Welches von dem neuen und lieblichen Abenteuer handelt, das dem Pfarrer und dem Barbier in dem nämlichen Gebirge begegnete
Beseligt und hochbeglückt waren die Zeiten, wo der kühnste aller Ritter, Don Quijote von der Mancha, auf die Erde gesendet ward. Denn weil er den so ehrenhaften Entschluß hegte, den bereits verlorengegangenen und schier erstorbenen Orden der fahrenden Ritterschaft neu zum Leben zu erwecken und der Welt wiederzugeben, so genießen wir jetzt in unserm Zeitalter, das ergötzlicher Unterhaltung so sehr ermangelt, nicht nur die Lieblichkeit seiner wahrhaften Geschichte, sondern zugleich auch die in diese eingestreuten Erzählungen und Nebengeschichten, die zum Teil nicht minder anmutig und wahrhaftig sind wie die Geschichte selbst. Diese nun, indem sie ihren wohlgehechelten, wohlgezwirnten und wohlgehaspelten Faden wiederaufnimmt, erzählt, daß, sobald der Pfarrer sich anschickte, Cardenio zu trösten, eine zu seinen Ohren dringende Stimme ihn darin störte, welche sich in klagendem Ton also vernehmen ließ: »O Gott! Sollte es denn möglich sein, daß ich schon den Ort gefunden habe, der der kummervollen Last dieses Körpers, die ich so sehr wider meinen Willen trage, zur verborgenen Grabstätte dienen könnte? Ja, es muß so sein, wenn die Einsamkeit, die diese Berge verheißen, nicht lügt. Ich Unglückselige! Welche weit erwünschtere Gesellschaft werden diese Felsen und Gebüsche, da sie mir es vergönnen, mein Leid dem Himmel zu klagen, mir zu meinem Vorhaben bieten als jedes menschliche Wesen, da es keines gibt, von dem jemals Rat in den Zweifeln, Linderung im Schmerze, Hilfe in Nöten zu erhoffen ist!«
Der Pfarrer, und die mit ihm waren, hörten und vernahmen deutlich all diese Worte, und da sie in der Nähe gesprochen schienen – wie es auch wirklich der Fall war –, erhoben sie sich, den Klagenden aufzusuchen. Sie waren nicht zwanzig Schritte weit gegangen, als sie hinter einem Felsen am Fuß einer Esche einen Jüngling in Bauerntracht sitzen sahen, dessen Antlitz sie anfangs noch nicht erblicken konnten, da er es herabgeneigt hielt, weil er sich in dem vorüberfließenden Bach die Füße wusch. Sie näherten sich dem Jüngling so leise, daß er sie nicht bemerkte; auch war er auf nichts achtsam als auf das Waschen seiner Füße, die nicht anders aussahen als zwei Stücke blanken Kristalls, erzeugt zwischen den übrigen Steinen des Baches. Sie staunten ob der Weiße und Zierlichkeit der Füße, die, wie es die Zuschauer bedünkte, sicher nicht dazu bestimmt waren, auf Erdschollen zu treten oder hinter dem Pflug und Ochsengespann herzugehen, worauf doch die Tracht des Jünglings hindeutete. Da sie nun sahen, daß sie nicht wahrgenommen worden, so gab der Pfarrer, der voranging, den andern beiden einen Wink, sich hinter Felsblöcken, die dort umherlagen, versteckt und still zu halten. Sie taten es und beobachteten dann mit großer Aufmerksamkeit, was der Jüngling vornahm. Er trug einen kurzen braunen Frauenmantel mit zwei Schößen, den ein weißes Tuch eng um den Leib gürtete; so trug er auch Beinkleider mit Gamaschen von graubraunem Tuch und auf dem Kopf eine graue Jagdmütze; die Gamaschen waren bis zur Mitte des Beines hochgestreift, das in der Tat aus weißem Alabaster gebildet schien. Nun war er zu Ende mit dem Waschen der schönen Füße, zog unter der Mütze ein Handtuch hervor und trocknete sie. Und wie er es hervornahm, hob er das Gesicht in die Höhe, und die Zuschauer hatten nun Gelegenheit, eine unvergleichliche Schönheit zu erblicken, so daß Cardenio mit leiser Stimme zu dem Pfarrer sagte: »Da dies nicht Luscinda ist, so ist es kein menschliches, sondern ein göttliches Wesen.«
Der Jüngling nahm die Mütze ab, und als er den Kopf nach allen Seiten hin schüttelte, sah man Haare sich lösen und herabwallen, die den Strahlen der Sonne Neid einflößen konnten. Daran erkannten sie, daß, was ein Bauernknabe schien, ein Weib war, ein zartes Weib, ja das schönste, das die Augen der beiden je erschaut hatten, ja selbst Cardenios Augen, wenn sie nicht Luscinda gesehen und gekannt hätten; denn später versicherte er, daß nur Luscindas Reize mit denen dieses Mädchens wetteifern könnten. Die reichen blonden Haare bedeckten ihr nicht bloß die Schultern, sondern hüllten sie rings ein und ließen mit Ausnahme der Füße nichts von ihrem Körper sehen, so lang und üppig waren sie; und dabei diente ihnen zum Kamm ein Händepaar, so schön, daß, wenn die Füße im Wasser Stücke Kristalles schienen, die Hände in den Locken jetzt Stücken gepreßten Schnees glichen. Alles das erhöhte in den drei Zuschauern die Bewunderung und das Verlangen zu erfahren, wer sie sei. Sie beschlossen daher, sich zu zeigen; aber als sie eine Bewegung machten, um aufzustehen, erhob das schöne Mädchen den Kopf, strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und sah nach den Leuten hin, die das Geräusch verursacht hatten. Kaum hatte sie sie erblickt, so sprang sie auf die Füße, und ohne daß sie sich die Zeit nahm, die Schuhe anzuziehen oder die Haare aufzubinden, ergriff sie mit größter Hast ein neben ihr liegendes Bündel mit Kleidern, wie es den Anschein hatte, und wollte voll Verwirrung und Schrecken die Flucht ergreifen. Aber sie war nicht sechs Schritte weit gelaufen, als sie zu Boden sank, da ihre zarten Füße die scharfen Spitzen der Steine nicht ertrugen.
