III

Die Audienz.

Herr von Treville war in diesem Augenblick in einer abscheulichen Laune; nichtsdestoweniger grüßte er höflich den jungen Mann, der sich bis zur Erde vor ihm verbeugte, und nahm lächelnd sein Kompliment auf, dessen bearnesischer Ausdruck ihn zugleich an seine Jugend und an seine Heimath erinnerte – eine doppelte Erinnerung, welche den Menschen in jedem Alter zum Lächeln bewegt. Aber beinahe in demselben Augenblick trat er, d’Artagnan mit der Hand ein Zeichen machend, als wolle er ihn um Erlaubniß bitten, die Andern abzufertigen, ehe er mit ihm anfinge, trat er, sagen wir, an die Thüre, und rief dreimal, jedes Mal die Stimme verstärkend, so daß er alle Intervall-Töne zwischen dem befehlenden und dem aufgereizten Accent durchlief:

»Athos! Porthos! Aramis!«

Die uns bereits bekannten zwei Musketiere antworteten auf die zwei letzten von diesen drei Namen, verließen sogleich die Gruppen, unter denen sie standen, und gingen auf das Kabinet zu, dessen Thüre sich hinter ihnen schloß, sobald sie die Schwelle überschritten hatten. Ihre Haltung erregte, obgleich sie nicht ganz ruhig war, durch ihre zugleich würdevolle und ehrerbietige Ungezwungenheit die Bewunderung d’Artagnans, der in diesen Menschen Halbgötter und in ihrem Anführer einen mit all seinen Blitzen bewaffneten Jupiter erblickte.

Als die Musketiere eingetreten waren, als die Thüre hinter ihnen geschlossen war, als das Gemurmel im Vorzimmer, dem der Aufruf ohne Zweifel neue Nahrung gab, wieder angefangen und Herr von Treville endlich drei- bis mehrmal sein Kabinet, schweigend und mit gefalteter Stirne immer an Porthos und Aramis vorübergehend, welche steif und stumm wie auf der Parade dastanden, der ganzen Länge nach durchschritten hatte, blieb er plötzlich vor ihnen stehen, maß sie von Kopf zu Fuß mit zornigen Blicken und rief:

»Wißt Ihr, was mir der König gesagt hat, und zwar erst gestern Abend, wißt Ihr es, meine Herren?«

»Nein,« antworteten die zwei Musketiere nach kurzem Stillschweigen; »nein, gnädiger Herr, wir wissen es nicht.«

»Aber ich hoffe, Ihr werdet uns die Ehre erweisen, es uns zu sagen,« fügte Aramis in seinem höflichen Tone und mit der anmuthigsten Verbeugung bei.

»Er hat mir gesagt, er werde in Zukunft seine Musketiere unter der Leibwache des Herrn Kardinals rekrutiren.«

»Unter der Leibwache des Kardinals, und warum dies?« fragte Porthos lebhaft.

»Weil er sah, daß sein trüber Wein durch eine Vermischung mit gutem Wein aufgefrischt werden muß.«

Die zwei Musketiere errötheten bis unter das Weiß ihrer Augen. D’Artagnan wußte nicht, wo er war, und wäre gern hundert Fuß unter der Erde gewesen.

»Ja, ja,« fuhr Herr von Treville hitziger werdend fort, »und Se. Majestät hat Recht, denn, auf meine Ehre, die Musketiere spielen eine traurige Rolle bei Hof. Der Herr Kardinal erzählte gestern beim Spiele des Königs mit einer Miene des Bedauerns, die mir sehr mißfiel, diese verdammten Musketiere, diese lebendigen Teufel, und er legte auf diese Worte einen ironischen Nachdruck, der mir noch mehr mißfiel; diese Kopfspalter, fügte er bei und schaute mich dabei mit seinem Tigerkatzenauge an, hätten sich gestern in der Rue Ferou in einer Schenke verspätet, und eine Runde von seiner Leibwache, ich glaubte, er wollte mir in’s Gesicht lachen, sei genöthigt gewesen, die Ruhestörer zu verhaften. Mord und Tod! Ihr müßt etwas davon wissen! Musketiere verhaften! Ihr wäret dabei, Ihr leugnet es nicht, man hat Euch erkannt, und der Kardinal hat Euch genannt. Es ist freilich mein Fehler, ja mein Fehler ist es, da ich mir meine Leute auswähle. Seht doch, Aramis, warum zum Teufel habt Ihr mich um die Kasake gebeten, da Ihr doch so gut unter der Sutane gewesen wäret? Und Ihr, Porthos, habt Ihr ein so schönes goldenes Wehrgehänge, nur um einen Strohdegen daran zu tragen! Und Athos, ich sehe Athos nicht. Wo ist er?«

»Gnädiger Herr,« antwortete Aramis traurig, »er ist krank, sehr krank.«

»Krank, sehr krank, sagt Ihr, und woran leidet er?«

»Man befürchtet an den Blattern, gnädiger Herr,« antwortete Porthos, der auch ein Wort mitsprechen wollte, »was sehr unangenehm wäre, denn es würde sicherlich sein Gesicht verderben.«

»Blattern! Abermals eine glorreiche Geschichte, die Ihr mir da erzählt. Porthos! In seinem Alter an den Pocken krank? – Nein! … Aber verwundet ohne Zweifel, vielleicht getödtet – Ah! wenn ich es wüßte… Gottesblut! meine Herren Musketiere, ich dulde es nicht, daß man sich auf diese Art in schlechten schenken umhertreibt, auf der Straße Händel anfängt und an jeder Ecke vom Leder zieht. Ich will nicht, daß man sich vor den Leibwachen des Herrn Kardinals lächerlich macht, denn diese sind brave, ruhige, gewandte Leute, die sich nie der Verlegenheit aussetzen, verhaftet zu werden, und die sich überdies nicht verhaften lassen, gewiß nicht, ich bin es überzeugt! Sie würden eher auf dem Platze sterben, als einen Schritt zurückweichen. Sich flüchten, aus dem Staube machen, Fersengeld geben, das ist eine schöne Aufführung für die Musketiere des Königs, das!«

Porthos und Aramis bebten vor Wuth. Sie würden gerne Herrn von Treville erwürgt haben, wenn sie nicht gefühlt hätten, daß ihn die große Liebe, welche er für sie hegte, zu dieser Sprache veranlaßte. Sie stampften mit dem Fuß auf den Boden, bissen sich die Lippen blutig und preßten das Stichblatt ihres Degens mit aller Gewalt zusammen. Außen hatte man erwähntermaßen Athos, Porthos und Aramis rufen hören, und an dem Ton des Herrn von Treville hatte man errathen, daß er sehr zornig war. Zehn neugierige Köpfe lehnten an der Tapete und erbleichten vor Ingrimm; denn ihre fest an die Thüre gehaltenen Ohren verloren kein Wort von dem, was gesprochen wurde, während ihr Mund die für das ganze Corps beleidigenden Reden des Kapitäns, Silbe für Silbe, wiederholte. In einem Augenblick war das ganze Hotel von der Thüre des Kapitäns bis zu dem nach der Straße führenden Thore in Gährung.

»Ah! die Musketiere des Königs lassen sich von der Leibwache des Herrn Kardinals verhaften!« fuhr Herr von Treville fort, der in seinem Innern eben so wüthend war, wie seine Soldaten, aber seine Worte nur so herausstieß und gleichsam eines nach dem andern wie Dolchstiche in die Brust seiner Zuhörer bohrte. »Ah! sechs Leibwachen Sr. Eminenz arretiren sechs Musketiere Seiner Majestät! Mord Element! ich weiß, was ich thue. Ich begebe mich auf der Stelle nach dem Louvre; ich nehme meine Entlassung als Kapitän des Königs und bewerbe mich um eine Lieutenantsstelle bei den Garden des Kardinals, und wenn er es mir abschlägt, Mord Element! so werde ich Abbé.«

Bei diesen Worten kam es von dem Gemurmel außen zu einem völligen Ausbruch; überall hörte man nur Schwüre und Flüche. Mord Element! Gottesblut! Tod und Teufel! durchkreuzten sich in der Luft. D’Artagnan schaute sich nach einer Tapete um, um sich dahinter zu verbergen, und hatte sehr große Lust unter den Tisch zu kriechen.

»Wohl, mein Kapitän,« sprach Porthos außer sich, »wir waren allerdings sechs gegen sechs, aber wir wurden verräterischer Weise überfallen, und ehe wir Zeit hatten, den Degen zu ziehen, stürzten zwei von uns todt nieder, und Athos war, als schwer verwundet nichts mehr werth. Denn Ihr kennt Athos, Kapitän; nun zweimal versuchte er es, sich zu erheben, aber zweimal fiel er wieder zu Boden. Wir haben uns indessen nicht ergeben; nein, man hat uns mit Gewalt fortgeschleppt. Auf dem Wege flüchteten wir uns. Athos hielt man für todt; man ließ ihn ruhig auf dem Schlachtfelde liegen und achtete es nicht der Mühe werth, ihn wegzuschaffen. Das ist die ganze Geschichte. Was den Teufel! Kapitän, man gewinnt nicht alle Schlachten, der große Pompejus hat die von Pharsalus verloren, und Franz I. der, wie ich sagen hörte, seinen Mann stellte, unterlag in der Schlacht bei Pavia.«

»Und ich habe die Ehre, Euch zu versichern, daß ich Einen mit seinem eigenen Degen tödtete,« sagte Aramis; »denn der meinige war bei der ersten Parade zerbrochen. Getödtet oder erdolcht, gnädiger Herr, wie es Euch gefällig ist.«

»Ich wußte das nicht,« erwiederte Herr von Treville mit etwas sanfterem Tone; »der Herr Kardinal hat, wie es scheint, übertrieben.«

»Aber halten zu Gnaden, Herr Kapitän,« sprach Aramis, der, da er Herrn von Treville etwas besänftigt sah, eine Bitte vorzubringen wagte; »sagt nicht, gnädiger Herr, daß Athos verwundet ist; er wäre in Verzweiflung, wenn dies zu den Ohren des Königs käme, und da die Wunde sehr bedeutend zu sein scheint, insofern sie durch die Schulter tief in die Brust eingedrungen ist, so wäre zu befürchten …«

In demselben Augenblick hob sich der Thürvorhang, und ein edler, schöner, aber furchtbar bleicher Kopf erschien unter der Franse.

»Athos!« riefen die zwei Musketiere.

»Ihr habt nach mir verlangt, gnädiger Herr,« sprach Athos mit einer schwachen, aber vollkommen ruhigen Stimme; »Ihr habt nach mir verlangt, wie mir meine Kameraden sagen, und ich beeile mich, Eurem Befehle nachzukommen. Hier bin ich, gnädiger Herr, was steht zu Diensten?«

Mit diesen Worten trat der Musketier festen Schrittes, in tadelloser Haltung, gegürtet wie gewöhnlich, in das Kabinet. Im Innersten seines Herzens durch diesen Beweis von Muth gerührt, eilte ihm Herr von Treville entgegen.

»Ich war eben im Zuge, diesen Herren zu bemerken,« fügte er bei, »daß ich meinen Musketieren verbiete, ihr Leben unnöthig auszusetzen, denn brave Leute sind dem Könige sehr theuer, und der König weiß, daß seine Musketiere die bravsten Leute dieser Erde sind. Eure Hand, Athos.«

Und ohne eine Antwort des so eben Angekommenen auf diesen Beweis von Zuneigung abzuwarten, faßte Herr von Treville seine rechte Hand und drückte sie mit aller Kraft, wobei er nicht gewahr wurde, daß Athos, wie groß auch seine Selbstbeherrschung war, eine Bewegung des Schmerzes nicht zu bewältigen vermochte und noch bleicher wurde, was man kaum hätte für möglich halten sollen.

Die Thüre war halb offen geblieben, so sehr hatte die Ankunft von Athos, dessen Verwundung, trotz des Geheimnisses, Allen bekannt war, Aufsehen erregt. Ein Freudengeschrei war das Echo der letzten Worte des Kapitäns, und von der Begeisterung hingerissen, zeigten sich einige Köpfe durch die Oeffnungen der Tapete. Ohne Zweifel war Herr von Treville im Begriff, durch kräftige Worte diesen Verstoß gegen die Gesetze der Etikette zurückzudrängen, als er fühlte, daß sich die Hand von Athos krampfhaft in der seinigen zusammenzog, und bei genauerer Betrachtung bemerkte er, daß derselbe einer Ohnmacht nahe war. Im gleichen Augenblick fiel Athos, der alle seine Kräfte zusammengerafft hatte, um den Schmerz zu bekämpfen, wie todt auf den Boden nieder.

»Einen Wundarzt!« rief Herr von Treville. »Den meinigen, den des Königs, den nächsten besten! Einen Wundarzt! oder Gottesblut! mein braver Athos verscheidet!«

Aus das Geschrei des Herrn von Treville stürzte Alles in sein Kabinet, ohne daß er daran dachte, die Thüre irgend Jemand zu verschließen, und alle Anwesenden drängten sich um den Verwundeten. Aber dieser Eifer wäre fruchtlos gewesen, wenn sich der geforderte Arzt nicht im Hotel selbst befunden hätte; er durchschritt die Menge, näherte sich dem immer noch ohnmächtigen Athos, und da ihn das Geräusch und Gedränge in seiner Thätigkeit hemmten, so verlangte er als Erstes und Wesentlichstes, daß man den Musketier in ein anstoßendes Zimmer bringe. Sogleich öffnete Herr von Treville eine Thüre und zeigte Porthos und Aramis, welche ihren Kameraden auf den Armen trugen, den Weg. Hinter dieser Gruppe ging der Wundarzt und hinter dem Wundarzt schloß sich die Thüre. Nun wurde das Kabinet des Herrn von Treville, dieser sonst so geachtete Ort, ein zweites Vorzimmer. Jedermann schwatzte, sprach, deklamierte, schwur, fluchte ganz laut und wünschte den Kardinal und seine Leibwachen zu allen Teufeln.

Nach einem Augenblick kehrten Porthos und Aramis zurück. Der Chirurg und Herr von Treville waren allein bei dem Verwundeten geblieben.

Endlich kam auch Herr von Treville in sein Kabinet zurück. Der Verwundete hatte das Bewußtsein wieder erlangt und der Wundarzt erklärte, der Zustand des Musketiers dürfe seine Freunde durchaus nicht beunruhigen, da seine Schwäche einzig und allein durch den Blutverlust veranlaßt worden sei.

Herr von Treville gab nun ein Zeichen mit der Hand, und Jedermann entfernte sich, mit Ausnahme d’Artagnans, der durchaus nicht vergaß, daß er Audienz hatte, und mit der Hartnäckigkeit eines Gascogners an derselben Stelle geblieben war.

Als sich alle entfernt hatten und die Thüre wieder verschlossen war, wandte sich Herr von Treville um und fand sich allein mit dem jungen Manne. Durch das vorhergehende Ereigniß hatte er einigermaßen den Faden seiner Gedanken verloren. Er fragte daher den hartnäckigen Bittsteller nach seinem Verlangen. D’Artagnan nannte seinen Namen. Rasch tauchten in Herrn von Treville alle Erinnerungen an Gegenwart und Vergangenheit wieder auf und er war im Laufenden über seine Stellung.

»Um Vergebung,« sprach er lächelnd, »um Vergebung, mein lieber Landsmann, aber ich hatte Euch völlig vergessen. Was wollt Ihr! ein Kapitän ist nur ein Familienvater, dem eine größere Verantwortlichkeit obliegt, als einem gewöhnlichen Familienvater. Die Soldaten sind große Kinder; da ich aber darauf halte, daß die Befehle des Königs und besonders die des Herrn Kardinals vollzogen werden …«

D’Artagnan konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Aus diesem Lächeln urtheilte Herr von Treville, daß er es mit keinem Dummkopf zu thun habe; er ging daher gerade auf die Sache los, veränderte das Gespräch und sagte:

»Ich habe Euern Vater sehr geliebt! was kann ich für seinen Sohn thun? Beeilt Euch, meine Zeit gehört nicht mir.« »Gnädiger Herr,« sprach d’Artagnan, »als ich Tarbes verließ und hierher kam, hatte ich die Absicht, Euch in Erinnerung an diese Freundschaft, die Ihr nicht aus dem Gedächtniß verloren habt, um einen Musketiermantel zu bitten. Aber nach Allem, was ich seit zwei Stunden gesehen, begreife ich, daß eine solche Gunst ungeheuer wäre, und ich zittere, sie nicht zu verdienen.«

»Es ist allerdings eine Gunst, junger Mann,« antwortete Herr von Treville, »aber sie kann nicht so hoch über Euch stehen, als Ihr glaubt oder zu glauben Euch das Ansehen gebt. Indessen hat eine Entscheidung Sr. Majestät für diesen Fall vorgesehen, und ich sage Euch mit Bedauern, daß Niemand unter die Musketiere aufgenommen wird, ohne sich vorher in einigen Feldzügen, durch gewisse Waffenthaten oder einen zweijährigen Dienst in einem andern Regiment, das weniger begünstigt ist, als das unsere, erprobt zu haben.«

D’Artagnan verbeugte sich, ohne zu antworten. Sein Verlangen nach der Musketieruniform wurde noch dringender, seit er bemerkte, daß man so viele Hindernisse zu überwinden hatte, um sie zu bekommen.

»Aber,« fuhr Treville fort und heftete dabei auf seinen Landsmann einen so durchdringenden Blick, daß man hätte glauben sollen, er wolle im Grunde seines Herzens lesen; »aber Eurem Vater, meinem alten Landsmann, wie ich Euch gesagt habe, zu Liebe, will ich etwas für Euch thun, junger Mann. Unsere Söhne von Bearn sind gewöhnlich nicht reich, und ich zweifle, daß sich die Verhältnisse seit meiner Abreise aus der Provinz bedeutend verändert haben. Das Geld, das Ihr mitgebracht habt, wird also zum Leben nicht zu viel sein.«

D’Artagnan richtete sich mit einer stolzen Miene auf, welche wohl sagen wollte, er verlange von Niemand ein Almosen.

»Schon gut, junger Mann, schon gut,« fuhr Treville fort, »ich kenne diese Mienen, ich bin nach Paris mit vier Thalern in der Tasche gekommen und hätte mich mit Jedem geschlagen, der mir gesagt haben würde, ich sei nicht im Stande, den Louvre zu kaufen.

D’Artagnan richtete sich noch höher auf; in Folge des Verkaufs seines Pferdes begann er seine Laufbahn mit vier Thalern mehr, als Herr von Treville die seinige begonnen hatte.

»Ihr müßt also, wie ich sagte. Euer Eigenthum zusammennehmen, so stark auch diese Summe sein mag. Aber ihr müßt Euch auch in den Uebungen vervollkommnen, die einem Edelmann anstehen. Ich werde noch heute einen Brief an den Direktor der königlichen Akademie schreiben, und schon morgen seid ihr unentgeltlich aufgenommen, schlagt dieses kleine Geschenk nicht aus. Unsere höchstgeborenen und reichsten Edelleute bewerben sich zuweilen um diese Gunst, ohne sie erlangen zu können. Ihr werdet reiten, fechten und tanzen lernen. Ihr werdet gute Kenntnisse erlangen, und von Zeit zu Zeit besucht Ihr mich, um mir zu sagen, wie weit Ihr seid und ob ich etwas für euch thun kann.«

So wenig d’Artagnan mit den Hofsitten bekannt war, so entging ihm doch die Kälte dieses Empfangs nicht.

»Ach! mein gnädiger Herr,« sagte er, »ich sehe, wie sehr der Empfehlungsbrief, den mir mein Vater eingehändigt hatte, mir heute fehlt.«

»In der That,« erwiederte Herr von Treville, »ich wundere mich, daß Ihr eine weite Reise ohne dieses nothwendige Viatikum, unser einziges Hülfsmittel, unternommen habt.«

»Ich hatte es, Gott sei Dank, in guter Form bei mir,« rief d’Artagnan, »aber es ist mir gestohlen worden.«

Und er erzählte die ganze Scene in Meung, zeichnete den Unbekannten in seinen geringfügigsten Einzelnheiten, Alles mit einer Wärme und Wahrheit, die Herrn von Treville entzückte.

»Das ist seltsam,« sprach der letztere nachsinnend; »Ihr hattet also ganz laut von mir gesprochen?«

»Ja, gnädiger Herr, ich hatte allerdings diese Unklugheit begangen; ein Name, wie der Eurige, mußte mir auf der Reise als Schild dienen. Ihr könnt Euch denken, daß ich mich oft unter den Schutz desselben gestellt habe.«

Schmeichelei war damals sehr in der Mode, und Herr von Treville liebte den Weihrauch so gut wie ein König oder Kardinal.

Er konnte also nicht umhin, mit sichtbarer Befriedigung zu lächeln, aber dieses Lächeln verschwand bald wieder, er kam selbst auf das Abenteuer in Meung zurück und fuhr fort:

»Hatte dieser Edelmann nicht eine leichte Narbe an der Wange?« – »Ja, wie von dem Ritzen einer Kugel.« – »War er nicht ein Mann von schönem Gesicht?« – »Ja.« – »Von hoher Gestalt?« – »Ja.« – »Von bleicher Gesichtsfarbe und braunen Haaren?« – »Ja, ja, so ist es. Wie kommt es, gnädiger Herr, daß Ihr diesen Menschen kennt? Ach! wenn ich ihn wieder finde, und ich werde ihn wieder finden, ich schwöre es Euch, und wäre es in der Hölle …« – »Er erwartete eine Frau?« fuhr Treville fort. – »Er ist wenigstens abgereist, nachdem er einen Augenblick mit der Erwarteten gesprochen hatte.« – »Ihr wißt nicht, was der Gegenstand ihres Gespräches war?«

»Er übergab ihr eine Kapsel, sagte, sie enthalte Instruktionen, und schärfte ihr ein, sie erst in London zu öffnen.«

»Diese Frau war eine Engländerin?« – »Er nannte sie Mylady.« – »Er ist es!« murmelte Treville, »er ist es! Ich glaubte, er wäre noch in Brüssel.« – »Oh! gnädiger Herr, wenn Ihr diesen Menschen kennt,« rief d’Artagnan, »so sagt mir, wer er ist und wo er ist; dann entbinde ich Euch von Allem, selbst von Eurem Versprechen, mich unter die Musketiere aufzunehmen, denn vor Allem will ich mich rächen.« – »Hütet Euch wohl, junger Mann,« rief Treville; »wenn Ihr ihn auf der einen Seite der Straße kommen seht, so geht im Gegentheil auf die andere; stoßt Euch nicht an einem solchen Felsen, er würde Euch wie Glas zerbrechen.« – »Wenn ich ihn je wieder finde,« sprach d’Artagnan, »hält mich dies nicht ab …« – »Sucht ihn einstweilen nicht auf,« versetzte Treville, »wenn ich Euch gut zu Rathe sein soll.«

Plötzlich hielt Treville, von einem raschen Argwohn erfaßt, inne. Der gewaltige Haß, den der junge Reisende so laut gegen diesen Menschen kund that, der ihm, wie sehr wahrscheinlich war, den Brief seines Vaters entwendet hatte, verbarg er nicht etwa eine Treulosigkeit? war dieser junge Mann nicht von Seiner Eminenz abgesandt? kam er nicht, um ihm eine Falle zu legen? war dieser angebliche d’Artagnan nicht ein Emissär des Kardinals, den man in sein Haus zu bringen suchte, den man in seine Nähe gestellt hatte, um sein Vertrauen zu erschleichen und ihn später zu verderben, wie dieß tausendmal geschehen war? Er schaute d’Artagnan das zweite Mal noch schärfer an, als das erste Mal. Diese von schlauem Geist und geheuchelter Unterthänigkeit gleichsam funkelnde Physiognomie vermochte ihn nur wenig zu beruhigen.

Ich weiß, daß er Gascogner ist, dachte Herr von Treville, aber er kann es eben so wohl für den Kardinal, als für mich sein. Wir wollen ihn einmal auf die Probe stellen. »Mein Freund,« sprach er langsam, »ich will Euch als dem Sohn meines alten Freundes, denn ich halte die Geschichte dieses verlorenen Briefes für wahr, ich will Euch, sage ich, um die Kälte, die Ihr Anfangs bei meinem Empfang bemerkt haben möget, wieder gut zu machen, die Geheimnisse unserer Politik offenbaren. Der König und der Kardinal sind die besten Freunde; ihre scheinbaren Streitigkeiten sollen nur Dummköpfe täuschen. Ich will nicht, daß ein Landsmann, ein hübscher Cavalier, ein braver Bursche von diesen Fintenmachern bethört werde und wie ein Einfaltspinsel hinter denen her, welche darin zu Grunde gegangen sind, in das Garn gehe. Bedenkt wohl, daß ich diesen zwei allmächtigen Herren ergeben bin und daß ich nie einen andern Zweck haben werde, als dem König und dem Kardinal, einem der erhabensten Geister, welche Frankreich hervorgebracht hat, zu dienen. Darnach richtet Euch nun, junger Mann, und wenn Ihr, sei es Eurer Familie, sei es Euerer freundschaftlichen Verbindungen wegen oder aus Instinkt gegen den Kardinal einen Groll hegt, wie wir ihn oft bei unseren Edelleuten zum Vorschein kommen sehen, so sagt uns Lebewohl und verlaßt uns. Ich werde Euch in tausenderlei Dingen unterstützen, aber ohne Euch eine nähere Verbindung mit meiner Person zu gestatten. Ich hoffe jedenfalls durch meine Freimütigkeit Euch zum Freund zu gewinnen, denn bis zu dieser Stunde seid Ihr der einzige junge Mensch, mit dem ich so gesprochen habe.«

Treville sagte hiebei zu sich selbst:

Wenn der Kardinal diesen jungen Fuchs an mich abgesandt hat, so wird er, der wohl weiß, wie sehr er mir verhaßt ist, nicht verfehlt haben, seinem Spion kundzugeben, das beste Mittel, mir den Hof zu machen, bestehe darin, daß man das Schlimmste von ihm sage. Der listige Gevatter wird mir auch trotz meiner Versicherungen antworten, er verabscheue den Kardinal.

Es ging ganz anders, als Treville erwartete; d’Artagnan antwortete mit der größten Einfachheit:

»Mein gnädiger Herr, ich komme mit ähnlichen Ansichten und Absichten nach Paris. Mein Vater hat mir eingeschärft, von Niemand, als von dem König, dem Kardinal und von Euch, die er für die drei höchsten Männer von Frankreich hält, Etwas zu dulden.«

D’Artagnan stellte, wie man hier bemerkt, Herrn von Treville zu den beiden Andern, aber er dachte, diese Zusammenstellung könne nichts schaden.

»Ich hege also die größte Verehrung für den Herrn Kardinal,« fuhr er fort, »und die tiefste Achtung vor seinen Handlungen. Desto besser für mich, gnädiger Herr, wenn Ihr, wie Ihr sagt, freimüthig mit mir sprecht, denn Ihr werdet mir dann die Ehre erweisen, diesen Charakterzug auch an mir zu schätzen; habt Ihr aber irgend einen allerdings sehr natürlichen Argwohn gehabt, so sehe ich wohl ein, daß ich mich zu Grunde richte, indem ich die Wahrheit sage; das wäre um so schlimmer, als ich Eure Werthschätzung verlieren würde, und gerade diese ist es, worauf ich in der Welt den höchsten Werth lege.«

Herr von Treville war überrascht durch den letzten Punkt. So viel Offenherzigkeit, so viel Scharfsinn erregten seine Bewunderung, hoben aber seine Zweifel nicht gänzlich; je höher dieser junge Mann über anderen jungen Leuten stand, desto mehr war er zu fürchten, wenn er sich täuschte. Dessenungeachtet drückte er d’Artagnan die Hand und sagte:

»Ihr seid ein ehrlicher Bursche, aber in diesem Augenblick kann ich nicht mehr thun, als ich Euch so eben angeboten habe. Mein Hotel ist stets für Euch offen. Da Ihr zu jeder Stunde bei mir einsprechen und folglich jede Gelegenheit benützen könnt, so werdet Ihr wahrscheinlich später erreichen, was Ihr zu erreichen wünschet.«

»Das heißt, gnädiger Herr,« erwiederte d’Artagnan, »Ihr werdet warten, bis ich mich dessen würdig gemacht habe. Nun gut!« fügte er mit der Vertraulichkeit eines Gascogners bei, »Ihr sollt nicht lange zu warten haben.« Und er grüßte, um sich zu entfernen, als ob das Uebrige nur ihn anginge.

»Aber wartet doch,« rief Herr von Treville ihn zurückhaltend, »ich habe Euch einen Brief an den Vorstand der Academie angeboten. Seid Ihr zu stolz, ihn anzunehmen, Junker?«

»Nein, gnädiger Herr,« entgegnete d’Artagnan, »ich stehe Euch dafür, daß es mit diesem nicht gehen soll, wie mit dem andern. Ich werde ihn so gut bewahren, daß er, ich schwöre es Euch, an seine Adresse gelangen soll, und wehe dem, der es versuchen würde, ihn mir zu rauben!«

Herr von Treville lächelte bei dieser Großsprecherei, ließ seinen jungen Landsmann in der Fenstervertiefung zurück, wo die Unterredung stattgefunden hatte, setzte sich an einen Tisch und schrieb den versprochenen Empfehlungsbrief. Während dieser Zeit begann d’Artagnan, da er nichts Besseres zu thun hatte, einen Marsch auf den Fensterscheiben zu trommeln, beschaute die Musketiere, welche sich einer nach dem andern entfernten, und folgte ihnen mit dem Blicke, bis sie an der Wendung der Straße verschwanden.

Nachdem Herr von Treville den Brief geschrieben hatte, versiegelte er ihn, stand auf und näherte sich dem jungen Manne, um ihm denselben einzuhändigen, aber gerade in dem Augenblick, wo d’Artagnan die Hand ausstreckte, um ihn in Empfang zu nehmen, sah Herr von Treville mit großem Staunen, wie sein Schützling einen Sprung machte, vor Zorn feuerroth wurde und aus dem Kabinet stürzte mit dem Ruf:

»Ah! Gottesblut! dießmal soll er mir nicht entkommen!«

»Wer denn?« fragte Herr von Treville.

»Er, mein Dieb,« antwortete d’Artagnan. »Ha, Verräther!«

Und er verschwand.

»Närrischer Teufel!« murmelte Herr von Treville. »Wenn das nicht eine geschickte Manier ist, sich davon zu machen, weil er gesehen hat, daß sein Stoß fehlgegangen ist.«

IV.

Die Schulter von Athos, das Wehrgehänge von Porthos und das Taschentuch von Aramis.

Von Wuth entbrannt hatte d’Artagnan in drei Sprüngen das Vorzimmer hinter sich, und er stürzte nach der Treppe, deren Stufen er zu vier und vier hinabeilen wollte, als er blindlings fortstürmend einen Musketier, der durch eine Nebenthüre von Herrn von Treville kam, so gewaltig mit der Stirne auf die Schulter stieß, daß dieser laut aufschrie oder vielmehr brüllte.

»Entschuldigt mich,« sagte d’Artagnan, der seinen Lauf fortzusetzen versuchte, »entschuldigt mich, aber ich habe Eile.«

Kaum war er die erste Treppe hinabgestiegen, als ihn eine eiserne Hand bei der Schärpe packte und zurück hielt.

»Ihr habt Eile,« rief der Musketier, bleich wie ein Leintuch, »unter diesem Vorwande stoßt Ihr mich; Ihr sagt; ›Entschuldigt mich,‹ und glaubt, das genüge. Nicht ganz, junger Mann. Glaubt Ihr, weil Ihr Herrn von Treville heute ein wenig kavaliermäßig mit uns sprechen hörtet, man könne uns behandeln, wie er mit uns spricht? Laßt Euch diesen Wahn vergehen, Ihr seid nicht Herr von Treville, Ihr!«

»Meiner Treu,« erwiederte d’Artagnan, welcher Athos erkannte, der, nachdem der Arzt den Verband vorgenommen hatte, wieder nach seiner Wohnung zurückkehrte, »meiner Treu, ich habe es nicht absichtlich gethan, und weil ich es nicht absichtlich gethan habe, sagte ich; ›Entschuldigt mich.‹ Das scheint mir genug zu sein. Ich wiederhole Euch indessen, daß ich bei meiner Ehre Eile habe, große Eile. Laßt mich los, ich bitte Euch, laßt mich dahin, wo ich zu thun habe.«

»Mein Herr,« sprach Athos, indem er ihn losließ, »Ihr seid nicht artig. Man sieht, daß Ihr von ferne herkommt.«

D’Artagnan hatte schon drei bis vier Stufen überschritten, aber die Bemerkung von Athos hielt ihn plötzlich zurück.

»Bei Gott! mein Herr,« sprach er, »aus so weiter Ferne ich auch kommen mag, so werdet Ihr mir doch keinen Unterricht in den feinen Manieren ertheilen, das sage ich Euch.« – »Vielleicht,« erwiederte Athos. – »Ah! wenn ich nicht so sehr Eile hätte,« rief d’Artagnan, »und wenn ich nicht Einem nachlaufen würde…« – »Ei, mein eiliger Herr, mich werdet Ihr finden, ohne mir nachzulaufen, versteht Ihr?« – »Und wo dies, wenn es gefällig wäre? – »Bei den Karmeliter-Barfüßern.« – »Zu welcher Stunde?« – »Gegen Mittag.« – »Gegen Mittag, gut; ich werde dort sein.« – »Laßt mich nicht lange warten, denn ein Viertel nach zwölf laufe ich Euch nach, das sage ich Euch, und schneide Euch die Ohren im Laufen ab.« – »Gut!« rief d’Artagnan; »ich werde zehn Minuten vor zwölf mich einfinden.«

Und er fing wieder an zu rennen, als ob ihn der Teufel holte, in der Hoffnung, seinen Unbekannten zu finden, den sein ruhiger Gang noch nicht weit geführt haben konnte.

Aber am Straßenthor plauderte Porthos mit einem Wache stehenden Soldaten. Zwischen den zwei Sprechenden war gerade Raum für einen Mann. D’Artagnan glaubte, dieser Raum würde für ihn genügen, und stürzte vor, um wie ein Pfeil zwischen beiden durchzuschießen. Aber d’Artagnan hatte ohne den Wind gerechnet. Als er eben im Begriffe war, durchzudringen, fing sich der Wind in den langen Mantel von Porthos, und d’Artagnan prallte gerade in den Mantel. Porthos hatte ohne Zweifel Gründe, diesen wesentlichen Theil seiner Kleidung nicht preiszugeben, denn statt das Blatt, welches er festhielt fahren zu lassen, zog er es an sich, so daß d’Artagnan durch eine umdrehende Bewegung, die sich leicht durch den Widerstand des hartnäckigen Porthos erklären läßt, sich in den Sammet verwickelte.

Als d’Artagnan den Musketier fluchen hörte, wollte er sich unter dem Mantel, der ihn verblendete, hervorarbeiten und suchte seinen Weg in den Falten. Er fürchtete besonders die Frische des, uns bereits bekannten, glänzenden Wehrgehänges beeinträchtigt zu haben; als er aber schüchtern die Augen öffnete, fand es sich, daß seine Nase zwischen den beiden Schultern von Porthos, das heißt gerade auf dem Wehrgehänge steckte. Ach! wie die meisten Dinge dieser Welt, die nur den Schein für sich haben, war das Wehrgehänge vorne von Gold und hinten von Büffelleder. Da Porthos, ein Hochmuthsnarr, wie er war, kein ganz goldenes Wehrgehänge haben konnte, so hatte er wenigstens die Hälfte davon: man begreift jetzt die Nothwendigkeit des Schnupfens und das dringliche Bedürfniß eines Mantels.

»Donner und Teufel!« rief Porthos, während er sich mit aller Gewalt anstrengte, von d’Artagnan loszukommen, der ihm am Rücken krappelte, seid Ihr denn wahnsinnig, daß Ihr Euch so auf die Leute werft!«

»Entschuldigt mich,« sagte d’Artagnan, als er wieder unter den Schultern des Riesen erschien, »aber ich hatte Eile, ich laufe Einem nach, und …«

»Vergeßt Ihr vielleicht Eure Augen, wenn Ihr Jemand nachlauft?« fragte Porthos.

»Nein,« antwortete d’Artagnan gereizt, »nein, und meinen Augen hab‘ ich es sogar zu danken, daß ich das sehe, was Andere nicht sehen.«

Porthos verstand oder verstand nicht, jedenfalls erfaßte ihn der Zorn und er rief:

»Mein Herr, man wird Euch zu striegeln wissen, wenn Ihr Euch an den Musketieren reibt.«

»Striegeln, mein Herr!« sagte d’Artagnan, »das Wort ist hart.«

»Es ist das Wort eines Mannes, der seinen Feinden ins Gesicht zu sehen gewohnt ist.«

»Ah! bei Gott, ich weiß wohl, daß Ihr den Eurigen den Rücken nicht zukehrt.«

Und über seinen Witz entzückt, entfernte sich der junge Mann laut lachend.

Porthos schäumte vor Wuth und machte eine Bewegung, um über d’Artagnan herzufallen.

»Später, später,« rief dieser, »wenn Ihr Euren Mantel nicht mehr anhabt.«

»Um ein Uhr also, hinter dem Luxemburg.«

»Sehr wohl, um ein Uhr,« erwiederte d’Artagnan, sich um die Straßenecke wendend.

Aber weder in der Straße, die er durchlaufen hatte, noch in derjenigen, in welcher er jetzt seine Blicke umherlaufen ließ, sah er irgend Jemand. So sachte der Unbekannte gegangen war, so hatte er doch einen Vorsprung gewonnen; vielleicht war er auch in ein Haus eingetreten. D’Artagnan erkundigte sich bei Allen, denen er begegnete, nach ihm, ging bis zur Fähre hinab und wieder durch die Rue de Seine und la Croix-Rouge hinauf, aber nichts, durchaus nichts. Dieses Laufen war jedoch in so fern für ihn vorteilhaft, als je mehr der Schweiß seine Stirne überströmte, desto mehr sein Gemüth sich abkühlte. Er fing nun an, über die Ereignisse die er so eben erlebt hatte, nachzudenken, sie waren zahlreich und unglücklich; es war kaum elf Uhr und bereits hatte ihm der Morgen die Ungunst des Herrn von Treville zugezogen, der die Art und Weise, wie d’Artagnan ihn verlassen hatte, etwas wenig cavaliermäßig finden mußte. Dann hatte er zwei Duelle mit Männern angebunden, von denen jeder im Stande war, drei d’Artagnan zu tödten, kurz mit zwei Musketieren, mit zwei von diesen Wesen, die er so hoch schätzte, daß er sie in seinem Geist und in seinem Herzen über alle andere Menschen stellte.

