XX.

Familien-Angelegenheit.

Athos hatte das rechte Wort gefunden: man mußte aus der Angelegenheit Buckinghams eine Familien-Angelegenheit machen. Eine Familien-Angelegenheit war nicht der Nachforschung des Kardinals unterworfen. Eine Familien-Angelegenheit ging Niemand etwas an. Man konnte sich vor der ganzen Welt mit einer Familien-Angelegenheit beschäftigen.

Aramis hatte den Gedanken gefunden: die Lakaien.

Porthos hatte das Mittel gefunden: den Diamant.

D’Artagnan allein hatte nichts gefunden, obschon er sonst der erfindungsreichste unter den vier Freunden war, aber man muß auch bemerken, daß schon der Name Mylady ihn lähmte. Doch wir täuschen uns, er hatte einen Käufer für seinen Diamant gefunden.

Bei dem Frühstück des Herrn von Treville herrschte die ungezwungenste Heiterkeit. D’Artagnan hatte bereits seine Uniform. Da er beinahe von demselben Wuchse war, wie Aramis, und da Aramis in Folge des reichlichen Honorars von dem Buchhändler, der ihm sein Gedicht abgekauft hatte, wie er behauptet hatte, Alles doppelt besaß, so trat er d’Artagnan eine vollständige Equipirung ab.

D’Artagnan wäre auf dem Höhepunkt seiner Wünsche gestanden, wenn er nicht Mylady wie eine düstere Wolke am Horizont hätte hervortreten sehen.

Nach dem Frühstück kam man überein, sich am Abend in der Wohnung von Athos zu versammeln und dort die Angelegenheit zu Ende zu führen.

D’Artagnan brachte den Tag damit zu, seine Musketier-Uniform in allen Straßen des Lagers zu zeigen.

Am Abend versammelten sich die Freunde zur bestimmten Stunde; es blieben nur noch drei Dinge zu entscheiden:

Was man dem Bruder von Mylady schreiben sollte; Was man der geschickten Person in Tours schreiben sollte; Und welche Bedienten die Briefe besorgen sollten.

Jeder bot den seinigen an. Athos rühmte die Verschwiegenheit Grimauds, der nur sprach, wenn ihm sein Herr den Mund auftrennte; Porthos pries die Kraft Mousquetons, der vier Männer von gewöhnlicher Leibesbeschaffenheit durchprügeln konnte. Aramis vertraute auf die Gewandtheit Bazin’s und sprach mit pomphaften Lobeserhebungen von seinem Kandidaten; d’Artagnan endlich hatte ein vollkommenes Zutrauen zu dem Muth Planchets und erinnerte daran, wie er sich in der so kitzeligen Angelegenheit von Boulogne benommen hatte. Diese vier Tugenden stritten lang um den Preis und gaben zu glänzenden Reden Anlaß, die wir in Betracht ihrer Ausdehnung nicht anführen.

»Leider,« sprach Athos, »müßte der, welchen man abschickt, die vier Tugenden vereinigt besitzen.«

»Aber wo ließe sich ein solcher Bediente finden?«

»Nicht zu finden; ich weiß wohl,« antwortete Athos; »nehmt also Grimaud.«

»Nehmt Mousqueton.«

»Nehmt Bazin.«

»Nehmt Planchet. Planchet ist ehrlich und gewandt, das sind schon zwei von den vier Eigenschaften.«

»Meine Herren,« sprach Aramis, »die Hauptsache ist nicht zu ermessen, welcher von unsern vier Bedienten der verschwiegenste, der stärkste, der gewandteste und der muthigste ist; die Hauptsache ist, daß wir ermessen, welcher das Geld am meisten liebt.«

»Was Aramis sagt, ist sehr vernünftig,« versetzte Athos, »man muß auf die Fehler der Menschen spekulieren, und nicht auf ihre Tugenden. Mein Herr Abbé, Ihr seid ein großer Moralist.«

»Allerdings,« erwiederte Aramis, »denn wir bedürfen guter Bedienung, nicht nur damit unser Plan gelingt, sondern daß wir nicht scheitern, weil es sonst um unsre Köpfe geht, nicht um die der Lakaien …«

»Leiser, Aramis,« sagte Athos.

»Das ist wahr,« sprach Aramis, »nicht um die der Lakaien, sondern um die der Herren. Sind uns unsere Bedienten so sehr ergeben, daß sie das Leben für uns wagen? Nein.«

»Meiner Treu,« entgegnete d’Artagnan, »ich wollte beinahe für Planchet stehen.«

»Gut! mein lieber Freund, so fügt seiner natürlichen Ergebenheit eine schöne Summe bei, wodurch er zu einiger Wohlhabenheit gelangt, und steht dann zweimal für ihn.«

»Eh! guter Gott, Ihr werdet gleichfalls betrogen werden,« sagte Athos, der Optimist war, wenn es sich um Dinge, und Pessimist, wenn es sich um Menschen handelte; »sie werden Alles versprechen, um Geld zu bekommen, und unterwegs wird sie die Furcht abhalten zu handeln. Sind sie einmal gefangen, so bindet man sie; sind sie gebunden, so gestehen sie. Was Teufels, wir sind keine Kinder! Um nach England zu gehen (Athos dämpfte seine Stimme), muß man ganz Frankreich durchreisen, während das Land von Spionen und Kreaturen des Kardinals wimmelt; man muß einen Paß haben, um sich einzuschiffen; man muß Englisch verstehen, um den Weg nach London zu erfragen. Mir kommt die Sache sehr schwierig vor.«

»Keineswegs,« entgegnete d’Artagnan, dem Alles daran lag, die Sache durchzusetzen; »mir kommt sie im Gegentheil ganz leicht vor. Es versteht sich, bei Gott! von selbst, daß, wenn man an Lord Winter von niederträchtigen Dingen, von Abscheulichkeiten des Kardinals …«

»Leiser,« ermahnte Athos.

»Von Intriguen und Staatsgeheimnissen schriebe,« fuhr d’Artagnan sich der Ermahnung fügend fort, »es versteht sich, sage ich, dann von selbst, daß wir bei lebendigem Leibe gerädert würden, aber vergeßt doch um Gottes willen nicht, daß wir ihm, wie Ihr selbst gesagt habt, Athos, in Familienangelegenheiten schreiben, daß wir uns einzig und allein an ihn wenden, damit er Mylady bei ihrer Ankunft in London außer Stand setzt, uns zu schaden. Ich werde ihm einen Brief ungefähr in folgenden Ausdrücken schreiben.«

»Laßt hören,« sagte Aramis und nahm zum Voraus das Gesicht eines Kritikers an.

»Mein Herr und theuer Freund …«

»Ah! ja, theurer Freund, an einen Engländer!« unterbrach ihn Athos. »Gut angefangen, d’Artagnan, schon wegen dieses einzigen Wortes würdet Ihr geviertheilt, statt gerädert.«

»Wohl, es sei, ich werde also ganz kurz »»Mein Herr«« sagen.«

»Ihr könnt sogar Mylord sagen,« erwiederte Athos, der große Stücke auf derartige Äußerlichkeiten hielt.

»Mylord, erinnert Ihr Euch des kleinen Ziegengeheges beim Luxemburg?«

»Gut! jetzt kommt der Luxemburg, man wird glauben, es sei eine Anspielung auf die Königin Mutter! das ist geistreich!« sprach Athos.

»Wohl, setzen wir ganz einfach: Mylord, erinnert Ihr Euch eines gewissen kleinen Geheges, wo man Euch das Leben gerettet hat?«

»Mein lieber d’Artagnan,« sprach Athos, »Ihr werdet stets ein sehr schlechter Briefsteller sein. Wo man Euch das Leben rettete! pfui! das ist nicht würdig; einen anständigen Mann erinnert man nicht an dergleichen Dienste; eine Wohlthat vorwerfen heißt beleidigen.«

»Ah! mein Lieber,« erwiederte d’Artagnan, »Ihr seid unerträglich, und wenn ich unter Eurer Censur schreiben muß, so verzichte ich darauf.«

»Und daran thut Ihr wohl. Handhabt die Muskete und den Degen, mein Freund, bei solchen Uebungen benehmt Ihr Euch vortrefflich; aber überlaßt die Feder dem Herrn Abbé, das ist seine Sache.«

»Ja gewiß,« sprach Porthos, »überlaßt die Feder Aramis, der Thesen in lateinischer Sprache schreibt.«

»Nun wohl, es sei,« sagte d’Artagnan, »entwerft Ihr diesen Brief, Aramis; aber im Namen des heiligen Vaters! nehmt Euch wohl in Acht, ich hechle Euch ebenfalls durch, das sage ich Euch zum Voraus.«

»Das ist mir äußerst angenehm,« antwortete Aramis mit dem naiven Selbstvertrauen, das jeder Dichter besitzt; »aber man theile mir die betreffenden Umstände mit. Ich habe wohl beiläufig gehört, diese Schwägerin sei eine schurkische Person, ich habe sogar selbst den Beweis hiefür erhalten, als ich ihre Unterredung mit dem Kardinal hörte …«

»Leiser, Donner und Teufel!« sprach Athos.

»Aber,« fuhr Aramis fort, »die Einzelheiten sind mir nicht bekannt.«

»Mir auch nicht,« sagte Porthos.

D’Artagnan und Athos schauten sich einige Zeit stillschweigend an. Endlich, als sich Athos etwas gesammelt hatte, machte er, noch bleicher als gewöhnlich, ein Zeichen der Einwilligung. D’Artagnan begriff, daß er sprechen konnte.

»Wohl, so hört, was zu schreiben ist,« versetzte d’Artagnan, »Mylord, Eure Schwägerin ist eine Schändliche, die Euch tödten lassen wollte, um Euch zu beerben; aber sie konnte Euern Bruder nicht heirathen, da sie schon in Frankreich verheirathet war und …« d’Artagnan hielt inne, als ob er nach dem Worte suchte, und schaute Athos an. – »Von ihrem Gatten fortgejagt wurde,« sagte Athos. – »Weil sie gebrandmarkt war,« fuhr d’Artagnan fort. – »Bah!« rief Porthos, »unmöglich! Sie wollte ihren Schwager tödten lassen?« – »Ja.« – »Sie war verheirathet?« fragte Aramis. – »Ja.« – »Und ihr Gatte bemerkte, daß sie eine Lilie auf der Schulter hatte?« rief Porthos. – »Ja.«

Diese drei Ja wurden von Athos, jedes mit düsterer Betonung ausgesprochen.

»Und wer hat die Lilie gesehen?« fragte Aramis. – »D’Artagnan und ich, oder vielmehr, um die chronologische Ordnung zu beobachten, ich und d’Artagnan,« antwortete Athos. – »Und der Gatte dieses abscheulichen Geschöpfes lebt noch?« sprach Aramis. – »Er lebt noch.« – »Ihr wißt es gewiß?« – »Ich weiß es gewiß.«

Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen jeder die Eindrücke nach seiner eigentümlichen Natur in sich verarbeitete.

»Diesmal,« sagte Athos, das Stillschweigen zuerst unterbrechend, »diesmal hat uns d’Artagnan ein vortreffliches Programm gegeben, und das muß man vor Allem schreiben.«

»Teufel, Ihr habt Recht, Athos,« versetzte Aramis, »und der Entwurf ist kitzelig. Der Herr Kanzler käme selbst in Verlegenheit, wenn er einen Brief von dieser Wichtigkeit abfassen müßte, und der Herr Kanzler faßt doch ein Protokoll sehr gut ab. Doch gleich viel, schweigt, ich schreibe.«

Aramis nahm eine Feder, dachte einen Augenblick nach, schrieb acht bis zehn Zeilen mit einer zierlichen Frauenhandschrift, und las sodann mit weicher Stimme, als ob jedes Wort ängstlich von ihm erwogen worden wäre, wie folgt:

»Mylord,

»Die Person, welche Euch diese Zeilen schreibt, hat die Ehre gehabt, den Degen in einem kleinen Gehege der Rue d’Enfer mit Euch zu kreuzen. Da Ihr seitdem wiederholt die Güte hattet. Euch den Freund dieser Person zu nennen, so glaubt sie Euch für diese Freundschaft durch einen guten Rath danken zu müssen. Zweimal wäret Ihr beinahe das Opfer einer nahen Verwandten geworden, die Ihr für Eure Erbin haltet, weil Ihr nicht wißt, daß sie, ehe sie in England eine Ehe eingegangen hatte, bereits in Frankreich verheirathet war; aber das dritte Mal, das Euch jetzt bevorsteht, könntet Ihr unterliegen. Eure Verwandte ist von La Rochelle nach England abgereist. Ueberwacht ihre Ankunft, denn sie hat große, furchtbare Pläne. Wenn ihr durchaus wissen wollt, was sie zu thun fähig ist, so lest ihre Vergangenheit auf ihrer linken Schulter.«

»Das ist vortrefflich,« rief Athos. »Ihr habt die Feder eines Staatssekretärs, mein lieber Aramis. Lord Winter wird wohl auf seiner Hut sein, wenn der Rath überhaupt zu ihm gelangt, und fiele er in die Hände seiner Eminenz, so dürften wir dadurch nicht gefährdet werden. Da jedoch der Bediente, dem die Besorgung übertragen wird, uns glauben machen könnte, er sei in London gewesen, während er in Chatelleraut angehalten hat, so wollen wir ihm nur die Hälfte der Summe geben und die andere Hälfte für die Antwort versprechen. Habt Ihr den Diamant?« fuhr Athos fort.

»Ich habe etwas Besseres, ich habe das baare Geld,« antwortete d’Artagnan.

Und er warf den Sack auf den Tisch. Beim Klange des Goldes schlug Aramis die Augen auf. Porthos bebte, Athos blieb unempfindlich.

»Wie viel ist in diesem Säckchen?« sagte er.

»Siebentausend Livres in Louisd’or zu zwölf Franken.«

»Siebentausend Livres!« rief Porthos; »dieser schlechte, kleine Diamant war siebentausend Livres werth!«

»Es scheint, Porthos, da sie hier liegen; ich glaube nicht, daß unser Freund d’Artagnan von dem seinigen dazu gethan hat.«

»Aber, meine Herren, bei allem dem denken wir gar nicht an die Königin; sorgen wir doch auch ein wenig für die Gesundheit ihres lieben Buckingham, das sind wir ihm mindestens schuldig.«

»Ganz richtig,« sprach Athos, »doch das geht Aramis an.«

»Wohl,« sagte dieser erröthend, »was soll ich thun?«

»Das ist ganz einfach,« antwortete Athos, »einen zweiten Brief an die gewandte Person schreiben, welche in Tours wohnt.«

Aramis nahm die Feder wieder auf, dachte abermals einen Augenblick nach und schrieb folgende Zeilen, die er sogleich der Billigung seiner Freunde unterwarf:

»Meine liebe Base …«

»Ah! ab!« sagte Athos, »diese gewandte Person ist mit Euch verwandt?«

»Geschwisterkind,« sprach Aramis.

»Also Base.«

Aramis fuhr fort:

»Meine liebe Base, Seine Eminenz der Kardinal, den Gott zum Wohle Frankreichs und zur Schmach der Feinde des Reiches erhalten möge, ist auf dem Punkte, den ketzerischen Rebellen von La Rochelle den Garaus zu machen; es ist wahrscheinlich, daß die Hülfe der englischen Flotte nicht einmal vor dem Platz ankommen wird; ich möchte beinahe sagen, ich weiß gewiß, daß Herr von Buckingham durch ein gewisses Ereigniß verhindert sein wird, abzureisen. Seine Eminenz ist der erhabenste Politiker der Vergangenheit, der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft. Er würde die Sonne auslöschen, wenn sie ihn genirte. Theilt diese glücklichen Nachrichten Eurer Schwester mit, meine liebe Base. Ich träumte, der verdammte Engländer wäre tot. Ich weiß nicht mehr, ob durch Eisen oder durch Gift; nur dessen bin ich gewiß, daß er tot war und Ihr wißt, meine Träume täuschen mich nie. Haltet Euch also versichert, mich bald zurückkommen zu sehen.«

»Vortrefflich,« rief Athos; »Ihr seid der König der Dichter, Ihr sprecht wie die Apokalypse und seid wahr wie das Evangelium. Es braucht jetzt nur noch die Adresse auf den Brief gesetzt zu werden.

»Das ist sehr leicht,« sagte Aramis.

Er legte den Brief niedlich zusammen und schrieb:

»An Mademoiselle Michon, Weißnäherin in Tours.«

Die drei Freunde schauten sich lachend an. Sie waren getäuscht.

»Nun begreift Ihr wohl, meine Herren,« sagte Aramis, »daß Bazin allein diesen Brief nach Tours bringen kann. Meine Base kennt nur Bazin und hat nur zu ihm Vertrauen. Bei jedem Andern würde die Sache scheitern. Ueberdies ist Bazin ehrgeizig und gelehrt. Bazin hat die Geschichte gelesen, meine Herren, er weiß, daß Sixtus V. Pabst geworden ist, nachdem er Schweine gehütet, und da er zugleich mit mir zur Kirche übertreten will, so verzweifelt er nicht daran, selbst einmal Pabst oder wenigstens Kardinal zu werden. Ihr begreift, daß ein Mensch, der solche Absichten hegt, sich nicht fangen läßt, oder wenn er gefangen wird, eher das Märtyrerthum erduldet, als daß er spräche.«

»Sehr gut,« sagte d’Artagnan, »ich lasse Euch gerne Bazin gelten, laßt mir dagegen Planchet gelten. Mylady hat ihn einst mit Stockschlägen aus dem Hause gejagt. Planchet aber hat ein gutes Gedächtniß, und wenn er irgendwo eine Rache wittern kann, so würde er sich eher bei lebendigem Leibe rädern lassen, als darauf Verzicht leisten. Sind die Angelegenheiten von Tours die Eurigen, Aramis, so sind die von London die meinigen. Ich bitte also, Planchet zu wählen, welcher überdies schon einmal mit mir in London gewesen ist und ganz deutlich auszusprechen versteht: London, Sir, if you please und my master, Lord d’Artagnan. Mit diesem wird er seinen Weg hin und zurück machen, Ihr könnt ganz unbesorgt sein.«

»In diesem Fall,« sprach Athos, »muß Planchet siebenhundert Livres für die Hinreise und siebenhundert für die Rückreise bekommen, und Bazin dreihundert für die Hinreise und dreihundert für die Rückreise. Dadurch schmilzt die Summe auf fünftausend Livres herab. Wir nehmen jeder Tausend Livres, um sie nach Gutdünken zu verbrauchen, und behalten einen Fonds von tausend Livres übrig, den der Abbé für außerordentliche Fälle oder gemeinschaftliche Bedürfnisse aufbewahrt. Ist Euch dies angenehm?«

»Mein lieber Athos,« sagte Aramis, »Ihr sprecht wie Nestor, der, wie Jedermann weiß, der weiseste der Griechen war.«

»Gut, das ist abgemacht,« versetzte Athos. »Planchet und Bazin werden reisen. Im Ganzen ist es mir nicht leid, daß Grimaud bei mir bleibt. Er ist an meine Art und Weise gewöhnt, und darauf halte ich große Stücke. Der gestrige Tag hat ihn bereits etwas erschüttert, diese Reise würde ihn zu Grund richten.«

Man ließ Planchet kommen und gab ihm seine Instruktionen. Er wurde von d’Artagnan unterrichtet, der ihm zuerst den Ruhm, dann das Geld und endlich die Gefahr ankündigte.

»Ich werde den Brief im Aufschlag meines Rockes tragen,« sagte Planchet, »und ihn verschlingen, wenn man mir ihn nehmen will.«

»Aber dann kannst Du Deinen Auftrag nicht besorgen,« entgegnete d’Artagnan.

»Ihr gebt mir diesen Abend eine Abschrift, die ich auswendig lerne.«

D’Artagnan schaute seine Freunde an, als wollte er sagen:

»Nun, was hatte ich Euch versprochen?«

»Du hast acht Tage,« fuhr er, sich an Planchet wendend, fort, »um zu Lord Winter zu gelangen. Du hast acht Tage, um hieher zurückzukommen. Im Ganzen sechzehn Tage. Wenn Du am sechszehnten Tage nach Deiner Abreise Abends nicht zurückgekommen bist, kein Geld, und wenn es acht Uhr fünf Minuten wäre.«

»Dann kauft mir eine Uhr, gnädiger Herr,« sprach Planchet.

»Nimm diese,« sagte Athos und gab ihm mit seiner sorglosen Großmuth die seinige, »sei ein braver Bursche und bedenke, daß Du, wenn Du plauderst, Schuld bist, daß Deinem Herrn, der so großes Vertrauen auf Deine Treue setzt und für Dich haftete, der Hals abgeschnitten wird. Aber bedenke auch, daß ich Dich, wenn durch Deine Schuld d’Artagnan ein Unglück widerfährt, überall finden werde, um Dir den Bauch aufzuschlitzen.«

»Oh, gnädiger Herr!« sagte Planchet, gedemüthigt durch diesen Verdacht und besonders erschrocken über die ruhige Miene des Musketiers.

»Und ich,« rief Porthos, seine große Augen in ihren Höhlen rollend, »bedenke, daß ich Dich lebendig erdroßle.«

»Oh, gnädiger Herr!«

Und Planchet fing an zu weinen; wir vermögen nicht anzugeben, ob dies aus Schrecken wegen der Drohungen, die man gegen ihn ausstieß, oder aus Rührung darüber geschah, daß er die vier Freunde so enge verbunden sah.

D’Artagnan faßte ihn bei der Hand und sprach:

»Siehst Du, Planchet, diese Herren sagen Dir dies Alles aus Liebe für mich, aber im Grunde sind sie Dir wohl geneigt.«

»Ah, gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »entweder schlage ich mich durch, oder man schneidet mich in Stücke, und wenn man mich in Stücke schneidet, so dürft Ihr überzeugt sein, daß keines davon sprechen wird.«

Es wurde beschlossen, daß Planchet am andern Morgen um acht Uhr abgehen sollte, damit er, wie er gesagt hatte, während der Nacht den Brief auswendig lernen könnte. Bei dieser Anordnung gewann er gerade zwölf Stunden. Er mußte am sechszehnten Tage Abenos acht Uhr zurückgekommen sein.

Als er am andern Morgen zu Pferde steigen wollte, nahm d’Artagnan, der eine gewisse Vorliebe für den Herzog von Buckingham in seinem Innern fühlte, Planchet bei Seite und sprach:

»Höre, wenn Du den Brief Lord Winter zugestellt und er ihn gelesen hat, so sagst Du ihm noch weiter; »»Wacht über Seine Herrlichkeit, Lord Buckingham, denn man will ihn ermorden!«« Siehst Du, Planchet, das ist aber so ernst und so wichtig, daß ich es nicht einmal meinen Freunden gestehen wollte; ich vertraue nur Dir dieses Geheimniß an, und ich möchte es nicht für eine Kapitänsstelle niederschreiben.«

»Seid unbesorgt, gnädiger Herr,« sprach Planchet, »Ihr werdet sehen, ob man auf mich zählen kann.«

Und auf einem vortrefflichen Pferd, von dem er sich zwanzig Meilen von da trennen sollte, um die Post zu nehmen, ritt Planchet im Galopp von dannen, das Herz ein wenig gepreßt durch das traurige Versprechen, das ihm die Musketiere gemacht hatten, aber im Ganzen in der besten Stimmung.

Bazin ging am andern Tag nach Tours ab und hatte acht Tage, um seinen Auftrag zu besorgen.

Die vier Freunde hatten, wie man sich leicht denken kann, während der ganzen Dauer dieser zwei Abwesenheiten, mehr als je ihre Augen auf der Lauer, die Nase im Winde und das Ohr im Horchwinkel.

Sie verbrachten ihre Tage damit, daß sie zu erfahren suchten, was man sagte, daß sie die Gänge des Kardinals beobachteten und die ankommenden Couriere ausspähten. Mehr als einmal wurden sie von einer unüberwindlichen Angst befallen, wenn man sie zu irgend einem unerwarteten Dienste rief. Sie hatten sich übrigens zu ihrer eigenen Sicherheit zu hüten: Mylady war ein Gespenst, das, wenn es einmal den Menschen erschienen war, sie nicht mehr ruhig schlafen ließ.

Am Morgen des achten Tages trat Bazin frisch, wie immer, und lächelnd, wie gewöhnlich, in die Schenke zum Parpaillot ein, wo die vier Freunde gerade beim Frühstücke saßen, und sagte, wie dies verabredet war:

»Herr Aramis, hier ist die Antwort Eurer Base.«

Die vier Freunde tauschten einen freudigen Blick aus, die Hälfte des Geschäftes war abgemacht. Allerdings war es die kürzere und leichtere.

Aramis nahm unwillkürlich erröthend den Brief, der von einer plumpen Handschrift und ohne Orthographie war.

»Guter Gott!« rief er lachend, »ich gerathe gewiß noch in Verzweiflung, nie wird die arme Michon wie Herr von Voiture schreiben.«

»Was soll das heißen: die arme Michon?« fragte der Schweizer, welcher, als der Brief ankam, gerade in einem Gespräch mit den vier Freunden begriffen war.

»Oh! mein Gott, weniger als nichts,« antwortete Aramis, »eine kleine reizende Nähterin, die ich sehr lieb habe, und von der ich mir einige Zeilen ihrer Hand als Andenken erbat.«

»Gottes Blut!« rief der Schweizer, »wenn ihre Seele so groß ist, als ihre Handschrift, so sitzt Ihr sehr im Glücke, mein Kamerad.«

»Laßt sehen, was sie mir schreibt,« sagte Athos.

Athos warf einen Blick auf das Papier und laß, um jeden Verdacht zu entfernen, der hätte entstehen können, ganz laut:

»Mein Vetter, meine Schwester und ich, wir errathen die Träume sehr gut und wir haben eine furchtbare Angst davor; aber von Eurem wird man hoffentlich sagen können: Träume Schäume. Adieu! Bleibt gesund und macht, daß wir von Zeit zu Zeit etwas von Euch hören.

Aglaë Michon.«

»Von welchem Traume spricht sie?« fragte der Dragoner.

»Ei, bei Gott!« rief Aramis, »das ist ganz einfach, von einem Traume, den ich gehabt und ihr erzählt habe.«

»Ah ja, bei Gott! Das ist ganz einfach, wenn man seine Träume erzählt. Aber ich, was mich betrifft, ich träume nie.«

»Ihr seid sehr glücklich,« sagte Athos aufstehend, »und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«

»Nie,« versetzte der Schweizer, entzückt, daß ein Mann wie Athos ihn um etwas beneidete, »nie, nie!«

Als d’Artagnan sah, daß Athos aufstand, machte er es ebenso, nahm ihn beim Arm und ging mit ihm hinaus.

Porthos und Aramis blieben zurück, um den Späßen des Dragoners und des Schweizers die Spitze zu bieten.

Bazin legte sich auf einen Bund Stroh nieder, und da er mehr Einbildungskraft als der Schweizer hatte, so träumte er, Aramis sei Papst geworden und schmücke ihn mit einem Kardinalshut.

Aber Bazin hatte, wie gesagt, durch seine glückliche Rückkehr den vier Freunden nur einen Theil der Unruhe benommen, welche auf ihnen lastete. Die Tage des Wartens sind lang und d’Artagnan besonders hätte gewettet, jeder Tag habe achtundvierzig Stunden.

Er vergaß die nothwendige Langsamkeit der Schifffahrt, er stellte sich die Macht Myladys allzu groß vor, er verlieh dieser Frau, die ihm einem Dämon ähnlich zu sein schien, übernatürliche Mittel; er bildete sich bei dem geringsten Geräusche ein, man komme, um ihn zu verhaften, und bringe Planchet herbei, um ihn mit ihm und seinen Freunden zu confrontiren. Diese Unruhe war so groß, daß sie auch Porthos und Aramis ergriff; nur Athos blieb unempfindlich. Er war, als ob es gar keine Gefahr um ihn her gäbe und als ob er seine gewöhnliche Atmosphäre athmete.

Am sechszehnten Tage besonders wurden diese Zeichen der Aufregung bei d’Artagnan und seinen zwei Freunden so sichtbar, daß sie nicht am Platze bleiben konnten und wie Schatten auf dem Wege umherirrten, auf welchem Planchet zurückkehren sollte.

»Wahrlich,« sagte Athos zu ihnen, »Ihr seid Kinder, daß Euch eine Frau so bange macht. Ei, was kann denn am Ende geschehen? Daß man uns einsperrt? Man wird uns auch wieder aus dem Gefängnisse ziehen, wie man Madame Bonacieux herausgezogen hat. Daß man uns enthauptet? Jeden Tag setzen wir uns im Laufgraben noch viel Schlimmerem aus, denn eine Kugel kann uns das Bein zerschmettern und ich bin überzeugt, daß uns ein Wundarzt bei Weitem größere Schmerzen verursacht, wenn er uns den Schenkel abschneidet, als ein Henker, wenn er uns den Kopf abschlägt. Seid also ruhig: in zwei Stunden, in vier, in sechs Stunden spätestens wird Planchet hier sein; denn er hat einzutreffen versprochen, und ich setze großes Vertrauen auf die Versprechungen Planchets.«

»Aber wenn er nicht kommt?« fragte d’Artagnan.

