52. Kapitel

Von dem Kampfe, so Don Quijote mit dem Ziegenhirten bestand, nebst dem ungewöhnlichen Abenteuer mit den Pilgern auf der Bußfahrt, das er im Schweiße seines Angesichts zu Ende führte

Die Erzählung des Ziegenhirten machte sämtlichen Zuhörern viel Vergnügen, besonders dem Domherrn, der mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit die eigentümliche Art beobachtete, wie jener erzählte, der, weit entfernt, sich als ein bäurischer Hirte zu zeigen, beinahe für einen feinen Hofmann gelten konnte. Daher sagte der Domherr, der Pfarrer habe recht gehabt mit seiner Behauptung, daß das Waldgebirge Leute von Bildung auferzieht. Alle erboten sich dem Hirten Eugenio zu Dienstleistungen; wer sich aber darin am freigebigsten zeigte, war Don Quijote, der zu ihm sprach: »Gewiß, Freund Ziegenhirt, wenn ich mich in der Möglichkeit fände, irgendwelch Abenteuer zu beginnen, gleich auf der Stelle würde ich mich auf den Weg begeben, auf daß Euer Abenteuer zu glücklichem Ziele käme, und aus dem Kloster, worin sie zweifelsohne wider ihren Willen weilet, würde ich Leandra reißen, trotz der Äbtissin und trotz jeglichem, der es verwehren möchte, und würde sie Euch in die Hände geben, auf daß Ihr mit selbiger ganz nach Eurem Willen und Begehr verfahret – unter Wahrung jedoch der Gesetze des Rittertums, welche vorschreiben, daß keinem Fräulein irgendeine Ungebühr angetan werde. Indessen hoffe ich zu Gott dem Herrn, es werde die Macht eines boshaften Zauberers nicht so viel vermögen, daß nicht die eines andern, günstiger gesinnten Zauberers weit mehr vermöchte, und für alsdann verheiße ich Euch meinen Schutz und Beistand, wie mich mein Beruf zu tun verpflichtet, welcher kein andrer ist, denn den Hilflosen und Bedrängten zu Hilfe zu kommen.«

Der Ziegenhirt schaute ihn an, und als er Don Quijotes schlechten Aufzug und jämmerliches Angesicht bemerkte, verwunderte er sich und sprach zu dem Barbier, den er in seiner Nähe sah: »Señor, wer ist der Mann, der so wunderlich aussieht und solcherlei Reden führt?«

»Wer wird es anders sein«, antwortete der Barbier, »als der weitberühmte Don Quijote von der Mancha, der Mann, der alle Ungebühr abstellt, alles Unrecht wieder zurechtbringt, der Schirmer aller Jungfrauen, der Schrecken aller Riesen und der Sieger in allen Kämpfen!«

»Ei«, sagte der Ziegenhirt, »das klingt mir ganz nach dem, was man in den Büchern von den fahrenden Rittern liest, die all dies taten, was Euer Gnaden von diesem Manne sagt; wiewohl ich der Meinung bin, daß entweder Euer Gnaden einen Spaß macht oder daß es bei diesem Edelmann leer im Oberstübchen aussieht.«

»Ihr seid ein ausbündiger Schelm«, rief hier Don Quijote, »Ihr, Ihr seid der dumme Tölpel, bei Euch ist es leer und schwach im Kopf; bei mir ist es voller, als es jemals bei der niederträchtigen Hure war, der schlechten Hure, die Euch auf die Welt gesetzt hat!«

Kaum gesagt, riß er ein Brot vom Tische, das gerade neben ihm lag, und schleuderte es dem Ziegenhirten so wild ins Gesicht, daß er ihm schier die Nase plattschlug. Allein als der Ziegenhirt, der keinen Spaß verstand, sah, wie man allen Ernstes ihm übel mitspielte, setzte er alle Rücksicht auf den Teppich, auf das Tischtuch und die ganze tafelnde Gesellschaft beiseite, sprang auf den Ritter los, packte ihn mit beiden Händen am Halse und hätte ihn ohne Zweifel erwürgt, wenn nicht gerade im Augenblick Sancho Pansa gekommen wäre, ihn an den Schultern gepackt und ihn über den Tisch, hingeworfen hätte, wobei Schüsseln zerschlagen, Trinkschalen zerbrochen und alles, was auf dem Tische war, verschüttet und umhergeworfen wurde. Don Quijote, der sich jetzt frei sah, stürzte sofort über den Ziegenhirten her, und dieser, voll Blut im Gesichte, von Sancho mit Fußtritten bearbeitet, zappelte auf allen vieren nach einem Messer vom Tische, um sich blutig zu rächen; allein der Domherr und der Pfarrer hinderten ihn daran. Der Barbier jedoch wußte es anzustellen, daß der Hirt den Ritter unter sich brachte, und nun ließ er auf diesen eine solche Unzahl von Faustschlägen regnen, daß vom Gesichte des armen Don Quijote ebensoviel Blut troff wie von dem seinigen. Der Domherr und der Pfarrer wollten vor Lachen bersten, die Landreiter sprangen in die Höhe vor lauter Lust, und diese wie jene hetzten drauflos, wie man mit Hunden tut, wenn sie heftig aneinandergeraten sind. Nur Sancho Pansa war schier in Verzweiflung, weil er sich nicht von einem Diener des Domherrn losmachen konnte, der ihn festhielt und ihn hinderte, seinem Herrn zu Hilfe zu kommen.

Während sie nun alle so in tollem Jubel waren, mit Ausnahme der zwei Faustkämpfer, die miteinander balgten, vernahmen sie den Klang einer Trompete, einer so trübselig tönenden, daß sich alle Blicke nach der Seite hinwendeten, von wo der Klang ihnen herzukommen schien. Wer aber am meisten darüber in Aufregung geriet, war Don Quijote, der zwar noch, freilich sehr gegen seinen Willen und mehr als nur mäßig zerbleut, unter dem Ziegenhirten lag, aber dennoch ihn ansprach: »Lieber guter Teufel, denn was andres kannst du nicht sein, da deine Tapferkeit und Kraft so groß ist, um die meinige zu bewältigen, ich bitte dich, laß uns einen Waffenstillstand schließen, nicht länger als auf eine Stunde; denn der jammervolle Klang jener Drommete, der zu unsern Ohren dringt, scheint mich zu einem neuen Abenteuer zu rufen.«

Der Ziegenhirt, bereits müde, zu prügeln und geprügelt zu werden, ließ ihn auf der Stelle los, und Don Quijote erhob sich, wendete nun ebenfalls das Gesicht dahin, wo man den Ton vernahm, und sah plötzlich, wie von einem Hügel eine Menge von Leuten herabkam, alle wie Pilger auf einer Bußfahrt weiß gekleidet. In diesem Jahre hatten nämlich die Wolken der Erde ihr Naß versagt, und in allen Ortschaften dieser Gegend wurden Wallfahrten, Bittgänge und Bußübungen abgehalten, um Gott zu bitten, daß er die Hände seiner Barmherzigkeit auftue und Regen spende, und zu diesem Zwecke kamen die Leute aus einem nahegelegenen Dorfe wallfahrend zu einer heiligen Einsiedelei gezogen, die auf einer Höhe bei diesem Tale lag.

Don Quijote erblickte die seltsamen Trachten der Bußfahrer, ohne daß ihm ins Gedächtnis kam, wie oft er sie schon gesehen haben mußte, und bildete sich ein, dies sei so etwas von einem Abenteuer und ihm allein als fahrendem Ritter komme es zu; sich an dasselbe zu wagen. Und was ihn in dieser Einbildung noch mehr bestärkte, war, daß er sich einredete, eine Bildsäule, die sie in Trauerhüllen einhertrugen, sei eigentlich eine vornehme Dame, die von diesen Bösewichtern und schamlosen Wegelagerern mit Gewalt entführt werde. Und sobald ihm dies in den Kopf kam, stürzte er leichtfüßig auf Rosinante los, der dort weiden ging, nahm ihm vom Sattelbogen den Zügel und die Tartsche, zäumte ihn im Nu auf, und sein Schwert von Sancho fordernd, stieg er auf Rosinante, nahm die Tartsche in den Arm und sprach zu den Anwesenden allen mit erhobener Stimme: »Itzo, mannhafte Gesellschaft, sollet Ihr erschauen, wie hochwichtig es ist, daß es auf Erden Ritter gibt, die sich zum Orden der fahrenden Ritterschaft bekennen; itzo, also sag ich, sollet ihr an der Befreiung dieser trefflichen Dame, die sich dort in Banden zeigt, erkennen, ob die fahrenden Ritter hoher Achtung wert sind.«

Und also redend gab er dem Rosinante die Schenkel, denn Sporen hatte er nicht an, und rannte in kurzem Galopp – denn daß sich Rosinante jemals zu gestreckter Karriere verstiegen, das liest man nirgends in dieser ganzen wahrhaftigen Geschichte – auf die Bußfahrer los, wiewohl der Pfarrer und der Domherr hinliefen, um ihn zurückzuhalten; aber es war ihnen nicht möglich, und ebensowenig hielt ihn das Geschrei Sanchos zurück, der ihm zurief: »Wo wollt Ihr hin, Señor Don Quijote? Was für Teufel habt Ihr im Leib, die Euch antreiben, gegen unsern katholischen Glauben vorzugehen? Habt doch acht, o weh meiner armen Seele! daß es eine Wallfahrt von Büßern ist, und die Dame, die dort auf dem Gestell getragen wird, ist das gebenedeite Bild der unbefleckten Jungfrau; bedenket, Señor, was Ihr tut, denn diesmal kann man wirklich sagen, daß Ihr nicht tut, was Eures Berufes ist!«

Vergeblich mühte sich Sancho ab, denn sein Herr hatte es so fest im Sinn, auf die Leute in den weißen Hüllen heranzustürmen und die Dame in Trauer zu befreien, daß er kein Wort hörte, und hätte er es auch gehört, so wäre er doch nicht umgekehrt, und wenn der König selbst es ihm geboten hätte. Er erreichte also den Zug, hielt Rosinante an, der ohnehin schon große Lust hatte, ein wenig auszuruhen, und rief mit heftig erregter, heiserer Stimme: »Ihr, die ihr, vielleicht weil ihr tugendlose Leute seid, das Angesicht verhüllt traget, harret still und horchet auf die Worte, die ich Euch zu sagen habe.«

Die ersten, die anhielten, waren die Träger des Bildes. Und als einer der vier Geistlichen, welche die Litaneien sangen, das seltsame Aussehen Don Quijotes, die Magerkeit Rosinantes und andre Umstände, die zum Lachen waren, an dem Ritter bemerkte, entgegnete er ihm folgende Worte: »Lieber Herr und Freund, wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so sagt es rasch, denn diese frommen Brüder zergeißeln sich den Leib, und wir können und dürfen uns vernünftigerweise nicht aufhalten, irgend etwas anzuhören, wenn es nicht etwa so kurz ist, daß man es in zwei Worten sagen kann.«

»In einem Worte werde ich es euch sagen«, erwiderte Don Quijote, »und so lautet es: Ihr sollt gleich auf der Stelle diese schöne Dame freigeben, deren Tränen und betrübtes Antlitz deutlich zeigen, daß ihr sie wider ihren Willen fortschleppt und daß ihr eine offenbare Ungebühr an ihr verübt habt. Und ich, der ich zur Welt geboren bin, um dergleichen Freveltaten abzustellen, ich werde nicht gestatten, daß sie einen einzigen Schritt weiterziehe, ohne ihr die ersehnte Freiheit wiederzugeben, deren sie würdig ist.«

An diesen Worten merkten alle Hörer, Don Quijote müsse verrückt sein, und brachen in herzliches Lachen aus; aber hier zu lachen hieß Pulver auf Don Quijotes Zorneswut schütten, und ohne ein Wort weiter zu sagen, zog er das Schwert und sprengte auf die Tragbahre los. Einer der Träger stürzte, die Bürde sofort seinen Gefährten überlassend, Don Quijote entgegen, schwang als Waffe eine jener Gabelstützen, auf welche man beim Ausruhen die Bahre setzt, und nachdem er mit dieser Wehr einen gewaltigen Schwerthieb aufgefangen, der sie in zwei Stücke schlug, versetzte er mit dem letzten Drittel, das ihm in der Hand blieb, dem Ritter einen solchen Schlag über die Schulter auf der Schwertseite, die der Schild gegen die rohe bäurische Kraft nicht schützen konnte, daß der arme Don Quijote gar übel zugerichtet niederstürzte.

Als Sancho Pansa, der ihm keuchend nachgeeilt war, ihn am Boden liegen sah, schrie er dem Zerbleuer seines Herrn zu, er solle vom Prügeln ablassen, denn der sei ein armer verzauberter Ritter, der all sein Lebtag keinem ein Leides getan. Aber was den Bauern zurückhielt, war nicht Sanchos Geschrei, sondern ein Blick auf den Ritter, der weder Hand noch Fuß rührte, und da er nun glaubte, er habe diesen totgeschlagen, raffte er in aller Eile seinen Kittel bis zum Gürtel auf und machte sich hurtig wie ein Gemsbock über das Gefilde von dannen.

Don Quijote

Inzwischen waren alle übrigen aus Don Quijotes Gesellschaft zu der Stelle gekommen, wo er lag. Aber die Leute von der Bußfahrt, die sahen, wie all die Herren dort und dabei die Landreiter mit ihren Armbrüsten herzueilten, gerieten in Furcht vor einem schlimmen Ausgang der Sache, drängten sich insgesamt im Kreis um das Bild her, schlugen ihre Kapuzen über den Kopf und faßten ihre Geißeln fest in die Fäuste. Desgleichen taten auch die Geistlichen mit ihren Altarleuchtern, und so erwarteten sie den Ansturm, mutig entschlossen zu Schutz und womöglich auch zu Trutz gegen die Angreifer.

Allein das Glück fügte es besser, als man dachte; denn Sancho tat nichts weiter, als daß er sich über den Körper seines Herrn warf und, im Glauben, er sei wirklich tot, über ihn die schmerzlichste und zugleich lächerlichste Klage erhob, die sich denken läßt.

Der Pfarrer ward von einem andern Pfarrer erkannt, der mit bei der Bußfahrt war, und diese Bekanntschaft beschwichtigte die Besorgnis im Gemüte beider Geschwader. Der erste Pfarrer erklärte dem zweiten mit ein paar Worten, wer Don Quijote sei, und der ganze Haufe der Bußfahrer kam herbei, um zu sehen, ob der arme Ritter tot sei. Da hörten sie, wie Sancho Pansa mit Tränen in den Augen sprach: »O du Blume des Rittertums, der du mit einem einzigen Knüppelhieb die Bahn deiner so trefflich verwendeten Jahre abgeschlossen! O du Preis deines Geschlechtes, Ehre und Ruhm der ganzen Mancha, ja der ganzen Welt, welche nun, da du ihr gebrichst, voller Übeltäter bleiben wird, die da nicht mehr fürchten müssen, für ihre Missetaten gezüchtigt zu werden! O du, freigebig über alle Alexanders hinaus, sintemal du mir für nicht mehr als acht Monde Dienstes die beste Insul gegeben hattest, die das Meer umgürtet und umfleußt! O du, demütig gegen die Hochmütigen und stolz gegen die Demütigen, trotzbietend den Gefahren, Erdulder feindlichen Schimpfes, verliebt ohne allen Grund, Nachahmer der Guten, Geißel der Bösen, Feind der Schlechten; in einem Wort, fahrender Ritter! Was alles enthält, was sich sagen läßt!«

Von Sanchos Schreien und Ächzen lebte Don Quijote wieder auf, und das erste Wort, das er sprach, war dieses: »Wer ferne von Euch lebt, süßeste Dulcinea, ist noch größerem Elend als diesem preisgegeben. Hilf mir, Freund Sancho, mich auf den verzauberten Karren zu setzen, denn ich bin nicht mehr imstande, Rosinantes Sattel zu belasten, sintemal mir diese ganze Schulter zu Stücken zerschlagen ist.«

»Das will ich sehr gerne tun, Herre mein«, antwortete Sancho, »und laßt uns in unser Dorf heimkehren, in Gesellschaft dieser Herren, die Euer Bestes wollen; und dort wollen wir Anstalt zu einer neuen Ausfahrt treffen, die uns zu größerem Vorteil und Ruhm gereichen soll.«

»Wohlgesprochen, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »und es wird sehr klug sein, den übeln Einfluß der Gestirne, der jetzt waltet, vorübergehen zu lassen.«

Der Domherr, der Pfarrer und der Barbier erklärten ihm, er würde sehr gut daran tun, so zu handeln, wie er gesagt; und höchlich belustigt von Sanchos einfältigen Redensarten setzten sie Don Quijote auf den Karren, darauf er vorher gefahren war. Die Bußfahrt wurde wieder in die rechte Ordnung gebracht und setzte ihren Weg fort; der Ziegenhirt verabschiedete sich von allen; die Landreiter wollten nicht weiter mitziehen, und der Pfarrer zahlte ihnen, was man ihnen schuldig war. Der Domherr bat den Pfarrer, ihn zu benachrichtigen, wie es mit Don Quijote erginge, ob er von seiner Narrheit genesen oder ob er auch fernerhin bei ihr beharren werde; und hiermit nahm er Urlaub, um seine Reise weiter zu verfolgen. Kurz, alle trennten sich und schieden voneinander; es blieb niemand als nur der Pfarrer und der Barbier, Don Quijote und Pansa und der gute Kerl von Rosinante, der bei allem, was er erlebt hatte, ebensoviel Geduld bewahrte wie sein Herr.

Der Ochsenkärrner spannte seine Ochsen ein, machte Don Quijote auf einer Schicht Heu ein Lager zurecht, und langsam und gelassen, wie gewohnt, verfolgte er den Weg, den der Pfarrer vorschrieb; und nach Verfluß von sechs Tagen kamen sie in Don Quijotes Dorf, wo sie um Mittag einzogen. Es war gerade Sonntag, und die Einwohner standen alle auf dem Marktplatz umher, über den Don Quijotes Karren mitten darüberfuhr. Alle liefen herbei und wollten sehen, was auf dem Karren war, und als sie ihren Landsmann erkannten, waren sie höchlich verwundert; und ein Junge lief eilends hin, um seiner Haushälterin und seiner Nichte anzusagen, daß ihr Oheim und Herr ankomme, abgemagert und bleich und auf einem Heubündel ausgestreckt und auf einem Ochsenkarren. Es war ein Jammer, zu hören, wie die zwei guten Frauenzimmer ein Geschrei erhoben, sich vor den Kopf schlugen und wiederum Verwünschungen gegen die verwünschten Ritterbücher ausstießen. Und das alles fing aufs neue an, als sie Don Quijote ins Tor seines Hauses einfahren sahen.

Auf die Nachricht von seiner Ankunft eilte auch Sancho Pansas Frau herbei, die längst erfahren hatte, ihr Mann sei mit dem Ritter als dessen Schildknappe fortgezogen; und als sie Sancho erblickte, war das erste, was sie fragte, ob es dem Esel wohlgehe. Sancho antwortete, es gehe ihm besser als seinem Herrn.

»Gott sei Lob und Dank«, sprach sie dagegen, »daß er mir diese Gnade erwiesen hat! Aber erzählet mir nun, mein Lieber, was für einen Gewinn habt Ihr aus Eurer Schildknapperei gezogen? Was für einen neuen Rock bringt Ihr mir mit? Was für Schühchen für Eure Kinder?«

»Nichts dergleichen bring ich mit, mein Weib«, versetzte Sancho, »wiewohl ich andere Sachen von größerer Wichtigkeit und Bedeutung mitbringe.«

»Das soll mir recht sein«, entgegnete die Frau; »zeigt mir doch diese Sachen von größerer Bedeutung und Wichtigkeit, denn ich brenne darauf, sie zu sehen, damit ich darob mein Herz erheitere, das alle die Jahrhunderte Eurer Abwesenheit hindurch traurig und mißvergnügt war.«

»Zu Hause will ich sie Euch zeigen, Frau«, sprach Pansa, »und für jetzt seid vergnügt, denn wenn es Gott beliebt, daß wir noch einmal auf die Suche nach Abenteuern ausziehen, werdet Ihr mich bald als Grafen sehen oder als Statthalter einer Insul, und zwar nicht einer solchen Insul, wie sie da und dort herumliegen, sondern der allerbesten, die zu finden ist.«

»Das gebe Gott, lieber Mann, denn wir haben’s wahrlich nötig. Aber sagt mir doch, was ist das mit den Insuln? Ich verstehe es nicht.«

»Der Honig ist nicht da für Esels Maul«, antwortete Sancho; »seiner Zeit wirst du es schon erleben, Frau; ja du wirst dich wundern, wenn du hörst, wie dich all deine Vasallen mit Euer Herrlichkeit anreden.«

»Was sagst du, Sancho, von Herrlichkeiten, Insuln und Vasallen?« entgegnete Hanne Pansa; denn so hieß Sanchos Frau, nicht als ob sie Blutsverwandte gewesen wären, sondern weil es in der Mancha bräuchlich ist, daß die Frau den Familiennamen des Mannes annimmt.

»Steife dich doch nicht darauf, Hanne, daß du alles so eilig erfahren mußt; genug, daß ich dir die Wahrheit sage, und jetzt nähe dir den Mund zu. Ich kann dir nur so im Vorübergehen sagen, es gibt nichts Vergnüglicheres auf Erden, als wenn man ein angesehener Mann und Schildknappe eines fahrenden Ritters ist, der auf Abenteuer auszieht. Zwar gehen sie meistens nicht so nach Wunsch aus, wie man eben möchte, denn von hundert, auf die man stößt, pflegen neunundneunzig verkehrt und schief zu gehen. Ich weiß das aus Erfahrung, denn aus etlichen bin ich gewippt und aus anderen zerbleut davongekommen. Aber trotz alledem ist es prächtig, wenn man die Gegebenheiten an sich herankommen läßt und dabei Waldgebirge durchwandert, Forsten durchsucht, Felsen besteigt, Burgen besucht, in Schenken frei nach Belieben herbergt, und der Pfennig, den man da bezahlt, den soll der Teufel holen!«

Diese ganze Unterhaltung fand zwischen Sancho Pansa und Hanne Pansa, seiner Frau, statt, während die Haushälterin und Nichte Don Quijotes diesen empfingen und auszogen und ihn auf sein altväterliches Bett streckten. Er betrachtete sie mit verdrehten Augen und konnte es nicht fassen, an welchem Ort er sich befinde. Der Pfarrer trug der Nichte auf, die möglichste Sorge auf die Verpflegung ihres Oheims zu wenden und aufzupassen, daß er ihnen nicht nochmals entkomme; wobei er ihnen erzählte, was alles vonnöten gewesen, um ihn nach Hause zu bringen. Nun erhob sich aufs neue das Jammergeschrei der beiden gen Himmel; nun erklangen die Verwünschungen gegen die Ritterbücher von neuem; nun flehten sie zum Himmel, er wolle die Schreiber so vieler Lügen und Ungereimtheiten zum tiefsten Abgrund der Hölle verdammen. Und zum Ende wurden sie von größter Bestürzung und Angst ergriffen, sich von ihrem Herrn und Oheim wieder verlassen zu sehen, sobald er einige Besserung verspüren werde. Und in der Tat geschah es so, wie sie es sich vorstellten.

Allein der Verfasser dieser Geschichte, wiewohl er achtsam und beflissen den Taten nachspürte, die Don Quijote bei seiner dritten Ausfahrt vollbracht, konnte von derselben keine Nachricht auffinden, wenigstens nicht in beglaubigten Aufzeichnungen. Nur das Gerücht hat in den Erinnerungen der Mancha den Umstand aufbewahrt, daß Don Quijote, als er zum drittenmal von daheim auszog, sich nach Zaragoza verfügte und sich dort bei einem großen Turnier einfand, welches in jener Stadt abgehalten wurde, und daß dort sich manches zutrug, was seinem Heldensinn und seinem verständigen Geiste in würdiger Weise entsprach.

Auch über sein Ende und Hinscheiden hat der Verfasser keine Nachricht erlangen können und hätte nie eine erlangt noch etwas darüber erfahren, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihm einen alten Arzt zugeführt hätte, der eine bleierne Kiste im Besitz hatte, welche nach seiner Angabe sich in den zerfallenen Grundmauern einer alten, in der Wiederherstellung begriffenen Einsiedelei gefunden habe. In dieser Kiste hatte man Pergamentrollen entdeckt, ganz beschrieben mit gotischen Buchstaben. Es waren jedoch kastilianische Verse, und diese schilderten viele von Don Quijotes Heldentaten und gaben Bericht über die Schönheit der Dulcinea von Toboso, über Rosinantes Gestalt und Aussehen, über Sancho Pansas Treue und über das Grab Don Quijotes selbst, mit verschiedenen Grabschriften und Lobgedichten auf sein Leben und Treiben. Diejenigen Verse, die es möglich war zu lesen und ins reine zu schreiben, sind die folgenden, die der glaubwürdige Verfasser dieser ganz neuen und nie erhörten Geschichte hierhersetzt.

Besagter Verfasser aber, zum Lohn der unermeßlichen Arbeit, die es ihn gekostet, alle geheimen Urkundengewölbe der Mancha zu untersuchen und zu durchforschen, um sotane Geschichten ans Licht zu ziehen, bittet die Leser um nichts weiter, als daß sie ihm dieselbe Glaubwürdigkeit zuerkennen wie alle verständigen Leute den Ritterbüchern, die in der Welt allgemein so hohe Gunst genießen. Damit wird er sich für wohlbelohnt und zufriedengestellt erachten und sich ermutigt fühlen, noch andere Geschichten aufzusuchen und ans Licht zu ziehen, die, wenn auch nicht so wahr, wenigstens ebenso reich an Erfindungsgabe sein und ebensoviel Zeitvertreib bieten sollen.

