Dreizehntes Kapitel


Ankunft in Bologna. – Meine Ausweisung aus Modena. – Reise nach Parma und Turin. – Die schöne Jüdin Lia. – Die Modistin R.

Die Corticelli hatte einen warmen Mantel, mit Pelz gefüttert; aber der Narr, der sie entführte, hatte nicht einmal einen Überrock. Dabei herrschte eine schneidende Kälte, die noch durch einen sehr beißenden Wind vermehrt wurde, der uns ins Gesicht blies, und dem wir in einem zweisitzigen, vorne offenen Stuhlwagen schutzlos ausgesetzt waren.

Trotzdem ließ ich nirgends anhalten, denn ich fürchtete, verfolgt zu werden und umkehren zu müssen, und dieses würde mich sehr geärgert haben.

Wenn ich sah, daß der Postillon langsamer fuhr, spornte eine Vermehrung des Trinkgeldes ihn zu immer größerer Eile an. Ich dachte, der Wind würde mich über den Apennin blasen; ich war vor Kälte erstarrt. Die Postillone, die mich so leicht bekleidet meine Taler verschwenden sahen, um die Fahrt zu beschleunigen, bildeten sich ein, ich sei ein Prinz, der eine junge Erbin aus irgendeiner vornehmen Familie entführte. In unserem Wägelchen zusammengekauert, hörten wir sie ihre Gedanken über uns austauschen, während die Pferde gewechselt wurden.

Meine Corticelli fand diese Vermutung so komisch, daß sie während der ganzen übrigen Fahrt aus vollem Halse darüber lachte. In fünf Stunden legten wir eine Entfernung von vierzig Miglien zurück, denn wir waren um acht von Florenz abgefahren, und um ein Uhr hielten wir vor einem Posthause auf päpstlichem Gebiet, wo ich nichts mehr zu fürchten hatte. Man nennt dieses Posthaus den »Abgeladenen Esel«. Der seltsame Name des Gasthofes war für meine Schöne ein Anlaß zu neuer Heiterkeit. Alles schlief; aber nachdem wir einen Höllenlärm gemacht hatten, bewirkten einige Paoli, die ich an die Bediensteten verteilte, daß ich ein gutes Feuer bekam, dessen ich vor allem bedurfte. Ich hatte einen Wolfshunger, aber man sagte mir, es sei nichts zu essen da. Vom Gegenteil überzeugt, lachte ich dem Wirt ins Gesicht und sagte ihm, er möchte mir seine Butter, seine Eier, seinen Makkaroni, einen Schinken und Parmesankäse bringen; denn ich wußte, daß dieses alles überall in Italien zu haben ist. Bald wurde ich bedient und zeigte dem guten Wirt, daß wir genug hatten, um eine ausgezeichnete Mahlzeit zu halten. Wir aßen für vier; hierauf ließ ich mir ein reines Bett aus Matratzen herrichten, die für Betten ausgereicht hätten, und wir legten uns nieder, nachdem ich befohlen hatte, uns zu wecken, sobald eine vierspännige englische Kutsche ankäme.

Mit Makkaroni und Schinken vollgestopft, ein wenig erhitzt vom Chianti und Monte-Pulciano und ermüdet von unserer Fahrt, bedurften wir mehr des Schlafes als der Liebe; wir dachten daher auch nicht an die Wollust, sondern überließen uns der Ruhe, bis wir aufwachten. Dann widmeten wir einen Augenblick dem Vergnügen, aber es war so wenig, daß es nicht der Mühe wert ist, davon zu reden.

Gegen ein Uhr machte der Hunger sich lebhaft bemerkbar; wir standen auf, und der Wirt setzte uns ein ausgezeichnetes, von mir angeordnetes Mittagessen vor. Ich wunderte mich, daß mein Wagen nicht kam, doch faßte ich mich in Geduld. Als aber bis zum Einbruch der Nacht immer noch nichts kam, begann ich Befürchtungen zu hegen. Die Corticelli jedoch, die fortwährend lachte, wollte nichts Trauriges hören. Wir legten uns zu Bett, nachdem wir beschlossen hatten, den Sohn des Postmeisters nach Florenz fahren zu lassen, wenn meine Kutsche während der Nacht nicht ankommen würde. Als wir aufwachten, war der Wagen immer noch nicht da. Der Sohn des Postmeisters konnte mir nicht dienen; ich ließ mir einen sicheren Boten besorgen und schickte ihn mit genauen Weisungen an Costa. Für den Fall eines gewalttätigen Verfahrens war ich entschlossen, nach Florenz zurückzukehren, wo ich unter allen Umständen mit dem Verluste von zweihundert Skudi davongekommen wäre.

Der Bote, der um zwölf Uhr abgegangen war, kam schon um zwei Uhr zurück und meldete mir, meine Leute würden sofort kommen. Meine Kutsche war mit Fuhrmannspferden bespannt, und hinter ihr fuhr eine zweispännige Kalesche, worin eine alte Frau und ein junger Mann saßen.

»Das ist die Mama!« rief die Corticelli. »Ha ha, da wird’s was zu lachen geben. Wir müssen ihnen etwas zu essen machen lassen, und sie muß uns recht weitläufig diese wunderbare Geschichte erzählen, an die sie bis zu ihrem Tode denken wird.«

Costa sagte mir, der Auditor habe, um sich wegen meiner Mißachtung seiner Befehle zu rächen, der Post verbieten lassen, mir Pferde für meinen Wagen zu liefern. Infolgedessen habe er einen Vetturino nehmen müssen, und dadurch sei die Reise verzögert worden.

Dann begann Signora Laura ihre Geschichte: »Ich hatte ein gutes Abendessen zurechtgemacht, wie Sie es mir befohlen hatten. Es hat, wie Sie sehen werden, mir mehr als zehn Paoli gekostet, die Sie mir gütigst wiedererstatten werden, denn ich bin eine arme Frau. Als alles zurecht war, freute ich mich, daß Sie bald kommen würden; aber vergebens. Ich war in Verzweiflung. Um Mitternacht schickte ich endlich meinen Sohn in Ihren Gasthof, um nach Ihnen zu fragen; stellen Sie sich meinen Schmerz vor, als er zurückkam und mir sagte, man wisse nicht, was aus Ihnen geworden sei. Ich verbrachte in Tränen eine schlaflose Nacht. Am Morgen ging ich aufs Gericht, um Sie wegen der Entführung meiner Tochter anzuklagen. Ich flehte die Beamten an, sie möchten Sie verfolgen lassen und Sie zwingen, mir meine Tochter zurückzugeben. Aber denken Sie sich: man hat sich über mich lustig gemacht! Man lachte mir ins Gesicht und sagte: ›Warum haben Sie sie allein ausgehen lassen? Ihre Tochter ist in guten Händen, und Sie wissen wohl, bei wem sie ist und warum sie dort ist.‹ Solche Verleumdung!«

»Verleumdung?« fragte die Corticelli.

»Ganz gewiß! Damit sagten sie mir doch, ich hätte sozusagen der Entführung zugestimmt, und das konnten die Kerle doch nicht annehmen! Denn wenn ich eingewilligt hätte, wäre ich doch nicht zu ihnen gegangen, um mein Recht zu verlangen. Wütend ging ich dann zum Doktor Vannini; bei ihm traf ich Ihren Kammerdiener, der mir sagte, Sie wären nach Bologna abgereist und ich würde Sie dort finden, wenn ich hinter Ihrer Kutsche herfahren wollte. Ich erklärte mich dazu bereit, und ich hoffe, Sie werden den Fuhrlohn bezahlen, den ich mit dem Vetturino ausbedungen habe. Aber gestatten Sie mir. Ihnen zu sagen: was Sie getan haben, geht denn doch über den Spaß.«

Ich tröstete die habsüchtige Mutter mit dem Versprechen, alles zu bezahlen und ihr alles zu vergüten, was sie ausgegeben oder in Florenz zurückgelassen hatte. Am nächsten Tage reisten wir nach Bologna ab, wo wir bei guter Zeit ankamen. Ich schickte meinen Bedienten mit meinem Wagen in den Gasthof und stieg selber bei der Corticelli ab.

Acht Tage verbrachte ich bei dem Mädchen. Ich ließ mir das Essen aus dem Wirtshause kommen und genoß recht abwechslungsreiche Freuden, deren ich mich mein Leben lang erinnern werde; denn das ausgelassene Mädchen hatte eine Menge von jungen Freundinnen, die alle hübsch und recht gefällig waren. Wie ein Sultan lebte ich während dieser kurzen Woche, die ich noch jetzt gerne in mein altes Gedächtnis zurückrufe, indem ich mit einem Seufzer sage: Tempi passsati!

Es gibt in Italien mehr als eine Stadt, wo man sich alle sinnlichen Vergnügen verschaffen kann, die man in Bologna findet; aber man erhält sie nirgends so billig, noch so bequem, noch so ungestört. Außerdem lebt man in Bologna so gut: man geht unter den schönen Steinlauben im Schatten spazieren, und man findet dort Geist und Gelehrsamkeit. Es ist sehr schade, daß entweder die Luft, oder das Wasser, oder der Wein – denn die Sache ist noch nicht ausgemacht – eine leichte Krätze verursachen. Indessen ist dies für die Bologneser durchaus nichts Unangenehmes, sondern vielmehr ein Vorzug, den sie allem Anschein nach sehr hoch schätzen: man kratzt sich. Besonders die Damen wissen zur Frühlingszeit ihre Finger mit großer Anmut in Bewegung zu setzen.

Gegen Mittfasten verließ ich die Corticelli, indem ich ihr gute Reise wünschte; denn sie wollte nach Prag abreisen, wohin sie auf ein Jahr als zweite Tänzerin engagiert war. Ich versprach ihr, sie persönlich abzuholen und nebst ihrer Mutter nach Paris zu bringen; meine Leser werden sehen, wie ich ihr Wort hielt.

Am Tage meiner Abfahrt von Bologna kam ich abends in Modena an; ich hielt hier infolge einer jener plötzlichen Launen an, denen ich stets unterworfen war. Am nächsten Morgen ging ich aus, um mir die Gemäldegalerie anzusehen. Als ich zum Mittagessen in meinen Gasthof kam, sah ich dort einen großen Flegel, der mir im Namen der Regierung den Befehl überbrachte, spätestens am nächsten Tage meine Reise fortzusetzen. Ich rief den Wirt und ließ mir in seiner Gegenwart den Befehl wiederholen. Hierauf sagte ich: »’s ist gut«, und der Kerl entfernte sich.

»Was ist das für ein Mensch?« fragte ich den Wirt.

»Ein Sbirre.«

»Ein Sbirre? Und die Regierung wagt es, mir einen solchen Menschen zu schicken!«

»Der Bargello kann ihn geschickt haben.«

»Der Bargello ist also Gouverneur von Modena? Ein solcher Niederträchtiger?«

»Niederträchtiger? … Schweigen Sie! Der ganze Adel verkehrt mit ihm.«

»Der Adel ist hier also sehr gemein?«

»Nicht gemeiner als anderswo. Der Bargello ist der Unternehmer der Oper; die vornehmsten Herren speisen bei ihm und gewinnen auf diese Weise seine Freundschaft.«

»Das ist unglaublich! Aber warum weist mich denn dieser gnädige Herr Bargello aus Modena aus?«

»Das weiß ich nicht; aber wenn ich Ihnen raten darf, sprechen Sie mit ihm; Sie werden in ihm einen vollendeten Kavalier finden.«

Anstatt zu diesem Hans A …. zu gehen, begab ich mich zum Abbate Testa-Grossa. Ich hatte ihn im Jahre 1753 in Wien kennen gelernt. Er war ein Mann von niederer Herkunft, aber von bedeutendem Geist; nun war er alt und ruhte auf seinen Lorbeeren aus. Er hatte das Glück gehabt, durch sein Verdienst die Gunst des Glückes erschwungen zu haben, und sein Herr, der Herzog von Modena, hatte ihn würdig befunden, sich lange Jahre von ihm bei auswärtigen Herrschern vertreten zu lassen.

Der Abbate Testa-Grossa erkannte mich und nahm mich auf das freundlichste auf; als er jedoch von meinem Erlebnis hörte, wurde er sehr verstimmt.

»Was kann ich tun?« fragte ich ihn.

»Abreisen; denn dieser Mann könnte Ihnen einen noch viel größeren Schimpf antun.«

»Ich werde gehen, aber könnten Sie mir das Vergnügen machen, mich über den Grund eines so verletzenden Verfahrens aufzuklären?«

»Kommen Sie heute Abend wieder. Wahrscheinlich werde ich Ihren Wunsch erfüllen können.«

In der Dämmerung stellte ich mich pünktlich bei ihm ein, denn ich war mehr neugierig als unruhig, wodurch ich mir die Feindschaft des Herrn Bargello zugezogen haben könnte, von dem ich überhaupt nicht gekannt zu sein glaubte. Der Abbate befreite mich von meiner Unruhe, indem er sagte: »Der Bargello hat Ihren Namen auf der ihm jeden Tag überbrachten Liste der ankommenden oder abreisenden Fremden gesehen. Er hat sich erinnert, daß Sie die Kühnheit besaßen, aus den Bleikammern zu entfliehen; und da er so etwas für höchst verdammenswert hält, hat er beschlossen, ein so schlimmes Beispiel der Verletzung der Gerechtigkeit, mag diese auch noch so ungerecht sein, nicht in Modena zu lassen. Kraft seiner allerhöchsten Gewalt hat er Ihnen daher den Befehl zugestellt, die Stadt zu verlassen.«

»Diese Mitteilung erleichtert mich; aber ich wundere mich, Herr Abbate, daß Sie mir dies erzählen, ohne darüber zu erröten, daß Sie Untertan des Herzogs von Modena sind. Wie unwürdig! Solche Polizei läuft ja der Moral, dem Menschenrecht und dem Staatswohl zuwider!«

»Sie haben wohl recht, so zu denken, mein lieber Herr; aber die Menschen sind noch weit davon entfernt, die Einrichtungen zu kennen, die ihrer Würde entsprechen.«

»Ohne Zweifel, weil es so viele Unwürdige gibt.«

»Das will ich nicht bestreiten.«

»Leben Sie wohl, Herr Abbate.«

»Leben Sie wohl, Herr Casanova.«

Am nächsten Tage sah ich in dem Augenblick, wo ich in meinen Wagen steigen wollte, einen Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, von hohem kräftigen Wuchs und breiten Schultern, mit düsteren, funkelnden Augen und merkwürdig dichten Augenbrauen, der wie ein richtiger Halsabschneider aussah. Er sprach mich an und bat mich höflich, mit ihm einen Augenblick auf die Seite zu gehen und ihn anzuhören.

»Wenn Sie drei Tage in Parma bleiben wollen und mir hier Ihr Wort geben, daß Sie mir fünfzig Zechinen schenken, sobald ich sie von Ihnen verlange, und Sie die Gewißheit haben, daß der Bargello tot ist, so verspreche ich Ihnen, ihn vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden durch einen Büchsenschuß zu töten.«

»Ich danke Ihnen. Er ist ein Vieh, das man seines natürlichen Todes sterben lassen muß. Da haben Sie einen Taler; trinken Sie auf meine Gesundheit.«

Heute freue ich mich, daß ich so gehandelt habe; aber ich gestehe: wäre ich sicher gewesen, daß der schlechte Kerl mir keine Falle stellte, so hätte ich ihm das gewünschte Versprechen gegeben. Die Furcht, mich bloßzustellen, ersparte mir ein Verbrechen.

Am nächsten Tage kam ich in Parma an und stieg im Gasthof »Zur Post« unter dem Namen eines Chevaliers de Seingalt ab; diesen Namen trage ich noch; denn wenn ein Ehrenmann einen Namen annimmt, der keinem Menschen gehört, hat niemand das Recht, ihm diesen zu bestreiten, und es ist seine Pflicht, ihn nicht wieder abzulegen. Ich trug ihn bereits seit zwei Jahren, aber ich vereinigte ihn oft mit meinem Familiennamen.

Sobald ich in Parma angekommen war, entließ ich Costa; aber zu meinem Unglück nahm ich ihn eine Woche später, zwei Tage vor meiner Abreise, wieder an. Sein Vater war ein armer Violinspieler, wie auch ich es gewesen war; er hatte eine zahlreiche Familie zu ernähren und tat mir leid.

Ich erkundigte mich nach Herrn Antoine; er war nicht mehr da. Herr Dubois Châtelereux, der Münzdirektor, befand sich mit Erlaubnis des Infanten-Herzogs von Parma in Venedig, um dort den Prägestempel einzurichten, dessen man sich niemals bedient hat. Die venetianischen Münzen sind nicht geändert. Republiken hängen abergläubisch an den alten Gewohnheiten; sie fürchten, daß Verbesserungen zu Änderungen führen, die der Festigkeit der Staatsverfassung schaden könnten. Die Regierung des aristokratischen Venedigs bewahrt noch immer den griechischen Charakter, den sie bei der Geburt der Republik hatte.

Mein Spanier hatte sich gefreut, als ich Costa entließ; er ärgerte sich, als ich ihn wieder nahm, und sagte zu mir: »Er ist kein ausschweifender Mensch; er ist nüchtern und liebt schlechte Gesellschaft nicht; aber ich halte ihn für einen Dieb und zwar für einen gefährlichen Dieb, gerade weil er sich ein Gewissen daraus macht, Sie in Kleinigkeiten zu betrügen. Gnädiger Herr, denken Sie an mich: er wird Sie übers Ohr hauen. Er wartet, um den großen Schlag zu machen, nur auf den Augenblick, wo er Ihr Vertrauen gewonnen hat. Ich mache es anders, ich bin ja so eine Art Spitzbube, aber Sie kennen mich.«

Er sah richtiger als ich; denn fünf oder sechs Monate darauf stahl der Italiener mir fünfzigtausend Taler. Dreiundzwanzig Jahre später, im Jahre 1784, fand ich ihn in Wien als Kammerdiener des Grafen Hardegg wieder. Da ich sah, daß er von dem Gelde nichts mehr besaß, bekam ich Lust, ihn hängen zu lassen. Ich bewies ihm schwarz auf weiß, daß dies nur von mir abhängen würde; aber er flehte mich unter Tränen um Schonung an und ihn rettete das Mitleid, das ein braver Mann, namens Bertrand, der beim sardinischen Gesandten wohnte, mit ihm hatte. Dieser Mann, den ich hoch schätzte, veranlaßte mich zu der heroischen Handlung, ihm zu vergeben. Auf meine Frage, was er mit all dem mir gestohlenen Gelde und mit den Juwelen gemacht hätte, antwortete der Elende mir, er hätte alles verloren, indem er das Kapital zu einem Biribispiel hergegeben hätte; seine eigenen Teilhaber hätten ihn ausgeplündert, und seitdem hätte er arm und unglücklich gelebt. Er hatte im selben Jahre Momolos Tochter geheiratet und verließ sie, nachdem er sie zur Mutter gemacht hatte.

Doch weiter:

In Turin stieg ich in einem Privathause ab, wo Abbate Gama wohnte, der mich bereits erwartete. Trotz der Predigt über die Sparsamkeit, die der gute Abbate mir hielt, nahm ich das ganze erste Stockwerk; es war eine sehr schöne Wohnung.

In bezug auf unsere diplomatischen Angelegenheiten versicherte er mir, ich würde im Mai meine Beglaubigungsschreiben erhalten und dann würde er mich unterrichten, wie ich mich zu verhalten hätte. Dieser Auftrag war mir sehr angenehm, und ich sagte ihm daher, ich wäre bereit, nach Augsburg zu gehen, sobald die Gesandten der kriegführenden Mächte dort zusammenkommen würden.

Nachdem ich der Wirtin die nötigen Anweisungen in bezug auf meinen Tisch gegeben hatte, ging ich aus. Ich trat in ein Kaffeehaus, um die Zeitungen zu lesen, und der erste, den ich dort sah, war der Marquis Desarmoises, den ich in Savoyen kennen gelernt hatte. Er sagte mir: »Vor allen Dingen habe ich Ihnen mitzuteilen, daß die Hasardspiele verboten sind. Die Damen, die Sie in Aix gekannt haben, werden ohne Zweifel entzückt sein, Sie wieder zu sehen. Ich selber lebe vom Tricktrackspiel, obgleich ich im Würfeln nicht glücklich bin; aber es kommt bei diesem Spiel mehr auf Talent als auf Glück an.«

Ich begriff sehr wohl, daß bei gleichem Glück derjenige gewinnen muß, der besser zu rechnen versteht; aber das Gegenteil war mir unbegreiflich.

Wir machten einen Spaziergang in der schönen Allee, die nach der Zitadelle führt. Ich bemerkte eine Menge sehr hübscher Personen. In Turin hat das weibliche Geschlecht alle Reize, die die Liebe nur wünschen kann, aber in keiner Stadt Italiens ist die Polizei so unbequem. Da die Stadt klein und sehr bevölkert ist, sind Spione überall. Man kann daher eine gewisse Freiheit nur unter außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln genießen, und nur mit Hilfe von sehr geschickten Kupplerinnen, die man gut bezahlen muß; denn sie riskieren, wenn sie entdeckt werden, eine barbarische Strafe. Man duldet weder öffentliche Dirnen noch Privat-Mätressen; dies ist den verheirateten Frauen sehr angenehm, und die unwissende Polizei hätte das doch wohl übrigens sehen müssen. Man begreift, welch leichtes Spiel infolgedessen die Päderastie in einer Stadt hat, wo die Leidenschaften sehr lebhaft sind.

Unter den Schönheiten, die meine Blicke auf sich gelenkt hatten, fesselte mich besonders eine. Ich fragte Desarmoises, der sie alle kannte, nach ihrem Namen. Er sagte mir: »Sie ist die berühmte Lia, eine unbesiegliche Jüdin, die den Angriffen der berühmtesten Liebhaber von Turin widerstanden hat. Ihr Vater ist ein bekannter Roßtäuscher; es ist nicht schwierig, sie zu besuchen, aber es ist nichts bei ihr zu machen.«

Ich fühlte mich um so mehr aufgelegt, die Sache zu wagen, da sie für so schwierig galt, und sagte daher zu Desarmoises: »Führen Sie mich zu ihr.«

»Sobald Sie wollen.«

Ich lud ihn ein, mit mir zu speisen, und als wir nach meinem Gasthause gingen, begegneten wir Herrn Zeroli und zwei oder drei anderen Herrn von der Spielgesellschaft von Aix. Ich machte und empfing Komplimente; da ich aber keine Lust hatte, einen von ihnen zu besuchen, so verabschiedete ich mich höflich unter dem Vorwande, daß ich Geschäfte hätte.

Gleich nach dem Essen führte Desarmoises mich nach der Porta del‘ Po zu Lias Vater, dem Roßkamm. Ich fragte ihn, ob er ein gutes Reitpferd zu verkaufen hätte. Er rief einen Stalljungen und gab ihm seine Befehle; während er mit mir sprach, trat seine reizende Tochter hinzu. Sie war blendend. Sie konnte höchstens zweiundzwanzig Jahre alt sein. Ein schlanker Nymphenwuchs, herrliche Haare vom schönsten Schwarz, eine Haut von Lilien und Rosen, die schönsten Augen voll Geist und Feuer, lange Wimpern und schön gewölbte Brauen, die allen, die an die Erlangung so herrlicher Reize dachten, den Krieg erklären zu wollen schienen – dies waren ihre Vorzüge. Ihr Benehmen verriet eine gute Erziehung und Weltgewandtheit.

In die Betrachtung der Reize dieses schönen Mädchens versunken, sah ich anfangs nicht das Pferd, das vor mir stand. Endlich aber prüfte ich es, indem ich den Kenner spielte: nachdem ich Knie und Beine befühlt, die Ohren bewegt und das Maul untersucht hatte, ließ ich es mir im Schritt, im Trab und im Galopp vorreiten; hierauf sagte ich dem Juden, ich würde am nächsten Morgen in Stiefeln wiederkommen, um es selber zu reiten. Das Pferd war ein schöner Apfelschimmel; es kostete vierzig Piemonteser Pistolen, ungefähr hundert Zechinen.

»Es ist die Sanftmut selbst,« sagte Lia, »und hat einen so vortrefflichen Paßgang, daß es in dieser Gangart es mit dem Trabe jedes anderen Pferdes aufnimmt.«

»Sie haben es also geritten, mein Fräulein?«

»Mehrere Male, mein Herr; und wenn ich reich wäre, würde ich es niemals verkaufen.«

»Sie würden zwei Glückliche machen; denn das Pferd muß Sie lieben, seitdem Sie es geritten haben. Ich werde es nur kaufen, wenn ich Sie es habe reiten sehen.«

Sie errötete. Ihr Vater sagte zu ihr: »Du mußt dem Herrn den Gefallen tun.«

Sie erklärte sich bereit, und ich versprach ihnen, am nächsten Morgen um neun Uhr wiederzukommen.

Wie man sich denken kann, war ich pünktlich. Ich fand Lia in Kuriertracht. Was für ein Körper! Welche Formen der Venus Kallipygos! Ich war durch diesen Eindruck bereits besiegt.

Zwei Pferde standen bereit; sie schwang sich anmutig und leicht wie der geschickteste Reitknecht auf das ihrige, und ich bestieg das andere. Wir machten einen ziemlich langen Spazierritt. Das Pferd ging sehr gut, aber was machte ich mir aus dem Tier! Ich hatte nur für sie Augen und Gedanken. Auf dem Rückwege sagte ich zu ihr: »Schöne Lia, ich werde das Pferd kaufen, aber nur, um es Ihnen zu schenken; wenn Sie es nicht annehmen, verlasse ich Turin noch heutigen Tages. Ich knüpfe an mein Geschenk keine andere Bedingung, als daß Sie die Gefälligkeit haben, mit mir auszureiten, sooft ich Sie darum bitte.«

Da ich ihrem Gesicht ansah, daß sie meine Worte günstig aufnahm, so sagte ich ihr weiter, ich würde sechs Wochen in Turin bleiben; ich hätte mich auf der Promenade in sie verliebt, und der Kauf des Pferdes wäre nur ein Vorwand gewesen, um Gelegenheit zu finden, ihr meine Gefühle kundzugeben. Sie antwortete mir mit sehr bescheidenem Wesen, die Freundschaft, die sie mir eingeflößt hätte, sei unendlich schmeichelhaft für sie, und das großmütige Geschenk, das ich ihr mache, sei nicht nötig, um mir ihre Freundschaft zu gewinnen. Sie fuhr fort: »Die Bedingung, die Sie mir auferlegen, ist mir außerordentlich angenehm, und ich bin überzeugt, ich mache meinem Vater ein Vergnügen, indem ich sie annehme. Ich bitte Sie nur um die Gefälligkeit, mir dieses Geschenk in seiner Gegenwart zu machen und zu wiederholen, daß Sie das Pferd nur kaufen werden, wenn ich es annehme.«

Ich sah mich leichter, als ich geglaubt hatte, auf gutem Wege und tat nach ihrem Begehren. Ihr Vater, namens Moses, fand das Geschäft sehr gut. Er wünschte seiner Tochter Glück, bekam die vierzig Pistolen, über die er mir eine Quittung gab, und bat mich ihm die Ehre zu erweisen, am nächsten Tage bei ihm zu frühstücken. Dies wünschte ich gerade.

Am nächsten Tage empfing Moses mich mit großer Ehrerbietung. Die schöne Lia trug Frauenkleider, aber sie sagte mir, wenn ich ausreiten wollte, würde sie sich augenblicklich umkleiden.

»Wir werden ein anderes Mal ausreiten, liebenswürdige Lia; heute bin ich glücklich, Sie in Ihrem Hause unterhalten zu dürfen.«

Ihr Vater aber, habgierig wie alle seine Glaubensgenossen, sagte mir: wenn ich gerne spazieren führe, könnte er mir einen sehr hübschen Phaethon mit zwei ausgezeichneten Pferden verkaufen.

»Sie können sie dem Herrn zeigen«, sagte Lia, die vielleicht mit ihrem Vater im Einverständnis war.

Moses antwortete nicht und ging hinaus, um anspannen zu lassen.

»Ich will mir den Wagen ansehen,« sagte ich zu Lia; »aber ich werde ihn nicht kaufen, denn ich wüßte nicht, was ich damit anfangen sollte.«

»Sie können mit der Dame, die Sie lieben, darin spazieren fahren.«

»Also mit Ihnen! Aber vielleicht würden Sie es nicht wagen?«

»Ei warum denn nicht? Wir können ja aufs Land, in die Umgebung von Turin fahren.«

»Gut, Lia; ich werde mir die Pferde ansehen.«

Der Vater kam, und wir gingen in den Hof.

Wagen und Pferde gefielen mir, und ich sagte Lia dies.

»Nun,« sagte Moses, »alles zusammen kostet nur vierhundert Zechinen; aber wenn einer das Gespann nach Ostern haben will, so muß er mindestens fünfhundert dafür geben.«

Lia stieg ein, ich setzte mich neben sie, und wir fuhren eine Stunde lang in der Umgegend spazieren. Dann fuhren wir nach Hause; ich sagte Moses, ich würde ihm am nächsten Tage Antwort geben, er entfernte sich, und ich ging mit der schönen Lia ins Haus.

Als wir im Zimmer waren, sagte ich zu ihr: »Wagen und Pferde sind gewiß vierhundert Zechinen wert, und ich werde sie morgen mit Vergnügen bezahlen; aber ich nehme sie unter denselben Bedingungen wie das Pferd und unter einer Bedingung außerdem: daß Sie mir alle Gunst gewähren, die man von einer zärtlichen gegenseitigen Liebe erwarten kann.«

»Sie sprechen klar und deutlich; ich muß Ihnen ebenso antworten: Ich bin ein anständiges Mädchen und verkaufe mich nicht.«

»Schöne Lia! Alle Frauen, anständig oder nicht, verkaufen sich. Wenn ein Mann Zeit hat, kauft er die Frau, die seine Liebe begehrt, durch eifrige Bewerbung; wenn er es eilig hat, wie ich, bedient er sich der Geschenke und sogar des Goldes.«

»Ein solcher Mann ist ungeschickt; er täte besser daran, dem Gefühl Zeit zu lassen, für ihn zu sprechen.«

»Dies wäre für mich der Gipfel des Glücks, Lia; aber ich habe es eilig.«

Da in diesem Augenblick ihr Vater eintrat, so ging ich, indem ich ihm sagte: »Wenn ich morgen nicht kommen kann, werde ich übermorgen kommen, und dann werden wir vom Phaeton sprechen.«

Offenbar hatte Lia mich für einen Verschwender genommen, den sie anführen könnte: sie hätte gerne den Wagen auf dieselbe Art bekommen wie das Pferd; aber ich war ja kein Neuling mehr. Ich hatte mich leicht dazu entschlossen, auf gut Glück hundert Zechinen zu opfern; weiter aber konnte meine Verschwendung ohne bestimmte Aussichten nicht gehen.

Ich beschloß, meine Besuche einzustellen und zu warten, wie die Sache mit ihr und ihrem Vater enden würde. Ich rechnete stark auf die Habsucht des Juden: er liebte das Geld und mußte sich ärgern, wenn seine Tochter es nicht möglich zu machen wußte, mich zum Ankauf des Wagens zu veranlassen, einerlei ob sie sich mir hingab oder nicht; denn dies mußte ihm vollkommen gleichgültig sein. Ich war beinahe gewiß, daß sie mir von selber kommen würden.

Am nächsten Sonnabend bemerkte ich die schöne Jüdin auf der Promenade. Wir gingen so nahe aneinander vorbei, daß ich sie anreden konnte, ohne daß es nach Absicht von meiner Seite aussah, zumal da ihre Blicke mir zu sagen schienen: Kommen Sie!

»Man sieht Sie ja gar nicht mehr, mein Herr!« sagte sie zu mir; »aber kommen Sie morgen und frühstücken Sie mit mir, oder ich schicke Ihnen das Pferd zurück.«

Ich versprach ihr, recht früh zu kommen; selbstverständlich hielt ich ihr Wort.

Wir frühstückten sozusagen unter vier Augen; denn obgleich noch ihre Tante als dritte dabei war, so war diese doch nur des Anstandes wegen da. Nach dem Frühstück verabredeten wir, miteinander auszureiten, und sie zog sich in meiner Gegenwart als Mann an; aber auch die Tante war dabei. Da sie ihre Lederhosen schon vorher angezogen hatte, so ließ sie ihre Röcke fallen; hierauf legte sie ihr Mieder ab und zog eine Jacke an. Ohne dem Anschein nach darauf zu achten, sah ich einen prachtvollen Busen; die listige Jüdin wußte aber wohl, was sie von meiner Gleichgültigkeit zu halten habe.

»Wollen Sie mir wohl meine Busenkrause in Ordnung bringen?« fragte sie mich. Sie entflammte mich hierdurch, und meine Hand war recht unbescheiden. Ich glaubte jedoch in diesem ganzen Manöver einen abgekarteten Plan zu erraten und war daher auf meiner Hut, um diesen zu vereiteln. In dem Augenblick, wo wir zu Pferde stiegen, kam ihr Vater und sagte zu mir: »Wenn Sie Phaeton und Wagen mir abkaufen wollen, lasse ich zwanzig Zechinen ab.«

Ich antwortete ihm: »Ihre Tochter hat es in der Gewalt, mich nach unserer Rückkehr vom Spazierritt zur Erfüllung aller Ihrer Wünsche zu veranlassen.«

Wir ritten im Schritt ab. Im Laufe des Gespräches sagte Lia mir, sie habe unvorsichtigerweise ihrem Vater gesagt, es stehe bei ihr, mich zum Ankauf des Wagens zu veranlassen, und wenn ich sie nicht mit ihrem Vater entzweien wolle, müsse ich die Güte haben, ihn zu kaufen. »Schließen Sie das Geschäft ab,« fuhr sie fort; »und behalten Sie sich vor, mir den Wagen erst dann zu schenken, wenn Sie überzeugt sind, daß ich Sie liebe.«

»Meine liebe Lia, es steht in Ihrer Macht, Ihren Willen durchzusetzen; aber Sie wissen, unter welcher Bedingung.«

»Ich verspreche Ihnen, mit Ihnen allein auszureiten, so oft Sie wollen – allerdings, ohne einzukehren; aber ich glaube, daraus machen Sie sich auch nichts. Ihre Neigung ist sehr flüchtig gewesen; es war nur eine einfache Laune.«

»Um Sie vom Gegenteil zu überzeugen, werde ich den Phaeton kaufen und in eine Remise stellen lassen. Die Pferde werde ich füttern lassen, ohne mich ihrer zu bedienen. Aber wenn Sie mich nicht binnen acht Tagen glücklich machen, werde ich Wagen und Pferde wieder verkaufen.«

»Kommen Sie morgen!«

»Ich werde kommen; aber ich verlange heute Morgen schon ein Unterpfand Ihrer Zärtlichkeit.«

»Heute Morgen? Das wäre mir unmöglich.«

»Verzeihen Sie – ich gehe mit Ihnen auf Ihr Zimmer, und beim Umkleiden können Sie mir mehr als eine Gunst bewilligen.«

Wir kamen nach Hause, und zu meiner Überraschung hörte ich sie ihrem Vater sagen, der Phaeton sei mein; er brauche ihn nur anspannen zu lassen. Der Jude lächelte; wir gingen alle drei ins Haus, und Lia sagte zu mir mit siegesbewußter Miene: »Zählen Sie das Geld auf!«

»Ich habe es nicht bei mir; aber ich will Ihnen eine Anweisung geben.«

»Hier ist Papier.«

Ohne Zögern schrieb ich dem Bankier Zappata, er möchte bei Sicht dreihundertundachtzig Zechinen zahlen. Der Jude ging, um das Geld zu holen, und Lia blieb mit mir allein.

»Indem Sie mir vertraut haben, lieber Freund,« sagte sie zu mir, »haben Sie sich meines Herzens würdig gemacht.«

»Also schnell, entkleiden Sie sich!«

»Nein, meine Tante ist im Hause, und da ich die Tür nicht schließen kann, könnte sie eintreten; aber ich verspreche Ihnen, morgen werden Sie mit mir zufrieden sein. Ich will mich jetzt umkleiden, aber treten Sie bitte in diese Kammer! Sobald ich wieder die Kleider meines Geschlechts trage, können Sie hereinkommen.«

Ich erklärte mich einverstanden, und sie schloß mich ein. Ich sah mir die Türe an und erblickte eine schmale Spalte zwischen den beiden Flügeln. Ich stieg auf einen Schemel, sah durch die Spalte und bemerkte Lia der Tür gegenüber auf einem Sofa sitzen und sich auskleiden. Sie zog ihr Hemd aus, nahm ein Handtuch, das neben ihr lag, und trocknete ihre Brüste und hierauf ihre Füße ab. Als sie ihre Reithose ausgezogen hatte und ganz nackt dastand, fiel scheinbar zufällig einer ihrer Ringe zur Erde und rollte unter das Kanapee. Sofort stand sie auf, sah nach rechts und links und bückte sich dann, um unter dem Sofa zu suchen. Um den Ring zu erfassen, mußte sie sich auf die Knie niederlassen und den Kopf nach vorne neigen. Nachdem sie sich wieder auf das Kanapee gesetzt hatte, mußte sie sich abermals abtrocknen. Sie tat dies so gründlich, daß meinen, von allen diesen Reizen entflammten Augen nicht der kleinste Teil ihres Körpers mehr ein Geheimnis blieb. Ich war überzeugt, sie wußte, daß ich dieses ganze Manöver mit ansah; wahrscheinlich erriet sie auch, welche Verheerungen sie in meiner leicht entzündlichen Natur anrichtete.

Als sie endlich fertig war, befreite sie mich aus meiner Kammer. Ich schloß sie in meine Arme und sagte ihr: »Ich habe alles gesehen!«

Sie spielte die Ungläubige, ich zeigte ihr den Spalt und schickte mich an, von meinen Rechten Gebrauch zu machen; da trat der verfluchte Moses ein. Wenn er nicht blind war, mußte er sehen, in welchen Zustand seine Tochter mich versetzt hatte; aber er dankte mir, gab mir die Quittung über das Geld, das er einkassiert hatte, und sagte: »Mein ganzes Haus gehört Ihnen.«

Ich verabschiedete mich von ihnen und ging ärgerlich fort. Ich stieg in meinen Phaeton und fuhr nach Haus; den Kutscher behielt ich, indem ich ihn beauftragte, sofort einen Stall und eine Remise zu besorgen.

Ich nahm mir vor, Lia nicht wiederzusehen, denn ich ärgerte mich über sie. Sie hatte mir in ihren wollüstigen Stellungen nur zu sehr gefallen; aber sie hatte in mir eine Aufregung hervorgerufen, die eine Todfeindin der Liebe ist. Sie hatte Amor gezwungen, zum Dieb zu werden, und in seiner hungrigen Gier hatte sich das Kind dazu herbeigelassen; als es jedoch nachher das Recht zu haben glaubte, eine kräftigere Nahrung zu verlangen, dann aber sich zurückgewiesen sah, wich die Glut einem Gefühl der Verachtung. Lia wollte sich ihre eigenen Gefühle nicht gestehen, und meine Liebe wollte sich nicht offen zum Diebstahl bekennen.

Ich machte die Bekanntschaft eines sehr liebenswürdigen Kavaliers, der Soldat, Gelehrter und großer Pferdekenner war. Er führte mich bei mehreren hübschen Damen ein, doch pflegte ich den Verkehr mit diesen nicht; denn ich hätte bei ihnen allen Gefühl aufwenden müssen; ich wollte jedoch nur solide Genüsse, selbst wenn ich sie mit schwerem Gelde erkaufen mußte. Der Chevalier de Brézé war nicht der richtige Mann für mich: er war zu tugendhaft für einen Wüstling wie mich. Er kaufte von mir den Phaeton und die Pferde, die ich Lia versprochen hatte, und ich verlor nur dreißig Zechinen daran.

Ein gewisser Baretti, der mich in Aix in Savoyen gekannt hatte und dem Marquis de Prié als Croupier diente, führte mich bei der Mazzoli ein. Sie war eine frühere Tänzerin, zurzeit Geliebte des Chevaliers Raiberti, eines kalten aber sehr ehrenwerten Mannes, der damals das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten Seiner Allergetreuesten Majestät innehatte. Die Dame war durchaus nicht hübsch, aber sehr gefällig; sie ließ für mich Mädchen in ihr Haus kommen, von denen jedoch nicht eine einzige mir würdig erschien, Lia zu ersetzen. Ich glaubte diese nicht mehr zu lieben; aber ich täuschte mich.

Der Chevalier Cocona, der in jenem Augenblick das Unglück hatte, der heiligen Veronika geweiht zu sein, überließ mir seine Geliebte, eine sehr hübsche Soubrette; aber obwohl meine Augen sich überzeugten und trotz allen Versicherungen, die sie mir gab, hatte ich nicht den Mut, sie anzurühren; aus Angst enthielt ich mich ihrer. Graf Trana, ein Bruder des Chevaliers und alter Bekannter von Aix her, stellte mich der Frau von Sc. vor; sie war eine Dame der hohen Gesellschaft und ein sehr schönes Weib, aber sie wollte mich zu einem verbrecherischen Schritt verleiten, vor dem mein guter Schutzgeist mich bewahrte; ich besuchte sie daher nicht mehr. Graf Trana rechtfertigte sich. Kurze Zeit nachher starb sein Onkel, und er wurde reich; aber er verheiratete sich und wurde unglücklich.

Ich langweilte mich, und Desarmoises, der stets mit mir speiste, fand seine Rechnung nicht dabei. Er riet mir, die Bekanntschaft einer Französin zu machen, die in Turin ein sehr berühmtes Putzgeschäft hatte. Sie nannte sich Madame R. Sie hatte in ihrem Dienst sieben oder acht junge Mädchen, die sie in einem an ihren Laden anstoßenden Saal arbeiten ließ. Er glaubte, bei richtigem Benehmen könnte ich eine nach meinem Geschmack für mich gewinnen. Da meine Börse gut gespickt war, so hielt auch ich die Sache für nicht allzu schwierig und folgte seinem Rat. Ich trat bei der Dame ein und fand bei ihr zu meiner angenehmen Überraschung Lia, die um eine Menge von allerhand Sachen feilschte, die sie sämtlich zu teuer fand. Sie sagte mir in einem Tone freundschaftlichen Vorwurfes, sie habe mich für krank gehalten.

Ich fühlte meine Liebesglut von neuem erwachen und antwortete ihr: »Ich bin sehr beschäftigt gewesen; doch werde ich morgen das Vergnügen haben, Sie zu sehen.«

Sie lud mich zu einer jüdischen Hochzeit ein, wo ich zahlreiche Gesellschaft und mehrere hübsche junge Damen finden würde. Ich wußte, daß derartige Feierlichkeiten sehr ergötzlich sind, und versprach ihr daher, zu erscheinen. Nachdem sie lange gehandelt hatte, fand sie alles zu teuer und entfernte sich. Madame R. wollte alle die sieben Sachen wieder wegräumen, ich sagte jedoch: »Ich nehme das Ganze für meine Rechnung.«

Sie lächelte; ich zog meine Börse und zählte ihr das Geld auf.

»Wo wohnen Sie, mein Herr?« fragte sie mich, »und wann soll ich Ihnen die Waren zuschicken?«

»Sie könnten, Madame, mir die Ehre erweisen, morgen früh um neun Uhr die Sachen selber zu mir bringen und mit mir frühstücken.«

»Ich kann nicht einen Augenblick von hier abkommen, mein Herr.«

Frau R. war trotz ihren fünfunddreißig Jahre noch ein sogenannter leckerer Bissen und hatte gewisse Gefühle in mir erregt.

»Ich wünsche schwarze Blonden,« sagte ich.

»Wollen Sie mir bitte folgen, mein Herr.«

Zu meiner großen Freude sah ich im Saal eine Menge junger Arbeiterinnen. Sie waren alle reizend, aber sehr eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigt und wagten mich kaum anzusehen. Frau R. öffnete mehrere Schränke und zeigte mir prachtvolle Blonden. Der Anblick dieser ganzen Schar von Nymphen machte mich zerstreut; ich sagte ihr, ich wünschte Blonden für zwei Baütten nach venetianischer Art. Sie wußte sofort Bescheid. Mit diesen Baütten wurde zu meiner Zeit in Venedig der größte Luxus getrieben. Die Blonden kosteten mir mehr als hundert Zechinen. Frau R. rief zwei von ihren jungen Mädchen bei Namen und befahl ihnen, am nächsten Morgen die Spitzen und die von Lia ausgesuchten und zu teuer gefundenen Waren zu mir zu bringen. Ein »Ja, Mama« war ihre Antwort.

Sie standen auf und küßten ihrer Mama die Hand; ich fand diese Zeremonie spaßhaft, aber angenehm, weil sie mir Gelegenheit gab, sie näher zu betrachten. Ich fand sie reizend. Wir gingen wieder in den Laden; ich setzte mich neben den Ladentisch und lobte die Schönheit der jungen Madchen; außerdem sagte ich – was allerdings nicht wahr war – ich würde sie selber den Mädchen vorgezogen haben. Sie dankte mir, sagte mir jedoch unumwunden, sie habe einen Liebhaber. Einen Augenblick darauf nannte sie mir auch dessen Namen. Es war der Graf von St. Giles, ein Schwächling, der sich sehr wenig zur Galanterie eignete. Ich glaubte, Frau R. scherze; doch erfuhr ich am nächsten Tage, daß sie mir die Wahrheit gesagt hatte. Jeder nach seinem Geschmack! Ich vermute, diese Frau, die recht wohl noch imstande war, eine Laune zu erregen, war mehr in die Börse als in die Person des Graubarts verliebt. Ich hatte ihn im »Café du Change« kennen gelernt.

Am nächsten Morgen brachten die beiden hübschen Zöfchen mir die Ware. Ich bot ihnen Schokolade an, war jedoch nicht imstande, sie zur Annahme meiner Einladung zu bewegen. Ich kam auf den Einfall, die von Lia ausgesuchten Sachen von ihnen hintragen zu lassen, und bat sie, sie möchten wiederkommen und mir sagen, wie sie mein Geschenk aufgenommen hätte. Sie erklärten sich bereit und warteten, bis ich ein Briefchen geschrieben hatte. Es war mir unmöglich, ihnen auf irgendeine Art meine Zärtlichkeit zu beweisen; denn ich hatte nicht gewagt, die Tür zu schließen, meine Wirtin und die häßlichen Töchter des Hauses gingen fortwährend aus und ein. Bei ihrer Rückkehr jedoch fing ich sie auf der Treppe ab, gab jeder von ihnen eine Zechine und sagte, es hänge nur von ihnen ab, sich meines Herzens zu bemächtigen. Lia hatte mein schönes Geschenk angenommen und ließ mir sagen, sie erwarte mich.

Am nächsten Nachmittag ging ich aufs Geratewohl spazieren. Ich kam zufällig an dem Modesalon vorbei; Frau R. sah mich, lud mich ein, hereinzukommen, und bat mich, neben ihr Platz zu nehmen.

»Mein Herr,« sagte sie zu mir, »ich danke Ihnen vielmals für Ihre Freigebigkeit gegen meine jungen Damen. Sie sind ganz entzückt nach Hause gekommen. Sagen Sie mir offen heraus, ob Sie in die schöne Jüdin sehr verliebt sind.«

»Ich bin bis über die Ohren in sie verliebt; aber ich bin nicht glücklich gewesen und habe mich nun mit meinem Schicksal abgefunden.«

»Daran haben Sie recht getan. Lia ist eine Spitzbübin, die nur alle Herren, die sich in ihre Reize verlieben, zum besten halten will.«

»Sollten nicht auch vielleicht Ihre reizenden Zöglinge diesem Grundsatz huldigen?«

»Nein; aber sie sind nur gefällig, wenn ich es ihnen erlaube.«

»So empfehle ich mich also Ihrer Güte; denn sie wollten nicht einmal eine Tasse Schokolade von mir annehmen.«

»Das dürfen sie auch nicht. Ich sehe, Sie kennen Turin nicht. Befinden Sie sich in Ihrer Wohnung wohl?«

»Ausgezeichnet.«

»Haben Sie dort vollkommene Freiheit?«

»Ich denke, ja,«

»Können Sie jeder beliebigen Dame ein Abendessen geben und können Sie in Ihren Räumen machen, was Sie wollen? Ich bin überzeugt, Sie können es nicht.«

»Ich habe bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, einen Versuch zu machen; aber ich glaube …«

»Geben Sie sich keinen Täuschungen hin; die Leute in Ihrem Hause sind Polizeispione.«

»Sie glauben also, es wäre mir nicht möglich, Sie und zwei oder drei Ihrer Schülerinnen zum Abendessen bei mir zu haben?«

»Jedenfalls weiß ich ganz genau, daß ich mich hüten würde, hinzugehen. Am nächsten Morgen würde die ganze Stadt es wissen, vor allen anderen die Polizei.«

»Und wenn ich anderswo eine Wohnung nähme?«

»Es wäre überall das gleiche; denn Turin ist ein Nest von Spionen; aber ich kenne ein Haus, wo Sie nach Ihrer Bequemlichkeit leben könnten und wohin meine Mädchen, unter gewissen Vorsichtsmaßregeln, Ihnen alles bringen könnten, was Sie bei mir kaufen würden.«

»Wo ist das Haus? Ich werde Ihre Ratschläge getreulich befolgen.«

»Vertrauen Sie keinem Piemontesen, das ist die Hauptsache.«

Hierauf gab sie mir die Adresse eines gut möblierten Hauses, das nur von einem alten Hausmeister und seiner Frau bewohnt wurde.

»Man wird Ihnen das Haus monatsweise vermieten,« sagte sie zu mir; »und wenn Sie die Monatsmiete vorausbezahlen, wird man Sie nicht einmal nach Ihrem Namen fragen.«

Das hübsche Häuschen lag zweihundert Schritte von der Zitadelle in einer stillen Straße; durch eine Tür, die nach der Campagna hinaus ging, konnte ich sogar mit meinem Wagen einfahren. Ich fand alles, wie Frau R. es mir geschildert hatte, bezahlte ohne Feilschen für einen Monat voraus und zog schon am nächsten Morgen ein. Frau R. bewunderte meine Schnelligkeit.

Ich besuchte die jüdische Hochzeit und unterhielt mich dabei; denn die Zeremonie hat etwas Symbolisches und zugleich lächerlich Groteskes; ich widerstand jedoch allen Künsten, die Lia aufbot, um mich wieder in ihre Netze zu locken.

Ich mietete von ihrem Vater einen geschlossenen Wagen, den ich ebenso wie die Pferde in meinem Häuschen unterbrachte. So konnte ich ganz nach meinem Belieben durch die Vorder- oder durch die Hintertür, bei Tage oder bei Nacht gehen oder kommen, wie ich wollte; denn ich wohnte tatsächlich in der Stadt und zugleich auf dem Lande. Ich mußte dem neugierigen Gama meine Wohnung angeben; auch glaubte ich Desarmoises sie nicht verbergen zu dürfen, denn dieser hing wegen seiner Bedürftigkeit ganzlich von mir ab. Trotzdem war auf meinen Befehl auch für sie, wie für alle anderen, meine Tür verschlossen, wenn ich nicht besondere Anweisungen gegeben hatte, den von mir erwarteten Personen zu öffnen. Ich hatte keinen Anlaß, an der Treue meiner beiden Bedienten zu zweifeln.

In diesem Hause der Seligkeit musterte ich sämtliche jungen Mädchen der Madame R. Diejenige, die ich näher kennen zu lernen wünschte, kam stets in Begleitung einer anderen, die ihr als Ehrenwächterin diente und die ich gewöhnlich nach Hause schickte, nachdem ich ihr ihren Anteil am Kuchen gegeben hatte. Die letzte, namens Victorine, bildhübsch und zärtlich wie eine Taube, hatte das Unglück, versperrt zu sein; sie wußte jedoch nichts davon. Madame R., die es ebenfalls nicht wußte, hatte sie nur als Jungfer zugeschickt; auch ich hielt sie dafür zwei Stunden lang, während welcher ich mich fortwährend bemühte, den Zauber zu brechen oder vielmehr die Schale zu sprengen. Aber alle meine Anstrengungen waren vergebens. Endlich, als ich völlig erschöpft war, wollte ich sehen, was der Grund sei. Ich brachte sie in eine geeignete Lage, versah mich mit einer Kerze und begann die Untersuchung. Ich sah ein fleischiges Häutchen mit einem so kleinen Loch, daß kaum die Spitze einer dicken Nadel hindurchdringen konnte. Victorine ermutigte mich, den Eingang mit meinem kleinen Finger zu erzwingen; aber ich mühte mich vergeblich, diese Mauer zu durchbrechen, die von der Natur für gewöhnliche Mittel undurchdringlich gemacht war. Ich geriet in Versuchung, mit einem Messer das Hindernis zu beseitigen, und das junge Mädchen forderte mich dringend dazu auf; ich fürchtete jedoch eine Blutung, die mich vielleicht in böse Verlegenheit gebracht hätte. Deshalb stand ich davon ab, und daran tat ich wohl.

Die arme Victorine war dazu verurteilt, als Jungfrau zu sterben, wenn nicht ein geschickter Chirurg die Operation an ihr vornahm, die an Fräulein Cheroffini kurze Zeit nach ihrer Verheiratung mit Herrn Lepri vollzogen wurde. Sie weinte vor Kummer, als ich sagte: »Mein liebes Kind, dein kleiner Gott Hymen trotzt dem kräftigsten Amor und macht es ihm unmöglich, in deinen Tempel einzudringen.«

Ich beruhigte sie jedoch mit der Versicherung, daß ein guter Wundarzt sie leicht zu einem vollkommenen Weibe machen könne.

Am nächsten Tage erzählte ich den Vorfall der Frau R. Sie rief lachend: »Aber das ist ja für Victorine sehr günstig! Sie kann dadurch ihr Glück machen.«

Der Graf von Padua ließ sie einige Jahre später operieren und machte ihr Glück. Als ich aus Spanien zurückkehrte, fand ich sie schwanger und wurde dadurch verhindert, mich für meine erfolglosen Bemühungen bezahlt zu machen.

Am Gründonnerstag meldete man mir in aller Frühe Moses und Lia. Ich hatte ihren Besuch nicht erwartet, doch empfing ich sie aufs beste. Während der Karwoche wagten die Juden sich nicht in den Straßen von Turin sehen zu lassen; ich riet ihnen daher, die drei Tage bei mir zu verbringen, und als der Schelm mir einen schönen Ring zum Verkauf anbot, sah ich, daß es mir keine große Mühe kosten würde, sie zu überreden.

»Ich werde,« antwortete ich ihm, »diesen Ring nur aus Lias Händen kaufen können.«

Er lächelte; ohne Zweifel bildete er sich ein, ich würde ihr den Ring schenken; ich hatte mir jedoch bereits vorgenommen, sie in ihrer Erwartung zu täuschen. Ich bewirtete sie vornehm zu Mittag und Abend; hierauf gingen sie für die Nacht in ein hübsches Zimmer mit zwei Betten, das nicht weit von dem meinigen entfernt war. Ich hätte sie getrennt schlafen lassen können, indem ich Lia in einem Zimmer unterbrachte, das an das meinige anstieß, so daß ich sehr leicht einen nächtlichen Ausflug zu ihr machen konnte; aber ich hatte bereits für Lia zu viel getan und wollte daher nichts einer Überraschung oder auch nur einer Heimlichkeit zu verdanken haben. Sie sollte von selber zu mir kommen.

Als Moses am nächsten Morgen sah, daß ich den Ring noch nicht gekauft hatte, sagte er mir, er müsse in Geschäften ausgehen; er bat mich um meinen Wagen für den ganzen Tag und versprach, am Abend wiederzukommen und seine Tochter abzuholen. Ich ließ anspannen und kaufte ihm, bevor er abfuhr, den Ring für sechshundert Zechinen ab; aber ich stellte meine Bedingungen dabei. Ich war in meinem eigenen Hause; Lia konnte mich nicht betrügen. Sobald der Vater fort war, bemächtigte ich mich der Tochter. Sie war den ganzen Tag gefügig und verliebt. Ich hatte sie in den Naturzustand versetzt, und obwohl ihr Leib das Vollkommenste war, was man sich denken kann, brauchte und mißbrauchte ich ihn auf jede Art. Am Abend fand der Vater sie etwas ermüdet, aber er war ebenso zufrieden wie ich. Lia war weniger zufrieden, denn sie hatte erwartet, ich würde ihr zum Abschied den Ring schenken. Ich beschränkte mich jedoch darauf, ihr zu sagen, ich wolle mir das Vergnügen vorbehalten, ihr den Ring in ihre Wohnung zu bringen.

Am Ostermontag brachte ein Mann mir ein Schreiben, das mich vor die Polizei lud.

Vierzehntes Kapitel


Mein Sieg über den Polizeivikar. – Meine Abreise. – Chambery. – Desarmoises‘ Tochter. – Herr Morin. – M. M. von Aix. – Die Pensionärin. – Lyon. – Paris.

Diese Vorladung ließ mich nichts Angenehmes ahnen; sie überraschte mich und mißfiel mir sehr. Da ich mich ihr jedoch nicht entziehen konnte, so ließ ich anspannen und begab mich nach der Amtsstube des Polizeivikars. Ich fand ihn an einem großen Tisch sitzen; um ihn herum standen etwa zwanzig Personen. Er war ein Mann von ungefähr sechzig Jahren und über alle Maße häßlich; denn seine Riesennase war zur Hälfte von einem Geschwür angefressen, das von einem großen Pflaster aus schwarzer Seide bedeckt wurde. Sein Mund war ungeheuer groß mit dicken Lippen; er hatte ganz kleine Katzenaugen und darüber sehr dichte Brauen, die zur Hälfte weiß waren. Sobald dieser ekelhafte Mensch mich sah, sagte er: »Sie sind der Chevalier de Seingalt?«

»So heiße ich, und ich komme, um mich zu erkundigen, was Ihnen zu Diensten steht.«

»Ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen zu befehlen, spätestens in drei Tagen abzureisen.«

»Und da Sie nicht das Recht haben, mir einen solchen Befehl zu geben, so bin ich gekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich nicht früher abreisen werde, als ich Lust habe.«

»Ich werde Sie mit Gewalt vors Tor bringen lassen.«

»Das ist etwas anderes. Der Gewalt kann ich nicht widerstehen; aber ich hoffe, Sie werden sich das zweimal überlegen, denn man weist nicht aus einer gutverwalteten Stadt einen Mann aus, der nicht gegen die Gesetze des Landes verstößt und bei einem Bankier ein Guthaben von hunderttausend Franken hat.«

»Das ist alles ganz schön und gut; aber in drei Tagen haben Sie Zeit genug, Ihre Sachen zu packen und Ihre Rechnung mit Ihrem Bankier in Ordnung zu bringen. Ich rate Ihnen, zu gehorchen; der König befiehlt es Ihnen.«

»Wenn ich abreiste, würde ich mich zum Mitschuldigen Ihrer Ungerechtigkeit machen. Ich werde Ihnen daher nicht gehorchen; aber da Sie den Namen des Königs vorschieben, so werde ich mich auf der Stelle Seiner Majestät vorstellen. Der König wird Ihre Worte verleugnen oder den ungerechten Befehl zurücknehmen, den Sie mir so vor allen Leuten erteilt haben.«

»Ist etwa der König nicht berechtigt, Sie auszuweisen?«

»Ja, mit Gewalt, aber nicht mit Recht. Es steht auch in seinem Belieben, mich mit Gewalt hinrichten zu lassen; aber er muß mir dazu den Henker liefern; denn er hat nicht die Macht, mich zum Selbstmord zu zwingen.«

»Sie reden sehr gut; aber Sie werden gehorchen.«

»Ich rede gut, ohne es von Ihnen gelernt zu haben, und ich werde nicht gehorchen.«

Mit diesen Worten drehte ich ihm den Rücken zu und ging ohne Gruß hinaus.

Ich war wütend. Ich hatte Lust, allen Polizeibütteln des niederträchtigen Vikars offenen Widerstand zu leisten. Ich beruhigte mich jedoch bald und rief die Klugheit zu Hilfe. Da ich mich erinnerte, den Chevalier Raiberti bei seiner Tänzerin kennen gelernt zu haben, so beschloß ich, diesen um Rat zu fragen. Er war erster Geheimrat im Ministerium des Auswärtigen. Ich ließ meinen Kutscher zu ihm fahren und erzählte ihm die ganze Geschichte; zum Schlusse sagte ich ihm, ich müsse den König sprechen, denn ich sei entschlossen, nur der Gewalt zu weichen. Der brave Mann riet mir, mich lieber an den damaligen Minister des Auswärtigen, Chevalier Osorio, zu wenden, der zu jeder Stunde mit dem König sprechen könnte. Sein Rat leuchtete mir ein, und ich begab mich augenblicklich zu dem Minister, einem Sizilianer von Geburt und sehr geistvollen Manne. Er nahm mich recht freundlich auf. Nachdem ich ihm den Sachverhalt erzählt hatte, bat ich ihn, Seine Majestät davon unterrichten zu wollen; da der Befehl des Vikars mir abscheulich ungerecht erscheine, sei ich entschlossen, nur der Gewalt zu gehorchen. Er versprach mir, meinen Wunsch zu erfüllen, und sagte, ich möchte am nächsten Tage wiederkommen.

Um mich zu beruhigen, machte ich einen Spaziergang; hierauf begab ich mich zum Abbate Gama, in der Hoffnung, der erste zu sein, der ihm mein lächerliches Abenteuer mitteilte. Ich täuschte mich; er wußte bereits, daß ich den Ausweisungsbefehl erhalten und wie ich dem Vikar geantwortet hatte. Als er hörte, daß ich bei meinem Entschluß verharrte, wagte er meine Festigkeit nicht zu tadeln, obgleich sie ihm unbegreiflich war; denn der gute Abbate verstand nicht, wie man sich weigern könnte, einem Befehl der Obrigkeit zu gehorchen. Er versicherte mir, auf alle Fälle würde er, wenn ich abreisen müßte, die notwendigen Weisungen an jeden von mir ihm angegebenen Ort mir nachschicken.

Am nächsten Morgen empfing der Chevalier Osorio mich auf die liebenswürdigste Weise. Ich deutete dies als ein gutes Zeichen. Chevalier Raiberti hatte mit ihm über mich gesprochen; er sagte mir, er habe dem König meine Angelegenheit vorgetragen. Er habe auch mit dem Grafen d’Aglié gesprochen und ich könne so lange bleiben, wie ich wolle. Dieser Graf d’Aglié war kein anderer als der ekelhafte Vikar. Der Minister sagte mir, ich müsse zu ihm hingehen, und er würde mir eine so lange Frist bewilligen, wie ich nötig hätte, um meine Angelegenheiten in Turin in Ordnung zu bringen.

»Ich habe hier keine anderen Geschäfte,« antwortete ich ihm, »als Geld auszugeben und auf die Instruktion zu warten, die der portugiesische Hof mir für den bevorstehenden Augsburger Kongreß geben will, auf welchem ich Seine Allergetreueste Majestät vertreten soll.«

»Sie glauben also, daß dieser Kongreß stattfinden wird?«

»Niemand zweifelt daran.«

»Jemand ist der Meinung, er werde in Rauch aufgehen. Übrigens bin ich sehr erfreut, daß ich Ihnen habe nützlich sein können, und ich werde mit Vergnügen erfahren, welche Aufnahme Ihnen der Vikar bereitet hat.«

Ich war außer mir vor Freude. Glücklich, als Sieger auftreten zu können, und neugierig, was für ein Gesicht er bei meinem Anblick machen würde, ging ich sofort zum Vikar. Allerdings konnte ich mir nicht schmeicheln, daß ich ihn aus der Fassung bringen würde, denn derartige Leute haben die Stirn eines Kerkermeisters; sie werden niemals rot.

Sobald er mich sah, sagte er: »Der Chevalier Osorio hat mir gesagt, Sie hätten Geschäfte, die Sie zwängen, noch einige Tage in Turin zu bleiben. Sie können daher bleiben, doch müssen Sie mir sagen, wieviele Tage Sie ungefähr brauchen.«

»Das kann ich Ihnen unmöglich sagen.«

»Und warum nicht, bitte?«

»Ich erwarte vom portugiesischen Hof Instruktion für den bevorstehenden Augsburger Kongreß; um den Zeitpunkt meiner Abreise bestimmen zu können, müßte ich daher Seine Allergetreueste Majestät befragen können. Doch glaube ich, ich werde in etwa einem Monat nach Paris abreisen können. Sollte diese Zeit mir nicht genügen, so würde ich die Ehre haben, Sie zu benachrichtigen.«

»Sie werden mir ein Vergnügen machen.«

Diesmal machte ich ihm eine Verbeugung, die er erwiderte; ich ging hinaus und begab mich sofort wieder zum Chevalier Osorio, der mir lächelnd sagte, ich hätte den Vikar angeführt, denn ich hätte mir eine unbestimmte Frist geben lassen, die mir volle Bequemlichkeit ließe.

Der große Politiker Gama glaubte fest an das Zusammentreten des Kongresses; er freute sich daher königlich, als ich ihm sagte, der Chevalier Osorio glaube nicht an das Zustandekommen desselben. Er war entzückt, klüger zu sein als ein Minister; dieser Gedanke erhob ihn in seinen eigenen Augen. Die Menschen lieben so sehr, sich selber zu schmeicheln, indem sie eine Lieblingsidee hätscheln. Ich sagte ihm, die Meinungen des Chevaliers wären mir gleichgültig; ich würde nach Augsburg gehen, und zwar würde ich in drei oder vier Wochen abreisen.

Madame R. machte mir die größten Komplimente; sie war entzückt, daß ich den Vikar gedemütigt hatte; indessen hielten wir es doch für angebracht, unsere kleinen Abendessen mit ihren Mädchen einstweilen einzustellen. Da ich alle bereits genossen hatte, fiel dieses Opfer mir nicht übermäßig schwer.

So lebte ich bis zur Mitte des Monats Mai. Dann verließ ich Turin, nachdem ich vom Abbate Gama einen Brief für Lord Stormon erhalten hatte, der in Augsburg Bevollmächtigter des Königs von England sein sollte. Mit diesem edlen Insulaner sollte ich mich über meinen Auftrag ins Einvernehmen setzen. Da ich den Wunsch hatte, Frau von Urfé vor meiner Reise nach Deutschland zu besuchen, so schrieb ich ihr, sie möchte mir für Herrn von Rochebaron, den ich vielleicht nötig haben konnte, einen Brief nach Lyon schicken. Ferner bat ich Herrn Raiberti um einen Empfehlungsbrief für Chambéry, wo ich drei oder vier Tage mich aufhalten wollte, um die göttliche M. M., an die ich stets mit lebhafter Zärtlichkeit dachte, am Sprechgitter ihres Klosters zu besuchen. Ich schrieb an meinen Freund Valenglard und bat ihn, Frau Morin daran zu erinnern, daß sie mir versprochen hätte, mir in Chambéry eine Dame zu zeigen, die einem Portrait ähnlich sähe.

Doch hier muß ich ein Ereignis berichten, das der Erwähnung wert ist, da es mir sehr nachteilig wurde.

Fünf oder sechs Tage vor meiner Abreise kam Desarmoises traurig und niedergeschlagen zu mir und sagte zu mir, man habe ihm Befehl erteilt, binnen vierundzwanzig Stunden Turin zu verlassen.

»Wissen Sie, warum?« fragte ich ihn.

»Gestern, im ›Café du Commerce‹ erlaubte sich Graf Scarnafisch zu sagen, Frankreich besolde den Berner Zeitungsschreiber, damit er im französischen Sinne schreibe. Ich sagte ihm, dies sei nicht wahr; er wurde wütend, verließ zornig das Kaffeehaus und warf mir einen Blick zu, der nicht zweideutig war. Ich ging ihm nach, um ihn zur Vernunft zu bringen oder ihm Genugtuung zu geben; er hat aber weder genug Vernunft noch genug Mut; er wollte nicht auf mich hören, und ich vermute, er hat sich über mich beklagt. Morgen in aller Frühe muß ich mich auf die Beine machen.«

»Sie sind Franzose und können den Schutz Ihres Gesandten beanspruchen; Sie würden daher unrecht tun, wenn Sie so plötzlich abreisten.«

»Erstens ist der Gesandte abwesend; zweitens verleugnet mich mein grausamer Vater. Ich will lieber abreisen und in Lyon auf Sie warten. Ich bitte Sie nur, mir noch hundert Taler zu leihen; ich werde sie Ihnen in Rechnung stellen.«

»Die Rechnung wird leicht sein, aber mit bei Begleichung wird es lange dauern.«

»Das ist wohl möglich; aber glauben Sie mir, ich werde für Ihre Güte erkenntlich sein, wenn ich kann.«

Ich gab ihm hundert Taler, wünschte ihm gute Reise und sagte ihm, ich würde mich einige Tage in Chambéry aufhalten.

Nachdem ich einen Kreditbrief auf Augsburg genommen hatte, verließ ich Turin; nach drei Tagen kam ich in Chambéry an. Da zu meiner Zeit nur ein einziger Gasthof dort war, so machte die Wahl mir keine Qual; indessen bekam ich eine gute Unterkunft.

Als ich in mein Zimmer trat, begegnete mir eine überraschend hübsche Person, die aus einem Nebenzimmer trat. »Wer ist diese junge Dame?« fragte ich das Mädchen, das mich begleitete.

Sie antwortete mir: »Sie ist die Frau eines jungen Herrn, der hier bettlägrig ist, um von einem Degenstich geheilt zu werden, den er vor vier Tagen auf der Reise von Frankreich hierher erhalten hat.«

Ich hatte die schöne Frau nicht sehen können, ohne den Stachel der Begierde zu verspüren. Als ich ausging, um etwas auf der Post zu besorgen, sah ich ihre Tür halb offen stehen. Ich blieb stehen und bot ihr als Nachbar meine Dienste an. Sie dankte mir höflich und lud mich ein, einzutreten. Da ich einen schönen jungen Mann im Bette aufrecht sitzen sah, so trat ich näher und erkundigte mich nach seinem Befinden.

»Der Wundarzt,« sagte die junge Dame, »hat ihm verboten, zu sprechen, weil er eine halbe Meile von hier einen Degenstich in die Brust erhalten hat. Wir hoffen, er wird in wenigen Tagen geheilt sein, damit wir unsere Reise fortsetzen können.«

»Und wohin wollen Sie, meine Gnädige?«

»Nach Genf.«

Im Augenblick, wo ich hinausgehen wollte, trat die Tochter des Gastwirts ein und fragte mich, ob ich allein auf meinem Zimmer speisen wolle oder ob ich mit der gnädigen Frau soupieren würde. Über ihre Dummheit lachend, sagte ich ihr, ich würde auf meinem Zimmer speisen, da ich nicht die Ehre hätte, die gnädige Frau zu kennen.

Hierauf sagte die junge Dame zu mir: wenn ich ihr die Ehre erweisen wollte, bei ihr zu speisen, so würde ich ihr ein Vergnügen machen; der Mann wiederholte mir leise die Versicherung. Ich nahm die Einladung dankbar an und glaubte zu bemerken, daß ihnen dies angenehm war. Als die junge Dame mich hierauf bis an die Treppe begleitete, nahm ich mir die Freiheit, ihr die Hand zu küssen; dies ist in Frankreich eine ebenso ehrerbietige wie zarte Liebeserklärung.

Ich fand auf der Post einen Brief von Valenglard, der mir mitleilte, Frau Morin sei bereit, nach Chambéry zu kommen, wenn ich ihr einen Wagen schicken wolle. Desarmoises schrieb nur in einem Brief aus Lyon, er habe seine Tochter mit einem Schelm, der sie entführt, in einem Wagen getroffen; er habe ihm seinen Degen durch den Leib gerannt und würde ihn getötet haben, wenn er den Wagen hätte anhalten können, der sie nach Chambéry gebracht hätte. Er bezweifle nicht, daß sie in Chambéry halt gemacht hätten, und bitte mich, ich möchte versuchen, seine Tochter zur Rückkehr nach Lyon zu überreden. Wenn sie nicht wollte, so müßte ich ihm den Dienst erweisen, bewaffneten Beistand zu verlangen; ich möchte mich doch eines unglücklichen Vaters annehmen, der seine geliebte Tochter zurückhaben wollte. Er versicherte mir, sie sei nicht verheiratet, schickte mir seine Adresse und bat mich, ihm durch einen Eilboten zu antworten.

Es war nicht schwer zu erraten, daß dieses Mädchen keine andere war als meine Nachbarin; aber ich verspürte durchaus keine Neigung, den Wünschen des Vaters zu entsprechen.

Sobald ich nach Hause gekommen war, ließ ich Leduc mit einer viersitzigen Berline abreisen; ich schickte diese der Frau Morin und schrieb ihr: da ich nur ihretwegen in Chambéry wäre, so würde ich sie dort erwarten; sie möchte nach ihrer Bequemlichkeit reisen. Hierauf überließ ich mich der Freude über das eigentümliche Abenteuer, das ich dem Schicksal und einem seltsamen Zusammentreffen von lauter romanhaften Umständen verdankte.

Fräulein Desarmoises und ihr Entführer hatten mir Freundschaft eingeflößt; ich bemühte mich nicht, ausfindig zu machen, ob das Gefühl, das mich leitete, Laster oder Tugend war; aber ich fühlte unbewußt, daß es ein Gemisch von beiden war; denn wenn ich einerseits verliebt war, so empfand ich andererseits eine wahre Befriedigung, dem jungen Liebespaar helfen zu können, um so mehr, da ich die sündhafte Leidenschaft des meuchelmörderischen Vaters kannte.

Ich trat bei ihnen ein und fand den Kranken unter den Händen des Wundarztes. Die Wunde war zwar tief, aber nicht gefährlich: die Eiterung war ohne Entzündung eingetreten, und der junge Mann brauchte nur Zeit und Ruhe. Als der Doktor fortgegangen war, wünschte ich ihm Glück zu seinem Zustande und riet ihm, zu fasten und zu schweigen. Hierauf übergab ich dem Fräulein Desarmoises den Brief, den ich von ihrem Vater erhalten hatte, machte ihnen eine Verbeugung und sagte, ich würde auf meinem Zimmer die Stunde des Abendessens erwarten. Ich war sicher, daß sie zu mir kommen würde, um mit mir zu sprechen, sobald sie den Brief ihres Vaters gelesen hätte.

Eine Viertelstunde darauf klopfte es bescheiden an die Tür; ich ließ sie eintreten, und sie gab mir schüchtern meinen Brief zurück, indem sie mich fragte, was ich zu tun gedächte.

»Nichts! Ich werde mich glücklich schätzen, wenn Sie es mir ermöglichen, Ihnen nützlich zu sein.«

»Ich atme auf!«

»Haben Sie das Gegenteil glauben können? Sie haben beim ersten Anblick meine lebhafte Teilnahme erregt und können völlig über mich verfügen. Sind Sie schon verheiratet?«

»Nein; aber wir werden uns heiraten, sobald wir in Genf ankommen.«

»Setzen Sie sich und erzählen Sie mir ausführlich, wie Ihre Sachen stehen. Ich weiß, daß Ihr Vater unglücklicherweise in Sie verliebt ist, und daß Sie ihn fliehen.«

»Wie ich sehe, hat er es Ihnen gesagt, und dies ist mir sehr angenehm. Vor einem Jahre kam er nach Lyon, und sobald ich seine Ankunft erfuhr, zog ich mich zu einer Freundin meiner Mutter zurück; denn ich könnte nicht eine Stunde in Gegenwart meines Vaters bleiben, ohne mich der ungeheuerlichsten Vergewaltigung auszusetzen. Der junge Mann, den Sie im Bett gesehen haben, ist der einzige Sohn eines reichen Genfer Kaufherrn. Mein Vater selbst führte ihn vor zwei Jahren bei uns ein. Bald liebten wir uns. Als mein Vater wieder abgereist war, wandte mein Liebhaber sich an meine Mutter und hielt um meine Hand an; da jedoch mein Vater sich in Marseille befand, glaubte meine Mutter nicht ohne seine Einwilligung über mich verfügen zu können. Sie schrieb an ihn; er antwortete jedoch nur, er werde, sobald er wieder in Lyon sei, ihr seine Entschließung bekannt geben. Mein Geliebter reiste nach Genf, und da sein Vater seine Zustimmung zu unserer Heirat gab, so kehrte er mit allen erforderlichen Papieren und mit einer warmen Empfehlung des Herrn Tolosan zurück. Als mein Vater von Marseille zurückkam, entfernte ich mich, wie ich Ihnen bereits sagte, und mein Freund ließ durch Herrn Tolosan um meine Hand anhalten. Mein Vater sagte: ›Ich werde nicht eher antworten, als bis meine Tochter in mein Haus zurückgekehrt ist.‹ Herr Tolosan überbrachte mir die Antwort meines Vaters. Ich sagte ihm, ich sei bereit, zu gehorchen, wenn meine Mutter mich abholen und unter ihren Schutz nehmen wolle. Als jedoch der gute Herr ihr diesen Vorschlag machte, sagte sie ihm, sie kenne ihren Gatten zu gut und wage es daher nicht, mich unter einem Dach mit ihm wohnen zu lassen. Herr Tolosan sprach noch einmal mit meinem Vater, um dessen Einwilligung zu erlangen; aber vergeblich. Einige Tage darauf reiste er ab, und wir erfuhren, er sei in Aix in Savoyen, später in Turin. Mein Liebhaber sah, daß mein Vater sich nicht entschließen wollte, und schlug mir vor, ich möchte mit ihm abreisen; er ließ mir durch Herrn Tolosan versichern, er würde mich sofort nach unserer Ankunft in Genf heiraten. Meine Mutter war damit einverstanden, und vor acht Tagen reisten wir ab. Unser Unglück wollte, daß wir durch Savoyen reisten und daß wir kurz vor Chambéry meinem Vater begegneten. Kaum hatte er uns erkannt, so ließ er den Wagen halten; er wollte mich zum Aussteigen zwingen. Ich fing an zu schreien, und da mein Liebhaber mich in seine Arme genommen hatte, um mich zu schützen, ergriff mein Vater seinen Degen und stieß ihm diesen in die Brust. Ohne Zweifel hätte er noch einen zweiten Stoß geführt; da er aber Leute sah, die auf mein Geschrei und das des Fuhrmannes herbeieilten, außerdem wahrscheinlich meinen Freund für tot hielt, so stieg er wieder zu Pferde und sprengte mit verhängten Zügeln davon. Ich werde Ihnen den Degen zeigen; er ist noch ganz blutig.«

»Ich muß seinen Brief beantworten und will darüber nachdenken, wie ich seine Zustimmung zu Ihrer Ehe erlangen kann.«

»Dies ist nicht nötig; denn wir können uns auch ohne sie verheiraten und glücklich sein.«

»Ohne allen Zweifel; aber Sie können doch nicht Ihre Mitgift in Stich lassen?«

»Was für eine Mitgift, lieber Gott? Er hat nichts.«

»Aber wenn sein Vater, der Marquis Desarmoises, stirbt …«

»Das ist ein Märchen. Mein Vater hat nur eine kleine lebenslängliche Rente wegen seiner dreißigjährigen Dienste als Kurier. Sein Vater ist seit zwanzig Jahren tot, und meine Mutter und meine Schwester leben nur von ihrer Hände Arbeit.«

Mich empörte die schamlose Frechheit dieses Menschen, der mich so lange belogen hatte und nun selber mich instand setzte, seinen Betrug aufzudecken. Aber ich schwieg. Man meldete uns, daß das Abendessen aufgetragen sei; wir blieben drei Stunden bei Tisch und sprachen unaufhörlich über diese Geschichte. Der arme Verwundete brauchte mich nur zu hören, um meine Gefühle zu kennen. Seine junge Freundin, die ebenso geistreich wie hübsch war, scherzte über die wahnsinnige Leidenschaft ihres Vaters und sagte mir, er sei von ihrem elften Jahre an leidenschaftlich in sie verliebt gewesen.

