Der erste Sonnenstrahl beleuchtete eben den höchsten Gipfel des Felsen am Meeresstrand, als ein Fischer, der vor Tag einige Flintenschüsse vom Ufer seine Netze ausgeworfen hatte, eine menschliche Figur, die in einen Mantel oder in ein Leintuch gehüllt war, die Felsen herabsteigen und unter dem Eingang der gefürchteten Grotte von Walderhog verschwinden sah. Von Entsetzen ergriffen, empfahl er seinen Nachen und seine Seele in den Schutz des heiligen Usuph und erzählte seiner staunenden Familie, daß er eines der Gespenster, welche die Grotte Hans des Isländers bewohnen, mit Anbruch des Tages in die Höhle habe zurückkehren sehen.

Dieses Gespenst, von nun an das Gespräch und der Schrecken der langen Winterabende, war Ordener. Der Schütze Kennybol und seine sechs Gefährten, welche ihm den Weg gezeigt hatten, waren eine halbe Stunde von Walderhog zurückgeblieben, und diese unerschrockenen Jäger, die lachend einem wilden Bären entgegentraten, sahen dem kühnen Wanderer, so lange sie ihn auf dem Fußpfade erblicken konnten, mit angstvollen Blicken nach.

Ordener betrat kühn und unerschrocken die gefürchtete Grotte, die durch die Felsspalten von oben nur ein sparsames Licht erhielt. Sein Fuß strauchelte oft an umherliegenden Todtenschädeln und Gebeinen; aber sein muthiges Herz kannte keine Furcht.

Endlich kam er in eine Art runden Saals, den die Natur in die Seite des Felsen gegraben hatte. Hier schloß sich die Höhle, und die Wände des Saals hatten keine andere Oeffnung, als weite Spalten, durch welche man die Berge und Wälder umher erblickte.

Ein Monument von sonderbarer Form, in der Mitte des Saals, zog Ordeners Aufmerksamkeit auf sich. Drei lange massive Steine, die aufrecht auf dem Boden ruhten, trugen einen breiten viereckigen Stein, wie drei Pfeiler ein Dach tragen. Unter diesem gigantischen Dreifuß erhob sich eine Art Altar, der ebenfalls aus einem einzigen Felsstück bestand und in der Mitte seiner obern Fläche kreisförmig durchbrochen war. Ordener erkannte darin eines jener kolossalen druidischen Bauwerke, deren er aus seinen Reisen in Norwegen schon viele gesehen hatte. Er stützte sich mechanisch auf diesen Altar, dessen Steine gebräunt waren, so viel menschliches Blut hatte er schon getrunken.

Plötzlich schlug eine Stimme an sein Ohr, die unter dem Altar hervorzukommen schien: »Mensch, der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

Ordener warf rasch den Kopf in die Höhe und griff mit der Hand an das Schwert, während ein Echo, schwach wie die Stimme eines Todten, in den Tiefen der Grotte deutlich wiederholte: »Mensch, der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

In demselben Augenblicke erhob sich auf der andern Seite des druidischen Altars ein Haupt, schreckhaft anzuschauen, mit rothen borstigen Haaren, und ein heiseres Lachen ertönte.

»Mensch,« wiederholte die Stimme, »der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

Ordener legte ruhig die Hand an das Schwert. Das Ungeheuer stieg ganz aus dem Altar heraus und zeigte seine gedrängten nervigen Glieder, seine blutbefleckten Kleider, seine mit Thierkrallen besetzten Hände, in deren einer er seine schwere steinerne Axt trug.

»Da bin ich!« sagte der Räuber mit dem Grinsen eines wilden Thiers.

»Da bin ich auch!« erwiederte der unerschrockene Jüngling.

»Ich habe Dich erwartet.«

»Und ich, ich habe Dich gesucht.«

Der Wilde kreuzte die Arme über die Brust.

»Weißt Du,« fragte er, »wer ich bin?«

»Ich weiß es.«

»Und Du fürchtest Dich nicht?«

»Nicht mehr.«

»Du hast Dich also gefürchtet, als Du hierher kamst?« fragte das Unthier und wiegte triumphirend sein Haupt.

