Mesner und Chorknabe

D’Artagnan schlug den Weg nach dem Pont-Neuf ein. Er war sehr erfreut, daß er Planchet wieder gefunden hatte, indem er zunächst einen guten Diener und später, wenn Planchet wieder seine frühere Stellung im bürgerlichen Leben einnahm, eine wertvolle Verbindung mit dem feindlichen Lager zu haben hoffte. Zufrieden mit dem Glück wie mit sich selbst, erreichte er also Notre-Dame. Er stieg die Freitreppe hinauf, trat in die Kirche, wandte sich an einen Sakristan, der eine Kapelle ausfegte, und fragte ihn, ob er Herrn Bazin kenne.

Herrn Bazin, den Mesner? sprach der Sakristan.

Ihn selbst.

Er bedient da unten die Messe in der Kapelle der Jungfrau.

D’Artagnan zitterte vor Freude. Jetzt, wo er wirklich ein Ende des Fadens in der Hand hatte, machte er sich wohl anheischig, das andere zu erreichen.

Er kniete vor der Kapelle nieder, um seinen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es war zum Glück eine stille Messe, die bald endigen mußte. D’Artagnan, der seine Gebete vergessen und ein Meßbuch mitzunehmen versäumt hatte, benützte seine Muße, um Bazin prüfend zu betrachten.

Man darf wohl behaupten, Bazin trug sein Gewand mit ebensoviel Majestät als Glückseligkeit. Man sah, daß er zum Gipfel seines Ehrgeizes gelangt war, und daß der mit Silber verzierte Fischbeinstab, den er in der Hand hielt, ihm ebenso ehrenvoll vorkam, als der Kommandostab, den Condé in der Schlacht von Freiburg in die feindlichen Reihen warf oder nicht warf. Sein Äußeres hatte eine seiner Tracht vollkommen entsprechende Veränderung erlitten. Sein ganzer Körper hatte sich abgerundet und gleichsam kanonisiert. Die hervorspringenden Teile seines Gesichtes schienen verschwunden zu sein. Er hatte immer noch seine Nase, aber jede seiner Wangen hatte aufschwellend einen Teil davon an sich gezogen. Das Kinn verlor sich unter dem Halse. Viereckig und heilig geschnittene Haare bedeckten die Stirne bis auf drei Linien von den Augenbrauen, wobei zu beachten ist, daß Bazins Stirne zur Zeit ihrer größten Entblößung nie über anderthalb Zoll hoch gewesen.

Bald endigte der Geistliche seine Messe. Er sprach die Worte des Sakraments und zog sich zurück, indem er zum großen Erstaunen d’Artagnans seinen Segen gab, den jeder knieend empfing. Aber das Erstaunen d’Artagnans hörte auf, als er in dem Geistlichen den Coadjutor selbst erkannt hatte, das heißt, den bekannten Jean-François de Gondi, der zu dieser Zeit, die Rolle ahnend, die er spielen sollte, sich durch Almosen populär zu machen bemüht war.

D’Artagnan warf sich auf die Knie, wie die andern, empfing seinen Teil vom Segen und machte das Zeichen des Kreuzes; aber in dem Augenblick, wo Bazin, die Augen zum Himmel aufschlagend und demütig als der letzte an ihm vorüberging, faßte ihn d’Artagnan unten an seinem Rocke.

Bazin schaute nieder und machte einen Sprung rückwärts, als ob er eine Schlange gesehen hätte.

Herr d’Artagnan! rief er, vade retro, Satanas! …

Wie, mein lieber Bazin, sagte der Offizier lachend, so nehmt Ihr einen alten Freund auf!

Herr, antwortete Bazin, die wahren Freunde des Christen sind die, welche ihm an seinem Heil arbeiten helfen, und nicht diejenigen, welche ihn davon abwenden.

Mein lieber Bazin, versetzte d’Artagnan, Ihr müßt an dem Orte, wo Ihr mich findet, erkennen, daß ich mich in diesen Dingen bedeutend verändert habe, und da ich nicht daran zweifle, daß auch Euer Herr jetzt auf dem besten Wege ist, sein Heil zu gründen, so komme ich, um Euch zu fragen, wo er sich aufhält, damit er mir durch seinen Rat auch zu meinem Heile verhelfe.

Sagt lieber, um ihn mit Euch in die Welt zurückzuführen. Zum Glücke, fügte Bazin bei, weiß ich nicht, wo er ist, denn da wir an einem heiligen Orte sind, würde ich keine Lüge wagen.

Wie! rief d’Artagnan sehr ärgerlich, Ihr wißt nicht, wo Aramis ist?

Einmal ist Aramis sein Name des Verderbens; in Aramis findet man Simara, und dies ist ein Teufelsname; zu seiner Ehre hat er diesen Namen für immer aufgegeben.

Ich suchte auch nicht Aramis, erwiderte d’Artagnan, entschlossen, bis zum Ende geduldig zu bleiben, sondern den Abbé d’Herblay. Nun, mein lieber Bazin, sagt mir, wo er ist.

Habt Ihr nicht gehört, Herr d’Artagnan, daß ich Euch antwortete, ich wisse es nicht?

D’Artagnan sah ein, daß er von Bazin nichts herausbringen würde. Bazin log offenbar, aber er log mit so viel Eifer und Festigkeit, daß man leicht erraten konnte, er würde nicht von seiner Lüge abgehen.

Wohl, Bazin, sagte d’Artagnan; da Ihr nicht wißt, wo Euer Herr sich aufhält, so sprechen wir nicht weiter davon. Wir wollen uns als gute Freunde trennen. Nehmt diese halbe Pistole und trinkt auf meine Gesundheit.

Ich trinke nicht, Herr, sagte Bazin, majestätisch die Hand des Offiziers zurückstoßend, das ist gut für die Laien.

Ärgerlich über das Mißglücken auch dieses Versuches, ließ d’Artagnan Bazins Rock los; dieser benützte sogleich die Gelegenheit und zog sich rasch in die Sakristei zurück, wo er sich nicht eher in Sicherheit glaubte, als bis er die Türe hinter sich zugeschlossen hatte.

Während d’Artagnan zornig auf die geschlossene Tür schaute, fühlte er, daß jemand seine Schulter berührte, und als er sich umwandte, sah er zu seinem größten Erstaunen Rochefort vor sich stehen.

Ihr hier, mein lieber Rochefort, sagte d’Artagnan halblaut. – St! erwiderte Rochefort. Wußtet Ihr, daß ich frei war? – Ich habe es aus erster Hand erfahren. – Von wem? – Von Planchet. –Wie, von Planchet? – Allerdings, er hat Euch gerettet. – Planchet? … in der Tat, ich glaubte ihn wiederzuerkennen. Das beweist, mein Lieber, daß eine Wohltat nie verloren geht. – Was macht Ihr hier? – Ich habe Gott für meine glückliche Befreiung gedankt, sagte Rochefort. – Was weiter? denn ich nehme an, daß das nicht alles ist. – Und dann kam ich, um die Befehle des Coadjutors einzuholen und zu sehen, ob wir nicht etwas tun können, um den Mazarin in Wut zu bringen. – Unbesonnener! Ihr werdet machen, daß man Euch noch einmal in die Bastille steckt. – Oh! was das betrifft, so werde ich wohl auf meiner Hut sein; dafür stehe ich Euch. Die frische Luft ist so gut! Auch gedenke ich, fuhr Rochefort, mit voller Brust atmend, fort, eine Spazierfahrt auf das Land, eine Reise in die Provinz zu machen. – Ich ebenfalls, sagte d’Artagnan. – Darf man Euch, ohne unbescheiden zu sein, fragen, wohin Ihr geht? – Ich suche meine Freunde auf. – Welche Freunde? – Die, von denen ich Euch gestern Kunde geben sollte. – Athos, Porthos und Aramis? Ihr sucht sie? – Ja. – Auf Ehre? – Was ist denn darüber zu erstaunen? – Nichts … Das ist komisch … Und in welchem Auftrag sucht Ihr sie? – Ihr vermutet es nicht? – Allerdings. – Leider weiß ich nicht, wo sie sind. – Und Ihr habt kein Mittel, Nachricht von ihnen zu bekommen? Wartet acht Tage, und ich gebe Euch Auskunft. – Acht Tage, das ist zu viel; ich muß sie vor drei Tagen gefunden haben. – Drei Tage, das ist kurz, sagte Rochefort, und Frankreich ist groß. – Gleichviel. Ihr kennt das Wort: es muß sein. Mit diesem Wort macht man viele Dinge. – Und wann geht Ihr auf Nachforschungen aus? – Ich tue dies bereits. – Gut Glück! – Und Euch glückliche Reise! – Vielleicht treffen wir uns auf dem Wege. – Das ist nicht wahrscheinlich. – Wer weiß? der Zufall ist launenhaft. – Gott befohlen! – Auf Wiedersehen! Doch halt, wenn Mazarin mit Euch spricht, so sagt ihm, ich habe Euch beauftragt, ihm mitzuteilen, er werde binnen kurzem sehen, ob ich zum Handeln zu alt sei.

Geh, geh, sprach d’Artagnan, als der Freund sich entfernte. Tu, was du willst. Mir liegt nichts daran: es gibt keine zweite Constance in der Welt! Hierauf entfernte er sich eilig aus der Kathedrale und legte sich an der Ecke der Rue des Canettes in den Hinterhalt. Von hier konnte er Bazin, der zweifellos bald die Kirche verließ, beobachten.

Fünf Minuten nachher erschien Bazin auf dem Vorplatz. Er schaute rings umher, um sich zu versichern, ob er nicht gesehen würde, aber er erblickte unsern Offizier nicht. Dadurch beruhigt, wagte er sich in die Rue Notre-Dame. D’Artagnan stürzte aus seinem Versteck hervor und kam noch zeitig genug an, um ihn in die Rue de la Juiverie einbiegen und in der Rue de la Calandre in ein anständiges Haus eintreten zu sehen. Unser Offizier zweifelte nicht daran, daß der würdige Mesner in diesem Hause wohne.

Er trat, da er es nicht für geraten hielt, in dem Hause selbst Erkundigungen einzuziehen, in eine kleine Schenke an der Ecke der Rue Saint-Eloi und der Rue de la Calandre und verlangte ein Maß Gewürzwein. Während das Getränk bereitet wurde, schaute sich d’Artagnan um. Er erblickte in der Schenke einen aufgeweckten kleinen Jungen von zwölf bis fünfzehn Jahren, in dem er einen Burschen zu erkennen glaubte, den er zwanzig Minuten vorher unter dem Gewande eines Chorknaben gesehen hatte. Er befragte ihn und erfuhr, daß der Befragte von sechs bis neun Uhr morgens den Beruf eines Chorknaben und von neun Uhr bis Mitternacht den eines Kellners betreibe.

Während d’Artagnan mit dem Burschen plauderte, führte man ein Pferd vor Bazins Haus. Das Pferd war völlig gesattelt und gezäumt. Einen Augenblick nachher kam Bazin herab.

Halt, sagte der Junge, unser Mesner begibt sich auf den Weg. – Wohin geht er? fragte d’Artagnan. – Bei Gott, ich weiß es nicht. – Eine halbe Pistole, wenn du es in Erfahrung bringst. – Für mich? rief der Knabe, dessen Augen vor Freude funkelten, wenn ich in Erfahrung bringe, wohin Herr Bazin geht? Das ist nicht schwierig! Ihr treibt keinen Spott mit mir? – Nein, auf Offizierswort; sieh, hier ist die halbe Pistole.

Und er zeigte ihm die Münze, aber ohne sie ihm wirklich zu geben.

Ich will ihn fragen.

Das ist gerade das Mittel, um nichts zu erfahren, erwiderte d’Artagnan, warte, bis er weggeritten ist. Dann forsche, frage, unterrichte dich. Das ist deine Sache; die halbe Pistole wartet hier.

Und er steckte sie wieder in seine Tasche.

Als nach fünf Minuten Bazin, sein Pferd nach seiner Gewohnheit mit dem Regenschirm antreibend, in kurzem Trabe weggeritten war, stürzte sich der Junge wie ein Leithund auf seine Spur. Noch nicht zehn Minuten waren abgelaufen, als er wieder zurückkam.

Nun? fragte d’Artagnan, wohin ist er geritten? – Die halbe Pistole ist immer noch für mich? – Ganz gewiß. Antworte. Hier ist sie.

Der Junge steckte die Münze in seine Tasche.

Und nun, wohin ist er gegangen? sprach d’Artagnan lachend. – Nach Noisy. – Woher weißt du dies? – Ah! bei Gott, ich brauchte nicht viel Witz, um es zu erfahren. Ich erkannte in dem Pferde das eines Fleischers, der es zuweilen Herrn Bazin leiht. Ich dachte nun, der Fleischer leihe ihm sein Pferd nicht, ohne zu fragen, wohin er reite. – Und er antwortete dir, Herr Bazin … – Er begebe sich nach Noisy. Dies scheint übrigens seine Gewohnheit zu sein, denn er reitet drei- bis viermal in der Woche dahin. – Kennst du Noisy? – Ganz gewiß; meine Amme ist dort. – Ist ein Kloster daselbst? – Ein prächtiges, ein Jesuitenkloster. – Gut, murmelte d’Artagnan; es unterliegt keinem Zweifel mehr. – Ihr seid also zufrieden? – Ja. – Wie heißt du? – Friquet.

Und da unser Offizier jetzt wußte, was er wissen wollte, so bezahlte er den Gewürzwein, den er nicht getrunken hatte, und schlug rasch wieder den Weg nach der Rue Tiquetonne ein.

D’Artagnan findet Aramis auf Planchets Pferde

Als d’Artagnan eintrat, sah er einen Mann an der Ecke des Kamins sitzen; es war Planchet, aber so gut metamorphosiert durch die alten Kleider, die der Eheherr zurückgelassen hatte, daß er selbst Mühe hatte, ihn wieder zu erkennen. Madeleine stellte ihn allen Aufwärtern vor. Planchet wandte sich an den Offizier mit einer schönen flamändischen Phrase. Der Offizier antwortete ihm mit einigen Worten, die keiner Sprache angehörten, und der Handel war abgeschlossen. Madeleines Bruder trat in d’Artagnans Dienst.

Da der Musketierleutnant nicht bei Tage in Noisy ankommen wollte, hatte er Zeit vor sich, denn Noisy lag nur drei bis vier Meilen von Paris auf der Straße nach Meaux.

Er fing damit an, daß er ein tüchtiges Frühstück zu sich nahm, hierauf wechselte er seine Kleider, weil er fürchtete, die Kasake des Musketierleutnants könne Mißtrauen einflößen. Dann nahm er den stärksten und solidesten von seinen drei Degen, den er nur an festlichen Tages zu wählen pflegte, und endlich gegen zwei Uhr ließ er zwei Pferde satteln und ritt mit Planchet, nach dem die Polizei, auch in der Rehziege, immer noch eifrig gesucht hatte, davon.

Anderthalb Meilen von Paris hielt d’Artagnan an, da er sah, daß er in seiner Ungeduld immer noch zu früh aufgebrochen war, und ließ die Pferde verschnaufen. Die Herberge, wo er hielt, war voll von Leuten von verdächtigem Aussehen. Sie schienen eine nächtliche Unternehmung vorzuhaben. Ein in einen Mantel gehüllter Mensch erschien an der Türe. Als er aber einen Fremden sah, machte er ein Zeichen mit der Hand, und zwei Trinker gingen mit ihm hinaus, um sich mit ihm zu besprechen.

D’Artagnan näherte sich ganz gleichgültig der Wirtin, lobte ihren Wein und erfuhr, daß es in Noisy nur zwei stattlichere Häuser gebe; das eine gehöre dem Erzbischof von Paris und werde in diesem Augenblick von seiner Nichte, der Herzogin von Longueville, bewohnt: das andere sei ein Jesuitenkloster und das Eigentum dieser würdigen Väter. Man konnte sich also nicht täuschen.

Um vier Uhr begab sich d’Artagnan wieder auf den Weg; er ließ sein Pferd nur noch im Schritt gehen, denn er wollte erst, wenn es völlig Nacht geworden wäre, an Ort und Stelle kommen. So hatte er Muße, die Lage noch einmal gehörig zu bedenken.

Ein Wort der Wirtin hatte den Gedanken d’Artagnans eine besondere Richtung gegeben. Dieses Wort war der Name der Frau von Longueville. Diese hatte in der Tat alles, was zum Nachdenken veranlassen kann: sie war eine der vornehmsten Damen des Königreichs, eine der schönsten Frauen des Hofes. An den alten Herzog von Longueville verheiratet, den sie nicht liebte, galt sie anfangs für die Geliebte Colignys, der sich in einem Zweikampf auf der Place-Royale von dem Herzog von Guise für sie töten ließ. Dann sprach man von einer etwas zu zärtlichen Freundschaft, die sie für den Prinzen von Condé empfunden haben sollte, worüber sich die furchtsamen Seelen des Hofes skandalisierten. Ferner sagte man, ein wahrer und aufrichtiger Haß sei auf diese Freundschaft gefolgt, und die Herzogin von Longueville stehe in diesem Augenblick in politischer Verbindung mit dem Prinzen von Marsillac, dem ältesten Sohne des alten Herzogs de la Rochefoucault, den sie zu einem Feinde des Herzogs von Condé, ihres Bruders, zu machen bemüht sei.

D’Artagnan dachte an alles dies. Er dachte an Aramis, der, ohne mehr zu sein als er, einst der Geliebte der Frau von Chevreuse gewesen. Er fragte sich, warum es in der Welt Menschen gebe, die alles erreichen, was sie wünschen, diese in der Politik, jene in der Liebe, während andere, sei es aus Zufall, sei es aus Ungeschick, mit allen ihren Hoffnungen auf dem halben Weg bleiben.

Er mußte sich zugestehen, daß er trotz seines Geistes, trotz seiner Geschicklichkeit dieser letzteren Kategorie angehört habe und wohl immer angehören werde, als Planchet sich ihm näherte und sagte:

Ich wette, gnädiger Herr, Ihr denkt an dasselbe, wie ich. – Ich zweifle, Planchet, erwiderte d’Artagnan lächelnd. Doch woran denkst du? Laß hören. – Ich denke an die verdächtig aussehenden Leute, die in der Herberge tranken. – Stets klug, Planchet. – Gnädiger Herr, das ist Instinkt. – Nun, sprich: Was sagt dein Instinkt in dieser Hinsicht? – Mein Instinkt sagte mir, diese Leute seien in einer schlimmen Absicht in der Herberge, und gerade als ich mir das, was mir mein Instinkt in dem dunkelsten Winkel des Stalles sagte, überlegte, trat ein in einen Mantel gehüllter Mann mit zwei andern in eben diesen Stall. – Ah, ah! rief d’Artagnan. Nur weiter! – Der eine von den zwei Männern sagte: Er muß sicherlich in Noisy sein oder heute abend dahin kommen, denn ich habe seinen Bedienten erkannt. – Du bist deiner Sache gewiß? fragte der Mann im Mantel. – Ja, mein Prinz. – Mein Prinz? unterbrach ihn d’Artagnan. – Ja, mein Prinz, doch hört: Wenn er dort ist, was sollen wir dann tun? sprach der andere Trinker. – Was man tun soll? sagte der Prinz. – Ja, er ist nicht der Mann, der sich so fangen läßt; er wird gehörig mit dem Degen spielen. – Nun, man muß es machen wie er, dabei aber bemüht sein, ihn lebendig zu bekommen. Habt Ihr Stricke, um ihn zu binden, und einen Knebel, um ihn in seinen Mund zu stecken? – Wir haben dies alles. – Seid auf Eurer Hut, aller Wahrscheinlichkeit nach ist er als Kavalier verkleidet. – Ja, ja, Monseigneur, seid unbesorgt. – Übrigens werde ich dabei sein und Euch führen. – Ihr steht dafür, daß die Gerichte …? – Ich stehe für alles, sagte der Prinz. – Gut, wir werden unser möglichstes tun. – Und damit verließen sie den Stall. – Nun, sprach d’Artagnan, was geht das uns an? Das ist ein Unternehmen, wie es in unserer Zeit jeden Tag vorkommt. – Es ist gut, sprechen wir nicht mehr davon.

