleinen Thüre hin, welche sich öffnete und zum größten Schrecken Gringoire’s eine hübsche Ziege mit vergoldeten Hörnern und Füßen hereinließ. Das zierliche Thier blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, streckte den Hals vor, als ob sie auf einer Felsspitze stehend, einen ungeheuern Gesichtskreis unter ihren Augen gehabt hätte. Plötzlich bemerkte sie die Zigeunerin, sprang über den Tisch und den Kopf eines Schreibers hinweg, und war in zwei Sprüngen vor ihren Knien; dann rollte sie sich zierlich zu den Füßen ihrer Herrin nieder und bettelte um ein Wort oder eine Liebkosung; aber die Angeklagte blieb unbeweglich, und selbst die arme Djali erhielt keinen Blick.

»Ach ja … es ist mein abscheuliches Thier,« sagte die alte Falourdel, »und ich erkenne sie gemach alle beide!«

Jacob Charmolue schlug sich jetzt ins Mittel.

»Wenn es den Herren recht ist, wollen wir zum Verhöre der Ziege schreiten.«

Diese war in Wahrheit die zweite Angeklagte. Es gab zu damaliger Zeit nichts Einfacheres, als einen Proceß wegen Zauberei, der gegen ein Thier angestrengt wurde. Man findet unter anderem in den Rechnungen des Amtsbezirkes für das Jahr 1466 eine merkwürdige Kostenspecification im Processe Gillet Sonlards und seiner Sau, welche »für ihre Verschuldungen in Corbeil hingerichtet wurden«. Das Wichtigste dabei ist: die Kosten für die Löcher, um das Schwein hineinzustecken, die fünfhundert Reisigbündel, die am Hafen von Morsant verwendet wurden, die drei Maß Wein und das Brot, als Henkermahl des armen Sünders, das brüderlich vom Henker mit ihm getheilt wurde, sogar die elf Tage Bewachung und Fütterung des Schweines, jeder mit acht Pariser Hellern berechnet. Manchmal ging man sogar weiter, als nur Thiere zu processiren. Die Capitularien Karls des Großen und Ludwigs des Frommen verhängen schwere Strafen über die feurigen Erscheinungen, welche in der Luft zu erscheinen sich unterstehen sollten.

Der Procurator beim Kirchengerichte hatte inzwischen ausgerufen:

»Wenn der Teufel, welcher in diese Ziege gefahren ist, und welcher allen Beschwörungen Widerstand geleistet hat, bei seinen Behexungen beharrt, und wenn er den Gerichtshof in Schrecken versetzt, so kündigen wir ihm an, daß wir gezwungen sein werden, gegen ihn den Galgen oder den Scheiterhaufen in Anwendung zu bringen.«

Gringoire trat der kalte Schweiß vor die Stirn. Charmolue nahm die baskische Trommel der Zigeunerin von einem Tische, und während er sie der Ziege mit einer gewissen Förmlichkeit hinhielt, fragte er sie: »Wie viel Uhr ist es?«

Die Ziege sah ihn mit einem klugen Blicke an, hob ihren vergoldeten Fuß auf und machte sieben Schläge. Es war in der That sieben Uhr. Eine Bewegung des Entsetzens ging durch die Menge. Gringoire konnte nicht mehr an sich halten.

»Sie macht sich unglücklich!« schrie er ganz laut; »ihr sehet doch, daß sie nicht weiß, was sie thut.«

»Stille, ihr Zuhörer da unten im Saale!« rief der Thürhüter heftig.

Jacob Charmolue ließ unter Anwendung der nämlichen Kunstgriffe, wie bei dem Tamburin, die Ziege mehrere andere Gaukeleien über das Datum des Tages, den Monat des Jahres u. s. w. ausführen, bei denen der Leser schon Zeuge gewesen ist. Und infolge einer optischen Täuschung, die den Gerichtsverhandlungen eigentümlich ist, waren dieselben Zuschauer, die vielleicht mehr als einmal an der Straßenecke bei den unschuldigen Schelmereien Djali’s Beifall geklatscht hatten, unter den Wölbungen des Justizpalastes darüber entsetzt. Die Ziege war offenkundig der Teufel. Das wurde noch viel schlimmer, als der Procurator des Königs eine Art Ledersack voll beweglicher Buchstaben, die Djali am Halse trug, auf den Boden ausgeschüttet hatte, und man die Ziege nun mit ihrem Fuße aus dem hingestreuten Alphabete den verhängnisvollen Namen »Phöbus« heraussuchen sah. Die Zaubereien, deren Opfer der Hauptmann geworden war, schienen unwidersprechlich erwiesen, und in aller Augen war die Zigeunerin, diese bezaubernde Tänzerin, die so oft die Straßenpassanten mit ihrer Anmuth geblendet hatte, nichts weiter, als eine fürchterliche Hexe.

Sie gab übrigens kein Lebenszeichen von sich; weder die zierlichen Bewegungen Djali’s, noch die Drohungen der Untersuchungsrichter, noch die dumpfen Verwünschungen der Zuhörer, – nichts bewegte mehr ihr Denken. Um sie aufzuwecken, mußte ein Gerichtsdiener sie mitleidslos rütteln, worauf der Präsident mit feierlicher Stimme also anhob:

»Mädchen, Ihr seid vom Stamme der Zigeuner und den Hexereien ergeben. Ihr habt in Gemeinschaft mit der behexten Ziege, welche mit in den Proceß verwickelt ist, in der Nacht des letzten neunundzwanzigsten März, im Einverständnis mit den Mächten der Hölle, unter Beihilfe Eurer Reize und Ränke, einen Hauptmann vom Commando der Königsschützen, Phöbus von Châteaupers, ermordet und erdolcht. Beharrt Ihr beim Läugnen?«

»Entsetzen!« schrie das junge Mädchen, und verbarg ihr Antlitz in ihren Händen. »Mein Phöbus! ach! das ist die Hölle!«

»Beharrt Ihr beim Läugnen?« fragte der Präsident kalt.

