17. Kapitel

Martin erweitert den Kreis seiner Bekanntschaften, erstarkt in der Weisheit und findet vortreffliche Gelegenheit, seine eigenen Erfahrungen mit denen Lummy Neds von den leichten Salisburywagen zu vergleichen

Sehr charakteristisch für Martin war, daß er die ganze Zeit über Mark Tapley so vollkommen vergessen hatte, als ob ein Mensch dieses Namens überhaupt gar nicht existierte; und wenn die Gestalt dieses Gentlemans wirklich einmal vor seinem innern Auge auftauchte, so entließ er sie jedesmal wie etwas ganz Nebensächliches. Erst als er wieder auf der Straße war, fiel ihm ein, es sei am Ende doch nicht so ganz unmöglich, daß Mr. Tapley mit der Zeit müde werden könnte, an der Schwelle des Bureaus der Grobian-Zeitung zu stehen und zu warten, und sagte daher seinem neuen Freunde, dem Fremden, wenn es ihm passe, mit nach jener Gegend zu gehen, so möchte er gern das kleine Geschäft jetzt abmachen.

»Wenn ich schon einmal von Geschäften rede«, sagte Martin, »darf ich, um hinter der amerikanischen Sitte nicht zurückzustehen, vielleicht fragen, was Sie denn an diese Stadt hier fesselt oder ob Sie vielleicht nur zu Besuch hier sind.«

»Jawohl, zu Besuch«, versetzte der Fremde. »Ich bin im Staate Massachusetts aufgewachsen und lebe jetzt dort. Meine Heimat ist eine ruhige kleine Landstadt. Ich komme nicht oft an solch belebte Orte wie diesen und kann Ihnen versichern, je mehr ich sie kennenlerne, desto mehr vergeht mir die Lust zu weitern Besuchen.«

»Sind Sie im Ausland gewesen?« fragte Martin.

»Allerdings, Sir.«

»Und wie die meisten Menschen, die viel auf Reisen waren, haben Sie dann wohl Ihre Heimat um so lieber gewonnen?« forschte Martin und betrachtete seinen Begleiter neugierig.

»Meine Heimat? Ja«, entgegnete der Amerikaner. »Mein Geburtsland, sofern es meine Heimat ist? Ja, auch dies.«

»Sie scheinen mit einem gewissen Vorbehalt zu sprechen«, sagte Martin.

»Hm«, meinte der Fremde. »Wenn Sie mich fragen, ob ich heimgekehrt bin, sozusagen versöhnt mit den Fehlern meines Vaterlandes oder mit einer höhern und bessern Meinung über diejenigen, die sich in Anbetracht der täglichen Zunahme ihrer Dollars für seine Freunde ausgeben, oder mit mehr Gleichgültigkeit gegenüber dem Umsichgreifen von gewissen Grundsätzen in betreff Auffassung der öffentlichen Angelegenheiten und des Privatverkehrs – denen außerhalb der Atmosphäre eines Kriminalgerichtshofes das Wort zu reden sogar für Ihre Old-Bailey-Advokaten schimpflich sein würde –, wenn Sie eine solche Frage an mich stellen, müßte ich allerdings unverhohlen verneinen. Wenn Sie mich ferner fragen, ob ich mich mit einer Sachlage abgefunden habe, die eine weite Kluft zwischen zwei Gesellschaftsklassen setzt – Klassen, von denen die eine, und die überwiegend größere, eine falsche Unabhängigkeit behauptet und doch ihr erbärmliches Dasein auf eine jammervolle Mißachtung aller gebildeten, veredelnden Konventionen stützt, wie es nur den rohesten Charakteren zusagen kann, während die andere in ihrem Abscheu vor so niedrigen Grundsätzen ihre Zuflucht zu den Annehmlichkeiten und Geistesverfeinerungen nimmt, die sie dem Privatleben abgewinnen kann, und die öffentliche Wohlfahrt dem Geschick überläßt, das möglicherweise aus den Konsequenzen eines allgemeinen Kampfes hervorgehen kann –, so antworte ich abermals: nein.«

»Oh«, erwiderte Martin bange und beklommen, denn er sah die Aussicht auf seine Zukunft als Architekt mit einem Male schnell verblassen.

»Mit einem Wort«, fing der andere wieder an, »ich kann nicht finden, ich kann es nicht glauben und gebe es deshalb auch nicht zu, daß wir ein Musterbild von Weisheit, ein Beispiel für die übrige Welt und der Urtypus der menschlichen Vernunft sind. Sie können zwar viel Selbstlob zu jeder Stunde des Tages hier hören, aber das hat seinen Grund lediglich darin, daß wir unser politisches Leben mit zwei unschätzbaren Vorteilen begannen.«

»Und worin bestehen diese?« fragte Martin.

»Erstens einmal darin, daß unsere Geschichte in einer verhältnismäßig so späten Periode ihren Anfang nahm, daß wir nicht die lange Kette von Erinnerungen an Blutvergießen und Grausamkeiten wie andere Nationen mit uns schleppen mußten. Wir erfreuen uns daher aller Lichtseiten gemachter Erfahrungen, ohne ihren Druck zu empfinden. Der andere Vorteil ist, daß wir ein ungeheueres Ländergebiet bewohnen und – bis jetzt wenigstens – keine allzu große Bevölkerung haben. Zieht man diese Tatsachen in Betracht, so haben wir immerhin wenig genug geleistet, denke ich.«

»Und wie steht’s mit dem Fortschritt?« fragte Martin schüchtern.

»Im Grunde genommen nicht so übel«, meinte der Fremde und zuckte die Achseln, »aber besonders viel brauchen wir uns auch darauf nicht einzubilden, denn die alten Länder haben sogar unter despotischen Regierungen ebensoviel, wenn nicht mehr, geleistet, ohne soviel Aufhebens davon zu machen. Mit Bezug auf England fällt der Vergleich allerdings günstig für uns aus, aber England bildet auch ein Extrem. Übrigens nichts für ungut, Sir; doch Sie haben mir ja bereits wegen meiner Offenherzigkeit Komplimente gemacht«, setzte er lachend hinzu.

»Oh, ich mache mir gar nichts daraus, daß Sie sich so offen über mein Vaterland aussprechen«, entgegnete Martin. »Aber Ihre entschiedene Sprache in betreff des Ihrigen überrascht mich.«

»Ich versichere Ihnen, solche Eigenschaften werden Sie hier nicht selten finden, allerdings nicht unter Leuten wie Oberst Diver, Jefferson Brick und Major Pawkins, obgleich sogar die Besten von uns etwas von dem Bedienten in Goldsmiths Komödie haben, der bekanntlich niemandem als sich selbst erlaubte, über seinen Gebieter zu schimpfen. Doch sprechen wir von etwas anderem«, setzte er hinzu. »Wie ich vermute, sind Sie wahrscheinlich in der Absicht hierher gekommen, Ihr Glück zu machen. Es sollte mir sehr leid tun, wenn ich Ihnen Ihre Hoffnungen raube. Ich bin nun aber ein paar Jahre älter als Sie und kann Ihnen vielleicht in einem oder dem andern Punkt immerhin Rat erteilen.«

Dieses Anerbieten war offenherzig und gut gemeint und hatte auch nichts von Neugierde oder Anmaßung an sich. Martin konnte sich einem so freundlichen Entgegenkommen unmöglich verschließen und setzte daher in Kürze auseinander, was ihn nach Amerika geführt habe. Sogar, daß er arm sei, verschwieg er nicht. Allerdings brachte er es mit einer Miene vor, aus der man entnehmen konnte, er habe noch Geld für sechs Monate und nicht bloß für sechs Wochen, wie es wirklich der Fall war. Immerhin jedoch gestand er seine Mittellosigkeit ein und versicherte, er werde für jeden Rat außerordentlich dankbar sein.