»Ich habe gefürchtet, Dich nicht zu finden.«

»Du bietest mir Trotz, und Deine Füße sind eben über menschliche Gebeine gegangen!«

»Morgen vielleicht werden sie über die Deinigen gehen.«

Der Unmensch zitterte vor Wuth. Der Jüngling blieb ruhig, unbeweglich, unerschrocken.

»Nimm Dich in Acht!« murmelte der Räuber, »ich werde auf Dich stoßen, wie der Falke auf eine Taube.«

»Stoße auf mich!«

In Ordeners ruhigem Blick und Wesen lag Etwas, das dem Unthier wider Willen Achtung gebot. Der Wilde riß zornig die Haare des Thierfells aus, das um seine Schultern hing, wie ein Tiger das Gras ausreißt, ehe er sich auf seinen Raub stürzt.

»Du lehrst mich, was Mitleid ist.« sagte er.

»Und Du mich, was Verachtung ist.«

»Knabe, Deine Stimme ist sanft, Dein Gesicht rosig, wie die Stimme und das Gesicht einer Jungfrau. Welchen Tod soll ich Dir geben?«

»Den Deinigen.«

Das Unthier lachte laut auf.

»Du weißt nicht, daß ich ein Dämon bin, daß mein Geist der Geist Ingulphs des Vertilgers ist.«

»Ich weiß, daß Du ein Räuber bist, und daß Du um Gold mordest.«

»Du irrst Dich, um Blut, nicht um Gold.«

»Haben Dich nicht die Ahlfeldt bezahlt, den Hauptmann Dispolsen zu ermorden.«

»Was sagst Du mir da? Was sind das für Namen?«

»Kennst Du den Hauptmann Dispolsen nicht, den Du am Strande von Urchthal ermordet hast?«

»Das ist möglich, aber ich habe ihn vergessen, wie ich Dich in drei Tagen vergessen haben werde.«

»Kennst Du den Grafen Ahlfeldt nicht, der Dich bezahlt hat, um dem Hauptmann eine eiserne Büchse abzunehmen?« »Uhlfeldt! Warte! Ja, ich kenne ihn. Ich habe gestern das Blut seines Sohnes aus dem Schädel des meinigen getrunken.«

Ordener schauderte.

»Warst Du denn mit Deinem Lohne nicht zufrieden?«

»Mit welchem Lohn?«

»Höre! Dein Anblick ekelt mich an, ich will zu Ende kommen. Du hast vor acht Tagen einem Deiner Schlachtopfer, einem Offizier von Munckholm, eine eiserne Büchse geraubt.«

Bei dem Worte » Munckholm« bebte der Wilde vor Wuth.

»Ein Offizier von Munckholm!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Bist Du vielleicht auch ein Offizier von Munckholm?«

»Nein!«

»Desto schlimmer!« sagte der Räuber und runzelte die Stirne.

»Höre! Wo ist diese eiserne Büchse, welche Du dem Hauptmann geraubt hast?«

Der Räuber schien einen Augenblick nachzudenken.

»Bei Ingulphs Seele!« sagte er, »diese elende eiserne Büchse setzt viele Leute in Athem. Ich stehe Dir dafür, daß man die Büchse, die Deine Gebeine enthalten soll, weniger suchen wird, wenn sie anders je in einen Sarg kommen.«

Als Ordener aus diesen Worten sah, daß der Räuber etwas von der Büchse wußte, faßte er neue Hoffnung, sie zu bekommen.

»Sage mir, was hast Du mit dieser Büchse gemacht? Ist sie im Besitze des Grafen Ahlfeldt?«

»Nein!«

»Du lügst, ich sehe Dich lachen.«

»Glaube, was Du willst. Was liegt mir daran?«

Das Unthier hatte ein höhnisches Wesen angenommen, das Ordener Mißtrauen einflößte. Er sah, daß kein anderes Mittel mehr übrig blieb, als ihn in Wuth zu bringen oder einzuschüchtern, wenn es möglich war.