»Wenn er nicht kommt, nun so wird er aufgehalten worden sein. Das Pferd kann ihn abgeworfen haben, es kann einen Sprung über die Brücke gemacht haben, er kann so rasch gelaufen sein, daß er eine Brustentzündung bekommen hat. Ei, meine Herren, wir müssen auch die Ereignisse in Rechnung bringen. Das Leben ist ein großer Rosenkranz von kleinen Unglücksfällen, die der Philosoph lachend abkörnt. Seid Philosophen, wie ich, meine Herren, setzt Euch zu Tische und trinkt. Nichts läßt die Zukunft so rosenfarbig erscheinen, als wenn man sie durch ein Glas Chambertin anschaut.«

»Das ist sehr gut,« antwortete d’Artagnan, »aber ich bin es müde, bei jedem Schluck fürchten zu müssen, der Wein könnte aus Myladys Keller kommen.«

»Ihr seid sehr heikel,« sagte Athos, »eine so schöne Frau!«

»Eine Gebrandmarkte!« rief Porthos mit seinem plumpen Lachen.

Athos bebte, strich mit der Hand über die Stirne, um den Schweiß abzutrocknen, und stand ebenfalls mit einem Nervenzittern auf, das er nicht zu bewältigen vermochte.

Der Tag ging indessen hin und der Abend kam noch langsamer heran, aber er kam doch endlich; die Trinkstuben füllten sich mit Gästen. Athos, der seinen Antheil an dem Diamant in die Tasche gesteckt hatte, verließ den Parpaillot nicht mehr. Er fand in Herrn von Busigny, der ihnen übrigens ein vortreffliches Mittagsmahl gegeben hatte, einen würdigen Partner. Sie spielten wie gewöhnlich miteinander, als es sieben Uhr schlug: man hörte die Patrouillen vorüberziehen, welche die Posten verdoppelten. Um halb acht Uhr wurde Retraite geschlagen.

»Wir sind verloren,« sagte d’Artagnan Athos in das Ohr.

»Ihr wollt sagen: wir haben verloren,« erwiderte Athos ruhig und warf zehn Louisd’or auf den Tisch, die er aus seiner Tasche gezogen hatte. »Auf, meine Herren,« fuhr er fort; »man schlägt die Retraite, gehen wir schlafen.«

Athos verließ den Parpaillot, von d’Artagnan gefolgt. Aramis gab Porthos den Arm und kam hinter ihnen. Aramis kaute Verse und Porthos riß sich von Zeit zu Zeit ein Haar aus dem Schnurrbart als Zeichen der Verzweiflung.

Aber plötzlich zeigte sich in der Dunkelheit ein Schatten, dessen Form d’Artagnan bekannt war und eine Stimme sagte:

»Gnädiger Herr, ich bringe Euch Euern Mantel, denn es ist frisch heute Abend.«

»Planchet!« rief d’Artagnan trunken vor Freude.

»Planchet!« riefen Porthos und Aramis.

»Ja wohl, Planchet!« sagte Athos. »Was ist darüber zu staunen? Er hatte versprochen, um acht Uhr zurückzukommen, und eben schlägt es acht Uhr. Bravo, Planchet, Ihr seid ein Mann von Wort, und wenn Ihr je Euern Herrn verlaßt, so nehme ich Euch in meine Dienste.«

»Oh! nein, nie,« sagte Planchet, »nie verlasse ich Herrn d’Artagnan.«

Und in demselben Augenblick fühlte d’Artagnan, daß ihm Planchet ein kleines Billet in die Hand schob.

D’Artagnan hatte große Lust, seinen Planchet zu umarmen, aber er fürchtete, dieses Freundschaftszeichen gegen seinen Lakaien auf offener Straße könnte einem Vorübergehenden auffallend erscheinen, und er hielt sich zurück.

»Ich habe das Billet,« sagte er zu Athos und zu seinen Freunden.

»Das ist gut,« sprach Athos, »kehren wir nach Hause und lesen wir es.«

Das Billet brannte d’Artagnan in der Hand. Er wollte seinen Marsch beschleunigen; aber Athos nahm ihn beim Arme, faßte ihn fest, und der junge Mann war genöthigt, gleichen Schritt mit seinem Freunde zu halten.

Endlich trat man in das Zelt ein und zündete eine Lampe an. Während Planchet bei der Thüre blieb, damit die vier Freunde nicht überrascht würden, erbrach d’Artagnan mit zitternder Hand das Siegel und öffnete den so sehnsüchtig erwarteten Brief.

Er enthielt eine halbe Zeile von ächt brittischer Handschrift und lakonischer Gedrängtheit:

»Thank you! be easy.« Was sagen sollte: »Ich danke, seid ruhig.«

Athos nahm d’Artagnan den Brief aus den Händen, näherte ihn der Lampe, brannte ihn an und ließ ihn nicht aus dem Auge bis er in Asche verwandelt war.

Dann rief er Planchet und sagte:

»Nun, mein Junge, kannst Du die siebenhundert Livres fordern; aber Du wagtest nicht viel mit einem Billet wie dieses hier.« – »Das hielt mich nicht ab, alle möglichen Mittel zu ersinnen, um es zu bewahren,« sprach Planchet. – »Nun erzähle uns,« sagte d’Artagnan. – »Das wäre in der That sehr weitschweifig, gnädiger Herr.« – »Du hast Recht, Planchet; überdies hat man die Retraite geschlagen, und es könnte auffallen, wenn wir länger Licht behielten, als die Anderen.« – »Es sei,« sagte d’Artagnan, »legen wir uns nieder; schlaf wohl, Planchet.«

»Meiner Treu, gnädiger Herr, das ist das erste Mal seit vierzehn Tagen.« – »Bei mir auch!« sagte d’Artagnan. – »Bei mir auch!« sagte Porthos. – »Bei mir auch!« sagte Aramis. – »Nun, soll ich Euch die Wahrheit gestehen? Bei mir auch,« sagte Athos.

XXI.

Widerwärtigkeiten.

Außer sich vor Zorn, auf dem Verdecke wie eine Löwin schnaubend, die man einschifft, war Mylady mittlerweile versucht gewesen, sich in das Meer zu stürzen, um die Küste wieder zu erreichen; denn sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß sie von d’Artagnan beleidigt, von Athos bedroht worden war, und Frankreich verlassen sollte, ohne sich an ihnen zu rächen. Bald wurde dieser Gedanke ihr so unerträglich, daß sie auf die Gefahr, was auch Furchtbares daraus entstehen möchte, den Kapitän bat, sie an das Ufer zu setzen; aber zwischen die französischen und englischen Kreuzer, wie die Fledermaus zwischen die Ratten und Vögel gestellt, lag dem Kapitän Alles daran, so bald als möglich nach England zu gelangen. Er weigerte sich also hartnäckig, einem Ansinnen zu gehorchen, das er für eine Frauenlaune hielt, wobei er jedoch seiner Passagierin, die ihm von dem Kardinal besonders empfohlen war, versprach, daß er sie, wenn es das Meer und die Franzosen erlauben, in einem der Häfen der Bretagne, entweder in Lorient oder in Brest, an das Ufersetzen wolle. Aber das Meer war schlimm und der Wind conträr; man mußte laviren und verlor viel Zeit. Erst neun Tage nachdem man aus der Charente ausgelaufen war, sah Mylady, ganz bleich vor Aerger und Zorn, das bläuliche Gestade von Finisterre.

Sie berechnete, daß es wenigstens drei Tage bedürfe, um diese Ecke von Frankreich zu umschiffen und wieder in die Nähe des Kardinals zu gelangen. Hiezu einen Tag für das Ausschiffen gerechnet, machte vier Tage. Fügte sie zu diesen vier Tagen die neun anderen, so kamen dreizehn verlorene Tage heraus, dreizehn Tage, während welcher so viele wichtige Ereignisse in London vorfallen konnten. Sie bedachte, daß der Kardinal ohne Zweifel über ihre Rückkehr wüthend sein würde und folglich viel mehr geneigt wäre, den Klagen Gehör zu schenken, die man gegen sie führen, als den Anschuldigungen, welche sie gegen Andere vorbringen würde. Sie ließ also Lorient und Brest vorübergehen, ohne daß sie bei dem Kapitän auf ihrem Willen beharrte, und dieser hütete sich seinerseits wohl, sie darin zu bestärken. Mylady setzte also ihre Reise fort, und an demselben Tage, wo sich Planchet in Portsmouth nach Frankreich einschiffte, lief die Botin Seiner Eminenz triumphirend in dem Hafen ein.

Die ganze Stadt war in einer außerordentlichen Bewegung. Vier große, in den letzten Tagen erst fertig gewordene Schiffe hatte man vom Stapel laufen lassen. Buckingham stand, mit Gold verbrämt, seiner Gewohnheit gemäß von Diamanten und Edelsteinen funkelnd, den Hut mit einer Feder geschmückt, welche auf seine Schultern herabfiel, von seinem glänzenden Generalstab umgeben, auf dem Hafendamme.

Es war einer von den schönen, seltenen Sommertagen, wo England sich erinnert, daß es eine Sonne gibt. Das bleiche, aber immer noch schimmernde Gestirn ging am Horizont unter, übergoß den Himmel und die See mit Feuerstreifen und warf auf die Thürme und alten Gebäude der Stadt einen letzten goldenen Strahl, der die Scheiben wie der Reflex eines Brandes funkeln machte. Als Mylady diese, in der Nähe des Landes lebhaftere balsamischere Seeluft einathmete, und die ganze Macht dieser Vorbereitungen, welche sie zu zerstören beauftragt war, die ganze Kraft dieses Heeres betrachtete, das sie allein bekämpfen sollte, sie allein mit einigen Säcken Goldes, da verglich sie sich im Geiste mit Judith, der furchtbaren Jüdin, als sie in das Lager der Assyrer drang und die ungeheure Masse von Wagen, Pferden, Menschen und Waffen erblickte, welche eine Bewegung ihrer Hand wie eine Rauchwolke zerstreuen sollte.

Man lief in die Rhede ein; aber als man sich anschickte, daselbst Anker zu werfen, näherte sich ein kleiner, furchtbar bemannter Kutter dem Handelsschiffe und ließ ein Boot in das Meer setzen, das sich sogleich nach der Leiter wandte. Der Offizier allein stieg an Bord, wo er mit der Achtung aufgenommen wurde, welche die Uniform einflößt.

Der Offizier unterhielt sich einige Augenblicke mit dem Patron, ließ ihn einige Papiere lesen, die er bei sich trug, und alle aus dem Schiff befindliche Personen, Matrosen und Passagiere wurden aus das Verdeck gerufen. Als dieser Aufruf geschehen war, fragte der Offizier ganz laut nach dem Auslaufpunkte der Brigg, nach ihrer Route, nach ihren Landungen, und alle diese Fragen wurden von dem Kapitän ohne Zögern und ohne Schwierigkeit beantwortet. Dann ließ der Offizier alle Personen, eine nach der andern, Revue passiren, und als die Reihe an Mylady kam, betrachtete er sie äußerst aufmerksam, aber ohne ein einziges Wort an sie zu richten.«

Dann kehrte er zu dem Kapitän zurück, sagte ihm noch einige Worte und empfahl, als ob das Schiff ihm jetzt zu gehorchen hatte, ein Manöver, das die Mannschaft sogleich ausführte.

Während der Offizier Mylady prüfend anschaute, hatte ihn Mylady ihrerseits, wie sich leicht denken läßt, mit dem Blicke verschlungen. Aber wie sehr auch diese Frau mit den Flammenaugen daran gewöhnt war, in dem Herzen derjenigen zu lesen, deren Geheimnisse zu errathen sie für nothwendig erachtete, so fand sie doch diesmal ein Gesicht von solcher Unbeweglichkeit, daß ihre Forschung keine Entdeckung zur Folge hatte. Der Offizier, welcher vor ihr stehen geblieben war und stillschweigend ihr Aeußeres so sorgfältig studirte, mochte etwa fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre alt sein, und hatte ein weißes Gesicht und blaue, etwas tief liegende Augen. Sein feiner, wohlgezeichneter Mund blieb unbeweglich in seinen untadelhaften Linien, sein kräftiges Kinn deutete jene Willenskraft an, welche in dem gewöhnlichen brittischen Typus nichts Anderes als Halsstarrigkeit ist; eine etwas zurückliegende Stirne, wie sie den Dichtern den Enthusiasten und den Soldaten geziemt, war kaum von einem kurzen Haare beschattet, das sich wie der Bart, welcher den unteren Theil seines Gesichtes bedeckte, durch eine schöne dunkel kastanienbraune Farbe auszeichnete.

Als man in den Hafen einlief, war es bereits Nacht. Der Nebel vermehrte noch die Dunkelheit und bildete um die Leuchten und Laternen des Hafendammes einen Kreis, demjenigen ähnlich, welcher den Mond umgibt, wenn das Wetter regnerisch zu werden droht. Die Luft, welche man einathmete, war trübe, feucht und kalt.

Mylady schauderte trotz all ihrer Stärke.

Der Offizier ließ sich die einzelnen Stücke von Mylady nennen, ihr Gepäck sodann in das Boot bringen, und ersuchte sie, nachdem dieses Geschäft abgemacht war, selbst hinabzusteigen, wobei er seine Hand bot. Mylady schaute diesen Mann an und zögerte.

»Wer seid Ihr, mein Herr,« fragte sie, »der Ihr die Güte habt, Euch so ganz besonders mit mir zu beschäftigen?« »Ihr müßt es wohl an meiner Uniform sehen, Madame. Ich bin englischer Marineoffizier,« antwortete der junge Mann.

»Aber sagt mir, ist es Gewohnheit, daß sich die englischen Marineoffiziere ihren Landsleuten zu Befehl stellen, wenn sie in einem Hafen Großbritanniens ankommen, und ihre Höflichkeit sogar soweit treiben, sie bis ans Land zu begleiten?«

»Ja, Mylady, aber nicht aus Galanterie, sondern aus Klugheit werden die Fremden in Kriegszeiten in ein bestimmtes Gasthaus geführt, damit die Regierung sie überwachen kann, bis man vollständige Auskunft über sie erhalten hat.«

Diese Worte wurden mit der größten Artigkeit und der vollkommensten Ruhe ausgesprochen, aber sie waren nicht im Stande, Mylady zu überzeugen.

»Ich bin keine Fremde, mein Herr,« sagte sie mit dem reinsten Accente, der je zwischen Portsmouth und Manchester erklang. »Ich heiße Lady Winter, und diese Maßregel …«

»Diese Maßregel ist allgemein, Mylady, und Ihr würdet es vergeblich versuchen. Euch derselben zu entziehen.«

»Ich folge Euch also, mein Herr.«

Und die Hand des Offiziers ergreifend, fing sie, an die Treppe hinabzusteigen, unter der das Boot wartete. Der Offizier folgte ihr; ein großer Mantel war auf dem Hintertheil ausgebreitet; der Offizier ließ sie auf den Mantel sitzen und setzte sich neben sie.

»Fahrt zu,« sprach er zu den Matrosen.

Die acht Ruder sielen geräuschvoll in das Meer, ließen nur einen gleichzeitigen Schlag hören, und das Boot schien aus der Oberfläche des Wassers hinzufliegen.

Nach fünf Minuten hatte man das Land erreicht. Der Offizier sprang auf das Quai und bot Mylady seine Hand.

Ein Wagen wartete.

»Ist dieser Wagen für uns?« fragte Mylady.

»Ja, Madame,« antwortete der Offizier.

»Das Gasthaus ist also sehr entfernt?«

»Am andern Ende der Stadt.«

»Vorwärts!« rief Mylady und stieg entschlossen in den Wagen. Der Officier wachte darüber, daß das Gepäcke gut hinter dem Kasten befestigt wurde, nahm, als dies geschehen war, seinen Platz neben Mylady und schloß den Kutschenschlag.

Sogleich, ohne daß ein Befehl gegeben war und ohne daß man ihm die Bestimmung anzugeben hatte, setzte der Kutscher seine Pferde in Galopp und fuhr in die Straßen der Stadt.

Eine so seltsame Aufnahme mußte Mylady reichlichen Stoff zum Nachdenken bieten. Als sie sah, daß der junge Officier keineswegs geneigt schien, ein Gespräch anzuknüpfen, lehnte sie sich in eine Ecke des Wagens und ließ alle Vermuthungen, welche in ihrem Geist auftauchten, eine nach der andern Revue passiren.

Erstaunt über die Länge des Weges, neigte sie sich jedoch nach Verlauf einer Viertelstunde aus dem Kutschenschlage heraus, um zu sehen, wohin man sie führe. Man erblickte keine Häuser mehr; Bäume erschienen in der Finsterniß, wie große, schwarze, einander nachlaufende Gespenster.

Mylady bebte.

»Aber wir sind nicht mehr in der Stadt, mein Herr,« sagte sie.

Der Officier beobachtete dasselbe Stillschweigen.

»Ich gehe nicht weiter, wenn Ihr mir nicht sagt, wohin Ihr mich führt, das erkläre ich Euch, mein Herr.«

Diese Drohung erhielt keine Antwort.

»Ah, das ist zu stark!« rief Mylady. »Zu Hülfe! zu Hülfe!«

Keine Stimme antwortete der ihrigen. Der Wagen rollte mit derselben Geschwindigkeit fort. Der Officier schien eine Bildsäule.

Mylady fixirte den Officier mit dem ihr eigenthümlichen furchtbaren Ausdruck, der nur selten seine Wirkung verfehlte. Der Zorn machte ihre Augen in der Finsterniß funkeln.

Der junge Mann blieb unbeweglich.

Mylady wollte den Kutschenschlag öffnen und hinausspringen.

»Nehmt Euch in Acht, Madame,« sagte der junge Mann kalt. »Ihr tötet Euch, wenn Ihr springt.«

Mylady setzte sich schäumend wieder zurück. Der Officier neigte sich vor, schaute sie ebenfalls an und schien erstaunt, als er dieses kurz zuvor noch so schöne Gesicht durch die Wuth ganz verstört und beinahe häßlich geworden sah. Die schlaue Person begriff, daß sie sich ins Verderben stürzte, wenn sie so in ihre Seele blicken ließ. Sie suchte ihre Züge wieder aufzuheitern und sprach mit seufzender Stimme:

»Um Gotteswillen, mein Herr, sagt mir, ob ich Euch, Eurer Regierung oder einem Feinde die Gewalt zuzuschreiben habe, die man mir anthut?«

»Man thut Euch keine Gewalt an, Madame, und was Euch widerfährt, ist die Folge einer ganz einfachen Maßregel, die wir bei Allen zu nehmen genöthigt sind, welche in England landen.«

»Also kennt Ihr mich nicht?«

»Es ist das erste Mal, daß ich die Ehre habe, Euch zu sehen.«

»Und auf Euer Wort, Ihr habt keinen Grund des Hasses gegen mich?«

»Keinen, ich schwöre Euch.«

Es lag so viel Offenheit, Kaltblütigkeit und sogar Sanftmuth in der Stimme des jungen Mannes, daß Mylady beruhigt wurde.

Nachdem man ungefähr eine Stunde gefahren war, hielt der Wagen vor einem eisernen Gitter stille, das einen Hohlweg verschloß, welcher nach einem massiven Schlosse von ernstem Aussehen führte. Als nun die Räder auf einem zarten Sande hinliefen, hörte Mylady ein dumpfes Geräusch, das sie als ein Brausen der See erkannte, welche sich an einem abschüssigen Gestade brach.

Der Wagen lief unter zwei Gewölben hin und hielt endlich in einem düstern viereckigen Hofe. Beinahe in demselben Augenblicke öffnete sich der Kutschenschlag, der junge Mann sprang leicht heraus und bot Mylady seine Hand. Sie stützte sich darauf und stieg mit ziemlich viel Ruhe aus.

»Es wird mir immer klarer,« sprach Mylady, indem sie um sich schaute und ihre Augen dann mit dem anmuthigsten Lächeln der Welt auf den jungen Officier richtete, es wird mir immer klarer, daß ich eine Gefangene bin. Aber ich werde es nicht lange bleiben, das weiß ich gewiß,« fügte sie bei. »Mein Gewissen und Eure Artigkeit, mein Herr, bürgen mir hiefür.«

So schmeichelhaft auch dieses Kompliment war, so antwortete doch der Officier nicht, sondern zog aus seinem Gürtel eine kleine silberne Pfeife hervor, derjenigen ähnlich, welcher sich die Hochbootsleute auf Kriegsschiffen bedienen, und pfiff dreimal auf drei verschiedene Modulationen; sogleich erschienen mehrere Männer, spannten die Pferde aus und führten den Wagen unter eine Remise.

Der Officier forderte, stets mit derselben ruhigen Höflichkeit, seine Gefangene auf, in das Haus einzutreten. Diese nahm, fortwährend mit demselben lächelnden Gesichte, seinen Arm und trat mit ihm unter eine niedrige Thüre, welche durch ein nur im Hintergrund beleuchtetes Gewölbe nach einer steinernen Treppe führte; dann blieb man vor einer zweiten starken Thüre stehen, die sich, nachdem der junge Mann sie mit einem Schlüssel aufgeschlossen hatte, den er bei sich trug, schwerfällig auf ihren Angeln drehte und das für Mylady bestimmte Zimmer öffnete.

Mit einem einzigen Blick hatte die Gefangene das Zimmer in seinen kleinsten Einzelnheiten überschaut.

Es war eine Stube, deren Geräthe ein für ein Gefängniß reinliches, anständiges, für die Wohnung eines freien Menschen aber strenges Aussehen hatte. Die eisernen Stangen an den Fenstern und die Riegel an der Thüre entschieden jedoch den Prozeß zu Gunsten des Gefängnisses. Einen Augenblick wurde dieses Geschöpf, das seine Kraft in so mächtigen Quellen gestählt hatte, von aller Seelenstärke verlassen. Sie fiel auf einen Stuhl zurück, kreuzte die Arme, ließ den Kopf sinken und erwartete jeden Augenblick, es werde ein Richter erscheinen, um sie zu verhören.

Aber es kam Niemand, außer zwei oder drei Marinesoldaten, welche die Koffer und Kisten brachten, diese in eine Ecke niederstellten, und sich dann entfernten, ohne ein Wort zu sprechen.

Der Officier wohnte allen diesen Verrichtungen mit derselben Ruhe bei, welche Mylady beständig an ihm wahrgenommen hatte, sprach selbst kein Wort und verschaffte sich durch eine Handbewegung oder einen Ton seiner Pfeife Gehorsam.

Man hätte glauben sollen, zwischen diesem Mann und seinen Untergebenen bestehe die Sprache nicht, die man mit der Zunge spricht, oder sie sei überflüssig geworden. Endlich konnte Mylady nicht mehr länger an sich halten. Sie unterbrach das Stillschweigen und rief:

»Um Gottes willen, mein Herr, was soll das Alles bedeuten? Macht meiner Unruhe ein Ende. Ich habe Muth, jeder Gefahr, die ich vorher sehe, jedem Unglück, das ich begreife, zu trotzen. Wo bin ich und was bin ich? Bin ich frei? Warum diese eisernen Stangen und diese Thüren? Bin ich eine Gefangene? Welches Verbrechen habe ich begangen?«

»Ihr seid hier in der für Euch bestimmten Wohnung, Madame. Ich habe Befehl erhalten. Euch auf der See abzuholen und in dieses Schloß zu bringen. Diesen Befehl habe ich, wie ich glaube, mit aller Strenge eines Soldaten, aber zugleich mit aller Höflichkeit eines Edelmanns vollzogen. Hiemit endigt sich, wenigstens für jetzt, der Auftrag, den ich bei Euch zu erfüllen habe, das Uebrige geht eine andere Person an.«

»Und die andere Person, wer ist sie?« fragte Mylady. »Könnt Ihr mir nicht ihren Namen sagen?«

In diesem Augenblick vernahm man auf der Treppe ein gewaltiges Sporengeklirr, einige Stimmen machten sich im Vorübergehen hörbar und verhallten dann wieder. Das Geräusch eines einzelnen Trittes näherte sich der Thüre.

»Hier ist sie, Madame,« sagte der Officier, den Gang öffnend und eine ehrfurchtsvolle Stellung nehmend.

Zu gleicher Zeit erschien ein Mann auf der Schwelle: er war ohne Hut, trug einen Degen an seiner Seite und zerknitterte ein Sacktuch zwischen seinen Fingern.

Mylady glaubte diesen Schatten im Schatten zu erkennen. Sie stützte sich mit einer Hand auf den Arm eines Lehnsessels und reckte den Kopf, um einer Gewißheit entgegen zu gehen.

Der Fremde näherte sich langsam; sobald er in den von der Lampe geworfenen Lichtkreis eintrat und näher kam, wich Mylady unwillkürlich zurück. Als ihr kein Zweifel mehr übrig blieb, rief sie mit dem höchsten Erstaunen:

»Wie, mein Bruder, Ihr seid es?« – »Ja, schöne Dame,« antwortete Lord Winter mit einer halb höflichen, halb ironischen Verbeugung; »ich bin es.« – »Aber dieses Schloß?« – »Gehört mir.« – »Dieses Zimmer?« – »Ist das Eure.« – »Und ich bin also eine Gefangene?« – »Ungefähr.« – »Aber das ist ein ganz abscheulicher Mißbrauch der Gewalt.« – »Keine großen Worte! Setzen wir uns und plaudern wir ruhig mit einander, wie es sich zwischen Bruder und Schwester geziemt.«

Dann wandte er sich nach der Thüre um und sagte, als er sah, daß der junge Offizier auf seine letzten Befehle wartete: »Es ist gut, ich danke Euch, laßt uns nun allein, Herr Felton.«

XXII.

Plauderei eines Bruders und einer Schwester.

Während Lord Winter die Thüre schloß, einen Laden aufstieß und einen Stuhl näher zu dem seiner Schwägerin rückte, senkte Mylady träumerisch ihren Blick in die Tiefen der Möglichkeit und entdeckte den ganzen Faden, den sie nicht von ferne geahnt hatte, so lange sie nicht wußte, in welche Hände sie gefallen war. Sie kannte ihren Schwager als einen guten Edelmann, als einen treuherzigen Jäger, als einen unerschrockenen Spieler, unternehmend bei Frauen, aber von weniger als mittelmäßigem Intriguirtalent. Wie war es ihm gelungen, ihre Ankunft zu entdecken, sie ergreifen zu lassen? und warum hielt er sie fest?

Athos hatte ihr wohl einige Worte gesagt, woraus hervorging, daß ihr Gespräch mit dem Kardinal in fremde Ohren gefallen war, aber sie konnte nicht glauben, daß er so geschickt und so rasch eine Gegenmine zu graben vermocht habe. Sie fürchtete vielmehr, ihre früheren Operationen in England möchten entdeckt worden sein. Buckingham konnte errathen haben, daß sie die zwei Nestelstifte abgeschnitten hatte, und wollte sich für diesen kleinen Verrath rächen. Aber Buckingham war unfähig, sich zu irgend einer harten Maßregel gegen eine Frau verleiten zu lassen, besonders wenn man glauben konnte, diese Frau werde zu ihren Handlungen durch ein Gefühl von Eifersucht getrieben.

Diese Vermuthung kam ihr als die wahrscheinlichste vor. Sie glaubte, man wolle sich für die Vergangenheit rächen und nicht der Zukunft entgegentreten. In dem Fall beglückwünschte sie sich, daß sie in die Hände ihres Schwagers gefallen war, bei dem sie jedenfalls leichteren Kaufes durchzukommen wähnte, als wenn sie in die Hände eines unmittelbaren und gescheiteren Feindes gerathen wäre.

»Ja, plaudern wir, mein Bruder,« sagte sie mit einer Art von Vergnügen, entschlossen, sich trotz aller Verstellung, mit der Lord Winter dabei zu Werke gehen könnte, aus dem Gespräch die nötige Aufklärung zu verschaffen, um ihr Benehmen darnach einzurichten.

»Ihr habt Euch also entschlossen, nach England zurückzukehren,« sagte Lord Winter, obschon Ihr mir in Paris so oft erklärt habt, daß Ihr das Gebiet Großbritanniens nie wieder betreten würdet?«

Mylady beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage.

»Erklärt mir vor Allem,« sagte sie, »wie Ihr mich habt so scharf beobachten lassen, daß Ihr nicht allein von meiner Ankunft, sondern auch von dem Tag, der Stunde, und dem Hafen, wo ich eintraf, benachrichtigt wäret?«

Lord Winter nahm dieselbe Taktik an, wie Mylady. Er glaubte, da sie diese angewendet hatte, müßte sie die richtige sein.

»Sagt Ihr mir, meine liebe Schwester,« versetzte er, »was Ihr in England thun wolltet?«

»Ich komme nur um Euch zu besuchen,« erwiderte Mylady, ohne zu wissen, wie sehr sie durch diese Antwort den Verdacht erschwerte, den der Brief d’Artagnans bei ihrem Schwager erregt hatte, und nur in der Absicht, das Wohlwollen ihres Zuhörers durch eine Lüge zu gewinnen.

»Um mich zu besuchen?« fragte Lord Winter.