Es wäre für niemanden, am wenigsten aber für Martin, dessen Beobachtungsgabe bereits durch die Umstände geschärft war, schwer gewesen, zu bemerken, daß der Fremde ein langes Gesicht machte, als er schließlich mit seinen Projekten herausrückte. Zwar gab sich der Amerikaner alle Mühe, eine möglichst zuversichtliche Miene zu machen, konnte sich aber doch eines unwillkürlichen Kopfschüttelns nicht erwehren, das ungefähr soviel sagte: lieber Freund, das geht sicher schief.

Im allgemeinen sprach er Martin Mut zu und sagte, wenn auch in New York keine Aussichten wären, so wolle er doch die Sache genau überlegen und sich erkundigen, wo ein Baumeister noch am ehesten reüssieren könne. Dann sagte er Martin, sein Name sei Bevan, er selbst sei Arzt, aber er praktiziere selten oder fast nie, und dann erzählte er ihm noch allerlei sowohl über sich wie über seine Familie; und damit verging die Zeit, bis sie endlich das Bureau der Grobian-Zeitung erreichten.

Mr. Tapley schien es sich auf dem Treppenabsatz des ersten Stockes bequem gemacht zu haben, wenigstens drangen Töne, wie wenn jemand mit Aufgebot seiner ganzen Lungenkraft das »Rule Britannia« pfiffe, aus jener Gegend an ihr Ohr, ehe sie noch das Haus betreten hatten. Als sie die Stufen emporklommen, von denen herab diese Musik erscholl, fanden sie Mark mitten in einer Art Festung aus Gepäck verschanzt und seine Nationalhymne einem grauhaarigen Schwarzen zum besten gebend, der auf einem der Außenwerke der Verschanzung, nämlich auf einem Mantelsack, saß und Mark mit großen Augen anstarrte, während dieser, den Kopf auf die Hand gestützt, munter drauflos pfiff.

Mr. Tapley schien soeben erst diniert zu haben, denn ein Messer, eine leere Flasche und einige Fleischschnitten lagen auf seinem Schnupftuch vor ihm. Einen Teil seiner Zeit hatte er zur Verzierung der Zeitungsbureautüre benützt, auf der jetzt sein Name in fußgroßen Buchstaben – nebst dem Datum in kleinerer Schrift darüber – prangte. Das Ganze war mit einem zierlichen Rand eingefaßt und sah ungemein malerisch aus.

»Ich fürchtete schon, Sie seien verlorengegangen, Sir«, rief Mark, stand auf und brach sein Lied ab. »Hoffentlich nichts Unangenehmes vorgefallen, Sir?«

»Nein, Mark, wo ist Ihre Freundin?«

»Die verrückte Person, Sir? Oh, alles ganz gut abgelaufen.«

»Hat sie ihren Mann gefunden?«

»Ja, Sir. – Wenigstens seine Überbleibsel«, sagte Mark, sich verbessernd.

»Wieso? – Ist er denn tot?« »Das gerade nicht, Sir. Aber es steckt mehr Fieber in ihm, als sich mit Wohlbefinden verträgt. Wenn sie ihn nicht gefunden hätte, wahrhaftig, ich glaube, er wäre gestorben.«

»Er erwartete sie also?«

»Ja. Oder besser gesagt, ein Teil von ihm. Es kam nämlich schließlich ein dürrer alter Schatten herangekrochen, der seiner Gestalt von damals, als sie ihn das letztemal gesehen, so ähnlich war wie ihr Schatten ihrem eigenen Selbst, wenn ihn die Sonne besonders in die Länge zieht. Aber immerhin war es doch wenigstens ein Überrest von ihm, daran ist kein Zweifel. Und sie freute sich von Herzen, die arme Person, daß sie ihn endlich wiederhatte.«

»Hat er vielleicht Land gekauft?« fragte Mr. Bevan.

»Natürlich hat er Land gekauft«, sagte Mark und nickte mit dem Kopf. »Und sogar das Geld dafür bezahlt. Es seien große Vorteile damit verbunden, behaupteten die Agenten; jedenfalls war ein ganz unendlicher Vorteil dabei, nämlich Wasser ohne Ende.«

»Nun, ohne Wasser, glaube ich, hätte er doch auch gar nicht bestehen können«, bemerkte Martin mürrisch.

»Natürlich nicht, Sir. Und er hatte genug davon und brauchte keine Wassersteuer zu zahlen. Ganz abgesehen von drei oder vier schlammigen Flüssen in der Nähe wechselte der Wasserstand während der trockenen Jahreszeit auf dem Gute von vier bis zu sechs Fuß Tiefe. Wieviel er zur Regenzeit betrug, das wußte er nicht, denn er hatte keine Zeit gehabt, um lange herumzusondieren.«

»Ist das wahr?« fragte Martin.

»Höchst wahrscheinlich. Es wird so ein Mississippi- oder Missourigrundstück sein. – Er kam«, fuhr Mark fort, »von Dingsda herunter nach New York, um Weib und Kinder zu treffen, und heute nachmittag sind sie wieder mit dem Dampfboot fortgefahren. Und so glücklich waren sie, als wenn’s schnurstracks in den Himmel ginge. – Wenigstens nach dem Aussehen des armen Burschen zu urteilen.«

»Und darf ich fragen«, fragte Martin und sah den Neger an, »wer dieser Gentleman ist? Auch ein Freund von Ihnen?« »Nun Sir«, flüsterte ihm Mark vertraulich ins Ohr, »es ist ein Farbiger, Sir.«

»Halten Sie mich vielleicht für blind?« fragte Martin etwas ungeduldig. »Ich sehe das doch selbst. Ein schwärzeres Gesicht ist mir überhaupt noch nicht vorgekommen.«

»Gewiß, nicht, Sir!« rief Mark. »Wenn ich sage ›ein Farbiger‹, so meine ich damit: einer von denen, wo immer in den Fensterläden abgebildet hängen. – Einen ›Mensch und Bruder‹, Sie verstehen, Sir«, setzte er hinzu und schilderte seinem Herrn mit einer pantomimischen Handbewegung eine der Figuren, die man so oft in den Traktätchen und wohlfeilen Volksschriften zu sehen bekommt.

»Aha, ein Sklave«, rief Martin.

»Ja, ja, gewiß; nicht mehr und nicht weniger als ein Sklave. Als er noch jung war – schauen Sie nicht hin auf ihn, Sir, während ich von ihm spreche –, wurde er ins Bein geschossen, in den Arm gehauen, bei lebendigem Leibe gezeichnet wie eine Speckseite, geprügelt bis zur Unkenntlichkeit; – ein eisernes Halsband rieb ihm den Hals wund, und an Knöcheln und Handgelenken trug er Eisenringe. Die Spuren davon kann man heute noch sehen. Als ich gerade mein Dinner verzehrte, zog er sich den Rock aus und verdarb mir den ganzen Appetit damit.«

»Ist das wahr?« fragte Martin den Fremden, der neben ihm stand.

»Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln«, antwortete dieser mit gesenktem Blick und schüttelte den Kopf. »Es ist leider sehr oft zu wahr.«

»Gewiß ist es wahr«, versicherte Mark, »das weiß ich; denn er erzählte mir seine ganze Lebensgeschichte. Sein erster Herr starb. Der zweite ebenfalls; ein Sklave schlug ihm den Schädel mit einer Axt ein und ging nachher ins Wasser. Dann bekam der Nigger einen bessern Herrn. Jahre und Jahre hindurch sparte und sparte er, bis er genug Geld beisammen hatte, um sich damit die Freiheit erkaufen zu können. Er bekam sie ziemlich billig, weil es mit seinen Kräften fast vorbei und er selbst schwer krank war. – Dann kam er hierher, und jetzt spart er wieder, um sich vor seinem Tod noch eine kleine Freude zu gönnen, nämlich seine – nicht der Rede wert übrigens – seine Tochter loszukaufen«, rief Mr. Tapley mit verhaltener Erregung, »Freiheit für immer, hoch, hurra!«

»Still«, warnte Martin und legte die Hand auf Marks Mund, »bedenken Sie, wo Sie sind. – Was will der Neger hier?«

»Er wartet, um auf einem Schubkarren unser Gepäck fortzuführen. Er hätte es auf die Schultern genommen, aber ich mietete ihn für länger für einen sehr anständigen Preis – auf meine eigenen Kosten –, damit er mir ein wenig Gesellschaft leiste und mich aufheitere. Und jetzt bin ich auch wirklich wieder mordsfidel, und wenn ich reich genug wäre, einen langen Kontrakt mit ihm abschließen zu können, daß er mir täglich einmal vor die Augen käme, würde ich überhaupt nie mehr anders sein.« Dabei lag jedoch etwas in Mr. Tapleys Mienen, das unbedingt darauf schließen ließ, daß er seine Versicherung durchaus nicht wörtlich meine.

»Meiner Seel, Sir«, fügte er hinzu, »man ist in diesem Erdteil so in die Freiheit vernarrt, daß man mit ihr schachert wie mit einer Ware. Man hat eine solche Leidenschaft für Freiheit, daß man sich nicht versagen kann, sie sich sogar gegen andere herauszunehmen. Da ist dann natürlich schließlich die Folge davon – –«

»Schon gut«, unterbrach Martin ungeduldig; »nachdem Sie zu diesem Schluß gekommen sind, Mark, schenken Sie mir vielleicht ein wenig Gehör. – – Der Ort, wohin dieses Gepäck kommen soll, ist auf der Karte hier angegeben: Mrs. Pawkins‘ Logierhaus.«

»Mrs. Pawkins‘ Logierhaus«, wiederholte Mark. »Nun, Cicero!«

»Ist dies sein Name?« fragte Martin.

»Ja, so heißt er, Sir.«

Der Neger grinste freundlich auf seinem ledernen Mantelsack, der bei weitem nicht so schwarz war wie sein Gesicht, nickte bejahend und humpelte mit seinem Anteil an den weltlichen Gütern der Reisenden die Treppe hinunter, während Mark Tapley bereits mit dem seinigen abgezogen war.

Martin und der Fremde folgten ihnen zum Tor hinunter und wollten eben ihren Spaziergang wieder aufnehmen, als der Amerikaner plötzlich haltmachte und hastig fragte, ob dem jungen Mann auch zu trauen sei. »Mark? Oh, gewiß. In jeder Hinsicht.«

»Mißverstehen Sie mich nicht. Ich denke nur, es wäre besser, er ginge mit uns. Er ist ein ehrlicher Bursche und spricht so offen heraus, wie es ihm ums Herz ist.«

»Ja, sehen Sie«, sagte Martin lächelnd, »er ist eben noch nicht an das Leben in einer freien Republik gewöhnt. Das ist die Sache.«

»Ich glaube, gerade aus diesem Grund wäre es besser, er ginge mit uns«, versetzte der Fremde; »er könnte sonst in allerhand Unannehmlichkeiten geraten. Wir sind zwar kein Sklavenstaat, aber ich muß mit Beschämung gestehen, daß der Geist der Duldsamkeit nicht so allgemein hier ist, wie es den Anschein hat. Unser Benehmen zueinander ist nicht besonders maßvoll, wenn wir verschiedener Ansicht sind – und gar erst gegen Fremde. Daher glaube ich wirklich, es wäre besser, er ginge mit uns.«

Martin rief daraufhin Mark sogleich zu, er solle sich dicht hinter ihnen halten, und so ging Cicero mit seinem Gepäck den einen Weg und die drei einen andern.

Ein paar Stunden schlenderten Martin, Mr. Tapley und der Amerikaner zusammen in der Stadt herum, betrachteten sich die besten Aussichtspunkte und verweilten in den Hauptstraßen oder vor den öffentlichen Gebäuden, auf die Mr. Bevan seinen jungen Freund besonders aufmerksam machte. Da es bald Nacht wurde, schlug Martin vor, nach Mrs. Pawkins‘ Etablissement zu gehen, um dort einen Kaffee zu trinken. Er wurde jedoch hierin von seinem Freund überstimmt, der es sich durchaus nicht nehmen lassen wollte, ihn, sei es auch nur für eine Stunde, nach dem nahegelegenen Hause eines seiner Freunde zu führen. Martin war müde und hatte deshalb zu einem Besuch keine besondere Lust, fühlte jedoch, daß es wenig Takt verrate, die Bitte abzuschlagen, wenn Mr. Bevan schon so liebenswürdig sei, ihn bei Bekannten einführen zu wollen. Deshalb opferte er – also wenigstens einmal in seinem Leben – seinen eignen Willen den Wünschen eines andern auf und ließ sich den Vorschlag gnädigst gefallen. Einen Vorteil also hatte das Reisen bisher bereits für ihn gehabt.

Mr. Bevan klopfte an die Türe eines hübschen, mäßig großen Hauses, aus dessen Wohnzimmerfenster die Lichter hell auf die dunkle Straße herunterschienen. Sie wurde fast augenblicklich von einem Mann von so ausgesprochen irischem Typus geöffnet, daß man ordentlich erstaunt war, den Menschen nicht zerlumpt, sondern in einem ganzen Anzug vor sich zu sehen.

Mark der Obhut dieses Phänomens anempfehlend – denn als ein solches mußte der Mann in den Augen eines Engländers erscheinen –, ging Mr. Bevan nach dem Zimmer voran, das seinen gemütlichen Schein auf die Straße geworfen und dessen Bewohnern er Mr. Chuzzlewit als einen Gentleman aus England vorstellte, den er kürzlich kennenzulernen das Vergnügen gehabt habe. Man hieß die beiden Gäste freundlich und höflich willkommen, und in weniger als fünf Minuten saßen sie ganz behaglich am Kaminfeuer und unterhielten sich ungeniert mit der Familie.

