D’Artagnan kehrte also, ganz in Gedanken versunken, zurück; er fand ein lebhaftes Vergnügen daran, den Sack mit den Talern des Kardinals zu tragen, und dachte an den schönen Diamanten, der ihm gehört, und den er einen Augenblick an dem Finger des ersten Ministers hatte glänzen sehen.

Wenn dieser Diamant je wieder sein eigen würde, wollte er sich ein Stück Land um sein Ahnenschloß kaufen und auf das Erscheinen einer reichen Erbin warten und diese heiraten. Dann hätte ich, träumte er weiter, drei Knaben; aus dem einen würde ich einen vornehmen Herrn wie Athos, aus dem zweiten einen schönen Soldaten wie Porthos, und aus dem dritten einen leutseligen Abbé wie Aramis machen. Meiner Treu, das wäre weit besser als das Leben, das ich führe. Aber leider ist Monsignore Mazarin ein Filz, der sich seines Diamanten nicht zu meinen Gunsten entäußern wird.

Als er in die Rue Tiquetonne kam, hörte er einen großen Lärm und bemerkte eine auffallende Zusammenrottung unweit seiner Wohnung.

Als er sich näherte, sah er, daß die Zusammenrottung nicht vor seinem Gasthofe, sondern vor dem benachbarten Hause stattfand. Man stieß ein gewaltiges Geschrei aus, man lief mit Fackeln umher, und beim Schimmer dieser Fackeln gewahrte d’Artagnan Uniformen.

Er fragte, was vorgehe. Man antwortete ihm, ein Bürger habe einen von den Garden des Kardinals eskortierten Wagen mit etwa zwanzig von seinen Freunden angegriffen; aber es sei eine Verstärkung hinzugekommen, und man habe die Bürger in die Flucht geschlagen. Der Anführer der Rotte habe sich in das nächste Haus geflüchtet, und man durchsuche nun dieses Haus.

D’Artagnan, der nicht mehr so hitzig und unbesonnen war wie vor zehn Jahren und auch an seine Taler dachte, ging unbekümmert um den Lärm in die Rehziege zur schönen Madeleine, die ihn nicht erwartete und sich, voll Angst über den Straßenauflauf, doppelt seiner Ankunft freute.

D’Artagnan befahl, ihm sein Abendessen nachzubringen, nahm seinen Schlüssel und seinen Leuchter und stieg in sein Zimmer hinauf. Um der Vermietung nicht zu schaden, hatte er sich mit einem Zimmer im vierten Stocke begnügt. Unsere Wahrheitsliebe nötigt uns sogar, zu bemerken, daß das Zimmer unmittelbar über der Dachrinne und unter dem Dache lag.

Hier war seine erste Sorge, in einem alten Sekretär, an dem nichts als das Schloß neu war, seinen Sack zu verschließen. Als einen Augenblick nachher sein Abendbrot aufgetragen und die Flasche Wein herbeigebracht war, entließ er den Aufwärter, schloß die Türe und setzte sich zu Tische.

Dies geschah nicht etwa, um ungestört nachdenken zu können. D’Artagnan war kein Grübler, der sich durch unnötige Sorgen den Genuß des Mahles und den Schlaf raubte. Er hatte Hunger und verzehrte sein Abendbrot; nach dem Abendbrot legte er sich nieder und schlief bis zum Tagesanbruch. Da erwachte er in voller körperlicher und geistiger Frische. Er sprang mit militärischer Entschlossenheit aus dem Bette und ging nachdenkend in seinem Zimmer umher.

Im Jahre 43, sagte er, ungefähr sechs Monate vor dem Tode des seligen Kardinals habe ich einen Brief von Athos erhalten. Was schrieb er mir? Er wohne auf einem kleinen Landgut, ja, so ist es, auf einem kleinen Landgut; aber wo? So weit war ich gekommen, ich besinne mich, ich befand mich gerade im Laufgraben vor dem belagerten Besançon, als ein Windstoß den Brief fortnahm. Früher hätte ich ihn gesucht, obgleich ihn der Wind an einen sehr bedrohten Ort getragen hatte. Aber die Jugend ist ein großer Fehler … wenn man nicht mehr jung ist. Ich kann also nicht an Athos denken. Weiter … Porthos.

