X.

Nach wenigen Minuten befand sich unser Dichter in einem kleinen gewölbten Zimmer, das gegen den Zugang der Luft wohl verwahrt und wohl geheizt war, und saß vor einem Tische, der zwar noch nicht besetzt war, aber die Aussicht auf einen an der Wand hängenden Speiseschrank darbot, aus dem man nur für die Tafel entnehmen durfte; ein gutes Bett stand in der Ecke, und er befand sich unter vier Augen mit einem schönen Mädchen. Seliger Peter Gringoire! Dieser Wechsel der Dinge glich einer wahren Verzauberung. Unser Poet begann im Ernst sich für eine Art irrenden Ritters zu halten, an dessen Person die Feen und Zauberer guten und schlimmen Antheil nehmen. Er blickte von Zeit zu Zeit um sich, um den mit zwei geflügelten Genien bespannten Feenwagen zu suchen, der allein vermocht hatte, ihn mit so reißender Schnelligkeit aus dem Tartarus in den Olymp zu bringen. Dann, um diesen magischen Schwung abzukühlen und sich in die Wirklichkeit zurückzuversetzen, sah er wieder seinen abgeschabten, zerrissenen Rock an, und dies war der einzige Faden, an dem seine schwankende Vernunft noch festhielt.

Das schöne Zigeunermädchen schien gar nicht auf ihn zu achten; sie ging, kam, verrichtete Dieses und Jenes, plauderte mit ihrer Ziege. Endlich setzte sie sich an den Tisch, und unser Dichter konnte sie mit Muße betrachten.

Je mehr und mehr in seine Träumereien versinkend und nur von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf das Mädchen werfend, sprach er zu sich selbst: Das ist also die Esmeralda! Fürwahr ein himmlisches Geschöpf! Sie tanzt zwar auf der Straße, aber gleichviel! Sie ist es, die heute meinem Mysterium den Garaus gemacht hat, sie ist es, die diesen Abend mein Leben gerettet hat. Mein böser Genius! Mein guter Engel! In der That ein schönes Weib, und die ganz rasend in mich verliebt sein muß, da sie mich auf solche Weise geheirathet hat! Potz tausend! fügte er, sich besinnend hinzu, ich bin also ihr Mann, obgleich ich nicht recht weiß, wie das zugegangen ist.

Diese Idee im Kopfe und in den Augen, näherte er sich dem Mädchen mit einer so legitimen Galanterie, daß sie vor seinen Blicken zurückwich,

»Was willst Du von mir?« fragte sie.

»Kannst Du fragen, angebetete Esmeralda?« antwortete Peter Gringoire mit einem so leidenschaftlichen Ausdrucke, daß er sich über sich selbst wundern mußte.

Das Zigeunermädchen öffnete ihre großen, schwarzen Augen und sprach: »Ich weiß nicht, was Du damit sagen willst.«

»Nun, wahrlich!« erwiederte der Poet, der immer hitziger wurde und zu bedenken anfing, daß er am Ende doch nur eine Tugend, wie sie im Hofe der Wunder zu finden waren, vor sich habe, »bin ich nicht Dein, bist Du nicht mein, mein süßes Mädchen?«

Mit diesen Worten umfaßte er sie ohne Umstände. Das Mieder der Zigeunerin glitschte in seiner Hand, wie die Haut eines Aals, den man abzieht. Das Mädchen sprang wie eine Gemse von einem Ende des Zimmers zum andern, einen kleinen Dolch in der Hand, stolz und zürnend, mit aufgeworfenen Lippen und offenen Nasenflügeln, mit vor Scham und Wuth brennenden Wangen und Augen, die Blitze von sich schleuderten. Zu gleicher Zeit stellte sich die Ziege auf die Hinterbeine, blöckte und bedrohte unsern Dichter mit ihren spitzigen Hörnern. Alles dies war das Werk eines Augenblicks.

Unser Philosoph war wie verzaubert und festgebannt, und betrachtete mit stieren Blicken bald die Ziege, bald das Zigeunermädchen. Heilige Jungfrau, sprach er für sich, die beiden muß der Teufel gemacht haben!

»Du bist ein kecker Bursche!« sprach die Zigeunerin zu ihm.

»Aber warum, in’s Teufels Namen, hast Du mich denn geheirathet?«

»Sollte ich Dich hängen lassen?«

»Also,« versetzte der in seinen verliebten Hoffnungen getäuschte Poet, »hattest Du keinen andern Gedanken dabei, als mich vom Galgen zu retten?«

»Welchen anderen Gedanken hätte ich denn haben sollen?«

Peter Gringoire biß sich vor Verdruß in die Lippen und sagte: »Ich bin also noch nicht so sieghaft in Cupido’s Reiche, wie ich glaubte; aber wozu hat es denn jetzt genützt, den armen Krug zu zerbrechen?«

Inzwischen waren die Hörner der Ziege und Esmeralda’s Dolch noch immer zur Vertheidigung gerüstet.

Als unser Philosoph seine Bemühungen fruchtlos sah, ergab er sich mit stoischer Gleichmüthigkeit in den Willen des Schicksals, gedachte in seinem Herzen, daß er ein hungriger Poet sei, und sprach: »Ich schwöre Dir, daß ich Dich ohne Deinen Willen mit keinem Finger berühren will, aber gib mir etwas zu Nacht zu essen.«

Peter Gringoire war ein Philosoph in der Liebe, wie in allen anderen Dingen! er konnte kapituliren und temporisiren, und ein gutes Nachtessen unter vier Augen schien ihm, besonders wenn er Hunger hatte, ein herrlicher Zwischenakt zwischen dem Prolog und der Entwicklung eines verliebten Abenteuers.

Das Zigeunermädchen antwortete nicht, sie warf den Mund spöttisch auf, hob das Haupt, brach in ein Gelächter aus, und plötzlich war der kleine Dolch verschwunden, ohne daß unser Dichter sehen konnte, wohin die Biene ihren Stachel versteckte.

Gleich darauf ward die Tafel mit Roggenbrod, einem Stück Speck, einigen gebratenen Aepfeln und einem Kruge Bier besetzt.

Unser Dichter machte sich mit Heißhunger darüber her, und wenn man das Geklapper von Messer und Gabel hörte, die er mit reißender Schnelligkeit handhabte, so hätte man glauben können, die Liebe sei ihm in den Magen gefahren.

Das junge Mädchen, das neben ihm saß, sah ihm stillschweigend zu und war sichtbarlich mit einem andern Gedanken beschäftigt, der bisweilen ein stilles Lächeln auf ihre Lippen brachte, während ihre zarte Hand das kluge Haupt der Ziege streichelte, welche sich zwischen ihre Kniee gepreßt hatte.

Ein gelbes Wachslicht beleuchtete diese Scene der Gefräßigkeit und des träumerischen Nachsinnens.

Nachdem die dringendsten Forderungen des Magens befriedigt waren, schämte sich unser Dichter, daß er von dem ganzen Mahl nur einen einzigen Apfel zurückgelassen habe.

»Willst Du denn gar nichts essen?« fragte er, freilich allzu spät, das Mädchen.

Sie antwortete mit einem verneinenden Kopfnicken und blickte gedankenvoll zur Decke des Zimmers hinauf.

An was denkt sie wohl? sagte Peter Gringoire für sich und folgte der Richtung ihrer Blicke. Das Fratzengesicht des steinernen Zwergs da, der in der Wölbung eingegraben ist, kann doch nichts so Anziehendes für sie haben. Beim Teufel! mit Dem halte ich die Vergleichung noch aus!

Er rief ihr laut zu: »Esmeralda!«

Sie schien ihn nicht zu hören.

Er rief noch lauter: »Esmeralda!«

Vergebens, ihr Geist war anderswo, und Peter Gringoire’s Stimme hatte nicht die Macht, ihn zurückzurufen. Glücklicherweise nahm sich die Ziege der Sache an; sie zupfte ihre Gebieterin sanft am Aermel.

»Was willst du, Djali?« fragte Esmeralda, wie plötzlich aus einem Traume erwachend.

»Sie wird Hunger haben,« antwortete der Poet im Namen der Ziege.

Esmeralda bröckelte Brod und gab es dem Thier in ihrer hohlen Hand zu fressen.

Damit das Mädchen nicht wieder in ihre Träumereien versinke, wagte unser Peter Gringoire eine kitzliche Frage: »Du willst mich also nicht zu Deinem Manne haben?«

Esmeralda fixirte ihn mit den Augen und sagte trocken: »Nein!«

»Oder zu Deinem Liebhaber?«

Sie warf den Mund höhnisch auf und sagte: »Nein!«

»Auch nicht zu Deinem Freunde?«

Sie sah ihm fest in die Augen und erwiederte nach augenblicklichem Nachdenken: »Vielleicht!«

Dieses Vielleicht, das den Philosophen so theuer ist, ermuthigte unseren Dichter: »Weißt Du,« fragte er, »was Freundschaft ist?«

»Ja,« erwiederte das Mädchen, »sie ist Bruder und Schwester, zwei Seelen, die sich berühren, ohne in einander zu fließen, zwei Finger einer Hand.«

»Und die Liebe?« fuhr der Dichter fort.

»Die Liebe!« wiederholte sie, und ihre Stimme zitterte und ihr Auge strahlte, »die Liebe macht aus zwei Wesen eines, einen Mann und ein Weib, die sich in einen Engel auflösen, das ist der Himmel.«

Die Straßentänzerin bot in dem Augenblicke, als sie diese Worte sagte, einen Anblick himmlischer Schönheit dar, die unseren Dichter um so mehr bezauberte, da sie in vollkommenem Einklang mit dem fast orientalischen Schwung ihrer Worte stand. Ihre rosigen Lippen waren halb geöffnet, ihre reine, freie Stirne umwölkte sich je und je nach dem Gange ihrer Gedanken, wie ein Spiegelglas vom Hauche getrübt wird, und unter ihren zu Boden gehefteten schwarzen Augbraunen schimmerte ein unauslöschbares Licht hervor, das ihrem Profil jene ideale Lieblichkeit gab, welche inzwischen Raphael auf dem Punkt des mystischen Durchschnitts der Jungfräulichkeit, der Mütterlichkeit und der Göttlichkeit wiedergefunden hat.

Der Dichter fuhr zu fragen fort: »Wie muß man denn beschaffen sein, um Dir zu gefallen?«

»Man muß ein Mann sein.«

»Und ich, was bin ich denn?«

»Ein Mann hat den Helm auf dem Haupt, das Schwert in der Faust und goldene Sporen an den Fersen.«

»Gut,« sprach unser Peter, »ohne Roß kein Mann! Liebst Du irgend Einen?«

»Lieben?«

»Ja, lieben!«

Sie dachte einen Augenblick nach und sagte dann mit eigentümlichem Ausdruck: »Ich werde das bald wissen.«

»Und warum nicht diesen Abend schon?« versetzte der zärtliche Poet. »Und warum nicht mich?«

Sie warf ihm einen ernsten Blick zu und sagte: »Ich liebe nur einen Mann, der mich zu schützen vermag.«

Peter Gringoire erröthete, denn augenscheinlich spielte sie auf den geringen Beistand an, den er ihr vor wenigen Stunden in einer bedenklichen Lage zu leisten vermochte. Plötzlich erinnerte er sich der Abenteuer dieser Nacht, schlug sich vor die Stirne und sprach: »Wie dumm! Eigentlich hätte ich damit anfangen sollen: ›Wie bist Du denn den Klauen des garstigen Zwergs entkommen?‹«

Bei dieser Frage schauderte Esmeralda zusammen: »O, der scheußliche Zwerg!« sagte sie und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.

»Scheußlich ist er,« fuhr der Poet fort, »aber sage mir, wie Du ihm entkommen bist?«

Esmeralda lächelte, seufzte und schwieg.

»Weißt Du, warum er Dir gefolgt ist?« fuhr Peter Gringoire fort, um auf einem Umweg auf seine Frage zurückzukommen.

»Ich weiß es nicht,« erwiederte sie und fügte lebhaft hinzu: »Aber Du selbst, warum bist Du mir nachgefolgt?«

»Meiner Treu!« antwortete der ehrliche Peter, »ich weiß es auch nicht.«

Es trat eine Pause ein. Der Dichter klimperte mit dem Messer auf dem Tisch, und die Zigeunerin streichelte ihre Ziege.

»Du hast da ein schönes Thier,« sagte Peter Gringoire.

»Es ist meine Schwester.«

»Warum nennt man Dich Esmeralda?«

»Ich weiß es nicht.«

Sie zog aus ihrem Busen ein längliches Säckchen, das an einer Kette um ihren Hals hing; dieses Säckchen hatte eine starke Ausdünstung von Campher, war mit grüner Seide bedeckt, und in seiner Mitte hatte es ein großes grünes Glas, das einen Smaragd (émeraude) vorstellte. »Es ist vielleicht deßhalb,« sagte sie, indem sie ihm das Säckchen hinhielt.

Peter Gringoire wollte es mit der Hand fassen.

Sie zog es hastig zurück: »Rühre es nicht an, es ist verzaubert. Du würdest dem Zauber schaden, oder der Zauber Dir.«

»Wer hat es Dir gegeben?« fragte der neugierige Poet.

Sie legte einen Finger auf den Mund und verbarg das Amulet in ihrem Busen.

»Was heißt das Wort: Esmeralda?«

»Ich weiß es nicht!«

»Welcher Sprache gehört es an?«

»Es ist ägyptisch, glaube ich.«

»Das dachte ich doch, Du bist nicht aus Frankreich?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie alt warst Du, als Du nach Frankreich kamst?«

»Ganz klein.«

»Wann kamst Du nach Paris?«

»Im vergangenen Jahre. Als wir durch die päbstliche Pforte einzogen, sah ich die röthliche Grasmücke durch die Luft streichen; es war Ende August und ich sagte: Wir werden einen strengen Winter bekommen.«

»Das war er auch,« rief der Poet aus, »und ich habe mir mehr als einmal in die Hände gehaucht. Du besitzest also die Gabe der Weissagung?«

»Nein!«

»Ist der Mann, den Ihr den Herzog von Aegypten nennt, das Haupt Eures Stammes?«

»Ja!«

»Nun, und dieser Nämliche hat uns verheirathet,« sagte der Poet und warf einen schüchternen Blick auf die Schöne.

Sie machte die ihr eigene höhnische Geberde: »Ich weiß nicht einmal Deinen Namen!«

»Oh, wenn es nur daran liegt! Peter Gringoire, Dir zu dienen!«

»Da weiß ich einen schönern,« sagte sie,

»Verdammte Hexe!« fuhr der Poet fort, »doch gleichviel, ich will nicht zornig werden. Vielleicht lernst Du mich lieben, wenn Du mich erst besser kennst; und überhaupt will ich Dir meine Geschichte erzählen.«

»Wisse also, daß ich Peter Gringoire heiße und der Sohn eines Pächters aus der Amtei Gonesse bin. Als man vor zwanzig Jahren Paris belagerte, haben die Burgunder meinen Vater gehängt, und die Picarden meiner Mutter den Bauch aufgeschnitten. Im sechsten Jahre also, denn ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt, lief ich als eine vater- und mutterlose Waise mit bloßen Füßen auf dem Pflaster von Paris. Wie ich die Zeit vom sechsten bis zum sechzehnten Jahre zugebracht habe, weiß ich mich kaum mehr zu erinnern. Hier warf mir eine Obsthändlerin eine Pflaume, dort eine Gemüsehändlerin einen halbverfaulten Kohlkopf zu; Abends ließ ich mich von der Polizei auffangen, die mich über Nacht einsteckte, und im Gefängniß fand ich einen Bund Stroh zum Liegen. So wurde ich groß und blieb mager, wie Du siehst. Im sechzehnten Jahre dachte ich daran, Etwas zu werden. Ich machte allerlei Versuche: ich wurde Soldat, aber es fehlte mir an Muth; ich wurde Mönch, aber ich war nicht fromm genug; ich wurde Zimmermann, da fehlte es mir an Stärke; ich wollte ein Schulmeister werden, aber ich konnte weder lesen noch schreiben. Nach einiger Zeit nahm ich wahr, daß es mir zu Allem an Etwas fehlte, und da ich einsah, daß ich zu Nichts tauglich sei, so wurde ich ein Dichter. Man kann Poet und Vagabund zugleich sein. Zu meinem Glück lernte ich eines Tages Don Claude Frollo, den hochwürdigen Archidiakonus der Liebfrauenkirche, kennen; er nahm Antheil an mir, und ihm danke ich es, daß ich jetzt ein wahrer Gelehrter bin, der das Latein von Cicero’s Officien an bis zum Leichengesang der hochwürdigen Cölestiner aus dem Grunde versteht. Ich bin der Verfasser des Mysteriums, das man heute, unter großem Zulauf und Beifall des Volks, im großen überfüllten Saale des Justizpalastes aufgeführt hat. Ich habe auch ein Buch von sechshundert Seiten über den wunderbaren Kometen des Jahres 1456 geschrieben, worüber ein Mensch närrisch geworden ist. Ich verstehe mich auch ein wenig auf das Geschütz und habe an dem großen Mörser geholfen, der, als man den ersten Versuch damit machte, auf der Brücke von Charenton zersprungen ist und achtzig Personen getödtet hat. Du siehst also, daß ich ein Mann bin, den man brauchen kann und demnach keine so üble Partie für Dich wäre. Ich verstehe auch allerlei Kunststücke, die Deiner Ziege wohl zu Statten kommen werden, z. B. den Bischof von Paris nachzumachen, und derlei Dinge. Auch werde ich ein schönes Stück Geld für mein Mysterium einnehmen, wenn man mich anders bezahlt. Somit bin ich zu Deinem Befehl, meine Person, mein Geist, meine Wissenschaft, Alles nach Deinem Gefallen, züchtig oder lustig, Mann und Frau, wenn Du willst, oder Bruder und Schwester, wenn es Dir so lieber ist.«

Der Philosoph schwieg und wartete auf den Erfolg, den seiner Meinung nach seine wohlgesetzte Rede unfehlbar hervorgebracht haben mußte. Das Mädchen hob ihre schwarzen Augen vom Boden und sagte halb träumend: Phöbus! Hierauf wandte sie sich dem Dichter zu mit den Worten: »Phöbus, was bedeutet das?«

Peter Gringoire, der gerne seine Gelehrsamkeit glänzen ließ, antwortete auf der Stelle: »Das ist ein lateinisches Wort und bedeutet Sonne.«

»Sonne!« wiederholte sie.

