4. Kapitel

Von dem, was unserm Ritter begegnete, als er aus der Schenke schied

Es mochte um die Stunde des anbrechenden Tages sein, als Don Quijote aus der Schenke schied, so zufrieden, so frischen Mutes, so überglücklich, sich nun zum Ritter geschlagen zu sehen, daß ihm das Vergnügen aus allen Gliedern, ja aus dem Gurt seines Gaules herausplatzte. Aber da ihm die Ratschläge seines Wirtes ins Gedächtnis kamen in betreff der so notwendigen Vorräte, die er mitführen solle, insbesondere des Vorrats an Geld und Hemden, so beschloß er, nach Hause zurückzukehren und sich mit all diesem wie auch mit einem Schildknappen zu versehen, wobei er sich vorsetzte, einen Bauersmann in Dienst zu nehmen, seinen Ortsnachbar, der arm war und Kinder hatte, jedoch zu dem Knappenamte des Rittertums sehr tauglich war. In solchen Gedanken lenkte er den Rosinante seinem Dorfe zu, und dieser, den heimischen Futterplatz schon kennend, begann mit solcher Lust zu traben, daß es schien, als berührte er den Boden nicht mit seinen Füßen.

Der Junker hatte noch nicht viel des Weges zurückgelegt, da deuchte es ihm, als ob ihm zur rechten Hand, aus dem Dickicht eines dort befindlichen Gehölzes, ein schwaches Schreien herausdringe, wie von jemand, der wehklagte; und kaum hatte er es vernommen, als er sprach: »Dank spende ich dem Himmel für die Gnade, so er mir tut, da er mir so bald Gelegenheiten vor die Augen stellt, wo ich erfüllen kann, was ich meinem Beruf schulde, und wo ich die Frucht meines tugendhaften Vorhaben pflücken kann. Diese Weherufe kommen ohne Zweifel von einem oder einer Hilfsbedürftigen, so meines Beistandes und Schutzes bedarf.«

Don Quijote

Und die Zügel wendend, lenkte er Rosinante nach der Stelle hin, wo ihm das Schreien herzukommen schien. Und als er wenige Schritte in das Gehölz hineingeritten, sah er eine Stute an eine Eiche gebunden und an eine andre einen Jungen von etwa fünfzehn Jahren, entblößt von der Mitte des Leibes bis zu den Schultern; dieser war es, der das Geschrei ausstieß, und nicht ohne Grund, denn ein Bauer von kräftiger Gestalt war daran, ihm mit seinem Gurt zahlreiche Hiebe aufzumessen, und jeden Hieb begleitete er mit einer Verwarnung und einem Rate, denn er rief: »Die Zunge still, die Augen wach!« Und der Junge antwortete in einem fort: »Ach, Herr, ich will’s nicht wieder tun; bei Christi Leiden, ich will’s nicht wieder tun, ich verspreche Euch, von nun an mehr acht aufs Vieh zu haben.«

Als Don Quijote sah, was vorging, rief er mit zürnender Stimme: »Zuchtloser Ritter, schlecht geziemt es, den anzugreifen, der sich nicht verteidigen kann; steigt zu Rosse und nehmt Euren Speer« – denn der Bauer hatte auch einen Speer an die Eiche gelehnt, wo die Stute mit den Zügeln angebunden war –, »da werd ich Euch zu erkennen geben, daß es der Feiglinge Gepflogenheit ist, so zu handeln wie Ihr.«

Der Bauer, der diese Gestalt, mit Waffen umschanzt, über sich herkommen sah, wie sie den Speer über sein Gesicht hinschwang, hielt sich schon für tot und erwiderte mit begütigenden Worten: »Herr Ritter, dieser Junge, den ich da züchtige, ist ein Knecht von mir, der mir dazu dient, eine Herde Schafe zu hüten, die ich in dieser Gegend habe; er ist so unachtsam, daß mir jeden Tag eins fehlt, und weil ich seine Unachtsamkeit – oder seine Spitzbüberei – bestrafe, sagt er, ich tue es aus Knauserei, um ihm den Lohn, den ich ihm schulde, nicht zu zahlen; und bei Gott und meiner Seele, er lügt.«

»Lügt? Das vor mir, nichtswürdiger Bauernkerl?« rief Don Quijote. »Bei der Sonne, die uns bescheint, ich bin drauf und dran, Euch mit diesem Speer durch und durch zu stechen. Zahlt ihm gleich ohne längere Widerrede; wo nicht, bei dem Gotte, der uns gebeut, so mach ich Euch auf der Stelle den Garaus und hau Euch zunichte. Bindet ihn sogleich los.«

Der Bauer ließ den Kopf hängen, und ohne ein Wort zu entgegnen, band er seinen Knecht los. Don Quijote fragte diesen, wieviel ihm sein Herr schulde; er antwortete: »Neun Monate, zu sieben Realen jeden Monat.« Don Quijote machte die Rechnung und fand, daß sie sich auf dreiundsechzig Realen belief, und sagte dem Bauer, er solle sie alsogleich aus dem Beutel ziehen, wenn er nicht darob des Todes sein wolle. Der furchtsame Bauer antwortete, bei den Nöten, in denen er sei, und bei dem Schwur, den er getan – und doch hatte er noch gar nicht geschworen! –, es seien nicht so viel Realen; denn es müßten ihm abgezogen und in Rechnung gestellt werden drei Paar Schuhe, die er ihm verabreicht habe, und ein Real für zwei Aderlässe, die man ihm gegeben, als er krank gewesen.

»Das ist alles ganz gut«, entgegnete Don Quijote, »aber die Schuhe und die Aderlässe sollen für die Hiebe sein, die Ihr ihm ohne seine Schuld gegeben. Denn wenn er das Leder der von Euch bezahlten Schuhe zerrissen hat, so habt Ihr ihm sein eigenes Leder gegerbt und zerschlissen; und wenn ihm in seiner Krankheit der Bader Blut abgezapft hat, so habt Ihr es ihm bei gesundem Leibe abgezapft, so daß er in dieser Beziehung Euch nichts mehr schuldet.«

»Das Unangenehme in der Sache, Herr Ritter, liegt darin, daß ich kein Geld bei mir habe; Andrés soll mit mir nach Hause kommen, und da werde ich ihm zahlen Real für Real.«

»Ich noch mit ihm gehen?« sagte der Junge, »o weh! Lieber Herr, nicht im Traum tät ich das; denn sobald er sich allein mit mir sieht, wird er mir die Haut abziehen wie einem heiligen Bartholomäus.«

»Solches wird er nicht tun«, entgegnete Don Quijote. »Daß ich es ihm gebiete, ist hinreichend, damit er mir Gehorsam erweise, und sofern er bei dem Ritterorden, den er empfangen hat, mir es schwört, lasse ich ihn frei gehen und verbürge die Zahlung.«

»Bedenke Euer Gnaden, Herr, was Ihr da saget«, versetzte der Junge; »denn dieser mein Dienstherr ist kein Ritter, hat auch keinerlei Ritterorden empfangen; er ist Juan Haldudo der Reiche, Bürger zu Quintanar.«

»Das tut wenig zur Sache«, erwiderte Don Quijote, »denn es kann Haldudos geben, die Ritter sind; um so mehr, da jeder der Sohn seiner Taten ist.«

»So ist’s in Wahrheit«, sagte Andrés darauf; »aber dieser mein Herr, welcher Taten Sohn ist er, da er mir meinen Lohn, meinen Schweiß und meine Arbeit, vorenthalten will?«

»Ich will Euch nichts vorenthalten, mein guter Andrés«, antwortete der Bauer; »tut mir nur den Gefallen mitzugehen, und ich schwör Euch bei allen Ritterorden, die es in der Welt gibt, Euch zu bezahlen, wie ich gesagt, Real für Real und obendrein mit Zinseszinsen.«

»Die Zinsen erlasse ich Euch«, sagte Don Quijote; »gebt ihm sein Geld bar, damit begnüge ich mich, und bedenket wohl, daß Ihr es erfüllet, wie Ihr es geschworen habt; wenn nicht, so schwöre ich Euch mit demselben Eide, daß ich wiederkehre, um Euch aufzusuchen und zu züchtigen, und daß ich Euch finden werde, wenn Ihr Euch auch noch besser als eine Eidechse versteckt. Und wenn Ihr wissen wollt, wer Euch dieses gebietet, damit Ihr Euch um so ernstlicher verbunden fühlet, es zu erfüllen, so erfahret, daß ich der tapfre Don Quijote von der Mancha bin, der Abhelfer aller Unbilden und Widerrechtlichkeiten. Und somit Gott befohlen, und es komme das Versprochene und Beschworne nicht aus Euren Gedanken, bei Strafe der ausgesprochenen Strafe!«

Und dies sagend, spornte er seinen Rosinante, und in kurzer Zeit war er fern von ihnen.

Der Bauer folgte ihm mit den Augen, und als er bemerkte, daß der Ritter aus dem Gehölze hinaus und nicht mehr zu sehen war, wendete er sich zu seinem Knechte Andrés und sagte zu ihm: »Komme Er her, mein Sohn, ich will Ihm zahlen, was ich Ihm schulde, wie dieser Abhelfer aller Unbilden mir geboten hat.«

»Da schwör ich drauf«, entgegnete Andrés, »und sage, daß Ihr vernünftig handelt, das Gebot des wackern Ritters zu erfüllen; möge er tausend Jahr leben! Denn danach zu schließen, wie er tapfer ist und ein guter Richter, so wird er, so wahr Gott lebt, wenn Ihr mich nicht bezahlt, zurückkehren und ausführen, was er gesagt.«

»Auch ich schwöre drauf«, versetzte der Bauer; »aber ob meiner großen Liebe zu Ihm will ich die Schuld vergrößern, um die Bezahlung zu vergrößern.«

Und er packte ihn am Arm und band ihn abermals an die Eiche und gab ihm da so viel Hiebe, daß er ihn fast für tot auf dem Platze ließ. »Rufe Er jetzt, Herr Andrés«, sprach der Bauer, »den Abhelfer aller Unbilden, und Er wird sehen, wie er dieser Unbill nicht abhilft; zwar glaube ich, daß sie noch gar nicht vollendet ist, denn es kommt mir die Lust, Ihm lebendig die Haut abzuziehen, wie Er gefürchtet.«

Indessen band er ihn endlich los und gab ihm die Erlaubnis, zu gehen und seinen Richter aufzusuchen, auf daß dieser das ausgesprochene Urteil vollstrecke.

Andrés zog nicht wenig erbost von dannen und schwur, den tapfern Don Quijote von der Mancha aufzusuchen und ihm Punkt für Punkt des Vorgefallenen zu erzählen, und sein Herr werde es ihm mit siebenfachem Ersatze zahlen müssen. Aber bei alledem ging er weinend von dannen, und sein Herr blieb lachend zurück.

Und auf solche Weise half der tapfere Don Quijote der Ungebühr ab; und höchst vergnügt über das Geschehene, dünkte es ihn, er habe seinem Rittertum einen äußerst glücklichen und erhabenen Anfang gegeben. Mit großer Selbstzufriedenheit zog er nach seinem Dorfe hin und sprach dabei halblaut: »Wohl kannst du dich glücklich nennen über alle Frauen, die heut über die Erde hinwandeln, o du vor allen Schönen schöne Dulcinea von Toboso, da es dir zum Lose fiel, all deinem Willen und Belieben einen so kriegskühnen und so berufenen Ritter unterwürfig und dienstbar zu haben, wie es Don Quijote von der Mancha ist und sein wird, welcher gestern, wie die ganze Welt weiß, den Ritterorden empfing und heute die größte Gewalttat und Unbill abgestellt hat, welche widerrechtlicher Sinn je erdachte und ein grausames Herz je verübte. Heute riß er die Geißel aus der Hand jenem mitleidlosen Bösewicht, der so ganz ohne Anlaß jenen zarten Prinzen geprügelt.«

Indem gelangte er an einen Weg, der sich in vier teilte, und sogleich kamen ihm die Kreuzwege in den Sinn, wo die fahrenden Ritter sich der Überlegung hingaben, welchen dieser Wege sie einschlagen sollten; und um sie nachzuahmen, hielt er eine Zeitlang still, und nachdem er äußerst gründlich überlegt hatte, ließ er dem Rosinante den Zügel frei, dem Willen des Gaules den seinigen unterordnend; der aber folgte seinem ersten Vorhaben, nämlich den Weg nach seinem Stalle zu traben. Und als er etwa zwei Meilen geritten, erschaute Don Quijote eine große Schar von Leuten, die, wie man nachher erfuhr, toledanische Kaufleute waren, welche zum Einkauf von Seide nach Murcia reisten. Es waren ihrer sechs; sie zogen daher mit ihren Sonnenschirmen nebst vier Dienern zu Pferde und drei Maultierjungen zu Fuß. Kaum erblickte die Don Quijote, als er sich einbildete, es gebe dies wiederum ein Abenteuer, und da er in allem, soviel ihm möglich schien, die Begebnisse, die er in seinen Büchern gelesen, nachahmen wollte, so meinte er, da komme ihm ein solches gerade zupaß, um es ritterlich zu bestehen. Und so, mit stattlicher Haltung und Zuversichtlichkeit, setzte er sich stramm in den Steigbügeln, faßte den Speer fest, legte die Tartsche an die Brust, und inmitten des Weges haltend, wartete er, daß jene fahrenden Ritter herannahten – denn für solche hielt und erachtete er sie selbstverständlich –, und als sie so weit herangekommen, daß sie gesehen und gehört werden konnten, erhub Don Quijote seine Stimme und sprach mit stolzem Gebaren: »Alle Welt halte still, wenn nicht alle Welt bekennt, daß es in aller Welt kein schöneres Fräulein gibt als die Kaiserin der Mancha, die unvergleichliche Dulcinea von Toboso.«

Beim Klang dieser Worte und beim Anblick der seltsamen Gestalt, die sie gesprochen hatte, hielten die Kaufleute an, und an der Gestalt und den Worten erkannten sie alsbald die Verrücktheit des Mannes, dem diese und jene angehörten. Indessen wollten sie gern ausführlicher erfahren, auf was jenes Bekenntnis abziele, das man von ihnen verlangte, und einer von ihnen, der zu Späßen gelaunt und ein äußerst gescheiter Kopf war, sprach zu ihm: »Herr Ritter, wir unsrenteils wissen nicht, wer die treffliche Dame ist, von der Ihr redet; zeigt sie uns, und wenn sie von so großer Schönheit ist, wie Ihr angebt, so werden wir gutwillig und ohne welchen Zwang das Bekenntnis der Tatsache ablegen, das uns von Eurer Seite abverlangt wird.«

»Wenn ich sie euch zeigte«, entgegnete Don Quijote, »was würdet ihr Großes damit tun, eine so offenkundige Wahrheit zu bekennen? Das Wesentliche in der Sache besteht gerade darin, daß ihr, ohne sie zu sehen, es glauben, bekennen, behaupten, beschwören und verfechten müsset; wo nicht, so seid ihr mit mir in Fehde, ungeschlachtes und übermütiges Volk; und ob ihr nun einer nach dem andern kommt, wie es die Regel des Rittertums erheischt, ob alle zusammen, wie es Gewohnheit und böslicher Brauch derer von eurem Gelichter ist, hier erwarte und erharre ich euch, vertrauend dem Rechte, das ich auf meiner Seite habe.«

»Herr Ritter«, erwiderte der Kaufmann, »ich bitt Euch flehentlich im Namen all dieser Prinzen, die wir hier sind, damit wir unser Gewissen nicht beschweren durch das Bekenntnis einer von uns nie gesehenen noch gehörten Sache, und zumal da letztere so sehr zur Beeinträchtigung der Kaiserinnen und Königinnen in den Landschaften Alcarria und Estremadura ist, daß Euer Gnaden geruhen möge, uns irgendein Bildnis dieser Dame zu zeigen, wenn es auch nur so groß wäre wie ein Weizenkorn, denn wenn man den Faden hat, kann man daran den Knäuel aufwickeln; und damit werden wir zufriedengestellt und beruhigt sein, und Euer Gnaden wird Genugtuung und Befriedigung zuteil werden. Ja, ich meine sogar, wir sind schon so sehr auf ihrer Seite, daß, wenn auch ihr Bild uns zeigen sollte, daß sie auf einem Auge schielt und aus dem andern ihr Zinnober und Schwefel fließt, wir trotz alledem, um Euer Gnaden gefällig zu sein, zu ihren Gunsten alles, was Ihr wollt, sagen werden.«

»Nicht fließt von ihr, niederträchtiges Hundegezücht«, antwortete Don Quijote von Zorn entflammt, »nicht fließt von ihr, sag ich, was ihr da saget, sondern Ambra und Moschus auf Wangen weich wie Baumwollflocken, und sie ist weder scheel noch bucklig, sondern gerader als eine Spindel vom Guadarrama-Gebirg. Ihr aber sollt die ungeheure Lästerung büßen, die ihr gegen eine solche Schönheit ausgestoßen, wie die meiner Herrin ist.

Don Quijote

Und dies sagend, stürzte er mit eingelegtem Speer auf den Sprecher los, mit solcher Wut und solchem Ingrimm, daß, wenn das gute Glück es nicht gefügt hätte, daß Rosinante auf halbem Weg strauchelte und fiel, es dem verwegenen Kaufmann übel ergangen wäre.

Rosinante stürzte, und sein Herr kugelte ein gutes Stück Weges weit über das Feld hin; er wollte sich wieder aufrichten und vermochte es nimmer; solche Hindernis und Beschwer verursachten ihm Speer, Tartsche, Sporen und Helm, nebst dem Gewicht der uralten Rüstung. Und während er sich abarbeitete, um aufzukommen, und nicht konnte, rief er in einem fort: »Fliehet nicht, feiges Volk, elendes Volk; bedenket, daß nicht durch meine Schuld, sondern die meines Pferdes ich hingestreckt hier liege.«

Einer von den mitreisenden Maultierjungen – der gewiß nicht sehr wohlgesinnt war! – konnte, als er den armen Gestürzten solch hochmütige Reden führen hörte, es nicht länger ertragen, ohne ihm die Antwort auf die Rippen zu geben. Er eilte auf ihn zu und ergriff den Speer, und nachdem er ihn in Stücke zerbrochen, begann er mit einem dieser Stücke unsrem Don Quijote so viele Prügel zu geben, daß, ungeachtet und trotz seiner Rüstung, er ihn wie Weizen im Mühltrichter zermahlte. Seine Herren riefen ihm zu, er solle ihn nicht so arg prügeln, er solle von ihm ablassen; aber der Junge war einmal im Zug und wollte das Spiel nicht aufgeben, bis er den ganzen Rest seines Zornes auf die Karte gesetzt; er machte sich an die übrigen Bruchstücke des Speeres und zerbrach sie vollends auf dem gestürzten Jammermann, der bei dem ganzen Ungewitter von Prügeln, das auf ihn regnete, den Mund keinen Augenblick schloß und Drohungen ausstieß gegen Himmel und Erde und gegen die Wegelagerer, denn für das hielt er sie.

Der Junge ward endlich müde, und die Kaufleute verfolgten ihre Straße und nahmen für den ganzen Weg Stoff zum Plaudern über den armen Prügelhelden mit. Dieser, sobald er sich allein sah, versuchte aufs neue, ob er sich aufrichten könnte; allein wenn er es nicht konnte, da er gesund und wohlbehalten, wie sollte er es jetzt tun, zerdroschen und schier in Stücke zerschlagen? Und dennoch hielt er sich beglückt, denn es bedünkte ihn, es sei dies ein Mißgeschick, wie es der Beruf fahrender Ritter mit sich bringe, und er schrieb es gänzlich der Schuld seines Rosses zu. Und bei alledem wurde es ihm nicht möglich, sich aufzurichten, so zerbleut war er am ganzen Leibe.

40. Kapitel

Worin die Geschichte des Sklaven fortgesetzt wird
Sonett

»Ihr selgen Geister, ihr vom Staubgewande
Befreit, weil ihr gewirkt fürs Rechte, Gute,
Schwangt euch vom Erdenweh, das auf euch ruhte,
Zum besten höchsten Heil der Himmelslande.

Ihr habt des Körpers Kraft gesetzt zum Pfande
Für wahre Ehr, ihr habt in hohem Mute
Gefärbt mit eignem und mit fremdem Blute
Das tiefe Meer, den Sand am Dünenstrande.

Denn eher als der Mut schwand euch das Leben,
Ihr müden Kämpfer, und die Welt verleiht euch,
Ob ihr besiegt auch seid, des Sieges Krone.

Und dieser Tod, dem ihr euch preisgegeben
Hier zwischen Wall und Feindesschwert, er weiht euch
dem Ruhm hienieden, dort dem ewgen Lohne.«

»Geradeso weiß ich es auswendig«, sagte der Sklave. »Und das Sonett auf die neue Feste, wenn ich mich recht entsinne«, sprach der Edelmann, »lautet so:

Sonett

Von diesem Strand, den Feinde ganz zertraten,
Aus diesen Türmen, die zertrümmert liegen,
Da sind zum ewgen Leben aufgestiegen
Die frommen Seelen spanischer Soldaten.

Dreitausend waren’s, die zu Heldentaten
Den Arm geübt, die nimmer laß in Kriegen,
Bis daß die kleine Schar, erschöpft vom Siegen,
Erlag, von eigner Schwäche jetzt verraten.

Dies ist der Boden, dem es ward zum Lose,
Zu bergen tausend Schmerzerinnerungen,
So in der Vorzeit wie in neusten Jahren.

Doch haben nie aus seinem harten Schoße
Sich frömmre Seelen himmelwärts geschwungen,
Nie trug er Leiber, die so tapfer waren.«

Die Sonette mißfielen nicht. Der Sklave freute sich über die guten Nachrichten, die man ihm von seinem Leidensgefährten mitteilte, und fuhr folgendermaßen in seiner Erzählung fort:

Nachdem also Goleta und die Feste eingenommen waren, machten die Türken Anstalt, Goleta zu schleifen; denn die Feste war so zugerichtet, daß nichts mehr niederzureißen übrig war. Und um es mit mehr Beschleunigung und weniger Bemühen zu bewerkstelligen, unterminierten sie den Platz von drei Seiten. Allein mit keinem ihrer Minengänge vermochten sie in die Luft zu sprengen, was als der am wenigsten starke Teil gegolten hatte, nämlich die alten Mauern; und alles, was von den neuen Festungswerken übrig war, die das »Klosterpfäfflein« erbaut hatte, stürzte mit größter Leichtigkeit zu Boden.

Endlich kehrte die Flotte triumphierend und siegreich nach Konstantinopel zurück, und wenige Monate darauf starb Uludsch-Alí, mein Herr, den man Uludsch-Alí Fartach nannte, was im Türkischen den grindigen Renegaten bedeutet; denn das war er, und es ist Sitte bei den Türken, daß sie Beinamen nach irgendeinem Körperfehler bekommen, den sie an sich tragen, oder nach einer guten Eigenschaft, die sie besitzen. Und das geschieht darum, weil es unter ihnen nur vier Familiennamen gibt, welche Geschlechtern eigen sind, die von dem Hause Osman abstammen. Die übrigen erhalten ihren Namen und Beinamen bald von den Gebrechen des Körpers, bald von den Vorzügen des Geistes. Dieser Grindkopf diente auf der Ruderbank vierzehn Jahre lang als Sklave des Großherrn, und im Alter von mehr als vierunddreißig Jahren trat er zum Islam über aus Ärger darüber, daß ein Türke ihm, während er am Ruder saß, einen Backenstreich versetzte, und um sich rächen zu können, fiel er von seinem Glauben ab. Er war ein so tapferer Held, daß er ohne die schimpflichen Mittel und Wege, durch welche die meisten Günstlinge des Großtürken emporsteigen, König von Algier wurde und dann Oberbefehlshaber zur See, was die dritthöchste Würde in jenem Reich ist. Er war Kalabrese von Geburt, und vom moralischen Standpunkt aus war er ein braver Mann und behandelte seine Sklaven, deren er zuletzt dreitausend hatte, sehr menschlich. Diese wurden, wie er es in seinem Testamente hinterließ, nach seinem Tode zwischen seinen Renegaten und dem Großherrn verteilt, welcher bei allen Sterbefällen als Sohn und Erbe angesehen wird, und zwar zu gleichen Teilen mit den übrigen Söhnen des Verstorbenen.

Ich fiel einem venezianischen Renegaten zu, der schon als Schiffsjunge in die Gefangenschaft Uludsch-Alís geraten war, und dieser hatte ihn so gern, daß er ihm unter seinen jungen Leuten am meisten Gunst erwies; aus ihm aber wurde der grausamste Renegat, den man jemals gesehen. Er hieß Hassan Agá, gelangte zu großem Reichtum und wurde König von Algier. Dorthin fuhr ich mit ihm von Konstantinopel, und da ich mich nun so nahe bei Spanien befand, war ich ganz vergnügt; nicht als ob ich daran gedacht hätte, jemandem über mein Unglück Nachricht zu geben, sondern weil ich erproben wollte, ob mir das Schicksal in Algier günstiger wäre als in Konstantinopel, wo ich schon die verschiedensten Fluchtversuche gemacht hatte, doch ohne Glück und Erfolg. In Algier dachte ich andere Mittel zu finden, um das so sehr ersehnte Ziel zu erreichen; denn nie verließ mich die Hoffnung, meine Freiheit zu erlangen; und wenn bei den Plänen, die ich ausdachte, anlegte und ins Werk setzte, der Erfolg den Absichten nicht entsprach, so verzagte ich darum nicht, sondern ersann und suchte mir eine andre Hoffnung, um mich aufrechtzuerhalten, wenn sie auch nur schwach und dürftig war. Hiermit brachte ich meine Tage hin, eingesperrt in ein Gefängnis oder Haus, welches die Türken Bagno nennen, wo sie die christlichen Sklaven einsperren, sowohl die des Königs und einiger Privatpersonen als auch die des »Lagerhauses«, was soviel bedeutet als die Sklaven des Gemeinderats, welche von der Stadt zur Ausführung der öffentlichen Arbeiten und zu andern Verrichtungen gebraucht werden. Diesen letzteren Sklaven wird es sehr schwer, ihre Freiheit zu erlangen. Denn da sie der Gemeinde gehören und keinen eignen Herrn haben, so ist niemand vorhanden, mit dem man über ihren Loskauf unterhandeln könnte, selbst wenn sie das Geld dazu hätten. In diese Bagnos, wie gesagt, pflegen einige Privatleute aus der Stadt ihre Sklaven zu bringen, besonders solche, die freigekauft werden sollen; denn an diesem Ort sind sie bequem und sicher aufgehoben, bis das Lösegeld eintrifft. Auch die Sklaven des Königs, die freigekauft werden sollen, gehen nicht mit der übrigen Mannschaft zur öffentlichen Arbeit, außer wenn ihr Lösegeld zu lange ausbleibt; denn dann läßt man sie arbeiten und mit den andern nach Holz gehen und so schwer arbeiten, daß sie um so dringender um Geld schreiben.

Ich nun war einer von denen, deren Loskauf für sicher galt. Da man nämlich wußte, daß ich Hauptmann war, so half es mir nichts, daß ich mein Unvermögen und meine Armut schilderte, und es hinderte nicht, daß ich unter die Zahl derer gesetzt wurde, deren Loskauf in Aussicht stand. Man legte mir eine Kette an, mehr zum Zeichen, daß ich zum Loskauf bestimmt sei, als um mich damit sicherer festzuhalten; und so lebte ich in diesem Bagno mit vielen anderen Edelleuten und vornehmen Herren, die zur Auslösung bestimmt waren oder für vermögend dazu gehalten wurden. Und obschon wir häufig, ja fast beständig unter Hunger und Blöße zu leiden hatten, so litten wir doch am meisten darunter, daß wir jeden Augenblick die nie erhörten und nie gesehenen Grausamkeiten hören und sehen mußten, die mein Herr gegen die Christen verübte. Er ließ jeden Tag seinen Mann aufknüpfen, ließ den einen pfählen, dem andern die Ohren abschneiden, und dies aus so geringfügigem Grunde oder so gänzlich ohne Grund, daß sogar die Türken einsahen, er tue es nur um des Tötens willen und weil er von Natur darauf angelegt war, der Schlächter des ganzen Menschengeschlechtes zu sein.

Nur ein einziger Soldat kam gut mit ihm aus, ein gewisser de Saavedra. Obschon dieser vieles gewagt hatte, was lange Jahre im Angedenken der Leute dort leben wird, und alles nur, um seine Freiheit zu erringen, so gab der Herr ihm nie einen Schlag und ließ ihm nie einen geben, noch sagte er ihm je ein böses Wort; und doch fürchteten wir, schon für den geringsten all der Streiche, die er verübte, er werde gepfählt werden, und er selbst fürchtete es mehr als einmal. Wenn ich es nicht unterlassen müßte, weil die Zeit es nicht vergönnt, würde ich sofort einiges davon erzählen, was jener Soldat getan, und dies würde euch vermutlich besser unterhalten und in größere Verwunderung setzen als meine eigene Geschichte.

Ich berichte also weiter: Auf unsern Gefängnishof gingen von oben her die Fenster des Hauses eines reichen und vornehmen Mauren, welche, wie bei diesem Volke bräuchlich, eher Gucklöcher als Fenster waren, und selbst diese waren mit engen, dichten Gittern versehen. Eines Tages geschah es nun, daß ich und drei Gefährten auf einer Böschung im Hofe unseres Gefängnisses uns zum Zeitvertreib darin versuchten, mit den Ketten zu springen; wir waren allein, denn die andern Christen waren alle draußen bei der Arbeit. Da erhob ich zufällig die Augen und sah, daß aus jenen vergitterten Fensterchen, die ich erwähnte, ein Rohrstab zum Vorschein kam, an dessen Ende ein Linnentuch geknüpft war; der Stab schwankte und bewegte sich hin und her, als wolle er ein Zeichen geben, wir sollten uns nähern und ihn in Empfang nehmen. Wir überlegten uns die Sache, und einer meiner Genossen ging hin und stellte sich unter den Rohrstab, um zu sehen, ob man ihn fallen lasse, oder was sonst damit geschehen möchte; aber sobald er hinzutrat, wurde der Stab aufwärtsgezogen und hin und her bewegt, gerade als ob man mit dem Kopf nein geschüttelt hätte. Der Christ ging zurück, und der Stab wurde wieder heruntergelassen und machte dieselben Bewegungen wie vorher. Ein anderer von meinen Gefährten ging hin, und es geschah ihm dasselbe wie dem ersten. Endlich ging der dritte hin, und es ging ihm wie dem ersten und zweiten. Als ich dies sah, wollte ich nicht unterlassen, ebenfalls mein Glück zu versuchen, und sowie ich mich näherte und mich unter den Rohrstock stellte, ließ man ihn fallen, und er fiel zu meinen Füßen mitten in das Bagno. Ich eilte sogleich, das Tuch loszubinden, und sah einen Knoten daran, und in demselben befanden sich zehn Cianís; es sind dies Münzen von geringhaltigem Golde, die bei den Mauren in Umlauf sind, jeder im Wert von zehn Realen unseres Geldes. Ob ich mich über den Fund freute, brauche ich wohl nicht zu sagen. Jedenfalls war meine Freude so groß wie meine Verwunderung, wenn ich nachdachte, woher dies Glück uns kommen konnte, oder vielmehr mir; denn der Umstand, daß man den Rohrstab keinem als mir herunterwerfen wollte, war ein Zeichen, das deutlich erwies, daß mir allein die Wohltat zugedacht war. Ich nahm mein schönes Geld, zerbrach den Stab in Stücke, kehrte auf die Böschung zurück, blickte nach dem Fenster und sah daraus eine weiße Hand zum Vorschein kommen, die das Fenster öffnete und rasch wieder schloß. Hieraus folgerten wir oder vermuteten wenigstens, die Wohltat müsse von einem Weibe kommen, das in diesem Haus wohne; und zum Zeichen unsrer Dankbarkeit machten wir Salemas nach maurischem Brauch, indem wir das Haupt neigten, den Körper vorwärts bogen und die Arme über die Brust kreuzten. Kurz darauf wurde ein kleines, aus Stäbchen verfertigtes Kreuz zum Fenster herausgehalten und gleich wieder zurückgezogen. Dieses Zeichen bestärkte uns in der Meinung, in diesem Hause müsse sich eine Christin als Sklavin befinden und sie sei es, die uns die Wohltat erwiesen habe. Aber das schneeige Weiß ihrer Hand und die Spangen, die wir an dieser sahen, ließen alsbald diese Vermutung als nichtig erscheinen, wiewohl wir uns nunmehr dem Gedanken hingaben, es müsse eine von ihrem Glauben abgefallene Christin sein; solche werden von ihren eigenen Herren häufig zu rechtmäßigen Ehefrauen genommen und halten dies sogar für ein Glück, weil geborne Christinnen bei ihnen in höherer Achtung stehen als die Weiber aus ihrem eigenen Volk. Indessen bei all unsern Mutmaßungen trafen wir weitab von der Wirklichkeit.

Von da an bestand unsre ganze Unterhaltung darin, nach dem Fenster zu blicken und es als unsern Glückspol zu betrachten, dies Fenster, wo uns der Stern des Rohrstabes erschienen war; allein es vergingen volle vierzehn Tage, daß wir ihn nicht zu Gesicht bekamen, und ebensowenig die Hand noch sonst ein Zeichen. Und obwohl wir während dieser Zeit uns mit allem Eifer bemühten zu erfahren, wer in jenem Hause wohne und ob etwa in demselben eine zum Islam übergetretene Christin weile, fanden wir niemand, der uns etwas anderes sagte, als daß in dem Haus ein reicher und vornehmer Maure lebte, namens Hadschí Murad, welcher Befehlshaber der Festung Pata gewesen war, was bei ihnen ein hochangesehenes Amt ist. Aber als wir uns dessen am wenigsten versahen, daß es dort wieder Cianís regnen würde, sahen wir unvermutet den Rohrstab zum Vorschein kommen und ein andres Linnentuch daran mit einem dickeren Knoten; und dies geschah zur Zeit, wo das Bagno gerade wie das letztemal einsam und menschenleer war. Wir wiederholten den früheren Versuch, indem von uns jeder vor mir hinzutrat; aber erst mir ward der Stab zuteil; denn erst als ich mich näherte, ließ man ihn fallen. Ich löste den Knoten und fand darin vierzig spanische Goldtaler, einen Brief in arabischer Sprache geschrieben und mit einem großen Kreuz unter der Schrift. Ich küßte das Kreuz, nahm die Taler und kehrte auf die Böschung zurück. Wir machten alle unsre Salemas, die Hand zeigte sich abermals, ich deutete durch Zeichen an, daß ich den Brief lesen würde; das Fenster schloß sich.

Wir standen alle da in Staunen und Freude ob des Vorfalls, und da keiner von uns Arabisch verstand, so war zwar unser Verlangen groß, den Inhalt des Briefes zu erfahren, aber noch größer die Schwierigkeit, jemanden zu finden, der ihn uns vorlesen konnte. Endlich kam ich zu dem Entschluß, mich einem Renegaten aus Murcia anzuvertrauen, der sich stets für einen treuen Freund von mir erklärt und mir im stillen hinreichende Unterpfänder gegeben hatte, die ihn nötigten, jedes Geheimnis treu zu wahren, was ich ihm anvertrauen würde. Manche Renegaten pflegen, wenn sie die Absicht haben, in ein christliches Land zurückzukehren, Bescheinigungen vornehmer Gefangener bei sich zu tragen, worin die letztern in bestmöglicher Form bezeugen, daß der fragliche Renegat ein rechtschaffener Mann sei, der Christen immer Gutes erwiesen habe und den Wunsch hege, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu entweichen. Einige unter ihnen lassen sich diese Bescheinigungen in redlicher Absicht geben, andre aber nur aus Berechnung; denn wenn sie gekommen sind, um ein Christenland zu plündern, und etwa Schiffbruch erleiden oder in Gefangenschaft geraten, so ziehen sie ihre Bescheinigungen hervor und sagen, man werde aus diesen Papieren ersehen, in welcher Absicht sie gekommen seien, nämlich im Christenlande zu bleiben, und deshalb seien sie mit den türkischen Kreuzern auf die Fahrt gegangen. Damit retten sie sich vor dem ersten Ungestüm der Gegner. Dann versöhnen sie sich mit der Kirche, ohne daß ihnen etwas Unangenehmes geschieht, und wenn sie ihre Gelegenheit ersehen, kehren sie nach der Berberei zurück und werden wieder, was sie vorher waren.

Andre gibt es, die solche Papiere in redlicher Absicht sich verschaffen und benutzen und im Christenlande bleiben. Nun war mein Freund einer dieser letzteren Renegaten; er besaß Bescheinigungen von allen unsern Gefährten, worin wir ihn aufs beste empfahlen; und hätten die Mauren diese Papiere bei ihm gefunden, so hätten sie ihn lebendig verbrannt. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß er sehr gut Arabisch verstand und es nicht nur sprechen, sondern auch schreiben konnte. Aber ehe ich mich ihm ganz entdeckte, bat ich ihn, mir dies Papier vorzulesen, das ich zufällig in einem Mauerloch meiner Schlafstelle gefunden hätte. Er öffnete es und war eine Zeitlang damit beschäftigt, es durchzusehen und den Sinn herauszubringen, wobei er unverständlich vor sich hinmurmelte. Ich fragte ihn, ob er es verstehe; er antwortete mir: »Sehr gut«, und wenn er es mir Wort für Wort übersetzen solle, so möchte ich ihm Tinte und Feder geben, damit er die Arbeit besser machen könne. Wir gaben ihm das Gewünschte auf der Stelle, er ging langsam und bedächtig ans Übersetzen, und als er fertig war, sprach er: »Was hier auf spanisch zu lesen ist, das alles steht in diesem maurischen Briefe, ohne daß ein Buchstabe daran fehlt, und überall, wo steht, ›Lela Marién‹, heißt dies soviel wie ›Unsere Liebe Frau, die Jungfrau Maria‹.«

Wir lasen den Brief, und er lautete so:

Als ich noch ein Kind war, hatte mein Vater eine Sklavin, welche mich das christliche Gebet in meiner Muttersprache lehrte und mir vieles von Lela Marién sagte. Die Christin ist gestorben und ist nicht ins Ewige Feuer gekommen, sondern zu Allah, denn sie ist mir seitdem zweimal erschienen, und sie sagte mir, ich möchte in ein Christenland gehen, um Lela Mariéns Anblick zu genießen, die mich sehr liebhabe. Ich weiß nicht, wie ich hinkommen soll. Ich habe aus diesem Fenster viele Christen gesehen, aber keiner schien mir ein Edelmann als du allein. Ich bin sehr schön und jung und habe vieles Geld zum Mitnehmen. Sieh zu, ob du ein Mittel findest, wie wir fort können, und dorten sollst du mein Ehemann werden, wenn du willst; willst du aber nicht, so macht es mir nichts aus; denn Lela Marién wird mir schon einen Gemahl verschaffen. Ich habe dies geschrieben, erwäge sorgsam, wem du es zu lesen gibst. Verlaß dich auf keinen Mauren, denn sie sind alle Schurken. Darob habe ich große Bekümmernis, weil ich wünschte, du möchtest dich keinem entdecken; denn wenn mein Vater es erfährt, wird er mich gleich in einen Brunnen werfen und mich mit Steinen verschütten. An den Rohrstab werde ich einen Faden knüpfen, daran binde deine Antwort; und wenn du keinen hast, der sie dir auf arabisch niederschreibt, so sage mir alles durch Zeichen; Lela Marién wird schaffen, daß ich dich verstehe. Sie und Allah mögen dich behüten, so auch dieses Kreuz, welches ich vielmals küsse, denn so lehrte mich’s die Sklavin.