Diese Conjunctur war sehr traurig. In der Ueberzeugung, von Athos getödtet zu werden, bekümmerte sich der junge Mann begreiflicher Weise nicht viel um Porthos. Da jedoch die Hoffnung das Letzte ist, was in dem Herzen des Menschen erlischt, so fing er wirklich an zu hoffen, er könnte diese zwei Duelle, freilich mit furchtbaren Wunden, überleben, und im Fall des Ueberlebens machte er sich für die Zukunft folgende Vorstellungen:

»Was für ein hirnloser Tölpel bin ich! Dieser brave und unglückliche Athos ist an der Schulter verwundet und ich stürze mit dem Kopfe auf ihn zu, gerade wie ein Stier. Mich wundert nur, daß er mich nicht todt zu Boden streckte; er hatte das Recht dazu, und der Schmerz, den ich ihm verursacht habe, muß furchtbar gewesen sein. Was Porthos betrifft, – ah Porthos! das ist drolliger.« Und unwillkürlich fing der junge Mann an zu lachen, wobei er indessen umherschaute, ob durch dieses vereinzelte Gelächter Niemand ohne Grund verletzt wurde. »Die Sache mit Porthos ist drolliger, darum bin ich aber nicht weniger ein elender Dummkopf. Wirft man sich so auf die Leute, ohne »Habt Acht!« zu rufen, nein! und schaut man ihnen unter den Mantel, um zu sehen, was nicht da ist? Er hätte mir gewiß verziehen. Er hätte mir verziehen, wäre ich nicht so unklug gewesen, von dem Wehrgehänge zu sprechen, allerdings mit verblümten Worten! ja, schön, verblümt! Ah! verdammter Gascogner, der ich bin, ich würde in der Bratpfanne Witze machen. Auf! d’Artagnan, mein Freund,« fuhr er fort, indem er zu sich selbst mit all der Höflichkeit sprach, die er sich zu schulden glaubte, »entkommst Du, was nicht sehr wahrscheinlich ist, so hast Du in Zukunft eine vollkommene Höflichkeit zu beobachten. Man muß Dich fortan bewundern, als Musterbild nennen. Zuvorkommend und höflich sein, heißt nicht feig sein. Man schaue nur Aramis an, er ist die Sanftmuth, die Artigkeit selbst, und Niemand ist noch der Meinung gewesen, er sei ein Feigling! Nein, gewiß nicht, und von nun an will ich mich ganz nach seinem Vorbild formen! Ah! hier ist er gerade.«

Immer vorwärts marschirend und mit sich selbst sprechend war d’Artagnan bis auf einige Schritte zu dem Hotel d’Aiguillon gelangt, und vor diesem Hotel hatte er Aramis wahrgenommen, welcher munter mit drei Edelleuten von der Leibwache des Königs plauderte. Aramis bemerkte d’Artagnan ebenfalls; da er nicht vergaß, daß sich Herr von Treville diesen Morgen in seiner Gegenwart so stark ausgedrückt hatte, und da ein Zeuge der Vorwürfe, welche den Musketieren zu Theil wurden, ihm in keiner Beziehung angenehm war, so gab er sich den Anschein, als würde er ihn gar nicht gewahr. D’Artagnan aber, der im Gegentheil ganz mit seinen Versöhnungs- und Höflichkeitserklärungen beschäftigt war, näherte sich den vier jungen Leuten und machte eine tiefe Verbeugung, begleitet mit dem artigsten Lächeln. Aramis nickte leicht mit dem Kopf, lächelte aber nicht. Alle vier unterbrachen jedoch sogleich ihr Gespräch.

D’Artagnan war nicht so thöricht, um nicht einzusehen, daß er hier zu viel war, aber er hatte in den Manieren der großen Welt noch nicht genug Gewandtheit, um sich auf eine geschickte Art aus einer Lage zu ziehen, wie es in der Regel die eines Menschen ist, der sich unter Leute, die er nicht kennt, und in ein Gespräch gemischt hat, das ihn nichts angeht. Er suchte eben in seinem Innern nach einem Mittel, sich auf die wenigst linkische Weise zurückzuziehen, als er sah, daß Aramis ein Taschentuch entfallen war, auf das er, ohne Zweifel aus Unachtsamkeit, seinen Fuß gestellt hatte; dies schien ihm der günstige Augenblick zu sein, um seine Unschicklichkeit wieder gut zu machen; er bückte sich, zog mit der verbindlichsten Miene, die er sich zu geben vermochte, das Taschentuch unter dem Fuße des Musketiers hervor, wie sehr dieser sich auch anstrengte, es zurückzuhalten, und sprach, indem er ihm dasselbe übergab: »Ich glaube, mein Herr, Ihr würdet dieses Taschentuch wohl nicht gerne verlieren.«

Das Taschentuch war in der That reich gestickt und hatte eine Krone und ein Wappen in einer seiner Ecken. Aramis erröthete im höchsten Grade und riß das Taschentuch förmlich aus den Händen des Gascogners.

»Ah! ah!« rief einer von den Umstehenden; »wirst Du noch behaupten. Du stehest schlecht mit Frau von Bois-Tracy, da diese anmuthige Dame die Gefälligkeit hat, Dir ihre Taschentücher zu leihen?«

Aramis schleuderte d’Artagnan einen von den Blicken zu, welche einem Menschen begreiflich machen, daß er sich einen Todfeind zugezogen hat; aber sogleich wieder seine süßliche Miene annehmend, sprach er:

»Ihr täuscht Euch, meine Herren, dieses Taschentuch gehört nicht mir, und ich weiß nicht, warum es diesem Menschen in den Kopf gekommen ist, es eher mir, als einem von Euch zuzustellen; zum Beweis ist hier das meinige in meiner Tasche.«

Bei diesen Worten zog er sein eigenes Taschentuch hervor, ebenfalls ein sehr elegantes, feines Batisttuch, obgleich Batist damals noch theuer war, aber ohne Wappen, ohne Stickerei und nur mit einem einzigen Buchstaben, dem seines Eigentümers, bezeichnet.

Diesmal gab d’Artagnan keinen Ton von sich; er hatte seinen Mißgriff erkannt. Aber die Freunde von Aramis ließen sich durch sein Leugnen nicht überzeugen, und der eine von ihnen wandte sich mit geheucheltem Ernste an ihn und sprach:

»Wenn es so wäre, wie du behauptest, mein lieber Aramis, so würde ich mich genöthigt sehen, es von Dir zurückzufordern, denn Bois-Tracy ist, wie Du weißt, einer von meinen innigsten Freunden, und man soll keine Trophäen aus dem Eigenthum seiner Gattin machen.«

»Du stellst Dein Verlangen nicht auf die geeignete Weise,« erwiederte Aramis, »und während ich die Gerechtigkeit Deiner Forderung im Grunde würdige, müßte ich sie der Form wegen zurückweisen.«

»In der That,« wagte d’Artagnan schüchtern zu bemerken, »ich habe das Tuch nicht aus der Tasche von Aramis fallen sehen. Er hatte den Fuß darauf, das ist das Ganze, und weil er den Fuß darauf hatte, glaubte ich, das Taschentuch gehöre ihm.«

»Und Ihr habt Euch getäuscht,« antwortete Aramis kalt, ohne auf diese Entschuldigung Werth zu legen. Dann wandte er sich gegen denjenigen, welcher sich für den Freund von Bois-Tracy ausgegeben hatte, und fuhr fort: »Ueberdies, mein lieber Herzensfreund, bei Bois-Tracy fällt mir gerade ein, daß ich selbst ein nicht weniger zärtlicher Freund von ihm bin, als Du sein kannst, so daß dieses Tuch eben so wohl aus Deiner Tasche, als aus der meinigen gefallen sein kann.«

»Nein, auf meine Ehre,« rief der Soldat von der Leibwache Sr. Majestät.

»Du schwörst bei Deiner Ehre und ich bei meinem Worte, und dabei muß nun nothwendig einer von uns beiden lügen. Halt, es ist das Gescheiteste, Montaran, es nimmt jeder von uns die Hälfte davon.«

»Von dem Taschentuch?«

»Ja.«

»Vortrefflich,« riefen die zwei Andern. »Das Urtheil des Salomo. Aramis, Du bist in der That ein weiser Mann.«

Die jungen Leute brachen in ein schallendes Gelächter aus, und die Sache hatte, wie man sich denken kann, keine weitere Folge. Nach einem Augenblick hörte das Gespräch auf, die drei Soldaten von der Leibwache und der Musketier drückten sich herzlich die Hände und gingen auseinander.

»Das ist der Augenblick, um mit diesem artigen Mann Frieden zu schließen,« sagte d’Artagnan, der sich während des letzten Theils der Unterredung etwas bei Seite gehalten hatte, zu sich selbst, und mit dieser freundlichen Gesinnung trat er näher zu Aramis, der sich entfernte, ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken.

»Mein Herr,« sprach er, »Ihr werdet mich hoffentlich entschuldigen.«

»Ah! mein Herr, »unterbrach ihn Aramis, »erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß Ihr in dieser Sache nicht gehandelt habt, wie ein artiger Mann hätte handeln müssen.«

»Wie, Herr! Ihr meint …«

»Ich meine, Herr, daß Ihr kein Dummkopf seid, und daß Ihr, obgleich Ihr aus der Gascogne kommt, wohl wißt, daß man nicht ohne Grund auf Taschentücher steht. Was zum Teufel, Paris ist nicht mit Batist gepflastert.«

»Mein Herr, Ihr habt Unrecht, daß Ihr mich zu demüthigen sucht,« sagte d’Artagnan, bei dem der angeborene Streitgeist lauter sprach, als seine friedlichen Entschließungen. »Ich bin allerdings aus der Gascogne, und da Ihr dieß wißt, so brauche ich Euch nicht zu sagen, daß die Gascogner wenig Geduld besitzen, und wenn sie sich einmal entschuldigt haben, sei es auch wegen einer Grobheit, so sind sie überzeugt, sie haben um die Hälfte mehr gethan, als sie hätten thun sollen.«

»Mein Herr,« erwiederte Aramis, »was ich Euch sage, sage ich nicht aus Händelsucht. Ich gehöre, Gott sei Dank! nicht zu den Raufbolden, und da ich nur vorläufig Musketier bin, so schlage ich mich blos, wenn ich dazu genöthigt werde, und stets mit Widerstreben. Aber diesmal ist es eine Angelegenheit von Belang, denn Ihr habt die Ehre einer Dame gefährdet.« »Ich? was wollt Ihr damit sagen?« rief d’Artagnan. – »Warum hattet Ihr die Ungeschicklichkeit, mir dieses Taschentuch zurückzustellen?« – »Warum hattet Ihr die Ungeschicklichkeit, es fallen zu lassen?« – »Ich habe gesagt und wiederhole, mein Herr, daß dieses Tuch nicht aus meiner Tasche gekommen ist.« – »Nun, dann habt Ihr zweimal gelogen, mein Herr, denn ich habe es selbst herausfallen sehen.« – »Ha! Ihr sprecht aus diesem Tone, Herr Gascogner? nun wohl! ich werde Euch Lebensart beibringen.« – »Und ich werde Euch in Euere Messe zurückschicken, mein Herr Abbé. Zieht vom Leder, und zwar sogleich, wenn es Euch gefällig ist.«

»Nein, mit Eurer Erlaubniß, mein schöner Freund, wenigstens nicht hier. Seht Ihr nicht, daß wir dem Hotel d’Aiguillon gegenüberstehen, das voll von Kreaturen des Kardinals ist? Wer sagt mir, daß Euch nicht Se. Eminenz beauftragt hat, ihm meinen Kopf zu verschaffen? Nun halte ich lächerlich viel auf meinen Kopf, da er mir sehr gut zu meinen Schultern zu passen scheint. Ich will Euch wohl tödten, seid ganz ruhig, aber in der Stille, an einem heimlichen, verborgenen Orte, damit Ihr Euch gegen Niemand Eures Todes rühmen könnt.« – »Es mag wohl sein, aber verlaßt Euch nicht darauf, und nehmt Euer Taschentuch mit, ob es Euch gehört, oder nicht, Ihr habt vielleicht Gelegenheit, es zu benützen.« – »Der Herr ist ein Gascogner?« fragte Aramis.

»Ja, aber der Herr verschiebt einen Zweikampf nicht aus Klugheit.« – »Die Klugheit ist eine für Musketiere ziemlich überflüssige Tugend, wie ich wohl weiß, aber sie ist unerläßlich für Geistliche, und da ich nur provisorisch Musketier bin, so bemühe ich mich klug zu bleiben. Um zwei Uhr werde ich die Ehre haben, Euch im Hotel des Herrn von Treville zu erwarten, dort zeige ich Euch geeignete Stellen.«

Die zwei jungen Leute grüßten, Aramis ging die Straße hinauf, welche nach dem Luxembourg führte, während d’Artagnan, als er sah, daß die bestimmte Stunde nahe rückte, den Weg nach dem Barfüßerkloster einschlug. Dabei sagte er zu sich selbst: »Ich kann offenbar nicht mit dem Leben durchkommen, aber wenn ich getödtet werde, so werde ich doch wenigstens von einem Musketier getödtet.«

V.

Vie Musketiere des Königs und die Leibwache des Herrn Kardinals

D’Artagnan kannte Niemand in Paris. Er ging daher nach dem bestimmten Orte, ohne einen Sekundanten mitzubringen, entschlossen, sich mit denen zu begnügen, welche sein Gegner gewählt haben würde. Ueberdies war es ausdrücklich seine Absicht, offen, aber zugleich ohne Schwäche jede Entschuldigung auszusprechen; er fürchtete, dieses Duell könne die gewöhnliche Folge eines solchen Handels haben, wenn sich ein junger und kräftiger Mann mit einem verwundeten und geschwächten Gegner schlägt: überwunden verdoppelt er den Triumph seines Widersachers, als Sieger wird er der Pflichtvergessenheit und eines wohlfeilen Muthes angeklagt.

Wenn wir den Charakter unseres Abenteurers nicht schlecht geschildert haben, so kann es den Lesern nicht entgangen sein, daß d’Artagnan durchaus kein gewöhnlicher Mensch war. Während er sich stets wiederholte, daß sein Tod unvermeidlich sei, ergab er sich durchaus nicht darein, ganz geduldig zu sterben, wie ein anderer minder muthiger Mensch an seiner Stelle gethan haben würde. Er zog die verschiedenen Charaktere derjenigen in Betracht, mit welchen er sich schlagen sollte, und fing an, seine Lage klarer zu durchschauen. Durch die loyalen Entschuldigungen, die er auszusprechen gedachte, hoffte er Athos, dessen vornehmes Aussehen und stolze Miene ihm ungemein gefielen, zum Freund zu gewinnen. Er schmeichelte sich, Porthos mit dem Wehrgehänge-Abenteuer einzuschüchtern, das er, wenn er nicht auf der Stelle getödtet würde, Jedermann erzählen könnte, und eine solche Erzählung, sagte er sich, müßte, auf eine geschickte Weise verbreitet, Porthos im höchsten Grade lächerlich machen; vor dem duckmäuserischen Aramis war ihm nicht besonders bange, und wenn es bis zu ihm käme, so meinte er, es würde ihm wohl gelingen, ihn gänzlich abzuthun oder wenigstens, wie Cäsar gegen die Soldaten des Pompejus empfohlen hatte, durch tüchtige Hiebe in das Gesicht für immer die Schönheit zu Grunde zu richten, auf die er so stolz war.

Dann besaß d’Artagnan jenen unerschütterlichen Grundstock von Entschlossenheit, den in seinem Gemüth die Ermahnungen seines Vaters gebildet hatten, welche darauf hinausliefen, daß er von Niemand, außer von dem König, dem Kardinal und von Herrn von Treville etwas dulden sollte. Er flog also beinahe nach dem Kloster der Karmeliter-Barfüßer, einem fensterlosen Gebäude, das an unfruchtbaren zur Schreiberwiese gehörigen Wiesen lag und von Leuten, welche keine Zeit zu verlieren hatten, gewöhnlich zu Zweikämpfen benützt wurde.

Als d’Artagnan auf dem kleinen Grundgebiet ankam, das sich am Fuß des Klosters ausdehnte, wartete Athos erst seit fünf Minuten, und es schlug gerade zwölf. Er war also pünktlich wie die Samaritanerin, und der strengste Duellcasuist hätte nichts zu rügen gefunden.

Athos, welcher noch immer schwer an seiner Wunde litt, obgleich sie um neun Uhr vom Chirurgen des Herrn vom Treville verbunden worden war, saß auf einem Brunnen und erwartete seinen Gegner mit der ruhigen Haltung und der würdigen Miene, die ihn nie verließ. Beim Anblick d’Artagnans stand er auf und ging ihm höflich einige Schritte entgegen; dieser näherte sich seinem Widersacher, den Hut in der Hand.

»Mein Herr,« sagte Athos, »ich habe zwei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, die mir als Sekundanten dienen werden; aber diese zwei Freunde sind noch nicht eingetroffen. Ich wundere mich über ihr langes Ausbleiben, denn es ist sonst nicht ihre Gewohnheit.«

»Ich meines Theils habe keinen Sekundanten, mein Herr,« erwiederte d’Artagnan, »denn erst gestern in Paris eingetroffen, kenne ich hier Niemand, außer Herr von Treville, dem ich durch meinen Vater empfohlen worden bin, welcher sich zu seinen Freunden zu zählen die Ehre hat.«

Athos überlegte einen Augenblick.

»Ihr kennt nur Herrn von Treville?« fragte er.

»Ja mein Herr, ich kenne nur ihn.«

»Ei dann,« fuhr Athos halb mit sich selbst, halb zu d’Artagnan sprechend fort, »wenn ich Euch tödte, werde ich das Ansehen eines Kinderfressers haben!«

»Nicht gar zu sehr, mein Herr,« erwiederte d’Artagnan mit einer Verbeugung, der es nicht an Würde mangelte; »nicht gar zu sehr, da Ihr mir die Ehre erweist, den Degen gegen mich mit einer Wunde zu ziehen, die Euch sehr belästigen muß.«

»Sie ist mir auf mein Wort sehr lästig, und ich muß Euch sagen, Ihr habt mir sehr wehe gethan; aber ich werde die linke Hand nehmen, was unter solchen Umständen meine Gewohnheit ist. Glaubt nicht, daß ich Euch eine Gnade gewähre, denn ich stoße gleichmäßig mit beiden Händen; ja, Ihr seid sogar im Nachtheil, ein Linker ist sehr unbequem für Leute, die nicht zuvor davon in Kenntnis gesetzt sind. Ich bedauere daher ungemein. Euch diesen Umstand nicht früher mitgetheilt zu haben.«

»Mein Herr,« sagte d’Artagnan, sich abermals verbeugend, »Ihr seid in der That von einer Höflichkeit, wofür ich Euch im höchsten Grade Dank weiß.«

»Ihr macht mich verlegen,« erwiederte Athos mit seiner edelmännischen Miene; »ich bitte, sprechen wir von etwas Anderem, wenn es Euch nicht unangenehm ist. Ah, Gottesblut! wie habt Ihr mir weh gethan! die Schulter brennt mir.«

»Wenn Ihr mir erlauben wollt,« … sagte d’Artagnan schüchtern.

»Was denn, mein Herr?«

»Ich besitze einen Wunderbalsam für Wunden, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben hat, und von dem ich an mir selbst eine Probe gemacht habe.«

»Nun denn?«

»Nun denn, ich bin überzeugt, daß dieser Balsam Euch in weniger als drei Tagen heilen würde, und nach Ablauf dieser drei Tage, mein Herr, wäre es mir immer eine große Ehre, Euch zu Diensten zu stehen.«

D’Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seinen höflichen Sitten Ehre machte, ohne seinem Muthe Eintrag zu thun.

»Bei Gott, mein Herr,« sagte Athos, »das ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Nicht als ob ich ihn annehmen würde, aber auf eine Meile erkennt man daran den Edelmann. So sprachen und handelten die Tapfern in der Zeit Karls des Großen, nach denen jeder Cavalier sich zu bilden suchen muß. Leider befinden wir uns nicht mehr in der Zeit dieses großen Kaisers; wir leben in der Zeit des Herrn Kardinals; da würde man, so gut das Geheimniß auch bewahrt wäre, in drei Tagen erfahren, daß wir uns schlagen sollen, und sich unserem Kampfe widersetzen. Ei, der Teufel! die faulen Bursche kommen nicht.«

»Wenn Ihr Eile habt, mein Herr,« sagte d’Artagnan zu Athos mit derselben Einfachheit, womit er ihm so eben einen dreitägigen Aufschub vorgeschlagen hatte, »wenn Ihr Eile habt und es Euch gefällig wäre, mich sogleich abzufertigen, so bitte ich, Euch nicht zu geniren.«

»Abermals ein Wort, das mir gefällt,« sprach Athos mit freundlichem Kopfnicken. »Er ist nicht ohne Geist und hat sicherlich Herz,« dachte er. »Mein Herr, ich liebe die Leute von Eurem Schlag, und sehe, daß ich, wenn wir einander nicht tödten, später ein großes Vergnügen an Eurer Unterhaltung finden werde. Wir wollen diese Herren abwarten, denn ich habe Zeit genug, und so wird es mehr in der Ordnung sein. Ah, ich glaube, da kommt einer!«

Am Ende der Rue de Vaugirard erschien wirklich der riesige Porthos.

»Wie,« rief d’Artagnan, »Euer erster Zeuge ist Herr Porthos?« – »Ja; ist Euch dies etwa unangenehm?« – »Nein, keineswegs.« – »Und hier ist der zweite.« – D’Artagnan wandte sich nach der von Athos bezeichneten Seite und erkannte Aramis.

»Wie!« rief er mit noch größerer Verwunderung, »Euer zweiter Zeuge ist Herr Aramis?« – »Allerdings; wißt Ihr nicht, daß man nie einen von uns ohne den Andern sieht, und daß man uns bei den Musketieren wie bei den Leibwachen, bei Hofe wie in der Stadt Athos, Porthos und Aramis, oder die drei Unzertrennlichen nennt? Da Ihr jedoch von Dax oder von Pau kommt …« – »Von Tarbes,« sagte d’Artagnan. – »So ist es Euch erlaubt, diese Dinge nicht zu wissen,« sprach Athos. – »Meiner Treu‘,« erwiederte d’Artagnan, man nennt Euch mit Recht so, und mein Abenteuer, wenn es einiges Aufsehen macht, wird wenigstens beweisen, daß Eure Verbindung nicht auf Contrasten beruht.«

Während dieser Zeit kam Porthos näher und begrüßte Athos mit der Hand. Dann blieb er, sich gegen d’Artagnan umwendend, sehr erstaunt stille stehen.

Beiläufig bemerken wir, daß er sein Wehrgehänge gewechselt und seinen Mantel abgelegt hatte.

»Ah! ah!« rief er, »was ist das?« – »Mit diesem Herrn schlage ich mich,« sprach Athos und deutete mit der Hand auf d’Artagnan. – »Ich schlage mich ebenfalls mit ihm,« sagte Porthos. – »Aber erst um ein Uhr,« erwiederte d’Artagnan. – »Und ich schlage mich auch mit diesem Herrn,« sagte Aramis, der in diesem Augenblick herankam.

»Aber erst um zwei Uhr,« entgegnete d’Artagnan mit derselben Ruhe.

»Doch sage mir, warum schlägst Du Dich, Athos?« fragte Aramis. – »Meiner Treu‘, ich weiß es nicht, er hat mir an der Schulter wehe gethan; und Du, Porthos?« – »Meiner Treu‘, ich schlage mich, weil ich mich schlage,« antwortete Porthos erröthend.

Athos, dem nichts entging, sah, wie sich ein feines Lächeln über die Lippen des Gascogners hinzog.

»Wir haben einen Toilettenstreit gehabt,« sagte der junge Mann.

»Und Du, Aramis?« fragte Athos.

»Ich schlage mich wegen eines theologischen Punktes,« antwortete Aramis und gab zugleich d’Artagnan ein Zeichen, durch das er ihn bat, die Ursache ihres Duells geheim zu halten.

Athos sah ein zweites Lächeln über d’Artagnans Lippen schweben.

»Wirklich?« sagte Athos.

»Ja, wegen des heiligen Augustin, über welchen wir verschiedener Meinung sind,« erwiederte der Gascogner.

»Das ist entschieden ein gescheidter Kerl,« murmelte Athos.

»Und nun, da Ihr beisammen seid, meine Herren,« sagte d’Artagnan, »erlaubt mir meine Entschuldigungen vortragen.«

Bei dem Worte Entschuldigungen zog eine Wolke über die Stirne von Athos hin; ein hochmüthiges Lächeln glitt über die Lippen von Porthos, und ein verneinendes Zeichen war die Antwort von Aramis.

»Ihr versteht mich nicht, meine Herren,« sagte d’Artagnan mit hochgehaltenem Haupt, auf welchem in diesem Augenblick ein Sonnenstrahl spielte, der die seinen, kecken Linien vergoldete. »Ich bitte Euch um Vergebung, falls ich nicht im Stande sein sollte, meine Schuld an alle drei abzutragen; denn Herr Athos hat das Recht, mich zuerst zu tödten, was Eurer Schuldforderung, Herr Porthos, viel von ihrem Werthe benimmt und die Eurige, Herr Aramis, beinahe zu nichte macht. Und nun, meine Herren, wiederhole ich, entschuldigt mich, aber nur in dieser Beziehung und ausgelegt!«

Nach diesen Worten zog d’Artagnan mit der ritterlichsten Geberde, die man sehen konnte, seinen Degen. Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen und er hätte in diesem Augenblick seinen Degen gegen alle Musketiere des Königreichs gezogen, wie er es gegen Athos, Porthos und Aramis that.

Es war ein Viertel nach zwölf Uhr. Die Sonne stand in ihrem Zenith und die zum Schauplatz des Zweikampfes gewählte Stelle war völlig ihrer Gluth ausgesetzt.

»Es ist sehr warm,« sagte Athos, ebenfalls seinen Degen ziehend, »und dennoch kann ich mein Wamms nicht ablegen. Ich habe so eben gefühlt, daß meine Wunde blutet, und ich müßte den Herrn zu belästigen fürchten, wenn ich ihn Blut sehen ließe, dessen Fließen er nicht selbst veranlaßt hätte.«

»Das ist wahr, mein Herr,« sagte d’Artagnan, »und ich versichere Euch, daß ich, mag die Wunde durch mich oder durch einen Andern veranlaßt sein, stets mit Bedauern das Blut eines so braven Edelmanns sehen werde; ich werde mich also ebenfalls im Wamms schlagen.«

»Vorwärts!« rief Porthos, »genug der Artigkeiten! Bedenkt, daß wir warten, bis die Reihe an uns kommt.«

»Sprecht für Euch allein. Porthos, wenn Ihr solche Ungereimtheiten vorzubringen habt,« unterbrach ihn Aramis. »Ich für meine Person finde die Dinge, die sich diese Herren sagen, sehr gut gesagt und zweier Edelleute vollkommen würdig.«

»Wenns beliebt, mein Herr,« sprach Athos, sich auslegend.

»Ich erwarte Eure Befehle,« entgegnete d’Artagnan den Degen kreuzend.

Aber die zwei Raufdegen hatten kaum bei ihrer Berührung geklirrt, als eine Corporalschaft von der Leibwache Sr. Eminenz, befehligt von Herrn von Jussac, sich an der Ecke des Klosters zeigte.

»Die Leibwachen des Kardinals!« riefen Porthos und Aramis zugleich. »Den Degen in die Scheide, meine Herren, den Degen in die Scheide!«

Aber es war zu spät. Man hatte die zwei Kämpfenden in einer Stellung gesehen, welche keinen Zweifel über ihre Absichten zuließ.

»Halloh!« rief Jussac, indem er gegen sie zurückte und seinen Leuten ein Zeichen gab, dasselbe zu thun. »Halloh! Musketiere, man schlägt sich also hier? und die Edikte, wie steht es damit?«

»Ihr seid sehr edelmüthig, meine Herren Garden,« sagte Athos voll Groll, denn Jussac war einer von den vorgestrigen Angreifern. »Wenn wir sehen, daß Ihr Euch schlagt, so stehe ich Euch dafür, daß wir uns wohl hüten werden, Euch daran zu hindern. Laßt uns also gewähren, und Ihr sollt ein Vergnügen haben, das Euch gar keine Mühe kostet.«

»Meine Herren,« entgegnete Jussac, »zu meinem größten Bedauern erkläre ich Euch, daß dies unmöglich ist. Unsere Pflicht geht Allem vor. Steckt ein, wenns Euch beliebt, und folget uns.«

»Mein Herr,« sprach Aramis, Jussac parodirend, »mit größtem Vergnügen würden wir Eurer freundlichen Einladung Folge leisten, wenn es von uns abhinge, aber leider ist dies unmöglich. Herr von Treville hat es uns verboten. Geht also Eures Wegs, das ist das Beste, was Ihr thun könnt.«

Dieser Spott brachte Jussac außer sich.

»Wir greifen Euch an,« sprach er, »wenn Ihr nicht gehorcht.«

»Sie sind ihrer fünf,« sagte Athos mit leiser Stimme, »und wir sind nur zu drei; wir werden abermals geschlagen und müssen hier sterben, denn ich erkläre, daß ich als Besiegter mich nicht vor dem Kapitän blicken lasse.«

Athos, Porthos und Aramis traten sogleich näher zu einander, während Jussac seine Leute in Linie stellte.

Dieser einzige Augenblick genügte für d’Artagnan, seinen Entschluß zu fassen. War dies eines von den Ereignissen, welche über das Leben eines Menschen entscheiden, so war eine Wahl zwischen dem König und dem Kardinal zu treffen, und hatte er gewählt, so mußte er dabei beharren. Wenn er sich schlug, beging er einen Ungehorsam gegen das Gesetz, wagte seinen Kopf und machte sich auf einmal einen Minister zum Feind, der mächtiger war, als der König selbst. Dies begriff der junge Mann, und wir haben zu seinem Lobe zu erwähnen, daß er nicht eine Sekunde zögerte. Er wandte sich gegen Athos und seine Freunde und sagte:

»Ich habe an Euren Worten, wenn es erlaubt ist, etwas auszusetzen. Ihr sagtet, Ihr wäret nur zu drei, doch mir scheint es, wir sind unser vier.«

»Ihr gehört ja nicht zu den Unsern,« sprach Porthos.

»Allerdings,« entgegnete d’Artagnan, nicht dem Gewandte, aber dem Gemüthe nach. Mein Herz ist das eines Musketiers, das fühle ich wohl, meine Herren, und das reißt mich fort.«

»Entfernt Euch, junger Mann,« rief Jussac, der ohne Zweifel aus seinen Geberden und dem Ausdrucke seines Gesichtes die Absicht d’Artagnans errathen hatte. »Ihr könnt Euch zurückziehen, wir erlauben es. Rettet Eure Haut, geht geschwind.«

D’Artagnan wich nicht von der Stelle.

»Ihr seid entschieden ein herrlicher Junge,« sagte Athos, und drückte dem Gascogner die Hand.

»Vorwärts, vorwärts, entschließen wir uns,« sprach Jussac.

»Auf!« sagten Porthos und Aramis, »wir müssen etwas thun.«

»Ihr seid gar zu edelmüthig,« sprach Athos.

Alle drei zogen die Jugend d’Artagnans in Betracht und fürchteten seine Unerfahrenheit.

»Wir werden sammt dem Verwundeten nur unser drei sein, denn diesen Jungen können wir nicht rechnen, und dennoch wird es heißen, wir seien vier Mann hoch gewesen.«

»Ja, aber zurückweichen!« entgegnete Porthos. – »Das ist schwierig,« sagte Athos. – »Es ist unmöglich,« bemerkte Aramis.

D’Artagnan begriff ihre Unentschlossenheit.

»Meine Herren, stellt mich immerhin auf die Probe,« rief er, »und ich schwöre Euch bei meiner Ehre, daß ich nicht von dieser Stelle gehen will, wenn wir besiegt sind.«

»Wie heißt Ihr, mein Braver?« sagte Athos

»D’Artagnan, mein Herr.«

»Nun wohl, Athos, Porthos, Aramis und d’Artagnan, vorwärts!« rief Athos.

»Gut, meine Herren, Ihr habt Euch entschieden?« rief Jussac zum dritten Mal.

»Es ist geschehen,« entgegnete Athos.

»Und was gedenkt Ihr zu thun?« fragte Jussac.

»Wir werden die Ehre haben. Euch anzugreifen,« antwortete Aramis, indem er mit der einen Hand seinen Hut lüpfte und mit der andern den Degen zog.

»Ah! Ihr leistet Widerstand!« rief Jussac.

»Gottesblut! darüber wundert Ihr Euch?«

Und die neun Kämpfer stürzten auf einander mit einer Wuth los, welche eine gewisse Methode nicht ausschloß. Athos nahm einen gewissen Cahusac, den Liebling des Kardinals, auf sich; Porthos hatte Biscarat gegen sich, und Aramis sah sich zwei Feinden gegenüber gestellt. D’Artagnan hatte gegen Jussac zu kämpfen.

Das Herz des jungen Gascogner schlug, daß es ihm beinahe die Brust zersprengte, nicht aus Furcht, denn davon hatte er keinen Schatten, sondern aus Eifer; er kämpfte wie ein wüthender Tiger, drehte sich zehnmal um seinen Gegner und veränderte zwanzigmal seine Stellungen und sein Terrain. Jussac war, wie man es damals nannte, ein Freund der Klinge und hatte viel Uebung; aber nur mit der größten Mühe vermochte er sich gegen einen Widersacher zu wehren, der rasch und behend alle Augenblicke von den Regeln der Kunst abwich und von allen Seiten zugleich angriff, dabei aber wie ein Mensch parirte, der seiner Oberhaut die größte Umsicht widmet. Endlich verlor Jussac bei diesem Streit die Geduld; wütend darüber, daß er von einem Menschen im Schach gehalten wurde, den er für ein Kind angesehen hatte, erhitzte er sich und fing an, sich Blößen zu geben. D’Artagnan, der in Ermangelung der Praxis eine gründliche Theorie besaß, verdoppelte seine Thätigkeit. Jussac wollte der Sache ein Ende machen und führte einen furchtbaren Streich nach seinem Gegner: aber dieser parirte, und während Jussac sich wieder erhob, stieß er ihm, schlangenartig unter seinem Stahl hingleitend, den Degen durch den Leib. Jussac fiel wie eine träge Masse zu Boden.

D’Artagnan warf einen raschen, unruhigen Blick auf das Schlachtfeld.

Aramis hatte bereits einen von seinen Gegnern getödtet, aber der andere bedrängte ihn lebhaft. Doch war Aramis in einer guten Stellung und konnte sich noch vertheidigen.

Biscarat und Porthos hatten gleichzeitig gegen einander gestoßen. Porthos hatte einen Degenstich durch den Arm und Biscarat einen durch den Schenkel bekommen. Aber da weder die eine noch die andere Wunde bedeutend war, so fochten sie nur mit um so größerer Erbitterung.

Abermals von Cahusac verwundet, erbleichte Athos sichtbar, wich jedoch keinen Fußbreit zurück; er hatte nur den Degen in eine andere Hand genommen und schlug sich jetzt mit der linken.

D’Artagnan konnte nach den Duellgesetzen jener Zeit Einem beistehen; während er mit den Augen denjenigen von seinen Gefährten aufsuchte, der seiner Hülfe bedurfte, erhaschte er einen Blick von Athos. Dieser Blick war in hohem Grade beredt. Athos wäre lieber gestorben, als daß er um Hülfe gerufen hätte. Aber er konnte blicken und mit dem Blicke Unterstützung fordern. D’Artagnan errieth ihn. machte einen furchtbaren Sprung und fiel Cahusac mit dem Ruf in die Seite:

»Gegen mich, mein Herr Garde, oder ich tödte Euch!«

Cahusac wandte sich um, es war die höchste Zeit, Athos, den nur sein außerordentlicher Muth aufrecht erhalten hatte, fiel auf ein Knie.

»Gottes Blut!« rief er d’Artagnan zu, »tödtet ihn nicht, junger Mann, ich bitte Euch, ich habe eine alte Geschichte mit ihm abzumachen, wenn ich geheilt bin. Entwaffnet ihn nur, bindet ihm den Degen. So! so! gut! sehr gut!«

Dieser Ausruf wurde Athos dadurch entrissen, daß Cahusacs Degen zwanzig Fuß weit wegflog. D’Artagnan und Cahusac stürzten zugleich auf ihn zu, der Eine, um ihn wieder zu ergreifen, der Andere, um sich desselben zu bemächtigen. Aber d’Artagnan kam als der behendere zuerst an Ort und Stelle und setzte seinen Fuß darauf.

Cahusac lief nach demjenigen von den Garden, welchen Aramis getödtet hatte, bemächtigte sich seines Degens und wollte gegen d’Artagnan zurückgehen, aber auf seinem Wege begegnete er Athos, der während dieser kurzen Pause, die ihm d’Artagnan verschaffte, Athem geschöpft hatte und den Kampf wieder beginnen wollte, damit d’Artagnan ihm seinen Feind nicht tödten möchte.

D’Artagnan begriff, daß es eine Unhöflichkeit gewesen wäre, Athos nicht gewähren zu lassen. Nach einigen Sekunden stürzte Cahusac wirklich, die Kehle von einem Degenstiche durchbort, nieder. In diesem Augenblick setzte Aramis seinem niedergeworfenen Feinde den Degen auf die Brust und nöthigte ihn, um Gnade zu bitten.

Nun blieben noch Porthos und Biscarat übrig. Porthos erlaubte sich während des Kampfes tausenderlei Prahlereien, fragte Biscarat, wie viel Uhr es wohl sein möchte, und beglückwünschte ihn wegen der Kompagnie, welche sein Bruder bei dem Regiment Navarra bekommen hatte; aber er gewann Nichts mit diesen Spöttereien. Biscarat war einer von jenen Eisenmännern, welche nur fallen, wenn sie getödtet sind.

Es mußte indessen ein Ende gemacht werden. Die Wache konnte kommen, und alle Kämpfer, verwundete oder nicht verwundete, Royalisten oder Kardinalisten, verhaften. Athos, Aramis und d’Artagnan stellten sich um Biscarat und forderten ihn auf, sich zu ergeben. Obgleich allein gegen Alle mit einem Degenstich durch den Schenkel, wollte Biscarat Stand halten; aber Jussac, der sich auf seinen Ellenbogen erhoben hatte, rief ihm zu, er solle sich ergeben. Biscarat war ein Gascogner wie d’Artagnan. Er stellte sich taub, bezeichnete zwischen zwei Paraden eine Stelle auf dem Boden und sagte, einen Vers der Bibel parodirend: »Hier wird Biscarat sterben, der einzige von denen, die bei ihm sind!«

»Aber sie sind ihrer vier gegen Dich, endige, ich befehle es Dir!«

»Ah! wenn Du es befiehlst, dann ist es etwas Anderes,« erwiederte Biscarat; »da Du mein Brigadier bist, so muß ich Dir gehorchen.«

Und einen Sprung rückwärts machend, zerbrach er seinen Degen, um ihn nicht übergeben zu müssen, warf die Stücke über die Klostermauer und kreuzte, ein kardinalistisches Lied pfeifend, die Arme über der Brust.

Der Muth wird immer geachtet, selbst bei einem Feinde. Die Musketiere begrüßten Biscarat mit ihren Degen und steckten diese wieder in ihre Scheide. D’Artagnan that dasselbe und trug dann, unterstützt von Biscarat, welcher allein aufrecht geblieben war, Jussac, Cahusac und denjenigen von den Gegnern des Aramis, welcher nur eine Wunde bekommen hatte, unter die Klosterhalle. Der vierte war, wie gesagt, todt. Dann zogen sie an der Glocke und wanderten, nachdem vier Degen über fünf den Sieg davon getragen hatten, freudetrunken nach dem Hotel des Herrn von Treville. Man sah sie Arm in Arm die ganze Breite der Straße einnehmen und jeden Musketier, dem sie begegneten, herbeirufen, so daß am Ende ein wahrer Triumphzug daraus wurde. D’Artagnan’s Herz schwamm in Seligkeit. Er ging zwischen Athos und Porthos, die er sanft an seinen Leib drückte.

»Wenn ich auch noch nicht wirklich Musketier bin,« sprach er zu seinen neuen Freunden, als er die Schwelle des Treville’schen Hotels überschritt, »so bin ich doch wenigstens als Lehrling aufgenommen, nicht wahr?«

XXIII.

Das Rendezvous.

D’Artagnan lief in aller Eile nach Haus, und obgleich es Morgens drei Uhr war und er die abscheulichsten Quartiere von Paris zu durchwandern hatte, begegnete ihm doch nichts Schlimmes. Bekanntlich wacht ein Gott über den Trunkenen und Verliebten.

Er fand die Thüre zu seinem Gange halb offen, stieg die Treppe hinauf und klopfte auf eine zwischen ihm und seinem Lakaien abgemachte Weise sachte an. Planchet, den er zwei Stunden vorher mit dem Befehl, auf ihn zu warten, aus dem Stadthaus zurückgeschickt hatte, öffnete ihm.

»Hat Jemand einen Brief für mich gebracht?« fragte d’Artagnan lebhaft.

»Niemand hat einen Brief gebracht, gnädiger Herr,« antwortete Planchet; »aber es ist einer ganz allein gekommen.«

»Was willst Du damit sagen, Dummkopf?«

»Ich will damit sagen, daß ich bei meiner Rückkehr, obgleich ich den Schlüssel Eurer Wohnung in der Tasche hatte, und dieser nicht aus derselben gekommen war, auf dem grünen Teppich des Tisches in Eurem Schlafzimmer einen Brief gefunden habe.«

»Und wo ist dieser Brief?«

»Ich ließ ihn, wo er war, gnädiger Herr. Es geht nicht mit natürlichen Dingen zu, daß Briefe auf diese Art zu den Leuten kommen. Wäre wenigstens das Fenster offen oder nur auch halb geöffnet gewesen, so würde ich nichts sagen. Aber nein, Alles war hermetisch verschlossen. Seid auf Eurer Hut, Herr, denn sicherlich ist hiebei ein Zauberwerk im Spiele.« Während dieser Zeit stürzte der junge Mann in das Zimmer und öffnete den Brief. Er war von Frau Bonacieux und in folgenden Worten abgefaßt:

»Man hat Euch lebhaften Dank abzustatten und zu überbringen. Findet Euch diesen Abend gegen zehn Uhr in St. Cloud vor dem Pavillon ein, der sich an der Ecke des Hauses von Herrn d’Estrées erhebt.

