VII.

Bei Nacht sind alle Katzen grau.

Der so ungeduldig von Porthos und von d’Artagnan erwartete Abend kam.

D’Artagnan fand sich wie gewöhnlich gegen neun Uhr bei Mylady ein. Er traf sie in der angenehmsten Laune, nie hatte sie ihn so gut empfangen. Unser Gascogner sah auf den ersten Blick, daß Ketty ihrer Gebieterin das vermeintliche Billet des Grafen von Wardes zugestellt hatte, und daß dieses Billet seine Wirkung hervorbrachte.

Ketty trat ein, um Sorbets zu reichen. Ihre Gebieterin machte ihr die freundlichste Miene, lächelte ihr auf das Anmuthigste zu; aber die Arme war so traurig über die Anwesenheit d’Artagnans bei Mylady, daß sie das Wohlwollen der letzteren gar nicht gewahr wurde.

D’Artagnan schaute die zwei Frauen nach einander an und mußte sich gestehen, daß sich die Natur bei ihrer Hervorbringung getäuscht hatte; der vornehmen Dame hatte sie eine giftige, treulose Seele, der Zofe ein liebendes, treues Herz gegeben.

Um zehn Uhr fing Mylady an, unruhig zu scheinen; d’Artagnan errieth ihre Gedanken sehr wohl; sie schaute auf die Uhr, erhob sich, setzte sich wieder und lächelte d’Artagnan mit einer Miene zu, als wollte sie sagen; »Ihr seid allerdings liebenswürdig, aber Ihr wäret allerliebst, wenn Ihr Euch entferntet.«

D’Artagnan stand auf und nahm seinen Hut; Mylady reichte ihm die Hand zum Kusse. Der junge Mann fühlte, daß sie ihm seine Hand drückte, und begriff, daß er diese Gunst einem Gefühl, nicht der Koketterie, sondern der Dankbarkeit für seinen Aufbruch verdankte.

»Sie liebt ihn wahnsinnig!« murmelte er.

Diesmal erwartete ihn Ketty weder im Vorzimmer, noch auf der Flur, noch im Thorweg. D’Artagnan mußte ganz allein die Treppe und das kleine Zimmer finden.

Ketty hatte an einem Tisch sitzend das Gesicht in den Händen verborgen und weinte.

Sie hörte d’Artagnan eintreten, aber sie hob den Kopf nicht in die Höhe. Der junge Mann näherte sich ihr und nahm sie bei der Hand; dann brach sie in ein Schluchzen aus.

Mylady hatte, wie d’Artagnan voraussetzte, als sie den Brief erhielt, den sie für eine Antwort des Grafen von Wardes hielt, im Uebermaß der Freude der Zofe alles gesagt und ihr als Belohnung für die Art und Weise, wie sie sich ihres Auftrags entledigt, eine Börse geschenkt.

In ihr Zimmer zurückkehrend hatte Ketty die Börse in einen Winkel geworfen, wo sie neben drei oder vier Goldstücken, welche herausgefallen waren, offen liegen blieb.

Bei der Stimme d’Artagnans schaute das arme Mädchen endlich empor. D’Artagnan erschrack über die Veränderung in ihren Gesichtszügen; sie faltete die Hände mit flehender Miene, aber ohne daß sie ein Wort zu sprechen vermochte.

So wenig empfindsam das Herz d’Artagnans war, so fühlte er sich doch gerührt durch diesen stummen Schmerz; aber er hing zu fest an seinen Entwürfen und besonders an diesem, als daß er es hätte über sich gewinnen können, etwas an dem Programm zu verändern, das er zum Voraus gemacht hatte. Er ließ Ketty keine Hoffnung, das von ihm beschlossene kecke Unternehmen zu verhindern. Nur stellte er ihr es als das dar, was es in Wirklichkeit war, das heißt als eine einfache Rache für die Koketterie Mylady’s und als das einzige Mittel, von ihr die gewünschte Auskunft über Madame Bonacieux dadurch zu erlangen, daß er sie durch Furcht vor Skandal beherrschen würde.

Dieser Plan war um so leichter ausführbar, als Mylady aus Gründen, die man sich nicht erklären konnte, die jedoch von großem Gewichte zu sein schienen, Ketty den Befehl gegeben hatte, alle Lichter in ihrem Zimmer und sogar die im Zimmer der Zofe auszulöschen.

Bald hörte man Mylady, welche in ihr Gemach zurückkehrte. D’Artagnan stürzte sogleich in den Schrank; kaum war er hineingeschlüpft, als die Glocke ertönte.

Ketty ging zu ihrer Gebieterin hinein und ließ die Thüre diesmal nicht offen, aber die Scheidewand war so dünn, daß man beinahe Alles hörte, was zwischen den zwei Frauen gesprochen wurde.

Mylady schien trunken vor Freude; sie ließ sich von Ketty die geringsten Einzelnheiten der angeblichen Zusammenkunft der Kammerjungfer mit dem Grafen von Wardes wiederholen, – wie er ihren Brief empfangen, wie er geantwortet, welchen Ausdruck sein Gesicht gezeigt habe, ob er sehr verliebt geschienen; auf alle diese Fragen antwortete die arme Ketty, welche sich keine Blöße geben durfte, mit einer erstickten Stimme, deren schmerzhaften Ton ihre Gebieterin nicht einmal bemerkte – so selbstsüchtig ist das Glück.

Als endlich die Stunde nahte, wo der Graf von Wardes erscheinen sollte, ließ Mylady in der That Alles bei sich auslöschen, und hieß Ketty in ihr Zimmer zurückkehren und den Grafen von Wardes bei ihr einführen, sobald er sich zeigen würde.

Ketty hatte nicht lange zu warten. Kaum hatte d’Artagnan durch das Schlüsselloch seines Schrankes gesehen, daß das ganze Zimmer in Finsterniß gehüllt war, so sprang er in dem Augenblick, wo Ketty die Verbindungsthüre wieder schloß, aus seinem Versteck hervor.

»Was soll dieses Geräusch bedeuten?« fragte Mylady.

»Ich bin es,« sagte d’Artagnan mit halber Stimme, »ich, der Graf von Wardes.«

»O, mein Gott, mein Gott!« murmelte Ketty, »er konnte nicht einmal die Stunde abwarten, die er selbst festgesetzt hatte.«

»Nun!« sprach Mylady mit zitternder Stimme, »warum tritt er nicht ein? Graf, Graf, Ihr wißt, daß ich Euch erwarte.«

Auf diesen Ruf schob d’Artagnan Ketty sachte bei Seite und eilte in das Zimmer von Mylady.

Müssen Wuth und Schmerz eine Seele foltern, so ist dies im höchsten Grad bei einem Liebenden der Fall, welcher unter einem Namen, der nicht ihm gehört, Liebesbetheuerungen empfängt, die seinem glücklichen Nebenbuhler gelten.

D’Artagnan befand sich in einer peinvollen Lage, die er nicht vorhergesehen hatte; die Eifersucht marterte sein Herz, und er litt beinahe so sehr, wie die arme Ketty, welche in demselben Augenblick im anstoßenden Zimmer weinte.

»Ja, Graf,« sagte Mylady mit ihrer weichsten Stimme und drückte dabei eine seiner Hände, »ja, ich bin glücklich durch die Liebe, die mir Eure Blicke und Eure Worte ausdrückten. Aber ich liebe Euch auch. Morgen, morgen will ich irgend ein Pfand von Euch, das beweisen soll, daß Ihr an mich denkt, und da Ihr mich vergessen könntet, so nehmt.«

Und sie zog einen Ring von ihrem Finger und steckte ihn d’Artagnan an.

Es war ein prächtiger Saphir, umgeben von Brillanten.

Die erste Regung d’Artagnans war, ihr denselben zurückzugeben; aber Mylady fügte bei:

»Nein, nein, behaltet diesen Ring, mir zu Liebe. Ueberdies leistet Ihr mir, indem Ihr ihn annehmt,« setzte sie mit bewegter Stimme hinzu, »einen größeren Dienst, als Ihr Euch vorstellen könnt.«

»Diese Frau ist doch voll von Geheimnissen,« dachte d’Artagnan.

In diesem Augenblick fühlte er sich geneigt, Alles zu enthüllen. Er öffnete den Mund, um Mylady zu sagen, wer er sei, und welcher Racheplan ihn herbeigeführt; aber sie fügte hinzu:

»Armer Engel, den dieses Ungeheuer von einem Gascogner beinahe getötet hätte!«

Das Ungeheuer war er.

»Oh!« fuhr Mylady fort, »habt Ihr noch an Euren Wunden zu leiden?« – »Ja, viel,« erwiderte d’Artagnan, der nicht wußte, was er sagen sollte. – »Seid ruhig,« antwortete Mylady, in einem für ihren Zuhörer wenig beruhigenden Ton, »ich werde Euch rächen, grausam rächen!« – »Pest,« sprach d’Artagnan zu sich selbst, »der Augenblick der Offenbarung ist noch nicht gekommen.«

D’Artagnan brauchte einige Zeit, um sich von diesem kleinen Dialog zu erholen: alle rachsüchtigen Gedanken, die er mitgebracht hatte, waren völlig verschwunden. Diese Frau übte eine unglaubliche Macht über ihn aus; er haßte sie und betete sie zugleich an; er hatte nie geglaubt, daß zwei so entgegengesetzte Gefühle in einem Herzen wohnen und ihrer Vereinigung eine seltsame, gleichsam teuflische Liebe bilden können.

Es hatte indessen ein Uhr geschlagen; man mußte sich zurückziehen. In dem Augenblick, wo d’Artagnan Mylady verließ, fühlte er nur ein lebhaftes Bedauern, sich von ihr entfernen zu müssen, und bei dem leidenschaftlichen Lebewohl, das sie an einander richteten, wurde eine neue Zusammenkunft für die nächste Woche verabredet.

Die arme Ketty hoffte einige Worte mit d’Artagnan sprechen zu können, wenn er durch ihr Zimmer gehen würde; aber Mylady geleitete ihn selbst in der Dunkelheit und verließ ihn erst auf der Treppe.

Am andern Morgen lief d’Artagnan zu Athos. Er war in ein so seltsames Abenteuer verwickelt, daß er ihn um seinen Rath bitten wollte, und erzählte ihm deßhalb Alles, was vorgefallen war. Athos runzelte wiederholt die Stirne.

»Eure Mylady,« sprach er, »scheint mir ein heilloses Geschöpf zu sein. Aber es war darum von Euch nicht minder unrecht, sie zu täuschen, und Ihr habt nun auf die eine oder auf die andere Weise eine Feindin auf dem Nacken.«

Während Athos sprach, schaute er beständig den mit Diamanten umgebenen Saphir an, der an d’Artagnan’s Finger die Stelle des Ringes der Königin eingenommen hatte, welcher sorgfältig in ein Kästchen verschlossen worden war.

»Ihr schaut diesen Ring an,« sagte der Gascogner, stolz darauf, vor den Blicken des Freundes ein so reiches Geschenk glänzen lassen zu können.

»Ja,« sagte Athos, »er erinnert mich an ein Familienjuwel.«

»Der Ring ist schön, nicht wahr?« sprach d’Artagnan.

»Herrlich!« antwortete Athos, »ich glaubte nicht, daß zwei Saphire von so schönem Wasser vorhanden wären. Habt Ihr ihn gegen Euren Diamant ausgetauscht?«

»Nein,« sagte d’Artagnan, »es ist ein Geschenk von meiner schönen Engländerin oder vielmehr von meiner schönen Französin, denn, obgleich ich sie nicht darüber befragt habe, bin ich doch überzeugt, daß sie in Frankreich geboren ist.«

»Dieser Ring ist Euch von Mylady zugekommen?« rief Athos mit einer Stimme, in der sich leicht die große Gemüthsbewegung erkennen ließ.

