Achtes Kapitel


Geschickte Gaunerei. – Passano in Livorno. – Pisa und die Corilla. – Meine Ansicht über Schielaugen. – Florenz. – Ich finde Teresa wieder. – Mein Sohn. – Die Cotticelli.

Während vier Pferde vor meinen Wagen gespannt wurden, stand ich einige Schritte von diesen entfernt; ein Mensch redete mich an und fragte mich, ob ich die Fahrt vorher oder beim Pferdewechsel bezahlen wollte. Ohne den Mann anzusehen, antwortete ich ihm, ich wollte vorausbezahlen, gab ihm einen Portugaleser und sagte ihm, er solle mir den Rest herausgeben.

»Sofort!« antwortete er mir, und damit verschwand er im Gasthof.

Als ich einige Minuten darauf gerade den Rest meines Geldes verlangen wollte, kam der Postmeister und forderte von mir das Fahrgeld.

»Ich habe schon bezahlt und warte auf den Rest, den ich auf einen Portugaleser herausbekommen soll. Habe ich das Goldstück nicht Ihnen gegeben?«

»Mir? Nein, mein Herr, da bitte ich sehr um Entschuldigung.«

»Aber wem habe ich denn das Goldstück gegeben?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Zum Donnerwetter! Ich kann es doch nur Ihnen oder einem von Ihren Leuten gegeben haben.«

Ich schimpfte; man bildete einen Kreis um mich.

»Hier sind alle meine Leute!« sagte der Postmeister; zugleich fragte er, ob irgend jemand von mir einen Portugaleser erhalten habe. Alle versicherten, dies sei nicht der Fall, und schworen mit so aufrichtiger Miene, daß ich an ihrer Ehrlichkeit gar nicht zweifeln konnte. Ich fluche, ich schimpfe; man läßt mich fluchen und schimpfen.

Schließlich sah ich ein, daß ich unrecht hatte, bezahlte zum zweitenmal und lachte über den geschickten Gauner, der mich so fein geprellt hatte. So sammelt man Erfahrungen. Man erlebt immer wieder Neues und weiß nie genug. Seitdem habe ich niemals Postgeld bezahlt, ohne richtig aufzupassen.

In keinem Lande gibt es schlauere Gauner als in Italien; doch ist davon Griechenland auszunehmen, und zwar das alte wie das neue.

In Livorno stieg ich im besten Gasthof ab; man sagte mir, es werde Theater gespielt, und unglücklicherweise bekam ich Lust, hinzugehen. Einer von den Schauspielern erkannte mich, redete mich an und sprach mir seine Freude über unser Wiedersehen aus; er stellte mir einen seiner Kameraden vor, einen angeblichen guten Dichter und großen Feind des Abbate Chiari, den ich nicht liebte, weil er eine beißende Satire auf mich gedichtet hatte, für die ich mich noch nicht hatte rächen können. Ich lud sie ein, mit mir zu Abend zu essen, und solche Herren lassen sich eine derartige gute Gelegenheit nicht gerne entgehen. Der angebliche gute Dichter war Genuese und hieß Giacomo Passano. Er sagte mir, er habe gegen Chiari dreihundert Sonette gedichtet, und wenn er diese drucken lassen könnte, würde der Abbate vor Wut platzen. Als ich unwillkürlich über die gute Meinung lächelte, die der Mann von sich selber hatte, erbot er sich, mir zu meiner Ergötzung einige von ihnen vorzulesen. Er hatte das Manuskript bei sich, und so mußte ich wohl oder übel die Qual über mich ergehen lassen. Er las mir etwa ein Dutzend vor, die ich ohne Ausnahme mittelmäßig fand; ein mittelmäßiges Sonett ist aber notwendigerweise schlecht, denn in dieser Gattung der Dichtkunst kann nur Erhabenes gelten. Daher kommt es, daß unter den Tausenden von Sonetten, die in Italien täglich gemacht werden, nur selten einmal ein gutes ist.

Hätte ich mir die Zeit genommen, die Physiognomie des Mannes, der etwa fünfzig Jahr alt sein mochte, mir genauer anzusehen, so hätte ich in ihm ohne Zweifel einen Spitzbuben erkannt; aber die Leidenschaft macht blind; seine Sonette gegen Chiari hatten mir den Blick getrübt.

Ich warf einen Blick auf den Titel seines Manuskriptes und las:

La Chiareide di Ascanio Pogomas.

»Dies ist«, sagte er, »das Anagramm meines Tauf- und Familiennamens. Bitte bewundern Sie die glückliche Kombination!«

Auch über diese Dummheit mußte ich lachen.

Jedes einzelne dieser Sonette war eine platte Schimpferei und schloß mit den Worten:

L’Abbate Chiari e un coglione
Abbate Chiari ist ein Lumpenkerl.

Er bewies nicht, daß der Abbate dies war, er wiederholte es nur immer kraft des Dichtervorrechtes der Übertreibung und der Lüge. Sein Zweck war, dem breccianischen Abbate wehzutun, der durchaus kein »Lumpenkerl« war, wie dieser Passano ihn nannte, sondern im Gegenteil ein Mann von Geist und Herz, und ein guter Dichter dazu; wenn er die Bühne gekannt hätte, so hätte er Goldoni übertroffen, denn er beherrschte die Sprache besser als dieser.

Aus Höflichkeit sagte ich zu Passano, er solle doch seine Chiareide drucken lassen.

»Das täte ich gern,« antwortete er mir, »wenn ich einen Verleger finden könnte; denn ich selber bin nicht so reich, um die Kosten tragen zu können, und die Buchhändler sind lauter Lumpen oder Dummköpfe. Außerdem ist die Presse nicht frei; die Zensur würde den Beinamen, mit welchem ich meinen Helden schmücke, nicht durchgehen lassen. Wenn ich nach der Schweiz gehen könnte, bin ich sicher, die Sache dort machen zu können; aber ich besitze nicht die sechs Zechinen, die ich brauche, um die Reise zu Fuß zu machen.«

»Und wenn Sie nun in der Schweiz wären, wo es doch kein Theater gibt – wovon würden Sie dort leben?«

»Ich würde Miniaturen malen … Sehen Sie!«

Er gab mir eine Anzahl kleiner Elfenbeinplättchen, worauf obszöne Gegenstände schlecht gezeichnet und ebenso schlecht gemalt waren.

Ich sagte ihm: »Ich werde Ihnen Empfehlungen nach Bern geben,« und gab ihm wirklich nach dem Abendessen einen Brief und sechs Zechinen. Er wollte mir durchaus einige von seinen Machwerken aufdrängen; ich wies diese jedoch zurück. Ich beging die Dummheit, ihn an den Vater der niedlichen Sarah zu empfehlen, und sagte ihm, er solle mir nach Rom an die Adresse des Bankiers Belloni schreiben.

Am nächsten Tage reiste ich von Livorno ab und traf zum Mittagessen in Pisa ein, wo ich zwei Tage blieb. Ich machte dort die Bekanntschaft eines Engländers, der mir einen schönen Reisewagen verkaufte und mich zu der berühmten Dichterin Corilla führte, die ich gerne kennen lernen wollte. Sie nahm mich sehr gut auf und war so freundlich, über verschiedene Gegenstände zu improvisieren, die ich ihr vorschlagen durfte. Sie bezauberte mich, weniger durch ihre Anmut und Schönheit als durch die hübschen Gedanken, die sie in eine vollendet schöne Sprache einkleidete. Wie schön erscheint eine Sprache, wenn sie, mit klarem, reinem Akzent vorgetragen, in der sorgfältigen Wahl der Ausdrücke sich von Nachlässigkeit ebenso fernhält wie von Geziertheit. Eine schlechte Aussprache ist selbst in einem schönen Munde unerträglich, und ich habe stets den gesunden Sinn der Griechen bewundert, die von den Ammen ihrer Kinder Reinheit der Stimme, der Betonung und der Sprache verlangten. Wir sind weit davon entfernt, ein so schönes Beispiel zu befolgen; wie oft werden einem aber auch, selbst in der vielfach mit Unrecht so genannten guten Gesellschaft die Ohren zerschunden!

Corilla war straba, wie die Alten Venus malten; warum, das habe ich niemals begreifen können. Denn eine Frau, die schielt, mag im übrigen noch so schön sein, sie ist in meinen Augen nichtsdestoweniger mit einem Mangel behaftet; und ich bin überzeugt, wäre Venus eine Göttin gewesen, sie hätte ganz gewiß den sonderbaren Griechen, der zuerst sie schieläugig darzustellen wagte, ihren Unwillen fühlen lassen. Wenn Corilla sang – so hat man mir versichert – brauchte sie nur ihren schielen Blick auf einen Mann zu heften, um ihn zu erobern, Gott sei Dank machte sie sich wahrscheinlich aus mir nichts, denn sie sah mich nicht ein einzigesmal fest an.

In Florenz quartierte ich mich im Gasthof »de la Carrajo« ein, dessen Besitzer, Doktor Vannini, sich gern ein unwürdiges Mitglied der Academia della Crusca nannte. Ich nahm eine Wohnung, deren Fenster nach dem Arnoufer hinausgingen und mit einer herrlichen Terrasse in Verbindung standen. Ich nahm ferner einen Mietswagen und einen Lohndiener an, den ich sofort wie den Kutscher in eine blau und rote Livree kleiden ließ. Dies waren die Farben des Herrn von Bragadino, und ich glaubte, mich ihrer bedienen zu können, nicht, um mir eine besondere Wichtigkeit beizulegen, sondern nur um zu prunken.

Am nächsten Tage ging ich allein im Überrock aus, um mir Florenz anzusehen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Am Abend ging ich ins Theater, um den berühmten Harlekin Rossi zu hören, aber ich fand mit Recht, daß sein Ruf größer war als seine Leistung. Das gleiche Urteil fällte ich über die so viel gerühmte Deklamationsweise der Florentiner: sie fand nicht meinen Beifall. Mit Vergnügen sah ich Pertici: nun, da er alt war und nicht mehr singen konnte, spielte er Komödie, und zwar gut – was selten vorkommt, denn Sänger sowohl wie Sängerinnen verlassen sich darauf, daß sie ihre Stimme behalten werden, und vernachlässigen die Schauspielkunst; so kommt es, daß ein einfacher Schnupfen ihre Leistungen sehr mittelmäßig werden läßt.

Am nächsten Tage suchte ich den Bankier Sasso-Sassi auf, bei dem ich ein großes Guthaben hatte. Nachdem ich vorzüglich zu Mittag gespeist hatte, machte ich große Toilette und ging in die Oper, in der »Via della Pergola«. Ich nahm eine Loge neben dem Orchester, mehr um die Künstlerinnen zu beäugeln als die Musik zu hören, von der ich niemals ein begeisterter Freund war.

Der Leser stelle sich meine Überraschung und Freude vor, als ich in der ersten Sängerin den falschen Bellino, Teresa, erkannte, die ich zu Beginn des Jahres 1744 in Rimini verlassen hatte, die reizende Teresa, die ich ganz gewiß geheiratet haben würde, wenn mich nicht der Herr von Gages in Arrest gesetzt hätte. Sie hätte meinem Schicksal notwendigerweise eine ganz andere Richtung gegeben. Es war siebzehn Jahre her, seit ich sie gesehen, aber sie erschien mir auf der Bühne ebenso entzückend schön wie in dem Augenblick, da ich sie verlassen hatte. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, denn es schien mir vollkommen unmöglich zu sein, daß sie sich gar nicht verändert hätte. Schließlich begann ich zu glauben, daß ein eigentümlicher Zufall eine solche wunderbare Ähnlichkeit geschaffen hätte; aber am Schlusse einer Arie, die sie zum Entzücken sang, warf sie ihre Augen auf mich und wandte sie nicht mehr ab. Nun konnte ich nicht mehr zweifeln, daß es wirklich Teresa war, denn ich sah, daß sie mich wiedererkannt hatte. Als der Auftritt zu Ende war, ging sie nach der meiner Loge entgegengesetzten Seite ab, blieb in der Kulisse stehen und gab mir mit dem Fächer ein Zeichen, daß ich sie besuchen möchte.

Ich verließ meine Loge mit einem außerordentlich starken Herzklopfen, dessen Ursache ich mir nicht erklären konnte; denn ich hatte an Teresa die süßeste Erinnerung bewahrt und fühlte mich ihr gegenüber nicht weiter schuldig, als daß ich auf ihren letzten Brief, den sie mir vor dreizehn Jahren aus Neapel geschrieben, nicht geantwortet hatte. Ich begab mich auf den Weg nach der Bühne, voller Neugier, zu erfahren, was ihr in dem Zeitraum von siebzehn Jahren, der mir wie ein Jahrhundert vorkam, widerfahren sein möchte, und noch neugieriger, worauf diese Zusammenkunft hinauslaufen möchte.

Ich gelangte an eine kleine Tür, die zur Bühne führte, und erblickte Teresa oben auf der Treppe; sie sagte dem Mann, der die Tür bewachte, er solle mich einlassen. Ich trat ein. Stumm vor Überraschung standen wir einander gegenüber. Ich ergriff ihre Hand, preßte diese gegen mein Herz und rief: »Fühle, wie es schlägt!«

»Ich kann hier deine Hand nicht an mein Herz legen; aber als ich dich erblickte, glaubte ich, ich würde in Ohnmacht sinken. Unglücklicherweise bin ich zum Abendessen eingeladen. Ich werde die ganze Nacht kein Auge zumachen. Um acht Uhr erwarte ich dich. Wo wohnst du?«

»Beim Doktor Vannini.«

»Welchen Namen trägst du?«

»Meinen eigenen.«

»Seit wann bist du hier?«

»Seit gestern.«

»Wirst du lange in Florenz bleiben?«

»So lange wie du willst.«

»Bist du verheiratet?«

»Nein.«

»Verfluchte Einladung! Was für ein Tag! Geh, lieber Freund! Ich muß auftreten. Leb‘ wohl; auf Wiedersehen morgen früh um sieben.«

Sie hatte mir zuerst gesagt, ich solle um acht kommen; aber eine Stunde früher war nicht von Übel: Ich ging ins Parkett und dort fiel mir ein, daß ich sie weder nach ihrem Namen noch nach ihrer Wohnung gefragt hatte; doch konnte ich dies ja leicht erfahren. Sie spielte die Rolle der Mandane; ich sah sie jetzt in weiterer Entfernung als von meiner Loge aus, und sie entzückte mich durch die Wahrheit ihres Spiels, durch ihren edlen Anstand und die Reinheit ihres Gesanges. Ein sehr gut gekleideter junger Mann stand neben mir; ich fragte ihn: Wie heißt diese ausgezeichnete Sängerin?«

»Sie sind wohl erst seit heute in Florenz?«

»Seit gestern.«

»Dann ist es zu entschuldigen. Nun, mein Herr, sie heißt wie ich, denn sie ist meine Frau, und mein Name ist Cirillo Palesi, Ihnen aufzuwarten.«

Ich konnte vor Überraschung kein Wort sagen und machte ihm nur eine stumme Verbeugung. Nach seiner Wohnung wagte ich ihn nicht zu fragen, denn er hätte meine Neugier ungezogen finden können. Teresa mit diesem jungen Mann verheiratet, und gerade ihrem Mann muß ich in die Arme laufen und mich bei ihm nach ihr erkundigen! Gewiß eine eigenartige Verknüpfung von allerlei Zufällen und Stoff zu einer guten Lustspielszene.

Ich konnte es im Theater nicht länger aushalten; ich mußte mit mir allein sein, um in aller Ruhe über dieses schnurrige Abenteuer nachzudenken und über den Besuch, den ich meiner verheirateten Teresa am nächsten Morgen um sieben und nicht um acht Uhr abstatten sollte, denn ich mußte mich an ihr letztes Wort halten. Ich war höchst neugierig, was für ein Gesicht der junge Ehemann machen würde, wenn er mich wiedererkennen würde; daß er mich nicht wiedererkennen sollte, war unmöglich, denn er hatte mich recht aufmerksam gemustert, während er mir sagte, daß er Teresas Gatte wäre. Ich fühlte auch, daß meine erste Leidenschaft für das schöne Weib in meinem Herzen wieder erwacht war, und ich wußte nicht recht, ob ich mich darüber ärgern oder freuen sollte, daß sie verheiratet war.

Ich verließ die Oper und befahl meinem Lakaien, meinen Wagen zu rufen.

»Gnädiger Herr, Sie können ihn erst um neun Uhr haben, denn wegen der strengen Kälte hat der Kutscher die Pferde wieder in den Stall gestellt.«

»So wollen wir zu Fuß gehen.«

»Sie werden sich erkälten.«

»Wie heißt die Primadonna?«

»Als sie hierher kam, hieß sie Lanti; aber seit ein paar Monaten nennt sie sich Signora Palesi. Sie hat einen schönen jungen Mann geheiratet, der nichts versteht und nichts hat; aber sie ist reich und anständig, und ich kann Ihnen sagen, daß bei ihr nichts zu machen ist.«

»Wo wohnt sie?«

»Am Ende dieser Straße. Da ist ihr Haus; sie wohnt im ersten Stock.«

Zufrieden, alles erfahren zu haben, was ich wissen wollte, schwieg ich und verwandte alle meine Gedanken nur darauf, mir den Weg zu merken, damit ich ihn am anderen Morgen allein wiederfinden könnte. Ich nahm in aller Eile ein leichtes Abendessen zu mir und befahl Leduc, mich um sechs Uhr zu wecken.

»Aber gnädiger Herr, es wird ja erst um sieben Uhr hell.«

»Das weiß ich.«

»Dann ist es gut.«

Bei Tagesanbruch stand ich vor der Tür der ersten Frau, die ich leidenschaftlich geliebt hatte. Ich stieg eine Treppe hinauf und klingelte; eine alte Frau öffnete mir und fragte mich, ob ich Herr Casanova sei. Auf meine bejahende Antwort sagte sie mir, die Signora habe ihr gesagt, ich würde um acht kommen.

»Mir hat die gnädige Frau gesagt, um sieben.«

»Nun, das macht nichts. Haben Sie die Güte, in dieses Zimmer einzutreten, ich werde sie wecken.«

Nach fünf Minuten erschien der junge Ehemann in Schlafrock und Nachtmütze; er begrüßte mich sehr höflich und sagte mir, seine Frau werde sofort erscheinen. Plötzlich machte er ein Gesicht, wie wenn er aus den Wolken fiele, sah mich starr an und sagte: »Aber, mein Herr, waren Sie es nicht, der mich gestern abend fragte, wie meine Frau hieße?«

»Sie täuschen sich nicht, mein Herr; das war ich. Seit langen Jahren hatte ich sie nicht gesehen, und ich glaubte sie wieder zu erkennen. Mein Glück wollte, daß ich mich an ihren Gatten wandte, und die Freundschaft, die mich mit ihr verbindet, wird mich in Zukunft auch mit Ihnen verbinden.«

Gerade, als ich mit diesem schönen Kompliment fertig war, trat Teresa, schön wie Venus, mit offenen Armen ein. Entzückt preßte ich sie an meinen Busen, und wir blieben zwei Minuten innig umschlungen wie zwei Freunde, zwei Liebende, die glücklich sind, sich nach einer langen, schmerzlichen Trennung wiederzusehen. Nachdem wir uns mehrere Male geküßt hatten, bat sie ihren Mann, sich zu setzen, zog mich auf ein Kanapee nieder und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ich weinte ebenfalls und fand diese Tränen köstlich. Schließlich aber trockneten wir uns die Augen und sahen aus einem gleichzeitigen Antriebe auf den Gatten, den wir ganz und gar vergessen hatten. Man stelle sich das lächerliche Erstaunen vor, das sich begreiflicherweise auf seinem Gesichte malte, als wir unwillkürlich beide laut herauslachten. In seinem Erstaunen lag etwas so Komisches, daß nur ein phantasiebegabter Dichter und ein gewandter Karikaturenzeichner es wiedergeben könnten. Teresa wußte, wie sie den von ihr angerührten Teig zu kneten hatte: sie rief in pathetischem und zärtlichem Tone: »Mein lieber Palesi, du siehst hier meinen Vater, ja mehr als meinen Vater, denn du siehst einen großmütigen Freund, dem ich alles verdanke. Glücklicher Augenblick, nach dem mein Herz seit zehn Jahren schmachtet!«

Als er das Wort »Vater« hörte, sah der arme Gatte mich an: aber ich lachte nicht, obgleich ich die größte Lust dazu hatte. Teresa, obwohl ausgezeichnet erhalten, war nur zwei Jahre jünger als ich; aber die Freundschaft braucht den süßen Namen Vater in dem Sinne, wie er ihr gerade paßt.

»Ja, mein Herr,« sagte ich zu ihm, »Ihre Teresa ist meine Tochter, meine Schwester, meine Freundin, die ich innig liebe; sie ist ein Engel, und dieser Schatz ist Ihre Frau.«

Ohne ihm Zeit zu lassen, sich von seinem Erstaunen zu erholen, wandte ich mich an Teresa und fuhr fort: »Ich habe auf deinen letzten Brief nicht geantwortet, meine liebe Freundin …«

»Ich weiß alles. Du warst in eine Nonne verliebt. Du saßest unter den Bleidächern gefangen, und in Wien vernahm ich von deiner fast wunderbaren Flucht. Ich hatte ein falsches Vorgefühl, daß ich dich dort wiedersehen würde. Später erfuhr ich, daß du in Paris und in Holland dein Glück gemacht habest, und erst seit deiner Abreise von Paris habe ich niemanden mehr gefunden, der mir von dir hätte erzählen können. Wenn ich dir ausführlich alles erzähle, was mir in diesen zehn Jahren zugestoßen ist, wirst du hübsche Dinge zu hören bekommen. Aber jetzt bin ich glücklich! Dies hier ist mein lieber Palesi, ein Römer, den ich vor ein paar Monaten geheiratet habe. Wir lieben uns, und ich hoffe, du wirst sein Freund sein, wie du der meinige bist.«

Bei diesen Worten stand ich auf und umarmte diesen Ehegatten, der eine so sonderbare Figur spielte. Er kam mir mit offenen Armen, aber in einiger Verlegenheit entgegen; denn ohne Zweifel wußte er noch nicht recht, was er von einem Manne denken sollte, der gleichzeitig Vater, Bruder und Freund und vielleicht Liebhaber seiner Frau war. Teresa bemerkte seine Verlegenheit und umarmte ihn nach mir mit allen Kennzeichen lebhaftester Zärtlichkeit, die nun mich meinerseits in Verlegenheit setzte; denn in der letzten halben Stunde war die ganze Liebe wieder erwacht, die mich einst entflammt hatte, als in Ancona Don Sancho Pico mich mit ihr bekannt gemacht hatte.

Durch meine Umarmungen und die Liebkosungen seiner Frau beruhigt, fragte Herr Palesi mich, ob ich ihm die Freude machen wollte, mit ihm eine Tasse ausgezeichneter Schokolade zu trinken, die er mit ganz besonderem Vergnügen selber zurecht machen würde. Ich antwortete ihm, Schokolade sei mein Lieblingsfrühstück und ich würde sie um so besser finden, da sie von einem Freunde zubereitet wäre. Er ging hinaus, um sich ans Werk zu machen. Der Augenblick des Glücks war da.

Sobald wir allein waren, warf meine teure Teresa mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe sich in meine Arme. »Oh, mein Freund! Du, dem mein Herz zum erstenmal geschlagen hat, den ich mein ganzes Leben lang lieben werde, laß mich das Glück empfinden, dich an meinen Busen zu drücken! Umarmen wir uns hundertmal an diesem Tage des Glücks! Aber damit, liebes Herz, sei es genug, denn das Schicksal hat mich zur Frau eines anderen gemacht. Morgen, wenn wir uns wiedersehen, sind wir Bruder und Schwester; heute wollen wir Liebende sein!«

Sie war mit dieser Rede noch nicht fertig, da war ich schon auf dem Gipfel des Glücks angelangt. Unsere Entzückungen waren gegenseitig, und wir erneuerten sie fast ununterbrochen während der halben Stunde, die wir sicher vor uns hatten. Ihr Morgenkleid und mein Gehrock paßten aufs beste zu den Umständen. Nachdem wir unsere Liebesglut wenigstens zum Teil gestillt und uns überzeugt hatten, daß wir noch so waren wie damals, als wir in Rimini voneinander schieden, atmeten wir auf und setzten uns auf das Kanapee.

Als sie sich ein wenig gesammelt hatte, sagte sie: »Du mußt wissen, ich bin in meinen Mann noch verliebt und fest entschlossen, ihn niemals zu betrügen. Was ich eben getan habe, war die Bezahlung einer Schuld, die ich meiner ersten Liebe gegenüber eingegangen war. Ich mußte sie begleichen, um dir zu beweisen, wie teuer du mir bist. Aber jetzt wollen wir nicht mehr daran denken. Vergessen wir es, lieber Freund! Laß dir genügen, zu wissen, daß ich dich lieb habe – woran du ja nicht zweifeln kannst – und lasse mir die süße Überzeugung, daß ich von dir geliebt werde. Aber in Zukunft laß uns die Gelegenheit vermeiden, miteinander allein zu sein; denn dann würde ich unterliegen, und dies würde mir schmerzlich sein. Macht dieser Gedanke dich traurig?«

»Ich finde dich gebunden, und ich bin frei. Wir hätten uns niemals mehr getrennt. Du hast die Glut meiner ersten Liebe wieder angefacht. Ich bin so verliebt wie damals, als ich dich in Ancona kennen lernte; ich habe dich davon überzeugt, und nun denke dir, wie unglücklich ich bin, dich nicht mehr besitzen zu können. Ich finde dich nicht nur verheiratet, sondern obendrein verliebt! Ach, ich bin zu spät gekommen! Aber wenn ich mich nicht in Genua aufgehalten hätte, wäre ich trotzdem nicht weniger unglücklich. Du sollst später alles erfahren. Einstweilen werde ich genau tun, was du mir vorschreibst. Dein Gatte weiß, glaube ich, nichts von unserem Verhältnis; ich muß wohl ihm gegenüber vollkommen verschwiegen sein, nicht wahr?«

»Ja, lieber Freund; er weiß nichts von meinen Angelegenheiten, und es ist mir sehr lieb, daß er nicht neugierig danach ist. Er weiß wie alle Welt, daß ich mein Vermögen in Neapel erworben habe, wohin ich, wie ich überall erzähle, im Alter von zehn Jahren gekommen bin. Dies ist eine unschuldige Lüge, die keinem Menschen Schaden tut; in dem Beruf, dem ich mich widmen mußte, habe ich diese Lüge mehreren Wahrheiten vorziehen müssen, die mir schaden würden. Ich gebe mich für vierundzwanzigjährig aus; was meinst du dazu?«

»Mich dünkt, du sprichst die Wahrheit, obgleich ich weiß, daß du zweiunddreißig Jahre alt bist.«

»Du willst sagen einunddreißig; denn als ich dich kennen lernte, kann ich nicht mehr als vierzehn gezählt haben.«

»Ich glaubte, du wärest mindestens fünfzehn Jahre alt.«

»Dies ist, unter uns gesagt, möglich; aber sage mir, bitte, ob ich älter aussehe als vierundzwanzig.«

»Ich schwöre dir, du siehst noch nicht einmal so alt aus; aber in Neapel ….«

»In Neapel könnte ein Chronikschreiber wohl die Wahrheit wissen; aber auf diese Art Leute hört kein Mensch. Doch mache dich, mein lieber Casanova, auf einen Augenblick gefaßt, der einer der interessantesten deines Lebens sein wird.«

»Einer der interessantesten meines Lebens, sagst du? Wann wird dieser Augenblick stattfinden?«

»Gestatte mir darüber zu schweigen; ich möchte mich an deiner Überraschung werden. Sprechen wir von etwas Ernstlichem. Wie steht es mit deinen Verhältnissen? Wenn du Geld brauchst, so bin ich in der Lage, dir die Summe, die du mir schenktest, zurück zu erstatten, und zwar mit so hohen Wucherzinsen, wie du nur willst! Mein Mann hat nichts zu sagen; alles, was ich besitze, ist mein Eigentum. Ich habe in Neapel fünfzigtausend Reichsdukaten und besitze eine gleiche Summe in Diamanten. Sage mir schnell, wieviel du brauchst; denn die Schokolade wird gleich kommen!«

So war Teresa.

Tiefgerührt wollte ich ihr antworten, ihr um den Hals fallen, da kam die Schokolade. Ihr Mann kam herein mit einem Mädchen, das eine vollendete Schönheit war; sie trug auf einem Untersatz von vergoldetem Silber drei Tassen Schokolade. Während wir diese tranken, ergötzte Palesi uns, indem er in geistvoller Weise die Überraschung schilderte, die er empfunden hätte, als er sah, daß der Herr, um den er so früh am Morgen sein Bett verlassen mußte, derselbe war, der ihn am Abend vorher nach dem Namen seiner Frau gefragt habe. Teresa und ich hielten uns die Seiten vor Lachen, denn seine Erzählung war ein Gemisch von Witz und Gutmütigkeit. Dieser Römer mißfiel mir weniger, als er in seiner Eigenschaft als Gatte mir eigentlich hätte mißfallen müssen; denn er schien nur der Form wegen eifersüchtig zu sein.

»Mein lieber Freund,« sagte Teresa endlich zu mir, »um zehn Uhr habe ich Generalprobe aller Arien der neuen Oper; wenn du willst, kannst du hier bleiben. Ich bitte dich, mir zu erlauben, jeden Tag für dich decken zu lassen, und du wirst mir ein großes Vergnügen machen, wenn du mein Haus als das deinige betrachtest.«

»Für heute,« antwortete ich ihr, »werde ich dich erst nach dem Abendessen verlassen, damit du deinen glücklichen Gatten für dich hast.«

Bei diesen Worten umarmte Palesi mich mit überströmendem Gefühl, wie wenn er mir dafür danken wollte, daß ich ihm keine Schwierigkeiten machte, seine Gattenrechte auszuüben.

Der junge Mann war höchstens zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt; er war blond, gut gewachsen und zu hübsch für einen Mann. Teresa war zu entschuldigen, daß sie sich in ihn verliebt hatte, und ich nahm ihr dies nicht übel, denn ich kannte nur zu sehr die Macht eines schönen Gesichtes; aber ich fand, daß sie unrecht gehabt hatte, ihn zu ihrem Manne zu machen, denn ein Ehemann, sei er wie er sei, erwirbt doch stets gewisse Herrenrechte, die zuweilen lästig sein können.

Teresas hübsche Kammerjungfer meldete mir, mein Wagen wäre vor der Tür.

»Gestatten Sie,« sagte ich zu meiner Freundin, »daß mein Lohndiener hereinkommt?«

Der Kerl kam.

»Wer hat Ihnen befohlen, mit meinem Wagen hierher zu kommen?«

»Niemand, mein Herr; aber ich kenne meine Pflicht.«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich hier wäre?«

»Ich habe es erraten.«

»Rufen sie meinen Kammerdiener und kommen Sie mit ihm herein.«

Als er mit Leduc wieder eintrat, befahl ich diesem, dem lästigen Menschen den Lohn für drei Tage auszuzahlen, ihm seine Livree abzunehmen und mir von Doktor Vannini einen Diener von gleicher Größe besorgen zu lassen, der nicht die Gabe des Erratens besäße, sondern pünktlich die Befehle seines Herrn auszuführen wüßte. Sehr betrübt über sein Mißgeschick, wandte der Bursche sich an Teresa und bat um ihre Vermittlung; aber als kluge Frau antwortete sie ihm, sein Herr sei allein imstande, seine Dienste zu schätzen.

Um zehn Uhr kamen alle Sänger und Sängerinnen nebst einer Menge von Theaterliebhabern, die den ganzen Saal füllten. Teresa empfing mit edler Anmut die Handküsse aller ihrer Gäste, und ich sah, daß sie in großem Ansehen stand. Die Probe dauerte drei Stunden und langweilte mich sehr. Um dieser Langeweile zu entgehen, unterhielt ich mich mit Palesi, der mir gefiel, weil er mit keinem Wort mich fragte, wo, wie und wann ich seine Frau kennen gelernt hätte. Ich sah, daß ihm sein Gefühl sagte, wie er sich in seiner Stellung zu benehmen habe.

Eine junge Parmesanerin namens Redegonda, die eine Männerrolle spielte und sehr gut sang, blieb zum Essen, Teresa hatte außerdem eine junge Bologneserin, namens Corticelli, eingeladen. Die sprossenden Reize dieser hübschen Figurantin machten Eindruck auf mich; indessen war ich in diesem Augenblick so voll von Teresa, daß ich nicht sehr auf sie achtete. Einen Augenblick später sah ich einen wohlbeleibten Abbate mit gemessenen Schritten eintreten, einen echten Tartüff, der nur Teresa suchte. Als er sie erblickt hatte, schritt er auf sie zu, beugte nach portugiesischer Sitte ein Knie zur Erde und küßte ihr zärtlich und ehrfurchtsvoll die Hand. Teresa ließ ihn mit anmutigem Lächeln zu ihrer Rechten Platz nehmen; ich saß links von ihr. Seine Stimme und sein ganzes Aussehen sagten mir, daß es ein Bekannter sein mußte, und bald erkannte ich in der Tat den Abbate Gama, den ich vor siebzehn Jahren in Rom beim Kardinal Acquaviva zurückgelassen hatte; aber ich tat, als ob ich ihn nicht erkenne; dies war nicht schwer für mich, denn er war recht alt geworden. Der galante Abbate hatte nur Augen für Teresa; er war nur damit beschäftigt, ihr tausend Schmeicheleien zu sagen, und hatte noch niemanden der Gesellschaft mit einem Blick beehrt. In der Hoffnung, daß er mich ebenfalls nicht wieder erkennen oder wenigstens es so machen würde wie ich, fuhr ich fort, mit der Corticelli zu plaudern; plötzlich sagte Teresa mir, der Herr Abbate wünsche zu wissen, ob ich ihn nicht erkenne. Ich sah ihn fest an, wie wenn ich in meinem Gedächtnis nachsuche, stand dann auf und fragte ihn, ob ich nicht das Glück hätte, den Herrn Abbate Gama wiederzusehen.

»Ich bin’s!« rief er, indem er aufstand, mich umhalste und mehrere Male küßte. Er war damit in seiner Rolle als feiner Politiker; der Leser wird wohl noch nicht die Schilderung vergessen haben, die ich im ersten Bande der Erinnerungen von ihm entworfen habe.

Wie man sich denken kann, entspann sich nun ein endloses Gespräch. Er sprach von Barbaruccia, von der schönen Marchesa G., vom Kardinal S. C.; er erzählte mir, daß er von dem spanischen Dienst in den portugiesischen übergetreten wäre, in welchem er sich noch jetzt befände. Ich ließ mich mit Vergnügen von ihm an eine Menge von Umständen erinnern, die in meiner frühen Jugend lebhaften Eindruck auf mich gemacht hatten, als plötzlich eine völlig unerwartete Erscheinung meine Seele lähmte. Ein Jüngling von fünfzehn bis sechzehn Jahren, kräftig entwickelt, wie ein Italiener in diesem Alter es nur sein kann, trat mit gewandtem Wesen ein, machte der Gesellschaft eine anmutige Verbeugung und umarmte Teresa. Ich war der einzige, der ihn nicht kannte; aber ich war nicht der einzige, auf dessen Zügen sich Überraschung malte. Teresa stellte ihn mir unverzagt mit der natürlichsten Miene von der Welt vor: »Mein Bruder!« Ich begrüßte ihn auf das freundlichste, aber doch ein wenig verwirrt, da ich keine Zeit gehabt hatte, mich von meiner Überraschung zu sammeln. Dieser angebliche Bruder Teresas war mein leibhaftiges Ebenbild; nur war seine Gesichtsfarbe etwas heller als die meinige. Ich sah sofort, daß er mein Sohn war; denn niemals war die Natur indiskreter gewesen.

Dies war die Überraschung, welche Teresa mir angekündigt hatte; sie hatte sich das Vergnügen vorbehalten wollen, mich versteinert und zugleich entzückt zu sehen; denn sie wußte wohl, daß mein Herz von dem Gedanken, ihr beim Abschied ein solches Pfand unserer gegenseitigen Liebe zurückgelassen zu haben, tief gerührt sein würde. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt, denn in ihren Briefen hatte sie nie etwas von ihrer Schwangerschaft erwähnt. Wenn ich näher darüber nachdachte, schien mir, Teresa hätte diese Begegnung in Gegenwart fremder Personen vermeiden müssen; denn jeder hatte Augen und weiter war nichts nötig, um beim ersten Augenblick zu erkennen, daß dieser Jüngling nur mein Sohn oder mein Bruder sein könnte. Ich warf ihr einen Blick zu, aber sie wich diesem aus; der angebliche Bruder dagegen sah mich so aufmerksam an, daß er nicht hören konnte, was sie zu ihm sagte. Die Zuschauer ließen ihre Augen fortwährend von meinem Gesicht zu dem seinigen wandern; und wenn sie der Meinung waren, daß er mein Sohn wäre, so mußten sie notwendigerweise annehmen, daß ich der Liebhaber von Teresas Mutter gewesen war, wenn sie wirklich seine Schwester war; denn bei dem Alter, das sie zu haben schien und das sie sich beilegte, konnte man unmöglich annehmen, daß sie seine Mutter wäre. Ebenso unmöglich war es sich vorzustellen, daß ich Teresas Vater sei, denn ich sah nicht viel älter aus als sie.

Mein Sohn sprach vorzüglich die neapolitanische Mundart, die nicht ohne Reiz ist; aber er sprach auch sehr gut italienisch, und in allem, was er sagte, zeigte er Geschmack, gesunden Menschenverstand und Geist. Dies gefiel mir sehr. Er war gut unterrichtet, obwohl er in Neapel aufgewachsen war, und hatte sehr vornehme Manieren. Seine Mutter ließ mich bei Tisch zwischen ihr und ihm sitzen und sagte zu mir: »Seine Lieblingsleidenschaft ist die Musik. Sie werden ihn Klavier spielen hören, mein lieber Freund, und obgleich ich acht Jahre älter bin als er, werden Sie vielleicht finden, daß er besser spielt als ich.«

So zog sie mich mit jenem natürlichen, feinen Zartgefühl, das nur den Frauen eigen und für uns Männer stets unerreichbar ist, aus der Verlegenheit.

Mochte es die Natur oder Voreingenommenheit oder Eitelkeit oder sonst irgend etwas sein – genug, als wir von Tisch aufstanden, war ich so entzückt von meinem Sohn, daß ich ihn mit zärtlichem Entzücken umarmte. Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall. Ich lud sie alle ein, nm nächsten Tage bei mir zu Mittag zu speisen, und meine Einladung wurde freudig angenommen; die Cordicelli fragte in unschuldsvollem Ton: »Ich auch?«

»Gewiß, Sie auch.«

Abbate Gama sagte mir nach Tisch, ich möchte am nächsten Morgen zu ihm zum Frühstück kommen oder ihm ein Frühstück bei mir geben, denn er vergehe vor Verlangen, ein paar Stunden mit mir unter vier Augen zu plaudern.

»Ich werde Sie bei mir empfangen, Herr Abbate,« antwortete ich, »und zwar mit großem Vergnügen.«

Als alle Gäste fortgegangen waren, fragte mich Don Cesarino – so hieß der angebliche Bruder meiner Teresa – ob ich ihn nach der Promenade führen wollte. Ich anwortete ihm mit einer Umarmung, mein Wagen stehe ihm zu Diensten und er könne mit seinem Schwager hinfahren, denn ich wolle mich für diesen Tag nicht von seiner Schwester trennen. Palesi fand diesen Vorschlag sehr gut, und sie fuhren ab.

Sobald wir allein waren, umarmte ich Teresa mit leidenschaftlicher Glut, indem ich ihr ein Kompliment darüber machte, daß sie einen so hübschen Bruder hätte. »Mein Freund, er ist die süße Frucht unserer Liebe: er ist dein Sohn. Er macht mich glücklich und ist selber glücklich, denn er hat alles, was er dazu braucht.«

»Auch ich bin glücklich, göttliche Teresa! Aber du hast wohl gesehen, daß ich beim ersten Anblick sofort meine Vaterschaft erriet.«

»Aber, liebes Herz, hast du denn die Absicht, ihm einen Bruder zu geben? Wie leidenschaftlich du bist!«

»Bedenke, angebetetes und anbetungswürdiges Weib, daß du mir gesagt hast, morgen würden wir nur noch Freunde sein.«

Ich war bereits Gatte oder glücklicher Liebhaber; aber der Gedanke, daß ich es zum letztenmal wäre, mischte einige Bitterkeit in die glühende und süße Wollust, die ich bei dieser Vereinigung empfand, die auf beiden Seiten von Liebe, Zärtlichkeit und Gefühl beherrscht wurde.

Als wir etwas ruhiger geworden waren, sagte Teresa zu mir: »Der Herzog, der mich von Rimini mit sich nahm, hat auch unser Kind erziehen lassen; denn sobald ich schwanger war, vertraute ich ihm mein Geheimnis an. Ich kam nieder, ohne daß ein Mensch etwas davon erfuhr, und mein Kind wurde zu einer Amme nach Sorrent geschickt; der Herzog ließ ihn unter dem Namen Cesare Filippo Lanti taufen. In Sorrent blieb er bis zum Alter von neun Jahren; hierauf wurde er zu einem wackeren Mann in Pflege gegeben, bei dem er etwas Tüchtiges gelernt und sich auch in der Musik ausgebildet hat. Von seiner zartesten Kindheit an hat er in mir stets seine Schwester gesehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als ich sah, daß er dir immer ähnlicher wurde, je mehr er heranwuchs. Ich habe ihn stets als ein sicheres Pfand unserer Vereinigung angesehen; denn ich glaubte immer, diese würde stattfinden, sobald wir uns wiederträfen, weil ich überzeugt war, daß er auf deine Seele denselben Eindruck machen würde wie auf die meinige. Ich war überzeugt, du könntest diesem reizenden Sprößling unserer Liebe den Namen deines rechtmäßigen Sohnes nicht versagen und würdest seine Mutter heiraten.«

»Du hast das, was mich glücklich gemacht haben würde, unmöglich gemacht!«

»Das Schicksal hat es so gefügt, lieber Freund; sprechen wir nicht mehr davon. Als der Herzog starb, verließ ich Neapel; Cesarino blieb in derselben Pension unter dem Schutze des Fürsten della Riccia, der ihn stets als seinen Bruder angesehen hat. Dein Sohn besitzt ein Kapital von zwanzigtausend Reichsdukaten, dessen Zinsen an mich bezahlt werden, und von welchen er nichts weiß; aber du kannst dir wohl denken, daß es ihm an nichts fehlt. Es schmerzt mich nur, ihm nicht sagen zu können, daß ich seine Mutter bin; denn ich glaube, er würde mich noch mehr lieben, wenn er wüßte, daß er mir sein Leben verdankt. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Wonne ich heute empfand, als ich deine Überraschung sah und bemerkte, wie schnell du dich in ihn verliebtest.«

»Und diese vollkommene Ähnlichkeit?«

»Sie macht mir Freude. Kann man sich wohl etwas anderes dabei denken, als daß du der Liebhaber meiner Mutter gewesen bist? Nun einerlei. Mein Mann glaubt, daß dies der Ursprung der Freundschaft sei, die uns verbindet, und die ihn heute morgen, als er den Ausbruch unseres Entzückens sah, hätte ärgerlich machen können. Er sagte mir gestern, Cesarino könne wohl mein Bruder von mütterlicher Seite sein, aber ganz gewiß nicht von väterlicher Seite; denn er habe seinen Vater im Parkett gesehen und dieser könne ganz gewiß nicht der meinige sein. Wenn ich von Palesi Kinder bekomme, soll mein ganzes Vermögen nach meinem Tode ihnen gehören; wenn ich keine bekomme, so wird Cesarino mein Erbe sein. Mein Vermögen befindet sich in sicheren Händen, selbst wenn der Fürst della Riccia sterben sollte.«

»Komm!« rief sie plötzlich, indem sie mich in ihr Schlafzimmer hineinzog. Sie öffnete eine große Kassette, worin sich ihre Diamanten und andere Juwelen und für mehr als fünfzigtausend Dukaten in guten Gülten befanden. Außerdem besaß sie eine Menge sehr schönes Silbergeschirr, und ihr herrliches Talent sicherte ihr die ersten Stellen an allen italienischen Bühnen.

»Weißt du,« fragte ich sie, »ob unser Cesarino schon geliebt hat?«

»Ich glaube es nicht; doch denke ich, daß meine hübsche Kammerjungfer in ihn verliebt ist. Ich werde ein Auge auf sie haben.«

»Sei nicht zu streng.«

»Nein. Aber ein junger Mann darf sich nicht zu früh der Sinnenlust hingeben, worüber er alles andere vernachlässigen würde.«

»Gib ihn mir! Ich werde ihn die Welt kennen lehren.«

»Verlange alles von mir, aber lasse mir meinen Sohn! Ich küsse ihn niemals, weil ich Angst habe, ich könnte mich rasend in ihn verlieben. Wenn du wüßtest, wie ehrenhaft und rein er ist und wie er mich liebt! Aber ich versage ihm ja auch keinen Wunsch. Was wird man in vier Monaten in Venedig sagen, wenn man dort den aus den Bleikammern entsprungenen Casanova um zwanzig Jahre verjüngt wiedersieht?«

»Du gehst also zur Ascensa nach Venedig?«

»Ja. Und du gehst nach Rom?«

»Und nach Neapel, um meinen Freund, den Herzog von Matalone, zu besuchen.«

»Ich kenne ihn sehr gut. Er hat bereits einen Sohn von der Tochter des Herzogs Bovino, die er geheiratet hat. Sie ist eine reizende Frau, die die Macht besessen hat, ihn zum Mann zu machen; denn ganz Neapel wußte, daß er unvermögend war.«

»Wahrscheinlich hat sie nur das Geheimnis besessen, ihn zum Vater zu machen.«

»Das ist auch wohl möglich.«

Wir verbrachten den ganzen Tag in einer abwechselreichen und sehr interessanten Unterhaltung, bis Cesarino und ihr Gatte zurückkamen. Während des Abendessens gewann der liebe Junge vollends mein Herz, denn er war schalkhaft, fröhlich und liebenswürdig und besaß die ganze neapolitanische Lebhaftigkeit. Er setzte sich ans Klavier. Nachdem er einige Stücke mit der glänzenden Meisterschaft eines Virtuosen gespielt hatte, sang er neapolitanische Lieder, über die wir von ganzem Herzen lachten. Meine Teresa hatte nur für ihn und für mich Augen; von Zeit zu Zeit aber umarmte sie ihren Gemahl und rief: »Man ist nur glücklich, wenn man liebt.«

Dieser Tag gehört zu den glücklichsten meines Lebens, und ich zähle deren viele.

Neuntes Kapitel


Die Corticelli. – Der jüdische Theaterdirektor bekommt Prügel. – Der falsche Karl Iwanoff spielt mir einen bösen Streich, – Willkürlicher Befehl, Toskana zu verlassen. – Meine Ankunft in Rom. – Mein Bruder Giovanni.

Am nächsten Morgen um neun Uhr meldete man mir den Abbate Gama. Als er eintrat, rief er aus: »Ich weine Freudentränen, daß ich Sie nach so vielen Jahren der Trennung bei so guter Gesundheit und in so angenehmen Verhältnissen wiedersehe.«

Wie der Leser sich leicht wird denken können, hielt der Abbate eine große Lobrede auf mich, und er wird vielleicht wissen, daß trotz aller Klugheit und Welterfahrenheit und trotz allem Mißtrauen gegen die Ohrenkitzler die Eitelkeit doch ihnen lauscht und sie sogar angenehm findet; freilich will die Eitelkeit dies nicht eingestehen, denn damit wird sie sich selbst verletzen. Der Abbate war sanft, geistreich, liebenswürdig und sehr schlau, weil er stets unter den Großwürdenträgern der Diener Gottes gelebt und damit die allerfeinste Schule der List durchgemacht hatte. Er war durchaus nicht boshaft; mit einem Wort, er war so, wie ich ihn im ersten Bande dieser Erinnerungen geschildert habe. Er wünschte meine Abenteuer kennen zu lernen und wartete daher nicht ab, daß ich ihn bäte, mir die seinigen zu erzählen, sondern schilderte mir sehr weitschweifig sein Leben in den siebzehn Jahren, die seit unserer Trennung verflossen waren. Er war aus dem spanischen Dienst in den Seiner Allergetreuesten Majestät übergetreten und war Gesandtschaftssekretär beim Komtur Almada. Er hatte Rom verlassen müssen, weil Papst Rezzonico dem König von Portugal nicht erlauben wollte, die Jesuiten zu bestrafen – treue ehrliche Mörder, die ihm allerdings nur einen Arm zerschmettert, aber doch die gute Absicht gehabt hatten, ihm das Leben zu nehmen. Gama irrte in Italien umher; er verkehrte brieflich mit Almada und dem berühmten Carvalho, und wartete darauf, daß dieser Krieg beigelegt würde, um nach Rom zurückkehren zu können. Dies war eigentlich das einzige Tatsächliche an seiner Erzählung; aber der Abbate wußte sie durch Nebenumstände so sehr auszuschmücken, daß sie länger als eine Stunde dauerte. Ohne Zweifel wollte er mich dadurch zur Dankbarkeit veranlassen, damit ich ihm nichts von meinen Verhältnissen verschwiege. Aber wir zeigten beide ein schönes diplomatisches Talent; er, indem er seine Erzählung verlängerte, ich, indem ich die meinige verkürzte. Ich empfand dabei ein geheimes Vergnügen, die Neugier im Priesterrock zu bestrafen.

»Was wollen Sie in Rom?« fragte er scheinbar gleichgültig.

»Ich will mich dem Papst vorstellen und ihn bitten, bei den venetianischen Staatsinquisitoren meine Begnadigung zu befürworten.«

Dies war nicht wahr; aber es war eine Antwort wie eine andere, wenn man nicht die Wahrheit sagen will. Hätte ich ihm übrigens gesagt, ich ginge nach Rom nur, um mich zu amüsieren, so hätte er mir auch nicht geglaubt. Wer einem Ungläubigen die Wahrheit sagt, prostituiert sie, und dies ist nach meiner Meinung so schlimm wie ein Mord. Er bat mich hierauf, ich möchte ihm das Vergnügen machen, mit ihm einen Briefwechsel zu unterhalten; und da dies mich zu nichts verpflichtete, so versprach ich es ihm.

»Ich kann,« sagte er mir, »Ihnen einen Freundschaftsbeweis geben, indem ich Sie dem Gouverneur von Toskana, Marchese Botta-Adamo, vorstelle, der für den Freund des regierenden Herrn gilt« (des späteren Kaisers Franz).

Ich nahm sein Anerbieten dankbar an, hierauf brachte er das Gespräch auf Teresa; aber er fand mich verschlossen wie den Geldschrank eines Geizhalses. Ich sagte ihm, sie wäre noch ein Kind gewesen, als ich in Bologna ihre Familie kennen gelernt hatte, und die Ähnlichkeit zwischen ihrem Bruder und mir wäre nur ein Spiel der Natur oder des Schicksals, wobei nichts weiter auffällig wäre, als daß wir zusammengetroffen wären. Als er auf meinem Schreibtisch ein sehr gut geschriebenes Papier sah, fragte er mich, ob diese herrliche Handschrift die meines Sekretärs sei. Costa, der im Zimmer anwesend war, antwortete ihm auf spanisch, die Schrift sei von ihm. Gama überbot sich nun in Komplimenten und bat mich schließlich, ich möchte ihm meinen Costa zuschicken, um für ihn einige Briefe zu schreiben. Ich erriet, daß er ihn nur über mich ausholen wollte, und sagte ihm, der junge Mann sei mir den ganzen Tag unentbehrlich.

»Nun, dann also ein anderes Mal!« sagte der Abbate.

Ich antwortete nicht. So sind die Neugierigen. Die Moralphilosophen wollen die Neugier nicht zu den Leidenschaften rechnen; aber sie haben unrecht. Die Neugier gehört zu den schönen Eigenschaften des Geistes, wenn sie von der gesunden Vernunft gelenkt wird und sich auf die ganze Natur erstreckt: Nihil dulcius quam omnia scire – Nichts ist süßer als alles zu wissen. Sie ist von den Sinnen abhängig; denn sie kann nur durch sinnliche Wahrnehmungen entstehen und sich befriedigen. Aber diese Leidenschaft ist, wie alle ihre Schwestern, ein Ungeheuer, wenn sie nicht mehr von der Weisheit gezügelt wird. Sie ist ein abscheuliches Laster, wenn sie nur bezweckt, mittelbar oder unmittelbar in die Angelegenheiten anderer Menschen einzudringen. Einerlei ob der Neugierige ein Geheimnis nur zu erhaschen sucht, um sich dem Nächsten nützlich zu machen, sei es, daß er diesen auszuholen sucht, um die Herzensergießungen, zu denen er ihn zu verlocken weiß, zu seinem eigenen Vorteil auszubeuten. Aber mag sie, je nach der Richtung, die sie nimmt, Laster oder Tugend sein – die Neugier ist stets eine Krankheit; denn sie hat die eigentümliche Eigenschaft, daß sie das Herz oder den Geist eines Menschen, den sie unterjocht, unruhig macht. Ein Geheimnis durch Überraschung zu erfahren, heißt stets einen Diebstahl begehen.

Ich spreche nicht von jener edlen Neugier, die den abstrakten Wissenschaften entstammt und sich zum Ziele setzt, die Zukunft zu erforschen, das heißt, das Unmögliche zu erreichen. Bei der Neugier, die die Tochter der Unwissenheit oder des Aberglaubens ist, verweilen nur Narren oder Dummköpfe. Abbate Gama aber war weder verrückt, noch unwissend, noch dumm: er war neugierig von Charakter und von Beruf; denn er wurde dafür bezahlt, alles zu entdecken. Er war Diplomat; in einer weniger hohen Sphäre würde man ihn als Spion behandelt haben.

Er verließ mich, um Besuche zu machen, und versprach mir, zum Mittagessen wiederzukommen.

Doktor Vannini stellte mir einen anderen Bedienten von der Gestalt des ersten vor, einen Parmesaner; er versprach mir, dieser würde nur gehorchen und niemals versuchen, etwas zu erraten. Ich dankte dem akademischen Gastwirt und bestellte bei ihm eine üppige Mahlzeit.

Zuerst erschien die Corticelli mit ihrem Bruder, einem weibischen jungen Mann und mittelmäßigen Violinspieler, sowie mit ihrer Mutter, die mir sagte, sie würde ihrer Tochter niemals erlauben, ohne sie und ohne ihren Bruder bei Fremden zu essen.

»Dann können Sie,« sagte ich zu ihr, »sie sofort wieder mitnehmen oder diesen Dukaten annehmen, um mit ihrem Sohne zu essen, wo Sie wollen; denn ich will weder von ihm noch von Ihnen etwas wissen.«

Sie nahm den Dukaten, indem sie zu mir sagte, sie sei sicher, ihre Tochter in guten Händen zu lassen.

»Darauf können Sie sich verlassen,« antwortete ich ihr; »gehen Sie nur!«

Das Mädchen machte über mein Gespräch mit ihrer Mutter so scherzhafte Bemerkungen, daß ich unwillkürlich lachen mußte und mich in sie zu verlieben anfing. Die Corticelli war erst dreizehn Jahre alt, aber sie war so zart, daß man sie für zehnjährig gehalten hätte. Im übrigen war sie sehr hübsch gewachsen, lustig, lebhaft, witzig, geistreich und hatte eine weiße Haut, wie man sie in Italien selten findet. Trotz alledem kann ich noch jetzt nicht begreifen, wie ich mich in sie verlieben konnte.

Das ausgelassene junge Mädchen bat mich um meinen Schutz gegen den Operndirektor, einen Juden. Er hatte sich in dem mit ihr abgeschlossenen Vertrage verpflichtet, sie in der zweiten Oper einen Pas de deux tanzen zu lassen, aber er hatte sie getäuscht. Sie bat mich, den Juden zu zwingen, daß er seine Verpflichtungen einhielte, und ich versprach es ihr.

Der zweite Gast war die Parmesanerin Redegonda, ein großes schönes Mädchen, das, wie Costa mir sagte, die Schwester meines Lohndieners war; nachdem ich mich zwei oder drei Minuten mit ihr unterhalten hatte, fand ich sie meiner Aufmerksamkeit sehr würdig. Sodann kam der Abbate Gama; er gratulierte mir, als er mich zwischen zwei hübschen Mädchen sitzen sah. Ich nötigte ihn, meinen Platz einzunehmen, und er begann ihnen mit großer Zungengewandtheit Schmeicheleien zu sagen; daß die Nymphen sich über ihn lustig machten, brachte ihn nicht im geringsten aus der Fassung. Er glaubte ihnen zu gefallen; das sah ich und begriff sehr wohl, daß seine Eitelkeit ihn abhielt, zu bemerken, wie er sich lächerlich machte; aber ich ahnte nicht, daß ich selber in seinem Alter in den gleichen Fehler verfallen könnte. Wehe dem Greise, der nicht sich selber zu erkennen vermag! Weh ihm, wenn er verabsäumt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß die Weiber, die er als Jüngling verführt hat, ihn in seinem Alter verachten werden, wenn er noch nach ihrer Gunst zu streben wagt! – Zuletzt erschien meine schöne Teresa mit ihrem Gatten und meinem Sohn, den ich zärtlich umarmte, nachdem ich diese süße Pflicht seiner Mutter gegenüber erfüllt hatte. Bei Tisch setzte ich mich zwischen beide, indem ich Teresa zuflüsterte, eine so teure und geheimnisvolle Dreifaltigkeit dürfe nicht getrennt werden; diese Bemerkung trug mir das liebenswürdigste Lächeln ein. Der Abbate setzte sich zwischen Redegonda und die Corticelli und wußte uns durch reizende Bemerkungen während der ganzen Mahlzeit zu erheitern. Ich lachte im stillen über den ehrfurchtsvollen Ernst, womit mein großer Lakai seiner Schwester Redegonda den Teller wechselte; sie schien eitel darauf zu sein, eine Ehre beanspruchen zu können, die für ihren Bruder unerreichbar war. Sie war nicht großmütig; denn sie benutzte den Augenblick, um mir, ohne daß er es hören konnte, zu sagen: »Er ist ein guter Junge; unglücklicherweise versteht er gar nichts.«

Ich hatte absichtlich mir eine prachtvolle Tabaksdose in die Tasche gesteckt; sie war reich emailliert und mit einem Bildnis von vollkommener Ähnlichkeit geschmückt. Ich hatte sie in Paris anfertigen lassen in der Absicht, sie der Frau d’Urfé zu schenken; aber ich hatte sie ihr nicht gegeben, weil der Maler mich zu jung gemacht hatte. Diese Dose war mit ausgezeichnetem Havannatabak gefüllt, den Herr von Chavigny mir geschenkt hatte und den Teresa sehr gerne mochte; um sie aus meiner Tasche zu ziehen, wartete ich, bis sie mich um Tabak bäte. Abbate Gama, der sehr guten Tabak in seiner Origoneladose hatte, schickte Teresa eine Prise; sie sandte ihm darauf den ihrigen in einer mit goldenen Arabesken eingelegten Schildpattdose. Man konnte nichts Schöneres sehen. Gama kritisierte Teresas Tabak; ich tat, als fände ich ihn köstlich, erlaubte mir jedoch die Bemerkung, mein Tabak sei besser. Ich zog meine Dose aus der Tasche, reichte sie ihr offen hin und bot ihr eine Prise an. Das Portrait konnte sie nicht sehen. Sie gab zu, daß der Tabak köstlich und dem ihrigen weit überlegen sei.

»Nun, meine Gnädige, ist es Ihnen recht, wenn wir tauschen?«

»Gern! Geben Sie mir Papier!«

»Das ist nicht nötig. Wir tauschen den Tabak und die Dosen, worin er ist.«

Mit diesen Worten steckte ich Teresas Dose in die Tasche und reichte ihr die meinige geschlossen. Als sie das Bildnis sah, stieß sie einen Schrei aus, der die ganze Gesellschaft neugierig machte, und küßte, ohne sich zu besinnen, das Portrait.

»Sieh!« sagte sie zu Cesarino, »dein Bild!«

Cesarino sah sie ganz erstaunt an, und die Dose ging von Hand zu Hand. Jeder fand, daß es mich selber darstellte, wie ich vor zehn Jahren ausgesehen hätte, daß es aber auch für das Portrait Cesarinos gelten könnte. Teresa war vor Freude darüber ganz toll. Sie schwor, sie werde diese Dose niemals wieder aus den Händen lassen, stand auf und umarmte ihren Sohn zu wiederholten Malen. Unterdessen verlor ich den Abbate Gama nicht aus den Augen, und ich sah, daß er in seinem Schädel allerlei Erklärungen über diesen Auftritt zurechtzimmerte, der das volle Interesse einer unvorhergesehenen Erkennungsszene hatte.

Der gute Abbate ging gegen Abend fort, indem er mir sagte, er erwarte mich am anderen Morgen zum Frühstück.

Den Rest des Tages brachte ich damit zu, mit Redegonda schön zu tun; als Teresa sah, daß das Mädchen mir gefiel, riet sie mir, mich ihr zu erklären, und versprach mir, sie einzuladen, so oft ich wolle. Aber Teresa kannte sie nicht.

Am andern Morgen sagte Gama mir, er habe dem Marschall Botta meinen Besuch angemeldet und werde mich um vier Uhr in meinem Gasthof abholen, um mich dem Herrn vorzustellen. Immer Sklave seiner Neugier, machte der gute Abbate mir hierauf im Tone freundschaftlichster Teilnahme Vorwürfe, daß ich ihm kein Wort von dem Stande meines Vermögens gesagt hätte.

»Ich glaubte, dies sei nicht erwähnenswert, Herr Abbate; da Sie es aber interessiert, so will ich Ihnen sagen, daß mein Vermögen nicht beträchtlich ist, daß ich aber Freunde habe, deren Börsen mir offen stehen.«

»Wenn Sie wahre Freunde haben, so sind Sie reich; aber wahre Freunde sind selten.«

Von dem Abbate begab ich mich zu Redegonda, von der mein ganzes Herz voll war und die ich gern der jungen Corticelli vorgezogen hätte. Ich wollte ihr einen Besuch machen; aber welche traurige Aufnahme fand ich! Sie empfing mich in einem Zimmer, worin ihre Mutter, ihr Oheim und drei oder vier unsaubere, schlechtgekleidete Bälge, ihre Brüder, sich befanden.

»Haben Sie denn kein anständiges Zimmer, um Ihre Freunde zu empfangen?« fragte ich das Mädchen.

»Ich brauche kein anderes Zimmer, denn ich habe keine Freunde, die ich empfangen könnte.«

»Haben Sie nur das Zimmer, meine Liebe – die Freunde werden dann nicht ausbleiben. Dieses Zimmer ist ausgezeichnet, um Verwandte zu empfangen, aber es eignet sich nicht für Personen, die wie ich zu Ihnen kommen, um Ihren Reizen und Ihren Talenten zu huldigen.«

»Mein Herr,« sagte die Mutter zu mir, »meine Tochter hat nur ein schwaches Talent und bildet sich durchaus nichts auf ihre Reize ein, denn sie weiß, daß diese sehr bescheiden sind.«

»Es ist eine große Bescheidenheit von Ihnen, Signora, daß Sie so sprechen. Ich weiß diese Bescheidenheit zu schätzen; aber es sehen nicht alle Ihre Tochter mit denselben Augen an, und mir gefällt sie sehr.«

»Das ist eine Ehre für sie, und wir sind dafür nach Gebühr dankbar; aber sie macht uns nicht stolz. Meine Tochter wird Sie empfangen, so oft Sie ihr die Ehre Ihres Besuches erweisen wollen; aber nur hier, niemals an einem anderen Ort.«

»Hier, Signora, würde ich Sie zu belästigen befürchten.«

»Die Anwesenheit eines Ehrenmannes ist niemals eine Belästigung.«

Ich schämte mich; denn nichts beschämt einen Wüstling so, wie die Sprache der Scham im Munde der Armut; da ich nicht wußte, was ich der Mutter Vernünftiges antworten sollte, machte ich ihr eine Verbeugung und ging.

Ich berichtete Teresa mein Mißgeschick, und wir lachten darüber; das war auch das beste, was wir tun konnten.

»Ich werde mich freuen, dich in der Oper zu sehen,« sagte sie zu mir; »du kannst Zugang zu meinem Ankleidezimmer finden, wenn du dem Wächter an der kleinen Tür, die zur Bühne führt, ein Trinkgeld gibst.«

Der Abbate Gama holte mich seinem Versprechen gemäß ab, um mich dem Marschall Botta vorzustellen. Dieser war ein verdienstvoller Mann, den der Aufstand von Genua berühmt gemacht hatte. Er befehligte das österreichische Heer, als das Volk, voller Zorn über den Anblick dieser Fremdlinge, die nur das Land unterjochen wollten, sich erhob und sie zwang, die Stadt zu räumen. Dieser patriotische Aufruhr rettete die Republik.

Ich fand den Marschall inmitten einer zahlreichen Gesellschaft von Damen und Herren, die er verließ, um mich zu begrüßen. Er sprach mit mir über Venedig, das er ausgezeichnet kannte; dann ließ er sich von mir ausführlich über Frankreich erzählen, und ich durfte annehmen, daß meine Mitteilungen ihn befriedigten. Er selber erzählte mir darauf vom russischen Hof, an welchem er sich aufhielt, als Elisabeth Petrowna, die zur Zeit meiner Erzählung noch regierte, mit solcher Leichtigkeit den Thron ihres Vaters, Peter des Großen, bestieg. »Nur in Rußland,« sagte er mir, »weiß die Politik Gifte zweckmäßig zu benutzen.« Als die Stunde der Oper gekommen war, zog der Marschall sich zurück, und alle entfernten sich. Nachdem ich den Abbate, der mir natürlich versicherte, daß ich dem Gouverneur gefallen habe, in meinem Wagen nach Hause gebracht hatte, begab ich mich ins Theater und gelangte mittels eines Testone in Teresas Ankleidezimmer, wo ich sie unter den Händen ihrer hübschen Kammerjungfer fand.

»Ich rate dir,« sagte sie zu mir, »Redegonda in ihrem Ankleidezimmer aufzusuchen; da sie sich als Mann zu kleiden hat, wird sie dich vielleicht ihrer Toilette beiwohnen lassen.«

Ich folgte ihrem Rat; aber die Mutter wollte mir den Eintritt nicht erlauben, weil ihre Tochter im Begriff sei, sich anzukleiden. Ich versicherte ihr, ich würde während der ganzen Zeit, die sie zum Umkleiden brauchte, ihr den Rücken zuwenden; unter dieser Bedingung erlaubte sie mir einzutreten, und ließ mich vor dem Tisch Platz nehmen, auf welchem ein großer Spiegel stand, dank welchem ich ausgezeichnet Redegondas geheimste Reize gratis sehen konnte, besonders in dem Augenblick, wo sie eine Hose anzog und dabei die Beine auf höchst ungeschickte oder höchst geschickte Weise hochhob – je nach den Absichten, die sie dabei gehabt haben mag. Übrigens schadete dieses Manöver ihr nichts; denn was ich sah, gefiel mir dermaßen, daß ich jede Bedingung angenommen hätte, um mich in ihren Besitz zu setzen.

Unmöglich, sagte ich mir, kann Redegonda nicht wissen, daß ich vor einem Spiegel sitzend alles sehen muß. Dieser Gedanke entflammte mich. Ich drehte mich erst wieder um, als die Mutter mir die Erlaubnis gab, und nun bewunderte ich die Schönheit im Anzuge eines schönen Jünglings von fünf Fuß und einem Zoll, dessen Verhältnisse nichts zu wünschen übrig ließen.

Redegonda ging hinaus; ich folgte ihr, und es gelang mir, in den Kulissen mit ihr zu sprechen. Ich sagte zu ihr: »Meine Liebe, ich will ohne alle Umstände mit Ihnen reden. Sie haben mich entflammt, und ich werde sterben, wenn Sie sich weigern, mich glücklich zu machen.«

»Sie sagen nichts davon, ob Sie auch sterben würden, wenn Sie mich unglücklich machten.«

»Dies kann ich nicht sagen, weil ich den Gedanken gar nicht fassen kann. Keine Verstellung, liebe Redegonda! Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß Ihr Spiegel mich instand setzte, alles zu sehen; und ich kann nicht annehmen, daß Sie die Absicht gehabt haben sollten, mich in Feuer und Flammen zu setzen, um mich hierauf der Verzweiflung zu überlassen.«

»Was können Sie gesehen haben? Ich weiß davon nichts.«

»Das kann wohl sein; aber ich habe Sie ganz und gar gesehen. Antworten Sie mir – das ist die Hauptsache. Wie habe ich es anzufangen, um in Ihren Besitz zu gelangen?«

»Um in meinen Besitz zu gelangen? Ich verstehe Sie nicht, mein Herr! Ich bin ein anständiges Mädchen.«

»Das glaube ich. Aber Sie müssen ebenfalls überzeugt sein, daß Sie nicht weniger anständig sein werden, wenn Sie mich glücklich gemacht haben. Lassen Sie mich nicht schmachten, meine liebe Redegonda! Ich muß mein Schicksal augenblicklich erfahren!«

»Ich weiß nicht, was ich Ihnen anders sagen soll, als daß es Ihnen frei steht, mich zu besuchen, so oft Sie Lust haben.«

»Wann werden Sie allein sein?«

»Allein? Es ist kaum denkbar, daß ich jemals allein bin.«

»Nun, was tut es denn auch? Mag Ihre Mutter anwesend sein; das ist mir einerlei. Wenn sie vernünftig ist, wird sie tun, als ob sie nichts sähe, und ich werde Ihnen jedesmal hundert Dukaten geben.«

»Wahrhaftig! Sie sind entweder verrückt oder Sie kennen uns nicht.«

Mit diesen Worten betrat sie die Bühne; ich aber ging zu Teresa und erzählte ihr dies Gespräch. Sie sagte mir: »Biete nur zunächst die hundert Dukaten der Mutter selber an; wenn sie sie ausschlägt, so lache die beiden aus und versuche dein Heil bei einer anderen.«

Ich ging in Redegondas Ankleidezimmer zurück, wo die Mutter jetzt allein war, und sagte ohne weitere Vorreden: »Guten Abend, Signora. Ich bin Fremder. Ich bleibe nur acht Tage hier. Ich bin in Ihre Tochter verliebt und schlage Ihnen vor, mit ihr bei mir zu soupieren. Vorausgesetzt, daß Sie gut sind, werde ich Ihnen hundert Zechinen geben, und es liegt nur an Ihnen, mich zugrunde zu richten.«

»Mein Herr, mit wem glauben Sie zu tun zu haben? Ihre Schamlosigkeit überrascht mich mit Fug und Recht. Erkundigen Sie sich, wer ich bin; erkundigen Sie sich nach der Aufführung meiner Tochter, und Sie werden sich in Zukunft dergleichen Anträge ersparen.«

»Leben Sie wohl, Signora.«

»Leben Sie wohl, Signor.«

Als ich das Zimmer verließ, begegnete ich Redegonden. Ich erzählte ihr Wort für Wort das Gespräch, das ich mit ihrer Mutter gehabt hatte, und sie lachte laut auf.

»Hab‘ ich’s gut oder schlecht gemacht?«

»Eher gut als schlecht. Aber wenn Sie mich lieben, so besuchen Sie mich doch!«

»Ich soll Sie besuchen? Nach den Worten Ihrer Mutter?«

»Ei, warum denn nicht? Wer weiß?«

»Wer weiß! Redegonda, Sie kennen mich nicht. Leere Hoffnung vergiftet mich, und darum habe ich so geradezu mit Ihnen gesprochen.«

Ärgerlich beschloß ich, an das eigentümliche Mädchen nicht mehr zu denken. Ich ging zu Teresa zum Abendessen und verbrachte bei ihr drei entzückende Stunden. Da ich viel zu schreiben hatte, ging ich den ganzen nächsten Tag nicht aus; gegen Abend aber besuchte mich die junge Corticelli mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. Sie wollte mich bitten, ihr mein Versprechen zu halten in bezug auf den jüdischen Theaterdirektor, der sie den im Vertrage vereinbarten Pas de deux nicht tanzen lassen wollte.

»Besuchen Sie mich morgen früh,« antwortete ich ihr; »Sie werden mit mir frühstücken, und ich werde in Ihrer Gegenwart mit Ihrem Hebräer sprechen – das heißt, wenn er kommt. Jedenfalls verspreche ich Ihnen, ihn holen zu lassen.«

»Dafür werde ich Sie sehr lieb haben,« sagte das ausgelassene kleine Mädchen zu mir; »aber kann ich denn nicht ein bißchen hier bleiben?«

»Im Gegenteil, solange Sie wollen; da ich jedoch einige Briefe fertig schreiben muß, so muß ich Sie bitten, allein zu bleiben.«

»O! Ganz wie Sie wollen.«

Ich sagte Costa, er solle ihnen ein Abendessen geben.

Als meine Briefe fertig waren, bekam ich Lust, ein wenig zu scherzen. Ich ließ die Kleine sich neben mich setzen und begann mit ihr zu schäkern, jedoch auf eine Weise, daß ihre Mutter Laura nichts dagegen einwenden konnte. Plötzlich mischte sich der Bruder mit ein, worüber ich einigermaßen erstaunt war.

»Gehen Sie!« sagte ich zu ihm; »Sie sind kein Mädchen.«

Zur Antwort hierauf zeigte der kleine Halunke mir sein Geschlecht und zwar auf so unanständige Weise, daß seine Schwester, die auf meinem Schoß saß, laut auflachte und sich zu ihrer Mutter flüchtete, die aus Dankbarkeit für das gute Abendessen, womit ich sie bewirtet hatte, sich im Hintergrunde des Zimmers aufhielt. Ich stand auf, gab dem unverschämten Lustknaben eine Ohrfeige und fragte die Mutter, in welcher Absicht sie mir diesen Burschen zugeführt habe. Die niederträchtige Mutter antwortete darauf nur: »Ist er nicht ein hübscher Junge?«

Ich gab ihm als Schmerzensgeld für die Ohrfeige einen Dukaten und sagte zur Mutter: »Gehen Sie! Sie ekeln mich an!«

Der Bursche nahm meinen Dukaten, küßte mir die Hand, und alle drei entfernten sich.

Als ich zu Bett ging, mußte ich über das Abenteuer lachen. Ich dachte noch lange über die Verderbtheit einer Mutter nach, die sich ohne Bedenken so weit erniedrigt, ihren eigenen Sohn zum allergemeinsten Laster zu prostituieren.

Am nächsten Morgen ließ ich den Juden bitten, bei mir vorzusprechen. Die Corticelli kam mit ihrer Mutter, und einige Augenblicke darauf, als wir uns gerade zu Tisch setzen wollten, kam auch der Direktor.

Nachdem ich ihm die Beschwerde der jungen Tänzerin mitgeteilt hatte, las ich ihm den Vertrag vor, den er mit ihr abgeschlossen hatte, und sagte ihm in freundlichem Tone, ich würde es leicht dahinbringen, ihn zur Erfüllung seiner Versprechung anzuhalten. Der Jude brachte mehrere Entschuldigungen vor, deren Nichtigkeit die Corticelli nachwies. Seines Unrechtes überführt, versprach der Sohn Judas endlich, er wolle noch am gleichen Tage mit dem Ballettmeister sprechen, damit dieser sie den beanspruchten Tanz mit dem von ihr bezeichneten Tänzer tanzen ließe. Er hoffe hierdurch das Glück zu haben, Seiner Exzellenz zu gefallen. Diese Titelverleihung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung – ein Umstand, der besonders bei einem Juden selten ein Zeichen von Aufrichtigkeit ist.

Als die Leute sich entfernt hatten, begab ich mich zu Abbate Gama, um mit ihm zum Marschall Botta zu gehen, der uns zum Mittagessen hatte einladen lassen. Ich machte bei Tisch die Bekanntschaft des englischen Residenten Ritters Man. Er war der Abgott von ganz Florenz, sehr reich, liebenswürdig, obgleich Engländer, voll Geist und Geschmack und großer Kunstliebhaber. Auf seine Einladung besuchte ich ihn am nächsten Tage in seinem Hause, zu welchem ein hübscher Garten gehörte. In dieser Wohnung, die er selber geschaffen hatte, verriet die ganze Ausstattung: Möbel, Gemälde, ausgewählte Bücher – den geistvollen Mann.

Herr Man erwiderte meinen Besuch, lud sich bei mir zum Essen ein und hatte die liebenswürdige Aufmerksamkeit, auch Teresa, ihren Gemahl und Cesarino einladen zu lassen. Nach Tisch setzte dieser sich ans Klavier und riß die ganze Gesellschaft zu Bewunderung und Entzücken hin. Als wir auf Ähnlichkeiten zu sprechen kamen, zeigte der Ritter uns Miniaturportraits von überraschender Schönheit.

Bevor sie ging, sagte Teresa mir, sie habe ernstlich an mich gedacht.

»Wieso?«

»Ich habe Redegonda gesagt, ich würde sie abholen, zum Abendessen bei mir behalten und sie in meinem Wagen nach Hause fahren lassen. Dieses letztere wirst du übernehmen. Komm ebenfalls zum Essen und richte es so ein, daß dein Wagen vor der Tür wartet. Das übrige wird von selber gehen. Du wirst zwar nur einige Minuten mit ihr zusammen sein; aber das ist doch immerhin schon etwas, und ist erst mal der erste Schritt getan, so wirst du das übrige nach deinem Belieben einrichten.«

»Ausgezeichnet! Ich werde bei dir zu Abend speisen, und mein Wagen wird zur Stelle sein. Morgen sollst du alles erfahren.«

Um neun Uhr begab ich mich zu ihr. Ich wurde empfangen wie ein lieber Gast, auf den man nicht gerechnet hat. Ich sagte zu Redegonda, ich wünsche mir Glück, sie an diesem Ort zu finden, und sie antwortete mir, sie habe nicht gehofft, daß sie das Vergnügen haben werde, mich zu sehen.

Beim Abendessen hatte keiner von uns Appetit, außer Redegonda; diese aß sehr gut und lachte viel über alle Anekdoten, die ich ihr erzählte.

Nach dem Abendessen fragte Teresa die schöne Parmesanerin, ob sie wünsche, daß sie einen Tragstuhl holen lasse, oder ob sie lieber von mir in meinem Wagen nach Hause gebracht sein wollte.

»Wenn der Herr die Gefälligkeit haben will, ist der Tragstuhl nicht nötig.«

Diese Antwort erschien mir so günstig, daß ich nicht mehr an meinem Glück zweifelte. Man wünscht sich gute Nacht, man umarmt sich; sie nimmt meinen Arm und gibt ihm mit ihrer Hand einen Druck; wir gehen die Treppe hinunter, und sie steigt in den Wagen. Ich steige nach ihr ein, und als ich mich setzen will, finde ich den Platz besetzt.

»Wer ist da?« rufe ich. Redegonda lacht laut auf und antwortet mir: »Meine Mutter.«

Ich war angeführt. Ich besaß nicht den Geist, die Sache scherzhaft zu nehmen. Die Überraschung macht den Menschen dumm; sie benimmt ihm für einen Augenblick alle seine Geisteskräfte; die verletzte Eitelkeit läßt nur für den Zorn Raum.

Ich setzte mich auf den Vordersitz und fragte in kaltem Ton die Mutter, warum sie nicht heraufgekommen wäre, um mit uns zu Abend zu essen. Sie antwortete nicht.

Als der Wagen vor ihrer Tür hielt, lud die Mutter mich ein, hereinzukommen; ich antwortete ihr jedoch, ich hätte keine Lust dazu. Ich fühlte, daß ich der Mutter, wenn sie mich noch ein bißchen weiter geärgert hätte, Ohrfeigen gegeben haben würde, und der Mann, den sie bei sich hatte, sah mir nach einem Halsabschneider aus.

Ich war wütend. Meine körperliche Aufregung war ebenso groß wie meine seelische. Ich war niemals bei der Corticelli gewesen; aber überzeugt, daß ich sie gefällig finden würde, ließ ich mich zu ihr fahren. Alles lag schon zu Bett. Ich klopfte; man antwortet; ich nenne meinen Namen; man öffnet, und ich trete im Dunkeln ein. Signora Laura sagte mir, sie würde die Kerze anzünden; wenn ich ihr Bescheid gesagt hätte, würde sie trotz der Kälte auf mich gewartet haben. Es kam mir vor, als wäre ich in einem Eiskeller. Ich hörte die Kleine lachen, ging leise an das Bett heran, suchte und fand die deutlichsten Zeichen der Männlichkeit, es war ihr Bruder. Unterdessen hatte die Mutter Licht gemacht, und ich sah die Tochter, bis ans Kinn in ihre Decke gewickelt, im Bett liegen; sie war wie ihr Bruder splitternackt. Obgleich ich in solchen Sachen sehr frei denke, fand ich doch diese Niederträchtigkeit empörend.

»Warum,« fragte ich die Mutter, »erlauben Sie ein so abscheuliches Beisammenschlafen?«

»Was ist dabei? Sie sind Bruder und Schwester.«

»Gerade dies macht ihren Verkehr verbrecherisch.«

»Ihr Verkehr ist sehr unschuldig.«

»Das mag sein; aber so etwas schickt sich nicht.«

Der Junge schlüpfte aus dem Bett und kroch in das Bett seiner Mutter, während die ausgelassene kleine Närrin zu mir sagte, es mache gar nichts, denn sie liebe ihren Bruder nur wie einen Bruder und er liebe sie nur wie eine Schwester; wenn ich wünschte, daß sie allein schliefe, so brauchte ich ihr nur ein Bett zu kaufen. Ich mußte über diese naiven Bemerkungen, die sie in ihrer Bologneser Mundart vorbrachte, herzlich lachen; denn beim Sprechen und Gestikulieren hatte sie die Hälfte ihrer Schönheiten enthüllt, und ich sah nichts, was der Mühe wert war. Trotzdem war es offenbar vom Schicksal bestimmt, daß ich mich in ihre Haut verlieben sollte; denn außerdem hatte sie nichts Schönes.

Wäre sie allein gewesen, so hätte ich mich sofort über sie hergemacht; aber die Gegenwart ihrer Mutter und ihres frechen Bruders flößte mir Abscheu ein; ich befürchtete Szenen, die mein Blut in Wallung gebracht haben würden. Ich gab ihr zehn Zechinen, um sich ein Bett zu kaufen, wünschte ihr gute Nacht und entfernte mich. Auf die zimperlichen und gewissenhaften Mütter von Opernnymphen fluchend, kehrte ich nach meinem Gasthof zurück.

Den ganzen nächsten Vormittag verbrachte ich beim Ritter Man in seiner Galerie, welche wunderbare Gemälde, Bildhauerarbeiten, Mosaiksachen und geschliffene Steine enthielt. Von ihm begab ich mich zu meiner Teresa, um ihr mein Mißgeschick von der letzten Nacht zu erzählen. Sie lachte herzlich darüber, und ich lachte mit ihr, obwohl meine Eitelkeit sich eines gewissen Verdrusses nicht erwehren konnte.

»Du mußt dich darüber trösten, lieber Freund,« sagte sie mir, »und du wirst leicht einen Ersatz für sie finden.«

»Warum bist du verheiratet?«

»Ich habe auch daran gedacht; aber es ist einmal geschehen und daher nichts mehr zu machen. Weißt du, da du durchaus eine Frau haben mußt, so folge meinem Rat und nimm die Corticelli, die schließlich so gut ist wie eine andere. Sie wird dich nicht schmachten lassen.«

In meinem Gasthof fand ich den Abbate Gama, den ich zum Mittagessen eingeladen hatte. Er fragte mich, ob ich die Vertretung des portugiesischen Hofes auf dem Kongreß übernehmen wolle, der nach der damaligen Meinung von ganz Europa in Augsburg abgehalten werden solle. Er sagte mir, wenn ich den Auftrag, den er mir verschaffen würde, geschickt erledigte, würde ich in Lissabon alles erreichen, was ich nur wünschen könnte.

Ich antwortete ihm: »Ich bin bereit, alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Sie brauchen mir nur zu schreiben, und zu diesem Zweck werde ich Ihnen die Orte nennen, an denen Ihre Briefe mich bestimmt erreichen werden.«

Diese Eröffnung erregte in mir die größte Lust, Gesandter zu werden.

Am Abend in der Oper sprach ich mit dem Ballettmeister, mit dem Tänzer, der in dem Pas de deux den Partner spielen sollte, und mit dem Juden, der mir sein Versprechen wiederholte, daß mein Schützling in drei oder vier Tagen zufriedengestellt sein und daß sie während der ganzen übrigen Dauer des Karnevals ihren Lieblingstanz tanzen sollte. Ich sah die Corticelli; sie sagte mir, sie habe bereits ein Bett, und lud mich zum Abendessen ein. Ich nahm an und ging nach der Vorstellung zu ihr. Überzeugt, daß ich bezahlen würde, hatte ihre Mutter bei einem Garkoch ein ausgezeichnetes Abendessen für vier Personen und mehrere Flaschen vom besten Florentiner Wein bestellt. Sie gab mir außerdem einen Wein, den man Aleatico nennt; ich fand ihn vortrefflich und trank reichlich davon. Meine drei Gäste, die an gutes Essen und Wein nicht gewöhnt waren, aßen für vier und betranken sich. Hierauf gingen Mutter und Tochter ohne Umstände zu Bett, und die kleine Närrin lud mich ein, ihrem Beispiel zu folgen. Ich hatte wohl Lust dazu; aber ich wagte es nicht. Es war sehr kalt, und in dem Zimmer war kein Feuer. Da sie nur eine einzige Decke hatte, so befürchtete ich, mich zu erkälten, und meine Gesundheit war mir zu lieb, um mich dieser Gefahr auszusetzen, Ich begnügte mich damit, sie auf meinen Schoß zu nehmen, und nach einigen Vorspielen überließ sie sich meiner Glut. Sie suchte mich zu überzeugen, daß ich ihre Erstlinge erhielte, und ich tat, wie wenn ich dies glaubte, da ich in Wirklichkeit wenig Wert darauf legte.

Nachdem ich die Dosis drei- oder viermal erneuert hatte, verließ ich sie; ich gab ihr fünfzig Zechinen und sagte ihr, sie möchte eine gute wattierte Steppdecke kaufen und ein gutes Kohlenbecken anzünden lassen, weil ich die nächste Nacht bei ihr schlafen wollte. Am nächsten Tage erhielt ich aus Grenoble einen Brief, der mich aufs höchste interessierte. Herr von Valenglard schrieb mir, die schöne Roman sei zu der Überzeugung gekommen, daß mein Horoskop niemals in Erfüllung gehen könne, wenn sie nicht nach Paris reise, und habe sich mit ihrer Tante nach der Hauptstadt begeben.

Wie eigentümlich verband sich das Schicksal dieses reizenden Mädchens mit der Neigung, die ihre Schönheit mir eingeflößt hatte, und mit meiner Abneigung gegen die Ehe! Denn es hätte nur von mir abgehangen, die Schönste Frankreichs zu heiraten, und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie dann die Geliebte Ludwigs des Fünfzehnten geworden wäre.