Nun erwägt, meine Herren und Damen, ob wir Gründe hatten, uns gründlich zu freuen und uns höchlich zu verwundern ob der Mitteilung dieses Briefes. Und in der Tat, beides geschah in so lebhafter Weise, daß der Renegat klar ersah, nicht zufällig sei der Brief gefunden, sondern in Wirklichkeit einem von uns geschrieben worden. Er bat uns demnach, wenn seine Vermutung zutreffe, möchten wir uns ihm anvertrauen und ihm alles mitteilen; denn er werde sein Leben an unsre Befreiung setzen. Und dies sagend, zog er aus dem Busen ein metallenes Kruzifix und schwur mit reichlichen Tränen bei dem Gott, den dieses Bildnis vorstelle und an den er, obschon ein Sünder und Missetäter, aufrichtig und fest glaube, uns in allem, was wir ihm nur immer entdecken wollten, Treue und Verschwiegenheit zu bewahren. Denn es bedünke ihn, ja er ahne, daß die Schreiberin dieses Briefes das Werkzeug sein werde, ihm und uns allen die Freiheit zu verschaffen, ihn aber insbesondere an das Ziel zu bringen, das er zumeist ersehne, nämlich in den Schoß der heiligen Mutter Kirche zurückzukehren, von welcher er durch seine Unwissenheit und Sündhaftigkeit wie ein faules Glied abgetrennt und geschieden sei. Unter so viel Tränen und Zeichen so tiefer Reue sagte dies der Renegat, daß wir alle einmütigen Sinnes beschlossen, ihm die volle Wahrheit zu offenbaren, und so gaben wir ihm ausführlichen Bericht, ohne ihm das geringste zu verschweigen. Wir zeigten ihm das Fensterchen, aus welchem der Stab zum Vorschein kam; er merkte sich von hier aus das Haus und nahm sich vor, mit größter Beflissenheit Erkundigung einzuziehen, wer darin wohne. Auch kamen wir überein, daß es angemessen sei, den Brief der Maurin zu beantworten, und da wir in ihm den Mann hatten, der dazu imstande war, so schrieb der Renegat auf der Stelle nieder, was ich ihm angab; es waren genau die Worte, die ich euch sagen werde, denn von allem Wesentlichen, was mir im Verlauf dieser Geschichte begegnete, ist nichts meinem Gedächtnis entschwunden und wird ihm nicht entschwinden, solange ich des Lebens genieße. Was also der Maurin zur Antwort wurde, war das Folgende:

Der wahre Allah behüte dich und jene gebenedeite Lela Marién, welche die wahre Mutter Gottes und die nämliche ist, die es dir ins Herz gelegt, nach christlichen Landen zu ziehen, weil sie dich innig liebt. Bitte du sie, sie wolle dir gnädigst eingeben, wie du ins Werk setzen mögest, was sie dir gebeut; sie ist so voller Güte, daß sie es gewiß tun wird. Meinerseits, wie von seiten all der Christen, die sich mit mir hier befinden, biete ich dir an, alles, was in unsern Kräften steht, für dich zu tun, und sollte es uns das Leben kosten. Unterlaß nicht, zu schreiben und mir Nachricht zu geben, was du zu tun gedenkst. Ich werde dir stets antworten; denn der große Allah hat uns einen Christensklaven zur Seite gegeben, der deine Sprache so gut spricht und schreibt, wie du aus diesem Briefe ersehen wirst. So kannst du uns denn ohne Besorgnis von allem, was du willst, Kunde geben. Auf deine Äußerung: wenn du in Christenlande gelangtest, wollest du mein Weib werden – das verspreche ich dir als ein guter Christ, und wisse, daß die Christen ihre Versprechungen besser halten als die Mauren. Allah und seine Mutter Marién mögen dich in ihre Hut nehmen, meine Herrin.

Als dieser Brief geschrieben und verschlossen war, wartete ich zwei Tage, bis das Bagno menschenleer war wie so häufig, und dann begab ich mich sogleich zum gewohnten Gang auf die Böschung, um zu sehen, ob der Stab zum Vorschein komme; und wirklich zögerte er nicht lange, sich zu zeigen. Sobald ich ihn erblickte, obschon ich nicht sehen konnte, wer ihn heraushielt, zeigte ich den Brief, womit ich zu verstehen geben wollte, man solle den Faden daran befestigen; aber er hing bereits am Stabe herab, und ich band den Brief an den Faden. Bald darauf erschien aufs neue unser Stern mit dem weißen Friedensbanner des Bündelchens. Man ließ es herunterfallen, ich hob es auf und fand in dem Tuche mehr als fünfzig Taler an silberner und goldener Münze von aller Art, welche mehr als fünfzigmal unsre Freude verdoppelten und unsre Freiheitshoffnung kräftigten.

Am nämlichen Abend kam der Renegat wieder und sagte uns, er habe erfahren, daß in diesem Haus der nämliche Maure wohne, von dem man uns schon gesagt hatte, daß er Hadschí Murad heiße, ein außerordentlich reicher Mann; dieser besitze eine einzige Tochter, die Erbin seines ganzen Vermögens, und sie gelte in der ganzen Stadt als das schönste Weib in der ganzen Berberei; viele von den hieherkommenden Unterkönigen hätten sie zur Ehefrau begehrt, sie hätte sich aber niemals verheiraten wollen. Auch habe er gehört, daß sie eine Christensklavin gehabt, diese sei jedoch schon gestorben. Dies alles stimmte mit dem Inhalt des Briefes überein.

Wir traten sogleich mit dem Renegaten in Beratung darüber, welches Verfahren einzuschlagen sei, damit wir die Maurin entführen und selber alle auf christliches Gebiet entkommen könnten, und endlich einigten wir uns für jetzt dahin, eine zweite Nachricht von Zoraida abzuwarten, so nämlich hieß sie, die sich jetzt Maria nennen will. Denn wir sahen ein, daß sie allein und niemand sonst imstande sei, uns die Besiegung all dieser Schwierigkeiten zu ermöglichen. Nachdem wir alle so übereingekommen, sagte der Renegat, wir möchten unbesorgt sein, er wolle sein Leben daransetzen, uns die Freiheit zu verschaffen.

Vier Tage hindurch war das Bagno voller Leute, was der Grund war, daß vier Tage lang der Stab sich nicht sehen ließ. Nach Verfluß derselben kam er während der gewohnten Einsamkeit des Bagnos wieder zum Vorschein mit einem Bündel, das so schwangeren Leibes war, daß es uns eine höchst glückliche Geburt verhieß. Wie früher neigten sich der Stab und das Bündel zu mir hernieder; ich fand darin wieder einen Brief und hundert Goldtaler ohne irgendeine andre Münze. Der Renegat war in der Nähe, wir begaben uns in unser Gefängnis, da ließen wir ihn den Brief lesen, und nach Angaben des Renegaten lautete er folgendermaßen:

Ich weiß nicht, mein Gebieter, wie ich es anfangen soll, daß wir nach Spanien gelangen; auch hat Lela Marién mir es nicht gesagt, obschon ich sie darum befragt habe. Ich kann Euch nur aus diesem Fenster möglichst viel Goldstücke zuwerfen, damit könnt Ihr Euch und Eure Freunde loskaufen; und einer soll nach einem Christenlande gehen und dort eine Barke kaufen und zurückkehren, um die andern abzuholen. Mich wird man im Garten meines Vaters finden, der vor dem Tore Babazón nahe an der See liegt, wo ich diesen ganzen Sommer mit meinem Vater und meinen Dienern zubringen werde; von dort könnt Ihr mich nachts ohne Gefahr entführen und nach der Barke bringen. Und vergiß nicht, daß du mein Gemahl werden sollst, wo nicht, werde ich Marién bitten, daß sie dich bestraft. Wenn du zu keinem das Vertrauen hast, daß er den Ankauf der Barke besorge, so kaufe dich los und besorge es selbst; denn ich weiß, du wirst sicherer als jeder andre zurückkehren, da du ein Edelmann und Christ bist. Sorge dafür, daß du den Garten erfährst, und sobald du wieder hier auf und ab wandelst, werde ich daraus ersehen, daß das Bagno leer ist, und werde dir viel Geld geben. Allah behüte dich, mein Gebieter.

Dieses stand im zweiten Briefe, dieses war sein Inhalt, und kaum hatten alle es vernommen, als ein jeder sich zum Loskauf drängte und versprach, hinzuziehen und mit aller Pünktlichkeit wiederzukehren. Auch ich erbot mich dazu. Allein der Renegat widersetzte sich allen derartigen Vorschlägen, indem er bemerkte, unter keiner Bedingung würde er dareinwilligen, daß einer frei werde, bis alle zusammen von dannen ziehen könnten; denn die Erfahrung habe ihn belehrt, wie schlecht die Freigewordenen ihr in der Gefangenschaft gegebenes Wort hielten. Oft hätten vornehme Personen unter den Gefangenen dieses Mittel angewendet, indem sie einen loskauften, damit er nach Valencia oder Mallorca gehe, mit hinreichendem Gelde versehen, um eine Barke auszurüsten und seine Befreier abzuholen; und nie seien sie zurückgekehrt, denn die erlangte Freiheit und die Furcht, sie wieder zu verlieren, löschten ihnen jede dankbare Verpflichtung aus dem Gedächtnis. Und zur Bekräftigung seiner Behauptung erzählte er uns in aller Kürze einen Fall, der sich gerade um diese Zeit mit christlichen Edelleuten zugetragen, den seltsamsten Fall, der je in diesen Landen vorgekommen, wo doch jeden Augenblick die staunenswertesten und wundersamsten Dinge sich ereignen. Endlich rückte er mit dem Rate heraus: was man tun könne, sei, ihm das Geld, das zum Loskauf eines Christen nötig sei, zu geben, um hier in Algier eine Barke anzuschaffen unter dem Vorwand, daß er Kaufmann werden und zu Tetuan und an der ganzen Küste Handel treiben wolle, und wenn er einmal Eigentümer der Barke sei, so falle es leicht, einen Plan zu entwerfen, wie man sie aus dem Bagno entführen und alle zu Schiff bringen könne, zumal wenn die Maurin, wie sie sage, Geld gebe, um sie alle loszukaufen. Denn sobald sie frei seien, würde es das leichteste Ding von der Welt sein, sich sogar mitten am Tage einzuschiffen. Die größte Schwierigkeit indessen bestehe darin, daß die Mauren einem Renegaten nicht gestatten, ein Schiff zu kaufen oder zu besitzen, außer einem großen Kaperkreuzer. Denn sie fürchten, daß, wer eine Barke kauft, besonders wenn es ein Spanier ist, sie nur zu dem Zweck haben will, um auf christliches Gebiet zu entkommen. Er aber werde diesem Übelstand dadurch abhelfen, daß er zusammen mit einem tagarinischen Mauren eine Barke kaufe und ihn am Gewinn des Handels beteilige, und unter diesem Deckmantel würde er doch zuletzt allein der Herr des Schiffes sein, womit sich alles übrige von selbst ausführen lasse.

Obwohl es nun mir und meinen Gefährten besser schien, jemanden nach Mallorca zu senden, um dort, wie es die Maurin gewünscht; eine Barke zu holen, so wagten wir ihm doch nicht zu widersprechen, da wir fürchteten, wenn wir seinen Vorschlag ablehnten, könne er unser Geheimnis verraten und uns gar in Lebensgefahr bringen, falls er den Verkehr mit Zoraida offenbarte, für deren Leben wir alle das unsre gegeben hätten. So beschlossen wir denn, uns der Hand Gottes und des Renegaten anheimzugeben, und im nämlichen Augenblick antworteten wir auch Zoraida, wir würden alles tun, was sie anrate, denn sie habe so gute Vorschläge gemacht, als hätte Lela Marién es ihr eingegeben, und von ihr allein hänge es jetzt ab, die Sache zu verschieben oder sie sogleich ins Werk zu setzen. Ich erbot mich aufs neue, ihr Gemahl zu werden, und hierauf gab sie uns am folgenden Tage, wo das Bagno zufällig menschenleer war, in verschiedenen Sendungen mit Hilfe des Stabes und des Tüchleins zweitausend Goldtaler und dabei einen Brief, in dem sie sagte, am nächsten Dschuma, das heißt Freitag, werde sie in den Garten ihres Vaters hinausziehen, und bevor sie dahin gehe, werde sie uns noch mehr Geld geben. Wenn das nicht hinreichend sei, so möchten wir es ihr mitteilen, und sie würde uns geben, soviel wir von ihr verlangten; ihr Vater sei so reich, daß er es nicht vermissen werde, um so mehr, da sie die Schlüssel zu allem habe.

Wir gaben dem Renegaten sogleich fünfhundert Goldtaler, um die Barke zu kaufen; mit achthundert verschaffte ich mir selbst meine Freiheit, indem ich das Geld einem valencianischen Kaufmanne gab, der sich um diese Zeit in Algier befand und mich vom Könige loskaufte. Er sagte gut für mich und setzte sein Wort zum Pfande, daß er bei der Ankunft des nächsten Schiffes aus Valencia mein Lösegeld bezahlen werde. Denn hätte er das Geld auf der Stelle gegeben, so hätte dies beim Könige den Verdacht erweckt, daß mein Lösegeld sich schon seit langer Zeit in Algier befinde und der Kaufmann es geheimgehalten habe, um Geschäfte zu machen. Kurz, mein Herr war so voller Ränke und Kniffe, daß ich unter keiner Bedingung es wagen mochte, ihn das Geld sofort einstecken zu lassen.

Am Donnerstag, ehe die schöne Zoraida den Garten beziehen sollte, gab sie uns wiederum tausend Goldtaler, benachrichtigte uns von ihrer Übersiedlung und bat mich, sobald ich mich loskaufe, solle ich den Garten ihres Vaters erkunden und jedenfalls Gelegenheit suchen, hinzukommen und sie zu sprechen. Ich antwortete ihr mit wenigen Worten, ich würde es tun, und sie möchte nicht unterlassen, uns mit all jenen Gebeten, welche die Sklavin sie gelehrt, in Lela Mariéns Schutz zu befehlen. Hierauf wurde Anstalt getroffen, daß meine drei Gefährten sich ebenfalls loskauften, sowohl um ihnen das Verlassen des Bagnos zu ermöglichen als auch um zu verhüten, daß, wenn sie mich frei sähen und sich selber nicht, obwohl Geld dazu vorhanden war, sie nicht etwa in Aufregung geraten und der Teufel sie verleiten möchte, etwas zu Zoraidas Nachteil zu tun. Denn obschon der Umstand, daß sie Leute von gutem Hause waren, mich vor dieser Besorgnis sicherzustellen schien, so wollte ich trotzdem die ganze Sache nicht aufs Ungefähr hin wagen, und so ließ ich sie auf die nämliche Weise loskaufen wie mich selbst, indem ich das ganze Geld dem Kaufmann übergab, damit er mit um so größerer Sicherheit und Beruhigung die Bürgschaft übernehmen könne; jedoch vertrauten wir ihm wegen der damit verbundenen Gefahr nie unser Einverständnis und Geheimnis an.

41. Kapitel

Worin der Sklave seine Geschichte fortsetzt

Keine vierzehn Tage waren vorübergegangen, als bereits unser Renegat eine recht gute Barke gekauft hatte, die mehr als dreißig Personen fassen konnte. Und um die Ausführung seines Unternehmens zu sichern und es zu tarnen, beschloß er eine Fahrt und führte sie auch aus, indem er nach einem Orte namens Sargel segelte, der dreißig Stunden von Algier in der Richtung gegen Orán liegt, wo viel Handel mit trockenen Feigen betrieben wird. Zwei- oder dreimal machte er diese Fahrt in Gesellschaft mit dem erwähnten Tagarinen. Tagarinos nennt man in der Berberei die Mauren aus Aragon, die aus Granada nennt man Mudéjares, und im Königreich Fez tragen die Mudéjares den Namen Elches; sie sind die Leute, deren sich vorzugsweise der König jenes Landes im Kriege bedient.

Jedesmal, wenn nun der Renegat mit seiner Barke eine Fahrt machte, warf er den Anker in einer kleinen Bucht aus, die nicht zwei Bogenschuß weit von dem Garten war, wo Zoraida meiner wartete; und dort pflegte er absichtlich mit den maurischen Burschen, die am Ruder saßen, entweder das Salá, das Gebet nach muselmännischem Brauch, zu verrichten oder auch sich wie zum Scherze in dem zu versuchen, was er bald im Ernste tun wollte. Deshalb ging er öfters nach dem Garten Zoraidas, um Obst von ihr zu erbitten, und ihr Vater gab es ihm, ohne ihn zu kennen. Dabei hatte er die Absicht, Zoraida zu sprechen, wie er mir nachher erzählte, und ihr zu sagen, er sei es, der sie auf mein Geheiß in Christenlande führen solle, so daß sie vergnügt und sicher sein könne; allein es war ihm niemals möglich, weil die Maurinnen sich vor keinem Mauren oder Türken sehen lassen, wenn nicht ihr Gemahl oder ihr Vater es ihnen ausdrücklich befiehlt. Von Christensklaven lassen sie sich Verkehr und Umgang gefallen, manchmal sogar mehr, als sich geziemt. Mir wäre es leid gewesen, wenn er mit ihr gesprochen hätte; denn vielleicht hätte es sie aufgeregt und beunruhigt, wenn sie gesehen hätte, daß ihre Angelegenheit im Munde von Renegaten umging. Allein Gott, der es anders fügte, gewährte der guten Absicht unsres Renegaten keine Erfüllung.

Als dieser nun sah, wie sicher er von und nach Sargel fuhr, und daß er, wann und wie und wo er wollte, die Anker auswarf und daß sein Genöose, der Tagarine, keinen andern Willen hatte als den seinen und ich bereits losgekauft war und nichts weiter mehr zu tun blieb, als etliche Christen zu finden, die das Ruder führten, sagte er mir, ich möchte mir überlegen, welche Leute ich außer den losgekauften noch mitnehmen wollte. Ich solle mich mit ihnen auf den nächsten Freitag verabreden, auf welchen Tag er unsre Abfahrt bestimmt habe. Daraufhin besprach ich mich mit zwölf Spaniern, alles tüchtige Ruderer, und zwar solchen, denen es am leichtesten fiel, unbemerkt aus der Stadt zu kommen. Es war nicht einfach, unter den obwaltenden Verhältnissen so viele zu finden; denn es waren zwanzig Schiffe zum Kreuzen ausgelaufen und hatten alle Ruderknechte mit fortgenommen; und auch diese zwölf hätten sich nicht gefunden, wenn nicht zufällig ihr Herr diesen Sommer zu Hause geblieben wäre, ohne eine Raubfahrt zu unternehmen, weil er einen Zweimaster, den er auf der Werft hatte, erst ausbauen wollte. Diesen Leuten sagte ich nichts weiter, als daß sie nächsten Freitag nachmittags einer nach dem andern sich im stillen aus der Stadt schleichen, die Richtung nach Hadschí Murads Garten einschlagen und dort warten sollten, bis ich käme. Diesen Auftrag erteilte ich jedem für sich allein mit dem Befehle, falls sie etwa noch andre Christen dort sähen, ihnen nichts weiter zu sagen, als daß ich sie dort hinbestellt habe.

Nachdem ich diese Vorkehrung getroffen, blieb mir noch eine andre übrig, und zwar die wichtigste, nämlich Zoraida zu benachrichtigen, auf welchem Punkte die Angelegenheiten stünden, damit sie vorbereitet und auf der Hut sei, um nicht zu erschrecken, wenn wir sie vor der Zeit, wo sie die Rückkehr des Christenschiffes erwarten konnte, unversehens überfielen. Daher beschloß ich, nach dem Garten zu gehen und zu versuchen, ob ich sie sprechen könnte. Unter dem Vorwand, verschiedene Kräuter zu pflücken, ging ich einen Tag vor meiner Abreise hin, und die erste Person, die mir begegnete, war ihr Vater, der mich in der Sprache fragte, die in der ganzen Berberei, ja bis nach Konstantinopel zwischen Sklaven und Mauren gesprochen wird und die weder Maurisch noch Kastilianisch noch sonst eine Nationalsprache ist, sondern eine Mischung aus allen Sprachen, in der wir uns alle verständigen; ich sage also, in dieser Art von Sprache fragte er mich, was ich in diesem seinem Garten suche und wessen Sklave ich sei. Ich antwortete ihm, ich gehörte dem Arnauten Mamí, und zwar sagte ich das deshalb, weil ich bestimmt wußte, daß dieser ein vertrauter Freund von ihm war; ich fügte bei, ich suchte überall nach allerhand Kräutern für Salat. Er fragte mich, ob ich den Loskauf erwartete und wieviel mein Herr für mich verlange. Mitten in all diesen Fragen und Antworten trat die schöne Zoraida, die mich schon längst bemerkt hatte, aus dem Gartenhause, und da die Maurinnen durchaus nicht spröde sind, sich vor Christen sehen zu lassen, und, wie ich schon gesagt, keineswegs vor ihnen Scheu haben, so trug sie kein Bedenken, sich ihrem Vater und mir zu nähern. Ja, als ihr Vater sah, daß sie mit langsamen Schritten herbeikam, rief er ihr zu und gebot ihr näher zu treten.

Es würde mich zu weit führen, wollte ich hier die große Schönheit, die Anmut, den herrlichen und reichen Schmuck schildern, womit meine geliebte Zoraida vor meinen Augen erschien; ich kann nur sagen, daß an ihrem wunderschönen Hals, ihren Ohren und Haaren mehr Perlen hingen, als sie Haare auf dem Haupte hatte. An ihren Fußknöcheln, die sie nach dortigem Brauch unverhüllt zeigte, trug sie Carcaches – so nennt man auf maurisch die Spangen oder Ringe an den Füßen – von feinstem Gold mit so viel eingelegten Diamanten, daß ihr Vater, wie sie mir später sagte, sie auf zehntausend Dublonen schätzte, und die Armbänder, die sie am Handgelenk trug, waren ebensoviel wert. Die Perlen waren sehr zahlreich und äußerst kostbar, denn bei den Maurinnen ist der größte Prunk und Stolz, sich mit reichen Perlen und Perlsamen zu schmücken, und daher gibt es mehr Perlen und Perlsamen bei den Mauren als bei allen übrigen Völkern. Und Zoraidas Vater stand im Rufe, deren sehr viele zu besitzen, und zwar die teuersten, die es in Algier gab, und außerdem noch mehr als zweimalhunderttausend spanische Taler; und von alledem war sie die Herrin, die jetzt meine Herrin ist. Ob sie mit all diesem Schmucke damals reizend erschien oder ob nicht – aus den Resten, die ihr unter so vieler Mühsal geblieben sind, läßt es sich abnehmen. Wie mußte erst in glücklicheren Verhältnissen ihre Erscheinung sein! Denn man weiß ja, daß bei manchen Frauen die Schönheit ihre Tage und Zeiten hat und daß es äußerer Umstände bedarf, um sie zu mindern oder zu mehren, und es ist natürlich, daß Gemütsbewegungen sie erhöhen oder herabdrücken, ja sie sogar in den meisten Fällen ganz zerstören. Doch kurz gesagt, damals trat sie herzu, über alle Maßen geschmückt, schön über alle Maßen, oder mindestens schien sie mir die Reichstgeschmückte und Schönste, die ich bis dahin gesehen; und da ich dazu noch empfand, wie innig sie mich ihr verpflichtet hatte, so meinte ich eine Gottheit vom Himmel vor mir zu sehen, die zur Erde herabgestiegen zu meiner Wonne und zu meiner Rettung.

Als sie näher kam, sagte ihr Vater zu ihr in der Landessprache, ich sei ein Sklave seines Freundes, des Arnauten Mamí, und komme hierher, um Salat zu holen. Sie nahm nun zuerst das Wort und fragte mich in jenem Sprachengemisch, das ich erwähnt habe, ob ich ein Edelmann sei und aus welchem Grunde ich mich nicht loskaufte. Ich antwortete ihr, ich sei schon losgekauft, und am Kaufpreis könne sie sehen, wie hoch mein Herr mich schätze, da man für mich fünfzehnhundert Soltanís gegeben habe. Sie entgegnete darauf: »In Wahrheit, wenn du meinem Vater gehörtest, ich hätte ihn veranlaßt, dich nicht für zweimal soviel Soltanís herzugeben; denn ihr Christen lügt immer in allen euren Angaben und stellt euch arm, um die Mauren zu hintergehen.«

»Das könnte wohl sein, Fräulein«, antwortete ich ihr, »aber in Wahrheit, meinem Herrn gegenüber bin ich bei der Wahrheit geblieben und bleibe stets bei ihr und werde bei ihr bleiben gegenüber jedermann auf Erden.«

»Und wann gehst du?« fragte Zoraida.

»Morgen, glaube ich«, erwiderte ich, »denn es liegt hier ein Schiff aus Frankreich, das morgen unter Segel geht, und ich denke mit diesem zu reisen.«

»Ist es nicht besser«, erwiderte Zoraida., »zu warten, bis Schiffe aus Spanien kommen, und lieber mit diesen zu fahren als mit den Franzosen, die nicht eure Freunde sind?«

»Nein«, antwortete ich, »wiewohl ich, wenn man Nachricht hätte, daß ein spanisches Schiff in Bälde kommt, es abwarten würde. Indessen ist es sichrer, morgen abzureisen; denn meine Sehnsucht nach der Heimat und nach den Personen, die mir teuer sind, ist so heftig, daß sie mir nicht gestattet, eine andre, spätere Gelegenheit abzuwarten, wenn sie auch viel bequemer wäre.«

»Du bist gewiß in deiner Heimat verheiratet«, sagte Zoraida, »und sehnst dich daher nach deinem Weibe zurück.«

»Ich bin nicht verheiratet«, entgegnete ich, »aber ich habe mein Wort gegeben, mich zu verheiraten, sobald ich hinkomme.«

»Und ist die Dame schön, der du dein Wort gegeben?« fragte Zoraida.

»So schön ist sie«, antwortete ich, »daß sie, wenn ich sie nach Gebühr preisen und dir die Wahrheit sagen soll, dir sehr ähnlich sieht.«

Darüber lachte ihr Vater herzlich und sprach: »Bei Allah, Christ, da muß sie sehr schön sein, wenn sie meiner Tochter ähnlich sieht; denn diese ist die Schönste in diesem ganzen Lande. Meinst du nicht, so sieh sie dir genau an, und du wirst finden, daß ich dir die Wahrheit sage.«

Bei dem größten Teil dieser Unterredung diente uns Zoraidas Vater als Dolmetsch, da er in Sprachen erfahrener war; denn obwohl sie die Mischsprache redete, die, wie gesagt, dort üblich ist, so machte sie sich doch mehr durch Zeichen als durch Worte verständlich.

Während wir nun bei diesen und sonst allerhand Gesprächen waren, kam ein Maure in vollem Lauf herbei und schrie laut, es seien über die Ummaurung oder Mauer des Gartens vier Türken herübergestiegen und pflückten das Obst ab, obschon es noch nicht reif sei. Der Alte erschrak heftig und ebenso Zoraida; denn die Furcht der Mauren vor den Türken ist allgemein und beinahe angeboren, besonders vor den Soldaten, die so unverschämt sind und über die Mauren, die ihnen Untertan sind, so große Gewalt haben, daß sie sie schlechter behandeln, als wenn es ihre Sklaven wären.

Sogleich sprach nun Zoraidas Vater zu ihr: »Tochter, ziehe dich ins Haus zurück und schließe dich ein, während ich hingehe, mit diesen Hunden zu reden; und du, Christ, suche deine Kräuter und geh in Frieden, und Allah bringe dich glücklich zu deinem Lande heim.«

Ich verneigte mich, und er ging hin, die Türken zu verjagen, und ließ mich mit Zoraida allein, welche zuerst tat, als wollte sie ins Haus, wie ihr Vater befohlen hatte; allein kaum war er hinter den Bäumen des Gartens verschwunden, als sie sich zu mir wendete und mit tränenvollen Augen zu mir sagte: »Tamechí, Christ, tamechí?« was bedeutet: »Gehst du, Christ, gehst du?«

Ich antwortete ihr: »Allerdings, Fräulein, aber unter keiner Bedingung ohne dich; am nächsten Freitag erwartest du mich, und erschrick nicht, wenn du uns erblickst; denn ganz sicher reisen wir nach dem Christenlande.«

Ich sagte ihr dies auf eine solche Art, daß sie mich nach all den Briefen, die zwischen uns gewechselt worden, sehr gut verstehen mußte; sie legte ihren Arm um meinen Hals und begann mit wankenden Schritten nach dem Hause zu gehen. Der Zufall aber – der ein sehr schlimmer hätte werden können, wenn der Himmel es nicht anders beschlossen hätte – fügte es, als wir auf die Art und in der Stellung dahingingen, wie ich euch berichtet, ihren Arm um meinen Hals geschlungen, daß da ihr Vater, der die Türken fortgewiesen hatte, zurückkam und uns auf solche Art und Weise zusammen gehen sah; wie wir denn auch bemerkten, daß er uns gesehen hatte. Zoraida, klug und besonnen, wollte ihren Arm nicht von meinem Halse wegziehen, schmiegte sich vielmehr dichter an mich und legte ihren Kopf an meine Brust, wobei sie die Knie ein wenig einsinken ließ und deutlich zu erkennen gab, daß eine Ohnmacht sie anwandle; und so ließ auch ich merken, daß ich sie wider Willen stützte. Ihr Vater lief eilends zu uns her, und als er seine Tochter in solchem Zustand sah, fragte er, was ihr fehle; aber da sie ihm nicht antwortete, sprach er: »Ganz gewiß ist sie vor Schrecken über das Eindringen dieser Hunde ohnmächtig geworden.«

Er riß sie von meiner Brust weg und drückte sie an die seinige, und sie, einen Seufzer ausstoßend, die Augen noch nicht trocken von Tränen, sprach wiederum: »Amechí, Christ, amechí! Gehe, Christ, geh.«

Darauf sagte ihr Vater: »Der Christ braucht ja nicht zu gehen, er hat dir nichts zuleide getan, und die Türken sind bereits fort. Es ist kein Grund, bange zu sein, es ist kein Grund, dich zu betrüben; denn, wie gesagt, die Türken sind auf meine Bitte desselben Weges zurückgekehrt, den sie hereingekommen waren.«

»Die Türken, Señor«, sprach ich hier zu ihm, »haben sie erschreckt, wie Ihr gesagt habt; aber da sie sagt, ich soll gehen, will ich ihr nicht lästig fallen. Bleibet in Frieden, und mit Eurer Erlaubnis werde ich, wenn es nötig ist, wieder nach Kräutern in diesen Garten gehen; denn wie mein Herr sagt, gibt es in keinem bessere für Salat als in diesem.«

»Sooft du willst, kannst du wiederkehren«, antwortete Hadschí Murad, »denn meine Tochter hat dies nicht gesagt, weil du oder ein andrer von den Christen ihr unangenehm gewesen. Vielmehr hat sie, während sie eigentlich sagen wollte, die Türken sollten gehen, nur irrtümlich gesagt, du solltest gehen, oder auch weil es bereits Zeit für dich war, deine Kräuter zu suchen.«

Hiermit verabschiedete ich mich sogleich von beiden, und sie entfernte sich mit einem Gesichtsausdruck, als ob sie sich das Herz aus dem Leibe reißen wollte, mit ihrem Vater. Ich durchstreifte indessen unter dem Vorwand, Kräuter zu suchen, den ganzen Garten weit und breit, soviel ich nur Lust hatte; ich beobachtete, wo die Ein- und Ausgänge waren, wie das Haus verwahrt sei und welche Gelegenheiten sich darböten, um unser Vorhaben am besten auszuführen. Darauf ging ich von dannen und berichtete alles, was geschehen, dem Renegaten und meinen Gefährten und konnte kaum die Stunde erwarten, wo ich angstbefreit das Glück genießen würde, welches das Schicksal mir in der schönen reizenden Zoraida darbot.

Endlich verging die Zeit, der Tag brach an, und der bestimmte Zeitpunkt näherte sich, den wir alle so heiß ersehnten, und da die Befehle und Anweisungen, die wir mit kluger Erwägung und langer Beratung zu öftern Malen erteilt hatten, von allen genau befolgt wurden, so gelang uns denn auch alles nach Wunsch. Denn am Freitag nach dem Tage, wo ich mit Zoraida im Garten gesprochen, ging der Renegat bei Anbruch der Nacht mit der Barke an einer Stelle vor Anker, wo fast gegenüber die reizende Zoraida weilte. Bereits waren die Christen, die die Ruderbank besetzen sollten, in Bereitschaft und an verschiedenen Stellen der Umgegend versteckt. Alle waren in Spannung und freudiger Aufregung und erwarteten mich voll Begier, sich des vor ihnen liegenden Schiffes alsbald zu bemächtigen; denn sie wußten nichts von der Verabredung mit dem Renegaten, sondern sie glaubten, sie sollten mit Gewalt ihre Freiheit gewinnen und zu diesem Zwecke den Mauren in der Barke das Leben rauben.

Sobald ich mich nun nebst meinen Gefährten erblicken ließ, kamen all die andern versteckten Helfer auf uns zu. Das geschah zu der Zeit, wo bereits die Stadttore verschlossen waren, und es war in dem ganzen Gefilde umher niemand zu sehen. Als wir uns zusammengefunden, waren wir ungewiß, ob es besser sei, erst Zoraida zu holen oder zuerst die maurischen Bagarinos, die die Ruderbänke in der Barke besetzt hielten, zu überwältigen; und während wir noch in diesem Zweifel befangen waren, traf unser Renegat bei uns ein und fragte uns, womit wir uns noch aufhielten; es sei jetzt die Stunde, alle seine Mauren säßen sorglos da und die meisten in tiefem Schlummer. Wir sagten ihm unsere Bedenken, und er entgegnete, das Wichtigste sei, sich zuerst des Schiffes zu bemächtigen, was sich mit größter Leichtigkeit und ohne Gefahr tun lasse, und dann könnten wir gleich Zoraida abholen. Uns allen schien seine Ansicht die richtige, und ohne länger zu zögern, begaben wir uns unter seiner Führung zu dem Schiff; er sprang zuerst hinein, zog seinen Krummsäbel und rief auf maurisch: »Keiner von euch rühre sich von der Stelle, oder ihr seid des Todes.«

Bereits waren fast alle Christen an Bord gestiegen. Als die Mauren, die ohnehin nicht sehr beherzt waren, ihren Schiffsherrn so reden hörten, schraken sie zusammen, und ohne daß einer von ihnen allen zu den Waffen griff – deren sie ohnehin wenige oder fast gar keine hatten –, ließen sie sich ohne die geringste Widerrede von den Christen die Hände binden. Diese taten das mit größter Geschwindigkeit, wobei sie den Mauren drohten, wenn sie irgendeinen Laut von sich gäben, so würde man sie auf der Stelle über die Klinge springen lassen.

Als dieses vollbracht war, blieb die Hälfte der Unsern zur Bewachung der Ruderer zurück, und wir übrigen gingen, wiederum unter Führung des Renegaten, nach dem Garten Hadschí Murads, und das günstige Geschick fügte es, daß, als wir das Tor öffnen wollten, es mit solcher Leichtigkeit aufging, als wäre es gar nicht verschlossen gewesen; und so gelangten wir in großer Ruhe und Stille zu dem Hause, ohne daß jemand uns bemerkte. Schon stand die reizende Zoraida uns erwartend am Fenster, und sobald sie Laute hörte, fragte sie mit leiser Stimme, ob wir Nisaranís wären, das heißt soviel: ob wir Christen wären. Ich antwortete ihr mit Ja und bat sie herunterzukommen. Als sie mich erkannte, zögerte sie keinen Augenblick, eilte, ohne mir ein Wort zu erwidern, unverzüglich herunter, öffnete die Tür und zeigte sich aller Augen so schön und in so reicher Tracht, daß ich nicht imstande bin, es genügend zu preisen. Sobald ich sie erblickte, ergriff ich ihre Hand und küßte sie, und dasselbe tat auch der Renegat nebst meinen beiden Gefährten, und die andern, die von der Sache nichts wußten, taten, was sie uns tun sahen, und es schien nicht anders, als wollten wir ihr unsern ehrerbietigen Dank bezeigen und sie als unsre Herrin und Geberin unsrer Freiheit anerkennen.

Der Renegat fragte sie auf maurisch, ob ihr Vater im Garten sei; sie antwortete, ja, er schlafe jedoch. »Dann wird es nötig sein, ihn aufzuwecken«, erwiderte der Renegat, »und ihn mit uns zu nehmen, sowie alles, was er in diesem schönen Garten Wertvolles hat.«

»Nein«, entgegnete sie, »an meinen Vater dürft ihr unter keiner Bedingung rühren; auch befindet sich in diesem Hause nichts, als was ich mitnehme, und dies ist so viel, daß es hinreichen wird, um euch alle reich und zufrieden zu machen. Wartet nur einen Augenblick, und ihr werdet schon sehen.«

Mit diesen Worten ging sie ins Haus zurück und sagte, sie werde gleich wiederkommen; wir möchten nur ruhig sein und kein Geräusch machen. Ich fragte den Renegaten, was er mit ihr verhandelt habe; er erzählte es mir, und ich erklärte ihm, es dürfe in keiner Beziehung irgend etwas andres geschehen, als was Zoraida wolle. Bereits erschien diese wieder, beladen mit einem Kästchen voller Goldtaler, so schwer, daß sie es kaum tragen konnte.

Inzwischen wollte das Mißgeschick, daß ihr Vater aufwachte und das Geräusch vernahm, das sich hin und wieder im Garten bemerken ließ. Er trat ans Fenster, erkannte sogleich, daß alle Leute im Garten Christen waren, und mit gewaltigem unaufhörlichem Geschrei rief er auf arabisch: »Christen, Christen! Räuber, Räuber!«

Dies Geschrei versetzte uns alle in unbeschreibliche Angst und Bestürzung. Aber der Renegat, der sah, in welcher Gefahr wir uns befanden und wieviel für ihn darauf ankam, mit diesem Unternehmen zu einem glücklichen Ende zu kommen, ehe man uns entdeckte, eilte mit größter Schnelligkeit hinauf zu Hadschí Murad und mit ihm ein paar der Unsrigen, während ich nicht wagte, Zoraida zu verlassen, die wie ohnmächtig mir in die Arme gesunken war.