Als sie eine Meile weitergeritten waren, näherte sich Planchet d’Artagnan und sagte zu ihm: Gnädiger Herr! – Was gibt’s? – Schaut auf diese Seite. Kommt es Euch nicht vor, als erblicktet Ihr etwas wie Schatten, die mitten durch die Nacht hinziehen? Horch! es kommt mir vor, ich höre Pferdetritte. – Unmöglich, sagte d’Artagnan, die Erde ist durch den Regen aufgeweicht. Aber es scheint mir auch, als sähe ich etwas.

Und er hielt an, um zu schauen und zu horchen.

Wenn man keine Pferdetritte hört, so hört man wenigstens Gewieher.

Wirklich schlug das Gewieher eines Pferdes an d’Artagnans Ohr.

Unsere Leute sind im Feld, sagte er, aber das geht uns nichts an. Setzen wir unsern Weg fort.

Eine halbe Stunde nachher erreichten sie die ersten Häuser von Noisy. Es mochte etwa halb neun Uhr abends sein.

Nach den ländlichen Gewohnheiten hatte sich schon die gesamte Einwohnerschaft niedergelegt, und kein Licht glänzte mehr im Orte.

D’Artagnan und Planchet setzten ihren Weg fort; rechts und links von ihrer Straße hob sich auf dem düstern Grau des Himmels der noch dunklere Umriß der Dächer hervor. Von Zeit zu Zeit kläffte ein aufgeweckter Hund hinter einer Türe, oder eine erschrockene Katze verließ eiligst die Mitte des Pflasters, um sich in einen Haufen von Reisbüscheln zu flüchten, wo man ihre Augen wie Karfunkel glänzen sah. Das waren die einzigen lebendigen Wesen, welche das Dorf zu bewohnen schienen.

Ungefähr gegen die Mitte des Fleckens erhob sich, den Hauptplatz beherrschend und vereinzelt zwischen zwei Gassen liegend, eine dunkle Masse, vor der ungeheure Linden ihre entblätterten Äste ausbreiteten. D’Artagnan beschaute das Gebäude aufmerksam.

Das muß das Schloß des Erzbischofs sein, sagte er zu Planchet. Hier wohnt die schöne Frau von Longueville. Aber wo ist das Kloster?

Das Kloster? erwiderte Planchet, das Kloster ist am Ende des Dorfes, ich kenne es.

Nun wohl, sprach d’Artagnan, im Galopp bis dahin, Planchet, während ich den Gurt meines Pferdes fester anziehe, und komm dann zurück, wenn du ein erleuchtetes Fenster siehst.

Nach fünf Minuten kam Planchet zurück und sagte: Gnädiger Herr, es ist ein einziges Fenster gegen das Feld hinaus erleuchtet.

Hm! wenn ich ein Frondeur wäre, so klopfte ich hier an und wäre überzeugt, daß ich ein gutes Lager bekäme; wenn ich ein Mönch wäre, klopfte ich da unten an und wäre ebenfalls überzeugt, daß ich ein gutes Abendbrot bekäme, während es im Gegenteil leicht möglich ist, daß wir zwischen dem Schlosse und dem Kloster vor Hunger und Durst verschmachtend auf der harten Erde liegen müssen.

Ja, fügte Planchet bei, wie der berühmte Esel Buridans. Doch mittlerweile wollt Ihr, daß ich klopfe?

St! sagte d’Artagnan, das einzige Fenster, welches erleuchtet war, ist dunkel geworden.

Hört Ihr, gnädiger Herr, sprach Planchet.

In der Tat, was für ein Geräusch ist dies?

Es war wie das Tosen eines herannahenden Sturmes; in demselben Augenblick kamen zwei Reiterhaufen von je zehn Mann aus jeder von den zwei Gassen hervor, welche sich am Hause hinzogen, und umzingelten, alle Ausgänge verschließend, d’Artagnan und Planchet.

Oho, sagte d’Artagnan, indem er seinen Degen zog und sich hinter sein Pferd zurückstellte, während Planchet dasselbe Manöver ausführte. Sollte man wirklich an uns wollen?

Hier ist er, wir haben ihn! sprachen die Reiter, sich mit bloßem Degen auf d’Artagnan stürzend. – Verfehlt ihn nicht, rief eine hohe Stimme. – Nein, Monseigneur, seid unbesorgt.

D’Artagnan glaubte den Augenblick gekommen, sich in das Gespräch zu mischen.

Holla! meine Herren! rief er mit seinem gascognischen Akzente, was wollt Ihr? Was verlangt Ihr? – Du sollst es erfahren, brüllten die Reiter im Chor. – Halt, halt! schrie der, den sie Monseigneur genannt hatten, haltet ein, wenn Euch Euer Kopf lieb ist. Das ist nicht seine Stimme.

Ei, meine Herren, sprach d’Artagnan, ist man in Noisy wahnsinnig geworden? Nehmt Euch wohl in acht, denn ich sage Euch, daß ich den ersten, der sich mir auf die Länge meines Degens nähert, und mein Degen ist lang, den Bauch aufschlitze.

Der Anführer näherte sich.

Was macht Ihr hier? sagte er mit einem hochmütigen und an das Befehlen gewöhnten Tone. – Was macht Ihr hier? entgegnete d’Artagnan. – Seid höflich, oder man wird auch auf die gehörige Weise striegeln, denn obgleich man sich nicht nennen will, wünscht man doch seinem Range gemäß respektiert zu werden. – Ihr wollt nicht erkannt sein, weil Ihr einen Hinterhalt leitet, sagte d’Artagnan; aber ich, der ich ruhig mit meinem Lakaien reise, ich habe keine Ursache, meinen Namen zu verschweigen. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? – Leutnant bei den Musketieren? fragte die Stimme. – Denselben. – Allerdings. – Nun wohl, fuhr der Gascogner fort, Ihr müßt gehört haben, daß er ein Mann von festem Faustgelenk und seiner Klinge ist. – Ihr seid Herr d’Artagnan? Dann kommt Ihr hierher, um ihn zu verteidigen. – Wen, ihn? – Denjenigen, den wir suchen. – Es scheint, erwiderte d’Artagnan, daß ich, während ich nach Noisy zu kommen glaubte, ganz unvermutet ins Reich der Rätsel gelangt bin. – Gut, sprach die Stimme, entfernt Euch von hier, räumt uns den Platz. – Mich von hier entfernen, sagte d’Artagnan, dem dieser Befehl seine Pläne durchkreuzte, dies ist nicht so leicht, da ich vor Müdigkeit umsinke und mein Pferd ebenso. Ihr müßtet denn geneigt sein, mir ein Abendessen und ein Lager in der Gegend anzubieten. – Halunke! – Herr! rief d’Artagnan, nehmt Euch mit Euren Worten gefälligst in acht, denn wenn Ihr noch ein zweites Wort wie dieses gebrauchtet, so würde ich es Euch, und wäret Ihr nun Marquis, Herzog oder Prinz, in den Bauch zurückstoßen; versteht Ihr? – Ganz richtig, sprach der Anführer, man kann sich nicht täuschen, es ist ein Gascogner, der hier spricht, und folglich nicht der Mann, den wir suchen. Wir haben unsern Streich für diesen Abend verfehlt und können nichts Besseres tun, als uns zurückzuziehen … Wir werden uns wiederfinden, Meister d’Artagnan, fügte der Anführer, den Ton verstärkend, bei. – Ja, aber nicht mit denselben Vorteilen, rief der Gascogner spottend dem fortsprengenden Trupp nach; denn wenn Ihr mich wieder findet, seid Ihr vielleicht allein und es ist Tag.

Du siehst, sprach d’Artagnan, als das Geräusch der galoppierenden Pferde verhallt war, ruhig zu Planchet, daß sie nicht an uns wollten.

Aber an wen denn sonst?

Meiner Treu, ich weiß es nicht, und es liegt mir auch nichts daran. Für mich ist die Hauptsache, in das Jesuitenkloster zu kommen. Zu Pferde also und dann angeklopft. Es mag kosten, was es will, sie werden uns nicht fressen.

Und d’Artagnan schwang sich wieder in den Sattel. Als Planchet dasselbe tat, fiel eine unerwartete Last auf das Hinterteil seines Pferdes.

He, Herr! rief Planchet, ich habe einen Mann hinter mir!

D’Artagnan wandte sich um und sah wirklich zwei menschliche Gestalten auf dem Pferde Planchets.

Es scheint, der Teufel verfolgt uns, rief er, zog den Degen und war im Begriff, den Unerwarteten anzugreifen.

Nein, nein, mein lieber d’Artagnan, sagte dieser, es ist nicht der Teufel; ich bin es, Aramis. Im Galopp, Planchet, und am Ende des Dorfes links gehalten.

Anna von Österreich im Alter von sechsundvierzig Jahren

Allein mit Bernouin, blieb Mazarin einen Augenblick nachdenklich; er wußte viel, aber er wußte immer noch nicht genug. Mazarin war Betrüger im Spiel. Er beschloß, die Partie mit d’Artagnan nicht eher anzufangen, als bis er alle Karten seines Gegners genau kennen würde.

Monseigneur hat nichts zu befehlen? sagte Bernouin.

Allerdings, antwortete Mazarin, leuchte mir, ich gehe zu der Königin.

Bernouin nahm eine Kerze und ging voraus.

Es war ein geheimer Gang vorhanden, der von den Zimmern und dem Kabinett Mazarins nach den Zimmern der Königin führte, und den der Kardinal benutzte, so oft er sich zu Anna von Österreich begab.

Als Bernouin in das Schlafzimmer gelangte, in dem dieser Gang mündete, traf er Madame Beauvais. Madame Beauvais und Bernouin waren die innigen Vertrauten dieser schon alten Liebe, und Madame Beauvais übernahm es, den Kardinal bei Anna von Österreich zu melden, die sich mit ihrem Sohne, König Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.

In einem großen Lehnstuhl sitzend, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete Anna von Österreich das königliche Kind, das, auf dem Boden liegend, in einem großen Schlachtenbuch blätterte. Anna von Osterreich war die Königin, die sich am allerbesten mit Majestät zu langweilen wußte. Sie blieb zuweilen stundenlang in ihr Schlafgemach oder in ihr Betzimmer zurückgezogen, ohne zu lesen oder zu beten.

Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Das Kind erhob sich auf einem Knie und schaute, die Stirne runzelnd, seine Mutter an.

Warum kommt er so, sagte es, ohne um Audienz zu bitten?

Anna errötete leicht. Es ist wichtig, versetzte sie, daß ein erster Minister in Zeiten, wie sie jetzt sind, der Königin zu jeder Stunde über alles berichten kann, ohne daß er die Neugierde oder die Mutmaßungen des ganzen Hofes anzuregen braucht.

Aber man hat mir auf meine Frage gesagt, daß der Herr von Richelieu nicht so kam, sprach das unbeugsame Kind.

In diesem Augenblick trat Mazarin ein. Der König stand auf, nahm sein Buch, schloß es und trug es auf den Tisch, bei dem er aufrecht stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, ebenfalls zu stehen. Mazarin bückte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte eine tiefe Verbeugung vor dem König, der ihm mit einem ziemlich stolzen Kopfnicken dankte; aber ein Blick seiner Mutter tadelte ihn, daß er sich den Gefühlen des Hasses hingab, die er seit seinen Kinderjahren gegen den Kardinal hegte, und er empfing mit lächelnden Lippen das Kompliment des Ministers.

Anna von Österreich war bemüht, auf Mazarins Gesicht die Ursache dieses unvorhergesehenen Besuches zu erraten, denn der Kardinal kam gewöhnlich erst dann zu ihr, wenn sie allein war.

Der Minister machte ein unmerkliches Zeichen mit dem Kopf, die Königin wandte sich an Madame Beauvais und sagte: Es ist Zeit, daß sich der König schlafen legt. Ruft Laporte.

Ludwig XIV. biß sich in die Lippen und erbleichte. Als einen Augenblick nachher Laporte eintrat, ging er gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu küssen.

Nun, Louis, sagte Anna, warum küßt Ihr mich nicht?

Ich glaubte, Ihr wäret böse auf mich, Madame, Ihr jagt mich fort.

Ich jage Euch nicht fort. Ihr habt nur vor kurzem erst die Blattern gehabt, seid noch leidend, und ich fürchte, das lange Wachen könnte Euch anstrengen.

Ihr habt das nicht gefürchtet, als Ihr mich heute in den Palast schicktet, um die abscheulichen Edikte zu erlassen, über die das Volk so sehr murrte.

Und der König entfernte sich, ohne seine Mutter zu küssen und ohne den Kardinal zu grüßen.

Ganz gut, sprach Mazarin, ich sehe es gerne, daß man Seine Majestät mit Abscheu vor der Heuchelei erzieht. – Wie meint Ihr dies? fragte die Königin mit beinahe schüchternem Tone. – Nun, Seine Majestät gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie geringe Zuneigung er für mich hat, was mich indessen nicht abhält, seinem Dienste, so wie dem Eurer Majestät, völlig ergeben zu sein. – Ich bitte Euch für ihn um Vergebung, erwiderte die Königin. Er ist ein Kind, das noch nicht alle seine Verpflichtungen gegen Euch zu erkennen vermag.

Der Kardinal lächelte.

Aber, fuhr die Königin fort, Ihr seid ohne Zweifel in einer wichtigen Angelegenheit gekommen. Was gibt es?

Mazarin setzte oder vielmehr lehnte sich in einen weiten Stuhl zurück und sprach in schwermütigem Ton:

Was es gibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald gezwungen sein, uns zu verlassen, wenn Ihr nicht Eure Ergebenheit für mich so weit treiben wollt, mir nach Italien zu folgen. – Und warum dies? fragte die Königin.

Weil, wie es in der Oper Thisbe heißt: »Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«

Ihr scherzt, Herr, sagte die Königin mit einem Versuch, ihre frühere Würde wieder anzunehmen.

Ach nein, Madame, sprach Mazarin, ich scherze nicht im geringsten. Glaubt mir, ich möchte eher weinen, habe ich nicht Euch selbst eines Tages ganz freundlich dem Herzog von Orleans zulächeln sehen, als er sagte: Euer Mazarin ist der Stein des Anstoßes, er entferne sich, und alles wird gut gehen? – Was sollte ich machen? – Oh! Madame, es scheint mir, Ihr seid die Königin. – Ein schönes Königtum, der Gnade des ersten besten Tintenklecksers vom Palais Royal oder des elendesten Strohjunkers im Reich preisgegeben! – Ihr seid aber stark genug, um die Leute von Euch zu entfernen, die Euch mißfallen. – Das heißt, die Euch mißfallen, antwortete die Königin. – Mir? – Allerdings. Wer hat Frau von Chevreuse fortgeschickt? – Eine Intrigantin, welche gegen mich die Kabalen fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu angefangen hatte. – Wer hat Frau von Hautefort fortgeschickt, die mir so sehr ergeben war, daß sie die Gnade des Königs ausschlug, um in der meinigen zu bleiben? – Eine Heuchlerin, die Euch jeden Abend beim Auskleiden sagte, einen Priester lieben, heiße seine Seele verderben; als ob man Priester sein müßte, weil man Kardinal ist! – Wer hat Herrn von Beaufort verhaften lassen? – Ein Brausekopf, der von nichts Geringerem sprach, als von meiner Ermordung. – Ihr seht wohl, Kardinal, versetzte die Königin, daß Eure Feinde auch die meinigen sind. – Das ist nicht genug, Madame. Eure Freunde müssen auch die meinigen sein. – Meine Freunde? Herr! sprach die Königin und schüttelte den Kopf. Ach, ich habe keine mehr! – Ja, sucht nur unter Euren ehemaligen Freunden, unter denen, die Euch gegen den Herzog von Richelieu kämpfen und ihn sogar besiegen halfen.

Wo will er hinaus? murmelte die Königin und schaute den Kardinal unruhig an.

Ja, fuhr dieser fort, unter gewissen Umständen wußtet Ihr mit dem mächtigen, feinen Geiste, der Eure Majestät charakterisiert, mit Hilfe Eurer Freunde die Angriffe dieses Gegners zurückzuschlagen. – Ich? sagte die Königin, ich habe nur gelitten. – Ja, sprach Mazarin, wie die Frauen leiden, indem sie sich rächen. Kommen wir zur Sache. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? fuhr Mazarin, der Königin ins Gesicht schauend, fort.

Anna von Österreich empfing den Stoß mitten im Herzen.

Sollte der Gascogner geschwatzt haben? murmelte sie. Dann fügte sie laut bei:

D’Artagnan? wartet doch. Ja gewiß, dieser Name ist mir bekannt: d’Artagnan, ein Musketier, der eine meiner Frauen liebte. Ein armes Geschöpfchen, das meinetwegen an Gift starb.

Ist dies alles? fragte Mazarin.

Die Königin schaute den Kardinal erstaunt an.

Aber, mein Herr, sagte sie, es scheint, Ihr unterwerft mich einem Verhör. – Bei dem Ihr jedenfalls, erwiderte Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seinem stets süßen Tone, nur nach Eurer Phantasie antwortet. – Drückt Euren Wunsch klar, aus, mein Herr, und ich werde ebenso antworten, sagte die Königin, die ungeduldig wurde. – Wohl, Madame, antwortete Mazarin, sich verbeugend. Ich wünschte, Ihr ließet mich an Euren Freunden Anteil nehmen, wie ich Euch an dem bißchen Gewandtheit und Talent Anteil nehmen ließ, womit mich der Himmel begabt hat. Die Umstände sind von ernster Bedeutung, und man muß energisch handeln. – Abermals! sprach die Königin, ich glaubte, mit Herrn von Beaufort wären wir quitt. – Ihr habt nur den Strom gesehen, der alles niederreißen wollte, und das stehende Wasser nicht wahrgenommen. – Vollendet! sagte die Königin. – Nun wohl, fuhr Mazarin fort; ich dulde alle Tage Unverschämtheiten, die sich Eure Prinzen und Eure betitelten Knechte gegen mich erlauben, lauter Automaten, die nicht sehen, daß ich ihren Faden in der Hand halte. Wir haben allerdings Herrn von Beaufort verhaften lassen, aber das war der ungefährlichste von allen. Noch ist der Prinz vorhanden. – Der Sieger von Rocroi? Daran könnt Ihr doch nicht denken! – Ja, Madame, und zwar sehr oft, aber Pazienza, wie wir Italiener sagen. Dann, nach Herrn von Condé, ist der Herzog von Orleans da. – Was sagt Ihr? der erste Prinz von Geblüt, der Oheim des Königs! – Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, sondern der feige Meuterer, der unter der vorigen Regierung, angetrieben von seinem launenhaften, phantastischen Charakter, gestachelt von erbärmlichem Ärger, verzehrt von einem platten Ehrgeiz, eifersüchtig auf alles, was ihn an ritterlichem Sinn und Mut übertraf, aufgebracht darüber, daß er wegen seiner inneren Hohlheit nichts war, sich zum Echo aller Verleumdungen, zur Seele aller Kabalen machte. Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, ich wiederhole es, sondern der Mörder eines Chalais, Montmorency und Cinq-Mars, der jetzt dasselbe Spiel zu spielen versucht und sich einbildet, er werde die Partie gewinnen, weil er jetzt nicht mehr einen drohenden, sondern einen lächelnden Mann sich gegenüberstehen hat. Aber er täuscht sich, er wird verlieren, und es liegt nicht in meinem Interesse, bei der Königin diesen Gärungsstoff der Uneinigkeit zu dulden, mit dem der verstorbene Kardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang in Aufruhr erhalten hat.