»Ja, ich läugne es!« sagte sie mit schrecklichem Tone, und sie hatte sich erhoben, und ihr Auge flammte.

Der Präsident fuhr entschieden fort: »Wie erklärt Ihr dann die Euch zur Last gelegten Thaten?«

Sie antwortete mit stockender Stimme:

»Ich habe es schon gesagt. Ich weiß es nicht. Ein Priester ist’s, ein Priester, den ich nicht kenne; ein höllischer Priester, der mich verfolgt!«

»Das ist es gerade,« versetzte der Richter, »der gespenstige Mönch.«

»O gnädige Herren! habt Mitleid! ich bin nur ein armes Mädchen …«

»Aus Aegypten,« sagte der Richter.

Meister Jacob Charmolue nahm das Wort und sprach mit sanftem Tone:

»In Anbetracht der betrübenden Hartnäckigkeit der Angeklagten trage ich auf Anwendung der Folter an.«

»Zugestanden!« sagte der Präsident.

Die Unglückliche zitterte am ganzen Körper. Sie erhob sich jedoch auf das Geheiß der Partisanenträger und schritt, unter Vortritt Charmolue’s und der Priester des geistlichen Gerichtes, ziemlich festen Schrittes zwischen zwei Reihen Hellebarden auf eine Nebenthüre zu, welche sich plötzlich öffnete und hinter ihr wieder schloß, was auf den betrübten Gringoire den Eindruck machte, als habe sie ein fürchterlicher Rachen eben verschlungen.

Als sie verschwand, hörte man ein klägliches Blöken. Die kleine Ziege war es, die hinter ihr her schrie.

Die Sitzung war aufgehoben. Als ein Rath darauf aufmerksam gemacht hatte, daß die Herren ermüdet wären, und daß es doch wohl sehr lange dauern würde, bis zum Ende der Folterung zu warten, so entgegnete der Präsident, daß ein Gerichtsbeamter wissen müsse, sich für seine Pflicht zu opfern.

»Die widerwärtige und unangenehme Vettel,« sagte ein alter Richter, »die sich die Folter geben läßt, wenn man noch nicht zu Abend gespeist hat!«

  1. Lateinisch: Ueber regelmäßige und unregelmäßige Figuren. Anm. d. Uebers.

8. Nutzen der Fenster, die nach dem Flusse hinausgehen.

Claude Frollo (denn wir setzen voraus, daß der Leser, welcher verständiger als Phöbus ist, bei diesem ganzen Abenteuer keinen andern gespenstigen Mönch gesehen hat, als den Archidiaconus), Claude Frollo tastete einige Augenblicke in dem finstern Verstecke umher, in das ihn der Hauptmann eingeriegelt hatte. Es war einer von jenen Winkeln, wie solche manchmal die Baumeister am Einigungspunkte zwischen Dach und Stützmauer übrig behalten. Der senkrechte Durchschnitt dieses Loches, wie es Phöbus so treffend bezeichnet hatte, hätte ein Dreieck gegeben. Uebrigens war weder ein Fenster noch eine Luke vorhanden, und die Neigung des Daches verhinderte, daß man aufrecht darin stehen konnte. Claude kauerte sich also in den Staub und in den Gypsschutt, der unter ihm zerdrückt wurde, nieder; sein Kopf glühte, und während er rings um sich mit den Händen hin- und hertastete, fand er ein Stück zerbrochenes Glas am Boden, welches er an seine heiße Stirne drückte, und dessen Kühle ihm ein wenig Linderung gewährte.

Was ging in diesem Augenblicke in der düstern Seele des Archidiaconus vor? Er und Gott allein konnten das wissen. Nach welcher unseligen Reihenfolge ordnete er die Esmeralda, Phöbus, Jacob Charmolue, seinen jungen, so sehr geliebten und von ihm auf der Straße zurückgelassenen Bruder, sein Priestergewand als Archidiaconus, vielleicht seinen guten Namen, der im Hause der Falourdel zurückblieb, – kurz alle diese Bilder, alle diese Ereignisse in seinen Gedanken? Aber gewiß ist, daß diese Gedanken in seinem Geiste eine fürchterliche Verbindung bildeten.

Er wartete eine Viertelstunde lang; es kam ihm vor, als ob er ein Jahrhundert durchwacht hätte. Plötzlich hörte er die Stufen der hölzernen Treppe knacken; jemand stieg herauf. Die Fallthüre öffnete sich wieder; ein Licht kam zum Vorschein. In der wurmstichigen Thüre seines Gelasses befand sich eine ziemlich weite Spalte; er drückte sein Gesicht daran. Auf diese Weise konnte er alles sehen, was sich im benachbarten Zimmer zutrug. Die Alte mit dem Katzengesichte stieg, ihre Lampe in der Hand, zuerst aus der Fallthür heraus, dann Phöbus, der sich seinen Schnurrbart in die Höhe strich, und dann eine dritte Person: die Esmeralda, diese schöne und reizende Gestalt. Der Priester sah sie wie eine blendende Erscheinung aus dem Boden heraufsteigen. Claude zitterte, eine Wolke lagerte sich auf seine Augen, seine Pulsadern schlugen mit Macht, alles rauschte und drehte sich um ihn; er sah und hörte nichts mehr.