Die ersten Worte, die auf dem in der bleiernen Kiste gefundenen Pergament geschrieben standen, waren diese:

DIE AKADEMIKER VON ARGAMASILLA, EINEM ORTE IN DER MANCHA, AUF LEBEN UND TOD DES MANNHAFTEN DON QUIJOTE VON DER MANCHA

HOC SCRIPSERUNT

Der Schwarzaffe, Akademiker zu Argamasilla, auf die Grabstätte Don Quijotes

Grabschrift

Der hohle Fratz, der mehr mit Siegeszeichen,
Als Jason Kreta einst, die Mancha schmückte;
Der seltne Geist, der kluge, der verrückte,
Schier einer Wetterfahne zu vergleichen;

Der Arm, der von Gaeta zu den Reichen
Katais‘ den Schild trug und das Schlachtschwert zückte;
Der tollste Musenzögling, dem’s je glückte,
Auf Erze seinen Ruhm herauszustreichen;

Der weit ließ hinter sich die Amadíse;
Dem, weil er nur für Lieb und Ruhm entbrannte,
In Galaor verhaßt war das Gemeine;

Vor dem verstummten selbst die Belianise:
Der Held, der irrend ritt auf Rosinante,
Der liegt hier unter diesem kalten Steine.

Vom Tellerlecker, Akademiker zu Argamasilla, in laudem der Dulcinea von Toboso

Sonett

Seht hier, das Antlitz ganz in Fett verschwommen,
Läßt sich hochbrüstig, feurig von Gebaren,
Tobosos Königin Dulcinee gewahren,
Für die der Held Quijote in Lieb entglommen.

Für sie hat er das Schwarzgebirg erklommen
Nordwärts und südwärts, trieb den Feind zu Paaren
Im Feld von Montiel, zog in Gefahren
Bis Aranjuez, zu Fuß und schier verkommen

Durch Rosinantes Schuld. O Schicksal, bitter
Strafst du die Mancha-Königin und diesen
Fahrenden Ritter! Denn in jungen Jahren

Starb mit ihr ihre Schönheit, und der Ritter,
Obschon auf Marmor ewiglich gepriesen,
Nie konnt er sich vor Lieb und Täuschung wahren.

Vom Grillenfänger, dem höchst geistvollen Akademiker zu Argamasilla, zum Preise Rosinantes, Schlachtrosses des Helden Don Quijote von der Mancha

Sonett

Am Thron von Demant, wo auf blutig heißen
Fußspuren Mars, der wilde, siegreich waltet,
Hat der Manchaner Held tollkühn entfaltet
Sein Banner, läßt es stolz im Winde kreisen.

Da hängt er auf die Rüstung und das Eisen,
Das scharfe, das zerstückt, zerstört, zerspaltet:
Großtaten neuer Art! Doch Kunst gestaltet
Dem neuen Paladin auch neue Weisen.

Ruht Galliens Ruhm auf seinem größten Sohne,
Dem Amadís, durch dessen Enkelkinder
Der Griechen Lande sich mit Ruhm bedecken –

Quijoten reicht Bellonas Hof die Krone
Anitzt; die Mancha rühmt sich sein nicht minder
Als Griechenland und Gallien ihrer Recken.

Des Ruhm wird nie Vergessenheit beflecken,
Da Rosinante schon, der wenig wagte,
Den Brillador und Bayard überragte.

Vom Spötter, Argamasillanischen Akademiker, auf Sancho Pansa

Sonett

Schaut Sancho Pansa hier, der Knappen Krone,
An Körper klein, doch Wunder! groß an Geiste;
Ein Knappe frei von Witz, der allermeiste
Von jedem Falsch, ich schwör’s beim höchsten Throne.

Fast war er Graf geworden, ’s war nicht ohne,
Wenn sich nicht gegen ihn verschwur die feiste
Gemeinheit und die Ränkesucht, die dreiste,
Zu boshaft, daß sie nur ein Eslein schone!

Auf diesem Tier zog, mit Verlaub zu sagen,
Der gute Knappe hinter jenem guten
Gaul Rosinante her und seinem Reiter.

O leere Hoffnungen, die Frucht nie tragen!
Ihr flieht vorüber, wo wir gerne ruhten,
Und werdet Schatten, Träume, Rauch – nichts weiter!

Vom Teufelsfratz, Akademiker zu Argamasilla, auf Don Quijotes Grabstätte

Grabschrift

Hier tät man zur Ruhe legen
Einen Ritter wohlzerschlagen,
Übelfahrend, den getragen
Rosinant‘ auf manchen Wegen.

Sancho Pansa liegt daneben,
Dumm von Geist, grob von Gebärden,
Doch der Treuste, den’s auf Erden
Je im Knappendienst gegeben.

Vom Kunterbunt, Akademiker zu Argamasilla, auf das Grab Dulcineas von Toboso

Grabschrift

Hier ruht Dulcinea; loben
Mußte man die drallen Glieder;
Und doch warf der Tod sie nieder,
Daß zu Asche sie zerstoben.

Sie, von christlich reinem Stamme,
Tat, als ob sie adlig wäre;
Sie war Held Quijotes Flamme
Und des Dorfes Stolz und Ehre.

Dies waren die Verse, die noch zu lesen waren; die übrigen übergab man, weil die Schrift von Würmern zerfressen war, einem Akademiker, damit er sie mittels seiner gelahrten Konjekturen entziffern möchte. Man hat Kunde davon, daß er es mit Hilfe vieler durchwachter Nächte und großer Mühsal vollbracht hat und daß er beabsichtigt, in Hoffnung einer dritten Ausfahrt Don Quijotes sie ans Licht zu ziehen.

Forse altri canterà con miglior plettro.

6. Kapitel

Von der heiteren und gründlichen Untersuchung, welche der Pfarrer und der Barbier in der Bücherei unsres sinnreichen Junkers anstellten

Der aber schlief noch immer. Der Pfarrer forderte der Nichte die Schlüssel des Gemaches ab, wo die Bücher, die Anstifter des Unheils, sich befanden, und sie gab sie ihm mit gar vielem Vergnügen. Sie traten alle hinein, und die Haushälterin mit ihnen, und fanden mehr als hundert Bände großer, gut gebundener Bücher nebst andern, kleineren; und sobald die Haushälterin sie sah, ging sie in großer Eile wieder aus dem Zimmer hinaus, kehrte bald mit einem Näpfchen Weihwasser und einem Weihwedel zurück und sagte: »Nehmet, Euer Gnaden, Herr Lizentiat, besprengt dieses Zimmer, damit kein Zauberer von den vielen, die diese Bücher enthalten, hierbleibe und uns verzaubere, um uns zu strafen für die Strafe, mit der wir sie belegen wollen, indem wir sie aus der Welt schaffen.«

Den Lizentiaten brachte die Einfalt der Haushälterin zum Lachen, und er wies den Barbier an, er solle ihm von den Büchern eins nach dem andern reichen, um zu sehen, wovon sie handelten, da es doch sein könnte, daß man einige fände, welche die Strafe des Feuers nicht verdienten. »Nein«, sagte die Nichte, »es ist kein Grund, irgendeines zu verschonen; denn sie alle sind die Unheilstifter gewesen. Am besten wird es sein, sie zum Fenster hinaus in den Vorhof zu schleudern, sie zu einem Haufen zu schichten und Feuer an sie zu legen oder, wenn nicht, sie in den großen Hof zu werfen; dort soll der Scheiterhaufen errichtet werden, und so wird der Rauch nicht beschwerlich fallen.«

Das nämliche sagte die Haushälterin, so groß war das Verlangen, das die beiden nach dem Tode dieser unschuldigen Kindlein trugen. Allein der Pfarrer wollte nicht darauf eingehen, ohne wenigstens erst die Titel zu lesen.

Das erste, was ihm Meister Nikolas in die Hände gab, waren Die vier Bücher des Amadís von Gallien, und der Pfarrer sprach: »Es scheint hierbei etwas Wundersames zu walten; denn wie ich habe sagen hören, war dieses Werk das erste Ritterbuch, das in Spanien gedruckt wurde, und alle übrigen haben ihren Ausgang und Ursprung von diesem genommen; und also ist meine Meinung, daß wir den Amadís als den Irrlehrer und Stifter einer so schlimmen Sekte, ohne Zulassung irgendeines Milderungsgrundes, zum Feuer verurteilen müssen.«

»Nein, Herr Pfarrer«, entgegnete der Barbier, »denn ich habe auch sagen hören, es sei das beste aller Bücher, die in dieser Art verfaßt worden, und so muß ihm, als einzig in seiner Kunstgattung, Gnade zuteil werden.«

»Das ist richtig«, sagte der Pfarrer, »und aus diesem Grunde wird ihm für jetzt das Leben gewährt. Sehen wir jenes andere an, das neben ihm steht.«

»Das«, sagte der Barbier, »sind die Geschichten von Esplandian, dem ehelichen Sohn des Amadís von Gallien.«

»Nun, in der Tat«, versetzte der Pfarrer, »dem Sohne soll die Trefflichkeit des Vaters nicht zugute kommen; nehmt, Jungfer Haushälterin, öffnet das Fenster dort und werft ihn in den Hof; mit ihm soll die Aufschichtung des Scheiterhaufens begonnen werden, den wir errichten wollen.«

Mit großem Behagen tat die Haushälterin also, und der gute von Esplandian nahm seinen Flug in den Hof und harrte daselbst in aller Geduld des Feuers, das ihm drohte.

»Weiter!« sprach der Pfarrer.

»Der hier kommt«, sagte der Barbier, »ist Amadís von Griechenland; ja alle auf dieser Seite, wie ich glaube, sind aus der nämlichen Sippschaft des Amadís.«

»So mögen sie alle in den Hof hinabwandern«, sprach der Pfarrer; »denn um die Königin Pintiquiniestra verbrennen zu dürfen, nebst dem Schäfer Darinel und seinen Hirtengedichten und den verteufelten und verdrehten Redensarten ihres Verfassers, würde ich mit ihnen meinen eigenen Vater verbrennen, wenn er in der Gestalt eines fahrenden Ritters aufträte.«

»Dieser Meinung bin ich auch«, versetzte der Barbier.

»Und ich auch«, fügte die Nichte bei.

»Da dem so ist«, sprach die Haushälterin, »her damit und in den Hof mit ihnen!«

Man reichte sie ihr, es waren deren viele, und sie ersparte sich die Treppe und warf sie zum Fenster hinaus.

»Wer ist jenes Stückfaß?« fragte der Pfarrer.

»Es ist dies«, antwortete der Barbier, » Don Olivante de Laura

»Der Verfasser dieses Buches«, sprach der Pfarrer, »war derselbe, welcher den Blumengarten schrieb, und in der Tat, ich könnte nicht entscheiden, welches von beiden Büchern wahrhafter, oder richtiger gesagt, minder lügenhaft ist; ich kann nur sagen, daß dieses, weil es ungereimt und frech, in den Hof wandern wird.«

»Dieses folgende Buch ist Florismarte von Hyrkanien«, sagte der Barbier.

»Ist der Herr Florismarte da?« entgegnete der Pfarrer. »Auf mein Wort denn, er soll baldigst seine Bestimmung im Hofe finden, trotz seiner wundersamen Geburt und seiner chimärischen Abenteuer; denn die Härte und Trockenheit seines Stils gestattet nichts anderes. In den Hof mit ihm und mit jenem andern, Jungfer Haushälterin.«

»Mir recht, Herr Pfarrer«, antwortete sie und vollstreckte mit vielen Freuden, was ihr aufgetragen worden.

»Dies ist Der Ritter Platir«, sagte der Barbier.

»Es ist ein altes Buch«, versetzte der Pfarrer, »und ich finde nichts darin, das Gnade verdiente; es begleite die andern ohne Widerrede.«

Und so geschah es.

Ein andres Buch ward aufgeschlagen, und sie sahen, daß es den Titel hatte Der Ritter vom Kreuz.

»Um eines so heiligen Namens willen, wie dieses Buch trägt, hätte man ihm seine Dummheit verzeihen können; allein man pflegt auch zu sagen: ›Hinter dem Kreuze lauert der Teufel.‹ Ins Feuer mit ihm!«

Der Barbier nahm ein andres Buch und sprach: »Dieses ist der Spiegel des Rittertums

»Wohl kenn ich Seine Gnaden«, sagte der Pfarrer. »Dort treten Herr Rinaldo von Montalban auf mit seinen Freunden und Gefährten, die räuberischer sind als Cacus, und die zwölf Pairs mit dem wahrheitsliebenden Geschichtsschreiber Turpin; und wirklich, ich bin geneigt, sie zu nicht mehrerem als zu ewiger Verbannung zu verurteilen, wenn es auch nur deshalb wäre, weil sie einen Anteil an der Dichtung des berühmten Mateo Bojardo haben, aus welcher hinwiederum der christliche Dichter Ludovico Ariosto sein Gewebe entnommen. Und wenn ich diesen hier finde und er in einer anderen Sprache als der seinigen redet, so werde ich ihm keinerlei Achtung bezeigen; wenn er aber in seiner eigenen Zunge spricht, dann werde ich ihm mein Haupt mit Verehrung beugen.«

»Wohl, ich habe ihn auf italienisch«, sagte der Barbier, »aber ich verstehe ihn nicht.«

»Es wäre auch nicht einmal gut, daß Ihr ihn verstündet«, antwortete der Pfarrer, »und daher hätten wir es jenem Herrn Hauptmann gern erlassen, wenn er ihn nicht nach Spanien herübergebracht und zum Kastilier umgeschaffen hätte; denn er hat ihm viel von seinem ursprünglichen Werte benommen. Und dasselbe wird jedem begegnen, der in Versen geschriebene Werke in eine andere Sprache übertragen will; denn wie viele Sorgfalt er anwende und wieviel Geschicklichkeit er an den Tag lege; nie wird er die Vollendung erreichen, die sie in ihrer ersten Gestaltung besitzen. Ich bestimme also, daß dies Buch und alle, die über jene französischen Geschichten handeln, in eine trockene Brunnengrube geworfen und verwahrt werden sollen, bis man mit mehr Überlegung beurteilen kann, was mit ihnen zu tun ist; wobei ich jedoch einen gewissen Bernardo del Carpio, der sich in der Welt herumtreibt, und ein andres Buch, des Titels Roncesvalles, ausnehme; denn diese, sobald sie in meine Gewalt gelangen, sollen sogleich in die der Haushälterin kommen und aus dieser in die des Feuers, ohne Gnade und Erbarmen.«

Dieses Urteil bestätigte der Barbier und erachtete es für recht und durchaus sachgemäß; denn ihm war wohl bewußt, daß der Pfarrer ein so guter Christ und so großer Freund der Wahrheit war, daß er um aller irdischen Dinge willen nie etwas als eben die Wahrheit gesagt hätte.

Und ein andres Buch aufschlagend, fand er, es sei Palmerin de Oliva, und nebenan stand eines, das Palmerin von England hieß. Als der Lizentiat das sah, sprach er: »Jenen Olivenbaum schlage man zu Splittern und verbrenne ihn, daß auch nicht die Asche von ihm übrigbleibe; aber jene Palme von England hebe man auf und bewahre sie als etwas Einziges, und man mache für sie ein solches Kästchen wie jenes, das Alexander unter der Beute des Darius fand und das er bestimmte, darin die Werke des Dichters Homer aufzubewahren. Dies Buch, Herr Gevatter, steht aus zwei Gründen in Hochachtung: der eine, weil es an sich ein sehr gutes Buch ist, der andere, weil der Ruf geht, daß ein geistvoller König von Portugal es verfaßt hat. Die sämtlichen Abenteuer im Schlosse der Prinzessin Miraguarda sind vortrefflich und mit großer Kunst entworfen; die Gespräche, in gutem Ton und klarem Stil, beobachten und bezwecken stets das für die sprechende Person Geziemende in angemessenster Weise und mit großem Verständnis. Ich tue sonach den Ausspruch, vorbehaltlich Eures Gutbefindens, Meister Nikolas, daß dieses Buch und Amadís von Gallien des Feuers ledig bleiben und die anderen ohne langes Probieren und Examinieren sämtlich umkommen sollen.«

»Nein, Herr Gevatter«, entgegnete der Barbier, »denn dieser, den ich hier habe, ist der weitberühmte Don Belianís

»Der freilich«, versetzte der Pfarrer, »mit dem zweiten, dritten und vierten Teile, bedarf einiges Rhabarbers, um seinen übermäßigen Jähzorn abzuführen, und es ist unerläßlich, aus ihnen all jenes von der Burg des Ruhms und andere Ungereimtheiten von größerem Belang fortzuschaffen. Dazu wird ihnen dieselbe Frist gewährt wie für gerichtliche Vorladungen über See, und je nachdem sie sich bessern sollten, je nachdem wird ihnen Gnade oder Recht widerfahren. Und Ihr mittlerweile behaltet sie, Gevatter, in Eurem Hause, aber lasset niemand sie lesen.«

»Dem stimme ich bei«, sagte der Barbier. Und ohne sich mehr mit dem Durchsehen von Ritterbüchern langweilen zu wollen, wies der Pfarrer die Haushälterin an, sie solle alle die großen Bände nehmen und sie in den Hof werfen. Dies war nicht tauben Ohren gepredigt; denn die alte Jungfer hatte ohnehin noch größere Lust, die Bücher zu verbrennen, als ein ganzes Stück Leinwand für den Weber zurechtzumachen, und wäre es auch noch so groß und fein; sie ergriff etwa acht auf einmal und warf sie zum Fenster hinaus.

Don Quijote

Da sie zu viele zusammen nahm, fiel ihr eins zu den Füßen des Barbiers nieder; den überkam das Verlangen zu sehen, von wem es sei, und er fand, daß es besagte: Geschichte des berühmten Ritters Tirante des Weißen.

»Helf mir Gott!« sprach der Pfarrer mit lautem Aufschrei. »So wäre denn Tirante der Weiße auch hier? Gebt mir ihn her, Gevatter, denn ich meine, ich habe in ihm einen Schatz von Vergnügen und eine Fundgrube von Zeitvertreib gefunden. Hier finden sich Don Kyrieleisón von Montalbán, der tapfere Ritter, und sein Bruder Tomás von Montalbán und der Ritter Fonseca und der Kampf, den der Haudegen von Tirante gegen den Bullenbeißer bestand, und die klugen Einfälle des Fräuleins Meineslebenslust, nebst der Liebesmühe und der Heimtücke der Witwe Geruhsam, und die Frau Kaiserin, so in den Schildknappen Hippolyt verliebt ist. Ich sag Euch in Wahrheit, Herr Gevatter, daß es in seiner Art das beste Buch der Welt ist. Hier wenigstens essen doch die Ritter und schlafen und sterben in ihrem Bette und machen Testamente vor ihrem Tode, nebst andern Dingen, deren alle übrigen Bücher dieser Sorte ermangeln. Trotz alledem, sage ich Euch, verdiente der Verfasser, da er absichtlich so große Albernheiten geschrieben, daß man ihn, wenn auch nicht wie die andern zum Feuertode, doch wenigstens für zeitlebens auf die Galeeren schicken sollte. Nehmt ihn fort nach Hause und leset ihn, und Ihr werdet sehen, daß alles, was ich Euch von ihm gesagt habe, Wahrheit ist.«

»So soll’s geschehen«, sagte der Barbier. »Aber was werden wir mit diesen kleinen Bänden anfangen, die noch übrig sind?«

»Diese«, versetzte der Pfarrer, »dürften nicht Ritterbücher, sondern Dichtwerke sein.«

Er schlug eines auf und sah, daß es Die Diana von Georg von Montemayor war, und sagte, in der Meinung, alle übrigen seien von derselben Art: »Diese verdienen nicht, verbrannt zu werden wie die andern; denn sie stiften nicht solchen Schaden und werden ihn nie stiften, wie ihn die Rittergeschichten angerichtet haben; sie sind Bücher von Verständnis und Einsicht, die keinem Dritten schaden können.«

»Ach, Herr Pfarrer«, versetzte die Nichte, »immerhin könnte Euer Gnaden sie verbrennen lassen wie die andern; denn es wäre nicht zu verwundern, daß meinen Oheim, wenn er von der Ritterkrankheit genesen, beim Lesen dieser Bücher die Lust ankäme, ein Schäfer zu werden und singend und musizierend durch die Wälder und Wiesen zu wandeln und, was noch schlimmer wäre, ein Dichter zu werden, was, wie die Leute sagen, eine unheilbare und ansteckende Krankheit sein soll.«

»Dieses Mädchen redet die Wahrheit«, sagte der Pfarrer, »und es wird gut sein, diese Gelegenheit und Veranlassung zum Straucheln unsrem Freunde vor den Füßen wegzuräumen. Und da wir mit der Diana Montemayors angefangen haben, so bin ich des Erachtens, daß man sie nicht verbrenne, sondern ihr alles wegschneide, was von der weisen Felicia und dem verzauberten Wasser handelt, sowie die meisten Verse in längeren Silbenmaßen, und es verbleibe ihm in Gottes Namen die Prosa und die Ehre, der erste in solcherlei Werken zu sein.«

»Dies folgende«, sagte der Barbier, »ist der zweite Teil der Diana, gewöhnlich Die zweite Diana von dem Salmantiner geheißen, und dieses ist ein andres, das denselben Titel trägt und dessen Verfasser Gil Polo ist.«

»So soll die des Dichters aus Salamanca«, antwortete der Pfarrer, »die Anzahl der zum Sturz in den Hof Verurteilten begleiten und vermehren, und die des Gil Polo soll aufbewahrt werden, als wenn sie von Apollo selbst wäre; und geht weiter, Herr Gevatter, denn es wird allgemach spät.«

»Dieses Buch«, sagte der Barbier, indem er ein anderes aufschlug, »heißt Die zehen Bücher von den Schicksalen der Liebe, verfaßt von Antonio de Lofraso, einem sardinischen Dichter.«

»Bei den Weihen, die ich empfangen«, versetzte der Pfarrer, »ich sag Euch, daß, seit Apollo Apollo ist und die Musen Musen und die Poeten Poeten, ein so unterhaltendes und närrisches Buch wie dies nicht geschrieben worden, und in seiner Weise ist es das beste und erlesenste von allen, die in dieser Dichtungsart ans Licht der Welt getreten sind; und wer es nicht gelesen hat, darf wohl glauben, daß er nie etwas Ergötzliches gelesen hat. Gebt mir es her, Gevatter, denn diesen Fund schätze ich höher, als wenn man mir einen Chorrock aus florentinischen Stücken geschenkt hätte.«

Er legte es mit absonderlichem Vergnügen beiseite, und der Barbier fuhr fort: »Diese folgenden sind Der Schäfer von Iberien, die Nymphen und Hirten des Henares und die Genesung von der Eifersucht

»Wohl, da ist nichts weiter zu tun«, sagte der Pfarrer, »als sie dem weltlichen Arm der Haushälterin zu übergeben, und man frage mich nicht nach dem Warum; denn das hieße, niemals zu Ende zu kommen.«

»Dieses, das jetzt kommt, ist Filidas Schäfer

»Der ist kein Schäfer«, sagte der Pfarrer, »sondern ein höchst geistreicher Hofmann; man hebe es auf als ein kostbares Juwel.«

»Dieses große, das hier kommt«, sagte der Barbier, »betitelt sich Schatz von Gedichten verschiedener Art

»Wenn ihrer nicht so viele wären«, bemerkte der Pfarrer, »würden sie in höherem Werte stehen; es wäre erforderlich, ihm das Unkraut auszujäten und es von einigen ordinären Sachen zu reinigen, die sich unter seinen großartigen Schönheiten finden. Es soll aufbewahrt werden, weil sein Verfasser mein Freund ist, und aus Rücksicht auf andere, bedeutsamere und erhabenere Werke, die er geschrieben.«

»Dieses ist«, fuhr der Barbier fort, » Das Liederbuch des Lopez Maldoñado

»Auch der Verfasser dieses Buches«, entgegnete der Pfarrer, »ist ein großer Freund von mir, und in seinem Munde setzen seine Verse jeden, der sie hört, in bewunderndes Erstaunen, und so süß ist die Lieblichkeit seiner Stimme, daß, was aus seiner Kehle klingt, tief in die Seele dringt. Er ist etwas weitschweifig in den Hirtengedichten, aber des Guten kann man nie zuviel bringen; hebt es bei den auserwählten auf. Aber was für ein Buch ist jenes, das danebensteht?«

»Die Galatea von Miguel de Cervantes«, sagte der Barbier.

»Viele Jahre ist es her, daß dieser Cervantes mir sehr befreundet ist, und ich weiß, daß er erfahrener ist im Leid als im Lied. Sein Buch hat einiges von guter Erfindung, legt einiges an und führt nichts durch. Man muß den zweiten Teil abwarten, den er verspricht; vielleicht wird er durch nachträgliche Besserung das milde Urteil völlig verdienen, das ihm jetzt versagt wird; und mittlerweile haltet ihn eingesperrt in Eurer Wohnung, Herr Gevatter!«

»Einverstanden«, antwortete der Barbier. »Und hier kommen drei miteinander: Die Araucana von Don Alonso de Ercilla, Die Austríada von Juan Rufo, dem Stadtrat zu Córdoba, und Der Monserrate von dem valencianischen Dichter Christóbal de Virués.«

»Alle diese drei Bücher«, sagte der Pfarrer, »sind die besten, die in achtzeiligen Stanzen in spanischer Sprache geschrieben sind, und können sich mit den berühmtesten Italiens messen; sie sollen aufbewahrt werden als die reichsten Pfänder der Dichtkunst, die Spanien besitzt.«

Der Pfarrer war es müde, noch länger Bücher anzusehen, und so verlangte er, alle übrigen sollten auf einen Schlag verbrannt werden; aber schon hatte der Barbier eines aufgeschlagen, welches den Titel trug: Die Tränen der Angelika.