C. B.«

 

Als d’Artagnan diesen Brief las, fühlte er, wie sich sein Herz unter jenem süßen Kampfe, der Liebende quält und liebkost, erweiterte und zusammenschnürte.

Es war der erste Liebesbrief, den er erhielt, das erste Rendezvous, das ihm bewilligt wurde. Von der Trunkenheit der Freude übervoll, war sein Herz nahe daran, auf der Schwelle des irdischen Paradieses, das man Liebe nennt, zu brechen.

»Nun, gnädiger Herr,« sagte Planchet, der seinen Gebieter bald blaß, bald roth werden sah: »Nicht wahr, ich habe richtig errathen, es ist eine abscheuliche Geschichte?«

»Du täuschest Dich, Planchet,« antwortete d’Artagnan, »und zum Beweis hast Du hier einen Thaler, um meine Gesundheit dafür zu trinken.«

»Ich danke dem gnädigen Herrn für den Thaler, den er mir gibt, und verspreche ihm seine Anweisung pünktlich zu befolgen; darum ist es aber nicht minder wahr, daß Briefe, welche auf diese Art in die geschlossenen Häuser kommen …«

»Vom Himmel fallen, mein Freund, vom Himmel fallen.«

»Der gnädige Herr ist also zufrieden?« fragte Planchet.

»Mein lieber Planchet, ich bin der glücklichste der Sterblichen.«

»Und ich darf das Glück des gnädigen Herrn benützen, um mich schlafen zu legen?«

»Ja, geh.«

»Alle Segnungen des Himmels mögen auf den gnädigen Herrn herabströmen, darum ist es aber nicht minder wahr, daß dieser Brief …«

Und Planchet entfernte sich, den Kopf schüttelnd und mit einer Miene des Zweifels, den d’Artagnans Großmuth nicht gänzlich zu beseitigen vermocht hatte.

Allein in seinem Zimmer, las d’Artagnan das Billet wieder und wieder. Dann küßte er wohl zwanzigmal diese von seiner schönen Geliebten geschriebenen Zeilen. Endlich legte er sich nieder, entschlummerte und träumte goldene Träume.

Um sieben Uhr Morgens stand er auf und rief Planchet, der, mit noch einigen Spuren von der gestrigen Ausschweifung im Gesicht, auf den zweiten Ruf die Thüre öffnete.

»Planchet,« sagte d’Artagnan zu ihm, »ich entferne mich vielleicht für den ganzen Tag. Du bist also bis sieben Uhr Abends frei; aber um sieben Uhr halte Dich mit zwei Pferden bereit.« – »Ah, gnädiger Herr,« sprach Planchet, »es scheint, wir wollen uns die Haut noch an verschiedenen Stellen durchstechen lassen.« – »Du nimmst Deine Muskete und Deine Pistolen.« – »Schön, sagte ich’s doch!« rief Planchet. »Dahinter steckt ganz bestimmt der verdammte Brief.« – »Sei ruhig, alberner Tropf, es handelt sich ganz einfach um eine Vergnügungspartie.« – »Ja, wie bei den Lustreisen von neulich, wo es Kugeln regnete und die Wolfsfallen blühten.« – »Wenn Du übrigens Furcht hast, Planchet,« sprach d’Artagnan, »so werde ich allein gehen. Ich will lieber allein reisen, als einen zitternden Gefährten bei mir haben.« – »Der gnädige Herr thut mir Unrecht,« sagte Planchet; »es scheint mir doch, er hat mich bei der Arbeit gesehen.« – »Ja, aber ich glaubte. Du hättest all Deinen Muth auf einmal verbraucht.« – »Der gnädige Herr wird sehen, daß ich vorkommenden Falls noch übrig habe, nur bitte ich, nicht zu verschwenderisch damit umzugehen, wenn mir noch lange etwas davon bleiben soll.« – »Meinst Du, Du könnest heute Abend noch eine gewisse Summe ausgeben?« – »Ich hoffe es.« – »Gut, ich zähle auf Dich.« – »Zur genannten Stunde werde ich bereit sein. Ich glaubte nur, der gnädige Herr hätte nur ein Pferd im Stalle der Garden.« – »Vielleicht findet sich in diesem Augenblick nur eines daselbst, aber diesen Abend werden vier dort sein.« – »Unsere Reise war, scheint es, eine Remonte-Reise?« – »Ganz richtig,« sagte d’Artagnan, schärfte Planchet seinen Austrag durch eine Geberde noch einmal ein und entfernte sich.

Herr Bonacieux stand an seiner Thür. D’Artagnan wollte vorbeigehen, ohne mit dem würdigen Krämer zu sprechen; aber dieser grüßte ihn so zuckersüß und freundlich, daß sich der Miethsmann nicht nur genöthigt sah, den Gruß zurückzugeben, sondern auch ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.

Wie sollte man nicht ein wenig Herablassung gegen einen Mann zeigen, dessen Frau einem für denselben Abend ein Rendezvous vor dem kleinen Pavillon des Herrn d’Estrées in St. Cloud gegeben hat? D’Artagnan näherte sich ihm mit der liebenswürdigsten Miene, die er anzunehmen im Stande war.

Man kam natürlich auf die Einkerkerung des armen Mannes zu sprechen. Herr Bonacieux, der nicht wußte, daß d’Artagnan seine Unterredung mit dem Manne von Meung gehört hatte, erzählte seinem jungen Miethsmanne die Verfolgungen dieses Ungeheuers von Laßmann, den er unabläßig während seiner Mittheilungen als den Henker des Kardinals bezeichnete, und verbreitete sich mit vielen Worten über die Bastille, die Riegel, die Pforten, die Luftlöcher, die Gitter und die Folterwerkzeuge.

D’Artagnan hörte ihm mit musterhafter Gefälligkeit zu und sagte, als er geendigt hatte:

»Und wie steht’s mit Frau Bonacieux? Wißt Ihr, wer sie entführt hat? denn ich vergesse nicht, daß ich diesem unangenehmen Umstand die Ehre Eurer Bekanntschaft zu danken habe.«

»Ah!« rief Herr Bonacieux, »sie haben sich wohl gehütet, mir dies zu sagen, und meine Frau hat mir bei allen Göttern geschworen, daß sie nichts wisse. Aber Ihr selbst,« fuhr Bonacieux mit äußerst gutmüthigem Tone fort, »was ist mit Euch in allen diesen Tagen vorgegangen? Ich habe weder Euch, noch Eure Freunde gesehen, und Ihr habt wohl nicht auf dem Pflaster von Paris all den Staub gesammelt, den Planchet gestern aus Euren Stiefeln klopfte?«

»Ihr habt Recht, mein lieber Herr Bonacieux. Meine Freunde und ich machten eine kleine Reise.«

»Weit von hier?«

»O mein Gott, nein, höchstens vierzig Meilen; wir begleiteten Herrn Athos nach den Bädern von Forges, wo meine Freunde zurückgeblieben sind.«

»Und Ihr seid zurückgekehrt, nicht wahr?« versetzte Herr Bonacieux, indem er seinem Gesichte ein höchst witziges Aussehen zu geben trachtete. »Ein hübscher Junge, wie Ihr, erhält keine langen Urlaube von seiner Geliebten. Und wir wurden ungeduldig zurückerwartet, nicht wahr?«

»Meiner Treu,« erwiederte der junge Mann lachend, »ich gestehe Euch dies um so eher, mein lieber Herr Bonacieux, als ich sehe, daß man Euch nichts verbergen kann. Ja, ich wurde erwartet, und zwar sehr ungeduldig, das mögt Ihr glauben.«

Eine leichte Wolke zog über Bonacieux’s Stirne, aber so leicht, daß es d’Artagnan nicht gewahr wurde.

»Und wir werden für unsern Eifer belohnt?« fuhr der Krämer mit einem beinahe unmerklichen Zittern seiner Stimme fort, einem Zittern, das d’Artagnan eben so wenig bemerkte, als die augenblickliche Wolke, welche einen Augenblick vorher das Antlitz des würdigen Mannes verdüstert hatte.

»Ah! schweigt doch,« sagte d’Artagnan lachend.

»Nein,« versetzte Bonacieux, »ich sage Euch dies nur, um zu erfahren, ob wir spät nach Hause kommen.«

»Warum diese Frage, mein lieber Wirth?« entgegnete d’Artagnan; »habt Ihr vielleicht im Sinn, auf mich zu warten?«

»Nein, aber seit meiner Verhaftung und dem Diebstahl, der bei mir begangen wurde, erschrecke ich, so oft ich eine Thüre öffnen höre, und zwar besonders bei Nacht. Verdammt! was wollt Ihr? Ich bin kein Kriegsmann.«

»Schon gut, erschreckt meinetwegen nicht, wenn ich erst um zwei oder drei Uhr zurückkehre; erschreckt nicht, wenn ich auch gar nicht nach Hause komme.«

Diesmal wurde Bonacieux so bleich, daß es d’Artagnan nicht entgehen konnte, weshalb er ihn auch fragte, was ihm sei.

»Nichts,« antwortete Bonacieux, »nichts; seit meinen Unglücksfällen bin ich Schwächen unterworfen, die mich plötzlich befallen, und es hat mich soeben ein Schauder überlaufen. Achtet nicht darauf, denn Ihr habt Euch doch nur damit zu beschäftigen, glücklich zu sein.«

»Dann habe ich Beschäftigung, denn ich bin es.«

»Noch nicht, wartet noch. Ihr sagtet diesen Abend.«

»Wohl, dieser Abend wird kommen, Gott sei Dank! Und Ihr erwartet ihn wohl mit eben so großer Ungeduld, als ich? Vielleicht wird Madame Bonacieux das eheliche Gemach besuchen.«

»Madame Bonacieux ist diesen Abend nicht frei,« erwiederte der Gatte sehr ernst; »sie wird durch ihren Dienst im Louvre zurückgehalten.«

»Desto schlimmer für Euch, mein lieber Wirth, desto schlimmer; wenn ich glücklich bin, wünsche ich, die ganze Welt wäre es; aber es scheint, das ist nicht möglich.«

Und der junge Mann entfernte sich, laut lachend über den Scherz, den er allein verstehen zu können glaubte.

»Unterhaltet Euch gut,« erwiederte Bonacieux mit einer Leichenstimme.

Aber d’Artagnan war bereits zu weit entfernt, um ihn zu hören, und hätte er ihn gehört, so würde er es in seiner Gemüthsstimmung gewiß nicht verstanden haben.

Er wandte sich nach dem Hotel des Herrn von Treville: sein Besuch war am Tag vorher, wie man sich erinnern wird, sehr kurz gewesen und hatte wenig Erläuterungen herbeigeführt.

Er fand Herrn von Treville in der vollen Freude seines Herzens. Der König und die Königin hatten sich auf dem Ball höchst freundlich gegen ihn benommen. Der Kardinal war allerdings unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit höchst verdrießlich gewesen. Er entfernte sich schon um ein Uhr Morgens. Ihre Majestäten kehrten erst um sechs Uhr in den Louvre zurück.

»Nun,« sprach Herr von Treville, die Stimme dämpfend und mit dem Blick alle Winkel des Zimmers durchforschend, um zu sehen, ob sie allein waren: »nun, sprechen wir von Euch, mein junger Freund, denn Eure glückliche Rückkehr spielt offenbar eine Rolle bei der Freude des Königs, bei dem Triumph der Königin und bei der Demüthigung Sr. Eminenz. Ihr müßt auf Eurer Hut sein.« – »Was habe ich zu fürchten?« antwortete d’Artagnan, »so lange ich mich des Glückes erfreue, bei Ihren Majestäten in Gunst zu stehen?« – »Glaubt mir. Alles. Der Kardinal ist nicht der Mann, eine Mystifikation zu vergessen, so lang er noch nicht mit dem Mystificirenden abgerechnet hat. Und dieser scheint mir ganz einem gewissen jungen Manne von meiner Bekanntschaft zu gleichen.« – »Glaubt Ihr, der Kardinal sei so gut unterrichtet, als Ihr, und wisse, daß ich in London gewesen bin?« – »Teufel! Ihr seid in London gewesen und von London habt Ihr diesen schönen Diamant mitgebracht, der an Eurem Finger glänzt? Nehmt Euch in Acht, mein lieber d’Artagnan. Es ist nichts Gutes um ein Geschenk von einem Feinde. Gibt es nicht hierüber einen lateinischen Vers?« … – »Ja, allerdings,« antwortete d’Artagnan, der nie die erste Regel der Elemente hatte in den Kopf bringen können und oft durch seine Unwissenheit seinen Lehrer in Verzweiflung brachte, »ja, allerdings, es gibt einen hierüber.« – »Ganz gewiß,« sprach Herr von Treville, dem es nicht an einem wissenschaftlichen Anstrich fehlte. »Und Herr von Benserade citirte mir ihn eines Tages … Geduld … ah! ich hab‘ es:

Timeo Danaos et dona ferentes.

Das bedeutet: »Mißtrauet dem Feinde, wenn er Euch Geschenke gibt.« – »Dieser Diamant kommt nicht von einem Feinde, gnädiger Herr,« entgegnete d’Artagnan, »er kommt von der Königin.« – »Von der Königin! oh! oh!« sprach Herr von Treville; »das ist ein wahrhaft königlicher Juwel, der tausend Pistolen, wie einen Heller werth ist. Durch wen hat Euch die Königin dieses Geschenk zustellen lassen?« – »Sie hat es mir selbst übergeben.« – »Wo?« – »In dem Kabinet, welches an das Zimmer stößt, wo sie ihre Toilette wechselte.« – »Wie?« – »Indem sie mir die Hand zum Kusse reichte.« – »Ihr habt die Hand der Königin geküßt?« rief Herr von Treville d’Artagnan anschauend. – »Ihre Majestät hat mir die Ehre erzeigt, mir diese Gnade zu bewilligen.« – »Und dies in Gegenwart von Zeugen? Unvorsichtige, dreimal unvorsichtige Frau!« –»Nein, gnädiger Herr, seid unbesorgt. Niemand hat es gesehen,« erwiederte d’Artagnan und erzählte Herrn von Treville den Hergang der Sache. – »O die Weiber! die Weiber!« rief der alte Soldat, »ich erkenne sie an ihrer romanhaften Einbildungskraft. Alles entzückt sie, was geheimnißvoll klingt. Also habt Ihr nur den Arm gesehen, und nicht weiter? Ihr würdet der Königin begegnen und sie nicht wieder erkennen? Sie würde Euch begegnen und nicht wissen, wer Ihr seid?« – »Nein, aber durch diesen Diamant …« versetzte der junge Mann. – »Hört,« sprach Herr von Treville, »soll ich Euch einen Rath geben, einen guten Rath, einen Freundesrath?« – »Ihr werdet mir eine Ehre erweisen, gnädiger Herr,« sprach d’Artagnan. – »Wohl! so geht zu dem ersten besten Goldschmied und verkauft diesen Diamant um das, was er Euch dafür gibt! so jüdisch er auch sein mag, so werdet Ihr doch immerhin achthundert Pistolen dafür bekommen. Pistolen haben keinen Namen, junger Mann, aber dieser Ring hat einen furchtbaren Glanz, der seinen Träger verrathen kann.« – »Diesen Ring verkaufen! einen Ring, den ich von meiner Fürstin erhalten habe! nie!« sagte d’Artagnan. – »Dann dreht den Stein nach innen, armer Narr; denn man weiß, daß ein Junker aus der Gascogne keine solche Juwele in dem Schmuckkästchen seiner Mutter findet.« – »Ihr glaubt also, daß ich etwas zu befürchten habe?« fragte d’Artagnan. – »Das heißt, junger Mann, daß Derjenige, welcher auf einer Mine einschläft, deren Lunte angezündet ist, sich im Vergleich mit Euch für sicher halten darf.« – »Teufel!« sprach d’Artagnan, den der bestimmte Ton des Herrn von Treville zu beunruhigen anfing, »Teufel! und was soll ich thun?« – »Stets uns vor Allem auf Eurer Hut sein. Der Kardinal hat ein beharrliches Gedächtniß und eine lange Hand; glaubet mir, er wird Euch einen schlimmen Streich spielen.« – »Aber welchen?« – »Weiß ich es? Hat er nicht alle Ränke des Teufels in seinem Dienste? Das Geringste, was Euch widerfahren kann, ist, daß man Euch verhaftet.« – »Wie, man sollte es wagen, einen Mann im Dienste Seiner Majestät zu verhaften?« – »Bei Gott, hat man sich bei Athos viel darum bekümmert; glaubt jeden Falls, junger Thor, einem Manne, der seit dreißig Jahren bei Hofe lebt, entschlummert nicht in Eurer Sicherheit, oder Ihr seid verloren. Seht vielmehr im Gegentheil überall Feinde, das sage ich Euch. Sucht man einen Streit mit Euch, weicht aus, und wäre es ein Kind von zehn Jahren, das mit Euch anbinden wollte; greift man Euch bei Tag oder bei Nacht an, nehmt fechtend Euern Rückzug und schämt Euch dessen nicht; geht Ihr über eine Brücke, so betastet die Bretter, aus Furcht, es könnte etwas unter Euren Füßen weichen; kommt Ihr an einem Ort vorüber, wo man ein Haus baut, schaut in die Höhe, es könnte Euch ein Stein auf den Kopf fallen; kehrt Ihr spät in der Nacht heim, so laßt Euch von Eurem Bedienten begleiten, und dieser sei bewaffnet, wenn Ihr Euch überhaupt auf Euren Bedienten verlassen könnt. Mißtraut aller Welt, Euren Freunden, Eurem Bruder, Eurer Geliebten besonders.«

D’Artagnan erröthete.

»Meiner Geliebten,« wiederholte er mechanisch, »und warum ihr mehr, als einer andern?«

»Die Geliebte ist das Lieblingsmittel des Kardinals, es gibt kein wirksameres; eine Frau verkauft Euch um zehn Goldstücke, dies beweist Delila. Ihr kennt die heilige Schrift, he?«

D’Artagnan dachte an das Rendezvous, das ihm Madame Bonacieux für diesen Abend gegeben hatte, aber unserem Helden zum Lob sei es gesagt, die schlechte Meinung, welche Herr von Treville im Allgemeinen von den Frauen hatte, flößte ihm nicht den geringsten Verdacht gegen seine junge Wirthin ein.

»Aber apropos,« versetzte Herr von Treville, »was ist denn aus Euern drei Gefährten geworden?« – »Ich war im Begriff, Euch zu fragen, ob Ihr keine Kunde von Ihnen erhalten hättet.«

– »Keine, mein Herr.« – »Nun, ich habe sie auf meiner Reise zurückgelassen. Porthos in Chantilly mit einem Duell auf den Armen, Aramis in Crevecoeur mit einer Kugel in der Schulter, Athos in Amiens mit einer Falschmünzeranklage auf dem Leibe.«

– »Seht Ihr!« rief Herr von Treville, »und wie seid Ihr entkommen?« – »Ich muß gestehen, durch ein Wunder, gnädiger Herr, mit einem Degenstich in der Brust, und indem ich den Grafen von Wardes auf der Straße von Calais in die Gosse spießte, wie einen Schmetterling in die Tapete.« – »Da seht Ihr abermals! Von Wardes, emen Mann des Kardinals, einen Vetter von Rochefort; hört, mein Freund, es kommt mir ein Gedanke.« – »Sprecht, gnädiger Herr.« – »An Eurer Stelle würde ich etwas thun.« – »Was?« – »Während ich Seine Eminenz suchen ließe, würde ich ganz in aller Stille den Weg nach der Picardie einschlagen und mich nach meinen drei Gefährten erkundigen. Den Teufel! sie verdienen wohl diese kleine Aufmerksamkeit von Euch.« – »Der Rath ist gut und ich werde morgen reisen.« – »Morgen! und warum nicht diesen Abend?« – »Diesen Abend hält mich eine unerläßliche Angelegenheit in Paris zurück.« – »Ah! junger Mann! junger Mann! irgend ein Liebschäftchen. Nehmt Euch in Acht, ich muß Euch wiederholen, das Weib hat uns insgesammt ins Verderben gestürzt, und wird uns verderben, so lange wir bestehen. Folget mir, reist noch diesen Abend.« – »Unmöglich, gnädiger Herr.« – »Ihr habt Euer Wort gegeben?« – »Ja, gnädiger Herr.« – »Das ist ein ander Ding, aber versprecht mir, morgen zu reisen, wenn Ihr in dieser Nacht nicht getödtet werdet.« – »Ich verspreche es Euch.« – »Braucht Ihr Geld?« – »Ich habe noch fünfzig Pistolen. Mehr brauche ich, glaube ich, nicht.« – »Aber Euere Gefährten.« – »Ich denke nicht, daß es ihnen daran fehlt. Wir sind jeder mit fünfundsiebenzig Pistolen in der Tasche von Paris abgereist.« – »Werde ich Euch noch vor Euerem Abgang sehen?« – »Es ist nicht wahrscheinlich, gnädiger Herr, wenn nichts Neues vorfällt.« – »Dann glückliche Reise!« – »Ich danke, gnädiger Herr.«

D’Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville, mehr als je gerührt durch seine wahrhaft väterliche Fürsorge für seine Musketiere.

Er ging hinter einander zu Athos, zu Porthos und zu Aramis. Keiner von ihnen war zurückgekehrt. Auch ihre Bedienten waren noch abwesend und man hatte nicht die geringste Kunde von ihnen.

Wohl hätte er sich gern bei ihren Geliebten nach ihnen erkundigt, aber er kannte weder die von Porthos, noch die von Aramis; – Athos hatte keine.

Als er an dem Hotel der Garden vorüberkam, warf er einen Blick in den Stall; drei von den vier Pferden waren bereits eingetroffen. Obgleich sehr erstaunt, war Planchet doch schon im Zug, sie zu striegeln, und hatte zwei von ihnen vollkommen geputzt.

»Ah! gnädiger Herr!« sprach er, als er d’Artagnan gewahr wurde, »wie freut es mich. Euch zu sehen!« – »Und warum, Planchet?« fragte der junge Mann. – »Habt Ihr Vertrauen zu Herrn Bonacieux, unserem Wirthe?« – »Ich? nicht im mindesten.« – »Oh! daran thut Ihr sehr wohl, gnädiger Herr.« – »Warum diese Frage?« – »Darum weil ich, während Ihr mit ihm plaudertet, Euch beobachtete, ohne Euch zu hören; sein Gesicht hat zwei- bis dreimal die Farbe gewechselt.« – »Bah!« – »Nur mit dem Briefe beschäftigt, den er erhalten, hat es der gnädige Herr nicht wahrgenommen; aber ich, den der auf so seltsame Weise ins Haus gekommene Brief behutsam gemacht hatte, ich habe keine Bewegung seiner Physiognomie verloren.« – »Und Du fandest sie?« – »Verrätherisch, gnädiger Herr.« – »In der That?« – »Mehr noch – so bald der gnädige Herr ihn verlassen hatte und an der Straßenecke verschwunden war, nahm Herr Bonacieux seinen Hut, verschloß die Thüre und lief aus Leibeskräften durch die entgegengesetzte Straße.« – »Du hast wirklich Recht, Alles dies kommt mir sehr zweideutig vor; sei ohne Sorge, wir bezahlen ihm unsern Miethzins nicht eher, als bis er uns die ganze Geschichte auf eine kategorische Weise erklärt hat.« – »Der gnädige Herr scherzt, aber er wird sehen.« – »Was willst Du, Planchet! was geschehen soll, steht im Buche des Schicksals geschrieben.« – »Der gnädige Herr verzichtet also nicht auf seinen Abendspazierritt?« »Ganz im Gegentheil, Planchet, je mehr ich Herrn Bonacieux grolle, desto mehr bin ich entschlossen, mich bei dem Rendezvous einzufinden, das mir der Brief gegeben hat, der Dich so sehr beunruhigt.« – »Wenn es also des Entschluß der gnädigen Herrn ist …« – »Der unerschütterliche Entschluß, mein Freund. Um sieben Uhr halte Dich hier am Hotel bereit. Ich hole Dich ab.«

Als Planchet sah, daß keine Hoffnung vorhanden war, seinen Herrn zur Verzichtleistung auf sein Vorhaben zu bewegen, stieß er einen tiefen Seufzer aus und schickte sich an, auch das dritte Pferd zu striegeln.

D’Artagnan, im Grund ein sehr kluger junger Mann, ging, um zu Mittag zu speisen, nicht nach Hause, sondern zu dem gascognischen Priester, der zur Zeit, wo die vier Freunde auf der Hefe waren, ein Chocoladefrühstück zum Besten gegeben hatte.

XXIV.

Der Pavillon.

Um sieben Uhr befand sich d’Artagnan bei dem Hotel der Garden. Er fand Planchet unter den Waffen. Das vierte Pferd war eingetroffen. Planchet hatte seine Muskete und eine Pistole bei sich. D’Artagnan war mit seinem Degen bewaffnet und steckte zwei Pistolen in seinen Gürtel. Dann schwangen sich beide zu Pferd und zogen geräuschlos ab. Es war finstere Nacht, und Niemand sah, wie sie sich entfernten. Planchet ritt zehn Schritte hinter seinem Herrn.

D’Artagnan ritt über die Quais, zog durch die Porte de la Conference und schlug sodann den reizenden Weg ein, der nach Saint-Cloud führt und damals noch viel schöner war, als heut zu Tage.

So lange man in der Stadt war, hielt sich Planchet in der ehrfurchtsvollen Entfernung, die er sich vorgeschrieben hatte; aber als der Weg öder und dunkler zu werden anfing, näherte er sich ganz sachte, so daß er, als man das Bois de Boulogne erreichte, auf eine ganz natürliche Weise neben seinem Herrn einherzog. Wir können nicht verschweigen, daß die zitternde Bewegung der großen Bäume und der Widerschein des Mondes in dem düsteren Gehölz ihm eine lebhafte Unruhe verursachte. D’Artagnan bemerkte, daß in seinem Bedienten etwas Außerordentliches vorging, und fragte ihn:

»Ei, mein Herr Planchet, was haben wir denn?« – »Findet Ihr nicht, gnädiger Herr, daß die Wälder gerade wie die Kirchen sind?« – »Warum dies, Planchet?« – »Weil man in diesen, wie in jenen nicht laut zu sprechen wagt.« – »Warum wagst Du nicht laut zu sprechen, Planchet? Weil Du Furcht hast?« – »Furcht gehört zu werden, ja, gnädiger Herr.« – »Furcht gehört zu werden? Unser Gespräch ist doch moralischer Natur und Niemand wird etwas dagegen einzuwenden haben!«

»Ach, gnädiger Herr,« versetzte Planchet, auf den in ihm vorherrschenden Gedanken zurückkommend, »daß dieser Herr Bonacieux etwas Duckmäuserisches in seinen Augenbraunen und etwas Widerwärtiges im Spiele seiner Lippen hat, ist gewiß nicht zu läugnen!« – »Wer Teufel heißt Dich an Bonacieux denken?« – »Gnädiger Herr, man denkt, an was man kann, und nicht an was man will.« – »Weil Du ein Hasenherz bist, Planchet.« – »Gnädiger Herr, wir wollen nicht die Klugheit mit der Feigheit verwechseln; die Klugheit ist eine Tugend.« – »Und Du bist tugendhaft, nicht wahr, Planchet?« – »Gnädiger Herr, ist das nicht ein Musketenlauf, was da unten glänzt? Wenn wir uns bückten?«

– »Wahrlich,« murmelte d’Artagnan, der sich an den Rath des Herrn von Treville erinnerte, »wahrlich, dieses Vieh könnte mir am Ende bange machen.« Und er setzte sein Pferd in Trab.

Planchet folgte der Bewegung seines Herrn so genau, als ob er sein Schatten gewesen wäre, und hielt sich trabend an seiner Seite.

»Werden wir die ganze Nacht so marschiren, gnädiger Herr?« fragte er. – »Nein, Planchet, denn Du bist an Ort und Stelle.« – »Wie! ich bin an Ort und Stelle! Und der gnädige Herr?« – »Ich gehe noch einige Schritte.« – »Und der gnädige Herr läßt mich hier allein?« – »Hast Du bange, Planchet?« – »Nein, aber ich erlaube mir zu bemerken, daß die Nacht sehr kalt sein wird, daß die Kühle Rheumatismen verursacht, und daß ein mit Rheumatismus behafteter Lakai ein trauriger Bedienter ist, besonders für einen so rüstigen Mann, wie der gnädige Herr.« – »Wohl, wenn Du frierst, Planchet, so gehe in eine von den Schenken, die Du da unten siehst, und erwarte mich morgen früh um sechs Uhr vor der Thüre.« – »Gnädiger Herr, ich habe den Thaler, den Ihr mir diesen Morgen gegeben, ehrfurchtsvoll verspeist und vertrunken, so daß mir kein elender Sou mehr übrig bleibt, falls ich frieren würde.« – »Hier ist eine halbe Pistole. Morgen also.«

D’Artagnan stieg vom Pferde, warf Planchet den Zügel über den Arm, hüllte sich in seinen Mantel und ging rasch weg.

»Gott wie kalt,« rief Planchet, sobald er seinen Herrn aus dem Gesicht verloren hatte, und um sich so schnell als möglich wieder zu erwärmen, klopfte er eiligst an die Thür eines Hauses, das mit allen Zeichen einer Schenke geschmückt war.

D’Artagnan, der einen kleinen Fußpfad eingeschlagen hatte, setzte mittlerweile seine Wanderung fort und erreichte Saint Cloud, aber statt die Landstraße zu nehmen, wandte er sich hinter das Schloß, ging durch eine ziemlich verborgene Gasse und befand sich bald vor dem bezeichneten Pavillon. Dieser lag an einem völlig öden Ort. Eine große Mauer, an deren Ecke er den Pavillon gewahr wurde, zog sich an der einen Seite dieser Gasse hin, auf der andern beschützte eine Hecke, in deren Hintergrund sich eine elende Hütte erhob, einen kleinen Garten gegen die Vorübergehenden.

Er hatte die Stelle des Rendezvous erreicht, und da man ihm nicht angedeutet hatte, daß er seine Gegenwart durch ein Signal kundgeben sollte, so wartete er.

Nicht das geringste Geräusch ließ sich vernehmen; man hätte in der That glauben sollen, man wäre hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt. D’Artagnan lehnte sich an die Hecke, nachdem er einen Blick hinter sich geworfen hatte. Jenseits der Hecke des Gartens und der Hütte hüllte ein düsterer Nebel den unermeßlichen Raum in seine Falten, wo Paris schläft, eine gähnende Leere, in welcher noch einige leuchtende Punkte, düstere Sterne dieser Hölle glänzten.

Aber für d’Artagnan kleideten sich alle diese Ansichten in eine glückliche Gestalt, alle Gedanken hatten ein Lächeln, alle Finsternisse waren durchsichtig. Die Stunde des Rendezvous sollte schlagen. Nach Verlauf einiger Minuten ließ wirklich der Glockenthurm von Saint Cloud langsam zehn Schläge aus seinem blöckenden Rachen fallen. Es lag etwas Trauriges in dieser ehernen, mitten in der Nacht wehklagenden Stimme.

Aber jeder dieser Schläge, welcher die erwartete Stunde bildete, vibrirte harmonisch in dem Herzen des jungen Mannes.

Seine Augen blieben auf den kleinen an der Ecke der Mauer liegenden Pavillon gerichtet, dessen Fenster insgesammt durch Läden verschlossen waren, mit Ausnahme eines einzigen im ersten Stock. Durch dieses Fenster glänzte ein sanftes Licht, welches das zitternde Laubwerk einiger Linden versilberte, die eine Gruppe bildend, sich vor dem Park erhoben. Hinter diesem so anmuthig beleuchteten Fenster erwartete ihn offenbar die hübsche Madame Bonacieux.

Von diesem süßen Gedanken gewiegt, harrte d’Artagnan eine halbe Stunde ohne die geringste Ungeduld, die Augen auf die reizende kleine Wohnung geheftet, von der er theilweise den Plafond mit den vergoldeten Leisten erblickte, welche auf die Eleganz des Uebrigen schließen ließen.

Im Glockenthurm von Saint Cloud schlug es halb elf Uhr. Diesmal durchlief ein Schauer die Adern unsres Helden, ohne daß er begriff, warum. Vielleicht bemächtigte sich die Kälte seiner, und er nahm eine ganz körperliche Empfindung für einen moralischen Eindruck.

Dann kam ihm der Gedanke, er habe schlecht gelesen und das Rendezvous sei erst auf elf Uhr bestimmt.

Er näherte sich dem Fenster, stellte sich in einen Lichtstrahl, zog den Brief aus der Tasche, und las ihn abermals; er hatte sich nicht getäuscht; das Rendezvous war auf zehn Uhr festgesetzt. Er begab sich wieder auf seinen Posten und fing an über diese Stille und Einsamkeit sehr traurig zu werden.

Es schlug elf Uhr.

D’Artagnan begann nun wirklich zu fürchten, es könnte Madame Bonacieux etwas widerfahren sein.

Er schlug dreimal in seine Hände – das gewöhnliche Zeichen der Verliebten – aber Niemand antwortete, nicht einmal das Echo.

Dann dachte er, nicht ohne einen gewissen Aerger, die junge Frau sei vielleicht, während sie ihn erwartete, eingeschlafen. Er näherte sich der Mauer und suchte hinaufzusteigen, aber sie war neu bestrichen und d’Artagnan brach sich vergeblich die Nägel ab.

In diesem Augenblick bemerkte er die Bäume, deren Blätter fortwährend von dem Licht versilbert wurden, und da einer derselben auf den Weg vorsprang, so glaubte er, aus seinen Zweigen würde sein Blick in den Pavillon dringen können.

Der Baum war leicht zu ersteigen. D’Artagnan zählte überdies erst zwanzig Jahre und erinnerte sich seiner Schülerübungen. Sogleich befand er sich mitten unter den Zweigen und durch die durchsichtigen Scheiben tauchten seine Augen in das Innere des Pavillons.

Seltsamer Anblick, der d’Artagnan vom Scheitel bis zur Fußsohle schaudern machte – dieses sanfte Licht, diese ruhige Lampe beleuchtete eine Scene furchtbarer Störung: eine der Fensterscheiben war zerbrochen, die Thüre hatte man eingestoßen und sie hing halb zertrümmert an ihren Angeln, ein Tisch, auf dem ein elegantes Abendbrod gestanden haben mußte, lag auf dem Boden, Scherben von den Flaschen lagen aus dem Fußteppich umher, und zwischen denselben sah man Früchte und Speisen umhergeworfen; Alles zeugte dafür, daß in diesem Zimmer ein heftiger, verzweiflungsvoller Kampf stattgefunden hatte; d’Artagnan glaubte sogar mitten unter diesem seltsamen Durcheinander Fetzen von Kleidern und Blutflecken an dem Tischtuch und an den Vorhängen zu erkennen.

Er beeilte sich mit gräßlichem Herzklopfen wieder auf die Straße herabzusteigen und wollte sehen, ob er keine andere Spuren von Gewaltthat wahrnehmen könnte.

Das sanfte Licht glänzte immer noch in der Stille der Nacht. D’Artagnan bemerkte jetzt, was ihm früher entging, da ihn nichts vorher zu einer näheren Prüfung antrieb, daß der Boden, da und dort eingetreten und durchlöchert, verworrene Spuren von Menschentritten und Pferdehufen zeigte. Ueberdies hatten die Räder eines Wagens, der von Paris zu kommen schien, in der weichen Erde einen tiefen Eindruck ausgehöhlt, der nicht über die Höhe des Pavillons ging und gegen Paris zurückkehrte.

Seine Nachsuchungen weiter verfolgend, fand d’Artagnan in der Nähe der Mauer einen Frauenhandschuh, der jedoch an allen Punkten, wo er die schmutzige Erde nicht berührt hatte, von tadelloser Frische war. Es war in der That einer jener duftenden Handschuhe, wie die Liebenden sie so gerne einer hübschen Hand entreißen.

Je länger d’Artagnan seine Forschungen fortsetzte, desto stärker troff ein eisiger Schweiß von seiner Stirne. Sein Herz schnürte sich in furchtbarerer Angst zusammen, sein Athem wurde keuchend, und dennoch suchte er sich durch den Gedanken zu beruhigen, dieser Pavillon habe vielleicht nichts mit Madame Bonacieux gemein; die junge Frau habe ihn ja vor und nicht in den Pavillon beschieden; sie könnte in Paris durch ihren Dienst, durch die Eifersucht ihres Gatten zurückgehalten worden sein. Aber alle diese Betrachtungen wurden abgeschwächt, zerstört, über den Haufen geworfen durch jenes schmerzliche innere Gefühl, das sich bei gewissen Veranlassungen unseres ganzen Seins bemächtigt und uns durch Alles das, was wir zu hören bestimmt sind, zuruft, daß ein großes Unglück über uns schwebe.

D’Artagnan wurde nun beinahe wahnsinnig; er lief nach der Landstraße, schlug denselben Weg ein, den er bereits gemacht hatte, und ging bis zu der Fähre um den Fährmann zu befragen.

Gegen sieben Uhr Abends hatte der Fährmann eine in einen schwarzen Mantel gehüllte Frau übergesetzt, der viel daran zu liegen schien, daß man sie nicht erkenne, aber gerade wegen der Vorsichtsmaßregel, die sie nahm, betrachtete sie der Fährmann mit größerer Aufmerksamkeit und erkannte, daß es eine junge und schöne Frau war.

Damals, wie heut zu Tage gab es eine Menge junger und schöner Frauen, welche nach St. Cloud kamen, und denen sehr viel daran lag, nicht erkannt zu werden, und dennoch zweifelte d’Artagnan nicht einen Augenblick daran, daß Madame Bonacieux von dem Fährmann erkannt worden war.

D’Artagnan benützte die Lampe, welche in der Hütte des Fährmanns glänzte, um das Billet von Madame Bonacieux noch einmal zu lesen und sich zu überzeugen, daß er sich nicht getäuscht, daß das Rendezvous in St. Cloud, und nicht anderswo, vor dem Pavillon des Herrn d’Estrées und nicht in einer andern Straße stattfinden sollte. Alles wirkte zusammen, um d’Artagnan zu beweisen, daß seine Ahnungen ihn nicht täuschten und daß sich ein großes Unglück ereignet hatte.

Er lief rasch auf dem Weg nach dem Schlosse zurück; er dachte, es sei in dem Pavillon vielleicht etwas Neues vorgefallen, und es müssen ihn Nachrichten dort erwarten.

Die Gasse war immer noch öde und derselbe ruhige, sanfte Schein verbreitete sich aus dem Zimmer. D’Artagnan dachte nun an das blinde und taube Gemäuer, das aber ohne Zweifel gesehen hatte und vielleicht sprechen konnte. Die Thüre des Zauns war geschlossen, aber er sprang über die Hecke und näherte sich der Hütte trotz des Bellens eines Kettenhundes.

Auf die ersten Schläge antwortete Niemand; es herrschte eine Todesstille in der Hütte wie in dem Pavillon; da jedoch diese Hütte seine letzte Zuflucht war, so blieb er beharrlich.

Bald glaubte er im Innern ein leichtes Geräusch zu vernehmen, ein furchtsames Geräusche, ein Geräusch, das zitterte, gehört zu werden.

D’Artagnan hörte nun auf zu klopfen, und bat mit einem Ton so voll Unruhe und Versprechungen, voll Schrecken und Schmeichelei, daß seine Stimme auch den Furchtsamsten beruhigen mußte. Endlich wurde ein alter, wurmstichiger Laden ein wenig geöffnet, aber sogleich wieder geschlossen, als der Schein einer elenden Lampe, welche in einem Winkel brannte, d’Artagnans Wehrgehänge, seinen Degengriff und den Schaft seiner Pistolen beleuchtete. So rasch die Bewegung gewesen war, so hatte d’Artagnan doch Zeit gehabt, flüchtig den Kopf eines Greises wahrzunehmen.