»Von ihr selbst, sie hat ihn mir heute Nacht gegeben.«

»Zeigt mir den Ring,« sprach Athos.

»Hier ist er,« antwortete d’Artagnan und zog ihn vom Finger.

Athos betrachtete denselben und wurde sehr bleich. Dann probirte er ihn an dem Ringfinger seiner linken Hand. Er ging so gut an diesen Finger, als ob er dafür gemacht worden wäre.

Eine Wolke des Zorns und der Rache zog über die gewöhnlich so ruhige Stirne des Edelmanns.

»Es kann unmöglich derselbe sein,« sprach er. »Wie sollte sich dieser Ring in den Händen von Mylady Clarick finden! Und doch läßt sich kaum zwischen zwei Juwelen eine solche Ähnlichkeit denken!«

»Kennt Ihr diesen Ring?« fragte d’Artagnan.

»Ich glaubte ihn zu erkennen,« erwiderte Athos, »aber ich täuschte mich ohne Zweifel.«

Und er gab d’Artagnan den Ring zurück, schaute ihn aber fortwährend an.

»Ich bitte Euch!« sprach er nach einem Augenblick, »ich bitte Euch, d’Artagnan, nehmt diesen Ring von Eurem Finger oder dreht den Saphir nach Innen. Er ruft so schreckliche Erinnerungen in mir zurück, daß ich nicht die nöthige Besinnung hätte, um mit Euch zu plaudern. Wolltet Ihr nicht Rath von mir haben? Sagtet Ihr mir nicht, Ihr seiet in Verlegenheit, was Ihr thun sollet? Aber halt, gebt mir nochmals diesen Ring. Derjenige, von welchem ich sprechen wollte, muß an einer der Seiten des Steines in Folge eines Unfalls geritzt sein.«

D’Artagnan zog den Ring abermals von seinem Finger und gab ihn Athos.

Athos bebte: »Seht,« sprach er; »seht! ist das nicht seltsam!«

Und er zeigte d’Artagnan die Ritze, deren er sich erinnerte.

»Aber von wem hattet Ihr diesen Saphir, Athos?«

»Von meiner Mutter, die ihn von der ihrigen erbte. Wie ich Euch sage, es ist ein alter Juwel, der nie aus der Familie kommen sollte.«

»Und Ihr habt ihn verkauft?« fragte d’Artagnan zögernd.

»Nein,« antwortete Athos mit seltsamem Lächeln. »Ich habe ihn während einer Liebesstunde verschenkt, wie er an Euch verschenkt worden ist.«

D’Artagnan wurde ebenfalls nachdenkend. Es kam ihm vor, als erblicke er in Myladys Leben Abgründe mit düsteren, furchtbaren Tiefen.

Er steckte den Ring nicht an seinen Finger, sondern in seine Tasche.

»Hört,« sprach Athos und faßte ihn bei der Hand, »Ihr wißt, daß ich Euch liebe, d’Artagnan; hätte ich einen Sohn, ich könnte ihn nicht mehr lieben als Euch; nun, glaubt mir, verzichtet auf diese Frau. Ich kenne sie nicht, aber eine unbestimmte Ahnung sagt mir, daß sie ein verdorbenes Geschöpf ist und daß etwas Unseliges in ihr sein muß.«

»Und Ihr habt Recht,« sprach d’Artagnan, »glaubt mir, ich trenne mich von ihr. Ich gestehe Euch, auch mich erfüllt diese Frau mit Schrecken.«

»Werdet Ihr den Muth haben?« sagte Athos.

»Ich werde ihn haben,« antwortete d’Artagnan, »und zwar in diesem Augenblick.«

»Wohl, mein Junge, Ihr habt Recht,« sprach der Edelmann und drückte dem Gascogner mit wahrhaft väterlicher Zuneigung die Hand. »Gott wolle, daß diese Frau, die kaum in Eure Existenz eingetreten ist, keine traurige Spur darin zurücklasse.«

Und Athos grüßte d’Artagnan mit dem Kopf, wie ein Mensch, der zu verstehen geben will, daß es ihm nicht unangenehm wäre, mit seinen Gedanken allein bleiben zu können.

Als d’Artagnan nach seiner Wohnung zurückkehrte, fand er Ketty, die auf ihn wartete. Ein Monat Fieber hätte das arme Kind nicht mehr verändert, als dies durch eine Stunde der Eifersucht und des Schmerzes geschehen war.

Sie wurde von ihrer Gebieterin zum Grafen von Wardes geschickt. Ihre Gebieterin war toll vor Liebe, trunken vor Freude. Sie wollte wissen, wann der Graf ihr eine zweite Zusammenkunft geben würde.

Bleich und zitternd sah die arme Ketty der Antwort d’Artagnan entgegen.

Athos übte einen großen Einfluß über diesen jungen Mann aus. Der Rath seines Freundes hatte ihn in Verbindung mit den Gefühlen seines eigenen Herzens und der Erinnerung an Madame Bonacieux, welche ihn nur selten verließ, in dem Entschlüsse befestigt, jetzt, da sein Stolz gerettet war, Mylady nicht wieder zu sehen. Statt jeder Antwort nahm er eine Feder und schrieb folgenden Brief, den er eben so wenig unterzeichnete, als den vorhergehenden:

»Rechnet nicht auf mich, Madame; seit meiner Wiederherstellung habe ich so viele Unterhaltungen dieser Art zu bewilligen, daß ich eine gewisse Ordnung in die Sache bringen mußte. Kommt die Reihe an Euch, so werde ich die Ehre haben, Euch davon in Kenntniß zu setzen.«

Von dem Saphir kein Wort; der Gascogner wollte ihn bis auf neuen Befehl als eine Waffe gegen Mylady behalten.

Man hätte übrigens Unrecht, die Handlungen einer Epoche aus dem Gesichtspunkte einer andern zu betrachten. Was man heute als eine Schmach für einen Mann von Welt halten würde, war in jener Zeit etwas ganz Einfaches und Natürliches.

D’Artagnan gab den Brief Ketty offen; diese las ihn anfangs, ohne ihn zu verstehen, und wäre beinahe wahnsinnig geworden, als sie ihn zum zweiten Male las.

Ketty konnte nicht an dieses Glück glauben. D’Artagnan war genöthigt, ihr mündlich die Versicherung zu wiederholen, die ihr der Brief schriftlich gab. Wie groß auch die Gefahr war, welche die Arme bei dem heftigen Charakter von Mylady lief, wenn sie dieses Billet ihrer Gebieterin einhändigte, so ging sie doch so geschwind, als sie konnte, nach der Place Royale zurück.

Das Herz der besten Frau ist gefühllos gegen die Schmerzen einer Nebenbuhlerin.

Mylady öffnete den Brief mit derselben Eile, mit der ihn Ketty gebracht hatte, aber bei den ersten Worten, die sie las, wurde sie leichenblaß, dann zerknitterte sie das Papier und wandte sich mit einem Blitze in den Augen gegen Ketty.

»Was soll dieser Brief?« sprach sie.

»Es ist die Antwort auf den der gnädigen Frau,« erwiderte Ketty zitternd.

»Unmöglich!« versetzte Mylady, »unmöglich kann ein Edelmann an eine Frau einen solchen Brief geschrieben haben.«

Dann rief sie plötzlich:

»Mein Gott! sollte er wissen …«

Und sie hielt bebend inne. Sie knirschte mit den Zähnen, ihr Gesicht war leichenfarbig. Sie wollte einen Schritt gegen das Fenster machen, um Luft zu schöpfen; aber sie konnte nur den Arm ausstrecken, die Kraft versagte ihr und sie sank auf einen Stuhl zurück.

Ketty glaubte, sie befinde sich unwohl, und eilte zu ihr, um den Schnürleib zu öffnen. Aber Mylady sprang auf und rief lebhaft:

»Was willst Du? Warum legst Du Hand an mich?« »Ich glaubte, Mylady befinde sich unwohl, und wollte ihr Hülfe leisten,« antwortete die Zofe, ganz erschrocken über den furchtbaren Ausdruck, den das Gesicht ihrer Gebieterin angenommen hatte.

»Ich mich unwohl befinden! hältst Du mich für ein erbärmliches Weib? Soll ich krank werden, wenn man mich beleidigt? Nein, ich räche mich, verstehst Du wohl?«

Und sie gab Ketty ein Zeichen, sich zu entfernen.

VIII.

Rachetraum.

Am Abend gab Mylady Befehl, Herrn d’Artagnan einzuführen, sobald er seiner Gewohnheit gemäß kommen würde. Aber er kam nicht.

Am andern Tag besuchte Ketty den jungen Mann abermals und erzählte ihm Alles, was am Abend vorgefallen war. D’Artagnan lächelte. Dieser eifersüchtige Zorn war seine Rache.

Am zweiten Abend war Mylady noch ungeduldiger, als Tags zuvor; sie erneuerte den Befehl in Beziehung auf den Gascogner; aber sie wartete vergeblich, wie am Tag vorher. Am nächsten Morgen erschien Ketty wiederum bei d’Artagnan, nicht heiterer, nicht aufgeräumter, als an den zwei vorhergehenden Tagen, sondern im Gegentheil zum Sterben traurig. D’Artagnan fragte das arme Mädchen, was sie habe; aber sie zog statt jeder Antwort einen Brief aus der Tasche und händigte ihm denselben ein.

Dieser Brief war von der Hand Myladys, nur mit dem Unterschied, daß er diesmal wirklich für d’Artagnan und nicht für Herrn von Wardes bestimmt war.

Er öffnete und las Folgendes:

»Lieber Herr d’Artagnan, es ist nicht schön, seine Freunde zu vernachlässigen, besonders in dem Augenblick, wo man sie auf lange Zeit zu verlassen im Begriffe ist. Mein Schwager und ich haben Euch gestern und vorgestern vergebens erwartet. Wird dies heute Abend ebenso sein? Eure dankbare

Lady Winter

»Das ist ganz einfach,« sprach d’Artagnan. »Ich erwartete diesen Brief. Mein Kredit steigt durch das Sinken des Grafen von Wardes.«

»Werdet Ihr gehen?« fragte Ketty.

»Höre, mein liebes Kind,« sagte der Gascogner, der sich in seinen eigenen Augen darüber zu entschuldigen suchte, daß er von dem Versprechen, welches er Athos geleistet hatte, abgehen wollte; »Du begreifst, daß es unpolitisch wäre, einer so bestimmten Einladung nicht Folge zu leisten. Würde Mylady mich nicht zurückkommen sehen, so dürfte sie das Abbrechen meiner Besuche nicht begreifen; sie könnte dann irgend etwas vermuthen, und wer weiß, wie weit die Rache einer Frau von diesem Schlage gehen könnte?«

»O mein Gott!« sprach Ketty, »Ihr wißt die Dinge so darzustellen, daß Ihr immer Recht habt. Aber Ihr werdet ihr den Hof machen, und wenn Ihr Mylady diesmal unter Eurem wahren Namen und mit Eurem wahren Gesicht gefallen würdet, so wäre es noch viel schlimmer, als das erste Mal.«

Der Instinkt ließ das arme Mädchen einen Theil von dem, was da kommen sollte, ahnen.

D’Artagnan suchte sie so gut als möglich zu beruhigen und versprach ihr, unempfindlich gegen Myladys Verführungen zu bleiben.

