Kardinal Passionei. – Der Papst. – Mariuccia. – Ankunft in Neapel

Kardinal Passionei empfing mich in einem großen Zimmer, wo er mit Schreiben beschäftigt war. Er bat mich, eine Minute zu warten, bis er fertig wäre; aber einen Stuhl zu nehmen, konnte er mich nicht auffordern, denn auf dem einzigen, der sich in dem ungeheuren Raum befand, saß er selber.

Als er seine Feder hingelegt hatte, stand er auf, kam auf mich zu und sagte: »Ich werde den Papst benachrichtigen. Mein Kollege Cornaro hätte übrigens eine bessere Wahl treffen können; denn er weiß, daß der Papst mich nicht liebt.«

»Er hat den Mann, der geachtet wird, dem Mann, der geliebt wird, vorgezogen.«

»Ich weiß nicht, ob der Papst mich achtet; aber ich weiß, daß er weiß, daß ich ihn nicht achte. Ich habe ihn geliebt und geachtet, als er Kardinal war, und habe zu seiner Erwählung zum Papste beigetragen; aber seitdem er die Tiara hat, ist er ganz anders geworden; er hat sich als ein zu großer Coglione gezeigt.«

»Das Konklave hätte Eure Eminenz wählen sollen.«

»Durchaus nicht; denn bei meiner Unduldsamkeit gegen alles, was mir als Mißbrauch erscheint, würde ich ohne Rücksicht auf den Schuldigen dreingeschlagen haben; und Gott weiß, was für Folgen daraus entstanden wären. Der einzige Kardinal, der würdig war, Papst zu werden, war Tamburini. Aber es ist nun einmal geschehen. Ich höre Leute kommen; leben Sie wohl, kommen Sie morgen wieder.«

Welches Vergnügen für mich, einen Kardinal den Papst Coglione (Tölpel) nennen zu hören und ihn für Tamburini eintreten zu sehen! Ich bewahrte diese Anekdote sofort in meinem Tagebuch auf; ein so kostbarer Bissen durfte nicht verschmäht werden. Aber wer war denn dieser Tamburini? Ich hatte niemals von ihm gehört. Ich fragte Winkelmann danach, als er zu mir zum Abendessen kam. Der Philosoph antwortete mir: »Tamburini ist ein Mann, der durch seine Tugenden, seinen Charakter, seine Festigkeit und seinen hellsehenden Geist achtungswert ist. Er hat aus seinen feindseligen Gefühlen gegen die Jesuiten niemals ein Hehl gemacht; er nennt sie die Väter des Betruges, der Ränke und der Lüge. Darum eben singt Passionei sein Lob. Ich glaube wie er, daß Tamburini ein großer und ein würdiger Papst sein würde.«

Ich will bei dieser Gelegenheit vorgreifend berichten, was ich neun Jahre später beim Fürsten Santa Croce in Rom einen blindlings ergebenen Anhänger der Jesuiten sagen hörte. Kardinal Tamburini lag im Sterben; im Gespräch darüber sagte jemand: »Dieser Benediktinerkardinal ist ein Frevler an Gott; er liegt auf dem Totenbett und hat die heilige Wegzehrung verlangt, ohne sich vorher durch die Beichte zu reinigen.« Ich sagte kein Wort; da ich aber gerne wissen wollte, was daran war, so erkundigte ich mich gleich am nächsten Morgen bei einem, der die Wahrheit wissen mußte und keinen Grund haben konnte, sie mir zu verschweigen. Er sagte mir, der Kardinal habe erst vor drei Tagen Messe gelesen, und wenn er keinen Beichtvater gerufen habe, so sei dies ohne Zweifel unterblieben, weil er ihm nichts zu sagen gehabt habe.

Wehe denen, die die Wahrheit lieben und ihr nicht bis an die Quelle nachzugehen wissen! Der Leser verzeihe mir eine Abschweifung, die nicht ohne ein gewisses Interesse ist.

Am nächsten Morgen ging ich also zum Kardinal Passionei, der mich mit den Worten empfing, es sei recht von mir, daß ich so früh gekommen sei, um ihm die Geschichte meiner Flucht aus den Bleikammern zu erzählen, von der er mit Bewunderung habe sprechen hören.

»Monsignore, ich bin bereit, Eure Eminenz zufriedenzustellen; aber die Geschichte ist lang.«

»Um so besser; denn man hat mir gesagt, Sie erzählen gut.«

»Aber, Euer Gnaden, soll ich mich auf den Fußboden setzen?«

»O nein, dazu ist Ihr Anzug zu schön.«

Er klingelte und sagte einem Kammerherrn, er möchte einen Stuhl besorgen. Ein Bedienter brachte einen Schemel. Ein Sitz ohne Rücken- und Armlehnen! Der Anblick machte mich verdrießlich; ich erzählte schnell und schlecht, und in einer Viertelstunde war ich mit allem fertig.

»Ich schreibe besser, als Sie sprechen,« sagte der Kardinal.

»Monsignore, ich spreche nur gut, wenn ich mich behaglich fühle.«

»Aber Sie tun sich doch meinetwegen keinen Zwang an?«

»Nein, gnädiger Herr, wegen eines Menschen, zumal wegen eines Weisen, tue ich das niemals; aber Ihr Schemel …«

»Sie lieben Ihre Bequemlichkeit?«

»Über alles.«

»Sehen Sie, dies ist meine Leichenrede auf den Prinzen Eugen. Ich schenke sie Ihnen. Ich hoffe, Sie werden meinen lateinischen Stil nicht schlecht finden. Sie können morgen um zehn Uhr dem Heiligen Vater den Pantoffel küssen.«

In meiner Wohnung angekommen, dachte ich über den Charakter dieses sonderbaren Kardinals nach. Ich erkannte in ihm einen geistvollen, hochmütigen, eitlen und schwatzhaften Mann und beschloß, ihm ein schönes Geschenk zu machen. Es war der Band Pandectorum liber unicus, den Herr von F. mir in Bern geschenkt hatte und mit welchem ich nichts anzufangen wußte. Es war ein Folioband auf schönem Papier gut gedruckt, herrlich gebunden und ausgezeichnet erhalten. Als Großbibliothekar des Vatikans mußte er dies Geschenk kostbar finden, um so mehr, da er eine reiche Privatbücherei besaß, die von meinem Freunde, dem Abbate Winkelmann, verwaltet wurde. Ich schrieb demgemäß einen kurzen lateinischen Brief und sandte diesen an Winkelmann, den ich beauftragte, meine Gabe Seiner Eminenz darzubieten. Mich dünkte, dieses seltene Werk sei wohl so viel wert wie seine Leichenrede, und ich hoffte, daß er mir ein anderes Mal nicht nur die Ehren des Schemels würde zuteil werden lassen.