»Aber Sie haben ihm immer Widerstand leisten können?«

»Ja, stets, wenn er den Spaß zu weit treiben wollte.«

»Und hat der Spaß lange gedauert?«

»Zwei Jahre. Als ich dreizehn Jahre alt war, hielt er mich für reif und versuchte mich zu pflücken; aber ich fing an zu schreien, sprang nackt aus seinem Bett und flüchtete in das meiner Mutter, die seit jenem Tage nicht mehr erlaubte, daß ich bei ihm schlief.«

»Sie schliefen bei ihm? Wie konnte Ihre Mutter das dulden?«

»Sie konnte nicht ahnen, daß seine Liebe verbrecherisch sei, und ich dachte mir überhaupt nichts Schlimmes dabei. Ich glaubte, was er mit mir machte und mich machen ließ, wären nur Kleinigkeiten.«

»Aber Ihr Kleinod – das haben Sie doch gerettet?«

»Ich habe es für meinen Liebhaber aufbewahrt.«

Der arme Liebhaber, der mehr vom Hunger als von seiner Wunde zu leiden hatte, lachte bei diesen Worten laut auf, und sie lief zu ihm und bedeckte ihn mit ihren Küssen. Ich selber war aufs höchste erregt. Die Erzählung war zu naiv gewesen, als daß ich hätte kalt bleiben können, besonders, wenn ich sie ansah. Denn sie besaß alles, was man an einem Weibe begehren kann, und ich verzieh beinahe ihrem Vater, sich in sie verliebt und vergessen zu haben, daß sie seine Tochter war.

Als sie mich an meine Tür begleitete, ließ ich sie fühlen, wie sie mich erregt hatte, und sie lachte; da aber meine Bedienten dabei waren, so mußte ich sie gehen lassen.

Am anderen Morgen schrieb ich in aller Frühe an ihren Vater: seine Tochter sei entschlossen, ihren Liebhaber nicht mehr zu verlassen; dieser sei nur leicht verwundet; sie seien in Chambéry in Sicherheit unter dem Schutz der Gesetze. Da ich ihre Geschichte kenne und das Paar nach meiner Ansicht sehr gut zusammenpasse, so könne ich es nur billigen, daß sie füreinander leben wollten.

Sobald mein Brief fertig war, ging ich in ihr Zimmer, damit sie ihn lesen könnten. Als ich die schöne Durchgängenin in Verlegenheit sah, wie sie mir ihre Gefühle der Dankbarkeit ausdrücken solle, bat ich den Kranken um Erlaubnis, sie umarmen zu dürfen.

»Fangen Sie mit mir an!« sagte er, indem er seine Arme ausbreitete.

Meine heuchlerische Liebe bedeckte sich mit dem Mantel väterlicher Zärtlichkeit. Nachdem ich den Liebhaber umarmt hatte, küßte ich liebevoll die Geliebte, nannte sie meine Kinder und bot ihnen meine mit Gold gefüllte Börse an, falls sie derselben bedürfen sollten. Da unterdessen der Wundarzt gekommen war, begab ich mich wieder auf mein Zimmer.

Gegen elf Uhr kam Frau Morin mit ihrer Tochter an. Leduc, der als Kurier voraufgeritten war, kündigte mit Peitschenknall ihre Ankunft an. Ich empfing sie mit offenen Armen und dankte ihr herzlich für das Vergnügen, das sie mir mache.

Sie erzählte mir, Fräulein Romans sei die Geliebte des Königs; sie bewohne ein schönes Haus in Passy, und da sie im fünften Monat schwanger sei, so sei sie auf dem Wege, Königin von Frankreich zu werden, wie mein göttliches Orakel prophezeit habe. »In Grenoble,« fuhr sie fort, »spricht man nur von Ihnen, und ich rate Ihnen, kommen Sie lieber nicht wieder, wenn Sie sich nicht etwa entschlossen haben, einer der Unsrigen zu werden; denn man würde Sie nicht wieder fortlassen. Der ganze Adel würde Ihnen zu Füßen liegen, und besonders die Frauen würden eifersüchtig und neugierig sein, das Schicksal ihrer Töchter zu erfahren. Es gibt jetzt in Grenoble keinen Menschen mehr, der nicht an die Unfehlbarkeit der Astrologie glaubt, und Valenglard triumphiert. Er hat hundert Louis gegen fünfzig gewettet, daß meine Nichte einen Prinzen zur Welt bringen wird. Er ist sicher, zu gewinnen; aber wenn er verliert, wird man sich über ihn lustig machen.«

»Er wird nicht verlieren, verlassen Sie sich darauf!«

»Ist das ganz gewiß?«

»Hat das Horoskop nicht in der Hauptsache die Wahrheit gesagt? Ich müßte einen großen Fehler in der Berechnung gemacht haben, wenn das Ende nicht dem Anfang entspräche.«

»Sie entzücken mich!«

»Ich gehe nach Paris und ich hoffe, Sie werden mir einen Brief an Frau Varnier mitgeben, die mir das Vergnügen verschaffen wird, Ihre Nichte zu sehen.«

»Selbstverständlich! Schon morgen sollen Sie den Brief haben.«

Ich stellte ihr Fräulein Desarmoises unter dem Familiennamen ihres Liebhabers vor, nachdem ich mich versichert hatte, daß sie mit uns speisen würde.

Nach dem Essen gingen wir zusammen in das Kloster, wo M. M. war. Als man ihr ihre Tante meldete, kam sie an das Sprechgitter, sehr überrascht über solchen unerwarteten Besuch; aber sie bedurfte ihrer ganzen Geistesgegenwart, um sich nicht zu verraten, als sie mich sah. Als ihre Tante ihr meinen Namen sagte, bemerkte sie mit jenem Takt, der den Frauen eigen ist, sie habe mich während ihres Aufenthaltes in Aix fünf- oder sechsmal am Brunnen gesehen; aber ich könne sie nicht wieder erkennen, denn sie sei stets verschleiert gewesen. Ich bewunderte ebenso ihre Klugheit und ihren Geist wie ihr entzückendes Gesicht. Sie erschien mir schöner, und ohne Zweifel sagten meine bewundernden Blicke ihr dies. Wir unterhielten uns eine Stunde lang über Grenoble und ihre alten Bekannten, an die sie sich mit Vergnügen erinnerte; hierauf verließ sie uns, um eine junge Pensionärin zu holen, die sie liebte und ihrer Tante vorzustellen wünschte. Ich benutzte diesen Augenblick, um Frau Morin zu sagen, ich sei im höchsten Grade verwundert über die Ähnlichkeit; sie habe sogar denselben Klang der Stimme wie meine venetianische M. M. Ich bat sie, mir das Glück zu verschaffen und sie zur Annahme von zwölf Pfund ausgezeichneter Schokolade zu bewegen, die ich von Genua mitgebracht hätte.

»Ich rate Ihnen,« antwortete sie mir, »ihr dieses Geschenk selber anzubieten: denn ist sie auch Nonne, so ist sie doch Frau, und ein Geschenk macht uns mehr Vergnügen, wenn wir es von einem Manne, als wenn wir es von einer Frau erhalten.«

M. M. kam mit der Oberin, zwei anderen Nonnen und der jungen Pensionärin, einer entzückenden jungen Lyonerin, zurück. Ich mußte mit allen diesen frommen Damen schön tun, und Frau Morin sagte ihrer Nichte, ich möchte gerne eine ausgezeichnete Schokolade probieren, die ich von Genua mitgebracht hätte, aber ich hätte den Wunsch, daß sie von ihrer Laienschwester zubereitet würde.

»Mein Herr,« sagte M. M. zu mir, »haben Sie die Güte, mir die Schokolade zu schicken, und wir werden morgen mit unseren lieben Schwestern zusammen frühstücken.«

In meinen Gasthof zurückgekehrt, schickte ich sofort die Schokolade mit einem sehr ehrerbietigen Briefchen. Ich soupierte im Zimmer der Frau Morin mit ihrer Tochter und Fräulein Desarmoises, in die ich mich immer mehr verliebte; ich sprach jedoch nur von M. M., und es kam mir vor, als ob die Tante erriete, daß die schöne Nonne mir nicht fremd war.

Ich frühstückte im Kloster und erinnere mich noch, daß die Schokolade nebst Zwiebäcken und Zuckerwerk mit einer recht koketten Appetitlichkeit aufgetragen wurde. Nach dem Frühstück sagte ich zu M. M., es würde ihr wohl nicht so leicht sein, mir ein Diner zu zwölf Personen an einem Tische zu geben, so daß die Gesellschaft im Klosterraum und die andere Hälfte, durch ein dünnes Gitter getrennt, im Sprechzimmer säße.

»Ich wäre neugierig, dies zu sehen,« sagte ich, »wenn Sie mir erlauben wollten, die Kosten zu bestreiten.«

»Gern!« antwortete M. M., und dieses halb geistliche, halb weltliche Diner wurde auf den nächsten Tag festgesetzt.

M. M. übernahm alle Anordnungen und versprach mir, sechs Nonnen einzuladen. Frau Morin, die meinen Geschmack kannte, sagte ihr, sie möchte nichts sparen, und ich teilte ihr mit, daß ich die erforderlichen Weine schicken würde.

Nachdem ich Frau Morin, ihre Tochter und Fräulein Desarmoises nach Hause gebracht hatte, begab ich mich zu Herrn Magnan, dem ich durch Chevalier Raiberti empfohlen war. Ich sagte ihm, er möchte so freundlich sein, mir ausgezeichnete Weine zu verschaffen, und er bat mich, alles was ich wünschte, aus seinem Keller holen zu lassen. Ich wurde nach Wunsch bedient.

Dieser Herr Magnan war ein geistvoller Mann mit angenehmen Zügen und sehr wohlhabend. Er bewohnte außerhalb der Stadt ein großes bequemes Haus, worin seine Gattin, eine liebenswürdige und noch sehr appetitliche Frau, inmitten von zehn Kindern waltete; darunter waren vier sehr hübsche Fräuleins, von denen besonders die älteste, damals neunzehn Jahre alt, liebreizend war. Magnan war ein großer Gastronom und tat sich etwas darauf zugute; um es mir zu beweisen, lud er mich für den übernächsten Tag zum Essen ein.

Gegen elf Uhr gingen wir ins Kloster; nachdem wir uns eine Stunde unterhalten hatten, meldete man uns im Augenblick, wo die Uhr zwölf schlug, daß das Mittagessen angerichtet sei. Die Tafel bot einen hübschen Anblick; sie war mit blendendweißer schöner Wäsche bedeckt und mit mehreren kleinen Gefäßen voll künstlicher Blumen geschmückt, die je nach ihrer Art parfümiert waren, so daß das ganze Sprechzimmer danach duftete. Das leidige Gitter war weniger leicht, als ich gehofft hatte; so hatte ich keinen Vorteil davon, daß ich zur Linken von M. M. saß. Zu meiner Linken hatte ich die schöne Desarmoises; das reizende Mädchen hielt uns in lustiger Stimmung, indem sie uns eine Menge niedlicher Geschichten erzählte.

Leduc und Costa bedienten uns draußen, während die Nonnen von ihren Laienschwestern bedient wurden. Die Fülle der Gerichte, die ausgezeichneten mannigfaltigen Weine, tausend liebenswürdige Bemerkungen, die oft zweideutig waren und immer Stoff zum Lachen gaben, ließen das Mahl drei Stunden dauern. Wir waren alle ein bißchen angeheitert, oder um es deutlicher zu sagen: wir waren alle betrunken, und ohne das leidige Gitter hätte ich bei meinen elf weiblichen Gästen leichtes Spiel gehabt. Besonders meine junge Desarmoises war so ausgelassen lustig, daß sie, wenn ich sie nicht zurückgehalten hätte, wahrscheinlich allen Nonnen Anstoß gegeben haben würde, denen sie damit freilich einen Gefallen getan hätte. Nach dem Kaffee gingen wir in ein anderes Sprechzimmer und blieben dort bis zum Anbruch der Nacht. Frau Morin nahm Abschied von ihrer Nichte, und der Austausch von Danksagungen, Händedrücken und Versprechungen ewigen Angedenkens dauerte zwischen mir und den Nonnen eine volle Viertelstunde. Nachdem ich M. M. zugerufen hatte, daß ich vor meiner Abreise noch die Ehre haben würde, sie zu sehen, kehrten wir in den Gasthof zurück. Wir waren sehr zufrieden mit dieser in ihrer Art einzigen Vergnügungspartie, die mich noch jetzt ergötzt, sooft ich mich ihrer erinnere.

Die gute Frau Morin gab mir einen Brief für ihre Base, Madame Varnier; ich versprach ihr, von Paris aus einen ganz ausführlichen Bericht über die Verhältnisse der schönen Roman an sie zu schicken. Ich schenkte ihrer Tochter ein Paar schöner Ohrringe und ihr selber zwölf Pfund gute Schokolade, die Herr Magnan mir besorgte, die aber Frau Morin als angebliche Genueser Schokolade erhielt. Um acht Uhr reiste sie ab; Leduc, dem ich aufgetragen hatte, der Familie des Hausmeisters Grüße von mir zu bestellen, ritt als Kurier voraus.

Ich fand bei dem Lebemann Magnan ein Essen, das eines Lukullus würdig war, und versprach ihm, bei ihm zu wohnen, sooft ich nach Chambéry kommen würde; ich habe ihm Wort gehalten.

Von dem Hause des Gastronomen ging ich nach dem Kloster, um M. M. einen Besuch zu machen; sie kam ganz allein an das Sprechgitter. Sie sprach mir ihre Dankbarkeit über den glänzenden Besuch aus, den ich unter dem Schutze ihrer Tante ihr in so unauffälliger Weise gemacht hätte; aber sie sagte, ich sei gekommen, um ihre Ruhe zu stören.

»Ich bin bereit, mein Herz, leichtfüßiger als dein schlimmer Buckliger deine Gartenmauer zu übersteigen.«

»Ach, das ist nicht möglich, denn glaube mir, du hast bereits Spione hinter dir. Man ist hier überzeugt, daß wir uns in Aix gekannt haben. Laß uns alles vergessen, mein lieber Freund, um uns die Qual vergeblicher Wünsche zu ersparen.«

»Gib mir deine Hand.«

»Nein; es ist aus. Ich liebe dich noch; ich werde dich wahrscheinlich immer lieben, aber ich sehne mich danach, daß du abreisest; durch deine Abreise wirst du mir einen Beweis deiner Liebe geben.«

»Entsetzlich! Du erstaunst mich. Du erfreust dich allem Anscheine nach einer vollkommenen Gesundheit; du scheinst mir schöner geworden zu sein; ich weiß, daß du für den Kultus des liebenswürdigsten aller Götter geschaffen bist; ich begreife nicht, daß du mit deinem Temperament bei ewiger Enthaltsamkeit zufrieden leben kannst.«

»Ach, in Ermangelung der Wirklichkeit befriedigen wir uns mit kleinen Scherzen. Ich will dir nicht verhehlen, daß ich meine junge Pensionärin liebe. Diese Liebe erhält meine Ruhe. Es ist eine unschuldige Leidenschaft. Ihre Liebkosungen dämpfen ein Feuer, woran ich sterben würde, wenn ich nicht seine Gewalt durch unsere Zärtlichkeiten milderte.«

»Und leidet nicht dein Gewissen dabei?«

»Ich beunruhige mich nicht.«

»Aber du weißt doch, daß du sündigst?«

»Darum beichte ich auch.«

»Und was sagt der Beichtvater?«

»Nichts. Er spricht mich frei, und ich bin glücklich.«

»Und beichtet deine hübsche Pensionärin ebenfalls?«

»Selbstverständlich; aber es fällt ihr nicht ein, dem Beichtvater etwas zu sagen, was sie nicht für eine Sünde hält.«

»Ich wundere mich, daß der Beichtvater sie nicht belehrt hat; denn eine Belehrung dieser Art ist ein großer Genuß.«

»Unser Beichtvater ist ein weiser alter Mann.«

»Ich soll also abreisen, ohne von dir einen einzigen Kuß erhalten zu haben?«

»Nichts.«

»Kann ich morgen wiederkommen? Übermorgen werde ich abreisen.«

»Komm, aber ich werde nicht allein herunterkommen, denn man könnte auf Mutmaßungen geraten. Ich werde mit meiner Kleinen kommen. Dadurch bleibt der Schein gewahrt. Komm nach Tisch, aber ins andere Sprechzimmer.«

Hätte ich M. M. nicht in Aix gekannt, so würde mich ihre Religion überrascht haben; aber so war nun einmal ihr Charakter. Sie liebte Gott und glaubte nicht, daß dieser großmütige Vater, der uns mit Leidenschaften erschuf, unnachsichtig gegen sie sein würde, weil sie nicht die Kraft hatte, ihre Natur zu bändigen. Ich ging nach meinem Gasthof zurück; mich ärgerte, daß die schöne Nonne nichts mehr von mir wissen wollte, aber ich war überzeugt, daß die Desarmoises mich schadlos halten würde.

Ich fand die Schöne auf dem Bett ihres Liebhabers sitzen, der durch Fasten und Fieber außerordentlich schwach geworden war. Sie sagte mir, sie werde zum Abendessen in mein Zimmer kommen, damit der Kranke Ruhe habe; der gute junge Mann schüttelte mir die Hand, um mir seine Dankbarkeit zu bekunden.

Da ich bei Magnan reichlich zu Mittag gegessen hatte, rührte ich beim Abendessen fast nichts an; meine Gesellschafterin aber, die nur ein leichtes Mittagessen zu sich genommen hatte, aß und trank mit einem wahren Heißhunger. Ich sah sie mit einer Art von Bewunderung an, und sie freute sich über mein Erstaunen. Als meine Bedienten hinausgegangen waren, forderte ich die Schöne auf, mit mir zusammen einer Bowle Punsch die Spitze zu bieten. Der heiße Trank versetzte sie in jene Heiterkeit, die nur lachen will und die darüber lacht, wenn Widerstandskraft und Vernunft dahin sind. Indessen kann ich mir nicht den Vorwurf machen, ihren trunkenen Zustand mißbraucht zu haben; denn in der ganzen Wollust ihrer Seele verlangte sie zuerst nach den Genüssen, zu denen ich sie bis zwei Uhr in der Frühe anreizte. Wir waren völlig erschöpft, als wir uns trennten.

Ich schlief bis elf Uhr, und als ich ihr guten Morgen sagen ging, fand ich sie fröhlich und frisch wie eine Rose. Ich fragte sie, wie sie den Rest der Nacht verbracht habe,

»Wie den Anfang,« antwortete sie mir, »ganz ausgezeichnet.«

»Wann wollen Sie zu Mittag essen?«

»Gar nicht; ich will lieber meinen ganzen Appetit fürs Abendessen aufsparen.«

Hier mischte ihr Liebhaber sich ins Gespräch und sagte zu mir mit schwacher Stimme, aber mit höflichem und ruhigem Ton: »Ihr kann man unmöglich standhalten.«

»Im Essen oder im Trinken?«

»Im Essen, im Trinken und in noch etwas anderem,« antwortete er mit einem Lächeln.

Sie lachte und umarmte ihn zärtlich.

Dieses kleine Gespräch überzeugte mich, daß die Desarmoises ihren Liebhaber anbeten mußte; denn er war nicht nur ein sehr hübscher Junge, sondern hatte auch gerade den Charakter, der für ihre Neigungen außerordentlich passend war. Ich aß allein zu Mittag. Als ich beim Nachtisch saß, kam Leduc an. Er sagte mir, die Töchter des Hausmeisters und die hübsche Base hätten ihn genötigt, seine Abreise aufzuschieben, um mir zu schreiben; er überbrachte mir von ihnen drei Briefe und drei Dutzend Handschuhe, die sie mir schenkten. Ihre Briefe enthielten weiter nichts als dringende Einladungen, einen Monat bei ihnen zu verbringen; sie gaben mir dabei mit genügender Deutlichkeit zu verstehen, daß ich mit ihnen zufrieden sein würde. Ich hatte jedoch nicht den Mut, in eine Stadt zurückzukehren, wo ich bei dem Rufe, den ich mir erworben hatte, allen Töchtern guter Familien das Horoskop hätte stellen müssen, wenn ich mir nicht durch Unhöflichkeit Feinde machen wollte.

Nachdem ich gegessen und meine Briefe von Grenoble gelesen hatte, ging ich nach dem Kloster, wo ich mich bei M. M. melden ließ und dann das mir von ihr bezeichnete Sprechzimmer betrat. Sie kam sehr bald mit der schönen jungen Pensionärin, die mich nur unvollkommen bei ihren Liebesekstasen vertrat. Sie hatte noch nicht ihre zwölf Jahre vollendet, war aber groß, kräftig und für ihr Alter sehr stark entwickelt. Sanftmut, Lebhaftigkeit, Unschuld und Klugheit vermählten sich auf ihrem schönen Antlitz und verliehen ihr einen entzückenden Zauber. Ein gutsitzendes Mieder ließ eine weiße wohlgeformte Brust bloß, auf der die Phantasie leicht schon die Halbkugeln erblickte, die sie bald schmücken mußten. Dieser interessante Kopf, an welchem zwei herrliche ebenholzfarbige Zöpfe herunterhingen, und diese Brust ließen alles übrige erraten, und meine Einbildungskraft schuf mir aus ihr eine heranblühende Venus.

Ich sagte ihr, sie sei sehr hübsch und werde den von Gott ihr bestimmten Gatten glücklich machen. Ich wußte, daß sie über dieses Kompliment erröten mußte. Das ist grausam, aber so beginnt stets die Sprache der Verführung. Ein junges Mädchen ihres Alters, das nicht erröten würde, wenn man ihm von Heiraten spräche, wäre entweder dumm oder bereits eine erfahrene Meisterin in den Ausschweifungen der Liebe. Und doch ist der Ursprung der Röte, womit sich bei einem beunruhigenden Gedanken das Gesicht eines jungen Mädchens überzieht, ein wahres Rätsel; denn sie kann ein Zeichen reiner Schamhaftigkeit oder ein Zeichen der Schande sein, und oft ist sie eine Mischung von beiden. Dann findet ein Kampf zwischen Laster und Tugend statt, bei welchem gewöhnlich die Tugend unterliegt. Die Begierden sind Trabanten des Lasters und erfechten leicht den Sieg über die Tugend. Da ich die Pensionärin aus den Erzählungen meiner M. M. bereits kannte, so wußte ich, woher die Röte kam, die ihre jungen Reize noch schöner machte.

Ich tat, wie wenn ich nichts bemerkt hätte, und unterhielt mich einen Augenblick mit M. M.; dann erneuerte ich den Angriff. Sie hatte bereits ihre Fassung wiedergewonnen.

»Wie alt sind Sie, mein schönes Kind?«

»Dreizehn Jahre.«

»Du irrst, mein Herz,« sagte ihre Freundin zu ihr, »du hast dein zwölftes Jahr noch nicht vollendet.«

»Die Zeit wird kommen,« bemerkte ich, »wo Sie die Zahl Ihrer Jahre vermindern werden, anstatt sie zu vergrößern.«

»Ich werde niemals lügen; das weiß ich ganz gewiß.«

»Sie wollen also Nonne werden, meine schöne Freundin?«

»Ich fühle mich noch nicht dazu berufen; aber nichts soll mich veranlassen, zu lügen, selbst wenn ich in der Welt leben werde.«

»Sie irren sich; denn Sie werden zu lügen anfangen, sobald Sie einen Geliebten haben.«

»Mein Geliebter wird also ebenfalls lügen?«

»Ganz gewiß.«

»Wenn es so wäre, wäre die Liebe etwas recht Häßliches. Aber ich glaube es nicht; denn ich liebe meine gute Freundin und verhehle ihr doch niemals die Wahrheit.«

»Aber Sie werden einen Mann nicht so lieben, wie Sie eine Frau lieben.«

»Ganz genau ebenso.«

»Nein. Denn Sie schlafen nicht bei ihr; bei Ihrem Gatten aber werden Sie schlafen.«

»Das ist einerlei; meine Liebe würde die gleiche sein.«

»Wie? Sie würden nicht lieber bei mir als bei M. M. schlafen?«

»Nein, gewiß nicht! Denn Sie sind ein Mann und würden mich sehen.«

»Sie wollen also nicht, daß ein Mann Sie sieht?«

»Nein.«

»Sie wissen also, daß Sie häßlich sind?«

Bei diesen Worten drehte sie sich mit einem Ausdruck tiefen Verdrusses zu ihrer Freundin und fragte diese: »Ist es wahr, daß ich häßlich bin?«

»Nein, mein Herz,« antwortete M. M. ihr mit ausgelassenem Lachen; »nein, du bist im Gegenteil sehr hübsch.«

Mit diesen Worten zog sie sie auf ihren Schoß und umarmte sie zärtlich.

»Ihr Mieder ist zu eng geschnürt, mein Fräulein; unmöglich können Sie eine so schlanke Taille haben.«

»Sie irren, mein Herr! Sie könnten die Hand hineinstecken.«

»Das glaube ich nicht.«

M. M. führte sie an das Gitter, drehte sie seitwärts, und sagte mir, ich solle mich überzeugen. Zugleich hob sie ihr den Rock hoch.

»Es ist wahr,« sagte ich zu ihr, »ich widerrufe alles.«

Zugleich aber verfluchte ich innerlich das Hemd und das Gitter.

«Ich glaube,« sagte ich zu M. M., »sie ist ein kleiner Mann.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, arbeitete ich so eifrig, daß ich mich mit meinen Fingern von ihrem Geschlecht überzeugte. Ich konnte dabei bemerken, daß es der Kleinen sowohl wie ihrer Lehrmeisterin viel Vergnügen machte, mir diese Gewißheit zu verschaffen. Nachdem ich meine Hand zurückgezogen hatte, küßte die Kleine M. M., deren lachendes Gesicht sie beruhigte, und bat ihre Freundin um Erlaubnis, sich einen Augenblick entfernen zu dürfen. Jedenfalls hatte ich sie in die Notwendigkeit versetzt, einen Augenblick allein zu sein; auch ich befand mich in einem Zustand höchster Erregung.

Als die Kleine hinausgegangen war, sagte ich zu M. M.: »Weißt du auch, daß die Aufklärung, die du mir verschafft hast, mich unglücklich macht?«

»Ei warum denn?«

»Weil ich deine Pensionärin reizend gefunden habe. Ich sterbe vor Verlangen, sie zu besitzen.«

»Das tut mir leid; denn du kannst nicht weiter gehen, als du es bereits getan hast. Und dann, mein Freund, ich kenne dich, selbst wenn du ohne Gefahr für sie dich befriedigen könntest, würde ich sie dir nicht lassen; denn du würdest sie mir verderben.«

»Wieso?«

»Denkst du, sie könnte mit mir glücklich sein, nachdem sie es mit dir gewesen wäre? Ich würde bei dem Vergleich zu viel verlieren.«

»Gib mir deine Hand!«

»Oh nein.«

»Sieh!«

»Ich will nichts sehen.«

»Nicht ein bißchen?«

»Nein.«

»Aber bist du meiner Hand und meinen Augen böse?«

»Im Gegenteil. Wenn du genossen hast, freue ich mich darüber; und wenn du Begierden in ihr erregt hast, wird sie mich um so mehr lieben.«

»Welch ein Glück wäre es, mein Engel, wenn wir zu dritt in aller Freiheit beisammen sein könnten.«

»Ich fühle es wohl; aber es ist nicht möglich.«

»Bist du sicher, daß wir vor jedem neugierigen Blick geschützt sind?«

»Vollkommen sicher.«

»Die Brustwehr des abscheulichen Gitters hat mir viele Reize entzogen.«

»Warum bist du nicht an das andere Sprechgitter gegangen? Es ist viel niedriger.«

»Laß uns hingehen!«

»Nein, heute nicht; denn ich wüßte keine Entschuldigung für diesen Wechsel.«

»Ich werde morgen wiederkommen; am Abend reise ich nach Lyon ab.«

Die Kleine trat wieder ein; ich stellte mich aufrecht vor sie hin. Ich hatte an meinen Uhrketten eine Menge herrliche Berlocken hängen, und ich hatte noch nicht Zeit gehabt, meine Beinkleider wieder in eine anständige Ordnung zu bringen. Sie bemerkte dies, benutzte meine Berlocken als Vorwand für ihre Neugier und fragte mich, ob sie sie besehen dürfe.

»Soviel Sie wollen, mein Gold! Sie können sie sehen und auch anfassen.«

M. M. sah voraus, wie es kommen würde, und sagte, sie werde gleich wiederkommen. Ich beeilte mich, der allzu neugierigen Pensionärin jedes Interesse an meinen Berlocken zu benehmen, indem ich ihr ein Geschmeide anderer Art in die Hand drückte. Sie verhehlte nicht ihr Entzücken und ihre Freude, ihre Neugierde an einem für sie ganz neuen Gegenstand befriedigen zu können, den sie zum erstenmal in ihrem Leben von allen Seiten ganz genau untersuchen durfte. Bald aber verwandelte ein Erguß von Lebenssaft ihre Neugier in Erstaunen; doch unterbrach ich sie damit nicht in ihrer entzückenden Beschäftigung des Bewunderns.

Da ich M. M. langsam zurückkommen sah, ließ ich den Vorhang herunter und setzte mich. Meine Uhren lagen noch auf der Brustwehr, und M. M. fragte ihre junge Freundin, ob sie die Berlocken hübsch gefunden habe. Die Kleine bejahte diese Frage, aber in einem traurigen und träumerischen Ton. Sie hatte in weniger als zwei Stunden einen so weiten Weg zurückgelegt, daß sie wohl Stoff zum Nachdenken hatte.

Den übrigen Teil des Tages verbrachte ich damit, M. M. meine Abenteuer seit meinem Abschied von ihr zu erzählen; da es jedoch zu spät wurde, um meine Erzählung an demselben Tage zu Ende zu bringen, versprach ich ihr am nächsten Tage zur selben Stunde wiederzukommen und ihr den Rest zu erzählen.

Die Kleine, die alles gehört hatte, obgleich ich mir den Anschein gab, nur mit ihrer Freundin zu sprechen, sagte mir, sie sei sterbensneugierig, wie die Geschichte mit der Geliebten des Herzogs von Matalone ausgegangen sei.

Ich aß mit meiner jungen Desarmoises zu Abend und ging erst zu Bett, nachdem ich ihr bis Mitternacht meine Zärtlichkeit bewiesen und ihr versichert hatte, daß ich meine Abreise nur aus Liebe zu ihr aufschöbe. Am folgenden Tage ging ich gleich nach dem Mittagessen nach dem Kloster, ließ mich bei M. M. melden und begab mich an das andere Sprechgitter, das eine viel bequemere Brustwehr hatte als das, woran ich sie am Tage vorher gesehen hatte.

Bald erschien M. M.; da sie sich aber meine Ungeduld wohl denken konnte, so sagte sie mir, ihre hübsche Freundin werde gleich kommen.

»Du hast ihre Phantasie entflammt! Sie hat mir alles erzählt, und sie machte dabei tausend tolle Streiche und nannte mich ihren lieben Mann. Du hast sie verführt, und ich bin sehr froh, daß du abreisest; denn ich glaube, sonst würde sie den Verstand darüber verlieren. Du wirst sehen, wie sie sich angezogen hat.«

»Bist du ihrer Verschwiegenheit sicher?«

»Ja, vollkommen; ich bitte dich nur, in meiner Gegenwart nichts mit ihr vorzunehmen. Ich werde mich entfernen, wenn ich sehe, daß der Augenblick da ist.«

»Du bist eine Göttin, liebes Herz! Aber du wärest noch mehr als das, wolltest du …«

»Ich will nichts für mich, lieber Freund, weil es nicht möglich ist.«

»Du könntest …«

»Nein; ich könnte mich bei dir nicht mit einem leeren Spiel begnügen, das ein kaum erloschenes Feuer zu neuer Glut anfachen würde. Ich habe dir schon gesagt, daß ich leide; aber laß uns niemals mehr davon sprechen!«

Plötzlich trat die junge Priesterin der Venus ein. Ihr Mund lachte, ihre Augen funkelten. Sie trug ein kurzes, vorne offenes seidenes Jäckchen und ein gesticktes Musselinröckchen, das nur bis an die Waden ging. Sie sah wie eine Sylphide aus.

Kaum hatte sie Platz genommen, so erinnerte sie mich an die Stelle, bei der ich meine Erzählung unterbrochen hatte. Ich fuhr fort, und als ich an die Szene kam, wo Donna Lucrezia mir Leonilda nackt zeigte, ging M. M. hinaus, und die kleine Spitzbübin fragte mich sofort, wie ich es angefangen hätte, um mich davon zu überzeugen, daß meine Tochter Jungfrau wäre.

Ich griff durch das unangenehme Gitter hindurch, gegen das sie ihren hübschen Leib preßte, und zeigte ihr, wie ich mir die Überzeugung hatte verschaffen können. Die Kleine fand an diesem Spiel so viel Vergnügen, daß sie nicht nur keinen Schmerz verspürte, sondern vielmehr zweimal in Verzückung geriet und mir die hilfreiche Hand drückte. Hierauf reichte sie mir die ihrige, um die Lust, die ich ihr bereitet hatte, zu vergelten. Als während dieser süßen Beschäftigung die M. M. wieder eintrat, sagte die Kleine schnell zu mir: »Das macht nichts; ich habe ihr alles gesagt. Meine Freundin ist gut; sie wird uns nicht böse sein.«

M. M. stellte sich in der Tat, wie wenn sie nichts sähe, und die frühreife Kleine trocknete ihre Hand mit einer wollüstigen Miene ab, die mir verriet, wie sehr sie mit sich selber zufrieden war. Ich fuhr in meiner Geschichte fort; als ich aber an die arme Versperrte von Turin kam und ihnen schilderte, wie ich mich vergeblich angestrengt hatte, um sie zu befriedigen, da wurde die Kleine so neugierig, daß sie sich mir in der verführerischen Stellung darbot, damit ich sie besser belehren könnte. Als M. M. mich aufstehen sah, lief sie hinaus; denn sie sah voraus, daß ich mich nicht würde enthalten können, mein ihr gegebenes Wort zu brechen.

»Knieen Sie auf die Brüstung nieder,« rief die kleine Spitzbübin, »und lassen Sie mich machen!«

Du errätst ihre Absicht, Leser! Ohne Zweifel würde es ihr ja auch gelungen sein, hätte nicht das Feuer, das mich verzehrte, meine Kraft schon an der Mündung entladen.

Die reizende Novize fühlte sich besprengt. Als sie aber bald sich von meiner Ohnmacht überzeugte, zog sie sich ein wenig verdrießlich zurück. Meine diensteifrigen Finger bemühten sich, sie zu entschädigen, und ich hatte das Glück, sie glücklich zu sehen.

Ich verließ die reizenden Mädchen, als es Nacht wurde, und versprach ihnen, in einem Jahre wiederzukommen. Als ich nach Hause ging, konnte ich mich nicht enthalten, darüber nachzudenken, wie viele Keime der Verderbnis diese Zufluchtsstätten enthalten, die man nur dem Gebet und der Sittenreinheit geweiht glaubt, und wie sehr eine oftmals ängstliche, leichtgläubige und vertrauensvolle Mutter betrogen ist, wenn sie glaubt, ihr geliebtes Kind werde in der Zelle eines Nönnchens dem bösen Beispiel des Lasters und der Verführung entrinnen, deren Einfluß sie gerade im Getriebe der Welt befürchtet hat. Hinter Schloß und Riegel werden Wünsche zu rasenden Begierden; und welche Wünsche wären heißer als diejenigen, die aus dem Liebesbedürfnis entstehen!

In meinem Gasthof verabschiedete ich mich von dem Verwundeten, der zu meiner großen Freude außer Gefahr war. Vergebens bat ich ihn, über meine Börse zu verfügen; er umarmte mich und sagte mir, er habe genug Geld bei sich und brauche übrigens nur an seinen Vater zu schreiben, um so viel zu erhalten, wie er wolle. Ich versprach ihm, in Lyon haltzumachen und Desarmoises zu veranlassen, von jeder Verfolgung abzustehen. Ich sagte ihm, er habe Verpflichtungen gegen mich, die es ihm unmöglich machen würden, sich zu weigern. Ich hielt ihm Wort.

Nachdem wir uns den Abschiedskuß gegeben hatten, führte ich seine Braut zum Souper und scherzte mit ihr bis Mitternacht. Da dies unser Abschied war, so war sie gewiß nicht zufrieden mit mir; denn ich unterhielt sie nur ein einziges Mal von meiner Zärtlichkeit; M. M.’s junge Freundin hatte mich beinahe völlig ausgepumpt.

Bei Tagesanbruch reiste ich ab. Am nächsten Tage kam ich in Lyon an, wo ich im Gasthof zum Park abstieg. Ich ließ Desarmoises zu einer Unterredung einladen und sagte ihm ohne Umschweife, die Reize seiner Tochter hätten mich verführt, ihr Liebhaber wäre ein ganz reizender, völlig ihrer würdiger Junge, und ich erwarte von seiner Freundschaft, daß er bedingungslos seine Zustimmung zu ihrer Heirat gebe. Er tat, was ich wollte, als ich ihm erklärte, ich könnte nur dann sein Freund bleiben, wenn er augenblicklich mit allem einverstanden wäre. Er gab mir in Gegenwart zweier Zeugen eine schrifliche Erklärung, die ich unverzüglich durch besonderen Boten nach Chambéry schickte.

Dieser falsche Marquis, wie es deren so viele gibt, lud mich in seine armselige Wohnung zum Essen ein. Seine jüngere Tochter hatte nichts von ihrer älteren Schwester, und seine Frau erregte mein Mitleid. Beim Weggehen wickelte ich sechs Louis in ein Stück Papier und drückte sie ihr geschickt in die Hand, ohne daß ihr Mann etwas davon merkte. Ein dankbarer Blick sagte mir, daß das Geschenk willkommen war.

Da ich nach Paris reisen mußte, gab ich Desarmoises das nötige Geld, um mit meinem Spanier nach Straßburg zu reisen, wo er mich erwarten sollte. Ich glaubte klug daran zu tun, daß ich nur Costa mitnahm; aber diesen Rat hatte mir mein böser Geist eingegeben.

Ich reiste durch das Bourbonnais, kam am dritten Tage in Paris an und stieg im Gasthof zum Heiligen Geist in der gleichnamigen Straße ab.

Bevor ich zu Bett ging, schrieb ich ein Briefchen an Madame d’Urfé und schickte es ihr durch Costa. Ich versprach, am nächsten Tage bei ihr zu Mittag zu essen. Costa war ein recht hübscher Junge; und da er schlecht französisch sprach und ein bißchen dumm war, so war ich sicher, daß Frau von Urfé ihn für ein außerordentliches Wesen halten würde. Sie antwortete mir, sie erwarte mich mit der lebhaftesten Ungeduld.

»Sage mir, Costa: Wie hat die Dame dich empfangen und wie hat sie meinen Brief gelesen?«

»Gnädiger Herr, sie hat mich durch einen Spiegel angesehen und dabei Worte gesprochen, die ich nicht verstanden habe. Hierauf ist sie dreimal um das Zimmer herumgegangen und hat dabei Räucherwerk verbrannt; dann ist sie in majestätischer Haltung auf mich zugegangen und hat mich aufmerksam betrachtet; schließlich hat sie mit sehr freundlichem Gesicht mir gesagt, ich solle im Vorzimmer auf Antwort warten.«

Fünfzehntes Kapitel


Mein Aufenthalt in Paris und meine Abreise nach Straßburg, wo ich die Renaud finde. – Mein Unglück in München und trauriger Aufenthalt in Augsburg.

Erfrischt durch das angenehme Gefühl, wieder in dem so unvollkommenen Paris zu sein, das aber doch so anziehend ist, daß keine Stadt der Welt ihm den Namen der Stadt der Städte streitig machen kann, begab ich mich um zehn Uhr morgens zu meiner lieben Frau von Urfé, die mich mit offenen Armen empfing. Sie sagte mir, der junge d’Aranda befinde sich wohl, und wenn es mir recht sei, werde sie ihn am nächsten Tage mit uns speisen lassen. Ich sagte, dies werde mir angenehm sein, und versicherte ihr hierauf, die Operation, durch die sie zum Mann werden solle, werde vollzogen werden, sobald Quérilinte, eines der drei Häupter der Rosenkreuzer, aus den Gefängnissen der Lissaboner Inquisition befreit sein werde. »Aus diesem Grunde,« fuhr ich fort, »muß ich im Laufe des nächsten Monats nach Augsburg gehen, wo ich unter dem Vorwande eines Auftrages, den ich mir von der portugiesischen Regierung verschafft habe, Verhandlungen mit dem Grafen Stormon zu führen habe, um die Befreiung des Adepten zu bewirken. Zu diesem Zweck, Madame, werde ich einen Kreditbrief auf Uhren und Tabaksdosen brauchen, um zu rechter Zeit Geschenke machen zu können; denn wir werden Profane bestechen müssen.«

»Dieses alles nehme ich recht gerne auf mich, mein lieber Freund; aber Sie brauchen sich nicht zu beeilen, denn der Kongreß wird erst im September zusammentreten.«

»Er wird niemals stattfinden, Madame, glauben Sie mir! Aber die Gesandten der kriegführenden Mächte werden sich trotzdem versammeln. Sollte gegen meine Erwartung der Kongreß gehalten werden, so würde ich mich genötigt sehen, eine Reise nach Lissabon zu machen. Für alle Fälle verspreche ich Ihnen, daß wir uns diesen Winter wiedersehen werden. Die vierzehn Tage, die ich hier verbringen werde, sind notwendig, um eine Kabale des Grafen St.-Germain zunichte zu machen.«

»St.-Germain! Der wird niemals wagen, nach Paris zurückzukehren.«

»Ich bin im Gegenteil gewiß, daß er in diesem Augenblick hier ist; aber er hält sich verborgen. Der Regierungsbote, der ihm befahl, London zu verlassen, hat ihn überzeugt, daß der englische Minister sich von dem Auslieferungsbegehren, das Graf d’Affry im Namen des Königs an die Generalstaaten lichtete, sich nicht hat täuschen lassen.«

Diese ganze Erzählung war aus der Luft gegriffen, aber sie gründete sich auf Wahrscheinlichkeiten; wie man sehen wird, hatte ich richtig geraten.

Frau von Urfé machte mir hierauf ein Kompliment wegen des reizenden Mädchens, das ich aus Grenoble nach Paris geschickt hätte. Valenglard hatte ihr alles geschrieben. »Der König betet sie an, und sie wird ihn binnen kurzem zum Vater machen. Ich habe ihr mit der Herzogin von Lauraguais in Passy einen Besuch gemacht.«

»Sie wird einen Sohn zur Welt bringen, der Frankreich glücklich machen wird. Nach dreißig Jahren werden Sie wunderbare Sachen sehen, die ich leider vor Ihrer Mannwerdung nicht sagen darf. Haben Sie mit ihr über mich gesprochen?«

»Das nicht; aber ich bin überzeugt, Sie werden es möglich machen, sie zu sehen, wäre es auch nur bei Frau Varnier.«

»Sie täuschen sich nicht.«

Ein merkwürdiger Zufall trat ein, um die Verrücktheit der ausgezeichneten Dame immer noch mehr zu steigern.

Nachdem wir bis vier Uhr von meiner Reise und unseren Plänen geplaudert hatten, bekam sie Lust, ins Boulogner Wäldchen zu fahren. Sie bat mich, sie zu begleiten, und ich kam ihren Wünschen nach. In der Umgegend von Madrid stiegen wir aus, gingen in den Wald hinein und setzten uns dann unter einen Baum.

»Heute vor achtzehn Jahren,« erzählte sie mir, »schlief ich auf diesem selben Platze, wo wir uns jetzt befinden, allein ein. Während meines Schlummers stieg der göttliche Horosmadis von der Sonne herab und leistete mir bis zu meinem Erwachen Gesellschaft. Als ich die Augen aufschlug, sah ich ihn mich verlassen und wieder zum Himmel emporschweben. Er ließ mich mit einem Mädchen schwanger zurück, das er mir vor zehn Jahren geraubt hat, ohne Zweifel, um mich dafür zu bestrafen, daß ich mich einen Augenblick so weit vergessen habe, mich in einen Sterblichen zu verlieben. Meine göttliche Iriasis ähnelte ihm.«

»Sie sind vollkommen sicher, daß Herr von Urfé nicht ihr Vater war?«

»Herr von Urfé hat mich nicht mehr erkannt, seitdem er mich an der Seite des göttlichen Anael ruhen sah.«

»Er ist der Genius der Venus. Schielte er?«

»Außerordentlich. Sie wissen also, daß er schielt?«

»Ich weiß auch, daß er in der Liebesekstase nicht mehr schielt.«

»Darauf habe ich nicht geachtet. Er verließ mich ebenfalls wegen eines Fehltrittes, den ich mit einem Araber beging.«

»Dieser war Ihnen durch den Genius des Merkur zugesandt worden, der Anaeis Feind ist.«

»So muß es wohl sein. Ich habe viel Unglück gehabt.«

»Nein; dieses Zusammentreffen hat Sie zur Mannwerdung tauglich gemacht.«

Wir begaben uns nach unserem Wagen, als plötzlich St.-Germain sich unseren Blicken zeigte; aber sobald er uns bemerkte, verschwand er in einem anderen Baumgang.

»Haben Sie ihn gesehen?« rief ich. »Er arbeitet gegen uns, aber unsere Genien haben ihm Furcht eingejagt.«

»Ich bin starr vor Erstaunen. Morgen früh werde ich nach Versailles fahren, um dem Herzog von Choiseul diese Nachricht zu bringen. Ich bin neugierig, was er dazu sagen wird.«

Am Eingang vor Paris verließ ich die Dame und ging zu Fuß zu meinem Bruder, der an der Porte St. Denis wohnte. Er empfing mich mit Freudengeschrei; nicht minder freute sich seine Frau, die ich sehr hübsch, aber auch sehr unglücklich fand, denn der Himmel hatte ihrem Gatten die Gabe versagt, ihr zu beweisen, daß er ein Mann war, und sie hatte das Unglück, in ihn verliebt zu sein. Ich sage das Unglück – denn weil sie ihn liebte, blieb sie ihm treu; sonst hätte sie leicht ein Heilmittel gegen ihr Unglück finden können, da ihr Mann sie sehr gut behandelte und ihr volle Freiheit ließ. – Sie wurde von Kummer verzehrt, weil sie die Ohnmacht meines Bruders nicht ahnte und sich einbildete, er erfülle ihre Wünsche nur darum nicht, weil er ihre Liebe nicht erwidere. Sie war zu entschuldigen, denn ihr Mann glich einem Herkules, und er war es in allem, nur in dem Punkte nicht, worin sie ihn gern als solchen erkannt hätte. Vor Kummer bekam sie die Schwindsucht, an der sie fünf oder sechs Jahre später starb. Sie starb nicht, um ihren Gatten zu bestrafen, aber ihr Tod war, wie wir später sehen werden, für ihn eine wahre Strafe.

Am nächsten Tage besuchte ich Frau Varnier, um ihr den Brief der Frau Morin zu überbringen. Sie empfing mich ausgezeichnet und hatte die Güte, mir zu sagen, es gebe auf der ganzen Welt keinen Menschen, dessen Bekanntschaft sie so sehr gewünscht habe wie die meinige, denn ihre Nichte habe ihr so viel erzählt, daß sie im höchsten Grade neugierig geworden sei. Bekanntlich ist die Neugier die am meisten verbreitete Frauenkrankheit. Sie schloß mit den Worten: »Sie werden meine junge Nichte sehen, mein Herr, und von ihr selber erfahren, wie es mit ihren Angelegenheiten und mit ihrem Herzen steht.«

Sie schrieb ihr sofort einen Brief, in welchen sie das Schreiben der Frau Morin einlegte.

»Wenn Sie die Antwort zu erfahren wünschen, die ich von meiner Nichte erhalten werde,« sagte Frau Varnier zu mir, »so lade ich Sie hiermit zum Mittagessen ein.«

Ich nahm an, und sie ließ sofort hinaussagen, daß sie für niemanden zu sprechen sei.

Der kleine Savoyarde, der den Brief nach Passy getragen hatte, kam um vier Uhr mit der Antwort wieder, die folgendermaßen lautete: »Der Augenblick, wo ich den Herrn Chevalier de Seingalt wiedersehen werde, wird einer der glücklichsten meines Lebens sein. Veranlassen Sie, daß er übermorgen um zehn bei Ihnen ist, und teilen Sie mir bitte mit, falls er um diese Stunde nicht sollte kommen können.«

Nachdem ich dieses Briefchen gelesen hatte, versprach ich der Frau Varnier, pünktlich zu kommen, und begab mich dann zu Madame du Rumain, die mich nötigte, ihr einen ganzen Tag zu versprechen, um eine Menge Fragen zu beantworten, die sie an mich zu richten hatte und zu deren Beantwortung der Beistand meines Orakels erforderlich war.

Am nächsten Tage erzählte mir Madame d’Urfé die scherzhafte Antwort, die der Herzog von Choiseul ihr gegeben hatte, als sie ihm ihr Zusammentreffen mit dem Grafen St.-Germain mitgeteilt hatte.

»Das wundert mich nicht,« hatte der Minister zu ihr gesagt, »denn er hat die Nacht in meinem Kabinett verbracht.« Der Herzog, ein geistreicher Mann und vor allen Dingen ein Weltmann, war von mitteilsamer Natur und wußte ein Geheimnis nur zu bewahren, wenn es sich um Sachen von hoher Wichtigkeit handelte. Er war in dieser Hinsicht sehr verschieden von den Durchschnittsdiplomaten, die sich wichtig zu machen glauben, indem sie mit allerlei Erbärmlichkeiten geheimnisvoll tun, deren Geheimhaltung ebenso gleichgültig ist wie ihre Verbreitung. Allerdings kam es selten vor, daß Herrn von Choiseul eine Angelegenheit wichtig erschien; und in der Tat: wenn die Diplomatie nicht die Kunst des Ränkeschmiedens und des schlauen Lügens wäre, wenn die Staatsangelegenheiten auf Sittlichkeit und Wahrheiten beruhten – wie es von Rechts wegen sein müßte – so wäre die Geheimtuerei mehr lästig als notwendig. Der Herzog von Choiseul hatte zum Schein St.-Germain in Frankreich in Ungnade fallen lassen, um ihn in London als Spion zu halten; aber Lord Halifax ließ sich davon nicht anführen, er fand sogar die List zu plump. Dies sind aber so gewisse kleine Liebenswürdigkeiten, die die Regierungen sich gegenseitig erweisen und vergelten, damit sie einander nichts vorzuwerfen haben.

Der kleine Aranda überhäufte mich mit Liebkosungen und bat mich, mit ihm in seinem Pensionat zu frühstücken; er versicherte mir, Fräulein Viard werde mich mit Vergnügen sehen.

Am nächsten Morgen verfehlte ich natürlich nicht, pünktlich zu der von der schönen Roman angesetzten Stunde zu erscheinen. Eine Viertelstunde vor der Ankunft der blendend schönen Brünette war ich bei Madame Varnier. Ich erwartete sie mit einem Herzklopfen, das mir bewies, daß die kleinen Gunstbezeigungen, die ich mir hatte verschaffen können, nicht genügt hatten, um das Feuer zu löschen, das sie in mir angefacht hatte. Als sie erschien, erfüllte ihr gesegneter Leib mich mit Ehrfurcht. Eine Art von Achtung, die ich einer fruchtbaren Sultanin schuldig zu sein meinte, verhinderte mich, ihr mit Bezeigungen von Zärtlichkeiten zu nahen. Aber sie dachte nicht daran, sich für achtungswürdiger zu halten als zu jener Zeit, da ich sie arm, aber unbemakelt in Grenoble gekannt hatte. Sie sagte mir dies in deutlichen Worten, nachdem sie mich herzlich umarmt hatte.

»Man hält mich für glücklich, alle Welt beneidet mich um mein Los; aber kann man glücklich sein, wenn man seine Selbstachtung verloren hat? Seit sechs Monaten lächle ich nur mit den Mundwinkeln, während ich in Grenoble, als ich arm war und beinahe das Notwendigste entbehrte, mit offener Fröhlichkeit und ohne jeden Zwang lachte. Ich habe Diamanten und Spitzen, einen prachtvollen Palast, Wagen und Pferde, einen schönen Garten, Dienerinnen, eine Gesellschaftsdame, die mich vielleicht verachtet – aber obwohl ich von den ersten Damen des Hofes, die mich freundschaftlich besuchen, wie eine Prinzessin behandelt werde, vergeht kein Tag, daß mir nicht irgendeine Kränkung zuteil würde.«

»Kränkungen?«

»Ja; man überreicht mir Eingaben, worin man um Gnadenbeweise nachsucht. Ich muß diese zurückweisen und mich mit meiner Einflußlosigkeit entschuldigen; denn ich wage nichts vom König zu verlangen.«

»Aber warum wagen Sie dieses nicht?«

»Weil es mir nicht möglich ist, mit meinem Geliebten zu sprechen, ohne den Herrscher vor Augen zu haben. Ach! nur Einfachheit macht glücklich, Luxus nicht!«

»Man ist glücklich, wenn man an der richtigen Stelle steht, und Sie müssen sich bemühen, sich zur Höhe jener Stelle emporzuschwingen, die das Schicksal Ihnen angewiesen hat.«

»Das kann ich nicht; ich liebe den König und fürchte stets, ihm zu mißfallen. Ich finde immer, er gibt mir zu viel für mich, und darum wage ich ihn für andere um nichts zu bitten.«

»Aber ich bin überzeugt, der König würde glücklich sein, Ihnen seine Liebe zu beweisen, indem er ihnen für Leute, an denen Sie Anteil zu nehmen scheinen, Gnaden bewilligte.«

»Ich glaube es wohl, und es würde mich glücklich machen, aber ich kann mich nicht überwinden. Ich habe monatlich hundert Louis Nadelgeld; diese verteile ich als Almosen und Geschenke, aber mit sparsamer Einteilung, um bis zum Ende des Monats zu reichen. Ich habe mir eine Idee in den Kopf gesetzt, die ohne Zweifel falsch ist, mich aber wider meinen Willen beherrscht: ich denke nämlich, der König liebt mich nur, weil ich ihn nicht belästige.«

»Und lieben Sie ihn?«

»Wie wäre es möglich, ihn nicht zu lieben! Er ist über alle Maße höflich, gut, sanft, schön, an jeder Kleinigkeit Anteil nehmend und zärtlich; er besitzt alle Eigenschaften, um das Herz einer Frau zu besiegen. Unaufhörlich fragt er mich, ob ich mit meiner Einrichtung, mit meinen Kleidern, mit meinen Leuten, mit meinem Garten zufrieden bin; ob ich irgendwelche Veränderungen wünsche. Ich umarme ihn, danke ihm und sage, alles sei ganz vortrefflich, und bin glücklich, wenn ich ihn dann zufrieden sehe.«

»Spricht er mit Ihnen niemals über den Sprößling, mit dem Sie ihn beschenken werden?«

»Er sagt mir oft, in meinem Zustande müsse ich vor allen Dingen sorgfältig auf meine Gesundheit achten. Ich hoffe, er wird meinen Sohn als Prinzen von Geblüt anerkennen; da die Königin tot ist, muß er als gewissenhafter Mann dies tun!«

»Zweifeln Sie nicht daran!«

»Oh! Wie teuer wird mein Sohn mir sein! Welches Glück für mich, sicher zu sein, daß es nicht ein Mädchen sein wird! Aber ich sage zu keinem Menschen ein Wort davon. Wenn ich dem König vom Horoskop zu erzählen wagte, so bin ich überzeugt, er würde Sie kennen lernen wollen; aber ich fürchte die Verleumdung.«

»Ich auch, meine liebe Freundin; schweigen Sie auch fernerhin davon. Möge nichts ein Glück stören, das sich nur immer noch steigern kann. Ich bin glücklich, es Ihnen verschafft zu haben.«

Als wir uns trennten, konnten wir unsere Tränen nicht zurückhalten. Sie entfernte sich zuerst, nachem sie mich umarmt und ihren besten Freund genannt hatte. Ich blieb allein bei Frau Varnier, um mich etwas zu erholen, und sagte zu ihr: »Anstatt ihr das Horoskop zu stellen, hätte ich sie heiraten sollen.«

»Sie wäre glücklicher geworden. Sie hat vielleicht ihre Schüchternheit und ihren Mangel an Ehrgeiz nicht vorausgesehen.«

»Ich kann Ihnen versichern, gnädige Frau, ich habe weder auf ihren Mut noch auf ihre Engherzigkeit gerechnet. Ich habe mein eigenes Glück außer acht gelassen, um nur an das ihrige zu denken. Aber es ist nun einmal geschehen. Ein Trost würde es allerdings für mich sein, wenn ich sie vollkommen glücklich sähe. Ich hoffe, auch dieses Glück wird noch kommen, besonders, wenn sie einen Sohn zur Welt bringt.«

Nachdem ich bei Frau von Urfé gespeist hatte, beschlossen wir, d’Aranda in seine Pension zurückzuschicken, um uns ungestört unseren kabbalistischen Arbeiten widmen zu können. Hierauf ging ich in die Oper, wohin mein Bruder mich bestellt hatte, um mit mir zum Abendessen zu Madame Vanloo zu gehen. Diese empfing mich mit lauten Beteuerungen ihrer Freundschaft und sagte zu mir: »Sie werden das Vergnügen haben, mit Frau Blondel und ihrem Gemahl zu speisen.«

Dies war, wie der Leser sich erinnern wird, Manon Baletti, die ich hätte heiraten sollen.

»Weiß sie, daß ich hier bin?« fragte ich.

»Nein, ich wollte mir das Vergnügen vorbehalten, ihre Überraschung zu sehen.«

»Ich danke Ihnen, daß Sie nicht auch an der meinigen sich haben weiden wollen. Wir werden uns wiedersehen, meine Gnädige; aber für heute sage ich Ihnen Lebewohl; denn als Ehrenmann glaube ich mich niemals freiwilig an einem Ort befinden zu dürfen, wo Frau Blondel sein wird.«

Alle Anwesenden waren stumm vor Überraschung. Ich verließ das Haus, und da ich nicht wußte, wohin ich gehen sollte, nahm ich einen Fiaker und fuhr zu meiner Schwägerin, die sich außerordentlich freute, mich zu sehen. Aber während des ganzen Abendessens beklagte die reizende Frau sich fortwährend über ihren Mann, der sie nicht hätte heiraten dürfen, da er gewußt hätte, daß er nicht imstande wäre, sich bei einer Frau als Mann zu zeigen.

»Warum haben Sie nicht einen Versuch mit ihm gemacht, bevor Sie ihn heirateten?«

»Wäre es denn schicklich gewesen, wenn ich die ersten Schritte getan hätte? Wie hätte ich denn auch glauben können, daß ein so schöner Mann zu gar nichts gut ist? Die Geschichte kam so: Wie Sie wissen, war ich Tänzerin bei der Italienischen Komödie und wurde von Herrn de Sauci, dem Schatzmeister der geistlichen Pfründen, unterhalten. Dieser führte Ihren Bruder bei mir ein. Er gefiel mir, und es dauerte nicht lange, so bemerkte ich, daß er mich liebte. Mein Liebhaber machte mich darauf aufmerksam, daß der Augenblick gekommen sei, durch eine Heirat mein Glück zu machen. Infolgedessen beschloß ich, ihm nichts zu bewilligen. Er kam morgens zu mir und fand mich oft allein im Bett; wir plauderten; er schien in Feuer zu geraten; aber zum Schluß gab’s nichts als Küsse. Ich erwartete von ihm eine Erklärung in aller Form, um dadurch den Zweck zu erreichen, den ich damals sehnlichst wünschte. Herr de Sauci setzte mir eine lebenslängliche Rente von tausend Talern aus; infolgedessen zog ich mich vom Theater zurück.

Als die schöne Sommerzeit herankam, lud Herr de Sauci Ihren Bruder ein, einen Monat auf dem Lande zu verbringen. Er nahm auch mich mit, und damit alles in anständiger Form vor sich ginge, wurde abgemacht, daß ich als seine Frau vorgestellt werden sollte. Casanova gefiel dieser Vorschlag; er sah darin nur einen Scherz und dachte vielleicht nicht, daß Folgen daraus entstehen könnten. Er stellte mich also der ganzen Familie meines Liebhabers sowie auch dessen Verwandten als seine Frau vor. Diese Verwandten waren Parlamentsräte, Offiziere, Lebemänner, und ihre Damen gehörten zur großen Welt. Er fand es scherzhaft, daß er im Geiste unserer Komödie verlangen könnte, mit mir zusammen zu schlafen. Ich konnte mich dessen nicht weigern, wenn ich nicht eine sehr traurige Figur spielen wollte; außerdem verspürte ich durchaus keine Abneigung gegen solches Zugeständnis, sondern sah darin nur ein Mittel, schnell an das Ziel aller meiner Wünsche zu gelangen.

Was soll ich Ihnen weiter sagen? Ihr Bruder war zärtlich und gab mir tausendfach seine Liebe zu erkennen; aber obgleich er mich dreißig Nächte hintereinander in seinem Besitz hatte, kam er niemals zu dem Schluß, der unter derartigen Verhältnissen nur natürlich erscheinen konnte.«

»Da hätten Sie merken müssen, daß er nicht dazu imstande war; denn wenn er nicht von Marmor war oder ein Keuschheitsgelübde getan hatte, das ihn zwang, sich den heftigsten Versuchungen auszusetzen, war sein Verhalten unmöglich.«

»Das glauben Sie; tatsächlich aber war es so, daß er sich weder fähig noch auch unfähig zeigte, tatsächliche Beweise seiner Liebe zu geben.«

»Warum haben Sie sich nicht selber davon überzeugt!«

»Ein Gefühl von Eitelkeit, ja von falschem Stolz erlaubte mir nicht, mir Gewißheit zu verschaffen. Ich ahnte die Wahrheit gar nicht, sondern machte mir tausend Ideen, die meiner Eitelkeit schmeichelten. Ich glaubte, wenn er mich wirklich liebte, so wäre es wohl möglich, daß er sich scheute, mit mir zu verkehren, bevor ich seine Frau wäre. Dies hielt mich davon ab, den demütigenden Versuch zu machen, mir Aufklärung zu verschaffen.«

»Es hätte, liebe Schwägerin, wenn es auch recht ungewöhnlich gewesen wäre, wohl so sein können, wenn Sie ein junges unschuldiges Mädchen gewesen wären, aber mein Bruder wußte recht gut, daß Sie Ihr Noviziat längst hinter sich hatten.«

»Das ist ja wahr; aber was setzt sich nicht eine verliebte Frau in den Kopf, wenn sie von Eitelkeit ebensosehr angestachelt wird wie von Liebe?«

»Sie denken sehr richtig, aber es ist ein bißchen spät.«

»Das weiß ich leider nur zu gut – kurz und gut, wir kehrten nach Paris zurück, er in seine Wohnung, ich in mein Häuschen. Er machte mir immer noch den Hof; ich empfing ihn und begriff sein sonderbares Benehmen nicht. Herr de Sauci wußte, daß nichts Ernstliches zwischen uns stattgefunden hatte; er stellte alle möglichen Vermutungen an, konnte aber das Rätsel nicht lösen. ›Ohne Zweifel fürchtete er, dir ein Kind zu machen‹, sagte er zu mir, ›und dadurch gezwungen zu sein, dich zu heiraten.‹ – Ich begann dies ebenfalls zu glauben, aber ich fand solche Denkweise seltsam für einen Verliebten. –

Ein Offizier der französischen Garde, Herr de Nesle, Gatte einer hübschen Frau, die mich auf dem Lande kennen gelernt hatte, ging zu Ihrem Bruder, um mir einen Besuch zu machen. Als er mich nicht fand, fragte er ihn, warum ich nicht mit ihm zusammen lebte. Er antwortete ihm in aller Unschuld, ich sei nicht seine Frau, und die ganze Geschichte sei nur ein Spaß gewesen. Herr de Nesle kam zu mir und erkundigte sich, ob dies wahr sei; und als er den Sachverhalt erfuhr, fragte er mich, ob es mir unangenehm sein würde, wenn er Casanova nötigte, mich zu heiraten. Ich antwortete ihm, er werde mir im Gegenteil einen großen Gefallen damit tun. Mehr wollte er nicht. Er ging zu Ihrem Bruder und sagte ihm, seine Frau würde niemals eingewilligt haben, mit mir als ihresgleichen zu verkehren, wenn ich ihr nicht von ihm selber als seine Gattin vorgestellt wäre; durch diesen Titel hätte ich alle Vorrechte der guten Gesellschaft erlangt; seine Täuschung wäre eine Beschimpfung für die ganze Gesellschaft, und er müßte sein Unrecht wieder gut machen, indem er mich binnen acht Tagen heiratete, oder er müsse sich mit ihm auf Leben und Tod schlagen. Sollte er in diesem Kampf unterliegen, so würde er durch alle Männer gerächt werden, die durch sein Verhalten in gleicher Weise beleidigt wären wie er. Casanova antwortete ihm lachend: er dächte nicht daran, sich zu schlagen, um mich nicht heiraten zu müssen, sondern wäre im Gegenteil bereit, eine Lanze zu brechen, um mich zu gewinnen. ›Ich liebe sie‹, sagte er zu dem Offizier, ›und wenn ich ihr gefalle, bin ich gerne bereit, ihr meine Hand zu reichen. Wollen Sie nur die Sache anbahnen! Ich stehe Ihnen zur Verfügung, sobald es Ihnen beliebt.‹ Herr de Nesle umarmte ihn, versprach ihm, alles zu besorgen, und überbrachte mir die gute Nachricht, die mich mit hoher Freude erfüllte; binnen einer Woche war alles in Ordnung. Herr de Nesle gab uns an unserm Hochzeitstage ein prachtvolles Souper. Seit jenem Tage bin ich dem Namen nach Ehefrau; aber dies ist ein leerer Titel, denn trotz der feierlichen Einsegnung und dem verhängnisvollen Ja bin ich nicht verheiratet, weil ja Ihr Bruder vollständig impotent ist. Ich bin unglücklich, und daran ist er ganz allein schuld, denn er mußte sich kennen. Er hat mich in abscheulicher Weise betrogen.«

»Aber er ist dazu gezwungen worden! Er ist mehr zu beklagen als zu verurteilen. Ich beklage auch Sie von Herzen; und doch müßte ich Ihnen unrecht geben; denn nachdem Sie einen ganzen Monat bei ihm geschlafen hatten, ohne daß er eine einzige Probe seiner Mannheit ablegte, konnten Sie nicht umhin, die Wahrheit zu mutmaßen. Selbst wenn Sie vollkommen unerfahren gewesen wären, hätte de Sauci Ihnen den Sachverhalt erklären müssen; denn er muß doch wissen, daß es einem Mann nicht möglich ist, so lange Zeit im Bett neben einer hübschen Frau zu liegen, sie nackt in seine Arme zu schließen, ohne in einen solchen körperlichen Zustand zu geraten, daß er selbst gegen seinen Willen gezwungen ist, jeden Schleier fallen zu lassen, wenn er nicht gänzlich der Fähigkeit beraubt ist, die das Wesen der Mannheit ausmacht.«

»Wenn Sie es so sagen, erscheint das alles mir vollkommen wahr; aber wir haben tatsächlich alle beide nicht daran gedacht; denn wenn man ihn sieht, muß man ihn für einen Herkules halten.«

»Ich sehe gegen Ihr Unglück nur ein einziges Mittel, meine liebe Schwägerin; entweder lassen Sie Ihre Heirat für ungültig erklären oder nehmen Sie einen Liebhaber. Ich halte meinen Bruder für zu vernünftig, als daß er Ihnen Hindernisse in den Weg legen sollte.«

»Ich bin vollkommen frei, aber ich kann weder an einen Liebhaber noch an eine Scheidung denken, denn der abscheuliche Mensch behandelt mich so gut, daß meine Liebe zu ihm immer größer wird, wodurch sich ohne Zweifel auch mein Unglück vermehrt.«

Ich sah die arme Frau so unglücklich, daß ich gerne bereit gewesen wäre, sie zu trösten; aber daran durfte ich nicht denken. Durch ihre Beichte hatte sie immerhin für den Augenblick ihren Schmerz erleichtert; ich wünschte ihr Glück dazu, und nachdem ich sie auf eine Art umarmt hatte, die ihr bewies, daß ich nicht mein Bruder war, wünschte ich ihr gute Nacht.

Am andern Tage besuchte ich Frau Vanloo; sie sagte mir, Frau Blondel habe sie beauftragt, mir dafür zu danken, daß ich nicht geblieben sei; der Gatte dagegen habe sie gebeten, mir zu sagen, es tue ihm sehr leid, mich nicht gesehen zu haben, um mir seine volle Dankbarkeit ausdrücken zu können.

»Offenbar hat er seine Frau vollkommen jungfräulich gefunden; aber das ist nicht mein Verdienst; er ist dafür nur Manon Valetti Dank schuldig. Man hat mir erzählt, er habe ein hübsches Kindchen und wohne im Louvre, während sie in einem anderen Hause an der Rue Neuve des Petits-Champs wohne.«

»Das ist richtig; aber er speist jeden Abend bei ihr.«

»Eine sonderbare Ehe!«

»Eine sehr gute, kann ich Ihnen versichern. Blondel will seine Frau nur als Liebhaber besitzen. Er sagt, das mache die Liebe dauerhaft; da er niemals eine Geliebte gehabt habe, die würdig gewesen sei, seine Frau zu sein, so sei er sehr froh, eine Frau gefunden zu haben, die würdig sei, seine Geliebte zu sein.«

Den ganzen nächsten Tag widmete ich der Frau du Romain, die mich bis zum Abend mit sehr heiklen Fragen in Anspruch nahm. Sie war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Die Heirat ihrer Tochter, Mademoiselle Cotenfau, mit Herrn de Polignac, die fünf oder sechs Jahre später vollzogen wurde, war die Folge unserer kabbalistischen Berechnung.

Die schöne Strumpfstrickerin aus der Rue des Prouvères, die ich so sehr geliebt hatte, war nicht mehr in Paris. Ein gewisser Herr de Langlade hatte sie entführt; ihr Mann befand sich im Elend. Camilla war krank; Corallina war Marquise und anerkannte Maitresse des Grafen de la Marche, Sohnes des Prinzen von Conti, geworden. Sie hat ihm einen Sohn geschenkt, den ich zwanzig Jahre später als Malteserritter unter dem Namen eines Chevalier de Montreal gekannt habe. Mehrere andere junge Mädchen, die ich früher gekannt hatte, hatten sich als angebliche Witwen nach der Provinz zurückgezogen oder waren unzugänglich geworden.

So war Paris zu meiner Zeit. Mädchen, Liebesverhältnisse, Prinzipien wechselten ebensoschnell wie die Moden. Einen ganzen Tag widmete ich meinem alten Freund Baletti; er hatte nach dem Tode seines Vaters eine hübsche Figurantin geheiratet und sich von der Bühne zurückgezogen. Er arbeitete mit Melissenkraut und hoffte den Stein der Weisen zu finden.

Zu meiner angenehmen Überraschung sah ich im Foyer der Comédie Française den Dichter Poinsinet, der mich wiederholt umarmte und mir erzählte, daß in Parma du Tillot ihn mit Wohltaten überhäuft habe. Einen Platz habe er ihm allerdings nicht gegeben, weil man in Italien mit einem französischen Dichter nichts anzufangen wisse.

»Wissen Sie etwas von Lord Limore?«

»Ja; er hat von Livorno aus seiner Mutter geschrieben, er wolle sich nach Indien einschiffen; wenn Sie nicht die Güte gehabt hätten, ihm tausend Louis zu geben, würde er jetzt in den römischen Gefängnissen sein.«

»Ich nehme großen Anteil an seinem Schicksal und würde gerne mit Ihnen bei Mylady einen Besuch machen.«

»Ich werde Sie melden, und ich bin überzeugt, sie wird Sie zum Souper dabehalten, denn sie hat die größte Lust, mit Ihnen zu sprechen.«

»Wie geht es Ihnen hier; sind Sie zufrieden mit Ihrem Apoll?«

»Er ist nicht der Gott des Paktolus; ich besitze keinen Heller, ich habe nicht einmal ein Zimmer und werde gern ein Souper annehmen, wenn Sie mich einladen wollen. Ich werde Ihnen den Cercle vorlesen, den die Schauspieler angenommen haben. Ich habe das Stück in der Tasche und bin sicher, daß es Erfolg haben wird.«

Dieser Cercle war ein kleines Stück in Prosa, worin der Dichter sich über die Sprechweise des Arztes Herrenschwand lustig machte, dessen Bruder ich in Solothurn gekannt hatte. Das Stück hatte wirklich einen großen Augenblickserfolg.

Ich nahm ihn mit zum Abendessen, und der arme Musensohn aß für vier. Am nächsten Tage meldete er mir, die Gräfin Limore erwarte mich zum Souper.

Ich fand diese noch immer schöne Dame in Gesellschaft des Erzbischofs von Cambray, Herrn de St. Albin, ihres bejahrten Liebhabers, der für sie die ganzen Einkünfte des Erzbistums ausgab. Dieser würdige Kirchenfürst war ein natürlicher Sohn des Herzogs von Orléans, des berühmten Regenten von Frankreich, und einer Schauspielerin. Er speiste mit uns, öffnete jedoch den Mund nur zum Essen, und seine Geliebte sprach mit mir nur über ihren Sohn, dessen Geist und Talente sie bis in den Himmel hob, während Lord Limore in Wirklichkeit nur ein Taugenichts war. Ich glaubte jedoch in ihr Lob einstimmen zu müssen, denn es wäre grausam gewesen, ihr zu widersprechen. Beim Abschied versprach ich ihr zu schreiben, wenn ich ihrem Sohn irgendwo begegnen sollte. Poinsinet, der obdachlos war, verbrachte die Nacht in meinem Zimmer; am nächsten Morgen ließ ich ihn zwei Tassen Schokolade trinken und gab ihm Geld, um sich ein Zimmer zu mieten. Ich habe ihn nicht wiedergesehen; denn ein paar Jahre später ertrank er, nicht in der Hippokrene, sondern im Guadalquivir. Er sagte mir, er habe acht Tage bei Herrn von Voltaire zugebracht und sei dann schleunigst nach Paris zurückgekehrt, um den Abbé Morellet aus der Bastille zu befreien. Ich hatte in Paris nichts mehr zu tun und wartete, um abzureisen, nur auf die Kleider, die ich mir bestellt hatte, und auf ein mit Diamanten und Rubinen besetztes Kreuz des Ordens, womit der Heilige Vater mich ausgezeichnet hatte.

Dies alles sollte ich binnen fünf oder sechs Tagen erhalten; aber ein Unfall nötigte mich, Hals über Kopf abzureisen. Ich beschreibe dieses Ereignis nur widerwillig, denn es war eine Unvorsichtigkeit von meiner Seite, die mir beinahe Leben und Ehre gekostet hätte, mehr als hunderttausend Franken gar nicht zu rechnen. Ich beklage die Dummköpfe, die mit dem Schicksal hadern, wenn sie ins Unglück geraten, während sie sich doch nur an sich selber halten sollten.

Ich ging gegen zehn Uhr morgens im Tuileriengarten spazieren, als ich unglücklicherweise der Dangenancour mit einem anderen Mädchen begegnete. Diese Dangenancour war eine Opernfigurantin, mit der ich vor meiner letzten Abreise von Paris vergeblich eine Bekanntschaft anzuknüpfen gesucht hatte. Ich freute mich des glücklichen Zufalls, der sie mir so zu gelegener Stunde in den Weg führte, sprach sie an und brauchte sie nicht lange zu bitten, um sie zur Annahme eines Diners in Choisy zu bewegen.

Ich ging nach dem Pont-Royal und nahm dort einen Fiaker. Nachdem ich das Essen bestellt hatte, gingen wir in den Garten, um einen kleinen Spaziergang zu machen. Nach einer kurzen Weile kamen in einem anderen Fiaker zwei Abenteurer, die ich kannte, und zwei Mädchen, die mit meinen Begleiterinnen befreundet waren. Die unglückselige Wirtin, die in der Tür stand, sagte uns: Wenn wir zusammen speisen wollten, würde sie uns eine ausgezeichnete Mahlzeit bereiten. Ich sagte nichts, oder vielmehr ich fügte mich in das Ja meiner beiden lockeren Mädchen. Wir aßen wirklich ausgezeichnet; nachdem ich bezahlt hatte, bemerkte ich in dem Augenblick, wo wir nach Paris zurückfahren wollten, daß ich einen Ring nicht hatte, den ich während des Essens vom Finger gezogen hatte, um ihn einem von den beiden Abenteurern, namens Santis, auf seinen Wunsch zu zeigen. Es war eine sehr hübsche Miniatur, deren Brillanteneinfassung mir fünfundzwanzig Louis gekostet hatte. Ich bat Santis sehr höflich, mir meinen Ring wiederzugeben; er antwortete mir sehr kaltblütig, er habe ihn mir zurückgegeben.

