Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Wieder ein Hochzeit.

Mr. Sownds, der Kirchendiener, und Mrs. Miff, die Kirchenstuhlöffnerin, sind in der Kirche, wo Mr. Dombey getraut wurde, früh auf ihrem Posten. Ein gelbgesichtiger alter Gentleman aus Indien will sich heute morgen mit einem jungen Weibe verbinden, und es werden sechs Wagen voll Gesellschaft erwartet: auch weiß Mrs. Miff, daß der gelbgesichtige alte Gentleman den Weg nach der Kirche mit Diamanten pflastern lassen könnte, ohne es zu spüren. Die Feierlichkeit soll sehr vornehm gehalten werden, da ein sehr ehrwürdiger Dekan für die Einsegnung bestellt ist und die Dame als ein außerordentliches Geschenk von jemand vergeben wird, der zu diesem Zweck ausdrücklich von den Horse Guards herkommt.

Mrs. Miff ist heute morgen gegen das gemeine Volk noch intoleranter als sonst, obschon sie in dieser Beziehung, da sie mit Freisitzen in Verbindung steht, zu allen Zeiten sehr entschiedene Ansichten hegt. Sie hat sich mit dem Studium der Staatswirtschaft nicht abgegeben – sie meint, diese Wissenschaft beziehe sich auf »Dissenters, Baptisten, Wesleyaner oder dergleichen Volk«, sagt sie – kann aber nicht begreifen, wie gemeine Leute auch heiraten wollen. »Zum Henker mit ihnen«, sagt Mrs. Miff, »man muß das nämliche mit ihnen vornehmen und kriegt statt Goldstücke Sixpence.«

Mr. Sownds, der Kirchendiener, ist liberaler als Mrs. Miff – freilich aber auch kein Stuhlöffner. »Es muß geschehen, Ma’am«, sagt er. »Wir müssen sie zusammengeben. Wir brauchen Nationalschulen, denen wir vorangehen müssen, und brauchen stehende Heere. Wir müssen sie zusammengeben, Ma’am«, fährt Mr. Sownds fort, »und das Land im Gang halten.«

Mr. Sownds sitzt auf der Portaltreppe, und Mrs. Miff fegt eben die Kirche aus, als ein einfach gekleidetes junges Paar eintritt. Mrs. Miffs zerbeulter Hut wendet sich rasch zu ihnen hin, denn sie erkennt in diesem frühen Besuch Anzeichen einer Entführungshochzeit. Das Paar will übrigens nicht heiraten – »nur sich in der Kirche umsehen«, sagt der Gentleman. Und da er ein höfliches Kompliment in Mrs. Miffs Handfläche gleiten läßt, so wird ihr Essiggesicht milder, während der zerbeulte Hut und ihre schmächtige, dürre Gestalt rasselnd sich ducken.

Mrs. Miff nimmt ihr Abstäuben wieder auf und klopft auf die Polster los – denn der gelbgesichtige alte Gentleman soll sehr empfindliche Knie haben – folgt aber mit ihrem stuhlöffnenden Auge ohne Unterlaß dem jungen Paare, das in der Kirche umhergeht. »Ahem«, hustet Mrs. Miff, deren Husten noch trockener ist als die Binsen in den ihrer Obhut vertrauten Matten, »wenn ich mich nicht sehr täusche, meine Lieben, so werdet ihr eines schönen Morgens auch herkommen!«

Sie betrachteten eine Wandtafel, die zum Andenken eines Toten eingefügt wurde. Ihre Entfernung von Mrs. Miff ist groß, aber letztere kann mit einem halben Auge sehen, wie sie sich auf seinen Arm lehnt und wie er den Kopf zu ihr niederbeugt. »Na, na«, sagt Mrs. Miff, »ihr könnt etwas Schlimmeres tun, denn ihr seid ein nettes Pärchen!«

Es liegt nichts Persönliches in Mistreß Miffs Bemerkung, da sie nur von ihrem Gewerbsvorrat spricht. Paare haben für sie ebensoviel Interesse wie Särge. Sie ist eine so schmächtige, stracke, ausgetrocknete alte Dame – ein solcher Kirchenstuhl von einer Weibsperson, daß man ebensoviele individuelle Sympathien in einem Zimmerspan finden könnte. Mr. Sownds dagegen, der fleischig ist und Scharlach an seinem Rocke trägt, besitzt ein ganz anderes Temperament. Während er auf der Kirchentreppe dem sich entfernenden jungen Paare nachsieht, bemerkt er, sie habe eine recht hübsche Figur und, so viel er sehen kann (denn sie trug beim Herauskommen den Kopf gesenkt), ein ungewöhnlich nettes Gesicht. »Sie ist im ganzen Mrs. Miff«, sagt Mr. Sownds mit Wohlbehagen, »was ich eine Rosenknospe nennen möchte.«

