Wer lag in dem Sarge? man weiß es. Johann Valjean.

Er hatte sich eingerichtet, um darin leben zu können und athmete kaum.

Es ist merkwürdig, wie sicher Einen die Ruhe des Gewissens machen kann.

Der ganze von Johann Valjean ausgedachte Plan verlief seit dem vorigen Abend ganz gut. Johann Valjean rechnete wie Fauchelevent auf den Vater Mestienne. Er zweifelte nicht an dem guten Ende. Es konnte keine gefährlichere Lage, aber auch keine größere Ruhe geben.

Die vier Bretter des Sarges umschließen einen gewissen, schrecklichen Frieden. Auch die Ruhe Johann Valjeans schien etwas von der Ruhe der Todten zu haben.

Er hatte aus dem Sarge heraus allen Phasen des furchtbaren Dramas folgen können, das er mit dem Tode spielte.

Bald nachdem Fauchelevent den Sarg zugenagelt, hatte Johann Valjean gefühlt, daß er fortgetragen, dann fortgefahren werde. An den geringeren Stößen merkte er, daß man das Pflaster verlassen und nach dem Boulevard gekommen sei. Aus einem dumpfen Geräusch hatte er errathen, daß der Wagen über die Brücke von Austerlitz fahre. Als man das erstemal anhielt, merkte er, daß man beim Kirchhofe angelangt sei; bei dem zweiten Halt sagte er sich: wir sind am Grabe.

Er fühlte, daß Hände den Sarg ergriffen, sodann ein rauhes Reiben an den Brettern. Das war das Seil, das man um den Sarg legte, um ihn in die Grube hinunter zu lassen.

Dann fühlte er sich eine Zeitlang ganz betäubt.

Wahrscheinlich hatten die Leichenträger und der Tootengräber beim Hinunterlassen des Sarges die Kopfseite zuerst hinunter sinken lassen. Als er fühlte, daß sich der Sarg unbeweglich in horizontaler Lage befinde, kam er wieder zum Bewußtsein, Er befand sich unten auf dem Boden des Grabes.

Es war ihm kalt.

Ueber ihm erhob sich eine kalte, feierliche Stimme:

» Qui dormiunt in terrae pulvere, evigilabunt, alii in vitam aeternam, et alii in opprobrium, ut videant semper.«

(Die im Staub der Erde schlafen, werden erwachen, die Einen zum ewigen Leben, die Andern zu ewiger Schande.)

Eine Knabenstimme sprach:

» De profundis.«

(Aus den Tiefen.)

Die tiefere Stimme begann von neuem:

» Requiem aeternam dona ei, domine.«

(Gieb ihnen, o Herr, ewige Ruhe.)

Die Knabenstimme antwortete:

» Et lux aeterna luceat ei.«

(Und es leuchte ihnen das ewige Licht.)

Er hörte auf dem oberen Brette ein leises Klopfen wie von einigen Regentropfen. Das war wahrscheinlich das Weihwasser. Er dachte: jetzt ist’s zu Ende. Noch ein wenig Geduld. Der Geistliche entfernt sich, Fauchelevent führt den alten Mestienne zum Trinken. Man wird mich liegen lassen. Dann kommt Fauchelevent allein zurück und ich bin befreit.

Die tiefe Stimme begann nochmals:

» Requiescat in pace.«

(Ruhe in Frieden.)

Und die Knabenstimme antwortete:

» Amen.«

Johann Valjean spitzte die Ohren und glaubte etwas wie sich entfernende Schritte zu hören.

»Nun gehen sie,« dachte er. »Ich bin allein.«

Plötzlich hörte er über seinem Kopf ein donnerähnliches Getöse.

Eine Schaufel Erde fiel auf den Sarg; dann eine zweite.

Eines der Löcher, durch die er athmete, verstopfte sich.

Eine dritte und eine vierte Schaufel voll fiel herunter.

Es giebt Dinge, welche selbst der stärkste Mensch nicht ertragen kann. Johann Valjean verlor das Bewußtsein.