50. Kapitel

Von dem scharfsinnigen Meinungsstreit zwischen Don Quijote und dem Domherrn, nebst andern Begebnissen

»Das ist nicht übel«, entgegnete Don Quijote, »die Bücher, die mit königlicher Erlaubnis und mit Genehmigung der Zensurbehörden gedruckt sind und mit allgemeinem Beifall gelesen und gefeiert werden von groß und klein, von hoch und niedrig, von den Gelehrten und den Ungelehrten, von den Leuten aus dem Volk und den Edelleuten, kurz, von jeder Art Personen, wes Standes und Berufs sie auch seien, diese Bücher sollten Lüge sein? Zumal da sie doch so sehr das Gepräge der Wahrheit an sich tragen, indem sie uns jedesmal den Vater, die Mutter, das Vaterland, die Verwandten, das Alter, den Ort und die Taten des fraglichen Ritters oder der fraglichen Ritter Punkt für Punkt und Tag für Tag angeben. Nein, würdiger Herr, schweiget, sprecht keine solche Lästerung aus und glaubt mir, ich rate Euch, was Ihr als verständiger Mann in der Sache tun müsset. Oder aber, lest sie doch nur, und Ihr werdet sehen, welchen Genuß Ihr von diesen Büchern empfangt. Oder sagt mir doch einmal: gibt’s ein größer Vergnügen, als zum Beispiel zu sehen, wie hier gleich vor unsern Augen ein großer See von siedendem und Blasen auftreibendem Pech erscheint und wie darin zahlreiche Schlangen, Nattern, Eidechsen und viele andre Arten wilder, entsetzlicher Tiere umherschwimmen und sich in die Kreuz und Quer bewegen und wie mitten aus dem See eine jammervolle Stimme empordringt und spricht: ›Du, Ritter, wer du auch seiest, der du diesen fürchterlichen See beschauest, wenn du das Heil erringen willst, das unter diesen schwarzen Wassern verborgen liegt, bewähre die Tapferkeit deines heldenstarken Busens und wirf dich mitten in das schwarze, flammende Naß dieses Sees hinein; denn so du solches nicht tust, bist du nimmer würdig, die erhabenen Wunder zu erschauen, die da enthalten und beschlossen sind in den sieben Burgen der sieben Feen, welche unter dieser Finsternis liegen.‹ Und wie der Ritter, da er die fürchterliche Stimme kaum noch recht vernommen, auf der Stelle, ohne weiter zu überlegen, in welche Gefahr er sich begibt, ja, ohne sich des Gewichtes seiner starken Rüstung zu entledigen, sich Gott und seiner Gebieterin befiehlt und sich mitten in den kochenden See hineinstürzt; und wie er, ehe er sich’s versieht und ehe er noch weiß, wohin er geraten mag, sich auf blühenden Gefilden findet, mit denen die des Elysiums sich in keiner Hinsicht vergleichen können. Da, deucht es ihn, ist der Himmel klarer und scheint die Sonne mit höherem, ungekanntem Glanze; da bietet sich seinen Augen ein lieblicher Hain von so frischgrünen, dichtbelaubten Bäumen, daß ihr Grün den Blick ergötzt, während die Ohren sich laben an dem süßen, nicht durch Kunst erlernten Gesang der kleinen, zahllosen bunten Vöglein, die durch das verschlungene Gezweig beständig hin und her fliegen. Dort wieder ersieht er ein Bächlein, dessen frische Wasser flüssige Kristalle scheinen und über feinen Sand und weiße Steinchen hineilen, die wie Goldstaub und reine Perlen anzuschauen sind. Anderwärts erblickt er einen kunstreichen Springbrunnen, dessen Schale aus buntem Jaspis und glattem Marmor besteht; dann einen andern, in phantastischem Stil angelegt, wo die kleinen Muschelschalen mit den gewundenen weißen und gelben Schneckenhäusern wie zufällig und doch geordnet hingelegt sind und daruntergemischte Stücke glänzenden Kristalls und künstlich nachgemachten Smaragds ein Werk von großer Mannigfaltigkeit darstellen, so daß die Kunst, indem sie die Natur nachahmt, diese hier zu übertreffen scheint. Dort alsdann zeigt sich ihm unversehens eine starke Feste oder prächtige Königsburg, deren Mauern von gediegenem Golde, deren Zinnen von Demanten, deren Tore von Hyazinthen sind; und zudem ist sie von so wunderbarem Bau, daß, obschon ihre Bestandteile nichts Geringeres sind als Demanten, Karfunkel, Rubine, Perlen, Gold und Smaragde, die Arbeit an dem ganzen Werke von noch höherem Wert ist.

Und hat er dies alles gesehen, was gibt’s noch Herrlicheres zu sehen, als zu sehen, wie aus der Pforte der Königsburg eine reichliche Anzahl junger Fräulein hervortritt, alle in so reizenden, prachtvollen Roben, daß ich wahrlich, wenn ich sie nunmehr so schildern wollte wie die Rittergeschichten, nimmer damit zu Ende kommen würde; und zu sehen, wie alsogleich die Dame, die als die fürnehmste unter allen aussah, den verwegenen Ritter, der sich in den kochenden See gestürzt, an der Hand nimmt und ihn, ohne ein Wort zu reden, in die herrliche Königsburg oder Feste hineingeleitet und ihn splitternackt, wie er aus der Mutter Schoß kam, entkleiden und in lauem Wasser baden, ihm sodann mit duftenden Salben den ganzen Körper salben und ihn mit einem Hemd vom feinsten Zindel bekleiden läßt, das ganz und gar voll Wohlgeruches und lieblich durchduftet ist; und wie dann ein anderes Fräulein kommt und ihm über die Schultern einen Mantel wirft, der mindestens, ja zum mindesten, wie die Berichte lauten, eine ganze Stadt wert ist, ja noch mehr.

Was ist sodann Schöneres zu sehen, als wenn uns berichtet wird, wie er nach alledem in einen andern Saal geleitet wird, wo er die Tische in so wundervoller Anordnung gedeckt findet, daß er voll Staunens außer sich gerät? Was Schöneres, als zu sehen, wie ihm über die Hände Wasser gegossen wird, das aus lauter Ambra und duftigen Blumen gewonnen ist? Was Herrlicheres, als zu sehen, wie man ihn auf einem Sessel von Elfenbein niedersitzen heißt? Wie ihn alle die Fräulein in wundersamem Schweigen bedienen? Was Prächtigeres als eine solche Mannigfaltigkeit von Gerichten, alle so schmackhaft bereitet, daß die lüsterne Begier nicht weiß, nach welchem sie zuerst die Hand ausstrecken soll? Und wie herrlich, dann den Gesängen zu lauschen, die da ertönen, während er tafelt, ohne daß er weiß, wer sie singt noch wo sie erklingen? Und wenn das Mahl beendet und die Tafel aufgehoben ist, wie da der Ritter sich auf seinen Sessel zurücklehnt und, während er sich die Zähne stochert, wie es jetzt Sitte ist, wie da unversehens zur Tür des Saales eine andre Jungfrau hereintritt, weit schöner als jegliche von den ersten; und wie sie sich dem Ritter zur Seite niederläßt und ihm sofort berichtet, welch eine Burg dieses ist und daß sie in selbiger verzaubert weilen muß, nebst viel anderem, was den Ritter in Staunen versetzt und die Leser seiner Geschichte mit Bewunderung erfüllt. Ich will mich nicht weiter hierüber verbreiten; aber man kann schon aus dem Gesagten schließen, daß jedes beliebige Stück, das man von jeder beliebigen Rittergeschichte liest, bei jedem beliebigen Leser Vergnügen und Verwunderung hervorbringen muß.

Und Euer Gnaden möge mir folgen und, wie ich schon vorher bemerkt, diese Bücher lesen; und Ihr werdet sehen, wie sie Euch den Trübsinn, der Euch etwa drückt, verbannen und die Stimmung bessern, wenn Ihr Euch etwa in einer schlechten befinden solltet. Von mir wenigstens muß ich sagen, seit ich ein fahrender Ritter bin, seitdem bin ich tapfer, freigebig, gesittet, großmütig, höflich, kühn, sanft, geduldig, ertrage leicht Mühsale, Gefangenschaft, Verzauberung, und obschon ich erst vor kurzem mich als verrückt in einem Käfig eingesperrt sah, so hoffe ich doch durch die Kraft meines Armes, wenn der Himmel mir beisteht und das Glück mir nicht feindlich ist, mich binnen weniger Tage zum König eines Reiches erhoben zu sehen, wo ich die Dankbarkeit und Freigebigkeit zeigen kann, die meine Brust in sich faßt. Denn wahrlich, Señor, der Arme ist unfähig, die Tugend der Freigebigkeit gegen irgendwen zu zeigen, wenn er sie auch im höchsten Grade besitzt; und die Dankbarkeit, die nur aus frommen Wünschen besteht, ist etwas Totes, gerade wie der Glaube ohne Werke tot ist. Darum wünschte ich, daß das Glück mir baldigst eine Gelegenheit böte, mich zum Kaiser zu machen, um meine Gesinnung durch Wohltaten an meinen Freunden zu bewähren, insbesondere an dem armen Teufel von Sancho, meinem Schildknappen, der der beste Mensch von der Welt ist; ich möchte ihm gern eine Grafschaft schenken, die ich ihm schon seit langen Tagen versprochen habe; nur fürchte ich, er möchte nicht die Fähigkeit besitzen, seine Grafschaft zu regieren.«

Diese letzten Worte hörte Sancho, und gleich sprach er zu seinem Herrn: »Señor Don Quijote, sorgt Ihr nur dafür, daß Ihr mir jene Grafschaft verschafft, die von Euch ebenso ernstlich verheißen als von mir erhofft ist; ich hingegen verheiße Euch, mir soll es an Fähigkeiten nicht fehlen, sie zu regieren. Und wenn es mir auch daran fehlen sollte, so hab ich gehört, es gibt Leute in der Welt, welche die Herrschaften der großen Herren in Pacht nehmen und ihnen soundso viel jährlich abgeben, sie hingegen sorgen für die Regierung, und der Herr sitzt und streckt die Beine aus und genießt seine Rente, ohne sich um sonst was zu kümmern. Und so will ich’s auch machen, und ich will mich nicht um das geringste weiter kümmern, sondern gleich alles aus den Händen geben, und will mir meine Rente schmecken lassen wie ein Prinz, und den Leuten mag es bekommen, wie es will.«

»Dies, Freund Sancho«, sagte der Domherr, »kann gelten, soweit es das Verzehren der Rente betrifft, aber was die Verwaltung der Rechtspflege angeht, die muß der Besitzer der Herrschaft selbst verstehen, und dazu gehören Fähigkeit und tüchtiger Mutterwitz und besonders der redliche Wille, das Richtige zu tun. Denn wo dieser im Anfang fehlt, wird auch Mitte und Ende stets fehlgehen; und Gott pflegt ebenso der redlichen Absicht des Einfältigen hilfreich zu sein, als die böse Absicht des Klugen zu vereiteln.«

»Ich verstehe nichts von derlei Gelahrtheiten«, entgegnete Sancho Pansa. »Ich weiß nur, so geschwind ich die Grafschaft bekommen würde, so geschwind würde ich sie zu regieren verstehen; denn ich habe soviel Verstand im Leibe wie jeder andre und soviel Leib wie nur der Allerbeleibteste, und ich würde ebensosehr in meiner Herrschaft der König sein wie jedweder in seiner. Und wenn ich das wäre, so würde ich tun, was ich wollte; und wenn ich täte, was ich wollte, so würde ich tun, wozu ich Lust habe; und wenn ich täte, wozu ich Lust habe, wäre ich zufrieden; und wenn einer zufrieden ist, hat er nichts mehr zu wünschen; und wenn einer nichts mehr zu wünschen hat, so ist die Sache abgemacht. Also nur her mit der Herrschaft; und damit Gott befohlen und auf Wiedersehen, wie ein Blinder zum andern sagte.«

»Diese Gelahrtheiten, wie du gesagt, sind nicht so übel, Sancho«, sprach der Domherr; »aber bei alledem bleibt über die Sache mit den Grafschaften noch viel zu sagen.«

Darauf versetzte Don Quijote: »Ich wüßte nicht, daß noch etwas zu sagen bliebe. Ich richte mich lediglich nach zahlreichen und mannigfachen Beispielen, die ich in diesem Betreff hier anführen könnte, von Rittern meines Berufs, welche, um den getreuen und ausgezeichneten Dienstleistungen ihrer Schildknappen gerecht zu werden, ihnen ganz besondere Gnaden erwiesen und sie zu unabhängigen Herren von Städten und Insuln machten, und manchen gab es, dessen Verdienste so hohen Grad erreichten, daß er sich überhob und vermaß, den Königsthron zu besteigen. Aber wozu verwende ich hierauf soviel Zeit, da mir ein so glänzendes Beispiel der große und nie genugsam gepriesene Amadís von Gallien bietet, der seinen Schildknappen zum Grafen der Festlandinsul machte? Und so kann auch ich ohne Gewissensbedenken meinen Sancho Pansa zum Grafen machen, der einer der besten Schildknappen ist, die je ein fahrender Ritter gehabt hat.«

Der Domherr war höchlich verwundert über diese systematischen Narreteien – wenn in Narreteien ein System sein kann –, welche Don Quijote vorgebracht, und über die Art, wie er das Abenteuer des Ritters vom See geschildert, über den Eindruck, den die vorsätzlichen Lügen der Bücher, die er gelesen, auf ihn hervorgebracht hatten, und endlich erstaunte ihn auch die Einfalt Sanchos, der sich so heiß nach der von seinem Herrn verheißenen Grafschaft sehnte.

Unterdessen kehrten die Diener des Domherrn aus der Schenke zurück, von wo sie das Saumtier mit dem Mundvorrat geholt hatten. Ein Teppich und das grüne Gras der Wiese dienten als Tisch; man setzte sich unter schattigen Bäumen nieder und speiste daselbst, damit der Ochsenkärrner nicht um die günstige Gelegenheit käme, die ihm, wie gesagt, dieser Ort darbot.

Während sie so tafelten, vernahmen sie plötzlich ein starkes Rauschen von Zweigen und das Klingen einer Schelle, welches aus Dornbüschen und dichtem Gesträuch, das sich ringsher fand, erklang, und im nämlichen Augenblick sahen sie aus dem Dickicht eine schöne Ziege hervorspringen, deren ganzes Fell schwarz, weiß und grau gesprenkelt war; hinter ihr her kam ein Ziegenhirt, rief ihr nach und sprach ihr schmeichelnd zu, wie die Hirten pflegen, damit sie stehenbliebe oder zur Herde zurückliefe. Die flüchtige Ziege lief in ihrer Furcht und Ängstlichkeit zu den Leuten hin, als ob sie Schutz bei ihnen suchte, und blieb da stehen. Der Ziegenhirt kam herbei, faßte sie an den Hörnern und redete mit ihr, gerade als besäße sie Verstand und Einsicht: »Ha, du Landstreicherin, Wildfang, Scheckchen, Scheckchen! Wo hüpfst du denn all die Zeit herum? Was für Wölfe haben dich fortgeschreckt, mein Töchterlein? Willst du mir nicht sagen, was das bedeuten soll, du Allerschönste? Aber was kann es bedeuten, als daß du ein Weibchen bist und keine Ruhe halten kannst? Das ist eben deine Natur, der Kuckuck soll sie holen, und es ist die Natur aller Weiber, und du tust es ihnen nach. Komm mit heim, komm mit heim, Liebchen; bist du auch nicht so vergnügt in deiner Hürde, so bist du doch besser geborgen darin oder bei deinen Gefährtinnen; und wenn du, die du sie hüten und leiten sollst, so ohne Führung bist und auf Abwegen wandelst, wohin soll’s dann mit ihnen kommen?«

Das Gerede des Ziegenhirten machte allen Zuhörern großes Vergnügen, insbesondere dem Domherrn, der zu ihm sagte: »Ich bitte Euch um alles, guter Freund, beruhigt Euch ein wenig und eilt nicht so arg, die Ziege zu ihrer Herde zurückzubringen; denn da sie, wie Ihr sagt, ein Weibchen ist, so muß sie ihrem angebornen Triebe folgen, ob Ihr Euch auch noch so sehr mühet, es zu verwehren. Nehmt diesen Bissen und trinkt einmal, damit werdet Ihr Euren Zorn kühlen, und derweil kann die Ziege sich ausruhen.«

Dies sagen und ihm auf der Spitze des Messers die Lenden von einem kalten gebratenen Kaninchen darreichen war alles das Werk eines Augenblicks. Der Ziegenhirt nahm es und dankte dafür, trank und ward ruhig und sprach alsbald: »Ich möchte nicht, daß Euer Gnaden mich für einen einfältigen Menschen halte, weil ich mit dem Tier so ganz nach der Vernunft gesprochen; denn allerdings sind die Worte, die ich der Ziege sagte, etwas absonderlich. Ich bin ein Bauer, aber nicht so bäurisch, daß ich nicht wüßte, wie man mit dem Menschen und dem Vieh umgehen muß.«

»Das glaube ich ganz gern«, sagte der Pfarrer; »denn ich weiß schon aus Erfahrung, daß die Wälder Leute von Bildung auf erziehen und die Schäferhütten manchem Philosophen Wohnung bieten.«

»Wenigstens, Señor, beherbergen sie Leute«, entgegnete der Hirt, »die durch Schaden klug geworden sind; und damit Ihr die Wahrheit dieses Satzes glaubet und sie mit den Händen greifet, so werde ich, obwohl ich mich damit ungebeten selber einlade, so werde ich, wenn es Euch nicht langweilt und Ihr mir eine kleine Weile aufmerksames Gehör schenken wollt, Euch eine wahre Geschichte erzählen, die die Behauptung dieses Herrn« – auf den Pfarrer deutend – »und die meinige bestätigen wird.«

Hierauf entgegnete Don Quijote: »Sintemal ich ersehe, daß dieser Kasus ich weiß nicht was für einen Anstrich von einem Ritterschafts-Abenteuer hat, so werde ich für mein Teil Euch sehr gerne anhören, guter Freund, und desgleichen werden alle diese Herren tun, da sie so überaus verständig sind und gerne vernehmen von absonderlichen Neuigkeiten, so die Sinne spannen, ergötzen und behaglich unterhalten, wie meines Bedünkens Eure Erzählung ohne Zweifel tun wird. So machet denn einen Beginn, Freund, wir werden Euch alle zuhören.«

»Ich tue nicht mit«, sprach Sancho; »mit der Pastete hier gehe ich dort an den Bach und will mich da auf drei Tage anfüllen. Denn ich habe meinen Herrn Don Quijote sagen hören, fahrenden Ritters Schildknappe muß essen, bis er nicht mehr kann, sobald er in den Fall kommt; dieweil er oftmals in den Fall kommt, daß er zufällig in einen dicht verschlungenen Wald hineingerät, aus dem er sechs Tage nicht wieder herauskommt, und wenn da der Mensch nicht sattgegessen oder mit einem wohlgespickten Schnappsack versehen ist, so kann er drin steckenbleiben und, wie ihm oftmalen geschieht, zur Mumie zusammenhutzeln.«

»Du hast das beste Teil erwählt, Sancho«, sprach Don Quijote; »geh du, wohin dir’s paßt, und iß, was der Magen faßt. Ich habe schon mein Genügen, es erübrigt mir nur noch, dem Geiste seine Erquickung zu gewähren, und die gewähre ich ihm, wenn ich die Erzählung dieses Biedermanns anhöre.«

»Wir alle werden unsere Geister daran erquicken«, sprach der Domherr; und sofort bat er den Ziegenhirten, mit der versprochenen Erzählung zu beginnen. Der Hirt gab der Ziege, die er an den Hörnern hielt, zwei Schläge mit der flachen Hand auf den Rücken und sagte zu ihr: »Leg dich neben mich hin, Scheckchen, wir haben noch genug Zeit, zu unserem Pferch heimzukehren.«

Die Ziege schien ihn zu verstehn; denn als ihr Herr sich setzte, streckte sie sich ganz ruhig neben ihm nieder und sah ihm ins Gesicht, als ob sie zu verstehen gäbe, daß sie auf die Worte des Hirten ernstlich aufmerken wolle. Und dieser begann seine Geschichte folgendermaßen.

51. Kapitel

Welches berichtet, was der Ziegenhirt der ganzen Gesellschaft erzählte, die den Ritter Don Quijote von dannen führte

Drei Meilen von diesem Tale liegt ein Dorf, welches zwar klein, aber doch eins der reichsten in der ganzen Gegend ist. In dem Dorfe lebte ein Bauer in großem Ansehen, und wiewohl dem Reichtum allezeit das große Ansehen anhaftet, so genoß er dieses doch weit mehr ob seiner Rechtschaffenheit als ob seines Reichtums. Was ihn aber noch weit glücklicher machte, wie er selbst sagte, war der Umstand, daß er eine Tochter hatte von so außerordentlicher Schönheit, so seltenem Verstand, so voll Anmut und Tugend, daß jeder, der sie kannte und beobachtete, voll Staunens war ob der außerordentlichen Gaben, mit denen der Himmel und die Natur sie überreich ausgestattet hatten. Schon als Kind war sie schön, und seitdem nahm sie stets zu an Reizen, und im Alter von sechzehn Jahren war sie die Schönste von allen. Der Ruf ihrer Reize begann sich in den umliegenden Dörfern zu verbreiten; was sag ich, nur in den umliegenden? Er drang bis zu entfernten Städten, ja zu den Prunksälen der Könige und zum Ohr von Leuten jeden Standes, die von überall herkamen, um sie wie eine Seltenheit oder wie ein wundertätiges Bild anzuschauen. Ihr Vater hütete sie, und sie hütete sich selber; denn es gibt kein Vorhängschloß, keinen Riegel, die eine Jungfrau besser hüten könnten als ihre eigne Sittsamkeit.

Der Reichtum des Vaters und die Schönheit der Tochter bewogen viele, sowohl aus dem Ort als auch Auswärtige, um ihre Hand anzuhalten. Der Vater aber, der über ein so köstliches Kleinod zu verfügen hatte, war in großer Verlegenheit, wem von den Unzähligen, die ihn bestürmten, er sie geben solle. Unter den vielen, die einen so ehrenhaften Wunsch hegten, war auch ich, und mir versprach der Umstand große Aussicht auf guten Erfolg, daß ich wußte, der Vater wußte genau, was an mir war; daß ich aus demselben Dorfe gebürtig, von rein christlichem Blute, in blühendem Alter, an Vermögen sehr reich und an Geistesgaben nicht minder vortrefflich war. Mit allen den nämlichen Vorzügen hielt auch ein anderer aus demselben Ort um sie an, und das machte denn den Vater unschlüssig und bedenklich, da es ihn bedünkte, mit jedem von uns beiden wäre seine Tochter gleich gut versorgt. Um aus dieser Verlegenheit zu kommen, beschloß er, Leandra von der Sache in Kenntnis zu setzen; so heißt nämlich das reiche Mädchen, um dessentwillen mein Herz verarmt ist. Er erwog, da wir beide uns in allem ebenbürtig waren, so wäre es am besten, wenn er es seiner geliebten Tochter überließe, nach ihrer Neigung zu wählen; ein Verfahren, das alle Eltern nachahmen sollten, wenn sie für ihre Kinder den Stand der Ehe in Aussicht nehmen. Ich sage nicht, sie sollen ihren Kindern im Schlechten und Verderblichen freie Wahl lassen, sondern sie sollen ihnen Gutes vorschlagen, damit sie unter dem Guten nach ihrem Wunsch auswählen. Ich weiß nicht, welchen Wunsch Leandra hatte; ich weiß nur, daß der Vater uns beide mit dem zu jugendlichen Alter seiner Tochter und mit allgemeinen Redensarten hinhielt, durch die er sich weder zu etwas verbindlich machte noch sich gegen uns unverbindlich zeigte. Mein Mitbewerber heißt Anselmo und ich Eugenio, damit Ihr die Namen der Personen kennt, die in diesem Trauerspiel vorkommen, dessen Ende noch unentschieden ist, wiewohl zu befürchten steht, daß es ein unglückliches sein wird.

Um diese Zeit kam ein gewisser Vicente de la Roca in unser Dorf, der Sohn eines armen Bauern aus diesem nämlichen Ort, welcher Vicente aus Italien und verschiedenen anderen Ländern kam und Soldat gewesen war. Als er ein Junge von etwa zwölf Jahren war, hatte ihn aus unserm Dorf ein Hauptmann mitgenommen, der mit seinem Fähnlein durchmarschierte, und wieder nach zwölf Jahren kam der Bursche zurück, soldatisch gekleidet, bunt in tausend Farben, vollbehängt mit tausenderlei Klimperkram von Glas und dünnen Stahlketten. Heute warf er sich in diesen Staat und morgen in jenen, aber alles war hohl und angemalt, leicht von Gewicht und noch leichter an Wert. Die Bauersleute, die an sich boshaft und, wenn gerade Müßiggang ihnen Gelegenheit dazu gibt, die Bosheit selber sind, merkten das wohl, rechneten Stück für Stück seinen Staat und seine Kostbarkeiten nach und fanden, daß seiner Anzüge drei waren, von verschiedenen Farben mit den zugehörigen Kniebändern und Strümpfen. Allein der wußte sie mit so viel Änderungen herzurichten und mit so viel neuen Erfindungen aufzuputzen, daß, wenn die Bauern sie nicht nachgezählt hätten, mancher darauf geschworen hätte, er habe mehr als zehn Anzüge und mehr als zwanzigfachen Federschmuck zur Schau getragen. Und ihr dürft es nicht übelnehmen und für überflüssig halten, was ich da von seinen Anzügen erzähle; denn die spielen eine große Rolle in unserer Geschichte. Er setzte sich öfter auf eine Bank auf unserm Marktplatz unter einer großen Pappel, und da hielt er uns alle fest, daß wir Maul und Nase aufsperrten und an seinen Lippen hingen, wenn er uns seine Heldentaten erzählte. Da war kein Land auf dem ganzen Erdkreis, das er nicht gesehen, keine Schlacht, die er nicht mitgemacht hätte. Er hatte mehr Mauren umgebracht, als in ganz Marokko und Tunis leben, und hatte mehr Zweikämpfe bestanden, wie er sagte, als Gante und Luna, Diego García des Parédes und tausend andere, die er nannte; und aus allen war er siegreich hervorgegangen, ohne daß man ihm einen Tropfen Blutes abgezapft hätte. Andererseits wieder zeigte er Narben, und obschon sie kaum zu sehen waren, wollte er uns vorreden, es seien Wunden von Musketenschüssen, die er bei verschiedenen Scharmützeln und Treffen empfangen habe. Kurz, mit nie erhörter Anmaßung redete er seinesgleichen, ja sogar die Leute, die ihn genau kannten, mit Er an und sagte öfter, sein tapferer Arm sei sein Vater, seine Taten seien sein Stammbaum und in seinem Stande als Soldat stehe er so hoch wie der König selbst. Zu dieser Großtuerei kam bei ihm noch hinzu, daß er ein wenig Musik trieb und auf der Gitarre spielte und über die Saiten nur so hinfuhr, so daß etliche sagten, die Gitarre bekäme Sprache unter seinen Fingern. Aber das war noch nicht alles, denn er hatte auch die Gabe zu dichten, und so machte er über jede Kinderei im Dorfe eine Romanze anderthalb Meilen lang.

Diesen Soldaten also, den ich hier geschildert habe, diesen Vicente de la Roca, diesen Helden, diesen Stutzer, diesen Musiker, diesen Dichter sah und beobachtete Leandra oftmals aus einem Fenster ihrer Behausung, das auf den Marktplatz ging. Sie verliebte sich in das Flittergold seiner in die Augen stechenden Trachten; sie war bezaubert von seinen Romanzen, die er in Abschriften, zwanzig von jedem Gedicht, verteilte; die Heldentaten, die er von sich selbst erzählt hatte, kamen ihr zu Gehör, und endlich – der Teufel mußte wohl die Sache eingefädelt haben – kam es so weit, daß sie sich ernstlich in ihn verliebte, bevor auch nur in ihm selbst der vermessene Gedanke entstanden war, sich um ihre Gunst zu bewerben. Da aber in Herzensangelegenheiten die Neigung des Weibes der stärkste Bundesgenosse ist, so verständigten sich Leandra und Vicente sehr leicht, und ehe einer von ihren vielen Bewerbern von ihrer Neigung etwas ahnte, hatte sie dieselbe schon dem Ziele entgegengeführt. Sie verließ das Haus ihres teuren, geliebten Vaters, denn eine Mutter hatte sie nicht mehr, und entfernte sich aus dem Dorfe mit ihrem Soldaten, der einen größeren Triumph aus dieser Unternehmung davontrug als aus den vielen, deren er sich zu rühmen pflegte.

