D’Artagnan findet Aramis auf Planchets Pferde
Als d’Artagnan eintrat, sah er einen Mann an der Ecke des Kamins sitzen; es war Planchet, aber so gut metamorphosiert durch die alten Kleider, die der Eheherr zurückgelassen hatte, daß er selbst Mühe hatte, ihn wieder zu erkennen. Madeleine stellte ihn allen Aufwärtern vor. Planchet wandte sich an den Offizier mit einer schönen flamändischen Phrase. Der Offizier antwortete ihm mit einigen Worten, die keiner Sprache angehörten, und der Handel war abgeschlossen. Madeleines Bruder trat in d’Artagnans Dienst.
Da der Musketierleutnant nicht bei Tage in Noisy ankommen wollte, hatte er Zeit vor sich, denn Noisy lag nur drei bis vier Meilen von Paris auf der Straße nach Meaux.
Er fing damit an, daß er ein tüchtiges Frühstück zu sich nahm, hierauf wechselte er seine Kleider, weil er fürchtete, die Kasake des Musketierleutnants könne Mißtrauen einflößen. Dann nahm er den stärksten und solidesten von seinen drei Degen, den er nur an festlichen Tages zu wählen pflegte, und endlich gegen zwei Uhr ließ er zwei Pferde satteln und ritt mit Planchet, nach dem die Polizei, auch in der Rehziege, immer noch eifrig gesucht hatte, davon.
Anderthalb Meilen von Paris hielt d’Artagnan an, da er sah, daß er in seiner Ungeduld immer noch zu früh aufgebrochen war, und ließ die Pferde verschnaufen. Die Herberge, wo er hielt, war voll von Leuten von verdächtigem Aussehen. Sie schienen eine nächtliche Unternehmung vorzuhaben. Ein in einen Mantel gehüllter Mensch erschien an der Türe. Als er aber einen Fremden sah, machte er ein Zeichen mit der Hand, und zwei Trinker gingen mit ihm hinaus, um sich mit ihm zu besprechen.
D’Artagnan näherte sich ganz gleichgültig der Wirtin, lobte ihren Wein und erfuhr, daß es in Noisy nur zwei stattlichere Häuser gebe; das eine gehöre dem Erzbischof von Paris und werde in diesem Augenblick von seiner Nichte, der Herzogin von Longueville, bewohnt: das andere sei ein Jesuitenkloster und das Eigentum dieser würdigen Väter. Man konnte sich also nicht täuschen.
Um vier Uhr begab sich d’Artagnan wieder auf den Weg; er ließ sein Pferd nur noch im Schritt gehen, denn er wollte erst, wenn es völlig Nacht geworden wäre, an Ort und Stelle kommen. So hatte er Muße, die Lage noch einmal gehörig zu bedenken.
Ein Wort der Wirtin hatte den Gedanken d’Artagnans eine besondere Richtung gegeben. Dieses Wort war der Name der Frau von Longueville. Diese hatte in der Tat alles, was zum Nachdenken veranlassen kann: sie war eine der vornehmsten Damen des Königreichs, eine der schönsten Frauen des Hofes. An den alten Herzog von Longueville verheiratet, den sie nicht liebte, galt sie anfangs für die Geliebte Colignys, der sich in einem Zweikampf auf der Place-Royale von dem Herzog von Guise für sie töten ließ. Dann sprach man von einer etwas zu zärtlichen Freundschaft, die sie für den Prinzen von Condé empfunden haben sollte, worüber sich die furchtsamen Seelen des Hofes skandalisierten. Ferner sagte man, ein wahrer und aufrichtiger Haß sei auf diese Freundschaft gefolgt, und die Herzogin von Longueville stehe in diesem Augenblick in politischer Verbindung mit dem Prinzen von Marsillac, dem ältesten Sohne des alten Herzogs de la Rochefoucault, den sie zu einem Feinde des Herzogs von Condé, ihres Bruders, zu machen bemüht sei.