Als er wieder zu sich kam, waren Phöbus und die Esmeralda allein; sie saßen auf dem hölzernen Kasten neben der Lampe, welche diese jugendlichen Gestalten und ein elendes Bett im Hintergrunde der Dachkammer in die Augen des Archidiaconus springen ließ.

Neben dem Bette war ein Fenster, dessen zertrümmerte Butzenscheiben, die einem vom Regen zerrissenen Spinnennetze glichen, durch ihre zerbrochenen Rundungen ein Stück Himmel und den Mond erblicken ließen, der in der Ferne auf einem Daunenkissen von zarten Wolken ruhte.

Das junge Mädchen war schamroth, außer Fassung und zitterte. Ihre langen, gesenkten Wimpern beschatteten die Purpurwangen. Der Offizier, auf den sie ihre Augen nicht zu erheben wagte, strahlte vor Verlangen. Mechanisch und mit einer reizenden Geberde von Verlegenheit zeichnete sie mit der Spitze des Fingers unzusammenhängende Linien auf die Bank und blickte auf ihren Finger nieder. Ihren Fuß sah man nicht; die kleine Ziege hatte sich darauf gekauert. Der Hauptmann war sehr artig gekleidet: um den Hals und die Handgelenke trug er Puffen von Goldlitze, für die damalige Zeit eine große Zierde.

Nur mit Mühe vermochte Dom Claude zu hören, was sie sich sagten, so heftig rollte sein Blut, das ihm in den Schläfen kochte.

(Es ist ein ziemlich alltägliches Etwas um eine verliebte Plauderei. Sie ist ein beständiges »Ich liebe dich«, – eine wohlklingende Redensart, die sehr nackt und fade für diejenigen klingt, welche sie gleichgiltig anhören: es müßte denn sein, daß sie mit etwas »Schmuckwerk« verziert ist; aber Claude hörte nicht als Gleichgiltiger zu.)

»Ach!« sagte das junge Mädchen, ohne die Augen aufzuschlagen, »verachtet mich nicht, gnädiger Herr Phöbus. Ich fühle, daß das, was ich gethan habe, unrecht ist.«

»Euch verachten, schönes Kind!« entgegnete der Offizier mit einer Miene überlegener und vornehmer Galanterie, »Euch verachten, beim Haupte Gottes! und warum?«

»Daß ich Euch gefolgt bin.«

»In dieser Hinsicht, meine Schöne, verstehen wir uns nicht. Ich müßte Euch nicht verachten, sondern Euch hassen.«

Das junge Mädchen sah ihn erschrocken an: »Mich hassen! Was habe ich denn gethan?«

»Dafür, daß Ihr Euch so sehr habt bitten lassen.«

»Wehe!« sprach sie … »ich bin einem Gelübde untreu geworden. Ich kann meine Eltern nicht wieder sehen … das Amulet wird seine Kraft verlieren. Aber was thut das? Was bedarf ich jetzt eines Vaters und einer Mutter?«

Während sie so sprach, heftete sie ihre großen schwarzen, von Freude und Zärtlichkeit feuchten Augen auf den Hauptmann.

»Soll der Teufel mich holen, wenn ich Euch verstehe!« rief Phöbus.

Die Esmeralda schwieg einen Augenblick, dann rollte eine Thräne aus ihren Augen, ein Seufzer entrang sich ihren Lippen, und sie sprach: »Ach! gnädiger Herr, ich liebe Euch.« Um das junge Mädchen verbreitete sich ein solcher Duft von Reinheit, ein derartiger Zauber von Keuschheit, daß Phöbus sich in ihrer Nähe nicht ganz behaglich fühlte. Doch ermuthigte ihn dieses Wort. »Ihr liebt mich!« sagte er mit leidenschaftlicher Aufwallung und legte seinen Arm um den Leib der Zigeunerin. Er wartete nur auf diese Gelegenheit.

Der Priester sah es und prüfte mit der Fingerspitze die Spitze eines Dolches, welchen er in seinem Busen versteckt trug.

»Phöbus,« fuhr die Zigeunerin fort, während sie sanft die pressenden Hände des Hauptmanns von ihrem Gürtel losmachte, »Ihr seid gut, Ihr seid edelmüthig, Ihr seid schön; Ihr habt mich gerettet, mich, die ich nur ein armes, unter die Zigeuner gerathenes Kind bin. Lange Zeit träume ich von einem Offiziere, der mir das Leben rettet. Von Euch träumte ich, ehe ich Euch kannte, mein Phöbus; mein Traum zeigte mir eine schöne Uniform, wie Ihr sie habt, ein stolzes Aussehen, einen Degen; Ihr heißt Phöbus, das ist ein schöner Name; ich liebe Euern Namen, ich liebe Euern Degen. Ziehet doch Euern Degen, damit ich ihn sehe.«

»O Kind,« sagte der Hauptmann, und er zog lächelnd seinen Schläger aus der Scheide.

Die Zigeunerin betrachtete den Griff, die Klinge, prüfte mit reizender Neugierde den Namenszug am Stichblatte, und küßte den Degen, wobei sie zu ihm sprach: »Du bist der Degen eines Tapfern. Ich liebe meinen Hauptmann.«

Phöbus benutzte diese Gelegenheit wenigstens, um einen Kuß auf ihren schönen, niedergeneigten Nacken zu drücken, worüber das junge Mädchen, rothgeworden wie eine Kirsche, in die Höhe fuhr. Der Priester knirschte darüber die Zähne in seinem dunkeln Loche.

