Viertes Kapitel


Meine Abreise von Grenoble. – Avignon. – Der Quell von Vaucluse. – Die falsche Astraudy und die Bucklige. – Gaetano Costa. – Meine Ankunft in Marseille.

Während die drei Mädchen des Hausmeisters meinem Leduc beim Kofferpacken halfen, kam der Wirt herein und übergab mir seine Rechnung. Ich fand diese angemessen und bezahlte sie, worauf er mir seine Freude äußerte, daß ich sein Haus beehrt hätte. Ich sprach ihm hierauf meine Zufriedenheit aus, wie es sich gehörte, worüber er sich sehr zu freuen schien. Dann sagte ich: »Mein Herr, ich werde Ihr Haus nicht verlassen, ohne mir das Vergnügen zu machen, mit Ihren liebenswürdigen Fräuleins zusammen zu speisen, denn ich möchte ihnen zeigen, wie sehr ich die sorgsame Aufwartung zu schätzen weiß, die sie mir während meines Verweilens haben angedeihen lassen. Bereiten Sie mir also bitte eine leckere Mahlzeit für vier Personen und lassen Sie auch Postpferde bestellen, damit ich mit Einbruch der Nacht abreisen kann.«

»Mein Herr,« sagte hierauf Leduc zu mir, »ich bitte Sie zugleich für mich ein Sattelpferd zu bestellen, denn ich bin nicht der Mann, hinter dem Wagen aufzusteigen.«

Die Base lachte ihm wegen dieser Prahlerei ins Gesicht, und der Schlingel sagte zu ihr, um sich dafür zu rächen, er sei etwas ganz anderes als sie.

»Gleichwohl, Herr Leduc, werden Sie sie bei Tisch bedienen.«

»Ja, wie sie Sie im Bett bedient.«

Ich lief nach meinem Rohrstock; aber der Bursche, der ganz gut wußte, was ihm bevorstand, hüpfte auf die Fensterbank und sprang in den Hof hinunter. Die Mädchen und der Hausmeister schrien vor Entsetzen laut auf; als wir aber an das Fenster traten, sahen wir ihn unten tausend Affensprünge machen.

Ich freute mich, daß er kein Glied gebrochen hatte, und rief ihm zu: »Komm herauf, ich verzeihe dir.«

Die jungen Mädchen sprachen mir ihre große Freude darüber aus, desgleichen auch ihr braver Vater, der sich nicht so leicht einen Floh ins Ohr setzen ließ. Leduc kam freudestrahlend wieder herauf und sagte: »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich so gut springen könnte.«

»Das ist ganz schön und gut, aber ein anderes Mal sei weniger unverschämt. Da, nimm diese Uhr!«

Es war eine sehr schöne goldene Uhr; er nahm sie und sagte: »Für eine zweite solche würde ich gleich nochmal springen.«

So war dieser Spanier, den ich zwei Jahre später fortjagen mußte, was mir seither oft leid getan hat.

Bei Tisch suchte ich vergeblich die drei jungen Mädchen berauscht zu machen, und die Stunden verflossen so schnell, daß ich beschloß, erst am nächsten Tage abzureisen. Ich war der Geheimtuerei müde und wollte sie alle zusammen besitzen; da schien mir denn die Nacht sehr geeignet zu sein, eine solche Orgie ins Werk zu setzen. Ich sagte ihnen, wenn sie die ganze Nacht auf meinem Zimmer verbringen wollten, würde ich erst am nächsten Tage abreisen. Sie schrien darüber laut auf und lachten über meine Bemerkung, wie wenn sie ein Scherz wäre, der sich unmöglich verwirklichen ließe; ich aber neckte sie, um sie noch mehr aufzureizen. Während wir darüber sprachen, kam der Hausmeister herein und riet mir, doch lieber nicht nachts zu reisen, sondern auf einem bequemen Schiff, auf welchem ich auch meinen Wagen unterbringen könnte, bis Avignon zu fahren. Ich würde dadurch Unbequemlichkeiten und Geld sparen.

»Mir soll es recht sein, vorausgesetzt, daß die Fräuleins sich bereit erklären, mir die ganze Nacht Gesellschaft zu leisten; denn ich habe beschlossen, nicht zu Bett zu gehen.«

»Meiner Seel!« antwortete er lachend, »das ist ihre Sache.«

Dies gab den Ausschlag; sie erklärten sich einverstanden, der Hausmeister schickte einen Boten fort, um das Schiff zu bestellen, und versprach mir ein leckeres Abendessen für Mitternacht.

Die Stunden bis zum Souper vergingen unter fröhlichen Scherzen, und bei Tisch ließ ich die Champagnerpfropfen knallen, so daß die Schönen ein bißchen angeheitert wurden. Ich war selber ein wenig erhitzt, und da ich das kleine Geheimnis einer jeden von ihnen besaß, war ich so kühn, ihnen zu sagen, ihre Bedenken seien lächerlich, da ja eine jede bereits mir die letzte Gunst bewilligt hätte.

Sie sahen einander mit einer Art von Erstaunen an, wie wenn sie über meine Worte entrüstet wären. Da ich mir dachte, daß der weibliche Stolz sie vielleicht veranlassen könne, meine Worte für Verleumdung zu erklären, so hielt ich es für besser, ihnen keine Zeit dafür zu lassen: ich zog daher Manon auf meinen Schoß und umarmte sie mit solchem Feuer, daß sie ihre Niederlage zugab und sich meiner Glut überließ. Durch dieses Beispiel besiegt, machten die beiden anderen es wie sie, und fünf Stunden lang schwelgten wir in allen Genüssen der Sinnenlust. Schließlich wurden wir der Ruhe bedürftig, und ich hätte gern etwas geschlafen; aber ich hatte fest beschlossen, abzureisen. Ich wollte ihnen Schmucksachen schenken, aber sie sagten mir, es wäre ihnen lieber, wenn ich für dreißig Louis Handschuhe bei ihnen bestellte. Ich bezahlte es ihnen im voraus und habe natürlich niemals die Handschuhe gefordert.

Auf dem Schiff schlief ich ein und wachte erst in Avignon auf. Man führte mich in den Gasthof zum »Heiligen Homer«, und ich speiste auf meinem Zimmer zu Abend, obwohl Leduc mir von einer jungen Schönheit, die an der Gasttafel speiste, wahre Wunderdinge erzählte. Am nächsten Tage sagte mein Spanier mir, die Schönheit wohne mit ihrem Gatten in dem Zimmer neben dem meinigen. Zugleich gab er mir den Theaterzettel, und ich sah, daß die Vorstellung von einer Abteilung der Pariser Truppe gegeben wurde und daß Fräulein Astraudy singen und tanzen sollte. Ich stieß einen Schrei des Erstaunens aus: wie kann die reizende Astraudy, die berühmte Sünderin, in Avignon sein? Sie wird sich sehr wundern, mich hier zu sehen!

Da ich durchaus keine Lust hatte, als Einsiedler zu leben, so ging ich in den Speisesaal, um mit der ganzen Gesellschaft zu essen; ich fand etwa zwanzig Personen an einem Tische, der derartig reich besetzt war, daß es mir unmöglich schien, der Wirt könne ein solches Essen für vierzig Sous liefern. Die hübsche Fremde erregte die allgemeine Aufmerksamkeit und fesselte auch insbesondere die meinige. Sie war eine vollendete Schönheit, sehr jung, sprach niemals ein Wort, sah beständig auf ihren Teller und gab auf alle Fragen nur einsilbige Antworten, wobei sie zwei blaue Augen von einer schwer zu beschreibenden Schönheit über den Fragenden dahingleiten ließ. Ihr Gemahl saß am anderen Ende des Tisches. Er hatte eines jener gemeinen Gesichter, die beim ersten Anblick Verachtung einflößen. Er war jung und pockennarbig, ein Leckermaul und Schwätzer, lachte und schwatzte Unsinn über alles Mögliche und machte mir in jeder Beziehung den Eindruck eines verkleideten Bedienten. Da ich überzeugt war, daß ein solcher Mensch nicht nein sagen könnte, so schickte ich ihm ein Glas Champagner, das er sofort auf meine Gesundheit austrank.

»Erlauben Sie mir, der gnädigen Frau ebenfalls eins anzubieten?«

Er antwortete mir mit lautem Lachen, ich möchte mich an sie selber wenden; die Dame neigte leise den Kopf und sagte mir, sie trinke niemals Champagner. Beim Nachtisch stand sie auf, und ihr Mann folgte ihr auf ihr Zimmer. Ein Fremder, der sie wie ich zum erstenmal sah, fragte mich, wer sie sei. Als ich ihm antwortete, ich sei erst eben angekommen, berichtete ein anderer uns, ihr Mann lasse sich Chevalier Stuard nennen; er komme von Lyon, sei auf der Reise nach Marseille und halte sich seit acht Tagen in Avignon auf; er habe keine Dienerschaft und nur sehr schmales Gepäck.

Da ich mich in Avignon nur so lange Zeit hatte aufhalten wollen, um die Quelle von Vaucluse, die sogenannte Kaskade, zu besuchen, hatte ich nicht daran gedacht, mich mit Empfehlungsbriefen zu versehen; ich konnte also nicht daran denken, Bekanntschaften zu machen und dadurch einen Vorwand zu gewinnen, wegen der schönen Augen der Fremden noch zu bleiben. Aber ein Italiener, der den göttlichen Petrarca gelesen hat und verehrt, muß den Wunsch hegen, die Stellen kennen zu lernen, die er durch seine Liebe zur schönen Laura de Sade berühmt gemacht hat.

Ich ging ins Theater und sah dort den Vizelegaten Salviati, eine Anzahl weder schöner noch häßlicher Damen von Stande und eine elende Oper; aber ich entdeckte weder die Astraudy noch einen einzigen Künstler von der Italienischen Gesellschaft in Paris.

»Wo ist denn die berühmte Astraudy?« fragte ich nach Schluß der Vorstellung einen jungen Mann, der neben mir saß, »ich habe sie gar nicht gesehen.«

»Ich bitte um Verzeihung, sie hat vor Ihnen gesungen und getanzt.«

»Alle Wetter, das ist unmöglich! Ich kenne sie ziemlich genau, und wenn sie, was aber doch unmöglich ist, sich so verändert hätte, daß sie nicht mehr zu erkennen wäre, so wäre sie ja nicht mehr die Astraudy.«

Ich ging hinaus. Zwei Minuten darauf holte der junge Mann mich ein und bat mich, ich möchte doch umkehren; er werde mich in die Loge der Astraudy führen, die mich erkannt habe. Ich folgte ihm, ohne ein Wort zu sagen, und sah mich plötzlich einem häßlichen Mädchen gegenüber. Sie fiel mir um den Hals und nannte mich bei meinem Namen, aber ich konnte darauf schwören, sie niemals gesehen zu haben. Sie ließ mir jedoch keine Zeit, ihr dies zu sagen. Ganz in der Nähe bemerkte ich einen Mann, der für den Vater der schönen Astraudy galt, die ganz Paris kannte und die den Grafen Egmont, einen der liebenswürdigsten Kavaliere vom Hofe Ludwigs des Fünfzehnten, ins Grab gebracht hatte. Mir fiel ein, daß die Häßliche vielleicht ihre Schwester sein könnte; daher setzte ich mich und machte ihr ein Kompliment über ihre Talente. Sie bat mich um Erlaubnis, ihr Theaterkostüm ablegen zu dürfen, und entkleidete sich unter beständigem Lachen und Hin- und Herlaufen mit einer Großmut, die sie vielleicht nicht bewiesen haben würde, wenn das, was sie zeigte, des Sehens wert gewesen wäre.

Ich lachte innerlich über diese Manöver, denn so, wie ich eben von Grenoble kam, wäre es ihr sehr schwer geworden, mich in Versuchung zu führen, wenn sie auch ebenso schön gewesen wäre, wie sie häßlich war. Ihre Magerkeit und braune Haut waren wenig geeignet, mich über ihr abstoßendes Gesicht hinwegsehen zu lassen. Ich bewunderte das Vertrauen, das sie in ihre Reize setzte, denn sie mußte mir einen geradezu teufelsmäßigen Appetit zutrauen; aber derartige Geschöpfe finden oft in der Raffiniertheit der Verderbnis Hilfsmittel, die sie vom Zartgefühl nicht erwarten dürften. Sie beschwor mich, bei ihr zu Abend zu essen, und da sie auf dieser Einladung bestand, mußte ich auf eine Weise ablehnen, die ich mir gegen eine andere Frau nicht gestattet haben würde. Hierauf bat sie mich, ich möchte ihr für die nächste Vorstellung, die ihr Benefiz wäre, vier Karten abkaufen.

Da ich sah, daß die ganze Geschichte nur zwölf Franken ausmachte, freute ich mich, so billigen Kaufs davonzukommen, und bat sie, mit sechzehn Karten zu geben. Ich glaubte, sie würde vor Freude verrückt werden, als ich ihr einen doppelten Louisdor gab. Das war nicht die echte Astraudy. Ich kehrte in meinen Gasthof zurück und aß auf meinem Zimmer köstlich zu Abend.

Als Leduc mir für die Nacht das Haar zurecht machte, erzählte er mir, vor dem Abendessen habe der Wirt die schöne Fremde aufgesucht und ihr in Gegenwart ihres Mannes in dürren Worten gesagt, er verlange durchaus Bezahlung am nächsten Morgen, sonst bekämen sie nichts mehr zu essen, sie hätten den Gasthof zu verlassen und er würde ihr Gepäck nicht herausgeben.

»Wer hat dir das gesagt?«

»Ich habe es von hier aus gehört; denn ihr Zimmer ist nur durch eine Bretterwand von dem Ihrigen getrennt. Ich bin überzeugt, wenn sie drinnen wäre, würde sie alles hören, was wir sprechen.«

»Wo sind sie?«

»Bei Tisch. Sie essen gleich für morgen. Aber die Dame weint. Die Aktien stehen gut für Sie, gnädiger Herr.«

»Halte den Mund! Ich werde mich nicht hineinmischen. Das Weib ist ein Lockvogel; denn eine ehrenwerte Frau würde lieber Hungers sterben, als so an einer Wirtshaustafel weinen.«

»Ach! Wenn Sie nur sähen, wie sehr diese Tränen sie verschönen! Ich bin nur ein armer Teufel, aber ich würde ihr gern zwei Louis geben, wenn sie sie sich verdienen wollte.«

»Biete sie ihr doch an!«

Gleich darauf traten der Mann und seine Dame in ihr Zimmer. Ich hörte sie weinen und ihn laut und zornig sprechen; da er jedoch wallonisch sprach, konnte ich nicht verstehen, was er sagte.

»Geh zu Bett,« sagte ich zu Leduc, »und sage dem Wirt, ich wünsche morgen ein anderes Zimmer zu erhalten, denn eine Scheidewand biete zu geringen Widerstand für Leute, die vor Verzweiflung außer sich sind.«

Ich ging zu Bett; das Weinen und leise Sprechen nahmen erst nach Mitternacht ein Ende.

Am anderen Morgen rasierte ich mich, als Leduc hereinkam und den Chevalier Stuard meldete.

»Sag ihm, ich kenne niemanden dieses Namens.«

Er richtete seinen Auftrag aus und kam sofort wieder herein und sagte mir, der Chevalier habe auf meine Weigerung hin wütend mit dem Fuße gestampft und nach der Decke gesehen; hierauf sei er in sein Zimmer gegangen und gleich darauf mit dem Degen an der Seite wieder herausgekommen.

»Ich werde doch für alle Fälle gleich nachsehen,« fuhr er fort, »ob die Zündhütchen auf Ihren Pistolen in Ordnung sind.«

Ich mußte lachen, bewunderte aber nichtsdestoweniger die Vorsicht meines Spaniers, denn ein verzweifelter Mensch ist zu allem fähig. Ich schickte ihn zum Wirt und ließ ihn dringend bitten, mir sofort ein anderes Zimmer zu geben. Dieser kam persönlich, um mir zu sagen, er könne meinen Wunsch erst am nächsten Tage erfüllen.

»Wenn ich kein anderes Zimmer bekomme, verlasse ich sofort Ihren Gasthof; denn ich liebe es nicht, die ganze Nacht Weinen und Zanken zu hören.«

»Hören Sie es denn, mein Herr?«

»Aber Sie können es ja in diesem selben Augenblick selber hören! Sagen Sie mir doch: ist das erheiternd? Die Frau wird sich das Leben nehmen, und daran sind Sie schuld. «

»Ich, mein Herr? Ich habe weiter nichts getan, als daß ich verlangte, was mir zukommt.«

»Hören Sie nur den Mann, ich bin überzeugt, er sagt in seinem Kauderwelsch der Frau, daß Sie ein Ungeheuer sind.«

»Er mag sagen, was er will, wenn er mich nur bezahlt!«

»Sie haben sie zum Hungertode verurteilt. Wieviel sind sie Ihnen schuldig?«

«Fünfzig Franken.«

»Und Sie schämen sich nicht, um einen solchen Bettel so viel Lärm zu machen?«

»Mein Herr, schämen würde ich mich nur, wenn ich wirklich unrecht hätte; und dies ist nicht der Fall, wenn ich verlange, was man mir schuldig ist.«

»Da haben Sie Ihr Geld. Sagen Sie den Leuten, die Rechnung sei bezahlt und sie könnten weiter essen; aber sagen Sie ihnen auf keinen Fall, wer sie bezahlt hat.«

»Sie haben ein gutes Werk getan!« sagte der Flegel, und mit diesen Worten ging er hinaus. Er trat sofort bei ihnen ein und sagte: »Sie sind mir nichts mehr schuldig; aber Sie werden niemals erfahren, wer für Sie bezahlt hat. Es steht Ihnen frei, unten zu Mittag und zu Abend zu essen; aber Sie werden Tag für Tag bezahlen!«

Nachdem er mit lauter Stimme diesen Monolog hergesagt hatte, so daß ich jedes Wort hören konnte, wie wenn ich im Zimmer gewesen wäre, trat er bei mir ein. Ich stieß ihn hinaus: »Dummes Vieh! Sie wissen alles.«

Mit diesen Worten schloß ich die Tür.

Leduc stand vor mir und sah mich mit einem ganz blödsinnigen Gesicht an.

»Was hast du denn, Dummkopf?« fragte ich ihn.

»Das ist schön. Ich begreife. Ich will Schauspieler werden. Sie machen Ihre Sache nicht schlecht.«

»Du bist ein Esel.«

»Kein so großer, wie Sie glauben.«

»Ich will einen Spaziergang machen. Hüte dich, das Zimmer einen Augenblick zu verlassen.«

Kaum war ich draußen, so redete der Chevalier mich an; seine Danksagungen nahmen gar kein Ende. Ich antwortete ihm: »Mein Herr, ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Hierauf ließ er mich in Ruhe, nachdem er mir noch einmal gedankt hatte. Ich ging an das Rhoneufer und betrachtete mit Vergnügen die alte Brücke und den Fluß, der nach der Behauptung der Geographen der schnellste in ganz Europa ist. Zum Mittagessen ging ich nach dem Gasthof zurück, wo der Wirt, dem ich gesagt hatte, daß ich sechs Franken für die Mahlzeit bezahlen wollte, mir ein ausgezeichnetes Essen vorsetzte. Ich erinnere mich noch, daß ich dort den besten Hermitagenwein getrunken habe. Ich fand ihn so köstlich, daß ich gar keinen anderen Wein trank. Zu meiner Pilgerfahrt nach Vaucluse bat ich ihn, mir einen guten Cicerone zu besorgen. Nachdem ich Toilette gemacht hatte, ging ich ins Theater.

Ich fand die Astraudy an der Tür, gab ihr die sechzehn Billetts und nahm neben der Loge des Vizelegaten Platz. Dieser, Principe Salviati, kam bald nachher mit einem zahlreichen Gefolge von Damen und Herren, die mit Ordenszeichen und Goldstickereien überdeckt waren.

Der angebliche Vater der falschen Astraudy kam zu mir und sagte mir ins Ohr, seine Tochter bäte mich, ich möchte doch sagen, sie wäre die berühmte Astraudy, die ich in Paris gekannt hätte. Ich antwortete ihm ebenfalls ins Ohr, ich würde mich der Gefahr aussetzen, Lügen gestraft zu werden, indem ich einen Schwindel beglaubigte. Es ist unglaublich, mit welcher Unverfrorenheit ein Gauner einen Ehrenmann auffordert, sich an einer Gaunerei zu beteiligen; ohne Zweifel bildet er sich ein, diesem eine Ehre zu erweisen, indem er ihm sich anvertraut. Nach dem ersten Akt verteilten etwa zwanzig Lakaien in der Livree des Fürsten in den Logen des ersten Ranges Gefrorenes. Ich glaubte ablehnen zu müssen. Ein bildschöner junger Mann trat hierauf mit edlem und leichtem Anstand auf mich zu und fragte mich, warum ich nicht ein Glas Eis angenommen hätte.

»Da ich nicht die Ehre habe, hier bekannt zu sein, so wünschte ich nicht, daß jemand behaupten könnte, einen Unbekannten bewirtet zu haben.«

»Mein Herr, ein Mann wie Sie bedarf keiner Empfehlungen.«

»Sie erweisen mir viel Ehre.«

»Sie wohnen doch im Gasthof zum Heiligen Homer, mein Herr?«

»Ja. Ich habe hier nur haltgemacht, um Vaucluse zu sehen, wohin ich morgen zu fahren gedenke, wenn ich einen guten Cicerone finden kann.«

»Wenn Sie mir gütigst diese Ehre bewilligen wollen, werde ich Ihnen von Herzen gern gefällig sein. Ich heiße Dolci und bin der Sohn des Hauptmanns von der Garde des Vizelegaten.«

»Ich weiß die Ehre, die Sie mir erweisen wollen, wohl zu schätzen und nehme Ihr liebenswürdiges Anerbieten mit Vergnügen an. Ich werde meine Abfahrt bis zu Ihrer Ankunft verschieben.«

»Ich werde um sieben Uhr bei Ihnen sein.«

Ich war ganz erstaunt über die edle Ungezwungenheit dieses Adonis, den man für ein schönes Mädchen hätte halten können, wenn nicht ein gewisser Klang der Stimme den Mann verraten hätte. Ich lachte über die angebliche Astraudy, die ebenso schlecht spielte, wie sie häßlich war und während des ganzen Stückes nicht einen Moment ihre weißen Augen von meinem braunen Gesicht abwandte. Beim Singen sah sie mich lachend an und machte dabei kleine Gebärden des Einverständnisses, durch welche die ganze Versammlung auf mich aufmerksam werden mußte, die ohne Zweifel meinen schlechten Geschmack beklagte. Unter den Künstlerinnen war eine, deren Stimme und Augen mir gefielen, eine Person, wie ich sie nie in meinem Leben gesehen hatte: jung, groß und bucklig. Obwohl sie vorne und hinten einen sehr ausgebildeten Buckel hatte, war sie sehr groß: ohne ihren Körperfehler, durch den sie kleiner geworden war, wäre sie mindestens sechs Fuß hoch gewesen. Ich dachte mir, sie würde außer ihrer sehr schönen Augen und leidlichen Stimme auch Geist haben, den ja fast alle Buckligen besitzen. Ich fand sie mit der häßlichen Astraudy vor der Tür, als ich das Theater verließ. Diese wartete auf mich, um mir ihren Dank zu sagen, die andere suchte Eintrittskarten für ihre Benefizvorstellung unterzubringen.

Nachdem die Astraudy mir gedankt hatte, wandte die Bucklige sich an mich, öffnete lachend ihren Mund, der von einem Ohr zum anderen ging und mindestens vierundzwanzig prachtvolle Zähne sehen ließ, und sprach die Hoffnung aus, ich würde ihr die Ehre erweisen, bei ihrer Benefizvorstellung anwesend zu sein. Ich antwortete ihr, ich würde ihr gerne den Gefallen tun, vorausgesetzt, daß ich nicht vorher abreiste. Bei diesen Worten fing die freche Astraudy an zu lachen und sagte ihrer Freundin in Gegenwart mehrerer Damen, die auf ihren Wagen warteten: sie könne sicher sein, daß ich kommen werde, denn sie werde mich nicht abreisen lassen. »Gib ihm sechzehn Billette!« Ich mochte ihr keine abschlägige Antwort erteilen und gab ihr zwei Louis. Hierauf sagte die Astraudy etwas leiser zu mir: »Nach der Vorstellung werden wir zu Ihnen zum Souper kommen; aber nur unter der Bedingung, daß wir allein sind, denn wir wollen uns betrinken.« Trotz einem gewissen Gefühl des Ekels fand ich doch, daß dieses Zusammensein jedenfalls komisch sein würde, und da ich in der Stadt gänzlich unbekannt war, beschloß ich, in der Hoffnung, daß ich Spaß davon haben würde, auf ihren Plan einzugehen.

Ich saß allein bei Tisch, als Stuard und seine Frau ihr Zimmer betraten. An diesem Abend hörte ich weder Weinen noch Vorwürfe; aber zu meiner großen Überraschung erschien bei Tagesanbruch der Chevalier bei mir und sagte zu mir, wie wenn wir gute Bekannte gewesen wären: er habe gehört, daß ich nach Vaucluse fahre, und er wisse, daß ich einen viersitzigen Wagen habe; wenn ich allein sei, so bitte er mich zu erlauben, daß er und seine Frau, die sehr gerne die Quelle sehen möchte, mitfahren dürften. Ich erklärte mich einverstanden.

Leduc bat mich, zu Pferde mich begleiten zu dürfen, und sagte, er sei ein guter Prophet gewesen. Es schien allerdings klar, daß das Pärchen sich dahin geeinigt hatte, mich für meine Auslagen mit neuen Hoffnungen zu bezahlen. Das Abenteuer mißfiel mir nicht, denn alles war zu meinem Vorteil: ich hatte noch nicht die geringsten Schritte getan, um das zu erlangen, was man allem Anschein nach mir bewilligen wollte.

Dolci kam. Er war schön wie ein Engel. Meine Nachbarn waren bereit; auf dem Wagen befand sich alles Notwendige, um gut zu essen und noch besser zu trinken; so fuhren wir denn ab, die Dame und Dolci auf dem Rücksitz des Wagens, der Chevalier und ich auf dem Vordersitz. Ich hatte geglaubt, das Gesicht der Schönen würde sich aufheitern und ihre Traurigkeit würde einer heiteren Stimmung weichen oder doch wenigstens einem höflichen Eingehen auf unsere Unterhaltung. Aber ich hatte mich getäuscht; denn auf alle meine ernsten oder scherzhaften Bemerkungen antwortete sie nur mit einsilbigen Ausrufen oder mit ganz strengen lakonischen Bemerkungen. Der arme Dolci, der viel Geist hatte, war ganz verblüfft. Er glaubte, an der Traurigkeit der Dame schuld zu sein, und machte sich Vorwürfe, daß er unschuldigerweise eine düstere Stimmung in unseren Ausflug hineingebracht hätte, der doch ganz und gar dem Vergnügen gewidmet sein sollte. Ich beseitigte seine Verlegenheit, indem ich ihm sagte: als er mir das Vergnügen gemacht hätte, mir seine liebenswürdige Gesellschaft anzubieten, hätte ich noch nicht gewußt, daß ich die Ehre haben würde, der schönen Dame einen Dienst zu erweisen. Als ich bei Tagesanbruch davon erfahren, hätte ich mich des Zufalls gefreut, daß ich ihm eine so schöne Gefährtin zugeführt hätte.

Die Dame sagte kein Wort; immer schweigsam und traurig blickte sie nach rechts und nach links, wie wenn sie gar nicht wüßte, was sie sähe.

Meine Erklärung hatte Dolci seine Sicherheit wiedergegeben, und der liebenswürdige junge Mann begann Bemerkungen an sie zu richten, die auf ihre Seele wohl hätten Eindruck machen können; aber er hatte keinen Erfolg. Er unterhielt sich lange Zeit über hundert Dinge mit ihrem Gatten, wobei er fortwährend die Dame hineinzuziehen suchte; aber sie tat ihren schönen Mund nicht ein einziges Mal auf. Sie saß da wie die Bildsäule der Pandora, bevor sie von dem göttlichen Feuer belebt wurde.

Ihr Gesicht war von vollendeter Schönheit: Augen von einem leuchtenden Blau und sehr schön geschnitten; eine leicht angehauchte Hautfarbe von reinster Weiße; Arme, die die Grazien gerundet hatten; weiche zarte Hände; einen Nymphenwuchs, der einen prachtvollen Busen ahnen ließ; die schönsten hellbraunen Haare, die man sich denken kann; einen kleinen Fuß – kurzum, sie hatte alles, was eine Frau schön macht, nur nicht jenen lebendigen Geist, der die Schönheit verschönert und sogar der Häßlichkeit Reiz gibt. Meine glühende unstete Phantasie ließ mich alles, was ich nicht sehen konnte, nackt erblicken; ich fand alles köstlich; dennoch glaubte ich, daß diese Frau mit ihrer Traurigkeit wohl Liebe, aber nicht ein dauerndes Gefühl einflößen könne; denn so wie sie war, konnte sie unmöglich einen Mann glücklich machen, selbst wenn sie ihm die höchste Lust gewährte.

Als wir in Isle ankamen, war ich fest entschlossen, in Zukunft ein Zusammentreffen mit ihr zu vermeiden; denn vielleicht war sie wahnsinnig oder in Verzweiflung darüber, daß sie sich in der Gewalt eines Mannes befand, den sie unmöglich lieben konnte. Sie flößte mir Mitleid ein, und dennoch fand ich es unverzeihlich, daß sie, eine anständige Frau von guter Erziehung, sich meinem Ausfluge angeschlossen hatte, denn sie mußte doch überzeugt sein, daß sie mit ihrer trüben Stimmung das ganze Vergnügen verderben würde, das ich mir von der Lustpartie versprochen hatte.

Ob der vorgebliche Ritter Stuard ihr Gatte oder ihr Liebhaber war, kam nicht in Betracht; ich hatte nicht nötig, mir lange den Kopf zu zerbrechen, um zu erraten, wes Geistes Kind er war. Er war zwar jung, aber keineswegs schön, wenn auch nicht gerade häßlich; in seinem Auftreten lag nichts Besonderes, sein Ton war gezwungen, seine Umgangsformen waren schlecht, und in seinen Reden verriet er sich als unwissend und dumm. Wie konnte übrigens ein solcher Bettler, der keinen Pfennig und nicht das geringste Talent besaß, eine Schönheit mit sich herumschleppen, die ihn wegen ihres mürrischen Wesens nur dann ernähren konnte, wenn er rechte Dummköpfe fand? Vielleicht allerdings hatte er trotz seiner Unwissenheit die Bemerkung gemacht, daß die Welt von solchen Dummköpfen wimmelt. Trotzdem machte er hier die Erfahrung, daß man sich darauf nicht sicher verlassen kann.

Als wir in Vaucluse angekommen waren, überließ ich mich der Führung Dolcis. Er hatte diesen Ort hundertmal besucht und besaß das in meinen Augen unermeßliche Verdienst, den Liebhaber Lauras zu lieben. Wir ließen den Wagen in Apt und gingen nach dem Quell, wo sich an diesem Tage eine große Menge von Neugierigen versammelt hatte. Der Born sprudelt aus einer großen Höhle hervor, einem Werke der Natur, das der Menschen Kunst nicht nachahmen kann. Diese Höhle befindet sich am Fuße eines spitzen Felsens, der etwa hundert Fuß hoch und ebenso breit ist. Die Höhle ist kaum halb so hoch, und das Wasser schießt in solcher Stärke hervor, daß schon die Quelle den Namen eines Flusses verdient. Es ist die Sorgue, die bei Avignon in den Rhone fließt. Unmöglich kann man reineres und klareres Wasser finden, denn an den Felsen, die den Wasserlauf einschließen, findet sich keine Spur von Bodensatz. Es gibt Leute, denen dieses Wasser Grauen erregt, weil es ihnen schwarz erscheint; diese bedenken nicht, daß die Grotte außerordentlich dunkel ist und nur dadurch den Fluten diese Entsetzen erregende Färbung mitteilt.

Chiare fresche e dolci acque
Ove le belle membra
Pose colei che sola a me par donna.

Die klaren, kalten, süßen Fluten,
In die die schönen Glieder tauchte
Sie, die allein mir Weib erscheint.

Ich stieg bis zur Spitze des Felsens empor, wo Petrarca sein Haus hatte. Mit tränenden Augen betrachtete ich diese Trümmer, wie Leo Allatius, als er Homers Grab sah. Sechzehn Jahre später weinte ich wieder in Arqua, wo Petrarca gestorben ist und wo das von ihm bewohnte Haus damals noch stand. Die Ähnlichkeit der Gegend war erstaunlich; denn von dem Zimmer aus, worin Petrarca in Arqua schrieb, sieht man die Spitze eines Felsens gleich jenem, den man in Vaucluse sieht und auf dessen Spitze Madonna Laura wohnte. »Gehen wir hin!« rief ich aus; »es ist ja nicht weit!«

Ich will nicht versuchen, die Gefühle wiederzugeben, die ich empfand, als ich die Überreste des Hauses dieser Frau erblickte, die der liebende Petrarca durch einen einzigen Vers schon unsterblich gemacht hat, einen Vers, der ein Marmorherz rühren müßte:

Morta bella parea nel suo bel viso.

Tot, schien sie schön in ihrem schönen Antlitz.

Mit ausgebreiteten Armen warf ich mich über diese Ruinen hin, wie wenn ich sie umarmen wollte; ich küßte sie, ich überströmte sie mit meinen Tränen, ich suchte den göttlichen Hauch einzuatmen, der sie einst belebt hatte. Dann bat ich Frau Stuard um Verzeihung, daß ich ihren Arm hätte fahren lassen, um den Manen einer Frau zu huldigen, die den tiefsten Geist geliebt, den die Natur jemals hervorgebracht hätte.

»Ich sage den Geist; denn der Körper hat nichts damit zu tun gehabt, mag man auch sagen, was man will. Vor vierhundertundfünfzig Jahren, meine Gnädige,« sagte ich zu der kalten Statue, die mich ganz überrascht anblickte, »da ging an denm Orte, wo Sie jetzt stehen, Laura de Sade spazieren; sie war vielleicht nicht so schön wie Sie, aber sie war fröhlich, höflich, sanft, heiter und sittsam. Möchte diese Luft, die jene eingeatmet hat und die Sie in diesem Augenblick einatmen, Sie mit dem göttlichen Feuer beleben, das durch ihre Adern kreiste, das ihr Herz schlagen und ihren Busen wogen ließ. Dann würden Sie die Verehrung aller gefühlvollen Menschen gewinnen; Sie würden niemanden finden, der Ihnen den geringsten Kummer zu bereiten wagte. Fröhlichkeit, meine Gnädige, ist das Erbteil der Seligen, Traurigkeit aber ist das entsetzlichste Schreckbild der Geister, die zu ewigen Höllenstrafen verdammt sind. Seien Sie also fröhlich und erwerben Sie sich dadurch das Recht, schön zu sein.«

Meine Begeisterung riß den liebenswürdigen Dolci fort; er fiel mir um den Hals, küßte mich mehrere Male. Der dumme Stuard lachte, und seine Frau, die mich vielleicht für verrückt hielt, schien nicht den geringsten Eindruck erhalten zu haben. Sie nahm meinen Arm, und wir lehnen ganz langsam nach dem Hause des Messer Francesco d’Arezzo zurück, wo ich eine Viertelstunde verwandte, meinen Namen einzuschneiden. Hierauf speisten wir.

Dolci hatte für die eigentümliche Frau noch mehr Aufmerksamkeiten wie ich. Stuard tat nichts anderes als essen und trinken; er verschmähte das Wasser der Sorgue, das nach seiner Behauptung den Hermitagewein nur verderben könnte; vielleicht dachte Petrarca in diesem Punkte nicht anders als er. Wir brachten reichliche Trankopfer, ohne daß unser Verstand darunter litt; die Dame war jedoch sehr mäßig. Als wir wieder in Avignon waren, machten wir unsere Verbeugung, ohne auf die Einladung des dummen Stuard einzugehen, der uns aufforderte, wir möchten uns in seinem Zimmer ausruhen.

Ich nahm Dolcis Arm, um die letzte Stunde des Tages am Ufer des Rhône mit ihm zu verbringen. Im Laufe eines abwechslungsreichen und geistsprühenden Gespräches bemerkte der reizende junge Mann zu mir: »Diese Frau ist eine abgefeimte Spitzbübin, die von ihrem eigenen Wert über alle Maßen eingenommen ist. Ich möchte wetten, sie hat ihre Heimat nur verlassen, weil sie dort anfangs mit ihren Reizen so verschwenderisch war, daß späterhin niemand mehr etwas von ihr wissen wollte. Ohne Zweifel ist sie überzeugt, überall ihr Glück zu machen, wo man sie für eine Novize nimmt. Der Bursche, der für ihren Mann gilt, ist nach meiner Meinung ein Gauner; ihre Traurigkeit ist Verstellung und nur darauf berechnet, um jemanden, der sich auf ihre Eroberung versteift, wahnsinnig verliebt zu machen. Sie hat ihren Dummen noch nicht gefunden; aber da es ihr darauf ankommen muß, einen reichen Mann in ihre Netze zu ziehen, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie Sie aufs Korn genommen hat.«

Wenn ein junger Mensch in Dolcis Alter so vernünftig denkt, so wird er ohne Zweifel einmal ein Meister der Lebenskunst werden. Ich umarmte ihn zum Abschied, dankte ihm für seine Gefälligkeit, und wir verabredeten ein Wiedersehen.

In meinen Gasthof zurückgekehrt fand ich dort einen gut aussehenden, schon etwas bejahrten Herrn, der mich mit meinem Namen anredete und mich auf das höflichste fragte, ob ich Vaucluse meiner Neugier würdig gefunden habe. Ich erkannte mit großem Vergnügen Marchese Grimaldi aus Genua, einen geistvollen, liebenswürdigen und reichen Mann, der fast immer in Venedig wohnte, weil er dort die Freuden des Lebens in größerer Freiheit genießen konnte als in seiner Heimat – ein Beweis, daß Venedig nicht der am wenigsten freie Ort der Welt war.

Nachdem ich eine höfliche Frage ebenso höflich beantwortet hatte, begleitete ich ihn auf sein Zimmer. Als wir über die Quelle nichts mehr zu sagen hatten, fragte er mich, ob ich mit meiner schönen Gesellschaft zufrieden gewesen wäre.

»Ich kann mit ihr nur sehr zufrieden sein,« antwortete ich.

Er bemerkte meine Zurückhaltung und suchte mich zum Reden zu bringen, indem er mir folgendes sagte: »Wir haben in Genua sehr schöne Frauen; aber wir haben keine einzige, die den Vergleich mit jener aushalten könnte, mit der Sie heute nach Isle gefahren sind. Ich saß gestern Abend bei Tisch ihr gegenüber, und ihre Vollkommenheiten machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich bot ihr meinen Arm, um sie die Treppe hinaufzuführen, und sagte ihr, es tue mir sehr leid, sie traurig zu sehen, und wenn sie glaube, daß ich imstande sei, sie zu trösten, so brauche sie nur ein Wort zu sagen. Ich wußte nämlich, daß sie kein Geld hatte. Ihr angeblicher oder echter Gatte dankte mir für mein Anerbieten, und ich verließ sie, indem ich ihnen gute Nacht wünschte.

Vor einer Stunde, nachdem Sie sie bis an die Tür begleitet hatten, ließen Sie sie mit ihrem Manne allein; sofort nahm ich mir die Freiheit, ihr meinen Besuch zu machen. Sie empfing mich mit einer tiefen Verbeugung; ihr Gatte ging im selben Augenblick hinaus, indem er mich bat, ihr bis zu seiner Rückkehr Gesellschaft zu leisten.

Die Schöne machte durchaus keine Schwierigkeiten, sich mit mir aufs Kanapee zu setzen; dies erschien mir als ein günstiges Vorzeichen; als ich jedoch ihre Hand ergriff, zog sie sie zurück, wenn auch ohne Schroffheit. Ich glaubte ihr nun in wenigen Worten sagen zu müssen, ihre Schönheit hätte mich verliebt gemacht, und wenn sie hundert Louis nötig hätte, ständen ihr diese zu Diensten, vorausgesetzt, daß sie so freundlich wäre, mir gegenüber ihre ernste Miene aufzugeben und einen heiteren Ton anzuschlagen, wie er den mir von ihr eingeflößten Gefühlen entspräche. Sie antwortete mir nur mit einer Kopfneigung, die ihre Dankbarkeit aussprach, zugleich aber auch eine unbedingte Ablehnung meines Anerbietens bedeutete.

»Morgen reise ich, Madame.« – Keine Antwort. Als ich hierauf von neuem ihre Hand ergriff, zog sie sie mit einer verächtlichen Miene zurück, die mich verletzte. Ich bat sie um Entschuldigung und ging hinaus, ohne mich länger aufzuhalten.

Dies passierte mir vor einer halben Stunde, Ich bin in die Frau nicht verliebt; meine Begierde entspringt mir einer Laune, und wie Sie sehen, lache ich darüber. Nur wundert mich ihr Benehmen, weil ich weiß, daß sie keinen Heller in der Tasche hat. Nun ist mir eingefallen, daß Sie vielleicht heute die Dame in den Stand gesetzt haben, mein Anerbieten verschmähen zu können; hierdurch würde mir ihr Verhalten einigermaßen verständlich werden; sonst aber wäre es eine Erscheinung, die ich mir durchaus nicht erklären könnte. Darf ich es wagen. Sie frei heraus zu bitten, mir zu sagen, ob Sie glücklicher gewesen sind als ich?«

Hoch erfreut über das Vertrauen einer so ehrenwerten Persönlichkeit, sagte ich ihm alles, ohne zu zögern; nachdem wir noch einige Vermutungen angestellt hatten, lachten wir beide über unser Mißgeschick. Ich mußte ihm versprechen, ihm nach Genua zu berichten, was ich während der beiden Tage erleben würde, die ich noch in Avignon zu verbringen beabsichtigte. Hierauf lud er mich ein, mit ihm an der Gasttafel zu Abend zu speisen, um die Haltung der schmollenden Schönen zu bewundern.

»Sie haben sehr gut zu Mittag gegessen,« sagte ich zu ihm, »und werden daher wahrscheinlich nicht zu Abend essen.«

»Ich wette, Sie tun es doch,« versetzte der Marchese lachend. Er hatte richtig geurteilt, und ich sah es nun klar, daß die Frau zu bestimmten Zwecken Komödie spielte. Neben sie hatte man einen Neuangekommenen Grafen Bussy gesetzt, einen hübschen jungen Mann und eitlen Windhund, Er verschaffte uns den Genuß des folgenden Auftrittes.

Er war ein liebenswürdiger Spaßmacher, sogar etwas possenhaft aufgelegt, gegen Frauen kühn bis zur Frechheit, und da er schon um Mitternacht abreisen wollte, begann er sogleich, seiner schönen Nachbarin den Hof zu machen und auf alle mögliche Weise sie zu reizen. Er fand jedoch nur eine stumme Bildsäule. Da er es aber nicht für menschenmöglich hielt, daß sie ihn zum besten halten könnte, so sprach und lachte er ganz allein immer darauf los.

Ich sah Herrn von Grimaldi an, der wie ich kaum imstande war, ernst zu bleiben. Der junge Lebemann wurde schließlich etwas ärgerlich, setzte aber seine Neckereien fort, indem er ihr die besten Bissen zu essen hinreichte, nachdem er selber davon gekostet hatte. Als die Schöne sich weigerte, diese anzunehmen, versuchte er, sie ihr in den Mund zu stecken. Dies brachte die Schöne in Harnisch, und sie stieß ihn zornig zurück. Als er sah, daß niemand ernstlich geneigt war, die Festung zu verteidigen, beschloß der junge Windbeutel, sie mit Sturm zu nehmen. Er ergriff mit Gewalt die Hand der Dame und küßte sie mehrere Male. Um sich frei zu machen, stand sie auf; er aber faßte sie um die Hüften und zog sie auf seinen Schoß. Nun stand jedoch der Mann auf, nahm ihren Arm und führte sie aus dem Saal. Ein wenig aus der Fassung gebracht, sah der Angreifer ihr einen Augenblick nach, setzte sich aber dann wieder an den Tisch und aß und lachte weiter, während die ganze übrige Gesellschaft in tiefem Schweigen dasaß. Er wandte sich an seinen Läufer, der hinter seinem Stuhl stand, und fragte ihn, ob sein Degen oben sei. Der Läufer sagte nein. Hierauf wandte sich der Hasenfuß zu einem Abbé, der neben ihm saß, und fragte ihn: »Wer ist der Herr, der meine Dame hinausgeführt hat?«

»Ihr Gatte.«

»Ihr Gatte! Oh! das ist etwas anderes! Ehemänner schlagen sich nicht, aber ein Mann von Ehre hat sich bei ihnen zu entschuldigen.«

Er stand auf, ging nach oben und kam gleich wieder herunter.

»Das ist ein dummer Ehemann! Er hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen und mir gesagt, ich solle in andere Häuser gehen, um meine Gelüste zu befriedigen. Es ist für mich nicht der Mühe wert, hier zu bleiben; es tut mir jedoch leid, der Geschichte keinen Abschluß geben zu können.«

Hierauf ließ er Champagner kommen und bot allen Anwesenden zu trinken an, von denen jedoch keiner seine Einladung annahm. Hierauf grüßte er die Gesellschaft und ging.

Herr von Grimaldi, der mich auf mein Zimmer begleitete, fragte mich, was ich bei der soeben erlebten Szene empfunden hätte. Ich sagte ihm, ich würde mich nicht gerührt haben, selbst wenn der Windbeutel ihr die Röcke hochgehoben hätte.

»Ich auch nicht,« sagte er; »aber wenn sie meine hundert Louis angenommen hätte, dann allerdings wäre es etwas anderes gewesen. Jedenfalls bin ich neugierig, wie die Sirene es anfangen wird, sich aus ihrer unangenehmen Lage zu ziehen; ich rechne darauf, Sie zu sehen, wenn Sie durch Genua kommen.«

Mit Tagesanbruch reiste er ab.

Als ich aufstand, erhielt ich einen Brief von der falschen Astraudy; sie fragte mich, ob ich sie mit ihrer großen Kameradin zum Abendessen erwarten wollte. Kaum hatte ich eine bejahende Antwort hierauf gegeben, als ich den falschen Herzog von Kurland vor mir sah, den ich in Grenoble getroffen hatte. Er sagte mir in sehr unterwürfigem Ton, er sei der Sohn eines Uhrmachers in Narwa, seine Schuhschnallen seien wertlos, und er bitte mich um ein Almosen. Ich gab ihm vier Louis. Als er mich hierauf um Diskretion bat, sagte ich ihm: »Sollte mich jemand nach Ihnen fragen, so werde ich die Wahrheit sagen – nämlich, daß ich nicht im geringsten weiß, wer Sie sind.«

»Ich reise nach Marseille und danke Ihnen noch sehr.«

»Gute Reise!«

Ich werde später meinen Lesern sagen, in welchen Verhältnissen ich den Mann in Genua traf; denn es ist nützlich, solche Leute, deren es leider in der Welt nur zu viele gibt, wahrheitsgetreu zu schildern.

Ich ließ den Wirt hinaufkommen und sagte ihm, daß ich ein leckeres Abendessen für drei Personen zu haben wünschte. Zugleich befahl ich ihm, in meinem Zimmer decken zu lassen.

Er antwortete mir: »Sie werden zu Ihrer Zufriedenheit bedient werden, übrigens komme ich eben vom Chevalier Stuard, bei dem ich Lärm gemacht habe.«

»Warum?«

»Weil er kein Geld hat, die Tagesrechnung zu bezahlen. Ich werde sie sofort vor die Tür setzen lassen, obgleich die schöne Dame im Bett liegt und solche Krämpfe hat, daß sie keine Luft kriegen kann.«

»Machen Sie sich an ihrer Schönheit bezahlt und machen Sie einen Strich durch die Rechnung.«

»Au« Schönheit mache ich mir sehr wenig; meine Zeit ist vorüber. Ich will aber keine Szenen mehr; denn sie schaden meinem Hause.«

»Sagen Sie ihr, sie würde von nun an mit ihrem Gemahl mittags und abends auf ihrem Zimmer speisen und ich würde für sie bezahlen, solange ich noch hier bleibe.«

»Das ist sehr edel! Aber Sie wissen doch, mein Herr, daß für Essen auf dem Zimmer der doppelte Preis gerechnet wird?«

»Das weiß ich.«

»Dann ist es gut.«

Ich verspürte ein gewisses Entsetzen, indem ich mir vorstellte, daß dieses schöne Weib, ohne andere Hilfsmittel als ihre eigene Person, von der sie keinen Gebrauch machen wollte, auf die Straße gestoßen werden sollte. Anderseits aber konnte ich es dem Gastwirt nicht verdenken; denn diese Art Leute sind für gewöhnlich wenig galant. Ich hatte ohne jede eigennützige Nebenabsicht nur einer Regung des Mitleids nachgegeben. Während ich mich noch diesen Gedanken hingab, trat Stuard bei mir ein. Er bedankte sich bei mir und bat mich, seine Frau aufzusuchen und ihr zuzureden, daß sie sich anders benehmen möchte.

»Sie wird mir nicht antworten, und das ist, wie Sie wissen, nicht angenehm.«

»Kommen Sie nur! Sie weiß, was Sie für uns getan haben; sie wird sprechen, denn das Gefühl ist doch schließlich…«

»Wie können Sie mir von Gefühlen sprechen nach dem, was ich gestern gesehen habe?«

»Der Herr ist um Mitternacht abgereist, und daran hat er wohl getan, denn sonst hätte ich ihn heute früh getötet!«

»Sie sind ein Prahlhans, mein lieber Herr – nehmen Sie mir es nicht übel, wenn ich Ihnen das sage. Nicht heute früh, sondern gestern hätten Sie ihn töten oder ihm wenigstens einen Teller ins Gesicht schmeißen müssen. Doch gehen wir zu Ihrer Frau!«

Ich fand sie in ihrem Bette, ihr Gesicht nach der Wand gekehrt, bis zum Halse zugedeckt und herzbrechend schluchzend. Ich begann ihr vernünftig zuzureden, aber sie erwiderte wie gewöhnlich wieder kein Wort darauf. Stuard wollte mich allein lassen; ich sagte ihm jedoch, ich würde sofort gehen, wenn er sich entfernte; denn es wäre für mich ganz unmöglich, sie zu trösten, und das könnte er sich ja selber sagen, nachdem sie die hundert Louis zurückgewiesen hätte, die der Herr Marchese Grimaldi ihr hätte geben wollen, ohne etwas anderes von ihr zu verlangen, als ihr die Hand küssen zu dürfen und sie lächeln zu sehen.

»Hundert Louis!« schrie der Rüpel mit einem Wachtstubenfluch. »Was ist das für ein Benehmen! Damit hätten wir nach Lüttich reisen können, wo wir unser Haus haben. Eine Prinzessin läßt sich die Hand umsonst küssen, um wieviel mehr also … Hundert Louis! das ist ja gräßlich!«

Diese Ausrufe, die in der Lage der Leute ganz natürlich waren, machten mich lachen. Der arme Teufel fluchte in allen Tonarten und wollte schließlich hinausgehen, als plötzlich die arme unglückliche Frau von ihren wahren oder verstellten Krämpfen befallen wurde. Sie streckte den einen Arm aus und packte eine Wasserkaraffe, die sie mitten ins Zimmer schmiß; dann streckte sie den anderen Arm aus und entblößte dabei ihren Busen. Stuard eilte hinzu, um sie festzuhalten, aber die Krämpfe wurden immer stärker, und die Decke verschob sich so, daß die zartesten und vollkommensten Formen völlig nackt dalagen. Endlich beruhigte sie sich, und da lag sie nun mit geschlossenen Augen, scheinbar völlig erschöpft, in der wollüstigsten Stellung da, die die personifizierte Liebesgier jemals erfinden könnte. Ich war in einer ungeheuren Erregung. Wie hätte ich auch so viele Reize sehen können, ohne den heftigsten Wunsch nach ihrem Besitz zu empfinden! In diesem Augenblick ließ der elende Gatte sie allein und ging hinaus, indem er zu mir sagte, er wolle Wasser holen. Ich merkte die Falle, und mein Selbstgefühl bewahrte mich davor, in sie hinein zu gehen. Ich glaubte zu bemerken, daß dieser ganze Auftritt nur ein abgekartetes Spiel war, um mir einen tierischen Genuß zu verschaffen und dabei noch der von einem dummen Stolz erfüllten Person die Möglichkeit zu lassen, ihre Teilnahme zu leugnen. Ich tat mir Gewalt an, zog sachte die Decke in die Höhe und verhüllte, was ich so gern noch mehr entblößt hätte. In die Hölle wünschte ich die entzückenden Schönheiten, die das Ungeheuer mir nur ausliefern wollte, um mich dadurch zu erniedrigen.

Stuald war ziemlich lange abwesend. Als er mit einer vollen Wasserflasche eintrat, fand er mich ganz anders, als er ohne Zweifel erwartet hatte, mit ruhigem Gesicht und in vollkommener Ordnung, Einige Augenblicke darauf ging ich hinaus, um durch einen Spaziergang am Rhôneufer mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden.

Ärgerlich auf mich selber, weil ich mich von dieser Spitzbübin behext fühlte, lief ich mit großen Schritten den Weg entlang. Vergebens führte ich mir alle möglichen Vernunftgründe vor; meine Aufregung schien nach der körperlichen Bewegung nur zu wachsen, und ich kam zu dem Schluß, daß Genuß, brutaler oder sentimentaler Genuß, der von mir gesehenen Schönheiten für mich notwendig sei, um meine auf Abwege geratene Vernunft wieder zu sich selber zu bringen. Ich sah, daß ich sie kaufen mußte, daß hier zartfühlende Umwerbung nichts nützen konnte, sondern daß ich ihr Geld geben und daß ich mich allen Opfern unterwerfen mußte. Ich bedauerte nur, daß ich mich einem falschen Zartgefühl hingegeben hatte; denn auf alle Fälle hätte ich nach der Befriedigung, wenn sie die Zimperliche gespielt hätte, sie verachten und ihr meine Verachtung fühlbar machen können. In meiner Ratlosigkeit beschloß ich schließlich, dem Gatten zu sagen, ich würde ihm fünfundzwanzig Louis geben, wenn er mir eine Zusammenkunft verschaffte, bei welcher ich mich befriedigen könnt«.

Ganz voll von diesem Gedanken, ging ich nach Hause. Ohne mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, ließ ich mir das Mittagessen auf meinem Zimmer auftragen. Leduc sagte mir, die Schöne speise ebenfalls auf ihrem Zimmer und der Wirt habe gesagt, sie werde nicht in den Speisesaal kommen. Dies wußte ich ja schon.

Nach dem Essen machte ich dem liebenswürdigen Dolci einen Besuch. Er stellte mich seinem Vater vor, einem sehr liebenswürdlgen Herrn, der leider nicht reich genug war, um den Wunsch seines Sohnes zu erfüllen und diesen reisen zu lassen. Der junge Mann besaß eine wunderbare Geschicklichkeit und konnte eine große Menge Taschenspielerstücke. Er war von sehr sanftem Charakter, und als er sah, daß mich der Zustand seines Herzens interessierte, erzählte er mir allerlei Geschichten, aus denen ich sah, daß ein Jüngling in seinem beneidenswerten Alter nur darum unglücklich sein kann, weil er noch keine Erfahrung hat. Eine reiche Frau wollte er nicht, weil eine solche von ihm verlangen würde, was ihm ohne Liebe zu gewähren schmachvoll dünkte; er schwärmte für ein junges Mädchen, das auf Ehrbarkeit Anspruch machte. Ich glaubte ihm einen guten Rat geben zu müssen. Ich sagte ihm, er solle der freigebigen Reichen seine Huld zuwenden und dem jungen Mädchen gegenüber von Zeit zu Zelt ein bißchen die Achtung verletzen, dabei jedoch immer höflich bleiben; sie würde ihn dafür ausschelten, aber ihm unfehlbar verzeihen. Er war kein Wüstling und neigte ein ganz klein wenig zu frommen, aber ketzerischen Ideen. Ei unterhielt sich in unschuldiger Weise mit gleichaltrigen Freunden in einem Garten in der Nähe von Avignon, wo eine Schwester der Gärtnersfrau ihn belustigte, wenn er allein mit ihr war.

Als die Nacht anbrach, ging ich nach Hause, und die Astraudy mit der Lepi – so hieß die Bucklige – ließen nicht auf sich warten. Als ich diese beiden Karikaturen vor mir sah, war ich doch sehr verdutzt. Ich hatte allerdings mich auf etwas Derartiges gefaßt gemacht, aber die Wirklichkeit erschreckte mich doch. Die Astraudy war häßlich und wußte es; darum suchte sie ihre Mängel durch eine maßlose Unanständigkeit zu ersetzen. Die Lepi war hinten und vorn bucklig, besaß aber Talent und den Geist ihres Handwerks in hohem Grade; sie konnte sicher sein, Begierden zu erregen, denn ihre Augen und Zähne waren von seltener Schönheit; die letzteren schien ihr riesiger Mund absichtlich sehen zu lassen, damit man ihre Regelmäßigkeit und die Frische ihres Schmelzes bewunderte. Die Astraudy lief auf mich zu und gab mir einen florentinischen Kuß, den ich wohl oder übel hinnehmen mußte, die Lepi war schüchterner und bot mir nur ihre Wange, die ich flüchtig mit den Lippen berührte. Als ich sah, daß die Astraudy schon mit ihren tollen Streichen beginnen wollte, bat ich sie, sie möchte sich mäßigen, denn ich wäre ein Neuling in derartigen Vergnügungspartien und müßte nach und nach dazu animiert werden, wenn ich Geschmack daran finden sollte. Sie versprach mir, daß sie vernünftig sein wollte. Während wir auf das Abendessen warteten, fragte ich sie, in Ermangelung eines anderen Gesprächsstoffes, ob sie in Avignon einen Liebhaber gefunden hätte.

»Ich habe hier nur den Auditor des Vizelegaten, der zwar geschlechtlich unnormal, aber liebenswürdig und freigebig ist. Ich habe mich seinem Geschmack schließlich doch anbequemt, was ich vor einem Jahre für unmöglich gehalten haben würde, weil ich mir einbildete, es müsse sehr weh tun; aber ich täuschte mich.«

»Der Auditor behandelte dich also als Knaben?«

»Ja. Meine Schwester würde ihn dafür angebetet haben, denn das ist ihre Leidenschaft.«

»Aber deine Schwester hat sehr stattliche Hüften.«

»Ich vielleicht nicht? Sieh doch nur, fühle doch nur!«

»Du bist sehr gut versehen. Aber warte doch, bitte, es ist noch Zeit dafür.«

»Nach dem Essen wollen wir richtig toll sein!«

»Weißt du,« sagte die Lepi zu ihr, »du bist jetzt schon toll!«

»Wieso denn toll?«

»Pfui! ist es denn erlaubt, sich so zu zeigen?«

»Liebe Freundin, du wirst es genau ebenso machen; wenn man in guter Gesellschaft ist, befindet man sich im goldenen Zeitalter.«

»Ich wundere mich,« sagte ich zu ihr, »daß du dein eigentümliches Verhältnis mit dem Auditor so einem jeden erzählst.«

»Das ist gut! Nicht ich erzähle es, sondern jeder erzählt es mir und macht mir Komplimente darüber. Man weiß, daß der brave Mann niemals Frauen geliebt hat, und es wäre lächerlich von mir, leugnen zu wollen, was ein jeder errät. Ich wunderte mich über meine Schwester; aber in dieser Welt soll man sich über nichts wundern. Aber bist denn du kein Freund davon?«

»Nein, ich bin nur Freund hiervon.«

Mit diesen Worten berührte ich die Lepi an der Stelle, wo wir gewohnheitsmäßig vermuten, was ich unter dem hiervon verstand. Als die Astraudy bemerkte, daß ich nichts fand, lachte sie laut auf, ergriff meine Hand und führte sie in die Höhe, bis zu dreiviertel Teilen des Körpers unmittelbar unter dem Buckel, wo ich wirklich das Gewünschte fand. Der Leser stelle sich meine Überraschung vor! Das arme Mädchen schämte sich, die Zimperliese zu spielen, und stimmte in das Gelächter ihrer Freundin ein. Auch ich geriet dadurch in heitere Stimmung, indem ich daran dachte, welches Vergnügen mir nach dem Abendessen eine solche für mich vollkommen neue Entdeckung verschaffen würde.

»Haben Sie denn niemals einen Liebhaber gehabt, meine liebe Lepi?«

»Nein,« antwortete die Astraudy für ihre Freundin; »sie ist noch Jungfer.«

»Das ist nicht wahr!« rief die Lepi etwas verwirrt, »ich habe je einen Liebhaber in Bordeaux und einen anderen in Montpellier gehabt.«

»Allerdings; trotzdem bist du aber doch noch immer so, wie du auf die Welt gekommen bist.«

»Das kann ich freilich nicht leugnen.«

»Wie, zwei Liebhaber und noch Jungfer! Das verstehe ich nicht. Bitte erzählen Sie mir das doch; denn so etwas ist ja einzig in seiner Art.«

»Bevor mein erster Liebhaber sich befriedigte, war ich ebenso, wie ich jetzt bin, und ich war damals erst zwölf Jahre alt.«

»Das ist ein wahres Wunder. Und was sagte er, als er Sie so fand, wie Sie sind?«

»Ich schwor ihm, er sei der erste; er glaubte mir dieses und schrieb meinen Zustand meiner körperlichen Gestalt zu.«

»Er war ein vernünftiger Mann; aber tat er Ihnen denn nicht weh?«

»Ganz und gar nicht; allerdings ging er sehr sachte mit mir um.«

»Du mußt,« sagte die Astraudy zu mir, »nach dem Essen einen Versuch machen; das wird komisch sein.«

»O nein! Das geht nicht!« rief die Lepi; »der Herr ist zu groß.«

»Ein schöner Grund! Hast du etwa Angst, daß sein ganzer Körper dabei beteiligt ist? Warte mal, ich will ihn dir zeigen!«

Mit diesen Worten begann das schamlose Frauenzimmer mich völlig zu entblößen, und ich ließ sie gewähren.

»Ich hatte es mir wohl gedacht!« rief die Lepi. »Das Ding geht niemals hinein!«

»Sicherlich ist das Geschmeide sehr groß,« sagte die Astraudy; »aber es gibt für alles ein Mittel: der gnädige Herr wird sich damit begnügen, wenn er nur zur Hälfte ein Unterkommen findet.«

»Ach, meine Liebe, nicht die Länge macht mir angst, sondern der Umfang; denn die Tür ist zu eng.«

»Das ist doch ein wahres Glück für dich; dann kannst du ja deine Erstlinge verkaufen, nachdem du schon zwei Liebhaber gehabt hast. Dies wäre freilich nichts Neues; unter solcher falschen Flagge segeln ja viele.«

Ihr Gespräch, dem es nicht an Witz mangelte, und besonders die Naivität der Buckligen, hatte bereits den Entschluß in mir gezeitigt, mich selber zu überzeugen. Das Essen wurde aufgetragen, und ich hatte das Vergnügen, die beiden Nymphen wie zwei Halbverhungerte essen und noch tüchtiger trinken zu sehen. Der Hermitagewein übte seine unausbleibliche Wirkung, und die Astraudy machte den Vorschlag, zu dem Kostüm unserer Ureltern zurückzukehren und uns aller künstlichen Hüllen zn entledigen, die die Natur entstellen.

»Mir ist es recht,« sagte ich zu ihr; »ich werde euch dabei nicht genieren.«

Ich trat hinter meine Bettvorhänge, zog mich aus, legte mich ins Bett und drehte ihnen den Rücken zu, bis sie fertig waren. Die Astraudy sagte mir Bescheid, und nun erregte die Lepi meine ganze Aufmerksamkeit.

Das Mädchen war schön, trotz seiner doppelten Mißbildung. Meine Blicke schüchterten sie ein; denn sie trat wahrscheinlich zum erstenmal als Mitwirkende in einer solchen Orgie auf. Ich suchte sie zu ermutigen, indem ich einzelne Schönheiten pries, die ihre sehr weißen und sehr hübschen Hände mir nicht verbergen konnten, und überredete sie endlich, sich an meine Seite zu legen. Ihr Buckel mnachte es ihr unmöglich, sich auf den Rücken zu legen, wenn man den Platz, den der Buckel einnahm, so nennen darf. Die Astraudy war jedoch ebenso raffiniert wie hilfsbereit; mit Hilfe von Kissen schob sie ihr Stützen unter, wie einem Schiff, das von Stapel gelassen werden soll. Mit der freundlichen Beihilfe der Astraudy glückte endlich die Einführung zur großen Befriedigung des Opferpriesters wie des Opfers. Nach Beendigung der feierlichen Handlung küßte sie mich, was sie vorher nicht gekonnt hatte; denn ihr Mund befand sich meiner Brust gegenüber, während meine Beine kaum bis zur Hälfte der ihrigen hinunterreichten. Ich hätte zehn Louis darum gegeben, um mich an dem sonderbaren Anblick weiden zu dürfen, den wir ohne Zweifel darboten, während wir diese Gruppe bildeten.

»Jetzt kommt aber die Reihe an mich!« rief dann die Astraudy; »nur darfst du dir keine Übergriffe in die Rechte meines Auditors erlauben. Bitte untersuche erst die Gegend, damit du weißt, wohin du kommst. Da!«

»Was soll ich denn mit dieser halben Zitrone machen?«

»Ich wünsche, daß du dich überzeugst, daß der Ort sauber ist und daß du ihn ohne Gefahr besuchen kannst.«

»Ist dies ein sicheres Mittel?«

»Ein unfehlbares; denn wenn der Weg nicht in Ordnung wäre, könnte ich das Brennen nicht ertragen.«

»Es ist geschehen. Bist du nun zufrieden?«

»Vollkommen. Aber höre, betrüge mich nicht: alles oder nichts! Mein Ruf würde gemacht sein, wenn ich meinen Gürtel erweitern müßte.«

Ich bitte meine Leser um die Erlaubnis, über gewisse Umstände dieser wirklich skandalösen Orgie einen Schleier ziehen zu dürfen. Das häßliche Geschöpf lehrte mich wirklich noch Neues. Endlich, obgleich ich mehr ermüdet als erschöpft war, sagte ich ihnen, sie möchten gehen; die Astraudy bestand jedoch darauf, zum Schluß noch einen Punsch zu machen. Ich willigte ein; da ich aber von allen beiden nichts mehr wissen wollte, so zog ich mich wieder an. Der Champagnerpunsch versetzte sie jedoch in eine solche Erregung, daß sie schließlich mich dahin brachten, mich ihrer Brunft ebenfalls hinzugeben. Die Astraudy gab ihrer Kameradin eine so eigentümliche Lage, daß ihre Buckel völlig verschwanden. Wie wenn ich Jupiters Oberpriesterin vor mir hätte, brachte ich ihr noch ein langes Opfer, währenddessen Tod und Leben mehrere Male bei ihr wechselten. Voller Ekel vor mir selber, entriß ich mich endlich ihrer geilen Wut. Um sie los zu werden, gab ich ihnen zehn Louis, worüber sie beinahe vor Seligkeit verrückt wurden. Die Astraudy fiel vor mir auf die Knie, segnete mich, dankte mir und nannte mich ihren Gott; die Lepi aber lachte und weinte gleichzeitig vor Freude. Dies verschaffte mir eine Viertelstunde lang einen Auftritt ganz eigentümlicher Art. Ich ließ sie in meinem Wagen nach Hause fahren.

Nachdem ich bis zehn Uhr geschlafen hatte, wollte ich gerade mein Zimmer verlassen, um einen Spaziergang zu machen, als Stuard mit verzweifelter Miene bei mir eintrat und mir sagte, wenn ich ihm nicht die Mittel gäbe, vor mir abzureisen, würde er sich in den Rhône stürzen.

»Das ist ja sehr tragisch,« sagte ich zu ihm; »aber dagegen gibt es noch Mittel. Ich bin bereit, fünfundzwanzig Louis zu zahlen; aber ich will sie Ihrer Frau Gemahlin geben und nur unter der Bedingung, daß sie eine Stunde lang mit mir allein und sanft wie ein Lamm ist.«

»Mein Herr, das ist gerade die Summe, die wir brauchen.«

»Sie steht zu Ihrer Verfügung. Sprechen Sie mit ihr darüber. Ich komme erst um zwölf Uhr nach Hause.«

Ich tat fünfundzwanzig Louis in eine hübsche kleine Börse und ging aus. Ich glaubte, der Sieg könnte mir nicht mehr entgehen, und eilte daher früher wieder nach Hause, als ich eigentlich gewollt hatte.

Ich betrat ihr Zimmer und näherte mich sehr rücksichtsvoll ihrem Bette. Bei meinem Anblick richtete sie sich auf, ohne ihren Busen zu verhüllen und sagte zu mir, bevor ich ihr guten Tag wünschen tonnte: »Da bin ich, mein Herr! Ich bin bereit, mit meiner Person die elenden fünfundzwanzig Louis zu bezahlen, die mein Mann braucht. Sie können mit mir machen, was Sie wollen; ich werde nicht den geringsten Widerstand leisten. Aber vergessen Sie eins nicht:indem Sie sich meine Lage zunutze machen, um Ihre tierische Begier zu befriedigen, müssen Sie sich weit tiefer erniedrigt fühlen, als ich es bin; denn ich verkaufe mich nur darum zu so niedrigem Preise, weil die Not mich dazu zwingt. Ihre Gemeinheit ist schmachvoller als meine Erniedrigung. Kommen Sie, hier haben Sie mich!«

Während sie die letzten Worte dieser schmeichelhaften Ansprache hervorbrachte, stieß sie heftig die Decke von sich und stellte ihren ganzen Leib, den ich schon einmal mit anderen Gefühlen hatte betrachten können, mir zur Schau. Eine Minute stand ich wie betäubt und voller Entrüstung vor ihrem Bett. Jedes Gefühl war in mir erloschen; ich sah in ihren wollüstigen Formen nur noch Reize, die allerdings entzückend waren, aber nur dazu dienten, eine verworfene oder rohe Seele zu verlarven. Mit der größten Kaltblütigkeit hob ich die Decke wieder auf, breitete sie über sie und sprach in kaltem, verächtlichem Ton folgende Worte:

»Nein, Madame, das werden Sie nicht erleben, daß ich dieses Zimmer durch Ihre Worte gedemütigt verlasse; aber ich gehe nicht eher, als bis ich Ihnen Wahrheiten gesagt habe, die Sie auf das tiefste demütigen müssen. Sie sollen nicht länger darüber im Zweifel sein, daß Sie keine Frau sind, die auch nur auf die geringste Achtung Anspruch erheben darf. Ich bin kein Tier, und um Sie davon zu überzeugen, werde ich von Ihnen gehen, ohne mich Ihrer Reize bemächtigt zu haben, die ich jetzt ebenso sehr verachte, wie ich sie hochgeschätzt haben würde, wenn Sie dieser Schönheiten würdig wären. Hier sind fünfundzwanzig Louis – eine erbärmliche Summe, um die Huld einer anständigen Frau zu bezahlen, aber mehr als zuviel für das, was Sie gewähren können, wenn man Sie kennt. Ich gebe Ihnen dieses Geld nur aus einer Regung des Mitleides, deren ich mich nicht erwehren kann, und die das einzige Gefühl ist, das Sie mir noch einflößen, aber eines muß ich Ihnen noch sagen: wenn Sie sich einmal für Geld preisgeben, so sind Sie ebensogut eine Verlorene, wenn Sie hundert Millionen, wie wenn Sie fünfundzwanzig Louis erhalten, sobald Sie nicht das Gefühl des Mannes teilen, dem Sie sich hingeben, oder sobald Sie sich nicht wenigstens so stellen, um das scheinbare Recht zu erwerben, sich selber noch achten zu dürfen. Leben Sie wohl!«

Ich ging wieder auf mein Zimmer, und nach einiger Zeit kam Stuard, um mir zu danken. Ich sagte ihm: »Ich bitte Sie, mein Herr, sprechen Sie nicht mehr von Ihrer Frau und lassen Sie mich in Ruhe.«

Den Tag darauf reiste er mit ihr nach Lyon ab. Meine Leser werden sehen, wie ich sie in Lüttich wiederfand.

Nach dem Essen kam Dolci und holte mich ab, um mit mir nach seinem Garten zu gehen und mir die Schwester der Gärtnersfrau zu zeigen. Sie war hübsch, aber nicht so hübsch wie er. Bald war sie in angeregter Stimmung, und nachdem sie sich ein bißchen geziert hatte, erklärte sie sich bereit, in meiner Gegenwart zärtlich mit ihm zu sein. Ich sah, daß dieser Adonis von der Natur reichlich ausgestattet war, und sagte mir, daß ein so reichbegabter Jüngling wie er nicht nötig habe, die Börse seines Vaters in Anspruch zu nehmen, wenn er reisen wolle. Bald darauf machte er sich meine Ratschläge zunutze. Ich hätte bei diesem schönen Ganymed infolge seines Liebesspiels mit der Gärtnerin leicht zum Jupiter werden können.

Auf dem Heimweg sah ich einen jungen Menschen von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren aus einem Schiff steigen. Seine Gesichtszüge trugen den Ausdruck von Traurigkeit, und er schien ein anständiger Mensch zu sein. Als er sah, daß ich ihn betrachtete, trat er auf mich zu und bat mich bescheiden um ein Almosen, indem er mir zugleich einen Schein reichte, der ihn dazu ermächtigte, und mir seinen Paß zeigte, aus welchem hervorging, daß er vor sechs Wochen Madrid verlassen hatte. Er stammte aus Parma und hieß Costa. Als ich das Wort Parma las, sprach das Heimatsgefühl zu seinen Gunsten bei mir, und ich fragte ihn, durch welches Unglück er so weit herunter gekommen sei, um betteln zu müssen.

»Nur dadurch, daß es mir an dem nötigen Gelde fehlte, um in mein Vaterland zurückzukehren,«

»Was taten Sie in Madrid, und weshalb gingen Sie dorthin?«

»Ich kam dorthin vor vier Jahren als Kammerdiener des königlichen Leibarztes Doktor Pistoria; da ich es bei ihm nicht gut hatte, so verließ ich ihn. Aus diesem Zeugnis hier geht hervor, daß ich ihm treu gedient habe.«

»Was können Sie?«

»Ich habe eine schöne Handschrift und kann als Sekretär dienen; ich gedenke in meiner Vaterstadt mich als öffentlicher Schreiber zu ernähren. Diese Verse hier habe ich gestern abgeschrieben.«

»Ihre Handschrift ist schön; aber sind Sie auch imstande, richtig zu schreiben?«

»Nach Diktat kann ich französisch, lateinisch und spanisch schreiben.«

»Aber auch richtig?«

»Gewiß, mein Herr, – wenn man nur richtig diktiert; denn es ist die Sache des Diktierenden, auf die Korrektheit zu achten.«

Ich sah, daß Gaetano Costa ein unwissender Mensch war; trotzdem nahm ich ihn mit auf mein Zimmer und ließ Leduc spanisch mit ihm sprechen. Er antwortete ziemlich gut; als ich ihm aber italienisch und französisch diktierte, stellte es sich heraus, daß er von Orthographie gar keine Ahnung hatte.

»Aber Sie können ja nicht schreiben!«

Als er über diese Worte gekränkt war, tröstete ich ihn, indem ich ihm sagte, ich würde ihn auf meine Kosten nach seiner Heimat bringen. Er küßte mir die Hand und versicherte mir, ich würde in ihm einen treuen Diener finden.

Der junge Mann gefiel mir wegen seiner eigentümlichen Denkweise; da er sich dieselbe zunutze zu machen gewußt hatte, um sich von den Dummköpfen zu unterscheiden, unter denen er bis dahin gelebt hatte, so brachte er sie mit gutem Gewissen allen anderen Leuten gegenüber zur Anwendung. Die Kunst eines Schreibers bestand nach seiner Ansicht nur in einer guten Handschrift; wer die beste hatte, übertraf in seinen Augen alle anderen. Dies sagte er zu mir, indem er ein von mir beschriebenes Papier betrachtet. In der Tat war meine Handschrift nicht so leserlich wie die seinige. Er gab mir also stillschweigend zu verstehen, daß ich hinter ihm zurückstehe und ihm daher in Anbetracht seiner Überlegenheit eine gewisse Achtung nicht versagen könne. Ich lachte über diese törichte Einbildung, und da ich glaubte, daß er nicht unverbesserlich sei, so behielt ich ihn. Ohne diese Überspanntheit würde ich ihm ein Almosen gegeben haben und wäre niemals auf den unvernünftigen Einfall gekommen, ihn bei mir zu behalten. Er sagte, die Orthographie sei überflüssig; denn wer sie kenne, könne leicht den Sinn der Worte erraten, wer sie aber nicht kenne, sei auch nicht imstande, die Fehler zu bemerken. Ich lachte, und da ich mich in eine Erörterung darüber nicht einließ, sah er mein Lachen als eine Zustimmung an. In einem der Sätze, die ich ihm diktierte, wurde auch das Konzil von Trente erwähnt. Nach seinem System schrieb er dies Wort mit einer 3 und einer 0. Ich lachte laut auf. Er geriet dadurch jedoch keineswegs aus der Fassung, sondern sagte, da die Aussprache dieselbe sei, so erhalte das Wort seine Bedeutung durch die Idee und nicht durch die verschiedenen Buchstaben, aus denen es bestehe. Der Bursche war in der Tat nur dumm, weil in ihm Geist mit Unwissenheit und Anmaßung gemischt war. Kurz und gut, ich behielt ihn, weil mir sein ganzes Wesen originell erschien. Wie der Leser spater bemerken wird, bewies ich dadurch, daß ich dümmer war als er.

Am anderen Morgen verließ ich Avignon und fuhr geraden Weges nach Marseille, ohne in Aix, wo das Parlament seinen Sitz hat, Aufenthalt zu nehmen. Ich stieg in den „Dreizehn Kantonen“ ab, da ich mindestens acht Tage in der alten Kolonie der Phokäer verbringen und meine Freiheit recht ausnützen wollte. Darum hatte ich mich nicht mit Empfehlungsbriefen versehen; denn da ich reichlich bares Geld besaß, brauchte ich keinen Menschen. Ich befahl meinem Wirt, das Essen auf meinem Zimmer auftragen zu lassen und mir eine gute Mahlzeit aus Fastenspeisen zurecht zu machen; denn ich wußte, daß der Fisch in Marseille köstlicher ist als überall sonst auf der ganzen Welt.

Am nächsten Morgen ging ich mit einem Lohndiener aus, um mich von ihm nach meinem Gasthof zurückbringen zu lassen, sobald ich genug spazieren gegangen wäre. Indem ich aufs Geratewohl meiner Nase nach ging, kam ich auf einen sehr langen und sehr breiten schönen Kai. Ich glaubte in Venedig zu sein, und mein Busen schwoll von einem Gefühl des Glücks; so tief wurzelt die Liebe zum Vaterland im Herzen jedes wackeren Menschen. Ich sah zahlreiche Schenken, in denen viele Zecher sich an griechischen und spanischen Weinen gütlich taten. Eine Menge geschäftiger Leute bewegte sich drängend und schiebend nach allen Richtungen hin; jeder dachte nur an sich und fragte wenig danach, ob er etwa anderen lästig würde. Hausierer, schlecht und gut gekleidete, mehr oder weniger hübsche Mädchen, Weiber mit schamlosen Blicken, die jedem winkten, der sie ansah, bewegten sich in diesem Gewühl. Ich sah auch andere Frauen, die bescheiden, aber gut gekleidet waren, ohne jeden Seitenblick ihres Weges gehen und so den vollkommensten Gegensatz zu den anderen bildend, obgleich viele von ihnen das gleiche Ziel verfolgten.

Das bunte Gemisch aller Trachten: der ernste Türke neben dem lebhaften Andalusier, der französische Stutzer, der stumpfsinnige Afrikaner, der schlaue Grieche, der schwerfällige Holländer – dies alles erinnerte mich an meine Heimat, und ich fühlte mich glücklich.

Nachdem ich einige Augenblicke an einer Straßenecke stehen geblieben war, um den Theaterzettel zu lesen, kehrte ich recht ermüdet in meinen Gasthof zurück, um mich an einem köstlichen Mahle zu erquicken, das ich reichlich mit gutem Syrakuser Wein benetzte. Nach dem Essen zog ich mich elegant an und ging dann in die Komödie, wo ich einen Platz im Amphitheater nahm.

Fünftes Kapitel


Rosalie. – Toulon. – Nizza. – Meine Ankunft in Genua. – Herr von Grimaldi. – Veronika und ihre Schwester.

Ich bemerkte, daß die ersten vier Logen auf beiden Seiten des Theaters von gutgekleideten hübschen Frauen ohne einen einzigen Kavalier besetzt waren. Während des ersten Zwischenaktes sah ich Herren aller Stände kavaliermäßig in diesen Logen eintreten und an die erste beste Dame galante Bemerkungen richten. Plötzlich hörte ich, wie ein Malteserritter zu der Dame, die allein in einer Loge neben der meinigen saß, die Worte sprach: »Ich komme morgen zu dir zum Frühstück.« Dies genügte mir, um völlig Bescheid zu wissen. Ich sah sie mir näher an, und da ich sie sehr appetitlich fand, sagte ich zu ihr, sobald der Ritter sich entfernt hatte: »Wollen Sie mir ein Abendessen geben?«

»Mit Vergnügen, mein guter Freund; aber man hat mich so oft angeführt, daß ich nicht auf dich warten werde, wenn du mir nicht ein Handgeld gibst.«

»Was heißt das, daß ich Ihnen ein Handgeld geben soll? Ich verstehe nicht.«

»Du bist offenbar noch neu hier.«

»Ganz neu.«

Sie lachte, rief den Malteserritter heran und sagte zu diesem: »Tu mir den Gefallen und erkläre diesem fremden Herrn, der heute Abend bei mir zu speisen wünscht, was das Wort Handgeld bedeutet.«

Der Malteserritter sagte mir mit einem sehr liebenswürdigen Lächeln, das Fräulein wünschte, daß ich ihr das Souper vorausbezahlte, damit sie sicher wäre, daß ich nicht vergessen würde, ihr diese Ehre zu erweisen. Ich dankte ihm und fragte das Fräulein, ob ein Louis genug sei. Sie bejahte, ich gab ihr das Goldstück und bat um ihre Adresse. Der Ritter sagte mir mit der größten Höflichkeit, er würde mich nach Schluß des Theaters selber hinführen. Ferner sagte er mir, die Dame sei das ausgelassenste Mädchen von Marseille. Er fragte mich, ob ich die Stadt kenne; und da ich ihm antwortete, ich sei erst an diesem Tage angekommen, wünschte er sich Glück, daß er einer der ersten wäre, die meine Bekanntschaft machten. Wir gingen die Mitte des Amphitheaters, und dort nannte er mir ein Dutzend oder mehr Mädchen, die wir zur Linken und zur Rechten sahen und die sämtlich bereit waren, den ersten besten zum Souper mitzunehmen. Sie haben alle freien Eintritt, der Theaterunternehmer findet seine Rechnung dabei; denn Frauen von gutem Ton kommen nicht in diese Logen, und die Nymphen ziehen viele Leute an. Ich bemerkte unter ihnen fünf oder sechs, die hübscher waren als die, bei der ich mich eingeladen hatte; aber ich blieb für diesen Abend bei meiner Ausgewählten und verschob es auf die nächsten Tage, mich mit den anderen bekannt zu machen.

»Ist Ihre Favorite unter diesen Schönen?« fragte ich den Ritter.

»Nein, ich liebe eine Tänzerin, die ich aushalte, und ich werde Sie mit ihr bekannt machen, denn ich bin glücklicherweise nicht eifersüchtig.«

Nach Schluß der Vorstellung führte er mich an die Tür meiner Schönen, und dort trennten wir uns, indem wir uns versprachen, uns wiederzusehen.

Ich fand die Nymphe im Hauskleide; dieses stand ihr nicht gut, und sie gefiel mir nicht. Sie gab mir ein gutes Abendessen, das sie durch geistreiche tolle Scherze erheiterte; hierdurch erhielt ich eine etwas bessere Meinung von ihr. Als wir gespeist hatten, legte sie sich zu Bett und forderte mich auf, es ebenfalls zu tun.

»Ich schlafe niemals in einem fremden Bett.«

Hierauf bot sie mir das englische Röckchen an, das der Seele Ruhe gibt; aber ich wollte es nicht nehmen, weil es von zu geringer Güte war.

»Ich habe auch feinere, aber sie kosten drei Franken das Stück, und die Händlerin verkauft sie nur dutzendweise.«

»Wenn sie schön sind, will ich das Dutzend nehmen.«

Sie klingelte, und ein reizendes junges Mädchen mit bescheidener Miene trat ein. Sie machte Eindruck auf mich, und ich sagte, als das junge Mädchen hinausgegangen war, um die schützenden Überzüge zu holen: »Du hast da eine hübsche Kammerzofe.«

»Sie ist fünfzehn Jahre alt und weigert sich dummerweise, irgend etwas mitzumachen, weil sie noch ganz unschuldig ist.«

»Gestattest du, daß ich mich davon überzeuge?«

»Du kannst ihr den Vorschlag machen, aber ich bezweifle, daß sie darauf eingeht.«

Das Mädchen kam mit dem Paket herein. Ich setzte mich in Positur und befahl ihr, mir eins anzuprobieren. Sie machte sich an die Arbeit, aber mit schmollender Miene und mit einer Art von Widerstreben, wodurch sie meine Teilnahme erregte. Da das erste nicht paßte, mußte sie ein zweites versuchen, – das ich reichlich bespritzte. Ihre Herrin fing an zu lachen; sie aber warf mir entrüstet über mein Benehmen das ganze Paket ins Gesicht und lief zornig hinaus. Da mir die weitere Lust vergangen war, so steckte ich das Paket in meine Tasche, gab der Dame zwei Louis und ging. Das Mädchen, das ich so rücksichtslos behandelt hatte, leuchtete mir an die Tür; ich glaubte die Beschimpfung wieder gut machen zu müssen, gab ihr einen Louis und bat sie um Verzeihung. Das arme Mädchen war darüber ganz verblüfft, küßte mir die Hand und bat mich, ihrer Gnädigen nichts zu sagen.