Ich habe einen Brief von ihm erhalten. Er lud mich zu einer großen Jagd auf den Monat September 1646 ein. Da ich zu dieser Zeit wegen des Todes meines Vaters in Bearn war, so wurde mir der Brief unglückseligerweise nachgeschickt. Ich war abgereist, als er ankam. Aber er verfolgte mich und erreichte Montmedy einige Tage, nachdem ich diese Stadt verlassen hatte. Endlich traf er mich im Monat April. Da er mir aber erst im April 1647 zukam, und die Einladung für den Monat September 46 war, so konnte ich keinen Gebrauch davon machen. Wir wollen diesen Brief einmal holen; er muß bei meinen Papieren liegen.

D’Artagnan öffnete eine kleine alte Truhe, fand bald den Brief, verlor aber keine Zeit mit dem Durchlesen, sondern beeilte sich, nach der angegebenen Adresse zu sehen. Die Adresse war Schloß du Ballon.

Porthos hatte nichts weiter dazugesetzt. In seinem Stolz glaubte er, jeder kenne das Schloß, dem er seinen Namen gegeben hatte.

Zum Teufel mit dem eitlen Burschen, sprach d’Artagnan. Immer derselbe! Es würde mir übrigens am besten passen, bei ihm anzufangen, da er wahrscheinlich Geld in Fülle besitzt, nachdem er 800 000 Livres von Herrn Coquenard geerbt hat. Das ist gerade das, was mir fehlt. Athos wird sich zum Narren getrunken, Aramis muß sich in seine Andachtsübungen versenkt haben.

D’Artagnan warf noch einen Blick auf Porthos‘ Brief. Er hatte eine Nachschrift, und diese Nachschrift enthielt folgende Worte:

Ich schreibe mit demselben Kurier an unsern würdigen Aramis in sein Kloster.

Ja, in sein Kloster; aber in welchem Kloster ist er? Es gibt 200 in Paris und 3000 in Frankreich. Und als er sich ins Kloster begab, hat er vielleicht zum drittenmal seinen Namen gewechselt. Aber nur Geduld, wir wollen sehen. Ich habe von ihm, dem lieben Freunde, auch einen Brief bekommen. Er bat mich um einen kleinen Dienst, den ich ihm auch leistete. Aber wohin habe ich diesen Brief gelegt?

D’Artagnan dachte einen Augenblick nach und ging dann an den Ständer, an welchem seine alten Kleider hingen. Er suchte sein Wams vom Jahre 1648, und da d’Artagnan ein ordnungsliebender Mann war, so fand er es an seinem Nagel. Er streckte die Hand in die Tasche und zog ein Papier heraus. Es war gerade der Brief von Aramis.

Herr d’Artagnan, schrieb ihm dieser, Ihr wißt, daß ich Streit mit einem gewissen Edelmann gehabt habe, der heute abend mit mir auf der Place Royale zusammentreffen will. Da ich zu der Kirche gehöre und die Sache mir schaden könnte, wenn ich sie einem andern mitteilte, als einem so sichern Freunde, wie Ihr seid, so schreibe ich Euch, damit Ihr mir als Sekundant dienen möget.

Ihr kommt durch die Rue Neuve-Sainte-Catherine; unter der zweiten Laterne rechts findet Ihr Euern Gegner. Unter der dritten werde ich mit dem meinigen sein. Ganz der Eurige,

Aramis.

Hier war nicht einmal ein Gott befohlen beigefügt. D’Artagnan erinnerte sich, er war nach dem bestimmten Orte der Zusammenkunft gegangen, hatte den bezeichneten Gegner gefunden, dessen Namen ihm nie bekannt wurde, und ihm einen schönen Degenstich in den Arm beigebracht. Dann war er aus Aramis zugeschritten, der ihm entgegenkam, denn er hatte seine Sache bereits abgemacht.

Es ist geschehen, hatte Aramis gesagt. Ich glaube, ich habe den Unverschämten getötet. Doch, lieber Freund, wenn Ihr meiner bedürft, so wißt Ihr, daß ich Euch ganz ergeben bin.

Darauf hatte Aramis ihm die Hand gedrückt und war verschwunden.

Er wußte also ebensowenig, wo Aramis war, als wo Athos und Porthos sich aufhielten. Und die Sache fing an, ziemlich bedenklich zu werden, als er das Geräusch einer Glasscheibe, die man in seinem Zimmer zerbrach, zu hören glaubte. Er dachte sogleich an seinen Sack, der in seinen Sekretär eingeschlossen war, und stürzte aus seiner Kammer. Er hatte sich nicht getäuscht, in dem Augenblick, wo er durch die Türe eintrat, kam ein Mann durch das Fenster herein.