Und welche Fügung, daß ich den sonderbaren Einfall hatte, in meinem Horoskope zu sagen, daß sie notwendig nach Paris gehen müsse! Denn selbst wenn die Astrologie eine Wissenschaft gewesen wäre, so beherrschte ich diese nicht. Ihr Schicksal wurde durch eine große Abgeschmacktheit bestimmt. Übrigens bietet die Geschichte ja sehr viele Beispiele von außerordentlichen Ereignissen, die niemals eingetreten wären, wenn sie nicht prophezeit gewesen wären! Wir sind, fast immer ohne unser Wissen, die Urheber unseres eigenen Geschickes, und die bedingenden Notwendigkeiten der Stoiker sind bloße Chimären; der Beweis für die Macht des Schicksals erscheint nur darum stark, weil er sophistisch ist; einem eindringenden Urteil und einer vorurteilsfreien Vernunft vermag er nicht standzuhalten. Cicero machte sich mit Recht über die Stoiker und die Fatalisten lustig; aber Cicero war ein Weiser, und dies sind wenige Menschen; selbst Sokrates war es nicht, als er dem Gott der Wohlschmeckerei einen Fasan zu opfern empfahl. Ein Mann, den Cicero zum Essen eingeladen hatte, der aber nicht kommen konnte, schrieb an den großen Römer: »Wenn ich nicht gekommen bin, so ist das ein Beweis, daß das Schicksal es nicht gewollt hat.« – Cicero antwortete ihm: »Wenn du hättest kommen wollen, wärest du gekommen; und dann wäre dies ein Beweis gewesen, daß das Schicksal es gewollt hätte.«

Es sind nicht die lateinischen Worte, lieber Leser; aber ich glaube, wenn diese Römer in unserer Zeit gelebt hätten, würden sie sich so ausgedrückt haben.

Wenn die Fatalisten ihres Systems wegen gezwungen sind, die Verkettung aller Ereignisse zu behaupten, so bleibt für die moralische Freiheit des Menschen durchaus nichts übrig: die Willensfreiheit wäre eine Abgeschmacktheit, und den Menschen könnte dann weder ein Lob wegen guter noch ein Tadel wegen schlechter Handlungen treffen. Ich für meine Person verwerfe das Dogma von der Schicksalsbestimmung, und wäre es auch nur aus Selbstbewußtsein; denn ich bin durchaus nicht geneigt, in mir nur eine Maschine zu sehen.

Am Abend ging ich ins Theater, wo ich meine Corticelli in einem schönen Pelz fand. Die anderen Tänzerinnen betrachteten mich mit verächtlichen Mienen; denn sie sahen mit Verdruß, daß der Platz besetzt war; meine neue Favorite dagegen war stolz auf ihren neuen Erfolg und liebkoste mich mit einer triumphierenden Miene, die ihr zum Entzücken stand.

Am Abend fand ich bei ihr ein gutes Nachtmahl und ein gutes Kohlenbecken nebst einer warmen Decke. Die Mutter zeigte mir alles, was ihre Tochter sich gekauft hatte, und beklagte sich, daß sie ihren Bruder nicht eingekleidet hätte. Ich machte sie ganz vergnügt, indem ich ihr ein paar Louis schenkte.

Als wir im Bett lagen, fand ich meine Schöne weder verliebt noch hingerissen, aber sie war lustig und scherzhaft. Ich mußte über sie lachen, und da sie sonst in allen Dingen gefällig war, so war dies genug, um mich zu fesseln. Als ich fortging, schenkte ich ihr eine Uhr und versprach ihr, am nächsten Abend zum Essen zu kommen. Sie sollte ihren Pas de deux tanzen, und ich ging infolgedessen ins Theater; aber zu meiner großen Überraschung sah ich sie nur unter den Figurantinnen. Beim Essen war sie untröstlich. Sie sagte mir weinend, ich müsse sie wegen dieser Beschimpfung rächen; der Jude schiebe die Schuld auf den Schneider, aber er lüge. Um sie zu beruhigen, versprach ich ihr alles, und nachdem ich einige Stunden mit ihr verbracht hatte, ging ich mit dem festen Entschluß nach Hause, dem Juden ein böses Viertelstündlein zu bereiten. Ich schickte daher, sobald ich aufwachte, Costa zu ihm und ließ ihn bitten, bei mir vorzusprechen; der Flegel ließ mir jedoch nur antworten, er wisse, was ich von ihm wolle, aber er werde nicht kommen; wenn die Corticelli nicht in diesem Ballett tanzte, so würde sie in einem anderen tanzen.

Ich war entrüstet; aber ich begriff, daß ich mich verstellen müßte, und lachte nur. Sein Urteil war indessen bereits gesprochen; denn ein Italiener verzichtet nicht auf die Rache, er weiß zu gut, daß sie ein Vergnügen der Götter ist. Nachdem ich Costa fortgeschickt hatte, rief ich Leduc, erzählte ihm die Geschichte und sagte ihm, ich wäre entehrt, wenn er mich nicht räche; nur er könnte mir die Genugtuung verschaffen, den Schelm durchzuprügeln, um ihn für sein freches Benehmen zu bestrafen. »Aber du begreifst, mein lieber Leduc, wie außerordentlich wichtig es ist, die Sache geheim zu halten.«

»Ich bitte Sie nur um vierundzwanzig Stunden Zeit, gnädiger Herr; dann werde ich Ihnen eine bestimmte Antwort geben.«

Ich wußte, was er damit sagen wollte, und war zufrieden.

Am anderen Morgen sagte Leduc mir, er habe sich am vorhergehenden Tage nur damit beschäftigt, die Person des Juden und dessen Wohnung kennen zu lernen, ohne einen anderen Menschen danach zu fragen.

»Heute werde ich ihn nicht aus den Augen verlieren; ich werde erfahren, um welche Stunde er nach Hause kommt, morgen sollen Sie weiteres hören.«

»Sei vorsichtig und vertraue dich keinem Menschen an.«

»Unbesorgt!«

Am folgenden Tage sagte er mir: »Wenn der Jude zur selben Stunde und auf demselben Wege nach Hause geht, hat er heute Abend seine Prügel, bevor er sich ins Bett legt.«

»Wen hast du für diese Unternehmung ausgesucht?«

»Mich selber. Solche Sachen müssen geheim gehalten werden, und ein Geheimnis darf nicht mehr als zwei Menschen bekannt sein. Ich bin meiner Sache sicher; aber sobald Sie sicher sind, daß dem Esel die Haut gegerbt worden ist – was schaut dabei heraus?«

»Fünfundzwanzig Zechinen.«

»Famos! Sobald ich die Sache gemacht habe, hole ich meinen Überrock an dem Ort, wo ich ihn zurücklassen werde, und trete durch die Hintertür wieder ein, ohne daß ein Mensch mich sieht. Selbst Costa wird nötigenfalls mit gutem Gewissen schwören können, daß ich nicht ausgegangen sei und unmöglich den Juden verprügelt haben könne. Indessen werde ich für alle Fälle meine Taschenpistolen bei mir haben, und sollte man mich festnehmen wollen, so würde ich mich zu verteidigen wissen.«

Am andern Morgen trat er mit ganz ruhigem Gesicht ein, während Costa mir meinen Schlafrock anzog; sobald wir aber allein waren, sagte er zu mir: »Die Sache ist abgemacht. Anstatt davonzulaufen, warf der Jude sich schreiend auf die Erde, sobald er den ersten Schlag erhalten hatte. Ich gerbte ihm die Haut; als ich aber Leute herbei eilen hörte, machte ich mich aus dem Staube. Ich weiß nicht, ob ich ihn totgeschlagen habe; jedenfalls habe ich ihm zwei kräftige Hiebe auf den Kopf versetzt. Sollte er tot sein, so würde mir das leid tun; denn dann könnte er sich nicht an den Tanz erinnern.«

Ich konnte über diesen schlechten Witz nicht lachen, denn die Sache war ernst.

Ich war bei Teresa zum Essen eingeladen. Außer mir waren noch der Abbate Gama da und Herr Sassi, ein sehr liebenswürdiger Mann, wenn man anders den Namen Mann einem Wesen beilegen darf, das durch eine Barbarei von der Menschheit getrennt worden ist. Er war der erste Kastrat an der Oper. Natürlich wurde über das Mißgeschick des Juden gesprochen.

»Sein Unglück tut mir leid,« bemerkte ich, »obgleich er ein unanständiger Mensch ist.«

»Mir tut er ganz und gar nicht leid,« sagte Sassi; »denn er ist ein Spitzbube. Ich wette, alle Welt wird sagen, daß ich ihn auf diese Weise getauft habe.«

»Nein,« sagte der Abbate, »man sagt, Herr Casanova habe ihn mit Recht so behandeln lassen.«

»Man wird wohl schwerlich die Wahrheit erraten,« versetzte ich, »denn der Schelm hat so viele anständige Leute geärgert, daß eine Tracht Prügel von dem einen oder dem anderen ihm nicht erspart bleiben konnte.«

Schließlich kam das Gespräch auf andere Gegenstände, und wir speisten sehr heiter. Einige Tage darauf verließ der Jude das Bett, mit einem großen Pflaster auf der Nase. Obgleich man im allgemeinen mir die Tat zuschrieb, so sprach man doch schließlich nicht mehr davon, weil eben doch nur ein unbestimmter Verdacht vorlag. Nur die Corticelli sprach in dem Übermaß ihrer Freude und ihrer Unbesonnenheit überall, wie wenn sie sicher wäre, daß ich sie gerächt hätte; sie war wütend darüber, daß ich dies nicht zugeben wollte; wie man sich wohl denken kann, war ich zu vorsichtig, um dies zu tun; denn sie hätte mich durch ihre Unbesonnenheit an den Galgen bringen können.

Ich unterhielt mich in Florenz so gut, daß ich nicht daran dachte, so bald wieder fortzugehen. Eines Tages überbrachte Vannini mir einen Brief, den jemand bei ihm für mich zurückgelassen hatte.

Ich öffnete ihn in seiner Gegenwart und fand darin einen Wechsel von zweihundert Florentiner Talern auf Sasso Sassi. Vannini sah den Wechsel und sagte mir, er wäre gut. Ich ging in mein Zimmer, um den Brief zu lesen, und sah zu meiner Überraschung, daß er Charles Iwanoff unterzeichnet war. Er schrieb mir vom Gasthof zur Post in Pistoia und teilte mir mit, er befinde sich immer noch im Unglück und ohne Geld; er habe sich daher einem Engländer eröffnet, der von Florenz nach Lucca reise; dieser habe ihm großmütig zweihundert Taler geschenkt, indem er in seiner Gegenwart den Wechsel geschrieben habe, der an den Vorzeiger zahlbar sei. »Ich wage nicht,« fuhr er fort, »diesen Betrag in Florenz einzukassieren, weil ich befürchten müßte, dort wegen meiner unglückseligen Angelegenheit von Genua verhaftet zu werden. Ich bitte Sie daher, Mitleid mit mir zu haben, den Betrag einkassieren zu lassen und ihn mir nach Pistoia zu schicken, damit ich meinen Wirt bezahlen und abreisen kann.«

Der Dienst, den der unglückliche Mensch von mir verlangte, war dem Anschein nach sehr einfach. Aber ich konnte mich bloßstellen. Denn es konnte nicht nur der Wechsel falsch sein, sondern auch im Falle des Gegenteils erklärte ich mich, wenn auch nicht für einen Freund, so doch zum mindesten für einen Korrespondenten eines Mannes, dessen Name und Beschreibung in den Zeitungen gestanden waren. In dieser Verlegenheit beschloß ich, ihm den Wechsel persönlich zurückzugeben. Ich begab mich allein nach der Post, nahm zwei Pferde und war bald vor dem Gasthof in Pistoia angelangt. Der Wirt selber führte mich in das Zimmer des Gauners und ließ mich dann mit diesem allein. Ich blieb höchstens drei Minuten und sagte ihm: »Der Bankier Sassi kennt mich; ich wünsche nicht, daß man glauben könnte, ich stünde in irgendwelchen Beziehungen zu Ihnen. Ich rate Ihnen, das Papier ihrem Wirt zu geben; dieser kann es Herrn Sassi vorlegen und Ihnen den Betrag überbringen.«

Er antwortete mir: »Ich werde Ihren Rat befolgen.«

Ich fühl nach Florenz zurück.

Ich dachte schon nicht mehr an diese Geschichte, als ich am dritten Tage Herrn Sasso Sassi und den Wirt von Pistoia bei mir eintreten sah. Der Bankier zeigte mir den Wechsel und sagte, derjenige, der ihn mir gegeben, hätte mich betrogen; erstens trüge der Wechsel nicht die Unterschrift des Engländers, auf dessen Namen er lautete; zweitens aber, selbst wenn dies der Fall wäre, so hätte der Lord kein Guthaben bei ihm und könnte daher auch keinen Wechsel auf sein Haus ziehen.

»Dieser Mann«, fuhr er fort, »hat den Wechsel diskontiert; der Russe ist abgereist. Als ich ihm erklärte, daß der Wechsel falsch sei, sagte er mir, er habe gewußt, daß Iwanoff den Wechsel von Ihnen habe, und da er Sie kenne, so habe er keinen Anstand genommen, ihm den Betrag sofort zu geben. Nun aber verlangt er, daß Sie ihm die zweihundert Taler wieder erstatten.«

»Das ist ein wahnsinniges Verlangen!«

Ich erzählte nun Herrn Sassi die Geschichte in allen Einzelheiten, zeigte ihm den Brief des Gauners und ließ den Doktor Vannini heraufkommen, der ihn mir überbracht hatte; dieser erklärte sich bereit, vor Gericht zu beschwören, daß er den Wechsel gesehen und geprüft und daß er ihn für gut gehalten habe.

Der Bankier sagte nun dem Wirt von Pistoia, er habe unrecht, von mir zu verlangen, daß ich ihm das Geld ersetze; der Mann war jedoch hartnäckig und erlaubte sich, mir zu sagen, ich spiele mit dem Russen unter einer Decke, um ihn zu betrügen.

Entrüstet lief ich nach meinem Stock; da jedoch der Bankier mich zurückhielt, so konnte der Unverschämte entfliehen, ohne Prügel zu bekommen.

»Sie sind völlig im Recht,« sagte Herr Sassi; »aber Sie müssen nichts auf das geben, was der arme Teufel in seinem Zorn gesagt hat.«

Er schüttelte mir die Hand und ging.

Am nächsten Morgen schickte der Polizeivorsteher, den man Auditor nennt, mir einen Brief und bat mich, bei ihm vorzusprechen. Ich konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein, was ich zu tun hatte; denn als Fremder mußte ich seiner Einladung folgen und diese als eine Vorladung betrachten. Er empfing mich sehr höflich, erklärte mir jedoch, ich müsse dem Wirt die zweihundert Taler ersetzen; denn dieser würde niemals diesen falschen Wechsel diskontiert haben, wenn er nicht gesehen hätte, daß der Wechsel von mir überbracht wurde. Ich antwortete ihm, er könne mich als Richter nur verurteilen, wenn er mich als Mitwirkenden an dem Gaunerstreich ansehe. Statt auf meinen berechtigten Einwand zu antworten, wiederholte er mir, ich müsse zahlen.

»Herr Auditor, ich werde nicht bezahlen.«

Er klingelte und machte mir eine Verbeugung. Ich ging hinaus und begab mich nach dem Hause des Bankiers, dem ich meine Unterredung mit dem Auditor erzählte. Er war sehr erstaunt darüber und begab sich auf meine Bitte zu dem Herrn, um ihm Vernunft beizubringen. Beim Abschied sagte ich ihm, ich würde bei Gama speisen.

Ich erzählte dem Abbé, was mir zugestoßen war; er erhob ein großes Geschrei darüber und sagte: »Ich sehe voraus, der Auditor wird bei seiner Meinung bleiben; wenn es Herrn Sassi nicht gelingt, ihn davon abzubringen, so rate ich Ihnen, den Marschall Botta von allem in Kenntnis zu setzen.«

»Ich glaube nicht, daß dies notwendig ist, denn schließlich kann der Auditor mich nicht zum Zahlen zwingen.«

»Er kann Ihnen noch Schlimmeres antun.«

»Nun, was kann er denn tun?«

»Er kann Sie ausweisen.«

»Wenn er diese Macht besitzt, so werde ich allerdings erstaunt sein, falls er unter solchen Umständen davon Gebrauch zu machen wagen sollte; aber lieber werde ich abreisen, als daß ich zahle. Gehen wir zum Marschall!«

Es war vier Uhr, als wir in das Haus des Marschalls kamen, und wir fanden bei ihm den Bankier, der ihm bereits alles mitgeteilt hatte.

»Zu meiner großen Beschämung muß ich Ihnen mitteilen,« sagte Herr Sassi zu mir, »daß der Auditor keine Vernunft annehmen will; wenn Sie in Florenz bleiben wollen, müssen Sie zahlen.«

»Ich werde abreisen, sobald ich Befehl dazu erhalte; sobald ich in einer anderen Stadt bin, werde ich die Geschichte dieser schreienden Ungerechtigkeit drucken lassen.«

»Der Urteilsspruch ist entsetzlich; er ist geradezu unglaublich!« rief der Marschall; »es tut mir wirklich leid, mich in diese Sache nicht einmischen zu können.« Nach einer kurzen Weile fuhr er fort: »Sie haben vollkommen recht, mein Herr, wenn Sie lieber abreisen als bezahlen.«

Am anderen Morgen in aller Frühe brachte ein Polizeigefreiter mir einen Brief von dem Auditor; der parteiische Beamte teilte mir darin mit, da meine Angelegenheit nicht der Art sei, daß er mich zwingen könne, den Wechsel zu bezahlen, so sehe er sich gezwungen, mir anzuzeigen, daß ich Florenz in drei Tagen und Toskana in fünf zu verlassen hätte. Er gebe mir diesen Befehl kraft seines Amtes, das ihm zur Pflicht mache, die Staatspolizei zu überwachen; ich könne jedoch zurückkehren, sobald Seine Kaiserliche Hoheit der Großherzog, an den ich gegen das Urteil appellieren könne, seinen Spruch verworfen habe.

Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb darauf: »Ihr Befehl ist ungerecht, aber er wird buchstäblich ausgeführt werden.«

Im selben Augenblick gab ich meine Befehle, um meine Koffer zu packen und alles für die Abreise zurecht zu machen. Die drei Tage der Gnadenfrist verbrachte ich bei Teresa; den dummen Brief des Auditors hatte ich immer bei mir in der Tasche. Ich besuchte auch den liebenswürdigen Ritter Man und verabredete mit der Corticelli, sie während der Fastenzeit abzuholen und einige Zeit mit ihr in Bologna zu verbringen. Abbate Gama wich mir während dieser drei Tage nicht von der Seite und zeigte sich als mein wahrer Freund. Es war überhaupt eine Art Triumph für mich, denn überall wurde ich bedauert, wurde der Auditor verwünscht. Der Marschall Botta schien mir seine volle Billigung aussprechen zu wollen, indem er mir zu Ehren am vorletzten Tage vor meiner Abreise ein prachtvolles Diner von dreißig Gedecken gab; ich traf bei dieser Gelegenheit die vornehmste Gesellschaft von Florenz. Es war eine zarte Aufmerksamkeit, die meinem Herzen sehr wohl tat. Den letzten Tag weihte ich meiner teuren Teresa, doch konnte ich leider keinen günstigen Augenblick finden, um sie um einen letzten Trost zu bitten, den sie mir unter den Umständen nicht verweigert haben und der mir noch jetzt eine liebe Erinnerung sein würde. Wir versprachen einander sehr oft zu schreiben und küßten uns zum Abschied mit einer Glut, daß dem Gatten wohl unbehaglich dabei werden mochte.

Am nächsten Tage reiste ich ab; sechsunddreißig Stunden später war ich in Rom.

Es war gerade Mitternacht, als ich durch die Porta del Popolo fuhr; denn man kann zu jeder Stunde in die Ewige Stadt hinein. Man führte mich sofort nach der Zollwache, die immer geöffnet ist, und durchsuchte meine Koffer. Streng ist man nur in bezug auf Bücher, wie wenn man den Einfluß der Aufklärung fürchtete. Ich besaß etwa dreißig Bände, die sich alle mehr oder weniger gegen die Religion oder die päpstliche Lehre oder gegen die von dieser gelehrten Tugenden richteten. Ich wußte dies und hatte mich bereits darauf gefaßt gemacht, sie zu opfern, ohne einen Widerstand zu versuchen; denn ich hatte Ruhe nötig. Der durchsuchende Beamte sagte mir jedoch sehr höflich, ich möchte sie zählen und ihm dalassen; er würde sie mir schon am nächsten Morgen in den Gasthof bringen, wo ich abstiege. Ich tat dies, und er hielt sein Wort; er war sehr zufrieden, als er zwei Zechinen sah, die ich ihm als Belohnung reichte.

Ich stieg in der Stadt Paris an der Piazza di Spagna ab; dies war der beste Gasthof in Rom. Alle Leute lagen im Schlaf; als man mir endlich geöffnet hatte, bat man mich, in ein Zimmer im Erdgeschoß einzutreten und dort zu warten, bis man in dem für mich bestimmten Zimmer Feuer gemacht hätte. Auf allen Stühlen lagen Röcke, Unterröcke oder Hemden; während ich nach einem freien Platz suchte, hörte ich eine weibliche Stimme sagen, ich möchte mich auf das Bett setzen. Ich trat heran und sah einen lachenden Mund und zwei schwarze Augen, die wie zwei Karfunkel glänzten.

»Was für schöne Augen!« sagte ich zu ihr; »erlauben Sie mir, sie zu küssen.«

Anstatt zu antworten, verbarg sie ihren Kopf unter der Decke; sofort glitt meine unbescheidene Hand unter die Decke und berührte den Mittelpunkt; da ich sie jedoch völlig nackt fand, zog ich meine Hand zurück und bat sie wegen meiner Kühnheit um Entschuldigung. Sie machte ihren Kopf frei, und ich glaubte in ihren Blicken Dankbarkeit und Freude über meine Mäßigung zu lesen.

»Wer sind Sie, mein schöner Engel?«

»Ich bin Teresa, die Tochter des Wirtes, und dies hier ist meine Schwester.«

Es lag noch ein anderes junges Mädchen neben ihr, aber ich hatte dieses nicht bemerkt, weil es den Kopf in die Kissen vergraben hatte.

»Wie alt sind Sie?«

»Bald siebzehn.«

»Ich freue mich darauf, Sie morgen früh in meinem Zimmer zu sehen.«

»Haben Sie Damen?«

»Nein.«

»Schade; wir gehen niemals zu Herren.«

»Schieben Sie doch die Decke etwas weiter hinunter; sie hindert Sie ja am Sprechen.«

»Es ist zu kalt.«

»Reizende Teresa, Ihre schönen Augen entflammen mich!«

Als sie bei diesen Worten ihren Kopf wieder zudeckte, wurde ich kühn und überzeugte mich, daß sie ein wahrer Engel zum Anbeißen war. Nach einigen etwas lebhaften Liebkosungen zog ich meine Hand zurück, indem ich fortwährend wegen meiner Kühnheit um Verzeihung bat; als sie die Decke wieder zurückgeschoben hatte, las ich in ihren Augen mehr Glück als Zorn, und ich faßte die Hoffnung, daß sie mir noch andere Gefälligkeiten gewähren würde. Ich wollte von neuem beginnen, denn ich stand in Flammen; in diesem Augenblick kam jedoch eine sehr schöne Magd und sagte mir, mein Zimmer sei bereit und das Feuer angezündet. »Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen morgen!« sagte ich zu Teresa; sie antwortete mir nicht, sondern drehte sich um und schlief weiter.

Nachdem ich mein Mittagessen auf ein Uhr bestellt hatte, ging ich zu Bett und schlief bis Mittag, von Teresa träumend. Als ich erwachte, meldete Costa mir, er habe das Haus meines Bruders ausfindig gemacht und meinen Brief dagelassen. Es war mein Bruder Giovanni Casanova, der damals etwa dreißig Jahre alt sein mochte und ein Schüler des berühmten Raphael Mengs war. Der Künstler hatte damals seine Pension verloren, weil der König von Polen wegen des Krieges in Warschau leben mußte; denn die Preußen hielten das ganze Kurfürstentum Sachsen besetzt. Ich hatte meinen Bruder seit zehn Jahren nicht gesehen und freute mich auf das Wiedersehen. Ich saß bei Tisch, als er kam, und wir umarmten uns mit herzlicher Freude. Nachdem wir eine Stunde lang uns unsere Abenteuer erzählt hatten, er seine kleinen und ich meine großen, sagte er mir, ich solle nicht im Gasthof bleiben, wo das Leben so teuer sei, sondern solle beim Ritter Mengs mich einquartieren; dieser habe eine leerstehende Wohnung, für die ich gar nichts zu bezahlen brauche. Außerdem wohne im Hause ein Garkoch, bei dem man sehr gut esse.

»Lieber Freund,« antwortete ich ihm, »deine Ratschläge sind ausgezeichnet; aber ich habe nicht den Mut, sie zu befolgen, denn ich bin in die Wirtstochter verliebt.« Hierauf erzählte ich ihm die Geschichte der vorigen Nacht.

»Das ist nur eine Liebelei!« rief er lachend. »Du kannst sie fortsetzen ohne hier zu wohnen.«

Ich ließ mich überreden und versprach ihm, schon am nächsten Tage zu ihm zu ziehen; hierauf gingen wir aus, um uns Rom anzusehen.

Ich hatte viele Erinnerungen mitgenommen, als ich die Stadt verließ, und ich wünschte sehnlichst die Bekanntschaft mit den meisten Personen zu erneuern, die in dem glücklichen Alter der Jugend meine Teilnahme erregt hatten, wo die Eindrücke so dauerhaft sind, weil mehr das Herz sie empfängt als der Geist; aber ich mußte auf viele Enttäuschungen gefaßt sein, denn zwischen meiner Abreise und meiner Rückkehr war eine lange Zeit verflossen.

Ich eilte nach der Minerva, um Donna Cecilia aufzusuchen; sie weilte nicht mehr unter den Lebenden. Ich erkundigte mich nach der Wohnung ihrer Tochter Angelica und suchte diese auf; aber sie empfing mich schlecht und sagte, sie erinnere sich kaum noch, mich gekannt zu haben.

»Als ich Sie sah,« antwortete ich ihr, »ging es mir beinahe wie Ihnen; denn Sie sind nicht mehr die Angelica von ehedem. Leben Sie wohl, Signora!«

Die Jahre hatten eine Macht auf ihr Gesicht ausgeübt, die nicht zu ihrem Vorteil war.

Nachdem ich erfahren hatte, wo der Sohn des Buchdruckers wohnte, der Barbaruccia geheiratet hatte, sparte ich mir das Vergnügen, sie zu sehen, für einen anderen Tag auf; ebenso auch das Wiedersehen mit dem ehrwürdigen Pater Georgi, der in Rom in hohem Ansehen stand. Gasparo Vivaldi hatte sich auf das Land zurückgezogen.

Mein Bruder führte mich zu Signora Cherubini. Ich fand ein Haus von großem Ton, dessen Dame mich nach römischer Art empfing. Ich fand sie anziehend, und ihre Tochter noch mehr; aber es kam mir vor, als ob die Anbeter aller Art zu zahlreich seien. Überall herrschte ein Scheinluxus, der auf mich einen unangenehmen Eindruck machte; die Töchter, von denen die eine bildschön war, schienen mir zu höflich gegen alle Anwesenden zu sein. Man richtete eine interessante Frage an mich, auf die ich so antwortete, daß man eine zweite Frage hätte stellen müssen; ich sah mich in meiner Erwartung getäuscht, doch machte ich mir nicht viel daraus. Ich bemerkte, daß die Stellung der Person, die mich vorgestellt hatte, einen falschen Begriff von meiner Bedeutung gab. Als ich nun einen Abbate sagen hörte: »Es ist Casanovas Bruder«, wendete ich mich zu ihm mit den Worten: »Der Ausdruck ist nicht richtig; Sie hätten sagen müssen, Casanova sei mein Bruder.«

»Das kommt auf dasselbe hinaus.«

»Durchaus nicht, Herr Abbate.«

Der Ton, worin ich diese Worte sprach, erregte Aufmerksamkeit, und ein anderer Abbate sagte: »Der Herr hat vollkommen recht; es kommt nicht auf dasselbe hinaus.«

Der erste Abbate antwortete nicht. Derjenige, der meine Partei ergriffen hatte und mit dem ich mich von diesem Augenblick an befreundete, war der berühmte Winkelmann, der zwölf Jahre später so unglücklich in Triest ermordet wurde.

Wählend ich mich mit ihm unterhielt, trat der Kardinal Alessandro Albani ein. Winkelmann stellte mich dieser fast blinden Eminenz vor; sie sprach viel mit mir, sagte mir aber nichts, was der Mühe wert gewesen wäre. Als er erfuhr, daß ich der Casanova sei, der aus den Bleikammern entflohen war, beging er die Dummheit, mir in einem wenig höflichen Ton zu sagen, er wäre erstaunt, daß ich die Kühnheit besäße, nach Rom zu kommen, wo auf Veranlassung der Venetianischen Staats-Inquisitoren ein Ordine Santissimo mich sofort zur Abreise nötigen würde. Ärgerlich über diese unpassende Bemerkung, antwortete ich ihm in würdevollem Ton: »Aus meinem Erscheinen in Rom dürfen Eure Eminenz nicht auf meine Kühnheit schließen, denn ich habe ja nichts zu befürchten; wohl aber würde ein Mensch von gesunder Vernunft über die Kühnheit der Inquisitoren erstaunt sein, wenn sie sich so weit vergessen sollten, einen Ordine Santissimo gegen mich zu beantragen; denn sie würden in großer Verlegenheit sein, wenn sie sagen sollten, wegen welchen Verbrechens sie mich niederträchtigerweise meiner Freiheit beraubt haben.«

Diese etwas derbe Antwort brachte die Eminenz zum Schweigen. Er schämte sich, mich für einen Dummkopf gehalten zu haben und zu sehen, daß ich ihm den Dummkopf zurückgab. Wenige Augenblicke darauf verließ ich das Haus, das ich nicht wieder betreten habe.

Abbate Winkelmann ging mit mir und meinem Bruder; er begleitete mich nach meinem Gasthof und erwies mir die Ehre, zum Abendessen zu bleiben. Winkelmann war der zweite Band des berühmten Abbé de Voisenon. Am nächsten Morgen holte er mich ab, und wir gingen in die Villa Albani, um den Ritter Mengs aufzusuchen, der damals dort wohnte, um ein Deckengemälde zu verfertigen.

Mein Wirt Roland, der meinen Bruder kannte, machte mir eincn Besuch, als wir beim Abendessen saßen. Roland stammte aus Avignon und war ein Lebemann. Ich sagte ihm, ich müßte zu meinem Bedauern sein Haus verlassen und bei meinem Bruder wohnen, weil ich mich in seine Tochter Teresa verliebt hätte, obgleich ich mit ihr nur wenige Minuten gesprochen und weiter nichts als ihren Kopf gesehen hätte.

»Ich wette. Sie haben sie im Bett gesehen.«

»Ganz recht, und ich habe große Lust, ihre ganze Figur zu sehen. Wollen Sie sie in allen Ehren einen Augenblick kommen lassen?«

»Recht gern!«

Sie kam herauf, sehr erfreut, von ihrem Vater gerufen worden zu sein. Sie hatte eine schlanke und elegante Figur; ihre Karfunkelaugen waren stets der schönsten Wirkung sicher; ihre Gesichtszüge waren schön, ihr Mund außerordentlich anmutig. Im ganzen jedoch zerstörte sie den Eindruck, den sie in dem Halbdunkel auf mich hervorgebracht hatte, worin der Zufall sie meinen Augen zum erstenmal dargeboten hatte. Dagegen warf mein armer Bruder sein Auge auf sie und wurde ihr Sklave. Er heiratete sie im nächsten Jahr und nahm sie zwei Jahre später mit sich nach Dresden. Dort sah ich sie fünf Jahre später mit einem hübschen Püppchen; aber nach einer zehnjährigen Ehe starb sie an der Schwindsucht.

Ich fand Mengs in der Villa Albani; er war in seiner Kunst unermüdlich und ein großes Original in seinem Beruf. Er nahm mich freundlich auf und sagte mir, er sei glücklich, mich in Rom in seiner Wohnung aufnehmen zu können; er hoffe in wenigen Tagen mit seiner ganzen Familie nach der Stadt zurückkehren zu können. Die Villa Albani setzte mich in Erstaunen. Kardinal Alessandro hatte dieses Haus erbauen lassen und hatte dazu, um seinen Geschmack an Altertümern zu befriedigen, nur antikes Material verwandt; denn nicht nur Statuen und Vasen, sondern auch Säulen und Piedestale waren griechisch – mit einem Wort, alles war griechisch. Er war selber ein feiner Grieche und ausgezeichneter Kenner und soll für dieses Meisterwerk, das seine Kunst geschaffen hat, verhältnismäßig sehr wenig Geld ausgegeben haben, übrigens kaufte er sehr häufig auf Kredit wie Damasippus, und so konnte man nicht sagen, daß er sich zugrunde richtete. Hätte ein Monarch diese Villa bauen lassen, so würde sie ihm fünfzig Millionen gekostet haben; aber der Kardinal wußte es viel billiger einzurichten. Da er sich keine antiken Wand- und Deckengemälde verschaffen konnte, mußte er sie sich wohl malen lassen, und Mengs war unbestritten der größte Maler und fleißigste Mensch seines Zeitalters. Es ist sehr bedauerlich, daß der Tod ihn mitten aus seiner Laufbahn hinweggerissen hat, denn er würde seiner Kunst noch eine Menge schöner Werke geschenkt haben. Mein Bruder hat niemals etwas hervorgebracht, um den Namen eines Schülers dieses großen Künstlers zu rechtfertigen. Wenn ich wieder zu meinen Erlebnissen in Spanien im Jahre siebzehnhundertundsechzig komme, werde ich mich ausführlich mit Mengs beschäftigen.

Sobald ich mich bei meinem Bruder eingerichtet hatte, nahm ich einen Wagen, einen Kutscher und einen Bedienten, die ich in eine Phantasielivree kleiden ließ. Dann stellte ich mich dem Auditore della Ruota, Monsignore Cornaro, vor, um durch ihn Eingang in die hohe Gesellschaft zu finden. Er fürchtete jedoch sich in seiner Eigenschaft als Venetianer bloßzustellen und stellte mich dem Kardinal Passionei vor, der mit dem erhabenen Pontifex über mich sprach. Bevor ich jedoch hierüber berichte, muß ich meinen Lesern erzählen, was mir begegnete, als ich bei diesem seltsamen Kardinal, der ein großer Feind der Jesuiten, ein geistvoller Mann und ein ausgezeichneter Kenner der Literatur war, meinen zweiten Besuch machte.

Drittes Kapitel


Die Mädchen des Hausmeisters. – Das Horoskop. – Fräulein Roman.

Der Gedanke an die traurige Figur, die die Geliebte des Marquis von Prié, der Marquis selber und vielleicht die ganze Gesellschaft, die es ohne Zweifel auf meine Kassette abgesehen, hatten spielen müssen, belustigte mich bis Chambéry, wo ich nur so lange anhielt, um die Pferde zu wechseln. In Grenoble, wo ich mich eigentlich etwa acht Tage hatte aufhalten wollen, fand ich schlechte Unterkunft; ich ließ daher mein Gepäck gar nicht erst abladen und ging nach der Post, wo ich mehrere Briefe fand, unter anderen auch einen von Frau von Urfé. Dieser enthielt als Einschluß einen Brief an einen Offizier, namens Valenglard, den sie mir als einen Gelehrten schilderte und der mich, wie sie schrieb, in alle guten Häuser der Stadt einführen würde.

Ich suchte den Offizier auf. Er empfing mich sehr freundlich und sagte mir, nachdem er meinen Brief gelesen hatte, er stehe mir zu Diensten und werde mir bei allen meinen Wünschen behilflich sein.

Valenglard war ein liebenswürdiger Herr in mittleren Jahren; vor fünfzehn Jahren war er der Freund der Frau von Urfé und noch viel mehr der ihrer Tochter, der Prinzessin von Toudeville, gewesen. Ich sagte ihm, ich hätte im Gasthof schlechtes Quartier gefunden, und der erste Dienst, den ich von ihm zu erwarten wagte, wäre die Beschaffung einer anständigen Unterkunft, wenn ihm eine solche bekannt wäre. Er rieb sich die Stirn und sagte dann: »Ich glaube, ich werde Sie in einem prachtvollen Hause unterbringen können; aber es liegt außerhalb der Stadt. Der Hausmeister ist ein ausgezeichneter Koch, und ich bin überzeugt, er wird Sie umsonst wohnen lassen, um den Vorteil zu haben, Ihre Küche zu besorgen.«

»Das möchte ich aber nicht,« sagte ich.

»Seien Sie unbesorgt, er wird sich an den Mahlzeiten schadlos halten; außerdem steht das Haus zum Verkauf und kostet ihm nichts. Wir wollen doch hingehen.«

Ich nahm eine Wohnung von drei Zimmern und bestellte ein Abendessen für zwei Personen, indem ich den Hausmeister darauf aufmerksam machte, daß ich Feinschmecker sei und leckere Kost liebe und daß ich keineswegs geizig sei. Zugleich bat ich Herrn von Valenglard, er möchte die Güte haben, mit mir zu Abend zu speisen. Der Hausmeister sagte mir, wenn ich nicht mit ihm zufrieden wäre, so brauche ich es nur zu sagen; dann hätte ich ihm nichts zu bezahlen. Ich ließ meinen Wagen holen, und so war ich denn eingerichtet. Im Erdgeschoß fand ich drei reizende Mädchen und die Frau des Hausmeisters, die mich alle mit tiefen Verbeugungen begrüßten.

Herr von Valenglard nahm mich mit in ein Konzert, um mich dort mit der ganzen Gesellschaft bekannt zu machen; ich bat ihn jedoch, mich niemandem vorzustellen. Wenn ich die Damen gesehen hätte, würde ich ihm diejenigen bezeichnen, die mir den Wunsch einflößten, sie kennen zu lernen.

Die Gesellschaft war zahlreich, und es waren besonders viele Damen da; aber die einzige, die meine Blicke fesselte, war eine schöne Brünette von bescheidenem Wesen, sehr schönem Wuchs und sehr einfachem Anzug. Nachdem das reizende Gesicht ein einzigesmal einen bescheidenen Blick über mich hatte hingleiten lassen, sah sie mich nicht mehr an. In meiner Eitelkeit dachte ich zuerst, dies sei eine kokette List, um in mir den Wunsch nach ihrer Bekanntschaft zu erwecken und um mir Zeit zu lassen, die edlen Linien ihres Profils und ihrer schönen Körperformen, die ihr bescheidenes Kleid nicht verbarg, besser prüfen zu können. Erfolg gibt immer Zuversicht, und die Eitelkeit befindet sich stets im Einklang mit unseren Wünschen. Sofort warf ich mein Auge auf dieses Fräulein, wie wenn alle Frauen von Europa nur ein Serail gebildet hätten, das zu meinem Vergnügen bestimmt wäre. Ich sagte dem Baron, daß ich ihre Bekanntschaft zu machen wünschte, und er antwortete mir: »Sie ist anständig; sie empfängt niemals einen Menschen, obgleich sie arm ist.«

»Dies sind drei Gründe, die meine Lust noch steigern.«

»Es ist aber wirklich nichts zu machen.«

»Das wünsche ich gerade.«

»Da sehe ich ihre Tante; wenn das Konzert zu Ende ist, werde ich Sie vorstellen.«

Nachdem er mir diese Ehre erwiesen hatte, begleitete er mich nach Hause zum Abendessen. Der Hausmeister-Koch schien mir ein Seitenstück zu Lebel zu sein. Er ließ mich bei Tisch von seinen beiden zum Anbeißen hübschen Töchtern bedienen, und ich sah Valenglard hocherfreut, daß er mich zu meiner Zufriedenheit untergebracht hatte. Aber er schalt, als er in fünf Gängen fünfzehn Schüsseln auftragen sah. »Der Mann«, sagte er zu mir, »macht sich über Sie oder mich lustig.«

»Der Mann hat im Gegenteil meinen Geschmack erraten. Haben Sie nicht alle seine Speisen ausgezeichnet gefunden?«

»Das kann ich nicht leugnen, aber …«

»Seien Sie unbesorgt, ich gebe gern viel Geld aus.«

»Ich bitte um Verzeihung. Ich wünsche weiter nichts, als daß Sie zufrieden sind.«

Wir hatten ausgezeichnete Weine und zum Nachtisch einen Ratafia, der besser war als der türkische, den ich vor siebzehn Jahren bei Jussuf Ali getrunken hatte. Als beim Schluß des Mahles mein Wirt hereinkam, sagte ich ihm in Gegenwart seiner Töchter: »Sie verdienen, der erste Koch Ludwigs des Fünfzehnten zu sein. Fahren Sie so fort, wie Sie angefangen haben, und machen Sie es, wenn möglich, noch besser; aber schicken Sie mir jeden Morgen die Rechnung für den Tag vorher.«

»So ist es ganz richtig; denn dann weiß ein jeder, wie er steht.«

»Ferner wünsche ich, daß Sie mir stets Gefrorenes geben, und daß Sie noch zwei Armleuchter mehr auf meine Tafel setzen lassen. Aber, wenn ich mich nicht irre, sehe ich da Talglichte. Ich bin Venetianer, mein Herr, und gewöhnt, nur Wachskerzen in meiner Wohnung zu haben.«

»Daran ist Ihr Bedienter schuld, gnädiger Herr.«

»Wieso?«

»Er hat sich ein gutes Abendessen auftragen lassen und ist dann zu Bett gegangen, weil er krank sei, wie er sagte. So habe ich von ihm nichts über Ihre Gewohnheiten erfahren können.«

»Gut. Morgen werden Sie alles von mir selber hören.«

»Er hat meine Frau gebeten, Ihnen morgen früh Schokolade zu machen, die er ihr gegeben hat. Ich werde sie selber zubereiten.«

Als er hinaus war, sagte Herr von Valenglard mit einer zugleich erstaunten und zufriedenen Miene zu mir, Frau von Urfé habe sich offenbar über ihn lustig gemacht, indem sie ihm meine Sparsamkeit gelobt habe.

»Das hat sie aus gutem Herzen getan. Man muß ihr dafür dankbar sein. Sie ist eine ausgezeichnete Frau.«

Wir blieben bis um elf Uhr bei Tisch, von tausend angenehmen Dingen plaudernd und unsere Gespräche mit dem göttlichen Likör von Grenoble belebend, von dem wir eine ganze Flasche leerten. Dieser ausgezeichnete Likör besteht aus Kirschensaft, Branntwein, Zucker und Zimmt und ist so delikat, daß der Nektar der Götter des Olymps ihn unmöglich hat übertreffen können.

Ich ließ den Herrn Baron in meinem Wagen nach Hause fahren, nachdem ich ihm meinen Dank ausgesprochen und ihn gebeten hatte, während meines ganzen Aufenthalts in Grenoble von morgens bis abends mein Tischgenosse zu sein. Er versprach mir dies für alle Tage mit Ausnahme derjenigen, wo er auf Wache sein würde. Während des Abendessens hatte ich ihm meinen Wechsel auf Zappata gegeben, ich indossierte ihn mit dem Namen Seingalt, unter welchem Frau d’Urfé mich angekündigt hatte. Er ließ ihn mir am nächsten Tage diskontieren. Ein Bankier brachte mir vierhundert Louis; dreizehnhundert hatte ich in meiner Kassette.

Ich hatte stets Furcht vor dem Sparen, und es machte mir das größte Vergnügen, wenn ich daran dachte, daß Herr von Valenglard der Frau von Urfé, die darauf versessen war, mir fortwährend Sparsamkeit zu predigen, über alles berichten würde.

Ich hatte meinen Gast an den Wagen begleitet und war angenehm überrascht, als ich in mein Zimmer zurückkehrte und dort die beiden reizenden Töchter des Hausmeisters fand.

Leduc hatte nicht erst meinen Auftrag abgewartet, um einen Vorwand zu finden, sich von seinem Dienst frei zu machen. Er kannte meinen Geschmack und wußte, daß ich ihn nicht gern um mich sah, wenn es in meiner Wohnung hübsche Mädchen gab.

Das unschuldige Wesen, womit die beiden jungen Mädchen voll Eifers mich bedienten, ohne das geringste Mißtrauen zu zeigen und ohne im geringsten hübsch erscheinen zu wollen, brachte mich auf den Gedanken, sie zu überzeugen, daß ich ihr Vertrauen verdiente. Sie zogen mir die Schuhe aus, machten meine Haare zurecht und zogen mir in allen Ehren mein Nachthemd an. Als ich im Bett lag, wünschte ich ihnen eine gute Nacht und bat sie, mich einzuschließen und mir um acht Uhr meine Schokolade zu bringen.

Indem ich über meinen gegenwärtigen Zustand nachdachte, mußte ich mir gestehen, daß ich mich vollständig glücklich fühlte. Ich genoß einer vollkommenen Gesundheit, stand in der Blüte des Alters, hatte keine Pflichten, war von keinem Menschen abhängig, reich an Lebenserfahrungen und besaß viel Gold, war glücklich im Spiel und stand in Gunst bei den Frauen, aus denen ich mir etwas machte. Ich hatte also nicht unrecht, wenn ich bei mir dachte: springe, Marquis!

Den Unannehmlichkeiten und Verlegenheiten, die ich zeitweilig in meinem Leben durchgemacht hatte, waren so viele Tage des Glückes gefolgt, daß ich mir in jeder Beziehung zu meinem Geschick nur Glück wünschen konnte. Über diesen angenehmen Gedanken schlief ich ein und träumte die ganze Nacht nur von meinem Glück und von der schönen Brünetten, die im Konzert meine Neugier erregt hatte. Mit dem Gedanken an sie erwachte ich, und da ich gewiß war, ihre Bekanntschaft zu machen, so war ich neugierig, welche Erfolge ich bei ihr haben würde. Sie war anständig und arm, und da ich in meiner Art auch anständig war, so konnte sie meine Freundschaft nicht gering schätzen.

Um acht Uhr kam eine von den Töchtern des Hausmeisters, brachte mir meine Schokolade und sagte mir, Leduc habe Fieber gehabt.

»Da wird man den armen Jungen pflegen müssen.«

»Meine Base hat ihm eine Tasse Fleischbrühe gebracht.«

»Wie heißen Sie, Fräulein?«

»Ich heiße Rose, und meine Schwester heißt Manon.«

In diesem Augenblick trat Manon mit einem Hemde ein, woran sie die Spitzen ausgebessert hatte. Ich dankte ihr, und sie sagte mir errötend, daß sie ihren Vater sehr gut frisiere.

»Das freut mich sehr, Fräulein, und es wäre mir recht angenehm, wenn Sie bis zur Wiederherstellung meines Bedienten auch für mich diese Gefälligkeit haben wollten.«

»Sehr gern, mein Herr.«

»Und ich«, sagte Rose lachend, »werde Sie rasieren!«

»Dann holen Sie Wasser.«

Ich stand in aller Eile auf, während Manon alles zurecht machte, um mich zu frisieren. Rose kam wieder zurück und rasierte mich ausgezeichnet. Als sie mich abgewaschen hatte, sagte ich zu ihr: »Sie müssen das Handgeld für meinen Bart bekommen!« Damit bot ich ihr meine Wange. Sie tat, als ob sie mich nicht verstände. »Sie würden mich kränken,« sagte ich freundlich, aber ernst, »wenn Sie sich weigern würden, mich zu küssen.«

Sie entschuldigte sich mit einem anmutigen leisen Lächeln, indem sie sagte, das sei in Grenoble nicht Mode.

»Nun, wenn Sie mich nicht küssen, werden Sie mich auch nicht mehr rasieren.«

Der Vater trat gerade in dem Augenblick ein, als ich diese Worte sprach: er brachte mir meine Rechnung. Ich sagte zu ihm: »Ihre Tochter hat mich ausgezeichnet rasiert; nun aber will sie das Handgeld für meinen Bart nicht nehmen, weil das in Grenoble nicht Mode sei.«

»Ei, du Gänschen! Das ist in Paris so Brauch. Du gibst mir doch auch einen Kuß, wenn du mich rasiert hast; warum solltest du gegen den Herrn weniger höflich sein?«

Nun küßte sie mich mit einer unterwürfigen Miene, worüber Manon lachte.

»Gut!« sagte der Vater, »du kommst auch an die Reihe, wenn der Herr frisiert ist.«

Er war ein gescheiter Bursche, der das richtige Mittel erriet, um mich davon abzuhalten, an seiner Rechnung etwas auszusetzen. Aber er hätte das nicht nötig gehabt, denn ich fand die Rechnung ganz vernünftig. Da ich nichts abhandelte, ging er ganz freudestrahlend hinaus.

Manon frisierte mich ebensogut wie meine teure Dubois, an die ich noch jetzt mit Vergnügen denke; als sie fertig war, küßte sie mich auf die Wange, ohne so viele Umstände zu machen wie Rose. Alle beide schienen mir recht vielversprechend zu sein. Sie gingen hinaus, als man mir den Bankier meldete.

Dies war ein junger Mann; nachdem er mir vierhundert Louis aufgezählt hatte, sagte er, ich müsse mich in diesem Hause sehr glücklich fühlen.

»Ei gewiß; die beiden Schwestern sind ja reizend.«

»Ihre Base ist noch viel reizender. Sie sind anständige Mädchen.«

»Und wie ich glaube, auch bemittelt.«

»Der Vater hat zweitausend Franken Rente. Sie können sich einen Gatten aus dem Handelsstande aussuchen.«

Ich war neugierig, diese Base zu sehen, die noch schöner sein sollte als die beiden Schwestern. Darum ging ich, sobald der Bankier fort war, hinunter, um meine Neugier zu befriedigen. Ich begegnete dem Hausmeister, fragte nach Leducs Zimmer und ging zu meinem Schlingel hinein. Ich fand ihn im Schlafrock in einem schönen Bette sitzen und mit rosigen Wangen, die nicht auf eine gefährliche Krankheit schließen ließen.

»Was hast du denn?«

»Nichts, gnädiger Herr. Ich lasse es mir wohl sein. Gestern bekam ich plötzlich Lust, krank zu sein.«

»Und wodurch bekamst du diese Lust?«

»Durch den Anblick dieser drei hübschen Grazien, die weit mehr wert sind als Ihre schöne Haushälterin, die sich von mir nicht umarmen lassen wollte. Übrigens läßt man mich ein bißchen lange auf meine Bouillon warten; ich werde ärgerlich werden müssen.«

»Herr Leduc, Sie sind ein Flegel.«

»Gnädiger Herr, wünschen Sie, daß ich gesund werde?«

»Ich wünsche, daß diese Komödie aufhört; denn sie langweilt mich.«

In diesem Augenblick ging die Tür auf, und die Base kam mit der Fleischbrühe herein. Ich fand sie entzückend und bemerkte, daß sie Leduc mit der Miene einer jungen Dame bediente, was ihr sehr gut stand.

»Ich werde im Bett zu Mittag speisen,« sagte der Spanier.

»Nach Ihrem Wunsch!« sagte das hübsche Mädchen und ging hinaus.

»Das Mädel spielt die Prinzessin,« sagte Leduc; »aber sie imponiert mir nicht. Nicht wahr, gnädiger Herr, Sie finden sie hübsch?«

»Ich finde dich unverschämt. Du benimmst dich wie ein Affe, und das gefällt mir nicht. Steh auf! Du wirst mich bei Tisch bedienen und darauf allein essen; dies wird dir die Achtung verschaffen, die ein anständiger Mann in jedem Stande verdient, wenn er seine Stellung nicht verkennt. Du wirst nicht mehr in diesem Zimmer wohnen; der Hausmeister soll dir ein anderes geben.«

Draußen begegnete mir die schöne Base. Ich sagte ihr, ich wäre eifersüchtig auf die Ehre, die sie meinem Bedienten erwiese, und bäte sie daher, sie möchte sich nicht mehr die Mühe geben, ihn zu bedienen.

»O mein Gott, das ist mir sehr angenehm.«

Ich gab dem Hausmeister, der darüber zukam, meine Befehle und ging auf mein Zimmer, um zu schreiben.

Vor dem Mittagessen kam der Baron und sagte mir, er komme gerade von der Dame, der er mich vorgestellt habe. Sie war die Frau eines Advokaten Morin und war die Tante der jungen Dame, die meine Neugier erweckt hatte.

«Ich erzählte ihr,« fuhr er fort, »von Ihnen und von dem Eindruck, den ihre Nichte auf sie gemacht habe. Sie hat mir versprochen, sie holen zu lassen, und die junge Dame wird den ganzen Tag bei ihr bleiben.«

Wir hatten ein Mittagessen, das dem Abendessen vom vorigen Tage glich, aber so viele Abwechselung bot, daß es einem Toten hätte Appetit machen können. Hierauf gingen wir zur Frau Morin, die mich mit dem leichten Anstand einer Pariserin empfing. Sie stellte mir ihre sieben Kinder vor. Ihre älteste Tochter, die weder hübsch noch häßlich war, war zwölf Jahre alt, sah aber aus, wie wenn sie vierzehn wäre; ich sagte ihr dies. Um mich zu überzeugen, daß sie mir die Wahrheit gesagt habe, holte die Mutter ein Register, worin das Jahr, der Monat, der Tag, ja sogar die Minute der Geburt eingetragen waren. Über eine so peinliche Genauigkeit erstaunt, hatte ich den Einfall, sie zu fragen, ob man ihr das Horoskop gestellt habe.

»Nein, denn ich habe noch niemanden gefunden, der mir diese Gefälligkeit hätte erweisen können.«

»Dazu ist immer noch Zeit,« sagte ich; »ohne Zweifel hat Gott gewollt, daß dieses Glück mir vorbehalten bliebe.«

In diesem Augenblick trat Herr Morin ein. Seine Frau stellte ihn mir vor und kam dann, nachdem wir die üblichen Komplimente ausgetauscht hatten, wieder auf das Horoskop zu sprechen. Der Advokat sagte mir sehr verständig, die Astrologie sei eine, wenn nicht gänzlich falsche, so doch zum mindesten höchst verdächtige Wissenschaft; er habe die Schwäche gehabt, sich eine Zeitlang mit ihr zu beschäftigen, habe jedoch endlich erkannt, daß der Mensch nicht die Gabe besitze, in der Zukunft zu lesen; seitdem habe er sie aufgegeben und begnüge sich mit den unzweifelhaften Wahrheiten, die die Astronomie ihn lehre. Ich sah, daß ich es mit einem vernünftigen und kenntnisreichen Mann zu tun hatte, und dies freute mich; Valenglard jedoch, der an die Astrologie glaubte, griff ihn an. Während sie disputierten, schrieb ich verstohlen die Angaben über die Geburtsstunde des Fräulein Morin in mein Notizbuch ein. Herr Morin erriet, was ich machte, und lächelte gesenkten Hauptes. Auch ich erriet seine Gedanken, ließ mich jedoch nicht von meinem Vorhaben abbringen, sondern schrieb die Notiz zu Ende; denn seit fünf Minuten war ich entschlossen, Astrologe zu werden. Endlich kam die schöne Nichte. Ihre Tante stellte sie mir als ihre Schwestertochter Fräulein Roman-Couppier vor und sagte ihr darauf, ich hätte den lebhaften Wunsch, sie kennen zu lernen, seitdem ich sie im Konzert gesehen.

Das schöne junge Mädchen war damals siebzehn Jahre alt. Ihre atlasweiche Haut war von einer blendenden Weiße, die durch ihr prachtvolles schwarzes Haar noch mehr hervorgehoben wurde. Die Züge ihres Gesichts waren vollkommen regelmäßig, ihre Wangen leicht gerötet; ihre schöngeschnittenen schwarzen Augen strahlten im lebhaftesten Glanz und waren zugleich unbeschreiblich sanft. Ihre Augenbrauen waren fein geschwungen; in ihrem kleinen Munde standen zwei Reihen ganz regelmäßiger Perlenzähne; auf ihren Lippen von zarter Rosenfarbe schwebte ein Lächeln voller Anmut und Schamhaftigkeit.

Nachdem wir uns einige Augenblicke unterhalten hatten, wurde Herr Morin durch Geschäfte abgerufen. Man schlug mir eine Quadrille vor und fand mich außerordentlich unglücklich, als ich einen Louis verloren hatte. Ich erkannte in Fräulein Roman ein sittsames, vernünftiges und aufrichtiges Mädchen; ohne glänzen zu wollen, war sie von angenehmen und, was mir besonders gefiel, von ganz anspruchslosem Wesen. Sie war fröhlich, von sehr gleichmäßiger Laune, und ihre natürliche Klugheit veranlaßte sie, ein allzu schmeichelhaftes Kompliment oder einen Witz, den sie in ihren Jahren noch nicht verstehen durfte, scheinbar nicht zu beachten. Sie war sehr sauber gekleidet, aber es war nichts Überflüssiges an ihr, nichts, was auf Wohlhabenheit schließen läßt: keine Schuhschnallen, keine Ohrringe, keine Ringe, keine Uhr. Man konnte im eigentlichen Sinne des Wortes von ihr sagen, daß nur ihre Schönheit sie schmückte, denn sie trug keinen anderen Zierat, als um den Hals ein schwarzes Band, woran ein kleines goldenes Kreuz hing.

Ihr Busen war wohlgeformt und nicht größer, als ein schöner Busen sein muß. Mode und Erziehung hatten sie daran gewöhnt, die Hälfte desselben mit der gleichen Unschuld sehen zu lassen, womit sie jedermann ihre weiße, fleischige Hand sehen ließ oder die Wangen, auf denen das Rot der Rose sich mit dem Weiß der Lilie vermählte. Ich beobachtete ihre Haltung, um womöglich zu sehen, ob für mich irgendwelche Hoffnung bestände; aber das war verlorene Mühe. Sie machte keine Bewegung und gab keine Antwort, woraus ich die geringste Hoffnung auf Erfolg hätte schöpfen können. Ebensowenig aber gab sie mir Anlaß zu einer gegenteiligen Annahme. Ihr Benehmen war so natürlich und so zurückhaltend, daß mir alle meine Beobachtungsgabe nichts nützte. Doch gab eine Freiheit, die ich beim Abendessen mir herausnahm, mir einen Schimmer von Hoffnung. Ihre Serviette war heruntergefallen. Ich bückte mich schnell, um sie aufzuheben, und als ich sie wieder über ihre Knie breitete, gab ich ihrem Schenkel einen verliebten Druck, ohne daß ihr Gesicht ein Zeichen der Mißbilligung verraten hätte. Erfreut über dieses Vorzeichen, lud ich die ganze Gesellschaft für den nächsten Tag zum Mittag- und Abendessen ein. Ich sagte zu Frau Morin, ich würde nicht ausgehen und sie würde mir daher ein Vergnügen machen, wenn sie sich meines Wagens bedienen wollte, der zu ihrer Verfügung stände.

Nachdem ich Valenglard nach seiner Wohnung gebracht hatte, fuhr ich nach Hause und baute Luftschlösser, indem ich von der Eroberung des Fräulein Roman träumte.

Nachdem ich dem Hausmeister und Koch Bescheid gesagt hatte, daß wir am nächsten Tage mittags und abends sechs Personen zu Tisch sein würden, ging ich zu Bett. Beim Auskleiden sagte Leduc zu mir:

»Gnädiger Herr, Sie bestrafen mich. Aber es tut mir leid, in Wirklichkeit bestrafen Sie sich selber, indem Sie sich der Dienste der hübschen jungen Damen berauben.«

»Du bist ein Schlingel!«

»Das weiß ich, aber ich bin Ihr treuergebener Diener, und Ihr Vergnügen liegt mir ebensosehr am Herzen wie mein eigenes.«

»Du bist ein guter Anwalt für dich selber; ich habe dich verzogen.«

»Soll ich Sie morgen früh frisieren?«

»Nein, du kannst alle Tage bis zu den Essenszeiten in der Stadt spazieren gehen.«

»Da werde ich mir was Schönes holen!«

»Ich werde dich ins Krankenhaus schicken.«

»Eine schöne Aussicht, por Dios!«

Leduc war keck, unverschämt, boshaft, liederlich, diebisch; aber er war zugleich auch gehorsam, ergeben, verschwiegen und treu. Seine guten Eigenschaften zwangen mich, über seine schlechten hinwegzusehen.

Als Rose am nächsten Morgen meine Schokolade brachte, sagte sie mir lachend: »Ihr Bedienter hat sich eine Kutsche holen lassen. Nachdem er sich als großen Herrn angekleidet und den Degen an die Seite gesteckt hat, ist er ausgefahren, um Visiten zu machen, wie er sagte. Wir haben herzlich gelacht.«

»Da haben Sie recht gehabt, liebenswürdige Rose!«

Während ich diese Worte sagte, trat Manon unter irgendwelchem Vorwand ein. Ich sah, daß die beiden Schönen sich verabredet hatten, niemals unter vier Augen mit mir allein zu sein. Dies ärgerte mich; ich ließ mir jedoch nichts merken. Ich stand auf und hatte kaum meinen Schlafrock übergeworfen, als die Base mit einem Paket unter dem Arm hereinkam.

»Ich bin entzückt, Sie zu sehen, Fräulein, besonders mit dieser hübschen lächelnden Miene, denn gestern waren Sie zu ernst für mich.«

»Ich lache, weil Herr Leduc allem Anschein nach ein viel vornehmerer Herr ist als Sie; in seiner Gegenwart würde ich nicht gewagt haben, zu lachen; aber ich habe mich dafür schadlos gehalten, als ich ihn heute früh ganz mit Gold überdeckt in die Kutsche steigen sah.«

»Hat er Sie lachen gesehen?«

»Ja, wenn er nicht blind ist, gewiß!«

»Er wird darob beleidigt sein.«

»Das soll mich freuen!«

»Sie sind reizend. Was haben Sie denn in diesem Paket?«

»Etwas von unserer eigenen Mache. Sehen Sie: gestickte Handschuhe!«

»Sie sind schön und tadellos gestickt. Wieviel kostet denn das ganze Päckchen?«

»Feilschen Sie?«

»Stets und sehr scharf!«

»Gut, daß ich das weiß.«

Nachdem die Mädchen sich einen Augenblick leise beraten hatten, nahm die Base eine Feder, zählte die Dutzende, rechnete zusammen und sagte endlich: »Mein Herr, das ganze kostet zweihundertundzehn Livres.«

»Hier sind neun Louis, geben Sie mir sechs Franken heraus.«

»Aber Sie haben mir gesagt, daß Sie feilschen!«

»Sie haben unrecht getan, mir das zu glauben.«

Sie wurde rot und gab mir die sechs Franken heraus. Rose und Manon rasierten und frisierten mich und nahmen mit der besten Miene ihren Handgeldkuß. Als ich auch der Base einen anbot, gab sie mir ihn auf den Mund und preßte dabei meine Lippen so stark, daß ich erriet, sie würde bei der ersten Gelegenheit mein sein.

»Mein Herr,« fragte Rose mich, »werden wir das Vergnügen haben, Sie bei Tisch zu bedienen?«

»Ich bitte Sie darum.«

»Wir möchten jedoch gern wissen, wen Sie eingeladen haben, denn wenn es Offiziere von der Garnison sind – das sind so wüste Menschen, daß wir nicht wagen könnten, zu Ihnen hereinzukommen.«

»Meine Gäste sind Frau Morin, ihr Mann und ihre Nichte.«

»Ah, um so besser!«

Die Base sagte zu mir: »Fräulein Roman ist das sittsamste und schönste junge Mädchen in Grenoble, aber es wird ihr schwer werden, einen Mann zu finden, denn sie hat nichts.«

»Vielleicht findet sie einen reichen Mann, der ihre Tugend und ihre Schönheit auf eine Million schätzt.«

»Solche Männer sind nicht häufig.«

»Allerdings nicht; aber sie kommen doch vor.«

Manon und die Base gingen hinaus, und so war ich allein mit Rose, die bei mir blieb, um mich anzukleiden. Ich machte einen Angriff auf sie; da ich jedoch ihre Verteidigung zu entschlossen fand, bat ich sie um Verzeihung, indem ich ihr versprach, es solle nicht wieder vorkommen. Als ich mit dem Anziehen fertig war, schenkte ich ihr einen Louis, dankte ihr und entließ sie.

Sobald ich allein war, schloß ich mich ein und machte mich daran, das Horoskop anzufertigen, das ich der Frau Morin versprochen hatte. Mit leichter Mühe füllte ich acht Seiten mit gelehrten Schwindelphrasen; besondere Sorgfalt verwandte ich darauf, Ereignisse anzuführen, die dem jungen Mädchen bis dahin zugestoßen waren. Ich hatte bei der Unterhaltung am vorigen Tage in geschickter Weise einige Umstände ausgekundschaftet; das übrige schrieb ich so hin, wie es mir wahrscheinlich vorkam. Es fand sich, daß ich richtig geraten hatte, und nun zweifelte man nicht mehr an meinen Prophezeiungen. Übrigens wagte ich nichts dabei, denn alle meine Weissagungen waren mit einem »wenn« ausgestattet, und die »Wenn« waren stets die ganze Wissenschaft der Astrologen, einerlei, ob sie verrückt oder Betrüger waren.

Ich las mein Horoskop sorgfältig durch und fand es blendend. Ich war gerade sehr glücklich aufgelegt, und die Übung, die ich in der Kabbala hatte, machte mir die Arbeit leicht.

Gleich nach zwölf Uhr kamen alle meine Gäste an, und um ein Uhr setzten wir uns zu Tisch. Niemals habe ich ein prachtvolleres und köstlicheres Mahl gesehen; ich merkte, daß der Hausmeister ein Mann war, dessen Eifer mehr gezügelt als angespornt werden mußte. Frau Morin war sehr freundlich zu den drei Mädchen, die sie gut kannte; Leduc stand während der ganzen Mahlzeit hinter ihrem Stuhl und bediente sie mit großer Aufmerksamkeit; er war so reich gekleidet wie ein königlicher Kammerherr. Gegen Ende der Mahlzeit machte Fräulein Roman mir ein Kompliment über die drei Schönheiten, die ich in dieser Wohnung in meinen Diensten hätte: dies gab mir Gelegenheit, um von ihrer Kunstfertigkeit zu sprechen; und um gleich den Beweis zu liefern, stand ich auf und holte die Handschuhe, die ich ihnen abgekauft hatte. Fräulein Roman lobte ihre Güte und die Arbeit. Geschickt ergriff ich die Gelegenheit beim Schopfe und bat ihre Tante um die Erlaubnis, jeder von ihnen ein Dutzend anbieten zu dürfen. Nachdem diese Gunst mir bewilligt worden war, überreichte ich der Frau Morin mein Horoskop. Ihr Mann las es, und obgleich er nicht daran glaubte, mußte er es doch bewundern, denn es beruhte durchaus auf dem Einfluß der Planeten, wie sie im Augenblick der Geburt ihrer Tochter am Himmel standen. Wir sprachen einige Stunden lang von Astronomie und unterhielten uns dann ebenfalls einige Stunden damit, eine Quadrille zu spielen. Hierauf gingen wir in den Garten, um einen Spaziergang zu machen, und man war so höflich, mich in aller Freiheit mit der schönen Roman plaudern zu lassen.

Unsere Unterhaltung oder eigentlich besser gesagt, mein Monolog, drehte sich nur um den tiefen Eindruck, den sie auf mich gemacht, um die starke Leidenschaft, die sie mir eingeflößt hätte, ferner um ihre Schönheit und Sittsamkeit und um die Reinheit meiner Absichten. Ich sagte ihr, sie müsse mich lieben, wenn ich nicht bis an mein Lebensende der unglücklichste aller Menschen sein sollte.

Endlich sagte sie folgendes zu mir:

»Mein Herr, wenn der Himmel bestimmt hat, daß ich mich verheiraten soll, so will ich Ihnen nicht verbergen, daß ich glücklich sein würde, wenn mein Gatte Ihnen gliche.«

Ermutigt durch diese unschuldsvolle Erklärung, ergriff ich ihre Hand, bedeckte sie mit meinen Küssen und sagte ihr in leidenschaftlichem Tone, daß ich hoffe, sie werde mich nicht schmachten lassen. Sie wandte sich ab und suchte mit den Augen ihre Tante. Es begann zu dunkeln, und sie befürchtete etwas, das ihr allerdings sehr wohl hätte widerfahren können. Mit sanfter Gewalt zog sie mich mit sich fort, und bald waren wir wieder bei der Gesellschaft. Wir gingen in den Salon zurück, wo ich zu ihrer Ergötzung eine kleine Pharaobank auflegte. Frau Morin gab ihrer Tochter und ihrer Nichte Geld, denn sie hatten keinen Heller in der Tasche, und Valenglard gab ihnen beim Spiel so geschickte Weisungen, daß zu meinem größten Vergnügen jede der drei Damen zwei bis drei Louis gewonnen hatte, als wir aufhörten, um zu Abend zu essen.

Wir saßen bis Mitternacht zu Tisch. Ein kalter Wind, der von den Alpen herblies, verhinderte mich, einen von mir vorgeschlagenen nächtlichen Spaziergang im Garten durchzusetzen. Frau Morin dankte mir tausendmal, und ich umarmte zum Abschied meine weiblichen Gäste mit ehrfurchtsvollstem Anstand.

Da ich in der Küche singen hörte, wurde ich neugierig, ging hinein und fand Leduc in seinem Galakleide sternhagelbetrunken. Als er mich sah, wollte er aufstehen, er verlor jedoch das Gleichgewicht und fiel unter den Küchentisch, wo er das in Übermaß Genossene von sich gab. Man trug ihn in sein Bett.

Ich hatte Lust, ein wenig zu schäkern, und ich glaubte, daß dieser komische Vorfall meiner Absicht günstig sein könnte; es wäre wohl auch der Fall gewesen, wenn die drei Grazien nicht als Gruppe aufgetreten wären. Nur unter vier Augen darf die Liebe scherzen, und dies ist auch der Grund, warum das Altertum den drei Grazien, die unzertrennlich waren, keine einzige Liebesgeschichte nachgesagt hat. Ich hatte noch nicht Gelegenheit gefunden, den drei jungen Mädchen, die mich bedienten, einzeln beizukommen, und durfte daher einen allgemeinen Angriff nicht wagen, denn dadurch hätte ich die Hoffnung verlieren können, die eine nach der anderen zu erobern. Rose war offenbar auf ihre schöne Base eifersüchtig, denn sie suchte jeden Blick aufzufangen, den wir miteinander wechselten. Dies war mir nicht unangenehm, denn aus Eifersucht entsteht Ärger, und aus dem Arger kann sich vieles entwickeln. Als ich im Bette lag, entließ ich sie, indem ich ihnen bescheiden gute Nacht wünschte.

Am anderen Morgen kam Rose allein und verlangte von mir eine Tafel Schokolade, da Leduc, wie sie sagte, ernstlich krank wäre. Sie brachte mir meine Kassette, und als ich ihr die Tafel gab, ergriff ich ihre Hand und ließ sie fühlen, daß ich sie liebte. Beleidigt zog sie sofort ihre Hand zurück und ging hinaus. Eine Minute darauf kam Manon unter dem Vorwande, mir eine Spitzenmanschette zu zeigen, die ich bei meinen Angriffen am Abend vorher zerrissen hatte; sie fragte mich, ob sie sie ausbessern solle. Ich ergriff ihre Hand, um sie zu küssen, aber sie ließ mir keine Zeit dazu, sondern bot mir ihre vor Verlangen glühenden Lippen. Wieder ergriff ich ihre Hand, und sie war bereits an der Arbeit, als die Base eintrat. Manon hielt mir die Manschette vor die Augen und tat so, als ob sie auf meine Antwort warte. Ich sagte ihr in zerstreutem Ton, sie würde mir einen Gefallen tun, wenn sie sie ausbesserte, sobald sie Zeit dazu hätte. Sie ging hinaus.

Aufgebracht über diesen doppelten Fehlschlag, dachte ich, daß die Base sich mir nicht verweigern würde, denn ich hatte ja durch ihren ersten Kuß am Tage vorher bereits eine Art Angeld erhalten. Ich bat sie, mir mein Schnupftuch zu geben, und nahm ihre Hand, indem ich sie sanft an mich zog. Ihr Mund sank auf meine Lippen und ihre Hand, die sie sanft wie ein Lamm mir überließ, war bereits in Bewegung, als die unglückselige Rose mit meiner Schokolade eintrat. Wir faßten uns beide augenblicklich, aber dieses neue Mißgeschick machte mich wütend. Ich schmollte mit Rose, und ich hatte ein Recht dazu wegen der Art und Weise, wie sie mich eine Viertelstunde früher zurückgewiesen hatte. Die Schokolade kam mir schlecht vor, obgleich sie ausgezeichnet zubereitet war; ich fand sie linkisch in der Bedienung und schalt sie rücksichtslos aus. Nachdem ich aufgestanden war, wollte ich mich nicht von ihr rasieren lassen, sondern tat dies selber; sie schien sich dadurch gedemütigt zu fühlen. Hierauf frisierte Manon mich. Rose und ihre Base gingen zusammen hinaus, wie wenn sie mir dadurch zu verstehen geben wollten, daß sie gemeinschaftliche Sache machten; es war jedoch leicht zu sehen, daß Rose weniger auf ihre Schwester als auf ihre Base eifersüchtig war.

Als Manon gerade damit fertig war, mich anzukleiden, trat Valenglard ein. Der Offizier, der ein Mann von Ehre und gesunder Vernunft war, obgleich er an die Astrologie und an die abstrakten Wissenschaften glaubte, sagte mir, sobald wir allein waren, er fände mich ein wenig traurig, und wenn dies vielleicht daher käme, daß ich irgend welche Absichten auf die junge Roman hätte, so riete er mir, nicht mehr an sie zu denken, wenn ich mich nicht etwa entschlösse, sie zur Frau zu verlangen. Ich antwortete ihm, ich wäre entschlossen, Grenoble in wenigen Tagen zu verlassen und der Sache ein Ende zu machen. Wir aßen zusammen zu Mittag und gingen dann zu Frau Morin, bei der wir ihre schöne Nichte fanden.

Frau Morin empfing mich mit einer Freundschaft, die mir schmeichelhaft war, und Fräulein Roman benahm sich gegen mich auf die liebenswürdigste Art. Dies ermutigte mich, sie zu umarmen und auf meinen Schoß zu ziehen. Die Tante lachte, die Nichte errötete; hierauf gab sie mir einen kleinen Zettel und entwand sich mir. Ich las das Jahr, den Tag, die Stunde und die Minute ihrer Geburt und erriet ihren Wunsch. Es bedeutete nach meiner Meinung nichts anderes, als wenn ich nichts zu hoffen hätte, wenn ich ihr nicht das Horoskop stellte. Sofort beschloß ich, mir dieses Mittel zunutze zu machen, und sagte ihr, ich wolle sehen, ob ich ihr diesen Gefallen tun könne, wenn sie am nächsten Tage zu mir kommen wolle; am Abend solle bei mir getanzt werden. Sie sah ihre Tante an, und mein Vorschlag wurde angenommen.

Man meldete den »Russen«. Ich sah einen Mann in meinem Alter eintreten; er war sehr gut gewachsen, ein wenig pockennarbig und trug Reisekleider. Mit leichtem und edlem Anstand trat er auf Frau Morin zu, die ihn sehr freundlich empfing; er sprach sehr gewählt, sah mich kaum an und sagte zu der Nichte kein Wort. Gegen Abend kam Herr Morin; der Russe gab ihm eine kleine Phiole, die mit einer weißlichen Flüssigkeit gefüllt war; hierauf tat er, als ob er sich entfernen wollte, aber man lud ihn zum Abendessen ein.

Bei Tisch wurde von seinem Wunderwasser gesprochen. Herr Morin erzählte mir, einen jungen Herrn, der von einer Billardkugel getroffen worden und sofort in Ohnmacht gefallen wäre, habe der Russe nur mit diesem Wasser eingerieben, und die Beule sei in drei Minuten verschwunden gewesen. Der Fremde sagte bescheiden, es sei nur eine Kleinigkeit, die er erfunden habe; er unterhielt sich mit Valenglard eifrig über Chemie. Ich konnte an ihrer Unterhaltung nicht teilnehmen, da ich mich nur mit der schönen Roman beschäftigte; die Hoffnung auf den nächsten Tag drängte jeden anderen Gedanken in mir zurück. Als ich Valenglard nach Hause brachte, sagte er mir, kein Mensch kenne diesen Russen, trotzdem aber werde er in allen Häusern gut aufgenommen.

»Hat er Gefolge?«

»Er hat nichts, keine Bedienten, kein Geld.«

»Wie ist er hierher gekommen?«

»Er ist vom Himmel gefallen.«

»Eine schöne Herkunft jedenfalls! Ist er schon lange hier?«

»Seit etwa vierzehn Tagen. Er macht Besuche; aber er verlangt von keinem Menschen etwas.«

»Aber wovon lebt er denn?«

»Man gibt ihm im Gasthof Kredit; man nimmt an, er erwarte von irgendwoher seine Bedienung und sein Gepäck.«

»Aber man könnte annehmen, er sei ein Landstreicher.«

»Nach einem solchen sieht er nicht aus, wie Sie bemerkt haben; übrigens lassen seine mit Diamanten besetzten Schuhschnallen einen solchen Verdacht nicht zu.«

»Das stimmt allerdings – wenn die Edelsteine nicht falsch sind; denn mir scheint, er würde sie verkaufen, wenn sie echt wären.«

Als ich wieder zu Hause war, bediente Rose mich allein; aber sie schmollte noch immer mit mir. Ich wollte sie in eine fröhliche und liebenswürdige Stimmung bringen; da ich jedoch Widerstand fand, bat ich sie, sich zu entfernen und ihrem Vater zu sagen, ich wolle am nächsten Tage im Gartensaal einen Ball und ein Abendessen für zwanzig Personen geben. Als am nächsten Morgen der Hausmeister mich um meine daraufbezüglichen Befehle bat, sagte ich ihm, es sei mein Wunsch, daß seine Mädchen tanzten, wenn es ihnen angenehm wäre. Bei dieser Einladung hellte sich Roses Gesicht auf; dies schien mir von guter Vorbedeutung zu sein. In dem Augenblick, als sie mit ihrem Vater hinausging, trat Manon ein und verlangte von mir einige Spitzen, die ich an diesem Tage tragen wollte. Ich fand sie sanft wie ein Lamm und verliebt wie eine Taube. Die Geschichte wurde glücklich zu Ende gebracht, aber wir wären beinahe von Rose überrascht worden, die mit Leduc eintrat und mich für ihn um Erlaubnis bat, ebenfalls mittanzen zu dürfen; er verspreche, sich artig zu betragen. Mir war es lieb, wenn alle sich fröhlich machten; darum gab ich meine Einwilligung, indem ich ihm sagte, er solle sich bei Rose dafür bedanken, daß sie ihm diese Gunst verschafft habe.

Frau Morin schickte mir ein Briefchen, worin sie mich um die Erlaubnis bat, zu meinem Ball zwei befreundete Damen mit ihren Töchtern einladen zu dürfen. Ich antwortete ihr, sie würde mir ein Vergnügen machen, wenn sie nicht nur die Damen einlüde, sondern auch einige Herren, die ihr angenehm wären, denn ich hätte ein Abendessen für zwanzig Personen bestellt. Zu Mittag kam sie nur mit Valenglard und ihrer Nichte, da ihre Tochter ihre Toilette in Ordnung zu bringen hatte und ihr Mann bis zum Abend beschäftigt war. Sie versicherte mir, wir würden eine zahlreiche Gesellschaft haben.

Die schöne Roman trug dasselbe Kleid wie alle anderen Tage; aber sie bedurfte keiner Toilettenkünste, um blendend schön zu sein. Neben dem Stuhl stehend, auf welchem ich saß, fragte sie mich, ob ich an ihr Horoskop gedacht hätte. Ich ergriff ihre Hand, zog sie auf meinen Schoß und versprach ihr, sie solle es am nächsten Tage erhalten. In dieser Stellung, mit meinem linken Arm ihre göttlichen Hüften umschlingend, preßte ich heiße Küsse auf ihre köstlichen Lippen, die sie nur öffnete, um mich zu bitten, ich möchte mich doch mäßigen. Sie war mehr erstaunt als erschreckt, als sie mich zittern sah; sie verteidigte sich mit Erfolg und verlor nicht einen Augenblick die Fassung. Sie blieb vollkommen heiter und wandte trotz der Glut meiner Blicke die ihren nicht einen Augenblick von meinem Gesicht ab. Ihren Bitten nachgebend, tat ich mir Gewalt an; und als sie mich ruhig sah, drückten ihre Augen die Befriedigung aus, die das Gefühl verleiht, mit Hilfe der Vernunft über einen großmütigen Feind einen Sieg davongetragen zu haben. Mein Schweigen war eine Anerkennung der Tugend eines himmlischen Wesens, dessen Schicksal durch eine jener seltsamen Fügungen des Zufalls, die die Philosophie vergebens zu erklären sucht, durch mich bestimmt werden sollte.

Frau Morin setzte sich nun zu uns und bat mich um einige Erklärungen zu dem Horoskop ihrer Tochter. Ferner sagte sie mir, sie habe nur zwei Briefchen zu schreiben gebraucht, um mir für meinen Ball vier Schönheiten zu verschaffen.

»Ich werde nur eine einzige sehen!« antwortete ich, indem ich ihre Nichte anblickte.

»Gott weiß,« fiel Valenglard ein, »was für Mutmaßungen man morgen darüber in Grenoble anstellen wird.«

»Man wird sagen,« bemerkte Frau Morin zu ihrer Nichte, »man hat auf deiner Hochzeit getanzt.«

»Ja, gewiß wird man von meinem prachtvollen Kleid, von meinen Spitzen, von meinen Diamanten sprechen,« sagte die Nichte mit einem anmutigen und bedeutungsvollen Lächeln.

»Man wird von Ihrer Schönheit sprechen!« rief ich voll Gefühl, »von Ihrem Geist und von Ihrer Sittsamkeit, die den Mann, der Sie einmal erringt, glücklich machen wird!«

Man schwieg, denn jeder glaubte, ich spräche von mir selber. Aber ich dachte nicht daran. Wenn ich nur gewußt hätte, wie ich es anfangen könnte, hätte ich ihr gern fünfhundert Louis angeboten; nur wäre es schwierig gewesen, die Bedingungen festzuhalten, und für eine Kleinigkeit hätte ich das Geld nicht hergeben mögen.

Wir gingen in mein Schlafzimmer. Während Fräulein Roman sich damit unterhielt, die wertvollen Sachen und Kleinodien zu betrachten, die auf meinem Waschtisch lagen, sahen ihre Tante und Valenglard sich die Bücher an, die ich auf meinem Nachttisch liegen hatte. Plötzlich sah ich Frau Morin an das Fenster treten und aufmerksam einen Gegenstand betrachten, den sie in der Hand hielt. Ich erinnerte mich, daß ich das Porträt meiner schönen Nonne auf dem Tische hatte liegen lassen. Schnell trat ich auf sie zu und bat sie, sie möchte mit das unanständige Bild wiedergeben, das ich unvorsichtigerweise hätte liegen lassen.

»Die Unanständigkeit ist nicht so arg; verblüfft hat mich nur die vollkommene Ähnlichkeit.«

Sofort begriff ich. Ich erzitterte ob meiner ungewollten Unvorsichtigkeit und sagte: »Gnädige Frau, es ist das Porträt einer Venetianerin, die ich sehr geliebt habe.«

»Ich glaube es. Aber es ist eigentümlich: die beiden M., das religiöse Gewand, das der Liebe geopfert ist – alles trägt dazu bei, meine Überraschung zu vermehren.«

»Sie ist Nonne und heißt M. M.!«

»Und eine entfernte Verwandte, die ich in Chambéry habe, heißt ebenfalls M. M. und ist Nonne desselben Ordens wie die Ihrige. Ja, noch mehr, sie hat sich, um von einer Krankheit geheilt zu werden, in Aix aufgehalten, woher Sie kommen.«

»Und das Porträt sieht ihr ähnlich?«

»Wie ein Tropfen Wasser dem anderen.«

»Das ist in der Tat eigentümlich! Es hätte mir Vergnügen gemacht, sie zu sehen.«

»Wenn Sie wieder nach Chambéry kommen, machen Sie ihr doch einen Besuch und bringen Sie ihr einen Gruß von mir; Sie werden gut aufgenommen werden und werden ebenso überrascht sein wie ich.«

»Ich verspreche Ihnen, diesen Besuch zu machen, gnädige Frau, aber erst auf meiner Rückreise von Italien. Doch werde ich ihr dieses Porträt, das ihr ärgerlich sein würde, nicht zeigen. Ich werde es überhaupt sorgfältig verschließen.«

»Ich bitte Sie, es niemanden sehen zu lassen.«

»Darauf können Sie sich verlassen.«

Ich war seelenvergnügt, sie auf so leichte Weise von der richtigen Spur abgelenkt zu haben.

Um acht Uhr waren alle Gäste beisammen, und ich sah in meinem Salon die hübschesten Frauen und die feinsten Kavaliere von Grenoble. Lästig waren mir nur die Komplimente, mit denen man mich überhäufte, und mit denen man ja in der Provinz so verschwenderisch umgeht.

Ich eröffnete den Ball mit der Dame, die mir von Valenglard bezeichnet wurde; hierauf tanzte ich der Reihe nach mit allen anderen Damen. Sämtliche Kontertänze aber tanzte ich mit der schönen Roman, die gerade wegen der Einfachheit ihres Anzuges vor allen anderen glänzte – wenigstens in meinen Augen.

Nach einem Kontertanz, der mich sehr erhitzt hatte, ging ich auf mein Zimmer, um einen leichteren Rock anzuziehen. Als ich gerade damit beschäftigt war, trat die hübsche Base ein und fragte mich, ob ich etwas brauchte.

»Ich brauche Sie, mein schönes Kind!« rief ich, indem ich auf sie zueilte und sie in meine Arme schloß. »Hat man Sie hier hineingehen sehen?«

»Nein, ich komme von oben, und meine Basen sind unten im Saal.«

»Vortrefflich, meine Liebe! Sie kommen wie gerufen, und der Augenblick ist günstig, um Ihnen meine Zärtlichkeit zu beweisen.«

»Um Gotteswillen, was machen Sie? Nein, lassen Sie mich, es kann jemand kommen. Löschen Sie die Kerze aus.«

Ich blies das Licht aus und verschloß die Tür. Da ich ganz voll war von der schönen Roman, fand die Base mich so, wie ich mit jenem entzückenden Wesen gewesen sein würde. Übrigens muß ich gestehen, daß die Nichte des Hausmeisters schön genug war, um ganz allein zärtliche Begierden zu erwecken. Ich fand sie vollkommen, und vielleicht war sie besser, als die unerfahrene Roman gewesen wäre. Trotz meiner Glut war sie von mir befriedigt und hatte soviel Selbstbeherrschung, mich zu bitten, ich möchte sie schonen. Ich tat es; aber es war die höchste Zeit. Ich wollte noch einmal beginnen, aber sie hatte Angst, unsere Abwesenheit könnte von ihren argwöhnischen Freundinnen bemerkt werden. Sie gab mir noch einen Kuß und lief hinaus.