Es waren zwei junge Damen zugegen, die eine achtzehn, die andere zwanzig Jahre alt; beide sehr schmächtig, aber sehr hübsch, – dann ihre Mutter, die nach Martins Ansicht viel älter und verwelkter aussah, als man von ihr hätte voraussetzen sollen, und ihre Großmutter, eine kleine, muntere Frau mit scharfen Augen, die über das Stadium des Alterns hinausgekommen und wieder ganz jung geworden zu sein schien. Außerdem waren anwesend: der Vater der beiden Damen und der Bruder derselben; der erstere ein Geschäftsmann, der andere ein Student; beide sehr herzlich zu Mr. Bevan und ihm hinsichtlich Gesichtsschnitt sehr ähnlich, was übrigens kein Wunder war, da er, wie es sich bald darauf herausstellte, ein naher Verwandter von ihnen war. Martin interessierten vor allem die beiden jungen Damen, nicht nur, weil sie, wie gesagt, sehr hübsch waren, sondern auch wegen ihrer wunderbar kleinen Schuhe und der außerordentlich dünnen seidenen Strümpfe, die jetzt auf den Schaukelstühlen in geradezu sinnverwirrendem Ausmaß sichtbar wurden.

Es war auch ohne Zweifel höchst angenehm, in einem traulichen, gut möblierten und von heiterem Kaminfeuer durchwärmten Zimmer zu sitzen, das eine Menge der anziehendsten Dinge und vor allem vier kleine zierliche Schuhe und ebensoviel seidene Strümpfe und – warum es nicht aussprechen – die dazugehörigen Beine umschloß. Und ohne Zweifel betrachtete Martin seine Lage durchaus in diesem Licht, um so mehr, wenn er der Erfahrungen, die er jüngst auf der »Schraube« und in Mrs. Pawkins‘ Kosthaus gemacht, gedachte. Die Folge davon war, daß er sich bemühte, möglichst angenehm zu erscheinen, und bereits, als der Tee und Kaffee aufgetragen wurde, von der ganzen Familie außerordentlich geschätzt war.

Ein zweiter entzückender Umstand ergab sich, ehe noch die erste Tasse Tee getrunken worden. Die ganze Familie war nämlich früher einmal in England gewesen, und das traf sich gut. Ein wenig irritierte es Martin zwar, als er erfuhr, daß alle die großen Herzoge, Lords, Marquisen, Herzoginnen, Ritter und Baronets Englands der Familie sämtlich genau bekannt waren, daß man aber trotzdem alles mögliche von ihm über sie wissen wollte. Doch zog er sich mit Antworten, wie: ja, o ja, er befand sich ganz wohl, oder: es ging ihm nie besser und so weiter noch so ziemlich gut aus der Schlinge. Ebenso, als ihn die jungen Damen nach den Goldfischchen in der griechischen Fontäne im Garten dieses oder jenes Edelmannes fragten, und ob noch so viele wie sonst darin seien. Ernst und nach reiflicher Überlegung antwortete er, es müßten ihrer jetzt mindestens zweimal so viele sein. Und die exotischen Gewächse? Oh, darüber ließe sich gar nichts sagen, man müsse das sehen, um es zu glauben. Dann kam die Reihe an die Erinnerungen und was Mr. Norris, der Vater, zu dem Marquis, was Mrs. Norris, die Mutter, zu der Marquise gesagt, und was dann wieder der Marquis und die Marquise geantwortet und wie sie auf ihr Ehrenwort versichert hätten, sie wünschten, Mr. Norris, der Vater, und Mrs. Norris, die Mutter, und die Misses Norris, die Töchter, und Mr. Norris junior, der Sohn, möchten doch ihren dauernden Aufenthalt in England nehmen und ihnen das Vergnügen ihres dauernden Verkehres schenken.

Darüber verfloß eine beträchtliche Zeit.

Etwas sonderbar und gewissermaßen inkonsequent kam es Martin vor, daß während dieser Erzählungen und auf dem Kulminationspunkt der Familienfreude darüber Mr. Norris, der Vater, und Mr. Norris junior, der Sohn, die, wie sie sagten, an jedem Posttage mit vier Mitgliedern des englischen Hochadels korrespondierten, sich so weit und breit über den unschätzbaren Vorteil ausließen, daß es in ihrem erleuchteten Vaterlande Amerika keine derartigen Auszeichnungen gebe und auch keinen andern Adel als den Adel der Natur, und die ganze amerikanische Gesellschaft sei auf die große Grundlage brüderlicher Liebe und natürlicher Gleichheit aufgebaut. Offen gestanden wurde Mr. Norris, der Vater, in seiner Rede über dieses unerschöpfliche Thema recht langweilig, bis schließlich Mr. Bevan seinen Gedanken dadurch eine andere Richtung gab, daß er nach den Bewohnern des nächsten Hauses fragte, worauf Mr. Norris, der Vater, bemerkte, daß der Herr Nachbar zu religiösen Ansichten hinneige, die er nicht billigen könne, weshalb er sich auch die Ehre versagen müsse, mit dem Gentleman näher bekannt zu werden. Mrs. Norris, die Mutter, fügte aus einem anderen Grunde hinzu, der übrigens zu demselben Resultat führte, sie glaube, die Leute wären gut genug in ihrer Art, aber durchaus nicht – gentil.

Dann kam die Rede auf ein Thema, das auf Martin einen tiefen Eindruck machte. Mr. Bevan erzählte nämlich die Geschichte von Mark und dem Neger, und dabei zeigte sich, daß sämtliche Norris Abolitionisten waren. Dieser erfreuliche Umstand veranlaßte Martin natürlich, sein Mitgefühl mit den unterdrückten und unglücklichen Schwarzen an den Tag zu legen. Den Ernst, mit dem er sich darüber ausließ, fand die eine der jungen Damen – und zwar die hübschere der beiden – ungemein belustigend, und als er sie nach der Ursache ihrer Heiterkeit fragte, konnte sie eine Weile vor lauter Lachen gar keine Antwort geben. – Als sie endlich wieder Worte fand, sagte sie, die Schwarzen seien so kuriose Menschen und so possierlich in ihrem Äußeren, daß es für Personen, die sie kennten, rein unmöglich sei, mit so ungereimten Teilen der Schöpfung irgendwelche ernstliche Gedanken in Verbindung zu bringen. Mr. Norris, der Vater, und Mrs. Norris senior, die Großmutter, waren ganz derselben Meinung, rein als ob die Leiden der Sklaverei nicht an und für sich schon schrecklich genug wären, um sogar in menschlichen Tieren etwas Ernstes sehen zu lassen, wären sie auch physisch noch so lächerlich und lächerlicher als die groteskesten Affen.

»Kurz«, sagte Mr. Norris, der Vater, und erledigte damit die Frage ein für allemal, »es herrscht eine natürliche Antipathie zwischen den beiden Rassen.« »Die«, fügte Martins Freund mit leiser Stimme hinzu, »so weit, geht, daß man sogar vor den grausamsten Martern und dem Schacher mit noch ungeborenen Generationen nicht zurückschreckt.«

Mr. Norris, der Sohn, sagte zwar nichts, zog aber ein sehr schiefes Gesicht und stäubte sich die Finger ab, wie es wohl Hamlet getan haben mochte, nachdem er Yoricks Schädel weggeworfen, und als habe er sich in dem Augenblick an einem Neger schwarz gemacht und es wäre etwas von dessen Farbe an ihm haften geblieben.