»Ich verspreche es dir, meine Liebe; aber sage mir, ist es wirklich wahr, daß du noch unberührt bist?«

»Das ist vollkommen wahr, mein Herr.«

»Ei, das ist ja ein wahres Wunder! Aber sage mir, warum hast du mir den Wunsch abgeschlagen, mich davon zu überzeugen?«

»Weil mich das empört.«

»Du wirst dich aber doch wohl dazu entschließen müssen, denn sonst wärest du ja zu nichts zu gebrauchen, so hübsch du auch bist. Willst du mich?«

»Ja, aber nicht in diesem scheußlichen Hause.«

»Aber wo denn sonst?«

»Lassen Sie sich morgen zu meiner Mutter führen, ich werde dort sein. Ihr Lohndiener weiß, wo sie wohnt.«

Als ich auf der Straße war, fragte ich den Lakaien, ob er das Mädchen kenne.

»Ja; und ich halte sie für anständig.«

»Sie werden mich morgen früh zu ihrer Mutter bringen.«

Am anderen Morgen führte er mich ans Ende der Stadt in ein armseliges Haus. Ich fand im Erdgeschoß eine alte Frau mit armen Kindern, welche ein hartes schwarzes Brot aßen.

»Was wollen Sie?« fragte sie mich.

»Ist Ihre Tochter hier?«

»Nein. Und wenn sie auch hier wäre? Halten Sie mich vielleicht für ihre Kupplerin?«

Inzwischen kam die Tochter an. Die wütende Mutter warf einen in ihrer Nähe stehenden Topf nach ihr. Glücklicherweise konnte das Mädchen dem Wurf ausweichen, aber den Klauen der alten Frau wäre sie nicht entgangen, wenn ich nicht zwischen sie getreten wäre. Die Mutter heult, die Kinder brüllen, und das arme Mädchen weint. Infolge dieses Spektakels tritt mein Lohndiener ein.

»Spitzbübin!« schreit die Mutter; »du entehrst mich! Hinaus aus meinem Hause! Ich bin nicht mehr deine Mutter.«

Ich war in großer Verlegenheit. Mein Diener bat sie, doch nicht so laut zu schreien, daß alle Nachbarn es hören könnten; aber das wütende Weib antwortete auf seine Ermahnungen nur mit den gröbsten Schimpfworten. Ich zog einen Sechsfrankentaler aus der Tasche und gab ihr den; sie warf ihn mir an den Kopf. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit dem Mädchen hinauszugehen. Sie hatte das arme Kind bei den Haaren gepackt, aber mein Diener hatte sie aus ihren Händen befreit.

Kaum war ich auf der Straße, so pfiff der Pöbel, der von dem Lärm herbeigezogen war, mich aus und verfolgte mich. Ohne Zweifel wäre ich in Stücke gerissen worden, wenn ich nicht in eine Kirche geflüchtet wäre, die ich erst eine Viertelstunde darauf durch eine andere Tür verließ. Nur die Flucht rettete mir das Leben; denn ich kannte die Wut der Provenzalen und hütete mich darum, auch nur ein einziges Wort auf die Schimpfreden zu erwidern, die von allen Seiten auf mich herunterhagelten. Ich bin, glaube ich, niemals in größerer Lebensgefahr gewesen als an diesem Tage.

Bevor ich noch in meinem Gasthof angekommen war, holte mein Lohndiener mit dem jungen Mädchen mich ein. Ich sagte zu ihr: »Wie konnten Sie mich in eine so entsetzliche Lage bringen, da Sie doch den wütenden Charakter Ihrer Mutter kannten?«

»Ich hoffte, sie würde vor Ihnen Respekt haben.«

»Nun beruhigen Sie sich, weinen Sie nicht mehr! Aber sagen Sie mir, wie ich Ihnen nützlich sein könnte?«

»Ich liege auf der Straße. Ehe ich in das abscheuliche Haus zurückkehre, wo ich gestern war, stürze ich mich ganz gewiß lieber ins Meer!«

»Kennen Sie,« fragte ich meinen Lohndiener, »irgendein anständiges Haus, wo ich das Mädchen unterbringen kann?«

Er antwortete nur, er kenne einen ehrenwerten Mann, der möblierte Zimmer vermiete.

»Gehen Sie voraus, ich folge Ihnen.«

Ich fand in dem Hause einen Greis, der mir Zimmer in allen Stockwerken zeigte.

»Ich brauche nur einen kleinen Winkel,« sagte das junge Mädchen. Der alte Mann führte uns nun auf den Dachboden, öffnete eine Kammer und sagte: »Dieses Kabinett kostet monatlich sechs Franken; aber die Miete muß im voraus bezahlt werden, und ich mache Sie darauf aufmerksam, daß meine Haustür stets um zehn Uhr geschlossen wird, und daß niemand die Nacht bei Ihnen zubringen darf.«

Die Kammer enthielt ein Bett mit groben Laken, zwei Stühle, ein Tischchen und eine Kommode. Ich fragte ihn, wieviel er täglich für die Verpflegung des Mädchens verlange. Er forderte zwanzig Sous und außerdem zwei Sous für die Magd, die ihr das Essen bringen und die Kammer reinhalten würde.

»Das genügt mir,« sagte das junge Mädchen, zugleich bezahlte sie die Miete für den Monat und die Kost für den Tag. Ich verabschiedete mich von ihr, indem ich ihr sagte, ich würde wiederkommen.

Während wir die Treppe hinuntergingen, fragte ich den alten Mann nach einem Zimmer für mich. Er zeigte mir ein sehr sauberes Zimmer, das einen Louis kostete; ich bezahlte es für einen Monat im voraus. Er gab mir einen Hausschlüssel, um nach meinem Belieben ein- und ausgehen zu können, und sagte: »Wenn Sie essen wollen, mein Herr, werde ich Sie ganz nach Ihrem Wunsch bedienen.«

Nachdem ich dieses gute Werk vollbracht hatte, speiste ich allein zu Mittag; hierauf ging ich in ein Café, wo ich den liebenswürdigen Malteserritter am Spieltisch traf. Sobald er mich sah, hörte er auf, steckte eine Hand voll Gold, das er gewonnen hatte, in die Tasche und begrüßte mich mit jener ausgesuchten Höflichkeit, die den Franzosen angeboren zu sein scheint. Auf seine Frage, ob ich mit meiner Schönen, bei der ich soupiert hätte, zufrieden gewesen wäre, erzählte ich ihm alles Vorgefallene. Er lachte darüber und schlug mir vor, mich zu seiner Tänzerin zu führen. Wir fanden diese unter dem Kamm ihres Friseurs, und sie empfing mich scherzend wie einen guten Bekannten. Sie interessierte mich jedoch nicht; um aber dem liebenswürdigen Malteserritter einen Gefallen zu tun, tat ich, als finde ich sie sehr hübsch.

Als der Friseur fortgegangen war, zog sie sich ohne alle Umstände an, da sie am Abend auftreten sollte. Der Ritter half ihr das Hemd wechseln; sie zog es sich ohne alle Ziererei an, doch bat sie mich vorher um Entschuldigung.

Da ich ihr daraufhin ein Kompliment machen mußte, fiel mir nichts Besseres ein, als ihr zu sagen, sie habe mich durchaus nicht beleidigt, wohl aber mich aufgeregt.

»Das glaube ich nicht!« sagte sie.

»Ganz gewiß, es ist wahr!« versetzte ich.

Sie trat an mich heran, um sich zu überzeugen, und als sie sah, wie ich sie belogen hatte, sagte sie mit einer halb schmollenden Miene:

»Sie sind ein Taugenichts!«

Es gibt in ganz Frankreich keine Stadt, wo die Kurtisanen so ausschweifend sind wie in Marseille; sie setzen nicht nur ihren Stolz darein, niemals etwas abzuschlagen, sondern sie sind die ersten, alles anzubieten.

Die Tänzerin zeigte mir eine Repetieruhr, die sie in einer Lotterie, zu zwölf Franken das Los, ausspielen wollte. Sie hatte noch zehn Lose; ich nahm ihr diese ab, und meine fünf Louis machten ihr solche Freude, daß sie mir um den Hals fiel und zum Malteserritter sagte, sie würde ihm untreu werden, sobald ich Lust hätte.

»Das freut mich außerordentlich,« sagte der Ritter. Er bat mich, bei ihr mit ihm zu soupieren, und ich nahm die Einladung an; das einzige Vergnügen jedoch, das ich mir verschaffte, bestand darin, zuzusehen, wie der Ritter seine Pflicht bei ihr erfüllte. Er stand jedoch weit hinter Dolci zurück.

Nachdem ich ihnen gute Nacht gewünscht hatte, verließ ich sie und begab mich nach dem Hause, wo ich das arme Mädchen untergebracht hatte. Die Magd führte mich in mein Zimmer, und ich fragte sie, ob ich nach dem Boden gehen könnte. Sie nahm das Licht, und ich folgte ihr. Rosalie, so hieß das junge Mädchen, erkannte meine Stimme und machte mir auf. Ich sagte der Magd, sie möchte in meinem Zimmer auf mich warten, setzte mich auf das Bett und fragte das schöne Kind: »Bist du zufrieden, meine Liebe?«

»Ich fühle mich glücklich.«

»Ich hoffe doch, du wirst so gefällig sein und mir an deiner Seite Platz machen.«

»Sie haben zu befehlen, aber ich muß Ihnen gestehen. Sie werden mich nicht so finden, wie ich Ihnen gesagt habe; denn ich habe mich bereits hingegeben, allerdings nur ein einziges Mal.«

»Du hast mir also eine Lüge gesagt?«

»Verzeihen Sie mir! Ich konnte nicht ahnen, daß Sie mich lieben würden.«

»Ich verzeihe dir gern, besonders da ich darauf gar keinen Wert lege.«

Sanft wie ein Lamm ließ sie mich alle ihre Schönheiten betrachten, die ich mit Händen und Mund verschlang. Der Gedanke, daß ich diese Schätze besitzen sollte, versetzte mein ganzes Wesen in Glut; aber ihre gehorsame Miene betrübte mich, und ich fragte sie: »Warum, reizende Rosalie, kommst du nicht meinen Wünschen entgegen?«

»Ich wage es nicht, weil ich fürchte, Sie könnten mich in Verdacht haben, daß ich mich verstelle.«

Falschheit und studierte Koketterie können wohl eine solche Antwort geben; was aber eine noch so wohl überlegte Berechnung nicht hervorbringen kann, das ist der Ton von Aufrichtigkeit und schüchterner Wahrhaftigkeit, womit das herrliche Mädchen diese Worte aussprach. Ungeduldig nach ihrem Besitz warf ich meine Kleider ab; zu meiner höchsten Überraschung aber fand ich in ihr eine vollkommene Jungfrau.

»Warum,« fragte ich sie, »hast du gesagt, du habest einen Liebhaber gehabt? Eine solche Lüge hat noch niemals ein junges Mädchen gesagt.«

»Ich habe wirklich nicht gelogen; aber es ist mir lieb, daß es Ihnen so vorkommt.«

»Erzähle mir dies.«

»Gern, denn ich wünsche mich Ihres Vertrauens würdig zu machen; die Sache verhält sich folgendermaßen: Vor zwei Monaten liebte meine Mutter mich noch, trotz ihrem aufbrausenden und trotzigen Wesen. Ich arbeitete als Näherin und verdiente täglich zwanzig bis dreißig Sous. Ich gab alles meiner Mutter. Ich hatte nie einen Liebhaber gehabt und dachte überhaupt nicht an Liebe, denn ich mußte lachen, wenn man mich wegen meiner Einsamkeit pries. Von Kindheit an war ich daran gewöhnt worden, den jungen Leuten, denen ich auf der Straße begegnete, niemals ins Gesicht zu sehen und ihnen nicht zu antworten, wenn sie irgendwelche fade Redensarten an mich richteten.

Es ist nun zwei Monate her, da kam ein recht hübscher junger Mensch, ein kleiner Kaufmann aus Genua, zu meiner Mutter, um von ihr sehr feine baumwollene Strümpfe waschen zu lassen, die von dem Seewasser ein wenig verdorben waren. Als er mich sah, lobte er meine Schönheit, doch tat er dies auf die anständigste Art von der Welt. Er gefiel mir; ohne Zweifel hatte er dies bemerkt, denn er kam jeden Abend wieder. Meine Mutter war stets zugegen; er plauderte und sah mich an, aber niemals nahm er auch nur meine Hand, um sie zu küssen. Meine Mutter sah mit großem Vergnügen, daß der junge Mann mich liebte, und schalt mich oft aus, ich wäre nicht höflich genug gegen ihn. Nach einiger Zeit mußte er mit dem kleinen Schiff, das sein Eigentum war, nach Genua fahren, um eine Warenladung dorthin zu bringen. Er hatte uns versichert, er würde im nächsten Frühjahr wiederkommen und uns dann seine Absichten kundgeben. Er hoffe, ich werde stets tugendhaft sein und vor allen Dingen mit keinem Liebhaber verkehren. Dies war vielsagend. Meine Mutter sah in ihm nunmehr den Mann, dem ich einstmals angehören würde, und ließ mich bis Mitternacht mit ihm an der Haustür plaudern. Wenn er fortging, schloß ich die Tür und legte mich neben meine Mutter, die ich stets bereits eingeschlafen fand, ins Bett. Vier oder fünf Tage vor seiner Abreise nahm er meinen Arm und lud mich ein, ihn etwa fünfzig Schritte von unserem Hause in ein Weinhaus zu begleiten und bei dem griechischen Wirt, der die ganze Nacht offen hielt, ein Glas Muskateller zu trinken. Wir blieben nur eine halbe Stunde beieinander, und bei dieser Gelegenheit gab er mir die ersten Küsse. Nach Hause kommend, fand ich meine Mutter wach; ich erzählte ihr alles, so unschuldig fand ich die ganze Sache.

Aufgeregt von der Erinnerung an die Erlebnisse der vorigen Nacht, erklärte ich mich am nächsten Tage bereit, abermals mit ihm zu gehen. Die Liebe machte weitere Fortschritte. Die Liebkosungen, die wir einander erwiesen, waren nicht mehr unschuldig; denn wir wußten wohl, daß wir weiter gegangen waren, als die Pflicht uns erlaubte. Gleichwohl verziehen wir uns, denn des Wesentlichen hatten wir uns enthalten.

In der übernächsten Nacht sollte mein Geliebter abfahren; er verabschiedete sich von meiner Mutter, und sobald diese im Bett lag, zögerte ich nicht länger, ihm den Genuß zu bewilligen, den ich ebenso sehr wünschte wie er. Wir gingen zum Griechen, aßen und tranken, und unsere erhitzten Sinne ließen die Liebe triumphieren: wir vergaßen unsere Pflicht und glaubten Wunder was Herrliches zu tun. Nach unserer Niederlage schliefen wir ein; aber als wir erwachten, da erkannten wir im hellen Licht des Tages den Fehltritt, den wir begangen hatten. Mehr traurig als froh trennten wir uns, und meine Mutter empfing mich ungefähr ebenso, wie Sie heute morgen es mit angesehen haben. Ich versicherte ihr, eine Heirat würde die Schande meines Verbrechens auslöschen; aber als sie dies Geständnis hörte, ergriff sie einen Stock und würde mich totgeschlagen haben, wenn ich nicht, mehr aus Instinkt als aus Berechnung, entflohen wäre.

Da war ich nun auf der Straße. Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte; so trat ich denn in eine Kirche ein und kniete dort, wie betäubt, im Gebet bis zum Mittag. Denken Sie sich meine Lage: ich hatte Hunger und wußte nicht, wo ich schlafen sollte; ich hatte keine anderen Kleider als die, die ich auf dem Leibe trug, und besaß keinen Heller, um mir ein Stück Brot zu kaufen. Eine Frau sprach mich auf der Straße an. Ich kannte sie und wußte, daß sie sich ihren Lebensunterhalt damit verdiente, Familien, welche Dienstboten brauchten, solche zu besorgen. Ich fragte sie sofort, ob sie mir einen Dienst verschaffen könnte.

Sie antwortete: «Man hat heute ein Mädchen von mir verlangt, aber es ist bei einer Dame von schlechtem Lebenswandel, und wenn Sie diesen Platz annehmen, wird es Ihnen, hübsch wie Sie sind, schwer fallen, anständig zu bleiben.»

«Ich werde mich gegen die Ansteckung zu wehren wissen,»rief ich; «ich bin in einer Lage, alles annehmen zu müssen.»

Sie führte mich zu dem Fräulein, das mich mit Vergnügen annahm und hocherfreut war, als ich auf ihre Frage antwortete, ich hätte noch niemals etwas mit einem Mann zu tun gehabt. Es hat mir seitdem oft leid getan, diese Lüge zu ihr gesagt zu haben, denn in den acht Tagen, die ich bei dieser liederlichen Dame verbrachte, hatte ich die bittersten Beschimpfungen zu erdulden, die jemals einem anständigen Mädchen widerfahren sind. Kaum hatten die Männer, die sie besuchten, mich bemerkt und von ihr erfahren, daß ich noch Jungfer sei, so wollten sie ihre tierische Lust an mir befriedigen und boten mir Gold, aber unter der Bedingung, daß ich mich vorher untersuchen ließ. Da ich mich weigerte, so verhöhnte man mich. Aber das war noch nicht alles. Fünf- oder sechsmal täglich sah ich mich genötigt, bei den rohen Genüssen zugegen zu sein, die die Kunden sich mit meiner Herrin verschafften, und nachts, wenn ich ihnen die Treppe hinunterleuchten mußte, überschütteten sie mich mit Schmähungen, weil ich mich weigerte, ihnen für elende zwölf Sous einen ekelhaften Dienst zu leisten. Es war mir nicht mehr möglich, dieses Leben noch länger zu führen, und als Sie gestern kamen, ging ich schon mit dem Gedanken um, mich ins Wasser zu stürzen. Sie behandelten mich so überaus schmachvoll, daß ich in meinem Entschluß noch bestärkt wurde; beim Fortgehen aber benahmen Sie sich so höflich und großmütig, daß ich augenblicklich Liebe zu Ihnen faßte, denn ich hielt Sie für den Mann, den die Vorsehung dazu ausersehen hätte, mich von dem Sturz in den Abgrund zu bewahren. Ich glaubte, Ihre Erscheinung würde vielleicht meine Mutter beruhigen und Sie könnten sie überreden, mich wieder bei sich aufzunehmen, bis mein Liebhaber käme und mich heimführte. Sie haben mir diese Täuschung benommen; ich bin, wie ich sehe, in ihren Augen ganz und gar verloren. Nehmen Sie mich zu Ihrer Magd; ich werde treu nur Sie allein lieben, werde mich Ihnen ganz und gar unterwerfen, und Sie sollen niemals über mich zu klagen haben.«

Ich weiß nicht, war es Tugend, war es Schwachheit – genug, diese Erzählung des interessanten Opfers einer Sinnenverirrung und der übergroßen Strenge einer Mutter riß mich zu Tränen hin; als sie mich gerührt sah, flossen auch ihre Tränen stromweise; dies war kein Wunder, denn gewiß bedurfte ihr junges armes Herz einer Erleichterung.

«Ich glaube, meine arme Rosalie, du hast nur ein Hemd.«

»Ach das ist leider nur wahr.«

»Sei ruhig, meine Liebe, morgen wirst du alles haben, was du brauchst, und morgen Abend wirst du im zweiten Stock mit mir speisen. Ich werde für dich sorgen.«

»Sie haben also Mitleid mit mir?«

»Ich glaube, mein liebes Kind, es ist mehr Liebe als Mitleid.«

»Das gebe Gott!«

Über dieses »Das gebe Gott«, das ihr aus der innersten Seele kam, mußte ich laut lachen.

Die Magd, die seit zwei Stunden auf mich wartete, legte ihr mürrisches Gesicht in freundliche Falten, als sie den Sechs-Frankentaler sah, den ich ihr zur Entschädigung in die Hand drückte. Ich sagte zu ihr: »Sage deinem Herrn, ich werde morgen Abend mit Rosalie Fastenspeisen essen, und sage ihm, daß ich gut zu essen liebe.«

Heftig verliebt in das junge Mädchen ging ich in meinen Gasthof zurück; es war für mich eine Befriedigung, auch einmal eine wahre Geschichte aus einem schönen Munde gehört zu haben. Sie war offenbar in ihren Gefühlen so tugendhaft, daß ihr kleiner Fehltritt ihr in meinen Augen nur um so höheren Glanz verlieh. Ich faßte den Entschluß, sie niemals zu verlassen, und dieser Entschluß war aufrichtig, denn ich war in sie verliebt.

Am anderen Morgen trank ich meine Schokolade und ging dann mit dem Lohndiener aus; ich ließ mich in mehrere Kaufläden führen, wo ich alles bekommen konnte, was sie nötig hatte. Was ich aussuchte, war ohne Luxus, aber auch nicht armselig. Rosalie war erst fünfzehn Jahre alt, aber nach ihrem schlanken Wuchs, ihrem wohlgeformten Busen, den vollen, von den Grazien gerundeten Armen hätte man ihr vier Lustren geben können. Ich hatte ihre Formen so gut im Kopfe, daß die von mir gekauften Sachen ihr so gut paßten, wie wenn ihr Maß genommen worden wäre. Ich verwandte den ganzen Vormittag hierauf, und der Diener brachte ihr in einem kleinen Koffer zwei Kleider, Hauben, Unterröcke, Schnupftücher, Handschuhe, Mützen, ein Paar Pantoffeln, einen Fächer, einen Arbeitsbeutel und ein Mäntelchen. Beglückt von dem Gedanken, dem reizenden Mädchen eine Überraschung bereitet zu haben, konnte ich die Stunde des Abendessens kaum erwarten, um mich an ihrer Zufriedenheit zu weiden.

Der Malteserritter besuchte mich und lud sich ohne Umstände zum Mittagessen ein; ich nahm ihn mit Vergnügen bei mir auf. Nach der Mahlzeit überredete er mich, mit ihm ins Theater zu gehen, weil das Abonnement aufgehoben wäre und deshalb die Logen die beste Gesellschaft enthielten. Es würden keine Dirnen im Amphitheater sein, denn diese würden nur gegen Bezahlung Eintritt haben. Er stellte mich einer Dame vor, in deren Hause die gute Gesellschaft verkehrte; sie lud mich ein, sie zu besuchen. Ich entschuldigte mich mit meiner sehr nahe bevorstehenden Abreise. Nichtsdestoweniger war diese Dame eine ausgezeichnete Bekanntschaft, die mir bei meinem zweiten Besuch in Marseille sehr nützlich wurde. Es war eine Madame Audibert.

Ich wartete das Ende der Vorstellung nicht ab, sondern begab mich schon vorher an den Ort, wohin mich die Liebe rief. Es wartete meiner eine höchst angenehme Überraschung! Ich glaubte Rosalie nicht wieder zu erkennen, als ich sie vor mir sah. Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, hier ihr Bildnis zu zeichnen, wie es trotz den seither verflossenen Jahren mir im Gedächtnis geblieben ist:

Rosalie war eine pikante Brünette von mehr als mittlerer Größe. Ihr Gesicht bildete ein schönes Oval von den vollkommensten Verhältnissen. Zwei große, schwarze, schön geschnittene und hoch gewölbte Augen strahlten ein Feuer aus, das durch eine entzückende Sanftmut gemildert wurde. Schön geschwungene Augenbrauen, überreiches ebenfalls schwarzes Haar und schwarze Augen ließen die glänzende Weiße ihrer rosig angehauchten Haut noch mehr hervorstehen. Ein Grübchen auf ihrem kleinen Kinn bildete mit zwei anderen Grübchen, die das leiseste Lächeln auf ihre Wangen zauberte, ein Dreieck. Ihr kleiner Mund war mit zwei Reihen Zähnen vom schönsten Schmelz geziert; ihre Lippen vom herrlichsten Rot umspielte ein unerklärlicher Zug. Ihre Unterlippe stand ein wenig vor, wie wenn sie Küsse aufsaugen wollte. Von ihren Armen, von ihrem Busen, von ihrem tadellosen Wuchs sprach ich schon; bemerken aber muß ich noch, daß sie eine göttliche Hand hatte und den kleinsten Fuß, der sich denken läßt. Von ihren übrigen Vollkommenheiten will ich nur sagen, daß sie den bereits geschilderten entsprachen.

Um Rosalien in der ganzen Vollendung ihrer Schönheit zu sehen, mußte man sie lachen sehen; bis zu diesem Augenblick aber war sie nur traurig oder ärgerlich gewesen, und diese Stimmungen sind im allgemeinen den Frauen nicht günstig, sondern nehmen ihnen viel von ihrem Reiz. Nun aber war ihre Traurigkeit verschwunden und hatte dem Ausdruck der Dankbarkeit und der Freude Platz gemacht. Ihr schönes Gesicht fesselte die Aufmerksamkeit, weil es von sprechender Lebendigkeit war und Lust machte, zu hören, was sie sagte. Ich betrachtete sie aufmerksam und war stolz auf die Umwandlung, die mein Werk war; aber ich bemerkte, daß ich meine Überraschung verbergen mußte, damit sie nicht glaubte, daß ich unvorteilhaft von ihr dächte. Ich beeilte mich daher, ihr meine Gedanken auszusprechen, indem ich ihr versicherte, daß ich mich unsterblich lächerlich machen würde, wenn ich sie so, wie Gott sie geschaffen hätte, als Magd in meinen Dienst nehmen wollte.

»Du wirst meine Geliebte sein, teure Rosalie!« rief ich; »meine Diener werden dir die gleiche Achtung bezeigen, wie wenn du meine Frau wärest.«

Rosalie schien durch diese Worte ein neues Leben zu empfangen; sie sprach mir das innige Gefühl aus, das meine Wohltaten in ihr erregten. In ihrem überströmenden Gefühl drückte sie sich unbeholfen aus, aber gerade dieses erfüllte mich mit Freude, denn ich konnte nicht verkennen, daß sie unverstellt sprach: keine Kunst entstellte ihren Geist durch falsches Blendwerk.

Da sie in ihrer Dachstube keinen Spiegel besaß, hatte sie sich beim Ankleiden ohne einen solchen behelfen müssen, und ich sah, daß sie sich in dem großen Wandspiegel, der mein Zimmer schmückte, nicht zu betrachten wagte. Ich kannte die Schwäche aller Frauen – eine Schwäche, die die Männer ihnen sehr mit Unrecht zum Vorwurf machen, – und ermutigte sie daher, sich im Spiegel zu besehen. Sie konnte ein Lächeln der Befriedigung nicht unterdrücken und rief: »Ich komme mir vor, wie wenn ich maskiert wäre, denn noch niemals habe ich mich in solchem Putz gesehen.« Sie lobte die geschmackvolle Einfachheit ihres Kleides, und ärgerte sich, als sie daran dachte, daß ihre Mutter dieses alles sehr schlimm finden würde.

»Du mußt deine Mutter vergessen, liebes Herz! Du siehst vollkommen wie eine vornehme Dame aus, und ich werde ganz stolz sein, wenn man mich in Genua fragen wird, ob du meine Tochter seist.«

»In Genua?«

»Ja, in Genua. Du erbleichst?«

»Vor Überraschung; denn ich werde vielleicht dort einen Mann sehen, den ich noch nicht vergessen habe.«

»Willst du hier bleiben?«

»Nein, nein! Lieben Sie mich und seien Sie überzeugt, daß ich Sie allem vorziehe, und zwar aus Liebe und nicht aus Eigennutz.«

»Du wirst gerührt, lieber Engel. Komm her und laß deine Tränen von meinen Küssen trocknen!«

Erstickt von den verschiedenen Gefühlen, von denen ihr Herz voll war, warf sie sich in meine Arme und weinte lange. Ich suchte sie nicht zu trösten, denn sie hatte keinen Kummer. Indem sie weinte, folgte sie jenem Bedürfnis, das zärtlichen Herzen so natürlich ist und das die Frauen häufiger und lebhafter empfinden als die Männer. Sie weinte noch, als wir uns zu Tisch setzten. Wir hatten ein köstliches Abendessen, dem ich für sie und mich alle Ehre antat; denn sie aß nichts. Ich fragte sie infolgedessen, ob sie den Fehler habe, nicht lecker zu sein.

Sie antwortete mir: »Kein Mensch hat einen besseren Appetit als ich, und ich habe einen ausgezeichneten Magen. Sie werden dies sehen, wenn mein Herz und meine Seele sich ein bißchen an die Freude gewöhnt haben, die mir jetzt Beklemmungen macht.«

»Aber du könntest doch mindestens trinken! Dieser Wein ist ausgezeichnet. Wenn du den griechischen Muskateller vorziehst, werde ich welchen holen lassen; er wird dich an deinen Liebhaber erinnern.«

»Wenn Sie einige Rücksicht auf mich nehmen wollen, so bitte ich Sie, seien Sie so gütig und ersparen Sie mir die größte Kränkung, die Sie mir antun können.«

»Ich verspreche dir, daß dir niemals eine Kränkung von meiner Seite widerfahren soll. Es war ein schlechter Scherz: ich bitte dich dafür um Verzeihung. Es soll nicht wieder vorkommen.«

»Wenn ich Sie sehe, fühle ich Verzweiflung, daß ich Sie nicht vor ihm gekannt habe.«

»Dies Gefühl genügt mir, liebe Rosalie; es ist erhaben, weil du es nur in deiner unschuldigen Liebe geschöpft hast. Du bist schön und keusch, denn du hast nur der Liebe nachgegeben, und du hattest ja die Aussicht, die Frau jenes Mannes zu werden. Wenn ich daran denke, daß du mein bist, so erfüllt es mich mit Verzweiflung, nicht sicher zu sein, daß du mich liebst; denn ein feindlicher Genius will mir einreden, daß du mich nur deshalb duldest, weil ich das Glück gehabt habe, dir zu helfen.«

»Das ist ein sehr schlechter Genius, lieber Freund! Wenn ich Ihnen auf der Straße begegnet wäre, so hätte ich mich freilich ganz gewiß nicht wahnsinnig in Sie verliebt, aber sicherlich würden Sie mir gefallen haben. Ich fühle, daß ich Sie liebe, und zwar nicht um Ihrer Wohltaten willen; denn wenn ich reich wäre und Sie arm, so fühle ich, daß ich alles für Sie tun würde. Aber das wünsche ich durchaus nicht; denn es ist mir lieber, in Ihrer Schuld zu sein, als wenn Sie mein Schuldner wären. Dies sind meine aufrichtigen Gefühle. Erraten Sie das übrige!«

Es war Mitternacht, und wir plauderten noch immer in diesem Ton, als mein alter Wirt hereinkam und mich fragte, ob ich zufrieden sei.

»Ich bin Ihnen Dank schuldig; ich bin sehr zufrieden. Aber wer hat denn dieses köstliche Abendessen zubereitet?«

»Meine Tochter. Sie versteht sich darauf.«

»Sagen Sie ihr, ich habe es ausgezeichnet gefunden.«

»Freilich, mein Herr, aber es ist teuer.«

»Nicht teuer, guter Freund! Sie werden mit mir zufrieden sein, wie ich es mit Ihnen bin. Sorgen Sie dafür, daß ich morgen Abend ebenso gut bedient werde; denn ich hoffe, morgen wird das Fräulein sich besser fühlen und mir dann helfen, den kulinarischen Erzeugnissen Ihrer Tochter Ehre anzutun.«

»Sie wird guten Appetit im Bett haben. Vor sechzig Jahren ist es mir ebenso ergangen. Sie lachen, Fräulein?«

»Ich lache, weil ich denke, daß diese Erinnerungen Ihnen Vergnügen machen müssen.«

»Sie täuschen sich nicht; darum verzeihe ich auch jungen Leuten die kleinen Sünden, die sie aus Liebe begehen.«

»Sie sind ein weiser und guter alter Herr,« sagte ich zu ihm; »man muß für die süßeste aller Schwächen Mitgefühl haben.«

»Wenn der alte Mann weise ist,« sagte Rosalie, als der Wirt fortgegangen war »ist meine Mutter töricht.«

»Wünschest du, daß ich dich morgen ins Theater führe?«

»Ich bitte, nein! Wenn Sie es verlangen, gehorche ich Ihnen, aber es würde mir unangenehm sein. Hier in Marseille weder Theater noch Spazierengehen! Himmel, was würde man sagen! Nein, in Marseille nichts; aber sonst überall alles, was Sie wollen, und von Herzen gern.«

»Gut, meine Liebe, es soll nach deinem Willen geschehen. Aber hier ist dein Zimmer; du sollst nicht mehr in der Dachkammer wohnen, und in drei Tagen reisen wir ab.«

»So bald schon?«

»Ja, du wirst mir morgen sagen, was du für deine Reise haben möchtest, denn ich wünsche, daß es dir an nichts fehlt, und ich könnte vielleicht irgend etwas vergessen; das würde mir unangenehm sein.«

»Ich brauche noch einen gefütterten Mantel, Halbstiefelchen, eine Nachtmütze und ein Gebetbuch, um in die Kirche gehen zu können.«

»Du kannst also lesen?«

»Freilich, sogar auch ganz leidlich schreiben.«

»Das freut mich außerordentlich. Indem du von mir alles verlangst, was du nur wünschen kannst, liebe Freundin, gibst du mir einen wirklichen Beweis von Liebe: denn wo das Vertrauen mangelt, da ist keine echte Liebe. Ich werde nichts vergessen; aber du hast einen so kleinen Fuß, daß es besser ist, wenn du dir die Halbstiefelchen selber besorgst.«

Unsere Unterhaltung war so angenehm; es machte mir so viel Vergnügen, ihren Geist zu beobachten, daß wir erst gegen fünf Uhr morgens zu Bett gingen. Wir verbrachten sieben köstliche Stunden in Amors und Morpheus‘ Armen, und als wir gegen Mittag aufstanden, waren wir innig miteinander vertraut. Sie duzte mich und sprach nicht mehr von Dankbarkeit, sondern von Liebe; sie hatte sich schon ganz in ihren gegenwärtigen Zustand hineingefunden und lachte über ihr vergangenes Elend.

Alle Augenblicke küßte sie mich, nannte mich ihr Kind, ihr Glück; und da im Leben nichts wirklich ist als die Gegenwart, so genoß ich des Augenblicks, in ihren Liebkosungen schwelgend, und wies jeden Gedanken an die entsetzliche Zukunft von mir, die keine andere sichere Aussicht bietet als auf den Tod, ultima linea rerum.

Die zweite Nacht, die ich mit dem schönen Mädchen verbrachte, war noch viel süßer als die erste; denn da sie mit gutem Appetit gegessen und herzhaft, wenn auch mit Maß, getrunken hatte, so war sie viel empfänglicher für Verfeinerungen des Genusses und ergab sich mit größerem Feuer allen Wollüsten, die die Liebe eingibt und ausführt.

Ich schenkte ihr eine schöne Uhr und ein goldenes Webeschiffchen, um sich zu ihrer Unterhaltung Schnur darauf zu bereiten.

»Ich wünschte ein solches,« sagte sie zu mir, »aber ich würde niemals gewagt haben, dich darum zu bitten.«

Ich antwortete ihr: eine solche Furcht, mir durch eine Bitte um Sachen, die sie gerne haben möchte, zu mißfallen, lasse mich doch an ihrer Liebe zweifeln. Da stürzte sie sich in meine Arme und versprach mir unter den zärtlichsten Küssen, in Zukunft würde sie nicht mehr die geringste Zurückhaltung zeigen.

Es machte mir bereits Vergnügen, das junge Mädchen zu erziehen, und ich fühlte, daß sie vollkommen werden würde, wenn durch die Erziehung ihr Geist sich entwickelte. Am vierten Tage sagte ich ihr, sie möchte sich bereit halten, in meinen Wagen zu steigen, sobald ich sie abholte. Ich hatte weder zu Costa noch zu Leduc ein Wort von ihr gesagt, aber Rosalie wußte, daß ich zwei Bediente hatte; ich hatte ihr erzählt, daß ich mir auf der Reise oft das Vergnügen machte, sie schwatzen zu lassen, um über ihre plumpen Dummheiten zu lachen.

»Du, meine Liebe,« hatte ich zu ihr gesagt, »benimm dich sehr zurückhaltend gegen sie; laß ihnen niemals etwas durchgehen, vor allem nicht die geringste Vertraulichkeit! Befiehl ihnen als Herrin, aber ohne Hochmut, und du wirst Gehorsam und Achtung finden. Sollten sie sich jemals dir gegenüber vergessen, sei es worin es sei, so verlange ich, daß du mir dies ohne Erbarmen sofort mitteilst.«

Ich fuhr von dem Gasthof zu den »Dreizehn Kantonen« mit vier Postpferden ab; Leduc und Costa saßen auf dem Kutschbock, und der Lohndiener, den ich freigebig beschenkt hatte, führte uns vor Rosalies Haus. Ich stieg aus dem Wagen und dankte dem nachsichtigen Greis, der sein Bedauern aussprach, eine so liebenswürdige Mieterin abreisen zu sehen. Dann ließ ich sie einsteigen, setzte mich neben sie, und befahl den Postillonen, nach Toulouse zu fahren, denn ich hatte Lust, vor meiner Rückkehr nach Italien diesen schönen Seehafen zu besichtigen. Um fünf Uhr kamen wir an.

Beim Nachtessen benahm meine Rosalie sich mit der ganzen Würde einer Hausfrau, die an den Ton der guten Gesellschaft gewöhnt ist. Ich sah, daß Leduc in seiner Eigenschaft als Kammerdiener dem Costa ihre besondere Bedienung zuweisen wollte; aber ich brachte ihn davon ab, indem ich, ohne ihn anzusehen, zu meiner Freundin sagte, er werde die Ehre haben, sie zu bedienen, denn er frisiere wie der beste Pariser Friseur. Diese Schmeichelei versüßte ihm die bittere Pille; er fügte sich mit guter Miene, indem er mit einer tiefen Verbeugung sagte, er hoffe das Glück zu haben, Madame zufriedenzustellen.

Am anderen Morgen gingen wir aus, um den Hafen zu besehen. Der Kommandant, dessen Bekanntschaft wir durch einen glücklichen Zufall machten, erwies uns die Ehre, uns als Führer und Cicerone zu bedienen. Er bot Rosalien seinen Arm und behandelte sie mit großer Achtung; sie verdiente diese durch ihre gute Haltung und durch die vernünftigen Fragen, die sie stellte. Beim Mittagessen, an welchem auf meine Einladung auch der Kommandant teilnahm, sprach Rosalie wenig, aber stets treffend; sie ging mit großer Anmut auf die höflichen Komplimente unseres Gastes ein, der ein ebenso liebenswürdiger wie gebildeter Offizier war.

Am Nachmittag zeigte er uns das Arsenal; da er sich zu revanchieren wünschte, konnte ich seine Einladung zum Abendessen nicht ablehnen. Es war keine Rede davon, Rosalie vorzustellen, denn der Kommandant beeilte sich, uns seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn vorzustellen. Ich sah mit großem Vergnügen, daß meine Freundin sich gegen Damen noch besser benahm als gegen Herren. Sie hatte ein natürliches Gefühl für das Schickliche. Die Damen erwiesen ihr tausend Freundlichkeiten, die sie mit edlem und gefühlvollem Anstand entgegennahm; ihr ganzes Wesen trug den Ausdruck jener Bescheidenheit und anziehenden Sanftmut, die das Kennzeichen einer guten Erziehung sind.

Ich wurde für den folgenden Tag zum Mittagessen eingeladen, da ich jedoch mit dem Gesehenen zufrieden war, so verabschiedete ich mich, um am nächsten Tage zu reisen.

Als ich ihr im Gasthof gesagt hatte, ich sei vollkommen mit ihr zufrieden, fiel sie mir voller Freude um den Hals und rief: »Ich hatte fortwährend Angst, man möchte mich fragen, wer ich eigentlich sei.«

»Fürchte nichts, liebe Freundin; in Frankreich wird man in guter Gesellschaft niemals so dumme Fragen an dich richten.«

»Aber wenn man mich nun doch gefragt hätte, wie hätte ich antworten sollen?«

»Ausweichend.«

»Was heißt das?«

»Eine ausweichende Antwort dient dazu, sich aus der Verlegenheit zu ziehen, ohne die Neugier der Indiskreten zu befriedigen.«

»Aber wie macht man denn das?«

»Du würdest zum Beispiel sagen: bitte fragen Sie den Herrn danach.«

»Ich verstehe jetzt. Aber benehme ich mich nicht unhöflich, wenn ich einer Frage ausweiche?«

»Allerdings, aber immerhin weniger unhöflich als diejenigen, die sich eine solche unangebrachte Frage gestatten.«

»Was würdest du antworten, wenn man an dich selber eine solche Frage richtete?«

»Dies käme auf den Grad der Achtung an, die ich der die Frage stellenden Person entgegenbrächte. Wenn ich die Wahrheit nicht sagen wollte, so weiß ich, daß es mir an einer Ausrede nicht fehlen würde. Übrigens bin ich dir dankbar, liebes Herz, daß du mit deinen Fragen bei mir Belehrung suchst. Frage mich nur immer; du wirst mich stets bereit finden, dir zu antworten, denn ich wünsche zu deiner Bildung beizutragen. Ich liebe dich und wünsche, daß du glänzest. Nun aber wollen wir zu Bett gehen, denn wir müssen morgen in aller Frühe nach Antibes abreisen, und die Liebe soll dich für das Vergnügen belohnen, das du mir heute bereitet hast.«

In Antibes mietete ich eine Feluke zur Überfahrt nach Genua, und da ich die Absicht hatte, auf demselben Wege aus Italien zurückzureisen, so brachte ich meinen Wagen in einer Remise unter, wofür ich monatlich eine Kleinigkeit bezahlte. Bei Tagesanbruch fuhren wir mit gutem Winde ab; als aber später das Meer unruhig wurde, hatte Rosalie eine Todesangst, und ich ließ daher die Feluke in den Hafen von Villefranche hineinrudern. Um ein gutes Nachtlager zu haben, nahm ich dort einen Wagen nach Nizza. Des schlechten Wetters wegen mußten wir drei Tage hier bleiben, und ich hielt mich für verpflichtet, dem Kommandanten, einem alten Offizier namens Peterson, meine Aufwartung zu machen.

Er empfing mich sehr freundlich; nachdem wir die üblichen höflichen Redensarten ausgetauscht hatten, fragte er mich: »Kennen Sie einen Russen, der sich Karl Iwanoff nennen läßt?«

»Ich habe in Grenoble Gelegenheit gehabt, ihn einmal zu sehen.«

»Man sagt, er sei aus Sibirien entflohen und sei der jüngere Sohn des Herzogs Biron von Kurland.«

»Das hat man mir auch gesagt; aber ich habe keinen Beweis dafür gesehen.«

»Er befindet sich in Genua, wo ein Bankier, wie man sagt, Auftrag hat, ihm zwanzigtausend Taler zu geben. Trotzdem hat er hier keinen Menschen gefunden, der ihm auch nur einen Sou hätte geben wollen; um die Stadt von seiner listigen Anwesenheit zu befreien, habe ich ihn schließlich auf meine Kosten nach Genua geschickt.«

Es war mir sehr angenehm, daß er vor meiner Ankunft abgereist war.

Ein früherer Offizier Ramini, der im selben Gasthof mit mir wohnte, fragte mich, ob ich ein Paket besorgen wolle, das der spanische Konsul Herr de Saint-Pierre nach Genua an den Marchese Grimaldi zu schicken habe. Dies war jener Herr, den ich kürzlich in Avignon gesehen hatte; ich übernahm daher den Auftrag mit Freuden.

»Haben Sie,« fuhr hierauf der Offizier fort, »in Avignon eine Madame Stuard gekannt, die hier in Nizza etwa vierzehn Tage mit ihrem angeblichen Gatten gewohnt hat? Die armen Leutchen hatten keinen Heller; und die Frau, eine vollendete Schönheit, bezauberte alle Welt durch ihre Reize, gönnte aber niemandem ein Wort oder einen Blick.«

»Ich habe sie gesehen und auch persönlich gekannt; aber sie ist nicht mehr dort. Ich selber habe ihr das Geld gegeben, um ihre Reise fortsetzen zu können. Aber wie haben sie Nizza ohne Geld verlassen können?«

»Das weiß kein Mensch. Sie ist in einem Wagen abgereist, und der Wirt ist bezahlt worden. Marchese Grimaldi hat mir gesagt, sie habe hundert Louis zurückgewiesen, die er ihr habe geben wollen, und einem Venetianer, den er kenne, sei es nicht besser ergangen als ihm. Vielleicht sind Sie dieser Venetianer?«

»Ja, ich bin’s. Und trotzdem habe ich ihr Geld gegeben.«

Am Abend suchte Herr Peterson mich auf; Rosalie bezauberte ihn durch ihre Liebenswürdigkeit. Ich verfehlte nicht, ihr auch zu diesem neuen Erfolge Glück zu wünschen.

Nizza ist der Sitz der Langenweile, und die Mücken sind dort eine fürchterliche Plage für die Fremden, denn die Insekten ziehen diese den Einheimischen vor. Indessen unterhielt ich mich ganz gut dank einer kleinen Pharaobank, die im Kaffeehaus gehalten wurde und an welcher Rosalie, die ich zum Spielen genötigt hatte, etwa zwanzig Piemonteser Pistolen gewann. Sie steckte ihren kleinen Schatz in eine Börse und sagte mir, dieser Besitz mache sie sehr glücklich, denn sie habe gern etwas Geld besitzen wollen. Ich schalt sie aus, daß sie mir dies nicht gesagt, und machte ihr Vorwürfe darüber, daß sie ihr Versprechen nicht gehalten hätte.

»Ich brauchte das Geld nicht,« antwortete sie mir; »ich fühle, daß ich es wünschte, ohne mir dessen bewußt zu sein.«

Unser Friede war bald geschlossen.

So schloß das junge Mädchen sich immer enger an mich an, und ich dachte, daß sie mir bis an das Ende meines Lebens angehören würde, daß ich zufrieden mit ihr leben und nicht mehr das Bedürfnis empfinden würde, von einer Schönen zur anderen zu eilen. Mein Schicksal hatte es anders mit mir beschlossen, und gegen das Schicksal läßt sich nichts machen.

Als das Wetter wieder schön geworden war, schifften wir uns mit Einbruch der Nacht ein und kamen am nächsten Tage in aller Frühe in Genua an, das ich niemals zuvor gesehen hatte. Ich stieg im Gasthof »San Martino« ab und nahm dort anstandshalber zwei Zimmer, aber zwei aneinanderstoßende. Am nächsten Tage schickte ich das Paket an Herrn von Grimaldi; und etwas später gab ich eine Karte in seinem Palazzo ab.

Ich ließ mich von einem Lohndiener zu einem Leinengeschäft führen und kaufte Leinwand, um Rosalie zu beschäftigen, welche Wäsche nötig hatte. Dies machte ihr das größte Vergnügen.

Wir saßen noch bei Tisch, als man mir den Marchese Grimaldi meldete; er umarmte mich und dankte mir, daß ich mich mit dem Paket bemüht hätte. Hierauf fragte er mich nach Neuigkeiten von Frau Stuard. Als ich ihm die Geschichte erzählt hatte, lachte er und sagte mir, er wüßte nicht recht, was er an meiner Stelle getan haben würde.

Da er meine Rosalie mit großer Aufmerksamkeit betrachtete, sagte ich ihm, sie sei ein junges Mädchen, das ebenso interessant durch seine Sittsamkeit wie durch seine Schönheit sei. »Ich möchte ihr eine Kammerfrau besorgen, die das Wäschenähen verstände, die auf landesübliche Art gekleidet mit ihr ausgehen könnte, und die vor allen Dingen italienisch spräche, damit sie es von ihr lernen kann; denn ich wünsche sie in Florenz, Rom und Neapel vorstellen zu können.«

»Warum,« antwortete mir der Marchese, »wollen Sie Genua des Vergnügens berauben, sie zu feiern? Ich erbiete mich, sie unter jedem beliebigen von Ihnen gewünschten Namen vorzustellen, wenn das Fräulein damit einverstanden ist.«

»Sie hat ihre Gründe, hier das Inkognito zu bewahren.«

»Das genügt. Gedenken Sie sich hier längere Zeit aufzuhalten?«

»Höchstens einen Monat, und unser Vergnügen wird sich darauf beschränken, uns die Stadt und ihre Umgebung anzusehen und das Theater zu besuchen. Hiermit werden wir noch die Freuden der Tafel verbinden, denn ich hoffe den Genuß zu haben, alle Tage Champignons zu essen, die hier besser sind als auf der ganzen Welt.«

»Das ist ein entzückender Plan; ich selber könnte Ihnen keinen besseren vorschlagen. Ich werde mich bemühen, mein gnädiges Fräulein, ein passendes Mädchen für Sie zu finden.«

»Sie, mein Herr? Womit soll ich soviel Güte verdienen?«

»Sie flößen mir eine so große Teilnahme ein, gnädiges Fräulein, da ich in Ihnen eine Marseillerin zu entdecken glaube.«

Rosalie errötete; sie wußte nicht, daß sie mit dem R schnarrte und daß man daran ihre Heimat erraten konnte. Ich beseitigte ihre Verlegenheit, indem ich ihr dies sagte.

Ich fragte den Marchese, wie ich mir das Journal des Savants, den Mercure de France und alle anderen derartigen Zeitschriften verschaffen könne. Er versprach, mir einen Mann zu schicken, der alle meine literarischen Wünsche befriedigen würde. Er fügte hinzu, wenn ich ihm gestatten wolle, mir etwas von seiner ausgezeichneten Schokolade zu schenken, so werde er zum Frühstück zu uns kommen. Ich antwortete ihm, Gast und Geschenk seien uns gleich angenehm.

Nachdem der Marchese fortgegangen war, bat Rosalie mich, sie zu einer Modistin zu führen. »Ich brauche,« sagte sie, »Bänder und allerlei Kleinigkeiten; aber ich will sie von meinem eigenen Gelde bezahlen, und ich will darum handeln, ohne daß du dich hineinmischest.«

»Mache es ganz wie du willst, meine Liebe! Nachher wollen wir ins Theater gehen.«

Die Modistin, zu der wir gingen, war eine Französin. Rosalie war reizend. Sie tat wichtig und spielte die Kennerin; sie ließ sich Hüte von der neuesten Mode vorlegen, feilschte um den Preis und gab fünf oder sechs Louis auf durchaus vornehme Weise aus. Beim Hinausgehen sagte ich zu ihr, man habe mich für ihren Lakaien gehalten, und ich wolle mich dafür rächen. Mit diesen Worten ließ ich sie bei einem Juwelier eintreten und kaufte ihr schöne Schnallen von Straß, schöne Ohrbommeln und ein schönes Halsband, ohne daß sie ein Wort dazu sagen durfte; nachdem ich bezahlt hatte, was man von mir verlangt hatte, verließen wir den Laden.

»Lieber Freund,« sagte sie zu mir, »was du gekauft hast, ist schön, aber du wirfst dein Geld weg, denn wenn du gehandelt hättest, würdest du mindestens vier Louis gespart haben.«

»Das kann wohl sein, liebes Herz; aber feilschen kann ich nicht.«

Ich führte sie ins Theater; da sie aber die Sprache nicht verstand, langweilte sie sich so sehr, daß sie nach dem ersten Akt mich bat, ich möchte sie doch nach Hause bringen; diesen Wunsch erfüllte ich ihr gerne. Ich fand im Gasthof ein Kistchen mit vierundzwanzig Pfund Schokolade, die Herr von Grimaldi geschickt hatte. Costa, der seine Geschicklichkeit, die Schokolade auf spanische Art zuzubereiten, gerühmt hatte, erhielt den Auftrag, am nächsten Morgen drei Tassen für uns zurecht zu machen.

Um neun Uhr kam der Marchese mit einem Händler, dem ich ausgezeichnete chinesische Baumwollstoffe abkaufte. Ich gab sie Rosalien, um sich zwei Mazzera machen zu lassen, eine Art Kapuzmantel, den die Frauen in Genua auf ihren Spaziergängen in der Stadt tragen, wie sie in Venedig den Cendal und in Madrid die Mantilla tragen.

Ich dankte Herrn von Grimaldi vielmals für seine schöne Schokolade die wir ausgezeichnet fanden. Costa war ganz stolz über das Lob, das der Marchese ihm aussprach. Nach dem Frühstück meldete Leduc mir eine Frau, deren Name mir unbekannt war. Der Marchese sagte mir jedoch: »Es ist die Mutter der Kammerjungfer, die ich für das gnädige Fräulein besorgt habe.«

Ich ließ sie eintreten und sah eine gutgekleidete Frau mit einem Fräulein von zwanzig bis vierundzwanzig Jahren, die mir sofort sehr hübsch vorkam. Die Mutter sprach dem Marchese ihren Dank aus und stellte ihre Tochter Rosalien vor, indem sie ihre guten Eigenschaften im einzelnen schilderte und die Versicherung gab, ihre Tochter werde sie gut bedienen und sie könne in allen Ehren mit ihr ausgehen.

»Meine Tochter spricht französisch, und Sie werden in ihr ein anständiges, treues und dienstwilliges Mädchen finden.«

Hierauf sagte sie ihr, wieviel Lohn sie monatlich bei einer Dame gehabt hätte, bei der sie früher in Diensten gewesen wäre, und bat sie schließlich, ihre Tochter nicht mit den Bedienten essen zu lassen. Das Mädchen hieß Veronika. Rosalie bewilligte alle ihre Wünsche und sagte ihr, es würde sie freuen, wenn sie sähe, daß sie sich Achtung zu verschaffen wüßte; dies gelänge am besten dadurch, daß man sich achtungswert machte. Veronika küßte ihr die Hand, die Mutter entfernte sich, und Rosalie führte sie in ihr Zimmer, um sie unter ihrer Leitung die Näharbeit beginnen zu lassen.

Ich sprach dem Herrn Marchese meinen besonders lebhaften Dank aus; denn es schien mir offenbar, daß er eine Kammerjungfer dieser Art viel mehr für mich als für meine Freundin ausgesucht hatte. Ich sagte ihm, ich würde nicht verfehlen, ihm meine Aufwartung zu machen, und er antwortete mir, er würde mich stets mit dem größten Vergnügen sehen, und ich würde ihn am leichtesten in seinem Kasino in Sampierdarena finden, wo er oft die Nacht zubrächte.

Sechstes Kapitel


Die Komödie. – Der Russe. – Petri. – Rosalie im Kloster.

Als der Marchese fort und Rosalie mit Veronika beschäftigt war, begann ich Voltaires Schottin zu übersetzen, um sie von den Schauspielern, die damals in Genua waren und mir ziemlich gut zu sein schienen, aufführen zu lassen.

Beim Mittagessen schien Rosalie mir traurig, und ich fragte sie:

»Was hast du denn, liebe Freundin? Du weißt, ich liebe es nicht, traurige Gesichter zu sehen.«

»Ich habe Kummer, lieber Freund, weil Veronika hübscher ist als ich.«

»Haha! Ich errate, und es macht mir Spaß. Aber tröste dich; Veronika ist in meinen Augen nicht mit dir zu vergleichen. Du bist meine einzige Schönheit; aber um dich zu beruhigen, werde ich Herrn Grimaldi bitten, sie von ihrer Mutter abholen zu lassen und dir eine andere recht häßliche Kammerjungfer zu besorgen.«

»O nein! bitte tue das nicht; er würde glauben, ich sei eifersüchtig, und das würde mich untröstlich machen.«

»Dann, mein liebes Kind, werde wieder guter Laune, wenn du mich nicht betrüben willst.«

»Nun denn, mein zärtlicher Freund, da du mir versicherst, daß ich um ihretwillen nicht deine Liebe verlieren werde, so will ich wieder heiter werden; denn ich werde ganz glücklich sein. Aber was hat sich denn nur der alte Herr dabei gedacht, daß er mir ein solches Mädchen besorgt! Hat er mir vielleicht einen Streich spielen wollen?«

»Das bezweifle ich. Ich bin im Gegenteil überzeugt, er hat dir beweisen wollen, daß du den Vergleich mit keinem anderen Mädchen zu scheuen hast. Bist du übrigens mit ihr zufrieden?«

»Sie arbeitet sehr gut und ist sehr ehrerbietig. Sie spricht keine vier Worte, ohne mich Signora zu nennen, und erklärt mir sofort immer alles auf französisch, was sie mir auf italienisch sagt. Ich hoffe, in einem Monat werde ich gut genug sprechen, so daß wir sie nicht mitzunehmen brauchen, wenn wir nach Florenz gehen. Ich habe Leduc befohlen, die Kammer zu räumen, die ich für sie bestimmt habe, und ich werde ihr von unserem Tisch etwas zu essen schicken. Übrigens werde ich sie gut behandeln; aber ich flehe dich an: mache mich nicht unglücklich!«

»Das würde mir wohl schwer fallen, liebe Rosalie; denn ich sehe nicht, wie ich mit ihr in Berührung kommen sollte.«

»Du wirst mir also meine Furcht verzeihen?«

»Von Herzen gern, und um so lieber, da sie für deine Liebe bürgt.«

»Ich danke dir, aber bitte, sage nichts davon.«

Ich nahm mir vor, diese Veronika, vor der ich bereits Furcht hatte, niemals anzusehen; denn ich liebte Rosalien sehr, und ich fühlte, daß ich alles hätte opfern mögen, um ihr den geringsten Verdruß zu ersparen.

Nach dem Mittagessen ging ich wieder an meine Übersetzung, denn diese Arbeit machte mir Vergnügen. Ich blieb den Tag über zu Hause; den ganzen nächsten Vormittag aber verbrachte ich bei Herrn von Grimaldi. Ich ging zum Bankier Belloni, bei dem ich alle Goldmünzen, die ich besaß, in Lilienzechinen umwechselte. Als ich nach der Erledigung dieses Geschäftes meinen Namen nannte, bezeigte der Geschäftsführer mir seine Ehrerbietung. Ich hatte bei diesem Bankier ein Guthaben von vierzehntausend Römischen Talern; außerdem hatte ich für zwanzigtausend Taler Wechsel auf Lepri.

Da meine Rosalie nicht ins Theater gehen wollte, kaufte ich ihr ein Stück schönen Calencars, damit sie abends was zu tun hätte. Für mich war das Theater ein Bedürfnis, das ich niemals zu befriedigen verabsäumte, so oft ich dies tun konnte, ohne süßere Genüsse zu beeinträchtigen. Ich ging daher allein hin. Als ich nach Hause kam, fand ich meine Geliebte mit dem Marchese beisammen. Ich freute mich darüber, und nachdem ich den liebenswürdigen Senator umarmt hatte, machte ich Rosalien ein Kompliment, daß sie ihn bis zu meiner Ankunft unterhalten hätte; zugleich aber warf ich ihr freundlich vor, sie hätte die Arbeit beiseite legen müssen.

»Frage ihn, lieber Freund, ob er mich nicht gezwungen hat, weiterzuarbeiten; er wollte sonst gehen, und um ihn zurückzuhalten, mußte ich doch seinen Willen erfüllen.«

Sie stand auf und legte die Arbeit fort; im Laufe einer interessanten Unterhaltung wußte sie den Marchese zu bewegen, daß er zum Abendessen blieb; sie kam dadurch meinen eigenen Absichten entgegen. Er aß wenig, da er nicht die Gewohnheit hatte, zu Abend zu speisen; aber ich sah, daß er von meinem Juwel entzückt war, und dies machte mir viel Vergnügen, denn ich glaubte von einem alten Herrn von sechzig Jahren nichts zu befürchten zu haben. Es war mir sehr angenehm, daß Rosalie auf diese Weise zu einer Dame der guten Gesellschaft erzogen wurde; ich wünschte, daß sie auch ein bißchen kokett würde, denn in der Gesellschaft findet eine Frau keinen Beifall, wenn sie nicht ein wenig gefallsüchtig ist.

Obwohl Rosalie auf diesem Gebiete ganz neu, ja sogar völlig unwissend war, so gab sie mir doch Gelegenheit, die natürliche Gabe der Frauen zu bewundern, die durch die Kunst entwickelt und verfälscht wird, die sich aber bei jeder Frau mehr oder weniger findet, mag sie das Zepter oder den Kochlöffel führen; sie sprach mit Herrn von Grimaldi in jenem Stil, der den Denker erraten läßt, daß die Sprechende die Neigung durch Hoffnung nähren will. Da unser Gast nicht aß, sagte sie ihm auf eine reizende Art, sie hoffe, daß er uns die Ehre erweisen würde, eines anderen Tages bei uns zu Mittag zu essen, denn sie sei neugierig, ob er guten Appetit habe.

Als wir allein waren, nahm ich sie auf den Schoß, bedeckte sie mit Küssen und fragte, wo sie gelernt habe, sich so gut mit Angehörigen der guten Gesellschaft zu unterhalten.

»Das ist ganz leicht! Du sprichst zu meiner Seele, und ich lese in deinen Augen, was ich sagen und was ich tun soll.«

Hätte sie Rhetorik studiert, sie hätte nicht schmeichelhafter und eleganter antworten können.

Ich hatte inzwischen die Übersetzung der Schottin beendigt. Ich ließ sie von Costa abschreiben und brachte sie dem Schauspieldirektor Rossi, der sich erbot, das Stück sofort aufführen zu lassen, sobald er hörte, daß ich es ihm schenken wollte. Ich sagte ihm die Namen der Schauspieler, die ich ausgesucht hatte, und lud ihn ein, mit diesen bei mir in meinem Gasthof zu speisen, wo ich ihnen das Stück vorlesen und die Rollen austeilen wollte.

Wie man sich denken kann, wurde meine Einladung angenommen; meine Rosalie war entzückt, mit den drei Schauspielerinnen und den Schauspielern zu speisen, die in dem Stück auftreten sollten, und besonders machte es ihr Spaß, sich jeden Augenblick Frau Casanova nennen zu hören. Veronika erklärte ihr alles, was sie nicht verstand.

Als nach dem Essen meine Künstler im Kreise Platz genommen hatten, baten sie mich, ihnen zu sagen, welche Rolle ich jedem einzelnen bestimmt hatte; aber diesen Wunsch erfüllte ich ihnen nicht; ich sagte ihnen: »Vor allen Dingen müssen Sie aufmerksam der Vorlesung des Stückes zuhören, ohne sich um die Rolle zu bekümmern, die Sie zu lernen haben werden. Sobald Sie das Ganze kennen, werde ich Ihren Wunsch befriedigen.«

Ich wußte, daß faule oder gleichgültige Schauspieler sich für gewöhnlich nur um ihre eigene Rolle bekümmern und in den Geist des Ganzen nicht einzudringen suchen. Daher kommt es, daß oftmals ein Stück, das in den Einzelheiten gut gelernt ist, im Ganzen doch schlecht wiedergegeben wird.

Sie fügten sich ziemlich gutwillig meinem Wunsche, was die hohen Herrschaften von der Comédie Française jedenfalls nicht getan haben würden. Im Augenblick als ich die Vorlesung beginnen wollte, erschien der Herr Marchese von Grimaldi mit dem Bankier Belloni, der mir einen Besuch machen wollte. Es war mir sehr angenehm, daß sie bei dieser Leseprobe, die nur fünf Viertelstunden dauerte, anwesend waren. Nachdem ich die Schauspieler um ihr Urteil gefragt und aus den Lobsprüchen, die sie dem dramatischen Inhalt zollten, ersehen hatte, daß sie das Stück richtig verstanden hatten, befahl ich Costa, die Rollen auszuteilen; dies geschah. Nun aber waren der erste Schauspieler und die erste Schauspielerin unzufrieden; sie, weil ich ihr die Rolle der Lady Alton gegeben hatte; er, weil ich ihm die Rolle des Murray nicht gegeben hatte. Sie mußten sich jedoch meinem Willen fügen, übrigens erfreute ich alle Künstler, indem ich sie alle einlud, am übernächsten Tag bei mir zu Mittag zu speisen, nachdem wir die erste Probe mit den Rollen in der Hand abgehalten hätten.

Der Bankier Belloni lud mich für den nächsten Tag nebst meiner Dame zum Essen ein. Sie lehnte dies mit einer sehr höflichen Entschuldigung ab, und Herr von Grimaldi erklärte sich mit Vergnügen bereit, ihr statt meiner Gesellschaft zu leisten.

Zu meiner großen Überraschung sah ich bei Belloni den Betrüger Iwanoff, der, anstatt mich als Unbekannten zu behandeln, wie er es hätte tun sollen, auf mich zutrat, um mich zu umarmen. Ich wich zurück und machte ihm eine Verbeugung, die man vielleicht einem Gefühl der Ehrfurcht zuschreiben konnte, obgleich meine kalte und wenig zeremoniöse Miene einem guten Beobachter das Gegenteil verraten mußte. Er war gut gekleidet, sprach viel, obgleich in einem traurigen Ton, und machte ziemlich gute Bemerkungen über politische Angelegenheiten. Als im Laufe des Gesprächs die Rede auf den russischen Hof der Elisabeth Petrowna kam, sagte er kein Wort; aber er seufzte, wandte sich ab und tat, wie wenn er seine Tränen trockne. Beim Nachtisch fragte er mich, ob ich etwas Neues von Frau Morin gehört habe; wie wenn er mir die näheren Umstände ins Gedächtnis zurückrufen wollte, fügte er hinzu, wir hätten miteinander bei ihr gespeist. Ich antwortete ihm: »Meines Wissens befindet sie sich gut.« Sein Lakai, der ihn bei Tisch bediente, trug eine gelbe Livree mit roten Aufschlägen. Nach dem Essen fand er Gelegenheit, mir zu sagen, er habe sehr notwendig mit mir zu sprechen.

»Und ich, mein Herr, habe sehr notwendig alles zu vermeiden, was die Vermutung rechtfertigen würde, daß ich in irgendeiner Weise mit Ihnen im Einverständnis bin.«

»Sie können mir mit einem einzigen Wort hunderttausend Taler verschaffen, und ich werde Ihnen die Hälfte abgeben.«

Ich drehte ihm den Rücken und sah ihn in Genua nicht wieder.

In meinem Gasthof fand ich Herrn von Grimaldi damit beschäftigt, meiner Rosalie italienische Stunde zu geben.

«Ihre Freundin,« sagte er zu mir, »hat mich mit einem köstlichen Mahl bewirtet; die reizende Dame muß Sie glücklich machen.«

Der Marchese wußte sich als Ehrenmann zu beherrschen, aber er war in das junge Mädchen verliebt. Ich glaubte jedoch keinen Anlaß zu Befürchtungen zu haben. Bevor er fortging, lud sie ihn ein, am nächsten Tage zur Probe der Schottin zu kommen.

Als die Schauspieler kamen, sah ich bei ihnen einen jungen Mann, den ich nicht kannte; auf meine Erkundigung, wer er sei, antwortete Rossi mir, es sei der Souffleur.

»Keinen Souffleur, meine Herrschaften! Schicken Sie ihn fort.«

»Wir können ihn nicht entbehren.«

»Sie werden ihn entbehren! Ich selber werde seine Stelle versehen.«

Der Souffleur wurde fortgeschickt, aber die drei Schauspielerinnen erhoben darüber ein großes Geschrei. Sie sagten: »Selbst wenn wir unsere Rollen so gut auswendig wüßten wie das Vaterunser, werden wir ganz gewiß stecken bleiben, wenn der Souffleur nicht in seinem Loch ist.«

»Sehr wohl, meine Gnädige,« sagte ich zu der Künstlerin, die die Lindane spielen sollte, »ich werde selber Ihr Loch ausfüllen, aber ich werde Ihre Unterhosen sehen.«

»Das wäre wohl schwierig,« sagte der erste Schauspieler; »sie trägt keine.«

»Um so besser.«

»Davon wissen Sie gar nichts, mein Herr!« sagte sie zu ihrem Kollegen.

Dieser Wortwechsel brachte uns in fröhliche Stimmung, und Thalias Jünger versprachen mir schließlich, sie würden sich ohne den Souffleur behelfen. Ich war mit ihrer Vorlesung der Rollen sehr zufrieden, sie verlangten nur drei Tage von mir, um ihre Rollen auswendig zu lernen. Es trat jedoch ein Zwischenfall ein.

Am festgesetzten Tage kamen sie ohne die Schauspielerin, die die Lindane spielen sollte, und ohne den Schauspieler, der die Rolle des Murray übernommen hatte. Sie waren unpäßlich; indessen bürgte Rossi mir dafür, daß sie zur rechten Zeit auftreten würden. Ich nahm die Rolle Murrays und forderte Rosalie auf, die Lindane zu lesen.

»Ich lese nicht gut genug italienisch,« sagte sie leise zu mir, »und möchte nicht, daß die Schauspieler mich auslachen; aber Veronika wird es sehr gut machen.«

»Frage sie, ob sie die Rolle lesen will.«

Auf ihre Frage antwortete Veronika ihr, sie würde die Rolle auswendig hersagen.

»Um so besser!« rief ich. Ich lachte innerlich, indem ich mich an Solothurn erinnerte; denn ich sah voraus, daß ich durch diesen Zufall genötigt sein würde, an dieses junge Mädchen, mit dem ich in den vierzehn Tagen, die sie bei uns war, kein Wort gesprochen hatte, Schmeicheleien zu richten.

Ich hatte noch nicht einmal ordentlich ihr Gesicht angesehen, so sehr befürchtete ich, Rosaliens zärtliche Liebe zu beunruhigen; denn diese liebte ich mit jedem Tage mehr, da ich mit jedem Tage neue köstliche Eigenschaften an ihr entdeckte.

Es kam, wie ich befürchtet hatte. Als ich an die Stelle kam, wo ich Veronikas Hand ergreifen und ihr sagen mußte: Si, bella Lindana, debbo adorarvi, da klatschten alle Anwesenden Beifall, weil ich diese Worte in dem Ton aussprach, den die Rolle forderte; als ich jedoch nach Rosallen hinschielte, sah ich, wie sie unruhig wurde, und es tat mir leid, mich nicht mehr in acht genommen zu haben.

Veronikas Spiel setzte mich in Erstaunen; denn in dem Augenblick, wo ich ihr sagte, daß ich sie anbetete, errötete sie bis in das Weiße der Augen. Unmöglich konnte sie die Rolle der Verliebten besser spielen.

Wir setzten den Tag der Generalprobe fest, die im Theater stattfinden sollte, und die Schauspieler kündigten, zur Erregung der Neugier, die erste Vorstellung bereits acht Tage vorher in folgenden Worten an: »Wir werden die Schottin des Herrn von Voltaire, von einer unbekannten Feder übersetzt, aufführen und werden sie ohne Souffleur spielen.«

Es wäre ein vergebliches Unterfangen, wollte ich die Mühe schildern, die es mir machte, nach der Probe meine Rosalie zu beruhigen. Sie war untröstlich; ihre Tränen flössen stromweise, und sie sagte mir die rührendsten Worte, um mir, wie sie glaubte, Vorwürfe zu machen.

»Du bist in Veronika verliebt,« rief sie, »und hast dieses Stück nur übersetzt, um Gelegenheit zu erhalten, ihr deine Liebe zu erklären.«

Schließlich gelang es mir, ihr begreiflich zu machen, daß sie unrecht hatte, und ich hatte das Glück, sie durch die lebhaftesten und zärtlichsten Liebkosungen zu beruhigen. Am anderen Morgen bat sie mich wegen ihrer Schwachheit um Verzeihung, indem sie mir das Versprechen gab, mit Veronika in meiner Gegenwart und bei jeder Gelegenheit sich zu unterhalten; sie trieb den Heldenmut sogar noch weiter: sie war vor mir aufgestanden und schickte mir eine Tasse Kaffee durch Veronika, die darüber ebenso erstaunt war wie ich.

Rosalie hatte eine natürliche Anlage von Seelengröße, die sie der edelsten Entschließungen fähig machte; aber sie ließ sich, wie alle Frauen, von ihrem Gefühl, von ihren ersten Eindrücken leiten. Von jenem Augenblick an gab das entzückende Wesen mir kein einziges Zeichen von Eifersucht mehr; sie verdoppelte ihre Güte gegen ihre Kammerjungfer, die sehr geistvoll, gebildet und weltgewandt war, und in die ich mich verliebt haben würde, wäre mein Herz frei gewesen.

Am Tage der Vorstellung führte ich Rosalie in eine Loge; auf ihren besonderen Wunsch mußte Veronika sie begleiten. Herr von Grimaldi wich keinen Augenblick von ihrer Seite.

Unser Stück wurde bis in den Himmel erhoben. Das sehr große Theater war überfüllt von der besten Gesellschaft der Stadt. Die Künstler spielten ohne Souffleur und übertrafen sich selber; sie fanden lebhaften Beifall. Das Stück wurde vor gefüllten Häusern fünfmal nacheinander gespielt. Rossi bat mich, vielleicht in der Hoffnung, daß ich ihm noch ein Stück geben würde, um die Erlaubnis, meiner Dame einen prachtvollen Luchspelz anzubieten, der ihr viel Vergnügen machte.

Ich hätte alles darum gegeben, um meiner entzückenden Freundin den kleinsten Kummer zu sparen; und trotzdem brachte ich durch ein unüberlegtes Wort ihre Seele in Verwirrung. Ich würde mir dies nicht verziehen haben, wenn mich nicht die Vorsehung dadurch zum Werkzeug ihres Glücks gemacht hätte.

Eines Tages sagte sie zu mir: »Ich habe einigen Anlaß, mich für schwanger zu halten, mein lieber Freund, und der Gedanke entzückt mich aufs höchste, daß ich vielleicht das Glück haben werde, dir ein herziges Pfand meiner Liebe zu schenken.«

»Wenn es zu der und der Zeit kommt, so ist es von mir, und ich versichere dir, daß es mir teuer sein wird.«

»Und wenn es zwei oder drei Wochen früher käme, würdest du dessen nicht sicher sein?«

»Sicher, nein; aber ich würde es darum doch ebensosehr lieben: es wäre von dir, und ich würde es als mein Kind anerkennen.«

»Es kann nur von dir sein, dessen bin ich ganz gewiß. O mein Gott! Wie bin ich unglücklich! Nein, es ist nicht möglich, lieber Freund, daß ich von Petri empfangen habe! Er hat mich nur ein einziges Mal erkannt und noch dazu in sehr unvollkommener Weise, während wir doch, wie du weißt, so zärtlich miteinander gelebt haben!«

Sie weinte heiße Tränen.

»Beruhige dich doch, liebes Herz, ich beschwöre dich! Ja, du hast recht: es ist unmöglich! Du weißt, ich bete dich an, und ich zweifle wirklich nicht daran, daß du von mir schwanger bist und nur von mir allein. Ja, wenn ich das Glück habe, daß du mir ein Püppchen schenkst, das so hübsch ist wie du selber, sowird es natürlich von mir sein. Beruhige dich!«

»Ach wie könnte ich mich beruhigen, da ich jetzt die Gewißheit habe, daß du daran hast zweifeln können!«

Wir sprachen nicht weiter davon; aber ich sah sie oft traurig und nachdenklich trotz meiner zuvorkommenden Zärtlichkeit, trotz meinen beständigen Liebkosungen und jenen tausend Kleinigkeiten, die mehr als alle Worte die wahre Liebe kundtun. Wie oft habe ich mir bittere Vorwürfe gemacht, daß ich ihr meine dumme Mutmaßung mitgeteilt hatte!

Ein paar Tage später gab sie mir einen versiegelten Brief mit den Worten: »Diesen Brief hat der Lohndiener mir gegeben; er hat dazu einen Augenblick abgepaßt, wo er nicht von dir gesehen werden konnte. Ich fühle mich dadurch beleidigt, lieber Freund, und überlasse es dir, mich zu rächen.«

Ich ließ den Bedienten rufen.

»Von wem hast du diesen Brief erhalten?«

»Von einem jungen Mann, den ich nicht kenne, mein Herr. Er gab mir einen Taler und bat mich, ihm einen Gefallen zu tun und diesen Brief der gnädigen Frau zu übergeben, ohne daß Sie es sähen; er versprach mir noch zwei Taler, wenn ich ihm die Antwort nach den banchi brächte. Ich glaubte keinen Fehler zu begehen, denn es stand der gnädigen Frau ja stets frei, es Ihnen zu sagen.«

»Das ist richtig. Trotzdem entlasse ich Sie, weil Madame, die mir, wie Sie sehen, den Brief unentsiegelt übergeben hat, sich durch Ihr Verhalten beleidigt fühlt.«

Ich rief Leduc, um ihm seinen Lohn auszuzahlen, und die Sache war erledigt. Ich öffnete den Brief; er war von Petri. Rosalie ging hinaus, denn sie wollte den Inhalt nicht kennen lernen. Der Brief lautete folgendermaßen:

»Ich habe Sie, meine teure Rosalie, in dem Augenblick gesehen, als Sie aus einem Tragstuhl stiegen, um ins Theater zu gehen; Ihr Kavalier war der Herr Marchese Grimaldi, mein Pate. Ich habe Sie nicht hintergangen; denn ich beabsichtigte stets, im nächsten Frühjahr nach Marseille zu reisen und Sie meinem Versprechen gemäß zu heiraten. Ich liebe Sie immer noch, und wenn Sie noch meine gute Rosalie sind, so bin ich bereit, Sie hier im Kreise aller meiner Verwandten zu heiraten. Wenn Sie einen Fehltritt begangen haben, so verspreche ich Ihnen, niemals ein Wort zu Ihnen darüber zu sagen, denn ich fühle, daß ich leider schuld daran bin. Ich flehe Sie an, sagen Sie mir, ob es Ihnen recht ist, daß ich Herrn von Grimaldi meine Absichten mitteile; ich hoffe, er wird die Güte haben, Ihnen für mich zu bürgen. Ich bin bereit, ohne alle Umstände Sie aus den Händen des Herrn zu empfangen, mit dem Sie zusammenleben – falls Sie nicht etwa mit ihm verheiratet sind. Wenn Sie frei sind, so bedenken Sie, daß Sie Ihre Ehre wiedererlangen, sobald Ihr Verführer Ihr Gatte wird.«

Dieser Brief kommt von einem Ehrenmann, der Rosalien verdient, sagte ich zu mir; ich aber wäre kein Ehrenmann, wenn ich sie ihm verweigerte, es wäre denn, daß ich sie auf der Stelle heiratete. Aber hierüber muß Rosalie entscheiden.

Ich rief sie, gab ihr den Brief und bat sie, diesen aufmerksam zu lesen. Sie gehorchte, gab mir dann den Brief zurück und fragte mich, ob ich ihr riete, Petris Antrag anzunehmen.

»Wenn du ihn annimmst, liebe Rosalie, wird es für mich ein tödlicher Schlag sein; aber wenn ich dich nicht abtreten will, so erfordert meine Ehre, daß ich dich heirate, und dazu bin ich vollkommen bereit.«

Bei diesen Worten warf das anbetungswürdige Mädchen sich in meine Arme und sagte mit dem Ton echter Liebe: »Ich liebe nur dich und kann nur dich lieben, mein zärtlicher Freund; aber es ist nicht wahr, daß deine Ehre von dir verlangt, mich zu heiraten. Unser Bund ist ein Herzensbund, er ist gegenseitig, und dies genügt zu meinem Glück.«

»Teure Rosalie, ich bete dich an, aber ich bitte dich zu glauben, daß du kein besserer Richter meiner Ehre sein kannst als ich selber. Wenn Petri ein wohlhabender Mann ist, der dich glücklich machen kann, so muß ich dir unbedingt raten, entweder seine Hand anzunehmen oder mich zu heiraten.«

»Keins von beiden! Uns drängt ja nichts. Wenn du mich liebst, bin ich glücklich; denn ich liebe nur dich. Ich werde auf diesen Brief nicht antworten, und ich will von Petri nichts mehr hören.«

»Verlaß dich darauf, daß ich niemals von ihm sprechen werde; aber ich sehe voraus, daß der Marchese sich in die Sache einmischen wird.«

»Daran zweifle auch ich nicht; aber verlaß dich darauf, er wird mir nicht zum zweitenmal davon sprechen.«

Nach diesem Übereinkommen, das ehrlicher gemeint war als jemals ein zwischen Potentaten vereinbartes, beschloß ich Genua zu verlassen, sobald ich gewisse Briefe erhalten hätte, die ich für Florenz und Rom erwartete. Unterdessen lebte ich mit meiner teuren Rosalie im süßen Frieden glücklicher Liebe; sie war nicht die Spur mehr eifersüchtig, und Herr von Grimaldi war der einzige Zeuge unseres Glückes.

Als ich fünf oder sechs Tage darauf den Marchese in seinem Kasino in Sampierdarena besuchte, empfing er mich mit den Worten, er sei sehr erfreut, mich zu sehen, denn er habe mit mir über eine Angelegenheit zu sprechen, die mich ganz besonders interessieren müsse. Ich erriet, was für eine Angelegenheit dies wäre, und da ich wußte, was ich ihm zu antworten hatte, so bat ich ihn, sich näher erklären zu wollen. Er sagte mir folgendes:

»Ein braver hiesiger Kaufmann kam vor zwei Tagen zu mir und stellte mir seinen Neffen namens Petri vor. Er sagte mir, der junge Mensch sei mein Pate, ein Umstand, dessen ich mich leicht erinnerte, und erbat meine Protektion für ihn. Ich antwortete ihm, in meiner Eigenschaft als Pate sei ich ihm meine Protektion schuldig; er könne also auf diese zählen, soweit es mir möglich sei, ihm nützen zu können. Mein Pate blieb nun mit mir allein und sagte mir, er habe vor Ihnen Ihre Geliebte in Marseille kennen gelernt; er habe ihr versprochen, sie im nächsten Frühjahr zu heiraten, habe sie dann mit mir wiedergesehen, sei ihr gefolgt und habe erfahren, daß sie mit Ihnen zusammenlebt. Man habe ihm gesagt, es sei Ihre Frau; er habe dieses nicht geglaubt, sondern ihr einen Brief geschrieben, der in Ihre Hände gefallen ist. Er teilte ihr in diesem Brief mit, daß er bereit sei, sie zu heiraten; aber er habe keine Antwort erhalten.

Der junge Mann konnte sich nicht entschließen, eine Hoffnung aufzugeben, die ihn glücklich machte; daher beschloß er, sich meiner Vermittlung zu bedienen, um zu erfahren, ob Rosalie seinen Antrag annehme. Er hoffte, indem er mir seine günstige finanzielle Lage bekannt gab, ich würde Ihnen dafür bürgen, daß er in den Verhältnissen lebt, um eine Frau glücklich machen zu können. Ich habe ihm geantwortet, daß ich die Ehre habe, Sie zu kennen, und daß ich mit Ihnen selber darüber sprechen würde; das Ergebnis unserer Unterhaltung würde ich ihm mitteilen.

Ich beschloß, bevor ich mit Ihnen darüber spräche, mich nach den Verhältnissen des jungen Mannes zu erkundigen, und ich habe die Gewißheit erlangt, daß er bereits ein beträchtliches Kapital besitzt. Sein Lebenswandel und sein Ruf sind ausgezeichnet, und er erfreut sich am hiesigen Platze eines soliden Kredits. Außerdem ist er der einzige Erbe seines Oheims, der für einen sehr wohlhabenden Mann gilt. Sagen Sie mir, mein lieber Herr Casanova, was ich ihm antworten soll.«

»Antworten Sie ihm, daß Rosalie ihm danke und ihn bitte, sie zu vergessen. Wie Sie wissen, reisen wir in drei oder vier Tagen ab. Rosalie liebt mich ebenso innig wie ich sie, und ich selber bin bereit, sie zu heiraten, sobald sie es wünscht.«

»Die Antwort ist bestimmt, aber ich glaube, einem Menschen wie Ihnen muß die Freiheit viel teurer sein als der Besitz einer Frau, mag sie auch noch so schön sein, an die man durch unlösbare Bande gefesselt ist. Erlauben Sie mir, daß ich selber darüber mit Rosalie spreche?«

»Sie bedürfen meiner Erlaubnis nicht. Sprechen Sie mit ihr; aber wohlverstanden, es darf nicht in meinem Auftrage geschehen; denn ich bete sie an und will ihr natürlich keinen Anlaß geben, sich einzubilden, daß jemals ein Wunsch, mich von ihr zu trennen, in mir hat aufsteigen können.«

»Wenn es Ihnen nicht lieb ist, daß ich mich in diese Angelegenheit mische, so sagen Sie es mir frei heraus.«

»Im Gegenteil; es freut mich, wenn Sie bestätigen können, daß ich nicht der Tyrann einer Frau bin, die ich abgöttisch verehre.«

»Ich werde heute abend mit ihr darüber sprechen.«

Um dem Marchese Zeit zu lassen, mit meiner Rosalie ganz ungestört zu sprechen, kam ich erst zur Zeit des Abendessens nach Hause. Der edle Genuese speiste mit uns, und die Unterhaltung drehte sich um tausend gleichgültige Dinge. Als er fort war, erstattete meine Freundin mir Bericht über ihre Unterhaltung. Er hatte ihr ungefähr dasselbe gesagt wie mir, und ihre Antworten hatten genau den meinigen entsprochen; nur hatte sie ihn außerdem noch gebeten, er möchte nicht mehr von seinem Paten mit ihr sprechen; dies hatte der Marchese ihr zugesagt.

Wir glaubten, die Sache sei damit abgetan, und beschäftigten uns mit den Vorbereitungen für unsere Reise. Aber drei oder vier Tage später, als wir bereits bestimmt annahmen, er dächte nicht mehr daran, lud der Marchese uns ein, in Sampierdarena, wo meine Rosalie noch nie gewesen war, bei ihm zu speisen.

»Ich wünsche, Madame, daß Sie vor der Abreise aus meinem schönen Vaterlande meinen herrlichen Garten sehen,« sagte Herr von Grimaldi zu ihr; »dieses wird für mich eine angenehme Erinnerung mehr sein.«

Am nächsten Tage gegen Mittag fuhren wir hin. Wir fanden bei ihm einen alten Herrn und eine alte Dame, denen er uns vorstellte. Er nannte meinen Namen und bezeichnete das Fräulein als eine Angehörige von mir.