»Wenn Sie ihn mir zurückgegeben hätten,« versetzte ich, »so hätte ich ihn; ich habe ihn aber nicht.«

Er bestand auf seiner Behauptung; die Mädchen sagten nichts, aber der Freund des Santis, ein Portugiese namens Xavier, wagte mir zu sagen, er habe gesehen, wie er ihn mir zurückgegeben habe.

»Sie lügen!« rief ich; zugleich packte ich Santis an der Halsbinde und sagte ihm, er würde nicht herauskommen, bevor er mir meinen Ring zurückgegeben hätte. Da zu gleicher Zeit der Portugiese aufsprang, um seinem Freund zu Hilfe zu kommen, so trat ich einen Schritt zurück und wiederholte meine Drohung mit dem Degen in der Hand. Als die Wirtin dazu kam und ein großes Geschrei erhob, sagte Santis mir, wenn ich zwei Worte unter vier Augen anhören wollte, würde er mich überzeugen. Ich glaubte einfältigerweise, er schämte sich, mir meinen Ring in Gegenwart von all den Leuten zurückzugeben, werde ihn aber unter vier Augen mir zurückerstatten; ich steckte daher den Degen ein und rief ihm zu: »Gehen wir hinaus!«

Xavier stieg mit den vier Dämchen in den Fiaker und fuhr mit ihnen nach Paris zurück.

Santis folgte mir hinter das Schloß, dort fing er plötzlich an zu lachen und sagte, er habe, um einen Spaß zu machen, seinem Freunde meinen Ring in die Tasche gesteckt; aber er werde ihn mir in Paris wiedergeben.

»Das ist ein Märchen! Ihr Freund behauptet, gesehen zu haben, wie Sie ihn mir wiedergaben, und Sie haben ihn abfahren lassen. Halten Sie mich für so grün, mich von einem solchen Spaß anführen zu lassen? Sie sind alle beide Spitzbuben!«

Mit diesen Worten streckte ich die Hand aus, um seine Uhrkette zu ergreifen; er wich zurück und zog seinen Degen. Ich zog ebenfalls und hatte kaum ausgelegt, so machte er einen Ausfall und führte einen Stoß, den ich parierte; ich stürzte mich auf ihn und durchbohrte ihn durch und durch. Er fiel und schrie um Hilfe. Ich steckte meinen Degen wieder ein, ohne mich weiter um ihn zu bekümmern, ging nach meinem Fiaker und fuhr nach Paris zurück.

Auf der Placc Maubert stieg ich aus und ging zu Fuß auf einem Umwege nach meinem Gasthof. Ich war sicher, daß mich niemand in meiner Wohnung suchen würde, denn nicht einmal mein Wirt wußte meinen Namen.

Den Rest des Tages war ich damit beschäftigt, meine Koffer zu packen; nachdem ich Costa befohlen hatte, sie auf meinen Wagen zu schnallen, ging ich zu Frau von Urfé. Ich erzählte ihr mein Abenteuer und bat sie, die für mich bestimmten Sachen, sobald sie fertig wären, meinem Diener Costa zu übergeben, der mir nach Augsburg nachreisen würde. Ich hätte sie bitten sollen, mir alles durch einen ihrer Diener zu schicken; aber an jenem Tage hatte mein guter Geist mich verlassen, übrigens hielt ich Costa nicht für einen Dieb.

Ich kehrte hierauf in den Gasthof zum Heiligen Geist zurück und gab dem Schelm meine Instruktionen; ich legte ihm ans Herz, schnell zu reisen und verschwiegen zu sein; zugleich gab ich ihm das nötige Reisegeld.

Ich ließ meinen Wagen mit vier Lohnpferden bespannen, die mich nach der zweiten Poststation brachten; so reiste ich von Paris ab und ohne Aufenthalt weiter nach Straßburg, wo ich Desarmoises mit meinem Spanier fand.

Da ich in Straßburg nichts zu tun hatte, wollte ich sofort über den Rhein fahren, Desarmoises überredete mich jedoch, mit ihm nach dem Gasthof zum Heiligen Geist zu gehen und eine hübsche Dame zu besuchen, die ihre Abreise nach Augsburg nur in der Hoffnung, wir könnten zusammen reisen, so lange aufgeschoben habe.

»Sie kennen die Dame,« sagte der falsche Marquis; »aber ich habe ihr mein Ehrenwort geben müssen, Ihnen nicht ihren Namen zu nennen. Sie hat nur ihr Kammermädchen bei sich, und ich bin überzeugt, Sie werden sich freuen, sie zu sehen.«

Aus Neugier gab ich nach. Ich folgte Desarmoises und trat in ein Zimmer, wo ich eine hübsche Frau sah, die ich jedoch anfangs nicht erkannte. Bald aber kam mir eine Erinnerung, und ich sah, daß es eine Tänzerin war, die ich vor acht Jahren am Dresdener Theater reizend gefunden hatte. Sie gehörte damals dem Grafen Brühl, dem Oberhofstallmeister des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen; ich hatte nicht einmal versucht, ihr den Hof zu machen. Da sie mit einer reichen Ausstattung versehen und bereit war sofort nach Augsburg abzureisen, so malte ich mir aus, daß diese Begegnung mir viel Vergnügen verschaffen müßte.

Nachdem wir in der üblichen Weise gegenseitig unsere Freude über das angenehme Zusammentreffen ausgesprochen hatten, vereinbarten wir, daß wir am nächsten Morgen zusammen nach Augsburg abreisen wollten. Die Schöne wollte nach München; da ich jedoch in dieser kleinen Hauptstadt nichts zu tun hatte, so setzten wir fest, daß sie von Augsburg an allein reisen sollte.

»Ich bin fest überzeugt,« sagte sie hierauf, »daß Sie sich selber entschließen werden, dorthin zu kommen; denn die Gesandten der Mächte, die den Kongreß halten sollen, werden erst im Laufe des Septembers sich nach Augsburg begeben.«

Wir aßen zusammen zu Abend. Am nächsten Morgen fuhren wir ab; sie in ihrem Wagen mit der Kammerfrau, ich in dem meinigen mit Desarmoises, während Leduc als Kurier vorausritt. In Rastatt aber änderten wir die Fahrordnung: die Renaud glaubte weniger Neugier zu erregen, wenn sie in meinen Wagen käme, als wenn sie in dem ihrigen bliebe, und Desarmoises nahm gern ihren Platz bei der Zofe ein. Bald waren wir miteinander bekannt. Sie weihte mich in ihre Angelegenheiten ein oder tat wenigstens so, und ich vertraute ihr alles an, was ich nicht für besser hielt, ihr zu verschweigen. Ich sagte ihr, ich hätte einen Auftrag vom Lissaboner Hof; sie glaubte mir, und ich glaubte ebenfalls, daß sie nur nach München und Augsburg gehe, um dort ihre Diamanten zu verkaufen.

Als das Gespräch auf Desarmoises kam, sagte sie mir, ich könne ihn recht gern in meiner Gesellschaft behalten, dürfe ihm jedoch nicht erlauben, sich den Titel Marquis beizulegen.

»Aber er ist ja der Sohn des Marquis Desarmoises von Nancy.«

»Er ist weiter nichts als ein früherer Kurier, dem das Ministerium des Auswärtigen eine ganz kleine Pension auszahlt. Ich kenne den Marquis Desarmoises, der in Nancy wohnt; er ist nicht so alt wie dieser.«

»Dann kann er allerdings schwerlich sein Vater sein.«

»Der Wirt vom Heiligen Geist hat ihn als Kurier gekannt.«

»Wie haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Wir speisten zusammen an der Table d’hôte. Nach dem Essen suchte er mich in meinem Zimmer auf und sagte mir, er erwarte einen Herrn, der nach Augsburg reisen wolle, und wir könnten die Reise miteinander machen. Er nannte Ihren Namen, und nachdem ich ihm einige Fragen gestellt hatte, sah ich, daß nur Sie dieser Chevalier de Seingalt sein könnten. So haben wir uns also getroffen, und ich freue mich sehr darüber. Aber hören Sie – ich rate Ihnen, auf falsche Namen und Titel zu verzichten; warum lassen Sie sich Seingalt nennen?«

»Dies ist mein Name, meine Liebe; das schließt aber nicht aus, daß meine alten Bekannten mich auch Casanova nennen können; denn ich bin eines wie das andere. Das können Sie doch wohl begreifen.«

»Ja, ich begreife es. Ihre Mutter lebt in Prag, und da sie wegen des Krieges ihre Pension nicht ausgezahlt erhält, so glaube ich, daß es ihr vielleicht nicht zum besten geht.«

»Ich weiß es; aber ich vergesse nicht meine Pflichten als guter Sohn: ich habe ihr Geld geschickt.«

»Das freut mich. Wo werden Sie in Augsburg wohnen?«

»Ich werde ein Haus mieten, und wenn es Ihnen Spaß macht, werde ich Sie zur Herrin selber machen, und Sie werden die Wirtin spielen.«

»Das ist reizend, lieber Freund! Wir werden gute Soupers machen, und die Nächte hindurch werden wir spielen.«

»Der Plan ist köstlich.«

»Ich erbiete mich, Ihnen eine ausgezeichnete Köchin zu besorgen: die bayrischen Köchinnen sind mit Recht berühmt. Wir werden auf dem Kongreß eine gute Figur machen, und man wird sagen, wir seien bis über die Ohren ineinander verliebt.«

»Aber merke dir, liebes Herz, hinsichtlich der Treue verstehe ich keinen Spaß.«

»In diesem Punkte, mein Freund, verlassen Sie sich nur auf mich! Sie wissen doch, wie ich in Dresden lebte.«

»Ich werde mich darauf verlassen, aber nicht wie ein Blinder, das merke dir. Wir wollen aber doch auf gleichem Fuße miteinander verkehren; nenne mich darum du. Diese Anrede paßt besser für ein Liebespaar.«

»Schön! So umarme mich!«

Meine schöne Renaud reiste nicht gerne nachts; denn sie liebte reichlich zu Abend zu speisen und erst zu Bett zu gehen, wenn sie etwas benebelt war. Der Weinrausch machte aus ihr eine Bacchantin, die schwer zu befriedigen war; aber wenn ich nicht mehr konnte, bat ich sie, mich in Ruhe zu lassen, und sie mußte mir wohl oder übel gehorchen.

In Augsburg wollten wir im Gasthof Zu den drei Mohren absteigen; der Wirt sagte mir, er werde uns ein gutes Mittagessen auftragen lassen, könne mir jedoch keine Wohnung geben, weil der französische Gesandte das ganze Haus für sich bestellt habe. Ich beschloß, den Bankier Carli aufzusuchen, bei dem ich ein Guthaben hatte, und dieser besorgte mir sofort ein hübsches möbliertes Haus mit einem Garten; ich mietete es auf sechs Monate, und die Renaud fand es sehr nach ihrem Geschmack.

In Augsburg war noch kein Mensch. Da die Renaud nach München mußte, so überzeugte sie mich, ich würde mich während ihrer Abwesenheit langweilen, ich täte daher besser, sie zu begleiten. Wir stiegen im Gasthof Zum Hirsch ab, wo wir sehr gut untergebracht waren. Desarmoises wohnte in einem anderen Wirtshaus. Da ich andere Geschäfte vorhatte als meine neue Begleiterin, so gab ich ihr einen Wagen und einen Lohndiener für ihre eigene Person und nahm für mich ebenfalls Wagen und Diener.

Abbate Gama hatte mir einen Brief vom Kommandanten Almada an den englischen Gesandten beim Bayrischen Hofe, Lord Stormon, mitgegeben. Da der Herr in München war, beeilte ich mich, meinen Auftrag auszurichten. Er empfing mich sehr freundlich und versicherte mir, er würde, sobald es Zeit wäre, alles tun, was in seinen Kräften stünde; Lord Halifax hatte ihn von der ganzen Angelegenheit unterrichtet. Nachdem ich meinen Auftrag bei dem britischen Lord ausgerichtet hatte, machte ich dem französischen Gesandten Herrn de Folard meine Aufwartung und überreichte ihm einen Brief, den Herr de Choiseul mir durch Madame d’Urfé hatte zustellen lassen. Herr de Folard war überaus liebenswürdig; er lud mich für den nächsten Tag zum Mittagessen ein und stellte mich den Tag darauf dem Kurfürsten vor.

Während der verhängnisvollen vier Wochen, die ich in München verbrachte, war das Haus des französischen Gesandten das einzige, das ich besuchte. Ich nenne diese vier Wochen verhängnisvoll, und mit gutem Recht; denn während dieser Zeit verlor ich all mein Geld, versetzte für mehr als vierzigtausend Franken Schmucksachen, die ich niemals eingelöst habe, und verlor endlich – das war das Schlimmste – meine Gesundheit. Meine Mörder waren die Renaud und dieser Desarmoises, der mir so viel verdankte und es mir so übel lohnte.

Am dritten Tage nach meiner Ankunft in München mußte ich der Kurfürstin-Witwe von Sachsen einen Besuch machen. Mein Schwager, der zum Gefolge der Fürstin gehörte, forderte mich dazu auf, und er sagte mir, ich dürfe diesen Besuch nicht unterlassen, denn die Prinzessin kenne mich und habe sich außerdem bereits nach mir erkundigt. Ich erklärte mich infolgedessen bereit und hatte diesen Besuch nicht zu bereuen, denn die Kurfürstin nahm mich gut auf und ließ sich viel von mir erzählen; sie war neugierig wie alle müßigen Leute, die sich nicht selbst genügen, weil sie weder in ihrem Geist noch in ihrer Bildung hinlängliche Hilfsquellen finden.

Ich habe in meinem Leben viele Dummheiten gemacht; dies gestehe ich mit gleicher Aufrichtigkeit wie Rousseau, aber mit geringerer Eitelkeit als der unglückliche große Mann; ich habe aber wenig so große und törichte Dummheiten gemacht, als daß ich nach München ging, wo ich nichts zu tun hatte. Ich war in einer Krisis; es war eine Epoche, wo mein böser Geist mich seit meiner Abreise aus Turin, ja sogar seit meiner Abreise aus Neapel crescendo von Dummheit zu Dummheit trieb. Der nächtliche Sturz aus dem Wagen, die Abendgesellschaft bei Limore, die Verbindung mit Desarmoises, die Lustpartie nach Choisy, mein Vertrauen zu Costa, meine Verbindung mit der Renaud, und mehr als alles meine unbegreifbare Dummheit, mich auf das Pharaospiel einzulassen an einem Hofe, wo die Bankhalter für die geschicktesten Verbesserer des Glücks in ganz Europa galten – dies waren die Stufen meiner Dummheit. Dort in München befand sich unter anderen auch der berüchtigte, der niederträchtige Affliso, der Teilhaber des Herzogs Friedrich von Zweibrücken, den dieser Fürst mit dem Titel seines Adjutanten schmückte und den alle Welt als den geschicktesten Spitzbuben kannte, den man sich nur denken konnte.

Ich spielte alle Tage, und da ich oft auf Wort verlor, so verursachte die Verlegenheit, am nächsten Tage bezahlen zu müssen, mir bittere Sorgen. Als ich meinen Kredit bei den Bankiers erschöpft hatte, mußte ich mich an die Juden wenden, die nur auf Pfänder leihen; mein Vermittler war Desarmoises und mit ihm die Renaud, die schließlich alles in ihren Besitz brachte. Aber das war noch nicht der schändlichste Dienst, den sie mir erwies: sie teilte mir ein Leiden mit, das sie verzehrte, das aber seine Zerstörungen nur im Innern anrichtete und ihr Äußeres völlig unberührt ließ, das daher um so gefährlicher war, da ihre Frische vollkommenste Gesundheit zu zeigen schien. Diese Schlange, die aus der Hölle hervorgekrochen war, um mich zugrunde zu richten, hatte mich dermaßen bezaubert, daß ich einen Monat lang die Krankheit vernachlässigte, weil sie mich zu überzeugen wußte, sie würde entehrt sein, wenn ich während unseres Aufenthaltes in München einen Wundarzt in Anspruch nähme, da die ganze Hofclique wüßte, daß wir wie Mann und Frau zusammen lebten.

Wenn ich darüber nachdenke, begreife ich selber nicht meine unglaubliche Nachgiebigkeit, besonders nicht, da ich jeden Tag das Gift erneuerte, das sie meinen Adern eingeflößt hatte!

Mein Aufenthalt in München war für mich eine Art Verdammnis. Ich sah während dieses verhängnisvollen Monats alle Schrecknisse der Hölle vereint, um mir einen Vorgeschmack von den Qualen zu geben, die die Seelen der Verdammten leiden. Die Renaud liebte das Spiel, und Desarmoises hielt als ihr Partner die Bank. Ich weigerte mich stets, mich daran zu beteiligen, denn der falsche Marquis betrog ohne jede Rücksicht und oft mehr unverschämt als geschickt. Er lud schlechte Gesellschaft zu mir ein und bewirtete sie auf meine Kosten; an ihrem Spieltische kamen jeden Abend ärgerliche Auftritte vor. Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen kränkte mich auf das empfindlichste bei Gelegenheit der beiden letzten Male, wo ich die Ehre hatte, mit ihr zu sprechen.

»Man weiß hier, mein Herr, wie Sie mit der Renaud leben,« sagte die Fürstin zu mir, »und welchen Lebenswandel sie bei Ihnen, vielleicht ohne Ihr Wissen, führt; dies schadet Ihnen sehr, und ich rate Ihnen, ein Ende damit zu machen.«

Sie wußte nicht, daß ich aus allen möglichen Gründen zum Dulden gezwungen war. Seit einem Monat war ich schon aus Paris fort und hatte keine einzige Nachricht weder von Frau von Urfé noch von Costa erhalten. Ich hatte den Grund nicht erraten, aber ich begann die Treue meines Italieners zu beargwöhnen. Auch befürchtete ich, meine gute Madame d’Urfé wäre gestorben oder vernünftig geworden, was für mich auf dasselbe hinausgekommen wäre; der Zustand, worin ich mich befand, machte es mir unmöglich, nach Paris zurückzufahren, um mich nach dem zu erkundigen, was ich so notwendig wissen mußte, um meine Lebensruhe wiederherzustellen und meine Börse wieder zu füllen.

Ich fand mich also in großer Not. Am meisten Kummer bereitete es mir, daß ich mir selber einen Beginn von Abspannung eingestehen mußte, die gewöhnlich mit dem herannahenden Alter verbunden ist; ich besaß nicht mehr jene sorglose Zuversicht, welche Jugend und Kraftbewußtsein verleihen; andererseits aber hatte mich die Erfahrung noch nicht reif genug gemacht, um mich zu bessern.

Ein Überrest der Gewohnheit, entschlossen zu handeln, veranlaßte mich jedoch, mich plötzlich von der Renaud zu verabschieden und ihr zu sagen, ich würde in Augsburg auf sie warten. Sie gab sich keine Mühe, mich zurückzuhalten, versprach mir jedoch, sobald wie möglich mir nachzukommen, da sie im Begriff stehe, ihre Edelsteine vorteilhaft zu verkaufen. Ich reiste mit Leduc ab und war froh, daß Desarmoises es für gut befand, bei der unwürdigen Kreatur zu bleiben, deren unglückliche Bekanntschaft ich ihm verdankte. In Augsburg angekommen, legte ich mich in meinem hübschen Hause ins Bett, das ich entschlossen war, nicht eher zu verlassen, als bis ich tot oder von dem mich verzehrenden Gift befreit wäre. Mein Bankier Carli, den ich bei mir vorzusprechen bat, empfahl mir einen gewissen Kefalides, einen Schüler des berühmten Fayet, der mich einige Jahre vorher von dem gleichen Leiden in Paris geheilt hatte. Dieser Doktor galt für den besten Chirurgen von Augsburg. Nachdem er mich untersucht hatte, versicherte er mir, er würde mich durch schweißtreibende Mittel heilen, ohne zu dem bösen Messer greifen zu müssen. Infolgedessen setzte er mich zunächst auf strengste Diät, verordnete mir Bäder und ließ mir Quecksilbereinreibungen machen. Ich fügte mich dieser Behandlung sechs Wochen lang. Statt aber geheilt zu sein, fühlte ich mich in einem schlimmeren Zustande als zu Anfang der Behandlung. Ich war von einer schreckenerregenden Magerkeit und hatte zwei Leistengeschwüre von entsetzlicher Größe. Ich mußte mich entschließen, sie öffnen zu lassen, aber diese sehr schmerzliche Operation, die mir beinahe das Leben gekostet hätte, half mir gar nichts. Kefalides schnitt aus Ungeschicklichkeit die Arterie an und verursachte dadurch eine Blutung, die nur mit großer Mühe gestillt werden konnte und die mir das Leben gekostet hätte, wenn sich nicht der bolognesische Arzt Algaldi, der Leibarzt des Fürstbischofs von Augsburg, meiner angenommen hätte.

Da ich von Kefalides nichts mehr wissen wollte, machte Doktor Algaldi in meiner Gegenwart neunzig Pillen aus achtzehn Gran Manna. Ich nahm jeden Morgen eine Pille, trank hierauf ein großes Glas verdünnter Milch; eine zweite Pille nahm ich abends und aß nachher eine Gerstensuppe. Dies war meine ganze Nahrung. Dieses heroische Heilmittel gab mir in zweieinhalb Monaten meine Gesundheit wieder. Ich verbrachte diese Zeit unter großen Leiden und gewann mein gutes Aussehen und meine Kräfte erst gegen Ende des Jahres wieder.

Während dieser Leidenszeit erfuhr ich die näheren Umstände von Costas Flucht. Er war mit den Diamanten, Uhren, Tabaksdosen nebst der Wäsche und den gestickten Kleidern verschwunden, die Frau von Urfé ihm in einem großen Koffer nebst hundert Louis Reisegeld gegeben hatte. Die gute Dame schickte mir einen Wechsel von fünfzigtausend Franken, den sie zum großen Glück nicht mehr Zeit gehabt hatte, dem Spitzbuben zu übergeben. Diese Summe kam mir sehr gelegen, denn ich war durch mein unvernünftiges Benehmen geradezu in eine gewisse Not geraten.

Zu gleicher Zeit hatte ich einen andern Kummer, der mir sehr zu Herzen ging: ich entdeckte, daß Leduc mich bestahl. Ich hätte ihm dies verziehen, wenn er mich nicht gezwungen hätte, die Sache in die Öffentlichkeit zu bringen, die ich nur vermeiden konnte, indem ich mich selber bloßgestellt hätte. Trotzdem behielt ich ihn, bis ich zu Beginn des nächsten Jahres zurückkehrte.

Als gegen Ende September feststand, daß der Kongreß nicht zusammentreten würde, reiste die Renaud mit Desarmoises über Augsburg nach Paris zurück; sie wagte nicht, mich zu besuchen, weil sie fürchtete, ich möchte sie zwingen, meine Sachen herauszugeben, deren sie sich ohne weiteres bemächtigt hatte. Ohne Zweifel nahm sie an, daß ich von dieser Spitzbüberei unterrichtet wäre. Vier oder fünf Jahre später heiratete sie in Paris einen gewissen Böhmer, jenen Juwelier, der dem Kardinal Rohan das berühmte Halsband gab, das er für die unglückliche Königin Marie Antoinette bestimmt glaubte. Sie war in Paris, als ich dorthin zurückkehrte, aber ich bemühte mich nicht, sie zu sehen; denn ich wollte, wenn es möglich war, alles vergessen. Ich mußte so handeln, denn von allem, was ich während dieses unglückseligen Jahres tat, fand ich am verächtlichsten meine traurige Aufführung und überhaupt mich selber. Den infamen Desarmoises hätte ich allerdings nicht genügend verachtet, um mir das Vergnügen zu versagen, ihm die Ohren abzuschneiden, wenn er mir Zeit gelassen hätte; aber der alte Schuft machte sich aus dem Staube – ohne Zweifel, weil er voraussah, wie ich ihn behandeln würde. Er ist kurze Zeit darauf in der Normandie im tiefsten Elend an der Schwindsucht gestorben.

Kaum war meine Gesundheit wiederhergestellt, so vergaß ich alles vergangene Unglück und fing wieder an, mich zu amüsieren. Meine ausgezeichnete Köchin, Anna Midel, die so lange Zeit müßig gegangen war, mußte sich an die Arbeit machen, um meinen gefräßigen Hunger zu befriedigen; drei Wochen lang verzehrte mich ein rasender Hunger, der übrigens meinem Temperament entsprach und notwendig war, um mir die frühere Gestalt wiederzugeben. Mein Wirt, der Kupferstecher, und seine hübsche Gertrud, die ich erst mit mir essen ließ, sahen mich mit einer Art von Erstaunen an und fürchteten böse Folgen meiner Unmäßigkeit. Mein lieber Doktor Algardi, der mir das Leben gerettet hatte, sagte mir eine Verdauungsstörung voraus, die mich ins Grab bringen würde; ich hörte nicht auf ihn und ich tat recht daran; denn durch das gute Essen gewann ich meine frühere Gesundheit wieder und fühlte mich bald imstande, dem Gotte, um dessenwillen ich so viel gelitten hatte, neue Opfer zu bringen.

Meine Köchin und Gertrud waren beide jung und hübsch. Ich verliebte mich in sie. Und da ich ihnen zugleich auch dankbar war, so machte ich ihnen meine Liebeserklärung gleichzeitig, denn ich hatte vorausgesehen, daß ich keine von ihnen besiegt haben würde, wenn ich sie einzeln angegriffen hätte. Außerdem wußte ich, daß ich nicht viel Zeit zu verlieren hatte; denn ich hatte mich der Frau von Urfé gegenüber verpflichtet, am Neujahrstag 1762 mit ihr in einer Wohnung zu speisen, die sie in der Rue du Bac für mich eingerichtet hatte. Sie hatte sie mit prachtvollen Gobelins geschmückt, die René von Savoyen hatte anfertigen lassen und auf denen alle Operationen des Großen Werkes dargestellt waren. Sie hatte mir geschrieben, sie sei in Choisy gewesen und habe dort erfahren, der Italiener Santis, den ich mit einem Degenstich durchbohrt hatte, sei von seiner Wunde genesen und später wegen Gaunerei in Bicètre eingesperrt worden.

Gertrud und Anna Midel beschäftigten mich angenehm während meines übrigen Aufenthaltes in Augsburg, aber sie fesselten mich nicht in dem Grade, daß ich ihretwegen die gute Gesellschaft vernachlässigt hätte. Ich verbrachte meine Abende auf sehr angenehme Weise beim Grafen Max von Lamberg, der dort als Oberhofmarschall des Fürstbischofs lebte. Seine Gemahlin, eine reizende Frau, besaß alle Eigenschaften, um eine gute und zahlreiche Gesellschaft anzuziehen. Ich machte bei dem Grafen die Bekanntschaft des Barons von Sellentin, der als preußischer Hauptmann in Augsburg wohnte, um Rekruten für seinen König zu werben. Besonders fesselte mich an dem Grafen Lamberg seine literarische Begabung. Er war ein Gelehrter ersten Ranges und besaß eine umfassende Bildung; er hat mehrere sehr geschätzte Werke veröffentlicht. Er hat mit mir einen brieflichen Verkehr unterhalten, der erst mit seinem Tode aufhörte, als er durch eigene Schuld vor vier Jahren 1792 starb. Ich sage: durch seine eigene Schuld; aber ich hätte eigentlich sagen sollen: durch Schuld seiner Ärzte, die eine Krankheit, woran Venus keinen Anteil hatte, mit Quecksilber behandelten; sie zogen ihm dadurch nur Verleumdungen nach seinem Tode zu.

Seine liebenswürdige Witwe lebt noch in Bayern, geliebt von ihren Freunden und von ihren Töchtern, die sie an ausgezeichnete Männer verheiratet hat.

Um jene Zeit kam eine armselige kleine italienische Komödiantentruppe in Augsburg an, und ich verschaffte meinen Landsleuten die Erlaubnis, uns in einem schlechten kleinen Theater Vorstellungen zu geben. Da ich bei dieser Gelegenheit eine kleine Geschichte erlebte, die mich ergötzte, weil ich der Held derselben war, so werde ich sie meinen Lesern berichten und hoffe, ihnen dadurch angenehm zu sein.

Sechzehntes Kapitel


Die Komödianten und die Komödie. – Bassi. – Die Straßburgerin. – Der weibliche Graf. – Meine Rückkehr nach Paris. – Ankunft in Metz. – Die hübsche Raton und die falsche Gräfin von Lascaris.

Eine häßliche Frau, die aber gewandt und redselig war, wie nur eine Italienerin, suchte mich auf und bat mich um meine Verwendung bei den Behörden, damit der Truppe, der sie angehöre, die Erlaubnis gegeben werde, Komödie zu spielen. Sie war häßlich, aber eine Italienerin und arm; ohne sie nach ihrem Namen zu fragen, ohne mich zu erkundigen, ob die Truppe etwas tauge, versprach ich ihr, mich für sie zu verwenden. Ich erlangte ohne Mühe die von ihr erbetene Gunst.

Als ich die erste Vorstellung besuchte, erkannte ich zu meiner Überraschung in dem ersten Helden einen Venetianer, mit dem ich vor zwanzig Jahren im Kollegium San Cipriano zusammen studiert hatte. Er hieß Bassi und hatte, wie ich, den Priesterstand aufgegeben. Sein Schicksal hatte es gefügt, daß er Schauspieler wurde und allem Anschein nach sich im Elend befand, wahrend ich, den der Zufall in eine abenteuerliche Laufbahn geschleudert hatte, wie ein reicher Mann aussah.

Neugierig, seine Abenteuer kennen zu lernen, und angezogen durch jenes Gefühl des Wohlwollens, das uns zu einem Jugendfreund, zumal einem Schulkameraden zieht, beschloß ich mich an seiner Überraschung zu weiden, wenn er mich wiedererkennen würde, und suchte ihn auf der Bühne auf, sobald der Vorhang gefallen war.

Er erkannte mich auf den ersten Blick, stieß einen Freudenschrei aus, umarmte mich und stellte mich seiner Frau vor – derselben, die mich in meiner Wohnung aufgesucht hatte – und seiner sehr hübschen Tochter, die etwa dreizehn bis vierzehn Jahre alt sein mochte und die ich mit Vergnügen hatte tanzen sehen. Dies war aber noch nicht alles: als er sah, daß ich zu ihm und seiner Familie freundlich war, wandte er sich zu seinen Kameraden, deren Direktor er war, und stellte mich ohne Umstände als seinen besten Freund vor. Als die guten Leute mich wie einen großen Mann gekleidet und mit einem Orden um den Hals geschmückt sahen, hielten sie diesen Freund ihres Direktors für einen berühmten kosmopolitanischen Scharlatan, den man in Augsburg erwartete. Bassi versuchte nicht, ihnen ihre Täuschung zu benehmen, und dies kam mir sonderbar vor.

Als die Truppe ihre Theaterkleider abgelegt und ihre Alltagslumpen angezogen hatte, hängte die häßliche Bassi sich an meinen Arm und zog mich mit sich fort, indem sie sagte, ich würde mit ihr soupieren gehen. Ich ließ mich von ihr führen, und wir kamen bald in eine Wohnung, die gerade so aussah, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Es war ein riesiges Zimmer im Erdgeschoß und diente gleichzeitig als Küche, Speisezimmer und Schlafsaal. Ein langer Tisch war zur Hälfte mit einem zerfetzten Laken bedeckt, das die Spuren einer monatlichen Benutzung trug, während am anderen Ende in einem schmutzigen Spülgefäß einige irdene Schüsseln abgewaschen wurden, die seit dem Mittagessen dastanden und zum Abendessen wieder benutzt werden sollten. Eine einzige Kerze, in den Hals einer zerbrochenen Flasche gesteckt, beleuchtete diese Höhle; da keine Lichtputzschere da war, ersetzte die häßliche Bassi diese sehr geschickt mit Daumen und Zeigefinger; die Schnuppe warf sie auf die Erde und wischte hierauf ohne Umstände ihre Finger am Tischtuch ab.

Einer von den Schauspielern war der Diener der Truppe; er trug einen langen Schnurrbart, weil er nur die Rollen von Mördern oder Straßenräubern spielte. Er trug eine riesige Schüssel mit aufgewärmtem Fleisch auf, das in einer großen Menge trüben Wassers schwamm, welches man mit dem Namen Sauce schmückte. Die hungrige Familie tunkte Brot hinein und riß das Fleisch mit den Fingern oder mit den Zähnen auseinander, denn Messer und Gabeln gab es nicht; da aber jeder den gleichen Anteil bekam, so hatte keiner das Recht, den Eklen zu spielen. Ein großer Krug Bier ging von Mund zu Mund. Aber in all diesem Elend sah ich nur fröhliche Gesichter, so daß ich mich fragen mußte: Was ist denn das Glück? Zum Schluß setzte der Tafelgenosse, der den Koch machte, eine zweite Schüssel mit gebratenem Schweinefleisch auf den Tisch. Alles wurde mit großem Appetit vertilgt. Bassi war so freundlich, mich von der Teilnahme an diesem leckeren Male zu entbinden, und ich war ihm dankbar dafür.

Nach diesem Kasernen-Festessen erzählte er mir in aller Kürze seine Abenteuer. Sie waren sehr gewöhnlicher Art, wie es die Erlebnisse eines armen Teufels zu sein pflegen. Unterdessen saß seine hübsche Tochter auf meinem Schoß und ermunterte mich nach besten Kräften, sie als Unschuldige zu behandeln. Bassi schloß seine Erzählung mit der Mitteilung, daß er nach Venedig gehe, wo er gewiß sei, während des Karnevals viel Geld zu verdienen. Ich wünschte ihm alles mögliche Glück, und als er mich fragte, welchen Beruf ich hätte, kam ich auf den Einfall, ihm zu antworten, ich sei Arzt.

»Dies Geschäft ist besser als das meinige,« sagt« er, »und ich bin glücklich, Ihnen ein bedeutendes Geschenk machen zu können.«

»Was ist das für ein Geschenk?«

»Das Rezept zum venetianischen Theriak, den Sie zu zwei Gulden das Pfund verkaufen können, während er Ihnen nur vier Groschen kostet.«

»Ihr Geschenk wird mir sehr angenehm sein. Aber sagen Sie mir, sind Sie mit Ihren Einnahmen zufrieden?«

»Für einen ersten Tag kann ich mich nicht beklagen; denn nach Deckung aller Kosten habe ich jedem Schauspieler einen Gulden geben können. Aber ich bin in großer Verlegenheit wegen der Aufführung für morgen; denn meine Truppe befindet sich im Zustande der Empörung und will nicht spielen, wenn ich nicht jedem einen Gulden vorausbezahle.«

»Dies Verlangen ist aber doch recht bescheiden.«

»Das weiß ich; aber ich besitze keinen Heller und habe nichts mehr zu versetzen; sonst würde ich auf ihr Verlangen eingehen, und hinterher würde ihnen ihr Benehmen leid tun, denn ich bin sicher, daß ich morgen mindestens fünfzig Gulden einnehmen werde.«

»Wie viele sind Sie?«

»Vierzehn, meine Familie eingerechnet. Können Sie mir zehn Gulden leihen? Ich werde sie Ihnen morgen nach der Vorstellung wiedergeben.«

»Gern. Aber ich möchte das Vergnügen haben, Ihnen allen im nächsten Wirtshause beim Theater ein Abendessen zu geben. Hier sind zehn Gulden.«

Der arme Teufel wußte gar nicht, wie er mir danken sollte, und übernahm es, das Abendessen zu einem Gulden für die Person zu bestellen, wie ich ihm gesagt hatte. Ich fühlte ein Bedürfnis, mich zu erheitern und über den Anblick zu lachen, wie vierzehn Hungrige ihren Riesenappetit befriedigten.

Am nächsten Tage fand die Vorstellung statt; da aber höchstens dreißig oder vierzig Zuschauer gekommen waren, hatte der arme Bassi kaum so viel, daß er die Musik und die Beleuchtung bezahlen konnte. Er war in Verzweiflung. Natürlich konnte er nicht bezahlen, sondern bat vielmehr, ich möchte ihm noch zehn Gulden leihen, immer auf die Hoffnung hin, daß der nächste Tag eine gute Einnahme bringen werde. Ich tröstete ihn, indem ich ihm sagte, darüber würden wir nach dem Essen sprechen; ich würde ihn mit seiner ganzen Truppe im Gasthof erwarten.

Ich ließ das Abendessen drei Stunden lang dauern, indem ich reichlich Markgräfler Wein einschenkte. Ich tat dies, weil eine junge Straßburgerin, die Soubrette der Truppe, mich auf den ersten Blick interessierte und in mir die Begierde erregte, sie zu besitzen. Das Mädchen hatte ein höchst anziehendes Gesicht und dazu eine köstliche Stimme; ich kam gar nicht aus dem Lachen heraus, wenn sie mit dem sonderbaren Elsässer Akzent italienisch sprach und dazu ihre anmutigen und komischen Gesten machte, die ihrem ganzen Wesen einen schwer zu beschreibenden Reiz gaben.

Ich beschloß, diese junge Schauspielerin gleich am nächsten Tage in meinen Besitz zu bringen, und sagte daher, bevor ich den Gasthof verließ, zur versammelten Truppe: »Meine Damen und Herren, ich nehme Sie für acht Tage, zu fünfzig Gulden täglich, in meinen Dienst, jedoch unter der Bedingung, daß Sie für meine Rechnung spielen und daß Sie die Kosten des Theaters tragen. Ich mache zur Bedingung, daß Sie die Preise der Plätze so ansetzen, wie ich es wünsche, und daß jeden Abend fünf Mitglieder der Truppe, die ich nach meinem Belieben bezeichnen werde, mit mir speisen. Wenn die Einnahme fünfzig Gulden übersteigt, so teilen Sie sich in den Überschuß.«

Mein Vorschlag wurde mit einem Freudengeschrei begrüßt, ich ließ Tinte, Feder und Papier kommen, und wir verpflichteten uns gegenseitig.

»Für morgen,« sagte ich zu Bassi, »lasse ich den Preis der Eintrittskarten so, wie er gestern und heute war; für übermorgen wollen wir einmal sehen. Zum Abendessen für morgen lade ich Sie nebst Ihrer Familie und der jungen Straßburgerin ein, die ich nicht von ihrem lieben Harlekin trennen will.«

Er kündigte für den nächsten Tag ein Stück an, das geeignet war, eine Menge Leute anzulocken; trotzdem waren im Parkett nur etwa zwanzig Leute niederen Standes, und die Logen blieben beinahe leer.

Beim Abendessen kam Bassi, der eine sehr hübsche Vorstellung gegeben hatte, ganz verwirrt auf mich zu und übergab mir zehn oder zwölf Gulden, Ich sagte ihm, er solle nur Mut haben, nahm das Geld und verteilte es unter die anwesenden Gäste. Wir bekamen ein gutes Abendessen, das ich ohne ihr Wissen bestellt hatte, und wir blieben bis Mitternacht bei Tisch. Ich gab ihnen einen guten Wein zu trinken und machte tausend Scherze mit der kleinen Bassi und der hübschen Straßburgerin, die zu meinen Seiten saßen. Ich kümmerte mich wenig um den eifersüchtigen Harlekin, der wegen der Freiheiten, die ich mir mit seiner Schönen herausnahm, böse Gesichter schnitt. Diese ließ sich meine Liebkosungen anscheinend nur ungern gefallen; denn sie hoffte, Harlekin würde sie heiraten, und wollte ihm deshalb keinen Anlaß zum Ärger geben.

Als wir mit dem Essen fertig waren, standen wir auf, und ich schloß sie lachend in meine Arme und erwies ihr einige Liebkosungen, die ihrem Liebhaber ohne Zweifel etwas zu weit gingen, denn er riß sie von mir fort. Diese Unduldsamkeit fand ich nun meinerseits ein wenig grob; ich packte ihn an den Schultern und warf ihn mit Fußtritten zur Tür hinaus, was er sich sehr demütig gefallen ließ. Hierdurch wurde jedoch die Geschichte sehr traurig, denn die schöne Straßburgerin weinte heiße Tränen. Bassi und sein häßliches Weib, die in ihrem Gewerbe abgehärtet waren, machten sich über die arme Weinende lustig, und die junge Bassi sagte zu ihr, ihr Liebhaber sei zuerst unhöflich gegen mich gewesen; aber sie schluchzte weiter und sagte mir schließlich, sie würde nicht mehr mit mir zu Abend essen, wenn ich nicht ein Mittel fände, ihren Liebhaber zu versöhnen.

»Ich verspreche Ihnen,« antwortete ich, »alles zur allgemeinen Zufriedenheit zu ordnen!« Dabei drückte ich ihr vier Zechinen in die Hand und stimmte sie dadurch so heiter, daß bald nicht mehr das kleinste Wölkchen zu sehen war. Sie wollte mich sogar überzeugen, daß sie nicht grausam sei und es noch weniger sein würde, wenn ich so gut wäre, auf Harlekins Eifersucht Rücksicht zu nehmen, Ich versprach ihr alles, was sie wollte, und sie tat ihr Bestes, um mich zu überzeugen, daß sie bei der ersten Gelegenheit vollkommen gefügig sein würde.

Ich befahl Bassi, auf dem Anschlagzettel für den nächsten Tag anzuzeigen, daß die Parkettplätze zwei Gulden und die Logenplätze einen Dukaten kosten, daß dagegen der Olymp für die, die zuerst kamen, gratis eröffnet sein würde.

»Wir werden keinen Menschen sehen!« sagte er entsetzt.

»Das ist möglich; aber wir wollen’s abwarten. Verlangen Sie von der Polizei zwölf Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung; ich werde sie bezahlen.«

»Die werden wir brauchen, um den Pöbel in Schranken zu halten, der die Gratisplätze stürmen wird; aber die übrigen Plätze …«

»Nochmals: wir wollen’s abwarten. Machen Sie es, wie ich es wünsche; ob wir Erfolg haben oder nicht, beim Abendessen werden wir lustig sein wie immer.«

Am nächsten Tage suchte ich Harlekin in seinem Dachkämmerchen auf; ich gab ihm zwei Louis und das feierliche Versprechen, seine Geliebte zu respektieren, und machte ihn dadurch geschmeidig wie einen Handschuh.

Über Bassis Theaterzettel lachte die ganze Stadt. Man sagte, er sei verrückt, als man aber erfuhr, die Spekulation gehe vom Unternehmer aus, und als der Unternehmer bekannt wurde, da wurde ich für verrückt erklärt. Aber was fragte ich danach! Am Abend war der Olymp schon eine Stunde vor Beginn der Vorstellung überfüllt, aber das Parkett war leer, und in den Logen saßen nur drei Personen: Graf Bamberg, der genuesische Abbate Bolo und ein junger Mann, den ich für eine verkleidete Frau hielt.

Die Schauspieler übertrafen sich selber, und der Beifall des Olymps machte die Vorstellung sehr lustig.

Im Gasthof bot Bassi mir die eingenommenen drei Dukaten an; natürlich schenkte ich sie ihm, was für ihn den Anfang zu einem gewissen Wohlstand bedeutete.

Bei Tisch setzte ich mich zwischen Mutter und Tochter Bassi und ließ meine schöne Straßburgerin neben ihrem Liebhaber sitzen. Ich sagte dem Direktor, er solle nur in gleicher Weise fortfahren, die Leute ruhig lachen lassen und immer seine besten Stücke aufführen.

Als das Abendessen und der Wein mich lustig gemacht hatten, ließ ich mich nach meiner Laune mit der jungen Bassi gehen, da ich mit der Straßburgerin wegen ihres Liebhabers nichts anfangen konnte. Die Bassi tat mit Vergnügen alles, was ich wollte; ihr Vater und ihre Mutter lachten nur darüber, während der dumme Harlekin wütend war, daß er es nicht mit seiner Dulzinea ebenso machen konnte. Als ich aber nach dem Essen die Kleine in ihren Naturzustand versetzte und mich selbst im Schmucke Adams zeigte, bevor er den verhängnisvollen Apfel gegessen hatte, da ging der Dummkopf auf die Tür zu, nahm die Straßburgerin am Arm und forderte sie auf, mitzukommen. Nun aber befahl ich ihm mit ernster und gebieterischer Stimme, vernünftig zu sein und dazubleiben. Er war darüber ganz verblüfft und begnügte sich damit, uns den Rücken zuzudrehen. Seine Schöne machte es jedoch nicht wie er: unter dem Vorwande die Kleine zu verteidigen, bei der ich schon ein bequemes Unterkommen gefunden hatte, stellte sie sich so geschickt, daß sie meinen Genuß vermehrte und sich selber einen so großen Genuß verschaffte, wie meine umherschweifende Hand ihr bereiten konnte.

Dieses Bacchanal setzte die alte Bassi in Feuer und Flammen; sie trieb ihren Mann an, ihr einen Beweis seiner ehelichen Zärtlichkeit zu geben, und er tat ihr den Willen, während der bescheidene Harlekin, der ans Feuer getreten war, den Kopf in seinen Händen hielt und unbeweglich dastand. Diese Stellung machte die Straßburgerin, die ganz in Feuer war, sich zunutze: sie gab der Natur nach, ließ mich machen, was ich wollte, und trat am Tischrand an die Stelle der kleinen Bassi, die ich soeben verlassen hatte. Ich vollführte das große Werk in der höchsten Vollendung, und ihr heftiges Drücken bewies mir, daß sie zum mindesten ebenso eifrig bei der Sache war wie ich.

Zum Schluß der Orgie leerte ich meine Börse auf den Tisch aus und weidete mich an der Gier, womit man sich in einige zwanzig Zechinen teilte.

Die Ermüdung infolge der Ausschweifung zu einer Zeit, wo ich meine Kräfte noch nicht vollständig wiedererlangt hatte, hatten mir einen langen Schlaf verschafft. In dem Augenblick, wo ich aufstand, erhielt ich eine Vorladung, im Rathause vor dem Bürgermeister zu erscheinen. Ich war überaus neugierig, zu erfahren, was man von mir wollte, zog mich daher schnell an und ging hin. Ich wußte, daß ich nichts zu befürchten hatte.

Als ich vor dem Bürgermeister erschien, redete er mich auf deutsch an; ich spielte jedoch den Tauben, und zwar aus guten Gründen: denn ich konnte kaum ein paar Worte, um das Allernotwendigste fordern zu können. Als er erfahren hatte, daß ich nicht deutsch verstand, sprach er zu mir lateinisch, kein ciceronianisches, sondern Gelehrtenlatein, wie man es überall auf den deutschen Universitäten zu finden pflegt.

»Warum,« fragte er mich, »tragen Sie einen falschen Namen?«

»Mein Name ist nicht falsch. Erkundigen Sie sich danach bei dem Bankier Carli, der mir fünfzigtausend Gulden ausgezahlt hat.«

»Das weiß ich, aber Sie heißen Casanova und nicht Seingalt; warum nahmen Sie diesen letzteren Namen an?«

»Ich nehme diesen Namen an, oder vielmehr ich habe ihn angenommen, weil er mir gehört. Er gehört mir vollkommen rechtmäßig, und wenn jemand wagen sollte, ihn zu führen, so würde ich mit allen Mitteln und auf jede Weise ihm dieses Recht bestreiten.«

»Ei, wieso gehört Ihnen denn dieser Name?«

»Weil er von mir selber stammt; dieses hindert indessen nicht, daß ich Casanova bin.«

»Mein Herr, Sie sind entweder der eine oder andere. Sie können nicht zwei Namen zu gleicher Zeit haben.«

»Die Spanier und die Portugiesen haben oft ein halbes Dutzend.«

»Sie sind aber weder Spanier noch Portugiese, sondern Italiener. Wie kann man sich überhaupt selber einen Namen machen?«

»Das ist das einfachste und das leichteste Ding von der Welt.«

»Erklären Sie mir das.«

»Das Alphabet ist jedermanns Eigentum; das ist unbestreitbar. Ich habe acht Buchstaben genommen und habe sie so zusammengesetzt, daß sie das Wort Seingalt ergeben. Dieses so gebildete Wort hat mir gefallen, und ich habe es als meinen Zunamen angenommen. Da ich die feste Überzeugung habe, daß niemand vor mir diesen Namen getragen hat, so hat niemand das Recht, ihn mir streitig zu machen, und noch weniger das Recht, ihn ohne meine Einwilligung zu führen.«

»Es ist ein sehr seltsamer Einfall; aber die Gründe, auf die Sie sich stützen, sind ziemlich gesucht; denn Ihr Name kann nur der Ihres Vaters sein.«

»Ich denke, Sie irren sich; denn Ihr eigener Name, den Sie ererbt haben, ist nicht von Ewigkeit her dagewesen; er hat von einem Ihrer Vorfahren gemacht werden müssen, der ihn nicht von seinem Vater empfangen hatte, selbst wenn Sie Adam heißen sollten. Geben Sie dies zu, Herr Bürgermeister?«

»Ich muß es zugeben; aber es ist etwas ganz Neues.«

»Auch da irren Sie sich wieder. Es ist durchaus nichts Neues, sondern im Gegenteil etwas sehr Altes; ich erbiete mich, Ihnen morgen eine ganze Litanei von Namen zu nennen, die sämtlich von sehr ehrenwerten Leuten erfunden wurden, die noch am Leben sind und sich in aller Ruhe dieses Besitzes erfreuen, ohne daß es einem Menschen einfällt, sie aufs Rathaus zu zitieren, um Rechenschaft darüber abzulegen. Voraussetzung ist natürlich, daß sie den Namen nicht nach ihrem Belieben wieder ablegen, denn dadurch würden sie die Gesellschaft schädigen.«

»Sie werden doch zugeben, daß es Gesetze gegen falsche Namen gibt?«

»Gewiß: gegen falsche Namen; aber ich wiederhole Ihnen: mein Name ist vollkommen echt. Der Ihrige, den ich achte, ohne ihn zu kennen, kann nicht echter sein als der meinige; denn möglicherweise sind Sie nicht der Sohn desjenigen, den Sie für Ihren Vater halten.

Er lächelte, stand auf und begleitete mich an die Tür, wo er mir sagte, er werde sich bei Herrn Carli nach mir erkundigen. Da ich ebenfalls zu diesem gehen mußte, so tat ich es sofort. Er lachte über die Geschichte und sagte mir, der Bürgermeister sei Katholik, ein braver und reicher Mann, aber ein bißchen dumm; im ganzen eine gute Haut, mit der man alles machen könnte.

Am nächsten Morgen bat Herr Carli mich um ein Frühstück und lud mich ein, mit ihm bei demselben Bürgermeister zu Mittag zu essen. »Ich habe ihn gestern gesehen,« sagte er, »und in einer langen Besprechung, die ich mit ihm hatte, habe ich seine Bedenken in bezug auf Namen so gründlich widerlegt, daß er jetzt vollkommen Ihrer Ansicht ist.«

Ich nahm die Einladung mit Vergnügen an; denn ich sah voraus, daß ich gute Gesellschaft finden würde. Ich täuschte mich nicht; es waren reizende Frauen und mehrere liebenswürdige Herren da. Unter anderen fand ich auch die verkleidete Dame, die ich in der Komödie gesehen hatte. Ich ließ es mir angelegen sein, sie während des Essens zu beobachten, und überzeugte mich bald, daß mein Urteil richtig gewesen war. Alle Anwesenden sprachen jedoch mit ihr, wie wenn sie ein Mann gewesen wäre, und sie führte ihre Rolle sehr gut durch. Ich war in heiterer Stimmung und wollte nicht für einen Dummkopf gelten; darum griff ich sie höflichst in schonendem Tone an, richtete nur galante Bemerkungen an sie, wie an eine Frau; in meinen Anspielungen und zweideutigen Bemerkungen drückte ich, wenn auch nicht die sichere Überzeugung von ihrem Geschlecht, so doch mehr als Zweifel aus. Sie tat, wie wenn sie nichts davon merkte und die Gesellschaft lachte verstohlen über meinen vermeintlichen Irrtum.

Als wir nach Tisch den Kaffee einnahmen, zeigte der angebliche Herr einem Kanonikus ein Porträt an einem Ringe, den er am Finger trug. Dieses Porträt stellte ein in der Gesellschaft anwesendes Fräulein dar und war sehr ähnlich, was nicht schwer war, da das Original häßlich war. Meine Überzeugung wurde hierdurch erschüttert, aber ich wurde nachdenklich, als ich sah, wie er ihr mit achtungsvoller Zärtlichkeit die Hand küßte; ich unterließ von nun an meine Scherze. Herr Carli benutzte einen günstigen Augenblick, um mir zu sagen, daß er trotz seinem weiblichen Aussehen ein Mann sei und im Begriff stehe, das Fräulein zu heiraten, dem er die Hand geküßt habe.

»Das kann sein,« antwortete ich; »aber ich kann es kaum begreifen.« Tatsächlich heiratete er sie jedoch während des Karnevals und erhielt eine glänzende Mitgift; aber nach einem Jahr starb das arme betrogene Mädchen vor Kummer, dessen Grund sie erst auf dem Totenbette angab. Ihre dummen Eltern schämten sich, daß sie sich auf so plumpe Weise hatten betrügen lassen, und wagten nichts zu sagen. Sie ließen das betrügerische Frauenzimmer verschwinden, das so vorsichtig gewesen war, die Mitgift zur rechten Zeit in Sicherheit zu bringen. Noch jetzt lacht die gute Stadt Augsburg über diese Geschichte, die bald bekannt wurde; sie verschaffte mir, allerdings ein bißchen zu spät, einen Ruf von großem Scharfsinn.

Ich genoß mein Leben mit meinen beiden Tischgenossinnen und mit der schönen Straßburgerin, die mir etwa hundert Louis kostete. Nach acht Tagen entließ ich Bassi aus seinem Vertrage, der ihm inzwischen einiges Geld eingebracht hatte. Er spielte weiter, indem er die Plätze wieder für den gewöhnlichen Preis hergab und den freien Eintritt zum Olymp wieder aufhob. Er machte ziemlich gute Geschäfte.

Gegen Mitte Dezember verließ ich Augsburg.

Ich war sehr traurig wegen der reizenden Gertrud, die sich für schwanger hielt, sich aber nicht entschließen konnte, mit mir nach Frankreich zu reisen. Ich hätte sie gerne mitgenommen, und ihr Vater wäre damit einverstanden gewesen; da er nicht daran dachte, ihr einen Mann zu verschaffen, hätte er sich gefreut, wenn er sie mir hätte zur Freundin geben und dadurch los werden können.

In fünf oder sechs Jahren später werden wir wieder von diesem guten Mädchen wie auch von der ausgezeichneten Köchin Anna Midel sprechen, der ich vierhundert Gulden schenkte. Sie verheiratete sich nach einiger Zeit, und als ich zum zweiten Male nach Augsburg kam, hatte ich den Schmerz, sie unglücklich zu finden.

Leduc, dem ich nicht hatte verzeihen können, reiste auf dem Kutscherbock; als wir in Paris waren, ließ ich ihn mitten in der Rue St. Antoine mit seinem Koffer absteigen und auf der Straße stehen, ohne ihm ein Zeugnis zu geben, so sehr er mich auch bat. Ich habe niemals wieder etwas von ihm gehört und bedaure seinen Verlust noch jetzt, denn er war ein ausgezeichneter Diener, obgleich er sehr große Fehler hatte. Vielleicht hätte ich mich der wichtigen Dienste erinnern sollen, die er mir in Stuttgart, Solothurn, Neapel, Florenz und Paris geleistet hatte; aber ich war entrüstet über die Frechheit, womit er mich vor dem Augsburger Magistrat bloßgestellt hatte. Ich wäre entehrt gewesen, wenn mein Geist mir nicht das Mittel eingegeben hätte, ihn eines Diebstahls zu überführen, dessen man sonst mich für schuldig gehalten hätte.

Ich hatte viel für ihn getan, indem ich ihn aus den Händen der Gerechtigkeit errettete; übrigens hatte ich ihn in freigebigster Weise jedesmal belohnt, so oft ich mich seiner Treue oder seines Gehorsams zu erfreuen gehabt hatte.

Von Augsburg reiste ich über Konstanz nach Basel, wo ich im teuersten Gasthof der Schweiz abstieg. Der Besitzer Imhoff war ein Schinder allerersten Ranges; ich fand jedoch seine Töchter liebenswürdig, und nachdem ich mich drei Tage amüsiert hatte, setzte ich meinen Weg fort. Am letzten Tage des Jahres 1761 kam ich in Paris an und stieg in der Rue du Bac in der Wohnung ab, die meine Vorsehung, Frau von Urfé, mit ausgesuchter Eleganz für mich hatte einrichten lassen.

In dieser hübschen Wohnung verbrachte ich volle drei Wochen, ohne irgendwohin zu gehen, um die gute Dame zu überzeugen, daß ich nur nach Paris zurückgekehrt wäre, um mein Wort einzulösen und ihre Wiedergeburt als Mann zu bewirken.

Wir machten während dieser drei Wochen die nötigen Vorbereitungen für die göttliche Operation. Diese bestand darin, jedem der Genien der sieben Planeten an den ihnen geweihten Tagen einen besonderen Kultus darzubringen. Nach diesen Vorbereitungen sollte ich an einem Ort, der mir durch Eingebung der Genien bekannt werden würde, eine Jungfrau, Tochter eines Adepten, abholen und diese durch ein Mittel, das nur den Rosenkreuzern bekannt wäre, mit einem Knaben befruchten. Dieser Sohn sollte lebend geboren werden, aber nur mit einer sensitiven Seele begabt sein. Frau von Urfé sollte ihn im Augenblick seiner Geburt in ihren Armen empfangen und ihn sieben Tage lang in ihrem eigenen Bett bei sich behalten. Nach Ablauf dieser sieben Tage sollte sie sterben und dabei ihren Mund auf den des Kindes gepreßt halten, das auf diese Weise ihre intelligente Seele empfangen würde.

Nach dieser Seelenvertauschung sollte mir die Aufgabe zufallen, das Kind mit dem mir bekannten Zaubermittel aufzuziehen; sobald das Kind das dritte Jahr erreicht hätte, sollte Frau von Urfé in ihm wieder zum Bewußtsein gelangen, und alsdann sollte ich beginnen, sie in die vollkommensten Kenntnisse der Großen Wissenschaft einzuweihen.

Die Operation sollte während des Vollmondes im April, Mai oder Juni stattfinden. Vor allen Dingen sollte Frau von Urfé ein Testament in aller Form machen, um das Kind, dessen Vormund ich bis zu seinem dreizehnten Jahre sein sollte, als Universalerben einzusetzen.

Die erhabene Wahnsinnige fand, die Operation sei von einer in die Augen springenden Wahrheit; sie brannte vor Ungeduld, die Jungfrau zu sehen, die das auserwählte Gefäß sein sollte, und bat mich dringend, meine Reise zu beschleunigen.

Indem ich mein Orakel in dieser Weise sprechen ließ, hatte ich gehofft, ihr einigen Widerwillen einzuflößen; denn schließlich mußte sie doch dabei sterben, und ich rechnete auf die natürliche Lebenslust, um die Sache in die Länge zu ziehen. Da ich jedoch fand, daß genau das Gegenteil der Fall war, so sah ich mich in die Notwendigkeit versetzt, ihr wenigstens dem Anschein nach Wort zu halten und die geheimnisvolle Jungfrau herbeizuschaffen.

Ich sah, daß ich eine Spitzbübin brauchte, die ich abrichten mußte, und ich warf meine Augen auf die Corticelli. Sie mußte seit neun Monaten in Prag sein, und ich hatte ihr in Bologna versprochen, sie vor Ablauf des Jahres zu besuchen. Aber ich kam aus Deutschland, von wo ich nicht allzu angenehme Erinnerungen mitgebracht hatte, und die Reise erschien mir zu lang für die Jahreszeit, besonders wegen einer so unbedeutenden Sache. Ich beschloß daher, mir die Mühe dieser Reise zu ersparen und sie nach Frankreich kommen zu lassen, indem ich ihr das nötige Reisegeld schickte und ihr den Ort bezeichnete, wo ich sie erwarten würde. Ein Freund der Frau von Urfé, Herr von Fouquet, war Intendant von Metz; ich war überzeugt, daß dieser hohe Herr mir einen ausgezeichneten Empfang bereiten würde, wenn ich mich ihm mit einem Briefe seiner Freundin vorstellte. Außerdem war sein Neffe, Graf von Lastic, den ich sehr gut kannte, dort bei seinem Regiment. Aus diesen Gründen wählte ich Metz, um dort die Jungfrau Corticelli zu erwarten, die wohl kaum erwartete, daß ich sie zu einer solchen Rolle bestimmte. Nachdem mir Frau von Urfé so viele Empfehlungen gegeben hatte, wie ich wünschte, verließ ich Paris am 25. Januar 1762, reich beladen mit Geschenken und mit starken Kreditbriefen versehen, von welchen ich keinen Gebrauch machte, weil meine Börse überreichlich gefüllt war.

Ich nahm keinen Bedienten, denn nach Costas Diebstahl und Leducs Gaunerei hatte ich das Gefühl, daß ich mich keinem mehr anvertrauen dürfte. In zwei Tagen gelangte ich nach Metz, wo ich in dem ausgezeichneten Gasthof Zum König Dagobert abstieg. Ich fand dort den schwedischen Grafen Löwenhaupt, den ich bei der in Paris lebenden Fürstin von Anhalt-Zerbst, der Mutter der Kaiserin von Rußland, kennen gelernt hatte. Er lud mich zum Abendessen mit dem Herzog von Zweibrücken ein, der allein und inkognito nach Paris reiste, um Ludwig dem Fünfzehnten, dessen treuer Freund er bis zu seinem Tode war, einen Besuch zu machen.

Am Tage nach meiner Ankunft gab ich meinen Brief beim Intendanten ab, der mich für alle Tage zum Mittagessen einlud. Herr von Lastic war nicht in Metz; dieses tat mir leid, denn er würde viel dazu beigetragen haben, meinen Aufenthalt in der schönen Stadt angenehm zu machen. Am selben Tage schickte ich fünzig Louis an die Corticelli und schrieb ihr, sie möchte mit ihrer Mutter zu mir kommen, sobald sie frei wäre, und sich von einem des Weges kundigen Mann begleiten lassen. Sie konnte Prag erst zu Beginn der Fastenzeit verlassen; um sicher zu sein, daß sie mich nicht im Stich lassen würde, versprach ich ihr in meinem Brief, ihr Glück zu machen.

In vier oder fünf Tagen war ich in der Stadt sehr gut bekannt, ich vermied jedoch Gesellschaften, um ins Theater zu gehen, wo eine Dame der komischen Oper mich gefesselt hatte. Sie hieß Raton und war fünfzehn Jahre alt, das heißt, nach der Mode der Bühnenkünstlerinnen, die stets mindestens zwei oder drei Jahre unterschlagen – eine Schwäche übrigens, die allen Frauen gemeinsam ist, und die man ihnen wohl vergeben muß, da für sie Jugend der höchste Vorzug ist. Raton war nicht eigentlich schön, aber sehr anziehend; besonders aber wurde sie deshalb begehrt, weil sie ihre Jungfernschaft zum Preise von fünfundzwanzig Louis ausgeboten hatte. Für einen Louis konnte man eine Nacht mit ihr zubringen, um den Versuch zu machen; die fünfundzwanzig sollten erst fällig sein, wenn es dem Neugierigen gelingen würde, das Werk zu vollbringen.

Es war stadtkundig, daß mehrere Offiziere und junge Parlamentsräte den Versuch erfolglos gemacht hatten; jeder hatte seinen Louis bezahlt.

Die Geschichte war zu pikant, als daß ich dem Wunsch hätte widerstehen können, einen Versuch zu machen. Ich ließ mich also sofort vormerken; da ich mich aber nicht anführen lassen wollte, traf ich meine Vorsichtsmaßregeln. Ich sagte der Schönen, sie solle zu mir zum Souper kommen; ich würde ihr fünfundzwanzig Louis geben, wenn ich vollständig glücklich wäre; im entgegengesetzten Fall jedoch sollte sie sechs Louis statt einen erhalten, vorausgesetzt, daß sie nicht versperrt wäre. Ihre Tante versicherte mir, diesen Mangel würde ich nicht an ihr finden. Ich erinnerte mich Victorinens.

Raton kam mit ihrer Tante, die uns nach Tisch verließ, um die Nacht in einer Nebenkammer zu verbringen. Das Mädchen war ein Meisterwerk vollendeter Formen, und mich berauschte der Gedanke, das liebliche, lachende Geschöpf ganz zu meiner Verfügung zu haben und für die Eroberung dieses, nicht goldenen, sondern ebenholzschwarzen Vlieses zu streiten, das die glänzendste Jugend von Metz vergeblich zu erringen sich bemüht hatte. Der Leser wird vielleicht denken, daß mich, der ich nicht mehr in der ersten Jugendkraft stand, die vergeblichen Bemühungen so vieler anderer hätten entmutigen sollen; aber ganz im Gegenteil: ich kannte mich und lachte nur darüber. Die Herren, die den Versuch unternommen hatten, waren Franzosen, die es besser verstanden, Festungen mit Sturm zu nehmen als die List einer jungen Spitzbübin zu vereiteln, die sich beiseite zu stehlen weiß. Als Italiener kannte ich das, und ich hatte meine Vorbereitungen getroffen, so daß ich nicht am Siege zweifelte.

Aber meine Vorbereitungen waren überflüssig, denn sobald Raton in meinen Armen lag und an der Art meines Angriffs merkte, daß ihre List wirkungslos war, kam sie meinen Wünschen entgegen, ohne den Betrug zu versuchen, der sie in den Augen unerfahrener Kämpfer als etwas erscheinen ließ, was sie nicht mehr war. Sie gab sich ehrlich hin, und als ich ihr Geheimhaltung versprach, erwiderte sie Glut mit Glut. Sie war nicht mehr bei ihrem ersten Probestück, und ich hätte folglich nicht mehr nötig gehabt, ihr die fünfundzwanzig Louis zu geben; aber ich war zufrieden, und da mir an der Erstlingsschaft wenig lag, so belohnte ich sie, wie wenn ich der erste gewesen wäre, der von dieser Traube naschte.

Ich behielt Raton bis zur Ankunft der Corticelli für einen Louis täglich bei mir, und sie mußte mir wohl treu bleiben, denn ich ließ sie nicht aus den Augen. Der Umgang mit diesem jungen Mädchen, das einen durchaus liebenswürdigen Charakter hatte, bekam mir so wohl, daß es mir sehr leid tat, meine Italienerin erwarten zu müssen, deren Ankunft man mir eines Tages in dem Augenblick meldete, als ich aus meiner Loge trat, um mich nach Hause zu begeben. Mein Lohndiener sagte mir laut, meine Frau Gemahlin mit meiner Tochter und einem Herrn sei soeben aus Frankfurt angekommen und erwarte mich im Gasthof.

»Dummkopf,« sagte ich zu ihm, »ich habe weder Frau noch Tochter.«

Trotzdem wußte am nächsten Tage ganz Metz, daß meine Familie angekommen sei.

Die Corticelli fiel mir nach ihrer Gewohnheit lachend um den Hals, und die Alte stellte mir den ehrenwerten Herrn vor, der sie von Prag nach Metz begleitet hatte. Es war ein Italiener, namens Monti, der seit langen Jahren in Prag wohnte, wo er italienischen Unterricht gab. Ich ließ Herrn Monti und der Alten eine anständige Wohnung geben, und dann führte ich den jungen Tollkopf auf mein Zimmer. Ich fand sie zu ihrem Vorteil verändert: sie war größer geworden, ihre Formen hatten sich mehr entwickelt, und ihre anmutigen Manieren machten vollends aus ihr ein sehr hübsches Mädchen.

Siebzehntes Kapitel


Ich kehre mit der zur Gräfin Lascaris gemachten Corticelli nach Paris zurück. – Mißlungene Geschlechtsverwandlung. – Aachen. – Zweikampf. – Mimi d’Ache. – Verrat der Corticelli, der jedoch auf sie selbst zurückfällt. – Reise nach Sulzbach.

»Und warum, du Närrin, hast du deiner Mutter erlaubt, sich für meine Frau auszugeben; glaubst du, dies sei für mich sehr schmeichelhaft? Sie hätte sich für deine Gesellschaftsdame ausgeben müssen, wenn sie dich für meine Tochter gelten lassen wollte.«

»Meine Mutter ist eigensinnig; sie würde sich lieber prügeln lassen als für meine Gesellschaftsdame gelten. Denn in ihrem beschränkten Verstande verwechselt sie die Bedeutung von Gesellschaftsdame und Kupplerin.«

»Das ist dumm und verrückt; aber ich werde sie mit Güte oder mit Gewalt zur Vernunft bringen. Du bist ja, wie ich sehe, gut ausgestattet; es ist dir also gut ergangen?«

»Ich hatte in Prag den Grafen N… gewonnen, und dieser war freigebig. Vor allem aber, lieber Freund, bitte ich dich, Herrn Monti nach Hause zu schicken. Der brave Mann hat seine Familie in Prag: er kann nicht lange hier bleiben.«

»Du hast recht, ich werde ihn sofort heimschicken.«

Der Postwagen fuhr am selben Abend nach Frankfurt ab; ich ließ Monti rufen, dankte ihm für seine Gefälligkeit und belohnte ihn reichlich; er reiste sehr zufrieden ab.

Da ich in Metz nichts mehr zu tun hatte, verabschiedete ich mich von meinen neugewonnenen Bekannten. Die zweite Nacht schlief ich in Nancy und schrieb von dort aus an Frau von Urfé, ich käme mit meiner Jungfrau, dem letzten Sproß der Familie Lascaris, die in Konstantinopel regiert hätte. Ich bat sie, das junge Mädchen aus meinen Händen in einem Landhause zu empfangen, das ihrer Familie gehörte, und wo wir notwendigerweise einige Tage bleiben müßten, um uns mit etlichen kabbalistischen Zeremonien zu beschäftigen.

Sie antwortete mir, sie erwarte mich in Pont-Carré, einem alten Schloß, vier Stunden von Paris, und werde dort die junge Prinzessin mit aller Freundschaft empfangen, die sie nur wünschen könne.

»Ich schulde ihr dies um so mehr,« schrieb die großartige Närrin, »da die Familie Lascaris mit der Familie Urfé verschwägert ist, und da ich aus der Frucht wiedererstehen soll, die dem Schoße dieser glücklichen Jungfrau entsprießen wird.«

Ich fühlte, daß ich ihre Begeisterung zwar nicht abkühlen, wohl aber in Zaum halten konnte und von Ausbrüchen abhalten mußte. Ich schrieb ihr daher sofort über dieses Kapitel und setzte ihr auseinander, warum sie sich damit begnügen müsse, das Mädchen als Gräfin zu behandeln. Zum Schluß meldete ich ihr, wir würden mit der Gesellschaftsdame der jungen Lascaris am Montag der Karwoche eintreffen.

Ich verbrachte in Nancy ein Dutzend Tage damit, meinem jungen Tollkopf Instruktionen zu geben und ihre Mutter davon zu überzeugen, daß sie sich damit begnügen müßte, die bescheidene Dienerin der Gräfin Lascaris zu sein. Dies gelang mir mit großer Mühe; ich mußte ihr nicht nur vorstellen, daß ihr Glück von ihrem unbedingten Gehorsam abhänge, sondern ich mußte ihr sogar drohen, sie allein nach Bologna zurückzuschicken. Ich habe meine Hartnäckigkeit tief bereut. Der Eigensinn der alten Frau war eine Eingebung meines guten Geistes, der mir den schwersten Fehler ersparen wollte, den ich je in meinem Leben begangen habe!

Am verabredeten Tage kamen wir in Pont-Carré an. Frau von Urfé, der ich die Stunde unserer Ankunft angezeigt hatte, ließ die Zugbrücke des Schlosses herunter und stand über dem Tor inmitten aller ihrer Leute, wie ein General, der uns die Festung mit allen Kriegsehren hätte übergeben wollen. Die liebe Dame, die nur darum verrückt war, weil sie zu viel Geist hatte, empfing die falsche Prinzessin so ausgezeichnet, daß diese sehr erstaunt darüber gewesen wäre, hätte ich sie nicht vorsichtigerweise darauf vorbereitet. Sie drückte sie mit überströmender mütterlicher Zärtlichkeit dreimal in ihre Arme, nannte sie ihre herzlich geliebte Nichte und erzählte ihr die ganze Genealogie der Häuser Urfé und Lascaris, um ihr nachzuweisen, inwiefern sie ihre Tante wäre. Es überraschte mich sehr angenehm, daß die ausgelassene Italienerin ihr mit einer Miene herablassender Würde zuhörte und nicht einen Augenblick lachte, obgleich ihr diese Komödie sehr lächerlich erscheinen mußte.

Sobald wir das Haus betreten hatten, brachte die Fee geheimnisvolle Rauchopfer; sie beräucherte die Neuangekommene, die diese Ehre mit der ganzen Bescheidenheit einer Operngöttin hinnahm und sich hierauf in die Arme der Priesterin stürzte, die sie mit der größten Begeisterung empfing.

Bei Tisch war die Gräfin lustig, anmutig und unterhaltsam; dies gewann ihr die Liebe von Frau von Urfé, die durchaus nicht erstaunt war, daß sie nur gebrochen französisch sprach. Dame Laura, die nur italienisch verstand, kam gar nicht in Betracht. Man gab ihr ein gutes Zimmer; sie aß dort und verließ es nur, um in die Messe zu gehen.

Schloß Pont-Carré war eine Art Festung, die zur Zeit der Bürgerkriege mehrere Belagerungen bestanden hatte. Das Schloß war viereckig, wie schon sein Name besagt; an den vier Ecken befanden sich zinnengekrönte Türme, und es war von einem breiten Graben umgeben. Die Gemächer waren groß und reich, aber altertümlich möbliert. Die Luft wurde von giftigen Mücken verpestet, die uns beinahe aufaßen und uns sehr schmerzhafte Beulen im Gesicht verursachten; ich hatte mich jedoch verpflichtet, acht Tage dort zu verbringen, und es wäre für mich sehr schwer gewesen, einen Vorwand zu finden, um diese Zeit abzukürzen. Die Schloßherrin ließ neben ihrem Bett ein zweites für ihre Nichte aufschlagen; ich hatte jedoch nicht zu befürchten, daß sie versuchen würde, sich von ihrer Jungfernschaft zu überzeugen, denn das Orakel hatte ihr dies verboten, mit der Drohung, daß dadurch die Operation, die wir auf den vierzehnten Tag des Aprilmondes angesetzt hatten, wirkungslos bleiben würde.

An jenem Tag nahmen wir ein einfaches Abendessen ein, worauf ich mich zu Bett legte. Eine Viertelstunde darauf fühlte Frau von Urfé mir die Jungfrau Lascaris zu. Sie entkleidete sie, parfümierte sie und legte ihr einen herrlichen Schleier an. Nachdem sie sie an meine Seite gelegt hatte, blieb sie; denn sie wollte bei der Operation anwesend sein, deren Ergebnis neun Monate später ihre Wiedergeburt sein sollte.

Der Akt wurde in aller Form vollzogen; als dies geschehen war, ließ die Schloßherrin uns für die Nacht allein, die wir aufs beste anwendeten. Hierauf schlief die Gräfin bis zum letzten Tage des Mondes bei ihrer Tante. An diesem Tage mußte ich das Orakel befragen, um zu erfahren, ob die junge Lascaris nach meiner Operation, empfangen habe. Dies konnte wohl sein, denn es war nichts versäumt worden, um dieses Ziel zu erreichen; ich hielt es jedoch für vorsichtiger, ihr antworten zu lassen, die Operation sei mißlungen, weil der kleine d’Aranda hinter einem Bettschirm alles gesehen habe. Frau von Urfé war in Verzweiflung darüber; ich tröstete sie jedoch durch eine zweite Antwort, worin das Orakel ihr sagte, was im Aprilmonat in Frankreich nicht gelungen sei, könne wohl im Maimonat außerhalb des Königreichs gelingen; sie müsse jedoch den neugierigen Knaben, dessen Einfluß so verhängnisvoll gewesen sei, mindestens auf ein Jahr hundert Meilen von Paris fortschaffen. Das Orakel gab zugleich an, wie d’Aranda reisen sollte: er müßte einen Hofmeister, einen Bedienten und eine gute Ausstattung haben.

Das Orakel hatte gesprochen, mehr war nicht nötig. Frau von Urfé dachte sofort an einen Abbé, den sie liebte, und der junge d’Aranda wurde mit dringenden Empfehlungen an ihren Verwandten Herrn von Rochebaron nach Lyon geschickt. Der Jüngling war hocherfreut, daß er auf Reisen gehen solle, und hat niemals die geringste Ahnung von der kleinen Verleumdung gehabt, die ich mir erlaubte, um ihn zu entfernen. Daß ich so handelte, geschah nicht aus reiner Laune. Ich hatte auf das deutlichste bemerkt, daß die Corticelli in ihn verliebt war und daß ihre Mutter das Verhältnis begünstigte. Ich hatte sie zweimal auf ihrem Zimmer mit dem jungen Mann überrascht, der sich aus ihr nicht mehr machte, als ein heranwachsender Jüngling sich überhaupt aus Mädchen macht. Da ich die Absichten meiner Italienerin nicht billigte, so ärgerte Signora Laura sich, daß ich mich der Neigung ihrer Tochter widersetzte.

Die Hauptsache war nun, den Ort im Auslande zu bestimmen, wohin wir uns begeben sollten, um die geheimnisvolle Operation zu erneuern. Wir entschieden uns für Aachen, und in fünf oder sechs Tagen war alles zu unserer Reise bereitet.

Die Corticelli war böse auf mich, daß ich ihr den Gegenstand ihrer Liebe entrissen hatte. Sie machte mir heftige Vorwürfe darüber und begann sich ungezogen gegen mich zu benehmen; sie verstieg sich sogar zu Drohungen, falls ich den hübschen Jungen, wie sie ihn nannte, nicht zurückkommen ließe.