»Phöbus,« begann die Zigeunerin wieder, »erlaubt mir, daß ich zu Euch rede. Gehet doch ein wenig auf und ab, auf daß ich Euch, in Eurer ganzen Größe sehe, und daß ich Eure Sporen klirren höre. Wie schön Ihr seid!«

Der Hauptmann stand auf, um sich ihr gefällig zu erweisen, und murmelte ihr mit einem selbstgefälligen Lächeln zu: »Aber was seid Ihr für ein Kind! Doch da wir davon reden, Liebchen, habt Ihr mich denn im Paradewaffenrocke gesehen?«

»Leider nein!« antwortete sie.

»Der ist erst prächtig!«

Phöbus setzte sich wieder neben sie nieder, aber viel näher, als vorher.

»Hört mich an, meine Süße …«

Die Zigeunerin gab ihm mit ihrer niedlichen Hand ein paar leise Schläge auf den Mund, wobei ihre ganze Kindlichkeit voll Muthwillen, Anmuth und Frohsinn zu Tage trat.

»Nein, nein, ich will Euch nicht anhören. Liebt Ihr mich? Ich will, daß Ihr mir sagt, ob Ihr mich liebt.«

»Ob ich dich liebe, Engel meines Lebens!« rief der Hauptmann aus und sank halb vor ihr auf die Knie nieder. »Mein Leib, mein Blut, meine Seele – alles gehört dir, alles ist nur für dich. Ich liebe dich und habe niemanden, als dich allein geliebt.«

Der Hauptmann hatte diese Redensart in mancher ähnlichen Lage so viele Male wiederholt, daß er sie in einem Athemzuge, ohne einen einzigen Gedächtnisfehler zu machen, vortrug. Bei dieser leidenschaftlichen Liebeserklärung sandte die Zigeunerin zur schmutzigen Decke, die hier den Himmel vertrat, einen Blick voll himmlischen Glückes empor. »Ach!« flüsterte sie, »das ist der Augenblick, wo man sterben sollte!«

Phöbus fand »den Augenblick« für geeignet, um ihr einen neuen Kuß zu rauben, welcher den unglücklichen Archidiaconus in seinem Winkel von neuem marterte.

»Sterben!« rief der Hauptmann aus. »Was sagt Ihr da doch, schöner Engel? Jetzt ist die Gelegenheit, zu leben, oder Jupiter ist nur ein Possenreißer! Sterben beim Beginn einer so süßen Angelegenheit! Beim Horn des Stieres, welcher Scherz! … So ist’s nicht gemeint … Höret mich an, meine theure Similar … Esmenarda … Verzeihung! Aber Ihr habt einen so seltsamen sarazenischen Namen, daß ich mich nicht herausfinden kann. Er ist ein Gestrüpp, in dem ich stets hängen bleibe.«

»Mein Gott,« sagte das arme Mädchen, »ich, ich hielt diesen Namen wegen seiner Seltsamkeit für hübsch! Aber da er Euch mißfällt, möchte ich lieber Goton heißen.«

»Ach! härmen wir uns nicht wegen so Unbedeutenden, meine Süße; es ist ein Name, an den man sich gewöhnen muß, und damit genug. Wenn ich ihn einmal auswendig weiß, wird es schon von selbst gehen. Hört mich also, meine theure Similas: ich bete Euch bis zum Wahnsinne an. Ich liebe Euch wahrhaftig, daß es ein Wunder ist. Ich kenne eine Kleine, die darüber vor Wuth berstet …«

Das eifersüchtige Mädchen unterbrach ihn: »Wen denn?«

»Was, mein Gott, thut das uns?« sagte Phöbus; »liebt Ihr mich?«

»Ach! …« sagte sie.

»Nun gut! Das ist die Hauptsache. Ihr sollt sehen, wie auch ich Euch liebe. Mag mich der große Teufel Neptunus aufspießen, wenn ich Euch nicht zum glücklichsten Geschöpfe der Welt mache. Wir wollen irgendwo ein hübsches kleines Häuschen miethen. Ich will meine Bogenschützen unter Eurem Fenster paradiren lassen. Sie sind alle beritten und bieten denjenigen des Hauptmanns Mignon Trotz. Ich habe Hellebardiere, Armbrustschützen und Artilleristen mit Handfeldschlangen. Ich will Euch zu den großen Schaugeprängen der Pariser im Speicher von Rully führen. Achtzigtausend bewaffnete Leute, dreißigtausend blanke Harnische, Koller oder Panzerhemden, die siebenundsechzig Banner der Gewerke, die Standarten des Parlaments, der Rechnungskammer, der Generalschatzkammer, der Münzgehilfen, – mit einem Worte: ein verteufelter Prunk. Ich werde Euch auch die Löwen im königlichen Schlosse zeigen, welche Rothwild sind. Alle Frauenzimmer sehen so etwas gern.«

Seit einigen Minuten träumte das junge Mädchen, in liebliche Gedanken versunken, beim Klange seiner Stimme, ohne auf den Sinn seiner Worte zu achten.

»O! Ihr sollt glücklich sein!« fuhr der Hauptmann fort, und zu gleicher Zeit löste er leise den Gürtel der Zigeunerin.

»Was thut Ihr denn?« sagte sie erregt. Diese Gewalttätigkeit hatte sie aus ihrer Träumerei gerissen.

»Nichts,« antwortete Phöbus; »ich sagte nur, daß Ihr diesen närrischen und gassenmäßigen Anzug aufgeben müßtet, wenn Ihr bei mir bleiben wollt.«

»Wenn ich bei dir sein werde, mein Phöbus!« sagte das junge Mädchen zärtlich.