Als die drei das sahen, eilten sie zu ihr hin, und der Pfarrer war der erste, der sie anredete: »Haltet inne, Señora, wer Ihr auch sein möget; denn die Ihr hier erblicket, haben nur die Absicht, Euch Dienste zu leisten; es ist wahrlich kein Grund zu einer so zwecklosen Flucht, die Eure Füße weder aushalten noch wir gestatten könnten.«
Auf all dieses entgegnete sie kein Wort, voll Staunen und Verwirrung. Jene traten nun zu ihr heran, der Pfarrer faßte sie an der Hand und fuhr fort: »Was Eure Tracht, Señora, uns leugnet, das entdecken uns Eure Locken. Klar erkennen wir, daß die Ursache von nicht geringer Bedeutung sein kann, die Eure Schönheit in so unwürdige Tracht verhüllt und in eine so öde Wildnis wie diese geführt hat, in der es nur ein Glücksfall war, daß wir Euch fanden, um Euren Leiden, wenn nicht Heilung, so doch wenigstens freundlichen Rat zu bieten. Denn kein Leid kann so drangvoll sein oder so zum Äußersten steigen, daß es ablehnen dürfte, solange das Leben nicht zu Ende geht, mindestens den Rat anzuhören, den man dem Leidenden aus guter Absicht erteilt. Sonach, wertes Fräulein oder werter Herr, oder was Ihr sein wollt, erholt Euch von dem Schrecken, in den unser Anblick Euch versetzt hat, und erzählt uns Eure guten oder schlimmen Schicksale; denn in uns allen zusammen und in jedem von uns werdet Ihr ein Herz finden, das gerne mit Euch Eure Mißgeschicke mitfühlt.«
Während der Pfarrer diese Worte sprach, stand das verkleidete Mädchen wie betäubt und schaute sie alle an, ohne die Lippen zu bewegen oder ein Wort zu sagen, wie ein Bauer vom Dorf, dem man unversehens seltene, von ihm noch nie erblickte Dinge zeigt. Da aber der Pfarrer ihr abermals mancherlei in ähnlichem Sinne sagte, so brach sie endlich ihr Schweigen, und einen tiefen Seufzer ausstoßend, begann sie: »Da die Einsamkeit dieser Felsen mich nicht zu verbergen vermochte und das freie Herabwallen meines aufgelösten Haares meiner Zunge nicht zu lügen verstattet, so wäre es umsonst, jetzt noch vorzugeben, was man mir höchstens aus Höflichkeit und kaum aus einem andern Grunde glauben würde. Da dies nun so ist, sage ich, meine Herren, daß ich euch für euer Anerbieten Dank schulde und daß dasselbe mir die Verpflichtung auferlegt, euch in allem, was ihr von mir verlangt, Genüge zu leisten, obschon ich fürchte, die Erzählung meines Unglücks werde bei euch in ebenso hohem Grade wie das Mitleid das Schmerzgefühl hervorrufen; denn ihr werdet kein Heilmittel finden, ihm abzuhelfen, noch Trost, um es zu ertragen. Aber trotzdem, damit in eurer Meinung meine Ehre nicht zweifelhaft erscheine, nachdem ihr nun in mir ein Weib erkannt und mich jung, allein und in dieser Tracht hier gesehen habt – Umstände, die zusammengenommen, wie jeder schon für sich allein, jeglichen guten Ruf zugrunde richten können –, so muß ich euch erzählen, was ich verschweigen möchte, wenn ich es dürfte.«
Dies alles sagte sie, die sich nun als ein so reizendes Mädchen darstellte, ohne zu stocken mit fließender Sprache und süß tönender Stimme, so daß ihre verständige Art nicht minder als ihre Schönheit die Zuhörer mit Bewunderung erfüllte. Aufs neue wiederholten sie ihre Anerbietungen, drangen aufs neue in sie, ihr Versprechen zu erfüllen, und ohne sich länger bitten zu lassen, nachdem sie erst in aller Bescheidenheit ihre Fußbekleidung angelegt und ihr Haar zusammengebunden, setzte sie sich auf einem Stein zurecht. Und indem die drei um sie herstanden und sie sich Gewalt antun mußte, um die Tränen zurückzuhalten, die ihr unwillkürlich ins Auge traten, begann sie mit ruhiger, klarer Stimme die Geschichte ihres Lebens:
»Hier in Andalusien ist ein Städtchen, von dem ein Herzog den Titel führt, der ihn zu einem Granden von Spanien macht. Dieser hat zwei Söhne, von denen der ältere der Erbe seines Stammsitzes und dem Anscheine nach auch seiner guten Eigenschaften ist. Was aber das Erbteil des jüngeren sein mag, weiß ich nicht, wenn nicht etwa die Verräterei des Bellido und die Heimtücke Ganelons. Zu den Vasallen dieses Granden gehören meine Eltern, gering von Geschlecht, aber so reich, daß, wenn die Gaben der Geburt denen ihres Glückes gleichkämen, sie mehr nicht zu wünschen und ich niemals zu fürchten gehabt hätte, mich in dem unglücklichen Zustande zu sehen, in dem ich mich jetzt befinde; denn vielleicht entspringt mein Mißgeschick aus dem ihrigen, das ihnen nicht vergönnte, von erlauchter Geburt zu sein. Allerdings sind sie nicht von so niederem Stande, daß sie sich dessen zu schämen hätten; aber auch nicht von so hohem, um mir den Glauben zu benehmen, daß gerade ihr geringer Stand mein Unglück verschuldet habe. Mit einem Wort, sie sind Landleute, schlichte Menschen, deren Geschlecht sich nie mit einem übelberufenen Stamme vermischt hat, alte Christen, so uralt, daß sie, wie man zu sagen pflegt, moderig geworden, so uralte, daß ihr Reichtum und ihre vornehme Lebensweise ihnen allmählich den Rang von Junkern, ja von Rittern erwirbt. Was sie indessen als ihren höchsten Reichtum und Adel schätzten, war, mich zur Tochter zu haben; und da sie keinen anderen Erben besaßen und Eltern voll zärtlicher Liebe waren, so wurde ich von ihnen so verwöhnt, wie nur jemals Eltern ein Kind verwöhnen konnten. Ich war der Spiegel, in dem sie sich schauten, der Stab ihres Alters, das Ziel all ihrer Wünsche, die sie nur zwischen mir und dem Himmel teilten und von welchen, da sie stets nur das Beste wollten, die meinigen nie im geringsten abwichen. So wie ich die Herrin ihres Herzens war, ebenso war ich die ihres Vermögens. Durch mich wurden die Diener angenommen und entlassen, die Aufstellungen und Rechnungen über Aussaat und Ernte gingen durch meine Hand; ich führte Buch über die Ölmühlen, die Weinkeltern, die Zahl des großen und kleinen Viehs und der Bienenstöcke, kurz, über alles, was ein so reicher Landmann wie mein Vater besitzen kann und besitzt. Ich war die Oberverwalterin und Gebieterin und war es mit solchem Eifer meinerseits und zu solcher Zufriedenheit ihrerseits, daß ich in der Tat nicht leicht zuviel davon sagen kann. Die Zeit, die mir vom Tage übrigblieb, nachdem ich den Oberknechten, Aufsehern und Tagelöhnern das Erforderliche angewiesen, verwendete ich zu Beschäftigungen, wie sie den Mädchen so ziemlich wie unentbehrlich sind, wie die, welche die Nadel, das Klöppelkissen und besonders häufig das Spinnrad darbieten. Und wenn ich manchmal; um den Geist zu erfrischen, diese Arbeiten ließ, so nahm ich meine Zuflucht zum Lesen irgendeines erbaulichen Buches oder auch zum Harfenspiel, weil die Erfahrung mich lehrte, daß die Musik das beunruhigte Gemüt wieder beruhigt und die Sorgen erleichtert, die im Gemüte entstehen. Dies also war meine Lebensweise im elterlichen Hause, und wenn ich sie in allen Einzelheiten erzählt habe, so geschah es nicht etwa, um großzutun oder um meinen Reichtum zu zeigen, sondern um verständlich zu machen, wie ganz schuldlos ich aus dem Zustande, den ich geschildert, in den unglücklichen geraten bin, in welchem ich mich gegenwärtig befinde.
Nun fügte es sich, während ich mit so vielerlei Beschäftigungen und in einer Zurückgezogenheit, die man mit der eines Klosters vergleichen konnte, mein Leben zubrachte, ohne, wie mich bedünkte, von jemand anderem als von Dienern des Hauses gesehen zu werden – denn an den Tagen, wo ich zur Messe ging, geschah es so früh am Morgen, und ich war so verschleiert und so schüchtern, daß meine Augen kaum mehr vom Boden sahen als die Stelle, auf die ich den Fuß setzte –, da fügte es sich trotz alledem, daß mich die Augen der Liebe erblickten, oder besser gesagt, die des Müßiggangs, scharfsichtiger als die des Luchses, mit welchen die Liebeswerbung Don Fernandos umherschaute – denn dies ist der Name jenes Sohnes des Herzogs, von dem ich euch erzählt habe.«
Die Erzählerin hatte kaum Don Fernando genannt, als Cardenios Gesicht die Farbe wechselte; der Schweiß brach ihm aus unter solcher Aufregung, daß der Pfarrer und der Barbier, die es bemerkten, in Furcht gerieten, es möchte der Anfall von Raserei über ihn kommen, der, wie man ihnen erzählt hatte, von Zeit zu Zeit ihn übermannte. Allein Cardenio tat nichts weiter, als daß er in Angstschweiß ruhig dastand und das Bauernmädchen unverwandt anschaute, indem er schon ahnte, wer sie sei.