»Es ist der Name eines schönen Bogenschützen, der ein Gott war,« fügte der Dichter hinzu.

»Ein Gott!« wiederholte Esmeralda, und in ihrem Tone lag etwas Nachdenkliches und Leidenschaftliches.

In diesem Augenblicke entfiel ihr eines ihrer Armbänder. Der galante Poet bückte sich hastig darnach. Als er den Kopf wieder erhob, war das Mädchen mit der Ziege verschwunden, und er hörte von Außen den Riegel schließen.

»Hat sie mir doch wenigstens ein Bett dagelassen?« sagte unser Philosoph.

Er machte die Runde im Zimmer und fand nur eine nicht sehr lange hölzerne Kiste, auf deren Deckel hölzerne Figuren in erhabener Arbeit ausgeschnitten waren. Als er sich auf derselben zum Schlaf ausstreckte, hatte er ungefähr die nämliche Empfindung, wie der Riese Mikromegas, als er die Alpen in ihrer ganzen Länge zur Ruhestätte wählte. Nun, sprach er mit Ergebung, man muß sich begnügen. Es ist freilich eine sonderbare Brautnacht. Schade, es lag in dieser Verheiratung mittelst eines zerbrochenen Kruges etwas Ungekünsteltes und Antediluvianisches, das mir wohlgefiel.

XI.

Sechzehn Jahre vor dem Anfang dieser Geschichte war am Sonntag Quasimodo in der Liebfrauenkirche zu Paris, auf dem Brett vor dem Bilde des heiligen Christoph, ein lebendes Geschöpf ausgesetzt worden. An diesem Platze pflegte man die Findelkinder auszusetzen, bis ein barmherziger Samariter kam, der sie zu sich nahm. Daneben stand ein Opferbecken, in das man Almosen für die verlassenen Geschöpfe warf.

Das lebende Wesen, das am Sonntag Quasimodo des Jahres 1467 auf diesem Brette lag, schien die Neugierde der Gruppe, welche sich um dasselbe gesammelt hatte, in hohem Grade zu erregen. Sie gehörte meist dem schönen Geschlechte an, bestand jedoch fast aus lauter alten Weibern.

In der vordersten Reihe standen vier solche Weiber, die ihrer Kleidung nach irgend einer frommen Gesellschaft angehörten. »Was ist das, Schwester?« fragte die eine, indem sie auf das kleine Geschöpf deutete, das, durch den Anblick so vieler fremden Gesichter erschreckt, sich auf dem Brett unruhig hin und her wälzte.

»Ich verstehe mich nicht auf Kinder,« erwiederte die Andere, »aber es ist gewiß eine Sünde, ein solches in Sünden erzeugtes Wesen nur anzusehen.«

»Es ist ein Kind,« fiel die Dritte ein.

»Es ist ein halber Affe,« sagte die Vierte.

Jetzt fingen sie Alle zumal an zu reden:

»Ein wahres Scheusal an Häßlichkeit!«

»Es schreit, daß man taub werden möchte!«

»Das ist kein Mensch, aber auch kein Thier; ich glaube fast, daß es von einem Juden und einer Sau ist, irgend etwas Unchristliches, das man in’s Wasser oder Feuer werfen sollte.«

»Ich glaube nicht, daß irgend ein Mensch es annehmen wird.«

In der That war dieses kleine Geschöpf, das bereits wenigstens vier Jahre zählte, ein wirkliches Ungeheuer an Häßlichkeit. Seine unförmliche Masse steckte in einem Sack, der ihm bis an den Hals ging; der Kopf war sichtbar, er zeigte einen Wald rother Borsten, ein Auge, einen Mund und Zähne. Das Auge troff, der Mund schrie und die Zähne schienen beißen zu wollen. Der Körper stampfte unruhig in dem Sack, zur großen Belustigung der Zuschauer.

Eine vornehme, reichgekleidete Dame, ihre sechsjährige Tochter an der Hand, bückte sich zu dem unförmlichen Wesen hinab, wandte den Blick mit Ekel ab und sagte: »In der That, ich glaubte, man setze hier bloß Kinder aus.« – Sie warf ein Silberstück in das Opferbecken und ging.

Ein ernster, wohlgekleideter Mann, von der sogenannten hohen Bürgerschaft, schritt vorüber. »Findelkind!« sagte er und bückte sich zu dem Wesen hinab; als er es angesehen hatte, fügte er hinzu: »Offenbar an den Ufern des Flusses Phlegeton gefunden!«

»Es hat nur ein Auge und auf dem andern eine Warze,« bemerkte eine der Betschwestern.

»Es ist keine Warze,« erwiederte der Bürger mit großem Ernst, »sondern ein Ei, in dem ein anderer kleiner Teufel steckt, der wieder ein kleines Ei hat, in dem wieder ein kleiner Teufel steckt, und so fort.«

Die Betschwestern wunderten sich darüber sehr und eine derselben fragte: »Was prophezeit Ihr uns von diesem angeblichen Findelkinde?«

»Das größte Unglück,« versetzte er.

»So wäre es besser,« riefen viele Zuschauer zumal, »diesen kleinen Höllenbrand ins Wasser oder ins Feuer zu werfen.« Einige machten bereits Anstalten, diesen Vorschlag zu vollziehen.

Da trat plötzlich ein junger Priester von ernstem Ansehen hinzu, legte die Hand auf das kleine Geschöpf und sprach: »Ich nehme dieses Kind an.«

Er wickelte es in seinen Priesterrock und ging. Eine der Betschwestern neigte sich zu dem Ohre einer andern und sprach: »Habe ich es nicht gesagt, daß dieser junge Priester Claude Frollo ein Hexenmeister ist?«

Claude Frollo gehörte einer jener Familien an, die man hohe Bürgerschaft oder kleinen Adel nannte. Er war von seiner Kindheit an für den geistlichen Stand bestimmt: man lehrte demnach das Kind lateinisch lesen, die Augen niederschlagen und leise reden. Hierauf, als er ein Knabe wurde, mauerte man ihn in das Collegium von Torchi ein. Dort wuchs er mit dem Meßbuch und dem Lexicon auf.

Claude Frollo war ein ernsthafter, fast düsterer Knabe, der eifrig lernte und schnell begriff; er mischte sich selten unter die Spiele seiner Mitschüler und nahm nur lauen Antheil an denselben; dagegen lag er um so fleißiger seinen Büchern ob, und im sechzehnten Jahre hatte er die mystische, die kanonische und die scholastische Theologie inne. Hierauf ging er zum Studium der Rechtsgelehrsamkeit, sodann zu dem der Arzneikunde und der schönen Wissenschaften über. Die alten Sprachen, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, verstand er, was damals eine Seltenheit war, vollkommen. Er hatte ein wahres Fieber, Schätze der Wissenschaft anzuhäufen.

Etwa um diese Zeit führte der außerordentlich heiße Sommer des Jahres 1466 jene große Pest herbei, die allein in der Grafschaft Paris mehr als 40,000 Menschen hinraffte. In der Universitätsstadt verbreitete sich das Gerücht, daß die Straße Tirechappe, wo Claude Frollo’s Eltern wohnten, besonders heftig von der Krankheit heimgesucht sei. Der junge Student, durch diese Nachricht bestützt, lief eilends dem väterlichen Hause zu. Sein Vater und seine Mutter waren bereits den Tag zuvor gestorben, und in der Wiege schrie verlassen ein kleines Kind, sein Bruder. Dies war Alles, was von seiner Familie übrig blieb. Er nahm das Kind auf den Arm und trug es fort.

Bis jetzt hatte der junge Mensch bloß in der Wissenschaft gelebt. Diese Katastrophe führte ihn in das wirkliche Leben ein und war für ihn eine Krisis in seinem Dasein. Waise und Familienhaupt zugleich in seinem neunzehnten Jahre, sah er sich von den Träumereien der Schule in die Wirklichkeiten des Lebens gewaltsam weggezogen. Er, der bis jetzt bloß Bücher geliebt hatte, lernte jetzt andere Gefühle kennen und widmete seine ganze Liebe dem verlassenen Säugling.

Diese Neigung entwickelte sich in seinem so unerfahrenen Herzen bis zu einem seltsamen Grade, sie glich fast einer ersten Liebe. Von Kindheit an von seinen Eltern getrennt, die er kaum gekannt hatte, festgebannt an seine Bücher, heißhungrig im Lernen, ausschließlich sich den Fortschritten in der Wissenschaft widmend, hatte bis jetzt der arme Schüler noch nicht Zeit gehabt zu untersuchen, ob er auch ein Herz habe. Dieser vater- und mutterlose junge Bruder, dieses kleine Kind, das ihm wie vom Himmel zugefallen war, machte ihn zu einem neuen Menschen. Er überzeugte sich, daß es noch etwas Anderes in der Welt gebe, als theologische Streitfragen und Homerische Verse; daß der Mensch zur Liebe geschaffen sei, und daß ein Leben ohne Liebe und Zärtlichkeit nur ein trockenes, kreischendes Räderwerk ist, das eintönig von der Wiege bis zum Sarge führt. Dies fühlte er jetzt; da er aber noch immer in dem Alter war, wo eine Täuschung bloß durch eine andere verdrängt wird, so bildete er sich ein, daß die Neigungen der Blutsverwandtschaft die einzig nothwendigen seien, und daß die Liebe zu einem kleinen Bruder das ganze Dasein eines Menschen ausfüllen könne.

Der kleine Johannes Frollo war noch ein Säugling, als er seine Mutter verlor. Die Familie besaß in der Nähe des Schlosses Winchester auf einem Hügel eine Mühle; hieher brachte er den Säugling und übergab ihn der Müllerin, die ein Kind von gleichem Alter säugte. Nun theilte er seine Zeit zwischen dem Knaben und seinen Büchern. Seine Fortschritte in den Wissenschaften, seine Verdienste und Glücksumstände öffneten ihm alle Pforten der Kirche, und im zwanzigsten Jahre wurde er durch besondere Dispensation des heil. Stuhles zum Priester geweiht. Seine wissenschaftlichen Kenntnisse und sein ernstes Wesen erwarben ihm schnell die Achtung und Bewunderung des Klosters, und von da aus hatte sich sein Ruf als ausgezeichneter Gelehrter unter das Volk verbreitet, das ihn, was damals häufig war, wie jeden ungewöhnlichen Mann, für eine Art Hexenmeister hielt.

Dies war der junge Priester, der zum Erstaunen der Betschwestern den mißgestalteten Findling zu sich nahm. Als er ihn aus dem Sacke zog, fand er ein wahres Ungeheuer an Häßlichkeit, krumm, verwachsen, einäugig! doch kündigte sein Geschrei, obgleich man nicht unterscheiden konnte, in welcher Sprache er stammelte, Gesundheit und Kraft an. Er ließ den Findling taufen und nannte ihn Quasimodo, entweder weil er ihn an diesem Tage gefunden hatte, oder um anzudeuten, bis zu welchem hohen Grade das arme, kleine Geschöpf unvollständig und gleichsam bloß aus dem Groben geschnitten sei. In der That war auch unser Quasimodo ein wahrer Quasimodo.

Im Jahre 1482 war Quasimodo, trotz seiner Mißgestalt, kräftig und lebendig. Seit einigen Jahren war er Glöckner in der Liebfrauenkirche, Dank seinem Adoptivvater Claude Frollo, der Archidiakonus derselben geworden war, Dank Herrn Louis de Beaumont, welcher im Jahre 1472 Bischof von Paris war, Dank seinem Beschützer Olivier, dem Teufel, Barbier Ludwigs XI., der durch die Gnade Gottes König von Frankreich war.

Quasimodo war demnach Glöckner in der Liebfrauenkirche. Die Zeit bildete zwischen dem Glöckner und der Kirche ein gewisses inniges Band. Durch seine unbekannte Geburt und seine Mißgestalt von der übrigen Welt abgeschnitten, hatte sich der Unglückliche daran gewöhnt, die heiligen Mauern, die ihn in ihren Schatten aufgenommen, als seine Welt anzusehen. Die Liebfrauenkirche war für ihn, so wie er allmählig heranwuchs, sein Ei, sein Nest, sein Haus, sein Vaterland, seine Welt. Er kannte jeden Winkel des weiten Gebäudes; es gab keine Tiefe und keine Höhe der Kirche, wohin der Zwerg nicht schon gekommen war. Durch die Gewohnheit, alle Räume und Höhen des gigantischen Gebäudes zu durchklettern und zu überspringen, war er halb Affe, halb Gemse geworden.

Noch niederer, als sein mißgestalteter Körper, stand die Seele des Zwergs. Mit großer Mühe und Geduld hatte ihn Claude Frollo sprechen gelehrt. Ein neues Unglück und eine neue Gebrechlichkeit trafen ihn im vierzehnten Jahre; das Geläute der Glocken hatte ihn taub gemacht. Die einzige Thüre, welche ihm die Natur nach außen offen gelassen hatte, war jetzt plötzlich und für immer geschlossen. Von nun an konnte kein Strahl von Licht und Freude mehr in die Seele des Zwergs fallen, und sie sank in finstere Nacht. Die Melancholie des elenden Wesens war unheilbar und vollständig, wie seine Mißgestalt. Seine Taubheit machte ihn gewissermaßen stumm, denn von dem Augenblicke an, wo er taub wurde, faßte er, um nicht Andern zum Gelächter zu dienen, den festen Entschluß, nicht mehr zu sprechen, und brach dieses Stillschweigen selten anders, als wenn er allein war. Daher kam es, daß, wenn ihn die Nothwendigkeit zum Reden trieb, seine Zunge ungeschmeidig und schwerfällig war, gleich einer Thüre, deren Angeln eingerostet sind.

Der Geist verkrüppelt in einem mißgestalteten Körper. Quasimodo fühlte kaum etwas in sich, das von Ferne einer Seele glich. Die äußeren Eindrücke erlitten eine bedeutende Strahlenbrechung, bevor sie zu seinem Denkvermögen gelangten. Nachdem eine Idee durch seinen Kopf gegangen war, kam sie ganz verwirrt aus demselben heraus. Die Betrachtung, die aus dieser eigenthümlichen Strahlenbrechung hervorging, war nothwendig divergent und abschweifend. Daher tausend optische Täuschungen, tausend Verwirrungen im Urtheil, tausend Abschweifungen des Gedankens, bald unklug, bald stumpfsinnig. Die erste Wirkung dieser unglücklichen Organisation war, daß sie den Blick trübte, den er auf die Dinge warf. Er erlangte fast nie eine unmittelbare Berührung mit denselben. Die Außenwelt erschien ihm um Vieles weiter entfernt, als uns.

Die zweite Wirkung seines Unglücks war, daß es ihn bösartig machte. Er war bösartig, weil er roh, er war roh, weil er häßlich war. Es war eine Logik in seiner Natur, wie in der unseren.

Seine auf so außerordentliche Weise entwickelte Stärke war eine weitere Ursache seiner Bösartigkeit. Malus puer robustus.

Im Uebrigen war ihm seine Bösartigkeit nicht angeboren. Von seinem ersten Auftreten an unter den Menschen sah er sich verachtet, verhöhnt, mit Ekel abgestoßen. Die menschliche Stimme hatte für den Unglücklichen keine anderen Worte, als Verhöhnung oder Verwünschung. Er wuchs heran und fand nur Haß und Verachtung um sich her. Er nahm sie in sich auf und stritt nun mit derselben Waffe, mit der man ihm Wunden geschlagen hatte.