D’Artagnan dachte an alles dies. Er dachte an Aramis, der, ohne mehr zu sein als er, einst der Geliebte der Frau von Chevreuse gewesen. Er fragte sich, warum es in der Welt Menschen gebe, die alles erreichen, was sie wünschen, diese in der Politik, jene in der Liebe, während andere, sei es aus Zufall, sei es aus Ungeschick, mit allen ihren Hoffnungen auf dem halben Weg bleiben.
Er mußte sich zugestehen, daß er trotz seines Geistes, trotz seiner Geschicklichkeit dieser letzteren Kategorie angehört habe und wohl immer angehören werde, als Planchet sich ihm näherte und sagte:
Ich wette, gnädiger Herr, Ihr denkt an dasselbe, wie ich. – Ich zweifle, Planchet, erwiderte d’Artagnan lächelnd. Doch woran denkst du? Laß hören. – Ich denke an die verdächtig aussehenden Leute, die in der Herberge tranken. – Stets klug, Planchet. – Gnädiger Herr, das ist Instinkt. – Nun, sprich: Was sagt dein Instinkt in dieser Hinsicht? – Mein Instinkt sagte mir, diese Leute seien in einer schlimmen Absicht in der Herberge, und gerade als ich mir das, was mir mein Instinkt in dem dunkelsten Winkel des Stalles sagte, überlegte, trat ein in einen Mantel gehüllter Mann mit zwei andern in eben diesen Stall. – Ah, ah! rief d’Artagnan. Nur weiter! – Der eine von den zwei Männern sagte: Er muß sicherlich in Noisy sein oder heute abend dahin kommen, denn ich habe seinen Bedienten erkannt. – Du bist deiner Sache gewiß? fragte der Mann im Mantel. – Ja, mein Prinz. – Mein Prinz? unterbrach ihn d’Artagnan. – Ja, mein Prinz, doch hört: Wenn er dort ist, was sollen wir dann tun? sprach der andere Trinker. – Was man tun soll? sagte der Prinz. – Ja, er ist nicht der Mann, der sich so fangen läßt; er wird gehörig mit dem Degen spielen. – Nun, man muß es machen wie er, dabei aber bemüht sein, ihn lebendig zu bekommen. Habt Ihr Stricke, um ihn zu binden, und einen Knebel, um ihn in seinen Mund zu stecken? – Wir haben dies alles. – Seid auf Eurer Hut, aller Wahrscheinlichkeit nach ist er als Kavalier verkleidet. – Ja, ja, Monseigneur, seid unbesorgt. – Übrigens werde ich dabei sein und Euch führen. – Ihr steht dafür, daß die Gerichte …? – Ich stehe für alles, sagte der Prinz. – Gut, wir werden unser möglichstes tun. – Und damit verließen sie den Stall. – Nun, sprach d’Artagnan, was geht das uns an? Das ist ein Unternehmen, wie es in unserer Zeit jeden Tag vorkommt. – Es ist gut, sprechen wir nicht mehr davon.
Als sie eine Meile weitergeritten waren, näherte sich Planchet d’Artagnan und sagte zu ihm: Gnädiger Herr! – Was gibt’s? – Schaut auf diese Seite. Kommt es Euch nicht vor, als erblicktet Ihr etwas wie Schatten, die mitten durch die Nacht hinziehen? Horch! es kommt mir vor, ich höre Pferdetritte. – Unmöglich, sagte d’Artagnan, die Erde ist durch den Regen aufgeweicht. Aber es scheint mir auch, als sähe ich etwas.
Und er hielt an, um zu schauen und zu horchen.
Wenn man keine Pferdetritte hört, so hört man wenigstens Gewieher.
Wirklich schlug das Gewieher eines Pferdes an d’Artagnans Ohr.
Unsere Leute sind im Feld, sagte er, aber das geht uns nichts an. Setzen wir unsern Weg fort.
Eine halbe Stunde nachher erreichten sie die ersten Häuser von Noisy. Es mochte etwa halb neun Uhr abends sein.