Ohne Cardenios Aufregung zu bemerken, fuhr das Mädchen so mit seiner Geschichte fort: »Noch hatten seine Augen mich kaum gesehen, als er, wie er mir später sagte, sich von Liebe zu mir so gefangen fühlte, wie sein Benehmen mir es vollständig kundgab. Aber damit ich rasch zu Ende komme, meine Leiden zu erzählen, die nicht zu zählen sind, übergehe ich mit Schweigen all die Schritte, die Don Fernando unternahm, um mir seine Neigung zu offenbaren: er bestach alle Leute meines Hauses, gab und anerbot meinen Verwandten Geschenke und Gunstbezeigungen; jeden Tag war in meiner Straße ein Fest und eine Lustbarkeit, in den Nächten ließen die Ständchen niemanden zum Schlafe kommen; die Briefchen, die, ich weiß nicht wie, in meine Hände gelangten, waren zahllos, voll liebeglühender Worte und Anerbietungen, mit mehr Verheißungen und Schwüren als Buchstaben darin. Doch alles dies stimmte mich nicht zu freundlicher Gesinnung, verhärtete mir vielmehr das Herz, als wäre er mein Todfeind und als hätte er alles, was er vornahm, um mich ihm geneigt zu machen, zu dem entgegengesetzten Zwecke getan. Nicht als ob mir Don Fernandos liebenswürdiges Benehmen mißfallen oder ich seine Bewerbung für Zudringlichkeit erachtet hätte; nein, ich empfand, ich weiß nicht was für ein Behagen, mich von einem so vornehmen Herrn so geliebt und gefeiert zu sehen, und es tat mir nicht leid, in seinen Briefen mein Lob zu lesen. Denn in diesem Punkte bedünkt es mich, so häßlich wir Frauen auch sein mögen, so gefällt es uns immer, wenn man uns schön nennt. Aber all diesen Bemühungen traten meine Sittsamkeit und die redlichen Warnungen meiner Eltern entgegen, die bereits Don Fernandos Neigung vollständig in Erfahrung gebracht hatten, da ihm gar nichts daran lag, daß die ganze Welt davon erfahre. Meine Eltern sagten mir, meiner Tugend und Rechtschaffenheit allein überließen und vertrauten sie ihre Ehre und ihren guten Ruf; ich möchte die Ungleichheit zwischen meinem und Don Fernandos Stand erwägen; daraus würde ich sehen, daß er bei all seinem Dichten und Trachten, wenn seine Worte auch anders lauteten, nur sein Vergnügen und nicht mein Bestes im Auge habe. Und wenn ich wünschte, ihm irgendein Hindernis entgegenzustellen, damit er von seiner unziemlichen Bewerbung ablasse, so würden sie mich unverzüglich verheiraten, mit wem ich es am liebsten unter den Angesehensten unseres Ortes und der ganzen Nachbarschaft wolle, da ihr großes Vermögen und mein guter Ruf mir jeden Anspruch erlaubten. Mit diesen bestimmten Versprechungen und der Wahrheit, die ihren Vorstellungen zugrunde lag, bestärkte ich mich in meinem festen Sinn, und niemals gestattete ich mir, Don Fernando das geringste Wort zu erwidern, das ihm, wenn auch nur von ferne, Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche hätte bieten können. Jedoch all diese Vorsicht meinerseits, die er wohl nur für Sprödigkeit hielt, hatte offenbar nur die Wirkung, seine lüsterne Begierde noch mehr zu entflammen; denn nur so kann ich die Neigung nennen, die er mir bezeigte. Wäre sie das gewesen, was sie sein sollte, so würdet ihr nie von ihr gehört haben; denn ich hätte alsdann nie einen Anlaß gehabt, euch von ihr zu erzählen. Zuletzt erfuhr Don Fernando, daß meine Eltern damit umgingen, mich zu verheiraten, um ihm jede Hoffnung auf meinen Besitz zu benehmen, oder mindestens damit ich mehr Hüter hätte, mich zu hüten. Diese Nachricht, oder war es nur seine Vermutung, bewog ihn zu einer Tat, die ihr jetzt hören sollt.
Als ich nämlich eines Nachts mit einem Mädchen, das mich bediente, in meinem Zimmer allein war, dessen Türen ich wohlverschlossen hatte aus Besorgnis, daß etwa durch Nachlässigkeit meine Ehre gefährdet würde, da – ohne zu wissen oder nur vermuten zu können wie, trotz all dieser Vorsicht und Sorgfalt, in der Einsamkeit und Stille meiner Klause – sah ich ihn plötzlich vor mir stehen; – ein Anblick, der mich so betäubte, daß er meinen Augen die Sehkraft benahm und meine Zunge stumm machte. So war ich nicht einmal vermögend, um Hilfe zu rufen; auch glaub ich, er würde mir nicht Zeit dazu gelassen haben; denn er stürzte sogleich auf mich zu, umfaßte mich mit seinen Armen – da, ich sagte es schon, betäubt wie ich war, ich keine Kraft zur Verteidigung hatte – und begann so mit mir zu sprechen, daß ich noch heute nicht begreife, wie die Lüge so geschickt sein kann, ihren Worten so völlig den Anschein der Wahrheit zu geben. Der Verräter wußte sich so anzustellen, daß Tränen seinen Worten, Seufzer seinen Gesinnungen den Stempel der Aufrichtigkeit aufdrückten. Ich armes Kind, so ganz allein im eignen Hause, ohne alle Erfahrung in solchen Dingen, begann, ich weiß nicht, wie es kam, diesem Gewebe von Falschheit Glauben zu schenken, jedoch nicht so weit, daß ich mich zu einem Mitgefühl von nicht geziemender Art hätte hinreißen lassen. Und so, nachdem