Ich ging wieder in den Tanzsaal, und dort tanzten wir, bis der König aller Hausmeister mir meldete, die Mahlzeit sei angerichtet.

Ein Imbiß, aus den leckersten Speisen bestehend, die die Gegend und die Jahreszeit bieten konnten, bedeckte den ganzen Tisch; am meisten aber gefiel besonders den Damen die riesige Menge von Kerzen, mit denen der Speisesaal auf kunstvolle Art ausgeschmückt war. Ich setzte mich mit den älteren Herrschaften an einen besonderen kleinen Tisch und empfing von ihnen allen die dringendsten Einladungen, den Herbst in ihrer Stadt zu verbringen. Ich bin überzeugt, ich wäre sehr gefeiert worden, wenn ich angenommen hätte; denn der Adel von Grenoble bildet eine ausgewählte Gesellschaft. Ich sagte ihnen, es würde mir das größte Vergnügen machen, ihren Einladungen nachzukommen, und es würde mir dann eine besondere Freude sein, die Familie eines berühmten Namens kennen zu lernen, die ein guter Freund meines Vaters gewesen wäre.

»Was ist dies für eine Familie?« fragten mich alle zugleich.

»Die Familie Bouchenu de Valbonnais.«

»Der Herr war mein Oheim! Ach mein Herr, kommen Sie doch zu uns. Sie haben mit meiner Tochter getanzt. Sagen Sie mir doch bitte, wie hieß Ihr Vater?«

Diese Fabel, die ich ohne Vorbedacht auftischte, indem ich einem Hange meines Geistes folgte, der sich oft ohne mein Wollen meiner Zunge bediente und dem ich dann ehrenhalber mit meiner Logik zu Hilfe kommen mußte, machte in den Augen aller dieser braven Leute, die ich ohne es zu wollen zum besten hielt, eine Art Wundertier aus mir.

Nach kurzer Zeit sah ich Frau Molin, ihre Nichte und den Baron von Valenglard in den Garten gehen, und ich folgte ihnen. Wir spazierten in dem hellen Mondschein, und ich führte die schöne Roman in einen Laubgang. Aber was ich auch sagen mochte, um sie zu verführen, alle meine Mühe war vergebens. Ich hielt sie mit meinen Armen umschlungen und bedeckte sie mit den heißesten Küssen; aber ihr Mund gab mir nicht einen einzigen zurück, und ihre schönen Hände waren stärker als die meinigen, indem sie meinen kühnen Angriffen unüberwindliche Hindernisse entgegensetzten. Als ich schließlich dennoch zuletzt durch Überraschung in den Vorhof des Tempels gelangte und mich in einer Stellung befand, die jeden Widerstand nutzlos gemacht haben würde, versteinerte sie mich plötzlich, indem sie in einem engelhaften Ton, dem ein zartfühlender Mann niemals hat wiederstehen können, zu mir sagte: »Ach, mein Herr, seien Sie mein Freund und richten Sie mich nicht zugrunde.«

Ich kniete vor ihr nieder, ergriff ihre Hand, bat sie um Verzeihung und schwor ihr, ich würde niemals wieder solche Angriffe auf sie machen. Dann stand ich auf und bat sie, mir als Zeichen ihrer Verzeihung einen Kuß zu geben. Es war der erste und einzige, den ihre reine Seele mir sofort bewilligte. Wir begaben uns wieder zu ihrer Tante und kehrten dann wieder in den Tanzsaal zurück; was ich aber auch tat, um mich zu beruhigen, ich fühlte, daß es mir nicht möglich war, meine Wut zu beherrschen.

Ich setzte mich in eine Ecke des Saales; als Rose bei mir vorbeikam, bat ich sie, mir eine Limonade zu holen. Als sie mir diese brachte, machte sie mir sanfte Vorwürfe, daß ich weder mit ihr und ihrer Schwester noch mit ihrer Base getanzt hätte; man werde sich daher in der Stadt keinen guten Begriff von ihnen machen.

»Ich bin ermüdet,« antwortete ich ihr, »aber wenn du mir versprechen willst, gut zu sein, werde ich mit dir ganz allein ein Menuett tanzen.«

»Was muß ich tun?«

»Erwarte mich in meinem Schlafzimmer ohne Licht, wenn deine Schwester und deine Base beim Kontertanz sind.«

»Und Sie werden nur mit mir allein tanzen?«

»Ich schwöre es dir.«

»Ich werde kommen.«

Ich fand sie feurig und wurde vollauf befriedigt. Um ihr Wort zu halten, wartete ich bis zum letzten Menuett, denn anstandshalber hätte ich nach meinem Tanz mit Rose es nicht vermeiden können, auch mit den anderen zu tanzen, da ich gegen diese dieselben Verpflichtungen hatte.

In der Morgendämmerung begannen die Damen sich zu entfernen. Ich ließ die Morinschen Damen in meinem Wagen Platz nehmen und sagte ihnen, ich würde nicht die Ehre haben, sie im Laufe des Tages zu sehen; aber wenn sie mir den Vorzug schenken wollten, den ganzen folgenden Tag bei mir zu verbringen, würde ich ihnen das gewünschte Horoskop geben. Ich ging in die Küche, um dem braven Hausmeister dafür zu danken, daß ich mich als glänzenden Wirt aufspielen konnte; ich fand dort die drei Nymphen, die sich ihre Taschen mit Zuckerwerk vollstopften. Er sagte ihnen lachend, in Gegenwart des Herrn könnten sie mit ruhigem Gewissen stehlen, und ich ermunterte sie, sich recht reichlich zu versehen. Nachdem ich ihm gesagt hatte, ich würde erst um sechs Uhr zu Mittag speisen, legte ich mich zu Bett.

Gegen Mittag stand ich auf, und da ich mich frisch und munter fühlte, machte ich mich daran, das Horoskop fertigzustellen. Ich beschloß, der schönen Roman folgendes zu sagen: Das Glück erwarte sie in Paris. Sie werde dort die Geliebte ihres königlichen Herrn werden, aber der Herrscher müsse sie sehen, bevor sie das achtzehnte Lebensjahr erreicht habe, denn nach diesem Alter werde ihr Schicksal eine andere Wendung nehmen. Um meiner Prophezeiung einen besonderen Anstrich von Wahrheit zu geben, erwähnte ich mehrere erstaunliche Ereignisse, die ihr bis zu ihrem damaligen Alter von siebzehn Jahren zugestoßen waren. Ich hatte dies von ihr selber oder von ihrer Tante vernommen, ohne mir merken zu lassen, daß ich auf ihr Gespräch achtete.

Mit Hilfe einer astronomischen Zahlentabelle und eines anderen alten Schmökers, der nur von Astronomie handelte, machte ich in sechs Stunden die Niederschrift und Abschrift eines Horoskops für Fräulein Roman. Es war so geschickt abgefaßt, daß Valenglard und sogar Herr Morin ganz verblüfft waren. Die beiden Damen aber waren in heller Begeisterung darüber.

Ich hoffte, man würde mich bitten, selber das schöne Juwel nach Paris zu bringen, und ich war durchaus nicht abgeneigt, ihre Bitte zu erfüllen. Ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, man würde meine Mitwirkung für notwendig halten und würde, wenn nicht aus Liebe, so doch aus Dankbarkeit mir meine Wünsche erfüllen.

Ja, wer weiß, ob ich mich nicht sogar mit dem Gedanken trug, daß aus diesem herrlichen Unternehmen irgendein großes Glück für mich entstehen müßte. Der Monarch mußte sich auf den ersten Blick in sie verlieben – daran zweifelte ich nicht. Welcher Verliebte bildet sich nicht ein, daß die Angebetete alle Männer entflammen müsse? Im Augenblick war ich allerdings eifersüchtig darauf, aber ich kannte meine Unbeständigkeit ganz genau und war daher sicher, daß ich nicht mehr eifersüchtig sein würde, sobald ich des ersehnten Glückes genossen hätte, und ich wußte, daß Ludwig der Fünfzehnte in dieser Hinsicht durchaus nicht wie ein Türke dachte. Einen beinahe göttlichen Anschein erhielt meine Prophezeiung dadurch, daß sie die Geburt eines Sohnes in Aussicht stellte, der Frankreich beglücken werde. Dieser konnte nur aus königlichem Blute und aus einem auserlesenen Gefäß hervorgehen, wenn es durch eine Verknüpfung rein menschlicher Umstände in die Hauptstadt gelangte.

Die höchste Freude bereitete mir ein lächerlicher Gedanke, nämlich der Gedanke, in einem Zeitalter, wo die Vernunft und die Philosophie mit Recht die Astrologie in Verruf gebracht hatten, mir als Astrologe Ruhm zu erwerben. Mich entzückte die Vorstellung, daß alle gekrönten Häupter, welche solchen hohlen und abergläubischen Gedanken zugänglich sind, sich um mich bewerben würden, und daß ich in meinem Alter keinem derartigen Rufe mehr folgen würde. Wer baute nicht seine Luftschlösser! Hätte die Roman statt eines Knaben ein Mädchen zur Welt gebracht, so würde ich darüber gelacht haben, und es brauchte ja darum nicht alles verloren zu sein, denn ein Sohn konnte noch hinterher kommen.

Mein Horoskop sollte nur dem Fräulein und ihrer Familie bekannt werden, und diesen mußte am allermeisten an der Bewahrung des Geheimnisses liegen. Nachdem ich es fertig geschrieben und wiederholt gelesen hatte, war ich überzeugt, ein kleines Meisterwerk geschaffen zu haben. Ich speiste im Bett in Gesellschaft meiner drei Nymphen. Da ich zu allen dreien höflich, liebenswürdig, freundlich und liebkosend war, so waren sie glücklich, und ich auch.

Oder vielmehr, ich war glücklicher als sie; aber für diesen Tag bedurfte ich der Ruhe. Am nächsten Tage kam Herr von Valenglard in aller Frühe und sagte mir, kein Mensch hege die Vermutung, daß ich in die schöne Roman verliebt sei, dagegen habe man mich im Verdacht, die drei Mädchen meines Wirtes zu lieben.

»Es schadet nichts, wenn man die Leute bei diesem Glauben läßt,« antwortete ich, »denn die Mädchen sind wohl der Mühe wert; freilich lassen sie sich nicht mit einer jungen Dame vergleichen, die nicht ihresgleichen hat, wohl aber dazu geschaffen scheint, mich zur Verzweiflung zu bringen.«

»Erlauben Sie mir, für Frau von Urfé einen kleinen Roman aus dieser Geschichte zu machen?«

»Sie werden mir einen großen Gefallen damit tun.«

Zum Mittag kamen Herr und Frau Morin mit ihrer Nichte; wir verbrachten vor Tisch eine Stunde damit, das Horoskop zu lesen. Den Ausdruck des Erstaunens beschreiben zu wollen, der sich auf den vier verschiedenen Gesichtern malte, wäre unmöglich. Die interessante Roman war sehr ernst; sie wußte nicht, ob sie eigenen Willen haben durfte, und hörte darum zu und sagte kein Wort.

Herr Morin sah mich von Zeit zu Zeit an; er wagte nicht laut heraus zu lachen, da er mich ernst sah. Auf Valenglards Gesicht stand Fanatismus und Begeisterung geschrieben. Auf Frau Morin schien die Prophezeiung den Eindruck eines übernatürlichen Wunders zu machen, sie fand es keineswegs übertrieben, sondern sagte, ihre Nichte verdiene allerdings mehr als die bigotte Maintenon, die Gattin oder die Geliebte des Herrschers zu werden. »Die Maintenon,« sagte sie, »wäre niemals etwas geworden, wenn sie nicht Amerika verlassen hätte und nach Frankreich gegangen wäre; und wenn meine Nichte nicht nach Paris geht, so wird man das Horoskop nicht der Lüge beschuldigen können. Es handelt sich also für sie darum, dorthin zu reisen; aber wie wäre dies möglich zu machen? Die Reise ist geradezu eine Unmöglichkeit. In der Prophezeiung der Geburt eines Sohnes liegt etwas Göttliches, Hinreißendes. Natürlich kann ich nichts Bestimmtes vorher sagen, aber meine Nichte hat mehr Ansprüche als die Maintenon, um von einem König geliebt zu werden: sie ist jung und sittsam, die Maintenon war schon in älteren Jahren und hatte tüchtig über die Schnur gehauen, bevor sie fromm wurde. Aber die Reise wird sich in Dunst auflösen.«

»Nein,« rief Valenglard mit einer wirklich komisch ernsten Miene, »die Reise wird stattfinden! Denn das Geschick muß sich erfüllen.«

Die schöne Roman war ganz sprachlos. Ich ließ sie alle reden, und wir setzten uns zu Tisch.

Anfangs aßen wir schweigend; dann wurde von tausend Nichtigkeiten gesprochen, wie es in allen Gesellschaften üblich ist, hierauf fiel die Unterhaltung, wie ich vorausgesehen hatte, wieder auf den Gegenstand, der alle Gedanken beschäftigte.

»Nach dem Horoskop,« sagte die Tante, »soll der König sich in meine Nichte vor ihrem achtzehnten Jahre verlieben. Sie ist von diesem Tage nicht mehr weit entfernt. Wie sollen wir es also anfangen? Wo sind hundert Louis, über die wir für eine solche Reise verfügen müßten? Kann sie denn, in Paris angekommen, einfach zum König hingehen und zu ihm sagen: Hier bin ich, Sire! Mit wem soll sie denn diese Reise machen? Mit mir jedenfalls nicht.«

»Mit meiner Tante Roman!« rief das Fräulein. Sie errötete bis in das Weiße ihrer Augen, als plötzlich ein allgemeines Gelächter losbrach, das keiner von uns zurückhalten konnte.

»Wir lachen,« nahm Frau Morin wieder das Wort, »aber es könnte sich auf ganz natürliche Weise so machen; denn Frau Varnier, die in der Rue de Richelieu wohnt, ist deine Tante; sie führt ein großes Haus und kennt ganz Paris.«

»Da sehen Sie die Wege der Vorsehung,« sagte Valenglard. »Sie sprechen von hundert Louis; sie brauchen aber nur zwölf, um der Frau Varnier einen Besuch zu machen. Bei ihr wird das Fräulein wohnen. Sobald sie nur da ist, überlassen Sie nur alles übrige den Fügungen des Schicksals, die ganz gewiß nur günstig sein werden!«

»Wenn Sie nach Paris gehen,« sagte ich zum Fräulein, »dürfen Sie weder Ihrer hiesigen Tante noch der Frau Varnier etwas von Ihrem Horoskop sagen.«

»Ich werde mit niemandem darüber sprechen; aber glauben Sie mir, dies alles wird ein schöner Traum sein; ich werde niemals Paris sehen und noch weniger Ludwig den Fünfzehnten.«

Ich stand auf, nahm aus meiner Kassette eine Rolle von hundertfünfzig Louis und drückte ihr diese in die Hand, indem ich sagte, es seien Bonbons. Sie fand dieselben doch zu schwer, öffnete sie und sah fünfzig Dublonen da ocho. Sie hielt diese für Medaillen.

»Sie sind von Gold,« sagte Valenglard zu ihr. »Und der Goldschmied wird dir hundertundfünfzig Louis dafür geben,« setzte Frau Morin hinzu.

»Ich bitte Sie, mein Fräulein, behalten Sie sie. Sie brauchen mir nur einen Wechsel zu schreiben, der in Paris zahlbar ist, sobald Sie reich sind.«

Ich war überzeugt, daß sie dies Geschenk zurückweisen würde, obgleich sie mir mit der Annahme ein Vergnügen gemacht hätte. Ich bewunderte sie, daß sie die Kraft besaß, ihre Tränen zurückzuhalten, und daß die lachende Harmonie ihres schönen Gesichtes nicht im geringsten gestört wurde.

Wir gingen hinaus, um einen Rundgang durch den Garten zu machen. Valenglard und Frau Morin kamen wieder auf das Horoskop zu sprechen; ich entfernte mich von ihnen und ging mit Fräulein Roman abseits. Sobald wir außer Hörweite waren, fragte sie mich: »Ich bitte Sie, sagen Sie mir, ob dies alles nicht einfach ein Spaß ist?«

»Nein, es ist Ernst. Aber alles hängt von einem ›wenn‹ ab. Wenn Sie nicht nach Paris fahren, wird alles zunichte werden.«

»Sie müssen wohl davon überzeugt sein, sonst hätten Sie die fünfzig Medaillen nicht riskiert.«

»Glauben Sie doch nicht, mein Fräulein, daß dies für mich ein Risiko ist, und machen Sie mich glücklich, indem Sie sie hier unter vier Augen annehmen.«

»Nein, ich danke Ihnen. Aber warum haben Sie mir eine so große Summe gegeben?«

»Um das Vergnügen zu haben, zu Ihrem Glück beizutragen, und in der Hoffnung, daß Sie mir erlauben werden, Sie zu lieben.«

»Wenn Sie mich wirklich lieben, warum sollte ich etwas dagegen haben? Sie haben es nicht nötig, meine Zustimmung zu erkaufen, und ich denke, um glücklich zu werden, brauche ich keinen König von Frankreich. Wenn Sie wüßten, worauf meine Wünsche sich beschränkten!«

»Nun, worauf denn?«

»Darauf, einen Mann von freundlichem Wesen zu finden, der reich genug ist, daß es uns nicht am Notwendigsten fehlt.«

»Und wenn Sie ihn nicht liebten?«

»Wenn er anständig und gut wäre, warum sollte ich ihn denn nicht lieben?«

»Ich sehe, Sie kennen die Liebe nicht.«

»Das ist wahr, ich kenne nicht jene Liebe, die einem Menschen den Kopf verdreht, und dafür danke ich Gott.«

»Sie haben recht. Möge Gott Sie behüten!«

»Sie behaupten, daß mein Anblick den König entflammen wird; aber um Ihnen die Wahrheit zu sagen, dies erscheint mir eben als das Chimärische an Ihrem Horoskop. Es ist ja wohl möglich, daß er mich nicht häßlich findet, vielleicht wird er mich sogar hübsch finden. Aber an ein solches Übermaß glaube ich nicht.«

»Sie glauben es nicht? Setzen wir uns. Stellen Sie sich nur vor, daß der König Ihnen in eben demselben Maße Gerechtigkeit widerfahren läßt wie ich, und die Sache ist erledigt.«

»Aber was finden Sie denn an mir, was Sie nicht auch an einer Menge junger Mädchen meines Alters fänden! Gewiß ist es möglich, daß ich Eindruck auf Sie gemacht habe; dies beweist aber nur, daß ich dazu geschaffen war, eine solche Herrschaft über Sie auszuüben, es beweist aber keineswegs, daß dies auch dem König gegenüber der Fall sein wird. Wozu ziehen Sie den König von Frankreich heran, wenn Sie selber mich lieben?«

»Weil ich Ihnen nicht ein Los bieten kann, wie Sie es verdienen.«

»Der Augenschein spricht dagegen.«

»Außerdem, weil Sie mich nicht lieben.«

»Ich würde Sie zärtlich lieben und würde nur Sie allein lieben, wenn ich Ihre Frau wäre. Dann könnte ich Ihnen Ihre Küsse zurückgeben, während jetzt die Pflicht mir verbietet, es zu tun.«

»Wie dankbar bin ich Ihnen, daß Sie mir nicht böse sind, wenn ich mich an Ihrer Seite so glücklich fühle!«

»Es freut mich im Gegenteil, daß ich Ihnen gefalle.«

»Erlauben Sie mir also, Sie morgen in aller Frühe in Ihrem Zimmer zu besuchen und mit Ihnen im Bett den Kaffee zu trinken.«

»Oh, mein Herr, denken Sie doch an so etwas nicht! Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht. Ich schlafe bei meiner Tante und stehe immer vor ihr auf. Aber ziehen Sie doch Ihre Hand zurück! Sie haben mir versprochen, Sie wollten es nicht wieder tun. Um Gottes willen, mein Herr, bleiben Sie ruhig.«

Leider mußte ich wohl aufhören, denn ihr Widerstand war unbesieglich. Mit großem Vergnügen sah ich jedoch, daß sie trotz meinen verliebten Angriffen ihre Sanftmut nicht verloren hatte, und daß jene lachende Ruhe, die ihr eigen war, ihr göttliches Gesicht verschönerte, wie wenn wir gar nichts getan hätten. Ich dagegen sah aus, als ob ich die Verzeihung verdiente, um die ich sie auf den Knien bat, und ich las in ihren Augen, daß es ihr leid tat, mir meinen Wunsch nicht erfüllen zu können.

Ich konnte nicht länger an der Seite dieses schönen Geschöpfes bleiben; die Erregung meiner Sinne war zu groß. Ich verließ sie, und da ich in meinem Zimmer die gefällige Manon damit beschäftigt fand, Manschetten auszubessern, so erfrischte diese mich augenblicklich. Sobald wir beide befriedigt waren, lief sie hinaus. Ich überlegte mir, daß ich bei der jungen Roman niemals mehr ausrichten würde, als mir bis dahin gelungen war, ich hätte denn das Horoskop Lügen strafen müssen, indem ich sie heiratete. Ich beschloß daher, die Sache nicht weiter zu verfolgen.

Ich ging wieder in den Garten hinunter und bat die Tante, einen Augenblick mit mir spazieren zu gehen. Vergebens bemühte ich mich, die brave Dame zu überreden, sie solle hundert Louis annehmen, um ihrer Nichte die Reise nach Paris zu ermöglichen. Ich schwor ihr bei allem Heiligen, was die Menschheit kennt, daß niemals jemand etwas davon erfahren würde; aber meine Reden und alle meine Bitten waren unnütz. Sie sagte mir: wenn das Schicksal ihrer Nichte nur von dieser Reise abhinge, so könnte es sich wohl erfüllen; denn sie hätte bereits daran gedacht, wie sie sie ihr ermöglichen könne, wenn ihr Gatte damit einverstanden wäre. Übrigens sagte sie mir ihren aufrichtigen Dank und erklärte mir, ihre Nichte fühle sich sehr glücklich, daß sie mir gefallen habe.

»Sie gefällt mir so sehr, gnädige Frau, daß ich beschlossen habe, morgen abzureisen, um ihr nicht Anträge machen zu müssen, durch welche das große Glück, das ihrer harrt, zerstört werden müßte. Wenn nicht eine so erhabene Bestimmung ihrer wartete, würde ich mich glücklich schätzen, Sie um ihre Hand bitten zu dürfen.«

»Oh! ein solches Glück wäre ohne Zweifel viel sicherer. Erklären Sie sich!«

»Gegen das Schicksal wage ich nicht anzukämpfen.«

»Aber Sie werden doch nicht morgen reisen.«

»Verzeihung, gnädige Frau, ich werde morgen um zwei Uhr bei Ihnen vorsprechen, um von Ihnen Abschied zu nehmen.«

Durch die Ankündigung meiner Abreise wurde unser Abendessen ein wenig traurig. Frau Morin, die vielleicht noch heute lebt, war eine Frau von liebenswürdigstem Charakter. Bei Tisch erklärte sie, das Abschiednehmen solle sofort stattfinden; denn wenn ich nur ausführe, um sie aufzusuchen, so würde die ihr zugedachte Ehre zu einer für mich lästigen Förmlichkeit.

»So werde ich wenigstens die Ehre haben, Sie bis an Ihre Tür zu begleiten, wenn Sie mir dies erlauben!« rief ich.

»Sie würden dadurch unser Glück um einige Minuten verlängern.«

Valenglard ging zu Fuß, und die schöne Roman saß während der Fahrt auf meinem Schoß. Ich wagte kühn zu sein; sie war gegen meine Erwartung so sanft und zärtlich, daß ich es bedauerte, Abschied genommen zu haben. Aber es war einmal geschehen. Auf unserem Wege lag vor der Tür eines Gasthofes ein umgestürzter Wagen; infolgedessen mußte mein Kutscher mehrere Minuten halten. Dieser Zwischenfall, über den der gute Mann aus vollem Halse fluchte, erfüllte mich mit der höchsten Freude, denn ich erlangte während dieser nur allzu kurzen Augenblicke alle Gunstbezeigungen, die ich unter solchen Umständen mir verschaffen konnte.

Das Glück ist niemals vollständig, wenn man es allein genießt. Ich empfand das Bedürfnis, durch den Anblick des Gesichtes meiner schönen Freundin mich zu überzeugen, daß sie bei ihrer Gefälligkeit nicht lediglich passiv gewesen war; darum begleitete ich die Damen in ihre Wohnung hinauf.

Dort konnte ich, ohne die geringste Eitelkeit von meiner Seite, mich überzeugen, daß auf dem Antlitz des schönen Geschöpfes Liebe und Traurigkeit sich malten. Dies zeigte mir, daß sie weder kalt noch gefühllos war, und daß nur ihre Furcht und ihre Tugend Hindernisse meines Glückes gewesen waren. Als ich der Frau Morin den Abschiedskuß gab, war sie so freundlich, ihre Nichte aufzufordern, mir denselben Freundschaftsbeweis zu gewähren. Sie tat dies auf eine Art, daß ich die ganze Glut fühlte, die ich ihr eingeflößt hatte.

Ich schied von ihnen voll von Liebe und von Verzweiflung, daß ich mich unwiderruflich zur Abreise verpflichtet hatte. Zu Hause fand ich die drei Nymphen in meinem Zimmer versammelt; dies war mir unangenehm, denn ich brauchte nur eine. Rose brachte mir meine Haare in Ordnung; sie hörte meine leise Aufforderung, sagte mir jedoch, es sei ihr unmöglich, sich aus ihrem Schlafzimmer zu entfernen, weil sie alle drei zusammenschliefen. Infolgedessen entschloß ich mich, ihnen zu sagen, ich würde am nächsten Tage abreisen; wenn sie die Nacht in meinem Zimmer verbringen wollten, so würde ich jeder von ihnen sechs Louis schenken. Sie lachten über meinen Vorschlag und sagten mir allen Ernstes, so etwas sei unmöglich. Ich sah daraus, daß sie verschwiegen gewesen waren, wie es übrigens unter solchen Umständen junge Mädchen gewöhnlich sind; ich sah aber auch, daß sie gegenseitig eifersüchtig aufeinander waren. Ich wünschte ihnen gute Nacht und ging zu Bett. Morpheus ließ mich die köstlichste Nacht in den Armen meiner anbetungswürdigen Roman verbringen.

Als ich den anderen Morgen ziemlich spät klingelte, kam die Base herbei; sie sagte mir jedoch, Rose folge ihr auf dem Fuße und bringe mir meine Schokolade. Zugleich meldete sie einen Herrn Karl Iwandoff, der mich zu sprechen wünsche. Ich erriet, daß dies der Russe sei; da er mir selbst von niemand vorgestellt worden war, so hielt ich es für unnötig, ihn zu empfangen.

»Sagen Sie ihm, dieser Name sei mir unbekannt.«

Rose richtete meinen Auftrag aus, kam aber gleich wieder herein, und sagte, es sei der Herr, der die Ehre gehabt habe, bei Frau Morin mit mir zu speisen.

»Lassen Sie ihn hereinkommen.«

»Mein Herr,« sagte er zu mir, »ich möchte gern ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen sprechen.«

»Mein Herr, ich kann diesen jungen Damen nicht befehlen, mein Zimmer zu verlassen. Wollen Sie bitte draußen warten, bis ich mir meinen Schlafrock anziehe; ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung.«

»Wenn ich Ihnen ungelegen komme, werde ich morgen wieder vorsprechen.«

»Da würden Sie mich nicht finden, denn ich reise heute.«

»In diesem Fall werde ich warten.«

Ich stand in aller Eile auf und ging zu ihm hinaus.

»Mein Herr,« sagte er, »ich muß abreisen und habe kein Geld, um meinen Wirt zu bezahlen, ich bitte Sie daher, mir zu helfen. Ich wage mich hier in Grenoble an keinen Menschen zu wenden, da ich mich nicht dem Schimpf einer abschlägigen Antwort aussetzen möchte.«

»Vielleicht sollte ich mich dadurch geschmeichelt fühlen, daß Sie mir den Vorzug geben; aber ohne Ihnen in irgendeiner Weise einen Schimpf antun zu wollen, sehe ich mich in der Lage, Ihnen eine abschlägige Antwort geben zu müssen.«

»Wenn Sie wüßten, wer ich bin, mein Herr, so bin ich sicher, daß Sie mir eine kleine Unterstützung nicht verweigern würden.«

»Wenn Sie dies glauben, mein Herr, so geben Sie sich zu erkennen und verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

»Ich bin Karl, zweiter Sohn des Herzogs Iwan von Kurland, der in Sibirien in der Verbannung lebt. Ich bin entflohen.«

»Wenn Sie nach Genua gehen, so werden Sie nicht mehr in Not sein, denn der Bruder Ihrer Mutter, der Herzogin, wird Sie ohne Zweifel nicht im Stich lassen.«

»Er ist in Schlesien gestorben.«

»Wann denn?«

»Ich glaube, vor zwei Jahren.«

»Man hat Sie falsch berichtet, denn ich habe ihn vor kaum sechs Monaten in Stuttgart gesehen. Es ist der Baron von Treiden.«

Es war für mich nicht schwer, den Betrüger in ihm zu wittern; mich ärgerte nur, daß er die Frechheit besaß, mich anführen zu wollen. Sonst hätte ich ihm gern sechs Louis geschenkt, denn es wäre mir schlecht angestanden, mich als Feind der Abenteurer aufzuspielen. Ich fühlte wohl, daß ich selber einer war und ihm daher seine Lügen hingehen lassen mußte, da im Grunde genommen alle Abenteurer Betrüger sind.

Ich warf einen Blick auf seine Diamantschnallen, die man für echt hielt, und erkannte sofort, daß es Diamanten aus Glasfluß waren, die in Venedig in so großen Mengen angefertigt werden und allerdings in den Augen von Leuten, die nicht vollkommen Kenner sind, sehr wohl für echte Steine gelten können.

»Sie haben da,« sagte ich zu ihm, »Schuhschnallen aus Brillanten; warum verkaufen Sie die nicht?«

»Es ist das letzte Schmuckstück, das ich von meiner Mutter her habe, und ich habe ihr versprochen, mich niemals von ihm zu trennen.«

»Diese Schnallen, mein Herr, setzen Sie in ein falsches Licht. Sie täten besser, sie in der Tasche zu tragen. Ich will Ihnen ganz offen sagen, daß ich sie für falsch halte und daß Ihre Lügen mich ärgern.«

»Mein Herr, ich lüge nicht!«

»Um so besser. Beweisen Sie mir, daß die Steine echt sind, und ich will Ihnen sechs Louis schenken. Außerdem hätten Sie noch das Vergnügen, mir zu beweisen, daß ich mich irre. Leben Sie wohl!«

Er sah den Baron Valenglard die Treppe heraufkommen und bat mich, diesem nichts von unserer Unterhaltung zu sagen. Ich versprach ihm, mit niemandem davon zu sprechen.

Valenglard wollte mir gute Reise wünschen, da er selber mit einem Herrn von Monteinard abreisen mußte. Er bat mich, einen recht lebhaften Briefwechsel mit ihm zu unterhalten. Ich hatte ihn selber darum bitten wollen, denn das Schicksal der schönen Roman lag mir so sehr am Herzen, daß ich den dringenden Wunsch hatte, darüber auf dem Laufenden erhalten zu werden, und um diesen Zweck zu erreichen, war der Briefwechsel, den der wackere Offizier mir antrug, das beste Mittel. Ich versprach ihm also herzlich gern die Erfüllung seines Wunsches. Er umarmte mich unter Tränen, und ich versprach ihm meine Freundschaft.

Neunzehntes Kapitel


Meine alten Bekannten.–Dame Pazienza.–Agata.–Graf Borromeo.–Ein Ball.–Lord Percy.

Die Corticelli war sanft wie ein Lamm; sie verabschiedete sich von mir, als wir in Turin einfuhren. Ich versprach, sie zu besuchen, und begab mich in meine Wohnung, die ich in jeder Hinsicht angenehm fand.

Der liebenswürdige Chevalier de Raiberti suchte mich sofort auf; nachdem er über seine Auslagen für die Corticelli Rechenschaft abgelegt hatte, übergab er mir den Rest des von mir gesandten Geldes.

»Ich bin reich an Mitteln,« sagte ich zu ihm, »und habe die Absicht, meine Freunde oft zum Souper einzuladen; hätten Sie vielleicht einen guten Koch an der Hand?«

»Ich habe die Perle aller Kochkünstler,« antwortete er mir, »und Sie können diese sofort haben.«

»Sie sind die Perle aller Menschen, Herr Chevalier! Besorgen Sie mir dieses Wunder, sagen Sie ihm, daß ich große Ansprüche mache, und vereinbaren Sie den Preis, den er monatlich erhalten muß.«

Ich bekam in der Tat noch am gleichen Abend einen ausgezeichneten Koch.

»Es wird sehr gut sein,« sagte Raiberti zu mir, »wenn Sie dem Grafen d’Aglié einen Besuch machen. Er weiß bereits, daß die Corticelli zu Ihnen gehört, und ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Pazienza, bei der sie wohnt, den gemessenen Befehl hat, Sie niemals mit dem jungen Mädchen allein zu lassen, wenn Sie dieses besuchen.«

Ich fand diesen Befehl sehr scherzhaft; da ich mich aber für die Corticelli nicht mehr interessierte, so beklagte ich mich nicht darüber; der wackere Chevalier dagegen, der mich für verliebt hielt, sah aus, wie wenn ich ihm sehr leid täte.

»Bis jetzt,« sagte er, »ist ihre Aufführung hier tadellos gewesen.«

»Das freut mich.«

»Sie könnten ihr einige Unterrichtsstunden von Dupré geben lassen; er ist Ballettmeister und wird sie infolgedessen sicherlich während des Karnevals irgend einen pas de deux tanzen lassen.«

Ich versprach dem prächtigen alten Herrn, seinen Rat zu befolgen, und begab mich hierauf zum Vikar.

Dieser empfing mich sehr höflich und sagte, er freue sich, daß ich nach Turin zurückgekehrt sei. Hierauf fuhr er lachenden Mundes fort: »Ich bin davon unterrichtet, daß Sie eine Tänzerin unterhalten; ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, daß die ehrenwerte Frau, bei der sie Kost und Wohnung hat, den strengsten Befehl hat, ihr den Empfang von Besuchern nur in ihrer Gegenwart zu gestatten.«

»Dies ist mir sehr angenehm, Herr Graf,« antwortete ich ihm, »um so angenehmer, da ich ihre Mutter nicht für sehr strenge halte. Herr Chevalier de Raiberti, an den ich das junge Mädchen empfohlen habe, kannte meine Absichten, und ich bin entzückt, daß er sie so ausgezeichnet ausgeführt hat. Ich wünsche, daß das Mädchen sich Ihres Schutzes würdig zeigen möge.«

»Gedenken Sie hier den Karneval zu verbringen?«

»So ziemlich – das heißt, wenn es Eurer Exzellenz recht ist.«

»Das hängt durchaus nur von Ihrer guten Aufführung ab.«

»Abgesehen von einigen kleinen Sünden ist mein Verhalten stets vorwurfsfrei.«

»Es gibt kleine Sünden, die wir hier nicht dulden. Haben Sie den Chevalier Osorio schon gesehen?«

»Ich gedenke ihm heute oder morgen meine Aufwartung zu machen.«

»Überbringen Sie ihm bitte meine Komplimente.«

Nach diesen Worten klingelte er und machte mir eine Verbeugung. Ich ging.

Chevalier Osorio empfing mich im Ministerium des Auswärtigen auf die liebenswürdigste Weise. Nachdem ich ihm über meinen Besuch beim Vikar berichtet hatte, fragte er mich, ob ich willens wäre, mich fügsam dem Gesetz zu unterwerfen, das mir verböte, meine Geliebte ohne Zwang zu sehen.

»Ja,« antwortete ich, »denn ich mache mir nichts aus dem Gegenstand.«

Er sah mich mit einem philosophischen Gesicht an und sagte: »Ihre Gleichgültigkeit wird vielleicht der ehrenwerten Hüterin, die mit der Überwachung beauftragt ist, gar nicht sehr gefallen.«

Dies war deutlich genug gesprochen; aber es war mir wirklich sehr angenehm, daß ich mich genötigt fand, die Corticelli stets nur in Gegenwart des Cerberus zu sehen. Ein bißchen Skandal war mir nicht unlieb, und ich wußte, daß die Leute darüber reden würden, und war neugierig, wie die Folgen sein würden.

In meiner Wohnung fand ich den Genuesen Passano, den schlechten Dichter und schlechten Maler, den ich zur Rosenkreuzerrolle bestimmt hatte, weil er eines jener eigentümlichen Gesichter hatte, die auf den ersten Blick, wenn auch nicht Ehrfurcht, so doch eine gewisse Furcht, ein unbeschreibliches Gefühl von Unbehaglichkeit einflößen, das im Grunde nichts anderes ist als das natürliche Vorgefühl, unter dieser Gestalt entweder einen geschickten Spitzbuben oder einen Gelehrten mit vertrocknetem Herzen und verdrießlichem Gemüt zu finden.

Ich ließ ihn mit mir zu Abend essen und wies ihm eine Wohnung im dritten Stock an, indem ich ihm die Verpflichtung auferlegte, sein Zimmer nur zu verlassen, wenn ich ihn würde rufen lassen. Beim Essen fand ich in ihm einen albernen Anekdotenerzähler, einen unwissenden boshaften Trunkenbold; es tat mir bereits leid, ihn mir aufgeladen zu haben. Aber es war einmal geschehen.

Ich war neugierig, wie die Corticelli untergebracht wäre, und machte ihr daher am nächsten Tage meinen ersten Besuch. Ich brachte ihr ein Stück Lyoner Seidenstoff zu Winterkleidern mit. Ich fand sie und ihre Mutter im Zimmer der Wirtin. Diese sagte mir, als sie mich eintreten sah, es sei für sie sehr schmeichelhaft, mich bei sich zu sehen, und es würde ihr eine große Freude sein, mich oft bei Tisch zu sehen. Ich dankte ihr, ohne allzuviele Komplimente zu machen, und wandte mich dann ziemlich gleichgültig an das Mädchen.

»Zeigen Sie mir Ihr Zimmer,« sagte ich zu ihr. Sie führte mich hin, ihre Mutter begleitete uns und die Wächterin ließ nicht auf sich warten.

»Hier haben Sie Stoff, um sich Winterkleider machen zu lassen,« sagte ich zu ihr.

»Ist das ein Geschenk der Marquise?«

»Nein, dieses Geschenk mache ich Ihnen.«

»Aber ich soll drei Kleider erhalten, die sie mir gegeben hat.«

»Sie haben wohl vergessen, unter welchen Bedingungen dies geschah. Wir werden ein anderes Mal darüber sprechen.«

Sie breitete den Stoff aus und fand ihn nach ihrem Geschmack; es fehlte ihr aber an dem Besatz dazu. Die Pazienza bot ihre guten Dienste an und sagte: »Wenn Sie wünschen, werde ich die Modistin kommen lassen; sie wohnt gleich nebenan.«

Ich gab durch ein Kopfnicken meine Zustimmung zu erkennen. Sobald sie hinaus war, um ihre Aufträge zu erteilen, sagte Signora Laura zu mir, es tue ihr sehr leid, daß sie mich nur in dem Zimmer der Wirtin empfangen könne.

»Ich glaubte,« versetzte ich, »dies würde für Ihre Tugend eine große Freude sein.«

»Ich danke Gott morgens und abends dafür.«

»Schamlose Heuchlerin,« sagte ich mit einem verächtlichen Blick; »wer Sie nicht kennt, könnte sich von diesen Worten betrügen lassen.«

Einige Minuten darauf kamen Victorine und ein anderes junges Mädchen mit Putzschachteln herein,

»Sind Sie noch bei Frau R.?« fragte ich sie.

»Ja, mein Herr!« antwortete sie errötend. Als die Corticelli ausgesucht hatte, was sie haben wollte, bat ich Victorine, ihre Herrin von mir zu grüßen und ihr zu sagen, ich würde selber kommen, um zu bezahlen.

Die Wirtin hatte auch eine Schneiderin holen lassen, und während sie Maß nahm, sagte die Corticelli zu mir, indem sie mir ihre Hüften zeigte, sie brauche ein Mieder. Ich machte eine scherzhafte Bemerkung über die auf einmal wieder verschwundene Schwangerschaft, womit sie mich bedroht hatte, und beklagte den Grafen N., daß er der süßen Vaterfreuden beraubt wäre. Hierauf gab ich ihr so viel Geld, wie sie etwa nötig haben konnte, und entfernte mich. Sie geleitete mich an die Tür und fragte mich natürlich, ob sie bald das Vergnügen haben würde, mich wiederzusehen.

»Wenn dies ein Vergnügen ist« antwortete ich, »so weiß ich nicht, wann ich Lust haben werde, es Ihnen zu verschaffen; das hängt von Laune und Gelegenheit ab.«

Ganz gewiß würde ich die Corticelli nicht einen Augenblick in diesem Hause gelassen haben, wenn ich noch in sie verliebt oder auch nur neugierig auf sie gewesen wäre. Aber ich wiederhole, dies war durchaus nicht der Fall. Nur eins ärgerte mich im höchsten Grade: daß nämlich die junge Spitzbübin mich trotz meiner Miene noch für so duldsam halten konnte, um zu glauben, ich hätte ihr früheres Benehmen vergessen.

Nachdem dieser Besuch bei der Corticelli erledigt war, suchte ich meine Bankiers auf, unter anderen auch Herrn Martin, dessen Frau durch ihren Geist und ihre Schönheit berühmt war.

Unterwegs begegnete ich dem jüdischen Pferdehändler, der mich zu seiner Tochter Lia schleppte. Ich fand sie noch schön, aber sie war verheiratet, und ihr Leib war zu umfangreich geworden. Ihr Mann empfing mich, wie auch sie selber, mit großen Freudenbezeigungen; sie flößte mir jedoch keine Neugier mehr ein, und ich machte keinen Versuch, sie wiederzusehen.

Ich fand Frau R. ungeduldig, mich wiederzusehen, seitdem Victorine ihr gesagt hatte, daß ich da sei. Ich setzte mich an ihren Schreibtisch und hatte das Vergnügen, mir alle galanten Geschichten von Turin erzählen zu lassen. »Von allen jungen Mädchen, die Sie bei mir gesehen haben,« sagte sie zu mir, »bleiben mir nur noch Victorine und Raton; aber ich habe die andern ersetzt.«

»Hat Victorine jemanden gefunden, der die Operation an ihr vollzogen hat?«

»Nein, sie ist immer noch, wie Sie sie gelassen haben; aber ein Herr, der in sie verliebt ist, will sie nach Mailand reisen lassen.«

Dieser Herr war der Graf de Pérouse, mit dem ich drei Jahre später in Wien bekannt wurde. Ich werde von ihm sprechen, wenn ich so weit bin. Frau R. sagte mir mit betrübtem Gesicht, sie habe infolge einiger ärgerlicher Verwickelungen mit der Polizei dem Grafen d’Aglié versprechen müssen, ihre Arbeiterinnen nur noch zu Damen zu schicken; wenn ich also irgend eine nach meinem Geschmack fände, so könnte ich sie mir nur dadurch verschaffen, daß ich sie zu irgend einer Festlichkeit mitnähme, nachdem ich mich vor dieser bei ihren Eltern eingeführt hätte. Sie zeigte sie mir in dem Saal, worin sie arbeiteten; aber keine von ihnen schien mir besonderer Anstrengungen wert zu sein.

Sie sprach auch von der Dame Pazienza, und als ich ihr erzählte, daß ich für die Corticelli den Unterhalt bezahlte, und welchen harten Bedingungen ich mich unterworfen hätte, da erhob sie ein lautes Geschrei; ich mußte herzlich lachen über eine Menge boshafter Witze, die sie über dieses Thema machte.

»Sie sind da in guten Händen, mein Herr,« sagte sie zu mir; »ich kenne das Frauenzimmer. Glauben Sie mir, sie ist nicht nur eine Spionin des Grafen d’Aglié, sondern auch eine gewerbsmäßige Kupplerin. Sie ist in der ganzen Stadt berüchtigt, und ich wundere mich, daß der Chevalier de Raiberti Ihre Geliebte solchen Händen anvertraut hat.«

Sie besänftigte sich, als ich ihr sagte, der Chevalier habe gute Gründe gehabt, um so zu handeln, und ich habe die meinigen, um recht froh zu sein, daß die Corticelli dort sei und nicht anderswo.

Unsere Unterhaltung wurde durch einen Kunden unterbrochen, der seidene Strümpfe verlangte. Da ich vom Tanzen sprechen hörte, so fragte ich ihn, ob er mir sagen könnte, wo der Ballettmeister Herr Dupré wohne.

»Das kann niemand so gut wie ich, mein Herr, denn ich bin Dupré, Ihr ergebener Diener.«

»Ich bin dem Zufall dankbar, der dieses Zusammentreffen herbeigeführt hat. Herr Chevalier de Raiberti hat heute früh mit mir über Sie gesprochen; er hat mir Hoffnung gegeben, Sie würden so gefällig sein, einer jungen Figurantin, die ich kenne, Tanzstunden zu geben.«

»Herr von Raiberti hat heute vormittag schon mit mir darüber gesprochen; Sie sind gewiß Herr Chevalier de Seingalt.«

»Ganz recht.«

»Das Fräulein kann jeden Morgen um neun Uhr zu mir kommen.«

»Nein, Sie werden die Güte haben, zu ihr zu gehen; aber zu einer Zeit, die Ihnen paßt. Ich werde Sie bezahlen, und ich hoffe, Sie bringen sie dahin, eine von Ihren besten Schülerinnen zu werden. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sie keine Anfängerin mehr ist.«

»Mein Herr, ich werde sie noch heute aufsuchen, und morgen werde ich Ihnen sagen, was ich aus ihr machen kann; aber Sie werden es nicht unangemessen finden, wenn ich Ihnen meinen Preis sage: ich nehme für die Stunde drei Piemontesische Livres.«

»Ich finde Ihren Preis sehr bescheiden. Morgen werde ich bei Ihnen vorsprechen.«

»Es wird mir eine Ehre sein. Hier ist meine Adresse. Wenn Sie am Nachmittag kommen, werden Sie eine Ballettprobe sehen.«

»Wird denn die Probe nicht im Theater abgehalten?«

»Oh, bitte sehr, gewiß! Aber im Theater hat niemand Zutritt zur Probe. Das ist besonderer Befehl des Vikars.«

»Dieser Vikar steckt seine Nase in sehr viele Sachen.«

»In zu viele.«

»Aber in Ihrer Wohnung dürfen Sie empfangen, wen Sie wollen?«

»Ganz gewiß! Aber ich könnte meine Tänzerinnen nicht empfangen, wenn ich nicht meine Frau hätte; der Herr Vikar kennt sie und hat viel Vertrauen zu ihr.«

»Sie werden mich auf der Probe sehen.«

Dieser unglückselige Vikar mit der bepflasterten Nase hatte gegen alle, die das Vergnügen lieben, ein schreckliches Spioniersystem ersonnen; man muß jedoch einräumen, daß Amor hinter seinem Rücken ihm recht gelungene Streiche spielte. Die Wollust verlor durchaus nicht durch den Zwang, den der Tyrann ihr auferlegte, sondern gewann die ganze Würze, um die die Lust durch Geschicklichkeit vermehrt wird. So wird es sein, so lange die Männer Leidenschaften und die Frauen Begierden haben. Lieben und genießen, begehren und seine Begierde zu befriedigen trachten: dies ist der Kreislauf, worin die Menschheit sich bewegt und aus welchem man sie nicht herausbringen kann; denn wenn ihr auf den natürlichen Wegen Zwang angetan wird, wie z. B. in der Türkei, so schlägt sie Umwege ein, die zum selben Ziel führen, aber zum Schaden der Moral und der Sitte.

Ich traf bei der guten Mazzoli zwei Herren, die sie mir vorstellte, nachdem sie ihnen meinen Namen genannt hatte. Der eine war sehr alt und sehr häßlich; er war mit dem weißen Adlerorden dekoriert und hieß Graf Borromeo; der andere, noch jung und lebenslustig, war ein Graf A. B. von Mailand. Als sie fort waren, erfuhr ich von ihr, die beiden Kavaliere machten ihr sehr eifrig den Hof, um dadurch dem Chevalier Raiberti zu gefallen, den sie nötig hatten, um für ihre der Sardinischen Gerichtsbarkeit unterworfenen Landgüter Privilegien zu erhalten.

Der Mailänder Graf besaß keinen Heller, und der Beherrscher der Borromeischen Inseln war nicht viel reicher als er. Nachdem er sich für und durch die Frauen zugrunde gerichtet hatte, konnte er nicht mehr in Mailand leben und hatte sich auf die schönste seiner Inseln im Lago maggiore zurückgezogen, wo er sich eines ewigen Frühlings, und sehr geringer Bequemlichkeit erfreute. Ich habe ihm nach meiner Rückkehr aus Spanien einen Besuch gemacht; von diesem werde ich jedoch erst erzählen, wenn ich mit der Beschreibung meiner Abenteuer, meiner angenehmen Bekanntschaften, meiner Freuden, meiner Leiden und vor allen Dingen meiner Unvorsichtigkeiten so weit gekommen bin! Denn alle diese Dinge sind in meinem Leben durcheinander gemischt, den ersten Rang aber nehmen meine Unklugheiten ein.

Als das Gespräch auf meine Wohnung kam, fragte die quecksilberne Mazzoli mich, ob ich mit meinem Koch zufrieden sei. Ich antwortete ihr, ich hätte ihn noch nicht auf die Probe gestellt, gedächte dies jedoch den nächsten Tag zu tun, wenn sie mir die Ehre erweisen wollte, mit den beiden Herren bei mir zu Abend zu essen. Die Einladung wurde angenommen, und sie versprach mir, ihren lieben Chevalier mitzubringen, der dann nicht zu Mittag essen würde, wenn er es rechtzeitig vorher wüßte; er dürfe nämlich seiner Gesundheit wegen täglich nur eine Mahlzeit halten.

Meinem Versprechen gemäß ging ich zu Dupré. Ich sah dort die Tänzer und Tänzerinnen der Oper, von denen die letzteren von ihren Müttern begleitet waren, die in Mäntel und Muffe gehüllt im Hintergrunde saßen. Als ich sie mit der Miene eines großen Herrn musterte, bemerkte ich unter ihnen etwas recht Seltenes, nämlich eine, die noch frisch und schön war; ich zog daraus einen günstigen Schluß auf die Tochter, obgleich die Frucht nicht immer dem Baum gleicht, der sie getragen hat.

Dupré stellte mich seiner Frau vor; sie war jung und hübsch wie ein Engel, hatte aber vom Theater abgehen müssen, weil sie schwindsüchtig war. Sie sagte mir: wenn die Corticelli fleißig sei und sich Mühe geben wollte, würde ihr Mann eine Virtuosa aus ihr machen, denn sie schiene die Anlagen zu haben, eine ausgezeichnete Tänzerin zu werden. Während ich mich mit ihr unterhielt, lief die selige Lascaris, indem sie sich die Miene einer Favoritin gab, auf mich zu und sagte mir, sie brauche Bänder und Blonden, um sich Hauben zu machen. Die jungen Tänzerinnen flüsterten untereinander; ich erriet wohl, welche Bemerkungen sie austauschten, sagte jedoch kein Wort zu dem jungen Tollkopf, sondern zog zwölf Piemontesische Pistolen aus meiner Börse. Ich gab sie Dupré und sagte ihm, dieses Geld sei für drei Monate Unterricht, die ich ihm mit Vergnügen vorausbezahlen wolle, indem ich hoffe, daß er seine neue Schülerin vorwärts bringen werde. Die Vorausbezahlung einer so großen Summe rief allgemeines Erstaunen hervor; dies machte mir Spaß, ich ließ mir jedoch nichts merken. Heute fühle ich, daß es eine Schwäche war; aber ich habe versprochen, in diesen Erinnerungen, die erst nach meinem Tode ans Licht kommen werden, nur die Wahrheit zu sagen, und ich halte mein Versprechen. Ich bin stets nach Auszeichnung begierig gewesen und habe stets die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken geliebt. Aber ich bin es mir selber schuldig, hinzuzusetzen, daß ich niemals einen Menschen habe demütigen wollen, außer dummen oder hochmütigen Laffen; denn für gewöhnlich wollte ich dadurch nur den Genuß auf bequeme Weise erlangen.

Ich setzte mich abseits, um den Schwarm von jungen Mädchen besser beobachten zu können. Bald sah ich unter ihnen eine, deren ganze Erscheinung einen tiefen Eindruck auf mich machte. Sie hatte eine schöne Gestalt, feine und zarte Züge, eine edle und anständige Miene, und dabei lag in ihrer Haltung ein Ausdruck von Geduld, der meine Teilnahme im höchsten Grade erregte. Sie war die Partnerin eines Tänzers, der ihr, wenn er nicht zufrieden war, Grobheiten sagte; sie ertrug diese, ohne zu antworten, man konnte jedoch auf ihren beweglichen Zügen den Ausdruck der Verachtung erkennen, der nur durch die über ihr ganzes Wesen ausgegossene Sanftmut gemildert wurde.

Mein Instinkt zog mich zu der hübschen Frau hin, die ich unter den Müttern bemerkt hatte; ich fragte sie nach der hübschen Tänzerin, die meine Teilnahme erregt hatte.

»Ich bin ihre Mutter, mein Herr,« antwortete sie mir.

»Sie, Madame? Sie sehen nicht so aus.«

»Ich war sehr jung, als ich sie gebar.«

»Das glaube ich gern. Woher sind Sie?«

»Aus Lucca, mein Herr; ich bin Witwe und arm.«

»Wie können Sie arm sein? Sie sind noch schön und jung, und Ihre Tochter ist ein Engel!«

Sie sah mich mit einem bedeutungsvollen Blick an, antwortete aber nicht. Ich begriff ihre Zurückhaltung und blieb, ohne noch weiter zu sprechen, neben ihr sitzen. Einen Augenblick darauf kam Agata, so hieß ihre Tochter, und bat sie um ein Taschentuch, um sich das Gesicht abzuwischen.

»Erlauben Sie mir, mein Fräulein, Ihnen das meinige anzubieten,« sagte ich.

Es war blütenweiß und mit Rosenessenz parfümiert; dieser letztere Umstand veranlaßte sie, es anzunehmen; nachdem sie aber daran gerochen hatte, wollte sie es mir wieder geben.

»Sie haben es ja nicht benutzt,« sagte ich; »tun Sie es doch!«

Sie tat es und überreichte es mir hierauf mit einer dankenden Verneigung.

»Sie können es mir erst wiedergeben, schöne Agata, wenn Sie es haben waschen lassen.«

Sie lächelte und gab das Tuch ihrer Mutter; diese sah mich mit einem dankbaren Blick an, den ich für ein gutes Zeichen hielt.

»Erlauben Sie mir, mein Fräulein, Sie in Ihrer Wohnung zu besuchen?«

»Ich könnte Sie, mein Herr, nur in Gegenwart der Frau empfangen, bei der wir wohnen.«

»Ist denn dieser verfluchte Zwang in ganz Turin eingeführt?«

»Jawohl; so macht der Herr Vikar es mit allen.«

»So werde ich denn das Vergnügen haben, Sie hier wiederzusehen.«

Am Abend erhielt ich die beste Mahlzeit, die ich vielleicht überhaupt in meinem ganzen Leben gehabt habe, ausgenommen die, die ich sonst in Turin erhielt. Mein Koch war eines Lukullus würdig; aber ohne ihm den Ruhm seiner Geschicklichkeit schmälern zu wollen, muß ich auch dem Lande Gerechtigkeit widerfahren lassen; alle Erzeugnisse sind von ausgezeichneter Güte: Wild, Fische, Geflügel, Schlachtfleisch, Gemüse aller Art, Obst, Käse, Trüffeln – alles ist würdig, auf der Tafel des leckersten Gastronomen zu erscheinen, und selbst der größte Feinschmecker kann die einheimischen Weine fremden vorziehen. Schade, daß eine Stadt wie Turin den Fremden keine vollkommene Freiheit bietet! Allerdings könnte man wohl noch einen etwas vornehmeren Ton in der guten Gesellschaft wünschen, mehr Ehrlichkeit in allen Ständen und jenen angenehmen Umgangston, den man in mehreren Städten Italiens, besonders aber in Frankreich findet.

Offenbar verdanken die Frauen, die in Turin durchweg schön sind, ihre Schönheit zum großen Teil der reinen Luft, die man dort atmet, und der Vorzüglichkeit der Nahrungsmittel.

Es wurde mir nicht schwer, Fräulein Mazzoli und die beiden Grafen zu der Zusage zu bewegen, daß sie mir jeden Tag dieselbe Ehre erweisen würden; der Chevalier Raiberti konnte sich zu nichts verpflichten; er versprach mir nur, mich freundschaftlich zu besuchen.

Im Carignan-Theater, wo komische Opern aufgeführt wurden, sah ich die Parmesanerin Redegonda, mit der ich in Florenz kein Verhältnis hatte anknüpfen können. Sie bemerkte mich im Parkett und begrüßte mich mit einem Lächeln, das mir die Ermächtigung gab, ihr am nächsten Tage brieflich meine Dienste anzubieten, wenn ihre Mutter sich inzwischen anders besonnen hätte. Sie antwortete mir, ihre Mutter sei immer noch die gleiche, aber wenn ich die Corticelli zum Abendessen bei mir einladen könnte, so würde es ihr möglich sein, mit ihr zu kommen; selbstverständlich müßten aber die Mütter dabei sein. Ich antwortete ihr nicht, denn ich fand die Bedingungen zu wenig nach meinem Geschmack.

Ich erhielt einen Brief von Madame du Rumain, und als Einlage ein Schreiben des Herzogs von Choiseul an den französischen Botschafter in Turin, Herrn de Chauvelin.

Der Leser erinnert sich vielleicht, daß ich diesen liebenswürdigen Kavalier in Solothurn kennen gelernt hatte und von ihm sehr freundlich behandelt worden war, ich wollte aber, daß er einen noch besseren Begriff von mir bekommen sollte, und darum hatte ich Frau du Rumain gebeten, mir diesen Brief zu schicken.

Herr von Chauvelin empfing mich auf das allerbeste. Nachdem er mir die verbindlichsten Vorwürfe gemacht hatte, daß ich einen Empfehlungsbrief an ihn für notwendig gehalten hätte, stellte er mir seine reizende Gattin vor, die mich mit der schmeichelhaftesten Herzlichkeit empfing. Drei oder vier Tage darauf lud er mich zum Essen ein, und ich fand bei ihm den venetianischen Geschäftsführer Herrn Imberti, der mir sagte, es tue ihm sehr leid, mich nicht bei Hofe vorstellen zu können. Als Herr de Chauvelin den Grund erfuhr, erbot er sich, selber mich vorzustellen; ich glaubte jedoch sein Anerbieten dankbar ablehnen zu müssen. Es würde ohne Zweifel mir viel Ehre machen, aber das Ergebnis würde sein, daß man mich noch schärfer beobachten würde. Ich wäre daher in dieser Stadt, wo tausend Argusaugen die gleichgültigsten Handlungen belauern, in meinen Vergnügungen noch mehr beengt gewesen.

Graf Borromeo beehrte jeden Abend meinen Tisch, bewahrte jedoch dabei eine gewisse Würde; denn da er mit dem Fräulein Mazzoli kam, so machte es nicht den Eindruck, wie wenn er erschiene, weil er es nötig hätte; Graf A. B. aber gab offen zu, daß er des Essens wegen kam, und dies gefiel mir. Er sagte mir eines Tages, meine Gefälligkeit, ihn zu dulden, erfülle ihn mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit gegen die Vorsehung; denn da seine Frau nicht imstande sei, ihm Geld zu schicken, so könne er sein Essen im Gasthof nicht bezahlen und würde ohne meine Güte oft Hunger leiden müssen. Er zeigte mir die Briefe seiner Frau und pries sie hoch; er sagte mir ferner, er hoffe, ich werde in Mailand bei ihm wohnen und an seiner Frau Gefallen finden. Er hatte in Spanien gedient, und seine Frau war eine Spanierin, nach seiner Schilderung eine pikante Brünette von 25 oder 26 Jahren. Der Graf hatte ihr geschrieben, daß ich ihm mehrere Male mit meiner Börse ausgeholfen hätte und ihm vielfach gefällig gewesen wäre; dies veranlaßte sie, mir brieflich ihren Dank auszusprechen und mich zu bitten, bei ihr zu wohnen, wenn ich nach Mailand käme. Sie schrieb einen geistvollen Stil, und der Briefwechsel mit ihr erregte bald in so hohem Grade meine Teilnahme, daß ich ihr in aller Form versprach, nach Mailand zu reisen, wäre es auch nur, um die Ehre zu haben, ihr meine Aufwartung zu machen.

Ich gestehe, daß meine Neugier mich zu diesem Versprechen trieb; denn da ich wußte, daß die Familie arm war, hätte ich mich niemals in die Lage bringen dürfen, entweder ihr zur Last zu fallen oder ihre Gastfreundschaft teuer bezahlen zu müssen. Ich möchte jedoch hier zu meiner Entschuldigung anführen, daß die Neugier in solchen Fällen eine Art von Liebe ist. In meiner Phantasie war diese Gräfin mit allen Eigenschaften begabt, die einen Mann glücklich machen können: ich stellte sie mir empfindsam wie eine Engländerin vor, lebhaft und leidenschaftlich wie eine Spanierin, anmutig und schmeichelnd wie eine Französin, und da ich von mir selber eine ziemlich gute Meinung hatte, so zweifelte ich keinen Augenblick daran, daß sie meine Liebe erwidern würde. Ich träumte davon, die Herren und Damen von Mailand eifersüchtig zu machen; übrigens hatte ich viel Geld und brannte darauf, es auszugeben, um eine glänzende Rolle zu spielen.

Ich fehlte keinen einzigen Tag bei Duprés Ballettproben und war bald bis über die Ohren in die junge Agata verliebt. Ich verführte Frau Dupré durch mehrere Geschenke, und sie nahm es ganz gut auf, als ich ihr meine Leidenschaft anvertraute: indem sie Agata und ihre Mutter zum Abendessen bei sich behielt, hatte sie mir die Gelegenheit verschafft, das reizende Mädchen unter vier Augen sprechen zu können. Ich hatte mir dies zunutze gemacht, um meinen Gefühlen Ausdruck zu geben, und ich hatte auch einige unbedeutende Gunstbezeigungen erlangt; aber dies war so wenig und die Augenblicke des Beisammenseins waren so kurz, daß meine Begierden nur immer größer wurden, anstatt sich zu besänftigen.

Agata sagte mir unaufhörlich, alle Welt wisse, daß ich die Corticelli unterhalte, und sie wolle um alles Gold der Welt nicht, daß man sagen könnte, sie sei für mich nur ein Lückenbüßer, weil ich meine Geliebte nur in Gegenwart ihrer Wirtin sehen könne. Vergebens schwor ich ihr, daß ich die Corticelli nicht liebe und sie nur unterhalte, um Herrn Raiberti nicht bloßzustellen. Es war mir unmöglich, sie zur Vernunft zu bringen; sie hatte ihre bestimmten Pläne; sie wollte einen Bruch in aller Form; sie wollte, daß ganz Turin wissen sollte, daß ich nur sie liebe und daß ich um ihretwillen ihre Nebenbuhlerin, aufgeopfert habe. Unter dieser Bedingung versprach sie mir ihr Herz und was dazu gehört. Ich liebte sie zu sehr, als daß ich nicht hätte versuchen sollen, sie zufrieden zu stellen, zumal da meine Zufriedenheit von der ihrigen abhing. In dieser Absicht veranlaßte ich Dupré, in irgend einem Hause vor der Stadt einen Ball auf meine Kosten zu geben und alle Tänzer und Tänzerinnen, die für den Karneval engagiert wären, dort hinkommen zu lassen. Nur Tänzerinnen von Beruf dürften tanzen, und die Tänzer sollten für die Eintrittskarte einen Dukaten bezahlen. Jeder Kavalier sollte das Recht haben, eine Dame mitzubringen; diese sollte aber nur zusehen und am Abendessen teilnehmen dürfen.

Um Dupré zur Ausführung meines Planes anzureizen, sagte ich ihm, daß ich das Büfett und alle Erfrischungen übernehmen würde; damit er recht viele Gäste fände, könnte er anzeigen, es würde nicht gespart werden, um die Gesellschaft zufrieden zu stellen. Ich übernahm auch die Besorgung von Wagen und Tragstühlen für alle Künstlerinnen; niemand aber dürfe wissen, daß ich irgend etwas mit diesen Ausgaben zu tun hätte. In der Hoffnung auf einen guten Überschuß machte Dupré sich sofort ans Werk. Er fand ein passendes Haus, lud die Tänzerinnen ein und verteilte etwa fünfzig Eintrittskarten.

Nur Agata und ihre Mutter wußten, daß der Plan von mir ausging, und daß ich zum großen Teil die Kosten bezahlte; am Tage nach dem Ball aber wußte die ganze Stadt Bescheid.

Agata hatte kein passendes Kleid, um sich sehen lassen zu können; ich beauftragte Frau Dupré, auf meine Kosten eins zu besorgen, und ich wurde gut bedient. Bekanntlich kennen diese Art Leute kein Maß, wenn ihnen die Börse eines anderen zur Verfügung steht; aber das wollte ich ja gerade.

Agata verpflichtete sich, die Kontertänze mit mir zu tanzen und nur in Begleitung von Frau Dupré nach Turin zurückzufahren. Am Ballabend blieb ich bei Frau Dupré zum Mittagessen, um dabei zu sein, wie Agata sich herausputzte, denn sie mußte sich dort ankleiden. Ihr Kleid war von sehr reichem Seidenstoff nach der allerneuesten Lyoner Mode; der Besatz, dessen Wert das junge Mädchen nicht kannte, bestand aus wunderbar schönen Alençon-Spitzen. Frau R., die diesen Besatz aufgelegt hatte, und Frau Dupré hatten Befehl erhalten, nichts zu sagen.

Als Agata zum Ausgehen fertig war, sagte ich ihr, die Ohrringe, die sie trüge, paßten nicht zu ihrem schönen Kleide.

»Das ist wahr,« sagte die Dupré; »und es ist sehr schade.«

»Leider hat meine arme Tochter keine anderen,« sagte die Mutter.

»Ich habe hier schöne Ohrbommeln aus Straß, die ich Ihnen leihen kann; sie sind sehr glänzend.«

Ich hatte absichtlich die Ohrgehänge eingesteckt, welche Frau von Urfé für die Lascaris bestimmt hatte, als sie sie noch ihre Nichte nannte. Ich zeigte die Juwelen und las Bewunderung auf allen Gesichtern.

»Man möchte darauf schwören, daß es herrliche Diamanten sind!« rief die Dupré.

Ich steckte sie Agaten in die Ohren; sie bewunderte sich im Spiegel und rief, alle Tänzerinnen würden sie beneiden; denn man würde ganz gewiß ihre Ohrbommeln für echte Brillanten halten. Ich sagte nichts.

Ich ging nach Hause, machte glänzende Toilette und begab mich dann auf den Ball, wo ich die schöne Agata fand; sie tanzte mit Lord Percy, dem Sohn der Herzogin von Northumberland, einem jungen Tollkopf, der auf die verrückteste Art ungeheure Summen verschwendete.

Ich bemerkte mit Vergnügen mehrere junge Damen von Turin, die nur Zuschauerinnen waren. Sie konnten sich einbilden, man gebe den Ball ihnen zu Ehren – wie jene Fliege glaubte, sie ziehe die Kutsche ganz allein. Alle fremden Gesandten waren anwesend, unter anderen auch Herr von Chauvelin, der mir sagte, er hätte gerne meine schöne Haushälterin von Solothurn gesehen, damit das Fest ganz vollständig wäre.

Der Marquis und die Marquise de Prié waren ebenfalls da. Der Marquis, der sich nichts aus dem Tanz machte, spielte eine Partie Quinze mit einem unhöflichen Spieler, der seiner Maitresse nicht erlaubte, in seine Karten zu sehen. Sie bemerkte mich, tat aber, wie wenn sie mich nicht kenne; der Streich, den ich ihr in Aix gespielt hatte, war allerdings wohl danach angetan, in ihrer Erinnerung zu bleiben.

Nachdem die Menuetts getanzt waren, kündigte Dupré den Kontertanz an, und ich sah mit Vergnügen Chevalier de Ville-Follet mit der Corticelli an die Spitze treten. Ich tanzte mit Agata, die nur mit größter Mühe den Lord Percy los werden konnte; er bestand darauf, daß sie mit ihm tanzen solle, obgleich sie ihm immer wieder sagte, daß sie für die ganze Nacht anderweitig verpflichtet sei. Sie sagte mir lachend, man halte allgemein die Ohrbommeln für echte Diamanten und sie habe dies bestätigt.

Man tanzte abwechselnd Menuett und Kontertanz; hierauf wurden für die Damen Erfrischungen in reichlicher Menge herumgereicht. Ich sah mit Vergnügen ein Büfett, das mit fürstlicher Verschwendung ausgestattet war. Die Piemonteser sind gute Rechner und fanden, Dupré müsse Geld zusetzen; denn die Champagnerpfropfen knallten wie Schützenfeuer.

Da ich etwas ermüdet war, bat ich Agata, sich neben mich zu setzen; ich sprach mit ihr von meiner Liebe, als Frau von Chauvelin mit einer anderen Dame dazu kam. Ich stand auf, um ihr Platz zu machen, und Agata erhob sich ebenfalls; aber die liebenswürdige Dame ließ sie neben sich sitzen bleiben. Sie war entzückt von ihrer Schönheit und lobte ihr Kleid, besonders aber den Besatz. Die Dame, die bei ihr war, lobte die Ohrbommeln und sagte, es sei recht schade, daß diese Steine nach Ablauf einer gewissen Zeit ihren Glanz verlören. Frau von Chauvelin war Kennerin und sagte: »Diese Steine werden ihren Glanz niemals verlieren, denn sie sind echt und vom reinsten Wasser, man kann sich nicht darüber täuschen; nicht wahr, Fräulein, Ihre Girandolen sind echte Brillanten?«

Agata war noch zu unschuldig; sie wagte nicht zu lügen und sagte, die Steine seien von Straß und ich habe sie ihr geliehen.

Frau von Chauvelin lachte laut auf und sagte: »Herr von Seingalt hat Sie getäuscht, liebe Kleine; man leiht einem jungen Mädchen wie Ihnen keine falschen Ohrbommeln, und besonders der Herr Chevalier tut das nicht. Ihre Girandolen sind herrliche Diamanten.« Agata errötete, denn mein Schweigen bestätigte die Behauptung der Dame, und das junge Mädchen mußte fühlen, wie sehr ihre Stellung durch diesen Schmuck gehoben wurde; denn er bewies, daß ich großen Wert auf sie legte.

Frau von Chauvelin bat mich, mit Agata ein Menuett zu tanzen; ich gehorchte, und meine hübsche Partnerin tanzte zum Entzücken. Nach dem Tanz dankte die gnädige Frau mir und sagte, sie erinnere sich stets mit Vergnügen, daß wir in Solothurn miteinander getanzt hätten, und hoffe, wir würden am Dreikönigstage in ihrem Palais wieder zusammen tanzen. Eine tiefe Verbeugung zeigte ihr zur Genüge, wie sehr ich mich geschmeichelt fühlte.

Der Ball dauerte bis vier Uhr morgens; ich verließ ihn erst, als ich Agata mit ihrer Mutter und Frau Dupré hatte fortgehen sehen.

Am anderen Morgen lag ich noch im Bett, als mein Kammerdiener mir meldete, daß eine hübsche Dame die Ehre erbitte, mit mir sprechen zu dürfen. Ich ließ sie eintreten und sah mit Vergnügen, daß es Agatas Mutter war. Ich bat sie, sich neben mein Bett zu setzen, und lud sie ein, eine Tasse Schokolade zu trinken. Als wir allein waren, zog sie die Ohrbommeln, die ich ihrer Tochter gegeben hatte, aus der Tasche und sagte mir lachend, sie habe sie einem Juwelier gezeigt, der ihr tausend Zechinen dafür geboten habe.

»Er ist verrückt!« rief ich ebenfalls lachend; »Sie hätten sie ihm lassen sollen, denn sie sind keine vier wert.« Zugleich ergriff ich ihre Hand, zog sie an mich und umarmte sie. Da ich fühlte, daß sie meinen Kuß erwiderte und gefügig war, so ging ich weiter und schließlich verbrachten wir ein paar Stunden damit, uns gegenseitig zu beweisen, wie hoch wir einander schätzten.

Nach dieser entzückenden Szene sahen wir alle beide ein bißchen erstaunt aus; die reizende Mutter brach zuerst das Schweigen und fragte mich lächelnd: »Soll ich meiner Tochter erzählen, auf welche Weise Sie mich überzeugt haben, daß Sie sie lieben?«

»Das überlasse ich Ihrer Klugheit, meine Liebe; ich habe Ihnen soeben bewiesen, daß ich Sie liebe, und dies beweist nicht, daß ich nicht auch Ihre Tochter anbete. Im Gegenteil, ich glühe für sie; trotzdem wird eine Wiederholung des eben Vorgefallenen sich schwerlich verhüten lassen, wenn Sie nicht etwa ein Zusammensein mit mir vermeiden.«

»Es ist sehr schwer, Ihnen zu widerstehen, und möglicherweise habe ich noch öfter das Bedürfnis, mit Ihnen beisammen zu sein.«

»Sie können sich darauf verlassen, daß Sie stets willkommen sein werden; ich bitte Sie nur, dem Glück, Agata zu besitzen, keine Hindernisse in den Weg zu legen.«

»Auch ich bitte Sie um eine Gunst.«

»Wenn ich sie Ihnen bewilligen kann, so brauchen Sie keine Weigerung zu befürchten.«

»Sehr gut! Sagen Sie mir also, ob die Girandolen echt sind und welche Absicht Sie gehabt haben, als Sie die Ohren meiner Tochter damit schmückten?«

»Die Girandolen sind sehr echt, meine Liebe, und es wäre meine Absicht, sie Ihrer Tochter als einen Beweis meiner Zärtlichkeit zu überlassen.«

Ein Seufzer entrang sich ihrem Busen; hierauf sagte sie mir, ich möchte sie mit Dupré und seiner Frau zum Abendessen einladen, so oft ich Lust hätte. Ich dankte ihr und drückte ihr zehn Zechinen in die Hand; ganz glücklich entfernte sie sich.

Über das Vorgefallene nachdenkend, fand ich, daß diese Frau die vernünftigste aller Tänzerinnenmütter sei. Sie konnte mir mein Glück nicht auf eine zartere und zugleich bestimmtere Art verkündigen.

Meine Leser können sich wohl denken, daß ich die Zeit ausnützte und das Eintreten eines mir so sehr am Herzen liegenden Ereignisses möglichst beschleunigte. Noch am gleichen Tage lud ich Dupré und seine Frau, Agata und ihre Mutter für den nächsten Tag ein, mit der Gesellschaft, die sich jeden Abend einfand, bei mir zusammen zu speisen. Als ich Duprés Haus verließ, hatte ich folgendes Erlebnis: Mein Lakai, ein großer Spitzbube, aber in diesem Augenblick ein braver Bursche, kam ganz außer Atem angelaufen und sagte mit triumphierendem Gesicht: »Gnädiger Herr, ich wollte Sie suchen, um Ihnen mitzuteilen, daß ich in diesem Augenblick den Chevalier de Ville-Follet in den Hausflur der Dame Pazienza hineinschlüpfen sah; ich vermute, daß er der Corticelli einen Liebesbesuch macht.«

In der fröhlichen Hoffnung, daß mein Diener den Besuch des Chevaliers richtig aufgefaßt hätte, ging ich sofort nach der Wohnung der ehrenwerten Tugendwächterin. Ich trat ein und fand die Mutter mit der Wirtin zusammen. Ohne ein Wort zu sagen, ging ich auf das Zimmer ihrer Tochter zu; die beiden Alten ergriffen mich jedoch bei den Armen und wollten mich zurückhalten, indem sie sagten, die Signora sei unwohl und bedürfe der Ruhe. Ich stieß sie zurück, riß die Tür auf und fand den galanten Herrn damit beschäftigt, sich sehr eilig wieder in einen anständigen Zustand zu versetzen, während die Schöne, wie versteinert über mein plötzliches Erscheinen, auf dem Bett ausgestreckt liegen blieb, ohne ein Wort zu sagen.

»Mein Herr,« sagte ich zum Chevalier, »entschuldigen Sie, daß ich ohne anzuklopfen eingetreten bin!«

»Warten Sie! Warten Sie!«

Aber anstatt zu warten, machte ich mich, hochentzückt über dieses Abenteuer, aus dem Staube und lief mit der Geschichte zum Chevalier Raiberti, der in meine Heiterkeit einstimmte und aus vollem Halse darüber lachte. Ich bat ihn, der Pazienza sagen zu lassen, daß ich von diesem Tage an nichts mehr für die Corticelli bezahlen würde, da sie mir nicht mehr angehörte. Er fand diesen Entschluß sehr vernünftig und sagte mir: »Sie werden sich doch wohl nicht beim Grafen d’Aglié beklagen?«

»Nur Dummköpfe, mein lieber Chevalier, beklagen sich, besonders unter solchen Umständen.«

Diese Skandalgeschichte würde gänzlich unbekannt geblieben sein, wenn sie nicht durch die Unklugheit des Chevaliers de Ville-Follet in die Öffentlichkeit gedrungen wäre; er ärgerte sich, daß er aus dem Sattel gehoben worden war, bevor er noch mit seinem Ritt fertig war; er erinnerte sich, daß er vor dem Hause der Pazienza meinem Lakaien begegnet war, und erriet, daß dieser mir Meldung gemacht haben müsse. Als er ihm eines Tages auf der Straße begegnete, machte er ihm Vorwürfe, daß er ihn ausspioniert habe; der unverschämte Bediente antwortete ihm ganz frech, er sei nur seinem Herrn Rechenschaft schuldig: es sei seine Pflicht, mir in allen Dingen zu dienen. Der Chevalier prügelte ihn mit seinem Stock, und der Lakai beklagte sich, um sich zu rächen, beim Vikar, der den Chevalier vorladen ließ, um ihn nach den Beweggründen seiner Handlungsweise zu befragen. Ville-Follet erzählte ihm die Geschichte mit allen Einzelheiten, denn er hatte nichts zu befürchten.

Der Chevalier Raiberti ging zur Pazienza und sagte ihr, daß ihre Pensionärin künftighin weder von ihm noch von mir unterstützt werden würde. Sie empfing ihn sehr schlecht, er wollte aber von allen Entschuldigungsreden der Frau nichts hören. Am Abend war der Chevalier bei mir zum Essen, um mir über seinen Besuch Bericht zu erstatten; er sagte mir, er habe beim Hinausgehen einen Polizeigefreiten getroffen, der offenbar der Frau eine Vorladung überbracht habe, vor dem Grafen d’Aglié zu erscheinen.

Am nächsten Tage erhielt ich in dem Augenblick, wo ich auf den Ball des Herrn von Chauvelin gehen wollte, zu meiner großen Überraschung einen Brief vom Grafen d’Aglié, der mich sehr höflich bat, bei ihm vorzusprechen, da er mir etwas mitzuteilen habe. Ohne Zögern befahl ich meinen Trägern, mich nach der Wohnung des hohen Herrn zu bringen.

Herr d’Aglié empfing mich sehr höflich unter vier Augen; er bot mir einen Stuhl an und hielt mir dann eine lange pathetische Rede, um mich zu überzeugen, daß meine Ehre erfordere, den kleinen Seitensprung meiner Schönen großmütig zu vergessen.

»Herr Graf, das ist gerade meine Absicht; denn ich bin entschlossen, in meinem Leben niemals mehr zur Corticelli zu gehen und mich mit ihr weder im Guten noch im Bösen zu beschäftigen; übrigens bin ich der ganz ergebenste Diener des Herrn Chevalier de Ville-Follet.«

»Ah, ich sehe, Sie sind ärgerlich. Hören Sie, um dieser Geschichte willen dürfen Sie sich nicht von ihr lossagen. Ich werde Ihnen in bezug auf die Pazienza eine angemessene Genugtuung verschaffen, und für das junge Mädchen werde ich eine gute Pension in einer anständigen Familie besorgen, für die ich bürgen kann und bei der Sie sie in voller Freiheit besuchen können.«

»Herr Graf, Ihre Güte rührt mich tief und erfüllt mich mit der größten Dankbarkeit; aber ich verachte die Pazienza zu sehr, um von einem solchen Weibe eine Genugtuung zu verlangen. Die Corticelli und ihre Mutter sind zwei Spitzbübinnen, die mir zu viele Unannehmlichkeiten verursacht haben und die ich durchaus nicht mehr sehen will.«

»Sie müssen aber doch zugeben, daß Sie nicht das Recht hatten, in einem Hause, wo Sie nicht der Herr waren, gewaltsam in ein verschlossenes Zimmer einzudringen.«

»Ich gestehe, dieses Recht hatte ich allerdings nicht, obgleich ich bezahlte; aber wenn ich mir dieses Recht nicht angemaßt hätte, würde ich nicht den sicheren Beweis für die Untreue eines Mädchens erlangt haben, das ich unterhielt, ohne über sie verfügen zu können, und das ich gewiß nicht zu unterhalten brauchte, damit sie einem anderen Kunden zur Verfügung stände.«

»Die Corticelli behauptet, sie habe keine Verpflichtungen gegen Sie, sondern Sie seien im Gegenteil ihr Schuldner. Sie behauptet sogar, die Diamantenbommeln, die Sie einer anderen Tänzerin gegeben haben, gehören ihr und seien ein Geschenk von der Frau Marquise d’Urfé, die ich die Ehre habe zu kennen.«

»Die Corticelli lügt, Herr Graf. Da Sie die Frau Marquise d’Urfé kennen, die in diesem Augenblick in Lyon ist, so haben Sie doch die Güte, ihr zu schreiben: wenn die edle Dame Ihnen antwortet, ich sei der elenden Person irgend etwas schuldig, so verlassen Sie sich darauf, daß ich meine Pflicht tun werde. Ich habe bei angesehenen Bankiers hier am Ort hunderttausend Franken stehen. Diese decken zur Genüge den Wert der Girandolen, über die ich anderweitig verfügt habe.«

»Ich bedauere das Vorgefallene recht sehr.«

»Und ich bin sehr erfreut darüber; denn ich werde dadurch eine unangenehme Last los.«

Hierauf machten wir uns gegenseitig eine tiefe Verbeugung, und ich entfernte mich.

Auf dem Ball beim franzosischen Botschafter sprach man so viel von dieser Geschichte, daß ich schließlich der Sache überdrüssig wurde und auf keine Frage mehr antwortete. Man war im allgemeinen der Ansicht, die Geschichte sei doch nur eine Kleinigkeit, aus der ich mir nichts machen dürfe, wenn ich mich nicht entehren wolle. Ich glaubte jedoch mit Recht, allein Richter über meine Ehre zu sein, und legte auf das Urteil anderer geringen Wert. Der Chevalier de Ville-Follet sagte mir: Wenn ich wegen dieser Läpperei mich von der Corticelli lossagte, so würde er sich für verpflichtet halten, mir Genugtuung zu geben. Ich antwortete ihm, indem ich ihm die Hand schüttelte: »Mein lieber Chevalier, es genügt, wenn Sie keine von mir verlangen.«

Er verstand mich und sagte kein Wort mehr. Seine Schwester dagegen, die Marquise de Prié, setzte mir sehr heftig zu, nachdem sie einen Kontertanz mit mir getanzt hatte. Sie war schön, und es stand lediglich bei ihr, den Sieg zu erringen; glücklicherweise dachte sie nicht daran, oder sie erriet nicht, wie sehr ich ihren Reizen Gerechtigkeit widerfahren ließ, und so erlangte sie nichts.

Frau von St.-Giles, die in Turin Regen und Sonnenschein machte und eine Art Oberaufsicht über alle Kulissenintrigen führte, und um deren Protektion alle Künstlerinnen sich bemühten, ließ mich zu sich bestellen. Die Aufforderung wurde mir durch einen Lakaien in Livree überbracht; ich erriet, um was es sich handelte, und ging ohne Umstände im Morgenrock zu ihr. Sie empfing mich sehr höflich und sprach in außerordentlich liebenswürdigem Tone von der Angelegenheit; aber sie gefiel mir nicht, und ich antwortete ihr ziemlich kurz angebunden, ich finde durchaus keinen Geschmack mehr an der Corticelli und überließe sie daher bereitwillig dem galanten Chevalier, mit dem ich sie auf frischer Tat ertappt hätte. Sie entfernte sich mit den Worten, ich würde es bereuen, denn sie würde eine kleine Geschichte veröffentlichen, die sie bereits gelesen hätte, und die mir keine Ehre machte. Ich antwortete ihr, es sei meine Gewohnheit, niemals etwas zu bereuen; ich hätte keine Furcht, und Drohungen machten keinen Eindruck auf mich. Hierauf entfernte ich mich.

Ich dachte kaum noch an diese Klatschgeschichte, als mir etwa acht Tage später ein Manuskript zuging, das eine Art Geschichte des zwischen der Corticelli, Frau von Urfé und mir Vorgefallenen enthielt; aber diese Geschichte war schlecht geschrieben, voll von allerlei dummen Albernheiten und so ungeschickt entworfen, daß man sie unmöglich zu Ende lesen konnte, ohne sich zu langweilen. Sie interessierte mich denn auch nicht im geringsten, und vierzehn Tage später verließ ich Turin, ohne mich in irgend einer Weise darum bekümmert zu haben. Ich sah die Corticelli erst sechs Monate nach dieser Geschichte in Paris wieder, wie ich später erzählen werde.

Am Tage nach dem Ball des Herrn de Chauvelin waren meine liebe Agata, ihre Mutter, Dupré und seine Frau mit meiner Gesellschaft bei mir zum Essen. Es war Sache der Mutter, es so einzurichten, daß Agata die Ohrgehänge mit gutem Recht erwarb; ich war völlig bereit, das Opfer zu bringen, und überließ der liebenswürdigen Priesterin die Zeremonie dieser Handlung. Ich wußte, daß es so kommen würde, und sie führte in der Tat während der Mahlzeit geschickt eine Gelegenheit herbei, indem sie sagte, man behaupte in Turin allgemein, ich hätte ihrer Tochter ein Paar Ohrringe geschenkt, die fünfhundert Louis wert wären und nach der Behauptung der Corticelli dieser gehörten.