Mrs. Miff stimmt mit einem dürren Nicken ihres zerbeulten Huts zu, ist aber von der Bemerkung so wenig erbaut, daß sie in ihrem Innern sich vornimmt, sie möchte um kein Gold, das er ihr geben könne, das Weib des Mr. Sownds werden, Kirchendiener hin, Kirchendiener her.

Und was sagt das junge Paar, als es die Kirche verläßt und zum Gittertor des Hofs hinausgeht?

»Ich danke dir, lieber Walter, ich kann jetzt glücklich von hier scheiden.«

»Und nach unserer Zurückkunft besuchen wir sein Grab wieder, Florence.«

Florence erhebt ihre von Tränen glänzenden Augen zu seinem freundlichen Gesicht und schlingt die freie Hand in die andere, die bescheiden in seinem Arm ruht.

»Es ist noch sehr früh, Walter, und die Straßen sind fast noch leer. Laß uns einen Spaziergang machen.«

»Aber du wirst müde werden, meine Liebe.«

»O nein! das erstemal, als wir zusammen gingen, war ich allerdings müde, aber heute wird es nicht der Fall sein.«

Und so gingen Florence und Walter – nicht viel verändert – sie so unschuldig und warmherzig, er aber so offen und hoffnungsvoll, nur noch stolzer auf sie – an ihrem Brautmorgen miteinander durch die Straßen.

Nicht einmal bei jenem kindlichen Gang vorzeiten waren sie so weit entfernt von der ganzen sie umgebenden Welt wie heute. Die kindlichen Füße betraten damals keinen so bezauberten Boden wie jetzt. Die vertrauensvolle Liebe von Kindern mag oftmals verschenkt werden und an vielen Orten aufsprießen: aber ein so weibliches Herz wie das von Florence mit seinem ungeteilten Schatz kann sich nur einmal geben und unter Geringschätzung oder Wechsel bloß hinwelken und sterben.

Sie wählten nur die ruhigsten Straßen und vermieden die Gegend, wo Florences alte Heimat steht. Es ist ein schöner, warmer Sommermorgen, und die Sonne trifft sie mit ihren Strahlen, während sie in den Dünsten, die sich über der Stadt herbreiten, weiter wandeln. Reichtümer enthüllen sich in den Läden: Gold, Silber und Edelsteine blitzen in den sonnigen Fenstern der Goldarbeiter, und große Häuser werfen einen vornehmen Schatten auf sie, während sie vorübergehen. Aber durch Licht und Schatten wandeln sie liebevoll miteinander, ohne auf ihre Umgebung zu achten: sie denken an keine stolzere Heimat, an keine andern Reichtümer, als die sie sich selbst gegenseitig bieten.

Allmählich kommen sie in die dunkleren, schmaleren Straßen, wo die Sonne, bald gelb, bald rot, nur an den Straßenecken und an kleinen offenen Plätzen durch den Nebel zu sehen ist: sie erhellt daselbst einen verkümmerten Baum, eine von den zahlreichen Kirchen, einen gepflasterten Weg und eine Treppenflucht, ein wunderliches Streiflein Garten oder einen Friedhof, wo die wenigen Gräber und Grabsteine fast schwarz aussehen. Liebend und vertrauensvoll geht Florence, sich an seinem Arme festhaltend, durch alle die engen Höfe, Gäßchen und schattigen Straßen, um seine Gattin zu werden.

Ihr Herz beginnt schneller zu schlagen, denn Walter sagt ihr, daß sie jetzt in der Nähe ihrer Kirche seien. Sie kommen an einigen großen Magazinen vorbei, wo Wagen vor den Türen stehen und geschäftige Fuhrleute den Weg versperren; aber Florence sieht und hört nichts von ihnen. Die Luft ist ruhig und das Licht des Tages gedämpft, als sie zitternd in eine Kirche tritt, die den dumpfigen Geruch eines Kellers verbreitet.