Der Vorfall setzte das ganze Dorf in Erstaunen sowie einen jeden, der davon Kenntnis erhielt. Ich war höchlich bestürzt, Anselmo zu Tode erschrocken, der Vater tief betrübt, ihre Verwandten entehrt, das Gericht in voller Tätigkeit, die Landreiter auf der Spähe; man streifte auf den Wegen, man durchsuchte die Wälder und was darum und daran war, und nach drei Tagen fand man diese ihren Launen frönende Leandra in einer Höhle mitten im Walde, entkleidet bis aufs Hemd, ohne das viele Geld und die kostbaren Juwelen, die sie von Hause mitgenommen hatte. Man brachte sie zu ihrem bekümmerten Vater zurück; man befragte sie über ihr Unglück; sie gestand ohne alles Drängen, Vicente de la Roca habe sie hintergangen und mittels eines Eheversprechens überredet, ihres Vaters Haus zu verlassen; er werde sie in die reichste und üppigste Stadt der ganzen Welt bringen, nämlich nach Neapel; und sie, schlimm beraten und noch schlimmer getäuscht, habe ihm Glauben geschenkt und, nachdem sie ihren Vater bestohlen, sich in derselben Nacht, wo sie vermißt wurde, seinen Händen anvertraut, und er habe sie in ein wildes Waldgebirge geführt und sie in die Höhle eingesperrt, wo man sie gefunden habe. Sie erzählte auch, daß ihr der Soldat, ohne ihr jedoch die Ehre zu rauben, alles weggenommen, was sie bei sich hatte, und sie in der Höhle gelassen habe und von dannen gegangen sei, ein Vorgang, der alle aufs neue in Erstaunen setzte. Schwer fiel es, lieber Herr, an die Enthaltsamkeit des Burschen zu glauben; aber sie bekräftigte es mit so zahllosen Beteuerungen, daß sie viel dazu beitrugen, dem untröstlichen Vater Trost zu verleihen, und er achtete der Schätze nicht, die man ihm geraubt hatte, da man seiner Tochter das Kleinod gelassen, das, wenn einmal verloren, keine Hoffnung läßt, jemals wiedererlangt zu werden.

Am nämlichen Tage, wo Leandra uns wieder vor Augen kam, schaffte ihr Vater sie uns wieder aus den Augen, indem er sie sogleich von unserm Dorf wegführte und in einer benachbarten Stadt ins Kloster einschloß. Denn er hoffte, die Zeit werde einiges von dem üblen Rufe verwischen, in welchen seine Tochter sich gebracht hatte. Die große Jugend Leandras diente ihr zur Entschuldigung, wenigstens bei denen, die es nicht berührte, ob sie tugendhaft oder schlecht war; aber wer ihre Klugheit und ihren großen Verstand kannte, maß ihren Fehltritt nicht ihrer Unerfahrenheit bei, sondern dem Leichtsinn und dem natürlichen Hang der Weiber, der in den meisten Fällen das sinnlos Törichte und Unüberlegte vorzieht.

Sobald Leandra eingesperrt war, wurden Anselmos Augen blind; wenigstens hatten sie keinen Gegenstand mehr, dessen Anblick ihnen Vergnügen machte; die meinigen waren von Finsternis umgeben, ohne einen Lichtstrahl, der sie zu etwas Freudigem geleitet hätte, da Leandra ferne war; unsere Betrübnis wuchs mehr und mehr, unsere Gelassenheit im Erdulden nahm beständig ab, wir verfluchten den Prunk des Soldaten und verwünschten die Unvorsichtigkeit von Leandras Vater. Endlich verabredete Anselmo mit mir, das Dorf zu verlassen und in dieses Tal zu ziehen, wo er eine große Anzahl ihm gehörender Schafe weidet und ich eine ansehnliche Herde von Ziegen, die ebenfalls mein eigen sind, und wo wir unser Leben unter den Bäumen verbringen, unsern Leiden freie Bahn lassen oder gemeinsam der schönen Leandra Preis oder Schmach singen oder auch einsam seufzen und jeder für sich allein seine Klagen dem Himmel anvertraut. Unserem Beispiel folgend, sind viel andere von Leandras Freiern in dies rauhe Waldgebirge gezogen, um sich derselben Lebensart zu widmen wie wir, und es sind ihrer so viele, daß es aussieht, als habe sich dies Gefilde in ein schäferliches Arkadien verwandelt, so angefüllt ist es mit Schäfern und Hürden, und es ist keine Stelle, wo man nicht den Namen der schönen Leandra vernähme. Der eine verwünscht sie und nennt sie launisch und sittenlos; der andere verdammt sie als leicht zu gewinnen und flatterhaft; jener spricht sie frei und vergibt ihr, dieser bricht den Stab über sie und schmäht sie; der eine feiert ihre Schönheit, der andere lästert ihren Charakter; kurz, alle verunglimpfen sie und beten sie an, und bei allen geht die Verrücktheit so weit, daß mancher unter ihnen über Verschmähung klagt, ohne sie je gesprochen zu haben, ja mancher bejammert und fühlt schmerzlich die wütende Krankheit der Eifersucht, zu der sie doch keinem jemals Anlaß gegeben. Denn, wie gesagt, man hat ihren Fehltritt eher erfahren als ihre Neigung. Da ist kein Felsspalt, kein Bachesrand, kein Schattenplatz unter Bäumen, den nicht irgendein Schäfer besetzt hielte, um sein Unglück den Lüften zu verkünden; wo nur ein Echo zu finden ist, wiederholt es Leandras Namen, Leandra widerhallen die Wälder, Leandra murmeln die Bäche, und Leandra hält uns alle fest in banger Erwartung und in Verzauberung, und wir hoffen ohne Hoffnung und fürchten, ohne zu wissen, was wir fürchten.

Unter diesen Unsinnigen ist derjenige, der die geringste und die meiste Vernunft an den Tag legt, mein Mitbewerber Anselmo, der, obschon er sich über soviel andres zu beklagen hat, sich nur über Abwesenheit beklagt und zum Klang einer Fiedel, die er wunderbar spielt, klagende Verse singt, in denen er seinen klaren Verstand zeigt. Ich verfolge einen leichtern, doch meines Bedünkens den richtigsten Weg; ich schelte nämlich auf den Leichtsinn der Weiber, auf ihre Unbeständigkeit, auf ihre Doppelzüngigkeit, auf ihre totgebornen Verheißungen, auf die Wortbrüchigkeit und endlich auf den Mangel an Verständnis, den sie zeigen, wenn es gilt, ihren Wünschen und Neigungen ein Ziel zu wählen.

Dies, ihr Herren, war der Anlaß zu den Worten und Äußerungen, die ich, als ich in eure Nähe kam, an meine Ziege richtete; denn weil es ein Weibchen ist, schätze ich sie gering, obschon es das beste Stück aus meiner ganzen Hürde ist. Dies ist die Geschichte, die ich euch zu erzählen versprach. Wenn ich etwa bei der Erzählung zu verschwenderisch mit Worten war, werde ich auch nicht karg sein, wenn ich euch Dienste zu leisten haben sollte; ich habe meinen Pferch hier in der Nähe und habe dort frische Milch und sehr wohlschmeckenden Käse nebst verschiedenem reifem Obst, das eure Augen nicht minder als eure Zunge erquicken wird.

46. Kapitel

Von dem denkwürdigen Abenteuer mit den Landreitern, auch von dem unbändigen Ingrimm unseres wackern Ritters Don Quijote

Während Don Quijote also sprach, mühte sich der Pfarrer, die Landreiter zu überzeugen, daß Don Quijote nicht bei Verstand sei, wie sie aus seinen Taten und aus seinen Worten ersehen könnten, und daß es zwecklos sei, die Sache weiterzutreiben, weil sie, wenn sie ihn auch in Haft nähmen und fortführten, ihn doch gleich wieder als einen Verrückten freilassen müßten.

Darauf entgegnete der Mann mit dem Haftbefehl, seine Sache sei es nicht, über Don Quijotes Verrücktheit zu urteilen, sondern lediglich auszuführen, was ihm von seinem Vorgesetzten befohlen worden, und wenn er erst einmal verhaftet sei, möchten sie ihn seinetwegen dreihundertmal wieder freilassen.

»Trotz alledem«, entgegnete der Pfarrer, »werdet Ihr ihn für diesmal doch nicht mitnehmen, noch würde er sich mitnehmen lassen, soviel ich ersehen kann.«

In der Tat wußte der Pfarrer ihnen so vielerlei vorzureden, und Don Quijote wußte so viel Narrheiten zu begehen, daß die Landreiter noch verrückter als er gewesen wären, wenn sie nicht eingesehen hätten, wo es ihm fehlte. So hielten sie es denn für geraten, ruhig zu bleiben, ja sogar die Friedensstifter zwischen dem Barbier und Sancho Pansa abzugeben, die einander noch immer in den Haaren lagen. Endlich, da sie doch Leute von der Justiz waren, vermittelten sie den Rechtshandel und wußten ihn als Schiedsrichter dergestalt zu schlichten, daß beide Teile, wenn auch nicht gänzlich einverstanden, doch in einigen Punkten zufriedengestellt waren. Sie tauschten nämlich mit den Eselssätteln, nicht aber mit den Gurten und Halftern; und was die Sache mit Mambrins Helm anging, so zahlte der Pfarrer unterderhand, und ohne daß Don Quijote es merkte, acht Realen für die Schüssel, und der Barbier stellte ihm einen Empfangsschein aus, worin er auch erklärte, er werde den Verkauf niemals wegen etwaiger Übervorteilung anfechten, weder jetzt noch in Ewigkeit, amen.

Nachdem nun also diese beiden Streithändel, die bedeutendsten und wichtigsten unter allen, geschlichtet waren, blieb nur noch übrig, die Diener zu überreden, daß drei von ihnen heimkehrten und einer zurückbliebe, um Don Luis dahin zu begleiten, wo Don Fernando ihn hinbringen wollte. Und so wie das freundliche Schicksal und das noch freundlichere Glück bereits begonnen hatte, für das Liebespaar und die Tapfern in der Schenke eine Lanze zu brechen und Schwierigkeiten zu ebnen, so wollte es auch die Sache zu Ende führen und alles zu einem heitern Ausgang bringen. Denn die Diener waren mit allem einverstanden, was nur immer Don Luis verlangte, und Doña Clara war darob so freudig erregt, daß ihr jetzt niemand ins Gesicht blicken konnte, ohne ihre Herzenswonne in ihren Zügen zu lesen.

Zoraida, obschon sie all die Ereignisse, die sie mit angesehen, nicht recht begriff, betrübte sich und freute sich aufs Geratewohl, je nachdem sie bei jedem einzelnen den wechselnden Gesichtsausdruck sah und merkte, insbesondere bei ihrem Spanier, auf den sie stets die Augen gerichtet hielt und an dem ihre Seele hing.

Der Wirt, dem die Entschädigung nicht entgangen war, womit der Pfarrer den Barbier bedacht hatte, verlangte nun die Zeche für Don Quijote nebst dem Ersatz für den Schaden an seinen Schläuchen und für den Verlust am Wein und schwur, weder Rosinante noch Sanchos Esel dürften aus der Schenke heraus, bis ihm alles auf den letzten Heller bezahlt sei. Indessen brachte der Pfarrer alles ins Geleise, und Don Fernando zahlte, wiewohl auch der Oberrichter mit größter Bereitwilligkeit sich zur Zahlung erboten hatte.

Nun war jedermann so völlig beruhigt und zufrieden, daß die Schenke längst nicht mehr wie die Zwietracht in Agramants Lager aussah – wie vorher Don Quijote gesagt hatte –, sondern gänzlich so wie die Ruhe und der allgemeine Friede zu Octavians Zeiten. Und für dies alles, war das allgemeine Urteil, müsse man den guten Absichten und der großen Beredsamkeit des Herrn Pfarrers Dank sagen sowie der unvergleichlichen Freigebigkeit Don Fernandos.

Als Don Quijote sich nunmehr von so vielen Streithändeln, sowohl denen seines Schildknappen als auch seinen eignen, frei und ledig sah, deuchte es ihn am besten, alsbald seine angefangene Kriegsfahrt fortzusetzen und jenes große Abenteuer zu Ende zu führen, für das er berufen und auserwählt worden. So ging er denn mit raschem Entschlusse hin und warf sich vor Dorotea auf die Knie. Diese aber gestattete ihm nicht, auch nur ein Wort zu sprechen, bevor er aufstünde. Um ihr zu gehorchen, richtete er sich empor und sprach: »Es geht die gemeine Rede, liebreizendes Fräulein, daß Beharrlichkeit die Mutter des glücklichen Erfolges ist, und bei vielen und schwierigen Dingen hat die Erfahrung gezeigt, daß unablässige Bemühungen eines tüchtigen Sachwalters einen zweifelhaften Prozeß zu glücklichem Ende bringen. Aber nirgends zeigt sich die Wahrheit dieses Satzes deutlicher als in allem, was den Krieg betrifft, wo Schnelligkeit und stete Bereitschaft den Absichten des Feindes zuvorkommen und den Sieg erlangen, eh der Gegner sich nur in Verteidigungsstand gesetzt hat. All dieses sag ich, erhabene und hochpreisliche Herrin, weil es mich bedünkt, daß das Verweilen unserer Personen in dieser Burg jetzt bereits eines nützlichen Zweckes lediggeht, ja uns zu großem Schaden gereichen könnte, was wir eines Tages wohl erfahren möchten. Denn wer weiß, ob nicht durch geheime und beflissene Kundschafter Euer Feind, der Riese, bereits vernommen hat, daß ich ausziehe, um ihn zu vernichten, und ob er nicht, nachdem ihm diese Verzögerung die Möglichkeit dazu gewährt, sich in irgendeiner unüberwindlichen Burg oder Feste verschanzt, gegen welche all mein Mühen und die unermüdliche Kraft meines Armes wenig vermögen würden? Demnach, Herrin mein, wollen wir, wie ich gesagt, mit unseren schleunigen Maßregeln seinen Anschlägen zuvorkommen und unverzüglich und auf gut Glück von dannen ziehen; und will Euer Hoheit sotanes Glück ganz nach Dero Wunsch gewinnen, so ist sie von diesem Gewinn nur soviel entfernt, als ich jetzt noch zögere, Eurem Feind gegenüberzutreten.«

Hier schwieg Don Quijote und sprach kein Wort weiter und erwartete ruhig und gelassen die Antwort der schönen Prinzessin, die mit vornehmem und ganz in Don Quijotes Manier gehaltenem Gebaren ihm folgendes antwortete: »Gar sehr, Herr Ritter, danke ich Euch das Befleißen, das Ihr an den Tag leget, mir in meinen großen Nöten hilfreich zu sein, recht als ein richtiger Ritter, dem es eigen und geziemlich ist, den Waisen und Bedrängten Beistand zu leisten; und wollte der Himmel, daß Euer und mein Begehr in Erfüllung ginge, auf daß Ihr sehet, daß es dankbare Frauen auf Erden gibt! Und was meinen Aufbruch betrifft, der werde alsogleich ins Werk gesetzt, sintemal ich keinen anderen Willen hege als den Euern. Verfüget über mich ganz nach Euerem Erachten und Belieben. Denn diejenige, so Euch einmal den Schutz ihrer Person anvertraut und die Wiederaufrichtung ihrer Herrschaft in Eure Hände gelegt hat, selbige darf nimmer sich gegen die Anordnungen setzen, so Eure weise Einsicht treffen mag.«

»Mit Gottes Hilfe denn!« sprach Don Quijote. »Sintemalen es also geschieht, daß eine Dame sich vor mir demütigt, will ich die Gelegenheit nicht aus den Händen lassen, sie aufzurichten und sie auf ihren anererbten Thron zu setzen. Der Aufbruch geschehe sonach auf der Stelle, denn das alte, viel angeführte Wort: Nur im Zaudern steckt die Gefahr! beflügelt mir schon den Wunsch und die Reise. Und da der Himmel keinen je erschaffen und die Hölle keinen je gesehen hat, der mich in Schrecken setzen oder mutlos machen könnte, so sattle du, Sancho, den Rosinante und zäume deinen Esel auf und den Zelter der Königin, und nehmen wir Urlaub vom Burgvogt und von diesen Herrschaften, und sogleich auf der Stelle lasset uns von dannen ziehen.«

Sancho, der bei all diesem zugegen war, schüttelte den Kopf hin und her und sprach: »Ach, gnädiger Herr, gnädiger Herr, es stinkt in der Fechtschule, und man will’s nicht Wort haben, so sag ich, jedoch mit Verlaub all jener Frauenzimmer, die sauber unter der Haube sind.«

»Was kann in der Fechtschule oder meinetwegen in allen Schulen der Welt für ein übler Geruch sein, der mir etwa zum Unglimpf gereichen könnte, du gemeiner Mensch?« brauste Don Quijote auf.

»Wenn Euer Gnaden böse wird«, entgegnete Sancho, »dann schweig ich und werde nichts von allem offenbaren, wozu ich als getreuer Schildknappe verpflichtet bin und was ein getreuer Diener schuldig ist seinem Herrn zu sagen.«

»Sage, was dir beliebt«, antwortete Don Quijote, »vorausgesetzt, daß du nicht darauf ausgehen willst, mir Furcht einzuflößen. Wenn aber du Furcht hast, so handelst du eben deiner Natur gemäß, und wenn ich keine solche habe, so handle ich gemäß der meinigen.«

»Darum, Gott verzeih mir meine Sünden, darum handelt sich’s nicht«, erwiderte Sancho, »sondern darum, daß ich für sicher und für erwiesen halte, daß dies Fräulein, welches sich für die Königin des großen Reiches Mikomikón ausgibt, das geradesowenig ist, wie meine Mutter es war; denn wäre sie das, wofür sie sich ausgibt, so würde sie nicht mit einem von jenen, die hier herumstehen, den Schnabel zusammenstecken, sooft man den Kopf umdreht und sooft man nicht darauf achtgibt.«

Bei Sanchos Worten errötete Dorotea; denn es war ganz richtig, daß ihr Gemahl Don Fernando hie und da verstohlenerweise mit seinen Lippen einen Teil des Minnelohns eingeheimst hatte, der seiner Sehnsucht gebührte. Sancho hatte das gesehen, und es dünkte ihm, ein so freies Benehmen passe sich eher für ein buhlerisches Weib als für die Königin eines so großen Reiches.

Sie konnte und wollte Sancho kein Wort erwidern, sondern ließ ihn in seinem Geschwätze fortfahren, und er sprach denn: »Dies sag ich Euch, Señor, damit Ihr’s bedenket: wenn, nachdem wir soviel Wege und Landstraßen durchwandert, soviel schlimme Nächte und noch schlimmere Tage verbracht, wenn dann einer, der hier in der Schenke sich’s wohl sein läßt, uns die Frucht unsrer Arbeit vor der Nase abpflücken soll, da brauch ich mich wahrhaftig nicht zu eilen, daß ich den Rosinante aufzäume, dem Esel seinen Sattel auflege und den Zelter in Bereitschaft setze; denn da ist es viel besser, wir bleiben ruhig zu Hause, und was eine Hure ist, soll lieber am Spinnrocken sitzen, wir aber wollen uns ans Essen und Trinken halten.«

Hilf Himmel, welch ungeheurer Zorn erhob sich in Don Quijote, als er die frechen Worte seines Schildknappen vernahm! Ja, sag ich, der Zorn war so übermäßig, daß der Ritter mit bebender Stimme und stotternder Zunge, blitzendes Feuer aus den Augen sprühend, rief: »Ha, gemeiner Schuft, vernunftloser, frecher, dummer Kerl! Albernes, doppelzüngiges, schamloses, verleumderisches Lästermaul! Solcherlei Worte erdreistest du dich in meiner Gegenwart und angesichts dieser erlauchten Dame auszusprechen, und solchen Schändlichkeiten und Unverschämtheiten erfrechst du dich Raum zu geben in deiner verrückten Einbildung? Entferne dich aus meiner Gegenwart, du Ungeheuer der Natur, du Vorratskammer der Lügen, du Zeughaus der Tücke, Senkgrube der Schelmenstreiche, Erfinder der Bosheiten, Verbreiter sinnloser Dummheiten, Feind der Ehrerbietung, die man königlichen Personen schuldet! Hebe dich von hinnen, laß dich nicht mehr vor mir sehen, bei Strafe meines Zornes!«

Und bei diesen Worten zog er die Brauen im Bogen empor, blies die Wangen auf, schaute wild um sich und stampfte mit dem rechten Fuß mächtiglich auf den Boden, was alles den Ingrimm verriet, den er in seinem Innern hegte. Und Sancho wurde bei diesen Worten und diesem wütenden Gebaren so kleinlaut und verzagt, daß es ihm eine Freude gewesen wäre, wenn sich gleich im Augenblicke die Erde unter seinen Füßen geöffnet und ihn verschlungen hätte. Er wußte nichts Besseres, als den Rücken zu wenden und vor dem zürnenden Angesicht seines Herrn zu entweichen.

Allein die kluge Dorotea, die sich auf Don Quijotes Art schon so trefflich verstand, sprach, um seinen Groll zu besänftigen: »Entrüstet Euch nicht, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, ob der sinnlosen Dinge, so Euer wackerer Schildknappe gesagt, denn es läßt sich denken, daß er sie ganz gewiß nicht ohne Anlaß sagt. Auch ist von seinem gesunden Verstand und seinem christlichen Gewissen nimmer argwöhnisch anzunehmen, daß er falsches Zeugnis gegen irgendwen vorbringt. Diesem nach darf man keinen Zweifel darein setzen, daß, sintemal in dieser Burg, wie Ihr, Herr Ritter, saget, alles mit Zauberei zugeht und geschieht, daß es also sein möchte, sag ich, daß Sancho unter solcher teuflischen Einwirkung gesehen hätte, was er gesehen zu haben behauptet und was meiner Tugend zu so großer Beeinträchtigung gereichen würde.«

»Bei dem allmächtigen Gotte schwöre ich«, sprach Don Quijote, »Euer Hoheit hat den Nagel auf den Kopf getroffen, und diesem Sünder von Sancho sind böse Gesichte erschienen, was auf andre Weise als mittels Zauberei nie erschaut werden konnte. Auch ist mir bei der Ehrlichkeit und Unschuld dieses unglücklichen Menschen wohl bewußt, daß er gegen niemand falsches Zeugnis reden wird.«

»So ist’s und so wird es sein«, sprach Don Fernando, »und deshalb, Señor Don Quijote, müßt Ihr ihm vergeben und ihn in den Schoß von Dero Gnade wieder aufnehmen sicut erat in principio, bevor die besagten Gesichte ihm den Verstand benahmen.«

Don Quijote erwiderte, er vergebe ihm, und der Pfarrer ging, Sancho zu holen. Der kam in großer Demut heran, warf sich auf die Knie und bat seinen Herrn um die Hand; der Ritter gab sie ihm, und nachdem er ihm vergönnt hatte, sie zu küssen, erteilte er ihm seinen Segen und sprach: »Jetzt endlich wirst du vollends erkannt haben, wie wahr ist, was ich dir schon oftmals gesagt, daß alles in dieser Burg mit Zauberei zugeht.«

»Das glaub ich auch«, sagte Sancho, »mit Ausnahme des Wippens, denn das ist wirklich auf ganz natürliche Weise geschehen.«

»Glaube das nicht«, erwiderte Don Quijote, »denn wäre dem so, dann hätt ich dich damals gerächt, ja, würde dich jetzt noch rächen; aber weder damals noch jetzt vermochte ich es, noch erblickte ich jemanden, an dem ich für die von dir erlittene Schmach hätte Rache nehmen können.«

Die Anwesenden alle wünschten zu wissen, was es mit dem Wippen für eine Bewandtnis habe, und der Wirt erzählte ihnen Punkt für Punkt Sancho Pansas Luftfahrt, worüber sie alle nicht wenig lachten und worüber Sancho sich nicht weniger würde geärgert haben, wenn ihm sein Herr nicht aufs neue versichert hätte, es sei eitel Zauberei gewesen. Indessen ging Sanchos Einfalt nie so weit, es nicht für reine und unwiderlegliche Wahrheit ohne Beimischung irgendwelcher Täuschung zu halten, daß ihn Leute von Fleisch und Blut gewippt hatten und keineswegs Traumgebilde und Geschöpfe der Phantasie, wie sein Herr es glaubte und wiederholt versicherte.

Zwei Tage waren nun schon vorüber, seit die ganze hochansehnliche Gesellschaft in der Schenke verweilte. Und da es ihnen endlich Zeit zur Abreise schien und die schöne Dorotea und Don Fernando sich die Mühe ersparen wollten, mit Don Quijote in sein Dorf zurückzukehren und zu diesem Zwecke die Erfindung von der Befreiung der Prinzessin Míkomikona weiterzuführen, so traf man Anstalt, daß der Pfarrer und der Barbier ihn, wie sie wünschten, mitnehmen und in seiner Heimat für die Heilung seines Irrsinns Sorge tragen könnten. Und was man veranstaltete, war, daß man mit einem Ochsenkärrner, der gerade vorüberkam, vereinbarte, er solle ihn auf folgende Weise fortbringen: man verfertigte aus gitterförmig gelegten Holzstäben eine Art von Käfig, geräumig genug, daß Don Quijote bequem Platz darin hatte; und Don Fernando und seine Gefährten nebst den Dienern des Don Luis und den Landreitern gemeinschaftlich mit dem Wirt, kurz, alle verhüllten sich auf Anweisung und nach Gutheißung des Pfarrers alsbald die Gesichter und verkleideten sich, der auf diese Weise und jener auf eine andre, damit Don Quijote sie für ganz andre Leute halten müsse, als die er in dieser Burg gesehen.

Hierauf schlichen sie in tiefster Stille zu der Stätte, wo er im Schlummer lag und von den bestandenen Kämpfen ausruhte. Sie näherten sich ihm, der da frei von Besorgnis und sich sicher wähnend vor solchen Begebenheiten schlief, und indem sie ihn mit aller Macht packten, banden sie ihm Hände und Füße so fest, daß er, als er jählings aus dem Schlummer auffuhr, sich nicht rühren und nichts andres tun konnte als staunen und atemlos die seltsamen Gesichter anstarren, die vor ihm erschienen.

Und gleich verfiel er auf eine jener Vorstellungen, die ihm seine nimmer ruhende, wahnwitzige Phantasie malte: er hielt es für gewiß, all diese Gestalten seien Gespenster dieser verzauberten Burg, und ohne allen Zweifel sei auch er bereits verzaubert, da er kein Glied rühren und sich nicht verteidigen konnte –: alles genauso, wie der Pfarrer, der Urheber dieses Anschlags, es vorausgesehen hatte.

Sancho hatte allein von allen Anwesenden seinen richtigen Verstand und sein richtiges Aussehen behalten, und obschon ihm gar wenig daran fehlte, um ebenso krank am Geiste zu sein wie sein Herr, so entging es ihm doch nicht, wer all diese verlarvten Gestalten seien. Allein er wagte den Mund nicht aufzutun, bis er sähe, worauf diese Überrumpelung und Gefangennahme seines Herrn hinauswolle; und dieser sprach ebensowenig ein Wort, sondern erwartete mit Spannung den Ausgang des unglücklichen Begebnisses. Dieser Ausgang aber bestand darin, daß man den Käfig herbeibrachte, ihn darin einsperrte und die Balken so fest vernagelte, daß sie nicht so leicht zu brechen waren. Dann nahmen sie ihn auf die Schultern, und beim Verlassen des Gemaches hörte man eine furchtbare Stimme, so furchtbar sie der Barbier – nicht der mit dem Eselssattel, sondern der andre – hervorzubringen vermochte, die da rief: »O Ritter von der traurigen Gestalt! Nicht schaffe dir Trübsal die Gefangenschaft, in welcher du verweilest; denn so muß es sein, um desto schneller das Abenteuer zu Ende zu führen, zu welchem dein hoher Mut dich bewogen hat. Selbiges wird aber zu Ende geführt werden, wenn der grimmige Manchaner Löwe mit der weißen Toboser Taube das Lager teilen wird, nachdem sie beide den stolzen Nacken unter das milde ehestandliche Joch werden gebeugt haben; aus welcher nie erhörten Verbindung ans Licht der Welt hervortreten soll die ungestüme Leuenbrut, die es den kralligen Tatzen des heldenhaften Vaters nachtun wird. Und dies soll geschehen, bevor noch der Verfolger der flüchtigen Nymphe auf seiner schnellen natürlichen Bahn zu zweien Malen die leuchtenden Sternbilder besucht hat.