die erste Bestürzung bei mir vorübergegangen war und ich einigermaßen die verlornen Lebensgeister wieder gesammelt, sagte ich ihm mit mehr Entschlossenheit, als ich mir selbst zugetraut hätte: ›Wenn jetzt, so wie ich in deinen Armen bin, Señor, ich in den Pranken eines grimmigen Löwen wäre, und ich könnte mir Rettung aus ihnen dadurch sichern, daß ich etwas zum Nachteil meiner Ehre sagte oder täte, so wäre es mir geradeso möglich, es zu tun oder zu sagen, wie es möglich ist, daß nicht gewesen wäre, was gewesen ist. Wenn du also meinen Körper mit deinen Armen umschlungen hältst, so halte ich meine Seele fest im Bande meiner guten Vorsätze, die so verschieden von den deinigen sind, wie du es erkennen würdest, wenn du sie durch Gewalttätigkeit gegen mich zur Ausführung bringen wolltest. Ich bin deine Untertanin, nicht aber deine Sklavin; der Adel deines Blutes hat keine Macht und darf sie nicht haben, die geringere Würde des meinen zu entehren oder auch nur geringzuschätzen, und ich achte mich so hoch als Mädchen vom Land und Bäuerin wie du dich als vornehmer Herr und Edelmann. Bei mir würden Gewalttaten erfolglos bleiben, deine Reichtümer keinen Wert haben; deine Worte vermögen mich nicht zu berücken, deine Seufzer und Tränen mich nicht zu rühren. Ja, wenn ich die Handlungsweise, die ich dir vorwerfen muß, allenfalls bei dem Mann fände, den mir meine Eltern zum Gemahl erwählt hätten, dann würde allerdings seinem Willen der meinige sich fügen und mein Wille von dem seinigen nicht abweichen; dann würde ich, wenn mir nur die Ehre bliebe, ob auch die innere Freude fehlte, dir aus freien Stücken hingeben, was du, Señor, jetzt mit solcher Gewaltsamkeit erstrebst. Das alles habe ich dir gesagt, weil nicht daran zu denken ist, daß jemand von mir etwas erlangte, der nicht mein rechtmäßiger Gemahl ist.‹
›Wenn du‹, sagte der treulose Edelmann, ›nur hierüber Bedenken trägst, schönste Dorotea‹ – denn so heiße ich Unglückliche – ›so gebe ich dir die Hand darauf, ich bin dein Gemahl, und daß dies Wahrheit ist, dessen Zeugen seien die Himmel, denen nichts verborgen ist, und dies Bild Unsrer Lieben Frau, das du hier hast.‹«
Als Cardenio hörte, daß sie Dorotea heiße, geriet er abermals in heftige Aufregung, und er fand die Richtigkeit seiner anfänglichen Vermutung vollends bestätigt; aber er wollte die Erzählung nicht unterbrechen, um zu hören, was der Ausgang einer Geschichte sein werde, die er schon so ziemlich kannte. Er sagte nur: »Also Dorotea ist dein Name, Señora? Eine andre desselben Namens habe ich wohl schon erwähnen hören, deren Unglück vielleicht dem deinigen ähnlich ist. Aber fahre fort; es wird die Zeit kommen, wo ich dir Dinge sage, die dich in ebenso hohem Grade erstaunen als betrüben mögen.«
Dorotea wurde jetzt auf Cardenios Worte und auf seine seltsame, zerlumpte Kleidung aufmerksam und bat ihn, wenn er etwas von ihren Verhältnissen wisse, möge er es ihr doch sogleich mitteilen. Denn wenn das Schicksal ihr noch etwas Gutes übriggelassen, so sei es ihr Mut, jedes Unheil, das sie überfalle, zu ertragen in der Gewißheit, daß keines kommen könne, das ihres Bedünkens ihre jetzigen Leiden nur im geringsten zu mehren, nur um einen Augenblick zu verlängern vermöchte.
»Und ich würde nicht einen Augenblick verlieren, Señora«, erwiderte Cardenio, »dir meine Gedanken mitzuteilen, wenn, was ich vermute, sicher wäre; bis jetzt aber geht uns der rechte Augenblick dazu noch nicht verloren; auch ist es von keiner Bedeutung für dich, es zu erfahren.«
»Dem sei, wie ihm wolle«, versetzte Dorotea, »was in meiner Geschichte jetzt vorgeht, war, daß Don Fernando das Muttergottesbild nahm, das in meinem Zimmer hing, und es zum Zeugen unsrer Vermählung anrief. Mit den stärksten Worten und mit unerhörten Eidschwüren gab er mir das bindende Wort als mein Ehegatte, obwohl ich ihn, bevor er es noch völlig ausgesprochen, ermahnte, wohl zu überlegen, was er tue, und zu erwägen, wie sein Vater darob zürnen werde, ihn mit einer Bäuerin, seiner Untertanin, vermählt zu sehen. Er solle, sagte ich, sich von meiner Schönheit, wie sie nun einmal sein möge, nicht verblenden lassen, da sie nicht hinreichend sei, um in ihr Entschuldigungen für seinen Fehler zu finden. Wenn er mir aber um seiner Liebe willen etwas Gutes erweisen wolle, so wäre es dieses, daß er mein Geschick meinem Stande völlig gleichbleiben lasse; denn so ungleiche Ehen bringen niemals rechten Genuß und verharren nicht lange in der freudigen Stimmung, mit der sie beginnen. Alles dieses, was ich euch hier sage, sagte ich ihm damals und noch viel anderes, dessen ich mich nicht mehr entsinne; aber all meine Vorstellungen vermochten ihn nicht von der Verfolgung seines Planes abzubringen, ganz so wie ein Käufer, der nicht beabsichtigt zu zahlen, beim Abschluß des bezüglichen Handels sich nicht erst lange mit Feilschen aufhält.