»Ich weiß nicht,« fügte sie hinzu, »ob die Ohrringe echt sind, und ebensowenig, ob sie der Corticelli gehören. Aber ich weiß, daß es falsch ist, wenn man behauptet, meine Agata habe sie von dem Herrn geschenkt erhalten.«

Ich zog die Ohrbommeln aus der Tasche und sagte: »Nun wird man nicht mehr daran zweifeln können.«

Hierauf hängte ich dem jungen Mädchen die Girandolen ein und fuhr fort: »Meine reizende Agata, ich mache Ihnen dieses Geschenk in Gegenwart der ganzen Gesellschaft und beweise dadurch, daß die Ohrringe bis zu diesem Augenblick mir gehört haben.«

Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall, und das junge Mädchen ließ mich voller Dankbarkeit in ihren Augen lesen, daß sie mir mit ihrer ganzen Person dankbar sein würde.

Wir sprachen hierauf über den Fall Corticelli-Ville-Follet und von den Bemühungen, die mich veranlassen sollten, sie noch weiterhin auszuhalten. Der Chevalier Raiberti sagte, an meiner Stelle würde er der Frau von St.-Giles und sogar dem Vikar angeboten haben, das Kostgeld für das Mädchen noch weiter zu bezahlen, aber ausdrücklich nur als Almosen, und die Summe bei ihr oder bei ihm niederzulegen.

»Dazu bin ich gerne bereit,« antwortete ich ihm, »und Sie können auf mein Wort rechnen.«

Der wackere Mann ging schon am nächsten Tage zu Frau von St.-Giles, um die Geschichte in Ordnung zu bringen, und ich übergab ihm das nötige Geld. Trotz dieser guten Handlung erschien das unglückselige Manuskript, wovon ich vorhin sprach; es schadete mir jedoch in keiner Weise, wie ich bereits gesagt habe. Der Vikar ließ die Corticelli in das Haus bringen, wo Redegonda wohnte; Dame Pazienza blieb unbehelligt.

Nach dem Essen zogen wir alle, außer dem Chevalier Raiberti, Dominos an und gingen zusammen auf den Opernball. Diesen verließ ich sehr bald heimlich mit Agata. Ich führte sie in meine Wohnung, und sie gewährte mir alles, was die Liebe wünschen kann. Von diesem Augenblick an war aller Zwang geschwunden; sie war meine anerkannte Geliebte, und wir waren stolz darauf, einander anzugehören, denn wir liebten uns. Die Soupers, die ich in meinem Hause gab, hatten mir völlige Freiheit verschafft, so daß der Vikar unsere Liebe nicht hindern konnte, obgleich sie ihm ganz genau bekannt war, denn das Spioniersystem war in Turin gut organisiert. Die Vorsehung bediente sich meiner, um Agatas Glück zu machen. Man wird vielleicht sagen, sie hätte sich einen Weg wählen können, der nach der landläufigen Ansicht moralischer gewesen wäre. Aber warum will man die Wege der Vorsehung in den engen Kreis unserer Vorurteile, unserer Sitten und unserer von der Gesellschaft herausgebildeten Anstandsregeln einschließen? Die Vorsehung hat ihre natürlichen Wege, die uns nur deshalb dunkel erscheinen, weil wir uns von der Natur entfernt haben. Jedenfalls wird der Leser – wenn ich es nicht vorher müde werde, diese Erinnerungen fortzusetzen – in fünf oder sechs Jahren sehen, daß Agata sich ihres Glückes würdig zeigte. Doch zurück zu unserer Geschichte!

Wir fanden unsere Genüsse so süß, wir verbrachten so glückliche Nächte und so angenehme Tage, Agata war so zärtlich, und ich war so verliebt, daß wir uns ganz gewiß noch lange nicht freiwillig getrennt haben würden, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das mich veranlaßte, Turin viel früher zu verlassen, als ich beabsichtigt hatte; denn ich wollte eigentlich erst während der Fastenzeit nach Mailand gehen, um die spanische Gräfin zu besuchen, die ich mir als ein Naturwunder vorstellte. Der Mann der Spanierin hatte die Angelegenheit, die ihn in Turin festhielt, zu einem glücklichen Ende gebracht. Er war unter Tränen der Dankbarkeit abgereist; denn er hätte Turin nicht verlassen und nach Mailand reisen können, wenn ich ihm nicht das Geld zur Bezahlung seiner kleinen Schulden und zur Reise gegeben hätte. So verbündet das Laster sich oft mit der Tugend oder verkleidet sich als solche; aber einerlei! ich betrog mich selber und blieb freiwillig in meiner Täuschung gefangen. Ich bin niemals blind gegen meine Fehler gewesen: ich war mein ganzes Leben lang ein richtiger Wüstling, und ich war nicht immer zartfühlend in der Wahl der Mittel, die ich anwandte, um meine Leidenschaften zu befriedigen; aber mitten in meinem lasterhaften Lebenswandel war ich stets ein leidenschaftlicher Freund der Tugend. Dies gestehe ich mit Vergnügen zu. Besonders die Wohltätigkeit hat stets Reiz für mich gehabt, und ich habe niemals versäumt, sie auszuüben, sobald sich die Gelegenheit bot; es sei denn, daß ich durch Rachsucht zurückgehalten worden wäre, denn dieses Laster hat stets alle meine guten und schlechten Eigenschaften überragt.

Lord Percy, von dem ich bereits sprach, war in meine Agata verliebt; er ging ihr überall nach; er wartete auf sie hinter den Kulissen, war bei allen Proben anwesend und machte ihr jeden Tag Besuche, obgleich seine Wirtin, eine Duenna von der Art der Pazienza, ihn niemals allein ließ. Er sparte nicht mit den größten Verführungsmitteln: reichen Geschenken; aber Agata hatte diese stets zurückgewiesen und ihrer Wächterin ausdrücklich verboten, von dem, was der junge Engländer ihr schenkte, etwas anzunehmen. Agata war zufrieden und empfand keine Neigung für ihn; sie erzählte mir alles, und wir lachten darüber. Da ich sicher war, das Herz des reizenden Mädchens zu besitzen, so sah ich Percys Bemühungen ohne Ärger und Eifersucht; im Gegenteil sie schmeichelten meiner Eitelkeit, denn dieser verschmähte Liebhaber verlieh meinem Glück noch höheren Glanz. Die ganze Stadt wußte, daß Agata mir treu war, und schließlich war auch Percy so überzeugt davon, daß er einsah, er könnte nur dadurch zu seinem Ziel gelangen, daß er sich um meine Freundschaft bewürbe und mich auf seine Seite brächte.

In dieser Absicht kam er, kühn und offen wie ein Engländer, eines Morgens zu mir und lud sich bei mir zum Frühstück ein. Ich nahm ihn nach französischer Sitte auf, das heißt, mit ungezwungener und freimütiger Höflichkeit, die ihm sofort alle Verlegenheit benahm.

In seiner Denkweise ganz und gar Engländer, glaubte er mir schon bei diesem ersten Zusammentreffen seine Leidenschaft für Agata erklären und mir einen Tausch vorschlagen zu können, über den ich herzlich lachen mußte, der mich aber nicht beleidigte, da ich wußte, daß ein derartiger Vorschlag ganz den englischen Sitten entsprach.

»Ich weiß,« sagte er zu mir, »daß Sie schon seit langer Zeit die schöne Tänzerin Redegonda lieben, und daß Sie vergeblich versucht haben, sie zu bekommen. Ich biete sie Ihnen im Tausch für Agata an; sagen Sie mir, was Sie obendrein haben wollen.«

»Sie sind ebenso liebenswürdig wie scherzhaft, mein lieber Lord; aber Sie werden zugeben, man müßte ein geschickter Mathematiker sein, um den Mehrwert meiner Agata auszurechnen. Redegonda hat ihre Verdienste, sie hat mir Neugier eingeflößt; aber wie könnte man sie mit Agata vergleichen!«

»Das weiß ich; darum biete ich Ihnen auch so viel als Zugabe an, wie Sie verlangen.«

Percy war Besitzer eines ungeheuren Vermögens, und er war ein leidenschaftlicher Mensch. Ich hätte von ihm fünfundzwanzigtausend Guineen als Draufgeld verlangen können, oder vielmehr als Tauschgeld; denn aus Redegonda machte ich mir nichts; ich bin überzeugt, er würde frohen Herzens dem Geschäft zugestimmt haben. Ich tat es nicht und habe dies niemals bereut. Sogar heute noch, wo hunderttausend Franken mir als ein Schatz erscheinen würden, wünsche ich mir zu meinem Zartgefühl Glück.

Nachdem wir während des Frühstücks viel gelacht hatten, sagte ich ihm, er flöße mir Freundschaft ein und es könne daher wohl sein, daß ich die Sache möglich fände; vor allen Dingen aber müßten wir uns überzeugen, daß die Waren mit dem Wechsel des Besitzers einverstanden wären:

Si come amor si regga a questa guisa
Che vender la sua donna o permutarla
Possa l’amante, nè a ragion si attristi,
Se quando una ne perde una n’acquisti.

Da es der Liebe eigen ist, daß du
Dein Liebchen tauschen kannst, ja gar verkaufen –
So wahre dir nur deines Herzens Ruh:
Kriegst du ’ne neue, laß die alte laufen!

»Der Einwilligung Redegondas bin ich sicher«, sagte Percy.

»Das ist ja sehr schön; ich dagegen bin durchaus nicht sicher, daß Agata einverstanden ist.«

»Zweifeln Sie nicht daran!«

»Ich zweifle im Gegenteil sehr daran. Welchen Grund haben Sie für Ihre Meinung?«

»Sie wird vernünftig sein.«

»Sie liebt mich.«

»Aber Redegonda liebt mich auch.«

»Das ist sehr wohl möglich; aber glauben Sie, daß sie auch mich liebt?«

»Das weiß ich nicht, aber sie wird Sie lieben.«

»Haben Sie sie darüber befragt?«

»Nein, aber das ist ganz einerlei; das werde ich schon machen. Für jetzt handelt es sich nur darum, mir zu sagen, ob mein Plan Ihnen gefällt und welches Draufgeld Sie verlangen, denn Ihre Agata ist mehr wert als meine Redegonda.«

»Ich bin entzückt, daß Sie meiner Geliebten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Vom Draufgeld werden wir übrigens später sprechen. Gestatten Sie, daß ich zunächst meine Geliebte befrage; morgen früh werde ich Ihnen persönlich meine Antwort überbringen.«

Diesel Plan ergötzte mich. Obwohl ich leidenschaftlich in Agata verliebt war, so kannte ich doch die Unbeständigkeit meiner Natur, und bezweifelte nicht, daß ein neuer Gegenstand, wäre er auch weniger schön als sie, sie bald in Vergessenheit bringen würde. Ich beschloß, die Geschichte zu einem guten Ende zu führen, wenn ich dies auf eine für das junge Mädchen vorteilhafte Art tun könnte.

Überraschend war für mich, daß es dem jungen Lord gelungen war, Redegonda in seinen Besitz zu bringen, deren Mutter sich gegen mich so halsstarrig gezeigt hatte; aber ich wußte, daß Frauen oft nach Launen handeln, und dies erklärte mir das Rätsel.

Am Abend kam Agata wie gewöhnlich zu mir; sie lachte herzlich, als ich ihr über den Vorschlag des Lord Percy berichtete.

»Sage mir, meine Liebe, ob du diesem Tausch zustimmen würdest?«

»Ich werde alles tun, was du willst, und wenn du bei der Entschädigung, die er dir anbietet, deine Rechnung findest, so rate ich dir, den Vorschlag anzunehmen.«

An dem Ton, womit Agata diese Worte sprach, erkannte ich deutlich, daß sie scherzte; trotzdem hätte ich eine andere Antwort gewünscht: eine Weigerung, die meinem Selbstgefühl geschmeichelt haben würde. Ich war folglich nicht zufrieden. Ich wurde ernst, und Agata wurde nachdenklich.

»Wir werden ja sehen,« sagte ich zu ihr, »welchen Ausgang die Sache nehmen wird.«

Am nächsten Morgen ging ich zu meinem Engländer zum Frühstück und sagte ihm, Agata nehme den Vorschlag an; ich wolle jedoch überzeugt sein, daß Redegonda ihn ebenfalls annehme.

»Das ist nicht mehr als recht und billig.«

»Ich muß wissen, wie wir es anfangen, miteinander zu reden.«

»Ich schlage vor, daß wir alle vier, gut maskiert, den ersten Ball im Carignan-Theater besuchen; wir werden ihn verlassen, um miteinander in einem mir gehörenden Hause zu Nacht zu essen, und dort werden wir den Handel abschließen.«

Die Partie fand der Verabredung gemäß statt. Sobald wir uns auf dem Ball am vereinbarten Zeichen erkannt hatten, verließen wir den Saal. Der Wagen des Lords erwartete uns vor der Tür; wir stiegen alle vier ein und fuhren nach einem Hause, das ich kannte. Ich trat in einen Saal ein, und das erste, worauf mein Blick fiel, war die Corticelli. Entrüstet über dieses Vorgehen rief ich Percy beiseite und sagte ihm, es sei eines Edelmannes unwürdig, mir einen solchen Streich zu spielen. Er antwortete mir lachend, er habe mir ein Vergnügen zu machen geglaubt, indem er sie mir als Draufgeld gäbe, denn nach seiner Schätzung sei Agata zwei hübsche Mädchen wert. Ich fand die Antwort spaßhaft, und sie mäßigte meinen Zorn.

»Sie sind ein Narr!« sagte ich zu ihm; zugleich ergriff ich Agatas Hand, und wir verließen das Haus, ohne auf seine Worte zu hören. Ich lehnte es ab, mich seines Wagens zu bedienen, sondern nahm Tragstühle; statt wieder auf den Ball zu gehen, führte ich meine Geliebte in meine Wohnung, und wir verbrachten eine köstliche Nacht in den Wonnen der Liebe.

Zweites Kapitel


Ende meines Abenteuers mit der Nonne von Chambéry. – Meine fluchtähnliche Abreise aus Aix.

Nachdem ich der Frau von Zeroli einen traurigen Blick zu geworfen hatte, ging ich nach der Hütte; ich fand dort meinen Engel in einem ganz neuen großen Bett, neben welchem ein anderes hübsches römisches Ruhebett stand, das für mich bestimmt war. Ich lachte über das Mißverhältnis dieser Möbel zu dem elenden Dachboden, wo wir uns befanden; um aber unserer Bäuerin meinen Dank zu beweisen, zog ich fünfzig Louis aus meiner Börse und gab sie ihr mit den Worten, dies Geld sei für den Rest der Zeit, die Madame noch hier bleiben werde; außerdem verbot ich ihr, noch weitere Ausgaben für Möbel zu machen.

Dieser Charakter ist, glaube ich, den Spielern im allgemeinen eigen. Ich hatte fast dreihundert Louis verloren, aber ich hatte mehr als fünfhundert aufs Spiel gesetzt und was mir übrig geblieben war, war in meinen Augen reiner Gewinn. Hätte ich ebensoviel gewonnen, wie ich verloren hatte, so hätte ich mich wahrscheinlich damit begnügt, ihr zehn Louis zu geben; aber indem ich ihr fünfzig gab, bildete ich mir ein, ich verlöre sie auf einer Karte. Ich habe immer gerne Geld ausgegeben, aber verschwenderisch war ich nur, wenn ich beim Spielen war.

Ich war freudetrunken, als ich dankbare Überraschung auf den Zügen meiner schönen M. M. erblickte.

»Sie müssen sehr reich sein«, sagte sie zu mir.

»Glauben Sie das nicht, liebes Herz! Aber ich liebe Sie leidenschaftlich, und da ich wegen Ihres unglückseligen Armutsgelübdes Ihnen selber nichts anbieten kann, so verschwende ich, was ich besitze, an diese gute Frau, damit sie nichts versäumt, was zu Ihrer Befriedigung beitragen kann, solange Sie bei ihr sind. Vielleicht hegt mein Herz die halbe unbewußte Hoffnung, daß Sie mich dafür um so mehr lieben werden.«

»Wie könnte ich Sie mehr lieben, als es schon der Fall ist! Unglücklich macht mich nur der Gedanke an die Rückkehr in mein Kloster.«

»Aber gestern haben Sie mir gesagt, daß gerade dieser Gedanke Sie glücklich macht.«

»Ja, gerade seit gestern haben sich meine Gefühle geändert! Ich habe eine schlimme Nacht verlebt; denn ich konnte kein Auge schließen, ohne mich sofort wieder in Ihren Armen zu befinden, und immer in dem Augenblick, wo ich das größte Verbrechen begehen wollte, fuhr ich aus dem Schlafe auf.«

»Sie haben aber nicht so standhaft gekämpft, bevor Sie es mit einem Manne begingen, den Sie nicht liebten.«

»Gerade weil ich ihn nicht liebte, beging ich ein Verbrechen, das mir bedeutungslos erschien. Begreifen Sie dies, lieber Freund?«

»Es ist eine metaphysische Vorstellung Ihrer unschuldigen und abergläubischen Seele; ich begreife dies vollkommen.«

»Sie machen mich glücklich und dankbar, und ich freue mich in dem Gedanken, daß Sie nicht in gleicher Lage sind wie ich; denn das macht mich des Sieges gewiß.«

»Ich werde Ihnen den Sieg nicht streitig machen, obgleich mich dies sehr traurig macht.«

»Warum?«

»Weil Sie sich verpflichtet glauben werden, mir harmlose Liebkosungen zu verweigern, die doch das Glück meines Lebens ausmachen würden.«

»Ich habe daran gedacht.«

»Sie weinen?«

»Ja, und ich liebe sogar diese Tränen.«

»Sie erstaunen mich.«

»Ich habe Sie um zwei Gefälligkeiten zu bitten.«

»Sprechen Sie und seien Sie sicher, daß ich Ihre Bitten erfüllen werde.«

»Gestern«, sagte meine reizende Nonne mir, »haben Sie mir die beiden Porträts meiner venetianischen Schwester dagelassen. Ich bitte Sie, schenken Sie sie mir.«

»Sie gehören Ihnen.«

»Ich bin Ihnen dankbar dafür. Dieses war meine erste Bitte die zweite lautet: haben Sie die Güte, zum Tausch dafür mein Bild anzunehmen, das ich Ihnen morgen geben werde.«

»Und das ich mit Vergnügen empfangen werde! Es wird, meine liebe Freundin, das kostbarste meiner Kleinodien sein. Aber ich bin überrascht, daß Sie dies als eine Gunst von mir erbitten, während doch in Wahrheit Sie mir eine erweisen, die ich niemals von Ihnen zu erbitten gewagt hätte. Wie könnte ich mich würdig machen, daß Sie auch mein Bild zu erhalten wünschen?«

»Ach, mein lieber Freund, dies würde mir sehr teuer sein; aber Gott soll mich davor bewahren, ein solches Bild bei mir im Kloster zu haben.«

»Ich werde mich als heiligen Alois von Gonzaga oder als heiligen Antonius von Padua malen lassen.«

»Ich würde der Verdammnis verfallen sein.«

»So sprechen wir nicht mehr davon.«

Sie trug ein Mieder aus Basin, das mit rotem Bande eingefaßt war und vorne durch Schleifen von derselben Farbe zusammengehalten wurde, und ein Batisthemd. Ich war durch diesen Anblick überrascht gewesen, da aber die Höflichkeit mir nicht erlaubte, sie zu fragen, woher sie diese Sachen habe, so begnügte ich mich, einen Blick darauf zu werfen. Sie erriet meine Gedanken und sagte mir lachend: »Es ist ein Geschenk, das die Bauersfrau mir gemacht hat. Nun sie plötzlich reich geworden ist, denkt die gute Frau an weiter nichts, als wie sie ihrem Wohltäter bezeugen könne, daß sie ihm dankbar ist. Sehen Sie dieses große Bett, lieber Freund; ganz gewiß hat sie dabei an Sie gedacht; und diese schönen Bettücher. Dieses feine Hemd, es macht mir Vergnügen, ich gestehe es. Ich werde diese Nacht besser schlafen – wenn ich mich nur der verführerischen Träume erwehren kann, die mich vorige Nacht gepeinigt haben.«

»Glauben Sie, daß dieses Bett, diese Bettlaken und dieses feine Hemd dazu beitragen werden, Ihrer Seele die Träume fernzuhalten, die Sie befürchten?«

»Ganz gewiß wird das Gegenteil der Fall sein, denn solche Bequemlichkeiten reizen zur Sinnlichkeit. Übrigens werden alle diese Sachen Eigentum der guten Frau bleiben; denn wenn ich sie auch mitnehmen wollte, was würde man im Kloster dazu sagen?«

»Sie schlafen dort nicht so bequem?«

»O nein! Wir haben einen Strohsack und zwei Decken; es ist eine besondere Vergünstigung, wenn wir zwei sehr grobe Bettlaken oder gar noch eine dünne Matratze erhalten. Aber Sie scheinen mir traurig zu sein; gestern waren Sie so heiter.«

»Wie könnte ich wohl heiter sein, da ich nicht mehr imstande bin, mit Ihnen zu scherzen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, Ihnen dadurch Kummer zu bereiten!«

»Aber Sie bereiten mir ja im Gegenteil das größte Vergnügen damit.«

»So willigen Sie ein, für die Wonne, die Sie mir gewähren, Wonne zu empfangen?«

»Aber die Wonne, die Sie empfinden, ist unschuldig; die meinige aber ist es nicht.«

»Was würden Sie denn tun, wenn meine Wonne ebensowenig unschuldig wäre wie die Ihrige?«

»Dann würden Sie mich gestern Abend unglücklich gemacht haben; denn ich hätte Ihnen nichts verweigern können.«

»Unglücklich? Wieso denn? Bedenken Sie im Gegenteil, Sie hätten dann nicht gegen Träume zu kämpfen gehabt, sondern würden friedlich geschlafen haben, übrigens hat die Bäuerin mit diesem Mieder Ihnen ein Geschenk gemacht, das mich zur Verzweiflung bringt, denn sonst hätte ich wenigstens meine hübschen Kinderchen sehen können, ohne Angst vor bösen Träumen zu haben.«

»O, lieber Freund, darum müssen Sie der armen Frau nicht böse sein; denn wenn sie glaubt, daß wir uns lieben, so wird sie gewiß auch wissen, daß ein Mieder nicht schwer aufzuschnüren ist. Jedenfalls will ich Sie nicht traurig sehen – das ist die Hauptsache.«

Indem sie diese Worte sprach, sah sie mich mit flammenden Blicken an, und ich überschüttete sie mit Küssen, die sie mir mit voller Zärtlichkeit zurückgab. Die Bäuerin kam herein, um einen hübscher neuen kleinen Tisch zu decken, als ich gerade dabei war, meiner Nonne das Mieder auszuziehen, ohne daß sie mir den geringster Widerstand entgegensetzte.

Dieses ausgezeichnete Vorzeichen versetzte mich in gute Laune aber als ich sie anblickte, sah ich, daß sie nachdenklich wurde. Ich hütete mich wohl, sie nach dem Grunde zu fragen, denn ich erriet diesen und ich wollte mir nicht Bedingungen auferlegen lassen, die durch Religion und Ehre unverletzlich geworden sein würden. Um sie von ihren Gedanken abzubringen, suchte ich ihren Appetit anzuregen, indem ich ihr beim Essen mit gutem Beispiel voranging; sie trank dazu mit ebensoviel Vergnügen einen ausgezeichneten Claret; da sie jedoch an solche Weine nicht gewöhnt war, erregte er in ihr eine Lustigkeit, die die erklärte Feindin der Enthaltsamkeit ist. Übrigens merkte sie selber nichts davon, denn die Fröhlichkeit befeuerte ihren Geist, so daß sie alles im schöneren Lichte sah und sich viel mehr ihren Gefühlen überließ, als sie es vor dem Abendessen getan hatte.

Als wir allein waren, wünschte ich ihr Glück zu ihrer guten Laune, indem ich ihr sagte, daß ohne diese meine traurige Stimmung nicht verflogen sein würde, daß ich nun aber die Stunden des Glückes, die ich bei ihr verbrächte, leider nur zu kurz fände.

»Ich werde fröhlich sein, lieber Freund, und wäre es auch nur, um dir Vergnügen zu machen.«

»Vortrefflich! aber, mein Engel, beglücke mich mit denselben Vergünstigungen, die du mir gestern abend gewährt hast.«

»Ich will lieber alle Bannflüche der Welt auf mich nehmen, als daß du von mir denken sollst, ich sei ungerecht gegen dich. Sieh her!«

Mit diesen Worten nahm sie ihre Haube ab und ließ ihr schönes Haar aufgelöst herunterhängen; ich schnürte ihr Mieder auf und hatte im Nu eine Sirene vor mir, wie man sie auf den schönsten Gemälden Correggios sieht. Ich konnte es nicht lange aushalten, sie so zu betrachten: ich bedeckte sie mit heißen Küssen, und indem ich ihr dadurch meine Glut mitteilte, sah ich sie bald mir neben sich Platz machen. Ich fühlte, daß es jetzt nicht mehr angebracht war, lange Reden zu halten, sondern daß die Natur sprach und daß sie Liebe von mir verlangte, und ich wußte den Augenblick einer so süßen Schwachheit zu benutzen. Ich stürzte mich auf sie, heftete meine Lippen auf ihren Mund und preßte sie liebeglühend in meine Arme, um mit ihr des höchsten Glückes zu genießen.

Aber mitten in diesem leidenschaftlichen Vorspiel drehte sie den Kopf zur Seite, schloß ihre schönen Augenlider und schlief ein. Ich entfernte mich ein wenig von ihr, um besser die wundervollen Schätze sehen zu können, die die Liebe mir darbot. Die göttliche Nonne schlief; ihr Schlaf konnte keine Verstellung sein; aber selbst wenn sie sich nur schlafend gestellt hätte, konnte ich ihr wohl eine solche List übelnehmen? Gewiß nicht; denn der Schlaf einer Frau, mag er wahr oder verstellt sein, muß von einem zartfühlenden Liebhaber geachtet werden; darum braucht er sich erlaubte Genüsse nicht zu versagen. Denn wenn der Schlaf echt ist, so wagt er nichts dabei; ist er aber nur Verstellung, so entspricht er nur den Wünschen, die sie entflammen. Nur müssen die Liebkosungen so sein, daß man die Gewißheit hat, sie sind dem geliebten Gegenstand angenehm.

Aber M.M. schlief wirklich: der Claret hatte ihre Sinne betäubt, und sie hatte ohne Nebengedanken nur seinen Wirkungen nachgegeben. Während ich sie ansah, bemerkte ich, daß sie träumte. Ihre Lippen flüsterten Worte, die ich nicht verstand; aber die Wollust, die sich auf ihren strahlenden Zügen malte, ließ mich erraten, wovon sie träumte. Ich warf meine Kleider ab, und es dauerte keine zwei Minuten, so lag ich gegen ihren schönen Leib gepreßt. Nur wußte ich nicht recht, ob ich ihren Schlaf nachahmen oder ob ich versuchen sollte, sie aufzuwecken, um die Lösung unseres Dramas herbeizuführen, die sich, wie mir schien, nicht mehr aufschieben ließ.

Meine Ungewißheit dauerte nicht lange; denn die Bewegungen, die sie unwillkürlich machte, sobald sie an dem Heiligtum der Liebe den Priester fühlte, der das Opfer vollziehen sollte, zeigten mir deutlich, daß sie fortträumte und daß ich sie nur glücklich machen konnte, indem ich ihren Traum in Wirklichkeit verwandelte. Leise schob ich alle Hindernisse beiseite, und indem ich den Bewegungen mich anpaßte, die meine Berührungen ihrem schönen Leibe mitteilten, vollbrachte ich den süßen Raub. Als ich zum Schluß nicht mehr imstande war, mich zu mäßigen, und mich der ganzen Kraft des Gefühls überließ, erwachte sie mit einem Seufzer des Glücks und rief:

»O Gott, ist es denn wahr!«

»Ja! wahr! köstlich, mein Engel! Bist du glücklich?«

Statt zu antworten, umschlang sie mich mit ihren Armen, heftete ihre Lippen auf die meinigen, und so blieben wir, ohne uns einen Augenblick zu trennen, bis zur Morgenröte, alle Wonnen auskostend, immer von neuem unsere Begierden erregend und ohne einen anderen Gedanken, als wie wir unser Glück und unsere Genüsse verlängern könnten.

»Ach, mein Freund, mein Gatte!« rief sie endlich; »ich bin glücklich! Aber wir müssen uns bis heute Abend trennen. Geh jetzt! Wir werden von unserer Seligkeit sprechen, indem wir sie erneuern.«

»Es tut dir also nicht leid, mich glücklich gemacht zu haben?«

»Kann es mir leid tun, dir erlaubt zu haben, mich glücklich gemacht zu haben? Du bist zu mir wie ein Engel vom Himmel gekommen. Wir liebten uns, wir haben unserer Liebe die Krone aufgesetzt; ich kann nicht Gott beleidigt haben. Von all meiner Unruhe bin ich befreit. Wir sind unserem Geschick gefolgt, indem wir der Natur gehorchten. Liebst du mich noch?«

»Kannst du daran zweifeln? Heute Abend werde ich es dir beweisen.«

Während wir fortwährend von unserer Liebe sprachen, zog ich mich so schnell wie möglich an. Sie blieb im Bett liegen, und ich bat sie, sich der Ruhe hinzugeben.

Es war heller Tag, als ich nach Hause kam. Leduc war nicht zu Bett gegangen; er übergab mir einen Brief von der schönen Zeroli, indem er mir sagte, man habe ihn um elf Uhr gebracht. Ich hatte ihr Abendessen versäumt und hatte sie nicht nach Chambéry begleitet. Ich hatte keine Zeit gehabt, auch nur einen Augenblick an sie zu denken. Das tat mir leid, aber ich wußte nicht, was ich dabei machen sollte. Ich öffnete den Brief; er bestand nur aus sechs Zeilen, aber diese waren vielsagend. Sie riet mir, niemals nach Turin zu gehen, denn dort würde sie sich für den blutigen Schimpf, den ich ihr angetan hätte, zu rächen wissen. Sie warf mir vor, daß ich öffentlich meine Verachtung bekundet hätte; sie fühlte sich dadurch entehrt und würde mir niemals verzeihen. Mein Entschluß war schnell gefaßt: ich zerriß das liebenswürdige Briefchen, ließ mich frisieren und ging nach dem Brunnen.

Alle Herren und Damen machten mir Vorwürfe, daß ich nicht an dem Souper der Madame Zeroli teilgenommen hätte. Ich verteidigte mich, so gut ich konnte, aber meine Entschuldigungen mochten wohl recht lahm sein, woraus ich mir übrigens wenig machte. Man sagte mir, man wisse alles; ich wußte, daß man nichts wußte, und das machte mir Spaß. Die Geliebte des Marquis hängte sich an meinen Arm und sagte mir ohne Umstände, ich stände im Rufe, unbeständig zu sein. Mit jener banalen Höflichkeit, die die gute Gesellschaft nun einmal verlangt, antwortete ich ihr, man werfe mir mit Unrecht solche häßliche Eigenschaft vor; sollte ich wirklich diesen Vorwurf einmal verdient haben, so sei es wohl nur deshalb, weil ich niemals die Ehre gehabt habe, einer so vortrefflichen Dame zu dienen, wie sie es sei. Ich sah, daß mein Kompliment ihr schmeichelte, und biß mir auf die Lippen, als sie mit der liebenswürdigsten Miene mich fragte, warum ich denn nicht zuweilen beim Marquis frühstücke.

»Ich fürchte, ihn zu belästigen.«

»Wieso denn?«

»Ich würde ihn in seinen Beschäftigungen stören.«

»Er hat keine, und Sie werden ihm ein großes Vergnügen bereiten, wenn Sie ihn besuchen. Kommen Sie doch morgen; er frühstückt immer in meinem Zimmer.«

Die Dame war die Witwe eines vornehmen Herrn; sie war jung, unbestreitbar hübsch und beherrschte vollkommen den Ton der guten Gesellschaft. Trotzdem machte ich mir nichts aus ihr. Ich hatte soeben die schöne Zeroli besessen, und meine entzückende Nonne hatte meine höchsten Wünsche erfüllt; da war es mir denn erlaubt, wählerisch zu sein, übrigens hatte ich für vorübergehende Wünsche wirklich keinen Platz mehr. Trotzdem hatte ich mich dummerweise in die Notwendigkeit gesetzt, den Anschein zu erwecken, als sei ich ob der Bevorzugung sehr glücklich.

Sie fragte den Marquis, ob sie nach dem Gasthof zurückgehen könne.

»Ja,« antwortete er; »aber ich habe noch ein Geschäft zu erledigen und werde dich nicht begleiten können.«

»Wollen Sie vielleicht die Güte haben, mich zu begleiten?« fragte sie mich.

Ich machte eine Verbeugung.

Unterwegs sagte sie mir: »Wenn Frau von Zeroli nicht abgereist wäre, würden Sie nicht gewagt haben, meinen Arm anzunehmen.« Ich konnte ihr nur ausweichend antworten, denn ich wollte mich in keine neue Liebesgeschichte einlassen. Trotzdem mußte ich sie notgedrungen auf ihr Zimmer begleiten und neben ihr Platz nehmen. Da ich aber die ganze Nacht nicht geschlafen hatte und mich langweilte, so gähnte ich einige Male, was für die Marquise nicht schmeichelhaft war. Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte, indem ich ihr schwor, daß ich krank sei. Sie glaubte mir dies oder tat wenigstens so. Aber meine Müdigkeit war so groß, daß ich unfehlbar eingeschlafen sein würde, wenn ich nicht meine Zuflucht zu meiner Nieswurz genommen hätte; dank ihr blieb ich wach, indem ich beständig nieste.

Der Marquis kam, machte mir tausend Komplimente und schlug mir eine Partie Quinze vor. Ich bat ihn, mich zu entschuldigen; Madame kam mir zu Hilfe und sagte, ich könne unmöglich spielen, wenn ich fortwährend auf eine solche geradezu gefährliche Art niese. Wir gingen zum Mittagessen in den Speisesaal; noch etwas ärgerlich über meinen Verlust von dem vorhergehenden Tage ließ ich mich leicht überreden, eine Bank zu halten. Wie gewöhnlich legte ich fünfhundert Louis auf. Gegen sieben Uhr sagte ich die letzte Taille an, obwohl meine Bank um zwei Drittel ihres Bestandes geschwächt war. Der Marquis und zwei andere gute Spieler bemühten sich nun, meine Bank zu sprengen; aber dies schien das Glück zu reizen: es wandte sich und begünstigte mich, und ich gewann nicht nur meinen Verlust zurück, sondern noch dreihundert Louis obendrein. Ich entfernte mich, indem ich der Gesellschaft versprach, am nächsten Tage weiterzuspielen. Die Damen hatten sämtlich gewonnen, weil Desarmoises den Auftrag hatte, sie niemals beim Spiel zurechtzuweisen, wenn sie meine Gutmütigkeit nur nicht zu sehr mißbrauchten.

Nachdem ich mein Geld auf mein Zimmer gebracht und meinem treuen Spanier Bescheid gesagt, daß ich nicht nach Hause kommen würde, begab ich mich zu meinem Abgott. Ich kam ganz durchnäßt an, weil mich unterwegs ein Gewitterregen überraschte, und mußte mich daher gleich nach meiner Ankunft ausziehen. Die gute Bauersfrau übernahm es, meine Kleider zu trocknen. Ich fand meine schöne Nonne in ihrem Ordenskleide auf dem Ruhebett ausgestreckt.

»Warum, mein Engel, hast du mich nicht in deinem Bett erwartet?«

»Weil ich mich niemals besser befunden habe als in diesem Augenblick, liebes Herz; weil ich das Glück haben wollte, am Tisch dir gegenübersitzend mit dir zu speisen. Nachher werden wir uns zu Bett legen, wenn es dir Vergnügen macht.«

»Mir? Sehr viel, wenn es dir Vergnügen macht.«

»Ach! Ich bin verloren, ich werde ganz gewiß sterben, wenn ich von dir scheiden muß.«

»Du brauchst nicht von mir zu scheiden, liebes Herz! Geh mit mir nach Rom, laß mich nur machen. Du wirst meine Frau, und wir werden glücklich miteinander leben und uns niemals verlassen.«

»Ach, dies wäre ein zu großes Glück. Aber zu solchem Schritt könnte ich mich niemals entschließen. Sprich mir nicht mehr davon!«

Da ich gewiß war, eine köstliche Nacht in ihrem Besitze zu verbringen, blieb ich mit ihr eine volle Stunde bei Tisch. Wir würzten unsere Speisen mit angenehmen Gesprächen. Als wir fertig waren, kam die Frau herein, gab ihr ein Päckchen und entfernte sich wieder, indem sie uns gute Nacht wünschte.

»Was enthält denn dieses Paket?«

»Mein Bild. Aber du darfst es erst sehen, wenn ich im Bett liege.«

»Diese Laune muß ich dir hingehen lassen, obgleich es mich drängt, meine Neugierde zu befriedigen.«

»Freilich ist es eine Laune; aber du wirst sie billigen.«

Ich entkleidete sie mit meinen eigenen Händen, und sie ließ sanft wie ein Lamm alles mit sich machen. Als sie im Bett lag, öffnete sie das Päckchen und gab mir ein Porträt. Sie war darauf nackt dargestellt, vollkommen ähnlich und genau in derselben Stellung wie meine erste M. M. Ich lobte die Geschicklichkeit des Malers, der sie so ausgezeichnet kopiert, indem er nur die Farbe der Augen und der Haare geändert hätte.

»Er hat nichts kopiert,« rief sie, »denn dazu hätte er keine Zeit gehabt. Er hat mir nur schwarze Augen gemacht, Haare wie die meinigen und ein reicheres Vließ. So kannst du jetzt sagen, daß du in einem einzigen Porträt das Bildnis deiner ersten und zweiten M. M. besitzest, um die du von rechtswegen die erste vergessen mußt. Diese ist auch in dem anständigen Porträt verschwunden, denn sieh! da ist sie als Nonne mit schwarzen Augen. In dieser Form kannst du mein Bild allen Leuten zeigen.«

»Du kannst dir gar nicht denken, wie kostbar mir dieses Geschenk ist! Aber sage mir doch, mein Herz, wie hast du es angefangen, diesen köstlichen Plan so gut durchzuführen?«

»Ich teilte ihn gestern morgen der Bäuerin mit. Sie sagte mir, sie hätte in Annecy einen Milchsohn, der Miniaturmaler wäre; aber sie würde sich seiner nur dazu bedienen, um die beiden Miniaturbilder nach Genf zum berühmtesten Porträtmaler zu schicken, der für vier oder fünf Louis die Metamorphose sofort vornehmen würde, denn die könnte in zwei oder drei Stunden gemacht werden. Ich habe ihr die beiden Kleinodien anvertraut, und es ist, wie du siehst, alles tadellos ausgeführt worden. Ohne Zweifel hatte sie sie gerade eben zurückerhalten; morgen kannst du von ihr selber die Einzelheiten dieser hübschen Geschichte erfahren.«

»Diese gute Bäuerin ist ein ausgezeichnetes Weib. Ich werde ihr ihre Auslagen ersetzen. Aber sage mir jetzt, warum du mir das Bild nicht früher geben wolltest, als bis du im Bette lägest?«

»Rate!«

»Damit ich dich sofort in die Stellung bringen könnte, in der du abgebildet bist.«

»Ganz recht.«

»Ein ausgezeichneter Gedanke, den nur die Liebe dir hat einflößen können. Aber dafür mußt du jetzt warten, bis ich in demselben Zustande bin wie du.«

Als wir beide im einfachen Naturzustande waren, wie Adam und Eva, bevor sie den verhängnisvollen Apfel gegessen hatten, brachte ich sie in die Stellung, in der sie auf dem Bilde gemalt war. Sie erriet bei meinem Anblick, was ich tun wollte, und öffnete ihre Arme zu meinem Empfang; aber ich sagte ihr, sie möchte noch einen Augenblick warten, denn ich hätte ebenfalls in einem Päckchen etwas, was ihr Vergnügen machen würde.

Nun zog ich aus meiner Brieftasche ein Röckchen aus durchsichtiger Haut, ungefähr acht Zoll lang, vorne ohne Öffnung und am anderen Ende mit einem rosafarbenen Bändchen geschmückt. Ich reichte ihr dieses Säckchen, sie sah es an, bewunderte es, lachte herzlich und fragte mich, ob ich bei ihrer Schwester in Venedig mich ebenfalls solcher Röckchen bedient hätte.

»Ich werde es dir selber anziehen, lieber Freund! Du kannst es dir gar nicht denken, wie glücklich es mich macht. Sage mir, warum hast du es nicht auch in der vorigen Nacht angewandt hast? Es scheint mir unmöglich zu sein, daß ich nicht empfangen haben sollte. Ach, wie unglücklich werde ich sein, wenn das der Fall ist! Was werde ich anfangen, wenn ich in vier oder fünf Monaten nicht mehr an meinem Zustande zweifeln kann?«

»Liebe Freundin, hier gibt es weiter nichts, als nicht daran zu denken; denn wenn das Unheil einmal geschehen ist, so gibt es kein Mittel dagegen. Zudem kann ich dir sagen, daß wir nach der Erfahrung und auf Grund der bekannten Naturgesetze hoffen dürfen, daß unsere süßen Liebeskämpfe von gestern keine ärgerlichen Folgen haben werden. Man sagt, und viele Schriftsteller haben es bestätigt, daß eine Frau im Wochenbette nicht empfangen kann, bevor sie nicht wieder ein gewisses Merkmal gesehen hat, das sich, wie ich glaube, bei dir noch nicht gezeigt hat.«

»Gott sei Dank, nein!«

»Nun, so wollen wir denn alle Sorgen und alle Gedanken an eine böse Zukunft uns fern halten, denn damit könnten wir nur unser gegenwärtiges Glück beeinträchtigen.«

»Ich bin schon vollkommen getröstet; aber ich begreife nicht, wie du heute etwas fürchten kannst, was du gestern nicht befürchtetest; denn ich bin heute nicht anders als gestern.«

»Ereignisse, meine Liebe, haben zuweilen die Meinung der größten Ärzte auf grausame Weise zuschanden gemacht. Die Natur ist weiser als sie: sie hat ihre Regeln und ihre Ausnahmen; wir wollen uns hüten, sie herauszufordern, zugleich aber uns verzeihen, daß wir sie gestern herausgefordert haben.«

»Es freut mich, daß du so vernünftig sprichst. Ja, seien wir vorsichtig, obgleich dies für mich ein Opfer ist! Vorwärts! Da hast du eine Haube wie eine Äbtissin! Aber so fein auch die Hülle ist, das Kerlchen gefiel mir viel besser, als es nackt war. Mir scheint, diese Metamorphose setzt dich herab – dich oder mich!«

»Du hast recht, mein Engel – sie setzt uns beide herab, aber wir wollen in diesem Augenblick gewisse Gedanken lieber von uns fernhalten, durch die wir nur an Freuden einbüßen.«

»Wir werden den Verlust bald wieder einholen! Laß mich jetzt einmal von meiner Vernunft Gebrauch machen, denn bis jetzt durfte ich ihr in solchen Dingen niemals die Zügel schießen lassen. Die Liebe hat dieses kleine Futteral erfunden; aber sie hat dabei auch gewiß die Stimme der Vorsicht gehört; mich dünkt, die Verbindung mit dieser hat ihr langweilig sein müssen; denn die Vorsicht ist ja nur eine Tochter der eigennützigen Schlauheit.«

»Du überraschst mich durch die Richtigkeit deiner Bemerkung; aber, meine Liebe, wir wollen nachher darüber philosophieren.«

»Warte noch einen Augenblick: ich habe noch niemals einen Mann gesehen und habe noch nie solche Lust gehabt, einen zu sehen. Vor zehn Monaten würde ich diese Dinger eine Erfindung des Teufels genannt haben, aber wenn mein häßlicher alter Buckeliger sich ein solches Futteral übergezogen hätte, würde er mich nicht in Gefahr gebracht haben, Ehre und Leben zu verlieren. Aber sage mir doch bitte, wie kommt es, daß man die Schneider, die diese Röckchen anfertigen, in Ruhe läßt? Sie müssen doch jedenfalls bekannt sein, und man hat sie gewiß hundertmal exkommuniziert oder mit harten Geldbußen belegt, vielleicht sogar mit Leibesstrafen, wenn sie Juden sind, wie ich glaube. Sieh mal, der Anfertiger von diesem hier hat dir schlecht Maß genommen. Schau doch nur, hier ist es zu weit, da zu eng; es macht ja beinahe einen Bogen! Was für ein Dummkopf, wie ungeschickt in seinem Handwerk! Aber was sehe ich denn da?«

»Du machst mich lachen. Das ist deine Schuld. Fortwährend berührst du ihn, streichelst ihn – da mußte es natürlich so kommen. Ich hatte es mir gleich gedacht.«

»Und du hast nicht einen Augenblick noch warten können? Aber du hörst ja gar nicht auf. Es tut mir sehr leid darum, lieber Freund. Aber du hast recht. O mein Gott! Wie schade!«

»Der Schaden ist nicht groß, tröste dich.«

»Wie sollte ich mich wohl trösten können? Ich Unglückliche! Sieh doch, er ist tot. Du lachst?«

»Ja, über deine reizende Naivität. Du wirst in einem Augenblick sehen, daß deine Reize ihm ein neues Leben verleihen, das er nicht so leicht wieder verlieren wird.«

»Das ist wunderbar, das ist unglaublich!«

Ich zog das Futteral ab und reichte ihr ein anderes, das ihr besser gefiel, weil es mir nach ihrer Ansicht besser paßte. Sie lachte laut auf, als sie sah, daß sie es mir überziehen konnte. Sie kannte diese Wunder der Natur nicht. Ihr Geist, in engen Banden gehalten, hatte unmöglich die Wahrheit entdecken können, bevor sie mich kannte; kaum aber war er frei geworden, so hatte er mit der ganzen Schnelligkeit, zu der die Natur und eine brennende Neugier treiben, seine Grenzen erweitert.

»Aber,« sagte sie, »wenn nun das Häutchen durch die Reibung zerreißt, wird dann nicht die ganze Vorsichtsmaßregel zwecklos?«

Ich sagte ihr, daß ein solcher Unfall nicht leicht möglich sei, und erklärte ihr, aus welchem Stoff die Engländer diese Dinger anfertigen.

Nach allen diesen Reden, die mich in meiner Ungeduld bereits ermüdeten, überließen wir uns der Liebe und dann dem Schlaf, und so immer abwechselnd bis zum Tagesanbruch. Als ich fort ging, sagte die Bauersfrau mir, der Maler habe vier Louis verlangt und zwei habe sie ihrem Milchsohn als Belohnung gegeben. Ich gab ihr zwölf und ging dann in mein Zimmer, nw ich bis zum Mittag schlief. Um das Frühstück des Marquis von Prié kümmerte ich mich nicht, doch hielt ich es für meine Pflicht, ihm Bescheid sagen zu lassen. Seine Geliebte schmollte mit mir während des ganzen Mittagmahls; doch besänftigte sie sich, als ich mich überreden ließ, eine Bank aufzulegen. Da ich jedoch sah, daß sie hoch spielte, ließ ich sie zwei- oder dreimal auf einen »Irrtum« aufmerksam machen, hierüber ärgerte sie sich dermaßen, daß sie mit ihrer schlechten Laune in einen Winkel des Saales ging. Ihr Freund gewann jedoch, und ich war im Verlust, als der schweigsame Herzog von Roxburgh mit seinem Hofmeister Smith und zwei Landsleuten von Genf ankam. Er trat auf mich zu, sagte How do you do und begann dann, ohne weiter ein Wort zu sagen, sich am Spiel zu beteiligen, wozu er auch seine Freunde aufforderte.

Als ich am Ende der Taille meine Bank in den letzten Zügen liegen sah, schickte ich Leduc auf mein Zimmer, um mir meine Kassette holen zu lassen, der ich fünf Rollen von hundert Louis entnahm. Der Marquis von Prié sagte mir kalt, er gehe zur Hälfte mit, und ich bat ihn im gleichen Ton, zu gestatten, daß ich von seinem Anerbieten absehe. Er schien durch meine Weigerung sich nicht beleidigt zu fühlen, denn er fuhr fort, seine Einsätze zu machen. Als ich die Karten hinlegte und aufhörte, hatte er zweihundert Louis gewonnen, aber alle andern hatten verloren, besonders einer von den Engländern, so daß ich mich mit einem Gewinn von mehr als tausend Louis zurückzog. Der Marquis lud sich bei mir für den nächsten Vormittag zur Schokolade ein, und ich antwortete ihm, ich würde die Ehre haben, ihn auf meinem Zimmer zu erwarten. Nachdem ich meine Kassette wieder auf mein Zimmer hatte bringen lassen, ging ich nach dem Bauernhause; ich war mit meinem Tagewerk sehr zufrieden und hatte alle Lust, durch eine Liebesnacht dem Werke die Krone aufzusetzen.

Ich fand einen Schatten von Traurigkeit auf den Zügen meiner Schönen und fragte sie nach der Ursache. Sie sagte mir, ein Neffe der Wirtin, der am Morgen von Chambéry gekommen sei, habe ihr gesagt, daß er von einer ihm bekannten Laienschwester desselben Klosters gehört habe, daß am übernächsten Tage in aller Frühe zwei Laienschwestern sich auf den Weg machen würden, um sie abzuholen; über diese traurige Nachricht habe sie viele Tränen vergossen.

»Aber die Äbtissin wollte sie doch erst in ungefähr zehn Tagen schicken!«

»Ohne Zweifel hat sie ihre Meinung geändert.«

»Wir sind unglücklich selbst im Glück! Entschließe dich doch, werde mein Weib, geh mit mir nach Rom! Ich werde dich dort von deinem Gelübde entbinden lassen, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich für dein Glück sorgen werde.«

»Nein, mein Freund, ich habe genug gelebt; laß mich in das Grab zurückkehren.«

Nach dem Essen sagte ich der Bäuerin, wenn sie sich auf die Verschwiegenheit ihres Neffen verlassen könne, solle sie ihn sofort nach Chambéry abgehen lassen, mit dem Befehl, in demselben Augenblick zurückzumarschieren, wo er erfahren würde, daß die Laienschwestern sich auf den Weg gemacht hätten. Er solle sich Mühe geben, zwei Stunden vor ihnen wieder einzutreffen. Die gute Frau sagte mir, ich könne mich darauf verlassen, daß der junge Mann verschwiegen sei und meine Befehle pünktlich ausführen werde. Nachdem ich hierdurch meine reizende Nonne beruhigt hatte, legte ich mich zu ihr ins Bett. Ich war verliebt, aber traurig. Unter dem Vorwande, daß sie Ruhe haben müsse, verließ ich sie schon um Mitternacht; in Wirklichkeit geschah dies, weil ich am Morgen in meinem Zimmer sein mußte, denn ich hatte mich ja verpflichtet, dem Marquis ein Frühstück zu geben.

Dieser kam mit seiner Geliebten und mit zwei anderen Damen und deren Ehemännern oder Liebhabern. Ich beschränkte mich nicht darauf, ihnen Schokolade vorzusetzen, denn mein Frühstück bestand aus dem besten, was die Gegend liefern konnte. Als ich diese lästige Gesellschaft los war, befahl ich Leduc, mein Zimmer zu schließen und allen Leuten zu sagen, ich läge unwohl im Bett und könnte niemanden empfangen. Ferner sagte ich ihm, ich würde zwei Tage abwesend sein und er dürfe bis zu meiner Rückkehr das Zimmer nicht einen Augenblick verlassen. Nachdem ich dies alles angeordnet hatte, verließ ich das Haus, ohne von einem Menschen gesehen zu werden, und begab mich zu meiner schönen Geliebten. Ich war entschlossen, sie erst eine halbe Stunde vor der Ankunft der Laienschwestern zu verlassen.

Als sie mich sah und von mir hörte, daß ich bis zu ihrer Abreise bei ihr bleiben würde, zitterte sie vor Freude, und wir beschlossen, nicht zu Mittag zu essen, sondern uns nur den Freuden der Liebe zu widmen und unsern Appetit für ein delikates Abendessen aufzusparen.

»Nach dem Essen gehen wir zu Bett,« sagte sie zu mir, »und stehen erst auf, wenn der junge Bote uns die traurige Nachricht von dem Abmarsch der beiden Laienschwestern bringt.«

Ich fand die Idee wundervoll und rief sofort die Bäuerin, um sie von unseren Entschlüssen in Kenntnis zu setzen. Sie lobte uns und versprach uns, wir könnten in aller Ruhe glücklich sein, denn sie würde über unsere Sicherheit getreulich wachen.

Wir fanden die Stunden nicht zu lang; denn zwei leidenschaftlichen Verliebten fehlt es niemals an Stoff zur Unterhaltung, weil sie selber der Gegenstand ihrer Gespräche sind. Die Pausen füllten wir mit Liebkosungen aus; aber abgesehen davon haftete unserer Lage etwas so Feierliches und so Ernstes an, daß unsere Seelen und unsere Sinne beständig in Tätigkeit waren.

Nachdem wir ein Abendessen eingenommen hatten, das der Tafel des Lukullus würdig war, verbrachten wir zwölf Stunden damit, uns gegenseitig Beweise der Liebe und Hingebung zu liefern; nach unseren Liebeskämpfen schliefen wir ein und erwachten nur, um unsere Angriffe sofort wieder zu beginnen. Am Morgen standen wir auf, um uns zu erfrischen; nachdem wir ein gutes Mittagessen zu uns genommen hatten, das wir mit einem köstlichen Burgunder anfeuchteten, legten wir uns wieder zu Bett; aber um vier Uhr kam die Bäuerin und sagte uns, die Laienschwestern würden gegen sechs Uhr da sein. Mit der Zukunft hatten wir uns nicht mehr zu beschäftigen, denn das Schicksal war entschieden. So überließen wir uns denn, vom gleichen Drange beseelt, den Liebkosungen des Abschiedes; die letzte besiegelte ich mit meinem Blute. Meine erste M. M. hatte es gesehen, meine zweite sollte es ebenfalls sehen. Sie erschrak darüber, aber ich beruhigte sie.

Hierauf stand ich auf, nahm eine Rolle von fünfzig Louis und bat sie, mir diese aufzuheben, indem ich ihr versprach, ich würde sie vor Ablauf von zwei Jahren an dem Sprechgitter ihres traurigen Gefängnisses mir wieder abholen. Sie verstand mich und nahm das Geld. Die ganze letzte Viertelstunde vergoß sie Tränen, und ich selber hielt die meinigen nur zurück, um ihren Schmerz nicht noch zu vermehren. Ich schnitt ein Löckchen von ihrem Vließ und eine Locke von ihrem schönen Haar ab und versprach ihr, diese mein ganzes Leben lang auf meinem Herzen zu tragen.

Dann ging ich, nachdem ich der Bäuerin noch gesagt hatte, daß sie mich am nächsten Morgen wiedersehen würde. Sobald ich in meinem Zimmer war, legte ich mich zu Bett. Am nächsten Tage ging ich bei Tagesanbruch auf die Straße, die nach Chambéry führt. Eine Viertelstunde von Aix sah ich meine Engelsnonne, die mit langsamen Schritten ihres Weges ging. Als die beiden Nonnen bei mir waren, baten sie mich im Namen Gottes um ein Almosen, und ich gab ihnen einen Louis. Aber meine Heilige sah mich nicht an.

Mit wundem Herzen ging ich zu der guten Bäuerin; sie sagte mir, M. M. sei mit Tagesanbruch fortgegangen und habe ihr aufgetragen, mir zu sagen, daß sie mich am Sprechgitter erwarte. Ich umarmte die gute Frau und gab ihrem Neffen alles Silbergeld, das ich bei mir hatte. Hierauf ging ich nach Hause und ließ sofort meine Sachen auf meinen Reisewagen laden. Ich wäre im selben Augenblick abgereist, wenn ich Pferde gehabt hätte. Da ich diese aber erst um zwei Uhr bekommen konnte, so machte ich dem Marquis einen Abschiedsbesuch. Er war ausgegangen, aber seine Geliebte war allein zu Hause. Als ich sagte, daß ich um zwei Uhr abfahren würde, rief sie: »Sie werden nicht abreisen! Ich hoffe doch, Sie werden mir ein paar Tage nicht abschlagen!«

»Ich weiß diese Ehre sehr wohl zu schätzen, aber eine Angelegenheit von der größten Wichtigkeit zwingt mich, so rasch als möglich abzureisen.«

»Es ist unmöglich!« rief die Schöne. Mit diesen Worten trat sie vor einen Spiegel, um sich besser zu schnüren, was ihr Gelegenheit gab, mich einen prachtvollen Busen sehen zu lassen. Ich erriet ihre Absichten, beschloß aber, nicht darauf einzugehen. Sie setzte den einen Fuß auf das Kanapee, um ihr Strumpfband zu befestigen, und zeigte mir dabei ein tadellos geformtes Bein; hierauf trat sie auf den anderen Fuß und verschaffte mir einen halben Blick auf Schönheiten, die verführerischer waren als Evas Apfel. Ich war nahe daran, zu unterliegen, da trat der Marquis ein. Er schlug mir eine Partie Quinze zu kleinen Einsätzen vor; die Dame wünschte sich daran zu beteiligen, wie hätte ich also ausweichen können? Sie setzte sich neben mich, und ich hatte vierzig Louis verloren, als man uns meldete, daß das Essen aufgetragen sei. »Ich bin Ihnen zwanzig Louis schuldig,« sagte die Gnädigste zu mir.

Wir gingen in den Speisesaal. Beim Nachtisch trat Leduc ein und meldete mir, daß mein Wagen vor der Tür stehe. Ich stand auf, aber Madame nötigte mich unter dem Vorwande, mir meine zwanzig Louis wiedergeben zu wollen, sie auf ihr Zimmer zu begleiten. Als wir dort allein waren, sagte sie mir in ernstem und bittendem Ton: wenn ich abreiste, wäre sie entehrt, denn die ganze Gesellschaft wüßte, daß sie sich verpflichtet hätte, mich zum Bleiben zu bewegen.

»Bin ich denn eine Frau, die man gering schätzt?« fragte sie mich. Zugleich ließ sie mich auf dem Kanapee Platz nehmen. Hierauf begann sie dieselben Manöver wie am Vormittage und setzte mich bald instand, alles zu sehen. Der Anblick ihrer Reize erregte mich: ich lobte, streichelte, küßte. Sie ließ sich auf mich sinken, preßte ihren Mund auf den meinigen und strahlte vor Freude, als ihre sich verirrende Hand einen greifbaren Beweis von der Macht ihrer Reize fand.

»Ich verspreche dir, morgen dein zu sein. Bleib!«

Da ich nicht wußte, wie ich mich weigern sollte, so forderte ich sie auf, ihr Wort zu halten, und sagte ihr, ich würde ausspannen lassen. In demselben Augenblick trat der Marquis ein und sagte mir, er wolle mir Revanche geben. Ohne ihm zu antworten, ging ich die Treppen hinunter, wie wenn ich gleich wiederkommen würde. Ich verließ den Gasthof, stieg in meinen Wagen und fuhr ab, indem ich dem Postillon ein gutes Trinkgeld versprach, wenn er seine Pferde tüchtig galoppieren ließe.

Zwanzigstes Kapitel


Ich trete Agata dem Lord Percy ab. – Abreise nach Mailand. – Die Pilgerin in Pavia. – Gräfin A. B. – Enttäuschung. – Marchese Triulzi. – Zenobia. – Die beiden schönen Marchesinnen Q. – Der Venetianer Barbaro.

Indem Graf d’Aglié die Corticelli bei der Matrone unterbrachte, in deren Haus Redegonda wohnte, hatte er sie keineswegs bestraft, sondern im Gegenteil allem Anschein nach ihr eine Aufmunterungsprämie gegeben. Ich, ärgerte mich jedoch keineswegs darüber; denn ich beneidete sie nicht um ihr Glück, wenn ich nur nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Sie war Redegondas vertraute Freundin geworden und tat was sie wollte; denn ihre Duenna war viel nachsichtiger als die Pazienza.

Niemand wußte etwas von dem argen Streich, den Percy mir gespielt hatte, und ich sagte natürlich keinem Menschen etwas davon. Der Lord gab jedoch seinen Plan, Agata in seinen Besitz zu bringen, keineswegs auf; er war zu heftig in sie verliebt. Um nun seinen Zweck zu erreichen, machte er folgendes: wie ich bereits gesagt habe, war Percy sehr reich und gab sein Geld auf wahnsinnige Weise aus; wenn er seine Leidenschaften befriedigen wollte, kannte er kein Sparen. Ich gestehe, daß ich in dieser Beziehung ihm nichts vorzuwerfen hatte; natürlich öffneten in einem Lande, wo das Geld immer selten ist, seine Guineen ihm alle Türen.

Vier oder fünf Tage nach jenem Ballabend kam Agata zu mir und sagte mir, der Theaterdirektor von Alessandria sei bei ihr gewesen und habe ihr vorgeschlagen, sie für die ganze Zeit der Messe als zweite Tänzerin zu engagieren. »Er hat mir sechzig Zechinen geboten, und ich habe ihm eine Antwort für morgen früh versprochen. Rätst du mir, sein Anerbieten anzunehmen?«

»Wenn du mich liebst, liebe Agata, wirst du mir dies beweisen, indem du ein Jahr lang keinen Vertrag irgend welcher Art annimmst. Du bist doch überzeugt, daß ich es dir an nichts werde fehlen lassen. Ich werde den besten Lehrer bezahlen, um dich in deiner Kunst zu vervollkommnen, so daß du mit Recht eine Stellung als erste Tänzerin mit einem Jahresgehalt von fünfhundert Zechinen wirst beanspruchen können.«

»Mama meint, wenn ich den Vorschlag annehme, so wird der Tanz auf der Bühne meine Fähigkeiten weiter ausbilden; dieses hindert ja nicht, daß ich bei einem guten Lehrer weiter studiere, übrigens glaube auch ich, daß das Auftreten vor dem Publikum mich vorwärts bringen würde.«

»Was du da sagst, liebe Freundin, ist ganz richtig, aber du hast keine sechzig Zechinen nötig. Wenn du dieses geringe Gehalt annimmst, entehrst du mich; außerdem schadest du dir selber für deine Zukunft; denn du wirst nicht wagen können, viel zu verlangen, nachdem du so wenig angenommen hast.«

»Aber sechzig Zechinen sind gar nicht so wenig für einen kurzen Karneval.«

»Du kannst sagen, was du willst; aber die sechzig Zechinen kannst du bekommen, ohne zu tanzen. Kurz und gut, wenn du mich lieb hast, sagst du dem Direktor, du wollest ein Jahr lang nicht tanzen.«

»Es soll geschehen wie du willst, lieber Freund, aber mich dünkt, ich täte besser, ihn abzuschrecken, indem ich eine übertriebene Summe von ihm verlangte.«

»Du hast recht. Dein Vorschlag gefällt mir. Sage ihm also, du wollest erste Tänzerin sein, und verlange fünfhundert Zechinen.«

»Dein Wunsch soll morgen erfüllt werden; ich bin überglücklich, dir gehorchen zu können und dadurch dir zu beweisen, daß ich dich von ganzem Herzen liebe.«

Agata hatte viel natürlichen Geist und ein gesundes Urteil, das nur durch Belehrung und Weltkenntnis entwickelt zu werden brauchte. Mit diesen Gaben und mit der Schönheit, die der Himmel ihr verliehen hatte, mußte sie unter allen Umständen das Glück fesseln. Man wird sehen, daß sie glücklich wurde, und gewiß, sie verdiente es!

Der Abrede gemäß kam sie am nächsten Morgen. Sie sagte mit lautem Lachen: »Der Direktor war allem Anschein nach über meine Ansprüche gar nicht erstaunt. Nachdem er zwei Minuten sich besonnen hatte, sagte er zu mir, er müsse sich die Sache überlegen und werde mich wiedersehen. Es wäre spaßhaft, lieber Freund, wenn der gute Mann mich beim Worte nähme.«

»Allerdings! Aber dann müßte man sich erkundigen, ob er nicht etwa verrückt oder ein Lump ist, der die Absicht hat, Bankerott zu machen.«

»Du hast vollkommen recht. Wenn er nun aber im Gegenteil ein solider Mann ist?«

»Dann wirst du annehmen müssen.«

»Das ist bald gesagt und bald getan; wenn ich nun aber den Antrag annehme, werde ich dann auch Talent genug haben, um meine Stellung auszufüllen? Kein Tänzer wird mit mir tanzen wollen.«

»Der Tänzer wird im Gegenteil nicht schwer zu finden sein, dies nehme ich auf mich. Talent hast du mit deiner Figur und mit deiner Anmut mehr als nötig sein wird, um das Publikum zufrieden zu stellen; aber du wirst sehen, aus der Sache wird nichts.«

Eine gewisse Ahnung sagte mir, daß ich mich täuschte, und so war es auch. Der Direktor kam am nächsten Tage zu ihr und bot ihr den Vertrag an. Sie erschrak darüber und ließ mich holen. Ich hatte sofort den wohlbegründeten Verdacht, daß das Engagement der Person Agatas gelte und nicht ihrem Talent. Ich ging zu ihr und fragte den Unternehmer, den ich bei ihr fand, welche Kaution er als Sicherheit für den Vertrag anbiete.

Er antwortete, der mir bekannte Bankier Martin würde den Vertrag unterzeichnen und sein Bürge sein. Ich konnte hiergegen keinen Einwand erheben. Der Vertrag wurde in aller Form doppelt ausgefertigt.

Das Herz ein wenig traurig, verließ ich Agata und ging zum Chevalier Raiberti, um ihm die Geschichte zu erzählen. Er war ebenso erstaunt wie ich, daß Herr Martin für diesen Unternehmer bürgte, den er kannte und der keine sehr guten Geschäfte machte. Aber am nächsten Tage fand sich des Rätsels Lösung; denn obwohl Percy Geheimhaltung verlangt hatte, erfuhren wir, daß der Unternehmer auf seine Veranlassung gehandelt hatte. Ich konnte dem Engländer sein Glück zerstören, indem ich mit Agata weiterlebte, trotz den fünfhundert Zechinen, die er zahlen mußte. Ich war jedoch genötigt, gleich nach Ostern wieder nach Frankreich zu reisen, wo Frau von Urfé mich erwartete; außerdem wollte ich mir den Friedensschluß zunutze machen, um England zu besuchen. Ich beschloß also Agata frei zu geben und ihr von ihrem neuen Liebhaber eine beträchtliche Summe aussetzen zu lassen. Ich gewann mir die Freundschaft des Lords, indem ich ihn in meine Gesellschaft zog. Übrigens war ich auch neugierig, wie er es anfangen würde, um die Huld des jungen Mädchens zu gewinnen, das ihn nicht liebte; denn er war nicht von verführerischem Aussehen.

In weniger als acht Tagen waren wir sehr gute Freunde; wir speisten jeden Abend zusammen entweder bei ihm oder bei mir, und stets waren Agata und ihre Mutter bei uns. Ich erkannte bald, daß Percys Aufmerksamkeiten Agata endlich rühren würden und daß auch sie ihn schließlich lieben würde, wenn sie sich geliebt und glücklich sähe. Dies war für mich genug, um nicht dem Glücke des einen und dem Vorteil der anderen in den Weg zu treten, und ich entschloß mich, viel früher, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, nach Mailand zu reisen. Infolgedessen sagte ich dem Lord, als ich eines Tages mit ihm allein frühstückte: »Wie Sie wissen, Mylord, liebe ich Agata zärtlich und mache sie glücklich; ich bin jedoch Ihr Freund geworden, und da Sie sie anbeten, so will ich Ihnen schnell zu Ihrem Glücke verhelfen, und zwar ohne Tausch und ohne Draufgeld. Ich werde Ihnen nächster Tage meinen Schatz überlassen; aber Sie müssen mir versprechen, Agata unter keinen Umständen zu verlassen, ohne ihr zweitausend Guineen zu schenken.«

Er schloß mich in seine Arme und rief: »Mein lieber Freund, wenn Sie wünschen, werde ich sie ihr sofort geben.«

»Nein, Mylord, ich wünsche sogar, daß sie von unserer Abrede nichts erfährt, so lange sie Sie glücklich macht.«

»Es soll nach Ihrem Wunsch geschehen; ich werde Ihnen eine Verschreibung übergeben, durch die ich mich verpflichte, ihr diese Summe auszuzahlen, wenn ich mich von ihr trenne.«

»Auch das ist überflüssig; Ihr Engländerwort genügt. Da wir jedoch den Ereignissen nicht zu gebieten vermögen und sterben können, bevor wir unsere Angelegenheiten in Ordnung gebracht haben, so treffen Sie bitte die Maßnahmen, die Ihnen geeignet erscheinen, damit für den Fall Ihres Todes ihre Lage gesichert ist.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

»Das genügt; aber ich habe an diese für mich schmerzliche Abtretung noch eine Bedingung zu knüpfen.«

»Welche?«

»Daß Sie zu Agata vor meiner Abreise nichts davon sagen.«

»Ich schwöre es Ihnen.«

»Gut! Übrigens verspreche ich Ihnen, sie vorzubereiten.«

»Ausgezeichnet!«

Gleich an demselben Tage machte der Engländer, der immer mehr verliebt wurde, Agaten und ihrer Mutter Geschenke, was ich unter anderen Umständen durchaus nicht geduldet haben würde.

Ich zögerte nicht lange, Agata und ihre Mutter auf das bevorstehende Ereignis vorzubereiten; es ging ihnen nahe, aber ich wußte wohl, daß sie sich bald in ihre neue Lage finden würden. Agata gab mir nicht den geringsten Anlaß zur Klage, sondern wurde immer zärtlicher gegen mich, je eifriger sich der Engländer um sie bewarb. Aufmerksam hörte sie alle Ratschläge an, die ich ihr hinsichtlich ihres Verhaltens gegen ihren neuen Liebhaber und gegen die Leute gab, und versprach mir, sie zu befolgen. Diesen Ratschlägen verdankte sie zum Teil ihr Glück, denn Percy machte sie reich. Die Bühne verließ sie jedoch erst in Neapel, wo wir sie einige Jahre später wiederfinden werden.

Ich war nicht der Mann, von meinesgleichen Geschenke anzunehmen; Percy erriet dies ohne Zweifel, fand aber ein Mittel, mir auf eigentümliche Art ein ganz herrliches Geschenk zu machen. Als ich ihm eines Tages sagte, ich gedächte zum ersten Mal England zu besuchen und er würde mir einen großen Gefallen tun, indem er mir einen Brief an seine Mutter, die Herzogin, mitgäbe, zog er ein in wundervolle Brillanten gefaßtes Bild der Dame aus der Tasche und reichte es mir mit den Worten: »Hier, lieber Freund, haben Sie den besten Empfehlungsbrief, den ich Ihnen geben kann; morgen werde ich meiner Mutter schreiben, Sie werden ihr das Portrait persönlich geben, vorausgesetzt, daß sie es Ihnen nicht lassen wolle.«

»Mylady wird sehen, daß ich nach dieser ehrenvollen Gunst strebe.«

Es gibt gewisse Ideen, die nur in englischen Köpfen entstehen können.

Graf A. B. rief mich nach Mailand, und seine Frau bat mich in einem reizenden Brief, ihr zwei Stücke Taft mitzubringen, deren Muster sie mir schickte. Nachdem ich mich von allen Bekannten verabschiedet hatte, nahm ich einen Kreditbrief auf den Bankier Greppi und reiste nach der Hauptstadt der Lombardei.

Bei der Trennung von Agata vergoß ich Tränen, aber nicht so viele wie sie. Ihre Mutter weinte ebenfalls sehr heftig, denn sie liebte mich und war dankbar für alles Gute, das Agata mir verdankte. Sie sagte mir oft, sie hätte niemals eine andere Nebenbuhlerin als ihre eigene Tochter dulden können, während diese mir unter Schluchzen versicherte, sie wäre glücklich gewesen, wenn sie sich niemals von mir hätte zu trennen brauchen.

Passano, den ich nicht liebte, hatte seine Familie in Genua; ich schickte ihn dorthin, indem ich ihn mit Mitteln zu seinem Unterhalt bis zu meiner Ankunft versah. Meinen Kammerdiener entließ ich aus guten Gründen; da ich einen brauchte, so nahm ich einen anderen; aber seitdem ich meinen Spanier verloren hatte, konnte keiner mir jenes Vertrauen einflößen, das die notwendigen Beziehungen zwischen einem Herrn und seinem Diener weniger unangenehm macht.

Ich reiste mit einem gewissen Chevalier von Rossignan, dessen Bekanntschaft ich gemacht hatte, und wir fuhren über Casale, um dort die Komische Oper zu besuchen.

Rossignan war ein sehr schöner Mann, ein guter Offizier, Liebhaber von Weinen und Weibern, und obgleich er keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit machte, wußte er doch die ganze göttliche Komödie von Dante auswendig; weiter wußte er aber auch nichts, denn er hatte niemals ein anderes Buch gelesen. Die göttliche Komödie war denn auch sein Schlachtroß, das er bei allen Gelegenheiten tummelte, indem er die Verse in dem Sinne auslegte, der auf die augenblickliche Gelegenheit paßte. Diese Manie machte ihn in Gesellschaft unausstehlich lächerlich; unter vier Augen aber wurde er sehr unterhaltend für Leute, die den großen Dichter kannten und dessen zahlreiche erhabene Schönheiten zu bewundern wußten. Indessen nötigte er mich doch, innerlich die Wahrheit des Sprichwortes zuzugestehen, welches besagt: Hüte dich vor dem Menschen, der nur ein einziges Buch gelesen hat! Übrigens war der Chevalier Rossignan ein kluger Kopf, ein Staatsmann und ein liebenswürdiger Mensch. In Berlin, wo er als Gesandter des Königs von Sardinien war, stand er in gutem Ruf.

Da ich in der Oper von Casale nichts Interessantes fand, reiste ich gleich nach Pavia weiter; obwohl ich dort keinen Menschen kannte, wurde ich sofort der Marchesa Corti in ihrer großen und schönen Loge vorgestellt, in der sie alle Fremden empfing, die nach etwas aussahen. Im Jahre 1786 lernte ich ihren würdigen Sohn kennen, einen ausgezeichneten Mann, der mich mit seiner Freundschaft beehrte; er ist schon in jungen Jahren in Flandern als Generalmajor gestorben. Ich habe bitterlich um ihn geweint; aber Tränen sind nur eine leere Huldigung; sie geben uns die Teuren, um die sie fließen, nicht zurück. Seine Tugenden hatten ihn allen, die ihn kannten, wert gemacht. Wäre er am Leben geblieben, so hätte seine Tüchtigkeit ihn zu den höchsten Stufen der militärischen Ehren emporgehoben.

Ich hielt mich in Pavia nur zwei Tage auf; aber es war vom Schicksal bestimmt, daß ich trotz dieser kurzen Zeit von mir sollte reden machen.

Im zweiten Ballett der Qpernaufführung reichte eine als Pilgerin gekleidete Tänzerin bei ihrem pas de deux ihren Hut zu den Logen empor, wie wenn sie um ein Almosen bitten wolle. Ich saß in der Loge der Marchesa Corti. Als die junge Tänzerin mir ihren Hut hinstreckte, zog ich meine Börse und ließ sie in einer Anwandlung von Prahlsucht und Wohltätigkeit, deren Wirkung ich natürlich vorher nicht berechnet hatte, in den Hut hineinfallen. Die Börse enthielt etwa zwanzig Dukaten. Die Pilgerin nahm sie, dankte mir mit einem Lächeln, und das Parkett klatschte stürmischen Beifall. Ich fragte den Marchese Belcredi, der neben mir saß, ob sie einen Geliebten habe.

»Sie hat«, antwortete er mir, »einen französischen Offizier, der keinen Heller besitzt.« Zugleich zeigte er mir diesen im Parkett.

In meinen Gasthof zurückgekehrt, speiste ich mit Herrn Basili, einem Oberst im Dienste des Herzogs von Modena, zu Abend, als die Tänzerin in Begleitung ihrer Mutter und einer jüngeren Schwester kam, um sich bei mir zu bedanken, daß ich für ihre Familie ein Bote der Vorsehung gewesen sei; »denn«, sagte die Pilgerin, »wir sind sehr arm.«

Da ich mit dem Essen beinahe fertig war, lud ich sie alle drei für den nächsten Abend nach der Vorstellung zum Essen ein. Ich hatte dabei keine weitere Absicht, als ihnen etwas Gutes zu tun. Sie versprachen mir zu kommen.

Es freute mich, daß ich ein Mädchen mit so geringen Kosten hatte glücklich machen können, ohne die geringsten Nebenabsichten auf sie zu haben. Der Wirt, bei dem ich das Essen für mich und die drei Armen bestellt hatte, war gerade eben hinausgegangen, als mein Kammerdiener Clairmont eintrat und mir sagte, ein französischer Offizier verlange mich zu sprechen. Ich ließ ihn eintreten und fragte ihn, was ihm zu Diensten stehe.

»Herr Venetianer, ich will Ihnen drei Vorschläge machen, unter denen Sie nach Ihrem Belieben die Wahl treffen können: bestellen Sie das für heute Abend angesetzte Souper ab, oder laden Sie mich dazu ein, oder gehen Sie mit mir hinaus, um unsere Degen zu messen.«

Clairmont, der gerade beim Feueranmachen war, ließ mir keine Zeit, dem verrückten Menschen zu antworten: er ergriff ein brennendes Scheit und stürzte sich auf den Offizier, der es nicht für ratsam hielt, ihn zu erwarten. Zum Glück für ihn war meine Zimmertür offen geblieben. Der Lärm, den er machte, als er die Treppe hinunterpolterte, rief den Kellner herbei; dieser glaubte, er hätte etwas gestohlen, und hielt ihn fest; Clairmont, der ihn mit seinem Feuerbrand verfolgte, ließ ihn in Freiheit setzen.

Diese Geschichte wurde sofort Stadtgespräch. Mein Diener war stolz auf seine Heldentat und kam, meiner Billigung sicher, zu mir. Er sagte mir, ich könne ohne Furcht ausgehen; der Offizier könne nur ein feiger Prahlhans sein, denn sonst würde er seinen Degen gezogen haben, als der Kellner ihn so derb am Kragen packte; dieser hätte nur das landesübliche Messer im Gürtel getragen. Für alle Fälle werde er mich aber begleiten, wenn ich ausgehe. Ich sagte ihm, er habe in diesem Falle recht gehandelt; in Zukunft solle er sich jedoch nicht wieder in meine Angelegenheiten einmischen.

»Gnädiger Herr, Ihre Angelegenheiten dieser Art sind auch die meinigen; in allen übrigen werde ich niemals über die Grenzen meiner Pflicht hinausgehen.«

Ich fand diese Worte sehr vernünftig, obgleich ich es ihm nicht sagte. Er nahm meine Pistolen, und als er die Pfanne der einen ohne Zündkraut fand, schüttete er neues auf, wobei er mich mit einem lächelnden Blick ansah.

Die französischen Bedienten – ich meine: die guten, und ich muß anerkennen, daß sie im allgemeinen besser sind als andere – alle guten französischen Bedienten, sage ich, gleichen Clairmont; sie sind intelligent und treu, aber sie halten sich alle für klüger als ihre Herren, was sie oft genug auch sind; wenn sie ihrer Sache sicher sind, werden sie die Herren ihrer Herren, tyrannisieren diese und behandeln sie oftmals sogar auf eine verächtliche Art, was Dummköpfe übersehen zu müssen glauben. Wenn der Herr sich Respekt zu verschaffen weiß, sind die Clairmonts ausgezeichnet.

Der Wirt des Gasthofes von San Marco, wo ich wohnte, machte einen ausführlichen Bericht an die Polizei, und der französische Offizier wurde noch an demselben Tage ausgewiesen. Beim Mittagessen ließ der Oberst Basili sich die Geschichte von mir erzählen; er sagte, nur ein französischer Offizier sei imstande, einen fremden Menschen aus so nichtigem Anlaß in seiner Wohnung anzugreifen. Ich war nicht derselben Meinung und antwortete: »Die Franzosen sind tapfer; aber sie sind im allgemeinen höflich und haben ein ausgezeichnetes Taktgefühl. Armut und Liebe, mit falscher Tapferkeit vereint, führen in der ganzen Welt zu Ausschreitungen.«

Beim Abendessen dankte die Pilgerin mir dafür, daß ich sie von dem lästigen armen Teufel befreit hätte, der sie langweilte und erschreckte, indem er ihr fortwährend drohte, sich das Leben zu nehmen. Sie war eigentlich nicht schön, konnte aber wohl fesseln; denn sie war anmutig, freundlich und klug, hatte einen reizenden Mund und sehr lebhafte große Augen. Ich glaube, ich hätte sie billig bekommen können, denn die Dankbarkeit hatte bereits der Liebe den Weg gebahnt; da ich jedoch meinen Aufenthalt in Pavia nicht verlängern wollte, vielleicht auch mir ein bißchen darauf zugute tat, ohne Hintergedanken freigebig gewesen zu sein, so ließ ich sie nach dem Abendessen gehen, indem ich ihr vielmals für ihre Gefälligkeit dankte. Sie schien über meine Höflichkeit ein wenig verlegen zu sein, entfernte sich jedoch unter wiederholten Versicherungen ihrer Dankbarkeit.

Am nächsten Tage speiste ich in der berühmten Certosa bei Pavia; gegen Abend kam ich in Mailand an, wo ich beim Grafen A. B. abstieg, der mich erst für den folgenden Tag erwartet hatte.

Die Gräfin, deren Bild ich in meiner Phantasie mit den allervollkommensten Reizen geschmückt hatte, täuschte meine Erwartung auf das bitterste. So geht es fast immer, wenn die Leidenschaft der Phantasie die Zügel schießen läßt. Die Gräfin war hübsch, wenn auch zu klein, und ich hätte sie trotz meiner Enttäuschung wohl lieben können; aber sie hatte beim ersten Anblick etwas Ernstes, das zu meiner Stimmung nicht paßte und mich gegen sie einnahm.

Nach den üblichen Komplimenten sagte ich ihr, man werde ihr die beiden Stücke Taft zustellen, mit deren Besorgung sie mich freundschaftlichst beauftragt habe. Sie dankte mir und sagte, ihr Priester werde mir sofort den Preis erstatten, den ich dafür bezahlt habe. Hierauf führte der Graf mich auf mein Zimmer, wo er mich bis zum Abendessen allein ließ. Das Zimmer war schön und gut eingerichtet; aber ich fühlte mich nicht behaglich darin und war entschlossen, gleich am nächsten Tage auszuziehen, wenn die Spanierin nicht einen anderen Ton anschlüge. Ich konnte ihr nur vierundzwanzig Stunden bewilligen.

Beim Abendessen waren wir zu vieren. Der Graf war heiter; er war bemüht, mich zur Geltung zu bringen und mir die verdrießliche Laune seiner Frau zu verbergen; er sprach darum unaufhörlich mit mir. Ich ging auf alles ein, richtete aber stets das Wort an seine Frau, um diese einem Schweigen zu entreißen, das ihr in meinen Augen nur schaden konnte. Verlorene Mühe! Die kleine Frau hatte für meine Bemerkungen nur ab und zu ein Lächeln, das kaum ihre Lippen kräuselte, oder eine einsilbige Antwort, von einer Kürze, die mich zur Verzweiflung brachte. Sie erhob ihre Augen nicht von ihrem Essen, das sie schlecht zubereitet fand. Ihre Klagen darüber richtete sie an den Priester, der der vierte bei Tisch war; doch brachte sie ihre Beschwerden in liebenswürdigem Ton vor.

Obgleich ich den Grafen sehr gern hatte, war ich doch genötigt, seine Frau allzu mürrisch zu finden, und dies tat mir leid. Ich betrachtete sie aufmerksam, in der Hoffnung wenigstens in ihrer Schönheit einen Grund zu finden, um ihr ihre unangenehme Laune zu verzeihen. Ich sah jedoch, daß sie ihr Gesicht dem Abbate zuwandte, um ihm irgend etwas Belangloses zu sagen, sobald sie merkte, daß ich ihr Profil studierte; sie entzog sich also meinen Blicken mit einer zur Schau getragenen Absichtlichkeit. Dies ärgerte mich nicht wenig, aber ich lachte innerlich über ihre Geringschätzung sowohl wie über ihre etwaigen Absichten, denn da sie mir keine herzliche Teilnahme eingeflößt hatte, so fühlte ich mich sicher vor der Qual, die eine tyrannische Behandlung mir sonst vielleicht hätte verursachen können. Nach dem Essen wurden die beiden Stücke Taft gebracht, woraus sie sich einen Reifrock-Domino nach der damaligen übertriebenen Mode machen lassen wollte.

Der Graf sah mit Schmerz, daß seine Frau seinen Lobsprüchen so wenig Ehre machte; er begleitete mich auf mein Zimmer, bat mich, ihr ihre spanische Laune zu verzeihen, und versicherte mir, ich würde sie freundlich finden, sobald wir besser bekannt geworden wären.

Der Graf war arm, sein Haus war klein, dessen Einrichtung schäbig, die Livree seines Lakaien war fadenscheinig, seine Tischwäsche abgenutzt, das Geschirr war von Fayence, und eine von den Mägden der Gräfin versah die Stelle des Küchenmeisters. Er hatte keine Equipage, nicht einmal ein Reitpferd. Ich erfuhr dies alles von Clairmont, der mir sagte, er sei in einem Kämmerchen neben der Küche untergebracht und teile diesen Raum mit dem Bedienten, der bei Tisch aufwarte.

Ich selber war, da ich nur ein einziges Zimmer hatte, mit meinen drei großen Koffern sehr schlecht untergebracht; ich beschloß daher, mir anderswo eine Unterkunft zu suchen, die meinen Lebensgewohnheiten besser entsprach.

Am nächsten Tage kam der Graf, um mir guten Morgen zu sagen und mich zu fragen, was ich gewöhnlich zum Frühstück nähme.

»Mein lieber Graf, ich habe ausgezeichnete Turiner Schokolade für die ganze Familie. Trinkt die Frau Gräfin sie gerne?«

»Sehr gerne; aber sie trinkt sie nur, wenn sie von ihrer Kammerfrau zubereitet ist.«

»Hier sind sechs Pfund; machen Sie mir das Vergnügen, sie zu deren Annahme zu bewegen; aber sagen Sie ihr bitte, ich würde die Schokolade wieder nehmen, wenn sie etwa den Versuch machen sollte, sie mir zu bezahlen.«

»Sie wird sie annehmen, und ich bin überzeugt, sie wird Ihnen dafür danken. Ist es Ihnen recht, wenn ich dafür sorge, daß Ihr Wagen in einer Remise untergebracht wird?«

»Sie tun mir einen Gefallen damit, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen schönen Mietswagen besorgen wollten und außerdem einen Lohndiener, für den Sie bürgen könnten.«

»Sie werden das Gewünschte erhalten.«

Kaum war der Graf hinaus, so kam der Abbate, der mit uns zu Abend gegessen hatte, und machte mir seine Aufwartung. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, ein Hausgeistlicher, wie man deren in Italien findet, der zum Lohn für die Beaufsichtigung des Haushaltes bei seiner Herrschaft wohnte und aß. Morgens las er in einer benachbarten Kirche die Messe; den Rest des Tages beschäftigte er sich mit dem Haushalt oder machte den ganz ergebenen Diener der gnädigen Frau.