»Höre,« rief er ihm barsch zu, »Du mußt mir diese Büchse geben.«

Der Räuber antwortete mit einem wilden Grinsen.

»Du mußt sie mir geben,« wiederholte der Jüngling mit donnernder Stimme.

»Pflegst Du etwa den Büffelochsen und Bären Befehle zu ertheilen?« erwiederte der Unmensch mit scheußlichem Lachen.

»Dem Teufel in der Hölle will ich befehlen.«

»Das wirst Du in Kurzem thun können.«

Der junge Mann zog sein Schwert, das in der Dunkelheit blitzte: »Gehorche!«

Der Wilde schüttelte seine Axt: »Es hing nur von mir ab, Deine Gebeine zu zerbrechen und Dein Blut zu trinken, als Du hereintratst, aber ich hielt an mich, weil ich begierig war, zu sehen, wie der kleine Sperling auf den Geier schießt.«

»Elender!« rief Ordener aus. »Vertheidige Dich!«

»So etwas höre ich zum erstenmal,« grinste der Wilde.

Mit diesen Worten sprang er auf den Altar und raffte seine Glieder zusammen, wie der Leopard, der den Jäger auf einem Felsstück erwartet, um sich unversehens auf ihn herabzustürzen.

Das Auge des Unmenschen haftete auf dem Jüngling, um zu sehen, von welcher Seite er sich am besten auf ihn stürzen könne. Es war um Ordener geschehen, wenn er noch einen Augenblick gezaudert hätte; aber er ließ dem Räuber keine Zeit zum Nachdenken, stürzte sich ungestüm auf ihn und setzte ihm die Spitze seines Schwertes vor das Gesicht.

Jetzt entstand ein furchtbarer Kampf. Die Bewegungen des Unthiers waren so rasch, daß Ordener immer seinem scheußlichen Gesicht und der Schneide seiner Axt begegnete, von welcher Seite er auch angreifen mochte. Er wäre beim ersten Anlauf verloren gewesen, wenn er nicht den glücklichen Gedanken gehabt hätte, seinen Mantel um den linken Arm zu wickeln, welcher Schild die wüthenden Streiche seines Gegners meistens auffing. Beide matteten sich einige Minuten lang mit größter Anstrengung ab, ohne daß Einer dem Andern eine Wunde beizubringen vermochte. Die kleinen flammenden Augen des Wilden traten aus ihren Höhlen. Er focht mit schweigender Wuth , erzürnt darüber, daß ein dem Anschein nach so schwacher Gegner ihn so keck und kräftig bekämpfte. Die scheußliche Unbeweglichkeit der Züge des Unthiers und die unerschrockene Ruhe auf Ordeners Gesicht bildeten einen seltsamen Gegensatz mit der Schnelligkeit ihrer Bewegungen und der Lebhaftigkeit ihrer Angriffe.

Man hörte kein anderes Geräusch, als das Klirren der Waffen, die stürmischen Tritte des Jünglings und den schweren Athem der beiden Kämpfer. Plötzlich stieß der Wilde ein furchtbares Geheul aus. Die Schneide seiner Axt hatte sich in den Falten des Mantels gefangen. Er zog heftig daran, aber sie verwickelte sich dadurch nur noch mehr.

Das Schwert des Jünglings senkte sich gegen die Brust des Räubers.

»Höre mich noch einmal,« sagte Ordener, »willst Du mir diese eiserne Büchse zurückgeben, welche Du gestohlen hast?«

»Nein, und verflucht seist Du,« erwiederte grinsend der Räuber.