Das schäbige alte Männchen, das die hoffnungslose Glocke zu läuten pflegt, steht vor dem Portal. Sein Hut liegt in dem Taufstein, denn er ist der Totengräber, folglich hier ganz zu Hause. Er führt das Paar in eine von Alter gebräunte, getäfelte, staubige Sakristei, die wie ein Eckschrank mit herausgenommenen Simsbrettern aussieht. Die von Würmern zerfressenen Register riechen scharf nach altem Schnupftabak, so daß die tränenvolle Nipper niesen muß.

Wie schön und jugendlich sieht an dem staubigen alten Platz die junge Braut aus, der außer ihrem Gatten kein verwandtes Wesen zur Seite steht. Ein staubiger alter Küster ist da, der in einem gegenüberliegenden Bogengang hinter einem eigentlichen Bollwerk von Pfählen einen Laden unterhält und damit hinreichend beschäftigt zu sein glaubt. Ein staubiger alter Kirchendiener ist da (Kirchendiener und Stuhlöffnerin dieselben, denen am letzten Sonntag Mr. Toots zu schaffen machte), ein Mann im Dienste einer frommen Gesellschaft, die im nächsten Hof eine Halle mit einem farbigen Glasfenster hat, das noch nie einem Sterblichen zu Gesicht gekommen ist. Ferner sieht man hier ein- und ausspringende staubige Karniese, Holzleisten und Kränze über dem Altar, über der Schirmwand an der Empore herum, und über der Inschrift von dem, was der Gründer und die Direktoren der frommen Gesellschaft im Jahr tausendsechshundertvierundneunzig getan haben; desgleichen staubige alte Schalbretter über der Kanzel und dem Lesepult, die aussehen, als seien sie Deckel, um auf die funktionierenden Kirchendiener niedergelassen weiden zu können, im Falle sie ihrer Zuhörerschaft Anstoß geben. Kurz, einer bequemen Ablagerung von Staub ist überall die beste Gelegenheit geboten, nur im Kirchhofe nicht, der in dieser Beziehung nur sehr beschränkten Raum darbietet.

Der Kapitän, Onkel Sol und Mr. Toots sind angelangt. Der Geistliche zieht in der Sakristei seinen Kirchenrock an, während der Küster um ihn hergeht und den Staub abbläst; Braut und Bräutigam stehen vor dem Altare. Eine Brautjungfer fehlt, wenn man nicht etwa Susanna Nipper dafür gelten läßt, und in Ermangelung eines Besseren muß Kapitän Cuttle die Stelle des Vaters vertreten. Ein Mann mit einem hölzernen Beine, der an einem faulen Apfel nagt und einen blauen Sack in der Hand trägt, schaut herein, um zu sehen, was es gibt; da er aber nichts Unterhaltliches findet, so stelzt er wieder weiter und weckt draußen das Echo mit seinem Auftretens Man steht keinen freundlichen Lichtstrahl auf Florence fallen, die mit schüchtern gebeugtem Haupte vor dem Altare kniet. Der helle Morgen ist verbaut und scheint nicht herein. Draußen steht ein magerer Baum, auf dem die Sperlinge zirpen, und dem Fenster gegenüber sieht man in einem nadelöhrgroßen Sonnenblick an der Dachwohnung eines Färbers eine Amsel, die während des Gottesdienstes mit Macht ihre Kehle in Tätigkeit setzt; auch hört man das Holzbein weiterstelzen. Die Amen scheinen dem staubigen Küster wie dem Macbeth ein wenig in der Kehle stecken zu bleiben; aber Kapitän Cuttle leistet Aushilfe und tut dies mit so gutem Willen, daß er das Wort an drei ganz neuen Stellen anbringt, an denen man es nie zuvor während einer Trauung gehört hat.

Sie sind sich zur Ehe gegeben und haben ihre Namen in eines der alten Schnupftabak-Register eingezeichnet. Der Kirchenrock des Geistlichen ist wieder dem Staub überantwortet und der Geistliche nach Hause gegangen. In einer dunkeln Ecke der dunkeln Kirche hat Florence Susanna Nipper gefunden, und sie weint in ihren Armen. Die Augen des Mr. Toots sind rot. Der Kapitän poliert seine Nase. Onkel So! hat seine Brille von der Stirne nach den Augen niedergelassen und ist zur Tür hinausgegangen.