Um dem Gespräch wieder die frühere angenehme Richtung zu geben, ließ Martin das Thema lieber ganz fallen. Er sah ein, daß es bedenklich sei in Amerika, selbst unter den günstigsten Verhältnissen etwas derartiges zu berühren. Er wandte sich daher aufs neue den jungen Damen zu, die äußerst gewählt und in helle Farben gekleidet waren. Alles an ihnen stand zu den kleinen Schuhen und den dünnen Seidenstrümpfen in bestem Einklang. Er schloß daraus, daß sie sehr versiert sein mußten in den französischen Moden, und das stellte sich auch schließlich als Tatsache heraus. Namentlich die ältere Schwester, die sehr philosophisch angelegt schien und die Gesetze der Hydraulik und Menschheitsrechte im kleinen Finger hatte, verstand es auf geradezu verblüffende Weise, diese Kenntnisse auf alle möglichen Gegenstände – von Kunst und Staatswesen angefangen bis zur Kirche und Glauben – anzuwenden. Sie konnte darin so tiefsinnig und merkwürdig werden, daß sie damit einen Fremden in fünf Minuten in einen Zustand intermittierenden Irreseins zu versetzen imstande war.

Auch Martin fühlte, daß sich ihm bereits der Kopf zu drehen anfing, und um sich zu retten, ersuchte er die andere Schwester, zumal er ein Piano im Zimmer bemerkte, etwas zu singen. Sie erklärte sich gern dazu bereit, und sofort setzte ein Bravourkonzert ein, ausschließlich von den Misses Norris bestritten. Sie sangen in allen Sprachen, nur in ihrer Muttersprache nicht. Deutsch, französisch, italienisch, spanisch, portugiesisch, nur nichts Amerikanisches; nichts so Gemeines, wie ihre Muttersprache war. In dieser Hinsicht sind die Sprachen wie die Menschen selbst; alltäglich und ordinär zu Hause, aber ungemein nobel im Ausland. Fraglos wären die Misses Norris im Laufe der Zeit bis zum Hebräischen gekommen, wenn nicht eine Anmeldung des Irländers sie unterbrochen hätte, der plötzlich die Türe aufriß und mit lauter Stimme rief: »Schineräl Fladdock.«

»Oh«, riefen die Schwestern und hörten sofort auf zu spielen, »der General ist zurück!«

Fast im selben Augenblick stürzte der »General« in voller Balluniform so Hals über Kopf in die Stube, daß er sich mit den Füßen in den Teppich verwickelte, den Degen zwischen die Beine bekam, der Länge nach hinfiel und den Blicken der erstaunten Gesellschaft eine auffallende kleine Glatze auf seinem Scheitel präsentierte. Und das war das Ärgste noch nicht, denn da der Herr etwas beleibt und in etwas sehr knappe Kleider gezwängt war, so konnte er, einmal auf dem Boden, sich nicht so leicht wieder aufrichten, sondern lag da und krümmte sich und führte mit seinen Stiefeln Manöver aus, wie sie in der Kriegsgeschichte ihresgleichen suchen.

Natürlich stürzte sogleich alles zu seinem Beistand herbei und half ihm auf die Beine, aber seine Uniform war so tief durchdacht und wunderbar gearbeitet, daß er ganz steif und kerzengerade in die Höhe kam und wie ein toter Harlekin sich weder rühren noch regen konnte, bis er genau perpendikulär auf die Sohlen gestellt war. Dann aber kam plötzlich, wie durch ein Wunder, wieder Leben in ihn. Seitlich gehend wie ein Seekrebs bewegte er sich einher, um die Goldschnüre an seinen Epauletten durch Anstoßen nicht in Unordnung zu bringen, lächelte und begab sich grüßend zu der Frau vom Hause.

Die Freude und das Entzücken der Familie bei dieser unerwarteten Erscheinung des Generals Fladdock kannte keine Grenzen. Er wurde so warm aufgenommen, als ob New York im Belagerungszustand und kein anderer Feldherr für Geld oder gute Worte zu bekommen gewesen wäre. Allen Norris‘ schüttelte er der Reihe nach dreimal die Hand und musterte sie dann nach Art eines tapferen Kommandanten in einer Entfernung von ein paar Schritten, den Mantel über die rechte Schulter geworfen und auf der linken zurückgeschlagen, um seine männliche Heldenbrust in vollem Glanz zur Geltung kommen zu lassen. »Und so sehe ich denn wieder«, rief der General, »die auserlesensten Geister meines Vaterlandes von Angesicht zu Angesicht.«

»Ja«, sagte Mr. Norris, der Vater, »hier sind wir, General.«

Und nun drängten sich alle Norris um den General, fragten ihn, wie und wo er sich seit seinem letzten Besuch befunden, wie es ihm im Ausland gefallen, und namentlich, wie weit seine Bekanntschaft mit den großen Herzögen, Lords, Viscounts, Marquisen, Herzoginnen, Rittern und Baronets gediehen, an denen die Völker jener umnachteten Länder solche Freude hätten.

»Fragen Sie nicht«, sagte der General und erhob abwehrend die Hand, »ich habe mich die ganze Zeit immer unter ihnen herumgetrieben und Zeitungen mitgebracht, in denen mein Name gedruckt zu lesen steht und voll Lob erwähnt ist, und zwar« – er erhob seine Stimme zu größter Eindringlichkeit – »als eine der neuesten fashionablen Erscheinungen. – Ach Gott, wenn nur die schrecklichen Konventionalitäten in diesem Europa nicht wären.«

»Oh«, seufzte Mr. Norris, der Vater, schüttelte melancholisch den Kopf und warf Martin einen Blick zu, als wolle er sagen: »Ich kann es nicht in Abrede stellen, Sir; wollte Gott, ich könnte es.«

»– und diese unglaubliche Beschränkung moralischen Gefühls in jenem Lande!« rief der General. »Und der Mangel an sittlicher Würde im Menschen!«

»Ach!« seufzten sämtliche Norris‘, ganz überwältigt von Trostlosigkeit.

»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wenn ich nicht selbst an Ort und Stelle gewesen wäre. – Lieber Norris, Ihre Einbildungskraft ist sicherlich die eines starken Mannes, aber hätten Sie sich eine Vorstellung davon machen können, wenn Sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätten?«

»Nein«, antwortete Mr. Norris.

»Diese Exklusivität, dieser Stolz, diese Förmlichkeit, diese Zeremonien!« rief der General mit wachsendem Nachdruck. »Diese künstlichen Schranken zwischen Mensch und Mensch, die Einteilung der Gesellschaft nach Kasten! Nach allem, nur nicht nach dem Herzen.«

»Ach!« rief die ganze Familie. »Leider nur zu wahr, General!« »Aber halt, Sir«, rief Mr. Norris, der Vater, und faßte seinen Gast beim Arm, »Sie sind doch mit der ›Schraube‹ herübergekommen, General?«

»Jawohl, mit der ›Schraube‹«, war die Antwort.