Kurzum, die, welche hinaufgeeilt waren, besorgten ihre Angelegenheit so schleunig, daß sie in einem Augenblick mit Hadschí Murad wieder herabkamen; sie brachten ihn mit gebundenen Händen, im Munde einen Knebel, der ihm kein Wort zu reden erlaubte; sie drohten ihm, wenn er zu sprechen versuche, würde es ihn das Leben kosten. Als seine Tochter ihn erblickte, verhüllte sie sich die Augen, um ihn nicht zu sehen, und ihr Vater stand voll Entsetzens, da er nicht wußte, wie sehr freiwillig sie sich in unsre Hände gegeben hatte. Da aber jetzt die Füße nötiger als alles andere waren, so begaben wir uns eiligst und ohne weiteres Überlegen zu der Barke, wo die Zurückgebliebenen uns bereits in Besorgnis erwarteten, es möchte uns etwas Übles zugestoßen sein.

Es mochten kaum die zwei ersten Stunden der Nacht vorüber sein, als wir uns schon sämtlich in der Barke befanden, und hier nahm man dem Vater Zoraidas die Bande von den Händen und den Knebel aus dem Munde; allein der Renegat wiederholte seine Warnung, kein Wort zu sprechen, sonst würde man ihm das Leben rauben. Er aber, als er seine Tochter im Schiffe sah, begann schmerzlich zu seufzen, zumal da er bemerkte, daß ich sie innig umarmt hielt und daß sie, ohne abzuwehren oder zu klagen oder sich zu sträuben, ruhig dasaß; aber trotzdem schwieg er aus Furcht, der Renegat möchte seine Drohungen wahrmachen. Als nun Zoraida sah, daß sie sich an Bord befand und daß wir die Ruder hoben, um in See zu stechen, und daß ihr Vater dort saß nebst den andern gefesselten Mauren, sagte sie zu dem Renegaten, er möge mich um die Gunst für sie bitten, die Mauren von den Banden zu lösen und ihrem Vater die Freiheit zu geben; denn sie würde sich lieber ins Meer stürzen, als daß sie vor ihren Augen und um ihretwillen einen Vater, der sie so sehr geliebt, gefangen fortgeschleppt sähe. Der Renegat sagte es mir, und ich erwiderte, ich sei damit ganz einverstanden. Er aber entgegnete, es sei nicht tunlich, weil sie, wenn man sie hier am Ufer zurücklasse, sogleich das ganze Land zusammenschreien und die Stadt in Aufruhr bringen und Anstalten treffen würden, uns mit ein paar leichten Fregatten zu verfolgen und uns den Weg zu Lande und zur See zu verlegen, so daß wir nicht zu entkommen vermöchten. Was sich tun lasse, sei, an der ersten christlichen Küste, wo man anlegen werde, sie in Freiheit zu setzen.

Dieser Meinung stimmten wir alle bei, und Zoraida, der man dieses nebst den Gründen mitteilte, die uns bewegen, ihrem Wunsche nicht sogleich zu entsprechen, gab sich ebenfalls zufrieden; und mit freudigem Stillschweigen und heiterem Bemühen erfaßte ein jeder von unsern kräftigen Rudersleuten seine Ruderstange, und uns von ganzem Herzen Gott befehlend, begannen wir, die Richtung auf die Balearen zu nehmen, welche das nächstgelegene Christenland sind. Allein da der Wind sachte von Norden zu wehen begann und die See ziemlich hoch ging, war es nicht möglich, den Kurs auf Mallorca einzuhalten, und wir sahen uns genötigt, uns am Ufer hin in der Richtung nach Orán treiben zu lassen, nicht ohne große Besorgnis, daß wir von Sargel aus entdeckt werden möchten, welcher Ort an dieser Küste etwa sechzig Meilen von Algier entfernt liegt. Auch fürchteten wir, in diesem Strich einem der Zweimaster zu begegnen, die gewöhnlich mit Handelsfracht von Tetuán kommen. Allerdings waren wir alle der Meinung, wenn uns ein Kauffahrteischiff begegnete, das nicht gerade zur Kaperei ausgerüstet wäre, würden wir nicht nur nicht ins Verderben geraten, sondern sogar ein Fahrzeug erbeuten, auf dem wir unsre Fahrt mit größerer Sicherheit vollenden könnten.

Während wir so weiterruderten, hielt Zoraida ihren Kopf in meine Hände gedrückt, um ihren Vater nicht zu sehen, und ich hörte, wie sie beständig Lela Marién anrief, uns zu helfen. Wir mochten an die dreißig Meilen weit gerudert sein, als der Morgen uns zu leuchten begann und wir uns etwa drei Büchsenschüsse weit von der Küste fanden, die wir ganz menschenleer sahen, ohne jemand, der uns bemerken konnte. Aber dessenungeachtet suchten wir mit Aufgebot aller Kräfte einigermaßen die hohe See zu gewinnen, die jetzt etwas ruhiger war, und nachdem wir etwa zwei Meilen weit hinausgeschifft waren, wurde Befehl erteilt, abteilungsweise zu rudern, während wir etwas frühstücken wollten; denn die Barke war mit Mundvorrat wohlversehen. Allein die Ruderleute sagten, es sei jetzt keine Zeit, irgendwie der Ruhe zu pflegen; man möge denen, die nicht das Ruder führten, zu essen geben, sie aber würden unter keiner Bedingung die Ruder aus den Händen lassen.

Es geschah also, aber währenddessen erhob sich ein kräftiger Wind, der uns zwang, die Segel beizusetzen und die Ruder einzuziehen und den Kurs nach Orán einzuhalten, weil eine andre Fahrt nicht möglich war. Alles wurde mit größter Schnelligkeit ausgeführt, und so fuhren wir unter Segel mehr als acht Seemeilen in der Stunde, ohne eine andre Besorgnis, als einem Schiff zu begegnen, das auf Kaperei ausgerüstet wäre. Wir gaben den maurischen Bagarinos zu essen, und der Renegat sprach ihnen Trost zu und sagte ihnen, sie seien hier nicht als Gefangene, man werde sie bei erster Gelegenheit in Freiheit setzen.

Das nämliche sagte er dem Vater Zoraidas; der aber entgegnete: »Von eurer Großmut und Freundlichkeit könnte ich eher alles andre erwarten und glauben, ihr Christen; aber haltet mich nicht für so einfältig, daß ich glaube, ihr werdet mich in Freiheit setzen. Denn wahrlich, ihr habt euch ja nicht in die Gefahr begeben, mir die Freiheit zu rauben, um sie mir dann so freigebig wieder zu schenken, namentlich da ihr wißt, wes Standes ich bin und welcher Vorteil euch daraus entstehen kann, daß ihr mir sie wiedergebt. Und wollt ihr mir den Preis dafür angeben, so biete ich euch auf der Stelle alles an, was ihr für mich und für diese meine unglückliche Tochter verlangen wollt, oder aber für sie allein, die ja der größte und beste Teil meines Herzens ist.«

Bei diesen Worten begann er so bitterlich zu weinen, daß er uns alle zum Mitleid bewegte und Zoraida nötigte, ihre Blicke auf ihn zu richten; und als sie ihn weinen sah, ward sie so gerührt, daß sie sich von ihrem Sitze zu meinen Füßen erhob und hineilte, ihren Vater zu umarmen. Sie preßte ihr Gesicht an das seinige, und beide brachen in so schmerzliches Jammern aus, daß viele von uns mit ihnen weinen mußten.

Aber als ihr Vater sie in festlichem Schmucke und mit soviel Kostbarkeiten prangend sah, sagte er in seiner Sprache zu ihr: »Was ist das, Tochter? Gestern abend, ehe uns das schreckliche Unglück traf, in dem wir uns jetzt befinden, sah ich dich in deiner gewöhnlichen Haustracht:, und jetzt, ohne daß du Zeit hattest, dich umzukleiden, und ohne daß ich dir eine freudige Nachricht mitgeteilt hätte, die geeignet wäre, mit Schmuck und Kleidertracht gefeiert zu werden, sehe ich dich mit den herrlichsten Gewändern bekleidet, die ich dir, als uns das Glück am günstigsten war, zu geben imstande war? Gib mir Antwort hierauf, denn dies setzt mich in größeres Staunen und größere Verwunderung als all das Mißgeschick selbst, in dem ich mich befinde.«

Alles, was der Maure seiner Tochter sagte, übersetzte uns der Renegat, und sie erwiderte ihm nicht ein Wort. Aber als er seitwärts in der Barke das Kästchen erblickte, worin sie gewöhnlich ihre Kostbarkeiten hatte und das er, wie er sich wohl erinnerte, in Algier gelassen und nicht in das Gartenhaus mitgenommen hatte, geriet er in noch größere Bestürzung und fragte, wie dies Kästchen in unsre Hände gelangt sei und was sich darin befinde. Darauf sagte der Renegat, ohne abzuwarten, daß ihm Zoraida eine Antwort erteilte: »Gebt Euch, Señor, nicht die Mühe, so viele Fragen an Zoraida zu richten; denn durch Beantwortung einer einzigen werde ich Euch über alles aufklären. So will ich Euch denn wissen lassen, daß sie Christin ist; sie allein war die Feile unsrer Ketten und die Befreiung aus unsrer Sklaverei. Sie befindet sich hier aus eignem, freiem Willen und ist, wie ich glaube, so froh darüber wie einer, der aus der Finsternis in das Licht heraustritt, aus dem Tode ins Leben, aus der Höllenpein in die Glorie des Himmels.«

»Ist es Wahrheit, was der sagt, meine Tochter?« sprach der Maure.

»Es ist so«, antwortete Zoraida.

»Wie! Du bist wirklich«, erwiderte der Alte, »eine Christin? Du bist es, die ihren Vater in die Hände seiner Feinde überliefert hat?«

Darauf antwortete Zoraida: »Eine Christin, das bin ich; ich bin es aber nicht, die dich in diese Lage versetzt hat; denn nie ging mein Wunsch dahin, dich im Leid zu verlassen oder dir ein Leid zuzufügen, nein, mir vielmehr Glück zu erwerben.«

»Und welch ein Glück hast du dir erworben, meine Tochter?«

»Das«, antwortete sie, »frage du Lela Marién, sie wird es dir besser sagen können als ich.«

Kaum hatte der Maure dies gehört, als er mit unglaublicher Behendigkeit sich kopfüber ins Meer stürzte, wo er ohne Zweifel ertrunken wäre, wenn sein langes, faltiges Gewand ihn nicht eine kurze Zeit über Wasser gehalten hätte. Zoraida schrie, man möge ihn aus den Fluten retten; wir eilten ihm alle zu Hilfe, faßten ihn am Oberkleid und zogen ihn halb erstickt und besinnungslos heraus. Zoraida war so von Schmerz überwältigt, daß sie, als wenn er schon tot wäre, jammernd und schmerzvoll Klage über ihn erhob. Wir legten ihn mit dem Gesichte nach unten, er gab viel Wasser von sich, und nach zwei Stunden kam er wieder zu sich.

Inzwischen war der Wind umgeschlagen; wir mußten wieder landwärts drehen und alle Kraft der Ruder aufbieten, um nicht an der Küste aufzufahren. Aber unser gutes Glück fügte es, daß wir eine Bucht erreichten, die längs eines kleinen Vorgebirgs oder einer Landzunge sich erstreckt und von den Mauren die Bucht der Caba rumia, das heißt des bösen Christenweibes, genannt wird. Nach einer Sage der Mauren liegt an diesem Orte die Caba begraben, um derentwillen Spanien zugrunde ging; denn Caba heißt in ihrer Sprache ein böses Weib und rumia eine Christin. Ja sie halten es sogar für eine üble Vorbedeutung, dort Anker zu werfen, wenn einmal die Notwendigkeit sie dazu zwingt; denn ohne eine solche gehen sie dort nie vor Anker. Indessen für uns war es nicht die Ruhestatt eines bösen Weibes, sondern der sichere Hafen unserer Rettung, so hoch ging die See. Wir stellten unsere Schildwachen am Lande aus und ließen die Ruder keinen Augenblick aus den Händen; wir aßen von den Vorräten, die der Renegat besorgt hatte, und beteten von ganzem Herzen zu Gott und Unserer Lieben Frau, uns hilfreich und gnädig zu sein, auf daß wir einen so günstigen Anfang mit glücklichem Ende krönen möchten.

Auf Zoraidas Bitte wurde Anstalt getroffen, ihren Vater und die andern Mauren, die gebunden im Schiff lagen, ans Land zu setzen; denn sie hatte nicht das Herz, und ihr weiches Gemüt konnte es nicht ertragen, vor ihren Augen ihren Vater gefesselt und ihre Landsleute gefangen zu sehen. Wir versprachen ihr, es bei unserer Abfahrt zu tun, da keine Gefahr davon drohte, sie in dieser wüsten Gegend zurückzulassen.

Unsere Gebete waren nicht so vergeblich, daß der Himmel sie nicht gehört hätte; er ließ alsbald den Wind zu unseren Gunsten umschlagen und die See ruhig werden und lud uns ein, die begonnene Fahrt jetzt wieder fröhlich fortzusetzen. Als wir das gewahrten, banden wir die Mauren los und setzten sie einen nach dem andern an Land, worüber sie sich höchlich wunderten. Als wir aber im Begriff waren, Zoraidas Vater, der wieder bei voller Besinnung war, auszuschiffen, sagte er: »Warum, glaubt ihr Christen, freut sich dies böse Weib, daß ihr mir die Freiheit schenkt? Glaubt ihr, es geschehe etwa aus Mitleid mit mir? Wahrlich nein, sie tut es nur, weil meine Anwesenheit sie stören würde, wenn sie ihre bösen Gelüste befriedigen will; auch dürft ihr nicht denken, daß sie zur Änderung ihres Glaubens deshalb bewogen worden, weil sie meint, dem eurigen gebühre der Vorzug vor dem unsrigen, sondern vielmehr, weil sie weiß, daß man in eurem Lande sich der Sittenlosigkeit freier hingeben kann als in dem unseren.«

Hierauf wendete er sich zu Zoraida, wobei ich und ein anderer Christ ihn mit beiden Armen umfaßt hielten, damit er sich nicht zu etwas Wahnwitzigem hinreißen ließe, und sprach zu ihr: »O du schändliches Mädchen, du übelberatenes Kind! Wo willst du hin, blind und unsinnig, in der Gewalt dieser Hunde, unserer gebornen Feinde? Verflucht sei die Stunde, in der ich dich erzeugte, verflucht sei das Wohlleben und die Üppigkeit, worin ich dich auf erzog!«

Da ich indessen gewahrte, daß er in einer Verfassung war, um nicht so bald zu Ende zu kommen, so beeilte ich mich, ihn ans Land zu setzen, aber auch von da aus fuhr er mit wilden Schreien fort in seinen Verwünschungen und Jammerklagen und rief Mohammed an, er möge Allah bitten, uns zu vernichten, zu verderben und auszutilgen. Und als wir, da wir unter Segel gegangen, seine Worte nicht mehr hören konnten, sahen wir noch sein leidenschaftliches Gebaren, wie er sich den Bart ausriß, die Haare raufte und sich auf den Boden niederwarf. Einmal aber erhob er seine Stimme so gewaltig, daß wir vernahmen, wie er rief: »Kehre zurück, geliebte Tochter, kehre ans Land zurück, ich verzeihe dir alles; überlaß diesen Leuten all das Geld dort, es gehört ja schon ihnen, kehre zurück, um deinem kummervollen Vater Trost zu spenden! Er wird in dieser Sandwüste das Leben lassen, wenn du ihn verlassest.«

All dieses hörte Zoraida, und alles bewegte sie zu innigem Schmerz und heißen Tränen, und sie vermochte ihm nichts anderes zu sagen und kein anderes Wort zu erwidern als dies eine: »Es gebe Allah, mein Vater, daß Lela Marién, welche die Ursache ist, daß ich Christin geworden, dich in deiner Traurigkeit tröste! Allah weiß, daß ich nichts anderes tun konnte, als was ich getan, und daß diese Christen meinem guten Willen nichts zu danken haben, denn hätte ich auch den Willen gehabt, nicht mit ihnen zu gehen und in unserem Hause zu bleiben, es wäre mir unmöglich gewesen, so eilig drängte es mich in meiner Seele, dies Werk ins Werk zu setzen, das mich ein ebenso gutes dünkt, wie du, geliebter Vater, es für ein schlechtes erachtest.«

Als Zoraida dieses sprach, konnte ihr Vater sie schon nicht mehr hören und wir ihn nicht mehr sehen. Ich sprach ihr Trost zu, und wir alle waren nur noch auf unsere Fahrt bedacht, die jetzt der Wind begünstigte, so daß wir es wirklich für sicher hielten, bei Anbruch des nächsten Morgens die spanische Küste zu erreichen.

Aber da selten oder nie das Glück uns rein und ungetrübt zuteil wird, ohne daß ein verwirrender oder plötzlich heranstürmender Unfall es begleitet oder ihm nachfolgt, so fügte es unser Geschick oder veranlaßten es vielleicht die Verwünschungen, die der Maure auf seine Tochter geschleudert – denn stets sind solche Flüche zu fürchten, von welchem Vater sie auch kommen mögen –, es fügte das Schicksal, sage ich, als wir uns bereits auf hoher See befanden und schon etwa drei Stunden der Nacht vorüber waren und wir unter vollgeschwelltem Segel hinfuhren und mit festgebundenen Ruderstangen, da der günstige Wind uns der Mühe überhob, sie zu gebrauchen, daß wir da plötzlich beim hellen Scheine des Mondes dicht bei uns ein Rundschiff sahen, das alle Segel gesetzt hatte und das Steuer etwas nach links hielt und quer vor uns vorüberfuhr, und zwar so nahe, daß wir die Segel reffen mußten, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Und die anderen ihrerseits legten sich mit aller Macht in das Steuer, um uns Raum zum Vorbeifahren zu lassen. Jene hatten sich an Bord des Schiffes aufgestellt, um uns zu fragen, wer wir seien, wohin wir segelten und woher wir kämen; aber da sie uns dies auf französisch fragten, so sagte unser Renegat: »Keiner gebe Antwort, denn dies sind ohne Zweifel französische Seeräuber, denen alles recht zum Plündern ist.«

Auf diese Warnung hin antwortete keiner ein Wort. Aber kaum waren wir an ihnen vorbei, und das Schiff segelte bereits unter dem Wind, als jenes unversehens zwei Geschütze löste, und wie es schien, waren beide mit Kettenkugeln geladen; denn der eine Schuß riß unsern Mast mitten durch und warf ihn samt dem Segel ins Meer, und da im nämlichen Augenblick das andere Geschütz feuerte, schlug die Kugel mitten in unser Schiff ein, so daß sie es ganz auseinanderriß, ohne jedoch anderen Schaden zu tun. Wie wir nun unsere Barke sinken sahen, begannen wir alle um Hilfe zu schreien und die im Schiffe zu bitten, sie möchten uns aufnehmen, weil wir am Ertrinken wären. Jetzt drehten sie bei, ließen ihr Boot oder ihre Schaluppe in See, und es stiegen gegen zwölf Franzosen darein, wohlbewaffnet mit Musketen und brennenden Lunten, und fuhren dicht an unser Schiff heran. Als sie aber sahen, daß unsere Anzahl so gering und das Schiff im Sinken war, nahmen sie uns an Bord, wobei sie sagten, wir hätten dies alles nur unserer Unhöflichkeit zuzuschreiben. Unser Renegat nahm das Kästchen mit Zoraidas Reichtümern und warf es unbemerkt ins Meer.

Nun begaben wir uns insgesamt zu den Franzosen hinüber, und diese, nachdem sie uns über alles ausgefragt hatten, was sie von uns zu wissen wünschten, nahmen uns alles weg, was wir besaßen, als wären wir ihre Todfeinde, und Zoraida beraubten sie sogar der Spangen, die sie an den Fußgelenken trug. Doch die Bekümmernis, in welche sie Zoraida hiermit versetzten, war bei mir lange nicht so groß als diejenige, die mir aus der Angst entstand, sie möchten vielleicht vom Raub der reichen und kostbaren Kleinodien weitergehn zum Raub jenes einen Kleinods, das den höchsten Wert hatte und von ihr am höchsten geschätzt wurde. Indessen geht die Gier dieser Leute auf nichts weiteres als auf das Geld, dessen sich ihre Habsucht nie ersättigen kann, und sie trieben es so arg, daß sie uns selbst die Sklavenkleider weggenommen hätten, wenn diese vom geringsten Nutzen für sie gewesen wären. Es war sogar unter ihnen die Rede davon, man solle uns alle in ein Segel wickeln und ins Meer werfen, denn sie hatten die Absicht, etliche spanische Häfen anzulaufen und sich dabei für Bretonen auszugeben, und wenn sie uns lebend mitnähmen, so würden sie der Strafe nicht entgehen, weil der verübte Raub nicht unentdeckt bliebe. Allein der Hauptmann, der nämliche, der meine geliebte Zoraida ausgeplündert hatte, sagte, er für seinen Teil begnüge sich mit der Beute, die er schon habe, und er wolle keinen spanischen Hafen anlaufen, sondern bei Nacht, oder wie es ihm sonst möglich wäre, durch die Meerenge von Gibraltar nach La Rochelle gehen, von wo er ausgelaufen sei.

So kamen sie denn überein, uns das Beiboot ihres Schiffes zu überlassen nebst allem für die kurze Fahrt Erforderlichen, die wir noch vor uns hatten, was sie auch am nächsten Tage ausführten, als wir bereits im Angesicht der spanischen Küste waren. Bei diesem Anblick war all unser Kummer und all unsere Armut gänzlich vergessen, als wären es nicht wir, die das alles erlebt hätten; so groß ist die Freude, die verlorene Freiheit wiederzugewinnen.

Es mochte gegen Mittag sein, als sie uns in das Boot aussetzten, wobei sie uns zwei Fässer mit Wasser und etwas Zwieback mitgaben; und der Schiffshauptmann gab, ich weiß nicht in welcher Anwandlung von Barmherzigkeit, der lieblichen Zoraida beim Einschiffen etwa vierzig Goldtaler und erlaubte seinen Soldaten nicht, ihr ihre Kleider wegzunehmen, dieselben, die sie noch jetzt trägt. Wir stiegen in das Boot und dankten ihnen für das Gute, was sie an uns getan; wir wollten lieber unsere Erkenntlichkeit als unsern Groll zeigen.

Sie suchten nun die hohe See zu gewinnen, um die Richtung nach der Meerenge einzuschlagen; wir aber, ohne nach einem andern Leitstern zu blicken als nach der Küste vor uns, ruderten so tapfer voran, daß wir bis Sonnenuntergang nahe genug waren, um nach unserer Meinung noch vor Einbruch der vollen Nacht das Gestade erreichen zu können. Aber da in jener Nacht der Mond nicht schien und der Himmel, finster war und da wir die Küste nicht kannten, wo wir hingeraten, hielten wir es nicht für sicher, ans Land zu stoßen, während viele von uns gerade dies vorzogen und meinten, wir sollten aufs Land zusteuern, selbst wenn wir auf Felsen und fern von bewohnten Gegenden landen sollten, denn nur so könnten wir der Gefahr entgehen, die wir mit Recht fürchteten, daß dortherum Korsarenschiffe aus Tetuán streifen möchten, welche bei Anbruch der Nacht noch in der Berberei und beim Frührot schon an den spanischen Küsten sind, hier gewöhnlich Beute machen und dann heimkehren, um nachts wieder zu Hause zu schlafen. Endlich einigten wir uns dahin, daß wir uns allmählich dem Lande nähern und, wenn die ruhige See es gestatte, uns ausschiffen sollten, wo es eben möglich wäre.

So geschah es denn auch, und es mochte kurz vor Mitternacht sein, als wir an den Fuß eines hohen, unförmigen Berges gelangten, der jedoch nicht so schroff aus der See aufstieg, daß er uns nicht ein wenig Raum zur bequemen Landung verstattet hätte. Wir stießen an das sandige Ufer, sprangen alle ans Land, küßten den Boden und dankten mit innigsten Freudentränen Gott unserm Herrn für die unvergleichliche Wohltat, die er uns erwiesen. Wir nahmen aus dem Boote die darin befindlichen Vorräte, zogen es an Land und stiegen eine große Strecke den Berg hinauf. Denn waren wir nun auch angelangt, so konnten wir doch unser Gemüt noch nicht beruhigen und nicht völlig glauben, daß es christlicher Boden sei, der unsere Füße trage. Der Morgen schien mir später anzubrechen, als wir gewünscht hätten; wir stiegen den ganzen Berg vollends hinauf, um zu sehen, ob sich von da aus ein bewohnter Ort entdecken lasse oder wenigstens ein paar Schäferhüttchen; aber so weit wir auch die Blicke aussandten, sahen wir weder einen Wohnort noch einen Menschen, weder Weg noch Steg. Trotzdem beschlossen wir, weiter ins Land hineinzugehn, da es doch nicht anders sein konnte, als daß wir bald jemanden auffinden würden, der uns Nachricht über das Land gäbe.

Was mich indessen am meisten quälte, war, daß ich sehen mußte, wie Zoraida zu Fuß diese unwegsame Gegend durchwanderte. Denn wiewohl ich sie manchmal auf meinen Armen trug, so ermüdete meine Ermüdung sie weit mehr, als das Ausruhen ihr zur Ruhe ward, und daher wollte sie mir diese Mühe durchaus nicht nochmals zumuten. Ich führte sie daher immer an der Hand, wobei sie große Geduld bewies und stets den Schein der Heiterkeit bewahrte, und so mochten wir weniger als eine Viertelmeile gegangen sein, als plötzlich der Klang einer Schelle an unsere Ohren drang, ein deutliches Zeichen, daß dort in der Nähe sich eine Herde befinden müßte, und als wir alle aufmerksam umherspähten, ob eine solche sich sehen lasse, bemerkten wir am Fuß einer Korkeiche einen jungen Schäfer, der ruhig und sorglos sich mit seinem Messer einen Stab schnitzte. Wir riefen ihm laut zu, er hob den Kopf und sprang in die Höhe, und die ersten, die ihm vors Auge kamen, waren, wie wir nachher erfuhren, der Renegat und Zoraida. Und da er sie in Maurentracht sah, meinte er gleich, alle Mauren aus der ganzen Berberei seien ihm schon auf dem Hals; er lief mit wunderbarer Geschwindigkeit in den Wald und weiter und schrie aus vollem Hals: »Mauren, Mauren sind im Land! Mauren, Mauren! Zu den Waffen, zu den Waffen!«

Bei diesem Geschrei gerieten wir alle in Bestürzung und wußten nicht, was wir anfangen sollten. Da wir indessen bedachten, das Geschrei des Schäfers müsse das Land in Aufruhr bringen und die Strandreiter würden bald herbeieilen, um zu sehen, was vorgehe, so beschlossen wir, der Renegat solle seine Türkenkleider ausziehen und ein maurisches Gileco, das heißt eine Sklavenjacke anlegen, welche einer von uns ihm auf der Stelle gab, obschon er deshalb im bloßen Hemde einhergehen mußte. Und so befahlen wir uns Gott dem Herrn und zogen desselben Weges, den wir den Schäfer hatten einschlagen sehen, stets den Augenblick erwartend, wo die Strandreiter über uns herfallen würden. Und unsere Vermutung trog uns nicht; denn es mochten noch nicht zwei Stunden vergangen sein, als wir, aus dem Dickicht bereits auf ebenes Land herausgekommen, gegen sechzig Reiter erblickten, die in rasender Eile mit verhängten Zügeln auf uns zukamen; sobald wir ihrer ansichtig wurden, standen wir still und erwarteten sie. Als sie nun in die Nähe kamen und statt der Mauren, die sie suchten, so viele arme Christen erblickten, wußten sie sich gar nicht dareinzufinden. Einer von ihnen aber fragte uns, ob wir vielleicht der Anlaß gewesen seien, daß ein Schäfer Lärm geschlagen und zu den Waffen gerufen habe.

Ja, sagte ich; und als ich gerade anfangen wollte, ihm meine Erlebnisse zu erzählen, und woher wir kämen und woher wir seien, erkannte einer der Christen, die unsre Rudersleute gewesen, den Reiter, der die Frage an uns gerichtet, und sprach, ohne mich ein Wort reden zu lassen: »Preis und Dank sei Gott, ihr Herren, der uns zu so gutem Ziel geführt hat; denn wenn ich mich nicht irre, ist der Boden, den wir betreten, die Gemarkung von Vélez Málaga; und falls nicht etwa nach den langen Jahren der Sklaverei mein Gedächtnis mich täuscht, seid Ihr, Señor, der Ihr uns fragt, wer wir seien, Pedro de Bustamante, mein Oheim.«

Kaum hatte der Christensklave das gesagt, als der Reiter vom Pferde herabsprang, auf den Jüngling zustürzte und ihn in die Arme schloß mit den Worten: »Du mein Herzensneffe, mein geliebter Neffe, wohl erkenne ich dich, und längst haben wir dich als tot beweint, ich und meine Schwester, deine Mutter, und alle die Deinigen, die noch am Leben sind, und Gott war so gnädig, ihr Leben zu verlängern, damit sie das Vergnügen genießen, dich wiederzusehen. Wir hatten gehört, daß du dich in Algier befandest, und nach deiner Kleidung und dem Aufzug deiner ganzen Gesellschaft zu schließen, muß es bei eurer Befreiung wunderbar zugegangen sein.«

»So ist’s«, antwortete der Jüngling, »und wir werden Zeit finden, Euch alles zu berichten.«

Sobald die Reiter wahrnahmen, daß wir befreite Christensklaven waren, stiegen sie von ihren Pferden, und jeder bot uns das seinige an, um uns nach der Stadt Vélez Málaga zu bringen, die anderthalb Meilen von da entfernt lag. Einige von ihnen gingen zurück, um das Boot nach der Stadt zu bringen, da wir ihnen sagten, wo wir es gelassen; die andern nahmen uns hinter sich auf ihre Pferde, und Zoraida ritt auf dem Pferde des Oheims des erwähnten Sklaven. Das ganze Volk kam uns aus der Stadt entgegen, da man von einem, der vorausgelaufen war, schon die Nachricht von unsrer Ankunft erfahren hatte. Sie wunderten sich nicht darüber, befreite Christensklaven oder in Sklaverei geratene Mauren zu erblicken; denn alle Leute an dieser Küste sind jene wie diese zu sehen gewohnt. Was sie bewunderten, war Zoraidas Schönheit, die zu dieser Zeit und in diesem Augenblicke auf ihrem Höhepunkt stand, infolge der Bewegung beim Reiten sowohl als auch der Freude, sich endlich auf christlichem Boden zu befinden. Das frohe Gefühl der überstandenen Gefahr hatte ihre Wangen mit so lieblicher Röte überzogen; daß ich wagen möchte zu behaupten, wenn nicht die Neigung mich damals täuschte: es hat nie ein schöneres Geschöpf auf Erden gegeben, wenigstens habe ich keines je gesehen.

Wir begaben uns geradeswegs in die Kirche, um Gott für die gewährte Gnade Dank zu sagen, und sowie Zoraida hineintrat, sagte sie gleich, es seien hier Gesichter, die demjenigen Lela Mariéns ähnlich sähen. Wir sagten ihr, es seien Bildnisse von ihr, und der Renegat erklärte ihr, so gut er konnte, was die Bilder bedeuteten, damit sie dieselben verehre, als ob deren jedes in Wirklichkeit die nämliche Lela Maria wäre, die mit ihr gesprochen habe. Da sie einen guten Verstand und eine leichte Fassungskraft besitzt, begriff sie sofort alles, was man ihr über die Bilder sagte.

Von der Kirche aus führte und verteilte man uns in verschiedene Häuser des Ortes; allein den Renegaten, Zoraida und mich führte jener Christ, der mit uns hierhergekommen, in das Haus seiner Eltern, die mit den Gaben des Glücks mäßig bedacht waren und uns mit soviel Liebe aufnahmen und pflegten wie ihren eignen Sohn.

Sechs Tage blieben wir zu Vélez, und hierauf ging der Renegat, nachdem er sich zunächst der kirchlichen Untersuchung unterworfen hatte, nach der Stadt Granada, um durch Vermittlung der heiligen Inquisition wieder in den Schoß der Allerheiligsten Kirche aufgenommen zu werden. Die übrigen befreiten Christen wendeten sich ein jeder dahin, wohin es ihn am besten bedünkte. Zoraida und ich blieben allein zurück, nur mit den wenigen Talern, die die Höflichkeit des Franzosen Zoraida geschenkt hatte, und von diesem Gelde kaufte ich das Tier, auf dem sie reitet. Bis jetzt weihe ich ihr meine Dienste als Vater und Reisebegleiter, nicht als Gatte, und so ziehen wir hin mit der Absicht, zu erfahren, ob mein Vater noch am Leben ist oder ob einem meiner Brüder ein günstigeres Schicksal als mir geworden. Zwar da der Himmel mich zu Zoraidas Lebensgefährten bestimmt hat, so bedünkt es mich, daß mir kein andres Los zufallen könnte, so günstig es auch wäre, das ich höher schätzen würde. Die Geduld, mit der Zoraida die Beschwerden erträgt, welche die Armut mit sich bringt, und ihre Sehnsucht, bald Christin zu sein, ist so groß und von solcher Art, daß sie mir Bewunderung abnötigt und mich dazu verpflichtet, ihr alle Zeit meines Lebens meine Dienste zu weihen; wiewohl die Wonne, der Ihrige zu sein und sie die Meine zu nennen, mir dadurch getrübt und zerstört wird, daß ich nicht weiß, ob ich in meinem Vaterland einen Winkel finden werde, um ihr ein Heim zu bereiten, und ob nicht die Zeit und der Tod eine solche Änderung in den Verhältnissen und der Lebensweise meines Vaters und meiner Brüder bewirkt haben, daß ich, wenn sie nicht mehr da sind, kaum jemanden finden würde, der mich kennen wollte.

Mehr weiß ich euch nicht, meine Herren, von meiner Geschichte zu sagen. Ob sie unterhaltend und merkwürdig ist, mag eure erprobte Einsicht beurteilen. Was mich betrifft, so muß ich sagen, ich hätte sie euch gern in gedrängterer Kürze erzählt, wiewohl ohnehin schon die Besorgnis, euch zu langweilen, meiner Zunge geboten hat, mehr als einen Umstand beiseite zu lassen.

37. Kapitel

Worin die Geschichte der weitberufenen Prinzessin Míkomikona fortgesetzt wird, nebst andern ergötzlichen Abenteuern

Alledem hörte Sancho zu mit nicht geringem Schmerz seiner Seele, da er sah, daß ihm die Hoffnungen auf seine herrschaftliche Würde verschwanden und in Rauch aufgingen und daß die holde Prinzessin Míkomikona sich vor seinen Augen in Dorotea und der Riese in Don Fernando verwandelt hatte, während sein Herr in tiefem Schlafe lag, unbekümmert um alles, was vorgegangen.

Dorotea hielt sich immer noch nicht für sicher, ob das Glück, das ihr geworden, nicht nur ein erträumtes sei; Cardenio war in ähnlichen Gedanken verloren, und diejenigen Luscindas bewegten sich in derselben Richtung. Don Fernando dankte dem Himmel, daß er ihm solche Gnade verliehen und ihn aus dem Wirrsal gerissen, wo er so nahe daran war, Ehre und Seligkeit einzubüßen. Kurz, alle in der Schenke Anwesenden waren ob des guten Ausgangs vergnügt und erfreut, den so verwickelte und verzweifelte Angelegenheiten genommen hatten. Der Pfarrer wußte als ein verständiger Mann alles ins rechte Geleise zu bringen und erfreute jeden einzelnen mit seinem Glückwunsch zu dem nun erlangten Glücke. Wer aber am meisten frohlockte und das größte Vergnügen empfand, das war die Wirtin, der Cardenio und der Pfarrer versprochen hatten, ihr allen Schaden mit Zinsen zu ersetzen, den sie durch Don Quijote erlitten.

Sancho allein war, wie gesagt, niedergeschlagen, unglücklich, betrübt, und so trat er mit schwermütiger Miene zu seinem Herrn hinein, der soeben erwacht war, und sprach zu ihm: »Wohl könnt Ihr, Herr Trauergestalt, so lange schlafen, als Ihr wollt, ohne daß Ihr Euch darum zu kümmern braucht, irgendwelchen Riesen totzuschlagen oder der Prinzessin ihr Reich wiederzugeben; denn alles ist schon fertig und abgetan.«

»Das glaub ich wohl«, erwiderte Don Quijote, »denn ich habe mit dem Riesen den ungeheuerlichsten und gewaltigsten Kampf bestanden, den ich all meine Lebtage je mehr zu bestehen gedenke; und mit einem Hieb in der Terz, ratsch! schlug ich ihm den Kopf herab zu Boden, und das Blut schoß aus ihm heraus, als wären es Bäche Wassers.«

»Als wären es Bäche Rotweins, könntet Ihr viel richtiger sagen«, entgegnete Sancho. »Ich will Euer Gnaden nämlich zu wissen tun, falls Ihr es noch nicht wißt, der erschlagene Riese ist ein durchlöcherter Schlauch und das Blut hundert Maß Rotwein, die er in seinem Bauch enthielt; und mit dem abgehauenen Kopf ist es so wahr als mit meiner Mutter, der Hure, und der Gottseibeiuns soll die ganze Geschichte holen!«

»Was sagst du Narr?« versetzte Don Quijote. »Bist du bei Sinnen?«

»Euer Gnaden braucht nur aufzustehen«, sprach Sancho, »und da werdet Ihr sehen, was für einen schönen Handel Ihr angerichtet habt und was wir zu zahlen bekommen und wie die Königin sich in ein ganz bürgerliches Frauenzimmer verwandelt hat und Dorotea heißt, nebst andern Begebnissen, die Euch, wenn sie Euch klarwerden, gewiß in Verwunderung setzen werden.«

»Über nichts von alledem würde ich mich wundern«, entgegnete Don Quijote, »denn wenn du dich recht entsinnst, habe ich, als wir das vorigemal hier waren, dir schon gesagt, daß alles, was hier vorging, lauter Spiegelfechterei von Zauberern war, und es wäre nichts Besonderes, wenn jetzt ganz das nämliche sich zugetragen hätte.«

»Das würde ich alles glauben«, erwiderte Sancho, »wenn auch das Wippen, das ich auszustehen hatte, nur eine Spiegelfechterei solcher Art gewesen wäre; aber das war’s nicht, sondern ich wurde wirklich und wahrhaft gewippt, und ich sah, wie der Wirt, der noch heute hier vorhanden ist, die Bettdecke an einem Ende hielt und mich gen Himmel schleuderte und dabei ungeheure Heiterkeit und Ausgelassenheit und ebensoviel Kraft im Lachen als im Wippen zeigte. Und wo die Personen einander wiedererkennen, da meine ich, obschon ich nur ein einfältiger Kerl und armer Sünder bin, daß da keine Zauberei dabei ist, hingegen viel Prügel und viel Pech.«

»Nun wohl, Gott wird es schon bessern«, sagte Don Quijote. »Gib mir meine Kleider und laß mich dort hinaus; denn ich will mir die Begebnisse und Verwandlungen ansehen, von denen du sagst.«

Sancho reichte ihm die Kleider; und während er sich anzog, erzählte der Pfarrer Don Fernando und den übrigen Don Quijotes Torheiten, und welche List sie angewendet, um ihn von dem Armutsfelsen fortzubringen, auf dem er deshalb zu weilen sich einbildete, weil ihn seine Herrin verschmäht habe. Auch erzählte er ihnen fast alle die Abenteuer, die ihm Sancho berichtet hatte, worüber sie nicht wenig staunten und lachten; denn sie meinten, wie auch alle andern Leute meinten, dies sei die seltsamste Art von Verrücktheit, die in einem zerrütteten Gehirn Platz finden könne. Der Pfarrer sagte dann weiter: da jetzt die glückliche Wendung in Frau Doroteas Schicksalen seinen früheren Plan weiterzuführen hindere, sei es nötig, einen andern auszudenken und zu erfinden, um den Ritter nach seiner Heimat zu bringen.