»Allerdings, um Euch zu besuchen. Was ist daran zu verwundern?«

»Und Ihr hattet keinen andern Zweck bei Eurer Reise nach England, als den, mich zu sehen?«

»Nein!«

»Also habt Ihr Euch nur allein mir zu Liebe die Mühe gegeben, über den Kanal zu fahren?«

»Allerdings.«

»Teufel, welche Zärtlichkeit, meine Schwester!«

»Bin ich denn nicht Eure nächste Verwandte?« fragte Mylady im Ton der rührendsten Naivetät.

»Und sogar meine einzige Erbin, nicht wahr?« sagte Lord Winter, seine Augen auf die von Mylady heftend, »das heißt durch Euern Sohn!«

Welche Macht auch Mylady über sich selbst besaß, so konnte sie sich doch eines Bebens nicht enthalten, und da Lord Winter bei den letzten Worten seine Hand auf den Arm seiner Schwester gelegt hatte, so entging ihm dieses Beben nicht.

Der Schlag kam in der That unmittelbar und ging tief. Der erste Gedanke, welcher sich bei Mylady regte, war, daß Ketty sie verrathen und dem Baron den habsüchtigen Haß mitgetheilt habe, den sie unkluger Weise vor ihrer Kammerjungfer hatte laut werden lassen. Und sie erinnerte sich auch des wüthenden Ausfalls, den sie gegen d’Artagnan gemacht hatte, als er ihrem Schwager das Leben rettete.

»Ich begreife nicht, Mylord,« sagte sie, um Zeit zu gewinnen und ihren Gegner zum Sprechen zu bringen. »Was sollen Eure Worte bedeuten? Ist vielleicht ein unbekannter Sinn darunter verborgen?«

»Oh! mein Gott, nein,« erwiderte Lord Winter mit scheinbarer Gutmüthigkeit. »Ihr habt das Verlangen, mich zu sehen und kommt nach England. Ich erfahre von diesem Verlangen oder ich vermuthe vielmehr, daß Ihr es fühlt, und um Euch alle Unannehmlichkeiten einer nächtlichen Ankunft in einem Hafen, alle Anstrengungen des Ausschiffens zu ersparen, stelle ich Euch einen Wagen zur Verfügung. Er führt Euch hieher in dieses Schloß, dessen Gouverneur ich bin, und ich habe, da ich jeden Tag an diesen Ort komme, zur vollständigen Befriedigung unseres beiderseitigen Verlangens, einander zu sehen, ein Zimmer für Euch einrichten lassen. Wie könnte man sich darüber mehr verwundern, als über das, was Ihr mir gesagt habt?«

»Nein, ich staune nur darüber, daß Ihr von meiner Ankunft zuvor benachrichtigt gewesen seid.«

»Das ist jedoch die allereinfachste Sache, meine liebe Schwester. Ihr konntet wohl sehen, daß der Kapitän Eures kleinen Fahrzeuges, ehe er in die Rhede einlief, um die Erlaubniß zur Hafeneinfahrt zu erlangen, einen Nachen vorausschickte, der sein Logbuch und sein Mannschaftsregister überbrachte. Ich bin Hafenkommandant und man übergab mir dieses Buch, in welchem ich Euren Namen erkannte. Mein Herz sagte mir, was mir Euer Mund so eben bestätigt hat; es sagte mir, in welcher Absicht Ihr Euch den Beschwerden eines so gefährlichen oder wenigstens in diesem Augenblick so ermüdenden See aussetztet, und ich schickte Euch meinen Kutter entgegen. Das Uebrige wißt Ihr.«

Mylady sah wohl, daß Lord Winter die Unwahrheit sprach, und gerieth darum nur noch mehr in Schrecken.

»Mein Bruder,« fuhr sie fort, »war es nicht Mylord Buckingham, den ich diesen Abend auf dem Hafendamme sah?«

»Er selbst. Oh! ich begreife, daß Ihr bei seinem Anblick betreten wäret,« versetzte Lord Winter. »Ihr kommt aus einem Lande, wo man sich viel mit ihm beschäftigen muß, und ich weiß, daß seine Rüstungen gegen Frankreich Euern Freund, den Kardinal, sehr beunruhigen.«

»Meinen Freund, den Kardinal!« rief Mylady, als sie einsah, daß Mylord Winter über diesen Punkt, wie über den anderen vollständig unterrichtet schien.

»Ist er nicht Euer Freund?« erwiderte der Baron mit gleichgültigem Ton. »Ah, um Vergebung, ich glaubte es. Doch wir werden später auf Mylord Herzog zurückkommen. Wir wollen uns nicht von der sentimentalen Wendung entfernen, welche das Gespräch genommen hatte. Ihr sagtet, Ihr kämet, um mich zu sehen?«

»Ja.«

»Nun wohl, ich antwortete Euch, Ihr sollt nach Wünschen bedient werden und wir werden uns jeden Tag sehen.«

»Soll ich also ewig hier bleiben?« fragte Mylady mit einem gewissen Schrecken.

»Wenn Euch diese Wohnung schlecht vorkommt, meine Schwester, so verlangt, was Euch fehlt, und ich werde mich beeilen, es Euch geben zu lassen.«

»Ich habe meine Frauen, meine Leute nicht bei mir.«

»Ihr sollt Alles das haben, Madame. Sagt mir, auf welchem Fuße Euer erster Gatte Euer Haus eingerichtet hatte, und ich werde es, obgleich ich nur Euer Schwager bin, auf demselben Fuß einrichten.«

»Mein erster Gatte!« rief Mylady und schaute Lord Winter mit verstörten Augen an.

»Ja, Euer französischer Gatte! ich spreche nicht von meinem Bruder. Uebrigens wenn Ihr es vergessen habt, könnte ich ihm, da er noch lebt, schreiben, und er wird mir wohl Auskunft über diesen Gegenstand geben.«

Ein kalter Schweiß perlte auf der Stirne Mylady’s.

»Ihr spottet,« sagte sie mit dumpfer Stimme.

»Sehe ich so aus?« fragte der Baron, indem er aufstand und einen Schritt zurückging.

»Oder vielmehr, Ihr beleidigt mich,« fuhr sie fort, indem sie mit ihren krampfhaften Händen die zwei Arme des Lehnstuhls drückte und sich auf den Faustgelenken zu erheben suchte.

»Euch beleidigen! ich?« sagte Lord Winter verächtlich. »In der That, Madame, glaubt Ihr, dies sei möglich?«

»Mein Herr,« sprach Mylady, »Ihr seid entweder betrunken oder wahnsinnig. Geht und schickt mir meine Frauen.«

»Diese Frauen sind sehr indiskret, meine Schwester. Könnte ich Euch nicht als Hofe dienen? Auf diese Art blieben alle unsere Geheimnisse in der Familie.

»Unverschämter!« rief Mylady, und als ob sie von einer Feder emporgeschnellt würde, sprang sie gegen den Baron, der sie ganz ruhig erwartete, obschon er mit einer Hand an seinen Degen griff.

»Ei, ei,« sagte er, »ich weiß, daß Ihr die Gewohnheit habt, die Leute zu ermorden, aber ich werde mich vertheidigen, das sage ich Euch, und wäre es auch gegen Euch.«

»Oh! Ihr habt Recht,« sprach Mylady, »Ihr kommt mir feig genug vor, um Hand an eine Frau zu legen.«

»Wenn dies geschähe, so wäre ich entschuldigt. Meine Hand wäre übrigens nicht die erste Männerhand, die sich an Euch gelegt hätte, denke ich.«

Und der Baron deutete mit einer langsamen, anschuldigenden Geberde auf die linke Schulter Mylady’s, die er beinahe mit dem Finger berührte.

Mylady stieß ein dumpfes Röcheln aus und wich bis in die Ecke des Zimmers zurück, wie ein Panther, der sich anstemmt, um seinen Sprung zu machen.

»O brüllt, so lange Ihr wollt,« rief Lord Winter, »aber versucht nicht, zu beißen, denn ich sage Euch, die Sache würde zu Eurem Nachtheil ausfallen; es gibt hier keine Procuratoren, welche die Erbfolge zum voraus ordnen; es gibt hier keinen fahrenden Ritter, der der schönen Dame zu Liebe, welche ich gefangen halte, Streit mit mir anfangen würde; aber ich habe ganz in der Nähe Richter, welche über eine Frau urtheilen werden, die schamlos genug ist, durch eine Doppelehe in die Familie Lord Winters, meines älteren Bruders, einzudringen, und diese Richter werden Euch einem Henker überliefern, der Eure beiden Schultern gleichmacht.«

Mylady’s Augen schleuderten so mächtige Blitze, daß Lord Winter, obgleich er Mann war und bewaffnet vor einer wehrlosen Frau stand, die Kälte der Furcht bis in die Tiefe seiner Seele fühlte. Nichtsdestoweniger fuhr er mit wachsendem Grimme fort:

»Ja, ich begreife, nachdem Ihr meinen Bruder beerbt habt, wäre es Euch angenehm gewesen, auch mich zu beerben. Aber wißt zum Voraus, Ihr könnt mich tödten oder tödten lassen, meine Vorsichtsmaßregeln sind getroffen. Nicht ein Penny von dem, was ich besitze, soll in Eure oder in Eures Sohnes Hände übergehen. Seid Ihr nicht reich, besitzt Ihr nicht beinahe eine halbe Million, und könntet Ihr nicht auf Eurem unseligen Pfad stille stehen, wenn Ihr nicht das Böse aus grenzenloser Lust verübtet? Oh! ich sage Euch, wenn mir das Andenken an meinen Bruder nicht heilig wäre, müßtet Ihr in einem Staatsgefängnisse vermodern oder in Tyburn die Neugierde der Matrosen befriedigen! Ich werde schweigen, aber Ihr müßt Eure Gefangenschaft ruhig ertragen. In vierzehn Tagen bis drei Wochen gehe ich mit dem Heere nach La Rochelle ab, doch am Vorabend meiner Abreise holt Euch ein Schiff, dessen Abfahrt ich noch ansehen werde, und das Euch nach unsern Kolonien im Süden führt, und seid unbesorgt, ich gebe Euch einen Gesellschafter, der Euch bei dem ersten Versuche, den Ihr wagt, um nach England oder auf den Kontinent zurückzukommen, über den Haufen schießen wird.«

Mylady hörte mit einer Aufmerksamkeit, wobei sich ihre entflammten Augen immer mehr erweiterten.

»Ja, aber vorläufig,« fuhr Lord Winter fort, »bleibt Ihr in diesem Schlosse. Die Mauern desselben sind dick, die Thüren stark, die Gitter fest und überdies geht Euer Fenster gerade auf die See hinab. Die Leute von meiner Schiffsmannschaft, welche mir auf Leben und Tod ergeben sind, werden um diese Wohnung her aufgestellt und bewachen alle Zugänge, welche zu dem Hof führen. Wäret Ihr auch im Hof, so müßtet Ihr noch durch drei Gitter gelangen. Der Befehl ist genau. Ein Schritt, eine Geberde, ein Wort, woraus sich auf einen Entweichungsversuch schließen ließe, und man gibt Feuer auf Euch. Tödtet man Euch, so hat die englische Justiz mir Dank zu sagen, daß ich ihr ein Geschäft erspart habe. Ah, Eure Züge nehmen ihre Ruhe wieder an. Euer Antlitz gewinnt wieder seine Sicherheit. Zehn Tage, vierzehn Tage, sagt Ihr? bah! bis dahin wird mir ein Gedanke kommen: ich habe einen erfindungsreichen, einen höllischen Geist, und werde schon irgend ein Opfer treffen. In vierzehn Tagen von heute an, sagt Ihr Euch, werde ich ferne von hier sein. Versucht es einmal!«

Als sich Mylady verrathen sah, preßte sie sich die Nägel in das Fleisch, um jede Bewegung zu bewältigen, welche ihrer Physiognomie irgend einen andern Ausdruck, als den des Schreckens hätte geben können.

Lord Winter fuhr fort.

»Den Officier, welcher allein hier in meinem Namen kommandirt, habt Ihr gesehen und kennt ihn also bereits. Ihr konntet wahrnehmen, daß er einem Befehle zu gehorchen weiß: denn Ihr seid nicht von Portsmouth hierher gekommen, ohne den Versuch zu machen, ihn zum Sprechen zu bringen. Was sagt Ihr von ihm? Hätte eine Marmorstatue unempfindlicher, stummer sein können? Ihr habt die Macht Eurer Verführungsmittel schon an vielen Männern versucht und leider ist es Euch stets gelungen. Versucht sie auch bei diesem, und wenn Ihr zu Eurem Ziele kommt, so erkläre ich Euch für den Teufel selbst.«

Er ging nach der Thüre und öffnete sie heftig.

»Man rufe mir Herrn Felton!« sagte er. »Wartet noch ein wenig und ich werde Euch ihm empfehlen.«

Es herrschte einen Augenblick ein seltsames Stillschweigen zwischen diesen zwei Personen, und inzwischen hörte man das Getöne eines langsamen regelmäßigen Schrittes, der sich dem Zimmer näherte.

Bald sah man im Schatten der Hausflur eine menschliche Gestalt, und der junge Lieutenant, mit dem wir bereits Bekanntschaft gemacht Haben, erschien, die Befehle des Barons erwartend, auf der Schwelle.

»Tretet ein, mein lieber John,« sprach Lord Winter, »tretet ein und schließt die Thüre.«

Der junge Offizier trat ein.

»Schaut nun diese Frau an,« sagte der Baron, »sie ist jung, sie ist schön, alle Verführungsmittel der Welt stehen ihr zu Gebot. Hört wohl, sie ist ein Ungeheuer, das sich mit fünfundzwanzig Jahren so vieler Verbrechen schuldig gemacht hat, als Ihr in einem Jahre in den Archiven unserer Tribunale lesen könnt. Ihre Stimme nimmt zu ihren Gunsten ein, ihre Schönheit dient als Köder für ihre Opfer. Sie wird Euch zu verführen, vielleicht sogar zu tödten versuchen. Ich habe Euch aus dem Elend gezogen, Felton, ich habe Euch zum Lieutenant ernennen lassen, ich habe Euch einmal das Leben gerettet, Ihr wißt, bei welcher Gelegenheit. Ich bin Euch nicht nur ein Beschützer, sondern ein Freund, nicht nur ein Wohlthäter, sondern ein Vater. Diese Frau ist nach England gekommen, um gegen mein Leben zu conspiriren. Ich halte diese Schlange in meinen Händen; ich habe Euch rufen lassen und sage Euch: Freund Felton, John, mein Junge, hüte Dich und mich vor dieser Frau. Schwöre mir bei Deinem Seelenheil, sie für die verdiente Strafe aufzubewahren. Felton, ich baue auf Dein Wort, John Felton, ich glaube an Deine Rechtschaffenheit.«

»Mylord,« erwiderte der junge Offizier, sein reines Auge mit allem Hasse füllend, den er in seinem Herzen finden konnte; »Mylord, ich schwöre Euch, daß ich thun werde, wie Ihr wünscht.«

Mylady nahm diesen Blick wie ein in ihr Schicksal ergebenes Opfer auf. Man könnte unmöglich einen unterwürfigeren und sanfteren Ausdruck sehen, als den, welcher jetzt auf ihrem schönen Antlitz herrschte.

Kaum erkannte Lord Winter in ihr die Tigerin, die er einen Augenblick vorher zu bekämpfen sich anschickte.

»Sie wird dieses Zimmer nie verlassen, hört Ihr wohl, John,« fuhr der Baron fort, »sie wird mit Niemand Briefe wechseln, sie wird nur mit Euch sprechen, wenn Ihr überhaupt Euch herablassen wollt, ein Wort an sie zu richten.«

»Es ist genug, Mylord, ich habe geschworen.«

»Und nun, Madame,« sprach der Baron, »und nun versucht es. Euren Frieden mit Gott zu machen, denn von den Menschen seid Ihr gerichtet.«

Mylady ließ das Haupt sinken, als ob sie durch dieses Urtheil zu Boden getreten wäre. Lord Winter entfernte sich mit einer Geberde gegen Felton, der ihm folgte und die Thüre schloß.

Einen Augenblick nachher hörte man in der Flur den schweren Gang eines Marinesoldaten, der mit seiner Axt in der Hand Wache stand.

Mylady verharrte einige Minuten in derselben Stellung, denn sie meinte, man könne sie durch das Schlüsselloch beobachten. Dann hob sie sachte das Haupt, das einen furchtbar drohenden, trotzigen Ausdruck angenommen hatte. Sie lief an die Thüre, um zu horchen, schaute durch das Fenster und begrub sich wieder in einen weiten Lehnstuhl.

Sie überlegte.

XVII.

Eheliche Scene.

Richelieu kam, wie es Athos vorhergesehen hatte, alsbald herab. Er öffnete die Thür der Stube, in welche die Musketiere eingetreten waren, und fand Porthos in einem sehr hitzigen Würfelspiel mit Aramis begriffen. Mit einem Blick durchforschte er alle Winkel der Stube und sah, daß einer von seinen Leuten fehlte.

»Was ist aus Herrn Athos geworden?« fragte er.

»Monseigneur,« antwortete Porthos, »er ist als Kundschafter vorausgeritten wegen einiger Worte unseres Wirthes, aus denen er entnehmen mußte, daß der Weg nicht sicher sein dürfte.«

»Und Ihr, was habt Ihr gemacht, Herr Porthos?«

»Ich habe Aramis fünf Pistolen abgenommen.«

»Und nun könnt Ihr mit mir zurückkehren?«

»Wir stehen Eurer Eminenz zu Befehl.«

»Zu Pferde also, meine Herren, denn es ist spät.«

Der Stallmeister war vor der Thüre und hielt das Pferd des Kardinals am Zügel. Eine Gruppe von zwei Menschen und drei Pferden erschien im Schatten. Diese zwei Menschen waren diejenigen, welche Mylady nach dem Fort de la Pointe geleiten und ihre Einschiffung bewachen sollten.

Der Stallmeister bestätigte dem Kardinal das, was die zwei Musketiere ihm bereits in Beziehung auf Athos gesagt hatten. Der Kardinal machte eine billigende Geberde und schlug den Rückweg ein, wobei er sich mit denselben Vorsichtsmaßregeln umgab, die er bei seinem Auszug genommen hatte.

Lassen wir ihn beschützt von seinem Stallmeister und den zwei Musketieren seinen Weg nach dem Lager verfolgen, und kehren wir zu Athos zurück.

Eine Zeit lang hatte er seinen Marsch in gleichem Tempo fortgesetzt, aber als er aus dem Gesichte war, warf er sein Pferd auf die rechte Seite, machte einen Umweg und kehrte auf etwa zwanzig Schritte in das Gehölze zurück, um das Vorüberziehen der kleinen Truppe zu beobachten; als er die eingefaßten Hüte seiner Gefährten und die goldene Franse am Mantel des Herrn Kardinals erkannte, wartete er, bis sich die Reiter um die Ecke der Straße wandten, und sobald er sie aus dem Gesichte verloren hatte, sprengte er im Galop nach dem Wirthshause zurück, das man ihm ohne Schwierigkeit öffnete.

Der Wirth erkannte ihn.

»Mein Offizier,« sprach Athos, »hat vergessen, der Dame im ersten Stocke eine Sache von großer Wichtigkeit zu empfehlen, und ich bin von ihm abgeschickt, um seinen Fehler gut zu machen.«

»Geht hinauf,« sagte der Wirth, »sie ist noch in ihrem Zimmer.«

Athos benützte diese Erlaubnis;, stieg, so leicht als er es vermochte die Treppe hinauf, gelangte auf die Flur und sah durch die halb geöffnete Thüre Mylady, welche ihren Hut knüpfte.

Er trat in das Zimmer ein und verschloß die Thüre hinter sich.

Athos stand an der Thüre in seinen Mantel gehüllt, seinen Hut tief in die Augen gedrückt.

Als Mylady diese stumme, unbewegliche, einer Statue ähnliche Gestalt erblickte, wurde ihr bange.

»Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« rief sie.

»Wahrlich, sie ist es,« murmelte Athos.

Und er ließ den Mantel fallen, hob den Hut in die Höhe und trat vor Mylady.

»Erkennt Ihr mich, Madame?« sprach er.

Mylady wich zurück, als hätte sie eine Schlange erschaut.

»Wohl,« sagte Athos, »ich sehe, Ihr erkennt mich.«

»Der Graf de la Fère!« murmelte Mylady erbleichend, und wich immer mehr zurück, bis die Wand sie hinderte weiter zu gehen.

»Ja, Mylady,« antwortete Athos, »der Graf de la Fère in Person, der eigens von der andern Welt zurückkommt, um das Vergnügen zu haben, Euch zu sehen. Setzt Euch und wir wollen uns besprechen, wie der Kardinal sagt.«

Von einem namenlosen Schrecken beherrscht setzte sich Mylady, ohne eine Silbe zu stammeln.

»Ihr seid ein auf die Erde geschickter Teufel,« sagte Athos, »Eure Macht ist groß, ich weiß es, aber Ihr wißt auch, daß die Menschen oft mit Gottes Hülfe die furchtbarsten Teufel besiegt haben. Ihr habt Euch schon einmal auf meinem Wege gezeigt, ich glaubte Euch niedergeschmettert zu haben, aber wenn mich nicht Alles trügt, hat Euch die Hölle wiedererweckt.«

Bei diesen Worten, welche gräßliche Erinnerungen in ihr zurückriefen, ließ Mylady mit einem dumpfen Seufzer das Haupt sinken.

»Ja, die Hölle hat Euch wiedererweckt,« fuhr Athos fort, »die Hölle hat Euch einen andern Namen gegeben, die Hölle hat Euch reich gemacht, die Hölle hat Euch beinahe ein neues Gesicht verliehen, aber sie hat weder die Flecken Eurer Seele noch das Brandmal Eures Leibes getilgt.«

Mylady stand auf, als ob sie von einer Feder gehoben würde, und ihre Augen schleuderten Blitze. Athos blieb sitzen.

»Ihr hieltet mich für todt, nicht wahr, wie ich euch für todt hielt, und der Name Athos hatte den Grafen de la Fère verborgen, wie der Name Mylady Winter Anna von Breuil verbarg? Nanntet Ihr Euch nicht so, als Euer ehrenwerther Bruder unsere Ehe schloß? Unsere Stellung ist in der That seltsam,« fuhr Athos lachend fort, »wir lebten bis jetzt beide nur, weil wir uns für todt hielten, und weil eine Erinnerung weniger beengt, als ein lebendes Wesen, obgleich eine Erinnerung oft eine verzehrende Sache ist.«

»Sprecht,« sagte Mylady mit dumpfer Stimme, »wer führt Euch zu mir, und was wollt Ihr von mir?«

»Ich will Euch sagen, daß ich Euch, obgleich unsichtbar für Eure Augen, nicht aus dem Gesichte verloren habe!«

»Ihr wißt, was ich gethan?«

»Ich kann Euch Euere Handlungen Tag für Tag erzählen, seit Eurem Eintritt in den Dienst des Kardinals bis zu diesem Abend.«

Ein ungläubiges Lächeln zog über die bleichen Lippen Mylady’s.

»Hört! Ihr habt die zwei diamantenen Nestelstifte von der Schulter des Herzogs von Buckingham geschnitten; – Ihr habt Madame Bonacieux entführen lassen; – Ihr habt, in den Grafen von Wardes verliebt, und im Glauben diesen zu empfangen, d’Artagnan Eure Thüre geöffnet; – Ihr wolltet Wardes, weil Ihr glaubtet, er habe Euch betrogen, durch seinen Nebenbuhler tödten lassen; – Ihr wolltet, als dieser Nebenbuhler Euer schmachvolles Geheimniß entdeckt hatte, ihn ebenfalls durch Meuchler, die ihr ihm nachschicktet, ermorden lassen; – Ihr habt, als Ihr sahet, daß die Kugeln den Mann verfehlten, vergifteten Wein mit einem falschen Brief geschickt, um Euer Opfer glauben zu machen, er komme von seinen Freunden; – Ihr habt endlich in diesem Zimmer, auf dem Stuhle, wo ich jetzt sitze, vorhin gegen den Kardinal die Verbindlichkeit übernommen, den Herzog von Buckingham ermorden zu lassen und zwar nachdem Ihr ihm das Gegenversprechen abgenommen, d’Artagnan zum Tode zu befördern.«

Mylady wurde leichenblaß.

»Ihr seid also Satan in eigener Person?« sagte sie.

»Vielleicht,« erwiderte Athos, »doch hört: ermordet den Herzog von Buckingham oder laßt ihn ermorden, daran ist mir wenig gelegen, ich kenne ihn nicht und überdies ist er ein Feind Frankreichs; aber krümmt d’Artagnan kein Haar, denn er ist ein treuer Freund, den ich liebe und vertheidige, oder ich schwöre Euch bei dem Haupte meines Vaters, das Verbrechen, welches Ihr zu begehen versucht, oder begangen habt, ist Euer letztes.«

»Herr d’Artagnan hat mich grausam verletzt,« sagte Mylady mit dumpfer Stimme; »Herr d’Artagnan muß sterben.« »In der That, ist es möglich. Euch zu verletzen, Madame?« sprach Athos lachend; »er hat Euch verletzt und muß sterben!«

»Er muß sterben!« versetzte Mylady, »Er zuerst und sie hernach.«

Athos war wie von einem Schwindel befallen; der Anblick dieses Geschöpfes, das nichts mehr mit dem Weibe gemein hatte, erweckte gräßliche Erinnerungen in ihm; er bedachte, daß er sie schon einmal in einer viel weniger gefährlichen Lage seiner Ehre hatte opfern wollen; seine Mordlust kehrte glühend zurück und bemächtigte sich seiner mit fieberischer Gewalt. Er erhob sich ebenfalls, fuhr mit der Hand nach dem Gürtel, zog eine Pistole hervor und spannte sie.

Bleich wie eine Leiche, wollte Mylady schreien, aber über ihre kaltgewordene Zunge kam nur ein rauher Ton, dem Röcheln eines wilden Thieres ähnlich; an die düstere Wand gedrückt, erschien sie mit ihren aufgelösten Haaren als das schauderhafte Bild des Schreckens.

Athos hob langsam die Pistole in die Höhe, streckte den Arm so aus, daß das Gewehr beinahe Mylady’s Stirne berührte, und sprach dann mit einer Stimme, die um so furchtbarer klang, als die erhabene Ruhe eines unbeugsamen Entschlusses daraus hervortrat:

»Madame, Ihr werdet auf der Stelle das Papier herausgeben, das Euch der Kardinal unterzeichnet hat, oder bei meiner Seele, ich schieße Euch über den Haufen.«

Bei einem andern Mann würde Mylady vielleicht ein Zweifel übrig geblieben sein, aber sie kannte Athos. Dennoch blieb sie unbeweglich.

»Ihr habt eine Sekunde um Euch zu entscheiden,« rief er.

Mylady sah an der Zusammenziehung seines Gesichts, daß der Schuß losgehen sollte; sie fuhr rasch mit der Hand an ihre Brust, zog ein Papier hervor und reichte es Athos mit den Worten:

»Nehmt und seid verflucht:«

Athos nahm das Papier, steckte die Pistole wieder in seinen Gürtel, näherte sich der Lampe, um sich zu überzeugen, daß es gewiß das geforderte Papier war, entfaltete es und las:

»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber dieses gethan, was er gethan hat.«

Den 3. August 1628.                                Richelieu

»Und nun,« sprach Athos, indem er seinen Mantel wieder nahm und den Hut aufsetzte, »und nun, da ich Dir die Zähne ausgerissen habe, beiß‘ wenn Du kannst.«

Hierauf verließ er das Zimmer, ohne sich nur umzuschauen. Vor der Thüre fand er die zwei Männer und das Pferd, das sie an der Hand hielten.

»Meine Herren,« sagte er, »Monseigneur befiehlt, wie Ihr wißt, diese Frau ohne Zeitverlust nach dem Fort de la Pointe zu führen, und sie nicht eher zu verlassen, als bis sie an Bord ist.«

Da diese Worte wirklich mit dem Befehl, den sie erhalten hatten, übereinstimmten, so verbeugten sie sich leicht zum Zeichen der Bestätigung.

Athos schwang sich in den Sattel und sprengte im Galopp davon. Doch statt der Straße zu folgen, ritt er quer durch das Feld, trieb sein Pferd kräftig mit den Sporen an und hielt von Zeit zu Zeit stille, um zu horchen.

Bei einem seiner Halte vernahm er auf der Straße die Tritte mehrerer Pferde. Er zweifelte nicht daran, daß es der Kardinal mit seiner Eskorte sei. Sogleich sprengte er noch eine Strecke voraus, stieg dann rasch ab, rieb sein Pferd mit Haidekraut und Baumblättern, sprang wieder in den Sattel und stellte sich auf der Straße ungefähr zweihundert Schritte von dem Lager auf.

»Wer da!« rief er von ferne, als er die Reiter ansichtig wurde.

»Das ist, glaube ich, unser braver Musketier,« sagte der Kardinal.

»Ja, Monseigneur,« erwiderte Athos, »er ist es.«

»Herr Athos,« sprach Richelieu, »empfangt meinen Dank, daß Ihr uns so gut Wache gehalten habt. Meine Herren, wir sind an Ort und Stelle, reitet durch das Thor links; das Losungswort ist: der König und Ré.

Nach diesen Worten nickte der Kardinal den drei Freunden mit dem Kopfe zu und ritt, gefolgt von seinem Stallmeister, nach rechts, denn diese Nacht schlief er selbst im Lager.