Und du, o edelster, gehorsamster aller Schildknappen, so jemals ein Schwert am Gurt, einen Bart im Angesicht und Geruch in der Nase besessen, es mache dich nicht mutlos noch ärgerlich, daß du so vor deinen eignen Augen die Blume des fahrenden Rittertums hinführen siehst. Denn bald, wenn es dem Baumeister des Weltalls gefällt, wirst du dich so emporgehoben und zum Gipfel erhöht sehen, daß du dich selber nicht kennest, und es werden sich nicht als Täuschung erzeigen die Verheißungen, so dir dein redlicher Herre getan hat. Und ich bürge dir im Namen der Zauberin Lughilde, daß dein Dienstlohn dir ausbezahlt werden soll; wie du es durch die Tat ersehen wirst. Folge du nur immer den Fußstapfen des mannhaften, anitzo verzauberten Ritters; denn es gebührt sich, daß du mit ihm zu dem Orte ziehest, wo ihr beide euer Reiseziel finden sollt. Und da es mir nicht vergönnt ist, ein mehreres zu sagen, so fahret wohl in Gottes Namen; denn ich kehre zurück, ich weiß wohl, wohin.«

Und als er an den Schluß dieser Weissagung kam, erhob er die Stimme zu solcher Kraft und ließ sie dann zu so sanftem Tone sinken, daß sogar die Mitwisser des losen Streiches beinahe an die Wahrheit der Worte geglaubt hätten.

Don Quijote fühlte sich durch die vernommene Weissagung recht getröstet, denn er begriff ihren Sinn auf der Stelle und erkannte, daß er sich durch das heilige Band der Ehe verbunden sehen solle mit seiner geliebten Dulcinea von Toboso, aus deren gesegnetem Schoße die Leuenbrut hervorgehen werde, nämlich seine Söhne, zum unvergänglichen Ruhme der Mancha. Und im ernstlichen und festen Glauben hieran erhob er die Stimme, stieß einen mächtigen Seufzer aus und sprach: »O du, wer immer du sein mögest, der du mir soviel hohe Güter vorhergesagt, ich bitte dich, den weisen Zauberer, der über meinen Angelegenheiten waltet, in meinem Namen zu ersuchen, daß er mich nicht in diesen Banden, worin ich itzo fortgeschleppt werde, zugrunde gehen lasse, ehe ich so freudige, so unvergleichliche Verheißungen erfüllt sehe, wie sie mir hier geworden. Sofern aber dies geschehen sollte, so werde ich die Qualen meines Kerkers für Wonne halten, für Erquickung die Ketten, die mich umgürten, und das Lager, auf das man mich hingestreckt, nicht für ein hartes Schlachtfeld, sondern für eine weiche Schlafstätte und ein glückseliges Brautbett. Und was die Tröstung für meinen Knappen Sancho Pansa anbetrifft, so vertraue ich auf sein redliches Herz und seine redliche Handlungsweise, daß er mich weder in guten noch in bösen Tagen verlassen wird. Denn wenn es so kommen sollte, daß ich ihm um seines oder meines Unsterns willen die Insul, die ich ihm versprochen, oder etwas andres von gleichem Werte nicht geben könnte, so wird ihm wenigstens sein Dienstlohn nicht verlorengehen; sintemal in meinem Testament, das bereits errichtet ist, genau bestimmt stehet, was er erhalten soll, wenn es auch nicht seinen vielen redlichen Diensten entspricht, sondern nur dem wenigen, was in meiner Möglichkeit liegt.«

Sancho Pansa verbeugte sich vor ihm mit großer Höflichkeit und küßte ihm beide Hände; eine allein hätte er nicht küssen können, weil beide zusammengebunden waren. Alsbald nahmen die Gespenster den Käfig auf die Schulter und setzten ihn auf dem Ochsenkarren zurecht.

47. Kapitel

Von der seltsamen Art, wie Don Quijote verzaubert wurde, nebst andern denkwürdigen Begebnissen

Als sich Don Quijote solchergestalt eingekäfigt und auf dem Karren sah, sprach er: »Viele und sehr bedeutsame Historien hab ich von fahrenden Rittern gelesen; aber niemals hab ich gelesen noch gesehen noch gehört, daß man die verzauberten Ritter auf solche Weise von dannen führt und mit solcher Langsamkeit, wie diese trägen, schwerfälligen Tiere es erwarten lassen. Denn stets pflegt man sie mit wunderbarer Schnelligkeit durch die Lüfte davonzuführen, von einer dunkelgrauen Wolke umschlossen oder in einem feurigen Wagen oder etwa auf einem Hippogryphen oder einem andern Untier ähnlicher Art. Aber daß man mich jetzt, mich, auf einem Ochsenkarren hinschleppt, bei Gott, da steht mir der Verstand still. Indessen haben das Rittertum und die Zauberkunst dieser unsrer Zeiten vielleicht eine andre Manier angenommen, als die Alten pflagen; und da ich im Rittertum ein Neuling auf der Welt bin und der erste, der den bereits vergessenen Beruf der abenteuernden Ritterschaft wieder auferweckt hat, so könnte es wohl auch der Fall sein, daß neuerlich andre Arten von Verzauberungen erfunden wurden und andre Arten, verzauberte Ritter von dannen zu führen. Was bedünkt dich hievon, Sancho, mein Sohn?«

»Ich weiß wahrlich nicht, was mich bedünkt«, antwortete Sancho, »denn ich bin nicht so belesen in den fahrenden Büchern wie Euer Gnaden; aber bei alledem möchte ich behaupten und beschwören, die Gespenster, die hier umgehen, sind keine rechten, es kann kein Mensch recht an sie glauben.«

»An sie glauben?« rief Don Quijote, »o du Gerechter! Wie kann man an sie glauben, da sie doch sämtlich Teufelsgeister sind, die nur scheinbar Körper angenommen haben, um uns diese Geschichten aufzuspielen und mich in diesen Zustand zu versetzen? Und wenn du sehen willst, wie sehr wahr dies ist, berühre sie, befühle sie, und du wirst finden, daß sie nur Luftgebilde und leere Scheinwesen sind.«

»Bei Gott, Señor«, entgegnete Sancho, »ich habe sie schon befühlt; und dieser Teufel, der sich hier so geschäftig benimmt, hat festes derbes Fleisch und besitzt außerdem noch eine Eigenschaft, die ganz anders ist als die, welche ich den teuflischen Geistern habe nachsagen hören. Denn wie man sagt, riechen sie alle nach Schwefel und andern übeln Düften, dieser hingegen riecht auf eine halbe Meile weit nach Ambra.«

Sancho meinte damit Don Fernando, der als ein so vornehmer Herr allerdings den von Sancho erwähnten Wohlgeruch um sich verbreiten mochte.

»Wundere dich nicht darüber, Freund Sancho«, versetzte Don Quijote, »denn ich tue dir zu wissen, daß die Teufel sich auf gar vieles verstehen, und selbst wenn sie Gerüche mit sich führen, so riechen sie selbst doch nach nichts, weil sie Geister sind; und wenn sie nach etwas duften, können sie nicht nach etwas Gutem duften, sondern nur nach etwas Schlechtem und Stinkendem. Und warum? Da sie allerwärts die Hölle in ihrem Innern tragen und keine Erleichterung irgendwelcher Art in ihren Martern finden können; und da guter Geruch etwas Ergötzliches und Erfreuendes ist, so ist es nicht möglich, daß sie nach etwas Gutem riechen. Und wenn es dir so vorkommt, als rieche dieser teuflische Geist, von dem du sprichst, nach Ambra, so irrst du dich entweder, oder er will dich irreführen und dich verleiten, ihn nicht für einen Teufel zu halten.«

Solcherlei Zwiesprach geschah zwischen Herrn und Diener, und Don Fernando und Cardenio waren in Besorgnis, es möchte Sancho vollständig hinter ihren Anschlag kommen, da er schon ganz nahe daran war. Sie beschlossen daher, die Abreise zu beschleunigen, riefen den Wirt beiseite und befahlen ihm, Rosinante aufzuzäumen und dem Esel Sanchos seinen Sattel aufzulegen. Er tat es denn in aller Eile. Inzwischen hatte der Pfarrer mit den Landreitern die Abrede getroffen, daß sie ihn nach seinem Orte begleiten sollten, wofür er ihnen ein gewisses Tagesgeld zusagte. Cardenio hängte an Rosinantes Sattelbogen einerseits die Tartsche, andererseits die Barbierschüssel und gebot Sancho durch Zeichen, sich auf seinen Esel zu setzen und Rosinante am Zügel zu nehmen; zu beiden Seiten des Karrens stellte er je zwei von den Landreitern mit ihren Musketen auf.

Bevor jedoch der Karren sich in Bewegung setzte, kam die Wirtin mit ihrer Tochter und Maritornes heraus; sie stellten sich, als weinten sie vor Schmerz über sein Mißgeschick. Don Quijote sprach zu ihnen: »Weinet nicht, meine lieben Damen; allen derartigen Mißgeschicken sind diejenigen ausgesetzt, die sich zu dem Berufe bekennen wie ich, und wenn solche Trübsale mir nicht zustießen, würde ich mich nicht für einen fahrenden Ritter von Ruf erachten. Denn den Rittern von geringem Ruf und Namen widerfahren nimmer solcherlei Geschichten, sintemal niemand auf Erden sich um sie bekümmert; wohl aber den heldenhaften, die in zahlreichen Fürsten und viel andern Rittern Neider ihrer Tugend und Mannhaftigkeit haben, welche alle mit schlechten Mitteln die Guten zu verderben trachten. Aber bei alledem ist die Tugend so mächtig, daß sie durch sich selbst trotz all der Schwarzkunst, auf die sich deren erster Erfinder, Zoroaster, verstand, als Siegerin aus allen Nöten hervorgehen und das ihr eigene Licht über die Welt verbreiten wird, wie die Sonne es über den Himmel verbreitet. Verzeihet mir, huldselige Damen, wenn ich aus Unbedacht euch etwa eine Ungebühr angetan; denn mit Willen und Wissen habe ich solche nie jemandem zugefügt; und bittet zu Gott, daß er mich aus diesen Banden löse, in die irgendein übelwollender Zauberer mich geschlagen hat. Wenn ich mich aber von selbigen wieder frei sehe, werden mir die Gnaden, so ihr mir in dieser Burg erwiesen habt, nie aus dem Gedächtnis entfallen, auf daß ich sie verdanken, mit Diensten vergelten und belohnen kann, wie sie es verdienen.«

Während die Edelfrauen der Burg sich dergestalt mit Don Quijote im Gespräch ergingen, nahmen der Pfarrer und der Barbier Abschied von Don Fernando und seinen Gefährten, dem Hauptmann und seinem Bruder und von all den vergnügten Damen, insbesondere von Dorotea und Luscinda. Sie umarmten einander und verabredeten, sich gegenseitig Nachricht von ihren Schicksalen zu geben. Don Fernando sagte dem Pfarrer, wohin er ihm schreiben solle, um ihm mitzuteilen, was aus Don Quijote werden würde, und versicherte ihm, nichts könne ihm mehr Vergnügen machen als Nachricht hierüber; ebenso wolle er auch ihn von allem benachrichtigen, was nach seiner Meinung der Pfarrer gern vernehmen werde sowohl von seiner Trauung als auch von Zoraidas Taufe und von Don Luis‘ Schicksal und von Luscindas Rückkehr zu ihrer Familie. Der Pfarrer versprach, all ihre Aufträge pünktlichst auszuführen. Sie umarmten einander nochmals und wiederholten nochmals ihre Freundschaftsversicherungen.

Der Wirt trat jetzt zu dem Pfarrer heran und gab ihm ein Heft Papiere, die er im Unterfutter des nämlichen Mantelsacks entdeckt habe, in welchem er die Erzählung von dem Törichten Vorwitz gefunden, und da dessen Eigentümer nie wieder hierher zurückgekehrt sei, so möge er sie alle mitnehmen; denn da er selbst nicht lesen könne, so wolle er sie nicht behalten. Der Pfarrer dankte ihm dafür, schlug die Papiere auf und fand gleich zu Anfang der Handschrift den Titel: Novelle von Rinconete und Cortadillo. Er sah also, daß es eine Novelle war, und da die vom Törichten Vorwitz gefallen hatte, so folgerte er, das werde auch mit dieser der Fall sein, weil ja beide möglicherweise vom nämlichen Verfasser herrühren könnten; und so nahm er sie in Verwahrung, mit der Absicht, sie zu lesen, sobald er Muße dazu fände.

Dann stieg er zu Pferde, und so auch sein Freund, der Barbier, beide mit ihren Larven vor dem Gesicht, damit sie nicht gleich von Don Quijote erkannt würden, und sie begannen hinter dem Wagen herzutraben, und zwar in folgender Ordnung: zuerst kam der Karren, der von dem Eigentümer gefahren wurde; zu beiden Seiten hielten sich, wie gesagt, die Landreiter mit ihren Musketen; gleich danach folgte Sancho Pansa auf seinem Esel mit Rosinante am Zügel; hinter dem Ganzen her zogen der Pfarrer und der Barbier auf ihren mächtigen Maultieren, die Gesichter verhüllt, wie schon bemerkt, mit ernster und gelassener Haltung, nicht schneller reitend, als es der träge Schritt der Ochsen gestattete. Don Quijote saß in seinem Käfig, die Hände gebunden, die Füße ausgestreckt, an die Latten des Verschlags gelehnt, so schweigsam und so geduldig, als wäre er kein Mensch von Fleisch und Bein, sondern eine steinerne Bildsäule.

Und so zogen sie stets in gleicher Gemächlichkeit und Stille etwa zwei Meilen hin, bis sie zu einem Tale gelangten, das der Ochsenkärrner für einen passenden Ort hielt, um auszuruhen und seine Ochsen grasen zu lassen; doch als er dies dem Pfarrer sagte, war der Barbier der Meinung, man solle noch ein wenig weiterziehen, weil er wußte, daß hinter einer Anhöhe, die man von dort aus erblickte, sich ein Tal mit viel mehr und weit besserem Gras befinde. Der Vorschlag des Barbiers wurde angenommen und demnach die Reise wieder fortgesetzt.

Indem wendete der Pfarrer die Augen zurück und sah sechs oder sieben Berittene hinter ihnen herkommen, stattliche, wohlgekleidete Leute, von denen sie sehr bald eingeholt wurden; denn jene zogen nicht mit der Bedächtigkeit und Trägheit der Ochsen einher, sondern als Leute, die auf Maultieren von Domherrn ritten und vom Verlangen getrieben waren, möglichst bald in der Schenke, die sich auf eine Entfernung von weniger als einer Meile dort zeigte, Mittagsrast zu halten. Die Eilfertigen holten die Säumigen bald ein, sie begrüßten einander höflichst, und als der eine von den Ankömmlingen, ein Domherr zu Toledo, den wohlgeordneten Zug sah mit dem Karren, den Landreitern, Sancho, Rosinante, Pfarrer und Barbier und gar Don Quijote eingekäfigt und in Banden, konnte er nicht umhin, zu fragen, was es zu bedeuten habe, daß man diesen Mann auf solche Weise fortbringe; obzwar er schon, wegen der Landreiter, vermutet hatte, es müsse ein ruchloser Straßenräuber oder ein Verbrecher andrer Art sein, den die Heilige Brüderschaft verhaftet habe. Einer der Landreiter, derjenige, an den die Frage gerichtet war, antwortete also: »Señor, was es zu bedeuten hat, daß dieser Herr auf solche Weise fortgebracht wird, das mag er selber Euch sagen, denn wir wissen es nicht.«

Don Quijote hörte diese Worte und sprach: »Sind Eure Gnaden, ihr Herren Ritter, vielleicht in betreff der fahrenden Ritterschaft belesen und erfahren? Denn wenn ihr es seid, so will ich euch meine traurigen Schicksale mitteilen; und wenn nicht, so seh ich keinen Grund, mich mit der Erzählung zu bemühen.«

Inzwischen waren der Pfarrer und der Barbier, welche bemerkt hatten, daß die Reisenden sich in ein Gespräch mit Don Quijote eingelassen, schon herzugekommen, um ihnen so zu antworten, daß ihr listiger Anschlag nicht entdeckt werde.

Der Domherr gab Don Quijote zur Antwort: »In der Tat, lieber Freund, weiß ich mehr von Ritterbüchern als von den Summulae des Villalpando; wenn es also nur hierauf ankommt, so könnt Ihr mir in voller Seelenruhe alles mitteilen, was Ihr wollt.«

»In Gottes Namen denn«, entgegnete Don Quijote. »Da es also ist, so sollt Ihr wissen, Herr Ritter, ich weile in diesem Käfig verzaubert durch Neid und Trug bösartiger Zauberer; denn die Tugend wird von den Bösen weit mehr verfolgt als von den Guten geliebt. Ich bin ein fahrender Ritter, und zwar keiner von jenen, an deren Namen die Göttin Fama niemals gedacht hat, um sie zu verewigen, sondern einer von jenen, welche zu Trotz und Ärger dem Neide selbst und zum Leidwesen all der Magier Persiens, der Brahmanen Indiens und der Gymnosophisten Äthiopiens ihren Namen einschreiben werden im Tempel der Unsterblichkeit, auf daß er in kommenden Jahrhunderten zum Beispiel und Vorbild diene, aus welchem die fahrenden Ritter ersehen mögen, welche Lebenswege sie zu wandeln haben, wenn sie zum Gipfelpunkt und zur erhabensten Höhe des Waffenwerks gelangen wollen.«

»Wahr spricht der Herr Don Quijote«, sagte jetzt der Pfarrer, »verzaubert zieht er hin auf diesem Karren, nicht ob seiner Verschuldungen und Sünden, sondern ob der bösen Gesinnung jener, welchen die Tugend zuwider und die Tapferkeit ein Ärgernis ist. Dieser Mann, Señor, ist der Ritter von der traurigen Gestalt, falls Ihr etwa ihn zu irgendwelcher Zeit schon habt nennen hören, dessen mannhafte Taten geschrieben stehen werden auf hartem Erz und ewigem Marmor, sosehr sich auch der Neid abmühen möge, sie zu verdunkeln, und die Bosheit, sie in die Verborgenheit zu drängen.«

Als der Domherr den Mann in Gefangenschaft und den Mann in Freiheit beide auf solche Weise reden hörte, wollte er sich schier vor Staunen und Verwunderung bekreuzigen, und er wußte kaum, wie ihm geschah; und in nicht minderes Staunen verfielen seine Begleiter alle. Inzwischen hatte sich Sancho Pansa genähert, um das Gespräch zu hören, und um alles in Richtigkeit zu bringen, fiel er ein: »Jetzt, ihr Herren, ob ihr nun gut oder übel aufnehmt, was ich sagen will, die Sache ist die, daß mein Herr Don Quijote geradeso verzaubert ist wie meine Frau Mutter: er hat seinen völligen Verstand und ißt und trinkt und verrichtet seine Bedürfnisse wie andre Menschen und wie er es noch gestern getan hat, bevor man ihn eingekäfigt hat. Und da dem so ist, wie wollt ihr mir weismachen, er sei verzaubert? Ich habe ja viele Leute sagen hören, daß die Verzauberten weder essen noch schlafen noch reden, und mein Herr hingegen, wenn man ihm nicht Einhalt tut, redet mehr als dreißig Advokaten.«

Sodann wandte er sich zu dem Pfarrer, sah ihn an und fuhr so fort: »Ach, Herr Pfarrer, Herr Pfarrer! Hat Euer Gnaden gemeint, ich kenne Euch nicht? Und könnt Ihr meinen, ich verstehe nicht und errate nicht, worauf diese neuen Verzauberungen hinauswollen? Wohl, so vernehmt, daß ich Euch kenne, sosehr Ihr Euch das Gesicht verdeckt, und wisset, daß ich Euch verstehe, sosehr Ihr Euere Ränke verbergen möget. Kurz, wo der Neid regiert, da kann die Tugend nicht bestehen, und wo der Geiz zu Hause ist, da ist keine Freigebigkeit. Daß doch der Teufel den Teufel holte! Wenn Euer Ehrwürden sich nicht dareingemengt hätte, so wäre mein Herr jetzt schon mit der Prinzessin Míkomikona verheiratet und ich zum mindesten ein Graf; denn ein geringerer Ehrensold ließ sich nicht erwarten, einerseits von dem guten Herzen meines Herrn, des Ritters von der traurigen Gestalt, und anderseits von der Größe meiner Verdienste. Aber ich sehe es schon, wahr ist, was man draußen in der Welt sagt: das Rad des Glückes dreht sich hurtiger als ein Mühlrad, und wer gestern obenauf war, liegt heut am Boden. Um Weib und Kinder ist mir’s leid; denn gerade als sie hoffen konnten und sollten, sie würden ihren Vater als Statthalter oder Unterkönig einer Insul oder eines Reiches durch ihre Tore einziehen sehen, da werden sie ihn einziehen sehen als einen Pferdeknecht. Mit allem, was ich da sage, Herr Pfarrer, will ich weiter nichts, als Euer Würden dringend bitten, Ihr möchtet Euch ein Gewissen daraus machen, daß mein Herr so schlecht behandelt wird, und möchtet wohl achthaben, daß nicht Gott in jener Welt Rechenschaft von Euch fordert für diese Einkerkerung meines Herrn und es Euch dereinst schwer anrechnet, daß mein Herr all die Zeit, wo er gefangen liegt, so viele Rettungswerke und Guttaten ungetan lassen muß.«

»Ei, ei, das Lämpchen flackert und muß geschneuzt werden!« sagte hierauf der Barbier; »auch Ihr, Sancho, gehört zur Kumpanei Eures Herrn? So wahr Gott lebt, ich seh es kommen, daß Ihr ihm bald im Käfig Gesellschaft leisten und ebenso verzaubert werden müßt wie er für den Anteil, den Ihr an seinem Sparren und an seinem Rittertum habt. Zu übler Stunde habt Ihr von seinen Verheißungen Euer Hirn schwängern lassen; im unglücklichsten Augenblick ist Euch die heißerwünschte Insul in den Sinn gekommen.«

»Ich bin von niemandem geschwängert worden«, antwortete Sancho, »ich bin nicht der Mann, der sich schwängern ließe, ja nicht einmal vom König selber. Wiewohl ein armer Mann, bin ich ein Christ von altem Blut und bin niemandem nichts schuldig; und wenn ich auch Insuln wünsche, so wünschen andere anderes und Schlimmeres. Und jeder ist der Sohn seiner Taten, und dafern ich nur ein Mann bin, kann ich’s doch noch dahin bringen, daß ich Papst werde, wieviel eher also Statthalter einer Insul, zumal deren mein Herr so viele erobern kann, daß es ihm an Leuten fehlen wird, sie ihnen zu verschenken. Also überlege Euer Edlen, was Ihr redet, Herr Barbier, denn Bärtescheren ist nicht alles, und es ist immer ein Unterschied zwischen Peter und Peter. Das sage ich, weil wir einander alle kennen, und mir darf man nicht mit falschen Würfeln kommen; und wie es mit der Verzauberung meines Herrn zugegangen ist, das weiß Gott am besten, und dabei wollen wir’s lassen, denn wenn man darin herumrührt, wird’s immer schlimmer.«

Der Barbier wollte Sancho keine Antwort geben, damit er in seiner Einfalt nicht alles verriete, was er und der Pfarrer so sehr zu verbergen suchten. Aus der nämlichen Besorgnis heraus hatte der Pfarrer den Domherrn gebeten, ein wenig mit ihm vorauszureiten; er wolle ihm alsdann das Geheimnis von dem eingekäfigten Ritter mitteilen, nebst manchem anderen, was ihm Vergnügen machen werde. Der Domherr war es zufrieden, ritt mit seinen Dienern und mit ihm voraus und horchte aufmerksam auf die Mitteilungen über Don Quijotes Denkart, Lebenslauf, Torheit und Gewohnheiten, wobei der Pfarrer in aller Kürze von dem Ursprung und Grund der Verrücktheit des Ritters berichtete, dann vom weiteren Verlauf seiner Geschichte bis dahin, wo er in den Käfig gesperrt wurde, und endlich von ihrer Absicht, ihn nach seiner Heimat zu bringen, um womöglich irgendein Heilmittel für seine Verrücktheit zu finden.

Aufs neue verwunderten sich die Diener und der Domherr über Don Quijotes seltsame Geschichte, und der Domherr sprach, als er sie zu Ende gehört: »Wahrhaftig, Herr Pfarrer, ich meinesteils finde, daß die sogenannten Rittergeschichten dem Gemeinwesen schädlich sind; und obgleich ich aus Langerweile und verkehrter Leselust beinah von allen, die gedruckt sind, den Anfang durchgegangen, so habe ich es nie dahin bringen können, auch nur eine bis zu Ende zu lesen. Denn es bedünkt mich, daß sie meiner Meinung nach alle mehr oder weniger einander völlig gleich sind und in der einen nicht mehr und nicht weniger steht als in der anderen. Und wie mir deucht, gehört diese Art von Schriftstellerei oder Dichtung zur Art jener Milesischen Märchen, welche ungereimte Erzählungen sind, die nur ergötzen und nicht belehren wollen; im Gegensatz zu den Äsopischen Fabeln, welche sowohl ergötzen als auch belehren. Und wenn nun auch der hauptsächliche Zweck solcher Bücher ist zu ergötzen, so weiß ich nicht, wie sie ihn erreichen können, da sie voll so vieler ungeheuerlicher Abgeschmacktheiten sind. Denn das Ergötzen, das der Geist sucht, soll er nur empfinden ob der Schönheit und der richtigen Verhältnisse alles einzelnen, die er an den Dingen findet, wie sie ihm der lebendige Anblick oder die Phantasie vorführt; und alles, was Häßlichkeit und Mißverhältnis in sich hat, kann unmöglich Vergnügen in uns erregen. Nun aber, welche Schönheit oder welches Verhältnis der Teile zum Ganzen kann in einem Buch oder Märchen vorhanden sein, wo ein Junge von sechzehn Jahren einem turmhohen Riesen einen Schwerthieb versetzt und ihn mitten auseinanderhaut, als wäre er von Zuckerteig? Und wie erst, wenn man uns eine Schlacht schildern will, nachdem man gesagt, es stünden auf feindlicher Seite mehr als eine Million Streiter? Falls nur der Held des Buches gegen sie ist, so müssen wir notgedrungen, so ungern wir’s auch tun, für wahr annehmen, daß der besagte Ritter den Sieg durch die Tapferkeit seines starken Armes allein davongetragen hat. Und dann, was sollen wir von der leichtsinnigen Bereitwilligkeit sagen, mit der eine Königin oder die Erbin eines Kaisertums sich einem ihr unbekannten fahrenden Ritter an den Hals wirft? Welcher Geist, wenn er nicht völlig roh und ungebildet ist, kann sich daran vergnügen, zu lesen, wie ein großer Turm voll Ritter über Meer fährt gleich einem Schiff unter günstigem Winde und heut in der Lombardei Nachtruhe hält und morgen in der Frühe sich in den Landen des Priesters Johannes von Indien befindet oder in anderen, die weder Ptolomäus entdeckt noch Marco Polo gesehen hat?