Er ließ dieser antworten, er sei äußerst dankbar für ihre Güte und werde ihrem Befehl gehorchen; aber er wagte es nicht, ihr zu schreiben, weil er für so geübte Augen, wie Mylady’s, seine Handschrift nicht gehörig verstellen zu können fürchtete.

Mit dem Schlag neun Uhr war d’Artagnan auf der Place Royale. Die Bedienten, welche im Vorzimmer warteten, waren offenbar von seiner Erscheinung in Kenntniß gesetzt, denn sobald er kam, sogar ehe er gefragt hatte, ob Mylady sichtbar sei, lief einer von ihnen hinweg, um ihn zu melden.

»Laßt ihn eintreten,« sprach Mylady mit raschem, aber so durchdringendem Tone, daß d’Artagnan es im Vorzimmer hörte.

Man führte ihn ein.

»Ich bin für Niemand zu Hause,« sprach Mylady, »verstehst Du, für Niemand.«

Der Lakai entfernte sich.

D’Artagnan warf einen neugierigen Blick auf Mylady. Sie war bleich und hatte matte Augen, mochte dies nun von Thränen oder von Schlaflosigkeit herrühren. Man hatte absichtlich die gewöhnliche Zahl der Lichter vermindert, und dennoch gelang es der jungen Frau nicht, die Spuren des Fiebers zu verbergen, von dem sie seit zwei Tagen verzehrt wurde.

D’Artagnan näherte sich ihr mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit. Sie machte eine gewaltige Anstrengung, um ihn zu empfangen, aber nie hat ein verstörteres Gesicht ein liebenswürdigeres Lächeln Lügen gestraft.

Auf die Frage, welche d’Artagnan über ihre Gesundheit an sie richtete, antwortete Mylady:

»Schlecht, sehr schlecht.«

»Dann begehe ich eine Unbescheidenheit,« sagte d’Artagnan, »Ihr bedürft ohne Zweifel der Ruhe, und ich entferne mich.«

»Nein, im Gegentheil, bleibt, Herr d’Artagnan. Eure liebenswürdige Gesellschaft wird mich zerstreuen.«

»Sie ist nie so reizend gewesen,« dachte d’Artagnan. »Wir wollen ihr Trotz bieten.«

Mylady nahm die liebevollste Miene an, die sie anzunehmen vermochte und verlieh ihrer Unterhaltung allen möglichen Reiz. Zu gleicher Zeit gab das Fieber, das sie einen Augenblick verlassen hatte, ihren Augen den Glanz, ihren Wangen die Farbe ihren Lippen den Karmin wieder. D’Artagnan fand abermals die Circe, die ihn bereits in ihren Zauber verstrickt hatte. Mylady lächelte, und es war d’Artagnan zu Muthe, als könnte er für dieses Lächeln die Höllenqualen erleiden.

Es gab einen Augenblick, wo er etwas wie einen Gewissensbiß über das fühlte, was er gegen sie gethan hatte.

Nach und nach wurde Mylady mittheilsam. Sie fragte d’Artagnan, ob er eine Liebe im Herzen trage.

»Ach!« rief d’Artagnan mit seinem empfindsamsten Tone, »könnt Ihr so grausam sein, eine solche Frage an mich zu richten, an mich, der ich, nachdem ich Euch gesehen habe, nur für Euch, für Euch allein athme und seufze!«

Mylady lächelte seltsam.

»Also liebt Ihr mich?« sprach sie. – »Habe ich nöthig, Euch dies zu sagen? Habt Ihr es nicht selbst wahrgenommen?« – »Allerdings, aber Ihr wißt, je stolzer die Herzen sind, desto schwieriger sind sie zu erobern.« – »Oh! die Schwierigkeiten erschrecken mich nicht,« sprach d’Artagnan; »nur die Unmöglichkeiten können mich erschrecken.« – »Nichts ist einer wahren Liebe unmöglich,« sagte Mylady. – »Nichts, Madame?« – »Nichts!« wiederholte Mylady. – »Teufel,« dachte d’Artagnan, »die Note verändert sich. Sollte sie vielleicht verliebt in mich werden? Sollte sie geneigt sein, mir einen zweiten Saphir zu geben, dem ähnlich, welchen sie mir für Herrn von Wardes gegeben hat?« – »Laßt hören,« sagte Mylady, »was würdet Ihr thun, um mir die Liebe zu beweisen, von der Ihr sprecht?« – »Alles, was man von mir verlangte. Man befehle, ich bin bereit.« – »Zu Allem?« – »Zu Allem!« rief d’Artagnan, welcher zum Voraus wußte, daß er nicht viel wagte, wenn er eine solche Verpflichtung einging. – »Schön! plaudern wir ein wenig,« sprach Mylady und rückte ihren Stuhl d’Artagnan näher. – »Ich höre, gnädige Frau,« sprach dieser.

Mylady blieb einen Augenblick nachdenkend und unentschieden, dann schien sie einen Entschluß zu fassen und sagte:

»Ich habe einen Feind.« – »Ihr Madame?« rief d’Artagnan, den Erstaunten spielend. »Mein Gott, ist es möglich … bei Eurer Schönheit und Güte!« – »Einen Todfeind.« – »In der That?« – »Einen Feind, der mich grausam beleidigt hat, daß zwischen ihm und mir ein Krieg auf Leben und Tod stattfindet. Könnte ich auf Euch als auf einen Bundesgenossen rechnen?«

D’Artagnan begriff sogleich, was das rachsüchtige Geschöpf beabsichtigte.

»Ihr könnt es,« sprach er mit Emphase. »Mein Arm und mein Leben gehören Euch, wie meine Liebe.« – »Dann,« sprach Mylady: »da Ihr in demselben Grade edelmüthig seid, in dem Ihr liebt…« – »Nun?« fragte d’Artagnan. – »Nun!« versetzte Mylady nach kurzem Stillschweigen, »sprecht fortan nicht mehr von Unmöglichkeiten.« – »Tödtet mich nicht durch so viel Glück!« rief d’Artagnan, stürzte auf die Kniee und bedeckte die Hände, die man ihm überließ, mit Küssen. – »Räche mich an diesem heillosen Wardes,« dachte Mylady, »und ich werde mich Deiner alsbald zu entledigen wissen, doppelter Dummkopf, lebendige Degenklinge!« – »Ja, sage mir. Du liebest mich, nachdem Du mich so schändlich betrogen hast, heuchlerisches, gefährliches Weib,« dachte d’Artagnan, »und ich verlache Dich dann mit demjenigen, welchen Du durch meine Hand bestrafen willst.«

D’Artagnan schaute empor und sagte:

»Ich bin bereit.« – »Ihr habt mich also begriffen, lieber Herr d’Artagnan,« sprach Mylady. – »Ich würde Eure Blicke errathen.« – »Ihr werdet also für mich Euren Arm gebrauchen, der sich bereits einen so hohen Ruf erworben hat?« – »Sogleich.« – »Und wie werde ich Euch je für einen solchen Dienst danken können?« sprach Mylady. – »Eure Liebe ist die einzige Belohnung, welche ich verlange,« erwiderte d’Artagnan, »die einzige, die Euer und meiner würdig ist.« – »Eigennütziger!« sagte sie lächelnd. – »Ah!« rief d’Artagnan, einen Augenblick durch die Leidenschaft fortgerissen, welche diese Frau in seinem Herzen zu entzünden gewußt hatte; »ah! weil mir Eure Liebe unwahrscheinlich vorkommt, und weil ich sie wie meine Träume verschwinden zu sehen fürchte, drängt es mich die bestimmte Versicherung aus Eurem Munde zu empfangen.« – »Verdient Ihr denn bereits ein solches Geständniß?« – »Ich bin zu Euren Befehlen,« sagte d’Artagnan. – »Gewiß?« rief Mylady mit einem leichten Zweifel. – »Nennt mir den Elenden, der diese schönen Augen weinen gemacht bat.« – »Wer sagt Euch, daß ich geweint habe?« fragte Mylady lebhaft. – »Es schien mir so …« – »Frauen, wie ich, weinen nicht,« versetzte Mylady. »Desto besser! O sagt mir dann, wie er heißt.« – »Bedenkt, daß sein Name ganz mein Geheimniß ist.« – »Ich muß ihn jedoch wissen.« – »Ja, Ihr sollt ihn erfahren. Seht, welches Vertrauen ich in Euch setze!« – »Ihr erfüllt mich mit Freude! Wie heißt er?« – »Ihr kennt ihn.« – »Wirklich?« – »Ja!« – »Es ist keiner von meinen Freunden?« sprach d’Artagnan zögernd, um an seine Unwissenheit glauben machen.

»Wenn es einer von Euren Freunden wäre, würdet Ihr also zögern?« rief Mylady, und ein drohender Blitz zuckte aus ihren Äugen. – »Nein, und wäre es mein Bruder,« sprach d’Artagnan, als würde er von der Begeisterung fortgerissen.

Unser Gascogner betheuerte, ohne zu wagen, denn er wußte, wohin dies alles führen sollte.

»Ich liebe Eure Ergebenheit,« sagte Mylady. – »Ach! liebt Ihr nur das an mir?« fragte d’Artagnan. – »Ich werde Euch das ein andermal sagen,« antwortete sie und nahm ihn bei der Hand.

Und dieser Druck machte d’Artagnan schaudern, als ob ihn das Fieber, welches Mylady verzehrte, durch die Berührung ebenfalls ergriffen hätte.

»Werdet Ihr mich eines Tages lieben?« rief er. »O, wenn dies der Fall wäre, ich könnte den Verstand darüber verlieren!«

D’Artagnan war in der That trunken vor Freude, und in seinem Wahnsinn glaubte er beinahe an die Zärtlichkeit Myladys, er glaubte beinahe an das Verbrechen von Wardes. Wenn Wardes in diesem Augenblicke unter seiner Hand gewesen wäre, er hätte ihn getödtet.

Mylady ergriff die Gelegenheit.

»Er heißt…« sprach sie. – »Von Wardes, ich weiß es,« unterbrach d’Artagnan. – »Und woher wißt Ihr dies?« fragte Mylady, indem sie seine beiden Hände nahm und in seinen Augen bis auf den Grund seiner Seele zu lesen suchte.

D’Artagnan fühlte, daß er sich hatte hinreißen lassen und daß er einen Fehler gemacht hatte.

»Sprecht, sprecht, sprecht doch!« wiederholte Mylady. »Woher wißt Ihr es?« – »Woher ich es weiß?« sprach d’Artagnan, – »Ja.« – »Ich weiß es, weil gestern von Wardes in einem Salon, wo ich mich befand, einen Ring zeigte, von dem er behauptete, er habe ihn von Euch bekommen.« – »Der Elende!« rief Mylady.

Dieser Beiname trug seinen Klang, wie man leicht begreift, bis tief in d’Artagnans Herz.

»Nun wohl…« fuhr sie fort. – »Wohl! ich werde Euch rächen an diesem Elenden!« versetzte d’Artagnan, und gab sich dabei das Ansehen des Don Japhet von Armenien.

»Ich danke Euch, mein muthiger Freund!« rief Mylady »und wann werde ich gerächt sein?«

»Morgen, sogleich, wenn Ihr wollt.«

Mylady wollte ausrufen: Sogleich! Aber sie bedachte, daß eine solche Eile nicht sehr erfreulich für d’Artagnan wäre.

Ueberdies hatte sie tausenderlei Vorsichtsmaßregeln zu nehmen, ihrem Vertheidiger tausenderlei Rathschläge zu geben, damit er Erklärungen vor Zeugen mit dem Marquis vermeiden möchte.