»Ist’s denn möglich«, riefen die jungen Damen, »man denke!«

Der General schien gar nicht begreifen zu können, wieso seine Rückkehr mit der »Schraube« zu solcher Sensation Anlaß geben könne, und wurde auch nicht klüger daraus, als Mr. Norris ihm Martin mit den Worten vorstellte:

»Ein Reisegefährte von Ihnen, wie ich glaube.«

»Von mir?« rief der General. »Ausgeschlossen!«

Er hatte Martin natürlich nie gesehen, wohl aber dieser ihn, und jetzt stand der unglückliche junge Mann ihm Angesicht zu Angesicht gegenüber und erkannte in ihm den Gentleman, der sich gegen Ende der Reise mit in die Taschen gesteckten Händen und weit aufgeblähten Nüstern auf Deck dem Volke gezeigt hatte. Jeder von den Anwesenden faßte ihn ins Auge. Da war jetzt guter Rat teuer; die Wahrheit mußte an den Tag.

»Ich machte allerdings in demselben Schiff die Überfahrt mit wie der General, aber nicht in derselben Kajüte«, erklärte Martin mit leiser Stimme. »Ich war genötigt, mich in jeder Hinsicht einzuschränken und reiste daher im Zwischendeck.«

Wenn man den General vor eine geladene Kanone gestellt und aufgefordert hätte, sie in diesem Augenblick mit eigener Hand abzufeuern, so hätte er nicht in größere Bestürzung geraten können, als jetzt, wo er diese Worte vernahm.

Er, Fladdock, in voller militärischer Uniform, Fladdock, der General, Fladdock, der gefeierte Mann des ausländischen Adels, sollte einen Kerl kennen, der für vier Pfund zehn Schillinge in dem Zwischendeck eines Paketschiffes herübergekommen war! Und einen solchen Menschen mußte er in dem Heiligtum der New Yorker vornehmen Welt, im Herzen der New Yorker Aristokratie nisten finden! Es fehlte wenig, daß er die Hand an seinen Degengriff gelegt hätte.

Totenstille herrschte unter den Norris‘. Wenn die Geschichte ruchbar wurde, so hatte ihnen ihr Vetter vom Lande ein unauslöschliches Brandmal aufgedrückt. Sie waren die Leuchten, die Stars einer hohen New Yorker Sphäre. Es gab wohl noch andere fashionable Kreise über ihnen und unter ihnen, aber keiner von den Stars in einer dieser Sphären hatte mit denen der andern irgendwelche Berührungspunkte. Was nun, wenn dennoch ruchbar wurde, daß die Norris‘, durch das scheinbar anständige Äußere eines Menschen getäuscht, von ihrer Höhe herabgestiegen waren und einem dollarlosen und unbekannten Subjekt den Zutritt in ihre Familie gestattet hatten?! Oh, Schutzengel der reinen Republik, daß du so etwas hattest zugeben können!

»Gestatten Sie mir«, fing Martin nach einem schrecklichen Schweigen wieder an, »daß ich mich jetzt verabschiede; ich fühle, daß ich hier der Anlaß zu einer wenigstens ebenso großen Verlegenheit geworden bin, wie die ist, in der ich mich selbst befinde. Ehe ich mich jedoch entferne, halte ich es für meine Pflicht, diesen Gentleman hier von aller Schuld freizusprechen, denn ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß er meine soziale Unwürdigkeit nicht kannte, als er mich in die Gesellschaft hier einführte.«

Mit diesen Worten machte er den Norris‘ seine Verbeugung und entfernte sich, äußerlich so kalt wie ein Schneemann, aber innerlich förmlich fiebernd.

»Nun«, meinte Mr. Norris, der Vater, nachdem Martin die Türe hinter sich zugezogen, und sah sich blaß bis in die Lippen im Kreise der Anwesenden um. »Der junge Mann hat heute abend einen gesellschaftlichen Schliff und eine ungekünstelte Hochkultur gesehen, die er in seinem Vaterland nicht zu finden vermag. Hoffen wir, daß es den Sinn für Moral in ihm wecke.«

– Wenn dieser eigentümliche, transatlantische Artikel, das moralische Gefühl – denn wenn man den eingeborenen Staatsmännern, Rednern und Journalisten glauben darf, so hat Amerika ein Monopol darauf –, wenn dieser eigentümliche transatlantische Artikel ein liebevolles Wohlwollen für alle Menschen in sich faßt, so hätte es Martins moralischer Sinn in diesem Augenblick allerdings sehr stark nötig gehabt, ein wenig geweckt zu werden, denn wie er, Mark hinter sich, so die Straße entlang schritt, war sein unmoralischer Sinn in voller Tätigkeit begriffen und stachelte ihn an, gewisse blutdürstige Bemerkungen laut werden zu lassen, die aber zum Glück für ihn von niemandem gehört wurden. Er hatte sich jedoch bald wieder so weit gefaßt, daß er bei der Erinnerung an den kleinen Vorfall ein Lächeln aufbringen konnte, da hörte er plötzlich Schritte hinter sich, und als er sich umdrehte, sah er seinen Freund Mr. Bevan ihm atemlos nachkommen.

Einen Augenblick später schob der Amerikaner den Arm durch den seinen, ersuchte ihn, langsamer zu gehen, schwieg dann einige Minuten und sagte schließlich:

»Ich hoffe, Sie sprechen mich auch noch in persönlichem Sinne frei!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Martin.

»Ich hoffe, Sie glauben doch nicht, daß ich den Ausgang unseres Besuches auch nur im entferntesten hätte voraussehen können. Aber diese Frage ist wohl kaum nötig.«

»Natürlich nicht«, sagte Martin. »Ich bin Ihnen im Gegenteil um so mehr für Ihre Güte verbunden, als ich jetzt klar sehe, aus welchem Stoff die guten Bürger hier gemacht sind.«

»Ich denke«, entgegnete der Amerikaner, »daß sie so ziemlich aus demselben Stoffe bestehen wie andere Menschen, wenn diese es nur immer eingestehen wollten.«

»Sie haben da nicht so unrecht«, gab Martin zu.

»Vermutlich«, fuhr Mr. Bevan fort, »kommen ähnliche Szenen wohl auch in englischen Komödien vor, und Sie dürfen keine besondern Ausnahmen darin entdecken. Freilich mag ein solcher Vorfall hierzulande lächerlicher erscheinen als anderswo, da wir immer soviel von ›Gleichheit‹ predigen. Was mich betrifft, kann ich wohl hinzusetzen, daß ich von Anfang genau wußte, daß Sie Ihre Fahrt im Zwischendeck machten, denn ich habe die Liste der Kajütenreisenden gelesen und Ihren Namen darunter nicht gefunden.«

»Um so mehr bin ich Ihnen dann verpflichtet«, sagte Martin.

»Norris ist in seiner Art ein sehr guter Mensch«, erklärte Mr. Bevan.

»So«, versetzte Martin trocken.

»O ja. Er hat viele vortreffliche Eigenschaften. Wenn Sie oder jemand anders sich als nicht gerade gleichberechtigtes Wesen an ihn gewendet und ihn um Rat oder Hilfe angegangen hätten, so wäre er die Freundlichkeit und Rücksicht selbst gewesen.«

»Ich hätte aber dazu nicht nötig gehabt, dreitausend Meilen von der Heimat wegzureisen, um einen solchen Charakter kennenzulernen!«

Weder Martin noch sein neuer Freund sprachen weiter auf dem Heimwege ein Wort und schritten stumm nebeneinander her, augenscheinlich hinreichend mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Als sie in der Wohnung des Majors anlangten, war der Tee, das Souper, oder wie man sonst das Abendessen nennen wollte, vorüber, und nur das Tuch lag noch auf dem Tische, mit einigen Schmutzflecken dekoriert. An dem einen Ende der Tafel saßen Mrs. Jefferson Brick und zwei andere Damen bei ihren Tassen. Es mußte augenscheinlich eine außergewöhnliche Zusammenkunft sein, denn sie hatten ihre Hüte und Schals an, als ob sie eben erst nach Hause gekommen wären. Bei dem Lichte dreier Kerzen von ungleicher Länge, die in ebenso vielen verschieden geformten Leuchtern staken, nahm sich das Gemach fast noch unvorteilhafter aus als am Tage.