Und wollte man mir hierauf entgegnen, daß die Verfasser von Büchern dieser Art sie nur als erdichtete Geschichten niederschreiben und daß sie daher nicht verpflichtet sind, auf Schicklichkeit und auf Wahrheit der Tatsachen zu sehen, so würde ich ihnen antworten müssen, daß die Lüge um so besser ist, je mehr sie wahr scheint, und um so mehr gefällt, je mehr sie Wahrscheinliches und Mögliches enthält. Die Dichtung muß sich mit dem Geiste des Lesers vermählen; das heißt, man muß das Erdichtete so gestalten, daß es das Unmögliche begreiflich macht, das Allzuhohe ebnet, die Geister in Spannung versetzt und mithin uns in solchem Grade Staunen abnötigt, uns aufregt und unterhält, daß Verwunderung und frohe Stimmung stets gleichen Schritt halten. Und all dieses wird der nicht zustande bringen können, der sich von der Wahrscheinlichkeit und der Nachahmung der Wirklichkeit fernhält, worin die Vollkommenheit eines Buches besteht. Nie hab ich ein Ritterbuch gesehen, dessen Dichtung ein einheitliches Ganzes mit all seinen Gliedern gebildet hätte, so daß die Mitte dem Anfang entspräche und das Ende dem Anfang und der Mitte; vielmehr setzen sie die Erzählung aus so viel Gliedern zusammen, daß es eher den Anschein hat, sie beabsichtigen eine Chimära oder sonst ein widernatürliches Ungetüm zu bilden, als eine Gestalt von richtigen Verhältnissen zu schaffen. Außerdem sind sie im Stile hart, in den erzählten Taten unwahrscheinlich, in den Liebeshändeln unzüchtig, in den Feinheiten des Umgangs unbeholfen, weitschweifig in den Schlachten, albern in den Gesprächen, ungereimt in den Reisen und, kurz, alles Kunstverständnisses bar und darum wert, aus dem christlichen Gemeinwesen als unnütz verbannt zu werden.«

Der Pfarrer hörte ihm höchst aufmerksam zu und erkannte in ihm einen Mann von gesundem Verstand, der in allen seinen Behauptungen recht hatte. Daher sagte er ihm, weil er ganz und gar mit ihm gleicher Meinung sei und gegen die Ritterbücher einen Widerwillen hege, habe er die ganze Sammlung Don Quijotes verbrannt, und die sei nicht klein gewesen. Und dann erzählte er ihm, wie er Gericht über sie gehalten und welche er zum Feuer verurteilt und welche er am Leben gelassen habe. Darüber lachte der Domherr nicht wenig und meinte, trotz all dem Bösen, das er über die besagten Bücher gesagt, finde er in ihnen immerhin ein Gutes, nämlich daß ihr Gegenstand stets ein solcher sei, daß in ihnen ein guter Kopf sich zeigen könne; denn sie öffneten ein weites, geräumiges Feld, über das die Feder ohne irgendwelches Hindernis hineilen könne, um Schiffbrüche, Seestürme, Scharmützel und Schlachten zu beschreiben; einen tapfern Feldherrn zu schildern mit all den Eigenschaften, die zu einem solchen erforderlich sind: sich als vorsichtig bewährend, den listigen Anschlägen seiner Feinde zuvorkommend, ein gewandter Redner, der seine Krieger zu allem überreden oder ihnen jegliches ausreden kann, bedächtig im Rat, rasch zur Tat, ebenso mannhaft entschieden im Abwarten wie im Angreifen; bald einen jammervollen, schmerzlichen Vorgang darzustellen, bald ein freudiges und unverhofftes Ereignis, dort eine wunderschöne, tugendsame, verständige und sittige Dame, hier einen Ritter voll christlichen Heldenmutes und feiner Gesittung zu zeichnen, dort hingegen einen ungeschlachten, großsprecherischen Barbaren, an anderem Orte einen freundlichen, tapferen, weitblickenden Fürsten; die Biederkeit und Treue der Untertanen, die Größe und Freigebigkeit der Herrscher. Bald kann er sich als Sterndeuter zeigen, bald als Meister der Erdbeschreibung, bald als Musiker, bald als Kenner der Staatsangelegenheiten; ja, vielleicht kommt ihm einmal die Gelegenheit, sich, wenn er Lust hat, als Schwarzkünstler zu zeigen. Er kann die Verschlagenheit des Odysseus und die Kühnheit des Achilles darstellen, Hektors trauriges Geschick, Sinons Verräterei, die Freundschaft des Euryalus, Alexanders Großmut, den Heldensinn Cäsars, die Milde und Aufrichtigkeit Trajans, die Treue des Zopirus, die Weisheit Catos und, endlich, all jene Tugenden, die einen hochgestellten Mann vollkommen machen können, indem er sie bald in einem einzigen Helden zusammengesellt, bald sie unter viele verteilt. Und wenn dies mit gefälliger Anmut des Stils geschieht und mit sinnreicher Erfindung, die soviel als möglich das Gepräge der Wahrheit trägt, dann wird er ohne Zweifel ein Gewebe weben, aus mannigfachen und reizenden Verschlingungen gebildet, das, wenn es erst zustande gebracht worden, eine solche Vollkommenheit und solchen Reiz der Gestaltung zeigt, daß es das schönste Ziel erreicht, das man in Büchern anstrebt, nämlich zugleich zu belehren und zu ergötzen, wie ich schon bemerkt habe. Denn der zwanglose Stil dieser Bücher gewährt dem Verfasser Freiheit und Raum, sich als epischer, lyrischer, tragischer, komischer Dichter zu zeigen, in der ganzen Vielseitigkeit, die in den holden und heiteren Künsten der Poesie und Beredsamkeit enthalten ist – denn die epische Dichtung läßt sich ebensogut in Prosa als in Versen schreiben.

48. Kapitel

Wo der Domherr mit der Besprechung der Ritterbücher fortfährt, nebst andern Dingen, so des geistvollen Herrn würdig sind

»Es ist so, wie Euer Gnaden sagen, Herr Domherr«, sprach der Pfarrer, »und aus diesem Grunde verdienen diejenigen um so strengeren Tadel, die bis heute dergleichen Bücher verfaßt haben, ohne jemals vernünftige Überlegung zu Rate zu ziehen oder die Kunst und die Regeln, durch die sie sich leiten lassen und in der Prosa Ruhm erwerben konnten, wie es in Versen die beiden Fürsten der griechischen und der lateinischen Dichtung getan.«

»Ich selbst bin einmal in eine gewisse Versuchung geraten, ein Ritterbuch zu schreiben«, versetzte der Domherr, »und habe dabei alle die Regeln beobachtet, die ich soeben erwähnte; und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so habe ich mehr als hundert Blätter vollgeschrieben und habe sie, um die Probe zu machen, ob sie meiner Wertschätzung entsprächen, Leuten mitgeteilt, die leidenschaftlich für diese Art Bücher schwärmen, sowohl gelehrten und verständigen als auch ungebildeten und beschränkten, die nur für ungereimtes Zeug Sinn haben, und habe bei allen den erwünschten Beifall gefunden. Aber trotzdem habe ich es nicht fortgesetzt, sowohl weil ich glaubte, mit dieser Arbeit etwas meinem Berufe Fernliegendes zu tun, als auch weil ich einsah, daß die Zahl der Einfältigen größer ist als die der Einsichtigen, und weil ich – obschon das Lob weniger Verständiger besser ist als der Spott vieler Dummköpfe – mich nicht dem unklaren Urteil der sich in Einbildung blähenden Menge unterwerfen will, die doch vor allen andern sich mit dem Lesen solcher Bücher abgibt. Was aber vorzugsweise mir die Arbeit aus den Händen nahm, ja mich von dem Gedanken, sie zu vollenden, gänzlich abbrachte, war eine Betrachtung, die ich für mich anstellte und die durch die heutzutage aufgeführten Lustspiele angeregt wurde. Ich sagte mir nämlich: wenn diese Stücke, die man jetzt gibt, sowohl die rein erfundenen als auch die aus der Geschichte entnommenen, alle oder doch meistenteils anerkanntermaßen ungereimtes Zeug sind und weder Hand noch Fuß haben, und wenn trotzdem die Menge sie mit Vergnügen anhört und für gut hält und mit Beifall belohnt, während sie es nicht im entferntesten sind; und wenn die Verfasser, die sie schreiben, und die Schauspieler, die sie aufführen, sagen, sie müßten so sein, weil die Menge sie so und nicht anders haben will; und wenn die Lustspiele, die einen Plan haben und die Handlung folgerichtig entwickeln, wie die Kunst es verlangt, nur für drei, vier einsichtige Leute vorhanden sind, die Verständnis dafür haben, und alle übrigen Hörer ganz verständnislos sind für deren Kunst, und wenn es mithin für die Verfasser und Darsteller viel besser ist, bei der Menge ihr Brot zu verdienen, als bei den wenigen Ruhm zu erwerben: da wird es am Ende mit meinem Buch ebenso gehen, nachdem ich mir die Finger lahmgeschrieben, um die erwähnten Vorschriften zu beobachten, und ich werde am Ende den Schneider von Campillo spielen, der die Hosen unentgeltlich nähte und noch den Zwirn dazugab.

Und wiewohl ich die Schauspieler mehrmals zu überzeugen suchte, daß sie mit ihrer Ansicht im Irrtum sind und daß sie mehr Leute anziehen und größeren Ruf erlangen würden, wenn sie Komödien darstellten, die den Regeln der Kunst folgen, als jene Stücke voller Widersprüche und Ungereimtheiten, so halten sie dennoch so fest an ihren Meinungen und sind damit so verwachsen, daß weder vernünftige Erwägungen noch die augenscheinlichsten Tatsachen imstande wären, sie davon abzubringen. Ich erinnere mich, daß ich eines Tages zu einem dieser Starrköpfe äußerte: Sagt mir doch, erinnert Ihr Euch nicht, daß vor wenig Jahren in Spanien drei Trauerspiele zur Aufführung kamen, die ein berühmter Dichter dieser Lande verfaßt hatte und die so wirkungsvoll waren, daß sie die Hörer alle, sowohl die einfachen als auch die gebildeten, sowohl die zum großen Haufen gehörenden als auch die auserlesenen, in Bewunderung, freudige Stimmung und hohes Staunen versetzten und daß die drei Stücke für sich allein den Darstellern mehr Geld einbrachten als dreißig der besten, die seitdem und bis jetzt geschrieben wurden? – Ganz gewiß, antwortete der Schauspieler, den ich meine, Euer Gnaden spricht ohne Zweifel von der Isabela, der Phyllis und der Alexandra. – Diese meine ich allerdings, erwiderte ich ihm; und denkt einmal darüber nach, ob sie die Vorschriften der Kunst genau befolgt haben und ob sie etwa deshalb, weil sie sie befolgten, nicht für so wertvoll gegolten, wie sie es sind, und nicht jedermann gefallen haben. So liegt also die Schuld nicht an dem großen Haufen, der etwa Ungereimtes verlangt, sondern an jenen, die nichts andres darzustellen verstehen. So ist es, und das Schauspiel Für Undank Rache war keine Ungereimtheit, und die Numancia enthielt keine, und man fand keine in der Komödie vom Kaufmann als Liebhaber oder gar in der Freundlichen Feindin noch in etlichen anderen, die von verschiedenen einsichtsvollen Dichtern verfaßt wurden, ihnen selbst zu Ruhm und Ehre und denen zum Gewinn, die sie aufführten. Noch andre Gründe fügte ich diesen hinzu, womit ich meines Bedünkens ihn etwas verlegen machte, ihn aber weder zu einem Zugeständnis bewog noch genügend überzeugte, um ihn von seinen irrigen Ansichten abzubringen.«

»Euer Gnaden hat einen Gegenstand berührt, Herr Domherr«, sprach hier der Pfarrer, »der in mir einen alten Groll wiedergeweckt hat, den ich gegen die jetzt im Schwange befindlichen Bühnenstücke hege und der nicht minder heftig ist als gegen die Ritterbücher; denn während die Komödie, wie Tullius Cicero meint, ein Spiegel des menschlichen Lebens, ein Lehrbuch der Sitten und ein Bild der Wahrheit sein soll, sind die heutigen Stücke Spiegel der Ungereimtheiten, Lehrbücher der Albernheiten und Bilder der frechen Lüsternheit. Denn welche größere Ungereimtheit ist denkbar auf dem Gebiete, von dem wir sprechen, als daß in der ersten Szene des ersten Aufzugs ein Kind in Windeln erscheint und in der zweiten als ein bereits bärtiger Mann auftritt? Und ist es nicht der ärgste Widersinn, uns einen Greis als tapfern Kämpfer und einen jungen Mann als Feigling darzustellen, einen Lakaien als redegewandt im Wortstreit, einen Edelknaben als Ratgeber, einen König als Taglöhner und eine Prinzessin als Küchenmagd? Was soll ich sodann von der Art sagen, wie die Zeit eingehalten wird, binnen deren die Handlung in diesen Schauspielen vorgehen kann oder konnte, was soll ich anderes sagen, als daß ich manches Drama gesehen habe, wo der erste Aufzug in Europa anfing, der zweite in Asien und der dritte in Afrika zu Ende ging und gewiß, wenn es vier Aufzüge gewesen wären, der vierte in Amerika schließen und also das Stück in allen vier Weltteilen spielen würde? Und wenn tatsächlich die Nachahmung der Wirklichkeit das hauptsächlichste Erfordernis eines Schauspiels ist, wie kann sich ein auch nur mittelmäßiger Kopf befriedigt fühlen, wenn bei einer Handlung, die der Dichter in die Zeiten des Königs Pippin und Karls des Großen verlegt, als Hauptperson der Kaiser Heraklius auftritt, der mit dem Kreuz in Jerusalem einzieht und das Heilige Grab erobert wie Gottfried von Bouillon, während doch zahllose Jahre zwischen diesem und jenem Ereignis liegen; und wenn man demselben Drama, während es sich auf reine Erfindung gründet, hier etliche geschichtliche Tatsachen beigibt und dort Bruchstücke von andern beimischt, die sich bei verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten ereignet haben, und dies nicht etwa nach einem die Wahrscheinlichkeit beachtenden Plan, sondern mit offenbaren, in jeder Beziehung unentschuldbaren Irrtümern? Und das Schlimme dabei ist, daß es einfältige ungebildete Menschen gibt, die da sagen, das eben sei das Vollkommene, und mehr wollen heiße ganz besondere Leckerbissen begehren.

Und wie erst, wenn wir auf die geistlichen Schauspiele kommen! Wieviel falsche Wunder werden in diesen erdichtet, wieviel unterschobene und mißverstandene Dinge, wo die Wunder des einen Heiligen einem andern zugeschrieben werden! Ja, selbst in den weltlichen Stücken erkühnen sie sich, Wunder tun zu lassen ohne andre Rücksicht und ohne andern Grund, als daß ihrer Meinung nach das betreffende Wunder und die betreffende Maschinerie – wie man es nennt – sich an jener Stelle gut ausnehmen, damit ungebildetes Volk in Staunen gerate und in die Komödie laufe. All dieses verfälscht die Wahrheit, würdigt die Geschichte herab, ja, es macht den spanischen Dichtern Schande; denn die ausländischen, die mit größter Genauigkeit die Gesetze des Dramas beobachten, halten uns für roh und ungebildet, wenn sie die Abgeschmacktheiten und Ungereimtheiten in unsren dramatischen Werken sehen. Und es wäre keine genügende Entschuldigung dafür, zu sagen, der hauptsächliche Zweck eines wohlgeordneten Gemeinwesens bei der Genehmigung öffentlicher Schauspiele sei, der Gesamtheit eine anständige Erholung zu vergönnen und hie und da die schlimmen Gelüste zu verscheuchen, welche der Müßiggang zu erzeugen pflegt; und da dieser Zweck mit jeder Art von Drama, mit einem guten oder schlechten, erreicht werde, so sei kein Grund vorhanden, Gesetze aufzustellen und die Verfasser und Darsteller derselben zu nötigen, sie nur so zu schaffen, wie sie sein sollten, weil, wie gesagt, mit jedem beliebigen Schauspiel erreicht werde, was man damit bezwecken wolle. Hierauf würde ich antworten, daß dieser Zweck unvergleichlich besser mit guten Komödien erreicht würde als mit nicht guten; denn aus der Aufführung eines kunstreichen und gutgebauten Schauspieles komme der Hörer frohgestimmt durch den Witz, belehrt durch die Wahrheit, in Verwunderung gesetzt durch die Handlung, aufgeklärt durch die verständigen Ansichten, gewarnt durch die trügerischen Ränke, gewitzigt durch die Beispiele, entrüstet ob des Lasters, in Liebe entflammt für die Tugend. Alle diese Gemütsbewegungen nämlich muß ein gutes Bühnenstück im Hörer hervorrufen, so ungebildet und unempfänglich er auch sei; und es ist die unmöglichste der Unmöglichkeiten, daß ein Schauspiel, das all diese Eigenschaften besäße, nicht weit mehr ergötzen und unterhalten, gefallen und befriedigen sollte als ein Stück, dem diese fehlen, wie das zum größten Teil bei den heute aufgeführten Schauspielen der Fall ist. Und daran tragen die Dichter, die sie schreiben, keine Schuld; denn es gibt unter ihnen manche, die ganz wohl wissen, worin sie sich verfehlen und was sie eigentlich tun sollten. Aber da die Bühnenstücke zur käuflichen Ware geworden sind, so sagen sie, und zwar mit Recht, die Schauspieler würden die Stücke nicht nehmen, wenn sie nicht von diesem Schlage wären, und darum sucht der Dichter sich dem anzubequemen, was der Schauspieler, der ihm seine Arbeit bezahlen soll, von ihm verlangt. Und daß dieses reine Wahrheit ist, kann man aus den vielen, ja unzähligen Schauspielen ersehen, die einer der reichstbegabten Geister dieser Lande mit solcher Anmut und solchem Witz gedichtet hat, in so schönen Versen, mit so geistvollen Gesprächen, mit so bedeutsamen Lehrsprüchen, kurz, so voller Beredsamkeit und Erhabenheit des Stils, daß er die Welt mit seinem Ruhm erfüllt. Aber weil er sich den Wünschen der Schauspieler anbequemen wollte, haben seine Stücke nicht sämtlich, wie es doch mit einigen geschehen, den Grad der Vollkommenheit erreicht, den sie eigentlich haben müßten.

Andre schreiben ihre Stücke, durchaus ohne zu überlegen, was sie tun, so daß nach der Aufführung die Darsteller sich genötigt sehen, zu flüchten und sich in die Ferne zu begeben, um nicht zur Strafe gezogen zu werden, wie das schon oftmals geschehen ist, weil sie manches zum Nachteil gewisser Könige und etlichen Adelsfamilien zur Unehre auf die Bühne brachten. Aber all diese Unzuträglichkeiten und noch viele andre, die ich nicht erwähne, würden aufhören, wenn in der Residenz ein einsichtiger, erfahrener Mann da wäre, der alle Bühnenstücke vor der Aufführung zu prüfen hätte, nicht nur diejenigen, welche in der Hauptstadt, sondern alle, die in ganz Spanien zur Aufführung kommen sollen; und wenn sodann ohne solche Genehmigung mit Siegel und Unterschrift keine Behörde die Aufführung eines Schauspiels in ihrem Amtsbereich erlaubte, dann würden die Schauspieler die Stücke erst nach der Hauptstadt senden und könnten sie alsdann in aller Sicherheit aufführen, und die Verfasser würden mit mehr Sorgfalt und Fleiß ihre Werke gründlich überdenken, da sie stets die strenge Prüfung ihrer Stücke durch einen Sachkenner vor Augen hätten; und auf diese Weise würden gute Schauspiele geschrieben und würde glücklich erreicht werden, was man mit ihnen beabsichtigt: für die Unterhaltung des Volkes, für den guten Ruf der spanischen Dichter, für die Sicherheit der Schauspieler und deren eignes Bestes zu sorgen und den Behörden die Unannehmlichkeit zu ersparen, sie zur Verantwortung zu ziehen.

Und wenn man einem andern oder dem nämlichen das Amt übertrüge, die etwa neu erscheinenden Ritterbücher zu prüfen, so würde gewiß eins und das andre in der Vollkommenheit ans Licht treten, die Euer Hochwürden geschildert hat, unsre Sprache mit erfreulichen und köstlichen Schätzen von Beredsamkeit bereichern und veranlassen, daß die alten Bücher verdunkelt würden im edleren Glanz der neuen, die zum anständigen Zeitvertreib erscheinen würden nicht nur für die Müßiggänger, sondern auch für die beschäftigteren Leute. Denn der Bogen kann nicht fortwährend gespannt bleiben, und die Natur und Schwäche des Menschen kann sich ohne eine anständige Erholung nicht aufrecht halten.«

So weit waren der Domherr und der Pfarrer in ihrer Unterhaltung gekommen, als der Barbier hinter ihnen hervorkam, sich ihnen näherte und zu dem Pfarrer sprach: »Dies, Herr Lizentiat, ist der Ort, von dem ich vorher gesagt habe, wir könnten dort am besten Mittagsruhe halten und den Ochsen frisches und reichliches Futter geben.«

»Auch mir scheint es so«, entgegnete der Pfarrer; und als er dem Domherrn sein Vorhaben mitteilte, wollte auch dieser mit ihnen da rasten, weil die schöne Lage des Tals ihn anzog, das sich ihren Blicken darbot. Sowohl um die Reize der Gegend als auch die fernere Unterhaltung des Pfarrers zu genießen, zu dem er bereits Zuneigung fühlte, und auch Don Quijotes Taten mehr im einzelnen zu erfahren, beorderte er ein paar von seinen Dienern zu der Schenke, die sich nicht weit von dort zeigte, um aus derselben für sie alle zu holen, was zu essen vorrätig wäre; denn er nahm sich vor, hier den ganzen Nachmittag Rast zu halten. Darauf entgegnete einer von den Dienern, das Saumtier mit dem Mundvorrat, das schon in der Schenke angelangt sein müsse, sei mit Lebensmitteln genugsam beladen, so daß man aus der Schenke nichts weiter holen müsse als Futter für die Tiere.

»Wenn dem so ist«, versetzte der Domherr, »so führe man alle Maulesel dorthin und lasse das Saumtier hierher zurückkommen.«

Indem ersah Sancho die Gelegenheit, jetzt ohne die fortwährende Gegenwart des Pfarrers und des Barbiers, die ihm verdächtig waren, mit seinem Herrn reden zu können; er näherte sich also dem Käfig, in dem sich der Ritter befand, und sprach zu ihm: »Señor, um die Last von meinem Gewissen zu wälzen, muß ich Euch sagen, wie es mit Eurer Verzauberung zugeht. Die zwei nämlich, die da mit verhülltem Gesicht umhergehen, sind der Pfarrer unseres Ortes und der Barbier, und ich glaube, sie haben den Anschlag, Euch auf solche Manier fortzubringen, aus reinem Neid darüber ausgesonnen, daß Euer Gnaden so weit über ihnen steht, weil Ihr weltberühmte Taten tut. Da dies volle Wahrheit ist, so folgt daraus, daß Ihr nicht verzaubert seid, sondern betrogen und zum Narren gehalten. Zum Beweise dafür will ich Euch über etwas befragen, und wenn Ihr mir so antwortet, wie Ihr mir meiner Meinung nach antworten müßt, so werdet Ihr den Betrug mit Händen greifen und werdet einsehen, daß Ihr nicht verzaubert, sondern verrückt seid.«

»Frage, was du willst, Sancho, mein Sohn«, erwiderte Don Quijote, »ich werde dich zufriedenstellen und dir ganz nach deinem Herzenswunsch Antwort geben. Und was deine Behauptung angeht, daß diese beiden, die da um uns hin und her gehen, der Pfarrer und Barbier, unsre Landsleute und Bekannten, seien, so kann es ganz gut so scheinen, daß sie es sind; aber daß sie es wahr und wirklich wären, das glaube nur ja nicht. Was du glauben und meinen mußt, ist dieses: wenn sie ihnen in der Tat gleichsehen, wie du sagst, so kann es nur so zugehn, daß jene, die mich verzauberten, ihre äußere Erscheinung angenommen haben. Denn den Zauberern ist es leicht, jegliche Gestalt anzunehmen, die ihnen gerade beliebt, und sie werden die unsrer Freunde angenommen haben, um dich zu dem Wahnglauben zu verleiten und dich in ein Labyrinth von Selbsttäuschungen zu verlocken, aus dem dir kein Faden des Theseus heraushelfen würde; und sie werden es auch deshalb getan haben, damit ich in meinem Urteil von den Dingen schwankend werde und nicht in Erfahrung bringe, von wannen mir dieses Unheil kommt. Denn wenn einerseits du mir sagst, daß der Barbier und der Pfarrer unseres Ortes in meiner Begleitung sind, und anderseits ich mich eingekäfigt sehe und doch von mir weiß, daß keine menschliche Kraft, wenn sie nicht etwa übernatürlich ist, mich einzukäfigen vermöchte, was, sage mir, soll ich andres sagen oder glauben, als daß die besondere Art meiner Verzauberung jede andere Art übertrifft, von der ich jemals gelesen in all den Geschichten von fahrenden Rittern, die verzaubert wurden? Sonach kannst du dich völlig beruhigen und getrösten, soviel deine Vermutung betrifft, daß sie die Personen seien, die du nennst; denn das sind sie geradeso wenig, wie ich ein Türke bin. Was aber den Umstand betrifft, daß du mich über etwas befragen willst, sprich, und ich werde dir Antwort geben, wenn du mich auch von heute bis morgen früh fragen wolltest.«

Don Quijote

»So helfe mir Unsre Liebe Frau!« schrie Sancho laut. »Ist’s denn möglich, und ist Euer Gnaden so hart am Kopfe und so schwach im Hirn, daß Ihr nicht einseht, wie reine Wahrheit ich Euch sage, und daß an Eurem Gefängnis und Mißgeschick die Bosheit mehr schuld ist als die Zauberei? Es ist aber einmal so, und ich will Euch den augenscheinlichen Beweis führen, daß Ihr keineswegs verzaubert seid; wenn anders, so saget mir, so wahr Gott Euch aus dem Sturm dieser Bedrängnis erlösen soll und so wahr Ihr Euch in den Armen unseres Fräuleins Dulcinea sehen möget, wann Ihr es am wenigsten denkt…«

»Hör auf, mich zu beschwören«, fiel Don Quijote ein, »und frage, was immer du zu wissen wünschest. Ich habe dir schon gesagt, ich werde dir Punkt für Punkt genau antworten.«

»Das will ich eben«, erwiderte Sancho, »und was ich wünsche, ist, daß Ihr mir saget, ohne irgend etwas hinzuzutun oder wegzulassen, sondern mit aller Wahrheit, wie alle jene sie sagen müssen und wirklich sagen, die da zum Beruf des Waffenwerks sich bekennen in der Eigenschaft als fahrende Ritter, wie Euer Gnaden sich dazu bekennt…«

»Ich sage dir, ich werde dir in keinem Punkte etwas vorlügen«, entgegnete Don Quijote, »komm nur zu Ende mit deinem Fragen, denn in der Tat langweilst du mich mit all deinen Entschuldigungen, Bitten und Einleitungen, Sancho.«

»Ich sage Euch, ich bin von der Redlichkeit und Wahrheitsliebe meines gnädigen Herrn ganz überzeugt; und so, weil es für unsre Geschichte wichtig ist, frag ich Euch und sag es mit aller Ehrerbietung, ob, seit Euer Gnaden eingekäfigt ist und nach Eurer Meinung in diesem Käfig als ein Verzauberter weilt, ob vielleicht Euch Lust und Wunsch gekommen ist, was Großes oder Kleines zu verrichten, wie man zu sagen pflegt?«

»Ich verstehe nicht, was das heißen soll, Großes verrichten, Sancho; drücke dich deutlicher aus, wenn du willst, daß ich dir glatt antworten soll.«

»Ist’s möglich?« rief Sancho, »Großes oder Kleines verrichten, das versteht Euer Gnaden nicht? Ei, schon die erst entwöhnten Kinder werden in der Schule damit auf erzogen! Ich meine, ob Euch Lust gekommen ist, zu tun, was man nicht unterlassen kann?«

»Nun, nun versteh ich dich, Sancho. Freilich, oftmals schon, und jetzt eben habe ich sotane Lust; erlöse mich aus dieser Verlegenheit, denn es ist wahrlich nicht alles sauber im Unterstübchen.«

49. Kapitel

Worin von der verständigen Zwiesprache berichtet wird, welche Sancho Pansa mit seinem Herrn Don Quijote hielt

»Aha!« sagte Sancho, »jetzt hab ich Euch gefangen. Das eben war mir lieb zu hören, so lieb als Seele und Seligkeit. Kommt mal her, gnädiger Herr! Könnt Ihr leugnen, was man gemeiniglich unter uns zu sagen pflegt, wenn es einem übel ist: ›Ich weiß nicht, was dem da fehlt; er ißt nicht, er trinkt nicht, er schläft nicht, und auf alle Fragen antwortet er verkehrt; es sieht geradeso aus, als wäre er verzaubert?‹ Daraus nun wird jeder annehmen, daß Leute, die nicht essen und nicht trinken und nicht schlafen und die bewußten natürlichen Dinge nicht verrichten, daß selbige Leute verzaubert sind, nicht aber die Leute, die den Drang verspüren, den Euer Gnaden verspürt; und Ihr trinket, wenn man’s Euch verabreicht, und Ihr esset, wenn Ihr was habt, und antwortet auf jegliches, wenn man Euch fragt.«

»Ganz richtig ist, was du sagest, Sancho«, entgegnete Don Quijote. »Allein ich habe dir schon bemerkt, es gibt gar verschiedene Arten von Verzauberungen. Auch ist es möglich, daß mit der Zeit die eine Art sich in die andre verwandelt hat und daß es jetzt bei Verzauberten bräuchlich ist, alles zu tun, was ich tue, wenn sie es auch früherhin nicht getan haben, so daß man also gegen den Brauch der verschiedenen Zeiten keine Gründe geltend machen und auch keine Folgerungen daraus ziehen kann. Ich weiß und bin des festen Glaubens, daß ich verzaubert bin, und das genügt mir zur Beruhigung meines Gewissens; ja, ich würde mir ein großes Gewissen daraus machen, wenn ich glaubte, nicht verzaubert zu sein, und es geschehen ließe, daß ich müßig und feig in diesem Käfig sitze und so viele bedrängte und in Nöten befangene Leute um die Hilfe betröge, so ich selbigen gewähren könnte, welche gerade zu dieser Zeit und Stunde ohne Zweifel meines Beistandes und Schirmes aufs dringendste und aufs äußerste bedürfen.«

»Wohl«, versetzte Sancho, »trotz alledem sag ich, zu allem Überfluß und zur bessern Überzeugung wäre es gut, wenn Euer Gnaden versuchte, aus diesem Gefängnis zu kommen, und ich mache mich anheischig, mit allen Kräften dazu behilflich zu sein, ja, Euch herauszuholen; und daß Ihr dann wieder versuchtet, auf Euren wackern Rosinante zu steigen, der seinem Aussehen nach ebenfalls verzaubert ist, so schwermütig und trübselig geht er einher; und daß wir hierauf noch einmal unser Glück versuchten und auf Abenteuer auszögen. Sollte es uns aber damit nicht gut ergehen, so können wir immer noch in den Käfig zurückkehren, und auf mein Wort als eines redlichen und getreuen Schildknappen verspreche ich Euch, mich mit Euch darin einzusperren, falls Euer Gnaden so unglücklich oder ich ein solcher Esel sein sollte, daß es mir nicht gelänge, meinen Vorschlag zu glücklicher Ausführung zu bringen.«

»Ich bin’s zufrieden, Freund Sancho, alles zu tun, was du willst«, erwiderte Don Quijote; »und sobald du eine Gelegenheit siehst, meine Befreiung ins Werk zu setzen, werde ich in allem und zu allem dir gehorsamen; du jedoch, Sancho, wirst ersehen, wie du dich täuschest in deiner Ansicht von meinem Mißgeschick.«

Mit solcherlei Gesprächen unterhielten sich der fahrende Ritter und sein übelfahrender Schildknappe, bis sie an die Stelle kamen, wo der Pfarrer, der Domherr und der Barbier schon abgestiegen auf sie warteten. Der Kärrner spannte seine Ochsen sogleich aus und ließ sie los und ledig auf dem begrünten lieblichen Platze weiden gehen, dessen frische Kühle zum Genusse einlud, freilich nicht so verzauberte Persönlichkeiten wie Don Quijote, sondern nur so gescheite und einsichtige Leute wie seinen Schildknappen. Der letztere bat den Pfarrer um Erlaubnis für seinen Herrn, sich auf eine kleine Weile aus dem Käfig herauszubegeben; denn wenn sie ihn nicht herausließen, würde dies Gefängnis nicht so reinlich bleiben, wie es sich für einen Ritter von so feinem Anstand gezieme.