Wir machten einen Spaziergang im Garten, und das alte Ehepaar nahm Rosalie in die Mitte und überhäufte sie mit Höflichkeiten und Komplimenten. Heiter und glücklich antwortete sie ihnen italienisch und entzückte sie ebensosehr durch ihren Geist wie durch ihre Anmut, womit sie allerlei Sprachschnitzer machte.

Man meldete uns, daß das Mittagessen bereit sei; wir begaben uns in den Speisesaal, und ich sah zu meinem großen Erstaunen sechs Gedecke. Ich bedurfte keines allzu großen Scharfsinns, um zu erraten, was für einen Streich der Marchese mir spielte; aber es war zu spät. Wir setzten uns zu Tisch, und im selben Augenblick trat ein junger Mann herein.

»Sie haben ein wenig auf sich warten lassen,« sagte der Marchese zu ihm. Ohne die pflichtgemäße Entschuldigung des jungen Mannes abzuwarten, stellte er ihn mir hierauf schnell als seinen Paten, Herrn Petri, Neffen der beiden anderen Gäste vor; er ließ ihn zu seiner Linken Platz nehmen, während Rosalie zu seiner Rechten saß. Ich saß ihr gegenüber, und als ich sie totenbleich werden sah, stieg mir das Blut heiß ins Gesicht; ich kochte vor Zorn. Das Vorgehen dieses Miniatur-Autokraten erschien mir bitter; diese Überraschung war für meine Rosalie und für mich ein blutiger Schimpf, den ich mit dem Blute des Frechen, der ihn mir angetan hatte, abwaschen mußte. Ich war in Versuchung, ihn bei Tisch zu erdolchen; aber trotz meiner Aufregung begriff ich, daß ich mich beherrschen und meine Wut hinunterschlucken mußte. Was konnte ich tun? Rosalie unter den Arm nehmen und mit ihr hinausgehen? Ich dachte daran; aber ich sah voraus, daß ein solcher Schritt für sie wie für mich unangenehme Folgen haben konnte, und hatte daher nicht den Mut dazu.

Niemals habe ich bei Tisch eine so entsetzliche Stunde verbracht, wie bei diesem bösen Diner. Rosalie und ich aßen keinen Bissen, und der Marchese, der alle Gäste bediente, war so vorsichtig, scheinbar nicht zu bemerken, daß die Teller unberührt fortgenommen wurden. Während der ganzen Mahlzeit sprach er nur mit Petri und dessen Oheim, indem er ihnen Gelegenheit gab, mit ihren Geschäften zu prahlen. Beim Nachtisch sagte der Marchese dem jungen Mann, er könne seinen Geschäften nachgehen; dieser küßte ihm die Hand und entfernte sich nach einer Verbeugung, die niemand von den Anwesenden erwiderte.

Petri war ein junger Mann von ungefähr vierundzwanzig Jahren, von mittlerer Größe und mit gewöhnlichem, aber freundlichem und ehrlichem Gesicht; er war sehr ehrerbietig; was er sagte, war nicht übermäßig geistreich – denn um Geist zeigen zu können, muß man frei sein – aber er gab sehr vernünftige Antworten. Alles in allem fand ich ihn Rosaliens nicht unwürdig, aber mir schauderte bei dem Gedanken, daß ich sie verlieren mußte, wenn ich einwilligte, daß sie seine Frau würde. Als er fort war, machte der Marchese dem Oheim Vorwürfe, daß er ihm den jungen Mann, dem er in seinem Geschäft sehr hätte nützen können, niemals vorgestellt hätte. »Aber, was nicht geschehen ist,« fügte er in bedeutungsvollem Ton hinzu, »kann noch geschehen, denn ich wünsche zu seinem Glück beizutragen.« Diese Bemerkung war ohne Zweifel für den Onkel und die Tante das Stichwort; denn nun begannen sie ihren Neffen auf hundertfältige Art zu loben; schließlich sagten sie, da sie keine Kinder hätten, so wären sie entzückt, daß ihr künftiger Erbe Petri das Glück hätte, der hohen Protektion Seiner Exzellenz für würdig erachtet zu werden: »Wir sehnen uns danach, das junge Mädchen aus Marseille zu sehen, das er heiraten will; wir werden sie wie eine inniggeliebte Tochter in unsere Arme schließen.«

Rosalie flüsterte mir leise zu, sie könne es nicht mehr aushalten, und bat mich, sie nach Hause zu bringen. Ich stand auf; wir grüßten die Gesellschaft mit kalter Würde und entfernten uns. Der Marchese war offenbar aus der Fassung gebracht. Er begleitete uns bis an die Tür, und da er nicht wußte, was er sagen sollte, so stammelte er einige Komplimente und sagte schließlich Rosalien, er würde nicht die Ehre haben, sie am Abend zu sehen, doch würde er nicht verfehlen, ihr am nächsten Tage seine Aufwartung zu machen. Kaum waren wir fort und miteinander allein, so erleichterte sich unsere Brust; wir atmeten leichter und plauderten, um den schrecklichen Alp zu verscheuchen, der auf unseren Seelen lastete.

Rosalie war wie ich der Meinung, daß der Marchese uns einen abscheulichen Streich gespielt hätte. Sie sagte mir, ich müßte ihm ein Briefchen schreiben und ihn bitten, er möchte sich nicht mehr die Mühe machen, uns zu besuchen.

»Ich werde,« antwortete ich ihr, »eine Gelegenheit finden, uns zu rächen; aber ich glaube nicht, daß ich gut daran täte, ihm zu schreiben. Beschleunigen wir unsere Abreise und empfangen wir ihn morgen mit einer Zurückhaltung und kalten Höflichkeit, die er als Mißtrauen und Entrüstung verstehen muß. Vor allen Dingen dürfen wir überhaupt nicht antworten, wenn er etwas in bezug auf seinen Paten sagt.«

»Wenn Petri mich liebt, so bedaure ich ihn; denn ich halte ihn für einen anständigen Menschen, und ich kann es ihm nicht übelnehmen, daß er an diesem Mittagessen teilgenommen hat; denn vielleicht hat er nicht gewußt, daß dieses mich beleidigen mußte. Aber bei dem bloßen Gedanken daran schaudere ich, mein Freund! Ich glaubte, sterben zu müssen, als unsere Blicke sich begegneten! Während der ganzen Mahlzeit hat er unmöglich meine Augen sehen können; denn ich hielt sie fast immer beinahe geschlossen, übrigens konnte er mich überhaupt wohl kaum sehen. Hat er mich angeblickt, während er sprach?«

»Nein, er hat nur mich angesehen. Übrigens beklage auch ich ihn, denn er sieht aus wie ein anständiger Junge.«

»Das Unglück ist nun einmal geschehen, und ich hoffe, ich werde guten Appetit zum Abendessen haben. Hast du darauf geachtet, was die Tante sagte? Ganz gewiß war sie mit im Komplott. Sie glaubte mich zu verführen, indem sie sagte, sie wolle mich wie eine eigene Tochter behandeln. Übrigens ist auch sie allem Anschein nach eine sehr gute Frau.«

Wir speisten zu Abend, und eine glückliche Nacht machte uns geneigt, den uns vom Marchese angetanen Schimpf zu vergessen. Als wir erwachten, scherzten wir darüber.

Am Abend besuchte der Marchese uns. Mit verwirrter und verlegener Miene trat er auf mich zu und sagte, er fühle, wie sehr er unrecht getan habe, mich auf solche Weise zu verraten; er bitte mich deshalb um Verzeihung, und wenn es möglich sei, sein Versehen wieder gutzumachen, so sei er bereit, mir jede gewünschte Genugtuung zu geben.

Rosalie ließ mir keine Zeit, ihn, zu antworten, sondern sagte: »Wenn Sie fühlen, daß Sie uns beschimpft haben, so halten wir uns für genügend gerächt und sind demgemäß zufriedengestellt. Aber von jetzt an, mein Herr, werden wir vor Ihnen auf der Hut sein, obgleich dies ziemlich überflüssig ist, denn unsere Abreise steht unmittelbar bevor.«

Nachdem sie ihm diese stolze Antwort gegeben hatte, machte sie ihm eine tiefe Verbeugung und ging in ihr Zimmer. Als Herr von Grimaldi mit mir allein war, hielt er folgende Ansprache an mich:

»Ich empfinde eine unendliche Teilnahme für das Glück Ihrer Geliebten. Da ich nun aus Erfahrung weiß, daß sie unmöglich lange Zeit in ihrem jetzigen ungewissen und zweifelhaften Zustande glücklich sein kann, da ich im Gegenteil überzeugt bin, daß sie als Gattin mit einem so liebenswürdigen und wohlerzogenen jungen Mann, wie mein Pate es ist, unfehlbar glücklich werden muß, so habe ich mich entschlossen, Sie beide mit ihm bekannt zu machen; denn selbst Rosalie kannte ihn nur sehr unvollkommen. Um diesen Zweck zu erreichen, habe ich mich eines unlauteren Mittels bedient, das gebe ich zu; aber ich bin überzeugt, Sie werden um der guten Absicht willen mir dies verzeihen. Ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise und wünsche, daß Sie recht lange mit dem reizenden Mädchen glücklich sein mögen. Ich bitte Sie, mir Nachrichten von Ihnen zu geben und auf meine Freundschaft zu rechnen. Mein Einfluß steht Ihnen zur Verfügung, und ich werde bei jeder Gelegenheit für Sie tun, was in meinen Kräften steht. Bevor wir uns trennen, muß ich Ihnen nur noch eins anvertrauen, damit Sie sich einen richtigen Begriff von dem ausgezeichneten Charakter des Herrn Petri machen können, der, wie er sagt, nur durch Rosalie glücklich werden kann. Er hat mir die Mitteilung, die Sie vernehmen werden, erst dann gemacht, als er sah, daß ich mich durchaus weigerte, einen Brief zu bestellen, den er an Rosalien geschrieben hatte, als er daran verzweifelte, ein anderes Mittel zu finden, um sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Nachdem er mir versichert hatte, daß Rosalie ihn geliebt habe und daher keine Abneigung gegen ihn haben könne, fügte er hinzu: wenn sie sich nur deshalb nicht entschließen könnte, ihm ihre Hand zu reichen, weil sie vielleicht fürchtete, schwanger zu sein, so wäre er bereit, die Hochzeit bis nach ihrer Niederkunft aufzuschieben, vorausgesetzt, daß sie, in Genua an einem nur ihm bekannten Ort sich aufhalten wollte, wo kein Mensch sie sehen würde. Er ist bereit, ihren ganzen Unterhalt zu bestreiten. Für diesen Vorschlag führt er einen sehr vernünftigen Grund an, indem er sagte: ›Eine vorzeitige Entbindung nach der Hochzeit würde ihrer und meiner Ehre Abbruch tun und dazu auch der Neigung meiner Verwandten für unsere Kinder; ich will aber, daß Rosalie vollkommen glücklich ist, wenn sie meine Frau wird.‹«

Bei diesen Worten trat Rosalie ein, die, ohne Zweifel neugierig wie alle Frauen, an der Tür gehorcht hatte, und sprach zu meiner größten Bestürzung folgende Worte: »Wenn Herr Petri Ihnen nicht gesagt hat, daß ich möglicherweise von ihm schwanger sein könnte, so ist das sehr anständig von ihm; aber ich sage es Ihnen hiermit selber. Der Fall ist allerdings kaum anzunehmen, liegt aber doch im Bereich der Möglichkeit. Sagen Sie ihm, mein Herr, ich werde bis nach meiner Niederkunft in Genua bleiben, wenn ich schwanger bin – was ich nicht weiß – oder bis ich die Gewißheit erlangt habe, daß ich es nicht bin. Sagen Sie ihm, ich werde alsdann zu meinem Freunde reisen, wo immer er sein mag. Wenn ich niederkomme, werde ich aus dem Zeitpunkte die Wahrheit erkennen. Kann ich nicht daran zweifeln, daß das Kind Herrn Petri gehört, so werde ich bereit sein, ihn zu heiraten; wenn er sich aber selber überzeugen kann, daß das Kind nicht von ihm sein kann, so wird er hoffentlich so vernünftig sein, nicht mehr an mich zu denken. Wollen Sie ihm bitte ferner sagen, wegen der Kosten meines Unterhaltes und wegen der Wahl eines Zufluchtsortes für mich möge er sich keine Mühe geben.«

Ich war wie versteinert, denn ich sah, welche Frucht jetzt meine verhängnisvolle Unbesonnenheit trug, und dieser Gedanke zerriß mir das Herz. Der Marchese fragte mich, ob ich ihm Vollmacht gäbe, diesen Auftrag zu übernehmen, und ich antwortete ihm, ich könnte keinen anderen Willen haben als den meiner Freundin und bäte ihn daher, ihrer Entscheidung zu folgen. Er entfernte sich sehr zufrieden, denn er sah nunmehr, daß die Angelegenheit, die ihm so sehr am Herzen lag, nach seinem Wunsche gehen würde, sobald er in aller Gemächlichkeit auf Rosalie Einfluß üben könnte. Die Abwesenden haben immer unrecht.

»Du willst mich also verlassen, Rosalie?« fragte ich sie, als wir allein waren.

»Ja, mein teurer Freund, aber es wird nicht für lange sein.«

»Ich sehe voraus, wir werden uns niemals wiedersehen.«

»Warum nicht, liebes Herz, wenn ich auf deine Beständigkeit zählen kann? Höre mich an, mein Freund: meine und deine Ehre gebieten mir, wenn ich schwanger bin, Herrn Petri die Gewißheit zu geben, daß ich es nicht von ihm bin, und zugleich dir die Gewißheit zu geben, daß ich ein Kind von dir trage.«

»Ich werde niemals daran zweifeln, liebe Rosalie.«

»Du hast einmal daran gezweifelt, lieber Freund, und das genügt. Unsere Trennung wird mir bittere Tränen kosten, aber sie ist notwendig für mein Gewissen und für mein künftiges Glück. Ich hoffe, du wirst mir schreiben, und nach meiner Niederkunft mußt du mir angeben, auf welche Weise ich wieder zu dir kommen kann. Wenn ich nicht schwanger bin, kann unsere Wiedervereinigung spätestens in ein paar Monaten stattfinden.«

»So schmerzlich mir dein Entschluß auch ist, ich muß mich ihm unterwerfen; denn ich habe mir vorgenommen, dir niemals zu widersprechen. Ich glaube, du mußt dich nun in ein Kloster zurückziehen, und da sehe ich nur den Marchese, der dir einen solchen Zufluchtsort verschaffen und dich dort wie ein Vater beschützen könnte. Soll ich mit ihm darüber sprechen? Für deine Bedürfnisse werde ich dir eine genügende Summe zurücklassen.«

»Die Summe wird nicht groß sein. Herrn von Grimaldi gebietet schon seine Ehre, ein Asyl für mich ausfindig zu machen; ich glaube nicht, daß du nötig hast, mit ihm darüber zu sprechen.«

Sie dachte vollkommen richtig, und ich konnte nicht umhin, den natürlichen Takt dieses erstaunlichen jungen Mädchens zu bewundern.

Am nächsten Tage erfuhr ich, daß der angebliche Iwanoff entflohen war. Eine Viertelstunde vor Ankunft der Sbirren, die ihn auf Verlangen eines Bankiers ins Gefängnis führen sollten, hatte er sich zu Fuß davongemacht. Der Bankier hatte entdeckt, daß ein ihm vorgelegter Kreditbrief falsch war; da er aber alle seine Sachen zurückgelassen hatte, so kam der Geschäftsmann mit einem geringen Geldverlust davon.

Am folgenden Tage berichtete der Marchese Rosalien, sein Pate habe gegen den Plan nichts einzuwenden gehabt. Er hoffe, sie werde sich entschließen, nach ihrer Niederkunft seine Frau zu werden, selbst wenn das Kind nicht von ihm sei.

»Dieses zu hoffen, steht bei ihm,« sagte Rosalie lächelnd.

»Er hofft ferner. Sie werden ihm gestatten, zuweilen die Ehre zu haben, daß er Ihnen seine Aufwartung machen darf. Ich habe mit der Oberin des Klosters ** gesprochen, die eine weitläufige Verwandte von mir ist. Sie werden zwei Zimmer erhalten, und eine sehr anständige Frau wird Ihnen Gesellschaft leisten. Sie bedienen und nötigenfalls bei der Entbindung helfen. Ich habe den monatlichen Preis Ihres Kostgeldes vereinbart. Jeden Morgen werde ich Ihnen einen vertrauten Mann schicken, der sich mit Ihrer Dienerin ins Benehmen setzen und mir Ihre Aufträge bringen wird. Auch werde ich Ihnen zuweilen einen Besuch am Sprechgitter machen, wenn Sie mir dies gestatten.«

Ich mußte dem Marchese meinen Dank aussprechen – eine traurige Notwendigkeit, die jedoch durch die Schicklichkeit geboten war. Ich sagte: »Ihnen, Herr Marchese, vertraue ich meine Rosalie an, und ich bin überzeugt, ich gebe sie in zuverlässige Hände. Ich werde abreisen, sobald sie sich allein ins Kloster begeben hat; ich bitte Sie, ihr einen Brief für die Oberin mitzugeben.«

»Ich werde diesen sofort schreiben,« sagte er.

Da Rosalie ihm schon vorher gesagt hatte, sie wolle selber alle Kosten ihres Unterhalts bestreiten, gab er ihr die von ihm getroffene schriftliche Vereinbarung.

Rosalie sagte zu ihm: »Ich bin entschlossen, mich schon morgen einzusperren, und ich werde mich sehr freuen, wenn ich Sie den Tag darauf einen Augenblick sehen kann.«

»Ich werde kommen,« antwortete der Marchese, »und Sie können versichert sein, daß ich nichts außer acht lassen werde, was Ihnen Ihre Einsamkeit angenehm machen kann.«

Wir verbrachten die traurigste Nacht. Kaum unterbrach die Liebe unsere endlosen Klagen und gegenseitigen Tröstungen. Wir schworen uns, stets nur einander zu gehören, und unsere Schwüre waren aufrichtig, wie es stets die Schwüre zweier Herzen sind, die sich leidenschaftlich lieben; aber diese Schwüre müssen vom Schicksal bestätigt werden, das kein Sterblicher kennen kann.

Mit geröteten, tränenschweren Augen war Rosalie den ganzen Vormittag damit beschäftigt, ihre Sachen zu packen. Veronika, die ihr dabei half, weinte ebenfalls; ich sah sie nicht an, weil ich böse auf mich selber war, daß ich sie hübsch fand. Rosalie wollte durchaus nur zweihundert Zechinen annehmen; sie sagte mir, wenn sie Geld brauchte, würde es mir nicht an Mitteln fehlen, ihr welches zu schicken. Nachdem sie Veronika gebeten hatte, mich während der zwei oder drei Tage, die ich noch in Genua zubringen sollte, aufmerksam zu bedienen, machte sie mir eine stumme Verbeugung und ging. Costa brachte sie bis an den Tragestuhl. Zwei Stunden darauf holte ein Bedienter des Marchese ihre Sachen ab, und ich blieb traurig und niedergeschlagen allein, bis der Herr Marchese kam und sich bei mir zum Abendessen einlud. Er riet mir, ich möchte Veronika einladen, uns Gesellschaft zu leisten. »Sie ist ein verdienstvolles Mädchen,« sagte er mir, »das Sie noch nicht kennen; es wird Ihnen aber sehr angenehm sein, sie besser kennen zu lernen.« Obgleich ich ein bißchen überrascht war, so dachte ich doch nicht weiter über die hinterlistigen Absichten des schlauen Genuesen nach, sondern ging zu Veronika und bat sie, uns dieses Vergnügen zu machen. Sie nahm meine Einladung höflich an, indem sie mir sagte, sie fühle den ganzen Wert der Ehre, die ich ihr erweise.

Ich hätte der dümmste Tölpel sein müssen, wenn ich nicht klar erkannt hätte, daß der schlaue Marchese seinen fein ausgesonnenen Plan glücklich durchgesetzt und mich wie einen richtigen Anfänger an der Nase geführt hatte. Obgleich ich mit gutem Grunde hoffen durfte, meine Rosalie wiederzuerhalten, konnte ich nicht daran zweifeln, daß der Marchese alle Hilfsmittel seiner Klugheit aufbieten würde, um sie zu verführen, und ich hatte allen Anlaß zu der Befürchtung, daß ihm dies gelingen würde. Ich befand mich jedoch in der Notwendigkeit, meine Gefühle zu verbergen und ihn gewähren zu lassen.

Herr von Grimaldi war etwa sechzig Jahre alt; er war Epikureer in der vollsten Bedeutung des Wortes, großer Spieler, reich, beredt, ein bedeutender Politiker, hochgeachtet in seinem Vaterlande; er besaß eine große Menschenkenntnis und kannte ganz besonders das Herz der Frauen. Er hatte viel in Venedig gelebt, um dort seiner Freiheit und der Freuden des Lebens zu genießen. Er war niemals verheiratet gewesen; denn er sagte, er kenne die Frauen zu gut: sie wollen entweder Sklavinnen oder Tyranninnen sein; er aber wolle niemanden tyrannisieren, sich aber auch von keinem Menschen etwas befehlen lassen. Er machte es möglich, nach dem von ihm geliebten Venedig zurückkehren zu dürfen, obgleich Genua demjenigen Patrizier, der einmal die Dogenwürde bekleidet hat, den Boden des Vaterlandes zu verlassen verbietet. Obgleich er mich mit freundschaftlicher Zuvorkommenheit überhäufte, wußte er eine überlegene Miene zu bewahren, welche großen Eindruck auf mich machte. Ohne Zweifel war er sich dieser Überlegenheit bewußt; denn nur diese konnte ihm den kecken Gedanken eingeben, mich mit Petri an seiner Tafel zusammenzubringen. Ich fühlte, daß er mich angeführt hatte, und hielt mich für verpflichtet, ihn zu nötigen, daß er mich achtete; deshalb benahm ich mich so, wie ich es tat. Ein Gefühl der Dankbarkeit veranlaßte ihn, mir den Weg zu der Eroberung Veronikas zu ebnen, die er für sehr geeignet hielt, mich über Rosaliens Verlust zu trösten.

Bei Tisch nahm ich fast gar nicht an der Unterhaltung teil, aber der Marchese gab Veronika Gelegenheit, ihre Ansichten zu äußern, und sie glänzte. Ich konnte leicht sehen, daß sie mehr Geist und Kenntnisse besaß als Rosalie; aber in meiner damaligen Stimmung war dies gerade das Mittel, mir zu mißfallen. Herr von Grimaldi sah mit Bedauern meine Traurigkeit und zwang mich gewissermaßen, mich an der Unterhaltung zu beteiligen. Als er mir freundschaftlich meine Schweigsamkeit vorwarf, sagte Veronika mit einem anmutigen Lächeln, ich hätte Grund zu schweigen, nachdem sie meine ihr gemachte Liebeserklärung so übel aufgenommen hätte. Sehr erstaunt sagte ich zu ihr, ich könnte mich nicht erinnern, sie geliebt, und noch weniger, ihr dies gesagt zu haben; aber ich mußte lachen, als sie mit einem schlauen Lächeln mir sagte, an jenem Tage habe sie Lindane geheißen. Ich antwortete ihr: »Das konnte mir nur beim Komödiespielen passieren; denn ein Mann, der eine Liebeserklärung in Worten macht, ist ein Dummkopf. Ein geistvoller Mann gibt seine Liebe durch Handlungen kund.«

»Das ist freilich wahr; indessen wurde die gnädige Frau bald beunruhigt.«

»Durchaus nicht, Veronika; sie hatte Sie gern.«

»Das weiß ich; trotzdem aber habe ich sie eifersüchtig gesehen.«

»Wenn sie das war, so hatte sie sehr unrecht.«

Dieses Gespräch war für mich sehr wenig erheiternd, um so mehr aber für den Marchese. Er sagte mir beim Abschied, er würde am nächsten Tage Rosalien seine Aufwartung machen, und wenn er am nächsten Abend bei mir essen dürfte, würde er mir Nachrichten von ihr bringen. Natürlich antwortete ich ihm, er sei willkommen.

Veronika begleitete mich in mein Zimmer und bat mich, ich möchte mir von meinem Bedienten aufwarten lassen; denn da die gnädige Frau nicht mehr da wäre, könnte man sich eine ungünstige Meinung von ihr bilden.

»Sie haben recht, Fräulein; haben Sie die Güte, mir Leduc zu schicken.«

Am nächsten Tage erhielt ich einen Brief aus Genf. Er war von meinem wollüstigen Freund Syndikus, der mir schrieb, er habe in meinem Auftrage Herrn von Voltaire die Übersetzung der »Schottin« und den sehr höflichen Brief überreicht, worin ich ihn um Verzeihung bat, daß ich mir die Freiheit genommen hätte, seine schöne französische Prosa ins Italienische zu travestieren. Voltaire sagte mir klar und deutlich, er habe meine Übersetzung schlecht gefunden. Es war eine Unhöflichkeit von Voltaire, auf meinen Brief nicht zu antworten, indem er mir den an meiner Übersetzung getadelten Fehler jedenfalls nicht nachweisen konnte; meine Eitelkeit wurde hierdurch so tief verletzt, daß ich ein Todfeind des großen Mannes wurde. Ich habe ihn infolgedessen in allen späteren von mir veröffentlichten Werken sehr scharf kritisiert; ich glaubte mich dadurch zu rächen. Die Leidenschaft verblendete mich; heute fühle ich, daß diese schwachen Stiche nur mir selber schaden können, wenn meine Schriften überhaupt jemals an ihre Adresse gelangen. Die Nachwelt wird mich den Zoilussen zurechnen, die ihre eigene Ohnmacht gegen den großen Geist entfesselte, dem die Zivilisation und das Glück der Menschheit Riesenfortschritte verdankt, und dem die Freude, die Freiheit und die Vernunft Altäre errichten sollten. Der einzige Vorwurf, den man dem Manne machen kann, sind seine Ausfälle gegen die Religion. Wäre er ein weiser Philosoph gewesen, so hätte er über dieses Thema niemals gesprochen; denn selbst angenommen, alles, was er gesagt hat, wäre wahr gewesen, so mußte er doch wissen, daß die Religion für die Moral der Völker notwendig ist und daß das Glück der Nationen von der Moral der Völker abhängt.

Siebentes Kapitel


Ich verliebe mich in Veronika. – Ihre Schwester. – List gegen List. – Mein Sieg. – Gegenseitige Enttäuschung.

Ich habe niemals gern allein gegessen, und dies hat mich stets davon abgehalten, Einsiedler zu werden, obgleich ich einmal eine ziemlich flüchtige Anwandlung hatte, Mönch zu werden: ein Beruf, wie jeder andere und vielleicht der beste von allen wenn man, ohne auf gewisse Freuden des Lebens zu verzichten, sich einem frommen Müßiggang hingeben kann. Diese Anlage veranlaßte mich also, zwei Gedecke zu bestellen; übrigens hatte Veronika, nachdem sie mit mir und dem Marchese gespeist hatte, ein Recht auf diese Auszeichnung, die sie außerdem wegen ihrer Schönheit und ihres Geistes verdiente.

Da ich nur Costa hinter meinem Stuhl stehen sah, fragte ich ihn, wo Leduc sei. Er antwortete mir, dieser sei krank. »Dann treten Sie hinter den Stuhl des Fräuleins,« sagte ich. Er gehorchte, aber mit einem Lächeln. Wo mischt der Stolz sich nicht ein! Obgleich es keinen lächerlicheren gibt als den Bedientenstolz, versteigt sich dieser oft bis zu einem wahren Hochmut.

An diesem Tage kam Veronika mir hübscher vor. Ihr je nach den Umständen freies oder zurückhaltendes Wesen zeigte mir, daß sie keine Anfängerin mehr war und daß sie in einer gewählten Gesellschaft leicht die Rolle einer Prinzessin hätte spielen können. Aber so seltsam ist das menschliche Herz: ich sah mit aufrichtiger Betrübnis, daß sie mir gefiel, und nur der Gedanke tröstete mich, daß ihre Mutter sie im Laufe des Tages abholen sollte. Ich liebte Rosalien, und mein Herz blutete noch; unsere Trennung war noch zu frisch.

Die Mutter kam, als wir noch bei Tische saßen. Sie war erstaunt über die Ehre, die ich ihrer Tochter erwies, und dankte mir auf das lebhafteste dafür.

»Sie brauchen mir nicht dafür zu danken, Madame, denn die Ehre ist ganz auf meiner Seite, da Ihre Tochter schön, geistreich und tugendhaft ist!«

»Danke dem Herrn, meine Tochter, für die schönen Geschenke, die er dir macht: denn du bist häßlich, dumm und leichtsinnig!« sagte die Mutter; »aber wie hast du die Dreistigkeit haben können, dich mit einem schmutzigen Hemde an den Tisch des gnädigen Herrn zu setzen?«

»Ich würde über diesen Vorwurf erröten, liebe Mutter, wenn ich nicht wüßte, daß Sie sich täuschten; denn es ist noch keine zwei Stunden her, daß ich ein reines Hemd angezogen habe.«

»Madame,« sagte ich zu der Mutter, »auf der Haut Ihrer Tochter kann ein Hemd nicht leicht weiß aussehen.«

Dieses Kompliment brachte die Mutter zum Lachen und schmeichelte der Tochter. Als nun die Mutter ihr sagte, sie sei gekommen, um sie nach Hause zu holen, bemerkte Veronika mit feinem Lächeln:

»Mama, es ist durchaus nicht gewiß, daß Sie dem gnädigen Herrn ein großes Vergnügen erweisen, indem Sie mich vierundzwanzig Stunden vor seiner Abreise mitnehmen.«

»Im Gegenteil,« bemerkte ich mechanisch, »mir würde dieses sehr unangenehm sein.«

»Wenn dies so ist, mein Herr,« versetzte die Mutter, »kann sie bleiben; aber der Anstand verlangt, daß ich Ihnen ihre jüngere Schwester schicke, die bei ihr schlafen wird.«

»Sie werden mir damit einen Gefallen erweisen, Madame.«

Hierauf ließ ich sie allein.

Diese Veronika setzte mich in Verlegenheit; denn ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich in sie verliebt war; und wie ich mich nun einmal kannte, mußte ich einen berechneten Widerstand fürchten. Die Mutter kam in mein Zimmer, wo ich an meinem Schreibtische arbeitete, wünschte mir glückliche Reise und wiederholte mir, sie würde mir ihre Tochter Annina schicken. Diese kam denn auch wirklich gegen Abend, von einer Magd begleitet. Nachdem sie ihren Mezzaro abgenommen und mir sehr bescheiden die Hand geküßt hatte, lief sie fröhlich auf ihre Schwester zu und umarmte diese.

Da ich neugierig war, das Gesicht des jungen Mädchens zu sehen, so verlangte ich Kerzen; mit Erstaunen erblickte ich eine Blondine, wie ich niemals eine gesehen hatte. Ihre Haare, ihre Augenbrauen und ihre langen Wimpern waren von blaßgoldener Farbe und beinahe weißer als ihre außerordentlich weiße Haut. Sie war im höchsten Grade kurzsichtig, aber ihre großen, wohlgeschnittenen Augen waren von einem hellen Himmelblau und von einer geradezu wunderbaren Schönheit. Sie hatte den niedlichsten Mund, der sich denken läßt; aber ihre Zähne, obgleich sehr regelmäßig, waren von einem weniger weißen Schmelz als ihre Haut. Ohne diesen Fehler hätte Anmna für eine vollendete Schönheit gelten können.

Wegen der Zartheit ihrer Augen verursachte ein allzu glänzendes Licht ihr Schmerzen. Wie sie nun so vor mir stand, schien sie mit Vergnügen zu sehen, daß ich sie genau betrachtete. Meine Blicke verschlangen mit gierigem Wohlgefallen ihre zwei kleinen, erst aufkeimenden Halbkugeln, deren Weiße mich erraten ließ, daß der übrige Teil ihres Körpers entzückend sein müßte. Veronika war in dieser Hinsicht nicht so großmütig: man sah wohl, daß ihr Busen prachtvoll sein mußte, aber ein eifersüchtiger Schleier verbarg ihn sorgfältig vor allen Blicken. Sie ließ ihre Schwester neben sich sitzen und gab ihr Näharbeit; als ich aber sah, daß ihre hübschen Händchen die Leinwand vier Zoll von ihren Augen entfernt halten mußten,sagte ich ihr, sie müßte wenigstens nachts ihre Augen schonen, und gehorsam legte sie sofort die Arbeit weg.

Wie gewöhnlich kam der Marchese, und Annina, die er noch niemals gesehen hatte, erschien auch ihm wie mir als ein wunderbares Miniaturbild. Auf sein Alter und auf seinen hohen Rang bauend, wagte der wollüstige Greis seine Hand auf den hübschen Busen des jungen Mädchens zu legen, das zu ehrerbietig war, um sich einen Widerspruch gegen den gnädigen Herrn zu erlauben, und ihn, ohne die geringste üble Laune zu verraten, gewähren ließ. In ihrem Wesen lag ebensoviel Unschuld wie Koketterie.

Eine Frau, die nur wenig zeigt und dadurch einem Manne Neugier einzuflößen weiß, hat bereits drei Viertel ihres Weges zurückgelegt, um ihn verliebt zu machen; denn ist die Liebe überhaupt etwas anderes als eine Neugier? Ich glaube es nicht, und der Beweis dafür ist, daß die Liebe erlischt, sobald die Neugier befriedigt ist. Jedenfalls ist ganz sicherlich die Neugier der Liebe die stärkste Neugier, die es gibt, und Annina hatte mich bereits neugierig gemacht.

Herr von Grimaldi sagte zu Veronika: Rosalie bitte sie, bis zu meiner Abreise bei mir zu bleiben; sie vernahm diese Bitte mit ebenso großem Erstaunen wie ich. Ich sagte zum Marchese: »Wollen Sie ihr bitte sagen, daß Fräulein Veronika ihren Wünschen zuvorgekommen ist und daß sie gerade aus diesem Grunde ihre Schwester Annina hat kommen lassen.«

»Zwei, mein lieber Freund,« sagte der feine Genuese, »sind immer besser als eine.«

Wir ließen hierauf die beiden Schwestern miteinander allein und gingen in mein Zimmer, wo er mir sagte: »Ihre Rosalie ist zufrieden, und Sie müssen sich glücklich schätzen, daß Sie ihr Glück begründet haben; denn ich bin überzeugt, sie wird glücklich werden. Es tut mir leid, daß alle Regeln der Schicklichkeit Ihnen verbieten, sie heute Abend noch zu sehen.«

»Sie sind in sie verliebt, Herr Marquis!«

»Ich gestehe es, aber ich bin alt – leider!«

»Das tut nichts, sie wird Sie zärtlich lieben, und wenn Petri ihr Mann wird, so bin ich sicher, daß sie für ihn nur eine passive Freundschaft empfinden kann. Bitte, schreiben Sie mir nach Florenz, wie sie den Petri aufnimmt.«

»Bleiben Sie doch noch drei Tage hier, so werden Sie es erfahren. Unterdessen werden die beiden Schönheiten hier Ihnen die Stunden sehr schnell verstreichen lassen.«

»Gerade weil ich voraussehe, daß sie diesen Zweck leicht erreichen könnten, will ich morgen abreisen. Veronika erschreckt mich.«

»Ich glaubte, Sie wären nicht der Mann, sich von einer hübschen Frau erschrecken zu lassen.«

»Ich fürchte, sie hat irgendeine unangenehme Absicht mit mir vor, denn ich glaube, sie ist geneigt, sich mit Grundsätzen zu brüsten. Lieben kann ich nur Rosalie.«

»Da fällt mir ein: ich habe hier einen Brief für Sie.«

Ich zog mich in eine Fensternische zurück und las dort jenen Brief, dessen Schriftzüge mir beim ersten Anblick schon heftiges Herzklopfen verursachten. Er lautete folgendermaßen:

»Mein lieber Freund, ich sehe, daß du mich den Händen eines zärtlichen Vaters anvertraut hast, der es mir bis zu dem Augenblick, wo ich nicht im geringsten mehr Zweifel über meinen Zustand haben werde, an nichts wird fehlen lassen. Und diese neue Wohltat verdanke ich deinem ausgezeichneten Herzen. Ich werde dir bestimmt an die Adresse schreiben, die du mir gibst. Wenn Veronika dir gefällt, mein lieber Freund, so fühle ich, daß ich unrecht haben würde, wenn ich in diesem Augenblick eifersüchtig auf sie wäre. Wenn du dich um sie bewirbst, so wird sie dir, glaube ich, nicht widerstehen können, und ich werde glücklich sein, wenn ich vernehme, daß sie dazu beiträgt, dir die Traurigkeit zu verscheuchen, die mich tief zu Boden drückt. Ich bitte dich, schreibe mir vor deiner Abreise noch einige Zeilen.«

Ich trat auf den Marchese zu, reichte ihm den Brief und bat ihn, Kenntnis davon zu nehmen. Er war durch ihre Worte tief gerührt und rief: »Ja, das herrliche Mädchen wird in mir einen zärtlichen Vater und treu ergebenen Freund finden, und wenn sie glaubt, meinen Paten heiraten zu müssen, und von ihm nicht so gut behandelt wird, wie sie es verdient, so wird er sie nicht lange besitzen. Sie wird sogar nach meinem Tode Gegenstand meiner Sorge sein, wenn ich mich so ausdrücken darf; denn vor meinem Tode wird sie einen Teil meines Vermögens erhalten haben. Aber hören Sie, was sie Ihnen über Veronika sagt? Ich halte sie nicht für eine Vestalin, obwohl ich andererseits ihr auch nicht das Geringste nachsagen kann.«

Ich hatte vier Gedecke befohlen; Annina setzte sich daher mit uns zu Tisch, ohne sich nötigen zu lassen. Als Leduc hereinkam, sagte ich zu ihm: wenn er krank wäre, könnte er sich zu Bette legen.

»Ich befinde mich sehr wohl,« sagte er.

»Das freut mich; aber gehe jetzt hinaus; ihr werdet bei Tisch bedienen, sobald ich in Livorno bin.«

Ich bemerkte, daß Veronika über diese Ausschließung sehr erfreut war, und beschloß augenblicklich, eine Festung zu belagern, die mich immer mehr und mehr interessierte. Ich beschäftigte mich daher während der ganzen Mahlzeit sehr viel mit ihr und richtete sehr bedeutsame Bemerkungen an sie, während der Marchese mit Annina scherzte. An den liebenswürdigen Kavalier mich wendend, fragte ich ihn, ob er glaubte, daß ich für den nächsten Tag eine Feluke zur Fahrt nach Lerici finden könnte.

»Gewiß, zu welcher Stunde Sie wollen und mit so viel Ruderern, wie Sie wünschen; aber ich hoffe, Sie werden Ihre Abreise um drei bis vier Tage hinausschieben.«

»Nein,« antwortete ich mit einem Seitenblick auf Veronika; »dieser Aufschub könnte mir teuer zu stehen kommen.«

Die geriebene Schelmin beantwortete meinen Blick mit einem Lächeln, das mir zeigte, daß mein Gedanke verstanden worden war. Als wir von Tisch aufgestanden waren, nahm ich mit Annina ein kleines Examen vor, während der Marchese sich mit Veronika unterhielt. Nach einer Viertelstunde trat er zu uns heran und sagte zu mir: »Man hat mich aufgefordert, Sie zu bitten, daß Sie noch einige Tage hier bleiben oder doch zum mindesten morgen noch hier zu Nacht speisen möchten.«

»Sehr freundlich. Wir werden also morgen beim Nachtessen von einigen Tagen sprechen.«

Der Marchese rief: »Viktoria!« und Veronika war augenscheinlich sehr erfreut über meine Gefälligkeit. Als unser Gast fortgegangen war, fragte ich meine Haushälterin, ob ich Costa zu Bett schicken könnte.

»Da ich meine Schwester bei mir habe, wird man keinen beleidigenden Verdacht hegen können.«

»Sie willigen also ein, meine Liebe. Dies macht mir viel Vergnügen; ich werde Ihnen also meinen Kopf anvertrauen.«

Sie frisierte mich für die Nacht, antwortete jedoch kein Wort auf alle galanten Bemerkungen, die ich an sie richtete. Als ich gerade im Begriff war, mich ins Bett zu legen, wünschte sie mir gute Nacht. Ich wollte sie umarmen, um auf diese Weise ihre Komplimente zu erwidern, aber sie stieß mich zurück und entfernte sich von mir. Dies überraschte mich sehr. Als sie hinausgehen wollte, sagte ich zu ihr in ernstem, aber höflichem Ton: »Bitte, bleiben Sie; ich muß mit Ihnen sprechen; setzen Sie sich neben mich! – Warum haben Sie mir ein Vergnügen abgeschlagen, das schließlich doch nur ein einfacher Beweis von Freundschaft ist?«

»Weil zwei Menschen, wie wir es nun einmal sind, unmöglich bei der einfachen Freundschaft stehen bleiben und weil wir ein Liebespaar nicht sein können.«

»Warum sollen wir nicht ein Liebespaar sein können? Wir sind doch frei!«

»Weil ich mich von gewissen Vorurteilen nicht freimachen kann, die für Sie nicht vorhanden sind.«

»Ich hatte geglaubt, Ihr Geist sei über Vorurteile erhaben.«

»Es gibt ein Vorurteil, über das eine Frau sich nicht hinwegsetzen darf. Die Überlegenheit, die Sie andeuten wollen, ist eine klägliche Überlegenheit, welche stets sich selbst betrügt. Was sollte aus mir werden, mein Herr, wenn ich mich den Gefühlen überließe, die Sie mir einflößen?«

»Ich war auf eine solche Bemerkung gefaßt, meine liebe Veronika. Die Gefühle, die ich Ihnen einflöße, sind nicht die der Liebe. Nein! Denn wenn sie es wären, so wären sie den meinigen gleich, und die Liebe würde Sie veranlassen, die hemmenden Fesseln der Vorurteile zu zerbrechen.«

»Ich gestehe, daß Sie mir noch nicht den Kopf verdreht haben; aber ich weiß, daß unglücklicherweise Ihre Abreise mir meine Ruhe rauben wird.«

»Wenn dies wahr ist, Veronika, so ist es nicht meine Schuld. Aber sagen Sie mir, was ich tun könnte, um Sie während meines kurzen Aufenthaltes hier glücklich zu machen?«

»Nichts! Denn Sie sind meiner und ich bin Ihrer nicht sicher.«

»Ich verstehe, was Sie sagen wollen; aber ich muß Ihnen sagen, daß ich entschlossen bin, mich niemals zu verheiraten, bevor ich nicht der Freund meiner Frau geworden bin.«

»Das heißt: erst wenn Sie nicht mehr ihr Liebhaber sind?«

»Ganz recht.«

»Sie wollen da enden, wo ich beginnen will. Ich wünsche Ihnen Glück dazu; aber Sie spielen ein gewagtes Spiel.«

»Nun gut, ich will entweder alles verlieren oder alles gewinnen.«

»Das kommt darauf an. Aber lassen wir einmal die Gefühle beiseite – mir scheint, schöne Veronika, wir könnten ein wenig mit der Liebe tändeln und uns glückliche Augenblicke verschaffen, ohne uns von Vorurteilen stören zu lassen.«

»Das mag sein; aber bei diesem Spiel kann man sich die Finger verbrennen, und davor habe ich solche Angst, daß ich nicht einmal daran denken mag; denn der Gedanke könnte mich verführen. O nein, nein! Lassen Sie mich, bitte! Sehen Sie, da kommt meine Schwester; es macht ihr angst, mich in Ihren Armen zu sehen.«

»Nun, ich sehe, ich habe unrecht. Rosalie hat sich getäuscht.«

»Wie? Was hat sie denn nur von mir gedacht?«

»Sie hat gedacht. Sie würden gut sein; das hat sie mir geschrieben.«

»Sie ist recht glücklich, wenn sie es nicht zu bereuen gehabt hat, daß sie allzugut war.«

»Gute Nacht, Veronika.«

Es ärgerte mich, daß ich diesen Angriff gemacht hatte; denn in derartigen Fällen ist Mangel an Erfolg stets verdrießlich. Ich nahm mir vor, sie bei ihren Grundsätzen zu lassen, mochten diese aufrichtig oder erheuchelt sein; als ich sie aber beim Erwachen mit freundlicher und liebenswürdiger Miene an mein Bett herantreten sah, änderte ich plötzlich meine Ansicht: ich hatte meinen Verdruß verschlafen und war verliebt. Ich glaubte, sie hätte ihr Benehmen bereut, und hoffte sie beim zweiten Angriff mehr entgegenkommend zu finden. Hiernach richtete ich mein Benehmen ein und scherzte beim Frühstück mit ihr und ihrer Schwester. Beim Mittagessen benahm ich mich ebenso, und die Heiterkeit, in der Herr von Grimaldi uns am Abend fand, ließ ihn ohne Zweifel glauben, daß wir bereits auf vertrautem Fuß miteinander ständen, und er wünschte uns dazu Glück. Als ich sah, daß Veronika sich benahm, wie wenn der Marchese richtig erraten hätte, glaubte ich die Gewißheit zu haben, daß ich sie nach dem Abendessen besitzen würde. In dem Rausch, in welchen mich diese Gewißheit versetzte, versprach ich ihnen beim Souper, ich würde noch vier Tage bleiben.

»Bravo! Bravo!« rief der Marchese, »solchen Gebrauch müssen Sie immer von Ihrem Recht machen, Veronika! Sie sind eine Frau, die über die, die Sie lieben, eine unumschränkte Herrschaft üben muß.«

Mich dünkte, sie müßte irgend etwas sagen, um die Gewißheit, die der Marchese aussprach, ein wenig einzuschränken. Aber keineswegs! Sie schien sich an ihrem Triumph zu weiden und wurde dadurch noch schöner. Sie brüstete sich wie ein Pfau; ich aber, durch das in Aussicht stehende Glück unterjocht, sah sie mit der bescheidenen Miene eines Besiegten an, der auf seine Kette stolz ist. Ich war so einfältig, ihr Benehmen für ein Vorzeichen meines unmittelbar bevorstehenden Sieges zu halten. Infolgedessen vermied ich es, mich mit Herrn von Grimaldi in ein besonderes Gespräch einzulassen, denn da hätte ich mich genötigt sehen können, ihn über seine Täuschung aufzuklären, wenn er Fragen an mich gerichtet hätte. Beim Abschied sagte er uns, er müsse am nächsten Tage abwesend sein und könne daher erst am übernächsten Tage das Vergnügen haben, uns wieder zu sehen.

»Sehen Sie,« sagte sie zu mir, sobald wir allein waren, »wie leicht ich glauben lasse, was man wünscht? Lieber mag man glauben, daß ich gut sei, wie Sie es nennen, als daß man mich für lächerlich hält; denn mit diesem liebenswürdigen Beiwort schmückt man ja ein anständiges Mädchen, das Grundsätze hat, nicht wahr?«

»Nein, nein, entzückende Veronika, nein! Vor allen Dingen fürchten Sie nicht, daß ich Sie mit einem solchen Beiwort benennen könnte! Aber ich würde sagen, daß Sie mich hassen, wenn Sie mir eine Höllennacht bereiteten, indem Sie sich wie gestern meiner lebhaften Zärtlichkeit entzögen; denn Sie haben mich während des Essens ganz und gar in Flammen gesetzt.«

»O! Ich bitte, mein Herr, mäßigen Sie sich, um Gotteswillen! Morgen werde ich Sie nicht in Flammen setzen. O! das ist aber zu arg …«

Ich hatte sie erzürnt, indem ich mit kecker Hand vorgedrungen war, so weit ich wollte, und mich ihres Heiligtums bemächtigt hatte. Sie stieß mich zurück und lief hinaus. Drei oder vier Minuten darauf kam ihre Schwester, um mich auszukleiden. Ich sagte ihr freundlich, sie möchte zu Bett gehen, da ich noch ein paar Stunden zu schreiben hätte; da ich aber das unschuldige Kind nicht kränken wollte, so öffnete ich meine Kassette und schenkte ihr eine Uhr. Sie nahm diese bescheiden und sagte: »Die ist für meine Schwester, nicht wahr, mein Herr?«

»Nein, reizende Annina, ich schenke sie dir.« Sie machte einen Freudensprung, und ich konnte sie nicht verhindern, mir die Hand zu küssen.

Ich setzte mich hin und schrieb an Rosalie einen vier Seiten langen Brief; aber ich war in höchster Erregung und sehr unzufrieden mit mir und allen Menschen. Als mein Brief fertig war, zerriß ich ihn, ohne ihn noch einmal durchzulesen. Dann aber machte ich eine gewaltsame Anstrengung, um mich zu beruhigen, und schrieb einen zweiten, vernünftigeren Brief, worin ich von Veronika kein Wort sagte und meiner schönen Einsiedlerin anzeigte, daß ich am nächsten Tage abreisen würde.

Erst sehr spät legte ich mich in schlechtester Laune zu Bett. Ich hatte das Gefühl, Veronika beschimpft zu haben, einerlei, ob sie mich liebte oder nicht; denn ich war in sie verliebt und war ein Ehrenmann.

Ich schlief schlecht; als ich aufwachte, war es Mittag. Ich klingelte, aber ich sah nur Costa und Annina erscheinen. Veronikas Abwesenheit ließ mich die Beleidigung, die ich ihr angetan, tief empfinden. Als Costa hinausgegangen war, fragte ich Annina, wie es ihrer Schwester gehe; sie antwortete mir, sie sei bei der Arbeit. Ich schrieb ihr ein Briefchen und bat sie um Verzeihung, indem ich ihr versicherte, ich würde ihr in Zukunft nicht den geringsten Verdruß mehr bereiten. Zum Schluß bat ich sie, sie möchte alles vergessen und wie gewöhnlich mit mir verkehren. Als ich meinen Kaffee trank, kam sie mit einer gekränkten Miene herein, die mich sehr schmerzlich berührte. Ich sagte zu ihr: »Vergessen Sie alles, ich bitte Sie darum, liebes Fräulein! Damit wird alles zu Ende sein. Machen Sie mir nur meine Locken in Ordnung, denn ich will einen Spaziergang außerhalb der Stadt machen und werde erst zum Mittagessen nach Hause kommen. Ohne Zweifel werde ich dann einen guten Appetit haben, und da Sie nichts mehr zu fürchten haben, so brauchen Sie mir auch nicht mehr Annina zu schicken.«

Nachdem ich mich in aller Eile allein angekleidet hatte, verließ ich die Stadt auf dem ersten besten Wege und marschierte zwei Stunden geradeaus, nur um mich zu ermüden und dadurch das Gleichgewicht zwischen Seele und Körper wiederherzustellen. Ich habe stets die Erfahrung gemacht, daß starke körperliche Bewegung und frische Luft die besten Mittel sind, die aufgeregte Seele wieder in ihren gewöhnlichen Zustand zu versetzen.

Ich hatte mehr als drei Wegstunden gemacht, als Hunger und Müdigkeit mich zwangen, in eine schlechte Dorfschenke einzukehren; ich ließ mir einen Eierkuchen machen und aß diesen gierig mit Schwarzbrot und Wein, den ich köstlich fand, obwohl er nicht wenig sauer war.

Da ich zu ermüdet war, um zu Fuß nach Genua zurückzukehren, so verlangte ich einen Wagen; aber es war unmöglich, einen zu finden. Der Wirt gab mir einen schlechten Gaul nebst einem Mann, der ihm das Pferd zurückbringen sollte. Die Nacht brach herein, und wir hatten mehr als sechs Miglien zu machen. Obendrein begleitete mich ein feiner Regen vom Abmarsch bis zur Ankunft, und so war ich, als ich um acht Uhr nach Hause kam, bis auf die Haut durchnäßt, vor Frost erstarrt, totmüde und von einem harten Sattel zerschunden, den meine Atlashosen nicht hatten weicher machen können. Costa half mir, mich vom Kopf bis zu den Füßen umzuziehen, und als er hinausging, um das Essen aufzutragen, sah ich Annina erscheinen.

»Wo ist Ihre Schwester?«

»Sie hat starkes Kopfweh und liegt zu Bett. Diesen Brief hat sie mich beauftragt, Ihnen zu geben.«

Der Brief lautete:

»Wegen starker Kopfschmerzen, an denen ich oftmals leide, habe ich mich genötigt gesehen, um drei Uhr zu Bett zu gehen. Ich befinde mich bereits viel besser und bin sicher, Sie morgen bedienen zu können. Ich teile Ihnen dies mit, weil ich nicht möchte, daß Sie glauben, ich sei ärgerlich oder verstelle mich. Ich glaube Ihnen, daß Sie aufrichtig bereuen, mich gedemütigt zu haben, und bitte Sie meinerseits, mir zu verzeihen oder mich zu beklagen, wenn meine Denkweise mich verhindert, mich Ihren Anschauungen anzubequemen.«

»Meine liebe Annina, fragen Sie Ihre Schwester, ob sie wünscht, daß wir das Abendessen an ihrem Bett einnehmen.«

Sie kam bald wieder zurück und sagte mir, Veronika danke mir und bitte mich, sie schlafen zu lassen.

Ich speiste mit Annina und bemerkte mit Vergnügen, daß sie nur Wasser trank, aber mehr als ich aß. Die Leidenschaft, die ich für ihre Schwester empfand, hielt mich ab, an sie zu denken, aber ich fühlte, daß Annina mir gefallen haben würde, wenn ich nur gewußt hätte, ob sie anders dächte als ihre ältere Schwester. Als wir beim Nachtisch waren, kam ich auf den Einfall, das junge Mädchen betrunken zu machen, damit sie über ihre Schwester schwatzte, und ich schenkte ihr ein Glas Muskat Lunel ein.

»Ich trinke nur Wasser, mein Herr.«

»Hassen Sie den Wein?«

»Nein, aber da ich nicht daran gewöhnt bin, fürchte ich, er wird mir zu Kopf steigen.«

»Sie gehen ja gleich zu Bett, liebes Kind, und werden dann um so besser schlafen.«

Sie trank ein Glas und fand es ausgezeichnet; hierauf trank sie ein zweites und dann ein drittes. Ihr Köpfchen war bereits in Verwirrung. Ich brachte das Gespräch auf ihre Schwester, und sie erzählte mir in der größten Unschuld alles mögliche Gute von ihr.

»Du hast also Veronika sehr lieb?« fragte ich sie.

»O ja! Ich liebe sie von ganzem Herzen; aber sie kann mich nicht leiden, denn sie entzieht sich allen meinen Liebkosungen.«

»Ohne Zweifel geschieht dies, weil sie befürchtet, du möchtest dann aufhören, sie zu lieben. Aber was meinst du? Hat sie wohl recht, daß sie mich leiden läßt?«

»Nein; aber wenn Sie sie lieben, müssen Sie ihr verzeihen.«

Annina hatte recht, ja nur zu sehr recht. Ich gab ihr ein viertes Glas Muskatwein zu trinken; aber einen Augenblick darauf sagte sie mir, sie könnte nichts mehr sehen. Wir standen daher vom Tisch auf. Annina begann mir ein bißchen zu sehr zu gefallen; aber ich nahm mir vor, nichts gegen sie zu unternehmen; denn ich fürchtete, sie zu gefällig zu finden. Ein bißchen Widerstand schärft den Appetit, und allzuleicht erlangte Gunst verliert viel von ihrem Reiz. Annina war erst vierzehn Jahre alt; sanft und unerfahren, wie sie war, hatte sie keine Ahnung von ihren Rechten. Sie würde gefürchtet haben, einen Verstoß gegen die Höflichkeit zu begehen, wenn sie sich meinen Liebkosungen widersetzt hätte; dies aber kann nur einem reichen und wollüstigen Muselmann gefallen.

Ich bat sie, mir die Haare zurecht zu machen. Ich hatte die Absicht, sie gleich nachher zu Bett zu schicken, aber als sie fertig war, bat ich sie, mir einen Topf geruchloser Pomade zu geben.

»Was wollen Sie damit machen?«

»Ich brauche sie, um mir die wunden Stellen einzureiben, die mir auf dem sechs Miglien langen Ritt der verfluchte Gaul gemacht hat.«

»Ist denn das gut dagegen?«

»Ja, sehr. Die weiche Pomade lindert das Brennen, und morgen werde ich geheilt sein; aber Sie müssen mir Costa kommen lassen,, denn ich kann mir die Pomade nicht selber einreiben.«

»Kann ich denn das nicht machen?«

»Ganz leicht; aber ich müßte befürchten, Ihre Gefälligkeit zu mißbrauchen.«

»Ich errate, warum. Wie werde ich aber die Aufschürfungen sehen, da ich so kurzsichtig bin?«

»Wenn Sie mir diesen Dienst erweisen wollen, werde ich eine geeignete Stellung einnehmen, um Ihnen die Sache zu erleichtern. Sehen Sie, so! Setzen Sie den Armleuchter auf diesen Tisch!«

»Da steht er. Aber lassen Sie sich nicht morgen von Costa einreiben, denn er würde erraten, daß ich oder meine Schwester es heute Abend bei Ihnen getan haben.«

»Sie werden also morgen wieder so freundlich sein?«

»Ich oder meine Schwester; denn sie wird in aller Frühe aufstehen.«

»Ihre Schwester? Nein, meine Liebe, die würde Angst haben, mir zuviel Vergnügen zu machen, wenn sie mir so nahe käme.«

»Und ich habe bloß Angst, Ihnen weh zu tun. Mache ich es so gut? Mein Gott! In welchem Zustande ist Ihre arme Haut!«

»Meine liebe Annina, Sie sind noch nicht fertig.«

»Ich bin so kurzsichtig. Drehen Sie sich herum.«

»Gern.«

Die kleine Närrin konnte sich des Lachens nicht enthalten, als sie erblickte, was der Zufall ihr darbot und was sie wegen ihrer schwachen Augen ganz zweifellos zum ersten Male sah. Als sie bei der Fortsetzung ihrer Tätigkeit daran rühren mußte, bemerkte ich bald, daß ihr das Vergnügen machte; denn sie berührte scheinbar zufällig auch Stellen, wo sie nichts zu tun hatte. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ergriff ihre Hand und nötigte sie, ihre Beschäftigung zu unterbrechen, indem ich ihr eine süßere gab. Als sie fertig war, lachte ich laut auf, als ich sie mit der erstauntesten Miene und immer noch den Pomadentopf in der linken Hand haltend, die Frage an mich richten hörte: »Hab‘ ich’s gut gemacht?«

»O, vortrefflich, reizende Annina. Du bist ein Engel, und ich bin überzeugt, daß du weißt, was für ein Vergnügen du mir gemacht hast. Kannst du nicht eine Stunde mit mir verbringen?«

»Warten Sie!«

Sie ging hinaus, indem sie die Tür nur anlehnte; überzeugt, daß sie zurückkommen würde, wartete ich; schließlich aber wurde ich des Wartens müde, öffnete die Tür ein wenig und sah durch die Spalte, wie sie sich auszog und sich neben ihre Schwester ins Bett legte. Ich ging wieder ins Zimmer und legte mich ins Bett, ohne alle Hoffnung aufzugeben. Ich hatte mich auch nicht getäuscht; denn fünf Minuten später sah ich sie im Hemd auf den Fußspitzen hereinkommen.

»Komm in meine Arme, mein Liebling, denn es ist sehr kalt.«

»Da bin ich. Meine Schwester schläft und ahnt nichts; und wenn sie auch aufwachen sollte – das Bett ist breit; sie wird es nicht merken, daß ich sie verlassen habe.«

»Du bist göttlich! Ich liebe dich von ganzem Herzen!«

»Um so besser! Ich gebe mich Ihnen hin; Sie können mit mir machen, was Sie wollen – aber unter der Bedingung, daß Sie nicht mehr an meine Schwester denken.«

»Diese Bedingung erfülle ich gern, liebes Herz! Ich verspreche es dir.«

Ich fand Annina völlig unberührt; hieran zweifelte ich nicht, obgleich ich am anderen Morgen keine Blutspuren auf dem Altar fand. Mir ist ähnliches oft widerfahren, und ich weiß aus Erfahrung, daß man weder aus dem Vorhandensein noch aus dem Fehlen des Blutes etwas schließen kann. Im allgemeinen kann ein Mädchen nur überführt werden, einen Liebhaber gehabt zu haben, wenn sie befruchtet worden ist.

Ich verbrachte zwei Stunden mit diesem reizenden Püppchen; sie war so niedlich, so zart und hübsch am ganzen Leibe, daß ich keinen besseren Ausdruck finden kann, um sie zu schildern. Ihr Zartgefühl und ihre Aufmerksamkeit nahmen der Lust nichts von ihrem pikanten Reiz, denn sie war wollüstig.

Als ich erwachte, kam sie mit Veronika zu mir herein. Ich sah mit Vergnügen, daß die Jüngere auf ihrem Gesicht den strahlenden Ausdruck des Glückes trug, während die Altere eine wohlwollende Miene machte, in der sich der Wunsch malte, angenehm zu erscheinen.

Ich fragte sie nach ihrem Befinden, und sie antwortete mir, Fasten und Schlaf hätten sie vollständig wiederhergestellt. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, daß dies die besten Heilmittel gegen Kopfschmerzen sind. Annina hatte mich vollkommen von der Neugier geheilt, die die andere mir eingeflößt hatte; ich fühlte dies und wünschte mir Glück dazu.

Beim Abendessen brachte meine Heiterkeit Herrn von Grimaldi zum Glauben, ich hätte von Veronika alles erlangt; ich glaubte, ihm seinen Irrtum nicht nehmen zu müssen. Ich versprach ihm, am anderen Mittag bei ihm zu speisen, und hielt Wort. Nach dem Essen übergab ich ihm einen langen Brief für Rosalie, die ich nur noch als Frau Petri wieder zu sehen hoffte, obgleich ich mich wohl hütete, ihr dies zu sagen.

Am Abend speiste ich mit den beiden Schwestern und spielte in zwangloser Weise und ohne einer von ihnen den Vorzug zu geben, den Liebenswürdigen. Als Veronika mir meine Locken wickelte, und dabei mit mir allein war, sagte sie mir, seitdem ich vernünftig geworden sei, liebe sie mich viel mehr als früher.

»Meine anscheinende Vernünftigkeit,« antwortete ich ihr, »beruht nur darauf, daß ich die Hoffnung aufgegeben habe, Sie zu erobern. Ich habe mich damit abgefunden.«

»So war also Ihre Liebe recht gering?«

»Sie war erst im Aufkeimen begriffen; aber es wäre nur bei Ihnen gestanden, schöne Veronika, sie riesengroß werden zu lassen.«

Sie biß sich auf die Lippen und schwieg; dann wünschte sie mir gute Nacht und ging hinaus. Ich legte mich zu Bett und wartete auf Anninas Besuch. Aber vergeblich.

Als ich am Morgen klingelte, sah ich das reizende Mädchen ein bißchen traurig bei mir eintreten, und als ich sie nach dem Grunde fragte, antwortete sie: »Meine Schwester ist krank und hat die ganze Nacht hindurch geschrieben.«

Nun wußte ich also, warum ich vergeblich gewartet hatte.

»Und wissen Sie auch, was Veronika geschrieben hat, meine liebe Annina?«

»O nein! Über so etwas spricht sie mit mir nicht! Aber hier ist ein Brief für Sie.«

Ich las den sehr langen Brief; er war sehr gut geschrieben, aber da er allzu deutlich den Stempel der Berechnung trug, so erregte er nur meine Heiterkeit. Nach einigen Umschweifen sagte sie mir, sie habe sich meinen Wünschen nicht hingegeben, weil sie mich von ganzem Herzen liebe und gefürchtet habe, sie werde mich verlieren, wenn sie meiner Laune willfahre.

»Ich bin ganz und gar die Ihre, wenn Sie damit einverstanden sind, daß ich Rosaliens Platz einnehme. Ich will von hier mit Ihnen abreisen, aber Sie müssen mir ein Schriftstück geben, das Herr von Grimaldi zu unterzeichnen hat. Sie müssen sich darin verpflichten, mich vor Ablauf eines Jahres zu heiraten, und mir eine Mitgift von fünfzigtausend Franken aussetzen; wenn Sie alsdann nichts mehr von mir wissen wollen, ist die Summe mein, und ich kann tun, was ich will.«

Ferner schrieb sie, wenn sie während des Probejahres Mutter würde, sollte bei der Trennung das Kind ihr verbleiben. Unter diesen Bedingungen war sie bereit, meine Geliebte zu werden, und versprach mir, in jeder gewünschten Weise mir zuvorzukommen und gefällig zu sein.

Dieser sehr geschickt entworfene, aber dumm ausgeführte Plan zeigte mir, daß es Veronika an jener Klugheit fehlte, die man notwendig haben muß, wenn man Leute anführen will. Ich erkannte sofort, daß Herr von Grimaldi mit diesem Komplott nichts zu tun hätte und daß er darüber lachen würde, wenn ich es ihm mitteilen würde.

Bald nachher kam Annina wieder herein und brachte mir meine Schokolade; sie sagte mir, ihre Schwester hoffe, daß ich ihr antworten würde.

»Gewiß, meine Liebe, ich werde ihr antworten, sobald ich aufgestanden bin.«

Ich trank meine Schokolade, zog dann meinen Schlafrock an und ging zu ihr. Ich fand sie in ihrem Bett sitzend in einem nachlässigen, aber sehr eleganten Schlafgewand, das mich hätte verführen können, wenn ihr Brief nicht meine gute Meinung von ihr völlig zerstört hätte. Ich setzte mich auf ihr Bett, gab ihr ihren Brief zurück und sagte: »Wozu brauchen wir uns zu schreiben, da wir uns doch sprechen können?«

»Man ist beim Schreiben oft unbefangener als beim Sprechen.«

»In der Politik und in Handelsgeschäften ist das richtig; aber in der Liebe, schöne Veronika, ist das anders. Der kleine Gott gibt unbeschränkte Vollmacht. Kein Schriftstück, keine anderen Bürgen als das Gefühl! Geben Sie sich mit dem Herzen hin, wie Rosalie es getan hat, und machen Sie diese Nacht damit den Anfang, ohne daß ich irgendwelche Verpflichtungen eingehe. Indem Sie sich der Liebe anvertrauen, schlagen Sie sie in die Fesseln. Ein solcher Vorschlag wird unsere Liebesfreuden, wird uns selber ehren, und wenn Ihnen etwas daran liegt, will ich dies von Herrn von Grimaldi verbürgen lassen. Ihr Plan aber schadet Ihrer Ehre oder er läßt zum mindesten an Ihrer Klugheit zweifeln, denn nur ein Narr könnte auf ihn eingehen. Unmöglich können Sie einen Mann lieben, dem Sie einen solchen Vorschlag zu machen wagen, und ich bin überzeugt, Herr von Grimaldi würde damit nichts zu tun haben wollen, sondern würde darüber entrüstet sein.«

Diese Rede brachte Veronika keineswegs aus der Fassung; denn sie sagte mir, sie liebe mich nicht genug, um sich mir bedingungslos hinzugeben. Ich antwortete ihr, ich sei von ihren Reizen nicht genug bezaubert, um diese zu dem von ihr ausgesetzten Preise in meinen Besitz zu bringen. Damit ging ich hinaus.

Ich rief Costa und befahl ihm, dem Kapitän der Feluke zu sagen, daß ich am nächsten Tage abreisen wolle. Fest hierzu entschlossen, ging ich aus, um mich vom Marchese zu verabschieden. Er erzählte mir, er habe soeben Petri Rosalien vorgestellt, und diese habe ihn ziemlich gut aufgenommen. Ich sprach ihm meine Befriedigung darüber aus und bat ihn, für ihr Glück zu sorgen; aber diese Bitte war überflüssig.

Es ist einer der sonderbarsten Umstände meines Lebens, der mir am meisten aufgefallen ist, daß in einem und demselben Jahre die beiden Frauen, die ich am aufrichtigsten liebte und deren Gatte zu werden völlig in meiner Absicht stand, mir von zwei Greisen entrissen wurden, deren Liebe ich zwar nicht hervorgerufen, deren Neigung ich aber unabsichtlich beschützt hatte. Glücklicherweise machten diese beiden Herren meine beiden Geliebten glücklich, und ohne es zu wollen, leisteten sie selber mir den größten Dienst, denn sie befreiten mich von einer Last, die ich notwendigerweise schließlich sehr unbequem gefunden haben würde. Beide hatten ohne Zweifel bemerkt, daß mein Vermögen trotz seinem anscheinenden Glanz auf keiner sehr festen Grundlage beruhte, wie mein Leser später nur zu sehr merken wird. Ich will mich glücklich schätzen, wenn meine Irrtümer oder vielmehr meine Torheiten meinen Lesern zur Warnung dienen.

Den ganzen Tag freute ich mich darüber, wie sorgfältig Veronika und Annina meine Koffer packten, denn ich hatte nicht gewollt, daß meine Bedienten dies machten. Veronika war weder fröhlich noch traurig; sie sah aus, wie wenn sie ihren Entschluß gefaßt hätte, und sprach mit mir, wie wenn niemals ein Zwiespalt zwischen uns geherrscht hätte. Mir war dies sehr angenehm, denn da ich mir nichts mehr aus ihr machte, wäre ich in Verlegenheit gekommen, wenn sie sich nicht gleichgültig gezeigt hätte.

Wir speisten wie gewöhnlich zu Abend und sprachen ohne alle Anspielungen nur von alltäglichen Dingen; aber in dem Augenblick, wo ich zu Bett ging, drückte Annina mir die Hand und gab mir dadurch zu verstehen, daß ich ihren Besuch erwarten könnte. Ich bewunderte die natürliche Klugheit des jungen Mädchens, das so leicht und so früh lieben lernt. Diese Annina, die kaum aus den Kinderschuhen heraus war, wußte durch ihr Gefühl und durch Instinkt mehr von Liebe als ein Jüngling von zwanzig Jahren. Ich beschloß, ihr fünfzig Zechinen zu schenken, aber ohne daß Veronika etwas davon merkte; denn ich hatte nicht die Absicht, gegen diese ebenso freigebig zu sein. Ich nahm eine Rolle Dukaten und gab ihr diese, sobald sie hereingekommen war. Sie legte sich an meine Seite, und nachdem wir der Liebe einen kurzen Augenblick geschenkt hatten, sagte sie zu mir: »Veronika schläft. Ich habe Ihre ganze Unterhaltung mit meiner Schwester angehört und habe wohl begriffen, daß Sie sie lieben.«

»Wenn ich sie liebte, teure Annina, hätte ich ihr meinen Vorschlag nicht in so derber Weise gemacht.«

»Das glaube ich gern; aber was hätten Sie getan, wenn sie ihn angenommen hätte? Hätten Sie sich dann zu ihr ins Bett gelegt?«

»Ich war vollkommen gewiß, meine Liebe, daß ihr Stolz sie verhindern würde, mich zu empfangen.«

In diesem Augenblick unseres Gespräches wurden wir durch das plötzliche Erscheinen Veronikas überrascht, die mit einer Kerze in der Hand und nur mit ihrem Hemde bekleidet ihre Schwester durch ein lautes Gelächter ermutigte. Ich lachte ebenfalls, hielt aber dabei die Kleine fest, denn ich fürchtete, sie möchte mir entwischen. Veronika war entzückend in ihrem Nachtkleid, und da sie lachte, konnte ich ihr nicht böse sein; trotzdem sagte ich zu ihr: »Sie sind gekommen, um uns in unseren Genüssen zu stören und Ihrer Schwester Kummer zu bereiten, die Sie in Zukunft vielleicht verachten werden.«

»Ganz im Gegenteil! Ich werde sie immer lieben.«

»Vom Gefühl besiegt, hat sie sich mir ergeben, ohne Bedingungen zu stellen.«

»Sie ist klüger gewesen als ich.«

»Im Ernst?«

»Im vollsten Ernst.«

»Sie erstaunen und entzücken mich. Küssen Sie sie doch.«

Aus diese Einladung hin setzte Veronika ihre Kerze auf den Tisch und bedeckte Anninas schönen Körper mit Küssen. Diese Szene erfüllte mich mit innigem Glück und ich rief: »Schöne Veronika, Sie sind ja ganz eiskalt! Kommen Sie zu uns ins Bett.«

Ich machte ihr Platz, und wir lagen alle drei unter einer Decke. Mich entzückte dieses erhabene Gemälde, das des Pinsels eines Albani oder vielmehr eines Aretino würdig war, und ich rief: »Meine liebenswürdigen Freundinnen, ihr spielt mir den köstlichsten Streich! Aber war dieser vorausberechnet? Und Sie, Veronika, waren Sie heute morgen falsch oder sind Sie es jetzt?«

»Nichts war berechnet! Ich war heute morgen aufrichtig und bin es jetzt ebenfalls in diesem Zustande, worin Sie mich sehen. Ich erkenne an, daß ich heute Morgen ebenso lächerlich war wie der Plan, den ich ausgeheckt hatte, und ich bitte Sie, mir zu verzeihen; denn ich bereue ihn und bin dafür bestraft worden. Heute Abend finde ich mich klug und vernünftig, weil ich dem Gefühl nachgebe, das Sie mir beim ersten Augenblick eingeflößt haben und gegen welches ich zu lange ankämpfte.«

»Sie sprechen da eine Sprache, die mich entzückt.«

»Nun, so verzeihes Sie mir denn, und machen Sie meine Strafe vollständig, indem Sie mir beweisen, daß Sie mir nicht böse sind«.

»Wie soll ich das machen?«

»Sagen Sie mir, daß Sie nicht mehr ärgerlich sind, und fahren Sie fort, meiner Schwester Beweise Ihrer Liebe zu geben.«

»Ich schwöre Ihnen, daß ich nicht böse bin, sondern daß ich Sie im Gegenteil liebe. Aber in Ihrer Gegenwart?«

»Gewiß – wenn Sie mich nicht überflüssig finden.«

Die Szene war ebenso anziehend wie komisch, und da ich mich durch alle Reize der Wollust angestachelt fühlte, konnte ich keine passive Rolle spielen.

»Was sagst du dazu, liebes Herz?« fragte ich meine schöne Blonde; »soll eine über jedes Lob erhabene Heldin wie deine Schwester einfache Zuschauerin unserer süßen Kämpfe bleiben? Fühlst du dich nicht großmütig genug, zu erlauben, daß ich sie zur Mitwirkenden in diesem schönen Drama mache?«

»Nein, mein lieber Freund, ich muß gestehen, für diese Nacht fühle ich mich zu solcher Großmut nicht imstande; aber wenn du in der nächsten Nacht so hochherzig sein willst, dies Stück zu wiederholen, so werden wir die Rollen wechseln; Veronika wird meinen Platz einnehmen und ich den ihrigen.«

»Dies wäre vortrefflich,« sagte Veronika mit etwas schmollender Miene, »wenn der gnädige Herr nicht beschlossen hätte, morgen früh abzureisen.«

»Ich werde bleiben, reizende Veronika, und wäre es auch nur, um Ihnen zu beweisen, daß ich Sie anbetungswürdig finde.«

»Und um sich zu vergewissern, daß ich Sie liebe!«

Ich konnte nicht verlangen, daß sie sich noch deutlicher ausdrückte, und hätte sie gern auf der Stelle von meiner Dankbarkeit überzeugt; aber dies wäre auf Anninas Kosten geschehen, und ich würde sehr zur Unzeit die Stileinheit des Stückes gestört haben, dessen Verfasserin sie war und dessen Erfolg von Rechts wegen nur ihr allein zukam. Sooft ich mich an dieses angenehme Erlebnis erinnert habe, fühlte ich mein Herz vor Wollust höher schlagen und noch jetzt, da die grausame Hand der Zeit mir die Brandmale des Alters aufgedrückt hat, denke ich nicht ohne Wollust daran.

Infolge des Machtspruches ihrer jungen Schwester zur passiven Rolle verteilt, wandte Veronika sich nach der Seite; ihr schönes Haupt auf die rechte Hand stützend und einen vollendet schönen Busen entblößend, der die Sinne des kältesten Mannes hätte erregen können, forderte sie mich auf, meine Heldentaten mit Annina zu beginnen. Gern gehorchte ich ihr, denn ich stand in Flammen und war sicher, sie zu befriedigen, solange sie ihre Augen auf die meinigen geheftet halten würde. Die sehr kurzsichtige Annina konnte im Feuer des Gefechts die Richtung meiner Blicke nicht erkennen, und indem ich ihr geschickt die Bewegungen meiner rechten Hand verbarg, verschaffte ich Veronika ein weniger lebhaftes, aber ebenso wirkliches Vergnügen wie ihr selber. So oft eine etwas heftige Bewegung die Decke verschob, machte Veronika sich die Mühe, sie wieder zurecht zu legen, und bot mir dabei, scheinbar zufällig, immer wieder ein neues Bild. Bald belebte ihr eigenes Auge sich an der Wollust, die sie mir durch den Anblick ihrer Reize verschaffte. Außer sich vor Wollust, ohne selber befriedigt zu sein, entfaltete sie in dem Augenblick, wo Annina zum viertenmal ihr Leben verhauchte, vor meinen Blicken alle Schätze, mit denen die Natur sie verschwenderisch geschmückt hatte. Sie konnte annehmen, daß das von mir aufgeführte Stück im Grunde nur eine Probe für das mit ihr aufzuführende sei, und ihre Phantasie mußte die Reize eines solchen Gedankens noch erhöhen. Ich dachte wie sie, aber das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Ich war mitten im siebenten Akt, der immer langsamer geht als die früheren und für die Heldin um so süßer ist, als Costa heftig an meine Tür pochte und mir meldete, daß die Feluke segelfertig sei. Ärgerlich über diese Störung stand ich zornig auf und befahl ihm, dem Schiffer seinen Tagelohn zu zahlen und ihm zu sagen, er solle sich für den nächsten Tag bereit halten. Hierauf ging ich wieder zu Bett; indessen war ich nicht imstande, die unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Meine beiden Schönen waren entzückt über mein Worthalten; aber wir hatten Ruhe nötig, wenngleich das Stück nicht mit dieser Unterbrechung endigen durfte. Um den Zwischenakt auszunützen, schlug ich eine Abwaschung vor, über welche Annina lachte, die aber Veronika für unbedingt nötig hielt. Es war ein köstlicher Extragang. Die beiden Schwestern bedienten sich gegenseitig in verschiedenen Stellungen, die im höchsten Grade wollüstig waren, und ich fand meine Rolle als Zuschauer beneidenswert.

Als unter jenem köstlichen Gelächter, das das Kitzeln hervorruft, die Abspülungen beendigt waren, kehrten wir nach dem Schauplatz zurück, wo der letzte Akt sich abspielen sollte. Ich war ungeduldig, zur Tat zu schreiten, und war überzeugt, mit Ehren aus dem Streit hervorzugehen, wenn meine Partnerin mich ordentlich unterstützte, denn ein bloßer Dialog war bei der achten Wiederholung nicht mehr durchführbar; aber Annina war zu jung, und die Arbeiten einer ganzen Nacht hatten sie zu sehr ermüdet; sie vergaß ihre Rolle und wich der Gewalt des Gottes Morpheus, wie sie der Gewalt Amors gewichen war. Veronika lachte laut auf, als sie ihre Schwester eingeschlafen sah, und ich mußte ebenfalls lachen, als ich sie wie tot daliegen sah.

Es galt sie wieder ins Leben zu rufen; aber die Liebe hat wohl die Kraft, aus einem gewöhnlichen Schlaf zu erwecken; hier aber schien eine Katastrophe eingetreten zu sein. Wie schade, sagten Veronikas Augen zu mir; leider aber sprach sie nur mit den Augen, während ich erwartete, daß ihr Mund diese Worte spräche. Wir hatten beide unrecht: sie, daß sie nicht sprach; ich, daß ich auf ihr Sprechen wartete. Der Augenblick, als Zwischenspiel eine Versöhnung einzuschieben, war im höchsten Grade günstig; wir versäumten diesen Augenblick, und Amor strafte uns dafür, übrigens hielt ich mich auch deshalb zurück, weil ich mich für die nächste Nacht schonen wollte. Veronika legte sich in ihr Bett, um Ruhe zu suchen; ich aber blieb bis Mittag neben meiner schönen Schläferin liegen, die ich beim Erwachen mit einem neuen Angriff begrüßte, der, wie ich glaube, weder von ihr noch von mir zu Ende geführt wurde.

Der Tag verging mit munteren Gesprächen über unsere eigenen Erlebnisse; wir hatten beschlossen, nur eine einzige Mahlzeit zu halten, und setzten uns daher erst mit Anbruch der Nacht zu Tisch. Dann aber verbrachten wir zwei volle Stunden damit, die köstlichen Speisen zu genießen und die Macht des Gottes Bacchus herauszufordern. Als wir Annina einschlafen sahen, standen wir vom Tisch auf; wir betrachteten es jedoch keineswegs als ein Unglück, sie bei den Freuden, deren wir zu genießen gedachten, nicht als Zuschauerin zu haben. Ich war der Meinung, die blendenden Reize der Nymphe, mit der ich mich zu beschäftigen hatte, würden mich genügend beschäftigen, um des Anblicks von Anninas Schönheiten nicht zu bedürfen. Wir legten uns ins Bett, umschlangen uns mit unseren Armen, preßten Leib an Leib und hefteten Lippe an Lippe; sonst aber machten wir keine Bewegung. Veronika bemerkte den Grund, der mich zur Untätigkeit zwang; sie sagte kein Wort, Höflichkeit hielt sie davon ab, sich zu beklagen. Sie verhehlte ihren Verdruß und unterbrach ihre Liebkosungen keinen Augenblick; ich war wütend, das Gefühl meiner Ohnmacht, das ich nicht begreifen konnte, machte mich ganz verwirrt. So etwas war bei mir früher nur infolge völliger Erschöpfung eingetreten oder nach einer starken Aufregung, die meine natürlichen Kräfte gelähmt hatte, wie es mir zum Beispiel bei Genovefa ergangen war, als ich den »Circulus Maximus« verlassen hatte und vom Blitz getroffen zu sein glaubte. Mögen meine Leser sich meine Lage vorstellen: ich war in der Blüte meiner Jahre, gesund und kräftig, hielt in den Armen ein in jeder Hinsicht schönes Weib, das ich heiß begehrt hatte! Sie war hingebend, liebevoll und zärtlich, ich aber sah mich gezwungen, sie unbefriedigt zu lassen und ihr damit den größten Schimpf zuzufügen, den man in einem solchen Falle einer Frau antun kann! Der Leser wird sich meine Verzweiflung daher wohl vorstellen können.

Als endlich nichts mehr übrig blieb, als die Maske abzunehmen und frei heraus zu sprechen, beklagte ich mich zuerst über mein Unglück.

»Sie haben sich gestern zu sehr abgemattet,« sagte sie zu mir, »und sind beim Abendessen nicht mäßig gewesen. Quälen Sie sich nicht, lieber Freund; ich bin überzeugt, daß Sie mich lieben. Zwingen Sie sich nicht mehr, der Natur Gewalt antun zu wollen; denn Sie werden dadurch nur erreichen, daß Sie sich noch mehr schwächen. Nach meiner Meinung ist ein sanfter Schlaf das beste Mittel, um Ihnen Ihre Manneskraft zurückzugeben. Ich habe keinen Schlaf nötig, aber tun Sie sich keinen Zwang an. Schlafen Sie ein, nachher wollen wir an Liebe denken.«

Nach diesen ebenso vernünftigen wie bescheidenen Worten drehte Veronika mir den Rücken zu; ich folgte ihrem Beispiel; aber vergebens rief ich den Schlaf herbei, der mir die Kräfte wiedergeben sollte: die Natur, die mir die Kraft versagte, ihr entzückendstes und schönstes Geschöpf glücklich zu machen, gönnte mir nicht einmal den Schlaf. Liebesglut und Verdruß verzehrten mich und machten mir die Ruhe unmöglich; meine Sinne waren von Begierde entflammt und schienen sich verschworen zu haben, die Harmonie, die zu ihrer Befriedigung notwendig war, nicht wiederherzustellen. Die Natur bestrafte mich dafür, daß ich an ihrer Macht gezweifelt und infolgedessen Reizmittel angewandt hatte, die nur bei Schwäche angebracht sind: wäre ich nüchtern gewesen, so hätte ich Wunder verrichtet; aber ich war von geistigen Getränken überfüllt, und darum bedurfte die Natur ihrer ganzen Macht, um der Wirkung derselben zu widerstehen. Durch meine Begierde nach dem Genuß hatte ich das Vergnügen zerstört. Die Natur ist weise wie ein Schöpfer: sie bestraft die Unwissenheit und anmaßende Eitelkeit der Sterblichen.

Es liegt in der Natur des Menschen, unter allen Umständen persönliche Befriedigung zu suchen: bald tut er dies, indem er sich gegen die Vernunft und für die Sinne erklärt, bald aber, indem er es umgekehrt macht. Man zollt sich Lobsprüche oder macht sich Vorwürfe, je nachdem das Selbstbewußtsein sich mit dem Für und Wider abzufinden weiß. In meiner entsetzlichen Schlaflosigkeit schweifte mein Geist umher; indem meine Sinne und meine Vernunft in Widerstreit lagen, fand ich eine gewisse Befriedigung darin, mich zu überreden, daß ich gegen mich selber ein Unrecht begangen hätte. Noch jetzt ist es der einzige Genuß, den ich habe, mich selber zu unterhalten und festzustellen, ob ich bei dieser oder jener Gelegenheit recht oder unrecht habe. Ich erkenne an, daß mir während meines ganzen Lebens niemals ein Unglück zugestoßen ist als durch meine eigene Schuld; die Glücksfälle dagegen, die mir während meiner langen abenteuerlichen Laufbahn beschieden waren, schreibe ich natürlichen günstigen Kombinationen zu. Dies mag vielleicht demütigend erscheinen; aber wenn der Mensch nun doch einmal so ist, warum soll man sich dadurch gedemütigt fühlen oder warum soll man darauf stolz sein? Ich glaube, ich würde verrückt werden, wenn ich in meinen Selbstgesprächen mir sagen müßte, daß ich ohne meine Schuld unglücklich wäre; denn dann wüßte ich nicht, welcher Ursache ich mein Unglück zuschreiben sollte, und damit würde ich mich in die Reihe der nur instinktmäßig handelnden Wesen stellen. Ich weiß, daß ich kein Tier bin. Ein Tier ist mein dummer Nachbar, der mit Vorliebe behauptet, die Tiere seien vernünftiger als wir. Ich erwiderte ihm: »Wenn Ihnen etwas daran liegt, will ich Ihnen zugeben, daß die Tiere vernünftiger sind als Sie; hierauf aber beschränken sich meine Zugeständnisse und ohne Zweifel die eines jeden vernünftigen Menschen.«

Mit dieser Antwort habe ich mir einen Feind gemacht, obwohl er die Hälfte meiner Behauptung als richtig anerkennt.