Sobald der Abbate allein mit mir war, bat er mich ohne Umstände, ich möchte der Frau Gräfin sagen, er hätte die dreihundert Mailänder Lire, die die beiden Stücke Taft kosteten, an mich bezahlt, falls sie mich fragen sollte, ob ich das Geld erhalten hätte.

»Alle Wetter, Herr Abbate,« antwortete ich ihm lachend, »Sie begehen da eine Handlung, die in starkem Widerspruch zu ihrem Amte steht. Wie? Sie raten mir zu lügen? Nein, mein werter Herr, wenn die gnädige Frau diese ungezogene Frage an mich stellen sollte, werde ich ihr die Wahrheit antworten, und es soll mir Spaß machen, dies zu tun.«

»Sie wird danach fragen, das weiß ich bestimmt, und Sie werden schuld sein, daß sie mich auszankt.«

»Dies, Herr Abbate, wird kein großes Unglück sein, wenn sie recht hat.«

»Leider wird sie aber unrecht haben.«

»Nun, so sagen Sie ihr, ich schenke ihr den Stoff; sollte sie ihn aber nicht annehmen wollen, so sei es mit der Bezahlung nicht eilig.«

»Ich sehe, mein Herr, Sie kennen die Dame nicht und haben von den Verhältnissen des Hauses keine Ahnung. Ich werde mit ihrem Mann sprechen.«

Eine Viertelstunde darauf kam der Graf mit traurigem Gesicht und sagte mir, er sei mir viel Geld schuldig, er hoffe mir dieses im Laufe der Fastenzeit zurückgeben zu können und bitte mich, den Preis der beiden Stück Taft noch hinzuzurechnen. Ich umarmte ihn und antwortete, er solle sie nur selber auf die Rechnung setzen, denn es sei nicht meine Gewohnheit, Geldbeträge anzuschreiben, die ich mit dem größten Vergnügen ausgebe, um meinen Freunden gefällig zu sein. »Und wenn die gnädige Frau mich fragt, ob ich dieses Geld erhalten habe, so werde ich sagen, Sie hätten mich zufriedengestellt. Darauf können Sie sich verlassen.«

Er entfernte sich mit Tränen der Freude und Dankbarkeit; ich dagegen glaubte ihm Dank schuldig zu sein für das Vergnügen, das es mir machte, ihm einen Dienst erweisen zu können; denn er verdiente es, und ich hatte ihn gern.

Da ich wußte, daß die Gräfin vor dem Mittagessen nicht sichtbar sein würde, so setzte ich mich an ein Tischchen, um zu schreiben. Unterdessen breitete Clairmont eine Anzahl meiner Sachen auf den Stühlen aus: es waren mehrere Anzüge von mir, Damenmäntel und ein prachtvolles Kleid von weinrotem Grosgrain von Tours, das reich mit Zobelpelz besetzt war; es war ursprünglich für die unglückselige Corticelli bestimmt gewesen. Ich würde es meiner Agata geschenkt haben, wenn ich noch länger mit ihr zusammengelebt hätte; dies wäre aber unrichtig gewesen, denn ein so prachtvolles Kleid paßte nur für eine vornehme Dame.

Um ein Uhr erhielt ich abermals einen Besuch des Grafen, der mir meldete, daß seine Frau mir den besten Freund des Hauses vorstellen wolle. Dies war der Marchese Triulzi, ein großer stattlicher Herr, ungefähr von meinem Alter; er schielte ein wenig, hatte aber gewandte Manieren und trat durchaus wie ein vornehmer Herr auf. Er sagte mir, er komme nicht nur, um die Ehre zu haben, meine Bekanntschaft zu machen, sondern auch, um sich ein bißchen zu wärmen, denn im ganzen Hause sei nur ein einziger Kamin, und zwar in meinem Zimmer.

Da alle Stühle mit Sachen belegt waren, zog der Marchese die Gräfin an sich und setzte sie wie eine Puppe auf seinen Schoß; sie aber wehrte sich errötend, und es gelang ihr schließlich, sich loszumachen. Als der Marchese laut über die Verlegenheit der Gräfin lachte, sagte sie zu ihm: »Ist es möglich, daß ein Mann in Ihrem Alter noch nicht gelernt hat, eine Frau wie mich zu respektieren?«

»Aber ich respektiere Sie ja sehr, Gräfin, wenn ich Sie nicht stehen lasse, während ich sitze.«

Während Clairmont die Stühle freimachte, betrachtete der Marchese die Mäntel und das schöne Kleid; hierauf fragte er mich, ob ich irgend eine Frau erwarte.

»Nein, aber ich hoffe in Mailand die Frau zu finden, die dieser Geschenke würdig sein wird. – Ich kannte in Venedig den Fürsten Triulzi. Ich denke mir, er gehört zu Ihrer Familie?«

»Er sagt es, und es ist wohl möglich; aber ich glaube nicht zu der seinigen zu gehören.«

Dieser Witz deutete nur an, daß ich den Fürsten nicht mehr erwähnen dürfte.

»Sie sollten zum Essen bleiben, Marchese!« sagte Graf A. B. zu ihm; »und da Sie nur Speisen essen wollen, die von Ihrem Koch zubereitet sind, so lassen Sie doch Ihr Essen holen.«

Der Marchese erklärte sich einverstanden, und wir erhielten ein gutes Essen. Der Tisch war mit schöner Wäsche gedeckt und mit schönem Silbergeschirr besetzt; es wurden zahlreiche Flaschen von guten Marken aufgetragen, und die Bedienten waren flink und gut gekleidet. Dies genügte für mich, um zu merken, welche Stellung der Marchese im Hause einnahm. Er leitete geistvoll und heiter die ganze Unterhaltung und verschonte auch die Gräfin nicht mit seinen Scherzen; sie warf ihm fortwährend die Vertraulichkeit vor, womit er sie behandelte. Der Marchese hatte jedoch keineswegs die Absicht, sie zu demütigen, denn er liebte sie; er wollte sie nur wegen ihres übel angebrachten Hochmutes zurechtweisen. Als er sah, daß ein Ausbruch ihres Zornes nahe bevorstand, beruhigte er sie mit den Worten, es gäbe in ganz Mailand niemanden, der ihr treuer ergeben wäre als er und größere Ehrfurcht vor ihrer Schönheit und vor ihrer vornehmen Geburt hätte.

Nach Tisch meldete man einen Schneider, der der Gräfin das Maß zu dem Domino nehmen sollte, den sie zwei Tage später auf dem Ball tragen wollte. Als der Marchese die Farben und die Schönheit der Stoffe lobte, sagte die Gräfin ihm, ich hätte ihr die beiden Stücke von Turin mitgebracht; bei diesem Anlaß fragte sie mich, ob man mir das Geld gegeben habe.

»Ihr Gatte hat die Angelegenheit erledigt, gnädige Frau; aber Sie haben mir eine Lektion gegeben, die ich nicht vergessen werde.«

»Was für eine Lektion«, fragte der Marchese mich.

»Ich hatte gehofft, Frau Gräfin würde mich für würdig halten, ihr dieses bescheidene Geschenk zu machen.«

»Und sie hat es zurückgewiesen? Hahaha! Das ist lächerlich!«

»Darüber sollten Sie nicht lachen,« rief die Gräfin, »aber Sie lachen ja über alles.«

Während der Schneider ihr Maß nahm, stand sie im Mieder mit entblößtem Busen da. Sie beklagte sich über die Kälte. Um sie zu erwärmen, legte der Marchese mit ganz natürlicher Miene und wie wenn er an derartige Vertraulichkeiten gewöhnt wäre, seine Hände auf ihre Brust. Die Spanierin, die sich ohne Zweifel in meiner Gegenwart schämte, wurde wütend und schalt ihn auf eine schreckliche Weise aus. Der Marchese ließ diese Flut von Schimpfworten lachend über sich ergehen; offenbar war er der Mann, die Gewitter nach seinem Belieben zu beschwichtigen. Ich wußte nun zur Genüge, in welchem Verhältnis sie zueinander standen.

Wir blieben bis zum Abend beisammen. Der Marchese führte die Gräfin in die Oper, und ich ging mit dem Grafen auf mein Zimmer, um dort zu warten, bis mein Wagen bereit wäre, um uns ebenfalls dorthin zu bringen. Die Oper hatte bereits begonnen, als wir ankamen. Das erste, worauf mein Blick fiel, als ich auf die Bühne sah, war meine teure Teresa Palesi, die ich in Florenz gelassen hatte. Dieses Wiedersehen war mir angenehm, denn ich sah voraus, daß wir während unseres Aufenthaltes neue süße Zusammenkünfte haben würden.

Aus Zartgefühl sprach ich mit dem Grafen weder über die Schönheit seiner Frau, noch über seine häuslichen Angelegenheiten. Ich sah, daß der Platz schon besetzt war, und das launische Wesen der Gräfin bewahrte mich davor, mich in sie zu verlieben. Nach dem zweiten Akt gingen wir auf den Ridotto, wo ich fünf oder sechs Pharaotische sah; ich spielte, hörte aber auf, nachdem ich, gewissermaßen zum Willkommen, etwa hundert Dukaten verloren hatte. Beim Abendessen schien die Gräfin weniger mürrisch zu sein. Sie bedauerte mich wegen meines Verlustes, und ich antwortete ihr, ich wünsche mir zu diesem Verluste Glück, da ich ihm ein Kompliment von ihr verdanke.

Als ich am nächsten Morgen nach dem Erwachen klingelte, meldete Clairmont mir, daß eine Frau mich zu sprechen wünsche.

«Ist sie jung?«

»Jung und schön, gnädiger Herr.«

»Vortrefflich, laß sie hereinkommen.«

Ich sah ein einfach gekleidetes Mädchen, das mich an Lia erinnerte. Sie war so schön wie diese, groß und wohlgebaut, aber ihr Wesen war nicht so anspruchsvoll wie das der Jüdin, denn sie kam nur in der Absicht, sich mir zur Besorgung meiner Wäsche und zur Ausbesserung und Reinigung meiner Spitzen anzubieten. Ich verliebte mich sofort in sie. Da ich meine Schokolade trank, die Clairmont mir gerade gebracht hatte, so lud ich das schöne Mädchen ein, sich auf mein Bett zu setzen; sie antwortete mir jedoch bescheiden, sie wolle mir nicht lästig fallen und werde wiederkommen, wenn ich aufgestanden sei.

»Wohnen Sie weit von hier, Fräulein?«

»Ich wohne hier im Hause, im Erdgeschoß.«

»Sind Sie allein?«

»Nein, gnädiger Herr; ich lebe bei meinen Eltern.«

»Wie heißen Sie?«

»Zenobia.«

»Ihr Name ist ebenso hübsch wie Sie. Wollen Sie mir Ihre Hand zum Küssen geben?«

»Nein, mein Herr!« rief sie lachend; »denn meine Hand ist bereits vergeben.«

»Sie sind verlobt?«

»Ja, mit einem Schneider, der mich vor Ablauf des Karnevals heiraten wird.«

»Ist Ihr Bräutigam reich und schön?«

»Weder schön noch reich.«

»Warum heiraten Sie ihn denn?«

»Um Herrin im eigenen Hause zu sein.«

»Das begreife ich. Ich biete Ihnen meine Freundschaft an. Holen Sie mir schnell Ihren Schneider; ich will ihm Arbeit geben.«

Sobald sie hinaus war, stand ich auf und befahl Clairmont, meine Wäsche auf einen Stuhl zu legen. Kaum war ich angezogen, so trat bereits Zenobia mit ihrem Schneider ein. Ich war erstaunt über den Kontrast, denn er war ein kleines verkümmertes Männchen, dessen Anblick unwillkürlich zum Lachen reizte.

»Nun, Herr Schneider, Sie wollen dieses reizende Mädchen heiraten?«

»Jawohl, gnädiger Herr. Das Aufgebot ist bereits erlassen.«

»Sie müssen mit einer Glückshaube geboren sein. Wann heiraten Sie sie?«

»In zehn oder zwölf Tagen.«

»Warum nicht morgen?«

»Sie haben es sehr eilig, Illustrissimo.«

»Jedenfalls würde ich es in Ihrer Stelle sehr eilig haben«, rief ich lachend. »Sie werden mir zu morgen für den Ball einen Domino machen.«

»Gerne, gnädiger Herr; aber Euer Exzellenz müssen mir den Taft geben, denn in ganz Mailand ist kein Kaufmann, der mir Kredit geben würde, und ich bin nicht reich genug, um so viel Geld auslegen zu können.«

»Wenn Sie verheiratet sind, werden Sie Geld und Kredit haben; einstweilen nehmen Sie diese zehn Zechinen.«

Er entfernte sich freudestrahlend über dieses unverhoffte Glück.

Nachdem ich Zenobia Spitzen zum Ausbessern gegeben hatte, fragte ich sie, ob sie hoffe, daß ihr Gatte nicht eifersüchtig sein werde.

»Er ist weder eifersüchtig noch verliebt; er heiratet mich nur, weil ich mehr verdiene als er.«

»So, wie die Natur Sie geschaffen hat, hätten Sie Anspruch auf ein besseres Glück machen können.«

»Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und habe lange genug gewartet. Ich bin meines Mädchenstandes müde. Übrigens ist mein Schneider allerdings ja nicht schön, aber er ist klug, und das ist vielleicht mehr wert als schöne Glieder.«

»Sie zeigen selber sehr viel Geist. Aber warum schiebt er die Heirat mit Ihnen hinaus?«

»Weil er kein Geld hat; er will aber seiner Verwandten wegen eine schöne Heirat machen. Die Wahrheit zu sagen, gefällt mir das.«

»Auch darin gebe ich Ihnen wieder recht; aber ich begreife nicht, welches Vorurteil Sie veranlassen kann, einem ehrenwerten Mann auf seine Bitte einen Handkuß zu verweigern.«

»Dies war nur so eine Wendung von mir, um Ihnen bei der Gelegenheit sagen zu können, daß ich mich verheirate. Im übrigen bin ich von dummen Vorurteilen frei.«

»Das ist recht. Ich achte Sie jetzt um so höher. Sagen Sie Ihrem Bräutigam, wenn er mich zum Brautvater nehme, wolle ich alle Kosten bezahlen.«

»Im Ernst?«

»Ja, im Ernst. Ich werde ihm fünfundzwanzig Zechinen geben, aber unter der Bedingung, daß das ganze Geld für die Hochzeit ausgegeben wird.«

»Fünfundzwanzig Zechinen! Da werden die Leute reden; aber daraus machen wir uns nichts. Ich werde Ihnen morgen die Antwort geben.«

»Und jetzt gleich einen herzlichen Kuß!«

»Sehr gern!«

Zenobia entfernte sich freudestrahlend; hierauf ging ich aus, um mich mit meinem Bankier bekannt zu machen und um meine liebe Teresa aufzusuchen. Als ich bei dieser reizenden Frau eintrat, die ich stets zärtlich geliebt habe, nahm ihre hübsche Kammerzofe, die mich erkannt hatte, mich bei der Hand und führte mich an das Bett ihrer Herrin, die gerade aufstehen wollte. Sie empfing mich mit jener Zärtlichkeit und Rührung, die uns des Wortes beraubt und uns nur so viel Kraft läßt, um uns umarmen zu können.

Nachdem unsere gegenseitigen Entzückungen sich besänftigt hatten, sagte Teresa mir, seit sechs Monaten lebe sie nicht mehr mit ihrem Gatten, der ihr unerträglich geworden sei; um ihn los zu werden, zahle sie ihm ein Jahrgeld, und er lebe jetzt in Rom.

»Wo ist Cesarino?« fragte ich sie.

»Er ist hier in Pension, mein lieber Freund, und du wirst ihn sehen, sobald du willst.«

«Bist du glücklich?«

»Sehr glücklich. Man sagt, ich habe einen Liebhaber; aber das ist unwahr, und du kannst mich in voller Freiheit besuchen, so oft du Lust hast.«

Wir verbrachten zwei köstliche Stunden damit, uns unsere Abenteuer seit unserem letzten Beisammensein zu erzählen. Ich fand sie frisch und schön, wie in den ersten Zeiten unserer Liebe, und fragte sie, ob sie ein Gelübde getan habe, ihrem Gatten treu zu sein.

»In Florenz«, antwortete sie mir, »war ich noch verliebt in ihn; hier aber können wir, wenn ich dir noch gefalle, unsere Beziehungen erneuern und bis in den Tod zusammen bleiben.«

»Ich kann, meine teure Teresa, dir auf der Stelle beweisen, daß du in meinem Herzen nichts verloren hast.«

Statt aller Antwort überließ sie sich meinen Liebkosungen.

Nachdem ich mich ausgeruht hatte, verließ ich sie verliebt, wie vor achtzehn Jahren; aber meine Glut fand zu viele Ablenkungen, um lange dauern zu können.

Die Gräfin A. B. begann zartere Töne aufzuziehen.

»Ich weiß,« sagte sie mit einer Miene der Befriedigung, »wo Sie zwei Stunden zugebracht haben; aber wenn Sie diese Dame lieben, so dürfen Sie sie nicht mehr besuchen, denn ihr Liebhaber würde sie verlassen.«

»Wenn er sie verließe, gnädige Frau, so würde ich seine Stelle einnehmen.«

»Sie haben ganz recht, daß Sie sich vergnügen, indem Sie Frauen suchen, die Ihre Geschenke zu verdienen wissen. Ich weiß, daß Sie solche Geschenke erst machen, nachdem Sie deutliche Beweise ihrer Zärtlichkeit empfangen haben.«

»Das ist mein Grundsatz, Frau Gräfin.«

»Es ist das beste Mittel, niemals betrogen zu werden. Der Liebhaber der Dame, der Sie einen Besuch gemacht haben, hatte früher eine Dame unserer Gesellschaft. Sie ist durch ihn sehr wohlhabend geworden, aber wir verachten sie.«

»Warum, wenn ich bitten darf.«

»Finden Sie nicht, daß sie sich weggeworfen hat? Greppi ist ein Mann von niedrigster Geburt.«

Ohne mich über den Namen Greppi zu wundern, antwortete ich ihr, ein Mann brauche nicht von Adel zu sein, um ein ausgezeichneter Liebhaber zu sein; dazu sei nur ein schönes Äußeres und Gold nötig. Frauen, die aus solchen Gründen eine ihresgleichen verachteten, wären entweder durch ihren Stolz lächerlich, oder würden von Neid verzehrt; ich sei überzeugt, sie alle würden sich glücklich schätzen, sich wegwerfen zu können, wenn sie einen Greppi fänden.

Ohne Zweifel wollte sie mir ärgerlich antworten, denn meine Bemerkung hatte sie allerdings verletzt; aber sie wurde daran durch die Ankunft des Marchese Triulzi verhindert. Sie fuhr mit diesem aus, während ich mit ihrem Manne in ein Haus ging, wo wir einen Mann fanden, der etwa hundert Zechinen vor sich liegen hatte und mit dieser kleinen Summe eine Pharaobank hielt.

Ich nahm ein Buch Karten und spielte wie die anderen mit kleinen Einsätzen. Nachdem ich zwanzig Dukaten verloren hatte, hörte ich auf.

Als wir nach der Oper gingen, sagte mein armer Graf zu mir, ich sei die Veranlassung, daß er zehn Dukaten auf Wort verloren habe, und er wisse nicht, wie er es anfangen solle, um diese am nächsten Tage zu bezahlen. Er tat mir leid, und ich gab ihm die Dukaten, ohne ein Wort zu sagen, denn Armut hat mir stets Achtung eingeflößt. In der Oper verlor ich noch zweihundert Dukaten an derselben Bank, wo ich am Tage vorher hundert verloren hatte. Ich lachte über die Betrübnis meines armen Grafen, der nicht wußte, daß ich hunderttausend Franken bei jenem Greppi hatte, der in den Augen seiner hochmütigen Frau zur niedrigsten Klasse des Volkes gehörte. Ebensowenig wußte er, daß ich für mehr als hunderttausend Franken Schmucksachen besaß.

Die Gräfin, die mich hatte verlieren sehen, glaubte mich fragen zu dürfen, ob ich mein schönes Zobelkleid verkaufen wolle. »Man sagt, es sei tausend Zechinen wert.«

»Das ist richtig, gnädige Frau, aber ich würde eher alles andere verkaufen, als Sachen anrühren, die ich Ihrem schönen Geschlecht bestimmt habe.«

»Marchese Triulzi hätte große Lust, es zu kaufen, um jemandem ein Geschenk damit zu machen.«

»Es tut mir aufrichtig leid, Frau Gräfin, Ihnen das Kleid nicht verkaufen zu können.«

Sie sagte nichts mehr, ich sah aber an ihrem Gesicht, daß meine abschlägige Antwort ihr sehr ärgerlich war.

Als ich die Oper verließ, traf ich Teresa, die gerade in ihre Sänfte einsteigen wollte. Ich ließ den Grafen stehen, um ihr zu sagen, ich sei überzeugt, daß sie mit ihrem Freunde zu Abend speisen werde. Sie flüsterte mir ins Ohr, sie würde allein zu Abend essen oder mit mir, wenn ich den Mut hätte zu kommen. Es war für sie eine angenehme Überraschung, als ich die Einladung annahm, und sie sagte mir, sie werde mich erwarten. Ich lud den Grafen ein, sich meines Wagens zu bedienen, nahm einen Tragstuhl und traf bei Teresa in dem Augenblick ein, wo sie ihre Wohnung betrat.

Welch glücklicher Abend! Wir lachten von ganzem Herzen, indem wir unsere Gedanken austauschten.

»Ich weiß,« sagte sie zu mir, »daß du in die Gräfin A. B. verliebt bist, und ich war sicher, daß du es nicht wagen würdest, bei mir zu Abend zu essen.«

»Und ich, meine Liebe, weiß, daß Greppi dein Liebhaber ist, und habe dich in Verlegenheit zu bringen geglaubt, indem ich deine Einladung annahm.«

»Greppi ist mein Freund, und wenn er für mich etwas anderes empfindet als eine freundschaftliche Liebe, so bedaure ich ihn, denn bis jetzt hat er noch nicht das Geheimnis gefunden, mich zu verführen.«

»Glaubst du, daß ihm dies je gelingen könnte?«

»Schwerlich; denn ich bin reich.«

»Aber Greppi ist noch reicher als du.«

»Allerdings, aber ich bezweifle, daß er mich mehr liebt als sein Geld.«

»Ich verstehe dich, wundervolles Weib! Du wirst ihn glücklich machen, wenn er hinlänglich verliebt ist, um sich zugrunde zu richten.«

»Du hast es erraten; aber dieser Fall wird nicht eintreten. – So sind wir also, mein lieber Freund, nach einer Trennung von fast zwanzig Jahren wieder beisammen! Du wirst mich unverändert finden, davon bin ich überzeugt.«

»Es ist ein Vorrecht, das die Natur nur deinem Geschlecht bewilligt hat. Mich wirst du verändert finden; nur mein Herz hat sich nicht verändert. Es wird die Veränderung beklagen; aber du wirst Wunder wirken.«

Dies war nur eine galante Schmeichelei; denn Wunder wirkte sie nicht. Nach einem leckeren Mahle verbrachten wir zwei Stunden im süßesten Sinnestaumel; dann aber bemächtigte Morpheus sich unserer Sinne. Als wir erwachten, erneuten wir mit Erfolg unsere Liebeskämpfe; ich verließ sie erst nach einem Morgengruß, der ebenso kräftig war wie der Gutenachtgruß, der uns fünf oder sechs Stunden Schlaf verschafft hatte.

In meiner Wohnung fand ich die schöne Zenobia. Sie sagte mir, ihr Schneider sei bereit, sie am nächsten Sonntag zu heiraten, wenn mein Anerbieten kein bloßer Scherz sei.

»Um dich vom Gegenteil zu überzeugen, schöne Freundin, nimm diese fünfundzwanzig Zechinen!«

Voll Dankbarkeit ließ sie sich in meine Arme sinken, und ich verzehrte mit meinen Feuerküssen ihren Mund und ihren herrlichen Busen. Teresa hatte mich erschöpft; ich suchte daher den Scherz nicht weiter zu treiben. Zenobia aber mußte wohl meine Zurückhaltung der offenen Tür zuschreiben. Eine sorgfältige Toilette erfrischte mich wieder, und um meine Kräfte völlig wieder herzustellen, machte ich eine lange Spazierfahrt in einem offenen Wagen.

Bei meiner Rückkehr fand ich bei dem Grafen A. B. den Marchese Triulzi, der nach seiner Gewohnheit die Gräfin ärgerte. Die Tafel war an diesem Tage von ihm bestellt worden; das Mahl war daher reichlich und fröhlich. Das Gespräch kam auf mein Kleid, und die Gräfin machte die unvorsichtige Bemerkung, ich hätte es für die Dame bestimmt, die mich verliebt und glücklich machen würde.

Der Marchese erwiderte hierauf mit ausgesuchter Höflichkeit, ich verdiene die Huld schöner Frauen um billigeren Preis.

»Allem Anschein nach,« sagte die Gräfin zu mir, »werden Sie es der Dame schenken, bei der Sie die Nacht verbracht haben.«

»Unmöglich, Frau Gräfin, denn ich habe die Nacht am Spieltisch verbracht.«

In diesem Augenblick trat Clairmont ein und meldete mir, daß ein Offizier mich zu sprechen wünsche. Ich ging hinaus und sah einen schönen Jüngling, der mich sofort umarmte. Ich erkannte in ihm Barbaro, den Sohn eines venetianischen Nobile und Bruder der schönen und berühmten Frau Gritti Sgombro, von der ich vor zehn Jahren sprach, und deren unglücklicher Gatte in der Zitadelle von Cattaro starb, wohin er als Staatsgefangener gebracht worden war. Mein junger Landsmann war ebenfalls in Ungnade bei diesen despotischen Staatsinquisitoren. Wir waren in Venedig in dem Jahr vor meiner Gefangenschaft Freunde gewesen, aber ich hatte nichts mehr von ihm gehört.

Barbaro erzählte mir die hauptsächlichsten Ereignisse seines ziemlich abenteuerlichen Lebens und sagte mir dann, er stehe augenblicklich im Dienste des Herzogs von Modena, der in Mailand als Gouverneur residierte.

»Ich habe Sie an Cananos Bank unglücklich spielen sehen, und die Erinnerung an unsere alte Freundschaft hat mich veranlaßt, Ihnen ein sicheres Mittel vorzuschlagen, um viel Geld zu verdienen. Zu diesem Zweck müssen Sie mir erlauben, Sie einer zahlreichen Gesellschaft von reichen jungen Leuten vorzustellen, die das Spiel lieben und nur verlieren können.«

»Wo ist diese Gesellschaft?«

»In einem sehr angenehmen Hause. Wenn Ihnen mein Vorschlag recht ist, werde ich selber abziehen, und ich bin sicher zu gewinnen. Ich brauche Sie nur, um die Betriebsmittel für die Bank zu liefern, von deren Gewinn Sie mir nur ein Viertel abgeben sollen.«

»Ich errate: Sie verstehen es, die Karten zu halten.«

»Da irren Sie sich nicht.«

Mit anderen Worten also, Barbaro schlug geschickte Volte oder verbesserte das Glück, wie man es auch zu nennen pflegt. Zum Schluß sagte er mir, ich würde in dem Hause Damen finden, die meiner Aufmerksamkeiten würdig wären.

»Mein lieber Landsmann, ich werde mich bezüglich Ihres Vorschlages erst entscheiden, wenn ich die Gesellschaft gesehen habe, der Sie mich vorstellen wollen.«

»Wollen Sie sich morgen um drei Uhr im Theatercafé einfinden?«

»Gern; aber ich hoffe die Ehre zu haben, Sie heute Nacht auf dem Ball zu sehen.«

Zenobias Bräutigam brachte mir meinen Domino; die Gräfin hatte bereits den ihrigen. Da der Ball erst nach der Oper begann, so besuchte ich diese, um Teresa singen zu hören. Nachdem ich im Zwischenakt abermals zweihundert Zechinen verloren hatte, ging ich nach Hause, um mich umzukleiden und dann auf den Ball zu fahren. Die Gräfin, die bereits fertig war, sagte mir, wenn ich die Gefälligkeit haben wolle, sie in meinem Wagen auf den Ball zu führen und auch wieder nach Hause zu bringen, würde sie den Wagen des Marchese Triulzi nicht holen lassen. Ich antwortete ihr, ich stände ganz zu ihren Diensten.

Ich dachte, die schöne Spanierin hätte mir nur darum den Vorzug gegeben, um mir Gelegenheit zu freiem Vorgehen zu verschaffen; ich sagte ihr daher, sobald wir in dem Wagen nebeneinander saßen: es liege nur an ihr, mein Kleid zu bekommen, und ich verlange dafür weiter nichts als die Ehre, eine Nacht bei ihr zu schlafen.

»Sie beschimpfen mich auf eine unerhörte Weise, mein Herr; ich wundere mich um so mehr darüber, da es nicht aus Unwissenheit geschehen kann.«

»Ich weiß alles, schöne Gräfin, aber wenn Sie klug sind, können Sie über die Beleidigung hinwegsehen, sie mir sogar verzeihen, indem Sie ein dummes Vorurteil beiseite schieben, sich mein Kleid verdienen und mich eine ganze Nacht hindurch glücklich machen.«

»Man kann das alles tun, wenn man liebt; aber Sie müssen zugeben, daß Ihre rohe Sprache mehr dazu angetan ist, Haß als Liebe zu erregen.«

»Ich habe diese Sprache angenommen, weil ich nicht gerne wie ein dummer Affe warte; langes Lauern ist mir zuwider. Geben Sie Ihrerseits zu, liebenswürdige Gräfin, daß es Ihnen Spaß machen würde, mich als schüchternen Liebhaber zu sehen.«

»Das wäre mir einerlei; denn, wie Sie sind, würde ich Sie niemals lieben können.«

»In dieser Hinsicht sind wir also vollkommen einig, denn ich liebe Sie ebensowenig wie Sie mich.«

»Bravo! Und trotzdem wollten Sie tausend Zechinen ausgeben, um eine einzige Nacht mit mir zu verbringen?«

»Nicht des Vergnügens wegen; denn ich möchte nur darum bei Ihnen schlafen, um Sie zu demütigen und um Ihren unerträglichen, übelangebrachten Stolz zu ducken.«

Gott weiß, was die stolze Spanierin mir geantwortet haben würde, wenn nicht in diesem Augenblick der Wagen vor der Tür des Theaters gehalten hätte. Wir trennten uns, und nachdem ich mich eine Weile in der Menge herumgetrieben hatte, ging ich nach dem Spielsaal hinauf, in der Hoffnung, meine Verluste von dem vorhergehenden Tage wieder einzuholen. Ich hatte mehr als fünfhundert Zechinen bei mir. Ich besaß ja reichliche Mittel, aber wenn es in diesem Tempo weiterging, war ich bald dem Abgrund nahe. Ich setzte mich an Cananos Tisch, und da ich bemerkte, daß niemand mich kannte außer meinem armen Grafen, der überall hinter mir herlief, so sah ich es als ein gutes Zeichen für den Abend an. Vier Stunden lang setzte ich immer wieder auf eine Karte, konnte aber weder das Geld verlieren, das ich bei mir hatte, noch tausend Zechinen gewinnen, wie es meine Absicht war. Als ich zuletzt das Glück zwingen wollte, wandte es sich gegen mich, und ich ließ all mein Gold der Bank. Ich ging in den Ballsaal zurück; dort traf ich die Gräfin, und wir fuhren nach Hause.

Sobald wir im Wagen saßen, sagte sie zu mir: »Ich habe Sie ein Vermögen verlieren sehen, und das freut mich. Der Marchese wird Ihnen tausend Zechinen für Ihr Kleid geben, und diese Summe wird Ihnen Glück bringen.«

»Und auch Ihnen; denn Sie werden doch mein Kleid bekommen?«

»Das kann wohl sein.«

»Gnädige Frau, durch dieses Mittel werden Sie es niemals erhalten; das andere kennen Sie. Tausend Zechinen verachte ich.«

»Und ich verachte Ihre Geschenke und Ihre Person.«

»Das steht Ihnen frei, mir aber steht es frei, Ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«

Unter diesen lieblichen Reden kamen wir zu Hause an. Als ich mein Zimmer betrat, fand ich dort den Grafen mit langem Gesicht. Offenbar hatte er Lust, mich zu beklagen; aber er wagte es nicht. Meine gute Laune machte ihm Mut, und er sagte zu mir: »Sie können tausend Zechinen von Triulzi haben; dadurch werden Sie Ihren Verlust ausgleichen.«

»Für mein Kleid, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ich möchte es lieber Ihrer Frau schenken; aber sie hat mir gesagt, sie würde es verschmähen, wenn sie es aus meinen Händen empfangen müßte.«

»Das wundert mich, denn sie ist ganz verrückt auf das Kleid. Ich weiß nicht, wodurch Sie ihren hochmütigen Sinn verletzt haben. Lassen Sie sich raten: verkaufen Sie das Kleid und nehmen Sie die tausend Zechinen.«

»Ich werde Ihnen morgen antworten.«

Nachdem ich vier oder fünf Stunden geschlafen hatte, zog ich meinen Überrock an und ging zu Greppi; denn ich hatte kein Geld mehr. Ich nahm tausend Zechinen, indem ich ihn bat, über meine Verhältnisse mit keinem Menschen zu sprechen. Er antwortete mir, meine Geschäfte wären auch die seinigen; ich könne mich auf seine Geheimhaltung verlassen. Er beglückwünschte mich wegen der guten Meinung, die Frau Palesi von mir habe, und sagte mir, er hoffe, wir würden miteinander bei ihr zu Abend essen. Ich antwortete, dies würde mir viel Vergnügen machen. Von Greppi begab ich mich zu Teresa, um ihr einen Besuch zu machen; da aber Leute bei ihr waren, so blieb ich nur wenige Augenblicke. Es war mir angenehm, zu bemerken, daß sie weder von meinen Verlusten, noch von meinen Geschäften überhaupt etwas wußte. Sie sagte mir, es sei Greppis Wunsch, mit mir bei ihr zu Abend zu essen; sie würde mir den Tag noch bekannt geben. Als ich nach Hause kam, fand ich den Grafen neben meinem Kaminfeuer sitzen.

»Meine Frau ist wütend auf Sie,« sagte er zu mir; »aber sie will mir den Grund nicht sagen.«

»Der Grund, mein lieber Graf, ist der, daß ich nicht will, daß sie das Kleid von einem anderen bekommt als von mir. Sie hat mir gesagt, sie würde es verschmähen, wenn ich es ihr schenken wollte; ist dies wohl ein Grund, um wütend zu sein?«

»Sie muß verrückt sein; sonst begreife ich nichts davon. Aber beachten Sie, bitte, was ich Ihnen sage: Sie verachten tausend Zechinen und ich wünsche Ihnen Glück dazu. Wenn Sie imstande sind, eine Summe zu verschmähen, die mich glücklich machen würde, so opfern Sie der Freundschaft eine, wie ich glaube, übel verstandene Eitelkeit. Nehmen Sie vom Marchese die tausend Zechinen; leihen Sie diese mir und gestatten Sie, daß meine Frau das Kleid bekommt, denn er wird es ihr ganz sicherlich schenken.«

Über diesen Vorschlag mußte ich laut auflachen; er war gewiß danach angetan, die Fröhlichkeit eines Hypochonders zu erregen, und ich war nichts weniger als ein Hypochonder. Ich wurde jedoch wieder ernst, als ich den armen Grafen ganz schamrot werden sah. Um ihn zu beruhigen, umarmte ich ihn herzlich; dann aber sagte ich ihm mit barbarischer Aufrichtigkeit: »Ich bin bereit, ohne die allergeringste Eitelkeit auf diesen Vorschlag einzugehen. Ich werde das Kleid dem Marchese verkaufen, sobald Sie wollen, aber ich werde Ihnen nicht tausend Zechinen leihen; ich werde sie Ihnen schenken, oder vielmehr: ich werde sie Ihrer Frau unter vier Augen geben. Aber wenn sie sie bekommt, muß sie nicht nur gut und gefällig, sondern auch sanft wie ein Lamm sein. Sehen Sie zu, mein lieber Graf, wie Sie die Geschichte in Ordnung bringen; dies ist mein letztes Wort.«

»Ich will’s versuchen«, sagte der arme Ehemann; damit ging er.

Barbaro war pünktlich; er erwartete mich bereits am verabredeten Ort. Ich ließ ihn in meinen Wagen steigen, und er führte mich in ein Haus, das am anderen Ende von Mailand lag. Wir gingen in das erste Stockwerk, wo er mich einem schönen Greise und einer Dame von sehr ehrenwertem Aussehen, sowie zwei reizenden Basen vorstellte. Er sagte, ich sei ein Venetianer, der wie er das Unglück habe, bei den Staatsinquisitoren in Ungnade gefallen zu sein; da ich jedoch reich und Junggeselle sei, so könne ich mich über Gunst oder Ungunst der hohen Herren hinwegsetzen.

Er gab mich für reich aus, und ich sah allerdings so aus. Mein Luxus war blendend. Meine Ringe, Tabaksdosen, diamantenbesetzten Uhrketten, mein Kreuz von Diamanten und Rubinen, das ich an einem breiten dunkelroten Band um den Hals trug, gaben mir das Aussehen eines Mannes von Bedeutung. Dieses Kreuz war der Orden vom goldenen Sporn, den ich vom Papst erhalten hatte; da ich jedoch den Sporn hatte herausnehmen lassen, so erriet man nicht, was es bedeutete, und dies schmeichelte meiner Eitelkeit. Neugierige wagten es nicht, sich bei mir selber zu erkundigen; denn man fragt einen Kavalier ebensowenig, was das für ein Orden sei, den er trage, wie man eine Dame fragt: Wie alt sind Sie? Ich hörte 1765 auf, dieses dumme Kreuz zu tragen, als in Warschau der Fürst Palatin von Rußland mir unter vier Augen sagte, ich würde wohl daran tun, diesen Bettel abzulegen. »Es dient nur dazu, Dummköpfe zu blenden,« sagte er zu mir, »hier aber brauchen Sie mit solchen nichts zu tun zu haben.«

Ich folgte seinem Rat, denn er war ein großer Denker. Trotzdem war er es, der den ersten Stein aus dem Sockel brach, worauf das Königreich Polen ruhte. Er stürzte es eben durch die Mittel, durch die er es größer machen wollte.

Der alte Herr, welchem Barbara mich vorstellte, war ein Marchese. Er sagte mir, er kenne Venedig, und da ich nicht von patrizischem Range sei, könne ich in anderen Ländern nur glücklicher leben. Er stellte mir sein Haus zur Verfügung und bot mir alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen.

Die beiden jungen Damen hatten mich entzückt; sie waren zwei vollkommene, beinahe ideale Schönheiten. Ich beschloß, mich bei jemandem zu erkundigen, der sie näher kannte; denn zu Barbara hatte ich kein Vertrauen.

Eine halbe Stunde darauf begannen Besucher zu Fuß und im Wagen anzukommen. Unter ihnen waren mehrere sehr hübsche und gut angezogene junge Damen; gut gekleidete junge Herren wetteiferten, den beiden Basen den Hof zu machen, die einen dieser, die anderen jener, je nachdem sie aus Liebe oder aus Höflichkeit der einen oder der anderen den Vorzug gaben. Wir waren alles in allem etwa zwanzig Personen. Die Gesellschaft setzte sich an einen großen Tisch und begann ein Spiel, das Bankerott genannt wurde. Nachdem ich mich ein paar Stunden unterhalten und einige Zechinen verloren hatte, entfernte ich mich mit Barbaro, und wir gingen in die Oper.

»Die beiden jungen Marchesinen«, sagte ich zu meinem Landsmann, »kommen mir vor wie zwei Engel von Fleisch und Blut. Ich werde ihnen meine Huldigungen darbringen und in ein paar Tagen werde ich sehen, ob sie für mich erreichbar sind. Für das Spiel will ich Ihnen zweihundert Zechinen leihen; aber ich will diese nicht verlieren, Sie müssen mir daher in gesetzlicher Form Bürgschaft dafür leisten.«

»Damit bin ich herzlich gern einverstanden; ich bin völlig sicher, sie Ihnen mit starken Zinsen wiedergeben zu können.«

»Außerdem will ich, daß Sie nicht fünfundzwanzig vom hundert des Gewinnes, sondern die Hälfte erhalten; ich mache jedoch zur Bedingung, daß niemand von meiner Beteiligung an dem Spiel eine Ahnung haben kann; denn wenn ich den geringsten Verdacht bemerke, werde ich für meine eigene Rechnung starke Sätze machen.«

»Sie können sich auf meine Verschwiegenheit um so sicherer verlassen, da ich ein Interesse daran habe, daß die Spieler glauben, das Kapital der Bank sei mein eigenes Geld.«

»Ich verstehe. Kommen Sie also morgen früh bei guter Zeit, bringen Sie mir annehmbare Sicherheit, und ich werde Ihnen das Geld geben.«

Er umarmte mich in der Freude seines Herzens.

Die Bilder der beiden schönen Marchesinen gingen mir im Kopf herum; ich gedachte mich bei Greppi nach ihnen zu erkundigen, als ich Triulzi im Parkett der Oper bemerkte. Zu gleicher Zeit sah er auch mich, und da ich allein war, so kam er heran und sagte fröhlich zu mir, er sei überzeugt, daß ich schlecht zu Mittag gegessen habe, und ich werde ihm ein Vergnügen machen, wenn ich alle Tage bei ihm speise.

»Ich muß erröten, Herr Marchese, daß ich noch nicht bei Ihnen war, um Ihnen meine Aufwartung zu machen, wie es meine Pflicht gewesen wäre.«

»Es gibt keine Verpflichtungen unter Lebemännern, die die Welt nach ihrem wahren Wert zu schätzen wissen.«

»Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht.«

»Da fällt mir ein – ich habe gehört, Sie seien bereit, mir das Kleid abzulassen; ich bin Ihnen sehr dankbar dafür und werde Ihnen die fünfzehntausend Lire, die es kostet, geben, sobald Sie es wünschen.«

»Sie können das Kleid morgen früh abholen lassen.«

Er erzählte mir noch in aller Kürze mehrere Anekdoten in bezug auf Damen, die wir in den ersten Logen sahen und nach denen ich ihn gefragt hatte. Ich benutzte diesen günstigen Umstand und sagte: »Ich habe in einer Kirche zwei junge Schönheiten im höchsten Sinne des Wortes gesehen. Jemand, der neben mir stand, sagte mir, es seien zwei Basen, die Marchesina Q. und die Marchesina F. Kennen Sie sie? Die jungen Damen haben mich sehr neugierig gemacht.«

»Ich kenne sie; sie sind reizend. Es ist nicht schwer, in ihrem Hause eingeführt zu werden, und ich glaube, sie sind tugendhaft, denn bis jetzt ist über sie noch nicht geredet worden. Ich weiß allerdings, daß Fräulein F. einen Liebhaber hat; aber dies ist ein tiefes Geheimnis, denn er ist der einzige Sohn einer unserer ersten Familien. Unglücklicherweise sind die jungen Damen nicht reich; da sie aber, wie man mir versichert hat, viel Geist besitzen, so können sie erwarten, gute Partien zu machen. Wenn Sie neugierig sind, werde ich Sie mit jemandem bekannt machen, der Sie bei ihnen einführt.«

»Ich bin noch nicht fest entschlossen; denn möglicherweise vergesse ich sie leicht wieder, da ich sie nur flüchtig gesehen habe. Übrigens bin ich Ihnen unendlich verbunden für Ihr liebenswürdiges Anerbieten.«

Nach dem Ballett ging ich in den Spielsaal hinauf. Ich hörte drei oder vier Stimmen sagen: »Da ist er!«

Der Bankhalter nickte mit dem Kopf und bot mir einen Platz an seiner Seite an. Ich setzte mich, und statt eines Buches gab er mir ein ganzes Spiel Karten. Ich begann zu setzen und zwar mit einem so beständigen Unglück, daß ich in weniger als einer Stunde siebenhundert Zechinen verlor. Wahrscheinlich hätte ich auch den Rest verloren, wenn nicht Canano, der aufstehen mußte, die Karten einem Mann gegeben hätte, dessen Gesicht mir mißfiel. Ich stand auf, ging nach Hause und legte mich sofort zu Bett, um nicht genötigt zu sein, meine üble Laune zu verbergen.

Am anderen Morgen in aller Frühe holte Barbaro sich die zweihundert Zechinen, die ich ihm versprochen hatte. Er gab mir Sicherheit für diese Summe, indem ich das Recht erhielt, bis zur vollständigen Tilgung seiner Schuld seine Einkünfte in Beschlag zu nehmen. Ich glaube nicht, daß ich im Fall des Unglücks mich hätte entschließen können, von meinen Rechten Gebrauch zu machen; aber ich wollte ihn im Zaum halten. Hierauf ging ich aus und begab mich zu Greppi, bei dem ich zweitausend Zechinen in Gold nahm.

Einundzwanzigstes Kapitel


Demütigung der Gräfin. – Zenobias Hochzeit im Apfelkasino. – Pharao. – Eroberung der schönen Irene. – Plan zur Maskerade.

Als ich nach Hause kam, fand ich den Grafen mit einem Bedienten des Marchese Triulzi, der mir einen Brief von seinem Herrn übergab, worin dieser mich bat, ihm das Kleid zu schicken. Ich tat dies sofort.

»Der Marchese wird mit uns speisen,« sagte der Graf, »und wird Ihnen ohne Zweifel den Betrag für dieses herrliche Schmuckstück mitbringen.«

»Sie finden also, es ist ein Schmuckstück?«

»Ja, einer Königin würdig.«

»Ich wünschte, mein lieber Graf, dieses Schmuckstück besäße die Kraft, Ihnen eine Krone zu geben; dieser Kopfschmuck wäre besser als ein gewisser anderer.«

Der arme Teufel verstand die Anspielung; und da ich ihn gern hatte, so machte ich mir Vorwürfe, ihn gekränkt zu haben; aber ich hatte ohne Überlegung dem Vergnügen nachgegeben, einen Witz zu machen. Ich beeilte mich, einen etwaigen schmerzlichen Eindruck zu verwischen, indem ich ihm sagte, ich würde der Gräfin das Geld bringen, sobald der Marchese es mir bezahlt hätte.

»Ich habe mit ihr darüber gesprochen,« antwortete der Graf, »und sie hat über Ihren Vorschlag gelacht; aber ich bin überzeugt, sie wird sich entschließen, ja zu sagen, sobald sie das Kleid in ihrem Besitz sieht.«

Es war ein Freitag. Der Marchese schickte ein ausgezeichnetes Mittagessen von lauter Fischgerichten; bald darauf kam er selbst mit dem Kleide, das in einem Korb lag. Die stolze Spanierin erhielt das Geschenk in aller Form und dankte ihm auf das lebhafteste dafür. Der Geber nahm diese Danksagungen lachend auf, wie ein Mann, der an dergleichen gewöhnt ist; schließlich aber machte er die wenig schmeichelhafte Bemerkung, wenn sie vernünftig wäre, würde sie das Kleid verkaufen; denn da jedermann wüßte, daß sie nicht reich wäre, so würde man sie allgemein tadeln, wenn sie es trüge. Der Rat wurde nicht gut aufgenommen: sie sagte ihm tausend Beleidigungen, und unter anderem auch, er müsse ein großer Narr sein, da er so töricht gewesen sei, ihr das Kleid zu schenken, obgleich er der Meinung sei, daß es nicht für sie passe.

Als sie im besten Streiten waren, ließ die Marchesa Menafoglio sich melden. Sobald sie eingetreten war, zog das Kleid, das auf einem Tische ausgebreitet lag, ihre Blicke auf sich. Sie fand es prachtvoll und rief: »Dieses Kleid würde ich gerne kaufen!«

»Ich habe es nicht gekauft, um es wieder zu verkaufen,« sagte die Gräfin ärgerlich.

»Verzeihen Sie, Frau Gräfin,« sagte die Marchesa, »ich habe geglaubt, es sei zu verkaufen, und es tut mir leid, daß ich mich getäuscht habe.«

Der Marchese, der nicht gerne heuchelte, lachte laut auf; die Gräfin begriff, daß sie sich lächerlich gemacht hatte, und hielt an sich. Die Unterhaltung wandte sich einem anderen Thema zu. Aber kaum war die Marchesa fort, so ließ die Spanierin ihrem Zorn freien Lauf, indem sie den Marchese wegen seines Lachens mit Schimpfworten und Vorwürfen überschüttete. Als der Marchese auf ihr Schimpfen nur mit feinen Bosheiten antwortete, die in die Formen ausgesuchter Höflichkeit gekleidet waren, sagte die Gräfin schließlich, sie sei müde und wolle zu Bett gehen.

Als sie fort war, übergab der Marchese nur die fünfzehntausend Lire. Er sagte mir, sie würden mir an Cananos Bank Glück bringen; Herr Canano habe mich sehr gern und habe ihn gebeten, mit mir bei ihm zu Mittag zu speisen; zum Abendessen könne er mich nicht einladen, da er genötigt sei, die Nächte auf dem Ridotto zu verbringen.

»Ich werde Ihnen sehr verbunden sein, Herr Marchese, wenn Sie Canano sagen wollen, ich werde an jedem von ihm gewünschten Tage bei ihm zu Mittag essen, nur übermorgen nicht; denn da bin ich zu einer Hochzeit im Apfelkasino eingeladen.«

»Dazu wünsche ich Ihnen Glück!« riefen der Graf und der Marchese gleichzeitig; »ganz gewiß wird es dort sehr nett sein.«

»Daran zweifle ich nicht; ich bin überzeugt, ich werde mich gut unterhalten.«

»Könnten wir nicht auch dabei sein?«

»Ist das allen Ernstes Ihr Wunsch?«

»Gewiß.«

»Nun, ich verpflichte mich, Sie durch die schöne Braut in eigener Person einladen zu lassen; aber dies geschieht unter der Bedingung, daß die Gräfin sich bereit erklärt, ebenfalls zu erscheinen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft nur aus braven Leuten der allerniedrigsten Klasse besteht; ich würde auf keinen Fall dulden, daß sie gekränkt würden.«

»Ich erbiete mich, die Gräfin zu überreden,« sagte der Marchese.

»Vortrefflich; und um Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern, will ich Ihnen sagen, daß es sich um die Hochzeit der schönen Zenobia handelt.«

»Bravo!« rief er, »jetzt habe ich keinen Zweifel mehr, daß die Gräfin mitkommen wird.«

Der Graf, der hinausgegangen war, kam gleich nachher mit Zenobia zurück. Der Marchese machte ihr Komplimente und redete ihr zu, die Gräfin einzuladen; als sie zu zögern schien, ergriff er ihre Hand und führte sie in das Zimmer der stolzen Spanierin.

Eine halbe Stunde darauf kamen sie wieder und sagten uns, die Gräfin sei so freundlich gewesen, die Einladung anzunehmen.

Als der Marchese fort war, sagte der Graf zu mir, wenn ich nichts Besseres zu tun hätte, könnte ich seiner Frau Gesellschaft leisten, während er einige Geschäfte besorgen würde.

»Mein Lieber,« antwortete ich ihm, »ich habe die tausend Zechinen in meiner Tasche, und wenn ich sie vernünftig finde, bin ich bereit, sie ihr dazulassen.«

»Warten Sie – ich will mit ihr sprechen.«

»Tun Sie das!«

Während der Graf bei seiner Frau war, ging ich in mein Zimmer und legte das Gold fort, das der Marchese Triulzi mir gegeben hatte; ich nahm dafür fünfzehntausend Lire in Banknoten, die ich von Greppi erhalten hatte.

Im Augenblick, wo ich meine Kassette wieder verschloß, brachte Zenobia mir meine Manschetten. Sie fragte mich, ob ich ein Stück schönen Batist kaufen wolle; als ich diese Frage bejahte, ging sie hinaus und kam gleich darauf mit einem Leuchter und dem Batist wieder herein. Da ich den Stoff schön fand, kaufte ich ihn für zehn Zechinen. Dann sagte ich: »Der Batist gehört dir, meine liebe Zenobia, wenn du bereit bist, mich auf der Stelle glücklich zu machen.«

»Ich liebe Sie,« antwortete sie mir, »aber Sie täten mir einen Gefallen, wenn Sie bis nach der Hochzeit warten wollten.«

»Nein, meine teure Freundin, ich habe es außerordentlich eilig. Sofort oder niemals, denn ich sterbe. Sieh, in welchem Zustande ich bin!«

»Ich sehe es wohl; aber es ist unmöglich.«

»Ei, warum denn unmöglich? Glaubst du, dein Bräutigam könne etwas merken?«

»Nein! Und selbst wenn er es merken sollte, so würde ich es sehr komisch finden, wenn er empfindlich wäre; wenn er es wagen sollte, mir Vorwürfe zu machen, würde ich ihm niemals angehören.«

»Sehr richtig, meine Liebe, denn deine Reste werden immer noch besser sein als seine ganze Person. So komm also!«

»Aber ich glaube, wir müssen doch mindestens die Tür schließen.«

»Nein; man könnte das Umdrehen des Schlüssels hören und würde Gott weiß welchen Argwohn haben. Verlaß dich darauf, es wird kein Mensch kommen.«

Unterdessen hatte ich sie an mich gezogen, und da ich sie sanft wie ein Lamm und verliebt wie eine Taube fand, so wurde von beiden Seiten ein reichliches Opfer dargebracht. In der Pause, die nach dem ersten Ansturm notwendig wurde, verschlang ich alle ihre Reize; rasend verliebt, wie ich es hundertmal gewesen war, sagte ich zu ihr, sie allein sei wert, mich zu fesseln, und sie solle ihren Schneider fortschicken, um mit mir zu leben. Zum Glück für mich glaubte sie nicht an die Ewigkeit meiner Glut.

Nach einem zweiten Sturm, der mit der ganzen Wollust zweier leidenschaftlich verliebter Herzen ausgeführt wurde, machte ich Halt; ich war erstaunt, aber auch entzückt, daß der Graf mich nicht in meinem Genuß gestört hatte. Ich glaubte, er sei ausgegangen, und sagte dies zu Zenobia, die ebenfalls dieser Meinung war und mich mit Liebkosungen überschüttete. Ich machte es mir nun bequem, und nachdem ich ihre lästigen Kleider von ihr abgestreift hatte, überließ ich mich allen Spielen, die die Liebe uns lehrt, um unsere Sinne wieder aufzuwecken. Dann ergab ich mich zum drittenmal allen Verzückungen heißer Liebe, indem ich meine Schöne alle Stellungen einnehmen ließ, die mir durch lange Erfahrung vertraut waren und von denen ich wußte, daß sie am meisten geeignet seien, die Wollust vollständig zu machen.

Eine volle Stunde lang bewiesen wir uns gegenseitig unsere Glut: Zenobia, die in der Blüte der Jahre stand und vollkommen unerfahren war, konnte ihre häufigen Niederlagen nicht verhehlen, während ich das Glück verlängerte, bevor ich zum drittenmal ans Ziel gelangte.

Im Augenblick, wo ich zum drittenmal mein Leben verlor und Zenobia zum vierzehntenmal ihre Existenz verhauchte, hörte ich die Stimme des Grafen. Ich sagte es zu Zenobia, die ihn ebenfalls gehört hatte; nachdem wir uns in aller Eile zurecht gemacht hatten, gab ich ihr die zehn Zechinen, und sie ging.

Gleich darauf trat der Graf lachend ein; er wünschte mir Glück und sagte, er habe durch eine Ritze, die er mir zeigte, alles gesehen und habe sich durchaus nicht gelangweilt.

»Das freut mich, lieber Graf; aber Sie werden verschwiegen sein!«

»Selbstverständlich. – Meiner Frau«, fuhr er fort, »wird es sehr angenehm sein, wenn Sie ihr Gesellschaft leisten – und ich«, rief er lachend, »bin ebenfalls sehr zufrieden.«

»Sie sind ja ein sehr philosophischer Ehemann; aber ich fürchte, nach dem, was Sie selber gesehen haben, werde ich bei der Gräfin ein bißchen matt sein.«

»Im Gegenteil, die süße Erinnerung an das Glück wird Sie liebenswürdig machen.«

»In Worten vielleicht – aber sonst …«

»Sie werden sich als erfahrener Mann schon mit der Sache abfinden.«

»Mein Wagen steht zu Ihrer Verfügung, mein lieber Graf; nehmen Sie ihn nur, denn ich werde heute nicht mehr ausgehen.«

Leise trat ich bei der Gräfin ein, die ich im Bett fand; ich erkundigte mich zärtlich nach ihrer Gesundheit.

Mit einem höchst angenehmen Lachen antwortete sie mir: »Ich befinde mich ausgezeichnet; mein Mann hat mir die Gesundheit wiedergegeben.«

Während des Sprechens hatte ich mich auf ihr Bett gesetzt. Da sie anscheinend nicht verdrießlich darüber war, so hielt ich dies für ein gutes Zeichen.

»Werden Sie nicht mehr ausgehen?« fragte sie mich; »Sie sind ja im Schlafrock, und Ihr Haar ist ganz aufgelöst.«

»Ich war auf meinem Bett eingeschlafen; als ich erwachte, beschloß ich, Ihnen Gesellschaft zu leisten, wenn Sie ebenso gut und lieb sein wollen, wie Sie schön sind.«

»Wenn Sie anständig gegen mich sind, können Sie sich darauf verlassen, mich stets freundlich zu finden.«

»Und Sie werden mich lieben?«

»Das kommt auf Sie an. Sie opfern mir heute Abend den Grafen Canano.«

»Ja, sehr gern. Er hat schon viel Gold von mir gewonnen, und ich sehe voraus, er wird mir morgen fünfzehntausend Lire abnehmen, die der Marchese Triulzi mir für das Kleid gegeben hat, das Sie nicht von mir annehmen wollten.«

»Es wäre recht schade, wenn Sie diese hübsche Summe verloren.«

»Da haben Sie recht. Es kommt aber gewiß nicht dazu, wenn Sie gefällig sind; denn ich habe das Geld für Sie bestimmt. Erlauben Sie mir, Ihre Tür zu schließen!«

»Warum?«

»Weil ich vor Frost und Begierde halbtot bin, meine schöne Gräfin, und weil ich mich unter Ihrer Decke wärmen möchte.«

»Das werde ich niemals dulden.«

»Ich will Ihnen durchaus nicht Gewalt antun. Leben Sie wohl, meine Gnädige; ich werde mich vor meinem Feuer wärmen, und morgen werde ich Cananos Bank den Krieg erklären.«

»Sie sind wirklich ein schlechter Mensch! Bleiben Sie, Ihre Unterhaltung ist mir angenehm.«

Ohne noch länger zu reden, schloß ich die Tür, und da ich sah, daß sie mir den Rücken zugedreht hatte, entledigte ich mich schnell meiner Kleider; im Nu lag ich neben ihr. Sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben und ließ mich alles machen, was ich wollte; aber Zenobia hatte mich erschöpft. Mit gesenkten Augen ließ sie sich in alle Stellungen bringen, die der Kodex der Wollust nur kennt, während ihre beiden Hände, die sie mir überlassen hatte, mich nach allen Richtungen hin magnetisierten. Aber es geschah nichts; ich war völlig gelähmt, und der Besitz aller ihrer Reize war nicht imstande, das Werkzeug, ohne welches die Operation unmöglich war, in Tätigkeit zu setzen.

Ohne Zweifel fühlte die boshafte Spanierin aufs tiefste den Schimpf, den meine Schwäche ihren Schönheiten antat; ohne Zweifel täuschte ich in grausamster Weise die Begierden, die meine Berührungen vielleicht gegen ihren Willen in ihr erweckten; denn mehr als einmal fühlte ich meine Finger von einem Saft überströmt, der deutlich bezeugte, daß sie nicht gleichgültig war; aber sie besaß die Kraft, sich zu verstellen, indem sie tat, wie wenn sie schliefe. Es ärgerte mich, daß sie in solchem Grade Gefühllosigkeit heucheln konnte, und ich machte mich über ihren Kopf her; aber ihre Lippen, die sie mir zum Gebrauch überließ und die ich über alle Maßen mißbrauchte, übten nicht mehr Wirkung als die anderen Teile ihres Körpers. Aus Verdruß, daß ich das Wunder der Auferstehung nicht an mir bewirken konnte, entschloß ich mich, einen Versuch aufzugeben, wobei ich eine so klägliche Rolle spielte; aber es war mir nicht möglich, großmütig zu sein, und um meine eigene Schande zu mildern, beschimpfte ich noch zuletzt die Gräfin mit den Worten, die ich mir später glücklicherweise oft selber vorgeworfen habe: »Es ist nicht meine Schuld, Madame, wenn Ihre Reize so wenig Macht über meine Sinne haben. Hier sind fünfzehntausend Franken, um Sie zu trösten.«

Nach dieser schönen Rede entfernte ich mich.

Meine Leser müssen mich verabscheuen, besonders meine Leserinnen, wenn ich deren jemals haben sollte; ich fühle dies und ich gebe ihnen recht, denn ich begreife sie; aber mögen sie die Güte haben, mit ihrem Haß noch etwas zu warten. Sie werden später sehen, daß der Instinkt mir auf eine fast prophetische Weise gedient hatte.

Am anderen Morgen kam der Graf schon in aller Frühe mit sehr zufriedenem Gesicht auf mein Zimmer.

»Meine Frau«, sagte er, »befindet sich sehr wohl und hat mich beauftragt, Ihnen guten Morgen zu sagen.«

Ich hatte so etwas durchaus nicht erwartet und war daher einigermaßen erstaunt.

»Ich bin entzückt,« fuhr er fort, »daß die fünfzehntausend Lire, die Sie ihr gegeben haben, nicht dieselben sind, die Sie vom Marchese empfingen. Ich hoffe, wie Triulzi selber, daß sein Geld Ihnen heute Nacht Glück bringen wird.

»Ich werde nicht in die Oper gehen,« antwortete ich ihm, »sondern auf den Ball; ich werde alles aufbieten, um von niemandem erkannt zu werden.«

Ich bat ihn demgemäß, mir einen ganz neuen Domino zu kaufen und auf dem Ball nicht in meine Nähe zu kommen, denn ich hoffte, nur von ihm allein erkannt zu werden. Als er fort war, setzte ich mich an meinen Schreibtisch; ich hatte eine Menge unerledigter Briefe.

Gegen Mittag brachte der Graf mir meinen Domino; nachdem ich diesen sorgfältig eingeschlossen hatte, speisten wir mit der Gräfin, deren Miene und Ton mich in Erstaunen setzten. Ein heiteres Wesen, ein sanftes, höfliches und liebenswürdiges Benehmen, das vollkommen natürlich erschien, ließen sie mir so schön vorkommen, daß ich Gewissensbisse empfand, sie so beleidigend behandelt zu haben. Es erschien mir unbegreiflich, daß sie am Tage zuvor so gefühllos gewesen war, und ich fragte mich, ob die von mir selber bemerkten Anzeichen vom Gegenteil nicht etwa körperlichen Ursachen zuzuschreiben seien, die oft ohne Vorwissen wirken, besonders während des Schlafes. Sollte sie wirklich geschlafen haben, während ich sie so schmählich beschimpfte? Der Gedanke, daß dies so sein könnte, bereitete mir ein gewisses Vergnügen. Nachdem ihr Gatte uns allein gelassen hatte, sagte ich in zärtlichem und reuigem Ton zu ihr: »Ich erkenne an, daß ich ein Ungeheuer bin. Sie müssen mich verabscheuen!«

»Sie ein Ungeheuer!« antwortete sie; »ich fühle mich aufs tiefste verpflichtet, und ich wüßte nicht, inwiefern Sie es an Rücksicht hätten fehlen lassen; Sie brauchen sich daher keine Vorwürfe zu machen.«

Zärtlich und verwirrt bat ich sie um ihre Hand; aber im Augenblick, wo ich diese an meine Lippen führte, zog sie sie sanft zurück und gab mir einen Kuß. Die Reue trieb mir das Blut ins Gesicht.

Nachdem ich wieder auf mein Zimmer gegangen war und meine Briefe versiegelt hatte, maskierte ich mich und ging auf den Ball. Ich trug nichts an mir, woran man mich hätte erkennen können. Ich hatte Uhren und Tabaksdosen eingesteckt, die bisher niemand bei mir gesehen hatte; ich wechselte sogar die Börsen, damit diese mich nicht verraten möchten.

Nachdem ich mich so verkleidet hatte, um die Neugierigen auf eine falsche Fährte zu bringen, setzte ich mich an Cananos Tisch und begann auf eine ganz andere Weise zu setzen als an den vorhergehenden Tagen. Ich hatte in einer Börse hundert spanische Quadrupeln, soviel wie siebenhundert venetianische Zechinen. Es war das Gold, was ich von Greppi erhalten hatte; denn des von Triulzi empfangenen wollte ich mich nicht bedienen, damit der Marchese mich nicht erkennen könnte.

Ich leerte meine Börse mit den Quadrupeln vor mir aus und hatte nach weniger als einer Stunde nicht eine einzige mehr vor mir. Ich stand auf, und alle Zuschauer traten zur Seite in dem Glauben, daß ich wie ein geschlagenes Heer den Rückzug antreten würde. Ich aber zog meine zweite Börse, schüttete sie vor mir aus und setzte, ohne wieder Platz zu nehmen, hundert Zechinen auf eine Karte. Ich fand sie günstig mit »Paroli« und dem »Sept-et-la-va.« Der Bankier gab mir mit freundlichem Gesicht meine hundert Quadrupeln zurück. Voller Hoffnung setzte ich mich wieder neben den Grafen Canano und begann von neuem zu spielen. Canano sah mich prüfend an. Ich hatte die Dose bei mir, die ich vom Kurfürsten von Cöln erhalten hatte und die auf dem Deckel das Bildnis des Fürsten trug. Als ich eine Prise nahm, machte der Bankier mir ein Zeichen, daß er auch eine wünschte. Ich gab ihm die Dose, die von mehreren Neugierigen angesehen wurde. Eine Frauenstimme, die ich nicht kannte, sagte, es sei das Porträt des Kurfürsten von Cöln in der Tracht des Großmeisters des Deutschen Ritterordens. Man gab mir das Kleinod zurück, und ich bemerkte, daß diese Dose mir Achtung verschaffte. Es gehört ja so wenig dazu, der Menge zu imponieren! Ich begann nun auf eine andere Art zu spielen: ich setzte fünfzig Zechinen auf eine Karte und spielte Paroli und Paix de Paroli. Mit Tagesanbruch hatte ich die Bank gesprengt. Canano sagte mir sehr höflich: wenn ich mir die Mühe sparen wolle, das ganze Gold mitzuschleppen, werde er es wiegen lassen und mir eine Anweisung für seinen Kassierer geben. Man brachte eine Wage, und es stellte sich heraus, daß ich vierunddreißig Pfund Gold gewonnen hatte – zweitausendachthundertsechsundfünfzig Zechinen. Canano schrieb mir eine Anweisung, ich entfernte mich mit langsamen Schritten und trat in den Ballsaal.

Barbaro besaß die allen Venetianern eigentümliche Gabe, Menschen zu erkennen. Er hatte mich erkannt, redete mich an und wünschte mir Glück; als er jedoch sah, daß ich ihm nicht antwortete, erriet er, daß ich nicht erkannt sein wolle, und entfernte sich.

Eine Frau, die als Griechin verkleidet war, sagte mir mit Falsettstimme, sie wünsche einen Kontertanz mit mir zu tanzen; sie trug eine orientalische Mütze, die mit herrlichen Brillanten bedeckt war, und einen Gürtel, der reich mit ebensolchen Edelsteinen so besetzt war, daß er einen Busen hervorhob, der einer Zirkassierin würdig war. Ich gab ihr durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß ihr Wunsch mir angenehm sei. Als sie hierauf einen Handschuh auszog, sah ich eine alabasterweiße, weiche Hand, die mit einem herrlichen Solitär geschmückt war. Es war allem Anschein nach keine gewöhnliche Begegnung. Ich war sehr neugierig, suchte aber vergeblich zu erraten, wer die Dame sein könnte. Sie tanzte ausgezeichnet, aber wie eine Dame der großen Welt, und ich gab mir große Mühe, es ihr gleich zu tun. Ich war daher ganz in Schweiß gebadet, als der Kontertanz aufhörte.

»Ihnen ist warm, schöner Tänzer!« sagte meine Partnerin, ihre süße Stimme verstellend; »Sie können sich in meiner Loge ausruhen.«

Mir hüpfte das Herz vor Freude, und ich folgte ihr mit Vergnügen; als ich jedoch Greppi in der Loge fand, in die sie mich führte, zweifelte ich nicht, daß die zauberische Schönheit meine Teresa war. Dies ernüchterte mich ein wenig.

Es war wirklich Teresa; sie demaskierte sich und wünschte mir Glück zu meinem Siege.

»Aber, meine Liebe, wie haben Sie mich denn erkannt?«

»An Ihrer Tabaksdose. Diese ist so indiskret gewesen, Sie meinen Augen zu enthüllen; denn sonst hätte ich niemals daran gedacht, Sie in dieser Verkleidung zu suchen.«

»Sie glauben also, daß niemand erraten hat, wer ich bin?«

»Niemand; es müßte denn die Dose auch anderen bekannt sein.«

»Hier in Mailand hat kein Mensch die Dose gesehen.« Ich benutzte die Gelegenheit, Herrn Greppi die Cananosche Anweisung zu geben; ich erhielt eine Quittung dafür. Teresa lud uns für den nächsten Tag zum Abendessen ein, indem sie zu mir sagte: »Wir werden zu vieren sein.« Greppi war neugierig und wollte wissen, wer dieser vierte sei; ich aber erriet, daß es mein lieber Sohn Cesarino war, und ich täuschte mich nicht.

Nachdem ich wieder in den Ballsaal hinuntergegangen war, griffen zwei hübsche Damen in Dominos mich von rechts und links an, indem sie mir sagten, Messer-grande erwarte mich vor der Tür.

Als sie mich hierauf um Tabak baten, reichte ich ihnen eine Dose, worin sich ein unanständiges Bild befand. Ich besaß die Unverschämtheit, auf die Feder zu drücken und es ihnen zu zeigen. Sie sahen es sich an und sagten dann: »Pfui! Zur Strafe für Ihre Ungezogenheit sollen Sie niemals erfahren, wer wir sind!«

Es tat mir leid, diesen schönen Masken mißfallen zu haben, denn sie schienen mir der Mühe wert zu sein, ihre Bekanntschaft zu machen; ich folgte ihnen, und als ich Barbaro sah, der alle Welt kannte, zeigte ich sie ihm und erfuhr mit großem Vergnügen, daß es die beiden schönen Marchesinnen Q. und F. waren. Ich versprach Barbaro, sie am nächsten Tage zu besuchen. Er sagte mir, der ganze Ball kenne mich jetzt; unsere Bank gehe hoch, doch werde wohl eine solche Kleinigkeit mir nicht der Mühe wert erscheinen.

Gegen Ende des Balles, als es bereits heller Tag war, wurde ein venetianischer Barkarole von einer weiblichen Maske, die sehr hübsch mit Baute und schwarzem Mantel auf echt venetianische Art gekleidet war, angesprochen. Sie forderte den Barkarole heraus, sie zu überzeugen, daß er Venetianer sei, indem er die Furlana mit ihr tanze. Der Barkarole nahm an; man befahl der Musik, den Tanz zu spielen, aber die Maske, offenbar ein Mailänder, wurde ausgepfiffen, während die Hübsche mit der Laute zum Entzücken tanzte. Da dieser Tanz zu meinen Leidenschaften gehörte, lud ich die Unbekannte ein, ihn mit mir zu wiederholen. Sie war bereit; man bildete einen Kreis um uns, und da alle Welt Beifall klatschte, tanzten wir ihn noch einmal. Dies wäre genug gewesen; aber ein bildhübsches junges Mädchen, das als Schäferin gekleidet war und keine Maske trug, forderte mich auf, noch ein drittesmal mit ihr zu tanzen. Ich hatte nicht den Mut, ihr diese Bitte abzuschlagen, und sie tanzte wundervoll. Dreimal tanzte sie den Kreis doppelt herum und schien dabei zu schweben. Sie machte mich ganz atemlos. Zum Schluß flüsterte sie mir meinen Namen ins Ohr. Überrascht, aber bezaubert fragte ich sie nach dem ihrigen. Sie antwortete mir venetianisch, ich würde ihn erfahren, wenn ich sie in den »Drei Königen« aufsuchen wollte.

»Sind Sie allein?«

»Ich lebe mit meinen Eltern zusammen, und diese sind alte Freunde von Ihnen.«

»Sie werden mich Montag sehen.«

Wieviele Abenteuer in einer einzigen Nacht! Todmüde ging ich nach Hause; aber man ließ mich nur ein paar Stunden schlafen. Ich wurde geweckt und mit Gewalt gezwungen, mich anzuziehen. Die Gräfin, der Marchese, der Graf, die alle schon für Zenobias Hochzeit fertig waren, hetzten mich, indem sie sagten, es sei unhöflich, ein junges Ehepaar warten zu lassen. Alle drei machten mir die größten Komplimente über die Tapferkeit, womit ich das Glück gebändigt hätte. Ich sagte dem Marchese, sein Geld habe mir Glück gebracht, aber er antwortete mir, er wisse wohl, in wessen Hände das Geld gekommen sei.

Diese Indiskretion des Grafen oder seiner Frau überraschte mich; denn sie schien mir allen Regeln zu widersprechen, die für derartige Intrigen gelten.

»Canano«, fuhr der Marchese fort, »hat Sie an der Art erkannt, wie Sie Ihre Tabaksdose öffnen. Er erwartet uns zum Mittagessen. Er wünscht, daß Sie ihm hundert Pfund Gold abgewinnen, denn er hat eine Schwäche für Sie.«

»Canano«, antwortete ich ihm, »ist ein feiner Beobachter und ein vornehmer Spieler. Ich wünsche durchaus nicht, ihm sein Geld abzugewinnen.«

Wir gingen ins »Apfelkasino«; dort fanden wir etwa zwanzig brave Leute, die schon auf uns warteten, und das junge Paar, das sich an Komplimenten gar nicht genug tun konnte. Es kostete uns keine Mühe, die Gesellschaft in eine behagliche Stimmung zu bringen; im ersten Anfang hatte unser Erscheinen sie etwas aus der Fassung gebracht; aber ein bißchen Vertraulichkeit gab ihnen bald ihre Ungezwungenheit wieder. Wir gingen zu Tisch. Unter den Gästen waren fünf hübsche Mädchen; aber ich war zu sehr von Zenobia eingenommen, um an andere zu denken. Das Festmahl dauerte drei Stunden; es war so reichlich und die fremden Weine waren so ausgezeichnet, daß ich mir leicht denken konnte, meine fünfundzwanzig Zechinen würden wohl nicht gereicht haben. Es wurde sehr lustig, denn nachdem einige volle Gläser geleert waren, brachte ein jeder Gesundheiten aus; und da ein jeder seinen Nachbarn überbieten wollte, so wurde der größte Blödsinn mit Begeisterung vorgebracht. Hierauf hielt ein jeder sich für verpflichtet, uns etwas vorzusingen, und nicht alle waren Künstler. Wir lachten herzlich, aber auch wir erregten Heiterkeit durch unsere Improvisationen und Gesänge, in denen es uns gelang, Plumpheiten vorzubringen, die den derben Späßen der guten Leute nichts nachgaben.

Als wir vom Tische aufstanden, gab es eine allgemeine Umarmung. Die Gräfin konnte sich nicht enthalten, laut aufzulachen, als sie ihre Wange den Lippen des Schneiders darbieten mußte, dem das Lachen der Gräfin als eine ganz besondere Huld erschien. Eine gute Musik ließ sich hören, und der Tanz begann. Nach den Regeln der Etikette wurde der Ball durch ein Menuett der schönen Neuvermählten mit dem jungen Ehemann eröffnet. Zenobia tanzte, wenn auch nicht gut, so doch wenigstens anmutig und nach dem Takt; der Schneider dagegen, der immer nur mit gekreuzten Beinen auf seinem Tisch gesessen war, tanzte auf eine so lächerliche Art, daß der Gräfin vor Lachen beinahe unwohl geworden wäre. Trotzdem mußte die stolze Spanierin mit dem Pavian tanzen, als ich mich nach dem Menuett Zenobias bemächtigte.

Als das Menuett zu Ende war, begannen die Kontertänze. Diese dauerten bis zum Schluß des Balles, und zwischendurch wurden eine Menge Getränke und Erfrischungen aufgetragen. Die »Konfetti«, bunte Zuckerkügelchen, die man in Mailand noch besser als in Verdun macht, waren in verschwenderischem Überfluß vorhanden.

Als wir fortgehen wollten, machte ich dem Ehemann meine Komplimente und erbot mich, seine Frau in meinem Wagen nach Hause zu bringen; er fand dies sehr ehrenvoll. Ich reichte also Zenobia meine Hand, um sie an den Wagen zu geleiten. Nachdem ich dem Kutscher befohlen hatte, im Schritt zu fahren, setzte ich die Neuvermählte wie ein Löschhorn auf mich und behielt sie in dieser Stellung bis an die Tür des Hauses.

Zenobia stieg zuerst aus, und ich folgte ihr. Da ich jedoch bemerkte, daß meine Hosen von grauem Samt verdorben waren, so bat ich Zenobia, sie möchte ins Haus gehen, ich würde in einem Augenblick wieder bei ihr sein. In zwei Minuten hatte ich eine schwarze Atlashose angezogen; ich war wieder bei der Schönen, bevor ihr Mann angekommen war. Sie fragte mich, warum ich mich entfernt hätte, und als ich ihr sagte, die allzu sichtbaren Spuren unserer Liebestaten hätten einen schnellen Kleiderwechsel notwendig gemacht, dankte sie mir und küßte mich. Bald darauf kam der Mann mit seiner Schwester. Er dankte mir, indem er mich Gevatter nannte; und als er die so plötzlich eingetretene Veränderung meines Anzuges bemerkte, fragte er mich, wie ich diese Umwandlung so schnell habe vollziehen können.

»Indem ich nach Hause gefahren bin und ihre liebe Frau allein habe in ihre Wohnung gehen lassen; ich bitte Sie dieserhalb um Verzeihung.«

»Hast du denn nicht bemerkt,« sagte Zenobia schnell, »daß der Herr eine Tasse Kaffee über seine schönen Hosen ausgegossen hatte?«

Der schlaue Schneider antwortete: »O, meine liebe Frau, ich bemerke nicht alles; das ist auch gar nicht notwendig. Aber du hättest den gnädigen Herrn nach seiner Wohnung begleiten sollen.«

Über seinen eigenen Witz lachend, fuhr er dann fort: »Sind Sie mit der Hochzeit zufrieden gewesen?«

»Sehr zufrieden, wie auch meine Freunde. Aber ich muß Ihnen noch Geld geben, lieber Gevatter, denn Sie haben mehr als fünfundzwanzig Zechinen ausgegeben. Sagen Sie mir, wieviel es macht.«

»Nicht viel, eine Kleinigkeit. Ich werde Ihnen die Rechnung durch Zenobia schicken.«

Es ärgerte mich, nicht daran gedacht zu haben, daß der Bursche den Hosenwechsel bemerken und daß er sich den Grund desselben denken würde. Indessen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß der Schneider ein kluger Mann war und daß er allem Anschein nach sich in sein Schicksal gefunden hatte. Weniger ehrgeizig als Cäsar wußte er sich damit zu begnügen, bei einer schönen Frau der zweite zu sein. Ich fuhr nach Hause. Nachdem ich dem Grafen, dem Marchese und der Gräfin, die mir für das gehabte Vergnügen dankten, gute Nacht gesagt hatte, ging ich zu Bett.

Als ich aufwachte, erinnerte ich mich der Schäferin, die auf dem Opernball die Furlana so gut getanzt hatte. Ich beschloß, ihr einen Besuch zu machen. Ihre Schönheit hatte meine Teilnahme erregt; außerdem aber war ich neugierig, was das für ein Vater und eine Mutter wären, welche alte Bekannte von mir sein sollten. Ich machte meine Morgentoilette und ging zu Fuß nach den Drei Königen. Ohne einen Menschen zu fragen, ging ich in das Zimmer mit der Nummer, die das junge Mädchen mir genannt hatte. Ich stand starr vor Erstaunen, als ich mich jener Gräfin Rinaldi gegenüber befand, mit der vor sechzehn Jahren Zavoiski mich in der Locanda von Castelletto bekannt gemacht hatte. Der Leser wird sich erinnern, auf welche Weise Herr von Bragadino ihrem Gatten die Summe bezahlt hatte, die er mir im Spiel abgewonnen hatte.

Frau Rinaldi war älter geworden; sie war aber noch ganz gut zu erkennen. Da ich für sie nur eine flüchtige Laune empfunden hatte, so überließ ich mich keinen Erinnerungen, die uns beiden keine Ehre machten, sondern sagte nur: »Ich bin entzückt, Sie wiederzusehen, gnädige Frau; leben Sie noch mit Ihrem Gatten zusammen?«

»Sie werden ihn in einer halben Stunde sehen, mein Herr; er wird die Ehre haben, Ihnen seine Achtung zu bezeigen.«

»Daraus mache ich mir nicht das Geringste, gnädige Frau; wir haben alte Händel miteinander, an die ich mich durchaus nicht erinnern möchte; also leben Sie wohl, meine Gnädige.«

»Nein, nein! Ich bitte Sie, setzen Sie sich.«

»Sie werden mir gütigst erlauben, dies nicht zu tun.«

»Irene, suche den Herrn zurückzuhalten.«

Auf diesen Befehl hin klammerte die reizende Irene sich an den Türgriff an, nicht mit der Miene eines knurrenden Kettenhundes, sondern wie ein Engel, der mit jenem innigen, furchtsamen und hoffnungsvollen Blick bittet, dessen Allmacht zärtliche Seelen so gut kennen. Ich fühlte mich in Fesseln geschlagen und sagte zu ihr: »Lassen Sie mich gehen, schöne Irene! Wir können uns anderswo wiedersehen.«

»Oh! ich bitte Sie, warten Sie, bis mein Vater kommt! Schlagen Sie mir diese Bitte nicht ab!«

Diese Worte waren von einem so zärtlichen Blick begleitet, daß meine Lippen sich auf die ihrigen pressen mußten. Irene hatte gesiegt. Was kann man einem jungen Mädchen abschlagen, das zu bitten versteht und dessen süßen Atem man in der sympathischen Berührung des Kusses einsaugt! Ich nahm einen Stuhl, und die junge Irene, ganz stolz auf ihren Sieg, setzte sich auf meinen Schoß und überschüttete mich mit Liebkosungen.

Ich fragte die Gräfin, wann und wo Irene geboren sei.

»In Mantua,« antwortete sie, »drei Monate nach meiner Abreise von Venedig.«

»Und wann reisten Sie von Venedig ab?«

»Sechs Monate, nachdem ich Ihre Bekanntschaft gemacht hatte.«

»Das ist ein eigentümliches Zusammentreffen, meine Gnädige; wenn ich ein zärtliches Verhältnis mit Ihnen gehabt hätte, so könnten Sie mir sagen, Irene sei meine Tochter; ich möchte dies glauben, denn die Leidenschaft, die sie mir einflößt, klingt wie die Stimme des Blutes.«

»Ihr Gedächtnis ist nicht sehr treu, mein Herr; das wundert mich.«

»Oh! gewisse Sachen vergesse ich niemals; dafür kann ich Ihnen bürgen. Aber ich errate Ihre Absicht: Sie wollen, daß ich die Gefühle niederhalte, die Ihre Tochter mir einflößt; ich bin damit einverstanden, aber es wird Ihr Schade sein.«

Irene war bei diesem kurzen Gespräch verstummt; gleich darauf aber faßte sie neuen Mut und sagte mir, sie sehe mir ähnlich.

»Dabei würden Sie schlecht wegkommen, Irene; wenn Sie mir ähnlich sähen, wären Sie weniger hübsch.«

»Das glaube ich nicht; denn ich für meinen Teil finde Sie sehr schön.«

»Das ist schmeichelhaft für mich.«

»Bleiben Sie bei uns zum Essen!«

»Nein, wenn ich bliebe, könnte ich in Sie verliebt werden, und dies würde mich unglücklich machen, wenn ich, wie Ihre Mutter behauptet, Ihr Vater wäre.«

»Ich habe nur gespaßt,« sagte die Gräfin; »Sie können Irene mit ruhigem Gewissen lieben.«

»Das ist was anderes.«

Irene ging hinaus, und ich sagte zu der Mutter: »Ihre Tochter gefällt mir; aber ich will nicht lange schmachten und auch nicht angeführt werden.«

»Sprechen Sie mit meinem Mann darüber. Wir sind in Not, und man erwartet uns in Cremona.«

»Aber Ihre Tochter hat doch gewiß einen Liebhaber?«

»Nein.«

»Aber sie hat doch einen gehabt?«

»Das waren immer nur Tändeleien.«

»Das ist unglaublich.«

»Aber vollkommen wahr. Irene ist unberührt.«

In diesem Augenblick trat Irene mit ihrem Vater ein. Der Graf war so alt geworden, daß ich ihn sonst gewiß nicht erkannt hätte. Er umarmte mich und bat mich, das Vergangene zu vergessen und nicht darüber zu sprechen.

»Nur Sie«, fuhr er fort, »können mich aus der Verlegenheit retten, indem Sie mir die Mittel verschaffen, nach Cremona zu reisen. Ich habe alles versetzt, habe Schulden und schwebe in Gefahr, ins Schuldgefängnis geworfen zu werden. Kein Mensch kommt zu mir; die einzigen Besucher sind bettelhafte Lumpen, die meiner Tochter nachstellen. Das liebe Kind ist das einzige Gut, das ich noch habe. Diese Uhr von Pinsbeck wollte ich verkaufen; darum war ich ausgegangen. Ich habe die Hälfte ihres Wertes verlangt – sechs Zechinen; man hat mir nur zwei geboten. Wenn ein Mensch einmal im Unglück ist, verschwört alles sich, um ihn zu Boden zu drücken.«

Ich gab ihm sechs Zechinen, nahm dafür die Uhr und schenkte diese Irenen. Sie sagte mir lachend: »Ich kann Ihnen nicht dafür danken, denn Sie geben mir nur mein Eigentum wieder; aber ich danke Ihnen für das Geschenk, das Sie meinem Vater gemacht haben. Hier!« fuhr sie, ernst werdend, fort, indem sie sich an ihren Vater wandte: »Sie können sie noch einmal verkaufen.«

Über diese Wendung mußte ich herzlich lachen. Ich umarmte und küßte Irene, gab hierauf dem Grafen noch zehn Zechinen und sagte ihm, ich hätte eilige Geschäfte und würde ihn in drei oder vier Tagen wiedersehen.

