Allein mit Bernouin, blieb Mazarin einen Augenblick nachdenklich; er wußte viel, aber er wußte immer noch nicht genug. Mazarin war Betrüger im Spiel. Er beschloß, die Partie mit d’Artagnan nicht eher anzufangen, als bis er alle Karten seines Gegners genau kennen würde.
Monseigneur hat nichts zu befehlen? sagte Bernouin.
Allerdings, antwortete Mazarin, leuchte mir, ich gehe zu der Königin.
Bernouin nahm eine Kerze und ging voraus.
Es war ein geheimer Gang vorhanden, der von den Zimmern und dem Kabinett Mazarins nach den Zimmern der Königin führte, und den der Kardinal benutzte, so oft er sich zu Anna von Österreich begab.
Als Bernouin in das Schlafzimmer gelangte, in dem dieser Gang mündete, traf er Madame Beauvais. Madame Beauvais und Bernouin waren die innigen Vertrauten dieser schon alten Liebe, und Madame Beauvais übernahm es, den Kardinal bei Anna von Österreich zu melden, die sich mit ihrem Sohne, König Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.
In einem großen Lehnstuhl sitzend, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete Anna von Österreich das königliche Kind, das, auf dem Boden liegend, in einem großen Schlachtenbuch blätterte. Anna von Osterreich war die Königin, die sich am allerbesten mit Majestät zu langweilen wußte. Sie blieb zuweilen stundenlang in ihr Schlafgemach oder in ihr Betzimmer zurückgezogen, ohne zu lesen oder zu beten.
Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Das Kind erhob sich auf einem Knie und schaute, die Stirne runzelnd, seine Mutter an.
Warum kommt er so, sagte es, ohne um Audienz zu bitten?
Anna errötete leicht. Es ist wichtig, versetzte sie, daß ein erster Minister in Zeiten, wie sie jetzt sind, der Königin zu jeder Stunde über alles berichten kann, ohne daß er die Neugierde oder die Mutmaßungen des ganzen Hofes anzuregen braucht.
Aber man hat mir auf meine Frage gesagt, daß der Herr von Richelieu nicht so kam, sprach das unbeugsame Kind.
In diesem Augenblick trat Mazarin ein. Der König stand auf, nahm sein Buch, schloß es und trug es auf den Tisch, bei dem er aufrecht stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, ebenfalls zu stehen. Mazarin bückte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte eine tiefe Verbeugung vor dem König, der ihm mit einem ziemlich stolzen Kopfnicken dankte; aber ein Blick seiner Mutter tadelte ihn, daß er sich den Gefühlen des Hasses hingab, die er seit seinen Kinderjahren gegen den Kardinal hegte, und er empfing mit lächelnden Lippen das Kompliment des Ministers.
Anna von Österreich war bemüht, auf Mazarins Gesicht die Ursache dieses unvorhergesehenen Besuches zu erraten, denn der Kardinal kam gewöhnlich erst dann zu ihr, wenn sie allein war.
Der Minister machte ein unmerkliches Zeichen mit dem Kopf, die Königin wandte sich an Madame Beauvais und sagte: Es ist Zeit, daß sich der König schlafen legt. Ruft Laporte.
Ludwig XIV. biß sich in die Lippen und erbleichte. Als einen Augenblick nachher Laporte eintrat, ging er gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu küssen.
Nun, Louis, sagte Anna, warum küßt Ihr mich nicht?
Ich glaubte, Ihr wäret böse auf mich, Madame, Ihr jagt mich fort.
Ich jage Euch nicht fort. Ihr habt nur vor kurzem erst die Blattern gehabt, seid noch leidend, und ich fürchte, das lange Wachen könnte Euch anstrengen.
Ihr habt das nicht gefürchtet, als Ihr mich heute in den Palast schicktet, um die abscheulichen Edikte zu erlassen, über die das Volk so sehr murrte.
Und der König entfernte sich, ohne seine Mutter zu küssen und ohne den Kardinal zu grüßen.
Ganz gut, sprach Mazarin, ich sehe es gerne, daß man Seine Majestät mit Abscheu vor der Heuchelei erzieht. – Wie meint Ihr dies? fragte die Königin mit beinahe schüchternem Tone. – Nun, Seine Majestät gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie geringe Zuneigung er für mich hat, was mich indessen nicht abhält, seinem Dienste, so wie dem Eurer Majestät, völlig ergeben zu sein. – Ich bitte Euch für ihn um Vergebung, erwiderte die Königin. Er ist ein Kind, das noch nicht alle seine Verpflichtungen gegen Euch zu erkennen vermag.