Veronika, glücklicher als ich, schlief drei Stunden lang; sie war jedoch unangenehm überrascht, als ich ihr sagte, daß ich kein Auge hätte schließen können, und als sie mich ebenso unvermögend fand wie zuvor. Sie wurde verdrießlich, als ich mich ein bißchen zu sehr anstrengte, um sie zu überzeugen, daß mein Unglück nicht am schlechten Willen läge. Sie wurde mißtrauisch gegen sich selber, und der Gedanke, daß sie an meiner Ohnmacht schuld sein könnte, kränkte sie so sehr, daß sie durch alle möglichen Mittel, die die Leidenschaft nur eingeben kann und die ich für unfehlbar hielt, den Zauberbann zu brechen suchte; aber alle ihre Anstrengungen waren ebenso vergeblich wie die meinigen. Meine Verzweiflung kam der ihrigen gleich, als ich sie entmutigt, erniedrigt, ermüdet und vor Beschämung weinend ihr Unterfangen aufgeben sah. Ohne ein Wort zu sagen, verließ sie mein Bett, und ich blieb die zwei oder drei Stunden, die uns noch von der Morgenröte trennten, allein liegen.

Bei Tagesanbruch kam Costa und meldete mir, das Meer sei sehr stürmisch und der Wind ungünstig, so daß die Feluke leicht untergehen könnte.

»Wir werden abfahren, sobald das Wetter es erlaubt,« antwertete ich ihm; »zünde mir Feuer an!« Ich stand auf und schrieb die traurige Geschichte dieser Nacht nieder. Diese Beschäftigung erfrischte meine Sinne; ich fühlte den Schlummer mir nahen, legte mich wieder zu Bett und schlief acht Stunden hintereinander. Als ich aufwachte, fand ich mich ruhig und kräftig, aber ich war nicht froh gestimmt. Die beiden Schwestern freuten sich, mich wohl zu sehen; ich glaubte jedoch in Veronikas Zügen einen gewissen, wenig angenehmen Ausdruck von Verachtung zu sehen. Ich konnte mich aber hierüber nicht beklagen und versuchte auch nicht, ihr Gefühl in Achtung zu verwandeln, obgleich sie, wäre sie liebevoll gewesen, mich jetzt imstande gefunden hätte, mein unbeabsichtigtes Verschulden von der Nacht wieder gutzumachen. Bevor wir uns zu Tisch setzten, schenkte ich ihr hundert Zechinen; diese heiterten sie ein wenig auf. Eine gleiche Summe schenkte ich meiner lieben Annina, die eine solche Gabe nicht erwartete; denn sie glaubte durch das erste Geschenk und noch mehr durch das Vergnügen, das ich ihr verschafft hatte, hinlänglich belohnt zu sein.

Um Mitternacht kam der Schiffer und meldete mir, das Wetter sei günstig. Ich nahm Abschied; Veronika vergoß Tränen, aber ich wußte, was ich davon zu halten hatte. Annina umarmte mich mit voller Zärtlichkeit. Beide waren ihrer Rolle getreu. Ich fuhr zu Schiff nach Lerici, wo ich am nächsten Morgen ankam, und von dort mit der Post nach Livorno. Doch bevor ich von dieser Stadt spreche, glaube ich meinen Lesern einen Gefallen zu tun, indem ich hier eine kleine lehrreiche Begebenheit erzähle, die des Ernstes meiner Geschichte würdig ist.

Achtes Kapitel


Geschickte Gaunerei. – Passano in Livorno. – Pisa und die Corilla. – Meine Ansicht über Schielaugen. – Florenz. – Ich finde Teresa wieder. – Mein Sohn. – Die Cotticelli.

Während vier Pferde vor meinen Wagen gespannt wurden, stand ich einige Schritte von diesen entfernt; ein Mensch redete mich an und fragte mich, ob ich die Fahrt vorher oder beim Pferdewechsel bezahlen wollte. Ohne den Mann anzusehen, antwortete ich ihm, ich wollte vorausbezahlen, gab ihm einen Portugaleser und sagte ihm, er solle mir den Rest herausgeben.

»Sofort!« antwortete er mir, und damit verschwand er im Gasthof.

Als ich einige Minuten darauf gerade den Rest meines Geldes verlangen wollte, kam der Postmeister und forderte von mir das Fahrgeld.

»Ich habe schon bezahlt und warte auf den Rest, den ich auf einen Portugaleser herausbekommen soll. Habe ich das Goldstück nicht Ihnen gegeben?«

»Mir? Nein, mein Herr, da bitte ich sehr um Entschuldigung.«

»Aber wem habe ich denn das Goldstück gegeben?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Zum Donnerwetter! Ich kann es doch nur Ihnen oder einem von Ihren Leuten gegeben haben.«

Ich schimpfte; man bildete einen Kreis um mich.

»Hier sind alle meine Leute!« sagte der Postmeister; zugleich fragte er, ob irgend jemand von mir einen Portugaleser erhalten habe. Alle versicherten, dies sei nicht der Fall, und schworen mit so aufrichtiger Miene, daß ich an ihrer Ehrlichkeit gar nicht zweifeln konnte. Ich fluche, ich schimpfe; man läßt mich fluchen und schimpfen.

Schließlich sah ich ein, daß ich unrecht hatte, bezahlte zum zweitenmal und lachte über den geschickten Gauner, der mich so fein geprellt hatte. So sammelt man Erfahrungen. Man erlebt immer wieder Neues und weiß nie genug. Seitdem habe ich niemals Postgeld bezahlt, ohne richtig aufzupassen.

In keinem Lande gibt es schlauere Gauner als in Italien; doch ist davon Griechenland auszunehmen, und zwar das alte wie das neue.

In Livorno stieg ich im besten Gasthof ab; man sagte mir, es werde Theater gespielt, und unglücklicherweise bekam ich Lust, hinzugehen. Einer von den Schauspielern erkannte mich, redete mich an und sprach mir seine Freude über unser Wiedersehen aus; er stellte mir einen seiner Kameraden vor, einen angeblichen guten Dichter und großen Feind des Abbate Chiari, den ich nicht liebte, weil er eine beißende Satire auf mich gedichtet hatte, für die ich mich noch nicht hatte rächen können. Ich lud sie ein, mit mir zu Abend zu essen, und solche Herren lassen sich eine derartige gute Gelegenheit nicht gerne entgehen. Der angebliche gute Dichter war Genuese und hieß Giacomo Passano. Er sagte mir, er habe gegen Chiari dreihundert Sonette gedichtet, und wenn er diese drucken lassen könnte, würde der Abbate vor Wut platzen. Als ich unwillkürlich über die gute Meinung lächelte, die der Mann von sich selber hatte, erbot er sich, mir zu meiner Ergötzung einige von ihnen vorzulesen. Er hatte das Manuskript bei sich, und so mußte ich wohl oder übel die Qual über mich ergehen lassen. Er las mir etwa ein Dutzend vor, die ich ohne Ausnahme mittelmäßig fand; ein mittelmäßiges Sonett ist aber notwendigerweise schlecht, denn in dieser Gattung der Dichtkunst kann nur Erhabenes gelten. Daher kommt es, daß unter den Tausenden von Sonetten, die in Italien täglich gemacht werden, nur selten einmal ein gutes ist.

Hätte ich mir die Zeit genommen, die Physiognomie des Mannes, der etwa fünfzig Jahr alt sein mochte, mir genauer anzusehen, so hätte ich in ihm ohne Zweifel einen Spitzbuben erkannt; aber die Leidenschaft macht blind; seine Sonette gegen Chiari hatten mir den Blick getrübt.

Ich warf einen Blick auf den Titel seines Manuskriptes und las:

La Chiareide di Ascanio Pogomas.

»Dies ist«, sagte er, »das Anagramm meines Tauf- und Familiennamens. Bitte bewundern Sie die glückliche Kombination!«

Auch über diese Dummheit mußte ich lachen.

Jedes einzelne dieser Sonette war eine platte Schimpferei und schloß mit den Worten:

L’Abbate Chiari e un coglione
Abbate Chiari ist ein Lumpenkerl.

Er bewies nicht, daß der Abbate dies war, er wiederholte es nur immer kraft des Dichtervorrechtes der Übertreibung und der Lüge. Sein Zweck war, dem breccianischen Abbate wehzutun, der durchaus kein »Lumpenkerl« war, wie dieser Passano ihn nannte, sondern im Gegenteil ein Mann von Geist und Herz, und ein guter Dichter dazu; wenn er die Bühne gekannt hätte, so hätte er Goldoni übertroffen, denn er beherrschte die Sprache besser als dieser.

Aus Höflichkeit sagte ich zu Passano, er solle doch seine Chiareide drucken lassen.

»Das täte ich gern,« antwortete er mir, »wenn ich einen Verleger finden könnte; denn ich selber bin nicht so reich, um die Kosten tragen zu können, und die Buchhändler sind lauter Lumpen oder Dummköpfe. Außerdem ist die Presse nicht frei; die Zensur würde den Beinamen, mit welchem ich meinen Helden schmücke, nicht durchgehen lassen. Wenn ich nach der Schweiz gehen könnte, bin ich sicher, die Sache dort machen zu können; aber ich besitze nicht die sechs Zechinen, die ich brauche, um die Reise zu Fuß zu machen.«

»Und wenn Sie nun in der Schweiz wären, wo es doch kein Theater gibt – wovon würden Sie dort leben?«

»Ich würde Miniaturen malen … Sehen Sie!«

Er gab mir eine Anzahl kleiner Elfenbeinplättchen, worauf obszöne Gegenstände schlecht gezeichnet und ebenso schlecht gemalt waren.

Ich sagte ihm: »Ich werde Ihnen Empfehlungen nach Bern geben,« und gab ihm wirklich nach dem Abendessen einen Brief und sechs Zechinen. Er wollte mir durchaus einige von seinen Machwerken aufdrängen; ich wies diese jedoch zurück. Ich beging die Dummheit, ihn an den Vater der niedlichen Sarah zu empfehlen, und sagte ihm, er solle mir nach Rom an die Adresse des Bankiers Belloni schreiben.

Am nächsten Tage reiste ich von Livorno ab und traf zum Mittagessen in Pisa ein, wo ich zwei Tage blieb. Ich machte dort die Bekanntschaft eines Engländers, der mir einen schönen Reisewagen verkaufte und mich zu der berühmten Dichterin Corilla führte, die ich gerne kennen lernen wollte. Sie nahm mich sehr gut auf und war so freundlich, über verschiedene Gegenstände zu improvisieren, die ich ihr vorschlagen durfte. Sie bezauberte mich, weniger durch ihre Anmut und Schönheit als durch die hübschen Gedanken, die sie in eine vollendet schöne Sprache einkleidete. Wie schön erscheint eine Sprache, wenn sie, mit klarem, reinem Akzent vorgetragen, in der sorgfältigen Wahl der Ausdrücke sich von Nachlässigkeit ebenso fernhält wie von Geziertheit. Eine schlechte Aussprache ist selbst in einem schönen Munde unerträglich, und ich habe stets den gesunden Sinn der Griechen bewundert, die von den Ammen ihrer Kinder Reinheit der Stimme, der Betonung und der Sprache verlangten. Wir sind weit davon entfernt, ein so schönes Beispiel zu befolgen; wie oft werden einem aber auch, selbst in der vielfach mit Unrecht so genannten guten Gesellschaft die Ohren zerschunden!

Corilla war straba, wie die Alten Venus malten; warum, das habe ich niemals begreifen können. Denn eine Frau, die schielt, mag im übrigen noch so schön sein, sie ist in meinen Augen nichtsdestoweniger mit einem Mangel behaftet; und ich bin überzeugt, wäre Venus eine Göttin gewesen, sie hätte ganz gewiß den sonderbaren Griechen, der zuerst sie schieläugig darzustellen wagte, ihren Unwillen fühlen lassen. Wenn Corilla sang – so hat man mir versichert – brauchte sie nur ihren schielen Blick auf einen Mann zu heften, um ihn zu erobern, Gott sei Dank machte sie sich wahrscheinlich aus mir nichts, denn sie sah mich nicht ein einzigesmal fest an.

In Florenz quartierte ich mich im Gasthof »de la Carrajo« ein, dessen Besitzer, Doktor Vannini, sich gern ein unwürdiges Mitglied der Academia della Crusca nannte. Ich nahm eine Wohnung, deren Fenster nach dem Arnoufer hinausgingen und mit einer herrlichen Terrasse in Verbindung standen. Ich nahm ferner einen Mietswagen und einen Lohndiener an, den ich sofort wie den Kutscher in eine blau und rote Livree kleiden ließ. Dies waren die Farben des Herrn von Bragadino, und ich glaubte, mich ihrer bedienen zu können, nicht, um mir eine besondere Wichtigkeit beizulegen, sondern nur um zu prunken.

Am nächsten Tage ging ich allein im Überrock aus, um mir Florenz anzusehen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Am Abend ging ich ins Theater, um den berühmten Harlekin Rossi zu hören, aber ich fand mit Recht, daß sein Ruf größer war als seine Leistung. Das gleiche Urteil fällte ich über die so viel gerühmte Deklamationsweise der Florentiner: sie fand nicht meinen Beifall. Mit Vergnügen sah ich Pertici: nun, da er alt war und nicht mehr singen konnte, spielte er Komödie, und zwar gut – was selten vorkommt, denn Sänger sowohl wie Sängerinnen verlassen sich darauf, daß sie ihre Stimme behalten werden, und vernachlässigen die Schauspielkunst; so kommt es, daß ein einfacher Schnupfen ihre Leistungen sehr mittelmäßig werden läßt.

Am nächsten Tage suchte ich den Bankier Sasso-Sassi auf, bei dem ich ein großes Guthaben hatte. Nachdem ich vorzüglich zu Mittag gespeist hatte, machte ich große Toilette und ging in die Oper, in der »Via della Pergola«. Ich nahm eine Loge neben dem Orchester, mehr um die Künstlerinnen zu beäugeln als die Musik zu hören, von der ich niemals ein begeisterter Freund war.

Der Leser stelle sich meine Überraschung und Freude vor, als ich in der ersten Sängerin den falschen Bellino, Teresa, erkannte, die ich zu Beginn des Jahres 1744 in Rimini verlassen hatte, die reizende Teresa, die ich ganz gewiß geheiratet haben würde, wenn mich nicht der Herr von Gages in Arrest gesetzt hätte. Sie hätte meinem Schicksal notwendigerweise eine ganz andere Richtung gegeben. Es war siebzehn Jahre her, seit ich sie gesehen, aber sie erschien mir auf der Bühne ebenso entzückend schön wie in dem Augenblick, da ich sie verlassen hatte. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, denn es schien mir vollkommen unmöglich zu sein, daß sie sich gar nicht verändert hätte. Schließlich begann ich zu glauben, daß ein eigentümlicher Zufall eine solche wunderbare Ähnlichkeit geschaffen hätte; aber am Schlusse einer Arie, die sie zum Entzücken sang, warf sie ihre Augen auf mich und wandte sie nicht mehr ab. Nun konnte ich nicht mehr zweifeln, daß es wirklich Teresa war, denn ich sah, daß sie mich wiedererkannt hatte. Als der Auftritt zu Ende war, ging sie nach der meiner Loge entgegengesetzten Seite ab, blieb in der Kulisse stehen und gab mir mit dem Fächer ein Zeichen, daß ich sie besuchen möchte.

Ich verließ meine Loge mit einem außerordentlich starken Herzklopfen, dessen Ursache ich mir nicht erklären konnte; denn ich hatte an Teresa die süßeste Erinnerung bewahrt und fühlte mich ihr gegenüber nicht weiter schuldig, als daß ich auf ihren letzten Brief, den sie mir vor dreizehn Jahren aus Neapel geschrieben, nicht geantwortet hatte. Ich begab mich auf den Weg nach der Bühne, voller Neugier, zu erfahren, was ihr in dem Zeitraum von siebzehn Jahren, der mir wie ein Jahrhundert vorkam, widerfahren sein möchte, und noch neugieriger, worauf diese Zusammenkunft hinauslaufen möchte.

Ich gelangte an eine kleine Tür, die zur Bühne führte, und erblickte Teresa oben auf der Treppe; sie sagte dem Mann, der die Tür bewachte, er solle mich einlassen. Ich trat ein. Stumm vor Überraschung standen wir einander gegenüber. Ich ergriff ihre Hand, preßte diese gegen mein Herz und rief: »Fühle, wie es schlägt!«

»Ich kann hier deine Hand nicht an mein Herz legen; aber als ich dich erblickte, glaubte ich, ich würde in Ohnmacht sinken. Unglücklicherweise bin ich zum Abendessen eingeladen. Ich werde die ganze Nacht kein Auge zumachen. Um acht Uhr erwarte ich dich. Wo wohnst du?«

»Beim Doktor Vannini.«

»Welchen Namen trägst du?«

»Meinen eigenen.«

»Seit wann bist du hier?«

»Seit gestern.«

»Wirst du lange in Florenz bleiben?«

»So lange wie du willst.«

»Bist du verheiratet?«

»Nein.«

»Verfluchte Einladung! Was für ein Tag! Geh, lieber Freund! Ich muß auftreten. Leb‘ wohl; auf Wiedersehen morgen früh um sieben.«

Sie hatte mir zuerst gesagt, ich solle um acht kommen; aber eine Stunde früher war nicht von Übel: Ich ging ins Parkett und dort fiel mir ein, daß ich sie weder nach ihrem Namen noch nach ihrer Wohnung gefragt hatte; doch konnte ich dies ja leicht erfahren. Sie spielte die Rolle der Mandane; ich sah sie jetzt in weiterer Entfernung als von meiner Loge aus, und sie entzückte mich durch die Wahrheit ihres Spiels, durch ihren edlen Anstand und die Reinheit ihres Gesanges. Ein sehr gut gekleideter junger Mann stand neben mir; ich fragte ihn: Wie heißt diese ausgezeichnete Sängerin?«

»Sie sind wohl erst seit heute in Florenz?«

»Seit gestern.«

»Dann ist es zu entschuldigen. Nun, mein Herr, sie heißt wie ich, denn sie ist meine Frau, und mein Name ist Cirillo Palesi, Ihnen aufzuwarten.«

Ich konnte vor Überraschung kein Wort sagen und machte ihm nur eine stumme Verbeugung. Nach seiner Wohnung wagte ich ihn nicht zu fragen, denn er hätte meine Neugier ungezogen finden können. Teresa mit diesem jungen Mann verheiratet, und gerade ihrem Mann muß ich in die Arme laufen und mich bei ihm nach ihr erkundigen! Gewiß eine eigenartige Verknüpfung von allerlei Zufällen und Stoff zu einer guten Lustspielszene.

Ich konnte es im Theater nicht länger aushalten; ich mußte mit mir allein sein, um in aller Ruhe über dieses schnurrige Abenteuer nachzudenken und über den Besuch, den ich meiner verheirateten Teresa am nächsten Morgen um sieben und nicht um acht Uhr abstatten sollte, denn ich mußte mich an ihr letztes Wort halten. Ich war höchst neugierig, was für ein Gesicht der junge Ehemann machen würde, wenn er mich wiedererkennen würde; daß er mich nicht wiedererkennen sollte, war unmöglich, denn er hatte mich recht aufmerksam gemustert, während er mir sagte, daß er Teresas Gatte wäre. Ich fühlte auch, daß meine erste Leidenschaft für das schöne Weib in meinem Herzen wieder erwacht war, und ich wußte nicht recht, ob ich mich darüber ärgern oder freuen sollte, daß sie verheiratet war.

Ich verließ die Oper und befahl meinem Lakaien, meinen Wagen zu rufen.

»Gnädiger Herr, Sie können ihn erst um neun Uhr haben, denn wegen der strengen Kälte hat der Kutscher die Pferde wieder in den Stall gestellt.«

»So wollen wir zu Fuß gehen.«

»Sie werden sich erkälten.«

»Wie heißt die Primadonna?«

»Als sie hierher kam, hieß sie Lanti; aber seit ein paar Monaten nennt sie sich Signora Palesi. Sie hat einen schönen jungen Mann geheiratet, der nichts versteht und nichts hat; aber sie ist reich und anständig, und ich kann Ihnen sagen, daß bei ihr nichts zu machen ist.«

»Wo wohnt sie?«

»Am Ende dieser Straße. Da ist ihr Haus; sie wohnt im ersten Stock.«

Zufrieden, alles erfahren zu haben, was ich wissen wollte, schwieg ich und verwandte alle meine Gedanken nur darauf, mir den Weg zu merken, damit ich ihn am anderen Morgen allein wiederfinden könnte. Ich nahm in aller Eile ein leichtes Abendessen zu mir und befahl Leduc, mich um sechs Uhr zu wecken.

»Aber gnädiger Herr, es wird ja erst um sieben Uhr hell.«

»Das weiß ich.«

»Dann ist es gut.«

Bei Tagesanbruch stand ich vor der Tür der ersten Frau, die ich leidenschaftlich geliebt hatte. Ich stieg eine Treppe hinauf und klingelte; eine alte Frau öffnete mir und fragte mich, ob ich Herr Casanova sei. Auf meine bejahende Antwort sagte sie mir, die Signora habe ihr gesagt, ich würde um acht kommen.

»Mir hat die gnädige Frau gesagt, um sieben.«

»Nun, das macht nichts. Haben Sie die Güte, in dieses Zimmer einzutreten, ich werde sie wecken.«

Nach fünf Minuten erschien der junge Ehemann in Schlafrock und Nachtmütze; er begrüßte mich sehr höflich und sagte mir, seine Frau werde sofort erscheinen. Plötzlich machte er ein Gesicht, wie wenn er aus den Wolken fiele, sah mich starr an und sagte: »Aber, mein Herr, waren Sie es nicht, der mich gestern abend fragte, wie meine Frau hieße?«

»Sie täuschen sich nicht, mein Herr; das war ich. Seit langen Jahren hatte ich sie nicht gesehen, und ich glaubte sie wieder zu erkennen. Mein Glück wollte, daß ich mich an ihren Gatten wandte, und die Freundschaft, die mich mit ihr verbindet, wird mich in Zukunft auch mit Ihnen verbinden.«

Gerade, als ich mit diesem schönen Kompliment fertig war, trat Teresa, schön wie Venus, mit offenen Armen ein. Entzückt preßte ich sie an meinen Busen, und wir blieben zwei Minuten innig umschlungen wie zwei Freunde, zwei Liebende, die glücklich sind, sich nach einer langen, schmerzlichen Trennung wiederzusehen. Nachdem wir uns mehrere Male geküßt hatten, bat sie ihren Mann, sich zu setzen, zog mich auf ein Kanapee nieder und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ich weinte ebenfalls und fand diese Tränen köstlich. Schließlich aber trockneten wir uns die Augen und sahen aus einem gleichzeitigen Antriebe auf den Gatten, den wir ganz und gar vergessen hatten. Man stelle sich das lächerliche Erstaunen vor, das sich begreiflicherweise auf seinem Gesichte malte, als wir unwillkürlich beide laut herauslachten. In seinem Erstaunen lag etwas so Komisches, daß nur ein phantasiebegabter Dichter und ein gewandter Karikaturenzeichner es wiedergeben könnten. Teresa wußte, wie sie den von ihr angerührten Teig zu kneten hatte: sie rief in pathetischem und zärtlichem Tone: »Mein lieber Palesi, du siehst hier meinen Vater, ja mehr als meinen Vater, denn du siehst einen großmütigen Freund, dem ich alles verdanke. Glücklicher Augenblick, nach dem mein Herz seit zehn Jahren schmachtet!«

Als er das Wort »Vater« hörte, sah der arme Gatte mich an: aber ich lachte nicht, obgleich ich die größte Lust dazu hatte. Teresa, obwohl ausgezeichnet erhalten, war nur zwei Jahre jünger als ich; aber die Freundschaft braucht den süßen Namen Vater in dem Sinne, wie er ihr gerade paßt.

»Ja, mein Herr,« sagte ich zu ihm, »Ihre Teresa ist meine Tochter, meine Schwester, meine Freundin, die ich innig liebe; sie ist ein Engel, und dieser Schatz ist Ihre Frau.«

Ohne ihm Zeit zu lassen, sich von seinem Erstaunen zu erholen, wandte ich mich an Teresa und fuhr fort: »Ich habe auf deinen letzten Brief nicht geantwortet, meine liebe Freundin …«

»Ich weiß alles. Du warst in eine Nonne verliebt. Du saßest unter den Bleidächern gefangen, und in Wien vernahm ich von deiner fast wunderbaren Flucht. Ich hatte ein falsches Vorgefühl, daß ich dich dort wiedersehen würde. Später erfuhr ich, daß du in Paris und in Holland dein Glück gemacht habest, und erst seit deiner Abreise von Paris habe ich niemanden mehr gefunden, der mir von dir hätte erzählen können. Wenn ich dir ausführlich alles erzähle, was mir in diesen zehn Jahren zugestoßen ist, wirst du hübsche Dinge zu hören bekommen. Aber jetzt bin ich glücklich! Dies hier ist mein lieber Palesi, ein Römer, den ich vor ein paar Monaten geheiratet habe. Wir lieben uns, und ich hoffe, du wirst sein Freund sein, wie du der meinige bist.«

Bei diesen Worten stand ich auf und umarmte diesen Ehegatten, der eine so sonderbare Figur spielte. Er kam mir mit offenen Armen, aber in einiger Verlegenheit entgegen; denn ohne Zweifel wußte er noch nicht recht, was er von einem Manne denken sollte, der gleichzeitig Vater, Bruder und Freund und vielleicht Liebhaber seiner Frau war. Teresa bemerkte seine Verlegenheit und umarmte ihn nach mir mit allen Kennzeichen lebhaftester Zärtlichkeit, die nun mich meinerseits in Verlegenheit setzte; denn in der letzten halben Stunde war die ganze Liebe wieder erwacht, die mich einst entflammt hatte, als in Ancona Don Sancho Pico mich mit ihr bekannt gemacht hatte.

Durch meine Umarmungen und die Liebkosungen seiner Frau beruhigt, fragte Herr Palesi mich, ob ich ihm die Freude machen wollte, mit ihm eine Tasse ausgezeichneter Schokolade zu trinken, die er mit ganz besonderem Vergnügen selber zurecht machen würde. Ich antwortete ihm, Schokolade sei mein Lieblingsfrühstück und ich würde sie um so besser finden, da sie von einem Freunde zubereitet wäre. Er ging hinaus, um sich ans Werk zu machen. Der Augenblick des Glücks war da.

Sobald wir allein waren, warf meine teure Teresa mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe sich in meine Arme. »Oh, mein Freund! Du, dem mein Herz zum erstenmal geschlagen hat, den ich mein ganzes Leben lang lieben werde, laß mich das Glück empfinden, dich an meinen Busen zu drücken! Umarmen wir uns hundertmal an diesem Tage des Glücks! Aber damit, liebes Herz, sei es genug, denn das Schicksal hat mich zur Frau eines anderen gemacht. Morgen, wenn wir uns wiedersehen, sind wir Bruder und Schwester; heute wollen wir Liebende sein!«

Sie war mit dieser Rede noch nicht fertig, da war ich schon auf dem Gipfel des Glücks angelangt. Unsere Entzückungen waren gegenseitig, und wir erneuerten sie fast ununterbrochen während der halben Stunde, die wir sicher vor uns hatten. Ihr Morgenkleid und mein Gehrock paßten aufs beste zu den Umständen. Nachdem wir unsere Liebesglut wenigstens zum Teil gestillt und uns überzeugt hatten, daß wir noch so waren wie damals, als wir in Rimini voneinander schieden, atmeten wir auf und setzten uns auf das Kanapee.

Als sie sich ein wenig gesammelt hatte, sagte sie: »Du mußt wissen, ich bin in meinen Mann noch verliebt und fest entschlossen, ihn niemals zu betrügen. Was ich eben getan habe, war die Bezahlung einer Schuld, die ich meiner ersten Liebe gegenüber eingegangen war. Ich mußte sie begleichen, um dir zu beweisen, wie teuer du mir bist. Aber jetzt wollen wir nicht mehr daran denken. Vergessen wir es, lieber Freund! Laß dir genügen, zu wissen, daß ich dich lieb habe – woran du ja nicht zweifeln kannst – und lasse mir die süße Überzeugung, daß ich von dir geliebt werde. Aber in Zukunft laß uns die Gelegenheit vermeiden, miteinander allein zu sein; denn dann würde ich unterliegen, und dies würde mir schmerzlich sein. Macht dieser Gedanke dich traurig?«

»Ich finde dich gebunden, und ich bin frei. Wir hätten uns niemals mehr getrennt. Du hast die Glut meiner ersten Liebe wieder angefacht. Ich bin so verliebt wie damals, als ich dich in Ancona kennen lernte; ich habe dich davon überzeugt, und nun denke dir, wie unglücklich ich bin, dich nicht mehr besitzen zu können. Ich finde dich nicht nur verheiratet, sondern obendrein verliebt! Ach, ich bin zu spät gekommen! Aber wenn ich mich nicht in Genua aufgehalten hätte, wäre ich trotzdem nicht weniger unglücklich. Du sollst später alles erfahren. Einstweilen werde ich genau tun, was du mir vorschreibst. Dein Gatte weiß, glaube ich, nichts von unserem Verhältnis; ich muß wohl ihm gegenüber vollkommen verschwiegen sein, nicht wahr?«

»Ja, lieber Freund; er weiß nichts von meinen Angelegenheiten, und es ist mir sehr lieb, daß er nicht neugierig danach ist. Er weiß wie alle Welt, daß ich mein Vermögen in Neapel erworben habe, wohin ich, wie ich überall erzähle, im Alter von zehn Jahren gekommen bin. Dies ist eine unschuldige Lüge, die keinem Menschen Schaden tut; in dem Beruf, dem ich mich widmen mußte, habe ich diese Lüge mehreren Wahrheiten vorziehen müssen, die mir schaden würden. Ich gebe mich für vierundzwanzigjährig aus; was meinst du dazu?«

»Mich dünkt, du sprichst die Wahrheit, obgleich ich weiß, daß du zweiunddreißig Jahre alt bist.«

»Du willst sagen einunddreißig; denn als ich dich kennen lernte, kann ich nicht mehr als vierzehn gezählt haben.«

»Ich glaubte, du wärest mindestens fünfzehn Jahre alt.«

»Dies ist, unter uns gesagt, möglich; aber sage mir, bitte, ob ich älter aussehe als vierundzwanzig.«

»Ich schwöre dir, du siehst noch nicht einmal so alt aus; aber in Neapel ….«

»In Neapel könnte ein Chronikschreiber wohl die Wahrheit wissen; aber auf diese Art Leute hört kein Mensch. Doch mache dich, mein lieber Casanova, auf einen Augenblick gefaßt, der einer der interessantesten deines Lebens sein wird.«

»Einer der interessantesten meines Lebens, sagst du? Wann wird dieser Augenblick stattfinden?«

»Gestatte mir darüber zu schweigen; ich möchte mich an deiner Überraschung werden. Sprechen wir von etwas Ernstlichem. Wie steht es mit deinen Verhältnissen? Wenn du Geld brauchst, so bin ich in der Lage, dir die Summe, die du mir schenktest, zurück zu erstatten, und zwar mit so hohen Wucherzinsen, wie du nur willst! Mein Mann hat nichts zu sagen; alles, was ich besitze, ist mein Eigentum. Ich habe in Neapel fünfzigtausend Reichsdukaten und besitze eine gleiche Summe in Diamanten. Sage mir schnell, wieviel du brauchst; denn die Schokolade wird gleich kommen!«

So war Teresa.

Tiefgerührt wollte ich ihr antworten, ihr um den Hals fallen, da kam die Schokolade. Ihr Mann kam herein mit einem Mädchen, das eine vollendete Schönheit war; sie trug auf einem Untersatz von vergoldetem Silber drei Tassen Schokolade. Während wir diese tranken, ergötzte Palesi uns, indem er in geistvoller Weise die Überraschung schilderte, die er empfunden hätte, als er sah, daß der Herr, um den er so früh am Morgen sein Bett verlassen mußte, derselbe war, der ihn am Abend vorher nach dem Namen seiner Frau gefragt habe. Teresa und ich hielten uns die Seiten vor Lachen, denn seine Erzählung war ein Gemisch von Witz und Gutmütigkeit. Dieser Römer mißfiel mir weniger, als er in seiner Eigenschaft als Gatte mir eigentlich hätte mißfallen müssen; denn er schien nur der Form wegen eifersüchtig zu sein.

»Mein lieber Freund,« sagte Teresa endlich zu mir, »um zehn Uhr habe ich Generalprobe aller Arien der neuen Oper; wenn du willst, kannst du hier bleiben. Ich bitte dich, mir zu erlauben, jeden Tag für dich decken zu lassen, und du wirst mir ein großes Vergnügen machen, wenn du mein Haus als das deinige betrachtest.«

»Für heute,« antwortete ich ihr, »werde ich dich erst nach dem Abendessen verlassen, damit du deinen glücklichen Gatten für dich hast.«

Bei diesen Worten umarmte Palesi mich mit überströmendem Gefühl, wie wenn er mir dafür danken wollte, daß ich ihm keine Schwierigkeiten machte, seine Gattenrechte auszuüben.

Der junge Mann war höchstens zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt; er war blond, gut gewachsen und zu hübsch für einen Mann. Teresa war zu entschuldigen, daß sie sich in ihn verliebt hatte, und ich nahm ihr dies nicht übel, denn ich kannte nur zu sehr die Macht eines schönen Gesichtes; aber ich fand, daß sie unrecht gehabt hatte, ihn zu ihrem Manne zu machen, denn ein Ehemann, sei er wie er sei, erwirbt doch stets gewisse Herrenrechte, die zuweilen lästig sein können.

Teresas hübsche Kammerjungfer meldete mir, mein Wagen wäre vor der Tür.

»Gestatten Sie,« sagte ich zu meiner Freundin, »daß mein Lohndiener hereinkommt?«

Der Kerl kam.

»Wer hat Ihnen befohlen, mit meinem Wagen hierher zu kommen?«

»Niemand, mein Herr; aber ich kenne meine Pflicht.«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich hier wäre?«

»Ich habe es erraten.«

»Rufen sie meinen Kammerdiener und kommen Sie mit ihm herein.«

Als er mit Leduc wieder eintrat, befahl ich diesem, dem lästigen Menschen den Lohn für drei Tage auszuzahlen, ihm seine Livree abzunehmen und mir von Doktor Vannini einen Diener von gleicher Größe besorgen zu lassen, der nicht die Gabe des Erratens besäße, sondern pünktlich die Befehle seines Herrn auszuführen wüßte. Sehr betrübt über sein Mißgeschick, wandte der Bursche sich an Teresa und bat um ihre Vermittlung; aber als kluge Frau antwortete sie ihm, sein Herr sei allein imstande, seine Dienste zu schätzen.

Um zehn Uhr kamen alle Sänger und Sängerinnen nebst einer Menge von Theaterliebhabern, die den ganzen Saal füllten. Teresa empfing mit edler Anmut die Handküsse aller ihrer Gäste, und ich sah, daß sie in großem Ansehen stand. Die Probe dauerte drei Stunden und langweilte mich sehr. Um dieser Langeweile zu entgehen, unterhielt ich mich mit Palesi, der mir gefiel, weil er mit keinem Wort mich fragte, wo, wie und wann ich seine Frau kennen gelernt hätte. Ich sah, daß ihm sein Gefühl sagte, wie er sich in seiner Stellung zu benehmen habe.

Eine junge Parmesanerin namens Redegonda, die eine Männerrolle spielte und sehr gut sang, blieb zum Essen, Teresa hatte außerdem eine junge Bologneserin, namens Corticelli, eingeladen. Die sprossenden Reize dieser hübschen Figurantin machten Eindruck auf mich; indessen war ich in diesem Augenblick so voll von Teresa, daß ich nicht sehr auf sie achtete. Einen Augenblick später sah ich einen wohlbeleibten Abbate mit gemessenen Schritten eintreten, einen echten Tartüff, der nur Teresa suchte. Als er sie erblickt hatte, schritt er auf sie zu, beugte nach portugiesischer Sitte ein Knie zur Erde und küßte ihr zärtlich und ehrfurchtsvoll die Hand. Teresa ließ ihn mit anmutigem Lächeln zu ihrer Rechten Platz nehmen; ich saß links von ihr. Seine Stimme und sein ganzes Aussehen sagten mir, daß es ein Bekannter sein mußte, und bald erkannte ich in der Tat den Abbate Gama, den ich vor siebzehn Jahren in Rom beim Kardinal Acquaviva zurückgelassen hatte; aber ich tat, als ob ich ihn nicht erkenne; dies war nicht schwer für mich, denn er war recht alt geworden. Der galante Abbate hatte nur Augen für Teresa; er war nur damit beschäftigt, ihr tausend Schmeicheleien zu sagen, und hatte noch niemanden der Gesellschaft mit einem Blick beehrt. In der Hoffnung, daß er mich ebenfalls nicht wieder erkennen oder wenigstens es so machen würde wie ich, fuhr ich fort, mit der Corticelli zu plaudern; plötzlich sagte Teresa mir, der Herr Abbate wünsche zu wissen, ob ich ihn nicht erkenne. Ich sah ihn fest an, wie wenn ich in meinem Gedächtnis nachsuche, stand dann auf und fragte ihn, ob ich nicht das Glück hätte, den Herrn Abbate Gama wiederzusehen.

»Ich bin’s!« rief er, indem er aufstand, mich umhalste und mehrere Male küßte. Er war damit in seiner Rolle als feiner Politiker; der Leser wird wohl noch nicht die Schilderung vergessen haben, die ich im ersten Bande der Erinnerungen von ihm entworfen habe.

Wie man sich denken kann, entspann sich nun ein endloses Gespräch. Er sprach von Barbaruccia, von der schönen Marchesa G., vom Kardinal S. C.; er erzählte mir, daß er von dem spanischen Dienst in den portugiesischen übergetreten wäre, in welchem er sich noch jetzt befände. Ich ließ mich mit Vergnügen von ihm an eine Menge von Umständen erinnern, die in meiner frühen Jugend lebhaften Eindruck auf mich gemacht hatten, als plötzlich eine völlig unerwartete Erscheinung meine Seele lähmte. Ein Jüngling von fünfzehn bis sechzehn Jahren, kräftig entwickelt, wie ein Italiener in diesem Alter es nur sein kann, trat mit gewandtem Wesen ein, machte der Gesellschaft eine anmutige Verbeugung und umarmte Teresa. Ich war der einzige, der ihn nicht kannte; aber ich war nicht der einzige, auf dessen Zügen sich Überraschung malte. Teresa stellte ihn mir unverzagt mit der natürlichsten Miene von der Welt vor: »Mein Bruder!« Ich begrüßte ihn auf das freundlichste, aber doch ein wenig verwirrt, da ich keine Zeit gehabt hatte, mich von meiner Überraschung zu sammeln. Dieser angebliche Bruder Teresas war mein leibhaftiges Ebenbild; nur war seine Gesichtsfarbe etwas heller als die meinige. Ich sah sofort, daß er mein Sohn war; denn niemals war die Natur indiskreter gewesen.

Dies war die Überraschung, welche Teresa mir angekündigt hatte; sie hatte sich das Vergnügen vorbehalten wollen, mich versteinert und zugleich entzückt zu sehen; denn sie wußte wohl, daß mein Herz von dem Gedanken, ihr beim Abschied ein solches Pfand unserer gegenseitigen Liebe zurückgelassen zu haben, tief gerührt sein würde. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt, denn in ihren Briefen hatte sie nie etwas von ihrer Schwangerschaft erwähnt. Wenn ich näher darüber nachdachte, schien mir, Teresa hätte diese Begegnung in Gegenwart fremder Personen vermeiden müssen; denn jeder hatte Augen und weiter war nichts nötig, um beim ersten Augenblick zu erkennen, daß dieser Jüngling nur mein Sohn oder mein Bruder sein könnte. Ich warf ihr einen Blick zu, aber sie wich diesem aus; der angebliche Bruder dagegen sah mich so aufmerksam an, daß er nicht hören konnte, was sie zu ihm sagte. Die Zuschauer ließen ihre Augen fortwährend von meinem Gesicht zu dem seinigen wandern; und wenn sie der Meinung waren, daß er mein Sohn wäre, so mußten sie notwendigerweise annehmen, daß ich der Liebhaber von Teresas Mutter gewesen war, wenn sie wirklich seine Schwester war; denn bei dem Alter, das sie zu haben schien und das sie sich beilegte, konnte man unmöglich annehmen, daß sie seine Mutter wäre. Ebenso unmöglich war es sich vorzustellen, daß ich Teresas Vater sei, denn ich sah nicht viel älter aus als sie.

Mein Sohn sprach vorzüglich die neapolitanische Mundart, die nicht ohne Reiz ist; aber er sprach auch sehr gut italienisch, und in allem, was er sagte, zeigte er Geschmack, gesunden Menschenverstand und Geist. Dies gefiel mir sehr. Er war gut unterrichtet, obwohl er in Neapel aufgewachsen war, und hatte sehr vornehme Manieren. Seine Mutter ließ mich bei Tisch zwischen ihr und ihm sitzen und sagte zu mir: »Seine Lieblingsleidenschaft ist die Musik. Sie werden ihn Klavier spielen hören, mein lieber Freund, und obgleich ich acht Jahre älter bin als er, werden Sie vielleicht finden, daß er besser spielt als ich.«

So zog sie mich mit jenem natürlichen, feinen Zartgefühl, das nur den Frauen eigen und für uns Männer stets unerreichbar ist, aus der Verlegenheit.

Mochte es die Natur oder Voreingenommenheit oder Eitelkeit oder sonst irgend etwas sein – genug, als wir von Tisch aufstanden, war ich so entzückt von meinem Sohn, daß ich ihn mit zärtlichem Entzücken umarmte. Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall. Ich lud sie alle ein, nm nächsten Tage bei mir zu Mittag zu speisen, und meine Einladung wurde freudig angenommen; die Cordicelli fragte in unschuldsvollem Ton: »Ich auch?«

»Gewiß, Sie auch.«

Abbate Gama sagte mir nach Tisch, ich möchte am nächsten Morgen zu ihm zum Frühstück kommen oder ihm ein Frühstück bei mir geben, denn er vergehe vor Verlangen, ein paar Stunden mit mir unter vier Augen zu plaudern.

»Ich werde Sie bei mir empfangen, Herr Abbate,« antwortete ich, »und zwar mit großem Vergnügen.«

Als alle Gäste fortgegangen waren, fragte mich Don Cesarino – so hieß der angebliche Bruder meiner Teresa – ob ich ihn nach der Promenade führen wollte. Ich anwortete ihm mit einer Umarmung, mein Wagen stehe ihm zu Diensten und er könne mit seinem Schwager hinfahren, denn ich wolle mich für diesen Tag nicht von seiner Schwester trennen. Palesi fand diesen Vorschlag sehr gut, und sie fuhren ab.

Sobald wir allein waren, umarmte ich Teresa mit leidenschaftlicher Glut, indem ich ihr ein Kompliment darüber machte, daß sie einen so hübschen Bruder hätte. »Mein Freund, er ist die süße Frucht unserer Liebe: er ist dein Sohn. Er macht mich glücklich und ist selber glücklich, denn er hat alles, was er dazu braucht.«

»Auch ich bin glücklich, göttliche Teresa! Aber du hast wohl gesehen, daß ich beim ersten Anblick sofort meine Vaterschaft erriet.«

»Aber, liebes Herz, hast du denn die Absicht, ihm einen Bruder zu geben? Wie leidenschaftlich du bist!«

»Bedenke, angebetetes und anbetungswürdiges Weib, daß du mir gesagt hast, morgen würden wir nur noch Freunde sein.«

Ich war bereits Gatte oder glücklicher Liebhaber; aber der Gedanke, daß ich es zum letztenmal wäre, mischte einige Bitterkeit in die glühende und süße Wollust, die ich bei dieser Vereinigung empfand, die auf beiden Seiten von Liebe, Zärtlichkeit und Gefühl beherrscht wurde.

Als wir etwas ruhiger geworden waren, sagte Teresa zu mir: »Der Herzog, der mich von Rimini mit sich nahm, hat auch unser Kind erziehen lassen; denn sobald ich schwanger war, vertraute ich ihm mein Geheimnis an. Ich kam nieder, ohne daß ein Mensch etwas davon erfuhr, und mein Kind wurde zu einer Amme nach Sorrent geschickt; der Herzog ließ ihn unter dem Namen Cesare Filippo Lanti taufen. In Sorrent blieb er bis zum Alter von neun Jahren; hierauf wurde er zu einem wackeren Mann in Pflege gegeben, bei dem er etwas Tüchtiges gelernt und sich auch in der Musik ausgebildet hat. Von seiner zartesten Kindheit an hat er in mir stets seine Schwester gesehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als ich sah, daß er dir immer ähnlicher wurde, je mehr er heranwuchs. Ich habe ihn stets als ein sicheres Pfand unserer Vereinigung angesehen; denn ich glaubte immer, diese würde stattfinden, sobald wir uns wiederträfen, weil ich überzeugt war, daß er auf deine Seele denselben Eindruck machen würde wie auf die meinige. Ich war überzeugt, du könntest diesem reizenden Sprößling unserer Liebe den Namen deines rechtmäßigen Sohnes nicht versagen und würdest seine Mutter heiraten.«

»Du hast das, was mich glücklich gemacht haben würde, unmöglich gemacht!«

»Das Schicksal hat es so gefügt, lieber Freund; sprechen wir nicht mehr davon. Als der Herzog starb, verließ ich Neapel; Cesarino blieb in derselben Pension unter dem Schutze des Fürsten della Riccia, der ihn stets als seinen Bruder angesehen hat. Dein Sohn besitzt ein Kapital von zwanzigtausend Reichsdukaten, dessen Zinsen an mich bezahlt werden, und von welchen er nichts weiß; aber du kannst dir wohl denken, daß es ihm an nichts fehlt. Es schmerzt mich nur, ihm nicht sagen zu können, daß ich seine Mutter bin; denn ich glaube, er würde mich noch mehr lieben, wenn er wüßte, daß er mir sein Leben verdankt. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Wonne ich heute empfand, als ich deine Überraschung sah und bemerkte, wie schnell du dich in ihn verliebtest.«

»Und diese vollkommene Ähnlichkeit?«

»Sie macht mir Freude. Kann man sich wohl etwas anderes dabei denken, als daß du der Liebhaber meiner Mutter gewesen bist? Nun einerlei. Mein Mann glaubt, daß dies der Ursprung der Freundschaft sei, die uns verbindet, und die ihn heute morgen, als er den Ausbruch unseres Entzückens sah, hätte ärgerlich machen können. Er sagte mir gestern, Cesarino könne wohl mein Bruder von mütterlicher Seite sein, aber ganz gewiß nicht von väterlicher Seite; denn er habe seinen Vater im Parkett gesehen und dieser könne ganz gewiß nicht der meinige sein. Wenn ich von Palesi Kinder bekomme, soll mein ganzes Vermögen nach meinem Tode ihnen gehören; wenn ich keine bekomme, so wird Cesarino mein Erbe sein. Mein Vermögen befindet sich in sicheren Händen, selbst wenn der Fürst della Riccia sterben sollte.«

»Komm!« rief sie plötzlich, indem sie mich in ihr Schlafzimmer hineinzog. Sie öffnete eine große Kassette, worin sich ihre Diamanten und andere Juwelen und für mehr als fünfzigtausend Dukaten in guten Gülten befanden. Außerdem besaß sie eine Menge sehr schönes Silbergeschirr, und ihr herrliches Talent sicherte ihr die ersten Stellen an allen italienischen Bühnen.

»Weißt du,« fragte ich sie, »ob unser Cesarino schon geliebt hat?«

»Ich glaube es nicht; doch denke ich, daß meine hübsche Kammerjungfer in ihn verliebt ist. Ich werde ein Auge auf sie haben.«

»Sei nicht zu streng.«

»Nein. Aber ein junger Mann darf sich nicht zu früh der Sinnenlust hingeben, worüber er alles andere vernachlässigen würde.«

»Gib ihn mir! Ich werde ihn die Welt kennen lehren.«

»Verlange alles von mir, aber lasse mir meinen Sohn! Ich küsse ihn niemals, weil ich Angst habe, ich könnte mich rasend in ihn verlieben. Wenn du wüßtest, wie ehrenhaft und rein er ist und wie er mich liebt! Aber ich versage ihm ja auch keinen Wunsch. Was wird man in vier Monaten in Venedig sagen, wenn man dort den aus den Bleikammern entsprungenen Casanova um zwanzig Jahre verjüngt wiedersieht?«

»Du gehst also zur Ascensa nach Venedig?«

»Ja. Und du gehst nach Rom?«

»Und nach Neapel, um meinen Freund, den Herzog von Matalone, zu besuchen.«

»Ich kenne ihn sehr gut. Er hat bereits einen Sohn von der Tochter des Herzogs Bovino, die er geheiratet hat. Sie ist eine reizende Frau, die die Macht besessen hat, ihn zum Mann zu machen; denn ganz Neapel wußte, daß er unvermögend war.«

»Wahrscheinlich hat sie nur das Geheimnis besessen, ihn zum Vater zu machen.«

»Das ist auch wohl möglich.«

Wir verbrachten den ganzen Tag in einer abwechselreichen und sehr interessanten Unterhaltung, bis Cesarino und ihr Gatte zurückkamen. Während des Abendessens gewann der liebe Junge vollends mein Herz, denn er war schalkhaft, fröhlich und liebenswürdig und besaß die ganze neapolitanische Lebhaftigkeit. Er setzte sich ans Klavier. Nachdem er einige Stücke mit der glänzenden Meisterschaft eines Virtuosen gespielt hatte, sang er neapolitanische Lieder, über die wir von ganzem Herzen lachten. Meine Teresa hatte nur für ihn und für mich Augen; von Zeit zu Zeit aber umarmte sie ihren Gemahl und rief: »Man ist nur glücklich, wenn man liebt.«

Dieser Tag gehört zu den glücklichsten meines Lebens, und ich zähle deren viele.

Neuntes Kapitel


Die Corticelli. – Der jüdische Theaterdirektor bekommt Prügel. – Der falsche Karl Iwanoff spielt mir einen bösen Streich, – Willkürlicher Befehl, Toskana zu verlassen. – Meine Ankunft in Rom. – Mein Bruder Giovanni.

Am nächsten Morgen um neun Uhr meldete man mir den Abbate Gama. Als er eintrat, rief er aus: »Ich weine Freudentränen, daß ich Sie nach so vielen Jahren der Trennung bei so guter Gesundheit und in so angenehmen Verhältnissen wiedersehe.«

Wie der Leser sich leicht wird denken können, hielt der Abbate eine große Lobrede auf mich, und er wird vielleicht wissen, daß trotz aller Klugheit und Welterfahrenheit und trotz allem Mißtrauen gegen die Ohrenkitzler die Eitelkeit doch ihnen lauscht und sie sogar angenehm findet; freilich will die Eitelkeit dies nicht eingestehen, denn damit wird sie sich selbst verletzen. Der Abbate war sanft, geistreich, liebenswürdig und sehr schlau, weil er stets unter den Großwürdenträgern der Diener Gottes gelebt und damit die allerfeinste Schule der List durchgemacht hatte. Er war durchaus nicht boshaft; mit einem Wort, er war so, wie ich ihn im ersten Bande dieser Erinnerungen geschildert habe. Er wünschte meine Abenteuer kennen zu lernen und wartete daher nicht ab, daß ich ihn bäte, mir die seinigen zu erzählen, sondern schilderte mir sehr weitschweifig sein Leben in den siebzehn Jahren, die seit unserer Trennung verflossen waren. Er war aus dem spanischen Dienst in den Seiner Allergetreuesten Majestät übergetreten und war Gesandtschaftssekretär beim Komtur Almada. Er hatte Rom verlassen müssen, weil Papst Rezzonico dem König von Portugal nicht erlauben wollte, die Jesuiten zu bestrafen – treue ehrliche Mörder, die ihm allerdings nur einen Arm zerschmettert, aber doch die gute Absicht gehabt hatten, ihm das Leben zu nehmen. Gama irrte in Italien umher; er verkehrte brieflich mit Almada und dem berühmten Carvalho, und wartete darauf, daß dieser Krieg beigelegt würde, um nach Rom zurückkehren zu können. Dies war eigentlich das einzige Tatsächliche an seiner Erzählung; aber der Abbate wußte sie durch Nebenumstände so sehr auszuschmücken, daß sie länger als eine Stunde dauerte. Ohne Zweifel wollte er mich dadurch zur Dankbarkeit veranlassen, damit ich ihm nichts von meinen Verhältnissen verschwiege. Aber wir zeigten beide ein schönes diplomatisches Talent; er, indem er seine Erzählung verlängerte, ich, indem ich die meinige verkürzte. Ich empfand dabei ein geheimes Vergnügen, die Neugier im Priesterrock zu bestrafen.

»Was wollen Sie in Rom?« fragte er scheinbar gleichgültig.

»Ich will mich dem Papst vorstellen und ihn bitten, bei den venetianischen Staatsinquisitoren meine Begnadigung zu befürworten.«

Dies war nicht wahr; aber es war eine Antwort wie eine andere, wenn man nicht die Wahrheit sagen will. Hätte ich ihm übrigens gesagt, ich ginge nach Rom nur, um mich zu amüsieren, so hätte er mir auch nicht geglaubt. Wer einem Ungläubigen die Wahrheit sagt, prostituiert sie, und dies ist nach meiner Meinung so schlimm wie ein Mord. Er bat mich hierauf, ich möchte ihm das Vergnügen machen, mit ihm einen Briefwechsel zu unterhalten; und da dies mich zu nichts verpflichtete, so versprach ich es ihm.

»Ich kann,« sagte er mir, »Ihnen einen Freundschaftsbeweis geben, indem ich Sie dem Gouverneur von Toskana, Marchese Botta-Adamo, vorstelle, der für den Freund des regierenden Herrn gilt« (des späteren Kaisers Franz).

Ich nahm sein Anerbieten dankbar an, hierauf brachte er das Gespräch auf Teresa; aber er fand mich verschlossen wie den Geldschrank eines Geizhalses. Ich sagte ihm, sie wäre noch ein Kind gewesen, als ich in Bologna ihre Familie kennen gelernt hatte, und die Ähnlichkeit zwischen ihrem Bruder und mir wäre nur ein Spiel der Natur oder des Schicksals, wobei nichts weiter auffällig wäre, als daß wir zusammengetroffen wären. Als er auf meinem Schreibtisch ein sehr gut geschriebenes Papier sah, fragte er mich, ob diese herrliche Handschrift die meines Sekretärs sei. Costa, der im Zimmer anwesend war, antwortete ihm auf spanisch, die Schrift sei von ihm. Gama überbot sich nun in Komplimenten und bat mich schließlich, ich möchte ihm meinen Costa zuschicken, um für ihn einige Briefe zu schreiben. Ich erriet, daß er ihn nur über mich ausholen wollte, und sagte ihm, der junge Mann sei mir den ganzen Tag unentbehrlich.

»Nun, dann also ein anderes Mal!« sagte der Abbate.

Ich antwortete nicht. So sind die Neugierigen. Die Moralphilosophen wollen die Neugier nicht zu den Leidenschaften rechnen; aber sie haben unrecht. Die Neugier gehört zu den schönen Eigenschaften des Geistes, wenn sie von der gesunden Vernunft gelenkt wird und sich auf die ganze Natur erstreckt: Nihil dulcius quam omnia scire – Nichts ist süßer als alles zu wissen. Sie ist von den Sinnen abhängig; denn sie kann nur durch sinnliche Wahrnehmungen entstehen und sich befriedigen. Aber diese Leidenschaft ist, wie alle ihre Schwestern, ein Ungeheuer, wenn sie nicht mehr von der Weisheit gezügelt wird. Sie ist ein abscheuliches Laster, wenn sie nur bezweckt, mittelbar oder unmittelbar in die Angelegenheiten anderer Menschen einzudringen. Einerlei ob der Neugierige ein Geheimnis nur zu erhaschen sucht, um sich dem Nächsten nützlich zu machen, sei es, daß er diesen auszuholen sucht, um die Herzensergießungen, zu denen er ihn zu verlocken weiß, zu seinem eigenen Vorteil auszubeuten. Aber mag sie, je nach der Richtung, die sie nimmt, Laster oder Tugend sein – die Neugier ist stets eine Krankheit; denn sie hat die eigentümliche Eigenschaft, daß sie das Herz oder den Geist eines Menschen, den sie unterjocht, unruhig macht. Ein Geheimnis durch Überraschung zu erfahren, heißt stets einen Diebstahl begehen.

Ich spreche nicht von jener edlen Neugier, die den abstrakten Wissenschaften entstammt und sich zum Ziele setzt, die Zukunft zu erforschen, das heißt, das Unmögliche zu erreichen. Bei der Neugier, die die Tochter der Unwissenheit oder des Aberglaubens ist, verweilen nur Narren oder Dummköpfe. Abbate Gama aber war weder verrückt, noch unwissend, noch dumm: er war neugierig von Charakter und von Beruf; denn er wurde dafür bezahlt, alles zu entdecken. Er war Diplomat; in einer weniger hohen Sphäre würde man ihn als Spion behandelt haben.

Er verließ mich, um Besuche zu machen, und versprach mir, zum Mittagessen wiederzukommen.

Doktor Vannini stellte mir einen anderen Bedienten von der Gestalt des ersten vor, einen Parmesaner; er versprach mir, dieser würde nur gehorchen und niemals versuchen, etwas zu erraten. Ich dankte dem akademischen Gastwirt und bestellte bei ihm eine üppige Mahlzeit.

Zuerst erschien die Corticelli mit ihrem Bruder, einem weibischen jungen Mann und mittelmäßigen Violinspieler, sowie mit ihrer Mutter, die mir sagte, sie würde ihrer Tochter niemals erlauben, ohne sie und ohne ihren Bruder bei Fremden zu essen.

»Dann können Sie,« sagte ich zu ihr, »sie sofort wieder mitnehmen oder diesen Dukaten annehmen, um mit ihrem Sohne zu essen, wo Sie wollen; denn ich will weder von ihm noch von Ihnen etwas wissen.«

Sie nahm den Dukaten, indem sie zu mir sagte, sie sei sicher, ihre Tochter in guten Händen zu lassen.

»Darauf können Sie sich verlassen,« antwortete ich ihr; »gehen Sie nur!«

Das Mädchen machte über mein Gespräch mit ihrer Mutter so scherzhafte Bemerkungen, daß ich unwillkürlich lachen mußte und mich in sie zu verlieben anfing. Die Corticelli war erst dreizehn Jahre alt, aber sie war so zart, daß man sie für zehnjährig gehalten hätte. Im übrigen war sie sehr hübsch gewachsen, lustig, lebhaft, witzig, geistreich und hatte eine weiße Haut, wie man sie in Italien selten findet. Trotz alledem kann ich noch jetzt nicht begreifen, wie ich mich in sie verlieben konnte.

Das ausgelassene junge Mädchen bat mich um meinen Schutz gegen den Operndirektor, einen Juden. Er hatte sich in dem mit ihr abgeschlossenen Vertrage verpflichtet, sie in der zweiten Oper einen Pas de deux tanzen zu lassen, aber er hatte sie getäuscht. Sie bat mich, den Juden zu zwingen, daß er seine Verpflichtungen einhielte, und ich versprach es ihr.

Der zweite Gast war die Parmesanerin Redegonda, ein großes schönes Mädchen, das, wie Costa mir sagte, die Schwester meines Lohndieners war; nachdem ich mich zwei oder drei Minuten mit ihr unterhalten hatte, fand ich sie meiner Aufmerksamkeit sehr würdig. Sodann kam der Abbate Gama; er gratulierte mir, als er mich zwischen zwei hübschen Mädchen sitzen sah. Ich nötigte ihn, meinen Platz einzunehmen, und er begann ihnen mit großer Zungengewandtheit Schmeicheleien zu sagen; daß die Nymphen sich über ihn lustig machten, brachte ihn nicht im geringsten aus der Fassung. Er glaubte ihnen zu gefallen; das sah ich und begriff sehr wohl, daß seine Eitelkeit ihn abhielt, zu bemerken, wie er sich lächerlich machte; aber ich ahnte nicht, daß ich selber in seinem Alter in den gleichen Fehler verfallen könnte. Wehe dem Greise, der nicht sich selber zu erkennen vermag! Weh ihm, wenn er verabsäumt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß die Weiber, die er als Jüngling verführt hat, ihn in seinem Alter verachten werden, wenn er noch nach ihrer Gunst zu streben wagt! – Zuletzt erschien meine schöne Teresa mit ihrem Gatten und meinem Sohn, den ich zärtlich umarmte, nachdem ich diese süße Pflicht seiner Mutter gegenüber erfüllt hatte. Bei Tisch setzte ich mich zwischen beide, indem ich Teresa zuflüsterte, eine so teure und geheimnisvolle Dreifaltigkeit dürfe nicht getrennt werden; diese Bemerkung trug mir das liebenswürdigste Lächeln ein. Der Abbate setzte sich zwischen Redegonda und die Corticelli und wußte uns durch reizende Bemerkungen während der ganzen Mahlzeit zu erheitern. Ich lachte im stillen über den ehrfurchtsvollen Ernst, womit mein großer Lakai seiner Schwester Redegonda den Teller wechselte; sie schien eitel darauf zu sein, eine Ehre beanspruchen zu können, die für ihren Bruder unerreichbar war. Sie war nicht großmütig; denn sie benutzte den Augenblick, um mir, ohne daß er es hören konnte, zu sagen: »Er ist ein guter Junge; unglücklicherweise versteht er gar nichts.«

Ich hatte absichtlich mir eine prachtvolle Tabaksdose in die Tasche gesteckt; sie war reich emailliert und mit einem Bildnis von vollkommener Ähnlichkeit geschmückt. Ich hatte sie in Paris anfertigen lassen in der Absicht, sie der Frau d’Urfé zu schenken; aber ich hatte sie ihr nicht gegeben, weil der Maler mich zu jung gemacht hatte. Diese Dose war mit ausgezeichnetem Havannatabak gefüllt, den Herr von Chavigny mir geschenkt hatte und den Teresa sehr gerne mochte; um sie aus meiner Tasche zu ziehen, wartete ich, bis sie mich um Tabak bäte. Abbate Gama, der sehr guten Tabak in seiner Origoneladose hatte, schickte Teresa eine Prise; sie sandte ihm darauf den ihrigen in einer mit goldenen Arabesken eingelegten Schildpattdose. Man konnte nichts Schöneres sehen. Gama kritisierte Teresas Tabak; ich tat, als fände ich ihn köstlich, erlaubte mir jedoch die Bemerkung, mein Tabak sei besser. Ich zog meine Dose aus der Tasche, reichte sie ihr offen hin und bot ihr eine Prise an. Das Portrait konnte sie nicht sehen. Sie gab zu, daß der Tabak köstlich und dem ihrigen weit überlegen sei.

»Nun, meine Gnädige, ist es Ihnen recht, wenn wir tauschen?«

»Gern! Geben Sie mir Papier!«

»Das ist nicht nötig. Wir tauschen den Tabak und die Dosen, worin er ist.«

Mit diesen Worten steckte ich Teresas Dose in die Tasche und reichte ihr die meinige geschlossen. Als sie das Bildnis sah, stieß sie einen Schrei aus, der die ganze Gesellschaft neugierig machte, und küßte, ohne sich zu besinnen, das Portrait.

»Sieh!« sagte sie zu Cesarino, »dein Bild!«

Cesarino sah sie ganz erstaunt an, und die Dose ging von Hand zu Hand. Jeder fand, daß es mich selber darstellte, wie ich vor zehn Jahren ausgesehen hätte, daß es aber auch für das Portrait Cesarinos gelten könnte. Teresa war vor Freude darüber ganz toll. Sie schwor, sie werde diese Dose niemals wieder aus den Händen lassen, stand auf und umarmte ihren Sohn zu wiederholten Malen. Unterdessen verlor ich den Abbate Gama nicht aus den Augen, und ich sah, daß er in seinem Schädel allerlei Erklärungen über diesen Auftritt zurechtzimmerte, der das volle Interesse einer unvorhergesehenen Erkennungsszene hatte.

Der gute Abbate ging gegen Abend fort, indem er mir sagte, er erwarte mich am anderen Morgen zum Frühstück.

Den Rest des Tages brachte ich damit zu, mit Redegonda schön zu tun; als Teresa sah, daß das Mädchen mir gefiel, riet sie mir, mich ihr zu erklären, und versprach mir, sie einzuladen, so oft ich wolle. Aber Teresa kannte sie nicht.

Am andern Morgen sagte Gama mir, er habe dem Marschall Botta meinen Besuch angemeldet und werde mich um vier Uhr in meinem Gasthof abholen, um mich dem Herrn vorzustellen. Immer Sklave seiner Neugier, machte der gute Abbate mir hierauf im Tone freundschaftlichster Teilnahme Vorwürfe, daß ich ihm kein Wort von dem Stande meines Vermögens gesagt hätte.

»Ich glaubte, dies sei nicht erwähnenswert, Herr Abbate; da Sie es aber interessiert, so will ich Ihnen sagen, daß mein Vermögen nicht beträchtlich ist, daß ich aber Freunde habe, deren Börsen mir offen stehen.«

»Wenn Sie wahre Freunde haben, so sind Sie reich; aber wahre Freunde sind selten.«

Von dem Abbate begab ich mich zu Redegonda, von der mein ganzes Herz voll war und die ich gern der jungen Corticelli vorgezogen hätte. Ich wollte ihr einen Besuch machen; aber welche traurige Aufnahme fand ich! Sie empfing mich in einem Zimmer, worin ihre Mutter, ihr Oheim und drei oder vier unsaubere, schlechtgekleidete Bälge, ihre Brüder, sich befanden.

»Haben Sie denn kein anständiges Zimmer, um Ihre Freunde zu empfangen?« fragte ich das Mädchen.

»Ich brauche kein anderes Zimmer, denn ich habe keine Freunde, die ich empfangen könnte.«

»Haben Sie nur das Zimmer, meine Liebe – die Freunde werden dann nicht ausbleiben. Dieses Zimmer ist ausgezeichnet, um Verwandte zu empfangen, aber es eignet sich nicht für Personen, die wie ich zu Ihnen kommen, um Ihren Reizen und Ihren Talenten zu huldigen.«

»Mein Herr,« sagte die Mutter zu mir, »meine Tochter hat nur ein schwaches Talent und bildet sich durchaus nichts auf ihre Reize ein, denn sie weiß, daß diese sehr bescheiden sind.«

»Es ist eine große Bescheidenheit von Ihnen, Signora, daß Sie so sprechen. Ich weiß diese Bescheidenheit zu schätzen; aber es sehen nicht alle Ihre Tochter mit denselben Augen an, und mir gefällt sie sehr.«

»Das ist eine Ehre für sie, und wir sind dafür nach Gebühr dankbar; aber sie macht uns nicht stolz. Meine Tochter wird Sie empfangen, so oft Sie ihr die Ehre Ihres Besuches erweisen wollen; aber nur hier, niemals an einem anderen Ort.«

»Hier, Signora, würde ich Sie zu belästigen befürchten.«

»Die Anwesenheit eines Ehrenmannes ist niemals eine Belästigung.«

Ich schämte mich; denn nichts beschämt einen Wüstling so, wie die Sprache der Scham im Munde der Armut; da ich nicht wußte, was ich der Mutter Vernünftiges antworten sollte, machte ich ihr eine Verbeugung und ging.

Ich berichtete Teresa mein Mißgeschick, und wir lachten darüber; das war auch das beste, was wir tun konnten.

»Ich werde mich freuen, dich in der Oper zu sehen,« sagte sie zu mir; »du kannst Zugang zu meinem Ankleidezimmer finden, wenn du dem Wächter an der kleinen Tür, die zur Bühne führt, ein Trinkgeld gibst.«

Der Abbate Gama holte mich seinem Versprechen gemäß ab, um mich dem Marschall Botta vorzustellen. Dieser war ein verdienstvoller Mann, den der Aufstand von Genua berühmt gemacht hatte. Er befehligte das österreichische Heer, als das Volk, voller Zorn über den Anblick dieser Fremdlinge, die nur das Land unterjochen wollten, sich erhob und sie zwang, die Stadt zu räumen. Dieser patriotische Aufruhr rettete die Republik.

Ich fand den Marschall inmitten einer zahlreichen Gesellschaft von Damen und Herren, die er verließ, um mich zu begrüßen. Er sprach mit mir über Venedig, das er ausgezeichnet kannte; dann ließ er sich von mir ausführlich über Frankreich erzählen, und ich durfte annehmen, daß meine Mitteilungen ihn befriedigten. Er selber erzählte mir darauf vom russischen Hof, an welchem er sich aufhielt, als Elisabeth Petrowna, die zur Zeit meiner Erzählung noch regierte, mit solcher Leichtigkeit den Thron ihres Vaters, Peter des Großen, bestieg. »Nur in Rußland,« sagte er mir, »weiß die Politik Gifte zweckmäßig zu benutzen.« Als die Stunde der Oper gekommen war, zog der Marschall sich zurück, und alle entfernten sich. Nachdem ich den Abbate, der mir natürlich versicherte, daß ich dem Gouverneur gefallen habe, in meinem Wagen nach Hause gebracht hatte, begab ich mich ins Theater und gelangte mittels eines Testone in Teresas Ankleidezimmer, wo ich sie unter den Händen ihrer hübschen Kammerjungfer fand.

»Ich rate dir,« sagte sie zu mir, »Redegonda in ihrem Ankleidezimmer aufzusuchen; da sie sich als Mann zu kleiden hat, wird sie dich vielleicht ihrer Toilette beiwohnen lassen.«

Ich folgte ihrem Rat; aber die Mutter wollte mir den Eintritt nicht erlauben, weil ihre Tochter im Begriff sei, sich anzukleiden. Ich versicherte ihr, ich würde während der ganzen Zeit, die sie zum Umkleiden brauchte, ihr den Rücken zuwenden; unter dieser Bedingung erlaubte sie mir einzutreten, und ließ mich vor dem Tisch Platz nehmen, auf welchem ein großer Spiegel stand, dank welchem ich ausgezeichnet Redegondas geheimste Reize gratis sehen konnte, besonders in dem Augenblick, wo sie eine Hose anzog und dabei die Beine auf höchst ungeschickte oder höchst geschickte Weise hochhob – je nach den Absichten, die sie dabei gehabt haben mag. Übrigens schadete dieses Manöver ihr nichts; denn was ich sah, gefiel mir dermaßen, daß ich jede Bedingung angenommen hätte, um mich in ihren Besitz zu setzen.

Unmöglich, sagte ich mir, kann Redegonda nicht wissen, daß ich vor einem Spiegel sitzend alles sehen muß. Dieser Gedanke entflammte mich. Ich drehte mich erst wieder um, als die Mutter mir die Erlaubnis gab, und nun bewunderte ich die Schönheit im Anzuge eines schönen Jünglings von fünf Fuß und einem Zoll, dessen Verhältnisse nichts zu wünschen übrig ließen.

Redegonda ging hinaus; ich folgte ihr, und es gelang mir, in den Kulissen mit ihr zu sprechen. Ich sagte zu ihr: »Meine Liebe, ich will ohne alle Umstände mit Ihnen reden. Sie haben mich entflammt, und ich werde sterben, wenn Sie sich weigern, mich glücklich zu machen.«

»Sie sagen nichts davon, ob Sie auch sterben würden, wenn Sie mich unglücklich machten.«

»Dies kann ich nicht sagen, weil ich den Gedanken gar nicht fassen kann. Keine Verstellung, liebe Redegonda! Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß Ihr Spiegel mich instand setzte, alles zu sehen; und ich kann nicht annehmen, daß Sie die Absicht gehabt haben sollten, mich in Feuer und Flammen zu setzen, um mich hierauf der Verzweiflung zu überlassen.«

»Was können Sie gesehen haben? Ich weiß davon nichts.«

»Das kann wohl sein; aber ich habe Sie ganz und gar gesehen. Antworten Sie mir – das ist die Hauptsache. Wie habe ich es anzufangen, um in Ihren Besitz zu gelangen?«

»Um in meinen Besitz zu gelangen? Ich verstehe Sie nicht, mein Herr! Ich bin ein anständiges Mädchen.«

»Das glaube ich. Aber Sie müssen ebenfalls überzeugt sein, daß Sie nicht weniger anständig sein werden, wenn Sie mich glücklich gemacht haben. Lassen Sie mich nicht schmachten, meine liebe Redegonda! Ich muß mein Schicksal augenblicklich erfahren!«

»Ich weiß nicht, was ich Ihnen anders sagen soll, als daß es Ihnen frei steht, mich zu besuchen, so oft Sie Lust haben.«

»Wann werden Sie allein sein?«

»Allein? Es ist kaum denkbar, daß ich jemals allein bin.«

»Nun, was tut es denn auch? Mag Ihre Mutter anwesend sein; das ist mir einerlei. Wenn sie vernünftig ist, wird sie tun, als ob sie nichts sähe, und ich werde Ihnen jedesmal hundert Dukaten geben.«

»Wahrhaftig! Sie sind entweder verrückt oder Sie kennen uns nicht.«

Mit diesen Worten betrat sie die Bühne; ich aber ging zu Teresa und erzählte ihr dies Gespräch. Sie sagte mir: »Biete nur zunächst die hundert Dukaten der Mutter selber an; wenn sie sie ausschlägt, so lache die beiden aus und versuche dein Heil bei einer anderen.«

Ich ging in Redegondas Ankleidezimmer zurück, wo die Mutter jetzt allein war, und sagte ohne weitere Vorreden: »Guten Abend, Signora. Ich bin Fremder. Ich bleibe nur acht Tage hier. Ich bin in Ihre Tochter verliebt und schlage Ihnen vor, mit ihr bei mir zu soupieren. Vorausgesetzt, daß Sie gut sind, werde ich Ihnen hundert Zechinen geben, und es liegt nur an Ihnen, mich zugrunde zu richten.«

»Mein Herr, mit wem glauben Sie zu tun zu haben? Ihre Schamlosigkeit überrascht mich mit Fug und Recht. Erkundigen Sie sich, wer ich bin; erkundigen Sie sich nach der Aufführung meiner Tochter, und Sie werden sich in Zukunft dergleichen Anträge ersparen.«

»Leben Sie wohl, Signora.«

»Leben Sie wohl, Signor.«

Als ich das Zimmer verließ, begegnete ich Redegonden. Ich erzählte ihr Wort für Wort das Gespräch, das ich mit ihrer Mutter gehabt hatte, und sie lachte laut auf.

»Hab‘ ich’s gut oder schlecht gemacht?«

»Eher gut als schlecht. Aber wenn Sie mich lieben, so besuchen Sie mich doch!«

»Ich soll Sie besuchen? Nach den Worten Ihrer Mutter?«

»Ei, warum denn nicht? Wer weiß?«

»Wer weiß! Redegonda, Sie kennen mich nicht. Leere Hoffnung vergiftet mich, und darum habe ich so geradezu mit Ihnen gesprochen.«

Ärgerlich beschloß ich, an das eigentümliche Mädchen nicht mehr zu denken. Ich ging zu Teresa zum Abendessen und verbrachte bei ihr drei entzückende Stunden. Da ich viel zu schreiben hatte, ging ich den ganzen nächsten Tag nicht aus; gegen Abend aber besuchte mich die junge Corticelli mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. Sie wollte mich bitten, ihr mein Versprechen zu halten in bezug auf den jüdischen Theaterdirektor, der sie den im Vertrage vereinbarten Pas de deux nicht tanzen lassen wollte.

»Besuchen Sie mich morgen früh,« antwortete ich ihr; »Sie werden mit mir frühstücken, und ich werde in Ihrer Gegenwart mit Ihrem Hebräer sprechen – das heißt, wenn er kommt. Jedenfalls verspreche ich Ihnen, ihn holen zu lassen.«

»Dafür werde ich Sie sehr lieb haben,« sagte das ausgelassene kleine Mädchen zu mir; »aber kann ich denn nicht ein bißchen hier bleiben?«

»Im Gegenteil, solange Sie wollen; da ich jedoch einige Briefe fertig schreiben muß, so muß ich Sie bitten, allein zu bleiben.«

»O! Ganz wie Sie wollen.«

Ich sagte Costa, er solle ihnen ein Abendessen geben.

Als meine Briefe fertig waren, bekam ich Lust, ein wenig zu scherzen. Ich ließ die Kleine sich neben mich setzen und begann mit ihr zu schäkern, jedoch auf eine Weise, daß ihre Mutter Laura nichts dagegen einwenden konnte. Plötzlich mischte sich der Bruder mit ein, worüber ich einigermaßen erstaunt war.

»Gehen Sie!« sagte ich zu ihm; »Sie sind kein Mädchen.«

Zur Antwort hierauf zeigte der kleine Halunke mir sein Geschlecht und zwar auf so unanständige Weise, daß seine Schwester, die auf meinem Schoß saß, laut auflachte und sich zu ihrer Mutter flüchtete, die aus Dankbarkeit für das gute Abendessen, womit ich sie bewirtet hatte, sich im Hintergrunde des Zimmers aufhielt. Ich stand auf, gab dem unverschämten Lustknaben eine Ohrfeige und fragte die Mutter, in welcher Absicht sie mir diesen Burschen zugeführt habe. Die niederträchtige Mutter antwortete darauf nur: »Ist er nicht ein hübscher Junge?«

Ich gab ihm als Schmerzensgeld für die Ohrfeige einen Dukaten und sagte zur Mutter: »Gehen Sie! Sie ekeln mich an!«

Der Bursche nahm meinen Dukaten, küßte mir die Hand, und alle drei entfernten sich.

Als ich zu Bett ging, mußte ich über das Abenteuer lachen. Ich dachte noch lange über die Verderbtheit einer Mutter nach, die sich ohne Bedenken so weit erniedrigt, ihren eigenen Sohn zum allergemeinsten Laster zu prostituieren.

Am nächsten Morgen ließ ich den Juden bitten, bei mir vorzusprechen. Die Corticelli kam mit ihrer Mutter, und einige Augenblicke darauf, als wir uns gerade zu Tisch setzen wollten, kam auch der Direktor.

Nachdem ich ihm die Beschwerde der jungen Tänzerin mitgeteilt hatte, las ich ihm den Vertrag vor, den er mit ihr abgeschlossen hatte, und sagte ihm in freundlichem Tone, ich würde es leicht dahinbringen, ihn zur Erfüllung seiner Versprechung anzuhalten. Der Jude brachte mehrere Entschuldigungen vor, deren Nichtigkeit die Corticelli nachwies. Seines Unrechtes überführt, versprach der Sohn Judas endlich, er wolle noch am gleichen Tage mit dem Ballettmeister sprechen, damit dieser sie den beanspruchten Tanz mit dem von ihr bezeichneten Tänzer tanzen ließe. Er hoffe hierdurch das Glück zu haben, Seiner Exzellenz zu gefallen. Diese Titelverleihung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung – ein Umstand, der besonders bei einem Juden selten ein Zeichen von Aufrichtigkeit ist.

Als die Leute sich entfernt hatten, begab ich mich zu Abbate Gama, um mit ihm zum Marschall Botta zu gehen, der uns zum Mittagessen hatte einladen lassen. Ich machte bei Tisch die Bekanntschaft des englischen Residenten Ritters Man. Er war der Abgott von ganz Florenz, sehr reich, liebenswürdig, obgleich Engländer, voll Geist und Geschmack und großer Kunstliebhaber. Auf seine Einladung besuchte ich ihn am nächsten Tage in seinem Hause, zu welchem ein hübscher Garten gehörte. In dieser Wohnung, die er selber geschaffen hatte, verriet die ganze Ausstattung: Möbel, Gemälde, ausgewählte Bücher – den geistvollen Mann.

Herr Man erwiderte meinen Besuch, lud sich bei mir zum Essen ein und hatte die liebenswürdige Aufmerksamkeit, auch Teresa, ihren Gemahl und Cesarino einladen zu lassen. Nach Tisch setzte dieser sich ans Klavier und riß die ganze Gesellschaft zu Bewunderung und Entzücken hin. Als wir auf Ähnlichkeiten zu sprechen kamen, zeigte der Ritter uns Miniaturportraits von überraschender Schönheit.

Bevor sie ging, sagte Teresa mir, sie habe ernstlich an mich gedacht.

»Wieso?«

»Ich habe Redegonda gesagt, ich würde sie abholen, zum Abendessen bei mir behalten und sie in meinem Wagen nach Hause fahren lassen. Dieses letztere wirst du übernehmen. Komm ebenfalls zum Essen und richte es so ein, daß dein Wagen vor der Tür wartet. Das übrige wird von selber gehen. Du wirst zwar nur einige Minuten mit ihr zusammen sein; aber das ist doch immerhin schon etwas, und ist erst mal der erste Schritt getan, so wirst du das übrige nach deinem Belieben einrichten.«

»Ausgezeichnet! Ich werde bei dir zu Abend speisen, und mein Wagen wird zur Stelle sein. Morgen sollst du alles erfahren.«

Um neun Uhr begab ich mich zu ihr. Ich wurde empfangen wie ein lieber Gast, auf den man nicht gerechnet hat. Ich sagte zu Redegonda, ich wünsche mir Glück, sie an diesem Ort zu finden, und sie antwortete mir, sie habe nicht gehofft, daß sie das Vergnügen haben werde, mich zu sehen.

Beim Abendessen hatte keiner von uns Appetit, außer Redegonda; diese aß sehr gut und lachte viel über alle Anekdoten, die ich ihr erzählte.

Nach dem Abendessen fragte Teresa die schöne Parmesanerin, ob sie wünsche, daß sie einen Tragstuhl holen lasse, oder ob sie lieber von mir in meinem Wagen nach Hause gebracht sein wollte.

»Wenn der Herr die Gefälligkeit haben will, ist der Tragstuhl nicht nötig.«

Diese Antwort erschien mir so günstig, daß ich nicht mehr an meinem Glück zweifelte. Man wünscht sich gute Nacht, man umarmt sich; sie nimmt meinen Arm und gibt ihm mit ihrer Hand einen Druck; wir gehen die Treppe hinunter, und sie steigt in den Wagen. Ich steige nach ihr ein, und als ich mich setzen will, finde ich den Platz besetzt.

»Wer ist da?« rufe ich. Redegonda lacht laut auf und antwortet mir: »Meine Mutter.«

Ich war angeführt. Ich besaß nicht den Geist, die Sache scherzhaft zu nehmen. Die Überraschung macht den Menschen dumm; sie benimmt ihm für einen Augenblick alle seine Geisteskräfte; die verletzte Eitelkeit läßt nur für den Zorn Raum.

Ich setzte mich auf den Vordersitz und fragte in kaltem Ton die Mutter, warum sie nicht heraufgekommen wäre, um mit uns zu Abend zu essen. Sie antwortete nicht.

Als der Wagen vor ihrer Tür hielt, lud die Mutter mich ein, hereinzukommen; ich antwortete ihr jedoch, ich hätte keine Lust dazu. Ich fühlte, daß ich der Mutter, wenn sie mich noch ein bißchen weiter geärgert hätte, Ohrfeigen gegeben haben würde, und der Mann, den sie bei sich hatte, sah mir nach einem Halsabschneider aus.

Ich war wütend. Meine körperliche Aufregung war ebenso groß wie meine seelische. Ich war niemals bei der Corticelli gewesen; aber überzeugt, daß ich sie gefällig finden würde, ließ ich mich zu ihr fahren. Alles lag schon zu Bett. Ich klopfte; man antwortet; ich nenne meinen Namen; man öffnet, und ich trete im Dunkeln ein. Signora Laura sagte mir, sie würde die Kerze anzünden; wenn ich ihr Bescheid gesagt hätte, würde sie trotz der Kälte auf mich gewartet haben. Es kam mir vor, als wäre ich in einem Eiskeller. Ich hörte die Kleine lachen, ging leise an das Bett heran, suchte und fand die deutlichsten Zeichen der Männlichkeit, es war ihr Bruder. Unterdessen hatte die Mutter Licht gemacht, und ich sah die Tochter, bis ans Kinn in ihre Decke gewickelt, im Bett liegen; sie war wie ihr Bruder splitternackt. Obgleich ich in solchen Sachen sehr frei denke, fand ich doch diese Niederträchtigkeit empörend.

»Warum,« fragte ich die Mutter, »erlauben Sie ein so abscheuliches Beisammenschlafen?«

»Was ist dabei? Sie sind Bruder und Schwester.«

»Gerade dies macht ihren Verkehr verbrecherisch.«

»Ihr Verkehr ist sehr unschuldig.«

»Das mag sein; aber so etwas schickt sich nicht.«

Der Junge schlüpfte aus dem Bett und kroch in das Bett seiner Mutter, während die ausgelassene kleine Närrin zu mir sagte, es mache gar nichts, denn sie liebe ihren Bruder nur wie einen Bruder und er liebe sie nur wie eine Schwester; wenn ich wünschte, daß sie allein schliefe, so brauchte ich ihr nur ein Bett zu kaufen. Ich mußte über diese naiven Bemerkungen, die sie in ihrer Bologneser Mundart vorbrachte, herzlich lachen; denn beim Sprechen und Gestikulieren hatte sie die Hälfte ihrer Schönheiten enthüllt, und ich sah nichts, was der Mühe wert war. Trotzdem war es offenbar vom Schicksal bestimmt, daß ich mich in ihre Haut verlieben sollte; denn außerdem hatte sie nichts Schönes.

Wäre sie allein gewesen, so hätte ich mich sofort über sie hergemacht; aber die Gegenwart ihrer Mutter und ihres frechen Bruders flößte mir Abscheu ein; ich befürchtete Szenen, die mein Blut in Wallung gebracht haben würden. Ich gab ihr zehn Zechinen, um sich ein Bett zu kaufen, wünschte ihr gute Nacht und entfernte mich. Auf die zimperlichen und gewissenhaften Mütter von Opernnymphen fluchend, kehrte ich nach meinem Gasthof zurück.