Irene begleitete mich die Treppe hinunter, und nachdem sie mir erlaubt hatte, mich zu vergewissern, daß sie noch im Besitze ihrer Rose war, schenkte ich ihr noch zehn Zechinen und sagte ihr, ich würde ihr hundert geben, wenn sie das erstemal allein mit mir auf den Ball ginge. Sie antwortete mir, sie würde es ihrem Vater sagen.

Ich war gewiß, daß der arme Teufel schon vor dem ersten Ball Irene zu meiner Verfügung stellen würde, und da ich nicht wußte, wohin ich sie führen sollte, um ohne Zwang mit ihr beisammen zu sein, so blieb ich vor einem Anhängeschild stehen, das neben dem Laden eines Pastetenbäckers hing. Dort war eine Wohnung zu vermieten. Die Straße war einsam und ganz für eine geheimnisvolle Liebe geschaffen. Dies gefiel mir. Ich wandte mich an den Pastetenbäcker; er sagte mir, das Haus gehöre ihm, und seine sehr hübsche Frau, die ein Püppchen an der Brust hatte, sagte mir, sie würde die Ehre haben, mit mir hinauf zu gehen, um mir die Zimmer zu zeigen. Wir gingen nach dem dritten Stock; aber das waren lauter armselige Löcher, die mir nicht passen konnten.

»Der erste Stock«, sagt die Frau zu mir, »besteht aus vier untereinander zusammenhängenden Zimmern, aber wir können diese nur zusammen vermieten.«

»Zeigen Sie sie mal! – Gut, meine Liebe; das ist gerade, was ich suche. Und der Preis?«

»Den können Sie mit meinem Mann abmachen.«

»Und mit Ihnen kann man nichts abmachen?« Mit diesen Worten gab ich ihr einen Kuß, den sie auf das liebenswürdigste hinnahm; aber sie roch nach Milch; dies war mir immer ekelhaft, und ich ging daher trotz der blühenden Schönheit meiner neuen Wirtin nicht weiter. Nachdem ich mit dem Hauswirt die Bedingungen vereinbart hatte, bezahlte ich ihm gegen Quittung einen Monat im voraus. Wir vereinbarten, daß ich völlig ungestört ein- und ausgehen könnte und daß er mir nach meinem Wunsch Essen liefern sollte, übrigens gab ich ihm irgendeinen gewöhnlichen Namen an, so daß er nicht einmal wußte, mit wem er zu tun hatte; aber daraus schien er sich auch sehr wenig zu machen.

Da ich mit Barbaro verabredet hatte, die schönen Marchesinnen zu besuchen, so machte ich eine glänzende Toilette. Ich speiste hierauf recht mäßig mit der Gräfin zusammen, die sich gut und liebenswürdig zeigte, mir aber trotzdem nicht ganz gefiel. Dann suchte ich meinen Landsmann auf, und wir begaben uns zusammen zu den beiden jungen Damen.

Ich sagte zu ihnen: »Ich möchte Sie um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen das geheime Bild meiner Tabaksdose gezeigt habe.«

Sie erröteten und schalten Barbaro aus, denn sie konnten sich wohl denken, daß er sie verraten hatte. Ich fand die beiden Basen, abgesehen von jedem Vorurteil, weit schöner als Irene, die mich in diesem Augenblick beschäftigte; nur erschreckte mich ihr vornehmer Ton, die ehrfurchtsvolle Achtung, die sie zu fordern schienen. Ich hatte keine Lust, lange zu schmachten. Irenes Lage dagegen war für mich sehr bequem; ich konnte sie in meinen Besitz bringen und dadurch zugleich ihren Eltern einen sehr bedeutenden Dienst erweisen; hier dagegen hatte ich zwei sehr vornehme Fräuleins vor mir, die den üblichen Adelsstolz besaßen – ein Stolz, der sie unter die niedrigsten Klassen erniedrigt, aber auf die Dummen, deren es überall so viele gibt, stets großen Eindruck macht. Außerdem war ich nicht mehr in jenem glänzenden Alter, wo man niemals an sich selber zweifelt, und ich fürchtete, mein Äußeres hätte nicht die Macht, sie zu besiegen. Barbaro hatte mir allerdings Hoffnung gemacht, daß ich vielleicht mit dem großen Mittel der Geschenke zum Ziel kommen könnte; wenn ich jedoch an die Worte des Marchese Triulzi dachte, so fürchtete ich, die Bemerkung meines Landsmannes sei weiter nichts als eine Vermutung gewesen.

Als die Gesellschaft zahlreich geworden war, wurde der Vorschlag gemacht, zu spielen. Ich machte kleine Einsätze wie Fräulein von Q., an deren Seite ich saß. Ihre Tante, die Dame des Hauses, hatte mich einem sehr hübschen jungen Herrn in österreichischer Offiziersuniform vorgestellt; dieser setzte sich an meine andere Seite.

Mein lieber Landsmann hielt die Karten wie ein richtiger Spitzbube; das gefiel mir nicht. Nachdem das Spiel vier Stunden gedauert hatte, sah meine schöne Nachbarin sich zum Schlusse im Besitze einiger gewonnener Zechinen; mein Nachbar dagegen, der all sein bares Geld verloren und hierauf auf Wort gespielt hatte, war etwa zehn Louis schuldig. Die Bank hatte einschließlich der Schuld des jungen Offiziers fünfzig Zechinen gewonnen. Als wir uns entfernten, erwies der junge Herr, der einen weiten Weg nach Hause hatte, mir die Ehre, in meinen Wagen zu steigen.

Unterwegs sagte Barbaro uns, er wolle uns mit einer kürzlich angekommenen jungen Venetianerin bekannt machen. Der junge Offizier fing Feuer und drang in ihn, er solle uns sofort hinführen. Er tat dies. Sie war eine ziemlich gut gewachsene junge Person, interessierte aber weder mich noch den hübschen Offizier. Während Kaffee für uns gemacht wurde und Barbaro die Schöne unterhielt, nahm ich ein Spiel Karten und zog zwanzig Zechinen aus meiner Börse. Es kostete mir keine große Mühe, um den jungen Offizier zu überreden, eine gleiche Summe auf Wort einzusetzen. Während er spielte, sprach ich von der Leidenschaft, die die junge Marchesina mir eingeflößt habe. Er sagte mir, sie sei seine Schwester. Ich wußte dies, stellte mich aber, wie wenn ich überrascht wäre, und fuhr in meinen Lobpreisungen fort. Als er ganz mit seinem Spiel beschäftigt war, sagte ich ihm, ich sei in Verlegenheit, wie ich der Marchesina meine Liebe ausdrücken solle, und wisse keinen anderen, als ihn, um mich zu empfehlen. Er lachte über meine Dringlichkeit und gab mir nur eine ausweichende Antwort, da er wohl glaubte, daß ich nur scherzte. Als er jedoch bald bemerkte, daß ich, von meiner Leidenschaft sprechend, nicht an mein Spiel dachte, versprach er mir, er wolle mir behilflich sein, und es dauerte nicht lange, so hatte er nur die zwanzig Zechinen abgewonnen; er bezahlte sie sofort an Barbaro. Im Übermaß seiner Freude umarmte er mich so herzlich, wie wenn ich ihm das Geld geschenkt hätte. Er sagte mir, er werde nach besten Kräften für meine Interessen eintreten, und als wir uns trennten, versprach er mir freiwillig, er wolle mir bei unserem nächsten Zusammentreffen günstigen Bescheid geben.

Ich sollte mit Greppi und meinem Sohn bei Teresa zu Abend speisen; da ich aber noch einen Augenblick Zeit hatte, so ging ich in die Oper. Es wurde bereits der dritte Akt gegeben, und ich ging daher in den Spielsaal. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und verlor in einer einzigen Taille zweihundert Zechinen. Ich hörte auf und lief in fast fluchtähnlicher Eile aus dem Saal. Canano schüttelte mir die Hand und sagte mir, er erwarte jeden Tag, das Glück zu haben, mich mit dem Marchese bei sich zu sehen; ich versprach ihm, an einem der nächsten Tage zu kommen.

Bei Teresa fand ich Greppi, der auf sie wartete. Eine Viertelstunde darauf kam sie mit Don Cesarino. Ich bedeckte ihn mit Küssen, während Greppi starr vor Verwunderung den schönen Jungen ansah, in dem er nur meinen Bruder oder meinen Sohn erblicken konnte. Teresa sagte ihm jedoch, Cesarino sei ihr Bruder. Dies machte den Bankier vollends irre, und er fragte mich, ob ich ihre Mutter besonders gut gekannt hätte. Ich bejahte diese Frage, und nun war er zufrieden. Das Abendessen war ausgezeichnet zubereitet; aber ich hatte nur für meinen Sohn Augen. Ich fand den jungen Mann verständig, wohl unterrichtet und ausgezeichnet erzogen. Er war viel größer geworden, seitdem ich ihn zuletzt in Florenz gesehen hatte, und hatte sich geistig ebensosehr entwickelt wie körperlich. Cesarinos Gegenwart machte unser Abendessen ernst, aber angenehm. Schönheit und reine Jugend breitet einen unaussprechlichen Zauber über unser Leben aus; ihre Unschuld flößt Achtung und Zurückhaltung ein. Um ein Uhr morgens entfernten wir uns; sehr zufrieden mit meinem Tagewerk legte ich mich zu Bett, denn aus dem Verlust der zweihundert Zechinen machte ich mir nichts.

Beim Aufstehen erhielt ich ein Briefchen von Irene, die mich beschwor, bei ihr vorzusprechen. Ihr Vater hätte ihr erlaubt, mit mir auf den Ball zu gehen; sie hätte auch bereits einen Domino, aber sie müßte unbedingt mit mir sprechen. Ich schrieb ihr, ich würde sie im Laufe des Tages besuchen. Ich hatte dem Marchese Triulzi gemeldet, ich würde an diesem Tage zu Canano gehen, und er hatte mir sagen lassen, er erwarte mich in seiner Wohnung.

Wir fanden den edlen Spieler in einem schönen Hause, das mit Eleganz eingerichtet war und in allem den Geschmack und den Reichtum des Besitzers verriet. Er stellte mich zwei sehr hübschen Damen vor, von denen die eine seine Geliebte war, sowie fünf oder sechs Marchesen; denn in Mailand ist ein Adeliger zum mindesten Marchese, wie in Vicenza lauter Grafen sind. Er gab uns ein prachtvolles Mahl, das durch die geistreichste Unterhaltung belebt wurde. In einem heiteren Augenblick sagte er mir, er habe schon vor siebzehn Jahren die Ehre gehabt, mich kennen zu lernen, und zwar gelegentlich eines Handels, den ich mit einem gewerbsmäßigen Spieler, einem angeblichen Grafen Celi gehabt habe; ich habe diesem eine hübsche Tänzerin entführt und mit mir nach Mantua genommen. Ich gab die Tatsache zu und erheiterte die Gesellschaft, indem ich erzählte, was mir in Mantua mit O’Neilan und später in Cesena passiert war, wo ich den Grafen Celi wiedergefunden hatte, der inzwischen Graf Alfani geworden war. Man sprach von dem Ball, der am nächsten Tage stattfinden sollte, und lachte, als ich sagte, ich würde nicht hingehen.

»Ich wette mit Ihnen,« sagte Canano zu mir, »daß ich Sie erkennen werde, wenn Sie zu meiner Bank kommen.«

»Ich will nicht mehr spielen, mein lieber Graf,« antwortete ich ihm.

»Um so besser,« versetzte Canano, »denn obgleich Sie im Setzen nicht glücklich sind, so gewinnen Sie mir doch Geld ab. Übrigens ist dies nur scherzhaft gemeint. Kommen Sie nur! Ich will gern die Hälfte meines Vermögens an Sie verlieren.«

Graf Canano trug am Finger einen strohfarbenen Diamanten, der fast ebenso schön wie der meinige war; er hatte ihm zweitausend Zechinen gekostet, während ich für den meinigen dreitausend bezahlt hatte. Er machte mir den Vorschlag, die beiden Ringe gegeneinander auszuspielen, vorher aber sie aus der Fassung nehmen und abschätzen zu lassen.

»Wann?«

»Bevor wir in die Oper gehen.«

»Mir ist es recht; aber nur in zwei Abzügen und indem wir jeder eine Taille halten.«

»Nein, ich setze niemals.«

»Dann schlage ich vor, das Spiel gleich zu machen.«

»Auf welche Weise?«

»Indem wir die Doppelschläge ungültig machen und die beiden letzten Karten nicht abziehen.

»Dann würden Sie den Vorteil haben.«

»Beweisen Sie mir dies, und ich will hundert Zechinen verloren haben. Außerdem wette ich so hoch wie man will, daß trotz der Annullierung der Doppelschläge und dem Weglassen der beiden letzten Karten das Spiel doch vorteilhaft für den Bankhalter ist.«

»Können Sie dies beweisen?«

»Ja, ich werde es unwiderleglich beweisen, und ich überlasse die Entscheidung dem Marchese Triulzi.«

Man bat mich, den Beweis ohne Wette zu führen, und ich sagte nun: »Der Vorteil des Bankhalters ist ein doppelter: der eine, und zwar der kleinere besieht darin, daß Sie, indem Sie die Karte halten, auf nichts anderes zu achten brauchen, als daß Sie niemals verkehrt abziehen; diese Aufmerksamkeit stört nicht im mindesten die Ruhe, die ein jeder bedarf; wer dagegen setzt, verliert den Kopf, indem er sich das Gehirn abmartert, um die Karten zu erraten, die die größeren Aussichten haben, günstig für ihn zu schlagen. Der zweite Vorteil liegt in der Zeit. Der Bankhalter zieht seine Karte mindestens eine Sekunde früher ab als die des Spielers; so geht also sein Glück dem des Gegners vorauf.«

Niemand antwortete; aber nach kurzem Überlegen sagte Marchese Triulzi, um bei Glücksspielen vollkommene Gleichheit herzustellen, müßten beide Spieler einander völlig gleich sein, und dies sei beinahe unmöglich.

»Dies alles ist für mich zu hoch,« sagte Canano; »ich bekenne, daß ich nichts davon verstehe.«

Im Grunde war die Sache nicht schwer zu verstehen.

Nach dem Essen ging ich in die Drei Könige, um zu hören, was Irene mir zusagen hatte, zugleich auch, um mich an ihrer Gesellschaft zu freuen und um ihren Charakter kennen zu lernen, ehe sie die meinige würde. Als sie mich erblickte, lief sie auf mich zu, fiel mir um den Hals und küßte mich; aber ihr Eifer war zu groß, und ich nahm daher ihre Liebkosungen nicht für bare Münze. Ich wußte jedoch seit langer Zeit, daß man nicht lange vorher philosophieren darf, wenn man genießen will; denn man läuft Gefahr, dadurch dem Genuß die Hälfte seiner Süße zu rauben. Wenn Irene beim Tanz der Furlana einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte, warum konnte nicht auch ich ihr gefallen haben, wenngleich ich zwanzig Jahre älter war als sie? Ich sah keinen Grund zu unbedingtem Zweifel und mußte mir an der Möglichkeit genügen lassen, da ich ja nicht beabsichtigte, sie zu meiner Frau zu machen.

Vater und Mutter empfingen mich als ihren Retter, und ich durfte ihre Freundlichkeit für aufrichtig halten. Der Graf bat mich, einen Augenblick mit ihm hinauszugehen. Draußen vor der Tür sagte er zu mir: »Verzeihen Sie einem alten Mann, den das Glück mißhandelt hat; verzeihen Sie vor allen Dingen einem Vater, der sich einiges Unrecht Ihnen gegenüber vorzuwerfen hat, eine unbescheidene Frage: Ist es wahr, daß Sie Irenen hundert Zechinen versprochen haben, wenn ich ihr erlaube, allein mit Ihnen auf den Ball zu gehen?«

»Das ist vollkommen wahr, und Sie begreifen wohl, welche Folgen dies haben wird.«

Kaum hatte ich dies gesagt, so packte der arme alte Gauner mich auf eine Weise beim Kopf, daß ich Angst bekommen hätte, wenn ich nicht doppelt so stark gewesen wäre als er; ich hatte jedoch nichts zu befürchten, denn er wollte mich nur umarmen.

Wir gingen wieder ins Zimmer; ich lachte, er aber vergoß Freudentränen. Er eilte auf seine Frau zu, die gleich ihm an ein so großes Glück nicht glauben konnte. Irene aber machte den Auftritt vollends komisch, indem sie in sentimentalem Ton zu mir sagte: »Sie müssen mich nicht für lügenhaft halten und müssen nicht denken, meine Eltern hätten geglaubt, daß ich ihnen etwas vorgelogen hätte. Sie haben nur gedacht, ich hätte aus Versehen hundert anstatt fünfzig verstanden, wie wenn ich eine so große Summe nicht wert wäre.«

»Du bist tausend wert, reizende Irene! Du hast die Tür zugehalten, damit ich nicht fortgehen sollte, und dein Mut hat mir gefallen. Aber ich möchte dich im Domino sehen, denn ich will nicht, daß man an deinem Anzug etwas auszusetzen findet.«

»Oh! Sie werden meinen Domino sehr hübsch finden.«

»Sind dies deine Schuhe und deine Schnallen? Hast du keine anderen Strümpfe? Und hast du Handschuhe?«

»Mein Gott, ich habe nichts.«

»Schnell! Laß alles holen, was du brauchst. Laß Waren kommen; wir werden aussuchen, und ich bezahle.«

Rinaldi ging fort, um einen Juwelier, einen Strumpfhändler, einen Schuster und einen Parfümeriekrämer kommen zu lassen. Ich gab etwa dreißig Zechinen aus und kaufte alles, was sie nach meiner Ansicht notwendig haben mußte; als ich aber sah, daß an ihrer Maske keine englische Spitze war, machte ich Lärm. Ihr Vater ließ auf meinen Befehl eine Modistin heraufkommen, und ich ließ von dieser die Maske mit einer Elle Blonden besetzen, die mir zwölf Zechinen kostete. Irene war stumm vor Überraschung; ihre Eltern aber hätten es lieber gesehen, wenn das viele Geld in ihre eigene Tasche gekommen wäre; im Grunde dachten sie darin ganz vernünftig.

Als ich Irene angezogen sah, fand ich sie entzückend; ich begriff, wie wichtig es für Frauen ist, gut angezogen zu sein.

»Halte dich morgen vor dem Beginn der Opernvorstellung bereit,« sagte ich zu ihr; »denn ehe wir auf den Ball gehen, werden wir allein miteinander in einer Wohnung speisen, die mir gehört, und wo wir völlig ungestört sein werden. Du weißt, was dich erwartet!« rief ich, indem ich sie umarmte.

Ihre Antwort war ein feuriger Kuß.

Als ich mich vom Vater verabschiedete, fragte er mich, wohin ich von Mailand aus zu gehen gedächte.

»Nach Marseille; von dort nach Paris und dann nach London, wo ich ein Jahr zu verbringen gedenke.«

»Glückliche Flucht aus den Bleikammern!«

»Allerdings; aber ich habe dabei mein Leben aufs Spiel gesetzt.«

»Gewiß haben Sie Ihr Glück verdient.«

»Glauben Sie? Ich mache nur davon Gebrauch, um ein lustiges Leben zu führen.«

»Es wundert mich, daß Sie nicht eine Geliebte haben, die mit Ihnen reist.«

»Ich will mein eigener Herr sein. Wenn ich eine Geliebte auf dem Halse hätte, wäre das viel unbequemer für mich als eine Frau; sie würde mich verhindern, den tausend Liebschaften nachzugehen, die ich in allen Städten finde, wo ich mich aufhalte. Sehen Sie: wenn ich eine Geliebte hätte, würde diese mich verhindern, morgen Ihre reizende Irene auf den Ball zu führen.«

»Sie denken wie ein Weiser.«

»Gewiß; allerdings ist meine Weisheit nicht allzu sittenstreng.«

Am Abend ging ich in die Oper; ich würde jedenfalls gespielt haben, traf jedoch Cesarino im Parkett und verbrachte zwei entzückende Stunden mit ihm. Er eröffnete mir sein Herz und bat mich, mit seiner Schwester zu sprechen, sie möchte ihn doch seiner Neigung folgen lassen. Er fühlte sich unwiderstehlich berufen, Seemann zu werden. Er sagte mir, wenn er Handel treibe, könne diese Neigung ihm ein großes Vermögen einbringen. Ich versprach ihm, seinen Wunsch zu erfüllen.

Nachdem ich mit dem prächtigen Jüngling ein mäßiges Abendessen eingenommen hatte, ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen lud der junge Offizier, der Bruder der Marchesina Q., sich bei mir zum Frühstück ein; er sagte mir, er habe mit seiner Schwester gesprochen und diese habe ihm geantwortet, ich hätte mich ganz gewiß nur über ihn lustig gemacht; denn es sei nicht glaublich, daß ich bei solchem Lebenswandel, wie ich ihn führte, an Heiraten dächte.

»Ich habe Ihnen ja nicht gesagt, daß ich nach der Ehre strebe, ihr Gatte zu werden.«

»Nein; ich habe ihr das auch nicht gesagt; aber darauf wollen die jungen Mädchen immer hinaus.«

»Die Ehre gebietet mir, ihr unverzüglich diesen Irrtum zu benehmen.«

»Daran werden Sie gut tun; in solchen Fällen kommt man immer allein am weitesten. Gehen Sie um zwei Uhr hin; ich bin zum Mittagessen dort, und da ich etwas mit meiner Base zu besprechen habe, so werde ich Sie mit der anderen ungestört allein lassen.«

Diese Anordnung konnte mir nur angenehm sein. Als ich sah, daß mein Schwager in spe ein kleines, goldenes Büchschen bewunderte, das auf meinem Nachttisch lag, bat ich ihn, es als freundschaftliche Erinnerungsgabe anzunehmen. Er umarmte mich, steckte die Büchse in die Tasche und versicherte mir, er werde sie sein Leben lang behalten.

»Ja, bis sie Ihnen die Huld irgend einer Schönen verschaffen kann.«

Da ich die Gewißheit hatte, mit Irene sehr gut zu Abend zu speisen, so aß ich nicht zu Mittag. Der Graf war am Tage vorher nach Sant‘ Angelo gereist, fünfzehn Miglien von Mailand; da die Gräfin allein zurückgeblieben war, konnte ich nicht umhin, ihr einen Besuch auf ihrem Zimmer zu machen, um mich zu entschuldigen, daß ich nicht die Ehre haben werde, ihr bei Tisch Gesellschaft zu leisten. Sie war sehr liebenswürdig und antwortete mir auf das freundlichste, ich solle mir nur ja keinen Zwang antun. Ich durchschaute wohl ihre Falschheit; aber sie sollte glauben, daß ich mich dadurch irre führen ließe. Denn dies war für mich von Vorteil. Ich machte mir nichts daraus, von ihr für einen Gecken gehalten zu werden, und sagte daher, ich sei nicht undankbar und werde sie in der Fastenzeit dafür entschädigen, daß mein ausschweifendes Leben mich während des Karnevals verhindere, ihr fleißiger den Hof zu machen. Glücklicherweise sei ja die Fastenzeit nicht mehr fern.

»Ich hoffe es,« sagte die hinterlistige Spanierin mit einem bezaubernden Lächeln, dessen nur eine Frau fähig ist, wenn ihr Herz von giftiger Rachsucht verzehrt wird. Mit diesen Worten bot sie mir eine Prise Tabak an und nahm selber eine.

»Aber was ist denn das, liebenswürdige Gräfin? Dies ist ja kein Tabak.«

»Nein, es ist ein ausgezeichnetes Pulver gegen Kopfschmerzen; es verursacht Nasenbluten.«

Ich ärgerte mich, das Pulver genommen zu haben, sagte ihr aber lachend, ich hätte keine Kopfschmerzen und blutete nicht gerne aus der Nase.

»Man blutet nicht sehr stark,« antwortete sie lächelnd, »und das Mittel kann nur angenehm wirken.«

Kaum hatte sie diese Worte gesagt, so niesten wir beide vier- oder fünfmal gleichzeitig; ich wäre nun allen Ernstes böse geworden, wenn ich sie nicht hätte lachen sehen.

Da ich die Eigenschaft aller Niespulver kannte, so glaubte ich nicht, daß wir bluten würden; aber ich irrte mich. Einen Augenblick darauf fühlte ich einen Blutstropfen, und sie nahm eine silberne Waschschüssel, die auf ihrem Nachttisch stand. »Treten Sie näher,« sagte sie zu mir, »denn ich fange ebenfalls an zu bluten.«

So bluteten wir denn nun, Stirn an Stirn gelehnt, in einer höchst komischen Stellung in dieselbe Schüssel hinein. Nachdem auf beiden Seiten etwa dreißig Tropfen geflossen waren, hörte das Bluten auf. Da ich sie immer noch lachen sah, so glaubte ich wohl daran zu tun, wenn ich darin einstimmte. Wir wuschen uns mit kaltem Wasser in einer anderen Schüssel.

»Die Vermischung unseres Blutes«, sagte sie, fortwährend lachend, »wird eine süße Sympathie zwischen uns beiden hervorrufen, und wahrscheinlich eine Freundschaft, die ›nur mit dem Tode des einen von uns enden wird‹.«

Ich maß diesen Worten keine Bedeutung bei, aber die hinterlistige Spanierin hoffte, wie der Leser bald sehen wird, daß diese Freundschaft nicht lange dauern würde. Ich bat mir ein wenig von dem Pulver aus; als sie mir jedoch meine Bitte abschlug, begnügte ich mich, sie nach dem Namen desselben zu fragen.

»Ich kenne ihn nicht,« sagte sie, »eine Freundin hat mir das Pulver geschenkt.«

Beunruhigt durch die Wirkung dieses Pulvers, die ich für unglaublich gehalten haben würde, wenn ich nicht selbst die Erfahrung damit gemacht hätte – denn ich hatte nie vorher von einem solchen etwas gehört – ging ich sofort zu einem Apotheker; aber dieser Diaphorus war nicht klüger als ich. Er sagte mir allerdings, die Euphorbia könne zuweilen ein Nasenbluten hervorbringen. Aber es handelte sich nicht um ein »Zuweilen«, sondern um eine beständige Wirkung. Das geringfügige Ereignis veranlaßte mich zu ernsthaftem Nachdenken. Die Gräfin war Spanierin, und sie mußte mich hassen; dies waren zwei Gründe, die einem Nasenbluten eine Bedeutung geben konnten, deren Tragweite ich nicht ahnte.

Ich ging zu den schönen Marchesinen und fand den reizenden jungen Mann im Gartensaal bei seiner Base, die mit Schreiben beschäftigt war. Fräulein von Q. war im Garten. Sie hatten bereits zu Mittag gegessen. Unter dem Vorwande, die Schreiberin nicht stören zu wollen, ging ich zur Schwester des jungen Offiziers. Ich machte ihr eine Verbeugung und sagte: »Ich bedauere recht sehr eine Verwechslung, die mich in Ihren Augen als einen urteilslosen Gecken erscheinen lassen könnte. Ich komme zu Ihnen in der Hoffnung, mich rechtfertigen zu können.«

»Ich errate, worum es sich handelt; aber seien Sie überzeugt, mein Bruder hat sich nichts Böses dabei gedacht, lassen Sie ihn glauben, was er will. Meinen Sie, ich hätte Sie eines solchen Schrittes für fähig gehalten, während wir uns doch kaum kennen?«

»Sie beruhigen mich.«

»Ich glaubte, Ihrer Galanterie die Wendung geben zu müssen, wie wenn ich an eine Heirat dächte, weil mein Bruder, der noch zu jung ist, sie sonst ungünstig hätte auslegen können.«

»Ich bewundere Ihren Geist und habe nichts mehr zu sagen. Indessen bin ich Ihrem Herrn Bruder doch Dank schuldig, denn durch ihn haben Sie erfahren, daß Ihre Reize einen tiefen Eindruck auf mein Herz gemacht haben. Ich bin bereit, alles zu tun, um Sie von meiner zärtlichen Neigung zu überzeugen.«

»Diese Erklärung mißfällt mir nicht; aber Sie hätten besser getan, meinen Bruder nicht in die Geheimnisse Ihrer Gefühle einzuweihen; ja, Sie hätten sogar – gestatten Sie mir, Ihnen dies zu sagen – mir Ihre Gefühle verschweigen müssen. Sie hätten mich lieben können, ohne daß ich etwas davon merkte, oder ich hätte wenigstens tun können, wie wenn ich es nicht merkte. Dadurch hätte ich meine Unbefangenheit bewahrt, während ich jetzt mich in acht nehmen und auf der Hut sein muß. Geben Sie dies zu?«

»Sie sehen mich starr, schöne Marchesina; niemals hat mich ein Mensch gründlicher von meiner Dummheit überzeugt. Eigentümlich finde ich nur, daß alles, was Sie mir soeben gesagt haben, mir vollkommen bekannt war; aber Sie haben mir den Kopf verdreht; darf ich hoffen, daß Sie nicht die Grausamkeit haben werden, mich dafür zu bestrafen?«

»Aber ich bitte Sie, wie könnte ich Sie dafür bestrafen?«

»Indem Sie mich nicht lieben.«

»Ach! Hängt es denn von uns ab, ob wir lieben oder nicht lieben? Man zwingt uns zu lieben, und da sind wir verloren.«

Ich legte diese letzten Worte zu meinem Vorteil aus und glaubte, von etwas anderem sprechen zu müssen. Ich fragte sie, ob sie am Abend auf den Ball gehen würde.

»Nein.«

»Vielleicht würden Sie unerkannt gehen?«

»Das möchte ich gern, aber es ist unmöglich. Es findet sich stets jemand, der uns kennt.«

»Wenn ich den Vorzug hätte, Ihnen zu dienen, so würde ich meinen Kopf zum Pfände setzen, daß kein Mensch Sie erkennen sollte.«

»Ich glaube nicht, daß Sie bereit sein würden, sich mit uns zu beschäftigen.«

»Es freut mich, daß Sie ein bißchen ungläubig sind, aber geruhen Sie, mich auf die Probe zu stellen. Wenn Sie allein ausgehen können, werden wir uns so maskieren, daß wir alle Welt neugierig machen und trotzdem diese Neugierigen nicht zu befriedigen brauchen.«

»Wir können mit unserem Bruder und einer anderen jungen Dame ausgehen, die er liebt; wir sind sicher, daß er verschwiegen sein wird.«

»Ich freue mich Ihres Auftrages! Aber es wird erst am nächsten Sonntagsball vor sich gehen können. Ich werde mich mit Ihrem Bruder verständigen. Sagen Sie ihm gütigst, er möge mich besuchen; Barbaro dürfe aber nichts wissen. Sie werden sich an einem Ort maskieren, den ich Ihnen noch näher bezeichne; denn wir werden uns wiedersehen. Unterdessen werde ich mich in aller Stille mit dieser wichtigen Sache befassen. Wollen Sie mir gestatten, Ihnen die Hand zu küssen?«

Ich zog ihre Hand an meine Lippen und dann an mein Herz, und dort fühlte ich einen sanften Händedruck der Marchesina.

Ich hatte noch keine Verkleidung im Sinne; aber ich war sicher, daß ich etwas Passendes finden würde, und verschob es daher auf den nächsten Tag, mich damit zu beschäftigen. Irene nahm für diesen Tag alle meine Gedanken in Anspruch. Nachdem ich einen Domino übergeworfen hatte, fuhr ich nach den Drei Königen und fand Irene vor der Tür; sie war heruntergekommen, sobald sie meinen Wagen bemerkt hatte. Dieser Eifer freute mich. Wir gingen in meine schöne Wohnung und bestellten beim Pastetenbäcker ein leckeres Abendessen zu Mitternacht. Wir hatten sechs Stunden vor uns, und der Leser wird mir wohl erlassen, ihm zu sagen, wie sie angewandt wurden. Der Kanal wurde mit Gewalt eröffnet und die Operation lachend erduldet, denn Irene war mit allen Anlagen zur Wollust geboren. Um Mitternacht standen wir auf; wir hatten einen Riesenhunger und waren erstaunt und zugleich entzückt, ein höchst appetitliches Essen vor uns zu sehen.

Irene sagte mir, ihr Vater habe sie gelehrt, beim Pharao so abzuziehen, daß sie nicht verlieren könne. Ich war neugierig, wie sie das machte, und gab ihr ein Spiel Karten. Während sie plauderte, um meine Aufmerksamkeit abzulenken, legte sie binnen wenigen Minuten die Karten zurecht. Ich gab ihr die hundert Zechinen, die ich ihr schuldig war, und sagte, sie möchte so spielen, wie wenn es Ernst wäre.

»Lieber Freund,« sagte sie sanft, »wenn Sie nur eine einzige Karte spielen, bin ich sicher, daß Sie sie stets verlieren werden.«

»Einerlei, es gilt.«

Sie hielt Wort. Ich mußte ihr zugeben, daß ich niemals etwas von ihrer Manipulation hätte merken können, wenn sie mich nicht vorher darauf aufmerksam gemacht hätte. Ich sah nun, wie wertvoll dem alten Gauner Rinaldi seine Tochter sein mußte. Sie war ein wahrer Schatz in ihrer Art; denn mit ihrer unschuldigen und aufrichtigen Miene, mit ihrem fröhlichen Wesen und reizenden Gesicht war sie ganz dazu angetan, die abgefeimtesten Spieler hinters Licht zu führen. Sie sagte mir mit einer gewissen Betrübnis, ihr Talent nütze ihr nichts, weil sie immer nur mit armseligen Bettlern zu tun habe. Mit einem zärtlichen Blick fügte sie hinzu: wenn ich sie mitnehmen wollte, würde sie ihren Eltern durchbrennen; sie würde glücklich sein, für mich Schätze zu gewinnen.

»Wenn ich nicht mit falschen Spielern zu tun habe,« fuhr sie fort, »bin ich auch sehr geschickt im Setzen.«

»Nun, liebes Kind, so spiele mit den hundert Zechinen, die du hast, an Cananos Bank. Ich werde dich hinführen. Setze zwanzig Zechinen auf eine Karte; wenn du gewinnst, spielst du Paroli und Sept-et-le-va: sobald dir der Schlag gelungen ist, hörst du auf. Wenn du nicht drei glückliche Karten finden kannst, wirst du verlieren; aber dann werde ich dir das Geld wiedergeben.«

Sie umarmte mich und fragte mich, ob sie mir die Hälfte vom Gewinn abgeben müsse.

»Nein, alles soll dir gehören.«

Ich glaubte, sie würde vor Freude toll werden. Wir ließen uns in Sänften nach der Oper tragen, und da der Ball noch nicht im Gange war, so traten wir in den Spielsaal ein. Canano, der noch nicht angefangen hatte, packte ein Spiel Karten aus. Er tat, wie wenn er mich nicht kennte, und lächelte, als er sah, daß die hübsche Maske, die bei mir war, statt meiner spielen würde. Irene machte ihm eine tiefe Verbeugung, als er ihr einen Platz an seiner Seite anbot; sie legte die hundert Zechinen vor sich hin und gewann zunächst nur hundertundzwanzig, weil sie, anstatt das Sept-et-le-va zu spielen, beim drittenmal ihren Einsatz zurückzog und nur den Gewinn stehen ließ. Ihre Sparsamkeit gefiel mir, und ich ließ sie weiter spielen. In der nächsten Taille verlor sie drei Karten hintereinander; hierauf gewann sie mehrere Male ein Paix de Paroli; dann grüßte sie den Bankhalter, raffte ihr Gold zusammen, und wir entfernten uns. Kaum aber hatten wir den Saal verlassen, so drehte ich mich um, um zu sehen, woher ein Schluchzen käme, das an mein Ohr schlug. Irene sagte mir: »Ich bin sicher, es ist mein Vater, der vor Freuden weint.« Sie hatte in ihrer Tasche dreihundert Zechinen, die sie ihm brachte, nachdem sie sich drei Stunden lang erlustigt hatte. Ich tanzte nur ein einziges Menuett mit ihr, denn meine Liebestaten und das ausgezeichnete Abendessen hatten mich so ermüdet, daß ich mich nach Ruhe sehnte. Ich ließ Irene tanzen, soviel sie wollte, setzte mich in eine Ecke und schlief ein. Als ich erwachte, sah ich zu meiner großen Überraschung Irene, die mich ängstlich suchte; ich hatte drei Stunden lang geschlafen. Ich brachte sie nach den Drei Königen zurück, wo ich sie ihren Eltern ablieferte. Der arme Mann war ganz verblüfft über den Anblick des Goldes, das seine Tochter auf den Tisch legte; er sagte mir, ich möchte ihr gute Nacht wünschen, denn er würde in wenigen Stunden abreisen. Ich konnte mich nicht widersetzen und fühlte auch keine Lust dazu; aber Irene wurde wütend und rief: »Ich werde nicht abreisen, ich will bei meinem Liebsten bleiben. Ihr werdet mich noch unglücklich machen; denn kaum habe ich das Glück, einen Menschen zu haben, der Neigung für mich empfindet, so reißt ihr mich von seiner Seite. Ich gehöre dem Herrn und will ihn nicht mehr verlassen.«

Als sie jedoch sah, daß ich nichts zu ihrer Unterstützung sagte, fing sie an zu weinen. Dann umarmte sie mich mehrere Male. Als sie endlich müde und verzweifelt sich hinsetzte, benutzte ich diesen Augenblick und entfernte mich, indem ich ihr gute Reise wünschte und Irenen versprach, daß wir uns wiedersehen würden. Ich habe sie auch wirklich wiedergesehen; das Nähere wird der Leser erfahren, sobald ich soweit bin.

Ich legte mich zu Bett.

Es war erst acht Uhr, da kam der schöne Leutnant und weckte mich. »Meine Schwester«, sagte er, »hat mir von der Maskerade erzählt, die Sie planen. Ich habe Ihnen nun ein großes Geheimnis anzuvertrauen.«

»Sprechen Sie, lieber Freund, und verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

»Einer der liebenswürdigsten Kavaliere unserer Stadt, mein Freund und der Anbeter meiner Base, ein junger Herr, der wegen seiner Stellung das größte Interesse daran hat, nicht gegen die Verpflichtungen der Verschwiegenheit zu verstoßen, wird sich beteiligen, wenn Sie nichts dagegen haben. Dies würde meine Base und meine Schwester glücklich machen.«

»Haben Sie an meiner Einwilligung zweifeln können? Ich hatte an fünf gedacht; jetzt werde ich an sechs denken.«

»Sie sind unvergleichlich.«

»Sonntag müssen Sie in der Dämmerung sich an einem Ort einfinden, den ich Ihnen bezeichnen werde. Wir werden zu Abend speisen und uns hierauf maskieren. Dann werden wir auf den Ball gehen. Morgen um fünf Uhr werden wir uns bei Ihrer Schwester sehen. Beschreiben Sie mir nur den Wuchs Ihrer Geliebten und des Freundes Ihrer reizenden Base.«

»Meine Freundin ist zwei Zoll kleiner als meine Schwester und etwas weniger schlank; mein Freund ist ganz genau so gewachsen wie Sie, und man könnte Sie miteinander verwechseln, wenn Sie gleich gekleidet wären.«

»Das genügt. Überlassen Sie es nun mir, an alles zu denken, und leben Sie einstweilen wohl; denn ich bin neugierig, zu erfahren, was der Kapuziner will, der draußen wartet.«

Ein Kapuziner hatte sich bei mir melden lassen, und ich hatte Clairmont gesagt, er solle ihm ein Almosen reichen; er hatte aber dieses zurückgewiesen und gesagt, er müsse ganz im Geheimen mit mir sprechen. Dies machte mich neugierig; denn was konnte ein Kapuziner mir unter dem Siegel des Geheimnisses zu sagen haben? Ich ließ ihn eintreten und sah ein ehrwürdiges, bedeutendes Gesicht. Ich ging ihm entgegen und bot ihm mit einer tiefen Verbeugung einen Stuhl an; ohne meine Höflichkeit zu beachten, blieb er stehen und sagte: »Mein Herr, beachten Sie, was ich Ihnen sagen werde, und hüten Sie sich, meinen Rat leicht zu nehmen; es könnte Ihnen das Leben kosten. Sie würden es ohne Zweifel bereuen, aber dies würde zu spät sein. Hören Sie mich an und tun Sie unverzüglich, was ich Ihnen raten werde; aber enthalten Sie sich jeder Frage, denn es ist mir unmöglich, Ihnen zu antworten. Sie werden vielleicht erraten, daß der Grund, der mich zum Schweigen zwingt, eine heilige Pflicht ist, die mein Stand mir auferlegt und die jeder Christ anerkennen muß. Es ist das unverletzliche Beichtsiegel. Bedenken Sie, daß mein Wort und meine Aufrichtigkeit Ihnen nicht verdächtig sein können, denn kein niedriges Interesse führt mich zu Ihnen. Nur ein mächtiger, innerer Antrieb zwingt mich, zu Ihnen zu sprechen, und ich muß glauben, daß Ihr Schutzengel sich meiner bedient, um Ihnen das Leben zu retten, da er nicht unmittelbar mit Ihnen in Verbindung treten kann. Gott will Sie nicht verlassen, Sagen Sie mir, ob Sie sich bewegt fühlen und ob ich Ihnen den heilsamen Rat geben darf, den ich in meinem Herzen verschlossen halte?«

»Zweifeln Sie nicht daran, ehrwürdiger Vater; ich habe Ihnen aufmerksam und ehrfurchtsvoll zugehört. Sprechen Sie, geben Sie mit diesen Rat! Ihre Worte haben mich nicht nur bewegt, sondern mich sogar gewissermaßen erschreckt. Ich verspreche Ihnen, Ihrem Rat zu folgen, wenn die Ausführung nicht meiner Ehre und der klaren Vernunft widerspricht.«

»Gut! Ein Gefühl des Mitleids wird Sie abhalten, mich durch eine Unvorsichtigkeit bloßzustellen, einerlei, wie die Geschichte ausgeht, von der Sie nunmehr erfahren werden. Sie werden keinen Menschen etwas von mir sagen? Sie werden keiner Menschenseele sagen, daß Sie mich kennen oder daß Sie mich nicht kennen?«

»Ich schwöre Ihnen dies auf meinen christlichen Glauben. Aber ich bitte Sie, sprechen Sie! Ihre lange Vorrede erfüllt mich mit einer Ungeduld, die mich verzehrt.«

»Gehen Sie heute vormittag nach dem Xplatz in das Haus Nr. …, in den zweiten Stock und klingeln Sie an der Tür zur Linken. Sagen Sie der Person, die Ihnen öffnen wird, Sie möchten Frau Y. sprechen. Man wird keine Schwierigkeiten machen, Sie in ihr Zimmer zu führen; ich bin sogar überzeugt, man wird Sie nicht einmal nach Ihrem Namen fragen. Sollte dies aber doch der Fall sein, so geben Sie irgend einen beliebigen Namen an. Wenn Sie sich der Frau gegenüber befinden, so bitten Sie sie, freundlich Sie anzuhören, und verlangen Sie von ihr Verschwiegenheit über alles, was Sie ihr anvertrauen würden. Um ihr Vertrauen einzuflößen, drücken Sie ihr ein oder zwei Zechinen in die Hand. Sie ist arm, und ich bin gewiß, daß Sie durch diese Freigebigkeit sie sofort für sich gewinnen werden. Sie wird ihre Türe schließen und Ihnen natürlich sagen, Sie möchten sprechen. Nehmen Sie alsdann eine ernste und eindrucksvolle Miene an und bedeuten Sie ihr, Sie würden ihr Zimmer nicht eher verlassen, als bis sie Ihnen das Fläschchen übergeben hätte, das eine Magd gestern bei Beginn der Nacht ihr mit einem Brief gebracht haben müßte. Wenn sie sich weigert, so bleiben Sie standhaft; machen Sie aber keinen Lärm; lassen Sie sie nicht aus dem Zimmer heraus und verhindern Sie sie, irgend jemanden zu rufen, überreden Sie sie schließlich, indem Sie ihr für den Verkauf der Flasche mit allem Zubehör das Doppelte des Geldes versprechen, das sie sonst erhalten würde. Erinnern Sie sich wohl meiner Worte: ›mit allem Zubehör‹. Sie wird alles tun, was Sie verlangen. Es wird Ihnen eine unbeträchtliche Summe kosten; aber selbst wenn Sie viel Geld ausgeben müßten, Ihr Leben muß Ihnen teurer sein als alles Geld von Peru. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Bevor ich Sie jedoch verlasse, bitte ich Sie, mir zu sagen, ob ich hoffen kann, daß Sie hingehen werden.«

»Ja, hochehrwürdiger Vater; ich werde der Eingebung des Engels folgen, der Sie hierhergefühlt hat.«

»So möge denn Gott Sie segnen!«

Als der würdige Priester hinausgegangen war, fühlte ich durchaus keine Lust, zu lachen. Allerdings sagte meine Vernunft nur, ich solle diese lächerliche Verschwörung verachten und nicht hingehen; aber ein Rest von Aberglauben, von welchem ich mich niemals gänzlich habe befreien können, hielt mich ab, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Außerdem hatte der Kapuziner mir gefallen. Er sah wie ein braver Mann aus und hatte etwas so Ehrwürdiges an sich, daß ich mich durch mein Versprechen gewissermaßen für gebunden hielt. Er hatte mich überzeugt, und meine Vernunft sagte mir, daß der Mensch niemals gegen seine Überzeugung handeln soll. Kurz und gut, ich entschloß mich, hinzugehen. Ich nahm den Zettel, worauf ich die Worte aufgeschrieben hatte, die er mir gesagt hatte, steckte zwei kleine Terzerole in die Tasche und begab mich nach dem geheimnisvollen Hause, nachdem ich Clairmont befohlen hatte, mich auf dem Platze zu erwarten, woran es lag. Diese Vorsicht konnte nicht schaden.

Alles ging vor sich, wie der gute Kapuziner es mir vorhergesagt hatte. Das greuliche alte Weib bekam Mut beim Anblick von zwei Zechinen und schob den Riegel vor die Tür. Lachend sagte sie mir, sie wisse, daß ich verliebt sei, und es sei meine eigene Schuld, wenn ich nicht glücklich sei; sie werde mir jedoch das Mittel geben, es zu werden. Ich merkte, daß ich bei einer angeblichen Hexe war. Die berühmte Bontems in Paris hatte ungefähr dieselbe Sprache geführt, als ich sie einmal besuchte. Als ich jedoch der Frau bedeutet hatte, ich würde ihr Zimmer nicht ohne die geheimnisvolle Flasche »mit allem Zubehör« verlassen, da verzerrte ihr Gesicht sich auf eine schreckliche Weise. Sie zitterte am ganzen Leibe, als ich mit einem offenen Taschenmesser in der Hand sie verhinderte, das Zimmer zu verlassen. Als ich ihr dann gesagt hatte, ich würde ihr das Doppelte von dem geben, was man ihr versprochen hätte, um die Schandtat auszuführen, sie würde also nicht nur nichts verlieren, sondern noch Geld dazu verdienen, indem sie mir die gewünschten Gegenstände gäbe, da wurde sie wieder ruhig.

»Ich werde sechs Zechinen verlieren,« sagte sie, »aber Sie werden mir gern das Doppelte bezahlen, wenn Sie sich sehen; denn jetzt erkenne ich Sie.«

»So sagen Sie mir, wer ich bin?«

»Sie sind Giacomo Casanova aus Venedig.«

Infolge dieser Worte glaubte ich die zwölf Zechinen aus meiner Börse ziehen zu müssen. Bei ihrem Anblick wurde die Alte zu Tränen gerührt und sagte zu mir: »Ich hätte Sie sicherlich nicht sterben lassen, aber ich würde Sie verliebt und unglücklich gemacht haben.«

»Erklären Sie mir dies!«

»Kommen Sie mit!«

Ich trat mit ihr in eine Kammer und war ganz verblüfft über den Anblick von tausend Dingen, deren Gebrauch der gesunde Menschenverstand nicht zu erklären vermöchte. Phiolen von allen Größen, Steine von allen Farben, Metalle, Minerale, große und kleine Nägel, Zangen, Öfen, Kohlen, mißgestaltete Statuen und tausend andere Sachen.

»Hier ist Ihre Flasche,« sagte das alte Weib zu mir.

»Was ist darin?«

»Ihr Blut, mit dem der Gräfin vermischt, wie Sie in diesem Brief lesen können.«

Ich sah nun, worum es sich handelte, und wundere mich noch jetzt, daß ich nicht laut auflachte. Statt dessen sträubten sich meine Haare bei dem Gedanken an die Verruchtheit der Gräfin. Ein kalter Schweiß überströmte meinen ganzen Leib.

»Was würden Sie mit diesem Blut gemacht haben?«

»Ich hätte Sie damit überzogen.«

»Was verstehen Sie unter ›überzogen‹? Ich begreife Sie nicht.«

»Sie werden es gleich sehen.«

Ich war erschrocken; aber gleich darauf erhielt ich die Erklärung. Die Alte öffnete ein Kästchen von der Länge einer Elle; in diesem lag ein ganz nacktes Bild aus Wachs auf dem Rücken. Mein Name war der Länge nach darauf geschrieben und meine Züge waren, wenn auch schlecht ausgeführt, so doch erkennbar. Dieses Bildwerk trug auch mein Ordenskreuz um den Hals. Die Geschlechtsteile waren mit ungeheuerer Übertreibung vergrößert. Bei diesem ungeheuer komischen Anblick bemächtigte sich meiner eine wahnsinnige Lachlust, und ich mußte mich auf einen Lehnstuhl werfen, bis ich mich wieder erholt hatte.

Als ich endlich wieder Atem schöpfen konnte, sagte das Zauberweib zu mir: »Sie lachen? Wehe Ihnen, wenn ich Sie in diesem Blute, das nach den Regeln meiner Wissenschaft gemischt ist, gebadet hätte! Und dreimal wehe Ihnen, wenn ich Sie ›überzogen‹ und dann dieses Bild auf glühende Kohlen gelegt hätte!«

»Ist dies alles?«

»Ja.«

»Der ganze Kram gehört mir; hier sind Ihre zwölf Zechinen. Und nun schnell, zünden Sie mir Feuer an, denn ich will dieses Ungeheuer schmelzen. Das Blut gestatten Sie mir zum Fenster hinaus zu werfen!«

In einem Augenblick war das gemacht.

Die Alte, welche jedenfalls befürchtete, ich könnte die Sachen mit nach Hause nehmen, um sie zu ihrem Verderben zu gebrauchen, war hocherfreut, als sie mich das Wachs schmelzen sah. Sie nannte mich einen Engel an Güte und bat mich, ihr zu versprechen, keinem Menschen etwas von dem zwischen uns Vorgefallenen zu sagen. Ich schwor ihr dies und versprach ihr sogar, die Gräfin solle nichts davon erfahren. Am meisten überraschte es mich, als das schändliche Weib sich erbot, die Gräfin rasend in mich verliebt zu machen, wenn ich ihr noch zwölf Zechinen versprechen wolle. Ich sagte ihr, ich mache mir nichts daraus, und entfernte mich, indem ich ihr den Rat gab, ihr abscheuliches Gewerbe aufzugeben, das sie früher oder später auf den Scheiterhaufen führen müsse.

Ich fand Clairmont auf seinem Posten und schickte ihn nach Hause. Obgleich diese Niederträchtigkeit mir ziemlich viel Geld gekostet hatte, tat es mir doch nicht leid, um diese Lehre bereichert zu sein und den Rat des guten Kapuziners befolgt zu haben, der in vollem Ernst mich für einen verlorenen Mann gehalten hatte. Ich denke mir, er hatte alles durch die Beichte von der Magd erfahren, die das Blut zur Hexe gebracht hatte. Solche Wunder werden von der Ohrenbeichte oft bewirkt.

Ich beschloß, die Gräfin niemals ahnen zu lassen, daß ich ihren verführerischen Anschlag entdeckt hätte, sondern mich vielmehr gegen sie in einer Weise zu benehmen, die geeignet wäre, sie zu beruhigen und sie den grausamen Schimpf, den ich ihr angetan, vergessen zu machen. Ich mußte mich glücklich schätzen, daß die Frau an Hexerei glaubte, denn sonst würde sie Männer gedungen haben, die ihre Rache jedenfalls besser vollzogen hätten.

Zu Hause angekommen, nahm ich den schönsten von den beiden Mänteln, die ich besaß, und schenkte ihr diesen, indem ich ihr die Hand küßte. Sie nahm ihn mit der größten Liebenswürdigkeit an und fragte mich, aus welchem Anlaß ich ihr ein so hübsches Geschenk mache?

Ich antwortete: »Ich habe geträumt, Sie wären so erzürnt auf mich, daß Sie mit Meuchelmördern gesprochen hätten, mich zu töten.«

Sie antwortete mir errötend, sie wäre nicht wahnsinnig geworden. Als ich hinausging, sah ich sie in düstere Träume versinken. Ich hatte mich jedoch während meines übrigen Aufenthaltes in Mailand nicht mehr über sie zu beklagen, sei es, daß sie alles vergessen hatte, sei es, daß sie kein sicheres Mittel fand, sich zu rächen.

Der Graf war von seinem Lehen zurückgekehrt. Er sagte mir, wir müßten unbedingt einen Ausflug dahin machen, sobald die Fastenzeit begonnen hätte. Ich versprach es ihm. Die Gräfin erklärte, daß sie nicht mitreisen würde. Ich tat, wie wenn mir dies sehr leid täte; in Wirklichkeit tat sie mir jedoch den größten Gefallen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel


Originelle Maskerade. – Glückliche Liebschaft mit der schönen Marchesina Q. – Die verlassene Marseillerin; ich werde ihr Retter. – Meine Abreise nach Sant‘ Angelo.

Da ich mich verpflichtet hatte, eine Verkleidung zu beschaffen, die uns nicht der Gefahr aussetzte, erkannt zu werden, so wollte ich sowohl durch die Originalität der Idee wie durch den Reichtum der Ausführung Ehre einlegen. Ich hatte daher, wie man zu sagen pflegt, meinen Kopf in die Weiche gelegt, und meine Leser werden sehen, ob mein Einfall gut war.

Ich hatte zur Durchführung meines Planes einige Vertraute nötig; vor allen Dingen brauchte ich einen Schneider, und wie man sich denken kann, glaubte ich meinem Gevatter Schneider den Vorzug geben zu müssen. Zenobia war für mich nicht weniger nützlich als ihr Gatte, teils um gewisse Frauenarbeiten anzufertigen, teils um die drei jungen Damen zu bedienen, die ich verkleiden sollte. Ich ging zu Fuß aus und begab mich zu meinem Gevatter. Ich befahl ihm, seine Arbeit liegen zu lassen und mich zum reichsten Trödler von Mailand zu führen.

»Mein guter Mann, ich brauche das Schönste, was Sie für Herren und für Damen haben.«

»Wünscht der Herr neue Sachen?«

»Gewiß! Wenn Sie solche haben.«

»Ich bin reich versehen.«

»Suchen Sie zunächst einen schönen Samtrock für meine Größe; er muß einfarbig sein, und in Mailand darf ihn kein Mensch kennen.«

Statt eines einzigen legte er mir ein Dutzend vor, alle vom schönsten Samt und sehr gut gemacht. Ich wählte einen blauen Samtrock mit weißem Atlasfutter. Nachdem der Schneider um den Preis gefeilscht hatte, wurden wir einig, und ich legte den Rock auf die Seite; er war für den Liebhaber der schönen Base bestimmt. Ich wählte einen zweiten, weniger groß, von schwefelgelbem, geschorenem Samt mit Atlasfutter von derselben Farbe. Diesen bestimmte ich für den jungen Offizier. Ferner nahm ich zwei schöne Hosen von geschorenem Samt und zwei Westen von prachtvollem Seidenstoff.

Hierauf wählte ich zwei herrliche Atlaskleider, das eine feuerfarben, das andere lila; dazu ein drittes von gestreifter Halbseide. Dieses letztere war für die Geliebte des reizenden Offiziers bestimmt. Sodann kaufte ich Batisthemden, zwei für Männer und drei für Frauen, außerdem dazu passende Taschentücher und mehrere halbe Ellen Samt, Atlas und gestreifte Stoffe, alles in verschiedenen Farben.

Ich bezahlte für alle diese Waren zweihundert Dukaten in Gold, aber unter der Bedingung, daß der Händler mir mein Gold wiedergeben und die Waren zurücknehmen müsse, einerlei, in welchem Zustande sie wären, wenn durch seine Schuld bekannt werden sollte, daß ich sie bei ihm gekauft hätte. Diese Bedingung wurde schriftlich niedergelegt, der Händler unterzeichnete, und ich ging mit meinem Gevatter, der den ganzen Packen trug, zu dem Pastetenbäcker.

Als alles in meinem Zimmer war, schloß ich mich mit dem Schneider ein und sagte ihm, ich würde ihm eine Kugel vor den Kopf schießen, wenn er das Unglück haben sollte, zu irgend einem Menschen ein Wort von der ihm übertragenen Arbeit zu sagen. Hierauf breitete ich alle Kleider auf einem Tisch aus und machte mit einem Stilett etwa sechzig Löcher in jedes Kleid. Ebenso behandelte ich die Hosen und die Westen. Ich lachte aus vollem Halse über das klägliche Gesicht, das der Schneider machte, als er mich die herrlichen Sachen auf diese Weise verderben sah. Er glaubte, ich sei verrückt geworden.

Nach dieser Operation, über die ich in Gedanken noch jetzt lache, nahm ich die Seiden- und Samtflicken, die ich gekauft hatte, und sagte zum Schneider: »Hier, mein guter Gevatter, habe ich Euch Arbeit zugeschnitten; Ihr müßt nun alles wieder ausbessern und Eure Gedanken tüchtig anstrengen, damit die Flicken durch den Kontrast der Farben eine schöne Wirkung hervorbringen. Wie Ihr seht, habt Ihr Arbeit genug und dürft keinen Augenblick verlieren. Ich werde meine Befehle erteilen, damit Ihr in einem anderen Zimmer etwas Ordentliches zu essen bekommt; aber Ihr werdet diese Wohnung nicht verlassen, bevor alles fertig ist. Ich werde Eure Frau holen, damit sie mit euch arbeitet, und Ihr könnt bei einander schlafen.«

»Aber um Gotteswillen, gnädiger Herr, wollen Sie denn die Kleider ebenso behandeln wie die Röcke?«

»Genau ebenso.«

»Wie schade! Meine Frau wird bitterlich darüber weinen.«

»Ich werde sie trösten.«

Auf dem Wege zu Zenobia kaufte ich sechs Paar perlgraue, seidene Strümpfe, Herren- und Damenhandschuhe, zwei Hüte vom feinsten Biber, zwei Karikatur-Männermasken und drei Frauenmasken von natürlicher Form, aber mit ernstem Ausdruck. Auch kaufte ich zwei schöne Porzellanteller. Das Ganze brachte ich in einem Tragstuhl zu Zenobia.

Ich fand das reizende Weib dabei, sich anzuziehen. Ihre schönen Haare hingen über ihren Alabasternacken herab, und ihr von einem kleinen Mieder hochgehaltener Busen bot sich meinen Blicken ohne die lästige Hülle eines Halstuches dar. So viele Reize verdienten meine Huldigung; ich brachte sie ihr dar, indem ich sie mit meinen Küssen verschlang. Ich verbrachte eine halbe Stunde bei Zenobia, und mein Leser wird erraten, daß diese Zeit von uns beiden aufs beste angewandt wurde. Nachdem ich hierauf meiner schönen Schneiderin geholfen hatte, sich fertig anzukleiden, ließ ich sie in den Tragstuhl steigen und befahl den Trägern, mir auf dem Fuße zu folgen.

Wir fanden ihren Mann damit beschäftigt, die Flicken auszuwählen und zurecht zu schneiden, die er auf die von mir gemachten Löcher setzen sollte. Zenobia sah sprachlos vor Erstaunen auf die sonderbare Arbeit; als sie mich die Kleider ebenso behandeln sah wie die Röcke, erbleichte sie und trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite; sie hatte allen Ernstes Angst, denn da sie von meinen Absichten nichts wußte, so konnte sie wohl annehmen, daß ich in einer augenblicklichen Geistesabwesenheit handelte. Ihr Mann hatte sich inzwischen an den Gedanken gewöhnt; er beruhigte sie, und als sie wußte, worum es sich handelte, begriff sie, daß ich wohl recht haben möchte, obgleich mein Einfall ihr immer noch im höchsten Grade sonderbar erschien.

Die Phantasie einer Frau geht immer weiter als die eines Mannes, wenn es sich um Herzensangelegenheiten, um Leidenschaften und um Vergnügungen handelt. Als Zenobia erfuhr, daß diese Kleider für drei schöne Frauen bestimmt seien und daß diese dadurch nach meinem Wunsche alle Ballbesucher begierig machen sollten, erweiterte sie mehrere der Risse und ordnete diese so an, daß sie zur Liebe reizten, ohne doch allzusehr den Anstand zu verletzen. Die Kleider wurden besondere am Busen, an den Schultern und an den Ärmeln mißhandelt: man sollte das Batisthemd sehen, das Batisthemd selber sollte einige Körperteile unbedeckt lassen und die zerfetzten Falbeln sollten die halben Waden sehen lassen. Als ich zu meiner Freude sah, daß sie mich vollkommen verstanden hatte und daß sie den Geschmack ihres Mannes günstig beeinflussen würde, befahl ich ihnen Eifer und ging. Ich besuchte sie jedoch täglich drei- oder viermal und war jedesmal, wenn ich wieder ging, mit meinem Gedanken und mit ihrer Arbeit immer zufriedener.

Die Arbeit war erst am Sonnabend nachmittag fertig. Ich schickte den Mann fort, indem ich ihm sechs Zechinen gab, und behielt Zenobia; denn diese war nötig, um den drei schönen Bettlerinnen beim Ankleiden zu helfen. Ich stellte auf einen Tisch Pulver, Pomade, Kämme, Nadeln und überhaupt alles, was vornehme Damen wünschen können; ich vergaß auch nicht Bänder und Bindfaden, der bei der Verkleidung gebraucht wurde.

Am nächsten Tage fand ich das Spiel im lebhaften Gang, aber die beiden Basen waren nicht dabei. Ich suchte sie bei ihrer Tante auf, und sie sagten mir, sie spielten nicht, weil Barbaro zu glücklich wäre.

»Sie haben also verloren, meine jungen Damen?«

»Ja, aber mein Bruder gewinnt,« sagte die liebenswürdige Q.

»Ich hoffe, das Glück wird auch Ihnen hold sein.«

»Wir haben kein Glück.«

Nachdem die Tante hinausgegangen war, fragten sie mich, ob der Leutnant mir gesagt hätte, daß sie mit einer ihrer Freundinnen auf den Ball gehen würden.

»Ich weiß alles,« antwortete ich, »und ich hoffe, Sie werden zufrieden sein, jedoch nicht zufriedener als ich, denn ich verspreche mir sehr viel Vergnügen. Ich muß morgen früh mit Ihrem schönen Offizier sprechen.«

»Sagen Sie uns doch, wie wir maskiert sein werden.«

»So, daß Sie sicherlich von keinem Menschen erkannt werden können und daß Sie alle Anwesenden neugierig machen müssen.«

»Aber was werden wir denn anhaben?«

»Was sehr Schönes.«

»Aber was für ein Kostüm werden Sie uns geben?«

»Das ist mein Geheimnis, meine jungen Damen. So gern ich Ihnen auch einen Gefallen tue, so werden Sie doch nichts erfahren, bis Sie sich ankleiden. Fragen Sie mich nicht, denn ich will meine Freude an Ihrer Überraschung haben. Ich liebe Theatereffekte, das ist nun mal eine Leidenschaft von mir. Nach dem Abendessen werden Sie alles erfahren.«

»Wir sollen also zu Abend speisen?«

»Ganz gewiß – wenn es Ihnen Vergnügen macht. Ich bin ein großer Esser, und ich hoffe, Sie werden doch nicht so grausam sein, mich allein essen zu lassen.«

»Natürlich werden wir zu Abend speisen, da wir Ihnen einen Gefallen damit tun können. Ich werde absichtlich wenig zu Mittag essen, damit wir Ihnen die Spitze bieten können.«

»Es tut mir nur leid,« fügte Fräulein von Q. hinzu, »daß Sie so viel Geld ausgeben.«

»Auch das ist eine meiner besonderen Freuden; wenn ich von Mailand fortgehe, werde ich in dem Glück schwelgen, mit den beiden schönsten Damen der Stadt soupiert zu haben.«

»Wie werden Sie vom Glück behandelt?«

»Canano gewinnt mir jeden Abend zweihundert Zechinen ab.«

»Und Sie gewinnen von ihm zweitausend in einer Nacht?«

»Allerdings; indessen bin ich noch im Verlust.«

»Sonntag werden Sie die Bank sprengen. Wir werden Ihnen Glück bringen.«

»Wünschen Sie, daß ich Ihnen dieses Schauspiel biete?«

»Es würde mir eine große Freude sein; mein Bruder hat mir jedoch gesagt, Sie würden nicht mit uns zusammen sein.«

»Allerdings nicht, dies geschieht jedoch nur deshalb, weil man mich erkennen würde. Ihr Bruder hat mir aber gesagt, der Kavalier, der Sie begleiten wird, sehe mir ähnlich.«

»Auffallend ähnlich,« sagte die Base; »nur ist er blond.«

»Da ist er sehr glücklich; denn blonde Herren gewinnen leicht die Gunst brauner Damen.«

»Nicht immer!« sagte die Schwester; »aber sagen Sie uns doch wenigstens, ob wir uns etwa als Männer verkleiden werden?«

»Pfui! Ich würde es mir nicht verzeihen können, auf einen solchen Gedanken verfallen zu sein.«

»Warum?«

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn ein hübsches Mädchen als Mann verkleidet ist.«

»Das ist sonderbar; warum denn nicht?«

»Wenn eine als Mann verkleidete junge Frau wirklich eine Täuschung erregt, so stößt sie mich ab; denn dies ist ein Beweis, daß sie nicht die Vollkommenheiten einer schönen Frau besitzt. Die Formen einer solchen müssen viel stärker ausgebildet sein als die eines Mannes.«

»Aber dadurch zeigt ja ein schönes Mädchen Ihnen gerade, daß sie die Vorzüge besitzt, die die Schönheiten eines Weibes ausmachen.«

»Das ist richtig; aber dann nehme ich es ihr übel, daß sie mich aus der Illusion reißt; denn ich liebe es, nur Gesicht und Wuchs zu sehen und das übrige zu erraten.«

»Die Phantasie täuscht aber doch oft.«

»Das gebe ich zu; aber ich verliebe mich immer in das Gesicht, und da dieses mich niemals täuschen kann, so fühle ich mich stets bereit, etwaige Mängel des übrigen Körpers zu verzeihen, wenn ich die Gunst erlange, diesen zu sehen. Sie lachen?«

»Ich lache über den feurigen Eifer, womit Sie Ihre Meinung vorbringen.«

»Wäre es Ihnen angenehm, als Kavalier verkleidet zu sein?«

»O, ich hatte mich darauf gefaßt gemacht; aber nach dem, was Sie soeben gesagt haben, können wir Ihnen nicht mehr antworten.«

»Ich kann einen Teil Ihrer Antwort Ihnen selber sagen: Ihre Verkleidung würde keine Illusionen erregen; weiter sage ich nichts.«

Sie sahen lächelnd einander an, und ihre schönen Gesichter überzogen sich mit einer lebhaften Röte, als sie meine Blicke auf gewissen Hügeln ruhen sahen, die niemals das Attribut meines Geschlechtes sind. Wir brachen das Gespräch ab, und zwei volle Stunden lang erfreute ich mich an ihrem liebenswürdigen, natürlichen und gebildeten Geist.

Nachdem ich die beiden Zauberinnen verlassen hatte, eilte ich zu meinem Pastetenbäcker und hierauf in die Oper, wo ich beinahe zweihundert Zechinen verlor. Dann speiste ich mit meiner Spanierin zu Abend; sie war liebenswürdig und zuvorkommend geworden, verfiel aber bald wieder in ihre frühere schlechte Laune, als sie bemerkte, daß ich mich auf die Formen der Höflichkeit beschränkte und offenbar keine Absichten mehr auf ihr Schlafzimmer hatte.

Am Samstag morgen kam der junge Offizier zu mir. Ich sagte zu ihm, ich hätte für ihn nur einen einzigen Auftrag; diesen müßte er aber buchstäblich ausführen, und ich müßte im voraus sicher sein, daß er dies tun würde. Nachdem er mir versprochen hatte, daß er alles pünktlich erledigen werde, sagte ich folgendes zu ihm: »Sie müssen, Herr Leutnant, einen vierspännigen Wagen beschaffen; sobald Sie alle fünf diesen bestiegen haben, muß er Sie, so schnell die Pferde laufen können, an das Tor der Stadt bringen; hierauf müssen Sie durch ein anderes Tor wieder hineinfahren und vor der Tür des Ihnen bekannten Hauses halten. Dort steigen Sie aus, sagen dem Kutscher, daß er schweigen solle, schicken den Wagen fort und gehen ins Haus. Nach dem Ball werden Sie sich umkleiden und in Tragstühlen sich nach Hause bringen lassen. Auf diese Art werden wir die Neugierigen auf eine falsche Fährte bringen; ich sage Ihnen vorher, es wird deren sehr viele geben.«

Der Offizier antwortete mir: »Mein Freund, der Marchese, wird dies alles besorgen, und er wird es aufs beste machen, das verspreche ich Ihnen, denn er brennt vor Verlangen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich erwarte Sie also morgen um sieben Uhr. Sagen Sie Ihrem Freund, die Hauptsache sei, daß kein Mensch den Kutscher kenne, und nehmen Sie keinen Bedienten mit.«

Nachdem dies alles abgemacht war, entschloß ich mich, selber als Pierrot zu erscheinen. Keine andere Maskierung ist eine so gute Verkleidung; denn sie verbirgt nicht nur vollständig alle Formen, sondern verdeckt auch die Farbe der Haut. Mein Leser erinnert sich vielleicht, was mir in diesem Kostüm vor zehn Jahren passiert war. Ich beauftragte den Schneider, mir ein neues Pierrotkostüm zu besorgen, das ich zu den übrigen Anzügen legte. Mit zwei neuen Börsen versehen, deren jede mit fünfhundert Zechinen gefüllt war, begab ich mich am Sonntag vor sieben Uhr zu meinem Pastetenbäcker. Ich fand den Tisch gedeckt und das Essen fertig. Ich schloß Zenobia in das Zimmer ein, das zum Ankleiden für die Damen bestimmt war, und erwartete die fröhliche Gesellschaft. Sie kam fünf Minuten nach sieben.

Ich fand den Marchese entzückt, meine Bekanntschaft zu machen, und empfing ihn nach Gebühr; er war ein vollendeter Kavalier, schön, jung, reich und sehr verliebt in die schöne Base, die er mit großer Achtung behandelte. Die Geliebte des Leutnants war ein wahres Juwel und wahnsinnig in ihren Anbeter verliebt.

Da alle wußten, daß ich ihnen erst nach dem Abendessen ihre Verkleidung bekannt geben wollte, so wurde nicht davon gesprochen, und wir setzten uns zu Tisch. Das Abendessen war ausgezeichnet; ich hatte es nach meinem Geschmack bestellt, das heißt: üppig und lecker. Nachdem wir reichlich gegessen und getrunken hatten, sprach ich: »Da ich nicht mit Ihnen gehen will, so muß ich Ihnen zunächst sagen, welche Rolle Sie spielen sollen. Sie werden fünf Bettler vorstellen, zwei Männer und drei Frauen in Lumpen.«

Ich werdete mich an dem Anblick der langen Gesichter, die sie bei diesen Worten machten.

»Sie werden jeder einen Teller in der Hand halten, um Almosen zu sammeln, und werden alle zusammen im Ballsaal herumgehen und Ihr Bettlergewerbe betreiben. Folgen Sie mir jetzt, um Ihre Lumpen in Besitz zu nehmen.«

Ich bewahrte einen unerschütterlichen Ernst, obwohl ich die größte Lust hatte, laut aufzulachen, als ich den Verdruß und die Enttäuschung bemerkte, die sich auf ihren Zügen malten. Da sie sich keineswegs beeilten, mir zu folgen, so rief ich: »Ich erwarte Sie!«

Sie standen auf, ich öffnete die Tür, und alle waren erstaunt über die Schönheit Zenobias, die vor dem Tische stand, worauf die in Lumpen verwandelten reichen Kleider lagen, und ihnen mit vollendeter Anmut eine Verbeugung machte.

»Meine Damen,« sagte ich zu den beiden Basen, »dies sind Ihre Kleider, und dieses hier, mein gnädiges Fräulein, ist für Sie; es ist ein bißchen kleiner. Hier liegen Ihre Hemden, Ihre Taschentücher und Ihre Strümpfe; auf diesem Ankleidetisch befinden sich alle anderen Gegenstände, deren Sie vielleicht bedürfen können. Hier sind Ihre Masken, deren Züge nicht so frisch sind wie die Ihrigen, und hier drei Teller für die Almosen, die Sie erbetteln werden. Die Strumpfbänder werden von Ihrer Armut zeugen, wenn zufällig jemand sie sehen sollte, und diese durchlöcherten Strümpfe bezeugen, daß Sie nicht so viel Geld haben, um ein bißchen Seide zum Stopfen zu kaufen. Diese Bindfäden werden statt Schnallen dienen, und wir werden einige Löcher in Ihre Schuhe machen, die Sie gütigst als Pantoffeln tragen werden. Die Handschuhe werden ebenfalls einige Löcher bekommen, und da alles im Einklang stehen muß, so werden, sobald Sie Ihre Hemden angezogen haben, die Spitzen, die den Busen einfassen, ebenfalls hier und da zerrissen werden.«

Während ich wohlgefällig dies alles auseinandersetzte, sah ich Überraschung und Bewunderung den Anflug von Verdruß verdrängen, der sich noch unmittelbar vorher auf ihren Zügen gemalt hatte. Sie sahen, wie reich die Verkleidung war, und wagten nicht zu sagen: »Wie schade!«

»Nun zu Ihnen, meine Herren! Hier sind Ihre Bettleranzüge; ich habe vergessen, die zwei Biberhüte zu durchlöchern; aber das wird bald gemacht sein. Wie finden Sie dies alles? – Und nun, meine Damen, werden wir Sie allein lassen, denn Sie müssen Ihre Hemden wechseln. Kommen Sie, meine Herren!«

Der Marchese war begeistert. Er rief: »Welches Aufsehen werden wir machen! Etwas Prachtvolleres kann man sich ja gar nicht denken!«

Man sah absichtlich zerrissene prachtvolle Kleider, deren Löcher mit großem Geschmack ausgebessert waren: burleske Komik war mit dem größten Reichtum verbunden.

In einer halben Stunde waren wir fertig. Absichtlich durchlöcherte Strümpfe, absichtlich zerrissene Schuhe, absichtlich zerfetzte Manschetten von echten Spitzen, aufgelöste Haare, Masken mit dem Ausdruck der Verzweiflung, absichtlich zerbrochene Teller von schönem Porzellan – dieses alles bidete ein Ganzes, von dessen prunkvollem Elend man sich keinen Begriff machen kann.

Die jungen Damen brauchten ihrer Haare wegen längere Zeit zum Anziehen. Ihre Haare waren in der schönsten Unordnung und wallten aufgelöst über ihre Schultern hernieder. Besonders Fräulein von Q. glänzte vor den beiden anderen; denn ihr Haar reichte bis zu den Waden.

Als sie fertig waren, öffneten sie die Tür, und wir sahen alles, was drei entzückende, schöne junge Mädchen sehen lassen können, um Begierden zu erregen, ohne den Anstand zu verletzen. Ich bewunderte Zenobias Geschicklichkeit. Die zerrissenen Hemden und Kleider ließen Teile von ihren Schultern, ihren Brüsten und ihren Armen sehen, während man durch die Löcher der Strümpfe die weiße Haut ihrer Beine sehen konnte.

Ich zeigte ihnen, wie sie gehen mußten, wie sie die Köpfe zu bewegen hatten, um Mitleid zu erregen, ohne ihrer Anmut zu schaden, und wie sie sich ihrer Taschentücher bedienen mußten, so daß man die Löcher und die Feinheit des Batistes bemerken konnte. Sie waren hoch entzückt und konnten es kaum erwarten, ihre Rollen zu spielen. Ich wollte jedoch vor ihnen auf dem Ball sein, denn ich wünschte mich an dem Anblick ihres Eintritts zu ergötzen. Nachdem ich meine Maske angelegt hatte, forderte ich Zenobia auf, zu Bett zu gehen, da wir nicht vor Tagesanbruch zurückkehren würden. Hierauf ging ich.

Ich trat in den Ballsaal ein, und da mehr als zwanzig Pierrots anwesend waren, so achtete kein Mensch auf mich. Fünf Minuten später sah ich die Menge sich herandrängen, um neu ankommende Masken zu sehen; ich stellte mich so auf, daß ich bequem alles sehen konnte. Der Marchese ging zwischen den beiden Basen. Ihr langsamer, kläglicher Gang paßte ausgezeichnet zu ihrer Rolle. Fräulein von Q. mit ihrem feuerroten Kleid, ihrem prachtvollen Haar und der Schönheit ihrer Formen lenkte alle Blicke auf sich. Die schaulustige, neugierige, erstaunte Menge begann erst eine Viertelstunde nach ihrem Eintritt zu sprechen; dann aber hörte man von allen Seiten: Welche Maskerade! Welche Maskerade! Wer sind sie? Wer können sie sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß es auch nicht. Ich werde es gleich erfahren.

Ich freute mich meines Werkes.

Da die Musik zu spielen begann, so traten drei schöne Masken in Dominos auf meine drei Bettlerinnen zu und forderten sie auf, ein Menuett zu tanzen. Sie entschuldigten sich jedoch, indem sie auf ihre Schuhe zeigten, deren Absätze sie niedergetreten hatten. Es freute mich sehr, denn es zeigte mir, daß sie den Geist ihrer Rolle vollkommen begriffen hatten.

Nachdem ich ihnen länger als eine Stunde gefolgt war und mich überzeugt hatte, daß die Neugier der Ballgäste stetig steigen würde, suchte ich Canano auf, bei dem an diesem Abend ein großes Spiel im Gange war. Eine Maske in venetianischer Tracht mit Baute und Mantel spielte auf eine einzige Karte, setzte fünfzig Zechinen, bot Paroli und Paix-de-Paroli, ganz nach meiner Art. Er hatte meine Gestalt und verlor dreihundert Zechinen. Man behauptete, ich sei es; nur Canano versicherte, ich sei es nicht. Um am Spieltisch bleiben zu dürfen, nahm ich Karten und machte wie ein Anfänger Sätze von drei und vier Dukaten. In der nächsten Taille hatte die venetianische Maske eine glückliche Serie: er gewann Paroli und Paix-de-Paroli und ließ noch einmal mit Erfolg stehen. Hierdurch gewann er alles Gold zurück, das er verloren hatte. Als noch eine zweite Taille ihm ebenfalls günstig war, strich er sein Gold ein und ging.

Da sein Stuhl frei blieb, so nahm ich ihn mir. Hierauf sagte eine Dame: »Ich wette, dies ist der Chevalier de Seingalt.«

»Nein,« sagte ein Herr, »ich habe ihn soeben erkannt, er ist als Bettler verkleidet und es sind vier andere Personen bei ihm, die kein Mensch kennt.«

»Als Bettler? Wieso?« fragte Canano.

»Als Bettler, in Lumpen gekleidet wie die vier anderen, trotzdem aber prachtvoll und höchst komisch. Sie sammeln Almosen.«

»Man sollte sie hinausweisen!« sagte ein anderer.

Ich freute mich, daß ich meinen Zweck erreicht hatte, denn es war ja ein Irrtum, daß man mich erkannt zu haben glaubte. Ich begann nun Haufen von Zechinen, ohne sie abzuzählen, auf eine Karte zu setzen und verlor fünf- oder sechsmal hintereinander. Canano beobachtete mich, ich las aber Unsicherheit auf seinen Zügen. Auf allen Seiten flüsterte man sich zu: »Das ist er nicht!« – »So spielt er nicht!« – »Außerdem ist er auf dem Ball!« –

Das Glück wandte sich: in drei glücklichen Taillen gewann ich reichlich zurück, was ich verloren hatte, und ich spielte weiter mit einem Haufen Gold, der vor mir lag. Ich setzte eine große Hand, voll Zechinen auf eine Karte; diese kam zuerst heraus. Ich bot Paroli und Paix-de-Paroli. Ich gewann, und da ich sah, daß die Bank in den letzten Zügen lag, so hörte ich auf. Canano zahlte aus und verlangte tausend Zechinen von seinem Kassierer. Während er die Karten mischte, hörte ich sagen: »Da kommen sie! Da kommen die Bettler!«

Die Bettler kamen und stellten sich an den Tisch. Canano musterte den Marchese und bat ihn um eine Prise. Man stelle sich meine Freude vor, als ich den Marchese ganz bescheiden eine Papierdüte mit Tabak aus der Tasche ziehen und dem Grafen Canano hinreichen sah! Diesen schönen Einfall hatte ich nicht vorausgesehen; er erregte die laute Heiterkeit aller Zuschauer. Fräulein von Q. streckte ihren Teller aus und heischte vom Bankhalter ein Almosen; dieser aber sagte: »Mit so schönen Haaren erregen Sie mir kein Mitleid; wollen Sie sie auf eine Karte setzen, so bin ich bereit, sie für tausend Zechinen gelten zu lassen.«

Sie antwortete auf diese Galanterie nichts, sondern reichte mir ihren Teller hin; ich legte eine Prise Zechinen darauf und gab den beiden anderen dasselbe.

»Pierrot scheint die Bettlerinnen zu lieben!« sagte Canano lachend.

Die drei Bettlerinnen machten mir eine tiefe Verbeugung und entfernten sich.

Marchese Triulzi, der neben Canano saß, sagte zu diesem: »Der Bettler in dem gelben Anzug ist ganz gewiß Casanova.«

»Daran ist nicht zu zweifeln,« sagte Canano; »ich habe ihn sofort erkannt; aber wer sind die anderen?«

»Wir werden es schon erfahren.«

»Es ist die teuerste Maskerade, die man sich denken kann; denn die Kleider sind vollkommen neu.«

Die tausend Zechinen kamen; ich nahm sie ihm in zwei Taillen ab.

»Wollen Sie noch spielen?« fragte Canano mich. Ich verneinte durch ein Zeichen und deutete hierauf mit der Hand an, daß ich eine Anweisung von dem Kassierer wünschte. Dieser nahm eine Wage, wog das ganze Gold und schrieb mir eine Anweisung auf neunundzwanzig Pfund Gold, mehr als zweitausendfünfhundert Zechinen. Ich steckte meine Anweisung ein, schüttelte dem Grafen Canano die Hand und ging mit schlenkerndem Gang, meiner Pierrotrolle gemäß, einmal um den Ballsaal herum. Dann ging ich in eine Loge des dritten Ranges hinauf, zu der ich dem jungen Offizier den Schlüssel gegeben hatte. Dort fand ich alle meine liebenswürdigen Bettler beieinander.

Nachdem wir nun ohne Maske versammelt waren, wünschten wir uns Glück zu unserem Erfolge und erzählten uns unsere Abenteuer. Neugierige brauchten wir nicht zu befürchten, denn die beiden Nebenlogen waren leer. Ich hatte sie gemietet und trug die Schlüssel bei mir.

Die jungen Bettlerinnen wollten mir ihre Almosen wieder geben; ich antwortete ihnen jedoch auf eine Weise, daß sie nicht darauf bestehen konnten.

»Man hält mich für Sie, Herr Chevalier,« sagte der Marchese zu mir, »und dieser Irrtum könnte dazu führen, daß man etwas erriete. Das würde mir unserer liebenswürdigen Bettlerinnen wegen sehr leid tun.«

»Ich werde diesem Unglück vorbeugen, indem ich mich vor dem Schluß des Balles demaskiere. Dadurch müssen alle Vermutungen hinfällig werden und kein Mensch wird die Wahrheit erraten.«

»Wir haben alle Taschen voll von Zuckerwerk,« sagte das reizende Fräulein von Q. zu mir. »Jeder packte unsere Teller voll.«

»Ja,« rief die Base, »alle Welt bewunderte uns; die Damen kamen aus ihren Logen heraus, um uns in der Nähe anzusehen, und überall rief man, man könne nichts Reizenderes sehen, als eine solche Maskerade.«

»Sie haben also viel Vergnügen gehabt?«

»O, sehr viel!«

»Ich auch. Ich bilde mir beinahe etwas darauf ein, ein Kostüm ausgedacht zu haben, das Sie unkenntlich gemacht hat und trotzdem alle Blicke auf Sie lenkte.«

»Sie haben uns alle glücklich gemacht!« sagte der hübsche Schatz des Leutnants; »besonders mich; denn ich hätte niemals auf eine so köstliche Nacht zu hoffen gewagt.«

»Das Ende krönt das Werk, mein gnädiges Fräulein, und ich hoffe, das Ende wird den Anfang noch übertreffen.«

Bei diesen Worten drückte ich meiner Schönen verliebt die Hand; ich weiß nicht, ob sie mich erriet, aber ich fühlte ihre Hand in der meinigen zittern.

»Wir wollen in den Saal gehen,« sagte sie zu mir.

»Ich auch, denn ich habe Lust, zu tanzen, und ich bin sicher, daß ich als Pierrot Sie zum Lachen bringen werde.«

»Wissen Sie, wieviel Sie einer jeden von uns gegeben haben?«

»Genau kann ich es nicht sagen; aber ich bin überzeugt, daß ich Sie alle drei ungefähr gleich behandelt habe.«

»Das stimmt, und wir haben uns sehr darüber gewundert.«

»Ich habe das tausendmal erlebt. Wenn man mir ein Paroli von zehn Zechinen abgewinnt, strecke ich drei Finger aus, und ich bin sicher, dreißig Zechinen zu fassen. Ich möchte wetten, daß ich jeder von Ihnen achtunddreißig bis vierzig gegeben habe.«

»Vierzig; keine mehr oder weniger. Das ist erstaunlich. An diese Maskerade werden wir denken.«

»Ich wette,« sagte der Marchese, »kein Mensch wird sie uns nachmachen.«

»Nein,« sagte die Base; »aber wir selber würden nicht ein zweites Mal so zu erscheinen wagen.«

Wir legten unsere Masken wieder an, und ich ging zuerst hinaus. Nachdem ich mir tausend Ungezogenheiten gegen die Harlekins und besonders gegen die Harlekinen erlaubt hatte, erkannte ich Teresa im Domino und lud sie ganz linkisch zum Kontertanz ein.

»Sie sind der Pierrot, der die Bank gesprengt hat?«

Ich bejahte durch ein Kopfnicken. Dann tanzte ich wie ein Besessener, ohne jemals aus dem Takt zu kommen und ohne die Figuren des Tanzes zu stören; es sah aus, wie wenn ich jeden Augenblick hinfallen würde, und doch fiel ich nie.