»Morgen,« sprach d’Artagnan, »seid Ihr gerächt, oder ich bin todt.« – »Nein,« sagte sie, »Ihr werdet mich rächen, aber Ihr werdet nicht sterben. Ich weiß etwas.« – »Was wißt Ihr?« – »Es scheint mir, Ihr hattet Euch bei Eurem Streit mit ihm nicht über das Glück zu beklagen.« – »Das Glück ist eine Buhlerin; heute günstig, kann es mich morgen verrathen.« – »Das heißt: Ihr zögert jetzt.« – »Nein, ich zögere nicht, Gott soll mich bewahren, aber …« – »Stille!« unterbrach sie ihn, »ich höre meinen Schwager. Er braucht Euch nicht hier zu finden.«

Sie schellte. Ketty erschien.

»Geht durch diese Thüre,« sagte sie zu d’Artagnan, und stieß dabei eine kleine verborgene Thüre auf. »Kommt um elf Uhr wieder, und wir werden unsere Unterredung zu Ende bringen. Ketty führt Euch bei mir ein.«

Das arme Kind glaubte umzusinken, als sie diese Worte hörte.

»Nun, was macht Ihr denn, Mademoiselle, Ihr bleibt hier unbeweglich, wie eine Statue? Hört Ihr, führt diesen Herrn zurück, und um elf Uhr, vergeßt es nicht.«

»Es scheint, alle ihre Rendezvous finden um elf Uhr statt,« dachte d’Artagnan. »Das ist eine feste Gewohnheit.«

Mylady reichte ihm die Hand, die er zärtlich küßte.

»Sachte,« dachte er sich entfernend und kaum auf die Vorwürfe Kettys antwortend; »sachte, wir wollen kein Thor sein. Offenbar ist diese Frau eine große Missethäterin. Sei auf Deiner Hut, d’Artagnan!«

XXXV.

Ein Tropfen Wasser.

Kaum war Rochefort weggegangen, als Madame Bonacieux zurückkehrte; sie fand Mylady mit lachendem Gesichte.

»Nun,« sprach die junge Frau, »was Ihr befürchtet habt, ist eingetroffen. Diesen Abend oder Morgen läßt Euch der Kardinal holen.« – »Woher wißt Ihr es?« – »Ich habe es aus dem Munde des Boten vernommen.« – »Setzt Euch zu mir,« sprach Mylady. – »Hier bin ich.« – »Wartet, ich will mich überzeugen, ob uns Niemand belauscht.« – »Warum diese Vorsicht?« – »Ihr sollt es erfahren.«

Mylady stand auf, ging an die Thüre, öffnete sie, schaute in die Flur, kehrte zurück und setzte sich wieder neben Madame Bonacieux.

»Er hat also seine Rolle gut gespielt,« sprach sie. – »Wer?« – »Derjenige, welcher sich bei der Aebtissin als ein Abgesandter des Kardinals angestellt hat.« – »Er spielte also eine Rolle?« – »Ja, mein Kind.« – »Dieser Mensch ist kein« – … »Dieser Mensch,« erwiderte Mylady, ihre Stimme dämpfend, »dieser Mensch ist mein Bruder.« – »Euer Bruder!« rief Madame Bonacieux.

»Nur Ihr wißt dieses Geheimniß, mein Kind, und wenn Ihr es irgend Jemand in der Welt anvertraut, so bin ich verloren und Ihr vielleicht ebenfalls.« – »O mein Gott!«

»Hört, was vorgefallen ist: mein Bruder, der mir zu Hülfe eilte und mich im Falle der Noth mit Gewalt von hier wegbringen wollte, traf den Emissär des Kardinals, der mich abholen sollte. Er folgte ihm, und als sie auf einen einsamen, verborgenen Weg gelangt waren, zog er den Degen und forderte den Boten auf, ihm die Papiere zu übergeben, die er bei sich trug. Der Bote wollte sich vertheidigen, mein Bruder tödtete ihn.«

»O!« rief Madame Bonacieux schaudernd.

»Bedenkt wohl, es war das einzige Mittel. Mein Bruder beschloß nun, List an die Stelle der Gewalt zu setzen. Er nahm die Papiere, erschien hier als Abgeordneter des Kardinals, und in ein paar Stunden wird mich ein Wagen im Auftrag Seiner Eminenz abholen.«

»Ich begreife. Euer Bruder schickt Euch den Wagen.«

»Richtig, aber das ist noch nicht Alles. Der Brief, den Ihr empfangen habt, und von dem Ihr glaubt, er komme von Frau von Chevreuse …« – »Nun?« – »Er ist falsch.« – »Wie dies?« – »Ja falsch: es ist eine Falle, damit Ihr keinen Widerstand leistet, wenn man Euch holen will.« – »Aber d’Artagnan wird kommen und mich holen.«

»Ihr täuscht Euch, d’Artagnan und seine Freunde sind bei der Belagerung von La Rochelle.«

»Woher wißt Ihr dies?«

»Mein Bruder begegnete Emissären des Kardinals in Musketiertracht. Man würde Euch vor die Thür gerufen haben. Ihr würdet geglaubt haben, Eure Freunde seien erschienen, man hätte Euch ergriffen und nach Paris zurückgeführt.«

»O mein Gott! mein Kopf wird ganz irr in diesem Chaos von Niederträchtigkeiten. Ich fühle, daß ich wahnsinnig würde, wenn dies lange so fortdauerte,« sprach Madame Bonacieux und legte die Hände an ihre Stirne. – »Hört.« – »Was?«

»Ich höre den Tritt eines Pferdes. Mein Bruder reist wieder ab. Ich will ihm ein letztes Lebewohl sagen; kommt.«

Mylady öffnete das Fenster und bedeutete Madame Bonacieux durch ein Zeichen, sie möge zu ihr heran treten.

Rochefort ritt im Galopp vorüber.

»Adieu, Bruder!« rief Mylady.

Der Graf schaute empor, sah die zwei jungen Frauen und winkte Mylady freundschaftlich zu.

»Dieser gute George!« sagte sie, indem sie mit einem Ausdruck voll Zärtlichkeit und Schwermuth im Gesichte das Fenster schloß.

Und dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz, als ob sie in rein persönliche Betrachtungen versunken wäre.

»Liebe Dame,« sprach Frau Bonacieux, »entschuldigt, daß ich Euch unterbreche, aber mein Gott! was rathet Ihr mir denn zu thun? Ihr habt mehr Erfahrung, als ich, sprecht, ich höre.«

»Vor allem kann ich mich täuschen,« erwiderte Mylady, und es ist wohl möglich, daß Euch d’Artagnan und seine Freunde wirklich zu Hülfe kommen.«

»Oh! das wäre zu schön,« rief Madame Bonacieux, »aber so viel Glück gibt es nicht für mich auf der Welt.«

»Ihr begreift, daß es nur eine Zeitfrage, eine Art von Wettlauf wäre, wer zuerst ankäme; tragen Eure Freunde den Sieg in der Geschwindigkeit davon, so seid Ihr gerettet; gewinnen die Schergen des Kardinals einen Vorsprung, so seid Ihr verloren.«

»Ja! ja! ohne Barmherzigkeit verloren. Aber was soll ich thun? was soll ich beginnen?«

»Es gäbe ein einfaches, ganz natürliches Mittel.«

»Oh! nennt es, nennt es mir.«

»Es bestünde darin, daß Ihr in der Gegend verborgen warten und Euch überzeugen würdet, was für Menschen nach Euch fragen.« – »Aber wo warten?«

»Oh! das unterliegt keiner Schwierigkeit: ich selbst verweile und verberge mich einige Meilen von hier, bis mich mein Bruder abholt; wenn Ihr wollt, nehme ich Euch mit mir, wir verbergen uns miteinander und warten gemeinschaftlich auf Erlösung.«

»Man wird mich nicht ziehen lassen, ich bin gleichsam als Gefangene hier.«

»Da man meint, ich reise auf einen Befehl des Kardinals, so wird man nicht annehmen, daß Ihr große Lust habet, mir zu folgen.« – »Und dann?«

»Der Wagen ist vor der Thüre, Ihr sagt mir Lebewohl, Ihr steigt auf den Fußtritt, um mich zum letzten Mal in Eure Arme zu schließen, der Bediente meines Bruders, der mich fortführt, wird unterrichtet, er gibt dem Postillon ein Zeichen und wir eilen im Galopp davon.

»Aber d’Artagnan, wenn d’Artagnan kommt?«

»Werden wir es nicht erfahren?« – »Wie dies?«

»Nichts leichter, – wir schicken diesen Bedienten meines Bruders, auf den wir uns verlassen können, zurück; er nimmt unter einer Verkleidung sein Quartier dem Kloster gegenüber; kommen Emmissäre des Kardinals, so rührt er sich nicht, erscheinen aber Herr d’Artagnan und seine Freunde, so führt er sie an den Ort, wo wir uns aufhalten.«

»Er kennt sie also?«

»Allerdings; hat er nicht Herrn d’Artagnan bei mir gesehen?«

»Oh! ja, ja, Ihr habt Recht. So wird Alles gut gehen, so macht sich die Sache vortrefflich; aber brechen wir nicht bald auf?«

Um sieben Uhr oder spätestens um acht Uhr sind wir an der Grenze, und bei dem ersten Lärmen verlassen wir Frankreich.«

»Und was soll ich bis dahin machen?«

»Warten.«

»Aber wenn sie kommen?«

»Der Wagen meines Bruders wird vor ihnen hier sein.«

»Wenn ich im Augenblicke, wo man Euch abholt, von Euch entfernt bin, beim Mittags- oder Abendessen zum Beispiel?«

»So hört, was Ihr thun könnt.«

»Was?«

»Sagt unserer guten Aebtissin, Ihr bittet sie, mein Mahl mit mir theilen zu dürfen, damit Ihr mich so wenig als möglich zu verlassen habt.«

»Wird sie es erlauben?«

»Was kann hiebei als ungeeignet erscheinen?«

»Oh! schön, schön! auf diese Art verlassen wir uns nicht einen Augenblick.«

»Nun so geht zu ihr hinab und tragt ihr Eure Bitte vor, mein Kopf ist mir so schwer und ich will einen Gang durch den Garten thun.«

»Geht, und wo treffe ich Euch wieder?«

»Hier, in einer Stunde!«

»Oh! ich danke Euch; wie gut seid Ihr doch!«

»Wie sollte ich nicht innige Theilnahme für Euch hegen, da Ihr so schön und liebenswürdig seid, und seid Ihr denn nicht auch die Freundin eines meiner besten Freunde?«

»Der theure d’Artagnan! oh! wie wird er Euch danken!«

»Ich hoffe es. Aber nun vorwärts; Alles ist verabredet; laßt uns hinabgehen.«

»Ihr geht in den Garten?«

»Ja.«

»Folgt der Flur; geht eine kleine Treppe hinab.«

»Gut; ich danke Euch.«

Und mit dem holdseligsten Lächeln verließen sich die zwei Frauen.

Mylady hatte die Wahrheit gesprochen: der Kopf war ihr schwer, denn ihre noch ungeordneten Pläne trieben sich wie in einem Chaos durcheinander. Sie bedurfte der Einsamkeit, um etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen; ihr Blick in die Zukunft war nicht klar und sie brauchte Ruhe und Stille, um allen ihren Ideen eine bestimmte Form, feste Anhaltspunkte zu geben.