Der Kardinal lächelte.
Aber, fuhr die Königin fort, Ihr seid ohne Zweifel in einer wichtigen Angelegenheit gekommen. Was gibt es?
Mazarin setzte oder vielmehr lehnte sich in einen weiten Stuhl zurück und sprach in schwermütigem Ton:
Was es gibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald gezwungen sein, uns zu verlassen, wenn Ihr nicht Eure Ergebenheit für mich so weit treiben wollt, mir nach Italien zu folgen. – Und warum dies? fragte die Königin.
Weil, wie es in der Oper Thisbe heißt: »Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«
Ihr scherzt, Herr, sagte die Königin mit einem Versuch, ihre frühere Würde wieder anzunehmen.
Ach nein, Madame, sprach Mazarin, ich scherze nicht im geringsten. Glaubt mir, ich möchte eher weinen, habe ich nicht Euch selbst eines Tages ganz freundlich dem Herzog von Orleans zulächeln sehen, als er sagte: Euer Mazarin ist der Stein des Anstoßes, er entferne sich, und alles wird gut gehen? – Was sollte ich machen? – Oh! Madame, es scheint mir, Ihr seid die Königin. – Ein schönes Königtum, der Gnade des ersten besten Tintenklecksers vom Palais Royal oder des elendesten Strohjunkers im Reich preisgegeben! – Ihr seid aber stark genug, um die Leute von Euch zu entfernen, die Euch mißfallen. – Das heißt, die Euch mißfallen, antwortete die Königin. – Mir? – Allerdings. Wer hat Frau von Chevreuse fortgeschickt? – Eine Intrigantin, welche gegen mich die Kabalen fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu angefangen hatte. – Wer hat Frau von Hautefort fortgeschickt, die mir so sehr ergeben war, daß sie die Gnade des Königs ausschlug, um in der meinigen zu bleiben? – Eine Heuchlerin, die Euch jeden Abend beim Auskleiden sagte, einen Priester lieben, heiße seine Seele verderben; als ob man Priester sein müßte, weil man Kardinal ist! – Wer hat Herrn von Beaufort verhaften lassen? – Ein Brausekopf, der von nichts Geringerem sprach, als von meiner Ermordung. – Ihr seht wohl, Kardinal, versetzte die Königin, daß Eure Feinde auch die meinigen sind. – Das ist nicht genug, Madame. Eure Freunde müssen auch die meinigen sein. – Meine Freunde? Herr! sprach die Königin und schüttelte den Kopf. Ach, ich habe keine mehr! – Ja, sucht nur unter Euren ehemaligen Freunden, unter denen, die Euch gegen den Herzog von Richelieu kämpfen und ihn sogar besiegen halfen.
Wo will er hinaus? murmelte die Königin und schaute den Kardinal unruhig an.
Ja, fuhr dieser fort, unter gewissen Umständen wußtet Ihr mit dem mächtigen, feinen Geiste, der Eure Majestät charakterisiert, mit Hilfe Eurer Freunde die Angriffe dieses Gegners zurückzuschlagen. – Ich? sagte die Königin, ich habe nur gelitten. – Ja, sprach Mazarin, wie die Frauen leiden, indem sie sich rächen. Kommen wir zur Sache. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? fuhr Mazarin, der Königin ins Gesicht schauend, fort.
Anna von Österreich empfing den Stoß mitten im Herzen.
Sollte der Gascogner geschwatzt haben? murmelte sie. Dann fügte sie laut bei:
D’Artagnan? wartet doch. Ja gewiß, dieser Name ist mir bekannt: d’Artagnan, ein Musketier, der eine meiner Frauen liebte. Ein armes Geschöpfchen, das meinetwegen an Gift starb.
Ist dies alles? fragte Mazarin.
Die Königin schaute den Kardinal erstaunt an.