Anna errötete und barg ihren Kopf in beiden Händen.

Ich will Eure Majestät nicht demütigen, fuhr Mazarin mit etwas ruhigerem Tone, aber zugleich mit seltsamer Festigkeit fort. Man soll die Königin ehren und ihren Minister achten, denn in aller Augen bin ich nur dieses.

Was soll ich denn tun? fragte Anna von Österreich, gebeugt unter dieser gebietenden Stimme.

Ihr sollt in Eurem Gedächtnis den Namen der treuen, ergebenen Männer suchen, die trotz Herrn von Richelieu über das Meer gefahren sind, Spuren ihres Blutes die ganze Straße entlang zurücklassend, um Ew. Majestät einen gewissen Schmuck zu bringen, den sie Herrn von Buckingham gegeben hatte.

Anna von Österreich erhob sich, majestätisch und zornig, als ob eine Feder sie aufgeschnellt hätte, und schaute den Kardinal mit dem Stolz und der Würde an, wodurch sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig gewesen war.

Ihr beleidigt mich, Herr, sagte sie. – Ich will, fuhr Mazarin unbeirrt fort, ich will, daß Ihr für Euern Gatten tut, was Ihr einst für Euern Liebhaber getan habt. – Abermals diese Verleumdung? rief die Königin; ich hielt sie für tot und erstickt, denn Ihr hattet sie mir bis jetzt erspart. Jetzt sprecht Ihr mir aber ebenfalls davon. Desto besser, denn die Frage wird jetzt ein für allemal unter uns abgemacht werden, versteht Ihr mich? – Aber, Madame, sprach Mazarin, erstaunt über diese Rückkehr der Kraft, ich verlange gar nicht, daß Ihr mir alles sagen sollt. – Und ich will Euch alles sagen, entgegnete Anna von Österreich. Hört also: Es gab wirklich zu jener Zeit vier ergebene Herzen, vier ritterliche Seelen, vier treue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre retteten. – Oh! Ihr gesteht! rief Mazarin.– Ist nur die Ehre der Schuldigen auf das Spiel gesetzt, mein Herr, und kann man nicht einen Menschen, eine Frau besonders, durch falschen Schein entehren? Ja, der Schein war gegen mich, und ich sollte entbehrt werden, und dennoch, ich schwöre es Euch, war ich nicht schuldig. Ich schwöre es …

Sie suchte nach etwas Heiligem, worauf sie schwören könnte, zog aus einem unter der Tapete verborgenem Schranke ein kleines, mit Silber eingelegtes Kistchen von Rosenholz hervor, stellte es auf den Altar und fuhr fort: Ich schwöre auf diese heilige Reliquie, ich liebte Herrn von Buckingham, aber Herr von Buckingham war nicht mein Liebhaber.

Und was für eine Reliquie ist es, auf die Ihr diesen Eid leistet? sprach Mazarin lächelnd; denn ich muß gestehen, als Römer bin ich ungläubig; es ist ein Unterschied unter den Reliquien.

Die Königin machte einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse los und übergab ihn dem Kardinal.

Öffnet, mein Herr, sprach sie, und seht selbst.

Mazarin nahm erstaunt den Schlüssel und öffnete das Kistchen, worin er nur ein vom Rost zerfressenes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war.

Was ist das? fragte Mazarin.

Was das ist, mein Herr? sprach Anna von Österreich mit königlicher Gebärde und indem sie ihren immer noch vollkommen schönen Arm über das Kästchen streckte, ich will es Euch sagen; diese zwei Briefe sind die einzigen, die ich ihm je geschrieben habe; dieses Messer ist das, mit dem ihn Felton ermordet hat. Leset die Briefe, mein Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich gelogen habe.

Es ist gut, Madame, sagte Mazarin, indem er unwillkürlich nach dem Messer griff, es aber nach einem Blick auf seine blut- und rostzerfressene Scheide schaudernd in das Kästchen legte, ich baue auf Euern Eid.

Ja, mein Herr, sprach die Königin, das Kistchen wieder verschließend und ihre Hand darauf legend; es ist allerdings wahr. Diese Reliquie klagt mich an, daß ich stets undankbar gegen die gewesen bin, welche mich gerettet haben, und alles taten, um ihn zu retten; daß ich dem braven d’Artagnan, von dem Ihr soeben spracht, nichts gegeben habe, als die Erlaubnis, meine Hand zu küssen, und diesen Diamanten.

Die Königin streckte ihre schöne Hand gegen den Kardinal aus und zeigte ihm einen herrlichen Edelstein, der an ihrem Finger funkelte.

Er hat ihn, wie es scheint, in einem Augenblick der Verlegenheit verkauft: er hat ihn verkauft, um mich zum zweitenmale zu retten, denn es geschah, um einen Boten an den Herzog zu schicken und ihn zu benachrichtigen, daß er ermordet werden solle.

D’Artagnan wußte es also?

Er wußte alles. Wie er dies machte, weiß ich nicht. Kurz, er verkaufte den Ring an Herrn des Essarts, an dessen Finger ich ihn sah, und von welchem ich ihn wieder kaufte; doch dieser Diamant gehört ihm, mein Herr, gebt ihm denselben in meinem Namen zurück, und da Ihr das Glück habt, einen solchen Menschen in Eurer Nähe zu besitzen, so sucht Vorteil daraus zu ziehen.

Ich danke, Madame, sprach Mazarin, ich werde Euren Rat benützen.

Und nun, sagte die Königin, als hätte die Aufregung sie völlig entkräftet, habt Ihr noch etwas anderes von mir zu fordern?

Nichts, Madame, erwiderte Mazarin mit seinem einschmeichelndsten Tone, ich habe Euch nur zu bitten, mir meinen ungerechten Verdacht zu vergeben, aber ich liebe Euch so unendlich, daß man nicht staunen darf, wenn ich selbst über die Vergangenheit eifersüchtig bin.

Ein Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck umspielte die Lippen der Königin.

Der Kardinal nahm die Hand der Königin, küßte sie zärtlich und zog sich zurück.

Kaum hatte er sich entfernt, als sich die Königin in das Gemach ihres Sohnes begab und Laporte fragte, ob der König zu Bette gegangen sei. Laporte deutete mit der Hand auf das schlafende Kind.

Anna von Österreich stieg auf die Stufen des Bettes, näherte ihre Lippen der Stirn ihres Sohnes und drückte sanft einen Kuß darauf; dann ging sie stille, wie sie gekommen war, wieder weg und sagte bloß zu dem Kammerdiener: Sorget dafür, mein lieber Laporte, daß der König dem Kardinal, gegen den er und ich so große Verbindlichkeiten haben, ein freundlicheres Gesicht macht.

Gascogner und Italiener

Inzwischen war der Kardinal in sein Zimmer zurückgekehrt. Er fragte Bernouin, ob nichts Neues vorgefallen und ob keine Meldung gekommen sei, und hieß ihn auf seine verneinende Antwort abtreten. Sodann öffnete er die Türe des Korridors und hierauf die des Vorzimmers und sagte zu dem auf der Bank sitzenden und mühsam den Schlaf bekämpfenden Leutnant:

Folgt mir, mein Herr!

Vortrefflich, murmelte d’Artagnan, Rochefort hat mir Wort gehalten; das Gute kommt mir, scheint’s, im Schlaf.

Herr d’Artagnan, sagte Mazarin, nachdem er sich gesetzt und eine bequeme Stellung eingenommen hatte, Ihr seid mir immer als ein braver, mutiger Mann vorgekommen.

Das ist möglich, dachte d’Artagnan, aber er hat sich Zeit gelassen, es mir zu sagen. Dessenungeachtet bückte er sich vor Mazarin bis auf den Boden, um sein Kompliment zu erwidern.

Nun wohl, fuhr Mazarin fort, der Augenblick ist gekommen, um aus Eurem Talent und aus Eurem Mut Nutzen zu ziehen.

Die Augen des Offiziers schleuderten gleichsam einen Freudenblitz, der sogleich wieder erlosch, denn er wußte nicht, wo Mazarin hinaus wollte.

Befehlt, Monseigneur, ich bin bereit, Eurer Eminenz zu gehorchen.

Herr d’Artagnan, fuhr Mazarin fort, Ihr habt unter der letzten Regierung gewisse Taten vollbracht …

Eure Eminenz ist zu gut, daß sie sich dessen erinnert … Es ist wahr, ich habe den Krieg mit ziemlich günstigem Erfolg mitgemacht …

Ich spreche nicht von Euren Kriegstaten, entgegnete Mazarin, denn obgleich sie einiges Aussehen machten, so sind sie doch von andern übertroffen worden.

D’Artagnan spielte den Erstaunten.

Wie? sprach Mazarin, Ihr antwortet nicht? – Ich warte darauf, versetzte d’Artagnan, daß Monseigneur mir sage, von welchen Taten er zu sprechen die Gnade hat. – Ich spreche von den Abenteuern in … Ihr wißt wohl, was ich sagen will? – Ach nein, Monseigneur, antwortete d’Artagnan ganz erstaunt. – Ihr seid verschwiegen? Desto besser! Ich spreche von jenem Abenteuer der Königin, von den Nestelstiften, von der Reise, die Ihr mit drei von Euren Freunden gemacht habt. – He, he! dachte der Gascogner, ist das eine Falle? Da müssen wir fest halten.

Und seine Züge drückten ein Erstaunen aus, um das ihn Mondori und Bellerose, die besten Schauspieler jener Zeit, beneidet hätten.

Sehr gut! rief Mazarin lachend. Bravo! man hat mir mit Recht gesagt, Ihr seiet der Mann, dessen ich bedürfe. Aber sprecht immerhin, denn die Königin selbst entbindet Euch Eures Schwures. – Die Königin! sagte d’Artagnan mit einem Erstaunen, das diesmal nicht gespielt war. – Ja, die Königin. Und zum Beweise, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche, hat sie mich beauftragt, Euch diesen Diamanten zu zeigen, von dem sie behauptet, Ihr kennt ihn, und den sie von Herrn des Essarts wieder erkauft hat.

Mazarin streckte die Hand nach dem Offizier aus, und dieser seufzte, als er den Ring wiedererkannte, den ihm die Königin an jenem Ballabend im Stadthause geschenkt hatte.

Es ist wahr, sagte d’Artagnan, ich erkenne diesen Diamanten, der der Königin gehört hat. – Ihr seht also wohl, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche. Antwortet mir, ohne weiter Komödie zu spielen. Ich habe Euch schon gesagt und wiederhole, daß Euer Glück davon abhängt. – Meiner Treu, Monseigneur, ich habe es sehr nötig, mein Glück zu machen. Ew. Eminenz vergaß mich so lange. – Das läßt sich in acht Tagen gut machen. Ihr seid hier; aber wo sind Eure Freunde? – Ich weiß es nicht, Monseigneur. – Wie, Ihr wißt es nicht? Wo werdet Ihr sie da wiederfinden? – Überall, wo sie sich aufhalten; das ist meine Sache. – Gut … Eure Bedingung? – Geld, Monseigneur, so viel, als unsere Unternehmungen fordern. Ich erinnere mich zuweilen nur zu gut, wie sehr uns Geldmangel hemmte, und ohne diesen Diamanten wären wir auf dem Wege liegen geblieben. – Teufel! Geld, und zwar viel, sprach Mazarin. Wie rasch Ihr darauf losgeht, Herr Offizier! Wißt Ihr, daß in den Kassen des Königs kein Geld ist? – Macht es wie ich, Monseigneur, verkauft die Diamanten der Krone. Glaubt mir, man führt große Dinge nur schlecht aus mit kleinen Mitteln. – Nun wohl, sprach Mazarin, wir werden Euch zu befriedigen suchen. Richelieu, dachte d’Artagnan, hätte mir bereits fünfhundert Pistolen Handgeld gegeben. – Ihr gehört also mir? – Ja, wenn meine Freunde wollen. – Aber falls sie sich weigern, kann ich auf Euch zählen? – Ich habe nie etwas Gutes ganz allein getan, antwortete d’Artagnan, den Kopf schüttelnd.– Sucht sie also auf. – Was soll ich ihnen sagen, um sie zu bestimmen, Eurer Eminenz zu dienen? – Ihr kennt sie besser als ich; nach ihren Charakteren versprecht ihnen. – Was soll ich ihnen versprechen? – Sie mögen mir dienen, wie sie der Königin gedient haben, und meine Dankbarkeit wird glänzend sein. – Was sollen wir tun? – Alles, denn es scheint, Ihr wißt alles zu tun. Fürs erste, sucht Eure Freunde. – Monseigneur, vielleicht sind sie nicht in Paris; ja dies ist sogar wahrscheinlich, ich werde reisen müssen. Ich bin nur ein sehr armer Musketierleutnant, und die Reisen sind teuer.

Mazarin blieb einen Augenblick nachdenklich, als ob sich ein gewaltiger Kampf in seinem Innern entspänne. Dann ging er auf einen dreifach geschlossenen Schrank zu und zog einen Sack hervor, den er wiederholt in der Hand wog, ehe er ihn d’Artagnan gab.

Nehmt dies, sprach er mit einem Seufzer, es ist für die Reise.

Wenn es spanische Dublonen oder Goldtaler sind, dachte d’Artagnan, so können wir noch ein Geschäft miteinander machen.

Er verbeugte sich vor dem Kardinal und schob den Sack in seine weite Tasche.

Nun, das ist abgemacht, versetzte der Kardinal, Ihr reist. – Ja, Monseigneur. – Schreibt mir alle Tage und gebt mir Nachricht von Euren Unterhandlungen. – Ich werde nicht ermangeln, Monseigneur. – Gut. Doch halt, der Name Eurer Freunde …? – Nach kurzem Schweigen antwortete d’Artagnan entschlossen: Der Graf de la Fère, sonst Athos genannt, Herr du Ballon, sonst Porthos genannt, und der Chevalier d’Herblay, gegenwärtig Abbé d’Herblay, früher Aramis genannt.

Der Kardinal lächelte.

Junker, sprach er, die sich mit falschen Namen unter die Musketiere hatten aufnehmen lassen, um nicht ihre Familiennamen zu kompromittieren … lange Stoßdegen, leichte Börsen. Man kennt das.

Wenn es Gottes Wille ist, daß diese Stoßdegen in den Dienst Eurer Eminenz treten, erwiderte d’Artagnan, so wage ich den Wunsch auszudrücken, die Börse Eurer Eminenz möge leicht und die ihrige dafür schwer werden; denn mit diesen drei Männern und mit mir kann Eure Eminenz ganz Frankreich und sogar ganz Europa in Bewegung setzen, wenn es Euch beliebt.

Diese Gascogner, sprach Mazarin lächelnd, kommen den Italienern in der Prahlerei gleich.

In jedem Fall, sagte d’Artagnan mit einem ähnlichen Lächeln, in jedem Fall stehen sie, wenn es sich um das Schwert handelt, über ihnen.

Und er trat ab, nachdem er um einen Urlaub gebeten hatte, der ihm sogleich bewilligt und von dem Kardinal selbst unterzeichnet wurde.

Sobald der Kardinal allein war, rieb er sich die Hände.

Hundert Pistolen! murmelte er, hundert Pistolen! Um hundert Pistolen habe ich ein Geheimnis erhandelt, wofür Herr Richelieu zwanzigtausend Taler bezahlt hätte. Diesen Diamanten nicht zu rechnen, fügte er bei und warf einen verliebten Blick auf den d’Artagnan vorenthaltenen Ring, der wenigstens zehntausend Livres wert ist.

D’Artagnan aber näherte sich, kaum daß er draußen war, der ersten Laterne und schaute rasch in den Sack.

Silbertaler! rief er verächtlich, ich vermutete es! Ach, Mazarin, Mazarin! Du hast kein Vertrauen zu mir. Desto schlimmer! Das wird dir Unglück bringen.

Dann ging er in die Rue Tiquetonne, wo er in der Herberge zur Rehziege wohnte.

Wir wollen kurz erzählen, wie d’Artagnan dazu gekommen war, diese Wohnung zu wählen.

D’Artagnan mit vierzig Jahren

Seit der Zeit, wo wir in unserer Erzählung Die drei Musketiere d’Artagnan in der Rue des Fossoyeurs No. 12 verließen, war vieles und besonders viele Jahre vorübergegangen.

D’Artagnan hatte es nicht an sich fehlen lassen, wohl aber sein Glück. Viel hatte er auch durch den Verlust seiner Freunde verloren, denn wie alle feinen und geistreichen Naturen setzte er sich leicht mit allen guten Eigenschaften, die ihm entgegentraten, in Einklang. Athos verließ ihn zuerst, um sich auf ein kleines Landgut zurückzuziehen, das er in der Gegend von Blois geerbt hatte; sodann Porthos, um seine Prokuratorin zu heiraten, und endlich Aramis, um wirklich in den geistlichen Stand einzutreten und sich zum Abbé machen zu lassen.

Obgleich jetzt Leutnant der Musketiere geworden, sah sich d’Artagnan nach dem Weggang der Freunde vereinzelt. Eine Zeit lang hatte die liebliche Erinnerung an Madame Bonacieux dem Geiste des jungen Leutnants noch eine ideale Richtung gegeben; aber wie die Erinnerung an alle Dinge dieser Welt vergänglich ist, so verwischte sich auch diese allmählich. Von den zwei entgegengesetzten Naturen, die in d’Artagnan lebten, trug die materielle endlich den Sieg davon, und so war d’Artagnan allmählich das geworden, was man jetzt einen echten Troupier nennt.

Darum hatte d’Artagnan nicht gerade seine ursprüngliche Feinheit verloren, nein, durchaus nicht. Diese Feinheit hatte sich im Gegenteil vielleicht noch vermehrt oder war wenigstens doppelt auffallend unter einer etwas plumpen Hülle; aber diese Feinheit richtete sich nicht auf die großen Dinge des Lebens, sondern auf den materiellen Wohlstand, d. h. auf den Besitz eines guten Lagers, einer guten Tafel, einer guten Wirtin.

Und d’Artagnan hatte dies alles seit sechs Jahren in der Rue Tiquetonne unter dem Schilde der Rehziege gefunden.