»Es kommt Ihnen nicht zu, eifersüchtig zu sein,« sagte sie zu mir, »ich bin meine eigene Herrin.«

»Zugegeben, meine Schöne; aber in der Lage, in die ich dich versetzt habe, kommt es mir zu, dich davon abzuhalten, daß du dich wie eine Prostituierte beträgst.«

Die Mutter wurde wütend und sagte nur, sie wolle mit ihrer Tochter nach Bologna zurückkehren; um sie zu beruhigen, versprach ich ihr, ich würde sie nach unserer Aachener Reise selber hinbringen.

Trotz dieser scheinbaren Aussöhnung war ich nicht ruhig; ich befürchtete Scherereien und beschleunigte daher meine Abreise. Im Mai fuhren wir ab. In einer Berline saß ich mit Frau von Urfé, der falschen Lascaris und einem Kammermädchen namens Brognole. Ein zweisitziges Kabriolett folgte; in ihm fuhren Signora Laura und eine Kammerzofe. Zwei Bediente in großer Livree saßen auf dem Bock der Berline. Wir ruhten uns einen Tag in Brüssel aus und einen zweiten in Lüttich. In Aachen fanden wir eine große Menge sehr vornehmer Fremde, und auf dem ersten Ball stellte Frau von Urfé meine Lascaris zwei mecklenburgischen Prinzessinen als ihre Nichte vor. Die falsche Gräfin empfing ihre Freundlichkeiten mit bescheidener Anmut; sie erregte die besondere Aufmerksamkeit des Markgrafen von Bayreuth und seiner Tochter, der Herzogin von Württemberg, die sie völlig in Beschlag nahmen und sie erst am Ende des Balles wieder freigaben. Ich stand wie auf Dornen, denn ich hatte Angst, meine Heldin möchte sich durch irgendeinen Kulissenstreich verraten. Sie tanzte mit einer Anmut, die ihr die Aufmerksamkeit und den Beifall der ganzen Gesellschafft verschaffte. Man machte mir Komplimente darüber. Ich litt Höllenqualen, denn diese Komplimente kamen mir boshaft vor; ich glaubte, jeder hätte in der Gräfin die verkleidete Operntänzerin erraten, und ich hielt mich für entehrt. Als ich einen Augenblick Gelegenheit hatte, mit dem ausgelassenen Mädchen unter vier Augen zu sprechen, beschwor ich sie, wie ein Fräulein von Stande und nicht wie eine Ballettfigurantin zu tanzen; sie aber war stolz auf ihre Erfolge und wagte mir zu antworten, ein Fräulein von Stande könne recht wohl wie eine Tänzerin tanzen; sie würde niemals sich dazu herbeilassen, mir zuliebe schlecht zu tanzen. Dieses Benehmen machte mir die Schamlose so zum Ekel, daß ich mich ihrer sofort entledigt haben würde, hätte ich nur gewußt, wie ich es anfangen sollte. Innerlich gelobte ich ihr jedoch, aufgeschoben sollte nicht aufgehoben sein. Mag es ein Laster oder eine Tugend sein – die Rache erlischt in meinem Herzen erst, wenn sie befriedigt ist.

Am Tage nach diesem Ball schenkte Frau von Urfé ihr ein Schmuckkästchen mit einer sehr schönen brillantenbesetzten Uhr, ein paar Ohrringen mit Diamanten und einen Ring, dessen Kasten eine fünfzehnkarätige Diamantrose trug. Das Ganze hatte einen Wert von sechzigtausend Franken. Ich nahm den Schmuck an mich, damit sie nicht auf den Einfall käme, ohne meine Einwilligung abzureisen.

Um mir die Langeweile zu vertreiben, spielte ich; ich verlor mein Geld und machte schlechte Bekanntschaften. Die schlechteste von allen aber war die eines jungen Offiziers d’Aché, der eine hübsche Frau und noch hübschere Tochter hatte. Diese Tochter bemächtigte sich bald des Platzes, den die Corticelli bereits nur noch sehr oberflächlich in meinem Herzen eingenommen hatte; sobald jedoch Frau von Aché bemerkte, daß ich ihre Tochter ihr vorzog, nahm sie meine Besuche nicht mehr an.

Ich hatte d’Aché zehn Louis geliehen und glaubte mich daher bei ihm über das Benehmen seiner Frau beklagen zu dürfen; er antwortete mir jedoch in scharfem Ton: da ich nur wegen der Tochter in seine Wohnung komme, so habe seine Frau recht. Seine Tochter könne Anspruch darauf machen, einen Gatten zu finden, und wenn ich gute Absichten habe, brauche ich mich nur ihrer Mutter zu erklären. An diesen Worten war allerdings weiter nichts beleidigend als der Ton, aber ich fühlte mich durch diesen wirklich verletzt; da ich jedoch den Mann als einen rohen Grobian und Trunkenbold kannte, der stets bereit war, um ein Ja oder Nein die Klinge zu kreuzen, so entschloß ich mich, zu schweigen und die Tochter zu vergessen; denn ich wollte mich nicht mit einem solchen Menschen bloßstellen.

Ich war von meiner Phantasie für die Tochter einigermaßen geheilt, als ich vier Tage nach diesem Gespräch einen Billardsaal betrat, wo d’Aché mit einem Schweizer Offizier in schwedischen Diensten, namens Schmitt, spielte. Als d’Aché mich erblickte, fragte er mich, ob ich um die zehn Louis wetten wolle, die er mir schuldig sei. Da die Partie gerade begann, so antwortete ich ihm: »Topp! Also zwanzig oder nichts!«

Als gegen Ende der Partie d’Aché sich im Nachteil sah, machte er einen so offenbar unredlichen Stoß, daß der Billardkellner es ihm sagte; d’Aché aber, der durch diesen Stoß gewonnen hatte, bemächtigte sich des Goldes, das im Beutel lag, und steckte es in die Tasche, ohne auf die Bemerkungen des Kellners und seines Gegners zu achten. Als dieser sich angeführt sah, versetzte er dem Gauner mit dem Queue einen Schlag übers Gesicht. D’Aché hatte den Schlag gemildert, indem er ihn zum Teil mit dem Arm parierte, er zog den Degen und stürzte sich auf Schmitt, der waffenlos war. Der Kellner, ein kräftiger junger Mensch, packte d’Aché um den Leib und verhinderte den Mord. Der Schweizer ging hinaus und sagte: »Auf Wiedersehen.«

Der Spitzbube war inzwischen ruhig geworden, er sah mich an und sagte: »Wir sind also quitt.«

»Sehr quitt.«

»Das ist alles ganz schön, aber zum Teufel nochmal, Sie waren in der Lage, mir eine Beschimpfung zu ersparen, die mich entehrt.«

»Ich hätte das gekonnt, aber mich zwang nichts dazu, übrigens müssen Sie Ihre Rechte kennen. Schmitt hatte seinen Degen nicht bei sich; aber ich halte ihn für einen beherzten Mann, und er wird Ihnen Genugtuung geben, wenn Sie Mut genug haben, ihm sein Geld wiederzugeben, da Sie nun doch mal verloren haben.«

Ein Offizier, namens de Pyène, nahm mich auf die Seite und sagte mir, er würde mir selber die zwanzig Louis bezahlen, die d’Aché in die Tasche gesteckt hätte; aber Schmitt müßte ihm mit dem Degen in der Hand Genugtuung geben. Ich versprach ihm ohne Zaudern, daß der Schweizer diese Pflicht erfüllen würde, und erbot mich, ihm am nächsten Tage eine bejahende Antwort nach derselben Stelle zu überbringen.

Ich konnte nicht daran zweifeln, daß Schmitt mich nicht Lügen strafen würde: ein Ehrenmann, der eine Waffe trägt, muß stets bereit sein, sich ihrer zu bedienen, um eine Beleidigung zurückzuweisen, die seine Ehre verletzt, oder um für eine Beleidigung, die er etwa zugefügt hat, Genugtuung zu geben. Ich weiß, dies ist ein Vorurteil, das man, vielleicht mit Recht, barbarisch nennt. Aber es gibt gesellschaftliche Vorurteile, denen ein Mann von Ehre sich nicht entziehen kann, und ich hielt Schmitt für einen tadellosen Mann.

Bei Tagesanbruch begab ich mich zu ihm; er lag noch im Bett und sagte, sobald er mich sah: »Ich bin überzeugt, Sie wollen mich einladen, mich mit d’Aché zu schlagen. Ich bin gern bereit, einen Schuß loszuknallen, wenn ihm das Vergnügen macht, aber nur unter der Bedingung, daß er mir die zwanzig Louis bezahlt, die er mir gestohlen hat.«

»Sie bekommen sie morgen früh; ich werde Ihnen zur Seite stehen. D’Achés Sekundant wirb Herr von Pyène sein.«

»Abgemacht. Ich werde Sie mit Tagesanbruch hier erwarten.«

Zwei Stunden später kam ich mit Pyène zusammen, und wir verabredeten, daß das Zusammentreffen am nächsten Morgen sechs Uhr mit zwei Pistolen stattfinden sollte. Als Ort wählten wir einen Garten, der eine halbe Stunde von der Stadt lag.

Mit Tagesanbruch fand ich meinen Schweizer vor der Tür seiner Wohnung; er summte den Kuhreigen, der seinen Landsleuten so teuer ist. Dies schien mir ein gutes Vorzeichen zu sein.

»Da sind Sie ja! Gehen wir.«

Unterwegs sagte er: »Ich habe mich stets nur mit anständigen Leuten geschlagen, und es kommt mir hart an, daß ich einen Spitzbuben töten soll; das wäre ein Henkersgeschäft.«

»Ich begreife,« erwiderte ich, »daß es sehr unangenehm ist, sein Leben gegen solche Leute zu wagen.«

»Ich wage nichts dabei,« sagte Schmitt lachend; »denn ich bin sicher, daß ich ihn töten werde.«

»Sicher? Warum?«

»Vollkommen sicher; denn ich werde ihm Angst machen.«

Er hatte recht. Dieses Mittel ist unfehlbar, wenn man sich desselben zu bedienen weiß und wenn man es mit einem Feigling zu tun hat. Wir fanden d’Aché und Pyène bereits an Ort und Stelle und sahen außerdem fünf oder sechs Leute da, die nur aus Neugier gekommen sein konnten.

D’Aché zog zwanzig Louis aus seiner Tasche, gab sie seinem Gegner und sagte ihm: »Ich kann mich getäuscht haben; aber ich werde Sie Ihre Roheit teuer bezahlen lassen.« Hierauf wandte er sich zu mir und sagte: »Ich schulde Ihnen zwanzig Louis.«

Ich antwortete ihm nicht.

Schmitt steckte mit dem ruhigsten Gesicht und ohne dem Prahlhans ein Wort zu erwidern, das Gold in seine Börse, stellte sich zwischen zwei Bäume, die etwa vier Schritte weit voneinander entfernt waren, zog zwei Mensurpistolen aus der Tasche und sagte zu d’Aché: »Sie können sich in einer Entfernung von zehn Schritten aufstellen und zuerst schießen. Die Entfernung zwischen diesen zwei Bäumen bestimme ich zu meinem Spaziergang. Sie können, wenn Sie Lust haben, ebenfalls hin und hergehen, wenn ich an der Reihe bin, zu schießen.«

Man konnte sich nicht deutlicher und ruhiger ausdrücken.

»Aber,« sagte ich, »es müßte doch erst entschieden werden, wer den ersten Schuß haben soll.«

»Das ist überflüssig,« sagte Schmitt, »ich schieße niemals zuerst; übrigens hat der Herr ein Recht auf den ersten Schuß.«

De Pyène wies seinem Freund einen Platz in der angegebenen Entfernung an und trat dann mit mir zur Seite. D’Aché schoß auf seinen Gegner, der langsam hin- und herging, ohne ihn anzusehen. Schmitt drehte sich mit der größten Kaltblütigkeit um und sagte zu ihm: »Sie haben mich gefehlt, mein Herr; ich war dessen sicher; schießen Sie noch einmal.«

Ich glaubte, er wäre verrückt geworden, und dachte, es würde zu Vergleichsverhandlungen kommen. Aber nein: d’Aché machte von der Erlaubnis Gebrauch und feuerte seinen zweiten Schuß ab, fehlte aber zum zweitenmal seinen Gegner. Dieser sagte kein Wort, feuerte mit fester und entschlossener Miene seinen ersten Schuß in die Luft ab, schlug dann die zweite Pistole auf d’Aché an und traf ihn mitten vor die Stirn, so daß er tot zu Boden stürzte. Schmitt steckte seine Pistolen wieder in die Tasche und entfernte sich sofort allein, wie wenn er seinen Spaziergang fortsetzte. Zwei Minuten später ging ich ebenfalls, als ich mich überzeugt hatte, daß der unglückliche d’Aché leblos war.

Ich war starr vor Erstaunen; ein derartiger Zweikampf kam mir wie ein Traum vor, mehr wie ein Vorkommnis eines Romans als wie eine wirkliche Begebenheit. Es blieb mir völlig unbegreiflich; ich hatte auf Schmitts unbeweglichem Gesicht nicht die geringste Veränderung des Ausdrucks bemerkt.

Ich ging zum Frühstück zu Frau von Urfé, die ich untröstlich fand, weil gerade an dem Tage Vollmond war und ich um vier Uhr drei Minuten die geheimnisvolle Erschaffung des Kindes bewirken sollte, durch welches sie wiedergeboren zu werden hoffte. Die göttliche Lascaris aber, die das auserwählte Gefäß sein sollte, krümmte sich in ihrem Bett vor angeblichen Krämpfen, die es mir unmöglich machen mußten, das Zeugungswerk zu vollziehen.

Als Frau von Urfé untröstlich mir dieses Mißgeschick berichtete, heuchelte ich großes Bedauern; in Wirklichkeit war der boshafte Streich meiner Tänzerin mir sehr erwünscht, erstens weil sie mir durchaus keine Begierde mehr einflößte, zweitens weil ich sah, daß ich diesen Umstand benutzen konnte, um mich zu rächen und sie zu bestrafen.

Ich spendete der Frau von Urfé wortreichen Trost; dann zog ich das Orakel zu Rate und fand, die kleine Lascaris sei durch einen schwarzen Dämon verdorben worden, und ich müsse von neuem das vom Schicksal bestimmte Mädchen suchen, dessen Reinheit unter dem Schutze der oberen Geister stände. Als ich die Närrin von den Versprechungen des Orakels vollständig beglückt sah, verließ ich sie und suchte die Corticelli auf, die ich auf ihrem Bett liegend fand; ihre Mutter saß neben ihr.

»Du hast also Krämpfe, meine Liebe?«

»Nein, ich befinde mich sehr wohl; aber ich werde so lange Krämpfe haben, bis du mir mein Schmuckkästchen herausgibst.«

»Du bist unartig geworden, arme Kleine, und das kommt davon, daß du den Ratschlägen deiner Mutter folgst. Das Schmuckkästchen wirst du vielleicht niemals bekommen, wenn du dich so aufführst.«

»Dann werde ich alles entdecken.«

»Man wird dir nicht glauben, und ich werde dich nach Bologna zurückschicken und lasse dir kein einziges von den Geschenken, die Frau von Urfé dir gemacht hat.«

»Du mußt mir das Schmuckkästchen augenblicklich herausgeben, oder ich erkläre mich für schwanger. Ich bin es. Wenn du mein Verlangen nicht erfüllst, sage ich deiner alten Verrückten alles, und was danach kommt, ist mir einerlei.«

Sehr überrascht sah ich sie an, ohne ein Wort zu sprechen; aber ich dachte bereits über die Mittel nach, wie ich mir das freche Geschöpf vom Halse schaffen könnte. Signora Laura sagte mir ganz ruhig, ihre Tochter sei wirklich schwanger, aber sie sei es nicht von mir.

»Von wem denn?«

»Vom Grafen von N., dessen Geliebte sie in Prag war.«

Dies schien mir nicht möglich, denn es war kein äußeres Anzeichen von Schwangerschaft an ihr zu entdecken; aber immerhin konnte es doch sein. Da ich einen Entschluß fassen mußte, um die Pläne der beiden Spitzbübinnen zu vereiteln, so entfernte ich mich, ohne ein Wort zu sagen, und schloß mich mit Frau von Urfé ein, um das Orakel wegen der Operation zu befragen, die sie glücklich machen sollte.

Nachdem das Orakel eine Menge Antworten gegeben hatte, welche dunkler waren als die Weissagungen der Pythia auf dem Dreifuß von Delphi, und deren Auslegung ich infolgedessen meiner armen betörten Frau von Urfé überließ, fand sie selber – und ich hütete mich wohl, ihr zu widersprechen –, daß die kleine Lascaris wahnsinnig geworden wäre. In dieser Befürchtung bestärkte ich sie, und es gelang mir, sie aus einer kabbalistischen Zahlenreihe die Antwort finden zu lassen: die Prinzessin habe den Erwartungen nicht entsprechen können, weil sie durch einen dem Rosenkreuzerorden feindlichen schwarzen Dämon befleckt sei; und da sie einmal so schön auf dem Wege war, so fügte sie aus eigenem Antrieb hinzu, das junge Mädchen müsse mit einem Gnomen schwanger gehen.

Hierauf bildete sie eine andere Zahlensäule, um zu erfahren, wie wir uns benehmen müßten, um unser Ziel sicher zu erreichen, und dank meiner Leitung fand sie die Antwort, sie müsse an den Mond schreiben.

Dieser Unsinn, der sie hätte zur Vernunft bringen müssen, erfüllte sie mit höchster Freude. Sie war vor Begeisterung ganz verzückt, und ich gewann die Überzeugung, daß alle meine Mühe vergeblich gewesen wäre, selbst wenn ich ihr die Nichtigkeit ihrer Hoffnungen hätte dartun wollen. Sie hätte höchstens geglaubt, ein feindlicher Genius habe mich beherrscht und ich sei kein vollkommener Rosenkreuzer mehr. Ich dachte jedoch nicht daran, eine Heilung zu versuchen, die für mich so unvorteilhaft gewesen wäre, ohne ihr zu nützen. Ihre Chimäre machte sie glücklich, und die Wahrheit würde sie ohne Zweifel unglücklich gemacht haben.

Sie empfing also den Befehl, an den Mond zu schreiben, mit um so größerer Freude, da sie den Kultus, der diesem Planeten gefällt, und die Zeremonien, die dabei erforderlich waren, genau kannte; sie konnte jedoch die Vorschriften nur mit dem Beistand eines Adepten ausführen, und ich wußte, daß sie auf mich rechnete. Ich sagte ihr, ich stände vollkommen zu ihrem Befehle; wir müßten jedoch die erste Phase des nächsten Mondes abwarten – was sie ebensogut wußte wie ich. Es war mir sehr angenehm, Zeit zu gewinnen, denn da ich im Spiel viel Geld verloren hatte, so war es mir unmöglich, Aachen vor dem Empfang einer Summe zu verlassen, die ich durch einen Wechsel auf Herrn d’O. in Amsterdam gezogen hatte. Unterdessen kamen wir überein, daß wir auf alles, was die Lascaris in ihren Wahnsinnsanfällen sagen würde, nicht achten wollten; denn da ihr Geist sich in der Gewalt eines bösen Geistes befände, der sie besessen hielte, so wurden ihre Worte ihr ja von diesem eingeflößt.

Da jedoch ihr Zustand bemitleidenswert sei, so beschlossen wir, um ihr ihr Los so erträglich wie möglich zu machen, sie auch in Zukunft mit uns essen zu lassen; abends jedoch sollte sie sofort nach Tisch und im Zimmer ihrer Gesellschaftsdame zu Bett gehen.

Nachdem ich auf diese Weise den Geist der Frau von Urfé dahin bearbeitet hatte, daß sie von allen Mitteilungen, die die Corticelli ihr etwa machen konnte, nichts glaubte, sondern sich nur mit dem Brief beschäftigte, den sie dem Geiste Selenis, der den Mond bewohnt, schreiben sollte, beschäftigte ich mich erstlich mit den Mitteln, das verlorene Geld wiederzugewinnen, was nicht auf dem Wege der Kabbala geschehen konnte. Ich versetzte das Schmuckkästchen der Corticelli für tausend Louis und hielt eine Bank in einem Klub von Engländern, von denen ich viel mehr gewinnen konnte als von Franzosen oder Deutschen.

Drei oder vier Tage nach dem Tode d’Achés schrieb seine Witwe mir ein Briefchen und bat mich, bei ihr vorzusprechen, Ich fand Pyène bei ihr vor. Sie sagte mir in traurigem Ton, ihr Mann hätte viele Schulden gehabt und seine Gläubiger hätten sich daher aller ihrer Sachen bemächtigt; es sei ihr infolgedessen unmöglich, die Reisekosten zu bestreiten, um sich mit ihrer Tochter zu ihrer Familie nach Colmar zu begeben.

»Sie sind schuld an dem Tode meines Gatten; ich verlange von Ihnen tausend Taler. Wenn Sie mir diese verweigern, werde ich Sie verklagen; denn da der Schweizer Offizier abgereist ist, kann ich mich nur an Sie halten.«

»Ihre Sprache überrascht mich, gnädige Frau,« antwortete ich ihr in kaltem Ton. »Wenn ich nicht vor Ihrem Unglück Achtung hätte, so würde ich darauf mit der ganzen Bitterkeit antworten, die Ihr Vorgehen mir einflößen muß. Zunächst besitze ich überhaupt keine tausend Taler, um sie zum Fenster hinauszuwerfen; und selbst wenn ich sie hätte, so wäre Ihr drohender Ton wenig geeignet, mich zu einem solchen Opfer zu veranlassen, übrigens bin ich neugierig, wie Sie es anfangen wollen, mich zu verklagen. Herr Schmitt hat sich als tapferer und rechtlicher Mann geschlagen, und ich weiß noch nicht recht, ob es Ihnen wirklich großen Vorteil bringen würde, ihn zu verklagen, wenn er hier geblieben wäre. Leben Sie wohl, Madame!«

Ich war kaum fünfzig Schritte von dem Hause entfernt, als Pyène mir nachkam und mir sagte, bevor Frau von Aché die Klage gegen mich einreichte, müßten wir an einem abgelegenen Ort uns die Kehle abschneiden. Wir hatten alle beide keinen Degen bei uns.

»Ihre Absicht ist schmeichelhaft,« sagte ich ruhig zu ihm; »es liegt darin etwas Brutales, das mir durchaus keine Lust macht, mich mit einem Mann bloßzustellen, den ich nicht kenne, und dem ich nichts schuldig bin.«

»Sie sind ein Feigling!«

»Ich wäre es vielleicht, wenn ich wäre wie Sie. Welche Meinung Sie von mir haben, ist mir höchst gleichgültig.«

»Es wird Ihnen leid tun!«

»Vielleicht; einstweilen mache ich Sie als ehrlicher Mann darauf aufmerksam, daß ich niemals ohne zwei gut geladene Pistolen ausgehe und daß ich mich derselben zu bedienen weiß. Hier sind sie!« Mit diesen Worten zog ich meine Pistolen aus der Tasche und spannte die eine, die ich in der rechten Hand hielt.

Bei diesem Anblick stieß der freche Raufbold einen Fluch aus und verschwand; ich entfernte mich nach der anderen Seite.

Dicht bei dem Ort, wo dieser Auftritt vorgefallen war, traf ich einen Neapolitaner namens Maliterni, der damals Oberstleutnant und Adjutant des kommandierenden Generals der französischen Armee, Prinzen Condé, war. Dieser Maliterni war ein Lebemann, stets zu Diensten bereit und stets ohne Geld. Wir waren Freunde; ich erzählte ihm, was mir zugestoßen war, und sagte zu ihm: es wäre mir unangenehm, mich mit dem de Pyène einlassen zu müssen, und wenn er ihn mir vom Halse schaffen könne, verspreche ich ihm hundert Taler.

»Das wird nicht unmöglich sein,« antwortete er; »ich werde Ihnen morgen Bescheid sagen.«

Wirklich kam er am nächsten Vormittag zu mir und sagte mir, mein Halsabschneider sei bei Tagesanbruch auf höheren Befehl von Aachen abgereist; zugleich übergab er mir einen guten Paß vom Herrn Prinzen Condé.

Ich gestehe, daß diese Nachricht mir angenehm war. Ich habe mich niemals gefürchtet, mit dem ersten Besten den Degen zu kreuzen, obgleich ich auch niemals das barbarische Vergnügen geliebt habe, Menschenblut zu vergießen; diesesmal aber widerstrebte es mir im höchsten Grade, mich mit einem Menschen bloßzustellen, den ich nicht für zartfühlender halten konnte als seinen Freund d’Aché. Ich dankte also Maliterni recht herzlich und übergab ihm die versprochenen hundert Taler, die nach meiner Meinung sehr gut angewandt waren, so daß mir diese Ausgabe nicht leid tat.

Maliterni war ein Zechkumpan des Marschalls d’Estrées, ein Lustigmacher ersten Ranges, es fehlte ihm weder an Geist noch an Kenntnissen, wohl aber an Ordentlichkeit und vielleicht auch ein bißchen an Zartgefühl. Übrigens verkehrte es sich sehr angenehm mit ihm, denn er besaß eine unverwüstliche Fröhlichkeit und war ein sehr gewandter Weltmann. Nachdem er im Jahre 1768 zum Range eines Generalmajors emporgestiegen war, heiratete er in Neapel eine reiche Erbin, die er schon nach dem ersten Jahr seiner Heirat als Witwe zurückließ.

Am Tage nach Pyènes Abreise erhielt ich von Fräulein d’Aché ein Briefchen, worin sie mich im Auftrage ihrer kranken Mutter bat, sie zu besuchen. Ich antwortete ihr, ich würde mich um die und die Stunde da und da einfinden, und sie könnte mir dort sagen, was sie wünschte.

Ich fand sie am bestimmten Ort mit ihrer Mutter, die trotz ihrer angeblichen Krankheit gekommen war. Da gab es Klagen, Tränen, Vorwürfe! Sie nannte mich ihren Verfolger und sagte mir, die Abreise ihres einzigen Freundes Pyène bringe sie zur Verzweiflung; sie habe alle ihre Sachen versetzt und besitze keine Hilfsmittel mehr; ich dagegen sei reich und müsse ihr beispringen, wenn ich nicht ein ganz verworfener Mensch wäre.

»Ich bin durchaus nicht unempfindlich gegen Ihr Schicksal, Madame. Ich bin auch nicht unempfindlich gegen Ihre Beleidigungen, aber ich kann mich nicht enthalten, Ihnen zu sagen, daß Sie sich als verworfenes Weib gezeigt haben, indem Sie Pyène, der ja sonst vielleicht ein ganz anständiger Mensch ist, aufgehetzt haben, mich zu ermorden. Kurz und gut – mag ich reich sein oder nicht, ich bin Ihnen nichts schuldig, aber ich werde Ihnen das Geld geben, um Ihre Sachen auszulösen, und vielleicht werde ich selber Sie nach Colmar bringen; aber Sie müssen damit einverstanden sein, daß ich gleich hier Ihrer reizenden Tochter Beweise meiner Liebe zu geben beginne.«

»Und Sie wagen es, mir solchen abscheulichen Vorschlag zu machen?«

»Abscheulich oder nicht – ich mache ihn.«

»Niemals!«

»Leben Sie wohl, Madame!«

Ich rief den Kellner, um die Erfrischungen zu bezahlen, die ich hatte kommen lassen, und drückte dem jungen Mädchen sechs doppelte Louisdor in die Hand; die stolze Mutter bemerkte es jedoch und verbot ihr, das Geld anzunehmen. Mich überraschte dies nicht, trotz der Not, worin sie sich befand; denn diese Mutter war reizend und mehr wert als ihre Tochter. Dies wußte sie. Ich hätte sie vorziehen und auf diese Weise jedem Streit ein Ende machen sollen. Aber die Launen! Wenn man verliebt ist, fragt man sich nach so etwas nicht. Ich fühlte, daß sie mich hassen mußte, um so mehr, da sie ihre Tochter nicht liebte und daher ihr Stolz gedemütigt war, indem sie in ihr die bevorzugte Nebenbuhlerin sehen mußte. Ich behielt die sechs doppelten Louisdor, die der Stolz oder der Ärger zurückgewiesen hatte, in der Hand, ging damit an die Pharaobank und beschloß, sie dem Glück zu opfern; aber die launenhafte Göttin war nicht weniger stolz als die hochmütige Witwe und verweigerte wie diese ihre Annahme. Ich ließ sie fünfmal auf einer Karte stehen und hätte mit diesem einzigen Satz beinahe die Bank gesprengt. Ein Engländer, namens Martin, bot mir eine Teilhaberschaft an; ich nahm diese an, weil ich ihn als guten Spieler kannte, und in acht oder zehn Tagen machten wir so gute Geschäfte, daß ich nach der Auslösung des Schmuckkästchens nicht nur meine anderen Verluste gedeckt hatte, sondern noch mit einer ziemlich großen Summe im Gewinn war.

Wütend auf mich, hatte die Corticelli unterdessen der Frau von Urfé alles entdeckt; sie hatte ihr eine Beschreibung ihres Lebens und unserer Bekanntschaft gegeben und ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Aber je mehr Wahrheit ihre Erzählung enthielt, desto fester bestärkte die gute Dame sich in dem guten Glauben, daß das Mädchen wahnsinnig sei. Sie lachte mit mir nur über den vermeintlichen Wahnsinn meiner Verräterin und setzte ihr ganzes Vertrauen auf die Unterweisungen, welche Selenis ihr in seiner Antwort geben würde.

Da mir jedoch das Benehmen des Mädchens nicht gleichgültig sein konnte, so beschloß ich, sie künftighin im Zimmer ihrer Mutter essen zu lassen. So blieb ich allein mit Frau von Urfé, der ich versicherte, wir würden leicht ein anderes ausgewähltes Gefäß finden, da die Lascaris wegen ihres Wahnsinnes durchaus nicht imstande sei, an unseren Mysterien teilzunehmen.

Von der Not getrieben, sah d’Achés Witwe sich bald gezwungen, mir ihre Mimi abzutreten; aber ich versöhnte sie durch freundliches Benehmen und rettete im Anfang den Schein, so daß sie tun konnte, wie wenn sie nichts merkte. Ich löste alle von ihr versetzten Sachen aus; mit ihrem Verhalten zufrieden, obgleich ihre Tochter sich noch nicht meiner Glut ganz hingegeben hatte, beschloß ich, die beiden Damen mit Madame d’Urfé nach Colmar zu begleiten. Um die Dame zu diesem guten Werke zu bestimmen, ohne daß sie etwas von dem Beweggrund bemerkte, kam ich auf den Gedanken, sie diesen Befehl in dem Briefe empfangen zu lassen, den sie vom Mond erwartete; ich war gewiß, daß sie alsdann blindlings gehorchen würde.

Den Briefwechsel zwischen Selenis und Frau von Urfé brachte ich folgendermaßen zustande.

Am Tage des Vollmondes speisten wir zusammen in einem Garten vor der Stadt zu Abend. Ich hatte in einem Zimmer zu ebener Erde alles vorbereitet, was für den Kultus notwendig war. In meiner Tasche hatte ich den Brief, der vom Monde herabschweben sollte, um den von Frau von Urfé mit großer Sorgfalt vorbereiteten Brief zu beantworten, den wir an seine Adresse befördern wollten. Dicht neben dem Zimmer, wo die Feierlichkeit stattfand, hatte ich eine große Badewanne aufgestellt, die mit lauem Wasser gefüllt war und von würzigen Kräutern duftete, wie sie dem Gestirn der Nacht gefallen. In dieses Wasser sollten wir gemeinsam hineinsteigen, sobald der Mond unterging. Dieser Untergang fand an jenem Tage um ein Uhr nach Mitternacht statt.

Nachdem wir die würzigen Kräuter verbrannt und die Essenzen versprengt hatten, die dem Kultus des Gottes Selenis angemessen sind, sagten wir die geheimnisvollen Gebete. Dann zogen wir uns vollständig aus. Meinen Brief in der linken Hand verborgen haltend, führte ich mit der rechten in feierlichem Ernst Frau von Urfé bis an den Rand der Badewanne, in welcher sich eine Alabasterschale voll Wacholdergeist befand. Ich zündete diesen an, indem ich kabbalistische Worte sprach, die ich nicht verstand und die sie wiederholte, indem sie mir den an Selenis geschriebenen Brief gab. Diesen Brief verbrannte ich an der Wacholderflamme, auf die der Mond mit vollem Schein fiel, und die gläubige Frau von Urfé versicherte mir, sie habe die von ihrer Hand geschriebenen Buchstaben auf den Strahlen des Gestirns zum Himmel emporschweben sehen.

Hierauf stiegen wir in die Badewanne, und der in meiner Hand verborgen gehaltene Brief, der mit silbernen Buchstaben im Kreise auf grünes Glanzpapier geschrieben war, erschien zehn Minuten später auf der Oberfläche des Wassers. Sobald Frau von Urfé ihn sah, ergriff sie ihn salbungsvoll und verließ mit mir das Bad.

Nachdem wir uns abgetrocknet und parfümiert hatten, zogen wir unsere Kleider wieder an. Sobald wir in anständiger Verfassung waren, sagte ich der gnädigen Frau, sie könne den Brief lesen; sie hatte diesen auf ein parfümiertes weißes Atlaskissen gelegt. Sie gehorchte, und eine sichtbare Traurigkeit bemächtigte sich ihrer, als sie las, ihre Mannwerdung sei bis zur Ankunft Querilints verschoben, den sie im Frühling des nächsten Jahres bei mir in Marseille sehen würde. Der Genius schrieb ihr außerdem, die junge Lascaris könne ihr nur schaden und sie müsse meine Anordnungen befolgen, um sich ihrer zu entledigen. Zum Schluß befahl ich ihr, mich zu bitten, ich möchte eine Frau, die ihren Mann verloren hätte, nicht in Aachen lassen; diese Frau habe eine Tochter, die von den Genien bestimmt sei, unserem Orden große Dienste zu leisten. Sie solle sie nebst ihrer Tochter nach dem Elsaß befördern und sie bis zu ihrer Ankunft nicht aus den Augen lassen, damit unser Einfluß sie vor den Gefahren schütze, die ihnen drohen würden, wenn sie sich selber überlassen blieben.

Frau von Urfé war, abgesehen von ihrer Verrücktheit, sehr wohltätig; sie empfahl mir diese Witwe mit aller Wärme fanatischer Leichtgläubigkeit und menschlicher Teilnahme und war sehr ungeduldig, ihre ganze Geschichte zu erfahren. Ich sagte ihr in kühlem Ton so viel, wie mir gut schien, um sie in ihrem Entschluß zu bestärken, und versprach ihr, die Damen sobald wie möglich vorzustellen.

Wir fuhren nach Aachen zurück und verbrachten die Nacht zusammen in Gesprächen über alles, was unsere Phantasie beschäftigte. Da alles nach Wunsch stand, so beschäftigte ich mich nur noch mit der Reise nach dem Elsaß und traf meine Vorbereitungen, um mir den vollen Genuß meiner Mimi zu sichern, nachdem ich durch den ihr geleisteten Dienst ihre Gunst so reichlich verdient hatte.

Am nächsten Tage war ich glücklich im Spiel, und um dem Tage einen guten Abschluß zu geben, ging ich zu Frau d’Aché, um mich an ihrer angenehmen Überraschung zu weiden, indem ich ihr mitteilte, daß ich beschlossen hätte, sie nebst ihrer Mimi selbst nach Colmar zu bringen. Ich sagte ihr, zunächst müsse ich sie der Dame vorstellen, die zu begleiten ich die Ehre habe; ich bat sie, sich für den nächsten Tag bereit zu halten, weil die Marquise ungeduldig sei, sie kennen zu lernen. Ich sah deutlich, daß sie kaum an die Wahrheit meiner Worte zu glauben vermochte; denn sie bildete sich ein, die Marquise sei in mich verliebt, und dieser Gedanke vertrug sich nicht mit dem von Frau von Urfé bekundeten Eifer, mich mit zwei Frauen zusammen zu bringen, welche sehr gefährliche Nebenbuhlerinnen werden konnten.

Am nächsten Tage holte ich sie zur vereinbarten Stunde ab, und Frau von Urfé empfing sie mit Freudenbezeigungen, über die sie sehr erstaunt sein mußten; denn sie konnten nicht wissen, daß sie diesen Empfang einer Empfehlung verdankten, die vom Monde gekommen war. Wir speisten selbviert, und die beiden Damen unterhielten sich als Frauen, die die Welt kennen; Mimi war reizend, und ich beschäftigte mich ganz besonders mit ihr; warum, das wußte ihre Mutter sehr wohl; die Marquise jedoch schrieb den Grund der Liebe zu, die die Rosenkreuzer für dieses Mädchen hegten.

Am Abend gingen wir alle auf den Ball. Die Corticelli, die stets darauf bedacht war, mir jeden möglichen Ärger anzutun, tanzte, wie ein junges Mädchen von guter Herkunft nicht tanzen darf. Sie machte achtfache Entrechats, Pirouetten, Kapriolen und Battements à mijambe, mit einem Wort, alle Grimassen einer Opernspringerin. Ich stand Folterqualen aus. Ein Offizier, der vielleicht wußte, daß ich für ihren Oheim galt, vielleicht auch nur so tat, fragte mich, ob sie eine berufsmäßige Tänzerin sei. Einen anderen Herrn hörte ich hinter mir sagen, er glaube sie im letzten Karneval in Prag auf dem Theater tanzen gesehen zu haben. Ich mußte meine Abreise beschleunigen, denn ich sah, daß das unglückselige Weib mir schließlich noch das Leben kosten würde, wenn wir noch länger in Aachen blieben.

Frau d’Aché, die, wie gesagt, den Ton der guten Gesellschaft beherrschte, nahm Frau von Urfé vollständig für sich ein, denn diese glaubte in ihrer Liebenswürdigkeit eine neue Gunst von Selenis zu sehen. Frau d’Aché fühlte, daß sie nach den Diensten, die ich ihr in so vornehmer Weise erwies, mir einige Dankbarkeit schuldete; sie stellte sich daher, wie wenn sie ein wenig unwohl wäre, und verließ den Ball zuerst, so daß ich ihre Tochter nach Hause bringen mußte und in voller Freiheit mit ihr zusammen war. Ich machte mir diesen absichtlich herbeigeführten Zufall zunutze und blieb zwei Stunden bei Mimi, die sich sanft, gefällig und leidenschaftlich verliebt zeigte, so daß ich nichts mehr zu wünschen hatte, als ich sie verließ.

Am dritten Tage gab ich Mutter und Tochter neue Reisekleider, und nachdem ich mir eine elegante und bequeme Berline verschafft hatte, verließen wir Aachen in fröhlicher Stimmung. Eine halbe Stunde vor der Abreise hatte ich ein Zusammentreffen, das durch seine späteren Folgen verhängnisvoll wurde. Ein belgischer Offizier, den ich nicht kannte, redete mich an und schilderte mir seine traurige Lage, so daß ich nicht umhin konnte, ihm zwölf Louis zu geben. Zehn Minuten später brachte er mir einen Schein, wodurch er seine Schuld anerkannte und sich verpflichtete, zu einem bestimmten Termin zu bezahlen. Ich erfuhr durch diesen Schein, daß er sich Malingan nannte. Das weitere wird der Leser in zehn Monaten erfahren.

Im Augenblick der Abreise wies ich der Corticelli einen viersitzigen Wagen an, worin sie mit ihrer Mutter und zwei Kammermädchen reisen sollte. Sie zitterte bei diesem Anblick; ihr Stolz war verletzt, und ich glaubte einen Augenblick, sie würde den Verstand verlieren: es gab Tränen, Beleidigungen, Verwünschungen! Mich rührte dies alles nicht, und Frau von Urfé lachte nur über die tollen Reden ihrer angeblichen Nichte und schien sehr erfreut zu sein, daß sie mir gegenüber saß und zu ihrer Seite den Schützling des mächtigen Selenis hatte, während Mimi mir auf tausenderlei Art das Glück bezeugte, das sie empfand, weil sie an meiner Seite sitzen durfte.

Am nächsten Tage kamen wir bei Anbruch der Nacht in Lüttich an; ich überredete Frau von Urfé, den nächsten Tag noch dazubleiben, weil ich Pferde nehmen wollte, um auf dem Wege durch die Ardennen nach Luxemburg zu fahren; diesen Umweg machte ich absichtlich, um meine reizende Mimi länger besitzen zu können.

Nachdem ich in aller Frühe aufgestanden war, ging ich aus, um mir die Stadt anzusehen. Als ich die große Brücke entlang ging, sprach mich eine Frau an, die so dicht in einen schwarzen Mantel gehüllt war, daß man nur ihre Nasenspitze sehen konnte. Sie bat mich, ihr in ein Haus zu folgen, dessen offene Tür sie mir zeigte. Ich antwortete ihr: »Da ich nicht den Vorzug habe, Sie zu kennen, erlaubt die Vorsicht mir nicht, Ihre Einladung anzunehmen.«

»Sie kennen mich!« antwortete sie mir; zugleich zog sie mich an die Ecke der nächsten Straße und enthüllte ihr Gesicht. Der Leser stelle sich meine Überraschung vor: es war die schöne Stuard von Avignon, die gefühllose Statue von der Quelle von Vaucluse. Es machte mir Vergnügen, sie wieder zu treffen.

Neugierig folgte ich ihr und ging mit ihr in ein Zimmer im ersten Stock, wo sie mir den zärtlichsten Empfang bereitete. Aber dies war verlorene Mühe; denn trotz ihrer Schönheit hatte ich einen Groll gegen sie. Ich verschmähte daher, ihr entgegenzukommen, ohne Zweifel, weil ich Mimi liebte, die mich glücklich machte und die ich zufriedenstellen wollte, indem ich mich ganz für sie aufbewahrte. Indessen zog ich drei Louis aus meiner Börse und bot sie ihr an, indem ich sie zugleich bat, mir ihre Geschichte zu erzählen.

»Stuard,« berichtete sie, »war nur mein Begleiter; ich heiße Ranson und werde von einem reichen Grundbesitzer unterhalten. Nach vielen Leiden bin ich nach Lüttich zurückgekehrt.«

»Es freut mich, daß es Ihnen jetzt gut geht; aber Sie müssen gestehen, daß Ihr Benehmen in Avignon ebenso unbegreiflich wie lächerlich war. Doch sprechen wir nicht mehr davon. Leben Sie wohl, gnädige Frau!«

Ich ging in meinen Gasthof zurück, um diese Begegnung dem Marchese Grimaldi mitzuteilen.

Am nächsten Tage reisten wir ab. Wir brauchten zwei Tage für die Reise durch die Ardennen. Dies ist die eigentümlichste Landschaft Europas: ein riesiger Wald, dessen Sagen von altem Ritterwesen dem Ariosto so schönen Stoff über den Helden Bayard geliefert haben.

In diesem ungeheuren Walde, der keine einzige Stadt enthält, den man jedoch durchqueren muß, um von dem einen Lande in das andere zu gelangen, findet man fast nichts von dem, was zu einem behaglichen Leben notwendig ist.

Vergeblich würde man dort Laster oder Tugenden suchen oder was wir Sitten nennen. Die Bewohner haben keinen Ehrgeiz, und da sie von der Wahrheit keine richtige Vorstellung haben können, hecken sie ungeheuerliche Ideen aus und denken sich sonderbare Sachen über die Natur, über die Wissenschaften und über die Macht gewisser Menschen, die nach ihrer Meinung den Namen weiser Männer verdienen. Es genügt, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen, um für einen Astrologen, ja für einen Zauberer zu gelten. Trotzdem sind die Ardennen ziemlich stark bevölkert; denn wie man mir versichert hat, enthalten sie zwölfhundert Kirchspiele. Die Menschen sind gut, ja sogar gefällig, besonders die jungen Mädchen; aber im allgemeinen ist das weibliche Geschlecht dort nicht schön. Mitten in diesem großen Bezirk, der seiner ganzen Ausdehnung nach von der Maas durchströmt wird, liegt die Stadt Bouillon, ein richtiges Loch. Aber es war zu meiner Zeit der freieste Ort in ganz Europa. Der Herzog von Bouillon war so eifersüchtig auf seine Gerichtsbarkeit, daß er sein Vorrecht allen Ehren vorzog, deren er am französischen Hofe hätte genießen können.

Wir hielten uns einen Tag in Metz auf, wo wir jedoch keine Besuche machten; in drei Tagen gelangten wir dann nach Colmar, wo wir Frau d’Aché ließen, deren Gunst ich völlig gewonnen hatte. Ihre sehr wohlhabende Familie empfing Mutter und Tochter mit größter Zärtlichkeit. Mimi weinte sehr, als sie von mir Abschied nahm; aber ich tröstete sie durch das Versprechen, daß ich sie bald wiedersehen würde. Frau von Urfé, die ich auf diese Trennung bereits vorbereitet hatte, machte sich nicht viel daraus, und auch ich tröstete mich ziemlich leicht. Indem ich mich freute, zum Glück der Mutter und der Tochter beigetragen zu haben, betete ich zugleich die tiefen Geheimnisse der Vorsehung an.

Am nächsten Tage fuhren wir nach Sulzbach, wo ein Bekannter der Frau von Urfé, Baron von Schaumburg, uns sehr freundlich empfing. Ohne das Spiel würde ich mich in diesem traurigen Nest sehr gelangweilt haben. Frau von Urfé hatte Gesellschaft nötig und ermunterte daher die Corticelli, auf eine Wiedergewinnung meiner Huld und damit auch der ihrigen zu hoffen. Das unglückselige Mädchen hatte alles aufgeboten, um mir zu schaden; als sie aber sah, wie leicht ich ihre Anschläge zunichte gemacht und wie tief ich sie gedemütigt hatte, da änderte sie ihr Benehmen: sie war sanft, gefügig und unterwürfig geworden. Sie hoffte den vollständig verlorenen Einfluß wenigstens teilweise wiederzugewinnen und glaubte bereits Siegerin zu sein, als sie sah, daß Frau d’Aché und ihre Tochter in Colmar geblieben waren. Was ihr jedoch am meisten am Herzen lag, war weder meine Freundschaft, noch die der Marquise, sondern das Schmuckkästchen, das sie von mir nicht mehr zu verlangen wagte und das sie in der Tat nicht wiedersehen sollte. Durch ihre hübschen, ausgelassenen Scherze bei Tisch, worüber Frau von Urfé gerne lachte, gelang es ihr, auch mir einige Liebesanwandlungen einzuflößen; aber die Höflichkeiten, die ich ihr in dieser Hinsicht erwies, konnten mich nicht veranlassen, meine Strenge zu mildern; sie schlief stets bei ihrer Mutter.

Acht Tage nach unserer Ankunft in Sulzbach überließ ich Frau von Urfé der Sorgfalt des Barons von Schaumburg und fuhr nach Colmar, wo ich Liebesfreuden zu finden hoffte. Ich wurde enttäuscht, denn ich fand Mutter und Tochter in Begriff, sich zu verheiraten.

Ein reicher Kaufherr, der vor achtzehn Jahren die Mutter geliebt hatte, fühlte die alte Glut wieder erwachen, als er sie als Witwe und immer noch schön sah; er bot ihr seine Hand an, und seine Werbung wurde angenommen. Ein junger Advokat fand Mimi nach seinem Geschmack und machte ihr einen Heiratsantrag. Mutter und Tochter befürchteten die Folgen meiner Zärtlichkeiten; außerdem fanden sie die Partie gut und gaben daher ihre Zustimmung. Ich wurde in der Familie mit großen Ehren aufgenommen und soupierte in zahlreicher, gewählter Gesellschaft. Da ich jedoch sah, daß ich, um eine flüchtige Gunst zu erhaschen, die Damen nur stören und mich selber unbehaglich fühlen konnte, so verabschiedete ich mich von ihnen und fuhr schon am nächsten Tage nach Sulzbach zurück. Ich fand dort eine reizende Straßburgerin namens Salzmann und drei oder vier Spieler, die angeblich zur Brunnenkur gekommen waren und uns die Ankunft mehrerer weiblicher Gäste ankündigten, die der Leser im nächsten Kapitel kennen lernen wird.

Erstes Kapitel


Meine Abenteuer in Air in Savoyen. – Meine zweite M. M. – Madame Zeroli.

Einige Schritte vom Brunnen entfernt bemerkte ich zwei Nonnen, die von ihm herkamen. Sie waren verschleiert, aber an ihrem Wuchs und Gang erkannte ich, daß die eine jung und die andere alt war. Hierbei war nun freilich nichts Wunderbares, aber ihr Ordenskleid fiel mir auf, denn es war dasselbe, das meine teure M. M. getragen hatte, die ich fünf Jahre vorher, am 24. Juli 1755, zum letzten Male gesehen hatte. Ich glaubte zwar nicht, daß es die junge Nonne M. M, sei, aber ihr Erscheinen genügte, um meine Neugier zu erregen. Sie gingen nach dem freien Felde zu. Ich kehrte sofort um, um ihnen den Weg abzuschneiden, sie von vorne zu sehen und mich von ihnen sehen zu lassen. Man denke sich meine Überrraschung, als ich mich umdrehte und in der Jungen, die vorausging und den Schleier zurückgeschlagen hatte, die leibhaftige M. M. vor mir erblickte. Ich konnte nicht daran zweifeln und ging auf sie zu, als sie plötzlich ihren Schleier herunterließ und einen anderen Weg einschlug, um mir auszuweichen.

Ich begriff sofort, daß sie alle möglichen Gründe haben konnte, um so zu handeln. Ich kehrte daher abermals um, verlor sie aber nicht aus dem Gesicht und folgte ihr von weitem, um zu sehen, wohin sie ginge. In einer Entfernung von etwa fünfhundert Schritten sah ich sie in ein einzeln liegendes Haus von ärmlichem Aussehen eintreten. Dies genügte mir. Ich kehrte nach dem Brunnen zurück, um mich auf unauffällige Weise zu erkundigen.

Unterwegs erging ich mich in tausend Vermutungen. Die unglückliche, reizende M. M., sagte ich mir, wird in ihrer Verzweiflung aus dem Kloster entflohen sein; vielleicht hat sie ihren Verstand verloren, denn warum hat sie nicht ihr Ordenskleid abgelegt? Vielleicht aber auch ist sie mit einer Erlaubnis von Rom hierher gekommen, um die Brunnenkur zu gebrauchen; dies wird ohne Zweifel der Grund sein, warum sie eine Nonne bei sich hat und ihre Tracht nicht ablegen kann. Auf alle Fälle kann sie ihre Reise nur unter einem falschen Vorwande unternommen haben. Sollte sie sich irgend einer verhängnisvollen Leidenschaft überlassen haben, deren Folge eine Schwangerschaft gewesen wäre? Vielleicht ist sie in Verlegenheit; dann muß sie glücklich sein, mich gefunden zu haben. Ich werde sie nicht in ihrer Hoffnung täuschen; ich bin bereit, alles zu tun, um ihr zu beweisen, daß ich würdig war, ihr Herz zu besitzen.

In diese Gedanken versunken, kam ich unversehens zum Brunnen, wo ich die ganze Spielergesellschaft fand. Alle umringten mich und sprachen ihre Freude aus, daß ich nicht abgereist sei. Ich fragte den Chevalier Zeroli nach dem Befinden seiner Gemahlin; er antwortete mir, sie liege noch im Bett und es werde sehr freundlich von mir sein, sie zum Aufstehen zu bewegen. Ich verabschiedete mich von ihm, um zu seiner Frau zu gehen, als der Badearzt mich anredete und mir sagte, das ausgezeichnete Wasser von Aix würde mir doppelte Gesundheit geben. Mit meinen Gedanken beschäftigt, fragte ich ihn ohne Umschweife, ob er der Arzt einer hübschen Nonne wäre, die ich gesehen hätte.

»Sie trinkt hier den Brunnen,« antwortete er, »aber sie spricht mit keinem Menschen.«

»Woher ist sie?«

»Das weiß niemand; sie wohnt bei einem Bauern.«

Ich verließ den Arzt; anstatt mich aber zu dem Gasthof zu begeben, wo ohne Zweifel die Schelmin Zeroli mich erwartete, lenkte ich meine Schritte nach dem Bauernhäuschen, aus dem meine Phantasie bereits den Tempel der lieblichsten aller Gottheiten machte. Ich war fest entschlossen, mir in vorsichtiger Weise alle wünschenswerten Auskünfte zu verschaffen. Aber, wie wenn die Liebe meinen Wünschen entgegenkommen wollte, sah ich die Bäuerin herauskommen und mir entgegengehen, als ich noch hundert Schritte von der Hütte entfernt war. Sie sprach mich an: »Mein Herr, die junge Nonne läßt Sie bitten, heute Abend um neun wiederzukommen; die Laienschwester schläft dann, und sie wird ungestört mit Ihnen sprechen können.«

Jetzt konnte mir nicht der geringste Zweifel mehr bleiben. Mein Herz hüpfte vor Freuden. Ich gab der Bäuerin einen Louis und versprach ihr, pünktlich um neun Uhr zu kommen.

Nachdem ich auf diese Weise die Gewißheit erlangt hatte, daß ich am Abend meine anbetungswürdige M. M. wiedersehen würde, ging ich nach dem Gasthof zurück, ließ mir das Zimmer der Frau Zeroli bezeichnen, trat ohne Umstände bei ihr ein und sagte ihr, ihr Mann habe mich geschickt, um sie zum Aufstehen zu bewegen.

»Ich glaubte, Sie seien abgereist.«

»Ich werde um zwei Uhr fahren.«

Ich fand die junge Frau im Bett noch viel appetitlicher als bei Tisch. Ich half ihr, ihr Mieder anzulegen, und der Anblick ihrer Reize entflammte mich; aber sie leistete mehr Widerstand, als ich erwartet hatte. Ich setzte mich auf das Fußende ihres Bettes und sprach ihr von meiner Glut, die sie mir eingeflößt hätte, und daß ich unglücklich sei, ihr nicht vor meiner Abreise meine Liebe durch die Tat beweisen zu können.

»Aber«, rief sie lachend, »es steht ja nur bei Ihnen, noch hier zu bleiben.«

»Ermutigen Sie mich, auf Ihre Gunst hoffen zu dürfen, und ich verschiebe meine Abreise bis morgen.«

»Sie sind zu stürmisch; ich bitte Sie, ruhig zu sein.«

Ziemlich zufrieden mit dem wenigen, das sie mir gewährte, indem sie anscheinend, wie es Brauch ist, nur der Gewalt wich, mußte ich mich beruhigen, als ihr Gatte erschien, der aus Vorsicht vor dem Eintritt ein Geräusch machte, so daß wir ihn hörten. Bei seinem Anblick sagte seine Frau ohne jede Verlegenheit: »Ich habe den Herrn überredet, noch bis übermorgen hier zu bleiben.«

»Dies freut mich sehr, meine Liebe; es freut mich um so mehr, da ich ihm noch Revanche schuldig bin.«

Mit diesen Worten nahm er ein Spiel Karten, das ihm eben zur Hand lag, wie wenn er es absichtlich hingelegt hätte; hierauf setzte er sich auf die andere Seite des Bettes, so daß seine Frau gewissermaßen als Spieltisch diente, und begann abzuziehen.

Ich konnte nicht zurück. Da ich sehr zerstreut war, verlor ich unaufhörlich, bis man uns meldete, daß das Mittagessen fertig sei.

»Ich habe keine Zeit mehr, mich anzuziehen,« sagte die Schöne; »ich werde in meinem Bett speisen, wenn Sie, mein Herr, mir Gesellschaft leisten wollen.«

Wie hätte ich dies ausschlagen können! Der Mann ging hinaus, um das Mahl zu bestellen; durch den abermaligen Verlust von etwa zwanzig Louis dazu berechtigt, sagte ich der Spitzbübin, wenn sie mir nicht bestimmt verspräche, mich im Laufe des Nachmittags glücklich zu machen, würde ich sofort nach Tisch abreisen.

»Ich werde Sie morgen früh um neun Uhr zum Frühstück erwarten. Wir werden allein sein.«

Nachdem sie mich daraufhin hinreichende Pfänder für ihr Versprechen hatte nehmen lassen, versprach ich ihr, zu bleiben.

Wir speisten an ihrem Bett, und ich ließ meinem Leduc sagen, ich würde erst am nächsten Nachmittag abreisen. Mann und Frau strahlten vor Freude, als sie dieses hörten.

Als wir mit dem Essen fertig waren, äußerte die gnädige Frau den Wunsch, aufzustehen. Ich entfernte mich mit dem Versprechen, sofort wieder zu kommen, um mit ihr unter vier Augen eine Partie Pikett auf hundert zu spielen. Ich ging auf mein Zimmer, um meine Börse wieder zu füllen, und fand dort Desarmoises, der mir sagte:

»Ich habe die saubere Bescherung entdeckt: man hat dem Fuhrmann zwei Louis gegeben, um ein krankes Pferd an Stelle des seinigen in den Stall zu bringen.«

»Ich kann nicht auf der einen Seite gewinnen, ohne auf der anderen zu verlieren. Ich bin in die Frau des Chevaliers verliebt und werde meine Abreise so lange hinausschieben, bis ich alles erlangt habe, was ich von ihr wünsche.«

»Ich fürchte, die Befriedigung dieses Wunsches wird Ihnen teuer zu stehen kommen. Übrigens können Sie über mich verfügen.«

Ich dankte ihm lächelnd und begab mich wieder zu meiner Schönen, die ich erst gegen acht Uhr unter dem Vorwande starker Kopfschmerzen verließ, nachdem ich ihr ein Dutzend Partien bezahlt hatte, die wir zu einem Louis spielten.

Ich ließ sie in zahlreicher Gesellschaft zurück und erinnerte sie beim Abschied noch an ihr Versprechen für den nächsten Morgen um neun Uhr.

Bei schönem Mondschein ging ich allein nach dem Bauernhäuschen, wo ich meine göttliche M. M. wiederfinden sollte. Ich war ungeduldig auf das Ergebnis dieses Besuches, von dem mein ganzes Schicksal abhängen konnte.

Ich hatte mich vorsorglicherweise mit Pistolen versehen und trug meinen Degen an der Seite; denn ich war nicht ohne Verdacht, daß mir an diesem Orte, wo sich so viele Industrieritter aufhielten, irgend ein Hinterhalt gelegt werden könnte. Zwanzig Schritte vom Häuschen entfernt, sah ich die Bäuerin mir entgegenkommen; sie sagte mir, die Nonne könne nicht hinunterkommen und ich müsse daher durch das Fenster einsteigen; sie habe zu diesem Zweck eine Leiter bereit gestellt. Ich trat näher; da ich jedoch kein Licht sah, so würde ich mich nicht zum Einsteigen entschlossen haben, wenn ich nicht die Stimme gehört hätte, die ich so gut zu kennen glaubte; sie rief mir zu: »Kommen Sie, fürchten Sie nichts!« Übrigens war das Fenster nicht sehr hoch, und die Gefahr konnte nicht groß sein. Ich stieg hinein und glaubte gewiß zu sein, meine geliebte M. M. in den Armen zu halten. Nachdem ich ihr Gesicht mit glühenden Küssen bedeckt hatte, fragte ich sie in venetianischer Sprache: »Warum hast du denn nicht ein Licht hier? Ich hoffe, du wirst mir sofort sagen, was für ein Ereignis, das mir als ein Wunder erscheint, dich hierher geführt hat? Beeile dich, liebes Herz, meine berechtigte Ungeduld zu befriedigen.«

Aber der Leser stelle sich meine Überraschung vor, als ich ihre Stimme in der Nähe hörte und erkannte, daß es nicht M. M. war.

Sie sagte mir, sie verstehe nicht venetianisch und ich brauche kein Licht, um ihr zu sagen, was Herr de Coudert zu tun beschlossen habe, um sie aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien.

»Sie überraschen mich, Madame! Ich kenne keinen Herrn Coudert. Wie? Sie sind nicht Venetianerin, Sie sind nicht die Nonne, die ich heute früh gesehen habe?«

»Ich Unglückliche! ich habe mich geirrt. Ich bin die Nonne, die Sie heute früh gesehen haben, aber ich bin Französin. Um Gottewillen, mein Herr, ich beschwöre Sie, seien Sie verschwiegen und gehen Sie, denn ich habe Ihnen nichts zu sagen. Sprechen Sie leise; denn wenn meine Laienschwester erwachte, wäre ich verloren.«

»Zweifeln Sie nicht an meiner Verschwiegenheit, Madame! Mich täuschte Ihre vollkommene Ähnlichkeit mit einer Angehörigen Ihres Ordens, die mir stets teuer sein wird. Wenn Sie mir nicht Ihr Gesicht gezeigt hätten, würde ich Ihnen nicht gefolgt sein. Verzeihen Sie mir gütigst, wenn ich Ihnen Zeichen von Zärtlichkeit gegeben habe, die Ihnen kühn erscheinen müssen.«

»Ich bin darüber höchst erstaunt gewesen, aber ich fühle mich nicht beleidigt. Ach! warum bin ich nicht die Nonne, für die Sie sich interessieren! Ich schwebe am Rande des furchtbarsten Abgrundes.«

»Wenn zehn Louis, Madame, Ihnen von Nutzen sein können, so werden Sie mir eine Ehre erweisen, wenn Sie sie annehmen.«

»Ich danke Ihnen, ich brauche kein Geld. Aber ich bitte Sie dringend, doch den Louis wieder zurückzunehmen, den Sie mir heute früh gesandt haben.«

»Madame, soweit würbe ich mich niemals vergessen haben! Diesen Louis hatte ich der Bäuerin gegeben. Aber Sie vermehren noch meine Überraschung, und ich bitte Sie, mir zu sagen, was das für ein Unglück ist, gegen das sich mit Geld nichts ausrichten läßt.«

»Vielleicht hat Gott Sie gesandt, um mir zu helfen. Vielleicht werden Sie mir einen guten Rat geben. Ich bitte Sie also: Hören Sie mich an.«

»Ich stehe Ihnen ganz und gar zur Verfügung und höre Ihnen mit der größten Teilnahme zu. Setzen wir uns.«

»Leider ist weder Bett noch Stuhl hier.«

»Nun, so bleiben wir stehen; sprechen Sie!«

»Ich bin aus Grenoble. Man hat mich gezwungen, in Chambéry den Schleier zu nehmen. Zwei Jahre, nachdem ich das Gelübde abgelegt hatte, gelang es Herrn de Coudert, mich zu sehen; ich habe ihn nachts im Klostergarten empfangen, in den er zu gelangen wußte, indem er über die Mauer kletterte, und ich habe das Unglück gehabt, schwanger zu werden. Der Gedanke, im Kloster niederzukommen, war entsetzlich; denn man hätte mich in einem fürchterlichen Gefängnis sterben lassen. Herr de Coudert fand Mittel, mich aus dem Kloster zu schaffen. Ein Arzt, den er um eine große Summe Geldes bestach, erklärte, ich würde sterben, wenn ich nicht hier in Aix den Brunnen tränke, der das einzige Rettungsmittel für mich wäre. Eine Prinzessin, die er kannte, wurde in das Geheimnis eingeweiht; sie erwirkte für mich beim Bischof von Chambéry einen Urlaub von drei Monaten, und die Äbtissin war mit meiner Reise einverstanden.

Infolge dieser Maßnahmen hoffte ich vor Ablauf von drei Monaten niederzukommen; aber ohne Zweifel habe ich mich geirrt, denn die drei Monate gehen ihrem Ende zu, und ich fühle noch keine Anzeichen der Niederkunft. Ich muß unbedingt ins Kloster zurückkehren, und Sie werden begreifen, daß ich mich dazu nicht entschließen kann. Die Laienschwester, die die Äbtissin mir als Aufpasserin mitgegeben hatte, ist ein ganz unleidliches Geschöpf. Sie hat Befehl, mich mit keinem Menschen sprechen zu lassen und zu verhindern, daß ich mein Gesicht sehen lasse. Sie befahl mir, sofort den anderen Weg einzuschlagen, als sie Sie umkehren sah. Ich hob meinen Schleier hoch, damit Sie sähen, daß ich die sei, die Sie, wie ich glaubte, suchten; glücklicherweise hat die grausame Person es nicht bemerkt. Sie verlangt, daß wir binnen drei Tagen aufbrechen, um ins Kloster zurückzukehren; denn sie hält meine Wassersucht für unheilbar. Sie hat mir nicht erlauben wollen, mit dem Arzt zu sprechen, den ich vielleicht auf meine Seite gebracht hätte, wenn ich ihm die Wahrheit anvertraut hätte. Ich bin erst einundzwanzig Jahre alt und ersehne den Tod als eine Wohltat.«

»Mäßigen Sie Ihre Tränen, liebe Schwester, und sagen Sie mir, wie Sie hier hätten niederkommen können, ohne daß die Laienschwester es bemerkt hätte?«

»Die brave Frau, bei der ich wohne, ist ein Engel von Güte. Ich habe mich ihr anvertraut, und sie hat mir versprochen, durch ein Schlafmittel, das sie sich in Annecy verschafft hat, die boshafte Person zu verhindern, mich zu hören, sobald meine Wehen beginnen. Dank diesem Mittel schläft sie jetzt in ihrer Dachkammer.«

»Warum hat man mich nicht durch die Tür eintreten lassen?«

»Damit der Bruder der Bäuerin, der ein roher Bengel ist, Sie nicht sehe.«

»Aber wie haben Sie glauben können, daß ich von Herrn Coudert geschickt sei?«

»Vor zehn oder zwölf Tagen habe ich ihm geschrieben, in was für einer schrecklichen Lage ich mich befinde. Ich habe ihm meinen Zustand in so lebhaften Farben geschildert, daß es mir unmöglich erscheint, er sollte nicht alles aufbieten, um mich zu retten. Und wie der Versinkende sich an jeden Strohhalm klammert, habe ich, als ich Sie mir folgen sah, mir eingebildet, Sie wären der Retter, den er mir schickte.«

»Sind Sie sicher, daß er Ihren Brief erhalten hat?«

»Die Bäuerin hat ihn in Annecy auf die Post gegeben.«

»Sie hätten an die Prinzessin schreiben müssen.«

»Das habe ich nicht gewagt.«

»Ich selber werde sie aufsuchen; ich werde auch Herrn de Coudert aufsuchen. Mit einem Wort, ich werde überall hingehen, nötigenfalls sogar zum Bischof, um bei ihm eine Verlängerung des Urlaubs auszurichten; denn in Ihrem jetzigen Zustande können Sie nicht ins Kloster zurück. Entscheiden Sie sich; denn ohne Ihre Zustimmung kann ich nichts machen. Wollen Sie sich mir anvertrauen? Ich werde Ihnen morgen Männerkleider bringen, werde Sie nach Italien führen, und solange ich lebe, werde ich für Sie sorgen – das schwöre ich Ihnen.«

Sie antwortete nicht, aber ich vernahm ein lautes Schluchzen, das mir das Herz zerriß; denn ich hatte ein lebhaftes Mitgefühl mit der traurigen Lage dieser interessanten Unglücklichen, die der Himmel dazu geschaffen hatte, eine gute Familienmutter zu sein, und die die Grausamkeit ihrer Erzeuger dazu verdammt hatte, nur eine nutzlose Nonne zu sein.

Da ich nicht mehr wußte, was ich ihr sagen sollte, ergriff ich ihre Hand und versprach ihr, am nächsten Tage wiederzukommen, um zu erfahren, welchen Entschluß sie gefaßt hätte, denn irgend einen Entschluß müßte sie unbedingt fassen. Ich stieg auf der Leiter wieder aus dem Fenster, gab der Bäuerin einen zweiten Louis und sagte ihr, ich würde am nächsten Tage um dieselbe Stunde wiederkommen, wünschte aber durch die Tür eintreten zu können. Ferner bat ich sie, der Laienschwester eine stärkere Dosis Opium zu geben, damit wir nicht zu fürchten brauchten, daß sie erwachte, während ich mit der jungen Nonne plauderte.

Im Grunde war ich sehr zufrieden, daß ich in meiner Meinung, die liebe Nonne könnte M. M. sein, mich getäuscht hatte. Indessen erweckte die außerordentliche Ähnlichkeit in mir den lebhaften Wunsch, sie in der Nähe zu sehen, und ich war überzeugt, daß sie mir am nächsten Tage nicht die Bitte abschlagen würde, sie bei Licht zu sehen. Ich lachte darüber, daß ich ihr so heiße Küsse gegeben hatte, aber ich fühlte auch, daß ich sie nicht im Stich lassen könnte. Übrigens wünschte ich mir zu diesem Gefühl Glück, weil ich überzeugt war, daß ich keines sinnlichen Anreizes bedürfte, um eine gute Handlung zu begehen, denn sobald ich erfahren hatte, daß nicht meine göttliche M. M. meine zärtlichen Küsse empfangen hatte, fühlte ich mich gewissermaßen beschämt, sie ihr gegeben zu haben. Ich hatte nicht einmal daran gedacht, sie beim Abschied freundlich zu umarmen.

Am Morgen sagte Desarmoises mir, die ganze Gesellschaft habe sich darüber aufgeregt, daß sie mich nicht an der Abendtafel gesehen, und habe alle möglichen Vermutungen angestellt, wo ich wohl sein könnte. Madame Zeroli habe mich seht eifrig gelobt, den Neckereien der beiden anderen Damen heldenmütig standgehalten und sich gerühmt, sie könnte mich in Aix festhalten, solange sie selber bliebe. Tatsächlich war ich allerdings nicht verliebt, aber doch neugierig auf sie geworden, und ich hätte ungern den Ort verlassen, ohne sie wenigstens einmal vollständig besessen zu haben.

Pünktlich um neun Uhr trat ich nach der Verabredung in ihr Zimmer ein. Ich fand sie angekleidet, und als ich ihr Vorwürfe darüber machte, sagte sie mir, dies müsse mir gleichgültig sein. Hierüber ärgerlich sprach ich kein Wort, während ich eine Tasse Schokolade mit ihr trank. Als ich gefrühstückt hatte, bot sie mir Revanche im Pikett an; ich dankte ihr jedoch, indem ich ihr sagte, in der Laune, in die sie mich versetzt hätte, würde ich besser spielen als sie, und ich liebte es nicht, von Damen Geld zu gewinnen. Mit diesen Worten stand ich auf und wollte hinausgehen.

»Haben Sie wenigstens die Güte, mich nach dem Brunnen zu begleiten.«

»Auch das nicht. Wenn Sie mich für einen Neuling halten, so irren Sie sich, es liegt mir gar nichts daran, daß die Leute glauben, ich hätte mein Ziel erreicht, wenn dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Sie können sich zum Brunnen begleiten lassen, von wem Sie wollen. Gehorsamster Diener, leben Sie wohl, Madame!«

Mit diesen Worten ging ich hinaus, ohne auf die Reden zu achten, durch die sie mich zurückzuhalten suchte.

Ich traf den Wirt vor der Tür und sagte ihm, ich würde ganz bestimmt um drei Uhr abreisen. Die Schöne stand am Fenster und konnte mich hören. Ich ging geraden Weges zum Brunnen, wo der Chevalier mich fragte, wie es seiner Frau gehe.

Ich antwortete ihm, ich hätte sie im besten Wohlsein auf ihrem Zimmer gelassen. Eine halbe Stunde darauf sahen wir sie mit einem Fremden ankommen, der von einem Herrn de Saint-Maurice freundlich begrüßt wurde. Madame Zeroli verließ ihn und hängte sich an meinen Arm, wie wenn gar nichts weiter los wäre. Ich konnte sie nicht zurückweisen, ohne mich den ärgerlichsten Folgen auszusetzen; aber ich war kalt. Sie beklagte sich über mein Benehmen und sagte mir, sie hätte mich nur auf die Probe stellen wollen; wenn ich sie liebte, würde ich meine Abreise noch verschieben und am nächsten Morgen um acht Uhr mit ihr frühstücken. Ich antwortete ihr in ruhigem Ton, ich würde es mir überlegen. Ich war während des ganzen Mittagessens ernst und sagte zwei- oder dreimal, ich würde ganz bestimmt um drei Uhr abfahren. In Wirklichkeit wünschte ich aber nur einen Vorwand zu finden, um bleiben zu können, da ich ja am selben Abend meine Nonne besuchen sollte. Ich ließ mich daher überreden, eine Pharaobank aufzulegen.

Ich holte alles Gold, das ich bei mir hatte, und sah lauter freudestrahlende Gesichter, als ich ungefähr vierhundert Louis in Gold und sechshundert Franken Silber vor mich hinlegte. »Meine Herren,« sagte ich, »Punkt acht Uhr werde ich aufhören.« Der zuletzt Gekommene sagte lächelnd, möglicherweise würde die Bank nicht ein so langes Leben haben. Ich tat, als hätte ich nicht verstanden. Es war drei Uhr. Ich bat Desarmoises, mir als Croupier zu dienen, und begann mit der ganzen erforderlichen Langsamkeit abzuziehen, da ich achtzehn bis zwanzig gewerbsmäßige Spieler vor mir hatte. Bei jeder Taille nahm ich neue Karten.

Gegen fünf Uhr war ich in Verlust, als ein Wagen heranrasselte. Man sagte uns, es wären drei Engländer, die von Genf kämen und Pferde wechselten, um nach Chambéry weiter zu reisen. Gleich darauf sah ich sie eintreten und machte ihnen mein Kompliment. Es waren Herr Fox und seine beiden Freunde, die mit mir die Partie Quinze gemacht hatten.

Mein Croupier bot jedem von ihnen ein Buch Karten an; sie nahmen es mit Vergnügen an und begannen Sätze von zehn Louis zu machen, indem sie auf zwei und drei Karten spielten, und Paroli, sept et le va und sogar Quinze et le va hielten, so daß meine Bank in Gefahr war, in die Luft zu fliegen. Trotzdem bewahrte ich meine gute Haltung und ermutigte sie sogar; denn wenn Gott neutral blieb, so war die Gewinnaussicht für mich. Er war’s, und bei der dritten Taille waren die Börsen der Engländer leer, und ihr Wagen hielt angespannt vor der Tür.

Während ich ein neues Spiel Karten mischte, zog der jüngste aus seiner Brieftasche ein Papier, das er seinen beiden Kameraden zeigte. Es war ein Wechsel.

»Wollen Sie«, fragte er mich, »auf eine Karte den Wert dieses Wechsels halten, ohne zu wissen, wie hoch er ist?«

»Ja; vorausgesetzt, daß Sie nur sagen, auf wen er gezogen ist, und daß die Summe nicht die Stärke meiner Bank übersteigt.«

Er warf einen Blick auf das Gold, das vor mir lag, und sagte: »Mein Wechsel beträgt nicht so viel wie Ihre Bank, und er ist auf Sicht bei Zappata in Turin zahlbar.«

Ich stimme zu, er hebt ab und legt den Wechsel auf ein Aß, nachdem seine beiden Freunde erklärt hatten, daß sie halb Part hielten. Ich ziehe ab und ziehe ab – kein Aß! Ich hatte nur noch ein Dutzend Karten in der Hand und sagte im ruhigsten Ton zu dem Spieler: »Mein Herr, es steht Ihnen frei, Ihren Einsatz zurückzuziehen.«

»Nein, fahren Sie fort.«

Ich mache noch zwei Abzüge – kein Aß! Ich hatte nur noch acht Karten.

»Mylord,« sage ich zu ihm, »es ist zwei gegen eins zu wetten, daß die nächste Karte ein Aß ist. Ich wiederhole Ihnen, es steht Ihnen frei, Ihren Einsatz zurückzuziehen.«

»Nein, Sie sind zu großmütig, ziehen Sie ab!«

Ich ziehe, gewinne und stecke meinen Wechsel in die Tasche, ohne ihn zu öffnen. Die Engländer schüttelten mir die Hand und gingen lachend hinaus. Ich freute mich der Wirkung, die mein kühnes Spiel auf die Gesellschaft geübt hatte, als der junge Fox wieder eintrat und mich laut lachend bat, ihm fünfzig Louis zu leihen. Ich zählte sie ihm mit dem größten Vergnügen auf. Er hat sie mir drei Jahre später in London zurückgegeben.

Alle waren neugierig, den Betrag des Wechsels zu erfahren, aber ich war nicht so gefällig, ihre Neugier zu befriedigen. Der Wechsel lautete auf achttausend Piemonteser Franken, wie ich sah, sobald ich allein war.

Die lieben Engländer hatten mir Glück gebracht, denn sobald sie fort waren, erklärte die Glücksgöttin sich für meine Bank. Um acht Uhr hörte ich auf. Nur die drei Damen hatten einige Louis gewonnen. Alle anderen waren völlig auf dem Trockenen. Ich hatte mehr als tausend Louis gewonnen und gab fünfundzwanzig davon meinem Croupier Desarmoises, der vor Freude ganz außer sich war. Schnell schloß ich mein Geld ein, steckte meine Pistolen in die Tasche und machte mich auf nach dem verabredeten Ort.

Die gute Bäuerin ließ mich durch die Tür eintreten und sagte mir, alles im Hause schlafe und sie habe nicht nötig gehabt, der Laienschwester eine neue Dosis von dein Schlaftrunk zu geben, denn diese sei noch gar nicht erwacht.

Dies erschreckte mich.

Ich ging hinauf und sah beim Scheine eines Talglichtes die arme junge Nonne, mit einem Schleier bedeckt, auf einem Strohsack sitzen, den die gute Bäuerin anstatt eines Sofas an die Wand gelehnt hatte. Das Licht, das dieses traurige Loch erhellte, war in eine Flasche gesteckt.

»Was haben Sie beschlossen, Madame«, fragte ich sie.