»Um Gottes willen!« rief er, »hört mich. Ich erwarte Jemand, der nicht kommt, und sterbe vor Unruhe. Sollte ein Unglück in der Gegend vorgefallen sein? Sprecht!«

Das Fenster öffnete sich langsam zum zweiten Male und dasselbe Gesicht erschien wieder, nur war es viel bleicher als das erste Mal.

D’Artagnan erzählte ganz unumwunden seine Geschichte beinahe bis auf die Namen. Er sagte, wie er mit einer jungen Frau vor diesem Pavillon hätte Rendezvous haben sollen, und wie er, da sie nicht erschienen, auf eine Linde gestiegen und beim Lampenschein die Zerstörung im Innern des Zimmers gesehen habe.

Der Greis hörte ihm aufmerksam zu und bestätigte durch Zeichen, daß es sich so verhalten müsse. Als d’Artagnan geendigt hatte, schüttelte er den Kopf mit einer Miene, die nichts Gutes andeutete.

»Was wollt Ihr sagen?« rief d’Artagnan. »Ich beschwöre Euch im Namen des Himmels, erklärt Euch.«

»Oh! Herr,« sprach der Greis, »fragt mich nicht; denn wenn ich Euch sagte, was ich gesehen habe, würde es mir sicherlich schlimm ergehen.«

»Ihr habt also etwas gesehen?« versetzte d’Artagnan. »In diesem Falle bitte ich Euch um Gotteswillen,« fuhr er, dem Alten ein Goldstück zuwerfend fort, »sagt, sagt, was Ihr gesehen habt, und ich gebe Euch mein Wort als Edelmann, daß nichts von dem, was Ihr mir mittheilt, über meine Lippen kommen soll.«

Der Greis las in d’Artagnans Gesicht so viel Schmerz und Offenherzigkeit, daß er ihm ein Zeichen gab, er möge hören, und mit leiser Stimme sprach:

»Es war ungefähr neun Uhr; ich vernahm ein Geräusch auf der Straße, und wollte wissen, was das sein könnte, als man sich meiner Thüre näherte und ich sah, daß Jemand hereinzukommen suchte. Da ich arm bin und mich nicht vor Dieben zu fürchten habe, so öffnete ich und erblickte einige Schritte vor mir drei Männer; im Schatten stand ein Wagen mit angespannten Pferden und Reitpferden. Letztere gehörten offenbar den drei Männern, welche als Reiter gekleidet waren.«

»Aber meine guten Herren,« rief ich, »was verlangt Ihr?«

»Du mußt eine Leiter haben,« sprach derjenige von ihnen, welcher der Anführer der Escorte zu sein schien.

»Ja Herr, diejenige, mit welcher ich mein Obst pflücke.«

»Gib sie uns, und geh wieder in Deine Hütte; hier ist ein Thaler für die Störung. Erinnere Dich jedoch, daß Du, wenn Du ein Wort von dem sagst, was Du sehen oder hören wirst (und Du wirst sehen und hören, wie sehr wir Dich auch bedrohen mögen), daß Du, sage ich, verloren bist.«

»Bei diesen Worten warf er mir einen Thaler zu, den ich aufhob, und nahm meine Leiter.

»Nachdem ich die Thüre der Hecke hinter ihnen verschlossen hatte, stellte ich mich wirklich, als kehrte ich in das Haus zurück, aber ich ging sogleich wieder durch eine Hinterthüre hinaus, schlüpfte in den Schatten, und es gelang mir, das Hollundergebüsch zu erreichen, aus dem ich Alles sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

»Die drei Männer hatten den Wagen ohne Geräusch vorfahren lassen und zogen einen kleinen, dicken, kurzen, ärmlich gekleideten Mann heraus, welcher vorsichtig die Leiter hinaufkletterte, duckmäuserisch in das Innere des Zimmers schaute, leise wieder herabstieg und mit gedämpfter Stimme murmelte:

»Sie ist es!«

»Sogleich näherte sich derjenige, welcher mit mir gesprochen hatte, der Pavillonthüre und öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, verschloß die Thüre wieder und verschwand. Zu gleicher Zeit stiegen die zwei Anderen die Leiter hinauf. Der kleine Alte blieb am Kutschenschlag, der Kutscher hielt die Wagenpferde und ein Lakai die Reitpferde.

»Plötzlich ertönte ein gewaltiges Geschrei in dem Pavillon. Eine Frau lief an das Fenster und öffnete es, als wollte sie sich hinausstürzen. Aber sobald sie die zwei Männer erblickte, warf sie sich zurück; die zwei Männer sprangen ihr ins Zimmer nach.

»Nun sah ich nichts mehr, aber ich hörte ein Getöse, wie wenn Möbel zerschlagen würden. Die Frau kreischte und schrie um Hülfe. Bald wurde ihr Geschrei erstickt. Die drei Männer näherten sich, die Frau in ihren Armen tragend, dem Fenster. Zwei stiegen auf der Leiter herab und brachten sie in den Wagen, in den der kleine Alte nach ihr hineinkletterte. Derjenige, welcher im Pavillon geblieben war, verschloß das Fenster wieder, trat einen Augenblick nachher zur Thüre heraus und überzeugte sich, daß die Frau im Wagen gut untergebracht war; seine zwei Gefährten erwarteten ihn bereits zu Pferde. Er sprang ebenfalls in den Sattel; der Lakai nahm seinen Platz neben dem Kutscher; der Wagen entfernte sich, von den drei Reitern geleitet, im Galopp, und Alles war vorüber. Von diesem Augenblick an habe ich nichts mehr gehört, nichts mehr gesehen.«

Niedergeschmettert von einer so furchtbaren Kunde, blieb d’Artagnan stumm und unbeweglich, während in seinem Innern alle Teufel des Zorns und der Eifersucht wütheten.

»Aber, mein edler Herr,« versetzte der Greis, auf den diese Verzweiflung eine größere Wirkung hervorbrachte, als wenn er geschrieen und geweint hätte; »laßt Euch doch nicht vom Schmerz so sehr niederbeugen, sie haben sie Euch nicht getödtet, das ist die Hauptsache.«

»Wißt Ihr vielleicht,« sprach d’Artagnan, »wer der Mann ist, der diese höllische Expedition anführte?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Aber da er mit Euch sprach, so konntet ihr ihn doch wohl sehen?«

»Ah! Ihr verlangt sein Signalement von mir.«

»Ja.«

»Ein großer, magerer Mann von schwärzlicher Gesichtsfarbe, mit schwarzem Schnurrbart, schwarzen Augen und dem ganzen Wesen eines Edelmanns.«

»Der ist es!« rief d’Artagnan, »abermals er! immer er! das ist mein böser Dämon, wie es scheint! Und der Andere?«

»Welcher?«

»Der Kleine.«

»Ah! das ist kein vornehmer Herr! Dafür stehe ich. Auch trug er keinen Degen, und die Andern behandelten ihn durchaus nicht mit Achtung.«

»Irgend ein Lakai,« murmelte d’Artagnan. »Oh! arme Frau, arme Frau! Was haben sie mit Dir gemacht?«

»Ihr habt mir Geheimhaltung versprochen,« sagte der Greis.

»Ich erneuere Euch mein Versprechen. Seid unbesorgt, ich bin ein Edelmann. Ein Edelmann hat nur sein Ehrenwort, und ich habe Euch das meinige gegeben.«

Mit tief verwundeter Seele schlug d’Artagnan wieder den Weg nach der Fähre ein. Bald konnte er nicht glauben, daß es Madame Bonacieux gewesen, und er hoffte sie am andern Tage wieder im Louvre zu finden; bald befürchtete er, sie könnte einen Liebeshandel mit einem Andern haben, und ein Eifersüchtiger habe sie überfallen und entführt. Er schwankte, er wüthete, er verzweifelte.

»O wenn meine Freunde hier wären!« rief er, »dann hätte ich wenigstens Hoffnung, sie wieder zu finden, aber wer weiß, was aus ihnen geworden ist?«

Es war beinahe Mitternacht, und er mußte Planchet aufsuchen. D’Artagnan ließ sich nach und nach alle Schenken öffnen, in denen er etwas Licht bemerkte. In keiner derselben fand er Planchet. Bei der sechsten bedachte er, daß die Nachforschung etwas gewagt war. D’Artagnan hatte seinen Bedienten erst auf sechs Uhr Morgens bestellt, und derselbe befand sich in seinem Rechte, wo er auch sein mochte. Ueberdieß kam dem jungen Manne der Gedanke, daß er, wenn er in der Nähe des Ortes bliebe, wo das Ereigniß vorgefallen war, vielleicht einige Aufklärung über die geheimnißvolle Geschichte erhalten würde. In der sechsten Schenke blieb d’Artagnan also, verlangte eine Flasche Wein erster Qualität, und zog sich in den dunkelsten Winkel zurück, entschlossen hier den Tag zu erwarten. Aber auch diesmal wurde er in seiner Hoffnung getäuscht, und obgleich er mit gespitzten Ohren horchte, vernahm er doch mitten unter den Flüchen, den Späßen und den Grobheiten, welche die Arbeiter, Lakaien und Fuhrleute, in deren ehrenwerthe Gesellschaft er gerathen war, einander zuwarfen, durchaus nichts, was ihn auf die Spur der entführten Frau bringen konnte. Nachdem er also, um kein Aufsehen zu erregen, seine Flasche in aller Muße geleert hatte, mußte er in seinem« Winkel eine möglichst entsprechende Lage suchen und wohl oder übel schlafen. D’Artagnan zählte, wie man sich erinnern wird, erst zwanzig Jahre, und in diesem Alter hat der Schlaf unverjährbare Rechte, die er gebieterisch auch von dem verzweiflungsvollsten Gemüthe fordert.

Gegen sechs Uhr Morgens erwachte d’Artagnan mit jener Unbehaglichkeit, welche gewöhnlich bei Tagesanbruch nach einer schlechten Nacht eintritt. Seine Toilette machte ihm nicht lange zu schaffen; er betastete sich, um sich zu überzeugen, daß man seinen Schlaf nicht zu einer Beraubung benützt hatte, und als er seinen Diamant am Finger, seine Börse in der Tasche und seine Pistolen im Gürtel fand, stand er auf, bezahlte seine Flasche und ging hinaus, um nachzusehen, ob ihn das Glück beim Aufsuchen seines Lakaien am Morgen nicht mehr begünstigen würde, als in der Nacht. Das Erste, was er durch den feuchten, graulichen Nebel erblickte, war wirklich der ehrliche Planchet, der ihn, die zwei Pferde an der Hand, vor der Thüre einer kleinen Winkelschenke erwartete, vor welcher d’Artagnan vorübergegangen war, ohne nur ihr Dasein zu ahnen.

XXV.

Porthos.

Statt sich unmittelbar nach Haus zu begeben, stieg d’Artagnan vor dem Hotel des Herrn von Treville ab und sprang rasch die Treppe hinauf. Diesmal war er entschlossen, ihm Alles zu erzählen, was sich ereignet hatte. Er hoffte von ihm einen guten Rat in der ganzen Angelegenheit; indem Herr von Treville die Königin beinahe täglich sah, so konnte dieser auch bei Ihrer Majestät Erkundigungen über die arme Frau einziehen, welche man ohne Zweifel ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin bezahlen ließ.

Herr von Treville hörte die Erzählung des jungen Mannes mit einem Ernste an, woraus hervorging, daß er in diesem ganzen Abenteuer etwas Anderes sah, als eine Liebesintrigue. Als d’Artagnan vollendet hatte, sagte er:

»Hm! das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«

»Aber was ist zu thun?« fragte d’Artagnan.

»Nichts, durchaus nichts, zu dieser Stunde, als Paris, wie ich Euch gesagt habe, so schnell als möglich zu verlassen. Ich werde die Königin sehen, ich werde ihr alle einzelnen Umstände von dem Verschwinden der armen Frau, wovon sie vielleicht noch gar nichts weiß, mittheilen; diese Umstände werden ihr als Leitfaden dienen, und bei Eurer Rückkehr habe ich vielleicht gute Kunde für Euch. Verlaßt Euch auf mich.«

D’Artagnan wußte, daß Herr von Treville, obgleich Gascogner, nicht die Gewohnheit hatte, zu viel zu versprechen, und daß er, wenn er zufällig versprach, Wort hielt. Er verabschiedete sich von ihm, voll Dankbarkeit für das Vergangene und für die Zukunft, und der würdige Kapitän, der eine lebhafte Theilnahme für diesen so muthigen, so entschlossenen jungen Mann fühlte, drückte ihm liebevoll die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.

Entschlossen, sogleich den Rath des Herrn von Treville in Ausführung zu bringen, wanderte d’Artagnan nach der Rue des Fossoyeurs, um beim Packen seines Mantelsacks gegenwärtig zu sein. Als er sich Nro. 11 näherte, erkannte er Herrn Bonacieux, der in einem Morgenanzug auf der Schwelle seiner Thüre stand. D’Artagnan erinnerte sich alles dessen, was ihm der kluge Planchet Tags zuvor über den zweideutigen Charakter seines Wirthes gesagt hatte, und schaute ihn aufmerksamer an, als je zuvor. Außer der gelblichen krankhaften Blässe, welche die Einsickerung der Galle in das Blut andeutet und nur zufällig sein konnte, bemerkte d’Artagnan etwas duckmäuserisch Treuloses in der Art und Weise, wie er sein Gesicht zu runzeln gewohnt war. Ein Schelm lacht nicht auf dieselbe Art, wie ein ehrlicher Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Thränen, wie ein Mann von Treu und Glauben. Jede Falschheit ist eine Maske; so gut diese auch gemacht sein mag, mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit lernt man sie immer vom Gesicht unterscheiden.

D’Artagnan kam es also vor, als ob Herr Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten, die man sehen konnte.

Ueberwältigt von dem Widerwillen, den ihm dieser Mensch einflößte, ging er an ihm vorüber, ohne mit ihm zu sprechen, als Herr Bonacieux, wie am Tage zuvor, d’Artagnan anrief.

»Ei! ei! junger Mann,« sprach er, »es scheint mir, wir machen Faschingsnächte? Morgens sieben Uhr, pest! Ihr wollt wahrscheinlich den Gebrauch umdrehen, und kommt nach Haus, wenn Andere ausgehen.«

»Euch kann man diesen Vorwurf nicht machen, Meister Bonacieux, denn Ihr seid ein wahres Muster von einem geordneten Mann. Wenn man eine hübsche junge Frau hat, braucht man allerdings dem Glücke nicht nachzulaufen; das Glück sucht Euch auf, nicht wahr, Herr Bonacieux?«

Bonacieux wurde bleich wie der Tod, und schnitt eine Grimasse, welche ein Lächeln bedeuten sollte.

»Ah! ah!« sprach Bonacieux, »Ihr seid ein lustiger Geselle. Aber wo seid Ihr denn die ganze Nacht umhergelaufen, junger Herr? Die Nebenwege scheinen nicht sehr gut gewesen zu sein.«

D’Artagnan senkte seine Augen gegen seine ganz mit Koth bedeckten Stiefel, aber bei dieser Bewegung traf sein Blick zugleich die Schuhe und Strümpfe des Krämers; man hätte in der That glauben sollen, sie wären in denselben Schlamm getaucht worden; an den einen, wie an den andern zeigten sich ganz dieselben Schmutzflecken.

Plötzlich durchzuckte ein Gedanke d’Artagnans Geist; der kleine, kurze, dicke, gräuliche, lakaienartige, schlecht gekleidete Mann, der von den Kriegsleuten, welche die Escorte bildeten, ohne alle Achtung behandelt worden, war Bonacieux selbst. Der Mann hatte die Entführung seiner Frau geleitet.

D’Artagnan fühlte ungeheure Lust, dem Krämer an die Gurgel zu springen und ihn zu erdrosseln; allein er war, wie gesagt, ein kluger Bursche und hielt sich zurück. Aber der Aufruhr, der in seinem Innern vorging, drückte sich so sichtbar auf seinem Antlitz aus, daß Bonacieux darüber in Schrecken gerieth und einen Schritt zurückzuweichen suchte; er befand sich jedoch gerade vor dem geschlossenen Thürflügel, und dieses materielle Hinderniß, auf das er stieß, zwang ihn, auf seiner Stelle zu bleiben.

»Ei! ei! Ihr spaßt, mein guter Herr,« sagte d’Artagnan, »mir scheint es, wenn meine Stiefel des Schwammes bedürfen, so fordern Eure Schuhe und Eure Strümpfe einigermaßen die Bürste. Solltet Ihr etwa ebenfalls herumgestrichen sein, Meister Bonacieux? Ah! Teufel, das wäre unverzeihlich bei einem Mann von Eurem Alter, und vollends bei einem Mann, der eine so hübsche Frau hat, wie Ihr.«

»Ach! mein Gott, nein,« sagte Bonacieux, »aber ich war gestern in Saint-Mandé, um Erkundigungen über eine Magd einzuziehen, da ich nothwendig eine solche dingen muß; und da die Wege schlecht waren, so brachte ich all den Schmutz mit, dessen ich mich aus Mangel an Zeit noch nicht entledigen konnte.«

Der von Bonacieux als Ziel seiner Wanderung bezeichnete Ort war eine neue Bestätigung des Verdachtes, welcher sich in d’Artagnan geregt hatte. Bonacieux nannte Saint-Mandé, weil Saint-Mandé gerade in der entgegengesetzten Richtung von Saint-Cloud lag.

Diese Vermuthung gereichte ihm zum ersten Trost. Wußte Bonacieux, wo seine Frau war, so konnte man immerhin zu gewagten Mitteln greifen und den Krämer zwingen, den Mund aufzuthun und sein Geheimniß zu verrathen. Man mußte diese Vermuthung in Gewißheit verwandeln.

»Ich bitte um Vergebung, mein lieber Herr Bonacieux, wenn ich mit Euch ohne alle Umstände verfahre,« sprach d’Artagnan, »aber nichts greift so sehr an, als eine Nacht nicht geschlafen zu haben, und mich plagt ein wüthender Durst; erlaubt mir ein Glas Wasser bei Euch zu trinken, Ihr wißt, Nachbarn verweigern das einander nicht.«

Und ohne die Antwort seines Wirthes abzuwarten, trat d’Artagnan rasch in das Haus ein, und warf einen Blick auf das Bett. Es war unberührt und Bonacieux hatte sich nicht schlafen gelegt. Es unterlag keinem Zweifel, er war erst seit ein paar Stunden zurückgekehrt und hatte seine Frau an den Ort, wohin man sie führte, oder wenigstens bis zum ersten Relais begleitet.

»Ich danke, Meister Bonacieux,« sagte d’Artagnan sein Glas leerend, »das war Alles, was ich von Euch wollte. Nun gehe ich in mein Zimmer, lasse mir von Planchet meine Stiefel putzen, und ist er damit fertig, so schicke ich ihn, wenn Ihr wollt, zu Euch, daß er Eure Schuhe bürstet.«

Und er verließ den Krämer, der über diesen seltsamen Abschied ganz erstaunt war und sich fragte, ob er sich nicht durch irgend eine unbesonnene Rede bloßgestellt habe.

Oben auf der Treppe fand d’Artagnan seinen Diener Planchet in der größten Bestürzung.

»Ah! gnädiger Herr,« rief der Lakai, sobald er seinen Herrn erblickt, »endlich seid Ihr hier, ich konnte Eure Rückkehr kaum erwarten!« – »Was gibt es denn?« – »Oh! ich wette hundert, ich wette tausend, gnädiger Herr, gegen Eins, daß Ihr den Besuch nicht errathet, den ich in Eurer Abwesenheit für Euch erhalten habe.« – »Wann?« – »Vor einer halben Stunde, während Ihr bei Herrn von Treville wäret.« – »Wer ist denn hier gewesen? sprich.« – »Herr von Cavois.« – »Herr von Cavois?« – »In eigener Person.« – »Der Kapitän der Leibwachen Seiner Eminenz?« – »Er selbst.« – »Er wollte mich ohne Zweifel verhaften?« – »Ich habe es vermuthet trotz seiner freundlichen Miene. – »Er sah freundlich aus, sagst Du?« – »Er war ganz Honig, gnädiger Herr.« – »Wirklich?« – »Er sagte, er komme von Seiner Eminenz, die Euch sehr wohl wolle, um Euch zu bitten, ihm ins Palais Royal zu folgen.« – »Und Du hast ihm geantwortet?« – »Es sei dies nicht möglich, insofern Ihr Euch außer dem Hause befändet, wie er selbst sehen könne.« – »Was sagte er hierauf?« – »Ihr würdet wohl nicht verfehlen, ihn im Verlauf des Tages zu besuchen; dann fügte er noch ganz leise bei: ›Sage Deinem Herrn, Seine Eminenz sei sehr wohl gesinnt gegen ihn, und sein Glück hänge vielleicht von dieser Zusammenkunft ab.‹ – »Diese Falle war für den Kardinal ziemlich ungeschickt gestellt,« versetzte der junge Mann lächelnd. – »Ich habe die Falle auch gesehen und erwiederte, Ihr würdet bei Euerer Rückkehr sehr bedauern, nicht sogleich da gewesen zu sein.« – ›Wohin ist er gegangen?‹ – fragte Herr von Cavois. – ›Nach Troyes in der Champagne,‹ antwortete ich.« – ›Und wann ist er abgereist?‹ – ›Gestern Abend.‹ »Planchet, mein Freund,« unterbrach ihn d’Artagnan, »Du bist in der That ein herrlicher Bursche.« – »Ich dachte natürlich, wenn Ihr Herrn von Cavois sehen wolltet, so sei es immer noch Zeit, mich Lügen zu strafen und zu sagen, Ihr habet keine Reise unternommen: ich hätte in diesem Falle gelogen, und da ich kein Edelmann bin, so kann ich wohl lügen.« – »Sei unbesorgt. Du sollst Deinen Ruf als wahrheitsliebender Mann behalten; in einer Viertelstunde reisen wir.« – »Diesen Rath wollte ich eben dem gnädigen Herrn geben; und wohin gehen wir? das möchte ich wohl erfahren, ohne neugierig zu sein.« – »Gerade in entgegengesetzter Richtung von der Gegend, die Du genannt hast. Dir scheint übrigens an Nachrichten von Grimaud, Mousqueton und Bazin nicht so viel zu liegen, wie wir an Nachrichten über Athos, Porthos und Aramis.« – »Oh! gewiß! gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »und ich reise, wann Ihr wollt; die Provinzluft taugt, wie ich glaube, in diesem Augenblick besser für uns als die Pariser Luft. Also … »Schnüre Deine Bündel, Planchet, und dann vorwärts; ich gehe mit den Händen in der Tasche, damit man keinen Verdacht schöpft, voraus. Du holst mich im Hotel der Garden ein. Doch – beiläufig gesagt – Du hattest Recht in Beziehung auf unsern Wirth, das ist offenbar eine schändliche Canaille.« – »Oh! glaubt mir immer, wenn ich Euch etwas sage; ich bin ein Physiognomiker, ich!«

D’Artagnan ging verabredeter Maßen zuerst hinab und wandte sich, um sich keinen Vorwurf machen zu müssen, zum letzten Mal nach der Wohnung seiner drei Freunde; man hatte keine Nachricht von ihnen erhalten; nur ein ganz von Wohlgerüchen geschwängerter Brief von äußerst zarter und zierlicher Handschrift war für Aramis eingelaufen. D’Artagnan übernahm denselben. Zehn Minuten nachher traf Planchet mit ihm in den Ställen des Hotels der Garden zusammen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte d’Artagnan sein Pferd bereits selbst gesattelt.

»Gut so,« sagte er zu Planchet, als er den Mantelsack festgeschnallt hatte; »nun sattle auch vie drei andern Pferde und dann vorwärts.«

»Glaubt Ihr, daß wir jeder mit zwei Pferden schneller reisen?« fragte Planchet mit einer verschmitzten Miene.

»Nein, nein, schlechter Spaßvogel,« antwortete d’Artagnan, »aber mit unsern vier Pferden können wir unsere drei Freunde zurückbringen, wenn wir sie überhaupt noch lebend finden.«

»Das wäre ein großes Glück,« sprach Planchet, »aber man darf an der Barmherzigkeit Gottes nicht verzweifeln.«

»Amen,« rief d’Artagnan und stieg zu Pferde.

Beide verließen das Hotel der Garden, jedoch auf verschiedenen Straßen, der Eine um den Wog durch die Barriere de la Villete zu nehmen, der Andere, um durch die Barriere Montmartre zu reiten, und jenseits Saint-Denis sollten sie sich sodann wiederzusammenfinden – ein strategisches Manöver, das von beiden Seiten mit gleicher Pünktlichkeit ausgeführt und von den glücklichsten Resultaten gekrönt wurde. D’Artagnan und Planchet ritten also mit einander in Pierresitte ein.

Planchet war allerdings muthiger bei Tag als bei Nacht. Seine natürliche Klugheit verließ ihn jedoch keinen Augenblick. Er hatte keinen von den Vorfällen der ersten Reise vergessen und glaubte in allen Menschen, denen er auf der Reise begegnete. Feinde zu erblicken. Dem zu Folge hielt er unablässig den Hut in der Hand, was ihm strenge Verweise von Seiten d’Artagnan’s zuzog, welcher befürchtete, man möchte ihn bei diesem Uebermaß von Höflichkeit für einen Mann von geringem Stande ansehen.

Wurden die Vorübergehenden wirklich durch das artige Benehmen Planchets gerührt oder hatte man diesmal Niemand an dem Wege des jungen Mannes in Hinterhalt gelegt – unsere Reisenden gelangten jedenfalls, ohne irgend einen Unfall zu erleben, nach Chantilly und stiegen vor dem Gasthause zum großen Sanct Martin ab, wo sie bei ihrer ersten Reise angehalten hatten.

Der Wirth trat ehrfurchtsvoll auf die Schwelle seiner Thüre, als er einen jungen Mann, mit einem Lakaien und zwei Handpferden kommen sah. Da d’Artagnan bereits elf Meilen zurückgelegt hatte, so hielt er es für zweckdienlich, einzukehren, ob Porthos in dem Wirthshaus wäre oder nicht. Vielleicht war es auch nicht der Klugheit gemäß, mit der Thüre ins Haus zu fallen und sich sogleich zu erkundigen, was aus dem Musketier geworden. Durch diese Betrachtungen bewogen, stieg d’Artagnan ab, ohne sich nach irgend Jemand zu erkundigen, empfahl die Pferde seinem Lakaien, trat in ein kleines Zimmer, das zur Aufnahme von Gästen bestimmt war, welche allein zu bleiben wünschten, und verlangte von dem Wirth eine Flasche von seinem besten Wein, und ein Frühstück so gut, als man es haben könne; dieses Verlangen bestärkte den Gastgeber noch mehr in der guten Meinung, die er beim ersten Blick von dem Reisenden gefaßt hatte.

D’Artagnan wurde auch mit wunderbarer Geschwindigkeit bedient. Das Regiment der Garden rekrutierte sich unter den ersten Edelleuten des Königreichs; von einem Lakaien gefolgt und mit vier prachtvollen Pferden reisend, mußte also d’Artagnan trotz der Einfachheit seiner Uniform notwendig einiges Aufsehen erregen. Der Wirth wollte ihn selbst bedienen. Als d’Artagnan dieß sah, ließ er zwei Gläser herbeischaffen und knüpfte folgendes Gespräch an:

»Meiner Treu, mein lieber Wirth,« sprach d’Artagnan, die zwei Gläser füllend, »ich verlangte von Eurem besten Wein, und wenn Ihr mich getäuscht habt, so sollt Ihr da gestraft werden, wo Ihr sündigtet, insofern Ihr mit mir trinken müßt, da ich es hasse, allein eine Flasche zu leeren. Nehmt also dieses Glas und laßt uns trinken. Auf was wollen wir trinken, um keine empfindliche Seite zu verletzen? Trinken wir auf die Wohlfahrt Eures Gasthofes.« – »Eure Herrlichkeit erweist mir eine große Ehre,« sprach der Wirth, »und ich danke von Herzen für diesen guten Wunsch.« – »Täuscht Euch nicht,« sprach d’Artagnan, »es liegt in meinem Toast vielleicht mehr Selbstsucht, als Ihr wohl glauben möget. Nur in den Gasthöfen, welche gedeihen, findet man gute Aufnahme; in denjenigen, welche in der Abnahme begriffen sind, geht Alles drunter und drüber, und der Reisende ist das Opfer der Verlegenheiten seines Wirthes. Da ich aber viel und besonders viel auf dieser Straße reise, so wünschte ich, daß es allen Gastgebern wohl erginge.« – »In der That,« sprach der Wirth, »es scheint mir, es ist nicht das erste Mal, daß ich die Ehre habe, den gnädigen Herrn zu sehen.« – »Bah! ich bin mehr als zehnmal durch Chantilly gereist und dabei wenigstens drei bis viermal bei Euch eingekehrt. Ich war sogar vor zehn bis zwölf Tagen hier. Damals begleitete ich Freunde, Musketiere. Zum Beweis hiefür erinnere ich Euch daran, daß einer von ihnen mit einem Fremden, einem Unbekannten, in Streit gerieth, der, Gott weiß warum, Händel mit ihm suchte.« – »Ah, ja, wahrhaftig!« sprach der Wirth. »Eure Herrlichkeit meint wohl Herrn Porthos?« – »Das ist gerade der Name meines Reisegefährten. Mein Gott! mein lieber Wirth, sagt mir, sollte ihm etwa ein Unglück widerfahren sein?« – »Eure Herrlichkeit muß wohl wahrgenommen haben, daß er seine Reise nicht fortsetzen konnte.« – »In der That, er versprach uns, sogleich nachzufolgen, und wir haben ihn nicht wiedergesehen.« – »Er hat uns die Ehre erzeigt, hier zu bleiben.« – »Wie? er hat Euch die Ehre erzeigt, hier zu bleiben?« – »Ja, gnädiger Herr, in diesem Gasthof. Wir sind sogar sehr in Unruhe.« – »Worüber?« – »Ueber gewisse Ausgaben, die er gemacht hat.« – »Gut! aber er wird die Ausgaben, die er gemacht hat, bezahlen.« – »Ah, gnädiger Herr, Ihr gießt mir in der That Balsam in das Blut. Wir haben große Vorschüsse geleistet und noch diesen Morgen erklärte uns der Wundarzt, wenn ihn Herr Porthos nicht bezahle, so werde er sich an mich halten, da ich ihn habe holen lassen.« – »Porthos ist also verwundet?« – »Ich wüßte es Euch nicht zu sagen, gnädiger Herr.« – »Wie, Ihr wüßtet es mir nicht zu sagen? Ihr solltet doch besser unterrichtet sein, als irgend Jemand.« – »Ja, aber wir in unserem Stande sagen nicht Alles, was wir wissen, besonders wenn man uns bedeutet hat, daß unsere Ohren für unsere Zunge haften müssen.« – »Kann ich Porthos sehen?« – »Gewiß, gnädiger Herr, geht die Treppe hinauf und klopft im ersten Stocke an Nr. 1, nur thut ihm kund, daß Ihr es seid.« – »Wie, ich soll ihm kundthun, daß ich es bin?« – »Ja, es könnte Euch sonst ein Unglück widerfahren.« – »Und welches Unglück soll mir widerfahren?« – »Herr Porthos könnte Euch für Jemand aus dem Hause halten und Euch in einem Anfall von Zorn den Degen durch den Leib rennen oder die Hirnschale zerschmettern.« – »Was habt Ihr ihm denn gethan?« – »Wir haben Geld von ihm gefordert!« – »Ah, Teufel, ich begreife es. Das ist eine Forderung, welche Porthos sehr übel aufnimmt, wenn er nicht bei Kasse ist; aber ich weiß, daß er dies sein sollte.« – »Das haben wir auch gedacht, gnädiger Herr; da in diesem Hause große Ordnung herrscht, und wir jede Woche unsere Rechnungen machen, so überreichten wir ihm nach Verlauf von acht Tagen unsere Note; aber es scheint, wir hatten hiezu einen ungünstigen Augenblick gewählt, denn bei dem ersten Wort, das wir über diesen Gegenstand sprachen, wünschte er uns zu allen Teufeln; allerdings hatte er den Tag vorher gespielt.« – »Wie, er hatte gespielt, und mit wem?« – »O mein Gott, wer weiß? Mit einem durchreisenden vornehmen Herrn, dem er eine Partie Landsknecht antragen ließ.« – »Das ist es, der Unglückliche wird wohl Alles verloren haben.« – »Bis auf sein Pferd, gnädiger Herr, denn als der Fremde abreisen wollte, gewahrten wir, daß er das Pferd des Herrn Porthos durch seinen Lakaien satteln ließ. Wir machten ihm hierüber eine Bemerkung, aber er erwiederte uns, wir mischen uns in Dinge, die uns nichts angehen, und das Pferd gehöre ihm. Wir ließen auch Herrn Porthos von dem Vorfall in Kenntniß setzen, doch er antwortete, wir seien Schufte, daß wir an dem Wort eines Edelmannes zweifelten, und da dieser uns gesagt habe, das Pferd gehöre ihm, so müsse es wohl auch so sein.« – »Daran erkenne ich ihn,« murmelte d’Artagnan. – »Darauf ließ ich ihm sagen,« fuhr der Wirth fort, »wenn wir uns in Betreff der Bezahlung nicht verstehen können, so müsse ich hoffen, daß er wenigstens die Güte habe, die Gunst seiner Kundschaft meinem Kollegen, dem Wirth zum goldenen Adler, zuzuwenden; aber Herr Porthos antwortete mir, da mein Gasthof der beste sei, so wünsche er hier zu bleiben. Diese Antwort war zu schmeichelhaft, als daß ich auf seinem Auszug bestehen konnte. Ich bat ihn also blos, er möchte mir sein Zimmer, das schönste im Gasthof, zurückgeben und sich mit einem hübschen Cabinet im dritten Stock begnügen. Hierauf aber erwiederte Herr Porthos, da er jeden Augenblick seine Geliebte, eine der vornehmsten Damen des Hofes erwarte, so müsse ich einsehen, daß das Zimmer, welches er zu bewohnen mir die Ehre erweise, immer noch sehr mittelmäßig für eine solche Person sei. Obschon ich die Wahrheit des Gesagten vollkommen einsah, glaubte ich dennoch auf meiner Forderung bestehen zu müssen. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe, sich mit mir in eine Discussion darüber einzulassen, sondern nahm seine Pistole, legte sie auf seinen Nachttisch und erklärte, daß er beim ersten Wort, welches man über ein Ausziehen nach einem andern Gasthof oder im Innern des Hauses zu ihm zu sprechen sich erfreche, demjenigen die Hirnschale zerschmettern werde, der so unklug wäre, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die ihn nichts anginge. Seit dieser Zeit, gnädiger Herr, betritt außer seinem Bedienten Niemand mehr sein Zimmer.« – »Mousqueton ist also hier?« – »Ja, gnädiger Herr. Fünf Tage nach seiner Abreise ist er in sehr übler Laune zurückgekehrt. Es scheint, es sei ihm auch eine Unannehmlichkeit auf seiner Reise widerfahren. Leider ist er noch flinker als sein Herr und kehrt für diesen das Unterste zu oberst; da er glaubt, man könnte ihm verweigern, was er fordert, so nimmt er Alles, was er braucht, ohne zu fordern.« – »Ich habe bei Mousqueton allerdings stets eine ungewöhnliche Ergebenheit und Geisteskraft wahrgenommen,« erwiederte d’Artagnan. – »Das ist möglich, gnädiger Herr; aber setzt den Fall, ich komme nur viermal im Jahre mit einer solchen Ergebenheit und Geisteskraft in Berührung, so bin ich ein zu Grunde gerichteter Mann.« – »Nein, denn Porthos wird Euch bezahlen.« – »Hm,« murmelte der Wirth mit zweifelhaftem Tone. –»Er ist der Günstling einer vornehmen Dame, die ihn wegen einer Bagatelle, die er Euch schuldig ist, nicht im Stich lassen wird.« – »Wenn ich es wagte, Euch zu sagen, was ich hierüber denke …« – »Was denkt Ihr hierüber?« – »Ich dürfte sogar sagen: was ich hierüber weiß.« – »Was Ihr wißt?« – »Und sogar was ich ganz gewiß weiß.« – »Und was wißt Ihr gewiß? Laßt hören!« – »Ich dürfte sagen, ich kenne diese vornehme Dame.« – »Ihr?« – »Ja, ich.« – »Und woher kennt Ihr sie?« – »O, gnädiger Herr, wenn ich mich Eurer Verschwiegenheit anvertrauen dürfte…« – »Sprecht! und auf Edelmannswort, Ihr sollt Euer Vertrauen nicht zu bereuen haben.« – »Wohl, gnädiger Herr. Ihr begreift, daß die Besorgniß zu allerhand Dingen leitet.« »Was habt Ihr gemacht?« – »Oh! nichts, was nicht in der Befugniß eines Gläubigers läge.« – »Nun?« – »Herr Porthos übergab uns ein Billet für diese Herzogin, mit dem Befehl, es auf die Post zu bringen. Sein Bedienter war noch nicht angelangt. Da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so mußten wir seine Aufträge zur Besorgung übernehmen.« – »Weiter?« – »Statt den Brief auf die Post zu bringen, was nie ganz sicher ist, benützten wir die Gelegenheit, da gerade einer von unsern Aufwärtern nach Paris ging, und beauftragten ihn, den Brief der Herzogin selbst zuzustellen. Dieß hieß den Absichten von Herrn Porthos entsprechen, der uns seinen Brief so sehr empfohlen hatte, nicht wahr?« – »Ungefähr.« – »Nun, gnädiger Herr, wißt Ihr, wer diese große Dame ist?« – »Nein, ich habe nur Porthos von ihr sprechen hören.« – »Wißt Ihr, wer diese angebliche Herzogin ist?« – »Ich wiederhole Euch, ich kenne sie nicht.« – »Es ist eine alte Frau, die Gattin eines Prokurators beim Chatelet, gnädiger Herr, Madame Coquenard; sie hat wenigstens ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken und spielt noch die Eifersüchtige. Das kam mir auch ganz sonderbar vor – eine Prinzessin, die in der Rue aux Ours wohnt!« – »Woher wißt Ihr dies?« – »Weil sie in gewaltigen Zorn gerieth, als sie den Brief empfing, und sagte: Herr Porthos sei ein flatterhafter Mensch und habe wohl irgend einer Frauensperson wegen den Degenstich bekommen.« – »Er hat also einen Degenstich bekommen?« – »Ah! mein Gott! was habe ich da gesagt?« – »Ihr sagtet, Porthos habe einen Degenstich bekommen.« – »Ja, aber er hat mir streng verboten, darüber zu sprechen.« – »Warum dies?« – »Weil er sich gerühmt hatte, er werde diesen Fremden, mit dem Ihr ihn im Streite zurückließet, durchbohren, während dieser Fremde im Gegentheil ihn trotz aller seiner Prahlereien zu Boden streckte. Da nun Herr Porthos ein sehr eitler Mann ist, zumal seiner Herzogin gegenüber, die er durch Erzählung seines Abenteuers für sich gewinnen zu können geglaubt hatte, so will er Niemand zugestehen, daß er einen Degenstich erhalten hat.« – »Also hält ihn ein Degenstich im Bette zurück?« – »Und zwar ein Hauptstich. Die Seele Eures Freundes muß mit Pflöcken im Körper befestigt sein.« – »Ihr wäret also dabei?« – »Gnädiger Herr, ich folgte ihnen aus Neugierde, und sah den Kampf, ohne daß die Kämpfenden mich sehen konnten.« – »Und wie ging es dabei zu?« – »Oh! die Sache dauerte nicht lang, dafür kann ich Euch wohl stehen. Sie nahmen ihre Stellung. Der Fremde machte eine Finte und stieß zu, und zwar so schnell, daß Herr Porthos, als er zur Parade gelangte, bereits drei Zoll Eisen in der Brust hatte. Der Fremde setzte ihm sogleich die Spitze seines Degens an die Gurgel, aber als sich Herr Porthos der Gnade seines Gegners preisgegeben sah, erklärte er sich für überwunden; der Fremde fragte ihn hierauf nach seinem Namen, und als er erfuhr, daß er Herr Porthos und nicht Herr d’Artagnan hieß, so bot er ihm seinen Arm, führte ihn bis zum Hotel, stieg zu Pferde und verschwand.« – »Also wollte der Fremde Herrn d’Artagnan an den Leib gehen?« – »Es scheint so.« – »Und wißt Ihr, was aus ihm geworden ist?« – »Nein, ich habe ihn bis zu diesem Augenblicke nicht gesehen, und er ist uns auch seitdem nicht wieder zu Gesicht gekommen.« – »Gut, ich weiß, was ich wissen wollte. Ihr sagt also, das Zimmer von Porthos sei im ersten Stock Nro. 1?« – »Ja, gnädiger Herr, das schönste des Gasthofes; ein Zimmer, das ich schon mehr als zehnmal zu vermiethen Gelegenheit gehabt hätte.« – »Bah, beruhigt Euch,« sprach d’Artagnan lachend, »Porthos wird Euch mit dem Gelde der Herzogin Coquenard bezahlen.« – »O gnädiger Herr, Procuratorfsrau oder Herzogin, wenn sie nur ihre Börse öffnen wollte, das wäre mir gleich viel; aber sie hat geradezu erklärt, sie sei der Forderungen und Treulosigkeiten des Herr Porthos müde, und sie werde ihm nicht einen Pfennig schicken.« – »Und habt Ihr diese Antwort Eurem Gaste wieder mitgeteilt?« – »Wir hüteten uns wohl, er würde gesehen haben, auf welche Weise wir seinen Auftrag besorgten.« – »Also wartet er immer noch auf sein Geld?« – »O mein Gott, ja, er hat gestern erst geschrieben, aber dießmal brachte sein Bedienter den Brief auf die Post.« – »Und Ihr sagt, die Person sei alt und häßlich?« – »Wenigstens fünfzig Jahre alt, gnädiger Herr, und durchaus nicht schön, wie Pathaud behauptet.« – »Dann seid ohne Sorgen, sie wird sich erweichen lassen. Ueberdies kann Euch Porthos nicht viel schuldig sein.« – »Wie, nicht viel schuldig! Bereits zwanzig Pistolen, den Arzt nicht zu rechnen. O! er versagt sich nicht das Mindeste, man sieht, daß er gut zu leben gewohnt ist.« – »Wenn ihn seine Geliebte auch verläßt, so wird er doch Freunde finden, dafür bürge ich Euch. Seid also ganz ruhig, mein lieber Wirth, und widmet ihm alle Sorgfalt, welche sein Zustand fordert.« – »Der gnädige Herr hat mir versprochen, den Mund über die Procuratorsfrau nicht zu öffnen und keine Silbe über die Wunde zu sagen?« – »Das ist eine abgemachte Sache. Ihr habt mein Wort darauf.« – »Oh, er würde mich sicherlich umbringen!« – »Seid ohne Furcht! Er ist nicht so teufelmäßig als er aussieht.«

Sofort stieg d’Artagnan die Treppe hinauf, der Wirth aber war in Beziehung auf die zwei Dinge, auf welche er sehr viel zu halten schien, nämlich seine Schuldforderung und sein Leben bedeutend ruhiger.