Am nächsten Morgen begab ich mich zur festgesetzten Stunde nach »Monte Cavallo.« Eigentlich müßte man »Monte Cavalli« sagen, denn der Name stammt von den beiden schönen Rossen, die den Platz vor dem Portal des päpstlichen Palastes schmücken. Um mich dem Heiligen Vater vorzustellen, hatte ich mich durch niemanden anmelden zu lassen nötig gehabt; denn jeder Christ kann sich vorstellen, sobald er die Tür offen sieht. Übrigens hatte ich Seine Heiligkeit in Padua gekannt, als sie den dortigen Bischofssitz einnahm; aber es lag mir an der Ehre, durch einen Kardinal angemeldet zu verden.

Nachdem ich vor dem Oberhaupt der Gläubigen eine Verbeugung gemacht und das auf den heiligen Pantoffel gestickte heilige Kreuz geküßt hatte, sagte der Papst zu mir, indem er seine Rechte auf meine linke Schulter legte, er erinnere sich, daß ich in Padua stets die Kirche verlassen, sobald er den Rosenkranz angestimmt habe.

»Allerheiligster Vater, ich habe mir viel größere Sünden vorzuwerfen; darum habe ich mich vor Ihren heiligen Füßen niedergeworfen, um Vergebung zu erlangen.«

Er gab mir hierauf seinen Segen – eine sehr gangbare Münze in Rom – und fragte mich sehr freundlich, welche Gnade er mir erweisen könne.

»Ihre heilige Fürsprache, um mit sicherem Geleit nach Venedig zurückkehren zu können.«

»Wir werden mit dem Botschafter sprechen und Ihnen dann Antwort geben. Gehen Sie oft zum Kardinal Passionei?«

»Ich bin dreimal bei ihm gewesen. Er hat mir seine Leichenrede auf den Prinzen Eugen geschenkt. Um ihm meine Erkenntlichkeit zu zeigen, habe ich ihm den Pandektenband gesandt.«

»Hat er ihn angenommen?«

»Ich glaube: ja, Allerheiligster Vater.«

»Wenn er ihn angenommen hat, wird er Winkelmann zu Ihnen schicken, um ihn zu bezahlen.«

»Damit würde er mich als Büchertrödler behandeln; Bezahlung werde ich nicht annehmen.«

»Dann wird er Ihnen den Kodex zurückschicken. Davon sind wir überzeugt, denn es ist seine Gewohnheit.«

»Wenn Seine Eminenz den Kodex zurückschickt, sende ich ihm seine Leichenrede zurück.«

über diese Antwort lachte der Papst so, daß er sich schüttelte.

»Es wird uns angenehm sein, den Ausgang dieser Geschichte zu hören, ohne daß die Welt etwas von unserer unschuldigen Neugier hört.«

Nach diesen Worten zeigte ein salbungsvoller Segen mir an, daß meine Audienz beendigt sei.

Als ich den Palast Seiner Heiligkeit verließ, wurde ich von einem alten Abbate angeredet, der mich mit großer Ehrfurcht grüßte und mich fragte, ob ich nicht der Herr Casanova sei, der die glückliche Flucht aus den Bleikammern bewerkstelligt habe.

»Allerdings; der bin ich.«

»Ei, liebster Herr! Der Himmel sei gepriesen, daß ich Sie in so gutem Zustande wiedersehe.«

»Aber mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen.«

»Was? Sie erkennen mich nicht wieder? Ich bin der frühere Barkarole Momolo von Venedig.«

»Sie sind also Priester geworden!«

»O nein, gewiß nicht! Hier in Rom ist aber die Sutane die Allerweltsuniform. Ich bin erster Scopatore unseres Heiligen Vaters, des Papstes.«

»Ich wünsche Ihnen Glück dazu. Aber nehmen Sie mir’s nicht übel, wenn Sie mich lachen sehen.«

»O, lachen Sie nur! Lachen Sie nur! Meine Frau und meine Töchter lachen auch, so oft sie mich mit Sutane und Bäffchen sehen, und ich lache selber darüber; aber hier setzt einen dieses Kleid in Achtung. Besuchen Sie uns doch mal!«

»Wo wohnen Sie?«

»Hinter der Trinità de‘ Monti; hier meine Adresse!«

»Ich werde heute Abend das Vergnügen haben.«

Hocherfreut über dies Zusammentreffen ging ich nach Hause; es war mir ein Fest, den Abend in einer venetianischen Barkarolenfamilie verbringen zu können. Ich lud meinen Bruder ein, mich zu begleiten, und erzählte ihm von dem Empfang, den ich beim Papst gefunden hatte.

Am Nachmittag kam Winkelmann und sagte mir, ich habe das Glück, bei seinem Kardinal in höchster Gunst zu stehen, denn der ihm von mir gesandte Kodex sei ein sehr kostbares Buch; er sei sehr selten und mein Exemplar sei besser erhalten als das in der Vatikanischen Bücherei befindliche. Er sei beauftragt, es mir zu bezahlen.

»Ich habe Seiner Eminenz geschrieben, daß ich es ihm schenke.«

»Er nimmt keine Bücher als Geschenk an, denn er wünscht Ihren Kodex für seine Privatbücherei, und da er Bibliothekar der Vatikanischen ist, so fürchtet er die Verleumdung.«

»Das ist ganz schön und gut, aber ich bin kein Büchertrödler, und dieses Buch hat mir weiter nichts gekostet, als die Mühe, es anzunehmen; ich kann es nur zu demselben Preis weitergeben. Sagen Sie bitte dem Kardinal, daß er mir eine Ehre erweisen wird, indem er es annimmt.«

»Er wird es Ihnen zurückschicken.«

»Das steht ihm frei, aber dann werde ich ihm seine Leichenrede zurückschicken, denn ich wünsche kein Geschenk von jemandem, der ein Geschenk von mir zurückweist.«

So kam es auch wirklich. Am anderen Tage schickte der schnurrige Kardinal mir meinen Kodex zurück, und ich sandte ihm im selben Augenblick seine Leichenrede wieder; obgleich ich sie kaum flüchtig durchgeblättert hatte, schrieb ich ihm, ich hätte in ihr ein Meisterwerk gefunden. Mein Bruder tadelte mich; aber ich ließ ihn reden, da ich durchaus keine Lust hatte, mich nach seinen irrigen Ansichten zu richten.

Am Abend begab ich mich also mit meinem Bruder zum »Scopatore Santissimo«, der schon auf mich wartete und mich seiner Familie als einen Wundermann angekündigt hatte. Nachdem ich ihm meinen Bruder vorgestellt hatte, sah ich mir alle Anwesenden an. Ich sah eine alte Frau, vier Mädchen, von denen die älteste vierundzwanzig Jahre alt war, und zwei kleine Knaben. Alle waren häßlich; dies war nicht einladend für einen wollüstigen Menschen, aber ich war einmal da, und so mußte ich höflich sein und, wie man sagt, gute Miene zum bösen Spiel machen; ich blieb und lachte. Abgesehen von der Häßlichkeit ihrer Mitglieder bot diese brave Familie auch noch ein Bild der Armut dar, denn der Scopatore Santissimo mußte mit seiner zahlreichen Familie von zweihundert römischen Talern im Jahre leben, und da der apostolische Kehricht nicht denselben Wert hat wie die Darmentleerungen des Dalai Lama, so mußte er mit dieser geringen Summe alle Bedürfnisse bestreiten. Trotzdem war der brave Mann außerordentlich herzlich; sobald er mich sitzen sah, sagte er, er werde mir ein Abendessen geben, aber er habe nur eine Polenta und frische Schweinsrippchen.