»Tränen würde ich selber weinen«, sagte der Pfarrer, als er den Namen hörte, »wenn ich angeordnet hätte, ein solches Buch zu verbrennen; denn sein Verfasser war einer der berühmtesten Dichter auf Erden und war auch in der Übersetzung einiger Ovidischer Erzählungen sehr glücklich.«

7. Kapitel

Von der zweiten Ausfahrt unsres trefflichen Ritters Don Quijote von der Mancha

Wie man so weit war, begann Don Quijote mit lauter Stimme zu rufen: »Hier, hier, tapfere Ritter, hier ist’s not, die Kraft eurer tapfern Arme zu zeigen; denn die Ritter vom Hofe tragen das Beste im Turnier davon!«

Um zu diesem Lärmen und Toben herbeizueilen, wurde mit der Prüfung der noch übrigen Bücher nicht fortgefahren, und so, glaubt man, wanderten sonder Untersuchung und Gehör ins Feuer die Carolea, Leon der Löwe von Spanien nebst den Taten des Kaisers, die Don Luis de Avila geschrieben, welche ohne Zweifel unter den übrigen gewesen sein mußten; und vielleicht, wenn der Pfarrer sie gesehen, hätten sie nicht eine so strenge Verurteilung erlitten.

Als sie zu Don Quijote kamen, war er schon vom Bette aufgestanden und fuhr mit seinem Geschrei und seinem Unsinn fort, führte Stiche und Hiebe nach allen Seiten und war so wach, als ob er nie geschlafen hätte. Sie umfaßten ihn mit den Armen und brachten ihn mit Gewalt ins Bett zurück; und sobald er sich ein wenig beruhigt hatte, wandte er sich zu dem Pfarrer und sagte ihm: »Sicherlich, Herr Erzbischof Turpin, ist es eine große Schande für uns, die wir uns die zwölf Pairs nennen, so mir nichts, dir nichts die Ritter vom Hofe den Sieg in diesem Turniere davontragen zu lassen, da doch wir fahrenden Ritter den Preis an den drei vorhergehenden Tagen gewonnen haben.«

»Laßt gut sein, Herr Gevatter«, sagte der Pfarrer, »Gott wird es schon gefallen, daß das Glück sich wieder ändere und morgen gewonnen werde, was heute verlorengeht; und seid für jetzt auf Eure Gesundheit bedacht; denn es bedünkt mich, daß Ihr übermäßig müde sein müßt, wenn Ihr nicht etwa wund geschlagen seid.«

»Wund geschlagen nicht«, sprach Don Quijote, »aber zerprügelt und zerschlagen; denn jener Bankert von Roldán hat mich mit einem Eichenstamme gedroschen, und all das aus Neid, weil er sieht, daß ich allein seinen hochmütigen Taten entgegentrete. Allein ich würde nicht Rinald von Montalbán heißen, wenn er, sobald ich mich von diesem Bette erhebe, mir es nicht zahlen soll, trotz all seiner Zauberkünste. Aber für jetzt bringe man mir zu essen; denn das, weiß ich, tut mir am meisten not, und was meine Rache betrifft, das bleibe mir anheimgestellt.«

Sie taten also; sie gaben ihm zu essen, und er verfiel wieder in Schlaf und sie abermals in Verwunderung über seine Torheit.

Diese Nacht vertilgte die Haushälterin mit Feuer und Brand alle Bücher, soviel deren im Hofe und im ganzen Haus waren, und manche wohl mochten mit verbrennen, die verdienten, in unvergänglichen Archiven aufbewahrt zu werden; allein ihr Schicksal und die Trägheit des Untersuchungsrichters ließ es nicht zu, und so erfüllte sich an ihnen der Spruch, daß oftmals die Gerechten für die Sünder zahlen.

Eines der Mittel, welche der Pfarrer und der Barbier für jetzt gegen ihres Freundes Krankheit anwendeten, bestand darin, daß sie ihm das Gemach, wo die Bücher gestanden, vermauerten und mit einer Lehmwand verschlossen, damit er, wenn er wieder aufstünde, sie nicht mehr fände – weil vielleicht, wenn man die Ursache beseitigte, die Wirkung aufhören würde –, und sie wollten ihm sagen, ein Zauberer habe die Bücher und das Zimmer und alles auf und davon geführt. Und so ward es in großer Eile vollbracht.

Zwei Tage nachher stand Don Quijote auf, und das erste, was er tat, war, seinen Büchern einen Besuch zu machen, und da er das Gemach nicht fand, wo er es gelassen hatte, ging er von einer Stelle zur andern, es zu suchen. Er kam dahin, wo sonst die Türe war, und tastete nach ihr mit den Händen und drehte und verdrehte die Augen überallhin, ohne ein Wort zu sagen; nach einer guten Weile indessen fragte er seine Haushälterin, wohinaus denn das Gemach mit seinen Büchern liege.

Die Haushälterin, bereits wohlunterrichtet, was sie zu antworten habe, entgegnete ihm: »Was für ein Gemach oder was für ein Ding sonst sucht Euer Gnaden? Weder Gemach noch Bücher sind mehr in unserm Hause; denn all das hat der Teufel in eigner Person geholt.«

»Es war kein Teufel«, sagte die Nichte, »sondern ein Zauberer, der auf einer Wolke daherkam, die Nacht nach dem Tage, wo Euer Gnaden sich von hier entfernte; er kam auf einer Schlange geritten, stieg ab, ging ins Gemach hinein, und ich weiß nicht, was er darin tat; denn nach einer kurzen Weile flog er durchs Dach hinaus und ließ das Haus voll Rauch; und wie wir daran dachten, nachzusehen, was er getan, fanden wir kein Buch und kein Gemach mehr. Nur ist es mir und der Haushälterin noch sehr gut in Erinnerung, daß im Augenblick seines Abscheidens der böse Alte mit schallender Stimme rief, aus geheimer Feindschaft, die er gegen den Herrn dieser Bücher und dieses Gemaches hege, habe er in diesem Hause den Schaden angerichtet, den man nachher schon finden werde. Er sagte auch, er heiße ›Der weise Muñatón‹.«

»Fristón, wird er gesagt haben«, sprach Don Quijote.

»Ich weiß nicht«, entgegnete die Haushälterin, »ob er sich Fristón oder Frißschon nannte; ich weiß nur, daß sein Name auf on ausging.«

»So ist’s«, sagte Don Quijote; »denn der ist ein weiser Zauberer, ein großer Feind von mir, der deshalb böse Gesinnung gegen mich hegt, weil er durch seine Künste und Bücher erfahren hat, daß ich im Verlauf der Zeit mit einem Ritter im Zweikampf fechten soll, den er begünstigt, und daß ich ihn besiegen werde, ohne daß er es hindern kann; und darum müht er sich, mir alle Widerwärtigkeiten zuzufügen, die er vermag. Aber ich tue ihm zu wissen, daß er schwerlich dem widerstreben und entgehen kann, was der Himmel gefügt hat.«

»Wer zweifelt daran?« sagte die Nichte. »Aber wer treibt Euer Gnaden, Herr Ohm, in all diese Streithändel hinein? Ist’s nicht besser, friedlich in seinem Hause zu sitzen und nicht durch die Welt zu ziehen, um noch besser Brot als das beste zu suchen, ohne zu bedenken: Mancher zieht nach Wolle aus und kommt geschoren nach Haus.«

»O Nichte mein«, versetzte Don Quijote, »wie wenig Begriff hast du von solchen Dingen! Ehe man sich scheren soll, hab ich allen denen den Bart gerauft und ausgerissen, denen es einfallen könnte, mir an eines einzigen Haares Spitze zu rühren.«

Sie wollten ihm nichts weiter entgegnen, weil sie sahen, daß sein Zorn aufzulodern begann.

Es geschah nun, daß er vierzehn Tage ganz ruhig zu Hause blieb, ohne irgendein Anzeichen zu geben, daß er mit seinen früheren Torheiten fortfahren wolle. In diesen Tagen führte er mit seinen beiden Gevattern, dem Pfarrer und dem Barbier, die ergötzlichsten Gespräche über seine Behauptung: wessen die Welt am meisten bedürfe, das seien die fahrenden Ritter, und in ihm werde das fahrende Rittertum wiederaufstehen. Der Pfarrer widersprach ihm ein paarmal, ein andermal stimmte er ihm zu, denn wenn er diesen Kunstgriff nicht anwendete, war es nicht möglich, mit ihm fertigzuwerden.

Während dieser Zeit suchte Don Quijote einen Ackersmann, seinen Ortsnachbar, zu gewinnen, einen guten Kerl – wenn man den gut nennen kann, dem es am Besten fehlt –, der aber sehr wenig Grütze im Kopf hatte. Und schließlich sagte er ihm so viel, redete ihm so viel ein und versprach ihm so viel, daß der arme Bauer sich entschloß, mit ihm von dannen zu ziehen und ihm als Schildknappe zu dienen.

Unter anderem sagte ihm Don Quijote, er solle sich nur frohen Mutes anschicken, mit ihm zu ziehen; denn vielleicht könnte ihm ein solch Abenteuer aufstoßen, daß er im Handumdrehen irgendwelche Insul gewänne und ihn als deren Statthalter einsetzte. Auf diese und andre solche Versprechungen hin verließ Sancho Pansa – denn so hieß der Bauer – Weib und Kind und trat in seines Nachbarn Dienst als Knappe.

Sogleich traf Don Quijote Anstalt, Geld aufzutreiben, und indem er einen Acker verkaufte und einen andren verpfändete und dabei alles verschleuderte, brachte er eine ziemliche Summe zusammen. Desgleichen versah er sich mit einem Rundschilde, den er sich von einem Freunde leihen ließ, und nachdem er seinen zerschlagenen Helm, so gut er konnte, hergerichtet, benachrichtigte er seinen Knappen Sancho von Tag und Stunde, wo er sich auf den Weg zu begeben gedachte, damit auch er sich mit allem versehe, was er am meisten zu bedürfen dächte; vor allem aber gab er ihm den Auftrag, einen Zwerchsack mitzunehmen. Sancho erwiderte, er würde allerdings einen solchen bei sich führen, und ebenso gedenke er auch einen Esel mitzunehmen, da er einen sehr guten habe; denn er für sein Teil sei nicht gewohnt, viel zu Fuße zu gehen.

In betreff des Esels hatte Don Quijote einiges Bedenken und überlegte hin und her, ob er sich irgendeines fahrenden Ritters entsinnen könne, der einen Schildknappen eselhaft beritten bei sich gehabt hätte; aber es kam ihm keiner in den Sinn. Jedoch trotz alledem entschied er sich dafür, daß Sancho ihn mitnehmen solle; nur nahm er sich vor, ihn mit einer ehrbaren Reitgelegenheit zu versehen, sobald die Möglichkeit sich böte, dem ersten ungebärdigen Ritter, auf den er stieße, das Pferd abzunehmen. Er versah sich auch mit Hemden und mit den andern Dingen, soviel ihm möglich, gemäß dem Rate, den der Wirt ihm gegeben.

Als all dies getan und zu Ende geführt war, zogen beide – Sancho Pansa, ohne von Kindern und Weib, Don Quijote, ohne von Haushälterin und Nichte Abschied zu nehmen – eines Nachts aus dem Dorfe von dannen, ohne daß jemand sie sah, und in dieser Nacht legten sie so viel Weges zurück, daß sie beim Morgengrauen sich für sicher hielten, man würde sie nicht finden, selbst wenn man auf die Suche nach ihnen ginge. Sancho Pansa zog auf seinem Esel einher wie ein Patriarch, mit seinem Zwerchsack und seiner Lederflasche und mit großem Sehnen, sich schon als Statthalter der Insul zu sehen, die sein Herr ihm versprochen hatte.

Don Quijote nahm zufällig dieselbe Richtung und Straße, die er bei seiner ersten Fahrt genommen, nämlich über das Gefilde von Montiel, das er mit minderer Beschwer als das vorige Mal durchzog, da es die Morgenstunde war und die Sonnenstrahlen sie nur schräg trafen, so daß sie von diesen nicht sehr belästigt wurden.

Hier nun sagte Sancho Pansa zu seinem Herrn: »Gnädiger Junker, fahrender Herr Ritter, sehet wohl zu, daß Euch nicht in Vergessenheit gerate, was Ihr mir von wegen der Insul versprochen habt; denn ich will schon verstehen, sie zu regieren, wie groß sie auch immer sein mag.«

Darauf erwiderte ihm Don Quijote: »Du mußt wissen, Freund Sancho, daß es ein vielfach betätigter Brauch der alten fahrenden Ritter war, ihre Knappen zu Statthaltern der Insuln oder Königreiche zu machen, die sie gewannen, und ich habe mir vorgenommen, daß durch mich ein so preisenswürdiges Herkommen nicht in Abgang geraten soll; vielmehr gedenke ich in demselben noch viel weiter zu gehen. Denn jene haben in manchen Fällen, und vielleicht in den meisten, gewartet, bis ihre Knappen alt geworden, und nachdem sie schon müde waren, zu dienen und schlimme Tage und schlimmere Nächte zu ertragen, so verliehen sie ihnen ein Amt als Graf oder wenigstens als Markgraf über irgendein Tal oder einen Gau von größerer oder geringerer Bedeutung. Allein wenn du leben bleibst und ich leben bleibe, könnte es wohl geschehen, daß, ehe ein halb Dutzend Tage um sind, ich ein großes Königreich gewänne, zu dem noch ein paar andre als Nebenländer gehörten, und die kämen gerade zupaß, um dich zum König über eines derselben zu krönen. Und das brauchst du nicht für etwas Besonderes zu halten; denn es begegnen den besagten Rittern Vorfälle und Zufälle auf so unerhörte und ungeahnte Weise, daß ich mit Leichtigkeit dir sogar noch mehr geben könnte, als ich dir verspreche.«

»Auf diese Art«, entgegnete Sancho Pansa, »wenn ich durch eines der Wunder, wie sie Euer Gnaden erwähnt, König würde, dann brächte es Johanna Gutiérrez, meine Hausehre, mindestenfalls zur Königin und meine Kinder zu Prinzen?«

»Wer zweifelt daran?« antwortete Don Quijote.

»Ich zweifle daran«, versetzte Sancho Pansa, »weil, ich habe so die Meinung, daß, wenn Gott auch Königreiche herabregnen ließe, doch keines auf den Kopf einer Gutiérrez passen würde. Wisset, Euer Gnaden, zur Königin ist sie keine zwei Pfennige wert; Gräfin stünde ihr schon besser, und selbst da müßte der liebe Himmel und guter Menschen Beistand das Beste tun.«

»Befiehl das unserem Herrgott, Sancho«, erwiderte Don Quijote. »Er wird ihr schon geben, was ihr am zuträglichsten ist. Aber werde du nicht so kleinmütig, daß du dich am Ende gar mit wenigerem begnügst, als Landvogt zu werden.«

»Das werde ich nicht tun, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »zumal ich in Euer Gnaden einen so hochgestellten Herrn habe, der in seiner Einsicht schon wissen wird, mir all das zu geben, was gut ist und was ich tragen kann.«

8. Kapitel

Von dem glücklichen Erfolg, den der mannhafte Don Quijote bei dem erschrecklichen und nie erhörten Kampf mit den Windmühlen davontrug, nebst andern Begebnissen, die eines ewigen Gedenkens würdig sind

Indem bekamen sie dreißig oder vierzig Windmühlen zu Gesicht, wie sie in dieser Gegend sich finden; und sobald Don Quijote sie erblickte, sprach er zu seinem Knappen: »Jetzt leitet das Glück unsere Angelegenheiten besser, als wir es nur immer zu wünschen vermöchten; denn dort siehst du, Freund Pansa, wie dreißig Riesen oder noch etliche mehr zum Vorschein kommen; mit denen denke ich einen Kampf zu fechten und ihnen allen das Leben zu nehmen. Mit ihrer Beute machen wir den Anfang, uns zu bereichern; denn das ist ein redlicher Krieg, und es geschieht Gott ein großer Dienst damit, so böses Gezücht vom Angesicht der Erde wegzufegen.«

»Was für Riesen?« versetzte Sancho Pansa.

»Jene, die du dort siehst«, antwortete sein Herr, »die mit den langen Armen, die bei manchen wohl an die zwei Meilen lang sind.«

»Bedenket doch, Herr Ritter«, entgegnete Sancho, »die dort sich zeigen, sind keine Riesen, sondern Windmühlen, und was Euch bei ihnen wie Arme vorkommt, das sind die Flügel, die, vom Winde umgetrieben, den Mühlstein in Bewegung setzen.«

»Wohl ist’s ersichtlich«, versetzte Don Quijote, »daß du in Sachen der Abenteuer nicht kundig bist; es sind Riesen, und wenn du Furcht hast, mach dich fort von hier und verrichte dein Gebet, während ich zu einem grimmen und ungleichen Kampf mit ihnen schreite.«

Und dies sagend, gab er seinem Gaul Rosinante die Sporen, ohne auf die Worte zu achten, die ihm sein Knappe Sancho warnend zuschrie, es seien ohne allen Zweifel Windmühlen und nicht Riesen, die er angreifen wolle. Aber er war so fest davon überzeugt, es seien Riesen, daß er weder den Zuruf seines Knappen Sancho hörte noch selbst erkannte, was sie seien – obwohl er schon sehr nahe war –, vielmehr rief er mit lauter Stimme: »Fliehet nicht, feige niederträchtige Geschöpfe; denn ein Ritter allein ist es, der euch angreift.«

Indem erhub sich ein leiser Wind, und die langen Flügel fingen an, sich zu bewegen. Sobald Don Quijote dies sah, sprach er: »Wohl, ob ihr auch mehr Arme als die des Riesen Briareus bewegtet, ihr sollt mir’s doch bezahlen.«

Und dies ausrufend und sich von ganzem Herzen seiner Herrin Dulcinea befehlend und sie bittend, ihm in so entscheidendem Augenblicke beizustehen, wohl gedeckt mit seinem Schilde, mit eingelegtem Speer, sprengte er an im vollsten Galopp Rosinantes und griff die erste Mühle vor ihm an; aber als er ihr einen Lanzenstoß auf den Flügel gab, drehte der Wind diesen mit solcher Gewalt herum, daß er den Speer in Stücke brach und Roß und Reiter mit sich fortriß, so daß sie gar übel zugerichtet übers Feld hinkugelten.

Sancho Pansa eilte im raschesten Trott seines Esels seinem Herrn beizustehen, und als er herzukam, fand er, daß Don Quijote sich nicht regen konnte, so gewaltig war der Stoß, mit dem Rosinante ihn niedergeworfen. »So helf mir Gott!« sprach Sancho, »hab ich’s Euer Gnaden nicht gesagt, Ihr möchtet wohl bedenken, was Ihr tuet, es seien nur Windmühlen, und das könne nur der verkennen, der selbst Windmühlen im Kopf habe?«

»Schweig, Sancho«, antwortete Don Quijote. »Denn die Dinge des Krieges, mehr als andere, sind fortwährendem Wechsel unterworfen; zumal ich meine, und gewiß verhält sich’s so, daß jener weise Fristón, der mir das Zimmer und die Bücher entführte, diese Riesen in Windmühlen verwandelt hat, um mir den Ruhm ihrer Besiegung zu entziehen; solche Feindseligkeit hegt er gegen mich. Aber am Ende, am Ende werden seine bösen Künste wenig vermögen gegen die Macht meines Schwertes.«

»Gott füge das so, er vermag’s«, entgegnete Sancho Pansa und half ihm, sich zu erheben; und der Ritter stieg wieder auf seinen Rosinante, der nahezu buglahm war.

Unter Gesprächen über das stattgehabte Abenteuer zogen sie nun des Weges weiter nach dem Gebirgspaß Lápice; denn dort, sagte Don Quijote, müßten sich, es sei nicht anders möglich, viele und mannigfache Abenteuer finden, weil es eine vielbegangene Örtlichkeit sei. Nur war er sehr betrübt, weil ihm der Speer zersplittert war; und seinem Knappen dies klagend, sprach er zu ihm: »Ich erinnere mich, gelesen zu haben, daß ein spanischer Ritter namens Diego Pérez de Vargas, als ihm in einer Schlacht das Schwert zerbrach, von einer Eiche einen gewichtigen Ast oder Stumpf losbrach und damit solcherlei Taten an jenem Tag verrichtete und damit auf so viele Mohren klopfte, daß ihm davon die Bezeichnung Machuca (Klopfedrauf) als Zuname blieb, und so nannte er wie seine Nachkommen sich von jenem Tage fürderhin Vargas y Machuca. Dies hab ich dir darum gesagt, weil ich beabsichtige, von der ersten Stechpalme oder Eiche, die sich mir darbeut, auch einen solchen und ebenso tüchtigen Ast abzureißen, und ich meine und gedenke, mit ihm solche Großtaten zu tun, daß du dich für hochbeglückt halten sollst, ihres Anblicks würdig erachtet und Zeuge von Dingen geworden zu sein, die kaum glaublich erscheinen.«

»Das gebe Gott«, sprach Sancho, »ich glaube alles, so wie Euer Gnaden es sagt; aber richtet Euch doch ein wenig gerade auf, denn mich dünkt, Ihr hängt nach einer Seite herüber, und das muß von der Quetschung beim Sturze sein.«

»So ist’s wirklich«, antwortete Don Quijote; »und wenn ich ob des Schmerzes nicht wehklage, so ist es darum, weil es den fahrenden Rittern nicht vergönnt ist, ob irgendwelcher Wunde zu wehklagen, selbst wenn die Eingeweide aus ihr heraushängen sollten.«

»Wenn es so ist, so habe ich nichts zu erwidern«, entgegnete Sancho, »aber Gott weiß, ob ich mich freuen würde, wenn Euer Gnaden wehklagen wollte, wenn Euch etwas weh tut. Von mir kann ich versichern, ich werde über den kleinsten Schmerz, den ich fühlen mag, jammern, wenn nicht etwa der Punkt wegen des Nichtwehklagens sich auch von den Schildknappen der fahrenden Ritter versteht.«

Don Quijote konnte nicht umhin, über die Einfalt seines Schildknappen zu lachen, und so erklärte er ihm, er dürfe allerdings wehklagen, wie und wann er möge, wider Willen oder mit Willen; denn bis jetzt habe er nichts dagegen in den Ordnungen des Rittertums gelesen.

Sancho sagte ihm nun, er möge bedenken, daß es Essenszeit sei.

Sein Herr antwortete ihm, für jetzt tue das ihm selbst nicht not; er aber möchte essen, wann es ihn gelüste.

Auf diese Erlaubnis hin setzte sich Sancho, so gut er konnte, auf seinem Esel zurecht, nahm aus dem Zwerchsack, was er darein getan, und zog reitend und essend hinter seinem Herrn gar langsam einher und setzte von Zeit zu Zeit die Lederflasche mit so großem Wohlbehagen an den Mund, daß ihn der größte Feinschmecker unter den Schenkwirten von Malaga hätte beneiden mögen. Und während er solchergestalt hinzog und einen Schluck nach dem andern tat, kam ihm nichts von allem in den Sinn, was ihm sein Herr nur immer versprochen haben mochte, und er hielt es nicht für Mühsal, sondern für große Ergötzlichkeit, auf die Suche nach Abenteuern zu gehen, so gefahrvoll sie auch wären.

Schließlich verbrachten sie die Nacht unter Bäumen, und von einem derselben brach Don Quijote einen trockenen Ast ab, der ihm zur Not als Speer dienen konnte, und befestigte daran die Eisenspitze, die er von dem Schaft, der ihm in Stücke gegangen, löste.

Diese ganze Nacht schlief Don Quijote nicht und dachte an seine Herrin Dulcinea, um sich nach dem zu richten, was er in seinen Büchern gelesen, wo die Ritter viele Nächte schlaflos in Wäldern und Einöden zubrachten, mit Erinnerungen an ihre Gebieterinnen sich unterhaltend.

Nicht so verbrachte sie Sancho Pansa; denn da sein Magen voll war, und nicht mit Zichorienwasser, durchschlief er die ganze Nacht in einem Zuge, und wenn sein Herr ihn nicht gerufen hätte, wären die Sonnenstrahlen, die ihn ins Gesicht trafen, nicht imstande gewesen, ihn aufzuwecken, ebensowenig wie der Gesang der Vögel, die zahlreich und gar fröhlich die Ankunft des neuen Tages begrüßten. Beim Aufstehen machte er seiner Lederflasche einen Besuch und fand sie etwas schlaffer als den Abend vorher, und es ward ihm das Herz schwer, weil es ihn bedünkte, daß sie nicht einen solchen Weg einschlugen, wo diesem Mangel bald wieder abzuhelfen wäre.