Oben an der Treppe war an die augenfälligste Thüre der Hausflur mit schwarzer Farbe ein riesiges Nro. 1 geschrieben; d’Artagnan klopfte an, und trat auf die Einladung, welche hierauf erfolgte, in das Zimmer.

Porthos lag im Bette und spielte zum Zeitvertreib eine Parthie Lanzknecht mit Mousqueton, während sich ein mit Rebhühnern beladener Spieß vor dem Feuer drehte und in jeder Ecke eines großen Kamins auf zwei Gluthpfannen zwei Kasserole kochten, aus denen der doppelte Wohlgeruch von Gibelotte und Matelote lieblich hervorströmte. Die Oberfläche eines Schrankes und die Marmortafel einer Kommode waren überdies mit leeren Flaschen bedeckt.

Beim Anblick seines Freundes erhob Porthos ein Freudengeschrei; Mousqueton stand ehrfurchtsvoll auf, trat ihm seinen Platz ab und ging zu den Gluthpfannen, um einen Blick in die Kasserole zuwerfen, deren Oberaufsicht ihm anvertraut zu sein schien.

»Ah, bei Gott, Ihr seid es,« sprach Porthos zu d’Artagnan. »Seid mir willkommen und entschuldigt, daß ich Euch nicht entgegengehe. Aber,« fügte er bei, und schaute d’Artagnan zugleich mit einer gewissen Unruhe an, »Ihr wißt, was mir begegnet ist?« – »Nein.« – »Der Wirth hat Euch nichts gesagt?« – »Ich habe nach Euch gefragt und bin sogleich heraufgegangen.«

Porthos schien freier zu athmen.

»Und was ist Euch denn begegnet, mein lieber Porthos?« fuhr d’Artagnan fort. – »Als ich gegen meinen Widersacher ausfiel, dem ich bereits drei Degenstiche beigebracht hatte und mit dem vierten den Garaus machen wollte, stieß ich mit dem Fuß an einen Stein und verstauchte mir das Knie.« – »Wirklich?« – »Auf Ehre! zum Glück für den Schurken, denn ich hätte ihn todt auf dem Platze gelassen, dafür stehe ich Euch.« – »Und was ist aus ihm geworden?« – »Oh! ich weiß es nicht. Er hatte genug und zog ab, ohne den Rest von mir zu fordern; aber Ihr, mein lieber d’Artagnan, was ist Euch begegnet?« – »Also,« fuhr d’Artagnan fort, »also fesselt Euch diese Verstauchung an das Bett?« – »Ach! mein Gott, ja, nichts Anderes; übrigens werde ich in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein.«

– »Aber warum habt Ihr Euch nicht nach Paris transportiren lassen, Ihr müßt Euch hier schrecklich langweilen?« – »Es war meine Absicht, doch ich muß Euch etwas gestehen.« – »Was?« – »Gerade weil ich mich schrecklich langweilte, wie Ihr sagtet, und die fünf und siebzig Pistolen in meiner Tasche hatte, die Ihr mir zutheiltet, ließ ich, um mich zu zerstreuen, einen vorüberziehenden Edelmann zu mir heraufkommen und bot ihm eine Würfelpartie an. Er willigte ein, und, meiner Treu, meine fünf und siebzig Pistolen gingen aus meiner Tasche in die seinige über, mein Pferd gar nicht zu rechnen, das er noch in den Kauf bekam. Aber Ihr, mein lieber d’Artagnan?« – »Was wollt Ihr, mein lieber Porthos, man kann nicht auf jede Weise bevorzugt sein,« sagte d’Artagnan. Ihr kennt das Sprüchwort: »Unglück im Spiel, Glück in der Liebe!« Ihr seid zu glücklich in der Liebe, als daß sich nicht das Spiel rächen sollte. Aber was kümmert Ihr Euch um den Umschlag des Glückes? Habt Ihr, glücklicher Bursche, der Ihr seid, nicht Euere Herzogin, die Euch nothwendig zu Hülfe kommen muß?« – »Seht, mein lieber d’Artagnan, wie Alles gegenwärtig bei mir schief geht,« antwortete Porthos mit der freimüthigsten Miene von der Welt; »ich schrieb ihr um etliche fünfzig Louisd’or, deren ich in Betracht meiner dermaligen Lage durchaus bedürfe.« – »Nun?« – »Nun! sie muß auf ihren Gütern sein, denn sie hat mir gar nicht geantwortet!« – »Wahrhaftig!« – »Nein; auch schickte ich ihr gestern eine neue Epistel noch viel dringenderen Inhaltes als die erste zu; aber da Ihr jetzt hier seid, so sprechen wir von Euch, mein Liebster! Ich gestehe, daß ich über Euch unruhig zu werden anfing.« – »Doch Euer Wirth benimmt sich gut gegen Euch, mein lieber Porthos,« sprach d’Artagnan und deutete auf die vollen Kasserole und die leeren Flaschen. – »So so!« erwiederte Porthos. »Der unverschämte Kerl brachte mir schon vor drei oder vier Tagen seine Rechnung, aber ich warf beide, seine Rechnung und ihn, zur Thüre hinaus, so daß ich hier wie eine Art von Sieger, wie ein Eroberer lebe. Auch bin ich, wie Ihr seht, bis an die Zähne bewaffnet, da ich immer einen Angriff aus meine Stellung fürchten muß.« – »Ihr scheint mir indessen von Zeit zu Zeit Ausfälle zu machen« sprach d’Artagnan lachend und deutete abermals auf die Flaschen und Kasserole. – »Nein, leider nicht ich,« sagte Porthos. »Diese elende Verstauchung hält mich im Bett, aber Mousqueton zieht zu Felde und bringt Proviant mit. Mousqueton, mein Freund,« fuhr Porthos fort, »Ihr seht, daß wir Verstärkung bekommen, wir bedürfen einen Zusatz an Victualien.« – »Mousqueton,« sprach d’Artagnan, »Du mußt mir einen Gefallen thun.« – »Welchen, gnädiger Herr?« – »Du mußt mir Dein Recept für Planchet geben; ich könnte ebenfalls belagert werden, und es würde mir leid thun, wenn ich nicht dieselben Vortheile genöße, mit denen Du Deinen Herrn erfreust.« – »Ei, mein Gott, gnädiger Herr,« sprach Mousqueton mit bescheidener Miene, »nichts leichter auf der Welt. Man muß nur geschickt sein, das ist das Ganze. Ich bin im Felde aufgezogen worden, und mein Vater war in seinen müßigen Augenblicken ein wenig Wildschütze.« – »Und was machte er die übrige Zeit?« – »Gnädiger Herr, er trieb ein Gewerbe, das mir immer sehr glücklich vorkam.« – »Welches?«

»Da er in der Zeit der Kriege der Katholiken und Hugenotten lebte und sah, wie die Katholiken die Hugenotten und die Hugenotten die Katholiken ausrotteten. Alles im Namen der Religion, so hatte er sich einen gemischten Glauben gebildet, was ihm bald Katholik, bald Hugenott zu sein erlaubte. Er ging nun gewöhnlich, seine Stutzbüchse auf der Schulter, hinter den Hecken spazieren, welche die Wege begränzen, und wenn er einen Katholiken allein kommen sah, so gewann die protestantische Religion sogleich in seinem Innern die Oberhand. Er senkte seine Stutzbüchse in der Richtung des Reisenden, und wenn dieser etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, knüpfte er ein Gespräch an, welches beinahe immer damit endigte, daß ihm der Reisende, um sein Leben zu retten, seine Börse abtrat. Es versteht sich von selbst, daß er sich, wenn er einen Hugenotten erblickte, von einem so glühenden katholischen Eifer erfaßt fühlte, daß er gar nicht begriff, wie er eine Viertelstunde vorher an dem hohen Vorzug unserer heiligen Religion hätte zweifeln können. Denn ich, mein Herr, ich bin Katholik, während mein Vater, seinen Grundsätzen getreu, aus meinem älteren Bruder einen Hugenotten machte.«

»Und wie hat dieser würdige Mann geendet?« fragte d’Artagnan. – »Oh! auf die allerunglücklichste Weise, gnädiger Herr. Er befand sich eines Tags in einem Hohlweg zwischen einem Hugenotten und einem Katholiken. Er hatte bereits mit Beiden zu thun gehabt. Beide erkannten ihn wieder, vereinigten sich gegen ihn und hingen ihn an einem Baume auf. Dann kamen sie in das Wirthshaus des nächsten Dorfes, wo ich mit meinem Bruder trank, und erzählten den albernen Streich, den sie gemacht hatten.« – »Und was thatet Ihr?« sprach d’Artagnan. – »Wir ließen sie reden,« erwiederte Mousqueton; »da sie jedoch, als sie das Wirthshaus verließen, eine entgegengesetzte Route einschlugen, so legte sich mein Bruder an dem Wege des Katholiken und ich mich an dem des Protestanten in Hinterhalt. Zwei Stunden nachher war Alles vorbei. Wir hatten mit Jedem das Geschäft abgemacht, jedoch nicht ohne die Klugheit unseres Vaters zu bewundern, der so vorsichtig gewesen war, jeden von uns in einer andern Religion erziehen zu lassen.« – »In der That, Mousqueton, Dein Vater scheint, wie Du behauptest, ein sehr gescheidter Bursche gewesen sein. Und Du sagst also, der brave Mann habe in seinen müßigen Augenblicken das Wildschützenhandwerk getrieben?« – »Ja, gnädiger Herr, er hat mich eine Schlinge binden und mit Legangeln umgehen gelehrt. Als ich nun sah, daß uns unser Schurke von einem Wirth mit Massen von schwer verdaulichem Fleische, höchstens gut für Bauern und keineswegs zuträglich für zwei so sehr geschwächte Magen, fütterte, so pflegte ich wieder ein wenig mein altes Gewerbe. Während ich im Walde spazieren ging, legte ich Schlingen auf die Wechsel; während ich am Rande des Wassers lag, ließ ich Leinen in die Teiche gleiten. Auf diese Art fehlt uns, Gott sei Dank! jetzt nichts mehr, wie sich der gnädige Herr selbst überzeugen kann. Wir haben Feldhühner und Kaninchen, Karpfen und Aale, lauter leichte und gesunde, für Kranke zweckdienliche Nahrungsmittel.« – »Aber den Wein,« sprach d’Artagnan, »wer liefert den Wein? Euer Wirth?« – »Das heißt: ja und nein.« – »Wie, ja und nein?« – »Er liefert ihn allerdings, aber er weiß nicht, daß er diese Ehre hat.« – »Erklärt Euch näher, Mousqueton. Eure Unterhaltung ist äußerst lehrreich.« – »So hört, gnädiger Herr: der Zufall wollte, daß ich auf meinen Wanderungen einen Spanier traf, die viele Länder und unter Anderem auch die neue Welt gesehen hatte.« – »In welchem Zusammenhang kann die neue Welt mit den Flaschen stehen, die ich auf dem Schrank und auf der Kommode erblicke?« – »Geduld, gnädiger Herr, Alles zu seiner Zeit.« – »Das ist richtig, Mousqueton; fahre fort, ich höre.« – »Dieser Spanier hatte einen Lakaien in seinem Dienste, der mit ihm nach Mexiko gereist war. Dieser Lakai war ein Landsmann, und wir knüpften um so leichter ein freundschaftliches Verhältniß an, als eine große Ähnlichkeit der Charaktere zwischen uns stattfand. Wir liebten Beide ganz besonders die Jagd, und er erzählte mir, wie die Eingebornen des Landes auf den Ebenen von Pampas den Tiger und den Büffel ganz einfach mit Schlingen jagen, die sie den furchtbaren Thieren um den Hals werfen. Anfangs wollte ich nicht glauben, daß man einen solchen Grad von Geschicklichkeit erreichen könne, auf zwanzig bis dreißig Schritte das Ende des Strickes dahin zu werfen, wohin man will. Aber ich mußte die Wahrheit anerkennen, als er mir Proben zur Bestätigung seiner Behauptung ablegte. Mein Freund stellte eine Flasche auf dreißig Schritte Entfernung auf, und bei jedem Wurf faßte er den Hals mit der Schlinge. Ich übte mich in der Kunst, und da mich die Natur mit einigen Fähigkeiten ausgerüstet hat, so werfe ich heute den Lasso mit so viel Geschicklichkeit als irgend ein Mensch in der Welt. Nun begreift Ihr? Unser Wirth hat einen sehr wohl ausgerüsteten Keller, dessen Schlüssel er jedoch immer bei sich trägt. Dieser Keller hat aber ein Luftloch, durch dieses Luftloch werfe ich nun den Lasso, und da ich weiß, wo der rechte Winkel ist, so schöpfe ich aus diesem. Auf diese Art, gnädiger Herr, steht die neue Welt mit den Flaschen auf dem Schrank und auf der Kommode in Verbindung. Wollt Ihr nun unsern Wein kosten und uns ohne Vorurtheil sagen, was ihr davon denkt?« – »Ich danke, mein Freund, ich danke, ich habe leider schon gefrühstückt.« – »Gut,« sprach Porthos, »stelle den Tisch hieher, Mousqueton, und während wir frühstücken, wird uns d’Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen, seit er uns verlassen hat, begegnet ist.« – »Sehr gerne,« erwiederte d’Artagnan.

Während Porthos und Mousqueton mit dem Appetit von Wiedergenesenden und mit der brüderlichen Herzlichkeit frühstückten, welche die Menschen im Unglück einander näher bringt, erzählte d’Artagnan, wie Aramis in Crevecoeur verwundet zurückbleiben gemußt, wie er Athos zu Amiens in einem Handgemenge mit vier Menschen, die ihn der Falschmünzerei angeklagt, zurückgelassen hatte, und wie er, d’Artagnan, um England zu erreichen, genöthigt gewesen war, den Grafen von Wardes an den Boden zu spießen.

Damit endeten die Mittheilungen d’Artagnans; er sprach nur noch davon, daß er bei seiner Rückkehr aus Großbritannien vier prachtvolle Pferde mitgebracht habe, wovon eines für ihn, und ein anderes für jeden von seinen Gefährten; dann schloß er mit der Ankündigung, das für Porthos bestimmte stehe bereits im Stall des Gasthofes.

In diesen, Augenblick trat Planchet ein. Er meldete seinem Herrn, die Pferde seien hinreichend ausgeruht, und man könne wohl bis zum Abend Clermont erreichen und dort ein Lager suchen.

Da d’Artagnan in Beziehung auf Porthos ziemlich beruhigt war, und es ihn drängte, auch von seinen zwei andern Freunden Kunde zu erhalten, so reichte er dem Kranken die Hand und sagte ihm, er werde sogleich abreisen, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Er hoffe übrigens auf demselben Weg zurückzukehren und gedenke Porthos, wenn er sich in sechs bis acht Tagen noch im Hotel zum großen Sanct Martin befände, im Vorüberziehen mitzunehmen.

Porthos erwiederte, aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm seine Verstauchung die Abreise um diese Zeit noch nicht erlauben; überdies müsse er in Chantilly bleiben, um die Antwort seiner Herzogin abzuwarten.

D’Artagnan wünschte ihm ein baldiges und erfreuliches Eintreffen dieser Antwort, empfahl Porthos noch einmal der Sorge Mousqueton’s, bezahlte dem Wirth seine Rechnung und setzte seine Reise mit Planchet fort, der nun bereits von einem seiner Handpferde befreit war.

XXVI.

Die These von Aramis.

D’Artagnan hatte Porthos weder von der Wunde noch von der Procuratorsfrau Etwas gesagt. Es war ein sehr kluger Bursche, unser Bearner, trotz seiner Jugend. Er stellte sich, als glaube er Alles, was ihm der ruhmredige Musketier erzählte, wobei er von der Ueberzeugung ausging, daß man immer eine moralische Ueberlegenheit über die Menschen hat, deren Leben man kennt, ohne es sie sogleich fühlen zu lassen und ihren Stolz dadurch zu verletzen. D’Artagnan aber, der fest entschlossen war, seine drei Gefährten zu Werkzeugen seines Glückes zu machen und sie bei seinen zukünftigen Intriguen zu benützen, freute sich zum Voraus, in seiner Hand die unsichtbaren Fäden zu vereinigen, mit deren Hülfe er sie zu lenken gedachte.

Auf dem ganzen Marsch schnürte ihm jedoch eine gewaltige Traurigkeit das Herz zusammen. Er dachte an die junge und hübsche Frau Bonacieux, die ihm den Preis für seine Ergebenheit reichen sollte. Fügen wir jedoch sogleich bei, daß diese Traurigkeit bei dem jungen Mann weniger von der Klage über sein verlornes Glück herrührte, als von seiner Furcht, es könnte der armen Frau ein Unglück widerfahren sein. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, sie war das Opfer einer Rache des Kardinals; die Rache Sr. Eminenz war bekanntlich furchtbar. Wie hatte er Gnade vor den Augen dieses Ministers gefunden? Das wußte er sich selbst nicht zu erklären, und der Herr von Cavois würde ihm dies wohl enthüllt haben, wenn ihn der Kapitän der Garden zu Haufe getroffen hätte.

Nichts leiht der Zeit raschere Flügel, nichts kürzt den Weg so sehr ab, als ein Gedanke, der alle Fähigkeiten der Organisation des Denkenden verschlingt. Das äußere Dasein gleicht sodann einem Schlummer, dessen Traum dieser Gedanke ist; durch seinen Einfluß hat die Zeit kein Maaß, der Raum keine Entfernung mehr; man geht von einem Ort aus und kommt an einem andern an, das ist das Ganze. Von dem durchlaufenen Zwischenraum ist unserm Gedächtniß nichts gegenwärtig geblieben, als ein unbestimmter Nebel, in dem sich tausend verworrene Bilder von Bäumen, Bergen und Landschaften gegenseitig verwischen. In dieser Geistesabwesenheit legte d’Artagnan bei dem Gang, den sein Pferd zu nehmen beliebte, die sechs bis acht Meilen, welche Chantilly von Crevecoeur trennen, zurück, ohne daß er sich bei seiner Ankunft in diesem Dorfe eines der Dinge erinnerte, denen er auf seinem Ritt begegnet war.

Hier erst kehrte sein Gedächtniß zurück; er schüttelte den Kopf, bemerkte die Schenke, wo er Aramis gelassen hatte, und trabte auf das Thor zu. Diesmal war es kein Wirth, sondern eine Wirthin, die ihn empfing. D’Artagnan war Physiognomiker; er überschaute mit einem Blick das dicke, heitere Gesicht der Herrin des Ortes und begriff, daß es hier keiner Verstellung bedurfte, und daß er von Seiten einer so lustigen Physiognomie nichts zu fürchten hatte.

»Meine gute Dame,« fragte sie d’Artagnan, »könnt Ihr mir wohl sagen, was aus einem meiner Freunde geworden ist, den wir vor etwa zwölf Tagen hier zu lassen genöthigt waren?« – »Ein hübscher junger Mann von drei- bis vierundzwanzig Jahren, sanft, liebenswürdig, wohlgebaut?« – »So ist es, überdies an der Schulter verwundet.« – »Ganz richtig. Nun, mein Herr, er befindet sich immer noch hier.« – »Ah, bei Gott, meine liebe Dame,« sprach d’Artagnan absteigend und Planchet den Zügel seines Pferdes zuwerfend, »Ihr gebt mir das Leben wieder; wo ist dieser theure Aramis, damit ich ihn umarme? denn ich gestehe, es drängt mich, ihn wieder zu sehen.« – »Um Vergebung, gnädiger Herr, ich zweifle, ob er Euch in diesem Augenblicke empfangen kann.« – »Warum? Ist eine Frau bei ihm?« – »Jesus, mein Gott! der arme Junge! nein, gnädiger Herr, es ist keine Frau bei ihm.« – »Nun, wer ist denn bei ihm?« – »Der Pfarrer von Montdidier und der Superior der Jesuiten von Amiens.« – »Gott im Himmel!« rief d’Artagnan. »Sollte es mit dem armen Jungen so schlimm stehen?« – »Nein, gnädiger Herr, im Gegentheil, aber in Folge seiner Krankheit hat ihn die Gnade berührt, und er ist entschlossen, in den geistlichen Stand einzutreten,« – »Ganz richtig,« sprach d’Artagnan, »ich hatte vergessen, daß er nur vorläufig Musketier war.« – »Besteht der gnädige Herr immer noch darauf, ihn zu sehen?« – »Mehr als je.« – »Nun, der gnädige Herr darf nur die Treppe rechts im Hof hinaufgehen, im zweiten Stock Nro. 5.«

D’Artagnan eilte in der angegebenen Richtung weg und fand eine von den äußern Treppen, wie man sie noch heut zu Tage in den Höfen der alten Gasthäuser sieht. Aber man gelangte nicht aus diese Art in die Wohnung des zukünftigen Abbé; die Zugänge zu den Zimmern von Aramis waren nicht mehr und nicht minder bewacht, als die Gärten der Armida. Bazin stand in der Hausflur Wache und versperrte ihm den Weg mit um so größerer Unerschrockenheit, als er sich endlich dem Ziele nahe sah, nach welchem er ewig mit frommem Ehrgeiz gestrebt hatte. Der arme Bazin hatte stets davon geträumt, einem Manne der heiligen Kirche zu dienen, und er erwartete mit Ungeduld den Augenblick, den er unablässig in der Zukunft erblickt hatte, wo Aramis endlich die Uniform mit der Sutane vertauschen würde; nur das oft wiederholte Versprechen des jungen Mannes, daß dieser Augenblick nicht mehr lange ausbleiben könne, hatte ihn im Dienst eines Musketiers zurückgehalten, einem Dienst, wo, wie er sagte, seine Seele nothwendig zu Grunde gehen müßte.

Bazin schwamm also in einem Meer von Freude. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte sein Herr diesmal nicht wieder zurücktreten.

Das Zusammentreffen des körperlichen Schmerzes mit dem moralischen hatte endlich die so lang ersehnte Wirrung hervorgebracht. An Leib und Seele leidend, hatte Aramis seine Augen und seinen Geist auf die Religion gerichtet, und sein doppelter Unfall, das heißt, das plötzliche Verschwinden seiner Geliebten und seine Verwundung an der Schulter, war ihm als eine Verkündigung des Himmels erschienen.

Man begreift, daß Bazin bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nichts unangenehmer sein konnte, als die Ankunft d’Artagnans, welche seinen Herrn wieder in den Strudel weltlicher Gedanken, die ihn so lange fortgerissen hatten, zurückwerfen konnte. Er beschloß also, die Thüre muthig zu vertheidigen, und da er, insofern es bereits von der Wirthin verrathen war, nicht sagen konnte, Aramis befinde sich nicht zu Hause, so suchte er dem Ankommenden zu beweisen, es wäre der höchste Grad von Indiscretion, seinen Herrn in der frommen Konferenz zu stören, die schon am Morgen angefangen habe und nach der Aussage Bazins vor Abend nicht zu Ende gehen konnte.

Aber d’Artagnan nahm keine Rücksicht auf die Beredsamkeit des Meisters Bazin, und da er es nicht über sich gewinnen konnte, sich in eine Polemik mit dem Diener seines Freundes einzulassen, so schob er ihn ganz einfach mit einer Hand aus die Seite und drehte mit der andern den Knopf der Thüre von Nro. S.

Die Thüre öffnete sich und d’Artagnan trat in das Zimmer ein.

Aramis saß in einem schwarzen Oberrock mit einer runden und platten Kopfbedeckung, welche nicht wenig Ähnlichkeit mit einer Calotte hatte, vor einem länglichen, mit Papierrollen und ungeheuren Folianten bedeckten Tische. Zu seiner Rechten saß der Superior der Jesuiten, zu seiner Linken der Pfarrer von Montdidier. Die Vorhänge waren halb geschlossen und ließen nur ein mystisches, glückseliger Träumerei entsprechendes Licht eindringen. Alle weltlichen Gegenstände, welche das Auge berühren, wenn man in das Zimmer eines jungen Mannes eintritt, und besonders, wenn dieser junge Mann ein Musketier ist, waren wie durch einen Zauber verschwunden, und ohne Zweifel hatte die Furcht, ihr Anblick möchte seinen Herrn auf Gedanken von dieser Welt zurückbringen, Bazin veranlaßt, den Degen, die Pistolen, den Federhut und die Stickereien und Spitzen jeder Art und Gattung bei Seite zu schaffen.

Aber an ihrer Stelle glaubte d’Artagnan in einem dunkeln Winkel etwas wie eine Geißel an einem Nagel hängen zu sehen.

Bei dem Geräusch, das d’Artagnan verursachte, als er die Thüre öffnete, hob Aramis seinen Kopf in die Höhe und erkannte sogleich den Freund. Aber zum großen Erstaunen des jungen Mannes schien sein Anblick keinen großen Eindruck auf den Musketier hervorzubringen, so sehr hatte sich sein Geist von allen irdischen Dingen losgeschält.

»Guten Morgen, mein lieber d’Artagnan,« sprach Aramis, »glaubt mir, daß ich mich unendlich freue. Euch wiederzusehen.«

»Und ich Euch,« erwiderte d’Artagnan, »obgleich ich noch nicht ganz gewiß weiß, ob es Aramis ist, mit dem ich spreche.«

»Mit ihm selbst, mein Freund, mit ihm selbst, aber was konnte Dich zu einem Zweifel veranlassen …«

»Ich fürchtete mich im Zimmer zu täuschen und glaubte Anfangs in die Wohnung eines Tieners der heiligen Kirche einzutreten. Dann erfaßte mich ein neuer Schrecken, als ich Euch in Gesellschaft dieser Herren fand, denn ich glaubte, Ihr wäret ernstlich krank.«

Die zwei schwarzen Herren schleuderten d’Artagnan, dessen Absicht sie begriffen, einen drohenden Blick zu, aber d’Artagnan kümmerte sich nicht darum.

»Ich störe Euch vielleicht, lieber Aramis,« fuhr er fort, »denn nach dem, was ich sehe, muß ich glauben, daß Ihr diesen Herren Beichte ableget.«

Aramis erröthete unmerklich.

»Ihr mich stören! ei, ganz im Gegentheil, lieber Freund; das schwöre ich Euch. Und zum Beweise erlaubt mir vor Allem mich zu freuen, daß ich Euch gesund und wohlbehalten wiedersehe.«

»Ah, nun kommt er endlich,« dachte d’Artagnan, »es steht nicht ganz schlimm!«

»Denn dieser Herr, mein Freund, ist einer dräuenden Gefahr entgangen,« fuhr Aramis salbungsreich fort, indem er mit der Hand auf d’Artagnan deutete.

»Lobet Gott, mein Herr,« erwiederten die zwei Geistlichen und verbeugten sich gleichzeitig.

»Ich habe dies nicht versäumt, ehrwürdige Herren,« antwortete der junge Mann und gab ihnen den Gruß zurück.

»Ihr kommt zu gelegener Zeit, lieber d’Artagnan; Ihr werdet an der Diskussion Theil nehmen und sie mit Eurem Lichte erleuchten. Der Herr Prinzipal von Amiens, der Herr Pfarrer von Montdidier und ich argumentiren über gewisse theologische Fragen, deren Interesse uns seit geraumer Zeit in Anspruch nimmt. Ich werde entzückt sein, Eure Meinung darüber zu vernehmen.«

»Die Meinung eines Mannes vom Schwerte entbehrt jeglichen Gewichts,« antwortete d’Artagnan, der über die Wendung, welche die Dinge nahmen, unruhig zu werden anfing, »und Ihr könnt Euch, glaubt mir, ganz an die Wissenschaft dieser Herren halten.«

»Im Gegentheil,« versetzte Aramis, »Eure Meinung wird höchst werthvoll für uns sein. Hört, warum es sich handelt: der Herr Prinzipal glaubt, meine These müsse hauptsächlich dogmatisch und didaktisch sein.«

»Eure These! Ihr macht also eine These?«

»Allerdings,« antwortete der Jesuit, »für die Prüfung, die der Ordination vorhergeht, ist eine These unerläßlich.«

»Der Ordination!« rief d’Artagnan, welcher nicht glauben konnte, was ihm die Wirthin und Bazin gesagt hatten. »Ordination!« wiederholte er, und ließ seine Äugen erstaunt auf den drei Personen, welche er vor sich hatte, umher laufen.

»Da nun,« fuhr Aramis fort, indem er auf seinem Fauteuil eine Haltung annahm, als säße er in einem Chorstuhl, und zugleich seine frauenhaft weiße und fleischige Hand, die er in der Luft hielt, um das Blut zurückkehren zu machen, wohlgefällig betrachtete; »da nun, wie Ihr gehört habt, d’Artagnan, der Herr Prinzipal meine These dogmatisch haben will, während ich wünsche, daß sie ideal sein möchte, so hat mir der Herr Prinzipal nachfolgenden Gegenstand vorgeschlagen, welcher noch nicht behandelt worden ist, und worin ich allerdings Stoff zu prachtvollen Entwickelungen finden werde:

» Utramque manum in benedicendo clericis inferioribus necessariae sit

D’Artagnan, dessen wissenschaftliche Bildung wir kennen, veränderte sein Gesicht bei diesem Citat so wenig als bei demjenigen, das ihm Herr von Treville in Beziehung auf die Geschenke gemacht hatte, von denen er glaubte, er habe sie vom Herzog von Buckingham erhalten.

»Was so viel heißen will,« fuhr Aramis fort, um ihn, die Sache zu erleichtern: »die zwei Hände sind für die Priester der niederen Ordnung unerläßlich, wenn sie den Segen geben.«

»Ein bewunderungswürdiger Gegenstand!« rief der Jesuit.

»Bewunderungswürdig und dogmatisch,« wiederholte der Pfarrer, der, im Lateinischen ungefähr eben so bewandert, wie d’Artagnan, sorgfältig den Jesuiten beobachtete, um gleichen Schritt mit ihm zu halten und seine Worte wie ein Echo zu wiederholen.

D’Artagnan blieb vollkommen gleichgültig bei der Begeisterung der zwei schwarzen Männer.

»Ja bewunderungswürdig! prorsus admirabile!« fuhr Aramis fort, »aber es heischt ein großes Studium der Kirchenväter und der heiligen Schrift. Ich erkläre nun diesen gelehrten geistlichen Herren, und zwar in aller Demuth, daß ich in der Wachtstube der Musketiere und beim Dienste des Königs dieses Studium etwas vernachläßigt habe. Ich würde mich bequemer, facilius natans, bei einem Gegenstande meiner Wahl finden, der bei diesen rein theologischen Fragen das wäre, was die Moral für die Metaphysik in der Philosophie ist.«

D’Artagnan langweilte sich sehr.

»Seht, welches Exordium!« rief der Jesuit.

»Exordium!« wiederholte der Pfarrer, um etwas zu sagen.

» Quem ad modum inter colorum immensitatem!«

Aramis warf einen Seitenblick auf d’Artagnan und sah ihn dergestalt gähnen, daß er den Kiefer beinahe ausrenkte.

»Sprechen wir Französisch, mein Vater,« sagte er zu dem Jesuiten, »Herr d’Artagnan wird mehr Genuß an unseren Worten finden.«

»Ja, ich bin müde von der Reise,« sagte d’Artagnan, »und alles Latein entgeht mir.«

»Vor Allem,« sprach der Jesuit, etwas aus der Fassung gebracht, während der Pfarrer äußerst erfreut d’Artagnan voll Dankbarkeit anschaute; »betrachtet einmal den Nutzen, den man aus dieser Glosse ziehen könnte.«

»Moses, ein Diener Gottes … er ist nur ein Diener, versteht Ihr wohl, Moses segnet mit den Händen, er läßt sich die zwei Arme halten, während die Hebräer ihre Feinde schlagen. Er segnet also mit beiden Händen. Ueberdies sagt das Evangelium: Imposuite manus, und nicht manum, leget die Hände auf, und nicht die Hand.«

»Leget die Hände auf,« wiederholte der Pfarrer mit einer Geberde.

»Bei dem heiligen Petrus dagegen, dessen Nachfolger die Päpste sind,« fuhr der Jesuit fort: » porrige digitos, strecket die Finger aus. Begreift Ihr das nun?«

»Gewiß,« erwiederte Aramis, der ein Vergnügen an dieser Abhandlung zu haben schien, »gewiß, aber die Sache ist sehr kitzeliger Natur.«

»Die Finger,« wiederholte der Jesuit; »der heilige Petrus segnete mit den Fingern. Der Papst segnet also auch mit den Fingern. Und mit wie viel Fingern segnet er? Mit drei Fingern. Einen für den Vater, einen für den Sohn und einen für den heiligen Geist.«

Alle Anwesenden bekreuzten sich.

D’Artagnan glaubte dieses Beispiel nachahmen zu müssen.

»Der Papst ist der Nachfolger des heiligen Petrus und stellt die drei göttlichen Gewalten dar. Der Rest, ordines inferiores der kirchlichen Hierarchie, erscheint im Namen der heiligen Erzengel und Engel. Die niedersten Geistlichen, wie unsere Diakone und Sakristane, segnen mit den Weihwedeln, welche als eine unbegränzte Zahl von segnenden Fingern zu betrachten sind. Dies ist der ganze auf seine Einfachheit zurückgeführte Gegenstand, Argumentum omni denutatum ornamento. Aus diesem,« fuhr der Jesuit fort, »wollte ich zwei Bände von dem Umfang des Folianten hier machen.«

Und in seiner Begeisterung schlug er auf den heiligen Chrysostomus in Folio, daß der Tisch sich unter seinem Gewichte bog.

D’Artagnan bebte.

»Ich lasse gewiß den Schönheiten dieser These Gerechtigkeit widerfahren,« sagte Aramis, »aber ich muß zu gleicher Zeit erkennen, daß ich ihrer Last erliegen würde. Ich hatte folgenden Text gewählt; sagt mir, lieber d’Artagnan, ob er Eurem Geschmack entspricht: Non inutile est desiderium in oblatione, oder besser: Etwas Bedauern bei dem Opfer, das ich dem Herrn darbringe, steht mir nicht übel an.«

»Halt!« rief der Jesuit, »diese These riecht nach Ketzerei. Es ist ein ähnlicher Vorschlag in dem Augustinus des Ketzervaters Jansen enthalten, dessen Buch früher oder später von Henkershand verbrannt werden wird. Nehmt Euch in Acht, mein junger Freund, Ihr neigt Euch zu falschen Lehren, Ihr richtet Euch zu Grunde, mein junger Freund.«

»Ihr richtet Euch zu Grunde,« sprach der Pfarrer schmerzlich den Kopf schüttelnd.

»Ihr berührt den bekannten Punkt vom freien Willen, der eine menschliche Klippe ist. Ihr greift die Insinuationen der Pelagianer und Semi-Pelagianer an.«

»Aber, ehrwürdiger Herr …,« versetzte Aramis, etwas betäubt von dem Hagel von Argumenten, der auf seinen Kopf fiel.

»Wie wollt Ihr beweisen,« fuhr der Jesuit fort, ohne daß er ihm zum Sprechen Zeit ließ, »wie wollt Ihr beweisen, daß man die Welt bedauern muß, wem. man Gott ein Opfer darbringt? Hört folgendes Dilemma: Gott ist Gott, und die Welt ist der Teufel. Die Welt bedauern, heißt den Teufel bedauern. Das ist mein Schluß.«

»Das ist auch der meinige,« sagte der Pfarrer.

»Aber ich bitte …« versetzte Aramis.

» Desideras diabolum! Unglücklicher!« rief der Jesuit.

»Er bedauert den Teufel. Ha! mein junger Freund,« sprach der Pfarrer seufzend, »bedauert den Teufel nicht, darum bitte ich Euch.«

D’Artagnan wirbelte es im Kopfe. Es kam ihm vor, als sei er in einem Narrenhaus und solle ein Narr werden, wie diejenigen, welche er vor sich sah. Nur war er genöthigt zu schweigen, da er die Sprache nicht verstand, welche man in seiner Gegenwart sprach.

»Aber hört mich doch,« sagte Aramis mit einer Höflichkeit, unter der etwas Ungeduld durchzuscheinen anfing; »ich sage nicht, daß ich bedaure, nein; ich werde nie dieses Wort aussprechen, welches nicht orthodox wäre …«

Der Jesuit hob die Arme zum Himmel auf und der Pfarrer that dasselbe.

»Nein, aber gebt wenigstens zu, daß es nicht sehr schön ist, dem Herrn nur das anzubieten, was man mit gänzlichem Ueberdruß und Widerwillen betrachtet. Habe ich Recht, d’Artagnan?«

»Ich glaube, bei Gott!« rief dieser.

Der Pfarrer und der Jesuit sprangen von ihren Stühlen auf.

»Folgendes ist mein Ausgangspunkt; es ist ein Syllogismus: Es fehlt der Welt nicht an Reizen, ich verlasse die Welt, folglich bringe ich ein Opfer; nun sagt aber die Schrift ganz bestimmt: Bringt dem Herrn ein Opfer dar.«

»Das ist wahr,« sprachen die Antagonisten.

»Und dann,« sagte Aramis, sich in das Ohr kneipend, um es roth zu machen, wie er die Hände schüttelte, damit sie weiß wurden, »und dann habe ich hierüber ein gewisses Ringelgedicht gemacht, das ich im vorigen Jahre Herrn Voviture mittheilte und worüber mir dieser große Mann tausend Komplimente sagte.«

»Ein Ringelgedicht?« sagte der Jesuit verächtlich.

»Ein Ringelgedicht?« sprach der Pfarrer maschinenmäßig.

»Sprecht, sprecht,« rief d’Artagnan, »das bringt ein wenig Abwechslung in die Sache.«

»Nein, es ist religiöser Natur,« antwortete Aramis, »es ist Theologie in Versen.«

»Teufel,« murmelte d’Artagnan.