Nach dem Kontertanz bot ich ihr meinen Arm und führte sie in ihre Loge, worin Greppi ganz allein saß. Sie bat mich, einzutreten, und die Überraschung des Pärchens war nicht gering, als ich die Maske abnahm. Sie glaubten, ich sei einer von den Bettlern. Ich gab Herrn Greppi Cananos Anweisung, und nachdem er mir Quittung darüber gegeben hatte, ging ich unmaskiert wieder in den Saal, zur großen Überraschung der Neugierigen, die mich ganz sicher in dem Marchese erkannt zu haben glaubten. Gegen Morgen entfernte ich mich in einer Sänfte, die ich zweihundert Schritte weiter vor der Tür eines Logierhauses halten ließ. Ein kleines Stückchen weiter nahm ich einen zweiten Tragstuhl, der mich zu meinem Pastetenbäcker brachte. Ich fand Zenobia im Bett. Sie sagte mir, sie sei überzeugt gewesen, daß ich allein vor den anderen heimkommen werde. Ich kleidete mich aus und lag gar bald an der Seite dieser Venus. Man konnte nichts Vollkommeneres sehen als dieses Weib. Hätte Praxiteles sie als Modell gehabt, so hätte er nicht mehrerer griechischer Schönheiten bedurft, um den Körper seiner Venus zu bilden. Wie schade, daß so reine Formen einem Pavian gehörten! Ich zog sie nackt aus, und nachdem ich sie lange betrachtet hatte, erwies ich ihr die unzweifelhaftesten Huldigungen meiner Bewunderung; ich beglückte sie, und sie zeigte sich nicht undankbar. Es war das erstemal, daß ich sie wirklich ganz und gar in meinem Besitz hatte. Als wir den Trab von vier Pferden hörten, standen wir schnell auf und waren im Handumdrehen angezogen.

Meine liebenswürdigen Bettlerinnen traten ein, und ich sagte ihnen, ich könne beim Umkleiden zugegen sein, da sie ja nicht das Hemd zu wechseln brauchten. Und sie waren denn auch nicht zimperlich.

Bei dieser köstlichen Beschäftigung beschränkte ich jedoch meine Blicke auf Fräulein von Q. Ich bewunderte alle ihre Schönheiten und sah mit Vergnügen, daß sie sich nicht geizig zeigte. Zenobia band ihre Haare auf und wandte sich dann zu den beiden anderen, um diesen zu helfen. Ich erbot mich, sie zu ersetzen, und sie erlaubte mir, ihr beim Anziehen des Kleides zu helfen. Sie verhinderte nicht, daß meine Augen durch einen großen Riß drangen, der mir erlaubte, die eine der beiden Halbkugeln, die ihren herrlichen Busen zierten, beinahe ganz zu sehen.

»Was wollen Sie mit diesem Hemde machen, mein Fräulein?«

»Sie werden über die Kinderei lachen! Wir haben beschlossen, zur Erinnerung an den schönen Abend, den wir Ihnen verdanken, alle diese Sachen wie eine Reliquie aufzubewahren. Überlassen Sie bitte meinem Bruder die Mühe, die Sachen zu uns schaffen zu lassen. Wir wollen jetzt zu Bett gehen, werden Sie uns heute Abend besuchen?«

»Wenn ich vernünftig wäre, müßte ich Ihre Gegenwart vermeiden.«

»Wenn ich selber vernünftig wäre, dürfte ich Sie nicht einladen, zu uns zu kommen.«

»Was für eine Antwort! Natürlich werden Sie mich sehen; aber darf ich, bevor wir uns trennen, einen Kuß von Ihnen erbitten?«

»Zwei.«

Ihr Bruder und der Marchese entfernten sich. Zwei Tragstühle, die ich vor die Tür bestellt hatte, brachten die beiden Basen nach Hause. Zwei andere, die ein bißchen später kamen, dienten dem Leutnant und seiner Freundin.

Der Marchese, der bei mir geblieben war, sagte mir mit der größten Höflichkeit, er wünsche mir die Hälfte meiner Auslagen zu erstatten.

»Ich habe mir wohl gedacht, daß Sie mich demütigen würden.«

»Das ist nicht meine Absicht; ich bestehe daher nicht auf meinem Wunsche, aber Sie begreifen wohl, daß ich dann der Gedemütigte bin.«

»Nein; denn ich rechne auf Ihren Geist. Wie Sie sehen, kostet das Geld mir nichts, übrigens gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Sie auf allen Vergnügungspartien, bei denen wir uns während des Karnevals noch treffen könnten, für mich werde bezahlen lassen. Wir können hier soupieren, so oft es Ihnen beliebt; ich bin hier zu Hause. Sie geben die Gesellschaft, und ich werde Sie die Rechnung bezahlen lassen.«

»Ausgezeichnet! Diese Anordnung gefällt mir. Lassen Sie uns gute Freunde sein. Ich lasse Sie mit dieser reizenden Kammerzofe allein, und ich begreife nicht, daß eine solche Schönheit ungekannt von aller Welt, ausgenommen von Ihnen, in Mailand hat leben können.«

»Sie ist eine Bürgersfiau, die ein Geheimnis zu bewahren weiß. Habe ich recht, Signora?«

»Ich würde lieber sterben, als irgend einem Menschen sagen, daß der Herr der Marchese F. ist.«

»Vortrefflich, meine reizende und schöne Signora; halten Sie stets Ihr Wort und nehmen Sie, bitte, dieses kleine Andenken an.«

Es war ein schöner Ring. Zenobia nahm ihn mit reizendem Anstand an; er mochte etwa fünfzig Zechinen wert sein.

Als der Marchese fort war, kleidete Zenobia mich für die Nacht an. Ich legte mich zu Bett, nachdem ich ihr vierundzwanzig Zechinen gegeben und sie umarmt hatte; dann sagte ich ihr, sie könne nach Hause gehen, um ihren Mann zu trösten.

»Er ist nicht unruhig,« sagte sie; »denn er ist Philosoph.«

»Das muß er allerdings sein, da er eine so schöne Frau hat. Gib mir noch einen Kuß, Zenobia, und dann wollen wir scheiden.«

Sie warf sich auf mich, bedeckte mich mit Küssen und nannte mich ihr Glück und ihre Vorsehung. Ihre heißen Küsse brachten die natürliche Wirkung hervor, und nachdem ich ihr einen neuen Beweis von der Macht ihrer Reize gegeben hatte, ging sie fort, und ich schlief ein.

Es war zwei Uhr, als ich mit einem Wolfshunger erwachte. Ich aß ausgezeichnet zu Mittag und kleidete mich dann an, um die schöne Marchesina Q. zu besuchen, die ich, nach dem, was sie mir gesagt hatte, kaum spröde finden konnte. Alle Anwesenden außer ihr saßen am Spieltisch. Sie stand an einer Fensterbrüstung und schien so aufmerksam zu lesen, daß sie mich nicht bemerkte; sobald sie mich aber gesehen hatte, wurde sie rot, klappte ihr Buch zu und steckte es in die Tasche.

»O, ich bin nicht schwatzhaft, mein gnädiges Fräulein; ich werde keinem Menschen sagen, daß ich Sie dabei überrascht habe, wie Sie in einem Gebetbuch lasen.«

»Das freut mich; denn es wäre um meinen guten Ruf geschehen, wenn man wüßte, daß ich fromm bin.«

»Hat man von der Maskerade gesprochen? Weiß man, wer die Masken waren?«

»Man spricht von nichts anderem und bedauert uns, daß wir nicht auf dem Ball gewesen seien; aber man hat die Hoffnung aufgegeben, zu erfahren, wer die Masken waren; denn man sagt, eine unbekannte Kutsche mit vier Pferden habe sie blitzgeschwind nach der zehnten Poststation gebracht, von wo sie Gott weiß welchen Weg eingeschlagen haben. Man sagt auch, meine Haare seien falsch gewesen; ich habe wirklich Lust bekommen, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Ferner sagt man, Sie müßten die Masken kennen, denn sonst hätten Sie ihnen nicht ganze Hände voll Dukaten gegeben.«

»Man muß die Leute reden und glauben lassen, was sie wollen; die Hauptsache ist, daß man sich selber nicht verrät.«

»Da haben Sie recht; aber soviel ist wahr: wir haben ein sehr großes Vergnügen gehabt. Wenn Sie alle Aufträge, die man Ihnen gibt, ebenso erledigen, sind Sie einzig in Ihrer Art.«

»Aber ich hätte einen solchen Auftrag nur von Ihnen selber in Empfang nehmen können.«

»Heute von mir, morgen von einer anderen.«

»Ich sehe. Sie halten mich für unbeständig, aber ich schwöre Ihnen, wenn Sie mich Ihres Herzens würdig fänden, würde Ihr Bild unauslöschlich in meinem Herzen bleiben.«

»Ich bin überzeugt, das haben Sie tausend Mädchen gesagt; ich bin ferner überzeugt, Sie haben sie verachtet, nachdem Sie sie Ihres Herzens würdig gefunden haben.«

»Ich bitte Sie, brauchen Sie doch nicht das Wort ›verachtet‹; denn dann müßte ich ja glauben, Sie halten mich für ein Ungeheuer. Die Schönheit verführt mich, ich strebe sie zu besitzen, und ich verachte sie, wenn es nicht Liebe ist, die mir ihren Genuß verschafft. Aber wie wäre es mir möglich, ihr keinen ehrfurchtsvollen Kultus zu weihen, wenn sie sich mir aus Liebe hingibt? Da müßte ich mich ja vor allen Dingen selber verachten. Sie sind schön und ich bete Sie an; aber Sie würden sich sehr täuschen, wenn Sie glauben könnten, ich wäre damit zufrieden, daß Sie sich mir aus Gefälligkeit hingäben.«

»Ich sehe, Sie verlangen mein Herz.«

»Ganz recht; nach Ihrem Herzen strebe ich.«

»Um mich in vierzehn Tagen unglücklich zu machen.«

»Um Sie bis in den Tod zu lieben und alle Ihre Wünsche zu erfüllen.«

»Alle meine Wünsche?«

»Ja, sie wären für mich unverletzliche Gesetze.«

»Sie würden sich in Mailand niederlassen?«

»Ganz gewiß, wenn Sie mich unter dieser Bedingung glücklich machten.«

»Spaßhaft ist es bei alledem, daß Sie mich betrügen, ohne es selber zu wissen, wenn es wahr ist, daß Sie mich lieben.«

»Jemanden betrügen, ohne es selber zu wissen, – das ist für mich etwas Neues. Wenn ich es nicht weiß, so bin ich unschuldig.«

»Unschuldig – meinetwegen. Aber Sie täuschen nicht minder auch mich. Denn es wird nicht in Ihrer Macht stehen, mich noch zu lieben, wenn die Liebe zu mir in Ihnen erloschen ist.«

»Das wäre allerdings möglich; aber ich weise einen so abscheulichen Gedanken weit von mir! Lieber will ich glauben, daß ich in alle Ewigkeit in Sie verliebt sein werde. So viel ist sicher: seitdem ich in Mailand bin, habe ich dort nicht ein einziges Frauengesicht gefunden, das mir gefallen hätte.«

»Auch nicht das reizende junge Weib, das uns bedient hat, das Sie vielleicht bis vor wenigen Augenblicken in Ihren Armen gehalten haben?«

»Was sagen Sie da, göttliche Marchesa! Sie ist die Frau des Schneiders, der unsere Kleider gemacht hat. Sie ist gleich nach Ihnen fortgegangen, und ihr Mann würde sie nicht bei mir gelassen haben, wenn er nicht gewußt hätte, daß ich sie brauchte, um die drei Damen zu bedienen, für die er die Kleider gemacht hatte.«

»Sie ist bildhübsch. Ist es möglich, daß Sie sie nicht lieben?«

»Wie kann man eine Frau lieben, wenn man weiß, daß ein Pavian sich mit ihr vergnügt, so oft er Lust hat? Das einzige Vergnügen, das die Frau mir heute früh gemacht hat, bestand darin, daß sie mit mir über Sie sprach.«

»über mich?«

»Ja. Werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich in meiner Neugierde sie gefragt habe, welche der drei jungen Damen, die sie doch ohne Hemd gesehen haben müßte, die schönste wäre?«

»Solche Frage kann nur ein Wüstling stellen. Nun? Was hat sie Ihnen geantwortet?«

»Die Dame, die die schönen Haare hat, sei überhaupt in jeder Beziehung schön.«

»Das glaube ich nicht; denn ich habe gelernt, anständig das Hemd zu wechseln, und sie kann wohl kaum mehr gesehen haben, als was ich auch einen Mann ohne Gefahr hätte sehen lassen können. Sie hat Ihrer indiskreten Neugier schmeicheln wollen. Wenn ich eine Kammerzofe hätte wie diese, würde ich sie sofort entlassen.«

»Sie sind ärgerlich.«

»Nein.«

»Wenn Sie auch nein sagen – ich habe bei dieser flüchtigen Aufwallung Ihre Seele erkannt. Ich bin in Verzweiflung, Ihnen diese Worte gesagt zu haben.«

»Ei was; das ist nichts. Ich weiß, die Männer fragen Kammerzofen immer nach solchen Sachen, und diese antworten ihnen stets wie Ihre Schöne, die vielleicht nur gerne Ihre Neugier auf sie selber lenken möchte.«

»Aber wie sollte sie wohl hoffen, das ihr dies gelingen könnte, indem sie Ihre Schönheiten auf Kosten der beiden anderen pries? Sie konnte ja doch nicht wissen, daß ich Sie vorziehe.«

»Wenn sie das nicht weiß, so habe ich unrecht; aber trotzdem hat sie gelogen.«

»Sie kann vielleicht etwas erfunden haben, aber ich glaube nicht, daß sie gelogen hat. Sie lachen! Das entzückt mich.«

»Ich lache, weil es mir Vergnügen macht, Sie glauben zu lassen, was Sie wollen.«

»Sie erlauben mir also, zu glauben, daß Sie mich nicht hassen?«

»Sie hassen? Was für ein häßliches Wort! Wenn ich Sie haßte, würde ich Sie dann noch sehen? Aber sprechen wir jetzt von etwas anderem. Ich möchte Sie bitten, mir ein Vergnügen zu erweisen. Hier sind zwei Zechinen. Setzen Sie sie in der Lotterie auf eine Ambe; geben Sie mir den Zettel, wenn Sie Ihren nächsten Besuch machen, oder schicken Sie ihn mir zu. Aber lassen Sie nur ja keinen Menschen etwas davon erfahren.«

»Sie sollen ihn morgen ganz bestimmt erhalten; aber warum befehlen Sie mir, Ihnen den Zettel zu schicken?«

»Weil Sie vielleicht nicht kämen, wenn Sie sich mit mir langweilen.«

»Sagen Sie offen, mein Fräulein, macht es den Eindruck, wie wenn ich mich in Ihrer Gesellschaft langweile? Da bin ich recht unglücklich! Wie heißen Ihre Nummern?«

»Die drei und die vierzig, sie selber haben Sie mir gegeben.«

»Ich? Wieso denn?«

»Drei Prisen Zechinen und jedesmal vierzig. Ich bin abergläubisch; Sie werden mich deshalb aufziehen, aber es kommt mir wirklich so vor, als ob Sie nur nach Mailand gekommen seien, um mich glücklich zu machen.«

»Sie schenken mir das Leben wieder! Ihre Worte erfüllen mich mit inniger Freude. Sie sagen, Sie seien abergläubisch; aber wenn Sie diese Ambe nicht gewinnen, so ziehen Sie daraus nur ja nicht die Folgerung, daß ich Sie nicht liebe: das wäre ein haarsträubender Sophismus.«

»Mein Aberglaube geht nicht so weit; so unvernünftig denke ich nicht.«

»Glauben Sie, daß ich Sie liebe?«

»Ja.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen das hundertmal zu sagen?«

»Ja.«

»Und es Ihnen auf alle Arten zu beweisen?«

»Die Arten will ich vorher kennen; denn es wäre möglich, daß diejenigen, die Sie für die wirksamsten halten, mir sehr überflüssig erscheinen.«

»Ich sehe voraus, Sie werden mich lange schmachten lassen.«

»So lange, wie ich kann.«

»Und wenn Sie nicht mehr können?«

»So werde ich mich ergeben. Sind Sie damit zufrieden?«

»Ja, gewiß; aber ich werde alle meine Kraft aufbieten, um Ihren Widerstand zu vermindern.«

»Tun Sie das nur. Ihre Bemühungen werden mir angenehm sein.«

»Werden Sie mir helfen, zum Ziele zu gelangen?«

»Vielleicht.«

»Ach, reizende Marchesina, Sie brauchen nur zu sprechen, um einen Menschen glücklich zu machen. Ich bin wirklich glücklich, und ich verlasse Sie, in heißer Liebe entbrannt.«

Nach dieser reizenden Plauderei ging ich ins Theater und besuchte hierauf den Spieltisch, wo ich die Maske sah, die am Abend vorher dreihundert Zechinen gewonnen hatte.

Er spielte sehr unglücklich, denn er hatte in Marken bereits mehr als zweitausend Zechinen verloren. In weniger als einer Stunde verlor er noch das doppelte dazu; dann sagte Canano: »Jetzt ist es genug!« und legte die Karten hin. Er stand auf, und die Maske entfernte sich. Es war ein Genueser, namens Spinola.

»Sie haben eine glückliche Bank gehabt,« sagte ich zu Canano.

»Ja; aber mit Ihnen habe ich schlechte Geschäfte gemacht. Pierrot ist glücklich gewesen.«

»Na, wenn ich gewettet hätte, würden Sie verloren haben, denn Sie haben mich in dem Pierrotkostüm nicht erkannt.«

»Allerdings nicht; ich war auf den einen Bettler versessen, den ich für Sie hielt. Sie wissen doch, wer er ist?«

»Nicht im geringsten. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen.«

Dies war keine Lüge von mir.

»Man sagt, es seien lauter Venetianer, und sie seien von hier nach Bergamo gefahren.«

»Das kann wohl sein; aber ich weiß nichts davon. Ich hatte den Ball bereits verlassen, als sie gingen.«

Am Abend speiste ich mit der Gräfin A. B., ihrem Gatten und Triulzi. Sie waren derselben Meinung wie Canano. Triulzi sagte zu mir, ich hätte mich verraten, indem ich den Bettlerinnen ganze Hände voll Zechinen gegeben hätte.

»Da irrt man sich,« antwortete ich; »man kennt mich nicht. – Ich bin abergläubisch beim Spiel und würde glauben, daß ich verlieren müßte, wenn ich nicht denen, die mich darum bitten, ein paar Dukaten gebe; vorausgesetzt natürlich, daß ich im Gewinn bin. Ich habe dreißig Pfund Gold gewonnen und lasse die Narren schwätzen.«

Am nächsten Tage kaufte ich einen Lotteriezettel und brachte ihn meiner schönen Marchesa. Ich war vollständig in sie verliebt, weil alles mir sagte, daß sie mich liebte. Auch ihre Base spielte an diesem Tage nicht, und ich verbrachte drei Stunden mit ihnen, von nichts als Liebe sprechend. Ich fand in ihren Bemerkungen einen unbeschreiblichen Zauber, denn sie hatten unendlich viel Geist. Als ich sie verließ, fühlte ich, daß ich, wenn der Zufall mich mit der Base statt mit Fräulein von Q. zusammengebracht hätte, mich in die erstere ebenso verliebt haben würde. Der Karneval dauert in Mailand vier Tage länger als an allen anderen Orten, wodurch die Fastenzeit um eine halbe Woche abgekürzt wird. Er näherte sich seinem Ende. Es sollten noch drei Bälle stattfinden. Ich spielte und verlor jeden Tag zwei- oder dreihundert Zechinen. Alle Welt wunderte sich noch mehr über meine Bedachtsamkeit als über mein Unglück. Jeden Tag ging ich zu den schönen Basen und redete mit ihnen von meiner Liebe; aber ich kam nicht weiter: es gab nur Hoffnungen, aber nichts Gewisses. Die schöne Marchesina bewilligte mir ein paar Küsse; diese sind eine Kost für Rekonvaleszenten: es ist weder Saft noch Kraft darin. Ich brauchte Besseres. Allerdings hatte ich mich noch nicht erkühnt, sie um ein Stelldichein zu bitten. Ich mußte dies aber doch schließlich tun; denn wenn ich bei meiner respektvollen Zurückhaltung verblieb, lief ich Gefahr, an Entkräftung zu sterben. Daher fragte ich sie drei Tage vor dem Ball, ob ich hoffen könnte, sie mit ihren beiden Freundinnen, ihrem Bruder und dem Marchese zum Abendessen einladen zu dürfen.

»Mein Bruder«, antwortete sie mir, »wird Sie morgen aufsuchen, um mit Ihnen das Nötige zu verabreden.«

Dies war ein gutes Zeichen. Der Leutnant kam wirklich. Ich hatte gerade die herausgekommene Lotterienummer erhalten, und man denke sich meine Freude, als ich die drei und die vierzig sah. Ich war himmelhoch erfreut über diesen Erfolg! Dem jungen Marchese sagte ich nichts, weil seine Schwester mir dies verboten hatte; aber ich sah voraus, daß diese Fügung des Zufalls meiner Liebe günstig sein würde.

»Marchese F.«, sagte der liebenswürdige Botschafter zu mir, »ladet Sie nebst der ganzen Bettlergesellschaft für den Ballabend zum Abendessen in Ihrer Wohnung ein; da er uns jedoch eine Überraschung bereiten will, so bedarf er Ihrer Wohnung, um die Maskenkleider anfertigen zu lassen. Da er sicher sein möchte, daß die Sache geheim bleibt, bittet er Sie auch, dieselbe Kammerfrau zu bestellen, die Sie neulich hatten.«

»Gern, sehr gern, mein junger Freund! Sagen Sie dem liebenswürdigen Marchese, ihm stehe alles zu Diensten.«

»Sorgen Sie dafür, daß das Mädchen heute um drei Uhr dort ist, und sagen Sie dem Pastetenbäcker Bescheid, daß Sie dem Marchese freie Verfügung gegeben haben.«

»Alles soll nach den Wünschen Ihres Freundes geschehen.«

Es war mir nicht schwer, zu erraten, daß der Marchese Lust hatte, Zenobia zu besitzen; aber ich fand dies so natürlich, daß ich mich durchaus nicht darüber ärgerte, sondern im Gegenteil geneigt war, seine zärtlichen Gefühle zu begünstigen. »Leben und leben lassen« war stets mein Wahlspruch und wird bis zu meinem Tode mein Wahlspruch sein, obgleich augenblicklich unglücklicherweise der Genuß für mich nur noch in meinen Erinnerungen besteht.

Sobald ich mich angezogen hatte, ging ich aus; ich sagte dem Pastetenbäcker Bescheid und ging dann zu dem Schneider, der sich sehr freute, daß ich seiner Frau Arbeit verschaffte. Er wußte aus Erfahrung, daß seiner Kasse ihre Abwesenheiten gut zustatten kamen.

»Ihrer selbst bedarf ich nicht,« sagte ich zu ihm, »weil es sich nur um Frauenkleider handelt; ich habe nur meine Gevatterin nötig.«

»Punkt drei werde ich ihr für drei Tage Urlaub geben.«

Nachdem ich zu Mittag gegessen hatte, machte ich mich auf den gewohnten Weg; ich fand meine liebenswürdige Marchesina Q. überglücklich. Ihre Ambe hatte ihr fünfhundert Zechinen eingebracht.

»Dies macht Sie glücklich?« fragte ich sie.

»Es macht mir Vergnügen; aber obwohl ich nicht reich bin, so freue ich mich doch nicht über den Gewinn, sondern über den herrlichen Einfall, den ich mir zu eigen machte; das Vergnügen, das ich empfinde, beruht in dem Gedanken, daß ich dieses Glück Ihnen verdanke. Diese Fügung des Zufalls spricht gebieterisch zu Ihren Gunsten.«

»Was sagt sie Ihnen?«

»Sie sagt mir: Sie verdienen, daß ich Sie liebe.«

»Sagt sie Ihnen auch, daß Sie mich wirklich lieben?«

»Nein; dies sagt mir mein Herz.«

»Sie machen mich überglücklich; aber sagt Ihr Herz Ihnen auch, daß Sie es mir beweisen müssen?«

»Lieber Freund! Können Sie daran zweifeln?«

Mit diesen Worten streckte sie mir ihre Hand hin. Es war das erste Mal. Ich preßte meine Lippen darauf.

»Anfangs«, sagte sie, »dachte ich daran, die ganzen vierzig Zechinen auf die Ambe zu setzen.«

»Hatten Sie nicht den Mut dazu?«

»Das war es nicht; ich schämte mich. Ich fürchtete, Sie möchten etwas denken, was Sie mir gewiß nicht gesagt haben würden. Ich fürchtete nämlich, wenn ich Ihnen die vierzig Zechinen gäbe, um sie für mich in die Lotterie zu stecken, könnten Sie sich vielleicht einbilden, ich wollte Ihnen dadurch andeuten, daß ich dies Geschenk verachtete. Dies hätte Ihnen eine schlechte Meinung von mir gegeben; aber wenn Sie mir zugeredet hätten, wäre ich sofort bereit gewesen.«

»Ich bin in Verzweiflung, nicht daran gedacht zu haben. Sie würden jetzt zehntausend Zechinen besitzen, und dies würde mich glücklich machen.«

»Sprechen wir nicht mehr davon.«

»Wie Ihr Bruder mir gesagt hat, werden wir unter der Leitung des Marchese den Maskenball besuchen. Sie können sich wohl denken, wie sehr mich die Aussicht freut, daß ich eine ganze Nacht mit Ihnen verbringen werde. Nur eins beunruhigt mich.«

»Was denn?«

»Ich fürchte, es wird nicht so gut gehen, wie das erste Mal.«

»Seien Sie unbesorgt: der Marchese ist ein sehr kluger Mann. Er liebt meine Schwester ebenso wie seine eigene Ehre. Ganz gewiß wird man uns nicht erkennen.«

»Er kann nichts Besseres tun, als es ebenso zu machen wie Sie.«

Am Abend des Balles ging ich schon sehr früh zu meinem Pastetenbäcker, wo ich den Marchese fand. Er war sehr befriedigt, daß alles nach seinem Wunsche ging. Das Zimmer mit den Maskenanzügen war verschlossen. Ich fragte ihn mit zweideutiger Betonung, ob er mit Zenobia zufrieden gewesen sei.

»Ich kann nur mit ihrer Arbeit zufrieden sein,« antwortete er mir, »denn ich habe weiter nichts von ihr verlangt.«

»Ich will dies gerne glauben; aber ich befürchte, Ihre schöne Freundin wird in dieser Hinsicht nicht eben so leichtgläubig sein.«

»Sie weiß, daß ich nur sie lieben kann.«

»Sprechen wir nicht mehr davon.«

Nachdem die Gäste gekommen waren, sagte der Marchese zu uns, die Verkleidung werde uns in Heiterkeit versetzen und es sei daher zu empfehlen, wenn wir uns vor dem Abendessen umzögen.

Wir folgten ihm in die Kammer, wo wir zwei große Pakete sahen.

»Meine Damen,« sagte er zu den drei Schönen, »dieses Paket ist für Sie. Die Signora wird Sie ankleiden; wir werden dasselbe in einem anderen Zimmer tun.«

Er nahm das größere Paket. Als wir in unserem Zimmer eingeschlossen waren, öffnete er es und gab mir sowie dem Leutnant die für uns bestimmten Sachen, indem er ausrief: »Vorwärts, meine Freunde, beeilen wir uns!«

Wir lachten laut auf, als wir Frauenkleider sahen. Nichts fehlte: Hemden, mit Flitter bestickte Schuhe mit Absätzen, die uns zwei Zoll größer machten, prachtvolle Strumpfbänder und kostbare Nachthäubchen, um uns die Mühe des Frisierens zu ersparen; die herrlichen Spitzen, mit denen sie benäht waren, fielen uns über die Augen. Ich war überrascht, daß die Schuhe, die er für mich bestimmt hatte, mir wie angegossen paßten; wie ich jedoch später erfuhr, hatte ich denselben Schuster wie er. Mieder, Unterröcke, Kleid, Busentuch, Fächer, Arbeitstasche, Schminkdöschen, Masken, Handschuhe – alles war von tadelloser Beschaffenheit. Wir halfen uns gegenseitig die Hauben aufsetzen; als wir jedoch angezogen waren, sahen wir aus wie Vogelscheuchen, mit Ausnahme des jungen Offiziers, den man wohl für eine sehr hübsche Frau hätte halten können; denn ein falscher Busen und ein cul de Paris ersetzten die Schönheiten, die er als Mann nicht haben konnte.

Ohne uns verabredet zu haben, zogen wir alle drei keine Hosen an.

»Ihre schönen Strumpfbänder«, sagte ich zum Marchese, »zeigen mir, daß Sie die Hosen für überflüssig halten.«

»Der Gedanke ist sehr gut,« sagte er; »leider aber wird es niemandem einfallen, sich von der Sache zu überzeugen, denn zwei Fräuleins von fünf Fuß zehn Zoll werden keine sehr lebhaften Begierden einflößen.«

Ich hatte mir gedacht, daß unsere reizenden Freundinnen als Männer erscheinen würden, und ich hatte mich nicht getäuscht. Da sie vor uns fertig geworden waren, so sahen wir sie beim Eintreten vor dem Kaminfeuer stehen.

Sie sahen wie drei junge Pagen aus, aber ohne deren Unverschämtheit; denn sie fühlten sich in ihrer Kleidung offenbar ein wenig verlegen, obgleich sie so taten, wie wenn sie sich sehr wohl darin befänden.

Wir stellten uns ihnen vor, indem wir die Bescheidenheit des schönen Geschlechts mit einer schamhaften Zurückhaltung nachäfften, die zu unseren Rollen paßte. Sie hielten sich infolgedessen für verpflichtet, das Benehmen von Männern nachzuahmen; ihr Anzug war aber nicht von der Art, wie er für junge Leute paßt, bei denen man ein ehrfurchtsvolles Benehmen gegen Damen voraussetzt. Sie waren als Läufer gekleidet, trugen enge Hosen, kurze, festanliegende Westen, offene Jäckchen, Strumpfbänder mit silbernen Franzen, Tressengürtel und hübsche, silberbestickte Mützen mit vergoldetem Wappen. Ihre Batisthemden waren mit sehr großen Brustkrausen von Alençonspitzen geschmückt. In dieser Kleidung, worin sie notwendigerweise ihre schönen Formen durch einen fast durchsichtigen Schleier zeigten, hätten sie die Sinne eines an allen Gliedern Gelähmten aufregen können; wir aber waren nichts weniger als das. Indessen liebten wir sie zu sehr, um sie scheu zu machen.

Nach den ersten gezierten Redensarten, wie sie bei solchen Gelegenheiten üblich sind, begannen wir auf unsere gewöhnliche Art zu plaudern, bis man das Abendessen auftragen würde. Sie sagten uns: da sie zum erstenmal in ihrem Leben Männerkleidung trügen, so wären sie nicht ohne Furcht wegen der Gefahren, denen sie sich aussetzten, wenn sie auf den Ball zu gehen wagten. »Wenn uns unglücklicherweise jemand erkennen sollte, so wären wir verloren«, rief die Base. Sie hatten recht, unsere Aufgabe erforderte jedoch, sie zu beruhigen, obwohl wir, besonders ich, gerne in unserem kleinen Kreise geblieben wären.

Wir gingen zu Tisch, jeder saß neben seinem Liebchen, und gegen meine Erwartung war die Geliebte des Leutnants die erste, die einen fröhlichen Ton anschlug. Sie glaubte ihre Männerrolle nur richtig spielen zu können, wenn sie sich kühn zeigte; infolgedessen ging sie dem weiblichen Leutnant zu Leibe, der sich wie ein sprödes Mädchen verteidigte. Die beiden Basen schämten sich, weniger tapfer zu sein als ihre Freundin, und erwiesen uns einige Liebkosungen, die schon ziemlich ausgelassen waren. Zenobia, die uns bei Tisch bediente, konnte sich des Lachens nicht enthalten, als meine angebetete Q. ihr vorwarf, sie hätte mein Kleid zu eng über die Brust gemacht. Als sie ihre hübsche Hand ausstreckte, wie wenn sie mir Gewalt antun wollte, gab ich ihr eine leichte Ohrfeige; sie dagegen ergriff mit der Höflichkeit eines reuigen Kavaliers meine Hand und küßte sie, indem sie mich um Verzeihung bat. Ich konnte es kaum noch aushalten!

Als der Marchese sagte, ihn fröre, fragte die Base ihn, ob er seine Hose anhabe. Sie streckte ihre Hand aus, um sich zu vergewissern, zog sie aber sofort errötend zurück. Wir brachen hierauf in ein lautes Gelächter aus, in das sie klugerweise mit einstimmte, indem sie ihre Rolle eines unverzagten Liebhabers mit entzückendem Geist weiterspielte.

Das Abendessen hatte nichts zu wünschen übrig gelassen; es war lecker, abwechslungsvoll und reichlich. Von Liebe und Wein erhitzt, standen wir auf, nachdem wir mehr als zwei Stunden bei Tisch verbracht hatten. Als wir aufstanden, malte sich Traurigkeit auf den Zügen der beiden schönen Basen. Sie wußten nicht, wie sie auf den Ball gehen könnten, wo ihre Kleidung ihnen alle ausgelassenen Masken auf den Hals hetzen müßte. Der Marchese begriff dies ebensogut wie wir und fand ihr Widerstreben sehr natürlich.

»Wir müssen aber doch zu einer Entscheidung kommen,« rief der Leutnant; »entweder fahren wir auf den Ball oder nach Hause.«

»Keins von beiden!« sagte der Marchese; »tanzen wir hier!«

»Wo sind die Geiger?« sagte seine Geliebte. »Heute Nacht sind um alles Gold der Welt keine aufzutreiben.«

»Ei, so behelfen wir uns ohne sie!« rief ich. »Wir machen Punsch, spielen allerlei kleine Spiele, plaudern und sind glücklich; werden wir müde, so schlafen wir. Wir haben drei Betten.«

»Zwei genügen«, sagte die Base.

»Allerdings; aber zuviel des Guten schadet nie.«

Zenobia war zur Frau des Pastetenbackers gegangen, um zu Abend zu essen; sie sollte erst wieder heraufkommen, wenn wir sie riefen.

Nachdem wir zwei Stunden lang allerlei Scherzchen getrieben hatten, die für die Liebe nicht verloren waren, ging die Geliebte des Leutnants, die ein bißchen beschwipst war, in ein anderes Zimmer und warf sich auf das Bett. Ihr Geliebter folgte ihr bald.

Fräulein von Q. befand sich in derselben Lage; sie sagte mir, sie wünsche sich einen Augenblick auszuruhen. Ich führte sie in ein Zimmer, worin sie sich einschließen konnte, und schlug ihr vor, dies zu tun.

»Ich glaube nicht, daß ich mich vor jemandem in acht zu nehmen brauche«, antwortete sie mir.

»Dann lassen wir also den Marchese mit Ihrer liebenswürdigen Base allein; sie können sich ebenfalls ausruhen, und ich werde bei Ihnen Wache halten.«

»Nein, lieber Freund, Sie müssen ebenfalls schlafen.«

Mit diesen Worten ging sie in das Ankleidezimmer, indem sie mich bat, ihr ihren Unterrock zu holen. Als sie wieder eintrat, rief sie: »Ah, ich atme wieder auf. Diese verdammte Hose ist zu eng: sie rieb mich wund.«

Nur mit ihrem Unterrock bekleidet, legte sie sich auf das Bett.

»Wo tat Ihnen denn die abscheuliche Hose weh, liebes Herz?«

»Das mag ich Ihnen nicht sagen, aber mir scheint, dieses Kleidungsstück muß Ihnen doch sehr unbequem sein?«

»Aber, mein Engel, wir sind doch ganz anders gebaut; die Hose kann uns an der Stelle, wo sie Sie gedrückt hat, nicht wund reiben.«

Während ich dies sagte, hielt ich sie an meine Brust gepreßt in den Armen. Ich ließ mich sanft an ihre Seite gleiten. Eine volle Viertelstunde blieben wir so, ohne ein Wort zu sprechen; wir hielten uns umschlungen, und unser Lippen verschmolzen in einem langen Kuß. Um sie ungestört zu lassen, ging ich einen Augenblick in das Ankleidezimmer. Als ich wieder hereinkam, fand ich sie unter der Bettdecke. Sie sagte nur, sie habe sich ausgezogen, um besser schlafen zu können; dann schloß sie die Augen und drehte sich um. Ich begriff, daß die Schäferstunde geschlagen hatte; im Handumdrehen warf ich meine Frauenkleider ab und schlüpfte leise neben sie, denn die ersterbende Scham muß man schonen. Ich umschlang sie mit meinen Armen; bald brachte ein gewisser Druck ihre Sinne in Aufregung, sie wandte sich zu mir und überließ mir den Genuß aller ihrer Reize.

Nach dem ersten Opfer schlug ich eine Abwaschung vor, die notwendig war; denn wenn ich mir auch nicht gerade schmeicheln konnte, das Schloß erbrochen zu haben, so hatte doch das Opfer ehrenvolle Spuren auf dem Altar gelassen. Mein Vorschlag wurde freudig angenommen, und als wir uns gegenseitig diesen Dienst erwiesen hatten, erlaubte sie mir, mich am Anblick aller ihrer Schönheiten zu weiden und diese mit meinen Küssen zu bedecken. Durch meine Liebkosungen ermutigt, nahm sie für sich das Vorrecht der Gleichheit in Anspruch.

»Welch ein Abstand«, rief sie, »zwischen Bild und Wirklichkeit!«

»Aber der Vergleich, mein Engel, fällt wohl zu Gunsten des Bildes aus?«

»Was sagst du da! Kann man der Kunst den Vorzug vor der Natur geben?«

»Die Natur kann doch Unvollkommenheiten haben.«

»Ich weiß nicht, ob an dem, was ich sehe, irgend etwas unvollkommen ist; jedenfalls habe ich niemals etwas Schöneres gesehen.«

Allerdings bot ich ihr in diesem Augenblick das Werkzeug der Liebe in seiner ganzen Schönheit dar und ließ sie seine ganze Macht verspüren. Sie blieb nicht hinter mir zurück, und ich habe selten bei einer Frau mehr Feuer, Schmiegsamkeit und Reziprozität gefunden.

»Wenn wir vernünftig sind,« sagte sie, »so gehen wir auf gar keinen Ball mehr, sondern kehren an diesen Ort zurück, wo so süße Genüsse unser harren.«

Ich küßte liebeglühend den Mund, der mir so bestimmt mein Glück versprach, und überzeugte sie durch meine Entzückungen, daß niemals ein Mann sie glühender lieben könnte als ich. Es kostete mir keine Mühe, sie vom Schlafen abzuhalten; denn ihre schönen Augen machten nicht ein einzigesmal Miene, sich zu schließen. Wir waren beständig in Tätigkeit oder in wonnigen gegenseitigen Betrachtungen, die wir mit verliebten Reden begleiteten. Zuweilen täuschte ich sie, aber nur zu ihrem Vorteil, denn das Temperament eines jungen Weibes ist stets feuriger als das eines jungen Mannes. Wir hörten erst auf, als der Tag zu dämmern begann. Wir brauchten uns nicht voreinander zu verbergen, denn alle hatten in Freuden genossen, und nur eine gegenseitige Bescheidenheit hielt uns ab, uns zu beglückwünschen. Wir sprachen nicht von unserem Glück, aber indem wir schwiegen, leugneten wir es auch nicht.

Als wir angezogen waren, dankte ich dem Marchese und lud ihn, ohne daß von Maskerade die Rede gewesen wäre, für die Nacht des nächsten Balles zum Abendessen ein, wenn es den Damen recht wäre. Der Leutnant sagte in ihrem Namen zu, und seine Geliebte fiel ihm vor Freude um den Hals, dankte ihm und warf ihm zugleich vor, daß er die ganze Nacht geschlafen hatte. Der Marchese sagte, er habe dasselbe getan; ich wiederholte diese Worte wie einen Glaubensartikel, und die Damen umarmten uns, indem sie uns für unser anständiges Verhalten dankten. Wir trennten uns wie das erstemal; nur der Marchese blieb allein bei Zenobia.

Ich begab mich nach Hause und ging sofort zu Bett; da ich erst um drei Uhr aufstand, so fand ich keinen Menschen im Hause. Ich ging also allein zu meinem Pastetenbäcker, um dort zu Mittag zu essen, und fand Zenobia mit ihrem Mann, der sich eingefunden hatte, um sich an den Resten unseres Abendessens gütlich zu tun. Er sagte mir, ich hätte sein Glück gemacht; denn der Marchese hätte seiner Frau vierundzwanzig Zechinen und seine Weiberkleider geschenkt. Ich gab ihr auch die meinigen. Als ich meiner Gevatterin sagte, sie solle mir etwas zu essen besorgen, entfernte sich der Schneider, mit überschwenglichen Versicherungen seiner Dankbarkeit.

Als ich mit der schönen Zenobia allein war, bat ich sie, mir zu sagen, ob sie mit dem Marchese zufrieden gewesen sei.

»Er hat mich reichlich belohnt«, sagte sie, indem sie leicht errötete.

»Mehr will ich nicht wissen, meine liebe Zenobia, denn es ist unmöglich, dich zu sehen, ohne dich zu lieben, und wenn man dich liebt, wünscht man dich zu besitzen.«

»Der Marchese hat nur das nicht bewiesen.«

»Das ist möglich, aber sehr zu verwundern.«

Sobald ich gegessen hatte, eilte ich zu meiner schönen Marchesina, die ich jetzt viel mehr liebte als vor der köstlichen Nacht, die ich mit ihr verbracht hatte; ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen, um zu erfahren, welchen Eindruck sie auf mich machen würde, nachdem sie mich so rückhaltslos beglückt hatte. Ich fand sie noch schöner. Sie empfing mich mit dem Ton und dem Benehmen einer Geliebten, die glücklich ist, ein Recht auf das Herz ihres Geliebten erworben zu haben. Die Schöne sagte mir, sie sei sicher gewesen, daß ich sie besuchen werde; trotz der Anwesenheit ihrer Base empfing und gab sie tausend feurige Küsse, die keinen Zweifel mehr darüber ließen, wie wir uns unter vier Augen beschäftigt hatten. Ich verbrachte mit ihnen fünf Stunden, die mir sehr kurz vorkamen; so sehr verkürzt das Vergnügen die Zeit. Wenn man von Liebe spricht und sich von den eigenen Angelegenheiten unterhält, machen Eigenliebe und Gefühl dieses Thema unerschöpflich. Dieser fünfstündige Besuch am Tage nach der Hochzeit bewies mir, daß ich in meine neue Eroberung heftig verliebt war, und ich mußte zugleich meine schöne Marchesina überzeugen, daß ich ihrer Zärtlichkeit würdig war.

Gräfin A. B. hatte mich brieflich eingeladen, mit ihr, ihrem Gatten und dem Marchese Triulzi zu Abend zu speisen; der Marchese hatte alle Freunde des Hauses eingeladen. Infolgedessen ging ich nicht zu Canano, der seit meinem Siege als Pierrot etwa tausend Zechinen von mir gewonnen hatte. Ich wußte, daß er sich rühmte, mich fest zu haben; ich nahm mir aber im geheimen das Gegenteil vor und womöglich noch etwas Besseres. Beim Abendessen setzte die Spanierin mir heftig zu: ich schlafe außer dem Hause, man sehe mich nur selten. Man gab sich alle Mühe, mir mein Geheimnis zu entreißen; man behauptete, meine Liebesabenteuer zu kennen. Man wußte, daß ich zuweilen bei Teresa mit Greppi speiste; über diesen machte man sich lustig, weil er die geckenhafte Äußerung getan hatte, ich hätte nichts zu bedeuten. Um meine Gedanken besser zu verbergen, sagte ich, er habe vollkommen recht und ich führe das glücklichste Leben.

Am nächsten Morgen besuchte mich Barbaro, der ehrlich war wie alle Falschspieler. Er gab mir meine zweihundert Zechinen mit einer gleichen Summe als Gewinnanteil zurück, und sagte mir, er habe einen kleinen Streit mit dem Leutnant gehabt und werde deshalb nicht mehr spielen. Ich dankte ihm, daß er mich mit der schönen Marchesina bekannt gemacht habe, und sagte ihm, ich sei ganz verliebt in sie und hoffe ihre strenge Tugend noch zu besiegen. Er lächelte, lobte meine Verschwiegenheit und gab mir zu verstehen, daß er sich nicht täuschen lasse. Mir kam es aber nur darauf an, nichts einzugestehen.

Gegen drei Uhr suchte ich das reizende Weib auf; ich verbrachte bei ihr, wie am Tage vorher, fünf höchst angenehme Stunden. Da Barbaro nicht mehr spielte, hatte man der Dienerschaft Befehl gegeben, zu sagen, daß niemand zu Hause sei. Da ich erklärter Liebhaber der schönen Marchesina war, sprach die Base zu mir wie zu einem Freund. Sie bat mich, so lange wie möglich in Mailand zu bleiben; dies würde nicht nur das Glück der Base verlängern, sondern auch ihr eigenes; denn ohne mich würde es ihr unmöglich sein, stundenlang mit ihrem geliebten Marchese zusammen zu sein, der sie niemals ungestört besuchen könnte, so lange sein Vater noch am Leben wäre. Sie glaubte bestimmt, daß sie seine Frau werden würde, sobald der alte Herr im Grabe läge. Ihre Hoffnungen waren eitel; denn der junge Marchese beging bald darauf Torheiten, die ihn zugrunde richteten.

Am nächsten Abend kamen die fünf liebenswürdigen Menschen, statt auf den Ball zu gehen, zum Abendessen zu mir. Nach einem köstlichen Mahle überließen wir uns ohne Umstände den Freuden der Liebe. Es war eine reizende Nacht, doch wurden unsere Freuden durch den traurigen Gedanken gestört, daß mit dem Ende des Karnevals auch die Möglichkeit einer Fortsetzung aufhörte.

Da am Rosenmontag kein Ball stattfand, so spielte ich; da ich nicht ein einzigesmal drei Gewinnkarten traf, so verlor ich alles Gold, das ich bei mir hatte. Ich wäre wie gewöhnlich fortgegangen, wenn nicht eine als Mann verkleidete Frau mir eine Karte gegeben und mich durch Zeichen aufgefordert hätte, auf diese zu setzen. Ich legte sie vor den Bankier und hielt hundert Zechinen auf mein Wort. Ich verlor, und um meine Schuld zurückzugewinnen, verlor ich tausend Zechinen, die ich am nächsten Tage bezahlen ließ.

Als ich hinausgehen wollte, um mich bei meiner schönen Marchesina zu trösten, sah ich die Unglücksmaske in Begleitung eines anderen maskierten Mannes. Dieser trat auf mich zu, gab mir die Hand und bat mich flüsternd, ich möchte ihn um zehn Uhr in den Drei Königen in Nummer soundso aufsuchen, wenn mir die Ehre eines alten Freundes am Herzen läge.

»Wer ist dieser Freund?«

»Ich selber.«

»Wer sind Sie?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Ich bitte Sie, nicht auf mich zu warten; denn wenn Sie mein Freund sind, so kann nichts Sie abhalten, mir Ihren Namen zu nennen.«

Ich ging hinaus, und er folgte mir, indem er mich bat, bis an das Ende der Arkaden zu gehen. Dort nahm er seine Maske ab, und ich sah jenen Croce, dessen meine Leser sich vielleicht noch erinnern.

Ich wußte, daß er aus Mailand verbannt war, und ich begriff seine Gründe, warum er nicht vor anderen Leuten seinen Namen nennen wollte; aber ich wünschte mir Glück, daß ich seine Bitte, ihn in seinem Gasthof aufzusuchen, ihm abgeschlagen hatte.

»Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen«, sagte ich ihm.

»Das glaube ich. Ich bin hierhergekommen, weil ich in dieser Jahreszeit maskiert ausgehen kann. Ich will meine Verwandten zur Herausgabe meines Eigentums nötigen; sie halten mich aber hin, um mir nichts geben zu müssen; denn sie sind überzeugt, daß ich aus Furcht vor dem Erkanntwerden mich entfernen muß, sobald die Fastenzeit angebrochen ist.«

»Aber willst du denn in der Fastenzeit unter allen Umständen abreisen, selbst wenn du das erwartete Geld noch nicht erhalten hast?«

»Ich werde wohl müssen. Da du mich nicht aufsuchen willst, so bitte ich dich, mich zu retten, indem du mir zwanzig Zechinen gibst. Dies wird mich instand setzen, Sonntag früh abzureisen, selbst wenn mein Vetter, der mir zehntausend Lire schuldet, mir den zehnten Teil, um den ich ihn gebeten habe, verweigern sollte. Aber bevor ich abreise, töte ich ihn.«

»Ich habe keinen Soldo, und deine Maske da kostet mir tausend Zechinen; ich weiß noch gar nicht, wovon ich die bezahlen soll.«

»Ich weiß, ich bin ein Unglücklicher, der allen seinen Freunden Unglück bringt. Ich habe ihr gesagt, sie solle dir eine Karte geben, weil ich hoffte, dadurch würde das Glück umschlagen.«

»Ist das Mädchen aus Mailand?«

»Nein, aus Marseille; sie ist die Tochter eines reichen Maklers. Ich habe mich in sie verliebt, habe sie verführt und zu ihrem Unglück auch entführt. Ich hatte damals viel Geld; aber ich Unglücksmensch habe in Genua alles verloren. Ich mußte dort alles verkaufen, was ich hatte, um nach Mailand zu gelangen, wo ich seit acht Tagen bin. Ich bitte dich, gib mir die Mittel, mich durch die Flucht retten zu können.«

Von Mitleid gerührt, kehrte ich um und bat Canano um zwanzig Zechinen, die ich dem Unglücklichen gab, zugleich bat ich ihn, mir zu schreiben.

Dieses Almosen tat mir gut; denn dadurch verschwand meine üble Laune wegen meines Verlustes, und ich konnte bei meiner schönen Marchesa einen köstlichen Abend verbringen.

Am nächsten Tage speisten wir bei mir zu Abend; dann verbrachten wir den Rest der Nacht in den Armen der Liebe. Dies war am Samstag, dem letzten Tage des Mailänder Karneval. Sonntag, den ersten Fastensonntag, verbrachte ich in meinem Bett; denn ich hatte bei der Marchesa meine Kräfte völlig erschöpft und wußte, daß ein langer Schlaf mich wieder herstellen würde.

Am Sonntag Morgen zu sehr früher Stunde überbrachte Clairmont mir einen Brief, den ein Lohndiener abgegeben hatte. Dieser Brief ohne Unterschrift lautete folgendermaßen:

»Mein Herr, haben Sie Mitleid mit dem unglücklichsten Geschöpf unter dem Himmel. Herr de la Croix ist ganz gewiß in Verzweiflung davongegangen. Er hat mich in diesem Gasthof zurückgelassen, wo er nichts bezahlt hat. Mein Gott, was soll aus mir werden! Kommen Sie, mein Herr, ich beschwöre Sie, wäre es auch nur, um mir einen Rat zu geben.«

Ich besann mich einen Augenblick. Es war weder Liebe noch Sinnlichkeit, was mich bewog, dem unglücklichen Mädchen zu Hilfe zu eilen; mich trieb nur ein Gefühl von Menschlichkeit und Tugend. Ich zog meinen Überrock an und eilte in die Drei Könige. In demselben Zimmer, wo ich Irene gesehen hatte, fand ich ein junges, schönes Mädchen mit edelsten und interessantesten Zügen. Ich glaubte auf diesen Schamhaftigkeit, Aufrichtigkeit und leidende Unschuld zu lesen. Als sie mich erblickte, ging sie mir mit bescheidenster Miene entgegen und bat mich um Verzeihung, daß sie es gewagt habe, mich zu belästigen. »Ich bitte Sie, sagen Sie der Frau, die hier im Zimmer steht, auf italienisch, daß sie gehen möge. Seit einer Stunde belästigt sie mich. Ich verstehe ihre Sprache nicht, doch habe ich verstanden, daß sie mir nützlich zu sein wünscht. Ich fühle mich jedoch nicht geneigt, ihre Hilfe anzunehmen.«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß Sie zu diesem Fräulein kommen sollen?« fragte ich das Weib.

»Ein Lohndiener hat mir mitgeteilt, daß eine fremde junge Dame hier ganz allein zurückgeblieben und daß sie sehr zu bedauern sei. Die Menschlichkeit hat mich veranlaßt, sie aufzusuchen, um zu sehen, ob ich ihr irgendwie nützlich sein könnte. Ich freue mich, daß mein guter Wille überflüssig war. Ich kann nun gehen, denn ich lasse sie in guten Händen und wünsche ihr Glück dazu.«

Ich sah, daß das Weib eine Kupplerin war, und antwortete ihr nur durch ein verächtliches Lächeln.

Die arme Verlassene erzählte mir nun in wenigen Worten, was ich bereits wußte; sodann fügte sie noch hinzu: »Croce, der sich de Ste.- Croix nennen ließ, ging mit den zwanzig Zechinen sofort an die Spielbank; dann führte er mich nach dem Gasthof zurück und verbrachte hier in einem Zustande der Verzweiflung den ganzen nächsten Tag, weil er bei Tage nicht auszugehen wagte. Am Abend ging er mit einem maskierten Herrn aus und kehrte erst am nächsten Morgen zurück. Einige Augenblicke darauf hüllte er sich in seinen Mantel und ging aus, indem er mir sagte: wenn er nicht wiederkäme, würde er mir durch Sie Bescheid geben; zugleich gab er mir Ihre Adresse, von der ich mir erlaubte, Gebrauch zu machen. Er ist nicht wiedergekommen«, setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »und wenn Sie ihn nicht gesehen haben, bin ich überzeugt, er ist zu Fuß und ohne einen Heller in der Tasche fortgegangen. Der Wirt verlangt Bezahlung. Wenn ich alles verkaufe, kann ich ihn befriedigen, aber großer Gott, was soll dann aus mir werden!«

»Würden Sie es wagen, zü Ihrem Vater zurückzukehren?«

»Ja. Gewiß werde ich dies wagen. Mein Vater wird mir verzeihen, wenn ich auf den Knien und unter Tränen ihm sage, daß ich bereit bin, mich lebendig in einem Kloster zu begraben.«

»Gut! Ich werde Sie selber nach Marseille bringen; einstweilen werde ich Ihnen hier in Mailand ein Zimmer bei anständigen Leuten verschaffen. Bis zur Abreise schließen Sie sich in diesem Zimmer ein und empfangen Sie keinen Menschen; dann werde ich für Sie sorgen.«

Ich rief den Wirt, der nur die sehr unbedeutende Rechnung brachte, und bezahlte, indem ich Befehl gab, man solle Madame alles liefern, was sie bis zu meiner Rückkehr etwa verlangen würde. Das arme Mädchen war stumm vor Überraschung und Dankbarkeit. Ich verließ sie, indem ich sie herzlich grüßte, ohne auch nur ihre Hand zu berühren. Nicht etwa, als ob der Teufel Eremit geworden wäre, aber ich habe stets Ehrfurcht vor dem Unglück gehabt.

Ich hatte bereits an Zenobia gedacht und ging sofort zu ihr. Ich sagte ihr in Gegenwart ihres Mannes, welchen Dienst ich von ihr erhoffte, wenn sie meinem Schützling ein Eckchen geben könnte.

»Ich werde ihr meinen Platz abtreten,« rief der gutmütige Schneider, »wenn sie bei meiner Frau schlafen will. Ich nehme ein kleines Zimmer hier ganz in der Nähe und bleibe dort so lange, wie das Fräulein mich bei Zenobia vertritt.«

»Das ist sehr anständig von Euch, Gevatter; aber Eure Frau wird bei dem Tausch verlieren.«

»Sehr wenig!« sagte Zenobia. Der Schneider lachte laut heraus und sagte: »Wegen des Essens mag sie sich einrichten, wie sie Lust hat.«

»Das ist das leichteste,« sagte ich; »Zenobia wird dafür sorgen, und ich bezahle.«

Ich schrieb dem jungen Mädchen zwei Zeilen, teilte ihr die getroffene Anordnung mit und beauftragte Zenobia, ihr das Briefchen zu bringen. Am nächsten Tage fand ich sie bei den guten Leuten heimisch; sie war zwar schlecht untergebracht, aber zufrieden und entzückend hübsch. Ich fühlte mich ganz vernünftig, aber ich seufzte bei dem Gedanken, wie schwer es mir fallen würde, dies auch auf der Reise zu bleiben.

Ich hatte in Mailand nichts mehr zu tun, aber ich hatte mich dem Grafen gegenüber verpflichtet, vierzehn Tage mit ihm in Sant‘ Angelo zu verbringen. Dies war ein Lehen, das seinem Hause gehörte; es lag fünfzehn Miglien von Mailand, und der liebe Graf sprach mit Begeisterung davon. Ich hätte ihn zu sehr gekränkt, wenn ich abgereist wäre, ohne ihn dorthin zu begleiten. Er hatte einen verheirateten Bruder, der in dem Schloß wohnte, und er sagte mir unaufhörlich, wie sehr dieser Bruder sich freuen würde, meine Bekanntschaft zu machen. Sobald wir wieder in Mailand wären, möchte ich nach meinem Belieben abreisen; er würde mir für meine Gefälligkeit dankbar sein und mir gute Reise wünschen.

Um die Gastfreundschaft des guten Grafen durch diese Gefälligkeit anzuerkennen, stimmte ich ihm zu. Am vierten Tage der Fastenzeit verabschiedete ich mich auf zwei Wochen von Teresa, Greppi, der zärtlichen Marchesa, und wir reisten ab.

Die Gräfin hatte zu meiner großen Freude keine Lust, mitzukommen. Sie blieb viel lieber in Mailand bei Triulzi, der es ihr an nichts fehlen ließ.

In drei Stunden waren wir in Sant‘ Angelo, wo man uns zum Mittagessen erwartet hatte.

Zwölftes Kapitel


Mein Wagen zerbricht. – Mariuccias Heirat. – Flucht des Lord Limore. – Meine Rückkehr nach Florenz und meine Abreise mit der Corticelli.

Ich schlief fest an Don Ciccio Alfanis Seite in einem ausgezeichneten vierspännigen Wagen, dem mein Spanier vorausritt, als plötzlich ein heftiger Stoß mich weckte. Man hatte mich um Mitternacht, mitten auf der Landstraße, vier Meilen von Sant‘ Agata, jenseits Francolisa, umgeworfen.

Alfani lag unter mir und schrie aus vollem Halse, denn er glaubte den linken Arm gebrochen zu haben; glücklicherweise war dieser aber nur verrenkt. Leduc war umgekehrt und sagte mir, die Postillone seien geflohen, und es sei wohl möglich, daß sie Straßenräuber herbeiriefen, wie es ja im Kirchenstaat und im Königreich Neapel so oft vorkommt.

Es gelang mir leicht, aus dem Wagen herauszukommen; der arme Alfani jedoch, ein dicker alter Herr, dazu verwundet und halbtot vor Angst, vermochte sich nicht ohne Hilfe zu befreien. Wir brauchten eine Viertelstunde, bis es uns gelang. Ich mußte über den Unglücklichen lachen, als er mitten unter Geschrei und Flüchen heiße Gebete an seinen Schutzpatron, den heiligen Franz von Assisi, richtete.

Ich war an derartige Unfälle gewöhnt und hatte nicht den geringsten Schaden genommen; denn es kommt viel darauf an, wie man im Wagen sitzt. Don Ciccio hatte sich wahrscheinlich den Arm verrenkt, indem er ihn im Augenblick des Sturzes ausstreckte.

Ich holte meinen Degen, meinen Karabiner und meine Sattelpistolen aus dem Wagen und legte diese Waffen nebst meinen Taschenpistolen so zurecht, daß ich den Räubern, falls welche kommen sollten, kräftigen Widerstand leisten konnte; hierauf befahl ich Leduc wieder zu Pferde zu steigen und in der Umgegend für Geld bewaffnete Bauern zu suchen, die uns aus der Verlegenheit helfen könnten.

Während Don Ciccio über das Unglück stöhnte, spannte ich die vier Pferde aus. Ich war entschlossen, mein Geld und mein Leben teuer zu verkaufen. Mein Wagen stand neben einem Graben; ich band die Pferde mit Stricken an die Räder der rechten Seite, an die Deichsel und an das Hinterteil des Wagens fest, und stellte mich mit meinem Wagen so auf, daß die Pferde einen Wall bildeten.

Nachdem ich mich auf diese Weise auf alle Möglichkeiten vorbereitet hatte, war ich ganz ruhig; mein unglücklicher Reisegefährte aber fuhr fort zu stöhnen, zu beten und zu fluchen; denn in Neapel wie in Rom schließt das eine das andere nicht aus. Da ich ihm keine Erleichterung verschaffen konnte, so beklagte ich ihn; zugleich aber lachte ich unwillkürlich zum großen Ärger meines armen Abbate, der einem auf den Strand geworfenen Delphin glich, denn er lag unbeweglich am Grabenrande. Man denke sich seinen Zustand, als die eine Stute, deren Hinterteil ihm zugewendet war, einem natürlichen Drange folgend, die ganze Flüssigkeit, womit ihre Blase überfüllt war, über seinen armen Leichnam auslehrte! Hiergegen gab es keine Abhilfe, und die Sache war so komisch, daß ich wider meinen Willen laut lachen mußte.

Ein starker Nordwind machte indessen unsere Lage außerordentlich unangenehm. Beim geringsten Geräusch rief ich: Wer da? und drohte auf jeden, der sich nähern würde, Feuer zu geben. Ich hatte in dieser tragikomischen Lage zwei lange Stunden verbracht, als endlich Leduc herangaloppierte und mir schon von weitem zurief, daß ein Trupp bewaffneter Bauern mit Laternen herannahe.

In weniger als einer Stunde waren der Wagen, die Pferde und Alfani wieder in gehörigen Stand versetzt. Zwei von den Bauern behielt ich als Postillone bei mir; die anderen gingen, sehr zufrieden mit der Störung ihres Schlafes, nach Hause. Bei Tagesanbruch kam ich in Sant‘ Agata an; ich machte einen Höllenlärm vor der Tür des Postmeisters, forderte einen Notar, um ein Protokoll aufzunehmen, und drohte die Postillone hängen zu lassen, die mich absichtlich mitten auf einer breiten und schönen Landstraße umgeworfen hätten.

Ein Stellmacher, der herbeigerufen wurde, besichtigte meinen Wagen, fand die Achse gebrochen und sagte mir, ich müßte mindestens einen Tag an dem Ort verweilen.

Don Ciccio, der einen Wundarzt nötig hatte, suchte, ohne mir ein Wort zu sagen, den ihm bekannten Marchese Galiani auf. Dieser beeilte sich mich aufzusuchen und bat mich, bei ihm zu verweilen, bis ich meine Reise fortsetzen könnte. Ich nahm sein Anerbieten mit großem Vergnügen an, und diese Einladung trug viel dazu bei, meine üble Laune zu verscheuchen, die im Grunde weiter nichts war als ein gewisses Bedürfnis, wie ein großer Herr Spektakel zu machen.

Der Marchese befahl zunächst meinen Wagen in seinen Schuppen zu schaffen; dann nahm er mich unter den Arm und führte mich nach seinem Hause. Er war ein ebenso gelehrter wie höflicher Kavalier und durch und durch Neapolitaner, das heißt: ohne alle Umstände. Er hatte nicht den glänzenden Geist seines Bruders, den ich in Paris gekannt hatte, als er unter dem Grafen Cantillana-Montdragon Gesandtschaftssekretär war; aber er hatte ein gesundes Urteil, das er durch ein eindringliches Studium der alten und neuen Klassiker weiter gebildet hatte. Besonders war er ein guter Mathematiker; er schrieb damals einen Kommentar zum Vitruv, den er später erscheinen ließ.

Der Marchese stellte mich seiner Frau vor, von der ich bereits wußte, daß sie die vertraute Freundin meiner Lucrezia war. Sie hatte etwas Engelhaftes an sich, und umgeben von drei oder vier kleinen Kindern bot sie den Anblick einer heiligen Familie.

Don Ciccio wurde sofort zu Bett gebracht, dann ließ man einen Wundarzt rufen, der ihn untersuchte und mit der Versicherung tröstete, es sei eine einfache Verrenkung und er werde in wenigen Tagen wiederhergestellt sein.

Um die Mittagsstunde hielt ein Wagen vor der Tür, und Lucrezia stieg aus. Nachdem sie die Marchesa umarmt hatte, wandte sie sich auf die ungezwungenste Weise zu mir, streckte mir die Hand entgegen und rief: »Durch welchen glücklichen Zufall sind Sie hier, mein lieber Don Giacomo?«

Hierauf sagte sie ihrer Freundin, ich sei ein Freund ihres verstorbenen Gatten und sie habe mich mit dem größten Vergnügen bei dem Herzog von Matalone wiedergesehen.

Als ich mich nach Tisch mit diesem reizenden, zur Liebe geschaffenen Weibe allein befand, fragte ich sie, ob es nicht möglich wäre, uns eine glückliche Nacht zu verschaffen. Sie wies mir nach, daß dies unmöglich sei, und ich mußte mich darein ergeben. Noch einmal bot ich ihr an, sie zu heiraten.

Sie antwortete: »Kaufe dir ein Gut im Königreich Neapel, und ich will mein Leben bei dir verbringen, ohne daß wir den Beistand eines Priesters nötig haben; es wäre denn, daß wir Kinder bekämen.«

Ich konnte mir nicht verhehlen, daß Lucrezia sehr vernünftig dachte; ich hätte mir leicht ein Landgut in Neapel kaufen und dort reich und glücklich leben können; aber der Gedanke, mich irgendwo unwiderruflich festzusetzen, war mir so widerwärtig, ein verständiger Lebenswandel war so gegen meine Natur, daß ich unvernünftigerweise mein törichtes Landstreichertum allen Vorteilen vorzog, die unsere Vereinigung mir verschafft hätte. Und auch Lucrezia hatte im Grunde nichts dagegen. Nach dem Abendessen verabschiedete ich mich von allen, und mit Tagesanbruch reiste ich ab, um am nächsten Tage in Rom zu sein. Ich hatte auf einer sehr schönen Straße nur fünfzehn Poststationen zurückzulegen.

Als ich in Carigliano ankam, sah ich einen jener zweiräderigen Karren, die im ganzen Lande unter dem Namen Mantice bekannt sind; man bespannt sie mit zwei Pferden, ich brauchte jedoch vier. Als ich aufstieg, hörte ich meinen Namen rufen und drehte mich um. Zu meiner nicht geringen Überraschung sah ich in dieser Mantice ein hübsches junges Mädchen und die Signora Diana, die Sängerin des Fürsten von Cassaro, die mir dreihundert Unzen schuldig war. Sie sagte mir, sie reise nach Rom und sehe mit großem Vergnügen, daß wir zusammenreisen würden. »Wir werden die Nacht in Piperno verbringen, nicht wahr, mein Herr?«

»Nein, meine Gnädige, ich habe die Absicht, ohne Aufenthalt bis Rom zu fahren.«

»Aber wir kommen ebenfalls morgen dort an.«

»Das weiß ich; aber ich schlafe besser in meinem Wagen als in den schlechten Betten, die man in den Herbergen findet.«

»Ich wage nicht bei Nacht zu reisen.«

»Nun, Signora, so werden wir uns in Rom wiedersehen.«

»Das ist grausam. Wie Sie sehen, habe ich nur einen einfältigen Bedienten und mein Kammermädchen bei mir, die nicht mutiger ist als ich; außerdem ist es so kalt, und ich habe einen offenen Wagen. Ich werde Ihnen in dem Ihrigen Gesellschaft leisten.«

»Es ist mir unmöglich, Sie aufzunehmen, denn den Rücksitz nimmt mein alter Sekretär ein, der sich vorgestern den Arm gebrochen hat.«

»Ist es Ihnen recht, wenn wir zusammen in Terracina zu Mittag essen? Wir können dort plaudern.«

»Gern.«

Wir hielten eine gute Mahlzeit in diesem Städtchen, das hart an der Grenze des Kirchenstaates liegt. Da wir erst tief in der Nacht in Piperno ankommen konnten, bat die Künstlerin mich von neuem auf das dringendste, mit ihr dort den Tag abzuwarten. Sie war jung und schön; trotzdem aber gefiel sie mir nicht; sie war sehr blond und zu fett. Ihr Kammermädchen dagegen, eine schöne schlanke Brünette mit runden Formen und lebhaften Augen, erregte in hohem Maße meine Begehrlichkeit. Eine unbestimmte Hoffnung auf ihren Besitz milderte meinen Widerstand, und schließlich versprach ich der Signora, mit ihr zu Abend zu speisen und sie vor meiner Abreise dem Wirt zu empfehlen.

In Piperno fand ich Gelegenheit, der jungen Schwarzäugigen zu sagen: wenn sie mir erlauben wolle, in aller Stille zu ihr zu kommen, würde ich nicht weiter reisen. Sie versprach mir, mich zu erwarten, und ließ mich eine Anzahlung nehmen, die gewöhnlich ein Unterpfand vollständiger Gefälligkeit zu sein pflegt, wenn man weiter nichts wünscht.

Wir speisten zu Abend; hierauf wünschte ich den Damen gute Nacht und begleitete sie in ihr Zimmer. Ich merkte mir das Bett der Schönen; ich konnte mich nicht täuschen. Ich verließ sie und kam eine Viertelstunde darauf wieder. Da ich die Tür offen fand, glaubte ich meiner Sache sicher zu sein; ich trat heran, aber statt meiner appetitlichen Zofe fühlte ich die Signora. Offenbar hatte die junge Schelmin ihrer Herrin die Geschichte erzählt, und diese hatte es für gut befunden, deren Stelle einzunehmen. Eine Täuschung meinerseits war ausgeschlossen; denn wenn ich auch nichts sehen konnte, so genügten doch meine Hände, mich zu überzeugen.

Sofort schossen zwei verschiedene Gedanken mir durch den Sinn: entweder mich ins Bett zu legen und von der einen zur anderen zu gehen, oder augenblicklich nach Rom abzureisen. Dieser zweite Gedanke behielt die Oberhand. Ich weckte Leduc, gab ihm meine Befehle und war unmittelbar darauf unterwegs; ich weidete mich an der Enttäuschung der beiden Spitzbübinnen, denen es jedenfalls sehr leid tun mußte, daß sie mich nicht hatten anführen können. In Rom sah ich die Signora Diana drei- oder viermal von ferne; wir grüßten uns, sprachen aber nicht miteinander. Hätte ich glauben können, daß sie mir die vierhundert Louis bezahlen würde, die sie mir schuldete, so würde ich mir die Mühe genommen haben, ihr einen Besuch zu machen; aber ich wußte, daß Kulissenköniginnen die schlechtesten Schuldnerinnen in der Welt sind.

Meinen Bruder fand ich munter und guter Dinge, desgleichen auch den Ritter Mengs und den Abbate Winkelmann. Costa war hoch erfreut, mich wiederzusehen. Ich schickte ihn sofort zum Scopatore maggiore Seiner Heiligkeit, um ihm Bescheid zu sagen, daß ich bei ihm die Polenta essen würde; er brauchte sich um weiter nichts zu bekümmern, als daß er ein gutes Abendessen für zwölf Personen besorgte. Ich war sicher, Mariuccia bei ihm zu finden, denn Momolo hatte, wie ich wußte, bemerkt, daß ich sie gerne sah.

Da am nächsten Tage der Karneval begann, so mietete ich für die ganzen acht Tage einen prachtvollen Landauer. Die Landauer sind in Rom viersitzige Wagen, deren Verdeck nach Belieben heruntergelassen werden kann. Man fährt in ihnen, maskiert oder unmaskiert, während der acht Tage des Karnevals von einundzwanzig bis vierundzwanzig Uhr immerzu den Korso auf und ab.

Seit Jahrhunderten ist während dieser Narrenswoche der römische Korso das eigentümlichste, seltsamste und ergötzlichste Ding von der Welt. Die barberi sprengen in sausendem Galopp von der Piazza del Popolo den Korso entlang bis zur Trajanssäule, zwischen zwei Reihen von Wagen, die gegen die viel zu engen, mit Masken und Neugierigen aller Stände überfüllten Bürgersteige gedrängt sind. Alle Fenster sind besetzt. Sobald die barberi vorüber sind, fahren die Wagen im Schritt; die Mitte der Straße wimmelt von Masken zu Fuß und zu Pferde. Man bewirft sich mit Konfetti aus Zucker oder aus Gips, mit Pamphleten und Paskinaden; man schleudert sich tausend schlechte Witze zu. Die größte Freiheit herrscht in dieser Menge, die aus den feinsten und den niedrigsten Kreisen Roms zusammengesetzt ist. Sobald um vierundzwanzig Uhr der dritte Kanonenschuß von der Engelsburg den Tagesschluß angekündigt hat, würde man nach fünf Minuten auf dem Korso vergeblich einen einzigen Wagen oder eine Maske suchen. Die ganze Menge hat sich in die anliegenden Straßen ergossen und erfüllt nun die Theater, die ernste und komische Oper, die Komödie, die Seiltänzer- und Puppentheaterbuden, nicht zu vergessen Speisewirtschaften und Schenken. Alles ist überfüllt; denn während dieser acht Tage tun die Römer nichts anderes als essen, trinken und ihr Leben auf alle Art genießen.

Ich trug zunächst mein Geld zu Herrn Belloni und nahm bei ihm einen Kreditbrief auf Turin, wo ich den Abbate Gama finden und den Auftrag des Portugiesischen Hofes für den von ganz Europa bestimmt erwarteten Kongreß erhalten sollte. Hierauf besichtigte ich mein Stübchen hinter der Trinità de’Monti, wo ich am nächsten Morgen die schöne Mariuccia zu sehen hoffte. Ich fand alles in guter Ordnung.

Am Abend empfingen Momolo und seine ganze Familie mich mit Freudengeschrei. Die älteste Tochter sagte mir lachend, sie sei überzeugt, mir ein Vergnügen zu machen, indem sie Mariuccia holen lasse.

»Da täuschen Sie sich nicht,« antwortete ich ihr; »ich sehe die schöne Mariuccia mit Vergnügen.«

Einige Minuten darauf trat sie mit ihrer frommen Mutter ein; diese grüßte mich ehrerbietig und sagte mir, ich solle mich nicht wundern, wenn ich ihre Tochter besser gekleidet sehe; sie werde sich nämlich in drei oder vier Tagen verheiraten. Ich wünschte ihr Glück dazu, und Momolos Töchter fragten sie sofort, mit wem? Errötend ergriff Maria das Wort und sagte bescheiden zu einer von ihnen: »Es ist einer, den ihr kennt, der Soundso; er hat mich hier gesehen und wird einen Friseurladen aufmachen.«

»Der würdige Vater Barnabas«, fuhr die Mutter fort, »hat diese Heirat zustande gebracht; er hat vierhundert Skudi in Verwahrung, die meine Tochter ihrem künftigen Gatten als Mitgift zubringt.«

»Er ist ein anständiger Junge,« sagte Momolo; »ich schätze ihn sehr hoch, und er würde eine von meinen Töchtern geheiratet haben, wenn ich ihr eine solche Mitgift hätte geben können.«

Bei diesen Worten senkte die Tochter, von der die Rede war, errötend die Augen.

»Trösten Sie sich, meine Liebe,« sagte ich zu ihr, »die Reihe wird auch an Sie kommen.«

Sie nahm diese Worte für bare Münze, und ihr ganzes Gesicht strahlte vor Freude. Sie dachte, ich hätte erraten, daß sie in Costa verliebt war, und sie wurde in diesem Gedanken bestärkt, als ich meinem Bedienten sagte, er solle am nächsten Tage meinen Landauer nehmen und Momolos Töchter gut vermummt auf den Korso führen. Da niemand sie in einem Wagen erkennen dürfe, dessen ich mich selber bedienen wolle, so solle er bei einem Juden schöne Kostüme leihen; ich würde diese bezahlen. Hierüber war die ganze Familie fröhlich.

»Und Signora Maria?« fragte die Eifersüchtige mich.

»Signora Maria«, antwortete ich ihr, »wird sich verheiraten; sie darf an keinem Fest ohne ihren Mann teilnehmen.«

Die Mutter gab mir Beifall, und die schlaue Maria stellte sich, als ob sie gekränkt wäre. Ich wandte mich nun an den Vater Momolo und bat ihn, er möchte mir das Vergnügen machen und Marias Bräutigam znm Abendessen einladen. Hierüber war die Mutter sehr erfreut.

Da ich sehr müde war und bei Momolos nichts mehr zu tun hatte – denn Manuccia hatte mich ja gesehen –, so bat ich die Gesellschaft, mich zu entschuldigen, wünschte ihr guten Appetit und ging.

Am nächsten Morgen war ich schon in aller Frühe auf den Beinen. Ich begab mich gegen sieben Uhr nach der Kirche, brauchte jedoch nicht einzutreten; denn Mariuccia hatte mich von weitem bemerkt, folgte mir, und bald waren wir beisammen in unserem Stübchen, das Liebe und Wollust zu einem prachtvollen Palast machten. Gern hätten wir uns süßem Geplauder überlassen; da wir jedoch nur eine einzige Stunde der Liebeslust widmen konnten, so gingen wir sofort ans Werk, ohne auch nur unsere Kleider abzulegen. Nach dem letzten Kuß, der den dritten Angriff besiegelte, sagte sie mir, sie werde sich am Rosenmontag verheiraten. Ihr Beichtvater habe alle Anordnungen getroffen. Sie dankte mir dafür, daß ich Momolo gebeten hätte, ihren Bräutigam einzuladen.

»Wann werden wir uns wiedersehen, mein Engel?«

»Am Sonntag, den Tag vor meiner Hochzeit; wir werden vier Stunden beieinander sein.«

»Köstlich! Ich verspreche dir, du sollst ohne Verlegenheit die Liebkosungen deines Gatten empfangen können.«

Lächelnd entfernte sie sich, und ich warf mich auf das Bett, um mich eine gute Stunde auszuruhen.

Auf dem Heimwege begegnete ich einem schnellfahrenden vierspännigen Wagen, dem ein Läufer vorauseilte, ein junger Herr saß darin. Ein blaues Ordensband zog meine Blicke auf sich; ich sah ihn an, er rief meinen Namen und ließ halten. Zu meiner großen Überraschung erkannte ich Lord Talon, den ich in Paris bei seiner Mutter, der Gräfin Limore, kennen gelernt hatte. Sie lebte von ihrem Gatten getrennt und wurde vom Erzbischof von Cambray, Herrn von St.-Albin, unterhalten. Er war ein sehr wenig würdiger Nachfolger des tugendhaften Fénélon, aber er hatte den Vorzug, ein Bankert des Herzogs von Orléans, Regenten von Frankreich, zu sein. Lord Talon war ein hübscher Junge, voll Geist und Talent; aber er hatte alle zügellosen Leidenschaften und alle Laster. Ich wußte, daß er wohl den Titel, aber nicht das Vermögen eines Lords hatte, und war daher überrascht, ihn in einer so glänzenden Equipage zu sehen; noch mehr wunderte ich mich über sein blaues Band. Er sagte mir in aller Eile, er fahre zum Diner beim Prätendenten, werde aber zu Hause zu Abend speisen. Ich nahm seine Einladung an.

Nach Tisch machte ich einen Spaziergang und ging dann zu meiner Ergötzung in die Komödie Giordinana, wo Momolos Töchter sich mit Costa brüsteten; dann begab ich mich zum Lord Talon, wo ich zu meiner angenehmen Überraschung den Dichter Poinsinet traf. Er war ein kleiner, junger Mann, häßlich, aber voll Feuer und guter Laune und von großer Begabung für die Bühne. Fünf oder sechs Jahre später fiel der Unglückliche in den Guadalquivir und ertrank. Er war nach Madrid in der Hoffnung gegangen, dort sein Glück zu machen.

Ich hatte ihn in Paris gekannt und redete ihn daher als alten Bekannten an: »Ei, was machen Sie denn in Rom, lieber Freund? Wo ist Lord Talon?«

»Er ist im Nebenzimmer; aber er ist nicht mehr Lord Talon, denn sein Vater ist gestorben, und er ist jetzt Graf Limore. Wie Sie wissen, war er Anhänger des Prätendenten. Ich bin mit ihm von Paris gekommen, denn es war mir sehr angenehm, ohne Kosten nach Rom reisen zu können.«

»Der Graf ist also reich geworden?«

»Noch nicht, aber er wird es sein; denn er ist der Erbe seines Vaters, der unermeßliche Reichtümer hinterlassen hat. Allerdings ist alles mit Beschlag belegt; aber das tut nichts, denn seine Ansprüche sind unbestreitbar.«

»Er ist also reich an Ansprüchen und Aussichten. Aber wie ist er denn Ritter des Ordens von Frankreich geworden?«

»Sie scherzen. Es ist das blaue Band des Michaelsordens, dessen Großmeister der verstorbene Kurfürst von Köln war. Milord,der, wie Sie wissen, ausgezeichnet Geige spielt, hat bei seinem Aufenthalt in Bonn dem Kurfürsten ein Konzert von Tartini vorgespielt. Der Fürst wußte nicht, wie er ihm seine Anerkennung für den erhaltenen Genuß ausdrücken sollte, und schenkte ihm das Ordensband, das Sie sahen.«

»Ohne Zweifel ein schönes Geschenk.«

»Sie glauben nicht, welches Vergnügen Milord daran hat! Wenn wir nach Paris zurückkommen, werden alle, die es sehen, glauben, er trage den Orden vom heiligen Geist.«

Wir betraten den Saal, worin sich der Lord mit der Gesellschaft befand, die er zum Abendessen eingeladen hatte. Sobald er mich sah, ging er mir entgegen, umarmte mich, nannte mich seinen lieben Freund und stellte mir alle Gäste vor. Es waren sieben oder acht schöne Mädchen, drei oder vier Kastraten, die auf den römischen Theatern Frauenrollen spielten, und fünf oder sechs Abbaten, die die Männer aller Frauen und die Frauen aller Männer waren, sich damit brüsteten und an Unzüchtigkeit mit den Mädchen wetteiferten. Diese Mädchen waren allerdings keine öffentlichen Dirnen, sondern vollendete Dilettantinnen in unzüchtiger Musik, Malerei und Philosophie. Der Leser wird sich von der Art der Gesellschaft einen Begriff machen können, wenn ich ihm sage, daß ich mich in ihr als Neuling fühlte.

»Wohin, Fürst?« fragte der Lord einen Herrn von anständigem Aussehen, der nach der Tür ging.

»Ich befinde mich nicht wohl, Milord, und muß mich entfernen.«

»Was ist das für ein Fürst?« fragte ich ihn.

»Es ist der Subdiakonus Fürst Chimay, der, um seine mit dem Erlöschen bedrohte Familie zu erhalten, sich um eine Heiratserlaubnis bemüht.«

Ich bewunderte seine Vorsicht oder sein Zartgefühl, hatte aber nicht die Kraft, es ihm nachzutun.

Wir waren vierundzwanzig bei Tisch, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß hundert Flaschen vom besten Wein geleert wurden. Alle Gäste waren betrunken, außer mir und Poinsinet, der nur Wasser getrunken hatte. Nach der Mahlzeit begann eine wüste unflätige Orgie, wie ich sie mir nie hätte träumen lassen, und die keine Feder getreulich schildern könnte; nur ein großer Wüstling könnte sich eine Vorstellung davon machen, indem er die wollüstigsten Farben wählte, die die Palette bietet.

Ein Kastrat und ein Mädchen von ungefähr gleichem Wuchs machten den Vorschlag, sie wollten sich im Nebenzimmer, nackt und das Gesicht bis zum Halse zugedeckt, nebeneinander auf den Rücken legen. Sie forderten alle Anwesenden heraus, sie anzusehen und ihr Geschlecht zu erraten.

Wir traten alle ein, niemand wagte jedoch ein Urteil abzugeben, da man nur auf seine Augen angewiesen war. Ich schlug dem Lord eine Wette um fünfzig Taler vor, daß ich das Weib herausfinden würde. Er nahm sie an, und ich riet richtig; aber von Bezahlung war keine Rede.

Dieser erste Akt der Orgie endete mit der Preisgebung der beiden Individuen, welche alle Anwesenden zum großen Werk herausforderten. Mit Ausnahme von Poinsinet und mir versuchten alle es, aber vergeblich.

Im zweiten Akt gab man uns das Schauspiel von vier oder fünf Paarungen auf der Kehrseite der Medaille. Bei diesen schamlosen Kämpfen glänzten am meisten die Abbaten, indem sie bald die aktive, bald die passive Rolle spielten. Ich war der einzige, der verschont blieb.

Der Lord, der während der ganzen Orgie kein Lebenszeichen gegeben hatte, griff plötzlich den armen Poinsinet an, der sich vergeblich verteidigte; er mußte sich entkleiden lassen und neben ihn legen, der nackt wie alle anderen war. Wir bildeten einen Kreis um sie herum; plötzlich nahm der Lord seine Uhr und versprach sie demjenigen, dem es zuerst gelingen würde, ein gewisses Zeichen des Gefühls bei Poinsinet hervorzurufen. Die Lust, diesen Preis zu gewinnen, brachte die ganze schmutzige Bande in Aufruhr: Kastraten, Dirnen und Abbaten bemühten sich um die Wette. Jeder wollte der erste sein, schließlich mußte gelost werden. Dies war für mich der interessanteste Teil des Stückes. Ich hatte bei dieser ganzen unglaublichen Orgie nicht die geringste Erregung an mir bemerkt, obwohl ich bei jeder anderen Gelegenheit sicherlich einem jeden dieser Mädchen meine Huldigung dargebracht haben würde. Aber ich lachte, besonders als ich sah, wie der arme Dichter sich fürchten mußte, den Stachel des Fleisches zu verspüren; denn der schamlose Lord hatte geschworen, ihn der viehischen Lust aller Abbaten zu überlassen, wenn er durch seine Schuld die Wette verlieren sollte. Er kam mit der Furcht davon, und wahrscheinlich schützte ihn gerade seine Furcht.

Die unzüchtige Szene nahm ein Ende, als niemand mehr da war, der sich Hoffnung auf den Gewinn der Uhr machen konnte. Die Kunst der Lesbierinnen wurde indessen nur von den Abbaten und Kastraten in Anwendung gebracht. Die Mädchen machten keinen Gebrauch davon, um die anderen, die sich dieses Mittels bedienten, verachten zu können. Ohne Zweifel handelten sie mehr aus Stolz als aus Schamgefühl; denn ich vermute, daß sie es erfolglos anzuwenden fürchteten.

Mein Gewinn bei dieser elenden Ausschweifung war Ekel und eine größere Selbsterkenntnis. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß mein Leben in Gefahr gewesen war; denn ich hatte nur meinen Degen bei mir, aber ich hätte mich sicher desselben bedient, wenn es dem Lord in seiner bacchantischen Wut eingefallen wäre, mich zur Teilnahme zu nötigen, wie den armen Poinsinet. Ich habe niemals begreifen können, warum er sich bewogen fühlte, mich zu verschonen, denn er war betrunken und in einem Zustand von Raserei.