Das Dringendste war, Madame Bonacieux zu entführen und an einen sichern Ort zu bringen, um sie erforderlichen Falls als Geißel zu gebrauchen. Mylady fing an, den Ausgang des furchtbaren Zweikampfes zu fürchten, bei welchem ihre Feinde eben so viel Hartnäckigkeit zeigten, als sie selbst Erbitterung bewies.

Ueberdies fühlte sie, wie man den Sturm kommen fühlt, daß dieser Ausgang nahe war und nothwendig furchtbar werden mußte.

Die Hauptsache schien ihr also zu sein, daß sie Madame Bonacieux in ihren Händen hielt. Mit Madame Bonacieux hatte sie das Leben d’Artagnans, ja noch mehr das Leben der Frau, die er liebte, in ihrer Gewalt. Im allerschlimmsten Fall besaß sie dadurch ein Mittel zu unterhandeln und auf sichere Weise gute Bedingungen zu erzielen.

Dieser Punkt war nun festgestellt. Madame Bonacieux folgte ihr ohne Mißtrauen; einmal mit ihr in Armentivres verborgen, konnte man sie leicht glauben machen, d’Artagnan sei nicht nach Bethune gekommen. In spätestens vierzehn Tagen mußte Rochefort zurückkehren. Während dieser vierzehn Tage würde sie wohl einen Plan ersinnen, um sich an den vier Freunden zu rächen. Langweile könnte sie, Gott sei Dank! keine bekommen, denn sie hätte den süßesten Zeitvertreib zu erwarten, den die Ereignisse einer Frau ihres Charakters zu gewähren im Stande sind: sie hätte ein schönes Rachewerk zu vollführen.

Unter diesen Träumen schaute sie umher und ordnete in ihrem Kopfe die Topographie des Gartens; Mylady war ein guter Feldherr, der zugleich den Sieg und die Niederlage vorher berechnet und sich bereit hält, je nach den Chancen der Schlacht vorwärts zu marschiren oder sich fechtend zurückzuziehen.

Nach Verlauf einer Stunde hörte sie eine sanfte Stimme, welche sie rief: es war Madame Bonacieux. Die gute Aebtissin hatte natürlich zu allem ihre Einwilligung ertheilt, und um den Anfang zu machen, sollten sie mit einander ein Abendbrod nehmen.

Als sie in den Hof kamen, vernahmen sie das Geräusch eines Wagens, der vor dem Thore anhielt. Mylady horchte.

»Hört Ihr?« sprach sie. – »Ja, das Rollen eines Wagens.« – »Es ist der, welchen uns mein Bruder schickt.« – »Oh! mein Gott!« – »Auf! Muth gefaßt!«

Man läutete an der Klosterpforte, Mylady hatte sich nicht getäuscht.

»Geht in Euer Zimmer hinauf,« sagte sie zu Madame Bonacieux. »Ihr habt wohl einige Juwelen, die ihr mitzunehmen wünschen werdet.«

»Ich habe seine Briefe,« erwiderte sie.

»Nun wohl! so geht und holt sie! kommt dann sogleich zu mir, wir nehmen geschwind einige Nahrung zu uns; vielleicht reisen wir einen Theil der Nacht, wir bedürfen unserer Kräfte.«

»Großer Gott!« sprach Madame Bonacieux; »mein Herz droht zu zerspringen, ich kann nicht von der Stelle.«

»Muth gefaßt! meine Theure, Muth gefaßt! Bedenkt, daß Ihr in einer Viertelstunde gerettet seid, und daß Ihr das, was Ihr thut, für ihn thut.«

»Ja, ja! Alles, Alles für ihn. Ihr habt mir durch ein einziges Wort meinen Muth wieder gegeben.«

Mylady eilte in ihr Zimmer, sie fand hier den Bedienten Rocheforts und gab ihm seine Instruktionen.

Er sollte vor dem Thor warten; würden zufällig die Musketiere erscheinen, so sollte der Wagen im Galopp um das Kloster fahren und Mylady in einem Dörfchen erwarten, das auf der andern Seite des Gehölzes lag.

In diesem Fall würde Mylady durch den Garten gehen und das Dörfchen zu Fuß zu erreichen suchen; Mylady kannte diesen Theil Frankreichs erwähnter Maßen ganz vortrefflich.

Würden die Musketiere nicht erscheinen, so sollten die Dinge vor sich gehen, wie es verabredet war. Madame Bonacieux stieg in den Wagen, unter dem Vorwand, ihr Lebewohl zu sagen, und sie entführte Madame Bonacieux.

Madame Bonacieux trat ein, und um ihr jeden Argwohn zu benehmen, wenn sie einen solchen hätte, wiederholte sie dem Bedienten in ihrer Gegenwart den letzten Theil seiner Instruktion.

Mylady machte einige Fragen in Beziehung auf den Wagen; es war eine mit drei Pferden bespannte Chaise, geführt von einem Postillon. Der Lakai Rocheforts sollte als Courier vorausreiten.

Mylady hatte Unrecht, wenn sie einen Argwohn bei Madame Bonacieux befürchtete. Die arme junge Frau war zu rein, um bei einem andern weiblichen Wesen eine solche Treulosigkeit zu ahnen. Ueberdieß war ihr der Name der Gräfin Winter, den sie von der Aebtissin gehört hatte, völlig unbekannt, und sie wußte nicht einmal, daß eine Frau einen so großen und unseligen Antheil an den Unglücksfällen ihres Lebens gehabt hatte.

»Ihr seht,« sprach Mylady, nachdem der Lakai weggegangen war, »Alles ist bereit. Die Aebtissin hatte keine Ahnung und glaubt, man hole mich auf Befehl des Kardinals. Dieser Mensch ertheilt die letzten Befehle; nehmt ein wenig Speise, trinkt einen Tropfen Wein und dann vorwärts.«

»Ja,« sprach Madame Bonacieux mechanisch, »ja vorwärts!«

Mylady gab ihr ein Zeichen, sich ihr gegenüber zu setzen, schenkte ihr ein Glas spanischen Wein ein und legte ihr ein Stückchen Huhn vor.

»Seht,« sprach sie, »wie uns Alles begünstigt, es wird bereits Nacht. Mit Tagesanbruch sind wir an Ort und Stelle, und Niemand wird ahnen können, wo wir uns befinden. Muth gefaßt, nehmt etwas zu Euch!«

Madame Bonacieux aß mechanisch einige Bissen und benetzte ihre Lippen mit dem Weine.

»Auf, muthig!« sprach Mylady, indem sie ihr Glas an die Lippen setzte, »macht es, wie ich.«

Aber in dem Augenblick, wo sie zu trinken im Begriffe war, blieb ihre Hand schwebend. Sie hatte in der Ferne das Geräusch eines näher kommenden Galopps gehört, und beinahe zu gleicher Zeit kam es ihr vor, als vernähme sie das Gewieher von Pferden.

Dieses Geräusch entriß sie ihrer Freude, wie uns das Brausen des Sturmes mitten in einem schönen Traume erweckt; sie erbleichte und lief nach dem Fenster, während Madame Bonacieux, am ganzen Leibe zitternd, aufstand und sich, um nicht zu fallen, auf ihren Stuhl stützte.

Man sah noch nichts, man hörte nur den Galopp immer deutlicher.

»O mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »was bedeutet dieses Geräusch?«

»Es rührt von unsern Freunden oder von unsern Feinden her,« antwortete Mylady mit furchtbarer Kaltblütigkeit. »Bleibt, wo Ihr seid, ich werde es Euch sagen.«

Madame Bonacieux blieb an ihrem Platze stehen, stumm, unbeweglich und bleich, wie eine Bildsäule.

Das Geräusch wurde indessen immer stärker. Die Pferde konnten nicht mehr über fünfhundert Schritte entfernt sein. Wenn man sie noch nicht sah, so kam dies davon her, daß die Straße eine Krümmung bildete. Aber das Getöse war so deutlich, daß man die Zahl der Pferde an ihrem Hufschlag hätte unterscheiden können.

Mylady schaute mit aller Macht der gespanntesten Aufmerksamkeit. Es war gerade noch hell genug, daß man die Ankommenden zu erkennen vermochte.

Plötzlich sah sie an der Wendung des Weges betreßt Hüte glänzen und Federn wogen. Sie zählte zwei, dann fünfe dann acht Reiter. Der eine von ihnen ritt den übrigen um zwei Pferdelängen voraus.

Mylady brüllte. In demjenigen, welcher sich an der Spitze befand, erkannte sie d’Artagnan.

»O mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »was gibt es denn?«

»Es ist die Uniform der Leibwachen des Herrn Kardinals – kein Augenblick zu verlieren!« schrie Mylady, »laßt uns fliehen, eiligst fliehen.«

»Ja, ja, fliehen,« wiederholte Madame Bonacieux, aber ohne, durch den Schrecken auf den Platz gebannt, einen Schritt machen zu können.

Man hörte die Reiter unter dem Fenster vorüber ziehen.

»Kommt doch, kommt doch!« rief Mylady und suchte die junge Frau am Arme fortzuschleppen, »durch den Garten können wir noch entfliehen; ich habe den Schlüssel; aber eilen wir, in fünf Minuten ist es zu spät!«

Madame Bonacieux versuchte zu gehen, machte zwei Schritte und sank in die Kniee.

In diesem Moment hörte man das Rollen des Wagens, der bei dem Anblick der Musketiere im Galopp davon eilte. Dann erschollen drei oder vier Schüsse.

»Zum letzten Male, wollt Ihr kommen!« rief Mylady.

»O! mein Gott! mein Gott! Ihr seht wohl, daß es mir an Kraft gebricht, Ihr seht wohl, daß ich nicht gehen kann, flieht allein.«

»Allein fliehen? Euch hier lassen? Nein, nie, nie!« rief Mylady.

Plötzlich zuckte ein bleicher Blitz aus ihren Augen hervor. Sie lief nach dem Tische und goß in das Glas von Madame Bonacieux den Inhalt eines Ringkastens, den sie mit seltsamer Geschwindigkeit öffnete.

Es war ein röthliches Kügelchen, das sogleich schmolz.

Dann nahm sie das Glas mit fester Hand und sagte zu Madame Bonacieux:

»Trinkt, trinkt, dieser Wein wird Euch Kräfte geben, trinkt!«

Und sie näherte das Glas den Lippen der jungen Frau, die es mechanisch trank.

»Ah! ich wollte mich nicht auf diese Art rächen,« sprach Mylady, indem sie mit einem höllischen Lächeln das Glas auf den Tisch setzte; »aber meiner Treu, man thut nur, was man kann.«

Und sie stürzte aus dem Zimmer.

Madame Bonacieux sah sie fliehen, ohne ihr folgen zu können. Sie war, wie jene Menschen, welche träumen, man verfolge sie, und vergebens zu gehen versuchen. Einige Minuten gingen vorüber. Ein furchtbares Getöse erhob sich vor der Thüre. Jeden Augenblick erwartete Madame Bonacieux das Wiedererscheinen Myladys, welche jedoch nicht zurückkehrte. Mehrere Male drang, ohne Zweifel aus Schrecken, ein kalter Schweiß auf ihre glühende Stirne.

Endlich vernahm sie das Aechzen der Gitter, welche man öffnete. Der Lärm von Stiefeln und Sporen ertönte auf der Treppe; in einem gewaltigen Gemurmel von Stimmen, die sich näherten, glaubte sie ihren Namen aussprechen zu hören.

Plötzlich stieß sie ein mächtiges Freudengeschrei aus und stürzte nach der Thüre: sie hatte die Stimme d’Artagnans erkannt.