»Hört,« sagte Aramis mit einer bescheidenen Miene, welche nicht ganz von einer gewissen Färbung von Heuchelei frei war:

O weinet nicht um früh entschwundne Freuden,
Vertraut auf Gott
In eurer Noth,
Er wird gewißlich enden eure Leiden.

D’Artagnan und der Pfarrer schienen erfreut, der Jesuit beharrte bei seiner Meinung.

»Hütet Euch vor dem profanen Geschmack im theologischen Styl. Was sagt der heilige Augustin? Severus sit clericorum sermo.«

»Ja, die Rede sei klar,« sprach der Pfarrer.

»Eure These,« unterbrach ihn der Jesuit rasch, als er sah, daß sein Acolyt vom rechten Weg abkam, »Eure These wird höchstens den Damen gefallen. Sie wird den Erfolg einer Proceßrede von Herrn Patrou haben.«

»Möge es Gott gefallen!« rief Aramis entzückt.

»Ihr seht es,« rief der Jesuit, »die Welt spricht noch mit lauter Stimme in Euch. Altissima voce. Ihr folgt der Welt, Freund, und ich fürchte, die Gnade ist noch nicht ganz wirksam.«

»Beruhigt Euch, ehrwürdiger Herr, ich stehe für mich.«

»Weltliche Anmaßung!«

»Ich kenne mich, mein Vater, mein Entschluß ist unwiderruflich.«

»Also besteht Ihr darauf, diese These auszuführen?«

»Ich fühle mich berufen, diese und keine andere zu behandeln. Ich will sie fortsetzen und Ihr werdet hoffentlich mit den Verbesserungen zufrieden sein, die ich nach Eurem Rathe daran vorgenommen habe.«

»Arbeitet langsam,« sprach der Pfarrer, »wir lassen Euch in vortrefflicher Stimmung zurück.«

»Ja der Boden ist ganz eingesäet,« sagte der Jesuit, »und wir haben nicht zu befürchten, daß ein Theil des Korns auf einen Felsen, ein anderer an den Weg falle, und daß die Vögel des Himmels das Uebrige fressen. Aves coeli comederunt illam.«

»Die Pest ersticke Dich mit Deinem Latein,« sagte d’Artagnan, der kaum mehr an sich halten konnte.

»Gott befohlen, mein Sohn,« sprach der Pfarrer, »morgen also.«

»Morgen, junger Verwegener,« sagte der Jesuit, »Ihr versprecht ein Licht der Kirche zu werden. Wolle der Himmel, daß dieses Licht zu einem verzehrenden Feuer werde.«

Die zwei schwarzen Männer standen auf, grüßten Aramis und d’Artagnan und gingen nach der Thüre. Bazin, der im Zimmer stehen geblieben war und die ganze Controverse mit frommem Jubel gehört hatte, stürzte ihnen entgegen, nahm das Brevier des Pfarrers, das Meßbuch des Jesuiten und marschirte ehrfurchtsvoll vor ihnen her, um ihnen den Weg zu bahnen.

Aramis begleitete sie bis unten an die Treppe und kam sogleich wieder zu d’Artagnan zurück, der noch in Träume versunken war.

Als die zwei Freunde einander allein gegenüber standen, beobachteten sie Anfangs ein verlegenes Stillschweigen. Einer mußte es jedoch brechen, und da d’Artagnan entschlossen schien, die Ehre seinem Freund zu überlassen, so fing dieser an: – »Ihr seht, daß ich zu meinem Grundgedanken zurückgekehrt bin.« – »Ha, die wirksame Gnade hat Euch berührt, wie dieser Herr so eben sagte.« – »Oh, der Plan, mich zurückzuziehen, hat sich längst gebildet, und Ihr habt mich bereits davon sprechen hören, nicht wahr, mein Freund?« – »Allerdings, aber ich glaubte, Ihr wolltet scherzen.« – »Mit solchen Dingen? Oh! d’Artagnan!« – »Gott verdamme mich, man scherzt auch mit dem Tode.« – »Und man hat Unrecht, d’Artagnan, denn der Tod ist die Pforte, welche zum Heil oder zum Verderben führt.« – »Einverstanden! aber lassen wir die Theologie bei Seite, wenn es Euch beliebt, Aramis. Ihr müßt für den Rest des Tages genug haben. Ich, meines Theils, habe das wenige Latein, was ich nie konnte, völlig vergessen. Dann muß ich gestehen, daß ich seit diesem Morgen um zehn Uhr ohne Speise und Trank geblieben bin und einen ganz teufelmäßigen Hunger habe.« – »Wir werden sogleich zu Mittag speisen, lieber Freund; nur erinnert Euch, daß es heute Freitag ist, und an einem solchen Tag kann ich weder Fleisch essen, noch essen sehen. Wollt Ihr Euch mit meinem Mittagsbrod begnügen? es besteht aus gekochten Vierecken und Obst.« – »Was versteht Ihr unter Vierecken?« fragte d’Artagnan unruhig. – »Ich verstehe darunter Spinat,« erwiederte Aramis. »Aber für Euch werde ich Eier beifügen lassen, und das ist eine schwere Verletzung der Vorschrift, denn die Eier sind Fleisch, da sie das Huhn erzeugen.« – »Dieses Mahl ist eben nicht sehr saftig; doch gleich viel, um bei Euch zu bleiben, will ich mich dem unterziehen.« – »Ich bin Euch dankbar für dieses Opfer,« sprach Aramis; »aber wenn es Eurem Körper nichts nützt, so wird es doch Eurer Seele nützen, das könnt Ihr überzeugt sein.« – »Also Ihr tretet entschieden in den geistlichen Stand ein, Aramis? Was werden Eure Freunde, was wird Herr von Treville sagen? sie werden Euch als Deserteur behandeln, das sage ich Euch zum Voraus.« – »Ich trete nicht in den geistlichen Stand ein, ich trete zu demselben zurück. Ich hatte die Kirche der Welt zu Liebe verlassen, denn Ihr wißt, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um die Kasake des Musketiers zu nehmen.« – »Ich, ich weiß nichts davon.« – »Wie? Ihr wißt nicht, wie ich das Seminar verlassen habe?« – »Nein.« – »Hört meine Geschichte; übrigens sagt die Schrift, beichtet einander, und ich lege Euch meine Beichte ab, d’Artagnan.« – »Und ich gebe Euch zum Voraus die Absolution; Ihr wißt, daß ich ein guter Kerl bin.« – »scherzt nicht mit heiligen Dingen, mein Freund.« – »So sprecht also, ich höre.«

»Ich war im Seminar von meinem neunten Jahr und zählte jetzt einundzwanzig; noch drei Tage, und ich wäre Abbé geworden und Alles wäre abgethan gewesen. Als ich mich eines Abends meiner Gewohnheit gemäß in ein Haus begab, das ich oft besuchte – was wollt Ihr? man ist jung, man ist schwach – trat ein Offizier, der es mit eifersüchtigem Auge sah, daß ich der Gebieterin des Hauses das Leben der Heiligen vorlas, plötzlich und unangemeldet ein. Gerade an diesem Abend hatte ich eine Episode von Judith übersetzt und ich theilte meine Verse der Dame mit, welche mir alle mögliche Complimente darüber sagte und sie, über meine Schulter geneigt, mit mir zum zweiten Male las. Die Stellung, welche – ich kann es nicht läugnen – etwas nachlässig war, verletzte den Offizier: er sagte nichts, aber als ich wegging, folgte er mir; er holte mich ein und sprach: ›Herr Abbé liebt Ihr Stockschläge?‹

›Ich kann es nicht sagen, mein Herr,‹ erwiederte ich, ›da es Niemand gewagt hat, mir solche zu geben.‹

›Nun, so hört mich, Herr Abbé: wenn Ihr noch einmal in das Haus kommt, wo ich Euch getroffen habe, so werde ich es wagen.‹

»Ich glaube, ich hatte Furcht; ich wurde bleich, ich fühlte, daß die Beine beinahe unter mir brachen, ich suchte eine Antwort, fand keine und schwieg.

»Der Offizier erwartete eine Antwort, und da er sah, daß sie ausblieb, so lachte er, wandte mir den Rücken und ging in das Haus zurück.

»Ich begab mich in das Seminar.

»Ich bin ein guter Edelmann und habe lebhaftes Blut, wie Ihr bemerken konntet, mein lieber d’Artagnan. Die Beleidigung war furchtbar, und obgleich die Welt nichts davon erfahren hatte, so fühlte ich doch, daß sie in der Tiefe meines Herzens tobte. Ich erklärte meinen Oberen, ich sei nicht hinreichend für die Ordination vorbereitet, und auf meine Bitte verschob man die Ceremonie um ein Jahr.

»Dann suchte ich den besten Fechtmeister von Paris auf; ich schloß einen Vertrag mit ihm ab, dem zu Folge er mir jeden Tag eine Lection in der Fechtkunst zu geben hatte, und ein ganzes Jahr lang nahm ich diese Lection jeden Tag. Am Jahrestag der mir widerfahrenen Beleidigung hängte ich meine Sutane an einen Nagel, legte ein vollständiges Cavaliercostüm an und ging auf einen Ball, den eine mir befreundete Dame gab, wo ich meinen Mann zu treffen überzeugt sein konnte. Es war in der Rue des Francs-Bourgeois, ganz nahe bei der Force.

»Mein Offizier hatte sich wirklich eingefunden; ich näherte mich ihm, als er unter zärtlichen Blicken auf eine Dame ein Lieblingslied sang, und unterbrach ihn mitten in der ersten Strophe.

›Mein Herr,‹ sprach ich, ›mißfällt es Euch immer noch, wenn ich ein gewisses Haus der Rue Payenne besuche, und werdet Ihr mir immer noch Stockschläge geben, wenn es mir einfällt, Euch ungehorsam zu sein?‹

»Der Offizier sah mich erstaunt an und sagte:

›Was wollt Ihr von mir, mein Herr? ich kenne Euch nicht.‹

›Ich bin der kleine Abbé,‹ erwiederte ich, ›der das Leben der Heiligen vorliest und Judith in Verse übersetzt.‹

›Ah, ah, ich erinnere mich,‹ sprach der Offizier mit gleichgültigem Lachen, ›was wollt Ihr von mir?‹

›Ich wollte, Ihr hättet Muße, einen Spaziergang mit mir zu machen.‹

›Morgen früh, wenn Ihr wollt, und zwar mit dem größten Vergnügen.‹

›Nein, nicht morgen früh, wenn es Euch beliebt, sondern sogleich.‹

›Wenn Ihr es durchaus verlangt…‹

›Ja ich verlange es.‹

›So laßt uns gehen. – Meine Damen,‹ sprach der Offizier, ›laßt Euch nicht stören. Ich brauche nur so viel Zeit, um diesen Herrn zu tödten, und werde dann sogleich zurückkommen und meine zweite Strophe vollenden.‹

»Wir entfernten uns.«

»Ich führte ihn in die Rue Payenne gerade an die Stelle, wo er mir ein Jahr vorher zur selben Stunde das erwähnte Compliment gemacht hatte. Es war herrlicher Mondenschein. Wir nahmen den Degen in die Hand, und mit dem ersten Stoß streckte ich ihn maustodt zur Erde.«

»Teufel!« rief d’Artagnan.

»Da nun,« fuhr Aramis fort, »die Damen ihren Sänger nicht zurückkommen sahen und man ihn in der Rue Payenne mit einem gewaltigen Degenstich durch den Leib fand, so dachte man, ich hätte ihn aus diese Weise gebettet, und die Sache erregte Aufsehen. Ich war also genöthigt, für einige Zeit auf die Sutane zu verzichten. Athos, dessen Bekanntschaft ich um diese Zeit machte, und Porthos, der mir außer meinen Lectionen einige Fechterkunstgriffe beigebracht hatte, bestimmten mich, um eine Musketierkasake zu bitten. Der König, der meinen Vater, welcher bei der Belagerung von Arras getödtet worden war, sehr lieb gehabt hatte, bewilligte mir diese Gnade. Ihr begreift nun, daß heute für mich der Augenblick gekommen ist, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.«

»Und warum eher heute, als gestern und morgen? Was ist Euch heute begegnet, das Euch auf so abscheuliche Gedanken bringt?« – »Diese Wunde, mein lieber d’Artagnan, war mir eine Verkündigung des Himmels.« – »Diese Wunde! bah! sie ist beinahe geheilt, und ich bin überzeugt, daß es heute nicht diese ist, welche Euch am meisten leiden macht.«

Aramis‘ Auge funkelte unwillkührlich.

»Ah!« sprach er, die Bewegung in seinem Innern unter einer geheuchelten Gleichgültigkeit verbergend, »sprecht mir nicht von solchen Dingen! Ich an dergleichen Dinge denken! Ich Liebeskummer haben! Vanitas vanitatum! Ich sollte mir, Eurer Meinung nach, das Hirn verdreht haben! Und für wen? Für eine Kammerjungfer oder irgend eine Bürgerdirne, der ich in einer Garnison den Hof gemacht hätte? Pfui!« – »Verzeiht, mein lieber Aramis, aber ich glaubte, Eure Blicke wären etwas höher gerichtet.« – »Höher, und was bin ich, was berechtigte mich, zu einem solchen Stolze? Ein bettelarmer, unbekannter Musketier, der die Sklaverei haßt und sich in der Welt durchaus nicht an seinem Platze sieht.« – »Aramis, Aramis!« rief d’Artagnan und schaute seinen Freund mit zweifelhafter Miene an. – »Staub, kehre ich in den Staub zurück,« fuhr Aramis fort. »Das Leben ist voll von Demüthigungen und Schmerzen,« sagte er düster werdend; »alle Fäden, die es mit dem Glücke verknüpfen, brechen nach einander in der Hand des Menschen ab, und besonders die goldenen Fäden. Oh! mein lieber d’Artagnan,« fuhr er mit einem leichten Anflug von Bitterkeit fort, »verbergt Eure Wunden wohl, wenn Ihr welche habt. Das Stillschweigen ist die letzte Freude der Unglücklichen. Hütet Euch wohl, irgend Jemand auf die Spur Eurer Schmerzen zu bringen. Die Neugierigen pumpen unsere Thränen aus, wie die Fliegen das Blut eines verwundeten Hirsches.« – »Ach! mein lieber Aramis,« sprach d’Artagnan ebenfalls einen Seufzer ausstoßend. »Was Ihr da sagt, ist gerade meine Geschichte.« – »Wie?« – »Ja, eine Frau, die ich liebte. die ich anbetete, ist mir mit Gewalt entführt worden. Sie ist vielleicht eingekerkert, vielleicht todt.« – »Aber Ihr habt doch wenigstens den Trost, Euch sagen zu können, daß sie Euch nicht freiwillig verlassen hat, daß ihr, wenn Ihr keine Kunde von ihr erhaltet, alle Verbindung mit Euch untersagt ist, während …« – »Während?« – »Nichts,« erwiederte Aramis, »nichts.« – »Also entsagt Ihr der Welt für immer? Das ist Euer fester, unwiderruflicher Entschluß?« »Für immer. Ihr seid heute mein Freund, morgen werdet Ihr für mich nur ein Schatten sein, oder vielmehr Ihr werdet gar nicht für mich bestehen. Was die Welt betrifft, so ist sie ein Grab und nichts Anderes.« – »Teufel! das ist sehr traurig, was Ihr mir da sagt.« – »Was wollt Ihr? Mein Beruf zieht mich fort, reißt mich hin.«

D’Artagnan lächelte und antwortete nicht. Aramis fuhr fort:

»Und dennoch hatte ich, während ich noch an der Welt halte, gerne mit Euch über Euch und über unsere Freunde gesprochen.«

– »Und ich,« sagte d’Artagnan, »hätte gerne über Euch selbst gesprochen; aber ich sehe Euch so sehr von Allein losgeschält. Die Liebe behandelt Ihr mit Pfui, die Freunde sind Schatten, die Welt ist ein Grab.« – »Ach, Ihr werdet es an Euch selbst erfahren,« sprach Aramis mit einem Seufzer. – »Es sei also unter uns nicht mehr die Rede davon,« sagte d’Artagnan, »und wir wollen diesen Brief verbrennen, der Euch ohne Zweifel eine neue Treulosigkeit von Eurer Grisette oder von Eurer Kammerjungfer ankündigte.« – »Welchen Brief?« rief Aramis lebhaft. – »Einen Brief, der in Eurer Abwesenheit für Euch eingetroffen ist, und den man mir für Euch übergeben hat.« – »Aber von wem ist dieser Brief?« – »Von irgend einer thränenreichen Zofe, von einer verzweiflungsvollen Grisette, vielleicht von der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse, welche genöthigt gewesen sein wird, mit ihrer Gebieterin nach Tours zurückzukehren, und ohne Zweifel aus eitel Gefallsucht parfümiertes Papier genommen und ihren Brief mit einer Herzogskrone versiegelt hat.« – »Was sagt Ihr da?« – »Ich werde ihn wohl verloren haben,« sprach der junge Mann, indem er sich den Anschein gab, als suchte er das Schreiben. »Zum Glück ist die Welt ein Grab, die Menschen und folglich die Frauen nur Schatten, die Liebe ist ein Gefühl, über das Ihr Pfui macht.« – »Ah, d’Artagnan!« rief Aramis, »Du tödtest mich.« – »Da ist er endlich,« sprach d’Artagnan und zog den Brief aus seiner Tasche.

Aramis sprang auf, nahm den Brief und las oder vielmehr verschlang ihn; sein Antlitz strahlte.

»Die Zofe scheint einen hübschen Styl zu haben,« sagte d’Artagnan nachlässig.

»Ich danke, d’Artagnan!« rief Aramis beinahe außer sich. »Sie hat sich genöthigt gesehen, nach Tours zurückzukehren, Sie ist mir nicht ungetreu; sie liebt mich noch. Komm, mein Freund, komm, daß ich Dich umarme, das Glück erstickt mich!«

Und die zwei Freunde fingen an, um den ehrwürdigen Sankt Chrysostomus zu tanzen, und stampften mit den Füßen auf die Blätter der These, welche auf den Boden gefallen waren.

In diesem Augenblick trat Bazin mit dem Spinat und dem Eierkuchen ein.

»Fleuch, Unglücklicher!« rief Aramis, und warf ihm seine Calotte ins Gesicht. »Kehre dahin zurück, wo Du hergekommen bist, bringe dieses furchtbare Gemüse und die abscheuliche Beilage weg! Verlange einen gespickten Hasen, einen fetten Kapaun, eine Hammelskeule mit Knoblauch und vier Flaschen alten Burgunder.«

Bazin, der seinen Herrn anschaute und diese Veränderung durchaus nicht begreifen konnte, ließ schwermüthig den Eierkuchen in den Spinat und den Spinat auf den Boden fallen.

»Das ist der Augenblick, Euer Dasein dem König der Könige zu opfern,« sprach d’Artagnan, »wenn Ihr ihm eine Artigkeit erzeigen wollt. Non inutile desiderium in oblatione

»Geht zum Teufel mit Eurem Latein! Laßt uns trinken, lieber d’Artagnan, Tod und Teufel! laßt uns trinken und erzählt mir ein wenig, was da unten vorgefallen ist.«

XXVII.

Die Frau von Athos.

»Wir müssen uns nun noch Kunde von Athos verschaffen,« sagte d’Artagnan dem munter gewordenen Aramis, als er ihn von dem, was seit ihrer Abreise in der Hauptstadt vorgefallen war, in Kenntniß gesetzt, und nachdem ein vortreffliches Mittagsbrod den Einen seine These, den Andern seine Müdigkeit vergessen gemacht hatte.

»Glaubt Ihr also, es könnte ihm ein Unglück widerfahren sein?« fragte Aramis. »Athos ist so kaltblütig, so muthig und weiß seinen Degen so geschickt zu handhaben.« – »Allerdings, und Niemand ist mehr geneigt, als ich, den Muth und die Geschicklichkeit von Athos anzuerkennen, aber ich lasse mich lieber mit Lanzen als mit Knitteln angreifen. Ich fürchte, Athos ist von dem Bedientenvolk gestriegelt worden. Die Knechte sind Leute, welche gewaltig schlagen und nicht so bald aufhören. Das ist der Grund, warum ich so schnell als möglich abzureisen wünsche.« – »Ich werde es versuchen, Euch zu begleiten,« sagte Aramis, »obgleich ich mich kaum im Stande fühle, zu Pferd zu steigen. Gestern versuchte ich die Geißel, welche Ihr dort an der Wand seht, und der Schmerz nöthigte mich diese fromme Übung zu unterbrechen.« – »Man hat auch noch nie gesehen, mein lieber Freund, daß Büchsenschüsse mit Geißelhieben geheilt werden. Aber Ihr wäret krank, und Krankheit schwächt, weßhalb ich Euch entschuldige.« – »Und wann gedenkt Ihr abzureisen?« – »Morgen mit Tagesanbruch. Ruhet diese Nacht so gut als möglich, und morgen, wenn Ihr könnt, reisen wir mit Tagesanbruch.« – »Morgen also,« sagte Aramis, »denn so sehr Ihr auch von Eisen seid, so müßt Ihr doch wohl der Ruhe bedürfen.«

Als d’Artagnan am andern Morgen bei Aramis eintrat, stand dieser an seinem Fenster.

»Was betrachtet Ihr da?« fragte d’Artagnan. – »Meiner Treu! ich bewundere diese drei prächtigen Pferde, welche die Stallknechte am Zaume halten; es ist ein fürstliches Vergnügen, auf solchen Pferden zu reisen.« – »Nun, mein lieber Aramis, Ihr werdet Euch dieses Vergnügen machen, denn eines von den drei Pferden gehört Euch.« – »Ah! ah! und welches?« – »Dasjenige, welches Ihr auswählt. Ich gebe keinem den Vorzug.« – »Und die reiche Decke gehört auch mir?« – »Allerdings.« – »Ihr scherzt, d’Artagnan.« – »Ich scherze nicht mehr, seitdem Ihr wieder französisch sprecht.« – »Also gehören mir diese vergoldeten Halfter, diese Sammetschabracke, dieser silberbeschlagene Sattel?« – »Euch selbst, wie jenes sich bäumende Pferd mir, und das andere tänzelnde Athos gehört.« – »Teufel, das sind drei herrliche Thiere!« – »Es freut mich, daß sie Eurem Geschmack entsprechen.« – »Also der König hat Euch dieses Geschenk gemacht?« – »Sicherlich nicht der Kardinal, aber kümmert Euch nicht darum, woher sie kommen, und denkt nur daran, daß eines derselben Euch gehört.« – »Ich nehme das, welches der rothe Bediente hält.« – »Vortrefflich.« – »Bei Gott,« rief Aramis, »das befreit mich von dem Rest meines Schmerzes. Ich würde es mit dreißig Kugeln im Leibe besteigen. Ah, bei meiner Seele, die schönen Steigbügel! Hollah! Bazin, komm hieher; sogleich!«

Bazin erschien trübe und lahm auf der Schwelle.

»Putze meinen Degen, stülpe meinen Hut auf, bürste meinen Mantel und lade meine Pistolen!«

»Letzteres ist unnöthig,« unterbrach ihn d’Artagnan, »es sind geladene Pistolen in Euren Holstern.«

Bazin seufzte.

»Auf, Meister Bazin, beruhigt Euch. Man gewinnt das himmlische Reich in allen Lebenslagen.«

»Der gnädige Herr war ein so guter Theolog,« sagte Bazin weinerlich, »er wäre Bischof oder vielleicht Kardinal geworden.«

»Nun, mein armer Bazin, sieh und bedenke ein wenig: ich bitte Dich, wozu nützt es, ein Mann der Kirche zu sein? Man muß darum doch in den Krieg ziehen. Du siehst, daß der Kardinal den ersten Feldzug mit der Pickelhaube auf dem Kopf und mit der Partisane in der Faust macht, und Herr von Nogaret de la Valette – was sagst Du von ihm? er ist ebenfalls Kardinal. Frage seinen Lakai, wie oft er Charpie für ihn gezupft hat.«

»Ach, ich weiß es, gnädiger Herr,« seufzte Bazin. »Alles ist heutzutage verkehrt in der Welt.«

Während dieser Zeit waren die zwei jungen Leute und der arme Lakai die Treppe hinabgegangen.

»Halte mir den Steigbügel, Bazin,« sprach Aramis.

Und er sprang mit seiner gewöhnlichen Anmuth und Leichtigkeit in den Sattel; aber nach einigen Volten und Courbetten des edlen Thieres fühlte sein Reiter so unerträgliche Schmerzen, daß er erbleichte und wankte. D’Artagnan, der ihn in der Voraussicht dieses Unfalles nicht aus dem Gesicht verloren hatte, lief hinzu, faßte ihn in seinen Armen auf und führte ihn in sein Zimmer.

»Es ist gut, mein lieber Aramis, pflegt Euch,« sagte er, »und ich werde Athos allein aufsuchen.« – »Ihr seid ein eherner Mann,« erwiederte Aramis. – »Nein, ich habe Glück, das ist das Ganze. Aber wie wollt Ihr leben, bis ich zurückkomme? Keine These? keine Glosse über die Finger und die Segnungen mehr, nicht wahr?«

Aramis lächelte.

»Ich werde Verse machen,« sprach er.

»Ja, Verse so duftend wie das Billet der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse. Lehrt Bazin die Verskunst, das wird ihn beruhigen. Was Euer Pferd betrifft, so reitet es jeden Tag ein wenig, damit Ihr Euch an seine Manöver gewöhnt.«

»O, was das betrifft, seid unbesorgt,« sprach Aramis, »Ihr werdet mich bereit finden. Euch zu folgen.«

Sie nahmen Abschied, und zehn Minuten nachher trabte d’Artagnan in der Richtung von Amiens, nachdem er zuvor seinen Freund der Wirthin und Bazin empfohlen hatte.

Wie sollte er Athos wiederfinden und durfte er ihn überhaupt zu finden hoffen?

D’Artagnan hatte Athos in einer äußerst kritischen Lage zurückgelassen und er konnte wohl unterlegen sein. Dieser Ge danke verdüsterte d’Artagnan’s Stirne und veranlaßte ihn zu ganz leisen Racheschwüren. Von allen seinen Freunden war Athos der älteste und folglich derjenige, welcher ihm in Geschmack und Sympathien scheinbar am wenigsten nahe stand. Er hegte jedoch für diesen Edelmann eine sichtbare Vorliebe. Das edle stolze Aussehen von Athos, diese Blitze von Größe, welche von Zeit zu Zeit aus den Schatten hervorsprangen, in denen er sich freiwillig eingeschlossen hielt, diese unveränderliche Gleichheit der Gemüthsart, die ihn zum angenehmsten Kameraden von der Welt machte, und diese beißende Heiterkeit, dieser Muth, den man hätte blind nennen können, wenn er nicht das Resultat der seltensten Kaltblütigkeit gewesen wäre, alle diese Eigenschaften nöthigten d’Artagnan mehr als Achtung, mehr als Freundschaft, sie nöthigten ihm volle Bewunderung ab.

Selbst Herrn von Treville, dem eleganten und edlen Hofmann gegenüber, konnte Athos in seinen Tagen schöner Laune mit Vortheil eine Vergleichung aushalten. Er war von mittlerer Gestalt, aber diese Gestalt war so bewundernswürdig gebaut, so verhältnißmäßig, daß er bei seinen Kämpfen mit Porthos diesen Riesen, dessen Körperkraft unter den Musketieren sprüchwörtlich geworden war, mehr als einmal bezwungen hatte. In seinem Kopf mit den blitzenden Augen, mit der Adlernase, mit dem Brutuskinn lag ein Charakter unbeschreiblicher Größe und Anmuth; seine Hände, auf die er keine Sorgfalt verwendete, brachten Aramis zur Verzweiflung, der die seinigen mit Hülfe von sehr viel Mandelteig und wohlriechendem Oel pflegte; der Ton seiner Stimme war zugleich durchdringend und melodisch, und dabei hatte Athos, der sich immer klein und dunkel machte, etwas ganz Unerklärliches an sich, diese genaue Vertrautheit mit der Welt und den Gebräuchen der guten Gesellschaft, diese Gewohnheit an ein vornehmes Leben, die sich ganz unwillkürlich selbst in seinen geringsten Handlungen kundgab.

Sollte ein Festmahl stattfinden, so vermochte es Niemand in der Welt besser zu ordnen, als er, indem er jeden Gast an den Platz und nach dem Range setzte, den er vermöge seiner Ahnen oder seines eigenen Verdienstes ansprechen durfte. War von heraldischer Wissenschaft die Rede, so kannte Athos alle edlen Familien des Königreichs, ihre Genealogie, ihre Verbindungen, ihre Wappen und den Ursprung ihrer Wappen. Die Etikette hatte keine, wenn auch noch so kleinliche Rücksichten, die ihm fremd gewesen wären; er war vertraut mit den Rechten der großen Grundeigenthümer, er besaß vollkommene Kenntnisse in dem Jagdwesen und in der Falknerei, und er hatte eines Tags, als er über diese große Kunst sprach, den König Ludwig XIII., der doch für einen Meister galt, in Erstaunen gesetzt. Wie alle große Herren dieser Zeit, war er ein vollendeter Reiter und ein ausgezeichneter Fechter.

Mehr noch: man hatte seine Erziehung, sogar hinsichtlich der scholastischen Studien, welche damals unter Edelleuten so selten zu finden waren, so wenig vernachlässigt, daß er oft bei den lateinischen Brocken, welche Aramis zum Besten gab und Porthos verstehen wollte, sich eines Lächelns nicht enthalten konnte. Einige Male war es sogar zum großen Erstaunen seiner Freunde vorgekommen, daß er, wenn Aramis sich eines Fehlers in den Rudimenten schuldig machte, das Verbum in sein Tempus und das Nomen in seinen Casus setzte. Ueberdies war seine Redlichkeit unantastbar in einem Jahrhundert, wo es die Kriegsmänner mit ihrer Religion und ihrem Gewissen, die Liebenden mit dem strengen Zartgefühl und die Armen mit dem siebenten Gebot des Herrn so leicht nahmen. Athos war also ein sehr ungewöhnlicher Mann.

Und doch sah man diese so ausgezeichnete Natur, dieses so schöne Geschöpf, dieses so gesund organisirte Wesen sich unmerklich dem materiellen Leben zuwenden, wie sich die Greise den körperlichen und geistigen Schwächen zuwenden. In seinen Mußestunden, und diese kamen sehr häufig vor, erlosch Athos ganz in seinem leuchtenden Theil, und seine glänzende Seite verschwand in einer tiefen Nacht. Wenn dann der Halbgott unsichtbar wurde, blieb kaum noch ein Mensch übrig. Mit gesenktem Kopf, mattem Auge und schwerer Zunge schaute Athos Stunden lang seine Flasche, sein Glas oder Grimaud an, der gewöhnt war, ihm auf Zeichen zu gehorchen, und in dem stummen Blick seines Gebieters sein geringstes Verlangen las, das er auch sogleich befriedigte. Fand in einem solchen Augenblick eine Zusammenkunft der vier Freunde statt, so war ein gewaltsam ausgestoßenes Wort das einzige Kontingent, das Athos zu ihrem Gespräche lieferte. Dagegen trank Athos ganz allein für vier, und zwar ohne daß dies durch etwas Anderes, als durch ein stärkeres Runzeln der Stirne und durch eine tiefere Traurigkeit sichtbar wurde.

D’Artagnan, dessen forschenden durchdringenden Geist wir kennen, hatte bis jetzt, so sehr ihm daran lag, auch seine Neugierde in dieser Beziehung zu befriedigen, noch keinen Grund für diese seltsame Erscheinung aufzufinden, und die Ereignisse die ihr vorangegangen sein mußten, noch nicht zu erforschen vermocht. Nie empfing Athos Briefe, nie that er einen Schritt, der nicht allen seinen Freunden bekannt gewesen wäre. Man konnte nicht sagen, der Wein versetzte ihn in diese Traurigkeit, denn er trank im Gegenteil nur, um diese Traurigkeit zu bekämpfen, welche sich, wie bemerkt, durch dieses Gegenmittel noch düsterer gestaltete. Man konnte dieses Uebermaß von Mißmuth nicht dem Spiel zuschreiben, denn im Gegensatz gegen Porthos, welcher alle Wechselfälle des Spieles mit seinen Flüchen oder Liedern begleitete, blieb Athos eben so unempfindlich, wenn er gewonnen, als wenn er verloren hatte. Man hat ihn in Gesellschaft der Musketiere an einem Abend dreitausend Pistolen gewinnen, sein Pferd, seine Waffen, ja sogar das goldgestickte Wehrgehänge für Galatage verlieren, und später das Alles und noch hundert Louisd’or dazu wieder gewinnen gesehen, ohne daß sich seine schönen schwarzen Augenbrauen auch nur um eine halbe Linie erhöht oder gesenkt hätten, ohne daß seine Hände ihre Perlmutterfarbe verloren, ohne daß seine Unterhaltung, welche an diesem Abend sehr angenehm war, aufgehört hätte, ruhig und freundlich zu sein.

Eben so wenig war es, wie bei unsern Nachbarn, den Engländern, ein atmosphärischer Einfluß, der sein Gesicht verdüsterte, denn diese Traurigkeit nahm gewöhnlich in der schönen Jahreszeit überhand: Juni und Juli waren die furchtbarsten Monate von Athos.

Für die Gegenwart hatte er keinen Kummer; er zuckte die Achseln, wenn man von der Zukunft mit ihm sprach. Sein Geheimniß lag also in der Vergangenheit, wie man dies auf eine unbestimmte Weise d’Artagnan gesagt hatte.

Diese geheimnißvolle, über seine ganze Person verbreitete Färbung machte den Mann noch viel interessanter, der nie, selbst nicht einmal im Zustand vollkommener Trunkenheit, weder mit den Augen noch mit dem Munde etwas verrathen hatte, so geschickt auch die Fragen gestellt gewesen sein mochten, die man an ihn richtete.

»Der arme Athos ist vielleicht schon todt,« dachte d’Artagnan, »und todt durch meine Schuld, denn ich habe ihn in diese Angelegenheit verwickelt, deren Ursprung er nicht kannte, deren Erfolg er nicht erfahren, und woraus er nicht den geringsten Nutzen ziehen wird.«

»Abgesehen davon, gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »daß wir ihm wahrscheinlich das Leben zu verdanken haben. Ihr erinnert Euch, wie er schrie: ›Fort, d’Artagnan, ich bin gefangen!‹ Und nachdem er seine zwei Pistolen abgefeuert hatte, was für einen furchtbaren Lärm machte er mit seinem Degen! man hätte glauben sollen, es wären zwanzig Menschen, oder vielmehr zwanzig rasende Teufel!«

Diese Worte verdoppelten den Eifer d’Artagnans, der sein Pferd antrieb, welches, keines Antriebs bedürftig, seinen Reiter im schnellsten Galopp forttrug. Gegen elf Uhr Morgens erblickte man Amiens; um halb zwölf Uhr war man vor der Thür« des schlimmen Wirthshauses.

D’Artagnan hatte oft gegen den treulosen Wirth auf eine Rache gesonnen, deren Hoffnung den Menschen tröstet. Er trat also, den Hut in die Augen gedrückt, die linke Hand am Degengriff und die Reitpeitsche mit der Rechten schwingend, in den Gasthof ein.

»Erkennt Ihr mich?« sprach er zu dem Wirthe, der ihm begrüßend entgegen trat.

»Ich habe nicht die Ehre, gnädigster Herr,« antwortete der Wirth, dessen Auge noch von dem glänzenden Aufzuge d’Artagnans geblendet war.

»Ah, Ihr kennt mich nicht?«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Gut. Zwei Worte sollen Euch das Gedächtniß zurückgeben. Was habt Ihr mit dem Edelmann gemacht, den Ihr vor vierzehn Tagen der Falschmünzerei zu bezichtigen die Frechheit hattet?«

Der Wirth erbleichte, denn d’Artagnan hatte seine drohendste Stellung angenommen und Planchet formte sich nach seinem Gebieter.

»Ach, gnädiger Herr, sprecht mir nicht hievon!« rief der Wirth mit äußerst kläglicher Stimme. »Ach, gnädiger Herr, wie theuer mußte ich dieses Versehen bezahlen! Ach ich bin ein unglücklicher Mann!«

»Sprecht, was ist aus diesem Edelmann geworden?«

»Hört mich gnädigst an und verfahrt glimpflich. Habt die Gnade, setzt Euch.«

Stumm vor Zorn und Aufregung, setzte sich d’Artagnan drohend wie ein Richter. Planchet lehnte sich stolz an seinen Stuhl.