In der ersten Zeit seines Aufenthalts in diesem Gasthofe verliebte sich die Wirtin, eine schöne, frische Flamänderin von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, sterblich in ihn. Der unbequeme Gatte, dem d’Artagnan zehnmal zum Schein gedroht hatte, er werde ihm seinen Degen durch den Leib rennen, war an einem schönen Morgen verschwunden, um für immer zu desertieren, nachdem er heimlicherweise einige Fässer Wein verkauft und das Geld und die Juwelen mitgenommen hatte. Man hielt ihn für tot; seine Frau besonders behauptete keck, er sei hinübergegangen. Endlich nach drei Jahren einer Verbindung, die d’Artagnan sich wohl hütete zu brechen, denn er fand jedes Jahr seine Geliebte und sein Lager angenehmer als zuvor, erhielt d’Artagnan Befehl, mit seiner Musketierkompanie an der Expedition nach Franche Comté teilzunehmen. Als er ausrückte, gab es großes Wehklagen, Tränen ohne Ende, feierliche Versprechungen, treu zu bleiben, alles von seiten der Wirtin, wohlverstanden. D’Artagnan war zu sehr vornehmer Mann, um etwas zu geloben; auch versprach er nur, alles zu tun, was in seinen Kräften liege, um den Ruhm seines Namens zu erhöhen.

In dieser Hinsicht kennt man d’Artagnan. Er setzte sich auf eine bewundernswürdige Weise den Gefahren aus. Und als er an der Spitze seiner Kompanie angriff, erhielt er eine Kugel durch die Brust, die ihn auf das Schlachtfeld niederstreckte. Man sah ihn vom Pferde fallen, man sah, daß er sich nicht wieder erhob, man hielt ihn für tot, und alle, welche Hoffnung hatten, ihm in seinem Grad zu folgen, sagten auf gut Glück, er sei es.

Aber d’Artagnan war nicht der Mann, der sich nur so töten ließ. Nachdem er während der Tageshitze ohnmächtig auf dem Schlachtfelde liegen geblieben war, bewirkte die Kühle der Nacht, daß er wieder zu sich kam. Er erreichte ein Dorf, klopfte an die Türe des schönsten Hauses und wurde aufgenommen, wie die Franzosen überall und immer aufgenommen werden, wenn sie verwundet sind; man verband, pflegte, heilte ihn, und als er sich wieder besser fühlte denn je, schlug er eines schönen Morgens den Weg nach Frankreich ein, in Frankreich die Straße nach Paris, und in Paris die Richtung nach der Rue Tiquetonne.

Wer d’Artagnan fand sein Zimmer von einem vollständigen Männerkleiderständer besetzt, abgesehen von einem Degen, der an der Wand befestigt war.

Er wird zurückgekommen sein, dachte er; desto schlimmer und desto besser.

Es versteht sich, daß d’Artagnan immer an den Gatten dachte.

Er erkundigte sich: neue Kellner, neue Magd, die Herrin des Hauses war spazierengegangen.

Allein? fragte d’Artagnan. – Mit dem Herrn. – Der Herr ist also zurückgekehrt? – Allerdings, antwortete die Magd naiv.

Wenn ich Geld hätte, sprach d’Artagnan zu sich selbst, so würde ich gehen, aber ich habe keines. Ich muß bleiben und bei Durchkreuzung der ehelichen Pläne dieses ungelegenen Gastes den Rat meiner Wirtin befolgen.

Er vollendete eben diesen Monolog, da rief plötzlich die Magd:

Ah! sieh da, hier kommt gerade die Madame mit dem Herrn.

D’Artagnan warf einen Blick weit in die Straße hinaus und sah wirklich die Wirtin am Arme eines ungeheuren Schweizers zurückkehren. Der Schweizer wiegte sich im Gehen mit einer Miene, die d’Artagnan an seinen Freund Porthos erinnerte.

Das ist der Herr? sprach d’Artagnan zu sich selbst. Oh! oh! er ist gewaltig gewachsen, wie mir scheint. Und er setzte sich in dem Saal an einen recht augenfälligen Platz.

Die Wirtin bemerkte d’Artagnan bei ihrem Eintritte sogleich und stieß einen kurzen Schrei aus. Bei diesem Schrei stand d’Artagnan, der sich für erkannt hielt, rasch auf, lief auf sie zu und umarmte sie zärtlich. Der Schweizer schaute ganz verdutzt die Wirtin an, die todesbleich dastand.

Ah, Ihr seid es, Herr! Was wollt Ihr von mir? fragte sie in der größten Unruhe.

Der Herr ist Euer Vetter? der Herr ist Euer Bruder? sprach d’Artagnan, ohne sich im geringsten aus der Rolle bringen zu lassen, die er spielte; und ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, warf er sich in die Arme des Helvetiers.

Wer ist dieser Mensch? fragte dieser.

Die Wirtin antwortete nur mit krampfhaften Zuckungen.

Wer ist dieser Schweizer? fragte d’Artagnan.

Der Herr will mich heiraten, antwortete die Wirtin zwischen zwei Krampfanfällen.

Euer Gatte ist also endlich gestorben?

Was geht das Euch an? entgegnete der Schweizer.

Es geht mich viel an, sprach d’Artagnan, insofern Ihr diese Frau ohne meine Einwilligung nicht heiraten könnt, und insofern ich sie nicht gebe.

Der Schweizer wurde purpurrot, wie eine Gichtrose. Er trug eine schöne, mit Gold besetzte Uniform; d’Artagnan war in einen grauen Mantel gehüllt. Der Schweizer maß sechs Fuß, d’Artagnan kaum über fünf. Der Schweizer glaubte sich zu Hause; d’Artagnan erschien ihm als ein Eindringling.

Wollt Ihr Euch wohl von hier entfernen? sagte der Schweizer und stampfte heftig mit dem Fuße, wie ein Mensch, der im Ernst zornig zu werden anfängt.

Ich? Keineswegs, sagte d’Artagnan.

Aber man braucht nur die Wache herbeizuholen! rief ein Kellner, der nicht begreifen konnte, wie dieser kleine Mensch sich unterstand, dem großen Manne den Platz streitig zu machen.

Du, sagte d’Artagnan, den der Zorn ebenfalls an den Haaren zu fassen anfing, indem er den Kellner beim Ohre nahm. Du bleibst auf dieser Stelle, oder ich reiße dir aus, was ich in der Hand halte. Ihr aber, erhabener Abkömmling von Wilhelm Tell, Ihr packt Eure Kleider, die in meinem Zimmer sind und mich belästigen, alsbald zusammen und sucht Euch schleunigst eine andere Herberge.

Der Schweizer brach in ein schallendes Gelächter aus.

Ich gehen? sagte er, und warum?

Ah, das ist gut, erwiderte d’Artagnan, ich sehe, daß Ihr französisch versteht. Dann macht einen Gang mit mir, und ich werde Euch das übrige erklären.

D’Artagnan führte den Schweizer fort, trotz der Wehklagen der Wirtin, die ihr Herz wieder zu ihrer alten Liebe sich hinneigen fühlte.

Die zwei Gegner gingen geradezu nach den Fossés Montmartre. Es war Nacht, als sie dort ankamen. D’Artagnan bat den Schweizer höflich, ihm das Zimmer abzutreten und nicht mehr zurückzukommen. Dieser zog seinen Degen.

Dann werdet Ihr hier ruhen, sprach d’Artagnan. Es ist eine garstige Lagerstätte, aber ich bin nicht schuld daran, denn Ihr habt es so gewollt.

Bei diesen Worten zog er ebenfalls vom Leder und kreuzte den Degen mit seinem Gegner.

Er hatte es mit einer rohen Faust zu tun, aber seine Geschmeidigkeit tat es jeder Kraft zuvor. Der Stoßdegen des Schweizers fand nie den des Musketiers. Der Schweizer erhielt zwei Degenstiche und nahm es anfangs nicht wahr; plötzlich aber nötigten ihn Blutverlust und Schwäche, sich zu setzen.

Seht, sprach d’Artagnan, hab‘ ich es Euch nicht vorher gesagt? Ihr seid nun weit vorgerückt, Ihr halsstarriger Mensch. Zum Glück habt Ihr nur für vierzehn Tage. Bleibt hier, und ich werde Euch Eure Kleider durch den Aufwärter schicken. Adieu!

Darauf kehrte er ganz heiter in die Wohnung zurück und schickte wirklich die Kleider an den Schweizer ab, den der Aufwärter auf demselben Platze sitzend fand, wo ihn d’Artagnan gelassen hatte, und noch ganz verblüfft über das kecke Benehmen seines Gegners.

Der Aufwärter, die Wirtin und das ganze Haus legten gegen d’Artagnan die allergrößte Achtung an den Tag. Als er mit seiner Wirtin allein war, sagte er: Nun, schöne Madeleine, Ihr wißt, welcher Unterschied zwischen einem Schweizer und einem Edelmann besteht, Ihr aber habt Euch wie eine Schankwirtin benommen. Desto schlimmer für Euch; denn unter diesen Umständen verliert Ihr meine Achtung und meine Kundschaft. Ich habe den Schweizer fortgejagt, um Euch zu demütigen; aber ich werde hier nicht bleiben. Ich kann nicht weilen, wo ich verachte. Holla! Aufwärter! Man bringe mein Felleisen in die Liebestonne, Rue des Bourdonnais. Gott befohlen, Madame.

D’Artagnan war, wie es scheint, während er diese Worte sprach, zugleich majestätisch und rührend. Die Wirtin warf sich ihm zu Füßen, bat ihn um Verzeihung und hielt ihn mit süßer Gewalt zurück. Was soll ich noch mehr sagen? Der Bratspieß drehte sich, der Ofen summte, die schöne Madeleine weinte; d’Artagnan fühlte, wie sich Hunger, Kälte und Liebe zu gleicher Zeit wieder in ihm regten; er vergab, und nachdem er vergeben hatte, blieb er. So kam es, daß d’Artagnan in der Rue Tiquetonne in der Herberge zur Rehziege wohnte.

D’Artagnan trifft einen alten Bekannten

D’Artagnan kehrte also, ganz in Gedanken versunken, zurück; er fand ein lebhaftes Vergnügen daran, den Sack mit den Talern des Kardinals zu tragen, und dachte an den schönen Diamanten, der ihm gehört, und den er einen Augenblick an dem Finger des ersten Ministers hatte glänzen sehen.

Wenn dieser Diamant je wieder sein eigen würde, wollte er sich ein Stück Land um sein Ahnenschloß kaufen und auf das Erscheinen einer reichen Erbin warten und diese heiraten. Dann hätte ich, träumte er weiter, drei Knaben; aus dem einen würde ich einen vornehmen Herrn wie Athos, aus dem zweiten einen schönen Soldaten wie Porthos, und aus dem dritten einen leutseligen Abbé wie Aramis machen. Meiner Treu, das wäre weit besser als das Leben, das ich führe. Aber leider ist Monsignore Mazarin ein Filz, der sich seines Diamanten nicht zu meinen Gunsten entäußern wird.

Als er in die Rue Tiquetonne kam, hörte er einen großen Lärm und bemerkte eine auffallende Zusammenrottung unweit seiner Wohnung.

Als er sich näherte, sah er, daß die Zusammenrottung nicht vor seinem Gasthofe, sondern vor dem benachbarten Hause stattfand. Man stieß ein gewaltiges Geschrei aus, man lief mit Fackeln umher, und beim Schimmer dieser Fackeln gewahrte d’Artagnan Uniformen.

Er fragte, was vorgehe. Man antwortete ihm, ein Bürger habe einen von den Garden des Kardinals eskortierten Wagen mit etwa zwanzig von seinen Freunden angegriffen; aber es sei eine Verstärkung hinzugekommen, und man habe die Bürger in die Flucht geschlagen. Der Anführer der Rotte habe sich in das nächste Haus geflüchtet, und man durchsuche nun dieses Haus.

D’Artagnan, der nicht mehr so hitzig und unbesonnen war wie vor zehn Jahren und auch an seine Taler dachte, ging unbekümmert um den Lärm in die Rehziege zur schönen Madeleine, die ihn nicht erwartete und sich, voll Angst über den Straßenauflauf, doppelt seiner Ankunft freute.

D’Artagnan befahl, ihm sein Abendessen nachzubringen, nahm seinen Schlüssel und seinen Leuchter und stieg in sein Zimmer hinauf. Um der Vermietung nicht zu schaden, hatte er sich mit einem Zimmer im vierten Stocke begnügt. Unsere Wahrheitsliebe nötigt uns sogar, zu bemerken, daß das Zimmer unmittelbar über der Dachrinne und unter dem Dache lag.

Hier war seine erste Sorge, in einem alten Sekretär, an dem nichts als das Schloß neu war, seinen Sack zu verschließen. Als einen Augenblick nachher sein Abendbrot aufgetragen und die Flasche Wein herbeigebracht war, entließ er den Aufwärter, schloß die Türe und setzte sich zu Tische.

Dies geschah nicht etwa, um ungestört nachdenken zu können. D’Artagnan war kein Grübler, der sich durch unnötige Sorgen den Genuß des Mahles und den Schlaf raubte. Er hatte Hunger und verzehrte sein Abendbrot; nach dem Abendbrot legte er sich nieder und schlief bis zum Tagesanbruch. Da erwachte er in voller körperlicher und geistiger Frische. Er sprang mit militärischer Entschlossenheit aus dem Bette und ging nachdenkend in seinem Zimmer umher.

Im Jahre 43, sagte er, ungefähr sechs Monate vor dem Tode des seligen Kardinals habe ich einen Brief von Athos erhalten. Was schrieb er mir? Er wohne auf einem kleinen Landgut, ja, so ist es, auf einem kleinen Landgut; aber wo? So weit war ich gekommen, ich besinne mich, ich befand mich gerade im Laufgraben vor dem belagerten Besançon, als ein Windstoß den Brief fortnahm. Früher hätte ich ihn gesucht, obgleich ihn der Wind an einen sehr bedrohten Ort getragen hatte. Aber die Jugend ist ein großer Fehler … wenn man nicht mehr jung ist. Ich kann also nicht an Athos denken. Weiter … Porthos.

Ich habe einen Brief von ihm erhalten. Er lud mich zu einer großen Jagd auf den Monat September 1646 ein. Da ich zu dieser Zeit wegen des Todes meines Vaters in Bearn war, so wurde mir der Brief unglückseligerweise nachgeschickt. Ich war abgereist, als er ankam. Aber er verfolgte mich und erreichte Montmedy einige Tage, nachdem ich diese Stadt verlassen hatte. Endlich traf er mich im Monat April. Da er mir aber erst im April 1647 zukam, und die Einladung für den Monat September 46 war, so konnte ich keinen Gebrauch davon machen. Wir wollen diesen Brief einmal holen; er muß bei meinen Papieren liegen.

D’Artagnan öffnete eine kleine alte Truhe, fand bald den Brief, verlor aber keine Zeit mit dem Durchlesen, sondern beeilte sich, nach der angegebenen Adresse zu sehen. Die Adresse war Schloß du Ballon.

Porthos hatte nichts weiter dazugesetzt. In seinem Stolz glaubte er, jeder kenne das Schloß, dem er seinen Namen gegeben hatte.

Zum Teufel mit dem eitlen Burschen, sprach d’Artagnan. Immer derselbe! Es würde mir übrigens am besten passen, bei ihm anzufangen, da er wahrscheinlich Geld in Fülle besitzt, nachdem er 800 000 Livres von Herrn Coquenard geerbt hat. Das ist gerade das, was mir fehlt. Athos wird sich zum Narren getrunken, Aramis muß sich in seine Andachtsübungen versenkt haben.

D’Artagnan warf noch einen Blick auf Porthos‘ Brief. Er hatte eine Nachschrift, und diese Nachschrift enthielt folgende Worte:

Ich schreibe mit demselben Kurier an unsern würdigen Aramis in sein Kloster.

Ja, in sein Kloster; aber in welchem Kloster ist er? Es gibt 200 in Paris und 3000 in Frankreich. Und als er sich ins Kloster begab, hat er vielleicht zum drittenmal seinen Namen gewechselt. Aber nur Geduld, wir wollen sehen. Ich habe von ihm, dem lieben Freunde, auch einen Brief bekommen. Er bat mich um einen kleinen Dienst, den ich ihm auch leistete. Aber wohin habe ich diesen Brief gelegt?

D’Artagnan dachte einen Augenblick nach und ging dann an den Ständer, an welchem seine alten Kleider hingen. Er suchte sein Wams vom Jahre 1648, und da d’Artagnan ein ordnungsliebender Mann war, so fand er es an seinem Nagel. Er streckte die Hand in die Tasche und zog ein Papier heraus. Es war gerade der Brief von Aramis.

Herr d’Artagnan, schrieb ihm dieser, Ihr wißt, daß ich Streit mit einem gewissen Edelmann gehabt habe, der heute abend mit mir auf der Place Royale zusammentreffen will. Da ich zu der Kirche gehöre und die Sache mir schaden könnte, wenn ich sie einem andern mitteilte, als einem so sichern Freunde, wie Ihr seid, so schreibe ich Euch, damit Ihr mir als Sekundant dienen möget.

Ihr kommt durch die Rue Neuve-Sainte-Catherine; unter der zweiten Laterne rechts findet Ihr Euern Gegner. Unter der dritten werde ich mit dem meinigen sein. Ganz der Eurige,

Aramis.

Hier war nicht einmal ein Gott befohlen beigefügt. D’Artagnan erinnerte sich, er war nach dem bestimmten Orte der Zusammenkunft gegangen, hatte den bezeichneten Gegner gefunden, dessen Namen ihm nie bekannt wurde, und ihm einen schönen Degenstich in den Arm beigebracht. Dann war er aus Aramis zugeschritten, der ihm entgegenkam, denn er hatte seine Sache bereits abgemacht.

Es ist geschehen, hatte Aramis gesagt. Ich glaube, ich habe den Unverschämten getötet. Doch, lieber Freund, wenn Ihr meiner bedürft, so wißt Ihr, daß ich Euch ganz ergeben bin.

Darauf hatte Aramis ihm die Hand gedrückt und war verschwunden.

Er wußte also ebensowenig, wo Aramis war, als wo Athos und Porthos sich aufhielten. Und die Sache fing an, ziemlich bedenklich zu werden, als er das Geräusch einer Glasscheibe, die man in seinem Zimmer zerbrach, zu hören glaubte. Er dachte sogleich an seinen Sack, der in seinen Sekretär eingeschlossen war, und stürzte aus seiner Kammer. Er hatte sich nicht getäuscht, in dem Augenblick, wo er durch die Türe eintrat, kam ein Mann durch das Fenster herein.

Ah, Elender! rief d’Artagnan, der den Eindringling für einen Dieb hielt, und griff nach seinem Degen.

Ums Himmels willen, Herr, rief der Mann, steckt Euern Degen in die Scheide und tötet mich nicht, ohne mich zu hören.

Ich bin gewiß kein Dieb; ich bin ein ehrlicher Bürger, der sein Haus in der Straße hat, und heiße … Doch ich täusche mich nicht, Ihr seid Herr d’Artagnan.

Und du Planchet! rief der Leutnant.

Euch zu dienen, Herr, sprach Planchet, im höchsten Grad entzückt, wenn es mir möglich wäre.

Vielleicht, erwiderte d’Artagnan. Aber was zum Teufel läufst du um sieben Uhr morgens in dieser Jahreszeit auf den Dächern umher?

Gnädiger Herr, sprach Planchet, Ihr müßt wissen … doch nein, Ihr könnt es nicht wohl wissen …

Nun, was denn? sprach d’Artagnan. Aber zuerst stecke eine Serviette vor das Fenster und ziehe den Vorhang vor.

Planchet gehorchte.