Der Pfarrer merkte seine Absicht und erwiderte, er würde sehr gern diesen Wunsch erfüllen, wenn er nicht fürchten müßte, daß sein Herr, sobald er sich in Freiheit sähe, seine tollen Streiche begehen und sich auf und davon machen würde auf Nimmerwiedersehen.

»Ich bürge dafür, daß er nicht entspringt«, sagte Sancho.

»Ich auch und wir alle«, sprach der Domherr, »zumal wenn er mir sein Wort als Ritter gibt, sich ohne unsere Einwilligung nicht von uns zu entfernen.«

»Ja, ich gebe es«, fiel Don Quijote hier ein, der alles angehört hatte, »um so mehr, als jemand, der verzaubert ist wie ich, ohnehin nicht die Freiheit besitzt, über seine Person nach eignem Belieben zu verfügen. Denn der ihn verzaubert hat, kann bewirken, daß er nicht imstande ist, während dreier Jahrhunderte sich vom Fleck zu rühren; und wäre er auch entflohen, so zwingt ihn der Zauberer, im Fluge zurückzukehren.« Da dem nun so sei, so könnten sie ihn ganz gut von den Banden lösen, besonders da es allen zum Besten gereiche, und wenn sie ihn nicht lösten, dann würde, so beteuerte er ihnen, unfehlbar der Geruch sie belästigen, wenn sie sich nicht aus seiner Nähe weit wegmachten.

Der Domherr ergriff seine Hand, obwohl ihm beide noch gebunden waren, und auf sein Gelöbnis und Ehrenwort wurde er entkäfigt. Er freute sich unendlich und über die Maßen, wie er sich außerhalb des Käfigs sah. Das erste, was er tat, war, daß er seinen ganzen Körper reckte und streckte; dann trat er sofort zu Rosinante, schlug ihn zweimal mit flacher Hand auf die Kruppe und sprach: »Noch immer hoff ich zu Gott und seiner gebenedeiten Mutter, o du Blume und Spiegel aller Rosse; daß wir beide baldigst uns wieder so finden werden, wie wir es ersehnen, du dich mit deinem Herrn auf dem Rücken und ich mich auf dir, das Amt übend, für welches Gott mich in die Welt gesandt hat.«

Mit diesen Worten entfernte sich Don Quijote, ging nebst Sancho an eine abgelegene Stelle und kehrte von dort sehr erleichtert zurück mit um so lebhafterem Wunsche, alles auszuführen, was sein Schildknappe anordnen würde. Der Domherr betrachtete ihn aufmerksam und staunte ob der Seltsamkeit seiner gewaltigen Narreteien und zugleich darüber, daß er in allem, was er sagte und antwortete, einen so ausgezeichneten Verstand an den Tag legte und nur dann Bügel und Zügel verlor, wie schon früher zum öfteren gesagt, wenn man mit ihm vom Ritterwesen redete. Darob von Mitleid bewegt, sprach er zu Don Quijote, nachdem sie sich alle auf dem grünen Rasen gelagert, um den Mundvorrat des Domherrn zu erwarten: »Ist es möglich, edler Junker, daß das widerwärtige, eitle Lesen von Ritterbüchern die Gewalt über Euch hatte, Euch den Kopf so zu verdrehen, daß Ihr zuletzt gar glauben mögt, Ihr seiet wirklich verzaubert und anderes dergleichen, das von der Wahrheit so weit entfernt ist wie die Lüge von der Wahrheit? Und wie kann nur ein verständiger Mensch an die unendliche Menge von Amadísen glauben? Wie kann er glauben, daß es in der Welt jemals jenen wirren Haufen berühmter Ritter gegeben, so manchen Kaiser von Trapezunt, so manchen Felixmarte von Hyrkanien, so manchen Zelter, so manch fahrendes Fräulein, so viele Schlangen, so viele Drachen, so viele Riesen, so viele unerhörte Abenteuer, so viele Arten von Verzauberungen, so viele Schlachten, so viel ungeheuerliche Kämpfe, so vielen Prunk der Trachten, so viele verliebte Prinzessinnen, so viele Schildknappen, die zu Grafen werden, so viele witzige Zwerge, so manch Liebesbriefchen und so manch Liebesgetändel, so viele heldenhaft kämpfende Weiber, kurz, so zahlreiche und so ungereimte Begebenheiten, wie die Ritterbücher sie enthalten? Von mir muß ich sagen: wenn ich sie lese, machen sie mir einigermaßen Vergnügen, solange mein Geist sich von dem Gedanken fernhält, daß sie sämtlich Lüge und leichtfertige Torheit sind; aber sobald mir bewußt wird, was sie eigentlich sind, schleudere ich das beste von ihnen wider die Wand; ja, ich würde sie alle ins Feuer werfen, wenn ich gerade eines im Zimmer oder in der Nähe hätte, recht als Verbrecher, die eine derartige Strafe verdienen, weil sie Fälscher und Betrüger sind und sich ganz außerhalb der Verhältnisse bewegen, die der Menschennatur gemäß sind; auch als Erfinder neuer Lehren und neuer Lebensweise und als solche, die den unwissenden Pöbel verleiten, all die Albernheiten darin am Ende gar zu glauben und für wahr zu halten. Ja, sie erdreisten sich sogar, den Geist verständiger und edler Männer von gutem Stande in Verwirrung zu bringen, wie man wohl daraus ersehen kann, was sie Euer Gnaden angetan. Denn sie haben Euch in eine Verfassung gebracht, daß es notwendig geworden, Euch in einen Käfig zu sperren und auf einem Ochsenkarren zu fahren, wie wenn man einen Löwen oder Tiger von Ort zu Ort her oder hin führt, um ihn sehen zu lassen und Geld mit ihm zu verdienen. Wohlan denn, Señor Don Quijote, habt Mitleid mit Euch selber und kehrt in den Schoß der Vernunft zurück, versteht sie, die vom gütigen Himmel Euch in reichem Maße verliehen worden, zu gebrauchen und die glücklichen Gaben Eures Geistes auf das Lesen andrer Bücher zu verwenden, auf daß es Eurem Gewissen zum Heil und zur Erhöhung Eurer Ehre gereiche.

Und wenn Ihr dennoch, von Eurer angeborenen Neigung hingerissen, Bücher von Großtaten und vom Rittertum lesen wollt, so leset in der Heiligen Schrift das Buch der Richter, denn da werdet Ihr großartige Begebnisse finden und Taten, ebenso wahr wie heldenhaft. Einen Viriatus hatte Lusitanien, einen Cäsar Rom, einen Hannibal Karthago, einen Alexander Griechenland, einen Grafen Fernán González Kastilien, einen Cid Valencia, einen Gonzalo Fernández Andalusien, einen Diego García de Parédes Estremadura, einen Garcí-Pérez de Vargas Jeréz, einen Garcilaso Toledo, einen Don Manuel de Léon Sevilla, und deren Heldentaten zu lesen kann die ausgezeichnetsten Geister unterhalten, belehren, ergötzen und zur Bewunderung hinreißen. Dies würde allerdings eine Beschäftigung sein, würdig des klaren Verstandes Euer Gnaden, mein lieber Herr Don Quijote, und aus ihr würdet Ihr gelehrter in der Geschichte hervorgehen und als ein glühender Verehrer der Tugend, unterwiesen in allem Guten, gebessert in aller edlen Sitte, tapfer ohne Tollkühnheit, vorsichtig ohne Feigheit; und all dies Gott zu Ehren, Euch zum Nutzen und der Mancha zu hohem Ruhm, aus welcher Ihr, wie ich erfuhr, Eure Geburt und Abstammung herleitet.«

Mit höchster Aufmerksamkeit lauschte Don Quijote den Worten des Domherrn, und als dieser geendet hatte, blickte er ihm eine gute Weile ins Gesicht und sprach dann: »Mich bedünkt, edler Junker, die Reden Euer Gnaden gehen darauf hinaus, mir die Überzeugung beizubringen, daß es niemals fahrende Ritter in der Welt gegeben hat und daß alle Ritterbücher falsch, lügenhaft, schädlich und für das Gemeinwesen nutzlos sind, daß ich übel getan, sie zu lesen, noch übler, an sie zu glauben, und am allerübelsten, ihnen nachzuahmen, indem ich mich damit abgegeben, dem durch sie vorgezeichneten überharten Beruf des fahrenden Rittertums zu folgen – während Ihr mir in Abrede stellt, daß es jemals in der Welt Amadíse gegeben, weder von Gallien noch von Griechenland, noch irgendeinen der andern Ritter, von denen die Schriften voll sind.«

»All dieses ist buchstäblich so, wie Euer Gnaden es eben vorträgt«, sagte hier der Domherr.

Worauf Don Quijote erwiderte: »Auch fügte Euer Gnaden noch die Versicherung hinzu, es hätten mir die besagten Bücher großen Schaden zugefügt, da sie mir den Kopf verrückt und mich in einen Käfig gebracht hätten, und ich täte besser daran, mich zu belehren und meine Lesegewohnheiten zu ändern, nämlich andre Bücher zu lesen, die mehr der Wahrheit gemäß sind und bessere Ergötzung und Belehrung bieten.«

»So ist es«, sprach der Domherr.

»Ich aber«, versetzte Don Quijote, »finde meinesteils, daß der Mann ohne Verstand und der Verzauberte Euer Gnaden selbst ist, da Ihr es für richtig gehalten habt, dergleichen große Lästerungen gegen etwas auszustoßen, das überall in der Welt solche Geltung gefunden und für so wahr erachtet wird, daß, wer es leugnen wollte, wie Euer Gnaden es leugnet, dieselbe Strafe verdiente, die Ihr den Büchern auferlegt, wenn Ihr sie leset und sie Euch langweilen. Denn jemandem einreden zu wollen, daß Amadís nie auf Erden gelebt und ebensowenig auch die andern abenteuernden Ritter, von denen die Geschichtsbücher voll sind, das heißt einem einreden wollen, daß die Sonne nicht leuchtet und das Eis nicht kältet und die Erde uns nicht trägt. Mithin, welch vernünftiges Wesen kann es auf Erden geben, das einem andern einreden könnte, es sei nicht volle Wahrheit, was von der Prinzessin Floripes erzählt wird und von Guido von Burgund und von Fierabrás, nebst der Brücke von Mantible, was alles sich zu Zeiten Karls des Großen zugetragen? Ich schwör’s bei allem, was heilig ist, dies ist alles so wahr, wie daß es jetzt Tag ist. Und wenn es Lüge ist, so muß es auch Lüge sein, daß je ein Hektor gewesen ist und ein Achilles und ein Trojanischer Krieg und die zwölf Pairs von Frankreich und König Artus von England, der noch bis heute in einen Raben verwandelt lebt, so daß man ihn von einem Augenblick zum andern in seinem Königreich zurückerwartet. Und dann mag man sich auch erdreisten, zu sagen, erlogen sei die Geschichte von Guarino Mezquino und die von der Aufsuchung des Heiligen Gral, und Fabeln seien die Geschichten von den Liebeshändeln Herrn Tristans und der Königin Isolde, wie von denen der Ginevra und des Lanzelot; während es doch Personen gibt, die sich beinahe noch erinnern, die Hofdame Quintañona gesehen zu haben, welche zu ihrer Zeit die beste Mundschenkin in ganz Großbritannien war. Und das ist so sicher wahr, daß ich mich erinnere, wie meine Großmutter von väterlicher Seite mir öfter sagte, wenn sie eine alte Dame in ehrwürdiger Haube sah: ›Die da, lieber Enkel, sieht aus wie die Hofdame Quintañona.‹ Daraus ziehe ich den Schluß, meine Großmutter muß sie gekannt haben oder sie hat wenigstens ein Bild von ihr gesehen.

Sodann, wer kann leugnen, daß die Geschichte von Peter und der schönen Magelona wahr ist, da man noch heutzutage in der Waffensammlung unsrer Könige den Zapfen sieht, mit welchem der Graf Peter das hölzerne Pferd hin und her lenkte, auf dem er durch die Lüfte flog? Und selbiger Zapfen ist etwas größer als eine Karrendeichsel. Und neben dem Zapfen sieht man dort den Sattel des Babieca, und in Roncesvalles befindet sich das Horn Roldáns, so groß wie ein mächtiger Balken. Woraus folgt, daß es einen Ritter Peter gegeben, daß es Männer wie Cid gegeben und andre dergleichen Ritter,

die, wie die Leute sagen,
hinausziehn auf ihre Abenteuer.

Wenn das geleugnet wird, so sage man mir doch auch, es sei unwahr, daß der tapfere Lusitanier Juan de Merlo ein fahrender Ritter war und nach Burgund hinzog und in der Stadt Arras gegen den berühmten Herrn von Charní, genannt der edle Herr Peter, im Zweikampf stritt und später in der Stadt Basel gegen den edlen Herrn Heinrich von Rabenstein und aus beiden Wagnissen als Sieger hervorging, reich an Ruhm und Ehre; und unwahr seien auch die ebenfalls in Burgund bestandenen Abenteuer und Herausforderungen der heldenhaften Spanier Pedro Barba und Gutierre Quijada – von dessen Geschlecht ich mich in geradem Mannesstamme ableite –, welche die Söhne des Grafen von Saint-Paul besiegten. Und so soll man mir auch leugnen, daß Don Fernando de Guevara nach Deutschland auf Abenteuer auszog, wo er mit Herrn Georg, einem Ritter vom Hofe des Herzogs von Österreich, seinen Strauß ausfocht. Man soll mir sagen, die Kämpfe des Suero de Quiñones, des Helden von jenem Waffengang, seien nur Spaß gewesen; Spaß nur die Kämpfe des edlen Herrn Luis de Falces, die er für seine Devise ausfocht gegen den kastilischen Ritter Don Gonzalo de Guzmán, nebst vielen andern Heldentaten, so christliche Ritter der spanischen und auswärtigen Reiche ausgerichtet haben, die so wahr und erwiesen sind, daß ich nochmals sagen muß: wer sie leugnen wollte, dem würde aller Menschenverstand und alle gesunde Vernunft fehlen.« Der Domherr war hocherstaunt über diese Mischung von Wahrheit und Lügen, welche Don Quijote vorbrachte, und zu sehen, welche Kenntnis er von allem hatte, was die Taten seines fahrenden Rittertums betraf und daran rührte, und so antwortete er ihm: »Ich kann nicht leugnen, Señor Don Quijote, daß einiges von dem, was Ihr gesagt, wahr ist, besonders was die fahrenden Ritter Spaniens angeht; und ebenso will ich auch zugeben, daß es zwölf Pairs von Frankreich gegeben hat, aber ich mag nicht glauben, daß sie all jene Taten getan, die der Erzbischof Turpin von ihnen berichtet. Das Wahre daran ist, sie waren von dem König von Frankreich auserlesene Ritter, die man Pairs, das heißt Ebenbürtige, nannte, weil sie an Tüchtigkeit, Adel und Tapferkeit alle einander ebenbürtig waren; und wenn sie es nicht waren, sollten sie es wenigstens sein. Es war also ein Orden wie die jetzt bekannten Orden von Santiago oder Calatrava, bei welchen vorausgesetzt wird, daß jeder darin Aufgenommene ein mannhafter und tapferer Ritter von guter Geburt ist. Und so wie man jetzt sagt ›Ritter vom heiligen Johannes‹ oder, ›von Alcantara‹, so sagte man zu jener Zeit ein ›Ritter aus der Zahl der zwölf Pairs‹, weil es zwölf in jeder Beziehung Ebenbürtige waren, die man für diesen Kriegsorden auserkor. Was den Punkt betrifft, ob es einen Cid gegeben, so ist daran kein Zweifel, ebensowenig daran, daß es einen Bernardo del Carpio gegeben; aber daß sie die großen Taten getan, die man erzählt, das ist meiner Meinung nach sehr zu bezweifeln. Was nun das andere betrifft, den Zapfen, den Ihr dem Grafen Peter zuschreibt und der neben dem Sattel Babiecas in der königlichen Waffensammlung zu sehen ist, so bekenn ich meine Sünde, ich habe zwar den Sattel, aber nicht den Zapfen zu sehen bekommen, so dumm oder so kurzsichtig muß ich wohl sein, wo er doch so groß ist, wie Euer Gnaden sagen.«

»Freilich ist er da, ohne allen Zweifel«, entgegnete Don Quijote; »und zum weiteren Wahrzeichen: er steckt in einem Futteral von Rindsleder, damit er nicht vom Schimmel angegriffen wird.«

»Das kann ja alles sein«, versetzte der Domherr, »aber bei den Weihen, die ich empfangen habe, ich entsinne mich nicht, daß ich ihn gesehen hätte. Aber auch wenn er sich dort befindet, so verpflichte ich mich darum noch nicht, die Geschichten von so viel Amadísen, von solchem wirren Haufen von Rittern zu glauben, die uns weit und breit erzählt werden. Und es liegt keine Vernunft darin, daß ein Mann wie Euer Gnaden, so ehrenhaft, voll so guter Eigenschaften, mit so klarem Verstande begabt, sich einbilden soll, daß die zahlreichen, jegliches Maß übersteigenden Narreteien Wahrheiten seien, die da in den abgeschmackten Ritterbüchern geschrieben stehen.«

42. Kapitel

Welches berichtet, was noch weiter in der Schenke vorging, und auch von viel andern wissenswürdigen Dingen handelt

Nach diesen Worten schwieg der Maurensklave, und Don Fernando sprach zu ihm: »Gewiß, Herr Hauptmann, der Stil und Ton, in dem Ihr uns diese merkwürdige Geschichte erzählt habt, verdient das Lob, daß er der Neuheit und Merkwürdigkeit der Sache selbst ganz ebenbürtig war. Alles war ungewöhnlich und eigentümlich und voll von Begebnissen, die den Hörer spannen und in Staunen setzen. Und wir haben Euch mit so viel Vergnügen zugehört, daß, wenn uns auch noch der morgende Tag bei der Unterhaltung mit dieser Geschichte träfe, wir uns freuen würden, wenn sie aufs neue begänne.«

Nun erboten sich ihm auch der Pfarrer und die andern zu allen Dienstleistungen, die in ihren Kräften stünden, und dies in so freundschaftlichen und aufrichtigen Ausdrücken, daß der Hauptmann über ihre wohlwollenden Gesinnungen hoch erfreut war. Insbesondere bot ihm Don Fernando an, wenn er mit ihm heimkehren wolle, so würde er seinen Bruder, den Marquis, veranlassen, bei Zoraidas Taufe die Patenstelle zu übernehmen, und er für seinen Teil würde so für ihn sorgen, daß er in seiner Heimat mit aller Würde und Bequemlichkeit eintreffen könne, die seiner Person gebühre. Der Sklave dankte für dies alles mit feinster Höflichkeit, wollte jedoch keine seiner großmütigen Anerbietungen annehmen.

Indessen nahte bereits die Nacht, und bei deren Einbruch kam eine Kutsche in Begleitung einiger Leute zu Pferd in der Schenke an. Sie verlangten Herberge, worauf die Wirtin antwortete, es sei in der ganzen Schenke nicht eine Handbreit mehr unbesetzt.

»Wenn das auch der Fall ist«, sprach einer der Leute zu Pferd, die in den Hof hereingeritten waren, »wird es doch an Raum für den Herrn Oberrichter nicht fehlen, der hier ankommt.«

Bei diesem Namen geriet die Wirtin in Verlegenheit und sagte: »Die Schwierigkeit ist nur die, daß ich keine Betten habe; wenn Seine Gnaden der Herr Oberrichter ein solches mit sich führt, und ganz gewiß wird das der Fall sein, so möge er in Gottes Namen einkehren, und mein Mann und ich werden unser Gemach räumen, um es Seiner Gnaden bequem zu machen.«

»In Gottes Namen denn«, erwiderte der Reisediener.

Inzwischen war aber schon ein Herr aus der Kutsche gestiegen, an dessen Tracht man sofort seinen Stand und Amtsberuf erkannte; denn das lange Gewand und die weiten Ärmel mit Handkrausen zeigten, daß er ein Oberrichter war, wie sein Diener gesagt hatte. Er führte an seiner Hand ein Fräulein, das etwa sechzehn Jahre alt schien; sie war im Reiseanzug und so zierlich, schön und fein anzuschauen, daß ihr Anblick allen Bewunderung abnötigte; ja, sie alle, hätten sie nicht Dorotea, Luscinda und Zoraida gesehen, die in der Schenke waren, hätten glauben müssen, daß eine ähnliche Schönheit wie die dieses Fräuleins nicht so leicht zu finden sei.

Beim Eintreten des Oberrichters und des Fräuleins war Don Quijote zugegen, und als dieser den fremden Herrn sah, sprach er sogleich: »Euer Gnaden kann getrost Einkehr halten und sich ergehen in dieser Burg. Denn wiewohl sie eng und ohne Bequemlichkeit ist, gibt es weder eine Enge noch Unbequemlichkeit, so nicht für das Waffenwerk und die Gelehrsamkeit Raum hätten, zumal wenn Waffenwerk und Gelehrsamkeit die Schönheit als Führerin und Wegweiserin bei sich haben, wie Euer Gnaden Gelahrtheit sie in diesem schönen Fräulein bei sich hat, einer Dame, vor welcher nicht nur die Burgen sich erschließen und ihr Inneres offenbaren, sondern auch die Felsen sich auseinandertun und die Berge sich spalten und herabneigen müssen, um ihr Einlaß zu gewähren. Es trete also, sag ich, Euer Gnaden in dies Paradies ein; denn hier werdet Ihr Sterne und Sonnen finden, würdig, dem Himmel sich zu gesellen, den Euer Gnaden mitbringt; hier werdet Ihr das Waffenwerk auf seiner höchsten Stufe und die Schönheit auf dem Gipfel der Vollkommenheit finden.«

Der Oberrichter geriet in Verwunderung über Don Quijotes Reden und begann ihn mit großer Aufmerksamkeit zu betrachten; er wunderte sich nicht weniger über sein Aussehen als über seine Äußerungen, und ehe er seinerseits Worte der Entgegnung fand, geriet er aufs neue in Staunen, als er Luscinda, Dorotea und Zoraida erscheinen sah; diese nämlich waren bei der Neuigkeit von den neuen Gästen und bei der Kunde von der Schönheit des Fräuleins, von der ihnen die Wirtin gesagt, herzugeeilt, um sie zu sehen und zu empfangen.

Don Fernando indessen und Cardenio und der Pfarrer begrüßten ihn auf eine verständigere und weltmännischere Weise, als Don Quijote es getan. Endlich trat der Herr Oberrichter ins Haus, höchst befremdet über alles, was er sah und was er hörte, und die Schönen aus der Schenke hießen das schöne Fräulein willkommen. Der Oberrichter bemerkte alsbald, daß all die Anwesenden vornehme Leute waren; allein Don Quijotes Gestalt, Aussehen und Haltung machten ihn gänzlich irre. Und nachdem man gegenseitig viele Höflichkeiten ausgetauscht und die Räumlichkeiten der Schenke besichtigt, traf man die Anordnung, daß alle Frauen sich der Abrede gemäß in die schon erwähnte Kammer begeben, die Männer aber vor dieser gleichsam als Schutzwache bleiben sollten. So war der Oberrichter damit einverstanden, daß seine Tochter – dies war das Fräulein – mit den übrigen Damen ginge, was sie gerne tat; und mit einem Teil vom schmalen Bette des Schenkwirts und mit der Hälfte des vom Oberrichter mitgebrachten machten die Damen es sich diese Nacht bequemer, als sie es erwartet hatten.

Der befreite Maurensklave, dem vom ersten Augenblick an, wo er den Oberrichter erblickte, das Herz heftig pochte und Ahnungen erweckte, daß dies sein Bruder sein könne, fragte einen der Diener, die den letzteren begleiteten, wie der Herr heiße und aus welcher Gegend er sei. Der Diener antwortete, jener sei der Lizentiat Juan Pérez de Viedma und stamme seines Wissens aus einem Ort im Gebirge von León.

Diese Mitteilung, und was er mit eignen Augen gesehen, überzeugte ihn vollends, jener sei sein Bruder, der nach dem Rat seines Vaters sich den Studien gewidmet hatte; und in höchster Aufregung und Freude rief er Don Fernando, Cardenio und den Pfarrer beiseite, erzählte ihnen, was vorgehe, und gab ihnen die Gewißheit, der Oberrichter sei sein Bruder. Der Diener hatte ihm auch noch erzählt, derselbe gehe nach Indien, da er als Oberrichter beim Appellationshof von Mexiko angestellt sei. Er erfuhr auch, jenes Fräulein sei dessen Tochter, ihre Mutter sei an der Geburt des Mädchens gestorben und der Vater sei durch die Mitgift, die ihm samt der Tochter im Hause verblieben, ein sehr reicher Mann geworden. Er bat sie um Rat, welchen Weg er einschlagen solle, um sich ihm zu entdecken oder um sich vorher zu vergewissern, ob etwa, wenn er sich dem Richter entdeckt habe, dieser sich der Armut des Bruders schämen oder ihn mit liebevollem Herzen aufnehmen werde.

»Es möge mir überlassen bleiben, diese Probe anzustellen«, sagte der Pfarrer, »zumal sich gar nichts andres denken läßt, als daß Ihr, Herr Hauptmann, die allerbeste Aufnahme finden werdet. Denn die geistige Bedeutung und der verständige Sinn, die Euer Bruder in seinem edlen Äußeren erkennen läßt, deuten nicht darauf, daß er hochmütig oder vergeßlich ist oder daß er nicht die Zufälligkeiten des Schicksals richtig zu würdigen weiß.«

»Trotz alledem«, sagte der Hauptmann, »möchte ich mich ihm nicht mit einemmal, sondern nur allmählich, wie auf Umwegen, zu erkennen geben.«

»Ich sage Euch ja«, entgegnete der Pfarrer, »ich werde meinen Plan so anlegen, daß wir alle zufrieden sein werden.«

Inzwischen war das Abendessen schon aufgetragen, und alle setzten sich an den Tisch außer dem Hauptmann sowie den Damen, welche in ihrem Zimmer für sich speisten. Während man nun bei der Tafel war, sprach der Pfarrer: »Herr Oberrichter, desselben Namens wie Euer Gnaden hatte ich einen Kameraden in Konstantinopel, wo ich ein paar Jahre in der Sklaverei war, und dieser Kamerad war einer der tüchtigsten Soldaten und Hauptleute im ganzen spanischen Fußvolk; aber so mutig und tapfer er war, so unglücklich war er auch.«

»Und wie hieß dieser Hauptmann, mein werter Herr?« fragte der Oberrichter.