»Hört die ganze Geschichte, gnädiger Herr,« fuhr der Wirth zitternd fort; denn jetzt erkenne ich Euch. Ihr seid weggeritten, als ich den unseligen Streit mit dem Edelmann hatte, von dem Ihr sprecht.« – »Ja, das war ich. Ihr seht also, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt, wenn Ihr nicht die volle Wahrheit bekennt.« – »Wollt mich gnädigst anhören, und Ihr sollt Alles erfahren.« – »Ich höre.« – »Ich war von den Behörden in Kenntniß gesetzt worden, es würde ein berühmter Falschmünzer mit mehreren seiner Gefährten, die sich alle als Garden oder Musketiere verkleidet hätten, in meinen Gasthof kommen. Eure Pferde, Eure Lakaien, Eure Gesichter, gnädigster Herr, Alles war mir genau bezeichnet worden.« – »Weiter, weiter,« sprach d’Artagnan, welcher alsbald erkannte, woher ein so scharfes Signalement gekommen war. – »Ich ergriff also auf Befehl der Behörde, die mir eine Verstärkung von sechs Mann zuschickte, diejenigen Maßregeln, die ich für zweckmäßig hielt, um mich der angeblichen Falschmünzer zu versichern.« – »Auch noch!« rief d’Artagnan, dem der Ausdruck Falschmünzer furchtbar die Ohren erhitzte. – »Vergebt mir, gnädiger Herr, daß ich solche Dinge sage, aber sie dienen gerade zu meiner Rechtfertigung. Die Behörde hatte mir bange gemacht, und Ihr wißt, daß ein Wirth der Behörde gehorchen muß.« – »Aber noch einmal, wo ist dieser Edelmann? was ist aus ihm geworden? ist er todt? lebt er?« – »Geduld, gnädiger Herr, wir kommen sogleich daran. Es geschah, was Ihr wißt, und Eure schleunige Abreise schien zu dem Verfahren zu berechtigen,« fügte der Wirth mit einer Schlauheit bei, welche d’Artagnan nicht entging. »Dieser Edelmann, Euer Freund, vertheidigte sich wie em Verzweifelter. Sein Bedienter, der durch ein unvorhergesehenes Unglück Streit mit den Leuten von der Behörde gesucht hatte, welche als Stallknechte verkleidet waren …« – »Ha, Elender,« rief d’Artagnan, »Ihr wäret also einverstanden, und ich weiß nicht, warum ich Euch nicht sogleich Alle umbringe?« – »Ach, nein, gnädiger Herr, wir waren nicht alle einverstanden, wie Ihr sehen werdet. Euer Herr Freund (vergebt, daß ich ihn nicht bei dem ehrenwerthen Namen nenne, den er ohne Zweifel führt, aber wir wissen diesen Namen nicht). Euer Herr Freund zog sich, nachdem er zwei Menschen mit seinen zwei Pistolenschüssen kampfunfähig gemacht hatte, fechtend zurück, indem er sich mit seinem Degen vertheidigte, wobei er einen von meinen Leuten zum Krüppel hieb und mich durch einen Schlag mit der flachen Klinge betäubte.« – »He, Henkersknecht, wirst Du bald zu Ende kommen?« rief d’Artagnan. »Athos! was geschah mit Athos?« – »Indem er sich fechtend zurückzog, wie ich dem gnädigen Herrn gesagt habe, fand er hinter sich die Kellertreppe, und da die Thüre offen war, so sprang er hinein. Sobald er sich im Keller befand, zog er den Schlüssel ab und verrammelte sich von innen. Da man überzeugt war, daß man ihn hier wieder finden konnte, so ließ man ihn frei.« – »Ja,« sprach d’Artagnan, »man kümmerte sich nicht darum, ihn zu tödten, man suchte ihn nur einzukerkern.« – »Gerechter Gott! Ihn einzukerkern, gnädiger Herr? Er kerkerte sich selbst ein, das schwöre ich Euch. Er hatte zuvor ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht. Ein Mann lag todt auf dem Platze, zwei andere waren schwer verwundet. Der Todte und die zwei Verwundeten wurden von ihren Kameraden weggebracht, und nie habe ich mehr von dem Einen oder von den Andern sprechen hören. Ich selbst, als ich wieder zum Bewußtsein kam, suchte den Herrn Gouverneur auf, dem ich Alles erzählte, was vorgefallen war; ich fragte ihn, was ich mit dem Gefangenen machen sollte, aber der Gouverneur sah aus, als wäre er aus den Wolken gefallen. Er sagte mir, er verstehe gar nicht, was ich da spreche, die Befehle, die ich erhalten, seien nicht von ihm ausgegangen, und wenn ich so unglücklich wäre, gegen irgend Jemand zu äußern, daß er den geringsten Antheil an diesem heillosen Streite gehabt habe, so würde er mich hängen lassen. Es scheint, ich hatte mich getäuscht, gnädiger Herr, und den Einen für den Andern genommen, und derjenige, welcher verhaftet werden sollte, war gerettet.« – »Aber Athos?« rief d’Artagnan, dessen Ungeduld sich noch durch die Art und Weise verdoppelte, wie die Behörde die ganze Sache von sich abgelehnt hatte; »was ist aus Athos geworden?« – »Da mir daran liegen mußte, eiligst mein Unrecht gegen den Gefangenen gut zu machen,« antwortete der Wirth, »so lief ich nach dem Keller, um ihn wieder in Freiheit zu setzen. Ach, gnädiger Herr, das war kein Mensch mehr, das war ein Teufel. Bei meinem Freiheitsantrag erklärte er, es sei eine Falle, die man ihm stellen wolle, und ehe er herausgebe, werde er Bedingungen machen. Ich erwiederte ihm ganz demüthig, denn ich verhehlte mir die schlimme Lage nicht, in die ich mich dadurch gebracht hatte, daß ich an einen Musketier Seiner Majestät Hand legte; ich erwiederte ihm, ich sei bereit, mich allen seinen Bedingungen zu unterziehen.« – »Vor Allem,« sprach er, »verlange ich, daß man mir meinen Bedienten vollständig bewaffnet zurückgibt.« – »Man beeilte sich, diesem Befehl zu gehorchen, denn Ihr begreift wohl, gnädiger Herr, daß wir bereit waren. Alles zu thun, was Euer Freund verlangte. Herr Grimaud (dieser hat seinen Namen genannt, obgleich er nicht viel spricht), Herr Grimaud wurde also, obschon verwundet, in den Keller hinabgelassen. Sobald er sich bei seinem Herrn befand, verrammelte dieser wieder die Thüre und befahl uns, in unserer Schenkstube zu bleiben.« – »Aber wo ist er denn?« rief d’Artagnan, »wo ist Athos?« –

»Im Keller, gnädiger Herr.« – »Wie, Unglücklicher? Ihr haltet ihn seit dieser Zeit im Keller fest?« – »Gütiger Gott! nein, gnädiger Herr. Wir ihn im Keller festhalten! Ihr wißt also nicht, was er in dem Keller gemacht hat? Ach! wenn Ihr ihn herausbringen könntet, ich wäre Euch mein ganzes Leben dankbar, ich würde Euch anbeten, wie meinen Schutzpatron!« – »Also ist er da? ich finde ihn dort?« – »Allerdings, gnädiger Herr. Er besteht darauf, nn Keller zu bleiben. Jeden Tag reicht man ihm durch das Luftloch Brod an einer Gabel, und Fleisch, wenn er es verlangt. Aber sein stärkster Verbrauch besteht leider nicht in Brod und Fleisch. Einmal versuchte ich es, mit zwei von meinen Aufwärtern hinabzusteigen, aber er gerieth in eine furchtbare Wuth. Ich hörte das Geräusch seiner Pistolen, die er lud, und seiner Muskete, die sein Bedienter lud. Als wir sie sodann fragten, was sie beabsichtigten, so antwortete er: sie hätten zusammen noch vierzig Schüsse abzufeuern, und sie würden sie eher abfeuern, als daß sie einem von uns den Eintritt in den Keller gestatteten. Ich ging sodann zu dem Gouverneur, gnädiger Herr, um mich zu beklagen. Dieser aber erwiederte mir, es geschehe mir ganz recht, und das würde mich wohl lehren, in Zukunft ehrenwerthe Edelleute, welche bei mir einkehren, nicht mehr zu beleidigen.« – »Und seit dieser Zeit …« versetzte d’Artagnan, der sich eines lauten Lachens über das erbarmungswürdige Gesicht des Wirthes nicht enthalten konnte. – »Und seit dieser Zeit, gnädiger Herr,« sprach dieser, »führen wir das traurigste Leben, das man sich denken kann, denn Ihr müßt wissen, daß alle meine Vorräthe im Keller aufbewahrt find: unser Flaschen- und unser Faßwein, das Bier, das Öl und die Specereien, der Speck und die Würste. Und da es uns verboten ist, hinabzusteigen, so sind wir genöthigt, den Reisenden, die bei uns ankommen, Essen und Trinken zu verweigern, so daß unser Gasthof von Tag zu Tag abnimmt. Verweilt Euer Freund noch eine Woche in unserm Keller, so sind wir geschlagene Leute.« – »Und das wäre nicht mehr als billig. Schuft! Sagt, hat man uns nicht an unserer Miene angesehen, daß wir Leute von Stand und keine Falschmünzer waren?« – »Ja, gnädiger Herr, ja, Ihr habt Recht. Aber hört, hört, wie er wüthet!« – »Ohne Zweifel wird man ihn gestört haben.« – »Man muß ihn wohl stören,« rief der Wirth. »Es sind soeben zwei vornehme Engländer bei uns angekommen.« – »Was weiter?« – »Was weiter! Die Engländer lieben den guten Wein, wie Ihr wißt, und diese haben vom besten verlangt. Meine Frau wird von Eurem Freund sich die Erlaubniß erbeten haben, eintreten zu dürfen, um diese Herren befriedigen zu können. Und er hat es wahrscheinlich wie gewöhnlich abgeschlagen. Ach, gütiger Gott! der Teufelslärm verdoppelt sich!«

D’Artagnan hörte wirklich auf der Seite des Kellers ein gewaltiges Getöse. Er stand auf. Der Wirth schritt, die Hände ringend, vor ihm her, Planchet folgte ihm, das geladene Gewehr in der Hand, und so näherte er sich dem Orte der Handlung.

Die zwei fremden Herren waren in Verzweiflung. Sie hatten einen langen Ritt gemacht, und starben beinahe vor Hunger und Durst.

»Das ist eine wahre Tyrannei!« riefen sie in sehr gutem Französisch, obgleich mit etwas fremdem Accent; »es ist eine wahre Tyrannei, daß dieser Hauptnarr die guten Leute nicht über ihren Wein verfügen lassen will. Aus! treten wir die Thüre ein, und wenn er zu wüthend ist, so schlagen wir ihn todt.«

»Warum nicht gar, meine Herren,« sagte d’Artagnan, seine Pistolen aus dem Gürtel ziehend. »Ihr werdet Niemand todtschlagen, wenn’s beliebt.«

»Gut, gut,« sprach Athos ruhig hinter der Thür, »man lasse sie nur ein wenig eintreten, diese Kleinkinderfresser, und wir werden sehen.«

So muthig die beiden englischen Herren sich geberdet hatten, so schauten sie doch jetzt zögernd einander an; man hätte glauben sollen, im Keller befinde sich ein ausgehungerter Wehrwolf, einer jener riesigen Helden der Volkssage, in deren Höhle Niemand ungestraft eindringt.

Nach einer kurzen Pause stieg der Händelsüchtigste von ihnen die fünf oder sechs Stufen der Treppe hinab, und gab der Thüre einen Fußtritt, daß eine Mauer hätte bersten müssen.

»Planchet,« sprach d’Artagnan, seine Pistolen rüstend, »ich übernehme den obern, übernimm Du den untern. Ah! meine Herren, Ihr wollt eine Schlacht! Ganz gut, sie soll Euch geliefert werden.«

»Mein Gott,« rief Athos mit hohler Stimme, »ich höre d’Artagnan, wie es mir scheint.«

»In der That!« schrie d’Artagnan, »ich bin es, mein Freund.«

»Ah, dann ist es gut,« sprach Athos, »wir wollen sie bearbeiten, diese Thürenstürmer!«

Die Fremden hatten ihre Degen ergriffen, aber sie fanden sich zwischen zwei Feuer gestellt; sie zögerten noch einen Augenblick; doch der Stolz trug wie das erste Mal den Sieg davon, und ein zweiter Fußtritt machte die Thüre in ihrer ganzen Höhe erkrachen.

»Halt‘ Dich fertig, d’Artagnan, halt‘ Dich fertig!« brüllte Athos, »halt‘ Dich fertig! ich schieße!«

»Meine Herren!« rief d’Artagnan, den die Ueberlegung nie verließ, »meine Herren, bedenkt wohl! Geduld, Athos. Ihr fangt einen schlimmen Handel an, bei dem Ihr sicherlich den Kürzeren ziehet. Ich und mein Bedienter, wir feuern dreimal, eben so viele Kugeln werden Euch vom Keller aus zugeschleudert; dann haben wir noch unsere Degen, mit denen mein Freund und ich ziemlich gut zu spielen wissen, das versichere ich Euch. Laßt mich Eure und meine Sache abmachen. Ihr werdet sogleich zu trinken bekommen, darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«

»Wenn noch etwas übrig ist,« knurrte Athos mit spöttischer Stimme.

Dem Wirth lief der kalte Schweiß über den Rücken.

»Wie so? wenn noch etwas übrig ist!« murmelte er.

»Der Teufel! es wird wohl noch etwas übrig sein,« erwiederte d’Artagnan. »Seid unbesorgt, sie werden zu zwei nicht den ganzen Keller ausgetrunken haben. Meine Herren, steckt Eure Degen in die Scheide!«

»Gut, aber steckt Ihr ebenfalls Eure Pistolen in den Gürtel!«

»Gern!«

D’Artagnan gab das Beispiel, wandte sich sodann gegen Planchet um und deutete ihm durch ein Zeichen an, er solle seine Muskete abspannen.

Hiedurch überzeugt, steckten die Engländer ihre Degen brummend in die Scheide. Man erzählte ihnen die Geschichte der Einkerkerung von Athos, und da sie gute Edelleute waren, so gaben sie dem Wirth Unrecht.

»Nun, meine Herren,« sagte d’Artagnan, »geht in Euer Zimmer hinauf, und in zehn Minuten sollt Ihr Alles bekommen, dafür stehe ich Euch, was Ihr nur wünschet.«

Die Engländer grüßten und entfernten sich.

»Da ich jetzt allein bin, mein lieber Athos,« sagte d’Artagnan, »so öffnet mir gefälligst die Thüre.«

»Sogleich,« erwiederte Athos.

Dann vernahm man ein Geräusch von unter einander geworfenen Reißbündeln und knarrenden Balken. Dies waren die Contreescarpen und Basteien von Athos, welche der Belagerte selbst zerstörte. Nach einem Augenblick wankte die Thüre und man sah den bleichen Kopf von Athos erscheinen, der mit raschem Blick das Terrain musterte.

D’Artagnan warf sich ihm an den Hals und umarmte ihn zärtlich; dann wollte er ihn aus seinem feuchten Aufenthalt herausziehen. Nun aber merkte er erst, daß sein Freund wankte.

»Ihr seid verwundet,« sprach er.

»Nicht im Mindesten, ich bin schwer betrunken, das ist das Ganze. Und um dies zu bewerkstelligen, ist nie ein Mensch in der Welt besser verfahren. Bei Gott! Herr Wirth, ich habe für meinen Theil wenigstens hundert und fünfzig Flaschen getrunken.«

»Barmherzigkeit!« rief der Wirth, »wenn der Diener nur halb so viel getrunken hat, als der Herr, so bin ich zu Grund gerichtet.«

»Grimaud ist ein Lakai von gutem Hause, der sich nicht erlaubt haben würde, auf dieselbe Weise ein Tägliches zu sich zu nehmen, wie ich. Er trank nur aus dem Fasse. Halt! ich glaube, er hat vergessen, den Zapfen wieder hineinzustecken. Hört Ihr, das läuft!«

D’Artagnan brach in ein schallendes Gelächter aus, das den Schauder des Wirths in ein hitziges Fieber verwandelte.

In demselben Augenblick erschien auch Grimaud hinter seinem Herrn, die schwere Büchse auf der Schulter mit wackelndem Kopf, wie trunkene Satyrn auf den Gemälden von Rubens. Lr war hinten und vorn mit einer fetten Flüssigkeit benetzt, worin der Wirth sein bestes Olivenöl erkannte.

Der Zug ging durch den großen Saal und verfügte sich in das schönste Zimmer des Gasthofes, welches d’Artagnan aus eigener Machtvollkommenheit in Beschlag nahm.

Während dieser Zeit stürzten der Wirth und seine Frau in den Keller, der für sie so lange verschlossen gewesen war. Hier aber harrte ihrer ein furchtbares Schauspiel.

Jenseits der Festungswerke, die aus Reißbüscheln, Brettern, Balken und leeren Fässern bestanden, welche Athos nach allen Regeln der Strategie aufgehäuft, nun aber eingerissen hatte, um herausgehen zu können, sah man in Teichen von Oel und Wein die Gebeine aller verspeisten Schinken schwimmen, während eine Masse zerbrochener Flaschen den linken Winkel des Kellers füllte, und ein Faß, dessen Hahn offen geblieben war, durch diese Oeffnung die letzten Tropfen seines Blutes vergoß. Das Bild der Verwüstung und des Todes herrschte hier, nach den Worten eines alten Dichters, wie auf dem Schlachtfelde.

Von fünfzig an den Balken aufgehängten Würsten waren kaum noch zehn übrig.

Das Jammergeschrei des Wirthes und der Wirthin durchdrang nun das Kellergewölbe, und selbst d’Artagnan ward von ihrem lauten Wehklagen bewegt. Athos wandte nicht einmal den Kopf um.

Auf den Schmerz folgte die Wuth. Der Wirth bewaffnete sich mit einem Bratspieß und rannte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, in das sich die zwei Freunde zurückgezogen hatten.

»Wein!« sprach Athos, als er den Wirth erblickte. – »Wein!« rief der Wirth ganz außer sich. »Wein! Ihr habt mir für mehr als hundert Pistolen getrunken, ich bin ein geschlagener, verlorener zu Grunde gerichteter Mann!« – »Bah!« sagte Athos, »unser Durst ist immer gleich geblieben.« – »Wenn Ihr Euch nur mit dem Trinken begnügt hättet, aber Ihr habt alle Flaschen zerbrochen.« – »Ei, warum mußtet Ihr mich aus einen Haufen treiben, der herunterrumpelte? Das ist Euer Fehler.« – »All mein Oel ist zu Grunde gegangen.« – »Das Oel ist ein vortrefflicher Balsam für die Wunden, und der arme Grimaud mußte doch die, welche Ihr ihm beigebracht habt, ein wenig einschmieren.« – »Alle meine Würste sind aufgegessen.« – Es gibt eine ungeheure Menge Ratten in diesem Keller.« – »Ihr werdet mir Alles bezahlen,« rief der Wirt verzweiflungsvoll. – »Dreifacher Schurke,« sagte Athos aufstehend, aber er fiel sogleich wieder zurück und gab dadurch einen Maßstab von seinen Kräften. D’Artagnan kam ihm, die Reitpeitsche schwingend, zu Hülfe.

Der Wirth wich einen Schritt zurück und machte sich durch einen Thränenstrom Luft.

»Das wird Euch die Gäste, welche Euch Gott schickt, auf eine höflichere Weise behandeln lehren,« sprach d’Artagnan.

»Gott schickt? sagt lieber der Teufel.«

»Mein lieber Freund,« erwiederte d’Artagnan, »wenn Ihr unsere Ohren noch länger peinigt, so schließen wir uns alle vier in den Keller ein, und wir werden dann sehen, ob der Schaden wirklich so groß ist, als Ihr sagt.«

»Ja, ja,« sprach der Wirth, »ich gestehe, ich habe Unrecht, aber es gibt Gnade und Barmherzigkeit für jede Sünde. Ihr seid vornehme Herren und ich bin ein armer Wirth; Ihr werdet Mitleid mit mir haben.«

»Ah! wenn Du so sprichst,« sagte Athos, »so zerreißest Du mir das Herz, und die Thränen entströmen meinen Augen, wie der Wein deinen Fässern entströmte. Man ist kein so eingefleischter Teufel, wie man aussieht. Komm her, schwatzen wir miteinander.«

Der Wirth trat unruhig näher.

»Komm her, sage ich Dir, und fürchte Dich nicht,« fuhr Athos fort. »In dem Augenblick, wo ich Dich bezahlen wollte, hatte ich meine Börse auf den Tisch gelegt.« – »Ja, gnädiger Herr.« – »Diese Börse enthielt sechszig Pistolen; wo ist sie!« – »In der Gerichtskanzlei deponirt; man sagte, es sei falsche Münze.« – »Gut! laß Dir meine Börse zurückgeben und behalte die sechszig Pistolen.« – »Aber, der gnädige Herr weiß doch, daß die Gerichtskanzlei nichts mehr zurückgibt, was sie einmal in ihrer Kasse hat; wenn es falsche Münze wäre, dann dürfte man noch hoffen, aber leider sind es gute Goldstücke.« – »Mach das mit der Kanzlei ab, mein braver Mann; darum kümmere ich mich um so weniger, als mir kein Livre mehr übrig bleibt.« – »Hört,« sagte d’Artagnan, »wo ist das alte Pferd von Athos?« – »Im Stalle.« – »Wie viel ist es werth?« – »Höchstens fünfzig Pistolen.« – »Es ist achtzig wert, nimm es und Alles ist abgethan’« – »Wie, Du verkaufst mein Pferd?« sprach Athos, »Du verkaufst meinen Bajazet? und auf was soll ich den Feldzug machen? auf Grimaud?« – »Ich bringe Dir ein anderes,« sagte d’Artagnan. – »Ein herrliches!« rief der Wirth. – »Wenn ein schöneres und jüngeres für mich vorhanden ist, so nimm das alte, und – jetzt Wein her!« – »Von welchem?« fragte der Wirth wieder erheitert. – »Von dem, welcher hinten bei den Latten liegt; es sind noch fünfundzwanzig Flaschen davon übrig; die andern zerbrachen insgesammt bei meinem Sturze. Rasch hinab!« – »Das ist ein wahrer Teufelskerl von einem Menschen,« sagte der Wirth bei Seite; bleibt er nur vierzehn Tage hier und bezahlt Alles, was er trinkt, so bin ich wieder geborgen.« – »Und vergiß nicht,« fuhr d’Artagnan fort, »vier Flaschen von demselben zu den englischen Herren hinaus zu tragen.« – »Nun, mein Freund,« sprach Athos, »während er den Wein holt, erzähle mir, was aus den Anderen geworden ist; laß hören.«

D’Artagnan theilte ihm mit, wie er Porthos mir einer Quetschung im Bette, und Aramis an einem Tische zwischen zwei Theologen gefunden hatte. Als er seine Erzählung endigte, erschien der Wirth mit den verlangten Flaschen und mit einem Schinken, der zu seinem Glück außerhalb des Kellers geblieben war.

»Das ist gut,« sagte Athos sein und d’Artagnans Glas füllend, »so viel von Porthos und Aramis; aber Ihr, mein Freund, was habt Ihr und was ist Euch persönlich begegnet? Ihr seht so trübselig aus.« – »Ach! ich bin wahrlich der Unglücklichste von uns Allen.« – »Du unglücklich, d’Artagnan?« sprach Athos. »Laß hören, sprich, auf welche Art bist Du unglücklich?« – »Später,« sagte d’Artagnan. – »Später, und warum später? weil Du glaubst, ich sei betrunken, d’Artagnan? Merke Dir wohl, ich habe nie klarere Ideen, als wenn ich im Wein schwimme. Sprich also, ich bin ganz Ohr.«

D’Artagnan erzählte sein Abenteuer mit Madame Bonacieux. Athos hörte ihm zu, ohne eine Miene zu verändern; als er vollendet hatte, rief der Musketier:

»Erbärmlichkeiten, lauter Erbärmlichkeiten!«

»Erbärmlichkeiten! das ist immer Euer Wort,« sprach d’Artagnan; »das steht Euch sehr schlecht. Euch, der Ihr nie geliebt habt.«

Das todte Auge von Athos flammte plötzlich, aber es war nur ein Blitz; es wurde wieder matt, wie vorher.

»Das ist wahr,« sagte er ruhig, »ich habe nie geliebt.« – »Ihr seht also wohl, Marmorseele,« sprach d’Artagnan, »daß Ihr Unrecht habt, gegen uns, die wir ein zärtlich Herz besitzen, hart zu sein.« – »Zärtliches Herz, durchlöchertes Herz.« – »Was sagt Ihr da?« – »Ich sage, daß die Liebe eine Lotterie ist, wo derjenige, welcher gewinnt, den Tod gewinnt. Glaubt mir, mein lieber d’Artagnan, Ihr seid sehr glücklich, daß Ihr verloren habt. Wenn ich Euch rathen soll, so verliert immer.« – »Sie hatte das Ansehen, als liebte sie mich so sehr.« – »Sie hatte das Ansehen.« – »Oh! sie liebte mich.« – »Kind! es gibt keinen Menschen, der nicht geglaubt hätte, sein Liebchen liebe ihn, und der nicht von seiner Geliebten betrogen worden wäre.« – »Euch ausgenommen, Athos, der Ihr nie geliebt habt.« – »Das ist wahr,« sprach Athos nach kurzem Stillschweigen, »ich habe nie geliebt. Laß uns trinken.« – »Aber unterstützt mich, belehrt mich, Ihr, der Ihr ein Philosoph seid,« sprach d’Artagnan, »ich bedarf der Weisheit und des Trostes.« – »Des Trostes, worüber?« – »Ueber mein Unglück.« – »Euer Unglück macht mich lachen,« sagte Athos die Achseln zuckend, »ich möchte wohl wissen, was Ihr sagtet, wenn ich Euch eine Liebesgeschichte erzählen würde.« – »Die Euch begegnet ist?« – »Oder einem von meinen Freunden, was ist daran gelegen?« – »Sprecht, Athos, sprecht.« – »Wir wollen trinken, das wird besser sein.« – »Trinkt und erzählt.« – »Wirklich, das läßt sich machen,« sagte Athos, sein Glas leerend und wieder füllend; »diese zwei Dinge gehen vortrefflich zusammen.«

Athos sammelte sich, aber je mehr er sich sammelte, desto bleicher sah ihn d’Artagnan werden; er hatte die Periode der Trunkenheit erreicht, wo gewöhnliche Trinker fallen und einschlafen.

»Ihr wollt es durchaus haben?« fragte er.

»Ich bitte Euch darum,« sagte d’Artagnan.

»Euerem Wunsche soll willfahrt werden. Einer von meinen Freunden, hört Ihr wohl? nicht ich,« sprach Athos sich mit einem düstern Lächeln unterbrechend; »einer von den Grafen meiner Provinz, das heißt im Berry, hochgeboren wie ein Dandolo oder ein Montmorency, verliebte sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahr in ein sechszehnjähriges Mädchen, das so schön war wie eine Liebesgöttin. Durch die Naivetät ihres Alters leuchtete ein glühender Geist, kein Frauengeist, sondern ein Dichtergeist; sie gefiel nicht, sie berauschte; sie lebte in einem kleinen Dorf bei ihrem Bruder, der Pfarrer war. Beide waren in die Gegend gekommen, ohne daß man wußte, woher; aber wenn man sah, wie schön sie, und wie fromm ihr Bruder war, so dachte man nicht daran, sie zu fragen, woher sie kämen. Ueberdies behauptete man, sie seien von guter Herkunft. Mein Freund, welcher der Gebieter dieser Ländereien war, hätte sie nach seinem Belieben verführen oder mit Gewalt wegnehmen können, denn er war der Herr; wer wäre zwei Fremden, zwei Unbekannten zu Hülfe gekommen? Zu seinem Unglück war er ein ehrlicher Mann und heirathete sie. Der Narr, der Dummkopf, der Tropf!«

»Aber warum dies, da er sie liebte?« fragte d’Artagnan.

»Nur Geduld,« erwiederte Athos. »Er führte sie in sein Schloß und machte sie zur ersten Dame der Provinz; und man muß ihr hierin Gerechtigkeit widerfahren lassen; sie wußte ihren Rang vortrefflich zu behaupten.«

»Nun?« fragte d’Artagnan.

»Nun! eines Tages, als sie mit ihm auf der Jagd war,« fuhr Athos mit gedämpfter Stimme und sehr schnell sprechend fort, »fiel sie vom Pferde und wurde ohnmächtig; der Graf eilte ihr zu Hülfe, und da sie in ihren Kleidern beinahe erstickte, so schlitzte er diese mit seinem Dolche und entblößte ihre Schulter. Errathet, was sie auf ihrer Schulter hatte, d’Artagnan?«

»Kann ich es wissen?«

»Eine Lilie,« sprach Athos. »Sie war gebrandmarkt.« Und Athos leerte mit einem Zuge das Glas aus, das er in der Hand hatte.

»Gräßlich!« rief d’Artagnan, »was erzählt Ihr mir da?«

»Die Wahrheit, mein Lieber. Der Engel war ein Teufel. Das arme Mädchen hatte gestohlen.«

»Und was that der Graf?«

»Der Graf war ein hoher Herr; er hatte auf seinen Gütern die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit; er zerriß die Kleider der Gräfin vollends, band ihr die Hände auf den Rücken und knüpfte sie an einem Baume auf.«

»Himmel! Athos, ein Mord!« rief d’Artagnan.

»Ja, ein Mord, nicht mehr« sprach Athos bleich wie der Tod. »Aber es scheint, es fehlt uns an Wein.«

Und er ergriff die letzte Flasche, welche noch übrig war, am Halse, setzte sie an den Mund und leerte sie auf einen Zug, als wäre es ein gewöhnliches Glas gewesen.

Dann ließ er den Kopf zwischen seine beiden Hände sinken, d’Artagnan aber blieb stumm vor Schrecken.

»Das heilte mich von allen Frauen, von den schönen, von den poetischen und von den verliebten,« sprach Athos sich wieder erhebend und ohne daran zu denken, die Fabel von dem Grafen fortzusetzen. »Gott gewähre Euch eben so viel! Trinken wir!«

»Sie ist also todt?« stammelte d’Artagnan.

»Beim Teufel!« erwiederte Athos. »Doch reicht mir Euer Glas. Schinken, Schuft!« rief er. »Wir können nicht mehr trinken!«

»Aber ihr Bruder?« fügte d’Artagnan schüchtern bei.

»Ihr Bruder?« versetzte Athos.

»Ja, der Priester.«

»Ich schickte nach ihm, um ihn ebenfalls aufhängen zu lassen, aber er war mir zuvorgekommen und hatte seinen Pfarrhof am Abend zuvor verlassen.«

»Wußte man, wer der Elende war?«

»Er war der erste Liebhaber und der Mitschuldige der Schönen, ein würdiger Mann, der sich den Anschein gab, als wäre er Pfarrer, um sie zu verheirathen und ihr eine Zukunft zu sichern; er wird hoffentlich geviertheilt worden sein.«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief d’Artagnan ganz betäubt von dieser furchtbaren Begebenheit.

»Eßt doch von diesem Schinken, d’Artagnan, er ist vortrefflich,« sagte Athos und legte eine Schnitte auf den Teller des jungen Mannes. »Wie Schade, daß nicht wenigstens nur vier wie dieser in dem Keller gewesen sind! Ich hätte fünfzig Flaschen mehr getrunken.«

D’Artagnan vermochte dieses Gespräch nicht länger zu ertragen, denn es hätte ihn toll gemacht, er ließ den Kopf auf seine Hände sinken und stellte sich als entschliefe er.

»Die jungen Leute können nicht mehr trinken,« sprach Athos und schaute ihn mitleidig an, und doch ist dieser noch einer von den besten! …«

XX.

Die Reise.

Um zwei Uhr Morgens zogen die vier Abenteurer durch die Barriere St. Denis aus Paris; so lange es Nacht war, blieben sie stumm. Unter dem Einflüsse der Dunkelheit erblickten sie unwillkürlich überall Hinterhalte, erst bei den ersten Strahlen des Tages lösten sich ihre Zungen. Mit der Sonne kehrte ihre Heiterkeit wieder: es war wie am Vorabend einer Schlacht; das Herz klopfte in der Brust, die Augen lachten, man fühlte, daß das Leben, von dem man vielleicht scheiden sollte, am Ende doch ein schönes Ding war.

Der Anblick der Caravane hatte übrigens etwas Furchtbares: die Rappen der Musketiere, ihre martialische Tournure, die Gewohnheit der Schwadron, welche die edlen Gefährten der Soldaten regelmäßig marschiren läßt, hätten das strengste Incognito verrathen.

Die Bedienten folgten, bis an die Zähne bewaffnet.

Alles ging gut bis Chantilly, wo man gegen acht Uhr Morgens anlangte. Man mußte frühstücken und stieg vor einer Herberge ab, die sich durch einen Schild, den heiligen Martin darstellend, wie er die Hälfte seines Mantels einem Armen gibt, empfahl. Man schärfte den Lakaien ein, die Pferde nicht abzusatteln und sich zu schleunigem Wiederaufbruch bereit zu halten. Die vier Freunde traten in das gemeinschaftliche Wirthszimmer und setzten sich zu Tisch.

Ein Herr, welcher auf der Straße von Dampmartin angelangt war, saß an demselben Tisch und frühstückte. Er fing an von Regen und schönem Wetter zu sprechen. Die Reisenden antworteten; er trank ihre Gesundheit. Die Reisenden erwiederten diese Höflichkeit.

Aber in dem Augenblick, wo Mousqueton ankündigte, die Pferde seien bereit, und man vom Tische aufstand, schlug der Fremde Porthos die Gesundheit des Kardinals vor. Porthos antwortete: er sei ganz damit einverstanden, wenn der Fremde ebenfalls die Gesundheit des Königs trinken wolle. Der Fremde antwortete: er kenne keinen andern König, als Se. Eminenz. Porthos nannte ihn einen Trunkenbold; der Fremde zog seinen Degen.

»Ihr habt eine Albernheit begangen,« sprach Athos, »gleich viel, jetzt läßt sich nicht mehr zurückweichen. Tödtet diesen Menschen, und holt uns so schnell als möglich wieder ein.«

Und alle drei bestiegen wieder ihre Pferde und jagten mit verhängten Zügeln davon, während Porthos seinem Gegner versprach, er werde ihn mit allen in der Fechtkunst bekannten Stößen durchbohren.

»Dies der erste,« sagte Athos nach fünfhundert Schritten.

»Aber warum hat dieser Mensch eher Porthos, als jeden Andern angegriffen?« fragte Aramis.

»Weil Porthos viel lauter sprach als wir, weßhalb er ihn für unsern Führer gehalten hat.«

»Ich habe immer gesagt, dieser gascognische Kadett sei ein wahrer Brunnen der Weisheit,« murmelte Athos.

Und die Reisenden setzten ihren Marsch fort.

In Beauvais hielt man zwei Stunden an, sowohl um die Pferde ausschnaufen zu lassen, als um Porthos zu erwarten. Als dieser nach Verlauf von zwei Stunden nicht erschien und auch keine Nachricht von ihm eintraf, begab man sich wieder auf den Weg.

Eine Meile von Beauvais, an einer Stelle, wo die Straße zwischen zwei Böschungen eingezwängt war, stieß man auf acht bis zehn Menschen, welche, da man hier gerade das Pflaster aufgebrochen hatte, aussahen, als ob sie hier arbeiteten, um Löcher zu graben oder die Straße auszubessern.

Aramis, der seine Stiefel in diesem künstlichen Schlammloche zu beschmutzen fürchtete, redete sie mit harten Worten an. Athos wollte ihn zurückhalten, es war zu spät. Die Arbeiter fingen an, die Reisenden zu verspotten, und ihre Frechheit brachte den kalten Athos so sehr außer sich, daß er sein Pferd gegen einen von ihnen antrieb.

Nun wich jeder dieser Menschen bis zu dem Graben zurück und ergriff eine verborgene Muskete. Aramis wurde von einer Kugel getroffen, die durch seine Schulter drang, Mousqueton von einer andern, welche im fleischigen Theile der Lende stecken blieb. Mousqueton fiel indessen allein vom Pferde, nicht als ob er schwerer verwundet gewesen wäre; aber da er die Wunde nicht sehen konnte, so hielt er sich ohne Zweifel für viel gefährlicher verletzt, als er es in der That war.

»Das ist ein Hinterhalt!« rief d’Artagnan, »lassen wir unser Zündkraut unverbrannt, und vorwärts!«

Aramis nahm trotz seiner Wunde sein Pferd bei der Mähne, und dieses trug ihn mit den Andern fort. Das von Mousqueton holte sie wieder ein und galoppirte ganz allein und in seiner Reihe.

»Das gibt uns ein Pferd zum Wechseln,« sagte Athos.

»Ein Hut wäre mir lieber,« sprach d’Artagnan, »der meinige ist von einer Kugel fortgerissen worden. Es ist nur ein Glück, daß der Brief, den ich trage, nicht darin war.«

»Bei Gott! sie werden den armen Porthos tödten, wenn er vorüber kommt,« sprach Aramis.

»Wenn Porthos auf den Beinen wäre, so müßte er uns bereits eingeholt haben,« sagte Athos. »Meiner Meinung nach hat der Trunkenbold auf dem Kampfplatze den Rausch verloren.«

Und man galoppirte noch zwei Stunden lang, obgleich die Pferde so ermüdet waren, daß man befürchten mußte, sie werden bald den Dienst versagen.

Die Reisenden hatten einen Seitenweg eingeschlagen, in der Hoffnung, auf diese Art weniger beunruhigt zu werden; aber in Crevecour erklärte Aramis, er könne nicht weiter reiten. In der That hatte er seines ganzen Muthes bedurft, den er unter seiner eleganten Form und unter seinen höflichen Manieren verbarg, um bis hieher zu gelangen. Jeden Augenblick erbleichte er und man war genöthigt, ihn auf seinem Pferde zu unterstützen: man hob ihn vor der Thüre einer Schenke herab, ließ ihm Bazin, der übrigens bei einem Scharmützel mehr hinderlich als nützlich war, und zog weiter, in der Hoffnung, erst in Amiens Nachtlager zu halten.

»Beim Teufel!« sagte Athos, als sie sich auf zwei Herren und auf Grimaud und Planchet zusammengeschmolzen, wieder auf der Straße befanden, »beim Teufel! ich lasse mich nicht drankriegen, und stehe Euch dafür, daß mich von hier bis Calais Niemand dazu bringen wird, den Mund zu öffnen oder den Degen zu ziehen. Ich schwöre …«

»Schwören wir nicht,« sagte d’Artagnan, »galoppiren wir lieber, wenn es unsere Pferde gestatten.«

Die Reisenden spornten ihre Rosse so, daß sie ihre Kräfte wieder fanden. Man langte in Amiens um Mitternacht an und stieg vor der Herberge zur goldenen Lilie ab.

Der Wirth sah aus, wie der ehrlichste Mann von der Welt. Er empfing die Reisenden, seinen Leuchter in der einen, die baumwollene Mütze in der andern Hand; er wollte die zwei Reisenden jeden in einem vortrefflichen Zimmer einquartieren. Zum Unglück lag jedes von diesen Zimmern am äußersten Ende des Gasthauses. D’Artagnan und Athos weigerten sich. Der Wirth antwortete, er habe keine andere Ihrer Excellenzen würdige Zimmer; aber die Reisenden erklärten, sie würden in einer gemeinschaftlichen Stube jeder auf einer Matratze schlafen, die man auf den Boden werfen könne; der Wirth bestand auf seiner Meinung, die Reisenden gaben nicht nach, und er mußte thun, wie sie haben wollten.

Sie hatten ihr Bett geordnet und ihre Thüre von innen verbarrikadirt, als man vom Hof aus an ihre Läden klopfte. Sie fragten, wer da sei, erkannten die Stimme ihrer Bedienten und öffneten. Es waren wirklich Planchet und Grimaud.

»Grimaud kann allein die Pferde bewachen,« sagte Planchet. »Wenn die Herren erlauben, so werde ich mich quer vor ihre Thüre legen. Auf diese Art sind sie sicher, daß man nicht bis zu ihnen gelangt.«

»Und auf was willst Du schlafen?« sagte d’Artagnan.

»Hier ist mein Bett,« antwortete Planchet und zeigte einen Bund Stroh.

»Komm also,« sprach d’Artagnan, »Du hast Recht, das Gesicht des Wirthes will mir nicht zusagen, es ist zu freundlich.«

Planchet stieg durch das Fenster ein und legte sich quer vor die Thüre, während sich Grimaud in dem Stalle einschloß, nachdem er zuvor die Versicherung gegeben hatte, daß er und die Pferde um fünf Uhr Morgens bereit sein sollen.

Die Nacht ging ziemlich ruhig vorüber; man versuchte es wohl gegen zwei Uhr Morgens die Thüre zu öffnen; aber da Planchet plötzlich erwachte und: » Wer da!« rief, so antwortete man ihm, man habe sich getäuscht, und zog ab. Um vier Uhr Morgens vernahm man einen gewaltigen Lärm im Stalle. Grimaud hatte die Hausknechte wecken wollen und diese schlugen ihn. Als man das Fenster öffnete, sah man den armen Burschen bewußtlos auf der Erde ausgestreckt. Ein Hieb mit der Heugabel hatte ihm den Kopf verletzt.

Planchet ging in den Hof hinab und wollte die Pferde satteln: die Pferde lahmten; nur das von Grimaud, welches am Tage vorher fünf bis sechs Stunden ohne Herrn gereist war, hätte den Marsch fortsetzen können. Aber in Folge eines unbegreiflichen Irrthums hatte der Thierarzt, den man ohne Zweifel holen ließ, um dem Pferde des Wirthes zur Ader zu lassen, dem von Grimaud zur Ader gelassen.

Die Sache fing an beunruhigend zu werden: alle diese rasch aufeinander folgenden Begebenheiten waren vielleicht das Resultat des Zufalls, aber sie konnten ebensowohl die Frucht eines Komplottes sein. Athos und d’Artagnan gingen hinaus, während sich Planchet erkundigte, ob man nicht in der Gegend drei Pferde zu kaufen finden könne. Vor der Thüre standen wirklich zwei Pferde gesattelt und gezäumt, frisch und kräftig. Das fügte sich gut. Er fragte, wo die Herren seien, man antwortete ihm, sie haben die Nacht in dem Wirthshause zugebracht und bezahlen in diese Augenblick ihre Zeche.

Athos ging hinab, um die Rechnung zu berichtigen, während d’Artagnan und Planchet an der Hausthüre stehen blieben; der Wirth befand sich in einem unteren nach hinten gelegenen Zimmer; man bat Athos, dahin zu gehen.

Athos trat ohne Mißtrauen ein und zog zwei Goldstücke hervor, um zu bezahlen. Der Wirth war allein und saß vor einem Bureau, an dem eine der Schubladen halb offen war. Er nahm das Geld, das ihm Athos darbot, drehte es wiederholt in der Hand um und rief plötzlich, es sei falsch, und er werde ihn und seine Gefährten als Falschmünzer in Verhaft nehmen lassen.

»Schurke,« sprach Athos gegen ihn vorrückend, »ich werde Dir die Ohren abschneiden!«

Aber der Wirth bückte sich, nahm zwei Pistolen aus einer der Schubladen, und richtete sie, um Hülfe rufend, gegen Athos.

In demselben Augenblick traten vier bis an die Zähne bewaffnete Männer durch die Seitenthüren ein und warfen sich auf Athos.

»Ich bin verloren,« schrie Athos mit der vollen Gewalt seiner Lunge; »mach Dich fort, d’Artagnan, fort, fort!« Und er drückte seine beiden Pistolen ab.

D’Artagnan und Planchet ließen sich diesen Zuruf nicht wiederholen; sie machten die zwei Pferde, welche vor der Thüre standen, los, sprangen in den Sattel, stießen ihnen die Sporen in den Leib und jagten im stärksten Galopp davon.

»Weißt Du, was aus Athos geworden ist?« fragte d’Artagnan.