Nach den ländlichen Gewohnheiten hatte sich schon die gesamte Einwohnerschaft niedergelegt, und kein Licht glänzte mehr im Orte.
D’Artagnan und Planchet setzten ihren Weg fort; rechts und links von ihrer Straße hob sich auf dem düstern Grau des Himmels der noch dunklere Umriß der Dächer hervor. Von Zeit zu Zeit kläffte ein aufgeweckter Hund hinter einer Türe, oder eine erschrockene Katze verließ eiligst die Mitte des Pflasters, um sich in einen Haufen von Reisbüscheln zu flüchten, wo man ihre Augen wie Karfunkel glänzen sah. Das waren die einzigen lebendigen Wesen, welche das Dorf zu bewohnen schienen.
Ungefähr gegen die Mitte des Fleckens erhob sich, den Hauptplatz beherrschend und vereinzelt zwischen zwei Gassen liegend, eine dunkle Masse, vor der ungeheure Linden ihre entblätterten Äste ausbreiteten. D’Artagnan beschaute das Gebäude aufmerksam.
Das muß das Schloß des Erzbischofs sein, sagte er zu Planchet. Hier wohnt die schöne Frau von Longueville. Aber wo ist das Kloster?
Das Kloster? erwiderte Planchet, das Kloster ist am Ende des Dorfes, ich kenne es.
Nun wohl, sprach d’Artagnan, im Galopp bis dahin, Planchet, während ich den Gurt meines Pferdes fester anziehe, und komm dann zurück, wenn du ein erleuchtetes Fenster siehst.
Nach fünf Minuten kam Planchet zurück und sagte: Gnädiger Herr, es ist ein einziges Fenster gegen das Feld hinaus erleuchtet.
Hm! wenn ich ein Frondeur wäre, so klopfte ich hier an und wäre überzeugt, daß ich ein gutes Lager bekäme; wenn ich ein Mönch wäre, klopfte ich da unten an und wäre ebenfalls überzeugt, daß ich ein gutes Abendbrot bekäme, während es im Gegenteil leicht möglich ist, daß wir zwischen dem Schlosse und dem Kloster vor Hunger und Durst verschmachtend auf der harten Erde liegen müssen.
Ja, fügte Planchet bei, wie der berühmte Esel Buridans. Doch mittlerweile wollt Ihr, daß ich klopfe?
St! sagte d’Artagnan, das einzige Fenster, welches erleuchtet war, ist dunkel geworden.
Hört Ihr, gnädiger Herr, sprach Planchet.
In der Tat, was für ein Geräusch ist dies?
Es war wie das Tosen eines herannahenden Sturmes; in demselben Augenblick kamen zwei Reiterhaufen von je zehn Mann aus jeder von den zwei Gassen hervor, welche sich am Hause hinzogen, und umzingelten, alle Ausgänge verschließend, d’Artagnan und Planchet.
Oho, sagte d’Artagnan, indem er seinen Degen zog und sich hinter sein Pferd zurückstellte, während Planchet dasselbe Manöver ausführte. Sollte man wirklich an uns wollen?
Hier ist er, wir haben ihn! sprachen die Reiter, sich mit bloßem Degen auf d’Artagnan stürzend. – Verfehlt ihn nicht, rief eine hohe Stimme. – Nein, Monseigneur, seid unbesorgt.
D’Artagnan glaubte den Augenblick gekommen, sich in das Gespräch zu mischen.
Holla! meine Herren! rief er mit seinem gascognischen Akzente, was wollt Ihr? Was verlangt Ihr? – Du sollst es erfahren, brüllten die Reiter im Chor. – Halt, halt! schrie der, den sie Monseigneur genannt hatten, haltet ein, wenn Euch Euer Kopf lieb ist. Das ist nicht seine Stimme.