Cardenio erbot sich, das Begonnene fortzusetzen; Luscinda könne die Rolle Doroteas übernehmen und darstellen.

»Nein«, sprach Don Fernando, »so soll es nicht sein, ich wünsche, daß Dorotea ihre Erfindung durchführt; falls das Dorf dieses trefflichen Ritters nicht zu weit von hier ist, so soll es mich freuen, wenn für seine Heilung gesorgt wird.«

»Es ist nicht weiter als zwei Tagereisen von hier«, erklärte der Pfarrer.

»Wohl, wenn es deren auch noch mehr wären«, versetzte Don Fernando, »so würde ich den Weg gerne daran wagen, ein so gutes Werk zu vollbringen.«

In diesem Augenblick trat Don Quijote heraus, mit all seinen Rüstungsstücken bewehrt, auf dem Haupte den Helm des Mambrin – wiewohl er voller Beulen war –, seinen Rundschild am Arme, gestützt auf seinen Schaft oder Spieß. Don Fernando und die andern verwunderten sich höchlich über das seltsame Aussehen Don Quijotes, wie sie sein Angesicht, eine halbe Meile lang, dürr und blaßgelb, das Ungehörige seiner zusammengewürfelten Waffen und seine gemessene Haltung erschauten, und sie standen schweigend da in Erwartung dessen, was er reden würde. Und er sprach mit großer Würde und Gelassenheit, seine Augen auf Dorotea geheftet: »Mir ist, huldselige Dame, von diesem meinem Schildknappen berichtet worden, daß Eure Hoheit zunichte geworden und Euer erhabenes Wesen zerronnen ist, sintemal Ihr aus einer Königin und hohen Herrin, die Ihr sonst zu sein pflegtet, Euch verwandelt habt in ein bürgerlich Mägdlein. Ist solches etwa geschehen auf Gebot Eures Herrn Vaters, des Königs und Schwarzkünstlers, so er sich dessen besorgt haben mag, ich würde Euch den erforderlichen und schuldigen Beistand nicht leisten, darauf vermelde ich Euch, daß er seine Messe nicht zur Hälfte zu lesen verstand noch versteht, auch in den Rittergeschichten nicht recht zu Hause war. Denn so er selbige ebenso achtsam und anhaltend gelesen und durchgegangen hätte, wie ich sie durchgegangen und gelesen habe, so hätte er auf jedem Blatt gefunden, wie andre Ritter, von minderem Ruhm als dem meinigen, weit schwierigere Aufgaben gelöset, nachdem es nicht gar schwierig ist, solch ein Riesenkerlchen totzuschlagen, so vermessen es sich gebärden mag. Wahrlich, es ist nicht viele Stunden her, daß ich mich ihm gegenüber sah und … Ich will schweigen, auf daß man mir nicht sage, daß ich gelogen; jedoch die Zeit, die Offenbarerin aller Dinge auf Erden, wird es statt meiner sagen, wann wir uns dessen am allerwenigsten versehen mögen.«

»Mit zwei Schläuchen habt Ihr gefochten, nicht mit einem Riesen!« schrie hier der Wirt. Don Fernando befahl ihm, zu schweigen und Don Quijotes Rede unter keiner Bedingung zu unterbrechen; und dieser fuhr folgendermaßen fort: »In einem Wort, ich sage, erhabene und nunmehr Eures Erbes entäußerte Fürstin, wenn aus dem Grunde, den ich bezeichnet habe, Euer Vater diese Wandlung an Eurer Person vorgenommen hat, so sollt Ihr ihm keinerlei Glauben schenken; denn es gibt keine Fährlichkeit auf Erden, durch welche sich einen Weg zu bahnen dies mein Schwert nicht vermöchte, mit welchem ich das Haupt Eures Feindes in den Staub dieses Landes zu legen gedenke, auf daß ich in wenigen Tagen die Krone Eures Landes um Euer Haupt lege.«

Don Quijote sprach nicht weiter und erwartete die Antwort der Prinzessin. Da diese bereits die Absicht Don Fernandos kannte, den Ritter in seiner Täuschung zu erhalten, bis man ihn in seine Heimat zurückbringe, so antwortete sie ihm mit auserlesener Anmut und Würde: »Wer immer Euch gesagt, mannhafter Ritter von der traurigen Gestalt, daß ich mich meiner früheren Wesenheit entäußert und selbige verwandelt habe, der hat Euch nicht das Richtige gesagt; denn dieselbe, die ich gestern war, bin ich noch heute. Wahr ist, daß etwelche Änderungen bei mir durch gewisse Glücksfälle veranlaßt wurden, die mir das höchste Heil zuwege brachten, das ich nur wünschen konnte; aber ich habe deshalb nicht aufgehört, die zu sein, die ich vorher war, und dieselbe Absicht zu hegen, die ich immer gehegt, kraft der unbesiegbaren Kraft Eures kraftvollen Armes mein Recht zu erlangen. So möge denn, Herre mein, Euer Edelsinn dem Vater, der mich erzeugt hat, wieder die entzogene Ehre zurückerstatten und ihn für einen verständigen und einsichtigen Mann erachten, sintemal er vermittels seines Wissens einen so leichten und richtigen Weg gefunden, meinem Mißgeschick abzuhelfen; denn ich glaube, wenn es nicht auf Eure Veranlassung geschehen wäre, so hätte ich nie das Glück erlangt, das ich nun besitze. Und hierin sage ich die volle Wahrheit, wie dessen die meisten der hier anwesenden Herren Zeugen sind. Nun liegt nur noch ob, daß wir uns morgen auf den Weg machen, da heute doch nur eine kurze Ausfahrt möglich wäre; und was den noch übrigen guten Ausgang der Sache betrifft, den ich erhoffe, so werde ich das Gott und der Tapferkeit Eures Herzens anheimstellen.«

So sprach die kluge Dorotea, und als Don Quijote solches vernahm, wandte er sich zu Sancho und sprach zu ihm mit Gebärden mächtigen Ingrimms: »Jetzt sage ich dir aber, du Hund von einem Sancho, daß du der größte Schurke in ganz Spanien bist. Sag mir, du Spitzbube, du Gaudieb, hast du mir nicht eben erst gesagt, diese Prinzessin habe sich in ein Mägdlein namens Dorotea verwandelt, und mit dem Kopfe, den ich mir bewußt bin einem Riesen abgeschlagen zu haben, sei es geradeso wahr wie mit deiner Mutter, der Hure, nebst anderm Unsinn, der mich in die größte Bestürzung versetzt hat, in der ich all meine Lebtage gewesen? Ich schwor’s bei…« – und hierbei schaute er gen Himmel und biß die Zähne zusammen –, »ich habe Lust, dich so zusammenzudreschen, daß alle lügenhaften Schildknappen, die es inskünftig auf Erden geben mag, für immer gewitzigt sein sollen!«

»Sänftigt Euer Gemüte, Herre mein«, erwiderte Sancho. »Es könnte ja sein, daß ich, was die Verwandlung der gnädigen Prinzessin Míkomikona angeht, mich geirrt hätte; aber was den Kopf des Riesen oder die zerstochenen Schläuche angeht und daß das Blut Rotwein gewesen, darin irre ich mich nicht; so wahr ein Gott lebt! Denn die Schläuche liegen dort zerstochen am Kopfende Eures Bettes, und der Rotwein hat die Kammer zu einem See gemacht. Und glaubt Ihr’s nicht, so werdet Ihr es schon sehen, wann es ans Eiersieden geht, ich meine, wann seine Wohlgeboren der Herr Wirt hier für allen angerichteten Schaden seinen Ersatz verlangen wird. Über das andre all, daß die Frau Königin wieder so ist, wie sie war, da freue ich mich aus Herzensgrund; denn von dem Kuchen krieg ich meinen Anteil wie jeder Bürgersohn.«

»Jetzt sag ich dir, Sancho«, sprach Don Quijote, »du bist ein Schafskopf, vergib mir, und damit gut.«

»Damit gut«, sagte Don Fernando, »es soll nicht mehr davon die Rede sein. Und da die gnädige Prinzessin befiehlt, morgen zu reisen, weil es heute schon spät ist, so soll es also geschehen. Diese Nacht können wir in freundschaftlicher Unterhaltung zubringen bis zum anbrechenden Tage, wo wir alle den Herrn Don Quijote begleiten werden, weil wir Zeugen der mannhaften unerhörten Großtaten sein wollen, die er verrichten wird im Verlauf dieses großen Unternehmens, zu dem er sich verpflichtet hat.«

»Ich bin’s, dem es obliegt, Euch zu Diensten zu sein und Euch zu begleiten«, entgegnete Don Quijote, »und ich erkenne mit lebhaftem Dank die Gunst, die man mir erweist, und die gute Meinung, die man von mir hat; und ich werde trachten, diese zu bestätigen, und sollte es mich das Leben kosten, ja noch mehr, wenn es mich mehr kosten kann.«

Mancherlei Höflichkeiten, manche freundliche Anerbietungen wurden zwischen Don Quijote und Don Fernando ausgetauscht; aber ein Fremder, der in die Schenke trat, brachte plötzlich alles zum Schweigen. Man sah an seiner Tracht, daß er ein Christ war, der eben erst aus maurischen Landen freigekommen; denn er ging in einer Jacke von blauem Tuch mit kurzen Schößen, halben Ärmeln und ohne Kragen; die Beinkleider waren ebenfalls blau, doch aus Linnen, und die Mütze von derselben Farbe; er trug dattelfarbige Halbstiefel und einen maurischen Krummsäbel an einem Wehrgehänge, das ihm quer über die Brust ging. Gleich hinter ihm kam auf einem Reitesel ein maurisch gekleidetes Weib, das Gesicht verdeckt, ein Tuch hing ihr am Kopf herab. Sie trug ein Häubchen von Goldstoff und war in einen Mantel gekleidet, der sie von den Schultern bis zu den Füßen umhüllte. Der Mann war von kräftiger und gefälliger Gestalt, im Alter von etwas über die Vierzig, ziemlich gebräunten Gesichts mit langem Knebelbart, den Kinnbart sorgfältig zurechtgestutzt; kurz, er zeigte eine solche Haltung, daß man ihn, wäre er besser gekleidet gewesen, für einen Mann von Stand und gutem Hause gehalten hätte. Beim Eintreten verlangte er ein Zimmer und zeigte sich verdrießlich, als man ihm sagte, es gebe keines in der Schenke; er trat zu der Dame, die nach der Tracht eine Maurin schien, und hob sie in seinen Armen herunter.

Luscinda, Dorotea, die Wirtin, ihre Tochter und Maritornes, angezogen von der ungewöhnlichen und ihren Augen gänzlich fremden Tracht, umringten die Maurin, und da Dorotea, stets gefällig, höflich und besonnen, bemerkte, daß sie wie ihr Führer über das Fehlen eines Zimmers mißgestimmt war, sprach sie zu ihr: »Nehmt Euch, Señora, diesen Mangel an der erforderlichen Bequemlichkeit nicht allzusehr zu Herzen; denn das ist in solchen Schenken das Übliche. Aber wenn Ihr Lust habt, mit uns beiden zusammen zu bleiben« – wobei sie auf Luscinda wies –, »so mögt Ihr vielleicht im Verlauf Eurer Reise schon manchmal eine nicht so freundliche Aufnahme gefunden haben.«

Die Verschleierte gab darauf keine Antwort, sondern stand nur von ihrem Sitze auf, legte beide Hände kreuzweise über die Brust, neigte das Haupt und verbeugte sich, zum Zeichen, daß sie es mit Dank annehme. Aus ihrem Stillschweigen schlossen sie, daß die Fremde eine Maurin sei und sich nicht in der Christensprache auszudrücken wisse.

Indem trat der befreite Maurensklave herzu, der sich bis dahin mit anderm beschäftigt hatte, und als er sah, daß alle die in seiner Begleitung gekommene Dame umringten und daß diese zu allem, was sie ihr sagten, stillschwieg, sprach er: »Meine Damen, dies Fräulein versteht unsere Sprache kaum, sie kennt auch keine andre als die ihres Landes, und darum wird sie auf alle Fragen nicht geantwortet haben und wird auch nicht antworten.«

»Sie ist nichts andres gefragt worden«, erwiderte Luscinda, »als daß wir ihr für diese Nacht unsre Gesellschaft und einen Teil des Raumes angeboten haben, wo wir uns einrichten werden; und da wollen wir ihr so viel Bequemlichkeit zuteil werden lassen, als der Ort erlaubt, und es geschieht dies aus gutem Herzen, das es zur Pflicht macht, Fremden hilfreich zu sein, die dessen bedürfen, insbesondre, wenn es gilt, einer Frau Dienste zu leisten.«

»Für sie und für mich«, versetzte der Freigelassene, »küsse ich Euch die Hände, Señora, und ich weiß die angebotene Gunst ganz besonders und in so hohem Grade, wie sich gebührt, zu würdigen, zumal sie von so vornehmen Personen ausgeht und daher besonders hoch anzuschlagen ist.«

»Sagt mir, Señor«, versetzte Dorotea, »ist diese Dame eine Christin oder Maurin? Denn ihre Tracht und ihr Stillschweigen lassen uns vermuten, sie sei, was wir nicht wünschen möchten.«

»Sie ist eine Maurin von Tracht und Person, aber im Herzen eine höchst eifrige Christin; denn sie hat den innigsten Wunsch, es zu werden.«

»Also ist sie nicht getauft?« versetzte Luscinda.

»Es hat sich keine Gelegenheit dazu ergeben«, antwortete der Freigelassene, »seit sie Algier, ihre Vaterstadt und Heimat, verließ; und bis jetzt hat sie sich noch nicht in einer nahen Todesgefahr befunden, daß eine Nottaufe nötig gewesen wäre, ohne daß sie erst alle Bräuche kennengelernt hätte, die unsre Mutter, die heilige Kirche, vorschreibt. Aber so Gott will, wird sie bald getauft werden, und zwar mit den standesgemäßen Formen, wie es ihr Rang erheischt, der viel höher ist, als ihre Kleidung und die meinige vermuten lassen.«

Diese Worte erweckten in allen Hörern den Wunsch, zu erfahren, wer die Maurin sei und wer der befreite Sklave, aber keiner wollte sie jetzt danach fragen, da man einsah, daß der Augenblick geeigneter sei, ihnen Erholung zu bieten, als sie nach ihren Erlebnissen auszuforschen. Dorotea nahm die Fremde bei der Hand, führte sie zu einem Sitze neben sich und bat sie, das verhüllende Tuch abzunehmen. Sie blickte den Maurensklaven an, als wenn sie ihn fragte, was man mit ihr spreche und was sie tun solle. Er sagte ihr in arabischer Sprache, man bitte sie, ihre Verhüllung zu beseitigen, und sie solle es tun; sie nahm das Tuch ab und enthüllte ein so reizendes Gesicht, daß Dorotea sie für schöner als Luscinda und Luscinda sie für schöner als Dorotea hielt, und alle Umstehenden urteilten, wenn irgendein Antlitz sich mit dem der beiden vergleichen lasse, so sei es das der Maurin; ja, mehr als einer erkannte ihr in mancher Hinsicht den Vorrang zu. Und wie denn die Schönheit das Vorrecht und den Zauber genießt, die Gemüter freundlich zu stimmen und die Neigungen anzuziehen, so waren alle sogleich von dem Wunsche ergriffen, der schönen Maurin Dienste und Gefälligkeiten zu erweisen.

Don Fernando fragte den Freigelassenen, wie die Maurin heiße; er antwortete: »Lela Zoraida.« Aber als sie dies hörte, begriff sie sofort, was man ihn gefragt habe, und rief in großer Hast, ärgerlich und dabei voller Anmut: »Nicht, nicht Zoraida; Maria, Maria!« womit sie zu verstehen geben wollte, daß sie Maria und nicht Zoraida heiße. Diese Worte und das tiefe Gefühl, mit dem die Maurin sie sprach, entlockten einigen unter den Zuhörern mehr als eine Träne, besonders unter den Frauen, die von Natur weich und voll Mitgefühl sind. Luscinda umarmte sie mit herzlicher Liebe und sagte zu ihr: »Ja, ja, Maria, Maria«, worauf die Maurin erwiderte: »Ja, ja, Maria; Zoraida macange«, was nicht bedeutet.

Unterdessen kam die Nacht heran, und auf Anordnung von Don Fernandos Begleitern hatte der Wirt allen Fleiß und Eifer aufgeboten, um ihnen ein Nachtessen zu bereiten, so gut er es vermochte. Als nun die Stunde gekommen, setzten sich alle an eine lange Tafel, wie sie im Speisezimmer fürs Gesinde zu stehen pflegt; denn in der Schenke gab es weder einen runden Tisch noch einen mit vier gleichen Seiten. Den Ehrenplatz obenan erhielt, obwohl er es zuerst ablehnte, Don Quijote, welcher sodann verlangte, ihm zur Seite solle die Prinzessin Míkomikona sitzen, da er ihr Beschützer sei; neben diese setzten sich Luscinda und Zoraida, ihnen gegenüber Don Fernando und Cardenio, hierauf der Freigelassene und die andern Edelleute, und den Damen zur Seite der Pfarrer und der Barbier. Und so speisten sie in fröhlicher Stimmung, die noch erhöht wurde, als sie bemerkten, daß Don Quijote sein Essen unterbrach und, aufs neue von jenem Geiste angeregt, der ihn damals, als er mit den Ziegenhirten speiste, zu so großer Redseligkeit antrieb, zu sprechen anhob: »In Wahrheit, wenn man es recht erwägt, meine Herren und Damen, große und unerhörte Dinge erschauen die, so sich zum Orden der fahrenden Ritterschaft bekennen. Und sollte hieran ein Zweifel sein, so sage man: wen von allen Lebenden gab es auf Erden, der, wenn er jetzt zur Pforte dieser Burg einträte und uns so bei Tisch hier sitzen sähe, uns für das halten und erkennen würde, was wir sind? Wer vermöchte zu sagen, daß dieses Fräulein, das mir zur Seite sitzt, die große Königin ist, wie wir alle wissen, und daß ich jener Ritter von der traurigen Gestalt bin, dessen Ruf von Mund zu Munde geht? Jetzt kann kein Zweifel mehr sein, daß diese Waffenkunst und dieser Beruf jede Kunst und jeden Beruf übertrifft, die von den Menschen erfunden worden, und er muß in der Achtung der Welt um so höher stehen, je größeren Fährlichkeiten er ausgesetzt ist. Fort aus meinen Augen mit denen, so da behaupten möchten, daß die Wissenschaften den Vorrang vor den Waffen haben! Denen werde ich sagen, und mögen sie sein, wer sie wollen, daß sie nicht wissen, was sie reden. Denn der Grund, den solche angeben, und überhaupt, worauf sie am meisten Gewicht legen, ist, daß die Arbeiten des Geistes höher stehen als die des Körpers und daß das Waffenhandwerk nur mit dem Körper betrieben wird, als ob dessen Ausübung ein Geschäft von Taglöhnern wäre, für welches nichts weiter nötig ist als tüchtige Kraft; oder als ob in dem, was wir, die wir uns diesem Berufe widmen, das Waffenhandwerk nennen, nicht die Taten des Heldenmutes inbegriffen wären, die zu ihrer Vollbringung nicht wenig geistiges Verständnis erheischen, oder als ob die Aufgabe des Kriegers, dessen Amt es ist, ein Heer zu führen oder eine belagerte Stadt zu verteidigen, nicht erheischte, ebensowohl mit dem Geist zu arbeiten als auch mit dem Körper. Oder denkt einer anders, so sehe er zu, ob es mit den körperlichen Kräften zu erreichen ist, daß man die Absichten des Feindes, die Pläne, die Kriegslisten, die Schwierigkeiten erfahre oder auch nur errate und jede Gefahr, die drohen mag, im voraus abwende; nein, alles dies sind Handlungen des Verstandes, an denen der Körper keinerlei Teil hat.

Da es also feststeht, daß das Waffenhandwerk Geist erfordert wie die Wissenschaft, so wollen wir nun untersuchen, wessen Geist, der des Gelehrten oder der des Kriegers, mehr zu arbeiten hat, und dies wird sich aus dem Zweck und Ziel erkennen lassen, worauf jeder der beiden ausgeht; denn diejenige Absicht ist höher zu schätzen, die sich das edlere Ziel gesteckt hat. Es ist Zweck und Ziel der Wissenschaften – und ich rede hier nicht von der Religionswissenschaft, die zum Zielpunkte hat, die Seelen den Weg des Himmels zu führen, denn mit einem Endzweck, der so unendlich ist wie dieser, kann sich kein anderer vergleichen –, ich rede von den menschlichen Wissenschaften, deren Zweck es ist, die austeilende Gerechtigkeit überall obenan zu stellen, jedem das Seinige zu geben, darum bemüht zu sein und zu bewirken, daß die guten Gesetze beobachtet werden: gewiß ist dies ein Zweck, der edel und erhaben und hohen Lobes wert ist, aber nicht eines so hohen, wie es der Zweck verdient, den die Waffen verfolgen, die zu ihrem Gegenstand und letzten Ziel den Frieden haben, das größte Gut, so die Menschen in diesem Leben sich wünschen können. Und die erste gute Botschaft, welche die Welt empfing und die Menschen empfingen, war daher jene, so die Engel in der Nacht verkündigten, die unser Tag wurde, da sie sangen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und der Gruß, den der beste Meister im Himmel und auf Erden die von ihm Berufenen und Begnadeten lehrte, war, daß er ihnen befahl, wenn sie in ein Haus einträten, zu sagen: Friede sei mit diesem Hause. Und zu andern Malen sprach er öfters zu ihnen: Meinen Frieden gebe ich euch, meinen Frieden lasse ich euch, Friede sei mit euch! – und fürwahr, als Kleinod und Kostbarkeit von solcher Hand ist dies uns gegeben und hinterlassen, ein Kleinod, ohne das es weder im Himmel noch auf Erden ein wahres Glück geben kann. Dieser Friede ist der wahre Endzweck des Krieges; denn es ist dasselbe, ob man Krieg oder Waffenwerk sagt. Nachdem wir nun festgestellt, daß das Endziel des Krieges der Friede ist und daß er damit einem erhabeneren Ziele dient als die Wissenschaften, so kommen wir jetzt zu den körperlichen Anstrengungen des Gelehrten und dessen, der sich dem Waffenhandwerk ergibt, und untersuchen, welche größer sind.«

In so vernünftiger Art und mit so angemessenen Ausdrücken verfolgte Don Quijote den Gegenstand seiner Rede, daß gewißlich keiner von all seinen Zuhörern ihn jetzt für einen Narren halten durfte; vielmehr, da die meisten von ihnen Edelleute waren, die dem Waffenhandwerk verwandt sind, hörten sie ihm gerne zu, und er fuhr mit folgenden Worten fort: – »Ich sage nunmehr, daß die Mühsale des Studierenden diese sind: zunächst Armut; nicht als ob sie alle arm wären, sondern weil ich hier gleich den allerschlimmsten Fall setzen will, der denkbar ist, und wenn ich gesagt habe, daß er Armut erleidet, so dünkt es mich, ich brauche von seinem Unglück nicht ein mehreres zu sagen; denn wer arm ist, besitzt eben gar nichts Gutes. Diese Armut fühlt er nach all ihren Seiten, bald in Hunger, bald in Kälte, bald in Blöße der Glieder, bald in all diesem zugleich; aber trotz alledem ist sie nicht so arg, daß er gar nichts zu essen bekäme, wenn es auch etwas später geschieht als zur gewöhnlichen Stunde, wenn es auch nur von dem Abhub der Reichen geschieht; es ist eben das größte Elend der Studierenden, was sie unter sich ›zur Suppe gehn‹ heißen. Auch fehlt es ihnen nicht an einem, wenn auch ihnen nicht zugehörigen Kohlenbecken oder Kamin, das, falls es ihre kalten Glieder nicht wärmt, doch wenigstens ihnen das Frieren erträglicher macht; und endlich schlafen sie nachts ganz vortrefflich unter einer Decke. Ich will mich nicht auf noch andre Kleinigkeiten einlassen, als zum Beispiel, daß sie Mangel an Hemden, auch keinen Überfluß an Schuhen haben und einen Rock, dünn bis zur Durchsichtigkeit, an dem die Wolle schier abgeschabt ist, und daß sie sich mit besonderer Gier den Magen vollpfropfen, wenn ihnen ein günstiges Geschick einmal einen Schmaus beschert. Auf diesem rauhen und holperigen Wege, den ich geschildert, hier strauchelnd, dort fallend, da sich aufraffend, hier aufs neue hinfallend, erreichen sie die Stufe, die sie ersehnen; und ist sie erreicht, so haben wir dann viele gesehen, die, nachdem sie durch diese Syrien und durch diese Szyllen und Charybden hindurchgeschifft, wie im Fluge eines günstigen Geschickes hingetragen, ich sage, wir haben sie gesehen von einem hohen Sitze herab die Welt befehligen und regieren, ihren Hunger in Sättigung umgewandelt, ihren Frost in behagliche Kühlung, ihre Blöße in Prachtgewänder, ihren Schlaf auf der Binsenmatte in süßes Ruhen auf Batist und Damast: – der wohlverdiente Lohn ihrer Tugend. Aber wenn wir ihre Mühsale denen des Kriegers im Felde gegenüberstellen und vergleichen, so bleiben sie in jedem Punkte weit hinter diesen zurück, wie ich jetzt darlegen werde.«

38. Kapitel

Welches von der merkwürdigen Rede handelt, die Don Quijote über die Waffen und die Wissenschaften hält

Don Quijote fuhr folgendermaßen fort: »Da wir bei dem Studenten mit der Armut und der Art und Weise, wie sie sich fühlbar macht, angefangen haben, so wollen wir jetzt untersuchen, ob der Soldat reicher ist, und wir werden sehen, daß es im Reiche der Armut selbst keinen Ärmeren gibt. Denn er muß sich lediglich an seinen elenden Sold halten, der spät oder niemals eintrifft, oder an das, was er unter beträchtlicher Gefährdung seines Lebens und seines Gewissens mit eignen Händen erbeutet. Und zuweilen ist er von allem so entblößt, daß ein zerhauener Lederkoller ihm als Paraderock und als Hemd dienen muß, und mitten im Winter, auf freiem Felde, kann er sich meistens vom Ungemach der Witterung nur durch den Hauch seines Mundes erholen, der aber, da er aus leerem Inneren kommt, gegen alle Gesetze der Natur, ich halte das für erwiesen, kalt aus dem Gaumen kommen muß. Nun wartet einmal ab, wie er die Nacht abwartet, um sich von all diesen Unbequemlichkeiten in dem Bette zu erholen, das für ihn bereitsteht und das, wenn nicht etwa durch seine eigne Schuld, niemals an dem Fehler leiden wird, zu eng zu sein. Denn er kann sich ungehindert auf dem Erdboden so viel Fuß abmessen, als er will, und sich darauf nach Herzenslust herumwälzen, ohne zu fürchten, daß ihm die Bettlaken in Wirrwarr geraten. Nun komme nach alldem der Tag und die Stunde, die Ehren seines Standes zu gewinnen, es komme der Tag der Schlacht; und da setzt man ihm alsbald einen Doktorhut aus Scharpie auf, um eine Schußwunde zu verbinden, die ihm etwa durch die Schläfen gegangen ist oder ihm Arm oder Bein verstümmelt hat. Und falls dies nicht eintrifft, sondern des Himmels Erbarmen ihn bei Gesundheit und Leben erhält, so kann es doch immer geschehen, daß er in der nämlichen Armut verbleibt, in der er sich vorher stets befunden, und daß notwendig noch ein und das andre Treffen, eine und die andre Schlacht folgen und er aus allen als Sieger hervorgehen muß, um einigermaßen in seinen Verhältnissen voranzukommen; allein solche Wunder sieht man gar selten. Indessen sagt mir, meine Herren, wenn ihr darüber nachgedacht habt: wieviel geringer ist die Zahl derer, die durch den Krieg Belohnung und Beförderung erhalten haben, als derer, die im Krieg umgekommen sind? Sicherlich werdet ihr mir antworten, daß zwischen ihnen ein Vergleich nicht möglich ist und daß man die Zahl der Toten nicht zum voraus berechnen kann, während diejenigen, welche am Leben bleiben und ihren Lohn erhalten, an den Fingern herzuzählen sind.

Umgekehrt ist es bei den Gelehrten; denn mit ihrem Gehalt, ich möchte nicht beifügen: mit ihren geheimen Sporteln, haben sie alle genug zum Leben. Wenngleich also die Mühsal des Soldaten größer ist, so ist der Lohn weit geringer. Allerdings kann man hierauf entgegnen, daß es leichter ist, zweitausend Gelehrte zu belohnen als dreißigtausend Soldaten; denn jene belohnt man durch Verleihung von Ämtern, die notwendig Leuten ihres Berufes zuteil werden müssen, und diese können ihren Lohn nur aus dem Vermögen ihres Dienstherrn empfangen. Aber gerade dies bestätigt meine Feststellung noch mehr.

Lassen wir jedoch dieses beiseite; denn es ist ein Labyrinth, aus dem der Ausgang sehr schwer zu finden ist; kommen wir vielmehr auf den Vorrang der Waffen vor den Wissenschaften zurück, ein Gegenstand, der noch zu untersuchen bleibt, derart sind die Gründe, die von jeder der beiden Seiten angeführt werden. Und außer denen, die ich schon vorgebracht, sagen die Wissenschaften, ohne sie könne das Waffenhandwerk nicht bestehen; denn auch der Krieg hat seine Gesetze und ist denselben unterworfen, die Gesetze aber fallen unter die Herrschaft der Wissenschaften und der Gelehrten. Darauf antworten die Waffen, ohne sie können die Gesetze nicht bestehen, weil mit den Waffen die Republiken sich verteidigen und die Königreiche sich erhalten, die Städte geschützt, die Straßen gesichert und die Meere von Seeräubern gesäubert werden; und kurz, wenn die Waffen es nicht verhinderten, so wären die Republiken, die Königreiche, die Monarchien, die Städte, die Straßen zur See und zu Lande der Grausamkeit und Zerrüttung preisgegeben, die der Krieg mit sich bringt, solange er dauert und volle Freiheit hat, seine Vorrechte und seine Gewalt zu gebrauchen.

Ferner ist es eine anerkannte Wahrheit; daß, was mehr kostet, auch höher geschätzt wird und werden muß. Daß jemand es dahin bringt, in den Wissenschaften eine hervorragende Stellung einzunehmen, kostet ihn Zeit, Nachtwachen, Hunger, Blöße, Schwindel im Kopf, Verdauungsbeschwerden und noch andres, was damit zusammenhängt und was ich zum Teil schon erwähnt habe; daß jemand durch seine Führung es dahin bringt, ein guter Soldat zu werden, das kostet ihn ganz dasselbe wie den Studierenden, aber in einem so viel höheren Grade, daß gar kein Vergleich möglich ist; denn er steht jeden Augenblick in Gefahr, sein Leben einzubüßen. Und welche Besorgnis vor Not und Armut kann den Studierenden befallen und bedrängen, die der des Soldaten gleichkäme, wenn er in einer Festung eingeschlossen ist und, auf einer Schanze oder einem Bollwerk Wache stehend, merkt, daß die Feinde nach der Stelle hin, wo er sich befindet, einen Minengang legen, während er sich unter keinerlei Umständen von dort entfernen oder vor der Gefahr fliehen darf, die ihn so nahe bedroht! Das einzige, was er tun kann, ist, seinem Hauptmann den Vorgang zu melden, damit er durch eine Gegenmine das Unheil abwende, und selber in Furcht und Hoffnung stillzuhalten, bis er unversehens ohne Flügel zu den Wolken emporfliegt und dann willenlos in die Tiefe hinunterstürzt. Und falls dieses eine geringe Gefahr scheint, so wollen wir sehen, ob jene ihr gleichkommt oder sie überbietet, wenn zwei Galeeren inmitten der weiten See mit dem Bug aufeinanderstoßen; wenn da die Schiffe aneinanderhängen und ineinander verstrickt sind, bleibt dem Soldaten nicht mehr Raum, als ihm eine zwei Fuß breite Planke am Schiffsschnabel gewährt. Und trotz alledem, obschon er sieht, daß er so viele dräuende Werkzeuge des Todes vor sich hat, als Geschützrohre von feindlicher Seite her auf ihn gerichtet sind, die von seinem Leibe nicht um eines Speeres Länge abstehn; und obschon er sieht, daß er beim ersten Fehltritt in den tiefen Schoß Neptuns hinabstürzen würde: trotz alledem stellt er sich, mit unverzagtem Herzen, angetrieben von dem Ehrgefühl, das ihn beseelt, als Ziel diesen gewaltigen Feuerschlünden und setzt alles daran, über diese enge Steige auf das feindliche Schiff hinüberzusteigen. Und was am meisten in Staunen setzen muß: kaum ist einer dort gefallen, wo er bis zum Ende aller Tage nicht mehr aufzustehen vermag, so nimmt ein andrer genau seinen Platz ein, und stürzt auch dieser ins Meer, das auf ihn als sein Feind lauert, so folgt ihm ein andrer und noch ein andrer, ohne nur dem Sterbenden zum Sterben Zeit zu lassen: der größte Heldenmut fürwahr, die größte Verwegenheit, die nur denkbar ist in den entscheidenden Augenblicken des Kriegsgeschicks.

Heil jenem gesegneten Zeitalter, das die gräßliche Wut jener satanischen Werkzeuge der Geschützkunst noch nicht kannte! Ihrem Erfinder, dessen bin ich überzeugt, wird jetzt in der Hölle der Lohn seiner teuflischen Erfindung, mittels deren ein ehrloser feiger Arm einem mannhaften Ritter das Leben rauben kann und inmitten der Tapferkeit und Tatenlust, die den Busen der Helden entzündet und beseelt, eine verirrte Kugel daherkommt, die da – abgeschossen von einem, der vielleicht, als er die verfluchte Maschine abfeuerte, vor dem Aufblitzen sich selber entsetzte und entfloh – in einem Augenblick das Denken und Leben eines Mannes abschneidet und vernichtet, der dessen noch lange Jahrzehnte hindurch zu genießen verdient hätte.

Und wenn ich also dieses bedenke, so möchte ich beinahe sagen, es tut mir in der Seele weh, diesen Beruf eines fahrenden Ritters ergriffen zu haben in einem so greulichen Zeitalter wie diesem, in dem wir jetzo leben. Denn obschon bei mir keine Gefahr Furcht erweckt, so erweckt es mir immerhin ein Grausen, zu denken, daß vielleicht Pulver und Blei mir die Möglichkeit rauben sollen, durch die Tapferkeit meines Arms und meines Schwertes Schärfe mich in sämtlichen bis jetzt entdeckten Teilen des Erdenrunds berühmt und allbekannt zu machen. Aber möge es der Himmel fügen, wie es ihm gefällt; jedenfalls werde ich mir, wenn ich mein Vorhaben siegreich zu Ende führe, um so mehr Achtung erringen, je mehr ich mich größeren Gefahren aussetze als die fahrenden Ritter vergangner Zeiten.«

Diese ganze lange Rede hielt Don Quijote, während die andern speisten, und vergaß dabei das Mahl so völlig, daß er sich keinen Bissen gönnte, wiewohl ihn Sancho Pansa ein paarmal zum Essen ermahnt hatte, da sich nachher schon Zeit finden werde, um alles Beliebige vorzubringen. In seinen Zuhörern regte sich aufs neue lebhaftes Bedauern, daß ein Mann, der offensichtlich soviel Geistesschärfe und soviel Verstand in allen Dingen zeigte, ihn so gänzlich eingebüßt haben sollte, sooft man mit ihm von seinem unseligen verwünschten Rittertum sprach.

Der Pfarrer sagte ihm, er habe sehr recht in allem, was er zugunsten der Waffen gesagt, und er selbst sei, obschon ein studierter Mann, der den Grad eines Lizentiaten besitze, gänzlich seiner Meinung.

Die Mahlzeit war vorüber, es wurde abgedeckt, und während die Wirtin, ihre Tochter und Maritornes die Kammer zurechtmachten, worin Don Quijote von der Mancha geschlafen und wo man den Damen allein eine Ruhestätte für diese Nacht zu bereiten beschlossen hatte, bat Don Fernando den Maurensklaven, ihnen seinen Lebenslauf zu erzählen, da derselbe unmöglich anders als merkwürdig und unterhaltend sein könne, wie sich dies schon von vornherein aus dem Umstand schließen lasse, daß er in Zoraidas Gesellschaft reise. Darauf antwortete der Freigelassene, er werde sehr gern diesem Verlangen entsprechen; er fürchte nur, daß die Erzählung ihnen nicht soviel Unterhaltung gewähren werde, als er wünsche. Dessenungeachtet wolle er sie vortragen, um nicht dem ausgesprochenen Wunsche die Erfüllung zu verweigern.

Der Pfarrer und alle andern sprachen ihm dafür ihren Dank aus und ersuchten ihn aufs neue darum. Als er sich nun von so vielen gebeten sah, sagte er, es bedürfe der Bitten nicht, wo man ihm zu befehlen habe.