»D’Artagnan! d’Artagnan!« rief sie, »seid Ihr es? hieher!«

»Constance! Constance!« antwortete der junge Mann, »mein Gott, wo seid Ihr?«

In demselben Augenblicke wich die Thüre der Zelle vor einem kräftigen Stoße. Mehrere Männer traten in das Zimmer; Madame Bonacieux war in einen Lehnstuhl gesunken, ohne sich von der Stelle bewegen zu können.

D’Artagnan warf eine noch rauchende Pistole, die er in der Hand hielt, von sich und fiel vor seiner Geliebten auf die Kniee, Athos steckte die seinige in den Gürtel, Porthos und Aramis, welche ihre entblößten Degen in der Hand hielten, stießen sie in die Scheide.

»Oh! d’Artagnan, mein geliebter d’Artagnan, Du kommst endlich! Du hattest mich nicht getäuscht! Du bist es!«

»Ja, ja, Constance! endlich vereinigt!«

»Oh sie mochte immerhin sagen. Du würdest nicht kommen, ich hoffte dennoch und wollte nicht fliehen. Oh! wie wohl habe ich daran gethan! Wie glücklich bin ich!«

Bei dem Worte sie stand Athos, der sich ruhig niedergesetzt hatte, plötzlich auf.

» Sie? welche sie?« fragte d’Artagnan.

»Meine Gefährtin, diejenige, welche mich aus Freundschaft meinen Verfolgern entziehen wollte, diejenige, welche so eben entflohen ist, weil sie Euch für Leibwachen des Kardinals hielt.«

»Eure Gefährtin?« rief d’Artagnan und wurde so bleich, wie der weiße Schleier seiner Geliebten. »Von welcher Gefährtin sprecht Ihr?«

»Von derjenigen, deren Wagen vor der Thüre stand; von einer Frau, die sich Eure Freundin nennt, d’Artagnan; von einer Frau, der Ihr Alles erzählt habt.«

»Ihr Name?« rief d’Artagnan. »Mein Gott, wißt Ihr ihren Namen nicht?«

»Allerdings, man hat ihn in meiner Gegenwart ausgesprochen. Wartet, aber das ist seltsam … Ah! mein Gott! meine Sinne verwirren sich … ich sehe nicht mehr …«

»Hierher, meine Freunde, hierher, ihre Hände sind kalt, wie Eis!« rief d’Artagnan. »Großer Gott, sie verliert das Bewußtsein!«

Während Porthos mit aller Gewalt seiner Stimme um Hülfe rief, lief Aramis, um ein Glas Wasser zu holen, nach dem Tische. Aber er blieb plötzlich stehen, als er die furchtbare Verstörung in den Gesichtszügen von Athos wahrnahm, der an dem Tische stehend, die Haare starr, das Antlitz vor Bestürzung in Stein verwandelt, eines von den Gläsern betrachtete und der gräßlichsten Vermuthung preisgegeben zu sein schien.

»Oh!« sagte Athos, »oh! nein, das ist unmöglich! Gott würde ein solches Verbrechen nicht zugeben.«

»Wasser! Wasser!« rief d’Artagnan, »Wasser!«

»O! arme Frau, arme Frau,« murmelte Athos mit gebrochener Stimme.

Madame Bonacieux öffnete die Augen wieder unter d’Artagnans Küssen.

»Sie kommt zu sich!« rief der junge Mann. »Oh! mein Gott, mein Gott, ich danke Dir!«

»Madame,« sprach Athos, »Madame, im Namen des Himmels! wem gehört dieses leere Glas?«

»Mir, Herr,« antwortete die junge Frau mit sterbender Stimme.

»Doch wer hat den Wein eingeschenkt, der in diesem Glase war?«

» Sie

»Aber welche sie denn?«

»Ah, ich erinnere mich,« erwiderte Madame Bonacieux, »die Gräfin Winter.«

Die vier Freunde stießen einen einzigen, gleichzeitigen Schrei aus; aber die Stimme von Athos beherrschte die andern.

In diesem Augenblick wurde das Antlitz von Madame Bonacieux leichenblaß. Ein dumpfer Schmerz warf sie nieder. Sie fiel keuchend in die Arme von Porthos und Aramis.

D’Artagnan ergriff die Hände von Athos mit einer unbegreiflichen Seelenangst.

»Wie!« sagte er, »Du glaubst?«

Seine Stimme erlosch unter gewaltigem Schluchzen.

»Ich glaube Alles,« antwortete Athos, und biß sich in die Lippen, daß das Blut hervorquoll.

»D’Artagnan! d’Artagnan!« rief Madame Bonacieux, »wo bist Du? Verlaß mich nicht, Du siehst, daß ich sterbe.«

D’Artagnan ließ die Hände von Athos los, die er in seinen krampfhaft zusammengepreßten Fäusten hielt.

Ihr so schönes Gesicht war völlig verstört, ihre glasigen Augen hatten bereits keinen Blick mehr, ein krampfhaftes Zittern schüttelte ihren ganzen Leib und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab.

»Ums Himmels willen lauft, ruft. Porthos, Aramis, fordert Hülfe!«

»Vergeblich,« sprach Athos, »vergeblich! Für ein Gift, das sie einflößt, gibt es kein Gegengift!«

»Ja, ja. Hülfe! Hülfe!« murmelte Madame Bonacieux, »zu Hülfe!«

Dann raffte sie alle ihre Kräfte zusammen, nahm den Kopf des jungen Mannes zwischen ihre zwei Hände, schaute ihn eine Sekunde an, als ob ihre ganze Seele in ihren Blick übergegangen wäre, und drückte mit einem jammervollen Schrei ihre Lippen auf die seinigen.

»Constance! Constance!« rief d’Artagnan.

Ein Seufzer drang aus dem Munde von Madame Bonacieux hervor, der d’Artagnans Lippen berührte. Dieser Seufzer war die so keusche, so liebevolle Seele, welche zum Himmel aufstieg.

D’Artagnan hielt nur noch eine Leiche in seinen Armen.

Der junge Mann stieß einen Schrei aus und stürzte neben seine Geliebte, so bleich, so starr wie sie, nieder.

Porthos weinte. Athos streckte die Faust zum Himmel empor. Aramis machte das Zeichen des Kreuzes.

In diesem Augenblick erschien ein Mann an der Thüre, beinahe so bleich wie diejenigen, welche sich im Zimmer befanden. Er schaute um sich her, sah Madame Bonacieux tot und d’Artagnan in Ohnmacht.

Er erschien gerade in jenem Augenblick der Erstarrung, welche stets auf große Katastrophen folgt.

»Ich hatte mich nicht getäuscht,« sagte er, »hier ist Herr d’Artagnan und Ihr seid seine drei Freunde, die Herren Athos, Porthos und Aramis.«

Die Männer, deren Namen genannt worden waren, schauten den Fremden mit Erstaunen an. Es kam ihnen Allen vor, als müßten sie ihn kennen.

»Meine Herren,« versetzte der Fremde, »Ihr sucht Alle, wie ich, eine Frau auf, die,« fügte er mit einem furchtbaren Lächeln bei, »hier durchgekommen sein muß, denn ich sehe dort eine Leiche.«

Die drei Freunde blieben stumm: nun erinnerte sie die Stimme, wie zuvor das Gesicht an einen Mann, den sie bereits gesehen hatten; aber sie konnten sich nicht entsinnen, unter welchen Umständen.

»Meine Herren,« fuhr der Fremde fort, »da Ihr mich nicht als einen Mann wiedererkennen wollt, der Euch ohne Zweifel das Leben zu verdanken hat, so muß ich mich wohl nennen: ich bin Lord Winter, der Schwager jener Frau.«

Die drei Freunde gaben einen Schrei des Staunens von sich.

Athos stand auf, reichte ihm die Hand und sprach:

»Seid willkommen, Mylord, Ihr gehört zu uns.«

»Ich reiste fünf Stunden nach ihr von Portsmouth ab,« sprach Lord Winter; »ich kam drei Stunden nach ihr in Boulogne an, ich verfehlte sie um zwanzig Minuten in Saint-Omer; endlich verlor ich in Lilliers ihre Spur. Ich überließ mich dem Zufalle, erkundigte mich nach Euch, als ich Euch im Galopp vorüberreiten sah. Ich erkannte Herrn d’Artagnan, rief Euch, aber Ihr antwortetet mir nicht. Ich wollte Euch folgen, doch mein Pferd war zu müde, um mit den Eurigen gleichen Schritt halten zu können, und dennoch scheint es, Ihr seid bei allein Eurem Eifer zu spät gekommen.«

»Ihr seht es,« sprach Athos und zeigte Lord Winter die tote Madame Bonacieux und d’Artagnan, den Porthos und Aramis in das Leben zurückzurufen suchten.

»Sind alle Beide tot?« fragte Lord Winter kalt.

»Zum Glücke, nein,« antwortete Athos, »d’Artagnan ist nur ohnmächtig.«

»Desto besser!« sprach Lord Winter.

D’Artagnan öffnete in diesem Momente die Augen wieder. Er entriß sich den Armen von Porthos und Aramis und warf sich wie ein Wahnsinniger auf die Leiche seiner Geliebten.

Athos stand auf, ging mit langsamem, feierlichem Schritt auf seinen Freund zu und sagte, als dieser in ein Schluchzen ausbrach, mit seiner so edlen, so überzeugenden Stimme:

»Freund! sei ein Mann, die Weiber beweinen die Toten, die Männer rächen sie!«

»Oh! ja,« sprach d’Artagnan, »ja, wenn es geschehen soll, um sie zu rächen, so bin ich bereit, Dir zu folgen.«

Athos genützte diesen Augenblick der Kraft, welche die Hoffnung auf Rache seinem unglücklichen Freunde wieder verlieh, und machte Porthos und Aramis ein Zeichen, die Aebtissin zu holen.

Die Freunde trafen sie in der Flur völlig verwirrt von so vielen Ereignissen. Sie rief einige Nonnen, welche gegen alle klösterliche Gebräuche vor den fünf Männern erschienen.

»Madame,« sagte Athos, indem er d’Artagnan beim Arme nahm, »wir überlassen Eurer frommen Sorge den Leib dieser unglücklichen Frau. Sie war ein Engel auf Erden, ehe sie ein Engel im Himmel wurde. Behandelt sie wie eine von Euern Schwestern, wir werden eines Tages wiederkehren, um auf ihrem Grabe zu beten.«

D’Artagnan verbarg sein Antlitz an der Brust seines Freundes und brach abermals in ein Schluchzen aus.

»Weine,« sagte Athos, »weine, Herz voll Liebe, Jugend und Leben! Ach, ich wünschte wohl auch wie Du weinen zu können.«

Und er zog seinen Freund fort, zärtlich wie ein Vater, tröstend wie ein Priester, groß wie der Mann, der viel gelitten hat.

Alle fünf begaben sich nun, von ihren Bedienten gefolgt, die ihre Pferde am Zügel führten, nach der Stadt Bethune, und hielten vor der ersten Herberge an, die sie erblickten.

»Aber verfolgen wir denn diese Frau nicht?« fragte d’Artagnan.

»Später,« antwortete Athos, »ich habe Maßregeln zu nehmen.«

»Sie wird uns entkommen,« entgegnete der junge Mann, »sie wird uns entkommen, Athos, und das ist Deine Schuld.«

»Ich stehe für sie,« sprach Athos.

D’Artagnan hatte ein solches Zutrauen zu dem Worte seines Freundes, daß er das Haupt neigte und ohne eine weitere Silbe in die Herberge eintrat.