»Nichts, denn uns ist ein Unglück zugestoßen, das uns untröstlich macht: die Laienschwester schläft seit achtundzwanzig Stunden.«

»Sie wird diese Nacht an Krämpfen oder an einem Schlaganfall sterben, wenn Sie nicht einen Arzt kommen lassen, der sie vielleicht mit Bibergeil ins Leben zurückruft.«

»Wir haben daran gedacht; aber wir haben aus Furcht vor den Folgen es nicht zu tun gewagt; denn ob er sie nun heilt oder nicht, er wird auf alle Fälle sagen, wir hätten sie vergiftet.«

»Großer Gott! wie tun Sie mir leid; übrigens glaube ich, es ist schon zu spät, um sie noch behandeln zu lassen, und es wäre ganz überflüssig, einen Arzt zu holen. Wenn man alles recht bedenkt, müssen Sie den Gesetzen der Vorsicht folgen und sie sterben lassen. Ihr Tod wird in ihrem Alter natürlich erscheinen. Das Unglück ist nun einmal geschehen, und ich sehe kein Mittel dagegen.«

»Wir müssen zum mindesten an ihr Seelenheil denken und einen Priester rufen.«

»Ein Priester ist vollkommen überflüssig für sie, denn sie liegt in einem Zustande von Betäubung, und ihr Seelenheil ist durchaus nicht in Gefahr, übrigens würde ein unwissender Priester den Sachverständigen spielen wollen und aus Dummheit oder Bosheit alles ans Licht bringen. Wenn sie nicht mehr atmet, ist es an der Zeit, einen rufen zu lassen. Sie werden ihm sagen, sie sei plötzlich gestorben; Sie werden heftig weinen, werden ihm etwas zu trinken geben, und er wird nur daran denken, Ihren Schmerz zu beruhigen, und sich um die Tote gar nicht bekümmern.«

»Wir müssen sie also sterben lassen.«

»Man muß sie der Natur überlassen.«

»Wem, sie stirbt, werde ich einen Boten an die Äbtissin schicken, und diese wird mir eine andere Laienschwester zusenden.«

»Ja, und dadurch werden Sie etwa zehn Tage gewinnen. Während dieser Zeit werden Sie vielleicht entbunden, und dann können Sie sagen: zu irgend etwas ist stets auch das Unglück gut. Überlassen Sie sich nicht der Verzweiflung! Wir müssen uns dem Willen Gottes unterwerfen. Gestatten Sie, daß die Bäuerin heraufkommt, denn ich muß sie darüber belehren, wie sie sich in dieser gefährlichen Lage zu benehmen hat. Die Ehre und das Leben von uns dreien kann davon abhängen; denn wenn man entdecken sollte, daß ich hierher gekommen, würde man mich für den Giftmischer halten.«

Die Bäuerin kam herein, und ich stellte ihr vor, wie notwendig es für sie wäre, vorsichtig und verschwiegen zu sein. Sie begriff mich sehr gut, fühlte ihre eigene Gefahr und versprach mir, den Priester nicht eher holen zu wollen, als bis der Tod der Schwester gewiß wäre. Hierauf nötigte ich sie,zehn Louis anzunehmen, um damit in der schrecklichen Lage, worin wir uns befanden, alle notwendigen Ausgaben bestreiten zu können.

Als sie sich durch meine Freigebigleit reich geworden sah, küßte sie mir die Hände, kniete unter Tränen nieder und versprach mir, meine Ratschläge mit aller Vorsicht zu befolgen.

Als sie uns verlassen hatte, fing die Nonne bitterlich an zu weinen. Sie machte sich die größten Vorwürfe und beschuldigte sich des Mordes an der Laienschwester; sie sah den offenen Höllenrachen zu ihren Füßen. Vergeblich suchte ich sie zu beruhigen, ihre Angst wurde immer größer, sie sank in Ohnmacht und fiel hinter den Strohsack. Ich war in großer Verlegenheit, und da ich nicht wußte, wie ich mich aus der Klemme ziehen sollte, so rief ich die Bäuerin und befahl ihr, Essig zu bringen, denn ich hatte keine Riechessenz mehr. Plötzlich fiel mir die berühmte Nieswurz ein, die mir bei Frau von *** so gute Dienste getan hatte. Ich nahm die kleine Dose und stopfte ihr eine tüchtige Prise in die Nasenlöcher. Die Wirkung begann in dem Augenblick, wo die Bäuerin mit dem Essig kam. Ich befahl ihr, der Nonne die Schläfen einzureiben. Sie nahm ihr die Haube ab, und nur ihr schwarzes Haar konnte mich überzeugen, daß ich nicht meine teure Venetianerin vor mir hatte. Die Nieswurz brachte sie wieder zum Bewußtsein, sie schlug ihre großen schwarzen Augen auf, und von diesem Augenblick an war ich wahnsinnig in sie verliebt. Als die Bäuerin sah, daß sie wieder bei Bewußtsein und außer Gefahr war, ging sie hinaus. Ich aber nahm die Nonne in in meine Arme und überströmte sie mit heißen Küssen trotz ihrem ewigen Niesen.

»Ich flehe Sie an,« rief sie, »erlauben Sie mir meinen Schleier wieder anzulegen, denn sonst werde ich exkommuniziert.«

Ich lachte über ihre Furcht und fuhr fort, sie mit meinen glühenden Liebkosungen zu überhäufen.

»Ich sehe, Sie glauben mir nicht – aber ich schwöre Ihnen, die Äbtissin hat mir gedroht, den Bannfluch gegen mich zu schleudern, wenn ich mich von irgendeinem Mann ohne Schleier sehen ließe.«

»Fürchten Sie die Bannstrahlen der Äbtissin nicht mehr, meine schöne Freundin – sie sind ohnmächtig.«

Da jedoch das Niesen immer heftiger wurde, so fürchtete ich, durch die Erschütterung könnten die Wehen eintreten. Ich rief daher von neuem die Bäuerin und empfahl sie der Sorgfalt der guten Frau, nachdem ich ihr versprochen hatte, am nächsten Tage um dieselbe Stunde wieder zu kommen.

Es lag nicht in meiner Art, eine Frau im Stich zu lassen, deren Schicksal einem jeden die größte Teilnahme einflößen mußte. Aber ich konnte mir aus meinen Gefühlen kein Verdienst mehr machen; ich hatte mich in diese neue M. M. mit schwarzen Augen leidenschaftlich verliebt, und die Liebe macht sehr selbstsüchtig; denn bei allen Opfern, die wir dem Gegenstand unserer Leidenschaft bringen, denken wir nur an uns selber.

Ich war also entschlossen, alles für sie zu tun und sie ganz gewiß nicht in ihrem gegenwärtigen Zustand in ihr Kloster zurückkehren zu lassen. Mir schien, ich vollbrächte eine Gott wohlgefällige Handlung, indem ich sie rettete; denn nur Gott hatte diese vollkommene Ähnlichkeit mit einer von mir geliebten Frau zustande bringen können, und Gott hatte gewollt, daß ich viel Geld gewann, daß ich gerade im richtigen Augenblick die Zeroli fand, um die Neugierigen, die hinter mir her spioniert haben würden, auf eine falsche Spur zu bringen, so daß sie gewiß nicht erraten konnten, welche Beweggründe mich in der Gegend festhielten. Freigeister und Mystiker werden mich vielleicht für verrückt halten; aber was tut das? Ich habe stets eine eigene Lust empfunden, die Ereignisse meines Lebens in Beziehung zu Gott zu bringen. Und trotzdem haben Denker von gewöhnlicher Gesinnung mich des Atheismus beschuldigt!

Am nächsten Tage ging ich um acht Uhr zur liebenswürdigen Zeroli, die ich nicht vergessen hatte. Ich fand sie schlafend. Ihre Jungfer bat mich, recht leise einzutreten, um sie nicht zu wecken. Sie ließ mich allein und machte die Tür zu. Ich begriff die Sachlage, denn ich erinnerte mich augenblicklich, daß vor zwanzig Jahren eine Venetianerin, deren Schlaf ich dummerweise respektiert hatte, mich ausgelacht und nachher hinausgeworfen hatte. Ich handelte also dementsprechend, deckte sie leise auf und begann mit jenen zarten Vorspielen der Liebe, die die Lust so sehr erhöhen. Die Zeroli gab sich freilich die größte Mühe,sich schlafend zu stellen; aber von ihrem Gefühl hingerissen, überließ sie sich meinen Liebkosungen mit einer Glut, die die meinige noch übertraf und sie schließlich zwang, über ihre Kriegslist zu lachen. Sie sagte mir, ihr Mann sei nach Genf gefahren, um ihr eine Repetieruhr zu kaufen; er werde erst den nächsten Tag wiederkommen und sie könne die Nacht mit mir verbringen.

»Warum die Nacht, meine Liebe, da uns doch der Tag so günstig ist? Die Nacht ist zum Schlafen da, und der Tag verdoppelt den Genuß, da seine Helligkeit uns erlaubt, alle unsere Sinne gleichzeitig zu beschäftigen. Wenn du niemand erwartest, werde ich den ganzen Vormittag bei dir verbringen.«

»Meinetwegen. Es wird niemand kommen.«

Bald lag ich in ihren Armen, und vier Stunden lang überließen wir uns allen Wollüsten, indem wir uns gegenseitig betrogen, um uns unsere Glut besser zu beweisen, und herzlich lachten, wenn wir uns dessen überführen konnten. Nach dem letzten Angriff bat sie mich, ich möchte zum Dank für ihre Zärtlichkeit noch drei Tage in Aix bleiben.

»Ich verspreche dir, solange hier zu bleiben, als du mir solche Beweise deiner Liebe wie heute früh geben wirst.«

»Stehen wir also auf und gehen wir essen.«

»In Gesellschaft, meine Liebe? Wenn du deine Augen sehen könntest!«

»Um so besser; man wird das Vorgefallene erraten, und die beiden Gräfinnen werden vor Ärger platzen. Niemand soll daran zweifeln können, daß du nur meinetwegen in Aix bleibst.«

»Um mich lohnt es sich nicht der Mühe, mein Engel! Aber meinetwegen; ich erfülle deinen Wunsch mit Vergnügen, und wenn ich in diesen drei Tagen all mein Geld verlieren sollte.«

»Ich wäre in Verzweiflung, wenn du verlörest; aber wenn du nur nicht gegen die Bank spielst, so wirst du nicht verlieren, obgleich du dich bestehlen läßt.«

»Glaube mir, ich sehe es wohl, und lasse mich nur von den Damen bestehlen. Auch du hast mir einige falsche Parolis geboten.«

»Das ist wahr, aber viel weniger als die Gräfinnen. Und das ärgert mich; denn sie denken ohne Zweifel, du hast sie gewähren lassen, weil du in sie verliebt bist.«

»Die guten Damen täuschen sich durchaus; denn um keine von den beiden wäre ich nur einen einzigen Tag hier geblieben.«

»Das freut mich sehr. Aber ich muß dir doch mitteilen, was für eine Bemerkung der Marquis des Saint-Maurice gestern über dich gemacht hat.«

»Sprich nur! ich hoffe, er wird sich keine Beleidigung erlaubt haben.«

»Dies nicht; er hat gesagt, du hättest niemals dem Engländer anbieten dürfen, sich bei den letzten acht Karten zurückzuziehen; denn du hattest die Gewinnaussicht für dich, wenn er trotzdem gewonnen hätte, so hätte er glauben können, daß du die Karte kenntest.«

»Nicht übel. Aber sage dem Marquis, ein Ehrenmann könne nicht in solchen Verdacht kommen. Außerdem war der Charakter des jungen Lords mir bekannt, und ich war beinahe sicher, daß er mein Anerbieten nicht annehmen würde.«

Als wir im Speisesaal erschienen, empfing man uns mit Händeklatschen. Die schöne Zeroli schien mich am Zügel zu führen, und ich legte die bescheidenste Haltung an den Tag. Nach dem Essen wagte niemand mir den Vorschlag zu machen, eine Bank aufzulegen, denn alle Börsen waren leer. Man begnügte sich mit einem Trente-et-quarante, das den ganzen Tag dauerte und mir etwa zwanzig Louis kostete.

Wie gewöhnlich verschwand ich gegen Abend. Nachdem ich Leduc eingeschärft hatte, während meines ganzen Aufenthaltes in Aix mein Zimmer nicht einen Augenblick zu verlassen, machte ich mich auf den Weg nach dem Häuschen, wo die unglückliche Nonne voll Ungeduld auf mein Erscheinen warten mußte. Trotz der Dunkelheit glaubte ich bald darauf zu bemerken, daß jemand mir folgte. Ich blieb stehen, man überholte mich. Zwei Minuten darauf setzte ich meinen Weg fort und sah dieselben Personen, die ich nicht hätte einholen können, wenn sie nicht ihre Schritte verlangsamt hätten. Dies konnte nicht ohne Bedeutung sein, aber ich glaubte mich dessen vergewissern zu müssen. Ich verließ die Straße und ging in derselben Richtung weiter; ich war sicher, daß ich den Weg wieder finden würde, wenn ich nicht mehr verfolgt würde. Bald aber gewann ich die Gewißheit, daß ich Spione hinter mir hatte, denn ich sah dieselben gespensterhaften Gestalten in geringer Entfernung. Ich ging schneller und versteckte mich hinter einem Baum; sobald ich meine Spione bemerkte, gab ich einen Pistolenschuß in die Luft ab und wartete. Als ich eine Minute darauf niemanden mehr sah, ging ich nach dem Bauernhäuschen.

Ich stieg die Treppe hinauf und fand meine Nonne in einem Bett liegen; auf einem Tisch brannten zwei Kerzen.

»Sind Sie krank, Madame?«

»Ich war es einen Augenblick, aber ich befinde mich Gott sei Dank sehr wohl, nachdem ich um zwei Uhr in der Frühe einen strammen Jungen zur Welt gebracht habe.«

»Und wo ist das Kind?«

»Ach, ich habe nur ein einziges Mal das Glück gehabt, es zu küssen; dann hat meine gute Wirtin es mir fortgenommen und ich weiß nicht wohin gebracht. Die heilige Jungfrau hat meine Gebete erhört; ich hatte nur ein paar Augenblicke einen starken Schmerz, und eine Viertelstunde nach meiner Entbindung nieste ich noch. Sagen Sie mir, sind Sie ein Engel oder ein Mensch! Ich habe gefürchtet, eine Sünde zu begehen, indem ich Sie anbetete.«

»Sie geben mir da eine Nachricht, die mich aufs höchste erfreut. Und die Laienschwester?«

»Sie atmet noch, aber wir haben keine Hoffnung mehr, daß sie durchkommt. Ihr Gesicht ist völlig entstellt. Wir haben ein schreckliches Verbrechen begangen, und Gott wird mich dafür bestrafen.«

»Nein, meine Liebe, Gott wird Ihnen verzeihen; denn das reinste aller Wesen kann nur die böse Absicht bestrafen, und Sie haben eine solche nicht gehabt. Beten Sie die göttliche Vorsehung an, die alles zum besten lenkt.«

»Ihre Worte trösten mich. Meine Bäuerin versichert, Sie seien ein Engel; denn Ihr Pulver hat meine Niederkunft bewirkt. Ich werde Sie niemals vergessen, obgleich ich nicht weiß, wer Sie sind.«

Die Bäuerin trat ein; ich dankte ihr dafür, daß sie die Kranke gepflegt und ihr geholfen hätte, sich ihrer schweren Bürde zu entledigen. Ich empfahl ihr von neuem, vorsichtig zu sein, und vor allen Dingen den Priester gut zu behandeln, den sie holen lassen würde, wenn die Laienschwester tot wäre; sie müßte ihn verhindern, Beobachtungen zu machen, die verhängnisvoll werden könnten.

»Alles wird gut gehen«, sagte sie; »denn kein Mensch weiß etwas davon, daß die Laienschwester krank ist, und ebensowenig, warum die gnädige Frau im Bett geblieben ist.«

»Was haben Sie mit dem Kinde gemacht?«

»Ich habe es selber nach Annecy getragen; dort habe ich alles gekauft, was für den augenblicklichen Zustand der gnädigen Frau und für den Tod der anderen notwendig sein kann.«

»Weiß Ihr Bruder etwas?«

»Gott soll mich bewahren! Übrigens ist er gestern fortgegangen und wird erst in acht Tagen wiederkommen. Wir haben nichts zu fürchten.«

Ich gab ihr abermals zehn Louis und bat sie, einige Möbel zu kaufen und mir für den nächsten Tag etwas Essen zu besorgen. Sie sagte mir, sie habe noch viel Gold übrig behalten, und ich glaubte, sie würde wahnsinnig werden, als ich ihr gesagt hatte, der ganze Rest wäre für sie. Da ich glaubte, die Kranke mochte Ruhe nötig haben, so verließ ich sie mit dem Versprechen, am nächsten Abend pünktlich wieder zu kommen.

Es lag mir daran, mir diese leidige Geschichte bald vom Halse zu schaffen, und ich konnte nicht eher Viktoria rufen, als bis die arme Laienschwester unter der Erde war. Ich hatte eine Heidenangst; denn wenn der Priester nicht geradezu ein Trottel war, so mußte er entdecken, daß die Frau an Gift gestorben war.

Am nächsten Morgen suchte ich meine schöne Zeroli auf; ihr Mann war bei ihr, und sie betrachtete die Uhr, die er für sie gekauft hatte. Er kam auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte, er wünsche sich Glück, daß seine Frau die Macht besessen habe, mich in Aix zurückzuhalten. Ich sagte ihm, dies wäre ihr nicht schwer gefallen, und ein Bravo! war seine ganze Antwort.

Dieser Chevalier war einer von jenen Männern, die lieber für gutmütige Ehegatten als für dumm gelten wollen. Seine Frau nahm meinen Arm, wir ließen ihn im Zimmer allein und gingen nach dem Brunnen. Unterwegs sagte sie mir, sie würde am nächsten Tage allein sein und würde nicht mehr so neugierig sein, meine nächtlichen Wanderungen ausspionieren zu wollen.

«Ah! So hast also du mich verfolgen lassen?«

»Nein; ich selber bin dir gefolgt, aber es geschah nur, um einen Spaß zu haben; denn in jener Gegend sind nur Berge. Ich hätte dich aber nicht für so boshaft gehalten. Du hast mir eine schöne Angst eingejagt! Weißt du auch, daß du mich hättest totschießen können? Zum Glück, mein Herr, haben Sie vorbeigeschossen.«

»Mit Absicht, liebe Freundin; denn ohne eine Ahnung zu haben, daß du es wärest, habe ich in die Luft geschossen. Ich war überzeugt, daß dies genügen würde, um die Neugierigen fernzuhalten.«

»Allerdings; sie werden dir nicht mehr nachgehen.«

»Wenn sie das tun, so werde ich sie vielleicht gewähren lassen; denn mein Spaziergang ist sehr unschuldiger Art. Ich bin stets um zehn Uhr zu Hause.«

Wir saßen noch bei Tisch, als wir eine sechsspännige Berline ankommen sahen. Es war der Marquis Prié mit einem Ludwigsritter und zwei reizenden Damen, von denen die eine, wie meine Schöne mir eifrig mitteilte, die Geliebte des Marquis war. Es wurden vier neue Gedecke aufgelegt, und in der Zwischenzeit, bis die Neuangekommenen bedient wurden, erzählte man ihnen die Geschichte von den Engländern, gegen die ich Bank gehalten hatte. Der Marquis machte mir ein Kompliment darüber und sagte mir, er habe sich nicht mit der Hoffnung geschmeichelt, daß er die Ehre haben würde, mich in Aix wiederzufinden. Sofort nahm Madame Zeroli das Wort und sagte: wenn sie nicht gewesen wäre, würde er mich nicht mehr gefunden haben. Da ich an ihre Unbesonnenheiten gewöhnt war, so konnte ich nichts Besseres tun als dies zuzugeben; dies schien ihr ein außerordentliches Vergnügen zu machen, obgleich ihr Mann anwesend war. Aber dieser teilte ihren Triumph.

Der Marquis sagte mir, er würde die Ehre haben, mir nach dem Essen eine kleine Bank zu legen, was ich aus Höflichkeit annehmen mußte. Ich verlor in sehr kurzer Zeit etwa hundert Louis. Hierauf ging ich auf mein Zimmer, um einige Briefe zu schreiben, und sobald es dämmerig wurde, begab ich mich zu meiner Nonne.

»Was gibt es Neues?«

»Die Laienschwester ist tot; morgen wird man sie begraben, und morgen war der Tag, an dem wir ins Kloster zurückkehren sollten. Hier ist mein Brief an die Äbtissin. Sie wird mir eine andere Laienschwester schicken, oder sie wird befehlen, daß ich mich von meiner Bäuerin nach dem Kloster zurückbringen lasse.«

»Was hat der Priester gesagt?«

»Er hat gesagt, die Laienschwester sei an einer Betäubung des Gehirns infolge eines Schlagflusses gestorben.«

»Das ist ein großes Glück.«

»Ich möchte ihn fünfzehn Messen für sie lesen lassen; erlauben Sie mir dies?«

»Sehr gern, meine Liebe; diese Messen sollen die Belohnung für den Priester oder vielmehr für seine glückliche Unwissenheit sein.«

Ich rief die Bäuerin, befahl ihr die Messen lesen zu lassen und bat sie dem Priester zu sagen, die Messen sollten für die Seele derjenigen Person sein, die die Kosten trage. Sie sagte mir, die Tote wäre entsetzlich anzusehen, und sie lasse sie von zwei Frauen bewachen, die sie mit Weihwasser besprengten, damit nicht die Hexen in Gestalt von Katzen ihr dieses oder jenes Glied raubten. Ich war weit entfernt, über ihre Furcht zu lachen, sondern sagte ihr, sie tue ganz recht, und fragte sie hierauf, wo sie das Opium gekauft habe.

»Die Verkäuferin ist eine sehr ehrenwerte Hebamme, die ich seit langer Zeit kenne. Wir brauchten es, um die unglückliche Laienschwester einzuschläfern, sobald sich die Wehen einstellen würden.«

»Seid Ihr erkannt worden, als Ihr das Kind in das Findelhaus brachtet?«

»Kein Mensch hat mich gesehen, als ich es auf die Drehscheibe legte; auf einem Zettel habe ich mitgeteilt, daß das Kind noch nicht getauft sei.«

»Wer hat diesen Zettel geschrieben?«

»Ich selber.«

»Ihr müßt daran denken, das Begräbnis gut zu bezahlen.«

»Dieses wird nur sechs Franken kosten, die der Pfarrer von den zwei Louis bestreiten wird, welche man bei der Toten gefunden hat. Der Rest wird dazu dienen, um Messen lesen zu lassen und ihr dadurch Vergebung dafür zu verschaffen, daß sie Geld bei sich gehabt hat.«

»Wie? durfte sie mit gutem Gewissen nicht einmal zwei Louis bei sich haben?«

»Nein,« sagte die Nonne, »ohne Vorwissen der Äbtissin dürfen wir bei Strafe der Exkommunikation kein Geld haben.«

»Und was hat man Ihnen gegeben, um hier zu leben?«

»Täglich zehn savoyische Sous. Jetzt werde ich hier gehalten wie eine Prinzessin. Sie werden dies beim Abendessen sehen, denn obwohl die gute Frau weiß, daß das Geld, das Sie ihr gaben, ihr gehört, so gibt sie es doch in verschwenderischer Weise für mich aus.«

»Sie weiß, Schwester, daß dies meine Absicht ist. – Hier habt Ihr noch mehr; fahret so fort!«

Mit diesen Worten zog ich noch zehn Louis aus meiner Börse und gab sie der Bäuerin mit der Aufforderung, keine Ausgabe zu sparen, um die Kranke zu pflegen. Ich weidete mich an dem Glück der guten Frau, die mir die Hände küßte und mir sagte, sie habe durch mich ihr Glück gemacht und werde sich Kühe kaufen.

Das reizende Wesen erinnerte mich lebhaft an die Augenblicke des Glücks, dessen ich mit meiner göttlichen M. M. genossen hatte. Als ich mit ihr allein war, geriet meine Phantasie in Glut; ich trat an ihr Bett heran und begann von ihrem Verführer zu sprechen, indem ich ihr sagte, ich sei sehr überrascht, daß er in der schrecklichen Lage, in die er sie gebracht, nicht für die notwendige Hilfe gesorgt habe.

Sie antwortete mir: »Geld hätte ich wegen meines Gelübdes der Armut und des Gehorsams doch nicht annehmen können; ich werde der Äbtissin sogar den Louis zurückgeben, der von dem durch den Bischof verschafften Almosen noch übrig geblieben ist. Daß ich gewissermaßen ganz verlassen war, als ich das Glück hatte, Ihnen zu begegnen, glaube ich dem Umstand zuschreiben zu müssen, daß Herr Coudert meinen Brief nicht erhalten hat.«

»Das kann wohl sein. Aber ist er reich, ist er schön?«

»Reich, ja; aber schön – nein. Im Gegenteil, er ist sehr häßlich, bucklig und mindestens fünfzig Jahre alt.«

»Wie ist es möglich, daß Sie sich in einen solchen Pavian haben verlieben können?«

»Ich habe ihn niemals geliebt; aber er wußte mein Mitleid zu erregen. Er wollte sich umbringen; ich glaubte ihm dies und versprach ihm, nachts in den Garten zu kommen, wo er mich erwarten wollte. Ich ging aber nur in der Absicht hin, ihn zu bitten, daß er sich entfernen möchte. Er tat dies auch; aber erst nachdem er seine böse Lust befriedigt hatte.«

»Er hat Ihnen also Gewalt angetan?«

»Nein, das würde ihm nicht gelungen sein; aber er weinte, warf sich vor mir auf die Knie und bat mich so inständig, daß ich ihn gewähren ließ, nachdem er mir versprochen hatte, daß er sich nicht das Leben nehmen und nicht wieder in den Garten kommen würde.«

»Und haben Sie nicht befürchtet, daß Ihre Gefälligkeit Folgen haben würde?«

»Ich verstand nichts davon, denn ich hatte immer geglaubt, daß mindestens drei Male notwendig seien, um zu empfangen.«

»Unglückselige Unwissenheit! Wieviel Unglück richtet sie an! Er hat Sie also nicht mehr gequält, um neue Zusammenkünfte zu erlangen?«

»Er hat mich oft darum gebeten, aber ich habe ihm keine mehr bewilligt, weil unser Beichtvater mir das Versprechen abnahm, ihm nichts mehr zu gewähren, wenn ich meine Absolution haben wollte.«

»Haben Sie Ihren Verführer genannt?«

»Nein, natürlich nicht; das würde der gute Beichtvater mir nicht erlaubt haben, denn damit hätte ich eine große Sünde begangen.«

»Haben Sie dem Beichtvater etwas von Ihrem Zustande gesagt?«

»Auch das nicht; aber er wird sich die Wahrheit gedacht haben. Er ist ein ehrwürdiger Greis, der ohne Zweifel für mich zu Gott gebetet hat, und Ihre kostbare Bekanntschaft ist vielleicht die Frucht seiner Gebete.«

Ich war tief gerührt und schwieg, in meine Gedanken versunken, fast eine ganze Stunde lang. Ich sah, daß das Unglück des reizenden Mädchens nur von ihrer Unwissenheit und Aufrichtigkeit, von ihrer vollkommenen Unschuld und von einem übel verstandenen Mitleid herrührte, das sie veranlaßte, diesem geilen Ungeheuer etwas zu bewilligen, worauf sie wenig Wert legte, weil sie niemals verliebt gewesen war und darum von dessen Bedeutung keine Ahnung hatte. Sie hatte Religion, aber es war eine gewohnheitsmäßige, gedankenlose und darum sehr schwache Religion. Sie verabscheute die Sünde, weil sie sich durch die Beichte davon reinigen mußte, wenn sie sich nicht der Strafe ewiger Verdammnis aussetzen wollte, und sie wollte nicht verdammt sein. Sie besaß viel natürlichen Menschenverstand, wenig Geist, weil sie niemals in der Lage gewesen war, ihn zu üben, und im übrigen eine Unwissenheit, wie man sie nur einer Nonne verzeihen kann. Indem ich dies alles erwog, sah ich voraus, daß ich es sehr schwierig finden würde, von ihr die Gunstbezeugung zu erlangen, die sie dem Herrn de Coudert nicht hatte abschlagen können; sie hatte diese zu sehr zu bereuen gehabt, um sich von neuem der gleichen Gefahr auszusetzen.

Die Bäuerin kam wieder herein, legte zwei Gedecke auf einen kleinen Tisch und trug uns das Abendessen auf. Mundtücher, Teller, Gläser, Löffel, Messer usw. – alles war neu und von einer sehr appetitlichen Sauberkeit. Die Weine waren sehr gut und die Speisen köstlich, weil es keine erkünstelten Gerichte waren. Es gab gebratenes Wildbret, Fisch, Rahmkäse und sehr gutes Obst. Ich verbrachte anderthalb Stunden damit, mir dies alles gut schmecken zu lassen, trank dazu zwei Flaschen Wein und plauderte mit meiner Nonne, die sehr wenig aß. Ich war ganz in Feuer; die Bäuerin war von meinen Lobsprüchen entzückt und versprach mir, mich jeden Abend in derselben Weise zu bewirten.

Als ich mit meiner Nonne allein war, deren Zauberantlitz so feurige Erinnerungen in mir weckte, sprach ich mit ihr über ihre Gesundheit und besonders von den Folgen, die die Befreiung von einer neun Monate lang getragenen Bürde nach sich zu ziehen pflegte. Sie sagte mir: »Ich befinde mich sehr gut und kann zu Fuß nach Chambéry zurückkehren. Das einzige, was mich belästigt, sind meine Brüste; aber die Bäuerin hat mir versichert, die Milch werde morgen verschwinden und sie werden dann ihre natürliche Form wieder annehmen.«

»Gestatten Sie mir, sie zu untersuchen; ich verstehe mich darauf.«

»Sehen Sie!«

Sie entblößte sich; sie dachte gar nicht daran, daß dies mir angenehm sein könnte, sondern wollte nur höflich sein; außerdem traute sie mir keine Hintergedanken zu. Ich betastete zwei Halbkugeln von einer Weiße und Formschön heit, daß sie einen Lazarus vom Tode erweckt hätten. Ich hütete mich, ihre Schamhaftigkeit zu verletzen, doch fragte ich sie mit der allerruhigsten Miene, wie sie sich ein bißchen weiter unten befinde. Gleichzeitig streckte ich sanft meine Hand aus. Sie hielt mich jedoch sachte zurück und bat mich, nicht dorthin zu fassen, weil sie noch etwas unwohl wäre. Ich bat sie um Verzeihung und sprach die Hoffnung aus, daß ich sie am nächsten Tage wieder völlig hergestellt finden würde. »Die Schönheit Ihres Busens«, fügte ich hinzu, »vermehrt noch die Teilnahme, die Sie mir eingeflößt haben.« Mit diesen Worten preßte ich meinen Mund auf den ihrigen, und ich fühlte, wie ein Kuß gleichsam unwillkürlich ihren Lippen entschlüpfte. Dieser Kuß drang in alle meine Adern; ich fühlte mich aufs höchste erregt und sah, daß ich schnell aus ihrer Gesellschaft fliehen mußte, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, ihr ganzes Vertrauen zu verlieren. Ich entfernte mich daher, indem ich sie zärtlich als meine liebe Tochter grüßte.

Es regnete in Strömen, und ich war bis auf die Haut durchnäßt, als ich in meinem Zimmer ankam. Dieses Bad war freilich sehr gut, um meine Glut zu dämpfen, aber es war schuld daran, daß ich spät aufstand. Nachdem ich mich angekleidet hatte, steckte ich die beiden Porträts, die meine M. M. als Nonne im Ordenskleid und als Venus in Naturzustande darstellten, in die Tasche. Ich war sicher, daß sie mir bei meiner neuen Nonne gute Dienste leisten würden.

Da ich die schöne Zeroli nicht zu Hause traf, ging ich nach dem Brunnen, wo ich sie denn auch wirklich fand. Sie machte mir zärtliche Vorwürfe, die ich für bare Münze hinnahm, und wir versöhnten uns auf einem Spaziergange. Nach dem Mittagessen legte der Marquis de Prié eine Bank; da ich jedoch nur hundert Louis sah, so begriff ich, daß er viel zu gewinnen, aber wenig aufs Spiel zu setzen wünschte. Ich legte hundert Louis vor mich hin, und als er mir sagte, wir spielten ja nur zu unserer Unterhaltung, und ich möchte daher nicht nur auf eine einzige Karte spielen, antwortete ich ihm, ich würde einen Louis auf jede der dreizehn Karten setzen.

»Sie werden verlieren.«

»Das wollen wir einmal sehen.«

Damit breitete ich das ganze Buch auf dem Tisch aus und setzte auf jede Karte einen Louis.

Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit hätte ich allerdings verlieren müssen; aber das Schicksal entschied anders, denn ich gewann achtzig Louis.

Um acht Uhr machte ich der Gesellschaft meine Verbeugung und ging den gewohnten Weg nach dem Tempel meiner neuen Liebe. Ich fand die Kranke entzückend. Sie sagte mir, sie habe ein leichtes Fieber gehabt; aber die Bäuerin habe ihr gesagt, es sei nur das Milchfieber und sie werde schon am nächsten Tag wieder ganz gesund sein und aufstehen können. Als ich meine Hand ausstreckte, um die Decke aufzuheben, ergriff sie sie und küßte sie, indem sie mir sagte, sie fühle das Bedürfnis, mir diesen Beweis ihrer kindlichen Liebe zu geben. Sie war einundzwanzig Jahre alt, ich fünfunddreißig. Welch eine Tochter für einen solchen Vater! Was ich für sie empfand, glich denn auch keineswegs väterlicher Liebe. Indessen sagte ich ihr: das Vertrauen, das sie mir zeige, indem sie mich entkleidet im Bette liegend empfange, vermehre meine Zärtlichkeit für sie; aber am nächsten Tage würde ich traurig sein, wenn ich sie wieder als Nonne gekleidet sähe.

»Nun, so werden Sie mich im Bett finden! Ich tue Ihnen diesen Gefallen recht gern; denn bei der Hitze ist mein wollenes Kleid mir sehr unbequem; aber ich glaubte Ihnen mehr zu gefallen, wenn ich anständiger gekleidet wäre; da es Ihnen jedoch einerlei ist, so soll Ihr Wunsch erfüllt werden.«

In diesem Augenblick trat die Bäuerin ein und gab ihr den Brief der Äbtissin, den ihr Neffe gerade eben von Chambéry zurückgebracht hatte. Die Äbtissin schrieb ihr, sie würde ihr zwei Laienschwestern schicken, um sie nach dem Kloster zurückzubringen, und da sie wieder gesund wäre, so könnte sie den Weg zu Fuß machen und auf diese Weise das Geld sparen, um es für nützlichere Zwecke zu verwenden. Der Bischof wäre auf dem Lande, und da sie die beiden Laienschwestern nicht ohne dessen Erlaubnis schicken dürfte, so könnten sie erst in acht oder zehn Tagen abreisen. Sie befahl ihr, unter Androhung der großen Exkommunikation, niemals ihr Zimmer zu verlassen, mit keinem Manne ein Wort zu sprechen, auch nicht mit dem Bauern, in dessen Haus sie wohne, und nur mit der Bäuerin zu verkehren. Zum Schluß teilte sie ihr mit, sie werde für die Seelenruhe der Gestorbenen eine Messe lesen lassen.

Ich sagte ihr hierauf: »Ich danke Ihnen, Madame, für die Mitteilung dieses Briefes; aber sagen Sie mir bitte, ob ich während dieser acht oder zehn Tage kommen und Ihnen meine Aufwartung machen darf; denn ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich ein Mann bin. Ich habe mich hier in Aix nur solange aufgehalten, weil Sie mir die lebhafteste Teilnahme eingeflößt haben; aber wenn es wegen der eigentümlichen Exkommunikation, womit Ihre alte Oberin Sie bedroht, Ihnen nur im geringsten widerstrebt, mich zu empfangen, so werde ich morgen abreisen. Nun sprechen Sie!«

»Mein Herr, unsere Äbtissin ist verschwenderisch mit ihren Blitzen, und diese Exkommunikation, womit sie mich bedroht, habe ich mir bereits zugezogen; aber ich hoffe, Gott wird sie nicht bestätigen, denn sie hat mich nicht elend, sondern glücklich gemacht. Ich will Ihnen also aufrichtig sagen, daß Ihre Besuche jetzt das Glück meines Lebens sind, und ich werde mich doppelt glücklich schätzen, wenn Sie mit Vergnügen zu mir kommen. Aber ich hätte wohl einen Wunsch, wenn Sie mir diesen erfüllen könnten, ohne gegen eine Pflicht der Verschwiegenheit zu verstoßen: ich möchte, daß Sie mir sagen, für wen Sie mich gehalten haben, als Sie das erstemal im Dunkeln mit mir zusammen kamen; denn Sie können sich nicht vorstellen, wie überrascht ich war und welche Angst ich hatte. Ich hatte keine Ahnung von solchen Küssen, wie die, womit Sie mein Gesicht bedeckten; abey diese haben meine Exkommunikation nicht verschlimmern können, denn ich empfing sie ohne meine Einwilligung, und Sie haben mir ja später selber gesagt, daß sie einer anderen galten.«

»Madame, ich werde Ihren Wunsch erfüllen. Ich kann es tun, denn Sie wissen jetzt, daß wir Menschen sind, daß das Fleisch schwach, oder eigentlich oftmals stärker ist als der Geist, und daß es die stärksten Seelen dazu fortreißt, gegen die Vernunft zu verstoßen. Sie werden alle Wechselfälle einer zweijährigen Liebschaft mit der schönsten und klügsten von allen Nonnen meines Vaterlandes hören.«

»Sagen Sie mir alles, mein Herr! Da ich in denselben Fehler verfallen bin, so würde ich ungerecht und unmenschlich sein, wenn ich an irgendeinem Umstände Anstoß nähme; denn gewiß haben Sie mit ihr mehr gemacht als Coudert mit mir gemacht hat.«

»Ich habe viel mehr gemacht, Madame, und viel weniger als Ihr Buckliger; denn ich habe ihr kein Kind gemacht. Hätte ich dieses Unglück gehabt, so würde ich sie entführt haben und mit ihr nach Rom gegangen sein. Wir hätten uns dem Heiligen Vater zu Füßen geworfen; er hätte sie von ihrem Gelübde entbunden, und meine liebe M. M. würde heute meine Gattin sein.«

»Großer Gott! M. M. ist mein Name!«

Dieser Umstand, der im Grunde nichts zu bedeuten hatte, machte doch unser Zusammentreffen zu etwas Wunderbarem und setzte mich nicht weniger in Erstaunen als sie. Es war ein eigentümlicher, nichtiger Zufall; aber ein solcher wirkt oft sehr stark auf befangene Geister und kann dann die wichtigsten Folgen haben.

Nachdem ich einige Minuten geschwiegen hatte, erzählte ich ihr alles was zwischen der schönen Venetianerin und mir vorgegangen war. Ich schilderte unsere Liebeskämpfe in lebhaften und natürlichen Farben; denn es war nicht nur die Erinnerung noch meinem Geiste gegenwärtig, sondern ich hatte auch ihr lebendes Abbild vor den Augen, und ich konnte auf ihrem Gesicht die Wirkung verfolgen, die meine Erzählung hervorbrachte. Als ich fertig war, fragte sie mich: »Aber gleicht Ihre M. M. mir wirklich so sehr, daß Sie sich täuschen konnten?«

Ich zog aus meiner Brieftasche das Porträt, worauf sie als Nonne abgebildet war, und antwortete ihr: »Urteilen Sie selber!«

»Es ist wahr, abgesehen von den Augen ist es vollkommen mein Bild. Dieselbe Tracht, dasselbe Gesicht – geradezu ein Wunder! Welcher Zufall! Dieser Ähnlichkeit verdanke ich mein ganzes Glück. Gelobt sei Gott, daß Sie mich nicht lieben, wie Sie diese Nonne geliebt haben, die ich mit Vergnügen meine Schwester nenne! Unerforschliche Vorsehung, alle deine Wege sind anbetungswürdig, und wir sind nur gebrechliche, unwissende und stolze Sterbliche!«

Die gute Bäuerin kam herein und brachte uns ein Abendessen, das noch besser war als das vorige. Die Kranke aß nur eine Suppe, aber sie versprach mir, am nächsten Tage würde sie mir die Spitze bieten.

Nachdem ihre Wirtin den Tisch abgeräumt hatte, verbrachte ich noch eine Stunde mit ihr; durch mein zurückhaltendes Benehmen bestärkte ich sie in ihrer irrtümlichen Annahme, daß ich nur die Gefühle eines Vaters für sie hätte. Sie ließ mich aus eigenem Antriebe sehen, daß ihr Busen wieder seine natürliche Form annahm.

Ich überzeugte mich davon mit meinen eigenen Händen, ohne daß sie den geringsten Widerstand leistete, denn sie begriff gar nicht, daß dies irgendeinen Eindruck auf mich machen könnte. Die Küsse, womit ich ihre Augen und Lippen bedeckte, schrieb sie der innigen Freundschaft zu, die sie bei mir voraussetzte. Sie sagte mir lächelnd, sie danke Gott, daß sie nicht blond sei wie ihre Schwester, und ich lächelte über ihre Naivität.

Aber dieses Spiel ließ sich nicht lange durchhalten, und ich mußte vorsichtig vorgehen. Sobald ich daher fühlte, daß das Gefühl meine Vernunft unterjochen wollte, gab ich ihr einen letzten Kuß und entfernte mich schnell. In meinem Zimmer übergab Leduc mir ein Briefchen der Madame Zeroli, die mir schrieb, wir würden uns am Brunnen sehen, weil sie von der Geliebten des Marquis zum Essen eingeladen wäre.

Ich schlief gut, aber meine Phantasie führte mir im Schlummer die Reize meiner neuen M. M. vor. Am Morgen sagte Frau Zeroli mir beim Brunnen, die ganze Gesellschaft behaupte, daß ich verlieren müßte, wenn ich auf dreizehn Karten gleichzeitig spielte; denn es wäre nicht wahr, daß in jeder Taille eine Karte viermal gewänne; der Marquis hätte dies zugegeben, trotzdem aber gesagt, er würde mir nicht mehr erlauben, auf diese Art zu spielen.

»Dabei wäre nur eine einzige kleine Schwierigkeit – nämlich die, daß er, wenn ich es wollte, nichts anderes dagegen machen könnte, als daß er das Spiel aufgebe.«

»Seine Geliebte hat sich erboten, Sie zu veranlassen, daß Sie wieder wie gewöhnlich spielen.«

Ich dankte ihr lächelnd.

In den Gasthof zurückgekehrt, machte ich eine Partie Quinze mit dem Marquis und verlor fünfzig Louis; hierauf ließ ich mich überreden, eine Bank zu legen. Ich holte mir fünfhundert Louis und setzte mich an den Tisch, um das Glück herauszufordern. Ich nahm Desarmoises zum Croupier und erklärte, ich würde keine Karte halten, die nicht mit ihrem Einsatz belegt wäre, und würde um halb acht aufhören. Ich saß zwischen den beiden Schönen. Ich legte meine fünfhundert Louis vor mich hin und ließ mir vom Wirt hundert Sechsfrankentaler geben, um die Damen zu amüsieren Aber es trat ein Hindernis ein.

Da ich vor mir nur ausgepackte Karten sah, so verlangte ich neue. Der Saalkellner sagte mir: »Ich habe nach Chambéry geschickt, um hundert Spiele kaufen zu können, und der Bote muß gleich zurückkommen. Unterdessen können Sie mit diesen hier abziehen, die so gut wie neu sind.«

»Ich will keine Karten, die so gut wie neu sind, sondern ganz neue. Ich habe Vorurteile, mein guter Freund, und diese sind so stark, daß niemand sie besiegen kann. Bis Ihr Mann zurückkommt, werde ich Zuschauer sein. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich die Damen warten lassen muß.«

Niemand wagte auch nur die geringste Bemerkung zu machen, und ich verließ meinen Platz, nachdem ich mein Geld in die Taschen gesteckt hatte.

Der Marquis de Prié hielt die Bank und spielte sehr vornehm. Ich setzte mich neben Frau Zeroli, die mich an ihrem kleinen Spiel beteiligte und mir am anderen Morgen fünf oder sechs Louis gab. Der Bote, der sofort von Chambéry zurückkommen sollte, kam erst um Mitternacht. Ich war froh, so gut weggekommen zu sein; denn in Savoyen und besonders unter den Spielern gibt es Leute, die schärfere Augen haben als ein Luchs. Ich legte mein Geld wieder in meine Kassette und ging ins freie Feld hinaus.

Da ich meine schöne Nonne noch im Bett fand, fragte ich sie: »Wie befinden Sie sich heute, Madame?«

»Nennen Sie mich doch Tochter! Dieses Wort ist so süß, daß ich wünschte, Sie wären mein Vater, um sie ohne jede Scheu in die Arme schließen zu können.«

»Nun, meine liebe Tochter, fürchte nichts und öffne mir deine Arme.«

»Ja, umarmen wir uns!«

»Meine Kinder sind heute hübscher als gestern; gib sie her und laß mich daran saugen!«

»Welche Torheit! Aber, lieber Papa, ich glaube gar, du trinkst die Milch deiner armen Tochter.«

»Sie ist so süß, liebes Herz, und die paar Tropfen, die ich verschluckt habe, machen mich so glücklich. Du kannst nicht böse darüber sein, mir dieses unschuldige Vergnügen gewährt zu haben.«

»Nein, ganz gewiß bin ich nicht böse darüber, denn du hast mir ein größeres Vergnügen gemacht. Ich werde dich nun nicht mehr meinen Papa, sondern mein Bübchen nennen.«

»Wie freut es mich, dich heute Abend bei so guter Laune zu finden.«

»Ich bin es, weil du mich glücklich gemacht hast. Ich fürchte nichts mehr und fühle, daß der Friede wieder in meine Seele zurückgekehrt ist. Die Bäuerin hat mir gesagt, in wenigen Tagen werde ich wieder ebenso sein, wie ich war, bevor ich Coudert kannte.«

»Doch nicht ganz ebenso; der Leib zum Beispiel …«

»Schweig! Es ist unmöglich, daran etwas zu erkennen. Ich bin selber ganz erstaunt darüber.«

»Laß mich sehen.«

»O nein, nicht sehen, lieber Freund! Aber fühlen darfst du.«

»Du hast recht.«

»O! nicht dort,bitte!«

»Warum denn nicht? Du kannst doch auch nicht anders beschaffen sein als deine liebe Schwester, die jetzt etwa dreißig Jahre sein mag. Ich will dir ihr Bild zeigen, worauf sie ganz nackt ist.«

»Hast du es? Es würde mir Freude machen, es zu sehen.«

Ich zog das Bild aus meiner Tasche und gab es ihr. Sie bewunderte es, küßte es, und fragte mich, ob es nach der Natur gemalt sei.

»Ganz gewiß; sie wußte, daß mir dies Vergnügen machen würde.«

»Wie schön es ist! Es ähnelt mir mehr als das andere. Aber der Maler hat ihr so lange Haare gemacht, um dir damit ein Vergnügen zu bereiten.«

»Durchaus nicht. Die Nonnen sind bei uns nur verpflichtet, ihre Haare nicht von Männern sehen zu lassen.«

»Wir haben dasselbe Vorrecht, man schneidet uns die Haare ein einziges Mal; hierauf lassen wir sie wachsen, wie wir wollen.«

»Du hast also lange Haare?«

»So lang wie diese; aber sie werden dir nicht gefallen, denn sie sind schwarz.«

»Was sagst du da! Das ist ja meine Lieblingsfarbe. Um Gottes willen zeige sie.«

»Um Gottes willen verlangst du ein Verbrechen von mir, denn ich verfalle abermals der Exkommunikation. Aber ich kann dir nichts abschlagen; du wirst sie nach dem Abendessen sehen, denn ich will der Bäuerin kein Ärgernis geben.«

»Du hast recht, liebe Freundin; ich finde, dn bist ein entzückendes Geschöpf. Ich werde vor Schmerz sterben, wenn du diese Hütte verläßt, um in dein trauriges Gefängnis zurückzukehren.«

»Ich muß wohl dorthin zurückkehren, um meine Sünden abzubüßen.«

»Ich hoffe, du wirst so vernünftig sein, über die dummen Bannflüche der Äbtissin zu lachen.«

»Ich beginne schon, sie nicht mehr so sehr zu fürchten.«

Ich war wonnetrunken, denn ich sah voraus, daß ich nach dem Abendessen vollkommen glücklich sein würde.

Als die Bäuerin wieder herein kam, gab ich ihr wiederum zehn Louis. An ihrer außerordentlichen Überraschung merkte ich, daß sie mich für verrückt hielt. Um sie zu beruhigen, sagte ich ihr, ich sei sehr reich, und es sei mein Wunsch, sie zu überzeugen, daß ich nie genug tun zu können glaube, um ihr meine Dankbarkeit für ihre liebevolle Pflege der würdigen Nonne zu bezeigen.

Sie weinte, küßte mir die Hände, und setzte uns eine köstliche Mahlzeit vor. Die Nonne aß gut und trank ganz tapfer; aber meine Seele war zu freudig, und in meinem Herzen war ein brennendes Verlangen; darum konnte ich ihrem Beispiel nicht folgen. Mich verlangte zu sehr, die schönen schwarzen Haare dieses Opfers ihrer Gutmütigkeit zu sehen. Dieser Appetit ließ für keinen anderen Platz.

Sobald die Bäuerin uns nicht mehr durch ihre Gegenwart störte, nahm sie ihre Haube ab und ließ auf ihre Alabasterschultern ihr dichtes, ebenholzschwarzes Haar herabfallen, das die Weiße ihrer Haut noch mehr hervorhob und eine entzückende Wirkung hervorbrachte. Sie legte das Porträt vor sich hin und machte sich das Vergnügen, ihre langen Haare wie die meiner ersten M. M. zu ordnen.

»Du scheinst mir schöner zu sein als deine Schwester,« sagte ich zu ihr; »aber ich glaube, sie war zärtlicher als du.«

»Zärtlicher, das ist möglich; aber nicht besser.«

»Ihr Liebesverlangen war viel lebhafter als das deinige.«

»Das glaube ich, denn ich habe niemals geliebt.«

»Das ist überraschend. Aber die Natur, der sinnliche Drang?«

»Das sind Sachen, lieber Freund, die wir im Kloster leicht beschwichtigen. Wir beichten es, denn wir wissen, daß es eine Sünde ist; aber der Beichtvater betrachtet diese Sache als eine Kinderei und spricht uns los, ohne uns auch nur eine Buße aufzulegen.«

»Er kennt die menschliche Natur und weiß eure traurige Lage zu würdigen.«

»Er ist ein alter Priester, sehr gelehrt und von strengen Sitten; aber er ist die Nachsicht selber. Die Trauer wird groß sein, wenn wir ihn eines Tages verlieren.«

»Aber fühlst du nicht bei deinen Liebesscherzen mit einer anderen Nonne, daß es eine schönere Liebe sein würde, wenn sie im Augenblick des Glückes sich in einen Mann verwandeln könnte?«

»Du machst mich lachen. Wenn meine Freundin ein Mann würde, so würde mir dies freilich nicht mißfallen; aber glaube mir, unsere Lust ist nicht so groß, daß wir dieses Wunder herbeiwünschen sollten.«

»Vielleicht ist nur ein Mangel an Temperament daran schuld. In dieser Hinsicht übertraf deine Schwester dich, denn sie zog mich bei weitem ihrer Freundin C. C. vor; du aber würdest mich nicht der Freundin vorziehen, die du im Kloster gelassen hast.«

»Nein, ganz gewiß nicht; denn mit dir würde ich mein Keuschheitsgelübde verletzen und würde mich Folgen aussetzen, vor denen ich jetzt zittere, so oft ich daran denke.«

»Du liebst mich also nicht?«

»Was wagst du da zu sagen? Ich bete dich an, und es tut mir recht leid, daß du nicht ein Weib bist.«

»Ich liebe dich ebenfalls; aber über deinen Wunsch muß ich lachen, denn ich mochte kein Weib werden, um dir zu gefallen, zumal da ich überzeugt bin, daß ich dich nicht so schön finden würde, wenn ich ein Weib wäre. Setze dich etwas mehr aufrecht, meine liebenswürdige Freundin, und laß mich sehen, wie deine schönen Haare die Hälfte deines schönen Leibes bedecken.«

»Aber da muß ich ja mein Hemd herunterlassen?«

»Natürlich. Gut so! Wie schön du bist! Laß mich an deinen schönen Brüsten saugen; ich bin ja dein Püppchen.«

Nachdem sie mir diesen Genuß gewährt hatte, sah sie mich mit der größten Freundlichkeit an und erlaubte mir, ihren nackten Leib mit meinen Armen zu umschlingen. Sei es, daß sie nicht wußte, welchen Genuß ich dabei empfand, sei es, daß sie sich nur so stellte, genug, sie sagte zu mir:

»Wenn man der Freundschaft eine solche Befriedigung gewähren kann, so ist sie der Liebe vorzuziehen; denn ich habe niemals in meinem Leben einen süßeren Genuß gehabt, als du ihn mir verschafftest, indem deine Lippen sich auf meinen Busen preßten. Erlaube mir, bei dir das gleiche zu tun.«

»Gerne, mein Herz; aber du wirst nichts finden.«

»Einerlei; wir werden doch lachen.«

Nachdem sie ihre Lust befriedigt hatte, lagen wir eine Viertelstunde lang einander in den Armen, und ich befand mich in einem unerträglichen Zustande.

»Sage mir die Wahrheit,« sagte ich zu ihr, »fühlst du nicht in der Glut unserer Küsse während dieser Entzückungen, die wir kindisch nennen wollen, viel größere Begierden?«

»Ja, ich gestehe es dir; aber diese Begierden sind strafbar, ich bin überzeugt, daß deine Wünsche nicht weniger heiß sind als die meinigen, und darum werden wir gut tun, mit diesen angenehmen Scherzen aufzuhören, denn, lieber Papa, unsere Freundschaft wird glühende Liebe – nicht wahr?«

»Ja, liebe Tochter, Liebe, unbesiegliche Liebe!«

»Ich fühle es wohl.«

»Wenn du es fühlst, so laß uns sie durch das süßeste Opfer ehren.«

»Nein, lieber Freund, nein, im Gegenteil, machen wir ein Ende, seien wir in Zukunft vorsichtiger und setzen wir uns nicht mehr der Gefahr aus, ihr Opfer zu werden. Wenn du mich liebst, mußt du ebenso denken wie ich.«

Mit diesen Worten entwand sie sich sanft meinen Armen und steckte ihre schönen Haare wieder unter ihre Haube. Ich half ihr, ihr grobes Leinwandhemd, das meinen Abscheu erregte, wieder anzuziehen, und sagte ihr, sie könne ruhig sein. Als ich ihr mein Bedauern aussprach, ihren schönen Leib durch eine so grobe Leinwand zerschunden zu sehen, sagte sie mir, sie sei daran gewöhnt, und alle Nonnen ihres Klosters trügen ebenfalls solche Hemden.

Ich fühlte mich sehr bedrückt, denn der Zwang, den ich mir auferlegte, schien mir unendlich viel größer zu sein als der Genuß, den eine vollkommene Befriedigung mir gewährt haben würde. Indessen dachte ich nicht daran, weiter zu gehen, ebensowenig aber, von meinem Vorhaben abzulassen. Ich mußte die Gewißheit haben, daß ich nicht den geringsten Widerstand finden würde. Ein gefaltetes Rosenblatt störte den berühmten Smyndirides, der die Weichheit seines Bettes liebte. Ebenso zog ich es vor, lieber zu gehen, als das Rosenblatt zu finden, das den wollüstigen Sybariten belästigt hatte. Verliebt und unglücklich entfernte ich mich, und nachdem ich um zwei Uhr morgens zu Bett gegangen war, schlief ich bis zum Mittag.

Bei meinem Erwachen gab Leduc mir ein Briefchen, das er mir eigentlich vor dem Zubettgehen hätte geben sollen. Er hatte es vergessen, und ich war ihm darob nicht böse. Madame Zeroli schrieb mir, sie erwarte mich um neun Uhr in ihrem Zimmer, wo sie allein sein werde. Ferner schrieb sie, sie gebe ein Abendessen und verlasse sich darauf, daß ich daran teilnehmen werde; da sie gleich darauf abreisen müsse, so nehme sie an, daß ich mit ihr fahre oder sie doch mindestens bis Chambéry begleiten werde. Obgleich ich sie noch liebte, konnte ich doch über alle diese Ansprüche nur lächeln. Sie um neun Uhr zu besuchen, war es zu spät; zum Souper konnte ich mich nicht verpflichten wegen meiner schönen Nonne, die ich in diesem Augenblick nicht um den ganzen Harem des Großtürken aufgegeben haben würde, und sie bis Chambéry zu begleiten war mir unmöglich, da ich vielleicht bei meiner Rückkehr den einzigen Gegenstand, der mich an Aix fesselte, nicht mehr vorgefunden hätte.

Indessen ging ich doch zu ihr, sobald ich mit meinem Anzug fertig war. Ich fand sie wütend. Ich bat sie um Entschuldigung, indem ich ihr sagte, ich hätte ihr Schreiben erst vor einer Stunde empfangen. Sie ging jedoch hinaus, ohne auf mich zu hören, und ließ mir nicht einmal soviel Zeit, ihr zu sagen, daß ich ihr nicht versprechen könnte, zu ihrem Abendessen zu kommen und ebensowenig sie bis Chambéry zu begleiten.

Bei Tisch schmollte sie mit mir.

Nach dem Essen sagte der Marquis de Prié zu mir, es seien neue Karten da und die ganze Gesellschaft wünsche, daß ich eine Bank auflege. Die Gesellschaft war zahlreich, denn eine Anzahl Herren und Damen waren am Morgen von Genf gekommen. Ich holte Geld und legte eine Bank von fünfhundert Louis auf. Um sieben Uhr hatte ich mehr als die Hälfte derselben verloren. Dadurch ließ ich mich jedoch nicht zurückhalten; ich steckte den Rest in meine Börse und ging.

Zehntes Kapitel


Kardinal Passionei. – Der Papst. – Mariuccia. – Ankunft in Neapel

Kardinal Passionei empfing mich in einem großen Zimmer, wo er mit Schreiben beschäftigt war. Er bat mich, eine Minute zu warten, bis er fertig wäre; aber einen Stuhl zu nehmen, konnte er mich nicht auffordern, denn auf dem einzigen, der sich in dem ungeheuren Raum befand, saß er selber.

Als er seine Feder hingelegt hatte, stand er auf, kam auf mich zu und sagte: »Ich werde den Papst benachrichtigen. Mein Kollege Cornaro hätte übrigens eine bessere Wahl treffen können; denn er weiß, daß der Papst mich nicht liebt.«

»Er hat den Mann, der geachtet wird, dem Mann, der geliebt wird, vorgezogen.«

»Ich weiß nicht, ob der Papst mich achtet; aber ich weiß, daß er weiß, daß ich ihn nicht achte. Ich habe ihn geliebt und geachtet, als er Kardinal war, und habe zu seiner Erwählung zum Papste beigetragen; aber seitdem er die Tiara hat, ist er ganz anders geworden; er hat sich als ein zu großer Coglione gezeigt.«

»Das Konklave hätte Eure Eminenz wählen sollen.«

»Durchaus nicht; denn bei meiner Unduldsamkeit gegen alles, was mir als Mißbrauch erscheint, würde ich ohne Rücksicht auf den Schuldigen dreingeschlagen haben; und Gott weiß, was für Folgen daraus entstanden wären. Der einzige Kardinal, der würdig war, Papst zu werden, war Tamburini. Aber es ist nun einmal geschehen. Ich höre Leute kommen; leben Sie wohl, kommen Sie morgen wieder.«

Welches Vergnügen für mich, einen Kardinal den Papst Coglione (Tölpel) nennen zu hören und ihn für Tamburini eintreten zu sehen! Ich bewahrte diese Anekdote sofort in meinem Tagebuch auf; ein so kostbarer Bissen durfte nicht verschmäht werden. Aber wer war denn dieser Tamburini? Ich hatte niemals von ihm gehört. Ich fragte Winkelmann danach, als er zu mir zum Abendessen kam. Der Philosoph antwortete mir: »Tamburini ist ein Mann, der durch seine Tugenden, seinen Charakter, seine Festigkeit und seinen hellsehenden Geist achtungswert ist. Er hat aus seinen feindseligen Gefühlen gegen die Jesuiten niemals ein Hehl gemacht; er nennt sie die Väter des Betruges, der Ränke und der Lüge. Darum eben singt Passionei sein Lob. Ich glaube wie er, daß Tamburini ein großer und ein würdiger Papst sein würde.«

Ich will bei dieser Gelegenheit vorgreifend berichten, was ich neun Jahre später beim Fürsten Santa Croce in Rom einen blindlings ergebenen Anhänger der Jesuiten sagen hörte. Kardinal Tamburini lag im Sterben; im Gespräch darüber sagte jemand: »Dieser Benediktinerkardinal ist ein Frevler an Gott; er liegt auf dem Totenbett und hat die heilige Wegzehrung verlangt, ohne sich vorher durch die Beichte zu reinigen.« Ich sagte kein Wort; da ich aber gerne wissen wollte, was daran war, so erkundigte ich mich gleich am nächsten Morgen bei einem, der die Wahrheit wissen mußte und keinen Grund haben konnte, sie mir zu verschweigen. Er sagte mir, der Kardinal habe erst vor drei Tagen Messe gelesen, und wenn er keinen Beichtvater gerufen habe, so sei dies ohne Zweifel unterblieben, weil er ihm nichts zu sagen gehabt habe.

Wehe denen, die die Wahrheit lieben und ihr nicht bis an die Quelle nachzugehen wissen! Der Leser verzeihe mir eine Abschweifung, die nicht ohne ein gewisses Interesse ist.

Am nächsten Morgen ging ich also zum Kardinal Passionei, der mich mit den Worten empfing, es sei recht von mir, daß ich so früh gekommen sei, um ihm die Geschichte meiner Flucht aus den Bleikammern zu erzählen, von der er mit Bewunderung habe sprechen hören.

»Monsignore, ich bin bereit, Eure Eminenz zufriedenzustellen; aber die Geschichte ist lang.«

»Um so besser; denn man hat mir gesagt, Sie erzählen gut.«

»Aber, Euer Gnaden, soll ich mich auf den Fußboden setzen?«

»O nein, dazu ist Ihr Anzug zu schön.«

Er klingelte und sagte einem Kammerherrn, er möchte einen Stuhl besorgen. Ein Bedienter brachte einen Schemel. Ein Sitz ohne Rücken- und Armlehnen! Der Anblick machte mich verdrießlich; ich erzählte schnell und schlecht, und in einer Viertelstunde war ich mit allem fertig.

»Ich schreibe besser, als Sie sprechen,« sagte der Kardinal.

»Monsignore, ich spreche nur gut, wenn ich mich behaglich fühle.«

»Aber Sie tun sich doch meinetwegen keinen Zwang an?«

»Nein, gnädiger Herr, wegen eines Menschen, zumal wegen eines Weisen, tue ich das niemals; aber Ihr Schemel …«

»Sie lieben Ihre Bequemlichkeit?«

»Über alles.«

»Sehen Sie, dies ist meine Leichenrede auf den Prinzen Eugen. Ich schenke sie Ihnen. Ich hoffe, Sie werden meinen lateinischen Stil nicht schlecht finden. Sie können morgen um zehn Uhr dem Heiligen Vater den Pantoffel küssen.«

In meiner Wohnung angekommen, dachte ich über den Charakter dieses sonderbaren Kardinals nach. Ich erkannte in ihm einen geistvollen, hochmütigen, eitlen und schwatzhaften Mann und beschloß, ihm ein schönes Geschenk zu machen. Es war der Band Pandectorum liber unicus, den Herr von F. mir in Bern geschenkt hatte und mit welchem ich nichts anzufangen wußte. Es war ein Folioband auf schönem Papier gut gedruckt, herrlich gebunden und ausgezeichnet erhalten. Als Großbibliothekar des Vatikans mußte er dies Geschenk kostbar finden, um so mehr, da er eine reiche Privatbücherei besaß, die von meinem Freunde, dem Abbate Winkelmann, verwaltet wurde. Ich schrieb demgemäß einen kurzen lateinischen Brief und sandte diesen an Winkelmann, den ich beauftragte, meine Gabe Seiner Eminenz darzubieten. Mich dünkte, dieses seltene Werk sei wohl so viel wert wie seine Leichenrede, und ich hoffte, daß er mir ein anderes Mal nicht nur die Ehren des Schemels würde zuteil werden lassen.

Am nächsten Morgen begab ich mich zur festgesetzten Stunde nach »Monte Cavallo.« Eigentlich müßte man »Monte Cavalli« sagen, denn der Name stammt von den beiden schönen Rossen, die den Platz vor dem Portal des päpstlichen Palastes schmücken. Um mich dem Heiligen Vater vorzustellen, hatte ich mich durch niemanden anmelden zu lassen nötig gehabt; denn jeder Christ kann sich vorstellen, sobald er die Tür offen sieht. Übrigens hatte ich Seine Heiligkeit in Padua gekannt, als sie den dortigen Bischofssitz einnahm; aber es lag mir an der Ehre, durch einen Kardinal angemeldet zu verden.

Nachdem ich vor dem Oberhaupt der Gläubigen eine Verbeugung gemacht und das auf den heiligen Pantoffel gestickte heilige Kreuz geküßt hatte, sagte der Papst zu mir, indem er seine Rechte auf meine linke Schulter legte, er erinnere sich, daß ich in Padua stets die Kirche verlassen, sobald er den Rosenkranz angestimmt habe.

»Allerheiligster Vater, ich habe mir viel größere Sünden vorzuwerfen; darum habe ich mich vor Ihren heiligen Füßen niedergeworfen, um Vergebung zu erlangen.«

Er gab mir hierauf seinen Segen – eine sehr gangbare Münze in Rom – und fragte mich sehr freundlich, welche Gnade er mir erweisen könne.

»Ihre heilige Fürsprache, um mit sicherem Geleit nach Venedig zurückkehren zu können.«

»Wir werden mit dem Botschafter sprechen und Ihnen dann Antwort geben. Gehen Sie oft zum Kardinal Passionei?«

»Ich bin dreimal bei ihm gewesen. Er hat mir seine Leichenrede auf den Prinzen Eugen geschenkt. Um ihm meine Erkenntlichkeit zu zeigen, habe ich ihm den Pandektenband gesandt.«

»Hat er ihn angenommen?«

»Ich glaube: ja, Allerheiligster Vater.«

»Wenn er ihn angenommen hat, wird er Winkelmann zu Ihnen schicken, um ihn zu bezahlen.«

»Damit würde er mich als Büchertrödler behandeln; Bezahlung werde ich nicht annehmen.«

»Dann wird er Ihnen den Kodex zurückschicken. Davon sind wir überzeugt, denn es ist seine Gewohnheit.«

»Wenn Seine Eminenz den Kodex zurückschickt, sende ich ihm seine Leichenrede zurück.«

über diese Antwort lachte der Papst so, daß er sich schüttelte.

»Es wird uns angenehm sein, den Ausgang dieser Geschichte zu hören, ohne daß die Welt etwas von unserer unschuldigen Neugier hört.«

Nach diesen Worten zeigte ein salbungsvoller Segen mir an, daß meine Audienz beendigt sei.

Als ich den Palast Seiner Heiligkeit verließ, wurde ich von einem alten Abbate angeredet, der mich mit großer Ehrfurcht grüßte und mich fragte, ob ich nicht der Herr Casanova sei, der die glückliche Flucht aus den Bleikammern bewerkstelligt habe.

»Allerdings; der bin ich.«

»Ei, liebster Herr! Der Himmel sei gepriesen, daß ich Sie in so gutem Zustande wiedersehe.«

»Aber mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen.«

»Was? Sie erkennen mich nicht wieder? Ich bin der frühere Barkarole Momolo von Venedig.«

»Sie sind also Priester geworden!«

»O nein, gewiß nicht! Hier in Rom ist aber die Sutane die Allerweltsuniform. Ich bin erster Scopatore unseres Heiligen Vaters, des Papstes.«

»Ich wünsche Ihnen Glück dazu. Aber nehmen Sie mir’s nicht übel, wenn Sie mich lachen sehen.«

»O, lachen Sie nur! Lachen Sie nur! Meine Frau und meine Töchter lachen auch, so oft sie mich mit Sutane und Bäffchen sehen, und ich lache selber darüber; aber hier setzt einen dieses Kleid in Achtung. Besuchen Sie uns doch mal!«

»Wo wohnen Sie?«

»Hinter der Trinità de‘ Monti; hier meine Adresse!«

»Ich werde heute Abend das Vergnügen haben.«

Hocherfreut über dies Zusammentreffen ging ich nach Hause; es war mir ein Fest, den Abend in einer venetianischen Barkarolenfamilie verbringen zu können. Ich lud meinen Bruder ein, mich zu begleiten, und erzählte ihm von dem Empfang, den ich beim Papst gefunden hatte.

Am Nachmittag kam Winkelmann und sagte mir, ich habe das Glück, bei seinem Kardinal in höchster Gunst zu stehen, denn der ihm von mir gesandte Kodex sei ein sehr kostbares Buch; er sei sehr selten und mein Exemplar sei besser erhalten als das in der Vatikanischen Bücherei befindliche. Er sei beauftragt, es mir zu bezahlen.

»Ich habe Seiner Eminenz geschrieben, daß ich es ihm schenke.«

»Er nimmt keine Bücher als Geschenk an, denn er wünscht Ihren Kodex für seine Privatbücherei, und da er Bibliothekar der Vatikanischen ist, so fürchtet er die Verleumdung.«

»Das ist ganz schön und gut, aber ich bin kein Büchertrödler, und dieses Buch hat mir weiter nichts gekostet, als die Mühe, es anzunehmen; ich kann es nur zu demselben Preis weitergeben. Sagen Sie bitte dem Kardinal, daß er mir eine Ehre erweisen wird, indem er es annimmt.«

»Er wird es Ihnen zurückschicken.«

»Das steht ihm frei, aber dann werde ich ihm seine Leichenrede zurückschicken, denn ich wünsche kein Geschenk von jemandem, der ein Geschenk von mir zurückweist.«

So kam es auch wirklich. Am anderen Tage schickte der schnurrige Kardinal mir meinen Kodex zurück, und ich sandte ihm im selben Augenblick seine Leichenrede wieder; obgleich ich sie kaum flüchtig durchgeblättert hatte, schrieb ich ihm, ich hätte in ihr ein Meisterwerk gefunden. Mein Bruder tadelte mich; aber ich ließ ihn reden, da ich durchaus keine Lust hatte, mich nach seinen irrigen Ansichten zu richten.

Am Abend begab ich mich also mit meinem Bruder zum »Scopatore Santissimo«, der schon auf mich wartete und mich seiner Familie als einen Wundermann angekündigt hatte. Nachdem ich ihm meinen Bruder vorgestellt hatte, sah ich mir alle Anwesenden an. Ich sah eine alte Frau, vier Mädchen, von denen die älteste vierundzwanzig Jahre alt war, und zwei kleine Knaben. Alle waren häßlich; dies war nicht einladend für einen wollüstigen Menschen, aber ich war einmal da, und so mußte ich höflich sein und, wie man sagt, gute Miene zum bösen Spiel machen; ich blieb und lachte. Abgesehen von der Häßlichkeit ihrer Mitglieder bot diese brave Familie auch noch ein Bild der Armut dar, denn der Scopatore Santissimo mußte mit seiner zahlreichen Familie von zweihundert römischen Talern im Jahre leben, und da der apostolische Kehricht nicht denselben Wert hat wie die Darmentleerungen des Dalai Lama, so mußte er mit dieser geringen Summe alle Bedürfnisse bestreiten. Trotzdem war der brave Mann außerordentlich herzlich; sobald er mich sitzen sah, sagte er, er werde mir ein Abendessen geben, aber er habe nur eine Polenta und frische Schweinsrippchen.

»Das ist ein köstliches Essen,« antwortete ich ihm; »aber erlauben Sie, daß ich aus meiner Wohnung sechs Fiaschi Orvietowein holen lasse?«

»Sie haben hier zu befehlen.«

Ich schrieb an Costa einen Zettel und befahl ihm, mir sofort die sechs Flaschen und einen gekochten Schinken zu bringen. Eine halbe Stunde darauf kam er mit dem Lohndiener, der den Korb trug, und bei seinem Anblick riefen die vier Mädchen: »Ei, das ist ein hübscher Junge!«

Da ich sah, daß Costa von diesem Empfang entzückt war, sagte ich Momolo: »Wenn er Ihnen so gut gefällt wie Ihren Töchtern, will ich ihm erlauben, zu bleiben.«

Costa war hocherfreut über soviel Ehre, bedankte sich und ging in die Küche, um der Mutter bei der Zubereitung der Polenta zu helfen.

Ein großer Tisch wurde mit einem sehr sauberen Tuch gedeckt; und darauf wurden zwei riesige Schüsseln Polenta und eine ebenso große Pfanne mit Schweinsrippchen aufgesetzt. Wir wollten uns gerade über die Speisen hermachen, als an der Straßentür geklopft wurde.

»Es ist Signora Maria mit ihrer Mutter,« sagte der Junge. Bei dieser Ankündigung sah ich Momolos vier Töchter Gesichter schneiden.

»Wer hat sie gerufen?« sagte die eine; »Was wollen sie hier?« die andere; »Die Zudringlichen!« rief die Dritte; »Sie konnten wohl auch zu Hause bleiben!« bemerkte die vierte.

»Liebe Kinder,« sagte der brave Vater, »sie haben Hunger und werden mit uns teilen, was die Vorsehung uns beschert hat.«

Dieser großmütige Ausspruch des guten Mannes rührte mich. Ich sah, daß die wahre christliche Liebe öfter im Herzen des Armen zu finden ist als bei demjenigen, den das Glück mit seinen Gaben überschüttet und den es gleichgültig gegen die Leiden des Nächsten macht, indem es ihm alles gibt, was sein Herz begehrt.

Während ich diesen Betrachtungen nachhing, die der Seele so unendlich wohltun, sah ich die beiden Hungrigen eintreten. Die eine war ein hübsches junges Mädchen von bescheidener und anmutiger Miene; ihre Mutter war ebenfalls bescheiden und schien sich ihrer Armut zu schämen. Die Tochter grüßte mit jener natürlichen Anmut, die ein Gottesgeschenk ist, und entschuldigte sich, indem sie schüchtern und verlegen sagte, sie würde sich nicht die Freiheit genommen haben, zu ihnen zu kommen, wenn sie hätte ahnen können, daß Fremde da seien.

Nur der gute Momolo antwortete auf ihr Kompliment, indem er im herzlichen Tone zu ihr sagte, es wäre sehr nett von ihr, daß sie gekommen wäre; mit diesen Worten schob er zwischen meinen Bruder und mich einen Stuhl für sie ein. Ich sah sie näher an und fand in ihr eine vollendete Schönheit.

Man begann zu essen und sprach nicht mehr. Die Polenta war ausgezeichnet, die Schweinsrippchen köstlich, der Schinken tadellos; in weniger als einer Stunde war der Tisch geräumt, wie wenn gar nichts darauf gewesen wäre, aber beim Orvieto blieb die Gesellschaft fröhlich beisammen. Es wurde von der Lotterieziehung gesprochen, die zwei Tage darauf stattfinden sollte, und alle Mädchen nannten die Nummer, auf die sie einige Bajocchi gesetzt hatten.

»Wenn ich nur einer einzigen Nummer sicher sein könnte,« sagte ich zu ihnen, »so würde ich mich freuen.«

Die junge Mariuccia sagte mir, wenn ich an einer einzigen Nummer genug hätte, so könnte sie mir diese nennen. Ich lachte über ihr Anerbieten; sie aber nannte mir mit dem ernstesten Gesicht Nummer siebenundzwanzig.

»Kann man noch spielen?« fragte ich den Abbate Momolo.

»Es wird erst um Mitternacht geschlossen, und wenn Sie wollen, werde ich die Nummer für Sie holen.«

»Hier haben Sie vierzig Taler; setzen Sie zwanzig auf Nummer siebenundzwanzig Auszug; ich schenke diese den fünf jungen Damen; die anderen zwanzig Taler setzen Sie auf dieselbe Nummer und ebenfalls auf Auszug, aber auf die fünfte Stelle; diese behalte ich für mich.«

Er ging augenblicklich fort und kam bald mit den beiden Losen wieder.

Meine hübsche Nachbarin dankte mir und sagte, sie sei vollkommen sicher, daß sie gewinnen werde; aber an meinem Lose zweifle sie, denn es sei nicht wahrscheinlich, daß die Siebenundzwanzig als fünfte Nummer herauskomme.

»Ich aber bin dessen sicher,« antwortete ich ihr, »denn Sie sind das fünfte Mädchen, das ich in diesem Hause gesehen habe.«

Über diese Bemerkung lachte die ganze Gesellschaft laut auf. Mutter Momolo sagte mir, ich hätte das Geld lieber den Armen geben sollen; ihr Mann aber hieß sie schweigen; sie wisse nicht, was für einen klugen Kopf ich hätte. Mein Bruder lachte, sagte mir aber auch, ich hätte eine Dummheit gemacht.

»Ich mache gern einmal eine Dummheit,« antwortete ich ihm, »übrigens werden wir ja sehen: ich habe gespielt, und wenn man spielt, gewinnt oder verliert man.«

Bei diesen Worten drückte ich meiner schönen Nachbarin unbemerkt die Hand, und sie gab mir den Druck mit aller Kraft zurück. Mir war sofort klar, wie es zwischen Mariuccia und mir kommen würde. Gegen Mitternacht verließ ich die Gesellschaft, indem ich den guten Momolo bat, am übernächsten Tage wieder ein solches Abendessen zu veranstalten, damit wir uns über den Lotteriegewinn freuen könnten, den wir machen würden. Auf dem Heimwege sagte mein Bruder zu mir: wenn ich nicht ein Krösus geworden wäre, müßte ich verrückt sein. Ich antwortete ihm, ich sei weder das eine noch das andere, aber Mariuccia sei schön wie ein Engel. Dies gab er zu.

Am nächsten Tage kam Mengs nach Rom zurück, und ich speiste in seiner Familie. Er hatte eine Schwester, die sehr häßlich, aber gut und talentvoll war; sie hatte sich leidenschaftlich in meinen Bruder verliebt, und man konnte leicht merken, daß ihre Flamme nicht erloschen war; aber wenn sie mit ihm sprach – und das tat sie so oft, wie die Gelegenheit sich bot, – sah Giovanni sie nicht an.