»Gott segne dich, Susanna, teuerste Susanna! Wenn du je Zeugnis geben kannst von der Liebe, die ich für Walter im Herzen trage, und von den Gründen, die mich zu dieser Liebe bewegen, so tue es um meinetwillen! Gott sei mit dir! Gott sei mit dir!«

Sie haben es für besser gehalten, nicht nach dem Midshipman zurückzugehen, sondern so zu scheiden. Eine Kutsche wartet auf sie in der Nähe.

Miß Nipper kann nicht sprechen, sondern nur schluchzen und würgen, und umarmt ihre Gebieterin. Mr. Toots tritt heran, bittet sie guten Muts zu sein, und nimmt sie in seine Obhut. Florence reicht ihm ihre Hand – bietet ihm in der Überfülle ihres Herzen die Lippen – küßt Onkel Sol und Kapitän Cuttle, und wird von ihrem jungen Gatten fortgezogen.

Aber Susanna kann es nicht ertragen, daß Florence mit einer traurigen Erinnerung an sie scheiden soll. Sie hat sich so ganz anders verhalten wollen, daß sie sich bittere Vorwürfe macht. In der Absicht, durch eine letzte Anstrengung die Ehre ihrer Standhaftigkeit zu retten, reißt sie sich von Mr. Toots los und eilt fort, um die Kutsche zu suchen und noch ein Abschiedslächeln zur Schau zu stellen. Der Kapitän, der ihren Zweck ahnt, setzt ihr nach, denn er hält es gleichfalls für seine Pflicht, das Brautpaar womöglich mit einem Hurra zu entlassen. Onkel Sol und Mr. Toots bleiben miteinander zurück und warten vor der Kirche, bis sie wiederkehren.

Die Kutsche ist bereits abgefahren; aber die steile, schmale Straße muß irgendwo ein Hindernis bieten. Susanna gewinnt diese Überzeugung aus einem Stillstehen der Menschen in der Ferne. Kapitän Cuttle folgt der Berganfliegenden und schwenkt als allgemeines Signal, das vielleicht von der rechten Kutsche aufgefangen wird, seinen Glanzhut.

Susanna ist dem Kapitän weit voran und erreicht den Wagen. Sie schaut zum Fenster hinein, sieht Walter mit dem sanften Gesicht an seiner Seite, schlägt ihre Hände zusammen und ruft:

»Miß Floy, mein Herz, seht heraus! Wir alle sind jetzt so glücklich, meine Liebe. Nur noch ein Lebewohl, mein Kleinod – nur noch ein einziges!«

Wie es Susanna möglich wird, weiß sie nicht, aber sie erreicht das Fenster, küßt Florence und hat im Nu die Arme um ihren Hals geschlungen.

»Wir sind alle so – so glücklich jetzt, meine liebe Miß Floy!« sagt Susanna mit einem verdächtigen Drücken in ihrer Stimme. »Ihr werdet mir jetzt nicht zürnen – nicht wahr?«

»Zürnen, Susanna?«

»Nein, nein; ich wußte es ja. Ich sagte, Ihr würdet’s nicht, mein Liebling!« ruft Susanna. »Und da ist auch der Kapitän – Ihr wißt, Euer Freund, der Kapitän – um Euch noch einmal Lebewohl zu sagen.«

»Hurra, meine Herzensfreude!« brüllte der Kapitän mit sehr aufgeregtem Gesicht. »Hurra, Wal’r, mein Junge! Hurra! Hurra!«