Porthos und Aramis schauten sich an und konnten die Sicherheit von Athos nicht begreifen.

Lord Winter glaubte, er spreche so, um d’Artagnans Schmerz zu betäuben.

»Nun, meine Herren,« sagte Athos, nachdem er sich überzeugt hatte, daß fünf Zimmer im Hause frei waren, »nun wollen wir uns jeder in sein Zimmer zurückziehen. Für d’Artagnan ist es Bedürfniß, allein zu weinen, und für Euch, zu schlafen. Ich übernehme Alles, seid unbesorgt.«

»Es scheint mir jedoch,« erwiderte Lord Winter, »daß es mich angeht, wenn Maßregeln gegen die Gräfin zu nehmen sind, denn es ist meine Schwägerin.«

»Und es ist meine Frau,« sprach Athos.

D’Artagnan bebte, denn er begriff, daß Athos seiner Rache sicher war, da er ein solches Geheimniß enthüllte; Porthos und Aramis schauten sich erbleichend an; Lord Winter glaubte, Athos sei verrückt.

»Zieht Euch nun zurück,« sagte Athos, »und laßt mich machen. Ihr seht wohl, daß die Sache mich als den Gatten betrifft. Nur gebt mir das Papier, d’Artagnan, wenn Ihr es nicht verloren habt, das aus dem Hute jenes Mannes gefallen ist, und worauf der Name der Stadt geschrieben steht.«

»Ah!« rief d’Artagnan, »ich begreife, der von ihrer Hand geschriebene Name…«

»Du siehst wohl,« sprach Athos, »daß es einen Gott im Himmel gibt!«

XXXVI

Der Rothmantel.

Die Verzweiflung von Athos hatte einem tiefen innern Schmerz Platz gemacht, der die glänzenden Eigenschaften dieses Mannes noch leuchtender hervortreten ließ.

Nur mit einem Gedanken beschäftigt, nämlich an das Versprechen, das er geleistet, und an die Verantwortlichkeit, die er übernommen hatte, zog er sich zuletzt in sein Zimmer zurück, bat den Wirth, ihm eine Karte von der Gegend zu verschaffen, beugte sich über diese, betrachtete die auf derselben gezogenen Linien, fand, daß vier verschiedene Wege von Bethune nach Armentières führten, und ließ die Bedienten rufen.

Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin erschienen und erhielten klare, pünktliche und ernste Befehle von Athos. Sie sollten mit Tagesanbruch abgehen und sich jeder auf einem andern Wege nach Armentières begeben. Planchet, der Gescheiteste von allen, sollte denselben einschlagen, wie der Wagen, auf welchen die drei Freunde geschossen hatten, und der, wie man sich erinnert, von dem Bedienten Rocheforts begleitet war.

Athos ließ die Bedienten zuerst ins Feld rücken, einmal weil er, seitdem diese Leute in seinem und seiner Freunde Dienst standen, bei jedem von ihnen verschiedenartige und wesentliche Eigenschaften erkannt hatte, und dann, weil Bedienten, wenn sie sich nach etwas erkundigen, den Bauern weniger Mißtrauen einflößen, als ihre Herren, und mehr Sympathie bei denjenigen finden, an welche sie sich wenden. Endlich kannte auch Mylady die Herren, während ihr die Knechte fremd waren.

Alle vier sollten sich am andern Tag um elf Uhr an einem bezeichneten Orte einfinden. Wenn sie den Aufenthalt Myladys entdeckt hätten, sollten drei zu ihrer Bewachung zurückbleiben, der vierte aber sollte wieder nach Bethune kommen, um Athos Kunde zu geben und den drei Freunden als Führer zu dienen.

Als diese Anordnungen getroffen waren, gingen auch die Bedienten schlafen.

Athos erhob sich nun von seinem Stuhl, gürtete sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel und verließ die Herberge; es war zehn Uhr, um zehn Uhr finden sich bekanntlich in der Provinz nur selten Menschen auf den Straßen. Athos aber suchte offenbar irgend Jemand, an den er eine Frage richten könnte. Endlich ging ein Verspäteter vorüber, er näherte sich ihm und sagte einige Worte. Der Mann, an den er sich wandte, wich erschrocken zurück; er beantwortete jedoch die Frage des Musketiers durch ein Deuten. Athos bot diesem Menschen eine halbe Pistole, wenn er ihn begleiten würde, aber er schlug es aus.

Athos wandte sich nach einer Straße, die ihm der Befragte mit dem Finger bezeichnet hatte, aber als er auf einen Kreuzweg gelangte, gerieth er abermals in eine sichtbare Verlegenheit. Da er jedoch auf diesem Kreuzweg mehr als irgendwo einem Menschen zu begegnen hoffen durfte, so blieb er stille stehen. Bald kam auch wirklich ein Nachtwächter. Athos wiederholte die Frage, die er bereits an die erste Person, die er getroffen, gerichtet hatte. Der Nachtwächter gab denselben Schrecken kund, weigerte sich ebenfalls, Athos zu begleiten, und zeigte ihm mit der Hand den Weg, den er einzuschlagen hatte.

Athos ging in der ihm angegebenen Richtung vorwärts und erreichte die am entgegengesetzten Ende liegende Vorstadt. Hier schien er abermals unruhig und verlegen und stand zum dritten Male still.

Zum Glück kam ein Bettler vorüber, der sich Athos näherte und ihn um ein Almosen bat. Athos bot ihm einen Thaler an, wenn er ihn begleiten würde. Der Bettler zögerte einen Moment, aber beim Anblick des in der Dunkelheit schimmernden Geldstückes entschloß er sich und marschirte Athos voraus.

Als sie die Ecke einer Straße erreicht hatten, zeigte er ihm von ferne ein kleines, einsam gelegenes düsteres Haus. Athos eilte auf dasselbe zu, während der Bettler, nachdem er seine Belohnung erhalten hatte, aus Leibeskräften davonlief.

Athos ging rings um das Haus, ehe er die Thüre unter der rothen Farbe unterscheiden konnte, mit der es angemalt war. Kein Licht schien durch die Spalten der Fensterläden, kein Geräusch ließ vermuthen, daß es bewohnt wurde; es war stumm und traurig wie ein Grab.

Athos klopfte dreimal, ohne daß man antwortete; bei dem dritten Schlag näherten sich im Innern Tritte, die Thüre öffnete sich halb, und ein Mann von hohem Wuchse, bleicher Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und schwarzem Barte erschien.

Athos und er wechselten einige Worte mit leiser Stimme, dann machte der Mann von hohem Wuchse dem Musketiere ein Zeichen, daß er eintreten könne. Athos benützte sogleich diese Erlaubniß und die Thüre schloß sich hinter ihm.

Der Mann, den Athos in so großer Entfernung aufgesucht und nur mit Mühe gefunden hatte, ließ ihn in ein Laboratorium eintreten, wo er eben daran arbeitete, die klappernden Knochen eines Skelets mit Eisendraht an einander zu befestigen. Der ganze Körper war bereits zusammengefügt, nur der Kopf allein lag noch auf dem Tische.

Alles übrige Geräthe deutete an, daß der Mann, bei dem man sich befand, sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte; es waren hier gläserne Gefäße voll von Schlangen mit Aufschriften nach den Gattungen, getrocknete Eidechsen glänzend wie Smaragde in großen Rahmen von Holz; Bündel von wildwachsenden, wohlriechenden Kräutern, ohne Zweifel mit Eigenschaften und Kräften ausgerüstet, die dem großen Haufen unbekannt waren, hingen an der Decke und in den Ecken der Stube.

Keine Familie, kein Gesinde war zu bemerken; der Mann von hohem Wuchse bewohnte das Haus allein.

Athos warf einen kalten, gleichgültigen Blick auf alle diese Gegenstände und setzte sich auf die Einladung des Mannes, den er aufgesucht hatte, zu diesem.

Er erklärte ihm die Ursache seiner Erscheinung und den Dienst, den er von ihm forderte; aber kaum hatte er ihm sein Verlangen auseinandergesetzt, als der Unbekannte, der vor dem Musketier stehen geblieben war, voll Schrecken zurückwich und Gehorsam verweigerte. Athos zog aus seiner Tasche ein kleines Papier, auf welches zwei mit einer Unterschrift uns einem Siegel versehene Zeilen geschrieben waren, und bot es demjenigen dar, welcher zu frühzeitig Zeichen des Widerstrebens kundgab. Der Mann von hohem Wuchse hatte kaum diese zwei Zeilen gelesen, die Unterschrift gesehen und das Siegel erkannt, als er sich verbeugte, zum Beweise, daß er keine Einwendung mehr zu machen habe und zu gehorchen bereit sei.

Athos verlangte nicht mehr, stand auf, verließ das Haus, ging auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, wieder durch die Straßen, kehrte in das Hotel zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.

Mit Tagesanbruch trat d’Artagnan bei ihm ein und fragte, was zu thun sei.

»Warten,« antwortete Athos.

Einige Augenblicke nachher ließ die Aebtissin des Klosters die Musketiere benachrichtigen, daß die Beerdigung des Opfers von Mylady um die Mittagsstunde stattfinden solle. Von der Giftmischerin hatte man keine Kunde. Nur wußte man, daß sie durch den Garten entflohen war, man hatte auf dem Boden die Spur ihrer Tritte erkannt und die Thüre wieder geschlossen gefunden; der Schlüssel war verschwunden.

Zur bezeichneten Stunde begaben sich Lord Winter und die vier Freunde in das Kloster, alle Glocken wurden geläutet, die Kapelle war geöffnet, nur das Gitter des Chors war geschlossen. Mitten im Chor war der Leichnam des Opfers in seinen Novizenkleidern ausgestellt. Auf jeder Seite des Chors und hinter dem Gitter war die ganze Gemeinde der Karmeliterinnen versammelt, welche von hier aus den Gottesdienst hörte und ihren Gesang mit dem Gesänge des Priesters vermischte, ohne die Laien zu sehen und von ihnen gesehen zu werden.

An der Thüre der Kapelle fühlte d’Artagnan, daß ihn der Muth abermals verließ; er wandte sich, um Athos zu suchen; aber Athos war verschwunden.

Seiner Rachesendung getreu, hatte sich Athos in den Garten führen lassen, folgte auf dem Sande den leichten Tritten der Frau, von der überall, wo sie erschien, eine blutige Spur zurückblieb, gelangte bis zu der Thüre, öffnete diese und drang in den Wald.

Alle seine Zweifel wurden nun beseitigt: der Weg auf welchem der Wagen verschwunden war, lief um den Wald. Athos folgte diesem Wege eine Zeit lang, die Augen auf den Boden geheftet: leichte Blutspuren, welche entweder von einer Verwundung des Mannes, der den Wagen als Curier begleitete, oder von einem verwundeten Pferd herrührten, besprenkelten den Weg. Nach ungefähr einer Dreiviertelsmeile, fünfzig Schritte von Festubert entfernt, erschien ein größerer Blutfleck; der Boden war von den Pferden vertreten. Zwischen dem Walde und dieser verrätherischen Stelle, etwas hinter der vertretenen Erde, fand man dieselbe Spur von kleinen Tritten: der Wagen hatte stille gehalten.

Hier hatte Mylady den Wald verlassen und war in den Wagen gestiegen.

Befriedigt durch diese Entdeckung, welche alle seine Vermuthungen bestätigte, kehrte Athos in das Gasthaus zurück, wo er Planchet fand, der ungeduldig seiner harrte.

Alles war, wie es Athos vorhergesehen hatte.