Sie wurde nachdenklich und schwieg.

Der Hauptmann, durch ihre Sanftmuth dreist gemacht, faßte sie um den Leib, ohne daß sie widerstand, begann dann ganz leise das Mieder des armen Mädchens aufzuschnüren und zog das Busentuch so tief herunter, daß der keuchende Priester die schöne nackte, runde und braune Schulter der Zigeunerin aus der Spitzenhülle hervortreten sah, wie den Mond, der im Nebel am Horizonte sich erhebt.

Das junge Mädchen ließ Phöbus gewähren. Sie schien es nicht zu merken. Das Auge des dreisten Hauptmanns funkelte. Plötzlich wandte sie sich nach ihm hin:

»Phöbus,« sagte sie mit einem Ausdrucke unendlicher Liebe, »unterweise mich in deiner Religion.«

»In meiner Religion?« rief der Hauptmann und brach in ein Gelächter aus. »Ich Euch in meiner Religion unterweisen? Donner und Wetter! Was wollt Ihr mit meiner Religion anfangen?«

»Um uns zu heirathen,« antwortete sie.

Das Gesicht des Hauptmanns nahm einen Ausdruck an, in dem sich Ueberraschung, Verachtung, Gleichgiltigkeit und zügellose Leidenschaft vermischten.

»Ach was!« sagte er, »heirathet man sich denn?«

Die Zigeunerin wurde blaß und ließ traurig ihr Haupt auf den Busen sinken.

»Schönes Liebchen,« fuhr Phöbus zärtlich fort, »was sollen diese Thorheiten bedeuten? Es ist etwas Wichtiges um eine Heirath! Hat man sich etwa nicht so innig lieb, wenn man nicht mit lateinischen Brocken in der Bude eines Priesters um sich geworfen hat?«

Während er das mit innigstem Tone sprach, drängte er sich ganz nahe an die Zigeunerin heran; seine liebkosenden Hände hatten sich wieder um diesen zarten und schmiegsamen Leib geschlungen; sein Auge glühte immer mehr und mehr, und alles kündete an, daß Herr Phöbus sich offenbar einem jener Augenblicke näherte, in welchem Jupiter selbst so viele Thorheiten begeht, daß der gute Homer sich genöthigt sieht, eine Wolke zu seiner Hilfe herbeizurufen.

Dom Claude jedoch sah alles. Die Thüre war aus ganz verfaulten Faßdauben gemacht, die seinem Raubvogelblicke zwischen ihren Fugen freien Durchblick gestatteten. Dieser dunkelfarbige, breitschultrige Priester, der bis dahin zur strengen Keuschheit des Klosters verdammt gewesen war, schauerte und kochte bei dieser nächtlichen Liebes- und Wollustscene. Das junge und schöne Mädchen, das in ihrem Seelenaufruhr diesem feurigen Jünglinge ergeben war, verwandelte das Blut seiner Adern in geschmolzenes Blei. In seinem Innern gingen die seltsamsten Bewegungen vor sich; sein Auge heftete sich mit wollüstiger Eifersucht an jede dieser losgenestelten Nadeln. Wer in diesem Augenblicke das Antlitz des Unglücklichen hätte sehen können, das an die wurmstichigen Thürpfosten gepreßt war, hätte geglaubt, ein Tigergesicht zu schauen, das aus der Tiefe eines Käfigs heraus einen Schakal erblickt, der eine Gazelle verschlingt. Sein Auge blitzte wie eine Flamme durch die Spalten der Thüre.

Auf einmal zog Phöbus mit heftiger Bewegung das Busentuch von den Schultern der Zigeunerin. Das arme Kind, welches bleich und nachdenkend geblieben war, erwachte wie aus einem Traume; sie entfernte sich hastig von dem unternehmenden Offiziere, warf einen Blick auf ihren Busen und die entblößten Schultern, und kreuzte roth, verwirrt und stumm vor Scham ihre beiden Arme über der Brust, um sie zu bedecken. Stumm und bewegungslos, wie sie war, und ohne die Röthe, welche auf ihren Wangen flammte, hätte man sie für eine Bildsäule der Schamhaftigkeit halten können. Ihre Augen blieben am Boden geheftet.

Die Zudringlichkeit des Hauptmanns hatte zugleich das geheimnisvolle Amulet entblößt, das sie um den Hals trug.

»Was ist das?« fragte er, diesen Vorwand ergreifend, um sich dem schönen Geschöpfe, das er soeben verscheucht hatte, wieder zu nähern.

»Rühret nicht daran!« entgegnete sie lebhaft, »es ist mein Beschützer. Es wird mich meine Familie wiederfinden lassen, wenn ich dessen würdig bleibe. Ach! laßt mich in Frieden, Herr Hauptmann! Meine Mutter! meine arme Mutter! Meine Mutter, wo bist du? Komm mir zu Hilfe! Gnade, Herr Phöbus! gebt mir mein Busentuch wieder!«

Phöbus trat zurück und sagte mit kaltem Tone:

»O, Jungfer! nun sehe ich wohl, daß Ihr mich nicht liebt!«

»Ich ihn nicht lieben!« rief das arme unglückliche Kind, und zu gleicher Zeit hing sie sich an den Hauptmann, welchen sie neben sich niederzog. »Ich dich nicht lieben, mein Phöbus! Was sprichst du da, böser Mann, um mir das Herz zu zerreißen? Ach! komm! nimm mich hin, nimm alles! Mache mit mir, was du willst, ich bin dein. Was mache ich mir aus dem Amulete? was aus meiner Mutter? Du bist meine Mutter, da ich dich ja liebe! Phöbus, mein heißgeliebter Phöbus, siehst du mich? Ich bin es, sieh mich an; es ist jene Kleine, welche du doch nicht von dir stoßen wirst; die da kommt, die selbst kommt, um dich zu suchen. Meine Seele, mein Leben, mein Leib, meine Person, – alles das ist ein Ding, das dir gehört, mein Hauptmann. Gut denn, nein! heirathen wir uns nicht; es ist dir zuwider; und dann, was bin ich denn, ich? Ein elendes Mädchen aus dem Rinnsteine, während daß du, mein Phöbus, ein Edelmann bist. Wahrhaftig, es wäre spaßhaft! eine Tänzerin einen Offizier heirathen! – Ich war thöricht. Nein, Phöbus, nein; ich will deine Geliebte sein, dein Zeitvertreib, dein Vergnügen, wann du es wünschest; ein Mädchen, das dir gehören will. Ich bin nur dazu geschaffen, beschimpft, verachtet, entehrt zu werden: aber was thut’s? wenn ich geliebt bin! Ich will die stolzeste und die glücklichste aller Frauen sein. Und wenn ich alt oder häßlich werde, Phöbus, wenn ich nicht mehr gut bin, deine Liebe zu genießen, gnädiger Herr: dann werdet Ihr mich noch um Euch dulden, um Euch zu dienen. Andere werden Euch dann Schärpen sticken; ich, die Magd, will dafür Sorge tragen. Ihr werdet mir erlauben, Eure Sporen zu putzen, Euren Waffenrock zu bürsten, Eure Reiterstiefeln vom Staube zu reinigen. Nicht wahr, mein Phöbus, Ihr werdet dieses Mitleid für mich haben? Bis dahin nimm mich hin! Siehst du, Phöbus, alles das gehört dir, liebe mich nur! Wir Zigeunerinnen, wir bedürfen nichts als dessen: Luft und Liebe.«

Bei diesen Worten schlang sie ihre Arme um den Hals des Offiziers; sie blickte ihn von oben bis unten an, flehend und mit einem süßen, ganz in Thränen erstickten Lächeln. Ihr zarter Busen drängte sich an das Tuchwamms und die scharfen Stickereien. Sie wand ihren schönen, halbnackten Leib auf seinen Knien. Der berauschte Hauptmann drückte seine glühenden Lippen auf diese schönen afrikanischen Schultern. Das junge Mädchen bebte, die Augen zur Decke erhoben, nach hinten übergesunken und am ganzen Leibe zitternd, unter seinem Kusse.

Auf einmal sah sie über Phöbus‘ Kopfe einen andern Kopf: ein fahles, gelbes, verzerrtes Gesicht mit dem Blicke eines Verdammten; bei diesem Gesichte zeigte sich eine Hand, welche einen Dolch hielt. Es war das Gesicht und die Hand des Priesters; er hatte die Thüre erbrochen und war da. Phöbus konnte ihn nicht sehen. Das junge Mädchen war regungslos, erstarrt, sprachlos bei der furchtbaren Erscheinung: wie eine Taube, welche den Kopf in dem Augenblicke erheben will, wo der Falke mit seinen starren Augen in ihr Nest schaut.

Sie konnte nicht einmal einen Schrei ausstoßen. Sie sah, wie der Dolch auf Phöbus niedersank und sich rauchend wieder hob.

»Verflucht!« stöhnte der Hauptmann und sank nieder.

Sie fiel in Ohnmacht.

In dem Augenblicke, wo ihre Augen sich schlossen, wo jede Empfindung in ihr hinschwand, glaubte sie zu empfinden, daß ein feuriger Druck, ein glühenderer Kuß, als das rothe Eisen des Henkers, sich auf ihre Lippen preßte.

Als sie ihre Besinnung wieder gewann, war sie von Soldaten der Wache umgeben; man trug den Hauptmann in seinem Blute schwimmend davon; der Priester war verschwunden; das Fenster im Hintergrunde des Zimmers, welches auf den Fluß hinausging, stand ganz weit offen; man hob einen Mantel auf, welcher, wie man vermuthete, dem Offizier gehörte, und sie vernahm die Worte um sich her:

»Das ist eine Hexe, die einen Hauptmann erdolcht hat.«

6. Was sieben Flüche in freier Luft für eine Wirkung hervorbringen können.

»Te Deum laudamus!« 33 rief Meister Johann aus, als er aus seinem Loche herauskroch, »nun sind die beiden Nachteulen abgezogen. Och! och! Hax! Pax! Max! die Flöhe! die tollen Hunde! Zum Teufel, ich habe genug an ihrer Unterhaltung! Der Kopf brummt mir, wie ein Glockenthurm. Schimmeligen Käse noch obendrein in den Kauf! Frisch! Wir wollen hinabsteigen, den Beutel des großen Bruders nehmen und alle diese Münzen darin in Flaschen umsetzen!«

Er warf einen zärtlichen und bewundernden Blick in das Innere des kostbaren Beutels, brachte seine Kleider wieder in Ordnung, rieb seine Halbstiefeln ab, stäubte die armen, von Asche ganz grau gewordenen Aermel ab, pfiff ein Lied, machte einen Luftsprung, untersuchte, ob nicht noch etwas in der Zelle wäre, das er mitnehmen könnte, raffte hier und da vom Herde einige Glasperlenamulette zusammen, die er Isabeau-la-Thierrye als Schmuckstück geben könnte, stieß dann die Thür auf, welche sein Bruder als einen letzten Gnadenbeweis unverschlossen gelassen hatte, und die er seinerseits als letzten Schabernack offen stehen ließ, und stieg, wie ein Vogel hüpfend, die Wendeltreppe hinab. Mitten auf der finstern Stiege stieß er mit dem Ellbogen an etwas, das sich brummend zur Seite drückte; er vermuthete, daß es Quasimodo wäre; und das kam ihm so spaßhaft vor, daß er sich vor Lachen die Seiten haltend den Rest der Treppe hinabstieg. Und er lachte noch, als er auf den Platz hinaustrat.