Die drei Damen hatten bei dem Eintritt Martins und seines Freundes in sehr lautem Tone miteinander gesprochen, hielten aber sofort inne, als sie die Herren erblickten, und wurden ungemein steif, wo nicht frostig. Sie fuhren jetzt fort, ihre Bemerkungen im Flüstertone miteinander auszutauschen, und allmählich griff eine Stimmung Platz, als ob plötzlich das Wasser in der Teekanne um zwanzig Grade gefallen sei.

»Sind Sie in der Versammlung gewesen, Mrs. Brick?« fragte Martins Freund mit einer Art eingeweihten Blinzelns.

»In der Vorlesung, Sir!«

»Bitte um Verzeihung. Ich weiß, Sie gehen selbstverständlich nie in eine Versammlung

Die Dame, die rechts von Mrs. Brick saß, hüstelte daraufhin, als wolle sie sagen: »Aber ich gehe hin.« Wie es übrigens auch wirklich der Fall war, und zwar jeden Abend in der Woche.

»Eine gute Predigt, Madame?« fragte Mr. Bevan und wandte sich zu dieser Dame. Die Gnädige schlug die Augen fromm gen Himmel auf und erwiderte. »Ja.« – Sie hatten sich nämlich sehr erbaut an einigen guten, kräftigen und gepfefferten Lehren, die allen ihren Freundinnen gehörig die Meinung gesagt und ihnen enthüllt hatten, wes Geistes Kinder sie seien. Auch war ihr Hut bei weitem der schönste in der ganzen Versammlung gewesen, und sie konnte daher nur mit Freude daran zurückdenken.

»Welchen Vorlesungskurs besuchen Sie gegenwärtig, Madame?« fragte Mr. Bevan weiter und wendete sich abermals an Mrs. Brick.

»Am Mittwoch: Philosophie der Seelen.«

»Und montags?«

»Philosophie des Verbrechens. Am Freitag: Philosophie der Pflanzen.«

»Wir haben den Donnerstag vergessen, meine Liebe«, mahnte eine der Damen.

»Philosophie der Staatswissenschaften«, bemerkte die dritte Dame.

»Nein«, verbesserte Mrs. Brick, »das ist am Dienstag.«

»Sie haben recht, am Donnerstag ist ja Philosophie der Materie.«

»Sie sehen, Mr. Chuzzlewit, unsere Damen sind vollauf beschäftigt«, erklärte Mr. Bevan.

»Das scheint mir allerdings so«, antwortete Martin. »In Anbetracht dieser ernsten Studien außer Hause und der Familienobliegenheiten im Hause kann den Damen unmöglich noch viel freie Zeit übrig bleiben.«

Er hielt hier inne, denn er bemerkte plötzlich, daß man ihn nicht mit sehr gnädigen Blicken betrachtete, wenn er sich auch nicht erklären konnte, warum. Aber als die Damen die Treppe hinauf in ihre Schlafzimmer gegangen waren, was bald darauf geschah, setzte ihm Mr. Bevan auseinander, die häusliche Plackerei stehe so tief unter der Würde dieser Philosophinnen, daß man hundert gegen eins wetten könne, keine von allen dreien sei imstande, auch nur die leichteste Frauenarbeit für sich zu verrichten oder das einfachste Kleidungsstück für eines ihrer Kinder herzustellen. »Und doch, glaube ich, wäre es vielleicht besser für sie, wenn sie sich mit stumpferen Werkzeugen beschäftigen wollten – zum Beispiel mit Stricknadeln«, sagte er. »Aber für eins kann ich gutstehen: sie tun sich nicht weh bei ihrer jetzigen Beschäftigung. – Andachtsstunden und Vorlesungen vertreten bei uns die Stelle der Bälle. Sie gehen hin, um sich von der Eintönigkeit des täglichen Lebens zu erholen, beneiden einander um ihre neuesten Kleider und gehen dann wieder nach Hause.«

»Meinen Sie mit dem ›nach Hause‹ gehen ein Haus wie dieses?«

»Oft ist es so. Aber ich sehe, Sie sind jetzt todmüde. Lassen Sie mich Ihnen gute Nacht sagen. Ihre Pläne wollen wir morgen früh genauer besprechen. Sie müssen übrigens inzwischen eingesehen haben, daß es Ihnen nicht viel nützen würde, hier zu bleiben und bessere Verhältnisse abzuwarten. Sie werden andere Orte aufsuchen müssen.«

»Das heißt für mich, noch tiefer ins Unglück zu geraten«, sagte Martin.

»Das will ich nicht hoffen. – Aber genug für heute. Gute Nacht.« Damit drückten die beiden Herren einander herzlich die Hand und trennten sich. Als Martin allein war, ließ die Erregung, in die ihn die große Veränderung und die Neuheit alles dessen, was er gesehen, versetzt und die ihn den Tag über bei allen Strapazen aufrecht erhalten hatte, plötzlich nach, und er fühlte sich mit einem Male so niedergeschlagen und abgehetzt, daß er nicht die Energie aufbringen konnte, sich die Treppe hinauf in seine Schlafkammer zu schleppen.

Zwölf oder fünfzehn Stunden, und was hatte sich da nicht alles in seinen Hoffnungen und sanguinischen Plänen geändert! Als Fremder hier in einem Lande, das so ganz anders war als seine Heimat, mußte er immer mehr und mehr zu der bangen Überzeugung kommen, daß sein Unternehmen als gescheitert zu betrachten sei. An Bord des Schiffes hatte es ihm oft keck und unüberlegt geschienen, nicht so aber, als er gelandet war. Jetzt zeigte es sich ihm in einem traurigen und abschreckenden Lichte. Was er sich auch ausmalen wollte, immer entmutigendere Bilder traten vor seine Seele, und selbst die Diamanten an seinem Finger hatten etwas von dem Glanze von Tränen, und ihr Funkeln schickte ihm keinen Hoffnungsstrahl.

So blieb er in düsterem Brüten bei dem Kaminfeuer sitzen, ohne auf die Schritte der Kostgänger zu achten, die – einer nach dem andern – von ihren Magazinen, Kontoren oder den benachbarten Bars zurückkehrten, um noch einen tüchtigen Schluck aus einem großen weißen Wasserkrug auf dem Seitentische zu tun, dann gleichsam von einer Art häßlichem Zauber bestrickt in der Nähe der Spucknäpfe verweilten und sich endlich schwerfällig zu Bett begaben. Zuletzt kam Mark Tapley, trat ein und schüttelte ihn am Ärmel, da er dachte, er sei eingeschlafen.