So mied nun der Zwerg den Umgang mit den Menschen, die düstern Mauern seiner Kirche genügten ihm. Die Marmorbilder darin höhnten, die Heiligen, die Bischöfe verspotteten ihn nicht und blickten ihn stets mit demselben unbeweglichen, wohlwollenden Auge an. Die Statuen mißgestalteter Dämonen glichen ihm zu sehr, um ihn hassen zu können. Die Heiligen waren seine Freunde und segneten ihn. In dieser einsamen Bilderwelt lebte der Zwerg. Stundenlang konnte er vor einer Bildsäule stehen und mit ihr plaudern. Ueberraschte ihn Jemand bei diesem Gekose, so entfloh er, wie ein Liebhaber vor den Blicken der Lauscher.

Die Kirche war seine Welt und die Glocken seine Kinder; diese liebte er am meisten, er sprach mit ihnen, er liebkoste sie, diese nämlichen Glocken, die ihn taub gemacht hatten. Oft liebt eine Mutter das Kind am meisten, das sie mit Schmerzen geboren.

Die Stimme der Glocken war noch der einzige Laut, der die Ohren des tauben Zwerges durchdrang. Darum war auch die große Glocke sein Lieblingskind. Diese große Glocke hieß Marie. Quasimodo hatte fünfzehn Glocken auf seinen Thürmen, aber die große Marie war sein Liebling.

Die großen Festtage, wo man mit allen Glocken läutete, waren für ihn Tage des Hochgenusses. Wenn die Stunde schlug, eilte er schneller auf den Glockenthurm hinauf, als ein Anderer heruntergestiegen wäre. Athemlos trat er in die luftige Kammer der großen Glocke, betrachtete sie einen Augenblick mit den wohlwollenden Blicken eines Vaters, redete sie sanft an, streichelte sie mit der Hand, wie man einem Renner den Hals klopft, bevor er seinen Wettlauf beginnt. Hierauf rief er seinen Gehülfen im untern Stockwerke zu, das Läuten zu beginnen. Sie hingen sich an das Seil, und die ungeheure Maschine begann sich langsam zu bewegen. Quastmodo, zitternd vor Freude, folgte ihr mit den Blicken. Der Balken, auf den er gestiegen war, erzitterte unter dem ersten Schlag der Glocke. Quasimodo baumelte mit ihm. Baumle! Baumle! schrie er mit wahnsinnigem Gelächter. Immer schneller, immer lauter ertönte der Schlag der Glocke, immer flammender wurden die Augen des Zwergs. Jetzt läuteten alle Glocken zumal, der Thurm zitterte unter ihrem Schall. Quasimodo schäumte, ging, kam, zitterte mit dem Thurme von oben bis unten. Die Glocke, losgelassen, durch die Lüfte sausend, gab jene weithallenden Töne von sich, die man auf vier Stunden Weges hört. Quasimodo stellte sich vor ihre offene Kehle, schlürfte mit Wollust ihren betäubenden Hauch ein. Dies war die einzige Stimme, die er hörte, der einzige Ton, der das allgemeine Stillschweigen um ihn her unterbrach. Plötzlich ergriff ihn die Tollwuth der Glocke, aus seinen Augen sprühte ein irres Feuer, er lauerte auf den Rückschwung der Glocke, wie die Spinne auf eine Fliege, und warf sich dann plötzlich mit vollem Leibe auf sie hin. Jetzt, über dem Abgrund schwebend, mit dem reißenden Schwung der Glocke dahingerissen, faßte er das eherne Ungeheuer am Oehr, umschlang es mit seinen Knieen, spornte es mit seinen Fersen und verdoppelte auf solche Weise, mit dem ganzen Stoß und Gewicht seines Körpers, den mächtigen Schwung der Glocke. Der Thurm schwankte, der zauberhafte Zwerg schrie und grinste mit den Zähnen, seine rothen Borsten sträubten sich auswärts, seine Brust pochte wie ein Hammer, sein Auge strömte Flammen aus, die ungeheure Glocke schien unter ihrem Reiter zu stöhnen; das war nicht mehr die Glocke der Liebfrauenkirche, noch Quasimodo, es war ein Traum, ein Sturm, eine Windsbraut, der auf dem Geräusch reitende Schwindel, ein auf dem Kreuz eines Flügelrosses angeklammerter Dämon, ein seltsamer Centaur, halb Mensch, halb Glocke.

Das Dasein dieses ungewöhnlichen Wesens flößte der ganzen Kirche einen gewissen Lebenshauch ein. Der Aberglaube der Menge schrieb ihm eine magische Kraft zu, welche alle Steine des alten Gebäudes zu beleben, die tausend Bildsäulen in Bewegung zu setzen und die Mauern der Kirche bis in den Grund zu erschüttern vermöge. In der That war auch die Kirche von Quasimodo wie von einem spiritus familiaris besessen und erfüllt. Ueberall und zu allen Zeiten sah man ihn, er schien sich zu vervielfältigen. Bald erblickte man mit Schaudern auf der höchsten Spitze eines Thurmes einen seltsamen Zwerg, der emporstieg, auf allen Vieren kroch, und über dem äußeren Rande schwebte, von Gestein zu Gestein sprang und endlich in dem hohlen Leib einer Gorgone mit den Händen wühlte: es war Quasimodo, der ein Rabennest ausnahm. Bald stieß man in einem finstern Winkel der Kirche auf eine Art lebender Chimäre, die trübsinnig in einer Ecke kauerte: es war Quasimodo in Gedanken. Bald sah man in einem Glockenturme einen mißgestalteten Zwerg am Seile hängen: es war Quasimodo, der die Vesper oder das Angelus einläutete. In Aegypten würde man ihn für den Gott des Tempels gehalten haben, im Mittelalter hielt man ihn für den bösen Geist desselben.

XXIX.

Nachdem Ordender die Grotte von Walderhog verlassen hatte, irrte er den ganzen Tag im wilden Gebirge umher, ohne eine Spur von Menschen zu finden. Mit Einbruch der Nacht befand er sich in einer geräumigen Ebene. Er war ermüdet, wickelte sich in seinen Mantel und legte sich auf den Boden nieder, um zu schlafen. Der Wind war kalt, der Himmel schwarz, und bisweilen durchzuckten Blitze die Dunkelheit.

Plötzlich schlugen verwirrte Menschenstimmen an sein Ohr. Er richtete sich halb in die Höhe und erblickte in einiger Entfernung in der Dunkelheit wandelnde Schatten. Ein Licht brannte in der Mitte der geheimnisvollen Gruppe, und zu seinem Erstaunen sah Ordener diese phantasmagorischen Gestalten, eine nach der andern, in der Erde verschwinden. Alles war weg, wie ein Gedanke.

Ordener war erhaben über den Aberglauben seiner Zeit und seines Landes. Gleichwohl lag in diesem seltsamen Erscheinen und Verschwinden etwas Übernatürliches, das ihn gegen seine eigene Vernunft mißtrauisch machte.

Er stand auf und ging dem Orte zu, wo die wandelnden Gestalten verschwunden waren. Dicke Regentropfen begannen zu fallen. Plötzlich blieb er stehen. Ein Blitz hatte ihm vor seinen Füßen eine Art breiten und kreisförmigen Brunnens gezeigt, in den er ohne das wohlthätige Leuchten des Gewitters unfehlbar gestürzt wäre. Er näherte sich dem Schlund. In grauenvoller Tiefe sah er ein Licht glänzen, das einen röthlichen Schein von sich warf. Dieser Strahl, der einem magischen Feuer der Erdgeister glich, vermehrte gewissermaßen den unermeßlichen Umfang der Finsternis, welche das Auge durchdringen mußte, um ihn zu erreichen. Ordener, über den Abgrund sich neigend, horchte. Ein feines Geräusch von Stimmen traf sein Ohr. Er zweifelte nicht, daß die Wesen, die ihm aus eine so seltsame Weise erschienen und wieder verschwunden waren, in diesen Abgrund hinabgestiegen seien, und ein unwiderstehliches Verlangen trieb ihn, ihnen zu folgen.

Der Sturm fing an, heftig zu toben, und dieser Schlund konnte ihm Schutz dagegen gewähren. Aber wie hinabsteigen? Welchen Weg hatten diejenigen genommen, denen er nachfolgen wollte, wenn es anders nicht Gespenster gewesen waren?

Ein zweiter Blitz ließ ihn das obere Ende einer Leiter erblicken, die in die Tiefe zu führen schien. Ordener zauderte keinen Augenblick; er stieg muthig die Leiter hinab. Bald sah er vom Himmel nichts mehr, als die bläulichen Blitze, die ihn beleuchteten. Der Regen, der in Strömen auf die Oberfläche der Erde fiel, gelangte nur noch als ein feiner Thau zu ihm. Er stieg, stieg weiter, stieg immer hinab, und kaum schien es, daß er sich dem unterirdischen Lichte nähere.

Endlich merkte er an der mehr und mehr sich verdickenden Luft, an dem mehr und mehr zunehmenden Geräusche der Stimmen, an dem purpurnen Wiederschein, der die kreisförmige Mauer des Brunnens zu färben begann, daß er nicht mehr weit vom Boden sei. Er stieg noch einige Stufen hinab, und jetzt konnte er deutlich am Fuße der Leiter den Eingang eines unterirdischen Gewölbes erblicken, der von einem röthlichen zitternden Lichte beschienen war, während zugleich Stimmen in sein Ohr drangen, welche seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen,

»Kennybol kommt nicht,« sagte eine Stimme im Tone der Ungeduld.

»Wer mag ihn wohl zurückhalten?« wiederholte dieselbe Stimme nach einer Pause. »Wir wissen es nicht, Herr Hacket,« antwortete man.

»Er muß bei seiner Schwester Maase Braall im Weiler Surb übernachtet haben,« fügte eine andere Stimme hinzu.

»Ihr seht,« fuhr die erste Stimme fort, »daß ich alle meine Versprechungen halte… Ich versprach Euch Han den Isländer zum Anführer zu bringen, hier ist er.«

Ein Murmeln, dessen Sinn schwer zu errathen war, antwortete auf diese Worte. Ordeners Neugierde, die durch den Namen dieses Kennybol, der ihn am Tage zuvor so sehr in Verwunderung gesetzt hatte, bereits geweckt worden war, verdoppelte sich, als er Han den Isländer nennen hörte.

Die nämliche Stimme begann wieder: »Meine Freunde, Jonas, Norbith, wenn auch Kennybol zögert, was thut es? Wir sind zahlreich genug, um nichts mehr zu fürchten. Habt Ihr in den Ruinen von Crag Eure Fahnen gefunden?«

»Ja, Herr Hacket,« antworteten mehrere Stimmen.

»Nun, so greift zu den Waffen, es ist Zeit! Hier ist Gold. Da steht Euer unüberwindlicher Anführer! Vorwärts zur Befreiung des edlen Schuhmacher, des unglücklichen Grafen von Greiffenfeld!«

»Es lebe Schuhmacher!« riefen viele Stimmen, und der Name Schuhmacher drang in den unterirdischen Gewölben fort von Echo zu Echo.

Ordener, der von einem Staunen ins andere gerieth, hielt den Athem an sich, um kein Wort zu verlieren. Er konnte nicht glauben noch begreifen, was er hörte. Schuhmachers Name im Verein mit Kennybol und Han dem Isländer! Was war das für ein geheimnisvolles Drama, von dem er, als verborgener Zuschauer, eine Scene mit ansah?

»Ihr seht hier,« fuhr dieselbe Stimme fort, »den Freund und Vertrauten des edeln Grafen von Greiffenfeld. Schenkt mir nur Vertrauen, wie er mir das seinige schenkt. Alles ist Euch günstig. Ihr werdet nach Drontheim kommen, ohne einen Feind zu sehen.«

»Herr Hacket,« unterbrach ihn eine Stimme, »wir müssen schnell aufbrechen. Peters hat mir gesagt, daß er in den Engpässen das ganze Regiment von Munckholm im Anmarsch gegen uns gesehen habe.«

»Er hat Euch getäuscht,« erwiederte der andere im Tone des Ansehens. »Die Regierung weiß noch nichts von Eurem Aufstand und ist so sicher, daß derjenige, der Eure gerechten Beschwerden abgewiesen hat, Euer Unterdrücker, der Unterdrücker des erlauchten und unglücklichen Schuhmacher, der General Levin von Knud, Drontheim verlassen hat und in die Hauptstadt abgereist ist, um den Vermählungsfeierlichkeiten seines Zöglings Ordener Guldenlew, der Ulrike Ahlfeldt heirathet, beizuwohnen.«

Man kann sich Ordeners Staunen denken. In diesem wilden, kaum bewohnten Lande, tief im Schooß der Erde, hörte er unbekannte Menschen alle die Namen aussprechen, die ihm theuer waren. Ein entsetzlicher Zweifel bemächtigte sich seines Herzens. Sollte es wahr sein? War das wirklich ein Agent des Grafen von Greiffenfeld? Wie! Schuhmacher, dieser ehrwürdige Greis, der Vater seiner Ethel, empörte sich gegen seinen König, besoldete Straßenräuber, entzündete einen Bürgerkrieg? Und für diesen Heuchler, für diesen Rebellen, hatte er, der Sohn des Vicekönigs von Norwegen, der Zögling des Generals Levin von Knud, seine Zukunft aufs Spiel gesetzt, sein Leben gewagt! Für ihn hatte er diesen isländischen Räuber aufgesucht und bekämpft, mit dem Schuhmacher im Einverständnis sein mußte, weil er ihn an die Spitze seines rebellischen Haufens stellte!

»Ja,« fuhr inzwischen der Emissär fort, »der furchtbare Han der Isländer stellt sich an Eure Spitze. Wer wird gegen Euch zu kämpfen wagen? Ihr fechtet für Eure Weiber und Kinder, die man auf schmähliche Weise ihres Erbthums beraubt, für einen edeln Unglücklichen, der seit zwanzig Jahren unschuldig im Kerker schmachtet. Vorwärts, Schuhmacher und die Freiheit harren Euer! Krieg den Tyrannen!«

»Krieg!« wiederholten tausend Stimmen. Waffen klirrten zusammen und das Horn erscholl.

»Haltet ein!« rief Ordener, indem er auf die Schwelle des unterirdischen Gewölbes trat. Der Gedanke, Schuhmacher ein Verbrechen und seinem Lande die Leiden eines Bürgerkriegs zu ersparen, hatte sein ganzes Wesen ergriffen.

Vor seinen Blicken lag eine unermeßliche unterirdische Stadt, deren Grenzen sich hinter einer Menge von Pfeilern verloren, die das Gewölbe trugen. Diese Pfeiler glänzten, wie Krystallbogen, im Strahl von tausend brennenden Fackeln, welche eine seltsam bewaffnete und in den Tiefen des Platzes ordnungslos verbreitete Menschenmenge trug. Wenn man von allen Seiten dieses Licht wiederstrahlen, dann in der fernen Dunkelheit schreckhafte Gestalten zwischen den Pfeilern hinschweben sah, so hätte man glauben können, daß man sich bei einer jener fabelhaften Zusammenkünfte von Hexen und Teufeln befinde, die Sterne als Fackeln in der Hand tragen und nächtlicher Weile um die Bäume der Wälder und die Mauern verfallener Schlösser tanzen.

Ein lautes Geschrei erhob sich: »Ein Fremder! Nieder! Nieder! Nieder mit ihm!«

Hundert Arme erhoben sich gegen Ordener. Er griff mit der rechten Hand an die linke Seite, um seinen Säbel zu ziehen; er hatte vergessen, daß er waffenlos war.

»Haltet ein!« rief Schuhmachers Agent, ein kleiner, dicker, schwarzgekleideter Mann. Er trat gegen Ordener vor.

»Wer seid Ihr?« fragte er.

Ordener antwortete nicht. Von allen Seiten starrten ihm Säbelspitzen oder Pistolenmündungen entgegen.

»Hast Du Furcht?« fragte der Emissär lächelnd.

»Lege Deine Hand auf mein Herz und fühle, ob es schneller schlägt,« erwiederte der Jüngling verächtlich.

»Ei!« sagte Jener, »er spielt den Stolzen! Je nun, er mag sterben!«

»Geduld, Herr Hacket,« fiel ein Greis mit weißem Barte ein, der sich auf ein langes Gewehr stützte. »Ich habe hier allein das Recht, diesen Christen zu den Todten zu senden, um ihnen zu erzählen, was er hier gesehen hat.«

Hacket lachte: »Wie es Euch gefallt, mein lieber Jonas! Gleichviel, wer diesen Spion richtet, wenn er nur verurtheilt wird.«

Der alte Mann wandte sich an Ordener: »Wer bist Du, der sich so kühn in unsere Mitte wagt?«

Ordener schwieg.