Nun, so sprich, sagte d’Artagnan. – Gnädiger Herr, vor allen Dingen, sagte der kluge Planchet, wie steht Ihr mit Herrn von Rochefort? – Vortrefflich. Warum denn? Rochefort? Du weißt wohl, daß er jetzt einer meiner besten Freunde ist. – Ah, desto besser! – Aber was hat denn Rochefort damit zu tun, daß du so in mein Zimmer dringst? – Ah, gnädiger Herr, ich muß Euch zuerst sagen, Herr von Rochefort ist …

Planchet zögerte nur einen Augenblick, dann berichtete er, wie die Bürgergruppe, durch die sich die Eskorte bei der Rückführung Rocheforts in die Bastille einen Weg bahnte, unruhig geworden sei, wie Herr von Rochefort um Hilfe gerufen habe, wie er, Planchet, darauf herbeigeeilt sei und ihn befreit habe. Leider, fuhr Planchet fort, kam in diesem Augenblick eine Patrouille vorüber; sie vereinigte sich mit den eskortierenden Garden und rief uns an. Ich zog mich fechtend nach der Rue Tiquetonne zurück. Man verfolgte mich auf den Fersen, und ich flüchtete mich in das Haus hier nebenan. Man umzingelte und durchsuchte es, aber vergebens: ich hatte im fünften Stock eine mitleidige Person gefunden, die mich zwischen zwei Matratzen verbarg. In diesem Versteck blieb ich bis Tagesanbruch, und da ich dachte, man würde die Nachforschungen wieder anfangen, so wagte ich mich auf die Dachrinnen, um zuerst einen Eingang und dann einen Ausgang in irgend einem Hause zu finden, das nicht bewacht wäre. Dies ist meine Geschichte und auf Ehre, gnädiger Herr, ich würde in Verzweiflung geraten, wenn sie Euch unangenehm wäre. – Nein, sprach d’Artagnan, im Gegenteil, und bei meiner Treue, es freut mich sehr, daß Rochefort seine Freiheit erlangt hat. Aber weißt du auch, daß du, wenn du den Häschern in die Hände fällst, ohne Gnade und Barmherzigkeit gehenkt wirst? – Bei Gott, ich weiß es, rief Planchet; darum war ich auch so erfreut. Euch zu treffen. Wenn Ihr mich verbergen wollt, so kann dies niemand besser, als Ihr. – Ja, sagte d’Artagnan, das will ich auch, obgleich ich nicht mehr und nicht weniger wage, als meinen Grad, wenn es bekannt würde, daß ich einem Rebellen Zuflucht gegeben habe. – Ah! gnädiger Herr, Ihr wißt wohl, daß ich mein Leben für Euch wagen würde. – Du könntest sogar beifügen, du habest es gewagt, Planchet. Setze dich und speise in Ruhe, denn ich sehe, daß du die Überreste meines Abendbrots mit einem sehr ausdrucksvollen Blicke anschaust. – Ach, gnädiger Herr, Ihr rettet mir zweimal das Leben, denn ich habe seit gestern mittag kaum zwei Bissen gegessen.

Und er setzte sich zu Tische und fing an zu schlingen, wie in den schönen Tagen der Rue des Fossoyeurs. Endlich stieß er jenen Befriedigungsseufzer des ausgehungerten Menschen aus, der besagt, daß er nach einer ernsten und soliden Abschlagszahlung einen Halt machen will.

Nun sprich, sagte d’Artagnan, welcher dachte, der Augenblick sei gekommen, das Verhör zu beginnen. Verfahren wir der Ordnung nach: Weißt du, wo Athos ist? – Nein, gnädiger Herr, antwortete Planchet. – Teufel! Weißt du, wo Porthos ist? – Ebensowenig! – Teufel! Teufel! Und Aramis? – Auch nicht. – Teufel! Teufel! Teufel! – Aber, versetzte der kluge Planchet, ich weiß, wo Bazin ist. – Wie, du weißt, wo Bazin ist? – Ja, gnädiger Herr. – Und wo ist er? – In Notre-Dame. – Und was macht er in Notre-Dame? – Er ist Mesner. – Bazin Mesner in Notre-Dame? Weißt du es gewiß? – Ganz gewiß; ich habe ihn gesehen, ich habe ihn gesprochen. – Er muß wissen, wo sein Herr ist. – Ohne Zweifel.

D’Artagnan dachte nach. Dann nahm er seinen Mantel und seinen Degen und schickte sich an, fortzugehen.

Gnädiger Herr, sagte Planchet mit kläglicher Miene, wollt Ihr mich so verlassen? Bedenkt, daß ich nur auf Euch meine Hoffnung setze. – Man wird dich hier nicht suchen, entgegnete d’Artagnan. – Aber wenn man hierher käme, versetzte der kluge Planchet, bedenkt, daß ich für die Leute des Hauses, die mich nicht haben hereingehen sehen, ein Dieb wäre. – Das ist richtig. Sprichst du irgend ein Patois? – Ich spreche noch etwas Besseres, ich spreche eine Sprache, ich spreche Flamändisch. – Wo zum Teufel hast du es gelernt? – In Artois, wo ich zwei Jahre im Felde gewesen bin. Hört: Goeden Morgen, mynheer, ick ben begeerig te weeten hoe gezondheids omstand. – Das nennt er eine Sprache! Doch gleichviel, sagte d’Artagnan; es kommt ganz gelegen.

D’Artagnan ging an die Türe, rief einen der Aufwärter und befahl ihm, der schönen Madeleine zu sagen, sie möge heraufkommen.

Was macht Ihr, Herr? rief Planchet, Ihr wollt unser Geheimnis einer Frau anvertrauen!

Sei ruhig, diese wird nichts verraten.

In diesem Augenblick trat die Wirtin ein. Sie lief mit lachender Miene herbei, denn sie hoffte, d’Artagnan allein zu finden; als sie aber Planchet erblickte, wich sie erstaunt zurück.

Meine liebe Wirtin, sagte d’Artagnan, ich stelle Euch hier Euern Herrn Bruder vor. Er kommt von Flandern, und ich nehme ihn einige Tage in meine Dienste.

Meinen Bruder, sprach die Wirtin, immer erstaunter.

Wünscht doch Eurer Schwester guten Morgen, Meister Peter.

Wilkom zuster, sagte Planchet.

Goeden dag, broeder, sprach die Wirtin voll Verwunderung.

So ist es gut, sagte d’Artagnan, der Herr ist Euer Bruder. Er kommt von Amsterdam. Ihr kleidet ihn in meiner Abwesenheit. Wenn ich zurückkehre, das heißt in einer Stunde, stellt Ihr ihn mir vor, und obgleich er kein Wort Französisch spricht, nehme ich ihn doch auf Eure Empfehlung, da ich Euch nichts abschlagen kann, in meine Dienste. Ihr versteht?

Das heißt, ich errate, was Ihr wünscht, und mehr bedarf es nicht, erwiderte Madeleine.

Ihr seid eine kostbare Frau, meine schöne Wirtin, ich baue ganz auf Euch.

Hierauf machte d’Artagnan Planchet ein Zeichen des Einverständnisses und verließ das Zimmer, um sich nach Notre-Dame zu begeben.

Die Vorbereitungen zum Wiedersehn

Nun? sagte, im Hofe des Gasthauses zur Rehziege sitzend, Porthos zu seinem Freund d’Artagnan, der mit langem, verdrießlichem Gesicht aus dem Palais-Kardinal zurückkehrte, nun, er hat Euch übel empfangen, mein braver d’Artagnan?

Meiner Treu, ja! dieser Mensch ist offenbar ein abscheuliches Geschöpf. Was eßt Ihr da, Porthos?

Ihr seht ja; ich tauche etwas Zwieback in spanischen Wein. Macht es ebenso.

Ihr habt recht. Gimblou, ein Glas!

Der mit diesem harmonischen Namen angerufene Kellner brachte das verlangte Glas, und d’Artagnan setzte sich zu seinem Freunde.

Wie ist die Sache abgelaufen? – Gott verdamm‘ mich, es war nicht möglich, die Sache auf zweierlei Arten darzustellen; ich trat ein, er schaute mich von der Seite an, ich zuckte die Schultern und sagte: Monseigneur, wir sind nicht die Stärkeren gewesen. – Ja, ich weiß alles, aber erzählt mir die einzelnen Umstände. – Ihr begreift, Porthos, ich konnte die Einzelheiten nicht erzählen, ohne unsere Freunde zu nennen, und wenn ich sie nannte, so richtete ich sie zu Grunde. – Bei Gott! – Monseigneur, sagte ich, sie waren zu fünfzig, und wir waren zu zwei. – Ja, antwortete er, aber das verhinderte keineswegs einen Austausch von Pistolenschüssen, wie ich gehört habe. – Allerdings sind von der einen, wie von der andern Seite einige Patronen verbrannt worden. – Und die Schwerter haben den Tag gesehen? fügte er bei. – Oder vielmehr die Nacht, Monseigneur, antwortete ich. – Ah! ja, fuhr der Kardinal fort; ich hielt Euch für einen Gascogner, mein Lieber. – Ich bin nur Gascogner, wenn ich siege, Monseigneur. – Diese Antwort gefiel ihm, denn er lachte. – Das dient mir zur Lehre, sprach er, daß ich meinen Garden bessere Pferde gebe, denn wenn sie Euch hätten folgen können, und jeder so viel getan hätte, wie Ihr und Euer Freund, so hättet Ihr Euer Wort gehalten und mir ihn tot oder lebendig gebracht.

Das kommt mir gar nicht so schlimm vor, versetzte Porthos.

Ich war im Begriff, mich zu entfernen, als er mich zurückrief. – Drei von Euern Pferden sind tot oder verschlagen? fragte er. – Ja, Monseigneur. – Wieviel waren sie wert? – Das war, scheint mir, ein guter Klang, sprach Porthos. – Tausend Pistolen, antwortete ich. – Tausend Pistolen? sagte Porthos, oh! oh! das ist viel, er versteht sich auf die Pferde und wird wohl gehandelt haben. – Meiner Treu, er hatte Lust dazu, der Filz, denn er machte einen furchtbaren Sprung und schaute mich an. Ich schaute ihn auch an; dann begriff er die Sache, steckte die Hand in einen Schrank und zog Anweisungen auf die Bank von Lyon heraus. – Für tausend Pistolen? – Für tausend Pistolen … der Knauser, nicht eine einzige mehr. – Ihr habt sie? – Hier sind sie. – Meiner Treu, ich finde das anständig, sprach Porthos. – Anständig, gegen Leute, die nicht nur unmittelbar vorher ihre Haut gewagt, sondern ihm einen großen Dienst geleistet haben! – Einen großen Dienst! und welchen? fragte Porthos. – Bei Gott, es scheint, ich habe ihm einen Parlamentsrat zertreten. – Wie, das schwarze Männchen, das wir an der Ecke des Saint-Jean-Kirchhofes niedergeworfen haben? – Ganz richtig, mein Lieber. Dieser Mensch war ihm unbequem. Leider habe ich ihn nicht ganz platt getreten, er wird davonkommen und ihm abermals unbequem sein. – Ei, ei, sagte Porthos, und ich habe erst noch mein Pferd zurückgerissen, das gerade aus ihn losrennen wollte. Ein andermal will ich’s besser machen. – Der Knicker hätte mir den Rat jedenfalls bezahlen müssen. – Ei, meinte Porthos, er war ja nicht ganz zertreten. – Ah! Herr von Richelieu hätte gesagt: Fünfhundert Taler für den Rat! Doch sprechen wir nicht mehr davon. Wieviel kosten Euch Euere Tiere, Porthos? – Ach, mein Freund, wenn der arme Mousqueton da wäre, er könnte es Euch bei Heller und Pfennig sagen. – Gleichviel, schätzt sie zehn Taler mehr oder weniger. – Vulkan und Bayard kosteten mich jeder ungefähr zweihundert Pistolen; schlage ich Phöbus auf hundertundfünfzig an, so wird die Rechnung ungefähr herauskommen. – Dann bleiben also vierhundertundfünfzig Pistolen, sprach d’Artagnan ziemlich zufrieden. – Ja, versetzte Porthos, aber Sattel und Zeug. – Das ist bei Gott wahr. Wieviel hierfür? – Wenn ich hundert Pistolen für alle drei rechne … – Gut, hundert Pistolen, sprach d’Artagnan. Dann bleiben noch dreihundert und fünfzig Pistolen. Porthos nickte beifällig mit dem Kopfe.

Geben wir die fünfzig Pistolen unserer Wirtin für unsere ganze Zeche, sprach d’Artagnan, und teilen wir die übrigen dreihundert.

Teilen wir sie.

In diesem Augenblick schlug es neun Uhr auf der benachbarten Kirche. D’Artagnan bebte.

Ach, es ist wahr, sagte Porthos, es schlägt neun Uhr, und um zehn Uhr sollen wir aus der Place Royale zusammentreffen.

Ach! Porthos, schweigt! rief d’Artagnan mit einer Bewegung der Ungeduld; erinnert mich nicht hieran, das hat mich seit gestern verdrießlich gemacht. Ich gehe nicht hin.

Und warum? fragte Porthos.

Weil es eine schmerzliche Sache ist, zwei Männer zu sehen, die unsere Unternehmung zum Scheitern gebracht haben, und diese Zusammenkunft etwas verbirgt!

Oho! entgegnete Porthos, das glaubt Ihr selbst nicht, d’Artagnan.

Es war so. D’Artagnan hielt Athos nicht für fähig, sich einer List zu bedienen; aber er suchte einen Vorwand, diese Zusammenkunft zu vermeiden.

Wir müssen hingehen, fuhr der stolze Grundherr von Bracieux fort; sie würden glauben, wir haben Angst. Ei, mein lieber Freund, wir haben wohl fünfzig Feinden auf der Landstraße Trotz geboten, wir werden wohl auch zwei Freunden auf der Place Royale stand halten.

Ja, ja, sagte d’Artagnan, ich weiß es; aber sie haben die Partei des Prinzen ergriffen, ohne uns davon in Kenntnis zu setzen; Athos und Aramis trieben ein Spiel mit mir, das mich empört. Gestern haben wir die Wahrheit entdeckt; wozu soll es dienen, heute noch etwas anderes zu erfahren?

Ihr mißtraut also wirklich?

Aramis allerdings, seitdem er Abbé geworden ist. Ihr glaubt gar nicht, mein Lieber, wie er sich verändert hat. Er sieht uns auf dem Wege, der ihn zum Bistum führen soll, und es wäre ihm vielleicht nicht unangenehm, uns auf die Seite zu schaffen.

Ah! bei Aramis ist es etwas anderes, sprach Porthos, das würde mich nicht wundern.

Herr von Beaufort kann auch einen Versuch machen, uns festnehmen zu lassen.

Bah! er hatte uns in der Hand und ließ uns wieder ziehen, übrigens wollen wir aus der Hut sein, uns bewaffnen und Planchet mit einem Karabiner mitnehmen.

Planchet ist Frondeur, sagte d’Artagnan.

Zum Teufel mit den Bürgerkriegen! rief Porthos, man kann weder auf seine Freunde noch auf seine Lakaien mehr rechnen. Ah! wenn der arme Mousqueton da wäre! Das ist ein Mensch, der mich nie verlassen wird.

Ja, solange Ihr reich seid. Ja, Ihr habt recht, Porthos, gehen wir hin, aber wohl bewaffnet. Gingen wir nicht, so würden sie sagen, wir hätten Angst.

Holla! Planchet, rief d’Artagnan. Planchet erschien. – Laß die Pferde satteln und nimm deinen Karabiner. – Aber, gnädiger Herr, gegen wen ziehen wir? – Wir ziehen gegen niemand, antwortete d’Artagnan, es ist eine reine Vorsichtsmaßregel, falls wir angegriffen würden. – Ihr wißt, gnädiger Herr, daß man den guten Rat Broussel, den Vater des Volkes, umbringen wollte. – Wirklich? rief d’Artagnan. – Ja, aber er wurde schön gerächt. Das Volk hat ihn auf seinen Armen nach Hause getragen, und wenn er jetzt wollte … – Nun, wenn er wollte … Planchet fing an zu trällern:

Ein Frondewind
Bläst frisch und munter,
Bläst Mazarin
Den Hut herunter.

Zur selben Zeit ritten Athos und Aramis durch das Faubourg Saint-Antoine in Paris ein. Sie hatten sich auf dem Wege gestärkt und eilten, um nicht zu spät zum Rendezvous zu kommen. Bazin allein folgte ihnen, denn Grimaud war, wie gesagt, zurückgeblieben, um Mousqueton zu pflegen, und sollte sich dann unmittelbar zu dem jungen Grafen Bragelonne begeben, der zu dem Heere nach Flandern ging.

Nun müssen wir irgend eine Herberge aussuchen, sagte Athos, um ein städtisches Gewand anzuziehen, Pistolen und Raufdegen abzulegen und unsern Bedienten zu entwaffnen. – O! keineswegs, mein lieber Graf; erlaubt mir, nicht nur nicht Euerer Meinung zu sein, sondern Euch zu der meinigen zu bringen. – Und warum dies? – Weil wir zu einer Kriegsverhandlung gehen. – Was wollt Ihr damit sagen, Aramis? – Daß sich auf der Place Royale die Landstraße von Vendome fortsetzt. – Wie, unsere Freunde … – Sind unsere gefährlichsten Feinde geworden; Athos, glaubt mir, wir dürfen nicht trauen. – O! d’Herblay! – Wer sagt Euch, daß d’Artagnan nicht seine Niederlage uns schuld gegeben und den Kardinal davon in Kenntnis gesetzt hat? Wer sagt Euch, daß der Kardinal nicht diese Zusammenkunft benutzen wird, um uns fassen zu lassen? – Wie, Aramis, könnt Ihr denken, d’Artagnan und Porthos würden zu einer solchen Niederträchtigkeit die Hand bieten? – Ihr habt recht, unter Freunden wäre es eine Niederträchtigkeit, aber unter Feinden ist es eine List.

Athos kreuzte die Arme und ließ sein schönes Haupt auf die Brust fallen.

Was wollt Ihr, Athos, die Menschen sind einmal so beschaffen und zählen nicht immer zwanzig Jahre, sagte Aramis. Wir haben grausam die Eitelkeit verletzt, von der sich dieser Mann blindlings leiten läßt. Er ist besiegt worden. Habt Ihr nicht gesehen, wie groß seine Verzweiflung war? Was Porthos betrifft, so hing vielleicht sein Baronstitel vom Gelingen dieser Angelegenheit ab. Wir sind ihm im Wege gewesen, und er wird für diesmal noch nicht Baron. Wer weiß, ob diese Baronie nicht in Verbindung mit unserer Zusammenkunft steht! Wir wollen auf unserer Hut sein, Athos.

Aber wenn sie ohne Waffen kämen? Welche Schmach für uns, Aramis!

O! seid unbesorgt, mein Lieber, ich stehe Euch dafür, es wird nicht so sein. Überdies haben wir eine Entschuldigung: wir kommen von der Reise und sind Rebellen.

O! Aramis, Aramis, sagte Athos mit traurigem Kopfschütteln, bei meiner Seele, Ihr macht mich zum unglücklichsten Menschen! Ihr entzaubert ein Herz, das für die Freundschaft nicht ganz abgestorben war; seht, Aramis, es wäre mir beinahe ebenso lieb, wenn man es mir aus der Brust risse, das schwöre ich Euch. Geht hin, wie Ihr wollt, Aramis; ich gehe ohne Waffen.

Nein, ich lasse Euch so nicht gehen. Es handelt sich nicht um einen einzelnen, um Athos allein oder den Grafen de la Fère, durch diese Schwäche verratet Ihr eine ganze Partei, der Ihr angehört und die auf Euch zählt.

Es geschehe, wie Ihr sagt, antwortete Athos.