Ei, meine Herren, sprach d’Artagnan, ist man in Noisy wahnsinnig geworden? Nehmt Euch wohl in acht, denn ich sage Euch, daß ich den ersten, der sich mir auf die Länge meines Degens nähert, und mein Degen ist lang, den Bauch aufschlitze.
Der Anführer näherte sich.
Was macht Ihr hier? sagte er mit einem hochmütigen und an das Befehlen gewöhnten Tone. – Was macht Ihr hier? entgegnete d’Artagnan. – Seid höflich, oder man wird auch auf die gehörige Weise striegeln, denn obgleich man sich nicht nennen will, wünscht man doch seinem Range gemäß respektiert zu werden. – Ihr wollt nicht erkannt sein, weil Ihr einen Hinterhalt leitet, sagte d’Artagnan; aber ich, der ich ruhig mit meinem Lakaien reise, ich habe keine Ursache, meinen Namen zu verschweigen. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? – Leutnant bei den Musketieren? fragte die Stimme. – Denselben. – Allerdings. – Nun wohl, fuhr der Gascogner fort, Ihr müßt gehört haben, daß er ein Mann von festem Faustgelenk und seiner Klinge ist. – Ihr seid Herr d’Artagnan? Dann kommt Ihr hierher, um ihn zu verteidigen. – Wen, ihn? – Denjenigen, den wir suchen. – Es scheint, erwiderte d’Artagnan, daß ich, während ich nach Noisy zu kommen glaubte, ganz unvermutet ins Reich der Rätsel gelangt bin. – Gut, sprach die Stimme, entfernt Euch von hier, räumt uns den Platz. – Mich von hier entfernen, sagte d’Artagnan, dem dieser Befehl seine Pläne durchkreuzte, dies ist nicht so leicht, da ich vor Müdigkeit umsinke und mein Pferd ebenso. Ihr müßtet denn geneigt sein, mir ein Abendessen und ein Lager in der Gegend anzubieten. – Halunke! – Herr! rief d’Artagnan, nehmt Euch mit Euren Worten gefälligst in acht, denn wenn Ihr noch ein zweites Wort wie dieses gebrauchtet, so würde ich es Euch, und wäret Ihr nun Marquis, Herzog oder Prinz, in den Bauch zurückstoßen; versteht Ihr? – Ganz richtig, sprach der Anführer, man kann sich nicht täuschen, es ist ein Gascogner, der hier spricht, und folglich nicht der Mann, den wir suchen. Wir haben unsern Streich für diesen Abend verfehlt und können nichts Besseres tun, als uns zurückzuziehen … Wir werden uns wiederfinden, Meister d’Artagnan, fügte der Anführer, den Ton verstärkend, bei. – Ja, aber nicht mit denselben Vorteilen, rief der Gascogner spottend dem fortsprengenden Trupp nach; denn wenn Ihr mich wieder findet, seid Ihr vielleicht allein und es ist Tag.
Du siehst, sprach d’Artagnan, als das Geräusch der galoppierenden Pferde verhallt war, ruhig zu Planchet, daß sie nicht an uns wollten.
Aber an wen denn sonst?
Meiner Treu, ich weiß es nicht, und es liegt mir auch nichts daran. Für mich ist die Hauptsache, in das Jesuitenkloster zu kommen. Zu Pferde also und dann angeklopft. Es mag kosten, was es will, sie werden uns nicht fressen.
Und d’Artagnan schwang sich wieder in den Sattel. Als Planchet dasselbe tat, fiel eine unerwartete Last auf das Hinterteil seines Pferdes.
He, Herr! rief Planchet, ich habe einen Mann hinter mir!
D’Artagnan wandte sich um und sah wirklich zwei menschliche Gestalten auf dem Pferde Planchets.
Es scheint, der Teufel verfolgt uns, rief er, zog den Degen und war im Begriff, den Unerwarteten anzugreifen.
Nein, nein, mein lieber d’Artagnan, sagte dieser, es ist nicht der Teufel; ich bin es, Aramis. Im Galopp, Planchet, und am Ende des Dorfes links gehalten.