Ich ging inzwischen wenige Augenblicke mit mir zu Rate und sagte zu mir selbst: Wahrlich, ich wäre nicht die erste, die auf dem Wege der Heirat von geringem zu hohem Stand emporgestiegen, und Don Fernando wäre nicht der erste, den Schönheit oder blinde Leidenschaft – was eher anzunehmen – bewogen hätte, eine Lebensgefährtin zu wählen, die seinem hohen Range nicht gleichsteht. Wenn ich also keine neue Welt und keinen neuen Brauch schaffe, so ist es wohlgetan, diese Ehre zu erfassen, die mir das Schicksal bietet, selbst wenn auch bei ihm die Liebe, die er mir zeigt, nicht länger währen sollte, als die Erreichung seiner Wünsche währt; denn vor Gott werde ich ja doch seine Gemahlin sein. Wenn ich ihn aber geringschätzig abweisen wollte, so sehe ich ihn in einer Verfassung, daß er, anstatt das Mittel pflichtgemäßer Handlungsweise, das der Gewalttätigkeit anwenden wird. Und dann wird es mir geschehen, daß ich Entehrung erleide und keine Entschuldigung habe für die Schuld, die mir jeder beimessen würde, der nicht wüßte, wie unverschuldet ich in diese Lage geraten bin. Denn welche Gründe würden ausreichen, meine Eltern und Dritte zu überzeugen, daß dieser Edelmann ohne meine Zustimmung in mein Gemach gekommen?
All diese Fragen und Antworten wälzten sich in einem Augenblick hin und her in meinem Geiste; und was mehr als alles mich überwältigte und mich zu einer Nachgiebigkeit bewog, die, ohne daß ich es ahnte, mein Verderben werden sollte, das waren Don Fernandos Schwüre, die Zeugen, die er anrief, die Tränen, die er vergoß, und endlich seine edle Gestalt und Liebenswürdigkeit, was alles, begleitet von so vielen Beteuerungen wahrer Liebe, wohl jedes andre Herz, so frei und sittig wie das meine, zu besiegen vermocht hätte. Ich rief meine Dienerin, damit ihr Zeugnis sich auf Erden dem Zeugnis des Himmels beigeselle. Don Fernando wiederholte und bestätigte seine eidlichen Verheißungen aufs neue, rief neue Heilige zu den vorherigen als Zeugen an und schleuderte tausend Verwünschungen für alle kommende Zeit auf sein Haupt, wenn er sein Gelöbnis nicht erfüllen sollte. Abermals zwang er Tränen in seine Augen, verdoppelte seine Seufzer und preßte mich fester in seine Arme, aus denen er mich nie gelassen hatte. Und hiermit, als mein Mädchen das Zimmer wieder verlassen hatte, büßte ich den Namen eines Mädchens ein und erwarb er den eines vollendeten Verräters und wortbrüchigen Schurken.
Der Tag, der auf die Nacht meines Unheils folgte, kam nicht so rasch, als Don Fernando, wie ich überzeugt bin, es wünschte; denn wenn einmal erlangt ist, was die Lüsternheit begehrt, so kann kein größerer Genuß nachfolgen, als den Ort zu verlassen, wo sie befriedigt worden. Ich schließe das aus dem Umstande, daß Don Fernando große Eile hatte, sich von mir zu entfernen. Mit Hilfe meiner listigen Dienerin – es war dieselbe, die ihn herein zu mir gebracht hatte – sah er sich vor Tagesanbruch auf der Straße, und beim Abschied sagte er mir, doch nicht mit so viel Leidenschaftlichkeit und Ungestüm, als da er kam, ich solle sicher sein, daß seine Treue stetig und seine Eide unverbrüchlich und wahrhaft seien; und zu größerer Bekräftigung seines Wortes zog er einen kostbaren Ring vom Finger und steckte ihn mir an.
So ging er, und ich blieb in einem Zustande zurück, ich weiß nicht, ob betrübt oder heiter; in Verwirrung jedenfalls und in tiefen Gedanken, das kann ich sagen, und beinahe ohne Besinnung ob des ungeahnten Ereignisses. Ich hatte nicht den Mut oder ich dachte nicht daran, mein Mädchen zu schelten ob des begangenen Verrats, daß sie Don Fernando in mein eignes Gemach eingelassen; denn noch war ich nicht einig mit mir, ob es Glück oder Unglück sei, was mir begegnet war. Beim Abschied sagte ich ihm, da ich jetzt die Seinige sei, könne er, wie diese Nacht, durch Vermittlung der nämlichen Dienerin mich auch andre Nächte besuchen, bis er es wolle, daß das Geschehene veröffentlicht werde. Allein er kam keine Nacht mehr, ausgenommen die folgende, und ich bekam ihn auf der Straße und in der Kirche über einen Monat nicht zu sehen, währenddessen ich mich bemühte, nach ihm zu forschen, obgleich ich wußte, daß er im Städtchen war und fast jeden Tag auf die Jagd ging, was seine Lieblingsbeschäftigung war. Jene Tage und jene Stunden, wohl weiß ich noch, wie sie mir bitter und schmerzlich waren, und wohl weiß ich, wie ich damals an Don Fernandos Treue zu zweifeln, ja den Glauben daran zu verlieren begann; und das auch weiß ich noch wohl, wie meine Dienerin jetzt die Worte zu hören bekam, die sie, zur herben Mißbilligung ihres Erdreistens, früher nicht von mir gehört hatte. Ich weiß, wie ich mir Gewalt antun mußte, um über meine Tränen und die Mienen meines Gesichts zu wachen, damit ich meinen Eltern keine Veranlassung gäbe, mich über die Gründe meiner Mißstimmung zu befragen und mich zum Ersinnen von Lügen zu nötigen. Aber alles dies endete in einem Augenblick, als nämlich der Augenblick kam, wo jede Rücksicht beiseite gesetzt, jeder Gedanke an Ruf und Ehre vergessen wurde, wo die Geduld zu Ende ging und meine geheimsten Gedanken zutage traten; und das geschah darum, weil man wenige Tage später im Ort erzählte, in einer nahegelegenen Stadt habe sich Don Fernando mit einer Dame vermählt, die über alle Maßen schön sei, die Tochter sehr vornehmer Eltern, wiewohl nicht so reich, daß sie um ihrer Mitgift willen Anspruch auf eine so hohe Verbindung hätte erheben können. Man sagte, sie heiße Luscinda; man erzählte auch anderes, was bei ihrer Vermählung vorgegangen und was staunenswert ist.«