Sie war eine ausgezeichnete Miniaturmalerin, die ganz besonders glücklich die Ähnlichkeit zu treffen wußte. Ich glaube, sie lebt noch jetzt in Rom mit ihrem Gatten, einem gewissen Maroni. Sie sprach mit mir oft über meinen Bruder, dessen Abneigung sie kannte, und sagte mir eines Tages, er würde sie nicht mißachten, wenn er nicht der undankbarste aller Menschen wäre. Ich war nicht neugierig, zu erfahren, welche Anrechte auf seine Dankbarkeit sie besaß.

Die Gattin von Mengs war hübsch, anständig, ihren Pflichten treu ergeben, eine gute Mutter und ihrem Manne sehr ergeben, obwohl sie ihn schwerlich lieben konnte, denn er war nichts weniger als liebenswürdig. Er war eigensinnig und grausam, und wenn er zu Hause speiste, stand er nie vom Tische auf, ohne betrunken zu sein; außer dem Hause war er mäßig, da er nur Wasser trank. Seine Frau trieb die Selbstüberwindung so weit, daß sie ihm für alle nackten Frauenkörper als Modell diente. Als ich eines Tages mit ihr darüber sprach, wie peinlich es ihr sein müsse, eine so unangenehme Aufgabe zu erfüllen, sagte sie zu mir, ihr Beichtvater habe dies von ihr verlangt; er habe zu ihr gesagt: »Wenn Ihr Mann ein anderes Weib zum Modell nimmt, wird er mit ihr fleischlich verkehren, ehe er sie malt, und diese Sünde werden Sie sich vorzuwerfen haben.«

Nach dem Abendessen schoß Winkelmann, der wie alle anderen männlichen Gäste betrunken war, mit Mengs Kindern Purzelbäume. Der gelehrte Philosoph hatte nichts Pedantisches an sich; er liebte Kinder und Jugend, und sein heiteres Gemüt ließ ihn Freude an allen Vergnügen finden.

Als ich am nächsten Tage zum Papst ging, um diesem meine Aufwartung zu machen, sah ich Momolo im ersten Vorzimmer; ich verfehlte nicht, ihn an die Polenta für den Abend zu erinnern.

Der Heilige Vater sagte bei meinem Anblick: »Der venetianische Gesandte hat uns gesagt, Sie müssen sich dem Sekretär des Tribunals vorstellen, wenn Sie gern in Ihr Vaterland zurückkehren wollen.«

»Allerheiligster Vater, ich bin vollkommen bereit, diesen Schritt zu tun, wenn Eure Heiligkeit mir einen eigenhändigen Empfehlungbrief geben wollen. Ohne diese schützende Ägide werde ich mich niemals der Gefahr aussetzen, wieder an einen Ort gebracht zu werden, aus welchem mich sichtlich Gottes Hand durch ein Wunder befreit hat.«

»Sie tragen ein sehr reiches Kleid, das Sie gewiß nicht in der Absicht angezogen haben, um zu Gott zu beten.«

»Allerdings nicht, Allerheiligster Vater; doch auch nicht in der Absicht, auf den Ball zu gehen.«

»Wir kennen die ganze Geschichte von der Rücksendung der Geschenke. Gestehen Sie, Sie haben es getan, um Ihrem Stolz zu schmeicheln.«

»Ja, aber indem ich einen größeren Stolz demütigte.«

Als ich den Papst über meine Antwort lachen sah, beugte ich ein Knie zur Erde und bat ihn, mir zu gestatten, daß ich meine Pandekten der Vatikanischen Bibliothek schenken dürfe. Statt einer Antwort empfing ich einen Segen, was in der päpstlichen Sprache bedeutet: Stehen Sie auf, die Gnade ist bewilligt.

»Wir werden Ihnen,« sagte er zu mir, »die Zeichen ›unseres ganz besonderen Wohlwollens‹ zusenden, ohne daß Sie nötig haben, die Einschreibgebühren an die Kammer zu zahlen.«

Ein zweiter Segen hieß mich gehen. Ich habe oft gewünscht, daß diese Sprache überall angewandt werden könnte, um Zudringliche los zu werden, von denen wir belästigt werden und denen man nicht zu sagen wagt: Gehen Sie!

Ich war sehr neugierig, welcher Art die Zeichen ›des besonderen Wohlwollens‹ sein würden, von denen der Papst gesprochen hatte; ich fürchtete, sie würden sich nach dem gewöhnlichen Brauch auf einen geweihten Rosenkranz beschränken, mit welchem ich nichts hätte anfangen können.

Sobald ich zu Hause war, schickte ich durch Costa meinen Kodex nach dem Vatikan; hierauf ging ich zu Mengs zum Mittagessen. Als wir bei der Suppe waren, wurden die Nummern der Lotterie gebracht. Mein Bruder warf einen Blick darauf und sah mich voll Erstaunen an. Ich dachte in diesem Augenblick an etwas anderes, und sein erstauntes Gesicht überraschte mich.

»Die Siebenundzwanzig«, rief er, »ist als fünfte Zahl herausgekommen!«

»Um so besser; da werden wir lachen.«

Als Mengs die Geschichte gehört hatte, sagte er: »Es ist eine glückliche Dummheit, aber eine Dummheit bleibt es.«

Er hatte recht, und ich gab dies zu. »Aber,« sagte ich, »um einen würdigen Gebrauch von den fünfzehnhundert römischen Talern zu machen, die dieser Zufall mir verschafft hat, werde ich auf vierzehn Tage nach Neapel fahren.«

»Ich mache die Reise mit,« rief der Abbate Alfani, »und werde mich für Ihren Sekretär ausgeben.«

»Sehr angenehm, halten Sie nur Wort.«

Ich lud Winkelmann ein, beim Abbate Scopatore Santissimo die Polenta zu essen, und beauftragte meinen Bruder, ihn hinzuführen; hierauf machte ich meinem Bankier, dem Marchese Belloni, einen Besuch, um meine Rechnung in Ordnung zu bringen und einen Kreditbrief auf seinen Geschäftsfreund in Neapel zu nehmen. Ich besaß noch zweihunderttausend Franken, hatte Juwelen für dreißigtausend und fünfzigtausend Gulden in Amsterdam.

In der Dämmerung kam ich bei Momolo an und fand dort Winkelmann und meinen Bruder schon vor; aber anstatt die Familie fröhlich zu sehen, fand ich lauter traurige Gesichter.

»Was haben denn Ihre Töchter?« fragte ich Momolo.

»Sie sind ärgerlich, daß Sie nicht auch für sie auf den bestimmten Auszug gesetzt haben, wie für sich selber.«

»Man ist niemals zufrieden. Hätte ich auch für sie wie für mich gespielt, und wäre die Nummer nicht als fünfte, sondern als erste Zahl herausgekommen, so hätten sie nichts gewonnen und würden sich geärgert haben. Vor zwei Tagen hatten sie keinen Soldo, und jetzt hat jede von ihnen fünfzig Taler; da müssen sie doch sehr zufrieden sein.«

»Das sage ich ihnen auch; aber die Weiber sind nun mal so.«

»Die Männer auch, mein lieber Landsmann, wenn sie nicht vernünftig sind. Geld macht nicht glücklich, und Fröhlichkeit wohnt nur in sorglosen Herzen. Sprechen wir nicht mehr davon und laßt uns lustig sein!«

Costa stellte einen Korb mit zehn Düten voll Zuckerwerk auf den Tisch.

»Ich werde sie austeilen,« sagte ich, »wenn die ganze Gesellschaft bei Tisch ist.«

Da sagte mir Momolos zweite Tochter, Mariuccia und ihre Mutter würden nicht kommen, aber sie würde ihnen die beiden Düten hinbringen.

»Warum werden sie denn nicht kommen?«

»Sie haben gestern einen Streit gehabt!« sagte der Vater, »und Mariuccia, die im Grunde recht hat, ist fortgegangen und hat gesagt, sie würde nicht wiederkommen.«

»Wie undankbar!« sagte ich mit sanftem Vorwurf zu den Töchtern meines Wirtes; »bedenken Sie, daß nur sie Ihnen Glück gebracht hat; denn sie hat mir die Nummer siebenundzwanzig gegeben, an die ich niemals gedacht haben würde. Kurz und gut, sehen Sie zu, daß sie wiederkommt; sonst geh ich fort und nehme die zehn Düten mit.«

»Daran tun Sie vollkommen recht!« sagte Momolo.

Die Mädchen machten gekränkte Mienen, sahen einander an und baten dann ihren Vater, er möchte sie holen.

»Nein,« antwortete dieser ihnen; »das schickt sich nicht; ihr seid schuld, daß sie nicht mehr kommen will, und darum müßt ihr für die Versöhnung sorgen.«

Sie berieten sich einen Augenblick; dann baten sie Costa, sie zu begleiten und gingen zu Mariuccia.

Eine halbe Stunde später kamen sie triumphierend zurück, Costa strahlte vor Stolz, daß seine Vermittlung die Aussöhnung der jungen Mädchen zustande gebracht hatte. Ich teilte die Zuckerdüten aus, und die schöne Maria bekam die beiden besten. Die edle Polenta erschien auf dem Tisch, von zwei großen Schüsseln mit Schweinsrippchen begleitet. Aber Momolo, der meinen Geschmack kannte und den ich durch seine Töchter reich gemacht hatte, fügte noch einige Schüsseln mit feinen Speisen und mehrere Fiaschi ausgezeichneten Weines hinzu. Mariuccia war einfach gekleidet, aber ihre Schönheit machte den Anzug elegant, und ihr Benehmen war ausgezeichnet; sie verführte mich. Ich hatte ihr meine Leidenschaft nur dadurch zu erkennen gegeben, daß ich ihr die Hand drückte, und sie konnte mir nur in derselben Sprache antworten; aber diese war so ausdrucksvoll, daß ich nicht an ihrer Liebe zweifeln konnte. Als wir uns entfernten, richtete ich es so ein, daß ich mit ihr die Treppe herunterging; ich fragte sie, ob ich sie irgendwo sprechen könnte, und sie bestellte mich für den nächsten Tag auf acht Uhr nach der Trinità de‘ Monti.

Mariuccia war groß, von eleganter und anmutiger Haltung, zum malen schön, weiß wie ein blasses Rosenblatt, und ihre Weiße, die durch die dunklen Adern noch gehoben wurde, gab ihrer Haut jenen Reiz, der zur Wollust stimmt. Ihre blonden Haare waren von seltener Schönheit, und über ihren dunkelblauen, fast schwarzen Augen wölbten sich zwei Bogen von vollkommener Regelmäßigkeit. Niemals ist ein so regelmäßiger Mund von zwei röteren Lippen eingefaßt, noch mit einem schöneren Gebiß geziert gewesen. Ihre hohe und herrlich gerundete Stirn gab ihr ein majestätisches Aussehen, das die Vollendung des Ganzen noch erhöhte. Ihr sanftes und liebenswürdiges Lächeln stand in harmonischem Einklang mit ihren funkensprühenden großen Augen; eine weiße, fleischige Hand, fein gerundete Finger, rosige Nägel, ein von den Grazien geformter Busen, den ein neidisches Mieder nur mit Mühe gefangen hielt, ein außerordentlich kleiner Fuß und starke Hüften – dies alles machte Mariuccia zu einer Schönheit, die des Meißels eines Praxiteles würdig war. Das junge Mädchen war noch nicht achtzehn Jahre alt, und obgleich sie in Rom wohnte, war sie doch bis dahin den Blicken der Kenner entgangen. Der glücklichste Zufall führte sie mir in einer der abgelegensten Straßen zu, wo sie arm und unbekannt lebte, und mir war das Glück beschieden, sie glücklich zu machen.

Wie man sich denken kann, erschien ich pünktlich zum Stelldichein, sie verließ die Kirche, sobald sie sicher war, daß ich sie gesehen hatte. Ich folgte ihr von ferne, bis ich sie in ein großes verfallenes Gebäude eintreten sah. Ich trat ebenfalls ein, und sie blieb stehen, als sie das obere Ende einer Treppe erreicht hatte, die mir in der Luft zu schweben schien. »Hier«, sagte sie zu mir, »wird es keinem Menschen einfallen, mich zu suchen; Sie können also ungestört mit mir reden.«

Ich setzte mich neben sie auf den Stein und machte ihr eine leidenschaftlichste Liebeserklärung. »Sagen Sie mir,« so schloß ich, »was ich für Ihr Glück tun kann; denn ich schmachte nach Ihrem Besitz, aber ich will diesen vorher verdienen.«

»Machen Sie mich glücklich, und ich werde mich von Herzen gern Ihren Wünschen ergeben, denn ich liebe Sie ebenfalls.«

»Sagen Sie mir, was ich tun soll.«

»Erretten Sie mich aus der Armut, die mich zu Boden drückt! Ich muß bei meiner Mutter leben; sie ist eine gute Frau, aber fromm bis zum Aberglauben und wird mich durch ihre Bemühungen um mein Seelenheil noch in die Hölle bringen. Sie schilt mich wegen meiner Sauberkeit, weil beim Waschen meine Hand meinen Körper berühren muß und weil meine Reinlichkeit ein Anlaß werden kann, Männern zu gefallen. Wenn Sie mir das Geld, das ich durch Sie in der Lotterie gewonnen habe, als einfaches Almosen gegeben hätten, so würde sie mich gezwungen haben, es zurückzuweisen, weil Sie vielleicht schlechte Absichten dabei hätten haben können. Sie erlaubt mir, allein in die Messe zu gehen, weil unser Beichtvater ihr gesagt hat, sie könne dies; aber ich würde nicht wagen, auch nur eine einzige Minute länger auszubleiben, ausgenommen an Festtagen. An diesen Tagen verrichte ich meine Andacht, und es ist mir erlaubt, zwei oder drei Stunden lang zu beten. Infolgedessen können wir uns nur hier sehen; aber wenn Sie bereit sind, etwas zur Erleichterung meiner Lage zu tun, so kann ich Ihnen hiermit angeben, auf welche Weise dies möglich wäre: ein sehr hübscher junger Mann von ausgezeichnetem Betragen, seines Standes Perückenmacher, hat mich vor etwa vierzehn Tagen bei Momolos gesehen. Am nächsten Tage gab er mir an der Kirchentür einen Brief, erklärte mir seine Liebe und schrieb, wenn ich ihm nur eine kleine Mitgift von vierhundert Talern bringen könnte, würde er mich heiraten. Er würde einen Laden aufmachen und die notwendigen Möbel für unseren Hausstand anschaffen. Ich antwortete ihm: ich sei arm und besitze nur hundertundfünfzig Taler in Gnadenscheinen, die mein Beichtvater mir aufbewahre. – Jetzt besitze ich zweihundert; denn wenn ich mich verheiraten kann, wird meine Mutter mir gern ihren Anteil von dem Gewinne geben, den wir Ihnen verdanken. Sie könnten mich also glücklich machen, indem Sie mir für zweihundert Taler Gnadenscheine besorgten. Sie würden diese Zettel meinem Beichtvater bringen; er ist ein frommer Mann, hat mich lieb und würde meiner Mutter nichts davon sagen.«

»Ich brauche mich nicht um Almosenzettel zu bemühen, mein Engel. Gleich heute werde ich Ihrem Beichtvater zweihundert Piaster bringen, das übrige werden Sie besorgen. Sagen Sie mir seinen Namen; morgen werde ich Ihnen über meine Bemühungen Bericht erstatten, aber nicht hier; denn die Kälte und der Wind töten mich, überlassen Sie mir die Sorge, eine Wohnung zu finden, wo wir in aller Bequemlichkeit zusammen sein können und nicht zu befürchten brauchen, daß irgend ein Mensch von unserem Zusammensein etwas merkt. Ich werde Sie morgen zur selben Stunde in der Kirche sehen, sobald Sie mich bemerkt haben, folgen Sie mir!«

Mariuccia nannte mir den Namen ihres Beichtvaters und gestattete mir alle Liebkosungen, die ich an jenem traurigen Ort von ihr verlangen konnte. Die Küsse, mit denen sie die meinigen erwiderte, ließen mich nicht daran zweifeln, daß sie die Liebe teilte, die sie mir eingeflößt hatte. Mit dem Glockenschlage neun verließ ich sie, fast erstarrt, aber liebeglühend.

Es galt vor allen Dingen, mir eine passende Wohnung zu verschaffen, um mich schon am nächsten Tage in den Besitz dieses Schatzes setzen zu können.

Ich verließ den verfallenen Palast, aber anstatt mich nach der Piazza di Spagna zu begeben, wandte ich mich nach links und betrat eine enge, schmutzige Straße, die nur von sehr geringen Leuten bewohnt war. Da ich sehr langsam ging, kam eine Frau aus einem Hause heraus und fragte mich höflich, ob ich jemanden suche.

»Ich suche ein Zimmer zu mieten.«

»Hier gibt es keine, mein Herr, aber auf der Piazza werden Sie hundert für eins finden.«

»Das weiß ich, aber ich wünsche ein Zimmer in dieser Straße, nicht der Ersparnis wegen, sondern um sicher zu sein, daß ich morgens hier eine Stunde mit einer Person verbringen kann, für die ich mich interessiere. Ich würde jeden geforderten Preis dafür zahlen.«

»Ich verstehe; ich würde Ihnen zu Diensten sein, wenn ich zwei Zimmer hätte. Aber eine Nachbarin hat ein Zimmer im Erdgeschoß, und wenn Sie einen Augenblick warten wollen, kann ich mit ihr sprechen.«

»Sie werden mir ein großes Vergnügen machen.«

»Haben Sie die Güte einzutreten.«

Ich trat in ein armseliges Loch ein, das von großer Armut zeugte, und sah dort zwei Kinder, die ihre Schulaufgaben schrieben. Nach einem kurzen Augenblick kam die gute Frau wieder herein und bat mich, ihr zu folgen. Ich zog mehrere Münzen aus der Tasche und legte sie auf den einzigen kleinen Tisch, der in dem armseligen Zimmer war. Ich mußte ihr wohl sehr freigiebig erscheinen, denn die arme Mutter küßte mir voller Glück und Dankbarkeit die Hand. Es ist so süß, Gutes zu tun, daß heute, wo ich nichts mehr habe, die Erinnerung daran, daß ich oft mit geringen Kosten Menschen glücklich gemacht habe, fast die einzige Lust ist, die mich noch erfreut.

Ich ging in ein nahes Haus, wo eine Frau mich in einem leeren Zimmer empfing und nur sagte, sie würde es mir billig vermieten, wenn ich ihr für drei Monate vorausbezahlte und die von mir gewünschten Möbel selber besorgen wollte.

»Wieviel verlangen Sie für diese drei Monate?«

»Drei römische Taler.«

»Lassen Sie das Zimmer noch heute bis drei Uhr möblieren, und ich werde Ihnen zwölf Taler geben.«

»Zwölf Taler! Und was für Möbel wünschen Sie denn, mein Herr?«

»Ein sehr sauberes Bett, einen Tisch mit einem recht weißen Tuch, vier gute Stühle und eine Kohlenpfanne mit einem guten Feuer, denn man stirbt vor Kälte in diesem Zimmer. Ich werde nur ein paarmal morgens kommen und stets spätestens zu Mittag wieder fortgehen.«

»Wenn es so ist, kommen Sie um drei Uhr; Sie werden alles nach Ihrem Wunsch bereit finden.«

»Hier haben Sie die drei Taler für die Miete. Um drei Uhr werde ich wiederkommen. Wenn alles in Ordnung ist, bekommen Sie den Rest.«

Ich ging und begab mich stracks zum Beichtvater. Dieser war ein französischer Mönch von etwa sechzig Jahren und von edlem und wohlwollendem Aussehen; er flößte Vertrauen und Ehrfurcht ein.

»Hochwürdiger Vater,« sagte ich zu ihm, »ich habe beim Scopatore Santissimo Abbate Momolo ein junges Mädchen Namens Maria gesehen, dessen Beichtvater Sie sind. Ich verliebte mich in sie und benutzte eine Gelegenheit, ihr Geld anzubieten, um sie zu verführen. Sie antwortete mir: statt ihr zur Sünde zu raten, solle ich mich lieber bemühen, ihr Gnadenbriefe zu verschaffen, damit sie einen jungen Mann heiraten könne, der um sie angehalten habe und sie glücklich machen werde. – Diese Zurechtweisung rührte mich, doch heilte sie mich nicht von meiner Leidenschaft. Ich sprach daher noch einmal mit ihr und sagte zu ihr, ich wolle ihr zweihundert römische Taler umsonst geben und werde diese Summe ihrer Mutter bringen. – ›Dies‹, antwortete sie mir, ›würde genügen, um mich unglücklich zu machen, denn meine Mutter würde glauben, dieses Geld sei Sündenlohn; sie würde es nicht annehmen. Wenn Sie aber diese großmütige Absicht haben, so seien Sie so gütig, das Geld meinem Beichtvater zu bringen und mich ihm zu empfehlen, damit er sich meiner Heirat annimmt.‹

Hier bringe ich Ihnen nun, hochwürdiger Vater, das Geld, das ich für dieses ehrbare Mädchen bestimmt habe; übernehmen Sie gütigst die ganze Angelegenheit, denn ich will nichts mehr damit zu tun haben. Ich reise übermorgen nach Neapel ab und hoffe, sie nach meiner Rückkehr verheiratet zu finden.«

Der wackere Beichtvater nahm hundert Zechinen, die ich ihm übergab, erteilte Quittung darüber und sagte mir: indem ich mich für Mariuccia interessiere, mache ich eine unschuldige, reine Taube glücklich; sie gehe seit fünf Jahren bei ihm zur Beichte und oft befehle er ihr, an der Kommunion teilzunehmen, ohne sie auch nur anzuhören, denn er kenne sie zu gut und wisse, daß sie unfähig sei, eine Hauptsünde zu begehen. »Ihre Mutter«, fuhr er fort, »ist eine fromme Frau, und es wird mir eine leichte Mühe sein, die Heirat zustande zu bringen, sobald ich mich nach dem Lebenswandel des jungen Bewerbers erkundigt habe. Im übrigen wird kein Mensch jemals erfahren, von wem sie diese edelmütige Gabe erhalten hat.«

Nachdem ich diese Sache in Ordnung gebracht hatte, ging ich zum Ritter Mengs zum Mittagessen. Ich nahm sehr gern eine Einladung an, am gleichen Abend mit der ganzen Familie ins Theater Aliberti zu gehen, vergaß aber dabei die Besichtigung des kleinen Zimmers nicht. Ich fand dort alles, wie ich es angeordnet hatte, gab der Vermieterin zwölf Taler und ließ mir den Schlüssel geben, nachdem ich befohlen hatte, daß das Kohlenbecken jeden Tag schon um sieben Uhr morgens angezündet werden solle.

Vor ungeduldiger Erwartung des nächsten Morgens fand ich die Oper scheußlich und konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Ich war in aller Frühe schon vor der verabredeten Stunde in der Kirche, die ich verließ, als ich sicher war, daß Mariuccia mich gesehen hatte. Sie folgte mir von ferne, und als ich auf der Türschwelle meines neuen Tempels war, blieb ich einen Augenblick stehen, damit sie Bescheid wußte; dann trat ich in das Zimmer ein, das ich gut erwärmt fand. Bald darauf kam Mariuccia, schüchtern, verwirrt und entmutigt, wie eine Person, die im Zweifel ist. Ich schloß sie in meine Arme, beruhigte sie durch meine Liebkosungen und sah sie neue Zuversicht gewinnen, als ich ihr die Quittung ihres Beichtvaters zeigte und ihr sagte, der wackere Mann habe mir versprochen, sich um das Zustandekommen ihrer Heirat zu bemühen.

In überschwänglicher Freude küßte sie mir die Hand und versicherte mich ihrer ewigen Dankbarkeit. Als ich nun in sie drang, mich glücklich zu machen, sagte sie zu mir: »Wir haben drei Stunden vor uns, denn ich habe meiner Mutter gesagt, ich würde meine Andacht verrichten, um Gott für meinen Lotteriegewinst zu danken.«

Durch die Kenntnis dieser Liebeslist beruhigt, ließ ich mir Zeit, schnürte ihr gemächlich das Mieder auf und entblößte einen nach dem anderen alle ihre Reize, wobei ich zu meinem Entzücken nicht den geringsten Widerstand fand. Aber sie hielt ihre Augen unausgesetzt auf die meinigen geheftet, wie wenn sie ihre erlöschende Scham hätte schonen wollen; doch meine verstohlenen Blicke verdoppelten meinen Genuß, während sich meine Hand nach allen Richtungen verirrte. Welch ein Leib! Welche Schönheiten! Es war nicht die geringste Unvollkommenheit an ihr. Sie war wie Venus, als sie zum erstenmal dem Meeresschaum entstieg. Ich trug sie sanft auf das Bett und beeilte mich, meine lästigen Kleider abzuwerfen, während ihre hübschen Hände zwei alabasterne Halbkugeln und ein Vließ, das den Eingang des Tempels bedeckte, meinen Blicken zu entziehen suchten. Ich vollbrachte das süßeste Opfer, ohne einen Augenblick an ihrer Reinheit zweifeln zu können. Bei diesem ersten Opfer entlockte allerdings der Schmerz der entzückenden jungen Priesterin einen Seufzer, aber sie trieb das Zartgefühl so weit, mir zu versichern, daß sie keinen Schmerz empfunden habe; beim zweiten Angriff war sie von der gleichen Glut beseelt wie ich. Ich wollte das dritte Opfer vollziehen, als die Uhr den gebieterischen Klang der zehnten Stunde vernehmen ließ. Sie wurde unruhig, und wir kleideten uns in aller Eile an. Ich hatte mich verabredet, am nächsten Tage nach Neapel abzureisen; aber ich versicherte meiner lieben Mariuccia, daß schon die Hoffnung, sie vor ihrer Heirat noch einmal in meine Arme zu schließen, meine Rückkehr nach Rom beschleunigen würde. Ich versprach ihr, an demselben Tage ihrem Beichtvater noch hundert Taler zu bringen, und bat sie, das in der Lotterie gewonnene Geld zu ihrer kleinen Aussteuer zu verwenden. »Ich werde heute Abend zu Momolo gehen, liebes Herz. Richte es so ein, daß du ebenfalls dort bist; aber während unsere Herzen voller Freude sein werden, wollen wir uns gleichgültig zeigen, damit seine boshaften Mädchen nichts von unserem Einvernehmen ahnen.«

»Dies ist allerdings sehr notwendig; denn ich habe bereits bemerkt, daß sie unsere Liebe argwöhnen.«

Bevor wir uns trennten, dankte sie mir für alles, was ich für ihre Verheiratung getan habe, und bat mich, ihr zu glauben, daß sie trotz ihrer Armut im Herzen fühle, daß sie sich nur der Liebe ergeben habe. Ich verließ das Zimmer einige Zeit nach ihr und sagte der Wirtin, ich würde in den nächsten zehn oder zwölf Tagen nicht kommen. Unverzüglich begab ich mich hierauf zum Beichtvater und brachte ihm die hundert Taler, die ich dem schönen Mädchen versprochen hatte. Als der gute alte Franzose hörte, daß ich dieses neue Opfer bringe, damit Mariuccia ihren Lotteriegewinn auf die Anschaffung von Wäsche und Kleider verwenden könne, sagte er mir, er werde am selben Tage noch zu ihrer Mutter gehen, um sie für die Verheiratung ihrer Tochter günstig zu stimmen und um sich bei Mariuccia nach der Wohnung des jungen Mannes zu erkundigen, den sie heiraten wolle. Wie ich nach meiner Rückkehr von Neapel erfuhr, hatte er alles getreulich ausgerichtet.

Während ich bei Mengs noch zu Tische saß, ließ ein Kammerherr unseres Allerheiligsten Vaters sich melden. Er trat ein, fragte Herrn Mengs, ob ich bei ihm wohne, und übergab mir, als dieser mich nannte, im Namen »Seines Allerheiligsten Herrn« das Kreuz des Ordens vom Goldenen Sporn nebst dem Diplom und einem Patent mit dem großen päpstlichen Siegel, das mich in meiner Eigenschaft als Doktor der Rechte zum »Apostolischen Protonotar extra urbem« erklärte.

Dankbar für diese außerordentliche Gunstbezeigung, sagte ich dem Überbringer, ich würde gleich am nächsten Tage meinem neuen Herrscher Dank sagen und ihn um seinen Segen bitten. Ritter Mengs umarmte mich als seinen Ordensgenossen; aber ich hatte vor ihm den Vorzug, daß ich nichts zu bezahlen hatte, während der große Künstler für die Ausfertigung seines Diploms fünfundzwanzig Taler hatte zahlen müssen. Man sagt in Rom: sine effusione sanguinis non fit remissio – Ohne Blut zu lassen, erreicht man nichts. Mit Gold erreicht man in der Tat in der heiligen Stadt alles.

Sehr geschmeichelt von der Gunstbezeigung des Heiligen Vaters hängte ich mir das Kreuz an einem breiten, karmesinroten Band um den Hals; dies ist die Farbe des Ordens der mit dem goldenen Sporn gezierten Streiter des heiligen Johannes vom Lateran, der »Palastgenossen, comites palatini«, in der Übersetzung »Pfalzgrafen«. Zur selben Zeit erhielt der arme Cahusac, der Verfasser der Oper Zoroaster, aus den Händen des Apostolischen Nuntius die gleiche Würde des Pfalzgrafen und verlor vor Freude darüber den Verstand. So schlimm erging es mir nicht; aber wie ich zu meiner Schande gestehen muß, machte die Auszeichnung mir soviel Vergnügen, daß ich die Dummheit beging, Winkelmann zu fragen, ob ich mein Kreuz mit Diamanten und Rubinen besetzen lassen könne. Er sagte mir, das könne ich ganz nach meinem Belieben machen, und wenn ich mir ein solches Kreuz zu verschaffen wünsche, könne er mir zu einem vorteilhaften Kauf behilflich sein. Hoch erfreut über diese Gelegenheit kaufte ich das Kreuz gleich am nächsten Tage, um mich in Neapel damit brüsten zu können; doch besaß ich nicht die Kühnheit, es in Rom zu tragen. Als ich mich dem Papst vorstellte, um ihm meinen Dank abzustatten, hängte ich bescheidenerweise das Kreuz ins Knopfloch. Fünf Jahre später veranlaßte der Palatin von Rußland, Fürst Czartoryski, in Warschau mich, es abzulegen, indem er zu mir sagte: »Was machen Sie mit diesem Bettel? Nur Scharlatane wagen dieses Ding zu tragen.«

Die Päpste wissen dies sehr wohl, fahren aber trotzdem fort, dieses Kreuz den Gesandten zu verleihen, obgleich es ihnen nicht unbekannt sein kann, daß diese ihre Kammerdiener damit schmücken. Man stellt sich in Rom in vielen Dingen unwissend und geht den alten Schlendrian weiter.

Am Abend gab Momolo mir ein Essen, um meine neue Würde zu feiern. Ich entschädigte ihn dafür, indem ich eine Pharaobank auflegte und in geschickter Weise vierzig Taler verlor, die ich alle Mitglieder der Familie gewinnen ließ, ohne die geringste Parteilichkeit für Mariuccia zu zeigen; denn diese gewann wie alle anderen. Sie wußte eine Gelegenheit zu finden, um mir zu sagen, daß der Beichtvater bei ihr gewesen sei; sie habe ihm die nötigen Angaben gemacht, um sich über ihren Freier erkundigen zu können, und der brave Mönch habe ihre Mutter zur Einwilligung vermocht, daß die hundert Taler für ihre Ausstattung ausgegeben werden dürften.

Da ich bemerkte, daß Momolos zweite Tochter Costa liebte, sagte ich ihr, ich müsse nach Neapel reisen, lasse aber meinen Diener ihr zurück, und wenn ich bei meiner Rückkehr ein Heiratsabkommen fände, würde ich mit Vergnügen die Kosten der Hochzeit tragen.

Costa liebte das Mädchen ebenfalls, aber er heiratete sie damals nicht, weil er fürchtete, ich würde mir das Herrenrecht anmaßen. Er war ein Narr ganz eigener Art, obwohl die Narren aller Arten sehr gewöhnlich sind. Er heiratete sie im nächsten Jahre, nachdem er mich bestohlen hatte; aber davon werde ich später sprechen.

Nachdem ich am nächsten Tage gut gefrühstückt und meinen Bruder herzlich umarmt hatte, reiste ich mit dem Abbate Alfani in meinem schönen Wagen ab, während Leduc als Kurier vorausritt. Ich kam in Neapel in einem Augenblick an, wo die ganze Stadt in Aufregung war, weil ein Ausbruch des Vesuvs drohte. Auf der letzten Station zeigte der Postmeister mir das Testament seines Vaters, der während des Ausbruchs vom Jahre 1754 gestorben war; er schrieb, im Winter 1761 würde der Ausbruch erfolgen, durch welchen Gott die Sündenstadt Neapel bestrafen würde. Infolgedessen riet der gute Mann mir, lieber nach Rom zurückzufahren. Alfani fand die Sache ganz klar und sagte mir allen Ernstes, wir müßten einer Warnung folgen, welche Gott uns auf eine so wunderbare Art zukommen ließe. Das Ereignis war prophezeit, also mußte es eintreffen. So folgern viele Leute; ich dachte anders und setzte meinen Weg fort.

Elftes Kapitel


Mein kurzer, aber glücklicher Aufenthalt in Neapel. – Der Herzog von Matalone. – Meine Tochter und Donna Lucrezia. – Meine Abreise.

Ich will, mein lieber Leser, nicht das Unmögliche versuchen, so große Lust ich auch habe, dir die Freude, das Glück, ja ich möchte sagen das Rauschgefühl, zu schildern, das ich empfand, als ich mich in jener geliebten Parthenopolis wiedersah, die mir so süße Erinnerungen zurückgelassen und wo ich vor achtzehn Jahren zum erstenmal mein Glück gemacht hatte, als ich von Morterano zurückkehrte. Da ich zum zweitenmal Neapel nur besuchte, um das Versprechen zu halten, das ich während meines Aufenthaltes in Paris dem Herzog von Matalone gegeben hatte, so hätte ich mich sofort zu diesem hohen Herrn begeben sollen; da ich jedoch voraussah, daß er mir wenig Freiheit lassen würde, sobald ich ihn aufgesucht hätte, so erkundigte ich mich zunächst nach allen meinen Bekannten.

Ich ging in aller Frühe zu Fuß aus und stellte mich zunächst dem Bankier vor, an den Belloni mich gewiesen hatte. Er nahm meinen Kreditbrief entgegen, gab mir so viele Banknoten, wie ich wünschte, und versprach mir auf sein Ehrenwort, daß kein Mensch von unseren geschäftlichen Beziehungen erfahren solle. Von ihm begab ich mich nach der Wohnung des Don Casanova; man sagte mir aber, er lebe in der Nähe von Salerno auf einem Landgut, das er gekauft und wodurch er den Titel eines Marchese erlangt habe. Dies war mir verdrießlich; indessen durfte ich nicht erwarten, in Neapel den Status quo zu finden, der ja nirgends zu finden ist. Polo war tot, und sein Sohn wohnte in Santa Lucia mit seiner Frau und seinen Kindern; bei meiner Abreise damals war er ein Kind gewesen. Obwohl ich ihn gerne gesehen hätte, fand ich doch keine Zeit dazu. Wie man sich denken kann, vergaß ich nicht den Advokaten Castelli, den Gatten meiner teuren Lucrezia, die ich in Rom so sehr geliebt und mit der ich in Tivoli so süße Augenblicke verbracht hatte. Ich sehnte mich danach, sie wiederzusehen, und fühlte einen süßen Schauer bei dem Gedanken an den Genuß, womit wir uns einer zu früh entschwundenen Zeit erinnern würden, die mir ewig unvergeßlich bleiben wird. Aber Castelli war schon lange tot, und seine Witwe wohnte zwanzig Miglien von Neapel. Ich nahm mir vor, nicht wieder abzureisen, ohne sie umarmt zu haben. Von Don Lelio Caraffa wußte ich, daß er noch lebte und daß er im Mataloneschen Palast wohnte.

Ermüdet von meinen Gängen kam ich nach Hause. Ich speiste gut zu Mittag, machte Toilette, stieg in meinen Mietwagen und begab mich nach dem Palazzo Matalone, wo man mir sagte, der Herzog sei bei Tisch. Trotzdem ließ ich mich anmelden. Der Herzog kam mir entgegen und erwies mir die Ehre, mich zu umarmen und mich zu duzen; hierauf stellte er mich seiner Gemahlin, einer Tochter des Herzogs von Bovino, sowie der zahlreichen Gesellschaft vor, die er bei Tisch hatte. Ich sagte ihm, ich wäre nur nach Neapel gekommen, um ihm den Besuch zu machen, den ich ihm in Paris versprochen hätte.

»Dann, lieber Freund, ist es nicht mehr als recht, daß ich dich beherberge.« Und ohne meine Antwort abzuwarten, rief er: »Man gehe schnell in den Gasthof, wo Herr Casanova abgestiegen ist, und bringe sein ganzes Gepäck hierher! Wenn er einen eigenen Wagen hat, soll dieser bei mir untergestellt werden.«

Ich nahm die Einladung an.

Ein schöner Mann, der sich unter den Gästen befand, sagte, als er meinen Namen hörte, mit fröhlichem Lachen: »Wenn du meinen Namen trägst, kannst du nur ein Bankert meines Vaters sein.«

»Nicht deines Vaters,« versetzte ich augenblicklich, »sondern deiner Mutter.«

Die Gesellschaft lachte laut auf und klatschte meiner Antwort Beifall; mein Gegner aber fühlte sich dadurch keineswegs beleidigt, sondern stand auf, um mich zu umarmen. Man erklärte mir das Mißverständnis. Statt Casanova hatte der Herr »Casalnovo« verstanden; er war Herzog und Besitzer des gleichnamigen Lehens.

»Weißt du,« fragte mich der Herzog von Madalone, »daß ich einen Sohn habe?«

»Man hat es mir gesagt, und ich habe es nicht glauben wollen; aber ich tue Abbitte wegen meiner Ungläubigkeit, denn ich sehe einen Engel, der gewiß dieses Wunder bewirkt hat.«

Die Herzogin errötete, belohnte aber mein Kompliment nicht mit einem einzigen Blick; doch die Gesellschaft gab mir Genugtuung, indem sie in die Hände klatschte. Es war allgemein bekannt, daß der Herzog vor seiner Verheiratung für unvermögend galt. Der Herzog ließ seinen Sohn hereinkommen; ich bewunderte ihn und sagte, er sehe ihm vollkommen ähnlich. Ein gutgelaunter Mönch, der an der rechten Seite der Herzogin saß, war aufrichtiger und sagte, der Knabe sähe dem Herzog nicht ähnlich. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die Herzogin mit der größten Kaltblütigkeit ihm eine Ohrfeige gab, die der Mönch mit der besten Manier hinnahm.

Tausend heitere Bemerkungen machten mich in weniger als einer halben Stunde bei der ganzen Gesellschaft beliebt. Nur die Herzogin suchte durch hoheitsvollen Ton mich in Schranken zu halten. Sie war schön, aber ungeheuer hochmütig, wußte zur rechten und unrechten Zeit stumm und taub zu sein und hatte stets ihre Augen in der Gewalt. Zwei Tage lang bot ich alles Mögliche auf, um sie zu einem Gespräch zu bringen; es wollte mir nicht gelingen. Da ich keine Absichten auf sie hatte – und es mag wohl gut gewesen sein, daß dies nicht der Fall war –, so überließ ich sie ihrem Stolz.

Der Herzog führte mich selber nach den Zimmern, die er für mich bestimmt hatte; als er bei dieser Gelegenheit meinen Spanier sah, fragte er mich, wo mein Sekretär sei, und als er sah, daß dies der Abbate Alfani war, der sich für meinen Sekretär ausgegeben hatte, um in Neapel unbeachtet zu bleiben, sagte er zu mir: »Daran hat der Abbate sehr gut getan; denn mit seinen angeblichen Antiken hat er so viele Leute betrogen, daß ihm recht wohl irgend jemand einen bösen Streich hätte spielen können.«

Er zeigte mir seinen Marstall, worin er herrliche Pferde von den schönsten Rassen, Araber, Andalusier und Engländer, hielt; sodann seine Galerie, die sehr reich war, und seine zahlreiche und gutgewählte Bibliothek; endlich seine Privatgemächer, in denen sich eine reiche Sammlung verbotener Bücher befand.

Nachdem ich mehrere Titel angesehen und in einigen Bänden geblättert hatte, sagte er: »Ich will dir etwas zeigen; aber versprich mir strengste Geheimhaltung.«

Dies versprach ich ihm gerne. Ich erwartete irgendein Wunder zu sehen, aber was er mir zeigte, war eine Satire, von der ich nichts verstand, die aber den ganzen Hof lächerlich machen sollte. Niemals ist es mir leichter geworden, ein Geheimnis zu bewahren.

Sodann sagte er: »Du wirst in das Theater San Carlo gehen; ich werde dich den schönsten Damen von Neapel vorstellen, und du kannst dann hingehen, so oft du Lust hast; denn meine Loge steht allen meinen Freunden offen. Ich werde dich auch meiner Geliebten in ihrer Loge vorstellen, und sie wird dich mit Vergnügen empfangen, so oft du sie besuchen willst.«

»Wie, mein lieber Herzog? Du hast eine Maitresse?«

»Ja, lieber Freund; aber nur der Form wegen, denn ich liebe meine Frau. Trotzdem glaubt man, daß ich in meine Maitresse verliebt und sogar eifersüchtig auf sie sei, weil ich ihr keinen Menschen vorstelle und ihr nicht erlaube, einen Besuch zu empfangen.«

»Und nimmt denn die junge Herzogin es nicht übel, daß du eine Geliebte hast?«

»Meine Frau kann nicht eifersüchtig auf sie sein, denn sie weiß, daß ich bei allen Frauen impotent bin ….. außer bei ihr.«

»Ich verstehe; aber die Geschichte ist wirklich spaßhaft und zugleich unglaublich; denn kann man eine Maitresse unterhalten, die man nicht liebt?«

»Ich habe ja nicht gesagt, daß ich sie nicht liebe; ich liebe sie im Gegenteil sehr, denn sie ist geistvoll wie ein Engel; sie erheitert mich, aber sie interessiert nur meinen Geist.«

»Ich verstehe; dann wird sie wohl häßlich sein.«

»Häßlich? Du wirst sie heute Abend sehen und kannst mir dann berichten. Sie ist schön, siebzehn Jahre alt und hochgebildet.«

»Spricht sie französisch?«

»Wie eine Französin.«

»Du machst mir die größte Lust, sie zu sehen.«

Im Theater San Carlo stellte er mich mehreren Damen vor; keine einzige davon war jedoch nur leidlich hübsch. Der sehr junge König saß in seiner Loge, umgeben von einem sehr reich, aber geschmacklos gekleideten Hofstaat. Das Parkett und die Logen waren vollbesetzt; letztere sind mit Spiegelgläsern geschmückt; sie waren an diesem Abend aus Anlaß irgendeiner Gedenkfeier glänzend beleuchtet. Es war ein zauberhafter Anblick, aber ein solcher Glanz beeinträchtigt die Wirkung des Bühnenbildes.

Nachdem ich einige Augenblicke dieses Schauspiel bewundert hatte, das man wohl nur in Neapel findet, führte der Herzog mich in seine Loge und stellte mich allen seinen Freunden vor; es waren die Schöngeister der Hauptstadt.

Ich habe oft gelacht, wenn ich Gelehrte behaupten hörte, der Geist einer Nation hänge viel weniger von dem Einfluß des Klimas als von der Erziehung ab. Man muß diese Gelehrten erst nach Neapel und dann nach St. Petersburg schicken, damit sie nachdenken oder auch nur einfach sehen. Wäre der große Boerhave in Neapel gewesen, so hätte er die Natur des Schwefels besser erkannt, indem er dessen Wirkungen auf Pflanzen und noch mehr auf Tiere beobachtet hätte. Nur in diesem Lande ist das Wasser das einzige Heilmittel, zum mindesten gegen eine Anzahl von Krankheiten, die in allen anderen Ländern den Kranken töten, der mit Arzneien und Ärzten zu tun haben muß.

Der Herzog hatte mich einen Augenblick in dieser ausgezeichneten Gesellschaft gelassen; bald kam er wieder und führte mich in die Loge seiner Geliebten, die ich in Gesellschaft einer alten Dame von anständigem Aussehen fand. Er sagte ihr beim Eintreten: »Leonilda mia, ti presento il cavalier Don Giacomo Casanova, Veneziano, amico mio – Liebe Leonilda, ich stelle dir den Ritter Don Giacomo Casanova aus Venedig, meinen Freund, vor.« Sie empfing mich mit liebenswürdigem und bescheidenem Wesen und wandte ihre Aufmerksamkeit von der Musik ab, um ein Gespräch mit mir zu beginnen.

Wenn eine Frau hübsch ist, braucht man nur einen Augenblick, um sie hübsch zu finden; wenn sie, um günstig beurteilt zu werden, erst näher betrachtet werden muß, werden die Reize ihres Gesichtes problematisch. Donna Leonilda machte augenblicklich Eindruck. Ich lächelte und zwinkerte dem Herzog zu, der mir gesagt hatte, er liebe sie wie ein Vater seine Tochter und halte sie nur des Luxus wegen. Er verstand mich und sagte: »Du kannst mir’s glauben.«

»Es ist unglaublich,« versetzte ich.

Leonilda, die ohne Zweifel unsere rätselhaften Bemerkungen verstanden hatte, mischte sich in unser Gespräch ein und sagte mit einem feinen Lächeln:

»Was möglich ist, ist auch glaublich.«

»Das gebe ich zu; aber man kann glauben oder nicht glauben, je nachdem einem die Sache mehr oder weniger schwierig erscheint.«

»Außerordentlich richtig; aber mich dünkt, in solchen Fällen soll man lieber glauben. Sie sind gestern in Neapel angekommen; das ist unglaublich und doch wahr.«

»Warum soll denn das unglaublich sein?«

»Kann man glauben, daß ein Fremder in dem Augenblick nach Neapel kommt, wo alle Einheimischen vor Furcht zittern?«

»Ich habe allerdings bis jetzt Furcht gehabt; nun aber fühle ich mich vollkommen ruhig; denn da Sie hier sind, muß der heilige Januarius die Stadt beschützen.«

»Warum?«

»Weil ich überzeugt bin, daß er Sie liebt; aber Sie lachen?«

»Ja, über einen recht komischen Gedanken; mir fällt nämlich ein: wenn ich einen Liebhaber hätte, der dem heiligen Januarius gliche, so wäre der recht unglücklich.«

»Der Heilige ist also wohl sehr häßlich?«

»Wenn sein Bild ähnlich ist – ja. Sie können sich davon überzeugen, wenn Sie seine Statue sehen.«

Solch ein heiterer Ton führt leicht zur Offenherzigkeit, und Offenherzigkeit führt zur Freundschaft. Anmut des Geistes ist noch sieghafter als alle Schönheit.

Leonildas liebenswürdige Laune flößte mir Vertrauen ein; ich brachte das Gespräch auf die Liebe, und sie machte über dieses Thema ausgezeichnete Bemerkungen.

»Wenn die Liebe nicht zum Besitze des geliebten Gegenstandes führt, so muß sie eine Qual sein; wenn es verboten ist, sich einer Leidenschaft hinzugeben, muß man nicht lieben.«

»Sie haben recht – um so mehr, da der Besitz einer schönen Person kein wahrer Genuß ist, wenn man sie nicht schon vorher geliebt hat.«

»Wenn die Liebe vorher da war, begleitet sie ohne Zweifel auch den Genuß; aber ob sie nachher noch da ist, das ist fraglich.«

»Allerdings, denn oft tötet der Genuß die Liebe.«

»Er ist ein eigensüchtiger Knabe, der seine Mutter tötet; wenn aber nach dem Genuß die Liebe nur in dem einen der beiden Beteiligten weiterlebt, so ist das schlimmer als ein Mord; denn was ohne Gegenliebe noch weiter liebt, ist unglücklich.«

»Außerordentlich richtig bemerkt, meine Gnädige! Aber wenn Sie diesen Schluß ziehen, der ja den Regeln der strengsten Dialektik entspricht, muß ich annehmen, daß Sie die Sinne zu ewigem Fasten verdammen. Das ist grausam.«

»Gott soll mich vor solchem Platonismus ohne Liebe bewahren! Aber ich überlasse es Ihnen selber, den Schluß zu ziehen.«

»Lieben und genießen und dann wieder genießen und lieben!«

»Ganz recht.«

Bei diesen letzten Worten mußte Leonilda unwillkürlich lachen, und der Herzog küßte ihr die Hand.

Ihre Gesellschafterin, die kein Französisch verstand, beschäftigte sich mit der Oper. Ich aber hatte nur für Leonilda Augen, denn ich hatte Feuer gefangen.

Leonilda war erst siebzehn Jahre alt; sie war mehr als schön: sie war zum Anbeißen hübsch. Der Herzog zitierte ein etwas schlüpfriges Epigramm über den Genuß von Lafontaine; man findet es nur in der ersten Ausgabe. Es beginnt mit den Versen:

La jouissance et les désirs
Sont ce que l’homme a de plus rare;
Mais ce ne sont pas vrais plaisirs
Dès le moment qu’on les sépare.

Ich habe dieses Epigramm ins Italienische und ins Lateinische übersetzt: in dieser letzteren Sprache konnte ich Lafontaine so einigermaßen Vers für Vers wiedergeben; aber ich brauchte zwanzig italienische Verse für die ersten zehn Verse des französischen Dichters – was übrigens nichts für den Vorzug der einen vor der anderen Sprache beweist.

In Neapel erfordert der gute Ton, besonders in der hohen Gesellschaft, als erstes Freundschaftszeichen, einen Neuankömmling, den man besonders auszeichnen will, zu duzen. Beide Teile fühlen sich hierdurch behaglicher, doch schließt dieser vertraute Ton nicht die Rücksichten aus, die man sich gegenseitig schuldet.

Meine Bewunderung für Leonilda war bereits einem süßeren und zugleich innigerem Gefühl gewichen; so kam es, daß die Oper, die fünf Stunden dauerte, mir in einem Augenblick vergangen zu sein schien.

Als die beiden Damen sich entfernt hatten, sagte der Herzog zu mir: »Wir müssen uns jetzt trennen, wenn du nicht etwa ein Freund des Glücksspieles bist.«

»Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn ich mit angenehmen Spielern zu tun habe.«

»Nun, dann bitte ich dich, mich zu begleiten: du wirst zehn oder zwölf Herren meines Standes bei einer Pharaobank versammelt finden; später wird ein gutes Abendessen eingenommen. Ich muß dich jedoch darauf aufmerksam machen, daß die Sache geheim bleiben muß; denn das Spiel ist verboten. Ich bürge für dich.«

»Das kannst du.«

Er führte mich zum Herzog von Monte Leone, wo wir im dritten Stock, nachdem wir ein Dutzend Zimmer durchschritten hatten, den Spielsaal betraten. Ein Bankhalter von freundlichem Aussehen, der ungefähr vierhundert Zechinen vor sich liegen hatte, gab die Karten. Der Herzog stellte mich als seinen Freund vor und ließ mich an seiner Seite Platz nehmen. Ich zog meine Börse; man machte mich jedoch darauf aufmerksam, daß nur auf Wort gespielt und binnen vierundzwanzig Stunden bezahlt werde. Der Bankhalter gab mir ein Spiel Karten und ein Körbchen mit tausend Marken. Ich kündigte an, daß jede Marke einen neapolitanischen Dukaten gelten solle, und in weniger als zwei Stunden war mein Korb leer. Ich hörte auf zu spielen und speiste in heiterer Laune zu Abend. Es war ein Nachtmahl auf neapolitanische Art, bestehend aus einer riesigen Schüssel Makkaroni und zehn oder zwölf Gerichten aus verschiedenen Muscheln, die das Meer an jenen Küsten in verschwenderischer Fülle bietet. Als wir fortgingen, ließ ich dem Herzog keine Zeit, mir in der herkömmlichen Weise sein Beileid wegen des Verlustes auszusprechen, sondern unterhielt ihn auf angenehme Weise von seiner Leonilda.

Am nächsten Morgen ließ er mir in aller Frühe durch seinen Pagen sagen, wenn ich mit ihm zu Hofe gehen wolle, um dem König die Hand zu küssen, müsse ich Gala anlegen. Ich zog einen rosafarbenen, mit Gold gestickten Samtrock an und hatte die ungeheuere Ehre, eine kleine, neunjährige, ganz mit Frostbeulen bedeckte Hand zu küssen. Der Fürst von San Nicandro hat den jungen König erzogen, so gut er es verstand; die Natur aber hat aus ihm einen leutseligen, duldsamen, gerechten und freigebigen Monarchen gemacht. Er wäre vollkommen gewesen, hätte er mehr Würde gehabt; aber er ist ein König ohne Umstände, und dies ist nach meiner Meinung an einem Manne, der dazu bestimmt ist, allen anderen zu gebieten, ein Fehler.

Ich hatte die Ehre, beim Mittagessen der Herzogin zur Rechten zu sitzen; sie geruhte, mir zu sagen, sie habe niemals einen eleganteren Anzug gesehen.

»Auf diese Weise, Madame,« antwortete ich ihr, »suche ich meiner Person einer zu strengen Prüfung zu entziehen.«

Sie lächelte; aber hierauf beschränkte sich auch so ziemlich ihre Artigkeit gegen mich.

Nach Tisch führte der Herzog mich in die Gemächer seines Oheims Don Lelio, der mich sofort erkannte. Ich küßte dem würdigen Greise die Hand und bat ihn wegen meiner Jugendstreiche um Entschuldigung.

»Vor achtzehn Jahren,« sagte er zum Herzog, »hatte ich Herrn Casanova zu deinem Studiengenossen ausersehen.«

Ich machte ihm großes Vergnügen, indem ich ihm in aller Kürze erzählte, wie es mir in Rom beim Kardinal Acquaviva ergangen war. Als ich fort ging, bat er mich, ihn oft zu besuchen.

Gegen Abend sagte der Herzog zu mir: »Wenn du in die Komische Oper gehen willst, wirst du Leonilda ein Vergnügen machen.«

Er nannte mir die Nummer ihrer Loge und fuhr fort: »Ich werde dich gegen Ende des Stückes abholen, und dann werden wir wie gestern zum Souper gehen.«

Ich brauchte nicht erst anspannen zu lassen; denn ein Wagen mit zwei prachtvollen Pferden stand beständig im Hofe für mich bereit.

Die Oper hatte bereits begonnen, als ich bei den Florentinern ankam. Ich stellte mich Leonilda vor, die mit honigsüßer Stimme zu mir sagte: »Caro Don Giacomo, ich sehe Sie mit großem Vergnügen wieder.«

Ohne Zweifel hielt sie es für angemessen, mich nicht zu duzen, aber der freundliche Ton ihrer Stimme und der Ausdruck ihrer Augen waren mehr wert als das »Du«, mit welchem man in Neapel so verschwenderisch umgeht, daß es oft keinen Wert mehr hat.

Das verführerische Gesicht der reizenden Person war mir nicht unbekannt; aber ich konnte mich nicht darauf besinnen, an welche Frau es mich erinnerte. Leonilda war eine Schönheit, ja, wie ich bereits sagte, mehr als eine Schönheit, wenn dieses überhaupt möglich ist. Sie hatte prachtvolle hellbraune Haare, und ihre schöngeschnittenen großen schwarzen Augen von einem Glanze, der durch ihre langen Wimpern gedämpft wurde, hörten, fragten und sprachen gleichzeitig. Am meisten aber entzückte sie mich durch den Ausdruck, den sie ihren Erzählungen zu geben wußte, indem sie sie mit den anmutigsten, stets den Umständen angemessenen Bewegungen begleitete. Es war, wie wenn ihre Zunge nicht ausreichte, um die Gedanken auszudrücken, die in ihrem von Natur glänzend gestalteten und durch eine glänzende Erziehung noch mehr entwickelten Geiste sich drängten.

Das Gespräch kam auf das Epigramm Lafontaines, von dem ich nur die ersten zehn Verse hergesagt hatte, weil die übrigen zu frei sind. Sie sagte: »Es ist gewiß nur eine Dichterlaune, und über eine solche kann man nur lachen.«

»Das mag sein; aber ich wollte Ihre Ohren nicht verletzen.«

»Du bist sehr freundlich,« sagte sie, das angenehme »Du« wieder aufnehmend, »ich danke dir dafür. Indessen machen bloße Worte nicht so leicht Eindruck auf mich, denn ich habe ein Kabinett, das der Herzog mit chinesischen Tapeten hat ausschlagen lassen, worauf eine Menge verliebter Stellungen abgebildet sind. Wir besuchen es zuweilen, und ich kann dir versichern, daß diese Bilder nicht im geringsten Eindruck auf mich machen.«

»Vielleicht ist daran ein Mangel an Temperament schuld; denn wenn ich erotische Bilder sehe, die gut gemacht sind, so gerate ich in Feuer und Flamme. Ich wundere mich, daß ihr bei der Betrachtung derselben nicht zuweilen Lust bekommt, einige von ihnen darzustellen.«

»Wir haben nur freundschaftliche Gefühle füreinander.«

»Das glaube, wer will.«

»Ich könnte allerdings darauf schwören, daß er ein Mann ist; aber ich könnte nicht sagen, ob er imstande ist, einer Frau Beweise tatsächlicher Zärtlichkeit zu geben.«

»Er hat aber doch einen Sohn.«

»Ja, er hat ein Kind, das ihn Vater nennt; aber er gesteht selber, daß er nur bei seiner Frau Mann sein kann.«

»Das ist ein Märchen; denn Sie sind ganz danach angetan, Begierden einzuflößen, und ein Mann, der mit Ihnen zusammen lebte, ohne Sie zu besitzen, dürfte eigentlich nicht mehr leben.«

»Denken Sie wirklich so?«

»Teuere Leonilda, wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich Ihnen beweisen, was ein Mann vermag, der Sie liebt.«

»Caro Don Giacomo, ich bin entzückt, zu hören, daß du mich liebst; da du jedoch nicht in Neapel bleiben kannst, wirst du mich bald vergessen.«

»Verdammtes Spiel! Denn müßte ich nicht zum Spiel gehen, so könnten wir köstliche Abende miteinander verbringen.«

»Der Herzog hat mir erzählt, du habest mit dem vornehmsten Anstand gestern Abend tausend Dukaten verloren. Du bist wohl ein unglücklicher Spieler?«

»Nicht immer; aber wenn ich an dem Tage spiele, wo ich mich verliebt habe, verliere ich ganz gewiß.«

»Du wirst dein Geld heute Abend wieder gewinnen.«

»Heute ist der Tag der Erklärung; ich werde abermals verlieren.«

»So spiele doch heute nicht!«

»Man würde sagen, ich hätte Angst vor dem Verlust oder ich hätte kein Geld.«

»So hoffe ich doch, du wirst ein anderes Mal deinen Verlust wieder hereinbringen und mir in meinem Hause Nachricht davon geben. Besuche mich doch morgen früh mit dem Herzog.«

In diesem Augenblick trat der Herzog ein und fragte mich, ob die Oper mir gefallen habe. Leonilda kam mir zuvor und rief:

»Wir wissen gar nicht, was gespielt wurde, denn wir haben die ganze Zeit über Liebe gesprochen.«

»Das war recht!«

»Ich bitte Sie, morgen mit Herrn Casanova zu mir zu kommen; denn ich hoffe, er wird mir mitteilen, daß er heute Abend gewonnen hat.«

»Heute Abend, meine Liebe, ist an mir die Reihe, Bank zu halten; aber ich werde dir meinen Freund zuführen, einerlei, ob er verliert oder gewinnt. Du wirst uns ein Frühstück geben.«

»O, mit großem Vergnügen.«

Wir küßten dem reizenden Mädchen die Hand und begaben uns dann an denselben Ort wie am Abend vorher.

Die Gesellschaft war bereits versammelt und wartete auf den Herzog. Sie bestand aus zwölf Mitgliedern, die abwechselnd Bank hielten. Sie behaupteten, dadurch gliche das Spiel sich aus; aber ich mußte über diese Behauptung lachen, denn nichts ist schwieriger, als gleiche Aussichten für alle Spieler herzustellen.

Der Herzog von Matalone nahm seinen Platz ein, zog seine Börse und seine Brieftasche hervor und legte zweitausend Dukaten in die Bank, indem er die Gesellschaft um Verzeihung bat, daß er zugunsten des Gastes die Bank verdoppele; sonst betrug nämlich die Bank stets nur tausend Dukaten.

»Ich werde also,« bemerkte ich, »ebenfalls zweitausend Dukaten aufs Spiel setzen und nicht mehr, denn man sagt in Venedig, ein kluger Spieler dürfe nicht mehr riskieren, als was er gewinnen kann. Meine Marken werden also je zwei Dukaten gelten.« Mit diesen Worten zog ich zehn Banknoten von je hundert Dukaten aus der Tasche und gab sie dem Spieler, der sie mir am Abend vorher abgewonnen hatte.

Das Spiel begann. Obgleich ich nur auf eine einzige Karte und sehr vorsichtig spielte, war doch nach drei Stunden mein Körbchen leer. Ich hörte auf, obgleich ich noch fünfundzwanzigtausend Dukaten besaß; ich hatte aber gesagt, daß ich nicht höher spielen würde, und ich wollte nicht gerne mein Wort brechen.

Ich bin gegen Spielverluste stets sehr empfindlich gewesen; da ich mich jedoch immer zu beherrschen wußte, hat man niemals meinen Ärger bemerken können, eben weil ich mir stets Mühe gab, meine natürliche Heiterkeit zu verdoppeln und dadurch meine Stimmung zu verdecken. Dadurch gefiel ich in allen Gesellschaften, in die ich kam, und fand leicht neue Mittel.

Ich speiste mit gutem Appetit, und eine gewisse Aufregung, in der ich mich befand, gab mir so glückliche Bemerkungen ein, daß die ganze Gesellschaft in die heiterste Stimmung versetzt wurde. Es gelang mir sogar, die Traurigkeit des Herzogs von Matalone zu verscheuchen, der in Verzweiflung war, daß er einem Fremden, der bei ihm wohnte und den er seinen Freund nannte, eine so große Summe abgewonnen hatte. Er befürchtete, mich in Geldverlegenheiten gebracht zu haben, noch mehr aber, daß man glauben könnte, er habe mich in seinem Hause aufgenommen, um mir mein Geld abzugewinnen; denn er war reich, edel, prachtliebend, freigebig und von anständiger Gesinnung.

Unsere Unterhaltung auf der Heimfahrt war von seiner Seite teilnehmend, von der meinigen aber lustig. Ich bemerkte wohl, daß ihn irgend etwas bedrückte, und erriet auch, was es war; er fürchtete mein Zartgefühl zu verletzen und wagte mir darum nicht zu sagen, daß er mir zur Bezahlung gerne Zeit lassen wollte. Aber nachdem er sich in seine Gemächer zurückgezogen hatte, konnte er sich nicht enthalten, mir in freundlicher Weise zu schreiben: wenn ich Kredit brauche, möge ich nur zu seinem Bankier gehen; dieser werde mir soviel Geld geben, wie ich nötig habe. Ich antwortete ihm sofort: ich fühlte den vollen Wert seines großmütigen Verhaltens; sollte ich in die Lage kommen, Geld nötig zu haben, so würde ich von seinem großmütigen Anerbieten Gebrauch machen.

Am nächsten Morgen ging ich in aller Frühe in sein Zimmer, umarmte ihn herzlich und bat ihn, nicht zu vergessen, daß wir bei seiner schönen Geliebten frühstücken sollten. Er zog wie ich einen Morgenrock an, und wir gingen zu Fuß nach der Fontana Medina, wo Leonilda in einem hübschen Hause wohnte.

Wir fanden sie noch im Bett; sie empfing uns aufrechtsitzend in einer anständigen Bettoilette mit einem Basinleibchen, das vorne von rosenfarbenen Schleifen zusammengehalten wurde. Sie war entzückend schön, und ihre anmutige Stellung vermehrte noch ihre Reize. Sie las das »Sofa« vom eleganten jüngeren Crébillon. Der Herzog setzte sich auf das Fußende ihres Bettes, ich aber blieb wie betäubt vor Bewunderung stehen und sah sie nur immer an; vergeblich bemühte ich mich, das Urbild dieses zauberhaften Gesichtes, das ich, wie mich dünkte, schon einmal geliebt haben müßte, in mein Gedächtnis zurückzurufen. Ich sah sie zum erstenmal ohne den trügerischen Glanz des Kerzenlichtes. Sie lachte darüber, daß ich so zerstreut war, und bat mich im freundlichsten Ton, mich in den Lehnstuhl zu setzen, der am Kopfende ihres Bettes stand. Der Herzog sagte ihr, ich sei sehr erfreut, zweitausend Dukaten an seine Bank verloren zu haben, denn dieser Verlust gebe mir die Überzeugung, daß sie mich liebe.

»Caro mio Don Giacomo, wie leid tut mir das! Es wäre besser gewesen, du hättest gar nicht gespielt; denn darum würde ich dich ja doch lieben, und du hättest zweitausend Dukaten mehr.«

»Die ich weniger hätte!« rief der Herzog lachend.

»Tröste dich, reizende Leonilda, heute Abend werde ich gewinnen, wenn du mir heute irgendeine Gunst gewährst. Sonst aber werde ich meine Seele verlieren, und in ein paar Tagen wirst du meinem Leichenbegängnisse beiwohnen.«

»So gewähre doch, liebe Leonilda, meinem Freunde irgendeine Gunst.«

»Das ist unmöglich.«

Der Herzog bat sie, sich anzukleiden und mit uns im chinesischen Kabinett zu frühstücken. Sie tat es sofort und war weder zu freigebig mit dem, was sie uns sehen ließ, noch geizig mit dem, was sie uns verbergen zu müssen glaubte; sie hielt gerade die richtige Mitte, um einen Mann zu entflammen, den ihr Gesicht, ihr Geist und ihr Benehmen bereits verführt hatten. Immerhin konnte ich einen unbescheidenen Blick auf ihren Busen werfen, und dieser Anblick wirkte, wie wenn Öl ins Feuer gegossen wird. Ich gestehe, daß ich mir diesen Genuß nur durch eine Art Diebstahl verschaffte; doch würde mir dieser niemals gelungen sein, wenn nicht auch ein bißchen Absicht von ihrer Seite dabei gewesen wäre. Ich tat, wie wenn ich nichts gesehen hätte.

Wir sprachen über die Zerstreutheit, die eine Frau sich beim Ankleiden erlauben dürfe, und sie vertrat sehr geistreich die Ansicht, daß ein anständiges junges Mädchen gegen einen Mann, den sie liebe, viel zurückhaltender sein müsse als gegen einen anderen, den sie nicht liebe, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß sie den ersteren zu verlieren fürchten muß, während sie sich aus dem zweiten nichts macht.

»Bei mir, reizende Leonilda,« sagte ich, »würde das Entgegengesetzte zutreffen.«

»Ich bin überzeugt, du irrst dich.«

Die chinesischen Bilder, mit denen das Frühstückskabinett ausgeschlagen war, waren wundervoll, mehr wegen der Schönheit der Farben und Zeichnung als durch die Darstellung der abgebildeten Liebesszenen.

»Auf mich macht so etwas gar keinen Eindruck,« sagte der Herzog; zugleich zeigte er es uns. Leonilda wandte ihren Blick ab; mich ärgerte der Zynismus, doch wußte ich meine Gefühle zu verbergen und sagte: »Ich befinde mich in demselben Zustand wie Sie, doch wünsche ich durchaus nicht, Sie davon zu überzeugen.«

»Das ist nicht möglich!« rief er; zugleich überzeugte er sich durch eine schnelle Handbewegung.

»Erstaunlich!« sagte er; »du mußt auch impotent sein wie ich.«

»Um diese Behauptung zu widerlegen, brauche ich nur Leonilda in die Augen zu sehen.«

»O Leonilda, mein Herz, sieh doch bitte meinen Freund an, damit ich mich davon überzeugen kann.«

Leonilda sah mich mit einem zärtlichen Blick an, und dieser brachte sofort die von mir erwartete Wirkung hervor.

»Fassen Sie hin!« sagte ich zum armen Herzog; er tat es und rief: »Ich habe unrecht.«

Als er sich jedoch anschickte, den Gegenstand seiner Überraschung zu entblößen, widersetzte ich mich; er blieb hartnäckig, und dies brachte mich auf den Gedanken, ihm einen Streich zu spielen. Ich ergriff Leonildas Hand, preßte meine Lippen darauf und überströmte in dem Augenblick, wo der Herzog zu triumphieren glaubte, seine Hand mit dem Lebenssaft, indem ich laut auflachte. Er lachte ebenfalls und stand auf, um ein Tuch zu holen.

Von dem ganzen Vorgang hatte das entzückende Mädchen nichts sehen können, denn ein Tischchen trennte uns; aber während meine glühenden Lippen auf ihrer schönen Hand ruhten, waren meine Augen auf die ihrigen geheftet, und ihr Atem vermischte sich beinahe mit dem meinigen. Dieser Berührung verdanke ich das Feuer, das nötig gewesen war, um den Herzog zu bespritzen. Als nun auch sie vom Lachen ergriffen wurde, bildeten wir ein Trio, das des Pinsels eines Albano oder der Feder eines Aretino würdig gewesen wäre.

Es war eine entzückende Partie, obgleich wir gewisse Grenzen überschritten, die der Anstand uns hätte setzen sollen; doch blieb Leonilda so unschuldig dabei, wie die Lage es erlaubte. Wir beendigten den Auftritt, indem wir uns gegenseitig umarmten; aber als ich mich von Leonildas wonnigen Lippen loslöste, verzehrte mich eine Glut, die ich nicht mehr dämpfen konnte.

Als wir das Haus verlassen hatten, sagte ich dem Herzog, ich würde seine Geliebte nicht mehr wiedersehen, wenn er sie mir nicht abträte; ich wäre bereit, sie zu heiraten und ihr ein Witwengeld von fünftausend Dukaten auszusetzen.

»Sprich mit ihr; wenn du ihr recht bist, werde ich mich nicht widersetzen. Du wirst von ihr selber erfahren, was sie besitzt.«

Ich kleidete mich um und begab mich zum Mittagessen. Ich fand die Herzogin in zahlreicher Gesellschaft, und sie sagte mir mit gütiger Miene, mein Unglück tue ihr leid.

»Nichts ist unbeständiger als das Glück, Madame! Dennoch beklage ich mich nicht über meinen Verlust, denn der freundliche Anteil, den Sie deswegen an mir nehmen, macht ihn mir angenehm; ich glaube sogar, ich werde infolgedessen heute Abend gewinnen.«

»Ich wünsche es, doch zweifle ich daran; denn du hast heute Abend gegen Monte-Leone zu kämpfen, und dieser ist ein sehr glücklicher Spieler.«

Im Laufe des Nachmittags überlegte ich mir meine Lage und beschloß, nur bar zu spielen, zunächst, um mich nicht der Gefahr der Entehrung auszusetzen, indem ich, von der Spielwut fortgerissen, mehr verlöre als ich besäße; außerdem aber, damit der Bankhalter, nachdem ich zweimal verloren, nicht befürchtete, daß ich kein Geld mehr hätte; endlich aber auch, wie ich gestehen muß, aus einem gewissen Spieleraberglauben, der von einer Änderung der Spielweise einen Umschwung des Glückes bestimmt erwartet oder doch wenigstens erhofft.

Ich verbrachte im Theater San Carlo vier Stunden in der Loge meiner schönen Leonilda; ich fand sie fröhlich, reicher gekleidet und glänzender als an den vorhergehenden Tagen.

»Teure Leonilda,« sagte ich zu ihr, »die Liebe, die du mir eingeflößt hast, ist derart, daß sie weder Aufschub noch Nebenbuhler duldet, ja daß sie nicht einmal den geringsten Anschein einer künftigen Unbeständigkeit verträgt. Ich habe dem Herzog gesagt, ich sei bereit, dich zu heiraten und dir ein Witwengeld von fünftausend Dukaten auszusetzen.«

»Was hat er dir geantwortet?«

»Ich solle dir den Vorschlag machen; er hat durchaus nichts dagegen.«

»Wir werden also zusammen abreisen?«

»Auf der Stelle, mein Herz, und nur der Tod soll uns trennen.«

»Wir werden morgen früh darüber sprechen, caro Don Giacomo; du wirst mich glücklich machen, wenn ich dich glücklich machen kann.«

Diese Worte erfüllten mich mit hoher Freude; in demselben Augenblick trat der Herzog ein, und Leonilda sagte zu ihm: »Lieber Freund, zwischen Don Giacomo und mir ist nur noch von einer richtigen Heirat die Rede.«

»Eine Heirat, mia carissima, muß man sich so lange wie möglich überlegen, bevor man sie schließt.«

»Ja, so lange wie möglich, wenn man Zeit dazu hat; mein lieber Giacomo kann aber nicht warten, weil er abreisen will; darum müssen wir nachher darüber nachdenken.«

»Lieber Freund,« sagte der Herzog zu mir, »da es sich um eine Heirat handelt, könntest du deine Abreise aufschieben oder später wiederkommen und dich jetzt mit Leonilda nur verloben.«

»Ich kann sie nicht aufschieben, mein lieber Herzog, und kann nicht wiederkommen. Wir sind entschlossen, und wenn wir uns täuschen, werden wir nachher Zeit genug haben, es zu bereuen.«

Er lachte und sagte, wir würden am nächsten Tage darüber sprechen. Ich umarmte meine künftige Gattin, die mir beglückt meinen Kuß zurückgab. Hierauf gingen wir in unsere Spielergesellschaft, wo wir den Herzog von Monte-Leone als Bankhalter trafen.

»Herr Herzog,« sagte ich zu ihm, »ich habe Pech, wenn ich auf Wort spiele; ich hoffe daher, Sie werden mir erlauben, mit barem Gelde zu spielen.«

»Ganz wie Sie wollen; mir ist es einerlei, tun Sie sich nur keinen Zwang an. Ich habe eine Bank von viertausend Dukaten gelegt, damit Sie Ihren Verlust wieder einholen können.«

»Nun, ich verspreche Ihnen, die Bank zu sprengen oder ebensoviel zu verlieren.«

Ich legte sechstausend Dukaten auf den Tisch, von denen ich zweitausend dem Herzog von Matalone gab; hierauf spielte ich mit Sätzen von hundert Dukaten. Der Herzog entfernte sich, nachdem er einigemal gesetzt hatte. Nach einem langen Kampfe sprengte ich die Bank. Ich fuhr allein nach dem Palast des Herzogs zurück, und als ich ihm am nächsten Tage meinen Sieg meldete, umarmte er mich mit Freudentränen in den Augen und riet mir, nur noch gegen bar zu spielen. Da die Fürstin della Valle ein großes Souper gab, fand an diesem Tage keine Spielpartie statt. Es war Ruhetag. Wir gingen zu Leonilda, um ihr guten Tag zu sagen, verschoben jedoch eine Aussprache über unseren Heiratsplan bis zum nächsten Morgen und verbrachten den Tag damit, die Naturwunder der Umgegend von Neapel zu besehen. Am Abend wurde ich von meinem Freunde der Fürstin vorgestellt und sah bei ihr den vornehmsten Adel der Stadt.

Am nächsten Morgen sagte der Herzog mir, er habe einige Geschäfte zu ordnen; ich könne daher allein zu Leonilda gehen, er werde mich abholen. Ich ging zu ihr; da der Herzog jedoch nicht kam, konnten wir über unsere künftige Heirat keine Beschlüsse fassen. Ich verbrachte mehrere Stunden bei ihr, doch konnte ich mich nur in Worten verliebt zeigen, da ich mich ihrem Willen anbequemen mußte. Bevor ich sie verließ, wiederholte ich die Versicherung, daß es nur von ihr abhänge, durch unlösliche Bande ihr Geschick an das meinige zu knüpfen und binnen kürzester Frist mit mir abzureisen.

Als ich den Herzog wiedersah, empfing er mich mit den Worten: »Nun, Don Giacomo? Du hast den ganzen Morgen mit meiner Geliebten unter vier Augen verbracht; hast du immer noch Lust, sie zu heiraten?«

»Mehr denn je; aber was ist denn deine Meinung davon?«

»Ich habe gar keine, lieber Freund; ich habe dich mit Absicht auf diese Probe gestellt, und da die Sache nun einmal so steht, so wollen wir morgen darüber sprechen, und ich hoffe, du wirst das reizende Mädchen glücklich machen. Sie hat alles, was nötig ist, um einen wackeren Mann glücklich zu machen.«

»Ich bin ganz deiner Meinung.«

Am Abend fand ich bei Monte-Leone einen Bankhalter, der viel Gold vor sich liegen hatte. Mein Freund sagte mir, es sei Don Marco Ottoboni. Er war ein anständig aussehender Kavalier, aber er hielt die Karten so fest in der linken Hand, daß ich sie nicht sehen konnte. Dies flößte mir kein Vertrauen ein, und ich setzte immer nur mit einem Dukaten. Obwohl ich entschiedenes Unglück hatte, verlor ich nur etwa zwanzig Dukaten. Nach fünf oder sechs Taillen fragte der Bankhalter mich mit vornehmer Höflichkeit, warum ich gegen ihn so klein spiele. Ich antwortete ihm:»Wenn ich nicht mindestens die Hälfte des Kartenspieles sehe, fürchte ich zu verlieren!«

über diese Bemerkung lachten mehrere von den Spielern.

In der nächsten Nacht sprengte ich die Bank des Fürsten von Cessaro. Dieser liebenswürdige, reiche Herr verlangte von mir Revanche, indem er mich zum Abendessen nach seinem hübschen Hause am Pausilippo einlud, wo er mit einer Sängerin lebte, in die er sich in Palermo verliebt hatte. Er lud außer mir auch den Herzog von Matalone und noch drei oder vier andere Herren ein. Ich habe in Neapel nur dieses eine Mal Bank gehalten. Ich legte eine Bank von sechstausend Dukaten, nachdem ich gesagt hatte, daß ich am nächsten Tage abreisen und daher nur gegen bar spielen würde.