Don Quijote wollte kein Frühstück zu sich nehmen, weil er, wie gesagt, des Sinnes war, sich mit süßen Erinnerungen zu nähren. Sie wandten sich wieder auf den bereits eingeschlagenen Weg nach dem Passe Lápice, und sie erblickten ihn ungefähr um die dritte Stunde des Mittags. »Hier«, sprach Don Quijote, als er seiner ansichtig wurde, »hier können wir die Hände bis an den Ellenbogen in das stecken, was man Abenteuer nennt. Allein beachte wohl, daß du, wenn du mich in den größten Fährlichkeiten erblicken solltest, nicht Hand an dein Schwert legen darfst, um mich zu verteidigen, falls du nicht etwa siehst, daß, die mich angreifen, Pöbel und niederes Gesindel sind; denn in solchem Fall darfst du wohl mir zu Hilfe kommen. Jedoch wenn es Ritter sind, so ist es dir in keiner Weise statthaft noch durch die Gesetze des Rittertums vergönnt, mir beizustehen, bis du zum Ritter geschlagen bist.«

»Sicherlich, Señor«, erwiderte Sancho, »soll Euch hierin völlig gehorsamt werden, um so mehr, als ich von mir aus friedfertig bin und die größte Abneigung habe, mich in Händel und Streitigkeiten zu mischen. Zwar wenn es sich einmal darum handelt, mich zu verteidigen, da werd ich nicht viel Rücksicht auf diese Gesetze nehmen, da göttliche und menschliche Gesetze erlauben, daß jeder sich gegen den wehre, der ihm etwas zuleide tun will.«

»Dagegen sage ich nichts«, antwortete Don Quijote; »aber mir gegen Ritter beizustehen, in diesem Betreff mußt du deinen natürlichen Ungestüm in Schranken halten.«

»Ich erkläre förmlich, daß ich so tun werde«, erwiderte Sancho, »und daß ich diese Vorschrift so heilig halten will wie den Sonntag.«

Als sie mitten in diesem Gespräche waren, ließen sich von fern auf der Straße zwei Brüder vom Benediktinerorden sehen; sie ritten auf Dromedaren, denn nicht kleiner als solche waren die beiden Maultiere, auf denen sie einherzogen. Sie trugen Reisebrillen und Sonnenschirme. Hinter ihnen kam eine Kutsche, begleitet von vier oder fünf Leuten zu Pferd und zwei Maultierjungen zu Fuß. In der Kutsche saß, wie man später erfuhr, eine Dame aus Biscaya; sie reiste nach Sevilla, wo sich ihr Mann befand, der in einem höchst ehrenvollen Amte nach Indien ging. Die Mönche reisten nicht mit ihr, obwohl sie desselben Weges zogen. Und kaum erblickte sie Don Quijote, als er seinem Knappen sagte: »Entweder ich täusche mich sehr, oder dies wird das prächtigste Abenteuer, das man je gesehen; denn diese schwarzen Gestalten, welche sich dort zeigen, müssen Zauberer sein, ja sind es ohne Zweifel, die eine geraubte Prinzessin in dieser Kutsche fortführen, und es tut not, mit all meinen Kräften dieser Ungebühr zu steuern.«

»Das wird schlimmer als die Windmühlen«, sagte Sancho; »bedenket, Señor, daß es Mönche vom Orden des heiligen Benedikt sind, und die Kutsche enthält jedenfalls nur Reisende. Bedenket, ich sage, bedenket ernstlich, was Ihr tut, damit der Teufel Euch nicht berücke.«

»Ich habe dir schon gesagt«, antwortete Don Quijote, »daß du im Punkte der Abenteuer nicht viel verstehst; was ich sage, ist wahr, und gleich sollst du es sehen.«

Und dies sagend, ritt er vorwärts und hielt mitten auf dem Wege, den die Mönche einherzogen; und als sie so nahe waren, daß es ihn bedünkte, sie könnten hören, was er ihnen zu sagen habe, sprach er mit lauter Stimme: »Teuflisches, ungeschlachtes Volk, gleich auf der Stelle laßt die hohen Prinzessinnen frei, die ihr in dieser Kutsche bewältigt von dannen führt; wo nicht, so bereitet euch, augenblicklichen Tod zu empfangen, zur gerechten Strafe eurer bösen Taten.«

Die Mönche hielten die Zügel an und waren hoch erstaunt sowohl über die Gestalt Don Quijotes als auch über seine Reden, und sie antworteten: »Herr Ritter, wir sind weder teuflisch noch ungeschlacht, sondern zwei Geistliche vom Benediktinerorden, die ihres Weges ziehen und nicht wissen, ob oder ob nicht in dieser Kutsche bewältigte Prinzessinnen fahren.«

»Mit guten Worten kommt man mir nicht an; denn ich kenn euch schon, verlogenes Gesindel«, sprach Don Quijote, und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, spornte er den Rosinante und sprengte mit gesenktem Speer gegen den nächsten Mönch an, mit solcher Wut und Tapferkeit, daß der Mönch, hätte er sich nicht vom Maultier herabgleiten lassen, unfreiwillig zu Boden geschleudert, ja schwer verwundet, wenn nicht gar tot hingestürzt wäre. Als der zweite Klosterbruder sah, in welcher Art man seinen Gefährten behandelte, drückte er seinem guten Maultier die Beine wider den mächtigen Leib und begann leichter als der Wind über das Gefilde hinzutraben.

Wie Sancho Pansa den Mönch am Boden liegen sah, stieg er behende von seinem Esel, stürzte auf ihn los und begann ihm die Kleider abzuziehen. Indem kamen die zwei Maultierjungen herbei und fragten ihn, warum er den Mönch entkleide. Sancho antwortete, das komme ihm von Rechts wegen zu, als Beute des Kampfes, den sein Herr Don Quijote siegreich bestanden habe. Die Jungen, die keinen Spaß verstanden und von Beute und Kampf keinen Begriff hatten, warfen sich auf Sancho, dieweil sie sahen, daß Don Quijote sich bereits von dort weggewendet, um mit den Leuten in der Kutsche zu reden; sie rissen ihn zu Boden, rauften ihm den Bart, daß ihm kein Haar darin blieb, zerdroschen ihn mit Fußtritten und ließen ihn ohne Atem und Besinnung am Boden hingestreckt liegen.

Ohne einen Augenblick zu verziehen, stieg der Mönch wieder auf, voller Angst und Entsetzen und ohne einen Blutstropfen im Gesichte; und sobald er im Sattel saß, ritt er eiligst seinem Gefährten nach, der ein gutes Stück von da beobachtend hielt und zusah, welchen Ausgang die Schreckensgeschichte nehmen würde; und ohne das gänzliche Ende dieses Begebnisses abwarten zu wollen, ritten sie ihres Weges weiter und schlugen mehr Kreuze, als wenn sie den Teufel im Nacken gehabt hätten.

Don Quijote war derweilen, wie schon bemerkt, im Gespräch mit der Herrin des Wagens und sagte ihr: »Euere Huldseligkeit, Herrin mein, mag mit Eurem Selbst schalten, wie es Euch am ehesten zu Sinn kommen mag; denn allbereits liegt der Übermut Eurer Entführer am Boden, niedergeschmettert durch diesen meinen starken Arm. Und damit Ihr Euch nicht in Sehnsucht quält, den Namen Eures Befreiers zu erfahren, wisset, ich nenne mich Don Quijote von der Mancha, bin ein fahrender Ritter und Gefangener der unvergleichlichen und huldseligsten Doña Dulcinea von Toboso. Und zum Entgelt für die Guttat, so Ihr von mir empfangen habt, begehr ich nichts andres, denn daß Ihr Euch zurück nach Toboso wendet und Euch von meinethalben dieser hohen Frau stellet und ihr verkündet, was ich für Eure Befreiung vollbracht.«

Alles, was Don Quijote sagte, vernahm ein Kammerjunker in Diensten der Dame, einer von denen, die die Kutsche geleiteten; es war ein Biskayer. Als dieser sah, daß der Ritter die Kutsche nicht vorüberlassen wollte, sondern verlangte, sie solle sogleich die Umkehr nach Toboso nehmen, ritt er auf Don Quijote zu, und ihn am Speer fassend, sprach er in schlechtem Kastilianisch und noch schlechterem Biskayisch: »Fort, Ritter, fort mit dem Gottseibeiuns; bei dem Gott, der mich geschafft, wenn du nicht lassen Kutsche, ich bring um dir, wo wahr ist allhie Biskayer.«

Don Quijote verstand ihn ganz gut und antwortete ihm mit großer Gelassenheit: »Wenn du ein Edelmann und Ritter wärest, wie du es nicht bist, so hätte ich dich bereits für deine Torheit und Vermessenheit bestraft, elendes Geschöpf!«

Darauf entgegnete der Biskayer: »Ich nicht Edelmann? Schwör ich zu Gott, lügst so arg wie Christ; wenn wegwirfst Speer und ziehest Schwert, wirst sehen bald, wie Bach durch Katze schleifst; Biskayer zu See, Edelmann zu Land, Edelmann in Namen Teufels, und lügst du, wenn sagen anderes.«

Don Quijote antwortete: »Das sollt Ihr zur Stunde ersehen, sagte Agrages«, und den Speer zu Boden werfend, zog er sein Schwert, faßte seinen Schild in den Arm und drang auf den Biskayer ein, entschlossen, ihm das Leben zu nehmen.

Als der Biskayer ihn so auf sich zukommen sah, wäre er gern von seinem Maulesel herabgesprungen, auf welches als einen jener schlechten Mietklepper kein Verlaß war; doch konnte er in der Eile nichts anderes tun, als sein Schwert zu ziehen. Indessen geriet es ihm zum Glück, daß er gerade dicht neben der Kutsche hielt, so daß er aus ihr ein Kissen nehmen konnte, das ihm zum Schilde diente, und alsbald stürzten beide aufeinander los, als ob sie Todfeinde wären. Die andern hätten gern Frieden zwischen ihnen gestiftet; allein sie vermochten es nicht, denn der Biskayer sagte in seiner schlecht zusammengeflickten Redeweise, wenn sie ihn seinen Kampf nicht beenden ließen, würde er selber seine Gebieterin umbringen, samt allen, die ihn daran hindern wollten.

Die Dame im Wagen, verwundert und ängstlich ob der Dinge, die sie sah, winkte dem Kutscher, er solle ein wenig zur Seite fahren, und schaute von weitem dem heißen Kampfe zu, in dessen Verlauf der Biskayer dem Ritter eine so gewaltige Quart über den Schild hinüber auf das Schulterblatt schlug, daß sie ihn, ohne den Schutz seiner Wehr, bis zum Gürtel gespalten hätte.

Don Quijote, der die schmerzliche Wucht dieses ungeheuren Streiches fühlte, erhub einen mächtigen Aufschrei und rief: »O Herrin meiner Seele, Dulcinea, Blume der Huldseligkeit und Schönheit, stehet diesem Eurem Ritter bei, der, um Eurer großen Fürtrefflichkeit eine Genüge zu tun, sich in diesen harten Nöten befindet.«

Dies sagen und das Schwert fest fassen, sich mit seinem Schilde wohl decken und auf den Biskayer anstürmen, das alles geschah in einem Augenblick, da er ernstlich vorhatte, alles auf einen einzigen Streich zu setzen. Der Biskayer, der ihn so auf sich eindringen sah, erkannte aus seiner kühnen Haltung seinen ingrimmigen Sinn und nahm sich vor, gleiche Tapferkeit zu zeigen wie Don Quijote; und so erwartete er ihn, mit seinem Kissen wohlgedeckt, ohne sein Maultier nach der einen oder anderen Seite hin wenden zu können, da es vor lauter Müdigkeit, und weil solcher Narreteien ungewohnt, nicht einen Schritt zu tun imstande war.

Es drang also, wie gesagt, Don Quijote auf den vorsichtigen Biskayer ein, mit hochgeschwungenem Schwert, entschlossen, ihn mitten auseinanderzuhauen, und der Biskayer erwartete ihn ebenso, das Schwert gehoben und mit seinem Kissen umpolstert, und alle ringsumher waren bang und gespannt, was sich aus den so mächtigen Streichen ergeben sollte, mit denen sie einander bedrohten; und die Dame in der Kutsche und ihre Dienerinnen taten tausend Gelübde und Verheißungen zu allen Heiligenbildern und Andachtsstätten in ganz Spanien, auf daß Gott ihren Kammerjunker und sie selbst von dieser so großen Gefahr befreie.

Es ist jammerschade, daß gerade bei dieser Stelle und Sachlage der Verfasser unserer Geschichte den Kampf in der Schwebe läßt, indem er sich damit entschuldigt, er habe von den Heldentaten Don Quijotes nicht mehr geschrieben gefunden, als bis hierher erzählt sei. Indessen hat der zweite Verfasser dieses Buches nicht glauben mögen, daß eine so interessante Geschichte ins Reich der Vergessenheit versinken könnte und daß die Literaten in der Mancha so wenig forschbegierig gewesen wären, daß sie nicht irgendwelche Papiere, die von diesem preisenswürdigen Ritter handelten, in ihren Archiven oder Schreibpulten aufbewahrt haben sollten; und in dieser Voraussetzung verzweifelte er nicht daran, das Ende dieser anziehenden Geschichte aufzufinden. Und da ihm der Himmel gnädig war, fand er dasselbe wirklich auf die Weise, wie im folgenden Kapitel erzählt werden soll.

9. Kapitel

Worin der erschreckliche Kampf zwischen dem tapferen Biskayer und dem mannhaften Manchaner beschlossen und beendet wird

Im ersten Teil dieser Geschichte verließen wir den mutigen Biskayer und den preiswürdigen Don Quijote, die blanken Schwerter hochgeschwungen, wie eben jeder von ihnen einen wütigen Hieb hoch herab führen wollte, so gewaltig, daß, wenn er voll gesessen hätte, beide von oben bis unten zerteilt und zerspalten und wie ein Granatapfel auseinandergeschnitten worden wären. Und in diesem Augenblick, wo der Ausgang so ungewiß war, hörte die anmutige Geschichte auf und blieb ein Bruchstück, ohne daß ihr Verfasser uns Nachricht gegeben, wo das Mangelnde zu finden wäre.

Dies verursachte mir großen Unmut, und das Vergnügen über das wenige, das ich gelesen hatte, verwandelte sich in Mißvergnügen, wenn ich an den schwierigen Weg dachte, all das viele aufzufinden, das meines Bedünkens an der so reizenden Erzählung fehlte. Es schien mir unmöglich und wider jedes gute Herkommen, daß ein so trefflicher Ritter irgendeines weisen Zauberers ermangeln sollte, der es auf sich genommen hätte, seine nie erhörten Großtaten niederzuschreiben; Dinge, an denen es doch keinem gefehlt hat von den fahrenden Rittern,

die, wie die Leute sagen,
hinausziehn auf ihre Abenteuer.

Denn jeder von ihnen hatte einen oder zwei Zauberer oder weise Männer, wie sie zur Sache paßten, die nicht nur seine Handlungen aufschrieben, sondern auch seine geringsten Gedanken und Kindereien schilderten, so geheim sie auch waren; und ein so trefflicher Ritter konnte unmöglich so unglücklich sein, daß ihm fehlte, was Platir und andere seinesgleichen im Übermaß hatten. Und so konnte ich mich nicht dem Glauben zuwenden, daß eine so herrliche Geschichte unvollständig und verstümmelt geblieben, und ich warf die Schuld auf die Tücke der alles verschlingenden und aufzehrenden Zeit, die das Buch verborgen halte oder vernichtet habe. Anderseits bedünkte es mich, da unter seinen Büchern sich so neue gefunden wie die Genesung von der Eifersucht und Die Nymphen und Hirten des Henares, so müsse auch seine Geschichte aus neuerer Zeit sein und sich, auch wenn sie nicht niedergeschrieben wäre, in der Erinnerung der Leute aus seinem Dorf und der Nachbarschaft erhalten haben.

Dieser Gedanke brachte mich ganz durcheinander und machte mich um so begieriger, das ganze Leben und die Wunderwerke unsers preisenswerten Spaniers Don Quijote von der Mancha wahr und wahrhaftig zu erfahren, jenes Lichtes und Spiegels der Manchaner Ritterschaft, des ersten, der in unsern Tagen und in diesen so unglückseligen Zeiten die Last und Mühsal der Waffen des fahrenden Rittertums und des Berufes auf sich nahm, alle Ungebühr abzustellen, Witwen beizustehen, auch Jungfrauen zu schirmen von der Klasse derer, die mit der Reitpeitsche, auf ihren Zeltern, mit ihrer ganzen Jungfräulichkeit beladen, von Berg zu Berg und von Tal zu Tal zogen. Denn wenn nicht etwa ein schuftiger Lümmel oder ein gemeiner Kerl mit Axt und Eisenhut oder ein ungeschlachter Riese ihr Gewalt antat, so gab’s in vergangenen Tagen manche Jungfrau, die nach Verfluß von achtzig Jahren, während welcher langen, langen Zeit sie nicht ein einzigmal unter Dach geschlafen, so völlig unberührt zu Grabe ging wie die Mutter, die sie geboren.

Ich sage also, mit Rücksicht auf dieses und viel andres ist unser herrlicher Don Quijote immerwährender und im Gedächtnis aufzubewahrender Lobpreisungen würdig, und solche darf man auch mir nicht versagen für die Mühe und Sorgfalt, die ich daran setzte, das Ende dieser ergötzlichen Geschichte aufzufinden. Freilich weiß ich wohl, wenn der Himmel, der Zufall und das Glück mir nicht beigestanden hätten, so würde jetzt die Welt alles Vergnügens und Zeitvertreibs verlustig gehn, das jeder, der sie mit Aufmerksamkeit lesen wird, während einiger Stunden genießen kann.

Mit dem Auffinden der Geschichte ging’s aber folgendermaßen zu: Als ich mich eines Tages auf dem Alcaná in Toledo befand, kam ein Junge herzu und wollte einem Seidenhändler etliche geschriebene Hefte und alte Papiere verkaufen; und da es meine Liebhaberei ist, alles zu lesen, wären es auch nur Papierschnitzel von der Gasse, ließ ich mich von dieser angeborenen Neigung hinreißen, eines von den Heften zu nehmen, die der Junge verkaufen wollte, und sah, daß es arabische Schrift war, die ich zwar kannte, aber nicht zu lesen imstande war. Ich sah mich um, ob einer von jenen ein schlechtes Spanisch redenden Morisken in der Nähe wäre, damit er sie mir vorläse, und es hielt nicht schwer, hierfür einen Dolmetsch auf zu treiben; denn wenn ich mir solchen auch für eine bessere und ältere Sprache gesucht hätte, würde ich ihn ebenfalls dort gefunden haben. Kurz, der Zufall führte mir einen zu, und als ich ihm meinen Wunsch mitgeteilt und ihm das Buch in die Hand gegeben, schlug er es in der Mitte auf, und kaum hatte er ein wenig darin gelesen, so fing er an zu lachen. Ich fragte ihn, worüber er lache; er antwortete: »Über eine Bemerkung, die hier am Rand geschrieben steht.« Ich bat ihn, sie mich hören zu lassen, und ohne mit seinem Lachen aufzuhören, sprach er: »Hier, wie ich gesagt, ist an den Rand geschrieben: ›Diese Dulcinea von Toboso, die so oft in dieser Geschichte vorkommt, hatte, wie berichtet wird, unter allen Frauenzimmern in der Mancha die geschickteste Hand, Schweine einzusalzen.‹«

Wie ich Dulcinea von Toboso nennen hörte, war ich voll Staunens und gespannter Erwartung; denn sogleich kam ich auf den Gedanken, daß diese alten Hefte die Geschichte des Don Quijote enthielten. In dieser Voraussetzung drängte ich ihn, mir schnell den Anfang zu lesen; er tat dies, indem er das Arabische aus dem Stegreif ins Kastilianische übertrug, und sagte mir, es laute: Geschichte des Junkers Don Quijote von der Mancha, geschrieben von Sich Hamét Benengeli, arabischem Geschichtsschreiber. Ich bedurfte großer Selbstbeherrschung, um das freudige Gefühl zu verhehlen, das mich überkam, als der Titel des Buches mir in die Ohren klang; ich riß es gewaltsam dem Seidenhändler weg und kaufte dem Jungen die sämtlichen Papiere und Hefte für einen halben Real ab; wäre er aber gescheit gewesen und hätte gewußt, wie großes Verlangen ich danach trug, hätte er sich mehr als sechs Realen für den Kauf versprechen können und sie auch bekommen.

Sogleich entfernte ich mich mit dem Morisken durch den Kreuzgang der Domkirche, bat ihn, mir die Papiere, welche sämtlich von Don Quijote handelten, in die kastilianische Sprache zu übersetzen, ohne etwas auszulassen noch beizufügen, und bot ihm dafür eine Zahlung, wie er sie verlangen möchte. Er war mit einem halben Zentner Rosinen und zwei Scheffeln Weizen zufrieden und versprach, gut und treu und in kürzester Frist zu übersetzen. Doch um das Geschäft zu erleichtern und einen so guten Fund nicht aus der Hand zu lassen, nahm ich ihn zu mir ins Haus, wo er in etwas über anderthalb Monaten die ganze Geschichte so übertrug, wie sie hier erzählt werden soll.

In dem ersten Hefte war ganz naturgetreu Don Quijotes Kampf mit dem Biskayer dargestellt, in derselben Stellung, wie die Geschichte berichtet, mit hochgeschwungenen Schwertern, der eine mit seinem Schilde, der andre mit dem Kissen gedeckt, und das Maultier des Biskayers so nach dem Leben gemalt, daß es auf Bogenschußweite den Mietklepper erkennen ließ. Der Biskayer hatte zu seinen Füßen eine Inschrift, welche lautete: Don Sancho de Azpeitia, was jedenfalls sein Name sein mußte; und unter Rosinante sah man eine andre mit dem Namen Don Quijote. Rosinante war wunderbar getroffen, so lang und gestreckt, so dürr und hager, mit so herausstehendem Rückgrat und so entschieden schwindsüchtig, daß er deutlich und klar zeigte, wie wohlbedacht und passend der Name Rosinante ihm gegeben worden.

Neben ihm stand Sancho Pansa und hielt seinen Esel an der Halfter; zu dessen Füßen war ebenfalls ein Zettel, auf dem stand zu lesen: Sancho Zancas (Schiefbein, Dünnbein), offenbar weil er, wie das Bild zeigte, einen dicken Wanst, kurzen Wuchs und dünne Waden hatte, und deshalb wird man ihn auch Pansa (Wanst) und Zancas genannt haben, mit welchen beiden Zunamen ihn jezuweilen die Erzählung belegt. Es wären noch ein paar Nebensachen auf dem Bilde zu erwähnen, aber sie sind alle nicht besonders wichtig und haben keinen Wert für die wahrhaftige Darstellung unsrer Geschichte; und gewiß ist keine schlecht, falls sie nur wahrheitsgetreu ist.

Wenn man jedoch an dieser Geschichte im Punkte der Wahrheit etwas auszusetzen hätte, so könnte es schwerlich etwas andres sein, als daß ihr Verfasser ein Araber gewesen, weil das Lügen eine besondere Eigentümlichkeit dieser Nation ist. Indessen, da die Araber so feindseligen Sinnes gegen uns sind, so läßt sich voraussetzen, daß er eher zuwenig als zuviel gesagt, und so muß ich in der Tat urteilen; denn wo seine Feder sich ausführlich über das Lob eines so trefflichen Ritters verbreiten konnte und sollte, da scheint er es absichtlich mit Schweigen zu übergehen. Eine schlechte Handlungsweise, aus noch schlechterer Gesinnung hervorgehend; denn der Geschichtsschreiber muß und soll genau, wahrhaftig und nie leidenschaftlich sein; weder eigensüchtige Zwecke noch Furcht, weder Groll noch Zuneigung dürfen ihn vom Weg der Wahrheit abbringen; deren Mutter die Geschichte ist, die Nebenbuhlerin der Zeit, Aufbewahrerin der Taten, Zeugin der Vergangenheit, Vorbild und Belehrung der Gegenwart, Warnung der Zukunft. In dieser unsrer Geschichte, das weiß ich, wird man alles finden, was man nur immer in der ergötzlichsten wünschen kann, und wenn irgend etwas Gutes darin fehlen sollte, so bin ich überzeugt, es liegt die Schuld mehr an dem Hund von Verfasser als am Gegenstand. Und nun kurz: der zweite Teil, der Übersetzung zufolge, hub an wie nachstehend:

Die scharfschneidigen Schwerter der beiden mannhaften und ingrimmigen Kämpen, gezückt und geschwungen, schienen nicht anders als Himmel, Erde und Unterwelt zu bedrohen; so war der Männer kühne Haltung, so ihr Gebaren. Und der erste, der seinen Hieb niederfahren ließ, war der heißblütige Biskayer, und er schlug mit solcher Kraft und Wut, daß, wenn das Schwert sich nicht ihm mitten im Schwunge seitwärts gedreht hätte, dieser einzige Hieb hinreichend gewesen wäre, um dem harten Streit und allen Abenteuern unsers Ritters mit einem Male ein Ende zu machen. Aber das gute Glück, welches ihn zu größeren Dingen aufbewahrte, wendete das Schwert seines Gegners vom Ziel ab, so daß es, obschon es die linke Schulter traf, ihn nicht weiter schädigte, als daß es ihm von dieser ganzen Seite die Rüstung wegschlug, nachdem es ihm unterwegs einen großen Teil des Helms nebst dem halben Ohr abgerissen, was alles in grausigem Getrümmer zu Boden stürzte, so daß er sich gar übel zugerichtet fand.

Hilf Gott, wer lebt auf Erden, der nun vermöchte, nach Gebühr die Wut zu schildern, die das Herz unsers Manchaners durchdrang, als er sah, daß man ihm so mitspielte! Nur soviel sei gesagt, sie war so gewaltig, daß er sich aufs neue in den Bügeln erhob, das Schwert noch fester mit beiden Händen faßte und mit solchem Ingrimm auf den Biskayer losschlug und ihn voll auf Kissen und Kopf traf, daß die so gute Deckung ihm nichts half und ihm aus Nase und Mund und Ohr das Blut schoß, als wäre ein Berg auf ihn gestürzt, und daß er drauf und dran war, vom Maultier zu fallen, und er wäre auch gefallen, wenn er nicht dessen Hals umklammert hätte. Nichtsdestoweniger verloren die Füße den Steigbügel, er ließ die Arme sinken, und das Maultier, ob des furchtbaren Hiebes scheuend, lief querfeldein, bäumte sich und warf nach wenigen Sprüngen seinen Herrn zu Boden.

Mit großer Gelassenheit schaute ihm Don Quijote zu, und als er ihn fallen sah, sprang er von seinem Rosse, lief eilenden Fußes hin, hielt ihm die Spitze seines Schwertes auf die Augen und gebot ihm, sich zu ergeben; wo nicht, würde er ihm den Kopf abschlagen. Der Biskayer war so betäubt, daß er kein Wort erwidern konnte, und es wäre ihm übel ergangen, so blind vor Zorn war Don Quijote, wenn nicht die Damen in der Kutsche, die bisher dem Kampfe mit Angst und Entsetzen zugeschaut, zu dem Ritter hingeeilt wären und ihn inständig gebeten hätten, er möchte ihnen die große Gnade und Gunst erweisen, ihrem Kammerjunker das Leben zu schenken.