Den ganzen nächsten Vormittag verbrachte ich beim Ritter Man in seiner Galerie, welche wunderbare Gemälde, Bildhauerarbeiten, Mosaiksachen und geschliffene Steine enthielt. Von ihm begab ich mich zu meiner Teresa, um ihr mein Mißgeschick von der letzten Nacht zu erzählen. Sie lachte herzlich darüber, und ich lachte mit ihr, obwohl meine Eitelkeit sich eines gewissen Verdrusses nicht erwehren konnte.

»Du mußt dich darüber trösten, lieber Freund,« sagte sie mir, »und du wirst leicht einen Ersatz für sie finden.«

»Warum bist du verheiratet?«

»Ich habe auch daran gedacht; aber es ist einmal geschehen und daher nichts mehr zu machen. Weißt du, da du durchaus eine Frau haben mußt, so folge meinem Rat und nimm die Corticelli, die schließlich so gut ist wie eine andere. Sie wird dich nicht schmachten lassen.«

In meinem Gasthof fand ich den Abbate Gama, den ich zum Mittagessen eingeladen hatte. Er fragte mich, ob ich die Vertretung des portugiesischen Hofes auf dem Kongreß übernehmen wolle, der nach der damaligen Meinung von ganz Europa in Augsburg abgehalten werden solle. Er sagte mir, wenn ich den Auftrag, den er mir verschaffen würde, geschickt erledigte, würde ich in Lissabon alles erreichen, was ich nur wünschen könnte.

Ich antwortete ihm: »Ich bin bereit, alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Sie brauchen mir nur zu schreiben, und zu diesem Zweck werde ich Ihnen die Orte nennen, an denen Ihre Briefe mich bestimmt erreichen werden.«

Diese Eröffnung erregte in mir die größte Lust, Gesandter zu werden.

Am Abend in der Oper sprach ich mit dem Ballettmeister, mit dem Tänzer, der in dem Pas de deux den Partner spielen sollte, und mit dem Juden, der mir sein Versprechen wiederholte, daß mein Schützling in drei oder vier Tagen zufriedengestellt sein und daß sie während der ganzen übrigen Dauer des Karnevals ihren Lieblingstanz tanzen sollte. Ich sah die Corticelli; sie sagte mir, sie habe bereits ein Bett, und lud mich zum Abendessen ein. Ich nahm an und ging nach der Vorstellung zu ihr. Überzeugt, daß ich bezahlen würde, hatte ihre Mutter bei einem Garkoch ein ausgezeichnetes Abendessen für vier Personen und mehrere Flaschen vom besten Florentiner Wein bestellt. Sie gab mir außerdem einen Wein, den man Aleatico nennt; ich fand ihn vortrefflich und trank reichlich davon. Meine drei Gäste, die an gutes Essen und Wein nicht gewöhnt waren, aßen für vier und betranken sich. Hierauf gingen Mutter und Tochter ohne Umstände zu Bett, und die kleine Närrin lud mich ein, ihrem Beispiel zu folgen. Ich hatte wohl Lust dazu; aber ich wagte es nicht. Es war sehr kalt, und in dem Zimmer war kein Feuer. Da sie nur eine einzige Decke hatte, so befürchtete ich, mich zu erkälten, und meine Gesundheit war mir zu lieb, um mich dieser Gefahr auszusetzen, Ich begnügte mich damit, sie auf meinen Schoß zu nehmen, und nach einigen Vorspielen überließ sie sich meiner Glut. Sie suchte mich zu überzeugen, daß ich ihre Erstlinge erhielte, und ich tat, wie wenn ich dies glaubte, da ich in Wirklichkeit wenig Wert darauf legte.

Nachdem ich die Dosis drei- oder viermal erneuert hatte, verließ ich sie; ich gab ihr fünfzig Zechinen und sagte ihr, sie möchte eine gute wattierte Steppdecke kaufen und ein gutes Kohlenbecken anzünden lassen, weil ich die nächste Nacht bei ihr schlafen wollte. Am nächsten Tage erhielt ich aus Grenoble einen Brief, der mich aufs höchste interessierte. Herr von Valenglard schrieb mir, die schöne Roman sei zu der Überzeugung gekommen, daß mein Horoskop niemals in Erfüllung gehen könne, wenn sie nicht nach Paris reise, und habe sich mit ihrer Tante nach der Hauptstadt begeben.

Wie eigentümlich verband sich das Schicksal dieses reizenden Mädchens mit der Neigung, die ihre Schönheit mir eingeflößt hatte, und mit meiner Abneigung gegen die Ehe! Denn es hätte nur von mir abgehangen, die Schönste Frankreichs zu heiraten, und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie dann die Geliebte Ludwigs des Fünfzehnten geworden wäre.

Und welche Fügung, daß ich den sonderbaren Einfall hatte, in meinem Horoskope zu sagen, daß sie notwendig nach Paris gehen müsse! Denn selbst wenn die Astrologie eine Wissenschaft gewesen wäre, so beherrschte ich diese nicht. Ihr Schicksal wurde durch eine große Abgeschmacktheit bestimmt. Übrigens bietet die Geschichte ja sehr viele Beispiele von außerordentlichen Ereignissen, die niemals eingetreten wären, wenn sie nicht prophezeit gewesen wären! Wir sind, fast immer ohne unser Wissen, die Urheber unseres eigenen Geschickes, und die bedingenden Notwendigkeiten der Stoiker sind bloße Chimären; der Beweis für die Macht des Schicksals erscheint nur darum stark, weil er sophistisch ist; einem eindringenden Urteil und einer vorurteilsfreien Vernunft vermag er nicht standzuhalten. Cicero machte sich mit Recht über die Stoiker und die Fatalisten lustig; aber Cicero war ein Weiser, und dies sind wenige Menschen; selbst Sokrates war es nicht, als er dem Gott der Wohlschmeckerei einen Fasan zu opfern empfahl. Ein Mann, den Cicero zum Essen eingeladen hatte, der aber nicht kommen konnte, schrieb an den großen Römer: »Wenn ich nicht gekommen bin, so ist das ein Beweis, daß das Schicksal es nicht gewollt hat.« – Cicero antwortete ihm: »Wenn du hättest kommen wollen, wärest du gekommen; und dann wäre dies ein Beweis gewesen, daß das Schicksal es gewollt hätte.«

Es sind nicht die lateinischen Worte, lieber Leser; aber ich glaube, wenn diese Römer in unserer Zeit gelebt hätten, würden sie sich so ausgedrückt haben.

Wenn die Fatalisten ihres Systems wegen gezwungen sind, die Verkettung aller Ereignisse zu behaupten, so bleibt für die moralische Freiheit des Menschen durchaus nichts übrig: die Willensfreiheit wäre eine Abgeschmacktheit, und den Menschen könnte dann weder ein Lob wegen guter noch ein Tadel wegen schlechter Handlungen treffen. Ich für meine Person verwerfe das Dogma von der Schicksalsbestimmung, und wäre es auch nur aus Selbstbewußtsein; denn ich bin durchaus nicht geneigt, in mir nur eine Maschine zu sehen.

Am Abend ging ich ins Theater, wo ich meine Corticelli in einem schönen Pelz fand. Die anderen Tänzerinnen betrachteten mich mit verächtlichen Mienen; denn sie sahen mit Verdruß, daß der Platz besetzt war; meine neue Favorite dagegen war stolz auf ihren neuen Erfolg und liebkoste mich mit einer triumphierenden Miene, die ihr zum Entzücken stand.

Am Abend fand ich bei ihr ein gutes Nachtmahl und ein gutes Kohlenbecken nebst einer warmen Decke. Die Mutter zeigte mir alles, was ihre Tochter sich gekauft hatte, und beklagte sich, daß sie ihren Bruder nicht eingekleidet hätte. Ich machte sie ganz vergnügt, indem ich ihr ein paar Louis schenkte.

Als wir im Bett lagen, fand ich meine Schöne weder verliebt noch hingerissen, aber sie war lustig und scherzhaft. Ich mußte über sie lachen, und da sie sonst in allen Dingen gefällig war, so war dies genug, um mich zu fesseln. Als ich fortging, schenkte ich ihr eine Uhr und versprach ihr, am nächsten Abend zum Essen zu kommen. Sie sollte ihren Pas de deux tanzen, und ich ging infolgedessen ins Theater; aber zu meiner großen Überraschung sah ich sie nur unter den Figurantinnen. Beim Essen war sie untröstlich. Sie sagte mir weinend, ich müsse sie wegen dieser Beschimpfung rächen; der Jude schiebe die Schuld auf den Schneider, aber er lüge. Um sie zu beruhigen, versprach ich ihr alles, und nachdem ich einige Stunden mit ihr verbracht hatte, ging ich mit dem festen Entschluß nach Hause, dem Juden ein böses Viertelstündlein zu bereiten. Ich schickte daher, sobald ich aufwachte, Costa zu ihm und ließ ihn bitten, bei mir vorzusprechen; der Flegel ließ mir jedoch nur antworten, er wisse, was ich von ihm wolle, aber er werde nicht kommen; wenn die Corticelli nicht in diesem Ballett tanzte, so würde sie in einem anderen tanzen.

Ich war entrüstet; aber ich begriff, daß ich mich verstellen müßte, und lachte nur. Sein Urteil war indessen bereits gesprochen; denn ein Italiener verzichtet nicht auf die Rache, er weiß zu gut, daß sie ein Vergnügen der Götter ist. Nachdem ich Costa fortgeschickt hatte, rief ich Leduc, erzählte ihm die Geschichte und sagte ihm, ich wäre entehrt, wenn er mich nicht räche; nur er könnte mir die Genugtuung verschaffen, den Schelm durchzuprügeln, um ihn für sein freches Benehmen zu bestrafen. »Aber du begreifst, mein lieber Leduc, wie außerordentlich wichtig es ist, die Sache geheim zu halten.«

»Ich bitte Sie nur um vierundzwanzig Stunden Zeit, gnädiger Herr; dann werde ich Ihnen eine bestimmte Antwort geben.«

Ich wußte, was er damit sagen wollte, und war zufrieden.

Am anderen Morgen sagte Leduc mir, er habe sich am vorhergehenden Tage nur damit beschäftigt, die Person des Juden und dessen Wohnung kennen zu lernen, ohne einen anderen Menschen danach zu fragen.

»Heute werde ich ihn nicht aus den Augen verlieren; ich werde erfahren, um welche Stunde er nach Hause kommt, morgen sollen Sie weiteres hören.«

»Sei vorsichtig und vertraue dich keinem Menschen an.«

»Unbesorgt!«

Am folgenden Tage sagte er mir: »Wenn der Jude zur selben Stunde und auf demselben Wege nach Hause geht, hat er heute Abend seine Prügel, bevor er sich ins Bett legt.«

»Wen hast du für diese Unternehmung ausgesucht?«

»Mich selber. Solche Sachen müssen geheim gehalten werden, und ein Geheimnis darf nicht mehr als zwei Menschen bekannt sein. Ich bin meiner Sache sicher; aber sobald Sie sicher sind, daß dem Esel die Haut gegerbt worden ist – was schaut dabei heraus?«

»Fünfundzwanzig Zechinen.«

»Famos! Sobald ich die Sache gemacht habe, hole ich meinen Überrock an dem Ort, wo ich ihn zurücklassen werde, und trete durch die Hintertür wieder ein, ohne daß ein Mensch mich sieht. Selbst Costa wird nötigenfalls mit gutem Gewissen schwören können, daß ich nicht ausgegangen sei und unmöglich den Juden verprügelt haben könne. Indessen werde ich für alle Fälle meine Taschenpistolen bei mir haben, und sollte man mich festnehmen wollen, so würde ich mich zu verteidigen wissen.«

Am andern Morgen trat er mit ganz ruhigem Gesicht ein, während Costa mir meinen Schlafrock anzog; sobald wir aber allein waren, sagte er zu mir: »Die Sache ist abgemacht. Anstatt davonzulaufen, warf der Jude sich schreiend auf die Erde, sobald er den ersten Schlag erhalten hatte. Ich gerbte ihm die Haut; als ich aber Leute herbei eilen hörte, machte ich mich aus dem Staube. Ich weiß nicht, ob ich ihn totgeschlagen habe; jedenfalls habe ich ihm zwei kräftige Hiebe auf den Kopf versetzt. Sollte er tot sein, so würde mir das leid tun; denn dann könnte er sich nicht an den Tanz erinnern.«

Ich konnte über diesen schlechten Witz nicht lachen, denn die Sache war ernst.

Ich war bei Teresa zum Essen eingeladen. Außer mir waren noch der Abbate Gama da und Herr Sassi, ein sehr liebenswürdiger Mann, wenn man anders den Namen Mann einem Wesen beilegen darf, das durch eine Barbarei von der Menschheit getrennt worden ist. Er war der erste Kastrat an der Oper. Natürlich wurde über das Mißgeschick des Juden gesprochen.

»Sein Unglück tut mir leid,« bemerkte ich, »obgleich er ein unanständiger Mensch ist.«

»Mir tut er ganz und gar nicht leid,« sagte Sassi; »denn er ist ein Spitzbube. Ich wette, alle Welt wird sagen, daß ich ihn auf diese Weise getauft habe.«

»Nein,« sagte der Abbate, »man sagt, Herr Casanova habe ihn mit Recht so behandeln lassen.«

»Man wird wohl schwerlich die Wahrheit erraten,« versetzte ich, »denn der Schelm hat so viele anständige Leute geärgert, daß eine Tracht Prügel von dem einen oder dem anderen ihm nicht erspart bleiben konnte.«

Schließlich kam das Gespräch auf andere Gegenstände, und wir speisten sehr heiter. Einige Tage darauf verließ der Jude das Bett, mit einem großen Pflaster auf der Nase. Obgleich man im allgemeinen mir die Tat zuschrieb, so sprach man doch schließlich nicht mehr davon, weil eben doch nur ein unbestimmter Verdacht vorlag. Nur die Corticelli sprach in dem Übermaß ihrer Freude und ihrer Unbesonnenheit überall, wie wenn sie sicher wäre, daß ich sie gerächt hätte; sie war wütend darüber, daß ich dies nicht zugeben wollte; wie man sich wohl denken kann, war ich zu vorsichtig, um dies zu tun; denn sie hätte mich durch ihre Unbesonnenheit an den Galgen bringen können.

Ich unterhielt mich in Florenz so gut, daß ich nicht daran dachte, so bald wieder fortzugehen. Eines Tages überbrachte Vannini mir einen Brief, den jemand bei ihm für mich zurückgelassen hatte.

Ich öffnete ihn in seiner Gegenwart und fand darin einen Wechsel von zweihundert Florentiner Talern auf Sasso Sassi. Vannini sah den Wechsel und sagte mir, er wäre gut. Ich ging in mein Zimmer, um den Brief zu lesen, und sah zu meiner Überraschung, daß er Charles Iwanoff unterzeichnet war. Er schrieb mir vom Gasthof zur Post in Pistoia und teilte mir mit, er befinde sich immer noch im Unglück und ohne Geld; er habe sich daher einem Engländer eröffnet, der von Florenz nach Lucca reise; dieser habe ihm großmütig zweihundert Taler geschenkt, indem er in seiner Gegenwart den Wechsel geschrieben habe, der an den Vorzeiger zahlbar sei. »Ich wage nicht,« fuhr er fort, »diesen Betrag in Florenz einzukassieren, weil ich befürchten müßte, dort wegen meiner unglückseligen Angelegenheit von Genua verhaftet zu werden. Ich bitte Sie daher, Mitleid mit mir zu haben, den Betrag einkassieren zu lassen und ihn mir nach Pistoia zu schicken, damit ich meinen Wirt bezahlen und abreisen kann.«

Der Dienst, den der unglückliche Mensch von mir verlangte, war dem Anschein nach sehr einfach. Aber ich konnte mich bloßstellen. Denn es konnte nicht nur der Wechsel falsch sein, sondern auch im Falle des Gegenteils erklärte ich mich, wenn auch nicht für einen Freund, so doch zum mindesten für einen Korrespondenten eines Mannes, dessen Name und Beschreibung in den Zeitungen gestanden waren. In dieser Verlegenheit beschloß ich, ihm den Wechsel persönlich zurückzugeben. Ich begab mich allein nach der Post, nahm zwei Pferde und war bald vor dem Gasthof in Pistoia angelangt. Der Wirt selber führte mich in das Zimmer des Gauners und ließ mich dann mit diesem allein. Ich blieb höchstens drei Minuten und sagte ihm: »Der Bankier Sassi kennt mich; ich wünsche nicht, daß man glauben könnte, ich stünde in irgendwelchen Beziehungen zu Ihnen. Ich rate Ihnen, das Papier ihrem Wirt zu geben; dieser kann es Herrn Sassi vorlegen und Ihnen den Betrag überbringen.«

Er antwortete mir: »Ich werde Ihren Rat befolgen.«

Ich fühl nach Florenz zurück.

Ich dachte schon nicht mehr an diese Geschichte, als ich am dritten Tage Herrn Sasso Sassi und den Wirt von Pistoia bei mir eintreten sah. Der Bankier zeigte mir den Wechsel und sagte, derjenige, der ihn mir gegeben, hätte mich betrogen; erstens trüge der Wechsel nicht die Unterschrift des Engländers, auf dessen Namen er lautete; zweitens aber, selbst wenn dies der Fall wäre, so hätte der Lord kein Guthaben bei ihm und könnte daher auch keinen Wechsel auf sein Haus ziehen.

»Dieser Mann«, fuhr er fort, »hat den Wechsel diskontiert; der Russe ist abgereist. Als ich ihm erklärte, daß der Wechsel falsch sei, sagte er mir, er habe gewußt, daß Iwanoff den Wechsel von Ihnen habe, und da er Sie kenne, so habe er keinen Anstand genommen, ihm den Betrag sofort zu geben. Nun aber verlangt er, daß Sie ihm die zweihundert Taler wieder erstatten.«

»Das ist ein wahnsinniges Verlangen!«

Ich erzählte nun Herrn Sassi die Geschichte in allen Einzelheiten, zeigte ihm den Brief des Gauners und ließ den Doktor Vannini heraufkommen, der ihn mir überbracht hatte; dieser erklärte sich bereit, vor Gericht zu beschwören, daß er den Wechsel gesehen und geprüft und daß er ihn für gut gehalten habe.

Der Bankier sagte nun dem Wirt von Pistoia, er habe unrecht, von mir zu verlangen, daß ich ihm das Geld ersetze; der Mann war jedoch hartnäckig und erlaubte sich, mir zu sagen, ich spiele mit dem Russen unter einer Decke, um ihn zu betrügen.

Entrüstet lief ich nach meinem Stock; da jedoch der Bankier mich zurückhielt, so konnte der Unverschämte entfliehen, ohne Prügel zu bekommen.

»Sie sind völlig im Recht,« sagte Herr Sassi; »aber Sie müssen nichts auf das geben, was der arme Teufel in seinem Zorn gesagt hat.«

Er schüttelte mir die Hand und ging.

Am nächsten Morgen schickte der Polizeivorsteher, den man Auditor nennt, mir einen Brief und bat mich, bei ihm vorzusprechen. Ich konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein, was ich zu tun hatte; denn als Fremder mußte ich seiner Einladung folgen und diese als eine Vorladung betrachten. Er empfing mich sehr höflich, erklärte mir jedoch, ich müsse dem Wirt die zweihundert Taler ersetzen; denn dieser würde niemals diesen falschen Wechsel diskontiert haben, wenn er nicht gesehen hätte, daß der Wechsel von mir überbracht wurde. Ich antwortete ihm, er könne mich als Richter nur verurteilen, wenn er mich als Mitwirkenden an dem Gaunerstreich ansehe. Statt auf meinen berechtigten Einwand zu antworten, wiederholte er mir, ich müsse zahlen.

»Herr Auditor, ich werde nicht bezahlen.«

Er klingelte und machte mir eine Verbeugung. Ich ging hinaus und begab mich nach dem Hause des Bankiers, dem ich meine Unterredung mit dem Auditor erzählte. Er war sehr erstaunt darüber und begab sich auf meine Bitte zu dem Herrn, um ihm Vernunft beizubringen. Beim Abschied sagte ich ihm, ich würde bei Gama speisen.

Ich erzählte dem Abbé, was mir zugestoßen war; er erhob ein großes Geschrei darüber und sagte: »Ich sehe voraus, der Auditor wird bei seiner Meinung bleiben; wenn es Herrn Sassi nicht gelingt, ihn davon abzubringen, so rate ich Ihnen, den Marschall Botta von allem in Kenntnis zu setzen.«

»Ich glaube nicht, daß dies notwendig ist, denn schließlich kann der Auditor mich nicht zum Zahlen zwingen.«

»Er kann Ihnen noch Schlimmeres antun.«

»Nun, was kann er denn tun?«

»Er kann Sie ausweisen.«

»Wenn er diese Macht besitzt, so werde ich allerdings erstaunt sein, falls er unter solchen Umständen davon Gebrauch zu machen wagen sollte; aber lieber werde ich abreisen, als daß ich zahle. Gehen wir zum Marschall!«

Es war vier Uhr, als wir in das Haus des Marschalls kamen, und wir fanden bei ihm den Bankier, der ihm bereits alles mitgeteilt hatte.

»Zu meiner großen Beschämung muß ich Ihnen mitteilen,« sagte Herr Sassi zu mir, »daß der Auditor keine Vernunft annehmen will; wenn Sie in Florenz bleiben wollen, müssen Sie zahlen.«

»Ich werde abreisen, sobald ich Befehl dazu erhalte; sobald ich in einer anderen Stadt bin, werde ich die Geschichte dieser schreienden Ungerechtigkeit drucken lassen.«

»Der Urteilsspruch ist entsetzlich; er ist geradezu unglaublich!« rief der Marschall; »es tut mir wirklich leid, mich in diese Sache nicht einmischen zu können.« Nach einer kurzen Weile fuhr er fort: »Sie haben vollkommen recht, mein Herr, wenn Sie lieber abreisen als bezahlen.«

Am anderen Morgen in aller Frühe brachte ein Polizeigefreiter mir einen Brief von dem Auditor; der parteiische Beamte teilte mir darin mit, da meine Angelegenheit nicht der Art sei, daß er mich zwingen könne, den Wechsel zu bezahlen, so sehe er sich gezwungen, mir anzuzeigen, daß ich Florenz in drei Tagen und Toskana in fünf zu verlassen hätte. Er gebe mir diesen Befehl kraft seines Amtes, das ihm zur Pflicht mache, die Staatspolizei zu überwachen; ich könne jedoch zurückkehren, sobald Seine Kaiserliche Hoheit der Großherzog, an den ich gegen das Urteil appellieren könne, seinen Spruch verworfen habe.

Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb darauf: »Ihr Befehl ist ungerecht, aber er wird buchstäblich ausgeführt werden.«

Im selben Augenblick gab ich meine Befehle, um meine Koffer zu packen und alles für die Abreise zurecht zu machen. Die drei Tage der Gnadenfrist verbrachte ich bei Teresa; den dummen Brief des Auditors hatte ich immer bei mir in der Tasche. Ich besuchte auch den liebenswürdigen Ritter Man und verabredete mit der Corticelli, sie während der Fastenzeit abzuholen und einige Zeit mit ihr in Bologna zu verbringen. Abbate Gama wich mir während dieser drei Tage nicht von der Seite und zeigte sich als mein wahrer Freund. Es war überhaupt eine Art Triumph für mich, denn überall wurde ich bedauert, wurde der Auditor verwünscht. Der Marschall Botta schien mir seine volle Billigung aussprechen zu wollen, indem er mir zu Ehren am vorletzten Tage vor meiner Abreise ein prachtvolles Diner von dreißig Gedecken gab; ich traf bei dieser Gelegenheit die vornehmste Gesellschaft von Florenz. Es war eine zarte Aufmerksamkeit, die meinem Herzen sehr wohl tat. Den letzten Tag weihte ich meiner teuren Teresa, doch konnte ich leider keinen günstigen Augenblick finden, um sie um einen letzten Trost zu bitten, den sie mir unter den Umständen nicht verweigert haben und der mir noch jetzt eine liebe Erinnerung sein würde. Wir versprachen einander sehr oft zu schreiben und küßten uns zum Abschied mit einer Glut, daß dem Gatten wohl unbehaglich dabei werden mochte.

Am nächsten Tage reiste ich ab; sechsunddreißig Stunden später war ich in Rom.

Es war gerade Mitternacht, als ich durch die Porta del Popolo fuhr; denn man kann zu jeder Stunde in die Ewige Stadt hinein. Man führte mich sofort nach der Zollwache, die immer geöffnet ist, und durchsuchte meine Koffer. Streng ist man nur in bezug auf Bücher, wie wenn man den Einfluß der Aufklärung fürchtete. Ich besaß etwa dreißig Bände, die sich alle mehr oder weniger gegen die Religion oder die päpstliche Lehre oder gegen die von dieser gelehrten Tugenden richteten. Ich wußte dies und hatte mich bereits darauf gefaßt gemacht, sie zu opfern, ohne einen Widerstand zu versuchen; denn ich hatte Ruhe nötig. Der durchsuchende Beamte sagte mir jedoch sehr höflich, ich möchte sie zählen und ihm dalassen; er würde sie mir schon am nächsten Morgen in den Gasthof bringen, wo ich abstiege. Ich tat dies, und er hielt sein Wort; er war sehr zufrieden, als er zwei Zechinen sah, die ich ihm als Belohnung reichte.

Ich stieg in der Stadt Paris an der Piazza di Spagna ab; dies war der beste Gasthof in Rom. Alle Leute lagen im Schlaf; als man mir endlich geöffnet hatte, bat man mich, in ein Zimmer im Erdgeschoß einzutreten und dort zu warten, bis man in dem für mich bestimmten Zimmer Feuer gemacht hätte. Auf allen Stühlen lagen Röcke, Unterröcke oder Hemden; während ich nach einem freien Platz suchte, hörte ich eine weibliche Stimme sagen, ich möchte mich auf das Bett setzen. Ich trat heran und sah einen lachenden Mund und zwei schwarze Augen, die wie zwei Karfunkel glänzten.

»Was für schöne Augen!« sagte ich zu ihr; »erlauben Sie mir, sie zu küssen.«

Anstatt zu antworten, verbarg sie ihren Kopf unter der Decke; sofort glitt meine unbescheidene Hand unter die Decke und berührte den Mittelpunkt; da ich sie jedoch völlig nackt fand, zog ich meine Hand zurück und bat sie wegen meiner Kühnheit um Entschuldigung. Sie machte ihren Kopf frei, und ich glaubte in ihren Blicken Dankbarkeit und Freude über meine Mäßigung zu lesen.

»Wer sind Sie, mein schöner Engel?«

»Ich bin Teresa, die Tochter des Wirtes, und dies hier ist meine Schwester.«

Es lag noch ein anderes junges Mädchen neben ihr, aber ich hatte dieses nicht bemerkt, weil es den Kopf in die Kissen vergraben hatte.

»Wie alt sind Sie?«

»Bald siebzehn.«

»Ich freue mich darauf, Sie morgen früh in meinem Zimmer zu sehen.«

»Haben Sie Damen?«

»Nein.«

»Schade; wir gehen niemals zu Herren.«

»Schieben Sie doch die Decke etwas weiter hinunter; sie hindert Sie ja am Sprechen.«

»Es ist zu kalt.«

»Reizende Teresa, Ihre schönen Augen entflammen mich!«

Als sie bei diesen Worten ihren Kopf wieder zudeckte, wurde ich kühn und überzeugte mich, daß sie ein wahrer Engel zum Anbeißen war. Nach einigen etwas lebhaften Liebkosungen zog ich meine Hand zurück, indem ich fortwährend wegen meiner Kühnheit um Verzeihung bat; als sie die Decke wieder zurückgeschoben hatte, las ich in ihren Augen mehr Glück als Zorn, und ich faßte die Hoffnung, daß sie mir noch andere Gefälligkeiten gewähren würde. Ich wollte von neuem beginnen, denn ich stand in Flammen; in diesem Augenblick kam jedoch eine sehr schöne Magd und sagte mir, mein Zimmer sei bereit und das Feuer angezündet. »Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen morgen!« sagte ich zu Teresa; sie antwortete mir nicht, sondern drehte sich um und schlief weiter.

Nachdem ich mein Mittagessen auf ein Uhr bestellt hatte, ging ich zu Bett und schlief bis Mittag, von Teresa träumend. Als ich erwachte, meldete Costa mir, er habe das Haus meines Bruders ausfindig gemacht und meinen Brief dagelassen. Es war mein Bruder Giovanni Casanova, der damals etwa dreißig Jahre alt sein mochte und ein Schüler des berühmten Raphael Mengs war. Der Künstler hatte damals seine Pension verloren, weil der König von Polen wegen des Krieges in Warschau leben mußte; denn die Preußen hielten das ganze Kurfürstentum Sachsen besetzt. Ich hatte meinen Bruder seit zehn Jahren nicht gesehen und freute mich auf das Wiedersehen. Ich saß bei Tisch, als er kam, und wir umarmten uns mit herzlicher Freude. Nachdem wir eine Stunde lang uns unsere Abenteuer erzählt hatten, er seine kleinen und ich meine großen, sagte er mir, ich solle nicht im Gasthof bleiben, wo das Leben so teuer sei, sondern solle beim Ritter Mengs mich einquartieren; dieser habe eine leerstehende Wohnung, für die ich gar nichts zu bezahlen brauche. Außerdem wohne im Hause ein Garkoch, bei dem man sehr gut esse.

»Lieber Freund,« antwortete ich ihm, »deine Ratschläge sind ausgezeichnet; aber ich habe nicht den Mut, sie zu befolgen, denn ich bin in die Wirtstochter verliebt.« Hierauf erzählte ich ihm die Geschichte der vorigen Nacht.

»Das ist nur eine Liebelei!« rief er lachend. »Du kannst sie fortsetzen ohne hier zu wohnen.«

Ich ließ mich überreden und versprach ihm, schon am nächsten Tage zu ihm zu ziehen; hierauf gingen wir aus, um uns Rom anzusehen.

Ich hatte viele Erinnerungen mitgenommen, als ich die Stadt verließ, und ich wünschte sehnlichst die Bekanntschaft mit den meisten Personen zu erneuern, die in dem glücklichen Alter der Jugend meine Teilnahme erregt hatten, wo die Eindrücke so dauerhaft sind, weil mehr das Herz sie empfängt als der Geist; aber ich mußte auf viele Enttäuschungen gefaßt sein, denn zwischen meiner Abreise und meiner Rückkehr war eine lange Zeit verflossen.

Ich eilte nach der Minerva, um Donna Cecilia aufzusuchen; sie weilte nicht mehr unter den Lebenden. Ich erkundigte mich nach der Wohnung ihrer Tochter Angelica und suchte diese auf; aber sie empfing mich schlecht und sagte, sie erinnere sich kaum noch, mich gekannt zu haben.

»Als ich Sie sah,« antwortete ich ihr, »ging es mir beinahe wie Ihnen; denn Sie sind nicht mehr die Angelica von ehedem. Leben Sie wohl, Signora!«

Die Jahre hatten eine Macht auf ihr Gesicht ausgeübt, die nicht zu ihrem Vorteil war.

Nachdem ich erfahren hatte, wo der Sohn des Buchdruckers wohnte, der Barbaruccia geheiratet hatte, sparte ich mir das Vergnügen, sie zu sehen, für einen anderen Tag auf; ebenso auch das Wiedersehen mit dem ehrwürdigen Pater Georgi, der in Rom in hohem Ansehen stand. Gasparo Vivaldi hatte sich auf das Land zurückgezogen.

Mein Bruder führte mich zu Signora Cherubini. Ich fand ein Haus von großem Ton, dessen Dame mich nach römischer Art empfing. Ich fand sie anziehend, und ihre Tochter noch mehr; aber es kam mir vor, als ob die Anbeter aller Art zu zahlreich seien. Überall herrschte ein Scheinluxus, der auf mich einen unangenehmen Eindruck machte; die Töchter, von denen die eine bildschön war, schienen mir zu höflich gegen alle Anwesenden zu sein. Man richtete eine interessante Frage an mich, auf die ich so antwortete, daß man eine zweite Frage hätte stellen müssen; ich sah mich in meiner Erwartung getäuscht, doch machte ich mir nicht viel daraus. Ich bemerkte, daß die Stellung der Person, die mich vorgestellt hatte, einen falschen Begriff von meiner Bedeutung gab. Als ich nun einen Abbate sagen hörte: »Es ist Casanovas Bruder«, wendete ich mich zu ihm mit den Worten: »Der Ausdruck ist nicht richtig; Sie hätten sagen müssen, Casanova sei mein Bruder.«

»Das kommt auf dasselbe hinaus.«

»Durchaus nicht, Herr Abbate.«

Der Ton, worin ich diese Worte sprach, erregte Aufmerksamkeit, und ein anderer Abbate sagte: »Der Herr hat vollkommen recht; es kommt nicht auf dasselbe hinaus.«

Der erste Abbate antwortete nicht. Derjenige, der meine Partei ergriffen hatte und mit dem ich mich von diesem Augenblick an befreundete, war der berühmte Winkelmann, der zwölf Jahre später so unglücklich in Triest ermordet wurde.

Wählend ich mich mit ihm unterhielt, trat der Kardinal Alessandro Albani ein. Winkelmann stellte mich dieser fast blinden Eminenz vor; sie sprach viel mit mir, sagte mir aber nichts, was der Mühe wert gewesen wäre. Als er erfuhr, daß ich der Casanova sei, der aus den Bleikammern entflohen war, beging er die Dummheit, mir in einem wenig höflichen Ton zu sagen, er wäre erstaunt, daß ich die Kühnheit besäße, nach Rom zu kommen, wo auf Veranlassung der Venetianischen Staats-Inquisitoren ein Ordine Santissimo mich sofort zur Abreise nötigen würde. Ärgerlich über diese unpassende Bemerkung, antwortete ich ihm in würdevollem Ton: »Aus meinem Erscheinen in Rom dürfen Eure Eminenz nicht auf meine Kühnheit schließen, denn ich habe ja nichts zu befürchten; wohl aber würde ein Mensch von gesunder Vernunft über die Kühnheit der Inquisitoren erstaunt sein, wenn sie sich so weit vergessen sollten, einen Ordine Santissimo gegen mich zu beantragen; denn sie würden in großer Verlegenheit sein, wenn sie sagen sollten, wegen welchen Verbrechens sie mich niederträchtigerweise meiner Freiheit beraubt haben.«

Diese etwas derbe Antwort brachte die Eminenz zum Schweigen. Er schämte sich, mich für einen Dummkopf gehalten zu haben und zu sehen, daß ich ihm den Dummkopf zurückgab. Wenige Augenblicke darauf verließ ich das Haus, das ich nicht wieder betreten habe.

Abbate Winkelmann ging mit mir und meinem Bruder; er begleitete mich nach meinem Gasthof und erwies mir die Ehre, zum Abendessen zu bleiben. Winkelmann war der zweite Band des berühmten Abbé de Voisenon. Am nächsten Morgen holte er mich ab, und wir gingen in die Villa Albani, um den Ritter Mengs aufzusuchen, der damals dort wohnte, um ein Deckengemälde zu verfertigen.

Mein Wirt Roland, der meinen Bruder kannte, machte mir eincn Besuch, als wir beim Abendessen saßen. Roland stammte aus Avignon und war ein Lebemann. Ich sagte ihm, ich müßte zu meinem Bedauern sein Haus verlassen und bei meinem Bruder wohnen, weil ich mich in seine Tochter Teresa verliebt hätte, obgleich ich mit ihr nur wenige Minuten gesprochen und weiter nichts als ihren Kopf gesehen hätte.

»Ich wette. Sie haben sie im Bett gesehen.«

»Ganz recht, und ich habe große Lust, ihre ganze Figur zu sehen. Wollen Sie sie in allen Ehren einen Augenblick kommen lassen?«

»Recht gern!«

Sie kam herauf, sehr erfreut, von ihrem Vater gerufen worden zu sein. Sie hatte eine schlanke und elegante Figur; ihre Karfunkelaugen waren stets der schönsten Wirkung sicher; ihre Gesichtszüge waren schön, ihr Mund außerordentlich anmutig. Im ganzen jedoch zerstörte sie den Eindruck, den sie in dem Halbdunkel auf mich hervorgebracht hatte, worin der Zufall sie meinen Augen zum erstenmal dargeboten hatte. Dagegen warf mein armer Bruder sein Auge auf sie und wurde ihr Sklave. Er heiratete sie im nächsten Jahr und nahm sie zwei Jahre später mit sich nach Dresden. Dort sah ich sie fünf Jahre später mit einem hübschen Püppchen; aber nach einer zehnjährigen Ehe starb sie an der Schwindsucht.

Ich fand Mengs in der Villa Albani; er war in seiner Kunst unermüdlich und ein großes Original in seinem Beruf. Er nahm mich freundlich auf und sagte mir, er sei glücklich, mich in Rom in seiner Wohnung aufnehmen zu können; er hoffe in wenigen Tagen mit seiner ganzen Familie nach der Stadt zurückkehren zu können. Die Villa Albani setzte mich in Erstaunen. Kardinal Alessandro hatte dieses Haus erbauen lassen und hatte dazu, um seinen Geschmack an Altertümern zu befriedigen, nur antikes Material verwandt; denn nicht nur Statuen und Vasen, sondern auch Säulen und Piedestale waren griechisch – mit einem Wort, alles war griechisch. Er war selber ein feiner Grieche und ausgezeichneter Kenner und soll für dieses Meisterwerk, das seine Kunst geschaffen hat, verhältnismäßig sehr wenig Geld ausgegeben haben, übrigens kaufte er sehr häufig auf Kredit wie Damasippus, und so konnte man nicht sagen, daß er sich zugrunde richtete. Hätte ein Monarch diese Villa bauen lassen, so würde sie ihm fünfzig Millionen gekostet haben; aber der Kardinal wußte es viel billiger einzurichten. Da er sich keine antiken Wand- und Deckengemälde verschaffen konnte, mußte er sie sich wohl malen lassen, und Mengs war unbestritten der größte Maler und fleißigste Mensch seines Zeitalters. Es ist sehr bedauerlich, daß der Tod ihn mitten aus seiner Laufbahn hinweggerissen hat, denn er würde seiner Kunst noch eine Menge schöner Werke geschenkt haben. Mein Bruder hat niemals etwas hervorgebracht, um den Namen eines Schülers dieses großen Künstlers zu rechtfertigen. Wenn ich wieder zu meinen Erlebnissen in Spanien im Jahre siebzehnhundertundsechzig komme, werde ich mich ausführlich mit Mengs beschäftigen.

Sobald ich mich bei meinem Bruder eingerichtet hatte, nahm ich einen Wagen, einen Kutscher und einen Bedienten, die ich in eine Phantasielivree kleiden ließ. Dann stellte ich mich dem Auditore della Ruota, Monsignore Cornaro, vor, um durch ihn Eingang in die hohe Gesellschaft zu finden. Er fürchtete jedoch sich in seiner Eigenschaft als Venetianer bloßzustellen und stellte mich dem Kardinal Passionei vor, der mit dem erhabenen Pontifex über mich sprach. Bevor ich jedoch hierüber berichte, muß ich meinen Lesern erzählen, was mir begegnete, als ich bei diesem seltsamen Kardinal, der ein großer Feind der Jesuiten, ein geistvoller Mann und ein ausgezeichneter Kenner der Literatur war, meinen zweiten Besuch machte.

Zweites Kapitel


Ende meines Abenteuers mit der Nonne von Chambéry. – Meine fluchtähnliche Abreise aus Aix.

Nachdem ich der Frau von Zeroli einen traurigen Blick zu geworfen hatte, ging ich nach der Hütte; ich fand dort meinen Engel in einem ganz neuen großen Bett, neben welchem ein anderes hübsches römisches Ruhebett stand, das für mich bestimmt war. Ich lachte über das Mißverhältnis dieser Möbel zu dem elenden Dachboden, wo wir uns befanden; um aber unserer Bäuerin meinen Dank zu beweisen, zog ich fünfzig Louis aus meiner Börse und gab sie ihr mit den Worten, dies Geld sei für den Rest der Zeit, die Madame noch hier bleiben werde; außerdem verbot ich ihr, noch weitere Ausgaben für Möbel zu machen.

Dieser Charakter ist, glaube ich, den Spielern im allgemeinen eigen. Ich hatte fast dreihundert Louis verloren, aber ich hatte mehr als fünfhundert aufs Spiel gesetzt und was mir übrig geblieben war, war in meinen Augen reiner Gewinn. Hätte ich ebensoviel gewonnen, wie ich verloren hatte, so hätte ich mich wahrscheinlich damit begnügt, ihr zehn Louis zu geben; aber indem ich ihr fünfzig gab, bildete ich mir ein, ich verlöre sie auf einer Karte. Ich habe immer gerne Geld ausgegeben, aber verschwenderisch war ich nur, wenn ich beim Spielen war.

Ich war freudetrunken, als ich dankbare Überraschung auf den Zügen meiner schönen M. M. erblickte.

»Sie müssen sehr reich sein«, sagte sie zu mir.

»Glauben Sie das nicht, liebes Herz! Aber ich liebe Sie leidenschaftlich, und da ich wegen Ihres unglückseligen Armutsgelübdes Ihnen selber nichts anbieten kann, so verschwende ich, was ich besitze, an diese gute Frau, damit sie nichts versäumt, was zu Ihrer Befriedigung beitragen kann, solange Sie bei ihr sind. Vielleicht hegt mein Herz die halbe unbewußte Hoffnung, daß Sie mich dafür um so mehr lieben werden.«

»Wie könnte ich Sie mehr lieben, als es schon der Fall ist! Unglücklich macht mich nur der Gedanke an die Rückkehr in mein Kloster.«

»Aber gestern haben Sie mir gesagt, daß gerade dieser Gedanke Sie glücklich macht.«

»Ja, gerade seit gestern haben sich meine Gefühle geändert! Ich habe eine schlimme Nacht verlebt; denn ich konnte kein Auge schließen, ohne mich sofort wieder in Ihren Armen zu befinden, und immer in dem Augenblick, wo ich das größte Verbrechen begehen wollte, fuhr ich aus dem Schlafe auf.«

»Sie haben aber nicht so standhaft gekämpft, bevor Sie es mit einem Manne begingen, den Sie nicht liebten.«

»Gerade weil ich ihn nicht liebte, beging ich ein Verbrechen, das mir bedeutungslos erschien. Begreifen Sie dies, lieber Freund?«

»Es ist eine metaphysische Vorstellung Ihrer unschuldigen und abergläubischen Seele; ich begreife dies vollkommen.«

»Sie machen mich glücklich und dankbar, und ich freue mich in dem Gedanken, daß Sie nicht in gleicher Lage sind wie ich; denn das macht mich des Sieges gewiß.«

»Ich werde Ihnen den Sieg nicht streitig machen, obgleich mich dies sehr traurig macht.«

»Warum?«

»Weil Sie sich verpflichtet glauben werden, mir harmlose Liebkosungen zu verweigern, die doch das Glück meines Lebens ausmachen würden.«

»Ich habe daran gedacht.«

»Sie weinen?«

»Ja, und ich liebe sogar diese Tränen.«

»Sie erstaunen mich.«

»Ich habe Sie um zwei Gefälligkeiten zu bitten.«

»Sprechen Sie und seien Sie sicher, daß ich Ihre Bitten erfüllen werde.«

»Gestern«, sagte meine reizende Nonne mir, »haben Sie mir die beiden Porträts meiner venetianischen Schwester dagelassen. Ich bitte Sie, schenken Sie sie mir.«

»Sie gehören Ihnen.«

»Ich bin Ihnen dankbar dafür. Dieses war meine erste Bitte die zweite lautet: haben Sie die Güte, zum Tausch dafür mein Bild anzunehmen, das ich Ihnen morgen geben werde.«

»Und das ich mit Vergnügen empfangen werde! Es wird, meine liebe Freundin, das kostbarste meiner Kleinodien sein. Aber ich bin überrascht, daß Sie dies als eine Gunst von mir erbitten, während doch in Wahrheit Sie mir eine erweisen, die ich niemals von Ihnen zu erbitten gewagt hätte. Wie könnte ich mich würdig machen, daß Sie auch mein Bild zu erhalten wünschen?«

»Ach, mein lieber Freund, dies würde mir sehr teuer sein; aber Gott soll mich davor bewahren, ein solches Bild bei mir im Kloster zu haben.«

»Ich werde mich als heiligen Alois von Gonzaga oder als heiligen Antonius von Padua malen lassen.«

»Ich würde der Verdammnis verfallen sein.«

»So sprechen wir nicht mehr davon.«

Sie trug ein Mieder aus Basin, das mit rotem Bande eingefaßt war und vorne durch Schleifen von derselben Farbe zusammengehalten wurde, und ein Batisthemd. Ich war durch diesen Anblick überrascht gewesen, da aber die Höflichkeit mir nicht erlaubte, sie zu fragen, woher sie diese Sachen habe, so begnügte ich mich, einen Blick darauf zu werfen. Sie erriet meine Gedanken und sagte mir lachend: »Es ist ein Geschenk, das die Bauersfrau mir gemacht hat. Nun sie plötzlich reich geworden ist, denkt die gute Frau an weiter nichts, als wie sie ihrem Wohltäter bezeugen könne, daß sie ihm dankbar ist. Sehen Sie dieses große Bett, lieber Freund; ganz gewiß hat sie dabei an Sie gedacht; und diese schönen Bettücher. Dieses feine Hemd, es macht mir Vergnügen, ich gestehe es. Ich werde diese Nacht besser schlafen – wenn ich mich nur der verführerischen Träume erwehren kann, die mich vorige Nacht gepeinigt haben.«

»Glauben Sie, daß dieses Bett, diese Bettlaken und dieses feine Hemd dazu beitragen werden, Ihrer Seele die Träume fernzuhalten, die Sie befürchten?«

»Ganz gewiß wird das Gegenteil der Fall sein, denn solche Bequemlichkeiten reizen zur Sinnlichkeit. Übrigens werden alle diese Sachen Eigentum der guten Frau bleiben; denn wenn ich sie auch mitnehmen wollte, was würde man im Kloster dazu sagen?«

»Sie schlafen dort nicht so bequem?«

»O nein! Wir haben einen Strohsack und zwei Decken; es ist eine besondere Vergünstigung, wenn wir zwei sehr grobe Bettlaken oder gar noch eine dünne Matratze erhalten. Aber Sie scheinen mir traurig zu sein; gestern waren Sie so heiter.«

»Wie könnte ich wohl heiter sein, da ich nicht mehr imstande bin, mit Ihnen zu scherzen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, Ihnen dadurch Kummer zu bereiten!«

»Aber Sie bereiten mir ja im Gegenteil das größte Vergnügen damit.«

»So willigen Sie ein, für die Wonne, die Sie mir gewähren, Wonne zu empfangen?«

»Aber die Wonne, die Sie empfinden, ist unschuldig; die meinige aber ist es nicht.«

»Was würden Sie denn tun, wenn meine Wonne ebensowenig unschuldig wäre wie die Ihrige?«

»Dann würden Sie mich gestern Abend unglücklich gemacht haben; denn ich hätte Ihnen nichts verweigern können.«

»Unglücklich? Wieso denn? Bedenken Sie im Gegenteil, Sie hätten dann nicht gegen Träume zu kämpfen gehabt, sondern würden friedlich geschlafen haben, übrigens hat die Bäuerin mit diesem Mieder Ihnen ein Geschenk gemacht, das mich zur Verzweiflung bringt, denn sonst hätte ich wenigstens meine hübschen Kinderchen sehen können, ohne Angst vor bösen Träumen zu haben.«

»O, lieber Freund, darum müssen Sie der armen Frau nicht böse sein; denn wenn sie glaubt, daß wir uns lieben, so wird sie gewiß auch wissen, daß ein Mieder nicht schwer aufzuschnüren ist. Jedenfalls will ich Sie nicht traurig sehen – das ist die Hauptsache.«

Indem sie diese Worte sprach, sah sie mich mit flammenden Blicken an, und ich überschüttete sie mit Küssen, die sie mir mit voller Zärtlichkeit zurückgab. Die Bäuerin kam herein, um einen hübscher neuen kleinen Tisch zu decken, als ich gerade dabei war, meiner Nonne das Mieder auszuziehen, ohne daß sie mir den geringster Widerstand entgegensetzte.

Dieses ausgezeichnete Vorzeichen versetzte mich in gute Laune aber als ich sie anblickte, sah ich, daß sie nachdenklich wurde. Ich hütete mich wohl, sie nach dem Grunde zu fragen, denn ich erriet diesen und ich wollte mir nicht Bedingungen auferlegen lassen, die durch Religion und Ehre unverletzlich geworden sein würden. Um sie von ihren Gedanken abzubringen, suchte ich ihren Appetit anzuregen, indem ich ihr beim Essen mit gutem Beispiel voranging; sie trank dazu mit ebensoviel Vergnügen einen ausgezeichneten Claret; da sie jedoch an solche Weine nicht gewöhnt war, erregte er in ihr eine Lustigkeit, die die erklärte Feindin der Enthaltsamkeit ist. Übrigens merkte sie selber nichts davon, denn die Fröhlichkeit befeuerte ihren Geist, so daß sie alles im schöneren Lichte sah und sich viel mehr ihren Gefühlen überließ, als sie es vor dem Abendessen getan hatte.

Als wir allein waren, wünschte ich ihr Glück zu ihrer guten Laune, indem ich ihr sagte, daß ohne diese meine traurige Stimmung nicht verflogen sein würde, daß ich nun aber die Stunden des Glückes, die ich bei ihr verbrächte, leider nur zu kurz fände.

»Ich werde fröhlich sein, lieber Freund, und wäre es auch nur, um dir Vergnügen zu machen.«

»Vortrefflich! aber, mein Engel, beglücke mich mit denselben Vergünstigungen, die du mir gestern abend gewährt hast.«

»Ich will lieber alle Bannflüche der Welt auf mich nehmen, als daß du von mir denken sollst, ich sei ungerecht gegen dich. Sieh her!«

Mit diesen Worten nahm sie ihre Haube ab und ließ ihr schönes Haar aufgelöst herunterhängen; ich schnürte ihr Mieder auf und hatte im Nu eine Sirene vor mir, wie man sie auf den schönsten Gemälden Correggios sieht. Ich konnte es nicht lange aushalten, sie so zu betrachten: ich bedeckte sie mit heißen Küssen, und indem ich ihr dadurch meine Glut mitteilte, sah ich sie bald mir neben sich Platz machen. Ich fühlte, daß es jetzt nicht mehr angebracht war, lange Reden zu halten, sondern daß die Natur sprach und daß sie Liebe von mir verlangte, und ich wußte den Augenblick einer so süßen Schwachheit zu benutzen. Ich stürzte mich auf sie, heftete meine Lippen auf ihren Mund und preßte sie liebeglühend in meine Arme, um mit ihr des höchsten Glückes zu genießen.

Aber mitten in diesem leidenschaftlichen Vorspiel drehte sie den Kopf zur Seite, schloß ihre schönen Augenlider und schlief ein. Ich entfernte mich ein wenig von ihr, um besser die wundervollen Schätze sehen zu können, die die Liebe mir darbot. Die göttliche Nonne schlief; ihr Schlaf konnte keine Verstellung sein; aber selbst wenn sie sich nur schlafend gestellt hätte, konnte ich ihr wohl eine solche List übelnehmen? Gewiß nicht; denn der Schlaf einer Frau, mag er wahr oder verstellt sein, muß von einem zartfühlenden Liebhaber geachtet werden; darum braucht er sich erlaubte Genüsse nicht zu versagen. Denn wenn der Schlaf echt ist, so wagt er nichts dabei; ist er aber nur Verstellung, so entspricht er nur den Wünschen, die sie entflammen. Nur müssen die Liebkosungen so sein, daß man die Gewißheit hat, sie sind dem geliebten Gegenstand angenehm.

Aber M.M. schlief wirklich: der Claret hatte ihre Sinne betäubt, und sie hatte ohne Nebengedanken nur seinen Wirkungen nachgegeben. Während ich sie ansah, bemerkte ich, daß sie träumte. Ihre Lippen flüsterten Worte, die ich nicht verstand; aber die Wollust, die sich auf ihren strahlenden Zügen malte, ließ mich erraten, wovon sie träumte. Ich warf meine Kleider ab, und es dauerte keine zwei Minuten, so lag ich gegen ihren schönen Leib gepreßt. Nur wußte ich nicht recht, ob ich ihren Schlaf nachahmen oder ob ich versuchen sollte, sie aufzuwecken, um die Lösung unseres Dramas herbeizuführen, die sich, wie mir schien, nicht mehr aufschieben ließ.

Meine Ungewißheit dauerte nicht lange; denn die Bewegungen, die sie unwillkürlich machte, sobald sie an dem Heiligtum der Liebe den Priester fühlte, der das Opfer vollziehen sollte, zeigten mir deutlich, daß sie fortträumte und daß ich sie nur glücklich machen konnte, indem ich ihren Traum in Wirklichkeit verwandelte. Leise schob ich alle Hindernisse beiseite, und indem ich den Bewegungen mich anpaßte, die meine Berührungen ihrem schönen Leibe mitteilten, vollbrachte ich den süßen Raub. Als ich zum Schluß nicht mehr imstande war, mich zu mäßigen, und mich der ganzen Kraft des Gefühls überließ, erwachte sie mit einem Seufzer des Glücks und rief:

»O Gott, ist es denn wahr!«

»Ja! wahr! köstlich, mein Engel! Bist du glücklich?«

Statt zu antworten, umschlang sie mich mit ihren Armen, heftete ihre Lippen auf die meinigen, und so blieben wir, ohne uns einen Augenblick zu trennen, bis zur Morgenröte, alle Wonnen auskostend, immer von neuem unsere Begierden erregend und ohne einen anderen Gedanken, als wie wir unser Glück und unsere Genüsse verlängern könnten.

»Ach, mein Freund, mein Gatte!« rief sie endlich; »ich bin glücklich! Aber wir müssen uns bis heute Abend trennen. Geh jetzt! Wir werden von unserer Seligkeit sprechen, indem wir sie erneuern.«

»Es tut dir also nicht leid, mich glücklich gemacht zu haben?«

»Kann es mir leid tun, dir erlaubt zu haben, mich glücklich gemacht zu haben? Du bist zu mir wie ein Engel vom Himmel gekommen. Wir liebten uns, wir haben unserer Liebe die Krone aufgesetzt; ich kann nicht Gott beleidigt haben. Von all meiner Unruhe bin ich befreit. Wir sind unserem Geschick gefolgt, indem wir der Natur gehorchten. Liebst du mich noch?«

»Kannst du daran zweifeln? Heute Abend werde ich es dir beweisen.«

Während wir fortwährend von unserer Liebe sprachen, zog ich mich so schnell wie möglich an. Sie blieb im Bett liegen, und ich bat sie, sich der Ruhe hinzugeben.

Es war heller Tag, als ich nach Hause kam. Leduc war nicht zu Bett gegangen; er übergab mir einen Brief von der schönen Zeroli, indem er mir sagte, man habe ihn um elf Uhr gebracht. Ich hatte ihr Abendessen versäumt und hatte sie nicht nach Chambéry begleitet. Ich hatte keine Zeit gehabt, auch nur einen Augenblick an sie zu denken. Das tat mir leid, aber ich wußte nicht, was ich dabei machen sollte. Ich öffnete den Brief; er bestand nur aus sechs Zeilen, aber diese waren vielsagend. Sie riet mir, niemals nach Turin zu gehen, denn dort würde sie sich für den blutigen Schimpf, den ich ihr angetan hätte, zu rächen wissen. Sie warf mir vor, daß ich öffentlich meine Verachtung bekundet hätte; sie fühlte sich dadurch entehrt und würde mir niemals verzeihen. Mein Entschluß war schnell gefaßt: ich zerriß das liebenswürdige Briefchen, ließ mich frisieren und ging nach dem Brunnen.

Alle Herren und Damen machten mir Vorwürfe, daß ich nicht an dem Souper der Madame Zeroli teilgenommen hätte. Ich verteidigte mich, so gut ich konnte, aber meine Entschuldigungen mochten wohl recht lahm sein, woraus ich mir übrigens wenig machte. Man sagte mir, man wisse alles; ich wußte, daß man nichts wußte, und das machte mir Spaß. Die Geliebte des Marquis hängte sich an meinen Arm und sagte mir ohne Umstände, ich stände im Rufe, unbeständig zu sein. Mit jener banalen Höflichkeit, die die gute Gesellschaft nun einmal verlangt, antwortete ich ihr, man werfe mir mit Unrecht solche häßliche Eigenschaft vor; sollte ich wirklich diesen Vorwurf einmal verdient haben, so sei es wohl nur deshalb, weil ich niemals die Ehre gehabt habe, einer so vortrefflichen Dame zu dienen, wie sie es sei. Ich sah, daß mein Kompliment ihr schmeichelte, und biß mir auf die Lippen, als sie mit der liebenswürdigsten Miene mich fragte, warum ich denn nicht zuweilen beim Marquis frühstücke.

»Ich fürchte, ihn zu belästigen.«

»Wieso denn?«

»Ich würde ihn in seinen Beschäftigungen stören.«

»Er hat keine, und Sie werden ihm ein großes Vergnügen bereiten, wenn Sie ihn besuchen. Kommen Sie doch morgen; er frühstückt immer in meinem Zimmer.«

Die Dame war die Witwe eines vornehmen Herrn; sie war jung, unbestreitbar hübsch und beherrschte vollkommen den Ton der guten Gesellschaft. Trotzdem machte ich mir nichts aus ihr. Ich hatte soeben die schöne Zeroli besessen, und meine entzückende Nonne hatte meine höchsten Wünsche erfüllt; da war es mir denn erlaubt, wählerisch zu sein, übrigens hatte ich für vorübergehende Wünsche wirklich keinen Platz mehr. Trotzdem hatte ich mich dummerweise in die Notwendigkeit gesetzt, den Anschein zu erwecken, als sei ich ob der Bevorzugung sehr glücklich.

Sie fragte den Marquis, ob sie nach dem Gasthof zurückgehen könne.

»Ja,« antwortete er; »aber ich habe noch ein Geschäft zu erledigen und werde dich nicht begleiten können.«

»Wollen Sie vielleicht die Güte haben, mich zu begleiten?« fragte sie mich.

Ich machte eine Verbeugung.

Unterwegs sagte sie mir: »Wenn Frau von Zeroli nicht abgereist wäre, würden Sie nicht gewagt haben, meinen Arm anzunehmen.« Ich konnte ihr nur ausweichend antworten, denn ich wollte mich in keine neue Liebesgeschichte einlassen. Trotzdem mußte ich sie notgedrungen auf ihr Zimmer begleiten und neben ihr Platz nehmen. Da ich aber die ganze Nacht nicht geschlafen hatte und mich langweilte, so gähnte ich einige Male, was für die Marquise nicht schmeichelhaft war. Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte, indem ich ihr schwor, daß ich krank sei. Sie glaubte mir dies oder tat wenigstens so. Aber meine Müdigkeit war so groß, daß ich unfehlbar eingeschlafen sein würde, wenn ich nicht meine Zuflucht zu meiner Nieswurz genommen hätte; dank ihr blieb ich wach, indem ich beständig nieste.

Der Marquis kam, machte mir tausend Komplimente und schlug mir eine Partie Quinze vor. Ich bat ihn, mich zu entschuldigen; Madame kam mir zu Hilfe und sagte, ich könne unmöglich spielen, wenn ich fortwährend auf eine solche geradezu gefährliche Art niese. Wir gingen zum Mittagessen in den Speisesaal; noch etwas ärgerlich über meinen Verlust von dem vorhergehenden Tage ließ ich mich leicht überreden, eine Bank zu halten. Wie gewöhnlich legte ich fünfhundert Louis auf. Gegen sieben Uhr sagte ich die letzte Taille an, obwohl meine Bank um zwei Drittel ihres Bestandes geschwächt war. Der Marquis und zwei andere gute Spieler bemühten sich nun, meine Bank zu sprengen; aber dies schien das Glück zu reizen: es wandte sich und begünstigte mich, und ich gewann nicht nur meinen Verlust zurück, sondern noch dreihundert Louis obendrein. Ich entfernte mich, indem ich der Gesellschaft versprach, am nächsten Tage weiterzuspielen. Die Damen hatten sämtlich gewonnen, weil Desarmoises den Auftrag hatte, sie niemals beim Spiel zurechtzuweisen, wenn sie meine Gutmütigkeit nur nicht zu sehr mißbrauchten.

Nachdem ich mein Geld auf mein Zimmer gebracht und meinem treuen Spanier Bescheid gesagt, daß ich nicht nach Hause kommen würde, begab ich mich zu meinem Abgott. Ich kam ganz durchnäßt an, weil mich unterwegs ein Gewitterregen überraschte, und mußte mich daher gleich nach meiner Ankunft ausziehen. Die gute Bauersfrau übernahm es, meine Kleider zu trocknen. Ich fand meine schöne Nonne in ihrem Ordenskleide auf dem Ruhebett ausgestreckt.

»Warum, mein Engel, hast du mich nicht in deinem Bett erwartet?«

»Weil ich mich niemals besser befunden habe als in diesem Augenblick, liebes Herz; weil ich das Glück haben wollte, am Tisch dir gegenübersitzend mit dir zu speisen. Nachher werden wir uns zu Bett legen, wenn es dir Vergnügen macht.«

»Mir? Sehr viel, wenn es dir Vergnügen macht.«

»Ach! Ich bin verloren, ich werde ganz gewiß sterben, wenn ich von dir scheiden muß.«

»Du brauchst nicht von mir zu scheiden, liebes Herz! Geh mit mir nach Rom, laß mich nur machen. Du wirst meine Frau, und wir werden glücklich miteinander leben und uns niemals verlassen.«

»Ach, dies wäre ein zu großes Glück. Aber zu solchem Schritt könnte ich mich niemals entschließen. Sprich mir nicht mehr davon!«

Da ich gewiß war, eine köstliche Nacht in ihrem Besitze zu verbringen, blieb ich mit ihr eine volle Stunde bei Tisch. Wir würzten unsere Speisen mit angenehmen Gesprächen. Als wir fertig waren, kam die Frau herein, gab ihr ein Päckchen und entfernte sich wieder, indem sie uns gute Nacht wünschte.

»Was enthält denn dieses Paket?«

»Mein Bild. Aber du darfst es erst sehen, wenn ich im Bett liege.«

»Diese Laune muß ich dir hingehen lassen, obgleich es mich drängt, meine Neugierde zu befriedigen.«

»Freilich ist es eine Laune; aber du wirst sie billigen.«

Ich entkleidete sie mit meinen eigenen Händen, und sie ließ sanft wie ein Lamm alles mit sich machen. Als sie im Bett lag, öffnete sie das Päckchen und gab mir ein Porträt. Sie war darauf nackt dargestellt, vollkommen ähnlich und genau in derselben Stellung wie meine erste M. M. Ich lobte die Geschicklichkeit des Malers, der sie so ausgezeichnet kopiert, indem er nur die Farbe der Augen und der Haare geändert hätte.

»Er hat nichts kopiert,« rief sie, »denn dazu hätte er keine Zeit gehabt. Er hat mir nur schwarze Augen gemacht, Haare wie die meinigen und ein reicheres Vließ. So kannst du jetzt sagen, daß du in einem einzigen Porträt das Bildnis deiner ersten und zweiten M. M. besitzest, um die du von rechtswegen die erste vergessen mußt. Diese ist auch in dem anständigen Porträt verschwunden, denn sieh! da ist sie als Nonne mit schwarzen Augen. In dieser Form kannst du mein Bild allen Leuten zeigen.«

»Du kannst dir gar nicht denken, wie kostbar mir dieses Geschenk ist! Aber sage mir doch, mein Herz, wie hast du es angefangen, diesen köstlichen Plan so gut durchzuführen?«

»Ich teilte ihn gestern morgen der Bäuerin mit. Sie sagte mir, sie hätte in Annecy einen Milchsohn, der Miniaturmaler wäre; aber sie würde sich seiner nur dazu bedienen, um die beiden Miniaturbilder nach Genf zum berühmtesten Porträtmaler zu schicken, der für vier oder fünf Louis die Metamorphose sofort vornehmen würde, denn die könnte in zwei oder drei Stunden gemacht werden. Ich habe ihr die beiden Kleinodien anvertraut, und es ist, wie du siehst, alles tadellos ausgeführt worden. Ohne Zweifel hatte sie sie gerade eben zurückerhalten; morgen kannst du von ihr selber die Einzelheiten dieser hübschen Geschichte erfahren.«

»Diese gute Bäuerin ist ein ausgezeichnetes Weib. Ich werde ihr ihre Auslagen ersetzen. Aber sage mir jetzt, warum du mir das Bild nicht früher geben wolltest, als bis du im Bette lägest?«

»Rate!«

»Damit ich dich sofort in die Stellung bringen könnte, in der du abgebildet bist.«

»Ganz recht.«

»Ein ausgezeichneter Gedanke, den nur die Liebe dir hat einflößen können. Aber dafür mußt du jetzt warten, bis ich in demselben Zustande bin wie du.«

Als wir beide im einfachen Naturzustande waren, wie Adam und Eva, bevor sie den verhängnisvollen Apfel gegessen hatten, brachte ich sie in die Stellung, in der sie auf dem Bilde gemalt war. Sie erriet bei meinem Anblick, was ich tun wollte, und öffnete ihre Arme zu meinem Empfang; aber ich sagte ihr, sie möchte noch einen Augenblick warten, denn ich hätte ebenfalls in einem Päckchen etwas, was ihr Vergnügen machen würde.

Nun zog ich aus meiner Brieftasche ein Röckchen aus durchsichtiger Haut, ungefähr acht Zoll lang, vorne ohne Öffnung und am anderen Ende mit einem rosafarbenen Bändchen geschmückt. Ich reichte ihr dieses Säckchen, sie sah es an, bewunderte es, lachte herzlich und fragte mich, ob ich bei ihrer Schwester in Venedig mich ebenfalls solcher Röckchen bedient hätte.

»Ich werde es dir selber anziehen, lieber Freund! Du kannst es dir gar nicht denken, wie glücklich es mich macht. Sage mir, warum hast du es nicht auch in der vorigen Nacht angewandt hast? Es scheint mir unmöglich zu sein, daß ich nicht empfangen haben sollte. Ach, wie unglücklich werde ich sein, wenn das der Fall ist! Was werde ich anfangen, wenn ich in vier oder fünf Monaten nicht mehr an meinem Zustande zweifeln kann?«

»Liebe Freundin, hier gibt es weiter nichts, als nicht daran zu denken; denn wenn das Unheil einmal geschehen ist, so gibt es kein Mittel dagegen. Zudem kann ich dir sagen, daß wir nach der Erfahrung und auf Grund der bekannten Naturgesetze hoffen dürfen, daß unsere süßen Liebeskämpfe von gestern keine ärgerlichen Folgen haben werden. Man sagt, und viele Schriftsteller haben es bestätigt, daß eine Frau im Wochenbette nicht empfangen kann, bevor sie nicht wieder ein gewisses Merkmal gesehen hat, das sich, wie ich glaube, bei dir noch nicht gezeigt hat.«

»Gott sei Dank, nein!«

»Nun, so wollen wir denn alle Sorgen und alle Gedanken an eine böse Zukunft uns fern halten, denn damit könnten wir nur unser gegenwärtiges Glück beeinträchtigen.«

»Ich bin schon vollkommen getröstet; aber ich begreife nicht, wie du heute etwas fürchten kannst, was du gestern nicht befürchtetest; denn ich bin heute nicht anders als gestern.«

»Ereignisse, meine Liebe, haben zuweilen die Meinung der größten Ärzte auf grausame Weise zuschanden gemacht. Die Natur ist weiser als sie: sie hat ihre Regeln und ihre Ausnahmen; wir wollen uns hüten, sie herauszufordern, zugleich aber uns verzeihen, daß wir sie gestern herausgefordert haben.«

»Es freut mich, daß du so vernünftig sprichst. Ja, seien wir vorsichtig, obgleich dies für mich ein Opfer ist! Vorwärts! Da hast du eine Haube wie eine Äbtissin! Aber so fein auch die Hülle ist, das Kerlchen gefiel mir viel besser, als es nackt war. Mir scheint, diese Metamorphose setzt dich herab – dich oder mich!«

»Du hast recht, mein Engel – sie setzt uns beide herab, aber wir wollen in diesem Augenblick gewisse Gedanken lieber von uns fernhalten, durch die wir nur an Freuden einbüßen.«

»Wir werden den Verlust bald wieder einholen! Laß mich jetzt einmal von meiner Vernunft Gebrauch machen, denn bis jetzt durfte ich ihr in solchen Dingen niemals die Zügel schießen lassen. Die Liebe hat dieses kleine Futteral erfunden; aber sie hat dabei auch gewiß die Stimme der Vorsicht gehört; mich dünkt, die Verbindung mit dieser hat ihr langweilig sein müssen; denn die Vorsicht ist ja nur eine Tochter der eigennützigen Schlauheit.«

»Du überraschst mich durch die Richtigkeit deiner Bemerkung; aber, meine Liebe, wir wollen nachher darüber philosophieren.«

»Warte noch einen Augenblick: ich habe noch niemals einen Mann gesehen und habe noch nie solche Lust gehabt, einen zu sehen. Vor zehn Monaten würde ich diese Dinger eine Erfindung des Teufels genannt haben, aber wenn mein häßlicher alter Buckeliger sich ein solches Futteral übergezogen hätte, würde er mich nicht in Gefahr gebracht haben, Ehre und Leben zu verlieren. Aber sage mir doch bitte, wie kommt es, daß man die Schneider, die diese Röckchen anfertigen, in Ruhe läßt? Sie müssen doch jedenfalls bekannt sein, und man hat sie gewiß hundertmal exkommuniziert oder mit harten Geldbußen belegt, vielleicht sogar mit Leibesstrafen, wenn sie Juden sind, wie ich glaube. Sieh mal, der Anfertiger von diesem hier hat dir schlecht Maß genommen. Schau doch nur, hier ist es zu weit, da zu eng; es macht ja beinahe einen Bogen! Was für ein Dummkopf, wie ungeschickt in seinem Handwerk! Aber was sehe ich denn da?«

»Du machst mich lachen. Das ist deine Schuld. Fortwährend berührst du ihn, streichelst ihn – da mußte es natürlich so kommen. Ich hatte es mir gleich gedacht.«

»Und du hast nicht einen Augenblick noch warten können? Aber du hörst ja gar nicht auf. Es tut mir sehr leid darum, lieber Freund. Aber du hast recht. O mein Gott! Wie schade!«

»Der Schaden ist nicht groß, tröste dich.«

»Wie sollte ich mich wohl trösten können? Ich Unglückliche! Sieh doch, er ist tot. Du lachst?«

»Ja, über deine reizende Naivität. Du wirst in einem Augenblick sehen, daß deine Reize ihm ein neues Leben verleihen, das er nicht so leicht wieder verlieren wird.«

»Das ist wunderbar, das ist unglaublich!«

Ich zog das Futteral ab und reichte ihr ein anderes, das ihr besser gefiel, weil es mir nach ihrer Ansicht besser paßte. Sie lachte laut auf, als sie sah, daß sie es mir überziehen konnte. Sie kannte diese Wunder der Natur nicht. Ihr Geist, in engen Banden gehalten, hatte unmöglich die Wahrheit entdecken können, bevor sie mich kannte; kaum aber war er frei geworden, so hatte er mit der ganzen Schnelligkeit, zu der die Natur und eine brennende Neugier treiben, seine Grenzen erweitert.

»Aber,« sagte sie, »wenn nun das Häutchen durch die Reibung zerreißt, wird dann nicht die ganze Vorsichtsmaßregel zwecklos?«

Ich sagte ihr, daß ein solcher Unfall nicht leicht möglich sei, und erklärte ihr, aus welchem Stoff die Engländer diese Dinger anfertigen.

Nach allen diesen Reden, die mich in meiner Ungeduld bereits ermüdeten, überließen wir uns der Liebe und dann dem Schlaf, und so immer abwechselnd bis zum Tagesanbruch. Als ich fort ging, sagte die Bauersfrau mir, der Maler habe vier Louis verlangt und zwei habe sie ihrem Milchsohn als Belohnung gegeben. Ich gab ihr zwölf und ging dann in mein Zimmer, nw ich bis zum Mittag schlief. Um das Frühstück des Marquis von Prié kümmerte ich mich nicht, doch hielt ich es für meine Pflicht, ihm Bescheid sagen zu lassen. Seine Geliebte schmollte mit mir während des ganzen Mittagmahls; doch besänftigte sie sich, als ich mich überreden ließ, eine Bank aufzulegen. Da ich jedoch sah, daß sie hoch spielte, ließ ich sie zwei- oder dreimal auf einen »Irrtum« aufmerksam machen, hierüber ärgerte sie sich dermaßen, daß sie mit ihrer schlechten Laune in einen Winkel des Saales ging. Ihr Freund gewann jedoch, und ich war im Verlust, als der schweigsame Herzog von Roxburgh mit seinem Hofmeister Smith und zwei Landsleuten von Genf ankam. Er trat auf mich zu, sagte How do you do und begann dann, ohne weiter ein Wort zu sagen, sich am Spiel zu beteiligen, wozu er auch seine Freunde aufforderte.

Als ich am Ende der Taille meine Bank in den letzten Zügen liegen sah, schickte ich Leduc auf mein Zimmer, um mir meine Kassette holen zu lassen, der ich fünf Rollen von hundert Louis entnahm. Der Marquis von Prié sagte mir kalt, er gehe zur Hälfte mit, und ich bat ihn im gleichen Ton, zu gestatten, daß ich von seinem Anerbieten absehe. Er schien durch meine Weigerung sich nicht beleidigt zu fühlen, denn er fuhr fort, seine Einsätze zu machen. Als ich die Karten hinlegte und aufhörte, hatte er zweihundert Louis gewonnen, aber alle andern hatten verloren, besonders einer von den Engländern, so daß ich mich mit einem Gewinn von mehr als tausend Louis zurückzog. Der Marquis lud sich bei mir für den nächsten Vormittag zur Schokolade ein, und ich antwortete ihm, ich würde die Ehre haben, ihn auf meinem Zimmer zu erwarten. Nachdem ich meine Kassette wieder auf mein Zimmer hatte bringen lassen, ging ich nach dem Bauernhause; ich war mit meinem Tagewerk sehr zufrieden und hatte alle Lust, durch eine Liebesnacht dem Werke die Krone aufzusetzen.

Ich fand einen Schatten von Traurigkeit auf den Zügen meiner Schönen und fragte sie nach der Ursache. Sie sagte mir, ein Neffe der Wirtin, der am Morgen von Chambéry gekommen sei, habe ihr gesagt, daß er von einer ihm bekannten Laienschwester desselben Klosters gehört habe, daß am übernächsten Tage in aller Frühe zwei Laienschwestern sich auf den Weg machen würden, um sie abzuholen; über diese traurige Nachricht habe sie viele Tränen vergossen.

»Aber die Äbtissin wollte sie doch erst in ungefähr zehn Tagen schicken!«

»Ohne Zweifel hat sie ihre Meinung geändert.«

»Wir sind unglücklich selbst im Glück! Entschließe dich doch, werde mein Weib, geh mit mir nach Rom! Ich werde dich dort von deinem Gelübde entbinden lassen, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich für dein Glück sorgen werde.«

»Nein, mein Freund, ich habe genug gelebt; laß mich in das Grab zurückkehren.«

Nach dem Essen sagte ich der Bäuerin, wenn sie sich auf die Verschwiegenheit ihres Neffen verlassen könne, solle sie ihn sofort nach Chambéry abgehen lassen, mit dem Befehl, in demselben Augenblick zurückzumarschieren, wo er erfahren würde, daß die Laienschwestern sich auf den Weg gemacht hätten. Er solle sich Mühe geben, zwei Stunden vor ihnen wieder einzutreffen. Die gute Frau sagte mir, ich könne mich darauf verlassen, daß der junge Mann verschwiegen sei und meine Befehle pünktlich ausführen werde. Nachdem ich hierdurch meine reizende Nonne beruhigt hatte, legte ich mich zu ihr ins Bett. Ich war verliebt, aber traurig. Unter dem Vorwande, daß sie Ruhe haben müsse, verließ ich sie schon um Mitternacht; in Wirklichkeit geschah dies, weil ich am Morgen in meinem Zimmer sein mußte, denn ich hatte mich ja verpflichtet, dem Marquis ein Frühstück zu geben.

Dieser kam mit seiner Geliebten und mit zwei anderen Damen und deren Ehemännern oder Liebhabern. Ich beschränkte mich nicht darauf, ihnen Schokolade vorzusetzen, denn mein Frühstück bestand aus dem besten, was die Gegend liefern konnte. Als ich diese lästige Gesellschaft los war, befahl ich Leduc, mein Zimmer zu schließen und allen Leuten zu sagen, ich läge unwohl im Bett und könnte niemanden empfangen. Ferner sagte ich ihm, ich würde zwei Tage abwesend sein und er dürfe bis zu meiner Rückkehr das Zimmer nicht einen Augenblick verlassen. Nachdem ich dies alles angeordnet hatte, verließ ich das Haus, ohne von einem Menschen gesehen zu werden, und begab mich zu meiner schönen Geliebten. Ich war entschlossen, sie erst eine halbe Stunde vor der Ankunft der Laienschwestern zu verlassen.

Als sie mich sah und von mir hörte, daß ich bis zu ihrer Abreise bei ihr bleiben würde, zitterte sie vor Freude, und wir beschlossen, nicht zu Mittag zu essen, sondern uns nur den Freuden der Liebe zu widmen und unsern Appetit für ein delikates Abendessen aufzusparen.

»Nach dem Essen gehen wir zu Bett,« sagte sie zu mir, »und stehen erst auf, wenn der junge Bote uns die traurige Nachricht von dem Abmarsch der beiden Laienschwestern bringt.«

Ich fand die Idee wundervoll und rief sofort die Bäuerin, um sie von unseren Entschlüssen in Kenntnis zu setzen. Sie lobte uns und versprach uns, wir könnten in aller Ruhe glücklich sein, denn sie würde über unsere Sicherheit getreulich wachen.

Wir fanden die Stunden nicht zu lang; denn zwei leidenschaftlichen Verliebten fehlt es niemals an Stoff zur Unterhaltung, weil sie selber der Gegenstand ihrer Gespräche sind. Die Pausen füllten wir mit Liebkosungen aus; aber abgesehen davon haftete unserer Lage etwas so Feierliches und so Ernstes an, daß unsere Seelen und unsere Sinne beständig in Tätigkeit waren.

Nachdem wir ein Abendessen eingenommen hatten, das der Tafel des Lukullus würdig war, verbrachten wir zwölf Stunden damit, uns gegenseitig Beweise der Liebe und Hingebung zu liefern; nach unseren Liebeskämpfen schliefen wir ein und erwachten nur, um unsere Angriffe sofort wieder zu beginnen. Am Morgen standen wir auf, um uns zu erfrischen; nachdem wir ein gutes Mittagessen zu uns genommen hatten, das wir mit einem köstlichen Burgunder anfeuchteten, legten wir uns wieder zu Bett; aber um vier Uhr kam die Bäuerin und sagte uns, die Laienschwestern würden gegen sechs Uhr da sein. Mit der Zukunft hatten wir uns nicht mehr zu beschäftigen, denn das Schicksal war entschieden. So überließen wir uns denn, vom gleichen Drange beseelt, den Liebkosungen des Abschiedes; die letzte besiegelte ich mit meinem Blute. Meine erste M. M. hatte es gesehen, meine zweite sollte es ebenfalls sehen. Sie erschrak darüber, aber ich beruhigte sie.

Hierauf stand ich auf, nahm eine Rolle von fünfzig Louis und bat sie, mir diese aufzuheben, indem ich ihr versprach, ich würde sie vor Ablauf von zwei Jahren an dem Sprechgitter ihres traurigen Gefängnisses mir wieder abholen. Sie verstand mich und nahm das Geld. Die ganze letzte Viertelstunde vergoß sie Tränen, und ich selber hielt die meinigen nur zurück, um ihren Schmerz nicht noch zu vermehren. Ich schnitt ein Löckchen von ihrem Vließ und eine Locke von ihrem schönen Haar ab und versprach ihr, diese mein ganzes Leben lang auf meinem Herzen zu tragen.

Dann ging ich, nachdem ich der Bäuerin noch gesagt hatte, daß sie mich am nächsten Morgen wiedersehen würde. Sobald ich in meinem Zimmer war, legte ich mich zu Bett. Am nächsten Tage ging ich bei Tagesanbruch auf die Straße, die nach Chambéry führt. Eine Viertelstunde von Aix sah ich meine Engelsnonne, die mit langsamen Schritten ihres Weges ging. Als die beiden Nonnen bei mir waren, baten sie mich im Namen Gottes um ein Almosen, und ich gab ihnen einen Louis. Aber meine Heilige sah mich nicht an.

Mit wundem Herzen ging ich zu der guten Bäuerin; sie sagte mir, M. M. sei mit Tagesanbruch fortgegangen und habe ihr aufgetragen, mir zu sagen, daß sie mich am Sprechgitter erwarte. Ich umarmte die gute Frau und gab ihrem Neffen alles Silbergeld, das ich bei mir hatte. Hierauf ging ich nach Hause und ließ sofort meine Sachen auf meinen Reisewagen laden. Ich wäre im selben Augenblick abgereist, wenn ich Pferde gehabt hätte. Da ich diese aber erst um zwei Uhr bekommen konnte, so machte ich dem Marquis einen Abschiedsbesuch. Er war ausgegangen, aber seine Geliebte war allein zu Hause. Als ich sagte, daß ich um zwei Uhr abfahren würde, rief sie: »Sie werden nicht abreisen! Ich hoffe doch, Sie werden mir ein paar Tage nicht abschlagen!«

»Ich weiß diese Ehre sehr wohl zu schätzen, aber eine Angelegenheit von der größten Wichtigkeit zwingt mich, so rasch als möglich abzureisen.«

»Es ist unmöglich!« rief die Schöne. Mit diesen Worten trat sie vor einen Spiegel, um sich besser zu schnüren, was ihr Gelegenheit gab, mich einen prachtvollen Busen sehen zu lassen. Ich erriet ihre Absichten, beschloß aber, nicht darauf einzugehen. Sie setzte den einen Fuß auf das Kanapee, um ihr Strumpfband zu befestigen, und zeigte mir dabei ein tadellos geformtes Bein; hierauf trat sie auf den anderen Fuß und verschaffte mir einen halben Blick auf Schönheiten, die verführerischer waren als Evas Apfel. Ich war nahe daran, zu unterliegen, da trat der Marquis ein. Er schlug mir eine Partie Quinze zu kleinen Einsätzen vor; die Dame wünschte sich daran zu beteiligen, wie hätte ich also ausweichen können? Sie setzte sich neben mich, und ich hatte vierzig Louis verloren, als man uns meldete, daß das Essen aufgetragen sei. »Ich bin Ihnen zwanzig Louis schuldig,« sagte die Gnädigste zu mir.

Wir gingen in den Speisesaal. Beim Nachtisch trat Leduc ein und meldete mir, daß mein Wagen vor der Tür stehe. Ich stand auf, aber Madame nötigte mich unter dem Vorwande, mir meine zwanzig Louis wiedergeben zu wollen, sie auf ihr Zimmer zu begleiten. Als wir dort allein waren, sagte sie mir in ernstem und bittendem Ton: wenn ich abreiste, wäre sie entehrt, denn die ganze Gesellschaft wüßte, daß sie sich verpflichtet hätte, mich zum Bleiben zu bewegen.

»Bin ich denn eine Frau, die man gering schätzt?« fragte sie mich. Zugleich ließ sie mich auf dem Kanapee Platz nehmen. Hierauf begann sie dieselben Manöver wie am Vormittage und setzte mich bald instand, alles zu sehen. Der Anblick ihrer Reize erregte mich: ich lobte, streichelte, küßte. Sie ließ sich auf mich sinken, preßte ihren Mund auf den meinigen und strahlte vor Freude, als ihre sich verirrende Hand einen greifbaren Beweis von der Macht ihrer Reize fand.

»Ich verspreche dir, morgen dein zu sein. Bleib!«

Da ich nicht wußte, wie ich mich weigern sollte, so forderte ich sie auf, ihr Wort zu halten, und sagte ihr, ich würde ausspannen lassen. In demselben Augenblick trat der Marquis ein und sagte mir, er wolle mir Revanche geben. Ohne ihm zu antworten, ging ich die Treppen hinunter, wie wenn ich gleich wiederkommen würde. Ich verließ den Gasthof, stieg in meinen Wagen und fuhr ab, indem ich dem Postillon ein gutes Trinkgeld versprach, wenn er seine Pferde tüchtig galoppieren ließe.

Zwanzigstes Kapitel


Ich trete Agata dem Lord Percy ab. – Abreise nach Mailand. – Die Pilgerin in Pavia. – Gräfin A. B. – Enttäuschung. – Marchese Triulzi. – Zenobia. – Die beiden schönen Marchesinnen Q. – Der Venetianer Barbaro.

Indem Graf d’Aglié die Corticelli bei der Matrone unterbrachte, in deren Haus Redegonda wohnte, hatte er sie keineswegs bestraft, sondern im Gegenteil allem Anschein nach ihr eine Aufmunterungsprämie gegeben. Ich, ärgerte mich jedoch keineswegs darüber; denn ich beneidete sie nicht um ihr Glück, wenn ich nur nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Sie war Redegondas vertraute Freundin geworden und tat was sie wollte; denn ihre Duenna war viel nachsichtiger als die Pazienza.

Niemand wußte etwas von dem argen Streich, den Percy mir gespielt hatte, und ich sagte natürlich keinem Menschen etwas davon. Der Lord gab jedoch seinen Plan, Agata in seinen Besitz zu bringen, keineswegs auf; er war zu heftig in sie verliebt. Um nun seinen Zweck zu erreichen, machte er folgendes: wie ich bereits gesagt habe, war Percy sehr reich und gab sein Geld auf wahnsinnige Weise aus; wenn er seine Leidenschaften befriedigen wollte, kannte er kein Sparen. Ich gestehe, daß ich in dieser Beziehung ihm nichts vorzuwerfen hatte; natürlich öffneten in einem Lande, wo das Geld immer selten ist, seine Guineen ihm alle Türen.