»So möge denn Euer Gnaden mir Aufmerksamkeit schenken, und Ihr werdet einen wahrhaften Bericht vernehmen, mit dem vielleicht jene lügenhaften sich nicht messen können, die man mit sorgfältiger und wohlüberdachter Kunst zusammenzustellen pflegt.«

Diese Äußerung bewog sofort alle, sich niederzusetzen und ihm in tiefer Stille ihr Ohr zu leihen. Und da er sah, daß sie bereits schweigend dasaßen und seiner Mitteilungen harrten, begann er mit gelassener und angenehmer Stimme folgendermaßen:

39. Kapitel

Worin der Sklave aus Algier sein Leben und seine Schicksale erzählt

An einem Ort in den Gebirgen von León hat mein Geschlecht seinen Ursprung. Die Natur hatte sich ihm wohlwollender und freigebiger erwiesen als das Glück; aber in den dürftigen Verhältnissen, die in jenen Ortschaften herrschen, galt mein Vater trotzdem als reicher Mann, und er wäre es auch wirklich gewesen, wenn er sich ebensoviel Mühe gegeben hätte, sein Vermögen zu erhalten, wie er es sich angelegen sein ließ, es zu verbrauchen. Sein Hang, sich stets freigebig zu zeigen und sein Geld unter die Leute zu bringen, rührte davon her, daß er in seinen Jugendjahren Soldat gewesen war; denn das Soldatenleben ist die Schule, wo der Knauser freigebig und der Freigebige zum Verschwender wird, und ist ausnahmsweise ein und der andre Soldat ein Geizhals, so ist er wie ein naturwidriges Wundertier, das man selten zu sehen bekommt. Mein Vater überschritt beständig die Grenzen der Freigebigkeit und streifte oft nahe an Verschwendung, was einem verheirateten Manne nie zum Frommen gereicht, zumal wenn er Kinder hat, die ihm im Namen und Stande nachfolgen sollen. Die Söhne, die mein Vater hatte, waren, drei an der Zahl, alle schon in dem Alter, einen Lebensberuf wählen zu können. Da nun mein Vater sah, daß er, wie er selber sagte, nicht gegen seinen angebornen Hang aufkommen konnte, so faßte er den Plan, sich des Werkzeugs seiner Verschwendung zu entschlagen und die Ursache zu beseitigen, die ihn gebsüchtig machte, das heißt, er wollte sich seines Geldes entledigen – des Geldes, ohne welches selbst ein Alexander sich engherzig zeigen müßte. So rief er denn eines Tages uns alle drei ganz allein in sein Gemach und sprach ungefähr so, wie ich es euch wiederholen will:

»Meine Kinder, um euch zu sagen, daß ich euch liebe, genügt es, zu wissen und zu sagen, daß ihr meine Kinder seid; und um einzusehen, daß ich euch nicht so liebe, wie es sich gebührt, genügt es zu wissen, daß ich da, wo ich euer Vermögen zusammenhalten sollte, mich dennoch nie zu bezwingen weiß. Damit ihr indessen fürderhin einsehen sollt, daß ich euch als Vater liebe und nicht als ein Stiefvater euch zugrunde richten will, so will ich etwas mit euch vornehmen, was ich schon seit vielen Tagen überlegt und mit reiflichem Nachdenken vorbereitet habe. Ihr seid bereits in dem Alter, einen Lebensberuf zu ergreifen oder wenigstens euch eine Beschäftigung zu suchen, die euch, wenn ihr älter werdet, Ehre und Vorteil gewähren kann. Ich plane nun, mein Vermögen in vier Teile zu zerlegen; drei will ich euch geben, jedem, was ihm zukommt, ohne daß ein Teil den andern irgendwie überschreitet; den vierten will ich behalten, um davon zu zehren und mich die Zeit über zu erhalten, die mir der Himmel noch zu leben vergönnt. Indessen wünschte ich, daß jeder von euch, wenn er seinen Anteil in Händen hat, einen von den Lebenswegen einschlage, die ich ihm bezeichnen will. Es gibt ein Sprichwort in unserm Spanien, das nach meiner Meinung eine tiefe Wahrheit enthält, wie eben alle, weil sie kurze, der langen Erfahrung verständiger Leute entnommene Denksprüche sind; und dasjenige, das ich meine, lautet: Kirche oder See oder Königsdienst. Das ist soviel, als wollte es, deutlicher ausgedrückt, den Rat geben: Wer Ansehen oder Reichtum gewinnen will, der ergreife entweder die geistliche Laufbahn oder fahre zur See, um Handel zu treiben, oder gehe an den Hof in des Königs Dienst; denn es heißt ja: Besser Brosamen vom König als reiche Gunst vom Edelmann. Ich sage dies, weil es mir lieb wäre, wenn einer von euch sich dem Studium, der andere dem Handel widmen, der dritte aber dem König im Kriege dienen wollte. Es ist nämlich schwierig, gleich von vornherein zum Hofdienst zugelassen zu werden; der Krieg aber, wenn er auch nicht großen Reichtum gewährt, pflegt großes Ansehen und großen Ruf zu verschaffen. Binnen der nächsten acht Tage werde ich euch euern ganzen Anteil in barem Gelde geben, ohne euch nur einen Pfennig zu verkürzen, wie ihr es durch die Tat erkennen werdet. Jetzt sagt mir, ob ihr meinen Vorschlägen folgen wollt.«

Da er hierauf mich, weil ich der älteste war, zu antworten aufforderte, so sagte ich ihm, er möchte sich doch seines Besitztums nicht entäußern, sondern alles, was ihm beliebe, ausgeben; wir seien jung genug, um noch zu lernen, wie man Vermögen erwerbe. Ich schloß damit, daß ich seinen Wunsch erfüllen würde, und der meinige sei es, dem Berufe des Waffenhandwerks zu folgen und in demselben Gott und meinem Könige zu dienen.

Der zweite Bruder machte dem Vater dasselbe Anerbieten wie ich und erklärte, er wolle nach Indien gehen und das Vermögen, das ihm zukomme, mitnehmen und im Geschäft anlegen. Der jüngste und, wie ich glaube, gescheiteste von uns sagte, er wolle die geistliche Laufbahn verfolgen oder nach Salamanca gehen, um seine begonnenen Studien fortzusetzen.

Als wir nun mit uns eins geworden und unsere Berufsarten erwählt hatten, umarmte mein Vater uns alle, und in der kurzen von ihm festgelegten Frist führte er alles aus, was er uns versprochen. Und nachdem er jedem seinen Teil behändigte, der, soviel ich mich entsinne, dreitausend Goldtaler in barem Gelde betrug – ein Oheim von uns hatte nämlich das ganze Grundeigentum gekauft und bar bezahlt, damit es nicht aus der Familie komme –, so nahmen wir alle drei an ein und demselben Tage Abschied von unserem guten Vater; und am nämlichen Tage, da es mir unbarmherzig schien, meinen Vater in seinem Alter mit so geringem Vermögen zu verlassen, bewog ich ihn, von meinen dreitausend Goldtalern zweitausend zu nehmen, da mir der Rest genügte, um mich mit allem zu versorgen, was ein Soldat nötig hatte. Meine beiden Brüder ließen sich durch mein Beispiel bestimmen, ihm tausend Goldtaler ein jeder zu geben, so daß meinem Vater viertausend Goldtaler in barem Geld blieben und außerdem noch dreitausend in Form von Grundbesitz; denn so viel schien sein eigener Anteil wert zu sein, den er nicht verkaufen, sondern behalten wollte.

Endlich schieden wir von ihm und von jenem unserem Oheim, den ich erwähnt habe, nicht ohne tiefes Leid, nicht ohne Tränen in aller Augen; wir verpflichteten uns, sie beide, sooft sich Gelegenheit dazu biete, unsere glücklichen oder unglücklichen Erlebnisse wissen zu lassen. Wir versprachen es ihnen, sie umarmten uns und gaben uns ihren Segen, und der eine von uns nahm den Weg nach Salamanca, der andere nach Sevilla und ich nach Alicante, wo ich erfuhr, daß ein genuesisches Schiff vor Anker liege und eine Ladung Wolle nach Genua einnehme. Dies Jahr werden es zweiundzwanzig Jahre sein, seit ich aus meines Vaters Hause zog, und alle diese Jahre hindurch habe ich, obwohl ich mehrere Briefe schrieb, weder von ihm noch von meinen Brüdern irgendeine Nachricht erhalten. Was ich aber im Verlaufe dieser Zeit erlebt habe, das will ich in Kürze berichten.

Ich schiffte mich in Alicante ein, gelangte auf glücklicher Fahrt nach Genua, reiste von da nach Mailand, wo ich mir Waffen besorgte, so auch etlichen Staat, wie ein Soldat ihn brauchen kann. Von dort wollte ich nach Piemont, um mich anwerben zu lassen, und als ich schon auf dem Wege nach Alessandria de la Palla war, kam mir die Nachricht, der große Herzog von Alba sei eben unterwegs nach Flandern. Ich änderte meinen Vorsatz, wandte mich zu ihm und diente unter ihm in den Schlachten, die er schlug. Ich war zugegen bei der Hinrichtung der Grafen Egmont und Hoorn und brachte es zum Fähnrich bei einem berühmten Hauptmann aus Guadalajara namens Diego de Urbina. Einige Zeit nach meiner Ankunft in Flandern erhielt man Nachricht von dem Bündnis, welches seine Heiligkeit der Papst Pius der Fünfte seligen Gedächtnisses mit Venedig und Spanien gegen den gemeinschaftlichen Feind, die Türken, geschlossen hatte, der zur nämlichen Zeit mit seiner Kriegsflotte die unter der Herrschaft der Venezianer stehende berühmte Insel Zypern erobert hatte, ein beklagenswerter und schmerzlicher Verlust! Man erfuhr mit Gewißheit, daß dieser Bund den erlauchten Don Juan de Austria, den natürlichen Bruder unseres trefflichen Königs Don Felipe, zum Oberfeldherrn hatte, und allgemein verbreitete sich die Kunde von den gewaltigen Kriegsrüstungen. All dieses erregte und entzündete in mir die Tatenlust und den Wunsch, den erwarteten Feldzug mitzumachen, und obschon ich Aussichten, ja beinahe feste Zusagen hatte, bei der ersten Gelegenheit zum Hauptmann befördert zu werden, drängte es mich, alles im Stiche zu lassen und nach Italien zu gehen, was ich auch wirklich tat. Mein Glück wollte, daß Señor Don Juan de Austria eben in Genua angekommen war, auf der Reise nach Neapel begriffen, um seine Kriegsflotte mit der venezianischen zu vereinigen, wie er dies denn auch späterhin bei Messina tat. Kurz, ich nahm teil an jenem ruhmvollen Feldzug, nachdem ich schon Hauptmann beim Fußvolk geworden, zu welchem Ehrenposten mehr mein Glück als mein Verdienst mich erhob. Und an jenem Tage, der für die Christenheit ein so glücklicher war, weil an ihm die Welt und alle Nationen aus dem irrigen Glauben gerissen wurden, die Türken seien zur See unbesiegbar, an jenem Tage, sag ich, wo der ottomanische Stolz und Hochmut gebrochen wurde, da war unter all den Glücklichen dort – denn glücklich waren auch die Christen, die dort fielen, ja noch glücklicher, als die den Sieg und das Leben davontrugen – ich der einzige Unglückliche; denn statt eine Schiffskrone zu empfangen, die mir gewiß zuteil geworden wäre, hätte ich zur Zeit der Römer gelebt, sah ich mich in der Nacht, die auf einen so ruhmreichen Tag folgte, mit Ketten an den Füßen und mit Handschellen gefesselt. Und dies trug sich folgendermaßen zu: Uludsch-Alí, König von Algier, ein verwegener und glücklicher Seeräuber, hatte die Admiralsgaleere von Malta angegriffen und überwältigt, und es waren in derselben nur drei Ritter am Leben geblieben, alle drei schwer verwundet. Da kam ihr Juan Andreas Admiralsschiff zu Hilfe, auf dem ich mich mit meinem Fähnlein befand. Ich tat, was in solchem Falle meine Pflicht war, und sprang an Bord der feindlichen Galeere; aber diese kam von dem angreifenden Schiffe los und hinderte so meine Soldaten, mir zu folgen. So fand ich mich allein unter meinen Feinden, gegen die ich nichts vermochte, da ihrer zu viele waren. Sie überwältigten mich, und mit Wunden bedeckt blieb ich als Gefangener in der Gewalt von Uludsch-Alí, der ja, wie ihr wohl wißt, mit seinem ganzen Geschwader entkam. So war ich der einzige Traurige unter soviel Fröhlichen und der einzige Gefangene unter soviel Befreiten; denn es waren fünfzehntausend Christen, die an diesem Tage die ersehnte Freiheit erlangten; alle waren auf den Ruderbänken der türkischen Flotte Sklaven gewesen.

Ich wurde nach Konstantinopel gebracht, wo der Großtürke Selim meinen Herrn zum Admiral ernannte, weil er seine Schuldigkeit in der Schlacht getan und als Denkzeichen seiner Tapferkeit die Standarte des Malteserordens mitgebracht hatte. Im folgenden Jahre, 1572, befand ich mich vor Navarino, wo ich an Bord der »Drei Laternen«, des Admiralsschiffes, rudern mußte. Ich sah und merkte mir, wie man damals die Gelegenheit versäumte, die ganze türkische Kriegsflotte im Hafen wegzunehmen, da alle Seesoldaten und Janitscharen, die an Bord waren, es für gewiß hielten, daß man sie im Hafen selbst angreifen werde, und ihr Gepäck und ihre Pasamakis, das heißt ihre Schuhe, schon bereit hielten, um sofort zu Lande zu entfliehen, ohne sich in einen Kampf einzulassen: so groß war ihre Furcht vor unserer Flotte. Allein der Himmel fügte es anders, nicht aus Verschulden oder Lässigkeit unseres Feldherrn, sondern um der Sünden der Christenheit willen, und weil Gott will und zuläßt, daß wir stets Peiniger haben, uns zu züchtigen. So kam es, daß Uludsch-Alí sich nach Modón zurückziehen konnte, einer Seestadt nahe bei Navarino; er setzte seine Leute ans Land, befestigte den Eingang zum Hafen und hielt sich ruhig, bis Don Juan wieder absegelte. Bei dieser Fahrt ward eine Galeere erobert, welche den Namen »Die Prise« bekam und deren Schiffshauptmann ein Enkel jenes berühmten Korsaren Barbarossa war. Die »Wölfin« nahm sie weg, das neapolitanische Admiralsschiff, welches jener Donnerstrahl des Krieges befehligte, jener Vater der Soldaten, der glückliche und nie besiegte Feldherr Don Alvaro de Bazán, Marquis de Santa Cruz. Und ich will hier nicht zu erzählen unterlassen, was dabei vorging, als die »Prise« zur Prise gemacht wurde. Der Enkel Barbarossas war so grausam und mißhandelte seine Gefangenen so arg, daß die Ruderknechte, sobald sie sahen, daß die »Wölfin« auf das Schiff lossteuerte und es schon erreichte, alle gleichzeitig die Ruder fallen ließen, ihren Schiffshauptmann ergriffen, der auf der Kommandobrücke stand und ihnen zurief, sie sollten schneller rudern; sie warfen ihn von Bank zu Bank, vom Heck des Schiffs bis zum Bug und versetzten ihm solche Bisse, daß seine Seele zur Hölle fuhr, kaum daß er am Hauptmast vorüber war. So groß war, wie ich schon gesagt, die Grausamkeit, mit der er sie behandelt hatte, und ihr Haß gegen ihn.

Wir segelten nach Konstantinopel zurück, und dort erfuhr man im folgenden Jahre, daß Don Juan Tunis erobert, das Königreich den Türken entrissen und dort Mulei Hamet eingesetzt hatte, wodurch er dem Mulei Hamida, dem grausamsten und tapfersten Mauren, den die Welt je gesehen, die Hoffnung abschnitt, wieder auf den Thron dieses Landes zurückzukehren. Dieser Verlust ging dem Großtürken sehr nahe, und mit jener Schlauheit, die allen Gliedern seiner Familie angeboren ist, schloß er jetzt Frieden mit den Venezianern, welche ihn noch weit mehr wünschten als er selbst, und griff im folgenden Jahre vierundsiebenzig Goleta an und die große Feste, die Don Juan bei Tunis mitten im Bau unvollendet gelassen hatte. All diese Fährlichkeiten machte ich auf der Ruderbank mit, ohne Hoffnung auf eine mögliche Befreiung; wenigstens konnte ich nicht hoffen, diese durch Loskauf zu erlangen, da ich entschlossen war, meinem Vater nichts von meinem Mißgeschick zu schreiben.

Endlich ging Goleta verloren, die neue Feste ging verloren, gegen welche Plätze fünfundsiebenzigtausend Mann türkischer Soldtruppen im Feld standen, nebst mehr als viermalhunderttausend Mauren und Arabern aus ganz Afrika, welche große Anzahl Volks mit so viel Kriegsvorrat und Geschütz versehen war und so viel Schanzarbeiter zählte, daß sie schon mit den Händen allein genug Erdklumpen hätten werfen können, um Goleta und die neue Feste völlig zu überschütten. Zuerst fiel Goleta, das bis dahin für unbezwinglich gegolten, und es fiel nicht durch Schuld seiner Verteidiger, die alles zur Verteidigung taten, was ihre Schuldigkeit und in ihrer Macht war, sondern weil die Erfahrung zeigte, wie leicht Laufgräben in diesem wüsten Sandboden anzulegen waren; denn während die Unsern glaubten, man stoße schon zwei Fuß tief auf Wasser, so fanden die Türken in einer Tiefe von zwei Ellen noch keins, und so errichteten sie mit Sandsäcken längs der Laufgräben so hohe Schanzwerke, daß sie die Festungsmauern überragten, und da sie diese von oben herab beschossen, so konnten die Verteidiger auf die Dauer nicht standhalten.

Es war die allgemeine Ansicht, die Unsern hätten sich nicht in Goleta einschließen, sondern im offenen Felde die Landung abwarten sollen; allein die dieses sagen, urteilen aus der Ferne und mit geringer Erfahrung in solchen Dingen. Denn da in Goleta und in der großen Feste kaum siebentausend Soldaten waren, wie hätte eine so kleine Anzahl, wäre sie auch noch so heldenmütig gewesen, sich gegen die so große des Feindes ins offene Feld wagen und zugleich die beiden festen Plätze besetzt halten können? Und wie kann es anders sein, als daß eine Festung verlorengeht, wenn sie keinen Entsatz erhält, und vor allem, wenn die Feinde sie so zahlreich und beharrlich umlagern, zumal in ihrem eigenen Lande? Indessen waren viele der Meinung und so auch ich, daß der Himmel den Spaniern eigentlich eine besondere Gunst und Gnade dadurch erzeigte, daß er die Zerstörung dieser Brutstätte der Übeltaten zuließ, die der nagende Wurm, der saugende Schwamm, die zerfressende Motte war, durch welche eine unendliche Menge Geldes nutzlos aufgezehrt wurde ohne andern Zweck, als das Angedenken daran zu bewahren, daß der unbesiegbare Karl der Fünfte glorreichen Angedenkens den Platz erobert hatte, gerade als wenn es dieses Steinhaufens bedurft hätte, um diesem Angedenken ewige Dauer zu verleihen, die es ohnedies hat und haben wird.

Auch die neue Feste fiel, aber die Türken konnten sie nur Schritt für Schritt erobern; denn die Soldaten, die sie verteidigten, kämpften so tapfer und heldenmütig, daß sie in zweiundzwanzig Hauptstürmen, die man gegen sie unternahm, mehr als fünfundzwanzigtausend Feinde erschlugen. Von den dreihundert der Unsrigen, die am Leben blieben, fiel keiner unverwundet in ihre Hände, ein untrüglicher Beweis, wie mutig und mannhaft sie sich gehalten und wie gut sie die ihnen anvertrauten Plätze verteidigt und behauptet hatten. Dann ergab sich ein kleines Festungswerk, ein Turm, der mitten im See lag und unter dem Befehl des Don Juan Zanoguera stand, eines Edelmanns und berühmten Kriegshelden aus Valencia. Die Türken nahmen Don Juan Puertocarrero gefangen, den Befehlshaber von Goleta, der alles mögliche getan hatte, um seine Festung zu verteidigen, und dem ihr Verlust so zu Herzen ging, daß er aus Kummer auf dem Wege nach Konstantinopel starb, wohin man ihn gefangen führte. Auch der Befehlshaber der neuen Feste fiel in ihre Hand, namens Gabrio Serbelloni, ein Mailänder Edelmann, ein ausgezeichneter Ingenieur und überaus tapferer Kriegsmann. In beiden Festungen verloren viele Männer von Bedeutung das Leben, unter ihnen Pagán Doria, Ritter des Johanniterordens, von hochherziger Gesinnung, wie es die großartige Freigebigkeit bewies, die er gegen seinen Bruder übte, den berühmten Juan Andrea Doria; und was seinen Tod besonders beklagenswert machte, war, daß er durch ein paar Araber umgebracht wurde, denen er sein Vertrauen geschenkt hatte, als er die Feste schon verloren sah. Sie hatten sich erboten, ihn in maurischer Tracht nach Tabarca zu bringen, einem kleinen Hafen oder einer Niederlassung, welche die Genuesen zur Betreibung der Korallenfischerei an jenen Gestaden besitzen. Die Araber schnitten ihm den Kopf ab und brachten ihn zum Befehlshaber der türkischen Flotte; dieser aber machte an ihnen unser kastilianisches Sprichwort wahr, daß man den Verrat liebt und den Verräter haßt, und demgemäß, so wird erzählt, ließ der Befehlshaber die Leute aufknüpfen, die ihm das Geschenk brachten, weil sie ihm den Mann nicht lebend gebracht hätten.

Unter den Christen, die in der Feste in Gefangenschaft gerieten, war einer namens Pedro de Aguilar, gebürtig aus, ich weiß nicht welchem Ort in Andalusien, welcher Unterbefehlshaber in der Feste gewesen, ein Kriegsmann von großer Bedeutung und seltenem Geiste; namentlich leistete er Vorzügliches in jener Kunst des Schreibens, die die poetische genannt wird. Ich hebe dies hervor, weil sein Schicksal ihn auf meine Galeere und auf meine Ruderbank führte und in den Sklavendienst unter demselben Herrn. Noch ehe wir aus jenem Hafen absegelten, dichtete dieser Edelmann zwei Sonette in der Art eines Nachrufs, das eine auf Goleta und das andre auf die neue Feste; und ich muß sie euch wirklich vortragen, denn ich weiß sie auswendig und glaube, sie werden euch eher Vergnügen als Langeweile verursachen.«

Im Augenblick, wo der Maurensklave Don Pedro de Aguilars Namen aussprach, blickte Don Fernando seine Begleiter an, und alle drei lächelten; und als er an die Erwähnung der Sonette kam, sagte der eine: »Bevor Ihr fortfahrt, bitte Ich Euch, mir zu sagen, was aus dem Don Pedro de Aguilar, den Ihr genannt habt, geworden ist.«

»Was ich weiß«, sagte der Sklave, »ist nur, daß er nach Verfluß von zwei Jahren, die er in Konstantinopel zubrachte, in der Tracht eines Arnauten mit einem griechischen Spion entfloh; ich habe nicht in Erfahrung gebracht, ob er seine Freiheit erlangt hat, wiewohl ich es allerdings glaube; denn ein Jahr später sah ich den Griechen in Konstantinopel, konnte ihn aber nicht nach dem Ausgang ihres Unternehmens fragen.«

»Der ist so gewesen«, versetzte der Edelmann: »Dieser Don Pedro ist mein Bruder und wohnt jetzt in unserer Heimat in Wohlbefinden und Reichtum, ist verheiratet und hat drei Kinder.«

»Gott sei gedankt«, sprach der Sklave, »für all die Gnade, die er ihm erwiesen; denn nach meiner Meinung gibt es auf Erden kein Glück, das dem Wiedergewinn der verlorenen Freiheit sich vergleichen ließe.«

»Übrigens«, sprach der Edelmann, »kenne ich auch die beiden Sonette, die mein Bruder verfaßt hat.«

»So mögt Ihr denn selbst sie mitteilen«, sprach der Sklave, »Ihr werdet sie jedenfalls besser als ich vortragen.«

»Mit Vergnügen«, erwiderte der Edelmann.

Das Sonett auf Goleta lautete folgendermaßen:

35. Kapitel

Welches von dem erschrecklichen und ungeheuerlichen Kampf handelt, den Don Quijote gegen Schläuche roten Weines bestand, und wo ferner die Novelle vom törichten Vorwitz beendet wird

Es blieb wenig mehr von der Novelle zu lesen übrig, als aus der Kammer, wo Don Quijote ruhte, Sancho Pansa in heller Aufregung herausstürzte und laut schrie: »Kommt, ihr Herren, eilig herbei und helft meinem Herrn, der in den hitzigsten und hartnäckigsten Kampf verstrickt ist, den meine Augen je gesehen. So wahr Gott lebt, er hat dem Riesen, dem Feinde der Prinzessin Míkomikona, einen Schwerthieb versetzt, der ihm den Kopf dicht am Rumpf abgehauen hat, als war’s eine Rübe!«

»Was sagst du, guter Freund?« sprach der Pfarrer, hörte auf und ließ den Rest der Novelle ungelesen; »bist du bei Sinnen, Sancho? Wie zum Teufel ist möglich, was du sagst, da der Riese zweitausend Meilen von hier entfernt ist?«

Indem vernahmen sie einen gewaltigen Lärm in der Kammer und hörten Don Quijote schreien: »Halt, Räuber, Wegelagerer, Schurke, hier halt ich dich fest, und dein krummer Säbel soll dir nicht helfen!«

Dabei klang es, als führte er mächtige Schwerthiebe gegen die Wände, und Sancho sprach: »Steht doch nicht da und horcht, das ist nicht nötig; geht lieber hinein und bringt sie auseinander oder steht meinem Herrn bei, obwohl das nicht mehr nötig sein wird; denn ohne Zweifel ist der Riese schon tot und gibt jetzt Gott Rechenschaft für sein bisheriges Lasterleben. Ich sah ja das Blut auf dem Boden fließen und den Kopf abgesäbelt seitwärts liegen, der ist so lang und breit wie ein großer Weinschlauch.«

»Ich will des Todes sein«, sprach jetzo der Schenkwirt, »wenn der Herr Quijote oder der Herr Gottseibeiuns nicht mit seinem Schwert auf einen der Schläuche roten Weines eingehauen, hat, die am Kopfende seines Lagers hängen, und der ausgelaufene Wein war es gewiß, der dem guten Kerl da wie Blut vorkam.«

Mit diesen Worten ging er in die Kammer und alle ihm nach, und sie fanden Don Quijote im seltsamsten Aufzug von der Welt. Er stand im Hemde da, und dieses war nicht so lang, daß es ihm von vorn die Schenkel gänzlich bedeckt hätte, während es hinten noch sechs Fingerbreit kürzer war; die Beine waren sehr lang und hager und mit Haaren bedeckt und keineswegs sauber; auf dem Kopfe hatte er ein schmieriges rotes Käppchen, das dem Wirt gehörte; um den linken Arm hatte er jene Bettdecke gewickelt, gegen welche Sancho besonderen Groll trug – und er wußte warum –, und in der Rechten hielt er das entblößte Schwert, hieb damit nach allen Seiten hin und führte Reden, als wäre er wirklich im Kampf mit einem Riesen begriffen. Und das Beste dabei war, daß seine Augen nicht offen waren, denn er war noch im Schlafe und träumte nur, er sei im Gefecht mit dem Riesen. Seine Einbildung von dem Abenteuer, das er zu bestehen im Begriff war, war so mächtig angespannt, daß sie ihn träumen ließ, er sei im Königreich Mikomikón angekommen und stehe bereits im Kampf mit seinem Feinde. Er hatte so viele Schwerthiebe auf die Schläuche geführt, im Glauben, er führe sie auf den Riesen, daß das ganze Gemach voll Weines stand. Als der Wirt das sah, geriet er in solche Wut, daß er sich auf Don Quijote stürzte und ihm mit geballter Faust zahllose Püffe versetzte, die, wenn Cardenio und der Pfarrer den Ritter nicht von ihm weggerissen, alsbald dem Kampf mit dem Riesen ein Ende gemacht hätten. Und trotz alledem wurde der arme Ritter nicht wach, bis der Barbier einen großen Kessel mit kaltem Wasser aus dem Brunnen herbeibrachte und ihn dem Ritter mit einem Guß über den ganzen Körper schüttete. Davon endlich erwachte Don Quijote, doch nicht zu so vollem Bewußtsein, daß er innegeworden wäre, in welchem Aufzuge er dastand.

Don Quijote

Dorotea, die sah, wie kurz und leicht bekleidet er war, wollte nicht eintreten, um dem Gefecht ihres Kämpen mit ihrem Widersacher zuzuschauen. Sancho suchte auf dem ganzen Boden herum nach dem Kopfe des Riesen, und da er ihn nicht fand, sagte er: »Ich sehe schon, was nur immer an dies Haus anrührt, sind lauter Zaubergeschichten. Neulich, an der nämlichen Stelle, wo ich jetzo stehe, haben sie mir eine Menge Maulschellen und Faustschläge versetzt, ohne daß ich wußte wer, und ich konnte mein Lebtag keinen Täter erblicken; und jetzt ist der Kopf hier nirgends zu finden, den ich doch mit meinen allereigensten Augen habe abhauen sehen, und das Blut lief aus dem Körper heraus wie aus einem Springbrunnen.«

»Von was für Blut, was für Springbrunnen redest du, du Feind Gottes und seiner Heiligen?« rief der Wirt. »Siehst du nicht, Spitzbube, daß das Blut und der Brunnen nichts andres sind als diese Schläuche, die da durchlöchert liegen, und der rote Wein, der hier in der Kammer schwimmt? Wofür ich dessen Seele in der Hölle schwimmen sehen möchte, der sie zerlöchert hat!«

»Ich weiß von nichts«, entgegnete Sancho, »ich weiß nur, daß ich am Ende so ins Pech gerate, daß mir, wenn ich den Kopf nicht finde, meine Grafschaft wie Salz im Wasser vergehen wird.«

So war es mit Sancho im Wachen ärger als mit seinem Herrn im Schlafe; in solcher Geistesverwirrung hielten ihn die Versprechungen seines Herrn befangen.

Der Wirt war ganz in Verzweiflung ob der Gelassenheit des Dieners und der Übeltaten des Herrn und schwur hoch und heilig, diesmal solle es nicht gehen wie das letztemal, wo sie ihm ohne Zahlung davongelaufen, und jetzo sollten dem Don Quijote die Vorrechte seiner Ritterschaft nicht darüber hinweghelfen, die alte und die neue Rechnung zu bezahlen, ja, alles bis auf die etwaigen Kosten für die Flicken, die man in die zerlöcherten Schläuche einsetzen müsse. Der Pfarrer hielt Don Quijote mit beiden Händen fest, und dieser, in der Überzeugung, er habe das Abenteuer bereits zu Ende geführt und befinde sich vor der Prinzessin Míkomikona, beugte die Knie vor dem Pfarrer und sprach: »Wohl mag Eure Hoheit, erhabene und weitberufene Herrin, von heute an inskünftig in Sicherheit davor leben, daß dies bösartige Geschöpf Hochderoselben Böses zufüge; und auch ich bin hinfüro des Wortes quitt, so ich Euch gegeben, sintemal ich selbiges mit Gottes Hilfe und durch die Gunst jener Herrin, durch die ich lebe und atme, so völlig erfüllt habe.«

»Hab ich’s nicht gesagt?« sprach Sancho, als er das hörte, »ja freilich; denn ich war nicht betrunken. Seht mir nun, ob mein Herr den Riesen nicht schon eingesalzen hat! Ich hab nun mein Schäfchen im trocknen, mit meiner Grafschaft ist’s in der Ordnung!«

Wer hätte nicht lachen müssen über die Narretei von Herr und Diener! Und sie lachten alle, nur nicht der Wirt, der des Teufels werden wollte. Indessen gaben sich der Barbier, Cardenio und der Pfarrer so viel Mühe, daß sie zuletzt, freilich mit nicht geringer Anstrengung, Don Quijote ins Bett brachten, und dieser schlief sogleich wieder ein, unter Zeichen übergroßer Erschöpfung.

Sie ließen ihn denn schlafen und gingen hinaus ans Tor der Schenke, um Sancho Pansa zu trösten, daß er den Kopf des Riesen nicht gefunden; jedoch hatten sie noch weit mehr zu tun, um den Wirt zu besänftigen, der über das plötzliche Hinscheiden seiner Schläuche in Verzweiflung war. Die Wirtin aber schrie und jammerte: »Ja, zur Unglückszeit und zur unseligsten Stunde ist dieser fahrende Ritter in mein Haus gekommen! Hätte ich ihn doch nie mit Augen gesehen, ihn, der mich so teuer zu stehen kommt! Das letztemal machte er sich auf und davon mit den Kosten für einen Tag Essen, Bett, Stroh und Futter für ihn und für seinen Schildknappen und einen Gaul und einen Esel und sagte, er sei ein abenteuernder Ritter – und möge Gott ihn in lauter abenteuerlichem Pech sieden lassen, ihn und alle Abenteurer, die es auf Erden gibt –, und deshalb sei er nicht verbunden, etwas zu zahlen; denn so stehe es im Zolltarif der fahrenden Ritter. Und seinetwegen ist kürzlich der andre Herr gekommen und hat mir meinen Schwanz mit fortgenommen und hat ihn mir um mehr als zwei Pfennige Minderwert zurückgebracht, die Haare ganz ausgerauft, daß er nicht mehr dazu zu gebrauchen ist, wozu ihn mein Mann haben will; und zum Schluß und Ende von allem werden mir meine Schläuche zerrissen und mein Wein mir ausgegossen. Oh, wenn es doch sein Blut wäre! Aber bei den Gebeinen meines Vaters und meiner Mutter Seligkeit, er soll es mir auf Heller und Pfennig bezahlen, oder ich müßte nicht heißen, wie ich heiße, und wäre nicht meines Vaters Tochter!«

Diese Äußerungen und andre solcher Art tat die Wirtin in großer Wut, und ihre wackere Magd Maritornes half ihr dabei. Die Tochter schwieg und lächelte zuweilen. Der Pfarrer wußte alles zu beschwichtigen, indem er versprach, ihren Verlust ihr so gut, wie ihm nur möglich, zu ersetzen, sowohl den sie an den Schläuchen als am Wein und insbesondere durch die Beschädigung des Schwanzes erlitten hatten, von dem sie soviel Aufhebens machten.

Dorotea tröstete Sancho Pansa mit der Erklärung, sobald es sich offenkundig zeige, daß sein Herr in Wahrheit den Riesen geköpft habe, so verheiße sie, sobald sie sich im friedlichen Besitz ihres Königreichs sehe, ihm die beste Grafschaft zu geben, die darin zu finden sei. Damit tröstete sich Sancho und versicherte der Prinzessin, sie dürfte sicher sein, daß er den Kopf des Riesen gesehen, und zum weiteren Merkzeichen hätte selbiger einen Bart, der ihm bis zum Gürtel ging. Und wenn er nicht zum Vorschein komme, so sei es darum, weil alles, was sich in diesem Hause ereigne, mit Zauberei zugehe, wie er selbst es neulich erfahren habe, als er hier übernachtete.

Dorotea erwiderte, sie glaube, daß dem so sei, und er solle nur unbesorgt sein. Alles werde gut gehen, alles werde nach Wunsch geschehen.

Nachdem alle sich beruhigt, wollte der Pfarrer die Novelle zu Ende lesen, da er sah, daß nur noch wenig übriggeblieben. Cardenio, Dorotea und alle andern baten ihn, sie zu beenden; und er, sowohl um den anderen gefällig zu sein als auch zum eigenen Vergnügen, fuhr mit der Erzählung fort:

Zunächst ging es so, daß Anselmo in seiner frohen Überzeugung von Camilas Tugend ein zufriedenes und sorgenfreies Leben führte und Camila mit berechneter Absicht Lotario ein finsteres Gesicht zeigte, damit Anselmo an das Gegenteil der Gesinnung glauben solle, die sie für den Freund empfand. Damit ihr Benehmen noch glaubwürdiger erschiene, bat Lotario ihn um Erlaubnis, sein Haus nicht mehr zu besuchen, da sich doch deutlich zeige, daß Camila von seinem Anblick peinlich berührt werde. Aber der betrogene Anselmo wollte davon nichts wissen. Und auf solche Weise wurde in tausendfacher Art Anselmo der Werkmeister seiner Schande, im Glauben, er sei der Schmied seines Glückes.

Mittlerweile war auch Leonelas Behagen, eine Vollmacht zu ihrem Liebeshandel zu besitzen, so weit gediehen, daß sie ohne alle Rücksicht ihrem Vergnügen zügellos nachjagte, darauf bauend, daß ihre Herrin sie schirmte, ja sogar ihr Rat gab, wie sie ohne Besorgnis ihre Gelüste befriedigen könnte. Endlich aber hörte Anselmo eines Nachts Schritte in Leonelas Gemach, und als er hinein wollte, um zu sehen, von wem sie herrührten, ward er gewahr, daß die Tür vor ihm zugehalten wurde, was ihn um so begieriger machte, sie zu öffnen. Er wandte so viele Kraft an, daß er sie aufstieß, und kam gerade zur rechten Zeit hinein, um zu sehen, daß ein Mann durchs Fenster auf die Straße sprang. Er eilte rasch hinaus, um ihn noch zu erreichen oder ihn zu erkennen, aber er vermochte weder das eine noch das andre auszuführen; denn Leonela umfaßte ihn mit den Armen und sprach zu ihm: »Beruhigt Euch, mein Gebieter, reget Euch nicht auf, eilet dem Mann nicht nach, der von hier hinausgesprungen, die Sache geht mich allein an, ja, so sehr, daß es mein eigner Bräutigam ist.«

Anselmo wollte es ihr nicht glauben, sondern zog den Dolch und drohte, Leonela zu erstechen, wenn sie ihm nicht die Wahrheit sage. Sie, in ihrer Angst, ohne zu wissen, was sie sagte, sprach zu ihm: »Tötet mich nicht, Señor, ich werde Euch Dinge von größerer Wichtigkeit sagen, als Ihr Euch vorstellen könnt!«

»Sag sie auf der Stelle«, entgegnete Anselmo, »oder du bist des Todes!«

»Im Augenblick ist es unmöglich«, antwortete Leonela, »so verstört bin ich; laßt mich bis morgen, dann sollt Ihr Dinge hören, daß Ihr staunen werdet. Und seid dessen gewiß, jener, der aus dem Fenster gesprungen, ist ein Jüngling aus dieser Stadt, der mir die Hand darauf gegeben, mein Gemahl zu werden.«

Damit beruhigte sich Anselmo, und er war bereit, die Frist abzuwarten, um die sie ihn gebeten; denn er dachte nicht daran, daß er etwas hören würde, das Camila zum Nachteil gereichte, weil er von ihrer Tugend überzeugt war. So verließ er denn das Gemach und ließ Leonela darin eingeschlossen zurück, indem er ihr sagte, sie werde nicht herauskommen, bis sie ihm bekenne, was sie ihm zu sagen habe.