Aber, mein Herr, sagte sie, es scheint, Ihr unterwerft mich einem Verhör. – Bei dem Ihr jedenfalls, erwiderte Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seinem stets süßen Tone, nur nach Eurer Phantasie antwortet. – Drückt Euren Wunsch klar, aus, mein Herr, und ich werde ebenso antworten, sagte die Königin, die ungeduldig wurde. – Wohl, Madame, antwortete Mazarin, sich verbeugend. Ich wünschte, Ihr ließet mich an Euren Freunden Anteil nehmen, wie ich Euch an dem bißchen Gewandtheit und Talent Anteil nehmen ließ, womit mich der Himmel begabt hat. Die Umstände sind von ernster Bedeutung, und man muß energisch handeln. – Abermals! sprach die Königin, ich glaubte, mit Herrn von Beaufort wären wir quitt. – Ihr habt nur den Strom gesehen, der alles niederreißen wollte, und das stehende Wasser nicht wahrgenommen. – Vollendet! sagte die Königin. – Nun wohl, fuhr Mazarin fort; ich dulde alle Tage Unverschämtheiten, die sich Eure Prinzen und Eure betitelten Knechte gegen mich erlauben, lauter Automaten, die nicht sehen, daß ich ihren Faden in der Hand halte. Wir haben allerdings Herrn von Beaufort verhaften lassen, aber das war der ungefährlichste von allen. Noch ist der Prinz vorhanden. – Der Sieger von Rocroi? Daran könnt Ihr doch nicht denken! – Ja, Madame, und zwar sehr oft, aber Pazienza, wie wir Italiener sagen. Dann, nach Herrn von Condé, ist der Herzog von Orleans da. – Was sagt Ihr? der erste Prinz von Geblüt, der Oheim des Königs! – Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, sondern der feige Meuterer, der unter der vorigen Regierung, angetrieben von seinem launenhaften, phantastischen Charakter, gestachelt von erbärmlichem Ärger, verzehrt von einem platten Ehrgeiz, eifersüchtig auf alles, was ihn an ritterlichem Sinn und Mut übertraf, aufgebracht darüber, daß er wegen seiner inneren Hohlheit nichts war, sich zum Echo aller Verleumdungen, zur Seele aller Kabalen machte. Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, ich wiederhole es, sondern der Mörder eines Chalais, Montmorency und Cinq-Mars, der jetzt dasselbe Spiel zu spielen versucht und sich einbildet, er werde die Partie gewinnen, weil er jetzt nicht mehr einen drohenden, sondern einen lächelnden Mann sich gegenüberstehen hat. Aber er täuscht sich, er wird verlieren, und es liegt nicht in meinem Interesse, bei der Königin diesen Gärungsstoff der Uneinigkeit zu dulden, mit dem der verstorbene Kardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang in Aufruhr erhalten hat.
Anna errötete und barg ihren Kopf in beiden Händen.
Ich will Eure Majestät nicht demütigen, fuhr Mazarin mit etwas ruhigerem Tone, aber zugleich mit seltsamer Festigkeit fort. Man soll die Königin ehren und ihren Minister achten, denn in aller Augen bin ich nur dieses.
Was soll ich denn tun? fragte Anna von Österreich, gebeugt unter dieser gebietenden Stimme.
Ihr sollt in Eurem Gedächtnis den Namen der treuen, ergebenen Männer suchen, die trotz Herrn von Richelieu über das Meer gefahren sind, Spuren ihres Blutes die ganze Straße entlang zurücklassend, um Ew. Majestät einen gewissen Schmuck zu bringen, den sie Herrn von Buckingham gegeben hatte.
Anna von Österreich erhob sich, majestätisch und zornig, als ob eine Feder sie aufgeschnellt hätte, und schaute den Kardinal mit dem Stolz und der Würde an, wodurch sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig gewesen war.
Ihr beleidigt mich, Herr, sagte sie. – Ich will, fuhr Mazarin unbeirrt fort, ich will, daß Ihr für Euern Gatten tut, was Ihr einst für Euern Liebhaber getan habt. – Abermals diese Verleumdung? rief die Königin; ich hielt sie für tot und erstickt, denn Ihr hattet sie mir bis jetzt erspart. Jetzt sprecht Ihr mir aber ebenfalls davon. Desto besser, denn die Frage wird jetzt ein für allemal unter uns abgemacht werden, versteht Ihr mich? – Aber, Madame, sprach Mazarin, erstaunt über diese Rückkehr der Kraft, ich verlange gar nicht, daß Ihr mir alles sagen sollt. – Und ich will Euch alles sagen, entgegnete Anna von Österreich. Hört also: Es gab wirklich zu jener Zeit vier ergebene Herzen, vier ritterliche Seelen, vier treue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre retteten. – Oh! Ihr gesteht! rief Mazarin.– Ist nur die Ehre der Schuldigen auf das Spiel gesetzt, mein Herr, und kann man nicht einen Menschen, eine Frau besonders, durch falschen Schein entehren? Ja, der Schein war gegen mich, und ich sollte entbehrt werden, und dennoch, ich schwöre es Euch, war ich nicht schuldig. Ich schwöre es …
Sie suchte nach etwas Heiligem, worauf sie schwören könnte, zog aus einem unter der Tapete verborgenem Schranke ein kleines, mit Silber eingelegtes Kistchen von Rosenholz hervor, stellte es auf den Altar und fuhr fort: Ich schwöre auf diese heilige Reliquie, ich liebte Herrn von Buckingham, aber Herr von Buckingham war nicht mein Liebhaber.