»Er will nicht antworten,« sagte der Alte. »Wenn der Fuchs gefangen ist, schreit er nicht mehr. Macht ihn nieder!«

»Mein wackerer Jonas,« unterbrach ihn Hacket, »laßt Han den Isländer diesen Menschen tödten, dies soll seine erste That in Eurer Mitte sein.«

»Ja, ja!« riefen beifällig viele Stimmen.

Ordener suchte diesen Han den Isländer, mit dem er erst ein so heißes Gefecht gehabt hatte, mit den Augen und sah mit Verwunderung einen Mann von riesenmäßiger Größe in der Tracht der Bergbewohner auf sich zukommen. Der Riese sah Ordener mit einem wild stumpfsinnigen Blicke an und verlangte eine Axt.

»Du bist nicht Han der Isländer,« sagte Ordener ruhig.

»Nieder mit ihm! Nieder mit ihm!« schrie Hacket wüthend.

Ordener sah seinen Tod vor Augen. Er griff in den Busen, um eine Haarlocke seiner Ethel herauszuziehen und den letzten Kuß auf sie zu drücken. Bei dieser Bewegung fiel ein Papier aus seinem Gürtel.

»Was ist das für ein Papier?« sagte Hacket. »Norbith, hebt dieses Papier auf.

Dieser Norbith war ein junger Mann, dessen bräunliches Gesicht, obwohl von harten Zügen, doch einen Ausdruck von Edelmuth hatte. Er hob das Papier auf und entfaltete es.

»Großer Gott!« rief er aus, »das ist der Paß meines armen Freundes Christoph Nedlam, den sie vor acht Tagen zu Skongen wegen Falschmünzerei gehängt haben.«

»Nun, so behalte diesen Wisch Papier,« sagte Hacket im Tone getäuschter Erwartung. »Ich hielt es für wichtiger. Und Ihr, mein lieber Han, fertigt diesen Menschen ab!«

Norbith trat vor Ordener hin und rief: »Dieser Mann steht unter meinem Schutze. Eher soll mein Haupt fallen, als ein Haar von dem seinigen. Ich leide nicht, daß der Paß meines Freundes Christoph Nedlam verletzt wird.«

»Bah! Bah!« sagte Hacket, »das ist eine Narrheit von Euch, mein wackerer Norbith! Dieser Mensch ist ein Spion und muß sterben.«

»Gebt mir meine Axt!« rief der Riese.

»Er soll nicht sterben,« entgegnete Norbith. »Was würde der Geist meines armen Nedlam dazu sagen? Nein, er wird nicht sterben, denn Nedlam will, daß er nicht sterbe!«

»Norbith hat Recht,« sagte der alte Jonas. »Warum soll man diesen Fremdling tödten, da er einen Paß von Christoph Nedlam hat?«

»Er ist aber ein Spion,« erwiderte Hacket.

Der alte Jonas trat neben Norbith und beide sagten feierlich: »Er hat einen Paß von Christoph Nedlam, der zu Skongen gehängt worden ist.«

Hacket sah, daß er nachgeben mußte, denn Alle murrten, und viele Stimmen riefen: »Dieser Fremdling darf nicht sterben, denn er hat einen Paß von Nedlam dem Falschmünzer.«

»So mag er denn leben!« murmelte Hacket mit zurückgehaltener Wuth.

»Und wenn es der Teufel wäre,« sagte Norbith, »so würde ich ihn nicht tödten.«

Er wandte sich zu Ordener und fuhr fort: »Du bist gewiß ein guter Bruder, weil Du einen Paß von Christoph Nedlam hast. Wir sind königliche Bergleute. Wir empören uns, um uns von der königlichen Vormundschaft frei zu machen. Der Herr Hacket, den Du hier siehst, sagt, daß wir für einen gewissen Grafen Schuhmacher zu den Waffen greifen; aber ich kenne diesen Schuhmacher nicht. Fremdling, unsere Sache ist gerecht. Ich frage Dich, willst Du mit uns sein?«

Ein Gedanke ging in Ordeners Seele auf.

»Ja!« antwortete er.

Norbith reichte ihm einen Säbel, den er stillschweigend annahm.

»Bruder,« sagte Norbith, »wenn Du uns verrathen willst, so tödte mich zuerst.«

Ein Horn erscholl und ferne Stimmen riefen: »Da kommt Kennybol!«

XXX

Hacket sprang dem ankommenden Kennybol entgegen.

»Endlich!« rief er aus, »mein lieber Kennybol, endlich kommt Ihr! Ich will Euch sogleich Eurem gefürchteten Anführer, Han dem Isländer, vorstellen.«

Bei diesem Namen wich Kennybol, der bleich, athemlos, mit verwirrten Haaren, schweißtriefend am Gesicht und mit blutigen Händen eingetreten war, drei Schritte zurück.

»Han der Isländer!« rief er aus.

»Erschreckt nicht, er kommt zu Eurer Hülfe. Seht in ihm einen Freund und Waffenbruder …«

»Han der Isländer hier!«

»Allerdings! Fürchtet Ihr ihn denn?«

»Han der Isländer in diesem Bergwerk!«

»Jetzt sehe ich, daß die Furcht vor Han dem Isländer Euch so lange aufgehalten hat.«

»Nicht die Furcht vor Han dem Isländer, sondern Han der Isländer selbst hat mich aufgehalten, das schwöre ich Euch.«

Ein Murmeln der Verwunderung erhob sich. Hacket schien verlegen.

»Wie! was sagt Ihr da?« fragte er mit gedämpfter Stimme.

»Ich sage, Herr Hacket, daß ich ohne Euern verfluchten Han den Isländer vor dem ersten Schrei der Eule hier gewesen wäre.«

»Wirklich, was hat er Euch denn gethan?«

»Fragt mich nicht, und möge mein Bart in einem Tage weiß werden, wie ein Hermelinfell, wenn ich je in meinem Leben wieder einen weißen Bären jage.«

»Wart Ihr in Gefahr, von einem Bären gefressen zu werden?«

Kennybol zuckte verächtlich die Achseln: »Ein Bär! Kennybol von einem Bären gefressen! Für wen haltet Ihr mich, Herr Hacket?«

»Verzeiht!« erwiederte Hacket lächelnd.

»Wenn Ihr wüßtet, was mir begegnet ist, so würdet Ihr nicht mehr zu mir sagen, Han der Isländer sei hier.«

»Mein lieber Kennybol,« sagte Hacket, »erzählt mir, was Euch aufgehalten hat. Alles kann in diesem Augenblicke von hoher Wichtigkeit für uns sein.«

»Das ist richtig,« erwiederte Kennybol nach einigem Nachdenken.

Hierauf erzählte er, wie er am Morgen mit sechs Gefährten einen weißen Bären bis in die Gegend der Grotte von Walderhog gejagt habe, ohne in der Hitze der Jagdlust zu bemerken, daß sie diesem furchtbaren Ort so nahe seien. Das klägliche Geschrei des Bären habe einen kleinen Mann, ein Ungeheuer, einen Dämon zu Hülfe gerufen, der mit einer steinernen Axt auf sie losgestürzt sei. Das plötzliche Erscheinen dieses Dämons, der Niemand anders als Han der Isländer sein konnte, habe sie mit Schrecken erfüllt. Seine sechs Gefährten seien Opfer der beiden Unthiere geworden, und er danke sein Leben nur schneller Flucht, seiner Behendigkeit und der Ermüdung Hans des Isländers.

»Ihr seht jetzt, Herr Hacket,« schloß Kennybol seine Erzählung, »daß es nicht meine Schuld ist, wenn ich spät komme, und daß der isländische Dämon, den ich diesen Morgen mit seinem Bären im Gehölze von Walderhog bei den Leichnamen meiner sechs Kameraden zurückgelassen habe, jetzt nicht als unser Freund in dieser Mine von Apsyl-Corh zugegen sein kann. Ich kenne jetzt diesen eingefleischten Teufel, ich habe ihn mit Augen gesehen.«

»Mein wackerer Kennybol,« erwiederte Hacket ernst, »wenn Ihr von Han dem Isländer oder der Hölle redet, so haltet nichts für unmöglich. Ich wußte Alles, was Ihr mir da erzählt habt, schon vorher.«

»Wie!« rief der alte Schütze der Berge von Kole erstaunt aus.

»Ja, ich wußte Alles, nur das nicht, daß Ihr der Held dieses traurigen Abenteuers gewesen seid. Han der Isländer hat es mir auf dem Wege hieher selbst erzählt.«

»Wirklich!« sagte Kennybol mit einem Blicke auf Hacket, in welchem sich Furcht und Respekt zugleich aussprachen.

Hacket fuhr mit gleicher Zuversicht fort: »Jetzt aber könnt Ihr ruhig sein; ich will Euch selbst zu diesem furchtbaren Han dem Isländer führen.«

Kennybol stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

»Seid doch ruhig; er ist ja jetzt Euer Anführer und Waffenbruder. Hütet Euch jedoch, ihm das in Erinnerung zu bringen, was diesen Morgen vorgefallen ist. Ihr versteht mich?«

Nicht ohne inneres Widerstreben willigte Kennybol ein, vor das Angesicht des gefürchteten Dämons zu treten. Sie näherten sich der Gruppe, bei welcher sich Ordener, Jonas und Norbith befanden.

»Mein guter Jonas, mein lieber Norbith,« sagte Kennybol, »Gott mit Euch!«

»Dessen bedürfen wir,« erwiederte Jonas.

Jetzt fiel Kennybols Blick auf Ordener.

»Ah!« sagte er, »willkommen, junger Mann! Es scheint, daß Eure Kühnheit guten Erfolg hatte?«

»Ihr kennt also diesen Fremden, Kennybol?« fiel Norbith ein.

»Ob ich ihn kenne? Ich liebe und achte ihn. Er ist, gleich uns, eifrig für die gute Sache, die wir verfechten.«

Ehe Ordener ein Wort vorbringen konnte, näherte sich Hacket mit seinem Riesen, aus dessen Nähe Alle bestürzt entflohen, und sagte: »Hier, mein wackerer Kennybol, ist Euer Anführer, der berühmte Han der Isländer.«

Kennybol warf einen Blick auf ihn, in welchem mehr Staunen als Furcht lag, und neigte sich zu Hackets Ohr: »Der Han der Isländer, den ich diesen Morgen bei Walderhog zurückgelassen habe, war ein kleiner Mann …«

Hacket erwiederte leise: »Ihr vergeßt, daß er ein Dämon ist.«

»Das ist wahr,« sagte der leichtgläubige Schütze, »er wird eine andere Gestalt angenommen haben.«

XXXI.

In einem düstern alten Eichenwald trat ein kleiner Mann zu einem andern, der allein war und auf ihn zu warten schien. Folgendes leise Gespräch begann:

»Euer Gnaden verzeihen, daß ich Sie so lange warten ließ! Mehrere Zufälle haben meine Ankunft verzögert.«

»Welche?«

»Der Anführer der Bergbewohner, Kennybol, ist erst um Mitternacht eingetroffen, und dagegen sind wir durch einen unerwarteten Zeugen gestört worden.«

»Wer war dieser?«

»Ein Mensch, der sich wie ein Narr mitten in unsere nächtliche Zusammenkunft gestürzt hat. Ich hielt ihn Anfangs für einen Spion und wollte ihn umbringen lassen; er hatte aber einen Paß von irgend einem Gehenkten bei sich, der bei unsern Bergleuten sehr in Achtung steht, und sie haben ihn unter ihren Schutz genommen. Ich halte ihn jetzt für einen neugierigen Reisenden oder einen gelehrten Schwachkopf. In jedem Falle habe ich in Beziehung auf ihn meine Maßregeln genommen.«

»Geht sonst Alles gut?«

»Sehr gut. Die Bergleute von Gulbransthal und Faroer, unter dem jungen Norbith und dem alten Jonas, und die Bergbewohner von Kole, unter Kennybol, müssen jetzt auf dem Marsch sein. Vier Stunden von Apsyl-Corh werden die Bergleute von Hubfallo und Sundmoer zu ihnen stoßen; einige Stunden weiter werden sie von den Bergleuten von Kongsberg und den Eisenarbeitern von Smiassen erwartet, welche, wie Euer Excellenz weiß, bereits die Besatzung von Wahlstrom zum Rückzüge gezwungen haben. Alle diese vereinigten Haufen werden heute Nacht, zwei Stunden von Skongen, in den Schluchten des schwarzen Pfeilers, lagern.«

»Aber wie haben sie Euern Han den Isländer aufgenommen?“

»Mit vollkommener Leichtgläubigkeit.«

»Könnte ich doch den Tod meines Sohnes an diesem Ungeheuer rächen! Welches Unglück, daß er uns entkommen ist!«

»Mein gnädiger Herr! Benützen Sie allererst Han des Isländers Namen, um an Schuhmacher Rache zu nehmen. Später werden wir Mittel finden, uns an Han selbst zu rächen. Die Rebellen werden heute den ganzen Tag marschiren und diesen Abend in dem Engpaß des schwarzen Pfeilers, zwei Stunden von Skongen, Halt machen.«

»Wie! Ihr wollt einen so beträchtlichen Haufen so nahe an Skongen vorrücken lassen? Musdoemon! …«

»Verdacht, edler Graf! Schicken Sie auf der Stelle einen Boten an den Oberst Voethaün, dessen Regiment jetzt zu Skongen sein muß; geben Sie ihm Nachricht, daß sämmtliche Streitkräfte der Rebellen diese Nacht sorglos im Engpasse des Pfeilers gelagert sein werden. Dieser Engpaß scheint ausdrücklich für Hinterhalte geschaffen ….«

»Ich verstehe Euch, aber warum habt Ihr Alles so eingerichtet, daß die Rebellen so zahlreich sind?«

»Je furchtbarer der Aufstand ist, je größer werden Schuhmachers Verbrechen und Ihre Verdienste sein. Im Übrigen liegt daran, daß er mit einem Schlage ganz vernichtet werde.«

»Wohl! Aber warum ist der Ort des Lagers so nahe bei Skongen?«

»Weil dies im ganzen Gebirge der einzige Ort ist, wo die Vertheidigung unmöglich ist. Keiner wird aus diesem Engpaß entkommen, als diejenigen, welche bestimmt sind, vor den Gerichten zu figuriren.«

»Trefflich! Diese Geschichte muß schnell beendigt werden, Musdoemon! Wenn von dieser Seite Alles beruhigend ist, so ist von der andern Alles beunruhigend. Ihr wißt, daß wir zu Kopenhagen geheime Nachforschungen nach den Papieren veranstaltet haben, welche in die Hände dieses Dispolsen gefallen sein können?«

»Nun, gnädiger Herr?«

»Nun, ich erfahre eben, daß dieser Ränkemacher mit dem verfluchten Astrologen Cumbysulsum in geheimnißvoller Verbindung gestanden ist …«

»Mit diesem Cumbysulsum, der kürzlich gestorben ist?«

»Mit eben diesem, und daß der alte Hexenmeister auf dem Sterbebette Schuhmachers Agenten Papiere eingehändigt hat …«

»Verflucht! Er hatte Briefe von mir, einen Entwurf unseres Planes …«

»Eures Plans? Musdoemon!«

»Bitte tausendmal um Verzeihung, gnädiger Herr Graf, Ihres Plans! Aber warum haben Sie sich auch diesem Charlatan Cumbysulsum anvertraut? … Der alte Verräther! …«

»Hört, Musdoemon! Ich bin nicht, wie Ihr, ein Wesen ohne Treue und Glauben. Nicht ohne genügende Gründe habe ich stets Vertrauen zu der Wissenschaft des alten Cumbysulsum gehabt.«

»Warum hatten Euer Gnaden nicht eben so viel Mißtrauen in seine Treue, als Vertrauen in seine Wissenschaft? Im Uebrigen können wir ruhig sein, Dispolsen ist todt, seine Papiere sind verloren, und in wenigen Tagen wird keine Rede mehr von denen sein, welchen sie dienen könnten.«

»In jedem Fall könnte keine Anklage sich bis zu meiner Person erheben.«

»Oder bis zu mir, der unter Euer Gnaden Schutze steht.«

»Allerdings, Lieber, könnt Ihr auf mich zählen. Inzwischen wollen wir doch die Entwicklung der ganzen Geschichte beschleunigen. Ich werde sogleich einen Boten an den Oberst abschicken. Kommt, meine Leute erwarten mich hinter jenem Gebüsche. Wir müssen den Weg nach Drontheim einschlagen, das ohne Zweifel der Mecklenburger jetzt verlassen haben wird. Fahrt fort, mir wohl zu dienen und zählt auf mich im Leben und im Tode trotz allen Cumbysulsum und Dispolsen auf der Erde.«

»Glauben mir Euer Gnaden …«

Hier verloren sich Beide im Gehölze, in dessen Windungen sich ihre Stimmen allmählig verloren, und bald hörte man weiter nichts mehr von ihnen, als den immer mehr sich entfernenden Hufschlag ihrer Pferde.

XXV.