Sogleich suchte er Camila auf und erzählte ihr, was ihm alles mit ihrer Zofe begegnet sei, und daß sie ihm versprochen habe, ihm große und wichtige Dinge zu sagen. Ob Camila in Bestürzung geriet oder nicht, das braucht wohl nicht gesagt zu werden. Die Angst, die sie empfand, war so überwältigend – denn sie glaubte wirklich, und es war wohl zu glauben, das Mädchen werde Anselmo alles sagen, was es von ihrer Untreue wußte –, daß sie nicht den Mut hatte, abzuwarten, ob sich ihr Verdacht als unbegründet zeigen werde oder nicht; und noch in der nämlichen Nacht, als sie glaubte, Anselmo liege jetzt im Schlafe, suchte sie ihre besten Kleinodien und einiges Geld zusammen, und ohne von jemandem bemerkt zu werden, verließ sie ihr Haus und eilte zu dem Lotarios, erzählte ihm alles Vorgefallene und bat ihn, sie in Sicherheit zu bringen oder sich mit ihr zusammen an einen Ort zu begeben, wo sie vor Anselmo geschützt wären.

Die Bestürzung, in welche Camila ihren Lotario versetzte, war so groß, daß er ihr kein Wort zu erwidern und noch weniger einen Entschluß zu fassen vermochte. Zuletzt kam er auf den Gedanken, Camila in ein Kloster zu bringen, in welchem eine Schwester von ihm Priorin war. Camila willigte ein, und mit der Eile, wie sie der Fall erheischte, brachte Lotario sie ins Kloster und ließ sie dort, während auch er sich augenblicklich aus der Stadt entfernte, ohne jemanden davon in Kenntnis zu setzen. Als es tagte, stand Anselmo auf, ohne zu bemerken, daß Camila von seiner Seite verschwunden war, und begierig zu erfahren, was Leonela ihm mitteilen wollte, ging er nach dem Zimmer, wo er sie eingeschlossen hatte. Er öffnete es und trat ein, fand aber Leonela nicht darin; er fand nur ein Bettlaken ans Fenster geknüpft, ein Zeichen und Beweis, daß sie sich hier hinuntergelassen und geflüchtet hatte. Voll Ärger kehrte er sogleich zurück, um es Camila zu sagen, und da er sie weder im Bette noch im ganzen Hause fand, war er starr vor Entsetzen. Er fragte die Diener des Hauses nach ihr, aber niemand konnte ihm Auskunft geben. Als er, nach Camila suchend, umherging, sah er zufällig ihr Schmuckkästchen offenstehen und entdeckte, daß ihre meisten Kleinodien daraus fehlten. Und damit wurde ihm sein Unglück erst vollends klar, und er begriff, daß Leonela nicht die Schuld an seinem Unglück trug. Und so, wie er ging und stand, ohne sich erst vollständig anzukleiden, in Trübsinn und tiefem Nachdenken, eilte er, seinem Freunde Lotario Bericht von seinem Unglück zu geben. Aber als er ihn nicht fand und dessen Diener ihm sagten, er sei diese Nacht aus dem Hause verschwunden und habe all sein vorrätiges Geld mitgenommen, da meinte er den Verstand zu verlieren. Und um das Maß vollzumachen, traf er bei der Rückkehr in seiner Wohnung niemanden von all seinen Dienern und Dienerinnen an, sondern fand das Haus öde und verlassen. Er wußte nicht, was er denken, sagen oder tun sollte, und nach und nach wurde es ihm ganz wirr im Kopfe. Er betrachtete sich gleichsam und erblickte sich in einem Augenblick ohne Weib, ohne Freund, ohne Diener; er erachtete sich verlassen vom Himmel über ihm und – ärger als alles – der Ehre beraubt, da er deren Verlust in Camilas Flucht erkennen mußte.

Endlich, nach einer geraumen Weile, beschloß er, sich auf das Dorf hinaus zu jenem Freunde zu begeben, wo er sich damals aufgehalten hatte, als er selbst den Anlaß dazu gab, daß dies ganze Unheil geplant und verwirklicht wurde. Er verschloß die Türen seines Hauses, stieg zu Pferd und begab sich beklommenen Herzens auf den Weg. Kaum aber hatte er die Hälfte davon zurückgelegt, als er, von seinen eigenen Gedanken übermannt, sich genötigt sah, abzusteigen und sein Pferd mit dem Zügel an einen Baum zu binden, an dessen Stamm er unter wehmütigen, schmerzvollen Seufzern niedersank. Hier verweilte er, bis beinahe die Nacht hereinbrach. Um diese Stunde sah er einen Mann zu Pferd aus der Stadt kommen. Er grüßte ihn und fragte ihn, welche Neuigkeiten es in Florenz gebe. Der Städter antwortete ihm: »Die seltsamste, die man seit langer Zeit dort vernommen. Denn man erzählt öffentlich, daß Lotario, jener vertraute Freund Anselmos des Reichen, der bei San Giovanni wohnte, diese Nacht Camila entführt hat, die Frau Anselmos, der ebenfalls nirgends zu finden ist. All dieses hat eine Dienerin Camilas ausgesagt, welche der Stadtvorsteher heute nacht dabei getroffen hat, wie sie sich an einem Bettlaken aus dem Fenster von Anselmos Hause herabließ. Ich weiß in der Tat nicht genau, wie sich der Handel zutrug; ich weiß nur, daß die ganze Stadt sich über diese Geschichte wundert, weil man eine derartige Handlungsweise bei der innigen und vertrauten Freundschaft zwischen den beiden nicht erwarten konnte, die so groß gewesen sein soll, daß man sie nur ›die beiden Freunde‹ nannte.«

»Weiß man vielleicht, welchen Weg Lotario und Camila eingeschlagen haben?« fragte Anselmo.

»Nicht im geringsten«, antwortete der Mann, »wiewohl der Stadtvorsteher alle Sorgfalt aufgewendet hat, um ihnen nachzuspüren.«

»Geht mit Gott«, sprach Anselmo.

»Er geleite Euch«, erwiderte der Städter und ritt davon.

Bei so schmerzlichen Nachrichten fehlte wenig, daß Anselmo auf den Punkt gekommen wäre, wo es nicht nur mit seinem Verstand, sondern auch mit seinem Leben zu Ende gehen mußte. Er erhob sich, so gut er es vermochte, und gelangte zum Hause seines Freundes, der von seinem Unglück noch nichts wußte; aber als er ihn bleich, abgehärmt und mit eingefallenen Wangen ankommen sah, merkte er wohl, daß Anselmo von schwerem Leide niedergedrückt sei. Anselmo bat, man möge ihn zu Bett bringen und ihm Schreibzeug geben. Es geschah also, man ließ ihn im Bette und allein; denn so verlangte er es, und er bat auch, die Tür zu schließen. Als er sich nun allein sah, begann die Vorstellung seines Unglücks ihn so zu bestürmen und zu überwältigen, daß er klar erkannte, es gehe mit seinem Leben zu Ende; und so traf er Anstalt, eine Nachricht von der Ursache seines so eigentümlichen Todes zu hinterlassen. Er fing zu schreiben an; aber bevor er mit der Aufzeichnung alles dessen, was er im Sinne hatte, zu Ende gekommen, verließen ihn die Kräfte, und er ließ sein Leben unter der Wucht des Schmerzes, den ihm sein törichter Vorwitz bereitet hatte.

Als der Herr des Hauses bemerkte, daß es schon spät war und Anselmo nicht rief, entschloß er sich einzutreten, um zu sehen, ob sein Unwohlsein schlimmer geworden, und er fand ihn ausgestreckt liegen, mit dem Gesicht nach unten gekehrt, die Hälfte des Körpers im Bette und die andre Hälfte auf dem Schreibtische, auf einem halb beschriebenen Papier; er hielt die Feder noch in der Hand. Der Hausherr näherte sich ihm, nachdem er ihm erst zugerufen, und als er, da er ihn an der Hand faßte, keine Antwort erhielt und ihn erstarrt fand, ward er inne, daß Anselmo tot war. Er erschrak und betrübte sich ungemein, rief die Leute vom Haus herbei, damit sie das Unglück sähen, das Anselmo betroffen, und las dann das Papier, auf dem er Anselmos Handschrift erkannte und welches folgende Worte enthielt:

Ein törichtes und vorwitziges Begehren hat mir das Leben geraubt. Wenn die Nachricht von meinem Tode zu Camilas Ohren gelangen sollte, so möge sie erfahren, daß ich ihr verzeihe; denn sie war nicht verpflichtet, Wunder zu tun, und ich hatte nicht nötig, von ihr zu verlangen, daß sie solche tue. Und da ich selbst der Werkmeister meiner Schande war, so ist kein Grund …

Bis hierher hatte Anselmo geschrieben, woraus sich erkennen ließ, daß an dieser Stelle sein Leben endete, ehe er den Satz enden konnte. Den nächsten Tag gab sein Freund den Verwandten Anselmos Kunde von seinem Tode; sie wußten schon sein Unglück und kannten auch das Kloster, wo Camila bereits nahe daran war, ihren Gemahl auf jener Reise, die keinem erlassen wird, zu begleiten, nicht aus Schmerz über die Nachricht vom Tode ihres Gatten, sondern über diejenige, die ihr über ihren abwesenden Freund zukam. Man erzählt, daß sie, obschon sie nun Witwe war, das Kloster nicht verlassen, aber noch weniger das Gelübde als Nonne ablegen wollte, bis ihr, nicht viele Tage nachher, die Nachricht wurde, daß Lotario in einer Schlacht gefallen, welche Monsieur de Lautrec dem »Großen Feldhauptmann« Gonzalo Fernández de Córdoba im Königreich Neapel geliefert; dorthin hatte sich der zu spät bereuende Freund gewendet. Als Camila dies erfuhr, legte sie das Gelübde ab und hauchte kurz darauf unter der Last des Kummers und des Trübsinnes ihr Leben aus. Dies war das Ende, das allen wurde, ein Ende, wie es aus einem so wahnwitzigen Anfang kommen mußte.

»Die Novelle gefällt mir wohl«, sprach der Pfarrer, »aber ich kann nicht glauben, daß es eine wahre Geschichte ist; und wenn sie erdichtet ist, so hat der Verfasser schlecht gedichtet; denn man kann sich nicht vorstellen, daß ein Ehemann so töricht sein kann, eine so kostspielige Probe wie Anselmo anstellen zu wollen. Wenn der Fall zwischen einem Liebhaber und seiner Geliebten vorgekommen wäre, so könnte man ihn zugeben; aber zwischen Mann und Frau hat er etwas Unmögliches in sich. Was aber die Art und Weise betrifft, wie er erzählt wird, so bin ich damit gar nicht unzufrieden.«

36. Kapitel

Welches von andern merkwürdigen Begebnissen handelt, so sich in der Schenke begaben

Während man hierbei war, rief der Wirt, der an der Tür der Schenke stand: »Da kommen Leute, es ist ein prächtiger Trupp Gäste; wenn die hier einkehren, dann wird’s hoch hergehen!«

»Was für Leute sind es?« fragte Cardenio.

»Vier Herren«, antwortete der Wirt; »sie sitzen zu Pferde mit kurzgeschnalltem Bügel, mit Speeren und Tartschen und alle mit schwarzen Schleiern vor dem Gesicht, und mit ihnen kommt eine weißgekleidete Dame daher auf einem Saumsattel, ihr Gesicht ebenfalls verdeckt, und noch zwei Diener zu Fuß.«

»Sind sie noch weit?« fragte der Pfarrer.

»Sie werden gleich dasein«, antwortete der Wirt.

Als Dorotea das hörte, verschleierte sie ihr Gesicht, und Cardenio begab sich in Don Quijotes Gemach. Und beinahe hätten sie dazu keine Zeit mehr gehabt, als die vom Wirt genannten Personen schon allesamt in die Schenke einzogen. Die vier Reiter, vornehm an Aussehen und Haltung, stiegen ab und hoben die Dame vom Sattel; einer nahm sie in die Arme und setzte sie auf einen Stuhl, der am Eingang des Zimmers stand, wo sich Cardenio verborgen hatte. Während dieser ganzen Zeit hatten weder die Dame noch die Herren die Gesichtshüllen abgelegt noch ein Wort gesprochen. Nur stieß die Dame beim Niederlassen auf den Stuhl einen tiefen Seufzer aus und ließ wie krank und erschöpft die Arme sinken. Die Diener, die zu Fuß gekommen waren, führten die Pferde in den Stall.

Der Pfarrer, der dies alles bemerkte, war begierig, zu erfahren, wer die Leute in solchem Aufzug seien, die sich so schweigend verhielten, ging den Dienern nach und befragte einen von ihnen um die Auskunft, die ihm am Herzen lag. Der aber antwortete ihm: »So wahr mir Gott helfe, Señor, ich bin nicht imstande, Euch zu sagen, was für Leute es sind; ich weiß nur, daß sie wie sehr vornehme Leute auftreten, insonderheit jener, der zu der Dame, die Ihr gesehen habt, hinging und sie in die Arme nahm. Und das kommt mir deshalb so vor, weil die übrigen alle ihm mit Ehrerbietung begegnen und weil nichts andres geschieht, als was er anordnet und befiehlt.«

»Und wer ist die Dame?« fragte der Pfarrer.

»Das kann ich ebensowenig sagen«, antwortete der Diener, »denn auf dem ganzen Wege habe ich ihr Gesicht nicht erblickt; ächzen allerdings habe ich sie öfters hören und so tiefe Seufzer ausstoßen, als ob sie mit jedem die Seele aushauchen wollte. Es ist aber nicht zu verwundern, daß wir nicht mehr wissen; denn mein Kamerad und ich begleiten sie erst zwei Tage; wir trafen sie nämlich unterwegs, und da ersuchten und beredeten sie uns, mit ihnen bis nach Andalusien zu gehen, und boten uns sehr gute Bezahlung an.«

»Und habt Ihr einen von ihnen mit Namen nennen hören?« fragte der Pfarrer.

»Gewiß nicht«, antwortete der Diener, »sie gehen alle so schweigsam ihres Weges, daß es ein Wunder ist; man hört bei ihnen nichts als das Seufzen und Schluchzen der armen Dame, daß es uns zum Mitleid bewegt; und wir sind überzeugt, daß sie nur gezwungen mitreist, und soviel man aus ihrer Kleidung schließen kann, ist sie eine Nonne oder im Begriff, es zu werden, was das Wahrscheinlichere ist. Und vielleicht, weil sie das Klosterleben nicht aus eigner Neigung führt, ist sie so traurig, wie der Augenschein zeigt.«

»Das kann alles sein«, sagte der Pfarrer, ließ sie stehen und kehrte zu Dorotea zurück. Diese hatte die Verhüllte seufzen hören, und von angeborenem Mitgefühl bewegt, näherte sie sich ihr und sprach: »Was für ein Leiden fühlt Ihr, mein Fräulein? Bedenkt, ob es eins von denen ist, in deren Heilung wir Frauen Übung und Erfahrung besitzen; denn ich meinerseits biete Euch aufrichtig meine Dienste an.«

Auf all dieses blieb die betrübte Dame stumm, und wiewohl Dorotea ihr Erbieten dringender wiederholte, verharrte sie fortwährend in ihrem Stillschweigen, bis der verlarvte Herr, von dem der Diener gesagt, daß die andern ihm gehorchten, herzutrat und zu Dorotea sprach: »Quält Euch nicht damit, Señora, diesem Weibe irgend etwas anzubieten; denn sie hat die Gewohnheit, nichts, was man für sie tut, dankbar aufzunehmen. Bemühet Euch auch nicht, eine Antwort von ihr zu erlangen, wenn Ihr nicht eine Lüge aus ihrem Munde hören wollet.«

»Niemals habe ich eine solche gesagt«, sprach jetzt die Dame, die bis dahin im Schweigen verharrt hatte, »im Gegenteil, weil ich so wahrheitsliebend und allen lügenhaften Anschlägen fremd bin, sehe ich mich jetzt in so großem Unglück; und zu dessen Zeugen will ich Euch selbst nehmen, da gerade meine reine Wahrheitsliebe Euch zum falschen Lügner gemacht hat.«

Diese Worte vernahm Cardenio deutlich und genau, da er sich so nahe bei der Dame befand, daß nur die Türe von Don Quijotes Kammer zwischen beiden war; und sobald er sie hörte, schrie er laut und rief: »So helfe mir Gott! Was hör ich? Welche Stimme dringt mir ins Ohr?«

Bei diesem Ausruf wandte die Dame den Kopf in jähem Schrecken, und da sie nicht sah, wer da gerufen, stand sie auf und wollte in die Kammer hinein; doch als der fremde Herr dies sah, hielt er sie zurück und ließ sie keinen Schritt von der Stelle tun. In der Verwirrung und Aufregung fiel der Schleier von Taft, mit dem sie das Gesicht verdeckt hatte, und es zeigte sich eine unvergleichliche Schönheit, ein Antlitz von wunderbarem Reiz, obschon bleich und angstvoll, da sie ihre Augen überall, wohin ihr Blick reichte, mit solcher Hast umherrollen ließ, daß sie wie von Sinnen schien. Diese schmerzlichen Gebärden, deren Veranlassung niemand wußte, erregten tiefes Mitleid in Dorotea wie in allen, die den Blick auf sie gerichtet hatten. Der fremde Herr hatte sie fest an den Schultern gefaßt, und da er vollauf damit zu tun hatte, sie zu halten, so konnte er seine herabgleitende Larve nicht wieder hinaufschieben; sie fiel ihm ganz und gar vom Gesicht. Als nun Dorotea, welche die Dame mit den Armen umschlungen hatte, die Augen erhob, sah sie, daß der Mann, der die Dame gleichfalls umschlossen hielt; ihr Gemahl Don Fernando war; und kaum hatte sie ihn erkannt, als sie aus dem innersten Herzen ein langes, schmerzliches »Ach!« ausstieß und in Ohnmacht rückwärts niedersank. Und hätte nicht der Barbier nahe dabeigestanden und sie in seinen Armen aufgefangen, so wäre sie zu Boden gestürzt. Der Pfarrer eilte sogleich herbei und nahm ihr den Schleier ab, um ihr Wasser ins Gesicht zu spritzen; und sobald er sie entschleierte, wurde sie von Don Fernando erkannt; denn er war es wirklich, der die andre Dame umfaßt hielt. Er blieb wie leblos bei dem Anblick, doch ohne deshalb Luscinda loszulassen; ja, Luscinda war es, die sich mühte, sich seinen Armen zu entwinden. Sie hatte Cardenio an seinem Aufschrei erkannt und er nicht minder sie. So hatte auch Cardenio Doroteas »Ach!« gehört; er glaubte, es sei seine Luscinda, stürzte angstvoll aus der Kammer, und das erste, was er sah, war Don Fernando, der Luscinda in den Armen hielt. Don Fernando erkannte ebenfalls Cardenio auf der Stelle, und alle drei, Luscinda, Cardenio und Dorotea, blieben stumm und starr, fast ohne zu wissen, was ihnen begegnet war.

Alle schwiegen, und alle blickten staunend aufeinander, Dorotea auf Don Fernando, Don Fernando auf Cardenio, Cardenio auf Luscinda und Luscinda auf Cardenio. Aber wer zuerst das Stillschweigen brach, war Luscinda, die zu Don Fernando folgendermaßen sprach: »Lasset mich, Señor Don Fernando, um der Rücksicht willen, die Ihr Eurem eignen Selbstgefühl schuldig seid, wenn Ihr es um keiner andern Rücksicht willen tun wollt, laßt mich an die Mauer mich lehnen, deren Efeu ich bin; laßt mich hin zu der Stütze, von der mich Eure Zudringlichkeiten, Eure Drohungen, Eure Versprechungen, Eure Geschenke nicht wegzureißen vermochten! Seht und merkt Euch, wie der Himmel auf ungewöhnlichen und unserm Blicke verborgenen Pfaden mir meinen wahren Gemahl vor die Augen geführt hat. Auch wißt Ihr aus tausendfachen kostspieligen Erfahrungen, daß der Tod allein imstande wäre, ihn aus meinem Gedächtnis auszumerzen. So mögen denn diese Enttäuschungen, die Euch geworden, bewirken, daß Ihr – wenn Ihr Euch zu nichts anderem aufraffen könnt – die Neigung in Groll und die Liebe in Haß verwandelt, und in diesem Groll nehmt mir das Leben, und wenn ich es vor den Augen meines lieben Gatten ende, so halte ich es für gut angewendet. Vielleicht wird ihn mein Tod von der Treue überzeugen, die ich ihm bis zum letzten Augenblick meines Daseins bewahrt habe.«

Inzwischen war Dorotea wieder zu sich gekommen, hatte Luscindas Äußerungen alle angehört und aus denselben ersehen, wer die Dame war. Als sie nun bemerkte, daß Don Fernando noch immer Luscinda nicht aus seinen Armen ließ und auf deren Worte nichts erwiderte, nahm sie alle Kraft zusammen, erhob sich, eilte zu ihm hin und warf sich auf die Knie vor ihm nieder und begann, einen Strom so reizender wie schmerzvoller Tränen vergießend, so zu ihm zu sprechen; »Wenn nicht etwa, o mein Gebieter, die Strahlen dieser Sonne, die du jetzt verfinstert in deinen Armen hältst, die Strahlen deiner Augen verdunkeln und löschen, wirst du bereits bemerkt haben, daß das Weib, das zu deinen Füßen kniend liegt, die unselige Dorotea ist, sie, die vom Glück verlassen ist, solange du es nicht anders willst. Ich bin jenes demütige Landmädchen, das du aus Güte oder Neigung zu der Höhe erheben wolltest, daß sie sich die Deinige nennen durfte; ich bin jene, die, von den Schranken der Sittsamkeit umhegt, ein zufriedenes Leben lebte, bis sie auf die Stimme deiner ungestümen Bewerbung und deiner dem Anscheine nach redlichen und liebevollen Gesinnung hin die Pforten ihrer mädchenhaften Scheu auf tat und dir die Schlüssel ihrer Freiheit übergab: eine Gabe, für die du so schlechten Dank erwiesen, daß ich gezwungen bin, mich hier zu befinden und dich unter solchen Umständen wiederzusehen, wie ich dich hier sehe. Aber bei alledem möchte ich nicht, daß dir in den Sinn käme, ich sei etwa in ehrlosem Lebenswandel hierhergeraten, da mich doch nichts hergeführt hat als ein Lebenswandel voll Qualen, voll Schmerz darüber, daß ich mich von dir vergessen sah. Du, du hast gewollt, daß ich die Deine wurde, und du hast es mit solchem Ernste gewollt, daß du, wenn du auch nunmehr wolltest, ich wäre es nicht, unmöglich aufhören kannst, der Meinige zu sein. Bedenke, mein Gebieter, für den hohen Reiz und Adel, um dessentwillen du mich verlassen hast, kann dir die Liebe sondergleichen, die ich dir widme, einen Ersatz bieten. Du kannst der schönen Luscinda nicht angehören, weil du mir angehörst, und sie kann nicht die Deine sein, weil sie Cardenios Gattin ist. Und es wird dir leichter fallen, wenn du es wohl erwägst, daß du deinem Willen gebietest, die zu lieben, die dich anbetet, als daß du jene, die dich verabscheut, vermögen kannst, dich wahrhaft zu lieben. Du, du hast meine Unerfahrenheit umgarnt, du hast mein reines Gemüt mit Bitten bedrängt; mein Stand war dir nicht unbekannt; du weißt wohl, unter welchen Bedingungen ich mich deinem Willen ergab; es bleibt dir weder Grund noch Vorwand, dich für hintergangen zu erklären. Und wenn dem so ist – und es ist so! – und wenn du ein ebenso guter Christ als Edelmann bist, warum gehst du so krumme Wege und zögerst, mich auch am Ende glücklich zu machen, wie du mich am Anfang glücklich gemacht hast? Und liebst du mich nicht als das, was ich bin, als deine wirkliche und rechtmäßige Gemahlin, dann darfst du mich wenigstens als deine Sklavin lieben und bei dir aufnehmen. Wenn ich in deiner Gewalt bin, will ich mich selig und beglückt schätzen. Gib nicht zu, wenn du mich verstößt und schutzlos lassest, daß alsdann die Leute auf der Straße zusammenstehen und meine Ehre mit böser Nachrede verfolgen; bereite nicht meinen greisen Eltern ein so trauriges Alter; denn die redlichen Dienste, die sie den Deinigen als treue Untertanen geleistet, verdienen nicht solchen Lohn. Und wenn du glaubst, du würdest dein Blut durch Vermischung mit dem meinigen verunehren, so bedenke, daß es selten oder nie einen Adel gibt, dem nicht das nämliche geschehen wäre, und daß ein Adel, der sich von den Frauen herleiten ließe, bei erlauchten Geschlechtern nicht in Betracht gezogen wird; zumal der wahre Adel nur in der Tugend besteht. Und wenn diese dir fehlt, weil du mir verweigerst, was du mir nach allem Rechte schuldest, dann habe ich die Vorzüge des Adels in weit höherem Maße als du. Endlich, Señor, und das ist das letzte, was ich dir sage: ob du nun willst oder nicht willst, ich bin deine Gemahlin; dessen Zeugen sind deine Worte, die nicht lügen werden und nicht lügen dürfen, wenn du wirklich das an dir hochachtest, um dessentwillen du mich mißachtest; Zeuge ist die Unterschrift, die du mir gegeben, und Zeuge der Himmel, den du selbst zum Zeugen deiner Versprechungen aufgerufen. Und wenn alle diese Zeugnisse fehlen sollten, so wird doch dein Gewissen nicht verfehlen, inmitten deiner Freuden schweigend zu reden; es wird für diese Wahrheiten, die ich dir gesagt, in die Schranken treten und deine besten Genüsse und Wonnen dir zerstören.«

Diese und ähnliche Worte mehr sprach die betrübte Dorotea in so tiefem Schmerz und mit so viel Tränen, daß alle Anwesenden, selbst die Begleiter Don Fernandos, mit ihr weinen mußten. Don Fernando hörte sie an, ohne ihr ein Wort zu erwidern, bis sie zu reden aufhörte und so zu seufzen und zu schluchzen begann, daß das Herz wohl von Erz sein mußte, das nicht von den Äußerungen so tiefen Schmerzes gerührt worden wäre. Luscinda stand da und schaute sie an, ob ihres Kummers so voll Mitleid wie voll Verwunderung ob ihres Verstandes und ihrer Schönheit. Und wiewohl sie gern auf sie zugegangen wäre, um ihr einige tröstende Worte zu sagen, so ließen Don Fernandos Arme sie nicht los, die sie noch immer festhielten, Aber endlich öffnete er in Verwirrung und Aufregung, nachdem er geraume Zeit und mit gespannter Aufmerksamkeit Doroteen ins Gesicht gesehen, die Arme, ließ Luscinda frei und sprach: »Du hast gesiegt, schöne Dorotea, du hast gesiegt; niemand kann das Herz haben, so viele zusammenwirkende Wahrheiten abzuleugnen.«

Luscinda, noch schwach von der Ohnmacht, die sie befallen hatte, war im Begriff, zu Boden zu sinken, als Don Fernando sie freiließ; allein Cardenio, der in der Nähe geblieben und sich hinter Don Fernando gestellt hatte, damit dieser ihn nicht erkenne, setzte nun alle Besorgnis beiseite, wagte es auf alle Gefahr hin, ihr zu Hilfe zu kommen, um sie aufrechtzuerhalten, faßte sie in seine Arme und sprach: »Wenn der barmherzige Himmel es will, daß du endlich Erholung und Ruhe findest, du meine getreue, beständige, schöne Gebieterin, so wirst du sie nirgends, glaube ich, sicherer finden als in diesen Armen, die dich jetzt umfangen und dich schon in früheren Tagen umschlossen haben, als das Schicksal es mir noch gewährte, dich die Meine nennen zu dürfen.«

Bei diesen Worten richtete Luscinda ihre Augen auf Cardenio. Zuerst hatte sie ihn an der Stimme zu erkennen geglaubt, jetzt überzeugte sie sich durch den Anblick, daß er es sei, und fast ganz von Sinnen, und ohne irgendwelche Rücksicht des Anstands zu beachten, schlang sie ihm die Arme um den Hals, lehnte ihr Gesicht an das seine und sprach zu ihm: »Ja, Ihr, Señor, Ihr seid der wahre Herr dieses Herzens, das in Euren Banden liegt, ob auch das feindliche Schicksal es noch so sehr verwehren will und ob man auch noch so sehr dies Leben bedrohe, das nur aus Eurem seine Kraft erhält.«

Ein überraschendes Schauspiel war dies für Don Fernando und für alle Umstehenden, die ob eines so unerhörten Ereignisses voller Verwunderung dastanden. Dorotea kam es vor, als sei alle Farbe aus Don Fernandos Antlitz gewichen und als mache er Miene, an Cardenio Rache zu nehmen; denn sie sah, wie er die Hand bewegte, um sie ans Schwert zu legen; doch kaum war ihr dieser Gedanke gekommen, so schlang sie mit unglaublicher Schnelligkeit die Arme um seine Knie, küßte sie und drückte ihn so fest an sich, daß sie ihm keine Bewegung gestattete, und mit Tränen in den Augen sprach sie zu ihm: »Was nun gedenkst du zu tun, du meine einzige Zuflucht, im Drange dieses so unerwarteten Zusammentreffens? Du hast zu deinen Füßen deine Gattin; die aber, die du zur Gattin begehrst, sie ist in den Armen ihres Gemahls. Bedenke, ob es dir wohl ansteht oder ob es dir überhaupt möglich ist, ungeschehen zu machen, was durch des Himmels Fügung geschehen ist, oder ob es dir nicht geziemt, diejenige zu gleicher Höhe mit dir zu erheben, die, alle Hindernisse beiseite setzend, bewährt in ihrer Treue und Beständigkeit, vor deinen Augen die ihrigen in liebevollen Tränen badet und damit Gesicht und Brust ihres Gemahls benetzt. So wahr Gott unser Gott ist, bitte ich dich, und so wahr du ein Edelmann bist, flehe ich dich an, laß diese offenkundige Enttäuschung deinen Groll nicht stärker entfachen, sondern ihn so völlig beschwichtigen, daß du in Ruhe und Frieden diesem Liebespaar gestattest, Ruhe und Frieden zu genießen, solange der Himmel sie ihnen vergönnen will. Dadurch wirst du zeigen, wie hochherzig dein erlauchtes edles Gemüt ist; daran wird die Welt ersehen, daß die Vernunft über dich mehr Gewalt hat als die Leidenschaft.«

Während Dorotea so sprach, hielt Cardenio noch immer Luscinda in den Armen, ohne jedoch Don Fernando aus den Augen zu lassen, fest entschlossen, bei der geringsten gefährlichen Bewegung mit Verteidigung und Angriff so nachdrücklich als möglich gegen jeden vorzugehen, der sich ihm feindlich erweise, und sollte es ihn selbst auch das Leben kosten. Aber in diesem Augenblick schlugen sich Don Fernandos Freunde ins Mittel, ebenso der Pfarrer und der Barbier, die bei allem zugegen gewesen, und selbst der gute Kerl von Sancho fehlte nicht dabei, und alle umringten Don Fernando und baten ihn, er möge doch endlich auf Doroteas Tränen Rücksicht nehmen; und da doch alles wahr sei, was sie vorgebracht habe, so möge er nicht zugeben, daß sie sich um ihre so ganz gerechten Hoffnungen betrogen sähe; er möchte erwägen, daß sie sich alle nicht zufällig, wie es den Anschein habe, sondern durch besondere Fügung des Himmels an einem Ort zusammengefunden, wo es gewiß keiner erwartet hätte. Auch möge er wohl bedenken, sagte der Pfarrer, daß der Tod allein Luscinda von Cardenio scheiden könne und daß sie, wenn selbst die Schneide eines Schwertes sie trennen sollte, ihren Tod für höchstes Glück erachten würden; in Fällen, wo nichts zu andern stehe, sei es die höchste Weisheit, mit Bezähmung des eignen Willens und Selbstüberwindung ein edles Herz zu zeigen. Er möge den beiden freiwillig ein Glück zugestehen, das ihnen der Himmel vergönnt habe. Auch möge er die Blicke auf Doroteas Schönheit richten, und da werde er sehen, daß es wenige oder keine Reize gebe, die den ihrigen gleichzukommen, viel weniger sie zu übertreffen vermöchten; zudem verbinde sie mit ihrer Schönheit demütigen Sinn und unbegrenzte Liebe zu ihm. Vor allem aber möge er wohl beachten, daß er als Edelmann und Christ nicht anders könne, als ihr das gegebene Wort zu erfüllen, und wenn er es erfülle, so werde er damit seine Pflicht gegen Gott erfüllen und den Beifall aller Verständigen erlangen, die da wohl wissen und erkennen, daß die Schönheit, auch wenn sie sich bei einem Mädchen von geringem Stande findet, das Vorrecht besitzt, falls sie nur mit Sittsamkeit gepaart ist, sich zu jeder Höhe zu erheben, ohne daß die Ehre dessen darunter leide, der sie emporhebe und auf gleiche Stufe mit sich selbst stelle. Und wenn den allmächtigen Geboten der Neigung gehorcht wird, so kann, wofern nur nichts Sündliches hinzukommt, der keinen Tadel verdienen, der ihnen Folge leistet.

Nun fügten sie alle zu diesen Gründen noch andere und so überzeugende hinzu, daß Don Fernandos starkes Herz, da es in der Tat edlen Blutes war, weich wurde und sich von der Wahrheit überwinden ließ, die er nicht leugnen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Und zum Beweis, daß er dem erteilten guten Rate sich gefügt und völlig ergeben habe, beugte er sich nieder, umarmte Dorotea und sprach zu ihr: »Erhebet Euch, meine Gebieterin, denn es gebührt sich nicht, daß die zu meinen Füßen kniet, die ich im Herzen trage. Und wenn ich das, was ich sage, bis jetzt nicht durch die Tat bewiesen habe, so geschah es vielleicht nach dem Gebote des Himmels, damit ich recht ersehen sollte, mit welcher Treue Ihr mich liebt, und darum Euch so hoch schätzen lernte, wie Ihr es verdient. Was ich von Euch erbitte, ist, daß Ihr meine Härte und meine Vernachlässigung mir nicht zum Vorwurfe macht; denn die nämliche Ursache, die nämliche Gewalt, die mich jetzo vermochte, Euch als die Meinige anzuerkennen, die nämliche hatte mich vorhin dahin gebracht, daß ich der Eurige nicht mehr sein wollte. Und um zu erkennen, wie wahr dies ist: wendet Euch dorthin und schaut der jetzt glücklichen Luscinda in die Augen, und in ihnen werdet Ihr die Entschuldigung finden für all meine Verirrungen. Und da Luscinda gefunden und erlangt hat, was sie ersehnte, und ich in Euch gefunden habe, was mich beglückt, so möge sie gesichert und zufrieden lange beseligte Jahre mit ihrem Cardenio leben, und ich will den Himmel bitten, daß er sie mich mit meiner Dorotea verleben lasse.«

Und mit diesen Worten umarmte er sie aufs neue und preßte sein Antlitz an das ihrige, so bewegt von inniger Herzensempfindung, daß er sich große Gewalt antun mußte, um nicht mit hervorbrechenden Tränen zweifellose Beweise seiner Liebe und Reue zu geben. Doch Luscindas und Cardenios Tränen wollten sich nicht in solcher Weise zurückhalten lassen und ebenso die fast aller andern Anwesenden, die nun begannen, ihrer so viele zu vergießen, die einen über ihr eignes, die andern über fremdes Glück, daß es nicht anders aussah, als hätte sie alle ein schweres und trauriges Ereignis betroffen. Sancho weinte, wiewohl er nachher sagte, er weine nur, weil er gesehen, daß Dorotea nicht, wie er geglaubt, die Königin Míkomikona sei, von der er so viele Gnaden erhofft habe.

Zu der Rührung gesellte sich bei allen das Staunen und hielt eine Zeitlang an. Dann warfen sich Cardenio und Luscinda vor Don Fernando auf die Knie und dankten ihm für die Güte, die er ihnen erwiesen, mit so wohlbemessenen Worten, daß Don Fernando nicht wußte, was er ihnen antworten sollte. Und so hob er sie vom Boden auf und umarmte sie mit Zeichen größter Freundschaft und höchstem Anstand. Dann bat er Dorotea, ihm zu sagen, wie sie an diesen Ort gekommen, der so fern von dem ihrigen sei. Mit kurzen und verständigen Worten berichtete sie alles, was sie vorher Cardenio erzählt hatte, und Don Fernando und seine Begleiter fanden so viel Gefallen daran, daß sie der Erzählung eine weit längere Dauer gewünscht hätten, mit so großer Anmut wußte Dorotea ihre Erlebnisse zu schildern.

Sobald sie geendet hatte, erzählte Don Fernando, was ihm in der Stadt seit der Zeit begegnet war, als er in Luscindas Busen den Brief fand, in dem sie erklärte, Cardenios Gattin zu sein und die seinige nicht werden zu können. Er sagte, er habe sie töten wollen und hätte es auch sicher getan, wenn ihn ihre Eltern nicht zurückgehalten hätten. So sei er denn aus ihrem Hause voll Grimm und Erbitterung fortgeeilt, entschlossen, bei besserer Gelegenheit Rache zu nehmen. Am folgenden Tage habe er erfahren, daß Luscinda aus dem Haus ihrer Eltern verschwunden sei, ohne daß jemand wußte, wohin sie gegangen; zuletzt jedoch habe er nach einigen Monaten erfahren, sie befinde sich in einem Kloster und sei willens, ihr ganzes Leben, wenn sie es nicht an Cardenios Seite verbringen könne, darin zu bleiben. Sobald er dies vernommen, habe er diese drei Edelleute zu seiner Begleitung erlesen und sich an Luscindas Aufenthaltsort begeben; jedoch habe er nicht versucht, sie zu sprechen, weil er besorgte, man werde im Kloster strengere Wachsamkeit üben, sobald man wisse, daß er sich dort befinde. So habe er gewartet, bis eines Tags die Klosterpforte offenstand, habe zwei von seinen Begleitern zur Bewachung der Tür zurückgelassen und sei mit dem dritten ins Kloster gedrungen, um Luscinda zu suchen; sie hätten sie im Kreuzgang im Gespräch mit einer Nonne gefunden und sie im Nu fortgeschleppt, ohne ihr einen Augenblick Besinnung zu lassen, und seien mit ihr zu einer Ortschaft gelangt, wo sie sich mit allem versorgten, was erforderlich war, um sie weiter mitzunehmen.