Ordener schwang drohend das Schwert: »Besinne Dich!«

»Nein! Du hast es schon gehört!«

Ordener senkte sein Schwert: »So winde Deine Axt von den Falten meines Mantels los, damit wir den Kampf fortsetzen können.«

Ein verächtliches Lachen war die Antwort des Unthiers: »Knabe, Du spielst den Edelmüthigen, als ob ich dessen bedürfte!«

Ehe der erstaunte Jüngling den Kopf umwenden konnte, hatte der Wilde, von dem Altar herab, seinen Fuß auf die Schulter seines großmüthigen Siegers gesetzt und war mit einem Satze zwölf Schritte weit im Saal. Mit einem zweiten Satze hing er an Ordener. Er hatte sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers an ihn gehängt, wie ein Panther, der sich mit Krallen und Rachen in der Seite eines Löwen einbeißt. Seine Klauen wühlten in den Schultern des Jünglings, seine Kniee drückten in seine Weichen, sein scheußliches Gesicht grinste ihn an, sein blutiger Rachen war geöffnet und zeigte weiße, spitzige Zähne, den Gegner damit zu zerfleischen. Kein menschliches Wort mehr entschlüpfte seiner lechzenden Kehle; nur ein dumpfes Brüllen stieg aus seinem offenen Rachen hervor. Er war scheußlicher, als ein Thier des Waldes, ungeheurer, als ein Dämon, es war ein Mensch, dem nichts vom Menschen übrig geblieben war.

Ordener schwankte bei diesem furchtbaren Anlauf und wäre rückwärts gefallen, wenn ihn nicht einer der breiten Pfeiler des Altars gehalten hätte. Er lag halb rückwärts gebogen am Pfeiler und athmete schwer unter dem Gewicht seines Feindes. Der Gedanke an seine Geliebte gab ihm neue Kraft; er umspannte das Ungeheuer mit beiden Armen, faßte seine Säbelklinge in der Mitte und setzte deren Spitze dem Gegner auf den Rücken. Als der Räuber das kalte Eisen fühlte, that er einen durchdringenden Schrei, ließ seinen Feind los und machte einen Satz rückwärts.

Nun entbrannte der Kampf zum drittenmal noch heftiger. Auf dem Boden lagen ungeheure Felsstücke zerstreut herum. Zwei Männer von gewöhnlicher Kraft hätten das kleinste derselben kaum aufheben können. Der Räuber erfaßte eines mit beiden Armen, hob es hoch über seinem Haupte empor und schwenkte es gegen Ordener. Sein Blick war scheußlich. Der kräftig geschleuderte Stein durchflog schwerfällig den Raum, und kaum hatte der Jüngling Zeit genug, ihm auszuweichen.

Kaum hatte sich Ordener wieder gefaßt, so war schon ein neuer Stein in den Armen des Unthiers geschwungen. Der Jüngling stürzte mit gehobenem Schwert auf den Räuber los, um dem Kampf eine andere Wendung zu geben; aber der Stein begegnete in seinem Flug der schwachen Klinge und zertrümmerte sie. Der Jüngling stand entwaffnet da, und ein wildes Lachen des Ungeheuers stieg an die hohe Wölbung der Grotte.

»Hast Du Gott oder dem Teufel noch etwas zu beichten, ehe Du stirbst?« rief das Ungeheuer mit mißtönender Stimme aus.

Sein Auge flammte vor freudiger Wuth und er stützte sich auf seine Axt, die am Boden lag, um den Jüngling damit niederzuschlagen.

Plötzlich ließ sich von Außen ein fernes Brüllen hören. Das Unthier horchte. Das Geräusch nahm zu. Menschenstimmen mischten sich mit dem kläglichen Brüllen eines Bären. Der Räuber horcht. Das klägliche Geschrei dauert fort. Jetzt ergreift er rasch seine Axt und stürzt nicht auf Ordener, sondern auf eine der Felsspalten in der Höhle los, durch die das Licht eindringt. Der erstaunte Ordener tritt ebenfalls an eine dieser Oeffnungen und sieht in einer benachbarten Lichtung einen großen weißen Bären, von sieben Jägern verfolgt, unter welchen er Kennybol zu erkennen glaubt.

Er wendet sich um. Der Räuber war nicht mehr in der Grotte, und er hört außen eine schreckliche Stimme, die ruft: »Freund! Freund! Ich komme!«