Am Morgen nach seinem Besuche zu Munckholm ließ der Gouverneur frühe seinen Wagen einspannen, in der Hoffnung, schon abgereist zu sein, wenn die Gräfin aufwachen würde; aber das Verbrechen hat keinen ruhigen Schlaf.

Der General unterzeichnete die letzten Verhaltungsregeln für den Bischof, der in seiner Abwesenheit das Gouvernement führen sollte. Eben hatte er seinen Pelzrock angezogen und wollte das Zimmer verlassen, als der Thürsteher die Gräfin meldete.

Der alte ehrliche Soldat, der lieber der Mündung einer Kanone gegenüber gestanden wäre, als diesem verschmitzten Weibe, suchte sich schnell von ihr loszumachen. Nachdem er ihr die üblichen Höflichkeitsbezeugungen erwiesen hatte und dann zum förmlichen Abschied schreiten wollte, beugte sie sich zu seinem Ohre nieder und fragte in vertraulichem Tone: »Nun, General, was haben Sie aus ihm herausgebracht? Was hat er Ihnen gesagt?«

»Wer? Paul? Er hat mir gesagt, daß angespannt sei.«

»Ich rede von dem Staatsgefangenen zu Munckholm, General.«

»So! So!«

»Hat er auf Ihr Verhör befriedigende Antworten ertheilt?«

»Hm! … Wahrlich! …« brummte der General in der Verlegenheit seines Herzens.

»Haben Sie Beweise erlangt, daß er bei dem Aufstand der Bergleute im Spiel ist?«

»Frau Gräfin, er ist unschuldig,« antwortete er kurz, indem er eine Ueberzeugung seines Herzens, nicht seines Geistes aussprach.

»Unschuldig!« wiederholte die Gräfin bestürzt, obwohl in ungläubigem Tone, denn sie zitterte bei dem Gedanken, daß es dem Gefangenen gelungen sein möchte, seine Unschuld dem General zu beweisen.

Der General hatte inzwischen Zeit zum Nachdenken gefunden; er antwortete der Gräfin in einem Tone, der sie beruhigte, weil er Verlegenheit und Zweifel ausdrückte.

»Unschuldig! … Ja! … Wenn Sie so wollen …«

»Ob ich will, Herr General!« rief das böse Weib mit lautem Lachen aus.

Dieses Lachen verletzte des Gouverneurs Zartgefühl.

»Erlauben Sie, gnädige Gräfin,« sagte er, »daß ich bloß den Vicekönig von dem in Kenntniß setze, was zwischen mir und dem vormaligen Großkanzler vorgefallen ist.«

Mit diesen Worten machte er eine tiefe Verbeugung und verließ das Zimmer.

Die Gräfin begab sich in das ihrige. »Reise immerhin, du alter fahrender Ritter,« sagte sie dort; »deine Abwesenheit raubt unsern Feinden einen Beschützer; sie ist das Signal der Rückkehr meines Friedrich. Dieser Barbar da! den schönsten Cavalier von Kopenhagen in diese schrecklichen Gebirge zu schicken!«

»Meine liebe Lisbeth,« sagte die Gräfin zu ihrer begünstigten Kammerfrau, »laßt doch zwei Dutzend kleine Haarkämme, wie jetzt unsere Elegants sie tragen, von Bergen kommen; erkundigt Euch, was für ein neuer Roman von der berühmten Scudery erschienen ist, und sorgt dafür, daß das Leibäffchen meines Friedrich jeden Morgen mit Rosenwasser gewaschen werde.«

»Wie, meine gnädige Gräfin, kommt denn unser gnädiger Herr Friedrich zurück?«

»Allerdings, und damit er eine Freude hat, wenn er mich wiedersieht, muß Alles geschehen, was ihm Vergnügen macht. Ich will ihm bei seiner Zurückkunft eine Ueberraschung bereiten.«

Arme Mutter!

XXVI.

Nachdem Ordener von dem Thurme herabgestiegen war, auf welchem er den Leuchtthurm von Munckholm erblickt hatte, mattete er sich lange ab, seinen armen Benignus Spiagudry um und um zu suchen. Er rief ihn mit Namen, aber nur das Echo der Ruinen antwortete ihm. Er war über diese Abwesenheit erstaunt, und schrieb sie irgend einem panischen Schrecken zu, der den furchtsamen alten Herrn ergriffen hätte. Um ihm Zeit zur Wiederkehr zu geben, beschloß er, die Nacht auf dem Felsen von Oelmö zuzubringen. Er nahm etwas Nahrung zu sich, wickelte sich in seinen Mantel und legte sich bei dem Feuer nieder.

Ordener war mit der Sonne auf, aber er fand seinen Spiagudry nicht, sondern nur dessen Schnappsack und Mantel, was auf eine sehr eilige Flucht schließen ließ. Er entschloß sich daher, allein abzureisen, weil er am andern Tage Walderhog erreichen mußte.

Der junge Mann war von Jugend auf an Beschwerden gewöhnt, und hatte die Gebirge schon mehrmals bereist. Da er nun wußte, daß der Räuber zu Walderhog zu treffen sein würde, bedurfte er keines Führers mehr und setzte allein seinen Weg in nordwestlicher Richtung fort.

Es war nicht sehr bequem, in diesem Lande zu reisen. Bald war der Weg bloß das steinige Bett eines ausgetrockneten Waldbaches, bald mußte man auf schwankenden Brücken, die bloß aus Baumstämmen bestanden, über Abgründe gehen. Stunden weit konnte man in diesen unbewohnten Gegenden reisen, ohne das Dasein von Menschen an etwas anderem gewahr zu werden, als an einer Windmühle, die sich auf dem Gipfel eines fernen Hügels drehte, oder an dem Rauch, der aus einem entfernten Eisenwerke stieg. Bisweilen begegnete er einem Bauer auf seinem kleinen grauen Pferde, oder einem Pelzhändler.

Wenn er den Handelsmann um den Weg nach der Grotte von Walderhog fragte, antwortete der nomadische Krämer, der bloß die Namen und Lage der Orte kannte, wohin ihn sein Gewerbe führte: »Geht immer nach Nordwest, dann kommt Ihr in das Torf Hervalyn, dann geht Ihr durch die Schluchten von Dodlysax, und diesen Abend könnt Ihr Surb noch erreichen, das nur zwei Stunden von Walderhog liegt.«

Wenn Ordener die nämliche Frage an einen Landmann richtete, schüttelte dieser, ganz erfüllt von den Traditionen seines Landes, den Kopf, hielt seinen Grauschimmel an und erwiederte: »Walderhog! die Grotte von Walderhog! Dort singen die Steine, die Beine tanzen, und der Dämon von Island bewohnt sie! In die Grotte von Walderhog werdet Ihr ohne Zweifel nicht gehen wollen?«

»Doch, ich will dahin!«

»Ihr habt also Eure Mutter verloren, oder Euer Haus ist verbrannt, oder ein Nachbar hat Euch Euer fettes Schwein gestohlen?«

»Alles das nicht!«

»So hat Euch irgend eine Hexe ein Leid angethan?«

»Mein lieber Freund, ich will von Euch nichts wissen, als den Weg, der nach Walderhog führt.«

»Wenn Ihr es denn durchaus wollt: immer nördlich! Ich weiß wohl, wie Ihr hinkommen werdet, aber wie Ihr zurückkommt, das weiß ich nicht. So lebt denn wohl!«

Es war bereits sinkende Nacht, als Ordener in dem Weiler Surb ankam. Der Harzgeruch und der Steinkohlenrauch belehrten Ordener, daß hier ein Volk von Fischern wohne. Er ging auf die erste Hütte zu, die sich ihm im Schatten der Nacht zeigte. Ihr niederer und enger Eingang war, nach norwegischem Gebrauch, durch eine große durchsichtige Fischhaut geschlossen, welche in diesem Augenblick durch das röthliche zitternde Licht eines angezündeten Feuers coloriert war. Ordener schlug an die hölzerne Einfassung der Türe und rief: »Es ist ein Reisender da!«

»Nur herein!« rief eine Stimme von Innen, während eine dienstfertige Hand die Fischhaut aufhob, und Ordener trat in die länglichrunde Hütte eines norwegischen Küstenfischers. Es war eine Art runden Zeltes von Holz und Erde, in dessen Mitte ein Feuer brannte. Vor diesem Feuer saßen der Fischer, sein Weib und zwei zerlumpte Kinder an einem Tisch, auf dem hölzerne Teller und irdene Geschirre standen. Auf der entgegengesetzten Seite, zwischen Netzen und Rudern, lagen zwei schlafende Rennthiere auf einem Lager von Blättern und Häuten, dessen Länge bestimmt schien, auch die Bewohner der Hütte und die Gäste aufzunehmen, welche ihnen der Himmel zuführen würde. Man konnte alle diese Gegenstände nur nach und nach wahrnehmen, denn ein dicker Rauch, der durch eine Oeffnung im Dach nur sparsam entschlüpfte, erfüllte die ganze Hütte.

Der Fischer und sein Weib grüßten den Reisenden mit aufrichtigem Wohlwollen. Die Landleute in Norwegen nehmen Reisende gerne auf, theils aus einem ihnen eigenen Hang zur Gastfreundschaft, theils aus Neugierde, die in ihrer Einsamkeit selten befriedigt wird.

»Herr,« sagte der Fischer, »Ihr werdet hungrig und durstig sein. Hier ist gutes Rindenbrod, womit Ihr Euern Hunger stillen könnt. Dann mögt Ihr uns sagen, wer Ihr seid, woher Ihr kommt, wohin Ihr geht, und welche Geschichten die alten Weiber bei Euch erzählen.«

»Ja, Herr,« fügte das Weib hinzu, »Ihr könnt zu Eurem Brod köstlich gesalzenen Stockfisch mit Wallfischthran essen. Setzt Euch nur.«

»Und wenn Ihr,« fuhr der Mann fort, »kein Freund von Fischen seid, so sollt Ihr, wenn Ihr ein wenig Geduld habt, einen trefflichen Rehschlegel oder wenigstens einen Fasanenflügel bekommen. Wir erwarten jeden Augenblick die Rückkunft des besten Schützen in den drei Provinzen. Nicht wahr, meine gute Maase?«

Die Möve heißt auf Norwegisch Maase. Das Weib nahm diese Benennung freundlich auf, sei es, daß dies ihr wirklicher Name war, oder daß ihr Mann ihr aus Zärtlichkeit diesen Beinamen gegeben hatte.

»Der beste Schütze! Das will ich meinen,« erwiederte sie. »Es ist mein Bruder, der berühmte Kennybol. Gott segne seinen Eingang und Ausgang! Er hat uns auf einige Tage besucht, und Ihr, fremder Herr, könnt aus dem nämlichen Becher mit ihm einige Schlucke gutes Bier trinken. Er ist ein Reisender, wie Ihr.«

»Ich danke Euch, meine wackere Wirtin,« erwiederte Ordener; »aber ich begnüge mich mit Eurem guten Rindenbrod und trefflichen Stockfisch, denn ich habe nicht Zeit, Euern Bruder, den berühmten Schützen, zu erwarten. Ich muß sogleich weiter.«

Die gute Maase, ärgerlich über die schnelle Abreise des Fremden und zugleich geschmeichelt durch das Lob, das er ihrem Stockfisch und ihrem Bruder ertheilte, rief: »Ihr seid sehr gütig, Herr … aber wie! Ihr wollt uns so bald wieder verlassen?«

»Ich muß.«

»Ihr wollt Euch zu dieser Stunde und bei solchem Wetter in die Gebirge wagen?«

»Es geschieht um einer wichtigen Angelegenheit willen.«

Diese Antworten des jungen Reisenden reizten die angeborne Neugierde der Hüttenbewohner eben so sehr, als sie ihre Verwunderung erregten.

Der Fischer erhob sich und sprach: »Ihr seid bei Christoph Buldus Braall, Fischer im Weiler Surb.«

Das Weib fügte hinzu: »Maase Kennybol ist sein Weib und seine Magd.«

Wenn die norwegischen Landleute einen Fremden auf eine höfliche Weise um seinen Namen fragen wollen, pflegen sie ihm den ihrigen zu sagen.

Ordener erwiederte: »Und ich, ich bin ein Reisender, der weder des Namens, den er trägt, noch des Wegs, den er geht, gewiß ist.«

Diese seltsame Antwort schien den Fischer Braall nicht zu befriedigen.

»Bei der Krone Gormons des Alten,« sagte er, »ich glaubte, daß es in diesem Augenblicke in Norwegen nur einen einzigen Menschen gäbe, der seines Namens nicht gewiß sei. Das ist der edle Baron von Thorwick, der jetzt, wie es heißt, wegen seiner glorreichen Vermählung mit der Tochter des Kanzlers, den Namen »Graf von Danestiold« annehmen wird. Dies ist wenigstens die neueste Nachricht, welche ich von Drontheim mitgebracht habe. Ich wünsche Euch Glück, fremder Herr, zu dieser Aehnlichkeit mit dem Sohn des Vicekönigs, dem hohen Grafen Guldenlew.«

»Wenn Ihr uns nichts über Eure Person sagen könnt,« fiel das Weib ein, »so bringt Ihr uns doch vielleicht etwas Neues mit, was in der Welt vorgeht?«

»Das Neueste ist,« unterbrach sie der Fischer, »daß, ehe ein Monat vergeht, der Sohn des Vicekönigs die Tochter des Großkanzlers heirathen wird.«

»Daran zweifle ich,« sagte Ordener.

»Ihr zweifelt daran, Herr! Ich kann Euch versichern, daß dem so ist. Ich habe diese Nachricht aus guter Quelle. Derjenige, der sie mir mitgetheilt, hat sie aus dem Munde des Herrn Paul, des Lieblingsdieners des edeln Barons von Thorwick, d. h. des hohen Grafen von Daneskiold. Hätte etwa seit sechs Tagen ein Sturm das Wasser getrübt? Ist dieses große Band zerrissen?«

»Ich glaube es,« antwortete der junge Mann lächelnd.

»Wenn dem so ist, Herr, so hatte ich Unrecht. Man muß nicht das Feuer anzünden, um den Fisch zu backen, bevor sich das Netz über ihm zusammengezogen hat. Ist dieses Band aber auch gewiß zerrissen? Von wem habt Ihr die Nachricht?«

»Von Niemand. Ich mache das so in meinem Kopf aus.«

Der Fischer konnte sich nicht enthalten, ihm unter die Nase zu lachen: »Verzeiht mir, Herr, aber man sieht leicht, daß Ihr wirklich ein Reisender und, ohne Zweifel ein Ausländer seid. Bildet Ihr Euch denn ein, daß die Ereignisse sich nach Euern Launen richten werden, und daß der Himmel sich verfinstern oder aufklären wird, je nachdem es Euch beliebt?«

Hier erklärte der Fischer, der, wie alle norwegischen Landleute, sich um die Angelegenheiten der Nation annahm und darin bewandert war, aus welchen Gründen diese Heirat unfehlbar stattfinden müsse. Ordener, der wenig Lust verspürte, mit diesem ländlichen Staatsmann eine politische Unterhaltung zu führen, wurde durch die Ankunft eines Dritten aus seiner Verlegenheit gerissen.

»Das ist er! Das ist mein Bruder!« rief das Weib. Der Hauswirth reichte dem Ankömmling feierlich die Hand: »Sei willkommen, Bruder!«

Hierauf wandte er sich zu Ordener und sprach: »Herr, das ist unser Bruder, der berühmte Schütze Kennybol aus den Bergen von Kole.«

»Ich grüße Euch Alle herzlich.« erwiederte der Bergbewohner, indem er seine Mütze von Bärenfell abnahm. »Bruder, ich mache schlechte Jagd an euren Küsten, wie Du schlechten Fischfang machen würdest in unsern Bergen. Eher noch würde ich meine Waidtasche füllen, wenn ich in den Nebelwäldern der Königin Mab Kobolde und Irrwische jagte. Schwester Maase, Du bist die erste Möve, der ich heute nahe genug kam, um ihr guten Tag zu sagen. Seht einmal, Freunde, um einen solchen elenden Auerhahn hat der erste Schütze von Drontheimhus bis zu dieser Stunde und in diesem schlechten Wetter die Lichtungen aus und ein laufen müssen.«

Mit diesen Worten zog er einen Auerhahn aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch, mit der Versicherung, daß dieses magere Tier keinen Schuß Pulver wert sei.

»Aber,« murmelte er zwischen den Zähnen, »nur getrost, du treue Büchse Kennybols, bald wirst du größeres Wild jagen, mehr als Gemsen und Elennthiere, grüne Röcke und rothe Jacken.« Diese halblaut gesprochenen Worte erregten die Neugier des Weibes.