»Nun, wie steht es?« fragten Porthos und Aramis, als der Kardinal außer dem Bereich ihrer Stimmen war, »hat er das von ihr geforderte Papier unterzeichnet?«

»Allerdings,« antwortete Athos ruhig, »ich habe es hier.«

Und die drei Freunde wechselten keine Silbe mehr bis in ihr Quartier, und sagten nur den Wachen das Losungswort.

Man ließ nun Planchet durch Mousqueton sagen, sein Herr werde gebeten, wenn er von der Laufgraben-Wache abkomme, sich sogleich nach der Wohnung der Musketiere zu begeben.

Mylady machte, wie es Athos vorhergesehen hatte, keine Schwierigkeit, den Männern zu folgen, als sie dieselben vor der Thüre erblickte; wohl hatte sie einen Augenblick Lust, sich zu dem Kardinal zurückführen zu lassen und ihm Alles zu erzählen, aber eine Enthüllung von ihrer Seite führte eine Enthüllung von Athos herbei; sie konnte wohl sagen, Athos habe sie gehängt, aber Athos konnte sagen, daß sie gebrandmarkt war; sie hielt es also für das Klügste zu schweigen, in der Stille abzureisen, mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit die Sendung zu erfüllen, die sie übernommen hatte, und wenn alles zur Zufriedenheit des Kardinals vollzogen wäre, Rache von ihm zu fordern.

Nachdem sie die ganze Nacht gereist war, langte sie um sieben Uhr Morgens im Fort de la Pointe an; um acht Uhr war sie an Bord und um neun Uhr lichtete das Schiff die Anker und segelte nach England.

XVIII.

Die Bastei Saint Gervais.

Als d’Artagnan bei den drei Freunden eintraf, fand er sie in demselben Zimmer versammelt. Athos dachte nach. Porthos kräuselte seinen Schnurrbart, Aramis betete aus einem reizenden, in blauen Sammet gebundenen Büchlein.

»Bei Gott!« sagte er, »meine Herren, ich hoffe, daß sich das, was Ihr mir sagen wollt, wohl der Mühe lohnen wird, sonst könnte ich Euch nicht verzeihen, daß Ihr mich veranlaßt habt, allein die Mauern einer Bastei niederzureißen!« Ach! daß Ihr nicht dabei wäret, es ging hübsch warm zu.«

»Wir befanden uns anderswo, wo es auch nicht kalt war,« antwortete Porthos, während er seinem Schnurrbart eine ihm eigenthümliche Biegung verlieh.

»Stille!« sagte Athos.

»Oh! oh!« rief d’Artagnan, der das leichte Stirnrunzeln des Musketiers wohl verstand, »es scheint Neuigkeiten zu geben.«

»Aramis,« sprach Athos, »ich glaube. Du hast vorgestern in der Herberge zum Parpaillot 1 gefrühstückt; wie ißt man dort?«

»Ich war für meine Perlon sehr schlecht versorgt; vorgestern war Fasttag und sie hatten nur Fleischspeisen.«

»Wie!« rief Athos, »in einem Seehafen haben sie keine Fische?«

»Sie sagen,« antwortete Aramis, und wandte sich wieder zu seiner frommen Lektüre, »sie sagen, der Damm, den der Herr Kardinal bauen lasse, vertreibe sie in das offene Meer.«

»Das ist es nicht, was ich von Euch wissen wollte, Aramis,« entgegnete Athos, »ich wollte Euch fragen, ob Ihr ohne Zwang gewesen, ob Euch niemand gestört habe.«

»Es scheint mir, wir hatten nicht zu viele lästige Gäste. Ja, in Beziehung auf das, was Ihr wissen wollt, Athos, werden wir uns ziemlich wohl beim Parpaillot befinden.«

»Also auf, zum Parpaillot,« sprach Athos, »denn hier sind die Wände wie Papierblätter.«

D’Artagnan, der an die Handlungsweise seines Freundes gewöhnt war, und an einem Wort, an einem Zeichen, an einer Geberde von ihm erkannte, wenn es sich um eine Angelegenheit von Bedeutung handelte, nahm Athos beim Arm und entfernte sich mit ihm, ohne ein Wort zu sagen. Porthos folgte mit Aramis plaudernd.

Auf dem Wege begegnete man Grimaud. Athos winkte ihm mitzugehen. Grimaud gehorchte seiner Gewohnheit gemäß stillschweigend. Der arme Bursche hatte am Ende beinahe das Sprechen verlernt.

Man gelangte in die Trinkstube zum Parpaillot. Es war sieben Uhr morgens und es wurde eben Tag. Die vier Freunde bestellten ein Frühstück und traten in eine Stube ein, wo sie nach der Aussage des Wirths nicht gestört werden sollten.

Zum Unglück war die Stunde zu einer Berathung schlecht gewählt. Man hatte gerade Tagwache geschlagen. Jeder schüttelte den Schlaf von den Gliedern und nahm, um die feuchte Luft zu vertreiben, in der Trinkstube einen Schluck zu sich; Dragoner, Schweizer, Garden, Musketiere, Chevauxlegers folgten sich so rasch, daß sich der Wirth gut dabei stehen mußte, aber den Absichten der vier Freunde entsprach dies keineswegs. Sie erwiderten auch die Grüße, Toaste und Späße ihrer Genossen sehr verdrießlich.

»Wir werden uns hiedurch einen Streit zuziehen,« sprach Athos, »und wir brauchen dies gegenwärtig nicht. D’Artagnan erzählt uns von Eurer Nacht; wir erzählen Euch die unsere nachher.«

»In der That,« sprach ein Chevauleger, der sich hin- und herwiegte und langsam etwas Branntwein aus einem Glase, das er in der Hand hielt, kostete, »in der That, Ihr waret auf der Laufgraben-Wache, mein Herr Garde, und es scheint mir, Ihr hattet einen Strauß mit den Rochellern auszufechten.«

D’Artagnan schaute Athos an, als wollte er ihn fragen, ob er dem Eindringlinge antworten solle, der sich in das Gespräch mischte.

»Nun,« sagte Athos, »hörst Du nicht, daß Herr von Busigny Dir die Ehre erweist, das Wort an Dich zu richten? Erzähle was vorgefallen ist, da es diese Herren zu wissen wünschen.«

»Habt ihr nicht eine Bastei genommen?« fragte ein Schweizer, der Rum aus einem Bierglase trank.

»Ja, Herr,« antwortete d’Artagnan sich verbeugend, »wir haben diese Ehre gehabt: wir haben sogar, wie Ihr hören konntet, unter eine der Ecken ein Pulverfäßchen gebracht, das beim Aufspringen eine hübsche Bresche machte, abgesehen davon, daß der übrige Theil des Baues, insofern die Bastei nicht von gestern war, gewaltig erschüttert wurde.«

»Welche Bastei ist es?« fragte ein Dragoner, der an seinem Säbel eine Gans gespießt hielt, die er herbei brachte um sie braten zu lassen.

»Die Bastei Saint Gervais,« antwortete d’Artagnan, »aus der die Rocheller unsere Arbeiter beunruhigten.«

»Und die Affaire war hitzig?«

»Gewiß. Wir haben fünf Mann, die Rocheller acht bis zehn verloren.«

»Balzembleu!« rief der Schweizer, der trotz der bewundernswürdigen Sammlung von Flüchen, welche die deutsche Sprache besitzt, die Gewohnheit französisch zu fluchen angenommen hatte.

»Doch ist es wahrscheinlich,« sagte der Chevauxleger, »daß sie diesen Morgen Pioniere abschicken werden, um die Bastei wieder in Stand zu setzen.«

»Ja, das ist wahrscheinlich,« bemerkte d’Artagnan.

»Meine Herren,« sagte Athos, »eine Wette! …«

»Ah! ja, eine Wette!« rief der Schweizer.

»Welche?« fragte der Chevauxleger.

»Wartet,« sprach der Dragoner und legte seinen Säbel wie einen Spieß über die zwei großen Feuerblöcke im Kamin. »Unglückswirth! eine Bratpfanne, sogleich, daß ich keinen Tropfen von dem Fett dieses achtungswerthen Vogels verliere.«

»Er hat Recht,« sagte der Schweizer, »Gänsefett ist sehr gut bei Eingemachtem.«

»So,« rief der Dragoner, »nun. Eure Wette. Laßt hören, Herr Athos.«

»Ja, die Wette,« wiederholte der Chevauxleger.

»Wohl, Herr von Busigny, ich wette mit Euch,« antwortete Athos, »daß meine drei Gefährten, die Herren Porthos, Aramis, d’Artagnan und ich in der Bastei Saint-Gervais frühstücken und uns daselbst eine Stunde lang, die Uhr in der Hand, aufhalten, was der Feind auch thun mag, um uns zu vertreiben.«

Porthos und Aramis schauten sich an, sie fingen an zu begreifen.

»Aber, Freund,« sprach d’Artagnan, sich an das Ohr von Athos beugend, »Du willst uns ohne Barmherzigkeit tödten lassen.«

»Wir werden viel eher getödtet,« antwortete Athos, »wenn wir nicht dahin gehen.«

»Ah, meiner Treu, meine Herrn,« sprach Porthos, sich auf dem Stuhl umdrehend und seinen Schnurrbart kräuselnd, »das ist hoffentlich eine schöne Wette!«

»Ich nehme sie auch an,« erwiderte Herr von Busigny. »Nun handelt es sich nur noch darum, den Einsatz zu bestimmen.«

»Ihr seid zu vier, meine Herren,« sagte Athos, »wir sind auch zu vier; ein Mittagsmahl nach Belieben für acht Personen, ist das Euch angenehm?«

»Vortrefflich,« versetzte Herr von Busigny.

»Vollkommen,« sprach der Dragoner.

»Es sei so,« sagte der Schweizer.

Der vierte Zuhörer, der bei dem ganzen Gespräch eine stumme Rolle gespielt hatte, machte ein Zeichen mit dem Kopfe zum Beweis, daß er dem Vorschlag beitrat.

»Das Frühstück dieser Herren ist bereit,« rief der Wirth.

»Gut, so bringt es,« sagte Athos.

Der Wirth gehorchte; Athos winkte Grimaud herbei, zeigte ihm einen großen Korb, der in einer Ecke stand, und befahl ihm durch eine Geberde, das aufgetragene Fleischwerk in Servietten zu hüllen.

Grimaud begriff sogleich, daß es sich um ein Frühstück im Freien handelte, nahm den Korb, packte das Fleisch ein, legte die Flaschen dazu und hob den Korb sodann auf seinen Arm.

»Aber wo wollt Ihr mein Frühstück verzehren?« sagte der Wirth.

»Was geht das Euch an,« erwiderte Athos, »wenn man Euch nur bezahlt!«

Und er warf majestätisch zwei Pistolen auf den Tisch.

»Muß ich herausgeben, mein Herr Offizier?« fragte der Wirth.

»Nein, fügt nur zwei Bouteillen Champagner bei, und das Uebrige ist für die Servietten.«

Der Wirth machte kein so gutes Geschäft, als er Anfangs geglaubt hatte. Aber er entschädigte sich dadurch, daß er den vier Gästen zwei Flaschen Anjou-Wein statt der zwei Flaschen Champagner gab.

»Herr von Busigny,« sagte Athos, »wollt Ihr die Güte haben, Eure Uhr nach der meinigen zu richten, oder mir erlauben, die meinige nach der Euren zu regeln?«

»Sehr wohl, mein Herr,« sprach der Chevauxleger, und zog eine sehr schöne, mit Diamanten eingefaßte Uhr aus seiner Tasche, »ich habe halb acht Uhr.«

»Sieben Uhr fünfunddreißig Minuten,« entgegnete Athos. »Wir wissen also, daß meine Uhr um fünf Minuten voraus geht.«

Die jungen Leute grüßten die Umstehenden, welche im höchsten Grad erstaunt waren, und schlugen den Weg nach der Bastei Saint-Gervais ein, gefolgt von Grimaud, der den Korb trug, ohne zu wissen, wohin er ging, aber auch bei dem leidenden Gehorsam, an den er sich gewöhnt hatte, nicht einmal daran dachte, darnach zu fragen.

So lange sie noch innerhalb des Lagers waren, wechselten die vier Freunde kein Wort; es folgten ihnen viele Neugierige, welche von der eingegangen Wette wußten und sehen wollten, wie sie sich herausziehen würden. Aber sobald sie die Umschanzungslinie hinter sich hatten und sich in freier Luft befanden, glaubte d’Artagnan, der durchaus nicht wußte, wovon es sich handelte, es sei Zeit, sich eine Aufklärung zu erbitten.

»Und nun, mein lieber Athos,« sprach er, »erzeige mir die Freundschaft, mir zu erklären, wohin wir gehen?«

»Ihr seht es ja,« antwortete Athos, »wir gehen in die Bastei.«

»Aber was machen wir dort?«

»Ihr wißt es ja, wir frühstücken daselbst.«

»Aber warum frühstücken wir nicht beim Parpaillot?«

»Weil wir uns sehr wichtige Dinge zu sagen haben, und weil es unmöglich wäre, in diesem Wirthshause zu sprechen, bei all den Ueberlästigen, die dort kommen, grüßen und plaudern. Hier,« fuhr Athos, auf die Bastei deutend fort, »hier wird man uns wenigstens nicht stören.«

»Es scheint mir,« sprach d’Artagnan mit der Klugheit, die er so gut und natürlich mit seinem außerordentlichen Muth vereinigte, »es scheint mir, wir hätten einen verborgenen Ort auf den Dünen am Meeresufer finden können.«

»Wo man die Besprechung zwischen uns vier gesehen hätte, so daß nach einer Viertelstunde der Kardinal durch seine Spione von unserer Beratung benachrichtigt gewesen wäre.«

»Ja,« sagte Aramis. »Athos hat Recht; Animadvertuntur in desertis.«

»Eine Wüste wäre nicht übel gewesen,« sprach Porthos, »aber wie hätte man sie finden können?«

»Es gibt keine Wüste, wo nicht ein Vogel über das Haupt hinfliegen, ein Fisch über das Wasser springen oder ein Hase aus fernem Lager laufen kann, und ich glaube, Vogel, Fisch, Hase, Alles hat sich zum Spion des Kardinals gemacht. Es ist also besser, wir verfolgen unser Unternehmen, von dem wir übrigens ohne Schmach nicht mehr zurückweichen können. Wir haben eine Wette eingegangen, eine Wette, welche nicht vorhergesehen werden konnte, und deren wahre Ursache, das weiß ich gewiß, Niemand zu errathen vermag. Um zu gewinnen, halten wir eine Stunde in der Bastei aus. Entweder werden wir angegriffen oder wir werden nicht angegriffen. Wenn nicht, so gewinnen wir hinreichend Zeit, uns zu besprechen, und Niemand wird uns hören, denn ich stehe dafür, daß die Mauern dieser Bastei keine Ohren haben. Greift man uns an, so besprechen wir unsere Angelegenheiten dennoch, und bedecken uns durch unsere Vertheidigung mit Ruhm. Ihr sehet, daß Alles zu unserem Vortheil ist.«

»Ei!« rief d’Artagnan, »wir werden sicherlich eine Kugel erwischen.«

»Ei, mein Lieber,« erwiderte Athos, »Ihr wißt, daß die am meisten zu fürchtenden Kugeln nicht vom Feinde kommen.«

»Aber,« meinte Porthos, mir scheint, für ein solches Unternehmen hätten wir wenigstens unsere Musketen mitnehmen sollen.«

»Ihr seid ein Thor, Freund Porthos, warum sich mit einer unnützen Bürde belasten?«

»Ich finde eine gute Muskete mit zwölf Patronen und dem Pulversack, dem Feinde gegenüber, nicht unnütz.«

»Wie,« sprach Athos, »habt Ihr nicht gehört, was d’Artagnan gesagt hat?«

»Was hat er gesagt?« fragte Porthos.

»D’Artagnan hat erzählt, bei dem Angriff in dieser Nacht seien acht bis zehn Franzosen und eben so viel Rocheller getödtet worden.«

»Weiter?«

»Man hat nicht Zeit gehabt, sie zu plündern, nicht wahr? insofern man für den Augenblick etwas Eiligers zu thun hatte?«

»Nun?«

»Nun, wir werden ihre Musketen, ihre Pulversäcke und ihre Patronen finden, und statt vier Musketen und zwölf Kugeln haben wir fünfzehn Gewehre, und können wohl hundert Schüsse thun.«

»Oh! Athos,« rief Aramis, »Du bist in der That ein großer Mann!«

Porthos verbeugte sich zum Zeichen der Beipflichtung. D’Artagnan allein schien nicht völlig überzeugt.«

Wahrscheinlich theilte Grimaud die Zweifel des jungen Mannes, denn als er sah, daß man fortwährend der Bastei zumarschirte, was er bis jetzt noch nicht geglaubt hatte, zog er seinen Herrn am Rockschoße.

»Wohin gehen wir?« fragte er mit einer Geberde.

Athos deutete auf die Bastei.

»Aber,« sprach der stillschweigende Grimaud, stets in demselben Dialekte, »aber wir werden unsere Haut dort lassen.«

Athos hob die Augen und den Finger zum Himmel empor. Grimaud stellte seinen Korb auf die Erde und setzte sich, den Kopf schüttelnd, nieder.

Athos nahm eine Pistole aus seinem Gürtel, schaute, ob sie mit Zündkraut versehen war, spannte und hielt den Lauf Grimaud an das Ohr.

Grimaud war auf den Beinen, als ob ihn eine Feder emporgeschnellt hätte.

Athos hieß ihn durch ein Zeichen den Korb nehmen und vorausgehen. Grimaud gehorchte.

Der arme Bursche hatte bei dieser Pantomime eines Augenblicks durchaus nicht mehr gewonnen, als daß er von der Nachhut zur Vorhut gekommen war.

Als die vier Freunde die Bastei erreichten, wandten sie sich um. Mehr als vierhundert Soldaten von allen Waffen waren an einem Thor des Lagers versammelt, und man konnte in einer getrennten Gruppe Herrn von Busigny, den Dragoner, den Schweizer und den vierten Theilnehmer an der Wette unterscheiden.

Athos nahm seinen Hut ab, steckte ihn an das Ende seines Degens und schwenkte ihn in der Luft.

Alle Zuschauer gaben ihm den Gruß zurück und begleiteten diese Höflichkeit mit einem Hurrah, das bis zu ihnen drang.

Hierauf verschwanden alle vier in der Bastei, wohin ihnen Grimaud vorausgegangen war.

  1. Ein verächtlicher Beiname für die Calvinisten.

XIX.

Der Rath der Musketiere.

Die Bastei war, wie dies Athos vorhergesehen, nur von einem Dutzend Todter, sowohl Franzosen als Rocheller, besetzt.

»Meine Herren,« sprach Athos, der das Kommando bei diesem Zug übernommen hatte, »während Grimaud die Tafel zurichtet, wollen wir zuvörderst die Gewehre und Patronen sammeln. Wir können übrigens sprechen, so lange wir dieses Geschäft besorgen, denn diese Herren,« fügte er auf die Todten deutend bei, »hören uns nicht.«

»Wir könnten sie immerhin in die Gräben werfen,« sagte Porthos, »nachdem wir uns zuvor versichert, daß sie nichts in den Taschen haben.«

»Allerdings,« versetzte Athos, »aber das ist ein Geschäft für Grimaud.«

»Wohl,« sprach d’Artagnan, »so mag Grimaud sie hernach durchsuchen und in die Gräben werfen.«

»Das sei ferne von uns,« rief Athos, »sie können uns nützlich sein.«

»Diese Todten könnten uns nützlich sein?« fragte Porthos »ei. Du wirst ein Narr, mein lieber Freund.«

»Urtheilt nicht vorlaut, sagen das Evangelium und der Herr Kardinal,« antwortete Athos. »Wie viele Flinten, meine Herren?«

»Zwölf,« antwortete Aramis.

»Wie viel Schüsse zu feuern?«

»Etwa hundert.«

»Das ist so viel, als wir brauchen; laden wir die Gewehre.«

Die vier Musketiere machten sich an die Arbeit. Als sie das letzte Gewehr geladen hatten, deutete Grimaud mit einem Zeichen an, das Frühstück sei bereit.

Athos antwortete, stets mit einer Geberde, es sei gut, und zeigte Grimaud eine Art von Nische. Dieser begriff, daß er darin Wache halten sollte. Um ihm jedoch die Unannehmlichkeit seiner Trennung etwas zu versüßen, erlaubte ihm Athos ein Brod, zwei Kalbsrippchen und eine Flasche Wein mitzunehmen.

»Und nun zu Tische,« sprach Athos.

Die vier Freunde setzten sich auf die Erde, die Beine gekreuzt, wie Türken oder wie Schneider.

»Doch jetzt,« sagte d’Artagnan, »jetzt, da Du nicht mehr gehört zu werden fürchten mußt, wirst Du uns hoffentlich Dein Geheimniß mittheilen?«

»Ich hoffe Euch zugleich Vergnügen und Ruhm zu verschaffen, meine Herren,« antwortete Athos. »Ich habe Euch einen reizenden Spaziergang machen lassen. Hier ist ein äußerst schmackhaftes Frühstück und dort unten stehen, wie Ihr durch die Schießscharten sehen könnt, fünfhundert Personen, die uns für Narren oder für Helden halten, zwei Klassen von Schwachköpfen, die sich ziemlich gleichen.«

»Aber das Geheimniß,« sagte d’Artagnan.

»Das Geheimniß,« erwiederte Athos, »besteht darin, daß ich gestern Abend Mylady gesehen habe.«

D’Artagnan setzte eben sein Glas an die Lippen, aber bei dem Namen Mylady zitterte seine Hand so sehr, daß er es auf den Boden stellte, um den Inhalt nicht zu verschütten.

»Du hast Deine Fr .. – »Stille«, unterbrach ihn Athos. »Ihr vergeßt, mein Lieber, daß diese Herren nicht wie Ihr in das Geheimniß meiner häuslichen Angelegenheiten eingeweiht sind. Ich habe Mylady gesehen.« – »Und wo dies?« fragte d’Artagnan. – »Ungefähr zwei Meilen von hier, in der Herberge zum Rothen Taubenschlag.« – »Dann bin ich verloren,« rief d’Artagnan. – »Nein, noch nicht ganz,« versetzte Athos, »denn zu dieser Stunde muß sie die Küste von Frankreich verlassen haben.«

D’Artagnan athmete.

»Aber wer ist denn diese Mylady?« fragte Porthos. – »Eine reizende Frau,« erwiederte Athos, ein Glas Schaumwein kostend. »Canaille von einem Wirth!« rief er, »der uns Anjouer für Champagner gibt und glaubt, wir lassen uns hintergehen! Ja,« fuhr er fort, »eine reizende Frau, der unser Freund d’Artagnan irgend einen schlimmen Streich gespielt hat, für den sie sich dadurch zu rächen suchte, daß sie ihn vor einem Monat mit Musketenschüssen tödten lassen wollte, daß sie ihn vor acht Tagen zu vergiften trachtete, und daß sie gestern sich vom Kardinal seinen Kopf erbat.« – »Wie! vom Kardinal meinen Kopf erbat?« rief d’Artagnan bleich vor Schrecken. – »Gewiß!« sprach Porthos, »das ist so wahr wie das Evangelium; ich habe es mit meinen eigenen zwei Ohren gehört.« – »Ich ebenfalls,« fügte Aramis bei. – »Dann,« versetzte d’Artagnan und ließ entmuthigt die Arme sinken, »dann ist es unnütz, länger zu kämpfen; es ist besser, ich schieße mir eine Kugel vor den Kopf, und Alles ist vorbei.« – »Das ist die letzte Dummheit, die man zu machen hat,« sprach Athos, »insoferne es die einzige ist, für die es kein Gegenmittel gibt.« – »Aber bei solchen Feinden werde ich nie entkommen,« erwiederte d’Artagnan. »Zuerst mein Unbekannter von Meung; sodann Herr von Wardes, dem ich vier Degenstiche beigebracht habe; ferner Mylady, deren Geheimniß ich entdeckte, und endlich der Kardinal, dessen Rache ich vereitelt habe.« – »Gut,« sprach Athos, »Alles das macht zusammen nur vier, einer gegen einen, bei Gott! Wenn wir den Zeichen glauben dürfen, die uns Grimaud macht, so werden wir es mit einer viel größeren Anzahl von Menschen zu thun haben. Was gibt es, Grimaud? In Betracht des Gewichts der Umstände erlaube ich Euch zu sprechen; doch ich bitte, faßt Euch kurz. Was seht Ihr?« – »Eine Truppe!« – »Von wie viel Personen?« – »Von zwanzig Menschen.« – »Was für Menschen?« – »Sechszehn Gefangene, vier Soldaten.« – »Auf wie viel Schritte sind sie von uns entfernt?« – »Auf fünfhundert Schritte.« – »Gut, wir haben noch Zeit, dieses Huhn vollends zu verzehren und ein Glas Wein zu trinken. Auf Deine Gesundheit! d’Artagnan!« – »Auf Deine Gesundheit!« wiederholten Porthos und Aramis. – »Wohl denn, auf meine Gesundheit, obgleich ich nicht glaube, daß mir Eure Wünsche viel nützen werden.« – »Bah!« rief Athos, »Gott ist groß, wie die Anhänger Mahomeds sagen, und die Zukunft liegt in seinen Händen.«

Nachdem Athos sein Glas geleert hatte, stand er gleichgültig auf, nahm das nächste beste Gewehr und näherte sich einer Schießscharte.

Porthos, Aramis und d’Artagnan thaten dasselbe. Grimaud erhielt Befehl, sich hinter die vier Freunde zu stellen um die Gewehre wieder zu laden.

Bald sah man die Truppe erscheinen; sie kam durch einen schlauchartigen Laufgraben, der eine Verbindung zwischen der Bastei und der Stadt bildete.

»Bei Gott!« sprach Athos, »es war wohl der Mühe Werth, unser Mahl wegen zwanzig solcher mit Karsten, Hauen und Schaufeln bewaffneter Schufte zu unterbrechen. Grimaud hätte ihnen nur durch ein Zeichen bedeuten dürfen, sie sollen gehen und ich bin überzeugt, sie würden uns in Ruhe gelassen haben.«

»Ich bezweifle es,« sprach d’Artagnan, »denn sie rücken sehr entschlossen heran. Uebrigens sind bei den Arbeitern vier mit Musketen bewaffnete Soldaten und ein Brigadier.«

»Weil sie uns nicht gesehen haben,« entgegnete Athos.

»Meiner Treu,« sagte Aramis, »es wiederstrebt mir, auf diese armen Teufel von Bürgersleuten zu schießen.«

»Ein schlechter Priester,« rief Porthos, »der mit Ketzern Mitleid hat.«

»In der That,« sagte Athos, »Aramis hat Recht, und ich will sie warnen.«

»Was Teufels macht Ihr denn?« entgegnete d’Artagnan, »Ihr wollt Euch, scheint es, niederschießen lassen, mein Lieber.«

Aber Athos hörte nicht auf diesen Rath, sondern stieg auf die Bresche, wandte sich, sein Gewehr in der einen, den Hut in der andern Hand, höflich grüßend an die Soldaten und Arbeiter, welche erstaunt über diese Erscheinung ungefähr fünfzig Schritte vor der Bastei stehen blieben, und rief:

»Meine Herren, einige Freunde und ich sitzen hier in dieser Bastei beim Frühstück. Ihr wißt aber wohl, wie unangenehm es ist, gestört zu werden, wenn man frühstückt: wir bitten Euch also, wenn Ihr unerläßliche Geschäfte hier habt, entweder zu warten bis wir unser Mahl vollendet haben oder später wieder zu kommen, wenn Ihr nicht, was das Heilsamste wäre, Lust habt, die Partei der Rebellen zu verlassen und mit uns auf die Gesundheit des Königs von Frankreich zu trinken.«

»Nimm Dich in Acht, Athos,« jagte d’Artagnan, »siehst Du nicht, daß sie auf Dich anlegen?«

»Allerdings,« erwiederte Athos, »aber es sind Bürger, die sehr schlecht schießen und mich gewiß nicht treffen werden.«

Es wurden in der That in demselben Augenblick vier Flintenschüsse abgefeuert und die Kugeln schlugen um Athos her an die Mauern, aber keine traf ihn.

Vier Schüsse antworteten ihnen beinahe in derselben Sekunde, aber unsere Freunde hatten besser gezielt, als die Angreifenden: drei Soldaten stürzten maustodt nieder und ein Arbeiter war verwundet.

»Grimaud, eine andere Muskete,« sagte Athos, immer noch auf der Bresche stehend.

Grimaud gehorchte sogleich. Die drei Freunde hatten ihre Gewehre selbst wieder geladen, der Brigadier und zwei Pionniere wurden todt zu Boden gestreckt, der Rest der Truppe ergriff die Flucht.

»Auf! meine Herren, einen Ausfall,« rief Athos.

Und die vier Freunde stürzten aus dem Fort hervor, gelangten bis zum Schlachtfeld, rafften die vier Musketen der Soldaten und die Halbpike des Brigadiers auf, und zogen sich, überzeugt, daß die Fliehenden erst in der Stadt anhalten werden, mit ihren Siegestrophäen in die Bastei zurück.