Don Quijote erwiderte hierauf mit großem Stolz und vieler Würde: »Sicherlich, huldselige Herrinnen, bin ich gern bereit zu gewähren, wessen ihr von mir begehret; aber es kann nur unter einer Bedingung und Vereinbarung geschehen, nämlich, daß dieser Ritter mir das Versprechen gibt, nach dem Orte Toboso zu gehen und sich der unvergleichlichen Doña Dulcinea von meinetwegen zu stellen, damit sie mit ihm schalte, wie ihr am besten gefällt und beliebt.«

Die verängstigten und hilflosen Damen, ohne sich erst Don Quijotes Begehr zu überlegen und ohne zu fragen, wer Dulcinea wäre, versprachen ihm, ihr Begleiter werde alles tun, was von seinetwegen ihm geboten würde.

»Wohl, im Vertrauen auf diese Zusage werde ich ihm kein weiteres Leid antun, obschon er es um mich wohl verdient hätte.«

5. Kapitel

Wo die Erzählung vom Mißgeschick unseres Ritters fortgesetzt wird

Da er nun sah, daß er sich schlechterdings nicht regen konnte, verfiel er darauf, zu seinem gewöhnlichen Hilfsmittel seine Zuflucht zu nehmen, nämlich an irgendeinen Vorgang aus seinen Büchern zu denken; und seine Torheit brachte ihm jenen mit Baldovinos und dem Markgrafen von Mantua ins Gedächtnis, als Carloto den ersteren verwundet im Waldgebirge liegenließ; eine Geschichte, die die Kinder auswendig wissen, die Jünglinge nicht vergessen haben, die Greise hochhalten und sogar glauben und die bei alledem um nichts wahrer ist als die Wunder Mohammeds. Diese also dünkte ihm auf den Fall, in dem er sich befand, genau zu passen; und so begann er mit Gebärden großen Schmerzes sich auf dem Boden zu wälzen und schwach aufatmend dasselbe zu sprechen, was, wie berichtet wird, der verwundete Ritter vom Walde sprach:

O wo bist du, meine Herrin,
Daß dich fühllos läßt mein Schmerz?
Wohl magst du’s nicht wissen, oder
Falsch und treulos war dein Herz.

Und solchergestalt fuhr er in der Romanze fort, bis zu jenen Versen, die da lauten:

Mantuas edler Markgraf, du mein
Ohm und angestammter Herr!

Und das Schicksal wollte, daß, wie er an diesen Vers gelangte, gerade ein Bauer aus seinem eignen Orte, sein Nachbar, vorüberkam, der eine Last Weizen in die Mühle gebracht hatte. Als dieser den Mann dort hingestreckt liegen sah, näherte er sich ihm und fragte ihn, wer er sei und was ihm denn weh tue, daß er so trübselig jammere. Ohne Zweifel meinte Don Quijote, jener sei der Markgraf von Mantua, sein Oheim, und so antwortete er ihm nichts andres, als daß er in seiner Romanze dort fortfuhr, wo er ihm Bericht über sein Unglück gab und über die Liebeswerbung des Kaisersohnes bei seiner Gemahlin, alles in derselben Weise, wie die Romanze es singt.

Der Bauer stand verwundert da, als er das unsinnige Zeug hörte; er nahm ihm das Visier ab, das von den Prügeln schon in Stücke geschlagen war, reinigte ihm das Gesicht, das er voll Staubes hatte, und kaum hatte er es gereinigt, so erkannte er ihn und sprach zu ihm: »Herr Quijano« – denn so mußte er wohl geheißen haben, als er noch seinen Verstand hatte und noch nicht vom friedlichen Junker zum fahrenden Ritter befördert war –, »wer hat Euer Edlen solchermaßen zugerichtet?«

Allein auf alles, was er ihn fragte, fuhr der Junker nur mit seiner Romanze fort.

Da der gute Kerl das sah, nahm er ihm, so gut er konnte, den Koller und das Schulterblech ab, um zu sehen, ob er eine Wunde an sich trage; aber er sah weder Blut noch irgendein Wundenmal. Er brachte es fertig, ihn vom Boden aufzurichten, und mit nicht geringer Mühe hob er ihn auf seinen Esel, weil ihm dies bequemer zum Reiten dünkte. Er las die Waffen bis auf die letzten Lanzensplitter zusammen und band sie fest auf Rosinante; den nahm er am Zügel und den Esel am Halfter und wanderte nach seinem Dorfe, sehr nachdenklich darüber, daß er derlei Ungereimtheiten von Don Quijote zu hören bekam.

Nicht minder nachdenklich zog dieser dahin, der, weil ganz zerdroschen und zerschlagen, sich nicht recht auf dem Esel zu halten vermochte und von Zeit zu Zeit Seufzer zum Himmel schickte; dergestalt, daß er aufs neue den Bauern zur Frage veranlaßte, er möge ihm doch sagen, was ihm weh tue. Und es schien nicht anders, als ob der Teufel selbst die auf seine jetzigen Umstände passenden Geschichten ihm ins Gedächtnis brächte; denn in diesem Augenblick vergaß er des Baldovinos, und es fiel ihm der Mohr Abindarráez ein, als der Vogt von Antequera, Rodrigo von Narváez, ihn gefangennahm und ihn zur Haft nach seiner Vogtei führte. So geschah’s, daß, als der Bauer ihn abermals fragte, wie er sich befinde und was ihm weh tue, er ihm mit den nämlichen Ausdrücken und Reden antwortete, die der gefangene Abencerraje dem Rodrigo von Narváez sagte, ganz in derselben Weise, wie er es in der Geschichte der Diana von Jorge von Montemayor gelesen hatte, wo es geschrieben steht, und er wendete sie so passend an, daß der Bauer des Teufels werden wollte, ein so endloses Gewebe von Albernheiten zu hören. Aus alledem ward dem Bauer klar, daß sein Nachbar verrückt sei, und er eilte, ins Dorf zu kommen, um des Überdrusses loszuwerden, den ihm Don Quijote mit seinem langen Gerede verursachte.

Zum Schlusse fügte der Ritter bei: »Es wisse Euer Gnaden, Herr Rodrigo von Narváez, daß diese schöne Jarifa, von der ich gesprochen, jetzt die reizende Dulcinea von Toboso ist, für welche ich die ruhmreichsten Rittertaten getan habe, tue und tun werde, die man in der Welt gesehen hat, jetzt vielleicht sehen mag und künftig sehen wird.«

Darauf antwortete der Bauer: »Bedenke doch Euer Gnaden, Herr Junker, bei meiner armen Seele, daß ich weder Don Rodrigo von Narváez noch der Markgraf von Mantua bin, sondern Pedro Alonzo, Euer Ortsnachbar, und daß Euer Gnaden weder Baldovinos noch Abindarráez sind, sondern der ehrsame Junker Herr Quijano.«

»Ich weiß, wer ich bin«, sagte Don Quijote, »und weiß, daß ich nicht nur jeder der gedachten Helden sein kann, sondern auch sämtliche Pairs von Frankreich und selbst all die neun Söhne des Ruhms; denn all den Großtaten, die sie alle zusammen und jeder für sich vollbracht haben, werden die meinigen voranstehen.«

Unter diesen Gesprächen und andern ähnlicher Art gelangten sie ans Dorf, zur Zeit, als der Abend kam; allein der Bauer wartete, bis es etwas dunkler wurde, damit man den zerbleuten Junker nicht so schlecht beritten sähe. Als nun die ihm passend scheinende Stunde gekommen, begab er sich ins Dorf und in Don Quijotes Haus, wo er alles im Aufruhr fand. Es waren da der Pfarrer und der Barbier des Ortes, die mit Don Quijote sehr befreundet waren, und die Haushälterin sagte ihnen eben mit lautem Schreien: »Was dünkt Euer Gnaden, Herr Lizentiat Pero Pérez« – denn so hieß der Pfarrer –, »von dem Unglück meines Herrn? Sechs Tage ist’s her, daß weder er noch der Gaul, weder die Tartsche noch der Speer noch die Rüstung zu sehen sind. Ich Unglückselige! Ich denke mir, und so sicher ist’s die Wahrheit, als ich geboren bin, um zu sterben, daß diese verwünschten Ritterbücher, die er hat und so regelmäßig zu lesen pflegt, ihm den Verstand verdreht haben; denn jetzt entsinne ich mich, daß ich ihn oftmals, wenn er so vor sich hinsprach, habe sagen hören, er wolle ein fahrender Ritter werden und draußen in der Welt herum auf Abenteuer ziehen. Daß doch dem Satanas und Barrabas alle derlei Bücher befohlen seien, die den feinsten Kopf, den es in der ganzen Mancha gab, zugrunde gerichtet haben!«

Die Nichte sagte dasselbe, ja noch mehr dazu: »Wisset, Meister Nikolas« – dies war der Name des Barbiers –, »daß es meinem Herrn vielmals geschah, in diesen verruchten Schlacht- und Abenteuerbüchern zwei Tage nebst den Nächten dazu in einem fort zu lesen, und nachher warf er das Buch aus den Händen weg und zog das Schwert und ging mit Hieben gegen die Wände an, und wenn er dann ganz abgemüdet war, sagte er, er habe vier Riesen, wie Türme so groß, umgebracht, und der Schweiß, den er vor Ermüdung ausschwitzte, der, sagte er, sei Blut von den Wunden, die er im Gefecht erhalten; und gleich trank er einen großen Krug kalten Wassers in sich hinein und war dann wieder gesund und beruhigt und sagte, dies Wasser sei ein gar köstlicher Trank, den ihm der weise Alquife gebracht, ein großer Zauberer und Freund von ihm. Aber ich selbst bin schuld an allem, weil ich euch Herren nicht von den Narreteien meines Herrn Oheims in Kenntnis gesetzt, damit ihr abgeholfen hättet, bevor es dahin kam, wohin es gekommen, und alle diese verfluchten Bücher – deren er viele besitzt – verbrannt hättet; denn wohl verdienen sie das Feuer, als wenn sie Ketzer wären.«

»Das sag ich auch«, sprach der Pfarrer, »und aufs Wort, es soll der morgende Tag nicht vergehen, ohne daß man über sie öffentliches Gericht halte und sie zum Feuer verurteilt werden, damit sie einem, der sie etwa künftig lesen würde, nicht Anlaß geben, zu tun, was mein lieber Freund getan haben muß.«

All dieses hörten der Bauer und Don Quijote mit an, und nun begriff jener vollends die Krankheit seines Nachbarn. So begann er denn laut zu rufen: »Öffnet, ihr Herrschaften, dem Herrn Baldovinos und dem Herrn Markgrafen von Mantua, der hart verwundet daherkommt, und dem Herrn Mohren Abindarráez, den der tapfre Rodrigo von Narváez, der Vogt von Antequera, gefangen herführt.«

Bei diesen Worten eilten sie alle heraus, und da die beiden Männer ihren Freund, die Frauen ihren Herrn und ihren Oheim erkannten – der noch nicht von dem Esel abgestiegen war, weil er nicht konnte –, liefen sie herbei, ihn zu umarmen. Er aber sagte: »Bleibt alle zurück, denn ich komme schwer verwundet daher durch meines Rosses Schuld; man bringe mich in mein Bett und rufe, sofern es möglich sein sollte, die weise Urganda, damit sie meine Wunden verbinde und pflege.«

»Seht nur, zum Henker!« sagte hier die Haushälterin, »ob mir mein Herz es nicht richtig gesagt hat, wo es meinem Herrn fehlt. Gehe Euer Gnaden in Gottes Namen hinauf; denn ohne daß jene Urganda zu kommen braucht, werden wir Eure Wunden hier zu pflegen wissen. Verflucht, sag ich, seien noch einmal und noch hundertmal diese Ritterbücher, die Euer Gnaden so zugerichtet haben.«

Sie brachten ihn sogleich zu Bette, und als sie ihm die Wunden untersuchen wollten, fanden sie keine; er aber sagte, es sei alles nur eine Quetschung, weil er mit seinem Gaul Rosinante einen großen Sturz getan, als er mit zehn Riesen gekämpft, den ungeschlachtesten und verwegensten, die man weit und breit auf Erden finden könne.

»Aha!« sagte der Pfarrer, »Riesen sind im Spiel? Beim Zeichen des heiligen Kreuzes, ich will sie morgen verbrennen, bevor der Abend kommt.«

Man stellte dem Ritter hunderterlei Fragen, aber auf keine mochte er etwas andres erwidern, als daß man ihm zu essen geben und ihn schlafen lassen solle; denn das sei ihm das Nötigste. Es geschah also, und der Pfarrer erkundigte sich sehr ausführlich bei dem Bauern nach den Umständen, unter denen er Don Quijote gefunden habe. Dieser erzählte ihm alles, nebst dem Unsinn, den der Junker geäußert, als er ihn fand und als er ihn herbrachte, und dies verstärkte im Lizentiaten den Vorsatz, das zu tun, was er andern Tags wirklich ausführte, nämlich seinen Freund Meister Nikolas zu rufen und sich mit ihm in Don Quijotes Haus zu begeben.

50. Kapitel

Von dem scharfsinnigen Meinungsstreit zwischen Don Quijote und dem Domherrn, nebst andern Begebnissen

»Das ist nicht übel«, entgegnete Don Quijote, »die Bücher, die mit königlicher Erlaubnis und mit Genehmigung der Zensurbehörden gedruckt sind und mit allgemeinem Beifall gelesen und gefeiert werden von groß und klein, von hoch und niedrig, von den Gelehrten und den Ungelehrten, von den Leuten aus dem Volk und den Edelleuten, kurz, von jeder Art Personen, wes Standes und Berufs sie auch seien, diese Bücher sollten Lüge sein? Zumal da sie doch so sehr das Gepräge der Wahrheit an sich tragen, indem sie uns jedesmal den Vater, die Mutter, das Vaterland, die Verwandten, das Alter, den Ort und die Taten des fraglichen Ritters oder der fraglichen Ritter Punkt für Punkt und Tag für Tag angeben. Nein, würdiger Herr, schweiget, sprecht keine solche Lästerung aus und glaubt mir, ich rate Euch, was Ihr als verständiger Mann in der Sache tun müsset. Oder aber, lest sie doch nur, und Ihr werdet sehen, welchen Genuß Ihr von diesen Büchern empfangt. Oder sagt mir doch einmal: gibt’s ein größer Vergnügen, als zum Beispiel zu sehen, wie hier gleich vor unsern Augen ein großer See von siedendem und Blasen auftreibendem Pech erscheint und wie darin zahlreiche Schlangen, Nattern, Eidechsen und viele andre Arten wilder, entsetzlicher Tiere umherschwimmen und sich in die Kreuz und Quer bewegen und wie mitten aus dem See eine jammervolle Stimme empordringt und spricht: ›Du, Ritter, wer du auch seiest, der du diesen fürchterlichen See beschauest, wenn du das Heil erringen willst, das unter diesen schwarzen Wassern verborgen liegt, bewähre die Tapferkeit deines heldenstarken Busens und wirf dich mitten in das schwarze, flammende Naß dieses Sees hinein; denn so du solches nicht tust, bist du nimmer würdig, die erhabenen Wunder zu erschauen, die da enthalten und beschlossen sind in den sieben Burgen der sieben Feen, welche unter dieser Finsternis liegen.‹ Und wie der Ritter, da er die fürchterliche Stimme kaum noch recht vernommen, auf der Stelle, ohne weiter zu überlegen, in welche Gefahr er sich begibt, ja, ohne sich des Gewichtes seiner starken Rüstung zu entledigen, sich Gott und seiner Gebieterin befiehlt und sich mitten in den kochenden See hineinstürzt; und wie er, ehe er sich’s versieht und ehe er noch weiß, wohin er geraten mag, sich auf blühenden Gefilden findet, mit denen die des Elysiums sich in keiner Hinsicht vergleichen können. Da, deucht es ihn, ist der Himmel klarer und scheint die Sonne mit höherem, ungekanntem Glanze; da bietet sich seinen Augen ein lieblicher Hain von so frischgrünen, dichtbelaubten Bäumen, daß ihr Grün den Blick ergötzt, während die Ohren sich laben an dem süßen, nicht durch Kunst erlernten Gesang der kleinen, zahllosen bunten Vöglein, die durch das verschlungene Gezweig beständig hin und her fliegen. Dort wieder ersieht er ein Bächlein, dessen frische Wasser flüssige Kristalle scheinen und über feinen Sand und weiße Steinchen hineilen, die wie Goldstaub und reine Perlen anzuschauen sind. Anderwärts erblickt er einen kunstreichen Springbrunnen, dessen Schale aus buntem Jaspis und glattem Marmor besteht; dann einen andern, in phantastischem Stil angelegt, wo die kleinen Muschelschalen mit den gewundenen weißen und gelben Schneckenhäusern wie zufällig und doch geordnet hingelegt sind und daruntergemischte Stücke glänzenden Kristalls und künstlich nachgemachten Smaragds ein Werk von großer Mannigfaltigkeit darstellen, so daß die Kunst, indem sie die Natur nachahmt, diese hier zu übertreffen scheint. Dort alsdann zeigt sich ihm unversehens eine starke Feste oder prächtige Königsburg, deren Mauern von gediegenem Golde, deren Zinnen von Demanten, deren Tore von Hyazinthen sind; und zudem ist sie von so wunderbarem Bau, daß, obschon ihre Bestandteile nichts Geringeres sind als Demanten, Karfunkel, Rubine, Perlen, Gold und Smaragde, die Arbeit an dem ganzen Werke von noch höherem Wert ist.

Und hat er dies alles gesehen, was gibt’s noch Herrlicheres zu sehen, als zu sehen, wie aus der Pforte der Königsburg eine reichliche Anzahl junger Fräulein hervortritt, alle in so reizenden, prachtvollen Roben, daß ich wahrlich, wenn ich sie nunmehr so schildern wollte wie die Rittergeschichten, nimmer damit zu Ende kommen würde; und zu sehen, wie alsogleich die Dame, die als die fürnehmste unter allen aussah, den verwegenen Ritter, der sich in den kochenden See gestürzt, an der Hand nimmt und ihn, ohne ein Wort zu reden, in die herrliche Königsburg oder Feste hineingeleitet und ihn splitternackt, wie er aus der Mutter Schoß kam, entkleiden und in lauem Wasser baden, ihm sodann mit duftenden Salben den ganzen Körper salben und ihn mit einem Hemd vom feinsten Zindel bekleiden läßt, das ganz und gar voll Wohlgeruches und lieblich durchduftet ist; und wie dann ein anderes Fräulein kommt und ihm über die Schultern einen Mantel wirft, der mindestens, ja zum mindesten, wie die Berichte lauten, eine ganze Stadt wert ist, ja noch mehr.

Was ist sodann Schöneres zu sehen, als wenn uns berichtet wird, wie er nach alledem in einen andern Saal geleitet wird, wo er die Tische in so wundervoller Anordnung gedeckt findet, daß er voll Staunens außer sich gerät? Was Schöneres, als zu sehen, wie ihm über die Hände Wasser gegossen wird, das aus lauter Ambra und duftigen Blumen gewonnen ist? Was Herrlicheres, als zu sehen, wie man ihn auf einem Sessel von Elfenbein niedersitzen heißt? Wie ihn alle die Fräulein in wundersamem Schweigen bedienen? Was Prächtigeres als eine solche Mannigfaltigkeit von Gerichten, alle so schmackhaft bereitet, daß die lüsterne Begier nicht weiß, nach welchem sie zuerst die Hand ausstrecken soll? Und wie herrlich, dann den Gesängen zu lauschen, die da ertönen, während er tafelt, ohne daß er weiß, wer sie singt noch wo sie erklingen? Und wenn das Mahl beendet und die Tafel aufgehoben ist, wie da der Ritter sich auf seinen Sessel zurücklehnt und, während er sich die Zähne stochert, wie es jetzt Sitte ist, wie da unversehens zur Tür des Saales eine andre Jungfrau hereintritt, weit schöner als jegliche von den ersten; und wie sie sich dem Ritter zur Seite niederläßt und ihm sofort berichtet, welch eine Burg dieses ist und daß sie in selbiger verzaubert weilen muß, nebst viel anderem, was den Ritter in Staunen versetzt und die Leser seiner Geschichte mit Bewunderung erfüllt. Ich will mich nicht weiter hierüber verbreiten; aber man kann schon aus dem Gesagten schließen, daß jedes beliebige Stück, das man von jeder beliebigen Rittergeschichte liest, bei jedem beliebigen Leser Vergnügen und Verwunderung hervorbringen muß.

Und Euer Gnaden möge mir folgen und, wie ich schon vorher bemerkt, diese Bücher lesen; und Ihr werdet sehen, wie sie Euch den Trübsinn, der Euch etwa drückt, verbannen und die Stimmung bessern, wenn Ihr Euch etwa in einer schlechten befinden solltet. Von mir wenigstens muß ich sagen, seit ich ein fahrender Ritter bin, seitdem bin ich tapfer, freigebig, gesittet, großmütig, höflich, kühn, sanft, geduldig, ertrage leicht Mühsale, Gefangenschaft, Verzauberung, und obschon ich erst vor kurzem mich als verrückt in einem Käfig eingesperrt sah, so hoffe ich doch durch die Kraft meines Armes, wenn der Himmel mir beisteht und das Glück mir nicht feindlich ist, mich binnen weniger Tage zum König eines Reiches erhoben zu sehen, wo ich die Dankbarkeit und Freigebigkeit zeigen kann, die meine Brust in sich faßt. Denn wahrlich, Señor, der Arme ist unfähig, die Tugend der Freigebigkeit gegen irgendwen zu zeigen, wenn er sie auch im höchsten Grade besitzt; und die Dankbarkeit, die nur aus frommen Wünschen besteht, ist etwas Totes, gerade wie der Glaube ohne Werke tot ist. Darum wünschte ich, daß das Glück mir baldigst eine Gelegenheit böte, mich zum Kaiser zu machen, um meine Gesinnung durch Wohltaten an meinen Freunden zu bewähren, insbesondere an dem armen Teufel von Sancho, meinem Schildknappen, der der beste Mensch von der Welt ist; ich möchte ihm gern eine Grafschaft schenken, die ich ihm schon seit langen Tagen versprochen habe; nur fürchte ich, er möchte nicht die Fähigkeit besitzen, seine Grafschaft zu regieren.«

Diese letzten Worte hörte Sancho, und gleich sprach er zu seinem Herrn: »Señor Don Quijote, sorgt Ihr nur dafür, daß Ihr mir jene Grafschaft verschafft, die von Euch ebenso ernstlich verheißen als von mir erhofft ist; ich hingegen verheiße Euch, mir soll es an Fähigkeiten nicht fehlen, sie zu regieren. Und wenn es mir auch daran fehlen sollte, so hab ich gehört, es gibt Leute in der Welt, welche die Herrschaften der großen Herren in Pacht nehmen und ihnen soundso viel jährlich abgeben, sie hingegen sorgen für die Regierung, und der Herr sitzt und streckt die Beine aus und genießt seine Rente, ohne sich um sonst was zu kümmern. Und so will ich’s auch machen, und ich will mich nicht um das geringste weiter kümmern, sondern gleich alles aus den Händen geben, und will mir meine Rente schmecken lassen wie ein Prinz, und den Leuten mag es bekommen, wie es will.«

»Dies, Freund Sancho«, sagte der Domherr, »kann gelten, soweit es das Verzehren der Rente betrifft, aber was die Verwaltung der Rechtspflege angeht, die muß der Besitzer der Herrschaft selbst verstehen, und dazu gehören Fähigkeit und tüchtiger Mutterwitz und besonders der redliche Wille, das Richtige zu tun. Denn wo dieser im Anfang fehlt, wird auch Mitte und Ende stets fehlgehen; und Gott pflegt ebenso der redlichen Absicht des Einfältigen hilfreich zu sein, als die böse Absicht des Klugen zu vereiteln.«

»Ich verstehe nichts von derlei Gelahrtheiten«, entgegnete Sancho Pansa. »Ich weiß nur, so geschwind ich die Grafschaft bekommen würde, so geschwind würde ich sie zu regieren verstehen; denn ich habe soviel Verstand im Leibe wie jeder andre und soviel Leib wie nur der Allerbeleibteste, und ich würde ebensosehr in meiner Herrschaft der König sein wie jedweder in seiner. Und wenn ich das wäre, so würde ich tun, was ich wollte; und wenn ich täte, was ich wollte, so würde ich tun, wozu ich Lust habe; und wenn ich täte, wozu ich Lust habe, wäre ich zufrieden; und wenn einer zufrieden ist, hat er nichts mehr zu wünschen; und wenn einer nichts mehr zu wünschen hat, so ist die Sache abgemacht. Also nur her mit der Herrschaft; und damit Gott befohlen und auf Wiedersehen, wie ein Blinder zum andern sagte.«

»Diese Gelahrtheiten, wie du gesagt, sind nicht so übel, Sancho«, sprach der Domherr; »aber bei alledem bleibt über die Sache mit den Grafschaften noch viel zu sagen.«

Darauf versetzte Don Quijote: »Ich wüßte nicht, daß noch etwas zu sagen bliebe. Ich richte mich lediglich nach zahlreichen und mannigfachen Beispielen, die ich in diesem Betreff hier anführen könnte, von Rittern meines Berufs, welche, um den getreuen und ausgezeichneten Dienstleistungen ihrer Schildknappen gerecht zu werden, ihnen ganz besondere Gnaden erwiesen und sie zu unabhängigen Herren von Städten und Insuln machten, und manchen gab es, dessen Verdienste so hohen Grad erreichten, daß er sich überhob und vermaß, den Königsthron zu besteigen. Aber wozu verwende ich hierauf soviel Zeit, da mir ein so glänzendes Beispiel der große und nie genugsam gepriesene Amadís von Gallien bietet, der seinen Schildknappen zum Grafen der Festlandinsul machte? Und so kann auch ich ohne Gewissensbedenken meinen Sancho Pansa zum Grafen machen, der einer der besten Schildknappen ist, die je ein fahrender Ritter gehabt hat.«

Der Domherr war höchlich verwundert über diese systematischen Narreteien – wenn in Narreteien ein System sein kann –, welche Don Quijote vorgebracht, und über die Art, wie er das Abenteuer des Ritters vom See geschildert, über den Eindruck, den die vorsätzlichen Lügen der Bücher, die er gelesen, auf ihn hervorgebracht hatten, und endlich erstaunte ihn auch die Einfalt Sanchos, der sich so heiß nach der von seinem Herrn verheißenen Grafschaft sehnte.