Dies alles hätten sie mit vollster Sicherheit ausführen können, weil das Kloster im freien Felde, eine gute Strecke von der Stadt entfernt, lag. Er erzählte dann, sobald Luscinda sich in seiner Gewalt gesehen, habe sie alle Besinnung verloren, und als sie wieder zu sich gekommen, habe sie nichts als geweint und geseufzt und kein Wort gesprochen. So seien sie im Geleite des Stillschweigens und Weinens zu dieser Schenke gekommen, die für ihn geradeso sei, als wäre er in den Himmel gekommen, wo alles Mißgeschick der Erde schwinde und sein Ende finde.

32. Kapitel

Welches berichtet, wie es der gesamten Gefolgschaft Don Quijotes in der Schenke erging

Das vortreffliche Mahl war beendet, sie sattelten ihre Tiere, und ohne daß ihnen etwas Erzählenswertes begegnete, gelangten sie des folgenden Tages zu der Schenke, dem Schrecken und Entsetzen Sancho Pansas; und wiewohl er sie am liebsten nicht betreten hätte, so konnte er es doch nicht vermeiden. Die Wirtin, der Wirt und Maritornes, die Don Quijote und Sancho kommen sahen, gingen ihnen entgegen und begrüßten sie mit großen Freudenbezeigungen; er empfing sie mit würdiger Haltung und Billigung ihres Gebarens und sagte ihnen, sie möchten ihm ein besseres Nachtlager als das letztemal bereiten; worauf ihm die Wirtin antwortete, falls er sie besser als neulich bezahle, würden sie ihm ein fürstliches Bett geben. Don Quijote erwiderte, das wolle er tun, und so bereiteten sie ihm ein erträgliches Bett auf demselben Dachboden wie damals. Er legte sich sogleich nieder, denn er war wie zerschlagen und seiner Sinne nicht mächtig.

Kaum hatte er sich eingeschlossen, so fiel die Wirtin über den Barbier her, packte ihn am Barte und sprach: »Bei meiner Seelen Seligkeit, Ihr sollt mir nicht länger meinen Farrenschwanz zu Eurem Bart gebrauchen. Ihr müßt mir meinen Schweif wiedergeben; denn meinem Manne fährt seine Sache hier auf dem Boden herum, daß es eine Schande ist; ich meine sein Kamm, den ich sonst immer an meinen schönen Schwanz angesteckt habe.«

Der Barbier wollte ihn nicht lassen, so stark sie auch zog, bis der Lizentiat ihm zuredete, er solle ihn doch hergeben, es sei nicht länger nötig, sich dieses Kunstgriffs zu bedienen; vielmehr solle er sich offen in seiner eigenen Gestalt zeigen und Don Quijote sagen, nachdem ihn die spitzbübischen Galeerenzüchtlinge ausgeraubt, habe er sich in diese Schenke geflüchtet. Und wenn etwa der Ritter nach dem Knappen der Prinzessin fragen sollte, so würden sie ihm sagen, sie habe ihn vorausgeschickt, um den Leuten in ihrem Königreich Nachricht zu geben, daß sie komme und den Befreier aller mitbringe.

Darauf gab der Barbier der Wirtin den Farrenschwanz gern zurück, und man erstattete ihr auch alle übrigen Gegenstände wieder, die sie zur Befreiung Don Quijotes hergeliehen hatte.

Höchlich verwunderten sich alle in der Schenke über Doroteas Schönheit und nicht minder über das stattliche Aussehen des als Hirtenjunge gekleideten Cardenio. Der Pfarrer ordnete an, man solle ihnen zum Essen bereiten, was in der Schenke vorrätig sei, und der Wirt, in Hoffnung besserer Bezahlung, bereitete ihnen ein leidliches Mittagsmahl. Währenddessen schlief Don Quijote noch immer, und sie waren der Meinung, man solle ihn nicht wecken, weil es ihm für jetzt zuträglicher sei, zu schlafen, als zu essen.

Während der Mahlzeit sprachen sie in Gegenwart des Wirts, seiner Frau, seiner Tochter, der Maritornes und aller Reisenden über die seltsame Narrheit Don Quijotes und über den Zustand, in dem sie ihn gefunden hatten. Die Wirtin erzählte, was ihnen mit dem Ritter und dem Maultiertreiber begegnet war; dann sah sie sich um, ob Sancho etwa zugegen wäre, und als sie ihn nicht erblickte, erzählte sie die ganze Geschichte, wie er gewippt worden, was ihnen nicht wenig Spaß machte.

Als aber der Pfarrer sagte, die Ritterbücher, welche Don Quijote gelesen, hätten ihn verrückt gemacht, sprach der Wirt: »Ich weiß nicht, wie das sein kann, denn in Wahrheit, wie ich die Sache verstehe, gibt es nichts Besseres auf der Welt zu lesen. Ich habe hier ihrer zwei oder drei mit noch andern Papieren, die haben mir wahrhaftig frische Lebenslust geschenkt, und nicht nur mir, sondern vielen andern. Denn zur Erntezeit kommen an den Festtagen viele Schnitter, hier zu herbergen, und immer ist einer dabei, der lesen kann. Der nimmt eins von den Büchern zur Hand, wir sind zu mehr als dreißig um ihn herum, und wir sitzen und stehen da und hören ihm mit so viel Vergnügen zu, daß es uns ordentlich jünger macht. Wenigstens was mich betrifft, muß ich sagen, wenn ich die schrecklichen Hiebe beschreiben höre, welche die Ritter austeilen, packt mich die Lust, es ebenso zu machen, und ich möchte Tag und Nacht davon hören.«

»Ich ganz ebenso«, sprach die Wirtin, »denn ich habe nie einen so ruhigen Augenblick in meinem Hause als in der Zeit, wo Ihr vorlesen hört; da seid Ihr so in die Narretei versunken, daß Ihr nicht ans Zanken denkt.«

»Ja, so ist’s«, sagte Maritornes. »Und weiß Gott, auch ich höre all die Sachen gern, sie sind gar hübsch, und besonders wenn da erzählt wird, wie die Dame unter Orangenbäumen sitzt und sie und ihr Ritter sich in den Armen halten und wie ihre Hofmeisterin derweilen Wache steht, halbtot vor Neid und in großer Bangigkeit. Das alles ist süß wie Honig.«

»Und was dünkt Euch davon, junges Mägdlein?« sagte der Pfarrer zur Haustochter.

»Ich weiß es meiner Seelen nicht«, antwortete sie. »Ich höre auch mit zu, und wirklich, wenn ich es auch nicht verstehe, so hab ich doch mein Vergnügen am Zuhören. Indessen die Hiebe, an denen mein Vater Gefallen findet, die mag ich nicht, wohl aber das Wehklagen, das die Ritter vollführen, wenn sie von ihren Geliebten fern sind, und wahrlich, sie bringen mich manchmal zum Weinen vor lauter Mitleid, das ich mit ihnen habe.«

»Also würdet Ihr Euch wohl ihrem Wehe hilfreich erweisen, junges Mägdlein«, sprach Dorotea, »wenn ihre Tränen um Euch flössen?«

»Ich weiß nicht, was ich da tun würde«, antwortete das Mädchen. »Ich weiß nur, es sind etliche solcher Damen so grausam, daß ihre Ritter sie Tigerinnen heißen und Löwinnen und tausend andre Scheußlichkeiten. O Jesus! Ich weiß nicht, was das für herzlose, gewissenlose Frauenzimmer sind, die, um nur einem Ehrenmann keinen Blick zu schenken, ihn sterben oder verrückt werden lassen; ich weiß nicht, was all diese Ziererei soll. Wenn sie so auf ihre Ehre halten, so brauchen sie ja nur ihre Ritter zu heiraten, die wünschen gar nichts andres.«

»Schweig, Kind«, sprach die Wirtin, »es scheint, du weißt zuviel von diesen Dingen. Es schickt sich nicht für Mädchen, so viel zu wissen und zu reden.«

»Da der Herr hier mich gefragt hat«, entgegnete sie, »so mußte ich ihm doch antworten.«

»Nun gut«, sprach der Pfarrer, »bringt mir, Herr Wirt, jene Bücher her, ich will sie ansehen.«

»Sehr gern«, antwortete dieser, ging in sein Zimmer und brachte aus diesem einen alten, mit einem Kettchen verschlossenen Mantelsack. Der Pfarrer öffnete ihn und holte daraus drei große Bücher hervor nebst einigen Papieren in sehr guter Handschrift.

Das erste Buch, das; er aufschlug, war Don Cirongilio von Thrazien, das zweite Felixmarte von Hyrkanien, das dritte die Geschichte des großen Feldhauptmanns Don Gonzalo Hernández de Córdoba nebst dem Leben des Diego García de Paredes.

Als der Pfarrer die beiden ersten Titel las, wendete er sich zu dem Barbier um und sagte: »Hier fehlen uns jetzt die Haushälterin meines Freundes und seine Nichte.«

»Sie fehlen uns keineswegs«, erwiderte der Barbier, »denn auch ich bin imstande, sie in den Hof oder in den Kamin zu werfen, und wahrhaftig, in dem ist ein tüchtiges Feuer.«

»Also will Euer Gnaden meine Bücher verbrennen?« rief der Wirt.

»Nur diese zwei«, antwortete der Pfarrer, »das Buch von Don Cirongilio und das von Felixmarte.«

»Sind denn etwa«, fragte der Wirt, »meine Bücher Ketzer oder Phlegmatiker, daß Ihr sie verbrennen wollt?«

»Schismatiker wollt Ihr sagen, Freund«, bemerkte der Barbier, »nicht Phlegmatiker.«

»Meinetwegen«, erwiderte der Wirt. »Wenn Ihr aber durchaus eins verbrennen wollt, so nehmt das Buch vom großen Feldhauptmann und von jenem Diego García, denn eher laß ich meinen Sohn verbrennen als eins von diesen andern.«

»Lieber Freund«, versetzte der Pfarrer, »diese beiden Bücher enthalten nur Erdichtungen und sind voll von Narreteien und Unsinn. Das vom großen Feldhauptmann ist eine wahrhafte, wirkliche Geschichte und enthält die Erlebnisse des Gonzalo Hernández de Córdoba, der durch seine zahlreichen Großtaten sich würdig machte, in aller Welt der große Feldhauptmann genannt zu werden, ein ruhmvoller, strahlender Name, dessen kein andrer außer ihm sich würdig gemacht hat. Und dieser Diego García de Paredes war ein hochangesehener Ritter, gebürtig aus der Stadt Trujillo in Estremadura, einer der tapfersten Krieger und von solcher Körperkraft, daß er ein Mühlrad mitten im vollen Umschwung mit einem Finger aufhielt. Am Aufgang einer Brücke stellte er sich hin mit seinem zweihändigen Schwert und hielt ein ganzes unzählbares Heer vom Übergang ab. Er vollbrachte noch viel andre Taten, und wenn – statt daß er sie selbst mit der Bescheidenheit eines Ritters und eines Mannes, der sein eigener Chronist ist, erzählt und beschreibt – ein andrer frei von Rücksicht und leidenschaftslos sie beschrieben hätte, so würden sie die Taten des Hektor, Achilles und Roldán in Vergessenheit gebracht haben.«

»Das ist mir was Rechtes!« sprach der Wirt dagegen. »Das soll schon was sein, worüber Ihr Euch verwundert! Ein Mühlrad anzuhalten! Hilf Himmel, da sollte Euer Gnaden lesen, was ich vom Felixmarte von Hyrkanien gehört habe. Der hat mit einem einzigen Hieb fünf Riesen am Gürtel auseinandergehauen, als ob sie Männchen aus Bohnen wären, wie die Kinder sie ausschneiden. Ein andermal griff er ein ungeheures, gewaltiges Heer an, darin mehr als eine Million sechsmalhunderttausend Soldaten waren, alle von Kopf bis zu Fuß gerüstet, und er schlug sie alle in die Flucht, als wären’s Schafherden gewesen. Und was wollt Ihr mir erst von dem wackeren Don Cirongilio von Thrazien sagen! Der war so mannhaft und mutvoll, wie man es in dem Buch lesen kann, das berichtet, wie er auf einem Fluß hinschiffte, da erhob sich gegen ihn aus dem Wasser hervor eine feurige Schlange, und sobald er sie sah, sprang er auf sie los und setzte sich rittlings auf ihren schuppigen Rücken und drückte ihr mit beiden Händen die Kehle mit solcher Gewalt zusammen, daß die Schlange, da sie merkte, er sei im Begriff, sie zu erdrosseln, sich nicht anders zu helfen wußte, als in die Tiefe des Flusses zu tauchen, wobei sie den Ritter nach sich zog, da er sie durchaus nicht loslassen wollte. Und wie sie nun dort hinabkamen, sah er sich in einem Palast und in Gärten, alles so schön, daß es ein Wunder war. Und alsbald verwandelte sich die Schlange in einen greisen Alten, und der sagte ihm so vielerlei, daß nichts Herrlicheres zu erhören ist. Sagt nur nichts mehr, werter Herr; denn wenn Ihr das anhörtet, so würdet Ihr vor Entzücken von Sinnen kommen. Da pfeife ich auf den großen Feldhauptmann und jenen Diego García, wovon Ihr sprecht!«

Als Dorotea dies hörte, sprach sie leise zu Cardenio: »Wenig fehlt unserm Wirte daran, den zweiten Teil zum Don Quijote zu liefern.«

»So kommt es mir auch vor«, antwortete Cardenio. »Denn offenbar hält er es für sicher, daß alles, was seine Bücher erzählen, geradeso vor sich gegangen, wie sie es beschreiben, nicht um einen Punkt mehr noch minder, und kein Barfüßermönch würde ihn zu einem andern Glauben bringen.«

»Bedenket, guter Freund«, hub der Pfarrer wieder an, »daß es auf der Welt weder einen Felixmarte von Hyrkanien gegeben hat noch einen Don Cirongilio von Thrazien noch andre Ritter der Art, von denen die Ritterbücher erzählen. Denn all dieses ist Dichtung und Erfindung müßiger Geister, welche derlei Geschichten zu dem von Euch selbst erwähnten Zwecke schrieben, die Zeit zu verkürzen, gerade wie Eure Schnitter sie zum Zeitvertreib anhören. Ich schwör Euch in allem Ernste, nie hat es auf der Welt dergleichen Ritter gegeben, nie sind auf der Welt dergleichen Heldentaten und Ungereimtheiten vorgekommen.«

»Den Knochen einem andern Hund!« entgegnete der Wirt. »Als ob ich nicht bis fünf zählen könnte! Als ob ich nicht wüßte, wo mich der Schuh drückt! Ich bitt Euer Gnaden, haltet mich nicht für ein Wickelkind; denn bei Gott, ich bin nicht so dumm, wie ich aussehe. Nicht übel! Da wollen mir Euer Gnaden weismachen, alles, was diese herrlichen Bücher enthalten, sei Unsinn und Lüge, da doch alles mit Erlaubnis der Herren vom Königlichen Rate gedruckt ist. Als ob das die Leute dazu wären, so viel Lug und Trug allzusammen drucken zu lassen und so viel Schlachten und so viel Verzauberungen, daß es einem schier den Verstand benimmt.«

»Ich habe Euch schon gesagt, guter Freund«, erwiderte der Pfarrer, »daß dieses geschieht, um unsere müßigen Gedanken zu ergötzen. Und so, wie man in einem wohlgeordneten Gemeinwesen gestattet, Schach, Ball und Billard zu spielen, um Leute zu ergötzen, die nicht arbeiten wollen oder dürfen oder können, so erlaubt man den Druck solcher Bücher, weil man glaubt, wie es auch wirklich der Fall ist, daß niemand so unwissend sein wird, um irgendeine der Geschichten in diesen Büchern für Wahrheit zu halten. Und wenn es mir jetzo vergönnt wäre und die Zuhörer es begehren sollten, so würde ich über das, was die Ritterbücher enthalten müßten, um gute Bücher zu sein, manches sagen, was vielleicht einem und dem andern zum Nutzen, ja, auch zum Vergnügen gereichen möchte. Allein ich hoffe, es wird die Zeit kommen, wo ich es jemandem mitteilen kann, der die Macht hat, dem Übel zu steuern. Inzwischen aber glaubt nur, Herr Wirt, was ich Euch gesagt habe. Nehmt Eure Bücher und seht, wie Ihr Euch mit ihren Wahrheiten oder Lügen abfindet. Mögen sie Euch wohl bekommen, und Gott gebe, daß Ihr nicht einstens an demselben Karren zu ziehen habt wie Euer Gast Don Quijote.«

»Das nicht«, erwiderte der Wirt. »Ich werde kein solcher Narr sein, ein fahrender Ritter zu werden. Denn das seh ich wohl, jetzt ist nicht mehr Brauch, was es in jener Zeit war, als noch, wie erzählt wird, jene ruhmvollen Ritter durch die Welt zogen.«

Bei der zweiten Hälfte dieser Unterhaltung war Sancho zugegen, und er wurde bestürzt und sehr bedenklich, als er sagen hörte, die fahrenden Ritter seien jetzt nicht mehr bräuchlich und alle Ritterbücher seien Ungereimtheiten und Lügen. Er nahm sich in seinem Geiste vor abzuwarten, wie diese Fahrt seines Herrn ablaufen würde, und beschloß, wenn sie nicht mit dem glücklichen Erfolg ausginge, den er sich erhoffte, ihn zu verlassen und zu Frau und Kindern und zu seiner gewohnten Arbeit zurückzukehren.

Der Wirt war im Begriff, den Mantelsack und die Bücher fortzunehmen; da sagte ihm jedoch der Pfarrer: »Wartet noch, ich will sehen, was das für Papiere sind, die eine so gute Handschrift zeigen.«

Der Wirt holte sie hervor und gab sie dem Pfarrer zu lesen. Dieser sah, daß es ungefähr acht Bogen in Handschrift waren, welche obenan in großen Buchstaben einen Titel trugen, der da lautete: Novelle vom törichten Vorwitz. Der Pfarrer las drei oder vier Zeilen still für sich und sprach: »In der Tat, der Titel dieser Novelle gefällt mir nicht übel, und ich habe Lust, sie ganz zu lesen.«

Darauf antwortete der Wirt: »Gewiß darf Euer Ehrwürden sie lesen; denn ich sage Euch, sie hat etliche Gäste, die sie hier gelesen haben, sehr befriedigt, und sie haben mich sehr darum gebeten; aber ich wollte sie ihnen nicht geben, da ich sie dem Herrn wiederzuerstatten gedenke, der den Mantelsack mit diesen Büchern und Papieren hier vergessen hat. Es kann ja sein, daß er einmal wiederkommt. Und obschon ich weiß, daß die Bücher mir sehr fehlen werden, so will ich, auf mein Wort, sie ihm doch wiedergeben. Denn wiewohl ein Wirt, bin ich doch ein guter Christ.«

»Ihr habt sehr recht, guter Freund«, versetzte der Pfarrer. »Aber trotzdem, wenn die Novelle mir gefällt, müßt Ihr mich sie abschreiben lassen.«

»Sehr gern«, erwiderte der Wirt.

Während die beiden so miteinander redeten, hatte Cardenio die Novelle genommen und darin zu lesen angefangen; und da er ebenso über sie urteilte wie der Pfarrer, bat er diesen, sie laut vorzulesen, damit alle sie hören könnten.

»Gewiß würde ich sie vorlesen«, sagte der Pfarrer, »wenn es nicht besser wäre, die Zeit jetzt aufs Schlafen statt aufs Lesen zu verwenden.«

»Für mich«, sprach Dorotea, »wäre eine Erzählung schon genügsame Erholung. Denn noch ist mein Geist nicht so weit beruhigt, daß er mir zu schlafen gestattete, wenn es vernünftig wäre, es zu tun.«

»Demnach also«, sprach der Pfarrer, »will ich sie vorlesen, sei es auch nur, um etwas Neues zu hören; vielleicht wird sie bei dem Neuen auch einiges Ergötzliche bieten.«

Meister Nikolas seinerseits bat ihn ebenfalls darum, und nicht minder Sancho. Als der Pfarrer dies sah, und da er voraussetzen durfte, ihnen allen ein Vergnügen zu bereiten und es selbst mitzugenießen, so sagte er: »Da dem so ist, so hört mir alle aufmerksam zu. Die Novelle beginnt folgendermaßen.«

33. Kapitel

Worin die Novelle vom törichten Vorwitz erzählt wird

In Florenz, einer reichen und berühmten Stadt Italiens, im Großherzogtum Toskana, lebten Anselmo und Lotario, zwei reiche, vornehme Edelleute, die so miteinander befreundet waren, daß sie von allen ihren Bekannten statt mit ihren Eigennamen vorzugsweise »die beiden Freunde« genannt wurden. Sie waren unverheiratet, jung, von gleichem Alter und gleichen Lebensgewohnheiten, und dies alles war Grund genug, sie in gegenseitiger Freundschaft zu verbinden. Freilich war Anselmo mehr als Lotario geneigt, sich mit Liebschaften die Zeit zu vertreiben, während den letzteren die Freuden der Jagd anzogen; doch wenn die Gelegenheit sich bot, ließ Anselmo seine Neigungen beiseite, um denen Lotarios zu folgen, und ließ Lotario die seinigen beruhen, um denjenigen Anselmos nachzugehen. Und in dieser Weise stimmte beider Wille stets so überein, daß es keine wohlgeregelte Uhr geben konnte, die so regelmäßig ging.

Anselmo war sterblich verliebt in ein vornehmes, schönes Fräulein aus derselben Stadt. Sie war die Tochter tugendsamer Eltern und selbst so tugendsam, daß er mit Zustimmung seines Freundes Lotario – ohne den er nie etwas tat – sich entschloß, bei ihren Eltern um ihre Hand anzuhalten. Er machte sein Vorhaben zur Tat, und Lotario war sein Brautwerber; der führte den Auftrag so zur Zufriedenheit seines Freundes aus, daß dieser sich in kurzer Zeit im Besitze der Geliebten sah, während auch Camila sich so glücklich fühlte, Anselmo zum Gemahl gewonnen zu haben, daß sie nicht müde ward, dem Himmel und Lotario zu danken, durch dessen Vermittlung ihr ein so hohes Gut geworden.

Die ersten Tage nach der Hochzeit, die ja immer freudevoll sind, fuhr Lotario fort, das Haus seines Freundes Anselmo zu besuchen, wobei er alles mögliche aufbot, ihn mit Ehren, Festlichkeiten und heitern Genüssen zu erfreuen. Als aber die hochzeitlichen Tage vorüber waren und der Andrang der Besuche und der Glückwünsche abnahm, begann Lotario seine Gänge ins Haus Anselmos absichtlich einzuschränken; denn er fand, wie dies jeder Einsichtsvolle tun muß, daß man in dem Hause eines verheirateten Freundes nicht in der nämlichen Weise aus und ein gehen und ständig verkehren dürfe wie zur Zeit, da er Junggeselle war. Wenn auch allerdings die echte und wahre Freundschaft in keiner Beziehung verdächtig sein kann und darf, so ist trotzdem die Ehre des Ehemanns so empfindlich, daß man fast behaupten muß, sie könne an den eignen Brüdern Anstoß nehmen, wieviel mehr an Freunden.

Anselmo bemerkte, daß Lotario in seinen Besuchen nachließ, und beklagte sich sehr darüber. Wenn er gewußt hätte, sagte er zu Lotario, daß seine Heirat dem Freunde Anlaß geben würde, nicht mehr wie gewohnt mit ihm umzugehen, so würde er diesen Schritt nie getan haben; und wenn sie durch das innige Verhältnis, das zwischen ihnen bestand, solange er unverehelicht war, einen so lieben Namen erworben hätten wie den der »beiden Freunde«, so möchte er nicht zugeben, daß ohne eine andere Veranlassung, als weil Lotario den Vorsichtigen spielen wolle, ein so rühmlicher und erfreulicher Name verlorengehe. Und so bitte er ihn flehentlich, wenn es sich überhaupt zieme, einen solchen Ausdruck unter ihnen beiden zu gebrauchen, der Freund möge doch wieder in seinem Hause der Herr sein und darin wie vormals aus und ein gehen. Dabei versicherte er ihm, seine Gemahlin Camila habe kein andres Begehren noch andern Willen, als den er bei ihr wünsche, und da sie wisse, wie ernst und wahr sie beide einander liebten, so sei es ihr unerklärlich, daß Lotario ihr Haus so meide.

Auf all dieses und auf viel andres, das Anselmo beifügte, um seinen Freund zu überreden, daß er wieder wie gewohnt sein Haus besuche, antwortete Lotario so einsichtig, verständig und überlegt, daß Anselmo sich von der guten Absicht seines Freundes überzeugte, und so kamen sie überein, daß Lotario zweimal in der Woche und an den Festtagen kommen und mit ihnen speisen solle. Aber obschon dies nun zwischen ihnen ausgemacht war, nahm sich Lotario dennoch vor, hierin nicht mehr zu tun, als nach seinem Urteil für die Ehre seines Freundes sich am besten ziemen würde, da er dessen guten Ruf höher schätzte als seinen eignen. Er sagte, und sagte mit Recht, der Ehemann, dem der Himmel ein schönes Weib gewährt habe, müsse ebenso sorgsam darauf achten, welche Freunde er in sein Haus führe, als darauf, mit welchen Freundinnen seine Frau umgehe. Denn was nicht auf den Plätzen der Stadt oder in den Kirchen oder bei öffentlichen Feierlichkeiten oder Betfahrten besprochen und verabredet wird – und die Teilnahme an all diesem kann doch der Mann seiner Frau nicht immer versagen –, das wird im Hause der Freundin oder der Verwandten verabredet und gefördert, der man gerade am meisten traut. Lotario fügte bei, es sei eine Notwendigkeit für jeden Ehemann, einen Freund zu haben, der ihn auf jede etwaige Unvorsichtigkeit in ihrem Benehmen aufmerksam mache. Denn es komme häufig vor, daß bei der großen Liebe, die der Mann zu seinem Weibe hat, er sie nicht warnen will oder ihr, nur um sie nicht zu kränken, nicht sagt, daß sie dies und jenes tun oder unterlassen solle, weil solches Tun oder Unterlassen ihm zur Ehre oder zum Vorwurf gereichen müsse. Würde er aber vom Freunde darauf aufmerksam gemacht, so könne er allem leicht abhelfen.

Aber wo findet sich ein so verständiger, ein so treuer, ein so wahrer Freund, wie ihn Lotario hier verlangt? Ich weiß es wahrlich nicht. Nur Lotario war ein solcher. Mit äußerster Aufmerksamkeit und Umsicht hatte er die Ehre seines Freundes stets im Auge und mühte sich, die Zahl der verabredeten Tage, wo er Anselmos Haus besuchen sollte, zu vermindern, zu kürzen, davon abzumarkten, damit nicht der müßige Pöbel und die boshaften Augen umherlungernder Gaffer Mißfallen daran finden könnten, daß ein reicher Jüngling, ein Edelmann von guter Familie und von so trefflichen Eigenschaften, wie er sie bei sich selbst voraussetzte, im Hause einer so schönen Frau wie Camila verkehre. Denn wenn auch ihre Trefflichkeit und Tugend jeder verleumderischen Zunge einen Zügel anzulegen vermochte, so wollte er doch nicht, daß man in ihren und in seines Freundes guten Namen auch nur den geringsten Zweifel setze, und deshalb beschäftigte und verbrachte er die verabredeten Tage meistens mit andren Dingen, die er, wie er sagte, nicht umgehen oder unterlassen könne. So vergingen mit Beschuldigungen auf der einen Seite, mit Entschuldigungen auf der andern gar manche Augenblicke und Stunden des Tages.

Es geschah nun, daß eines Tages, wo die beiden sich auf einem Felde außerhalb der Stadt ergingen, Anselmo etwa folgendes zu Lotario sagte: »Du glaubtest wohl, Freund Lotario, daß ich die Gnaden, die mir Gott erwiesen, indem er mich den Sohn solcher Eltern werden ließ, wie es die meinigen waren, und mir mit nicht karger Hand die Güter der Natur und des Glückes verlieh, nicht mit einer Dankbarkeit zu erkennen vermag, die dem Werte der empfangenen Wohltaten gleichkommt? – vorab der Wohltat, daß er dich mir zum Freunde und Camila zum angetrauten Weibe gab, zwei Pfänder des Glücks, die ich, wenn nicht in so hohem Grade, wie ich muß, so doch in so hohem Grade, wie ich kann, wertschätze. Nun denn, mit diesen vielen Vorzügen, welche doch alles in sich begreifen, womit die Menschen in der Regel glücklich leben und leben können, fühle ich mich als der mißmutigste und grämlichste Mensch auf der ganzen weiten Welt. Denn seit, ich weiß nicht wieviel Tagen quält und drückt mich ein Wunsch, der so seltsam und ungewöhnlich ist, daß ich mich über mich selbst wundre und mich anklage und schelte, wenn ich allein mit mir bin, und mich bemühe, ihn vor meinen eignen Gedanken zu verschweigen und zu verbergen. Und es schien mir so unmöglich, dieses Geheimnis bei mir zu behalten, als ob mir obläge, es mit Vorbedacht der ganzen Welt zu offenbaren. Aber da es endlich doch einmal heraus muß, so will ich es in das Archiv deiner Verschwiegenheit legen, und unter deren Schutz und mit der Hilfe, die du als mein wahrer Freund in treuem Eifer mir leisten wirst, hoffe ich, daß ich mich bald von der Bedrängnis frei sehe, in die mein Geheimnis mich gebracht hat, und daß durch dein Bemühen meine Heiterkeit bald den Grad erreichen wird, welchen meine Mißstimmung jetzt durch meine Torheit erreicht hat.«

Lotario geriet durch die Worte Anselmos in gespannte Erwartung, und er wußte nicht, worauf eine so weitläufige Vorbereitung oder Einleitung hinaus wollte; und wiewohl er im Geiste die Frage hin und her erwog, welch ein Wunsch es sein könne, der seinen Freund so sehr quäle, traf er immer sehr weit vom rechten Ziel. Um sich nun rasch der Pein zu entledigen, in welche seine gespannte Erwartung ihn versetzte, sprach er zu ihm: »Du begehst gegen meine vielerprobte Freundschaft eine offenbare Beleidigung, wenn du Umschweife suchst, um mir deine verborgensten Gedanken zu sagen; denn du weißt ganz sicher, daß du dir von mir entweder guten Rat für unser Verhalten gegeneinander oder die Mittel, um deine Gedanken zur Ausführung zu bringen, versprechen kannst.«

»So ist’s in der Tat«, erwiderte Anselmo, »und in diesem Vertrauen will ich dir bekennen, Freund Lotario: der Wunsch, der mich quält, besteht darin, zu erfahren, ob meine Gattin Camila so tugendhaft und so vollkommen ist, wie ich glaube. Ich kann mich von dieser Tatsache nicht überzeugt halten, wenn ich sie nicht dergestalt erprobe, daß die Probe den Feingehalt ihrer Tugend so offenbare wie das Feuer den des Goldes. Denn ich bin der Meinung, o mein Freund, daß das Weib nur in solchem Verhältnis mehr oder weniger Tugend besitzt, als sie mehr oder weniger von Liebeswerbungen versucht wird, und daß nur diejenige stark ist, die sich nicht beugt vor den Versprechungen, Geschenken, Tränen und unaufhörlichen Aufdringlichkeiten der nachstellenden Liebhaber. Denn welchen Dank verdient das Weib für ihre Tugend, wenn sie nie zum Bösen versucht wird? Was Wunder, daß die zurückhaltend und schüchtern ist, der man keine Gelegenheit gewährt, sich einem freien Lebenswandel hinzugeben? Oder diejenige, der es wohl bewußt ist, sie besitze einen Mann, der bei der ersten leichtfertigen Handlung, bei der er sie überrascht, ihr sicher das Leben nehmen wird? Die also, welche aus Furcht oder aus Mangel an Gelegenheit tugendhaft ist, die werde ich nie so hochhalten wie die, welche aus Umwerbungen und Nachstellungen mit der Krone des Sieges hervorgeht. Wohlan denn, aus diesen Gründen und aus vielen anderen, die ich dir darlegen könnte, um meine Meinung zu bekräftigen und als die richtige zu erweisen, wünsche ich, daß meine Gemahlin Camila durch diese Fährlichkeiten hindurchgehe und im Feuer der Liebeswerbungen und Nachstellungen auf ihren echten Gehalt untersucht und erprobt werde, und zwar von einem Manne, der Wert genug in sich hat, um seine Wünsche auf sie richten zu dürfen. Und wenn sie aus diesem Kampfe mit der Siegespalme hervorgeht – und ich glaube, sie wird es –, dann erst werde ich mein Glück für ohnegleichen erachten; dann kann ich sagen, daß die Lücke meiner Wünsche gänzlich ausgefüllt ist; dann kann ich sagen, daß ich das starke Weib besitze, von welcher der Weise spricht: Wer kann sie finden? Und wenn der Erfolg gegen meine Erwartung ausfällt, so wird die Genugtuung, daß ich mit meiner Meinung das Richtige getroffen, mir helfen, ohne Kümmernis den Kummer zu ertragen, den mir eine so teuer erkaufte Erfahrung von Rechts wegen verursachen sollte. Und da nichts von allem, was du gegen mein Vorhaben einwenden magst, die allergeringste Wirkung haben könnte, um mich von dessen Ausführung abzuhalten, so wünsche ich, mein Freund Lotario, daß du selbst dich zum Werkzeug herleihest, um dies Werk meiner Laune auszuführen. Ich werde dir Gelegenheit verschaffen, es zu tun, ohne daß es dir an irgend etwas gebrechen soll, was ich für notwendig halte, um ein sittsames, ehrenhaftes, zurückgezogen lebendes, von Eigennutz freies Weib mit Liebeswerbungen zu versuchen. Und gerade dir ein so bedenkliches Unternehmen anzuvertrauen, dazu veranlaßt mich unter anderm die Erwägung, daß, wenn von dir Camila besiegt wird, der Sieg nicht bis zum Äußersten und Schlimmsten gehen wird, sondern daß nur das als geschehen gilt, was ehrenhafterweise geschehen mag. Sonach würde ich nur durch Wunsch und Absicht beleidigt werden, und meine Kränkung bleibt verborgen in deiner tugendsamen Verschwiegenheit, welche, wie ich wohl weiß, in allem, was mich betrifft, ewig sein wird wie das Schweigen des Todes. Willst du also, daß mir ein solches Leben werde, das ich Leben nennen kann, so mußt du auf der Stelle in diesen Liebeskampf eintreten, und nicht auf lässige und träge Weise, sondern mit all dem Eifer und ernsten Bemühen, wie es mein Wunsch erheischt, und mit der Zuversicht und dem Vertrauen, das unsre Freundschaft mir einflößt und verbürgt.«

Dies war es, was Anselmo zu Lotario sprach, und dieser hing so aufmerksam an des Freundes Rede, daß er mit Ausnahme der paar Worte, die schon vorher erwähnt sind, die Lippen nicht öffnete, bis Anselmo geendet hatte. Wie er nun jenen erwartend stehen sah, schaute er ihn erst lange an, als betrachte er etwas noch nie Gesehenes, das ihn in Verwunderung und Bestürzung setze, und sprach dann zu ihm: »Ich kann mir nicht vorstellen, o mein Freund Anselmo, daß, was du mir alles gesagt, etwas andres als Scherz war. Denn hätte ich geglaubt, daß du im Ernste sprächest, so hätte ich nicht zugegeben, daß du so weit gegangen wärst; ich hätte dir nicht zugehört und hätte damit deine lange Rede von vornherein abgeschnitten. Ich bin der festen Meinung, daß entweder du mich nicht kennst oder ich dich nicht kenne – doch nein, ich weiß, du bist Anselmo, und du weißt, ich bin Lotario. Das Schlimme ist, daß ich denke, du seist nicht der Anselmo, der du sonst immer warst, und du mußt dir gedacht haben, auch ich sei nicht der Lotario, der ich sein sollte. Denn die Worte, die du mir gesagt hast, sind unmöglich von jenem Anselmo, meinem Freunde, und die Dinge, die du von mir verlangst, können nicht von jenem Lotario verlangt werden, den du kennst. Denn wahre Freunde sollen usque ad aras, wie ein Dichter sagt, ihre Freunde erproben und in Anspruch nehmen; das heißt, sie sollen ihre Freundschaft nicht in solchen Dingen in Anspruch nehmen, die gegen Gott sind. Wenn nun ein Heide so von der Freundschaft dachte, wieviel geziemender ist’s, daß ein Christ so denke, der da weiß, daß man um keiner menschlichen Liebe willen die göttliche verlieren darf! Und wenn der Freund so weit übers Ziel schießen sollte, daß er die Rücksicht auf den Himmel beiseite setzte, um nur Rücksicht auf seinen Freund zu nehmen, so darf es wenigstens nicht um geringer und bedeutungsloser Dinge willen sein, sondern höchstens ob solcher, bei denen es Ehre und Leben seines Freundes gilt. Aber sage du mir nun, Anselmo: Welches von diesen beiden steht jetzt bei dir in Gefahr, damit ich das Wagnis auf mich nehme, dir zu willfahren und etwas so Abscheuliches zu tun, wie du von mir verlangst? Keines von beiden, ohne Zweifel. Vielmehr verlangst du von mir, wie ich es verstehe, daß ich es mir zur Aufgabe machen und danach trachten soll, dir Ehre und Leben zu rauben und gleichzeitig auch mir beides zu rauben. Denn wenn ich trachten soll, dir die Ehre zu rauben, so ist’s klar, daß ich dir das Leben raube, da der Mann ohne Ehre schlimmer daran ist als ein des Lebens beraubter. Und werde ich, wie du es verlangst, das Werkzeug so großen Unheils für dich, kommt es mit mir alsdann nicht dahin, daß ich keine Ehre mehr habe und folglich auch kein Leben? Höre, Freund Anselmo, und habe so viel Geduld, mir nicht eher zu antworten, bis ich dir vollständig dargelegt habe, was dein Wunsch von dir selbst verlangt; es wird Zeit genug bleiben, daß du mir antwortest und ich dir zuhöre.« »Mir recht«, sprach Anselmo, »sage, was dir beliebt.« Und Lotario fuhr fort: »Es kommt mir vor, Anselmo, du zeigest jetzt dieselbe Denkweise wie stets die Mauren, denen man den Irrweg ihrer Sekte weder mit Stellen aus der Heiligen Schrift begreiflich machen kann noch mit Gründen, die auf Vernunftschlüssen beruhen oder sich auf Glaubensartikel stützen; vielmehr muß man ihnen handgreifliche, verständliche, bündige, unzweifelhafte Beispiele beibringen nebst mathematischen Beweisen, die nicht zu leugnen sind, wie wenn man den Satz aufstellt: ›Wenn wir von zwei gleichen Größen gleiche Größen abziehen, so sind die übriggebliebenen ebenfalls gleich.‹ Und wenn sie dies in Worten nicht verstehen – und sie verstehen es wirklich nicht –, muß man sie es mit den Händen greifen lassen und es ihnen vor Augen stellen; und mit all diesem kann dennoch niemand sie von den Wahrheiten unsres heiligen Glaubens überzeugen. Dieselbe Art und Weise werde ich bei dir anwenden müssen; denn das Verlangen, das in dir entstanden, ist eine solche Verirrung und liegt so abseits von allem, was nur eine Spur vom Vernünftigen an sich hat, daß es meiner Meinung nach Zeitverschwendung wäre, dir deine Einfalt – denn ich will ihr für jetzt keinen andern Namen geben – begreiflich zu machen. Ich hätte beinah Lust, dich in deinem Wahnsinn zu lassen, zur Strafe für dein übles Vorhaben. Aber so hart zu verfahren, das läßt die Freundschaft nicht zu, die ich zu dir trage. Sie gestattet nicht, daß ich dich in so offenbarer Gefahr schweben lasse, dich zugrunde zu richten. Und damit du dies deutlich erkennst, sage mir, Anselmo: hast du mir nicht gesagt, ich soll eine in Zurückgezogenheit lebende Frau umwerben? eine sittsame überreden? einer uneigennützigen Anerbietungen machen? einer verständigen meine Liebesdienste widmen? Ja, du hast es mir gesagt. Wenn du also weißt, daß du ein zurückgezogen lebendes, sittsames, uneigennütziges, verständiges Weib hast, was suchst du mehr? Und wenn du glaubst, daß sie aus all meinen Bestürmungen als Siegerin hervorgehen wird, wie sie dies ohne Zweifel tun wird, welch bessere Benennungen willst du ihr nachher beilegen, als sie jetzt schon trägt? Oder was wird sie nachher mehr sein, als sie jetzt ist? Entweder hältst du sie nicht für das, was du sagst, oder du weißt nicht, was du begehrst. Wenn du sie nicht für das hältst, was du sagst, warum willst du sie auf die Probe stellen, wenn nicht deshalb, um alsdann mit ihr als einem schlechten Weibe so zu verfahren, wie es dir etwa in den Sinn kommen wird? Wenn sie aber so tugendhaft ist, wie du glaubst, so ist es ungereimt, mit der Wahrheit selbst eine Probe anstellen zu wollen. Denn dadurch wird sie doch nur in der gleichen Wertschätzung verbleiben wie vorher.