»Lade unsere Gewehre wieder, Grimaud,« sprach Athos, »und wir, meine Herren, wollen zu unserem Frühstück zurückkehren und unser Gespräch fortsetzen. Wo waren wir?«

»Ich erinnere mich,« antwortete d’Artagnan, »Du sagtest Mylady habe Frankreich verlassen, nachdem sie meinen Kopf von dem Kardinal verlangt habe.«

»Und wohin geht sie?« fügte d’Artagnan bei, den Myladys Reiseplan sehr in Anspruch zu nehmen schien.

»Sie geht nach England,« erwiederte Athos.

»In welcher Absicht?«

»In der Absicht, Buckingham zu ermorden oder ermorden zu lassen.«

»Ei das ist ja ganz heillos,« rief d’Artagnan voll Staunen und Entrüstung.

»Oh! was das betrifft,« entgegnete Athos, »darum kümmere ich mich nicht viel. Nun, da Du fertig bist, Grimaud,« fuhr Athos fort, »nimm die Halbpike unseres Brigadier, binde eine Serviette daran und pflanze sie dann auf unserer Bastei auf, damit diese rebellischen Rocheller sehen, daß sie es mit braven und loyalen Soldaten des Königs zu thun haben.«

Grimaud gehorchte, ohne zu antworten, und einen Augenblick nachher wehte eine weiße Fahne über dem Haupte der vier Freunde. Freudengeschrei und donnernder Beifall begrüßten ihre Erscheinung. Die Hälfte des Lagers war an den Barrieren.

»Wie,« versetzte d’Artagnan, »Du kümmerst Dich wenig darum, ob sie Buckingham ermordet, oder ermorden läßt? Der Herzog ist unser Freund.«

»Der Herzog ist ein Engländer, der Herzog kämpft gegen uns, sie mag also mit ihm machen, was sie will, ich kümmere mich so wenig darum, als um eine leere Flasche.«

Und bei diesen Worten schleuderte Athos eine Flasche, deren Inhalt er bis auf den letzten Blutstropfen in sein Glas gegossen hatte, zwanzig Schritte von sich.

»Einen Augenblick –« sagte d’Artagnan, »ich gebe den Herzog nicht so rasch auf, er schenkte uns sehr schöne Pferde.«

»Und besonders sehr schöne Sättel,« sprach Porthos, der die Galone des seinigen an seinem Mantel trug.

»Auch will Gott die Bekehrung und nicht den Tod des Sünders,« sagte Aramis.

»Amen!« sprach Athos, »und wir werden später hierauf zurückkommen, wenn es Euch beliebt. Doch ich war am meisten daraus bedacht – und Du wirst das wohl begreifen, d’Artagnan – dieser Frau eine Art von Vollmacht abzunehmen, welche sie Richelieu abgepreßt hatte, und mit deren Hülfe sie sich ungestraft Deiner und vielleicht unserer Personen entledigen könnte.«

»Aber das ist doch ein wahrer Teufel, dieses Geschöpf!« sprach Porthos und reichte Aramis, welcher Geflügel zerlegte, seine Serviette.

»Und diese Vollmacht,« fragte d’Artagnan, »diese Vollmacht blieb in Ihren Händen?«

»Nein, sie ging in die meinigen über. Wenn ich sagen würde, dies sei ohne Mühe geschehen, so müßte ich lügen.«

»Mein lieber Athos,« sprach d’Artagnan, »ich zähle nicht mehr, wie oft Ihr mir das Leben gerettet habt.«

»Also um zu ihr zurückzukehren, hast Du uns verlassen?« fragte Aramis.

»Allerdings.«

»Und Du besitzest den Brief des Kardinals?« fragte d’Artagnan.

»Hier ist er,« antwortete Athos.

Und er zog das kostbare Papier aus der Tasche seiner Kasake hervor.

D’Artagnan entfaltete es mit einer Hand, deren Zittern er nicht einmal zu verbergen suchte und las:

»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber gethan, was er gethan hat.

Den 3. August 1628.                                Richelieu

»In der That,« sprach Aramis, »das ist eine Absolution nach allen Regeln.«

»Man muß dieses Papier vernichten,« sprach d’Artagnan, der sein Todesurtheil zu lesen meinte.

»Ganz im Gegentheil,« erwiederte Athos, »man muß es sorgfältig aufbewahren, und ich würde dieses Papier nicht hergeben, wenn man es mit Goldstücken bedecken wollte.«

»Und was wird sie nun wohl thun?« fragte der junge Mann.

»Wahrscheinlich,« antwortete Athos, »wahrscheinlich wird sie dem Kardinal schreiben, ein verdammter Musketier, Namens Athos, habe ihr mit Gewalt ihren Geleitsbrief entrissen. Sie wird ihm in demselben Brief den Rath geben, sich zu gleicher Zeit seiner, so wie seiner zwei Freunde, Porthos und Aramis, zu entledigen. Der Kardinal wird sich erinnern, daß es dieselben Menschen sind. denen er immer auf seinen Wegen begegnet. Dann wird er an einem schönen Morgen d’Artagnan verhaften lassen und, damit er sich ganz allein nicht zu sehr langweilt, auch uns in die Bastille schicken, um ihm Gesellschaft zu leisten.«

»Ei, den Teufel!« rief Porthos, »es scheint mir, Du machst da sehr schlechte Spässe, mein Lieber?«

»Ich spasse nicht,« sagte Athos.

»Weißt Du,« versetzte Porthos, »daß es eine geringere Sünde wäre, dieser verdammten Mylady den Hals umzudrehen, als diesen armen Teufeln von Hugenotten, welche nie ein anderes Verbrechen begangen haben, als daß sie die Psalmen französisch singen, die wir lateinisch singen.«

»Was sagt der Abbé dazu?« fragte Athos ruhig.

»Ich sage, daß ich der Meinung von Porthos bin,« antwortete Aramis.

»Und ich ebenfalls,« sprach d’Artagnan.

»Zum Glück ist sie ferne von hier,« versetzte Porthos, »denn ich gestehe, sie würde mich hier sehr genieren.«

»Sie geniert mich in England eben so sehr, als in Frankreich,« sagte Athos.

»Sie geniert mich überall,« sprach d’Artagnan.

»Aber da Du sie in Deinen Händen hattest,« rief Porthos, »warum hast Du sie nicht ertränkt, erdrosselt, aufgehenkt? … Nur die Todten kommen nicht wieder.«

»Ihr glaubt das?« erwiederte der Musketier mit einem düstern Lächeln, das d’Artagnan allein verstand.

»Ich habe einen Gedanken,« sprach d’Artagnan.

»Laß hören,« sagten die Musketiere.

»Zu den Waffen!« schrie Grimaud.

Die jungen Leute sprangen rasch auf und liefen nach ihren Gewehren.

Ein kleiner Trupp, aus zwanzig bis fünfundzwanzig Mann bestehend, rückte heran. Aber diesmal waren es nicht mehr Arbeiter, sondern Soldaten der Garnison.

»Wenn wir in das Lager zurückkehrten,« sprach Porthos.

»Es scheint mir, die Partie ist ungleich.«

»Unmöglich aus drei Gründen,« antwortete Athos. »Erstens haben wir unser Frühstück noch nicht vollendet, zweitens haben wir uns noch wichtige Dinge zu sagen, drittens fehlen noch zehn Minuten, bis die Stunde abgelaufen ist.«

»Wohl,« sagte Aramis, »wir müssen jedoch einen Schlachtplan feststellen.«

»Das ist ganz einfach,« sagte Athos; »sobald der Feind in Schußweite kommt, geben wir Feuer. Rückt er weiter vor, so geben wir abermals Feuer; wir feuern, so lange wir geladene Gewehre haben; wenn hernach der Rest des Trupps Sturm laufen will, so lassen wir die Belagerer bis in den Graben heransteigen und werfen ihnen dann einen Flügel von dieser Mauer, welche nur noch durch ein Wunder ihr Gleichgewicht hält, auf die Köpfe.«

»Bravo,« sagte Porthos, »Du bist entschieden zum General geboren, Athos, und der Kardinal, der sich für einen großen Kriegsmann hält, ist offenbar sehr wenig im Vergleich mit Dir.«

»Meine Herren,« sprach Athos, »nicht auf zwei Seiten verhandelt, ich bitte. Nehmt jeder Euern Mann auf das Korn!«

»Ich habe den meinigen,« sagte d’Artagnan.

»Und ich den meinigen,« sagte Porthos.

»Und ich ebenfalls,« sagte Aramis.

»Gebt Feuer!« sagte Athos.

Die vier Flintenschüsse machten nur einen Knall und vier Soldaten stürzten zu Boden.

Sogleich schlug der Tambour und der kleine Trupp rückte im Sturmschritt vor.

Dann folgten sich die Schüsse unregelmäßig, aber mit der größten Genauigkeit gezielt; doch die Rocheller rückten, als hätten sie die numerische Schwäche der Feinde gekannt, fortwährend im Geschwindschritt vor.

Bei drei Schüssen fielen immer zwei Mann: dessenungeachtet wurde der Marsch der Übrigbleibenden nicht langsamer.

Am Fuße der Bastei angelangt, waren die Feinde noch zwölf bis fünfzehn Mann stark. Eine letzte Ladung empfing sie, hielt sie aber nicht auf. Sie sprangen in den Graben und schickten sich an, die Bresche zu ersteigen.

»Auf, meine Freunde,« rief Athos, »endigen wir mit einem Schlage. Zur Mauer! Zur Mauer!«

Und von Grimaud unterstützt, stemmten sich die vier Freunde mit dem Laufe ihrer Flinten an einen enormen Mauerflügel, der, wie vom Sturmwind erfaßt, sich neigte, sich von seiner Grundlage ablöste, und mit furchtbarem Gekrach in den Graben stürzte. Dann vernahm man ein gewaltiges Geschrei, eine Staubwolke stieg zum Himmel auf und Alles war vorbei.

»Sollten wir sie vom Ersten bis zum Letzten zerschmettert haben?« sagte Athos.

»Meiner Treu‘, es sieht so aus,« erwiederte d’Artagnan.

»Nein,« sagte Porthos, »seht dort zwei oder drei, welche sich hinkend fortzuschleppen suchen.«

Drei oder vier von den Unglücklichen flohen wirklich, mit Koth und Blut bedeckt, in den Hohlweg, und erreichten die Stadt. Das war Alles, was von dem Trupp übrig blieb.

Athos schaute auf seine Uhr.

»Meine Herren, wir sind nun eine Stunde hier, und die Wette ist gewonnen. Aber man muß ehrlich spielen, und d’Artagnan hat uns überdies seinen Gedanken noch nicht gesagt.«

Nach diesen Worten setzte sich der Musketier mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit zu den Ueberresten des Frühstücks.

»Ihr wollt meinen Plan kennen lernen?« sprach d’Artagnan zu seinen drei Gefährten, als sie nach dem Angriffe, der für den kleinen Trupp der Rocheller so traurig geendet hatte, wieder beim Frühstück saßen. – »Ja,« antwortete Athos, »Ihr sagtet, Ihr habet einen Gedanken.« – »Richtig, ich habs wieder,« rief d’Artagnan. »Ich reise zum zweiten Mal nach England, suche Herrn von Buckingham auf und benachrichtige ihn von dem Komplott, das gegen ihn gesponnen wird.« – »Ihr werdet das nicht thun, d’Artagnan,« sprach Athos kalt. – »Und warum nicht? Habe ich es nicht bereits gethan?« – »Ja, aber damals waren wir nicht im Krieg begriffen, und Herr von Buckingham war zu jener Zeit unser Verbündeter und kein Feind. Was Ihr thun wollt, würde man als einen Verrath taxiren.«

D’Artagnan begriff das Gewicht dieses Urtheils und schwieg.

»Aber ich glaube ebenfalls einen Gedanken zu haben,« sprach Porthos.

»Hört den Gedanken des Herrn Porthos,« sagte Aramis.

»Ich verlange einen Urlaub von Herrn von Treville unter irgend einem Vorwand, den Ihr finden werdet, denn ich bin nicht so stark in Vorwänden. Mylady kennt mich nicht. Ich nähere mich ihr, ohne daß sie mich fürchtet, und wenn ich meine Schöne treffe, erdrossele ich sie.«

»Ei,« sagte Athos, »ich bin nicht abgeneigt, dem Gedanken von Porthos beizupflichten.«

»Pfui,« sprach Aramis, »eine Frau umbringen! Halt! ich habe den wahren Gedanken.«

»Laßt ihn hören, Aramis,« erwiederte Athos, welcher große Achtung vor dem jungen Musketier hegte.

»Man müßte die Königin in Kenntniß setzen.«

»Ah, meiner Treu, ja,« sprachen Porthos und d’Artagnan zugleich, »ich glaube, wir haben ein Mittel gefunden.«

»Die Königin in Kenntniß setzen?« fragte Athos, »und wie dies? Haben wir Verbindungen bei Hofe? Können wir Jemand nach Paris schicken, ohne daß man es im Lager erfährt? Von hier nach Paris sind es hundert und vierzig Meilen; unser Brief hat noch nicht Angers erreicht und wir sitzen bereits im Gefängnisse.«

»Was die Aufgabe betrifft, Ihrer Majestät einen Brief sicher zuzustellen,« sagte Aramis erröthend, »so übernehme ich dies. Ich kenne in Tours eine geschickte Person …«

Aramis hielt inne, als er Athos lächeln sah.

»Nun, Athos? Ihr nehmt dieses Mittel nicht an?« fragte d’Artagnan.

»Ich weise es nicht gänzlich zurück,« antwortete Athos; »aber ich wollte Aramis nur bemerken, daß er das Lager nicht verlassen kann, daß jeder Andere sicherer ist, als Einer von uns; daß zwei Stunden, nachdem der Bote abgegangen, alle Kapuziner, alle Alguazils, alle Schwarzmützen des Kardinals Euren Brief auswendig kennen, und daß man Euch sammt Euren geschickten Personen verhaften wird.«

»Abgesehen davon,« sprach Porthos, »daß die Königin Herrn von Buckingham, aber keineswegs uns retten wird.«

»Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »was Porthos einwendet, ist sehr vernünftig.«

»Ah ah! was geht in der Stadt vor?« rief Athos.

»Man schlägt Generalmarsch.«

Die vier Freunde horchten und der Lärm der Trommeln drang wirklich bis zu ihnen.

»Ihr werdet sehen, daß man ein ganzes Regiment schickt,« sagte Athos.

»Ihr hofft doch nicht gegen ein ganzes Regiment Stand zu halten,« sprach Porthos.

»Warum nicht?« erwiederte der Musketier. »Ich fühle mich jetzt im Zug und würde vor einer ganzen Armee Stand halten, wenn wir nur so vorsichtig gewesen wären, ein Dutzend Flaschen mehr mitzunehmen.«

»Bei meinem Ehrenwort, der Trommler nähert sich,« sagte d’Artagnan.

»Laßt ihn herankommen!« rief Athos. »Es ist eine Viertelstunde Wegs von hier nach der Stadt, und folglich auch von der Stadt hieher. Das ist mehr Zeit als wir brauchen, um unsern Plan festzustellen. Wenn wir von hier weggehen, finden wir nie mehr einen so passenden Ort. Und halt, gerade jetzt kommt mir der wahre Gedanke.«

»Sprecht also!«

»Erlaubt mir, daß ich Grimaud einige unerläßliche Befehle gebe.«

Athos machte seinem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.

»Grimaud,« sprach Athos, auf die Todten deutend, die in der Bastei lagen, »Du nimmst diese Herren, stellst sie an die Mauer, setzest ihnen ihre Hüte auf den Kopf und gibst ihnen ihre Flinten in die Hand.«

»O großer Mann!« rief d’Artagnan, »ich verstehe Dich!« – »Ihr versteht?« fragte Porthos. – »Und Du, verstehst Du, Grimaud?« sagte Athos.

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen.

»Mehr braucht es nicht,« sprach Athos. »Kommen wir auf meinen Gedanken zurück.« – »Ich wünschte jedoch zu begreifen,« sprach Porthos. – »Das ist unnöthig!« – »Ja, ja, den Gedanken von Athos!« riefen d’Artagnan und Aramis zugleich. – »Diese Mylady, diese Frau, dieses Geschöpf, dieser Teufel, hat, wie Ihr mir, glaube ich, sagtet, einen Schwager, d’Artagnan?« – »Ja, ich kenne ihn genau, und ich bin überzeugt, daß er keine große Sympathie für seine Schwägerin hegt.« – »Das ist nicht schlimm,« antwortete Athos, »und es wäre sogar das Beste, wenn er sie haßte und verabscheute.« – »In diesem Falle sind wir nach Wunsch bedient.« – »Indessen möchte ich doch einsehen,« sprach Porthos, »was Grimaud macht.« – »Stille, Porthos,« sagte Aramis. – »Wie heißt dieser Schwager?« – »Lord Winter.« – »Wo hält er sich gegenwärtig auf?« – »Er ist bei dem ersten Kriegslärm nach London zurückgekehrt.« – »Nun, das ist gerade der Mann, den wir brauchen,« sagte Athos. »Er ist es, den wir von dem, was vorgeht, in Kenntniß setzen müssen. Wir lassen ihn wissen, daß seine Schwägerin im Begriffe ist, Jemand zu ermorden, und bitten ihn, sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es giebt in London hoffentlich Anstalten nach Art der Madelonetten oder der reuigen Schwestern. Er läßt seine Schwägerin dahin bringen und wir sind ruhig.« – »Ja,« sagte d’Artagnan, »bis sie wieder heraus ist.« – »Ah meiner Treu, Ihr verlangt zu viel, d’Artagnan,« sagte Athos, »ich habe Euch Alles gegeben, was ich besaß, und leugne nicht, daß ihr meinem Sack auf den Grund gekommen seid.« – »Ich meines Theils,« sagte Aramis, »halte es für das Beste, wir setzen die Königin und Lord Winter zugleich in Kenntniß.« – »Ja aber durch wen lassen wir den Brief nach Tours und den nach London tragen?« – »Ich stehe für Bazin,« sagte Aramis. – »Und ich für Planchet,« fügte d’Artagnan bei. – »In der That,« sprach Porthos, »wenn wir das Lager nicht verlassen können, so können es doch wenigstens unsere Lakaien verlassen.« – »Allerdings,« bemerkte Aramis, »noch heute schreiben wir die Briefe, geben ihnen Geld und sie gehen ab.« – »Wir geben ihnen Geld?« fragte Athos. »Ihr habt also Geld?«

Die vier Freunde schauten sich an, und eine Wolke zog über ihre Stirne hin.

»Geschwind!« rief d’Artagnan. »Ich sehe schwarze und rothe Punkte, die sich da unten bewegen. Was spracht Ihr von einem Regiment, Athos? Es ist ein wahres Heer.«

»In der That, da kommen sie. Seht, die Duckmäuser! Sie rücken ohne Trommel und Trompete heran. Bist Du fertig, Grimaud?«

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen und deutete aus ein Dutzend Todte, die er in den pittoreskesten Stellungen aufgepflanzt hatte. Die Einen hatten ihre Gewehre geschultert, die Andern sahen aus, als schlügen sie an, wieder Andere hielten den Degen in der Faust.

»Bravo!« rief Athos, »das macht Deiner Einbildungskraft Ehre!«

»Das ist ganz gleichgültig,« sagte Porthos, »ich möchte jedoch wissen, zu was er sich solche Mühe gegeben.«

»Machen wir uns vorerst aus dem Staube,« erwiederte d’Artagnan.

»Einen Augenblick, meine Herren, einen Augenblick, gönnen wir Grimaud Zeit, abzutragen.«

»Ah!« sagte Aramis, »seht, die schwarzen Punkte und die rothen Punkte werden sichtbar größer, und ich bin der Meinung d’Artagnans. Ich glaube, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, um das Lager wieder zu erreichen.«

»Meiner Treu,« sprach Athos, »ich habe nichts gegen den Rückzug einzuwenden. Wir haben auf eine Stunde gewettet, und sind anderthalb Stunden geblieben. Das ist mehr als genug. Vorwärts, meine Herren!«

Grimaud war schon mit dem Korbe vorausgegangen.

Die vier Freunde gingen hinter ihm hinaus und machten etwa zehn Schritte, als ihnen Athos zurief:

»Meine Herren! was machen wir?«

»Hast Du etwas vergessen?« fragte Aramis.

»Die Fahne! Mord und Teufel! Man darf keine Fahne in den Händen des Feindes lassen, selbst wenn es eine Serviette ist.«

Und Athos stürzte in die Bastei, erstieg die Plattform und nahm die Fahne ab. Als aber die Rocheller in Schußweite gelangt waren, eröffneten sie ein furchtbares Feuer auf diesen Mann, der sich gleichsam zum Vergnügen den Schüssen auszusetzen schien.

Doch man hätte glauben sollen, Athos würde durch einen Zauber beschützt; die Kugeln flogen zischend um ihn her, keine einzige berührte seine Person.

Athos schwang seine Fahne, indem er den Leuten von der Stadt den Rücken zukehrte und die im Lager begrüßte.

Von zwei Seiten erscholl ein mächtiges Geschrei, von der einen Seite ein Geschrei der Wuth, von der andern ein Geschrei der Begeisterung.

Eine zweite Ladung folgte der ersten, und drei Kugeln durchlöcherten die Serviette und machten wirklich eine Fahne aus ihr.

Das ganze Lager rief: »Steigt herab, steigt herab!«

Athos stieg herab; seine Kameraden, welche ängstlich seiner harrten, sahen ihn zu ihrer großen Freude wieder erscheinen.

»Vorwärts, Athos, vorwärts!« rief d’Artagnan, »ziehen wir uns zurück; jetzt, da wir Alles gefunden haben, wäre es thöricht, wenn wir uns töten ließen.«

Aber Athos fuhr fort, majestätisch einherzumarschiren; und da seine Gefährten sahen, daß jede Bemerkung fruchtlos war, so regelten sie ihren Gang nach dem seinigen.

Grimaud und sein Korb waren vorausmarschirt und befanden sich beide außerhalb des Bereichs eines Angriffes.

Nach einem Augenblick vernahm man das Gekrache eines furchtbaren Gewehrfeuers.

»Was ist das?« fragte Porthos, »und wonach schießen sie? Ich höre die Kugeln nicht pfeifen, und sehe Niemand.«

»Sie schießen nach unsern Todten,« antwortete Athos. »Aber unsere Todten werden nicht antworten.«

»Ganz richtig, dann glauben sie an einen Hinterhalt, beratschlagen, schicken einen Parlamentär ab, und wenn sie den Spaß gewahr werden, sind wir außer dem Bereich der Kugeln. Es ist daher unnöthig, uns durch große Eile ein Seitenstechen zuzuziehen.«

»O! ich begreife,« sprach Porthos erstaunt.

»Das ist ein Glück,« sagte Athos, die Achseln zuckend.

Als die Franzosen ihre vier Freunde im Schritt zurückkommen sahen, erhoben sie ein Freudenschrei.

Endlich vernahm man ein neues Musketenfeuer, die Kugeln prallten dießmal an den Kieselsteinen um die vier Freunde her auf und zischten unheilschwanger in ihre Ohren. Die Rocheller hatten sich der Bastei bemächtigt.

»Das sind sehr ungeschickte Leute,« sagte Athos. »Wie viel haben wir getödtet?« – »Zwölf bis fünfzehn.« – »Wie viel haben wir niedergeschmettert?« – »Acht bis zehn.« – »Für Alles dies nicht einmal eine Schramme! Doch was habt Ihr an der Hand, d’Artagnan? Blut, wie es mir scheint!« – »Es ist nichts,« erwiderte d’Artagnan. – »Eine verlorene Kugel!« – »Nicht einmal.« – »Was ist es denn?«

Athos liebte d’Artagnan wie sein eigenes Kind und dieser düstere und unbeugsame Charakter hegte zuweilen, wie wir schon früher bemerkten, eine wahrhaft väterliche Sorge für den jungen Mann.

»Eine Verletzung der Haut«, antwortete d’Artagnan, »meine Finger sind zwischen zwei Steine gekommen, zwischen den der Mauer und den meines Ringes, da öffnete sich die Haut.«

»Das kommt davon her, daß man Diamanten trägt,« sprach Athos verächtlich.

»Ah! wirklich,« rief Porthos, »er besitzt einen Diamant? Und warum des Teufels klagen wir, daß wir kein Geld haben, da er einen Diamant besitzt?«

»Ganz richtig,« sagte Aramis.

»Das ist gut. Porthos, diesmal habt Ihr einen Gedanken.«

»Ganz gewiß,« sprach Porthos, sich bei dem Komplimente von Athos brüstend, »da er einen Diamant hat, so wollen wir ihn verkaufen.«

»Aber es ist der Diamant der Königin,« entgegnete d’Artagnan.

»Ein Grund mehr,« versetzte Athos. »Die Königin rettet Herrn von Buckingham, ihren Liebhaber, nichts ist billiger; die Königin rettet uns, ihre Freunde, nichts ist moralischer. Verkaufen wir den Diamant. Was denkt der Herr Abbé hierüber? Ich frage Porthos nicht um seine Meinung; er hat sie bereits ausgesprochen.«

»Ich denke,« antwortete Aramis erröthend, »daß d’Artagnan, da sein Ring nicht von einer Geliebten kommt und folglich kein Liebespfand ist, denselben verkaufen kann.«

»Mein Lieber, Ihr sprecht wie die leibhaftige Theologie. Es ist also Euer Rath? …«

»Den Diamant zu verkaufen,« erwiderte Aramis.

»Gut!« rief d’Artagnan heiter. »Verkaufen wir den Diamant und sprechen wir nicht mehr davon.«

Das Gewehrfeuer dauerte fort, aber die Freunde befanden sich außerhalb der Schußweite und die Rocheller schossen nur, um ihr Gewissen zu entlasten.

»Meiner Treu, es war Zeit, daß Porthos auf diese Idee kam: wir sind im Lager. Also, meine Herren, kein Wort mehr von der ganzen Geschichte. Man bemerkt uns, man kommt uns entgegen; man wird uns im Triumphe hineintragen!«

In der That war, wie wir bemerkt haben, das ganze Lager in Bewegung. Mehr als zweitausend Personen hatten die glückliche Prahlerei der vier Freunde, deren wahre Ursache man nicht im entferntesten errieth, wie ein Schauspiel betrachtet. Man hörte nichts als den Ruf: »Es leben die Garden! Es leben die Musketiere!« Herr von Busigny war der erste, der herbei kam, um Athos die Hand zu drücken und die Wette für verloren zu erklären. Der Schweizer und der Dragoner ahmten ihm nach und alle Kameraden folgten dem Schweizer und dem Dragoner. Das Händedrücken, Glückwünschen, Umarmen wollte kein Ende nehmen, es entstand ein unauslöschliches Gelächter über die Rocheller und der Tumult nahm dermaßen zu, daß der Herr Kardinal, in der Meinung, es sei ein Aufruhr ausgebrochen, La Houdinière, den Kapitän seiner Leibwachen, abschickte, um sich zu erkundigen, was vorging.

Man erzählte ihm die Sache mit dem ganzen Feuer der Begeisterung.

»Nun?« fragte der Kardinal, als er La Houdinière zurückkommen sah.

»Monseigneur,« erwiderte dieser, »drei Musketiere und ein Garde haben mit Herrn von Busigny gewettet, in der Bastei Saint Gervais zu frühstücken; sie hielten zwei Stunden gegen den Feind aus und tödteten, ich weiß nicht wie viele Rocheller.«

»Habt Ihr nach den Namen der drei Musketiere gefragt?«

»Ja, Monseigneur.«

»Wie heißen sie?«

»Es sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.«

»Immer meine drei Braven,« murmelte der Kardinal. »Und der Garde?«

»Herr d’Artagnan.«

»Immer mein junger Tollkopf! Diese vier Menschen müssen um jeden Preis mein werden.«

Am Abend desselben Tages sprach der Kardinal mit Herrn von Treville über die That vom Morgen, welche das Gespräch des ganzen Lagers bildete; Herr von Treville, der die Begebenheit aus dem Munde des Helden selbst erfahren hatte, erzählte sie Seiner Eminenz in allen ihren Einzelheiten, ohne die Episode der Serviette zu vergessen.

»Das ist schön, Herr von Treville,« sagte der Kardinal, »ich bitte Euch, verschafft mir diese Serviette, ich lasse drei goldene Lilien darauf sticken und gebe sie Eurer Kompagnie als Standarte.«

»Monseigneur,« erwiederte Herr von Treville, »das wäre eine Ungerechtigkeit gegen die Garden, Herr d’Artagnan gehört nicht mir an, sondern Herrn des Essarts.«

»Gut, so nehmt ihn,« sprach der Kardinal, »es ist nicht mehr als billig, daß die vier braven Militärs, die sich so sehr lieben, in einer Kompagnie dienen.«

An demselben Abend theilte Herr von Treville diese gute Botschaft den drei Musketieren und d’Artagnan mit, und lud alle vier auf den andern Tag zum Frühstück ein.

D’Artagnan gerieth außer sich vor Freude. Musketier zu sein war, wie man weiß, der Traum seines ganzen Lebens.

Auch die drei Freunde waren sehr erfreut.