»Er hieß«, antwortete der Pfarrer, »Rui Pérez de Viedma und war gebürtig aus einem Ort im Gebirge von Léon. Er erzählte mir eines Tages einen Vorfall, der sich zwischen seinem Vater und seinen Brüdern zugetragen, und hätte mir ihn nicht ein so wahrheitsliebender Mann wie er erzählt, so hätte ich es für eines jener Märchen gehalten, wie sie die alten Weiber des Winters beim Herdfeuer erzählen. Denn er sagte mir, sein Vater habe sein Vermögen unter seine drei Söhne verteilt und ihnen dabei besseren Rat gegeben, als man in den Gedichten des Dionysius Cato findet. Und ich muß sagen, der Rat, dem er folgte, in den Krieg zu gehen, schlug ihm so gut aus, daß er es in wenigen Jahren durch seine Tapferkeit und seine Tüchtigkeit bis zum Hauptmann beim Fußvolk brachte und in solcher Achtung stand, daß er sich schon auf dem Wege sah, demnächst Oberst zu werden. Allein das Glück ward ihm feindlich, denn gerade als er berechtigt schien, dessen Gunst zu erwarten, da büßte er sie vollständig ein, indem er seine Freiheit an jenem ruhmreichen Schlachttage verlor, wo so viele sie wiedererlangten, nämlich bei Lepanto. Ich meinesteils verlor die Freiheit in Goleta, und später fanden wir uns infolge verschiedener Schicksale als Kameraden in Konstantinopel. Von dort kam er nach Algier, wo ihm, wie mir bekannt, eines der seltsamsten Abenteuer von der Welt begegnet ist.«

Nun fuhr der Pfarrer fort, in gedrängter Kürze alles zu erzählen, was dem Bruder mit Zoraida begegnet war, und der Oberrichter hörte dem Zeugen so merkwürdiger Erlebnisse mit höherer Spannung zu, als er jemals bei Gericht einen Zeugen verhört hatte. Der Pfarrer ging nur bis zu dem Punkte, wo die Franzosen die in der Barke segelnden Christen ausplünderten, so daß seine Gefährten und die schöne Maurin in Armut und Not gerieten; er habe nicht erfahren, wohin sie weiter gelangt seien, ob sie nach Spanien gekommen oder ob die Franzosen sie nach Frankreich gebracht hätten.

Alles, was der Pfarrer erzählte, hörte der Hauptmann mit an, der nicht weit davon stand und jede Bewegung seines Bruders beobachtete; dieser aber seufzte tief auf, als der Pfarrer seine Erzählung geendet, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er sprach: »O Señor! Wenn Ihr wüßtet, was für Nachrichten Ihr mir mitgeteilt habt und wie nahe sie mich berühren! So nahe, daß ich es mit meinen Tränen bezeugen muß, die gegen alle Schicklichkeit und meiner Zurückhaltung zum Trotz mir aus den Augen strömen! Dieser tapfere Hauptmann, den Ihr nennt, ist mein ältester Bruder, der, weil er tüchtiger und von höherem Streben als ich und mein jüngster Bruder, den ehrenvollen und würdigen Beruf des Kriegers erwählte, als die eine Laufbahn von den dreien, die unser Vater uns vorschlug, wie Euer Kamerad Euch in der Erzählung, die Euch so märchenhaft erschien, mitgeteilt hat. Ich schlug die gelehrte Laufbahn ein, in welcher Gott und mein beharrlicher Fleiß mich zu der Stellung befördert haben, in welcher Ihr mich seht. Mein jüngerer Bruder befindet sich in Peru und ist so reich, daß er mit dem Gelde, das er meinem Vater und mir gesendet, seinen einst mitgenommenen Anteil reichlich ersetzt, ja meinem Vater hinreichende Mittel in die Hände gegeben hat, um seiner angeborenen Freigebigkeit Genüge zu tun. Und so war auch mir die Möglichkeit geworden, mich während meiner Studien anständiger und standesgemäßer zu halten und zu dem Posten zu gelangen, welchen ich jetzt bekleide. Noch lebt mein Vater und stirbt schier vor Sehnsucht, von seinem ältesten Sohne zu hören, und fleht zu Gott mit unaufhörlichem Gebete, daß der Tod ihm nicht eher die Augen schließe, bis er die seines Sohnes noch im Lebensglanze wiedergesehen. Von diesem aber, der doch ein so verständiger Mann ist, wundert es mich, daß er in seinen großen Drangsalen und Widerwärtigkeiten oder wenigstens, als er in glücklicheren Verhältnissen war, seinem Vater nie die geringste Nachricht von sich gesandt hat; denn wenn dieser oder einer von uns es erfahren hätte, so wäre er nicht genötigt gewesen, auf das Wunder mit dem Rohrstab zu warten, um sein Lösegeld zu erlangen. Indessen jetzt quält mich der Zweifel, ob jene Franzosen ihm die Freiheit geschenkt oder ihn umgebracht haben, um den verübten Raub zu verheimlichen. Dies alles wird nun zur Folge haben, daß ich meine Reise nicht mit jenem frohen Mute, mit dem ich sie begonnen, sondern mit Trauer und Schwermut fortsetzen muß. O mein guter Bruder! Wer doch wüßte, wo du weilest! Dann würde ich hineilen, dich aufzusuchen und dich von deinen Drangsalen zu erlösen, wenn ich auch selbst für dich leiden müßte. Oh, wer doch unserm alten Vater die Nachricht brächte, daß du noch lebst! Und lägst du auch in den tiefstverborgenen Sklavenzellen der Berberei, aus ihnen würden seine Reichtümer und die meines Bruders und die meinigen dich frei machen. Und du, o schöne großherzige Zoraida, wer dich würdig belohnen könnte für alles, was du Gutes an meinem Bruder getan! Wer doch zugegen sein könnte bei der Wiedergeburt deiner Seele und bei der Vermählung, die uns alle mit so hoher Freude erfüllen würde!«

Diese Worte und andre ähnlichen Inhalts sprach der Oberrichter, und er war von den Nachrichten über seinen Bruder so tief ergriffen, daß die Zuhörer alle es sich nicht versagen konnten, ihrer Rührung gleich ihm Ausdruck zu verleihen.

Wie nun der Pfarrer sah, daß ihm so wohl gelungen, was er beabsichtigt hatte und was der Hauptmann wünschte, wollte er sie alle nicht länger in ihrer Betrübnis lassen; und so stand er vom Tische auf, ging in das Zimmer, wo sich Zoraida befand, nahm sie bei der Hand, und es folgten ihr Luscinda, Dorotea und die Tochter des Oberrichters. Der Hauptmann stand voll Erwartung da, was der Pfarrer beginnen wolle; dieser aber faßte ihn mit seiner andern Hand, führte so das Paar zu dem Oberrichter und den andern Edelleuten hin und sprach: »Laßt Eure Tränen nicht länger fließen, Herr Oberrichter, Euer Sehnen werde nun mit allem Glücke gekrönt, das nur zu wünschen ist, denn vor Euch stehen Euer lieber Bruder und Eure liebe Schwägerin. Der Mann, den Ihr hier seht, ist der Hauptmann Viedma, und dies ist die schöne Maurin, die soviel Gutes an ihm getan hat; die Franzosen, von denen ich Euch sagte, haben sie in die bedrängte Lage versetzt, die Ihr seht, damit Ihr die Großmut Eures edlen Herzens bewähren könnet.«

Der Hauptmann eilte herzu, um seinen Bruder zu umarmen, und dieser legte ihm beide Hände auf die Schultern, um ihn erst aus einiger Entfernung zu betrachten; aber nachdem er ihn endlich wiedererkannt hatte, preßte er ihn so fest in die Arme und vergoß so liebevolle Freudentränen, daß die meisten der Anwesenden sich nicht enthalten konnten, mit ihm zu weinen. Die Worte, welche die Brüder miteinander wechselten, die innigen Gefühle, denen sie Ausdruck verliehen, lassen sich kaum vorstellen, geschweige denn mit der Feder beschreiben. Da gaben sie einander in kurzer Darstellung Bericht über ihre Erlebnisse; da zeigten sie die treue Freundschaft zweier Brüder in vollkommenster Wahrheit; da umarmte der Oberrichter die liebliche Zoraida, da bot er ihr sein ganzes Vermögen an; da hieß er seine Tochter sie umarmen, und die schöne Christin und die wunderschöne Maurin lockten aufs neue Tränen aus aller Augen. Da stand Don Quijote in höchster Aufmerksamkeit, ohne ein Wort zu reden, und beschaute sich diese wundersamen Vorgänge, die er alle den Hirngespinsten der fahrenden Ritterschaft zuschrieb. Da trafen sie die Abrede, der Hauptmann und Zoraida sollten mit dem Bruder nach Sevilla zurückkehren und ihren Vater benachrichtigen, daß er gefunden worden und sich in Freiheit sehe, damit der alte Herr, wenn er es könnte, sich zur Hochzeit und Taufe Zoraidas einfände; denn der Oberrichter konnte seinen Reiseplan nicht ändern, da er Nachricht empfangen, daß binnen eines Monats eine Flotte von Sevilla nach Neuspanien absegeln werde, und es für ihn großen Nachteil mit sich gebracht hätte, diese Reisegelegenheit zu versäumen.

Alle waren nun glücklich und froh über die günstige Wendung im Schicksal des ehemaligen Sklaven, und da die Nacht beinahe schon zwei Drittel ihrer Bahn zurückgelegt hatte, beschlossen sie, wenigstens während des Restes derselben ihr Lager aufzusuchen und zu ruhen. Don Quijote erbot sich, die Bewachung der Burg zu übernehmen, damit sie nicht von irgendwelchem Riesen überfallen würden oder von andern abenteuernden Schurken, die da nach dem reichen Schatz an Schönheit gierig sein möchten, den die Burg verwahre. Alle, die ihn kannten, sagten ihm Dank dafür und setzten zugleich den Oberrichter in Kenntnis von Don Quijotes seltsamer Geistesrichtung, worüber er sich nicht wenig ergötzte.

Sancho Pansa allein verzweifelte fast darüber, daß es mit dem Schlafengehen so lang dauerte, aber er allein auch wußte sich bequemer zu betten als alle andern, indem er sich auf Sattel und Decken seines Esels legte – die ihn später so teuer zu stehen kamen, wie man bald erfahren wird.

Nachdem sich also die Damen in ihr Gemach zurückgezogen und die andern sich so gut oder so wenig schlecht als möglich gelagert hatten, begab sich Don Quijote zur Schenke hinaus, um vor der Burg Wache zu halten, wie er es versprochen.

Als nun der Morgen herannahte, da drang zu den Ohren der Damen eine so wohltönende, so liebliche Stimme, daß alle ihr unwillkürlich aufmerksames Gehör schenken mußten, besonders Dorotea, die wach war und an deren Seite Doña Clara de Viedma schlief – so hieß nämlich die Tochter des Oberrichters. Niemand vermochte zu erraten, wer der Mann sei, der so schön singe; es war eine Stimme für sich allein, ohne Begleitung eines Instruments. Einmal kam es ihnen vor, als töne der Gesang aus dem Hofe, ein andermal, als ob aus dem Pferdestall, und während sie in dieser Ungewißheit höchst aufmerksam zuhörten, kam Cardenio an die Türe des Gemachs und sprach: »Wer nicht schläft, der horche auf; ihr werdet die Stimme eines jungen Maultiertreibers vernehmen, der so herrlich singt, daß es zum Herzen dringt.«

»Wir haben ihn schon gehört, Señor«, antwortete Dorotea.

Hiermit entfernte sich Cardenio; und Dorotea horchte mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahm folgendes Lied:

43. Kapitel

Wo die anmutige Geschichte des jungen Maultiertreibers erzählt wird, nebst andern merkwürdigen Vorfällen, so sich in der Schenke zutrugen

Ich bin Amors Fährmann, segle,
Wo die Hoffnung schier entschwunden,
Wo auf Amors tiefen Meeren
Nimmer wird ein Port gefunden.

Einem Sterne folgt mein Schifflein,
Fernher strahlt er mir im Dunkeln;
Nie sah jener Palinurus
Schönre Sterne droben funkeln.

Und er lenkt mich fern auf Meere,
Die nie Menschen noch befuhren;
Sorgenvoll und unbesorgt doch
Späht mein Herz nach seinen Spuren.

Sprödigkeit, ganz unerhört jetzt,
Tugend, die mir wird zum Fluche,
Sind die Wolken, die ihn bergen,
Wenn ich sehnsuchtsvoll ihn suche.

Klarer, lichter Stern, an dessen
Süßem Glanz ich neu gesunde,
Bleib! Die Stunde deines Scheidens
Wird auch meines Todes Stunde.

Als der Sänger so weit gekommen war, wollte Dorotea auch Clara das Vergnügen an einer so schönen Stimme gönnen; sie weckte sie daher mit den Worten: »Verzeih mir, Kind, daß ich dich wecke, denn ich tue es, damit dir der Genuß wird, die schönste Stimme zu hören, die du vielleicht in deinem Leben vernommen hast.«

Clara erwachte, noch ganz schlaftrunken, und verstand anfangs nicht, was Dorotea ihr sagte; sie fragte daher erst noch einmal, Dorotea wiederholte ihre Worte, und nun ward Clara aufmerksam. Kaum aber hatte sie zwei Verse vernommen, mit denen der Sänger sein Lied fortsetzte, da befiel sie ein seltsames Zittern, als läge sie an einem heftigen Anfall von Viertagefieber darnieder; sie preßte Dorotea innig in ihre Arme und sprach: »O mein Herzensfräulein, warum habt Ihr mich geweckt? Die größte Wohltat, die mir in diesem Augenblick das Schicksal erweisen konnte, war, daß es mir Augen und Ohren verschlossen hielt, um diesen unglücklichen Sänger nicht zu sehen und nicht zu hören.«

»Was sagst du, Kind?« erwiderte Dorotea, »bedenke, daß der Sänger ja nur ein Maultiertreiber ist.«

»Das ist er nicht«, sagte Clara, »er ist Eigentümer großer Güter, und die Herrschaft, die er über mein Herz besitzt, wird ihm, wenn er sie nicht selbst aufgeben will, in alle Ewigkeit nie genommen werden.«

Dorotea staunte ob der Worte des jungen Mädchens, die so voll tiefen Gefühls waren, daß sie weit über der Reife ihres jugendlichen Alters zu liegen schienen; und daher sprach sie zu ihr: »Ihr redet so eigen, Fräulein Clara, daß ich Euch nicht verstehen kann; erklärt Euch ausführlicher und sagt mir: was ist’s mit dem Herzen und der Herrschaft, die Ihr erwähnt, und mit diesem Sänger, dessen Stimme Euch in solche Aufregung versetzt? Aber sagt mir für jetzt gar nichts; denn ich möchte nicht, um Euch Eure Unruhe zu nehmen, das Vergnügen einbüßen, den Sänger zu hören; es will mich bedünken, daß er mit andern Versen und anderer Melodie seinen Gesang aufs neue beginnt.«

»Nun, in Gottes Namen«, entgegnete Clara und hielt sich beide Ohren mit den Händen zu, um nichts zu hören. Darüber wunderte sich Dorotea abermals; sie horchte nun auf den Gesang, der in folgenden Weisen ertönte:

O du mein süßes Hoffen,
Das kühn sich Bahn bricht durch Unmöglichkeiten,
Da du die Wahl getroffen,
Zum fernen Ziel den Dornenweg zu schreiten,
Laß dein Vertraun nicht sinken,
Siehst du bei jedem Schritt den Tod dir winken.

Wer schwelgt in trägem Frieden,
Wird nie des Sieges Ruhm und Preis erjagen;
Vom Glück sind stets gemieden,
Die feig mit dem Geschick den Kampf nicht wagen,
Auf Mannesehr verzichten,
Und nur auf süße Ruh die Sinne richten.

Wohl darf’s gebilligt werden,
Verkauft den Siegespreis die Liebe teuer:
Kein höh’res Gut auf Erden,
Als das die Lieb erprobt in ihrem Feuer;
Und wahr sprach, der da lehrte:
Was wenig kostet, steht gering im Werte.

Beharrlichkeit im Lieben
Erringt gar manches Mal Unmöglichkeiten;
Und bin ich fest geblieben,
Dem unerreichbarn Ziele nachzuschreiten,
So soll mir’s auch gelingen,
Den Himmel von der Erd aus zu erringen.

Hier hörte die Stimme auf, und Clara begann aufs neue zu seufzen und zu schluchzen. All dieses entzündete um so mehr Doroteas Neugier, den Anlaß so süßen Gesanges und so schmerzlichen Weinens zu erfahren, und so fragte sie Clara wiederum, was sie vorher habe sagen wollen.

Jetzt drückte Clara sie fester ans Herz, und in der Besorgnis, Luscinda möchte sie hören, hielt sie ihren Mund so dicht an Doroteas Ohr, daß sie sicher war, von niemandem belauscht zu werden, und sprach zu ihr: »Jener Sänger, mein Fräulein, ist der Sohn eines Edelmanns aus dem Königreich Aragón, der zwei Herrschaften besitzt und in der Residenz dem Hause meines Vaters gegenüber wohnte. Und obschon mein Vater die Fenster seiner Wohnung im Winter mit Vorhängen und im Sommer mit Holzgittern wohl verwahrt hielt, so weiß ich nicht, wie es zuging und wie es nicht zuging: der junge Herr, der noch ins Kolleg ging, erblickte mich, ich weiß nicht ob in der Kirche oder anderswo; endlich verliebte er sich in mich und gab es mir von den Fenstern seines Hauses aus durch so viel Zeichen und so viele Tränen zu verstehen, daß ich ihm Glauben, ja Liebe schenken mußte, ohne noch zu wissen, wie ernstlich seine Liebe sei. Unter den Zeichen, die er mir machte, war eines, daß er seine Hände ineinanderlegte, womit er mir zu verstehen gab, daß er sich gern mit mir vermählen möchte; und wiewohl ich mich höchlich freuen würde, wenn dem so wäre, wußte ich doch, so ganz allein und mutterlos, nicht, mit wem ich es besprechen sollte, und ließ die Sache gehen, wie sie ging, ohne ihm je eine andre Gunst zu erweisen, als daß ich, wenn mein Vater und auch der seinige das Haus verlassen hatten, den Vorhang – oder das Gitter – ein wenig in die Höhe hob und mich in ganzer Gestalt sehen ließ, worüber er sich so glücklich und selig gebärdete, daß er schier verrückt zu werden schien.

Inzwischen kam die Zeit heran, wo mein Vater abreisen sollte, und er erfuhr es, wenn auch nicht durch mich, da es mir nie möglich war, ihn zu sprechen. Er wurde krank, wie ich vermute, aus Gram, und so konnte ich ihn am Tag unserer Abreise nicht sehen, um von ihm, wenn auch nur mit Blicken, Abschied zu nehmen. Aber nachdem wir zwei Tage lang gereist waren und eben eine Tagereise von hier entfernt in ein Gasthaus einkehrten, da erblickte ich ihn plötzlich an der Tür des Gasthauses, angezogen wie der Bursche eines Maultiertreibers, und die Tracht schien ihm so natürlich, daß es mir unmöglich gewesen wäre, ihn zu erkennen, wenn ich sein Bild nicht so treu im Herzen trüge. Ich erkannte ihn und ward von Staunen und Freude ergriffen. Er sah mich verstohlen an, hinter dem Rücken meines Vaters, da er sich immer vor ihm verbirgt, wenn er auf den Wegen und in den Herbergen, wo wir einkehren, an mir vorübergeht. Und da ich weiß, wer er ist, und bedenke, daß er nur aus Liebe zu mir unter soviel Mühsalen zu Fuße reist, vergehe ich vor Gram, und wo sich seine Füße hinwenden, da wenden sich meine Augen hin. Ich weiß nicht, welche Absicht ihn hierherführt, noch wie es ihm möglich war, von seinem Vater fortzukommen, der ihn außerordentlich liebt, weil er keinen andern Erben hat und weil der junge Mann es verdient, wie Ihr sofort erkennen werdet, wenn Ihr ihn seht. Außerdem kann ich Euch sagen, daß alles, was er singt, aus seinem eignen Kopfe kommt, denn, wie ich gehört habe, hat er viel gelernt und dichtet vortrefflich. Aber es kommt noch etwas dazu: jedesmal, wenn ich ihn sehe oder singen höre, zittre ich am ganzen Leibe und werde von Angst überfallen, mein Vater möchte ihn erkennen und unsere gegenseitige Neigung entdecken. Nie in meinem Leben habe ich ein Wort mit ihm gesprochen, und dessenungeachtet liebe ich ihn so innig, daß ich ohne ihn nicht leben kann. Das, mein Fräulein, ist alles, was ich Euch über diesen Sänger sagen kann, dessen Stimme Euch so sehr gefallen hat, daß Ihr an ihr allein schon erkennen könnt, daß er kein Maultiertreiber ist, wie Ihr meintet, sondern daß er Gebieter über Seelen und Herrschaften ist.«

»Redet nicht weiter, Señora Doña Clara«, sprach Dorotea jetzt und küßte sie dabei vieltausendmal, »redet nicht weiter, sag ich, und geduldet Euch, bis der Morgen kommt. Mit Gottes Hilfe hoffe ich Eure Angelegenheiten zu dem glücklichen Ende zu bringen, das ein so züchtiger Anfang verdient.«

»O mein Fräulein!« versetzte Clara, »welch ein Ende läßt sich hoffen, wenn doch sein Vater so vornehm und so reich ist, daß er mich kaum wert achten wird, seines Sohnes Dienerin, geschweige denn seine Gemahlin zu sein? Und dann, mich heimlich hinter dem Rücken meines Vaters verheiraten, das würde ich um alles in der Welt nicht tun. Ich wünschte nur, der junge Mann kehrte nach Hause und ließe von mir ab; vielleicht, wenn ich ihn nicht sähe und wenn die große Strecke des Weges, den wir reisen, uns trennte, würde sich die Pein, die ich jetzt empfinde, beschwichtigen lassen. Zwar muß ich wohl sagen, dies Mittel, das mir eben eingefallen, würde mir gar wenig helfen. Ich weiß nicht, welcher Teufel es so gefügt oder durch welches Pförtchen sich die Liebe zu ihm mir ins Herz eingeschlichen hat, da ich doch ein so junges Mädchen bin und er ein so junges Herrchen ist; in der Tat glaube ich, wir sind vom selben Alter, und ich zähle noch nicht volle sechzehn Jahre; denn mein Vater sagt, daß ich dies Alter erst auf nächsten Michaelistag vollenden werde.«

Dorotea konnte das Lachen nicht unterdrücken, als sie Clara so kindlich plaudern hörte, und sprach zu ihr: »Jetzt, Fräulein, wollen wir das wenige, was von der Nacht wohl noch übrig ist, in Ruhe verschlafen; Gott wird Tag werden lassen, und es wird uns schon gelingen, oder ich müßte mich schlecht auf dergleichen verstehen.«

Hiermit sanken sie in Schlummer, und in der ganzen Schenke herrschte tiefe Stille. Nur die Tochter der Wirtin und Maritornes schliefen nicht; sie wußten, welchen Sparren Don Quijote im Kopf hatte, sie hatten gesehen, wie er vor der Schenke in voller Rüstung zu Pferd Wache hielt, und nahmen sich vor, sich einen Spaß mit ihm zu machen oder sich mindestens mit dem Anhören seiner Narreteien die Zeit zu vertreiben.

Nun gab es in der ganzen Schenke kein Fenster, das aufs Feld hinausging; nur auf dem Heuboden war eine Luke, durch welche man das Stroh hinauswarf. An diese Luke stellten sich die beiden vermeintlichen Burgfräulein und sahen, wie Don Quijote zu Pferde saß, auf seinen Spieß gelehnt, und von Zeit zu Zeit so schmerzlich tiefe Seufzer ausstieß, daß es schien, als würde ihm mit jedem die Seele schier aus dem Leibe gerissen. Und zugleich hörten sie ihn mit weicher, zärtlicher, liebebeseelter Stimme sagen: »O meine Herrin Dulcinea von Toboso, du höchster Inbegriff aller Schönheit, Gipfel und Vollendung aller Klugheit und Bescheidenheit, Rüstkammer der anmutigsten Holdseligkeit, Vorratshaus aller Sittsamkeit, Vorbild alles dessen, was es Ersprießliches, Sittenreines und Erquickliches auf Erden gibt! O sage, woran mag anitzo deine Herrlichkeit sich erlusten? Hältst du vielleicht deinen fürtrefflichen Sinn gerichtet auf diesen in deinen Ketten schmachtenden Ritter, den es verlangt hat, sich aus eignem freiem Willen in soviel Gefahren zu stürzen, nur um sich deinem Dienst ergeben zu zeigen? Gib mir Nachricht von ihr, o ewige Lampe mit dem dreifach verschiedenen Antlitz! Das ihrige beneidest du vielleicht jetzt im Anschauen ihrer Schönheit und siehst zu, wie sie eine Galerie ihres prunkenden Palastes durchwandelt oder wie sie sich mit der Brust über einen Balkon lehnt und bei sich erwägt, wie sie unbeschadet ihrer Tugend und erhabenen Stellung den Sturm beruhigen könne, den dies mein zagendes Herz um ihretwillen erleidet; welche Glorie sie meinen Qualen, welche Linderung sie meinen Kümmernissen, kurz, welches Leben sie meinem Tode und welchen Lohn sie meinen Diensten gewähren soll! Und du, Sonne, die du dich gewiß schon jetzt beeilst, deine Rosse zu satteln, um früh zur Hand zu sein und nach meiner Herrin dich umzuschauen! Sobald du sie erblickest, bitte ich dich, sie von mir zu grüßen. Aber hüte dich, daß du nicht, wenn du sie siehst und grüßest, sie auf das Antlitz küssest; denn ich würde eifersüchtiger auf dich sein, als du es auf jene behende grausame Schönheit warst, die dich so schwitzen ließ und durch die Ebenen Thessaliens jagte, oder war es längs der Ufer des Peneus, denn ich erinnere mich nicht genau, wo du damals in deiner Eifersucht und Verliebtheit umherliefst.«

So weit war Don Quijote in seinen betrübsamen Herzensergießungen gekommen, als die Wirtstochter begann, ihm »Pst! pst!« zuzuflüstern, und zu ihm sprach: »Verehrter Herr, geruhe doch Euer Gnaden hierherzukommen, wenn Ihr so gut sein wollt.«

Auf diese Winke und Worte drehte Don Quijote den Kopf und bemerkte bei dem Lichte des Mondes, der gerade in seiner vollen Helle schien, daß man ihm von der Dachluke aus zurief, welche ihm ein Fenster schien und obendrein eins mit vergoldetem Gitter, wie es sich für so reiche Burgen geziemt; denn eine solche war in seiner Einbildung die Schenke. Und gleich im Augenblick stellte sich ihm in seiner verrückten Phantasie vor, daß gerade wie das vorige Mal das huldselige Fräulein, die Tochter der Burgherrin, von Liebe zu ihm überwältigt, aufs neue um seine Neigung werben wolle. Und in diesem Gedanken wendete er, um sich nicht unritterlich und undankbar zu zeigen, Rosinante am Zügel, ritt an die Dachluke heran, und als er die beiden Mädchen erblickte, sprach er: »Bedauern hege ich um Euretwillen, huldseliges Fräulein, daß Ihr Eure liebenden Sinne auf ein Ziel gerichtet habet, wo es nicht möglich, Euch die entsprechende Erwiderung finden zu lassen, wie sie Eure hohe Fürtrefflichkeit und Lieblichkeit verdient. Dessen aber dürft Ihr die Schuld nicht diesem jammervollen fahrenden Ritter beimessen, welchen Liebe in die Unmöglichkeit versetzt hat, seine Neigung einer andern hinzugeben, sondern nur der, die er in derselben Minute, wo seine Augen sie erschauten, zur unumschränkten Gebieterin seines Herzens machte. Verzeihet mir, fürtreffliches Fräulein; ziehet Euch in Euer Gemach zurück und begehret nicht, mich durch entschiedenere Kundgebung Eurer Wünsche zu noch größerem Undank zu nötigen. Wenn Ihr aber in mir etwas anderes finden könnt, womit ich Eurer Liebe zu mir ein Genüge zu tun vermöchte, etwas anderes, das nicht wieder selbst Liebe ist, so fordert es von mir, und ich schwör Euch bei jener süßen Feindin mein, die nun fern ist, es Euch augenblicks zu gewähren, und fordertet Ihr von mir sogar eine Locke von Medusas Haaren, die allesamt Schlangen waren, oder auch die Sonnenstrahlen selbst in eine Flasche eingesiegelt.«

»Von all diesem hat mein Fräulein nichts nötig«, fiel hier Maritornes ein.

»Und was denn, kluge Zofe, hat Euer Fräulein nötig?« entgegnete Don Quijote.