»Das ist ein köstliches Essen,« antwortete ich ihm; »aber erlauben Sie, daß ich aus meiner Wohnung sechs Fiaschi Orvietowein holen lasse?«

»Sie haben hier zu befehlen.«

Ich schrieb an Costa einen Zettel und befahl ihm, mir sofort die sechs Flaschen und einen gekochten Schinken zu bringen. Eine halbe Stunde darauf kam er mit dem Lohndiener, der den Korb trug, und bei seinem Anblick riefen die vier Mädchen: »Ei, das ist ein hübscher Junge!«

Da ich sah, daß Costa von diesem Empfang entzückt war, sagte ich Momolo: »Wenn er Ihnen so gut gefällt wie Ihren Töchtern, will ich ihm erlauben, zu bleiben.«

Costa war hocherfreut über soviel Ehre, bedankte sich und ging in die Küche, um der Mutter bei der Zubereitung der Polenta zu helfen.

Ein großer Tisch wurde mit einem sehr sauberen Tuch gedeckt; und darauf wurden zwei riesige Schüsseln Polenta und eine ebenso große Pfanne mit Schweinsrippchen aufgesetzt. Wir wollten uns gerade über die Speisen hermachen, als an der Straßentür geklopft wurde.

»Es ist Signora Maria mit ihrer Mutter,« sagte der Junge. Bei dieser Ankündigung sah ich Momolos vier Töchter Gesichter schneiden.

»Wer hat sie gerufen?« sagte die eine; »Was wollen sie hier?« die andere; »Die Zudringlichen!« rief die Dritte; »Sie konnten wohl auch zu Hause bleiben!« bemerkte die vierte.

»Liebe Kinder,« sagte der brave Vater, »sie haben Hunger und werden mit uns teilen, was die Vorsehung uns beschert hat.«

Dieser großmütige Ausspruch des guten Mannes rührte mich. Ich sah, daß die wahre christliche Liebe öfter im Herzen des Armen zu finden ist als bei demjenigen, den das Glück mit seinen Gaben überschüttet und den es gleichgültig gegen die Leiden des Nächsten macht, indem es ihm alles gibt, was sein Herz begehrt.

Während ich diesen Betrachtungen nachhing, die der Seele so unendlich wohltun, sah ich die beiden Hungrigen eintreten. Die eine war ein hübsches junges Mädchen von bescheidener und anmutiger Miene; ihre Mutter war ebenfalls bescheiden und schien sich ihrer Armut zu schämen. Die Tochter grüßte mit jener natürlichen Anmut, die ein Gottesgeschenk ist, und entschuldigte sich, indem sie schüchtern und verlegen sagte, sie würde sich nicht die Freiheit genommen haben, zu ihnen zu kommen, wenn sie hätte ahnen können, daß Fremde da seien.

Nur der gute Momolo antwortete auf ihr Kompliment, indem er im herzlichen Tone zu ihr sagte, es wäre sehr nett von ihr, daß sie gekommen wäre; mit diesen Worten schob er zwischen meinen Bruder und mich einen Stuhl für sie ein. Ich sah sie näher an und fand in ihr eine vollendete Schönheit.

Man begann zu essen und sprach nicht mehr. Die Polenta war ausgezeichnet, die Schweinsrippchen köstlich, der Schinken tadellos; in weniger als einer Stunde war der Tisch geräumt, wie wenn gar nichts darauf gewesen wäre, aber beim Orvieto blieb die Gesellschaft fröhlich beisammen. Es wurde von der Lotterieziehung gesprochen, die zwei Tage darauf stattfinden sollte, und alle Mädchen nannten die Nummer, auf die sie einige Bajocchi gesetzt hatten.

»Wenn ich nur einer einzigen Nummer sicher sein könnte,« sagte ich zu ihnen, »so würde ich mich freuen.«

Die junge Mariuccia sagte mir, wenn ich an einer einzigen Nummer genug hätte, so könnte sie mir diese nennen. Ich lachte über ihr Anerbieten; sie aber nannte mir mit dem ernstesten Gesicht Nummer siebenundzwanzig.

»Kann man noch spielen?« fragte ich den Abbate Momolo.

»Es wird erst um Mitternacht geschlossen, und wenn Sie wollen, werde ich die Nummer für Sie holen.«

»Hier haben Sie vierzig Taler; setzen Sie zwanzig auf Nummer siebenundzwanzig Auszug; ich schenke diese den fünf jungen Damen; die anderen zwanzig Taler setzen Sie auf dieselbe Nummer und ebenfalls auf Auszug, aber auf die fünfte Stelle; diese behalte ich für mich.«

Er ging augenblicklich fort und kam bald mit den beiden Losen wieder.

Meine hübsche Nachbarin dankte mir und sagte, sie sei vollkommen sicher, daß sie gewinnen werde; aber an meinem Lose zweifle sie, denn es sei nicht wahrscheinlich, daß die Siebenundzwanzig als fünfte Nummer herauskomme.

»Ich aber bin dessen sicher,« antwortete ich ihr, »denn Sie sind das fünfte Mädchen, das ich in diesem Hause gesehen habe.«

Über diese Bemerkung lachte die ganze Gesellschaft laut auf. Mutter Momolo sagte mir, ich hätte das Geld lieber den Armen geben sollen; ihr Mann aber hieß sie schweigen; sie wisse nicht, was für einen klugen Kopf ich hätte. Mein Bruder lachte, sagte mir aber auch, ich hätte eine Dummheit gemacht.

»Ich mache gern einmal eine Dummheit,« antwortete ich ihm, »übrigens werden wir ja sehen: ich habe gespielt, und wenn man spielt, gewinnt oder verliert man.«

Bei diesen Worten drückte ich meiner schönen Nachbarin unbemerkt die Hand, und sie gab mir den Druck mit aller Kraft zurück. Mir war sofort klar, wie es zwischen Mariuccia und mir kommen würde. Gegen Mitternacht verließ ich die Gesellschaft, indem ich den guten Momolo bat, am übernächsten Tage wieder ein solches Abendessen zu veranstalten, damit wir uns über den Lotteriegewinn freuen könnten, den wir machen würden. Auf dem Heimwege sagte mein Bruder zu mir: wenn ich nicht ein Krösus geworden wäre, müßte ich verrückt sein. Ich antwortete ihm, ich sei weder das eine noch das andere, aber Mariuccia sei schön wie ein Engel. Dies gab er zu.