Unterdessen kehrten die Diener des Domherrn aus der Schenke zurück, von wo sie das Saumtier mit dem Mundvorrat geholt hatten. Ein Teppich und das grüne Gras der Wiese dienten als Tisch; man setzte sich unter schattigen Bäumen nieder und speiste daselbst, damit der Ochsenkärrner nicht um die günstige Gelegenheit käme, die ihm, wie gesagt, dieser Ort darbot.

Während sie so tafelten, vernahmen sie plötzlich ein starkes Rauschen von Zweigen und das Klingen einer Schelle, welches aus Dornbüschen und dichtem Gesträuch, das sich ringsher fand, erklang, und im nämlichen Augenblick sahen sie aus dem Dickicht eine schöne Ziege hervorspringen, deren ganzes Fell schwarz, weiß und grau gesprenkelt war; hinter ihr her kam ein Ziegenhirt, rief ihr nach und sprach ihr schmeichelnd zu, wie die Hirten pflegen, damit sie stehenbliebe oder zur Herde zurückliefe. Die flüchtige Ziege lief in ihrer Furcht und Ängstlichkeit zu den Leuten hin, als ob sie Schutz bei ihnen suchte, und blieb da stehen. Der Ziegenhirt kam herbei, faßte sie an den Hörnern und redete mit ihr, gerade als besäße sie Verstand und Einsicht: »Ha, du Landstreicherin, Wildfang, Scheckchen, Scheckchen! Wo hüpfst du denn all die Zeit herum? Was für Wölfe haben dich fortgeschreckt, mein Töchterlein? Willst du mir nicht sagen, was das bedeuten soll, du Allerschönste? Aber was kann es bedeuten, als daß du ein Weibchen bist und keine Ruhe halten kannst? Das ist eben deine Natur, der Kuckuck soll sie holen, und es ist die Natur aller Weiber, und du tust es ihnen nach. Komm mit heim, komm mit heim, Liebchen; bist du auch nicht so vergnügt in deiner Hürde, so bist du doch besser geborgen darin oder bei deinen Gefährtinnen; und wenn du, die du sie hüten und leiten sollst, so ohne Führung bist und auf Abwegen wandelst, wohin soll’s dann mit ihnen kommen?«

Das Gerede des Ziegenhirten machte allen Zuhörern großes Vergnügen, insbesondere dem Domherrn, der zu ihm sagte: »Ich bitte Euch um alles, guter Freund, beruhigt Euch ein wenig und eilt nicht so arg, die Ziege zu ihrer Herde zurückzubringen; denn da sie, wie Ihr sagt, ein Weibchen ist, so muß sie ihrem angebornen Triebe folgen, ob Ihr Euch auch noch so sehr mühet, es zu verwehren. Nehmt diesen Bissen und trinkt einmal, damit werdet Ihr Euren Zorn kühlen, und derweil kann die Ziege sich ausruhen.«

Dies sagen und ihm auf der Spitze des Messers die Lenden von einem kalten gebratenen Kaninchen darreichen war alles das Werk eines Augenblicks. Der Ziegenhirt nahm es und dankte dafür, trank und ward ruhig und sprach alsbald: »Ich möchte nicht, daß Euer Gnaden mich für einen einfältigen Menschen halte, weil ich mit dem Tier so ganz nach der Vernunft gesprochen; denn allerdings sind die Worte, die ich der Ziege sagte, etwas absonderlich. Ich bin ein Bauer, aber nicht so bäurisch, daß ich nicht wüßte, wie man mit dem Menschen und dem Vieh umgehen muß.«

»Das glaube ich ganz gern«, sagte der Pfarrer; »denn ich weiß schon aus Erfahrung, daß die Wälder Leute von Bildung auf erziehen und die Schäferhütten manchem Philosophen Wohnung bieten.«

»Wenigstens, Señor, beherbergen sie Leute«, entgegnete der Hirt, »die durch Schaden klug geworden sind; und damit Ihr die Wahrheit dieses Satzes glaubet und sie mit den Händen greifet, so werde ich, obwohl ich mich damit ungebeten selber einlade, so werde ich, wenn es Euch nicht langweilt und Ihr mir eine kleine Weile aufmerksames Gehör schenken wollt, Euch eine wahre Geschichte erzählen, die die Behauptung dieses Herrn« – auf den Pfarrer deutend – »und die meinige bestätigen wird.«

Hierauf entgegnete Don Quijote: »Sintemal ich ersehe, daß dieser Kasus ich weiß nicht was für einen Anstrich von einem Ritterschafts-Abenteuer hat, so werde ich für mein Teil Euch sehr gerne anhören, guter Freund, und desgleichen werden alle diese Herren tun, da sie so überaus verständig sind und gerne vernehmen von absonderlichen Neuigkeiten, so die Sinne spannen, ergötzen und behaglich unterhalten, wie meines Bedünkens Eure Erzählung ohne Zweifel tun wird. So machet denn einen Beginn, Freund, wir werden Euch alle zuhören.«

»Ich tue nicht mit«, sprach Sancho; »mit der Pastete hier gehe ich dort an den Bach und will mich da auf drei Tage anfüllen. Denn ich habe meinen Herrn Don Quijote sagen hören, fahrenden Ritters Schildknappe muß essen, bis er nicht mehr kann, sobald er in den Fall kommt; dieweil er oftmals in den Fall kommt, daß er zufällig in einen dicht verschlungenen Wald hineingerät, aus dem er sechs Tage nicht wieder herauskommt, und wenn da der Mensch nicht sattgegessen oder mit einem wohlgespickten Schnappsack versehen ist, so kann er drin steckenbleiben und, wie ihm oftmalen geschieht, zur Mumie zusammenhutzeln.«

»Du hast das beste Teil erwählt, Sancho«, sprach Don Quijote; »geh du, wohin dir’s paßt, und iß, was der Magen faßt. Ich habe schon mein Genügen, es erübrigt mir nur noch, dem Geiste seine Erquickung zu gewähren, und die gewähre ich ihm, wenn ich die Erzählung dieses Biedermanns anhöre.«

»Wir alle werden unsere Geister daran erquicken«, sprach der Domherr; und sofort bat er den Ziegenhirten, mit der versprochenen Erzählung zu beginnen. Der Hirt gab der Ziege, die er an den Hörnern hielt, zwei Schläge mit der flachen Hand auf den Rücken und sagte zu ihr: »Leg dich neben mich hin, Scheckchen, wir haben noch genug Zeit, zu unserem Pferch heimzukehren.«

Die Ziege schien ihn zu verstehn; denn als ihr Herr sich setzte, streckte sie sich ganz ruhig neben ihm nieder und sah ihm ins Gesicht, als ob sie zu verstehen gäbe, daß sie auf die Worte des Hirten ernstlich aufmerken wolle. Und dieser begann seine Geschichte folgendermaßen.

51. Kapitel

Welches berichtet, was der Ziegenhirt der ganzen Gesellschaft erzählte, die den Ritter Don Quijote von dannen führte

Drei Meilen von diesem Tale liegt ein Dorf, welches zwar klein, aber doch eins der reichsten in der ganzen Gegend ist. In dem Dorfe lebte ein Bauer in großem Ansehen, und wiewohl dem Reichtum allezeit das große Ansehen anhaftet, so genoß er dieses doch weit mehr ob seiner Rechtschaffenheit als ob seines Reichtums. Was ihn aber noch weit glücklicher machte, wie er selbst sagte, war der Umstand, daß er eine Tochter hatte von so außerordentlicher Schönheit, so seltenem Verstand, so voll Anmut und Tugend, daß jeder, der sie kannte und beobachtete, voll Staunens war ob der außerordentlichen Gaben, mit denen der Himmel und die Natur sie überreich ausgestattet hatten. Schon als Kind war sie schön, und seitdem nahm sie stets zu an Reizen, und im Alter von sechzehn Jahren war sie die Schönste von allen. Der Ruf ihrer Reize begann sich in den umliegenden Dörfern zu verbreiten; was sag ich, nur in den umliegenden? Er drang bis zu entfernten Städten, ja zu den Prunksälen der Könige und zum Ohr von Leuten jeden Standes, die von überall herkamen, um sie wie eine Seltenheit oder wie ein wundertätiges Bild anzuschauen. Ihr Vater hütete sie, und sie hütete sich selber; denn es gibt kein Vorhängschloß, keinen Riegel, die eine Jungfrau besser hüten könnten als ihre eigne Sittsamkeit.

Der Reichtum des Vaters und die Schönheit der Tochter bewogen viele, sowohl aus dem Ort als auch Auswärtige, um ihre Hand anzuhalten. Der Vater aber, der über ein so köstliches Kleinod zu verfügen hatte, war in großer Verlegenheit, wem von den Unzähligen, die ihn bestürmten, er sie geben solle. Unter den vielen, die einen so ehrenhaften Wunsch hegten, war auch ich, und mir versprach der Umstand große Aussicht auf guten Erfolg, daß ich wußte, der Vater wußte genau, was an mir war; daß ich aus demselben Dorfe gebürtig, von rein christlichem Blute, in blühendem Alter, an Vermögen sehr reich und an Geistesgaben nicht minder vortrefflich war. Mit allen den nämlichen Vorzügen hielt auch ein anderer aus demselben Ort um sie an, und das machte denn den Vater unschlüssig und bedenklich, da es ihn bedünkte, mit jedem von uns beiden wäre seine Tochter gleich gut versorgt. Um aus dieser Verlegenheit zu kommen, beschloß er, Leandra von der Sache in Kenntnis zu setzen; so heißt nämlich das reiche Mädchen, um dessentwillen mein Herz verarmt ist. Er erwog, da wir beide uns in allem ebenbürtig waren, so wäre es am besten, wenn er es seiner geliebten Tochter überließe, nach ihrer Neigung zu wählen; ein Verfahren, das alle Eltern nachahmen sollten, wenn sie für ihre Kinder den Stand der Ehe in Aussicht nehmen. Ich sage nicht, sie sollen ihren Kindern im Schlechten und Verderblichen freie Wahl lassen, sondern sie sollen ihnen Gutes vorschlagen, damit sie unter dem Guten nach ihrem Wunsch auswählen. Ich weiß nicht, welchen Wunsch Leandra hatte; ich weiß nur, daß der Vater uns beide mit dem zu jugendlichen Alter seiner Tochter und mit allgemeinen Redensarten hinhielt, durch die er sich weder zu etwas verbindlich machte noch sich gegen uns unverbindlich zeigte. Mein Mitbewerber heißt Anselmo und ich Eugenio, damit Ihr die Namen der Personen kennt, die in diesem Trauerspiel vorkommen, dessen Ende noch unentschieden ist, wiewohl zu befürchten steht, daß es ein unglückliches sein wird.

Um diese Zeit kam ein gewisser Vicente de la Roca in unser Dorf, der Sohn eines armen Bauern aus diesem nämlichen Ort, welcher Vicente aus Italien und verschiedenen anderen Ländern kam und Soldat gewesen war. Als er ein Junge von etwa zwölf Jahren war, hatte ihn aus unserm Dorf ein Hauptmann mitgenommen, der mit seinem Fähnlein durchmarschierte, und wieder nach zwölf Jahren kam der Bursche zurück, soldatisch gekleidet, bunt in tausend Farben, vollbehängt mit tausenderlei Klimperkram von Glas und dünnen Stahlketten. Heute warf er sich in diesen Staat und morgen in jenen, aber alles war hohl und angemalt, leicht von Gewicht und noch leichter an Wert. Die Bauersleute, die an sich boshaft und, wenn gerade Müßiggang ihnen Gelegenheit dazu gibt, die Bosheit selber sind, merkten das wohl, rechneten Stück für Stück seinen Staat und seine Kostbarkeiten nach und fanden, daß seiner Anzüge drei waren, von verschiedenen Farben mit den zugehörigen Kniebändern und Strümpfen. Allein der wußte sie mit so viel Änderungen herzurichten und mit so viel neuen Erfindungen aufzuputzen, daß, wenn die Bauern sie nicht nachgezählt hätten, mancher darauf geschworen hätte, er habe mehr als zehn Anzüge und mehr als zwanzigfachen Federschmuck zur Schau getragen. Und ihr dürft es nicht übelnehmen und für überflüssig halten, was ich da von seinen Anzügen erzähle; denn die spielen eine große Rolle in unserer Geschichte. Er setzte sich öfter auf eine Bank auf unserm Marktplatz unter einer großen Pappel, und da hielt er uns alle fest, daß wir Maul und Nase aufsperrten und an seinen Lippen hingen, wenn er uns seine Heldentaten erzählte. Da war kein Land auf dem ganzen Erdkreis, das er nicht gesehen, keine Schlacht, die er nicht mitgemacht hätte. Er hatte mehr Mauren umgebracht, als in ganz Marokko und Tunis leben, und hatte mehr Zweikämpfe bestanden, wie er sagte, als Gante und Luna, Diego García des Parédes und tausend andere, die er nannte; und aus allen war er siegreich hervorgegangen, ohne daß man ihm einen Tropfen Blutes abgezapft hätte. Andererseits wieder zeigte er Narben, und obschon sie kaum zu sehen waren, wollte er uns vorreden, es seien Wunden von Musketenschüssen, die er bei verschiedenen Scharmützeln und Treffen empfangen habe. Kurz, mit nie erhörter Anmaßung redete er seinesgleichen, ja sogar die Leute, die ihn genau kannten, mit Er an und sagte öfter, sein tapferer Arm sei sein Vater, seine Taten seien sein Stammbaum und in seinem Stande als Soldat stehe er so hoch wie der König selbst. Zu dieser Großtuerei kam bei ihm noch hinzu, daß er ein wenig Musik trieb und auf der Gitarre spielte und über die Saiten nur so hinfuhr, so daß etliche sagten, die Gitarre bekäme Sprache unter seinen Fingern. Aber das war noch nicht alles, denn er hatte auch die Gabe zu dichten, und so machte er über jede Kinderei im Dorfe eine Romanze anderthalb Meilen lang.

Diesen Soldaten also, den ich hier geschildert habe, diesen Vicente de la Roca, diesen Helden, diesen Stutzer, diesen Musiker, diesen Dichter sah und beobachtete Leandra oftmals aus einem Fenster ihrer Behausung, das auf den Marktplatz ging. Sie verliebte sich in das Flittergold seiner in die Augen stechenden Trachten; sie war bezaubert von seinen Romanzen, die er in Abschriften, zwanzig von jedem Gedicht, verteilte; die Heldentaten, die er von sich selbst erzählt hatte, kamen ihr zu Gehör, und endlich – der Teufel mußte wohl die Sache eingefädelt haben – kam es so weit, daß sie sich ernstlich in ihn verliebte, bevor auch nur in ihm selbst der vermessene Gedanke entstanden war, sich um ihre Gunst zu bewerben. Da aber in Herzensangelegenheiten die Neigung des Weibes der stärkste Bundesgenosse ist, so verständigten sich Leandra und Vicente sehr leicht, und ehe einer von ihren vielen Bewerbern von ihrer Neigung etwas ahnte, hatte sie dieselbe schon dem Ziele entgegengeführt. Sie verließ das Haus ihres teuren, geliebten Vaters, denn eine Mutter hatte sie nicht mehr, und entfernte sich aus dem Dorfe mit ihrem Soldaten, der einen größeren Triumph aus dieser Unternehmung davontrug als aus den vielen, deren er sich zu rühmen pflegte.

Der Vorfall setzte das ganze Dorf in Erstaunen sowie einen jeden, der davon Kenntnis erhielt. Ich war höchlich bestürzt, Anselmo zu Tode erschrocken, der Vater tief betrübt, ihre Verwandten entehrt, das Gericht in voller Tätigkeit, die Landreiter auf der Spähe; man streifte auf den Wegen, man durchsuchte die Wälder und was darum und daran war, und nach drei Tagen fand man diese ihren Launen frönende Leandra in einer Höhle mitten im Walde, entkleidet bis aufs Hemd, ohne das viele Geld und die kostbaren Juwelen, die sie von Hause mitgenommen hatte. Man brachte sie zu ihrem bekümmerten Vater zurück; man befragte sie über ihr Unglück; sie gestand ohne alles Drängen, Vicente de la Roca habe sie hintergangen und mittels eines Eheversprechens überredet, ihres Vaters Haus zu verlassen; er werde sie in die reichste und üppigste Stadt der ganzen Welt bringen, nämlich nach Neapel; und sie, schlimm beraten und noch schlimmer getäuscht, habe ihm Glauben geschenkt und, nachdem sie ihren Vater bestohlen, sich in derselben Nacht, wo sie vermißt wurde, seinen Händen anvertraut, und er habe sie in ein wildes Waldgebirge geführt und sie in die Höhle eingesperrt, wo man sie gefunden habe. Sie erzählte auch, daß ihr der Soldat, ohne ihr jedoch die Ehre zu rauben, alles weggenommen, was sie bei sich hatte, und sie in der Höhle gelassen habe und von dannen gegangen sei, ein Vorgang, der alle aufs neue in Erstaunen setzte. Schwer fiel es, lieber Herr, an die Enthaltsamkeit des Burschen zu glauben; aber sie bekräftigte es mit so zahllosen Beteuerungen, daß sie viel dazu beitrugen, dem untröstlichen Vater Trost zu verleihen, und er achtete der Schätze nicht, die man ihm geraubt hatte, da man seiner Tochter das Kleinod gelassen, das, wenn einmal verloren, keine Hoffnung läßt, jemals wiedererlangt zu werden.

Am nämlichen Tage, wo Leandra uns wieder vor Augen kam, schaffte ihr Vater sie uns wieder aus den Augen, indem er sie sogleich von unserm Dorf wegführte und in einer benachbarten Stadt ins Kloster einschloß. Denn er hoffte, die Zeit werde einiges von dem üblen Rufe verwischen, in welchen seine Tochter sich gebracht hatte. Die große Jugend Leandras diente ihr zur Entschuldigung, wenigstens bei denen, die es nicht berührte, ob sie tugendhaft oder schlecht war; aber wer ihre Klugheit und ihren großen Verstand kannte, maß ihren Fehltritt nicht ihrer Unerfahrenheit bei, sondern dem Leichtsinn und dem natürlichen Hang der Weiber, der in den meisten Fällen das sinnlos Törichte und Unüberlegte vorzieht.

Sobald Leandra eingesperrt war, wurden Anselmos Augen blind; wenigstens hatten sie keinen Gegenstand mehr, dessen Anblick ihnen Vergnügen machte; die meinigen waren von Finsternis umgeben, ohne einen Lichtstrahl, der sie zu etwas Freudigem geleitet hätte, da Leandra ferne war; unsere Betrübnis wuchs mehr und mehr, unsere Gelassenheit im Erdulden nahm beständig ab, wir verfluchten den Prunk des Soldaten und verwünschten die Unvorsichtigkeit von Leandras Vater. Endlich verabredete Anselmo mit mir, das Dorf zu verlassen und in dieses Tal zu ziehen, wo er eine große Anzahl ihm gehörender Schafe weidet und ich eine ansehnliche Herde von Ziegen, die ebenfalls mein eigen sind, und wo wir unser Leben unter den Bäumen verbringen, unsern Leiden freie Bahn lassen oder gemeinsam der schönen Leandra Preis oder Schmach singen oder auch einsam seufzen und jeder für sich allein seine Klagen dem Himmel anvertraut. Unserem Beispiel folgend, sind viel andere von Leandras Freiern in dies rauhe Waldgebirge gezogen, um sich derselben Lebensart zu widmen wie wir, und es sind ihrer so viele, daß es aussieht, als habe sich dies Gefilde in ein schäferliches Arkadien verwandelt, so angefüllt ist es mit Schäfern und Hürden, und es ist keine Stelle, wo man nicht den Namen der schönen Leandra vernähme. Der eine verwünscht sie und nennt sie launisch und sittenlos; der andere verdammt sie als leicht zu gewinnen und flatterhaft; jener spricht sie frei und vergibt ihr, dieser bricht den Stab über sie und schmäht sie; der eine feiert ihre Schönheit, der andere lästert ihren Charakter; kurz, alle verunglimpfen sie und beten sie an, und bei allen geht die Verrücktheit so weit, daß mancher unter ihnen über Verschmähung klagt, ohne sie je gesprochen zu haben, ja mancher bejammert und fühlt schmerzlich die wütende Krankheit der Eifersucht, zu der sie doch keinem jemals Anlaß gegeben. Denn, wie gesagt, man hat ihren Fehltritt eher erfahren als ihre Neigung. Da ist kein Felsspalt, kein Bachesrand, kein Schattenplatz unter Bäumen, den nicht irgendein Schäfer besetzt hielte, um sein Unglück den Lüften zu verkünden; wo nur ein Echo zu finden ist, wiederholt es Leandras Namen, Leandra widerhallen die Wälder, Leandra murmeln die Bäche, und Leandra hält uns alle fest in banger Erwartung und in Verzauberung, und wir hoffen ohne Hoffnung und fürchten, ohne zu wissen, was wir fürchten.

Unter diesen Unsinnigen ist derjenige, der die geringste und die meiste Vernunft an den Tag legt, mein Mitbewerber Anselmo, der, obschon er sich über soviel andres zu beklagen hat, sich nur über Abwesenheit beklagt und zum Klang einer Fiedel, die er wunderbar spielt, klagende Verse singt, in denen er seinen klaren Verstand zeigt. Ich verfolge einen leichtern, doch meines Bedünkens den richtigsten Weg; ich schelte nämlich auf den Leichtsinn der Weiber, auf ihre Unbeständigkeit, auf ihre Doppelzüngigkeit, auf ihre totgebornen Verheißungen, auf die Wortbrüchigkeit und endlich auf den Mangel an Verständnis, den sie zeigen, wenn es gilt, ihren Wünschen und Neigungen ein Ziel zu wählen.

Dies, ihr Herren, war der Anlaß zu den Worten und Äußerungen, die ich, als ich in eure Nähe kam, an meine Ziege richtete; denn weil es ein Weibchen ist, schätze ich sie gering, obschon es das beste Stück aus meiner ganzen Hürde ist. Dies ist die Geschichte, die ich euch zu erzählen versprach. Wenn ich etwa bei der Erzählung zu verschwenderisch mit Worten war, werde ich auch nicht karg sein, wenn ich euch Dienste zu leisten haben sollte; ich habe meinen Pferch hier in der Nähe und habe dort frische Milch und sehr wohlschmeckenden Käse nebst verschiedenem reifem Obst, das eure Augen nicht minder als eure Zunge erquicken wird.

46. Kapitel

Von dem denkwürdigen Abenteuer mit den Landreitern, auch von dem unbändigen Ingrimm unseres wackern Ritters Don Quijote

Während Don Quijote also sprach, mühte sich der Pfarrer, die Landreiter zu überzeugen, daß Don Quijote nicht bei Verstand sei, wie sie aus seinen Taten und aus seinen Worten ersehen könnten, und daß es zwecklos sei, die Sache weiterzutreiben, weil sie, wenn sie ihn auch in Haft nähmen und fortführten, ihn doch gleich wieder als einen Verrückten freilassen müßten.

Darauf entgegnete der Mann mit dem Haftbefehl, seine Sache sei es nicht, über Don Quijotes Verrücktheit zu urteilen, sondern lediglich auszuführen, was ihm von seinem Vorgesetzten befohlen worden, und wenn er erst einmal verhaftet sei, möchten sie ihn seinetwegen dreihundertmal wieder freilassen.

»Trotz alledem«, entgegnete der Pfarrer, »werdet Ihr ihn für diesmal doch nicht mitnehmen, noch würde er sich mitnehmen lassen, soviel ich ersehen kann.«

In der Tat wußte der Pfarrer ihnen so vielerlei vorzureden, und Don Quijote wußte so viel Narrheiten zu begehen, daß die Landreiter noch verrückter als er gewesen wären, wenn sie nicht eingesehen hätten, wo es ihm fehlte. So hielten sie es denn für geraten, ruhig zu bleiben, ja sogar die Friedensstifter zwischen dem Barbier und Sancho Pansa abzugeben, die einander noch immer in den Haaren lagen. Endlich, da sie doch Leute von der Justiz waren, vermittelten sie den Rechtshandel und wußten ihn als Schiedsrichter dergestalt zu schlichten, daß beide Teile, wenn auch nicht gänzlich einverstanden, doch in einigen Punkten zufriedengestellt waren. Sie tauschten nämlich mit den Eselssätteln, nicht aber mit den Gurten und Halftern; und was die Sache mit Mambrins Helm anging, so zahlte der Pfarrer unterderhand, und ohne daß Don Quijote es merkte, acht Realen für die Schüssel, und der Barbier stellte ihm einen Empfangsschein aus, worin er auch erklärte, er werde den Verkauf niemals wegen etwaiger Übervorteilung anfechten, weder jetzt noch in Ewigkeit, amen.