Er stieß mit dem Fuße auf, als er sich wieder auf ebener Erde befand. »Ach,« sagte er, »gutes und ehrenwerthes Pflaster von Paris! Die verdammte Treppe, welche die Engel der Jacobsleiter selbst außer Athem bringen kann! Woran dachte ich, als ich mich anschickte, in diese Steinsäule einzudringen, die in die Wolken steigt? Und das alles, um verschimmelten Käse zu essen und die Thürme von Paris durch eine Dachluke zu betrachten!

Er that einige Schritte weiter und bemerkte die beiden Nachteulen, d. h. Dom Claude und Meister Jacob Charmolue, die vor einer Bildhauerarbeit des Haupteinganges in Betrachtung versunken waren. Er näherte sich ihnen auf den Zehen und vernahm, wie der Archidiaconus ganz leise zu Charmolue sagte: »Auf diesem lapis-lazulifarbigen Steine hat Wilhelm von Paris einen Hiob einmeißeln lassen. Hiob stellt den Stein der Weisen dar, welcher geprüft und auch gepeinigt werden muß, um zur Vollkommenheit zu gelangen, wie Raimundus Lullus sagt: »Sub consevatione formae specificae salva anima.« 34

»Das ist mir ganz gleichgiltig,« sagte Johann, »denn ich bin’s, der die Börse hat.«

In diesem Augenblicke hörte er, wie hinter ihm eine starke und wohllautende Stimme eine Reihe von schrecklichen Flüchen ausstieß: »Beim Blute Christi! – Beim Leibe Gottes! – Bei Gott! – So wahr Gott lebt! – Beim Nabel Beelzebubs! – Beim heiligen Vater in Rom! – Donner und Teufel!«

»Bei meiner Seele,« rief Johann, »das kann nur mein Freund Phöbus, der Hauptmann, sein!«

Der Name »Phöbus« traf das Ohr des Archidiaconus gerade im Augenblicke, als er dem königlichen Procurator den Drachen erklärte, der seinen Schwanz in einen Wasserbehälter steckt, aus welchem Rauch und der Kopf eines Königs sich erheben. Dom Claude schrak zusammen, brach zum großen Staunen Charmolue’s ab, wandte sich um und sah seinen Bruder Johann, der einen hohen Offizier an der Thür des Hauses Gondelaurier anredete. Es war in der That der Herr Hauptmann Phöbus von Chateaupers. Er hatte sich mit dem Rücken an die Ecke des Hauses seiner Braut gelehnt und fluchte wie ein Heide.

»Meiner Treu! Hauptmann Phöbus,« sagte Johann und ergriff seine Hand, »Ihr flucht ja mit einem bewunderungswürdigen Feuer.«

»Donner und Teufel!« antwortete der Hauptmann.

»Donner und Teufel über Euch selbst!« versetzte der Student. »Nun aber, netter Hauptmann, was ist der Grund zu diesem Ueberflusse an schönen Redensarten?«

»Verzeihung, lieber Kamerad Johann,« rief Phöbus, während er ihm die Hand schüttelte, »ein durchgehendes Pferd steht nicht so bald still. Nun ich fluchte im vollen Galopp. Ich komme aus dem Hause dieser Zieraffen, und wenn ich da herkomme, habe ich immer die Kehle voller Flüche; ich muß sie ausspeien, oder ich würde ersticken, Himmel und Hölle!«

»Wollt Ihr mit mir zechen gehen?« fragte der Student.

Dieser Vorschlag beruhigte den Hauptmann.

»Sehr gern, aber ich habe kein Geld.«

»Aber ich habe welches!«

»Ei was! laßt sehen!«

Johann zeigte überlegen und gutmüthig die Börse vor den Augen des Hauptmanns. Währenddem war der Archidiaconus, welcher Charmolue verwundert hatte stehen lassen, zu ihnen gekommen, hatte sich auf einige Schritte genähert, und beobachtete sie alle beide, ohne daß sie Rücksicht auf ihn nahmen, so sehr hatte die Betrachtung des Geldbeutels ihr Interesse in Anspruch genommen.

Phöbus rief aus: »Eine Börse in Eurer Tasche, Johann, – das ist der Mond in einem Wasserkübel. Man sieht ihn drin, aber er ist nicht drin. Es ist nur der Schatten davon. Bei Gott! wir wollen wetten, daß es Kieselsteine sind!«

Johann antwortete kaltblütig: »Da sind die Kieselsteine, mit denen ich meine Hosentasche pflastere.«

Und ohne ein Wort weiter zu verlieren, schüttete er die Börse auf einem Ecksteine in der Nähe mit der Miene eines Römers aus, der sein Vaterland rettet.

»So wahr Gott lebt!« murmelte Phöbus, »Schildpfennige, große Weißpfennige, kleine Weißpfennige, Heller, von denen zwei auf einen Tours’schen gehen, Pariser Heller, wirkliche Adlerliards! Es ist zum Blindwerden!«

Johann bewahrte seine Ruhe und Würde. Einige Liards waren in den Koth gerollt; in seiner Begeisterung bückte sich der Hauptmann, um sie aufzuheben. Johann hielt ihn zurück.