»Meiner Treu,« sprach d’Artagnan zu Athos, »Da hast einen glorreichen Gedanken gehabt, und wir erlangten dabei Ruhm, wie Du sagtest, und konnten eine höchst wichtige Unterredung halten.«

»Die wir jetzt wieder aufnehmen können, wann es uns beliebt, denn mit Gottes Hülfe werden wir von nun an für Kardinalisten gelten.«

An demselben Abend machte d’Artagnan Herrn des Essarts seine Aufwartung, um ihm sein Avancement mitzutheilen.

Herr des Essarts, der d’Artagnan sehr gewogen war, bot diesem seine Dienste an, denn die Korps-Veränderung hatte bedeutende Equipirungskosten zur Folge.

D’Artagnan schlug das Anerbieten aus, aber er wollte die gute Gelegenheit benützen und bat ihn, den Diamant schätzen zu lassen, den er ihm zustellte und den er zu Geld zu machen wünschte.

Am andern Morgen um acht Uhr trat der Bediente des Herrn des Essarts bei d’Artagnan ein und übergab ihm einen Sack mit siebentausend Franken. Dies war der Preis für den Diamant der Königin.

II.

Mylady.

D’Artagnan war Mylady gefolgt, ohne daß er von ihr bemerkt wurde. Er sah sie in den Wagen steigen und hörte sie dem Kutscher Befehl geben, nach Saint-Germain zu fahren. Es wäre fruchtlos gewesen, einem in starkem Trabe von zwei kräftigen Pferden fortgeführten Wagen zu Fuß zu folgen. D’Artagnan kehrte daher nach der Rue Ferou zurück.

In der Rue de Seine traf er Planchet, der vor einer Pastetenbude stand und über ein Backwerk von äußerst appetitlichem Aussehen entzückt zu sein schien. Er gab ihm Befehl, zwei Pferde in den Ställen des Herrn von Treville, eines für ihn selbst, eines für Planchet, zu satteln und ihn bei Athos damit abzuholen. Herr von Treville hatte d’Artagnan ein für allemal seine Ställe zur Verfügung gestellt.

Planchet schlug den Weg nach der Rue de Colombier und d’Artagnan den nach der Rue Ferou ein. Athos war zu Hause und leerte traurig eine der Flaschen von dem berühmten spanischen Wein, die er von seiner Reise in der Picardie mitgebracht hatte. Er winkte Grimaud, ein Glas für d’Artagnan herbeizuschaffen, und dieser gehorchte, wie gewöhnlich, stillschweigend.

D’Artagnan erzählte nun seinem Freunde Athos Alles, was zwischen Porthos und der Procuratorsfrau vorgefallen war, und wie ihr Kamerad zu dieser Stunde bereits auf dem Weg sein dürfte, sich zu equipiren.

»Was mich betrifft« antwortete Athos auf die ganze Erzählung, »ich bin völlig ruhig. Die Frauen werden sicherlich meine Ausrüstung nicht bezahlen.«

»Und dennoch gibt es für den hübschen, artigen, stolzen Herrn, der Ihr seid, mein lieber Athos, weder Prinzessinnen, noch Königinnen, die vor Euren Liebespfeilen geschützt wären.«

In diesem Augenblick streckte Planchet bescheiden den Kopf durch die halbgeöffnete Thüre und meldete, daß die beiden Pferde vor dem Hause ständen.

»Welche Pferde?« fragte Athos.

»Zwei Pferde, die mir Herr von Treville zum Spazierenreiten leiht, und mit denen ich einen Ritt nach Saint-Germain machen will.«

»Und was wollt Ihr in Saint-Germain thun?« fragte Athos.

Hierauf erzählte ihm d’Artagnan, wie er in der Kirche der Dame begegnet war, welche ihn, nebst dem Herrn im schwarzen Mantel und der Narbe am Schlaf, beständig in Unruhe erhielt.

»Das heißt, Ihr seid verliebt in diese, wie Ihr es in Madame Bonacieux waret,« sprach Athos, verächtlich die Achseln zuckend, als fühlte er Mitleid mit der menschlichen Schwäche.

»Ich? Keineswegs,« rief d’Artagnan, »ich bin nur begierig, das Geheimniß aufzuklären, in das sie verwickelt ist. Ich weiß mir keinen Grund anzugeben, aber ich bilde mir ein, diese Frau müsse, obschon ich ihr eben so unbekannt bin, als sie mir, einen Einfluß auf mein Leben ausüben.«

»Ihr habt im Ganzen Recht,« sprach Athos, »ich kenne keine Frau, bei der es sich der Mühe lohnen würde, sie aufzusuchen, wenn sie einmal verloren ist. Madame Bonacieux ist verloren, desto schlimmer für sie, sie mag sich wieder suchen.«

»Nein, Athos, nein, Ihr täuscht Euch,« sprach d’Artagnan, »ich liebe meine arme Constance mehr als je, und wenn ich den Ort wüßte, wo sie sich befindet, so würde ich, und wäre sie am Ende der Welt, hineilen, sie den Händen ihrer Feinde zu entreißen. Aber ich weiß diesen Ort nicht; alle meine Nachforschungen waren fruchtlos. Ihr seht wohl ein, man muß sich zerstreuen.«

»Zerstreut Euch mit Mylady, mein lieber d’Artagnan, ich wünsche es Euch von ganzem Herzen, wenn es Euch unterhalten kann.«

»Hört, Athos,« erwiderte d’Artagnan, »statt Euch hier eingeschlossen zu halten, als wäret Ihr im Arrest, steigt zu Pferde und reitet mit mir nach Saint-Germain.«

»Mein Lieber,« sagte Athos, »ich reite meine Pferds, wenn ich welche habe; habe ich keine, so gehe ich zu Fuße.«

»Wohl!« sprach d’Artagnan, über die Unfreundlichkeit von Athos lächelnd, die ihn bei einem Andern sicherlich verletzt haben würde; »ich bin weniger stolz, als Ihr, ich reite das, was ich finde. Also auf Wiedersehen, mein lieber Athos!«

»Auf Wiedersehen,« sagte der Musketier und machte Grimaud ein Zeichen, die Flasche zu entkorken, die er gebracht hatte.

D’Artagnan und Planchet sprangen in den Sattel, und schlugen die Straße nach Saint-Germain ein.

Auf dem ganzen Weg ging d’Artagnan das, was Athos ihm von Madame Bonacieux gesagt hatte, im Kopfe um. Obgleich er nicht von sehr sentimentalem Charakter war, so hatte doch die hübsche Krämerin einen wirklichen Eindruck auf sein Herz hervorgebracht: er war, wie er sagte, bereit, bis an das Ende der Welt zu gehen, um sie zu suchen. Aber die Welt hat, insofern sie rund ist, viele Enden, und er wußte nicht, nach welcher Seite er seine Richtung nehmen sollte.

Mittlerweile suchte er zu erfahren, wer Mylady war. Mylady hatte mit dem Schwarzmantel gesprochen und kannte ihn also. In d’Artagnans Geist aber hatte sicherlich der Schwarzmantel und kein Anderer Frau Bonacieux auch jetzt wieder entführt. D’Artagnan log also nur halb und also sehr wenig, wenn er sagte, indem er Mylady aufsuchte, suche er zu gleicher Zeit Constance auf.

Unter solchen Betrachtungen und sein Pferd von Zeit zu Zeit mit den Sporen aufmunternd, legte d’Artagnan den Weg zurück und erreichte Saint-Germain. Er kam an dem Pavillon vorüber, in welchem zehn Jahre später Ludwig XIV. geboren werden sollte, und schaute, durch eine ziemlich öde Straße reitend, rechts und links, ob er nicht irgend eine Spur von seiner schönen Engländerin finden könnte, als er im Erdgeschoß eines hübschen Hauses, das nach dem Gebrauch jener Zeit kein Fenster nach der Straße zu hatte, ein bekanntes Gesicht erblickte. Dieses Gesicht ging auf einer Art von Terrasse spazieren, welche mit Blumen geschmückt war. Planchet erkannte es zuerst.

»Ei, gnädiger Herr,« sagte er, sich an d’Artagnan wendend, »erinnert ihr Euch dieses Gesichts nicht mehr, das dort Maulaffen feil hat?«

»Nein,« antwortete d’Artagnan, »und doch weiß ich gewiß, daß ich diesen Menschen nicht zum ersten Mal sehe.«

»Bei Gott, ich glaube es wohl,« versetzte Planchet, »das ist der arme Lubin, der Lakai des Grafen von Wardes, den Ihr vor einem Monat in Calais auf dem Weg nach dem Landhaus des Gouverneurs so übel zugerichtet habt.«

»Ah! ja, so ist’s,« sprach d’Artagnan, »ich erkenne ihn nun wieder. Glaubst Du, daß er dich auch erkennt?«

»Meiner Treu, gnädiger Herr, er war so voll Angst, daß ich nicht denken kann, ich werde ihm im Gedächtniß geblieben sein.«

»Nun, so geh‘ und rede mit dem Burschen, erkundige Dich gesprächsweise, ob sein Herr noch lebt.«

Planchet stieg ab, ging gerade aus Lubin zu, der ihn wirklich nicht erkannte, und die zwei Bedienten fingen an, in schönster Eintracht mit einander zu plaudern, während d’Artagnan die zwei Pferde in ein Gäßchen trieb, rund um ein Haus ging und zurückkehrte, um hinter einem Haselstrauche das Gespräch anzuhören.

Kaum hatte er sich einen Augenblick seinen Beobachtungen hingegeben als er Wagengerassel vernahm und die Karrosse von Mylady ihm gegenüber anhielt. Er konnte sich nicht täuschen, Mylady saß darin. D’Artagnan legte sich auf den Hals seines Pferdes, um Alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.

Mylady schaute mit ihrem reizenden blonden Kopfe aus dem Kutschenschlag heraus und gab ihrer Zofe Befehle.

Die letztere, ein hübsches, lebhaftes, flinkes Mädchen, die wahre Kammerjungfer einer vornehmen Dame, sprang von dem Fußtritt herab, auf dem sie nach der Sitte jener Zeit saß, und wandte sich nach der Terasse, wo d’Artagnan Lubin bemerkt hatte.

D’Artagnan folgte der Zofe mit den Augen und sah sie nach der Terrasse gehen. Zufälligerweise aber hatte ein Befehl aus dem Innern des Hauses Lubin hineingerufen, und Planchet, der nach allen Seiten hinschaute, um zu erforschen, in welcher Richtung sein Herr verschwunden sein möchte, war allein geblieben.

Die Kammerfrau näherte sich Planchet, den sie für Lubin hielt, gab ihm ein Billet und sagte:

»Für Euern Herrn.«

»Für meinen Herrn?« fragte Planchet sehr erstaunt.

»Ja – und es hat große Eile – nehmt also geschwind.«

Hierauf ging sie nach dem Wagen zurück, der wieder nach der Seite, von welcher er hergekommen war, umgekehrt hatte; sie sprang auf den Fußtritt und die Karrosse entfernte sich.

Planchet wandte das Billet um und um, lief dann, an stummen Gehorsam gewöhnt, von der Terrasse herab, eilte in das Gäßchen und traf nach zwanzig Schritten seinen Herrn, der Alles gesehen hatte und ihm entgegen kam.

»Für Euch, gnädiger Herr,« sprach Planchet, das Billet dem jungen Manne überreichend.

»Für mich?« entgegnete d’Artagnan, »bist Du dessen ganz gewiß?«

»Bei Gott! ganz gewiß, die Kammerjungfer sagte: »»Für Deinen Herrn.«« Ich habe keinen andern Herrn außer Euch, also … Ein hübscher Bissen von einem Mädchen, diese Zofe, meiner Treu.«

D’Artagnan öffnete den Brief und las folgende Worte:

»Eine Person, welche sich mehr für Euch interessirt, als sie sagen kann, wünschte zu wissen, an welchem Tage Ihr im Walde promeniren könnt; morgen erwartet ein schwarz und rother Bedienter im Hotel zum goldenen Felde Euere Antwort.«

»Oh! oh!« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »das ist ein wenig lebhaft. Es scheint, Mylady und ich leiden an demselben Uebel. Nun, Planchet laßt hören, wie befindet sich Herr von Wardes? Er ist also nicht tot?«

»Nein, gnädiger Herr, es geht so gut, als es mit vier Degenstichen im Leibe gehen kann; denn Ihr habt diesem Edelmann vier ganz tadellose beigebracht, und er ist noch sehr schwach, da er beinahe all sein Blut verloren hat. Lubin erkannte mich nicht, wie ich dem gnädigen Herrn zum Voraus sagte, und erzählte mir das ganze Abenteuer von Anfang bis zu Ende.«

»Sehr gut, Planchet, Du bist der König der Lakaien; jetzt steig zu Pferde und wir wollen dem Wagen nachreiten.«

Das dauerte nicht lange; nach fünf Minuten erblickte man die Karrosse, welche auf der Biegung der Straße stille hielt; Ein reichgekleideter Kavalier befand sich am Kutschenschlag.

Das Zwiegespräch zwischen Mylady und dem Kavalier war so belebt, daß d’Artagnan auf der andern Seite des Wagens stille hielt, ohne daß Jemand, außer der hübschen Zofe, seine Gegenwart bemerkte.

Die Unterredung fand in englischer Sprache statt, von der d’Artagnan nichts verstand, aber am Ausdruck glaubte der junge Mann zu erkennen, daß die schöne Engländerin sehr zornig war; sie schloß mit einer Geberde, die ihm keinen Zweifel über die Natur der Unterhaltung ließ, das heißt, mit einem Fächerschlag, der mit solcher Gewalt geführt wurde, daß das kleine weibliche Geräthe in tausend Stücke flog.

Der Reiter brach in ein Gelächter aus, das Mylady in Verzweiflung zu bringen schien.

D’Artagnan meinte, dies sei der geeignete Augenblick, um ins Mittel zu treten; er näherte sich dem Kutschenschlag, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und sprach:

»Madame, erlaubt mir. Euch meine Dienste anzubieten; es scheint mir, dieser Kavalier hat Euch in Zorn gebracht. Sprecht ein Wort, und ich übernehme es, ihn für seinen Mangel an Höflichkeit zu bestrafen.«

»Mein Herr,« antwortete sie in gutem Französisch, »mit freudigem Herzen würde ich mich unter Euern Schutz stellen, wenn die Person, welche mit mir streitet, nicht mein Bruder wäre.«

»Oh! dann verzeiht mir,« sagte d’Artagnan; »Ihr begreift, daß ich das nicht wußte, Madame.«

»Was hat sich denn dieser Narr in unsere Angelegenheit zu mischen,« rief, sich zu dem Kutschenschlag herabbeugend, der Kavalier, den Mylady als ihren Verwandten bezeichnet hatte; »und warum zieht er nicht seines Wegs?«

»Selbst Narr,« erwiderte d’Artagnan, sich ebenfalls auf den Hals seines Pferdes herabbeugend und durch den Kutschenschlag redend, »ich ziehe nicht meines Wegs, weil es mir hier zu bleiben beliebt.«

Der Kavalier richtete einige englische Worte an seine Schwester.

»Ich spreche Französisch mit Euch,« rief d’Artagnan; »ich bitte Euch also, macht mir das Vergnügen und antwortet mir in derselben Sprache. Ihr seid der Bruder dieser Dame, gut! aber Ihr seid glücklicherweise nicht der meinige.«

Man hätte glauben sollen, Mylady würde mit weiblicher Aengstlichkeit gleich beim Anfang der Herausforderung zu vermitteln suchen, damit der Streit nicht zu weit käme, aber sie warf sich im Gegentheil in ihren Wagen zurück und rief dem Kutscher kalt zu:

»Fahr nach dem Hotel!«

Die hübsche Zofe warf einen unruhigen Blick auf d’Artagnan, dessen gefälliges Aussehen einen günstigen Eindruck auf sie gemacht zu haben schien.

Die Karrosse fuhr weiter und ließ die zwei Männer einander gegenüber.

Der Reiter machte eine Bewegung, um dem Wagen zu folgen, aber d’Artagnan, dessen bereits gährender Zorn noch dadurch gesteigert würde, daß er in ihm den Engländer erkannte, der ihm sein Pferd und Athos beinahe seinen Diamant abgewonnen hatte, fiel ihm in den Zügel und hielt ihn zurück.

»Ei! mein Herr,« sagte er, »Ihr scheint mir noch mehr Narr zu sein, als ich, denn es kommt mir vor, als wolltet Ihr vergessen, daß sich ein kleiner Streit zwischen uns entsponnen hat.« – »Ah! ah!« entgegnete der Engländer, »Ihr seid es, Meister? Ihr müßt also immer irgend ein Spiel spielen?« – »Ja, und das erinnert mich daran, daß ich Revanche zu nehmen habe. Wir werden sehen, mein lieber Herr, ob Ihr den Degen eben so gut handhabt, als den Würfelbecher.« – »Ihr müßt bemerken, daß ich keinen Degen bei mir habe,« sprach der Engländer; »wollt Ihr gegen einen Unbewaffneten den Tapfern spielen?« – »Ich hoffe, Ihr werdet zu Hause einen besitzen. Jedenfalls habe ich zwei, und wenn Ihr wollt, so spiele ich um Einen mit Euch.« – »Unnöthig,« sprach der Engländer, »ich bin hinreichend mit dergleichen Werkzeug versehen.« – »Gut, mein würdiger Herr,« entgegnete d’Artagnan, »wählt Euren längsten Degen und zeigt ihn mir diesen Abend.« – »Wo, wenn ich bitten darf?« – »Hinter dem Luxemburg, das ist ein allerliebstes Plätzchen für Spaziergänge, wie ich sie Euch vorschlage.« – »Schön, man wird sich einfinden.« – »Zu welcher Stunde?« – »Um sechs Uhr.« – »Ihr habt auch wohl ein paar Freunde?« – »Ich habe drei, welche sich eine Ehre daraus machen würden, dasselbe Spiel zu spielen, wie ich.« – »Drei? vortrefflich! wie sich das trifft!« rief d’Artagnan, »das ist gerade meine Zahl,« – »Und nun, wer seid Ihr?« fragte der Engländer. – »Ich bin Herr d’Artagnan, gascognischer Edelmann, diene bei der Leibwache, Compagnie des Herrn des Essarts. Und Ihr?« – »Ich bin Lord Winter, Baron von Sheffield.« – »Gut! ich bin Euer Diener, mein Herr Baron,« sprach d’Artagnan, »obgleich Euere Namen sehr schwer zu behalten sind.«

Und er spornte sein Roß und galopirte Paris zu.

Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, stieg er unmittelbar bei Athos ab. Er fand diesen auf seinem Bette liegend, wo er, wie er sagte, wartete, bis seine Equipirung ihn aufsuchen würde.

D’Artagnan erzählte Athos, außer dem Brief an Herrn von Wardes, Alles was vorgefallen war.

Athos war entzückt, als er erfuhr, daß er sich mit einem Engländer schlagen sollte. Wir haben erzählt, daß dies sein Lieblingsgedanke war.

Man ließ sogleich Porthos und Aramis durch die Lakaien aufsuchen und von der Lage der Dinge in Kenntniß setzen.

Porthos zog seinen Degen aus der Scheide, focht gegen die Wand, ging von Zeit zu Zeit rückwärts und machte Verbeugungen wie ein Tänzer. Aramis, der immer noch an seinem Gedicht arbeitete, schloß sich im Cabinet von Athos ein und bat, ihn nicht eher zu stören, als bis es Zeit wäre, vom Leder zu ziehen.

Athos forderte von Grimaud durch ein Zeichen eine neue Flasche Wein.

D’Artagnan entwarf in aller Stille einen kleinen Plan, dessen Ausführung wir später sehen werden, und der ihm ein anmuthiges Abenteuer verhieß, wie man an dem Lächeln sehen konnte, das von Zeit zu Zeit über sein träumerisches Antlitz flog.

XIII.

Die Belagerung von La Rochelle.

Die Belagerung von La Rochelle war eines der bedeutendsten Ereignisse unter der Regierung Ludwigs XIII.

Die politischen Absichten des Kardinals, als er die Belagerung unternahm, waren von hoher Bedeutung. Von den wichtigen Städten, welche Heinrich IV. den Hugenotten als Versicherungsplätze gab, war nur noch La Rochelle übrig. Der Kardinal wollte dieses letzte Bollwerk des Calvinismus zerstören.

La Rochelle, das durch den Untergang der andern calvinistischen Städte ein neues Gewicht bekommen hatte, war überdies der letzte Hafen, der den Engländern in Frankreich offen stand; und wenn er denselben für England, den ewigen Feind Frankreichs, verschloß, vollendete er das Werk der Jungfrau von Orleans und des Herzogs von Guise.

Bassompierre, der zugleich Protestant und Katholik war, Protestant aus Ueberzeugung, Katholik als Kommandeur vom heiligen Geist, Bassompierre, ein Deutscher von Geburt, ein Franzose seinem Herzen nach, der ein besonderes Kommando bei der Belagerung von La Rochelle hatte, sagte daher auch, als er an der Spitze mehrerer anderer protestantischer Edelleute angriff:

»Ihr werdet sehen, meine Herren, wir sind so dumm und nehmen La Rochelle.«

Und Bassompierre hatte Recht. Die Kanonade der Insel Ré weissagte ihm die Verfolgungen der Hugenotten; die Einnahme von La Rochelle war die Vorrede zum Widerruf des Edicts von Nantes.

Aber neben diesen allgemeinen Absichten des nivellirenden Ministers, welche der Geschichte angehören, muß der Chronikschreiber die kleinen Gesichtspunkte des verliebten Mannes und eifersüchtigen Nebenbuhlers in’s Auge fassen.

Richelieu war, wie Jedermann weiß, in die Königin verliebt gewesen. Hatte diese Liebe bei ihm einen einfachen politischen Zweck, oder war es eine jener tiefen Leidenschaften, wie sie Anna von Oesterreich den Männern, von denen sie umgeben war, einflößte? Wir wissen es nicht zu sagen; aber jeden Falls könnte man aus der früheren Entwickelung dieser Geschichte ersehen, daß Buckingham bei mehreren Umständen den Sieg über ihn davon getragen hatte, und besonders hatte er ihn bei der Geschichte mit den Nestelstiften auf eine grausame Weise mystificirt.

Es handelte sich also für Richelieu nicht nur darum, Frankreich von einem Feinde zu befreien, sondern auch sich an einem Nebenbuhler zu rächen. Die Rache sollte groß, glänzend und besonders eines Mannes würdig werden, der die Kräfte eines ganzen Königreichs als Schwert in der Hand hält.

Richelieu wußte, daß er, indem er England bekämpfte, über Buckingham triumphirte, daß er, indem er England in den Augen Europas demüthigte, Buckingham in den Augen der Königin demüthigte.

Während Buckingham seinerseits nur die Ehre Englands vorschob, wurde er von Interessen in Bewegung gesetzt, die denen des Kardinals vollkommen glichen: Buckingham verfolgte ebenfalls eine Privatrache. Buckingham hatte unter keinem Vorwand wieder als Botschafter Eingang in Frankreich finden können.

Daraus geht hervor, daß der wahre Einsatz bei der Partie, welche die zwei mächtigen Reiche, nach dem Belieben zweier verliebter Männer spielten, weiter nichts als ein Blick Anna’s von Oesterreich war.

Den ersten Vortheil hatte der Herzog von Buckingham errungen. Er erschien unerwartet im Angesicht der Insel Ré mit neunzig Schiffen und ungefähr zwanzig tausend Mann, überfiel den Grafen von Toiras, der auf der Insel für den König kommandirte, und bewerkstelligte nach einem blutigen Kampfe seine Landung.

Wir bemerken im Vorübergehen, daß bei diesem Kampfe der Baron von Chantal fiel. Der Baron von Chantal hinterließ eine Enkelin von achtzehn Monaten als Waise. Diese Enkelin wurde später Frau von Sevigné.

Der Graf von Toiras zog sich in die Citadelle Saint-Martin mit der Garnison zurück, und warf etwa hundert Mann in ein kleines Fort, das man das Fort de la Prée nannte.

Dieses Ereigniß hatte die Entschließungen des Kardinals beschleunigt, er schickte, bis der König und er, wie dies beabsichtigt war, den Oberbefehl bei der Belagerung von La Rochelle übernehmen könnten, Monsieur ab, um die ersten Operationen zu leiten, und alle Truppen über die er zu verfügen im Stande war, gingen nach dem Kriegsschauplatz ab.

Zu diesem als Vorhut abgeschickten Detachement gehörte auch unser Freund d’Artagnan.

Der König sollte, wie gesagt, folgen, sobald er seinen großen Gerichtstag im Parlament gehalten hätte. Als er sich am 25. Juni von diesem erhob, fühlte er sich vom Fieber ergriffen. Er wollte nichtsdestoweniger abreisen, aber sein Zustand verschlimmerte sich, und er war genöthigt in Villeroy zu bleiben.

Wo der König stille hielt, mußten auch die Musketiere verweilen. Dadurch geschah es, daß d’Artagnan, der ganz einfach bei den Garden war, sich wenigstens für den Augenblick von seinen Freunden Athos, Porthos und Aramis getrennt sah. Diese Trennung, welche für ihn nur eine Unannehmlichkeit war, würde ihm gewiß zu ernstlicher Unruhe gereicht haben, wenn er die unbekannten Gefahren hätte ahnen können, von denen er umgeben war. Dessenungeachtet langte er in dem vor La Rochelle aufgeschlagenen Lager an.

Es befand sich noch Alles in demselben Zustand. Der Herzog von Buckingham und seine Engländer fuhren als Herren der Insel Ré fort, obgleich ohne Erfolg, die Citadelle von Saint-Martin und das Fort de la Prée zu belagern; und die Feindseligkeiten mit La Rochelle hatten seit zwei oder drei Tagen gegen ein Fort begonnen, das der Herzog von Angoulême in der Nähe erbauen ließ.

Die Garden unter dem Kommando von Herrn des Essarts hatten ihre Wohnungen im Kloster der Minimen.

Aber d’Artagnan, der ganz und gar von dem Ehrgeiz, unter die Musketiere überzutreten, eingenommen war, hatte wenig Freundschaft mit seinen Kameraden gemacht, und fand sich so vereinzelt und seinen eigenen Betrachtungen überlassen.

Diese Betrachtungen waren eben nicht sehr lachend. Seit einem Jahre, seit dem er in Paris angekommen war, hatte er sich in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt, und seine eigenen Angelegenheiten waren, was Liebe und Glück betrifft, nicht weit vorgerückt.

Was die Liebe betrifft, war Madame Bonacieux die einzige Frau, die er wahrhaft geliebt hatte, und Madame Bonacieux war verschwunden, ohne daß er nur im Geringsten etwas von ihrem Leben oder Aufenthalt zu entdecken vermochte.

In Betreff des Glückes hatte er, der Schwache, sich den Kardinal, das heißt den Mann, vor dem die Größten des Reiches, vom König abwärts, zitterten, zum Feinde gemacht.

Dieser Mann konnte ihn niederschmettern, zertreten, und er hatte es nicht gethan. Für einen so scharfsinnigen Geist wie d’Artagnan, war diese Nachsicht ein Licht, durch das er eine bessere Zukunft erblickte.

Dann hatte er sich noch einen andern Feind gemacht, der seiner Ansicht nach weniger zu fürchten, aber, wie er instinktmäßig fühlte, darum doch nicht zu verachten war. Dieser Feind war Mylady.

Allen diesen gegenüber durfte er sich des Schutzes und Wohlwollens der Königin versichert halten; aber das Wohlwollen der Königin war zu jener Zeit eine weitere Ursache zur Verfolgung, und ihre Protektion beschützte bekanntlich sehr schlecht, was bei Chalais und Madame Bonacieux sichtbar wurde.

Der augenscheinlichste Gewinn, den er unter allen diesen Verhältnissen errungen hatte, war der Diamant von fünf bis sechstausend Livres, den er an seinem Finger trug, und auch dieser Diamant hatte, da d’Artagnan in seinen ehrgeizigen Plänen ihn behalten wollte, um ihn eines Tages als Zeichen der Wiedererkennung bei der Königin zu benützen, und ihn also nicht veräußern konnte, vorläufig nicht mehr Werth, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat.

Wir sagen, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat, denn d’Artagnan stellte diese Betrachtungen an, während er einsam auf einem hübschen Pfad spazieren ging, der von dem Lager in eine benachbarte Stadt führte. Unter diesen Betrachtungen aber war er weiter gegangen, als er glaubte, und der Tag fing an sich zu neigen, als er bei dem letzten Strahl der untergehenden Sonne hinter einer Ecke hervor einen Flintenlauf glänzen sah.

D’Artagnan hatte ein lebhaftes Auge und einen raschen Geist. Er begriff, daß die Flinte nicht allein gekommen war, und daß ihr Träger sich nicht in freundschaftlichen Absichten hinter der Hecke verborgen hatte. Er beschloß also das Weite zu suchen, als er auf der andern Seite der Straße hinter einem Felsen das Ende einer zweiten Flinte erblickte.

Das war offenbar ein Hinterhalt.

Der junge Mann warf einen Blick auf die erste Flinte und sah mit einer gewissen Unruhe, daß sie sich in der Richtung nach ihm senkte. Aber sobald er gewahr wurde, daß die Mündung des Laufes unbeweglich blieb, warf er sich mit dem Bauche auf die Erde. Zu gleicher Zeit ging der Schuß los, und er hörte das Zischen einer Kugel, welche über seinem Kopf hinflog.