»Hm!« sagte sie, »was sagst Du da, Bruder?«

»Ich sage, daß immer ein Kobold unter der Weiberzunge tanzt.«

»Du hast Recht, Bruder Kennybol,« rief der Fischer aus. »Diese Töchter Evas sind alle eben so neugierig als ihre Mutter. Hast Du nicht von Grünröcken gesprochen?«

»Bruder Braall, ich vertraue meine Geheimnisse nur meiner Büchse an, denn da bin ich gewiß, daß Niemand sie erfährt.«

»Man spricht,« fuhr der Fischer fort, »im Dorfe von einem Aufstand der Bergleute. Weißt Du etwas davon, Bruder?«

Der Bergbewohner nahm seine Mütze wieder, drückte sie tief in die Stirne, warf einen Seitenblick auf den Fremden, neigte sich dann zum Ohre des Fischers und sagte leise: »Still!«

Der Fischer schüttelte wiederholt den Kopf: »Bruder Kennybol, so stumm der Fisch auch ist, fällt er doch in die ausgespannten Netze.«

Es trat eine augenblickliche Stille ein. Die beiden Schwäger sahen sich mit ausdrucksvollen Blicken an, die Kinder rupften den Auerhahn, der auf dem Tische lag, aus dem Gesicht des Weibes sprach Neugierde, Ordener machte den stillen Beobachter.

Der Jäger suchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben: »Wenn Ihr heute einen magern Auerhahn eßt, so wird dem morgen nicht so sein, Bruder Braall, Du kannst den König der Fische fischen, ich verspreche Dir zum Schmelzen ein herrliches Bärenfett.«

»Bärenfett!« rief Maase aus. »Hat sich ein Bär in der Gegend gezeigt? Patrick, Regner, meine Kinder, Ihr dürft mir nicht mehr aus dem Hause, ich verbiete es. Ein Bär!«

»Sei ruhig, Schwester, morgen wirst Du ihn nicht mehr zu fürchten haben. Ja, etwa zwei Stunden von hier habe ich einen Bären gesehen, und zwar einen weißen Bären. Er schien einen Menschen, oder vielmehr ein Thier auf dem Rücken zu tragen. Es war vielleicht ein Ziegenhirte, den er wegtrug, denn die Ziegenhirten kleiden sich in Thierfelle. Ich konnte wegen der Entfernung nicht genau unterscheiden. Wundern mußte ich mich jedoch, daß er seine Beute auf dem Rücken trug, und nicht zwischen den Zähnen.«

»Wirklich, Bruder?«

»Ja, und das Thier mußte todt sein, denn es machte keine Bewegung, sich zu vertheidigen.«

»Aber,« fragte der verständige Fischer, »wenn es todt war, wie konnte es sich auf dem Rücken des Bären halten?«

»Das konnte ich auch nicht begreifen. Gleichviel, dieser Bär hat seinen letzten Fraß gehalten. Als ich in das Dorf zurückkam, habe ich gleich sechs tüchtige Bursche bestellt, und morgen, Schwester Maase, werde ich Dir das schönste weiße Fell, das je auf den Schneefeldern der Berge gelaufen ist, mitbringen.«

»Nimm Dich in Acht, Bruder, Du hast da sonderbare Sachen gesehen. Dieser Bär ist vielleicht der Teufel …«

»Bist Du närrisch?« unterbrach sie lachend der Bergbewohner. »Was wird sich der Teufel in einen Bären verwandeln! Ja, in eine Katze, in einen Affen, so etwas hat man erlebt, aber in einen Bären! Das ist ja ein Aberglaube, über den ein Kind und ein altes Weib lachen müßten!«

Das arme Weib schwieg beschämt.

»Bruder,« sagte sie nach einer Pause, »Du warst mein Herr und Meister, bevor mein Mann und Herr seine Augen auf mich warf; handle, wie es Dein Schutzengel Dir eingibt.«

»Wo,« fragte der Fischer, »hast Du denn diesen Bären gesehen?«

»Auf dem Wege von Smiassen nach Walderhog.«

»Walderhog!« wiederholte die Frau und machte ein Kreuz.

»Walderhog!« fiel Ordener ein.

»Bruder,« fuhr der Fischer fort, »ich hoffe nicht, daß Du auf dem Wege nach dieser Grotte von Walderhog warst?«

»Ich? Gott behüte mich in Gnaden! Es war der Bär, der seine Richtung dahin nahm.«

»Willst Du ihn morgen dort aufsuchen?« unterbrach ihn Maase mit Entsetzen.

»Gewiß nicht, denn selbst ein Bär wird seinen Aufenthalt in einer Höhle nicht nehmen, wo …«

Er hielt inne, und alle drei machten ein Kreuz.

»Du hast Recht,« erwiederte der Fischer, »der Instinkt bewahrt die Thiere vor solchen Dingen.«

»Meine guten Leute,« sagte Ordener, »was gibt es denn so Entsetzliches in dieser Grotte von Walderhog?«

Alle drei sahen sich mit einem dumpfen Staunen an, als ob sie eine solche Frage gar nicht begreifen könnten.

»Dort ist das Grab des Königs Walder,« fügte Ordener hinzu.

»Ja,« sagte die Frau, »ein steinernes Grab, das singt.«

»Und das ist noch nicht Alles,« sprach der Fischer.

»Nein,« fuhr das Weib fort, »bei Nacht sieht man dort die Gebeine der Todten tanzen.«

»Und das ist noch nicht Alles,« sagte der Bergbewohner.

Alle schwiegen, als ob sie nicht fortzufahren wagten.

»Nun,« fragte Ordener, »was ist denn sonst noch Uebernatürliches da?«

»Junger Mann,« erwiederte ernst der Bergbewohner, »Ihr müßt nicht so leichtsinnig reden, wenn Ihr einen alten grauen Wolf, wie ich einer bin, schaudern seht.«

Ordener versetzte lächelnd: »Ich hätte gleichwohl Alles zu erfahren gewünscht, was Wunderbares in dieser Höhle von Walderhog geschieht, eben weil mein Weg mich dahin führt.«

Bei diesen Worten waren die drei Zuhörer vor Schrecken wie versteinert.

»Nach Walderhog! Himmel! Ihr geht nach Walderhog?« rief der Fischer aus. »Und Ihr sagt das in einem Tone, wie man sagen würde: Ich gehe nach Löwig, meinen Stockfisch zu verkaufen! oder in Ralphs Bucht, Häringe zu fischen! Nach Walderhog! großer Gott!«

»Unglücklicher junger Mann!« sagte das Weib. »Habt Ihr denn keinen Schutzengel? Ist kein Heiliger im Himmel Euer Beschützer? Das kann freilich wohl sein, denn Ihr wißt ja nicht einmal Euern Namen!«

»Und welche Ursache kann Euch denn an diesen entsetzlichen Ort führen?« fragte der Bergbewohner.

»Ich habe irgend Einen um etwas zu fragen,« erwiederte Ordener.

Das Staunen der drei Zuhörer stieg mit ihrer Neugier.

»Hört, fremder Herr,« sagte der Bergbewohner, »Ihr scheint dieses Land nicht recht zu kennen. Ihr irrt Euch ohne Zweifel in dem Namen. Nach Walderhog könnt Ihr nicht wollen! Und wenn Ihr dort mit einem menschlichen Wesen sprechen wolltet, so würdet Ihr Niemand finden …«

»Als den Dämon,« ergänzte das Weib.

»Den Dämon! Welchen Dämon?«

»Den,« fuhr sie fort, »für den das Grab singt und die Todten tanzen.«

»Ihr wißt also nicht, Herr,« sagte der Fischer mit gedämpfter Stimme, daß die Grotte von Walderhog der gewöhnliche Aufenthalt des …«

Das Weib ließ ihn nicht ausreden.

»Mein Ehemann und Gebieter,« sagte sie, »sprich diesen Namen nicht aus, er bringt Unglück.«

»Wessen Aufenthalt?« fragte Ordener.

»Eines eingefleischten Teufels,« antwortete Kennybol.

»Ich weiß in der That nicht, was Ihr mir da sagen wollt. Das habe ich wohl gehört, daß Walderhog von Han dem Isländer bewohnt wird …«

Ein dreifacher Schrei des Entsetzens stieg in der Hütte auf: »Wie! – Ihr wußtet es! – Das eben ist dieser Dämon!«

Das Weib rief alle Heiligen im Himmel an, ihr zu bezeugen, daß nicht sie diesen Namen ausgesprochen habe. Nachdem der Fischer in etwas von seiner Bestürzung zurückgekommen war, starrte er Ordener an, wie einen Menschen, dessen Thun ihm unbegreiflich war.

»Herr,« sagte er, »wenn ich so lange leben sollte, als mein Vater, der einhundert zwanzig Jahre alt geworden ist, so hätte ich doch nie geglaubt, daß mich ein menschliches Wesen, das mit Vernunft begabt ist und an Gott glaubt, um den Weg nach Walderhog fragen würde.«

»Gewiß,« rief das Weib aus, »werdet Ihr nicht in diese Grotte gehen, denn wer den Fuß hineinsetzt, will einen Bund mit dem Teufel machen.«

»Ich gehe hin, Ihr guten Leute, und wer mir den kürzesten Weg dahin zeigen will, wird mir einen großen Dienst erweisen.«

»Der kürzeste Weg, dahin zu kommen, wohin Ihr gehen wollt, ist der, Euch vom nächsten Felsen in die nächste Schlucht herabzustürzen.«

»Heißt denn das den nämlichen Zweck erreichen,« fragte Ordener ruhig, »wenn man einen nutzlosen Tod einer nützlichen Gefahr vorzieht?«

Braall schüttelte den Kopf, während sein Schwager einen forschenden Blick auf den jungen Abenteurer warf.

»Ich verstehe jetzt,« rief plötzlich der Fischer aus, »Ihr wollt die tausend Thaler gewinnen, die auf des isländischen Dämons Kopf gesetzt sind.«

Ordener lächelte.

»Junger Herr,« fuhr der Fischer mit Rührung fort, »laßt diesen Plan fahren. Ich bin arm und alt, aber ich würde, was ich noch zu leben habe, wäre es auch nur ein einziger Tag, für Eure tausend Thaler nicht hingeben.«

»Nicht um dieser tausend Thaler, sondern um einer größeren Sache willen, suche ich diesen Räuber auf, den Ihr einen Dämon nennt. Ich thue es nicht für mich, sondern für Andere …«

Der Bergbewohner, der Ordener stets mit forschenden Augen betrachtet hatte, unterbrach ihn nun: »Ich verstehe Euch jetzt, ich weiß, warum Ihr diesen isländischen Dämon sucht.«

»Ich will ihn zwingen zu kämpfen,« sagte Ordener.

»Recht so,« fuhr Kennybol fort, »Ihr seid mit wichtigen Dingen beauftragt, es liegt viel an Eurer Sendung, nicht wahr?«

»Ich habe es bereits gesagt.«

Der Bergbewohner näherte sich jetzt dem jungen Manne mit einer Miene des Einverständnisses und sagte ihm zu seiner großen Verwunderung halblaut ins Ohr: »Es ist im Namen des Grafen Schuhmacher von Greiffenfeld, nicht wahr?«

»Wackerer Mann,« rief Ordener, »wie wißt Ihr …«

Er war wirklich erstaunt, daß ein norwegischer Bergbewohner ein Geheimnis wissen sollte, das er Niemand, nicht einmal dem General Levin, anvertraut hatte.

Kennybol neigte sich zu seinem Ohr: »Ich wünsche Euch guten Erfolg,« fuhr er in demselben geheimnisvollen Tone fort, »es ist edelmüthig von Euch, junger Mann, daß Ihr auf solche Weise den Unterdrückten beisteht.«

Ordeners Erstaunen war so groß, daß er kaum Worte finden konnte, den Bergbewohner zu fragen, auf welche Art er denn Kenntnis von dem Zweck seiner Reise erlangt habe.

»Stille,« sagte Kennybol, indem er den Finger auf den Mund legte, »ich hoffe, daß Ihr von dem Bewohner der Grotte von Walderhog das erlangen werdet, was Ihr wünscht. Mein Arm ist, gleich dem Eurigen, dem Gefangenen von Munckholm geweiht.«

Hierauf erhob er seine Stimme, ehe Ordener antworten konnte: »Bruder, Schwester Maase, nehmt diesen würdigen jungen Mann als einen zweiten Bruder auf. Jetzt zum Nachtessen, es wird fertig sein!«

»Wie!« unterbrach ihn das Weib, »Du hast ohne Zweifel den Herrn vermocht, von seinem Besuche bei dem Dämon abzustehen?«

»Schwester, bete, daß ihm kein Unfall widerfahre. Es ist ein edler und würdiger junger Mann. Jetzt, edler Herr, nehmt etwas Nahrung zu Euch und pflegt der Ruhe. Morgen will ich Euch den Weg zeigen, dann suchet Ihr Euern Teufel auf und ich meinen Bären.«

XXVII.

Der erste Sonnenstrahl beleuchtete eben den höchsten Gipfel des Felsen am Meeresstrand, als ein Fischer, der vor Tag einige Flintenschüsse vom Ufer seine Netze ausgeworfen hatte, eine menschliche Figur, die in einen Mantel oder in ein Leintuch gehüllt war, die Felsen herabsteigen und unter dem Eingang der gefürchteten Grotte von Walderhog verschwinden sah. Von Entsetzen ergriffen, empfahl er seinen Nachen und seine Seele in den Schutz des heiligen Usuph und erzählte seiner staunenden Familie, daß er eines der Gespenster, welche die Grotte Hans des Isländers bewohnen, mit Anbruch des Tages in die Höhle habe zurückkehren sehen.

Dieses Gespenst, von nun an das Gespräch und der Schrecken der langen Winterabende, war Ordener. Der Schütze Kennybol und seine sechs Gefährten, welche ihm den Weg gezeigt hatten, waren eine halbe Stunde von Walderhog zurückgeblieben, und diese unerschrockenen Jäger, die lachend einem wilden Bären entgegentraten, sahen dem kühnen Wanderer, so lange sie ihn auf dem Fußpfade erblicken konnten, mit angstvollen Blicken nach.

Ordener betrat kühn und unerschrocken die gefürchtete Grotte, die durch die Felsspalten von oben nur ein sparsames Licht erhielt. Sein Fuß strauchelte oft an umherliegenden Todtenschädeln und Gebeinen; aber sein muthiges Herz kannte keine Furcht.

Endlich kam er in eine Art runden Saals, den die Natur in die Seite des Felsen gegraben hatte. Hier schloß sich die Höhle, und die Wände des Saals hatten keine andere Oeffnung, als weite Spalten, durch welche man die Berge und Wälder umher erblickte.

Ein Monument von sonderbarer Form, in der Mitte des Saals, zog Ordeners Aufmerksamkeit auf sich. Drei lange massive Steine, die aufrecht auf dem Boden ruhten, trugen einen breiten viereckigen Stein, wie drei Pfeiler ein Dach tragen. Unter diesem gigantischen Dreifuß erhob sich eine Art Altar, der ebenfalls aus einem einzigen Felsstück bestand und in der Mitte seiner obern Fläche kreisförmig durchbrochen war. Ordener erkannte darin eines jener kolossalen druidischen Bauwerke, deren er aus seinen Reisen in Norwegen schon viele gesehen hatte. Er stützte sich mechanisch auf diesen Altar, dessen Steine gebräunt waren, so viel menschliches Blut hatte er schon getrunken.

Plötzlich schlug eine Stimme an sein Ohr, die unter dem Altar hervorzukommen schien: »Mensch, der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

Ordener warf rasch den Kopf in die Höhe und griff mit der Hand an das Schwert, während ein Echo, schwach wie die Stimme eines Todten, in den Tiefen der Grotte deutlich wiederholte: »Mensch, der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

In demselben Augenblicke erhob sich auf der andern Seite des druidischen Altars ein Haupt, schreckhaft anzuschauen, mit rothen borstigen Haaren, und ein heiseres Lachen ertönte.

»Mensch,« wiederholte die Stimme, »der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

Ordener legte ruhig die Hand an das Schwert. Das Ungeheuer stieg ganz aus dem Altar heraus und zeigte seine gedrängten nervigen Glieder, seine blutbefleckten Kleider, seine mit Thierkrallen besetzten Hände, in deren einer er seine schwere steinerne Axt trug.

»Da bin ich!« sagte der Räuber mit dem Grinsen eines wilden Thiers.

»Da bin ich auch!« erwiederte der unerschrockene Jüngling.

»Ich habe Dich erwartet.«

»Und ich, ich habe Dich gesucht.«

Der Wilde kreuzte die Arme über die Brust.

»Weißt Du,« fragte er, »wer ich bin?«

»Ich weiß es.«

»Und Du fürchtest Dich nicht?«

»Nicht mehr.«

»Du hast Dich also gefürchtet, als Du hierher kamst?« fragte das Unthier und wiegte triumphirend sein Haupt.

»Ich habe gefürchtet, Dich nicht zu finden.«

»Du bietest mir Trotz, und Deine Füße sind eben über menschliche Gebeine gegangen!«

»Morgen vielleicht werden sie über die Deinigen gehen.«

Der Unmensch zitterte vor Wuth. Der Jüngling blieb ruhig, unbeweglich, unerschrocken.