Cardenio hörte den Namen Luscinda – indessen tat er nichts weiter, als daß er die Schultern hochzog, sich auf die Lippen biß, die Brauen runzelte und gleich darauf zwei Tränenbäche aus den Augen herniederstürzen ließ. Doch Dorotea hörte darum mit der Fortsetzung ihrer Erzählung nicht auf und sprach: »Die schmerzliche Nachricht kam mir zu Gehör; aber statt daß mein Herz darob zu Eis erstarren sollte, entbrannte es so gewaltig von Ingrimm und Raserei, daß wenig daran fehlte, ich wäre laut schreiend auf die Gassen hinausgestürzt und hätte die schmähliche Tücke und Verräterei offen verkündet, die gegen mich verübt worden. Aber diesen Wutanfall dämpfte für den Augenblick der Gedanke, ich müßte noch in derselben Nacht das ins Werk setzen, was ich zu tun vorhatte: nämlich diese Tracht anzulegen, die mir einer von den Hirtenbuben meines Vaters dazu geliehen, und nachdem ich diesem mein ganzes Unglück anvertraut hatte, bat ich ihn, mich nach der Stadt zu begleiten, wo sich, wie ich gehört, mein Feind aufhielt. Er mißbilligte mein Unterfangen und tadelte meinen Entschluß; aber da er mich auf meinem Willen fest beharren sah, erbot er sich, mir bis ans Ende der Welt, wie er sich ausdrückte, treue Gefolgschaft zu leisten. Sogleich packte ich in einen leinenen Kissenüberzug ein Frauengewand, ein paar Kleinodien und etwas Geld für den Notfall, und in der Stille jener Nacht, ohne meine verräterische Zofe zu benachrichtigen, begleitet von meinem Diener und von tausenderlei Gedanken, verließ ich mein Haus und begab mich auf den Weg nach der Stadt, zwar zu Fuß, aber wie beflügelt von dem Wunsche, rechtzeitig hinzukommen, wenn auch nicht, um zu hindern, was ich für geschehen hielt, so doch wenigstens Don Fernando aufzufordern, er solle mir sagen, wie er das Herz gehabt habe, so etwas zu tun.
In dritthalb Tagen gelangte ich, wohin ich begehrte. Als ich die Stadt betrat, fragte ich nach dem Hause von Luscindas Eltern, und der erste, an den ich diese Frage richtete, antwortete mir mehr, als ich hätte wissen mögen. Er sagte mir das Haus und alles, was sich bei der Vermählung der Tochter des Hauses zugetragen: alles so stadtbekannt, daß überall im Orte die Leute zusammenstehen, um davon zu erzählen. Er berichtete mir, an dem Abend, wo Don Fernando sich mit Luscinda vermählte, sei sie, nachdem sie das Jawort gegeben, in eine tiefe Ohnmacht gesunken, und als ihr Gatte sich ihr genähert, um sie aufzuschnüren, damit sie Luft schöpfe, habe er bei ihr einen von ihrer eigenen Hand geschriebenen Brief gefunden, worin sie sagte und beteuerte, sie könne nicht Don Fernandos Gemahlin werden, weil sie die Cardenios sei, welcher, wie der Mann mir sagte, ein sehr vornehmer Edelmann aus derselben Stadt ist, und wenn sie Don Fernando das Jawort gegeben, so sei der Grund, daß sie nicht von der Pflicht des Gehorsams gegen ihre Eltern habe abweichen wollen. Kurz, solche Äußerungen habe der Brief enthalten, daß er ersehen ließ, sie habe die Absicht gehabt, sich nach geschehener Trauung umzubringen; der Brief gab die Gründe an, weshalb sie sich das Leben genommen habe. Alles dies, sagt man, wurde durch einen Dolch bestätigt, den man, ich weiß nicht in welchem Stück ihrer Kleidung fand. Wie nun Don Fernando das ersah, bedünkte es ihn, daß Luscinda ihn zum besten gehabt, verhöhnt und verachtet habe. Er stürzte sich auf sie, ehe sie noch wieder zu sich gekommen, und wollte sie mit dem nämlichen Dolche, den man bei ihr gefunden, erstechen; und er hätte das auch vollführt, wenn ihre Eltern und die andern Anwesenden ihn nicht daran gehindert hätten. Ferner heißt es, daß Don Fernando sogleich die Stadt verließ und Luscinda sich nicht vor dem folgenden Tage von ihrer Ohnmacht erholte, wo sie dann ihren Eltern erzählte, daß sie in Wahrheit die Gattin jenes Cardenio sei, dessen ich erwähnte. Auch erfuhr ich, jener Cardenio sei, soviel die Leute sagten, bei der Trauung zugegen gewesen, und als er sie vermählt sah, was er nie geglaubt hätte, sei er in Verzweiflung aus der Stadt enteilt und habe Luscinda einen Brief zurückgelassen, worin er die Kränkung, die sie ihm angetan, zu aller Kenntnis brachte und sagte, er werde hingehen, wo ihn Menschen nimmer zu sehen bekämen. Dies alles war in der ganzen Stadt bekannt und verbreitet, alle Leute redeten davon. Aber sie redeten noch mehr, als sie erfuhren, Luscinda sei aus dem Hause ihrer Eltern und aus der Stadt verschwunden. Man konnte sie nirgends finden; ihre Eltern verloren schier den Verstand darüber und wußten nicht, welches Mittel sie ergreifen sollten, um sie wieder zu erlangen.