Nachdem nun also diese beiden Streithändel, die bedeutendsten und wichtigsten unter allen, geschlichtet waren, blieb nur noch übrig, die Diener zu überreden, daß drei von ihnen heimkehrten und einer zurückbliebe, um Don Luis dahin zu begleiten, wo Don Fernando ihn hinbringen wollte. Und so wie das freundliche Schicksal und das noch freundlichere Glück bereits begonnen hatte, für das Liebespaar und die Tapfern in der Schenke eine Lanze zu brechen und Schwierigkeiten zu ebnen, so wollte es auch die Sache zu Ende führen und alles zu einem heitern Ausgang bringen. Denn die Diener waren mit allem einverstanden, was nur immer Don Luis verlangte, und Doña Clara war darob so freudig erregt, daß ihr jetzt niemand ins Gesicht blicken konnte, ohne ihre Herzenswonne in ihren Zügen zu lesen.

Zoraida, obschon sie all die Ereignisse, die sie mit angesehen, nicht recht begriff, betrübte sich und freute sich aufs Geratewohl, je nachdem sie bei jedem einzelnen den wechselnden Gesichtsausdruck sah und merkte, insbesondere bei ihrem Spanier, auf den sie stets die Augen gerichtet hielt und an dem ihre Seele hing.

Der Wirt, dem die Entschädigung nicht entgangen war, womit der Pfarrer den Barbier bedacht hatte, verlangte nun die Zeche für Don Quijote nebst dem Ersatz für den Schaden an seinen Schläuchen und für den Verlust am Wein und schwur, weder Rosinante noch Sanchos Esel dürften aus der Schenke heraus, bis ihm alles auf den letzten Heller bezahlt sei. Indessen brachte der Pfarrer alles ins Geleise, und Don Fernando zahlte, wiewohl auch der Oberrichter mit größter Bereitwilligkeit sich zur Zahlung erboten hatte.

Nun war jedermann so völlig beruhigt und zufrieden, daß die Schenke längst nicht mehr wie die Zwietracht in Agramants Lager aussah – wie vorher Don Quijote gesagt hatte –, sondern gänzlich so wie die Ruhe und der allgemeine Friede zu Octavians Zeiten. Und für dies alles, war das allgemeine Urteil, müsse man den guten Absichten und der großen Beredsamkeit des Herrn Pfarrers Dank sagen sowie der unvergleichlichen Freigebigkeit Don Fernandos.

Als Don Quijote sich nunmehr von so vielen Streithändeln, sowohl denen seines Schildknappen als auch seinen eignen, frei und ledig sah, deuchte es ihn am besten, alsbald seine angefangene Kriegsfahrt fortzusetzen und jenes große Abenteuer zu Ende zu führen, für das er berufen und auserwählt worden. So ging er denn mit raschem Entschlusse hin und warf sich vor Dorotea auf die Knie. Diese aber gestattete ihm nicht, auch nur ein Wort zu sprechen, bevor er aufstünde. Um ihr zu gehorchen, richtete er sich empor und sprach: »Es geht die gemeine Rede, liebreizendes Fräulein, daß Beharrlichkeit die Mutter des glücklichen Erfolges ist, und bei vielen und schwierigen Dingen hat die Erfahrung gezeigt, daß unablässige Bemühungen eines tüchtigen Sachwalters einen zweifelhaften Prozeß zu glücklichem Ende bringen. Aber nirgends zeigt sich die Wahrheit dieses Satzes deutlicher als in allem, was den Krieg betrifft, wo Schnelligkeit und stete Bereitschaft den Absichten des Feindes zuvorkommen und den Sieg erlangen, eh der Gegner sich nur in Verteidigungsstand gesetzt hat. All dieses sag ich, erhabene und hochpreisliche Herrin, weil es mich bedünkt, daß das Verweilen unserer Personen in dieser Burg jetzt bereits eines nützlichen Zweckes lediggeht, ja uns zu großem Schaden gereichen könnte, was wir eines Tages wohl erfahren möchten. Denn wer weiß, ob nicht durch geheime und beflissene Kundschafter Euer Feind, der Riese, bereits vernommen hat, daß ich ausziehe, um ihn zu vernichten, und ob er nicht, nachdem ihm diese Verzögerung die Möglichkeit dazu gewährt, sich in irgendeiner unüberwindlichen Burg oder Feste verschanzt, gegen welche all mein Mühen und die unermüdliche Kraft meines Armes wenig vermögen würden? Demnach, Herrin mein, wollen wir, wie ich gesagt, mit unseren schleunigen Maßregeln seinen Anschlägen zuvorkommen und unverzüglich und auf gut Glück von dannen ziehen; und will Euer Hoheit sotanes Glück ganz nach Dero Wunsch gewinnen, so ist sie von diesem Gewinn nur soviel entfernt, als ich jetzt noch zögere, Eurem Feind gegenüberzutreten.«

Hier schwieg Don Quijote und sprach kein Wort weiter und erwartete ruhig und gelassen die Antwort der schönen Prinzessin, die mit vornehmem und ganz in Don Quijotes Manier gehaltenem Gebaren ihm folgendes antwortete: »Gar sehr, Herr Ritter, danke ich Euch das Befleißen, das Ihr an den Tag leget, mir in meinen großen Nöten hilfreich zu sein, recht als ein richtiger Ritter, dem es eigen und geziemlich ist, den Waisen und Bedrängten Beistand zu leisten; und wollte der Himmel, daß Euer und mein Begehr in Erfüllung ginge, auf daß Ihr sehet, daß es dankbare Frauen auf Erden gibt! Und was meinen Aufbruch betrifft, der werde alsogleich ins Werk gesetzt, sintemal ich keinen anderen Willen hege als den Euern. Verfüget über mich ganz nach Euerem Erachten und Belieben. Denn diejenige, so Euch einmal den Schutz ihrer Person anvertraut und die Wiederaufrichtung ihrer Herrschaft in Eure Hände gelegt hat, selbige darf nimmer sich gegen die Anordnungen setzen, so Eure weise Einsicht treffen mag.«

»Mit Gottes Hilfe denn!« sprach Don Quijote. »Sintemalen es also geschieht, daß eine Dame sich vor mir demütigt, will ich die Gelegenheit nicht aus den Händen lassen, sie aufzurichten und sie auf ihren anererbten Thron zu setzen. Der Aufbruch geschehe sonach auf der Stelle, denn das alte, viel angeführte Wort: Nur im Zaudern steckt die Gefahr! beflügelt mir schon den Wunsch und die Reise. Und da der Himmel keinen je erschaffen und die Hölle keinen je gesehen hat, der mich in Schrecken setzen oder mutlos machen könnte, so sattle du, Sancho, den Rosinante und zäume deinen Esel auf und den Zelter der Königin, und nehmen wir Urlaub vom Burgvogt und von diesen Herrschaften, und sogleich auf der Stelle lasset uns von dannen ziehen.«

Sancho, der bei all diesem zugegen war, schüttelte den Kopf hin und her und sprach: »Ach, gnädiger Herr, gnädiger Herr, es stinkt in der Fechtschule, und man will’s nicht Wort haben, so sag ich, jedoch mit Verlaub all jener Frauenzimmer, die sauber unter der Haube sind.«

»Was kann in der Fechtschule oder meinetwegen in allen Schulen der Welt für ein übler Geruch sein, der mir etwa zum Unglimpf gereichen könnte, du gemeiner Mensch?« brauste Don Quijote auf.

»Wenn Euer Gnaden böse wird«, entgegnete Sancho, »dann schweig ich und werde nichts von allem offenbaren, wozu ich als getreuer Schildknappe verpflichtet bin und was ein getreuer Diener schuldig ist seinem Herrn zu sagen.«

»Sage, was dir beliebt«, antwortete Don Quijote, »vorausgesetzt, daß du nicht darauf ausgehen willst, mir Furcht einzuflößen. Wenn aber du Furcht hast, so handelst du eben deiner Natur gemäß, und wenn ich keine solche habe, so handle ich gemäß der meinigen.«

»Darum, Gott verzeih mir meine Sünden, darum handelt sich’s nicht«, erwiderte Sancho, »sondern darum, daß ich für sicher und für erwiesen halte, daß dies Fräulein, welches sich für die Königin des großen Reiches Mikomikón ausgibt, das geradesowenig ist, wie meine Mutter es war; denn wäre sie das, wofür sie sich ausgibt, so würde sie nicht mit einem von jenen, die hier herumstehen, den Schnabel zusammenstecken, sooft man den Kopf umdreht und sooft man nicht darauf achtgibt.«

Bei Sanchos Worten errötete Dorotea; denn es war ganz richtig, daß ihr Gemahl Don Fernando hie und da verstohlenerweise mit seinen Lippen einen Teil des Minnelohns eingeheimst hatte, der seiner Sehnsucht gebührte. Sancho hatte das gesehen, und es dünkte ihm, ein so freies Benehmen passe sich eher für ein buhlerisches Weib als für die Königin eines so großen Reiches.

Sie konnte und wollte Sancho kein Wort erwidern, sondern ließ ihn in seinem Geschwätze fortfahren, und er sprach denn: »Dies sag ich Euch, Señor, damit Ihr’s bedenket: wenn, nachdem wir soviel Wege und Landstraßen durchwandert, soviel schlimme Nächte und noch schlimmere Tage verbracht, wenn dann einer, der hier in der Schenke sich’s wohl sein läßt, uns die Frucht unsrer Arbeit vor der Nase abpflücken soll, da brauch ich mich wahrhaftig nicht zu eilen, daß ich den Rosinante aufzäume, dem Esel seinen Sattel auflege und den Zelter in Bereitschaft setze; denn da ist es viel besser, wir bleiben ruhig zu Hause, und was eine Hure ist, soll lieber am Spinnrocken sitzen, wir aber wollen uns ans Essen und Trinken halten.«

Hilf Himmel, welch ungeheurer Zorn erhob sich in Don Quijote, als er die frechen Worte seines Schildknappen vernahm! Ja, sag ich, der Zorn war so übermäßig, daß der Ritter mit bebender Stimme und stotternder Zunge, blitzendes Feuer aus den Augen sprühend, rief: »Ha, gemeiner Schuft, vernunftloser, frecher, dummer Kerl! Albernes, doppelzüngiges, schamloses, verleumderisches Lästermaul! Solcherlei Worte erdreistest du dich in meiner Gegenwart und angesichts dieser erlauchten Dame auszusprechen, und solchen Schändlichkeiten und Unverschämtheiten erfrechst du dich Raum zu geben in deiner verrückten Einbildung? Entferne dich aus meiner Gegenwart, du Ungeheuer der Natur, du Vorratskammer der Lügen, du Zeughaus der Tücke, Senkgrube der Schelmenstreiche, Erfinder der Bosheiten, Verbreiter sinnloser Dummheiten, Feind der Ehrerbietung, die man königlichen Personen schuldet! Hebe dich von hinnen, laß dich nicht mehr vor mir sehen, bei Strafe meines Zornes!«

Und bei diesen Worten zog er die Brauen im Bogen empor, blies die Wangen auf, schaute wild um sich und stampfte mit dem rechten Fuß mächtiglich auf den Boden, was alles den Ingrimm verriet, den er in seinem Innern hegte. Und Sancho wurde bei diesen Worten und diesem wütenden Gebaren so kleinlaut und verzagt, daß es ihm eine Freude gewesen wäre, wenn sich gleich im Augenblicke die Erde unter seinen Füßen geöffnet und ihn verschlungen hätte. Er wußte nichts Besseres, als den Rücken zu wenden und vor dem zürnenden Angesicht seines Herrn zu entweichen.

Allein die kluge Dorotea, die sich auf Don Quijotes Art schon so trefflich verstand, sprach, um seinen Groll zu besänftigen: »Entrüstet Euch nicht, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, ob der sinnlosen Dinge, so Euer wackerer Schildknappe gesagt, denn es läßt sich denken, daß er sie ganz gewiß nicht ohne Anlaß sagt. Auch ist von seinem gesunden Verstand und seinem christlichen Gewissen nimmer argwöhnisch anzunehmen, daß er falsches Zeugnis gegen irgendwen vorbringt. Diesem nach darf man keinen Zweifel darein setzen, daß, sintemal in dieser Burg, wie Ihr, Herr Ritter, saget, alles mit Zauberei zugeht und geschieht, daß es also sein möchte, sag ich, daß Sancho unter solcher teuflischen Einwirkung gesehen hätte, was er gesehen zu haben behauptet und was meiner Tugend zu so großer Beeinträchtigung gereichen würde.«

»Bei dem allmächtigen Gotte schwöre ich«, sprach Don Quijote, »Euer Hoheit hat den Nagel auf den Kopf getroffen, und diesem Sünder von Sancho sind böse Gesichte erschienen, was auf andre Weise als mittels Zauberei nie erschaut werden konnte. Auch ist mir bei der Ehrlichkeit und Unschuld dieses unglücklichen Menschen wohl bewußt, daß er gegen niemand falsches Zeugnis reden wird.«

»So ist’s und so wird es sein«, sprach Don Fernando, »und deshalb, Señor Don Quijote, müßt Ihr ihm vergeben und ihn in den Schoß von Dero Gnade wieder aufnehmen sicut erat in principio, bevor die besagten Gesichte ihm den Verstand benahmen.«

Don Quijote erwiderte, er vergebe ihm, und der Pfarrer ging, Sancho zu holen. Der kam in großer Demut heran, warf sich auf die Knie und bat seinen Herrn um die Hand; der Ritter gab sie ihm, und nachdem er ihm vergönnt hatte, sie zu küssen, erteilte er ihm seinen Segen und sprach: »Jetzt endlich wirst du vollends erkannt haben, wie wahr ist, was ich dir schon oftmals gesagt, daß alles in dieser Burg mit Zauberei zugeht.«

»Das glaub ich auch«, sagte Sancho, »mit Ausnahme des Wippens, denn das ist wirklich auf ganz natürliche Weise geschehen.«

»Glaube das nicht«, erwiderte Don Quijote, »denn wäre dem so, dann hätt ich dich damals gerächt, ja, würde dich jetzt noch rächen; aber weder damals noch jetzt vermochte ich es, noch erblickte ich jemanden, an dem ich für die von dir erlittene Schmach hätte Rache nehmen können.«

Die Anwesenden alle wünschten zu wissen, was es mit dem Wippen für eine Bewandtnis habe, und der Wirt erzählte ihnen Punkt für Punkt Sancho Pansas Luftfahrt, worüber sie alle nicht wenig lachten und worüber Sancho sich nicht weniger würde geärgert haben, wenn ihm sein Herr nicht aufs neue versichert hätte, es sei eitel Zauberei gewesen. Indessen ging Sanchos Einfalt nie so weit, es nicht für reine und unwiderlegliche Wahrheit ohne Beimischung irgendwelcher Täuschung zu halten, daß ihn Leute von Fleisch und Blut gewippt hatten und keineswegs Traumgebilde und Geschöpfe der Phantasie, wie sein Herr es glaubte und wiederholt versicherte.

Zwei Tage waren nun schon vorüber, seit die ganze hochansehnliche Gesellschaft in der Schenke verweilte. Und da es ihnen endlich Zeit zur Abreise schien und die schöne Dorotea und Don Fernando sich die Mühe ersparen wollten, mit Don Quijote in sein Dorf zurückzukehren und zu diesem Zwecke die Erfindung von der Befreiung der Prinzessin Míkomikona weiterzuführen, so traf man Anstalt, daß der Pfarrer und der Barbier ihn, wie sie wünschten, mitnehmen und in seiner Heimat für die Heilung seines Irrsinns Sorge tragen könnten. Und was man veranstaltete, war, daß man mit einem Ochsenkärrner, der gerade vorüberkam, vereinbarte, er solle ihn auf folgende Weise fortbringen: man verfertigte aus gitterförmig gelegten Holzstäben eine Art von Käfig, geräumig genug, daß Don Quijote bequem Platz darin hatte; und Don Fernando und seine Gefährten nebst den Dienern des Don Luis und den Landreitern gemeinschaftlich mit dem Wirt, kurz, alle verhüllten sich auf Anweisung und nach Gutheißung des Pfarrers alsbald die Gesichter und verkleideten sich, der auf diese Weise und jener auf eine andre, damit Don Quijote sie für ganz andre Leute halten müsse, als die er in dieser Burg gesehen.

Hierauf schlichen sie in tiefster Stille zu der Stätte, wo er im Schlummer lag und von den bestandenen Kämpfen ausruhte. Sie näherten sich ihm, der da frei von Besorgnis und sich sicher wähnend vor solchen Begebenheiten schlief, und indem sie ihn mit aller Macht packten, banden sie ihm Hände und Füße so fest, daß er, als er jählings aus dem Schlummer auffuhr, sich nicht rühren und nichts andres tun konnte als staunen und atemlos die seltsamen Gesichter anstarren, die vor ihm erschienen.

Und gleich verfiel er auf eine jener Vorstellungen, die ihm seine nimmer ruhende, wahnwitzige Phantasie malte: er hielt es für gewiß, all diese Gestalten seien Gespenster dieser verzauberten Burg, und ohne allen Zweifel sei auch er bereits verzaubert, da er kein Glied rühren und sich nicht verteidigen konnte –: alles genauso, wie der Pfarrer, der Urheber dieses Anschlags, es vorausgesehen hatte.

Sancho hatte allein von allen Anwesenden seinen richtigen Verstand und sein richtiges Aussehen behalten, und obschon ihm gar wenig daran fehlte, um ebenso krank am Geiste zu sein wie sein Herr, so entging es ihm doch nicht, wer all diese verlarvten Gestalten seien. Allein er wagte den Mund nicht aufzutun, bis er sähe, worauf diese Überrumpelung und Gefangennahme seines Herrn hinauswolle; und dieser sprach ebensowenig ein Wort, sondern erwartete mit Spannung den Ausgang des unglücklichen Begebnisses. Dieser Ausgang aber bestand darin, daß man den Käfig herbeibrachte, ihn darin einsperrte und die Balken so fest vernagelte, daß sie nicht so leicht zu brechen waren. Dann nahmen sie ihn auf die Schultern, und beim Verlassen des Gemaches hörte man eine furchtbare Stimme, so furchtbar sie der Barbier – nicht der mit dem Eselssattel, sondern der andre – hervorzubringen vermochte, die da rief: »O Ritter von der traurigen Gestalt! Nicht schaffe dir Trübsal die Gefangenschaft, in welcher du verweilest; denn so muß es sein, um desto schneller das Abenteuer zu Ende zu führen, zu welchem dein hoher Mut dich bewogen hat. Selbiges wird aber zu Ende geführt werden, wenn der grimmige Manchaner Löwe mit der weißen Toboser Taube das Lager teilen wird, nachdem sie beide den stolzen Nacken unter das milde ehestandliche Joch werden gebeugt haben; aus welcher nie erhörten Verbindung ans Licht der Welt hervortreten soll die ungestüme Leuenbrut, die es den kralligen Tatzen des heldenhaften Vaters nachtun wird. Und dies soll geschehen, bevor noch der Verfolger der flüchtigen Nymphe auf seiner schnellen natürlichen Bahn zu zweien Malen die leuchtenden Sternbilder besucht hat.

Und du, o edelster, gehorsamster aller Schildknappen, so jemals ein Schwert am Gurt, einen Bart im Angesicht und Geruch in der Nase besessen, es mache dich nicht mutlos noch ärgerlich, daß du so vor deinen eignen Augen die Blume des fahrenden Rittertums hinführen siehst. Denn bald, wenn es dem Baumeister des Weltalls gefällt, wirst du dich so emporgehoben und zum Gipfel erhöht sehen, daß du dich selber nicht kennest, und es werden sich nicht als Täuschung erzeigen die Verheißungen, so dir dein redlicher Herre getan hat. Und ich bürge dir im Namen der Zauberin Lughilde, daß dein Dienstlohn dir ausbezahlt werden soll; wie du es durch die Tat ersehen wirst. Folge du nur immer den Fußstapfen des mannhaften, anitzo verzauberten Ritters; denn es gebührt sich, daß du mit ihm zu dem Orte ziehest, wo ihr beide euer Reiseziel finden sollt. Und da es mir nicht vergönnt ist, ein mehreres zu sagen, so fahret wohl in Gottes Namen; denn ich kehre zurück, ich weiß wohl, wohin.«

Und als er an den Schluß dieser Weissagung kam, erhob er die Stimme zu solcher Kraft und ließ sie dann zu so sanftem Tone sinken, daß sogar die Mitwisser des losen Streiches beinahe an die Wahrheit der Worte geglaubt hätten.

Don Quijote fühlte sich durch die vernommene Weissagung recht getröstet, denn er begriff ihren Sinn auf der Stelle und erkannte, daß er sich durch das heilige Band der Ehe verbunden sehen solle mit seiner geliebten Dulcinea von Toboso, aus deren gesegnetem Schoße die Leuenbrut hervorgehen werde, nämlich seine Söhne, zum unvergänglichen Ruhme der Mancha. Und im ernstlichen und festen Glauben hieran erhob er die Stimme, stieß einen mächtigen Seufzer aus und sprach: »O du, wer immer du sein mögest, der du mir soviel hohe Güter vorhergesagt, ich bitte dich, den weisen Zauberer, der über meinen Angelegenheiten waltet, in meinem Namen zu ersuchen, daß er mich nicht in diesen Banden, worin ich itzo fortgeschleppt werde, zugrunde gehen lasse, ehe ich so freudige, so unvergleichliche Verheißungen erfüllt sehe, wie sie mir hier geworden. Sofern aber dies geschehen sollte, so werde ich die Qualen meines Kerkers für Wonne halten, für Erquickung die Ketten, die mich umgürten, und das Lager, auf das man mich hingestreckt, nicht für ein hartes Schlachtfeld, sondern für eine weiche Schlafstätte und ein glückseliges Brautbett. Und was die Tröstung für meinen Knappen Sancho Pansa anbetrifft, so vertraue ich auf sein redliches Herz und seine redliche Handlungsweise, daß er mich weder in guten noch in bösen Tagen verlassen wird. Denn wenn es so kommen sollte, daß ich ihm um seines oder meines Unsterns willen die Insul, die ich ihm versprochen, oder etwas andres von gleichem Werte nicht geben könnte, so wird ihm wenigstens sein Dienstlohn nicht verlorengehen; sintemal in meinem Testament, das bereits errichtet ist, genau bestimmt stehet, was er erhalten soll, wenn es auch nicht seinen vielen redlichen Diensten entspricht, sondern nur dem wenigen, was in meiner Möglichkeit liegt.«

Sancho Pansa verbeugte sich vor ihm mit großer Höflichkeit und küßte ihm beide Hände; eine allein hätte er nicht küssen können, weil beide zusammengebunden waren. Alsbald nahmen die Gespenster den Käfig auf die Schulter und setzten ihn auf dem Ochsenkarren zurecht.

47. Kapitel

Von der seltsamen Art, wie Don Quijote verzaubert wurde, nebst andern denkwürdigen Begebnissen

Als sich Don Quijote solchergestalt eingekäfigt und auf dem Karren sah, sprach er: »Viele und sehr bedeutsame Historien hab ich von fahrenden Rittern gelesen; aber niemals hab ich gelesen noch gesehen noch gehört, daß man die verzauberten Ritter auf solche Weise von dannen führt und mit solcher Langsamkeit, wie diese trägen, schwerfälligen Tiere es erwarten lassen. Denn stets pflegt man sie mit wunderbarer Schnelligkeit durch die Lüfte davonzuführen, von einer dunkelgrauen Wolke umschlossen oder in einem feurigen Wagen oder etwa auf einem Hippogryphen oder einem andern Untier ähnlicher Art. Aber daß man mich jetzt, mich, auf einem Ochsenkarren hinschleppt, bei Gott, da steht mir der Verstand still. Indessen haben das Rittertum und die Zauberkunst dieser unsrer Zeiten vielleicht eine andre Manier angenommen, als die Alten pflagen; und da ich im Rittertum ein Neuling auf der Welt bin und der erste, der den bereits vergessenen Beruf der abenteuernden Ritterschaft wieder auferweckt hat, so könnte es wohl auch der Fall sein, daß neuerlich andre Arten von Verzauberungen erfunden wurden und andre Arten, verzauberte Ritter von dannen zu führen. Was bedünkt dich hievon, Sancho, mein Sohn?«

»Ich weiß wahrlich nicht, was mich bedünkt«, antwortete Sancho, »denn ich bin nicht so belesen in den fahrenden Büchern wie Euer Gnaden; aber bei alledem möchte ich behaupten und beschwören, die Gespenster, die hier umgehen, sind keine rechten, es kann kein Mensch recht an sie glauben.«

»An sie glauben?« rief Don Quijote, »o du Gerechter! Wie kann man an sie glauben, da sie doch sämtlich Teufelsgeister sind, die nur scheinbar Körper angenommen haben, um uns diese Geschichten aufzuspielen und mich in diesen Zustand zu versetzen? Und wenn du sehen willst, wie sehr wahr dies ist, berühre sie, befühle sie, und du wirst finden, daß sie nur Luftgebilde und leere Scheinwesen sind.«

»Bei Gott, Señor«, entgegnete Sancho, »ich habe sie schon befühlt; und dieser Teufel, der sich hier so geschäftig benimmt, hat festes derbes Fleisch und besitzt außerdem noch eine Eigenschaft, die ganz anders ist als die, welche ich den teuflischen Geistern habe nachsagen hören. Denn wie man sagt, riechen sie alle nach Schwefel und andern übeln Düften, dieser hingegen riecht auf eine halbe Meile weit nach Ambra.«

Sancho meinte damit Don Fernando, der als ein so vornehmer Herr allerdings den von Sancho erwähnten Wohlgeruch um sich verbreiten mochte.