Ah, Elender! rief d’Artagnan, der den Eindringling für einen Dieb hielt, und griff nach seinem Degen.

Ums Himmels willen, Herr, rief der Mann, steckt Euern Degen in die Scheide und tötet mich nicht, ohne mich zu hören.

Ich bin gewiß kein Dieb; ich bin ein ehrlicher Bürger, der sein Haus in der Straße hat, und heiße … Doch ich täusche mich nicht, Ihr seid Herr d’Artagnan.

Und du Planchet! rief der Leutnant.

Euch zu dienen, Herr, sprach Planchet, im höchsten Grad entzückt, wenn es mir möglich wäre.

Vielleicht, erwiderte d’Artagnan. Aber was zum Teufel läufst du um sieben Uhr morgens in dieser Jahreszeit auf den Dächern umher?

Gnädiger Herr, sprach Planchet, Ihr müßt wissen … doch nein, Ihr könnt es nicht wohl wissen …

Nun, was denn? sprach d’Artagnan. Aber zuerst stecke eine Serviette vor das Fenster und ziehe den Vorhang vor.

Planchet gehorchte.

Nun, so sprich, sagte d’Artagnan. – Gnädiger Herr, vor allen Dingen, sagte der kluge Planchet, wie steht Ihr mit Herrn von Rochefort? – Vortrefflich. Warum denn? Rochefort? Du weißt wohl, daß er jetzt einer meiner besten Freunde ist. – Ah, desto besser! – Aber was hat denn Rochefort damit zu tun, daß du so in mein Zimmer dringst? – Ah, gnädiger Herr, ich muß Euch zuerst sagen, Herr von Rochefort ist …

Planchet zögerte nur einen Augenblick, dann berichtete er, wie die Bürgergruppe, durch die sich die Eskorte bei der Rückführung Rocheforts in die Bastille einen Weg bahnte, unruhig geworden sei, wie Herr von Rochefort um Hilfe gerufen habe, wie er, Planchet, darauf herbeigeeilt sei und ihn befreit habe. Leider, fuhr Planchet fort, kam in diesem Augenblick eine Patrouille vorüber; sie vereinigte sich mit den eskortierenden Garden und rief uns an. Ich zog mich fechtend nach der Rue Tiquetonne zurück. Man verfolgte mich auf den Fersen, und ich flüchtete mich in das Haus hier nebenan. Man umzingelte und durchsuchte es, aber vergebens: ich hatte im fünften Stock eine mitleidige Person gefunden, die mich zwischen zwei Matratzen verbarg. In diesem Versteck blieb ich bis Tagesanbruch, und da ich dachte, man würde die Nachforschungen wieder anfangen, so wagte ich mich auf die Dachrinnen, um zuerst einen Eingang und dann einen Ausgang in irgend einem Hause zu finden, das nicht bewacht wäre. Dies ist meine Geschichte und auf Ehre, gnädiger Herr, ich würde in Verzweiflung geraten, wenn sie Euch unangenehm wäre. – Nein, sprach d’Artagnan, im Gegenteil, und bei meiner Treue, es freut mich sehr, daß Rochefort seine Freiheit erlangt hat. Aber weißt du auch, daß du, wenn du den Häschern in die Hände fällst, ohne Gnade und Barmherzigkeit gehenkt wirst? – Bei Gott, ich weiß es, rief Planchet; darum war ich auch so erfreut. Euch zu treffen. Wenn Ihr mich verbergen wollt, so kann dies niemand besser, als Ihr. – Ja, sagte d’Artagnan, das will ich auch, obgleich ich nicht mehr und nicht weniger wage, als meinen Grad, wenn es bekannt würde, daß ich einem Rebellen Zuflucht gegeben habe. – Ah! gnädiger Herr, Ihr wißt wohl, daß ich mein Leben für Euch wagen würde. – Du könntest sogar beifügen, du habest es gewagt, Planchet. Setze dich und speise in Ruhe, denn ich sehe, daß du die Überreste meines Abendbrots mit einem sehr ausdrucksvollen Blicke anschaust. – Ach, gnädiger Herr, Ihr rettet mir zweimal das Leben, denn ich habe seit gestern mittag kaum zwei Bissen gegessen.