Am nächsten Tage kam Mengs nach Rom zurück, und ich speiste in seiner Familie. Er hatte eine Schwester, die sehr häßlich, aber gut und talentvoll war; sie hatte sich leidenschaftlich in meinen Bruder verliebt, und man konnte leicht merken, daß ihre Flamme nicht erloschen war; aber wenn sie mit ihm sprach – und das tat sie so oft, wie die Gelegenheit sich bot, – sah Giovanni sie nicht an.

Sie war eine ausgezeichnete Miniaturmalerin, die ganz besonders glücklich die Ähnlichkeit zu treffen wußte. Ich glaube, sie lebt noch jetzt in Rom mit ihrem Gatten, einem gewissen Maroni. Sie sprach mit mir oft über meinen Bruder, dessen Abneigung sie kannte, und sagte mir eines Tages, er würde sie nicht mißachten, wenn er nicht der undankbarste aller Menschen wäre. Ich war nicht neugierig, zu erfahren, welche Anrechte auf seine Dankbarkeit sie besaß.

Die Gattin von Mengs war hübsch, anständig, ihren Pflichten treu ergeben, eine gute Mutter und ihrem Manne sehr ergeben, obwohl sie ihn schwerlich lieben konnte, denn er war nichts weniger als liebenswürdig. Er war eigensinnig und grausam, und wenn er zu Hause speiste, stand er nie vom Tische auf, ohne betrunken zu sein; außer dem Hause war er mäßig, da er nur Wasser trank. Seine Frau trieb die Selbstüberwindung so weit, daß sie ihm für alle nackten Frauenkörper als Modell diente. Als ich eines Tages mit ihr darüber sprach, wie peinlich es ihr sein müsse, eine so unangenehme Aufgabe zu erfüllen, sagte sie zu mir, ihr Beichtvater habe dies von ihr verlangt; er habe zu ihr gesagt: »Wenn Ihr Mann ein anderes Weib zum Modell nimmt, wird er mit ihr fleischlich verkehren, ehe er sie malt, und diese Sünde werden Sie sich vorzuwerfen haben.«

Nach dem Abendessen schoß Winkelmann, der wie alle anderen männlichen Gäste betrunken war, mit Mengs Kindern Purzelbäume. Der gelehrte Philosoph hatte nichts Pedantisches an sich; er liebte Kinder und Jugend, und sein heiteres Gemüt ließ ihn Freude an allen Vergnügen finden.

Als ich am nächsten Tage zum Papst ging, um diesem meine Aufwartung zu machen, sah ich Momolo im ersten Vorzimmer; ich verfehlte nicht, ihn an die Polenta für den Abend zu erinnern.

Der Heilige Vater sagte bei meinem Anblick: »Der venetianische Gesandte hat uns gesagt, Sie müssen sich dem Sekretär des Tribunals vorstellen, wenn Sie gern in Ihr Vaterland zurückkehren wollen.«

»Allerheiligster Vater, ich bin vollkommen bereit, diesen Schritt zu tun, wenn Eure Heiligkeit mir einen eigenhändigen Empfehlungbrief geben wollen. Ohne diese schützende Ägide werde ich mich niemals der Gefahr aussetzen, wieder an einen Ort gebracht zu werden, aus welchem mich sichtlich Gottes Hand durch ein Wunder befreit hat.«

»Sie tragen ein sehr reiches Kleid, das Sie gewiß nicht in der Absicht angezogen haben, um zu Gott zu beten.«

»Allerdings nicht, Allerheiligster Vater; doch auch nicht in der Absicht, auf den Ball zu gehen.«

»Wir kennen die ganze Geschichte von der Rücksendung der Geschenke. Gestehen Sie, Sie haben es getan, um Ihrem Stolz zu schmeicheln.«

»Ja, aber indem ich einen größeren Stolz demütigte.«

Als ich den Papst über meine Antwort lachen sah, beugte ich ein Knie zur Erde und bat ihn, mir zu gestatten, daß ich meine Pandekten der Vatikanischen Bibliothek schenken dürfe. Statt einer Antwort empfing ich einen Segen, was in der päpstlichen Sprache bedeutet: Stehen Sie auf, die Gnade ist bewilligt.

»Wir werden Ihnen,« sagte er zu mir, »die Zeichen ›unseres ganz besonderen Wohlwollens‹ zusenden, ohne daß Sie nötig haben, die Einschreibgebühren an die Kammer zu zahlen.«

Ein zweiter Segen hieß mich gehen. Ich habe oft gewünscht, daß diese Sprache überall angewandt werden könnte, um Zudringliche los zu werden, von denen wir belästigt werden und denen man nicht zu sagen wagt: Gehen Sie!

Ich war sehr neugierig, welcher Art die Zeichen ›des besonderen Wohlwollens‹ sein würden, von denen der Papst gesprochen hatte; ich fürchtete, sie würden sich nach dem gewöhnlichen Brauch auf einen geweihten Rosenkranz beschränken, mit welchem ich nichts hätte anfangen können.

Sobald ich zu Hause war, schickte ich durch Costa meinen Kodex nach dem Vatikan; hierauf ging ich zu Mengs zum Mittagessen. Als wir bei der Suppe waren, wurden die Nummern der Lotterie gebracht. Mein Bruder warf einen Blick darauf und sah mich voll Erstaunen an. Ich dachte in diesem Augenblick an etwas anderes, und sein erstauntes Gesicht überraschte mich.

»Die Siebenundzwanzig«, rief er, »ist als fünfte Zahl herausgekommen!«

»Um so besser; da werden wir lachen.«

Als Mengs die Geschichte gehört hatte, sagte er: »Es ist eine glückliche Dummheit, aber eine Dummheit bleibt es.«

Er hatte recht, und ich gab dies zu. »Aber,« sagte ich, »um einen würdigen Gebrauch von den fünfzehnhundert römischen Talern zu machen, die dieser Zufall mir verschafft hat, werde ich auf vierzehn Tage nach Neapel fahren.«

»Ich mache die Reise mit,« rief der Abbate Alfani, »und werde mich für Ihren Sekretär ausgeben.«

»Sehr angenehm, halten Sie nur Wort.«

Ich lud Winkelmann ein, beim Abbate Scopatore Santissimo die Polenta zu essen, und beauftragte meinen Bruder, ihn hinzuführen; hierauf machte ich meinem Bankier, dem Marchese Belloni, einen Besuch, um meine Rechnung in Ordnung zu bringen und einen Kreditbrief auf seinen Geschäftsfreund in Neapel zu nehmen. Ich besaß noch zweihunderttausend Franken, hatte Juwelen für dreißigtausend und fünfzigtausend Gulden in Amsterdam.

In der Dämmerung kam ich bei Momolo an und fand dort Winkelmann und meinen Bruder schon vor; aber anstatt die Familie fröhlich zu sehen, fand ich lauter traurige Gesichter.

»Was haben denn Ihre Töchter?« fragte ich Momolo.