Vier oder fünf Tage nach jenem Ballabend kam Agata zu mir und sagte mir, der Theaterdirektor von Alessandria sei bei ihr gewesen und habe ihr vorgeschlagen, sie für die ganze Zeit der Messe als zweite Tänzerin zu engagieren. »Er hat mir sechzig Zechinen geboten, und ich habe ihm eine Antwort für morgen früh versprochen. Rätst du mir, sein Anerbieten anzunehmen?«

»Wenn du mich liebst, liebe Agata, wirst du mir dies beweisen, indem du ein Jahr lang keinen Vertrag irgend welcher Art annimmst. Du bist doch überzeugt, daß ich es dir an nichts werde fehlen lassen. Ich werde den besten Lehrer bezahlen, um dich in deiner Kunst zu vervollkommnen, so daß du mit Recht eine Stellung als erste Tänzerin mit einem Jahresgehalt von fünfhundert Zechinen wirst beanspruchen können.«

»Mama meint, wenn ich den Vorschlag annehme, so wird der Tanz auf der Bühne meine Fähigkeiten weiter ausbilden; dieses hindert ja nicht, daß ich bei einem guten Lehrer weiter studiere, übrigens glaube auch ich, daß das Auftreten vor dem Publikum mich vorwärts bringen würde.«

»Was du da sagst, liebe Freundin, ist ganz richtig, aber du hast keine sechzig Zechinen nötig. Wenn du dieses geringe Gehalt annimmst, entehrst du mich; außerdem schadest du dir selber für deine Zukunft; denn du wirst nicht wagen können, viel zu verlangen, nachdem du so wenig angenommen hast.«

»Aber sechzig Zechinen sind gar nicht so wenig für einen kurzen Karneval.«

»Du kannst sagen, was du willst; aber die sechzig Zechinen kannst du bekommen, ohne zu tanzen. Kurz und gut, wenn du mich lieb hast, sagst du dem Direktor, du wollest ein Jahr lang nicht tanzen.«

»Es soll geschehen wie du willst, lieber Freund, aber mich dünkt, ich täte besser, ihn abzuschrecken, indem ich eine übertriebene Summe von ihm verlangte.«

»Du hast recht. Dein Vorschlag gefällt mir. Sage ihm also, du wollest erste Tänzerin sein, und verlange fünfhundert Zechinen.«

»Dein Wunsch soll morgen erfüllt werden; ich bin überglücklich, dir gehorchen zu können und dadurch dir zu beweisen, daß ich dich von ganzem Herzen liebe.«

Agata hatte viel natürlichen Geist und ein gesundes Urteil, das nur durch Belehrung und Weltkenntnis entwickelt zu werden brauchte. Mit diesen Gaben und mit der Schönheit, die der Himmel ihr verliehen hatte, mußte sie unter allen Umständen das Glück fesseln. Man wird sehen, daß sie glücklich wurde, und gewiß, sie verdiente es!

Der Abrede gemäß kam sie am nächsten Morgen. Sie sagte mit lautem Lachen: »Der Direktor war allem Anschein nach über meine Ansprüche gar nicht erstaunt. Nachdem er zwei Minuten sich besonnen hatte, sagte er zu mir, er müsse sich die Sache überlegen und werde mich wiedersehen. Es wäre spaßhaft, lieber Freund, wenn der gute Mann mich beim Worte nähme.«

»Allerdings! Aber dann müßte man sich erkundigen, ob er nicht etwa verrückt oder ein Lump ist, der die Absicht hat, Bankerott zu machen.«

»Du hast vollkommen recht. Wenn er nun aber im Gegenteil ein solider Mann ist?«

»Dann wirst du annehmen müssen.«

»Das ist bald gesagt und bald getan; wenn ich nun aber den Antrag annehme, werde ich dann auch Talent genug haben, um meine Stellung auszufüllen? Kein Tänzer wird mit mir tanzen wollen.«

»Der Tänzer wird im Gegenteil nicht schwer zu finden sein, dies nehme ich auf mich. Talent hast du mit deiner Figur und mit deiner Anmut mehr als nötig sein wird, um das Publikum zufrieden zu stellen; aber du wirst sehen, aus der Sache wird nichts.«

Eine gewisse Ahnung sagte mir, daß ich mich täuschte, und so war es auch. Der Direktor kam am nächsten Tage zu ihr und bot ihr den Vertrag an. Sie erschrak darüber und ließ mich holen. Ich hatte sofort den wohlbegründeten Verdacht, daß das Engagement der Person Agatas gelte und nicht ihrem Talent. Ich ging zu ihr und fragte den Unternehmer, den ich bei ihr fand, welche Kaution er als Sicherheit für den Vertrag anbiete.

Er antwortete, der mir bekannte Bankier Martin würde den Vertrag unterzeichnen und sein Bürge sein. Ich konnte hiergegen keinen Einwand erheben. Der Vertrag wurde in aller Form doppelt ausgefertigt.

Das Herz ein wenig traurig, verließ ich Agata und ging zum Chevalier Raiberti, um ihm die Geschichte zu erzählen. Er war ebenso erstaunt wie ich, daß Herr Martin für diesen Unternehmer bürgte, den er kannte und der keine sehr guten Geschäfte machte. Aber am nächsten Tage fand sich des Rätsels Lösung; denn obwohl Percy Geheimhaltung verlangt hatte, erfuhren wir, daß der Unternehmer auf seine Veranlassung gehandelt hatte. Ich konnte dem Engländer sein Glück zerstören, indem ich mit Agata weiterlebte, trotz den fünfhundert Zechinen, die er zahlen mußte. Ich war jedoch genötigt, gleich nach Ostern wieder nach Frankreich zu reisen, wo Frau von Urfé mich erwartete; außerdem wollte ich mir den Friedensschluß zunutze machen, um England zu besuchen. Ich beschloß also Agata frei zu geben und ihr von ihrem neuen Liebhaber eine beträchtliche Summe aussetzen zu lassen. Ich gewann mir die Freundschaft des Lords, indem ich ihn in meine Gesellschaft zog. Übrigens war ich auch neugierig, wie er es anfangen würde, um die Huld des jungen Mädchens zu gewinnen, das ihn nicht liebte; denn er war nicht von verführerischem Aussehen.

In weniger als acht Tagen waren wir sehr gute Freunde; wir speisten jeden Abend zusammen entweder bei ihm oder bei mir, und stets waren Agata und ihre Mutter bei uns. Ich erkannte bald, daß Percys Aufmerksamkeiten Agata endlich rühren würden und daß auch sie ihn schließlich lieben würde, wenn sie sich geliebt und glücklich sähe. Dies war für mich genug, um nicht dem Glücke des einen und dem Vorteil der anderen in den Weg zu treten, und ich entschloß mich, viel früher, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, nach Mailand zu reisen. Infolgedessen sagte ich dem Lord, als ich eines Tages mit ihm allein frühstückte: »Wie Sie wissen, Mylord, liebe ich Agata zärtlich und mache sie glücklich; ich bin jedoch Ihr Freund geworden, und da Sie sie anbeten, so will ich Ihnen schnell zu Ihrem Glücke verhelfen, und zwar ohne Tausch und ohne Draufgeld. Ich werde Ihnen nächster Tage meinen Schatz überlassen; aber Sie müssen mir versprechen, Agata unter keinen Umständen zu verlassen, ohne ihr zweitausend Guineen zu schenken.«

Er schloß mich in seine Arme und rief: »Mein lieber Freund, wenn Sie wünschen, werde ich sie ihr sofort geben.«

»Nein, Mylord, ich wünsche sogar, daß sie von unserer Abrede nichts erfährt, so lange sie Sie glücklich macht.«

»Es soll nach Ihrem Wunsch geschehen; ich werde Ihnen eine Verschreibung übergeben, durch die ich mich verpflichte, ihr diese Summe auszuzahlen, wenn ich mich von ihr trenne.«

»Auch das ist überflüssig; Ihr Engländerwort genügt. Da wir jedoch den Ereignissen nicht zu gebieten vermögen und sterben können, bevor wir unsere Angelegenheiten in Ordnung gebracht haben, so treffen Sie bitte die Maßnahmen, die Ihnen geeignet erscheinen, damit für den Fall Ihres Todes ihre Lage gesichert ist.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

»Das genügt; aber ich habe an diese für mich schmerzliche Abtretung noch eine Bedingung zu knüpfen.«

»Welche?«

»Daß Sie zu Agata vor meiner Abreise nichts davon sagen.«

»Ich schwöre es Ihnen.«

»Gut! Übrigens verspreche ich Ihnen, sie vorzubereiten.«

»Ausgezeichnet!«

Gleich an demselben Tage machte der Engländer, der immer mehr verliebt wurde, Agaten und ihrer Mutter Geschenke, was ich unter anderen Umständen durchaus nicht geduldet haben würde.

Ich zögerte nicht lange, Agata und ihre Mutter auf das bevorstehende Ereignis vorzubereiten; es ging ihnen nahe, aber ich wußte wohl, daß sie sich bald in ihre neue Lage finden würden. Agata gab mir nicht den geringsten Anlaß zur Klage, sondern wurde immer zärtlicher gegen mich, je eifriger sich der Engländer um sie bewarb. Aufmerksam hörte sie alle Ratschläge an, die ich ihr hinsichtlich ihres Verhaltens gegen ihren neuen Liebhaber und gegen die Leute gab, und versprach mir, sie zu befolgen. Diesen Ratschlägen verdankte sie zum Teil ihr Glück, denn Percy machte sie reich. Die Bühne verließ sie jedoch erst in Neapel, wo wir sie einige Jahre später wiederfinden werden.

Ich war nicht der Mann, von meinesgleichen Geschenke anzunehmen; Percy erriet dies ohne Zweifel, fand aber ein Mittel, mir auf eigentümliche Art ein ganz herrliches Geschenk zu machen. Als ich ihm eines Tages sagte, ich gedächte zum ersten Mal England zu besuchen und er würde mir einen großen Gefallen tun, indem er mir einen Brief an seine Mutter, die Herzogin, mitgäbe, zog er ein in wundervolle Brillanten gefaßtes Bild der Dame aus der Tasche und reichte es mir mit den Worten: »Hier, lieber Freund, haben Sie den besten Empfehlungsbrief, den ich Ihnen geben kann; morgen werde ich meiner Mutter schreiben, Sie werden ihr das Portrait persönlich geben, vorausgesetzt, daß sie es Ihnen nicht lassen wolle.«

»Mylady wird sehen, daß ich nach dieser ehrenvollen Gunst strebe.«

Es gibt gewisse Ideen, die nur in englischen Köpfen entstehen können.

Graf A. B. rief mich nach Mailand, und seine Frau bat mich in einem reizenden Brief, ihr zwei Stücke Taft mitzubringen, deren Muster sie mir schickte. Nachdem ich mich von allen Bekannten verabschiedet hatte, nahm ich einen Kreditbrief auf den Bankier Greppi und reiste nach der Hauptstadt der Lombardei.

Bei der Trennung von Agata vergoß ich Tränen, aber nicht so viele wie sie. Ihre Mutter weinte ebenfalls sehr heftig, denn sie liebte mich und war dankbar für alles Gute, das Agata mir verdankte. Sie sagte mir oft, sie hätte niemals eine andere Nebenbuhlerin als ihre eigene Tochter dulden können, während diese mir unter Schluchzen versicherte, sie wäre glücklich gewesen, wenn sie sich niemals von mir hätte zu trennen brauchen.

Passano, den ich nicht liebte, hatte seine Familie in Genua; ich schickte ihn dorthin, indem ich ihn mit Mitteln zu seinem Unterhalt bis zu meiner Ankunft versah. Meinen Kammerdiener entließ ich aus guten Gründen; da ich einen brauchte, so nahm ich einen anderen; aber seitdem ich meinen Spanier verloren hatte, konnte keiner mir jenes Vertrauen einflößen, das die notwendigen Beziehungen zwischen einem Herrn und seinem Diener weniger unangenehm macht.

Ich reiste mit einem gewissen Chevalier von Rossignan, dessen Bekanntschaft ich gemacht hatte, und wir fuhren über Casale, um dort die Komische Oper zu besuchen.

Rossignan war ein sehr schöner Mann, ein guter Offizier, Liebhaber von Weinen und Weibern, und obgleich er keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit machte, wußte er doch die ganze göttliche Komödie von Dante auswendig; weiter wußte er aber auch nichts, denn er hatte niemals ein anderes Buch gelesen. Die göttliche Komödie war denn auch sein Schlachtroß, das er bei allen Gelegenheiten tummelte, indem er die Verse in dem Sinne auslegte, der auf die augenblickliche Gelegenheit paßte. Diese Manie machte ihn in Gesellschaft unausstehlich lächerlich; unter vier Augen aber wurde er sehr unterhaltend für Leute, die den großen Dichter kannten und dessen zahlreiche erhabene Schönheiten zu bewundern wußten. Indessen nötigte er mich doch, innerlich die Wahrheit des Sprichwortes zuzugestehen, welches besagt: Hüte dich vor dem Menschen, der nur ein einziges Buch gelesen hat! Übrigens war der Chevalier Rossignan ein kluger Kopf, ein Staatsmann und ein liebenswürdiger Mensch. In Berlin, wo er als Gesandter des Königs von Sardinien war, stand er in gutem Ruf.

Da ich in der Oper von Casale nichts Interessantes fand, reiste ich gleich nach Pavia weiter; obwohl ich dort keinen Menschen kannte, wurde ich sofort der Marchesa Corti in ihrer großen und schönen Loge vorgestellt, in der sie alle Fremden empfing, die nach etwas aussahen. Im Jahre 1786 lernte ich ihren würdigen Sohn kennen, einen ausgezeichneten Mann, der mich mit seiner Freundschaft beehrte; er ist schon in jungen Jahren in Flandern als Generalmajor gestorben. Ich habe bitterlich um ihn geweint; aber Tränen sind nur eine leere Huldigung; sie geben uns die Teuren, um die sie fließen, nicht zurück. Seine Tugenden hatten ihn allen, die ihn kannten, wert gemacht. Wäre er am Leben geblieben, so hätte seine Tüchtigkeit ihn zu den höchsten Stufen der militärischen Ehren emporgehoben.

Ich hielt mich in Pavia nur zwei Tage auf; aber es war vom Schicksal bestimmt, daß ich trotz dieser kurzen Zeit von mir sollte reden machen.

Im zweiten Ballett der Qpernaufführung reichte eine als Pilgerin gekleidete Tänzerin bei ihrem pas de deux ihren Hut zu den Logen empor, wie wenn sie um ein Almosen bitten wolle. Ich saß in der Loge der Marchesa Corti. Als die junge Tänzerin mir ihren Hut hinstreckte, zog ich meine Börse und ließ sie in einer Anwandlung von Prahlsucht und Wohltätigkeit, deren Wirkung ich natürlich vorher nicht berechnet hatte, in den Hut hineinfallen. Die Börse enthielt etwa zwanzig Dukaten. Die Pilgerin nahm sie, dankte mir mit einem Lächeln, und das Parkett klatschte stürmischen Beifall. Ich fragte den Marchese Belcredi, der neben mir saß, ob sie einen Geliebten habe.

»Sie hat«, antwortete er mir, »einen französischen Offizier, der keinen Heller besitzt.« Zugleich zeigte er mir diesen im Parkett.

In meinen Gasthof zurückgekehrt, speiste ich mit Herrn Basili, einem Oberst im Dienste des Herzogs von Modena, zu Abend, als die Tänzerin in Begleitung ihrer Mutter und einer jüngeren Schwester kam, um sich bei mir zu bedanken, daß ich für ihre Familie ein Bote der Vorsehung gewesen sei; »denn«, sagte die Pilgerin, »wir sind sehr arm.«

Da ich mit dem Essen beinahe fertig war, lud ich sie alle drei für den nächsten Abend nach der Vorstellung zum Essen ein. Ich hatte dabei keine weitere Absicht, als ihnen etwas Gutes zu tun. Sie versprachen mir zu kommen.

Es freute mich, daß ich ein Mädchen mit so geringen Kosten hatte glücklich machen können, ohne die geringsten Nebenabsichten auf sie zu haben. Der Wirt, bei dem ich das Essen für mich und die drei Armen bestellt hatte, war gerade eben hinausgegangen, als mein Kammerdiener Clairmont eintrat und mir sagte, ein französischer Offizier verlange mich zu sprechen. Ich ließ ihn eintreten und fragte ihn, was ihm zu Diensten stehe.

»Herr Venetianer, ich will Ihnen drei Vorschläge machen, unter denen Sie nach Ihrem Belieben die Wahl treffen können: bestellen Sie das für heute Abend angesetzte Souper ab, oder laden Sie mich dazu ein, oder gehen Sie mit mir hinaus, um unsere Degen zu messen.«

Clairmont, der gerade beim Feueranmachen war, ließ mir keine Zeit, dem verrückten Menschen zu antworten: er ergriff ein brennendes Scheit und stürzte sich auf den Offizier, der es nicht für ratsam hielt, ihn zu erwarten. Zum Glück für ihn war meine Zimmertür offen geblieben. Der Lärm, den er machte, als er die Treppe hinunterpolterte, rief den Kellner herbei; dieser glaubte, er hätte etwas gestohlen, und hielt ihn fest; Clairmont, der ihn mit seinem Feuerbrand verfolgte, ließ ihn in Freiheit setzen.

Diese Geschichte wurde sofort Stadtgespräch. Mein Diener war stolz auf seine Heldentat und kam, meiner Billigung sicher, zu mir. Er sagte mir, ich könne ohne Furcht ausgehen; der Offizier könne nur ein feiger Prahlhans sein, denn sonst würde er seinen Degen gezogen haben, als der Kellner ihn so derb am Kragen packte; dieser hätte nur das landesübliche Messer im Gürtel getragen. Für alle Fälle werde er mich aber begleiten, wenn ich ausgehe. Ich sagte ihm, er habe in diesem Falle recht gehandelt; in Zukunft solle er sich jedoch nicht wieder in meine Angelegenheiten einmischen.

»Gnädiger Herr, Ihre Angelegenheiten dieser Art sind auch die meinigen; in allen übrigen werde ich niemals über die Grenzen meiner Pflicht hinausgehen.«

Ich fand diese Worte sehr vernünftig, obgleich ich es ihm nicht sagte. Er nahm meine Pistolen, und als er die Pfanne der einen ohne Zündkraut fand, schüttete er neues auf, wobei er mich mit einem lächelnden Blick ansah.

Die französischen Bedienten – ich meine: die guten, und ich muß anerkennen, daß sie im allgemeinen besser sind als andere – alle guten französischen Bedienten, sage ich, gleichen Clairmont; sie sind intelligent und treu, aber sie halten sich alle für klüger als ihre Herren, was sie oft genug auch sind; wenn sie ihrer Sache sicher sind, werden sie die Herren ihrer Herren, tyrannisieren diese und behandeln sie oftmals sogar auf eine verächtliche Art, was Dummköpfe übersehen zu müssen glauben. Wenn der Herr sich Respekt zu verschaffen weiß, sind die Clairmonts ausgezeichnet.

Der Wirt des Gasthofes von San Marco, wo ich wohnte, machte einen ausführlichen Bericht an die Polizei, und der französische Offizier wurde noch an demselben Tage ausgewiesen. Beim Mittagessen ließ der Oberst Basili sich die Geschichte von mir erzählen; er sagte, nur ein französischer Offizier sei imstande, einen fremden Menschen aus so nichtigem Anlaß in seiner Wohnung anzugreifen. Ich war nicht derselben Meinung und antwortete: »Die Franzosen sind tapfer; aber sie sind im allgemeinen höflich und haben ein ausgezeichnetes Taktgefühl. Armut und Liebe, mit falscher Tapferkeit vereint, führen in der ganzen Welt zu Ausschreitungen.«

Beim Abendessen dankte die Pilgerin mir dafür, daß ich sie von dem lästigen armen Teufel befreit hätte, der sie langweilte und erschreckte, indem er ihr fortwährend drohte, sich das Leben zu nehmen. Sie war eigentlich nicht schön, konnte aber wohl fesseln; denn sie war anmutig, freundlich und klug, hatte einen reizenden Mund und sehr lebhafte große Augen. Ich glaube, ich hätte sie billig bekommen können, denn die Dankbarkeit hatte bereits der Liebe den Weg gebahnt; da ich jedoch meinen Aufenthalt in Pavia nicht verlängern wollte, vielleicht auch mir ein bißchen darauf zugute tat, ohne Hintergedanken freigebig gewesen zu sein, so ließ ich sie nach dem Abendessen gehen, indem ich ihr vielmals für ihre Gefälligkeit dankte. Sie schien über meine Höflichkeit ein wenig verlegen zu sein, entfernte sich jedoch unter wiederholten Versicherungen ihrer Dankbarkeit.

Am nächsten Tage speiste ich in der berühmten Certosa bei Pavia; gegen Abend kam ich in Mailand an, wo ich beim Grafen A. B. abstieg, der mich erst für den folgenden Tag erwartet hatte.

Die Gräfin, deren Bild ich in meiner Phantasie mit den allervollkommensten Reizen geschmückt hatte, täuschte meine Erwartung auf das bitterste. So geht es fast immer, wenn die Leidenschaft der Phantasie die Zügel schießen läßt. Die Gräfin war hübsch, wenn auch zu klein, und ich hätte sie trotz meiner Enttäuschung wohl lieben können; aber sie hatte beim ersten Anblick etwas Ernstes, das zu meiner Stimmung nicht paßte und mich gegen sie einnahm.

Nach den üblichen Komplimenten sagte ich ihr, man werde ihr die beiden Stücke Taft zustellen, mit deren Besorgung sie mich freundschaftlichst beauftragt habe. Sie dankte mir und sagte, ihr Priester werde mir sofort den Preis erstatten, den ich dafür bezahlt habe. Hierauf führte der Graf mich auf mein Zimmer, wo er mich bis zum Abendessen allein ließ. Das Zimmer war schön und gut eingerichtet; aber ich fühlte mich nicht behaglich darin und war entschlossen, gleich am nächsten Tage auszuziehen, wenn die Spanierin nicht einen anderen Ton anschlüge. Ich konnte ihr nur vierundzwanzig Stunden bewilligen.

Beim Abendessen waren wir zu vieren. Der Graf war heiter; er war bemüht, mich zur Geltung zu bringen und mir die verdrießliche Laune seiner Frau zu verbergen; er sprach darum unaufhörlich mit mir. Ich ging auf alles ein, richtete aber stets das Wort an seine Frau, um diese einem Schweigen zu entreißen, das ihr in meinen Augen nur schaden konnte. Verlorene Mühe! Die kleine Frau hatte für meine Bemerkungen nur ab und zu ein Lächeln, das kaum ihre Lippen kräuselte, oder eine einsilbige Antwort, von einer Kürze, die mich zur Verzweiflung brachte. Sie erhob ihre Augen nicht von ihrem Essen, das sie schlecht zubereitet fand. Ihre Klagen darüber richtete sie an den Priester, der der vierte bei Tisch war; doch brachte sie ihre Beschwerden in liebenswürdigem Ton vor.

Obgleich ich den Grafen sehr gern hatte, war ich doch genötigt, seine Frau allzu mürrisch zu finden, und dies tat mir leid. Ich betrachtete sie aufmerksam, in der Hoffnung wenigstens in ihrer Schönheit einen Grund zu finden, um ihr ihre unangenehme Laune zu verzeihen. Ich sah jedoch, daß sie ihr Gesicht dem Abbate zuwandte, um ihm irgend etwas Belangloses zu sagen, sobald sie merkte, daß ich ihr Profil studierte; sie entzog sich also meinen Blicken mit einer zur Schau getragenen Absichtlichkeit. Dies ärgerte mich nicht wenig, aber ich lachte innerlich über ihre Geringschätzung sowohl wie über ihre etwaigen Absichten, denn da sie mir keine herzliche Teilnahme eingeflößt hatte, so fühlte ich mich sicher vor der Qual, die eine tyrannische Behandlung mir sonst vielleicht hätte verursachen können. Nach dem Essen wurden die beiden Stücke Taft gebracht, woraus sie sich einen Reifrock-Domino nach der damaligen übertriebenen Mode machen lassen wollte.

Der Graf sah mit Schmerz, daß seine Frau seinen Lobsprüchen so wenig Ehre machte; er begleitete mich auf mein Zimmer, bat mich, ihr ihre spanische Laune zu verzeihen, und versicherte mir, ich würde sie freundlich finden, sobald wir besser bekannt geworden wären.

Der Graf war arm, sein Haus war klein, dessen Einrichtung schäbig, die Livree seines Lakaien war fadenscheinig, seine Tischwäsche abgenutzt, das Geschirr war von Fayence, und eine von den Mägden der Gräfin versah die Stelle des Küchenmeisters. Er hatte keine Equipage, nicht einmal ein Reitpferd. Ich erfuhr dies alles von Clairmont, der mir sagte, er sei in einem Kämmerchen neben der Küche untergebracht und teile diesen Raum mit dem Bedienten, der bei Tisch aufwarte.

Ich selber war, da ich nur ein einziges Zimmer hatte, mit meinen drei großen Koffern sehr schlecht untergebracht; ich beschloß daher, mir anderswo eine Unterkunft zu suchen, die meinen Lebensgewohnheiten besser entsprach.

Am nächsten Tage kam der Graf, um mir guten Morgen zu sagen und mich zu fragen, was ich gewöhnlich zum Frühstück nähme.

»Mein lieber Graf, ich habe ausgezeichnete Turiner Schokolade für die ganze Familie. Trinkt die Frau Gräfin sie gerne?«

»Sehr gerne; aber sie trinkt sie nur, wenn sie von ihrer Kammerfrau zubereitet ist.«

»Hier sind sechs Pfund; machen Sie mir das Vergnügen, sie zu deren Annahme zu bewegen; aber sagen Sie ihr bitte, ich würde die Schokolade wieder nehmen, wenn sie etwa den Versuch machen sollte, sie mir zu bezahlen.«

»Sie wird sie annehmen, und ich bin überzeugt, sie wird Ihnen dafür danken. Ist es Ihnen recht, wenn ich dafür sorge, daß Ihr Wagen in einer Remise untergebracht wird?«

»Sie tun mir einen Gefallen damit, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen schönen Mietswagen besorgen wollten und außerdem einen Lohndiener, für den Sie bürgen könnten.«

»Sie werden das Gewünschte erhalten.«

Kaum war der Graf hinaus, so kam der Abbate, der mit uns zu Abend gegessen hatte, und machte mir seine Aufwartung. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, ein Hausgeistlicher, wie man deren in Italien findet, der zum Lohn für die Beaufsichtigung des Haushaltes bei seiner Herrschaft wohnte und aß. Morgens las er in einer benachbarten Kirche die Messe; den Rest des Tages beschäftigte er sich mit dem Haushalt oder machte den ganz ergebenen Diener der gnädigen Frau.

Sobald der Abbate allein mit mir war, bat er mich ohne Umstände, ich möchte der Frau Gräfin sagen, er hätte die dreihundert Mailänder Lire, die die beiden Stücke Taft kosteten, an mich bezahlt, falls sie mich fragen sollte, ob ich das Geld erhalten hätte.

»Alle Wetter, Herr Abbate,« antwortete ich ihm lachend, »Sie begehen da eine Handlung, die in starkem Widerspruch zu ihrem Amte steht. Wie? Sie raten mir zu lügen? Nein, mein werter Herr, wenn die gnädige Frau diese ungezogene Frage an mich stellen sollte, werde ich ihr die Wahrheit antworten, und es soll mir Spaß machen, dies zu tun.«

»Sie wird danach fragen, das weiß ich bestimmt, und Sie werden schuld sein, daß sie mich auszankt.«

»Dies, Herr Abbate, wird kein großes Unglück sein, wenn sie recht hat.«

»Leider wird sie aber unrecht haben.«

»Nun, so sagen Sie ihr, ich schenke ihr den Stoff; sollte sie ihn aber nicht annehmen wollen, so sei es mit der Bezahlung nicht eilig.«

»Ich sehe, mein Herr, Sie kennen die Dame nicht und haben von den Verhältnissen des Hauses keine Ahnung. Ich werde mit ihrem Mann sprechen.«

Eine Viertelstunde darauf kam der Graf mit traurigem Gesicht und sagte mir, er sei mir viel Geld schuldig, er hoffe mir dieses im Laufe der Fastenzeit zurückgeben zu können und bitte mich, den Preis der beiden Stück Taft noch hinzuzurechnen. Ich umarmte ihn und antwortete, er solle sie nur selber auf die Rechnung setzen, denn es sei nicht meine Gewohnheit, Geldbeträge anzuschreiben, die ich mit dem größten Vergnügen ausgebe, um meinen Freunden gefällig zu sein. »Und wenn die gnädige Frau mich fragt, ob ich dieses Geld erhalten habe, so werde ich sagen, Sie hätten mich zufriedengestellt. Darauf können Sie sich verlassen.«

Er entfernte sich mit Tränen der Freude und Dankbarkeit; ich dagegen glaubte ihm Dank schuldig zu sein für das Vergnügen, das es mir machte, ihm einen Dienst erweisen zu können; denn er verdiente es, und ich hatte ihn gern.

Da ich wußte, daß die Gräfin vor dem Mittagessen nicht sichtbar sein würde, so setzte ich mich an ein Tischchen, um zu schreiben. Unterdessen breitete Clairmont eine Anzahl meiner Sachen auf den Stühlen aus: es waren mehrere Anzüge von mir, Damenmäntel und ein prachtvolles Kleid von weinrotem Grosgrain von Tours, das reich mit Zobelpelz besetzt war; es war ursprünglich für die unglückselige Corticelli bestimmt gewesen. Ich würde es meiner Agata geschenkt haben, wenn ich noch länger mit ihr zusammengelebt hätte; dies wäre aber unrichtig gewesen, denn ein so prachtvolles Kleid paßte nur für eine vornehme Dame.

Um ein Uhr erhielt ich abermals einen Besuch des Grafen, der mir meldete, daß seine Frau mir den besten Freund des Hauses vorstellen wolle. Dies war der Marchese Triulzi, ein großer stattlicher Herr, ungefähr von meinem Alter; er schielte ein wenig, hatte aber gewandte Manieren und trat durchaus wie ein vornehmer Herr auf. Er sagte mir, er komme nicht nur, um die Ehre zu haben, meine Bekanntschaft zu machen, sondern auch, um sich ein bißchen zu wärmen, denn im ganzen Hause sei nur ein einziger Kamin, und zwar in meinem Zimmer.

Da alle Stühle mit Sachen belegt waren, zog der Marchese die Gräfin an sich und setzte sie wie eine Puppe auf seinen Schoß; sie aber wehrte sich errötend, und es gelang ihr schließlich, sich loszumachen. Als der Marchese laut über die Verlegenheit der Gräfin lachte, sagte sie zu ihm: »Ist es möglich, daß ein Mann in Ihrem Alter noch nicht gelernt hat, eine Frau wie mich zu respektieren?«

»Aber ich respektiere Sie ja sehr, Gräfin, wenn ich Sie nicht stehen lasse, während ich sitze.«

Während Clairmont die Stühle freimachte, betrachtete der Marchese die Mäntel und das schöne Kleid; hierauf fragte er mich, ob ich irgend eine Frau erwarte.

»Nein, aber ich hoffe in Mailand die Frau zu finden, die dieser Geschenke würdig sein wird. – Ich kannte in Venedig den Fürsten Triulzi. Ich denke mir, er gehört zu Ihrer Familie?«

»Er sagt es, und es ist wohl möglich; aber ich glaube nicht zu der seinigen zu gehören.«

Dieser Witz deutete nur an, daß ich den Fürsten nicht mehr erwähnen dürfte.

»Sie sollten zum Essen bleiben, Marchese!« sagte Graf A. B. zu ihm; »und da Sie nur Speisen essen wollen, die von Ihrem Koch zubereitet sind, so lassen Sie doch Ihr Essen holen.«

Der Marchese erklärte sich einverstanden, und wir erhielten ein gutes Essen. Der Tisch war mit schöner Wäsche gedeckt und mit schönem Silbergeschirr besetzt; es wurden zahlreiche Flaschen von guten Marken aufgetragen, und die Bedienten waren flink und gut gekleidet. Dies genügte für mich, um zu merken, welche Stellung der Marchese im Hause einnahm. Er leitete geistvoll und heiter die ganze Unterhaltung und verschonte auch die Gräfin nicht mit seinen Scherzen; sie warf ihm fortwährend die Vertraulichkeit vor, womit er sie behandelte. Der Marchese hatte jedoch keineswegs die Absicht, sie zu demütigen, denn er liebte sie; er wollte sie nur wegen ihres übel angebrachten Hochmutes zurechtweisen. Als er sah, daß ein Ausbruch ihres Zornes nahe bevorstand, beruhigte er sie mit den Worten, es gäbe in ganz Mailand niemanden, der ihr treuer ergeben wäre als er und größere Ehrfurcht vor ihrer Schönheit und vor ihrer vornehmen Geburt hätte.

Nach Tisch meldete man einen Schneider, der der Gräfin das Maß zu dem Domino nehmen sollte, den sie zwei Tage später auf dem Ball tragen wollte. Als der Marchese die Farben und die Schönheit der Stoffe lobte, sagte die Gräfin ihm, ich hätte ihr die beiden Stücke von Turin mitgebracht; bei diesem Anlaß fragte sie mich, ob man mir das Geld gegeben habe.

»Ihr Gatte hat die Angelegenheit erledigt, gnädige Frau; aber Sie haben mir eine Lektion gegeben, die ich nicht vergessen werde.«

»Was für eine Lektion«, fragte der Marchese mich.

»Ich hatte gehofft, Frau Gräfin würde mich für würdig halten, ihr dieses bescheidene Geschenk zu machen.«

»Und sie hat es zurückgewiesen? Hahaha! Das ist lächerlich!«

»Darüber sollten Sie nicht lachen,« rief die Gräfin, »aber Sie lachen ja über alles.«

Während der Schneider ihr Maß nahm, stand sie im Mieder mit entblößtem Busen da. Sie beklagte sich über die Kälte. Um sie zu erwärmen, legte der Marchese mit ganz natürlicher Miene und wie wenn er an derartige Vertraulichkeiten gewöhnt wäre, seine Hände auf ihre Brust. Die Spanierin, die sich ohne Zweifel in meiner Gegenwart schämte, wurde wütend und schalt ihn auf eine schreckliche Weise aus. Der Marchese ließ diese Flut von Schimpfworten lachend über sich ergehen; offenbar war er der Mann, die Gewitter nach seinem Belieben zu beschwichtigen. Ich wußte nun zur Genüge, in welchem Verhältnis sie zueinander standen.

Wir blieben bis zum Abend beisammen. Der Marchese führte die Gräfin in die Oper, und ich ging mit dem Grafen auf mein Zimmer, um dort zu warten, bis mein Wagen bereit wäre, um uns ebenfalls dorthin zu bringen. Die Oper hatte bereits begonnen, als wir ankamen. Das erste, worauf mein Blick fiel, als ich auf die Bühne sah, war meine teure Teresa Palesi, die ich in Florenz gelassen hatte. Dieses Wiedersehen war mir angenehm, denn ich sah voraus, daß wir während unseres Aufenthaltes neue süße Zusammenkünfte haben würden.

Aus Zartgefühl sprach ich mit dem Grafen weder über die Schönheit seiner Frau, noch über seine häuslichen Angelegenheiten. Ich sah, daß der Platz schon besetzt war, und das launische Wesen der Gräfin bewahrte mich davor, mich in sie zu verlieben. Nach dem zweiten Akt gingen wir auf den Ridotto, wo ich fünf oder sechs Pharaotische sah; ich spielte, hörte aber auf, nachdem ich, gewissermaßen zum Willkommen, etwa hundert Dukaten verloren hatte. Beim Abendessen schien die Gräfin weniger mürrisch zu sein. Sie bedauerte mich wegen meines Verlustes, und ich antwortete ihr, ich wünsche mir zu diesem Verluste Glück, da ich ihm ein Kompliment von ihr verdanke.

Als ich am nächsten Morgen nach dem Erwachen klingelte, meldete Clairmont mir, daß eine Frau mich zu sprechen wünsche.

«Ist sie jung?«

»Jung und schön, gnädiger Herr.«

»Vortrefflich, laß sie hereinkommen.«

Ich sah ein einfach gekleidetes Mädchen, das mich an Lia erinnerte. Sie war so schön wie diese, groß und wohlgebaut, aber ihr Wesen war nicht so anspruchsvoll wie das der Jüdin, denn sie kam nur in der Absicht, sich mir zur Besorgung meiner Wäsche und zur Ausbesserung und Reinigung meiner Spitzen anzubieten. Ich verliebte mich sofort in sie. Da ich meine Schokolade trank, die Clairmont mir gerade gebracht hatte, so lud ich das schöne Mädchen ein, sich auf mein Bett zu setzen; sie antwortete mir jedoch bescheiden, sie wolle mir nicht lästig fallen und werde wiederkommen, wenn ich aufgestanden sei.

»Wohnen Sie weit von hier, Fräulein?«

»Ich wohne hier im Hause, im Erdgeschoß.«

»Sind Sie allein?«

»Nein, gnädiger Herr; ich lebe bei meinen Eltern.«

»Wie heißen Sie?«

»Zenobia.«

»Ihr Name ist ebenso hübsch wie Sie. Wollen Sie mir Ihre Hand zum Küssen geben?«

»Nein, mein Herr!« rief sie lachend; »denn meine Hand ist bereits vergeben.«

»Sie sind verlobt?«

»Ja, mit einem Schneider, der mich vor Ablauf des Karnevals heiraten wird.«

»Ist Ihr Bräutigam reich und schön?«

»Weder schön noch reich.«

»Warum heiraten Sie ihn denn?«

»Um Herrin im eigenen Hause zu sein.«

»Das begreife ich. Ich biete Ihnen meine Freundschaft an. Holen Sie mir schnell Ihren Schneider; ich will ihm Arbeit geben.«

Sobald sie hinaus war, stand ich auf und befahl Clairmont, meine Wäsche auf einen Stuhl zu legen. Kaum war ich angezogen, so trat bereits Zenobia mit ihrem Schneider ein. Ich war erstaunt über den Kontrast, denn er war ein kleines verkümmertes Männchen, dessen Anblick unwillkürlich zum Lachen reizte.

»Nun, Herr Schneider, Sie wollen dieses reizende Mädchen heiraten?«

»Jawohl, gnädiger Herr. Das Aufgebot ist bereits erlassen.«

»Sie müssen mit einer Glückshaube geboren sein. Wann heiraten Sie sie?«

»In zehn oder zwölf Tagen.«

»Warum nicht morgen?«

»Sie haben es sehr eilig, Illustrissimo.«

»Jedenfalls würde ich es in Ihrer Stelle sehr eilig haben«, rief ich lachend. »Sie werden mir zu morgen für den Ball einen Domino machen.«

»Gerne, gnädiger Herr; aber Euer Exzellenz müssen mir den Taft geben, denn in ganz Mailand ist kein Kaufmann, der mir Kredit geben würde, und ich bin nicht reich genug, um so viel Geld auslegen zu können.«

»Wenn Sie verheiratet sind, werden Sie Geld und Kredit haben; einstweilen nehmen Sie diese zehn Zechinen.«

Er entfernte sich freudestrahlend über dieses unverhoffte Glück.

Nachdem ich Zenobia Spitzen zum Ausbessern gegeben hatte, fragte ich sie, ob sie hoffe, daß ihr Gatte nicht eifersüchtig sein werde.

»Er ist weder eifersüchtig noch verliebt; er heiratet mich nur, weil ich mehr verdiene als er.«

»So, wie die Natur Sie geschaffen hat, hätten Sie Anspruch auf ein besseres Glück machen können.«

»Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und habe lange genug gewartet. Ich bin meines Mädchenstandes müde. Übrigens ist mein Schneider allerdings ja nicht schön, aber er ist klug, und das ist vielleicht mehr wert als schöne Glieder.«

»Sie zeigen selber sehr viel Geist. Aber warum schiebt er die Heirat mit Ihnen hinaus?«

»Weil er kein Geld hat; er will aber seiner Verwandten wegen eine schöne Heirat machen. Die Wahrheit zu sagen, gefällt mir das.«

»Auch darin gebe ich Ihnen wieder recht; aber ich begreife nicht, welches Vorurteil Sie veranlassen kann, einem ehrenwerten Mann auf seine Bitte einen Handkuß zu verweigern.«

»Dies war nur so eine Wendung von mir, um Ihnen bei der Gelegenheit sagen zu können, daß ich mich verheirate. Im übrigen bin ich von dummen Vorurteilen frei.«

»Das ist recht. Ich achte Sie jetzt um so höher. Sagen Sie Ihrem Bräutigam, wenn er mich zum Brautvater nehme, wolle ich alle Kosten bezahlen.«

»Im Ernst?«

»Ja, im Ernst. Ich werde ihm fünfundzwanzig Zechinen geben, aber unter der Bedingung, daß das ganze Geld für die Hochzeit ausgegeben wird.«

»Fünfundzwanzig Zechinen! Da werden die Leute reden; aber daraus machen wir uns nichts. Ich werde Ihnen morgen die Antwort geben.«

»Und jetzt gleich einen herzlichen Kuß!«

»Sehr gern!«

Zenobia entfernte sich freudestrahlend; hierauf ging ich aus, um mich mit meinem Bankier bekannt zu machen und um meine liebe Teresa aufzusuchen. Als ich bei dieser reizenden Frau eintrat, die ich stets zärtlich geliebt habe, nahm ihre hübsche Kammerzofe, die mich erkannt hatte, mich bei der Hand und führte mich an das Bett ihrer Herrin, die gerade aufstehen wollte. Sie empfing mich mit jener Zärtlichkeit und Rührung, die uns des Wortes beraubt und uns nur so viel Kraft läßt, um uns umarmen zu können.

Nachdem unsere gegenseitigen Entzückungen sich besänftigt hatten, sagte Teresa mir, seit sechs Monaten lebe sie nicht mehr mit ihrem Gatten, der ihr unerträglich geworden sei; um ihn los zu werden, zahle sie ihm ein Jahrgeld, und er lebe jetzt in Rom.

»Wo ist Cesarino?« fragte ich sie.

»Er ist hier in Pension, mein lieber Freund, und du wirst ihn sehen, sobald du willst.«

«Bist du glücklich?«

»Sehr glücklich. Man sagt, ich habe einen Liebhaber; aber das ist unwahr, und du kannst mich in voller Freiheit besuchen, so oft du Lust hast.«

Wir verbrachten zwei köstliche Stunden damit, uns unsere Abenteuer seit unserem letzten Beisammensein zu erzählen. Ich fand sie frisch und schön, wie in den ersten Zeiten unserer Liebe, und fragte sie, ob sie ein Gelübde getan habe, ihrem Gatten treu zu sein.

»In Florenz«, antwortete sie mir, »war ich noch verliebt in ihn; hier aber können wir, wenn ich dir noch gefalle, unsere Beziehungen erneuern und bis in den Tod zusammen bleiben.«

»Ich kann, meine teure Teresa, dir auf der Stelle beweisen, daß du in meinem Herzen nichts verloren hast.«

Statt aller Antwort überließ sie sich meinen Liebkosungen.

Nachdem ich mich ausgeruht hatte, verließ ich sie verliebt, wie vor achtzehn Jahren; aber meine Glut fand zu viele Ablenkungen, um lange dauern zu können.

Die Gräfin A. B. begann zartere Töne aufzuziehen.

»Ich weiß,« sagte sie mit einer Miene der Befriedigung, »wo Sie zwei Stunden zugebracht haben; aber wenn Sie diese Dame lieben, so dürfen Sie sie nicht mehr besuchen, denn ihr Liebhaber würde sie verlassen.«

»Wenn er sie verließe, gnädige Frau, so würde ich seine Stelle einnehmen.«

»Sie haben ganz recht, daß Sie sich vergnügen, indem Sie Frauen suchen, die Ihre Geschenke zu verdienen wissen. Ich weiß, daß Sie solche Geschenke erst machen, nachdem Sie deutliche Beweise ihrer Zärtlichkeit empfangen haben.«

»Das ist mein Grundsatz, Frau Gräfin.«

»Es ist das beste Mittel, niemals betrogen zu werden. Der Liebhaber der Dame, der Sie einen Besuch gemacht haben, hatte früher eine Dame unserer Gesellschaft. Sie ist durch ihn sehr wohlhabend geworden, aber wir verachten sie.«

»Warum, wenn ich bitten darf.«

»Finden Sie nicht, daß sie sich weggeworfen hat? Greppi ist ein Mann von niedrigster Geburt.«

Ohne mich über den Namen Greppi zu wundern, antwortete ich ihr, ein Mann brauche nicht von Adel zu sein, um ein ausgezeichneter Liebhaber zu sein; dazu sei nur ein schönes Äußeres und Gold nötig. Frauen, die aus solchen Gründen eine ihresgleichen verachteten, wären entweder durch ihren Stolz lächerlich, oder würden von Neid verzehrt; ich sei überzeugt, sie alle würden sich glücklich schätzen, sich wegwerfen zu können, wenn sie einen Greppi fänden.

Ohne Zweifel wollte sie mir ärgerlich antworten, denn meine Bemerkung hatte sie allerdings verletzt; aber sie wurde daran durch die Ankunft des Marchese Triulzi verhindert. Sie fuhr mit diesem aus, während ich mit ihrem Manne in ein Haus ging, wo wir einen Mann fanden, der etwa hundert Zechinen vor sich liegen hatte und mit dieser kleinen Summe eine Pharaobank hielt.

Ich nahm ein Buch Karten und spielte wie die anderen mit kleinen Einsätzen. Nachdem ich zwanzig Dukaten verloren hatte, hörte ich auf.

Als wir nach der Oper gingen, sagte mein armer Graf zu mir, ich sei die Veranlassung, daß er zehn Dukaten auf Wort verloren habe, und er wisse nicht, wie er es anfangen solle, um diese am nächsten Tage zu bezahlen. Er tat mir leid, und ich gab ihm die Dukaten, ohne ein Wort zu sagen, denn Armut hat mir stets Achtung eingeflößt. In der Oper verlor ich noch zweihundert Dukaten an derselben Bank, wo ich am Tage vorher hundert verloren hatte. Ich lachte über die Betrübnis meines armen Grafen, der nicht wußte, daß ich hunderttausend Franken bei jenem Greppi hatte, der in den Augen seiner hochmütigen Frau zur niedrigsten Klasse des Volkes gehörte. Ebensowenig wußte er, daß ich für mehr als hunderttausend Franken Schmucksachen besaß.

Die Gräfin, die mich hatte verlieren sehen, glaubte mich fragen zu dürfen, ob ich mein schönes Zobelkleid verkaufen wolle. »Man sagt, es sei tausend Zechinen wert.«

»Das ist richtig, gnädige Frau, aber ich würde eher alles andere verkaufen, als Sachen anrühren, die ich Ihrem schönen Geschlecht bestimmt habe.«

»Marchese Triulzi hätte große Lust, es zu kaufen, um jemandem ein Geschenk damit zu machen.«

»Es tut mir aufrichtig leid, Frau Gräfin, Ihnen das Kleid nicht verkaufen zu können.«

Sie sagte nichts mehr, ich sah aber an ihrem Gesicht, daß meine abschlägige Antwort ihr sehr ärgerlich war.

Als ich die Oper verließ, traf ich Teresa, die gerade in ihre Sänfte einsteigen wollte. Ich ließ den Grafen stehen, um ihr zu sagen, ich sei überzeugt, daß sie mit ihrem Freunde zu Abend speisen werde. Sie flüsterte mir ins Ohr, sie würde allein zu Abend essen oder mit mir, wenn ich den Mut hätte zu kommen. Es war für sie eine angenehme Überraschung, als ich die Einladung annahm, und sie sagte mir, sie werde mich erwarten. Ich lud den Grafen ein, sich meines Wagens zu bedienen, nahm einen Tragstuhl und traf bei Teresa in dem Augenblick ein, wo sie ihre Wohnung betrat.

Welch glücklicher Abend! Wir lachten von ganzem Herzen, indem wir unsere Gedanken austauschten.

»Ich weiß,« sagte sie zu mir, »daß du in die Gräfin A. B. verliebt bist, und ich war sicher, daß du es nicht wagen würdest, bei mir zu Abend zu essen.«

»Und ich, meine Liebe, weiß, daß Greppi dein Liebhaber ist, und habe dich in Verlegenheit zu bringen geglaubt, indem ich deine Einladung annahm.«

»Greppi ist mein Freund, und wenn er für mich etwas anderes empfindet als eine freundschaftliche Liebe, so bedaure ich ihn, denn bis jetzt hat er noch nicht das Geheimnis gefunden, mich zu verführen.«

»Glaubst du, daß ihm dies je gelingen könnte?«

»Schwerlich; denn ich bin reich.«

»Aber Greppi ist noch reicher als du.«

»Allerdings, aber ich bezweifle, daß er mich mehr liebt als sein Geld.«

»Ich verstehe dich, wundervolles Weib! Du wirst ihn glücklich machen, wenn er hinlänglich verliebt ist, um sich zugrunde zu richten.«

»Du hast es erraten; aber dieser Fall wird nicht eintreten. – So sind wir also, mein lieber Freund, nach einer Trennung von fast zwanzig Jahren wieder beisammen! Du wirst mich unverändert finden, davon bin ich überzeugt.«

»Es ist ein Vorrecht, das die Natur nur deinem Geschlecht bewilligt hat. Mich wirst du verändert finden; nur mein Herz hat sich nicht verändert. Es wird die Veränderung beklagen; aber du wirst Wunder wirken.«

Dies war nur eine galante Schmeichelei; denn Wunder wirkte sie nicht. Nach einem leckeren Mahle verbrachten wir zwei Stunden im süßesten Sinnestaumel; dann aber bemächtigte Morpheus sich unserer Sinne. Als wir erwachten, erneuten wir mit Erfolg unsere Liebeskämpfe; ich verließ sie erst nach einem Morgengruß, der ebenso kräftig war wie der Gutenachtgruß, der uns fünf oder sechs Stunden Schlaf verschafft hatte.

In meiner Wohnung fand ich die schöne Zenobia. Sie sagte mir, ihr Schneider sei bereit, sie am nächsten Sonntag zu heiraten, wenn mein Anerbieten kein bloßer Scherz sei.

»Um dich vom Gegenteil zu überzeugen, schöne Freundin, nimm diese fünfundzwanzig Zechinen!«

Voll Dankbarkeit ließ sie sich in meine Arme sinken, und ich verzehrte mit meinen Feuerküssen ihren Mund und ihren herrlichen Busen. Teresa hatte mich erschöpft; ich suchte daher den Scherz nicht weiter zu treiben. Zenobia aber mußte wohl meine Zurückhaltung der offenen Tür zuschreiben. Eine sorgfältige Toilette erfrischte mich wieder, und um meine Kräfte völlig wieder herzustellen, machte ich eine lange Spazierfahrt in einem offenen Wagen.

Bei meiner Rückkehr fand ich bei dem Grafen A. B. den Marchese Triulzi, der nach seiner Gewohnheit die Gräfin ärgerte. Die Tafel war an diesem Tage von ihm bestellt worden; das Mahl war daher reichlich und fröhlich. Das Gespräch kam auf mein Kleid, und die Gräfin machte die unvorsichtige Bemerkung, ich hätte es für die Dame bestimmt, die mich verliebt und glücklich machen würde.

Der Marchese erwiderte hierauf mit ausgesuchter Höflichkeit, ich verdiene die Huld schöner Frauen um billigeren Preis.

»Allem Anschein nach,« sagte die Gräfin zu mir, »werden Sie es der Dame schenken, bei der Sie die Nacht verbracht haben.«

»Unmöglich, Frau Gräfin, denn ich habe die Nacht am Spieltisch verbracht.«

In diesem Augenblick trat Clairmont ein und meldete mir, daß ein Offizier mich zu sprechen wünsche. Ich ging hinaus und sah einen schönen Jüngling, der mich sofort umarmte. Ich erkannte in ihm Barbaro, den Sohn eines venetianischen Nobile und Bruder der schönen und berühmten Frau Gritti Sgombro, von der ich vor zehn Jahren sprach, und deren unglücklicher Gatte in der Zitadelle von Cattaro starb, wohin er als Staatsgefangener gebracht worden war. Mein junger Landsmann war ebenfalls in Ungnade bei diesen despotischen Staatsinquisitoren. Wir waren in Venedig in dem Jahr vor meiner Gefangenschaft Freunde gewesen, aber ich hatte nichts mehr von ihm gehört.

Barbaro erzählte mir die hauptsächlichsten Ereignisse seines ziemlich abenteuerlichen Lebens und sagte mir dann, er stehe augenblicklich im Dienste des Herzogs von Modena, der in Mailand als Gouverneur residierte.

»Ich habe Sie an Cananos Bank unglücklich spielen sehen, und die Erinnerung an unsere alte Freundschaft hat mich veranlaßt, Ihnen ein sicheres Mittel vorzuschlagen, um viel Geld zu verdienen. Zu diesem Zweck müssen Sie mir erlauben, Sie einer zahlreichen Gesellschaft von reichen jungen Leuten vorzustellen, die das Spiel lieben und nur verlieren können.«

»Wo ist diese Gesellschaft?«

»In einem sehr angenehmen Hause. Wenn Ihnen mein Vorschlag recht ist, werde ich selber abziehen, und ich bin sicher zu gewinnen. Ich brauche Sie nur, um die Betriebsmittel für die Bank zu liefern, von deren Gewinn Sie mir nur ein Viertel abgeben sollen.«

»Ich errate: Sie verstehen es, die Karten zu halten.«

»Da irren Sie sich nicht.«

Mit anderen Worten also, Barbaro schlug geschickte Volte oder verbesserte das Glück, wie man es auch zu nennen pflegt. Zum Schluß sagte er mir, ich würde in dem Hause Damen finden, die meiner Aufmerksamkeiten würdig wären.

»Mein lieber Landsmann, ich werde mich bezüglich Ihres Vorschlages erst entscheiden, wenn ich die Gesellschaft gesehen habe, der Sie mich vorstellen wollen.«

»Wollen Sie sich morgen um drei Uhr im Theatercafé einfinden?«

»Gern; aber ich hoffe die Ehre zu haben, Sie heute Nacht auf dem Ball zu sehen.«

Zenobias Bräutigam brachte mir meinen Domino; die Gräfin hatte bereits den ihrigen. Da der Ball erst nach der Oper begann, so besuchte ich diese, um Teresa singen zu hören. Nachdem ich im Zwischenakt abermals zweihundert Zechinen verloren hatte, ging ich nach Hause, um mich umzukleiden und dann auf den Ball zu fahren. Die Gräfin, die bereits fertig war, sagte mir, wenn ich die Gefälligkeit haben wolle, sie in meinem Wagen auf den Ball zu führen und auch wieder nach Hause zu bringen, würde sie den Wagen des Marchese Triulzi nicht holen lassen. Ich antwortete ihr, ich stände ganz zu ihren Diensten.

Ich dachte, die schöne Spanierin hätte mir nur darum den Vorzug gegeben, um mir Gelegenheit zu freiem Vorgehen zu verschaffen; ich sagte ihr daher, sobald wir in dem Wagen nebeneinander saßen: es liege nur an ihr, mein Kleid zu bekommen, und ich verlange dafür weiter nichts als die Ehre, eine Nacht bei ihr zu schlafen.

»Sie beschimpfen mich auf eine unerhörte Weise, mein Herr; ich wundere mich um so mehr darüber, da es nicht aus Unwissenheit geschehen kann.«

»Ich weiß alles, schöne Gräfin, aber wenn Sie klug sind, können Sie über die Beleidigung hinwegsehen, sie mir sogar verzeihen, indem Sie ein dummes Vorurteil beiseite schieben, sich mein Kleid verdienen und mich eine ganze Nacht hindurch glücklich machen.«

»Man kann das alles tun, wenn man liebt; aber Sie müssen zugeben, daß Ihre rohe Sprache mehr dazu angetan ist, Haß als Liebe zu erregen.«

»Ich habe diese Sprache angenommen, weil ich nicht gerne wie ein dummer Affe warte; langes Lauern ist mir zuwider. Geben Sie Ihrerseits zu, liebenswürdige Gräfin, daß es Ihnen Spaß machen würde, mich als schüchternen Liebhaber zu sehen.«

»Das wäre mir einerlei; denn, wie Sie sind, würde ich Sie niemals lieben können.«

»In dieser Hinsicht sind wir also vollkommen einig, denn ich liebe Sie ebensowenig wie Sie mich.«

»Bravo! Und trotzdem wollten Sie tausend Zechinen ausgeben, um eine einzige Nacht mit mir zu verbringen?«

»Nicht des Vergnügens wegen; denn ich möchte nur darum bei Ihnen schlafen, um Sie zu demütigen und um Ihren unerträglichen, übelangebrachten Stolz zu ducken.«

Gott weiß, was die stolze Spanierin mir geantwortet haben würde, wenn nicht in diesem Augenblick der Wagen vor der Tür des Theaters gehalten hätte. Wir trennten uns, und nachdem ich mich eine Weile in der Menge herumgetrieben hatte, ging ich nach dem Spielsaal hinauf, in der Hoffnung, meine Verluste von dem vorhergehenden Tage wieder einzuholen. Ich hatte mehr als fünfhundert Zechinen bei mir. Ich besaß ja reichliche Mittel, aber wenn es in diesem Tempo weiterging, war ich bald dem Abgrund nahe. Ich setzte mich an Cananos Tisch, und da ich bemerkte, daß niemand mich kannte außer meinem armen Grafen, der überall hinter mir herlief, so sah ich es als ein gutes Zeichen für den Abend an. Vier Stunden lang setzte ich immer wieder auf eine Karte, konnte aber weder das Geld verlieren, das ich bei mir hatte, noch tausend Zechinen gewinnen, wie es meine Absicht war. Als ich zuletzt das Glück zwingen wollte, wandte es sich gegen mich, und ich ließ all mein Gold der Bank. Ich ging in den Ballsaal zurück; dort traf ich die Gräfin, und wir fuhren nach Hause.

Sobald wir im Wagen saßen, sagte sie zu mir: »Ich habe Sie ein Vermögen verlieren sehen, und das freut mich. Der Marchese wird Ihnen tausend Zechinen für Ihr Kleid geben, und diese Summe wird Ihnen Glück bringen.«

»Und auch Ihnen; denn Sie werden doch mein Kleid bekommen?«

»Das kann wohl sein.«

»Gnädige Frau, durch dieses Mittel werden Sie es niemals erhalten; das andere kennen Sie. Tausend Zechinen verachte ich.«

»Und ich verachte Ihre Geschenke und Ihre Person.«

»Das steht Ihnen frei, mir aber steht es frei, Ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«

Unter diesen lieblichen Reden kamen wir zu Hause an. Als ich mein Zimmer betrat, fand ich dort den Grafen mit langem Gesicht. Offenbar hatte er Lust, mich zu beklagen; aber er wagte es nicht. Meine gute Laune machte ihm Mut, und er sagte zu mir: »Sie können tausend Zechinen von Triulzi haben; dadurch werden Sie Ihren Verlust ausgleichen.«

»Für mein Kleid, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ich möchte es lieber Ihrer Frau schenken; aber sie hat mir gesagt, sie würde es verschmähen, wenn sie es aus meinen Händen empfangen müßte.«

»Das wundert mich, denn sie ist ganz verrückt auf das Kleid. Ich weiß nicht, wodurch Sie ihren hochmütigen Sinn verletzt haben. Lassen Sie sich raten: verkaufen Sie das Kleid und nehmen Sie die tausend Zechinen.«

»Ich werde Ihnen morgen antworten.«

Nachdem ich vier oder fünf Stunden geschlafen hatte, zog ich meinen Überrock an und ging zu Greppi; denn ich hatte kein Geld mehr. Ich nahm tausend Zechinen, indem ich ihn bat, über meine Verhältnisse mit keinem Menschen zu sprechen. Er antwortete mir, meine Geschäfte wären auch die seinigen; ich könne mich auf seine Geheimhaltung verlassen. Er beglückwünschte mich wegen der guten Meinung, die Frau Palesi von mir habe, und sagte mir, er hoffe, wir würden miteinander bei ihr zu Abend essen. Ich antwortete, dies würde mir viel Vergnügen machen. Von Greppi begab ich mich zu Teresa, um ihr einen Besuch zu machen; da aber Leute bei ihr waren, so blieb ich nur wenige Augenblicke. Es war mir angenehm, zu bemerken, daß sie weder von meinen Verlusten, noch von meinen Geschäften überhaupt etwas wußte. Sie sagte mir, es sei Greppis Wunsch, mit mir bei ihr zu Abend zu essen; sie würde mir den Tag noch bekannt geben. Als ich nach Hause kam, fand ich den Grafen neben meinem Kaminfeuer sitzen.

»Meine Frau ist wütend auf Sie,« sagte er zu mir; »aber sie will mir den Grund nicht sagen.«

»Der Grund, mein lieber Graf, ist der, daß ich nicht will, daß sie das Kleid von einem anderen bekommt als von mir. Sie hat mir gesagt, sie würde es verschmähen, wenn ich es ihr schenken wollte; ist dies wohl ein Grund, um wütend zu sein?«

»Sie muß verrückt sein; sonst begreife ich nichts davon. Aber beachten Sie, bitte, was ich Ihnen sage: Sie verachten tausend Zechinen und ich wünsche Ihnen Glück dazu. Wenn Sie imstande sind, eine Summe zu verschmähen, die mich glücklich machen würde, so opfern Sie der Freundschaft eine, wie ich glaube, übel verstandene Eitelkeit. Nehmen Sie vom Marchese die tausend Zechinen; leihen Sie diese mir und gestatten Sie, daß meine Frau das Kleid bekommt, denn er wird es ihr ganz sicherlich schenken.«

Über diesen Vorschlag mußte ich laut auflachen; er war gewiß danach angetan, die Fröhlichkeit eines Hypochonders zu erregen, und ich war nichts weniger als ein Hypochonder. Ich wurde jedoch wieder ernst, als ich den armen Grafen ganz schamrot werden sah. Um ihn zu beruhigen, umarmte ich ihn herzlich; dann aber sagte ich ihm mit barbarischer Aufrichtigkeit: »Ich bin bereit, ohne die allergeringste Eitelkeit auf diesen Vorschlag einzugehen. Ich werde das Kleid dem Marchese verkaufen, sobald Sie wollen, aber ich werde Ihnen nicht tausend Zechinen leihen; ich werde sie Ihnen schenken, oder vielmehr: ich werde sie Ihrer Frau unter vier Augen geben. Aber wenn sie sie bekommt, muß sie nicht nur gut und gefällig, sondern auch sanft wie ein Lamm sein. Sehen Sie zu, mein lieber Graf, wie Sie die Geschichte in Ordnung bringen; dies ist mein letztes Wort.«

»Ich will’s versuchen«, sagte der arme Ehemann; damit ging er.

Barbaro war pünktlich; er erwartete mich bereits am verabredeten Ort. Ich ließ ihn in meinen Wagen steigen, und er führte mich in ein Haus, das am anderen Ende von Mailand lag. Wir gingen in das erste Stockwerk, wo er mich einem schönen Greise und einer Dame von sehr ehrenwertem Aussehen, sowie zwei reizenden Basen vorstellte. Er sagte, ich sei ein Venetianer, der wie er das Unglück habe, bei den Staatsinquisitoren in Ungnade gefallen zu sein; da ich jedoch reich und Junggeselle sei, so könne ich mich über Gunst oder Ungunst der hohen Herren hinwegsetzen.

Er gab mich für reich aus, und ich sah allerdings so aus. Mein Luxus war blendend. Meine Ringe, Tabaksdosen, diamantenbesetzten Uhrketten, mein Kreuz von Diamanten und Rubinen, das ich an einem breiten dunkelroten Band um den Hals trug, gaben mir das Aussehen eines Mannes von Bedeutung. Dieses Kreuz war der Orden vom goldenen Sporn, den ich vom Papst erhalten hatte; da ich jedoch den Sporn hatte herausnehmen lassen, so erriet man nicht, was es bedeutete, und dies schmeichelte meiner Eitelkeit. Neugierige wagten es nicht, sich bei mir selber zu erkundigen; denn man fragt einen Kavalier ebensowenig, was das für ein Orden sei, den er trage, wie man eine Dame fragt: Wie alt sind Sie? Ich hörte 1765 auf, dieses dumme Kreuz zu tragen, als in Warschau der Fürst Palatin von Rußland mir unter vier Augen sagte, ich würde wohl daran tun, diesen Bettel abzulegen. »Es dient nur dazu, Dummköpfe zu blenden,« sagte er zu mir, »hier aber brauchen Sie mit solchen nichts zu tun zu haben.«

Ich folgte seinem Rat, denn er war ein großer Denker. Trotzdem war er es, der den ersten Stein aus dem Sockel brach, worauf das Königreich Polen ruhte. Er stürzte es eben durch die Mittel, durch die er es größer machen wollte.

Der alte Herr, welchem Barbara mich vorstellte, war ein Marchese. Er sagte mir, er kenne Venedig, und da ich nicht von patrizischem Range sei, könne ich in anderen Ländern nur glücklicher leben. Er stellte mir sein Haus zur Verfügung und bot mir alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen.

Die beiden jungen Damen hatten mich entzückt; sie waren zwei vollkommene, beinahe ideale Schönheiten. Ich beschloß, mich bei jemandem zu erkundigen, der sie näher kannte; denn zu Barbara hatte ich kein Vertrauen.

Eine halbe Stunde darauf begannen Besucher zu Fuß und im Wagen anzukommen. Unter ihnen waren mehrere sehr hübsche und gut angezogene junge Damen; gut gekleidete junge Herren wetteiferten, den beiden Basen den Hof zu machen, die einen dieser, die anderen jener, je nachdem sie aus Liebe oder aus Höflichkeit der einen oder der anderen den Vorzug gaben. Wir waren alles in allem etwa zwanzig Personen. Die Gesellschaft setzte sich an einen großen Tisch und begann ein Spiel, das Bankerott genannt wurde. Nachdem ich mich ein paar Stunden unterhalten und einige Zechinen verloren hatte, entfernte ich mich mit Barbaro, und wir gingen in die Oper.

»Die beiden jungen Marchesinen«, sagte ich zu meinem Landsmann, »kommen mir vor wie zwei Engel von Fleisch und Blut. Ich werde ihnen meine Huldigungen darbringen und in ein paar Tagen werde ich sehen, ob sie für mich erreichbar sind. Für das Spiel will ich Ihnen zweihundert Zechinen leihen; aber ich will diese nicht verlieren, Sie müssen mir daher in gesetzlicher Form Bürgschaft dafür leisten.«

»Damit bin ich herzlich gern einverstanden; ich bin völlig sicher, sie Ihnen mit starken Zinsen wiedergeben zu können.«

»Außerdem will ich, daß Sie nicht fünfundzwanzig vom hundert des Gewinnes, sondern die Hälfte erhalten; ich mache jedoch zur Bedingung, daß niemand von meiner Beteiligung an dem Spiel eine Ahnung haben kann; denn wenn ich den geringsten Verdacht bemerke, werde ich für meine eigene Rechnung starke Sätze machen.«

»Sie können sich auf meine Verschwiegenheit um so sicherer verlassen, da ich ein Interesse daran habe, daß die Spieler glauben, das Kapital der Bank sei mein eigenes Geld.«

»Ich verstehe. Kommen Sie also morgen früh bei guter Zeit, bringen Sie mir annehmbare Sicherheit, und ich werde Ihnen das Geld geben.«

Er umarmte mich in der Freude seines Herzens.

Die Bilder der beiden schönen Marchesinen gingen mir im Kopf herum; ich gedachte mich bei Greppi nach ihnen zu erkundigen, als ich Triulzi im Parkett der Oper bemerkte. Zu gleicher Zeit sah er auch mich, und da ich allein war, so kam er heran und sagte fröhlich zu mir, er sei überzeugt, daß ich schlecht zu Mittag gegessen habe, und ich werde ihm ein Vergnügen machen, wenn ich alle Tage bei ihm speise.

»Ich muß erröten, Herr Marchese, daß ich noch nicht bei Ihnen war, um Ihnen meine Aufwartung zu machen, wie es meine Pflicht gewesen wäre.«

»Es gibt keine Verpflichtungen unter Lebemännern, die die Welt nach ihrem wahren Wert zu schätzen wissen.«

»Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht.«

»Da fällt mir ein – ich habe gehört, Sie seien bereit, mir das Kleid abzulassen; ich bin Ihnen sehr dankbar dafür und werde Ihnen die fünfzehntausend Lire, die es kostet, geben, sobald Sie es wünschen.«

»Sie können das Kleid morgen früh abholen lassen.«

Er erzählte mir noch in aller Kürze mehrere Anekdoten in bezug auf Damen, die wir in den ersten Logen sahen und nach denen ich ihn gefragt hatte. Ich benutzte diesen günstigen Umstand und sagte: »Ich habe in einer Kirche zwei junge Schönheiten im höchsten Sinne des Wortes gesehen. Jemand, der neben mir stand, sagte mir, es seien zwei Basen, die Marchesina Q. und die Marchesina F. Kennen Sie sie? Die jungen Damen haben mich sehr neugierig gemacht.«

»Ich kenne sie; sie sind reizend. Es ist nicht schwer, in ihrem Hause eingeführt zu werden, und ich glaube, sie sind tugendhaft, denn bis jetzt ist über sie noch nicht geredet worden. Ich weiß allerdings, daß Fräulein F. einen Liebhaber hat; aber dies ist ein tiefes Geheimnis, denn er ist der einzige Sohn einer unserer ersten Familien. Unglücklicherweise sind die jungen Damen nicht reich; da sie aber, wie man mir versichert hat, viel Geist besitzen, so können sie erwarten, gute Partien zu machen. Wenn Sie neugierig sind, werde ich Sie mit jemandem bekannt machen, der Sie bei ihnen einführt.«

»Ich bin noch nicht fest entschlossen; denn möglicherweise vergesse ich sie leicht wieder, da ich sie nur flüchtig gesehen habe. Übrigens bin ich Ihnen unendlich verbunden für Ihr liebenswürdiges Anerbieten.«

Nach dem Ballett ging ich in den Spielsaal hinauf. Ich hörte drei oder vier Stimmen sagen: »Da ist er!«

Der Bankhalter nickte mit dem Kopf und bot mir einen Platz an seiner Seite an. Ich setzte mich, und statt eines Buches gab er mir ein ganzes Spiel Karten. Ich begann zu setzen und zwar mit einem so beständigen Unglück, daß ich in weniger als einer Stunde siebenhundert Zechinen verlor. Wahrscheinlich hätte ich auch den Rest verloren, wenn nicht Canano, der aufstehen mußte, die Karten einem Mann gegeben hätte, dessen Gesicht mir mißfiel. Ich stand auf, ging nach Hause und legte mich sofort zu Bett, um nicht genötigt zu sein, meine üble Laune zu verbergen.

Am anderen Morgen in aller Frühe holte Barbaro sich die zweihundert Zechinen, die ich ihm versprochen hatte. Er gab mir Sicherheit für diese Summe, indem ich das Recht erhielt, bis zur vollständigen Tilgung seiner Schuld seine Einkünfte in Beschlag zu nehmen. Ich glaube nicht, daß ich im Fall des Unglücks mich hätte entschließen können, von meinen Rechten Gebrauch zu machen; aber ich wollte ihn im Zaum halten. Hierauf ging ich aus und begab mich zu Greppi, bei dem ich zweitausend Zechinen in Gold nahm.

Einundzwanzigstes Kapitel


Demütigung der Gräfin. – Zenobias Hochzeit im Apfelkasino. – Pharao. – Eroberung der schönen Irene. – Plan zur Maskerade.

Als ich nach Hause kam, fand ich den Grafen mit einem Bedienten des Marchese Triulzi, der mir einen Brief von seinem Herrn übergab, worin dieser mich bat, ihm das Kleid zu schicken. Ich tat dies sofort.

»Der Marchese wird mit uns speisen,« sagte der Graf, »und wird Ihnen ohne Zweifel den Betrag für dieses herrliche Schmuckstück mitbringen.«

»Sie finden also, es ist ein Schmuckstück?«

»Ja, einer Königin würdig.«

»Ich wünschte, mein lieber Graf, dieses Schmuckstück besäße die Kraft, Ihnen eine Krone zu geben; dieser Kopfschmuck wäre besser als ein gewisser anderer.«

Der arme Teufel verstand die Anspielung; und da ich ihn gern hatte, so machte ich mir Vorwürfe, ihn gekränkt zu haben; aber ich hatte ohne Überlegung dem Vergnügen nachgegeben, einen Witz zu machen. Ich beeilte mich, einen etwaigen schmerzlichen Eindruck zu verwischen, indem ich ihm sagte, ich würde der Gräfin das Geld bringen, sobald der Marchese es mir bezahlt hätte.

»Ich habe mit ihr darüber gesprochen,« antwortete der Graf, »und sie hat über Ihren Vorschlag gelacht; aber ich bin überzeugt, sie wird sich entschließen, ja zu sagen, sobald sie das Kleid in ihrem Besitz sieht.«

Es war ein Freitag. Der Marchese schickte ein ausgezeichnetes Mittagessen von lauter Fischgerichten; bald darauf kam er selbst mit dem Kleide, das in einem Korb lag. Die stolze Spanierin erhielt das Geschenk in aller Form und dankte ihm auf das lebhafteste dafür. Der Geber nahm diese Danksagungen lachend auf, wie ein Mann, der an dergleichen gewöhnt ist; schließlich aber machte er die wenig schmeichelhafte Bemerkung, wenn sie vernünftig wäre, würde sie das Kleid verkaufen; denn da jedermann wüßte, daß sie nicht reich wäre, so würde man sie allgemein tadeln, wenn sie es trüge. Der Rat wurde nicht gut aufgenommen: sie sagte ihm tausend Beleidigungen, und unter anderem auch, er müsse ein großer Narr sein, da er so töricht gewesen sei, ihr das Kleid zu schenken, obgleich er der Meinung sei, daß es nicht für sie passe.

Als sie im besten Streiten waren, ließ die Marchesa Menafoglio sich melden. Sobald sie eingetreten war, zog das Kleid, das auf einem Tische ausgebreitet lag, ihre Blicke auf sich. Sie fand es prachtvoll und rief: »Dieses Kleid würde ich gerne kaufen!«

»Ich habe es nicht gekauft, um es wieder zu verkaufen,« sagte die Gräfin ärgerlich.

»Verzeihen Sie, Frau Gräfin,« sagte die Marchesa, »ich habe geglaubt, es sei zu verkaufen, und es tut mir leid, daß ich mich getäuscht habe.«

Der Marchese, der nicht gerne heuchelte, lachte laut auf; die Gräfin begriff, daß sie sich lächerlich gemacht hatte, und hielt an sich. Die Unterhaltung wandte sich einem anderen Thema zu. Aber kaum war die Marchesa fort, so ließ die Spanierin ihrem Zorn freien Lauf, indem sie den Marchese wegen seines Lachens mit Schimpfworten und Vorwürfen überschüttete. Als der Marchese auf ihr Schimpfen nur mit feinen Bosheiten antwortete, die in die Formen ausgesuchter Höflichkeit gekleidet waren, sagte die Gräfin schließlich, sie sei müde und wolle zu Bett gehen.

Als sie fort war, übergab der Marchese nur die fünfzehntausend Lire. Er sagte mir, sie würden mir an Cananos Bank Glück bringen; Herr Canano habe mich sehr gern und habe ihn gebeten, mit mir bei ihm zu Mittag zu speisen; zum Abendessen könne er mich nicht einladen, da er genötigt sei, die Nächte auf dem Ridotto zu verbringen.

»Ich werde Ihnen sehr verbunden sein, Herr Marchese, wenn Sie Canano sagen wollen, ich werde an jedem von ihm gewünschten Tage bei ihm zu Mittag essen, nur übermorgen nicht; denn da bin ich zu einer Hochzeit im Apfelkasino eingeladen.«

»Dazu wünsche ich Ihnen Glück!« riefen der Graf und der Marchese gleichzeitig; »ganz gewiß wird es dort sehr nett sein.«

»Daran zweifle ich nicht; ich bin überzeugt, ich werde mich gut unterhalten.«

»Könnten wir nicht auch dabei sein?«

»Ist das allen Ernstes Ihr Wunsch?«

»Gewiß.«

»Nun, ich verpflichte mich, Sie durch die schöne Braut in eigener Person einladen zu lassen; aber dies geschieht unter der Bedingung, daß die Gräfin sich bereit erklärt, ebenfalls zu erscheinen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft nur aus braven Leuten der allerniedrigsten Klasse besteht; ich würde auf keinen Fall dulden, daß sie gekränkt würden.«

»Ich erbiete mich, die Gräfin zu überreden,« sagte der Marchese.

»Vortrefflich; und um Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern, will ich Ihnen sagen, daß es sich um die Hochzeit der schönen Zenobia handelt.«

»Bravo!« rief er, »jetzt habe ich keinen Zweifel mehr, daß die Gräfin mitkommen wird.«

Der Graf, der hinausgegangen war, kam gleich nachher mit Zenobia zurück. Der Marchese machte ihr Komplimente und redete ihr zu, die Gräfin einzuladen; als sie zu zögern schien, ergriff er ihre Hand und führte sie in das Zimmer der stolzen Spanierin.

Eine halbe Stunde darauf kamen sie wieder und sagten uns, die Gräfin sei so freundlich gewesen, die Einladung anzunehmen.

Als der Marchese fort war, sagte der Graf zu mir, wenn ich nichts Besseres zu tun hätte, könnte ich seiner Frau Gesellschaft leisten, während er einige Geschäfte besorgen würde.

»Mein Lieber,« antwortete ich ihm, »ich habe die tausend Zechinen in meiner Tasche, und wenn ich sie vernünftig finde, bin ich bereit, sie ihr dazulassen.«

»Warten Sie – ich will mit ihr sprechen.«

»Tun Sie das!«

Während der Graf bei seiner Frau war, ging ich in mein Zimmer und legte das Gold fort, das der Marchese Triulzi mir gegeben hatte; ich nahm dafür fünfzehntausend Lire in Banknoten, die ich von Greppi erhalten hatte.

Im Augenblick, wo ich meine Kassette wieder verschloß, brachte Zenobia mir meine Manschetten. Sie fragte mich, ob ich ein Stück schönen Batist kaufen wolle; als ich diese Frage bejahte, ging sie hinaus und kam gleich darauf mit einem Leuchter und dem Batist wieder herein. Da ich den Stoff schön fand, kaufte ich ihn für zehn Zechinen. Dann sagte ich: »Der Batist gehört dir, meine liebe Zenobia, wenn du bereit bist, mich auf der Stelle glücklich zu machen.«

»Ich liebe Sie,« antwortete sie mir, »aber Sie täten mir einen Gefallen, wenn Sie bis nach der Hochzeit warten wollten.«

»Nein, meine teure Freundin, ich habe es außerordentlich eilig. Sofort oder niemals, denn ich sterbe. Sieh, in welchem Zustande ich bin!«

»Ich sehe es wohl; aber es ist unmöglich.«

»Ei, warum denn unmöglich? Glaubst du, dein Bräutigam könne etwas merken?«

»Nein! Und selbst wenn er es merken sollte, so würde ich es sehr komisch finden, wenn er empfindlich wäre; wenn er es wagen sollte, mir Vorwürfe zu machen, würde ich ihm niemals angehören.«

»Sehr richtig, meine Liebe, denn deine Reste werden immer noch besser sein als seine ganze Person. So komm also!«

»Aber ich glaube, wir müssen doch mindestens die Tür schließen.«

»Nein; man könnte das Umdrehen des Schlüssels hören und würde Gott weiß welchen Argwohn haben. Verlaß dich darauf, es wird kein Mensch kommen.«

Unterdessen hatte ich sie an mich gezogen, und da ich sie sanft wie ein Lamm und verliebt wie eine Taube fand, so wurde von beiden Seiten ein reichliches Opfer dargebracht. In der Pause, die nach dem ersten Ansturm notwendig wurde, verschlang ich alle ihre Reize; rasend verliebt, wie ich es hundertmal gewesen war, sagte ich zu ihr, sie allein sei wert, mich zu fesseln, und sie solle ihren Schneider fortschicken, um mit mir zu leben. Zum Glück für mich glaubte sie nicht an die Ewigkeit meiner Glut.

Nach einem zweiten Sturm, der mit der ganzen Wollust zweier leidenschaftlich verliebter Herzen ausgeführt wurde, machte ich Halt; ich war erstaunt, aber auch entzückt, daß der Graf mich nicht in meinem Genuß gestört hatte. Ich glaubte, er sei ausgegangen, und sagte dies zu Zenobia, die ebenfalls dieser Meinung war und mich mit Liebkosungen überschüttete. Ich machte es mir nun bequem, und nachdem ich ihre lästigen Kleider von ihr abgestreift hatte, überließ ich mich allen Spielen, die die Liebe uns lehrt, um unsere Sinne wieder aufzuwecken. Dann ergab ich mich zum drittenmal allen Verzückungen heißer Liebe, indem ich meine Schöne alle Stellungen einnehmen ließ, die mir durch lange Erfahrung vertraut waren und von denen ich wußte, daß sie am meisten geeignet seien, die Wollust vollständig zu machen.

Eine volle Stunde lang bewiesen wir uns gegenseitig unsere Glut: Zenobia, die in der Blüte der Jahre stand und vollkommen unerfahren war, konnte ihre häufigen Niederlagen nicht verhehlen, während ich das Glück verlängerte, bevor ich zum drittenmal ans Ziel gelangte.

Im Augenblick, wo ich zum drittenmal mein Leben verlor und Zenobia zum vierzehntenmal ihre Existenz verhauchte, hörte ich die Stimme des Grafen. Ich sagte es zu Zenobia, die ihn ebenfalls gehört hatte; nachdem wir uns in aller Eile zurecht gemacht hatten, gab ich ihr die zehn Zechinen, und sie ging.

Gleich darauf trat der Graf lachend ein; er wünschte mir Glück und sagte, er habe durch eine Ritze, die er mir zeigte, alles gesehen und habe sich durchaus nicht gelangweilt.

»Das freut mich, lieber Graf; aber Sie werden verschwiegen sein!«

»Selbstverständlich. – Meiner Frau«, fuhr er fort, »wird es sehr angenehm sein, wenn Sie ihr Gesellschaft leisten – und ich«, rief er lachend, »bin ebenfalls sehr zufrieden.«

»Sie sind ja ein sehr philosophischer Ehemann; aber ich fürchte, nach dem, was Sie selber gesehen haben, werde ich bei der Gräfin ein bißchen matt sein.«

»Im Gegenteil, die süße Erinnerung an das Glück wird Sie liebenswürdig machen.«

»In Worten vielleicht – aber sonst …«

»Sie werden sich als erfahrener Mann schon mit der Sache abfinden.«

»Mein Wagen steht zu Ihrer Verfügung, mein lieber Graf; nehmen Sie ihn nur, denn ich werde heute nicht mehr ausgehen.«

Leise trat ich bei der Gräfin ein, die ich im Bett fand; ich erkundigte mich zärtlich nach ihrer Gesundheit.

Mit einem höchst angenehmen Lachen antwortete sie mir: »Ich befinde mich ausgezeichnet; mein Mann hat mir die Gesundheit wiedergegeben.«

Während des Sprechens hatte ich mich auf ihr Bett gesetzt. Da sie anscheinend nicht verdrießlich darüber war, so hielt ich dies für ein gutes Zeichen.

»Werden Sie nicht mehr ausgehen?« fragte sie mich; »Sie sind ja im Schlafrock, und Ihr Haar ist ganz aufgelöst.«

»Ich war auf meinem Bett eingeschlafen; als ich erwachte, beschloß ich, Ihnen Gesellschaft zu leisten, wenn Sie ebenso gut und lieb sein wollen, wie Sie schön sind.«

»Wenn Sie anständig gegen mich sind, können Sie sich darauf verlassen, mich stets freundlich zu finden.«

»Und Sie werden mich lieben?«

»Das kommt auf Sie an. Sie opfern mir heute Abend den Grafen Canano.«

»Ja, sehr gern. Er hat schon viel Gold von mir gewonnen, und ich sehe voraus, er wird mir morgen fünfzehntausend Lire abnehmen, die der Marchese Triulzi mir für das Kleid gegeben hat, das Sie nicht von mir annehmen wollten.«

»Es wäre recht schade, wenn Sie diese hübsche Summe verloren.«

»Da haben Sie recht. Es kommt aber gewiß nicht dazu, wenn Sie gefällig sind; denn ich habe das Geld für Sie bestimmt. Erlauben Sie mir, Ihre Tür zu schließen!«

»Warum?«

»Weil ich vor Frost und Begierde halbtot bin, meine schöne Gräfin, und weil ich mich unter Ihrer Decke wärmen möchte.«

»Das werde ich niemals dulden.«

»Ich will Ihnen durchaus nicht Gewalt antun. Leben Sie wohl, meine Gnädige; ich werde mich vor meinem Feuer wärmen, und morgen werde ich Cananos Bank den Krieg erklären.«

»Sie sind wirklich ein schlechter Mensch! Bleiben Sie, Ihre Unterhaltung ist mir angenehm.«

Ohne noch länger zu reden, schloß ich die Tür, und da ich sah, daß sie mir den Rücken zugedreht hatte, entledigte ich mich schnell meiner Kleider; im Nu lag ich neben ihr. Sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben und ließ mich alles machen, was ich wollte; aber Zenobia hatte mich erschöpft. Mit gesenkten Augen ließ sie sich in alle Stellungen bringen, die der Kodex der Wollust nur kennt, während ihre beiden Hände, die sie mir überlassen hatte, mich nach allen Richtungen hin magnetisierten. Aber es geschah nichts; ich war völlig gelähmt, und der Besitz aller ihrer Reize war nicht imstande, das Werkzeug, ohne welches die Operation unmöglich war, in Tätigkeit zu setzen.