»Ach! gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »ich habe zwei auf seine Schüsse fallen sehen, und bei einem Blicke, den ich noch durch die Glasthüre warf, kam es mir vor, als fuchtelte er mit den andern.«

»Braver Athos!« murmelte d’Artagnan. »Wenn ich bedenke, daß man ihn so im Stiche lassen muß! Uebrigens erwartet uns vielleicht zehn Schritte von hier dasselbe Schicksal. Vorwärts! Planchet, vorwärts! Du bist ein wackerer Bursche.«

»Ich habe es Euch gesagt, gnädiger Herr,« antwortete Planchet, »die Picarden erkennt man erst beim Gebrauch; übrigens bin ich hier in meiner Heimath und das feuert mich an.«

Beide spornten auf das Schönste und gelangten in einem Zuge nach Saint-Omer. Hier ließen sie ihre Pferde ausschnaufen, wobei sie aus Furcht vor irgend einem Unfalle die Zügel um den Arm schlangen, und aßen, vor der Thüre stehend, einen Bissen aus der Faust, wonach sie ihren Marsch wieder fortsetzten.

Hundert Schritte vor den Thoren von Calais stürzte d’Artagnans Pferd es war unmöglich, dasselbe wieder auf die Beine zu bringen; das Blut lief ihm aus der Nase und aus den Augen; es war noch das Pferd Planchets übrig, aber dieses stand stille, und man konnte es keinen Schritt mehr weiter treiben.

Zum Glück waren sie, wie gesagt, nur noch hundert Schritte von der Stadt entfernt. Sie ließen die beiden Rosse aus der Landstraße und liefen nach dem Hafen. Planchet machte seinen Gebieter auf einen Herrn aufmerksam, der eben mit seinem Bedienten ankam und nur fünfzig Schritte vor ihnen ging.

Sie näherten sich rasch diesem Herrn, der große Eile zu haben schien. Seine Stiefel waren mit Staub bedeckt, und er fragte, ob er nicht sogleich nach England überfahren könnte.

»Nichts leichter als das,« antwortete der Patron eines segelfertigen Schiffes; aber diesen Morgen ist ein Befehl eingetroffen, Niemand ohne ausdrückliche Erlaubniß des Herrn Kardinals passiren zu lassen.«

»Ich habe diese Erlaubniß,« sagte der Herr, ein Papier aus seiner Tasche ziehend; »hier ist sie.«

»So laßt sie vom Hafen-Gouverneur unterzeichnen und gönnt mir den Vorzug vor den anderen Schiffen.«

»Wo kann ich den Gouverneur finden?«

»In seinem Landhause.«

»Und wo liegt dieses?«

»Eine Viertelmeile von der Stadt! Ihr seht es dort, am Fuße jener Anhöhe, mit dem Schieferdache.«

»Gut!« rief der Herr und schlug von seinem Bedienten gefolgt den Weg nach dem Landhause des Gouverneurs ein.

D’Artagnan und Planchet folgten dem Herrn in einer Entfernung von fünfhundert Schritten.

Sobald sie vor der Stadt waren, beschleunigte d’Artagnan seine Schritte und holte den Herrn ein, als er eben in ein kleines Gehölze eintrat.

»Mein Herr,« sprach d’Artagnan, »Ihr scheint mir große Eile zu haben.« – »Im höchsten Grade.« – »Bedaure sehr, denn da ich ebenfalls große Eile habe, so wollte ich Euch um einen Dienst bitten.« – »Um welchen?« – »Mich vorausgehen zu lassen. Ich habe sechzig Meilen in vier und vierzig Stunden zurückgelegt und muß morgen Mittag in London sein.« – »Ich habe denselben Weg in vierzig Stunden gemacht und muß morgen früh um zehn Uhr in London sein.« – »Bedaure, mein Herr, aber da ich zuerst angekommen, werde ich nicht als zweiter gehen.« – »Es thut mir unendlich leid ich bin als zweiter angekommen, aber ich werde zuerst gehen.« – »Im Dienste des Königs?« sprach der Herr. – »In meinem Dienste!« antwortete d’Artagnan. – »Ihr scheint mir Händel zu suchen?« – »Beim Teufel! wie soll es anders sein?« – »Was verlangt Ihr von mir?« – »Wollt Ihr es wissen?« – »Allerdings.« – »Nun! ich verlange den Befehl, den Ihr bei Euch tragt, insofern ich keinen habe und doch desselben nothwendig bedarf.« – »Ihr scherzt hoffentlich?« – »Ich scherze nie.« – »Laßt mich ziehen.« – »Ihr kommt nicht von der Stelle.« – »Mein braver junger Mann, ich werde Euch den Schädel zerschmettern. Holla! Lubin, meine Pistolen.« – »Planchet,« sagte d’Artagnan, »übernimm Du den Bedienten, ich nehme den Herrn.«

Durch die erste That ermuthigt, sprang Planchet auf Lubin, warf ihn, stark und kräftig, wie er war, auf den Boden und setzte ihm das Knie auf die Brust.

»Macht Euer Geschäft ab, gnädiger Herr,« sagte Planchet, »ich bin mit dem meinigen fertig.«

Dies gewahrend, zog der Unbekannte seinen Degen und fiel gegen d’Artagnan aus, aber er hatte es mit einem gewaltigen Gegner zu thun.

In drei Sekunden versetzte ihm d’Artagnan drei Degenstöße und bei jedem Stoße sagte er:

»Einen für Athos, einen für Porthos, einen für Aramis!«

Beim dritten Stoße stürzte der Unbekannte wie eine träge Masse zur Erde.

D’Artagnan hielt ihn für todt oder wenigstens für ohnmächtig, und näherte sich ihm, um den Befehl zu nehmen; aber in dem Augenblicke, wo er die Hand ausstreckte, um ihn zu suchen, brachte ihm der Verwundete, der seinen Degen nicht losgelassen hatte, einen Stich in die Brust bei und rief:

»Einen für Euch!«

»Und einen für Dich! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!« schrie d’Artagnan wüthend und spießte ihn mit einem vierten Stoße durch den Bauch an den Boden.

Diesmal schloß der Fremde, ohnmächtig geworden, die Augen.

D’Artagnan durchsuchte die Tasche, in welche er ihn den Ueberfahrsbefehl hatte stecken sehen, und nahm ihn. Er war auf den Namen des Grafen von Wardes ausgestellt.

Einen letzten Blick auf den schönen jungen Mann werfend, der kaum fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, und den er hier auf der Erde ausgestreckt, das Bewußtsein beraubt, vielleicht gar todt zurücklassen mußte, seufzte er über das seltsame Geschick, welches die Menschen dahinbringt, daß sie einander umbringen im Interesse von Leuten, die ihnen fremd sind, und denen ihr Dasein häufig ganz unbekannt ist.

Bald aber wurde er seinen Betrachtungen durch Lubin entzogen, der ein furchtbares Jammergeschrei ausstieß und mit aller Gewalt um Hilfe rief.

Planchet faßte ihn bei der Gurgel und schnürte sie ihm aus Leibeskräften zusammen.

»Gnädiger Herr,« sagte er, »so lange ich ihn so halte, wird er sicherlich nicht schreien, das weiß ich gewiß, aber sobald ich ihn loslasse, wird er wieder zu kreischen anfangen. Es ist ein Normann und die Normannen sind hartnäckige Bursche.«

Lubin suchte wirklich, so gepreßt er auch war, einige Töne von sich zu geben.

»Warte!« sprach d’Artagnan, nahm sein Taschentuch und knebelte ihn.

»Nun wollen wir ihn an einen Baum binden!« sagte Planchet.

Dies wurde gewissenhaft ausgeführt. Dann schleppte man den Grafen von Wardes in die Nähe seines Bedienten, und da die Nacht bereits einbrach und beide, der Verwundete und der Geknebelte, sich mehrere Schritte in einem Gehölze befanden, so mußten sie offenbar bis am andern Tage hier bleiben.

»Und nun zum Gouverneur,« rief d’Artagnan.

»Es scheint mir, Ihr seid verwundet?« sagte Planchet.

»Das ist jetzt von keiner Bedeutung, wir wollen uns mit dem Dringenderen beschäftigen, und dann nach der Wunde fragen, die mir übrigens durchaus nicht gefährlich zu sein scheint.«

Und beide eilten mit großen Schritten nach dem Landhause des würdigen Beamten.

Man kündigte den Grafen von Wardes an.

D’Artagnan wurde eingeführt.

»Ihr habt einen vom Kardinal unterzeichneten Paß?« sagte der Gouverneur. – »Ja, mein Herr, hier ist er.« – »Ah, ah! er ist in Ordnung und mit guten Empfehlungen versehen,« sprach der Gouverneur. – »Das ist ganz einfach,« erwiederte d’Artagnan, »ich gehöre zu seinen getreuesten Anhängern.« – »Es scheint. Seine Eminenz will irgend Jemand verhindern, nach England zu kommen?« – »Ja, einen gewissen d’Artagnan, einen Bearner Edelmann, der mit drei von seinen Freunden von Paris abgereist ist, in der Absicht, sich nach London zu begeben.« – »Kennt Ihr ihn persönlich,« fragte der Gouverneur. –»Wen?« – »Diesen d’Artagnan.« – »Sehr gut!« – »Gebt mir sein Signalement.« – »Nichts leichter!«

D’Artagnan gab Zug für Zug das Signalement des Grafen von Wardes.

»Hat er einen Begleiter?« fragte der Gouverneur.

»Ja, einen Bedienten, Namens Lubin.«

»Man wird auf sie Acht haben, und wenn man ihrer habhaft wird, mag Seine Eminenz ruhig sein, sie sollen unter sicherem Geleite nach Paris zurückgeführt werden.«

»Wenn Ihr dies thut, mein Herr Gouverneur,« sprach d’Artagnan, »werdet Ihr Euch ein großes Verdienst um den Kardinal erwerben.«

»Ihr seht ihn wohl bei Eurer Rückkehr, mein Herr Graf?«

»Das versteht sich.«

»Sagt ihm gefälligst, ich sei sein getreuer Diener.«

»Ich werde nicht ermangeln.«

Erfreut über diese Versicherung, visirte der Gouverneur den Paß und stellte ihn d’Artagnan zu.

D’Artagnan verlor keine Zeit mit unnützen Komplimenten, verbeugte sich vor dem Gouverneur, dankte ihm und ging weg.

Sobald er mit Planchet aus dem Hause war, setzten sie sich in raschen Lauf, machten einen langen Umweg, um das Gehölze zu vermeiden, und gelangten durch ein anderes Thor nach der Stadt zurück.

Das Schiff war immer noch zur Abfahrt bereit. Der Patron wartete am Hafen.

»Nun, wie steht’s?« sagte er, sobald er d’Artagnan gewahr wurde. – »Hier ist der visirte Paß,« erwiederte dieser. – »Und der andere Herr?« – »Er wird heute nicht mehr abreisen,« sprach d’Artagnan, »aber seid ruhig, ich bezahle die Ueberfahrt für uns Beide.« – »In diesem Fall, zu Schiffe,« sagte der Patron. – »Zu Schiffe,« wiederholte d’Artagnan.

Und er sprang mit Planchet in den Nachen; fünf Minuten nachher waren sie an Bord.

Es war höchste Zeit; sie befanden sich kaum eine halbe Meile in See, als d’Artagnan eine Flamme bemerkte und einen Knall hörte.

Es war der Kanonenschuß, der das Schließen des Hafens ankündigte.

Nun mußte man sich endlich mit d’Artagnans Wunde beschäftigen. Zum Glück war sie, wie er selbst gedacht hatte, nicht gefährlich. Die Degenspitze hatte eine Rippe getroffen und war von dem Beine abgeglitten; überdieß hatte sich das Hemd an die Wunde festgeklebt und so waren nur einige Tropfen Blutes hervorgedrungen.

D’Artagnan war im höchsten Grad ermattet. Man breitete ihm eine Matratze auf dem Verdeck aus, er warf sich darauf und entschlummerte.

Am andern Morgen bei Tagesanbruch befand er sich noch drei bis vier Meilen von der Küste Frankreichs entfernt; der Wind war in der ganzen Nacht sehr schwach gewesen und man hatte eine kleine Strecke zurückgelegt.

Um zwei Uhr ging das Schiff in dem Hafen von Dover vor Anker.

Um halb drei Uhr setzte d’Artagnan den Fuß auf den Boden Englands und rief: »Endlich bin ich hier!«

Aber damit war es noch nicht genug. Man mußte London erreichen. In England war die Post ziemlich gut bedient. D’Artagnan und Planchet nahmen jeder einen Klepper. Ein Postillon ritt voraus, in vier Stunden langten sie vor den Thoren der Hauptstadt an.

Der Herzog befand sich mit dem König auf der Jagd.

D’Artagnan kannte London nicht. D’Artagnan verstand kein Wort Englisch; aber er schrieb den Namen Buckingham auf ein Papier und Jedermann zeigte ihm das Hotel des Herzogs.

D’Artagnan fragte nach dem ersten Kammerdiener Buckinghams, der ihn auf allen seinen Reisen begleitet hatte und vollkommen Französisch sprach. Er sagte ihm, er komme von Paris in einer Angelegenheit, bei der es sich um Leben und Tod handle, und müsse seinen Herrn sogleich sprechen.

Die Sicherheit, mit der d’Artagnan sein Verlangen ausdrückte, überzeugte Patrice, so hieß dieser Minister des Ministers. Er ließ zwei Pferde satteln und übernahm es, den jungen Gardisten zu begleiten. Planchet hatte man steif wie ein Rohr von seinem Rosse herabgehoben. Die Kräfte des armen Burschen waren völlig erschöpft. D’Artagnan schien von Eisen.

Man kam in dem Schlosse an und zog hier Erkundigung ein; der König und Buckingham waren auf der Beize in einem zwei bis drei Meilen von da entfernten Moore.

In zwanzig Minuten befand man sich an der bezeichneten Stelle. Bald hörte Patrice die Stimme seines Herrn, der seinen Falken zurückrief.

»Wen soll ich Mylord-Herzog ankündigen?« fragte Patrice.

»Den jungen Mann, der eines Abends auf dem Pont Neuf bei der Samaritaine Händel mit ihm gesucht hat.«

»Eine sonderbare Empfehlung!«

»Ihr werdet sehen, daß sie so viel werth ist, als irgend eine andere.«

Patrice setzte sein Pferd in Galopp, erreichte den Herzog und meldete ihm in den so eben erwähnten Worten einen Boten an, der seiner harrte.

Buckingham erkannte d’Artagnan sogleich, und da er vermuthete, daß in Frankreich etwas vorging, wovon man ihn in Kenntniß setzen wollte, so nahm er sich nicht die Zeit, zu fragen, wo der Bote sei, sondern galoppirte, als er von Ferne die Uniform der Garden erkannt hatte, gerade auf d’Artagnan zu. Patrice hielt sich aus Discretion entfernt.

»Es ist der Königin doch kein Unglück widerfahren?« rief Buckingham, alle seine Gedanken, seine ganze Liebe in diese Frage legend.

»Ich glaube nicht, aber ich bin der Ueberzeugung, daß sie eine große Gefahr läuft, der Eure Herrlichkeit allein sie entziehen kann.«

»Ich?« rief Buckingham. »Sollte ich so glücklich sein, ihr in irgendwie nützen zu können? Sprecht? sprecht!«

»Nehmt diesen Brief,« sagte d’Artagnan

»Diesen Brief? von wem kommt er?«

»Von Ihrer Majestät, wie ich glaube.«

»Von Ihrer Majestät,« sprach Buckingham und erbleichte dergestalt, daß d’Artagnan meinte, er würde in Ohnmacht fallen.

Er erbrach das Siegel.

»Woher dieser Riß?« sagte er und zeigte d’Artagnan eine Stelle, wo er durchbohrt war.

»Ah, ab!« rief d’Artagnan, »ich hatte das nicht gesehen. Der Degen des Grafen von Wardes wird dieses schöne Loch gemacht haben, als er ihn mir in die Brust stieß.«

»Ihr seid verwundet?« fragte Buckingham.

»O! nichts,« erwiederte d’Artagnan; »eine Schramme.«

»Gerechter Himmel! was habe ich gelesen?« rief der Herzog. »Patrice, bleibe hier, oder vielmehr suche den König auf, wo er auch sein mag, und sage Seiner Majestät, daß ich mich zu entschuldigen bitte; aber eine Angelegenheit von höchstem Belang rufe mich nach London zurück. Kommt, Herr, kommt!«

Und Beide schlugen im Galopp den Weg nach der Hauptstadt ein.

XXI.

Die Gräfin von Winter.

Den ganzen Weg entlang ließ sich der Herzog über Alles von d’Artagnan Bericht erstatten, nicht über Alles, was vorgefallen war, sondern über das, was d’Artagnan davon wußte. Indem er die Mittheilungen des jungen Mannes mit seinen Erinnerungen zusammenhielt, konnte er sich einen genauen Begriff von der Lage machen, von deren Mißlichkeit ihm der Brief der Königin, so kurz er auch war, einen Maßstab gab. Er wunderte sich besonders darüber, daß es dem Kardinal, dem so viel daran liegen mußte, daß der junge Mann England nicht erreichen konnte, nicht gelungen war, ihn auf dem Wege aufgreifen zu lassen. Als er sein Erstaunen hierüber kund gab, erzählte ihm d’Artagnan von den Vorsichtsmaßregeln, die er genommen, und wie er durch die aufopfernde Ergebenheit seiner drei Freunde, die er blutend und zerstreut auf der Straße zurückgelassen, mit einem Degenstiche sich durchgeschlagen, der durch das Billet der Königin gedrungen war, und den er dem Grafen von Wardes mit so furchtbarer Münze zurückbezahlt hatte. Während der Herzog auf diese Erzählung hörte, die mit der größten Einfachheit vorgetragen wurde, schaute er d’Artagnan mit erstaunter Miene an, als könnte er nicht begreifen, wie er so viel Muth, so viel Klugheit, so viel Ergebenheit mit einem Gesichte zusammenreimen sollte, das kaum zwanzig Jahre andeutete.

Die Pferde gingen wie der Wind, und in wenigen Minuten befanden sie sich vor den Thoren von London. D’Artagnan hatte geglaubt, der Herzog würde in der Stadt etwas langsamer reiten; aber dem war nicht so. Er setzte seinen Weg in größter Eile fort und kümmerte sich nicht darum, ob er die Leute auf der Straße niederwarf. Wirklich ereigneten sich mehrere Unfälle dieser Art während des Rittes durch die Stadt. Aber Buckingham drehte nicht einmal den Kopf um zu sehen, was aus denjenigen, welche er niederritt, geworden war. D’Artagnan folgte ihm mitten unter Schreien, welche viel Aehnlichkeit mit Verfluchungen hatten.

Im Hof seines Hotels sprang Buckingham von seinem Pferd, warf ihm gleichgültig den Zügel auf den Hals und stürzte nach der Treppe. D’Artagnan that dasselbe, jedoch mit etwas mehr Unruhe für diese edlen Thiers, deren Verdienst er würdigen gelernt hatte; aber zu seiner Befriedigung bemerkte er, daß drei bis vier Bedienten aus den Küchen und Ställen herbeiliefen und sich sogleich der Pferde bemächtigten.

Der Herzog ging so rasch, daß d’Artagnan Mühe hatte, ihm zu folgen. Er durchschritt nach einander mehrere Salons von einer Eleganz, von der selbst die vornehmen Herren Frankreichs keinen Begriff hatten, und gelangte endlich in ein Schlafgemach, das zugleich ein Wunder von Geschmack und Reichtum war. Im Alkoven dieses Gemachs war eine in der Tapete angebrachte Thüre, welche der Herzog mit einem kleinen goldenen Schlüssel öffnete, den er an einer Kette von demselben Metall am Halse trug. Aus Bescheidenheit war d’Artagnan zurückgeblieben. Aber in dem Augenblick, wo Buckingham die Schwelle dieser Thüre überschritt, drehte er sich um und sprach, als er das Zögern des jungen Mannes wahrnahm:

»Kommt, und wenn Ihr die Ehre habt, vor Ihrer Majestät erscheinen zu dürfen, so sagt ihr, was Ihr hier seht.«

Ermuthigt durch diese Aufforderung, folgte d’Artagnan dem Herzog, der die Thüre hinter sich schloß.

Beide befanden sich nun in einer kleinen mit persischer Seide tapezierten und mit Gold gestickten Kapelle, welche mit einer großen Anzahl von Kerzen stark beleuchtet war. Ueber einer Art von Altar und unter einem Prachthimmel von blauem Sammet, überragt von weißen und rothen Federn, gewahrte man ein Porträt in natürlicher Größe, Anna von Oesterreich so vollkommen ähnlich darstellend, daß d’Artagnan unwillkürlich einen Schrei des Erstaunens ausstieß. Man hätte glauben sollen, Ihre Majestät wäre im Begriff zu sprechen.

Auf dem Altar und unter dem Porträt stand das Kistchen, welches die diamantenen Nestelstifte enthielt.

Der Herzog näherte sich dem Altar, kniete davor nieder, wie ein Priester vor dem Christusbilde, und öffnete das Kistchen.

»Seht,« sprach er, indem er eine große ganz von Diamanten funkelnde blaue Bandschleife hervorzog, »seht, hier sind diese kostbaren Nestelstifte, mit denen ich mich begraben zu lassen geschworen hatte. Die Königin hat sie mir gegeben, die Königin nimmt sie mir wieder, ihr Wille geschehe, wie der Wille Gottes, in allen Dingen.«

Dann küßte er alle diese Stifte, von denen er sich trennen sollte, einen um den andern. Plötzlich stieß er einen furchtbaren Schrei aus.

»Was gibt es?« fragte d’Artagnan unruhig. »Was ist Euch, Mylord?«

»Alles ist verloren!« rief Buckingham, indem er todesbleich wurde; »zwei von diesen Nestelstiften fehlen; es sind nur noch zehn.«

»Hat Mylord sie verloren, oder glaubt er, man könnte sie ihm gestohlen haben?«

»Man hat sie mir gestohlen,« erwiederte der Herzog, »und das ist ein Streich des Kardinals! Seht, die Bänder, an denen sie befestigt waren, sind mit der Scheere durchschnitten.«

»Sollte Mylord vermuthen, wer den Diebstahl begangen hat? … Vielleicht sind sie noch in den Händen der Person.«

»Geduld!« rief der Herzog. »Ich trug diese Nestelstifte nur ein einziges Mal vor acht Tagen auf einem Ball des Königs in Windsor. Die Gräfin von Winter, mit der ich gespannt war, näherte sich nur auf diesem Ball. Diese Annäherung war eine Rache der eifersüchtigen Frau. Seitdem habe ich sie nicht wieder gesehen. Sie ist eine Agentin Richelieus.«

»Also gibt es auf der ganzen Welt Agenten von ihm?« rief d’Artagnan.

»Oh! ja, ja,« sprach Buckingham vor Zorn mit den Zähnen knirschend; »ja, er ist ein furchtbarer Gegner. Doch wann soll der bewußte Ball stattfinden?«

»Nächsten Montag.«

»Nächsten Montag! Fünf Tage also? Das ist mehr Zeit als wir brauchen. Patrice!« rief ver Herzog, die Thüre der Kapelle öffnend, »Patrice!«

Der Kammerdiener erschien.

»Meinen Juwelier und meinen Sekretär!«

Der Kammerdiener entfernte sich mit einer Geschwindigkeit, und Schweigsamkeit, woraus sich erkennen ließ, daß er an blinden und stummen Gehorsam gewöhnt war.

Aber obgleich man den Juwelier zuerst gerufen hatte, erschien doch der Sekretär vor diesem. Dies war ganz einfach, denn er wohnte im Hotel. Er fand Buckingham in seinem Schlafzimmer vor einem Tisch sitzend und eigenhändig einige Briefe schreibend.

»Herr Jakson,« sprach er, »Ihr begebt Euch stehenden Fußes zum Lordkanzler und sagt ihm, daß ich ihn mit Vollziehung dieser Befehle beauftrage. Ich verlange, daß sie sogleich bekannt gemacht werden sollen.«

»Aber, gnädigster Herr, wenn der Lordkanzler mich nach den Motiven fragt, die Eure Herrlichkeit zu so außerordentlichen Maßregeln veranlassen konnten, was soll ich antworten?«

»So habe es mir gefallen, und ich habe Niemand über meinen Willen Rechenschaft zu geben.«

»Ist das die Antwort, die er Seiner Majestät zu überbringen hat,« versetzte der Sekretär lächelnd, »wenn Seine Majestät zufällig so neugierig sein sollte, wissen zu wollen, warum kein Schiff aus den Häfen Großbritanniens auslaufen darf?«

»Ihr habt Recht, mein Herr,« antwortete Buckingham; »er mag in diesem Fall dem König sagen, ich habe den Krieg beschlossen, und diese Maßregel sei mein erster feindseliger Akt gegen Frankreich.«

Der Sekretär verbeugte sich und trat ab.

»Wir sind nun von dieser Seite her ruhig,« sprach Buckingham, sich gegen d’Artagnan umwendend. »Wenn die Nestelstifte noch nicht nach Frankreich abgegangen sind, so werden sie erst nach Euch ankommen.«

»Wie dies?«

»Ich habe einen Embargo aus alle Schiffe gelegt, welche sich zu dieser Stunde in den Häfen seiner Majestät befinden, und ohne besondere Erlaubniß wird es keines wagen, die Anker zu lichten.«

D’Artagnan betrachtete staunend diesen Mann, der die unbeschränkte Gewalt, womit ihn das Vertrauen des Königs bekleidet hatte, im Dienste seiner Liebschaften ausbeutete. Buckingham bemerkte am Gesichtsausdruck des jungen Mannes, was in seinem Innern vorging, und lächelte.

»Ja,« sagte er, »ja, Anna von Oesterreich ist meine wahre Königin, auf ein Wort von ihr verrathe ich mein Vaterland, meinen König, meinen Gott. Sie hat mich gebeten, den Protestanten von La Rochelle die Hülfe nicht zu schicken, die ich ihnen zugesagt hatte, und ich habe es gethan. Ich habe mein Wort gebrochen, aber gleich viel, ich gehorchte ihrem Wunsche; sagt, wurde ich nicht großmüthig für meinen Gehorsam bezahlt? denn diesem habe ich ihr Porträt zu verdanken.«

D’Artagnan staunte und bedachte, an welch schwachen und unbekannten Fäden oft die Geschicke der Völker und das Leben der Menschen hängen.

Er war ganz in Betrachtungen versunken, als der Goldschmied eintrat: er war ein Irländer und einer der geschicktesten Künstler seines Fachs; er gestand selbst, daß er jährlich hundert tausend Livres bei dem Herzog von Buckingham gewann.

»Herr O’Reilly,« sagte der Herzog, indem er ihn in die Kapelle führte, »betrachtet diese diamantenen Nestelstifte und sagt mir, was das Stück werth ist.«

Der Goldschmied warf einen Blick auf die zierliche Fassung, berechnete den Werth jedes einzelnen Diamants und antwortete ohne Zögern:

»Fünfzehnhundert Pistolen das Stück.«

»Wie viel Tage braucht man, um zwei solche Nestelstifte zu machen, wie diese sind? Ihr seht, daß zwei fehlen.«

»Acht Tage, Mylord.«

»Ich bezahle Euch dreitausend Pistolen für das Stück; übermorgen muß ich sie haben.«

»Mylord wird sie haben.«

»Ihr seid ein kostbarer Mann, Herr O’Reilly; aber das ist noch nicht Alles; diese Stifte kann man Niemand anvertrauen, sie müssen in meinem Palaste gemacht werden.«

»Unmöglich, Mylord, nur ich bin im Stande, die Arbeit so auszuführen, daß man den Unterschied zwischen den neuen und den alten nicht sieht.«

»Dann seid Ihr mein Gefangener, mein lieber Herr O’Reilly, und dürft den Palast von dieser Stunde an nicht mehr verlassen: entschließt Euch also. Nennt mir diejenigen Eurer Gehülfen, deren Ihr bedürft, und bezeichnet mir die Werkzeuge, die sie mitbringen sollen.«

Der Goldschmied kannte den Herzog! er wußte, daß jede Gegenbemerkung vergeblich gewesen wäre, und faßte also sogleich seinen Entschluß.

»Es wird mir erlaubt sein, meine Frau davon in Kenntniß zu setzen?« fragte er.

»Oh! es ist Euch auch erlaubt, sie zu sehen, mein lieber O’Reilly; seid unbesorgt, Euere Gefangenschaft soll mild sein, und da jede Störung eine Schadloshaltung heischt, so nehmt außer dem Preise für die zwei Nestelstifte, diese Anweisung auf tausend Pistolen, damit Ihr leichter die Beschwerde vergeht, die ich Euch verursache.«

D’Artagnan konnte sich von seinem Erstaunen über diesen Minister nicht erholen, der mit vollen Händen Menschen und Millionen in Bewegung setzte.

Der Goldschmied schrieb an seine Frau und schickte ihr die Anweisung auf tausend Pistolen, mit dem Auftrag, ihm dagegen seinen geschicktesten Gesellen, ein Sortiment von Diamanten, die er ihr dem Gewicht und Titel nach bezeichnete, und eine Anzahl von Instrumenten, deren er bedurfte, zuzusenden.

Buckingham führte den Goldschmied in das für ihn bestimmte Zimmer, welches nach Verlauf einer halben Stunde in eine Werkstätte verwandelt war; dann stellte er eine Wache vor jede Thüre mit dem strengen Verbot, irgend Jemand außer seinem Kammerdiener Patrice einzulassen. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß es dem Goldschmied O’Reilly und seinem Gehülfen unter keinem Vorwand gestattet war, den Palast zu verlassen.

Nachdem der Herzog diesen Punkt geordnet hatte, kehrte er zu d’Artagnan zurück.

»Nun, mein junger Freund,« sprach er, »nun gehört England uns beiden; was wollt Ihr, was wünscht Ihr?«

»Ein Bett,« antwortete d’Artagnan; »das ist in diesem Augenblick für mich das wesentlichste Bedürfniß.«

Buckingham gab d’Artagnan ein Zimmer, das an das seinige stieß. Er wollte den jungen Mann bei der Hand behalten, nicht als ob er ihm mißtraut hätte, sondern um einen Menschen bei sich zu haben, mit dem er beständig von der Königin sprechen konnte.

Eine Stunde nachher wurde in London der Befehl verkündigt, kein nach Frankreich bestimmtes Schiff aus den Häfen auslaufen zu lassen, nicht einmal das Briefpaquetboot. Dies war in Aller Augen eine Kriegserklärung zwischen den zwei Königreichen.

Am zweiten Tag um elf Uhr waren die diamantenen Nestelstifte vollendet und so genau nachgeahmt, so vollkommen ähnlich, daß Buckingham die neuen nicht von den alten unterscheiden konnte, und daß das geübteste Kennerauge sich getäuscht hätte.

Sogleich ließ der Herzog d’Artagnan rufen.

»Hier sind die diamantenen Nestelstifte, die Ihr holen wolltet. Seid mein Zeuge, daß ich Alles gethan habe, was in der Macht eines Menschen lag.«

»Seid unbesorgt, Mylord, ich werde erzählen, was ich gesehen habe, aber Ew. Herrlichkeit legen die Nestelstifte nicht wieder in das Kistchen.«

»Das Kistchen wäre unbequem für Euch. Ueberdies ist es für mich um so kostbarer, als es mir allein bleibt. Ihr werdet sagen, daß ich es behalte.«

»Euer Auftrag soll Wort für Wort vollzogen werden, Mylord.«

»Und nun,« sprach Buckingham und schaute dabei den jungen Mann fest an, »wie soll ich meine Schuld gegen Euch abtragen?«

D’Artagnan erröthete bis unter das Weiß der Augen. Er sah, daß der Herzog ihn bewegen wollte, irgend etwas anzunehmen, und der Gedanke, daß das Blut seiner Gefährten und das seinige mit englischem Golde bezahlt werden sollte, widerstrebte ganz und gar seiner Denkungsart.

»Verständigen wir uns, Mylord,« versetzte d’Artagnan, »wägen wir die Umstände vorher genau ab, damit nicht nachher ein Mißverständniß daraus entstehe. Ich bin im Dienste des Königs und der Königin von Frankreich und gehöre zu der Gardekompagnie des Herrn des Essarts, welcher, wie sein Schwager, Herr von Treville, Ihren Majestäten ganz besonders ergeben ist. Ich habe also Alles für die Königin und nichts für Ew. Herrlichkeit gethan. Ueberdieß hätte ich vielleicht von Allem dem gar nichts ausgeführt, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte, einer Person angenehm zu sein, welche meine Dame ist, wie die Königin die Eure.«

»Ja,« sprach der Herzog lächelnd, »und ich glaube sogar die andere Person zu kennen; es ist …«

»Mylord, ich habe sie nicht genannt,« unterbrach ihn der junge Mann lebhaft.

»Das ist wahr,« sprach der Herzog. »Also muß ich dieser Person für Eure Aufopferung dankbar sein?«

»Ihr habt es gesagt, Mylord; denn gerade zu dieser Stunde, wo von einem Krieg die Rede ist, gestehe ich, daß ich in Ew. Herrlichkeit nur einen Engländer und folglich einen Feind sehe, dem ich noch viel lieber auf dem Schlachtfeld, als im Park von Windsor oder in den Gängen des Louvre begegnen würde, was mich indessen nicht abhalten soll, meine Sendung zu vollziehen und mich nötigenfalls in Erfüllung derselben tödten zu lassen; aber ich wiederhole Ew. Herrlichkeit, daß Ihr mir persönlich ebenso wenig für das zu danken habt, was ich bei diesem zweiten Zusammentreffen für mich thue, als für das, was ich bei dem ersten für Euch gethan habe.«

»Wir sagen: ›Stolz wie ein Schottländer,‹ murmelte Buckingham.

»Und wir sagen: ›Stolz wie ein Gascogner,‹ antwortete d’Artagnan. »Die Gascogner sind die Schottländer Frankreichs.«

D’Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und schickte sich an zu gehen.

»Nun? Ihr geht, wie Ihr da seid! Auf welchem Wege, wie?«

»Das ist wahr!«

»Gott verdamm mich! die Franzosen bedenken gar nichts.«

»Ich hatte vergessen, daß England eine Insel ist, und daß Ihr der König derselben seid.«

»Geht in den Hafen, fragt nach der Brigg Sund, stellt dem Kapitän diesen Brief zu; er wird Euch nach einer Bucht führen, wo man Euch gewiß nicht erwartet, und wo gewöhnlich nur Fischerschiffe landen.«

»Wie heißt diese Bucht?«

»Saint Valery. Doch wartet: hier angelangt, geht Ihr in eine schlechte Herberge ohne Namen und Schild, in eine wahre Matrosenschenke; Ihr könnt Euch nicht täuschen; es giebt nur eine daselbst.«

»Hernach?«

»Ihr fragt nach dem Wirthe und sagt ihm: Forward.«

»Was soll das heißen?«

»Vorwärts: das ist das Losungswort. Er wird Euch ein gesatteltes Pferd geben und den Weg nennen, den Ihr einzuschlagen habt; auf dieselbe Art findet Ihr vier Relais auf Euerer Route. Wenn Ihr wollt, so gebt Ihr jedem derselben Eure Adresse in Paris, und die vier Pferde werden Euch dahin folgen. Zwei davon kennt Ihr bereits und es schien mir, Ihr wußtet sie als Liebhaber zu schätzen. Es sind die beiden, welche wir ritten. Glaubt mir, die zwei andern stehen nicht hinter ihnen zurück. Diese vier Pferde sind für das Feld ausgerüstet. So stolz Ihr auch sein mögt; werdet Ihr Euch doch nicht weigern, eines für Euch und die drei andern für Eure Gefährten anzunehmen. Ihr nehmt sie ja, um damit Krieg gegen uns zu führen. Der Zweck heiligt das Mittel, wie ihr Franzosen sagt, nicht wahr?«

»Ja, Mylord, ich nehme Euer Anerbieten an,« sprach d’Artagnan, »und wir werden, wenn es Gott gefällt, einen guten Gebrauch von Euren Geschenken machen.«

»Nun, Eure Hand, junger Mann, vielleicht treffen wir uns bald auf dem Schlachtfelde, mittlerweile scheiden wir gewiß als gute Freunde.«

»Ja, Mylord, aber in der Hoffnung, bald Feinde zu werden.«

»Seid ruhig, ich verspreche es Euch.«

»Ich baue auf Euer Wort, Mylord.«

D’Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und lief rasch nach dem Hafen.

Dem Tower von London gegenüber fand er das bezeichnete Schiff, stellte den Brief dem Kapitän zu, der ihn von dem Hafengouverneur visiren ließ und sogleich unter Segel ging.

Fünfzig Schiffe warteten zum Auslaufen bereit. Als d’Artagnan Bord an Bord an einem derselben vorüberfuhr, glaubte er die Frau von Meung zu erkennen, dieselbe, welche der unbekannte Edelmann Mylady genannt, und die er selbst so schön gefunden hatte.

Aber mit Hülfe der raschen Strömung und eines guten Windes ging das Schiff so geschwind, daß er in einem Augenblick den übrigen Fahrzeugen aus dem Auge war.

Am andern Tage gegen neun Uhr Morgens ankerte man vor Saint Valery.

D’Artagnan wandte sich sogleich nach der bezeichneten Herberge und erkannte dieselbe aus dem Geschrei, welches daraus hervordrang; man sprach von dem Krieg zwischen England und Frankreich als von einer nahe bevorstehenden und unzweifelhaften Sache, und die Matrosen feierten zum Voraus ein lustiges Gelage.

D’Artagnan durchschritt die Menge, ging auf den Wirth zu und sprach das Wort » Forward« aus. Sogleich deutete ihm der Wirth durch ein Zeichen an, er möge ihm folgen, entfernte sich mit ihm durch eine Thüre, welche nach dem Hofe ging, führte ihn in den Stall, wo ein völlig gesatteltes und aufgezäumtes Pferd seiner harrte und fragte ihn, ob er sonst noch etwas bedürfe.

»Ich brauche nur den Weg kennen zu lernen, den ich einzuschlagen habe,« sagte d’Artagnan.

»Geht von hier nach Blangy, und von Blangy nach Neufchatel. In Neufchatel steigt an der Herberge zur goldenen Egge ab, sagt dem Wirthe das Losungswort, und Ihr werdet wie hier ein Pferd mit Sattel und Zeug finden.«

»Habe ich Euch etwas zu entrichten?« fragte d’Artagnan.

»Es ist Alles bezahlt,« antwortete der Wirth, »und zwar reichlich. Geht also, und Gott geleite Euch.«

»Amen!« erwiederte der junge Mann und ritt im Galopp von dannen.

Vier Stunden später war er in Neufchatel.

Er befolgte streng die Instruktion, welche er erhalten hatte. In Neufchatel, wie zuvor in Saint Valery, fand er ein Pferd mit Sattel und Zeug, das seiner harrte. Er wollte die Pistolen aus dem Sattel nehmen, den er verließ, und in den andern übertragen; die Halfter waren bereits mit ähnlichen Pistolen ausgerüstet.

»Eure Adresse in Paris?« – »Hotel der Garden, Kompagnie des Essarts.« – »Gut,« antwortete der Wirth. – »Welche Route soll ich nehmen?« fragte d’Artagnan.

»Die von Rouen. Ihr laßt aber die Stadt zu Eurer Rechten. In dem kleinen Dorfe Ecouis haltet Ihr an. Es giebt dort nur eine Herberge, die zum französischen Thaler. Beurtheilt sie nicht nach ihrem Aussehen. In ihrem Stalle findet Ihr ein Pferd, das so viel werth ist, wie dieses.«

»Dasselbe Losungswort?« – »Ganz dasselbe.« – »Gott befohlen, Meister!« – »Glückliche Reise, edler Herr. Bedürft Ihr sonst noch etwas?«

D’Artagnan machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen und gab seinem Pferde die Sporen. In Ecouis wiederholte sich dieselbe Scene. Er fand einen eben so zuvorkommenden Wirth, ein frisches, ausgeruhtes Pferd, ließ seine Adresse zurück, wie er es vorher gethan hatte, und ritt mit derselben Eile nach Pontoise. In Pontoise wechselte er zum letzten Male, und um neun Uhr Abends sprengte er in vollem Galopp in den Hof des Herrn von Treville. Er hatte beinahe sechszig Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.

Herr von Treville empfing ihn, als ob er ihn an demselben Morgen gesehen hätte, nur drückte er ihm die Hand etwas lebhafter, als gewöhnlich. Er theilte ihm mit, daß die Kompagnie des Herrn des Essarts im Louvre die Wache habe, und daß er sich sogleich auf seinen Posten begeben könne.