»Nimm Dich in Acht!« murmelte der Räuber, »ich werde auf Dich stoßen, wie der Falke auf eine Taube.«

»Stoße auf mich!«

In Ordeners ruhigem Blick und Wesen lag Etwas, das dem Unthier wider Willen Achtung gebot. Der Wilde riß zornig die Haare des Thierfells aus, das um seine Schultern hing, wie ein Tiger das Gras ausreißt, ehe er sich auf seinen Raub stürzt.

»Du lehrst mich, was Mitleid ist.« sagte er.

»Und Du mich, was Verachtung ist.«

»Knabe, Deine Stimme ist sanft, Dein Gesicht rosig, wie die Stimme und das Gesicht einer Jungfrau. Welchen Tod soll ich Dir geben?«

»Den Deinigen.«

Das Unthier lachte laut auf.

»Du weißt nicht, daß ich ein Dämon bin, daß mein Geist der Geist Ingulphs des Vertilgers ist.«

»Ich weiß, daß Du ein Räuber bist, und daß Du um Gold mordest.«

»Du irrst Dich, um Blut, nicht um Gold.«

»Haben Dich nicht die Ahlfeldt bezahlt, den Hauptmann Dispolsen zu ermorden.«

»Was sagst Du mir da? Was sind das für Namen?«

»Kennst Du den Hauptmann Dispolsen nicht, den Du am Strande von Urchthal ermordet hast?«

»Das ist möglich, aber ich habe ihn vergessen, wie ich Dich in drei Tagen vergessen haben werde.«

»Kennst Du den Grafen Ahlfeldt nicht, der Dich bezahlt hat, um dem Hauptmann eine eiserne Büchse abzunehmen?« »Uhlfeldt! Warte! Ja, ich kenne ihn. Ich habe gestern das Blut seines Sohnes aus dem Schädel des meinigen getrunken.«

Ordener schauderte.

»Warst Du denn mit Deinem Lohne nicht zufrieden?«

»Mit welchem Lohn?«

»Höre! Dein Anblick ekelt mich an, ich will zu Ende kommen. Du hast vor acht Tagen einem Deiner Schlachtopfer, einem Offizier von Munckholm, eine eiserne Büchse geraubt.«

Bei dem Worte » Munckholm« bebte der Wilde vor Wuth.

»Ein Offizier von Munckholm!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Bist Du vielleicht auch ein Offizier von Munckholm?«

»Nein!«

»Desto schlimmer!« sagte der Räuber und runzelte die Stirne.

»Höre! Wo ist diese eiserne Büchse, welche Du dem Hauptmann geraubt hast?«

Der Räuber schien einen Augenblick nachzudenken.

»Bei Ingulphs Seele!« sagte er, »diese elende eiserne Büchse setzt viele Leute in Athem. Ich stehe Dir dafür, daß man die Büchse, die Deine Gebeine enthalten soll, weniger suchen wird, wenn sie anders je in einen Sarg kommen.«

Als Ordener aus diesen Worten sah, daß der Räuber etwas von der Büchse wußte, faßte er neue Hoffnung, sie zu bekommen.

»Sage mir, was hast Du mit dieser Büchse gemacht? Ist sie im Besitze des Grafen Ahlfeldt?«

»Nein!«

»Du lügst, ich sehe Dich lachen.«

»Glaube, was Du willst. Was liegt mir daran?«

Das Unthier hatte ein höhnisches Wesen angenommen, das Ordener Mißtrauen einflößte. Er sah, daß kein anderes Mittel mehr übrig blieb, als ihn in Wuth zu bringen oder einzuschüchtern, wenn es möglich war.

»Höre,« rief er ihm barsch zu, »Du mußt mir diese Büchse geben.«

Der Räuber antwortete mit einem wilden Grinsen.

»Du mußt sie mir geben,« wiederholte der Jüngling mit donnernder Stimme.

»Pflegst Du etwa den Büffelochsen und Bären Befehle zu ertheilen?« erwiederte der Unmensch mit scheußlichem Lachen.

»Dem Teufel in der Hölle will ich befehlen.«

»Das wirst Du in Kurzem thun können.«

Der junge Mann zog sein Schwert, das in der Dunkelheit blitzte: »Gehorche!«

Der Wilde schüttelte seine Axt: »Es hing nur von mir ab, Deine Gebeine zu zerbrechen und Dein Blut zu trinken, als Du hereintratst, aber ich hielt an mich, weil ich begierig war, zu sehen, wie der kleine Sperling auf den Geier schießt.«

»Elender!« rief Ordener aus. »Vertheidige Dich!«

»So etwas höre ich zum erstenmal,« grinste der Wilde.

Mit diesen Worten sprang er auf den Altar und raffte seine Glieder zusammen, wie der Leopard, der den Jäger auf einem Felsstück erwartet, um sich unversehens auf ihn herabzustürzen.

Das Auge des Unmenschen haftete auf dem Jüngling, um zu sehen, von welcher Seite er sich am besten auf ihn stürzen könne. Es war um Ordener geschehen, wenn er noch einen Augenblick gezaudert hätte; aber er ließ dem Räuber keine Zeit zum Nachdenken, stürzte sich ungestüm auf ihn und setzte ihm die Spitze seines Schwertes vor das Gesicht.

Jetzt entstand ein furchtbarer Kampf. Die Bewegungen des Unthiers waren so rasch, daß Ordener immer seinem scheußlichen Gesicht und der Schneide seiner Axt begegnete, von welcher Seite er auch angreifen mochte. Er wäre beim ersten Anlauf verloren gewesen, wenn er nicht den glücklichen Gedanken gehabt hätte, seinen Mantel um den linken Arm zu wickeln, welcher Schild die wüthenden Streiche seines Gegners meistens auffing. Beide matteten sich einige Minuten lang mit größter Anstrengung ab, ohne daß Einer dem Andern eine Wunde beizubringen vermochte. Die kleinen flammenden Augen des Wilden traten aus ihren Höhlen. Er focht mit schweigender Wuth , erzürnt darüber, daß ein dem Anschein nach so schwacher Gegner ihn so keck und kräftig bekämpfte. Die scheußliche Unbeweglichkeit der Züge des Unthiers und die unerschrockene Ruhe auf Ordeners Gesicht bildeten einen seltsamen Gegensatz mit der Schnelligkeit ihrer Bewegungen und der Lebhaftigkeit ihrer Angriffe.

Man hörte kein anderes Geräusch, als das Klirren der Waffen, die stürmischen Tritte des Jünglings und den schweren Athem der beiden Kämpfer. Plötzlich stieß der Wilde ein furchtbares Geheul aus. Die Schneide seiner Axt hatte sich in den Falten des Mantels gefangen. Er zog heftig daran, aber sie verwickelte sich dadurch nur noch mehr.

Das Schwert des Jünglings senkte sich gegen die Brust des Räubers.

»Höre mich noch einmal,« sagte Ordener, »willst Du mir diese eiserne Büchse zurückgeben, welche Du gestohlen hast?«

»Nein, und verflucht seist Du,« erwiederte grinsend der Räuber.

Ordener schwang drohend das Schwert: »Besinne Dich!«

»Nein! Du hast es schon gehört!«

Ordener senkte sein Schwert: »So winde Deine Axt von den Falten meines Mantels los, damit wir den Kampf fortsetzen können.«

Ein verächtliches Lachen war die Antwort des Unthiers: »Knabe, Du spielst den Edelmüthigen, als ob ich dessen bedürfte!«

Ehe der erstaunte Jüngling den Kopf umwenden konnte, hatte der Wilde, von dem Altar herab, seinen Fuß auf die Schulter seines großmüthigen Siegers gesetzt und war mit einem Satze zwölf Schritte weit im Saal. Mit einem zweiten Satze hing er an Ordener. Er hatte sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers an ihn gehängt, wie ein Panther, der sich mit Krallen und Rachen in der Seite eines Löwen einbeißt. Seine Klauen wühlten in den Schultern des Jünglings, seine Kniee drückten in seine Weichen, sein scheußliches Gesicht grinste ihn an, sein blutiger Rachen war geöffnet und zeigte weiße, spitzige Zähne, den Gegner damit zu zerfleischen. Kein menschliches Wort mehr entschlüpfte seiner lechzenden Kehle; nur ein dumpfes Brüllen stieg aus seinem offenen Rachen hervor. Er war scheußlicher, als ein Thier des Waldes, ungeheurer, als ein Dämon, es war ein Mensch, dem nichts vom Menschen übrig geblieben war.

Ordener schwankte bei diesem furchtbaren Anlauf und wäre rückwärts gefallen, wenn ihn nicht einer der breiten Pfeiler des Altars gehalten hätte. Er lag halb rückwärts gebogen am Pfeiler und athmete schwer unter dem Gewicht seines Feindes. Der Gedanke an seine Geliebte gab ihm neue Kraft; er umspannte das Ungeheuer mit beiden Armen, faßte seine Säbelklinge in der Mitte und setzte deren Spitze dem Gegner auf den Rücken. Als der Räuber das kalte Eisen fühlte, that er einen durchdringenden Schrei, ließ seinen Feind los und machte einen Satz rückwärts.

Nun entbrannte der Kampf zum drittenmal noch heftiger. Auf dem Boden lagen ungeheure Felsstücke zerstreut herum. Zwei Männer von gewöhnlicher Kraft hätten das kleinste derselben kaum aufheben können. Der Räuber erfaßte eines mit beiden Armen, hob es hoch über seinem Haupte empor und schwenkte es gegen Ordener. Sein Blick war scheußlich. Der kräftig geschleuderte Stein durchflog schwerfällig den Raum, und kaum hatte der Jüngling Zeit genug, ihm auszuweichen.

Kaum hatte sich Ordener wieder gefaßt, so war schon ein neuer Stein in den Armen des Unthiers geschwungen. Der Jüngling stürzte mit gehobenem Schwert auf den Räuber los, um dem Kampf eine andere Wendung zu geben; aber der Stein begegnete in seinem Flug der schwachen Klinge und zertrümmerte sie. Der Jüngling stand entwaffnet da, und ein wildes Lachen des Ungeheuers stieg an die hohe Wölbung der Grotte.

»Hast Du Gott oder dem Teufel noch etwas zu beichten, ehe Du stirbst?« rief das Ungeheuer mit mißtönender Stimme aus.

Sein Auge flammte vor freudiger Wuth und er stützte sich auf seine Axt, die am Boden lag, um den Jüngling damit niederzuschlagen.

Plötzlich ließ sich von Außen ein fernes Brüllen hören. Das Unthier horchte. Das Geräusch nahm zu. Menschenstimmen mischten sich mit dem kläglichen Brüllen eines Bären. Der Räuber horcht. Das klägliche Geschrei dauert fort. Jetzt ergreift er rasch seine Axt und stürzt nicht auf Ordener, sondern auf eine der Felsspalten in der Höhle los, durch die das Licht eindringt. Der erstaunte Ordener tritt ebenfalls an eine dieser Oeffnungen und sieht in einer benachbarten Lichtung einen großen weißen Bären, von sieben Jägern verfolgt, unter welchen er Kennybol zu erkennen glaubt.

Er wendet sich um. Der Räuber war nicht mehr in der Grotte, und er hört außen eine schreckliche Stimme, die ruft: »Freund! Freund! Ich komme!«

XXVIII.

Das Regiment der Arquebusiere von Munckholm befand sich auf dem Marsch in den Engpässen zwischen Drontheim und Skongen. Der Lieutenant Randmer, ein junger dänischer Baron, trat zu dem Hauptmann Lory, der von der Pike auf gedient hatte. Der Hauptmann marschirte düster schweigend, mit gewichtigem aber sicherem Schritte.

»Nun, Herr Hauptmann,« rief ihm der lustige Lieutenant zu, »was ist Ihnen denn? Sie sind traurig.«

»Allerdings und nicht ohne Grund,« erwiederte der alte Offizier, ohne den Kopf zu erheben.

»Nur nicht so betrübt! Sehen Sie mich an, bin ich traurig? Und doch hätte ich wenigstens eben so viele Ursache dazu, als Sie.«

»Ich zweifle daran, Baron Randmer; ich habe mein einziges Gut, meinen ganzen Reichthum verloren.«

»Herr Hauptmann, unser Unglück ist ganz das gleiche. Erst vor vierzehn Tagen hat der Lieutenant Alberik mit einem einzigen Wurf mein schönes Schloß Randmer nebst allen dazu gehörigen Besitzungen gewonnen. Ich bin zu Grunde gerichtet; aber sehen Sie mich darum weniger lustig?«

Der Hauptmann erwiederte betrübt: »Herr Lieutenant, Sie haben nur Ihr schönes Schloß verloren, ich aber meinen Hund.«

Auf diese Antwort hielt das leichtsinnige Gesicht des jungen Mannes die Mitte zwischen Lachen und Rührung.

»Herr Hauptmann,« sagte er, »trösten Sie sich. Sehen Sie, ich habe mein schönes Schloß verloren.«

Der Hauptmann unterbrach ihn: »Was will das heißen? Uebrigens werden Sie wieder ein anderes Schloß gewinnen.«

»Und Sie werden wieder einen andern Hund finden.«

Der alte Mann schüttelte den Kopf.

»Einen Hund werde ich wohl wieder finden, aber nicht meinen alten Drake.«

Er hielt inne; einige Thränen glänzten in seinen Augen und fielen über seine gefurchten Wangen herab.

»Ich habe,« fuhr er fort, »nie etwas geliebt, als ihn; ich habe weder Vater noch Mutter gekannt. Mögen sie im Frieden ruhen, wie mein armer Drake! Er hat mir im pommerischen Kriege das Leben gerettet; ich nannte ihn dem berühmten Admiral zu Ehren Drake. Dieser gute Hund! Er ist mir immer treu geblieben, wie es mir auch gehen mochte. Nach dem Treffen von Oholjen streichelte ihn der General Schack mit eigener Hand und sagte: ›Ihr habt da einen schönen Hund, Sergent Lory!‹ Damals war ich noch Sergent.«

»Das muß Einem wunderbar vorkommen, Sergent zu sein!« unterbrach ihn der junge adelige Offizier.

Der alte Soldat hörte nicht darauf und fuhr, wie in Gedanken verloren, fort: »Dieser arme Drake! Aus so vielen Gefahren frisch und gesund zurückzukommen, um, wie eine alte Katze, in diesem verfluchten Golf von Drontheim zu ersaufen! Mein armer Hund! Du wärest würdig gewesen, mit mir auf dem Schlachtfelde zu sterben.«

»Sie sind ein tapferer Soldat,« rief der Lieutenant, »wie können Sie traurig sein, da wir uns vielleicht morgen schlagen werden?«

»Ja,« erwiederte der alte Hauptmann verächtlich, »gegen saubere Feinde!«

»Wie! diese teuflischen Bergleute! Diese satanischen Bergbewohner!«

»Steinbrecher und Straßenräuber! Leute, die nicht einmal in Schlachtordnung aufmarschiren können! Das sind mir die rechten Leute, um einem alten Knasterbart, wie ich bin, der alle Feldzüge in Pommern und Holstein mitgemacht hat, die Spitze zu bieten! Mir, der unter dem berühmten Schack und dem tapfern Guldenlew gefochten!…«

»Aber Sie wissen nicht, daß diese Banden einen gefürchteten Anführer haben, einen wilden Riesen, so groß und stark wie Goliath, einen Dämon, der nichts als Menschenblut trinkt …«

»Wen denn?«

»Den berüchtigten Han den Isländer.«

»Bravo! Ich wette, daß dieser furchtbare Obergeneral nicht einmal eine Flinte in den vorgeschriebenen Tempos zu laden weiß.«

Der Lieutenant lachte laut.

»Lachen Sie nur! Es wird in der That recht gut lassen, wenn wackere Soldatensäbel sich mit elenden hauen, und tapfere Piken mit Mistgabeln kreuzen! Das sind würdige Feinde! Mein guter Drake hätte sie nicht für werth gehalten, sie in die Füße zu beißen!«

Sie wurden durch die Ankunft eines Offiziers unterbrochen, der athemlos herbeilief.

»Herr Hauptmann Lory!« rief er aus. »Mein lieber Randmer!«

»Was gibt es?« fragten die Beiden zusammen.

»Meine Freunde … Ich bin starr vor Entsetzen … Ahlfeldt! … Der Lieutenant Ahlfeldt! … Der Sohn des Großkanzlers! … Sie wissen, mein lieber Baron Randmer! … Dieser elegante Friedrich … Dieser Geck! …«

»Elegant war er,« erwiederte der junge Baron, »sehr elegant! Inzwischen hatte ich doch auf dem letzten Balle zu Kopenhagen eine geschmackvollere Maske als er … Was ist ihm denn begegnet?«

»Ich weiß, wen Sie meinen,« sagte zu gleicher Zeit der Hauptmann Lory, »den Friedrich von Ahlfeldt, den Lieutenant in der dritten Compagnie, mit den blauen Aufschlägen. Er versieht den Dienst ziemlich nachlässig.«

»Man wird sich nicht mehr über ihn beklagen, Herr Hauptmann!«

»Wie?« fragte Randmer.