»Sie sind ärgerlich, daß Sie nicht auch für sie auf den bestimmten Auszug gesetzt haben, wie für sich selber.«

»Man ist niemals zufrieden. Hätte ich auch für sie wie für mich gespielt, und wäre die Nummer nicht als fünfte, sondern als erste Zahl herausgekommen, so hätten sie nichts gewonnen und würden sich geärgert haben. Vor zwei Tagen hatten sie keinen Soldo, und jetzt hat jede von ihnen fünfzig Taler; da müssen sie doch sehr zufrieden sein.«

»Das sage ich ihnen auch; aber die Weiber sind nun mal so.«

»Die Männer auch, mein lieber Landsmann, wenn sie nicht vernünftig sind. Geld macht nicht glücklich, und Fröhlichkeit wohnt nur in sorglosen Herzen. Sprechen wir nicht mehr davon und laßt uns lustig sein!«

Costa stellte einen Korb mit zehn Düten voll Zuckerwerk auf den Tisch.

»Ich werde sie austeilen,« sagte ich, »wenn die ganze Gesellschaft bei Tisch ist.«

Da sagte mir Momolos zweite Tochter, Mariuccia und ihre Mutter würden nicht kommen, aber sie würde ihnen die beiden Düten hinbringen.

»Warum werden sie denn nicht kommen?«

»Sie haben gestern einen Streit gehabt!« sagte der Vater, »und Mariuccia, die im Grunde recht hat, ist fortgegangen und hat gesagt, sie würde nicht wiederkommen.«

»Wie undankbar!« sagte ich mit sanftem Vorwurf zu den Töchtern meines Wirtes; »bedenken Sie, daß nur sie Ihnen Glück gebracht hat; denn sie hat mir die Nummer siebenundzwanzig gegeben, an die ich niemals gedacht haben würde. Kurz und gut, sehen Sie zu, daß sie wiederkommt; sonst geh ich fort und nehme die zehn Düten mit.«

»Daran tun Sie vollkommen recht!« sagte Momolo.

Die Mädchen machten gekränkte Mienen, sahen einander an und baten dann ihren Vater, er möchte sie holen.

»Nein,« antwortete dieser ihnen; »das schickt sich nicht; ihr seid schuld, daß sie nicht mehr kommen will, und darum müßt ihr für die Versöhnung sorgen.«

Sie berieten sich einen Augenblick; dann baten sie Costa, sie zu begleiten und gingen zu Mariuccia.

Eine halbe Stunde später kamen sie triumphierend zurück, Costa strahlte vor Stolz, daß seine Vermittlung die Aussöhnung der jungen Mädchen zustande gebracht hatte. Ich teilte die Zuckerdüten aus, und die schöne Maria bekam die beiden besten. Die edle Polenta erschien auf dem Tisch, von zwei großen Schüsseln mit Schweinsrippchen begleitet. Aber Momolo, der meinen Geschmack kannte und den ich durch seine Töchter reich gemacht hatte, fügte noch einige Schüsseln mit feinen Speisen und mehrere Fiaschi ausgezeichneten Weines hinzu. Mariuccia war einfach gekleidet, aber ihre Schönheit machte den Anzug elegant, und ihr Benehmen war ausgezeichnet; sie verführte mich. Ich hatte ihr meine Leidenschaft nur dadurch zu erkennen gegeben, daß ich ihr die Hand drückte, und sie konnte mir nur in derselben Sprache antworten; aber diese war so ausdrucksvoll, daß ich nicht an ihrer Liebe zweifeln konnte. Als wir uns entfernten, richtete ich es so ein, daß ich mit ihr die Treppe herunterging; ich fragte sie, ob ich sie irgendwo sprechen könnte, und sie bestellte mich für den nächsten Tag auf acht Uhr nach der Trinità de‘ Monti.

Mariuccia war groß, von eleganter und anmutiger Haltung, zum malen schön, weiß wie ein blasses Rosenblatt, und ihre Weiße, die durch die dunklen Adern noch gehoben wurde, gab ihrer Haut jenen Reiz, der zur Wollust stimmt. Ihre blonden Haare waren von seltener Schönheit, und über ihren dunkelblauen, fast schwarzen Augen wölbten sich zwei Bogen von vollkommener Regelmäßigkeit. Niemals ist ein so regelmäßiger Mund von zwei röteren Lippen eingefaßt, noch mit einem schöneren Gebiß geziert gewesen. Ihre hohe und herrlich gerundete Stirn gab ihr ein majestätisches Aussehen, das die Vollendung des Ganzen noch erhöhte. Ihr sanftes und liebenswürdiges Lächeln stand in harmonischem Einklang mit ihren funkensprühenden großen Augen; eine weiße, fleischige Hand, fein gerundete Finger, rosige Nägel, ein von den Grazien geformter Busen, den ein neidisches Mieder nur mit Mühe gefangen hielt, ein außerordentlich kleiner Fuß und starke Hüften – dies alles machte Mariuccia zu einer Schönheit, die des Meißels eines Praxiteles würdig war. Das junge Mädchen war noch nicht achtzehn Jahre alt, und obgleich sie in Rom wohnte, war sie doch bis dahin den Blicken der Kenner entgangen. Der glücklichste Zufall führte sie mir in einer der abgelegensten Straßen zu, wo sie arm und unbekannt lebte, und mir war das Glück beschieden, sie glücklich zu machen.

Wie man sich denken kann, erschien ich pünktlich zum Stelldichein, sie verließ die Kirche, sobald sie sicher war, daß ich sie gesehen hatte. Ich folgte ihr von ferne, bis ich sie in ein großes verfallenes Gebäude eintreten sah. Ich trat ebenfalls ein, und sie blieb stehen, als sie das obere Ende einer Treppe erreicht hatte, die mir in der Luft zu schweben schien. »Hier«, sagte sie zu mir, »wird es keinem Menschen einfallen, mich zu suchen; Sie können also ungestört mit mir reden.«

Ich setzte mich neben sie auf den Stein und machte ihr eine leidenschaftlichste Liebeserklärung. »Sagen Sie mir,« so schloß ich, »was ich für Ihr Glück tun kann; denn ich schmachte nach Ihrem Besitz, aber ich will diesen vorher verdienen.«

»Machen Sie mich glücklich, und ich werde mich von Herzen gern Ihren Wünschen ergeben, denn ich liebe Sie ebenfalls.«