»Wundere dich nicht darüber, Freund Sancho«, versetzte Don Quijote, »denn ich tue dir zu wissen, daß die Teufel sich auf gar vieles verstehen, und selbst wenn sie Gerüche mit sich führen, so riechen sie selbst doch nach nichts, weil sie Geister sind; und wenn sie nach etwas duften, können sie nicht nach etwas Gutem duften, sondern nur nach etwas Schlechtem und Stinkendem. Und warum? Da sie allerwärts die Hölle in ihrem Innern tragen und keine Erleichterung irgendwelcher Art in ihren Martern finden können; und da guter Geruch etwas Ergötzliches und Erfreuendes ist, so ist es nicht möglich, daß sie nach etwas Gutem riechen. Und wenn es dir so vorkommt, als rieche dieser teuflische Geist, von dem du sprichst, nach Ambra, so irrst du dich entweder, oder er will dich irreführen und dich verleiten, ihn nicht für einen Teufel zu halten.«

Solcherlei Zwiesprach geschah zwischen Herrn und Diener, und Don Fernando und Cardenio waren in Besorgnis, es möchte Sancho vollständig hinter ihren Anschlag kommen, da er schon ganz nahe daran war. Sie beschlossen daher, die Abreise zu beschleunigen, riefen den Wirt beiseite und befahlen ihm, Rosinante aufzuzäumen und dem Esel Sanchos seinen Sattel aufzulegen. Er tat es denn in aller Eile. Inzwischen hatte der Pfarrer mit den Landreitern die Abrede getroffen, daß sie ihn nach seinem Orte begleiten sollten, wofür er ihnen ein gewisses Tagesgeld zusagte. Cardenio hängte an Rosinantes Sattelbogen einerseits die Tartsche, andererseits die Barbierschüssel und gebot Sancho durch Zeichen, sich auf seinen Esel zu setzen und Rosinante am Zügel zu nehmen; zu beiden Seiten des Karrens stellte er je zwei von den Landreitern mit ihren Musketen auf.

Bevor jedoch der Karren sich in Bewegung setzte, kam die Wirtin mit ihrer Tochter und Maritornes heraus; sie stellten sich, als weinten sie vor Schmerz über sein Mißgeschick. Don Quijote sprach zu ihnen: »Weinet nicht, meine lieben Damen; allen derartigen Mißgeschicken sind diejenigen ausgesetzt, die sich zu dem Berufe bekennen wie ich, und wenn solche Trübsale mir nicht zustießen, würde ich mich nicht für einen fahrenden Ritter von Ruf erachten. Denn den Rittern von geringem Ruf und Namen widerfahren nimmer solcherlei Geschichten, sintemal niemand auf Erden sich um sie bekümmert; wohl aber den heldenhaften, die in zahlreichen Fürsten und viel andern Rittern Neider ihrer Tugend und Mannhaftigkeit haben, welche alle mit schlechten Mitteln die Guten zu verderben trachten. Aber bei alledem ist die Tugend so mächtig, daß sie durch sich selbst trotz all der Schwarzkunst, auf die sich deren erster Erfinder, Zoroaster, verstand, als Siegerin aus allen Nöten hervorgehen und das ihr eigene Licht über die Welt verbreiten wird, wie die Sonne es über den Himmel verbreitet. Verzeihet mir, huldselige Damen, wenn ich aus Unbedacht euch etwa eine Ungebühr angetan; denn mit Willen und Wissen habe ich solche nie jemandem zugefügt; und bittet zu Gott, daß er mich aus diesen Banden löse, in die irgendein übelwollender Zauberer mich geschlagen hat. Wenn ich mich aber von selbigen wieder frei sehe, werden mir die Gnaden, so ihr mir in dieser Burg erwiesen habt, nie aus dem Gedächtnis entfallen, auf daß ich sie verdanken, mit Diensten vergelten und belohnen kann, wie sie es verdienen.«

Während die Edelfrauen der Burg sich dergestalt mit Don Quijote im Gespräch ergingen, nahmen der Pfarrer und der Barbier Abschied von Don Fernando und seinen Gefährten, dem Hauptmann und seinem Bruder und von all den vergnügten Damen, insbesondere von Dorotea und Luscinda. Sie umarmten einander und verabredeten, sich gegenseitig Nachricht von ihren Schicksalen zu geben. Don Fernando sagte dem Pfarrer, wohin er ihm schreiben solle, um ihm mitzuteilen, was aus Don Quijote werden würde, und versicherte ihm, nichts könne ihm mehr Vergnügen machen als Nachricht hierüber; ebenso wolle er auch ihn von allem benachrichtigen, was nach seiner Meinung der Pfarrer gern vernehmen werde sowohl von seiner Trauung als auch von Zoraidas Taufe und von Don Luis‘ Schicksal und von Luscindas Rückkehr zu ihrer Familie. Der Pfarrer versprach, all ihre Aufträge pünktlichst auszuführen. Sie umarmten einander nochmals und wiederholten nochmals ihre Freundschaftsversicherungen.

Der Wirt trat jetzt zu dem Pfarrer heran und gab ihm ein Heft Papiere, die er im Unterfutter des nämlichen Mantelsacks entdeckt habe, in welchem er die Erzählung von dem Törichten Vorwitz gefunden, und da dessen Eigentümer nie wieder hierher zurückgekehrt sei, so möge er sie alle mitnehmen; denn da er selbst nicht lesen könne, so wolle er sie nicht behalten. Der Pfarrer dankte ihm dafür, schlug die Papiere auf und fand gleich zu Anfang der Handschrift den Titel: Novelle von Rinconete und Cortadillo. Er sah also, daß es eine Novelle war, und da die vom Törichten Vorwitz gefallen hatte, so folgerte er, das werde auch mit dieser der Fall sein, weil ja beide möglicherweise vom nämlichen Verfasser herrühren könnten; und so nahm er sie in Verwahrung, mit der Absicht, sie zu lesen, sobald er Muße dazu fände.

Dann stieg er zu Pferde, und so auch sein Freund, der Barbier, beide mit ihren Larven vor dem Gesicht, damit sie nicht gleich von Don Quijote erkannt würden, und sie begannen hinter dem Wagen herzutraben, und zwar in folgender Ordnung: zuerst kam der Karren, der von dem Eigentümer gefahren wurde; zu beiden Seiten hielten sich, wie gesagt, die Landreiter mit ihren Musketen; gleich danach folgte Sancho Pansa auf seinem Esel mit Rosinante am Zügel; hinter dem Ganzen her zogen der Pfarrer und der Barbier auf ihren mächtigen Maultieren, die Gesichter verhüllt, wie schon bemerkt, mit ernster und gelassener Haltung, nicht schneller reitend, als es der träge Schritt der Ochsen gestattete. Don Quijote saß in seinem Käfig, die Hände gebunden, die Füße ausgestreckt, an die Latten des Verschlags gelehnt, so schweigsam und so geduldig, als wäre er kein Mensch von Fleisch und Bein, sondern eine steinerne Bildsäule.

Und so zogen sie stets in gleicher Gemächlichkeit und Stille etwa zwei Meilen hin, bis sie zu einem Tale gelangten, das der Ochsenkärrner für einen passenden Ort hielt, um auszuruhen und seine Ochsen grasen zu lassen; doch als er dies dem Pfarrer sagte, war der Barbier der Meinung, man solle noch ein wenig weiterziehen, weil er wußte, daß hinter einer Anhöhe, die man von dort aus erblickte, sich ein Tal mit viel mehr und weit besserem Gras befinde. Der Vorschlag des Barbiers wurde angenommen und demnach die Reise wieder fortgesetzt.

Indem wendete der Pfarrer die Augen zurück und sah sechs oder sieben Berittene hinter ihnen herkommen, stattliche, wohlgekleidete Leute, von denen sie sehr bald eingeholt wurden; denn jene zogen nicht mit der Bedächtigkeit und Trägheit der Ochsen einher, sondern als Leute, die auf Maultieren von Domherrn ritten und vom Verlangen getrieben waren, möglichst bald in der Schenke, die sich auf eine Entfernung von weniger als einer Meile dort zeigte, Mittagsrast zu halten. Die Eilfertigen holten die Säumigen bald ein, sie begrüßten einander höflichst, und als der eine von den Ankömmlingen, ein Domherr zu Toledo, den wohlgeordneten Zug sah mit dem Karren, den Landreitern, Sancho, Rosinante, Pfarrer und Barbier und gar Don Quijote eingekäfigt und in Banden, konnte er nicht umhin, zu fragen, was es zu bedeuten habe, daß man diesen Mann auf solche Weise fortbringe; obzwar er schon, wegen der Landreiter, vermutet hatte, es müsse ein ruchloser Straßenräuber oder ein Verbrecher andrer Art sein, den die Heilige Brüderschaft verhaftet habe. Einer der Landreiter, derjenige, an den die Frage gerichtet war, antwortete also: »Señor, was es zu bedeuten hat, daß dieser Herr auf solche Weise fortgebracht wird, das mag er selber Euch sagen, denn wir wissen es nicht.«

Don Quijote hörte diese Worte und sprach: »Sind Eure Gnaden, ihr Herren Ritter, vielleicht in betreff der fahrenden Ritterschaft belesen und erfahren? Denn wenn ihr es seid, so will ich euch meine traurigen Schicksale mitteilen; und wenn nicht, so seh ich keinen Grund, mich mit der Erzählung zu bemühen.«

Inzwischen waren der Pfarrer und der Barbier, welche bemerkt hatten, daß die Reisenden sich in ein Gespräch mit Don Quijote eingelassen, schon herzugekommen, um ihnen so zu antworten, daß ihr listiger Anschlag nicht entdeckt werde.

Der Domherr gab Don Quijote zur Antwort: »In der Tat, lieber Freund, weiß ich mehr von Ritterbüchern als von den Summulae des Villalpando; wenn es also nur hierauf ankommt, so könnt Ihr mir in voller Seelenruhe alles mitteilen, was Ihr wollt.«

»In Gottes Namen denn«, entgegnete Don Quijote. »Da es also ist, so sollt Ihr wissen, Herr Ritter, ich weile in diesem Käfig verzaubert durch Neid und Trug bösartiger Zauberer; denn die Tugend wird von den Bösen weit mehr verfolgt als von den Guten geliebt. Ich bin ein fahrender Ritter, und zwar keiner von jenen, an deren Namen die Göttin Fama niemals gedacht hat, um sie zu verewigen, sondern einer von jenen, welche zu Trotz und Ärger dem Neide selbst und zum Leidwesen all der Magier Persiens, der Brahmanen Indiens und der Gymnosophisten Äthiopiens ihren Namen einschreiben werden im Tempel der Unsterblichkeit, auf daß er in kommenden Jahrhunderten zum Beispiel und Vorbild diene, aus welchem die fahrenden Ritter ersehen mögen, welche Lebenswege sie zu wandeln haben, wenn sie zum Gipfelpunkt und zur erhabensten Höhe des Waffenwerks gelangen wollen.«

»Wahr spricht der Herr Don Quijote«, sagte jetzt der Pfarrer, »verzaubert zieht er hin auf diesem Karren, nicht ob seiner Verschuldungen und Sünden, sondern ob der bösen Gesinnung jener, welchen die Tugend zuwider und die Tapferkeit ein Ärgernis ist. Dieser Mann, Señor, ist der Ritter von der traurigen Gestalt, falls Ihr etwa ihn zu irgendwelcher Zeit schon habt nennen hören, dessen mannhafte Taten geschrieben stehen werden auf hartem Erz und ewigem Marmor, sosehr sich auch der Neid abmühen möge, sie zu verdunkeln, und die Bosheit, sie in die Verborgenheit zu drängen.«

Als der Domherr den Mann in Gefangenschaft und den Mann in Freiheit beide auf solche Weise reden hörte, wollte er sich schier vor Staunen und Verwunderung bekreuzigen, und er wußte kaum, wie ihm geschah; und in nicht minderes Staunen verfielen seine Begleiter alle. Inzwischen hatte sich Sancho Pansa genähert, um das Gespräch zu hören, und um alles in Richtigkeit zu bringen, fiel er ein: »Jetzt, ihr Herren, ob ihr nun gut oder übel aufnehmt, was ich sagen will, die Sache ist die, daß mein Herr Don Quijote geradeso verzaubert ist wie meine Frau Mutter: er hat seinen völligen Verstand und ißt und trinkt und verrichtet seine Bedürfnisse wie andre Menschen und wie er es noch gestern getan hat, bevor man ihn eingekäfigt hat. Und da dem so ist, wie wollt ihr mir weismachen, er sei verzaubert? Ich habe ja viele Leute sagen hören, daß die Verzauberten weder essen noch schlafen noch reden, und mein Herr hingegen, wenn man ihm nicht Einhalt tut, redet mehr als dreißig Advokaten.«

Sodann wandte er sich zu dem Pfarrer, sah ihn an und fuhr so fort: »Ach, Herr Pfarrer, Herr Pfarrer! Hat Euer Gnaden gemeint, ich kenne Euch nicht? Und könnt Ihr meinen, ich verstehe nicht und errate nicht, worauf diese neuen Verzauberungen hinauswollen? Wohl, so vernehmt, daß ich Euch kenne, sosehr Ihr Euch das Gesicht verdeckt, und wisset, daß ich Euch verstehe, sosehr Ihr Euere Ränke verbergen möget. Kurz, wo der Neid regiert, da kann die Tugend nicht bestehen, und wo der Geiz zu Hause ist, da ist keine Freigebigkeit. Daß doch der Teufel den Teufel holte! Wenn Euer Ehrwürden sich nicht dareingemengt hätte, so wäre mein Herr jetzt schon mit der Prinzessin Míkomikona verheiratet und ich zum mindesten ein Graf; denn ein geringerer Ehrensold ließ sich nicht erwarten, einerseits von dem guten Herzen meines Herrn, des Ritters von der traurigen Gestalt, und anderseits von der Größe meiner Verdienste. Aber ich sehe es schon, wahr ist, was man draußen in der Welt sagt: das Rad des Glückes dreht sich hurtiger als ein Mühlrad, und wer gestern obenauf war, liegt heut am Boden. Um Weib und Kinder ist mir’s leid; denn gerade als sie hoffen konnten und sollten, sie würden ihren Vater als Statthalter oder Unterkönig einer Insul oder eines Reiches durch ihre Tore einziehen sehen, da werden sie ihn einziehen sehen als einen Pferdeknecht. Mit allem, was ich da sage, Herr Pfarrer, will ich weiter nichts, als Euer Würden dringend bitten, Ihr möchtet Euch ein Gewissen daraus machen, daß mein Herr so schlecht behandelt wird, und möchtet wohl achthaben, daß nicht Gott in jener Welt Rechenschaft von Euch fordert für diese Einkerkerung meines Herrn und es Euch dereinst schwer anrechnet, daß mein Herr all die Zeit, wo er gefangen liegt, so viele Rettungswerke und Guttaten ungetan lassen muß.«

»Ei, ei, das Lämpchen flackert und muß geschneuzt werden!« sagte hierauf der Barbier; »auch Ihr, Sancho, gehört zur Kumpanei Eures Herrn? So wahr Gott lebt, ich seh es kommen, daß Ihr ihm bald im Käfig Gesellschaft leisten und ebenso verzaubert werden müßt wie er für den Anteil, den Ihr an seinem Sparren und an seinem Rittertum habt. Zu übler Stunde habt Ihr von seinen Verheißungen Euer Hirn schwängern lassen; im unglücklichsten Augenblick ist Euch die heißerwünschte Insul in den Sinn gekommen.«

»Ich bin von niemandem geschwängert worden«, antwortete Sancho, »ich bin nicht der Mann, der sich schwängern ließe, ja nicht einmal vom König selber. Wiewohl ein armer Mann, bin ich ein Christ von altem Blut und bin niemandem nichts schuldig; und wenn ich auch Insuln wünsche, so wünschen andere anderes und Schlimmeres. Und jeder ist der Sohn seiner Taten, und dafern ich nur ein Mann bin, kann ich’s doch noch dahin bringen, daß ich Papst werde, wieviel eher also Statthalter einer Insul, zumal deren mein Herr so viele erobern kann, daß es ihm an Leuten fehlen wird, sie ihnen zu verschenken. Also überlege Euer Edlen, was Ihr redet, Herr Barbier, denn Bärtescheren ist nicht alles, und es ist immer ein Unterschied zwischen Peter und Peter. Das sage ich, weil wir einander alle kennen, und mir darf man nicht mit falschen Würfeln kommen; und wie es mit der Verzauberung meines Herrn zugegangen ist, das weiß Gott am besten, und dabei wollen wir’s lassen, denn wenn man darin herumrührt, wird’s immer schlimmer.«

Der Barbier wollte Sancho keine Antwort geben, damit er in seiner Einfalt nicht alles verriete, was er und der Pfarrer so sehr zu verbergen suchten. Aus der nämlichen Besorgnis heraus hatte der Pfarrer den Domherrn gebeten, ein wenig mit ihm vorauszureiten; er wolle ihm alsdann das Geheimnis von dem eingekäfigten Ritter mitteilen, nebst manchem anderen, was ihm Vergnügen machen werde. Der Domherr war es zufrieden, ritt mit seinen Dienern und mit ihm voraus und horchte aufmerksam auf die Mitteilungen über Don Quijotes Denkart, Lebenslauf, Torheit und Gewohnheiten, wobei der Pfarrer in aller Kürze von dem Ursprung und Grund der Verrücktheit des Ritters berichtete, dann vom weiteren Verlauf seiner Geschichte bis dahin, wo er in den Käfig gesperrt wurde, und endlich von ihrer Absicht, ihn nach seiner Heimat zu bringen, um womöglich irgendein Heilmittel für seine Verrücktheit zu finden.

Aufs neue verwunderten sich die Diener und der Domherr über Don Quijotes seltsame Geschichte, und der Domherr sprach, als er sie zu Ende gehört: »Wahrhaftig, Herr Pfarrer, ich meinesteils finde, daß die sogenannten Rittergeschichten dem Gemeinwesen schädlich sind; und obgleich ich aus Langerweile und verkehrter Leselust beinah von allen, die gedruckt sind, den Anfang durchgegangen, so habe ich es nie dahin bringen können, auch nur eine bis zu Ende zu lesen. Denn es bedünkt mich, daß sie meiner Meinung nach alle mehr oder weniger einander völlig gleich sind und in der einen nicht mehr und nicht weniger steht als in der anderen. Und wie mir deucht, gehört diese Art von Schriftstellerei oder Dichtung zur Art jener Milesischen Märchen, welche ungereimte Erzählungen sind, die nur ergötzen und nicht belehren wollen; im Gegensatz zu den Äsopischen Fabeln, welche sowohl ergötzen als auch belehren. Und wenn nun auch der hauptsächliche Zweck solcher Bücher ist zu ergötzen, so weiß ich nicht, wie sie ihn erreichen können, da sie voll so vieler ungeheuerlicher Abgeschmacktheiten sind. Denn das Ergötzen, das der Geist sucht, soll er nur empfinden ob der Schönheit und der richtigen Verhältnisse alles einzelnen, die er an den Dingen findet, wie sie ihm der lebendige Anblick oder die Phantasie vorführt; und alles, was Häßlichkeit und Mißverhältnis in sich hat, kann unmöglich Vergnügen in uns erregen. Nun aber, welche Schönheit oder welches Verhältnis der Teile zum Ganzen kann in einem Buch oder Märchen vorhanden sein, wo ein Junge von sechzehn Jahren einem turmhohen Riesen einen Schwerthieb versetzt und ihn mitten auseinanderhaut, als wäre er von Zuckerteig? Und wie erst, wenn man uns eine Schlacht schildern will, nachdem man gesagt, es stünden auf feindlicher Seite mehr als eine Million Streiter? Falls nur der Held des Buches gegen sie ist, so müssen wir notgedrungen, so ungern wir’s auch tun, für wahr annehmen, daß der besagte Ritter den Sieg durch die Tapferkeit seines starken Armes allein davongetragen hat. Und dann, was sollen wir von der leichtsinnigen Bereitwilligkeit sagen, mit der eine Königin oder die Erbin eines Kaisertums sich einem ihr unbekannten fahrenden Ritter an den Hals wirft? Welcher Geist, wenn er nicht völlig roh und ungebildet ist, kann sich daran vergnügen, zu lesen, wie ein großer Turm voll Ritter über Meer fährt gleich einem Schiff unter günstigem Winde und heut in der Lombardei Nachtruhe hält und morgen in der Frühe sich in den Landen des Priesters Johannes von Indien befindet oder in anderen, die weder Ptolomäus entdeckt noch Marco Polo gesehen hat?

Und wollte man mir hierauf entgegnen, daß die Verfasser von Büchern dieser Art sie nur als erdichtete Geschichten niederschreiben und daß sie daher nicht verpflichtet sind, auf Schicklichkeit und auf Wahrheit der Tatsachen zu sehen, so würde ich ihnen antworten müssen, daß die Lüge um so besser ist, je mehr sie wahr scheint, und um so mehr gefällt, je mehr sie Wahrscheinliches und Mögliches enthält. Die Dichtung muß sich mit dem Geiste des Lesers vermählen; das heißt, man muß das Erdichtete so gestalten, daß es das Unmögliche begreiflich macht, das Allzuhohe ebnet, die Geister in Spannung versetzt und mithin uns in solchem Grade Staunen abnötigt, uns aufregt und unterhält, daß Verwunderung und frohe Stimmung stets gleichen Schritt halten. Und all dieses wird der nicht zustande bringen können, der sich von der Wahrscheinlichkeit und der Nachahmung der Wirklichkeit fernhält, worin die Vollkommenheit eines Buches besteht. Nie hab ich ein Ritterbuch gesehen, dessen Dichtung ein einheitliches Ganzes mit all seinen Gliedern gebildet hätte, so daß die Mitte dem Anfang entspräche und das Ende dem Anfang und der Mitte; vielmehr setzen sie die Erzählung aus so viel Gliedern zusammen, daß es eher den Anschein hat, sie beabsichtigen eine Chimära oder sonst ein widernatürliches Ungetüm zu bilden, als eine Gestalt von richtigen Verhältnissen zu schaffen. Außerdem sind sie im Stile hart, in den erzählten Taten unwahrscheinlich, in den Liebeshändeln unzüchtig, in den Feinheiten des Umgangs unbeholfen, weitschweifig in den Schlachten, albern in den Gesprächen, ungereimt in den Reisen und, kurz, alles Kunstverständnisses bar und darum wert, aus dem christlichen Gemeinwesen als unnütz verbannt zu werden.«

Der Pfarrer hörte ihm höchst aufmerksam zu und erkannte in ihm einen Mann von gesundem Verstand, der in allen seinen Behauptungen recht hatte. Daher sagte er ihm, weil er ganz und gar mit ihm gleicher Meinung sei und gegen die Ritterbücher einen Widerwillen hege, habe er die ganze Sammlung Don Quijotes verbrannt, und die sei nicht klein gewesen. Und dann erzählte er ihm, wie er Gericht über sie gehalten und welche er zum Feuer verurteilt und welche er am Leben gelassen habe. Darüber lachte der Domherr nicht wenig und meinte, trotz all dem Bösen, das er über die besagten Bücher gesagt, finde er in ihnen immerhin ein Gutes, nämlich daß ihr Gegenstand stets ein solcher sei, daß in ihnen ein guter Kopf sich zeigen könne; denn sie öffneten ein weites, geräumiges Feld, über das die Feder ohne irgendwelches Hindernis hineilen könne, um Schiffbrüche, Seestürme, Scharmützel und Schlachten zu beschreiben; einen tapfern Feldherrn zu schildern mit all den Eigenschaften, die zu einem solchen erforderlich sind: sich als vorsichtig bewährend, den listigen Anschlägen seiner Feinde zuvorkommend, ein gewandter Redner, der seine Krieger zu allem überreden oder ihnen jegliches ausreden kann, bedächtig im Rat, rasch zur Tat, ebenso mannhaft entschieden im Abwarten wie im Angreifen; bald einen jammervollen, schmerzlichen Vorgang darzustellen, bald ein freudiges und unverhofftes Ereignis, dort eine wunderschöne, tugendsame, verständige und sittige Dame, hier einen Ritter voll christlichen Heldenmutes und feiner Gesittung zu zeichnen, dort hingegen einen ungeschlachten, großsprecherischen Barbaren, an anderem Orte einen freundlichen, tapferen, weitblickenden Fürsten; die Biederkeit und Treue der Untertanen, die Größe und Freigebigkeit der Herrscher. Bald kann er sich als Sterndeuter zeigen, bald als Meister der Erdbeschreibung, bald als Musiker, bald als Kenner der Staatsangelegenheiten; ja, vielleicht kommt ihm einmal die Gelegenheit, sich, wenn er Lust hat, als Schwarzkünstler zu zeigen. Er kann die Verschlagenheit des Odysseus und die Kühnheit des Achilles darstellen, Hektors trauriges Geschick, Sinons Verräterei, die Freundschaft des Euryalus, Alexanders Großmut, den Heldensinn Cäsars, die Milde und Aufrichtigkeit Trajans, die Treue des Zopirus, die Weisheit Catos und, endlich, all jene Tugenden, die einen hochgestellten Mann vollkommen machen können, indem er sie bald in einem einzigen Helden zusammengesellt, bald sie unter viele verteilt. Und wenn dies mit gefälliger Anmut des Stils geschieht und mit sinnreicher Erfindung, die soviel als möglich das Gepräge der Wahrheit trägt, dann wird er ohne Zweifel ein Gewebe weben, aus mannigfachen und reizenden Verschlingungen gebildet, das, wenn es erst zustande gebracht worden, eine solche Vollkommenheit und solchen Reiz der Gestaltung zeigt, daß es das schönste Ziel erreicht, das man in Büchern anstrebt, nämlich zugleich zu belehren und zu ergötzen, wie ich schon bemerkt habe. Denn der zwanglose Stil dieser Bücher gewährt dem Verfasser Freiheit und Raum, sich als epischer, lyrischer, tragischer, komischer Dichter zu zeigen, in der ganzen Vielseitigkeit, die in den holden und heiteren Künsten der Poesie und Beredsamkeit enthalten ist – denn die epische Dichtung läßt sich ebensogut in Prosa als in Versen schreiben.