Es war keine Zeit zu verlieren. D’Artagnan sprang auf und in demselben Augenblick sprengte die andere Flinte die Kieselsteine von der Stelle auf, wo er sich vorher mit dem Gesicht auf die Erde geworfen hatte.

D’Artagnan gehörte nicht zu den Prahlern, welche einen lächerlichen Tod suchen, damit man nicht von ihnen sage, sie seien nicht einen Schritt zurückgewichen. Ueberdies handelte es sich hier nicht mehr um den Muth, denn d’Artagnan war in einen Hinterhalt gefallen.

»Kommt noch ein dritter Schuß,« sprach er zu sich selbst, »so bin ich ein Kind des Todes.«

Und sogleich entfloh er nach dem Lager zu mit der Geschwindigkeit der Bewohner seiner Heimath, welche durch ihr behendes Wesen berühmt geworden sind. Aber so rasch er auch lief, so hatte doch derjenige, welcher zuerst geschossen, Zeit gefunden, sein Gewehr wieder zu laden, und er feuerte ihm einen zweiten Schuß nach, der dießmal so gut gezielt war, daß die Kugel durch seinen Hut drang und diesen zehn Schritte von ihm schleuderte.

Da d’Artagnan keinen andern Hut besaß, so hob er diesen im Laufe vom Boden auf, und langte ganz bleich und athemlos in seiner Wohnung an; er setzte sich hier nieder, ohne Jemand ein Wort zu sagen, und dachte über das Vorgefallene nach.

Dieses Ereigniß konnte drei Ursachen haben.

Die erste und natürlichste ließ sich in einem Hinterhalt von Rochellern suchen, denen es nicht leid gewesen wäre, einen von den Garden des Königs zu tödten, denn sie würden sich dadurch einen Feind weiter vom Halse geschafft haben, und dieser Feind hätte eine wohlgespickte Börse in seiner Tasche tragen können.

D’Artagnan nahm seinen Hut, untersuchte das Loch der Kugel und schüttelte den Kopf. Die Kugel war nicht von einer Muskete, sondern aus einer Büchse. Die Genauigkeit des Schusses hatte ihn schon auf den Gedanken gebracht, er sei aus einem Privatgewehr abgefeuert worden. Es war also kein militärischer Hinterhalt, wie dies aus dem Kaliber der Kugel hervorging.

Es konnte auch ein gutes Andenken von dem Kardinal sein. Man erinnert sich, daß er in dem Augenblick, wo er durch den glücklichen Sonnenstrahl begünstigt den Flintenlauf erblickte, selbst über die Langmuth Seiner Eminenz in Beziehung auf seine Person staunte.

Aber d’Artagnan schüttelte mit zweifelhafter Miene den Kopf. Bei Leuten, nach denen er nur die Hand auszustrecken hatte, nahm der Kardinal nur selten zu solchen Mitteln seine Zuflucht.

Es konnte eine Rache von Mylady sein.

Diese Vermuthung war vernünftiger.

Vergebens suchte er sich der Züge oder der Tracht der Mörder zu erinnern; er war genöthigt gewesen, sich so rasch zu entfernen, daß er nicht Muße gehabt hatte, etwas wahrzunehmen.

»Ah! meine armen Freunde,« murmelte d’Artagnan, »wo seid Ihr? und wie fehlt Ihr mir!«

D’Artagnan verbrachte eine schlimme Nacht. Drei- oder viermal erwachte er plötzlich, weil er sich einbildete, man nähere sich seinem Bette, um ihn zu erdolchen. Aber der Tag erschien, ohne daß die Dunkelheit einen Unfall herbeigeführt hatte.

D’Artagnan verleugnete sich jedoch nicht, daß aufgeschoben nicht aufgehoben war. Er blieb den ganzen Tag in seiner Wohnung, wobei er sich vor sich selbst mit dem schlechten Wetter entschuldigte.

Am zweiten Tag um neun Uhr wurde Marsch geschlagen. Der Herzog von Orleans visitirte die Posten. Die Leibwachen eilten zu den Waffen; d’Artagnan nahm seine Stelle unter seinen Kameraden ein.

Monsieur zog an der Front der Truppen vorüber; dann näherten sich ihm alle höheren Offiziere, um seinen Hof zu bilden, darunter auch der Herr des Essarts.

Nach kurzem kam es d’Artagnan vor, als ob ihn Herr des Essarts durch ein Zeichen zu sich beschiede. Er wartete auf eine neue Geberde seines Vorgesetzten, aus Furcht, er könnte sich täuschen, und als diese Geberde wiederholt wurde, verließ er die Reihen und trat vor, um den Befehl einzuholen.

»Monsieur verlangt Freiwillige zu einer gefährlichen Sendung, die jedoch denjenigen, welche sie erfüllen, Ehre bringt, und ich habe Euch ein Zeichen gemacht, damit Ihr Euch bereit halten möget.«

»Ich danke, mein Kapitän,« antwortete d’Artagnan, dem nichts erwünschter war, als sich unter den Augen des Generallieutenants auszuzeichnen.

Die Rocheller hatten wirklich in der Nacht einen Ausfall gemacht und eine Bastei wieder genommen, deren sich zwei Tage vorher die royalistische Partei bemächtigt hatte; es handelte sich darum, eine Recognoscirung vorzunehmen, um zu sehen, wie die Bastei bewacht werde.

Nach einigen Augenblicken erhob Monsieur die Stimme und sprach:

»Ich bedarf zu diesem Auftrag drei oder vier Freiwillige geführt von einem sichern Manne.«

»Was den sichern Mann betrifft, so habe ich diesen bei der Hand,« erwiderte Herr des Essarts und deutete auf d’Artagnan, »und in Beziehung auf die Freiwilligen darf Monseigneur nur seinen Willen kundgeben, und es wird nicht an Leuten fehlen.«

»Vier Freiwillige, um sich mit mir tödten zu lassen,« sprach d’Artagnan, den Degen erhebend.

Zwei von seinen Kameraden bei den Garden stürzten sogleich hervor, zwei Soldaten verbanden sich mit ihnen und die gewünschte Zahl war voll. D’Artagnan wies daher alle Andere zurück, da er denen, welche zuerst gekommen waren, ihr Recht auf Beförderung nicht schmälern wollte.

Man wußte nicht, ob die Rocheller nach der Einnahme diese Bastei geräumt, oder ob sie eine Garnison darin gelassen hatten. Man mußte also den bezeichneten Ort ziemlich nahe untersuchen, um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen.

D’Artagnan ging mit seinen vier Gefährten ab und folgte dem Laufgraben. Die zwei Garden marschirten in demselben Glied mit ihm und die Soldaten kamen hinter ihm.

So gelangten sie, sich deckend, bis auf hundert Schritte zur Bastei; als sich d’Artagnan hier umwandte, sah er, daß die Soldaten verschwunden waren. Er glaubte, sie seien aus Furcht zurückgeblieben, und rückte weiter vor.

An der Biegung der äußersten Grabenmauer waren sie nur noch ungefähr sechzig Schritte von der Bastei entfernt.

Man sah nichts, und die Bastei schien ganz verlassen.

Die drei Verlorenen berathschlagten, ob sie weiter gehen sollten, als plötzlich eine Rauchwolke sichtbar wurde und ein Dutzend Kugeln um d’Artagnan und seine Gefährten zischten.

Sie wußten, was sie wissen wollten, die Bastei wurde bewacht, ein längerer Aufenthalt an diesem gefährlichen Ort wäre eine nutzlose Unklugheit gewesen.

D’Artagnan und die zwei Garden kehrten um und begannen einen Rückzug, der mehr einer Flucht glich.

Als sie die Ecke des Laufgrabens erreichten, der ihnen als Wall dienen sollte, stürzte einer von den Garden; eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt; der andere war wohlbehalten und setzte seinen Lauf nach dem Lager fort.

D’Artagnan wollte seinen Gefährten nicht so verlassen und beugte sich über ihn herab, um ihn aufzuheben; aber in diesem Augenblicke wurden zwei Schüsse abgefeuert; eine Kugel zerschmetterte dem bereits verwundeten Garden den Kopf, die andere prallte an dem Felsen ab, nachdem sie auf zwei Zoll an d’Artagnan vorüber geflogen war.

Der junge Mann wandte sich lebhaft um, denn dieser Angriff konnte nicht von der Bastei kommen, die durch die Ecke des Laufgrabens maskiert war. Sogleich fielen ihm die zwei Soldaten ein, die ihn verlassen hatten, und er erinnerte sich dabei der Mörder, die ihm zwei Tage vorher nach dem Leben getrachtet. Er beschloß daher, diesmal zu untersuchen, woran er sich zu halten hätte, und fiel auf den Leib seines Kameraden nieder, als ob er todt wäre.

Alsbald sah er, wie sich zwei Köpfe über einem verlassenen Werke, dreißig Schritte von ihm erhoben. Es waren die unserer zwei Soldaten. D’Artagnan hatte sich nicht getäuscht. Diese Leute waren ihm nur gefolgt, um ihn zu tödten, in der Hoffnung, der Tod des jungen Mannes würde dem Feinde auf die Rechnung gebracht werden.

Da er jedoch nur verwundet sein und ihr Verbrechen anzeigen konnte, so näherten sie sich ihm, um ihm den Garaus zu machen. Durch die List d’Artagnans getäuscht, versäumten sie es glücklicher Weise, ihre Gewehre wieder zu laden. Als sie auf zehn Schritte von ihm entfernt waren, stand d’Artagnan, der bei seinem Falle sein Schwert fest in der Hand behalten hatte, rasch auf, und befand sich mit einem Sprunge bei ihnen.

Die Mörder begriffen, daß sie, wenn sie nach dem Lager entflohen, ohne ihren Mann getödtet zu haben, von diesem verklagt wurden; es war daher ihr erster Gedanke, zum Feinde überzugehen. Der Eine von ihnen nahm seine Flinte beim Lauf und bediente sich derselben als einer Keule. Er führte einen furchtbaren Schlag nach d’Artagnan, der ihm dadurch auswich, daß er sich auf die Seite warf, aber durch diese Bewegung ließ er dem Banditen freien Raum, und dieser lief sogleich nach der Bastei.

Da die Rocheller, welche dieselben bewachten, nicht wissen konnten, in welcher Absicht dieser Mann zu ihnen kam, so gaben sie Feuer auf ihn, und er stürzte mit zerschmetterter Schulter nieder.

Während dieser Zeit warf sich d’Artagnan auf den zweiten Soldaten und griff ihn mit dem Degen an. Der Kampf währte nicht lange; der Elende hatte zu seiner Vertheidigung nichts als die abgefeuerte Flinte. Der Degen des Garden glitt an dem Laufe des unnütz gewordenen Gewehres ab und durchdrang den Schenkel des Mörders, welcher niederfiel.

D’Artagnan setzte ihm sogleich seine Degenspitze an die Gurgel.

»Oh! tödtet mich nicht,« rief der Bandit, »Gnade! Gnade! mein Offizier, und ich werde Euch Alles sagen.« – »Ist Dein Geheimnis so viel Werth, daß ich Dir das Leben schenke?« fragte der junge Mann. – »Ja, sobald Ihr das Leben einigermaßen schätzt, wenn man erst zwanzig Jahre alt ist, wenn man schön und brav ist, wie Ihr, und Alles erreichen kann.« – »Elender,« sagte d’Artagnan, »sprich schnell. Wer hat Dir den Auftrag gegeben, mich zu ermorden?« – »Eine Frau, die ich nicht kenne, die man aber Mylady nannte.« – »Doch wenn Du diese Frau nicht kennst, woher weißt Du ihren Namen?« – »Mein Kamerad kannte sie und nannte sie so. Sie verhandelte mit ihm und nicht mit mir. Er hat sogar in seiner Tasche einen Brief von dieser Person, der von großem Belang für Euch sein muß, wie ich ihn sagen hörte.« – »Aber wie kommst Du dazu, an diesem Hinterhalt Antheil zu nehmen?« – »Er machte mir den Vorschlag, diesen Streich zu zwei auszuführen, und ich willigte ein.« – »Und wie viel hat sie Euch für dieses Unternehmen gegeben?« – »Hundert Louisd’or.« – »Schön,« sprach der junge Mann lachend, »sie denkt doch, ich sei etwas werth. Hundert Louisd’or, das ist eine Summe für Schurken Eurer Art; auch begreife ich, daß Du eingewilligt hast, und ich begnadige Dich, jedoch unter einer Bedingung.« – »Unter welcher?« fragte der Soldat unruhig, als er sah, daß noch nicht Alles zu Ende war. – »Daß Du mir den Brief holst, den Dein Kamerad in seiner Tasche hat.« – »Aber das ist nur eine andere Art, mich zu tödten,« rief der Bandit. »Wie soll ich diesen Brief unter dem Feuer der Bastei holen?« – »Du mußt Dich entschließen, ihn herbei zu schaffen, oder ich schwöre Dir, daß Du von meiner Hand stirbst.« – »Gnade! Herr, Barmherzigkeit! Im Namen der jungen Dame, die Ihr liebt, die Ihr vielleicht todt glaubt, und die es nicht ist!« rief der Bandit, sich auf die Kniee erhebend und mit der Hand stützend, denn er fing an mit seinem Blut auch die Kräfte zu verlieren. – »Woher weißt Du, daß es eine junge Frau gibt, die ich liebe, und daß ich diese junge Frau todt geglaubt habe?« fragte d’Artagnan. – »Aus dem Briefe den mein Kamerad in seiner Tasche hat.« – »Du siehst also wohl, daß ich diesen Brief bekommen muß,« sprach d’Artagnan. »Nicht mehr gezögert, oder wie sehr es mir auch widerstrebt, mein Schwert zum zweiten Male in das Blut eines Elenden zu tauchen, wie Du bist, ich schwöre Dir so wahr ich ein ehrlicher Mann bin …«

Bei diesen Worten machte d’Artagnan eine so drohende Geberde, daß sich der Verwundete erhob.

»Halt, halt!« rief er, seinen Muth wieder durch den Schrecken gewinnend, »ich gehe … ich gehe.«

D’Artagnan nahm die Büchse des Soldaten, ließ ihn vor sich hergehen und trieb ihn gegen seinen Gefährten zu, indem er ihn von Zeit zu Zeit mit der Spitze seines Degens in die Hüfte stach. Es war furchtbar anzuschauen, wie dieser Unglückliche, auf seinem Weg eine lange Blutspur zurücklassend, bleich vor dem bevorstehenden Tode, sich ungesehen zu dem Leichnam seines Kameraden hinzuschleppen suchte, der zwanzig Schritte von ihm entfernt lag.

Der Schrecken war so stark auf seinem mit kaltem Schweiß bedeckten Gesichte ausgeprägt, daß d’Artagnan Mitleid bekam und ihn verächtlich anschaute.

»Nun!« sprach er, »ich will Dir zeigen, welch ein Unterschied zwischen einem Manne von Herz und einem Feigling Deiner Art stattfindet. Bleibe, ich werde gehen!«

Und schnellen Schrittes, mit lauerndem Auge jede Bewegung des Feindes beobachtend, alle Vortheile des Terrains benützend, gelangte d’Artagnan bis zu dem zweiten Soldaten.

Es gab zwei Mittel, seinen Zweck zu erreichen: entweder mußte er ihn auf der Stelle durchsuchen oder mußte er ihn, seinen Leib als Schild gebrauchend, nach dem Laufgraben tragen und dort erst durchsuchen.

D’Artagnan zog das zweite Mittel vor und lud den Mörder in dem Augenblick, wo der Feind Feuer gab, auf seine Schulter.

Ein leichter Stoß, ein letzter Schrei, ein Beben des Todeskampfes bewiesen d’Artagnan, daß ihm derjenige, welcher ihn ermorden gewollt, das Leben gerettet hatte.

D’Artagnan erreichte wieder den Laufgraben und warf den Leichnam neben den Verwundeten.

Sogleich begann er die Untersuchung: eine lederne Brieftasche, eine Börse, worin sich offenbar ein Theil von der Summe fand, die der Bandit erhalten hatte, ein Becher und Würfel bildeten die ganze Hinterlassenschaft des Todten.

Er ließ den Becher und die Würfel, wo sie hingefallen waren, schleuderte die Börse dem Verwundeten zu und öffnete gierig die Brieftasche.

Mitten unter unwichtigen Papieren fand sich folgender Brief den er mit Gefahr seines Lebens geholt hatte:

»Da Ihr die Spur dieser Frau verloren habt, und sie nun in Sicherheit in dem Kloster ist, wohin Ihr sie nie durftet gelangen lassen, so sucht wenigstens den Mann nicht zu verfehlen. Verfehlt Ihr ihn, so wißt Ihr, daß ich eine lange Hand habe, und daß Ihr die hundert Louisd’or, die Ihr von mir erhalten habt, teuer bezahlen müßt.«

Keine Unterschrift. Dessenungeachtet kam der Brief unleugbar von Mylady. Er behielt ihn also, als ein Actenstück zum Behuf der Überweisung, und da er sich hinter der Ecke des Laufgrabens in Sicherheit befand, so fing er an den Verwundeten auszufragen. Dieser gestand, daß er es mit seinem soeben getöteten Kameraden übernommen hatte, eine junge Frau, die von Paris durch die Barriere de la Vilette abreisen sollte, zu entführen, daß sie sich aber in einer Schenke, um zu trinken, aufgehalten und den Wagen um zehn Minuten versäumt hatten.

»Aber was hättet Ihr mit dieser Frau gemacht?« fragte d’Artagnan bange.

»Wir sollten sie in ein Hotel der Place Royale bringen,« erwiderte der Verwundete.

»Ja, ja,« murmelte d’Artagnan, »das ist es, zu Mylady selbst.«

Nun begriff der junge Mann schaudernd, welcher furchtbare Rachedurst diese Frau antrieb, ihn, so wie diejenigen, welche ihn liebten, zu Grunde zu richten, und wie sehr sie mit den Angelegenheiten des Hofes vertraut war, da sie Alles entdeckt hatte. Ohne Zweifel hatte sie ihre Nachrichten dem Kardinal zu verdanken. Aber dagegen sah er auch mit einem Gefühl wahrer Freude ein, daß die Königin endlich den Kerker erkundet, in welchem die arme Madame Bonacieux ihre Ergebenheit büßen mußte, und daß sie dieselbe diesem Kerker entzogen hatte.

Von dieser Zeit wurde es, wie Athos vorhergesagt hatte, möglich, Madame Bonacieux wieder aufzufinden, und ein Kloster war nicht uneinnehmbar.

Dieser Gedanke vollendete die Milde in seinem Herzen. Er wandte sich gegen den Verwundeten um, welcher ängstlich all die verschiedenen Ausdrücke in seinem Gesichte verfolgte, und reichte ihm den Arm.

»Auf!« sprach er, »ich will Dich nicht so verlassen. Stütze Dich auf mich, und kehren wir in das Lager zurück.«

»Ja,« sagte der Verwundete, der kaum an so viel Großmuth glauben konnte, »aber geschieht dies nicht, um mich hängen zu lassen?«

»Du hast mein Wort und zum zweiten Mal schenke ich Dir Dein Leben.«

Der Verwundete sank auf die Kniee und küßte seinem Retter abermals die Füße. Aber d’Artagnan, der durchaus keinen Grund hatte, so nahe beim Feinde zu bleiben, kürzte selbst die Dankbarkeitsbezeigungen ab.

Der Garde, welcher bei dem ersten Feuer der Rocheller zurückgeeilt war, hatte den Tod seiner vier Gefährten angekündigt. Man war also sehr erstaunt und äußerst vergnügt im Regiment, als man den jungen Mann wohlbehalten ankommen sah.

D’Artagnan erklärte den Degenstich seines Gefährten durch einen Ausfall, den er improvisirte. Er erzählte den Tod des andern Soldaten und die Gefahren, denen sie preisgegeben gewesen. Seine Erzählung hatte einen wahren Triumph für ihn zur Folge. Die ganze Armee sprach einen Tag lang von dieser Expedition, und Monsieur ließ ihm darüber seine Zufriedenheit aussprechen.

Wie übrigens jede schöne Handlung ihre Belohnung mit sich trägt, so war das Resultat der schönen Handlung d’Artagnans, daß sie ihm die verlorene Ruhe wieder gab. Der junge Mann glaubte in der That ruhig sein zu können, da von seinen zwei Feinden der eine todt, der andere seinen Interessen ergeben war.

Diese Sache bewies blos, daß d’Artagnan Mylady noch nicht kannte.

XIV.

Anjou-Wein.

Nachdem man beinahe verzweifelte Nachrichten vom König erhalten hatte, fing das Gerücht von seiner Wiedergenesung an sich zu verbreiten, und da er große Eile hatte, in Person zu der Belagerung zu kommen, so sagte man, er würde abreisen, sobald er wieder zu Pferde steigen könnte.

Monsieur, welcher wußte, daß er jeden Tag durch den Herzog von Angoulême, durch Bassompierre oder durch Schomberg, die sich um das Commando stritten, im Oberbefehl ersetzt werden konnte, that mittlerweile nur wenig, verlor seine Zeit durch Umhertappen und wagte kein großes Unternehmen, um die Engländer von der Insel Ré zu vertreiben, wo sie die Citadelle Saint-Martin und das Fort de la Prée belagerten, während die Franzosen ihrerseits La Rochelle belagerten.

D’Artagnan war, wie gesagt, ruhiger geworden, wie dies stets nach einer überstandenen Gefahr, oder wenn man die Gefahr für verschwunden hält, der Fall ist. Sein einziger Kummer war, daß er keine Nachricht von seinen Freunden erhielt.

Aber eines Morgens wurde ihm durch folgenden aus Villeroy datirten Brief Alles klar:

»Herr d’Artagnan,

»Die Herren Athos, Porthos und Aramis machten, nachdem sie bei mir ein gutes Mahl eingenommen hatten, einen so gewaltigen Lärm, daß ihnen der Herr Schloßrichter, ein sehr strenger Mann, einige Tage Zimmerarrest gab. Ich vollziehe ihre Befehle, indem ich Euch zwölf Flaschen von meinem Anjou-Wein schicke, dem sie großes Lob spenden; sie wünschen, Ihr möget ihren Lieblingswein auf ihre Gesundheit trinken.

»Ich bin, mein Herr, mit der größten Achtung

Euer

ergebenster und gehorsamster Diener
Godeau, Gastwirth der Musketiere.«

»Vortrefflich!« rief d’Artagnan, »sie gedenken mein bei ihren Vergnügungen, wie ich ihrer bei meinem Kummer gedachte. Ich werde gewiß auf ihre Gesundheit trinken, und zwar von ganzem Herzen und nicht allein.«

Und d’Artagnan lief zu zwei Garden, mit denen er mehr Freundschaft geschlossen hatte, als mit den andern, und lud sie ein, den köstlichen Wein mit ihm zu trinken, der von Villeroy angekommen war. Der Eine von ihnen war für denselben Abend, der Andere für den folgenden eingeladen; so wurde also die Zusammenkunft auf den zweiten Tag festgesetzt.

D’Artagnan schickte seine zwölf Flaschen Wein in die Trinkstube der Garden, mit dem Befehle, sie sorgfältig aufzubewahren. Als der Tag des Festes erschien, mußte Planchet schon um neun Uhr sich an Ort und Stelle begeben, um die nothwendigen Vorbereitungen zu treffen, während die Stunde zum Mittagsmahle auf ein Uhr festgesetzt war.

Stolz, zur Würde eines Haushofmeisters erhoben worden zu sein, war Planchet darauf bedacht, sich seiner Aufgabe als ein gescheidter Kerl zu entledigen. Er nahm zu diesem Ende noch einen Bedienten von einem der Gäste seines Herrn, Namens Fourreau, zu sich, nebst Baisemout, dem falschen Soldaten, der unsern Helden hatte tödten wollen und, da er zu keinem Korps gehörte, in den Dienst d’Artagnans oder vielmehr Planchets getreten war, seitdem ihm d’Artagnan das Leben geschenkt hatte.

Zur bestimmten Stunde erschienen die zwei Gäste, nahmen Platz und die Gerichte wurden aufgetragen; Planchet wartete mit der Serviette unter dem Arm auf, Fourreau öffnete die Flaschen, und Baisemout, der Rekonvalescent, goß den Wein, der durch das Schütteln einen Satz bekommen zu haben schien, in gläserne Karaffen über. Die erste Flasche von diesem Wein war etwas trüb, Baisemont goß den Satz in ein Glas und d’Artagnan erlaubte ihm, dasselbe zu trinken, denn der arme Teufel hatte noch nicht viel Kraft.

Die Gäste hatten die Suppe gegessen und waren gerade im Begriff, das erste Glas an die Lippen zu setzen, als plötzlich die Kanone im Fort Louis und im Fort Neuf ertönte. Die Garden glaubten, es handle sich um einen unvorhergesehenen Angriff von Seiten der Engländer und von Seiten der Belagerten, und liefen nach ihren Degen; d’Artagnan machte es ebenso und alle drei eilten an ihre Posten.

Aber kaum waren sie außerhalb der Trinkstube, als sie sich durch ein gewaltiges Getöse gefesselt sahen. Von allen Seiten ertönte der Ruf: »Es lebe der König! Es lebe der Herr Kardinal!« und die Trommler schlugen in allen Richtungen.

Der König hatte wirklich in seiner Ungeduld zwei Etapen verdoppelt und traf in diesem Augenblick mit all seinen Haustruppen und einer Verstärkung von zehntausend Mann ein. Vor und hinter ihm zogen die Musketiere. D’Artagnan hatte mit seiner Kompagnie Spalier zu machen, und begrüßte mit einer ausdrucksvollen Geberde seine Freunde und Herrn von Treville. Sobald die Empfangsceremonie vorüber war, versammelten sich die vier Freunde.

»Bei Gott!« rief d’Artagnan, »Ihr hättet nicht besser ankommen können; das Fleisch hat gewiß noch nicht Zeit gehabt, kalt zu werden. Nicht wahr, meine Herren,« fügte der junge Mann gegen die zwei Garden bei, die er seinen Freunden vorstellte. – »Ah! ah! es scheint, wir bankettiren,« sprach Porthos. – »Hoffentlich ist doch keine Frauensperson bei dem Mahle?« sagte Aramis. – »Gibt es trinkbaren Wein in Eurer Schenke?« fragte Athos. – »Ei! bei Gott den Eurigen, lieber Freund,« antwortete d’Artagnan. – »Unseren Wein?« rief Athos. – »Ja den Wein, welchen Ihr mir geschickt habt.« – »Wir haben Euch Wein geschickt?« – »Ihr wißt doch von dem köstlichen Wein von den Rebhügeln von Anjou? …« – »Ja, ich weiß wohl, von welchem Weine Ihr sprecht.« – »Von dem Wein, welchem Ihr den Vorzug gebt.« – »Allerdings, wenn ich weder Champagner noch Chambertin habe.« – »Nun! in Ermanglung des Champagners und des Chambertin werdet Ihr Euch mit diesem begnügen.« – »Wir haben also Anjou-Wein kommen lassen, wir Leckermäuler?« sprach Porthos. – »Nein, es ist der Wein, den man mir in Eurem Auftrage geschickt hat.« – »In unserem Auftrag?« riefen die Musketiere. – »Aramis, habt Ihr den Wein geschickt?« fragte Athos. – »Nein, und Ihr Porthos?« – »Nein.« – »Ganz wohl, aber Euer Wirth, Godeau, der Wirth der Musketiere.« – »Meiner Treu, er mag kommen, woher er will, daran ist nichts gelegen,« sagte Porthos, »wir wollen ihn versuchen und wenn er gut ist, trinken.« – »Nein,« entgegnete Athos, »wir wollen den Wein nicht trinken, der aus einer unbekannten Quelle kommt.« – »Ihr habt Recht, Athos,« sprach d’Artagnan. »Niemand von Euch hat den Gastwirth Godeau beauftragt, mir den Wein zu schicken?« – »Nein: und dennoch ist er Euch in unserem Auftrage zugeschickt worden?« – »Hier ist der Brief,« erwiderte d’Artagnan, und übergab seinen Kameraden das Billet. – »Das ist nicht seine Handschrift,« rief Athos; »ich kenne sie, denn ich habe vor dem Abgang die Rechnungen der Brüderschaft geordnet.« – »Ein falscher Brief,« sagte Porthos, »wir hatten keinen Zimmerarrest.« – »D’Artagnan,« sprach Aramis im Tone des Vorwurfs, »wie konntet Ihr glauben, wir hätten Lärm gemacht? …«

D’Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern schüttelte seine Glieder.

»Du jagst mir Schrecken ein,« sagte Athos, der ihn nur bei bedeutenden Gelegenheiten duzte; »was ist denn vorgefallen?«

»Rasch, laßt uns laufen, meine Freunde!« rief d’Artagnan, dessen Geist ein furchtbarer Verdacht durchzuckte: »sollte es abermals eine Rache von dieser Frau sein?«

Athos erbleichte ebenfalls.

D’Artagnan stürzte nach der Trinkstube; die drei Musketiere und die zwei Garden folgten ihm.

Das Erste was d’Artagnan beim Eintritt in den Speisesaal ins Auge fiel, war Baisemout, der sich in furchtbaren Convulsionen auf dem Boden wälzte.