»Sagen Sie mir, was ich tun soll.«

»Erretten Sie mich aus der Armut, die mich zu Boden drückt! Ich muß bei meiner Mutter leben; sie ist eine gute Frau, aber fromm bis zum Aberglauben und wird mich durch ihre Bemühungen um mein Seelenheil noch in die Hölle bringen. Sie schilt mich wegen meiner Sauberkeit, weil beim Waschen meine Hand meinen Körper berühren muß und weil meine Reinlichkeit ein Anlaß werden kann, Männern zu gefallen. Wenn Sie mir das Geld, das ich durch Sie in der Lotterie gewonnen habe, als einfaches Almosen gegeben hätten, so würde sie mich gezwungen haben, es zurückzuweisen, weil Sie vielleicht schlechte Absichten dabei hätten haben können. Sie erlaubt mir, allein in die Messe zu gehen, weil unser Beichtvater ihr gesagt hat, sie könne dies; aber ich würde nicht wagen, auch nur eine einzige Minute länger auszubleiben, ausgenommen an Festtagen. An diesen Tagen verrichte ich meine Andacht, und es ist mir erlaubt, zwei oder drei Stunden lang zu beten. Infolgedessen können wir uns nur hier sehen; aber wenn Sie bereit sind, etwas zur Erleichterung meiner Lage zu tun, so kann ich Ihnen hiermit angeben, auf welche Weise dies möglich wäre: ein sehr hübscher junger Mann von ausgezeichnetem Betragen, seines Standes Perückenmacher, hat mich vor etwa vierzehn Tagen bei Momolos gesehen. Am nächsten Tage gab er mir an der Kirchentür einen Brief, erklärte mir seine Liebe und schrieb, wenn ich ihm nur eine kleine Mitgift von vierhundert Talern bringen könnte, würde er mich heiraten. Er würde einen Laden aufmachen und die notwendigen Möbel für unseren Hausstand anschaffen. Ich antwortete ihm: ich sei arm und besitze nur hundertundfünfzig Taler in Gnadenscheinen, die mein Beichtvater mir aufbewahre. – Jetzt besitze ich zweihundert; denn wenn ich mich verheiraten kann, wird meine Mutter mir gern ihren Anteil von dem Gewinne geben, den wir Ihnen verdanken. Sie könnten mich also glücklich machen, indem Sie mir für zweihundert Taler Gnadenscheine besorgten. Sie würden diese Zettel meinem Beichtvater bringen; er ist ein frommer Mann, hat mich lieb und würde meiner Mutter nichts davon sagen.«

»Ich brauche mich nicht um Almosenzettel zu bemühen, mein Engel. Gleich heute werde ich Ihrem Beichtvater zweihundert Piaster bringen, das übrige werden Sie besorgen. Sagen Sie mir seinen Namen; morgen werde ich Ihnen über meine Bemühungen Bericht erstatten, aber nicht hier; denn die Kälte und der Wind töten mich, überlassen Sie mir die Sorge, eine Wohnung zu finden, wo wir in aller Bequemlichkeit zusammen sein können und nicht zu befürchten brauchen, daß irgend ein Mensch von unserem Zusammensein etwas merkt. Ich werde Sie morgen zur selben Stunde in der Kirche sehen, sobald Sie mich bemerkt haben, folgen Sie mir!«

Mariuccia nannte mir den Namen ihres Beichtvaters und gestattete mir alle Liebkosungen, die ich an jenem traurigen Ort von ihr verlangen konnte. Die Küsse, mit denen sie die meinigen erwiderte, ließen mich nicht daran zweifeln, daß sie die Liebe teilte, die sie mir eingeflößt hatte. Mit dem Glockenschlage neun verließ ich sie, fast erstarrt, aber liebeglühend.

Es galt vor allen Dingen, mir eine passende Wohnung zu verschaffen, um mich schon am nächsten Tage in den Besitz dieses Schatzes setzen zu können.

Ich verließ den verfallenen Palast, aber anstatt mich nach der Piazza di Spagna zu begeben, wandte ich mich nach links und betrat eine enge, schmutzige Straße, die nur von sehr geringen Leuten bewohnt war. Da ich sehr langsam ging, kam eine Frau aus einem Hause heraus und fragte mich höflich, ob ich jemanden suche.

»Ich suche ein Zimmer zu mieten.«

»Hier gibt es keine, mein Herr, aber auf der Piazza werden Sie hundert für eins finden.«

»Das weiß ich, aber ich wünsche ein Zimmer in dieser Straße, nicht der Ersparnis wegen, sondern um sicher zu sein, daß ich morgens hier eine Stunde mit einer Person verbringen kann, für die ich mich interessiere. Ich würde jeden geforderten Preis dafür zahlen.«

»Ich verstehe; ich würde Ihnen zu Diensten sein, wenn ich zwei Zimmer hätte. Aber eine Nachbarin hat ein Zimmer im Erdgeschoß, und wenn Sie einen Augenblick warten wollen, kann ich mit ihr sprechen.«

»Sie werden mir ein großes Vergnügen machen.«

»Haben Sie die Güte einzutreten.«

Ich trat in ein armseliges Loch ein, das von großer Armut zeugte, und sah dort zwei Kinder, die ihre Schulaufgaben schrieben. Nach einem kurzen Augenblick kam die gute Frau wieder herein und bat mich, ihr zu folgen. Ich zog mehrere Münzen aus der Tasche und legte sie auf den einzigen kleinen Tisch, der in dem armseligen Zimmer war. Ich mußte ihr wohl sehr freigiebig erscheinen, denn die arme Mutter küßte mir voller Glück und Dankbarkeit die Hand. Es ist so süß, Gutes zu tun, daß heute, wo ich nichts mehr habe, die Erinnerung daran, daß ich oft mit geringen Kosten Menschen glücklich gemacht habe, fast die einzige Lust ist, die mich noch erfreut.

Ich ging in ein nahes Haus, wo eine Frau mich in einem leeren Zimmer empfing und nur sagte, sie würde es mir billig vermieten, wenn ich ihr für drei Monate vorausbezahlte und die von mir gewünschten Möbel selber besorgen wollte.

»Wieviel verlangen Sie für diese drei Monate?«

»Drei römische Taler.«

»Lassen Sie das Zimmer noch heute bis drei Uhr möblieren, und ich werde Ihnen zwölf Taler geben.«

»Zwölf Taler! Und was für Möbel wünschen Sie denn, mein Herr?«

»Ein sehr sauberes Bett, einen Tisch mit einem recht weißen Tuch, vier gute Stühle und eine Kohlenpfanne mit einem guten Feuer, denn man stirbt vor Kälte in diesem Zimmer. Ich werde nur ein paarmal morgens kommen und stets spätestens zu Mittag wieder fortgehen.«

»Wenn es so ist, kommen Sie um drei Uhr; Sie werden alles nach Ihrem Wunsch bereit finden.«

»Hier haben Sie die drei Taler für die Miete. Um drei Uhr werde ich wiederkommen. Wenn alles in Ordnung ist, bekommen Sie den Rest.«

Ich ging und begab mich stracks zum Beichtvater. Dieser war ein französischer Mönch von etwa sechzig Jahren und von edlem und wohlwollendem Aussehen; er flößte Vertrauen und Ehrfurcht ein.