Und was für eine Reliquie ist es, auf die Ihr diesen Eid leistet? sprach Mazarin lächelnd; denn ich muß gestehen, als Römer bin ich ungläubig; es ist ein Unterschied unter den Reliquien.
Die Königin machte einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse los und übergab ihn dem Kardinal.
Öffnet, mein Herr, sprach sie, und seht selbst.
Mazarin nahm erstaunt den Schlüssel und öffnete das Kistchen, worin er nur ein vom Rost zerfressenes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war.
Was ist das? fragte Mazarin.
Was das ist, mein Herr? sprach Anna von Österreich mit königlicher Gebärde und indem sie ihren immer noch vollkommen schönen Arm über das Kästchen streckte, ich will es Euch sagen; diese zwei Briefe sind die einzigen, die ich ihm je geschrieben habe; dieses Messer ist das, mit dem ihn Felton ermordet hat. Leset die Briefe, mein Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich gelogen habe.
Es ist gut, Madame, sagte Mazarin, indem er unwillkürlich nach dem Messer griff, es aber nach einem Blick auf seine blut- und rostzerfressene Scheide schaudernd in das Kästchen legte, ich baue auf Euern Eid.
Ja, mein Herr, sprach die Königin, das Kistchen wieder verschließend und ihre Hand darauf legend; es ist allerdings wahr. Diese Reliquie klagt mich an, daß ich stets undankbar gegen die gewesen bin, welche mich gerettet haben, und alles taten, um ihn zu retten; daß ich dem braven d’Artagnan, von dem Ihr soeben spracht, nichts gegeben habe, als die Erlaubnis, meine Hand zu küssen, und diesen Diamanten.
Die Königin streckte ihre schöne Hand gegen den Kardinal aus und zeigte ihm einen herrlichen Edelstein, der an ihrem Finger funkelte.
Er hat ihn, wie es scheint, in einem Augenblick der Verlegenheit verkauft: er hat ihn verkauft, um mich zum zweitenmale zu retten, denn es geschah, um einen Boten an den Herzog zu schicken und ihn zu benachrichtigen, daß er ermordet werden solle.
D’Artagnan wußte es also?
Er wußte alles. Wie er dies machte, weiß ich nicht. Kurz, er verkaufte den Ring an Herrn des Essarts, an dessen Finger ich ihn sah, und von welchem ich ihn wieder kaufte; doch dieser Diamant gehört ihm, mein Herr, gebt ihm denselben in meinem Namen zurück, und da Ihr das Glück habt, einen solchen Menschen in Eurer Nähe zu besitzen, so sucht Vorteil daraus zu ziehen.
Ich danke, Madame, sprach Mazarin, ich werde Euren Rat benützen.
Und nun, sagte die Königin, als hätte die Aufregung sie völlig entkräftet, habt Ihr noch etwas anderes von mir zu fordern?
Nichts, Madame, erwiderte Mazarin mit seinem einschmeichelndsten Tone, ich habe Euch nur zu bitten, mir meinen ungerechten Verdacht zu vergeben, aber ich liebe Euch so unendlich, daß man nicht staunen darf, wenn ich selbst über die Vergangenheit eifersüchtig bin.
Ein Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck umspielte die Lippen der Königin.
Der Kardinal nahm die Hand der Königin, küßte sie zärtlich und zog sich zurück.
Kaum hatte er sich entfernt, als sich die Königin in das Gemach ihres Sohnes begab und Laporte fragte, ob der König zu Bette gegangen sei. Laporte deutete mit der Hand auf das schlafende Kind.
Anna von Österreich stieg auf die Stufen des Bettes, näherte ihre Lippen der Stirn ihres Sohnes und drückte sanft einen Kuß darauf; dann ging sie stille, wie sie gekommen war, wieder weg und sagte bloß zu dem Kammerdiener: Sorget dafür, mein lieber Laporte, daß der König dem Kardinal, gegen den er und ich so große Verbindlichkeiten haben, ein freundlicheres Gesicht macht.