Und sie setzten in trüber Stimmung ihren Weg fort.

Kaum gelangten sie durch die Rue du Pas-de-la-Mule zu den Gittern des verlassenen Platzes, als sie unter der Arkade an der Mündung der Rue Sainte-Catherine drei Reiter erblickten.

Es waren d’Artagnan und Porthos, die, in ihre Mäntel gehüllt, unter denen die Schwerter hervorsahen, herbeiritten. Hinter ihnen kam Planchet, die Muskete am Schenkel.

Athos und Aramis stiegen vom Pferde, als sie d’Artagnan und Porthos erblickten. D’Artagnan bemerkte, daß die drei Pferde, statt von Bazin gehalten zu werden, an die Ringe der Arkaden gebunden wurden. Er befahl Planchet das gleiche zu tun wie Bazin.

Dann gingen sie zwei und zwei, von den Bedienten gefolgt, einander entgegen und grüßten sich höflich.

Sie beschlossen, um ungestört zu sein, sich in den Garten der Palais Rohan zu begeben, zu dem sich Aramis anheischig machte, den Schlüssel zu holen.

Aramis entfernte sich sogleich, forderte aber Athos zuvor noch auf, nicht so allein im Bereich von d’Artagnan und Porthos zu bleiben; aber Athos lächelte nur verächtlich und machte einen Schritt auf seine alten Freunde zu, die beide auf ihrem Platz blieben.

Aramis klopfte nun am Hotel Rohan an; bald erschien er wieder mit einem Manne, welcher sagte:

Ihr schwört mir, Herr? – Nehmt, erwiderte Aramis und gab ihm einen Louisd’or. – Ah! Ihr wollt nicht schwören, gnädiger Herr? versetzte der Haushofmeister, den Kopf schüttelnd. – Ei! kann man denn wegen gar nichts schwören? sprach Aramis. Ich versichere Euch nur, daß zu dieser Stunde diese Herren unsere Freunde sind. – Ja, gewiß, sagten mit kaltem Tone Athos, d’Artagnan und Porthos.

D’Artagnan hatte das Gespräch gehört und verstanden.

Ihr seht, sagte er zu Porthos. – Was sehe ich? – Daß er nicht schwören wollte. – Schwören, worauf? – Dieser Mann wollte, Aramis solle ihm schwören, daß wir uns nicht schlagen wollen. – Und Aramis wollte nicht schwören? – Nein. – Dann wohl acht gegeben!

Athos verlor die zwei Redenden nicht aus dem Auge. Aramis öffnete das Tor und ging auf die Seite, damit d’Artagnan und Porthos eintreten konnten. Beim Eintreten brachte d’Artagnan den Griff seines Degens in das Gitter und war genötigt, seinen Mantel wegzuschieben. Bei dieser Gelegenheit entblößte er die glänzenden Kolben seiner Pistolen, auf denen sich ein Strahl des Mondes abspiegelte.

Seht Ihr, sagte Aramis, indem er mit der einen Hand Athos‘ Schulter berührte und mit der andern auf d’Artagnans Gürtel deutete.

Ach! ja, sprach Athos mit einem tiefen Seufzer.

Die Place Royale

Alle vier gingen stillschweigend bis in die Mitte des Platzes. Da aber in diesem Augenblick der Mond aus den Wolken hervortrat, dachten sie, sie könnten an dieser entblößten Stelle zu leicht gesehen werden, und zogen sich unter die Linden, wo der Schatten stärker war, zurück.

Es waren Bänke in bestimmter Entfernung voneinander aufgestellt. Athos machte ein Zeichen; d’Artagnan und Porthos setzten sich auf eine Bank, Athos und Aramis blieben vor ihnen stehen.

Nach einem kurzen verlegenen Schweigen sprach Athos: Meine Herren, ein Beweis der Macht unserer alten Freundschaft ist unsere Gegenwart an diesem Ort. Keiner hat gefehlt, keiner hat sich also einen Vorwurf zu machen.

Hört, Herr Graf, erwiderte d’Artagnan, statt uns Komplimente zu sagen, die wir vielleicht beiderseits nicht verdienen, wollen wir uns als Leute von Herz erklären.

Das ist ganz mein Wunsch, antwortete Athos. Ich weiß, daß Ihr offenherzig seid; sprecht also mit Eurer ganzen Offenherzigkeit; habt Ihr mir oder dem Herrn Abbé d’Herblay etwas vorzuwerfen?

Ja, sprach d’Artagnan. Als ich die Ehre hatte, Euch in Euerm Schlosse Bragelonne zu besuchen, überbrachte ich Euch Anträge, die Ihr wohl begriffen habt. Statt mir wie einem Freunde zu antworten, spieltet Ihr mit mir wie mit einem Kinde, und diese Freundschaft, die Ihr so sehr preist, ist nicht durch den gestrigen Zusammenstoß unserer Schwerter, sondern durch Eure Heuchelei in Eurem Schlosse gebrochen worden.

D’Artagnan! sagte Athos im Tone sanften Vorwurfs.

Ihr habt Offenherzigkeit von mir verlangt, sprach d’Artagnan, hier ist sie. Ihr fragt mich, was ich denke, ich sage es Euch. Und nun habe ich Euch, Herr Abbé d’Herblay, dasselbe zu eröffnen. Ich handelte ebenso bei Euch, und Ihr habt mich ebenfalls getäuscht.

In der Tat, mein Herr, Ihr seid seltsam, sprach Aramis. Ihr kamt zu mir, um mir Vorschläge zu machen. Aber habt Ihr mir sie auch gemacht? Nein; Ihr habt mich nur ausgeforscht, und weiter nichts. Nun, was habe ich Euch gesagt? Mazarin sei ein Knauser, und ich würde Mazarin nicht dienen. Das ist das Ganze. Sagte ich Euch, ich würde keinem andern dienen? Im Gegenteil, ich gab Euch, glaube ich, zu verstehen, daß ich dem Prinzen angehörte. Wir haben sogar, wenn ich mich nicht täusche, ganz angenehm über den sehr wahrscheinlichen Fall gescherzt, daß Ihr von dem Kardinal den Auftrag erhalten würdet, mich zu verhaften. Wart Ihr Parteimann? Ja, allerdings. Nun wohl, warum sollten wir unsererseits nicht auch Parteimänner sein? Ihr hattet Euer Geheimnis, wie wir das unsere hatten. Wir haben dieselben nicht ausgetauscht; desto besser. Das beweist, daß wir unsere Geheimnisse zu bewahren wissen.

Ich mache Euch keinen Vorwurf, mein Herr, sagte d’Artagnan; nur weil der Graf de la Fère von Freundschaft gesprochen hat, unterwerfe ich Euer Benehmen einer Prüfung.

Und was findet Ihr dabei? fragte Aramis stolz.

Das Blut stieg d’Artagnan sogleich in den Kopf; er erhob sich und antwortete: Ich finde, daß es das Benehmen eines Jesuiten-Zöglings ist.

Als Porthos d’Artagnan sich erheben sah, erhob er sich ebenfalls. Die vier Männer standen also einander aufrecht und drohend gegenüber.

Bei d’Artagnans Antwort machte Aramis eine Bewegung, als wollte er die Hand an sein Schwert legen.

Athos hielt ihn zurück und sprach: D’Artagnan, Ihr kommt heute noch ganz empört über unser gestriges Abenteuer hierher. D’Artagnan, ich hielt Euch für so hochherzig, daß eine zwanzigjährige Freundschaft bei Euch eine viertelstündige Niederlage der Eitelkeit überdauern müßte. Laßt hören, sagt: glaubt Ihr mir also etwas vorwerfen zu können? Habe ich gefehlt, so werde ich meinen Fehler gestehen.

Die ernste klangreiche Stimme von Athos übte immer noch auf d’Artagnan ihren alten Einfluß aus, während ihn Aramis‘ durch die Aufregung schrill und kreischend gewordenen Töne aufbrachten. Er antwortete daher: Ich glaube, mein Herr Graf, Ihr hättet mir in Eurem Schlosse Bragelonne eine vertrauliche Mitteilung machen sollen, und dieser Herr eine ähnliche in seinem Kloster. Ich würde mich dann nicht in ein Abenteuer eingelassen haben, wo Ihr mir den Weg versperren mußtet. Weil ich jedoch diskret war, muß man mich nicht ganz und gar für einen Dummkopf halten. Hätte ich den Unterschied zwischen den Leuten, die Herr d’Herblay auf einer Strickleiter empfängt, und denen, die er auf einer hölzernen Leiter empfängt, ergründen wollen, so würde ich ihn wohl zum Sprechen genötigt haben.

Worein mischt Ihr Euch? rief Aramis, bleich vor Zorn, weil ihm auf einmal die Ahnung aufstieg, d’Artagnan könnte ihn bespäht und mit Frau von Longueville gesehen haben.

Ich mische mich in das, was mich angeht, und gebe mir das Ansehen, als hätte ich nicht bemerkt, was mich nicht angeht. Aber ich hasse die Heuchler, und in diese Kategorie setze ich die Musketiere, welche die Abbés spielen. Und dieser Herr, fügte er, sich gegen Porthos wendend, bei, dieser Herr ist meiner Meinung.

Porthos, der noch nicht gesprochen hatte, antwortete nur mit einer Silbe und mit einer Gebärde. Er sagte: Ja! und legte die Hand an den Degen.

Aramis machte einen Sprung rückwärts und zog den seinigen. D’Artagnan beugte sich, bereit zur Verteidigung oder zum Angriff.

Nun streckte Athos mit der majestätischen Gebärde, die nur ihm eigentümlich war, die Hand aus, zog langsam den Degen aus der Scheide, zerbrach das Eisen über seinem Knie und warf die Stücke beiseite. Dann wandte er sich gegen Aramis und sagte: Zerbrecht Euern Degen.

Aramis zögerte.

Es muß sein, sprach Athos und fügte mit leiserem, sanfterem Tone bei: Ich will es.

Noch bleicher, aber dem beherrschenden Einfluß des erhabenen Geistes folgend, zerbrach Aramis in seinen Händen die biegsame Klinge, kreuzte die Arme und wartete, bebend vor Wut.

Dieser Vorgang veranlaßte d’Artagnan und Porthos, zurückzuweichen. D’Artagnan zog seinen Degen nicht, Porthos steckte den seinen wieder in die Scheide.

Nie, sprach Athos, langsam seine rechte Hand zum Himmel erhebend, nie, ich schwöre es vor Gott, der uns in dieser feierlichen Pacht hört und sieht, nie wird mein Schwert die Eurigen berühren; nie wird mein Auge einen Blick des Zornes, nie mein Herz einen Schlag des Hasses für Euch haben. Wir haben miteinander gelebt, miteinander gehaßt und geliebt. Wir haben unser Blut vergossen und vermischt, und vielleicht besteht zwischen uns ein noch mächtigeres Band, als das der Freundschaft, nämlich das Band des gemeinsamen Verbrechens; denn wir haben alle vier ein menschliches Wesen verurteilt und hingerichtet, das wir von dieser Welt auszutilgen Wohl nicht berechtigt waren, obgleich es mehr der Hölle als dieser Welt anzugehören schien. D’Artagnan, ich habe Euch immer wie einen Sohn geliebt. Porthos, wir haben zehn Jahre Seite an Seite geschlafen; Aramis ist Euer Bruder, wie der meinige, denn Aramis hat Euch geliebt, wie ich Euch noch liebe, wie ich Euch stets lieben werde. Was kann der Kardinal Mazarin für uns sein, die wir die Hand und das Herz eines Mannes wie Richelieu bezwungen haben? Was kann dieser oder jener Prinz für uns sein, die wir die Krone auf dem Haupte eines Königs befestigt haben? D’Artagnan, ich bitte Euch um Verzeihung, daß ich gestern den Degen mit Euch gekreuzt habe. Aramis tut dasselbe gegenüber Porthos. Und nun haßt mich, wenn Ihr könnt; aber ich, ich schwöre Euch, daß ich trotz Eures Hasses nur Achtung und Freundschaft für Euch haben werde. Nun, wiederholt meine Worte, Aramis, und wenn sie wollen und Ihr wollt, so verlassen wir unsere alten Freunde auf immer.

Es herrschte einen Augenblick ein feierliches Stillschweigen, das von Aramis unterbrochen wurde.

Ich schwöre, sagte er mit ruhiger Miene und redlichem Blick, aber mit einer Stimme, in der ein letztes Zittern der Ausregung nachklang, ich schwöre, daß ich keinen Haß mehr gegen die hege, die meine Freunde waren; ich schwöre, daß ich es bedaure, Euren Degen berührt zu haben, Porthos; ich schwöre endlich, daß sich nicht nur der meinige nicht mehr gegen Eure Brust wenden, sondern daß in der Tiefe meiner geheimsten Gedanken für die Zukunft nicht einmal ein Schein von feindseligen Gefühlen gegen Euch mehr übrig bleiben wird. Kommt, Athos.

Athos machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

O! nein, nein! geht nicht! rief d’Artagnan, hingerissen von einer unwiderstehlichen Aufwallung, welche die Wärme seines Blutes und die angeborene Rechtschaffenheit seiner Seele verriet; geht nicht, denn ich habe auch einen Eid zu leisten. Ich schwöre, daß ich den letzten Tropfen meines Blutes, den letzten Fetzen meines Fleisches geben würde, um die Achtung eines Mannes, wie Ihr, Athos, die Freundschaft eines Mannes, wie Ihr, Aramis, zu erhalten. Und er stürzte in Athos‘ Arme.

Mein Sohn! rief Athos, ihn an sein Herz drückend.

Und ich, sagte Porthos, schwöre nichts; aber ich ersticke, hol‘ mich der Teufel! Wenn ich mich gegen Euch schlagen müßte, ich glaube, ich würde mich durchbohren lassen, denn ich habe auf der ganzen Welt nur Euch geliebt. Und der ehrliche Porthos zerfloß in Tränen, während er sich Aramis in die Arme warf.

Meine Freunde, sprach Athos, das ist es, was ich erwartete, was ich von zwei Herzen wie die Eurigen hoffte; ja, ich habe es gesagt und wiederhole es, unsere Geschicke sind unwiderruflich verbunden, obgleich wir auf verschiedenen Wegen wandeln. Ich achte Eure Meinung, d’Artagnan; ich ehre Eure Überzeugung, Porthos; aber obgleich wir uns auf entgegengesetzten Seiten schlagen, bleiben wir doch Freunde. Die Minister, die Prinzen werden wie ein Strom dahingehen, der Bürgerkrieg wird wie eine Flamme erlöschen, aber wir, wir werden bleiben, das sagt mir ein Vorgefühl.

Ja, sprach d’Artagnan, seien wir stets Musketiere und behalten wir als einzige Fahne die berühmte Serviette der Bastei Saint-Gervais, auf die der große Kardinal drei Lilien sticken ließ.

Ja, sagte Aramis, Kardinalisten oder Frondeurs, was liegt uns daran? Halten wir fest an unsern ergebenen Freunden, unsern lustigen Brüdern.

Und jedesmal, rief Athos, so oft wir uns im Gefechte treffen, nehmen wir bei dem einzigen Worte: Place Royale! den Degen in die linke Hand und reichen uns die Rechte, und wäre es mitten im Blutbad! Dies ist also abgemacht, fuhr er fort. Auf, meine Herren, Eure Hand. Seid Ihr ein wenig Christen?

Bei Gott! versetzte d’Artagnan.

Wir werden es bei dieser Gelegenheit sein, um unserem Schwur treu zu bleiben, sagte Aramis.

Ah, ich bin bereit, bei allem zu schwören, was man nur will, selbst bei Mohammed! Der Teufel soll mich holen, wenn ich je so glücklich gewesen bin, als in diesem Augenblick.

Und der gute Porthos trocknete seine noch feuchten Augen.

Hat einer von Euch ein Kreuz? fragte Athos.

Porthos und d’Artagnan schauten sich an, wie Menschen, denen man mit einer ganz unerwarteten Frage kommt.

Aramis lächelte und zog aus seiner Brust ein diamantenes Kreuz, das an einer Perlenschnur an seinem Halse hing. Hier ist eines, sagte er.

Nun wohl, versetzte Athos, schwören wir auf dieses Kreuz, das trotz seines Stoffes immerhin ein Kreuz ist, schwören wir, unter allen Umständen und immer einig zu sein, und möchte dieser Schwur nicht nur uns allein, sondern auch unsere Nachkommen binden. Ist dieser Eid Euch genehm?

Ja, antworteten sie einstimmig.

Ah! Verräter, flüsterte d’Artagnan ganz leise Aramis ins Ohr, Ihr habt uns auf das Kruzifix einer Frondeuse schwören lassen.

Zwei ehemalige Feinde

D’Artagnan kam um halb neun Uhr in die Bastille. Er ließ sich bei dem Gouverneur melden, der ihm, als er erfuhr, daß er im Namen und auf Befehl des Ministers kam, bis auf die Freitreppe entgegenging.

Der Gouverneur der Bastille war damals Herr du Tremblay, ein Bruder des berüchtigten Kapuziners Joseph, dieses furchtbaren Günstlings von Richelieu, den man die graue Eminenz nannte.

Herr du Tremblay empfing d’Artagnan mit der größten Höflichkeit und lud ihn ein, mit ihm zu Nacht zu speisen.

Ich würde dies mit dem größten Vergnügen tun, sprach d’Artagnan; aber wenn ich mich nicht täusche, steht auf dem Umschlag des Briefes: sehr eilig.

Das ist richtig, sagte Herr du Tremblay. Holla, Major, man lasse Nro. 256 herabkommen.

Beim Eintritt in die Bastille hörte man auf, ein Mensch zu sein, und wurde eine Nummer.

D’Artagnan schauderte beim Gerassel der Schlüssel. Er blieb zu Pferde, ohne absteigen zu wollen, und betrachtete die Gitterstangen, die tiefen Fenster und die ungeheuern Mauern.

Ich verlasse Euch, sprach Herr du Tremblay, als ein Glockenschlag erklang. Man ruft mich, um den Entlassungsbefehl zu unterzeichnen. Auf Wiedersehen, Herr d’Artagnan.

Der Teufel soll mich holen, wenn ich dir deinen Wunsch zurückgebe, murmelte d’Artagnan. Schon bei einem Aufenthalt von fünf Minuten fühle ich mich krank. Ich denke, daß ich lieber auf dem Stroh sterben, als auf dem Posten eines Bastillegouverneurs zehntausend Livres Renten sammeln möchte.

Kaum hatte er diesen Monolog vollendet, als der Gefangene erschien. Sobald d’Artagnan ihn erblickte, machte er eine Bewegung des Erstaunens, die er aber sogleich wieder bewältigte. Der Gefangene stieg in den Wagen, ohne, wie es schien, d’Artagnan erkannt zu haben.

Meine Herren, sagte d’Artagnan zu den vier Musketieren, man hat mir befohlen, den Gefangenen auf das schärfste zu bewachen. Ich will daher zu ihm hineinsteigen. Herr von Lillebonne, habt die Güte, mein Pferd am Zügel zu führen.

Sehr gern, mein Leutnant, antwortete der Angeredete.

D’Artagnan sprang vom Pferde, gab den Zügel dem Musketier, stieg in den Wagen und rief in einem Tone, in dem sich unmöglich auch nur die geringste Bewegung erkennen ließ: Ins Palais Royal, im Trab!

Sogleich entfernte sich der Wagen, und d’Artagnan warf sich, die herrschende Dunkelheit benutzend, dem Gefangenen um den Hals.