Ohne Zweifel fühlte die boshafte Spanierin aufs tiefste den Schimpf, den meine Schwäche ihren Schönheiten antat; ohne Zweifel täuschte ich in grausamster Weise die Begierden, die meine Berührungen vielleicht gegen ihren Willen in ihr erweckten; denn mehr als einmal fühlte ich meine Finger von einem Saft überströmt, der deutlich bezeugte, daß sie nicht gleichgültig war; aber sie besaß die Kraft, sich zu verstellen, indem sie tat, wie wenn sie schliefe. Es ärgerte mich, daß sie in solchem Grade Gefühllosigkeit heucheln konnte, und ich machte mich über ihren Kopf her; aber ihre Lippen, die sie mir zum Gebrauch überließ und die ich über alle Maßen mißbrauchte, übten nicht mehr Wirkung als die anderen Teile ihres Körpers. Aus Verdruß, daß ich das Wunder der Auferstehung nicht an mir bewirken konnte, entschloß ich mich, einen Versuch aufzugeben, wobei ich eine so klägliche Rolle spielte; aber es war mir nicht möglich, großmütig zu sein, und um meine eigene Schande zu mildern, beschimpfte ich noch zuletzt die Gräfin mit den Worten, die ich mir später glücklicherweise oft selber vorgeworfen habe: »Es ist nicht meine Schuld, Madame, wenn Ihre Reize so wenig Macht über meine Sinne haben. Hier sind fünfzehntausend Franken, um Sie zu trösten.«

Nach dieser schönen Rede entfernte ich mich.

Meine Leser müssen mich verabscheuen, besonders meine Leserinnen, wenn ich deren jemals haben sollte; ich fühle dies und ich gebe ihnen recht, denn ich begreife sie; aber mögen sie die Güte haben, mit ihrem Haß noch etwas zu warten. Sie werden später sehen, daß der Instinkt mir auf eine fast prophetische Weise gedient hatte.

Am anderen Morgen kam der Graf schon in aller Frühe mit sehr zufriedenem Gesicht auf mein Zimmer.

»Meine Frau«, sagte er, »befindet sich sehr wohl und hat mich beauftragt, Ihnen guten Morgen zu sagen.«

Ich hatte so etwas durchaus nicht erwartet und war daher einigermaßen erstaunt.

»Ich bin entzückt,« fuhr er fort, »daß die fünfzehntausend Lire, die Sie ihr gegeben haben, nicht dieselben sind, die Sie vom Marchese empfingen. Ich hoffe, wie Triulzi selber, daß sein Geld Ihnen heute Nacht Glück bringen wird.

»Ich werde nicht in die Oper gehen,« antwortete ich ihm, »sondern auf den Ball; ich werde alles aufbieten, um von niemandem erkannt zu werden.«

Ich bat ihn demgemäß, mir einen ganz neuen Domino zu kaufen und auf dem Ball nicht in meine Nähe zu kommen, denn ich hoffte, nur von ihm allein erkannt zu werden. Als er fort war, setzte ich mich an meinen Schreibtisch; ich hatte eine Menge unerledigter Briefe.

Gegen Mittag brachte der Graf mir meinen Domino; nachdem ich diesen sorgfältig eingeschlossen hatte, speisten wir mit der Gräfin, deren Miene und Ton mich in Erstaunen setzten. Ein heiteres Wesen, ein sanftes, höfliches und liebenswürdiges Benehmen, das vollkommen natürlich erschien, ließen sie mir so schön vorkommen, daß ich Gewissensbisse empfand, sie so beleidigend behandelt zu haben. Es erschien mir unbegreiflich, daß sie am Tage zuvor so gefühllos gewesen war, und ich fragte mich, ob die von mir selber bemerkten Anzeichen vom Gegenteil nicht etwa körperlichen Ursachen zuzuschreiben seien, die oft ohne Vorwissen wirken, besonders während des Schlafes. Sollte sie wirklich geschlafen haben, während ich sie so schmählich beschimpfte? Der Gedanke, daß dies so sein könnte, bereitete mir ein gewisses Vergnügen. Nachdem ihr Gatte uns allein gelassen hatte, sagte ich in zärtlichem und reuigem Ton zu ihr: »Ich erkenne an, daß ich ein Ungeheuer bin. Sie müssen mich verabscheuen!«

»Sie ein Ungeheuer!« antwortete sie; »ich fühle mich aufs tiefste verpflichtet, und ich wüßte nicht, inwiefern Sie es an Rücksicht hätten fehlen lassen; Sie brauchen sich daher keine Vorwürfe zu machen.«

Zärtlich und verwirrt bat ich sie um ihre Hand; aber im Augenblick, wo ich diese an meine Lippen führte, zog sie sie sanft zurück und gab mir einen Kuß. Die Reue trieb mir das Blut ins Gesicht.

Nachdem ich wieder auf mein Zimmer gegangen war und meine Briefe versiegelt hatte, maskierte ich mich und ging auf den Ball. Ich trug nichts an mir, woran man mich hätte erkennen können. Ich hatte Uhren und Tabaksdosen eingesteckt, die bisher niemand bei mir gesehen hatte; ich wechselte sogar die Börsen, damit diese mich nicht verraten möchten.

Nachdem ich mich so verkleidet hatte, um die Neugierigen auf eine falsche Fährte zu bringen, setzte ich mich an Cananos Tisch und begann auf eine ganz andere Weise zu setzen als an den vorhergehenden Tagen. Ich hatte in einer Börse hundert spanische Quadrupeln, soviel wie siebenhundert venetianische Zechinen. Es war das Gold, was ich von Greppi erhalten hatte; denn des von Triulzi empfangenen wollte ich mich nicht bedienen, damit der Marchese mich nicht erkennen könnte.

Ich leerte meine Börse mit den Quadrupeln vor mir aus und hatte nach weniger als einer Stunde nicht eine einzige mehr vor mir. Ich stand auf, und alle Zuschauer traten zur Seite in dem Glauben, daß ich wie ein geschlagenes Heer den Rückzug antreten würde. Ich aber zog meine zweite Börse, schüttete sie vor mir aus und setzte, ohne wieder Platz zu nehmen, hundert Zechinen auf eine Karte. Ich fand sie günstig mit »Paroli« und dem »Sept-et-la-va.« Der Bankier gab mir mit freundlichem Gesicht meine hundert Quadrupeln zurück. Voller Hoffnung setzte ich mich wieder neben den Grafen Canano und begann von neuem zu spielen. Canano sah mich prüfend an. Ich hatte die Dose bei mir, die ich vom Kurfürsten von Cöln erhalten hatte und die auf dem Deckel das Bildnis des Fürsten trug. Als ich eine Prise nahm, machte der Bankier mir ein Zeichen, daß er auch eine wünschte. Ich gab ihm die Dose, die von mehreren Neugierigen angesehen wurde. Eine Frauenstimme, die ich nicht kannte, sagte, es sei das Porträt des Kurfürsten von Cöln in der Tracht des Großmeisters des Deutschen Ritterordens. Man gab mir das Kleinod zurück, und ich bemerkte, daß diese Dose mir Achtung verschaffte. Es gehört ja so wenig dazu, der Menge zu imponieren! Ich begann nun auf eine andere Art zu spielen: ich setzte fünfzig Zechinen auf eine Karte und spielte Paroli und Paix de Paroli. Mit Tagesanbruch hatte ich die Bank gesprengt. Canano sagte mir sehr höflich: wenn ich mir die Mühe sparen wolle, das ganze Gold mitzuschleppen, werde er es wiegen lassen und mir eine Anweisung für seinen Kassierer geben. Man brachte eine Wage, und es stellte sich heraus, daß ich vierunddreißig Pfund Gold gewonnen hatte – zweitausendachthundertsechsundfünfzig Zechinen. Canano schrieb mir eine Anweisung, ich entfernte mich mit langsamen Schritten und trat in den Ballsaal.

Barbaro besaß die allen Venetianern eigentümliche Gabe, Menschen zu erkennen. Er hatte mich erkannt, redete mich an und wünschte mir Glück; als er jedoch sah, daß ich ihm nicht antwortete, erriet er, daß ich nicht erkannt sein wolle, und entfernte sich.

Eine Frau, die als Griechin verkleidet war, sagte mir mit Falsettstimme, sie wünsche einen Kontertanz mit mir zu tanzen; sie trug eine orientalische Mütze, die mit herrlichen Brillanten bedeckt war, und einen Gürtel, der reich mit ebensolchen Edelsteinen so besetzt war, daß er einen Busen hervorhob, der einer Zirkassierin würdig war. Ich gab ihr durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß ihr Wunsch mir angenehm sei. Als sie hierauf einen Handschuh auszog, sah ich eine alabasterweiße, weiche Hand, die mit einem herrlichen Solitär geschmückt war. Es war allem Anschein nach keine gewöhnliche Begegnung. Ich war sehr neugierig, suchte aber vergeblich zu erraten, wer die Dame sein könnte. Sie tanzte ausgezeichnet, aber wie eine Dame der großen Welt, und ich gab mir große Mühe, es ihr gleich zu tun. Ich war daher ganz in Schweiß gebadet, als der Kontertanz aufhörte.

»Ihnen ist warm, schöner Tänzer!« sagte meine Partnerin, ihre süße Stimme verstellend; »Sie können sich in meiner Loge ausruhen.«

Mir hüpfte das Herz vor Freude, und ich folgte ihr mit Vergnügen; als ich jedoch Greppi in der Loge fand, in die sie mich führte, zweifelte ich nicht, daß die zauberische Schönheit meine Teresa war. Dies ernüchterte mich ein wenig.

Es war wirklich Teresa; sie demaskierte sich und wünschte mir Glück zu meinem Siege.

»Aber, meine Liebe, wie haben Sie mich denn erkannt?«

»An Ihrer Tabaksdose. Diese ist so indiskret gewesen, Sie meinen Augen zu enthüllen; denn sonst hätte ich niemals daran gedacht, Sie in dieser Verkleidung zu suchen.«

»Sie glauben also, daß niemand erraten hat, wer ich bin?«

»Niemand; es müßte denn die Dose auch anderen bekannt sein.«

»Hier in Mailand hat kein Mensch die Dose gesehen.« Ich benutzte die Gelegenheit, Herrn Greppi die Cananosche Anweisung zu geben; ich erhielt eine Quittung dafür. Teresa lud uns für den nächsten Tag zum Abendessen ein, indem sie zu mir sagte: »Wir werden zu vieren sein.« Greppi war neugierig und wollte wissen, wer dieser vierte sei; ich aber erriet, daß es mein lieber Sohn Cesarino war, und ich täuschte mich nicht.

Nachdem ich wieder in den Ballsaal hinuntergegangen war, griffen zwei hübsche Damen in Dominos mich von rechts und links an, indem sie mir sagten, Messer-grande erwarte mich vor der Tür.

Als sie mich hierauf um Tabak baten, reichte ich ihnen eine Dose, worin sich ein unanständiges Bild befand. Ich besaß die Unverschämtheit, auf die Feder zu drücken und es ihnen zu zeigen. Sie sahen es sich an und sagten dann: »Pfui! Zur Strafe für Ihre Ungezogenheit sollen Sie niemals erfahren, wer wir sind!«

Es tat mir leid, diesen schönen Masken mißfallen zu haben, denn sie schienen mir der Mühe wert zu sein, ihre Bekanntschaft zu machen; ich folgte ihnen, und als ich Barbaro sah, der alle Welt kannte, zeigte ich sie ihm und erfuhr mit großem Vergnügen, daß es die beiden schönen Marchesinnen Q. und F. waren. Ich versprach Barbaro, sie am nächsten Tage zu besuchen. Er sagte mir, der ganze Ball kenne mich jetzt; unsere Bank gehe hoch, doch werde wohl eine solche Kleinigkeit mir nicht der Mühe wert erscheinen.

Gegen Ende des Balles, als es bereits heller Tag war, wurde ein venetianischer Barkarole von einer weiblichen Maske, die sehr hübsch mit Baute und schwarzem Mantel auf echt venetianische Art gekleidet war, angesprochen. Sie forderte den Barkarole heraus, sie zu überzeugen, daß er Venetianer sei, indem er die Furlana mit ihr tanze. Der Barkarole nahm an; man befahl der Musik, den Tanz zu spielen, aber die Maske, offenbar ein Mailänder, wurde ausgepfiffen, während die Hübsche mit der Laute zum Entzücken tanzte. Da dieser Tanz zu meinen Leidenschaften gehörte, lud ich die Unbekannte ein, ihn mit mir zu wiederholen. Sie war bereit; man bildete einen Kreis um uns, und da alle Welt Beifall klatschte, tanzten wir ihn noch einmal. Dies wäre genug gewesen; aber ein bildhübsches junges Mädchen, das als Schäferin gekleidet war und keine Maske trug, forderte mich auf, noch ein drittesmal mit ihr zu tanzen. Ich hatte nicht den Mut, ihr diese Bitte abzuschlagen, und sie tanzte wundervoll. Dreimal tanzte sie den Kreis doppelt herum und schien dabei zu schweben. Sie machte mich ganz atemlos. Zum Schluß flüsterte sie mir meinen Namen ins Ohr. Überrascht, aber bezaubert fragte ich sie nach dem ihrigen. Sie antwortete mir venetianisch, ich würde ihn erfahren, wenn ich sie in den »Drei Königen« aufsuchen wollte.

»Sind Sie allein?«

»Ich lebe mit meinen Eltern zusammen, und diese sind alte Freunde von Ihnen.«

»Sie werden mich Montag sehen.«

Wieviele Abenteuer in einer einzigen Nacht! Todmüde ging ich nach Hause; aber man ließ mich nur ein paar Stunden schlafen. Ich wurde geweckt und mit Gewalt gezwungen, mich anzuziehen. Die Gräfin, der Marchese, der Graf, die alle schon für Zenobias Hochzeit fertig waren, hetzten mich, indem sie sagten, es sei unhöflich, ein junges Ehepaar warten zu lassen. Alle drei machten mir die größten Komplimente über die Tapferkeit, womit ich das Glück gebändigt hätte. Ich sagte dem Marchese, sein Geld habe mir Glück gebracht, aber er antwortete mir, er wisse wohl, in wessen Hände das Geld gekommen sei.

Diese Indiskretion des Grafen oder seiner Frau überraschte mich; denn sie schien mir allen Regeln zu widersprechen, die für derartige Intrigen gelten.

»Canano«, fuhr der Marchese fort, »hat Sie an der Art erkannt, wie Sie Ihre Tabaksdose öffnen. Er erwartet uns zum Mittagessen. Er wünscht, daß Sie ihm hundert Pfund Gold abgewinnen, denn er hat eine Schwäche für Sie.«

»Canano«, antwortete ich ihm, »ist ein feiner Beobachter und ein vornehmer Spieler. Ich wünsche durchaus nicht, ihm sein Geld abzugewinnen.«

Wir gingen ins »Apfelkasino«; dort fanden wir etwa zwanzig brave Leute, die schon auf uns warteten, und das junge Paar, das sich an Komplimenten gar nicht genug tun konnte. Es kostete uns keine Mühe, die Gesellschaft in eine behagliche Stimmung zu bringen; im ersten Anfang hatte unser Erscheinen sie etwas aus der Fassung gebracht; aber ein bißchen Vertraulichkeit gab ihnen bald ihre Ungezwungenheit wieder. Wir gingen zu Tisch. Unter den Gästen waren fünf hübsche Mädchen; aber ich war zu sehr von Zenobia eingenommen, um an andere zu denken. Das Festmahl dauerte drei Stunden; es war so reichlich und die fremden Weine waren so ausgezeichnet, daß ich mir leicht denken konnte, meine fünfundzwanzig Zechinen würden wohl nicht gereicht haben. Es wurde sehr lustig, denn nachdem einige volle Gläser geleert waren, brachte ein jeder Gesundheiten aus; und da ein jeder seinen Nachbarn überbieten wollte, so wurde der größte Blödsinn mit Begeisterung vorgebracht. Hierauf hielt ein jeder sich für verpflichtet, uns etwas vorzusingen, und nicht alle waren Künstler. Wir lachten herzlich, aber auch wir erregten Heiterkeit durch unsere Improvisationen und Gesänge, in denen es uns gelang, Plumpheiten vorzubringen, die den derben Späßen der guten Leute nichts nachgaben.

Als wir vom Tische aufstanden, gab es eine allgemeine Umarmung. Die Gräfin konnte sich nicht enthalten, laut aufzulachen, als sie ihre Wange den Lippen des Schneiders darbieten mußte, dem das Lachen der Gräfin als eine ganz besondere Huld erschien. Eine gute Musik ließ sich hören, und der Tanz begann. Nach den Regeln der Etikette wurde der Ball durch ein Menuett der schönen Neuvermählten mit dem jungen Ehemann eröffnet. Zenobia tanzte, wenn auch nicht gut, so doch wenigstens anmutig und nach dem Takt; der Schneider dagegen, der immer nur mit gekreuzten Beinen auf seinem Tisch gesessen war, tanzte auf eine so lächerliche Art, daß der Gräfin vor Lachen beinahe unwohl geworden wäre. Trotzdem mußte die stolze Spanierin mit dem Pavian tanzen, als ich mich nach dem Menuett Zenobias bemächtigte.

Als das Menuett zu Ende war, begannen die Kontertänze. Diese dauerten bis zum Schluß des Balles, und zwischendurch wurden eine Menge Getränke und Erfrischungen aufgetragen. Die »Konfetti«, bunte Zuckerkügelchen, die man in Mailand noch besser als in Verdun macht, waren in verschwenderischem Überfluß vorhanden.

Als wir fortgehen wollten, machte ich dem Ehemann meine Komplimente und erbot mich, seine Frau in meinem Wagen nach Hause zu bringen; er fand dies sehr ehrenvoll. Ich reichte also Zenobia meine Hand, um sie an den Wagen zu geleiten. Nachdem ich dem Kutscher befohlen hatte, im Schritt zu fahren, setzte ich die Neuvermählte wie ein Löschhorn auf mich und behielt sie in dieser Stellung bis an die Tür des Hauses.

Zenobia stieg zuerst aus, und ich folgte ihr. Da ich jedoch bemerkte, daß meine Hosen von grauem Samt verdorben waren, so bat ich Zenobia, sie möchte ins Haus gehen, ich würde in einem Augenblick wieder bei ihr sein. In zwei Minuten hatte ich eine schwarze Atlashose angezogen; ich war wieder bei der Schönen, bevor ihr Mann angekommen war. Sie fragte mich, warum ich mich entfernt hätte, und als ich ihr sagte, die allzu sichtbaren Spuren unserer Liebestaten hätten einen schnellen Kleiderwechsel notwendig gemacht, dankte sie mir und küßte mich. Bald darauf kam der Mann mit seiner Schwester. Er dankte mir, indem er mich Gevatter nannte; und als er die so plötzlich eingetretene Veränderung meines Anzuges bemerkte, fragte er mich, wie ich diese Umwandlung so schnell habe vollziehen können.

»Indem ich nach Hause gefahren bin und ihre liebe Frau allein habe in ihre Wohnung gehen lassen; ich bitte Sie dieserhalb um Verzeihung.«

»Hast du denn nicht bemerkt,« sagte Zenobia schnell, »daß der Herr eine Tasse Kaffee über seine schönen Hosen ausgegossen hatte?«

Der schlaue Schneider antwortete: »O, meine liebe Frau, ich bemerke nicht alles; das ist auch gar nicht notwendig. Aber du hättest den gnädigen Herrn nach seiner Wohnung begleiten sollen.«

Über seinen eigenen Witz lachend, fuhr er dann fort: »Sind Sie mit der Hochzeit zufrieden gewesen?«

»Sehr zufrieden, wie auch meine Freunde. Aber ich muß Ihnen noch Geld geben, lieber Gevatter, denn Sie haben mehr als fünfundzwanzig Zechinen ausgegeben. Sagen Sie mir, wieviel es macht.«

»Nicht viel, eine Kleinigkeit. Ich werde Ihnen die Rechnung durch Zenobia schicken.«

Es ärgerte mich, nicht daran gedacht zu haben, daß der Bursche den Hosenwechsel bemerken und daß er sich den Grund desselben denken würde. Indessen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß der Schneider ein kluger Mann war und daß er allem Anschein nach sich in sein Schicksal gefunden hatte. Weniger ehrgeizig als Cäsar wußte er sich damit zu begnügen, bei einer schönen Frau der zweite zu sein. Ich fuhr nach Hause. Nachdem ich dem Grafen, dem Marchese und der Gräfin, die mir für das gehabte Vergnügen dankten, gute Nacht gesagt hatte, ging ich zu Bett.

Als ich aufwachte, erinnerte ich mich der Schäferin, die auf dem Opernball die Furlana so gut getanzt hatte. Ich beschloß, ihr einen Besuch zu machen. Ihre Schönheit hatte meine Teilnahme erregt; außerdem aber war ich neugierig, was das für ein Vater und eine Mutter wären, welche alte Bekannte von mir sein sollten. Ich machte meine Morgentoilette und ging zu Fuß nach den Drei Königen. Ohne einen Menschen zu fragen, ging ich in das Zimmer mit der Nummer, die das junge Mädchen mir genannt hatte. Ich stand starr vor Erstaunen, als ich mich jener Gräfin Rinaldi gegenüber befand, mit der vor sechzehn Jahren Zavoiski mich in der Locanda von Castelletto bekannt gemacht hatte. Der Leser wird sich erinnern, auf welche Weise Herr von Bragadino ihrem Gatten die Summe bezahlt hatte, die er mir im Spiel abgewonnen hatte.

Frau Rinaldi war älter geworden; sie war aber noch ganz gut zu erkennen. Da ich für sie nur eine flüchtige Laune empfunden hatte, so überließ ich mich keinen Erinnerungen, die uns beiden keine Ehre machten, sondern sagte nur: »Ich bin entzückt, Sie wiederzusehen, gnädige Frau; leben Sie noch mit Ihrem Gatten zusammen?«

»Sie werden ihn in einer halben Stunde sehen, mein Herr; er wird die Ehre haben, Ihnen seine Achtung zu bezeigen.«

»Daraus mache ich mir nicht das Geringste, gnädige Frau; wir haben alte Händel miteinander, an die ich mich durchaus nicht erinnern möchte; also leben Sie wohl, meine Gnädige.«

»Nein, nein! Ich bitte Sie, setzen Sie sich.«

»Sie werden mir gütigst erlauben, dies nicht zu tun.«

»Irene, suche den Herrn zurückzuhalten.«

Auf diesen Befehl hin klammerte die reizende Irene sich an den Türgriff an, nicht mit der Miene eines knurrenden Kettenhundes, sondern wie ein Engel, der mit jenem innigen, furchtsamen und hoffnungsvollen Blick bittet, dessen Allmacht zärtliche Seelen so gut kennen. Ich fühlte mich in Fesseln geschlagen und sagte zu ihr: »Lassen Sie mich gehen, schöne Irene! Wir können uns anderswo wiedersehen.«

»Oh! ich bitte Sie, warten Sie, bis mein Vater kommt! Schlagen Sie mir diese Bitte nicht ab!«

Diese Worte waren von einem so zärtlichen Blick begleitet, daß meine Lippen sich auf die ihrigen pressen mußten. Irene hatte gesiegt. Was kann man einem jungen Mädchen abschlagen, das zu bitten versteht und dessen süßen Atem man in der sympathischen Berührung des Kusses einsaugt! Ich nahm einen Stuhl, und die junge Irene, ganz stolz auf ihren Sieg, setzte sich auf meinen Schoß und überschüttete mich mit Liebkosungen.

Ich fragte die Gräfin, wann und wo Irene geboren sei.

»In Mantua,« antwortete sie, »drei Monate nach meiner Abreise von Venedig.«

»Und wann reisten Sie von Venedig ab?«

»Sechs Monate, nachdem ich Ihre Bekanntschaft gemacht hatte.«

»Das ist ein eigentümliches Zusammentreffen, meine Gnädige; wenn ich ein zärtliches Verhältnis mit Ihnen gehabt hätte, so könnten Sie mir sagen, Irene sei meine Tochter; ich möchte dies glauben, denn die Leidenschaft, die sie mir einflößt, klingt wie die Stimme des Blutes.«

»Ihr Gedächtnis ist nicht sehr treu, mein Herr; das wundert mich.«

»Oh! gewisse Sachen vergesse ich niemals; dafür kann ich Ihnen bürgen. Aber ich errate Ihre Absicht: Sie wollen, daß ich die Gefühle niederhalte, die Ihre Tochter mir einflößt; ich bin damit einverstanden, aber es wird Ihr Schade sein.«

Irene war bei diesem kurzen Gespräch verstummt; gleich darauf aber faßte sie neuen Mut und sagte mir, sie sehe mir ähnlich.

»Dabei würden Sie schlecht wegkommen, Irene; wenn Sie mir ähnlich sähen, wären Sie weniger hübsch.«

»Das glaube ich nicht; denn ich für meinen Teil finde Sie sehr schön.«

»Das ist schmeichelhaft für mich.«

»Bleiben Sie bei uns zum Essen!«

»Nein, wenn ich bliebe, könnte ich in Sie verliebt werden, und dies würde mich unglücklich machen, wenn ich, wie Ihre Mutter behauptet, Ihr Vater wäre.«

»Ich habe nur gespaßt,« sagte die Gräfin; »Sie können Irene mit ruhigem Gewissen lieben.«

»Das ist was anderes.«

Irene ging hinaus, und ich sagte zu der Mutter: »Ihre Tochter gefällt mir; aber ich will nicht lange schmachten und auch nicht angeführt werden.«

»Sprechen Sie mit meinem Mann darüber. Wir sind in Not, und man erwartet uns in Cremona.«

»Aber Ihre Tochter hat doch gewiß einen Liebhaber?«

»Nein.«

»Aber sie hat doch einen gehabt?«

»Das waren immer nur Tändeleien.«

»Das ist unglaublich.«

»Aber vollkommen wahr. Irene ist unberührt.«

In diesem Augenblick trat Irene mit ihrem Vater ein. Der Graf war so alt geworden, daß ich ihn sonst gewiß nicht erkannt hätte. Er umarmte mich und bat mich, das Vergangene zu vergessen und nicht darüber zu sprechen.

»Nur Sie«, fuhr er fort, »können mich aus der Verlegenheit retten, indem Sie mir die Mittel verschaffen, nach Cremona zu reisen. Ich habe alles versetzt, habe Schulden und schwebe in Gefahr, ins Schuldgefängnis geworfen zu werden. Kein Mensch kommt zu mir; die einzigen Besucher sind bettelhafte Lumpen, die meiner Tochter nachstellen. Das liebe Kind ist das einzige Gut, das ich noch habe. Diese Uhr von Pinsbeck wollte ich verkaufen; darum war ich ausgegangen. Ich habe die Hälfte ihres Wertes verlangt – sechs Zechinen; man hat mir nur zwei geboten. Wenn ein Mensch einmal im Unglück ist, verschwört alles sich, um ihn zu Boden zu drücken.«

Ich gab ihm sechs Zechinen, nahm dafür die Uhr und schenkte diese Irenen. Sie sagte mir lachend: »Ich kann Ihnen nicht dafür danken, denn Sie geben mir nur mein Eigentum wieder; aber ich danke Ihnen für das Geschenk, das Sie meinem Vater gemacht haben. Hier!« fuhr sie, ernst werdend, fort, indem sie sich an ihren Vater wandte: »Sie können sie noch einmal verkaufen.«

Über diese Wendung mußte ich herzlich lachen. Ich umarmte und küßte Irene, gab hierauf dem Grafen noch zehn Zechinen und sagte ihm, ich hätte eilige Geschäfte und würde ihn in drei oder vier Tagen wiedersehen.

Irene begleitete mich die Treppe hinunter, und nachdem sie mir erlaubt hatte, mich zu vergewissern, daß sie noch im Besitze ihrer Rose war, schenkte ich ihr noch zehn Zechinen und sagte ihr, ich würde ihr hundert geben, wenn sie das erstemal allein mit mir auf den Ball ginge. Sie antwortete mir, sie würde es ihrem Vater sagen.

Ich war gewiß, daß der arme Teufel schon vor dem ersten Ball Irene zu meiner Verfügung stellen würde, und da ich nicht wußte, wohin ich sie führen sollte, um ohne Zwang mit ihr beisammen zu sein, so blieb ich vor einem Anhängeschild stehen, das neben dem Laden eines Pastetenbäckers hing. Dort war eine Wohnung zu vermieten. Die Straße war einsam und ganz für eine geheimnisvolle Liebe geschaffen. Dies gefiel mir. Ich wandte mich an den Pastetenbäcker; er sagte mir, das Haus gehöre ihm, und seine sehr hübsche Frau, die ein Püppchen an der Brust hatte, sagte mir, sie würde die Ehre haben, mit mir hinauf zu gehen, um mir die Zimmer zu zeigen. Wir gingen nach dem dritten Stock; aber das waren lauter armselige Löcher, die mir nicht passen konnten.

»Der erste Stock«, sagt die Frau zu mir, »besteht aus vier untereinander zusammenhängenden Zimmern, aber wir können diese nur zusammen vermieten.«

»Zeigen Sie sie mal! – Gut, meine Liebe; das ist gerade, was ich suche. Und der Preis?«

»Den können Sie mit meinem Mann abmachen.«

»Und mit Ihnen kann man nichts abmachen?« Mit diesen Worten gab ich ihr einen Kuß, den sie auf das liebenswürdigste hinnahm; aber sie roch nach Milch; dies war mir immer ekelhaft, und ich ging daher trotz der blühenden Schönheit meiner neuen Wirtin nicht weiter. Nachdem ich mit dem Hauswirt die Bedingungen vereinbart hatte, bezahlte ich ihm gegen Quittung einen Monat im voraus. Wir vereinbarten, daß ich völlig ungestört ein- und ausgehen könnte und daß er mir nach meinem Wunsch Essen liefern sollte, übrigens gab ich ihm irgendeinen gewöhnlichen Namen an, so daß er nicht einmal wußte, mit wem er zu tun hatte; aber daraus schien er sich auch sehr wenig zu machen.

Da ich mit Barbaro verabredet hatte, die schönen Marchesinnen zu besuchen, so machte ich eine glänzende Toilette. Ich speiste hierauf recht mäßig mit der Gräfin zusammen, die sich gut und liebenswürdig zeigte, mir aber trotzdem nicht ganz gefiel. Dann suchte ich meinen Landsmann auf, und wir begaben uns zusammen zu den beiden jungen Damen.

Ich sagte zu ihnen: »Ich möchte Sie um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen das geheime Bild meiner Tabaksdose gezeigt habe.«

Sie erröteten und schalten Barbaro aus, denn sie konnten sich wohl denken, daß er sie verraten hatte. Ich fand die beiden Basen, abgesehen von jedem Vorurteil, weit schöner als Irene, die mich in diesem Augenblick beschäftigte; nur erschreckte mich ihr vornehmer Ton, die ehrfurchtsvolle Achtung, die sie zu fordern schienen. Ich hatte keine Lust, lange zu schmachten. Irenes Lage dagegen war für mich sehr bequem; ich konnte sie in meinen Besitz bringen und dadurch zugleich ihren Eltern einen sehr bedeutenden Dienst erweisen; hier dagegen hatte ich zwei sehr vornehme Fräuleins vor mir, die den üblichen Adelsstolz besaßen – ein Stolz, der sie unter die niedrigsten Klassen erniedrigt, aber auf die Dummen, deren es überall so viele gibt, stets großen Eindruck macht. Außerdem war ich nicht mehr in jenem glänzenden Alter, wo man niemals an sich selber zweifelt, und ich fürchtete, mein Äußeres hätte nicht die Macht, sie zu besiegen. Barbaro hatte mir allerdings Hoffnung gemacht, daß ich vielleicht mit dem großen Mittel der Geschenke zum Ziel kommen könnte; wenn ich jedoch an die Worte des Marchese Triulzi dachte, so fürchtete ich, die Bemerkung meines Landsmannes sei weiter nichts als eine Vermutung gewesen.

Als die Gesellschaft zahlreich geworden war, wurde der Vorschlag gemacht, zu spielen. Ich machte kleine Einsätze wie Fräulein von Q., an deren Seite ich saß. Ihre Tante, die Dame des Hauses, hatte mich einem sehr hübschen jungen Herrn in österreichischer Offiziersuniform vorgestellt; dieser setzte sich an meine andere Seite.

Mein lieber Landsmann hielt die Karten wie ein richtiger Spitzbube; das gefiel mir nicht. Nachdem das Spiel vier Stunden gedauert hatte, sah meine schöne Nachbarin sich zum Schlusse im Besitze einiger gewonnener Zechinen; mein Nachbar dagegen, der all sein bares Geld verloren und hierauf auf Wort gespielt hatte, war etwa zehn Louis schuldig. Die Bank hatte einschließlich der Schuld des jungen Offiziers fünfzig Zechinen gewonnen. Als wir uns entfernten, erwies der junge Herr, der einen weiten Weg nach Hause hatte, mir die Ehre, in meinen Wagen zu steigen.

Unterwegs sagte Barbaro uns, er wolle uns mit einer kürzlich angekommenen jungen Venetianerin bekannt machen. Der junge Offizier fing Feuer und drang in ihn, er solle uns sofort hinführen. Er tat dies. Sie war eine ziemlich gut gewachsene junge Person, interessierte aber weder mich noch den hübschen Offizier. Während Kaffee für uns gemacht wurde und Barbaro die Schöne unterhielt, nahm ich ein Spiel Karten und zog zwanzig Zechinen aus meiner Börse. Es kostete mir keine große Mühe, um den jungen Offizier zu überreden, eine gleiche Summe auf Wort einzusetzen. Während er spielte, sprach ich von der Leidenschaft, die die junge Marchesina mir eingeflößt habe. Er sagte mir, sie sei seine Schwester. Ich wußte dies, stellte mich aber, wie wenn ich überrascht wäre, und fuhr in meinen Lobpreisungen fort. Als er ganz mit seinem Spiel beschäftigt war, sagte ich ihm, ich sei in Verlegenheit, wie ich der Marchesina meine Liebe ausdrücken solle, und wisse keinen anderen, als ihn, um mich zu empfehlen. Er lachte über meine Dringlichkeit und gab mir nur eine ausweichende Antwort, da er wohl glaubte, daß ich nur scherzte. Als er jedoch bald bemerkte, daß ich, von meiner Leidenschaft sprechend, nicht an mein Spiel dachte, versprach er mir, er wolle mir behilflich sein, und es dauerte nicht lange, so hatte er nur die zwanzig Zechinen abgewonnen; er bezahlte sie sofort an Barbaro. Im Übermaß seiner Freude umarmte er mich so herzlich, wie wenn ich ihm das Geld geschenkt hätte. Er sagte mir, er werde nach besten Kräften für meine Interessen eintreten, und als wir uns trennten, versprach er mir freiwillig, er wolle mir bei unserem nächsten Zusammentreffen günstigen Bescheid geben.

Ich sollte mit Greppi und meinem Sohn bei Teresa zu Abend speisen; da ich aber noch einen Augenblick Zeit hatte, so ging ich in die Oper. Es wurde bereits der dritte Akt gegeben, und ich ging daher in den Spielsaal. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und verlor in einer einzigen Taille zweihundert Zechinen. Ich hörte auf und lief in fast fluchtähnlicher Eile aus dem Saal. Canano schüttelte mir die Hand und sagte mir, er erwarte jeden Tag, das Glück zu haben, mich mit dem Marchese bei sich zu sehen; ich versprach ihm, an einem der nächsten Tage zu kommen.

Bei Teresa fand ich Greppi, der auf sie wartete. Eine Viertelstunde darauf kam sie mit Don Cesarino. Ich bedeckte ihn mit Küssen, während Greppi starr vor Verwunderung den schönen Jungen ansah, in dem er nur meinen Bruder oder meinen Sohn erblicken konnte. Teresa sagte ihm jedoch, Cesarino sei ihr Bruder. Dies machte den Bankier vollends irre, und er fragte mich, ob ich ihre Mutter besonders gut gekannt hätte. Ich bejahte diese Frage, und nun war er zufrieden. Das Abendessen war ausgezeichnet zubereitet; aber ich hatte nur für meinen Sohn Augen. Ich fand den jungen Mann verständig, wohl unterrichtet und ausgezeichnet erzogen. Er war viel größer geworden, seitdem ich ihn zuletzt in Florenz gesehen hatte, und hatte sich geistig ebensosehr entwickelt wie körperlich. Cesarinos Gegenwart machte unser Abendessen ernst, aber angenehm. Schönheit und reine Jugend breitet einen unaussprechlichen Zauber über unser Leben aus; ihre Unschuld flößt Achtung und Zurückhaltung ein. Um ein Uhr morgens entfernten wir uns; sehr zufrieden mit meinem Tagewerk legte ich mich zu Bett, denn aus dem Verlust der zweihundert Zechinen machte ich mir nichts.

Beim Aufstehen erhielt ich ein Briefchen von Irene, die mich beschwor, bei ihr vorzusprechen. Ihr Vater hätte ihr erlaubt, mit mir auf den Ball zu gehen; sie hätte auch bereits einen Domino, aber sie müßte unbedingt mit mir sprechen. Ich schrieb ihr, ich würde sie im Laufe des Tages besuchen. Ich hatte dem Marchese Triulzi gemeldet, ich würde an diesem Tage zu Canano gehen, und er hatte mir sagen lassen, er erwarte mich in seiner Wohnung.

Wir fanden den edlen Spieler in einem schönen Hause, das mit Eleganz eingerichtet war und in allem den Geschmack und den Reichtum des Besitzers verriet. Er stellte mich zwei sehr hübschen Damen vor, von denen die eine seine Geliebte war, sowie fünf oder sechs Marchesen; denn in Mailand ist ein Adeliger zum mindesten Marchese, wie in Vicenza lauter Grafen sind. Er gab uns ein prachtvolles Mahl, das durch die geistreichste Unterhaltung belebt wurde. In einem heiteren Augenblick sagte er mir, er habe schon vor siebzehn Jahren die Ehre gehabt, mich kennen zu lernen, und zwar gelegentlich eines Handels, den ich mit einem gewerbsmäßigen Spieler, einem angeblichen Grafen Celi gehabt habe; ich habe diesem eine hübsche Tänzerin entführt und mit mir nach Mantua genommen. Ich gab die Tatsache zu und erheiterte die Gesellschaft, indem ich erzählte, was mir in Mantua mit O’Neilan und später in Cesena passiert war, wo ich den Grafen Celi wiedergefunden hatte, der inzwischen Graf Alfani geworden war. Man sprach von dem Ball, der am nächsten Tage stattfinden sollte, und lachte, als ich sagte, ich würde nicht hingehen.

»Ich wette mit Ihnen,« sagte Canano zu mir, »daß ich Sie erkennen werde, wenn Sie zu meiner Bank kommen.«

»Ich will nicht mehr spielen, mein lieber Graf,« antwortete ich ihm.

»Um so besser,« versetzte Canano, »denn obgleich Sie im Setzen nicht glücklich sind, so gewinnen Sie mir doch Geld ab. Übrigens ist dies nur scherzhaft gemeint. Kommen Sie nur! Ich will gern die Hälfte meines Vermögens an Sie verlieren.«

Graf Canano trug am Finger einen strohfarbenen Diamanten, der fast ebenso schön wie der meinige war; er hatte ihm zweitausend Zechinen gekostet, während ich für den meinigen dreitausend bezahlt hatte. Er machte mir den Vorschlag, die beiden Ringe gegeneinander auszuspielen, vorher aber sie aus der Fassung nehmen und abschätzen zu lassen.

»Wann?«

»Bevor wir in die Oper gehen.«

»Mir ist es recht; aber nur in zwei Abzügen und indem wir jeder eine Taille halten.«

»Nein, ich setze niemals.«

»Dann schlage ich vor, das Spiel gleich zu machen.«

»Auf welche Weise?«

»Indem wir die Doppelschläge ungültig machen und die beiden letzten Karten nicht abziehen.

»Dann würden Sie den Vorteil haben.«

»Beweisen Sie mir dies, und ich will hundert Zechinen verloren haben. Außerdem wette ich so hoch wie man will, daß trotz der Annullierung der Doppelschläge und dem Weglassen der beiden letzten Karten das Spiel doch vorteilhaft für den Bankhalter ist.«

»Können Sie dies beweisen?«

»Ja, ich werde es unwiderleglich beweisen, und ich überlasse die Entscheidung dem Marchese Triulzi.«

Man bat mich, den Beweis ohne Wette zu führen, und ich sagte nun: »Der Vorteil des Bankhalters ist ein doppelter: der eine, und zwar der kleinere besieht darin, daß Sie, indem Sie die Karte halten, auf nichts anderes zu achten brauchen, als daß Sie niemals verkehrt abziehen; diese Aufmerksamkeit stört nicht im mindesten die Ruhe, die ein jeder bedarf; wer dagegen setzt, verliert den Kopf, indem er sich das Gehirn abmartert, um die Karten zu erraten, die die größeren Aussichten haben, günstig für ihn zu schlagen. Der zweite Vorteil liegt in der Zeit. Der Bankhalter zieht seine Karte mindestens eine Sekunde früher ab als die des Spielers; so geht also sein Glück dem des Gegners vorauf.«

Niemand antwortete; aber nach kurzem Überlegen sagte Marchese Triulzi, um bei Glücksspielen vollkommene Gleichheit herzustellen, müßten beide Spieler einander völlig gleich sein, und dies sei beinahe unmöglich.

»Dies alles ist für mich zu hoch,« sagte Canano; »ich bekenne, daß ich nichts davon verstehe.«

Im Grunde war die Sache nicht schwer zu verstehen.

Nach dem Essen ging ich in die Drei Könige, um zu hören, was Irene mir zusagen hatte, zugleich auch, um mich an ihrer Gesellschaft zu freuen und um ihren Charakter kennen zu lernen, ehe sie die meinige würde. Als sie mich erblickte, lief sie auf mich zu, fiel mir um den Hals und küßte mich; aber ihr Eifer war zu groß, und ich nahm daher ihre Liebkosungen nicht für bare Münze. Ich wußte jedoch seit langer Zeit, daß man nicht lange vorher philosophieren darf, wenn man genießen will; denn man läuft Gefahr, dadurch dem Genuß die Hälfte seiner Süße zu rauben. Wenn Irene beim Tanz der Furlana einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte, warum konnte nicht auch ich ihr gefallen haben, wenngleich ich zwanzig Jahre älter war als sie? Ich sah keinen Grund zu unbedingtem Zweifel und mußte mir an der Möglichkeit genügen lassen, da ich ja nicht beabsichtigte, sie zu meiner Frau zu machen.

Vater und Mutter empfingen mich als ihren Retter, und ich durfte ihre Freundlichkeit für aufrichtig halten. Der Graf bat mich, einen Augenblick mit ihm hinauszugehen. Draußen vor der Tür sagte er zu mir: »Verzeihen Sie einem alten Mann, den das Glück mißhandelt hat; verzeihen Sie vor allen Dingen einem Vater, der sich einiges Unrecht Ihnen gegenüber vorzuwerfen hat, eine unbescheidene Frage: Ist es wahr, daß Sie Irenen hundert Zechinen versprochen haben, wenn ich ihr erlaube, allein mit Ihnen auf den Ball zu gehen?«

»Das ist vollkommen wahr, und Sie begreifen wohl, welche Folgen dies haben wird.«

Kaum hatte ich dies gesagt, so packte der arme alte Gauner mich auf eine Weise beim Kopf, daß ich Angst bekommen hätte, wenn ich nicht doppelt so stark gewesen wäre als er; ich hatte jedoch nichts zu befürchten, denn er wollte mich nur umarmen.

Wir gingen wieder ins Zimmer; ich lachte, er aber vergoß Freudentränen. Er eilte auf seine Frau zu, die gleich ihm an ein so großes Glück nicht glauben konnte. Irene aber machte den Auftritt vollends komisch, indem sie in sentimentalem Ton zu mir sagte: »Sie müssen mich nicht für lügenhaft halten und müssen nicht denken, meine Eltern hätten geglaubt, daß ich ihnen etwas vorgelogen hätte. Sie haben nur gedacht, ich hätte aus Versehen hundert anstatt fünfzig verstanden, wie wenn ich eine so große Summe nicht wert wäre.«

»Du bist tausend wert, reizende Irene! Du hast die Tür zugehalten, damit ich nicht fortgehen sollte, und dein Mut hat mir gefallen. Aber ich möchte dich im Domino sehen, denn ich will nicht, daß man an deinem Anzug etwas auszusetzen findet.«

»Oh! Sie werden meinen Domino sehr hübsch finden.«

»Sind dies deine Schuhe und deine Schnallen? Hast du keine anderen Strümpfe? Und hast du Handschuhe?«

»Mein Gott, ich habe nichts.«

»Schnell! Laß alles holen, was du brauchst. Laß Waren kommen; wir werden aussuchen, und ich bezahle.«

Rinaldi ging fort, um einen Juwelier, einen Strumpfhändler, einen Schuster und einen Parfümeriekrämer kommen zu lassen. Ich gab etwa dreißig Zechinen aus und kaufte alles, was sie nach meiner Ansicht notwendig haben mußte; als ich aber sah, daß an ihrer Maske keine englische Spitze war, machte ich Lärm. Ihr Vater ließ auf meinen Befehl eine Modistin heraufkommen, und ich ließ von dieser die Maske mit einer Elle Blonden besetzen, die mir zwölf Zechinen kostete. Irene war stumm vor Überraschung; ihre Eltern aber hätten es lieber gesehen, wenn das viele Geld in ihre eigene Tasche gekommen wäre; im Grunde dachten sie darin ganz vernünftig.

Als ich Irene angezogen sah, fand ich sie entzückend; ich begriff, wie wichtig es für Frauen ist, gut angezogen zu sein.

»Halte dich morgen vor dem Beginn der Opernvorstellung bereit,« sagte ich zu ihr; »denn ehe wir auf den Ball gehen, werden wir allein miteinander in einer Wohnung speisen, die mir gehört, und wo wir völlig ungestört sein werden. Du weißt, was dich erwartet!« rief ich, indem ich sie umarmte.

Ihre Antwort war ein feuriger Kuß.

Als ich mich vom Vater verabschiedete, fragte er mich, wohin ich von Mailand aus zu gehen gedächte.

»Nach Marseille; von dort nach Paris und dann nach London, wo ich ein Jahr zu verbringen gedenke.«

»Glückliche Flucht aus den Bleikammern!«

»Allerdings; aber ich habe dabei mein Leben aufs Spiel gesetzt.«

»Gewiß haben Sie Ihr Glück verdient.«

»Glauben Sie? Ich mache nur davon Gebrauch, um ein lustiges Leben zu führen.«

»Es wundert mich, daß Sie nicht eine Geliebte haben, die mit Ihnen reist.«

»Ich will mein eigener Herr sein. Wenn ich eine Geliebte auf dem Halse hätte, wäre das viel unbequemer für mich als eine Frau; sie würde mich verhindern, den tausend Liebschaften nachzugehen, die ich in allen Städten finde, wo ich mich aufhalte. Sehen Sie: wenn ich eine Geliebte hätte, würde diese mich verhindern, morgen Ihre reizende Irene auf den Ball zu führen.«

»Sie denken wie ein Weiser.«

»Gewiß; allerdings ist meine Weisheit nicht allzu sittenstreng.«

Am Abend ging ich in die Oper; ich würde jedenfalls gespielt haben, traf jedoch Cesarino im Parkett und verbrachte zwei entzückende Stunden mit ihm. Er eröffnete mir sein Herz und bat mich, mit seiner Schwester zu sprechen, sie möchte ihn doch seiner Neigung folgen lassen. Er fühlte sich unwiderstehlich berufen, Seemann zu werden. Er sagte mir, wenn er Handel treibe, könne diese Neigung ihm ein großes Vermögen einbringen. Ich versprach ihm, seinen Wunsch zu erfüllen.

Nachdem ich mit dem prächtigen Jüngling ein mäßiges Abendessen eingenommen hatte, ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen lud der junge Offizier, der Bruder der Marchesina Q., sich bei mir zum Frühstück ein; er sagte mir, er habe mit seiner Schwester gesprochen und diese habe ihm geantwortet, ich hätte mich ganz gewiß nur über ihn lustig gemacht; denn es sei nicht glaublich, daß ich bei solchem Lebenswandel, wie ich ihn führte, an Heiraten dächte.

»Ich habe Ihnen ja nicht gesagt, daß ich nach der Ehre strebe, ihr Gatte zu werden.«

»Nein; ich habe ihr das auch nicht gesagt; aber darauf wollen die jungen Mädchen immer hinaus.«

»Die Ehre gebietet mir, ihr unverzüglich diesen Irrtum zu benehmen.«

»Daran werden Sie gut tun; in solchen Fällen kommt man immer allein am weitesten. Gehen Sie um zwei Uhr hin; ich bin zum Mittagessen dort, und da ich etwas mit meiner Base zu besprechen habe, so werde ich Sie mit der anderen ungestört allein lassen.«

Diese Anordnung konnte mir nur angenehm sein. Als ich sah, daß mein Schwager in spe ein kleines, goldenes Büchschen bewunderte, das auf meinem Nachttisch lag, bat ich ihn, es als freundschaftliche Erinnerungsgabe anzunehmen. Er umarmte mich, steckte die Büchse in die Tasche und versicherte mir, er werde sie sein Leben lang behalten.

»Ja, bis sie Ihnen die Huld irgend einer Schönen verschaffen kann.«

Da ich die Gewißheit hatte, mit Irene sehr gut zu Abend zu speisen, so aß ich nicht zu Mittag. Der Graf war am Tage vorher nach Sant‘ Angelo gereist, fünfzehn Miglien von Mailand; da die Gräfin allein zurückgeblieben war, konnte ich nicht umhin, ihr einen Besuch auf ihrem Zimmer zu machen, um mich zu entschuldigen, daß ich nicht die Ehre haben werde, ihr bei Tisch Gesellschaft zu leisten. Sie war sehr liebenswürdig und antwortete mir auf das freundlichste, ich solle mir nur ja keinen Zwang antun. Ich durchschaute wohl ihre Falschheit; aber sie sollte glauben, daß ich mich dadurch irre führen ließe. Denn dies war für mich von Vorteil. Ich machte mir nichts daraus, von ihr für einen Gecken gehalten zu werden, und sagte daher, ich sei nicht undankbar und werde sie in der Fastenzeit dafür entschädigen, daß mein ausschweifendes Leben mich während des Karnevals verhindere, ihr fleißiger den Hof zu machen. Glücklicherweise sei ja die Fastenzeit nicht mehr fern.

»Ich hoffe es,« sagte die hinterlistige Spanierin mit einem bezaubernden Lächeln, dessen nur eine Frau fähig ist, wenn ihr Herz von giftiger Rachsucht verzehrt wird. Mit diesen Worten bot sie mir eine Prise Tabak an und nahm selber eine.

»Aber was ist denn das, liebenswürdige Gräfin? Dies ist ja kein Tabak.«

»Nein, es ist ein ausgezeichnetes Pulver gegen Kopfschmerzen; es verursacht Nasenbluten.«

Ich ärgerte mich, das Pulver genommen zu haben, sagte ihr aber lachend, ich hätte keine Kopfschmerzen und blutete nicht gerne aus der Nase.

»Man blutet nicht sehr stark,« antwortete sie lächelnd, »und das Mittel kann nur angenehm wirken.«

Kaum hatte sie diese Worte gesagt, so niesten wir beide vier- oder fünfmal gleichzeitig; ich wäre nun allen Ernstes böse geworden, wenn ich sie nicht hätte lachen sehen.

Da ich die Eigenschaft aller Niespulver kannte, so glaubte ich nicht, daß wir bluten würden; aber ich irrte mich. Einen Augenblick darauf fühlte ich einen Blutstropfen, und sie nahm eine silberne Waschschüssel, die auf ihrem Nachttisch stand. »Treten Sie näher,« sagte sie zu mir, »denn ich fange ebenfalls an zu bluten.«

So bluteten wir denn nun, Stirn an Stirn gelehnt, in einer höchst komischen Stellung in dieselbe Schüssel hinein. Nachdem auf beiden Seiten etwa dreißig Tropfen geflossen waren, hörte das Bluten auf. Da ich sie immer noch lachen sah, so glaubte ich wohl daran zu tun, wenn ich darin einstimmte. Wir wuschen uns mit kaltem Wasser in einer anderen Schüssel.

»Die Vermischung unseres Blutes«, sagte sie, fortwährend lachend, »wird eine süße Sympathie zwischen uns beiden hervorrufen, und wahrscheinlich eine Freundschaft, die ›nur mit dem Tode des einen von uns enden wird‹.«

Ich maß diesen Worten keine Bedeutung bei, aber die hinterlistige Spanierin hoffte, wie der Leser bald sehen wird, daß diese Freundschaft nicht lange dauern würde. Ich bat mir ein wenig von dem Pulver aus; als sie mir jedoch meine Bitte abschlug, begnügte ich mich, sie nach dem Namen desselben zu fragen.

»Ich kenne ihn nicht,« sagte sie, »eine Freundin hat mir das Pulver geschenkt.«

Beunruhigt durch die Wirkung dieses Pulvers, die ich für unglaublich gehalten haben würde, wenn ich nicht selbst die Erfahrung damit gemacht hätte – denn ich hatte nie vorher von einem solchen etwas gehört – ging ich sofort zu einem Apotheker; aber dieser Diaphorus war nicht klüger als ich. Er sagte mir allerdings, die Euphorbia könne zuweilen ein Nasenbluten hervorbringen. Aber es handelte sich nicht um ein »Zuweilen«, sondern um eine beständige Wirkung. Das geringfügige Ereignis veranlaßte mich zu ernsthaftem Nachdenken. Die Gräfin war Spanierin, und sie mußte mich hassen; dies waren zwei Gründe, die einem Nasenbluten eine Bedeutung geben konnten, deren Tragweite ich nicht ahnte.

Ich ging zu den schönen Marchesinen und fand den reizenden jungen Mann im Gartensaal bei seiner Base, die mit Schreiben beschäftigt war. Fräulein von Q. war im Garten. Sie hatten bereits zu Mittag gegessen. Unter dem Vorwande, die Schreiberin nicht stören zu wollen, ging ich zur Schwester des jungen Offiziers. Ich machte ihr eine Verbeugung und sagte: »Ich bedauere recht sehr eine Verwechslung, die mich in Ihren Augen als einen urteilslosen Gecken erscheinen lassen könnte. Ich komme zu Ihnen in der Hoffnung, mich rechtfertigen zu können.«

»Ich errate, worum es sich handelt; aber seien Sie überzeugt, mein Bruder hat sich nichts Böses dabei gedacht, lassen Sie ihn glauben, was er will. Meinen Sie, ich hätte Sie eines solchen Schrittes für fähig gehalten, während wir uns doch kaum kennen?«

»Sie beruhigen mich.«

»Ich glaubte, Ihrer Galanterie die Wendung geben zu müssen, wie wenn ich an eine Heirat dächte, weil mein Bruder, der noch zu jung ist, sie sonst ungünstig hätte auslegen können.«

»Ich bewundere Ihren Geist und habe nichts mehr zu sagen. Indessen bin ich Ihrem Herrn Bruder doch Dank schuldig, denn durch ihn haben Sie erfahren, daß Ihre Reize einen tiefen Eindruck auf mein Herz gemacht haben. Ich bin bereit, alles zu tun, um Sie von meiner zärtlichen Neigung zu überzeugen.«

»Diese Erklärung mißfällt mir nicht; aber Sie hätten besser getan, meinen Bruder nicht in die Geheimnisse Ihrer Gefühle einzuweihen; ja, Sie hätten sogar – gestatten Sie mir, Ihnen dies zu sagen – mir Ihre Gefühle verschweigen müssen. Sie hätten mich lieben können, ohne daß ich etwas davon merkte, oder ich hätte wenigstens tun können, wie wenn ich es nicht merkte. Dadurch hätte ich meine Unbefangenheit bewahrt, während ich jetzt mich in acht nehmen und auf der Hut sein muß. Geben Sie dies zu?«

»Sie sehen mich starr, schöne Marchesina; niemals hat mich ein Mensch gründlicher von meiner Dummheit überzeugt. Eigentümlich finde ich nur, daß alles, was Sie mir soeben gesagt haben, mir vollkommen bekannt war; aber Sie haben mir den Kopf verdreht; darf ich hoffen, daß Sie nicht die Grausamkeit haben werden, mich dafür zu bestrafen?«

»Aber ich bitte Sie, wie könnte ich Sie dafür bestrafen?«

»Indem Sie mich nicht lieben.«

»Ach! Hängt es denn von uns ab, ob wir lieben oder nicht lieben? Man zwingt uns zu lieben, und da sind wir verloren.«

Ich legte diese letzten Worte zu meinem Vorteil aus und glaubte, von etwas anderem sprechen zu müssen. Ich fragte sie, ob sie am Abend auf den Ball gehen würde.

»Nein.«

»Vielleicht würden Sie unerkannt gehen?«

»Das möchte ich gern, aber es ist unmöglich. Es findet sich stets jemand, der uns kennt.«

»Wenn ich den Vorzug hätte, Ihnen zu dienen, so würde ich meinen Kopf zum Pfände setzen, daß kein Mensch Sie erkennen sollte.«

»Ich glaube nicht, daß Sie bereit sein würden, sich mit uns zu beschäftigen.«

»Es freut mich, daß Sie ein bißchen ungläubig sind, aber geruhen Sie, mich auf die Probe zu stellen. Wenn Sie allein ausgehen können, werden wir uns so maskieren, daß wir alle Welt neugierig machen und trotzdem diese Neugierigen nicht zu befriedigen brauchen.«

»Wir können mit unserem Bruder und einer anderen jungen Dame ausgehen, die er liebt; wir sind sicher, daß er verschwiegen sein wird.«

»Ich freue mich Ihres Auftrages! Aber es wird erst am nächsten Sonntagsball vor sich gehen können. Ich werde mich mit Ihrem Bruder verständigen. Sagen Sie ihm gütigst, er möge mich besuchen; Barbaro dürfe aber nichts wissen. Sie werden sich an einem Ort maskieren, den ich Ihnen noch näher bezeichne; denn wir werden uns wiedersehen. Unterdessen werde ich mich in aller Stille mit dieser wichtigen Sache befassen. Wollen Sie mir gestatten, Ihnen die Hand zu küssen?«

Ich zog ihre Hand an meine Lippen und dann an mein Herz, und dort fühlte ich einen sanften Händedruck der Marchesina.

Ich hatte noch keine Verkleidung im Sinne; aber ich war sicher, daß ich etwas Passendes finden würde, und verschob es daher auf den nächsten Tag, mich damit zu beschäftigen. Irene nahm für diesen Tag alle meine Gedanken in Anspruch. Nachdem ich einen Domino übergeworfen hatte, fuhr ich nach den Drei Königen und fand Irene vor der Tür; sie war heruntergekommen, sobald sie meinen Wagen bemerkt hatte. Dieser Eifer freute mich. Wir gingen in meine schöne Wohnung und bestellten beim Pastetenbäcker ein leckeres Abendessen zu Mitternacht. Wir hatten sechs Stunden vor uns, und der Leser wird mir wohl erlassen, ihm zu sagen, wie sie angewandt wurden. Der Kanal wurde mit Gewalt eröffnet und die Operation lachend erduldet, denn Irene war mit allen Anlagen zur Wollust geboren. Um Mitternacht standen wir auf; wir hatten einen Riesenhunger und waren erstaunt und zugleich entzückt, ein höchst appetitliches Essen vor uns zu sehen.

Irene sagte mir, ihr Vater habe sie gelehrt, beim Pharao so abzuziehen, daß sie nicht verlieren könne. Ich war neugierig, wie sie das machte, und gab ihr ein Spiel Karten. Während sie plauderte, um meine Aufmerksamkeit abzulenken, legte sie binnen wenigen Minuten die Karten zurecht. Ich gab ihr die hundert Zechinen, die ich ihr schuldig war, und sagte, sie möchte so spielen, wie wenn es Ernst wäre.

»Lieber Freund,« sagte sie sanft, »wenn Sie nur eine einzige Karte spielen, bin ich sicher, daß Sie sie stets verlieren werden.«

»Einerlei, es gilt.«

Sie hielt Wort. Ich mußte ihr zugeben, daß ich niemals etwas von ihrer Manipulation hätte merken können, wenn sie mich nicht vorher darauf aufmerksam gemacht hätte. Ich sah nun, wie wertvoll dem alten Gauner Rinaldi seine Tochter sein mußte. Sie war ein wahrer Schatz in ihrer Art; denn mit ihrer unschuldigen und aufrichtigen Miene, mit ihrem fröhlichen Wesen und reizenden Gesicht war sie ganz dazu angetan, die abgefeimtesten Spieler hinters Licht zu führen. Sie sagte mir mit einer gewissen Betrübnis, ihr Talent nütze ihr nichts, weil sie immer nur mit armseligen Bettlern zu tun habe. Mit einem zärtlichen Blick fügte sie hinzu: wenn ich sie mitnehmen wollte, würde sie ihren Eltern durchbrennen; sie würde glücklich sein, für mich Schätze zu gewinnen.

»Wenn ich nicht mit falschen Spielern zu tun habe,« fuhr sie fort, »bin ich auch sehr geschickt im Setzen.«

»Nun, liebes Kind, so spiele mit den hundert Zechinen, die du hast, an Cananos Bank. Ich werde dich hinführen. Setze zwanzig Zechinen auf eine Karte; wenn du gewinnst, spielst du Paroli und Sept-et-le-va: sobald dir der Schlag gelungen ist, hörst du auf. Wenn du nicht drei glückliche Karten finden kannst, wirst du verlieren; aber dann werde ich dir das Geld wiedergeben.«

Sie umarmte mich und fragte mich, ob sie mir die Hälfte vom Gewinn abgeben müsse.

»Nein, alles soll dir gehören.«

Ich glaubte, sie würde vor Freude toll werden. Wir ließen uns in Sänften nach der Oper tragen, und da der Ball noch nicht im Gange war, so traten wir in den Spielsaal ein. Canano, der noch nicht angefangen hatte, packte ein Spiel Karten aus. Er tat, wie wenn er mich nicht kennte, und lächelte, als er sah, daß die hübsche Maske, die bei mir war, statt meiner spielen würde. Irene machte ihm eine tiefe Verbeugung, als er ihr einen Platz an seiner Seite anbot; sie legte die hundert Zechinen vor sich hin und gewann zunächst nur hundertundzwanzig, weil sie, anstatt das Sept-et-le-va zu spielen, beim drittenmal ihren Einsatz zurückzog und nur den Gewinn stehen ließ. Ihre Sparsamkeit gefiel mir, und ich ließ sie weiter spielen. In der nächsten Taille verlor sie drei Karten hintereinander; hierauf gewann sie mehrere Male ein Paix de Paroli; dann grüßte sie den Bankhalter, raffte ihr Gold zusammen, und wir entfernten uns. Kaum aber hatten wir den Saal verlassen, so drehte ich mich um, um zu sehen, woher ein Schluchzen käme, das an mein Ohr schlug. Irene sagte mir: »Ich bin sicher, es ist mein Vater, der vor Freuden weint.« Sie hatte in ihrer Tasche dreihundert Zechinen, die sie ihm brachte, nachdem sie sich drei Stunden lang erlustigt hatte. Ich tanzte nur ein einziges Menuett mit ihr, denn meine Liebestaten und das ausgezeichnete Abendessen hatten mich so ermüdet, daß ich mich nach Ruhe sehnte. Ich ließ Irene tanzen, soviel sie wollte, setzte mich in eine Ecke und schlief ein. Als ich erwachte, sah ich zu meiner großen Überraschung Irene, die mich ängstlich suchte; ich hatte drei Stunden lang geschlafen. Ich brachte sie nach den Drei Königen zurück, wo ich sie ihren Eltern ablieferte. Der arme Mann war ganz verblüfft über den Anblick des Goldes, das seine Tochter auf den Tisch legte; er sagte mir, ich möchte ihr gute Nacht wünschen, denn er würde in wenigen Stunden abreisen. Ich konnte mich nicht widersetzen und fühlte auch keine Lust dazu; aber Irene wurde wütend und rief: »Ich werde nicht abreisen, ich will bei meinem Liebsten bleiben. Ihr werdet mich noch unglücklich machen; denn kaum habe ich das Glück, einen Menschen zu haben, der Neigung für mich empfindet, so reißt ihr mich von seiner Seite. Ich gehöre dem Herrn und will ihn nicht mehr verlassen.«

Als sie jedoch sah, daß ich nichts zu ihrer Unterstützung sagte, fing sie an zu weinen. Dann umarmte sie mich mehrere Male. Als sie endlich müde und verzweifelt sich hinsetzte, benutzte ich diesen Augenblick und entfernte mich, indem ich ihr gute Reise wünschte und Irenen versprach, daß wir uns wiedersehen würden. Ich habe sie auch wirklich wiedergesehen; das Nähere wird der Leser erfahren, sobald ich soweit bin.

Ich legte mich zu Bett.

Es war erst acht Uhr, da kam der schöne Leutnant und weckte mich. »Meine Schwester«, sagte er, »hat mir von der Maskerade erzählt, die Sie planen. Ich habe Ihnen nun ein großes Geheimnis anzuvertrauen.«

»Sprechen Sie, lieber Freund, und verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

»Einer der liebenswürdigsten Kavaliere unserer Stadt, mein Freund und der Anbeter meiner Base, ein junger Herr, der wegen seiner Stellung das größte Interesse daran hat, nicht gegen die Verpflichtungen der Verschwiegenheit zu verstoßen, wird sich beteiligen, wenn Sie nichts dagegen haben. Dies würde meine Base und meine Schwester glücklich machen.«

»Haben Sie an meiner Einwilligung zweifeln können? Ich hatte an fünf gedacht; jetzt werde ich an sechs denken.«

»Sie sind unvergleichlich.«

»Sonntag müssen Sie in der Dämmerung sich an einem Ort einfinden, den ich Ihnen bezeichnen werde. Wir werden zu Abend speisen und uns hierauf maskieren. Dann werden wir auf den Ball gehen. Morgen um fünf Uhr werden wir uns bei Ihrer Schwester sehen. Beschreiben Sie mir nur den Wuchs Ihrer Geliebten und des Freundes Ihrer reizenden Base.«

»Meine Freundin ist zwei Zoll kleiner als meine Schwester und etwas weniger schlank; mein Freund ist ganz genau so gewachsen wie Sie, und man könnte Sie miteinander verwechseln, wenn Sie gleich gekleidet wären.«

»Das genügt. Überlassen Sie es nun mir, an alles zu denken, und leben Sie einstweilen wohl; denn ich bin neugierig, zu erfahren, was der Kapuziner will, der draußen wartet.«

Ein Kapuziner hatte sich bei mir melden lassen, und ich hatte Clairmont gesagt, er solle ihm ein Almosen reichen; er hatte aber dieses zurückgewiesen und gesagt, er müsse ganz im Geheimen mit mir sprechen. Dies machte mich neugierig; denn was konnte ein Kapuziner mir unter dem Siegel des Geheimnisses zu sagen haben? Ich ließ ihn eintreten und sah ein ehrwürdiges, bedeutendes Gesicht. Ich ging ihm entgegen und bot ihm mit einer tiefen Verbeugung einen Stuhl an; ohne meine Höflichkeit zu beachten, blieb er stehen und sagte: »Mein Herr, beachten Sie, was ich Ihnen sagen werde, und hüten Sie sich, meinen Rat leicht zu nehmen; es könnte Ihnen das Leben kosten. Sie würden es ohne Zweifel bereuen, aber dies würde zu spät sein. Hören Sie mich an und tun Sie unverzüglich, was ich Ihnen raten werde; aber enthalten Sie sich jeder Frage, denn es ist mir unmöglich, Ihnen zu antworten. Sie werden vielleicht erraten, daß der Grund, der mich zum Schweigen zwingt, eine heilige Pflicht ist, die mein Stand mir auferlegt und die jeder Christ anerkennen muß. Es ist das unverletzliche Beichtsiegel. Bedenken Sie, daß mein Wort und meine Aufrichtigkeit Ihnen nicht verdächtig sein können, denn kein niedriges Interesse führt mich zu Ihnen. Nur ein mächtiger, innerer Antrieb zwingt mich, zu Ihnen zu sprechen, und ich muß glauben, daß Ihr Schutzengel sich meiner bedient, um Ihnen das Leben zu retten, da er nicht unmittelbar mit Ihnen in Verbindung treten kann. Gott will Sie nicht verlassen, Sagen Sie mir, ob Sie sich bewegt fühlen und ob ich Ihnen den heilsamen Rat geben darf, den ich in meinem Herzen verschlossen halte?«

»Zweifeln Sie nicht daran, ehrwürdiger Vater; ich habe Ihnen aufmerksam und ehrfurchtsvoll zugehört. Sprechen Sie, geben Sie mit diesen Rat! Ihre Worte haben mich nicht nur bewegt, sondern mich sogar gewissermaßen erschreckt. Ich verspreche Ihnen, Ihrem Rat zu folgen, wenn die Ausführung nicht meiner Ehre und der klaren Vernunft widerspricht.«

»Gut! Ein Gefühl des Mitleids wird Sie abhalten, mich durch eine Unvorsichtigkeit bloßzustellen, einerlei, wie die Geschichte ausgeht, von der Sie nunmehr erfahren werden. Sie werden keinen Menschen etwas von mir sagen? Sie werden keiner Menschenseele sagen, daß Sie mich kennen oder daß Sie mich nicht kennen?«

»Ich schwöre Ihnen dies auf meinen christlichen Glauben. Aber ich bitte Sie, sprechen Sie! Ihre lange Vorrede erfüllt mich mit einer Ungeduld, die mich verzehrt.«

»Gehen Sie heute vormittag nach dem Xplatz in das Haus Nr. …, in den zweiten Stock und klingeln Sie an der Tür zur Linken. Sagen Sie der Person, die Ihnen öffnen wird, Sie möchten Frau Y. sprechen. Man wird keine Schwierigkeiten machen, Sie in ihr Zimmer zu führen; ich bin sogar überzeugt, man wird Sie nicht einmal nach Ihrem Namen fragen. Sollte dies aber doch der Fall sein, so geben Sie irgend einen beliebigen Namen an. Wenn Sie sich der Frau gegenüber befinden, so bitten Sie sie, freundlich Sie anzuhören, und verlangen Sie von ihr Verschwiegenheit über alles, was Sie ihr anvertrauen würden. Um ihr Vertrauen einzuflößen, drücken Sie ihr ein oder zwei Zechinen in die Hand. Sie ist arm, und ich bin gewiß, daß Sie durch diese Freigebigkeit sie sofort für sich gewinnen werden. Sie wird ihre Türe schließen und Ihnen natürlich sagen, Sie möchten sprechen. Nehmen Sie alsdann eine ernste und eindrucksvolle Miene an und bedeuten Sie ihr, Sie würden ihr Zimmer nicht eher verlassen, als bis sie Ihnen das Fläschchen übergeben hätte, das eine Magd gestern bei Beginn der Nacht ihr mit einem Brief gebracht haben müßte. Wenn sie sich weigert, so bleiben Sie standhaft; machen Sie aber keinen Lärm; lassen Sie sie nicht aus dem Zimmer heraus und verhindern Sie sie, irgend jemanden zu rufen, überreden Sie sie schließlich, indem Sie ihr für den Verkauf der Flasche mit allem Zubehör das Doppelte des Geldes versprechen, das sie sonst erhalten würde. Erinnern Sie sich wohl meiner Worte: ›mit allem Zubehör‹. Sie wird alles tun, was Sie verlangen. Es wird Ihnen eine unbeträchtliche Summe kosten; aber selbst wenn Sie viel Geld ausgeben müßten, Ihr Leben muß Ihnen teurer sein als alles Geld von Peru. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Bevor ich Sie jedoch verlasse, bitte ich Sie, mir zu sagen, ob ich hoffen kann, daß Sie hingehen werden.«

»Ja, hochehrwürdiger Vater; ich werde der Eingebung des Engels folgen, der Sie hierhergefühlt hat.«

»So möge denn Gott Sie segnen!«

Als der würdige Priester hinausgegangen war, fühlte ich durchaus keine Lust, zu lachen. Allerdings sagte meine Vernunft nur, ich solle diese lächerliche Verschwörung verachten und nicht hingehen; aber ein Rest von Aberglauben, von welchem ich mich niemals gänzlich habe befreien können, hielt mich ab, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Außerdem hatte der Kapuziner mir gefallen. Er sah wie ein braver Mann aus und hatte etwas so Ehrwürdiges an sich, daß ich mich durch mein Versprechen gewissermaßen für gebunden hielt. Er hatte mich überzeugt, und meine Vernunft sagte mir, daß der Mensch niemals gegen seine Überzeugung handeln soll. Kurz und gut, ich entschloß mich, hinzugehen. Ich nahm den Zettel, worauf ich die Worte aufgeschrieben hatte, die er mir gesagt hatte, steckte zwei kleine Terzerole in die Tasche und begab mich nach dem geheimnisvollen Hause, nachdem ich Clairmont befohlen hatte, mich auf dem Platze zu erwarten, woran es lag. Diese Vorsicht konnte nicht schaden.

Alles ging vor sich, wie der gute Kapuziner es mir vorhergesagt hatte. Das greuliche alte Weib bekam Mut beim Anblick von zwei Zechinen und schob den Riegel vor die Tür. Lachend sagte sie mir, sie wisse, daß ich verliebt sei, und es sei meine eigene Schuld, wenn ich nicht glücklich sei; sie werde mir jedoch das Mittel geben, es zu werden. Ich merkte, daß ich bei einer angeblichen Hexe war. Die berühmte Bontems in Paris hatte ungefähr dieselbe Sprache geführt, als ich sie einmal besuchte. Als ich jedoch der Frau bedeutet hatte, ich würde ihr Zimmer nicht ohne die geheimnisvolle Flasche »mit allem Zubehör« verlassen, da verzerrte ihr Gesicht sich auf eine schreckliche Weise. Sie zitterte am ganzen Leibe, als ich mit einem offenen Taschenmesser in der Hand sie verhinderte, das Zimmer zu verlassen. Als ich ihr dann gesagt hatte, ich würde ihr das Doppelte von dem geben, was man ihr versprochen hätte, um die Schandtat auszuführen, sie würde also nicht nur nichts verlieren, sondern noch Geld dazu verdienen, indem sie mir die gewünschten Gegenstände gäbe, da wurde sie wieder ruhig.

»Ich werde sechs Zechinen verlieren,« sagte sie, »aber Sie werden mir gern das Doppelte bezahlen, wenn Sie sich sehen; denn jetzt erkenne ich Sie.«

»So sagen Sie mir, wer ich bin?«

»Sie sind Giacomo Casanova aus Venedig.«

Infolge dieser Worte glaubte ich die zwölf Zechinen aus meiner Börse ziehen zu müssen. Bei ihrem Anblick wurde die Alte zu Tränen gerührt und sagte zu mir: »Ich hätte Sie sicherlich nicht sterben lassen, aber ich würde Sie verliebt und unglücklich gemacht haben.«

»Erklären Sie mir dies!«

»Kommen Sie mit!«

Ich trat mit ihr in eine Kammer und war ganz verblüfft über den Anblick von tausend Dingen, deren Gebrauch der gesunde Menschenverstand nicht zu erklären vermöchte. Phiolen von allen Größen, Steine von allen Farben, Metalle, Minerale, große und kleine Nägel, Zangen, Öfen, Kohlen, mißgestaltete Statuen und tausend andere Sachen.

»Hier ist Ihre Flasche,« sagte das alte Weib zu mir.

»Was ist darin?«

»Ihr Blut, mit dem der Gräfin vermischt, wie Sie in diesem Brief lesen können.«

Ich sah nun, worum es sich handelte, und wundere mich noch jetzt, daß ich nicht laut auflachte. Statt dessen sträubten sich meine Haare bei dem Gedanken an die Verruchtheit der Gräfin. Ein kalter Schweiß überströmte meinen ganzen Leib.

»Was würden Sie mit diesem Blut gemacht haben?«

»Ich hätte Sie damit überzogen.«

»Was verstehen Sie unter ›überzogen‹? Ich begreife Sie nicht.«

»Sie werden es gleich sehen.«

Ich war erschrocken; aber gleich darauf erhielt ich die Erklärung. Die Alte öffnete ein Kästchen von der Länge einer Elle; in diesem lag ein ganz nacktes Bild aus Wachs auf dem Rücken. Mein Name war der Länge nach darauf geschrieben und meine Züge waren, wenn auch schlecht ausgeführt, so doch erkennbar. Dieses Bildwerk trug auch mein Ordenskreuz um den Hals. Die Geschlechtsteile waren mit ungeheuerer Übertreibung vergrößert. Bei diesem ungeheuer komischen Anblick bemächtigte sich meiner eine wahnsinnige Lachlust, und ich mußte mich auf einen Lehnstuhl werfen, bis ich mich wieder erholt hatte.

Als ich endlich wieder Atem schöpfen konnte, sagte das Zauberweib zu mir: »Sie lachen? Wehe Ihnen, wenn ich Sie in diesem Blute, das nach den Regeln meiner Wissenschaft gemischt ist, gebadet hätte! Und dreimal wehe Ihnen, wenn ich Sie ›überzogen‹ und dann dieses Bild auf glühende Kohlen gelegt hätte!«

»Ist dies alles?«

»Ja.«

»Der ganze Kram gehört mir; hier sind Ihre zwölf Zechinen. Und nun schnell, zünden Sie mir Feuer an, denn ich will dieses Ungeheuer schmelzen. Das Blut gestatten Sie mir zum Fenster hinaus zu werfen!«

In einem Augenblick war das gemacht.

Die Alte, welche jedenfalls befürchtete, ich könnte die Sachen mit nach Hause nehmen, um sie zu ihrem Verderben zu gebrauchen, war hocherfreut, als sie mich das Wachs schmelzen sah. Sie nannte mich einen Engel an Güte und bat mich, ihr zu versprechen, keinem Menschen etwas von dem zwischen uns Vorgefallenen zu sagen. Ich schwor ihr dies und versprach ihr sogar, die Gräfin solle nichts davon erfahren. Am meisten überraschte es mich, als das schändliche Weib sich erbot, die Gräfin rasend in mich verliebt zu machen, wenn ich ihr noch zwölf Zechinen versprechen wolle. Ich sagte ihr, ich mache mir nichts daraus, und entfernte mich, indem ich ihr den Rat gab, ihr abscheuliches Gewerbe aufzugeben, das sie früher oder später auf den Scheiterhaufen führen müsse.

Ich fand Clairmont auf seinem Posten und schickte ihn nach Hause. Obgleich diese Niederträchtigkeit mir ziemlich viel Geld gekostet hatte, tat es mir doch nicht leid, um diese Lehre bereichert zu sein und den Rat des guten Kapuziners befolgt zu haben, der in vollem Ernst mich für einen verlorenen Mann gehalten hatte. Ich denke mir, er hatte alles durch die Beichte von der Magd erfahren, die das Blut zur Hexe gebracht hatte. Solche Wunder werden von der Ohrenbeichte oft bewirkt.

Ich beschloß, die Gräfin niemals ahnen zu lassen, daß ich ihren verführerischen Anschlag entdeckt hätte, sondern mich vielmehr gegen sie in einer Weise zu benehmen, die geeignet wäre, sie zu beruhigen und sie den grausamen Schimpf, den ich ihr angetan, vergessen zu machen. Ich mußte mich glücklich schätzen, daß die Frau an Hexerei glaubte, denn sonst würde sie Männer gedungen haben, die ihre Rache jedenfalls besser vollzogen hätten.

Zu Hause angekommen, nahm ich den schönsten von den beiden Mänteln, die ich besaß, und schenkte ihr diesen, indem ich ihr die Hand küßte. Sie nahm ihn mit der größten Liebenswürdigkeit an und fragte mich, aus welchem Anlaß ich ihr ein so hübsches Geschenk mache?

Ich antwortete: »Ich habe geträumt, Sie wären so erzürnt auf mich, daß Sie mit Meuchelmördern gesprochen hätten, mich zu töten.«

Sie antwortete mir errötend, sie wäre nicht wahnsinnig geworden. Als ich hinausging, sah ich sie in düstere Träume versinken. Ich hatte mich jedoch während meines übrigen Aufenthaltes in Mailand nicht mehr über sie zu beklagen, sei es, daß sie alles vergessen hatte, sei es, daß sie kein sicheres Mittel fand, sich zu rächen.

Der Graf war von seinem Lehen zurückgekehrt. Er sagte mir, wir müßten unbedingt einen Ausflug dahin machen, sobald die Fastenzeit begonnen hätte. Ich versprach es ihm. Die Gräfin erklärte, daß sie nicht mitreisen würde. Ich tat, wie wenn mir dies sehr leid täte; in Wirklichkeit tat sie mir jedoch den größten Gefallen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel


Originelle Maskerade. – Glückliche Liebschaft mit der schönen Marchesina Q. – Die verlassene Marseillerin; ich werde ihr Retter. – Meine Abreise nach Sant‘ Angelo.

Da ich mich verpflichtet hatte, eine Verkleidung zu beschaffen, die uns nicht der Gefahr aussetzte, erkannt zu werden, so wollte ich sowohl durch die Originalität der Idee wie durch den Reichtum der Ausführung Ehre einlegen. Ich hatte daher, wie man zu sagen pflegt, meinen Kopf in die Weiche gelegt, und meine Leser werden sehen, ob mein Einfall gut war.

Ich hatte zur Durchführung meines Planes einige Vertraute nötig; vor allen Dingen brauchte ich einen Schneider, und wie man sich denken kann, glaubte ich meinem Gevatter Schneider den Vorzug geben zu müssen. Zenobia war für mich nicht weniger nützlich als ihr Gatte, teils um gewisse Frauenarbeiten anzufertigen, teils um die drei jungen Damen zu bedienen, die ich verkleiden sollte. Ich ging zu Fuß aus und begab mich zu meinem Gevatter. Ich befahl ihm, seine Arbeit liegen zu lassen und mich zum reichsten Trödler von Mailand zu führen.

»Mein guter Mann, ich brauche das Schönste, was Sie für Herren und für Damen haben.«

»Wünscht der Herr neue Sachen?«

»Gewiß! Wenn Sie solche haben.«

»Ich bin reich versehen.«

»Suchen Sie zunächst einen schönen Samtrock für meine Größe; er muß einfarbig sein, und in Mailand darf ihn kein Mensch kennen.«

Statt eines einzigen legte er mir ein Dutzend vor, alle vom schönsten Samt und sehr gut gemacht. Ich wählte einen blauen Samtrock mit weißem Atlasfutter. Nachdem der Schneider um den Preis gefeilscht hatte, wurden wir einig, und ich legte den Rock auf die Seite; er war für den Liebhaber der schönen Base bestimmt. Ich wählte einen zweiten, weniger groß, von schwefelgelbem, geschorenem Samt mit Atlasfutter von derselben Farbe. Diesen bestimmte ich für den jungen Offizier. Ferner nahm ich zwei schöne Hosen von geschorenem Samt und zwei Westen von prachtvollem Seidenstoff.

Hierauf wählte ich zwei herrliche Atlaskleider, das eine feuerfarben, das andere lila; dazu ein drittes von gestreifter Halbseide. Dieses letztere war für die Geliebte des reizenden Offiziers bestimmt. Sodann kaufte ich Batisthemden, zwei für Männer und drei für Frauen, außerdem dazu passende Taschentücher und mehrere halbe Ellen Samt, Atlas und gestreifte Stoffe, alles in verschiedenen Farben.

Ich bezahlte für alle diese Waren zweihundert Dukaten in Gold, aber unter der Bedingung, daß der Händler mir mein Gold wiedergeben und die Waren zurücknehmen müsse, einerlei, in welchem Zustande sie wären, wenn durch seine Schuld bekannt werden sollte, daß ich sie bei ihm gekauft hätte. Diese Bedingung wurde schriftlich niedergelegt, der Händler unterzeichnete, und ich ging mit meinem Gevatter, der den ganzen Packen trug, zu dem Pastetenbäcker.

Als alles in meinem Zimmer war, schloß ich mich mit dem Schneider ein und sagte ihm, ich würde ihm eine Kugel vor den Kopf schießen, wenn er das Unglück haben sollte, zu irgend einem Menschen ein Wort von der ihm übertragenen Arbeit zu sagen. Hierauf breitete ich alle Kleider auf einem Tisch aus und machte mit einem Stilett etwa sechzig Löcher in jedes Kleid. Ebenso behandelte ich die Hosen und die Westen. Ich lachte aus vollem Halse über das klägliche Gesicht, das der Schneider machte, als er mich die herrlichen Sachen auf diese Weise verderben sah. Er glaubte, ich sei verrückt geworden.

Nach dieser Operation, über die ich in Gedanken noch jetzt lache, nahm ich die Seiden- und Samtflicken, die ich gekauft hatte, und sagte zum Schneider: »Hier, mein guter Gevatter, habe ich Euch Arbeit zugeschnitten; Ihr müßt nun alles wieder ausbessern und Eure Gedanken tüchtig anstrengen, damit die Flicken durch den Kontrast der Farben eine schöne Wirkung hervorbringen. Wie Ihr seht, habt Ihr Arbeit genug und dürft keinen Augenblick verlieren. Ich werde meine Befehle erteilen, damit Ihr in einem anderen Zimmer etwas Ordentliches zu essen bekommt; aber Ihr werdet diese Wohnung nicht verlassen, bevor alles fertig ist. Ich werde Eure Frau holen, damit sie mit euch arbeitet, und Ihr könnt bei einander schlafen.«

»Aber um Gotteswillen, gnädiger Herr, wollen Sie denn die Kleider ebenso behandeln wie die Röcke?«

»Genau ebenso.«

»Wie schade! Meine Frau wird bitterlich darüber weinen.«

»Ich werde sie trösten.«

Auf dem Wege zu Zenobia kaufte ich sechs Paar perlgraue, seidene Strümpfe, Herren- und Damenhandschuhe, zwei Hüte vom feinsten Biber, zwei Karikatur-Männermasken und drei Frauenmasken von natürlicher Form, aber mit ernstem Ausdruck. Auch kaufte ich zwei schöne Porzellanteller. Das Ganze brachte ich in einem Tragstuhl zu Zenobia.