So ist denn hieraus die notwendige Folgerung, daß Dinge zu unternehmen, aus denen eher Schaden als Nutzen entstehen kann, die Weise unverständiger und tollkühner Geister ist, zumal wenn sie an solche Dinge gehen, zu denen sie nicht gezwungen oder von außen her genötigt sind und die schon von weitem deutlich erkennen lassen, daß es offenbar Verrücktheit ist, sie sich vorzunehmen. An schwierige Dinge wagt man sich Gott zu Ehren oder der Welt wegen oder beider zusammen. Die, welche man Gott zu Ehren unternimmt, sind jene, welche die Heiligen unternahmen, indem sie strebten, ein Leben der Engel in menschlichen Leibern zu führen; die, welche um der Welt willen unternommen werden, sind die Handlungen jener Männer, welche durch die Unendlichkeit der Meere hinziehen, durch so große Mannigfaltigkeit der Himmelsstriche, soviel Fremdartigkeit der Völker, um zu erwerben, was man Güter des Glücks nennt; und die, welche man zugleich um Gottes und der Welt willen unternimmt, sind die Taten der tapferen Kriegsleute, die, kaum daß sie in der ihnen entgegenragenden Festungsmauer eine Lücke von so viel Umfang erblicken, als die Rundung einer Geschützkugel brechen kann, sofort alle Furcht beiseite setzend, ohne zu überlegen noch die offenbare Gefahr zu beachten, die ihrer harrt, im Fluge getragen auf den Schwingen des Verlangens, für ihren Glauben, für ihr Vaterland und für ihren König zu kämpfen, sich unverzagt mitten in den tausendfach entgegendräuenden Tod stürzen. Das sind die Dinge, die man zu unternehmen pflegt, und Ehre, Ruhm und Vorteil ist es, sie zu unternehmen, wiewohl sie voller Widerwärtigkeiten und Gefahren sind. Aber was du, wie du sagst, unternehmen und ins Werk setzen willst, wird dir weder Gottes Glorie noch Güter des Glücks noch Ruhm bei den Menschen erwerben. Denn wenn es dir auch ganz nach deinem Wunsche gelingen sollte, so wirst du dich weder vergnügter noch reicher noch höher geehrt finden, als du jetzt schon bist; und wenn es dir nicht gelingt, wirst du dich in dem größten Elend sehen, das sich erdenken läßt, da dir alsdann der Gedanke nichts helfen wird, daß niemand von dem Unglücke weiß, das dir zugekommen, indem es, um dich zu quälen und zugrunde zu richten, genügt, daß du selbst es wissest. Und zur Bekräftigung dieser meiner Darlegung will ich dir eine Stanze anführen, die der berühmte Dichter Ludwig Tansillo am Ende des ersten Teils seiner Tränen des heiligen Petrus geschrieben. Sie lautet so:

Es wächst der Schmerz, es wächst das Schambewußtsein
In Petrus, da der Hahn den Tag verkündigt;
Und stürmisch zieht die Scham in seine Brust ein,
Obwohl es niemand sah, als er gesündigt.
Ein edles Herz muß sich der Schmach bewußt sein,
Weiß auch kein andrer, daß es sich versündigt;
Es schämt sich vor sich selbst ob dem Vergehen,
Wenn auch nur Himmel es und Erde sehen.

Mithin wirst du nicht durch Geheimhalten deinem Schmerz entgehen; vielmehr wirst du unaufhörlich zu weinen haben, wenn nicht Tränen aus den Augen, so doch blutige Tränen aus dem Herzen, wie sie jener einfältige Doktor weinte, von dem unser Dichter uns erzählt, der jene Probe mit dem Becher anstellte, welche mit besserer Überlegung der verständige Rinaldo vorzunehmen ablehnte. Denn wenn dies auch nur poetische Erdichtung ist, so sind darin doch Geheimnisse von tiefem Sinn verschlossen, die wohl wert sind, beachtet und verstanden und zur Richtschnur genommen zu werden. Und dies um so mehr, als das, was ich dir nunmehr zu sagen habe, dich völlig überführen wird, welch große Torheit du zu begehen vorhast. Sage mir, Anselmo: Wenn der Himmel oder ein glücklicher Zufall dich zum Herrn und rechtmäßigen Besitzer eines köstlichen Diamanten gemacht hätte, von dessen Güte und Reinheit alle Juwelenhändler, die ihn sähen, entzückt wären, und alle würden einstimmig und einmütig erklären, daß er an Gewicht, Güte und reinstem Wasser alles erreiche, was die Natur eines solchen Steines vermag, und du selbst glaubtest es auch so, ohne etwas zu wissen, das dagegen spräche; wäre es alsdann recht, daß dich die Lust ankäme, diesen Diamanten zu nehmen und ihn zwischen Amboß und Hammer zu legen und lediglich mit der Kraft des Armes und Draufschlagens zu erproben, ob er so hart und so rein ist, wie die Leute sagen? Und gar erst, wenn du es endlich ausführtest! Denn gesetzt den Fall, der Stein bestünde eine so törichte Probe, so würde er darum nicht höheren Wert noch höheren Ruf gewinnen; und wenn er bräche, was doch immerhin möglich ist, wäre dann nicht alles verloren? Ja, gewiß, und zudem würde der Besitzer in der öffentlichen Schätzung so tief sinken, daß alle ihn für einen einfältigen Toren hielten.

Nun denke dir, Freund Anselmo, daß Camila nach deiner wie nach fremder Schätzung ein Diamant von größter Reinheit ist und daß es unvernünftig ist, das Juwel der Möglichkeit des Zerbrechens auszusetzen; denn wenn es auch in seiner Unversehrtheit bleibt, kann es zu keinem höheren Werte aufsteigen, als den es gegenwärtig besitzt; und wenn es zu schwach wäre und nicht Widerstand leistete, so erwäge jetzt schon, in welchem Zustand du ohne sie verbliebest und wie du mit vollstem Grunde dich nur über dich selbst beschweren müßtest, weil du allein verschuldet hättest, daß sie zugrunde ginge und du mit. Bedenke nun, daß es kein Juwel auf Erden gibt, das so kostbar ist wie ein keusches, züchtiges Weib, und daß die ganze Ehre der Frauen in dem Ruf ihrer Tugend besteht, dessen sie bei der Welt genießen. Und da der Ruf deiner Gattin ein derartiger ist, daß er das Höchste an Trefflichkeit erreicht, wie du weißt, wozu willst du diese feststehende Tatsache in Zweifel ziehen? Bedenke, Freund, daß das Weib ein unvollkommenes Geschöpf ist und daß man ihr keine Steine in den Weg legen, über die sie straucheln und fallen kann, vielmehr sie ihr wegräumen und ihr den Anstoß aus dem Weg schaffen soll, damit sie ohne Beschwer und leichten Fußes hinschreiten könne, um die ihr noch fehlende Vollkommenheit zu erreichen, die darin besteht, tugendhaft zu sein. Es berichten die Naturforscher, das Hermelin sei ein Tierchen mit schneeweißem Fell, und wenn die Jäger es jagen wollen, brauchen sie diesen Kunstgriff: da sie die Stellen kennen, wo es vorüberzukommen und wohin es zu laufen pflegt, so sperren sie diese mit Kot ab, scheuchen es dann auf und treiben es zu der Stelle hin; und sobald das Hermelin an den kotigen Ort kommt, steht es still und läßt sich greifen und gefangennehmen, damit es nur nicht durch den Schmutz laufen und seine Weiße verderben und besudeln muß, da es diese höher schätzt als Freiheit und Leben. Das sittsame und keusche Weib ist ein Hermelin, und weißer und reiner als Schnee ist die Tugend der Sittsamkeit, und wer nicht will, daß diese ihr verlorengehe, vielmehr ihr bewahrt und erhalten bleibe, der muß ein anderes Verfahren einhalten, als man bei dem Hermelin anwendet. Denn man darf nicht den Kot der Geschenke und Liebesdienste zudringlicher Bewerber vor sie hinlegen, weil vielleicht, ja sogar darf es nicht einmal vielleicht heißen, sie von Natur nicht so viel Tugend und Stärke besitzt, um mit eigner Kraft das ihr in den Weg Gelegte zu beseitigen und darüber hinwegzuschreiten. Daher muß man ihr jeden Anstoß aus dem Wege räumen und ihr die Reinheit der Tugend und die Schönheit, welche im guten Rufe liegt, vor Augen stellen.

So ist auch das brave Weib wie ein Spiegel von glänzendem Kristall, der aber der Gefahr ausgesetzt ist, den Glanz zu verlieren und durch jeden Hauch, der ihn berührt, getrübt und verdunkelt zu werden. Das sittsame Weib muß man behandeln wie eine Reliquie, die man verehrt, aber nicht berührt. Man muß ein tugendhaftes Weib so hüten und schätzen, wie man einen schönen Garten hütet und schätzt, der voller Blüten und Rosen steht und dessen Besitzer nicht gestattet, daß man darin lustwandle und die Blumen betaste. Es genügt, daß man von weitem und zwischen den Eisenstäben hindurch ihren Duft und ihre Schönheit genieße. Schließlich will ich dir Verse sagen, die mir eben ins Gedächtnis gekommen – ich habe sie in einer neuen Komödie gehört – und die mir gerade auf den Gegenstand, der uns beschäftigt, zu passen scheinen. In der Komödie rät ein verständiger Alter einem andern, der eine Tochter hat, er solle sie zurückgezogen halten, sie bewachen und einschließen, und unter andern Gründen führt er ihm die folgenden an:

Merkt, es ist das Weib von Glas,
Drum versucht beileibe nicht,
Ob es ganz bleibt oder bricht;
Möglich ist ja dies wie das.

Leichter bricht es doch; drum wißt:
Klug ist’s nicht, es drauf zu wagen,
Daß in Splitter geh‘ zerschlagen,
Was nicht mehr zu löten ist.

Drum will ich’s ans Herz euch legen,
Und bald könnt es klar euch werden:
Gibt es Danaen auf Erden,
Fehlt’s auch nicht am goldnen Regen.

Alles, was ich dir bis hierher gesagt habe, Anselmo, bezog sich nur auf das, was dich selbst berührt. Jetzt gebührt es sich, auch einiges von dem zu hören, was für mich einen Wert hat, und sollte ich weitläufig sein, so vergib mir. Denn dies Labyrinth, in das du geraten und aus dem ich, so willst du es, dich befreien soll, erheischt alles, was ich vorbringe. Du hältst mich für deinen Freund und willst mir die Ehre rauben; was gegen alle Freundschaft ist; und sogar begehrst du nicht nur dies, sondern du gehst darauf aus, daß ich auch dir sie raube. Daß du mir sie rauben willst, ist klar; denn sobald Camila sieht, daß ich mich um sie bewerbe, wie du von mir verlangst, so hält sie mich zweifellos für einen Mann ohne Ehre und von schlechten Absichten, da ich etwas will und unternehme, was allem so ganz fremd ist, zu dem mich das Bewußtsein meines eigenen Wertes und deine Freundschaft verpflichten. Daß du willst, daß ich dir sie raube, daran ist auch kein Zweifel; denn wenn Camila sieht, daß ich mich um sie bewerbe, muß sie glauben, ich habe bei ihr irgendeinen leichtsinnigen Charakterzug gefunden, der mir die Dreistigkeit einflößte, ihr meine frevelhaften Wünsche zu offenbaren, und da sie sich hierdurch entehrt fühlen muß, so trifft dich, weil du ein Teil von ihr selbst bist, ihre Unehre mit. Und hiervon kommt auch, was allgemein gesagt wird, nämlich daß der Mann eines ehebrecherischen Weibes – wenn er selbst es auch nicht weiß und keinen Anlaß dazu gegeben hat, daß sein Weib anders ist, als sie sein sollte, und wenn es nicht in seiner Macht stand noch an seiner Unachtsamkeit noch an mangelnder Vorsicht lag, sein Mißgeschick abzuwenden –, daß der Mann trotz alledem mit einem schmählichen und gemeinen Namen belegt wird. Und gewissermaßen betrachten ihn die, welche um die Schlechtigkeit seines Weibes wissen, mit Blicken der Geringschätzung statt mit denen des Bedauerns, wie sie sollten, da ihnen doch bekannt ist, daß er nicht durch seine Schuld, sondern durch die Gelüste seiner sündigen Lebensgefährtin in dies Unglück geraten ist.

Aber ich will dir den Grund sagen, weshalb der Mann eines verbrecherischen Weibes mit Recht entehrt ist, selbst wenn er nicht weiß, daß sie schlecht ist, und daran weder Schuld trägt noch dazu geholfen noch Anlaß dazu gegeben hat. Und laß dir’s nicht zuviel werden, mich anzuhören; denn alles soll ja zu deinem Besten dienen. Als Gott unsern ersten Vater im irdischen Paradies erschuf, da ließ er, wie die Heilige Schrift sagt, einen tiefen Schlaf auf ihn fallen, und er entschlief. Und Gott nahm seiner Rippen eine aus der linken Seite und bauete aus der Rippe unsere Mutter Eva. Und als Adam erwachte und sie sah, sprach er: Das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein. Und Gott sprach: Um ihretwillen wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und sie werden ein Fleisch sein. Und damals wurde das göttliche Sakrament der Ehe eingesetzt mit solchen Banden, daß nur der Tod sie lösen kann. Und es hat dies wunderbare Sakrament so große Kraft und Wirksamkeit, daß es zwei verschiedene Personen zu einem und demselben Fleische macht; und es bewirkt selbst noch mehr bei tugendhaften Eheleuten; denn wiewohl sie zwei Seelen haben, so haben sie doch nur einen Willen. Und daher kommt es, weil das Fleisch der Gattin eines ist mit dem des Gatten, daß die Flecken, die auf die Frau fallen, oder die Fehler, die sie sich zuschulden kommen läßt, das Fleisch des Mannes mit treffen, auch wenn er, wie gesagt, keinen Anlaß zu diesem Unglück gegeben hat. Denn so, wie einen Schmerz am Fuße oder an irgendwelchem Glied des menschlichen Leibes der ganze Leib empfindet, weil er in seiner Gesamtheit aus einem Fleische besteht, und wie der Kopf eine Verletzung an den Fußknöcheln empfindet, ohne daß er sie veranlaßt hätte, so nimmt der Mann teil an der Unehre des Weibes, weil er eins und dasselbe mit ihr ist. Und da alle Ehre und Unehre auf Erden mit Fleisch und Blut zusammenhängt und daraus entsteht und die eines schlechten Weibes von dieser Art ist, so muß notwendig den Ehemann ein Teil derselben treffen und er als entehrt gelten, wenn er auch nichts davon weiß. Erwäge also, Anselmo, die Gefahr, in die du dich begibst, wenn du die Gemütsruhe stören willst, in der deine tugendsame Gattin lebt; erwäge, um welches eitlen, törichten Vorwitzes willen du die Gefühle in Aufregung bringen willst, die bis jetzt im Busen deiner keuschen Gattin friedlich ruhen; merke wohl, daß, was du bei solchem Glücksspiel gewinnen kannst, wenig ist, und was du verlieren würdest, so viel, daß ich es auf sich beruhen lassen will, weil mir Worte fehlen, um es in seinem vollen Umfang zu schildern. Aber wenn alles, was ich gesagt, nicht genügt, um dich von deinem schlimmen Vorhaben abzubringen, so magst du ein anderes Werkzeug deiner Unehre und Vernichtung suchen. Denn ich gedenke nicht als solches zu dienen, wenn ich auch darob deine Freundschaft verlieren sollte, der größte Verlust, den ich mir vorstellen kann.«

Mit diesen Worten schwieg der tugendhafte und einsichtsvolle Lotario, und Anselmo stand so verstört und in Gedanken verloren, daß er ihm längere Zeit kein Wort zu erwidern vermochte. Endlich aber sprach er zu Lotario: »Mit einer Aufmerksamkeit, die dir nicht entgangen ist, habe ich alles angehört, Freund Lotario, was du mir sagen wolltest, und an deinen Worten, Beispielen und Gleichnissen erkannte ich, welch große Einsicht du besitzest und auf welch äußerstem Punkte wahrer Freundschaft du stehst. Und ebenso sehe ich auch ein und bekenne, daß, wenn ich deiner Warnung nicht folge und bei der meinigen beharre, ich vor dem Guten fliehe und dem Bösen nacheile. Dies zugegeben, mußt du erwägen, daß ich jetzt an jener Krankheit leide, von der manche Frauen öfter befallen sind, die da Gelüste haben, Erde, Gips, Kohlen zu essen, ja andre, noch ärgere Dinge, die zu ekelhaft sind, um sie nur anzusehen, geschweige sie zu essen. So ist’s denn notwendig, irgendeinen Kunstgriff anzuwenden, damit ich genese, und dies könnte mit Leichtigkeit so geschehen, daß du wenigstens anfingst, wenn auch nur lau und zum Schein, dich um Camilas Liebe zu bewerben. Sie wird ja doch nicht so schwach sein, daß ihre Tugend gleich den ersten Angriffen erliegt. Und mit diesem bloßen Anfang werde ich mich befriedigt fühlen, und du wirst erfüllt haben, was du unserer Freundschaft schuldig bist, indem du mir dadurch nicht allein das Leben, sondern auch die Sicherheit gibst, daß meine Ehre ungeschmälert bleibt. Und dies zu tun, bist du schon allein aus einem Grund verpflichtet: da ich nämlich entschlossen bin – und in der Tat bin ich es –, diese Probe vorzunehmen, so darfst du nicht zulassen, daß ich meine Torheit einem Dritten offenbare, wobei ich ja die Ehre aufs Spiel setzen würde, während dein Bestreben darauf geht, daß ich sie nicht verlieren soll. Und wenn auch deine Ehre in Camilas Meinung während der Zeit, wo du um ihre Gunst wirbst, nicht so hoch steht, als sich gebührt, so liegt wenig oder nichts daran, da du ja in kurzem, nachdem du bei ihr die standhafte Lauterkeit erkannt hast, die wir erhoffen, ihr die reine Wahrheit über unsern Anschlag sagen kannst. Und damit wird dein guter Ruf bei ihr wieder gänzlich hergestellt sein. Und da du so wenig dabei wagst und durch ein solches Wagen mir so große Befriedigung verschaffen kannst, so lehne es nicht ab, selbst wenn sich noch weit mehr Unzuträglichkeiten dir vor Augen stellten. Denn, wie ich bereits gesagt, schon damit, daß du der Sache nur einen Anfang gibst, werde ich sie für endgültig erledigt erachten.«

Da Lotario den entschiedenen Willen Anselmos sah und nicht wußte, welche Beispiele er noch sonst ihm vorführen noch welche neuen Gründe er ihm angeben könnte, um ihn davon abzubringen, und da er dessen Drohung hörte, einem andern sein frevles Begehren zu offenbaren, so entschloß er sich, um ein größeres Übel zu verhüten, ihn zufriedenzustellen und zu tun, was er verlangte; jedoch mit dem Vorsatz und in der Absicht, den Handel auf einen solchen Weg zu leiten, daß, ohne Camilas Gedanken zu beunruhigen, Anselmo zufriedengestellt würde. Er antwortete ihm daher, er solle sein Vorhaben keinem andern mitteilen; er, Lotario, nehme die ganze Geschichte auf sich und würde sie beginnen, sobald es Anselmo beliebe.

Dieser umarmte seinen Freund mit liebevoller Zärtlichkeit und dankte ihm für seine Bereitwilligkeit, als hätte er ihm die größte Wohltat erwiesen. Sie kamen miteinander überein, gleich am folgenden Tage solle das Werk begonnen werden; Anselmo solle ihm Gelegenheit und Muße verschaffen, mit Camila unter vier Augen zu sprechen, und ihm Geld und Kleinodien geben, um sie ihr anzubieten und zu schenken. Anselmo riet Lotario, ihr Ständchen zu bringen und Verse zu ihrem Preise zu schreiben, die er selbst dichten würde, wenn Lotario sich nicht die Mühe geben wolle, sie zu schreiben. Zu all diesem erklärte sich Lotario bereit, wiewohl in einer ganz andern Absicht, als Anselmo dachte.

Mit dieser Verabredung kehrten sie nach Anselmos Hause zurück, wo sie Camila ihren Mann erwartend fanden, voll Angst und Besorgnis, weil er diesen Tag länger als gewöhnlich ausblieb. Lotario begab sich hierauf in sein Haus, und Anselmo blieb in dem seinigen, ebenso vergnügt, wie Lotario nachdenklich war, da er nicht wußte, welchen Anschlag er erdenken solle, um sich glücklich aus dem argen Handel zu ziehen. Aber noch an demselben Abend kam er darauf, welch ein Benehmen er einhalten könne, um Anselmo zu täuschen, ohne Camila zu nahe zu treten.

Des andern Tages kam er zu seinem Freunde zum Essen und ward von Camila wohl aufgenommen; sie empfing und behandelte ihn stets mit der größten Freundschaft, weil sie sich der innigen Liebe ihres Mannes zu Lotario wohl bewußt war. Nachdem sie gespeist hatten und abgedeckt war, bat Anselmo seinen Freund, er möchte bei Camila bleiben, während er selbst sich zu einem unumgänglichen Geschäft fortbegeben müsse; in anderthalb Stunden werde er zurückkehren. Camila bat ihn, sich doch nicht zu entfernen, und Lotario erbot sich, ihn zu begleiten, aber nichts konnte bei Anselmo verfangen. Vielmehr drang er angelegentlichst in Lotario, zu bleiben und ihn hier zu erwarten, da er mit ihm eine Sache von großer Wichtigkeit zu verhandeln habe. Er bat auch Camila, seinen Freund nicht allein zu lassen, bis er wiederkomme. Kurz, er wußte die Wichtigkeit – oder Nichtigkeit – seines Ausgangs so erfinderisch zu schildern, daß niemand die Verstellung hätte merken können.

Anselmo ging, und Camila und Lotario blieben allein am Tische sitzen; denn die übrigen Leute vom Hause waren alle zum Essen gegangen. Jetzt sah sich Lotario auf dem Turnierplatz, den sein Freund ihm ausgesucht hatte, vor sich den Feind, der schon allein mit seiner Schönheit ein ganzes Heer von wohlgerüsteten Rittern hätte besiegen können. Nun bedenkt, ob Lotario Ursache hatte, solchen Feind zu fürchten! Er tat indessen weiter nichts, als daß er den Ellenbogen auf den Arm des Sessels stützte, die flache Hand an die Wange legte und Camila um Verzeihung ob der Unhöflichkeit bat, weil er ein wenig ausruhen möchte, bis Anselmo heimkehre. Camila antwortete ihm, er werde besser auf dem Sofa im Besuchszimmer ausruhen als auf dem Sessel, und bat ihn hineinzugehen, um da zu schlafen; doch Lotario wollte nicht; er blieb dort schlummernd, bis Anselmo zurückkam.

Als dieser Camila in ihrem Gemach und Lotario schlafend fand, glaubte er, weil er so lang ausgeblieben, hätten die beiden bereits hinreichend Zeit gehabt, sich zu besprechen, ja sogar zu schlafen, und konnte kaum den Augenblick erwarten, wo Lotario erwachte, um mit ihm wieder auszugehen und ihn über seinen Erfolg zu befragen. Alles geschah nach seinem Wunsch: Lotario erwachte, und sogleich verließen beide das Haus, und nun fragte ihn Anselmo nach dem Gewünschten. Lotario antwortete ihm, es habe ihm nicht gut geschienen, sich gleich das erstemal ihr vollständig zu entdecken, und so habe er nichts weiter getan, als Camila ob ihrer Schönheit zu preisen und ihr zu sagen, daß in der ganzen Stadt von nichts anderem die Rede sei als von ihren Reizen und ihrem verständigen Wesen. Dies sei ihm als der beste Anfang erschienen, um allmählich ihr Wohlwollen zu gewinnen und sie geneigt zu machen, ihn auch ein andermal gern anzuhören. So habe er sich des Kunstgriffs bedient, den der Böse anwendet, wenn er jemand verführen will, der auf der Wache steht, um sich zu behüten. Der Teufel verwandle sich alsdann in einen Engel des Lichts, da er doch der Engel der Finsternis ist, und während er dem Armen einen guten Anschein vorspiegelt, offenbart er zuletzt, wer er ist, und führt sein Vorhaben aus, falls seine Tücke nicht gleich von vornherein entdeckt wird.

Anselmo war mit all diesem höchst zufrieden und sagte, er würde ihm jeden Tag dieselbe Gelegenheit verschaffen, selbst ohne aus dem Hause zu gehen; denn er würde sich daheim mit solchen Dingen beschäftigen, daß Camila nicht hinter seine Schliche kommen könne.

Es vergingen nun viele Tage, während Lotario, ohne mit Camila ein Wort zu reden, stets auf seines Freundes Fragen antwortete, er spreche mit ihr, könne ihr aber nie das geringste Anzeichen entlocken, daß sie sich zu irgend etwas Unrechtem herbeilassen würde noch auch nur die entfernteste Andeutung eines Schattens von Hoffnung gebe. Im Gegenteil, sagte er, drohe sie ihm, es ihrem Gatten mitzuteilen, wenn er nicht von seinen bösen Gedanken abstehe.

»Sehr gut«, sprach Anselmo. »Bis jetzt hat Camila den Worten widerstanden; wie sie den Werken widersteht, das müssen wir jetzt notwendig erforschen. Morgen gebe ich dir zweitausend Goldtaler, um sie ihr anzubieten, ja sie ihr zu schenken, und eine gleiche Summe zum Ankauf von Juwelen, um sie damit zu ködern. Denn die Frauen, ob sie auch noch so keusch sind, haben ihre große Liebhaberei daran, besonders wenn sie schön sind, schön gekleidet und in stattlichem Putz einherzugehen. Wenn sie aber dieser Versuchung widersteht, so will ich mich zufriedengeben und dich nicht weiter bemühen.«

Lotario erwiderte, da er nun einmal den Anfang gemacht habe, so wolle er das Unternehmen zu Ende führen, obgleich er einsehe, daß er aus demselben erschöpft und besiegt hervorgehen werde.

Am nächsten Tag erhielt er die viertausend Goldtaler und mit ihnen viertausend Verlegenheiten; denn er wußte nicht, was für neue Lügen er vorbringen solle. Aber endlich entschloß er sich, Anselmo zu sagen, Camila sei gegen Geschenke und Versprechungen ebenso probefest wie gegen Worte und es sei zwecklos, sich noch weiter abzumühen, weil die ganze Zeit vergeblich aufgewendet sei.

Allein das Schicksal, das die Dinge anders lenken wollte, fügte es so, daß Anselmo, nachdem er eines Tages Lotario und Camila allein gelassen, wie er bisher zu tun pflegte, sich in ein Seitengemach einschloß und durchs Schlüsselloch sehen und hören wollte, was die beiden tun würden; und er entdeckte, daß Lotario während einer halben Stunde kein Wort mit Camila sprach und sicher auch keines mit ihr gesprochen hätte, wenn Anselmo ein Jahrhundert lang dort gehorcht hätte. Nun ward ihm klar, daß, was sein Freund ihm von Camilas Antworten gesagt, alles Dichtung und Lüge war. Und um sich zu überzeugen, ob dem wirklich so sei, verließ er das Gemach, rief Lotario beiseite und fragte, was Neues vorgekommen und in welcher Stimmung Camila sei. Lotario entgegnete ihm, er gedenke in der Sache nichts weiter bei ihr zu tun; denn sie antworte so schroff und ärgerlich, daß er nicht das Herz habe, ihr nochmals etwas zu sagen.

»Ha, Lotario, Lotario«, sprach Anselmo, »wie wenig entspricht dein Verhalten deiner Pflicht gegen mich und meinem großen Vertrauen zu dir! Jetzt habe ich dagestanden und durch die Öffnung dieses Schlüsselloches dich belauscht, habe bemerkt, daß du zu Camila nicht ein Wort gesagt hast, und bin dadurch zu der Erkenntnis gelangt, daß du ihr noch das erste Wort zu sagen hast. Und wenn es so ist – und ohne Zweifel ist es so –, zu welchem Zweck hintergehst du mich, oder warum willst du mir mit deiner List die Mittel entziehen, die ich finden könnte, um meine Absicht zu erreichen?«

Mehr sprach Anselmo nicht. Aber was er gesagt, genügte, um Lotario in Beschämung und Bestürzung zu versetzen. Jetzt, als ob er seine Ehre für verpfändet hielte, weil er über einer Lüge betroffen worden, jetzt schwur er Anselmo zu, von diesem Augenblick an nehme er es auf sich, ihn zufriedenzustellen und ihm nichts vorzulügen, und der Freund würde dies ersehen, wenn er sein Tun sorgfältig ausspähen wolle. Doch sei es hierzu nicht einmal nötig, sich irgend Mühe zu geben; denn die Mühe, die er aufwenden wolle, um seinen Wünschen nachzukommen, werde ihm jeden Argwohn benehmen.

Anselmo schenkte ihm Glauben, und um es ihm bequemer zu machen, so daß er mehr Sicherheit und weniger Störung hätte, beschloß er, sich auf acht Tage aus seinem Hause zu entfernen und einen Freund in einem Dorfe nicht weit von der Stadt zu besuchen. Er verabredete mit diesem Freunde, er solle ihn ernstlich und dringend zu sich berufen, um bei Camila einen Vorwand zu seiner Abreise zu haben.

Du unglücklicher, übelberatener Anselmo! Was tust du? Was planst du? Auf was gehst du aus? Bedenke, daß du gegen dich selbst handelst, indem du deine Entehrung planst und auf dein Verderben ausgehst. Tugendhaft ist deine Gemahlin Camila; in Ruhe und Frieden besitzest du sie; niemand stört deine Freuden; ihre Gedanken schweifen nicht über die Wände deines Hauses hinaus; du bist ihr Himmel auf Erden, der Zielpunkt ihrer Wünsche, der Gipfel ihrer Freuden, das Maß, an dem sie ihren Willen mißt, indem sie ihn in allem nach dem deinigen und dem des Himmels richtet. Wenn nun die Erzgrube ihrer Ehre, ihrer Schönheit, Sittsamkeit und Schüchternheit dir ohne irgendwelche Mühsal allen Reichtum hingibt, den sie enthält und den du nur wünschen kannst, warum willst du die Erde noch tiefer aufgraben und neue Adern neuen und nie erschauten Reichtums aufsuchen und dich hierbei in die Gefahr bringen, daß sie ganz zusammenstürze? Denn am Ende hält sie sich doch nur auf den gebrechlichen Stützen ihrer schwachen Natur aufrecht. Bedenke: Wer das Unmögliche sucht, dem geschieht nur recht, wenn das Mögliche ihm versagt wird, wie es besser ein Dichter ausdrückt, der da sagt:

Leben such ich in dem Tod,
Heilung in des Siechtums Grause,
Ausgang in verschloßner Klause,
Freiheit in des Kerkers Not,
Treue, wo Verrat zu Hause.

Doch mein Glück, stets karg an Gaben,
Läßt selbst Hoffnung nie mich laben;
Und des Himmels Satzung lehrt:
Wer Unmögliches begehrt,
Soll das Mögliche nicht haben.

Am andern Tag begab sich Anselmo auf das Dorf, nachdem er Camila gesagt, während der Zeit seiner Abwesenheit werde Lotario kommen, um nach dem Hause zu sehen und mit ihr zu speisen; sie möge wohl darauf bedacht sein, den Freund wie ihn selbst zu behandeln. Camila war als eine verständige, sittsame Frau über den Befehl bekümmert, den ihr Gemahl ihr zurückließ, und entgegnete ihm, er möge bedenken, daß es nicht schicklich sei, wenn in seiner Abwesenheit ein anderer den Platz an seinem Tisch einnehme; und wenn er es etwa deshalb tue, weil er ihr nicht zutraue, sein Haus regieren zu können, so möge er doch diesmal die Probe machen, und die Erfahrung würde ihn dann belehren, daß sie auch größeren Aufgaben gewachsen sei. Anselmo erwiderte ihr, es sei einmal sein Wunsch so, und sie habe weiter nichts zu tun, als gesenkten Hauptes ihm zu gehorchen. Camila erklärte, sie werde es tun, wenn auch gegen ihren Willen.

Anselmo reiste ab, und des andern Tags kam Lotario ins Haus und fand bei Camila eine liebevolle und sittsame Aufnahme. Doch betrat sie nie einen Ort, wo Lotario sie unter vier Augen hätte antreffen können; sie zeigte sich immer von ihren Dienern und Dienerinnen umgeben, namentlich einer Zofe, die Leonela hieß und die sie sehr liebte, weil sie beide von Kind auf im Hause von Camilas Eltern zusammen erzogen worden waren, und als sie sich mit Anselmo verheiratete, nahm sie die Zofe mit.

Im Lauf der ersten drei Tage sprach Lotario gar nichts mit ihr, obschon er es gekonnt hätte, während man den Tisch abdeckte und die Leute weggingen, um rasch zu essen, wie es Camila angeordnet hatte. Sogar hatte Leonela den Befehl, früher als Camila zu essen und sich nie von ihrer Seite zu entfernen. Allein das Mädchen, das ihre Gedanken auf andre Gegenstände ihrer Wünsche gerichtet hatte und dieser Stunden und Gelegenheiten bedurfte, um sie auf die Befriedigung ihrer eignen Neigungen zu verwenden, befolgte nicht immer das Gebot ihrer Herrin, ließ vielmehr die beiden häufig allein, gerade als wäre dieses ihr befohlen worden. Indessen, das sittsame Aussehen Camilas, der Ernst ihrer Züge, der würdige Anstand ihrer ganzen Persönlichkeit, das alles war mächtig genug, um Lotarios Zunge einen Zügel anzulegen. Jedoch das Gute, das die vielen trefflichen Eigenschaften Camilas bewirkten, indem sie Lotario zu schweigen nötigten, schlug beiden zu desto größerem Schaden aus. Denn wenn die Zunge auch still blieb, so redeten die Gedanken und hatten Muße, die vollendete Schönheit und Liebenswürdigkeit, welche Camila zu eigen waren, Zug um Zug mit Verehrung zu betrachten, mehr als genügend, um eine Bildsäule von Marmor in Liebe zu entflammen, geschweige denn ein Herz von Fleisch und Blut. Sooft Lotario Zeit und Gelegenheit fand, sie zu sprechen, schaute er sie unverwandt an und dachte bei sich, wie liebenswert sie sei. Diese Gedanken begannen allmählich einen Sturmlauf gegen die freundschaftliche Rücksicht, die er Anselmo schuldete, und tausendmal wollte er die Stadt verlassen und hingehen, wo Anselmo niemals ihn und er niemals Camila mehr zu Gesicht bekäme. Allein schon konnte er es nicht mehr. Der Genuß, den er an ihrem Anblick fand, verwehrte es ihm und hielt ihn zurück. Er tat sich Gewalt an und kämpfte mit sich, um die Wonne nicht zu empfinden und aus seinem Herzen zu reißen, die ihn antrieb, Camila stets anzuschauen. Wenn er mit sich allein war, klagte er sich an ob seines Wahnsinns, er nannte sich einen schlechten Freund, ja einen schlechten Christen; er stellte Betrachtungen an und Vergleichungen zwischen sich und Anselmo, und alle liefen darauf hinaus, daß er sich sagte, seine Treulosigkeit sei noch lange nicht so groß wie Anselmos Verkehrtheit und blinde Zuversicht, und wenn er für das, was er zu tun gedenke, ebenso vor Gott Entschuldigung fände wie vor den Menschen, so würde er keine Strafe für seine Schuld fürchten.

Zuletzt kam es dahin, daß Camilas Schönheit und vortreffliche Eigenschaften, verbunden mit der Gelegenheit, die der törichte Ehemann ihm in die Hand gegeben, Lotarios Redlichkeit gänzlich zu Fall brachten. Er beachtete nichts anderes mehr, als wozu seine Neigung ihn trieb, und nach drei Tagen der Abwesenheit Anselmos, während deren er in beständigem Kampfe war, um seinen eigenen Wünschen zu widerstehen, begann er, wie verstört und außer sich, um Camila mit solchen Liebesworten zu werben, daß sie ganz in Bestürzung geriet und nichts weiter tat, als daß sie sich von ihrem Sitz erhob und in ihr Gemach ging, ohne ihm ein Wort zu erwidern. Aber durch diese Kälte ward in Lotario die Hoffnung nicht entmutigt, die immer zugleich mit der Liebe entsteht; vielmehr ward ihm Camila um so teurer.

Diese aber, nachdem sie in Lotario gefunden, was sie nie erwartet hätte, wußte nicht, was sie anfangen sollte; und da es ihr weder sicher noch wohlgetan schien, ihm Gelegenheit und Raum zu einer zweiten Besprechung zu geben, so beschloß sie, noch an demselben Abend – wie sie es denn auch ausführte – einen ihrer Diener mit einem Briefe an Anselmo zu senden, worin sie ihm folgende vernünftige Worte schrieb.