Rochefort! rief er, Ihr, Ihr seid es! Ich täusche mich nicht! – D’Artagnan! rief Rochefort erstaunt. – Ach, mein armer Freund, fuhr d’Artagnan fort; da ich Euch seit vier bis fünf Jahren nicht gesehen habe, so hielt ich Euch für tot. – Meiner Treu! erwiderte Rochefort, es ist kein großer Unterschied zwischen einem Toten und einem Begrabenen, und ich bin ein Begrabener. – Wegen welches Verbrechens seid Ihr in der Bastille? – Ich weiß es nicht. – Mißtrauen gegen mich, Rochefort? – Nein, auf Edelmannswort, denn ich kann unmöglich aus der Ursache hier sein, die man angibt. – Welche Ursache? – Als Dieb. – Ihr, Dieb? Rochefort, Ihr scherzt. – Nun, so hört, was geschehen ist. Eines Abends nach einer Orgie bei Reinard in den Tuilerien mit dem Herzog d’Harcourt, Fontrailles, von Rieux und anderen treiben wir in tollem Übermut das von dem Herzog von Orleans erfundene Vergnügen, in den Pariser Straßen den Leuten unvermerkt die Mäntel abzuziehen. Ich und Rieux hatten uns auf das eherne Pferd am Pont Neuf geschwungen, das Heinrich IV. trägt, als auf den Hilferuf eines Bestohlenen die Wache erscheint. Die andern entkommen, ich und Rieux werden, als wir vom Denkmal herunterspringen, gefaßt. Man steckt mich ins Gefängnis, und als ich nach acht Tagen an den Kardinal schreibe, holt man mich ab und führt mich in die Bastille, wo ich seit fünf Jahren sitze. Nun, was meint Ihr hierzu? – Nein, mein lieber Rochefort, das kann nicht der Grund Eurer Einkerkerung sein, Ihr werdet ihn übrigens wahrscheinlich jetzt erfahren. – Wohin führt Ihr mich denn? – Zu dem Kardinal. – Was will er von mir? Ihr müßt es wissen, denn daraus, daß Mazarin Euch gesandt hat, sehe ich, daß Ihr jetzt sein Günstling seid. – Ich weiß es nicht, ich befand mich zufällig im Vorzimmer, und der Kardinal wandte sich an mich, wie er sich an jeden andern gewendet hätte. Ich bin immer noch Leutnant bei den Musketieren, und dies, wenn ich richtig zähle, seit ungefähr einundzwanzig Jahren. – Es ist Euch doch kein Unglück widerfahren, und das ist schon viel. – Welches Unglück sollte mir widerfahren? Irgend ein lateinischer Vers sagt: Der Blitz trifft die Täler nicht; und ich bin ein Tal, mein lieber Rochefort, und zwar eines von den tiefsten. – Mazarin ist also immer noch Mazarin? – Mehr als je, mein Lieber; man sagt, er sei mit der Königin verheiratet. – Verheiratet! – Ist er nicht ihr Gemahl, so ist er sicherlich ihr Geliebter. – Einem Buckingham widerstehen und einem Mazarin nachgeben! – So sind die Frauen, versetzte d’Artagnan philosophisch. – Die Frauen Wohl, aber die Königinnen! – Ei, mein Gott, in dieser Hinsicht sind die Königinnen zweimal Frauen. – Und Herr von Beaufort ist immer noch im Gefängnis? – Immer noch, warum? – Da er mir wohlwollte, so hätte er mich herausbringen können. Und wie steht es mit dem Krieg? – Man wird ihn haben. – Mit Spanien? – Nein, mit Paris. – Was wollt Ihr damit sagen? – Hört Ihr die Flintenschüsse? – Ja. Nun? – Es sind aufrührerische Bürger. – Glaubt Ihr, man könnte aus den Bürgern etwas machen? – Gewiß, sie versprechen alles, und wenn sie einen Führer hätten … – Es ist ein Unglück, nicht frei zu sein. – Ei, mein Gott, verzweifelt doch nicht. Wenn Mazarin Euch holen läßt, so geschieht es einfach, weil er Euch braucht, und wenn er Euch braucht, nun, so mache ich Euch mein Kompliment. Es ist lange her, daß niemand meiner mehr bedurft hat; Ihr seht auch, wie weit ich es gebracht habe. – Beklagt Euch doch bei ihm! – Hört, Rochefort, einen Vertrag … – Welchen? – Ihr wißt, daß wir gute Freunde sind. – Bei Gott, ich trage die Male Eurer Freundschaft an mir: Drei Degenstiche! … – Nun wohl, wenn Ihr wieder in Gunst kommt, vergeßt mich nicht. – So wahr ich Rochefort heiße, aber unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. – Abgemacht: hier ist meine Hand. – Die erste Gelegenheit also, die Ihr findet, um von mir zu sprechen … – Ich spreche von Euch: und Ihr? – Ebenso. – Und soll ich von Euren Freunden sprechen? – Von welchen Freunden? – Von Athos, Porthos und Aramis. Habt Ihr sie denn vergessen? – Beinahe. – Was ist aus ihnen geworden? – Ich weiß es nicht. – Wirklich? – Ah, mein Gott ja, wir haben uns verlassen, wie Ihr wißt; sie leben noch, das ist alles, was ich von ihnen sagen kann. Von Zeit zu Zeit erhalte ich mittelbare Nachrichten von ihnen; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, in welchem Winkel der Erde sie sich aufhalten. Nein, auf Ehre! ich habe nur noch Euch zum Freunde, Rochefort. – Und der herrliche, wie nanntet Ihr doch den Burschen, den ich zum Sergeanten im Regimente Piemont machte? – Planchet. – Ja, so ist es, der herrliche Planchet; was ist aus ihm geworden? – Er hat einen Zuckerbäckerladen in der Rue des Lombards geheiratet. Der Bursche war stets ein großer Freund von Süßigkeiten. Er ist nun Pariser Bürger und treibt in diesem Augenblick wohl ohne Zweifel Aufruhr. Ihr werdet sehen, er ist Schöppe, ehe ich Kapitän bin. – Nur munter! mein lieber d’Artagnan, wenn man ganz unten am Rade ist, so dreht sich das Rad und hebt einen empor. Vielleicht ändert sich Euer Schicksal noch diesen Abend. – Amen, sprach d’Artagnan, den Wagen anhaltend.

D’Artagnan stieg, da sie sich ihrem Ziele näherten, wieder zu Pferde und setzte sich an die Spitze der Eskorte. Fünf Minuten nachher gelangte man in den Hof des Palais Royal. D’Artagnan führte den Gefangenen über die große Treppe und ließ ihn durch das Vorzimmer in den Korridor gehen. Vor der Tür zu Mazarins Kabinett angelangt, wollte er eben sich melden lassen, als Rochefort die Hand auf seine Schulter legte und lächelnd zu ihm sagte:

D’Artagnan, soll ich Euch eines sagen, woran ich auf dem ganzen Wege dachte, als ich die Gruppen von Bürgern sah, durch die wir fuhren und die Euch und Eure vier Leute mit flammenden Augen betrachteten? – Sprecht, antwortete d’Artagnan. – Ich durfte nur um Hilfe rufen, um Euch und Eure Eskorte in Stücke hauen zu lassen, und dann war ich frei. – Warum habt Ihr es nicht getan? – Geht doch! Geschworene Freundschaft! Aber wenn mich ein anderer als Ihr geführt hätte …

D’Artagnan neigte das Haupt, sprach zu sich: Sollte Rochefort besser geworden sein, als ich? und ließ sich bei dem Minister melden.

Laßt Herrn Rochefort eintreten, rief mit ungeduldigem Tone Mazarin, sobald er die zwei Namen gehört hatte, und sagt Herrn d’Artagnan, er möchte warten; ich bin noch nicht mit ihm fertig.

Diese Worte machten d’Artagnan ganz heiter. Lange Zeit hatte niemand seiner bedurft, und diese Aufforderung erschien ihm als ein glückliches Vorzeichen. Was Rochefort betrifft, so brachte sie auf diesen keine andere Wirkung hervor, als daß sie ihm seine vollständige Fassung verlieh. Er trat in das Kabinett ein und fand Mazarin am Tische sitzend in seiner gewöhnlichen Tracht, d. h. als Monsignore, was ungefähr die Kleidung der Abbés jener Zeit war, ausgenommen, daß er violette Strümpfe und einen violetten Mantel trug.

Die Türen schlossen sich wieder. Rochefort sah Mazarin verstohlen an und ertappte den Minister auf einem Blick, der den seinigen kreuzte.

Rochefort hatten die fünf Jahre, die er im Gefängnisse zugebracht, sehr alt gemacht. Seine schwarzen Haare waren ganz weiß geworden, und auf dem einst bronzefarbigen Gesicht lag eine Blässe, die auf Erschöpfung deutete.

Bei seinem Anblick schüttelte Mazarin unmerklich den Kopf mit einer Miene, die wohl sagen wollte: Dieser Mensch scheint mir nicht mehr zu großen Dingen zu taugen.

Nach einem kurzen Stillschweigen zog Mazarin aus einem Stoß Papiere einen offenen Brief hervor, zeigte ihn dem Edelmann und sagte: Ich habe hier einen Brief gefunden, worin Ihr um Eure Freiheit nachsucht, Herr von Rochefort. Ihr seid also im Gefängnis?

Rochefort erwiderte bebend: Es scheint mir, Ew. Eminenz wußte das besser, als irgend jemand. – Ich? keineswegs. Es sind noch eine Menge von Gefangenen aus der Zeit des Herrn von Richelieu da, deren Namen ich nicht einmal weiß. – Wohl, doch bei mir ist es etwas anderes, Monseigneur, und Ihr wußtet den meinigen, denn auf einen Befehl von Ew. Eminenz bin ich nach der Bastille gebracht worden. – Ihr glaubt? – Ich weiß es gewiß. – Ja, in der Tat, ich glaube mich dessen zu erinnern. Habt Ihr Euch damals nicht geweigert, für die Königin eine Reise nach Brüssel zu machen? –Ah! ah! sprach Rochefort, das ist also die wahre Ursache. Ich suche sie seit fünf Jahren. Aber, Monseigneur, ich ging nicht nach Brüssel, weil ich der Königin dort nichts nützen konnte, ja, meine Anwesenheit dort ihr geradezu schaden mußte. – Ich sage nicht, daß dies die Ursache Eurer Verhaftung sei. Verstehen wir uns recht, ich stelle die Frage an Euch, und nicht mehr. Die Königin allerdings hat in Eurer Weigerung nichts anderes gesehen, als eine einfache Weigerung. Ihre Majestät die Königin hatte sich unter dem verstorbenen Kardinal sehr über Euch zu beklagen.

Rochefort lächelte verächtlich und sagte: Gerade weil ich Richelieu gut gegen die Königin gedient hatte, mußtet Ihr, da er tot war, Monseigneur, begreifen, daß ich Euch gegen die ganze Welt gut dienen würde.

Ich, Herr von Rochefort? sagte Mazarin, ich bin nicht wie Herr von Richelieu, der auf die Allmacht abzielte. Ich bin ein einfacher Minister, der keiner Diener bedarf, insofern ich selbst der Diener der Königin bin. Ihre Majestät aber ist sehr empfindlich, sie wird Eure Weigerung erfahren und für eine Kriegserklärung gehalten haben; da sie nun wußte, daß Ihr ein Mann von hervorragenden Eigenschaften und folglich sehr gefährlich seid, mein lieber Herr von Rochefort, so hat sie mir wohl den Befehl gegeben, mich Euer zu versichern. Auf diese Art befindet Ihr Euch in der Bastille.

Gut, Monseigneur, sagte Rochefort, es scheint mir, wenn ich infolge eines Irrtums in der Bastille sitze …

Ja, ja, versetzte Mazarin, allerdings, das läßt sich ins reine bringen; Ihr seid ein Mann, um gewisse Sachen zu begreifen und, wenn Ihr sie einmal begriffen habt, sie gut zu betreiben.

Das war die Meinung des Herrn Kardinals von Richelieu, und meine Bewunderung für diesen großen Mann vermehrt sich noch dadurch, daß Ihr die Güte habt, mir zu sagen, es sei auch die Eurige.

Das ist wahr, versetzte Mazarin. Der Herr Kardinal hatte viel Politik, und darin bestand seine große Überlegenheit im Vergleich zu mir, der ich ein ganz einfacher, schlichter Mann bin. Was mir schadet, das ist der Umstand, daß ich eine ganz französische Offenherzigkeit besitze.

Rochefort preßte die Lippen zusammen, um nicht zu lachen.

Ich komme also zur Sache; ich bedarf guter Freunde, treuer Diener. Wenn ich sage, ich bedarf, so will ich damit sagen, die Königin bedarf. Ich tue alles nur auf Befehl der Königin, versteht mich wohl: es ist nicht wie bei dem Kardinal von Richelieu, der alles nur aus eigener Laune tat. Ich werde auch nie ein großer Mann sein, wie er; dagegen bin ich ein guter Mann, Herr von Rochefort, und hoffe Euch dies zu beweisen.

Rochefort kannte diese seidenweiche Stimme, durch die zuweilen ein Zischen klang, das dem der Schlange glich.

Ich bin ganz bereit, Monseigneur, zu glauben, sagte er, obgleich ich meinesteils wenig Beweise von der Gutmütigkeit habe, von der Ew. Eminenz spricht.

Ah! Herr Rochefort, ich sagte Euch bereits, daß ich keinen Teil an Eurer Gefangenschaft hatte. Die Königin – Zorn einer Frau und einer Prinzessin, was wollt Ihr? Aber das geht, wie es kommt, und nachher denkt man nicht mehr daran …

Ich begreife, Monseigneur, daß sie nicht mehr daran denkt, da sie fünf Jahre im Palais Royal mitten unter Festen und Höflingen zubrachte; aber ich, der sie in der Bastille zubringen mußte …

Ei, mein Gott, Herr von Rochefort, glaubt Ihr, das Palais Royal sei ein so angenehmer Aufenthaltsort? Nein, nein, ich versichere Euch, wir haben auch gewaltiges Getöse gehabt. Doch sprechen wir nicht mehr hiervon. Ich spiele wie immer offenes Spiel und frage: Herr von Rochefort, seid Ihr von den Unseren?

Ihr müßt begreifen, Monseigneur, daß ich nichts Besseres wünschen kann, aber ich bin mit allen gegenwärtigen Angelegenheiten nicht im mindesten vertraut. In der Bastille spricht man über Politik nur mit den Soldaten und den Gefängniswärtern, und Ihr habt keinen Begriff, Monseigneur, wie wenig diese Leute mit den Vorgängen auf dem laufenden sind. Ist Herr von Bassompierre immer noch einer von den siebzehn Seigneurs?

Er ist tot, mein Herr, und das ist ein großer Verlust. Er war ein der Königin ergebener Mann, und die ergebenen Leute sind selten.

Bei Gott, ich glaube wohl, sprach Rochefort. Wenn Ihr welche habt, so schickt Ihr sie in die Bastille.

Aber wodurch beweist sich die Ergebenheit? sagte Mazarin.

Durch die Tätigkeit, antwortete Rochefort.

Ah! ja, durch die Tätigkeit, versetzte der Minister nachdenkend, aber wo finden sich Männer von Tätigkeit?

Rochefort zuckte die Achseln und erwiderte: Es fehlt nie daran, Monseigneur; nur sucht Ihr schlecht. Richelieu hat immer treue und ergebene Diener gehabt, und doch habe ich Leute gekannt, fuhr er fort, denn er dachte, es sei jetzt die Zeit gekommen, d’Artagnan Wort zu halten, ich habe Leute gekannt, die durch ihre Gewandtheit hundertmal den Scharfsinn des Kardinals scheitern ließen, durch ihre Tapferkeit seine Leibwachen und seine Spione geschlagen haben, Leute, die ohne Geld, ohne Unterstützung, ohne Kredit einem gekrönten Haupt eine Krone erhielten und den Kardinal dahin brachten, daß er um Verzeihung bitten mußte. – Aber die Leute, von denen Ihr sprecht, sagte Mazarin, in seinem Innern lächelnd, daß Rochefort dahin gelangte, wohin er ihn führen wollte, diese Leute waren dem Kardinal nicht ergeben, da sie gegen ihn kämpften. – Nein, denn sie wären besser belohnt worden; aber sie hatten das Unglück, derselben Königin ergeben zu sein, für die Ihr soeben Diener verlangtet. – Ah! sprach Mazarin mit bewunderungswürdiger Gutmütigkeit, wenn ich solche Menschen kennen würde. – Ei! Monseigneur, Ihr habt einen seit sechs Jahren vor Eurer Türe und habt ihn seit sechs Jahren zu nichts gut geglaubt. – Wen denn? – Herrn d’Artagnan. – Den Gascogner? rief Mazarin mit vortrefflich gespielter Verwunderung. – Dieser Gascogner hat eine Königin gerettet, und Herr von Richelieu mußte gestehen, daß er ihm gegenüber an Geschicklichkeit, Gewandtheit und Politik nur ein Schüler sei. – Wirklich? – Wie ich es Ew. Exzellenz zu sagen die Ehre habe. – Erzählt mir das ein wenig, mein lieber Herr von Rochefort. – Das ist sehr schwierig, Monseigneur, sagte der Edelmann lächelnd. Aber ich kann Euch ein Märchen erzählen, ein wahres Feenmärchen, dafür stehe ich Euch, Monseigneur. – Oh! sprecht, Herr von Rochefort; ich liebe die Märchen ungemein. – Ihr wollt es? sagte Herr von Rochefort, indem er in diesem feinen, listigen Gesicht eine Absicht wahrzunehmen suchte. – Ja.

Nun, so hört. Es war einmal eine Königin … aber eine mächtige Königin, die Königin eines der mächtigsten Reiche der Welt, der ein Minister sehr übel wollte, weil er ihr zuvor zu wohl gewollt hatte. Sucht nicht, Monseigneur, Ihr könnt nicht erraten, wer. Alles das ereignete sich lange Zeit, ehe Ihr in das Reich kamt, wo diese Königin regierte. Es erschien aber am Hofe ein Botschafter, so tapfer, so reich und so artig, daß alle Frauen sich in ihn verliebten, und die Königin selbst, ohne Zweifel wegen der Art und Weise, wie er die Staatsangelegenheiten behandelt hatte, die Unklugheit beging, ihm einen Schmuck zu schenken, der so merkwürdig war, daß er sich nicht ersetzen ließ. Da dieser Schmuck vom König war, so forderte der Minister diesen auf, von der Fürstin zu verlangen, daß sie gerade die bezeichneten Juwelen bei dem nächsten Balle tragen solle. Es ist überflüssig, Euch zu bemerken, daß der Minister aus einer gewissen Quelle erfahren hatte, wie der Schmuck dem Botschafter gefolgt war, der in großer Entfernung jenseits des Meeres lebte. Die große Königin war verloren, wie die letzte ihrer Untertaninnen, denn sie stürzte augenscheinlich von ihrer höchsten Höhe herab.

Wirklich?

Nun gut, Monseigneur, vier Menschen entschlossen sich, sie zu retten. Diese vier Menschen waren keine Prinzen, keine Herzöge, keine mächtigen Männer, keine reichen Männer, es waren vier Soldaten mit großem Herzen, gutem Arm und flinkem Degen. Sie reisten ab. Der Minister erfuhr ihre Abreise und schickte Leute auf ihren Weg aus, um sie zu verhindern, zu ihrem Ziele zu gelangen. Drei wurden durch die zahlreichen Angriffe kampfunfähig gemacht, aber ein einziger gelangte in den Hafen, tötete oder verwundete die, welche ihn festnehmen wollten, schiffte über das Meer und brachte den Schmuck der großen Königin zurück, die ihn an dem bestimmten Tag an die Schulter heften konnte. Was sagt Ihr von diesem Zuge, Monseigneur?