»Pfui, Hauptmann Phöbus von Châteaupers!«

Phöbus zählte das Geld und wandte sich feierlich an Johann: »Wißt Ihr, Johann, daß es dreiundzwanzig Pariser Sols sind! Wen habt Ihr denn in der Straße Coupe-Gueule vergangene Nacht ausgeplündert?«

Johann warf seinen blonden Lockenkopf in den Nacken und sagte hochmüthig mit halbgeschlossenen Augen:

»Man hat einen Bruder, der Archidiaconus und ein schwacher Mann ist.«

»Donner und Hagel!« rief Phöbus, »ein würdiger Herr!«

»Wir wollen trinken,« sagte Johann.

»Wohin werden wir gehen?« fragte Phöbus; »nach dem ›Apfel der Eva‹?«

»Nein, Hauptmann, wir wollen zur ›Alten Weisheit‹ gehen. Eine Alte, in deren Kannen die Weisheit steckt, das ist ein Wortspiel; ich liebe so etwas.« 35

»Fort mit den Wortspielen, Johann! Der Wein ist besser im ›Apfel der Eva‹, und dann steht neben der Thüre ein Weinstock im Sonnenscheine, der mich lustig macht, wenn ich trinke.«

»Nun gut! auf zur Eva und ihrem Apfel,« sprach der Student und ergriff den Arm des Phöbus. »Was ich sagen wollte, mein lieber Hauptmann, Ihr habt soeben die Straße Coupe-Gueule genannt. Das ist sehr übel gesprochen; man ist gegenwärtig nicht mehr so barbarisch. Man sagt: die Straße Coupe-Gorge.« 36

Die beiden Freunde machten sich nach dem »Apfel der Eva« auf den Weg. Es ist überflüssig zu erwähnen, daß sie vorerst das Geld zusammenrafften, und daß der Archidiaconus ihnen folgte.

Der Archidiaconus folgte ihnen düster und voll leidenschaftlichen Sinnes nach. War der da der Phöbus, dessen verfluchter Name seit seiner Zusammenkunft mit Gringoire sich in alle seine Gedanken drängte? Er wußte es nicht; kurz aber, es war ein Phöbus, und dieser magische Name war hinreichend, daß der Archidiaconus den beiden sorglosen Genossen nachschlich, wobei er ihren Worten lauschte, und ihre geringsten Bewegungen mit ängstlicher Aufmerksamkeit beobachtete. Uebrigens war nichts so leicht, als alles das zu hören, was sie sagten: so laut sprachen sie, und so wenig thaten sie sich Zwang an, die Straßenpassanten an ihren Geheimnissen teilnehmen zu lassen. Sie unterhielten sich von Zweikämpfen, Mädchen, Zechereien und sonstigen Possen.

An der Krümmung einer Straße vernahmen sie den Lärm einer baskischen Trommel, der von der nächsten Straßenecke her erklang. Dom Claude hörte, wie der Offizier sagte:

»Donnerwetter! wir wollen unsere Schritte verdoppeln.«

»Warum, Phöbus?«

»Ich befürchte, daß die Zigeunerin mich erblickt.«

»Welche Zigeunerin?«

»Die Kleine mit der Ziege.«

»Die Esmeralda?«

»Ganz recht, Johann. Ich vergesse immer diesen verteufelten Namen. Laßt uns eilen; sie würde mich wiedererkennen. Ich mag nicht, daß dies Mädchen mich auf der Straße anredet.«

»Kennt Ihr sie denn, Phöbus?«

Hier sah der Archidiaconus, wie Phöbus kicherte, sich zu Johanns Ohre neigte und diesem ganz leise einige Worte sagte; darauf brach Phöbus in ein Gelächter aus und schüttelte den Kopf mit einer triumphirenden Miene.

»In Wahrheit?« fragte Johann.

»Bei meiner Seele!« sprach Phöbus.

»Heute Abend?«

»Heute Abend.«

»Seid Ihr sicher, daß sie kommen wird?«

»Aber seid Ihr thöricht, Johann? Kann man an dergleichen zweifeln?«

»Hauptmann Phöbus, Ihr seid ein glücklicher Ritter!«

Der Archidiaconus hörte diese ganze Unterhaltung an. Seine Zähne klapperten: ein sichtbarer Schauder durchbebte seinen ganzen Körper. Er blieb einen Augenblick stehen, stützte sich wie ein Trunkener auf einen Eckstein; dann nahm er die Fährte der beiden lustigen Schelme wieder auf.

In dem Augenblicke, wo er sie wieder einholte, hatten sie die Unterhaltung verändert. Er hörte sie aus vollem Halse den alten Refrain singen:

»Erzschelme blähen sich ohne Bangen,
Kleine Diebe werden gehangen!«

  1. Lateinisch: »Herr Gott, Dich loben wir!« Anfangsworte des Ambrosianischen Lobgesanges. Anm. d. Uebers.
  2. Lateinisch: Bei der Bewahrung einer eigenartigen Gestalt eine schöne Seele. Anm. d. Uebers.
  3. Die Worte Johanns bilden im französischen Originale einen deutsch nicht wiederzugebenden Wortwitz. Aus den Worten des Wirthshausschildes »Vieille-Science« (Alte Weisheit) macht der Student das homophonische: Une »vieille« qui »scie« une »anse« (eine Alte, die einen Henkel zerschneidet).
  4. Coupe-Gueule: Halsabschneider; Coupe-Gorge: Kehlabschneider. Beide Namen bezeichnen eine berüchtigte Straße. Anm. d. Uebers.