Bleich wie der Tod suchten ihm Planchet und Fourreau Hülfe zu leisten, aber jeder Beistand war offenbar fruchtlos; alle Züge des Sterbenden waren im Todeskampfe zusammengezogen.

»Ah!« rief er, als er d’Artagnan gewahr wurde; »ah! das ist abscheulich: Ihr gebt Euch das Ansehen, als wolltet Ihr mich begnadigen, und Ihr vergiftet mich.«

»Ich!« rief d’Artagnan, »ich, Unglücklicher! Was sagst Du da?«

»Ich sage, daß Ihr mir diesen Wein gegeben habt; ich sage, daß Ihr mich habt trinken heißen, ich sage, daß Ihr Euch an mir rächen wolltet, ich sage, daß dies abscheulich ist.«

»Glaubt es nicht, Baisemout,« rief d’Artagnan, »glaubt es nicht: ich schwöre Euch …«

»Aber es lebt ein Gott! Gott wird Euch bestrafen! Mein Gott, laß ihn einen Tag leiden, was ich leide.«

»Beim heiligen Evangelium,« sprach d’Artagnan, sich auf den Sterbenden stürzend, »ich schwöre Euch, ich wußte nicht, daß dieser Wein vergiftet war, und wollte so eben selbst davon trinken.«

»Ich glaube Euch nicht,« sagte der Soldat und verschied unter doppelten Qualen.

»Schändlich! schändlich!« murmelte Athos, während Porthos die Flaschen zerbrach und Aramis etwas spät den Befehl gab, einen Beichtiger zu holen.

»Oh! meine Freunde,« sprach d’Artagnan, »Ihr habt mir abermals das Leben gerettet, und zwar nicht allein mir, sondern auch diesen Herren. Meine Herren,« fuhr er, sich an die Garden wendend, fort, »ich bitte, dieses ganze Abenteuer zu verschweigen; hohe Personen könnten in einer Beziehung zu dem, was Ihr gesehen habt, stehen, und das Schlimme von Allem dem würde auf uns zurückfallen.«

»Ach! gnädiger Herr,« stammelte Planchet, mehr todt als lebendig, »ach, gnädiger Herr, da bin ich schön durchgeschlüpft.«

»Wie, Schurke!« rief d’Artagnan, »Du wolltest also meinen Wein trinken?«

»Auf die Gesundheit des Königs, gnädiger Herr; ich wollte eben ein armseliges Gläschen leeren, als Fourreau mir sagte, man rufe mich.«

»Ach!« sprach Fourreau, dem die Zähne vor Schrecken klapperten, »ich wollte ihn entfernen, um allein trinken zu können.«

»Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »Ihr begreift, daß ein solches Mahl nach dem, was vorgefallen ist, nur sehr traurig sein könnte: entschuldigt also gütigst, und wollt mich, ich bitte, an einem anderen Tag mit Eurer Gesellschaft beehren!« Die zwei Garden nahmen die Entschuldigungen d’Artagnan’s höflich auf und entfernten sich, da sie wohl begreifen mochten, daß die vier Freunde allein zu sein wünschten.

Als der junge Garde und die drei Musketiere ohne Zeugen waren, schauten sie sich mit einer Miene an, aus der hervorging, daß sie die ernste Bedeutung ihrer Lage begriffen.

»Vor Allem,« sprach Athos, »wollen wir dieses Zimmer verlassen; ein Todter ist eine schlechte Gesellschaft.«

»Planchet,« sagte d’Artagnan, »ich empfehle Dir, über den Leichnam des armen Teufels zu wachen; er soll in geweihter Erde begraben werden. Allerdings hat er ein Verbrechen begangen, aber er bereute es.«

Die vier Freunde entfernten sich aus dem Zimmer und überließen Planchet und Fourreau die Sorge, Baisemout die letzte Ehre zu erweisen.

Der Wirth gab ihnen eine andere Stube, in die man ihnen weich gesottene Eier und Wasser brachte, das Athos selbst aus dem Brunnen schöpfte. Mit ein paar Worten wurden Porthos und Aramis über die Lage der Dinge in Klare gesetzt.

»Nun! wohl,« sagte d’Artagnan zu Athos, »Ihr seht, es ist ein Krieg auf Leben und Tod.«

Athos schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Ja, ja, ich sehe es wohl, aber glaubt Ihr, sie sei es?«

»Ich bin es fest überzeugt.«

»Doch, ich muß Euch gestehen, daß ich noch daran zweifle.«

»Aber die Lilie auf der Schulter …«

»Es ist eine Engländerin, welche irgend ein Verbrechen in Frankreich begangen haben wird, wofür man sie gebrandmarkt hat.«

»Athos, es ist Eure Frau, sage ich Euch,« antwortete d’Artagnan; »erinnert Ihr Euch nicht, wie sehr sich die zwei Signalements gleichen?«

»Ich glaubte, die andere müßte todt sein, ich hatte sie so gut gehenkt!«

Nun war die Reihe an d’Artagnan, den Kopf zu schütteln.

»Aber was läßt sich am Ende machen?« sprach der junge Mann.

»Offenbar kann man nicht ewig mit einem Schwert über dem Haupte bleiben,« sagte Athos, »und man muß aus dieser Lage herauskommen.«

»Aber wie?«

»Hört: versucht es irgendwo mit ihr zusammen zu kommen und zu einer Erklärung mit ihr zu gelangen. Sagt ihr: »»Krieg oder Friede. Ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, nie etwas von Euch zu sagen, nie etwas gegen Euch zu thun. Von Eurer Seite fordere ich einen feierlichen Eid, neutral in Beziehung auf meine Person zu sein; wollt Ihr dies nicht, so suche ich den Kanzler, den König, den Henker auf: ich bringe den ganzen Hof gegen Euch in Aufruhr, ich gebe Euch als Gebrandmarkte an: ich stelle Euch vor Gericht und wenn man Euch freispricht, nun wohl! dann tödte ich Euch, so wahr ich ein Edelmann bin, an dem nächsten besten Eckstein, wie ich einen wüthenden Hund umbringen würde.««

»Dieses Mittel gefällt mir,« erwiderte d’Artagnan, »aber wie mit ihr zusammenkommen?«

»Die Zelt, mein theurer Freund, die Zeit führt die Gelegenheit herbei; die Gelegenheit ist die Martingale; je höher man spielt, desto mehr gewinnt man, wenn man zu warten weiß.«

»Ja; aber umgeben von Mördern und Giftmischern zu warten …«

»Bah!« rief Athos, »Gott hat uns bis daher bewahrt, Gott wird uns auch fernerhin bewahren.«

»Allerdings uns. Doch wir sind im Ganzen genommen Männer, und es liegt in unserem Stande, unser Leben zu wagen; aber sie…« fügte er mit halber Stimme bei.

»Wer, sie?« fragte Athos.

»Constance.«

»Madame Bonacieux? Ah! das ist richtig,« sprach Athos. »Armer Freund! Ich vergaß, daß Ihr verliebt seid.«

»Ei, wohl!« sagte Aramis; »aber habt Ihr nicht aus dem Briefe, der sich bei dem Schurken fand, welcher Euch ermorden wollte, ersehen, daß sie in einem Kloster ist? Man befindet sich ganz wohl in einem Kloster, und sobald die Belagerung vorüber ist, erkläre ich Euch meines Theils …«

»Gut, gut,« rief Athos. »Ja, mein lieber Aramis, wir wissen, daß Eure Wünsche auf die Religion abzielen.«

»Ich bin nur einstweilen Musketier,« sagte Aramis demüthig.

»Er scheint lange Zeit keine Briefe mehr von seiner Geliebten empfangen zu haben,« sagte Athos leise; »aber merke nicht darauf, wir kennen das.«

»Mir scheint, es gibt ein ganz einfaches Mittel,« rief Porthos. »Welches?« fragte d’Artagnan.

»Sie ist in einem Kloster, sagt Ihr?«

»Ja.«

»Nun, sobald die Belagerung vorüber ist, entführen wir sie aus diesem Kloster.«

»Aber man muß auch wissen, in welchem Kloster sie sich befindet.«

»Das ist richtig,« versetzte Porthos.

»Doch, wenn ich bedenke,« sprach Athos, »behauptet Ihr nicht, mein liebes d’Artagnan, die Königin habe das Kloster für sie ausgewählt.«

»Ja, ich glaube es wenigstens.«

»Gut! da kann uns Porthos helfen.«

»Wie dies, wenn ich bitten darf?«

»Durch Eure Marquise, durch Eure Herzogin, Eure Prinzessin; sie muß einen langen Arm haben.«

»Stille!« erwiderte Porthos und legte einen Finger auf seine Lippen; »ich halte sie für eine Kardinalistin und sie darf nichts davon wissen.«

»Dann übernehme ich es, Kunde von ihr zu erhalten,« sagte Aramis.

»Ihr! Aramis?« riefen die drei Freunde; »Ihr, und wie dies!«

»Durch den Almosenier der Königin, mit dem ich befreundet bin,« antwortete Aramis erröthend.

Die vier Freunde hatten ihr bescheidenes Mahl zu sich genommen und trennten sich auf diese Versicherung, mit dem Versprechen, sich am Abend wieder zu sehen. D’Artagnan kehrte nach Hause zurück, und die Musketiere begaben sich nach dem Quartiere des Königs, wo sie sich ihre Wohnungen einrichten zu lassen hatten.

XV.

Die Wirtschaft zum Rothen Taubenschlag.

Kaum in dem Lager angelangt, wollte der König, welcher so große Eile hatte, dem Feinde gegenüber zu stehen, und den Haß des Kardinals gegen Buckingham theilte, alle Vorkehrungen treffen, einmal um die Engländer von der Insel Ré zu verjagen, und dann um die Belagerung von La Rochelle kräftiger zu betreiben; aber er wurde gegen seinen Willen durch die feindselige Art aufgehalten, womit die Herren Bassompierre und Schomberg dem Herzog von Angoulême entgegentraten.

Herr von Bassompierre und Schomberg waren Marschälle von Frankreich und forderten ihr Recht, das Heer unter dem Befehle des Königs zu kommandiren; aber Richelieu, welcher befürchtete, Bassompierre, der im Innern seines Herzens ein Hugenotte war, möchte die Engländer und die Rocheller, seine Religionsbrüder, nur wenig bedrängen, suchte im Gegentheil den Herzog von Angoulême zu begünstigen, den der König auf seinen Antrieb zum General-Lieutenant ernannt hatte. Wenn also die Herren Bassompierre und Schomberg nicht die Armee verlassen sollten, so mußte man jedem von ihnen ein besonderes Kommando übergeben. Bassompierre nahm seine Quartiere im Norden der Stadt von Lalen bis Dompierre, der Herzog von Angoulême nahm die seinigen im Osten von Dompierre bis Perigny, und Herr von Schomberg im Süden von Perigny bis Angoulin.

Die Wohnung Monsieurs war in Dompierre, die des Königs bald in Estré, bald in la Jarri.

Die Wohnung des Kardinals war auf den Dünen bei dem Pont de la Pierre in einem einfachen Hause ohne alle Verschanzung.

Monsieur überwachte auf diese Weise Bassompierre, der König den Herzog von Angoulême und der Kardinal Herrn von Schomberg.

Sobald diese Anordnung getroffen war, beschäftigte man sich damit, die Engländer von der Insel zu vertreiben.

Die Umstände waren dazu günstig. Die Engländer, welche vor Allem guter Lebensmittel bedürfen, um gute Soldaten zu sein, hatten viele Kranke in ihrem Lager, da sie nur gesalzenes Fleisch und schlechten Zwieback zu essen bekamen. Das Meer war um diese Jahreszeit an allen östlichen Küsten sehr gefährlich, und das Gestade war von der Spitze des Aiguillon bis zu den Laufgräben buchstäblich bei jeder Fluth mit zertrümmerten Pinassen, Robergen und Felucken bedeckt; daher kam es, daß sich die Leute des Königs in ihrem Lager hielten, und Buckingham. der aus Halsstarrigkeit noch auf der Insel Ré verweilte, mußte eines Tages genöthigt werden, die Belagerung aufzugeben.

Aber da Herr von Toiras melden ließ, im feindlichen Lager bereite sich Alles zu einem neuen Sturme vor, so meinte der König, man müsse der ganzen Sache ein Ende machen, und gab die nöthigen Befehle zu einem entscheidenden Kampf.

Es war nicht unsere Absicht, ein Tagebuch der Belagerung zu schreiben, sondern wir wollten im Gegentheil nur die Ereignisse berichten, welche mit der Geschichte, die wir erzählen, in besonderem Zusammenhang stehen, und wir begnügen uns also, mit zwei Worten zu bemerken, daß das Unternehmen zur großen Zufriedenheit des Königs und zum großen Ruhme des Kardinals glückte. Fuß für Fuß zurückgetrieben, bei jedem Zusammentreffen geschlagen, mußten sich die Engländer mit Zurücklassung von zweitausend Todten auf der Wahlstätte wieder einschiffen; unter diesen Todten waren fünf Obersten, drei Oberst-Lieutenants, zweihundert und fünfzig Kapitäne und zwanzig Edelleute von hohem Rang; ferner verloren die Engländer viele Feldstücke und sechzig Fahnen; die letzteren wurden von Claude von Saint-Simon nach Paris gebracht und mit großem Gepränge in den Gewölben von Notre-Dame aufgehängt.

Im Lager ertönten Te Deum, die sich von da durch ganz Frankreich verbreiteten.

Dem Kardinal blieb es also überlassen, die Belagerung fortzusetzen, ohne daß er, wenigstens für den Augenblick, von den Engländern etwas zu befürchten hatte.

Aber die Ruhe war, wie gesagt, nur eine augenblickliche. Es war ein Abgesandter des Herzogs von Buckingham, Namens Montaigu, aufgefangen worden, und man hatte den Beweis eines Bündnisses zwischen dem Reiche, Spanien, England und Lothringen erlangt.

Dieses Bündniß war gegen Frankreich gerichtet.

Außerdem hatte man in der Wohnung des Herzogs von Buckingham, die er in großer Eile verlassen gemußt, Papiere gefunden, welche dieses Bündniß bestätigten, wie der Herr Kardinal in seinen Memoiren versichert, und Frau von Chevreuse, und folglich auch die Königin bedeutend kompromittirten.

Auf Richelieu lastete die ganze Verantwortlichkeit, denn man ist nicht unumschränkter Minister, ohne verantwortlich zu sein. Auch waren alle Quellen und Mittel seines umfassenden Genies Tag und Nacht in Anspruch genommen, um das geringste Geräusch zu vernehmen, das sich in einem der großen Reiche Europas erhob.

Der Kardinal kannte die Thätigkeit und besonders den Haß Buckinghams; triumphirte das Bündniß, von dem Frankreich bedroht wurde, so war sein ganzer Einfluß verloren. Die spanische und die österreichische Politik hatte ihre Repräsentanten im Louvre. Er, Richelieu, der französische, der vorzugsweise nationale Minister, war verloren. Der König, der ihm wie ein Kind gehorchte, haßte ihn, wie ein Kind seinen Lehrmeister haßt, und überließ ihn der vereinigten Rache Monsieurs und der Königin. Er war verloren und Frankreich vielleicht auch; dem Allem mußte man zuvorkommen.

Jeden Augenblick waren die Eilboten zahlreicher, und man sah sie einander Tag und Nacht in dem kleinen Hause am Pont de la Pierre folgen, wo der Kardinal seine Residenz aufgeschlagen hatte.

Es waren Mönche, welche die Kutte so schlecht trugen, daß man leicht erkennen konnte, sie gehören hauptsächlich der streitenden Kirche an; Frauen, die in ihren Pagen-Kleidern etwas beengt waren, und deren weite Hosen die gerundeten Formen nicht völlig verbergen konnten: Bauern endlich mit geschwärzten Händen, aber zarten Beinen, in denen man den Mann von Stand auf eine Meile in der Runde erkannte.

Dann kamen noch andere minder angenehme Besuche, denn wiederholt verbreitete sich das Gerücht, der Kardinal wäre beinahe ermordet worden.

Allerdings behaupteten die Feinde Seiner Eminenz, sie selbst habe ungeschickte Mörder in das Feld geschickt, um vorkommenden Falls das Recht zu Repressalien zu haben, aber man muß weder das, was die Minister, noch das, was ihre Feinde sagen, glauben.

Dies hielt jedoch den Kardinal, dem seine erbittertsten Verläumder den Muth nicht abgesprochen haben, nicht ab, viele nächtliche Ritte zu machen, bald um dem Herzog von Angoulême wichtige Befehle zu eröffnen, bald um sich mit dem König, bald um sich mit irgend einem Boten zu besprechen, den man nicht in seinem Hause sehen sollte.

Die Musketiere, welche bei der Belagerung nicht viel zu thun hatten, waren nicht streng gehalten uns führten ein lustiges Leben. Dies war hauptsächlich unsern drei Genossen um so leichter, als sie, mit Herrn von Treville befreundet, von diesem ohne Schwierigkeit die Erlaubniß erhielten, länger auszubleiben und auch nach Schließung des Lagers außen zu verweilen.

Eines Abends, als d’Artagnan, der den Dienst in den Laufgräben hatte, sie nicht begleiten konnte, kamen Athos, Porthos und Aramis auf ihren Schlachtrossen, in ihre Kriegsmäntel gehüllt, eine Hand auf dem Kolben ihrer Pistole, aus einer Schenke, zum Rothen Taubenschlag genannt, zurück, welche zwei Tage vorher von Athos auf der Straße nach Jarri entdeckt worden war. Sie verfolgten den Weg, der nach dem Lager führte, und waren dabei aus Furcht vor einem Hinterhalt wohl auf ihrer Hut, als sie ungefähr eine Viertelstunde von dem Dorfe Boisneau das Geräusch von Pferden zu hören glaubten, welche auf sie zukamen. Sogleich hielten alle Drei stille und schlossen sich, die Mitte der Straße behauptend, eng an einander an. Nach einem Augenblick, als der Mond eben unter einer Wolke hervortrat, sahen sie wirklich an der Biegung der Straße zwei Reiter, welche, sobald sie unsere Freunde erblickten, ebenfalls stillehielten und mit sich zu Rathe zu gehen schienen, ob sie ihren Weg fortsetzen oder umkehren sollten. Dieses Zögern erregte Verdacht bei den Musketieren; Athos rückte einige Schritte vor und rief mit fester Stimme:

»Wer da?«

»Wer da, Ihr selbst?« erwiderte einer von den Reitern.

»Das ist keine Antwort!« sprach Athos. »Wer da? oder wir feuern.«

»Besinnt Euch wohl, ehe Ihr dies thut, meine Herren,« entgegnete eine vibrirende Stimme, welche zu befehlen gewohnt zu sein schien.

»Das ist ein Oberoffizier, der diese Nacht seine Runde macht,« sprach Athos, sich gegen seine Freunde umwendend. »Was wollen wir thun, meine Herren?«

»Wer seid Ihr?« rief dieselbe Stimme mit demselben befehlenden Tone; »antwortet oder Ihr dürftet Euch schlecht bei Eurem Ungehorsam befinden.«

»Musketiere des Königs!« erwiderte Athos, immer mehr überzeugt, daß der, welcher sie fragte, auch das Recht hiezu hatte.

»Welche Kompagnie?«

»Kompagnie von Treville.«

»Rückt vor und gebt mir Rechenschaft, was Ihr zu dieser Stunde hier zu machen habt.«

Die drei Musketiere rückten etwas verblüfft vor, denn alle drei waren überzeugt, daß sie es mit einem Mächtigern zu thun hatten. Man überließ indessen Athos die Sorge, das Wort zu führen.

Einer von den zwei Reitern war ungefähr zehn Schritte von seinem Gefährten entfernt; Athos gab Porthos und Aramis ein Zeichen, ebenfalls zurückzubleiben, und ritt allein vorwärts.

»Um Vergebung, mein Offizier,« sprach Athos, »aber wir wußten nicht, mit wem wir es zu thun hatten, und Ihr könnt sehen, wir halten gute Wache.

»Euer Name?« fragte der Offizier, der einen Theil seines Gesichtes mit dem Mantel verhüllte.

»Ihr selbst, mein Herr,« sagte Athos, den dieses Verhör zu empören anfing, »gebt mir, ich bitte Euch, den Beweis, daß Ihr das Recht habt, mich so zu fragen?«

»Euer Name?« wiederholte der Reiter, und ließ den Mantel so fallen, daß sein Gesicht entblößt war.

»Der Herr Kardinal!« rief der Musketier erstaunt.

»Euer Name?« fragte Seine Eminenz zum dritten Male.

»Athos,« antwortete der Musketier.

Der Kardinal gab dem Stallmeister ein Zeichen und dieser näherte sich.

»Die drei Musketiere werden uns folgen,« sprach er mit leiser Stimme; »man soll nicht erfahren, daß ich das Lager verlassen habe, und wenn sie uns folgen, sind wir sicher, daß sie Niemand etwas davon sagen.«

»Wir sind Edelleute, Monseigneur,« sprach Athos; »verlangt unser Ehrenwort und seid unbesorgt. Wir wissen, Gott sei Dank! ein Geheimniß zu bewahren.«

Richelieu heftete seine durchdringenden Augen auf den kühnen Redner.

»Ihr habt ein feines Ohr, Herr Athos,« sprach der Kardinal. »Aber nun hört: ich bitte Euch, nicht aus Mißtrauen, sondern meiner Sicherheit wegen, mir zu folgen. Ohne Zweifel sind Eure zwei Gefährten die Herren Porthos und Aramis.«

»Ja, Ew. Eminenz,« antwortete Athos, während die zwei zurückgebliebenen Musketiere, den Hut in der Hand, sich näherten.

»Ich kenne Euch, meine Herren,« sagte der Kardinal, »ich kenne Euch. Ich weiß, daß ich Euch nicht ganz zu meinen Freunden zu zählen habe, und das thut mir leid. Ich weiß aber auch, daß Ihr brave, wackere Edelleute seid, und daß man sich Euch anvertrauen kann. Herr Athos, erweist mir die Ehre, mich nebst Euren zwei Freunden zu begleiten, und ich werde dann eine Eskorte haben, um welche mich Seine Majestät beneiden müßte, wenn wir ihr begegnen würden.«

Die drei Musketiere verbeugten sich bis auf den Hals ihrer Pferde.

»Ei, bei meiner Ehre!« rief Athos, »Ew. Eminenz hat Recht, uns mitzunehmen. Wir stießen unterwegs auf abscheuliche Gesichter, und hatten sogar mit vier von diesen Gesichtern einen Zank im Rothen Taubenschlag.«

»Einen Zank! und warum, meine Herren,« sagte der Kardinal. »Ich liebe die Zänkereien nicht, wie Ihr wißt.«

»Gerade deßhalb habe ich die Ehre, Ew. Eminenz von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen; denn sie könnte es von Andern erfahren und uns auf einen falschen Bericht hin schuldig glauben.«

»Und was war das Resultat dieses Streites?« fragte der Kardinal die Stirne faltend.

»Mein Freund Aramis, den Ihr hier seht, hat einen kleinen Degenstich in den Arm bekommen, was ihn jedoch nicht abhalten wird, wie Ihr wohl bemerken möget, morgen den Sturm mitzumachen, wenn Euer Eminenz dazu Befehl geben sollte.«

»Aber Ihr seid nicht die Menschen, die sich auf diese Art Degenstiche geben lassen?« sagte der Kardinal. »Sprecht offen, meine Herren, Ihr habt sicherlich einige zurückgegeben! Beichtet, Ihr wißt, ich habe das Recht, Absolution zu ertheilen.«

»Ich, gnädiger Herr,« sagte Athos, »ich habe nicht einmal den Degen gezogen, aber ich nahm denjenigen, mit welchem ich zu schaffen hatte, um den Leib und warf ihn zum Fenster hinaus. Es scheint,« fuhr Athos mit einigem Zögern fort, »daß er beim Fallen den Schenkel gebrochen hat.«

»Ah! ah!« rief der Kardinal, »und Ihr, Herr Porthos?«

»Ich, Monseigneur, ergriff, da ich wußte, daß das Duell verboten ist, eine Bank und versetzte einem von diesen Schurken einen Streich, der ihm, glaube ich, die Schulter zerschmettert hat.«

»Gut,« sagte der Kardinal, »und Ihr, Herr Aramis?«

»Ich, Monseigneur, da ich ein sehr sanftes Gemüth habe und überdies, was Monseigneur vielleicht nicht weiß, in den geistlichen Stand einzutreten im Begriffe bin, wollte meine Kameraden trennen, als einer von diesen Elenden mir verrätherischer Weise einen Degenstich durch den linken Arm beibrachte. Da ging mir die Geduld aus und ich zog meinen Degen ebenfalls, und als er wieder angriff, glaube ich bemerkt zu haben, daß er sich, indem er sich auf mich warf, meine Klinge durch den Leib rannte. Ich weiß nur, daß er fiel, und es schien mir, als ob man ihn mit seinen zwei Genossen fortgetragen hätte.«

»Teufel, meine Herren!« sprach der Kardinal, »drei Menschen wegen einer Wirthshauszänkerei wehrlos zu machen! Ihr scheint mir keine faule Hände zu haben! Und worüber entspann sich der Streit?«

»Die Elenden waren berauscht und wollten, da sie wußten, daß diesen Abend eine Frau in der Schenke angekommen war, die Thüre sprengen.«

»Diese Frau war wohl jung und hübsch?« fragte der Kardinal mit einiger Unruhe.

»Wir haben sie nicht gesehen, Monseigneur,« sagte Athos.

»Ihr habt sie nicht gesehen? Ah! sehr gut!« versetzte der Kardinal lebhaft. »Ihr habt wohl daran gethan, die Ehre einer Frau zu vertheidigen, und da ich gerade selbst zur Herberge zum Rothen Taubenschlag gehe, so werde ich erfahren, ob Ihr die Wahrheit gesprochen habt.«

»Monseigneur,« sagte Athos stolz, »wir sind Edelleute und würden uns keine Lüge erlauben, und wenn wir damit unser Leben retten könnten.«

»Auch zweifle ich nicht einen Augenblick an dem, was Ihr mir sagt, Herr Athos, ich zweifle nicht im Mindesten daran. Doch,« fügte er bei, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »doch diese Dame war wohl allein?«

»Sie hatte einen Kavalier bei sich eingeschlossen,« sagte Athos. »Da sich dieser Kavalier jedoch, trotz des Lärmens, nicht zeigte, so läßt sich annehmen, daß er ein Feigling ist.«

»Richtet nicht vorlaut, sagt das Evangelium,« entgegnete der Kardinal.

Aramis verbeugte sich.

»Und nun, meine Herren, ist es gut,« fuhr Seine Eminenz fort; »ich weiß, was ich wissen wollte, folgt mir.«

Die drei Musketiere ritten hinter dem Kardinal, der wieder das Gesicht in seinen Mantel hüllte, sein Pferd in Marsch setzte und sich acht bis zehn Schritte vor seinen vier Gefährten hielt.

Man gelangte bald zu der einsamen, stillen Herberge. Ohne Zweifel wußte der Wirth, welcher erhabene Besuch erscheinen würde, und hatte deßhalb die Lästigen weggeschickt.

Zehn Schritte von der Thüre entfernt gab der Kardinal seinem Stallmeister und den Musketieren ein Zeichen, Halt zu machen. Ein völlig gesatteltes Pferd war an den Laden angebunden. Der Kardinal klopfte dreimal und auf eine besondere Weise. Ein in einen Mantel gehüllter Mann trat heraus und wechselte rasch einige Worte mit dem Kardinal, wonach er zu Pferde stieg und sich in der Richtung von Surgère, was auch zugleich die Richtung von Paris war, entfernte.

»Vorwärts, meine Herren,« sprach der Kardinal.

»Ihr habt mir die Wahrheit gesagt, meine edlen Herrn,« fügte er, sich an die Musketiere wendend, bei, »und es ist nicht meine Schuld, wenn unser Zusammentreffen an diesem Abend nicht vortheilhaft für Euch ausfällt. Mittlerweile folgt mir.«

Der Kardinal stieg ab, die Musketiere thaten dasselbe. Der Kardinal warf den Zügel seines Pferdes seinem Stallmeister zu, die drei Musketiere banden die ihrigen an die Läden.

Der Wirth blieb auf der Schwelle seiner Thüre. Für ihn war der Kardinal nur ein Offizier, der eine Dame besuchte.

»Habt Ihr ein Zimmer im Erdgeschoß, wo diese Herren mich bei einem guten Feuer erwarten können?« sagte der Kardinal.

Der Wirth öffnete die Thüre einer großen Stube, in welcher man eben im Begriffe war, einen schlechten Ofen durch ein großes vortreffliches Kamin zu ersetzen.

»Ich habe diese hier,« sagte er.

»Das ist gut,« versetzte der Kardinal. »Tretet ein, meine Herren, und erwartet mich gefälligst. Ich werde höchstens eine halbe Stunde ausbleiben.«

Und während die drei Musketiere in die Stube im Erdgeschoß eintraten, stieg der Kardinal, ohne weitere Auskunft zu verlangen, die Treppe hinauf, wie ein Mensch, der sich den Weg nicht zeigen zu lassen braucht.