Der junge Mann ist an dem einen Fenster, die junge Frau an dem andern; der Kapitän hängt rechts und Susanna links an dem Kutschenschlag; aber der Wagen muß vorwärts, mag er wollen oder nicht, da alle andern Karren und Kutschen wegen seines Zögerns aufrührerisch werden. Nie hat es eine solche Verwirrung auf vier Rädern gegeben. Aber Susanna Nipper führt standhaft ihr Vorhaben aus. Sie behauptet das lächelnde Gesicht bis auf den letzten Augenblick, während ihre Gebieterin gleichfalls durch ihre Tränen lächelt. Und sogar als sie schon zurückbleibt, fährt der Kapitän fort, mit dem Rufe: »Hurra, mein Junge! Hurra meine Herzensfreude!« vor dem Schlag aufzutauchen und zu verschwinden; sein Hemdkragen kommt dabei in sehr ungestüme Aufregung, bis er zuletzt die Hoffnungslosigkeit des Versuches, länger mit der Kutsche gleichen Schritt zu halten, einsieht. Zum Schlusse, nachdem der Wagen abgefahren ist, verfällt Susanna Nipper in einen Zustand der Bewußtlosigkeit, und der Kapitän muß sie in einen Bäckerladen führen, damit sie sich daselbst wieder erhole. Onkel Sol und Mr. Toots sitzen auf dem Schlußstein des Geländers und warten geduldig im Kirchhof, bis Kapitän Cuttle und Susanna zurückkommen. Obschon es ihnen durchaus nicht ums Sprechen oder Angeredetwerden zu tun ist, leisten sie sich doch trefflich Gesellschaft und sind vollkommen zufrieden. Wieder im kleinen Midshipman angelangt, setzen sich alle vier zum Frühstück nieder, aber niemand ist imstande, auch nur einen Bissen anzurühren. Kapitän Cuttle tut, als sei er ungeheuer gierig auf einige Röstschnitte, gibt es aber bald als einen Betrug wieder auf. Nachdem der Tisch wieder abgeräumt ist, verspricht Mr. Toots, am Abend wieder zurückzukommen, und wandert den ganzen Tag mit dem unbestimmten Gefühl in der Stadt umher, als sei er vierzehn Tage lang keines Bettes ansichtig geworden.

Es liegt ein eigentümlicher Zauber auf dem Hause und auf dem Stübchen, in dem sie zusammenzusitzen pflegten und das jetzt so viel verloren hat. Er erhöht und beschwichtigt zugleich den Schmerz des Abschieds. Mr. Tools teilt, als er abends zurückkommt, Susanna Nipper mit, er habe sich den ganzen Tag über nicht so elend gefühlt, und doch könne er sich von dem Stübchen nicht trennen. Da er mit ihr allein ist, so schenkt er ihr sein Vertrauen und erzählt ihr von seinen Gefühlen, als sie ihm so offen ihre Ansicht über die Unwahrscheinlichkeit mitteilte, daß Miß Dombey je ihn lieben werde. Das Vertrauen wird durch solche gemeinschaftliche Rückblicke und durch ihre Tränen erhöht, so daß Mr. Toots zuletzt seiner Gefährtin den Vorschlag macht, sie wollen miteinander ausgehen und Nachtessen kaufen. Miß Nipper gibt ihre Zustimmung, und sie schaffen allerlei Kleinigkeiten herbei, so daß unter Mithilfe von Mrs. Richards ein stattliches Souper aufgetragen werden kann, ehe der Kapitän und der alte Sol nach Hause kommen.

Der Kapitän und der alte Sol sind am Bord des Schiffes gewesen, um Diogenes dahin zu verpflanzen und die Ladung des Gepäcks zu überwachen. Sie wissen viel davon zu erzählen, wie beliebt Walter sei; er habe es ganz gemächlich und sei mit aller Ruhe früh und spät tätig, um seine Kajüte zu einem »Bildchen«, wie es der Kapitän nennt, zu machen und seine junge Frau damit zu überraschen. »Wohlverstanden«, sagt der Kapitän, »eine Admiralskajüte könnte nicht schmucker sein.«

Eine von des Kapitäns Hauptfreuden besteht jedoch darin, daß er weiß, die große Uhr, die Zuckerzange und die Teelöffel seien wohlbehalten an Bord. Man hört ihn wieder und wieder vor sich hinmurmeln: »Ed’ard Cuttle, mein Junge, du hast in deinem Leben nie auf einen so guten Kurs angelegt, als wie du das kleine Eigentum gemeinsam überwachtest. Du hast sogleich gemerkt, wo das Land lag, Ed’ard«, sagte der Kapitän, »und es macht dir Ehre, mein Junge.«

Der alte Instrumentenmacher ist zerstreuter und düsterer als sonst; er nimmt sich die Hochzeit und den Abschied sehr zu Herzen. Zum Trost gereicht es ihm übrigens, daß er seinen alten Bundesgenossen Ned Cuttle zur Seite hat, und er setzt sich mit dankbarem und zufriedenem Gesicht zum Nachtessen nieder.