»Hochwürdiger Vater,« sagte ich zu ihm, »ich habe beim Scopatore Santissimo Abbate Momolo ein junges Mädchen Namens Maria gesehen, dessen Beichtvater Sie sind. Ich verliebte mich in sie und benutzte eine Gelegenheit, ihr Geld anzubieten, um sie zu verführen. Sie antwortete mir: statt ihr zur Sünde zu raten, solle ich mich lieber bemühen, ihr Gnadenbriefe zu verschaffen, damit sie einen jungen Mann heiraten könne, der um sie angehalten habe und sie glücklich machen werde. – Diese Zurechtweisung rührte mich, doch heilte sie mich nicht von meiner Leidenschaft. Ich sprach daher noch einmal mit ihr und sagte zu ihr, ich wolle ihr zweihundert römische Taler umsonst geben und werde diese Summe ihrer Mutter bringen. – ›Dies‹, antwortete sie mir, ›würde genügen, um mich unglücklich zu machen, denn meine Mutter würde glauben, dieses Geld sei Sündenlohn; sie würde es nicht annehmen. Wenn Sie aber diese großmütige Absicht haben, so seien Sie so gütig, das Geld meinem Beichtvater zu bringen und mich ihm zu empfehlen, damit er sich meiner Heirat annimmt.‹

Hier bringe ich Ihnen nun, hochwürdiger Vater, das Geld, das ich für dieses ehrbare Mädchen bestimmt habe; übernehmen Sie gütigst die ganze Angelegenheit, denn ich will nichts mehr damit zu tun haben. Ich reise übermorgen nach Neapel ab und hoffe, sie nach meiner Rückkehr verheiratet zu finden.«

Der wackere Beichtvater nahm hundert Zechinen, die ich ihm übergab, erteilte Quittung darüber und sagte mir: indem ich mich für Mariuccia interessiere, mache ich eine unschuldige, reine Taube glücklich; sie gehe seit fünf Jahren bei ihm zur Beichte und oft befehle er ihr, an der Kommunion teilzunehmen, ohne sie auch nur anzuhören, denn er kenne sie zu gut und wisse, daß sie unfähig sei, eine Hauptsünde zu begehen. »Ihre Mutter«, fuhr er fort, »ist eine fromme Frau, und es wird mir eine leichte Mühe sein, die Heirat zustande zu bringen, sobald ich mich nach dem Lebenswandel des jungen Bewerbers erkundigt habe. Im übrigen wird kein Mensch jemals erfahren, von wem sie diese edelmütige Gabe erhalten hat.«

Nachdem ich diese Sache in Ordnung gebracht hatte, ging ich zum Ritter Mengs zum Mittagessen. Ich nahm sehr gern eine Einladung an, am gleichen Abend mit der ganzen Familie ins Theater Aliberti zu gehen, vergaß aber dabei die Besichtigung des kleinen Zimmers nicht. Ich fand dort alles, wie ich es angeordnet hatte, gab der Vermieterin zwölf Taler und ließ mir den Schlüssel geben, nachdem ich befohlen hatte, daß das Kohlenbecken jeden Tag schon um sieben Uhr morgens angezündet werden solle.

Vor ungeduldiger Erwartung des nächsten Morgens fand ich die Oper scheußlich und konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Ich war in aller Frühe schon vor der verabredeten Stunde in der Kirche, die ich verließ, als ich sicher war, daß Mariuccia mich gesehen hatte. Sie folgte mir von ferne, und als ich auf der Türschwelle meines neuen Tempels war, blieb ich einen Augenblick stehen, damit sie Bescheid wußte; dann trat ich in das Zimmer ein, das ich gut erwärmt fand. Bald darauf kam Mariuccia, schüchtern, verwirrt und entmutigt, wie eine Person, die im Zweifel ist. Ich schloß sie in meine Arme, beruhigte sie durch meine Liebkosungen und sah sie neue Zuversicht gewinnen, als ich ihr die Quittung ihres Beichtvaters zeigte und ihr sagte, der wackere Mann habe mir versprochen, sich um das Zustandekommen ihrer Heirat zu bemühen.

In überschwänglicher Freude küßte sie mir die Hand und versicherte mich ihrer ewigen Dankbarkeit. Als ich nun in sie drang, mich glücklich zu machen, sagte sie zu mir: »Wir haben drei Stunden vor uns, denn ich habe meiner Mutter gesagt, ich würde meine Andacht verrichten, um Gott für meinen Lotteriegewinst zu danken.«

Durch die Kenntnis dieser Liebeslist beruhigt, ließ ich mir Zeit, schnürte ihr gemächlich das Mieder auf und entblößte einen nach dem anderen alle ihre Reize, wobei ich zu meinem Entzücken nicht den geringsten Widerstand fand. Aber sie hielt ihre Augen unausgesetzt auf die meinigen geheftet, wie wenn sie ihre erlöschende Scham hätte schonen wollen; doch meine verstohlenen Blicke verdoppelten meinen Genuß, während sich meine Hand nach allen Richtungen verirrte. Welch ein Leib! Welche Schönheiten! Es war nicht die geringste Unvollkommenheit an ihr. Sie war wie Venus, als sie zum erstenmal dem Meeresschaum entstieg. Ich trug sie sanft auf das Bett und beeilte mich, meine lästigen Kleider abzuwerfen, während ihre hübschen Hände zwei alabasterne Halbkugeln und ein Vließ, das den Eingang des Tempels bedeckte, meinen Blicken zu entziehen suchten. Ich vollbrachte das süßeste Opfer, ohne einen Augenblick an ihrer Reinheit zweifeln zu können. Bei diesem ersten Opfer entlockte allerdings der Schmerz der entzückenden jungen Priesterin einen Seufzer, aber sie trieb das Zartgefühl so weit, mir zu versichern, daß sie keinen Schmerz empfunden habe; beim zweiten Angriff war sie von der gleichen Glut beseelt wie ich. Ich wollte das dritte Opfer vollziehen, als die Uhr den gebieterischen Klang der zehnten Stunde vernehmen ließ. Sie wurde unruhig, und wir kleideten uns in aller Eile an. Ich hatte mich verabredet, am nächsten Tage nach Neapel abzureisen; aber ich versicherte meiner lieben Mariuccia, daß schon die Hoffnung, sie vor ihrer Heirat noch einmal in meine Arme zu schließen, meine Rückkehr nach Rom beschleunigen würde. Ich versprach ihr, an demselben Tage ihrem Beichtvater noch hundert Taler zu bringen, und bat sie, das in der Lotterie gewonnene Geld zu ihrer kleinen Aussteuer zu verwenden. »Ich werde heute Abend zu Momolo gehen, liebes Herz. Richte es so ein, daß du ebenfalls dort bist; aber während unsere Herzen voller Freude sein werden, wollen wir uns gleichgültig zeigen, damit seine boshaften Mädchen nichts von unserem Einvernehmen ahnen.«

»Dies ist allerdings sehr notwendig; denn ich habe bereits bemerkt, daß sie unsere Liebe argwöhnen.«