Das ist herrlich, sprach Mazarin träumerisch.

Nun, ich weiß noch ähnliche.

Mazarin sprach nicht mehr, er dachte nach.

Ihr habt mich nichts mehr zu fragen, Monseigneur? sagte Rochefort nach einigen Minuten. – Doch, Herr d’Artagnan war einer von diesen vier Menschen, sagt Ihr? – Er war der, welcher das ganze Unternehmen leitete. – Und wer waren die anderen? – Monseigneur erlaube, daß ich Herrn d’Artagnan überlasse, sie Euch zu nennen. Es waren seine Freunde und nicht die meinigen; er allein hätte einigen Einfluß auf sie, und ich kenne sie nicht einmal unter ihren wahren Namen.

Ihr mißtraut mir, Herr von Rochefort. Ich will ganz offenherzig sein: ich bedarf Euer, seiner, aller. – Fangen wir bei mir an, Monseigneur, da Ihr mich habt holen lassen und ich nun hier bin; dann möget Ihr zu ihnen übergehen. – Ihr, mein lieber Herr von Rochefort, sollt einen Vertrauensposten bekommen, Ihr geht nach Vincennes, wo Herr von Beaufort gefangen ist; Ihr bewacht ihn mir auf das schärfste. Nun, was habt Ihr denn? – Ihr schlagt mir etwas Unmögliches vor, sprach Rochefort und schüttelte mit betrübter Miene den Kopf. – Wie! etwas Unmögliches? Und warum ist diese Sache unmöglich? – Weil Herr von Beaufort einer meiner Freunde ist, oder vielmehr, weil ich einer der seinigen bin. Habt Ihr vergessen, Monseigneur, daß Beaufort bei der Königin für mich gut gestanden hat? – Herr von Beaufort ist seit jener Zeit der Feind des Staates. – Ja, Monseigneur, das ist möglich; aber da ich weder König noch Königin, noch Minister bin, so ist er nicht mein Feind, und ich kann Euer Anerbieten nicht annehmen. – Das nennt Ihr Ergebenheit? Ich wünsche Euch Glück: Eure Ergebenheit verpflichtet Euch nicht zu sehr bedeutenden Dingen, Herr von Rochefort. – Monseigneur, verwendet mich zu irgend etwas anderem, gebt mir eine Sendung, laßt mich tätig sein, aber auf der offenen Straße, wenn es möglich ist. – Mein lieber Herr von Rochefort, sagte Mazarin mit seiner spöttischen Miene, Euer Eifer reißt Euch fort, Ihr haltet Euch noch für einen jungen Mann, weil das Herz immer noch jung ist, aber die Kräfte fehlen Euch. Glaubt mir, Ihr bedürft jetzt vor allem der Ruhe. Holla! irgend jemand herein! – Ihr verfügt also nicht über mich? – Im Gegenteil, ich habe verfügt.

Bernouin trat ein.

Rufe einen Huissier, sprach Mazarin, und bleib‘ in meiner Nähe, fügte er mit leisem Tone bei.

Ein Huissier trat ein, der Kardinal schrieb einige Worte, die er diesem Mann zustellte, grüßte sodann mit dem Kopf und sagte: Gott befohlen, Herr von Rochefort.

Rochefort verbeugte sich ehrfurchtsvoll und sagte: Ich sehe, Monseigneur, man führt mich wieder in die Bastille. – Ihr seid gescheit. – Ich kehre dahin zurück, Monseigneur, aber ich wiederhole Euch, Ihr habt unrecht, daß Ihr mich nicht zu verwenden wißt. – Euch, den Freund meiner Feinde? – Warum nicht? Ihr hättet mich zum Feind Eurer Feinde machen sollen. – Glaubt Ihr, es gebe nur Euch allein? Seid überzeugt, Herr von Rochefort, ich werde Leute finden, welche so viel wert sind, als Ihr.

Man führte Rochefort in den Hof, wo er seinen Wagen und seine vier Mann Eskorte fand; aber er suchte vergebens seinen Freund.

Ah, ah! sagte Rochefort zu sich selbst, das verändert die Sache auf eine furchtbare Weise. Wenn jetzt noch so viel Volk auf den Straßen ist, so wollen wir Herrn von Mazarin zu beweisen suchen, daß wir, Gott sei Dank, noch zu etwas ganz anderem taugen, als zur Bewachung eines Gefangenen.

Der gute Broussel

Aber zum Unglück für den Kardinal war der gute Broussel nicht zu Tode getreten worden. Er ging ruhig durch die Rue-Saint-Honoré, als d’Artagnans Pferd ihn scharf an der Schulter streifte und in den Kot warf.

Die Leute, die den Unfall mit angesehen hatten, liefen herbei, fragten den stöhnenden Mann nach seinem Namen, und sobald er gesagt hatte, er heiße Broussel, sei Rat im Parlament und wohne in der Rue Saint-Landry, erhob sich ein Schrei aus der Menge, ein furchtbar drohender Schrei.

Broussel! rief man, Broussel, unser Vater! Der Mann, der unsere Rechte gegen Mazarin verteidigt! Broussel, der Freund des Volkes, getötet, mit den Füßen zerstampft von diesen Schurken von Kardinalisten! Zu Hilfe! Zu den Waffen! Tod diesen Schurken!

Im Nu war der Haufen lawinenartig geschwollen; man hielt einen Wagen an, um den kleinen Rat hineinzulegen; aber ein Mann aus dem Volke machte eine Bemerkung, bei dem Zustand des Verwundeten müsse die Bewegung der Karrosse das Übel nur noch verschlimmern; Fanatiker erboten sich, ihn auf den Armen zu tragen, und dieser Vorschlag wurde mit Begeisterung begrüßt und einstimmig angenommen. Gesagt, getan! Das Volk hob ihn drohend und sanft zugleich auf und trug ihn fort.

Der Rat war stolz auf diese Anhänglichkeit des Volkes, die er in solchem Maße nicht vermutet hatte. Zugleich fürchtete er aber an jeder Ecke, es möchte ein neuer Reitertrupp kommen und ihn völlig zermalmen.

Mehrmals wiederholte er daher mit erloschener Stimme: Eilen wir, Kinder, denn in der Tat, ich leide sehr.

Nicht ohne Mühe gelangte man an Broussels Haus. Die Menge hatte bereits das ganze Viertel in Aufregung gebracht. Am Fenster eines Hauses mit sehr schmalem Eingang bemerkte man eine alte Dienerin, die sich aufs heftigste gebärdete und aus Leibeskräften schrie, und eine betagte Frau, die in Tränen ausgebrochen war. Diese beiden Personen befragten mit sichtbarer Unruhe das Volk, das nur mit verworrenem, unverständlichem Geschrei antwortete.

Als aber der Rat von acht Männern getragen, ganz bleich zum Vorschein kam und mit scheinbar brechendem Auge seine Wohnung, seine Frau und seine Dienerin betrachtete, da fiel die gute Dame Broussel in Ohnmacht, und die Magd stürzte, die Arme zum Himmel erhebend, auf die Treppe, um ihrem Herrn entgegenzugehen, und schrie: O mein Gott! mein Gott! Wenn nur Friquet da wäre, um einen Wundarzt zu holen!

Friquet war da, denn wo ist ein Pariser Straßenjunge nicht?

Friquet hatte natürlich den Pfingsttag benutzt, um sich vom Herrn der Taverne einen Urlaub zu erbitten; er war an der Spitze des Zuges. Wohl kam ihm gleich anfangs der Gedanke, einen Wundarzt zu holen, aber er fand es belustigender, aus vollem Halse zu schreien: Sie haben Herrn Broussel getötet! Herrn Broussel, den Vater des Volkes! Es lebe Herr Broussel!

Zum Unglück für Friquet, der eine wichtige Rolle bei dem Zug spielte, beging er die Unklugheit, sich an die Fenstergitter im Erdgeschoß anzuklammern, um die Menge zu leiten. Dieser Ehrgeiz richtete ihn zu Grunde. Seine Mutter bemerkte ihn und schickte ihn nach dem Arzt.

Dann nahm sie den guten Mann in ihre Arme und wollte ihn ins oberste Stockwerk tragen; aber unten an der Treppe stellte sich der Rat wieder aus seine Beine und erklärte, er fühle sich stark genug, um allein hinaufzusteigen. Er bat daher Gervaise (so hieß die Magd), sie möge das Volk zum Rückzug zu bewegen suchen, aber Gervaise hörte nicht auf ihn.

O mein armer Herr! mein lieber Herr! rief sie. – Ja, meine Gute, ja, Gervaise, murmelte Broussel, um sie zu beschwichtigen; sei unbesorgt, es wird nichts sein. – Ich soll mich beruhigen, während Ihr gerädert, zertreten und zermalmt seid! – Nein, nein, entgegnete Broussel, es ist nichts, beinahe nichts. – Nichts? und Ihr seid mit Kot bedeckt! Nichts, und Ihr, habt Blut an Euren Haaren! Ah, mein Gott, mein Gott! mein armer Herr! – Still doch! sagte Broussel, still! – Blut, mein Gott, Blut! rief Gervaise. – Einen Arzt! einen Wundarzt! einen Doktor! brüllte die Menge. Der Rat Broussel stirbt! Die Mazariner haben ihn getötet! – Mein Gott! sprach Broussel voll Verzweiflung, die Unglücklichen werden machen, daß mein Haus abgebrannt wird. – Stellt Euch ans Fenster und zeigt Euch! – Zum Henker! ich werde mich wohl hüten; das paßt für den König gut, sich zu zeigen. Sage ihnen, Gervaise, es gehe besser mit mir. Sage ihnen, ich wolle nicht ans Fenster kommen, sondern mich ins Bett legen, und sie möchten sich entfernen. – Aber, warum sollen sie sich entfernen? Es macht Euch Ehre, wenn sie da sind. – O! siehst du nicht, sprach Broussel, dessen Verzweiflung immer mehr zunahm, sie machen, daß man mich verhaftet, daß man mich hängt! Ach, sieh da, meine Frau ist unwohl. – Broussel! Broussel! rief die Menge. Es lebe Broussel! Einen Wundarzt für Broussel!

Sie machten einen solchen Lärm, daß das, was Broussel vorhergesehen hatte, wirklich geschah. Eine Abteilung von Wachen trieb den übrigens harmlosen Haufen mit Musketenkolben auseinander. Aber beim ersten Geschrei: Die Wache, die Soldaten! schlüpfte Broussel, der fürchtete, man könnte ihn für den Anstifter dieses Auflaufes halten, ganz angekleidet in sein Bett.

Kaum war durch die Wachen einigermaßen in der Straße die Ruhe wiederhergestellt, so klopfte es stark an der Türe.

Seht, wer klopft, sagte Broussel; öffnet aber nur vertrauten Freunden, Gervaise.

Gervaise sah nach. Es ist der Herr Präsident Blancmesnil, sprach sie.

Dann ist es gut, erwiderte Broussel, öffnet nur!

Laßt hören! sprach der Präsident, als er eintrat. Was haben sie Euch getan, mein lieber Broussel? Man sagt, Ihr wäret beinahe ermordet worden.

Es ist nicht zu leugnen, man führte ohne Zweifel etwas gegen mein Leben im Schilde, antwortete Broussel mit der Festigkeit eines Stoikers.

Mein armer Freund, sie wollten mit Euch anfangen; aber die Reihe wird an jeden von uns kommen, und da sie uns nicht in Masse besiegen können, so werden sie einen nach dem andern zu vernichten suchen.

Wenn ich davonkomme, sagte Broussel, so will ich sie alle unter dem Gewicht meines Wortes zermalmen.

Ihr werdet davonkommen, erwiderte Blancmesnil, um sie ihren Angriff teuer büßen zu lassen.

Frau Broussel weinte heiße Tränen. Gervaise war in Verzweiflung.

Was gibt es denn? rief ein hübscher junger Mann mit kräftigen Formen, in das Zimmer stürzend. Mein Vater verwundet!

Ihr seht ein Opfer der Tyrannei, junger Mensch, sprach Blancmesnil, als wahrer Spartaner.

Wehe denen, die Euch berührt haben, mein Vater, versetzte der junge Mann und wandte sich nach der Türe.

Jacques, sprach der Rat, hole lieber einen Arzt.

Ich höre das Geschrei des Volkes, rief die Alte, ohne Zweifel ist es Friquet, der einen bringt. Aber nein, es ist eine Karrosse!

Blancmesnil schaute durchs Fenster. Der Koadjutor, sagte er.

Der Herr Koadjutor! wiederholte Broussel. Ei, mein Gott, wartet doch, daß ich ihm entgegengehe!

Und seine Wunde vergessend, wäre der Rat Herrn von Retz entgegengelaufen, wenn ihn Blancmesnil nicht aufgehalten hätte.

Nun, mein lieber Broussel, sagte der Koadjutor eintretend, was gibt es denn? Man spricht von Hinterhalt, von Ermordung. Guten Morgen, Herr Blancmesnil. Ich habe im Vorüberfahren einen Arzt mitgenommen und bringe ihn.

Ah, gnädiger Herr, sagte Broussel, wieviel Gnade bin ich Euch schuldig! Es ist wahr, ich bin schrecklich niedergeworfen und von den Musketieren des Königs mit Füßen getreten worden.

Sagt des Kardinals, sprach der Koadjutor, sagt Mazarins. Aber wir wollen ihn alles teuer bezahlen lassen, seid unbesorgt. Nicht wahr, Herr von Blancmesnil?

Blancmesnil verbeugte sich, als die Türe von einem Läufer aufgestoßen wurde. Ein Lakai in großer Livree folgte ihm und meldete: Der Herr Herzog von Longueville.

Wie! rief Broussel, der Herr Herzog hier! Welche Ehre für mich! Ah, Monseigneur!

Mein Herr, sagte der Herzog, ich komme seufzend über das Schicksal unseres bravsten Verteidigers. Seid Ihr denn verwundet, mein lieber Rat? – Wenn ich es wäre, Monseigneur, so würde mich Euer Besuch heilen. – Ihr leidet jedoch? – Sehr, sagte Broussel. – Ich habe einen Arzt mitgebracht, versetzte der Herzog; erlaubt Ihr ihm einzutreten? – Ganz gewiß.

Der Herzog machte seinem Lakaien ein Zeichen, und dieser führte einen schwarzen Mann ein.

Ich hatte denselben Gedanken, wie Ihr, mein Prinz, sprach der Koadjutor.

Die beiden Ärzte schauten sich an.

Ah, Ihr seid’s, mein Herr Koadjutor, sagte der Herzog. Die Freunde des Volkes treffen sich auf dem rechten Gebiet. – Das Geschrei hatte mich erschreckt, und ich eilte herbei. Aber ich glaube, es wäre das dringendste, daß die Ärzte unsern braven Rat untersuchten. – Vor Euch, meine Herren? sprach Broussel ganz schüchtern. – Warum nicht, mein Lieber? – Wir wollen eiligst erfahren, wie es mit Euch steht. – Ei, mein Gott, sagte Frau Broussel, was soll dieser neue Lärm bedeuten?

Man sollte glauben, es wäre Beifallsgeschrei, sprach Blancmesnil und lief ans Fenster.

Wie! rief Broussel erbleichend, was gibt es denn noch?

Die Livree des Herrn Prinzen von Conti, sprach Blancmesnil. Der Herr Prinz von Conti selbst.

Ah, meine Herren, sagte der Prinz eintretend, als er den Koadjutor erblickte, Ihr seid mir zuvorgekommen. Doch Ihr müßt mir deshalb nicht grollen, mein lieber Herr Broussel. Als ich Euren Unfall erfuhr, glaubte ich, es würde Euch vielleicht an einem Arzt fehlen, und machte einen Umweg, um den meinigen mitzunehmen. Doch wie ist es mit dem Mordversuch?

Broussel wollte sprechen, aber es fehlte ihm an Worten. Er erstickte beinahe unter dem Gewicht der Ehrenbezeigungen, mit denen man ihn überhäufte.

Ei, mein guter Doktor, seht nach, sagte der Prinz zu einem schwarzen Manne, der ihn begleitete.

Meine Herren, sprach einer der Ärzte, es handelt sich also um eine Konsultation.

Wie Ihr wollt, doch beruhigt mich geschwind über den Zustand des lieben Rates.

Die drei Ärzte näherten sich dem Bette, Broussel zog die Decke mit aller Gewalt an sich, wurde aber trotz seines Widerstandes entblößt und untersucht. Er hatte nur eine Quetschung am Arm und eine andere am Schenkel.

Die drei Ärzte schauten sich an, denn sie begriffen nicht, wie man die drei gelehrtesten Männer der Pariser Fakultät wegen einer solchen Lappalie hatte zusammenrufen können.

Nun, sagte der Koadjutor. – Nun? sagte der Herzog. – Nun? sagte der Prinz. – Wir hoffen, der Unfall wird keine Folgen haben, sprach einer der drei Ärzte, und wollen uns zum Behuf einer Verordnung ins nächste Zimmer zurückziehen.

Broussel! Kunde von Broussel! rief das Volk. Wie geht es Broussel?

Der Koadjutor lief ans Fenster; bei seinem Anblick schwieg das Volk.

Meine Freunde, sagte er, beruhigt Euch. Herr Broussel ist außer Gefahr. Seine Wunde ist jedoch bedeutend, und die Ruhe sehr notwendig für ihn.

Der Ruf: Es lebe Broussel! Es lebe der Koadjutor! erscholl sogleich aus der Straße.

Herr von Longueville war eifersüchtig und ging auch ans Fenster.

Es lebe Herr von Longueville! rief man ebenfalls.

Meine Freunde, sagte der Herzog, mit der Hand grüßend, entfernt Euch im Frieden und gönnt unsern Feinden nicht das Vergnügen, von einer Zusammenrottung zu reden.

Schön, Herr Herzog, sprach Broussel von seinem Bette aus. Das heiße ich als guter Franzose sprechen.

Ja, meine Herren Pariser, rief der Prinz von Conti, ebenfalls ans Fenster tretend, um seinen Anteil an dem Beifall zu bekommen. Ja, Herr Broussel bittet Euch. Überdies bedarf er der Ruhe, und der Lärm könnte ihm schaden.

Es lebe der Prinz von Conti! schrie die Menge, und der Prinz verneigte sich.

Alle drei verabschiedeten sich nun von dem Rat, und die Menge, die sie in Broussels Namen weggeschickt hatten, geleitete sie. Sie waren bereits auf dem Quai, als Broussel immer noch von seinem Bette aus Komplimente machte.

Die alte Magd schaute ihren Herrn mit Bewunderung an. Er war in ihren Augen um einen Fuß größer geworden.

So geht es, wenn man seinem Vaterland nach seinem Gewissen dient, sagte Broussel mit Befriedigung.

Die Ärzte entfernten sich, nachdem sie sich eine Stunde lang beraten und für die Quetschungen Umschläge mit Wasser und Salz verordnet hatten.

Es war den ganzen Tag eine Wallfahrt von Karossen. Die ganze Fronde ließ sich bei Broussel einschreiben.

Friquet kehrte um Mitternacht zurück; er hatte keinen Arzt finden können.