»Mein Junge ist erhalten worden und gedeiht«, sagt der alte Sol Gills, indem er sich die Hände reibt. »Habe ich ein Recht, etwas anderes zu sein als dankbar und glücklich?«

Der Kapitän, der seinen Sitz am Tisch noch nicht eingenommen, aber sich eine Zeitlang sehr unruhig umgetrieben hat, sieht jetzt Mr. Gills zaudernd an und beginnt:

»Sol, wir haben noch die letzte Flasche alten Madeira drunten. Wünscht Ihr, mein Junge, daß sie heute abend Wal’r und seiner Frau zu Ehren angebrochen werde?«

Der Instrumentenmacher sieht den Kapitän nachdenklich an, steckt die Hand in die Brusttasche seines kaffeefarbigen Rocks, holt seine Brieftafel hervor und nimmt ein Schreiben heraus.

»An Mr. Dombey«, sagt der alte Mann. »Von Walter. Es soll ihm nach drei Wochen zugesendet werden. Ich will es lesen.«

»Sir.

Ich bin mit Eurer Tochter vermählt und sie hat mit mir eine weite Reise angetreten. Obschon ihr, Gott weiß es, mein ganzes Dasein gewidmet ist und ich sie über alle Erdendinge liebe, hätte ich doch meine Ansprüche nicht bis zu ihr oder zu Euch erheben sollen; indes sind Gründe vorhanden, die mich bewogen, ohne Gewissensbisse ihr Geschick mit den Unsicherheiten und Gefahren meines Lebens zu verflechten. Ich will nichts weiter sagen. Ihr seid ihr Vater und wißt warum. Macht ihr keine Vorwürfe. Sie hat Euch nie einen Vorwurf gemacht. – Ich denke und hoffe nicht, daß Ihr mir je vergeben werdet. Ich erwarte es am allermindesten. Wenn aber eine Stunde kommen sollte, in der Euch das Bewußtsein tröstlich wird, Florence habe stets jemand in der Nähe, der sich’s zur großen Aufgabe seines Lebens macht, die Erinnerungen an den vergangenen Kummer zu verwischen, so gebe ich Euch die feierliche Versicherung, daß Ihr Euch in einer solchen Stunde dieser Überzeugung hingeben dürft.«

Solomon legt das Schreiben bedächtig wieder in seine Brieftafel und steckt sie in seine Rocktasche.

»Wir wollen die letzte Flasche des alten Madeira noch nicht trinken, Ned«, sagte der alte Mann. »Noch nicht.«

»Nein«, pflichtete der Kapitän bei. »Nein, noch nicht.« Susanna und Mr. Toots sind derselben Ansicht. Nach einer schweigsamen Pause setzen sie sich zum Nachtessen nieder und trinken die Gesundheit des jungen Ehepaars in etwas anderem. Die letzte Flasche alten Madeiras bleibt unter dem Staub und den Spinngeweben noch ungestört.

Einige Tage sind vergangen, und ein stattliches Schiff sticht in die See, seine weißen Schwingen vor dem günstigen Winde ausbreitend. Auf dem Deck – für den rauhesten Mann an Bord ein Bild der Anmut, Schönheit und Unschuld, ein Bild von etwas Gutem und Angenehmem, das die Reise glücklich machen muß – befindet sich Florence. Es ist Abend. Sie und Walter sitzen allein und betrachten den feierlichen Lichtpfad auf dem Meer zwischen ihnen und dem Mond.

Endlich kann sie nicht mehr deutlich sehen, denn Tränen füllen ihre Augen. Sie lehnt ihr Haupt an seine Brust, schlingt die Arme um seinen Nacken und sagt:

»O Walter, mein teures Leben, ich bin so glücklich!« Der junge Gatte drückt sie an seine Brust. Ein stilles Glück erfüllt ihre Herzen, und das stattliche Schiff gleitet ruhig weiter.

»Wenn ich lauschend da sitze und das Rauschen des Meeres höre«, sagte Florence, »so kommen mir viele Tage der Vergangenheit in den Sinn. Es erinnert mich stets – –«

»An Paul, meine Liebe. Ich weiß es.«

»An Paul und Walter.«

Und die Stimmen in den Wellen flüstern in ihrem unablässigen Gemurmel Florence stets zu von Liebe – von Liebe, ewig und grenzenlos, nicht abgeschieden durch die Schranken dieser Welt oder durch das Ende der Zeit, sondern weiter sich breitend über Meer und Himmel, hinaus nach dem fernen unsichtbaren Lande!