Der Herzog von Cessaro verlor zehntausend Dukaten und gab die Partie nur auf, weil er kein bares Geld mehr hatte. Alle entfernten sich, und auch ich wäre gegangen, wenn nicht die Geliebte des Fürsten, die nach einem Verlust von etwa vierzig Unzen auf Wort gespielt hatte, mir etwa hundert Unzen schuldig gewesen wäre. In der Hoffnung, daß sie ihr Geld zurückgewinnen würde, zog ich weiter ab; da ich jedoch sah, daß sie immer mehr verlor, legte ich die Karten hin und sagte ihr, sie würde mir ihre Schuld in Rom bezahlen. Sie war schön und angenehm; trotzdem flößte sie mir keine Begierde ein, ohne Zweifel, weil ich von einer anderen stark in Anspruch genommen war. Sonst hätte ich einen Wechsel auf Sicht gezogen und mich bezahlt gemacht, ohne daß sie hätte in die Börse zu greifen brauchen. Es war zwei Uhr morgens, als ich fortging.

Ich wollte Neapel nicht verlassen, ohne Caserta gesehen zu haben, und da Donna Leonilda denselben Wunsch hatte, ließ der Herzog uns in einem bequemen Wagen hinfahren, der mit sechs schönen Maultieren bespannt war, deren gleichmäßiger, schöner Trab den gewöhnlichen Galopp von Pferden übertraf. Leonildas Gesellschaftsdame nahm ebenfalls an dem Ausflug teil. Am nächsten Tage setzten wir in einer zweistündigen Unterredung die Bedingungen unserer künftigen Vereinigung fest.

»Leonilda«, sagte der Herzog zu mir, »hat noch ihre Mutter, die auf einem nicht weit entfernten Landgut von einem jährlichen Einkommen von sechshundert Dukaten lebt, die ich ihr auf Lebenszeit ausgesetzt habe; es ist die Entschädigung für ein ihr von ihrem Gatten hinterlassenes Landgut, das ich von ihr übernahm. Leonilda hängt jedoch nicht von ihr ab. Sie hat sie vor sieben Jahren mir abgetreten, und ich habe ihr eine lebenslängliche Rente von fünfhundert Dukaten sichergestellt; diese wird sie dir nebst allen ihren Diamanten und einer reichen Aussteuer als Mitgift zubringen. Ihre Mutter überließ sie gänzlich meiner Zärtlichkeit und meinem Ehrenwort, daß ich für eine vorteilhafte Heirat sorgen würde. Ich habe besondere Sorgfalt auf ihre Erziehung verwandt; als ich ihren Geist sich entwickeln sah, bestrebte ich mich, sie vor allen Vorurteilen zu bewahren, mit Ausnahme desjenigen, das einer Frau gebietet, sich ausschließlich für den Mann zu bewahren, den der Himmel ihr zum Gatten bestimmt. Du kannst überzeugt sein, du wirst der erste Mann sein, den Leonilda, die ich wie meine Tochter liebe, an ihr Herz gedrückt hat.«

Ich bat den Herzog, den Heiratsvertrag fertig machen zu lassen und der Mitgift meiner Braut fünftausend Reichsdukaten hinzuzufügen, die ich ihr bei der Unterzeichnung des Vertrages auszahlen würde.

»Ich werde«, sagte er, »diese Summe als Hypothek auf ein Haus eintragen lassen, das das Doppelte wert ist.« Hierauf wandte er sich zu Leonilda, die vor Glück weinte, und sagte zu ihr: »Ich werde deine Mutter holen lassen; sie wird hochbeglückt sein, den Ehevertrag zu unterzeichnen und die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, der dich gewiß glücklich machen wird. Die Mutter lebt eine Tagesreise von Neapel in der Familie des Marchese Galiani. Ich werde ihr morgen einen Wagen schicken, und übermorgen werden wir zusammen zu Abend speisen. Am dritten Tage bringen wir alles vor einem Notar in Ordnung; hierauf gehen wir in die kleine Kirche von Portici, wo ein Priester euch vermählen wild. Die Kosten übernehme ich. Hierauf bringen wir deine Mutter nach Santa Agata zurück, speisen bei ihr zu Mittag, und ihr setzt, begleitet von ihrem Segen, eure Reise fort.«

Bei diesen Schlußworten überlief mich unwillkürlich ein Schauer. Leonilda sank ohnmachtig in die Arme des Herzogs, der sie seine teure Tochter nannte und sie mit Liebkosungen überhäufte, bis sie wieder zu sich kam. Zum Schluß dieses Auftrittes mußten wir alle unsere Tränen trocknen, denn wir alle waren gerührt.

Da ich mich als verheiratet ansah und infolgedessen mich verpflichtet hielt, einen anderen Lebenswandel zu beginnen – denn ich bin überzeugt, ich würde alles aufgeopfert haben, um eine Frau, die es verdiente, glücklich zu machen –, so spielte ich nicht mehr. Ich hatte mehr als fünfzehntausend Dukaten gewonnen. Diese Summe nebst dem Gelde, das ich bereits besaß, und Leonildas Mitgift mußten zu einer anständigen Existenz ausreichen; es würde mir leicht geworden sein, ein vernünftiges Leben zu führen.

Als ich am nächsten Abend mit dem Herzog und Leonilda speiste, sagte meine Braut zu mir: »Was wird meine Mutter sagen, wenn sie dich morgen Abend sieht?«

»Sie wird sagen, du machst eine Dummheit, daß du einen Fremden heiratest, den du erst seit acht Tagen kennst. Hast du ihr meinen Namen, meine Heimat, mein Land, mein Alter mitgeteilt?«

»Ich habe nur ein paar Zeilen geschrieben: Kommen Sie sofort, liebe Mama, und unterzeichnen Sie meinen Ehevertrag mit einem Manne, den ich aus den Händen des Herrn Herzogs empfangen und mit welchem ich morgen nach Rom abreisen werde!«

»Und ich«, sagte der Herzog, »habe ihr folgendes mitgeteilt: Komme unverzüglich, liebe Freundin, unterzeichne den Heiratsvertrag deiner Tochter und gib ihr deinen Segen; sie hat mit klugem Sinne einen Gatten gewählt, der ihr Vater sein könnte und mein Freund ist!«

»Das ist nicht wahr!« rief Leonilda, indem sie sich in meine Arme warf, »sie wird dich für alt halten, und das ärgert mich.«

»Ist deine Mutter alt?«

»Ihre Mutter«, sagte der Herzog, »ist eine reizende, geistvolle Frau, die noch nicht achtunddreißig Jahre alt ist.«

»Was macht sie bei Galiani?«

»Sie ist die vertraute Freundin der Marchesa; sie lebt bei ihnen in der Familie, bezahlt aber ihre Pension.«

Da ich am nächsten Tag die Rechnung mit meinem Bankier abzuschließen hatte, bat ich den Herzog, mich erst zum Abendessen bei Leonilda zu erwarten. Ich kam erst gegen acht Uhr und fand sie alle vor dem Kamin sitzen.

»Ah, da ist er!« rief der Herzog.

Die Mutter stieß bei meinem Anblick einen Schrei aus und sank halb ohnmächtig in einen Lehnstuhl. Ich sah sie einen Augenblick an und rief: »Donna Lucrezia! Wie bin ich glücklich!«

»Lassen Sie mich einen Augenblick Atem schöpfen, lieber Freund, und setzen Sie sich neben mich. Sie wollen also meine Tochter heiraten?«

Ich setzte mich auf einen Stuhl. Ich erriet alles. Die Haare sträubten sich mir auf dem Kopf, und ich versank in ein düsteres Schweigen.

Unmöglich wäre es mir, die Bestürzung Leonildas und des Herzogs zu schildern. Sie begriffen wohl, daß wir uns bereits kannten, aber das Weitere konnten sie nicht erraten. In meine traurigen Gedanken versunken, verglich ich Leonidas Alter mit dem Zeitpunkt, da ich Lucrezia Castelli gekannt hatte, und ich erkannte, daß sie recht wohl meine Tochter sein konnte. Ich sagte mir jedoch, die Mutter könne unmöglich die Gewißheit haben, denn sie lebte im ehelichen Verkehr mit ihrem Gatten, der damals kaum fünfzig Jahre alt war und sie liebte. Ich konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen, stand auf, ergriff einen Leuchter, bat den Herzog und Leouilda um Verzeihung und ersuchte Lucrezia, mit mir in ein Nebenzimmer zu gehen.

Lucrezia setzte sich, zog mich an ihre Seite und sprach: »O, mein lieber Freund, den ich so sehr geliebt habe, – muß ich dich so sehr betrüben! Leonilda ist deine Tochter, dessen bin ich gewiß. Ich habe sie stets als deine Tochter angesehen, und mein Mann wußte es; aber er war darob nicht böse, im Gegenteil, er betete sie an. Ich werde dir ihren Geburtsschein zeigen; du kannst dann selber nachrechnen. Mein Mann hat mich in Rom nur ein einziges Mal besucht, und meine Tochter ist zur rechten Zeit geboren worden.

Du wirst dich eines Briefes erinnern, den meine Mutter dir mitgeteilt haben muß und worin ich ihr schrieb, ich sei schwanger. Dies war im Januar 1744, und in sechs Monaten wird meine Tochter siebzehn Jahre alt. Mein seliger Mann gab ihr in der Taufe die Namen Leonilda Giacomina, und im Scherz rief er sie immer bei diesem letzteren Namen. Diese Heirat, mein lieber Freund, erfüllt mich mit Entsetzen; aber du wirst begreifen, daß ich mich ihr nicht widersetzen werde, denn ich könnte mich nicht entschließen, den Grund meines Widerspruches anzugeben. Wie denkst du darüber? Hast du jetzt noch den Mut, sie zu heiraten? Du zögerst. Solltet ihr bereits einen Abschlag auf die Zukunft genommen haben?«

»Nein,geliebte Lucrezia, nein! Deine Tochter ist rein wie eine Perle!«

»Ich atme auf!«

»Ja, aber du zerreißest mir das Herz.«

»Ich bin in Verzweiflung darüber.«

»Sie sieht mir nicht im geringsten ähnlich.«

»Allerdings nicht; aber das beweist nichts, denn sie sieht mir ähnlich. Du weinst, lieber Freund; du durchbohrst mir das Herz.«

»Wer sollte da nicht weinen! Ich werde den Herzog zu dir schicken; nach meinem Gefühl müssen wir ihnen alles sagen.«

Ich ließ Lucrezia allein und bat meinen Freund, mit ihr zu sprechen. Die zärtliche Leonilda setzte sich ganz erschreckt auf meinen Schoß und bat mich, ihr zu sagen, was das für ein Geheimnis sei, das sie schon ganz unglücklich mache. Ich konnte ihr nicht antworten, denn mir war das Herz zusammengeschnürt; sie küßte mich, und wir brachen in Tränen aus. So saßen wir in traurigem Schweigen, bis der Herzog und die Mutter wieder eintraten. Donna Lucrezia war die einzige unter uns, die bei klarer Vernunft war.

Sie sagte: »Meine liebe Leonilda, du mußt in dieses unangenehme Geheimnis eingeweiht werden, und von deiner Mutter mußt du alles erfahren. Erinnerst du dich, mein liebes Kind, welchen Namen dir oft mein seliger Mann gab, wenn er dich liebkoste?«

»Er nannte mich seine reizende Giacomina.«

»Du hast diesen Namen nach Herrn Casanova; es ist der Name deines Vaters. Umarme ihn, meine Tochter; sein Blut fließt in deinen Adern, und wenn er dein Liebhaber gewesen ist, so bereue deine Sünde, die glücklicherweise unbeabsichtigt war.«

Es war eine rührende Szene, die uns alle tief bewegte. Leonilda umklammerte die Knie ihrer Mutter und sagte mit tränenerstickter Stimme: »Mutter, ich habe für meinen Vater nur Gefühle kindlicher Zärtlichkeit empfunden!«

Hierauf schwiegen wir alle; die Stille wurde nur durch das Schluchzen der beiden schönen Geschöpfe unterbrochen, die sich eng umschlungen hielten; der Herzog und ich standen unbeweglich wie zwei Bildsäulen, gesenkten Hauptes und mit gekreuzten Armen, ohne auch nur einen Blick zu wechseln.

Das Abendessen wurde aufgetragen. Wir saßen drei Stunden bei Tisch in trauriger Unterhaltung und ohne zu essen. Wir sprachen nur über diese dramatische, mehr unglückliche als glückliche Wiederfindungsszene und trennten uns erst um Mitternacht, Bitterkeit im Herzen und sehnsüchtig dem nächsten Morgen entgegensehend; denn wir hofften, dann würden wir ruhiger sein und den einzigen Entschluß fassen können, der uns übrig blieb.

Als wir nach Hause fuhren, stellte der Herzog eine Menge Betrachtungen an über alles, was man in der Moralphilosophie Vorurteil nennen kann. Kein Philosoph wird anzunehmen oder gar zu behaupten wagen, daß die Verbindung eines Vaters mit seiner Tochter vom natürlichen Standpunkt aus etwas Schreckliches sei, denn die Abneigung dagegen ist ein rein gesellschaftliches Vorurteil; aber es ist so weit verbreitet, und die Erziehung hat es so tief in unsere Herzen eingewurzelt, daß nur ein gänzlich verderbter Geist sich darüber hinwegsetzen könnte. Dieses Vorurteil ist eine Frucht der Achtung vor den Gesetzen; es entspricht der gesellschaftlichen Ordnung, bürgerlicher Sitte, politischer Gewohnheit, einer guten Erziehung und der Moral der Völker; wird es so aufgefaßt, so ist es kein Vorurteil mehr, sondern wird Grundsatz, unbedingte Pflicht.

Diese Pflicht kann als eine natürliche angesehen werden, insofern die Natur uns antreibt, denen, die wir lieben, alles Gute zuzuwenden, das wir uns selber wünschen. Wie es scheint, erheischt gegenseitige Liebe vollkommene Gleichheit in allem: Alter, Stand, Charakter. Man sieht auf den ersten Blick, daß eine solche Gleichheit zwischen Vater und Tochter nicht vorhanden ist. Die Ehrfurcht, welche man Kindern vor ihren Erzeugern einflößen muß, ist bereits ein Hindernis für die Zärtlichkeit, wie zwei Liebende sie füreinander empfinden müssen. Und wenn ein Vater vermöge der Gewalt, welche Natur und Kraft ihm verleihen, sich seiner Tochter zu bemächtigen wagt, so begeht er einen abscheulichen Willkürakt, den die Natur und die gesellschaftliche Ordnung in gleicher Weise verdammen müssen. Die natürliche Liebe zur Ordnung bewirkt auch, daß die Vernunft eine solche Verbindung ungeheuerlich findet. Die Früchte einer so übelpassenden Ehe können nur Liederlichkeit und Auflehnung sein. Kurz und gut, obgleich ich selber recht vorurteilsfrei bin, finde ich eine solche Verbindung in jeder Beziehung abscheulich; doch ist sie es nicht, wenn Vater und Tochter sich lieben, ohne von ihrem Verhältnis etwas zu wissen, über die Blutschande, die den immer wiederkehrenden Stoff der griechischen Tragödie bildet, kann ich nicht weinen, sondern nur lachen; über Phädra dagegen muß ich Tränen vergießen, aber daran ist Racine schuld.

Ich ging zu Bett; aber wie immer, wenn ich sehr aufgeregt bin, konnte ich kein Auge schließen. Der erzwungene schnelle und unerwartete Übergang von fleischlicher zu väterlicher Liebe versetzte alle meine körperlichen und geistigen Kräfte in eine solche Aufregung, daß ich kaum dem starken Widerstreit aller meiner Gefühle standhalten konnte. Gegen Morgen beschloß ich endlich, am nächsten Morgen abzureisen; dann schlief ich einen Augenblick ein; als ich erwachte, war ich abgemattet wie ein Liebender, der eine lange Winternacht hindurch sich der Wollust ergeben hat. Als ich aufgestanden war, teilte ich dem Herzog meinen Vorsatz mit. Er machte mich darauf aufmerksam, daß ja meine demnächstige Abreise allgemein bekannt sei, daß aber eine solche Überstürzung Anlaß zu hämischen Bemerkungen geben werde.

»Trinke mit mir eine Tasse Fleischbrühe,« fuhr er fort; »laß uns deinen gescheiterten Heiratsplan als einen der tausend Schwänke ansehen, die du in deinem Leben verübt hast. Wir wollen die letzten drei oder vier Tage in heiterer Laune zubringen und uns Mühe geben, diesem Mißverständnis alles Traurige zu benehmen; vielleicht finden wir es zuletzt nur noch komisch. Laß dir von mir raten: die Mutter ist so gut wie die Tochter; Erinnerung ist oft besser als Hoffnung; tröste dich mit Lucrezia! Du mußt sie wenig anders gefunden haben, als sie vor achtzehn Jahren war; denn es scheint unmöglich, daß sie damals schöner war als jetzt.«

Diese kleine Zurechtweisung brachte mich zur Vernunft. Ich fühlte, daß es das beste Heilmittel war, eine Schimäre zu vergessen, die mich vier oder fünf Tage lang in Hoffnungen eingewiegt hatte. Es konnte mir nicht schwer werden, denn mein Selbstgefühl war nicht verletzt; aber ich war verliebt, und die Geliebte konnte nicht die Leidenschaft dämpfen, die sie in mir hervorgerufen hatte.

Die Liebe ist nicht wie eine Ware, die man begehrt und an Stelle deren man eine andere, mehr oder weniger ähnliche wählt, wenn man die gewünschte nicht haben kann. Die Liebe ist ein Gefühl oder eine Laune der Sympathie; nur das Wesen, das sie eingeflößt hat, kann sie verlöschen oder zu größerer Glut anfachen.

Wir begaben uns zu meiner Tochter. Der Herzog war in seiner gewöhnlichen Stimmung; ich aber war bleich, niedergeschlagen und verstört wie ein Schüler, der eine Züchtigung erhalten soll. Zu meiner großen Überraschung fand ich Mutter und Tochter in fröhlicher Stimmung; dies trug nicht wenig zu meiner schnellen Heilung bei. Leonilda fiel mir um den Hals, nannte mich »lieber Papa« und küßte mich mit der ganzen Hingebung einer Tochter, Donna Lucrezia streckte mir ihre Hand entgegen und nannte mich ihren lieben Freund. Ich heftete meine Blicke auf sie und konnte nicht umhin, anzuerkennen, daß die achtzehn Jahre, die zwischen Tivoli und Neapel lagen, ihren Reizen keinen Eintrag getan hatten. Es war derselbe lebhafte Blick, dieselbe rosige Haut, dieselbe vollendete Schönheit der Formen, dieselbe Frische der Lippen, mit einem Wort, alles, was mich in meiner Jugend bezaubert hatte.

Ohne ein Wort zu sagen, liebkosten wir uns aufs zärtlichste. Leonilda gab und empfing die zärtlichsten Küsse; sie schien nicht zu bemerken, daß sie Begierden erregen konnte. Ohne Zweifel wußte sie, daß ich in meiner neuen Eigenschaft als Vater Kraft zum Widerstand haben würde, und sie hatte recht. Man gewöhnt sich an alles; ich schämte mich und war nicht mehr traurig.

Ich erzählte Donna Lucrezia, wie eigentümlich mich ihre Schwester in Rom empfangen hätte, und sie lachte herzlich darüber. Dann gedachten wir der Nacht in Tivoli, und diese Erinnerungen rührten uns. Von Rührung zur Liebe ist ein kurzer Weg; aber der Ort, an dem wir uns befanden, war nicht günstig; darum taten wir, wie wenn wir nicht daran dächten.

Nach einem kurzen Schweigen, das wir nötig hatten, um unsere Sinne zu beruhigen, sagte ich ihr, wenn sie mit mir nach Rom reisen wolle, um ihre Schwester Angelika zu besuchen, wolle ich mich verpflichten, sie zu Anfang der Fastenzeit wieder nach Neapel zu bringen. Sie versprach mir eine Antwort für den nächsten Tag.

Beim Essen saß ich zwischen ihr und Leonilda. Da ich an meine Tochter nicht mehr denken konnte, so war es natürlich, daß meine alte Leidenschaft für Lucrezia wieder erwachte. Ihre Heiterkeit, Liebenswürdigkeit und Schönheit, vielleicht auch mein Liebesbedürfnis und die Güte der Weine bewirkten, daß ich beim Nachtisch völlig verliebt war und ihr den Vorschlag machte, den Platz einzunehmen, der ihrer Tochter bestimmt gewesen war. »Ich heirate dich,« rief ich, »und Montag reisen wir alle drei nach Rom; denn da Leonilda meine Tochter ist, will ich sie nicht in Neapel lassen.«

Meine drei Tafelgenossen sahen einander an, und niemand sprach ein Wort. Ich ließ das Thema fallen und brachte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand.

Nach dem Essen fühlte ich mich schläfrig und mußte mich auf ein Bett werfen; ich erwachte erst um acht Uhr und sah zu meiner Überraschung nur Lucrezia, die mit Schreiben beschäftigt war. Als sie hörte, daß ich mich bewegte, trat sie an mein Bett und sagte zärtlich: »Mein lieber Freund, du hast fünf Stunden geschlafen; um dich nicht allein zu lassen, habe ich die Aufforderung, den Herzog und unser liebes Kind in die Oper zu begleiten, abgelehnt.« Die Erinnerung an alte Liebe erwacht gar schnell, wenn man sich in der Nähe des Wesens befindet, das sie einst in uns entzündete; die Begierden werden unwiderstehlich, wenn die Illusion nicht durch die Abwesenheit aller Reize gestört wird. Wenn in zwei Wesen die gleiche Erinnerung erwacht, kommt eines dem anderen entgegen. Es ist dann, als setze man sich in den Besitz eines Gutes, das einem gehört und dessen man nur durch grausame Schicksalsfügungen lange Zeit beraubt war. In diesem Falle befanden wir uns, und ohne Umschweife, ohne eitle Worte, ohne verstellte Angriffe, bei denen stets der eine der beiden Parteien seine eigenen Begierden belügen muß, überließen wir uns der wahren, der einzigen Schöpferin der Natur: der Liebe.

Nach dem ersten Akt brach ich das Schweigen. Wenn ein Mensch von Natur zum Scherzen geneigt ist, wie könnte er wohl seiner Anlage gerade während jener köstlichen Ruhe widerstehen, die einem siegreichen Liebeskampfe folgt?

»So bin ich also wieder«, rief ich, »in jenem reizenden Lande, in das ich zum erstenmal bei Trommelwirbel und Flintengeknatter im Dunkel der Nacht eindrang!«

Über diesen Witz mußte sie lachen; er frischte ihr Gedächtnis auf. Mit Entzücken erinnerten wir uns an alle unsere Erlebnisse auf Monte Testaccio, in Frascati, in Tivoli. Wir taten diesen Rückblick nur zu unserer Ergötzung; aber wenn zwei Liebende beieinander sind, werden alle solche Ergötzlichkeiten nur zum Anlaß, das köstliche Opfer Cytherens immer von neuem zu beginnen!

Am Schlusse des zweiten Aktes rief ich in der Begeisterung, die eine glückliche Liebe einflößt: »Laß uns einander fürs Leben angehören! Wir stehen im gleichen Alter; wir lieben uns, unser Vermögen ist hinreichend, wir dürfen hoffen, glücklich miteinander zu leben, ja zu sterben.«

»Es ist der innigste Wunsch meines Herzens,« antwortete Lucrezia mir; »aber wir wollen in Neapel bleiben und Leonilda dem Herzog lassen. Wir werden in trauter Gemeinschaft leben, werden einen würdigen Gatten für sie finden, und unser Glück wird vollkommen sein.«

»Ich kann mich nicht in Neapel niederlassen, meine liebe Freundin; wie du weißt, war deine Tochter bereit, mit mir fortzureisen.«

»Meine Tochter! Sage doch: Unsere Tochter. Ich sehe, du möchtest lieber nicht ihr Vater sein; du liebst sie.«

»Leider! Ja, ich bin sicher, daß meine Leidenschaft schweigen wird, solange ich mit dir leben kann; aber ich würde für nichts einstehen, wenn du nicht da wärest. Ich würde fliehen; aber Flucht ist kein Glück. Leonilda ist reizend, und ihr Geist verführt mich noch mehr als ihre Schönheit. Ich war sicher, daß sie mich liebte; nur darum habe ich sie nicht verführt, weil ich fürchtete, sie mißtrauisch zu machen, denn wenn ich sie beunruhigt hätte, würde ich vielleicht ihre Zärtlichkeit geschwächt haben. Ich wollte sie glücklich machen, darum wollte ich mir ihre Achtung verdienen und ihre Unschuld schonen. Ich wollte gleiche Rechte für uns beide. Wir haben einen Engel in die Welt gesetzt, meine liebe Lucrezia, und ich kann nicht begreifen, wie der Herzog …«

»Der Herzog, lieber Freund, ist ganz und gar ein Unmann. Begreifst du jetzt, wie ich ihm meine Tochter habe anvertrauen können?«

»Unmann? Ich habe es, wie alle Welt, geglaubt; aber er hat einen Sohn.«

»Seine Frau könnte dir sagen, wie das zugegangen ist. Glaube mir nur, der arme Herzog wird jungfräulich sterben müssen, und er ist davon mehr als jeder überzeugt.«

»Sprechen wir nicht mehr davon! Laß mich mit dir sein, wie einst in Tivoli.«

»Nicht jetzt! Ich höre einen Wagen.«

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und Leonilda lachte laut auf, als sie ihre Mutter in meinen Armen sah. Sie warf sich auf uns und bedeckte uns mit Küssen. Gleich darauf kam der Herzog, und wir speisten sehr fröhlich zu Abend. Er erklärte mich für den glücklichsten aller Sterblichen, als ich ihm sagte, ich würde die Nacht in allen Ehren mit meiner Frau und meiner Tochter verbringen. Er hatte recht; denn in jenem Augenblick war ich es.

Nachdem der prächtige Mensch sich entfernt hatte, gingen wir zu Bett. Doch ich muß einen Schleier über die wollüstigste Nacht ziehen, die ich in meinem ganzen Leben verbracht habe. Wenn ich alles sagte, würde ich Ohren verletzen, die sich für keusch zu halten gewohnt sind. Übrigens hat keine Palette Farben genug, ist keine Dichtkunst bilderreich genug, um würdig wiederzugeben, was in jener Nacht wollüstiger Raserei, verliebter Ausgelassenheit und Zurückhaltung das schwache Licht zweier Kerzen beschien, die auf einem Tischchen brannten, wie ein von frommer Hand angezündetes Lichtstümpfchen vor dem Bilde eines Heiligen glimmt.

Die Sonne hatte uns schon lange geleuchtet, als wir den Schauplatz der Liebe verließen, den ich mit meinem Blute benetzt hatte. Kaum waren wir angekleidet, so kam der Herzog.

Leonilda schilderte ihm unsere nächtlichen Arbeiten; aber bei seiner traurigen Nichtigkeit mußte er sich glücklich schätzen, daß er nicht dabei gewesen war.

Ich hatte beschlossen, am nächsten Tage abzureisen, weil ich die letzte Woche des Karnevals in Rom verbringen wollte; ich bat daher den Herzog um Erlaubnis, Leonilda die fünftausend Dukaten schenken zu dürfen, die ich ihr als Witwengeld zugedacht hätte, wenn sie meine Frau geworden wäre.

»Da sie deine Tochter ist,« antwortete der Herzog, »darf und muß sie dieses Geschenk von ihrem Vater annehmen; wir können es ja als Mitgift bezeichnen.«

»Machst du mir das Vergnügen, meine Gabe anzunehmen, liebe Leonilda?«

»Ja, lieber Papa,« sagte sie mit einer zärtlichen Umarmung, »aber nur unter der Bedingung, daß du nach Neapel zurückkommst und mich besuchst, sobald du vernimmst, daß ich verheiratet bin.«

Ich versprach ihr dieses und habe Wort gehalten.

»Da du morgen abreisen willst, lieber Freund,« sagte der Herzog zu mir, »so will ich dir zu Ehren heute Abend den ganzen Adel Neapels bei mir sehen. Ich lasse dich bei deiner Tochter; bei Tisch sehen wir uns wieder.«

Er ging, und ich speiste mit meiner Frau und mit meiner Tochter in ungetrübter Fröhlichkeit. Fast den ganzen Nachmittag verbrachte ich mit Leonilda; ich hielt mich in den Grenzen väterlicher Ehrbarkeit; doch geschah dieses vielleicht weniger aus Achtung vor der guten Sitte als infolge meiner nächtlichen Anstrengungen.

Wir küßten uns erst im Augenblick unserer Trennung, und Mutter und Tochter zeigten mir, wie schmerzlich ihnen meine Abreise war.

Nachdem ich auf das sorgfältigste Toilette gemacht hatte, begab ich mich zum Souper; ich fand etwa hundert Herren und Damen vom vornehmsten Adel versammelt. Die Herzogin war sehr liebenswürdig; als ich ihr zum Abschied die Hand küßte, war sie so gütig, mir zu sagen: »Ich hoffe, Don Giacomo, Ihr kurzer Aufenthalt in Neapel hat Ihnen keine unangenehmen Erinnerungen zurückgelassen, und Sie werden zuweilen mit Vergnügen an diese Tage denken.«

Ich erwiderte, ich könne nur mit Entzücken daran zurückdenken, besonders, nachdem sie sich an diesem Abend so gütig gegen mich gezeigt habe.

In der Tat konnte niemand daran zweifeln, daß Neapel mir glückliche Erinnerungen zurücklassen müsse.

Nachdem ich die Dienerschaft des Herzogs auf das freigebigste beschenkt hatte, begleitete dieser vornehme Herr, den das Glück so gut, aber die Natur, die ihm die süßesten Genüsse verwehrte, so schlecht behandelt hatte, mich bis an meinen Wagen, und ich reiste ab.

Neuntes Kapitel


Fortsetzung meiner Liebelei mit dem reizenden Fräulein X. C. V. – Vergebliche Abtreibungsversuche. – Das Aroph. – Flucht des Fräuleins und Eintritt in ein Kloster.

Durch die Schwierigkeiten und den Zwang, den ich mir antun mußte, wuchs nur noch meine Liebe zu der reizenden Engländerin. Ich besuchte sie jeden Morgen, und da ich wirklich an ihrem Zustand Anteil nahm, meine Rolle eine ganz natürliche war, so konnte sie meinen Eifer, sie aus der Verlegenheit zu befreien, nur für das nehmen, was er war; denn da ich von der Glut, die ich für sie empfand, nichts mehr merken ließ, so mußte sie alles dem zartesten Gefühl zuschreiben. Sie ihrerseits schien mit meiner Veränderung zufrieden zu sein; aber es war recht wohl möglich, daß ihre Zufriedenheit nur eine scheinbare war; ich kannte die Frauen gut genug, um zu wissen, daß sie, selbst wenn sie mich nicht liebte, sich darüber ärgern mußte, daß ich mich so leicht mit meinem Schicksal abgefunden hatte.

Eines Morgens machte sie mir inmitten eines leichtfertigen und unzusammenhängenden Geplauders ein Kompliment darüber, daß ich die Kraft gehabt hätte, mich zu überwinden; dann fügte sie lächelnd hinzu, meine Leidenschaft müßte nicht sehr stark gewesen sein, da sie in kaum acht Tagen so friedlich geworden wäre. Ich antwortete ihr ruhig: »Ich verdanke meine Heilung nicht der Schwäche meiner Leidenschaft, sondern meinem Selbstgefühl. Ich kenne mich, Fräulein, und glaube keine zu hohe Meinung von meinem Wert zu haben, wenn ich mich für würdig halte, geliebt zu werden. Natürlich habe ich mich gedemütigt und empört gefühlt, als ich mich überzeugte, daß Sie solchen Wert mir nicht zuerkennen. Kennen Sie, Fräulein, die Wirkung dieses doppelten Gefühls?«

»Leider nur zu gut. Ihm folgt die Verachtung des Gegenstandes, der es hervorgerufen hat.«

»Dies geht doch zu weit; wenigstens insofern ich in Betracht komme. Meiner Empörung folgte nur eine Rückkehr zur Besinnung und ein Plan, mich zu rächen.«

»Sich zu rächen? Auf welche Art denn?«

»Ich wollte Sie nötigen mich zu achten und Ihnen dabei zugleich beweisen, daß ich mich selbst zu beherrschen weiß und ein Glück, das ich heiß ersehnt habe, zu entbehren verstehe. Ob mir dies vollständig gelungen ist, weiß ich nicht; ich kann aber doch wenigstens heute Ihre Reize ansehen, ohne deren Besitz zu wünschen.«

»Und ich denke mir, Sie finden die Erfüllung Ihrer Rache in meiner Achtung. Aber Sie haben sich getäuscht; denn Sie haben annehmen müssen, daß ich Sie nicht achte, und das ist falsch, denn ich achtete Sie vor acht Tagen nicht weniger als heute. Ich habe Sie nicht einen einzigen Augenblick für fähig gehalten, mich im Stich zu lassen, um mich dafür zu bestrafen, daß ich mich Ihrer Leidenschaft nicht hingeben wollte, und ich freue mich, Sie richtig erkannt zu haben.«

Hierauf sprach sie mit mir von dem Opiat, das ich sie einnehmen ließ, und da sie keine Veränderung ihres Zustandes bemerkte, ihr Umfang vielmehr mit jedem Tag stärker wurde, so bat sie mich, ihr eine größere Dosis zu geben; aber ich hütete mich wohl, auf diese Bitten einzugehen; denn ich wußte, daß mehr als ein halbes Gran ihr das Leben hätte kosten können. Auch verbot ich ihr, sich zum drittenmal zur Ader zu lassen, weil sie sich damit sehr hätte schaden können, ohne doch ihren Zweck zu erreichen. Ihre Kammerzofe, die sie hatte ins Vertrauen ziehen müssen, hatte ihr zweimal durch einen Zögling von St.-Côme, der ihr Liebhaber war, die Ader schlagen lassen. Ich sagte ihr, sie müßte gegen solche Leute freigebig sein, um sich ihre Verschwiegenheit zu sichern; aber sie antwortete mir, solche Freigebigkeit sei für sie eine Unmöglichkeit. Ich bot ihr Geld an, und sie nahm fünfzig Louis an, indem sie mir sagte, sie würde mir diesen Betrag, dessen sie für ihren Bruder Richard bedürfte, zurückerstatten. Ich hatte das Geld nicht bei mir, schickte ihr aber noch am selben Tage eine Rolle von zwölfhundert Franken mit einem Briefe, worin ich sie herzlich bat, sich in jeder Notlage nur an mich zu wenden. Ihr Bruder erhielt wirklich den Betrag und hielt sich dadurch für berechtigt, mich um einen viel wichtigeren Dienst zu bitten; er kam nämlich am nächsten Tage zu mir, um sich zu bedanken, und bat mich um meinen Beistand in einer Angelegenheit, die für ihn von der größten Wichtigkeit sei. Als junger und ausschweifender Mensch war er an einen schlechten Ort geraten und hatte sich dort angesteckt. Er beklagte sich bitter über Herrn Farsetti, der ihm nicht einmal vier Louis hätte leihen wollen, unter dem Vorwande, daß er mit einer so ekelhaften Geschichte nichts zu tun haben möchte. Er bat mich, mit seiner Mutter darüber zu sprechen, damit sie ihn heilen ließe. Ich erfüllte seinen Wunsch; als aber seine Mutter erfuhr, worum es sich handelte, sagte sie mir, er befände sich schon zum dritten Male in diesem Zustand, darum wäre es besser, ihn darin zu lassen, als unnützerweise für seine Heilung Geld auszugeben; kaum geheilt, würde er sofort wieder den alten Lebenswandel beginnen.

Sie hatte recht. Ich ließ ihn auf meine Kosten von einem geschickten Wundarzt behandeln, aber es dauerte nicht einen Monat, so fiel er in seine alte Sünde zurück. Der Jüngling hatte einen natürlichen Hang zu schmachvollen Ausschweifungen, denn schon mit vierzehn Jahren war er ein zügelloser Wüstling.

Seine Schwester war nun im sechsten Monat schwanger, und ihre Verzweiflung wuchs in demselben Maße wie ihr Leib. Sie hatte den Entschluß gefaßt, ihr Bett nicht mehr zu verlassen, und ich war untröstlich, ihr nicht helfen zu können. Da sie mich von meiner Leidenschaft für sie vollkommen geheilt hatte, verkehrte sie mit mir wie mit einer vertrauten Freundin; sie ließ mich alle Teile ihres Leibes betasten, um mich zu überzeugen, daß sie es nicht mehr wagen könne, sich vor den Leuten sehen zu lassen. Ich spielte bei ihr die Rolle einer Hebamme; aber welche Überwindung kostete es mir, ruhig und gleichgültig zu erscheinen, während das Feuer, das mich verzehrte, aus allen meinen Poren drang! Ich konnte es nicht mehr aushalten. Sie sprach von Selbstmord in jenem Tone der Entschlossenheit, vor dem man erschaudert, weil er für eine reifliche Überlegung spricht. Ich war in einer schwer zu beschreibenden Verlegenheit, als plötzlich das Glück mir auf die scherzhafteste Art meine Ruhe wieder gab.

Als ich eines Tages mit Frau von Urfé allein speiste, fragte ich sie, ob sie ein sicheres Mittel kenne, um ein junges Mädchen, das sich mit ihrem Liebhaber zu weit eingelassen, vor Schande zu bewahren. »Ein unfehlbares,« antwortete sie mir, »nämlich das Aroph des Paracelsus! Es ist nicht schwer anzuwenden. Sind Sie neugierig es kennen zu lernen?« Mit diesen Worten stand sie auf, ohne meine Antwort abzuwarten, und holte ein Manuskript, das sie mir übergab. Dieses starke Abtreibungsmittel war eine Art Salbe, bestehend aus Safran, Myrrhe und anderen Krautersäften, die mit Jungfernhonig gemischt waren. Um die erwartete Wirkung zu erzielen, war ein zylinderförmiges Instrument erforderlich, das mit einer sehr weichen Haut überzogen war, es mußte dick genug sein, um den ganzen Raum der Scheide auszufüllen, und lang genug, um den Eingang des Beckens zu berühren, das den Fötus enthält. Das Ende dieses Zylinders mußte reichlich mit Aroph bestrichen sein, und da dieser nur im Augenblick einer Erregung des Uterus wirken konnte, so mußte diese durch eine beischlafähnliche Bewegung hervorgerufen werden. Außerdem mußte die Operation eine ganze Woche lang mindestens fünf bis sechsmal täglich wiederholt werden. Ich fand das Rezept und die Operation so lächerlich, daß es mir unmöglich war, ernst zu bleiben. Ich lachte herzlich darüber, verbrachte aber trotzdem reichlich zwei Stunden damit, die spaßhaften Träumereien des Paracelsus zu lesen, woran Frau von Urfé fester glaubte als an die Wahrheiten des Evangeliums; hierauf las ich mit Vergnügen Boerhave, der von diesem Aroph wie ein vernünftiger Mensch spricht.

Da ich, wie gesagt, das reizende Fräulein täglich mehrere Stunden und in voller Freiheit sah, da ich immer verliebt war und mir unaufhörlich Zwang antun mußte, so drohte das Feuer, das unter der Asche glomm, jeden Augenblick in helle Flammen auszuschlagen. Ihr Bild verfolgte mich ohne Unterlaß, sie war immerzu der Gegenstand meiner Gedanken, und ich überzeugte mich jeden Tag mehr, daß ich nicht eher Ruhe finden würde, als bis es mir gelänge, durch den völligen Besitz aller ihrer Reize meine Leidenschaft zu befriedigen.

Als ich allein zu Hause war, beschloß ich dem Fräulein, an das ich unaufhörlich dachte, meine Entdeckung mitzuteilen, in der Hoffnung, daß sie vielleicht zur Einführung des Zylinders meiner bedürfen möchte. Ich begab mich gegen zehn Uhr zu ihr und fand sie wie gewöhnlich im Bett; sie weinte darüber, daß das Opiat, das ich sie nehmen ließ, keine Wirkung hatte. Der Augenblick erschien mir günstig, um mit ihr von dem Aroph des Paracelsus zu sprechen, das ich ihr als ein unfehlbares Mittel zum Erreichen des von ihr gewünschten Zweckes schilderte. Während ich ihr die Wirksamkeit dieses Mittels pries, kam mir der Einfall, hinzuzufügen, daß das Aroph, um ganz sicher zu wirken, mit männlichem Samen vermischt sein müsse, der noch nicht seine natürliche Wärme verloren habe. »Wenn diese Mischung«, sagte ich ihr, »täglich mehrere Male den Gebärmuttermund benetzt, so schwächt sie ihn dermaßen, daß die Leibesfrucht durch ihr eigenes Gewicht heraustritt.«

An diese Einzelheiten schloß ich lange Reden an, um sie von der Wirksamkeit des Mittels zu überzeugen. Als ich sie nachdenklich geworden sah, sagte ich ihr: da ihr Geliebter abwesend sei, so müsse sie einen sicheren Freund haben, der bei ihr weile und ihr die Dosis so oft verabreiche, wie Paracelsus es vorschreibe.

Plötzlich lachte sie laut auf und fragte mich, ob wirklich das von mir Gesagte nicht ein bloßer Spaß wäre.

Ich gab mich verloren, denn die Albernheit des Mittels war handgreiflich, und wenn ihr gesunder Verstand sie dies erraten ließ, so mußten ihr unfehlbar auch meine Absichten verdächtig erscheinen. Aber was glaubt nicht eine Frau in ihrem Zustande!

»Wenn Sie es wünschen, mein gnädiges Fräulein,« sagte ich zu ihr im Tone der Überzeugung, »werde ich Ihnen das kostbare Manuskript anvertrauen, worin alles, was ich Ihnen gesagt habe, ganz genau aufgezeichnet ist; außerdem können Sie das bündige Urteil sehen, das Boerhave darüber abgibt.« Diese Worte überzeugten sie, sie hatten auf sie wie mit Zaubergewalt gewirkt, und ich ließ ihre Überzeugung sich nicht abkühlen. »Das Aroph«, sagte ich zu ihr, »ist das stärkste Mittel zur Beförderung der monatlichen Reinigung.«

»Und die monatliche Reinigung kann nicht eintreten, solange eine Frau schwanger ist; demnach muß das Aroph ein hervorragendes Mittel sein, um eine geheime Entbindung herbeizuführen. Können Sie es anfertigen?«

»Gewiß; dies ist nicht schwer, denn es sind dazu nur einige Bestandteile nötig, die ich kenne, und aus denen man mit Honig oder frischer Butter eine Salbe bereiten muß. Aber es ist notwendig, daß diese Mischung den Gebärmuttermund gerade im Augenblick der höchsten Erregung berührt.«

»Aber dann scheint mir, daß auch derjenige, der es verabreicht, lieben muß.«

»Ohne Zweifel – wenn er nicht einfach ein Tier ist, das nur der körperlichen Erregung bedarf.«

Sie schwieg lange Zeit. Obwohl sie ein kluges Mädchen war, hinderte sie doch die natürliche weibliche Schamhaftigkeit und die Unbefangenheit ihres Gemütes, an eine List zu denken, die ich ohne Schonung angewendet hatte, wie ich gestehen muß. Ich schwieg ebenfalls, weil ich erstaunt war, eine solche Fabel ohne vorherige Überlegung mit allem Anschein der Wahrheit vorgebracht zu haben.

Endlich brach sie das Schweigen und sagte traurig zu mir: »Das Mittel scheint mir natürlich und wundervoll zu sein; aber ich muß darauf verzichten.«

Hierauf fragte sie mich, ob die Zubereitung des Arophs längere Zeit beanspruche.

»Höchstens zwei Stunden, wenn man englischen Safran haben kann, den Paracelsus dem orientalischen vorzieht.«

In diesem Augenblick trat ihre Mutter mit dem Ritter Farsetti ein; nachdem wir einige nichtssagende Bemerkungen gewechselt hatten, lud sie mich zum Essen ein. Ich wollte ablehnen, aber das Fräulein sagte mir, sie würde mit uns speisen. Infolgedessen nahm ich die Einladung an, und wir verließen das Zimmer, um ihr Zeit zum Ankleiden zu lassen. Sie ließ nicht auf sich warten und erschien mit einer Nymphentaille. Ich war starr; kaum konnte ich meinen Augen trauen, und es fehlte nicht viel, so hätte ich geglaubt, von ihr angeführt zu sein; denn ich begriff nicht, wie sie es angefangen haben konnte, um bis zu einem solchen Grade die Fülle zu verbergen, die ich mit meinen eigenen Händen hatte berühren dürfen.

Farsetti saß neben mir, und ich neben ihrer Mutter. Beim Nachtisch fragte das Fräulein, dem das Aroph im Sinn lag, ihren Tischnachbar, der sich für einen großen Chemiker ausgab, ob er es kenne.

»Ich glaube,« sagte Farsetti mit selbstgefälliger Miene, »ich kenne es besser als irgend einer.«

»Wozu dient es?«

»Diese Frage ist zu unbestimmt.«

»Was bedeutet das Wort?«

»Aroph ist ein arabisches Wort, das ich nicht kenne. Man müßte im Paracelsus nachsehen.«

»Das Wort«, sagte ich zu ihm, »ist weder arabisch noch hebräisch; es gehört eigentlich keiner Sprache an. Es ist aus zwei Wörtern zusammengezogen.«

»Könnten Sie uns«, sagte der Ritter, »diese Worte nennen?«

»Nichts leichter als das: Aro kommt von Aroma, und ph ist der Anfangsbuchstabe von philosophorum

»Hat Paracelsus«, fragte Farsetti spitzig, »Ihnen diese Belehrung gegeben?«

»Nein, mein Herr, ich verdanke sie Boerhave.«

»Das ist ja komisch! Boerhave sagt dies nirgends; aber es gefällt mir, wenn man recht zuversichtlich zitiert!«

»Lachen Sie nur, mein Herr,« rief ich stolz, »das steht Ihnen natürlich frei; aber hier ist der Prüfstein: nehmen Sie eine Wette an, wenn Sie es wagen. Ich mache niemals falsche Zitate, wie gewisse Leute, die von arabischen Wörtern sprechen.«

Mit diesen Worten warf ich eine Börse voll Gold auf den Tisch, aber Farsetti, der seiner Sache nichts weniger als sicher war, antwortete mir verächtlich: er wette niemals.

Das junge Fräulein freute sich über seine Verwirrung und sagte ihm, das sei das richtige Mittel, niemals zu verlieren, und neckte ihn mit seinem arabischen Wort. Ich steckte meine Börse wieder in die Tasche, tat, als ob ich einmal hinausgehen müßte, und schickte meinen Bedienten zu Frau d’Urfé, um den Boerhave zu holen.

Dann setzte ich mich wieder zu Tisch und unterhielt mich heiter, bis mein Merkur zurückkam und mir das Buch brachte. Ich schlug es auf, und da ich es erst am Tage vorher benutzt hatte, fand ich sofort die Stelle wieder. Ich zeigte sie dem Ritter Farsetti und bat ihn, sich zu überzeugen, daß ich nicht mit angemaßter Zuversicht, sondern mit voller Gewißheit zitiert hätte. Anstatt das Buch zu nehmen, stand er auf und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

»Er ist ärgerlich fortgegangen,« sagte die Mutter, »und ich möchte wetten, er wird nicht wieder kommen.«

»Ich wette auf das Gegenteil!« rief die Tochter; »der morgige Tag wird nicht vorübergehen, ohne daß er uns mit seiner angenehmen Gegenwart beehrt.«

Sie hatte richtig geraten. Farsetti wurde von diesem Tage an mein unversöhnlicher Feind und ließ keine Gelegenheit vorübergehen, mir dies zu beweisen.

Nach dem Essen gingen wir alle nach Passy zu einem Konzert, das Herr de la Popelinière veranstaltete. Er lud uns zum Abendessen ein. Ich fand dort Sylvia und ihre reizende Tochter, die mit mir schmollte, und nicht ohne Grund, denn ich hatte sie vernachlässigt. Der berühmte Wundermann, St.-Germain, erheiterte die Tischgesellschaft durch seine Prahlereien, die er sehr geistvoll und mit allem Anstande vorbrachte. Ich habe niemals einen geistreicheren, geschickteren und unterhaltenderen Betrüger gekannt.

Am nächsten Tage schloß ich mich in meinem Hause ein und war für niemanden zu sprechen, weil ich eine Menge Fragen beantworten mußte, die Esther an mich gerichtet hatte. Auf alle jene, die den Handel betrafen, antwortete ich sehr dunkel, denn abgesehen von der Furcht, mein Orakel bloßzustellen, hätte ich es mir nie verzeihen können, ihrem Vater durch Erregung von Irrtümern einen Schaden zuzufügen. Der brave Mann war der anständigste von allen holländischen Millionären, aber er hätte sich zugrunde richten oder zum mindesten eine starke Bresche in sein Vermögen legen können, wenn er im Vertrauen auf meine Unfehlbarkeit sich Hals über Kopf in gewagte Unternehmungen gestürzt hätte. Esther war für mich, ich muß es gestehen, nur noch eine angenehme Erinnerung.

Fräulein X. C. V. beschäftigte mich ganz und gar trotz meiner zur Schau getragenen Gleichgültigkeit, und ich sah nicht ohne Unruhe den Augenblick herannahen, wo sie ihren Zustand nicht mehr vor ihrer Familie hätte verbergen können. Ich bereute es, mit ihr von dem Aroph gesprochen zu haben, denn seit drei Tagen war es nicht mehr erwähnt worden, und es kam nicht mir zu, ein so zartes Thema wieder zur Sprache zu bringen; ich befürchtete sogar, daß ich ihren Verdacht erregt hätte und daß bei ihr das Gefühl der Achtung sich in ein für mich viel weniger schmeichelhaftes Gefühl verwandelt haben möchte. Ihre Verachtung hätte ich nicht ertragen können. Ich fühlte mich dermaßen gedemütigt, daß ich nicht den Mut hatte, sie aufzusuchen, und ich weiß nicht, ob ich mich überhaupt dazu entschlossen hätte, wenn sie mir nicht entgegengekommen wäre. Sie schrieb mir in einem Briefchen: sie habe keinen anderen Freund als mich und bitte um keinen anderen Freundschaftsbeweis, als daß ich sie jeden Tag besuche, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Ich beeilte mich, ihr meine Antwort mündlich zu sagen. Ich versprach ihr, sie nicht im Stich zu lassen, und versicherte ihr, meine Freundschaft sei beständig und sie könne unter allen Umständen auf mich zählen. Ich hatte gehofft, sie würde von dem Aroph sprechen, aber vergebens. Ich glaubte, sie würde wohl reiflich darüber nachgedacht und es ganz richtig als eine Chimäre erkannt haben. Ich entschloß mich daher, auf dieses Hilfsmittel nicht mehr zu rechnen.

»Ist es Ihnen recht,« fragte ich sie, »wenn ich Ihre Mutter und die ganze Familie einlade, in meinem Hause zu speisen?«

»Dies würde mir viel Freude machen; es wäre ein Genuß, den ich mir etwas später nicht mehr werde verschaffen können.«

Das Essen war prächtig und zugleich fein; ich hatte an den Kosten nichts gespart, und alles war für den feinsten Geschmack berechnet. Meine Gäste waren außer der Familie X. C. V. Sylvia, deren Tochter, die reizend war, ein italienischer Musiker namens Magali, in den eine Schwester meines Fräuleins verliebt war, und der Bassist Lagarde, den man in allen gewählten Gesellschaften traf. Das Fräulein war die ganze Zeit über von einer entzückenden Heiterkeit. Witzworte, gute Einfälle, pikante Anekdoten belebten das Mahl, und die Freude war in jeder Beziehung die Göttin des Festes. Wir trennten uns erst um Mitternacht, und vor dem Abschiednehmen fand das Fräulein Gelegenheit mich zu bitten, am nächsten Morgen in der Frühe bei ihr vorzusprechen, da sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe.

Wie man sich denken kann, versäumte ich es nicht, der Einladung zu folgen. Schon vor acht Uhr war ich bei ihr. Ich fand sie sehr traurig, und sie sagte mir, sie sei in Verzweiflung: »Herr de la Popelinière verlangt den Abschluß der Heirat, und meine Mutter drängt mich dazu. Sie hat mir angekündigt, ich müsse den Vertrag unterzeichnen; ein Schneider werde kommen und mir zu neuen Kleidern Maß nehmen. Hierzu kann ich nicht einwilligen, denn es ist unmöglich, daß ein Schneider nicht meinen Zustand bemerkt. Ich bin entschlossen, mir lieber das Leben zu nehmen als mich vor meiner Niederkunft zu verheiraten oder mich meiner Mutter anzuvertrauen.«

»Der Tod ist ein Hilfsmittel, das man immer noch anwenden kann; zu ihm darf man erst dann seine Zuflucht nehmen, wenn man andere Rettungsmittel erfolglos versucht hat. Von Herrn de la Popelinière können Sie sich, scheint mir, leicht frei machen: vertrauen Sie ihm Ihren Zustand an; er ist ein Ehrenmann und wird zurücktreten, ohne Sie bloßzustellen, denn es liegt in seinem eigenen Vorteil, das Geheimnis zu bewahren.«

»Aber werde ich damit viel weiter sein? Und meine Mutter?«

»Ihre Mutter? Ich übernehme es, sie zur Vernunft zu bringen.«

»O mein Freund! wie wenig kennen Sie sie! Um der Ehre willen würde sie genötigt sein, mich verschwinden zu lassen; aber vorher würde ich von ihr Leiden zu erdulden haben, denen der grausamste Tod vorzuziehen wäre. – Aber wie kommt es, daß Sie gar nicht mehr vom Aroph sprechen? Sollte es nur ein Scherz gewesen sein? Das wäre grausam.«

»Nein, ich halte es im Gegenteil für ein unfehlbares Mittel, obgleich ich seine wunderbaren Wirkungen niemals selber beobachtet habe. Aber welchen Zweck hätte es, mit Ihnen darüber zu sprechen? Sie haben gewiß erraten, daß mich Zartgefühl zum Schweigen zwang. Vertrauen Sie Ihren Zustand Ihrem Geliebten an; er ist in Venedig; schreiben Sie ihm, und ich erbiete mich, ihm die Botschaft in fünf oder sechs Tagen durch einen sicheren Mann zustellen zu lassen. Wenn er nicht reich ist, werde ich Ihnen das nötige Geld geben, damit er unverzüglich hierher kommen kann, um Ihnen Ehre und Leben zu retten, indem er Ihnen das Aroph beibringt.«

»Der Plan ist schön, und Ihr Anerbieten ist großmütig, aber es läßt sich nicht ausführen. Sie würden daran nicht zweifeln, wenn Ihnen der Zusammenhang der ganzen Geschichte besser bekannt wäre. An ihn dürfen wir nicht denken, lieber Freund, aber nehmen wir an, ich könnte mich entschließen, das Aroph von einem anderen als von ihm zu empfangen – so sagen Sie mir: wie könnte ich es? Wenn nun wirklich mein Geliebter sich in Paris verborgen hielte, wäre es möglich, daß er acht Tage in aller Freiheit mit mir verbrächte, wie es doch ohne Zweifel nötig sein würde, um mir das Mittel beizubringen? Und selbst wenn dies ausführbar wäre, wie könnte er mir eine ganze Woche lang fünf- oder sechsmal täglich die Dosis verabfolgen! Sie sehen wohl, es ist nicht möglich, an dieses Heilmittel zu denken.«

»Sie würden also, mein liebes Fräulein, um Ihre Ehre zu retten, sich entschließen, sich einem anderen hinzugeben?«

»Ja, ganz gewiß – wenn ich sicher wäre, daß niemand etwas davon erführe. Aber wo ist dieser Mann? Halten Sie es für möglich, einen solchen zu finden, und glauben Sie, daß ich selbst in diesem Fall mich entschließen könnte, ihn holen zu lassen?«

Ich wußte nicht, wie ich diese Worte auslegen sollte; denn Fräulein X. C. V. kannte meine Liebe zu ihr, und es erschien mir unnatürlich, daß sie daran denken sollte, mit großer Unbequemlichkeit in der Ferne zu suchen, was sie doch ganz in der Nähe finden konnte. Ich war geneigt zu glauben, daß sie gerne von mir gebeten wäre, mich zum Verabreicher des Mittels zu wählen, sei es um ihrem Schamgefühl ein so heikles Anerbieten zu ersparen, sei es, um sich das Verdienst zu erwerben, nur meiner Liebe nachzugeben, und mich dadurch zu größerer Dankbarkeit zu verpflichten. Aber ich konnte mich täuschen, und wollte mich nicht dem Schimpf und der Demütigung einer abschlägigen Antwort aussetzen. Andererseits konnte ich mir kaum vorstellen, daß sie die Absicht haben sollte, mich zu beleidigen. Da ich nicht wußte, zu welchem Heiligen ich meine Zuflucht nehmen sollte, um sie zu einer Erklärung zu zwingen, so stand ich mit einem schweren Seufzer auf, nahm meinen Hut, ging auf die Tür zu und rief: »Grausames Fräulein, ich bin unglücklicher als Sie!« Sie richtete sich in ihrem Bett auf und flehte mich an, zu bleiben, indem sie mich mit Tränen in den Augen fragte, wie ich mich für unglücklicher halten könne als sie. Eine gekränkte, aber gefühlvolle Miene annehmend, antwortete ich ihr, sie habe mich ihre Geringschätzung zu deutlich merken lassen, indem sie in ihrer traurigen Notlage mir einen Unbekannten vorzöge, den ich ihr ganz sicherlich nicht verschaffen würde.

»Wie grausam Sie sind! wie ungerecht!« rief sie weinend. »Jetzt sehe ich wohl, daß Sie keine Liebe zu mir empfinden, da Sie aus meiner entsetzlichen Lage einen Triumph für sich machen wollen. Ich kann Ihr Vorgehen nur als einen Racheakt ansehen, der eines großmütigen Mannes wenig würdig ist.«

Ihre Tränen rührten mich, und ich warf mich vor ihr auf die Knie und rief: »Da Sie doch wissen, liebes Fräulein, daß ich Sie anbete – wie können Sie mir wohl Rachepläne zutrauen? Sie müssen mich doch für unempfindlich halten, indem Sie mir mit klaren Worten sagen, daß Sie nicht wissen, an wen Sie sich in Abwesenheit Ihres Liebhabers wenden sollen, um sich aus der Verlegenheit zu retten!«

»Aber sagen Sie mir, ob ich schicklicherweise nach meiner ersten Ablehnung mich an Sie wenden sollte? Mußte ich nicht befürchten, daß Sie der Notwendigkeit verweigern würden, was Ihre Liebe nicht hatte erreichen können?«

»Sie glauben also, ein leidenschaftlich liebender Mann könne wegen einer Abweisung, deren Grund nur die Tugend sein kann, zu lieben aufhören? Lassen Sie mich Ihnen mein Herz offenbaren: ich habe allerdings glauben können, daß Sie mich nicht lieben – aber jetzt glaube ich gewiß zu sein, daß ich mich getäuscht habe und daß Sie mich unabhängig von der Zwangslage, in der Sie sich befinden, auch aus Gefühl glücklich gemacht haben würden; und weiter: Sie sind mir ohne Zweifel böse, daß ich mir das Gegenteil hatte einbilden können.«

»Sie sind, mein lieber Freund, der getreue Dolmetsch meiner Gefühle. Aber wir müssen noch feststellen, wie wir in aller erforderlichen Freiheit zusammenkommen können.«

»Sorgen Sie sich darum nicht; da ich Ihrer Zustimmung sicher bin, werde ich bald ein Auskunftsmittel gefunden haben. Unterdessen werde ich das Aroph zubereiten.«

Ich hatte beschlossen, wenn es mir je gelingen sollte, das schöne Fräulein zur Anwendung meines Mittels zu überreden, nur Honig zu gebrauchen; die Anfertigung des Aroph konnte mich also nicht in Verlegenheit bringen. In dieser Beziehung war ich also beruhigt; andererseits aber befand ich mich in einem Labyrinth, aus dem ich mich nicht herauszufinden wußte. Ich sollte ohne Unterbrechung mehrere Nächte in beständiger Arbeit verbringen; ich fürchtete, mich über meine Kraft hinaus verpflichtet zu haben, und es war nicht möglich, etwas davon abzudingen, ohne die Schäferstündchen zu gefährden, die ich so mühsam in die Wege geleitet hatte; an den Erfolg des Aroph dachte ich natürlich nicht. Außerdem konnte die Operation nicht in ihrem Schlafzimmer stattfinden, da ihre jüngere Schwester ebenfalls dort schlief und deren Bett nicht weit von dem ihrigen entfernt stand; sie acht Nächte hintereinander in einen Gasthof zu führen, war unmöglich. Die Gottheit des Zufalls, die den Liebesverhältnissen gewöhnlich günstig ist, kam mir zu Hilfe.

Als ich einmal hinaufgehen mußte, begegnete ich dem Küchenjungen; er erriet, was ich wollte, und bat mich, nicht weiter zu gehen, weil der Platz besetzt wäre.

»Aber du kommst ja eben heraus.«

»Allerdings, mein Herr; aber ich bin nur eingetreten und gleich wieder hinausgegangen.«

»Nun, so werde ich warten, bis der Ort wieder frei ist.«

»Oh! bitte, warten Sie nicht!«

»Aha, ich verstehe, du Spitzbube; ich werde nichts sagen, aber ich will sie sehen.«

»Sie wird nicht herauskommen; den»sie hat Sie gehört und sich eingeschlossen.«

»Sie kennt mich also?«

»Ja, und Sie kennen sie ebenfalls.«

»Gut, geh nur und sei deinetwegen und ihretwegen unbesorgt.«

Der Küchenjunge ging; ich begriff sofort, daß ich von dieser Begegnung Nutzen haben konnte. Ich ging hinauf und bemerkte durch eine Spalte des Fräuleins Kammerzofe Madeleine. Ich beruhigte sie, indem ich ihr zu schweigen versprach; sie öffnete; ich drückte ihr einen Louis in die Hand, und sie lief ein bißchen verlegen schnell weg. Gleich darauf ging ich wieder hinunter, und der Küchenjunge, der mich auf dem Treppenabsatz erwartete, bat mich, Madeleine zu veranlassen, daß sie ihm die Hälfte von dem Louis abgäbe.

»Ich verspreche dir einen ganzen,« sagte ich zu ihm, »wenn du alles gestehen willst.«

Dies tat der Bursche herzlich gern. Er erzählte mir seine Liebesgeschichte und sagte mir, er verbringe mit ihr alle Nächte in der Dachkammer; seit drei Tagen jedoch seien sie ihres Vergnügens beraubt, weil die gnädige Frau jetzt Wildbret dort aufbewahre und darum den Schlüssel abgezogen habe. Ich ließ mich von ihm hinführen und sah durch das Schlüsselloch, daß eine Matratze sehr gut Platz hatte. Ich gab dem Küchenjungen einen Louis und entfernte mich, um mir meinen Plan reiflich zu überlegen.

Ich war der Meinung, daß das Fräulein im Einverständnis mit Madeleine leicht die Nacht in dieser Dachkammer verbringen könnte. Ich versah mich mit einem Dietrich und mehreren falschen Schlüsseln und legte in eine Blechdose mehrere Gaben des angeblichen Aroph, das heißt: Honig, den ich mit Hirschhorn vermischt hatte, um ihm Festigkeit zu geben. Am nächsten Morgen ging ich in das Hotel de Bretagne, um sofort meinen Dietrich zu versuchen, ich brauchte ihn nicht, denn schon der erste Schlüssel, den ich probierte, genügte, um das schadhafte Schloß zu öffnen.

Stolz auf meine Entdeckung und auf meinen Erfolg ging ich zum Fräulein hinunter und sagte ihr mit ein paar Worten von allem Bescheid.

»Aber, lieber Freund, ich kann mein Zimmer nur verlassen, indem ich durch die Kammer gehe, worin Madeleine schläft.«

»Nun, mein Herz, so müssen wir das Mädchen auf unsere Seite bringen.«

»Ihr mein Geheimnis anvertrauen?«

»Ganz recht.«

»Das würde ich niemals wagen.«

»So übernehme ich es; der goldene Schlüssel öffnet alle Türen.«

Sie war mit allem einverstanden, nur der Küchenjunge setzte sie in Verlegenheit; denn wenn er hinter unser Geheimnis gekommen wäre, so hätte er uns schaden können. Ich glaubte, ich würde ihn durch Madeleine gewinnen können, oder diese würde als kluges Mädchen uns den Jungen vom Halse schaffen können.

Bevor ich ging, sagte ich dem Mädchen, ich hätte etwas Wichtiges mit ihr zu sprechen, und bestellte sie nach dem Kreuzgang der Augustinerkirche. Sie kam pünktlich, und ich setzte ihr meinen Plan in allen Einzelheiten auseinander. Er war nicht schwer zu begreifen. Sie sagte mir, sie würde dafür sorgen, daß ihr eigenes Bett zur bestimmten Stunde in dem Boudoir von ganz neuer Art sei; aber sie fügte hinzu, damit wir ganz ruhig sein könnten, wäre es unbedingt notwendig, den Küchenjungen für uns zu gewinnen. »Er ist ein kluger Bursche, und ich glaube für seine Treue bürgen zu können; überlassen Sie es nur mir, die Sache in Ordnung zu bringen.«

Ich gab ihr den Schlüssel und sechs Louis und befahl, ihre Herrin von allem zwischen uns Verabredeten zu unterrichten, sich mit ihr zu verständigen und die Dachkammer zu unserer Aufnahme bereit zu machen. Sie ging ganz vergnügt nach Hause. Eine Kammerzofe, die einen Liebsten hat, ist niemals so glücklich, wie wenn sie ihre Herrin in die Notwendigkeit versetzen kann, ihre Liebschaft zu beschützen.

Am nächsten Morgen suchte der Küchenjunge mich in Klein-Polen auf; ich hatte dies erwartet. Bevor er sprechen konnte, sagte ich ihm, er solle vor der Neugier meiner Dienstboten auf der Hut sein und nicht ohne zwingenden Grund zu mir kommen. Er versprach mir, vorsichtig zu sein, und versicherte mir seine Ergebenheit. Er gab mir den Schlüssel zur Dachkammer und sagte mir, er habe sich einen anderen verschafft. Ich bewunderte und lobte seine Umsicht und schenkte ihm sechs Louis, die, wie ich sah, mehr wirkten als die schönsten Worte.

Am nächsten Vormittag sah ich das Fräulein nur einen Augenblick, um ihr zu sagen, daß sie mich abends um zehn Uhr am bewußten Ort finden werde. Ich ging ziemlich frühzeitig dort hin, ohne von einem Menschen gesehen zu werden. Ich war im Überrock und hatte in den Taschen meine Schachtel mit dem Aroph, ein ausgezeichnetes Feuerzeug und eine Kerze. Ich fand in der Dachkammer eine gute Matratze, zwei Kopfkissen und eine warme Steppdecke, einen sehr nützlichen Gegenstand, denn die Nächte waren kalt, und wir mußten in den Pausen der Operation schlafen können.

Um elf Uhr hörte ich ein leises Geräusch. Mir klopfte das Herz, was immer ein gutes Vorzeichen ist. Ich ging auf den Fußspitzen hinaus und meinem Fräulein entgegen. Ich beruhigte sie durch einen zärtlichen Kuß, führte sie in unser Schlafgemach, verrammelte die Tür und verhängte das Schlüsselloch, um für alle Fälle vor Überraschungen sicher zu sein und mich vor Neugierigen zu schützen.

Als ich dann meine Kerze anzündete, wurde mein Fräulein unruhig. »Das Licht kann uns verraten, wenn jemand nach dem vierten Stock heraufkommt,« sagte sie zu mir.

»Es ist nicht anzunehmen, daß jemand kommt; aber abgesehen davon, müssen wir es eben doch wagen; denn wie könnten Sie ohne Licht mir das Aroph auflegen?«

»Nun, so werden wir die Kerze unmittelbar darauf auslöschen.«

Ohne uns mit jenen Vorspielen zu unterhalten, die sonst, wenn man frei ist, in der Liebe so süß sind, entkleideten wir uns und gingen ernstlich an unsere Rollen, die wir mit der größten Vollkommenheit spielten. Ich sah aus wie ein Zögling von St. Côme, der eine Operation vornehmen will, sie wie eine Kranke, die sich in ihr Schicksal ergibt, nur mit dem Unterschied, daß in diesem Fall die Kranke die Vorbereitungen traf. Als der Opferpriester mit allem Nötigen ausgerüstet war, das heißt, als die weißen Hände meiner Engländerin mir das Aroph wie ein Priesterkäppchen aufgelegt hatten, nahm sie die günstigste Lage ein und erweiterte mit beiden Händen die Mündung, durch die das Mittel an den Ort gelangen sollte, wo sich die Vermischung mit dem Lebenssaft vollziehn sollte.

Wirklich komisch würde einem Dritten, der uns hätte sehen können, der doktorale Ernst erschienen sein, den wir beide zur Schau trugen.

Als die Einfühlung vollständig bewerkstelligt war, löschte das ängstliche Fräulein die Kerze aus; aber einige Minuten später mußte sie mir gestatten, sie wieder anzuzünden. Ich hatte mein Werk meisterhaft vollbracht, aber zu schnell, so daß meine Agnes, die im Anfang noch mit ihrer Angst zu tun hatte, im Rückstand geblieben war. Ich sagte ihr dienstfertig, ich sei hocherfreut noch einmal beginnen zu müssen, und der Ton, worin ich dieses Kompliment vorbrachte, brachte uns beide zu lautem Lachen.

Bei der zweiten Operation ging es nicht so schnell wie bei der ersten, und diesmal hatte das Fräulein vollkommen Zeit, auch ihrerseits tüchtig mitzuarbeiten.

Die Scham war dem Vertrauen gewichen, und als sie das an seinem Platze gebliebene Aroph untersuchte, machte sie mit der Spitze ihres hübschen Fingers auf den sehr deutlich erkennbaren Anteil ihrer Mitwirkung aufmerksam. Sodann sagte sie mir mit zärtlicher und zufriedener Miene, wir hätten, um den erhofften Erfolg zu erreichen, noch einen weiten Weg vor uns, und forderte mich auf, mich etwas auszuruhen. »Wie Sie sehen,« antwortete ich ihr, »bedarf ich dessen nicht, und ich denke, wir tun gut, wenn wir gleich wieder anfangen.«

Sie fand ohne Zweifel diesen Grund überzeugend, denn sie machte sich sofort, ohne ein Wort zu erwidern, von neuem an die Arbeit. Hierauf überließen wir uns einem ziemlich langen Schlummer. Als ich erwachte, fühlte ich mich vollkommen frisch und beantragte eine neue Operation. Nachdem diese von ihr bewilligt und von mir tadellos ausgeführt worden war, bestimmte eine ökonomische Betrachtung meines vorsichtigen Fräuleins mich, meine Kräfte zu schonen, denn wir mußten uns auch für die folgenden Nächte bei Kräften erhalten. Gegen vier Uhr morgens verließ sie mich daher und ging leise nach ihrem Zimmer zurück; ich verließ mit Tagesanbruch das Haus unter dem Schutz meines Küchenmerkurs, der mich durch eine bis dahin unbekannte Nebentür entschlüpfen ließ.

Nachdem ich ein Kräuterbad genommen hatte, machte ich gegen Mittag wie gewöhnlich dem Fräulein X. C. V. meine Aufwartung. Ich fand sie in einem eleganten Morgenkleide, das Lächeln des Glückes auf ihren Lippen, in ihrem Bett sitzen. Sie sprach mir von ihrer Dankbarkeit und dankte mir sofort und so feurig, daß ich, der ich mich mit Recht für ihren Schuldner hielt, allen Ernstes ärgerlich zu werden begann.

»Begreifen Sie denn wirklich nicht, liebes Fräulein,« rief ich aus, »daß Ihre Danksagungen mich demütigen? Sie beweisen mir, daß Sie mich nicht lieben, oder, wenn Sie mich lieben, daß Sie meine Liebe nicht für so groß halten wie die Ihrige.«

Schließlich wurden wir beide gerührt und hätten unsere gegenseitige Liebe ohne die Beihilfe des Arophs besiegelt, wenn nicht die Vorsicht uns zu Hilfe gekommen wäre. Wir waren in dem Schlafzimmer nicht sicher und wir hatten ja noch viel Zeit vor uns. So begnügten wir uns denn in Erwartung der Nacht mit den zärtlichsten Küssen.

Meine Lage war sonderbar; denn obwohl ich das anziehende Mädchen sehr lieb hatte, machte ich mir doch nicht den geringsten Vorwurf darüber, sie getäuscht zu haben, um so weniger, da die Folgen nicht von Bedeutung sein konnten, denn der Platz war ja schon besetzt. Nur aus einem kleinen Rachegefühl verletzter Eitelkeit freute ich mich darüber, daß ich mir durch einen Betrug so hohe Genüsse verschaffte. Sie sagte mir, sie fühle sich gedemütigt, daß sie meinen Wünschen Widerstand geleistet habe, als sie mir durch ihre Hingabe einen echten Beweis ihrer Liebe hätte ablegen können, während sie jetzt voll Bitterkeit fühle, daß ich über ihre wirklichen Empfindungen einigen Zweifel hegen könne. Ich bemühte mich nach Kräften, sie zu beruhigen, und in Wirklichkeit machten meine Gefühle jeden Zweifel unnütz, denn ich hatte meinen Zweck so vollständig erreicht, wie ich es nur wünschen konnte. Aber einen Erfolg erreichte ich, zu welchem ich mir noch heute Glück wünsche: Während meiner nächtlichen Arbeiten, die freilich für den von ihr verfolgten Zweck sehr nutzlos waren, hatte ich das Glück, ihr soviel Vertrauen und Ergebung einzuflößen, daß sie aus eigenem Antriebe mir versprach, sich nicht mehr der Verzweiflung zu überlassen, sondern allem was kommen könnte zum Trotz sich nur mir zu überlassen und nur meine Ratschläge zu befolgen. Während unserer nächtlichen Gespräche wiederholte sie mir oft, sie fühle sich glücklich und werde es auch selbst dann sein, wenn das Aroph keine Wirkung haben sollte. Nicht als ob sie nicht das größte Vertrauen dazu gehabt hätte, denn sie hörte mit der Anwendung des unschuldigen Mittels erst bei den letzten Kämpfen auf, die wir mit einem beinahe fanatischen Eifer uns lieferten, wie wenn wir die Schale der Wollust bis auf den letzten Tropfen hätten leeren wollen.

»Mein lieber Freund,« sagte sie zu mir, als wir uns zum letzten Male trennten, »was wir getan haben, scheint mir viel mehr geeignet zu schaffen, als zu zerstören, und wenn die Tür nicht schon hermetisch verschlossen gewesen wäre, so hätten wir wahrscheinlich dem kleinen Einsiedler gute Gesellschaft verschafft.«

Ein Doktor der Sorbonne hätte nicht besser reden können.

Drei oder vier Tage später fand ich sie nachdenklich, aber ruhig, sie sagte mir, sie habe alle Hoffnung verloren, ihrer Bürde vor der Zeit ledig zu werden; sie werde fortwährend von ihrer Mutter bedrängt und binnen sehr wenigen Tagen bleibe ihr keine andere Wahl mehr, als entweder ihren Zustand einzugestehen oder den Heiratsvertrag zu unterzeichnen. Sie könnte sich jedoch für keine dieser Möglichkeiten entschließen und wolle deshalb entfliehen. Sie bat mich, ihr dies zu ermöglichen.

Ich war entschlossen, ihr behilflich zu sein. Dieser Entschluß stand völlig fest, aber ich wollte den äußeren Schein retten, denn ich hätte mir eine böse Geschichte an den Hals ziehen können, wenn man die Gewißheit erlangt hätte, daß ich sie empfing oder ihr die Mittel zur Flucht aus Frankreich verschafft hätte. Übrigens hatten wir beide niemals daran gedacht, uns durch unlösbare Bande für das ganze Leben zu vereinigen. Ich verließ sie sehr nachdenklich und begab mich nach den Tuilerien, wo ein geistliches Konzert stattfand. Es wurde eine von Mondonville komponierte Motette gespielt; der Text war vom Abbé Voisenon, dem ich den Stoff angegeben hatte: die Israeliten auf dem Berge Horeb. Die Dichtung war in freien Versen geschrieben und machte als etwas Neues in dieser Art Aufsehen. Als ich aus meinem Wagen stieg, bemerkte ich Frau du Rumain, welche allein aus dem ihrigen stieg. Ich eilte auf sie zu und wurde von ihr als ein guter Bekannter begrüßt: »Ich freue mich, Sie hier zu finden; es ist wirklich ein Glücksfall. Ich will mir die Neuigkeit anhören, und habe zwei reservierte Plätze; Sie werden mir ein Vergnügen machen, wenn Sie den einen annehmen.« Ich fühlte den ganzen Wert einer so ehrenvollen Einladung und nahm sie natürlich an, obwohl ich meine Eintrittskarte in der Tasche hatte. Ich reichte ihr ehrerbietig meinen Arm, und wir nahmen zwei der besten Plätze ein.

Man plaudert in Paris nicht, wenn man geistliche Musik hört, besonders wenn es etwas Neues ist. Frau du Rumain konnte also aus meinem notgedrungenen Schweigen während des Konzertes nicht auf den Zustand meiner Seele schließen, aber sie erriet ihn an meinen Gesichtszügen, als alles zu Ende war; denn ich sah niedergeschlagen und sorgenvoll aus, und dies war bei mir etwas Ungewöhnliches.