Ich fand das reizende Weib dabei, sich anzuziehen. Ihre schönen Haare hingen über ihren Alabasternacken herab, und ihr von einem kleinen Mieder hochgehaltener Busen bot sich meinen Blicken ohne die lästige Hülle eines Halstuches dar. So viele Reize verdienten meine Huldigung; ich brachte sie ihr dar, indem ich sie mit meinen Küssen verschlang. Ich verbrachte eine halbe Stunde bei Zenobia, und mein Leser wird erraten, daß diese Zeit von uns beiden aufs beste angewandt wurde. Nachdem ich hierauf meiner schönen Schneiderin geholfen hatte, sich fertig anzukleiden, ließ ich sie in den Tragstuhl steigen und befahl den Trägern, mir auf dem Fuße zu folgen.

Wir fanden ihren Mann damit beschäftigt, die Flicken auszuwählen und zurecht zu schneiden, die er auf die von mir gemachten Löcher setzen sollte. Zenobia sah sprachlos vor Erstaunen auf die sonderbare Arbeit; als sie mich die Kleider ebenso behandeln sah wie die Röcke, erbleichte sie und trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite; sie hatte allen Ernstes Angst, denn da sie von meinen Absichten nichts wußte, so konnte sie wohl annehmen, daß ich in einer augenblicklichen Geistesabwesenheit handelte. Ihr Mann hatte sich inzwischen an den Gedanken gewöhnt; er beruhigte sie, und als sie wußte, worum es sich handelte, begriff sie, daß ich wohl recht haben möchte, obgleich mein Einfall ihr immer noch im höchsten Grade sonderbar erschien.

Die Phantasie einer Frau geht immer weiter als die eines Mannes, wenn es sich um Herzensangelegenheiten, um Leidenschaften und um Vergnügungen handelt. Als Zenobia erfuhr, daß diese Kleider für drei schöne Frauen bestimmt seien und daß diese dadurch nach meinem Wunsche alle Ballbesucher begierig machen sollten, erweiterte sie mehrere der Risse und ordnete diese so an, daß sie zur Liebe reizten, ohne doch allzusehr den Anstand zu verletzen. Die Kleider wurden besondere am Busen, an den Schultern und an den Ärmeln mißhandelt: man sollte das Batisthemd sehen, das Batisthemd selber sollte einige Körperteile unbedeckt lassen und die zerfetzten Falbeln sollten die halben Waden sehen lassen. Als ich zu meiner Freude sah, daß sie mich vollkommen verstanden hatte und daß sie den Geschmack ihres Mannes günstig beeinflussen würde, befahl ich ihnen Eifer und ging. Ich besuchte sie jedoch täglich drei- oder viermal und war jedesmal, wenn ich wieder ging, mit meinem Gedanken und mit ihrer Arbeit immer zufriedener.

Die Arbeit war erst am Sonnabend nachmittag fertig. Ich schickte den Mann fort, indem ich ihm sechs Zechinen gab, und behielt Zenobia; denn diese war nötig, um den drei schönen Bettlerinnen beim Ankleiden zu helfen. Ich stellte auf einen Tisch Pulver, Pomade, Kämme, Nadeln und überhaupt alles, was vornehme Damen wünschen können; ich vergaß auch nicht Bänder und Bindfaden, der bei der Verkleidung gebraucht wurde.

Am nächsten Tage fand ich das Spiel im lebhaften Gang, aber die beiden Basen waren nicht dabei. Ich suchte sie bei ihrer Tante auf, und sie sagten mir, sie spielten nicht, weil Barbaro zu glücklich wäre.

»Sie haben also verloren, meine jungen Damen?«

»Ja, aber mein Bruder gewinnt,« sagte die liebenswürdige Q.

»Ich hoffe, das Glück wird auch Ihnen hold sein.«

»Wir haben kein Glück.«

Nachdem die Tante hinausgegangen war, fragten sie mich, ob der Leutnant mir gesagt hätte, daß sie mit einer ihrer Freundinnen auf den Ball gehen würden.

»Ich weiß alles,« antwortete ich, »und ich hoffe, Sie werden zufrieden sein, jedoch nicht zufriedener als ich, denn ich verspreche mir sehr viel Vergnügen. Ich muß morgen früh mit Ihrem schönen Offizier sprechen.«

»Sagen Sie uns doch, wie wir maskiert sein werden.«

»So, daß Sie sicherlich von keinem Menschen erkannt werden können und daß Sie alle Anwesenden neugierig machen müssen.«

»Aber was werden wir denn anhaben?«

»Was sehr Schönes.«

»Aber was für ein Kostüm werden Sie uns geben?«

»Das ist mein Geheimnis, meine jungen Damen. So gern ich Ihnen auch einen Gefallen tue, so werden Sie doch nichts erfahren, bis Sie sich ankleiden. Fragen Sie mich nicht, denn ich will meine Freude an Ihrer Überraschung haben. Ich liebe Theatereffekte, das ist nun mal eine Leidenschaft von mir. Nach dem Abendessen werden Sie alles erfahren.«

»Wir sollen also zu Abend speisen?«

»Ganz gewiß – wenn es Ihnen Vergnügen macht. Ich bin ein großer Esser, und ich hoffe, Sie werden doch nicht so grausam sein, mich allein essen zu lassen.«

»Natürlich werden wir zu Abend speisen, da wir Ihnen einen Gefallen damit tun können. Ich werde absichtlich wenig zu Mittag essen, damit wir Ihnen die Spitze bieten können.«

»Es tut mir nur leid,« fügte Fräulein von Q. hinzu, »daß Sie so viel Geld ausgeben.«

»Auch das ist eine meiner besonderen Freuden; wenn ich von Mailand fortgehe, werde ich in dem Glück schwelgen, mit den beiden schönsten Damen der Stadt soupiert zu haben.«

»Wie werden Sie vom Glück behandelt?«

»Canano gewinnt mir jeden Abend zweihundert Zechinen ab.«

»Und Sie gewinnen von ihm zweitausend in einer Nacht?«

»Allerdings; indessen bin ich noch im Verlust.«

»Sonntag werden Sie die Bank sprengen. Wir werden Ihnen Glück bringen.«

»Wünschen Sie, daß ich Ihnen dieses Schauspiel biete?«

»Es würde mir eine große Freude sein; mein Bruder hat mir jedoch gesagt, Sie würden nicht mit uns zusammen sein.«

»Allerdings nicht, dies geschieht jedoch nur deshalb, weil man mich erkennen würde. Ihr Bruder hat mir aber gesagt, der Kavalier, der Sie begleiten wird, sehe mir ähnlich.«

»Auffallend ähnlich,« sagte die Base; »nur ist er blond.«

»Da ist er sehr glücklich; denn blonde Herren gewinnen leicht die Gunst brauner Damen.«

»Nicht immer!« sagte die Schwester; »aber sagen Sie uns doch wenigstens, ob wir uns etwa als Männer verkleiden werden?«

»Pfui! Ich würde es mir nicht verzeihen können, auf einen solchen Gedanken verfallen zu sein.«

»Warum?«

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn ein hübsches Mädchen als Mann verkleidet ist.«

»Das ist sonderbar; warum denn nicht?«

»Wenn eine als Mann verkleidete junge Frau wirklich eine Täuschung erregt, so stößt sie mich ab; denn dies ist ein Beweis, daß sie nicht die Vollkommenheiten einer schönen Frau besitzt. Die Formen einer solchen müssen viel stärker ausgebildet sein als die eines Mannes.«

»Aber dadurch zeigt ja ein schönes Mädchen Ihnen gerade, daß sie die Vorzüge besitzt, die die Schönheiten eines Weibes ausmachen.«

»Das ist richtig; aber dann nehme ich es ihr übel, daß sie mich aus der Illusion reißt; denn ich liebe es, nur Gesicht und Wuchs zu sehen und das übrige zu erraten.«

»Die Phantasie täuscht aber doch oft.«

»Das gebe ich zu; aber ich verliebe mich immer in das Gesicht, und da dieses mich niemals täuschen kann, so fühle ich mich stets bereit, etwaige Mängel des übrigen Körpers zu verzeihen, wenn ich die Gunst erlange, diesen zu sehen. Sie lachen?«

»Ich lache über den feurigen Eifer, womit Sie Ihre Meinung vorbringen.«

»Wäre es Ihnen angenehm, als Kavalier verkleidet zu sein?«

»O, ich hatte mich darauf gefaßt gemacht; aber nach dem, was Sie soeben gesagt haben, können wir Ihnen nicht mehr antworten.«

»Ich kann einen Teil Ihrer Antwort Ihnen selber sagen: Ihre Verkleidung würde keine Illusionen erregen; weiter sage ich nichts.«

Sie sahen lächelnd einander an, und ihre schönen Gesichter überzogen sich mit einer lebhaften Röte, als sie meine Blicke auf gewissen Hügeln ruhen sahen, die niemals das Attribut meines Geschlechtes sind. Wir brachen das Gespräch ab, und zwei volle Stunden lang erfreute ich mich an ihrem liebenswürdigen, natürlichen und gebildeten Geist.

Nachdem ich die beiden Zauberinnen verlassen hatte, eilte ich zu meinem Pastetenbäcker und hierauf in die Oper, wo ich beinahe zweihundert Zechinen verlor. Dann speiste ich mit meiner Spanierin zu Abend; sie war liebenswürdig und zuvorkommend geworden, verfiel aber bald wieder in ihre frühere schlechte Laune, als sie bemerkte, daß ich mich auf die Formen der Höflichkeit beschränkte und offenbar keine Absichten mehr auf ihr Schlafzimmer hatte.

Am Samstag morgen kam der junge Offizier zu mir. Ich sagte zu ihm, ich hätte für ihn nur einen einzigen Auftrag; diesen müßte er aber buchstäblich ausführen, und ich müßte im voraus sicher sein, daß er dies tun würde. Nachdem er mir versprochen hatte, daß er alles pünktlich erledigen werde, sagte ich folgendes zu ihm: »Sie müssen, Herr Leutnant, einen vierspännigen Wagen beschaffen; sobald Sie alle fünf diesen bestiegen haben, muß er Sie, so schnell die Pferde laufen können, an das Tor der Stadt bringen; hierauf müssen Sie durch ein anderes Tor wieder hineinfahren und vor der Tür des Ihnen bekannten Hauses halten. Dort steigen Sie aus, sagen dem Kutscher, daß er schweigen solle, schicken den Wagen fort und gehen ins Haus. Nach dem Ball werden Sie sich umkleiden und in Tragstühlen sich nach Hause bringen lassen. Auf diese Art werden wir die Neugierigen auf eine falsche Fährte bringen; ich sage Ihnen vorher, es wird deren sehr viele geben.«

Der Offizier antwortete mir: »Mein Freund, der Marchese, wird dies alles besorgen, und er wird es aufs beste machen, das verspreche ich Ihnen, denn er brennt vor Verlangen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich erwarte Sie also morgen um sieben Uhr. Sagen Sie Ihrem Freund, die Hauptsache sei, daß kein Mensch den Kutscher kenne, und nehmen Sie keinen Bedienten mit.«

Nachdem dies alles abgemacht war, entschloß ich mich, selber als Pierrot zu erscheinen. Keine andere Maskierung ist eine so gute Verkleidung; denn sie verbirgt nicht nur vollständig alle Formen, sondern verdeckt auch die Farbe der Haut. Mein Leser erinnert sich vielleicht, was mir in diesem Kostüm vor zehn Jahren passiert war. Ich beauftragte den Schneider, mir ein neues Pierrotkostüm zu besorgen, das ich zu den übrigen Anzügen legte. Mit zwei neuen Börsen versehen, deren jede mit fünfhundert Zechinen gefüllt war, begab ich mich am Sonntag vor sieben Uhr zu meinem Pastetenbäcker. Ich fand den Tisch gedeckt und das Essen fertig. Ich schloß Zenobia in das Zimmer ein, das zum Ankleiden für die Damen bestimmt war, und erwartete die fröhliche Gesellschaft. Sie kam fünf Minuten nach sieben.

Ich fand den Marchese entzückt, meine Bekanntschaft zu machen, und empfing ihn nach Gebühr; er war ein vollendeter Kavalier, schön, jung, reich und sehr verliebt in die schöne Base, die er mit großer Achtung behandelte. Die Geliebte des Leutnants war ein wahres Juwel und wahnsinnig in ihren Anbeter verliebt.

Da alle wußten, daß ich ihnen erst nach dem Abendessen ihre Verkleidung bekannt geben wollte, so wurde nicht davon gesprochen, und wir setzten uns zu Tisch. Das Abendessen war ausgezeichnet; ich hatte es nach meinem Geschmack bestellt, das heißt: üppig und lecker. Nachdem wir reichlich gegessen und getrunken hatten, sprach ich: »Da ich nicht mit Ihnen gehen will, so muß ich Ihnen zunächst sagen, welche Rolle Sie spielen sollen. Sie werden fünf Bettler vorstellen, zwei Männer und drei Frauen in Lumpen.«

Ich werdete mich an dem Anblick der langen Gesichter, die sie bei diesen Worten machten.

»Sie werden jeder einen Teller in der Hand halten, um Almosen zu sammeln, und werden alle zusammen im Ballsaal herumgehen und Ihr Bettlergewerbe betreiben. Folgen Sie mir jetzt, um Ihre Lumpen in Besitz zu nehmen.«

Ich bewahrte einen unerschütterlichen Ernst, obwohl ich die größte Lust hatte, laut aufzulachen, als ich den Verdruß und die Enttäuschung bemerkte, die sich auf ihren Zügen malten. Da sie sich keineswegs beeilten, mir zu folgen, so rief ich: »Ich erwarte Sie!«

Sie standen auf, ich öffnete die Tür, und alle waren erstaunt über die Schönheit Zenobias, die vor dem Tische stand, worauf die in Lumpen verwandelten reichen Kleider lagen, und ihnen mit vollendeter Anmut eine Verbeugung machte.

»Meine Damen,« sagte ich zu den beiden Basen, »dies sind Ihre Kleider, und dieses hier, mein gnädiges Fräulein, ist für Sie; es ist ein bißchen kleiner. Hier liegen Ihre Hemden, Ihre Taschentücher und Ihre Strümpfe; auf diesem Ankleidetisch befinden sich alle anderen Gegenstände, deren Sie vielleicht bedürfen können. Hier sind Ihre Masken, deren Züge nicht so frisch sind wie die Ihrigen, und hier drei Teller für die Almosen, die Sie erbetteln werden. Die Strumpfbänder werden von Ihrer Armut zeugen, wenn zufällig jemand sie sehen sollte, und diese durchlöcherten Strümpfe bezeugen, daß Sie nicht so viel Geld haben, um ein bißchen Seide zum Stopfen zu kaufen. Diese Bindfäden werden statt Schnallen dienen, und wir werden einige Löcher in Ihre Schuhe machen, die Sie gütigst als Pantoffeln tragen werden. Die Handschuhe werden ebenfalls einige Löcher bekommen, und da alles im Einklang stehen muß, so werden, sobald Sie Ihre Hemden angezogen haben, die Spitzen, die den Busen einfassen, ebenfalls hier und da zerrissen werden.«

Während ich wohlgefällig dies alles auseinandersetzte, sah ich Überraschung und Bewunderung den Anflug von Verdruß verdrängen, der sich noch unmittelbar vorher auf ihren Zügen gemalt hatte. Sie sahen, wie reich die Verkleidung war, und wagten nicht zu sagen: »Wie schade!«

»Nun zu Ihnen, meine Herren! Hier sind Ihre Bettleranzüge; ich habe vergessen, die zwei Biberhüte zu durchlöchern; aber das wird bald gemacht sein. Wie finden Sie dies alles? – Und nun, meine Damen, werden wir Sie allein lassen, denn Sie müssen Ihre Hemden wechseln. Kommen Sie, meine Herren!«

Der Marchese war begeistert. Er rief: »Welches Aufsehen werden wir machen! Etwas Prachtvolleres kann man sich ja gar nicht denken!«

Man sah absichtlich zerrissene prachtvolle Kleider, deren Löcher mit großem Geschmack ausgebessert waren: burleske Komik war mit dem größten Reichtum verbunden.

In einer halben Stunde waren wir fertig. Absichtlich durchlöcherte Strümpfe, absichtlich zerrissene Schuhe, absichtlich zerfetzte Manschetten von echten Spitzen, aufgelöste Haare, Masken mit dem Ausdruck der Verzweiflung, absichtlich zerbrochene Teller von schönem Porzellan – dieses alles bidete ein Ganzes, von dessen prunkvollem Elend man sich keinen Begriff machen kann.

Die jungen Damen brauchten ihrer Haare wegen längere Zeit zum Anziehen. Ihre Haare waren in der schönsten Unordnung und wallten aufgelöst über ihre Schultern hernieder. Besonders Fräulein von Q. glänzte vor den beiden anderen; denn ihr Haar reichte bis zu den Waden.

Als sie fertig waren, öffneten sie die Tür, und wir sahen alles, was drei entzückende, schöne junge Mädchen sehen lassen können, um Begierden zu erregen, ohne den Anstand zu verletzen. Ich bewunderte Zenobias Geschicklichkeit. Die zerrissenen Hemden und Kleider ließen Teile von ihren Schultern, ihren Brüsten und ihren Armen sehen, während man durch die Löcher der Strümpfe die weiße Haut ihrer Beine sehen konnte.

Ich zeigte ihnen, wie sie gehen mußten, wie sie die Köpfe zu bewegen hatten, um Mitleid zu erregen, ohne ihrer Anmut zu schaden, und wie sie sich ihrer Taschentücher bedienen mußten, so daß man die Löcher und die Feinheit des Batistes bemerken konnte. Sie waren hoch entzückt und konnten es kaum erwarten, ihre Rollen zu spielen. Ich wollte jedoch vor ihnen auf dem Ball sein, denn ich wünschte mich an dem Anblick ihres Eintritts zu ergötzen. Nachdem ich meine Maske angelegt hatte, forderte ich Zenobia auf, zu Bett zu gehen, da wir nicht vor Tagesanbruch zurückkehren würden. Hierauf ging ich.

Ich trat in den Ballsaal ein, und da mehr als zwanzig Pierrots anwesend waren, so achtete kein Mensch auf mich. Fünf Minuten später sah ich die Menge sich herandrängen, um neu ankommende Masken zu sehen; ich stellte mich so auf, daß ich bequem alles sehen konnte. Der Marchese ging zwischen den beiden Basen. Ihr langsamer, kläglicher Gang paßte ausgezeichnet zu ihrer Rolle. Fräulein von Q. mit ihrem feuerroten Kleid, ihrem prachtvollen Haar und der Schönheit ihrer Formen lenkte alle Blicke auf sich. Die schaulustige, neugierige, erstaunte Menge begann erst eine Viertelstunde nach ihrem Eintritt zu sprechen; dann aber hörte man von allen Seiten: Welche Maskerade! Welche Maskerade! Wer sind sie? Wer können sie sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß es auch nicht. Ich werde es gleich erfahren.

Ich freute mich meines Werkes.

Da die Musik zu spielen begann, so traten drei schöne Masken in Dominos auf meine drei Bettlerinnen zu und forderten sie auf, ein Menuett zu tanzen. Sie entschuldigten sich jedoch, indem sie auf ihre Schuhe zeigten, deren Absätze sie niedergetreten hatten. Es freute mich sehr, denn es zeigte mir, daß sie den Geist ihrer Rolle vollkommen begriffen hatten.

Nachdem ich ihnen länger als eine Stunde gefolgt war und mich überzeugt hatte, daß die Neugier der Ballgäste stetig steigen würde, suchte ich Canano auf, bei dem an diesem Abend ein großes Spiel im Gange war. Eine Maske in venetianischer Tracht mit Baute und Mantel spielte auf eine einzige Karte, setzte fünfzig Zechinen, bot Paroli und Paix-de-Paroli, ganz nach meiner Art. Er hatte meine Gestalt und verlor dreihundert Zechinen. Man behauptete, ich sei es; nur Canano versicherte, ich sei es nicht. Um am Spieltisch bleiben zu dürfen, nahm ich Karten und machte wie ein Anfänger Sätze von drei und vier Dukaten. In der nächsten Taille hatte die venetianische Maske eine glückliche Serie: er gewann Paroli und Paix-de-Paroli und ließ noch einmal mit Erfolg stehen. Hierdurch gewann er alles Gold zurück, das er verloren hatte. Als noch eine zweite Taille ihm ebenfalls günstig war, strich er sein Gold ein und ging.

Da sein Stuhl frei blieb, so nahm ich ihn mir. Hierauf sagte eine Dame: »Ich wette, dies ist der Chevalier de Seingalt.«

»Nein,« sagte ein Herr, »ich habe ihn soeben erkannt, er ist als Bettler verkleidet und es sind vier andere Personen bei ihm, die kein Mensch kennt.«

»Als Bettler? Wieso?« fragte Canano.

»Als Bettler, in Lumpen gekleidet wie die vier anderen, trotzdem aber prachtvoll und höchst komisch. Sie sammeln Almosen.«

»Man sollte sie hinausweisen!« sagte ein anderer.

Ich freute mich, daß ich meinen Zweck erreicht hatte, denn es war ja ein Irrtum, daß man mich erkannt zu haben glaubte. Ich begann nun Haufen von Zechinen, ohne sie abzuzählen, auf eine Karte zu setzen und verlor fünf- oder sechsmal hintereinander. Canano beobachtete mich, ich las aber Unsicherheit auf seinen Zügen. Auf allen Seiten flüsterte man sich zu: »Das ist er nicht!« – »So spielt er nicht!« – »Außerdem ist er auf dem Ball!« –

Das Glück wandte sich: in drei glücklichen Taillen gewann ich reichlich zurück, was ich verloren hatte, und ich spielte weiter mit einem Haufen Gold, der vor mir lag. Ich setzte eine große Hand, voll Zechinen auf eine Karte; diese kam zuerst heraus. Ich bot Paroli und Paix-de-Paroli. Ich gewann, und da ich sah, daß die Bank in den letzten Zügen lag, so hörte ich auf. Canano zahlte aus und verlangte tausend Zechinen von seinem Kassierer. Während er die Karten mischte, hörte ich sagen: »Da kommen sie! Da kommen die Bettler!«

Die Bettler kamen und stellten sich an den Tisch. Canano musterte den Marchese und bat ihn um eine Prise. Man stelle sich meine Freude vor, als ich den Marchese ganz bescheiden eine Papierdüte mit Tabak aus der Tasche ziehen und dem Grafen Canano hinreichen sah! Diesen schönen Einfall hatte ich nicht vorausgesehen; er erregte die laute Heiterkeit aller Zuschauer. Fräulein von Q. streckte ihren Teller aus und heischte vom Bankhalter ein Almosen; dieser aber sagte: »Mit so schönen Haaren erregen Sie mir kein Mitleid; wollen Sie sie auf eine Karte setzen, so bin ich bereit, sie für tausend Zechinen gelten zu lassen.«

Sie antwortete auf diese Galanterie nichts, sondern reichte mir ihren Teller hin; ich legte eine Prise Zechinen darauf und gab den beiden anderen dasselbe.

»Pierrot scheint die Bettlerinnen zu lieben!« sagte Canano lachend.

Die drei Bettlerinnen machten mir eine tiefe Verbeugung und entfernten sich.

Marchese Triulzi, der neben Canano saß, sagte zu diesem: »Der Bettler in dem gelben Anzug ist ganz gewiß Casanova.«

»Daran ist nicht zu zweifeln,« sagte Canano; »ich habe ihn sofort erkannt; aber wer sind die anderen?«

»Wir werden es schon erfahren.«

»Es ist die teuerste Maskerade, die man sich denken kann; denn die Kleider sind vollkommen neu.«

Die tausend Zechinen kamen; ich nahm sie ihm in zwei Taillen ab.

»Wollen Sie noch spielen?« fragte Canano mich. Ich verneinte durch ein Zeichen und deutete hierauf mit der Hand an, daß ich eine Anweisung von dem Kassierer wünschte. Dieser nahm eine Wage, wog das ganze Gold und schrieb mir eine Anweisung auf neunundzwanzig Pfund Gold, mehr als zweitausendfünfhundert Zechinen. Ich steckte meine Anweisung ein, schüttelte dem Grafen Canano die Hand und ging mit schlenkerndem Gang, meiner Pierrotrolle gemäß, einmal um den Ballsaal herum. Dann ging ich in eine Loge des dritten Ranges hinauf, zu der ich dem jungen Offizier den Schlüssel gegeben hatte. Dort fand ich alle meine liebenswürdigen Bettler beieinander.

Nachdem wir nun ohne Maske versammelt waren, wünschten wir uns Glück zu unserem Erfolge und erzählten uns unsere Abenteuer. Neugierige brauchten wir nicht zu befürchten, denn die beiden Nebenlogen waren leer. Ich hatte sie gemietet und trug die Schlüssel bei mir.

Die jungen Bettlerinnen wollten mir ihre Almosen wieder geben; ich antwortete ihnen jedoch auf eine Weise, daß sie nicht darauf bestehen konnten.

»Man hält mich für Sie, Herr Chevalier,« sagte der Marchese zu mir, »und dieser Irrtum könnte dazu führen, daß man etwas erriete. Das würde mir unserer liebenswürdigen Bettlerinnen wegen sehr leid tun.«

»Ich werde diesem Unglück vorbeugen, indem ich mich vor dem Schluß des Balles demaskiere. Dadurch müssen alle Vermutungen hinfällig werden und kein Mensch wird die Wahrheit erraten.«

»Wir haben alle Taschen voll von Zuckerwerk,« sagte das reizende Fräulein von Q. zu mir. »Jeder packte unsere Teller voll.«

»Ja,« rief die Base, »alle Welt bewunderte uns; die Damen kamen aus ihren Logen heraus, um uns in der Nähe anzusehen, und überall rief man, man könne nichts Reizenderes sehen, als eine solche Maskerade.«

»Sie haben also viel Vergnügen gehabt?«

»O, sehr viel!«

»Ich auch. Ich bilde mir beinahe etwas darauf ein, ein Kostüm ausgedacht zu haben, das Sie unkenntlich gemacht hat und trotzdem alle Blicke auf Sie lenkte.«

»Sie haben uns alle glücklich gemacht!« sagte der hübsche Schatz des Leutnants; »besonders mich; denn ich hätte niemals auf eine so köstliche Nacht zu hoffen gewagt.«

»Das Ende krönt das Werk, mein gnädiges Fräulein, und ich hoffe, das Ende wird den Anfang noch übertreffen.«

Bei diesen Worten drückte ich meiner Schönen verliebt die Hand; ich weiß nicht, ob sie mich erriet, aber ich fühlte ihre Hand in der meinigen zittern.

»Wir wollen in den Saal gehen,« sagte sie zu mir.

»Ich auch, denn ich habe Lust, zu tanzen, und ich bin sicher, daß ich als Pierrot Sie zum Lachen bringen werde.«

»Wissen Sie, wieviel Sie einer jeden von uns gegeben haben?«

»Genau kann ich es nicht sagen; aber ich bin überzeugt, daß ich Sie alle drei ungefähr gleich behandelt habe.«

»Das stimmt, und wir haben uns sehr darüber gewundert.«

»Ich habe das tausendmal erlebt. Wenn man mir ein Paroli von zehn Zechinen abgewinnt, strecke ich drei Finger aus, und ich bin sicher, dreißig Zechinen zu fassen. Ich möchte wetten, daß ich jeder von Ihnen achtunddreißig bis vierzig gegeben habe.«

»Vierzig; keine mehr oder weniger. Das ist erstaunlich. An diese Maskerade werden wir denken.«

»Ich wette,« sagte der Marchese, »kein Mensch wird sie uns nachmachen.«

»Nein,« sagte die Base; »aber wir selber würden nicht ein zweites Mal so zu erscheinen wagen.«

Wir legten unsere Masken wieder an, und ich ging zuerst hinaus. Nachdem ich mir tausend Ungezogenheiten gegen die Harlekins und besonders gegen die Harlekinen erlaubt hatte, erkannte ich Teresa im Domino und lud sie ganz linkisch zum Kontertanz ein.

»Sie sind der Pierrot, der die Bank gesprengt hat?«

Ich bejahte durch ein Kopfnicken. Dann tanzte ich wie ein Besessener, ohne jemals aus dem Takt zu kommen und ohne die Figuren des Tanzes zu stören; es sah aus, wie wenn ich jeden Augenblick hinfallen würde, und doch fiel ich nie.

Nach dem Kontertanz bot ich ihr meinen Arm und führte sie in ihre Loge, worin Greppi ganz allein saß. Sie bat mich, einzutreten, und die Überraschung des Pärchens war nicht gering, als ich die Maske abnahm. Sie glaubten, ich sei einer von den Bettlern. Ich gab Herrn Greppi Cananos Anweisung, und nachdem er mir Quittung darüber gegeben hatte, ging ich unmaskiert wieder in den Saal, zur großen Überraschung der Neugierigen, die mich ganz sicher in dem Marchese erkannt zu haben glaubten. Gegen Morgen entfernte ich mich in einer Sänfte, die ich zweihundert Schritte weiter vor der Tür eines Logierhauses halten ließ. Ein kleines Stückchen weiter nahm ich einen zweiten Tragstuhl, der mich zu meinem Pastetenbäcker brachte. Ich fand Zenobia im Bett. Sie sagte mir, sie sei überzeugt gewesen, daß ich allein vor den anderen heimkommen werde. Ich kleidete mich aus und lag gar bald an der Seite dieser Venus. Man konnte nichts Vollkommeneres sehen als dieses Weib. Hätte Praxiteles sie als Modell gehabt, so hätte er nicht mehrerer griechischer Schönheiten bedurft, um den Körper seiner Venus zu bilden. Wie schade, daß so reine Formen einem Pavian gehörten! Ich zog sie nackt aus, und nachdem ich sie lange betrachtet hatte, erwies ich ihr die unzweifelhaftesten Huldigungen meiner Bewunderung; ich beglückte sie, und sie zeigte sich nicht undankbar. Es war das erstemal, daß ich sie wirklich ganz und gar in meinem Besitz hatte. Als wir den Trab von vier Pferden hörten, standen wir schnell auf und waren im Handumdrehen angezogen.

Meine liebenswürdigen Bettlerinnen traten ein, und ich sagte ihnen, ich könne beim Umkleiden zugegen sein, da sie ja nicht das Hemd zu wechseln brauchten. Und sie waren denn auch nicht zimperlich.

Bei dieser köstlichen Beschäftigung beschränkte ich jedoch meine Blicke auf Fräulein von Q. Ich bewunderte alle ihre Schönheiten und sah mit Vergnügen, daß sie sich nicht geizig zeigte. Zenobia band ihre Haare auf und wandte sich dann zu den beiden anderen, um diesen zu helfen. Ich erbot mich, sie zu ersetzen, und sie erlaubte mir, ihr beim Anziehen des Kleides zu helfen. Sie verhinderte nicht, daß meine Augen durch einen großen Riß drangen, der mir erlaubte, die eine der beiden Halbkugeln, die ihren herrlichen Busen zierten, beinahe ganz zu sehen.

»Was wollen Sie mit diesem Hemde machen, mein Fräulein?«

»Sie werden über die Kinderei lachen! Wir haben beschlossen, zur Erinnerung an den schönen Abend, den wir Ihnen verdanken, alle diese Sachen wie eine Reliquie aufzubewahren. Überlassen Sie bitte meinem Bruder die Mühe, die Sachen zu uns schaffen zu lassen. Wir wollen jetzt zu Bett gehen, werden Sie uns heute Abend besuchen?«

»Wenn ich vernünftig wäre, müßte ich Ihre Gegenwart vermeiden.«

»Wenn ich selber vernünftig wäre, dürfte ich Sie nicht einladen, zu uns zu kommen.«

»Was für eine Antwort! Natürlich werden Sie mich sehen; aber darf ich, bevor wir uns trennen, einen Kuß von Ihnen erbitten?«

»Zwei.«

Ihr Bruder und der Marchese entfernten sich. Zwei Tragstühle, die ich vor die Tür bestellt hatte, brachten die beiden Basen nach Hause. Zwei andere, die ein bißchen später kamen, dienten dem Leutnant und seiner Freundin.

Der Marchese, der bei mir geblieben war, sagte mir mit der größten Höflichkeit, er wünsche mir die Hälfte meiner Auslagen zu erstatten.

»Ich habe mir wohl gedacht, daß Sie mich demütigen würden.«

»Das ist nicht meine Absicht; ich bestehe daher nicht auf meinem Wunsche, aber Sie begreifen wohl, daß ich dann der Gedemütigte bin.«

»Nein; denn ich rechne auf Ihren Geist. Wie Sie sehen, kostet das Geld mir nichts, übrigens gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Sie auf allen Vergnügungspartien, bei denen wir uns während des Karnevals noch treffen könnten, für mich werde bezahlen lassen. Wir können hier soupieren, so oft es Ihnen beliebt; ich bin hier zu Hause. Sie geben die Gesellschaft, und ich werde Sie die Rechnung bezahlen lassen.«

»Ausgezeichnet! Diese Anordnung gefällt mir. Lassen Sie uns gute Freunde sein. Ich lasse Sie mit dieser reizenden Kammerzofe allein, und ich begreife nicht, daß eine solche Schönheit ungekannt von aller Welt, ausgenommen von Ihnen, in Mailand hat leben können.«

»Sie ist eine Bürgersfiau, die ein Geheimnis zu bewahren weiß. Habe ich recht, Signora?«

»Ich würde lieber sterben, als irgend einem Menschen sagen, daß der Herr der Marchese F. ist.«

»Vortrefflich, meine reizende und schöne Signora; halten Sie stets Ihr Wort und nehmen Sie, bitte, dieses kleine Andenken an.«

Es war ein schöner Ring. Zenobia nahm ihn mit reizendem Anstand an; er mochte etwa fünfzig Zechinen wert sein.

Als der Marchese fort war, kleidete Zenobia mich für die Nacht an. Ich legte mich zu Bett, nachdem ich ihr vierundzwanzig Zechinen gegeben und sie umarmt hatte; dann sagte ich ihr, sie könne nach Hause gehen, um ihren Mann zu trösten.

»Er ist nicht unruhig,« sagte sie; »denn er ist Philosoph.«

»Das muß er allerdings sein, da er eine so schöne Frau hat. Gib mir noch einen Kuß, Zenobia, und dann wollen wir scheiden.«

Sie warf sich auf mich, bedeckte mich mit Küssen und nannte mich ihr Glück und ihre Vorsehung. Ihre heißen Küsse brachten die natürliche Wirkung hervor, und nachdem ich ihr einen neuen Beweis von der Macht ihrer Reize gegeben hatte, ging sie fort, und ich schlief ein.

Es war zwei Uhr, als ich mit einem Wolfshunger erwachte. Ich aß ausgezeichnet zu Mittag und kleidete mich dann an, um die schöne Marchesina Q. zu besuchen, die ich, nach dem, was sie mir gesagt hatte, kaum spröde finden konnte. Alle Anwesenden außer ihr saßen am Spieltisch. Sie stand an einer Fensterbrüstung und schien so aufmerksam zu lesen, daß sie mich nicht bemerkte; sobald sie mich aber gesehen hatte, wurde sie rot, klappte ihr Buch zu und steckte es in die Tasche.

»O, ich bin nicht schwatzhaft, mein gnädiges Fräulein; ich werde keinem Menschen sagen, daß ich Sie dabei überrascht habe, wie Sie in einem Gebetbuch lasen.«

»Das freut mich; denn es wäre um meinen guten Ruf geschehen, wenn man wüßte, daß ich fromm bin.«

»Hat man von der Maskerade gesprochen? Weiß man, wer die Masken waren?«

»Man spricht von nichts anderem und bedauert uns, daß wir nicht auf dem Ball gewesen seien; aber man hat die Hoffnung aufgegeben, zu erfahren, wer die Masken waren; denn man sagt, eine unbekannte Kutsche mit vier Pferden habe sie blitzgeschwind nach der zehnten Poststation gebracht, von wo sie Gott weiß welchen Weg eingeschlagen haben. Man sagt auch, meine Haare seien falsch gewesen; ich habe wirklich Lust bekommen, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Ferner sagt man, Sie müßten die Masken kennen, denn sonst hätten Sie ihnen nicht ganze Hände voll Dukaten gegeben.«

»Man muß die Leute reden und glauben lassen, was sie wollen; die Hauptsache ist, daß man sich selber nicht verrät.«

»Da haben Sie recht; aber soviel ist wahr: wir haben ein sehr großes Vergnügen gehabt. Wenn Sie alle Aufträge, die man Ihnen gibt, ebenso erledigen, sind Sie einzig in Ihrer Art.«

»Aber ich hätte einen solchen Auftrag nur von Ihnen selber in Empfang nehmen können.«

»Heute von mir, morgen von einer anderen.«

»Ich sehe. Sie halten mich für unbeständig, aber ich schwöre Ihnen, wenn Sie mich Ihres Herzens würdig fänden, würde Ihr Bild unauslöschlich in meinem Herzen bleiben.«

»Ich bin überzeugt, das haben Sie tausend Mädchen gesagt; ich bin ferner überzeugt, Sie haben sie verachtet, nachdem Sie sie Ihres Herzens würdig gefunden haben.«

»Ich bitte Sie, brauchen Sie doch nicht das Wort ›verachtet‹; denn dann müßte ich ja glauben, Sie halten mich für ein Ungeheuer. Die Schönheit verführt mich, ich strebe sie zu besitzen, und ich verachte sie, wenn es nicht Liebe ist, die mir ihren Genuß verschafft. Aber wie wäre es mir möglich, ihr keinen ehrfurchtsvollen Kultus zu weihen, wenn sie sich mir aus Liebe hingibt? Da müßte ich mich ja vor allen Dingen selber verachten. Sie sind schön und ich bete Sie an; aber Sie würden sich sehr täuschen, wenn Sie glauben könnten, ich wäre damit zufrieden, daß Sie sich mir aus Gefälligkeit hingäben.«

»Ich sehe, Sie verlangen mein Herz.«

»Ganz recht; nach Ihrem Herzen strebe ich.«

»Um mich in vierzehn Tagen unglücklich zu machen.«

»Um Sie bis in den Tod zu lieben und alle Ihre Wünsche zu erfüllen.«

»Alle meine Wünsche?«

»Ja, sie wären für mich unverletzliche Gesetze.«

»Sie würden sich in Mailand niederlassen?«

»Ganz gewiß, wenn Sie mich unter dieser Bedingung glücklich machten.«

»Spaßhaft ist es bei alledem, daß Sie mich betrügen, ohne es selber zu wissen, wenn es wahr ist, daß Sie mich lieben.«

»Jemanden betrügen, ohne es selber zu wissen, – das ist für mich etwas Neues. Wenn ich es nicht weiß, so bin ich unschuldig.«

»Unschuldig – meinetwegen. Aber Sie täuschen nicht minder auch mich. Denn es wird nicht in Ihrer Macht stehen, mich noch zu lieben, wenn die Liebe zu mir in Ihnen erloschen ist.«

»Das wäre allerdings möglich; aber ich weise einen so abscheulichen Gedanken weit von mir! Lieber will ich glauben, daß ich in alle Ewigkeit in Sie verliebt sein werde. So viel ist sicher: seitdem ich in Mailand bin, habe ich dort nicht ein einziges Frauengesicht gefunden, das mir gefallen hätte.«

»Auch nicht das reizende junge Weib, das uns bedient hat, das Sie vielleicht bis vor wenigen Augenblicken in Ihren Armen gehalten haben?«

»Was sagen Sie da, göttliche Marchesa! Sie ist die Frau des Schneiders, der unsere Kleider gemacht hat. Sie ist gleich nach Ihnen fortgegangen, und ihr Mann würde sie nicht bei mir gelassen haben, wenn er nicht gewußt hätte, daß ich sie brauchte, um die drei Damen zu bedienen, für die er die Kleider gemacht hatte.«

»Sie ist bildhübsch. Ist es möglich, daß Sie sie nicht lieben?«

»Wie kann man eine Frau lieben, wenn man weiß, daß ein Pavian sich mit ihr vergnügt, so oft er Lust hat? Das einzige Vergnügen, das die Frau mir heute früh gemacht hat, bestand darin, daß sie mit mir über Sie sprach.«

»über mich?«

»Ja. Werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich in meiner Neugierde sie gefragt habe, welche der drei jungen Damen, die sie doch ohne Hemd gesehen haben müßte, die schönste wäre?«

»Solche Frage kann nur ein Wüstling stellen. Nun? Was hat sie Ihnen geantwortet?«

»Die Dame, die die schönen Haare hat, sei überhaupt in jeder Beziehung schön.«

»Das glaube ich nicht; denn ich habe gelernt, anständig das Hemd zu wechseln, und sie kann wohl kaum mehr gesehen haben, als was ich auch einen Mann ohne Gefahr hätte sehen lassen können. Sie hat Ihrer indiskreten Neugier schmeicheln wollen. Wenn ich eine Kammerzofe hätte wie diese, würde ich sie sofort entlassen.«

»Sie sind ärgerlich.«

»Nein.«

»Wenn Sie auch nein sagen – ich habe bei dieser flüchtigen Aufwallung Ihre Seele erkannt. Ich bin in Verzweiflung, Ihnen diese Worte gesagt zu haben.«

»Ei was; das ist nichts. Ich weiß, die Männer fragen Kammerzofen immer nach solchen Sachen, und diese antworten ihnen stets wie Ihre Schöne, die vielleicht nur gerne Ihre Neugier auf sie selber lenken möchte.«

»Aber wie sollte sie wohl hoffen, das ihr dies gelingen könnte, indem sie Ihre Schönheiten auf Kosten der beiden anderen pries? Sie konnte ja doch nicht wissen, daß ich Sie vorziehe.«

»Wenn sie das nicht weiß, so habe ich unrecht; aber trotzdem hat sie gelogen.«

»Sie kann vielleicht etwas erfunden haben, aber ich glaube nicht, daß sie gelogen hat. Sie lachen! Das entzückt mich.«

»Ich lache, weil es mir Vergnügen macht, Sie glauben zu lassen, was Sie wollen.«

»Sie erlauben mir also, zu glauben, daß Sie mich nicht hassen?«

»Sie hassen? Was für ein häßliches Wort! Wenn ich Sie haßte, würde ich Sie dann noch sehen? Aber sprechen wir jetzt von etwas anderem. Ich möchte Sie bitten, mir ein Vergnügen zu erweisen. Hier sind zwei Zechinen. Setzen Sie sie in der Lotterie auf eine Ambe; geben Sie mir den Zettel, wenn Sie Ihren nächsten Besuch machen, oder schicken Sie ihn mir zu. Aber lassen Sie nur ja keinen Menschen etwas davon erfahren.«

»Sie sollen ihn morgen ganz bestimmt erhalten; aber warum befehlen Sie mir, Ihnen den Zettel zu schicken?«

»Weil Sie vielleicht nicht kämen, wenn Sie sich mit mir langweilen.«

»Sagen Sie offen, mein Fräulein, macht es den Eindruck, wie wenn ich mich in Ihrer Gesellschaft langweile? Da bin ich recht unglücklich! Wie heißen Ihre Nummern?«

»Die drei und die vierzig, sie selber haben Sie mir gegeben.«

»Ich? Wieso denn?«

»Drei Prisen Zechinen und jedesmal vierzig. Ich bin abergläubisch; Sie werden mich deshalb aufziehen, aber es kommt mir wirklich so vor, als ob Sie nur nach Mailand gekommen seien, um mich glücklich zu machen.«

»Sie schenken mir das Leben wieder! Ihre Worte erfüllen mich mit inniger Freude. Sie sagen, Sie seien abergläubisch; aber wenn Sie diese Ambe nicht gewinnen, so ziehen Sie daraus nur ja nicht die Folgerung, daß ich Sie nicht liebe: das wäre ein haarsträubender Sophismus.«

»Mein Aberglaube geht nicht so weit; so unvernünftig denke ich nicht.«

»Glauben Sie, daß ich Sie liebe?«

»Ja.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen das hundertmal zu sagen?«

»Ja.«

»Und es Ihnen auf alle Arten zu beweisen?«

»Die Arten will ich vorher kennen; denn es wäre möglich, daß diejenigen, die Sie für die wirksamsten halten, mir sehr überflüssig erscheinen.«

»Ich sehe voraus, Sie werden mich lange schmachten lassen.«

»So lange, wie ich kann.«

»Und wenn Sie nicht mehr können?«

»So werde ich mich ergeben. Sind Sie damit zufrieden?«

»Ja, gewiß; aber ich werde alle meine Kraft aufbieten, um Ihren Widerstand zu vermindern.«

»Tun Sie das nur. Ihre Bemühungen werden mir angenehm sein.«

»Werden Sie mir helfen, zum Ziele zu gelangen?«

»Vielleicht.«

»Ach, reizende Marchesina, Sie brauchen nur zu sprechen, um einen Menschen glücklich zu machen. Ich bin wirklich glücklich, und ich verlasse Sie, in heißer Liebe entbrannt.«

Nach dieser reizenden Plauderei ging ich ins Theater und besuchte hierauf den Spieltisch, wo ich die Maske sah, die am Abend vorher dreihundert Zechinen gewonnen hatte.

Er spielte sehr unglücklich, denn er hatte in Marken bereits mehr als zweitausend Zechinen verloren. In weniger als einer Stunde verlor er noch das doppelte dazu; dann sagte Canano: »Jetzt ist es genug!« und legte die Karten hin. Er stand auf, und die Maske entfernte sich. Es war ein Genueser, namens Spinola.

»Sie haben eine glückliche Bank gehabt,« sagte ich zu Canano.

»Ja; aber mit Ihnen habe ich schlechte Geschäfte gemacht. Pierrot ist glücklich gewesen.«

»Na, wenn ich gewettet hätte, würden Sie verloren haben, denn Sie haben mich in dem Pierrotkostüm nicht erkannt.«

»Allerdings nicht; ich war auf den einen Bettler versessen, den ich für Sie hielt. Sie wissen doch, wer er ist?«

»Nicht im geringsten. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen.«

Dies war keine Lüge von mir.

»Man sagt, es seien lauter Venetianer, und sie seien von hier nach Bergamo gefahren.«

»Das kann wohl sein; aber ich weiß nichts davon. Ich hatte den Ball bereits verlassen, als sie gingen.«

Am Abend speiste ich mit der Gräfin A. B., ihrem Gatten und Triulzi. Sie waren derselben Meinung wie Canano. Triulzi sagte zu mir, ich hätte mich verraten, indem ich den Bettlerinnen ganze Hände voll Zechinen gegeben hätte.

»Da irrt man sich,« antwortete ich; »man kennt mich nicht. – Ich bin abergläubisch beim Spiel und würde glauben, daß ich verlieren müßte, wenn ich nicht denen, die mich darum bitten, ein paar Dukaten gebe; vorausgesetzt natürlich, daß ich im Gewinn bin. Ich habe dreißig Pfund Gold gewonnen und lasse die Narren schwätzen.«

Am nächsten Tage kaufte ich einen Lotteriezettel und brachte ihn meiner schönen Marchesa. Ich war vollständig in sie verliebt, weil alles mir sagte, daß sie mich liebte. Auch ihre Base spielte an diesem Tage nicht, und ich verbrachte drei Stunden mit ihnen, von nichts als Liebe sprechend. Ich fand in ihren Bemerkungen einen unbeschreiblichen Zauber, denn sie hatten unendlich viel Geist. Als ich sie verließ, fühlte ich, daß ich, wenn der Zufall mich mit der Base statt mit Fräulein von Q. zusammengebracht hätte, mich in die erstere ebenso verliebt haben würde. Der Karneval dauert in Mailand vier Tage länger als an allen anderen Orten, wodurch die Fastenzeit um eine halbe Woche abgekürzt wird. Er näherte sich seinem Ende. Es sollten noch drei Bälle stattfinden. Ich spielte und verlor jeden Tag zwei- oder dreihundert Zechinen. Alle Welt wunderte sich noch mehr über meine Bedachtsamkeit als über mein Unglück. Jeden Tag ging ich zu den schönen Basen und redete mit ihnen von meiner Liebe; aber ich kam nicht weiter: es gab nur Hoffnungen, aber nichts Gewisses. Die schöne Marchesina bewilligte mir ein paar Küsse; diese sind eine Kost für Rekonvaleszenten: es ist weder Saft noch Kraft darin. Ich brauchte Besseres. Allerdings hatte ich mich noch nicht erkühnt, sie um ein Stelldichein zu bitten. Ich mußte dies aber doch schließlich tun; denn wenn ich bei meiner respektvollen Zurückhaltung verblieb, lief ich Gefahr, an Entkräftung zu sterben. Daher fragte ich sie drei Tage vor dem Ball, ob ich hoffen könnte, sie mit ihren beiden Freundinnen, ihrem Bruder und dem Marchese zum Abendessen einladen zu dürfen.

»Mein Bruder«, antwortete sie mir, »wird Sie morgen aufsuchen, um mit Ihnen das Nötige zu verabreden.«

Dies war ein gutes Zeichen. Der Leutnant kam wirklich. Ich hatte gerade die herausgekommene Lotterienummer erhalten, und man denke sich meine Freude, als ich die drei und die vierzig sah. Ich war himmelhoch erfreut über diesen Erfolg! Dem jungen Marchese sagte ich nichts, weil seine Schwester mir dies verboten hatte; aber ich sah voraus, daß diese Fügung des Zufalls meiner Liebe günstig sein würde.

»Marchese F.«, sagte der liebenswürdige Botschafter zu mir, »ladet Sie nebst der ganzen Bettlergesellschaft für den Ballabend zum Abendessen in Ihrer Wohnung ein; da er uns jedoch eine Überraschung bereiten will, so bedarf er Ihrer Wohnung, um die Maskenkleider anfertigen zu lassen. Da er sicher sein möchte, daß die Sache geheim bleibt, bittet er Sie auch, dieselbe Kammerfrau zu bestellen, die Sie neulich hatten.«

»Gern, sehr gern, mein junger Freund! Sagen Sie dem liebenswürdigen Marchese, ihm stehe alles zu Diensten.«

»Sorgen Sie dafür, daß das Mädchen heute um drei Uhr dort ist, und sagen Sie dem Pastetenbäcker Bescheid, daß Sie dem Marchese freie Verfügung gegeben haben.«

»Alles soll nach den Wünschen Ihres Freundes geschehen.«

Es war mir nicht schwer, zu erraten, daß der Marchese Lust hatte, Zenobia zu besitzen; aber ich fand dies so natürlich, daß ich mich durchaus nicht darüber ärgerte, sondern im Gegenteil geneigt war, seine zärtlichen Gefühle zu begünstigen. »Leben und leben lassen« war stets mein Wahlspruch und wird bis zu meinem Tode mein Wahlspruch sein, obgleich augenblicklich unglücklicherweise der Genuß für mich nur noch in meinen Erinnerungen besteht.

Sobald ich mich angezogen hatte, ging ich aus; ich sagte dem Pastetenbäcker Bescheid und ging dann zu dem Schneider, der sich sehr freute, daß ich seiner Frau Arbeit verschaffte. Er wußte aus Erfahrung, daß seiner Kasse ihre Abwesenheiten gut zustatten kamen.

»Ihrer selbst bedarf ich nicht,« sagte ich zu ihm, »weil es sich nur um Frauenkleider handelt; ich habe nur meine Gevatterin nötig.«

»Punkt drei werde ich ihr für drei Tage Urlaub geben.«

Nachdem ich zu Mittag gegessen hatte, machte ich mich auf den gewohnten Weg; ich fand meine liebenswürdige Marchesina Q. überglücklich. Ihre Ambe hatte ihr fünfhundert Zechinen eingebracht.

»Dies macht Sie glücklich?« fragte ich sie.

»Es macht mir Vergnügen; aber obwohl ich nicht reich bin, so freue ich mich doch nicht über den Gewinn, sondern über den herrlichen Einfall, den ich mir zu eigen machte; das Vergnügen, das ich empfinde, beruht in dem Gedanken, daß ich dieses Glück Ihnen verdanke. Diese Fügung des Zufalls spricht gebieterisch zu Ihren Gunsten.«

»Was sagt sie Ihnen?«

»Sie sagt mir: Sie verdienen, daß ich Sie liebe.«

»Sagt sie Ihnen auch, daß Sie mich wirklich lieben?«

»Nein; dies sagt mir mein Herz.«

»Sie machen mich überglücklich; aber sagt Ihr Herz Ihnen auch, daß Sie es mir beweisen müssen?«

»Lieber Freund! Können Sie daran zweifeln?«

Mit diesen Worten streckte sie mir ihre Hand hin. Es war das erste Mal. Ich preßte meine Lippen darauf.

»Anfangs«, sagte sie, »dachte ich daran, die ganzen vierzig Zechinen auf die Ambe zu setzen.«

»Hatten Sie nicht den Mut dazu?«

»Das war es nicht; ich schämte mich. Ich fürchtete, Sie möchten etwas denken, was Sie mir gewiß nicht gesagt haben würden. Ich fürchtete nämlich, wenn ich Ihnen die vierzig Zechinen gäbe, um sie für mich in die Lotterie zu stecken, könnten Sie sich vielleicht einbilden, ich wollte Ihnen dadurch andeuten, daß ich dies Geschenk verachtete. Dies hätte Ihnen eine schlechte Meinung von mir gegeben; aber wenn Sie mir zugeredet hätten, wäre ich sofort bereit gewesen.«

»Ich bin in Verzweiflung, nicht daran gedacht zu haben. Sie würden jetzt zehntausend Zechinen besitzen, und dies würde mich glücklich machen.«

»Sprechen wir nicht mehr davon.«

»Wie Ihr Bruder mir gesagt hat, werden wir unter der Leitung des Marchese den Maskenball besuchen. Sie können sich wohl denken, wie sehr mich die Aussicht freut, daß ich eine ganze Nacht mit Ihnen verbringen werde. Nur eins beunruhigt mich.«

»Was denn?«

»Ich fürchte, es wird nicht so gut gehen, wie das erste Mal.«

»Seien Sie unbesorgt: der Marchese ist ein sehr kluger Mann. Er liebt meine Schwester ebenso wie seine eigene Ehre. Ganz gewiß wird man uns nicht erkennen.«

»Er kann nichts Besseres tun, als es ebenso zu machen wie Sie.«

Am Abend des Balles ging ich schon sehr früh zu meinem Pastetenbäcker, wo ich den Marchese fand. Er war sehr befriedigt, daß alles nach seinem Wunsche ging. Das Zimmer mit den Maskenanzügen war verschlossen. Ich fragte ihn mit zweideutiger Betonung, ob er mit Zenobia zufrieden gewesen sei.

»Ich kann nur mit ihrer Arbeit zufrieden sein,« antwortete er mir, »denn ich habe weiter nichts von ihr verlangt.«

»Ich will dies gerne glauben; aber ich befürchte, Ihre schöne Freundin wird in dieser Hinsicht nicht eben so leichtgläubig sein.«

»Sie weiß, daß ich nur sie lieben kann.«

»Sprechen wir nicht mehr davon.«

Nachdem die Gäste gekommen waren, sagte der Marchese zu uns, die Verkleidung werde uns in Heiterkeit versetzen und es sei daher zu empfehlen, wenn wir uns vor dem Abendessen umzögen.

Wir folgten ihm in die Kammer, wo wir zwei große Pakete sahen.

»Meine Damen,« sagte er zu den drei Schönen, »dieses Paket ist für Sie. Die Signora wird Sie ankleiden; wir werden dasselbe in einem anderen Zimmer tun.«

Er nahm das größere Paket. Als wir in unserem Zimmer eingeschlossen waren, öffnete er es und gab mir sowie dem Leutnant die für uns bestimmten Sachen, indem er ausrief: »Vorwärts, meine Freunde, beeilen wir uns!«

Wir lachten laut auf, als wir Frauenkleider sahen. Nichts fehlte: Hemden, mit Flitter bestickte Schuhe mit Absätzen, die uns zwei Zoll größer machten, prachtvolle Strumpfbänder und kostbare Nachthäubchen, um uns die Mühe des Frisierens zu ersparen; die herrlichen Spitzen, mit denen sie benäht waren, fielen uns über die Augen. Ich war überrascht, daß die Schuhe, die er für mich bestimmt hatte, mir wie angegossen paßten; wie ich jedoch später erfuhr, hatte ich denselben Schuster wie er. Mieder, Unterröcke, Kleid, Busentuch, Fächer, Arbeitstasche, Schminkdöschen, Masken, Handschuhe – alles war von tadelloser Beschaffenheit. Wir halfen uns gegenseitig die Hauben aufsetzen; als wir jedoch angezogen waren, sahen wir aus wie Vogelscheuchen, mit Ausnahme des jungen Offiziers, den man wohl für eine sehr hübsche Frau hätte halten können; denn ein falscher Busen und ein cul de Paris ersetzten die Schönheiten, die er als Mann nicht haben konnte.

Ohne uns verabredet zu haben, zogen wir alle drei keine Hosen an.

»Ihre schönen Strumpfbänder«, sagte ich zum Marchese, »zeigen mir, daß Sie die Hosen für überflüssig halten.«

»Der Gedanke ist sehr gut,« sagte er; »leider aber wird es niemandem einfallen, sich von der Sache zu überzeugen, denn zwei Fräuleins von fünf Fuß zehn Zoll werden keine sehr lebhaften Begierden einflößen.«

Ich hatte mir gedacht, daß unsere reizenden Freundinnen als Männer erscheinen würden, und ich hatte mich nicht getäuscht. Da sie vor uns fertig geworden waren, so sahen wir sie beim Eintreten vor dem Kaminfeuer stehen.

Sie sahen wie drei junge Pagen aus, aber ohne deren Unverschämtheit; denn sie fühlten sich in ihrer Kleidung offenbar ein wenig verlegen, obgleich sie so taten, wie wenn sie sich sehr wohl darin befänden.

Wir stellten uns ihnen vor, indem wir die Bescheidenheit des schönen Geschlechts mit einer schamhaften Zurückhaltung nachäfften, die zu unseren Rollen paßte. Sie hielten sich infolgedessen für verpflichtet, das Benehmen von Männern nachzuahmen; ihr Anzug war aber nicht von der Art, wie er für junge Leute paßt, bei denen man ein ehrfurchtsvolles Benehmen gegen Damen voraussetzt. Sie waren als Läufer gekleidet, trugen enge Hosen, kurze, festanliegende Westen, offene Jäckchen, Strumpfbänder mit silbernen Franzen, Tressengürtel und hübsche, silberbestickte Mützen mit vergoldetem Wappen. Ihre Batisthemden waren mit sehr großen Brustkrausen von Alençonspitzen geschmückt. In dieser Kleidung, worin sie notwendigerweise ihre schönen Formen durch einen fast durchsichtigen Schleier zeigten, hätten sie die Sinne eines an allen Gliedern Gelähmten aufregen können; wir aber waren nichts weniger als das. Indessen liebten wir sie zu sehr, um sie scheu zu machen.

Nach den ersten gezierten Redensarten, wie sie bei solchen Gelegenheiten üblich sind, begannen wir auf unsere gewöhnliche Art zu plaudern, bis man das Abendessen auftragen würde. Sie sagten uns: da sie zum erstenmal in ihrem Leben Männerkleidung trügen, so wären sie nicht ohne Furcht wegen der Gefahren, denen sie sich aussetzten, wenn sie auf den Ball zu gehen wagten. »Wenn uns unglücklicherweise jemand erkennen sollte, so wären wir verloren«, rief die Base. Sie hatten recht, unsere Aufgabe erforderte jedoch, sie zu beruhigen, obwohl wir, besonders ich, gerne in unserem kleinen Kreise geblieben wären.

Wir gingen zu Tisch, jeder saß neben seinem Liebchen, und gegen meine Erwartung war die Geliebte des Leutnants die erste, die einen fröhlichen Ton anschlug. Sie glaubte ihre Männerrolle nur richtig spielen zu können, wenn sie sich kühn zeigte; infolgedessen ging sie dem weiblichen Leutnant zu Leibe, der sich wie ein sprödes Mädchen verteidigte. Die beiden Basen schämten sich, weniger tapfer zu sein als ihre Freundin, und erwiesen uns einige Liebkosungen, die schon ziemlich ausgelassen waren. Zenobia, die uns bei Tisch bediente, konnte sich des Lachens nicht enthalten, als meine angebetete Q. ihr vorwarf, sie hätte mein Kleid zu eng über die Brust gemacht. Als sie ihre hübsche Hand ausstreckte, wie wenn sie mir Gewalt antun wollte, gab ich ihr eine leichte Ohrfeige; sie dagegen ergriff mit der Höflichkeit eines reuigen Kavaliers meine Hand und küßte sie, indem sie mich um Verzeihung bat. Ich konnte es kaum noch aushalten!

Als der Marchese sagte, ihn fröre, fragte die Base ihn, ob er seine Hose anhabe. Sie streckte ihre Hand aus, um sich zu vergewissern, zog sie aber sofort errötend zurück. Wir brachen hierauf in ein lautes Gelächter aus, in das sie klugerweise mit einstimmte, indem sie ihre Rolle eines unverzagten Liebhabers mit entzückendem Geist weiterspielte.

Das Abendessen hatte nichts zu wünschen übrig gelassen; es war lecker, abwechslungsvoll und reichlich. Von Liebe und Wein erhitzt, standen wir auf, nachdem wir mehr als zwei Stunden bei Tisch verbracht hatten. Als wir aufstanden, malte sich Traurigkeit auf den Zügen der beiden schönen Basen. Sie wußten nicht, wie sie auf den Ball gehen könnten, wo ihre Kleidung ihnen alle ausgelassenen Masken auf den Hals hetzen müßte. Der Marchese begriff dies ebensogut wie wir und fand ihr Widerstreben sehr natürlich.

»Wir müssen aber doch zu einer Entscheidung kommen,« rief der Leutnant; »entweder fahren wir auf den Ball oder nach Hause.«

»Keins von beiden!« sagte der Marchese; »tanzen wir hier!«

»Wo sind die Geiger?« sagte seine Geliebte. »Heute Nacht sind um alles Gold der Welt keine aufzutreiben.«

»Ei, so behelfen wir uns ohne sie!« rief ich. »Wir machen Punsch, spielen allerlei kleine Spiele, plaudern und sind glücklich; werden wir müde, so schlafen wir. Wir haben drei Betten.«

»Zwei genügen«, sagte die Base.

»Allerdings; aber zuviel des Guten schadet nie.«

Zenobia war zur Frau des Pastetenbackers gegangen, um zu Abend zu essen; sie sollte erst wieder heraufkommen, wenn wir sie riefen.

Nachdem wir zwei Stunden lang allerlei Scherzchen getrieben hatten, die für die Liebe nicht verloren waren, ging die Geliebte des Leutnants, die ein bißchen beschwipst war, in ein anderes Zimmer und warf sich auf das Bett. Ihr Geliebter folgte ihr bald.

Fräulein von Q. befand sich in derselben Lage; sie sagte mir, sie wünsche sich einen Augenblick auszuruhen. Ich führte sie in ein Zimmer, worin sie sich einschließen konnte, und schlug ihr vor, dies zu tun.

»Ich glaube nicht, daß ich mich vor jemandem in acht zu nehmen brauche«, antwortete sie mir.

»Dann lassen wir also den Marchese mit Ihrer liebenswürdigen Base allein; sie können sich ebenfalls ausruhen, und ich werde bei Ihnen Wache halten.«

»Nein, lieber Freund, Sie müssen ebenfalls schlafen.«

Mit diesen Worten ging sie in das Ankleidezimmer, indem sie mich bat, ihr ihren Unterrock zu holen. Als sie wieder eintrat, rief sie: »Ah, ich atme wieder auf. Diese verdammte Hose ist zu eng: sie rieb mich wund.«

Nur mit ihrem Unterrock bekleidet, legte sie sich auf das Bett.

»Wo tat Ihnen denn die abscheuliche Hose weh, liebes Herz?«

»Das mag ich Ihnen nicht sagen, aber mir scheint, dieses Kleidungsstück muß Ihnen doch sehr unbequem sein?«

»Aber, mein Engel, wir sind doch ganz anders gebaut; die Hose kann uns an der Stelle, wo sie Sie gedrückt hat, nicht wund reiben.«

Während ich dies sagte, hielt ich sie an meine Brust gepreßt in den Armen. Ich ließ mich sanft an ihre Seite gleiten. Eine volle Viertelstunde blieben wir so, ohne ein Wort zu sprechen; wir hielten uns umschlungen, und unser Lippen verschmolzen in einem langen Kuß. Um sie ungestört zu lassen, ging ich einen Augenblick in das Ankleidezimmer. Als ich wieder hereinkam, fand ich sie unter der Bettdecke. Sie sagte nur, sie habe sich ausgezogen, um besser schlafen zu können; dann schloß sie die Augen und drehte sich um. Ich begriff, daß die Schäferstunde geschlagen hatte; im Handumdrehen warf ich meine Frauenkleider ab und schlüpfte leise neben sie, denn die ersterbende Scham muß man schonen. Ich umschlang sie mit meinen Armen; bald brachte ein gewisser Druck ihre Sinne in Aufregung, sie wandte sich zu mir und überließ mir den Genuß aller ihrer Reize.

Nach dem ersten Opfer schlug ich eine Abwaschung vor, die notwendig war; denn wenn ich mir auch nicht gerade schmeicheln konnte, das Schloß erbrochen zu haben, so hatte doch das Opfer ehrenvolle Spuren auf dem Altar gelassen. Mein Vorschlag wurde freudig angenommen, und als wir uns gegenseitig diesen Dienst erwiesen hatten, erlaubte sie mir, mich am Anblick aller ihrer Schönheiten zu weiden und diese mit meinen Küssen zu bedecken. Durch meine Liebkosungen ermutigt, nahm sie für sich das Vorrecht der Gleichheit in Anspruch.

»Welch ein Abstand«, rief sie, »zwischen Bild und Wirklichkeit!«

»Aber der Vergleich, mein Engel, fällt wohl zu Gunsten des Bildes aus?«

»Was sagst du da! Kann man der Kunst den Vorzug vor der Natur geben?«

»Die Natur kann doch Unvollkommenheiten haben.«

»Ich weiß nicht, ob an dem, was ich sehe, irgend etwas unvollkommen ist; jedenfalls habe ich niemals etwas Schöneres gesehen.«

Allerdings bot ich ihr in diesem Augenblick das Werkzeug der Liebe in seiner ganzen Schönheit dar und ließ sie seine ganze Macht verspüren. Sie blieb nicht hinter mir zurück, und ich habe selten bei einer Frau mehr Feuer, Schmiegsamkeit und Reziprozität gefunden.

»Wenn wir vernünftig sind,« sagte sie, »so gehen wir auf gar keinen Ball mehr, sondern kehren an diesen Ort zurück, wo so süße Genüsse unser harren.«

Ich küßte liebeglühend den Mund, der mir so bestimmt mein Glück versprach, und überzeugte sie durch meine Entzückungen, daß niemals ein Mann sie glühender lieben könnte als ich. Es kostete mir keine Mühe, sie vom Schlafen abzuhalten; denn ihre schönen Augen machten nicht ein einzigesmal Miene, sich zu schließen. Wir waren beständig in Tätigkeit oder in wonnigen gegenseitigen Betrachtungen, die wir mit verliebten Reden begleiteten. Zuweilen täuschte ich sie, aber nur zu ihrem Vorteil, denn das Temperament eines jungen Weibes ist stets feuriger als das eines jungen Mannes. Wir hörten erst auf, als der Tag zu dämmern begann. Wir brauchten uns nicht voreinander zu verbergen, denn alle hatten in Freuden genossen, und nur eine gegenseitige Bescheidenheit hielt uns ab, uns zu beglückwünschen. Wir sprachen nicht von unserem Glück, aber indem wir schwiegen, leugneten wir es auch nicht.

Als wir angezogen waren, dankte ich dem Marchese und lud ihn, ohne daß von Maskerade die Rede gewesen wäre, für die Nacht des nächsten Balles zum Abendessen ein, wenn es den Damen recht wäre. Der Leutnant sagte in ihrem Namen zu, und seine Geliebte fiel ihm vor Freude um den Hals, dankte ihm und warf ihm zugleich vor, daß er die ganze Nacht geschlafen hatte. Der Marchese sagte, er habe dasselbe getan; ich wiederholte diese Worte wie einen Glaubensartikel, und die Damen umarmten uns, indem sie uns für unser anständiges Verhalten dankten. Wir trennten uns wie das erstemal; nur der Marchese blieb allein bei Zenobia.

Ich begab mich nach Hause und ging sofort zu Bett; da ich erst um drei Uhr aufstand, so fand ich keinen Menschen im Hause. Ich ging also allein zu meinem Pastetenbäcker, um dort zu Mittag zu essen, und fand Zenobia mit ihrem Mann, der sich eingefunden hatte, um sich an den Resten unseres Abendessens gütlich zu tun. Er sagte mir, ich hätte sein Glück gemacht; denn der Marchese hätte seiner Frau vierundzwanzig Zechinen und seine Weiberkleider geschenkt. Ich gab ihr auch die meinigen. Als ich meiner Gevatterin sagte, sie solle mir etwas zu essen besorgen, entfernte sich der Schneider, mit überschwenglichen Versicherungen seiner Dankbarkeit.

Als ich mit der schönen Zenobia allein war, bat ich sie, mir zu sagen, ob sie mit dem Marchese zufrieden gewesen sei.

»Er hat mich reichlich belohnt«, sagte sie, indem sie leicht errötete.

»Mehr will ich nicht wissen, meine liebe Zenobia, denn es ist unmöglich, dich zu sehen, ohne dich zu lieben, und wenn man dich liebt, wünscht man dich zu besitzen.«

»Der Marchese hat nur das nicht bewiesen.«

»Das ist möglich, aber sehr zu verwundern.«

Sobald ich gegessen hatte, eilte ich zu meiner schönen Marchesina, die ich jetzt viel mehr liebte als vor der köstlichen Nacht, die ich mit ihr verbracht hatte; ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen, um zu erfahren, welchen Eindruck sie auf mich machen würde, nachdem sie mich so rückhaltslos beglückt hatte. Ich fand sie noch schöner. Sie empfing mich mit dem Ton und dem Benehmen einer Geliebten, die glücklich ist, ein Recht auf das Herz ihres Geliebten erworben zu haben. Die Schöne sagte mir, sie sei sicher gewesen, daß ich sie besuchen werde; trotz der Anwesenheit ihrer Base empfing und gab sie tausend feurige Küsse, die keinen Zweifel mehr darüber ließen, wie wir uns unter vier Augen beschäftigt hatten. Ich verbrachte mit ihnen fünf Stunden, die mir sehr kurz vorkamen; so sehr verkürzt das Vergnügen die Zeit. Wenn man von Liebe spricht und sich von den eigenen Angelegenheiten unterhält, machen Eigenliebe und Gefühl dieses Thema unerschöpflich. Dieser fünfstündige Besuch am Tage nach der Hochzeit bewies mir, daß ich in meine neue Eroberung heftig verliebt war, und ich mußte zugleich meine schöne Marchesina überzeugen, daß ich ihrer Zärtlichkeit würdig war.

Gräfin A. B. hatte mich brieflich eingeladen, mit ihr, ihrem Gatten und dem Marchese Triulzi zu Abend zu speisen; der Marchese hatte alle Freunde des Hauses eingeladen. Infolgedessen ging ich nicht zu Canano, der seit meinem Siege als Pierrot etwa tausend Zechinen von mir gewonnen hatte. Ich wußte, daß er sich rühmte, mich fest zu haben; ich nahm mir aber im geheimen das Gegenteil vor und womöglich noch etwas Besseres. Beim Abendessen setzte die Spanierin mir heftig zu: ich schlafe außer dem Hause, man sehe mich nur selten. Man gab sich alle Mühe, mir mein Geheimnis zu entreißen; man behauptete, meine Liebesabenteuer zu kennen. Man wußte, daß ich zuweilen bei Teresa mit Greppi speiste; über diesen machte man sich lustig, weil er die geckenhafte Äußerung getan hatte, ich hätte nichts zu bedeuten. Um meine Gedanken besser zu verbergen, sagte ich, er habe vollkommen recht und ich führe das glücklichste Leben.

Am nächsten Morgen besuchte mich Barbaro, der ehrlich war wie alle Falschspieler. Er gab mir meine zweihundert Zechinen mit einer gleichen Summe als Gewinnanteil zurück, und sagte mir, er habe einen kleinen Streit mit dem Leutnant gehabt und werde deshalb nicht mehr spielen. Ich dankte ihm, daß er mich mit der schönen Marchesina bekannt gemacht habe, und sagte ihm, ich sei ganz verliebt in sie und hoffe ihre strenge Tugend noch zu besiegen. Er lächelte, lobte meine Verschwiegenheit und gab mir zu verstehen, daß er sich nicht täuschen lasse. Mir kam es aber nur darauf an, nichts einzugestehen.

Gegen drei Uhr suchte ich das reizende Weib auf; ich verbrachte bei ihr, wie am Tage vorher, fünf höchst angenehme Stunden. Da Barbaro nicht mehr spielte, hatte man der Dienerschaft Befehl gegeben, zu sagen, daß niemand zu Hause sei. Da ich erklärter Liebhaber der schönen Marchesina war, sprach die Base zu mir wie zu einem Freund. Sie bat mich, so lange wie möglich in Mailand zu bleiben; dies würde nicht nur das Glück der Base verlängern, sondern auch ihr eigenes; denn ohne mich würde es ihr unmöglich sein, stundenlang mit ihrem geliebten Marchese zusammen zu sein, der sie niemals ungestört besuchen könnte, so lange sein Vater noch am Leben wäre. Sie glaubte bestimmt, daß sie seine Frau werden würde, sobald der alte Herr im Grabe läge. Ihre Hoffnungen waren eitel; denn der junge Marchese beging bald darauf Torheiten, die ihn zugrunde richteten.

Am nächsten Abend kamen die fünf liebenswürdigen Menschen, statt auf den Ball zu gehen, zum Abendessen zu mir. Nach einem köstlichen Mahle überließen wir uns ohne Umstände den Freuden der Liebe. Es war eine reizende Nacht, doch wurden unsere Freuden durch den traurigen Gedanken gestört, daß mit dem Ende des Karnevals auch die Möglichkeit einer Fortsetzung aufhörte.

Da am Rosenmontag kein Ball stattfand, so spielte ich; da ich nicht ein einzigesmal drei Gewinnkarten traf, so verlor ich alles Gold, das ich bei mir hatte. Ich wäre wie gewöhnlich fortgegangen, wenn nicht eine als Mann verkleidete Frau mir eine Karte gegeben und mich durch Zeichen aufgefordert hätte, auf diese zu setzen. Ich legte sie vor den Bankier und hielt hundert Zechinen auf mein Wort. Ich verlor, und um meine Schuld zurückzugewinnen, verlor ich tausend Zechinen, die ich am nächsten Tage bezahlen ließ.

Als ich hinausgehen wollte, um mich bei meiner schönen Marchesina zu trösten, sah ich die Unglücksmaske in Begleitung eines anderen maskierten Mannes. Dieser trat auf mich zu, gab mir die Hand und bat mich flüsternd, ich möchte ihn um zehn Uhr in den Drei Königen in Nummer soundso aufsuchen, wenn mir die Ehre eines alten Freundes am Herzen läge.

»Wer ist dieser Freund?«

»Ich selber.«

»Wer sind Sie?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Ich bitte Sie, nicht auf mich zu warten; denn wenn Sie mein Freund sind, so kann nichts Sie abhalten, mir Ihren Namen zu nennen.«

Ich ging hinaus, und er folgte mir, indem er mich bat, bis an das Ende der Arkaden zu gehen. Dort nahm er seine Maske ab, und ich sah jenen Croce, dessen meine Leser sich vielleicht noch erinnern.

Ich wußte, daß er aus Mailand verbannt war, und ich begriff seine Gründe, warum er nicht vor anderen Leuten seinen Namen nennen wollte; aber ich wünschte mir Glück, daß ich seine Bitte, ihn in seinem Gasthof aufzusuchen, ihm abgeschlagen hatte.

»Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen«, sagte ich ihm.

»Das glaube ich. Ich bin hierhergekommen, weil ich in dieser Jahreszeit maskiert ausgehen kann. Ich will meine Verwandten zur Herausgabe meines Eigentums nötigen; sie halten mich aber hin, um mir nichts geben zu müssen; denn sie sind überzeugt, daß ich aus Furcht vor dem Erkanntwerden mich entfernen muß, sobald die Fastenzeit angebrochen ist.«

»Aber willst du denn in der Fastenzeit unter allen Umständen abreisen, selbst wenn du das erwartete Geld noch nicht erhalten hast?«

»Ich werde wohl müssen. Da du mich nicht aufsuchen willst, so bitte ich dich, mich zu retten, indem du mir zwanzig Zechinen gibst. Dies wird mich instand setzen, Sonntag früh abzureisen, selbst wenn mein Vetter, der mir zehntausend Lire schuldet, mir den zehnten Teil, um den ich ihn gebeten habe, verweigern sollte. Aber bevor ich abreise, töte ich ihn.«

»Ich habe keinen Soldo, und deine Maske da kostet mir tausend Zechinen; ich weiß noch gar nicht, wovon ich die bezahlen soll.«

»Ich weiß, ich bin ein Unglücklicher, der allen seinen Freunden Unglück bringt. Ich habe ihr gesagt, sie solle dir eine Karte geben, weil ich hoffte, dadurch würde das Glück umschlagen.«

»Ist das Mädchen aus Mailand?«

»Nein, aus Marseille; sie ist die Tochter eines reichen Maklers. Ich habe mich in sie verliebt, habe sie verführt und zu ihrem Unglück auch entführt. Ich hatte damals viel Geld; aber ich Unglücksmensch habe in Genua alles verloren. Ich mußte dort alles verkaufen, was ich hatte, um nach Mailand zu gelangen, wo ich seit acht Tagen bin. Ich bitte dich, gib mir die Mittel, mich durch die Flucht retten zu können.«

Von Mitleid gerührt, kehrte ich um und bat Canano um zwanzig Zechinen, die ich dem Unglücklichen gab, zugleich bat ich ihn, mir zu schreiben.

Dieses Almosen tat mir gut; denn dadurch verschwand meine üble Laune wegen meines Verlustes, und ich konnte bei meiner schönen Marchesa einen köstlichen Abend verbringen.

Am nächsten Tage speisten wir bei mir zu Abend; dann verbrachten wir den Rest der Nacht in den Armen der Liebe. Dies war am Samstag, dem letzten Tage des Mailänder Karneval. Sonntag, den ersten Fastensonntag, verbrachte ich in meinem Bett; denn ich hatte bei der Marchesa meine Kräfte völlig erschöpft und wußte, daß ein langer Schlaf mich wieder herstellen würde.

Am Sonntag Morgen zu sehr früher Stunde überbrachte Clairmont mir einen Brief, den ein Lohndiener abgegeben hatte. Dieser Brief ohne Unterschrift lautete folgendermaßen:

»Mein Herr, haben Sie Mitleid mit dem unglücklichsten Geschöpf unter dem Himmel. Herr de la Croix ist ganz gewiß in Verzweiflung davongegangen. Er hat mich in diesem Gasthof zurückgelassen, wo er nichts bezahlt hat. Mein Gott, was soll aus mir werden! Kommen Sie, mein Herr, ich beschwöre Sie, wäre es auch nur, um mir einen Rat zu geben.«

Ich besann mich einen Augenblick. Es war weder Liebe noch Sinnlichkeit, was mich bewog, dem unglücklichen Mädchen zu Hilfe zu eilen; mich trieb nur ein Gefühl von Menschlichkeit und Tugend. Ich zog meinen Überrock an und eilte in die Drei Könige. In demselben Zimmer, wo ich Irene gesehen hatte, fand ich ein junges, schönes Mädchen mit edelsten und interessantesten Zügen. Ich glaubte auf diesen Schamhaftigkeit, Aufrichtigkeit und leidende Unschuld zu lesen. Als sie mich erblickte, ging sie mir mit bescheidenster Miene entgegen und bat mich um Verzeihung, daß sie es gewagt habe, mich zu belästigen. »Ich bitte Sie, sagen Sie der Frau, die hier im Zimmer steht, auf italienisch, daß sie gehen möge. Seit einer Stunde belästigt sie mich. Ich verstehe ihre Sprache nicht, doch habe ich verstanden, daß sie mir nützlich zu sein wünscht. Ich fühle mich jedoch nicht geneigt, ihre Hilfe anzunehmen.«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß Sie zu diesem Fräulein kommen sollen?« fragte ich das Weib.

»Ein Lohndiener hat mir mitgeteilt, daß eine fremde junge Dame hier ganz allein zurückgeblieben und daß sie sehr zu bedauern sei. Die Menschlichkeit hat mich veranlaßt, sie aufzusuchen, um zu sehen, ob ich ihr irgendwie nützlich sein könnte. Ich freue mich, daß mein guter Wille überflüssig war. Ich kann nun gehen, denn ich lasse sie in guten Händen und wünsche ihr Glück dazu.«

Ich sah, daß das Weib eine Kupplerin war, und antwortete ihr nur durch ein verächtliches Lächeln.

Die arme Verlassene erzählte mir nun in wenigen Worten, was ich bereits wußte; sodann fügte sie noch hinzu: »Croce, der sich de Ste.- Croix nennen ließ, ging mit den zwanzig Zechinen sofort an die Spielbank; dann führte er mich nach dem Gasthof zurück und verbrachte hier in einem Zustande der Verzweiflung den ganzen nächsten Tag, weil er bei Tage nicht auszugehen wagte. Am Abend ging er mit einem maskierten Herrn aus und kehrte erst am nächsten Morgen zurück. Einige Augenblicke darauf hüllte er sich in seinen Mantel und ging aus, indem er mir sagte: wenn er nicht wiederkäme, würde er mir durch Sie Bescheid geben; zugleich gab er mir Ihre Adresse, von der ich mir erlaubte, Gebrauch zu machen. Er ist nicht wiedergekommen«, setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »und wenn Sie ihn nicht gesehen haben, bin ich überzeugt, er ist zu Fuß und ohne einen Heller in der Tasche fortgegangen. Der Wirt verlangt Bezahlung. Wenn ich alles verkaufe, kann ich ihn befriedigen, aber großer Gott, was soll dann aus mir werden!«

»Würden Sie es wagen, zü Ihrem Vater zurückzukehren?«

»Ja. Gewiß werde ich dies wagen. Mein Vater wird mir verzeihen, wenn ich auf den Knien und unter Tränen ihm sage, daß ich bereit bin, mich lebendig in einem Kloster zu begraben.«

»Gut! Ich werde Sie selber nach Marseille bringen; einstweilen werde ich Ihnen hier in Mailand ein Zimmer bei anständigen Leuten verschaffen. Bis zur Abreise schließen Sie sich in diesem Zimmer ein und empfangen Sie keinen Menschen; dann werde ich für Sie sorgen.«

Ich rief den Wirt, der nur die sehr unbedeutende Rechnung brachte, und bezahlte, indem ich Befehl gab, man solle Madame alles liefern, was sie bis zu meiner Rückkehr etwa verlangen würde. Das arme Mädchen war stumm vor Überraschung und Dankbarkeit. Ich verließ sie, indem ich sie herzlich grüßte, ohne auch nur ihre Hand zu berühren. Nicht etwa, als ob der Teufel Eremit geworden wäre, aber ich habe stets Ehrfurcht vor dem Unglück gehabt.

Ich hatte bereits an Zenobia gedacht und ging sofort zu ihr. Ich sagte ihr in Gegenwart ihres Mannes, welchen Dienst ich von ihr erhoffte, wenn sie meinem Schützling ein Eckchen geben könnte.

»Ich werde ihr meinen Platz abtreten,« rief der gutmütige Schneider, »wenn sie bei meiner Frau schlafen will. Ich nehme ein kleines Zimmer hier ganz in der Nähe und bleibe dort so lange, wie das Fräulein mich bei Zenobia vertritt.«

»Das ist sehr anständig von Euch, Gevatter; aber Eure Frau wird bei dem Tausch verlieren.«

»Sehr wenig!« sagte Zenobia. Der Schneider lachte laut heraus und sagte: »Wegen des Essens mag sie sich einrichten, wie sie Lust hat.«

»Das ist das leichteste,« sagte ich; »Zenobia wird dafür sorgen, und ich bezahle.«

Ich schrieb dem jungen Mädchen zwei Zeilen, teilte ihr die getroffene Anordnung mit und beauftragte Zenobia, ihr das Briefchen zu bringen. Am nächsten Tage fand ich sie bei den guten Leuten heimisch; sie war zwar schlecht untergebracht, aber zufrieden und entzückend hübsch. Ich fühlte mich ganz vernünftig, aber ich seufzte bei dem Gedanken, wie schwer es mir fallen würde, dies auch auf der Reise zu bleiben.

Ich hatte in Mailand nichts mehr zu tun, aber ich hatte mich dem Grafen gegenüber verpflichtet, vierzehn Tage mit ihm in Sant‘ Angelo zu verbringen. Dies war ein Lehen, das seinem Hause gehörte; es lag fünfzehn Miglien von Mailand, und der liebe Graf sprach mit Begeisterung davon. Ich hätte ihn zu sehr gekränkt, wenn ich abgereist wäre, ohne ihn dorthin zu begleiten. Er hatte einen verheirateten Bruder, der in dem Schloß wohnte, und er sagte mir unaufhörlich, wie sehr dieser Bruder sich freuen würde, meine Bekanntschaft zu machen. Sobald wir wieder in Mailand wären, möchte ich nach meinem Belieben abreisen; er würde mir für meine Gefälligkeit dankbar sein und mir gute Reise wünschen.

Um die Gastfreundschaft des guten Grafen durch diese Gefälligkeit anzuerkennen, stimmte ich ihm zu. Am vierten Tage der Fastenzeit verabschiedete ich mich auf zwei Wochen von Teresa, Greppi, der zärtlichen Marchesa, und wir reisten ab.

Die Gräfin hatte zu meiner großen Freude keine Lust, mitzukommen. Sie blieb viel lieber in Mailand bei Triulzi, der es ihr an nichts fehlen ließ.

In drei Stunden waren wir in Sant‘ Angelo, wo man uns zum Mittagessen erwartet hatte.