»Er liegt in Garnison zu Wahlstrom,« sagte der alte Hauptmann.

»So ist es,« fuhr der Offizier fort, »der Oberst hat einen Boten bekommen … Dieser arme Friedrich! …«

»Was ist es denn, Hauptmann Bollar? Sie erschrecken mich.«

»Bah!« sagte der Hauptmann Lory. »Unser Geck wird ohne Urlaub fort sein, wie gewöhnlich. Sein Hauptmann wird den Herrn Sohn des Herrn Großkanzlers in Arrest geschickt haben. Das ist wohl Alles.«

Der Hauptmann Bollar klopfte ihn auf die Achsel: »Lory, der Lieutenant Ahlfeldt ist lebendig gefressen worden.«

Der junge Baron Randmer brach in ein tolles Gelächter aus, während Lory seinen Kameraden anstaunte.

»Ich sehe,« rief der Lieutenant aus, »daß Sie noch immer der alte Spaßmacher sind, aber mit dieser Geschichte werden Sie mich nicht anführen.«

Der Lieutenant kreuzte die Arme über einander und lachte aus vollem Halse. Was ihn bei der Sache am meisten ergötzte, war die Leichtgläubigkeit des alten Lory. »Das ist ein rechter Spaß,« fuhr er fort, »und eine gute Erfindung, diesen Friedrich, der eine so zärtlich lächerliche Sorgfalt für seine Haut hatte, lebendig auffressen zu lassen.«

»Randmer,« sagte Bollar ernst, »Sie sind ein Thor. Ich sage Ihnen, Ahlfeldt ist todt. Ich weiß es aus des Obersts eigenem Munde.«

»Ho! Wie gut er seine Rolle spielt! Recht herrlich!«

Bollar zuckte die Achseln und wandte sich dem alten Lory zu, der ihn kaltblütig um eine nähere Erzählung des Vorfalls bat. »Ja, ja,« fiel der Lieutenant lachend ein, »erzählen Sie uns doch, von wem dieser arme Teufel mit Haut und Haaren aufgefressen worden ist. Hat er einem Wolf zum Frühstück, einem Büffel zum Mittagessen, oder einem Bären zum Nachtmahl gedient?«

»Der Oberst,« sagte Bollar, »hat unterwegs eine Depesche erhalten, daß sich die Besatzung von Wahlstrom vor einer bedeutenden Abtheilung der Rebellen auf uns zurückzieht …«

Der alte Lory runzelte die Stirne.

»Sodann enthielt dieser Bericht, daß der Lieutenant Friedrich von Ahlfeldt, als er vor drei Tagen in dem Gebirge auf der Jagd war, in der Nähe der Ruine von Urbar von einem Ungeheuer in seine Höhle getragen und lebendig aufgefressen worden sei.«

Der Lieutenant Randmer lachte abermals hell auf: »Ho! Ho! Unser guter Lory glaubt an Ammenmährchen. Recht so, lieber Bollar, nur fein ernsthaft! Sie sind ein Spaßvogel ohne Gleichen. Aber sagen Sie uns doch, wer ist denn dieses Ungeheuer, dieser Menschenfresser, der einen königlichen Lieutenant davon trägt und auffrißt, wie ein junges Reh?«

»Sie sollen es nicht erfahren, sondern Lory, der nicht so toll ungläubig ist. Dieser Menschenfresser ist Han der Isländer.«

»Der Anführer der Rebellen?« rief der alte Offizier.

»Nun, sehen Sie selbst, Lory,« rief Randmer spottend aus, »daß man keine Tempos braucht, wenn man ein so gutes Gebiß hat.«

»Baron Randmer,« sagte Bollar, »Sie haben dasselbe leichte Blut, wie Ahlfeldt; hüten Sie sich, dasselbe Schicksal zu haben.«

»Ich muß gestehen,« rief Randmer, »daß die unerschütterliche Ernsthaftigkeit des Hauptmanns Bollar mich bei der Sache am meisten ergötzt.«

»Und ich,« erwiederte dieser, »muß gestehen, daß mich die unerschöpfliche Lustigkeit des Lieutenants Randmer bei dieser ernsten Sache am meisten erschreckt.«

Eine Gruppe Offiziere, in lebhafter Unterhaltung begriffen, näherte sich.

»Ich muß diesen Herren doch,« sagte Randmer, »Bollars spaßhafte Erfindung mittheilen. Kameraden,« fuhr er fort, indem er auf sie zuging, »wißt Ihr auch, daß dieser arme Friedrich von Ahlfeldt von dem barbarischen Han dem Isländer lebendig aufgefressen worden ist?«

Er begleitete diese Worte mit lautem Gelächter. Aus der Mitte der neu Angekommenen erschallten Rufe des Unwillens.

»Wie,« hieß es, »Sie lachen? – Spricht man so von einer so entsetzlichen That? – Ueber ein solches Unglück lachen?«

»Wie!« erwiederte Randmer bestürzt. »So wäre es denn wahr?«

»Sie haben es uns ja selbst wiederholt! Glauben Sie denn Ihren eigenen Worten nicht?» rief man ihm von allen Seiten zu.

»Ich hielt es für einen Scherz von Bollar…«

»Das wäre ein schlechter Spaß gewesen,« sagte ein alter Offizier, »aber zum Unglück ist es keiner. Unser Oberst, der Baron Boethäun, hat eben diese schreckliche Nachricht erhalten.«

»Abscheulich! Entsetzlich!« wiederholten viele Stimmen.

»Wir haben es also,« sagte ein Offizier, »mit Bären und Wölfen in Menschengestalt zu thun?«

»Das ist entsetzlich,« rief Bollar aus. »Unser Regiment ist unglücklich: Dispolsen, diese armen Soldaten zu Cascadthymore, Ahlfeldt!…«

Baron Randmer erwachte plötzlich aus tiefem Nachdenken, dessen Ergebnis die Worte waren: »Es ist kaum zum glauben, dieser Friedrich, der so gut tanzte!«

XLVI.

Der Ueberrest des Regiments der Arquebusiere von Munckholm war in seine Kaserne zurückgekehrt, welche innerhalb der Festung einzeln in einem großen viereckigen Hofe stand. Mit Einbruch der Nacht wurden die Pforten dieses Gebäudes, wie es gebräuchlich war, verrammelt. In diesem Gefängniß, dem sichersten und am besten bewachten in der ganzen Festung, wurden die beiden Verurtheilten, die am folgenden Morgen gehängt werden sollten, Han der Isländer und Musdoemon, verwahrt.

Han der Isländer lag allein in seinem Kerker. Plötzlich erhob er sich und rief den Kerkermeister, der in einem Nebenzimmer bei der Wache saß.

»Was willst Du?« fragte der Kerkermeister.

»Es friert mich. Mein steinernes Bett ist hart und feucht. Gib mir einen Bund Stroh zum Schlafen und ein wenig Feuer, mich zu wärmen.«

»Es ist billig, einem armen Teufel, der morgen gehängt werden soll, mindestens einige Bequemlichkeit zu verschaffen, wäre es auch Han der Isländer. Ich will Dir bringen, was Du verlangst … Hast Du Geld?«

»Nein!« erwiederte der Räuber.

»Wie! Du, der berüchtigtste Räuber in Norwegen, Du hast nicht einmal ein paar elende Dukaten in Deiner Tasche?«

»Nein!«

»Doch etliche Thaler?«

»Nein, sage ich Dir!«

»Nicht einmal einige armselige Groschen?«

»Nein! Nein! Nichts, nicht so viel, um davon das Fell einer Ratte oder die Seele eines Menschen kaufen zu können.«

Der Kerkermeister schüttelte den Kopf: »Das ist ein Anderes, dann hast Du Unrecht, Dich zu beklagen. Deine Zelle ist nicht so kalt, als die, worin Du morgen schlafen wirst, ohne Dich, das versichere ich Dir, über die Härte des Bettes zu beklagen.«

Der Kerkermeister entfernte sich unter den Verwünschungen des Gefangenen, der seine schweren Ketten schüttelte.

Bald darauf öffnete sich die Thüre wieder. Ein großer Mann in rother Kleidung, eine Blendlaterne in der Hand, trat in den Kerker, begleitet von dem Kerkermeister.

»Han von Island,« sagte der Mann, »ich bin Nychol Orugir, Scharfrichter der Provinz Drontheimhus. Ich werde morgen mit Tagesanbruch die Ehre haben, Deine Excellenz auf dem öffentlichen Platze von Drontheim an einen schönen neuen Galgen zu hängen.«

»Weißt Du gewiß, daß Du mich hängen wirst?« fragte der Räuber. Der Henker lachte: »Wenn Du nur so gewiß wärest, auf der Jakobsleiter geradewegs in den Himmel zu steigen, als Du gewiß bist, morgen auf der Orugixleiter auf den Galgen zu steigen.«

»Meinst Du wirklich?« sagte das Unthier mit höhnischem Grinsen.

»Ich sage Dir ja, Freund Galgenschwengel, daß ich der Scharfrichter der Provinz bin.«

»Wenn ich nicht ich wäre, möchte ich Du sein,« sagte der Gefangene.

»Ich möchte Dir nicht das Nämliche sagen,« erwiederte der Henker. Dann rieb er sich im Gefühle geschmeichelter Eitelkeit die Hände und fuhr fort: »Mein Freund, Du hast Recht, es ist ein schöner Stand um den unserigen. Ah! Meine Hand weiß, was der Kopf eines Menschen wiegt.«

»Hast Du bisweilen Blut getrunken?« fragte der Räuber.

»Nein, aber ich habe oft auf die Folter gespannt.«

»Hast Du manchmal die Eingeweide eines noch lebenden kleinen Kindes aufgefressen?«

»Nein, aber ich habe menschliche Knochen in meinen eisernen Schraubstöcken zermalmt; ich habe menschliche Glieder zwischen den Fugen meines Rads gebrochen; ich habe menschliches Fleisch mit glühenden Zangen gezwickt; ich habe siedendes Oel und heißes Blei in geöffnete Adern gegossen.«

»Du hast allerdings auch Deine Genüsse, das muß ich gestehen,« sagte das Unthier nach einigem ernsten Nachdenken.

»Ueberhaupt,« fuhr der Henker fort, »obwohl Du Han der Isländer bist, glaube ich, daß meine Hände noch mehr Seelen zum Teufel geschickt haben, als die Deinigen, ohne Dich selbst mitzuzählen, da ich morgen früh die Ehre haben werde, Dich in die Hölle zu befördern.«

»Weißt Du denn, ob ich eine Seele habe? Meinst Du denn, Henker von Drontheimhus, daß Du Ingulphs Geist aus Han’s Körper austreiben könnest, ohne daß er den Deinigen mitnimmt?“

»Das werden wir morgen sehen!« erwiederte der Henker lachend.

»Wir werden es sehen!« sagte der Räuber.

»Aber,« fuhr der Henker fort, »ich bin nicht gekommen, mit Dir von Deiner Seele zu reden, sondern von Deinem Körper, Dein Leichnam gehört mir nach Deinem Tode von Rechtswegen, allein das Gesetz gibt Dir die Befugniß, ihn an mich zu verkaufen. Sage mir nun, was willst Du dafür?«

»Was ich für meinen Leichnam will?«

»Ja, und mache es christlich!«

Han der Isländer wandte sich an den Kerkermeister: »Was willst Du für einen Bund Stroh und ein wenig Feuer?«

»Zwei Dukaten,« erwiederte der Kerkermeister nach einigem Besinnen.

»Also,« sagte der Gefangene zum Henker, »verlange ich zwei Dukaten für meinen Leichnam.«

»Zwei Dukaten!« rief der Henker aus. »Das ist entsetzlich theuer. Zwei Dukaten für einen elenden Leichnam! Nein, so viel gebe ich nicht.«

»Dann,« antwortete ruhig das Unthier, »bekommst Du ihn auch nicht.«

»Dann wird Dein Leichnam auf den Schindanger geworfen, statt das Museum zu Kopenhagen oder Bergen zu zieren.«

»Was liegt mir daran!«

»Noch lange nach Deinem Tode würde man Dein Skelett besehen und sagen: Das ist das Skelett des berühmten Han’s des Isländers! Man würde Deine Gebeine sorgfältig poliren, mit kupfernen Ringen zusammen befestigen, man würde Dich in einem Glasschrank aufstellen, der jeden Morgen sauber abgewischt würde. Im andern Falle werden Dich Geier und Raben fressen, und Würmer an Deinem Leichnam zehren.«

»Dann gleiche ich den Lebenden, die stets von den Kleinen benagt und von den Großen aufgezehrt werden.«

»Zwei Dukaten!« murmelte der Henker zwischen den Zähnen. »Welch ungeheure Forderung! Wenn Du den Preis nicht herabsetzest, werden wir nicht einig.«

»Es ist zum ersten und letztenmal, daß ich mein Leben verkaufe, und da will ich einen guten Handel machen.«

»Bedenke, daß ich Dich Deine Halsstarrigkeit bereuen lassen kann. Morgen bist Du in meiner Gewalt.«

»Meinst Du?«

Diese Worte wurden mit einem Ausdruck gesprochen, der dem Henker entging.

»Allerdings, und es gibt eine Art, die Schleife zu machen … während ich, wenn Du vernünftig bist, Dich aufs beste hängen will.«

»Mir liegt wenig daran, was Du morgen mit meinem Halse machst!« antwortete das Unthier spöttisch.

»Könntest Du nicht mit zwei Thalern zufrieden sein? Was nützt Dir denn das Geld?«

»Wende Dich an Deinen Kameraden; er fordert mir zwei Dukaten für ein wenig Stroh und Feuer.«

»Es ist empörend,« sagte der Henker, sich gegen den Kerkermeister ereifernd, »sich ein wenig Stroh und Holz mit Gold aufwägen zu lassen. Zwei Dukaten!«

»Ich bin ein guter Kerl, daß ich nicht vier Dukaten fordere. Du, Meister Nychol, bist ein Jude, daß Du diesem armen Gefangenen nicht zwei Dukaten für seinen Leichnam geben willst, den Du um wenigstens zwanzig Dukaten an irgend einen Gelehrten oder Arzt verkaufen kannst.«

»Ich habe nie mehr als fünfzehn Groschen für einen Leichnam gegeben.«

»Ja, für den Leichnam eines elenden Diebs oder eines Betteljuden, das mag sein, aber man weiß wohl, daß Du für Han des Isländers Leichnam bekommen wirst, was Du nur forderst.«

Der Räuber schüttelte verächtlich den Kopf.

»Was geht es Dich an!« sagte Orugix rasch. »Kümmere ich mich um Deine Beute, um die Kleider, das Geld, die Kleinodien, welche Du den Gefangenen stiehlst, um das schmutzige Wasser, das Du in ihre magere Suppe gießest, um alle die Drangsale, die Du ihnen anthust, um Geld von ihnen zu erpressen? Nein, ich gebe nicht zwei Dukaten.«

»Keine zwei Dukaten, kein Stroh und kein Feuer!« erwiderte der halsstarrige Kerkermeister.

»Keine zwei Dukaten, kein Leichnam!« fügte ruhig der Räuber hinzu.

Nach einigem Schweigen stampfte der Henker auf den Boden: »Ich habe keine Zeit zu verlieren: ein anderes Geschäft ruft mich. Hier, verfluchter isländischer Teufel, hier hast Du Deine zwei Dukaten! Der Satan gibt gewiß nicht so viel um Deine Seele, als ich um Deinen Körper.«

Der Räuber nahm die beiden Goldstücke. Sogleich streckte der Kerkermeister die Hand darnach aus, um sie zu empfangen.

»Geduld, guter Freund, gib mir zuvor, was ich von Dir verlangt habe!«

Der Kerkermeister ging hinaus und kehrte bald mit einem Bund Stroh und einer Kohlpfanne voll glühender Kohlen zurück, die er neben den Gefangenen stellte.

»So,« sagte der Räuber und gab ihm die beiden Goldstücke, »jetzt will ich mich diese Nacht wärmen. Noch ein Wort,« fügte er in düsterem Tone hinzu: »Stößt nicht dieser Kerker an die Kaserne der Arquebusiere von Munckholm?«

»Allerdings!« erwiederte der Kerkermeister.

»Und woher kommt der Wind?«

»Von Westen,« glaube ich.

»Recht,« sagte der Gefangene.

»Wo willst Du damit hinaus?« fragte der Kerkermeister.

»Nirgends,« antwortete der Räuber.

Die Pforte schloß sich hinter dem Henker und Kerkermeister, und sie hörten nichts mehr als das grinsende Lachen des Unthiers.