Diese Nachrichten ließen meine Hoffnungen wieder aufdämmern, und ich hielt es nun für besser, Don Fernando nicht, als ihn vermählt gefunden zu haben. Es deuchte mich, die Pforte zu meiner Rettung sei noch nicht völlig verschlossen, und ich bildete mir ein, möglicherweise habe der Himmel dies Hindernis der zweiten Ehe entgegengestellt, um ihn zur Erkenntnis seiner Verpflichtungen gegen die erste und zur Einsicht zu bringen, daß er ein Christ und seinem Seelenheil mehr schuldig sei als menschlichen Rücksichten. All diese Gedanken wälzte ich in meinem Geiste hin und her und sprach mir Trost zu, ohne Trost zu finden, und spiegelte mir ferne, schwache Hoffnungen vor, um die Last dieses Lebens weitertragen zu können, das ich jetzt verabscheue.
Während ich nun noch in der Stadt weilte und, weil ich Don Fernando nicht fand, ungewiß war, was ich tun sollte, kam ein öffentlicher Ausruf mir zu Ohren, in welchem ein großer Finderlohn jedem versprochen wurde, der meinen Aufenthalt nachwiese, wobei mein Alter und die Kleidung, die ich trug, genau angegeben waren; und zugleich hörte ich sagen, man erzähle, daß der Junge, der mich begleitete, mich aus dem Hause meiner Eltern entführt habe. Das traf mich ins Herz, weil ich erkannte, wie tief mein Ruf gesunken war, indem man es nicht hinreichend fand, daß ich ihn durch meine Flucht eingebüßt, sondern noch hinzufügte, mit wem ich geflohen, während der Genannte doch so tief unter mir und meiner redlichen Gedanken so unwert war. Im Augenblick, wo ich den öffentlichen Ausruf hörte, eilte ich zur Stadt hinaus mit meinem Diener, der bereits verriet, daß er in der Treue, die er mir verheißen, zu wanken begann. Noch in der nämlichen Nacht, da wir fürchten mußten, entdeckt zu werden, gelangten wir mitten in die dichten Waldungen dieses Gebirges.
Aber wie man zu sagen pflegt, ein Unglück reicht dem andern die Hand, und das Ende eines Leidens ist der Anfang zu einem neuen und schweren Leiden, so erging es mir. Denn sobald mein redlicher Diener, bisher treu und zuverlässig, mich in dieser Einöde sah, wollte er, von seiner eignen Schurkerei mehr als von meiner Schönheit angereizt, die Gelegenheit benutzen, die ihm seines Bedünkens diese Wüstenei darbot, und alle Scham und noch mehr die Furcht Gottes wie die Achtung vor mir außer Augen setzend, verfolgte er mich mit Liebesanträgen. Und da er sah, daß ich mit gebührenden, streng verweisenden Worten der Schamlosigkeit seiner Zumutungen begegnete, ließ er die Bitten beiseite, mit denen er es zuerst versucht hatte, und begann Gewalt zu brauchen. Allein der gerechte Himmel, der selten oder nie seine Obhut und Gunst redlichem Wollen versagt, stand dem meinigen bei, so daß ich mit meinen geringen Kräften und mit geringer Anstrengung ihn in einen steilen Abgrund hinabstürzte, wo ich ihn liegenließ, ich weiß nicht, ob tot oder lebend; und ohne Zögern, mit größerer Behendigkeit, als mein Schrecken und meine Ermüdung zu gestatten schienen, flüchtete ich tiefer ins Gebirge, ohne andern Gedanken und Plan, als mich da versteckt zu halten, um meinem Vater und denen, die in seinem Auftrage nach mir suchten, zu entgehen.
Ich weiß nicht, wieviel Monate es her ist, seit ich zu diesem Zwecke diese Gegend betrat; ich fand hier einen Herdenbesitzer, der mich als seinen Diener in ein Dorf im Innersten des Gebirges mitnahm. Ich diente ihm während dieser ganzen Zeit als Hirtenjunge und suchte mich immer auf dem Felde aufzuhalten, damit ich dieses Haar vor ihm verbergen könnte, das mich heute so unvermutet euch verraten hat. Aber all mein Mühen und all meine Vorsicht waren und blieben erfolglos, da mein Herr zuletzt doch in Erfahrung brachte, daß ich kein Mann sei, und in ihm der nämliche böse Gedanke aufstieg wie bei meinem Diener. Da jedoch das Glück nicht immer mit den Nöten, die es uns sendet, auch die Rettungsmittel gewährt, so fand ich keine Abgründe und Schluchten, um dem Herrn vom Leben und Lieben zu helfen, wie ich sie früher für den Diener gefunden; und darum hielt ich es für das geringere Übel, ihn im Stiche zu lassen und mich abermals in diesen Wildnissen zu verbergen, als meine Kraft oder meine Vorstellungen ihm gegenüber zu versuchen.
So nahm ich aufs neue zu meinem Versteck meine Zuflucht, um einen Ort zu suchen, wo ich ungestört mit Seufzern und Tränen zum Himmel beten könnte, daß er sich meines Unglücks erbarme und mir Geisteskraft verleihe und seine Hilfe, um aus diesem Elend zu kommen oder das Leben in dieser Einöde zu lassen, ohne daß ein Angedenken bleibe an diese Unglückliche, deren Erlebnisse so ganz unverschuldet den Stoff dazu gegeben, daß in ihrer Heimat und in fremden Landen sie in den Mund der Leute und in üble Nachrede gekommen ist.«