Beim Abschied versprach ich ihm, ihn zu besuchen, sowie er mir Bescheid sagen ließe, aber ich nahm mir selber fest vor, seine Wohnung nicht wieder zu betreten.

Am nächsten Nachmittag kam er zu Fuß zu mir, und da wir keine Lust hatten den Wettlauf der barberi zu sehen, so lud er mich ein, einen Spaziergang nach der Villa Medici zu machen.

Ich gratulierte ihm zu den ungeheuren Reichtümern, die er geerbt haben müßte, um so glänzend leben zu können; er lachte aber und antwortete mir, er besitze nur etwa fünfzig Taler; sein Vater habe nur Schulden hinterlassen, und er selber sei bereits drei- oder viertausend Scudi schuldig.

»Ich wundere mich, daß man Ihnen Kredit gibt.«

»Man gibt mir Kredit, weil alle Welt weiß, daß ich einen Wechsel von zweihunderttausend Franken auf Paris gezogen habe. Aber in vier oder fünf Tagen wird der Wechsel mit Protest zurückkommen, und dann werde ich mich schleunigst aus dem Staube machen.«

»Wenn Sie bestimmt wissen, daß der Wechsel protestiert werden wird, so rate ich Ihnen, noch heute abzureisen; denn da es sich um eine so große Summe handelt, so wäre es möglich, daß die Nachricht durch besondere Boten geschickt würde.«

»Nein, denn ich habe noch eine kleine Hoffnung. Ich habe meiner Mutter geschrieben, ich sei verloren, wenn sie es nicht möglich mache, dem Bankier, auf den ich gezogen habe, die erforderlichen Mittel zu liefern; in diesem Fall würde der Wechsel honoriert werden. Wie Sie wissen, liebt meine Mutter mich.«

»Ja; aber ich weiß auch, daß sie nicht reich ist.«

»Allerdings nicht; aber Herr von St.-Albin ist reich, und ich halte ihn, unter uns gesagt, für meinen Vater. Unterdessen sind meine Gläubiger beinahe ebenso ruhig wie ich. Alle jene Mädchen, die Sie bei mir gesehen haben, würden mir auf meinen Wunsch all ihr Hab und Gut geben, denn sie erwarten alle, im Laufe der Woche ein reiches Geschenk von mir zu erhalten. Ich will jedoch ihr Vertrauen nicht mißbrauchen. Betrügen – da ich nun einmal betrügen muß – werde ich nur einen Juden, der mir diesen Ring für dreitausend Zechinen abkaufen will, während ich weiß, daß er nur tausend wert ist.«

»Er wird Sie verfolgen lassen.«

»Das soll er nur tun.«

Dieser Ring trug einen strohfarbenen Solitär von neun bis zehn Karat. Der Lord verließ mich mit der Bitte, nichts davon zu sagen. Der törichte Verschwender erregte in mir kein Gefühl des Mitleids, denn ich sah in ihm nur einen freiwilligen Unglücklichen, der sein Leben in einem Gefängnis beschließen mußte, wenn er nicht den Mut hatte, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen.

Ich ging zu Momolo, bei dem ich den Bräutigam meiner schönen Mariuccia fand; sie selber war nicht da. Sie hatte dem Scopatore Santissimo sagen lassen, ihr Vater sei von Palestrina gekommen, um ihrer Hochzeit beizuwohnen, und deshalb könne sie nicht das Vergnügen haben, zum Abendessen zu kommen. Ich bewunderte ihre Klugheit; ein junges Mädchen braucht nicht studiert zu haben, um eine gute Politikerin zu sein, wenn ihr Herz es verlangt: die Natur zeichnet ihr den Weg vor, und sie folgt diesem mit der Gewißheit, sich nicht zu täuschen. Beim Essen beschäftigte ich mich ausschließlich mit dem jungen Mann; ich fand in ihm einen in jeder Beziehung passenden Gatten für Mariuccia: er war hübsch, bescheiden und verständig; alle seine Worte trugen das Gepräge der Aufrichtigkeit und der Vernunft.

Er sagte mir in Gegenwart von Momolos Tochter Tecla, diese würde ihn glücklich gemacht haben, wenn sie imstande gewesen wäre, ihm zur Begründung eines Geschäftes zu verhelfen; er müsse Gott danken, daß er Maria kennen gelernt habe, die in ihrem Beichtvater einen wahren Vater in Gott gefunden habe. Ich fragte ihn, wo er die Hochzeit feiern würde. Er antwortete mir: »Bei meinem Vater, einem Gärtner, der auf der anderen Seite des Tibers wohnt; da er arm ist, so werde ich ihm zehn Skudi geben, um die Kosten zu bestreiten.«

Ich bekam sofort Lust, ihm die zehn Taler zu geben. Aber wie sollte ich dies anfangen? Ich würde mich verraten haben.

»Ist Ihres Vaters Garten hübsch?« fragte ich ihn.

»Man kann ihn nicht hübsch nennen; aber er ist sehr gut gehalten. Da er den Platz besaß, hat er einen Garten daraus gemacht, der ihm jährlich zwanzig Skudi einbringt. Er möchte ihn gern verkaufen, und ich wäre glücklicher als ein Kardinal, wenn ich ihn kaufen könnte.«

»Wieviel kostet er?«

»O, viel, gnädiger Herr! Zweihundert Taler.«

»Das ist billig. Hören Sie mich an: Ich habe hier Ihre Braut kennen gelernt und gefunden, daß sie in jeder Beziehung wert ist, glücklich zu sein. Sie verdient einen ehrenwerten jungen Mann wie Sie. Sagen Sie mir, was würden Sie machen, wenn ich Ihnen auf der Stelle zweihundert Taler schenkte, um Ihres Vaters Garten zu kaufen?«

»Ich würde ihn als Witwengut zur Mitgift meiner Frau hinzufügen.«

»Hier sind zweihundert Taler, die ich dem Abbate Momolo anvertraue, weil ich Sie nicht gut genug kenne, obgleich Sie mir viel Vertrauen einflößen. Der Garten gehört Ihnen als Mitgift Ihrer künftigen Gattin.«

Momolo nahm das Geld und verpflichtete sich, den Garten gleich am nächsten Tag zu kaufen. Der junge Mann vergoß Tränen der Freude und Dankbarkeit, fiel vor mir auf die Knie und küßte mir die Hand. Alle Mädchen weinten und ich auch, denn Tränen, die aus dem Herzen kommen, wirken ansteckend. Indessen flossen nicht alle diese Tränen aus der gleichen Quelle, sie waren aus einer Mischung von Laster und Tugend hervorgegangen, und rein waren nur die des jungen Mannes. Ich hob ihn auf, umarmte ihn und wünschte ihm eine glückliche Ehe. Er faßte sich den Mut, mich zur Hochzeit einzuladen, aber ich lehnte ab, indem ich ihm herzlich dankte. Ich sagte ihm: wenn er mir ein Vergnügen machen wollte, käme er am Sonntag vor seiner Hochzeit zu Momolo zum Essen, und ich bat den ehrenwerten Scopatore, Mariuccia nebst ihrem Vater und ihrer Mutter einzuladen. Ich war sicher, daß ich sie am Sonntag früh noch ein letztes Mal sehen würde.

Am Sonntag lagen wir schon um sieben Uhr einander in den Armen; wir hatten vier Stunden vor uns. Nach dem ersten Ergusse unserer gegenseitigen Zärtlichkeit sagte sie mir: »Gestern ist in unserem Hause in Gegenwart meines Beichtvaters und Momolos alles vor einem Notar abgeschlossen worden. Nach Aushändigung der Quittung hat der Notar den Garten in den Heiratsvertrag aufgenommen; der gute Vater Barnabas hat mir zwanzig Piaster geschenkt, um die Kosten für den Notar und die Hochzeit zu decken. So steht alles vortrefflich, und ich bin gewiß, daß ich glücklich sein werde. Mein Bräutigam betet mich an, aber du hast sehr wohl daran getan, seine Einladung nicht anzunehmen, denn du wärest an einen gar zu armseligen Ort gekommen; außerdem würde man über mich geklagt haben, und dies hätte mich vielleicht des Glückes beraubt, auf das ich hoffen darf.«

»Du hast vollkommen recht, reizende Freundin; aber sage mir, wie wirst du dich aus der Verlegenheit ziehen, wenn dein Gatte findet, daß die Tür schon vor deiner Heirat geöffnet worden ist; denn möglicherweise erwartet er, in dir eine reine Jungfrau zu finden.«

»Ich glaube nicht, daß er mehr davon versteht als ich, bevor du mich zum erstenmal erkanntest. Meine Liebkosungen, meine Zärtlichkeit und mein reines Gewissen – denn dieses hast du nicht befleckt – erlauben mir nicht einmal daran zu denken, und ich bin überzeugt, er wird ebenso wenig daran denken.«

»Aber wenn er es doch täte?«

»Das wäre kein Zeichen von Zartgefühl; aber warum sollte ich ihm nicht einfach mit der wahren und aufrichtigen Miene der Unschuld antworten, ich wisse nicht, wovon er spreche, und verstehe mich nicht darauf?«

»Du hast recht; dies ist das beste Mittel. Aber hast du unsere Liebesfreuden gebeichtet?«

»Nein, lieber Freund; denn da ich mich dir nicht in sündiger Absicht ergeben habe, glaube ich Gott nicht beleidigt zu haben.«

»Du bist ein Engel, meine Liebe, und ich bewundere die Klarheit deines Verstandes. Doch höre jetzt: möglicherweise bist du bereits schwanger oder wirst es noch, bevor wir uns trennen; versprich mir, meinem Kinde meinen Namen zu geben.«

»Ich verspreche es dir.«

Vier Stunden vergingen sehr schnell. Nach dem sechsten Sturm waren wir erschöpft, ohne gesättigt zu sein. Wir trennten uns unter strömenden Tränen und schworen uns, einander die zärtlichsten Gefühle eines Bruders und einer Schwester zu bewahren.

Ich ging nach Hause, nahm ein Bad und ruhte eine Stunde. Dann stand ich auf, machte Toilette und speiste fröhlich am Familientisch. Am Abend fuhr ich die Familie Mengs in meinem Landauer spazieren; hierauf gingen wir in das Theater Aliberti, in das die ganze Stadt strömte, um den Kastraten zu sehen, der die Rolle der Primadonna spielte. Er war der gefällige Liebling des Kardinals Borghese und speiste jeden Abend mit Seiner Eminenz allein.

Die Stimme des Kastraten war herrlich; noch herrlicher aber war seine Schönheit. Ich hatte ihn als Mann auf der Promenade gesehen; aber obwohl er sehr hübsch war, hatte sein Gesicht auf mich keinen Eindruck gemacht, denn man sah sofort, daß er ein verstümmelter Mann war. Auf der Bühne dagegen war die Täuschung vollkommen; er entflammte.

In ein gut gearbeitetes Mieder eingeschnürt, hatte er eine Nymphentaille, und sein Busen – es ist fast unglaublich – nahm es an Form und Schönheit mit jedem Frauenbusen auf. Besonders hierdurch richtete das Ungeheuer Verheerungen an. Obwohl man die negative Natur des Unglücklichen kannte, so übte er doch einen unbeschreiblichen Zauber aus, wenn man aus Neugier seinen Busen ansah: man war wahnsinnig verliebt, bevor man überhaupt merkte, daß man etwas empfunden hatte. Um ihm zu widerstehen oder nichts zu fühlen, hätte man kalt oder prosaisch sein müssen wie ein Deutscher. Wenn er, auf das Ritornell seiner Arie wartend, auf der Bühne auf und ab ging, hatte sein Gang etwas Majestätisches und zugleich Wollüstiges; wenn er die Logen huldvoll mit seinen Blicken beglückte, dann entzückte der zärtliche und bescheidene Ausdruck seiner schwarzen Augen alle Herzen. Offenbar wollte er die Liebe derjenigen nähren, die ihn als Mann liebten und die ihn wahrscheinlich nicht geliebt haben würden, wenn er ein Weib gewesen wäre.

Das heilige Rom, das auf diese Weise alle Männer nötigt, Päderasten zu werden, will dies nicht zugeben und stellt sich, als glaube es nicht an die Wirkungen einer Illusion, die es mit allen Kräften zu erwecken sich bemüht.

Als ich im Parkett diese Betrachtungen anstellte, sagte ein Monsignore zu mir, um mich auf eine falsche Fährte zu bringen: »Sie haben ganz recht. Warum erlaubt man diesem Kastraten einen Busen zur Schau zu stellen, auf den die schönste Römerin stolz sein könnte, während ein jeder wissen muß, daß er ein Mann und nicht ein Weib ist? Wenn man die Bühne dem schönen Geschlecht verbietet, weil man fürchtet, daß seine Reize unzüchtige Begierden erwecken können, warum sucht man dann Männer aus, die durch ihre körperliche Mißbildung eine vollständige Illusion hervorbringen und noch viel sündigere Begierden erregen? Man behauptet hartnäckig, die Päderastie werde mit Unrecht für weit verbreitet gehalten; lächerlich gering sei die Zahl derjenigen, die durch die Illusion verführt werden; denn sie sähen sich angeführt, wenn es zur Aufklärung komme. Aber viele kluge Leute verfallen dieser Täuschung und finden sie zuletzt so süß, daß sie nicht daran denken, darauf zu verzichten, sondern vielmehr diese Ungeheuer den schönsten Frauen vorziehen.«

»Der Papst würde sich den Himmel verdienen, wenn er diesen lächerlichen Mißbrauch abschaffte.«

»Das ist nicht meine Meinung. Man könnte nicht, ohne Anstoß zu erregen, mit einer schönen Sängerin unter vier Augen soupieren; aber mit einem Kastraten kann man es. Man weiß freilich, daß nach dem Abendessen dasselbe Kissen ihre Köpfe aufnimmt, aber was alle Welt weiß, wird von aller Welt ignoriert. Man kann freundschaftlich bei einem Mann schlafen, bei einem Weibe nicht.«

»Das ist wahr, Monsignore: man rettet den Schein, und geheime Sünde ist halb vergeben, wie man in Paris sagt.«

»In Rom sagt man, es ist überhaupt keine. Peccato nascosto non offende – Geheime Sünde erregt keinen Anstoß.«

Diese jesuitische Unterhaltung interessierte mich, denn ich wußte von dem Herrn, daß er ein erklärter Freund der verbotenen Frucht war.

Da ich in einer Loge die Marchesa Passarini, die ich in Dresden gekannt hatte, und den Fürsten Don Antonio Borghese bemerkte, suchte ich sie auf, um ihnen meine Aufwartung zu machen. Der Fürst, den ich vor etwa zehn Jahren in Paris gesehen hatte, erkannte mich wieder und lud mich für den nächsten Tag zum Essen ein. Ich ging hin, aber der gnädige Herr war nicht zu Hause. Ein Page sagte mir, es sei für mich gedeckt und ich könne trotzdem speisen; ich drehte ihm den Rücken zu und ging. Am Aschermittwoch schickte er seinen Kammerdiener zu mir und lud mich zum Abendessen bei der Marchesa ein, die er aushielt. Ich ließ ihm sagen, ich würde die Ehre haben, mich pünktlich einzufinden; aber er wartete vergeblich auf mich. Der Stolz ist das Kind der Dummheit und schlägt nie aus der Art seiner Mutter.

Von der Oper Aliberti ging ich zu Momolo, bei dem ich Mariuccia mit ihren Eltern und ihrem Bräutigam fand. Man erwartete mich voller Ungeduld. Es ist nicht schwer, Glückliche zu machen, wenn man aus der Klasse der Wenigbegüterten Menschen auswählt, die es verdienen. Ich befand mich in einer Gesellschaft armer, aber ehrlicher Leute, und ich kann sagen, daß ich köstlich bei ihnen speiste. Es ist möglich, daß meine Befriedigung zum Teil meiner Eitelkeit entsprang, denn ich wußte, daß ich der Urheber der Freude und Seligkeit war, die auf allen Gesichtern strahlten, ich meine auf den Gesichtern des künftigen Paares und der Eltern der jungen Maria; aber die Eitelkeit ist eine Tugend, wenn sie Gutes bewirkt. Doch bin ich mir selber schuldig, meinen Lesern zu sagen, daß meine Freude rein und von keinem Laster befleckt war.

Nach dem Essen legte ich eine kleine Pharaobank auf, indem ich alle Anwesenden mit Marken spielen ließ, denn niemand von ihnen hatte einen Soldo; ich spielte so unglücklich, daß zu meiner größten Befriedigung jeder von meinen Gästen ein paar Dukaten gewann.

Nach dem Essen tanzten wir, trotz dem Verbot des Papstes, den in Rom niemand für unfehlbar hält; denn er verbietet den Tanz und erlaubt die Glücksspiele. Sein Nachfolger Ganganelli tat genau das Gegenteil und fand keinen besseren Gehorsam. Um mich nicht verdächtig zu machen, gab ich dem Brautpaare kein Geschenk; aber ich überließ ihnen meinen Landauer, damit sie auf dem Korso den Karneval mitmachen könnten, und befahl Costa, ihnen eine Loge im Capranica-Theater zu mieten. Momolo lud uns alle auf Fastnacht zum Abendessen ein.

Da ich am zweiten Fastentage von Rom abreisen wollte, ging ich zum Heiligen Vater um zweiundzwanzig Uhr, als die ganze Stadt auf dem Korso war. Seine Heiligkeit empfing mich auf das freundlichste und sagte mir, sie sei überrascht, daß ich nicht wie alle Welt bei der großen Lustbarkeit sei. Ich erwiderte ihm, ich sei ein großer Freund des Vergnügens und habe daher auf alles andere verzichtet, um mir das größte Vergnügen für einen Christen zu verschaffen, nämlich dem wahren Vertreter Jesu Christi meine tiefe Ehrfurcht zu bezeigen. Er neigte sein Haupt mit einer Miene majestätischer Demut, die die Befriedigung über mein Kompliment durchblicken ließ. Er behielt mich länger als eine Viertelstunde bei sich und sprach von Venedig, von Padua und sogar von Paris, das der gute Mann gerne kennen gelernt hätte. Als ich mich endlich abermals seinem apostolischen Schutze empfahl, um die Gnade der Rückkehr in mein Vaterland zu erlangen, sagte er mir: »Lieber Sohn, wenden Sie sich an Gott, dessen Gnade wirksamer sein wird als unser Gebet!«

Hierauf gab er mir seinen Segen und wünschte mir gute Reise. Ich sah, daß dieses Haupt der Kirche nicht übermäßig an seine eigene Macht glaubte.

Am Fastnachtstage erschien ich auf einem sehr schönen Pferde, reich als Pulcinella gekleidet, auf dem Korso mit einem riesigen Korb voll Zuckerwerk und zwei Beuteln voll Konfetti, mit denen ich alle schönen Weiber, die ich sah, bombardierte. Als ich an meinem Landauer vorbeikam, schüttete ich meinen Korb über die Töchter des guten und ehrenwerten päpstlichen Scopatore aus, die Costa mit der Würde eines Paschas spazieren fuhr.

Bei Anbruch der Nacht demaskierte ich mich und ging hierauf zu Momolo, in dessen Hause ich die liebenswürdige und schöne Mariuccia zum letzten Male sehen sollte. Unser Fest glich so ziemlich dem vom vorigen Sonntag; neu aber und interessant war für mich, daß ich das Mädchen, das mich als Geliebte so sehr interessiert hatte, nun als Gattin sah. Ihr Mann schien mir an diesem Tage viel zurückhaltender gegen mich zu sein als bei unserem ersten Zusammentreffen. Dies war mir peinlich, und ich benutzte daher einen günstigen Augenblick, um mich neben Mariuccia zu setzen und ungestört mit ihr zu plaudern. Sie erzählte mir ausführlich, wie die erste Nacht vergangen war, und war unermüdlich in Lobpreisungen der Eigenschaften ihres schönen Gatten. Er war sanft, verliebt, von immer gleichem Wesen und sehr zartfühlend. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß die Blume bereits gepflückt war, aber er hatte nichts darüber gesagt. Er hatte sie veranlaßt, von mir zu sprechen, und sie hatte sich das Vergnügen nicht versagen können, ihm zu erzählen, daß ich ihr einziger Wohltäter sei. Diese Mitteilung hatte ihn nicht beleidigt, sondern ihr im Gegenteil sein volles Vertrauen gewonnen.

»Aber,« fragte ich sie, »hat er keine versteckten Fragen über unser Verhältnis an dich gerichtet?«

»Nicht die mindeste. Ich habe ihm gesagt, du hättest dich, um mein Glück zu begründen, unmittelbar an meinen Beichtvater gewandt; du hättest mit mir nur ein einziges Mal in der Kirche gesprochen und ich hätte dir dabei mitgeteilt, welch eine gute Gelegenheit ich hätte, mich mit ihm zu verheiraten.«

»Und meinst du, er hat dir dies geglaubt?«

»Dessen bin ich sicher; aber selbst wenn es nicht der Fall sein sollte, so genügt es, wenn er sich nur so stellt; denn ich werde ihn nötigen, mich zu achten.«

»Vortrefflich gedacht! Ich selber werde ihn darum noch höher achten; denn es ist besser, du bist mit einem klugen Mann verheiratet als mit einem Tölpel.«

Dies Gespräch machte mir Vergnügen, und als ich mich von der Gesellschaft verabschiedete, da ich am übernächsten Tage abreisen mußte, umarmte ich den Friseur und bat ihn, zum Andenken eine sehr schöne goldene Uhr anzunehmen, die ich aus meiner Westentasche zog, und die er mit allen Zeichen aufrichtiger Dankbarkeit empfing. Dann zog ich von meinem Finger einen Ring, der mindestens sechshundert Franken wert war, und steckte diesen seiner Frau an den Finger, indem ich ihnen eine glückliche Nachkommenschaft und viel Segen wünschte. Hierauf ging ich zu Bett, nachdem ich Leduc und Costa gesagt hatte, daß wir gleich am nächsten Morgen anfangen wollten, meine Sachen zu packen. Als ich eben aufgestanden war, erhielt ich einen Brief vom Lord Limore, der mich bat, um die Mittagsstunde allein nach der Villa Borghese zu kommen.

Ich konnte mir denken, was er mir zu sagen hatte, und ging hin. Ich konnte ihm einen guten Rat geben, und die Freundschaft, die ich für seine Mutter empfand, machte mir dies zur Pflicht.

Er erwartete mich an einem Ort, wo ich vorüberkommen mußte, ging mir entgegen und gab mir einen Brief zu lesen, den er am Tage vorher von seiner Mutter erhalten hatte. Paris de Montmartel habe ihr mitgeteilt, er habe aus Rom eine Tratte auf zweihunderttausend Franken erhalten; er werde diese honorieren, wenn sie ihm den Betrag anweisen wolle. Sie habe ihm geantwortet, sie werde ihm in drei oder vier Tagen mitteilen, ob sie imstande sei, diese Summe zu beschaffen. Sie teilte jedoch ihrem Sohn mit, sie habe diesen Aufschub nur verlangt, damit er Zeit gewinne, sich in Sicherheit zu bringen; denn sein Wechsel werde ganz bestimmt mit Protest zurückkommen, da es ihr völlig unmöglich sei, das erforderliche Geld zu beschaffen.

Ich gab ihm den Brief zurück und sagte: »Sie müssen schleunigst verschwinden!«

»Liefern Sie mir die Mittel dazu, indem Sie mir diesen Ring abkaufen. Sie würden nicht wissen, daß er mir nicht gehört, wenn ich Ihnen dieses nicht selber anvertraut hätte.«

Ich verabredete mit ihm ein neues Zusammentreffen und ließ inzwischen den aus der Fassung genommenen Stein von einem der ersten Juweliere Roms schätzen.

»Ich kenne diesen Stein,« sagte er zu mir; »er ist zweitausend römische Taler wert.«

Um vier Uhr brachte ich dem Lord fünfhundert Skudi in Gold und fünfzehnhundert in Anweisungen auf einen Bankier, der ihm dafür einen Wechsel auf die Amsterdamer Bank geben sollte.

»Sobald es Nacht wird,« sagte er mir, »werde ich allein zu Pferde nach Livorno abreisen; ich nehme in meinem Mantelsack nur die Sachen mit, die ich durchaus brauche, und mein geliebtes blaues Band.«

»Gute Reise!«

Zehn Tage darauf ließ ich den Stein in Bologna fassen. Am selben Tage erhielt ich einen Empfehlungsbrief vom Kardinal Albani an den Nuntius Onorati in Florenz und einen zweiten von Herrn Mengs an den Ritter Man, den er bat, mich in seinem Hause aufzunehmen.

Ich ging nach Florenz, um die Corticelli und meine liebe Teresa zu sehen, und ich rechnete darauf, daß der Auditor meine Rückkehr nach Toskana trotz seinem ungerechten Ausweisungsbefehl nicht beachten würde, zumal wenn der Ritter Man mich in seinem Hause hätte.

Am zweiten Fastentage bildete das Verschwinden des Lord Limore das allgemeine Stadtgespräch. Der englische Schneider war zugrunde gerichtet, der Jude, dem der Ring gehörte, war in Verzweiflung, und alle Bedienten des verrückten Menschen waren in einer trostlosen Lage; denn sie wurden beinahe nackt auf die Straße gesetzt, da der Schneider sich gewaltsam aller Kleider bemächtigte, die er dem Lord, den er einen Gauner nannte, geliefert hatte.

Der arme Poinsinet kam in einem mitleiderregenden Zustand zu mir; denn er trug nur einen Überzieher über seinem Hemd. Der Wirt hatte sich aller seiner eigenen Sachen bemächtigt und ihm sogar gedroht, ihn ins Gefängnis stecken zu lassen, als er ihm gesagt hatte, er wäre nicht im Dienst des Flüchtigen gewesen.

»Ich habe keinen Heller,« sagte der arme Musensohn zu mir; »ich besitze nicht einmal ein zweites Hemd und kenne hier in Rom keinen Menschen. Am liebsten möchte ich mich in den Tiber stürzen!«

Es war ihm vom Schicksal nicht bestimmt, in diesem Flusse zu sterben, sondern im Guadalquivir. Ich beruhigte seine Verzweiflung, indem ich ihm anbot, ihn mit mir nach Florenz zu nehmen; doch machte ich ihn darauf aufmerksam, daß ich ihn dort sich selber überlassen müßte, weil ich erwartet würde. Er quartierte sich sofort bei mir ein und tat bis zum Augenblick der Abreise nichts als Verse machen.

Mein Bruder Giovanni schenkte mir einen sehr schönen Onyx. Es war eine Kamee, die eine Venus im Bade darstellte – eine echte Antike, denn mit einer sehr scharfen Lupe las man darauf den Namen des Steinschneiders Sostrates, der vor dreiundzwanzighundert Jahren lebte. Zwei Jahre später verkaufte ich sie in London dem Doktor Masti für dreihundert Pfund Sterling; vielleicht ist sie noch jetzt im Britischen Museum. Ich reiste mit Poinsinet ab, der mich in seiner Traurigkeit durch die spaßhaftesten Einfälle ergötzte. Am nächstfolgenden Tage stieg ich in Florenz beim Doktor Vannini ab, der bei meinem Anblick kaum seine Überraschung zu verbergen wußte. Unverzüglich begab ich mich zum Ritter Man, den ich allein bei Tisch fand. Er nahm mich sehr freundschaftlich auf, doch sah ich ihn bestürzt, als ich auf seine Frage ihm mitteilte, daß meine Angelegenheit noch nicht in Ordnung sei. Ei sagte mir aufrichtig, ich hätte nicht gut daran getan, nach Florenz zu kommen, und er würde sich bloßstellen, wenn er mir in seinem Hause Unterkunft gäbe. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich nur auf der Durchreise in Florenz sei.

»Das ist ganz schön und gut,« antwortete er mir; »aber Sie werden begreifen, daß Sie nicht umhin können, sich dem Auditor vorzustellen.«

Ich versprach ihm dies zu tun und ging nach meinem Gasthof zurück. Kaum war ich auf meinem Zimmer, so erschien ein Polizeibeamter und sagte mir, der Auditor wolle mit mir sprechen und erwarte mich am nächsten Morgen in der Frühe.

Entrüstet über diesen beleidigenden Befehl, beschloß ich, lieber sofort abzureisen als zu gehorchen. Von diesem festen Vorsatze erfüllt, ging ich zu Teresa; sie war nach Pisa gereist. Ich begab mich zur Corticelli, die mir um den Hals fiel und als echte Bologneserin alle den Umständen angemessenen Grimassen schnitt. Das Mädchen war zwar schön, aber sie hatte tatsächlich in meinen Augen kein anderes Verdienst, als daß ich gern über sie lachte. Ich gab der Mutter Geld, um ein gutes Abendessen zurecht zu machen, und nahm die Tochter mit, um mit ihr spazieren zu gehen. Ich führte sie in meinen Gasthof zu Poinsinet; dann ging ich in das Nebenzimmer und ließ Costa und Vannini kommen. In Gegenwart des Doktors befahl ich Costa, am nächsten Tage mit Leduc und meinem Gepäck abzureisen und mich in Bologna im Gasthof »Zum Pilger« aufzusuchen. Der Wirt entfernte sich, nachdem er meine Befehle erhalten hatte. Hierauf befahl ich Costa, mit der Signora Laura und ihrem Sohn von Florenz abzureisen und ihnen zu sagen, ich sei mit der Tochter vorausgereist. Nachdem ich Leduc dieselbe Instruktion gegeben hatte, rief ich Poinsinet, gab ihm zehn Zechinen und bat ihn, am selben Abend noch eine andere Unterkunft zu suchen. Der ebenso anständige wie unglückliche junge Mann weinte Tränen der Dankbarkeit und sagte mir, er werde am nächsten Tage zu Fuß nach Parma aufbrechen, wo Herr du Tillot ihn nicht im Stich lassen werde.

Hierauf ging ich in mein Zimmer zurück und sagte der Corticelli, sie möchte mit mir kommen. Sie folgte mir, in dem Glauben, wir würden zu ihrer Mutter zurückgehen; ich beließ sie dabei, führte sie aber nach der Post, ließ zwei Pferde vor einen Stuhlwagen spannen und befahl dem Postillon, mich nach Uccellatoio, die erste Station auf der Straße nach Bologna, zu fahren.

»Wohin fahren wir denn?« fragte sie.

»Nach Bologna.«

»Und Mama?«

»Wird morgen kommen.«

»Weiß sie es?«

»Nein; aber sie wird es morgen erfahren, wenn Costa es ihr sagt, und wird mit ihm und deinem Bruder uns nachreisen.«

Sie fand den Streich scherzhaft, lachte und stieg in den Wagen. Bald waren wir unterwegs.

Dreizehntes Kapitel


Ankunft in Bologna. – Meine Ausweisung aus Modena. – Reise nach Parma und Turin. – Die schöne Jüdin Lia. – Die Modistin R.

Die Corticelli hatte einen warmen Mantel, mit Pelz gefüttert; aber der Narr, der sie entführte, hatte nicht einmal einen Überrock. Dabei herrschte eine schneidende Kälte, die noch durch einen sehr beißenden Wind vermehrt wurde, der uns ins Gesicht blies, und dem wir in einem zweisitzigen, vorne offenen Stuhlwagen schutzlos ausgesetzt waren.

Trotzdem ließ ich nirgends anhalten, denn ich fürchtete, verfolgt zu werden und umkehren zu müssen, und dieses würde mich sehr geärgert haben.

Wenn ich sah, daß der Postillon langsamer fuhr, spornte eine Vermehrung des Trinkgeldes ihn zu immer größerer Eile an. Ich dachte, der Wind würde mich über den Apennin blasen; ich war vor Kälte erstarrt. Die Postillone, die mich so leicht bekleidet meine Taler verschwenden sahen, um die Fahrt zu beschleunigen, bildeten sich ein, ich sei ein Prinz, der eine junge Erbin aus irgendeiner vornehmen Familie entführte. In unserem Wägelchen zusammengekauert, hörten wir sie ihre Gedanken über uns austauschen, während die Pferde gewechselt wurden.

Meine Corticelli fand diese Vermutung so komisch, daß sie während der ganzen übrigen Fahrt aus vollem Halse darüber lachte. In fünf Stunden legten wir eine Entfernung von vierzig Miglien zurück, denn wir waren um acht von Florenz abgefahren, und um ein Uhr hielten wir vor einem Posthause auf päpstlichem Gebiet, wo ich nichts mehr zu fürchten hatte. Man nennt dieses Posthaus den »Abgeladenen Esel«. Der seltsame Name des Gasthofes war für meine Schöne ein Anlaß zu neuer Heiterkeit. Alles schlief; aber nachdem wir einen Höllenlärm gemacht hatten, bewirkten einige Paoli, die ich an die Bediensteten verteilte, daß ich ein gutes Feuer bekam, dessen ich vor allem bedurfte. Ich hatte einen Wolfshunger, aber man sagte mir, es sei nichts zu essen da. Vom Gegenteil überzeugt, lachte ich dem Wirt ins Gesicht und sagte ihm, er möchte mir seine Butter, seine Eier, seinen Makkaroni, einen Schinken und Parmesankäse bringen; denn ich wußte, daß dieses alles überall in Italien zu haben ist. Bald wurde ich bedient und zeigte dem guten Wirt, daß wir genug hatten, um eine ausgezeichnete Mahlzeit zu halten. Wir aßen für vier; hierauf ließ ich mir ein reines Bett aus Matratzen herrichten, die für Betten ausgereicht hätten, und wir legten uns nieder, nachdem ich befohlen hatte, uns zu wecken, sobald eine vierspännige englische Kutsche ankäme.

Mit Makkaroni und Schinken vollgestopft, ein wenig erhitzt vom Chianti und Monte-Pulciano und ermüdet von unserer Fahrt, bedurften wir mehr des Schlafes als der Liebe; wir dachten daher auch nicht an die Wollust, sondern überließen uns der Ruhe, bis wir aufwachten. Dann widmeten wir einen Augenblick dem Vergnügen, aber es war so wenig, daß es nicht der Mühe wert ist, davon zu reden.

Gegen ein Uhr machte der Hunger sich lebhaft bemerkbar; wir standen auf, und der Wirt setzte uns ein ausgezeichnetes, von mir angeordnetes Mittagessen vor. Ich wunderte mich, daß mein Wagen nicht kam, doch faßte ich mich in Geduld. Als aber bis zum Einbruch der Nacht immer noch nichts kam, begann ich Befürchtungen zu hegen. Die Corticelli jedoch, die fortwährend lachte, wollte nichts Trauriges hören. Wir legten uns zu Bett, nachdem wir beschlossen hatten, den Sohn des Postmeisters nach Florenz fahren zu lassen, wenn meine Kutsche während der Nacht nicht ankommen würde. Als wir aufwachten, war der Wagen immer noch nicht da. Der Sohn des Postmeisters konnte mir nicht dienen; ich ließ mir einen sicheren Boten besorgen und schickte ihn mit genauen Weisungen an Costa. Für den Fall eines gewalttätigen Verfahrens war ich entschlossen, nach Florenz zurückzukehren, wo ich unter allen Umständen mit dem Verluste von zweihundert Skudi davongekommen wäre.

Der Bote, der um zwölf Uhr abgegangen war, kam schon um zwei Uhr zurück und meldete mir, meine Leute würden sofort kommen. Meine Kutsche war mit Fuhrmannspferden bespannt, und hinter ihr fuhr eine zweispännige Kalesche, worin eine alte Frau und ein junger Mann saßen.

»Das ist die Mama!« rief die Corticelli. »Ha ha, da wird’s was zu lachen geben. Wir müssen ihnen etwas zu essen machen lassen, und sie muß uns recht weitläufig diese wunderbare Geschichte erzählen, an die sie bis zu ihrem Tode denken wird.«

Costa sagte mir, der Auditor habe, um sich wegen meiner Mißachtung seiner Befehle zu rächen, der Post verbieten lassen, mir Pferde für meinen Wagen zu liefern. Infolgedessen habe er einen Vetturino nehmen müssen, und dadurch sei die Reise verzögert worden.

Dann begann Signora Laura ihre Geschichte: »Ich hatte ein gutes Abendessen zurechtgemacht, wie Sie es mir befohlen hatten. Es hat, wie Sie sehen werden, mir mehr als zehn Paoli gekostet, die Sie mir gütigst wiedererstatten werden, denn ich bin eine arme Frau. Als alles zurecht war, freute ich mich, daß Sie bald kommen würden; aber vergebens. Ich war in Verzweiflung. Um Mitternacht schickte ich endlich meinen Sohn in Ihren Gasthof, um nach Ihnen zu fragen; stellen Sie sich meinen Schmerz vor, als er zurückkam und mir sagte, man wisse nicht, was aus Ihnen geworden sei. Ich verbrachte in Tränen eine schlaflose Nacht. Am Morgen ging ich aufs Gericht, um Sie wegen der Entführung meiner Tochter anzuklagen. Ich flehte die Beamten an, sie möchten Sie verfolgen lassen und Sie zwingen, mir meine Tochter zurückzugeben. Aber denken Sie sich: man hat sich über mich lustig gemacht! Man lachte mir ins Gesicht und sagte: ›Warum haben Sie sie allein ausgehen lassen? Ihre Tochter ist in guten Händen, und Sie wissen wohl, bei wem sie ist und warum sie dort ist.‹ Solche Verleumdung!«

»Verleumdung?« fragte die Corticelli.

»Ganz gewiß! Damit sagten sie mir doch, ich hätte sozusagen der Entführung zugestimmt, und das konnten die Kerle doch nicht annehmen! Denn wenn ich eingewilligt hätte, wäre ich doch nicht zu ihnen gegangen, um mein Recht zu verlangen. Wütend ging ich dann zum Doktor Vannini; bei ihm traf ich Ihren Kammerdiener, der mir sagte, Sie wären nach Bologna abgereist und ich würde Sie dort finden, wenn ich hinter Ihrer Kutsche herfahren wollte. Ich erklärte mich dazu bereit, und ich hoffe, Sie werden den Fuhrlohn bezahlen, den ich mit dem Vetturino ausbedungen habe. Aber gestatten Sie mir. Ihnen zu sagen: was Sie getan haben, geht denn doch über den Spaß.«

Ich tröstete die habsüchtige Mutter mit dem Versprechen, alles zu bezahlen und ihr alles zu vergüten, was sie ausgegeben oder in Florenz zurückgelassen hatte. Am nächsten Tage reisten wir nach Bologna ab, wo wir bei guter Zeit ankamen. Ich schickte meinen Bedienten mit meinem Wagen in den Gasthof und stieg selber bei der Corticelli ab.

Acht Tage verbrachte ich bei dem Mädchen. Ich ließ mir das Essen aus dem Wirtshause kommen und genoß recht abwechslungsreiche Freuden, deren ich mich mein Leben lang erinnern werde; denn das ausgelassene Mädchen hatte eine Menge von jungen Freundinnen, die alle hübsch und recht gefällig waren. Wie ein Sultan lebte ich während dieser kurzen Woche, die ich noch jetzt gerne in mein altes Gedächtnis zurückrufe, indem ich mit einem Seufzer sage: Tempi passsati!

Es gibt in Italien mehr als eine Stadt, wo man sich alle sinnlichen Vergnügen verschaffen kann, die man in Bologna findet; aber man erhält sie nirgends so billig, noch so bequem, noch so ungestört. Außerdem lebt man in Bologna so gut: man geht unter den schönen Steinlauben im Schatten spazieren, und man findet dort Geist und Gelehrsamkeit. Es ist sehr schade, daß entweder die Luft, oder das Wasser, oder der Wein – denn die Sache ist noch nicht ausgemacht – eine leichte Krätze verursachen. Indessen ist dies für die Bologneser durchaus nichts Unangenehmes, sondern vielmehr ein Vorzug, den sie allem Anschein nach sehr hoch schätzen: man kratzt sich. Besonders die Damen wissen zur Frühlingszeit ihre Finger mit großer Anmut in Bewegung zu setzen.

Gegen Mittfasten verließ ich die Corticelli, indem ich ihr gute Reise wünschte; denn sie wollte nach Prag abreisen, wohin sie auf ein Jahr als zweite Tänzerin engagiert war. Ich versprach ihr, sie persönlich abzuholen und nebst ihrer Mutter nach Paris zu bringen; meine Leser werden sehen, wie ich ihr Wort hielt.

Am Tage meiner Abfahrt von Bologna kam ich abends in Modena an; ich hielt hier infolge einer jener plötzlichen Launen an, denen ich stets unterworfen war. Am nächsten Morgen ging ich aus, um mir die Gemäldegalerie anzusehen. Als ich zum Mittagessen in meinen Gasthof kam, sah ich dort einen großen Flegel, der mir im Namen der Regierung den Befehl überbrachte, spätestens am nächsten Tage meine Reise fortzusetzen. Ich rief den Wirt und ließ mir in seiner Gegenwart den Befehl wiederholen. Hierauf sagte ich: »’s ist gut«, und der Kerl entfernte sich.

»Was ist das für ein Mensch?« fragte ich den Wirt.

»Ein Sbirre.«

»Ein Sbirre? Und die Regierung wagt es, mir einen solchen Menschen zu schicken!«

»Der Bargello kann ihn geschickt haben.«

»Der Bargello ist also Gouverneur von Modena? Ein solcher Niederträchtiger?«

»Niederträchtiger? … Schweigen Sie! Der ganze Adel verkehrt mit ihm.«

»Der Adel ist hier also sehr gemein?«

»Nicht gemeiner als anderswo. Der Bargello ist der Unternehmer der Oper; die vornehmsten Herren speisen bei ihm und gewinnen auf diese Weise seine Freundschaft.«

»Das ist unglaublich! Aber warum weist mich denn dieser gnädige Herr Bargello aus Modena aus?«

»Das weiß ich nicht; aber wenn ich Ihnen raten darf, sprechen Sie mit ihm; Sie werden in ihm einen vollendeten Kavalier finden.«

Anstatt zu diesem Hans A …. zu gehen, begab ich mich zum Abbate Testa-Grossa. Ich hatte ihn im Jahre 1753 in Wien kennen gelernt. Er war ein Mann von niederer Herkunft, aber von bedeutendem Geist; nun war er alt und ruhte auf seinen Lorbeeren aus. Er hatte das Glück gehabt, durch sein Verdienst die Gunst des Glückes erschwungen zu haben, und sein Herr, der Herzog von Modena, hatte ihn würdig befunden, sich lange Jahre von ihm bei auswärtigen Herrschern vertreten zu lassen.

Der Abbate Testa-Grossa erkannte mich und nahm mich auf das freundlichste auf; als er jedoch von meinem Erlebnis hörte, wurde er sehr verstimmt.

»Was kann ich tun?« fragte ich ihn.

»Abreisen; denn dieser Mann könnte Ihnen einen noch viel größeren Schimpf antun.«

»Ich werde gehen, aber könnten Sie mir das Vergnügen machen, mich über den Grund eines so verletzenden Verfahrens aufzuklären?«

»Kommen Sie heute Abend wieder. Wahrscheinlich werde ich Ihren Wunsch erfüllen können.«

In der Dämmerung stellte ich mich pünktlich bei ihm ein, denn ich war mehr neugierig als unruhig, wodurch ich mir die Feindschaft des Herrn Bargello zugezogen haben könnte, von dem ich überhaupt nicht gekannt zu sein glaubte. Der Abbate befreite mich von meiner Unruhe, indem er sagte: »Der Bargello hat Ihren Namen auf der ihm jeden Tag überbrachten Liste der ankommenden oder abreisenden Fremden gesehen. Er hat sich erinnert, daß Sie die Kühnheit besaßen, aus den Bleikammern zu entfliehen; und da er so etwas für höchst verdammenswert hält, hat er beschlossen, ein so schlimmes Beispiel der Verletzung der Gerechtigkeit, mag diese auch noch so ungerecht sein, nicht in Modena zu lassen. Kraft seiner allerhöchsten Gewalt hat er Ihnen daher den Befehl zugestellt, die Stadt zu verlassen.«

»Diese Mitteilung erleichtert mich; aber ich wundere mich, Herr Abbate, daß Sie mir dies erzählen, ohne darüber zu erröten, daß Sie Untertan des Herzogs von Modena sind. Wie unwürdig! Solche Polizei läuft ja der Moral, dem Menschenrecht und dem Staatswohl zuwider!«

»Sie haben wohl recht, so zu denken, mein lieber Herr; aber die Menschen sind noch weit davon entfernt, die Einrichtungen zu kennen, die ihrer Würde entsprechen.«

»Ohne Zweifel, weil es so viele Unwürdige gibt.«

»Das will ich nicht bestreiten.«

»Leben Sie wohl, Herr Abbate.«

»Leben Sie wohl, Herr Casanova.«

Am nächsten Tage sah ich in dem Augenblick, wo ich in meinen Wagen steigen wollte, einen Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, von hohem kräftigen Wuchs und breiten Schultern, mit düsteren, funkelnden Augen und merkwürdig dichten Augenbrauen, der wie ein richtiger Halsabschneider aussah. Er sprach mich an und bat mich höflich, mit ihm einen Augenblick auf die Seite zu gehen und ihn anzuhören.

»Wenn Sie drei Tage in Parma bleiben wollen und mir hier Ihr Wort geben, daß Sie mir fünfzig Zechinen schenken, sobald ich sie von Ihnen verlange, und Sie die Gewißheit haben, daß der Bargello tot ist, so verspreche ich Ihnen, ihn vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden durch einen Büchsenschuß zu töten.«

»Ich danke Ihnen. Er ist ein Vieh, das man seines natürlichen Todes sterben lassen muß. Da haben Sie einen Taler; trinken Sie auf meine Gesundheit.«

Heute freue ich mich, daß ich so gehandelt habe; aber ich gestehe: wäre ich sicher gewesen, daß der schlechte Kerl mir keine Falle stellte, so hätte ich ihm das gewünschte Versprechen gegeben. Die Furcht, mich bloßzustellen, ersparte mir ein Verbrechen.

Am nächsten Tage kam ich in Parma an und stieg im Gasthof »Zur Post« unter dem Namen eines Chevaliers de Seingalt ab; diesen Namen trage ich noch; denn wenn ein Ehrenmann einen Namen annimmt, der keinem Menschen gehört, hat niemand das Recht, ihm diesen zu bestreiten, und es ist seine Pflicht, ihn nicht wieder abzulegen. Ich trug ihn bereits seit zwei Jahren, aber ich vereinigte ihn oft mit meinem Familiennamen.

Sobald ich in Parma angekommen war, entließ ich Costa; aber zu meinem Unglück nahm ich ihn eine Woche später, zwei Tage vor meiner Abreise, wieder an. Sein Vater war ein armer Violinspieler, wie auch ich es gewesen war; er hatte eine zahlreiche Familie zu ernähren und tat mir leid.

Ich erkundigte mich nach Herrn Antoine; er war nicht mehr da. Herr Dubois Châtelereux, der Münzdirektor, befand sich mit Erlaubnis des Infanten-Herzogs von Parma in Venedig, um dort den Prägestempel einzurichten, dessen man sich niemals bedient hat. Die venetianischen Münzen sind nicht geändert. Republiken hängen abergläubisch an den alten Gewohnheiten; sie fürchten, daß Verbesserungen zu Änderungen führen, die der Festigkeit der Staatsverfassung schaden könnten. Die Regierung des aristokratischen Venedigs bewahrt noch immer den griechischen Charakter, den sie bei der Geburt der Republik hatte.

Mein Spanier hatte sich gefreut, als ich Costa entließ; er ärgerte sich, als ich ihn wieder nahm, und sagte zu mir: »Er ist kein ausschweifender Mensch; er ist nüchtern und liebt schlechte Gesellschaft nicht; aber ich halte ihn für einen Dieb und zwar für einen gefährlichen Dieb, gerade weil er sich ein Gewissen daraus macht, Sie in Kleinigkeiten zu betrügen. Gnädiger Herr, denken Sie an mich: er wird Sie übers Ohr hauen. Er wartet, um den großen Schlag zu machen, nur auf den Augenblick, wo er Ihr Vertrauen gewonnen hat. Ich mache es anders, ich bin ja so eine Art Spitzbube, aber Sie kennen mich.«

Er sah richtiger als ich; denn fünf oder sechs Monate darauf stahl der Italiener mir fünfzigtausend Taler. Dreiundzwanzig Jahre später, im Jahre 1784, fand ich ihn in Wien als Kammerdiener des Grafen Hardegg wieder. Da ich sah, daß er von dem Gelde nichts mehr besaß, bekam ich Lust, ihn hängen zu lassen. Ich bewies ihm schwarz auf weiß, daß dies nur von mir abhängen würde; aber er flehte mich unter Tränen um Schonung an und ihn rettete das Mitleid, das ein braver Mann, namens Bertrand, der beim sardinischen Gesandten wohnte, mit ihm hatte. Dieser Mann, den ich hoch schätzte, veranlaßte mich zu der heroischen Handlung, ihm zu vergeben. Auf meine Frage, was er mit all dem mir gestohlenen Gelde und mit den Juwelen gemacht hätte, antwortete der Elende mir, er hätte alles verloren, indem er das Kapital zu einem Biribispiel hergegeben hätte; seine eigenen Teilhaber hätten ihn ausgeplündert, und seitdem hätte er arm und unglücklich gelebt. Er hatte im selben Jahre Momolos Tochter geheiratet und verließ sie, nachdem er sie zur Mutter gemacht hatte.

Doch weiter:

In Turin stieg ich in einem Privathause ab, wo Abbate Gama wohnte, der mich bereits erwartete. Trotz der Predigt über die Sparsamkeit, die der gute Abbate mir hielt, nahm ich das ganze erste Stockwerk; es war eine sehr schöne Wohnung.

In bezug auf unsere diplomatischen Angelegenheiten versicherte er mir, ich würde im Mai meine Beglaubigungsschreiben erhalten und dann würde er mich unterrichten, wie ich mich zu verhalten hätte. Dieser Auftrag war mir sehr angenehm, und ich sagte ihm daher, ich wäre bereit, nach Augsburg zu gehen, sobald die Gesandten der kriegführenden Mächte dort zusammenkommen würden.

Nachdem ich der Wirtin die nötigen Anweisungen in bezug auf meinen Tisch gegeben hatte, ging ich aus. Ich trat in ein Kaffeehaus, um die Zeitungen zu lesen, und der erste, den ich dort sah, war der Marquis Desarmoises, den ich in Savoyen kennen gelernt hatte. Er sagte mir: »Vor allen Dingen habe ich Ihnen mitzuteilen, daß die Hasardspiele verboten sind. Die Damen, die Sie in Aix gekannt haben, werden ohne Zweifel entzückt sein, Sie wieder zu sehen. Ich selber lebe vom Tricktrackspiel, obgleich ich im Würfeln nicht glücklich bin; aber es kommt bei diesem Spiel mehr auf Talent als auf Glück an.«

Ich begriff sehr wohl, daß bei gleichem Glück derjenige gewinnen muß, der besser zu rechnen versteht; aber das Gegenteil war mir unbegreiflich.

Wir machten einen Spaziergang in der schönen Allee, die nach der Zitadelle führt. Ich bemerkte eine Menge sehr hübscher Personen. In Turin hat das weibliche Geschlecht alle Reize, die die Liebe nur wünschen kann, aber in keiner Stadt Italiens ist die Polizei so unbequem. Da die Stadt klein und sehr bevölkert ist, sind Spione überall. Man kann daher eine gewisse Freiheit nur unter außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln genießen, und nur mit Hilfe von sehr geschickten Kupplerinnen, die man gut bezahlen muß; denn sie riskieren, wenn sie entdeckt werden, eine barbarische Strafe. Man duldet weder öffentliche Dirnen noch Privat-Mätressen; dies ist den verheirateten Frauen sehr angenehm, und die unwissende Polizei hätte das doch wohl übrigens sehen müssen. Man begreift, welch leichtes Spiel infolgedessen die Päderastie in einer Stadt hat, wo die Leidenschaften sehr lebhaft sind.

Unter den Schönheiten, die meine Blicke auf sich gelenkt hatten, fesselte mich besonders eine. Ich fragte Desarmoises, der sie alle kannte, nach ihrem Namen. Er sagte mir: »Sie ist die berühmte Lia, eine unbesiegliche Jüdin, die den Angriffen der berühmtesten Liebhaber von Turin widerstanden hat. Ihr Vater ist ein bekannter Roßtäuscher; es ist nicht schwierig, sie zu besuchen, aber es ist nichts bei ihr zu machen.«

Ich fühlte mich um so mehr aufgelegt, die Sache zu wagen, da sie für so schwierig galt, und sagte daher zu Desarmoises: »Führen Sie mich zu ihr.«

»Sobald Sie wollen.«

Ich lud ihn ein, mit mir zu speisen, und als wir nach meinem Gasthause gingen, begegneten wir Herrn Zeroli und zwei oder drei anderen Herrn von der Spielgesellschaft von Aix. Ich machte und empfing Komplimente; da ich aber keine Lust hatte, einen von ihnen zu besuchen, so verabschiedete ich mich höflich unter dem Vorwande, daß ich Geschäfte hätte.

Gleich nach dem Essen führte Desarmoises mich nach der Porta del‘ Po zu Lias Vater, dem Roßkamm. Ich fragte ihn, ob er ein gutes Reitpferd zu verkaufen hätte. Er rief einen Stalljungen und gab ihm seine Befehle; während er mit mir sprach, trat seine reizende Tochter hinzu. Sie war blendend. Sie konnte höchstens zweiundzwanzig Jahre alt sein. Ein schlanker Nymphenwuchs, herrliche Haare vom schönsten Schwarz, eine Haut von Lilien und Rosen, die schönsten Augen voll Geist und Feuer, lange Wimpern und schön gewölbte Brauen, die allen, die an die Erlangung so herrlicher Reize dachten, den Krieg erklären zu wollen schienen – dies waren ihre Vorzüge. Ihr Benehmen verriet eine gute Erziehung und Weltgewandtheit.

In die Betrachtung der Reize dieses schönen Mädchens versunken, sah ich anfangs nicht das Pferd, das vor mir stand. Endlich aber prüfte ich es, indem ich den Kenner spielte: nachdem ich Knie und Beine befühlt, die Ohren bewegt und das Maul untersucht hatte, ließ ich es mir im Schritt, im Trab und im Galopp vorreiten; hierauf sagte ich dem Juden, ich würde am nächsten Morgen in Stiefeln wiederkommen, um es selber zu reiten. Das Pferd war ein schöner Apfelschimmel; es kostete vierzig Piemonteser Pistolen, ungefähr hundert Zechinen.

»Es ist die Sanftmut selbst,« sagte Lia, »und hat einen so vortrefflichen Paßgang, daß es in dieser Gangart es mit dem Trabe jedes anderen Pferdes aufnimmt.«

»Sie haben es also geritten, mein Fräulein?«

»Mehrere Male, mein Herr; und wenn ich reich wäre, würde ich es niemals verkaufen.«

»Sie würden zwei Glückliche machen; denn das Pferd muß Sie lieben, seitdem Sie es geritten haben. Ich werde es nur kaufen, wenn ich Sie es habe reiten sehen.«

Sie errötete. Ihr Vater sagte zu ihr: »Du mußt dem Herrn den Gefallen tun.«

Sie erklärte sich bereit, und ich versprach ihnen, am nächsten Morgen um neun Uhr wiederzukommen.

Wie man sich denken kann, war ich pünktlich. Ich fand Lia in Kuriertracht. Was für ein Körper! Welche Formen der Venus Kallipygos! Ich war durch diesen Eindruck bereits besiegt.

Zwei Pferde standen bereit; sie schwang sich anmutig und leicht wie der geschickteste Reitknecht auf das ihrige, und ich bestieg das andere. Wir machten einen ziemlich langen Spazierritt. Das Pferd ging sehr gut, aber was machte ich mir aus dem Tier! Ich hatte nur für sie Augen und Gedanken. Auf dem Rückwege sagte ich zu ihr: »Schöne Lia, ich werde das Pferd kaufen, aber nur, um es Ihnen zu schenken; wenn Sie es nicht annehmen, verlasse ich Turin noch heutigen Tages. Ich knüpfe an mein Geschenk keine andere Bedingung, als daß Sie die Gefälligkeit haben, mit mir auszureiten, sooft ich Sie darum bitte.«

Da ich ihrem Gesicht ansah, daß sie meine Worte günstig aufnahm, so sagte ich ihr weiter, ich würde sechs Wochen in Turin bleiben; ich hätte mich auf der Promenade in sie verliebt, und der Kauf des Pferdes wäre nur ein Vorwand gewesen, um Gelegenheit zu finden, ihr meine Gefühle kundzugeben. Sie antwortete mir mit sehr bescheidenem Wesen, die Freundschaft, die sie mir eingeflößt hätte, sei unendlich schmeichelhaft für sie, und das großmütige Geschenk, das ich ihr mache, sei nicht nötig, um mir ihre Freundschaft zu gewinnen. Sie fuhr fort: »Die Bedingung, die Sie mir auferlegen, ist mir außerordentlich angenehm, und ich bin überzeugt, ich mache meinem Vater ein Vergnügen, indem ich sie annehme. Ich bitte Sie nur um die Gefälligkeit, mir dieses Geschenk in seiner Gegenwart zu machen und zu wiederholen, daß Sie das Pferd nur kaufen werden, wenn ich es annehme.«

Ich sah mich leichter, als ich geglaubt hatte, auf gutem Wege und tat nach ihrem Begehren. Ihr Vater, namens Moses, fand das Geschäft sehr gut. Er wünschte seiner Tochter Glück, bekam die vierzig Pistolen, über die er mir eine Quittung gab, und bat mich ihm die Ehre zu erweisen, am nächsten Tage bei ihm zu frühstücken. Dies wünschte ich gerade.

Am nächsten Tage empfing Moses mich mit großer Ehrerbietung. Die schöne Lia trug Frauenkleider, aber sie sagte mir, wenn ich ausreiten wollte, würde sie sich augenblicklich umkleiden.

»Wir werden ein anderes Mal ausreiten, liebenswürdige Lia; heute bin ich glücklich, Sie in Ihrem Hause unterhalten zu dürfen.«

Ihr Vater aber, habgierig wie alle seine Glaubensgenossen, sagte mir: wenn ich gerne spazieren führe, könnte er mir einen sehr hübschen Phaethon mit zwei ausgezeichneten Pferden verkaufen.

»Sie können sie dem Herrn zeigen«, sagte Lia, die vielleicht mit ihrem Vater im Einverständnis war.

Moses antwortete nicht und ging hinaus, um anspannen zu lassen.

»Ich will mir den Wagen ansehen,« sagte ich zu Lia; »aber ich werde ihn nicht kaufen, denn ich wüßte nicht, was ich damit anfangen sollte.«

»Sie können mit der Dame, die Sie lieben, darin spazieren fahren.«

»Also mit Ihnen! Aber vielleicht würden Sie es nicht wagen?«

»Ei warum denn nicht? Wir können ja aufs Land, in die Umgebung von Turin fahren.«

»Gut, Lia; ich werde mir die Pferde ansehen.«

Der Vater kam, und wir gingen in den Hof.

Wagen und Pferde gefielen mir, und ich sagte Lia dies.

»Nun,« sagte Moses, »alles zusammen kostet nur vierhundert Zechinen; aber wenn einer das Gespann nach Ostern haben will, so muß er mindestens fünfhundert dafür geben.«

Lia stieg ein, ich setzte mich neben sie, und wir fuhren eine Stunde lang in der Umgegend spazieren. Dann fuhren wir nach Hause; ich sagte Moses, ich würde ihm am nächsten Tage Antwort geben, er entfernte sich, und ich ging mit der schönen Lia ins Haus.

Als wir im Zimmer waren, sagte ich zu ihr: »Wagen und Pferde sind gewiß vierhundert Zechinen wert, und ich werde sie morgen mit Vergnügen bezahlen; aber ich nehme sie unter denselben Bedingungen wie das Pferd und unter einer Bedingung außerdem: daß Sie mir alle Gunst gewähren, die man von einer zärtlichen gegenseitigen Liebe erwarten kann.«

»Sie sprechen klar und deutlich; ich muß Ihnen ebenso antworten: Ich bin ein anständiges Mädchen und verkaufe mich nicht.«

»Schöne Lia! Alle Frauen, anständig oder nicht, verkaufen sich. Wenn ein Mann Zeit hat, kauft er die Frau, die seine Liebe begehrt, durch eifrige Bewerbung; wenn er es eilig hat, wie ich, bedient er sich der Geschenke und sogar des Goldes.«

»Ein solcher Mann ist ungeschickt; er täte besser daran, dem Gefühl Zeit zu lassen, für ihn zu sprechen.«

»Dies wäre für mich der Gipfel des Glücks, Lia; aber ich habe es eilig.«

Da in diesem Augenblick ihr Vater eintrat, so ging ich, indem ich ihm sagte: »Wenn ich morgen nicht kommen kann, werde ich übermorgen kommen, und dann werden wir vom Phaeton sprechen.«

Offenbar hatte Lia mich für einen Verschwender genommen, den sie anführen könnte: sie hätte gerne den Wagen auf dieselbe Art bekommen wie das Pferd; aber ich war ja kein Neuling mehr. Ich hatte mich leicht dazu entschlossen, auf gut Glück hundert Zechinen zu opfern; weiter aber konnte meine Verschwendung ohne bestimmte Aussichten nicht gehen.

Ich beschloß, meine Besuche einzustellen und zu warten, wie die Sache mit ihr und ihrem Vater enden würde. Ich rechnete stark auf die Habsucht des Juden: er liebte das Geld und mußte sich ärgern, wenn seine Tochter es nicht möglich zu machen wußte, mich zum Ankauf des Wagens zu veranlassen, einerlei ob sie sich mir hingab oder nicht; denn dies mußte ihm vollkommen gleichgültig sein. Ich war beinahe gewiß, daß sie mir von selber kommen würden.

Am nächsten Sonnabend bemerkte ich die schöne Jüdin auf der Promenade. Wir gingen so nahe aneinander vorbei, daß ich sie anreden konnte, ohne daß es nach Absicht von meiner Seite aussah, zumal da ihre Blicke mir zu sagen schienen: Kommen Sie!

»Man sieht Sie ja gar nicht mehr, mein Herr!« sagte sie zu mir; »aber kommen Sie morgen und frühstücken Sie mit mir, oder ich schicke Ihnen das Pferd zurück.«

Ich versprach ihr, recht früh zu kommen; selbstverständlich hielt ich ihr Wort.

Wir frühstückten sozusagen unter vier Augen; denn obgleich noch ihre Tante als dritte dabei war, so war diese doch nur des Anstandes wegen da. Nach dem Frühstück verabredeten wir, miteinander auszureiten, und sie zog sich in meiner Gegenwart als Mann an; aber auch die Tante war dabei. Da sie ihre Lederhosen schon vorher angezogen hatte, so ließ sie ihre Röcke fallen; hierauf legte sie ihr Mieder ab und zog eine Jacke an. Ohne dem Anschein nach darauf zu achten, sah ich einen prachtvollen Busen; die listige Jüdin wußte aber wohl, was sie von meiner Gleichgültigkeit zu halten habe.

»Wollen Sie mir wohl meine Busenkrause in Ordnung bringen?« fragte sie mich. Sie entflammte mich hierdurch, und meine Hand war recht unbescheiden. Ich glaubte jedoch in diesem ganzen Manöver einen abgekarteten Plan zu erraten und war daher auf meiner Hut, um diesen zu vereiteln. In dem Augenblick, wo wir zu Pferde stiegen, kam ihr Vater und sagte zu mir: »Wenn Sie Phaeton und Wagen mir abkaufen wollen, lasse ich zwanzig Zechinen ab.«

Ich antwortete ihm: »Ihre Tochter hat es in der Gewalt, mich nach unserer Rückkehr vom Spazierritt zur Erfüllung aller Ihrer Wünsche zu veranlassen.«

Wir ritten im Schritt ab. Im Laufe des Gespräches sagte Lia mir, sie habe unvorsichtigerweise ihrem Vater gesagt, es stehe bei ihr, mich zum Ankauf des Wagens zu veranlassen, und wenn ich sie nicht mit ihrem Vater entzweien wolle, müsse ich die Güte haben, ihn zu kaufen. »Schließen Sie das Geschäft ab,« fuhr sie fort; »und behalten Sie sich vor, mir den Wagen erst dann zu schenken, wenn Sie überzeugt sind, daß ich Sie liebe.«

»Meine liebe Lia, es steht in Ihrer Macht, Ihren Willen durchzusetzen; aber Sie wissen, unter welcher Bedingung.«

»Ich verspreche Ihnen, mit Ihnen allein auszureiten, so oft Sie wollen – allerdings, ohne einzukehren; aber ich glaube, daraus machen Sie sich auch nichts. Ihre Neigung ist sehr flüchtig gewesen; es war nur eine einfache Laune.«

»Um Sie vom Gegenteil zu überzeugen, werde ich den Phaeton kaufen und in eine Remise stellen lassen. Die Pferde werde ich füttern lassen, ohne mich ihrer zu bedienen. Aber wenn Sie mich nicht binnen acht Tagen glücklich machen, werde ich Wagen und Pferde wieder verkaufen.«

»Kommen Sie morgen!«

»Ich werde kommen; aber ich verlange heute Morgen schon ein Unterpfand Ihrer Zärtlichkeit.«

»Heute Morgen? Das wäre mir unmöglich.«

»Verzeihen Sie – ich gehe mit Ihnen auf Ihr Zimmer, und beim Umkleiden können Sie mir mehr als eine Gunst bewilligen.«

Wir kamen nach Hause, und zu meiner Überraschung hörte ich sie ihrem Vater sagen, der Phaeton sei mein; er brauche ihn nur anspannen zu lassen. Der Jude lächelte; wir gingen alle drei ins Haus, und Lia sagte zu mir mit siegesbewußter Miene: »Zählen Sie das Geld auf!«

»Ich habe es nicht bei mir; aber ich will Ihnen eine Anweisung geben.«

»Hier ist Papier.«

Ohne Zögern schrieb ich dem Bankier Zappata, er möchte bei Sicht dreihundertundachtzig Zechinen zahlen. Der Jude ging, um das Geld zu holen, und Lia blieb mit mir allein.

»Indem Sie mir vertraut haben, lieber Freund,« sagte sie zu mir, »haben Sie sich meines Herzens würdig gemacht.«

»Also schnell, entkleiden Sie sich!«

»Nein, meine Tante ist im Hause, und da ich die Tür nicht schließen kann, könnte sie eintreten; aber ich verspreche Ihnen, morgen werden Sie mit mir zufrieden sein. Ich will mich jetzt umkleiden, aber treten Sie bitte in diese Kammer! Sobald ich wieder die Kleider meines Geschlechts trage, können Sie hereinkommen.«

Ich erklärte mich einverstanden, und sie schloß mich ein. Ich sah mir die Türe an und erblickte eine schmale Spalte zwischen den beiden Flügeln. Ich stieg auf einen Schemel, sah durch die Spalte und bemerkte Lia der Tür gegenüber auf einem Sofa sitzen und sich auskleiden. Sie zog ihr Hemd aus, nahm ein Handtuch, das neben ihr lag, und trocknete ihre Brüste und hierauf ihre Füße ab. Als sie ihre Reithose ausgezogen hatte und ganz nackt dastand, fiel scheinbar zufällig einer ihrer Ringe zur Erde und rollte unter das Kanapee. Sofort stand sie auf, sah nach rechts und links und bückte sich dann, um unter dem Sofa zu suchen. Um den Ring zu erfassen, mußte sie sich auf die Knie niederlassen und den Kopf nach vorne neigen. Nachdem sie sich wieder auf das Kanapee gesetzt hatte, mußte sie sich abermals abtrocknen. Sie tat dies so gründlich, daß meinen, von allen diesen Reizen entflammten Augen nicht der kleinste Teil ihres Körpers mehr ein Geheimnis blieb. Ich war überzeugt, sie wußte, daß ich dieses ganze Manöver mit ansah; wahrscheinlich erriet sie auch, welche Verheerungen sie in meiner leicht entzündlichen Natur anrichtete.

Als sie endlich fertig war, befreite sie mich aus meiner Kammer. Ich schloß sie in meine Arme und sagte ihr: »Ich habe alles gesehen!«

Sie spielte die Ungläubige, ich zeigte ihr den Spalt und schickte mich an, von meinen Rechten Gebrauch zu machen; da trat der verfluchte Moses ein. Wenn er nicht blind war, mußte er sehen, in welchen Zustand seine Tochter mich versetzt hatte; aber er dankte mir, gab mir die Quittung über das Geld, das er einkassiert hatte, und sagte: »Mein ganzes Haus gehört Ihnen.«

Ich verabschiedete mich von ihnen und ging ärgerlich fort. Ich stieg in meinen Phaeton und fuhr nach Haus; den Kutscher behielt ich, indem ich ihn beauftragte, sofort einen Stall und eine Remise zu besorgen.

Ich nahm mir vor, Lia nicht wiederzusehen, denn ich ärgerte mich über sie. Sie hatte mir in ihren wollüstigen Stellungen nur zu sehr gefallen; aber sie hatte in mir eine Aufregung hervorgerufen, die eine Todfeindin der Liebe ist. Sie hatte Amor gezwungen, zum Dieb zu werden, und in seiner hungrigen Gier hatte sich das Kind dazu herbeigelassen; als es jedoch nachher das Recht zu haben glaubte, eine kräftigere Nahrung zu verlangen, dann aber sich zurückgewiesen sah, wich die Glut einem Gefühl der Verachtung. Lia wollte sich ihre eigenen Gefühle nicht gestehen, und meine Liebe wollte sich nicht offen zum Diebstahl bekennen.

Ich machte die Bekanntschaft eines sehr liebenswürdigen Kavaliers, der Soldat, Gelehrter und großer Pferdekenner war. Er führte mich bei mehreren hübschen Damen ein, doch pflegte ich den Verkehr mit diesen nicht; denn ich hätte bei ihnen allen Gefühl aufwenden müssen; ich wollte jedoch nur solide Genüsse, selbst wenn ich sie mit schwerem Gelde erkaufen mußte. Der Chevalier de Brézé war nicht der richtige Mann für mich: er war zu tugendhaft für einen Wüstling wie mich. Er kaufte von mir den Phaeton und die Pferde, die ich Lia versprochen hatte, und ich verlor nur dreißig Zechinen daran.

Ein gewisser Baretti, der mich in Aix in Savoyen gekannt hatte und dem Marquis de Prié als Croupier diente, führte mich bei der Mazzoli ein. Sie war eine frühere Tänzerin, zurzeit Geliebte des Chevaliers Raiberti, eines kalten aber sehr ehrenwerten Mannes, der damals das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten Seiner Allergetreuesten Majestät innehatte. Die Dame war durchaus nicht hübsch, aber sehr gefällig; sie ließ für mich Mädchen in ihr Haus kommen, von denen jedoch nicht eine einzige mir würdig erschien, Lia zu ersetzen. Ich glaubte diese nicht mehr zu lieben; aber ich täuschte mich.

Der Chevalier Cocona, der in jenem Augenblick das Unglück hatte, der heiligen Veronika geweiht zu sein, überließ mir seine Geliebte, eine sehr hübsche Soubrette; aber obwohl meine Augen sich überzeugten und trotz allen Versicherungen, die sie mir gab, hatte ich nicht den Mut, sie anzurühren; aus Angst enthielt ich mich ihrer. Graf Trana, ein Bruder des Chevaliers und alter Bekannter von Aix her, stellte mich der Frau von Sc. vor; sie war eine Dame der hohen Gesellschaft und ein sehr schönes Weib, aber sie wollte mich zu einem verbrecherischen Schritt verleiten, vor dem mein guter Schutzgeist mich bewahrte; ich besuchte sie daher nicht mehr. Graf Trana rechtfertigte sich. Kurze Zeit nachher starb sein Onkel, und er wurde reich; aber er verheiratete sich und wurde unglücklich.

Ich langweilte mich, und Desarmoises, der stets mit mir speiste, fand seine Rechnung nicht dabei. Er riet mir, die Bekanntschaft einer Französin zu machen, die in Turin ein sehr berühmtes Putzgeschäft hatte. Sie nannte sich Madame R. Sie hatte in ihrem Dienst sieben oder acht junge Mädchen, die sie in einem an ihren Laden anstoßenden Saal arbeiten ließ. Er glaubte, bei richtigem Benehmen könnte ich eine nach meinem Geschmack für mich gewinnen. Da meine Börse gut gespickt war, so hielt auch ich die Sache für nicht allzu schwierig und folgte seinem Rat. Ich trat bei der Dame ein und fand bei ihr zu meiner angenehmen Überraschung Lia, die um eine Menge von allerhand Sachen feilschte, die sie sämtlich zu teuer fand. Sie sagte mir in einem Tone freundschaftlichen Vorwurfes, sie habe mich für krank gehalten.

Ich fühlte meine Liebesglut von neuem erwachen und antwortete ihr: »Ich bin sehr beschäftigt gewesen; doch werde ich morgen das Vergnügen haben, Sie zu sehen.«

Sie lud mich zu einer jüdischen Hochzeit ein, wo ich zahlreiche Gesellschaft und mehrere hübsche junge Damen finden würde. Ich wußte, daß derartige Feierlichkeiten sehr ergötzlich sind, und versprach ihr daher, zu erscheinen. Nachdem sie lange gehandelt hatte, fand sie alles zu teuer und entfernte sich. Madame R. wollte alle die sieben Sachen wieder wegräumen, ich sagte jedoch: »Ich nehme das Ganze für meine Rechnung.«

Sie lächelte; ich zog meine Börse und zählte ihr das Geld auf.

»Wo wohnen Sie, mein Herr?« fragte sie mich, »und wann soll ich Ihnen die Waren zuschicken?«

»Sie könnten, Madame, mir die Ehre erweisen, morgen früh um neun Uhr die Sachen selber zu mir bringen und mit mir frühstücken.«

»Ich kann nicht einen Augenblick von hier abkommen, mein Herr.«

Frau R. war trotz ihren fünfunddreißig Jahre noch ein sogenannter leckerer Bissen und hatte gewisse Gefühle in mir erregt.

»Ich wünsche schwarze Blonden,« sagte ich.

»Wollen Sie mir bitte folgen, mein Herr.«

Zu meiner großen Freude sah ich im Saal eine Menge junger Arbeiterinnen. Sie waren alle reizend, aber sehr eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigt und wagten mich kaum anzusehen. Frau R. öffnete mehrere Schränke und zeigte mir prachtvolle Blonden. Der Anblick dieser ganzen Schar von Nymphen machte mich zerstreut; ich sagte ihr, ich wünschte Blonden für zwei Baütten nach venetianischer Art. Sie wußte sofort Bescheid. Mit diesen Baütten wurde zu meiner Zeit in Venedig der größte Luxus getrieben. Die Blonden kosteten mir mehr als hundert Zechinen. Frau R. rief zwei von ihren jungen Mädchen bei Namen und befahl ihnen, am nächsten Morgen die Spitzen und die von Lia ausgesuchten und zu teuer gefundenen Waren zu mir zu bringen. Ein »Ja, Mama« war ihre Antwort.

Sie standen auf und küßten ihrer Mama die Hand; ich fand diese Zeremonie spaßhaft, aber angenehm, weil sie mir Gelegenheit gab, sie näher zu betrachten. Ich fand sie reizend. Wir gingen wieder in den Laden; ich setzte mich neben den Ladentisch und lobte die Schönheit der jungen Madchen; außerdem sagte ich – was allerdings nicht wahr war – ich würde sie selber den Mädchen vorgezogen haben. Sie dankte mir, sagte mir jedoch unumwunden, sie habe einen Liebhaber. Einen Augenblick darauf nannte sie mir auch dessen Namen. Es war der Graf von St. Giles, ein Schwächling, der sich sehr wenig zur Galanterie eignete. Ich glaubte, Frau R. scherze; doch erfuhr ich am nächsten Tage, daß sie mir die Wahrheit gesagt hatte. Jeder nach seinem Geschmack! Ich vermute, diese Frau, die recht wohl noch imstande war, eine Laune zu erregen, war mehr in die Börse als in die Person des Graubarts verliebt. Ich hatte ihn im »Café du Change« kennen gelernt.

Am nächsten Morgen brachten die beiden hübschen Zöfchen mir die Ware. Ich bot ihnen Schokolade an, war jedoch nicht imstande, sie zur Annahme meiner Einladung zu bewegen. Ich kam auf den Einfall, die von Lia ausgesuchten Sachen von ihnen hintragen zu lassen, und bat sie, sie möchten wiederkommen und mir sagen, wie sie mein Geschenk aufgenommen hätte. Sie erklärten sich bereit und warteten, bis ich ein Briefchen geschrieben hatte. Es war mir unmöglich, ihnen auf irgendeine Art meine Zärtlichkeit zu beweisen; denn ich hatte nicht gewagt, die Tür zu schließen, meine Wirtin und die häßlichen Töchter des Hauses gingen fortwährend aus und ein. Bei ihrer Rückkehr jedoch fing ich sie auf der Treppe ab, gab jeder von ihnen eine Zechine und sagte, es hänge nur von ihnen ab, sich meines Herzens zu bemächtigen. Lia hatte mein schönes Geschenk angenommen und ließ mir sagen, sie erwarte mich.

Am nächsten Nachmittag ging ich aufs Geratewohl spazieren. Ich kam zufällig an dem Modesalon vorbei; Frau R. sah mich, lud mich ein, hereinzukommen, und bat mich, neben ihr Platz zu nehmen.

»Mein Herr,« sagte sie zu mir, »ich danke Ihnen vielmals für Ihre Freigebigkeit gegen meine jungen Damen. Sie sind ganz entzückt nach Hause gekommen. Sagen Sie mir offen heraus, ob Sie in die schöne Jüdin sehr verliebt sind.«

»Ich bin bis über die Ohren in sie verliebt; aber ich bin nicht glücklich gewesen und habe mich nun mit meinem Schicksal abgefunden.«

»Daran haben Sie recht getan. Lia ist eine Spitzbübin, die nur alle Herren, die sich in ihre Reize verlieben, zum besten halten will.«

»Sollten nicht auch vielleicht Ihre reizenden Zöglinge diesem Grundsatz huldigen?«

»Nein; aber sie sind nur gefällig, wenn ich es ihnen erlaube.«

»So empfehle ich mich also Ihrer Güte; denn sie wollten nicht einmal eine Tasse Schokolade von mir annehmen.«

»Das dürfen sie auch nicht. Ich sehe, Sie kennen Turin nicht. Befinden Sie sich in Ihrer Wohnung wohl?«

»Ausgezeichnet.«

»Haben Sie dort vollkommene Freiheit?«

»Ich denke, ja,«

»Können Sie jeder beliebigen Dame ein Abendessen geben und können Sie in Ihren Räumen machen, was Sie wollen? Ich bin überzeugt, Sie können es nicht.«

»Ich habe bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, einen Versuch zu machen; aber ich glaube …«

»Geben Sie sich keinen Täuschungen hin; die Leute in Ihrem Hause sind Polizeispione.«

»Sie glauben also, es wäre mir nicht möglich, Sie und zwei oder drei Ihrer Schülerinnen zum Abendessen bei mir zu haben?«

»Jedenfalls weiß ich ganz genau, daß ich mich hüten würde, hinzugehen. Am nächsten Morgen würde die ganze Stadt es wissen, vor allen anderen die Polizei.«

»Und wenn ich anderswo eine Wohnung nähme?«

»Es wäre überall das gleiche; denn Turin ist ein Nest von Spionen; aber ich kenne ein Haus, wo Sie nach Ihrer Bequemlichkeit leben könnten und wohin meine Mädchen, unter gewissen Vorsichtsmaßregeln, Ihnen alles bringen könnten, was Sie bei mir kaufen würden.«

»Wo ist das Haus? Ich werde Ihre Ratschläge getreulich befolgen.«

»Vertrauen Sie keinem Piemontesen, das ist die Hauptsache.«

Hierauf gab sie mir die Adresse eines gut möblierten Hauses, das nur von einem alten Hausmeister und seiner Frau bewohnt wurde.

»Man wird Ihnen das Haus monatsweise vermieten,« sagte sie zu mir; »und wenn Sie die Monatsmiete vorausbezahlen, wird man Sie nicht einmal nach Ihrem Namen fragen.«

Das hübsche Häuschen lag zweihundert Schritte von der Zitadelle in einer stillen Straße; durch eine Tür, die nach der Campagna hinaus ging, konnte ich sogar mit meinem Wagen einfahren. Ich fand alles, wie Frau R. es mir geschildert hatte, bezahlte ohne Feilschen für einen Monat voraus und zog schon am nächsten Morgen ein. Frau R. bewunderte meine Schnelligkeit.

Ich besuchte die jüdische Hochzeit und unterhielt mich dabei; denn die Zeremonie hat etwas Symbolisches und zugleich lächerlich Groteskes; ich widerstand jedoch allen Künsten, die Lia aufbot, um mich wieder in ihre Netze zu locken.

Ich mietete von ihrem Vater einen geschlossenen Wagen, den ich ebenso wie die Pferde in meinem Häuschen unterbrachte. So konnte ich ganz nach meinem Belieben durch die Vorder- oder durch die Hintertür, bei Tage oder bei Nacht gehen oder kommen, wie ich wollte; denn ich wohnte tatsächlich in der Stadt und zugleich auf dem Lande. Ich mußte dem neugierigen Gama meine Wohnung angeben; auch glaubte ich Desarmoises sie nicht verbergen zu dürfen, denn dieser hing wegen seiner Bedürftigkeit ganzlich von mir ab. Trotzdem war auf meinen Befehl auch für sie, wie für alle anderen, meine Tür verschlossen, wenn ich nicht besondere Anweisungen gegeben hatte, den von mir erwarteten Personen zu öffnen. Ich hatte keinen Anlaß, an der Treue meiner beiden Bedienten zu zweifeln.

In diesem Hause der Seligkeit musterte ich sämtliche jungen Mädchen der Madame R. Diejenige, die ich näher kennen zu lernen wünschte, kam stets in Begleitung einer anderen, die ihr als Ehrenwächterin diente und die ich gewöhnlich nach Hause schickte, nachdem ich ihr ihren Anteil am Kuchen gegeben hatte. Die letzte, namens Victorine, bildhübsch und zärtlich wie eine Taube, hatte das Unglück, versperrt zu sein; sie wußte jedoch nichts davon. Madame R., die es ebenfalls nicht wußte, hatte sie nur als Jungfer zugeschickt; auch ich hielt sie dafür zwei Stunden lang, während welcher ich mich fortwährend bemühte, den Zauber zu brechen oder vielmehr die Schale zu sprengen. Aber alle meine Anstrengungen waren vergebens. Endlich, als ich völlig erschöpft war, wollte ich sehen, was der Grund sei. Ich brachte sie in eine geeignete Lage, versah mich mit einer Kerze und begann die Untersuchung. Ich sah ein fleischiges Häutchen mit einem so kleinen Loch, daß kaum die Spitze einer dicken Nadel hindurchdringen konnte. Victorine ermutigte mich, den Eingang mit meinem kleinen Finger zu erzwingen; aber ich mühte mich vergeblich, diese Mauer zu durchbrechen, die von der Natur für gewöhnliche Mittel undurchdringlich gemacht war. Ich geriet in Versuchung, mit einem Messer das Hindernis zu beseitigen, und das junge Mädchen forderte mich dringend dazu auf; ich fürchtete jedoch eine Blutung, die mich vielleicht in böse Verlegenheit gebracht hätte. Deshalb stand ich davon ab, und daran tat ich wohl.

Die arme Victorine war dazu verurteilt, als Jungfrau zu sterben, wenn nicht ein geschickter Chirurg die Operation an ihr vornahm, die an Fräulein Cheroffini kurze Zeit nach ihrer Verheiratung mit Herrn Lepri vollzogen wurde. Sie weinte vor Kummer, als ich sagte: »Mein liebes Kind, dein kleiner Gott Hymen trotzt dem kräftigsten Amor und macht es ihm unmöglich, in deinen Tempel einzudringen.«

Ich beruhigte sie jedoch mit der Versicherung, daß ein guter Wundarzt sie leicht zu einem vollkommenen Weibe machen könne.

Am nächsten Tage erzählte ich den Vorfall der Frau R. Sie rief lachend: »Aber das ist ja für Victorine sehr günstig! Sie kann dadurch ihr Glück machen.«

Der Graf von Padua ließ sie einige Jahre später operieren und machte ihr Glück. Als ich aus Spanien zurückkehrte, fand ich sie schwanger und wurde dadurch verhindert, mich für meine erfolglosen Bemühungen bezahlt zu machen.

Am Gründonnerstag meldete man mir in aller Frühe Moses und Lia. Ich hatte ihren Besuch nicht erwartet, doch empfing ich sie aufs beste. Während der Karwoche wagten die Juden sich nicht in den Straßen von Turin sehen zu lassen; ich riet ihnen daher, die drei Tage bei mir zu verbringen, und als der Schelm mir einen schönen Ring zum Verkauf anbot, sah ich, daß es mir keine große Mühe kosten würde, sie zu überreden.

»Ich werde,« antwortete ich ihm, »diesen Ring nur aus Lias Händen kaufen können.«

Er lächelte; ohne Zweifel bildete er sich ein, ich würde ihr den Ring schenken; ich hatte mir jedoch bereits vorgenommen, sie in ihrer Erwartung zu täuschen. Ich bewirtete sie vornehm zu Mittag und Abend; hierauf gingen sie für die Nacht in ein hübsches Zimmer mit zwei Betten, das nicht weit von dem meinigen entfernt war. Ich hätte sie getrennt schlafen lassen können, indem ich Lia in einem Zimmer unterbrachte, das an das meinige anstieß, so daß ich sehr leicht einen nächtlichen Ausflug zu ihr machen konnte; aber ich hatte bereits für Lia zu viel getan und wollte daher nichts einer Überraschung oder auch nur einer Heimlichkeit zu verdanken haben. Sie sollte von selber zu mir kommen.

Als Moses am nächsten Morgen sah, daß ich den Ring noch nicht gekauft hatte, sagte er mir, er müsse in Geschäften ausgehen; er bat mich um meinen Wagen für den ganzen Tag und versprach, am Abend wiederzukommen und seine Tochter abzuholen. Ich ließ anspannen und kaufte ihm, bevor er abfuhr, den Ring für sechshundert Zechinen ab; aber ich stellte meine Bedingungen dabei. Ich war in meinem eigenen Hause; Lia konnte mich nicht betrügen. Sobald der Vater fort war, bemächtigte ich mich der Tochter. Sie war den ganzen Tag gefügig und verliebt. Ich hatte sie in den Naturzustand versetzt, und obwohl ihr Leib das Vollkommenste war, was man sich denken kann, brauchte und mißbrauchte ich ihn auf jede Art. Am Abend fand der Vater sie etwas ermüdet, aber er war ebenso zufrieden wie ich. Lia war weniger zufrieden, denn sie hatte erwartet, ich würde ihr zum Abschied den Ring schenken. Ich beschränkte mich jedoch darauf, ihr zu sagen, ich wolle mir das Vergnügen vorbehalten, ihr den Ring in ihre Wohnung zu bringen.

Am Ostermontag brachte ein Mann mir ein Schreiben, das mich vor die Polizei lud.