»Mark!?«

»All right, Sir«, sagte Mark und schneuzte das Licht, das er in der Hand trug. »Ihr Bett scheint mir nicht sonderlich groß, Sir, und auch ein durchaus nicht durstiger Mann könnte vor dem Frühstück all das Wasser ruhig austrinken, das Sie zum Waschen hier haben, und hinterdrein meinetwegen auch noch das Handtuch verspeisen. Aber Sie werden heute nacht wenigstens auf festem Lande schlafen, Sir.«

»Mir ist, als ob dieses Haus auf der See schwämme«, sagte Martin und stolperte beim Aufstehen; »ich fühle mich höchst elend.«

»Und mir ist so fidel zumute wie einem Kegeljungen, Sir«, versetzte Mark. »Meiner Seel, ich habe aber auch Grund dazu. Ich bin der Ansicht, daß ich von Rechts wegen hier hätte geboren werden sollen. Nehmen Sie sich in acht«, warnte er, »fallen Sie nicht! Übrigens, Sie erinnern sich doch noch des Gentlemans an Bord der ›Schraube‹, der so einen kleinen Koffer mithatte, Sir?«

»Das Felleisen. – ja.«

»Nun, Sir, heute abend ist sein Weißzeug aus der Wäsche gekommen und hängt jetzt vor der Türe des Schlafzimmers zum Trocknen. Wenn Sie hinaufgehen, schauen Sie sich’s mal an. Sie können dann leicht aus der Anzahl seiner Hemden ersehen, worin das Geheimnis seiner Art zu packen bestand.«

Martin war jedoch viel zu müde und niedergeschlagen, um auf irgend etwas zu achten, und deshalb interessierte ihn diese Entdeckung auch nicht weiter. Mr. Tapley, der sich durch seine Teilnahmslosigkeit nicht entmutigen ließ, führte ihn sodann unter das Dach des Hauses und in das für ihn bestimmte Schlafgemach, nämlich eine sehr kleine Kammer mit einem halben Fenster, einer Bettstätte wie ein Koffer ohne Deckel, zwei Stühlen und einem Stück Teppich – wie er in England zum Abreiben der Schuhe vor neuen Treppen liegt – und einem kleinen an die Wand genagelten Spiegel, außerdem einem Waschtisch und einem Krug samt Waschschüssel, die man ganz leicht für einen Milchtopf und einen Spülnapf hätte halten können.

»Ich denke, hierzulande poliert man sich mit einem trockenen Tuch«, erklärte Martin, »wahrhaftig, die Amerikaner müssen so etwas wie die Wasserscheu haben, Sir.«

»Es wäre mir lieb, wenn Sie mir die Stiefel ausziehen hälfen«, brummte Martin und warf sich in einen der Sessel; »ich kann mich kaum mehr rühren, ich bin halbtot vor Müdigkeit, Mark.«

»Morgen früh werden Sie das nicht mehr sagen, Sir«, tröstete Mr. Tapley. »Nicht einmal heute würden Sie’s sagen, wenn Sie dies hier probiert hätten.«

Damit brachte er einen sehr großen Becher zum Vorschein, der bis an den Rand mit kleinen Stückchen klaren durchscheinenden Eises gefüllt war, durch die ein paar dünne Zitronenscheiben und eine köstlich goldglänzende Flüssigkeit dem sehnsüchtigen Auge des Beschauers entgegenleuchteten.

»Was ist das?« fragte Martin.

Doch Mr. Tapley gab keine Antwort, er tauchte bloß ein Rohr in die Mischung, rührte damit die Eisstückchen um und gab Martin mit ausdrucksvoller Gebärde zu verstehen, daß der entzückte Trinker die Flüssigkeit mittels dieses Instrumentes aussaugen müsse.

Martin nahm das Glas mit erstauntem Blick, brachte die Lippen an den Strohhalm und schlug dann mit einem Male wie in Verzücken die Augen auf. Er hielt auch nicht mehr inne, bis das Glas bis auf den letzten Tropfen geleert war.

»So, Sir«, rief Mark und nahm ihm den Becher mit triumphierender Miene aus der Hand. »Wenn Sie zufälligerweise wieder mal halbtot sein sollten und ich nicht bei der Hand wäre, so haben Sie nichts weiter zu tun, als den nächsten besten Kellner zu bitten, er solle Ihnen einen ›Cobbler‹ holen.«

»Einen Cobbler?«

»Diese wundervolle Erfindung, Sir«, erklärte Mark und streichelte zärtlich das Glas, »heißt Cobbler. Sherry Cobbler. Wenn Sie aber den langen Namen nicht behalten können, so sagen Sie nur ›Cobbler‹. Sehen Sie, jetzt sind Sie selbst imstande, sich die Stiefel auszuziehen. Und das will doch was heißen. Kurz, Sie sind wieder ein ganz anderer Mensch.« Nachdem er sich dieser feierlichen Vorrede entledigt hatte, brachte er den Stiefelknecht.

»Fürchten Sie nicht, daß ich wieder kleinmütig werde, Mark«, begann Martin nach einer Weile, »aber Gott im Himmel, was wäre aber, wenn wir in eine wilde Gegend dieses Landes verschlagen würden – ohne einen Penny in der Tasche?«

»Nun, Sir«, versetzte der unverwüstliche Mr. Tapley, »nach dem, was wir bis jetzt gesehen haben, weiß ich nicht, ob wir in wilden Gegenden viel schlechter fahren würden als in zahmen.«

»O Tom Pinch, Tom Pinch!« jammerte Martin. »Was gäbe ich drum, wenn ich wieder bei dir sein und deine Stimme hören könnte; wär’s auch nur in der schäbigen Schlafkammer bei Pecksniff.«

»O Drache! Drache!« echote Mark lustig. »Läge nicht so viel Wasser zwischen dir und mir und wäre es nicht so feige, zurückzukehren, so weiß ich nicht, ob ich nicht dasselbe sagen möchte. Aber hier bin ich, lieber Drache, im amerikanischen New York, und du bist im europäischen Wiltshire. Und hier kann man sich ein Vermögen machen, lieber Drache, und noch obendrein für eine schöne junge Frau. – Und wenn du ’ne Leiter hinaufsteigen willst, darfst du nicht gleich bei der ersten Sprosse umkehren, sonst kommst du niemals nicht hinauf.«

»Sehr wahr, Mark!« rief Martin. »Wir müssen mutig in die Zukunft blicken.«

»In all den Märchenbüchern, Sir, wo ich je gelesen habe, wurden die Ritter, wenn sie sich umsahen, jedesmal in Stein verwandelt«, versetzte Mark, »und meine Meinung war immer, daß sie selbst daran schuld waren, und daß ihnen ganz recht geschehen ist. – Aber jetzt wünsche ich Ihnen gute Nacht, Sir, und angenehme Träume.«

»Dann müssen’s Träume aus der Heimat sein«, sagte Martin und kroch in sein Bett.

»Mein ich auch«, flüsterte Mark Tapley, als er außer Hörweite und in seinem eigenen Zimmer war, »denn wenn nicht – ehe wir aus dieser Patsche heraus sind – ’ne Zeit kommt, wo’s ’ne ziemliche Kunst sein wird, fidel zu bleiben, so will ich ein Vereinigter-Staaten-Mann sein.«

Lassen wir sie jetzt träumen und eingehen in das Reich, wo die phantastischen Schemen einer andern Welt sich miteinander mengen, und kehren wir zu dem Schauplatz unserer Geschichte zurück, weit übers Meer an die englische Küste.