»Nur eine von Euren schönen Händen«, sprach Maritornes, »um an ihr das heiße Begehren zu kühlen, das sie zu dieser Dachluke getrieben hat, wobei ihre Ehre so große Gefahr läuft, daß, wenn ihr Vater dahintergekommen wäre, wahrlich, ihr Ohr das kleinste Stück gewesen wäre, das er ihr abgeschnitten hätte.«

»Das hätte ich wohl sehen mögen!« versetzte Don Quijote. »Aber er wird sich wohl davor hüten, wenn er nicht das unglückseligste Ende nehmen will, das je auf Erden einem Vater zum Lohne dafür geworden, daß er seine Hände an die zarten Glieder seiner liebeerfüllten Tochter gelegt.«

Maritornes hielt es für sicher, daß Don Quijote die verlangte Hand darreichen werde, und da sie in Gedanken schon mit sich einig war, was sie tun wollte, ging sie von der Dachluke hinunter nach dem Pferdestall, nahm dort das Halfter von Sancho Pansas Esel und kehrte eilig zu ihrer Luke zurück. Hier hatte sich Don Quijote bereits mit den Füßen auf Rosinantes Sattel gestellt, um das Gitterfenster zu erreichen, wo seine Einbildung das liebeswunde Fräulein stehen sah, und indem er ihr die Hand reichte, sprach er: »Nehmt, Fräulein, diese Hand, oder richtiger gesagt, diese Zuchtrute aller Missetäter auf Erden, nehmt diese Hand, sag ich, die noch nie von eines Weibes Hand berührt worden, nicht einmal von der Hand jener Erkorenen, der mein ganzer Leib völlig zu eigen gehört. Ich reiche sie Euch nicht, damit Ihr sie küsset, sondern damit Ihr das Gewebe ihrer Sehnen, das Gefüge ihrer Muskeln, die Breite und Mächtigkeit ihrer Adern betrachtet, woraus Ihr entnehmen werdet, wie groß die Stärke dieses Armes ist, dem solch eine Hand zugehört.«

»Das wollen wir gleich sehen«, sprach Maritornes, machte eine Schlinge in das Halfter, warf sie ihm um das Handgelenk, ging dann gebückt von der Dachluke weg und band das andere Ende des Halfters so fest wie möglich an den Riegel der Bodentüre. Don Quijote, der die Reibung des rauhen Stricks an seinem Handgelenk spürte, sprach: »Euer Gnaden scheint meine Hand mehr zu striegeln als zu streicheln; behandelt sie nicht so übel, denn sie ist schuldlos daran, wenn mein Herz übel an Euch handelt, und es ist nicht recht, daß Ihr an einem so kleinen Teile für das Ganze Eures Ingrimms Eure Rache übt; bedenket, daß, wer edel liebt, sich nicht so unedel rächt.«

Aber alle diese Reden Don Quijotes hörte schon niemand mehr; denn sobald Maritornes ihm die Hand in der Schlinge gefangen hatte, liefen die beiden Mädchen weg und wollten sich fast totlachen und ließen ihn dort so festgebunden, daß es ihm unmöglich war, sich zu befreien. Er stand denn nun, wie gesagt, mit den Füßen auf Rosinante, den ganzen Arm durch die Dachluke gestreckt und am Handgelenk und am Türriegel festgehalten, mit der größten Angst und Besorgnis, wenn Rosinante nach der einen oder andern Seite einen Schritt täte, so würde er am Arm aufgehängt bleiben. Er wagte daher nicht die geringste Bewegung, da von Rosinantes Geduld und Gemütsruhe sich ganz wohl erwarten ließ, er würde ein ganzes Jahrhundert stehen bleiben, ohne sich zu rühren.

Als Don Quijote sich nun so gebunden sah und gewahrte, daß die Damen sich bereits entfernt hatten, verfiel er schließlich auf den Gedanken, all dies geschehe durch Zauberei wie das letztemal, als in dieser nämlichen Burg jener verzauberte Mohr oder eigentlich Eseltreiber ihn fürchterlich durchbleute; und er verwünschte im tiefsten Innern seinen Mangel an Verstand und Überlegung, daß er, nachdem er das erstemal aus dieser Burg so schlecht weggekommen, sich dennoch darauf eingelassen habe, sie ein zweitesmal zu betreten, da es doch bei den fahrenden Rittern als Regel gilt, daß jedesmal, wenn sie sich an ein Abenteuer gewagt und damit kein Glück gehabt haben, es ein Zeichen ist, daß selbiges Abenteuer nicht ihnen, sondern einem andern vorbestimmt ist und daß sie also nicht nötig haben, sich ein zweitesmal daranzuwagen.

Dessenungeachtet zog er an seinem Arm, um zu versuchen, ob er sich frei machen könne. Aber er war so festgebunden, daß all seine Versuche vergeblich waren. Freilich zog er mit Behutsamkeit, damit Rosinante sich nicht rühre. Wiewohl er sich gerne gesetzt und in den Sattel gebracht hätte, konnte er nichts andres tun, als auf den Füßen stehen bleiben, wenn er sich nicht die Hand ausrenken wollte. Jetzt kam der Augenblick, wo er sich das Schwert des Amadís wünschte, gegen welches keine Zauberkunst etwas vermochte; jetzt kam die Stunde, wo er sein Schicksal verwünschte; jetzt begann er sich in grellen Farben auszumalen, wie sehr man ihn in der Welt vermissen werde, solange er hier verzaubert bliebe; denn das zu sein, glaubte er mit vollster Gewißheit. Jetzt auch gedachte er aufs neue seiner geliebten Dulcinea von Toboso; jetzt rief er seinen wackern Schildknappen Sancho Pansa herbei, der aber in Schlaf begraben und, auf den Sattel seines Esels hingestreckt, in diesem Augenblick nicht einmal an die eigne Mutter, die ihn geboren, gedacht hätte; jetzt rief er die Zauberer Lirgandeo und Alquife zu Hilfe; jetzt flehte er um Beistand zu dessen treuer Freundin Urganda; und endlich fand ihn der Morgen in solcher Verzweiflung und Beklemmung, daß er brüllte wie ein Stier; denn er hatte nicht die geringste Hoffnung, daß seinen Qualen mit dem anbrechenden Tag Abhilfe kommen werde, da er sie für ewig hielt, weil er sich verzaubert glaubte. Und was ihn in diesem Glauben bestärkte, war, daß Rosinante sich nicht bewegte, weder wenig noch viel, und er dachte sich, er und sein Roß würden ohne Essen noch Trinken noch Schlafen so stehen bleiben, bis dieser böse Einfluß der Sterne vorüber wäre oder bis ein andrer, noch gelahrterer Zauberkünstler ihn entzaubern würde.

Indessen fand er sich in seinem Glauben arg betrogen. Kaum fing der Morgen an zu grauen, als vier Männer zu Pferde, sehr wohlgekleidet und trefflich ausgerüstet, ihre Büchsen über den Sattelbogen gelegt, zur Schenke herantrabten. Sie pochten mit mächtigen Schlägen an die Tür der Schenke, die noch verschlossen war. Don Quijote sah dies von seinem hohen Standpunkt aus und wollte auch von da aus die Pflicht einer Schildwache nicht versäumen; er rief mit lauter, stolzer Stimme: »Ritter oder Knappen, oder wer ihr immer sein möget, es kommt euch nicht zu, an die Pforte dieser Burg zu pochen. Denn es ist zur Genüge offenbar, daß zu solcher Stunde entweder die darin Weilenden im Schlafe liegen oder aber nicht gewohnt sind, ihre Festen zu erschließen, bis denn der Sonne Licht sich über die ganze Erde hin verbreitet hat. Macht euch von dannen und wartet, bis der Tag leuchtet, und dann werden wir sehen, ob es sich gebührt oder nicht, daß man euch die Pforte erschließe.«

»Was Teufel für Feste oder Burg ist dies?« sprach einer von den Reitern, »daß man uns nötigen will, solche Umstände zu machen? Wenn Ihr der Wirt seid, so laßt uns aufmachen; wir sind Reisende und verlangen weiter nichts als für unsere Pferde Futter; dann wollen wir weiter, denn wir haben Eile.«

»Meint ihr Ritter, daß ich nach einem Wirt aussehe?« entgegnete Don Quijote.

»Ich weiß nicht, nach was Ihr ausseht«, versetzte der andre, »aber ich weiß, daß Ihr Unsinn redet, wenn Ihr diese Schenke eine Burg nennt.«

»Eine Burg ist es«, sprach Don Quijote darauf, »und eine der besten in diesem ganzen Gau, und es sind Personen darin, die schon ein Zepter in der Hand und eine Krone auf dem Haupte tragen.«

»Besser wäre es umgekehrt«, sagte der Reisende, »das Zepter auf dem Kopf und die Krone in der Hand. Und es wird wohl so sein, wenn wir es recht betrachten, daß eine Gesellschaft Schauspieler sich drin befindet, die wohl gewohnt sind, gar oft die Kronen und Zepter zu tragen, von denen Ihr sprecht. Denn in einer so kleinen Schenke, und wo solche Stille herrscht wie in dieser, da, dünkt es mich, kehren nicht wohl Personen ein, denen Krone und Zepter gebühren.«

»Ihr wißt wenig von der Welt«, entgegnete Don Quijote, »da Euch unbekannt ist, welche Wunder der fahrenden Ritterschaft zustoßen.«

Die Gefährten des Mannes wurden der Unterhaltung überdrüssig, die er mit Don Quijote führte, und daher begannen sie aufs neue mit größtem Ungestüm zu pochen, so daß der Wirt aufwachte und nicht minder alles, was in der Schenke war. Er stand daher auf und fragte, wer da poche.

Es geschah nun, daß eine von den Stuten, auf welchen die vier Männer saßen, sich dem Rosinante näherte, um ihn zu beriechen, der bisher schwermütig und trübselig, mit gesenkten Ohren, ohne sich zu rühren, seinen ausgestreckten Herrn trug. Da der Gaul aber schließlich doch von Fleisch und Bein war, wiewohl er von Holz schien, konnte er nicht umhin, sich zu fühlen und das Tier, das ihn mit Liebkosungen begrüßt hatte, wieder seinerseits zu beriechen. Kaum aber hatte er sich nur ein klein wenig bewegt, da rutschten Don Quijote beide Füße von ihrer Stelle, glitten vom Sattel herab, und er wäre auf den Boden gestürzt, wäre er nicht am Arme hängengeblieben. Dies verursachte dem Ritter so gewaltigen Schmerz, daß ihm war, als wenn man ihm das Handgelenk abschnitte oder den Arm ausrenkte. Denn er blieb so nah über dem Boden schweben, daß er mit den äußersten Fußspitzen die Erde berührte. Aber dies war für ihn um so schlimmer, denn da er merkte, wie wenig ihm daran fehlte, um mit den Fußsohlen auftreten zu können, mühte er sich ab und streckte sich, soviel er konnte, um den Boden zu erreichen, gerade wie diejenigen, welche bei der Folterung am Flaschenzug so hängen, daß sie den Boden berühren und doch nicht berühren; sie selber mehren ihre Schmerzen durch ihre Bemühung, sich auszustrecken, getäuscht durch die Hoffnung, die ihnen vorspiegelt, wenn sie sich nur ein wenig mehr strecken könnten, würden sie den Boden erreichen.

44. Kapitel

Worin von den unerhörten Ereignissen in der Schenke des weiteren berichtet wird

Nun begann Don Quijote so furchtbar zu brüllen, daß der Wirt eilig das Tor der Schenke auftat und in vollem Schrecken hinauslief, um zu sehen, wer ein solches Geschrei erhob, und die Fremden, die sich draußen befanden, taten desgleichen. Maritornes, die ebenfalls von dem Lärmen aufgewacht war, dachte sich gleich, was es sein möchte, lief auf den Heuboden und band unbemerkt das Halfter los, an dem der Ritter hing, und er fiel sofort zu Boden angesichts des Wirtes und der Reisenden, welche auf ihn zueilten und ihn fragten, was er habe, daß er solches Geschrei ausstoße.

Ohne ein Wort zu erwidern, riß er sich den Strick vom Handgelenk, stellte sich auf die Füße, stieg auf Rosinante, nahm seine Tartsche in den Arm, legte seinen Spieß ein, ließ den Gaul einen tüchtigen Anlauf nehmen, wandte sich in kurzem Galopp zurück und sprach: »Wer auch immer behaupten wollte, ich sei mit Fug und Recht verzaubert worden, den, soferne meine Gebieterin, die Prinzessin Míkomikona, es mir großzügig verstattet, den heiß ich einen Lügenbold, biete ihm Trotz und fordre ihn zum Zweikampf heraus.«

Die neuen Ankömmlinge gerieten in großes Staunen über Don Quijotes Äußerungen, aber der Wirt riß sie bald aus ihrer Verwunderung, indem er ihnen sagte, wer Don Quijote sei und wie man sich nicht um ihn zu kümmern brauche, da er nicht bei Verstand sei. Hierauf fragten sie den Wirt, ob vielleicht ein Jüngling von ungefähr fünfzehn Jahren in diese Schenke gekommen sei, gekleidet wie ein Bursche bei den Maultiertreibern, welcher die und die Merkmale an sich habe; und hierbei bezeichneten sie genau, woran Doña Claras Liebhaber zu erkennen war. Der Wirt antwortete, es seien so viele Leute in der Schenke, daß er den Jüngling, nach dem sie fragten, nicht besonders bemerkt habe. Indem aber sah einer von ihnen die Kutsche, in welcher der Oberrichter gekommen war, und rief: »Hier muß er sein, ganz gewiß; denn dies ist die Kutsche, der er immer nachziehen soll. Bleibe einer von uns am Tor, die andern sollen hinein, ihn zu suchen. Am besten macht einer von uns die Runde um die ganze Schenke, damit er nicht über die Hofmauer entspringt.«

»So soll’s geschehen«, erwiderte einer von ihnen.

Zwei gingen hinein, einer blieb am Tor, der vierte ging um die Schenke herum. Der Wirt sah alledem zu und konnte nicht verstehen, zu welchem Zweck diese Vorkehrungen getroffen wurden, wiewohl er vermutete, sie suchten jenen Jüngling, den sie ihm beschrieben hatten.

Jetzt war es heller Tag geworden, und sowohl deshalb als auch infolge des Lärms, den Don Quijote verursacht hatte, waren alle wachgeworden und standen auf, zuerst Doña Clara und Dorotea; denn beide hatten diese Nacht sehr schlecht geschlafen, die eine vor Unruhe, ihren Geliebten so nahe zu wissen, die andre vor neugierigem Drang, ihn zu sehen. Don Quijote seinerseits, als er sah, daß keiner der vier Reisenden ihn beachtete oder ihm auf seine Herausforderung Antwort gab, war ganz außer sich und raste vor Ärger und Wut. Und hätte er in den Satzungen seines Rittertums gefunden, daß der fahrende Ritter erlaubtermaßen ein neues Abenteuer in die Hand nehmen und ausrichten dürfe, nachdem er sein Wort gegeben, sich auf keines einzulassen, bis er das früher bereits von ihm begonnene Unternehmen zu Ende geführt habe, so würde er sie alle angefallen und gezwungen haben, ihm wider ihren Willen Rede zu stehn. Aber da es ihm schien, daß es für ihn weder geziemend noch wohlgetan sei, ein neues Unternehmen zu beginnen, bevor er Míkomikona in ihr Reich eingesetzt, mußte er schweigen und in aller Ruhe abwarten, auf was die Vorkehrungen jener Reisenden abzielten.

Einer dieser letzteren fand endlich den Jüngling, den sie suchten, wie er neben einem Maultiertreiber schlief, nicht im entferntesten besorgend, daß jemand ihn suchte, und noch weniger, daß man ihn fände. Der Mann ergriff ihn am Arm und sagte zu ihm: »Gewiß, Señor Don Luis, Eure Tracht ist der Würde Eures Standes sehr angemessen, und das Bett, in dem ich Euch finde, paßt ausgezeichnet zu der sorgsamen Pflege, mit der Euch Eure Mutter erzogen hat.«

Der Jüngling rieb sich die schlaftrunkenen Augen und sah den Mann, der ihn am Arme hielt, eine geraume Weile an; und als er in ihm einen Diener seines Vaters erkannte, erschrak er so heftig, daß er lange Zeit nicht die Kraft fand, ihm ein Wort zu erwidern.

Der Diener aber fuhr fort: »Hier ist nichts andres zu tun, Señor Don Luis, als Euch in Geduld zu fassen und nach Hause zurückzukehren, falls Ihr nicht etwa wollt, daß mein Herr, Euer Vater, den Weg in jene andere Welt wandre, denn andre Folgen kann der Gram nicht haben, den Eure Entfernung ihm verursacht hat.«

»Wie hat denn mein Vater erfahren«, sprach Don Luis, »daß ich diesen Weg eingeschlagen habe und in dieser Tracht?«

»Ein Student«, antwortete der Diener, »dem Ihr Euer Vorhaben anvertraut habt, hat es uns entdeckt, selber von Schmerz ergriffen bei dem Ausbruch des Schmerzes, der Euren Vater augenblicklich befiel, als er Euch vermißte; da schickte er vier seiner Diener aus auf die Suche nach Euch, und wir alle sind hier zu Euern Diensten, glücklicher, als sich nur erdenken läßt, ob der guten Erledigung unseres Auftrags, womit wir zurückkehren und Euch vor die Augen führen werden, die Euch so innig lieben.«

»Damit wird es gehen, wie ich will oder wie der Himmel gebeut«, entgegnete Don Luis.

»Was könnt Ihr wollen, oder was kann der Himmel anders gebieten, als daß Ihr mit Eurer Heimkehr einverstanden seid?« versetzte der Diener, »denn etwas andres ist nicht möglich.«

Dem ganzen Gespräch zwischen den beiden hörte der Maultiertreiber zu, neben welchem Don Luis sein Lager hatte; er stand auf, ging hinaus und erzählte die Vorgänge Don Fernando und Cardenio und den andern, die sich bereits angekleidet hatten. Er sagte ihnen, der fremde Mann rede diesen Jüngling mit Don an, habe lange mit ihm gesprochen und wolle ihn nach dem Hause seines Vaters zurückbringen, der junge Mann aber wolle nicht. Da sie dies hörten und zu gleicher Zeit sich erinnerten, welche schöne Stimme der Himmel ihm verliehen, wurde in ihnen allen der Wunsch rege, genauer zu erfahren, wer er sei, ja sogar ihm Beistand zu leihen, wenn man etwa mit Gewalt gegen ihn vorgehen wolle. Und so begaben sie sich alle zu der Stelle, wo sie ihn noch mit seinem Diener sprechen und streiten hörten.

Unterdessen kam Dorotea aus ihrem Gemach und hinter ihr Doña Clara in voller Bestürzung. Dorotea rief Cardenio beiseite und erzählte ihm in kurzen Worten die Geschichte des Sängers und Doña Claras; er dagegen berichtete ihr, was seitdem mit Don Luis vorgegangen, nämlich daß die Diener seines Vaters gekommen seien, ihn zu suchen. Er sprach aber nicht so leise; daß es Doña Claras Ohren entgangen wäre, und sie geriet darüber so außer sich, daß sie zu Boden gestürzt wäre, wenn Dorotea sie nicht rasch gehalten hätte. Cardenio ermahnte Dorotea, in das Gemach zurückzugehen; er würde sich bemühen, alles in Ordnung zu bringen. Sie taten also.

Schon waren die vier, welche Don Luis suchen sollten, alle zusammen in der Schenke und standen um ihn her und suchten ihn zu bereden, er möge sogleich, ohne einen Augenblick zu zögern, heimkehren und seinem Vater Trost bringen. Er antwortete, er könne dies unter keiner Bedingung tun, ehe er nicht eine Angelegenheit durchgeführt habe, bei der ihm Leben und Ehre und Seele auf dem Spiel stehe. Die Diener drangen nun stärker in ihn und versicherten ihm, sie würden auf keinen Fall ohne ihn zurückkehren, und ob er nun wolle oder nicht, sie würden ihn mitnehmen.

»Das werdet ihr nicht tun«, entgegnete Don Luis, »oder ihr müßtet mich tot fortschleppen; auf welche Weise immer ihr mich fortbringen möget, ihr werdet mich nur ohne Leben von hinnen schleppen.«

Inzwischen waren die übrigen in der Schenke Anwesenden zu dem heftigen Wortgefecht hinzugekommen, nämlich Cardenio, Don Fernando und seine Gefährten, der Oberrichter, der Pfarrer, der Barbier und Don Quijote, den es bedünkte, es sei nicht länger nötig, vor der Burg Wache zu halten. Cardenio, schon bekannt mit der Geschichte des Jünglings, fragte die Diener, was sie veranlasse, den jungen Mann gegen seinen Willen fortzuführen.

»Was uns dazu veranlaßt«, antwortete einer von den vieren, »ist, daß wir seinem Vater das Leben erhalten wollen, der durch die Flucht dieses jungen Edelmannes in die Gefahr geraten ist, es einzubüßen.«

Darauf versetzte Don Luis: »Ich sehe keinen Grund, hier über meine Angelegenheiten Auskunft zu geben. Ich bin ein freier Mann und werde zurückkehren, wann es mir behagt; und wenn nicht, so soll keiner von euch mich dazu zwingen.«

»Die Vernunft wird Euer Gnaden zwingen«, entgegnete der Diener, »und wenn sie über Euch nicht genug vermag, so wird sie über uns genug vermögen, damit wir ausführen, wozu wir gekommen und wozu wir verpflichtet sind.«

»Wir wollen doch einmal gründlich untersuchen, was dies bedeutet«, fiel hier der Oberrichter ein.

Der Diener jedoch, der ihn als Hausnachbarn erkannte, entgegnete: »Kennt Euer Gnaden, Herr Oberrichter, diesen Edelmann nicht? Es ist der Sohn Eures Nachbars und hat sich aus seines Vaters Haus in einer seinem Range so unangemessenen Tracht entfernt, wie Euer Gnaden sehen kann.«

Der Oberrichter betrachtete ihn aufmerksamer und erkannte ihn; er umarmte ihn und sprach: »Was sind das für Kindereien, Señor Don Luis? Oder welcher gewichtige Grund konnte Euch bewegen, auf solche Weise zu reisen und in solcher Tracht, die sich so wenig für Euren Stand schickt?«

Dem Jüngling traten die Tränen in die Augen, und er konnte dem Oberrichter kein Wort erwidern. Dieser sagte zu den vier Dienern, sie möchten sich beruhigen, alles werde gut gehen; und Don Luis an der Hand fassend, führte er ihn beiseite und fragte ihn, warum er hierhergekommen sei.

Während er diese Frage nebst mancher andern an ihn richtete, hörte man großes Geschrei am Tor der Schenke. Zwei Gäste, die hier übernachtet hatten und jetzt alle Welt nur mit Erkundigungen über das Vorhaben der vier Diener beschäftigt sahen, hatten nämlich den Versuch gemacht, von dannen zu gehen, ohne ihre Zeche zu bezahlen. Allein der Wirt, der auf seine eigenen Angelegenheiten besser als auf fremde achtgab, packte sie, als sie zum Tor hinauswollten, verlangte seine Zahlung und schalt sie ob ihres bösen Vorhabens mit so starken Ausdrücken, daß er sie reizte, ihm mit den Fäusten die Antwort zu geben. Und nun begannen sie ihn so mächtig zu dreschen, daß der arme Wirt mit lautem Geschrei um Hilfe rufen mußte. Die Wirtin und ihre Tochter sahen sich rings um und fanden keinen andern so unbeschäftigt wie Don Quijote, um dem Wirt beispringen zu können, und zu dem Ritter sprach die Wirtstochter: »Herr Ritter, um der Tapferkeit willen, die Gott Euch verliehen, steht meinem armen Vater bei, den zwei Bösewichter zu Brei schlagen.«

Hierauf antwortete Don Quijote ganz gelassen und in größter Gemütsruhe: »Huldseliges Fräulein, Eure Bitte kann für itzo keine Erfüllung finden, sintemal mir verwehrt ist, mich in ein anderweitig Abenteuer einzulassen, bevor ich nicht ein solches zu Ende geführt, als an welches mein Wort mich gebunden hält. Aber was ich dennoch tun kann, um Euch dienstbar zu sein, das will ich Euch sofort sagen: Eilet hin und saget Eurem Vater, er möge sich in diesem Kampfe so gut halten und so lange, wie er es vermag, und sich in keinem Falle besiegen lassen, dieweil ich mir von der Prinzessin Míkomikona die Vergünstigung erbitte, ihm in seiner Bedrängnis beistehen zu dürfen; und so sie eine solche gewährt, dann haltet es für sicher, daß ich ihn aus selbiger Not erlösen werde.«

»Gott verzeih mir meine Sünden!« rief hierauf Maritornes, die dabeistand, »bevor Euer Gnaden die Vergünstigung einholt, von der Ihr redet, wird unser Herr sich in der andern Welt befinden.«

»Gestattet immerhin, Ihr Fräulein, daß ich die besagte Vergünstigung einhole«, entgegnete Don Quijote, »und hab ich sie einmal erlangt, dann liegt wenig daran, ob er sich bereits in der andern Welt befinde; denn selbst von dort werd ich ihn zurückholen, wie sehr selbige Welt sich dawidersetzen möge, oder mindestens werde ich Euch solche Rache an denen verschaffen, die ihn ins Jenseits befördert haben, daß Euch mehr als nur mittelmäßige Genugtuung werden soll.«

Ohne ein Wort weiter zu sprechen, wandte er sich zu Dorotea, kniete vor ihr nieder und bat mit rittermäßigen und bei fahrenden Kämpen bräuchlichen Worten, Ihre Hoheit möge ihm großgünstigst die Vergünstigung gewähren, dem Burgvogt dieser Burg beizuspringen und beizustehen, welcher sich von harter Unbill bedrängt finde. Die Prinzessin gewährte sie ihm mit willigem Mute, und er schritt, seine Tartsche in den Arm nehmend und Hand an sein Schwert legend, zum Tor der Schenke hin, wo die beiden Gäste noch mit dem Wirte balgten und ihm den Balg zerklopften. Aber sobald er näher kam, hielt er jählings inne und blieb stille stehen, obwohl Maritornes und die Wirtin ihm zuriefen, weshalb er stehenbleibe, er solle ihrem Herrn und Ehemann zu Hilfe kommen!

»Ich bleibe stehen«, sprach Don Quijote, »dieweil es mir nicht ziemt, gegen schildknappliches Gesindel das Schwert zu ziehen; rufet mir aber meinen Knappen Sancho her, ihm kommt es zu und gebührt es, sotane Verteidigung und Rache auf sich zu nehmen.«

Dies trug sich am Tor der Schenke zu, und an diesem Tor gingen die Faustschläge und Backpfeifen aufs allerbeste hin und wider, und das alles auf Kosten des Wirts und zum wütenden Ärger der Maritornes, der Wirtin und ihrer Tochter, die schier in Verzweiflung gerieten, daß sie mit ansehen mußten, wie Don Quijote feige dastand und ihr Gemahl, Vater und Dienstherr so mißhandelt wurde.

Doch verlassen wir ihn – es wird ihm schon an einem Helfer nicht fehlen, oder wenn doch, so dulde und schweige, wer sich an mehr wagt, als seine Kräfte ihm verheißen – und wenden wir uns fünfzig Schritte zurück, um zu hören, was Don Luis dem Oberrichter antwortete, den wir verließen, als er den jungen Mann beiseite nahm und ihn befragte, weshalb er zu Fuße und in so unwürdiger Tracht hierhergekommen. Der Jüngling faßte des Oberrichters Hände mit aller Macht, wie um anzudeuten, daß ihm ein großer Schmerz das Herz zusammendrücke, und reichliche Tränen vergießend, sprach er: »Verehrter Herr, ich kann Euch nichts andres sagen als dies: von dem Augenblick an, wo der Himmel es fügte und unsere Nachbarschaft es vermittelte, daß ich das Fräulein Doña Clara, Eure Tochter und meine Gebieterin, erblickte, von jenem Augenblick an machte ich sie zur Herrin meines Willens; und wenn der Eure, Ihr, mein wahrer Vater und Herr, es nicht verwehrt, so soll sie noch heut am Tage meine Gattin werden. Um ihretwillen hab ich meines Vaters Haus verlassen, ihr zuliebe hab ich diese Tracht angelegt, um ihr überallhin zu folgen, wie der Pfeil sich nach dem Ziele wendet oder der Schiffer nach dem Polarstern. Sie weiß von meinen Wünschen nicht mehr, als was sie daraus erraten konnte, daß sie einigemal von weitem meine Augen Tränen vergießen sah. Ihr kennt ja, Señor, den Reichtum und Adel meiner Eltern und wißt, daß ich ihr einziger Erbe bin; falls Eurer Meinung nach diese glücklichen Umstände Euch genügende Gründe bieten, um es auf gut Glück zu wagen, mich vollkommen glücklich zu machen, so nehmt mich alsogleich zu Eurem Sohne an. Wenn aber mein Vater, von eignen Plänen andrer Art angetrieben, an dem hohen Glück, das ich selbst gefunden, keinen Gefallen hegen sollte, so hat doch die Zeit mehr Gewalt, die Dinge umzuwandeln und zu ändern, als der Wille des Menschen.«

Hierauf schwieg der verliebte Jüngling, und der Oberrichter stand verlegen da, in Ungewißheit über die eigentümliche und verständige Art, wie Don Luis ihm sein Denken und Fühlen offenbart hatte, und unschlüssig, welche Entscheidung in einem so unversehens und unerwartet eingetretenen Fall zu fassen sei. Und so gab er Don Luis nur die Antwort, er möge sich einstweilen beruhigen und seine Diener hinhalten, daß sie diesen Tag noch nicht zurückkehrten, damit man Zeit gewänne, zu überlegen, was für sie alle am ersprießlichsten sei.