Und er setzte sich zu Tische und fing an zu schlingen, wie in den schönen Tagen der Rue des Fossoyeurs. Endlich stieß er jenen Befriedigungsseufzer des ausgehungerten Menschen aus, der besagt, daß er nach einer ernsten und soliden Abschlagszahlung einen Halt machen will.

Nun sprich, sagte d’Artagnan, welcher dachte, der Augenblick sei gekommen, das Verhör zu beginnen. Verfahren wir der Ordnung nach: Weißt du, wo Athos ist? – Nein, gnädiger Herr, antwortete Planchet. – Teufel! Weißt du, wo Porthos ist? – Ebensowenig! – Teufel! Teufel! Und Aramis? – Auch nicht. – Teufel! Teufel! Teufel! – Aber, versetzte der kluge Planchet, ich weiß, wo Bazin ist. – Wie, du weißt, wo Bazin ist? – Ja, gnädiger Herr. – Und wo ist er? – In Notre-Dame. – Und was macht er in Notre-Dame? – Er ist Mesner. – Bazin Mesner in Notre-Dame? Weißt du es gewiß? – Ganz gewiß; ich habe ihn gesehen, ich habe ihn gesprochen. – Er muß wissen, wo sein Herr ist. – Ohne Zweifel.

D’Artagnan dachte nach. Dann nahm er seinen Mantel und seinen Degen und schickte sich an, fortzugehen.

Gnädiger Herr, sagte Planchet mit kläglicher Miene, wollt Ihr mich so verlassen? Bedenkt, daß ich nur auf Euch meine Hoffnung setze. – Man wird dich hier nicht suchen, entgegnete d’Artagnan. – Aber wenn man hierher käme, versetzte der kluge Planchet, bedenkt, daß ich für die Leute des Hauses, die mich nicht haben hereingehen sehen, ein Dieb wäre. – Das ist richtig. Sprichst du irgend ein Patois? – Ich spreche noch etwas Besseres, ich spreche eine Sprache, ich spreche Flamändisch. – Wo zum Teufel hast du es gelernt? – In Artois, wo ich zwei Jahre im Felde gewesen bin. Hört: Goeden Morgen, mynheer, ick ben begeerig te weeten hoe gezondheids omstand. – Das nennt er eine Sprache! Doch gleichviel, sagte d’Artagnan; es kommt ganz gelegen.

D’Artagnan ging an die Türe, rief einen der Aufwärter und befahl ihm, der schönen Madeleine zu sagen, sie möge heraufkommen.

Was macht Ihr, Herr? rief Planchet, Ihr wollt unser Geheimnis einer Frau anvertrauen!

Sei ruhig, diese wird nichts verraten.

In diesem Augenblick trat die Wirtin ein. Sie lief mit lachender Miene herbei, denn sie hoffte, d’Artagnan allein zu finden; als sie aber Planchet erblickte, wich sie erstaunt zurück.

Meine liebe Wirtin, sagte d’Artagnan, ich stelle Euch hier Euern Herrn Bruder vor. Er kommt von Flandern, und ich nehme ihn einige Tage in meine Dienste.

Meinen Bruder, sprach die Wirtin, immer erstaunter.

Wünscht doch Eurer Schwester guten Morgen, Meister Peter.

Wilkom zuster, sagte Planchet.

Goeden dag, broeder, sprach die Wirtin voll Verwunderung.

So ist es gut, sagte d’Artagnan, der Herr ist Euer Bruder. Er kommt von Amsterdam. Ihr kleidet ihn in meiner Abwesenheit. Wenn ich zurückkehre, das heißt in einer Stunde, stellt Ihr ihn mir vor, und obgleich er kein Wort Französisch spricht, nehme ich ihn doch auf Eure Empfehlung, da ich Euch nichts abschlagen kann, in meine Dienste. Ihr versteht?

Das heißt, ich errate, was Ihr wünscht, und mehr bedarf es nicht, erwiderte Madeleine.

Ihr seid eine kostbare Frau, meine schöne Wirtin, ich baue ganz auf Euch.

Hierauf machte d’Artagnan Planchet ein Zeichen des Einverständnisses und verließ das Zimmer, um sich nach Notre-Dame zu begeben.