»Herr Casanova,« sagte sie zu mir, »erweisen Sie mir den Gefallen, auf eine Stunde zu mir zu kommen, ich habe Ihnen einige kabbalistische Fragen zu stellen; Sie müssen sie mir lösen, denn sie liegen mir am Herzen; aber wir müssen uns beeilen, weil ich heute Abend außerhalb des Hauses speise.«

Begreiflicherweise ließ ich mich nicht bitten; ich fuhr mit ihr nach Hause, und in weniger als einer halben Stunde waren meine Antworten fertig. Hierauf sagte die liebenswürdige Dame in wohlwollendstem Ton zu mir: »Was haben Sie denn, Herr Casanova? Sie sind nicht in Ihrer gewöhnlichen Stimmung, und wenn ich mich nicht täusche, erwarten Sie irgend ein großes Unglück. Sollten Sie vielleicht in der Lage sein, einen wichtigen Entschluß fassen zu müssen? Ich bin nicht neugierig; aber wenn ich Ihnen bei Hofe nützlich sein kann, so verfügen Sie über meinen Einfluß und zählen Sie auf mich. Ich werde, wenn die Sache dringlich ist, nötigenfalls morgen früh nach Versailles fahren; ich bin bei allen Ministern gut angeschrieben. Teilen Sie mir Ihren Kummer mit, lieber Freund; wenn ich ihn nicht lindern kann, werde ich ihn wenigstens teilen, verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

Diese Ansprache kam mir vor wie eine himmlische Stimme, wie eine Ermahnung eines guten Genius, mich dieser Dame anzuvertrauen, die beinahe meine Gedanken gelesen und mir in unzweideutigen Ausdrücken erklärt hatte, daß sie an meinem Glück großen Anteil nehme. Nachdem ich schweigend, aber mit dem Ausdruck unfehlbarer Dankbarkeit sie einige Augenblicke angesehen hatte, sagte ich zu ihr: »Ja, gnädige Frau, ich befinde mich in einer sehr kritischen Lage und stehe vielleicht im Begriff, mich zugrunde zu richten; aber Ihr Wohlwollen gibt mir meine Ruhe wieder, indem es mich einige Hoffnung schöpfen läßt; ich werde Ihnen meine Lage schildern. Ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, das die Ehre unverletzlich macht; ich kann an Ihrer Verschwiegenheit so wenig zweifeln wie an Ihrer Güte. Wenn Sie dann mir gnädigst einen Rat erteilen wollen, so verspreche ich Ihnen, diesen zu befolgen, und ich schwöre Ihnen, niemals zu sagen, von wem ich ihn erhalten habe.«

Nach dieser Einleitung, die sie mit der größten Aufmerksamkeit anhörte, erzählte ich ihr die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten. Ich verschwieg ihr weder den Namen des Fräuleins noch irgend einen der Umstände, die mich nötigten, für sie einzutreten. Nur von dem Aroph und dessen Anwendung schwieg ich: die Sache erschien mir zu komisch, um sie in dieses ernste Drama hineinzumischen; aber ich gestand ihr, daß ich ihr in der Hoffnung, sie von ihrer Last zu befreien, Heilmittel verschafft hätte.

Nach dieser wichtigen Mitteilung schwieg ich, und Frau du Rumain blieb fast eine halbe Stunde lang in Gedanken versunken. Endlich stand sie auf und sagte zu mir: »Ich werde bei Frau de la Marck erwartet; ich muß unbedingt hingehen, denn ich soll dort den Bischof von Montrouge treffen, mit dem ich etwas zu besprechen habe. Ich hoffe jedoch, ich werde Ihnen nützlich sein können. Bitte kommen Sie übermorgen um acht Uhr wieder; Sie werden mich allein finden; vor allen Dingen tun Sie keine Schritte, bevor Sie mich gesehen haben; leben Sie wohl.«

Ich verließ sie voller Hoffnung und fest entschlossen, bei dieser heiklen Angelegenheit mich nur von ihrem Rat leiten zu lassen. Der Bischof von Montrouge, mit dem sie wegen einer wichtigen, mir sehr wohl bekannten Angelegenheit zu sprechen hatte, war der Abbé von Voisenon, den man so nannte, weil er oft dorthin ging. Montrouge ist ein Landhaus in der Nähe von Paris, das damals dem Herzog de la Vallière gehörte.

Am nächsten Morgen besuchte ich mein liebes Fräulein; ich sagte ihr jedoch nur, daß ich die Hoffnung hätte, ihr in ein paar Tagen gute Nachrichten geben zu können. Ich war mit ihr zufrieden; denn sie zeigte sich gefaßt und vertrauensvoll.

Den Tag darauf stellte ich mich pünktlich um acht Uhr bei meiner edlen Gönnerin ein. Der Schweizer sagte mir lächelnd, ich würde den Arzt bei der gnädigen Frau finden, dies hielt mich nicht ab, hinaufzugehen; er entfernte sich, sobald sie erschien. Es war der Doktor Herrenschwand, um den sich alle hübschen Frauen von Paris rissen. Der unglückliche Poinsinet brachte ihn im Cercle auf die Bühne, einem kleinen Einakter von sehr müßigem Werte, der jedoch zu seiner Zeit einen großen Erfolg hatte.

»Mein lieber Betrübter,« sagte Frau du Rumain zu mir, sobald wir allein waren, »ich habe Ihre Sache in Ordnung gebracht. Nun aber müssen Sie mir ein unverletzliches Geheimnis bewahren. Nachdem ich über den Gewissensfall, den Sie mir anvertraut hatten, reiflich nachgedacht hatte, begab ich mich nach dem Kloster C., dessen Äbtissin meine Freundin ist. Ich vertraute ihr das Geheimnis an, da ich vollkommen sicher bin, daß sie nicht imstande ist, es zu mißbrauchen. Wir haben abgemacht, daß sie das Fräulein in ihr Kloster aufnehme und ihr eine gute Laienschwester zuteile, um sie im Wochenbett zu pflegen. Sie werden nicht leugnen,« bemerkte sie lachend, »daß die Klöster doch für etwas gut sind. Ihre Schutzbefohlene wird allein nach dem Kloster gehen und durch die Pförtnerin der Äbtissin einen Brief überreichen lassen, den ich Ihnen geben werde. Sie wird sofort eingelassen und in ein anständiges Zimmer gebracht werden. Sie wird niemals Besuche empfangen, und alle Ihre Briefe müssen durch meine Hände gehen. Die Äbtissin wird mir ihre Antworten schicken, und ich werde Ihnen diese eigenhändig übergeben. Sie begreifen, daß sie nur mit Ihnen Briefe wechseln darf, und Sie nur durch meine Vermittlung Nachrichten von ihr erhalten können. Sie müssen auf die gleiche Weise verfahren, und Ihre Briefe dürfen nicht adressiert sein. Ich habe der Äbtissin den Namen Ihres Fräuleins sagen müssen, aber den Ihrigen habe ich ihr nicht genannt, weil sie mich nicht danach gefragt hat. – Teilen Sie dies alles Ihrem jungen Fräulein mit; sobald sie bereit ist, melden Sie es mir, und ich werde Ihnen meinen Brief geben. Sagen Sie ihr, sie solle nur das Allernotwendigste mitnehmen und vor allen Dingen keine Diamanten oder wertvolle Schmucksachen mitbringen. Sie können ihr versichern, daß die Äbtissin sie von Zeit zu Zeit in freundschaftlicher Weise besuchen und daß sie ihr anständige Bücher geben wird. Sie wird, mit einem Wort, vorzüglich gepflegt und behandelt werden. Sagen Sie ihr auch, sie möge sich der Laienschwester, die sie bedienen wird, in keiner Weise anvertrauen; denn obwohl sie anständig und gut ist, ist sie doch eine Nonne, und das Geheimnis wäre vielleicht bei ihr nicht sicher; nach ihrer Niederkunft wird sie zur Beichte gehen und hierauf das Osterabendmahl erhalten. Die Äbtissin wird ihr ein Zeugnis in aller Form ausstellen, mit dem sie ohne Schwierigkeit sich wieder zu ihrer Mutter begeben kann; diese wird nur zu glücklich sein, sie wieder zu haben, und von der Heirat wird nicht mehr die Rede sein, um so weniger, da sie diese als Grund ihrer Entfernung angeben wird.«

Nachdem ich ihr tausendmal gedankt und ihre kluge Vorsicht gelobt hatte, bat ich sie, mir den Brief sofort zu geben, da keine Zeit mehr zu verlieren sei. Dienstbereit setzte sie sich sofort an ihren Schreibtisch und schrieb folgendes:

»Meine liebe Äbtissin! Die junge Dame, die Ihnen diesen Brief überbringen wird, ist jene, von der ich das Vergnügen hatte, mit Ihnen zu sprechen. Sie wünscht drei oder vier Monate unter Ihrem Schütze in Ihrem Kloster zu verbringen, um ihre Seelenruhe wieder zu erlangen, ihre Andacht zu verrichten und sicher zu sein, daß bei ihrer Rückkehr zu ihrer Mutter nicht mehr von einer Heirat die Rede sein wird, zu der sie sich nicht entschließen kann und die sie veranlaßt hat, sich für einige Zeit von ihrer Familie zu entfernen.«

Nachdem sie mir den Brief vorgelesen hatte, übergab sie mir ihn unversiegelt, damit das Fräulein ihn lesen könnte. Die Äbtissin war eine Prinzessin, das Kloster daher vor jedem Verdacht sicher. Als ich den Brief von der Gräfin empfing, fühlte ich mich so von Dankbarkeit erfüllt, daß ich mich vor ihr auf die Knie warf. Die großmütige Dame wurde mir auch in der Folge noch sehr nützlich, wie ich später erzählen werde.

Von Frau du Rumain begab ich mich stracks nach dem Hotel de Bretagne; das Fräulein hatte nur gerade soviel Zeit, mir zu sagen, daß sie für den ganzen Tag beschäftigt sei; sie werde aber abends um elf Uhr in die Dachkammer kommen, wo wir Zeit genug haben würden, uns zu unterhalten. Diese Mitteilung freute mich sehr, denn ich sah voraus, daß unser schöner Traum zu Ende sein und daß ich keine Gelegenheit mehr haben würde, mit ihr allein zu sein. Ehe ich das Haus verließ, sagte ich noch Madeleine ein Wörtchen; sie übernahm es, unserem Merkur Bescheid zu sagen, daß er alles in besten Stand setzen solle.

Pünktlich war ich da und brauchte nicht lange auf meine Schöne zu warten. Nachdem ich ihr den Brief der Frau du Rumain vorgelesen hatte, deren Namen ich ihr verschwieg, ohne daß sie etwas Arges dabei fand, löschte ich das Licht aus. Ohne von dem Aroph noch zu reden, überließen wir uns dem Vergnügen, uns gegenseitig unsere Liebe zu beweisen. Als es am Morgen Zeit wurde, uns zu trennen, gab ich ihr mündlich alle Weisungen, die ich selber empfangen hatte. Wir verabredeten, daß sie um acht Uhr mit den notwendigen Sachen das Haus verlassen und in einem Fiaker bis zur Place Maubert fahren solle; von dort solle sie einen anderen bis zur Porte St.-Antoine nehmen, und von dort endlich einen dritten, der sie auf dem nächsten Wege zum Kloster zu bringen hätte. Ich bat sie, nicht zu vergessen, alle von mir empfangenen Briefe zu verbrennen und mir vom Kloster aus so oft wie möglich zu schreiben, ihre Briefe zu versiegeln, aber nicht zu adressieren. Sie versprach mir, meine Anordnungen pünktlich zu befolgen; hierauf nötigte ich sie, eine Rolle von zweihundert Louis anzunehmen, für die sie vielleicht Bedarf haben konnte, obgleich wir nicht voraussahen, auf welche Weise. Sie weinte, aber weniger über ihre eigene, sehr schwierige Lage, als über die bittere Verlegenheit, worin sie mich zurückließ. Ich beruhigte sie jedoch, indem ich ihr sagte, ich hätte viel Geld und mächtige Gönner. »Ich werde übermorgen zur verabredeten Stunde fortgehen,« sagte sie. Ich versprach ihr, am Tage zu ihrer Mutter zu gehen, wie wenn ich von nichts wüßte, und darauf ihr alles zu schreiben, was man über ihre Flucht sagen würde. Hierauf umarmten wir uns zärtlich, und ich ging.

Ihr Schicksal beunruhigte mich sehr; sie war klug und entschlossen; aber wenn die Erfahrung fehlt, veranlaßt gerade unsere Klugheit uns sehr oft, große Dummheiten zu begehen.

Am übernächsten Tage nahm ich einen Fiaker und ließ diesen an einer Straßenecke halten, wo sie vorbeikommen mußte. Ich sah sie ankommen, aus dem Wagen steigen, den Kutscher bezahlen und in einen Hausgang eintreten. Einige Augenblicke darauf kam sie heraus; sie trug ihr Päckchen in der Hand und hatte ihren Kopf in ein Tuch gehüllt. Ich sah sie in einen anderen Fiaker steigen, der sich sofort in der zwischen uns verabredeten Richtung entfernte. Hierdurch beruhigt und einigermaßen sicher, daß sie meine Weisungen genau befolgen würde, ging ich meinen Geschäften nach. Der nächste Tag war der Sonntag Quasimodo. Ich hielt mich für verpflichtet, mich im Hotel Bretagne sehen zu lassen; denn da ich vor der Flucht des Fräuleins täglich hingegangen war, konnte ich meine Besuche nicht einstellen, ohne den Verdacht zu bestärken, den man ohnehin gegen mich haben mußte. Aber wie peinlich war diese Aufgabe. Ich mußte heiter, mit ruhigem und völlig unverändertem Gesicht an einem Ort erscheinen, wo ich sicher war, Traurigkeit und Unruhe zu finden! Ich gestehe, dazu gehörte eine eiserne Stirn.

Ich wählte die Stunde, wo die ganze Familie bei Tisch zusammen sein mußte, und ging sofort in den Speisesaal. Ich trat wie gewöhnlich mit lachendem Gesicht ein und setzte mich etwas rückwärts neben Frau X. C. V. Ich tat, wie wenn ich ihre Überraschung nicht bemerkte, obgleich diese deutlich genug war, denn ihr Gesicht war glühend rot. Einen Augenblick darauf fragte ich sie, wo das Fräulein sei. Sie drehte sich um, sah mich fest an und sagte kein Wort.

»Sollte sie krank sein?« fragte ich sie.

»Davon weiß ich nichts.«

Ihr schroffer Ton war mir ganz recht, denn er berechtigte mich, eine ernste Miene anzunehmen. Ich blieb eine Viertelstunde lang nachdenklich und schweigend sitzen, indem ich den Überraschten und Erstaunten spielte. Hierauf stand ich auf und fragte sie, ob ich ihr irgendwie gefällig sein könnte; da ich nur einen kühlen Dank erhielt, verließ ich das Speisezimmer und ging zum Fräulein, wie wenn ich geglaubt hätte, sie in ihrem Zimmer zu finden. Ich fand dort nur Madeleine, die ich mit einem bedeutungsvollen Blick fragte, wo ihre Herrin sei. Sie antwortete mit der inständigen Bitte, ich selber möchte es ihr sagen, wenn ich es wüßte.

»Ist sie allein ausgegangen?«

»Ich weiß durchaus nichts, mein Herr, aber man glaubt, Sie wüßten alles. Ich bitte Sie, mich allein zu lassen.«

Mich höchst erstaunt stellend, verließ ich langsamen Schrittes das Haus und stieg in meinen Wagen. Ich war sehr froh, daß ich diese peinliche Aufgabe hinter mir hatte. Es war natürlich, daß ich nach der Aufnahme, die ich gefunden hatte, mich für beleidigt hielt und mich in dieser Familie nicht mehr sehen ließ; denn mochte ich nun schuldig oder unschuldig sein, so wußte doch Frau X. C. V. ganz genau, daß die Art ihres Empfanges zu bedeutungsvoll war, als daß ich nicht hätte wissen sollen, woran ich wäre.

Als ich zwei Tage darauf zu sehr früher Stunde an meinem Fenster stand, hielt ein Fiaker vor meinem Hause, und einen Augenblick darauf stiegen Frau X. C. V. und Herr Farsetti aus. Ich beeilte mich hinauszugehen, um sie zu empfangen, und dankte ihnen, daß sie gekommen seien, um sich zum Frühstück einzuladen. Ich tat, wie wenn sie nur zu diesem Zwecke gekommen sein könnten. Ich lud sie ein, vor einem guten Feuer Platz zu nehmen, und erkundigte mich nach der Gesundheit der gnädigen Frau. Sie antwortete jedoch nicht auf meine Frage, sondern sagte mir, sie sei nicht gekommen, um bei mir zu frühstücken, sondern um ernstlich mit mir zu reden.

»Gnädige Frau, ich stehe Ihnen vollständig zur Verfügung; aber erweisen Sie mir doch die Ehre, Platz zu nehmen.«

Sie setzte sich, Farsetti aber blieb stehen; ich drang nicht weiter in ihn, sondern beschäftigte mich nur mit Frau X. C. V. und bat diese, mir freundlichst zu sagen, womit ich ihr gefällig sein könnte.

»Ich möchte Sie bitten, mir meine Tochter zurückzugeben, wenn sie in Ihrer Gewalt ist, oder mir zu sagen, wo sie ist.«

»Ihre Tochter, gnädige Frau? Das weiß ich nicht. Haben Sie mich etwa in Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben?«

»Ich beschuldige sie nicht einer Entführung; ich will Ihnen weder ein Verbrechen vorwerfen noch Ihnen drohen; ich will Sie ganz einfach bitten, mir einen Beweis Ihrer Freundschaft zu geben. Helfen Sie mir, meine Tochter heute noch wiederzufinden; Sie geben mir das Leben wieder! Ich bin überzeugt, Sie wissen alles. Sie waren Ihr einziger Vertrauter, ihr einziger Freund; sie verbrachte jeden Tag mehrere Stunden mit Ihnen. Es ist also unmöglich, daß sie Ihnen nicht alles anvertraut haben sollte. Haben Sie Mitleid mit einer trostlosen Mutter! Noch weiß kein Mensch etwas; geben Sie mir sie zurück, und alles soll vergeben und vergessen sein. Ihre Ehre wird gerettet werden.«

»Gnädige Frau, ich begreife vollkommen Ihre Lage; Ihr Kummer rührt mich; aber ich wiederhole Ihnen: ich weiß von nichts.«

Der Schmerz der armen Frau schnitt mir wirklich in die Seele; unter strömenden Tränen stürzte sie sich mir zu Füßen. Ich wollte sie aufheben, als Farsetti ihr in einem Tone der Entrüstung zurief, sie müßte sich schämen, sich vor einem Menschen von meiner Sorte zu demütigen. Sofort richtete ich mich auf, maß ihn von oben bis unten und sagte zornig: »Unverschämter! Erklären Sie sich: was meinen Sie mit dem Menschen von meiner Sorte!«

»Man ist überzeugt, daß Sie alles wissen.«

»Diejenigen, die davon überzeugt sind wie Sie, sind unverschämte Dummköpfe. Verlassen Sie augenblicklich mein Haus und erwarten Sie mich unten; Sie werden mich in einer Viertelstunde erscheinen sehen.«

Mit diesen Worten hatte ich den Chevalier bei den Schultern gepackt; ich ließ ihn zwei- oder dreimal um sich selber drehen und warf ihn hinaus. Er kehrte sich um und rief Frau X. C. V. zu, sie solle mitkommen; diese aber, die sich inzwischen erhoben hatte, suchte mich zu beruhigen.

»Sie müssen einem Manne verzeihen, der in meine Tochter verliebt ist; er will sie trotz ihrer Verirrung durchaus heiraten.«

»Ich weiß es, gnädige Frau; aber er ist ohne Zweifel viel daran schuld, daß Ihre Tochter den traurigen Entschluß gefaßt hat, das mütterliche Haus zu verlassen; denn sie verabscheut ihn noch mehr wie den Generalpächter, den sie nicht leiden kann.«

»Sie hat unrecht, aber ich verspreche Ihnen, es soll von dieser Heirat nicht mehr die Rede sein. Sie wissen alles, denn Sie haben ihr fünfzig Louis gegeben. Ohne diese hätte sie sich nirgendwohin wenden können.«

»Das stimmt nicht, gnädige Frau.«

»Leugnen Sie nicht, wir haben tatsächliche Beweise. Hier ist ein Stück Ihres Briefes!«

Sie zeigte mir einen Fetzen von dem Brief, den ich ihrer Tochter geschrieben hatte, als ich ihr die fünfzig Louis für ihren ältesten Bruder schickte. Er enthielt folgende Zeilen:

»Ich wünsche, diese elenden fünfzig Louis können Sie überzeugen, daß ich alles, selbst mein Leben gerne opfern würde, um Sie von meinen zärtlichen Gefühlen zu überzeugen.«

»Ich bin weit entfernt, gnädige Frau, diesen Beweis meiner Neigung zu Ihrer Tochter ableugnen zu wollen; ich muß Ihnen aber zu meiner Rechtfertigung jetzt sagen, was ich sonst Ihr Leben lang vor Ihnen würde geheim gehalten haben: ich habe dem Fräulein diese Summe nur geschickt, um die Schulden Ihres ältesten Sohnes bezahlen zu können; er hat mir dafür in einem Briefe gedankt, den ich Ihnen zeigen könnte, falls Sie es wünschen sollten.«

»Mein Sohn?«

»Ihr Sohn, gnädige Frau.«

»Ich werde Ihnen volle Genugtuung geben lassen.«

Ohne mir zu einer Einwendung Zeit zu lassen, lief sie hinaus zu Farsetti, der im Hofe auf sie wartete, nötigte ihn wieder herein zu kommen und sagte ihm in meiner Gegenwart, was ich ihr eben vorhin mitgeteilt hatte.

»Das ist nicht wahrscheinlich«, rief der Unverschämte.

Ich sah ihn mit verächtlichem Blick an und sagte ihm, daß ich es verschmähe, ihn zu überzeugen, daß ich jedoch die gnädige Frau bitte, die Tatsache durch ihren Sohn selber bestätigen zu lassen. »Ich versichere Ihnen,« fügte ich hinzu, »daß ich Ihrer Tochter stets zugeredet habe, Herrn de la Popelinière zu heiraten.«

»Wie können Sie es wagen, dies zu behaupten!« fiel Farsetti mir ins Wort; »Sie sprechen ja in Ihrem Brief von Ihren zärtlichen Gefühlen!«

»Dies bestreite ich nicht; ich liebte sie und sagte es ihr gerne. Ich strebte nach der Ehre, ihrem Gemahl Hörner aufzusetzen und legte auf meine Weise die Grundlage zu meinem Bau. Meine Liebe, einerlei von welcher Art sie gewesen sein mag – und dies geht ja den Herrn nichts an – bildete für gewöhnlich den Stoff unserer langen Unterhaltungen. Wenn sie mir anvertraut hätte, daß sie fliehen wollte, so hätte ich sie entweder davon abgebracht, oder ich wäre mit ihr gegangen; denn ich war in sie verliebt, wie ich es noch jetzt bin. Niemals aber würde ich ihr Geld gegeben haben, um ohne mich fortzugehen.

»Mein lieber Casanova,« sagte hierauf die Mutter, »ich will an Ihre Unschuld glauben, wenn Sie sich mit mir vereinigen wollen, um ihren Aufenthalt zu entdecken.«

»Ich bin von Herzen gern bereit, Ihnen zu dienen, gnädige Frau, und ich verspreche Ihnen, meine Nachforschungen schon heute zu beginnen.«

»Sobald Sie irgend etwas erfahren, so kommen Sie, bitte, zu mir und teilen Sie es mir mit.«

»Sie können sich darauf verlassen.«

Hiermit trennten wir uns.

Um meine Rolle zu spielen, mußte ich als guter Schauspieler auftreten. Es war für mich wichtig, meinen öffentlichen Handlungen einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit zu geben, der zu meinen Gunsten sprach. Ich begab mich deshalb gleich am nächsten Tage zum Ersten Polizeirat, Herrn Chaban, um ihn aufzufordern, Nachforschungen wegen der Flucht des Fräuleins X. C. V. anzustellen. Ich hatte gedacht, durch diesen Schritt würde ich mich besser decken; aber der Beamte, der sein Geschäft gründlich verstand und der mich gern hatte, seitdem ich vor fünf oder sechs Jahren bei Sylvia seine Bekanntschaft gemacht hatte, lachte laut auf, als er hörte, zu welchem Zweck ich seine Dienste in Anspruch nehmen wollte.

»Wünschen Sie wirklich allen Ernstes, daß die Polizei sich bemüht, den Ort zu erfahren, wo die hübsche Engländerin sich aufhält?«

»Gewiß, mein Herr.«

Ich begriff sofort, daß er mich zum Sprechen bringen wollte, damit ich mir eine Blöße gäbe; dies wurde mir zweifellos, als ich beim Hinausgehen Farsetti traf.

Am nächsten Tage ging ich zu Frau X. C. V., um ihr über meine bisher erfolglosen Bemühungen Bericht zu erstatten.

»Ich bin glücklicher als Sie,« sagte sie zu mir, »und wenn Sie mich nach dem Ort begleiten wollen, wo meine Tochter sich befindet, und mir helfen wollen, sie zur Rückkehr in mein Haus zu überreden, so bin ich des Erfolges sicher.«

»Von ganzem Herzen, gnädige Frau,« antwortete ich ihr mit dem größten Ernst; »ich bin bereit, Sie überall hin zu begleiten.«

Sie nahm mich beim Wort, zog ihren Mantel an, ließ sich meinen Arm geben und führte mich zu einem Fiaker. Dort gab sie mir eine Adresse und bat mich, ich möchte dem Kutscher befehlen, uns nach dem auf dem Zettel bezeichneten Ort zu fahren.

Ich war wie auf glühenden Kohlen! Mir klopfte das Herz; ich hatte ein Gefühl, wie wenn ich ersticken sollte, denn ich erwartete die Adresse des Klosters zu lesen. Ich weiß nicht, was ich getan haben würde, wenn meine Befürchtung sich als richtig erwiesen hätte; aber ganz gewiß wäre ich nicht mit nach dem Kloster gegangen. Endlich las ich den Zettel, und meine Seele beruhigte sich, als ich darauf die Worte Place Maubert fand.

Ich gab dem Kutscher die Adresse an, und wir fuhren ab; bald hielten wir vor einem dunklen unsauberen Gange, der keinen hohen Begriff von den Bewohnern des Hauses gab. Ich reichte ihr meinen Arm und verschaffte ihr durch viele höfliche Bitten die Befriedigung, sämtliche Wohnungen des fünfstöckigen Hauses besichtigen zu dürfen. Da diese vergebliche Nachforschung ihr nicht zur Auffindung der gesuchten Tochter verhelfen konnte, so erwartete ich, sie niedergebeugt zu sehen. Dem war jedoch nicht so; denn sie sah mich zwar betrübt, aber befriedigt an, und ihre Augen schienen mich um Verzeihung zu bitten. Sie hatte von dem Droschkenkutscher selber, dessen ihre Tochter sich bei der Abfahrt bedient hatte, erfahren, daß er sie vor diesem Hause abgesetzt hätte und daß sie in dem Gange verschwunden wäre. Sie sagte mir, der Küchenjunge habe ihr verraten, er sei zweimal bei mir gewesen, um mir Briefe von dem Fräulein zu bringen, und Madeleine behaupte unaufhörlich, sie wisse bestimmt, daß die Entflohene in mich und daß ich in sie verliebt sei. Sie spielten ihre Rollen vortrefflich.

Sobald ich Frau X. C. V. nach Hause gebracht hatte, begab ich mich zu Frau du Rumain und erzählte ihr alle meine Erlebnisse; hierauf schrieb ich an die junge Eingesperrte und teilte ihr bis auf die geringsten Einzelheiten mit, was seit ihrem Verschwinden vorgefallen war.

Nach drei oder vier Tagen schickte Frau du Rumain mir den ersten Brief des Fräuleins: sie schilderte die Ruhe, die sie genösse, und die lebhafte Dankbarkeit, die sie mir schuldig zu sein glaubte. Sie lobte die Äbtissin und die Laienschwester und nannte mir die Bücher, die man ihr gegeben hatte und die sie nach ihrem Geschmack fand. Sie teilte mir auch mit, was sie ausgegeben hatte, und sagte, sie sei vollkommen glücklich, abgesehen davon, daß sie auf Wunsch der Äbtissin ihr Zimmer nicht verlassen dürfe.

Dieser Brief machte mir Freude; noch mehr aber freute ich mich, als ich den Brief las, den die Äbtissin an Frau du Rumain geschrieben hatte. Das junge Mädchen hatte ihre Zuneigung gewonnen; sie war unerschöpflich in ihrem Lob, pries ihre Sanftmut, ihren Geist und ihr edles Benehmen und versicherte ihrer Freundin, sie werde das unglückliche Kind jeden Tag besuchen.

Ich war erfreut über die Zufriedenheit, die Frau du Rumain mir aussprach, und ihre Freude vermehrte sich noch, als sie den Brief des Fräuleins gesehen hatte, den ich ihr gab, nachdem ich ihn gelesen hatte. Kurz, unzufrieden waren nur die arme Mutter, der greuliche Farsetti und der alte Generalpächter, dessen Mißgeschick man sich schon in den Klubs, im Palais-Royal und in den Kaffeehäusern erzählte. Überall brachte man mich in die Geschichte hinein; da ich mich jedoch völlig sicher fühlte, so lachte ich über das müßige Geschwätz.

Herr de la Popelinière fand sich bald als vernünftiger Mann mit seinem Schicksal ab, denn er machte aus diesem Abenteuer einen Einakter, den er selber schrieb und auf seiner kleinen Bühne in Paris aufführen ließ. Dieser Zug entsprach dem Charakter des Mannes, der sich drei Monate später durch Prokuration mit einem sehr hübschen Fräulein, der Tochter eines Ratsherrn in Bordeaux, verheiratete. Er starb ungefähr zwei Jahre später; seine Witwe war mit einem Sohne schwanger, der sechs Monate nach dem Tode seines Vaters zur Welt kam. Die unwürdige Erbin des reichen Mannes wagte es, die Witwe des Ehebruchs zu beschuldigen, und ließ das Kind für unrechtmäßig erklären, zur Schmach des Parlaments, das diesen ungerechten Spruch fällte, und zum großen Ärgernis für alle anständigen Leute in ganz Frankreich. Dieses Urteil war um so schändlicher, da der Leumund der Beschuldigten tadellos war und da das Parlament, das dieses allen göttlichen und menschlichen Gesetzen widersprechende Urteil erließ, kurz vorher sich nicht geschämt hatte, ein Kind für ehelich zu erklären, das elf Monate nach dem Tode des Gatten der Mutter geboren war.

Etwa zehn Tage lang fuhr ich fort, die Mutter des Fräuleins zu besuchen; die kühle Aufnahme jedoch, die ich bei ihr fand, bestimmte mich zu dem Entschluß, nicht mehr hinzugehen.

Viertes Kapitel


Abbé de la Ville. – Abbé Galiani. – Charakter der neapolitanischen Mundart. – Ich reise mit einem geheimen Auftrag nach Dünkirchen. – Ich fahre über Amiens nach Paris zurück. – Unbesonnene Streiche. – Herr de la Bretonnière. – Mein Bericht gefällt; ich erhalte fünfhundert Louis. – Betrachtungen.

Eine neue Bahn eröffnete sich mir. Wiederum war mir das Glück hold. Ich besaß alle Mittel, um der blinden Göttin zu Hilfe zu kommen; aber mir fehlte eine wesentliche Eigenschaft: Ausdauer. Mein Leichtsinn, meine maßlose Vergnügungssucht zerstörten die guten Gaben, die ich von der Natur empfangen hatte.

Herr von Bernis empfing mich wie gewöhnlich, das heißt weniger als Minister denn als Freund. Er fragte mich, ob ich nicht geneigt wäre, geheime Aufträge zu übernehmen.

»Werde ich auch das nötige Talent dazu haben?«

»Daran zweifle ich nicht.«

»Ich fühle mich zu allem geneigt, womit ich auf anständige Weise Geld verdienen kann. Was mein Talent anbetrifft, so verlasse ich mich recht gern auf das Urteil Eurer Exzellenz.«

Über diesen Schlußsatz lächelte er; das wollte ich gerade.

Nach einigen beiläufigen Worten über alte Erinnerungen, die die Zeit noch nicht ganz verwischt hatte, sagte der Minister mir, ich möchte in seinem Namen den Abbé de la Ville aufsuchen.

Dieser Abbé war sein erster Geheimrat, ein kalter, tiefer Politiker, die Seele des Ministeriums, und Seine Exzellenz hielt große Stücke auf ihn. Als Geschäftsträger im Haag hatte er dem Staat gute Dienste geleistet, und der dankbare König belohnte ihn, indem er ihm an seinem Todestage ein Bistum verlieh. Die Belohnung kam ein bißchen zu spät; aber Könige haben nicht immer Zeit, Gedächtnis zu haben. Der Erbe dieses braven Mannes war ein gewisser Garnier, ein Glückspilz. Er war früher Koch bei Herrn d’Argenson gewesen und hatte die beständige Freundschaft des Abbé de la Ville zu benutzen gewußt, um ein reicher Mann zu werden. Die beiden Freunde, die ungefähr gleichalterig waren, hatten ihre Testamente bei demselben Notare hinterlegt und sich gegenseitig zu Universalerben eingesetzt.

Der Abbé de la Ville hielt mir einen kurzen Vortrag über die Natur der geheimen Aufträge. Nachdem er mir auseinandergesetzt hatte, wie klug damit betraute Personen sich benehmen müßten, sagte er mir, er werde mir Bescheid geben, sobald sich etwas Passendes für mich böte; hierauf lud er mich zum Essen ein.

Bei Tische machte ich die Bekanntschaft des neapolitanischen Gesandtschaftssekretärs,Abbé Galiani. Er war ein Bruder des Marchese Galiani, von dem ich erzählen werde, wenn wir bei meiner Reise nach jenem schönen Lande angekommen sind. Abbé Galiani war ein sehr geistreicher Mann. Er besaß ein hervorragendes Talent, seinen ernsthaften Bemerkungen einen komischen Anstrich zu geben. Er sprach gut und stets ohne zu lachen und gab seinem Französisch den unwiderstehlichen neapolitanischen Akzent; daher war er in allen Gesellschaften, die er seiner Gegenwart würdigte und deren Zierde er war, außerordentlich beliebt. Der Abbé sagte ihm, Voltaire beklage sich, daß man seine Henriade in neapolitanische Verse so übersetzt habe, daß sie lächerlich geworden sei.

»Voltaire hat unrecht,« sagte Galiani, »denn es liegt in der Natur der neapolitanischen Sprache, daß man sie nicht in Verse bringen kann, ohne daß etwas Lächerliches herauskommt. Wozu übrigens sich ärgern, wenn man Lachen erregt? Dieses ist nicht gleichbedeutend mit Spott; wer die Menschen vor Vergnügen zum Lachen bringt, ist stets sicher, geliebt zu werden. Stellen Sie sich nur den eigentümlichen Charakter der neapolitanischen Mundart vor! Wir haben eine Übersetzung der Bibel und eine der Ilias, und beide reizen zum Lachen.«

»Von der Bibel will ich es gern glauben; aber von der Ilias überrascht es mich.«

»Es ist aber doch wahr.«

Ich kehrte erst am Tage vor der Abreise des Fräuleins de la Meure, die inzwischen Frau P. geworden war, nach Paris zurück. Ich glaubte nicht umhin zu können, Frau *** aufzusuchen, um meiner früheren Geliebten Glück und gute Reise zu wünschen. Ich fand sie fröhlich und vollkommen zufrieden; weit entfernt, mich zu ärgern, freute ich mich darüber; dies war ein sicheres Zeichen meiner völligen Heilung. Wir sprachen ganz ungezwungen miteinander, und ihr Gatte schien ein vortrefflicher Mann zu sein. Auf ihr Bitten versprach ich ihr, sie in Dünkirchen zu besuchen, obwohl ich nicht im entferntesten daran dachte, mein Wort zu halten; aber die Umstände fügten es anders.

Tiretta blieb nun also allein mit seinem Püppchen. Sie wurde von Tag zu Tag verrückter und immer mehr in ihren Lindor verliebt, der ihr so zahlreiche Beweise seiner Liebe und Treue gab.

Ich selber machte in dem ruhigen Leben, das ich nun führte, wie ein Schüler in platonischer Liebe meiner Manon Baletti den Hof, und diese gab mir täglich irgendeinen neuen Beweis der Fortschritte, die ich in ihrem Herzen machte.

Die Gefühle der Freundschaft und Achtung, die mich mit ihrer Familie verbanden, schlossen jeden Gedanken an Verführung aus; da ich aber immer verliebter wurde und nicht daran dachte, um ihre Hand anzuhalten, so wurde es mir schwer, mir selber Rechenschaft zu geben, was ich eigentlich bezweckte; ich ließ mich gedankenlos gehen, wie ein unbewegter Körper, der von der Strömung fortgetrieben wird.

Im Anfang des Monats Mai schrieb Abbé de Bernis mir, ich möchte ihn in Versailles aufsuchen, mich aber vorher beim Abbé de la Ville einfinden. Dieser empfing mich mit der Frage, ob ich mir wohl zutraue, acht oder zehn Kriegsschiffe, die auf der Reede von Dünkirchen lägen, zu besuchen, indem ich auf geschickte Weise mit den befehligenden Offizieren Bekanntschaft machte, so daß ich imstande wäre, ihm einen ausführlichen Bericht über die Verproviantierung jeder Art, die Anzahl der Matrosen jedes Schiffes, den Vorrat an Munition, die Verwaltung, die Polizei usw. einzureichen.

»Ich werde den Versuch machen; nach meiner Rückkehr werde ich Ihnen den Bericht einreichen, und Sie werden mir sagen, ob ich meine Sache gut gemacht habe.«

»Da es sich um eine geheime Sendung handelt, kann ich Ihnen keinen Brief geben; ich kann Ihnen nur eine glückliche Reise wünschen und Geld geben.«

»Ich will kein Geld zum voraus, Herr Abbé; wenn ich wieder zurück bin, können Sie mir geben, was ich nach Ihrer Meinung verdient habe. Bis zur Abreise brauche ich mindestens drei Tage; denn ich muß mir erst einige Empfehlungsbriefe verschaffen.«

»Nun, suchen Sie nur bis Ende des Monats wieder hier zu sein. Weiter ist nichts nötig.«

An demselben Tage hatte ich im Palais Bourbon eine Unterhaltung mit meinem Beschützer; er bewunderte mein Zartgefühl, daß ich keine Vorauszahlung hatte annehmen wollen, und benutzte sogleich den Umstand, um mich in seiner vornehmen Weise zu nötigen, eine Rolle von hundert Louis anzunehmen. Seitdem habe ich mich nicht mehr in der Notwendigkeit befunden, die Börse des freigebigen Mannes in Anspruch zu nehmen, nicht einmal in Rom, wo ich ihn vierzehn Jahre später traf.

»Da es sich um einen geheimen Auftrag handelt, mein lieber Casanova, so kann ich Ihnen keinen Paß geben; es tut mir leid, aber Sie würden sich dadurch verdächtig machen. Um diesem Übelstande abzuhelfen, werden Sie sich leicht unter irgendeinem Vorwand einen Paß vom Ersten Edelmann der Kammer verschaffen können. Am besten wird Ihnen hierbei Sylvia behilflich sein können. Sie sehen wohl ein, wie vorsichtig Sie sich benehmen müssen. Vermeiden Sie besonders, sich in irgendwelche Händel einzulassen; denn Sie wissen wohl, daß Ihnen eine Berufung auf Ihren Auftraggeber nichts nützen würde, falls Ihnen irgendetwas zustoßen sollte. Man würde gezwungen sein, Sie zu verleugnen; denn die einzigen anerkannten Spione sind die Gesandten. Vergessen Sie nicht, daß Sie mehr Zurückhaltung und Umsicht beobachten müssen als diese; daß Sie aber, wenn Sie Erfolg haben wollen, diese beiden Eigenschaften nicht merken lassen dürfen, sondern daß Sie ungezwungen und natürlich auftreten müssen, um Vertrauen zu erwecken. Wenn Sie mir nach Ihrer Rückkehr Ihren Bericht vorlegen wollen, ehe Sie ihn dem Abbé de la Ville einreichen, so werde ich Ihnen sagen, was etwa gestrichen oder hinzugefügt werden könnte.«

Ganz voll von dieser Angelegenheit, von deren Bedeutung ich mir eine um so übertriebenere Vorstellung machte, als ich ein villiger Neuling war, sagte ich zu Sylvia, ich wünschte einige mir bekannte Engländer nach Calais zu begleiten und sie würde mir ein Vergnügen machen, wenn sie mir vom Herzog von Gesvres einen Paß verschaffte. Die würdige Dame, die mir gern in allen Dingen gefällig war, schrieb sofort einen Brief an den Herzog; sie sagte mir, ich müßte diesen selbst bestellen, weil derartige Pässe nur mit einer genauen Beschreibung der empfohlenen Person ausgestellt würden. Sie galten nur für die sogenannte Isle-de-France, aber sie wurden im ganzen Norden des Reiches anerkannt.

Mit Sylvias Empfehlung versehen und von ihrem Mann begleitet, begab ich mich zum Herzog, der auf seinem Landgut St. Quen war; kaum hatte er den von mir überreichten Brief angesehen, so ließ er mir den Paß ausstellen. Nachdem dieses in Ordnung war, fuhr ich nach La Villette, um Frau *** zu fragen, ob sie mir etwas für ihre Nichte aufzutragen hätte. »Sie könnten ihr«, antwortete sie, »den Kasten mit den Porzellanfiguren bringen, wenn Herr Corneman sie noch nicht geschickt hat.« Ich suchte den Bankier auf, erhielt den Kasten und gab ihm hundert Louis gegen einen Kreditbrief auf ein Dünkirchener Haus, indem ich ihn bat, mich ganz besonders zu empfehlen, da ich zu meinem Vergnügen hinginge. Herr Corneman tat dies alles mit Vergnügen und ich reiste denselben Abend ab; drei Tage später stieg ich in Dünkirchen im Gasthof zur Conciergerie ab.

Eine Stunde nach meiner Ankunft überraschte ich die liebenswürdige Frau P. auf die angenehmste Weise, indem ich ihr den Kasten nebst Grüßen von ihrer Tante überbrachte. Während sie mir ihren Mann lobte, der sie glücklich mache, trat dieser ein. Er war hocherfreut, mich zu sehen, und bot mir ein Zimmer an, ohne mich zu fragen, ob ich mich längere oder kürzere Zeit in Dünkirchen aufhalten werde. Ich dankte ihm natürlich, versprach ihm zuweilen zum Essen zu kommen und bat ihn, mich zu dem Bankier zu führen, an welchen mich Herr Corneman empfohlen hatte.

Der Bankier hatte kaum meinen Brief gelesen, so zählte er mir hundert Louis auf und bat mich, ihn gegen Abend in meinem Gasthof zu erwarten; er werde mich mit dem Kommandanten abholen. Dieser, ein Herr de Barail, war sehr höflich, wie es die Franzosen im allgemeinen sind, und bat mich, nachdem er die üblichen Fragen an mich gerichtet hatte, mit ihm und seiner Gemahlin, die noch im Theater war, zu Abend zu speisen. Die Dame nahm mich ebenso freundlich auf wie ihr Mann. Nach dem ausgezeichneten Abendessen erschienen noch mehrere Personen, und man begann zu spielen; ich nahm jedoch nicht daran teil, da ich zuerst die Anwesenden studieren wollte, besonders mehrere Land- und Seeoffiziere, die sich unter der Gesellschaft befanden. Indem ich mit Vorliebe von allen europäischen Flotten sprach und mich für einen Kenner ausgab, da ich im Seeheere meiner kleinen Republik gedient hätte, so brauchte ich nur drei Tage, um nicht nur alle Linienschiffskapitäne persönlich kennen zu lernen, sondern sogar mit ihnen befreundet zu werden. Ich sprach ins Blaue hinein über den Bau von Kriegsschiffen und über die venetianische Art des Manövrierens und ich bemerkte, daß die braven Seeleute mir mit noch größerer Teilnahme zuhörten, wenn ich Dummheiten sagte, als wenn ich etwas Gutes vorbrachte.

Am vierten Tage lud einer von diesen Kapitänen mich zum Essen an Bord seines Schiffes ein, und dies genügte für mich, um von allen anderen ebenfalls eingeladen zu werden. Der Kapitän, der mir die Ehre erwies, behielt mich den ganzen Tag bei sich. Ich zeigte mich neugierig nach allem, und Seeleute sind so vertrauensselig! Ich stieg in den Schiffsraum hinunter, stellte hundert Fragen und fand so viele junge Offiziere, die gerne wichtig taten, daß es mir keine Mühe machte, sie zum Plaudern zu bringen. Ich ließ mir im Vertrauen alles sagen, was ich für meinen Bericht nötig hatte; sobald ich am Abend zu Hause war, brachte ich sehr sorgfältig alle meine Beobachtungen, gute wie schlechte, zu Papier. Ich schlief nur vier oder fünf Stunden, und in vierzehn Tagen glaubte ich genügend Bescheid zu wissen.

Von Liebeleien, Spiel und den Leichtfertigkeiten, denen ich mich für gewöhnlich hingab, war auf dieser Reise gar nicht die Rede; meine Sendung beschäftigte mich ganz und gar und lenkte alle meine Schritte. Ich dinierte nur ein einziges Mal bei Cornemans Bankier, einmal bei Frau P. in der Stadt und ein anderes Mal in einem hübschen Landhause eine Stunde von Dünkirchen, das ihr Gatte besaß. Sie fuhr mit mir hinaus, und bei meinem Zusammensein mit dieser Frau, die ich so sehr geliebt hatte, entzückte ich sie durch mein zartfühlendes Benehmen; denn ich bezeigte ihr nur meine ehrfurchtvolle Freundschaft. Da ich sie reizend fand und meine Verbindung mit ihr erst seit sechs Wochen zu Ende war, so war ich erstaunt über die Ruhe meiner Sinne, denn ich kannte mich selber zu gut, um meine Zurückhaltung meiner Tugend zuzuschreiben. Woher kam das? Ein italienisches Sprichwort, das die Natur erklärt, gibt den richtigen Grund an: La monna non vuol pensiere – Die Frau verträgt keinen anderen Gedanken, und mein Kopf war voll von solchen.

Da ich mit meinem Auftrage fertig war, verabschiedete ich mich von allen Bekannten und setzte mich in meinen Postwagen, um nach Paris zurückzufahren. Zu meinem Vergnügen wählte ich einen anderen Weg als den, auf welchem ich gekommen war. Gegen Mitternacht verlangte ich auf irgendeiner Poststation Pferde, aber man machte mich darauf aufmerksam, daß die nächste Poststelle die Festung Aire sei, und daß man dort bei Nacht nicht Einlaß finde. »Pferde her!« rief ich; »ich werde mir öffnen lassen.« Man gehorchte mir, und bald waren wir vor dem Tor der Festung. Der Kutscher knallte mit der Peitsche.

»Wer da?«

»Kurier!«

Nachdem man mich eine Stunde hatte warten lassen, öffnete man das Tor und sagte, ich müßte mit dem Kommandanten sprechen. Fluchend, wie wenn ich eine Person von Bedeutung wäre, gehorchte ich. Man führte mich vor den Alkoven eines Mannes, der mit einer eleganten Nachtmütze auf dem Kopf an der Seite einer sehr hübschen Frau im Bett lag.

»Für wen sind Sie Kurier?«

»Für niemanden; aber da ich es eilig habe…«

»Genug. Wir werden morgen darüber sprechen; einstweilen bleiben Sie in der Wachtstube. Lassen Sie mich schlafen!«

»Aber, Herr Kommandant…«

»Bitte, jetzt kein aber; gehen Sie.«

Man führte mich in die Wachtstube, wo ich die Nacht sitzend auf der Erde verbrachte. Sobald der Tag erscheint, mache ich Lärm. Ich schreie, ich fluche: ich will abreisen. Kein Mensch antwortet mir.

Es schlägt zehn Uhr. Über alle Maßen ungeduldig, schreie ich den Offizier an und sage ihm: der Kommandant habe es allerdings in der Macht, mich ermorden zu lassen; aber man könne mir nicht Schreibzeug verweigern und müsse mir die Freiheit lassen, einen Kurier nach Paris zu schicken.

»Bitte, wie ist Ihr Name, mein Herr?«

»Hier ist mein Paß.«

Er sagt mir, er werde ihn dem Kommandanten bringen; ich reiße ihm das Papier aus der Hand.

»Wünschen Sie, daß ich Sie zu ihm führe?«

»Gern.«

Wir gehen. Der Offizier tritt zuerst ein und holt mich zwei Minuten darauf, um mich vorzustellen. Ich überreiche mit stolzer Miene und schweigend meinen Paß. Der Kommandant liest ihn, sieht mich prüfend an, um sich zu überzeugen, daß die Beschreibung stimmt, gibt mir den Paß zurück, sagt mir, ich sei frei, und befiehlt dem Offizier, mir Postpferde verabfolgen zu lassen.

»Jetzt, Herr Kommandant, habe ich es nicht mehr so eilig. Ich werde einen Kurier nach Paris schicken und dessen Rückkehr abwarten. Indem Sie meine Reise verzögerten, haben Sie das Völkerrecht verletzt.«

»Im Gegenteil, Sie haben es verletzt, indem Sie sich für einen Kurier ausgaben.«

»Ich habe Ihnen im Gegenteil gesagt, ich sei es nicht.«

»Ja, aber Sie haben es dem Postillon gesagt, und das genügt.«

»Der Postillon hat gelogen; denn ich habe ihm nichts weiteres gesagt, als daß ich mir würde öffnen lassen.«

»Warum haben Sie mir nicht Ihren Paß gezeigt?«

»Warum haben Sie mir nicht die Zeit dazu gelassen? Übrigens werden wir ja in drei oder vier Tagen sehen, wer von uns beiden recht hat.«

»Tun Sie, was Ihnen beliebt.«

Ich ging; der Offizier führte mich nach der Post, und gleich darauf sah ich meinen Wagen kommen. Die Post war zugleich Gasthof; ich wandte mich an den Posthalter und sagte ihm, er solle mir einen Boten bereit halten, mir ein gutes Zimmer mit einem guten Bett geben und mir eine gute Fleischbrühe auftragen lassen. Später würde ich zu Mittag essen, und ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich gewohnt sei, gut zu leben. Ich ließ meinen Koffer und alle Sachen, die ich in meinem Wagen hatte, auf mein Zimmer bringen. Nachdem ich mich ausgezogen und gewaschen hatte, setzte ich mich zum Schreiben hin; nur wußte ich nicht, an wen ich schreiben sollte, denn im Grunde hatte ich unrecht. Aber ich hatte mich nun einmal darauf eingelassen, den Wichtigen zu spielen, und ich glaubte es meiner Ehre schuldig zu sein, die Rolle durchzuführen; zurückweichen konnte ich ja immer noch. Nur ärgerte ich mich, daß ich mich verpflichtet hatte, in Aire zu bleiben, bis der Kurier zurückkehrte, den ich in den Mond schicken wollte. Indessen, da ich die ganze Nacht kein Auge hatte schließen können, so hatte ich immerhin die Aussicht, zu Bett zu gehen und mich auszuruhen. Ich war im Hemde und trank gerade die Fleischbrühe, die man mir gebracht hatte, als ich den Kommandanten ganz allein eintreten sah. Sein Erscheinen überraschte mich und machte mir Vergnügen.

»Das Vorgefallene tut mir leid, mein Herr, besonders deshalb, weil Sie Grund zur Klage zu haben glauben, während ich doch nur meine Pflicht getan habe; denn wie in aller Welt konnte ich annehmen, daß Ihr Postkutscher Sie ohne Ihren Befehl als Kurier ausgegeben hätte?«

»Dies ist alles sehr schön, Herr Kommandant; aber Ihre Pflicht ging nicht so weit, mich aus Ihrem Zimmer zu weisen.«

»Ich hatte Schlaf nötig.«

»Ich befinde mich jetzt in dem gleichen Fall, aber die Höflichkeit verhindert mich, es ebenso zu machen wie Sie.«

»Darf ich mir erlauben, Sie zu fragen, ob Sie jemals gedient haben?«

»Ich habe zu Lande und zu Wasser gedient, und ich verließ den Dienst in einem Alter, wo viele erst anfangen.«

»Dann müssen Sie wissen, daß man bei Nacht die Tore einer Festung nur königlichen Kurieren oder höheren militärischen Befehlshabern öffnet.«

»Allerdings; aber sobald man das Tor einmal geöffnet hatte, war es geschehen; und wenn etwas nicht mehr zu ändern ist, kann man höflich sein.«

»Sind Sie der Mann, sich anzukleiden und einen Spaziergangs, mit mir zu machen?«

Sein Vorschlag gefiel mir um so mehr, als der Gedanke mich geärgert hatte, daß er mich mit hochmütigem Stolz behandelte. Schnell einen Degenstoß auszuteilen oder zu empfangen, hatte für mich großen Reiz, zumal da hierdurch alle Schwierigkeiten beseitigt wurden und ich aus aller Verlegenheit herauskam. Ich antwortete ihm ruhig und ehrerbietig, die Ehre mit ihm einen Spaziergang zu machen veranlasse mich, jedes andere Geschäft aufzuschieben. Ich bat ihn höflich, solange Platz nehmen zu wollen, bis ich mich schnell angezogen hätte.

Ich zog meine Hosen an und warf die prachtvollen Pistolen, die ich in den Taschen hatte, auf das Bett; ich ließ den Friseur heraufkommen, und in zehn Minuten war ich mit dem Anziehen fertig. Ich schnallte meinen Degen um, und wir gingen.

Ziemlich schweigsam durchschritten wir zwei oder drei Straßen, traten durch einen Torweg in einen Hof, den ich für einen Durchgang hielt, und hielten in der Ecke vor einer Türe still. Mein Führer lud mich ein, einzutreten, und ich sah mich plötzlich in einem schönen Saal mit zahlreicher Gesellschaft. Ich dachte gar nicht daran, mich zurückzuziehen, sondern fühlte mich sofort wie zu Hause.

»Dies, mein Herr, ist meine Frau; und dies«, fuhr er ohne Unterbrechung fort, »ist Herr von Casanova, der mit uns speisen wird.«

»Es freut mich außerordentlich, mein Herr; denn sonst würde ich Ihnen nie verziehen haben, daß Sie mich heute Nacht haben wecken lassen.«

»Mein Vergehen habe ich allerdings grausam gebüßt, gnädige Frau; aber nachdem ich ein solches Fegefeuer überstanden habe, erlauben Sie mir nun, mich in diesem Paradiese glücklich zu fühlen.«

Sie sah mich mit einem reizenden Lächeln an und lud mich ein, neben ihr Platz zu nehmen. Sie setzte ihre Spielpartie fort, zugleich aber auch die Unterhaltung mit mir, soweit eben die Aufmerksamkeit auf die Karten es erlaubte.

Ich sah, daß ich nach allen Regeln der Kunst angefühlt worden war, aber die Mystifikation war so anmutig, daß ich nicht daran denken konnte, mich darüber zu ärgern. Mir blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zu machen, und dies fiel mir um so leichter, da ich mich auch mit aufrichtigem Vergnügen von der törichterweise auf mich genommenen Verpflichtung befreit sah, einen Kurier ins Blaue hineinzuschicken.

Der Kommandant, seines Sieges froh und im geheimen stolz darauf, war plötzlich heiter geworden; er sprach von Kriegs-, Hof- und Staatsangelegenheiten und richtete oft das Wort an mich, mit jener Liebenswürdigkeit und Ungezwungenheit, die die gute Gesellschaft Frankreichs so trefflich mit der Beobachtung der Formen zu vereinigen weiß; man hätte schwerlich erraten können, daß jemals ein Streit zwischen uns vorgefallen war. Er hatte diese angenehme Lage herbeizuführen gewußt und war dadurch zum Helden des Stückes geworden; aber wenn ich auch nur in zweiter Reihe stand, so glänzte ich darum doch nicht weniger; denn aus allem ging hervor, daß ich einen alten höheren Offizier zu nötigen gewußt hatte, mir eine Genugtuung zu geben, die um so schmeichelhafter war, da sie bewies, daß ich ihm trotz meiner jugendlichen Unbesonnenheit Achtung eingeflößt hatte.

Das Essen wurde aufgetragen. Da der Erfolg meiner Rolle nur davon abhing, wie ich sie spielte, so bin ich selten besser aufgelegt gewesen als bei diesem Essen, wo nur angenehme Gespräche geführt wurden; besonders ließ ich es mir angelegen sein, die Frau Kommandantin glänzen zu lassen. Sie war eine reizende Frau, sehr hübsch und noch jung, denn sie war mindestens dreißig Jahre jünger als ihr teurer Gatte. Von dem Mißverständnis, dem ich einen sechsstündigen Aufenthalt in der Wachtstube verdankte, wurde kein Wort gesprochen; aber beim Nachtisch hätte der Kommandant durch eine überflüssige Frozzelei beinahe etwas Böses angerichtet.

»Es war sehr gütig von Ihnen, zu glauben, daß ich mich mit Ihnen schlagen würde. Ich habe Sie auf einen Leim gelockt.«

»Wer sagt Ihnen, daß ich an ein Duell geglaubt habe?«

»Gestehen Sie, Sie haben daran geglaubt.«

»Ich bestreite es; denn zwischen glauben und vermuten ist ein großer Unterschied. Das eine ist positiv, das andere rechnet nur mit einer gewissen Möglichkeit, übrigens gebe ich zu, daß Ihre Einladung zu einem Spaziergang mich neugierig gemacht hatte, zu erfahren, worauf Sie hinauswollten, und ich bewundere Ihren Geist. Indessen werden Sie mir wohl glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß ich mich durchaus nicht für angeführt halte; ich fühle mich ganz im Gegenteil so befriedigt, daß ich Ihnen dankbar bin.«

»Und wenn mir, mein Herr, nach dem Vorgefallenen noch ein Bedauern bleibt, so ist es das, Sie nicht noch länger besitzen zu können.«

Das Kompliment war schmeichelhaft und ich würde darauf erwidert haben, wenn man nicht im selben Moment von Tische aufgestanden wäre. Am Nachmittag gingen wir spazieren; ich reichte der gnädigen Frau den Arm, und sie war entzückend; am Abend aber verabschiedete ich mich, und am nächsten Tage reiste ich in der Frühe ab, nachdem ich vorher noch meinen Bericht ins Reine geschrieben hatte.

Um fünf Uhr morgens schlief ich in meinem Wagen, als ich geweckt wurde. Wir waren am Tore von Amiens. Der Lästige, der an meinem Wagenschlage stand, war ein Zollbeamter, gehörte also zu einer überall und nicht ohne Grund verabscheuten Menschenklasse; denn abgesehen davon, daß diese Leute im allgemeinen unhöflich und schikanös sind, so macht nichts die Sklaverei so fühlbar, wie ihr zudringliches Nachspüren, das sich sogar auf das Handgepäck und auf die geheimsten Kleidungsstücke erstreckt. Der Beamte fragte mich, ob ich nichts Verbotenes bei mir habe. Ich war schlechter Laune, wie jeder Mensch, der aus süßem Schlaf gerissen wird, um eine lästige Frage beantworten zu müssen; ich antwortete ihm fluchend: »Nein! Sie hätten mich wohl auch schlafen lassen können.«

»Da Sie grob sind,« versetzte der Kerl, »so wollen wir doch mal sehen.«

Er befahl dem Postillon, mit meinem Wagen hineinzufahren, und ließ meine Koffer abschnallen. Ich konnte ihn daran nicht hindern, ballte die Fäuste im Sack und schwieg.

Ich merkte, welchen Fehler ich gemacht hatte, aber daran war nichts mehr zu ändern, übrigens hatte ich nichts Steuerpflichtiges und brauchte deshalb auch nichts zu befürchten; aber mein Ungestüm sollte mir zwei langweilige Stunden kosten. Das Vergnügen der Rache stand auf ihren unverschämten Gesichtern geschrieben. Zu jener Zeit waren die Steuerbeamten in Frankreich der Abschaum des gemeinsten Gesindels; aber wenn sie sich von vornehmen Leuten höflich behandelt sahen, setzten sie eine Ehre darein, umgänglich zu sein. Ein Vierundzwanzigsousstück freundlich ihnen in die Hand gedrückt, machte sie geschmeidig wie einen Handschuh. Sie machten den Reisenden ihre Verbeugung und wünschten ihnen gute Reise, ohne sie zu belästigen. Ich wußte das; aber es gibt Augenblicke, wo der Mensch ohne Überlegung handelt, und dies war mir passiert; dafür mußte ich nun leiden.

Die Henkersknechte packten meine Koffer aus und breiteten sogar meine Hemden aus, weil ich nach ihrer Behauptung zwischen diesen englische Spitzen versteckt haben könnte.

Nachdem sie alles durchsucht hatten, gaben sie mir meine Schlüssel wieder; aber damit war die Sache noch nicht zu Ende: mein Wagen mußte auch noch durchsucht werden. Der Halunke, der dies zu besorgen hatte, rief plötzlich Viktoria! Er hatte den Rest von einem Pfund Tabak gefunden, das ich nach der Hinreise nach Dünkirchen in St. Omer gekauft hatte.

Sofort befahl der Cartouche der Bande mit triumphierender Stimme, meinen Wagen mit Beschlag zu belegen, und sagte mir, ich hätte außerdem zwölfhundert Franken Buße zu bezahlen.

Nun war aber meine Geduld zu Ende. Ich überlasse es dem Leser, die Namen zu erraten, mit denen ich die Spitzbubengesellschaft belegte; aber gegen Worte waren sie gepanzert. Ich befahl ihnen, mich zum Intendanten zu führen.

»Gehen Sie hin, wenn Sie Lust haben,« antworteten Sie mir; »hier haben Sie keinem was zu befehlen.«

Umgeben von einer großen Anzahl von Neugierigen, die der Lärm angelockt hatte, lief ich mit langen Schritten wie ein Rasender in die Stadt. Ich trat in den ersten Laden ein, den ich offen fand, und bat den Besitzer, mich zum Intendanten führen zu lassen. Ich erzählte, was mir zugestoßen war, und ein anständig aussehender Mann, der sich in dem Laden befand, sagte mir, er werde das Vergnügen haben, mich selber zu ihm zu begleiten, indessen würde ich ihn wahrscheinlich nicht finden, weil man ihn ohne Zweifel schon benachrichtigt hätte.

»Wenn Sie nicht bezahlen oder Bürgschaft stellen, werden Sie schwerlich aus dieser üblen Lage herauskommen.«

Ich bat ihn, mich nur in die Stadt zu führen und im übrigen mich machen zu lassen. Er riet mir, nur das Gesindel, das mich begleitete, vom Halse zu schaffen, indem ich den Leuten einen Louis zum Vertrinken gäbe. Ich bat ihn, dies zu besorgen, gab ihm den Louis, und die Sache war bald in Ordnung. Der Herr war ein ehrenwerter Sachwalter, der seine Leute kannte.

Wir kamen zum Intendanten; aber der Herr war nicht da, wie mein Führer richtig vorausgesehen hatte. Der Hausmeister sagte uns, der Intendant sei allein ausgegangen und würde erst nachts nach Hause kommen; wo der Herr speise, wisse er nicht.

»Nun, so ist der Tag verloren,« sagte der Sachwalter.

»Lassen Sie uns überall suchen, wo er sein kann; er muß doch bestimmte Gewohnheiten, er muß Freunde halben; wir werden ihn entdecken. Ich gebe Ihnen einen Louis für Ihren Tag; wollen Sie mir das Vergnügen machen, ihn mir zu opfern?«

»Sie haben über mich zu verfügen.«

Vier oder fünf Stunden lang suchten wir ihn vergeblich in zehn oder zwölf Häusern. Überall sprach ich mit den Herren und schilderte in übertriebenen Ausdrücken die Geschichte, die man mir auf den Hals geladen hatte. Man hörte mich an, man bedauerte mich; aber man konnte mir zum Troste nichts anderes sagen, als daß er ganz gewiß zum Schlafen nach Hause kommen würde und daß er mich dann wohl anhören müsse. Das konnte mir natürlich nichts nützen, und so setzte ich denn mein Suchen fort.

Um ein Uhr führte mein Sachwalter mich zu einer alten Dame, die in der Stadt ein großes Ansehen genoß. Sie saß ganz allein bei Tisch. Nachdem sie mich aufmerksam angehört hatte, sagte sie mir sehr ruhig, sie glaube keine Indiskretion zu begehen, wenn sie einem Fremden den Aufenthaltsort eines Mannes verrate, der von Berufs wegen niemals unzugänglich sein dürfe.

»Ich kann Ihnen also enthüllen, was kein Geheimnis ist. Meine Tochter sagte mir gestern Abend, sie sei bei Frau N. zum Mittagessen eingeladen, und der Intendant werde ebenfalls dort sein. Gehen Sie also sofort dorthin; Sie werden ihn bei Tische in der allerbesten Gesellschaft von Amiens finden; aber«, fügte sie lächelnd hinzu, »ich rate Ihnen unangemeldet einzutreten. Die Bedienten, die zur Aufwartung bei Tische aus- und eingehen, werden Ihnen den Weg zeigen, ohne daß Sie zu fragen brauchen. Sie werden einfach gegen seinen Willen mit ihm sprechen, und obgleich er Sie nicht kennt, wird er doch von Ihnen die ganz entsetzliche Geschichte hören, die Sie mir in Ihrem gerechten Zorn erzählt haben. Es tut mir nur leid, daß ich bei diesem hübschen Knalleffekt nicht zugegen sein kann.«

Ich empfahl mich der ehrenwerten Dame, indem ich ihr meinen besten Dank aussprach, und begab mich in aller Eile mit meinem Sachwalter, der vor Müdigkeit kaum noch weiter konnte, nach dem mir bezeichneten Ort. Ohne die geringste Schwierigkeit trat ich mit der Dienerschaft und meinem Führer in den Saal, wo mehr als zwanzig Personen an einer reich besetzten Tafel saßen.

»Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, wenn ich in dem schrecklichen Zustand, worin Sie mich sehen, mich gezwungen sehe, Ihre Ruhe und die Freude Ihres Festes zu stören!«

Bei dieser Ansprache, die ich mit der Stimme eines Jupiters Tonans vorbrachte, sprangen alle Anwesenden auf. Meine Haare hingen mir um den Kopf; ich war schweißüberströmt; meine Blicke mußten denen einer Tisiphone gleichen. Man stelle sich die Überraschung vor, die mein Erscheinen in dieser zahlreichen Gesellschaft reizender Frauen und eleganter Kavaliere hervorbringen mußte.

»Seit sieben Uhr früh suche ich von Tür zu Tür in allen Straßen dieser Stadt den Herrn Intendanten, den ich glücklicherweise endlich hier finde, denn ich weiß bestimmt, daß er hier ist, und wenn er Ohren hat, so weiß ich, daß er in diesem Augenblick mich hört. Daher sage ich ihm: er befehle sofort seinen niederträchtigen Trabanten, die meinen Wagen mit Beschlag belegt haben, daß sie mich freilassen, damit ich meine Reise fortsetzen kann. Wenn die Steuergesetze befehlen, daß ich für sieben Unzen Tabak, den ich zu meinem eigenen Gebrauch bei mir habe, zwölfhundert Franken bezahlen soll, so erkenne ich diese Gesetze nicht an und erkläre dem Herrn, daß ich keinen Heller bezahlen will. Ich werde hier bleiben und werde einen Kurier an meinen Gesandten schicken, der sich darüber beschweren wird, daß man an meiner Person in der Isle de France das Völkerrecht verletzt hat. Ich werde Genugtuung erhalten. Ludwig der Fünfzehnte ist so groß, daß er sich nicht zum Mitschuldigen eines so ungeheuerlichen Meuchelmordes wird machen wollen. Wenn man mir nicht die Genugtuung gewährt, die ich mit vollem Recht verlange, so wird hieraus eine Staatsangelegenheit entstehen; denn meine Republik wird Vergeltung üben, nicht, indem sie Franzosen wegen einiger Prisen Tabak ermorden läßt, sondern indem sie sie ohne Ausnahme ausweist. Hier steht geschrieben, wer ich bin; lesen Sie!«

Schäumend vor Wut werfe ich meinen Paß auf den Tisch. Ein Herr ergreift ihn und liest ihn; ich weiß also, daß dies der Intendant ist. Mein Dokument ging von Hand zu Hand, und ich bemerkte Überraschung und Unwillen auf allen Gesichtern. Der Herr Intendant jedoch sagte mir hochfahrend: er sei in Amiens, um die Verordnungen ausfühlen zu lassen; ich könnte daher nur abreisen, wenn ich bezahlte oder Bürgschaft stellte.

»Wenn dies Ihres Amtes ist, so müssen Sie meinen Paß als eine Verordnung betrachten, und ich fordere Sie auf, selber für mich Bürgschaft zu leisten, wenn Sie ein Edelmann sind.«

»Leistet bei Ihnen der Adel Bürgschaft für Gesetzesübertreter?«

»Bei uns erniedrigt der Adel sich nicht so weit, entehrende Ämter auszuüben.«

»Im Dienste des Königs gibt es kein entehrendes Amt.«

»Wenn ich zum Henker spräche, würde er mir dasselbe antworten.«

»Mäßigen Sie Ihre Ausdrücke.«

»Mäßigen Sie Ihre Handlungen! Erfahren Sie, mein Herr, daß ich ein freier Mann bin, daß ich Gefühl habe, daß man mich beschimpft hat, und vor allem, daß ich keine Furcht habe. Ich fordere Sie heraus, mich zum Fenster hinauswerfen zu lassen!«

»Mein Herr,« sagt jetzt eine Dame in bestimmtem Ton zu mir, »in meinem Hause wirft man niemanden zum Fenster hinaus.«

»Gnädige Frau, in seinem Zorn braucht der Mensch Ausdrücke, die sein Herz und sein Geist verleugnen; ich leide unter der Aufregung, in die eine schreiende Ungerechtigkeit mich versetzt hat, und ich bitte Sie fußfällig um Verzeihung, daß ich Sie beleidigt habe. Bedenken Sie gütigst, daß ich zum erstenmal in meinem Leben mich unterdrückt und beschimpft sehe, und zwar in einem Reiche, wo ich nur gegen gewalttätige Angriffe der Straßenräuber auf der Hut sein zu müssen glaubte. Für diese habe ich Pistolen, für die Herren da habe ich einen Paß; aber ich finde, daß er wertlos ist. Übrigens habe ich gegen Unverschämte stets meinen Degen. Wegen sieben Unzen Tabak, die ich vor drei Wochen in St. Omer gekauft habe, plündert dieser Herr mich aus und unterbricht meine Reise, während der König mir verbürgt, daß kein Mensch sie zu unterbrechen wagen darf; man verlangt von mir fünzig Louis; man liefert mich der Wut unverschämter Beamter aus, dem Gelächter einer frechen Volksmenge, von der der brave Mann, den Sie hier sehen, mich nur durch Geld befreit hat; ich sehe mich wie einen Verbrecher behandelt, und der Mann, der mich verteidigen, ja mich beschützen soll, verbirgt sich, versteckt sich vor mir, und fügt den von mir erlittenen Beschimpfungen noch neue hinzu! Seine Sbirren, die am Tor dieser Stadt Wache halten, haben meine Kleider durchwühlt, meine Wäsche und meine Spitzen zerknittert, um sich zu rächen und mich dafür zu bestrafen, daß ich ihnen nicht ein Vierundzwanzigsousstück gegeben habe. Was mir widerfahren ist, wird morgen die große Neuigkeit für das diplomatische Korps in Versailles, für ganz Paris sein, und in einigen Tagen wird man es in allen Zeitungen lesen. Ich will nichts bezahlen, weil ich nichts schuldig bin. Sprechen Sie, Herr Intendant: Soll ich einen Kurier an den Herzog von Gesvres schicken?«

»Bezahlen Sie! Und wenn Sie das nicht wollen, so machen Sie, wozu Sie Lust haben.«

»Leben Sie wohl, meine Damen und Herren, und Ihnen, Herr Intendant, sage ich: Auf Wiedersehen!«

Im Augenblick, wo ich wie ein Rasender hinausstürzen wollte, hörte ich eine Stimme, die mir in gutem Italienisch zurief, ich möchte noch einen Augenblick warten. Ich kehrte um und erblickte einen Herrn in reiferen Jahren, der zum Intendanten sagte: »Befehlen Sie, den Herrn abreisen zu lassen; ich bürge für ihn. Verstehen Sie mich, Herr Intendant? Ich bürge für den Herrn. Sie kennen den Hitzkopf eines Italieners nicht. Ich habe in Italien den ganzen letzten Krieg mitgemacht, und da habe ich Gelegenheit gehabt, den Charakter des Volkes kennen zu lernen; übrigens finde ich, daß der Herr recht hat.«

»Sehr wohl,« sagte der Intendant zu mir, »bezahlen Sie nur dreißig oder vierzig Franken im Bureau; denn es sind bereits Schreibgebühren aufgelaufen.«

»Ich glaube Ihnen gesagt zu haben, daß ich keinen Heller bezahlen will, und ich wiederhole es Ihnen. Aber wer sind denn Sie,« wandte ich mich an den freundlichen alten Herrn, »daß Sie für mich Bürgschaft leisten wollen, ohne mich zu kennen?«

»Ich bin Kriegskommissär, mein Herr, und heiße de la Bretonnière. Ich wohne in Paris im Hotel de Saxe, in der Rue du Colombier; übermorgen werde ich dort sein und Sie alsdann mit Vergnügen sehen. Wir werden zusammen zu Herrn Britard gehen, der mich, sobald ihm Ihre Angelegenheit auseinandergesetzt wird, von der Bürgschaft entbinden wird, die ich mit großem Vergnügen für Sie angeboten habe.«

Nachdem ich ihm meine herzliche Dankbarkeit ausgesprochen und ihm versichert hatte, daß ich mich bestimmt bei ihm einfinden würde, richtete ich einige Worte der Entschuldigung an die Herrin des Hauses und an die übrigen Gäste und ging.

Ich nahm meinen ehrenwerten Sachwalter mit mir zum Essen in den besten Gasthof der Stadt und gab ihm aus Dankbarkeit einen Doppellouisdor für seine Mühe. Ohne diesen Mann und den braven Kriegskommissär wäre ich in großer Verlegenheit gewesen: ich hätte den Krieg des irdenen Topfes gegen den eisernen geführt; denn gegen hohe Beamte bekommt man niemals recht, sobald die Willkür sich hineinmischt. Obgleich es mir nicht an Geld fehlte, hätte ich mich niemals dazu entschließen können, mir vor meinen offenen Augen von den elenden Spitzbuben fünfzig Louis stehlen zu lassen.

Mein Wagen stand fertig eingespannt vor der Tür des Gasthofes; im Augenblick, wo ich einstieg, erschien einer von den Beamten, die mich visitiert hatten, und sagte mir, ich würde in meinem Wagen alles vorfinden, was darin gewesen wäre.

»Das würde mich von Leuten Eures Schlages überraschen: werde ich auch meinen Tabak finden?«

»Der Tabak, mein Prinz, ist konfisziert worden.«

»Das tut mir Euretwegen leid; denn ich hätte Euch einen Louis gegeben.«

»Ich werde den Tabak augenblicklich holen.«

»Ich habe keine Zeit mehr zu warten. Los, Kutscher!«

Am nächsten Tage kam ich in Paris an, und am vierten Tage ging ich zu Herrn de la Bretonnière, der mich aufs beste aufnahm. Er führte mich zum Generalpächter Britard, der ihn von seiner Bürgschaft entband. Herr Billard war ein sehr liebenswürdiger junger Mann; er errötete über die Behandlung, die ich erduldet hatte. Ich brachte meinen Bericht dem Minister ins Hotel Bourbon, und Seine Exzellenz widmete mir zwei Stunden und ließ mich alles Überflüssige streichen. Die ganze Nacht hindurch schrieb ich den Bericht ins Reine, und am nächsten Morgen brachte ich ihn nach Versailles zum Abbé de la Ville, der ihn mit kalter Miene durchlas und mir dann sagte, er werde mir das Ergebnis mitteilen. Einen Monat später erhielt ich fünfhundert Louis und hatte das Vergnügen, zu erfahren, daß der Marineminister, Herr de Crémille, meinen Bericht nicht nur vollkommen genau, sondern sogar sehr belehrend gefunden habe. Mehrere begründete Bedenken hielten mich ab, mich als Verfasser zu nennen, obwohl Herr von Bernis mir diese Ehre verschaffen wollte.

Als ich ihm die beiden Abenteuer erzählte, die mir unterwegs zugestoßen waren, lachte er darüber; aber er sagte mir, die Tüchtigkeit eines Menschen, der mit einem geheimen Auftrag betraut sei, bestehe darin, sich niemals in Händel einzulassen; denn selbst wenn er das Talent habe, sich herauszuziehen, mache er doch von sich reden; und gerade dies müsse er sorgfältig vermeiden.

Dieser Auftrag kostete der Marine zwölftausend Franken, und der Minister hätte alle Auskünfte, die ich ihm lieferte, sich leicht verschaffen können, ohne einen Heller dafür auszugeben. Der erste beste Offizier hätte ihn ebenso gut bedienen können wie ich und würde allen Eifer und alle Vorsicht aufgeboten haben, um sich sein Lob zu erwerben. Aber so waren damals in Frankreich alle Minister. Sie verschwendeten das Geld, das ihnen nichts kostete, um ihre Kreaturen zu bereichern. Sie waren Despoten; das Volk wurde mit Füßen getreten und kam für sie nicht in Betracht; der Staat war überschuldet, und die Finanzen befanden sich in dem schlechten Zustande, der unter diesen Umständen unvermeidlich war. Eine Revolution war notwendig, das glaube ich wohl; aber es brauchte keine blutige Revolution zu sein, es mußte eine moralische und patriotische sein. Doch der Adel und die Geistlichkeit fühlten nicht hochherzig genug, um einige für den König, den Staat und sie selber notwendige Opfer zu bringen.

Sylvia fand meine Abenteuer in Aire und Amiens sehr scherzhaft, und ihre reizende Tochter zeigte sich sehr teilnehmend wegen der schlechten Nacht, die ich in der Wachtstube verbracht hatte. Ich sagte ihr, ich würde sie viel schmerzhafter gefunden haben, wenn ich eine Frau bei mir gehabt hätte. Sie antwortete mir, wenn diese Frau gut gewesen wäre, würde sie sich beeilt haben, meine Leiden mit mir zu teilen und dadurch zu lindern. Ihre Mutter machte sie jedoch darauf aufmerksam, daß eine ordentliche und kluge Frau zunächst meinen Wagen und meine Sachen in Sicherheit gebracht und dann sofort die nötigen Schritte getan hätte, um mir meine Freiheit zu verschaffen. Ich pflichtete ihr bei und machte der Tochter begreiflich, daß auf diese Art eine Frau am besten ihre Pflicht erfüllt.