Don Luis küßte ihm stürmisch die Hände, ja er badete sie in seinen Tränen, was ein steinern Herz hätte erweichen können, geschweige das des Oberrichters, der als ein verständiger Mann bereits eingesehen hatte, wie angemessen diese Ehe für seine Tochter sei; und sofern es möglich wäre, wollte er sie mit Zustimmung von Don Luis‘ Vater abschließen, von dem er wußte, daß er beabsichtigte, seinem Sohne einen kastilischen Adelstitel zu verschaffen.

In der Zwischenzeit hatten die Gäste mit dem Wirte Frieden geschlossen, denn durch Überredung und gütliches Zusprechen von Seiten Don Quijotes, mehr als infolge von dessen Drohungen, hatten sie dem Wirt seine Rechnung bezahlt.

Die Diener von Don Luis warteten auf das Ende der Unterredung mit dem Oberrichter und den Entschluß ihres Herrn. Da ließ der Teufel, der nimmer schläft, im nämlichen Augenblick jenen Barbier zur Schenke kommen, welchem Don Quijote den Helm Mambrins und Sancho Pansa das ganze Geschirr seines Esels weggenommen und mit dem des seinigen vertauscht hatte. Als besagter Barbier sein Tier in den Stall führte, erblickte er Sancho Pansa, der gerade an dem Sattel irgend etwas zurechtmachte; und als er diesen Sattel sah, erkannte er ihn gleich, ging unverweilt auf Sancho Pansa los und schrie dabei: »Aha, Herr Spitzbube, hab ich Euch hier! Her mit meiner Schüssel und meinem Sattel, mit meinem ganzen Geschirr, das Ihr mir gestohlen habt!«

Als Sancho sich so unversehens angegriffen sah und hörte, mit welchen Schimpfworten man ihn belegte, packte er mit der einen Hand den Eselssattel, und mit der andern versetzte er dem Barbier eine Maulschelle, daß ihm Lippen und Zähne in Blut schwammen. Allein der Barbier ließ darum den Sattel nicht los, vielmehr erhob er ein so mächtiges Geschrei, daß alle Leute aus der Schenke zu dem Lärm und Kampf herzuliefen. Und er rief: »Zu Hilfe im Namen des Königs und der Gerechtigkeit! Weil ich mein Eigentum wiederhaben will, da will mich dieser Dieb, dieser Straßenräuber umbringen!«

»Du lügst!« entgegnete Sancho, »ich bin kein Straßenräuber; in ehrlichem Krieg hat mein Herr Don Quijote diese Beute gewonnen.«

Bereits war Don Quijote herbeigekommen und sah mit großem Vergnügen, wie trefflich sein Schildknappe zu Schutz und Trutz zu kämpfen wußte, und von da an hielt er ihn für einen echten, rechten Mann und nahm sich in seinem Innern vor, ihn bei der ersten Gelegenheit, die sich böte, zum Ritter zu schlagen, weil es ihn bedünkte, bei Sancho würde der Orden der Ritterschaft gut angebracht sein.

Unter anderem hörte man während des Kampfes den Barbier auch sagen: »Ihr Herren, dieser Eselssattel ist so sicher mein, wie mir der Tod sicher ist, den ich Gott dem Herrn schulde. Ich kenne den Sattel so gut, als hätte ich ihn geboren, und dort steht mein Esel im Stall, der wird nicht leiden, daß ich lüge; oder leugnet mir’s einer, so probiert ihn meinem Esel an, und wenn er ihm nicht wie angegossen sitzt, so will ich zeitlebens ein Schuft sein. Ja noch mehr, am nämlichen Tag, wo man mir ihn weggenommen hat, da hat man mir auch eine messingene Barbierschüssel gestohlen, ganz neu, sie war einen Goldtaler wert.«

Hier konnte sich Don Quijote nicht enthalten, ihm Antwort zu geben. Er stellte sich zwischen die beiden, trieb sie auseinander, legte den Sattel auf den Boden nieder, damit er ihn vor Augen habe, bis die Wahrheit ans Licht gebracht werde, und sprach: »Auf daß Euer Gnaden alle klar und offenbar ersehen, in welchem Irrtum dieser wackere Knappe befangen ist: er nennt eine Schüssel, was der Helm des Mambrin ist, war und sein wird, den ich ihm im ehrlichen Krieg abgenommen und dessen Herr mit redlichem und rechtmäßigem Besitz ich geworden bin. Was den Sattel betrifft, da mische ich mich nicht hinein; ich kann darüber nichts sagen, als daß mein Schildknappe Sancho mich um die Erlaubnis gebeten hat, dem Roß dieses besiegten Feiglings Sattel und Zaumzeug abzunehmen und das seinige damit auszurüsten, und er nahm es. Daß sich das Pferdegeschirr in einen Eselssattel verwandelt hat, dafür kann ich keinen andern Grund angeben als den gewöhnlichen, daß nämlich derlei Verwandlungen bei den Begebnissen im Rittertume des öftern vorkommen. Um nun das, was ich vorher gesprochen, zu bekräftigen, lauf, Sancho, mein Sohn, und hole den Helm her, welchen dieser gute Mensch für eine Bartschüssel erklärt.«

»Meiner Six, Señor«, sprach Sancho, »wenn wir für unsre Behauptung keinen andern Beweis haben, als den Euer Gnaden vorbringt, dann ist der Helm des Mambrin ebensogut eine Barbierschüssel wie das Pferdegeschirr dieses guten Kerls ein Eselssattel.«

»Tu, was ich dir gebiete«, entgegnete Don Quijote, »es wird in dieser Burg doch nicht alles mit Zauberei zugehen.«

Sancho ging nach der Schüssel und holte sie herbei, und sobald Don Quijote sie erblickte, nahm er sie in die Hand und sprach: »Möge doch Euer Gnaden zusehen, mit welcher Stirn dieser Knappe sagen kann, es sei dies eine Bartschüssel und nicht der Helm, von dem ich gesprochen habe! Und ich schwöre bei dem Ritterorden, der mein erkorener Beruf ist, dieser Helm ist derselbe, den ich ihm abgenommen, ohne daß am selbigen das geringste hinzu- oder hinweggetan worden.«

»Das unterliegt keinem Zweifel«, sprach hier Sancho, »denn seit dem Tage, wo mein Herr ihn erobert hat, bis zum heutigen Tage hat er mit selbigem nicht mehr als einen einzigen Kampf bestanden, als er jene Unglücklichen aus ihren Ketten befreite, und hätte ihm dieser Schüsselhelm nicht geholfen, so wäre es ihm damals nicht sehr gut ergangen, denn es gab genugsam Steinwürfe bei jenem argen Strauß.«

45. Kapitel

Worin der Zweifel über Mambrins Helm und den Eselssattel gründlich und in voller Wahrheit aufgehellt wird, nebst andern Abenteuern, so sich zugetragen

»Was halten Euer Gnaden, meine Herren«, sagte der Barbier, »von den Behauptungen dieser edlen Herren, da sie beharrlich dabei bleiben, es sei dies keine Bartschüssel, sondern ein Helm?«

»Und wer das Gegenteil sagt«, sprach Don Quijote, »dem werde ich zu Gemüte führen, daß er lügt, falls es ein Ritter ist; und wenn ein Knappe, daß er nochmals lügt und tausendmal lügt.«

Unser Barbier Nikolas, der bei allem zugegen war, wollte, da er Don Quijotes Sparren so gut kannte, noch Öl ins Feuer gießen und den Spaß weitertreiben, damit sie alle was zu lachen hätten, und so sagte er zu dem andern Barbier: »Herr Barbier, oder was Ihr sonst seid, wißt, daß auch ich von Eurem Handwerk bin und seit länger als zwanzig Jahren mein Meisterzeugnis habe und mich auf alle Werkzeuge des Bartscherertums, nicht eines ausgenommen, sehr wohl verstehe. Ebenso war ich in meiner Jugend eine Zeitlang Soldat: und weiß auch, was ein Helm ist und was eine Eisenhaube und was ein Helm mit Visier, und weiß noch anderes in betreff des Kriegswesens, ich meine der verschiedenen Waffen. Und ich sage mit aller schuldigen Achtung vor besserem Ermessen und vorbehaltlich besserer Einsicht: dies Ding, das sich hier vor unseren Augen befindet und das dieser wackere Herr in Händen hält, ist nicht nur nicht eine Barbierschüssel, sondern ist so fern davon, eine solche Schüssel zu sein, wie das Weiße fern ist vom Schwarzen und die Wahrheit von der Lüge. Sodann sage ich, daß es zwar ein Helm ist, aber kein vollständiger Helm.«

»Gewiß nicht«, sprach Don Quijote hierauf, »denn es fehlt ihm die Hälfte, nämlich die Halsberge.«

»So ist es«, fiel der Pfarrer ein, der die Absicht seines Freundes, des Barbiers, bereits wohl verstanden hatte, und das nämliche bestätigten Cardenio sowie Don Fernando und seine Gefährten. Selbst der Oberrichter würde seinen Teil zu dem Spaß beigetragen haben, wenn nicht die Angelegenheit mit Don Luis seine Gedanken in Anspruch genommen hätte; aber der Ernst der Gegenstände, die er zu bedenken hatte, hielt ihn in so beständiger Spannung, daß er wenig oder gar nicht auf diese Possen achten konnte.

»Gott steh mir bei!« sagte jetzt der gefoppte Bartscherer, »ist es möglich, daß so viel vornehme Herren behaupten, dies sei nicht eine Bartschüssel, sondern ein Helm! Das ist offenbar eine Geschichte, die eine ganze Universität mit ihrer Weisheit in Verwunderung setzen könnte. Gut denn; wenn diese Schüssel also tatsächlich ein Helm ist, muß dieser Eselssattel wohl auch ein Pferdegeschirr sein, wie dieser Herr gesagt hat.«

»Mir allerdings scheint es ein Eselssattel«, sprach Don Quijote, »aber ich habe bereits gesagt, daß ich mich hierein nicht mische.«

»Ob es ein Eselssattel oder Pferdezeug ist«, sagte der Pfarrer, »das hängt ganz von der Entscheidung des Herrn Don Quijote ab, denn in Dingen des Rittertums ordnen wir uns ihm ganz unter.«

»Bei Gott, meine Herren«, entgegnete Don Quijote, »so vieles und so Seltsames ist mir in dieser Burg die beiden Male begegnet, die ich darin geherbergt, daß ich nicht wagen kann, irgend etwas mit Bestimmtheit über die Dinge zu sagen, die in selbiger geschehen; denn ich meine, alles, was hier vorgeht, geschieht mittels Zauberkunst. Das erstemal quälte mich gewaltig ein verzauberter Mohr, der in der Burg weilt, und auch Sancho ging es mit dessen Helfershelfern gar nicht gut; und heute nacht habe ich schier zwei Stunden an diesem meinem Arm schwebend gehangen, ohne zu wissen, wie oder warum ich in dieses Mißgeschick geraten bin. Wenn ich daher in einer Sache von solcher Unklarheit meine Meinung ausspräche, das hieße, in eine dreiste Übereilung beim Urteilen verfallen. Was die Behauptung betrifft, dieses sei eine Barbierschüssel und kein Helm, darauf habe ich schon geantwortet; aber bezüglich der Entscheidung, ob dieses ein Esels- oder ein Pferdesattel ist, da erkühne ich mich nicht, einen endgültigen Spruch zu fällen, das überlasse ich ausschließlich dem besseren Ermessen Euer Gnaden. Vielleicht weil ihr nicht zu Rittern geschlagen seid, wie ich es bin, berühren euch die Verzauberungen dieses Ortes nicht und ist euere Urteilskraft frei und könnt ihr von den Dingen in dieser Burg so urteilen, wie sie wahr und wirklich sind, und nicht, wie sie mir erscheinen.«-

»Es ist kein Zweifel daran«, entgegnete Don Fernando hierauf, »daß der Herr Don Quijote diesmal sehr richtig gesagt hat, nur uns komme die Entscheidung dieses Falles zu; und damit alles ordentlich zugeht, will ich die Stimmen dieser Herren im geheimen sammeln und von dem Ergebnis vollständige und deutliche Kunde geben.«

Für diejenigen, die über Don Quijotes Sparren schon Bescheid wußten, war das alles ein Stoff zu unendlichem Lachen; aber denen, die nichts davon wußten, schien es der größte Unsinn der Welt, besonders den vier Dienern des Don Luis, und ebenso dem letzteren und so auch drei andern Reisenden, die soeben zufällig in die Schenke gekommen waren und wie Landreiter aussahen, was sie auch wirklich waren. Wer aber am meisten außer sich geriet, das war der Barbier, dessen Bartschüssel sich ihm vor seinen Augen in den Helm Mambrins verwandelt hatte und der gar nicht daran zweifelte, daß auch sein Eselssattel sich ihm in ein reiches Pferdegeschirr verwandeln würde. Alle aber, die einen wie die andern, brachen in Gelächter aus, als sie sahen, wie Don Fernando die Stimmen sammelte und sich um der geheimen Abstimmung willen ins Ohr flüstern ließ, ob dies Kleinod, über das soviel gekämpft worden, ein Eselssattel oder ein Pferdezeug sei. Und nachdem er die Stimmen derer, die Don Quijote kannten, gesammelt hatte, sprach er laut zu dem Barbier:

»Der Kasus ist, guter Freund, daß ich bereits müde bin, so viele Stimmen zu sammeln; denn ich sehe, daß keiner, den ich nach dem Verlangten frage, mir nicht antwortet, es sei ein Unsinn, dies für einen Eselssattel auszugeben, sondern es sei das Sattelzeug eines Pferdes, und obendrein eines Pferdes von reiner Rasse. So müßt Ihr Euch denn in Geduld fassen, denn zu Eurem und Eures Esels Leidwesen ist dies ein Pferdegeschirr und nicht ein Eselssattel; Ihr habt Euernteils falsch geklagt und nichts bewiesen und habt verloren.«

»So will ich im Jenseits verloren sein«, versetzte der arme Barbier, »wenn Ihr, gnädige Herren, Euch nicht alle täuscht, und möge meine Seele so sicher vor Gott erscheinen, wie dies mir ein Eselssattel scheint und nicht ein Pferdezeug. Allein, Gewalt geht vor … mehr will ich nicht sagen. Und wahrlich, ich bin nicht betrunken, ich habe mir heute noch nichts vergönnt, ausgenommen etwa, Sünden zu begehen.«

Nicht weniger Lachen erregten die albernen Reden des Barbiers als die verrückten Don Quijotes, der jetzt sprach: »Hier ist nichts weiter zu tun, als daß jeder nehme, was ihm gehört, und wem es Gott gegeben hat, dem mag Sankt Petrus es gesegnen.«

Einer aber von den vier Dienern des Don Luis sagte: »Wenn dies nicht etwa eine verabredete Fopperei ist, kann ich unmöglich verstehen, daß Leute von gesundem Verstand, wie alle hier Anwesenden sind oder scheinen, sich erlauben können zu sagen, dies sei keine Bartschüssel und jenes kein Eselssattel; aber da sie es sagen und behaupten, so muß ich annehmen, es steckt ein absonderlich Geheimnis dahinter, so hartnäckig bei einer Behauptung zu bleiben, wovon uns das Gegenteil durch die Wirklichkeit und durch die Erfahrung selbst dargetan wird. Denn ich schwör’s bei dem und jenem« – und er stieß den Schwur rundheraus –, »mich soll nichts auf der Welt überreden, daß dies sich umgekehrt verhalte und daß dies nicht eine Barbierschüssel und jenes nicht der Sattel eines Esels sei.«

»Es könnte der Sattel einer Eselin sein«, sagte der Pfarrer.

»Das ist ganz einerlei«, entgegnete der Diener, »denn es handelt sich nicht hierum, sondern darum, ob es ein Eselssattel ist oder nicht, wie die gnädigen Herren sagen.«

Dies vernahm einer der eben angekommenen Landreiter, der dem Streit und der ganzen Verhandlung zugehört hatte, und sprach voller Zorn und Ärger: »Das ist ebenso sicher ein Eselssattel, wie mein Vater einer ist, und wer was anderes gesagt hat oder sagt, muß toll und voll sein!«

»Ihr lüget als ein niederträchtiger Schelm!« rief Don Quijote, erhob seinen Spieß, den er nie aus den Händen ließ, und holte zu einem so gewaltigen Schlag auf den Kopf des Landreiters aus, daß er ihn, wenn er nicht ausgewichen wäre, ohne weiteres niedergestreckt hätte. Der Spieß zersprang auf dem Boden in Stücke, und als die anderen Landreiter ihren Kameraden mißhandelt sahen, erhoben sie die Stimme und riefen nach Beistand für die Heilige Brüderschaft. Der Wirt, welcher auch zur Genossenschaft der Landreiter gehörte, lief eilig hinein nach seinem Amtsstab und seinem Schwert und stellte sich dann seinen Kameraden zur Seite. Die Diener des Don Luis umringten diesen, damit er ihnen in dem Getümmel nicht entkomme. Als der Barbier das ganze Haus in Aufruhr sah, griff er wieder nach seinem Sattel, und das nämliche tat Sancho. Don Quijote zog sein Schwert und griff die Landreiter an. Don Luis schrie seinen Dienern zu, sie sollten ihn lassen und Don Quijote zu Hilfe eilen, ebenso dem Cardenio und Don Fernando, die beide sich Don Quijotes annahmen. Der Pfarrer schrie laut auf; die Wirtin kreischte, ihre Tochter jammerte, Maritornes weinte; Dorotea stand in Bestürzung, Luscinda war erschrocken, Doña Clara ohnmächtig. Der Barbier prügelte Sancho, Sancho zerdrosch den Barbier; Don Luis, den einer seiner Diener am Arm zu fassen gewagt, damit er nicht entfliehe, gab ihm einen Faustschlag, daß ihm Mund und Zähne in Blut schwammen; der Oberrichter nahm sich des Jünglings an; Don Fernando hatte einen Landreiter unter sich gebracht und nahm ihm mit den Füßen das Maß seines ganzen Körpers nach Herzenslust; der Wirt schrie wiederum und mit stärkerer Stimme als zuvor: »Zu Hilfe der Heiligen Brüderschaft!« So war die ganze Schenke voll Klagen und Schreien und Kreischen, Wirrsal, Ängsten, Schrecken, Unheil, Schwerthieben, Maulschellen, Prügel, Fußtritten und Blutvergießen.

Und in diesem Chaos, in diesem ganzen Gewirre und Labyrinth der verschiedensten Dinge tauchte plötzlich in Don Quijotes Geiste die Vorstellung auf, er habe sich gewaltsam mitten in die Zwietracht von Agramants Lager eingedrängt, und so rief er mit einer Stimme, welche die ganze Schenke durchdröhnte: »Haltet alle ein, steckt alle die Schwerter ein, kommt alle zur Ruh, hört mich alle an, wenn ihr am Leben bleiben wollt!«

Beim Ton dieser mächtigen Stimme hielten alle inne, und er fuhr fort: »Habe ich euch nicht gesagt, ihr Herren, daß diese Burg verzaubert ist und daß eine Landsmannschaft von Teufeln in ihr hausen muß? Zu dessen Bewahrheitung sollt ihr nun mit euren eigenen Augen sehen, wie die Zwietracht in Agramants Lager jetzt hierher übergegangen und mitten unter uns hereingetragen ist. Schauet, wie dort gekämpft wird um das Schwert, hier um das Roß, an jener Stelle um den Adler, dort um den Helm, und wir alle kämpfen, wir alle verstehen uns nicht. So komme denn Euer Gnaden, Herr Oberrichter, und Euer Gnaden, Herr Pfarrer, und der eine trete auf als König Agramant, der andere als König Sobrino, und stiftet Frieden unter uns; denn bei dem allmächtigen Gott, es ist eine Schande, daß soviel hochgestellte Leute, wie wir hier sind, einander aus so leichtfertigen Ursachen totschlagen!«

Don Quijote

Die Landreiter, die Don Quijotes Redensarten nicht verstanden und sich von Don Fernando, Cardenio und deren Gefährten übel zugerichtet sahen, wollten sich nicht zur Ruhe fügen. Der Barbier dagegen wollte es gern, weil ihm bei dem Kampfe der Bart und der Sattel arg mitgenommen worden waren. Sancho gehorchte bei der leisesten Mahnung seines Herrn als ein pflichtgetreuer Diener; auch die vier Diener des Don Luis gaben sich zum Frieden, da sie sahen, wie wenig sie vom Gegenteil gehabt hätten. Nur der Wirt blieb hartnäckig dabei, man müsse die Unverschämtheiten dieses Narren züchtigen, der ihm bei jedem Anlaß die Schenke in Aufruhr bringe. Zuletzt wurde der Lärm, wenigstens für den Augenblick, gestillt, und in Don Quijotes Einbildung blieb der Eselssattel ein Pferdegeschirr bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, die Barbierschüssel ein Helm und die Schenke eine Burg.

Als nun auf Zureden des Oberrichters und des Pfarrers alle sich beruhigt und miteinander Frieden geschlossen hatten, drangen die Diener des Don Luis aufs neue in ihn, augenblicks mit ihnen heimzukehren; und während er sich mit ihnen auseinandersetzte, besprach sich der Oberrichter mit Don Fernando, Cardenio und dem Pfarrer, was er tun solle unter diesen Umständen, die er ihnen darlegte, und teilte ihnen auch alles mit, was Don Luis ihm gesagt hatte. Endlich kamen sie überein, Don Fernando solle den Dienern eröffnen, wer er sei und wie er den Wunsch hege, daß Don Luis ihn nach Andalusien begleite, wo er bei seinem Bruder, dem Marquis, eine ehrenvolle Aufnahme finden werde, wie sie seine Persönlichkeit verdiene; denn man kenne Don Luis‘ Vorsatz, auf solche Weise nicht zu seinem Vater für diesmal zurückzukehren, und wenn man ihn in Stücke risse. Als nun die vier den Stand Don Fernandos und den bestimmten Vorsatz ihres jungen Herrn erfuhren, faßten sie unter sich den Beschluß, drei von ihnen sollten heimkehren, um dessen Vater Bericht zu erstatten, der vierte aber sollte bei Don Luis zurückbleiben, um ihn zu bedienen, und nicht von ihm weichen, bis sie wiederkommen würden, ihn zu holen, oder bis er vernähme, was sein Vater ihnen befehle.

So wurde durch das hohe Ansehen Agramants und die Klugheit des Königs Sobrino diese ganze Maschinerie des Haders in den Stand der Ruhe gebracht.

Als aber der Feind der Eintracht und Widersacher des Friedens sich verhöhnt und seinen Zweck vereitelt sah und inneward, wie wenig Nutzen er daraus gezogen, daß er sie alle in einen solchen Irrgarten geführt hatte, da gedachte er, nochmals einen Versuch zu machen und neuen Streit und Unfrieden zu stiften.

Es war nämlich allerdings so, daß die Landreiter sich beruhigt hatten, weil sie etwas vom Stande der Herren erhorcht, mit denen sie im Kampf gewesen; sie hatten sich aus dem Streite zurückgezogen, weil es sie bedünkte, auf welche Weise auch die Sache ausginge, sie würden in diesem Kampfe jedenfalls den kürzeren ziehen. Allein, einer von ihnen, und zwar gerade der, welchen Don Fernando durchgewalkt und mit Fußtritten bearbeitet hatte, erinnerte sich jetzt, daß er unter verschiedenen Haftbefehlen gegen etliche Verbrecher auch einen gegen Don Quijote bei sich trug, den die Heilige Brüderschaft festzunehmen befohlen hatte, weil er die Galeerensklaven in Freiheit gesetzt, wie dies Sancho mit gutem Grund befürchtet hatte. Da ihm dieses gerade wieder einfiel, wollte er sich vergewissern, ob die Kennzeichen zuträfen, die man ihm von Don Quijote angegeben; er holte etliche Pergamente aus dem Busen und fand das gesuchte. Er begann nun langsam zu lesen, denn er war kein großer Leser, und bei jedem Worte heftete er die Augen auf Don Quijote, verglich die Kennzeichen im Haftbefehl mit den Gesichtszügen des Ritters und fand, daß ohne allen Zweifel er der Mann sei, auf den sich der Steckbrief beziehe. Und kaum hatte er sich dessen versichert, als er seine Pergamente wieder einsteckte, mit der Linken den Haftbefehl vorzeigte, mit der Rechten Don Quijote so fest am Hals packte, daß diesem der Atem ausging, und mächtig schrie: »Zu Hilfe der Heiligen Brüderschaft! Und damit alle ersehen, daß ich dies mit Recht verlange, so lese man diesen Befehl, wo es geschrieben steht, daß dieser Straßenräuber festzunehmen ist!«

Der Pfarrer nahm den Haftbefehl und sah, daß alles sich in Wahrheit so verhalte, wie der Landreiter gesagt, und daß die Kennzeichen stimmten. Bei Don Quijote aber stieg, als er sah, wie übel ihm von einem schurkischen Bauernlümmel mitgespielt wurde, die Wut auf den höchsten Gipfel. Es knirschten ihm die Knochen im Leibe, er packte mit aller Gewalt den Landreiter an der Kehle, und wären diesem nicht seine Kameraden zu Hilfe gekommen, so hätte er eher das Leben als Don Quijote seine Beute gelassen.

Der Wirt, der seinen Amtsgenossen zu Hilfe kommen mußte, eilte sogleich herzu, ihnen Beistand zu leisten. Die Wirtin, die ihren Mann aufs neue in Streit befangen sah, erhob aufs neue ihre Stimme, in deren Ton sogleich ihre Tochter und Maritornes zur Begleitung einfielen, indem sie den Himmel und alle Anwesenden um Beistand anriefen. Als Sancho aber die Vorgänge sah, sprach er: »So wahr Gott lebt, was mein Herr über die Verzauberungen in dieser Burg gesagt hat, ist alles wahr, denn in ihr kann man auch nicht eine Stunde ruhig leben.«

Don Fernando trennte den Landreiter und Don Quijote, und beide waren froh, als er ihnen die Hände auseinanderriß, mit denen sie sich fest gepackt hatten, der eine den andern am Rockkragen, der andere den einen an der Kehle. Aber die Landreiter ließen darum nicht ab, ihren Gefangenen zu fordern; sie verlangten, man solle ihnen beistehen und den Ritter gebunden ausliefern und ihn in ihre Gewalt geben, denn solches sei man dem Dienste des Königs und der Heiligen Brüderschaft schuldig, in deren Namen sie nochmals Hilfe und Beistand verlangten, um die Verhaftung dieses Räubers, dieses Strauchdiebs und Wegelagerers zustande zu bringen.

Don Quijote lachte laut auf, als er diese Äußerungen hörte, und sprach mit vollster Gelassenheit: »Kommt mal her, schmutziges, gemeines Volk; also den Gefesselten die Freiheit wiedergeben, die Gefangenen von den Banden lösen, den Bedrängten Beistand leisten, die Gefallenen aufrichten, die Hilfeflehenden aus der Not erretten, das heißt ihr Straßenraub? Ha, nichtswürdiges Gesindel! Um eures niedrigen, pöbelhaften Sinnes willen verdient ihr, daß der Himmel euch niemals offenbare, welch hohe Bedeutung die fahrende Ritterschaft in sich trägt, und euch niemals erkennen lasse, in welcher Sündhaftigkeit und Verstocktheit ihr wandelt, wenn ihr nicht den bloßen Schatten, geschweige denn die wirkliche Anwesenheit eines jeglichen fahrenden Ritters in hohen Ehren haltet. Kommt mal her, ihr Landräuber und nicht Landreiter, ihr Wegelagerer unter dem Freibrief der Heiligen Brüderschaft, sagt mir: Wer war der Verblendete, der einen Haftbefehl gegen einen Ritter wie mich unterzeichnet hat? Wer war’s, der nicht wußte, daß die fahrenden Ritter von aller gerichtlichen Obergewalt befreit und ausgenommen sind, daß ihr Schwert ihr Recht, ihr Mut ihre Regel, ihr Wille ihr Gesetz ist? Wer war der Tollhäusler, sag ich wieder und wieder, der nicht weiß, daß es keinen Adelsbrief mit soviel Vorrechten und soviel Ausnahmevergünstigungen gibt, als wie ihn ein fahrender Ritter an dem Tage erwirbt, wo er den Ritterschlag empfängt und sich dem harten Beruf des Rittertums hingibt? Welcher fahrende Ritter hat jemals Kopfsteuer bezahlt oder den Kauf- und Tauschpfennig, der Königin Nadelgeld, die siebenjährige Königssteuer, Wegezoll oder Fährgeld? Welcher Schneider bekam je von ihm Macherlohn für Kleider? Welcher Burgvogt nahm ihn in seine Burg auf, daß er ihm die Zeche abgefordert hätte? Welcher König zog ihn nicht an seine Tafel? Welches Fräulein neigte sich ihm nicht zu und ergab sich ihm nicht in Unterwürfigkeit nach all seinem Begehr und Belieben? Und endlich, welchen fahrenden Ritter auf Erden gibt es, hat es gegeben, wird es geben, der nicht Mut und Kraft besäße, um für sich ganz allein vierhundert Landreitern, die ihm vor die Augen treten, vierhundert Stockprügel aufzuzählen?«