Bevor wir uns trennten, dankte sie mir für alles, was ich für ihre Verheiratung getan habe, und bat mich, ihr zu glauben, daß sie trotz ihrer Armut im Herzen fühle, daß sie sich nur der Liebe ergeben habe. Ich verließ das Zimmer einige Zeit nach ihr und sagte der Wirtin, ich würde in den nächsten zehn oder zwölf Tagen nicht kommen. Unverzüglich begab ich mich hierauf zum Beichtvater und brachte ihm die hundert Taler, die ich dem schönen Mädchen versprochen hatte. Als der gute alte Franzose hörte, daß ich dieses neue Opfer bringe, damit Mariuccia ihren Lotteriegewinn auf die Anschaffung von Wäsche und Kleider verwenden könne, sagte er mir, er werde am selben Tage noch zu ihrer Mutter gehen, um sie für die Verheiratung ihrer Tochter günstig zu stimmen und um sich bei Mariuccia nach der Wohnung des jungen Mannes zu erkundigen, den sie heiraten wolle. Wie ich nach meiner Rückkehr von Neapel erfuhr, hatte er alles getreulich ausgerichtet.

Während ich bei Mengs noch zu Tische saß, ließ ein Kammerherr unseres Allerheiligsten Vaters sich melden. Er trat ein, fragte Herrn Mengs, ob ich bei ihm wohne, und übergab mir, als dieser mich nannte, im Namen »Seines Allerheiligsten Herrn« das Kreuz des Ordens vom Goldenen Sporn nebst dem Diplom und einem Patent mit dem großen päpstlichen Siegel, das mich in meiner Eigenschaft als Doktor der Rechte zum »Apostolischen Protonotar extra urbem« erklärte.

Dankbar für diese außerordentliche Gunstbezeigung, sagte ich dem Überbringer, ich würde gleich am nächsten Tage meinem neuen Herrscher Dank sagen und ihn um seinen Segen bitten. Ritter Mengs umarmte mich als seinen Ordensgenossen; aber ich hatte vor ihm den Vorzug, daß ich nichts zu bezahlen hatte, während der große Künstler für die Ausfertigung seines Diploms fünfundzwanzig Taler hatte zahlen müssen. Man sagt in Rom: sine effusione sanguinis non fit remissio – Ohne Blut zu lassen, erreicht man nichts. Mit Gold erreicht man in der Tat in der heiligen Stadt alles.

Sehr geschmeichelt von der Gunstbezeigung des Heiligen Vaters hängte ich mir das Kreuz an einem breiten, karmesinroten Band um den Hals; dies ist die Farbe des Ordens der mit dem goldenen Sporn gezierten Streiter des heiligen Johannes vom Lateran, der »Palastgenossen, comites palatini«, in der Übersetzung »Pfalzgrafen«. Zur selben Zeit erhielt der arme Cahusac, der Verfasser der Oper Zoroaster, aus den Händen des Apostolischen Nuntius die gleiche Würde des Pfalzgrafen und verlor vor Freude darüber den Verstand. So schlimm erging es mir nicht; aber wie ich zu meiner Schande gestehen muß, machte die Auszeichnung mir soviel Vergnügen, daß ich die Dummheit beging, Winkelmann zu fragen, ob ich mein Kreuz mit Diamanten und Rubinen besetzen lassen könne. Er sagte mir, das könne ich ganz nach meinem Belieben machen, und wenn ich mir ein solches Kreuz zu verschaffen wünsche, könne er mir zu einem vorteilhaften Kauf behilflich sein. Hoch erfreut über diese Gelegenheit kaufte ich das Kreuz gleich am nächsten Tage, um mich in Neapel damit brüsten zu können; doch besaß ich nicht die Kühnheit, es in Rom zu tragen. Als ich mich dem Papst vorstellte, um ihm meinen Dank abzustatten, hängte ich bescheidenerweise das Kreuz ins Knopfloch. Fünf Jahre später veranlaßte der Palatin von Rußland, Fürst Czartoryski, in Warschau mich, es abzulegen, indem er zu mir sagte: »Was machen Sie mit diesem Bettel? Nur Scharlatane wagen dieses Ding zu tragen.«

Die Päpste wissen dies sehr wohl, fahren aber trotzdem fort, dieses Kreuz den Gesandten zu verleihen, obgleich es ihnen nicht unbekannt sein kann, daß diese ihre Kammerdiener damit schmücken. Man stellt sich in Rom in vielen Dingen unwissend und geht den alten Schlendrian weiter.

Am Abend gab Momolo mir ein Essen, um meine neue Würde zu feiern. Ich entschädigte ihn dafür, indem ich eine Pharaobank auflegte und in geschickter Weise vierzig Taler verlor, die ich alle Mitglieder der Familie gewinnen ließ, ohne die geringste Parteilichkeit für Mariuccia zu zeigen; denn diese gewann wie alle anderen. Sie wußte eine Gelegenheit zu finden, um mir zu sagen, daß der Beichtvater bei ihr gewesen sei; sie habe ihm die nötigen Angaben gemacht, um sich über ihren Freier erkundigen zu können, und der brave Mönch habe ihre Mutter zur Einwilligung vermocht, daß die hundert Taler für ihre Ausstattung ausgegeben werden dürften.

Da ich bemerkte, daß Momolos zweite Tochter Costa liebte, sagte ich ihr, ich müsse nach Neapel reisen, lasse aber meinen Diener ihr zurück, und wenn ich bei meiner Rückkehr ein Heiratsabkommen fände, würde ich mit Vergnügen die Kosten der Hochzeit tragen.

Costa liebte das Mädchen ebenfalls, aber er heiratete sie damals nicht, weil er fürchtete, ich würde mir das Herrenrecht anmaßen. Er war ein Narr ganz eigener Art, obwohl die Narren aller Arten sehr gewöhnlich sind. Er heiratete sie im nächsten Jahre, nachdem er mich bestohlen hatte; aber davon werde ich später sprechen.

Nachdem ich am nächsten Tage gut gefrühstückt und meinen Bruder herzlich umarmt hatte, reiste ich mit dem Abbate Alfani in meinem schönen Wagen ab, während Leduc als Kurier vorausritt. Ich kam in Neapel in einem Augenblick an, wo die ganze Stadt in Aufregung war, weil ein Ausbruch des Vesuvs drohte. Auf der letzten Station zeigte der Postmeister mir das Testament seines Vaters, der während des Ausbruchs vom Jahre 1754 gestorben war; er schrieb, im Winter 1761 würde der Ausbruch erfolgen, durch welchen Gott die Sündenstadt Neapel bestrafen würde. Infolgedessen riet der gute Mann mir, lieber nach Rom zurückzufahren. Alfani fand die Sache ganz klar und sagte mir allen Ernstes, wir müßten einer Warnung folgen, welche Gott uns auf eine so wunderbare Art zukommen ließe. Das Ereignis war prophezeit, also mußte es eintreffen. So folgern viele Leute; ich dachte anders und setzte meinen Weg fort.