Planchet hatte seinen Weg verfolgt und wie Athos die Blutspuren bemerkt, wie Athos hatte er die Stelle erkannt, wo die Pferde anhielten; aber er war weiter gegangen, als Athos, und hatte im Dorfe Festubert, im Wirthshause trinkend, ohne viel fragen zu müssen, erfahren, daß um halb neun Uhr am Abend vorher ein verwundeter Mann, der eine in einer Postchaise reisende Dame begleitete, habe einkehren müssen, weil ihm seine Schmerzen das Weiterreisen nicht gestatteten. Der Unfall war auf Rechnung von Räubern gesetzt worden, welche den Wagen im Walde angehalten haben sollten. Der Mann war im Dorfe zurückgeblieben, die Frau hatte frische Pferde genommen und ihre Reise fortgesetzt.

Planchet suchte den Postillon auf und fand ihn auch. Er hatte die Dame bis Fromelles geführt und von Fromelles war sie nach Armentières gereist. Planchet schlug einen Seitenweg ein, und erreichte Armentières um 8 Uhr Morgens. Es war hier nur ein Wirthshaus, das zur Post. Planchet gab sich für einen Lakai ohne Stelle aus, der einen Herrn suche. Er hatte noch keine zehn Minuten mit den Leuten vom Hause gesprochen, als er bereits wußte, daß um elf Uhr Abends eine Frau ganz allein angekommen war, ein Zimmer genommen, den Wirth gerufen und diesem gesagt hatte, sie wünsche einige Zeit in der Gegend zu bleiben.

Planchet brauchte nicht mehr zu wissen. Er lief nach dem zum Zusammentreffen bestimmten Ort, fand die drei Lakaien pünktlich auf ihrem Posten, stellte sie als Schildwachen vor alle Ausgänge des Gasthauses und kehrte zu Athos zurück, der gerade die letzte Meldung von Planchet angehört hatte, als seine Freunde wieder erschienen.

Auf allen Gesichtern waren finstere Wolken gelagert, selbst auf dem sanften Antlitz von Aramis.

»Was soll geschehen?« fragte d’Artagnan.

»Warten,« antwortete Athos.

Jeder zog sich in sein Zimmer zurück.

Abends um acht Uhr gab Athos Befehl, die Pferde zu satteln und Lord Winter und seine Freunde zu benachrichtigen, sie möchten sich zu dem Zuge bereit halten.

In einem Augenblick waren alle fünf fertig. Jeder untersuchte seine Waffen und setzte sie in gehörigen Stand. Athos ging zuletzt hinab und fand d’Artagnan bereits ungeduldig zu Pferde.

»Geduld, d’Artagnan,« sprach Athos, »es fehlt noch Einer.«

Die vier Freunde schauten erstaunt um sich her, denn sie besannen sich vergeblich, wer der Eine sein möge, der noch fehlen sollte.

In diesem Augenblick führte Planchet das Pferd von Athos herbei. Der Musketier sprang leicht in den Sattel.

»Wartet auf mich,« sagte er, »ich komme sogleich.«

Und er sprengte im Galopp davon.

Eine Viertelstunde nachher kam er wirklich in Begleitung eines maskierten und in einen großen rothen Mantel gehüllten Mannes zurück.

Lord Winter und die drei Musketiere fragten sich gegenseitig mit den Blicken. Keiner von ihnen konnte die Andern belehren, denn sie wußten insgesammt nicht, wer dieser Mann war. Sie dachten jedoch, es müsse so sein, da es auf Befehl von Athos geschah.

Um neun Uhr setzte sich die kleine Reitertruppe, von Planchet geführt, in Marsch und schlug den Weg ein, den der Wagen verfolgt hatte.

Sie boten einen traurigen Anblick, die sechs Männer, welche in der Stille hinritten, jeder in seine Gedanken vertieft, düster wie die Verzweiflung, ernst wie die Strafe.

XXXVII.

Das Gericht.

Es war eine stürmische, finstere Nacht. Schwere Wolken jagten am Himmel hin und verschleierten den Glanz der Gestirne; der Mond sollte erst um Mittemacht aufgehen. Zuweilen gewahrte man beim Schimmer eines Blitzes, der am Horizont zuckte, die Straße, wie sie sich weiß und einsam entrollte. Erlosch der Blitz, so trat wieder dieselbe Finsterniß ein.

Jeden Augenblick rief Athos d’Artagnan zu, der stets an der Spitze der kleinen Truppe ritt, und nöthigte ihn, in sein Glied zurückzukehren, das er nach einem Augenblick abermals verließ. Er hatte nur einen Gedanken, nämlich vorwärts zu kommen, und es drängte ihn. Man zog in der Stille durch das Dorf Festubert, wo der verwundete Bediente zurückgeblieben war, und dann längs dem Dorfe Richebourg. In Herlier angelangt, wandte sich Planchet, der den Zug stets anführte, nach links.

Wiederholt hatten es Lord Winter, Porthos oder Aramis versucht, den Mann mit dem rothen Mantel anzureden, aber auf jede Frage, die man an ihn richtete, verneigte er sich, ohne zu antworten. Die Reisenden begriffen sodann, daß der Unbekannte sein Stillschweigen aus triftigen Gründen beobachtete, und hörten auf, ihn auszuforschen.

Ueberdies nahm das Gewitter immer mehr zu, die Blitze folgten sich rascher, der Donner fing an zu rollen, und der Wind der Vorläufer des Orkans, pfiff durch die Federn und Haare der Reiter.

Die Reitertruppe schlug einen Trab an.

Jenseits Fromelles kam der Sturm zum Ausbruch. Man zog die Mäntel an. Es waren noch drei Meilen zurückzulegen, man machte sie unter Strömen von Regen. D’Artagnan hatte seinen Hut abgenommen und den Mantel nicht angezogen. Es war ihm eine Erquickung, das Wasser über seine glühende Stirne und seinen von Fieberschauern geschüttelten Körper rinnen zu lassen.

Im Augenblick, nachdem die kleine Truppe durch Goscal geritten war und sich vor der Post befand, machte sich ein an einen Baum gelehnter Mann von dem Stamme los, wo man ihn in der Dunkelheit nicht erkannt hatte, und trat, seinen Finger auf die Lippen legend, bis an die Mitte der Straße vor.

Athos erkannte Grimaud.

»Was gibt es?« rief d’Artagnan. »Sollte sie Armentières verlassen haben?«

Grimaud machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen. D’Artagnan knirschte mit den Zähnen.

»Stille, d’Artagnan!« sprach Athos, »ich habe Alles übernommen, und es ist folglich meine Sache, Grimaud zu befragen.«

»Wo ist sie?« fragte Athos.

Grimaud streckte die Hand in der Richtung der Lys aus.

»Fern von hier?«

Grimaud zeigte seinem Herrn einen gebogenen Finger.

»Allein?«

Grimaud bejahte durch ein Zeichen.

»Meine Herren,« sagte Athos, »sie ist eine halbe Meile von hier, in der Richtung des Flusses.«

»Gut,« sprach d’Artagnan; »führe uns, Grimaud.«

Grimaud ging querfeldein und diente der Cavalcade als Führer. Nach ungefähr fünfhundert Schritten fand man einen Bach, den man durchwatete. Beim Schimmer eines Blitzes gewahrte man ein Dorf.

»Ist es hier?« fragte d’Artagnan.

Grimaud schüttelte verneinend den Kopf.

»Stille also,« sprach Athos.

Und die Truppe setzte ihren Weg fort.

Ein anderer Blitz leuchtete. Grimaud streckte den Arm aus, und bei dem bläulichen Schein unterschied man ein kleines, einzeln stehendes Haus am Rande des Flusses, hundert Schritte von einer Fähre. Ein Fenster war erhellt.

»Wir sind an Ort und Stelle,« sprach Athos.

In diesem Augenblick erhob sich ein in einem Graben liegender Mann: es war Mousqueton. Er deutete mit dem Finger nach dem erleuchteten Fenster.

»Sie ist hier,« sagte er.

»Und Bazin?« fragte Athos.

»Während ich das Fenster bewachte, bewachte er die Thüre.«

»Gut,« sagte Athos, »Ihr seid Alle getreue Diener.«

Athos sprang von seinem Pferde, dessen Zügel er Grimaud überließ, und ging auf das Fenster zu, nachdem er den übrigen Mitgliedern seiner Truppe durch ein Zeichen angedeutet hatte, sie möchten sich nach der Thüre wenden.

Das kleine Haus war von einer lebendigen, zwei bis drei Fuß hohen Hecke umgeben. Athos sprang über die Hecke und gelangte bis zu dem Fenster, das der Läden entbehrte, dessen Halbvorhänge aber sorgfältig zugezogen waren.

Er stieg auf die steinerne Randleiste, damit sein Auge über die Höhe der Vorhänge reichen möchte. Beim Schimmer einer Lampe sah er eine in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllte Frau auf einem Schemel in der Nähe eines erlöschenden Feuers sitzen. Sie stützte ihren Ellenbogen auf einen schlechten Tisch und hatte ihren Kopf in ihre elfenbeinweiße Hände gelegt.

Man konnte ihr Gesicht nicht unterscheiden, aber ein finsteres Lächeln zog über die Lippen von Athos. Es war keine Täuschung möglich. Er sah diejenige, welche er suchte.

In diesem Augenblick wieherte ein Pferd. Mylady schaute empor, erblickte dicht vor dem Fenster das bleiche Antlitz von Athos und stieß einen Schrei aus.

Athos begriff, daß sie ihn erkannt hatte, stieß mit dem Knie und der Hand an das Fenster, dieses gab nach, die Scheiben zerbrachen und Athos sprang, dem Gespenst der Rache ähnlich, in das Zimmer.

Mylady lief nach der Thür und öffnete sie. Noch bleicher, noch drohender als Athos, stand d’Artagnan auf der Schwelle.

Mylady wich kreischend zurück. D’Artagnan glaubte, sie habe ein Mittel zu entfliehen, und zog, ihr Entkommen befürchtend, eine Pistole aus seinem Gürtel. Aber Athos hob die Hand und sprach:

»Stecke die Waffe wieder an ihren Ort, d’Artagnan. Diese Frau soll gerichtet und nicht ermordet werden. Warte noch einen Augenblick, d’Artagnan, und Du sollst befriedigt sein. Tretet ein, meine Herren.«

D’Artagnan gehorchte, denn Athos hatte die feierliche Stimme und die mächtige Geberde eines vom Herrn im Himmel abgesandten Richters. Hinter d’Artagnan traten Porthos, Aramis, Lord Winter und der Rothmantel ein.

Die vier Lakaien bewachten die Thüre und das Fenster.

Mylady war auf ihren Sitz zurückgesunken und streckte die Hände aus, als wollte sie diese furchtbare Erscheinung beschwören. Als sie ihren Schwager erblickte, stieß sie einen gräßlichen Schrei aus.

»Was verlangt Ihr?« rief Mylady.

»Wir verlangen,« antwortete Athos, »Anna von Breuil, die sich Anfangs Gräfin de la Fère und sodann Lady Winter, Baronin von Sheffield genannt hat.«

»Ich bin es,« murmelte sie in höchster Bestürzung. »Was wollt Ihr von mir?«

»Wir wollen Euch richten nach Euren Verbrechen,« sagte Athos. »Es steht Euch frei, Euch zu vertheidigen; rechtfertigt Euch, wenn Ihr könnt. Herr d’Artagnan, Euch kommt die erste Anklage zu.«

D’Artagnan schritt vor und sprach:

»Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau an, Constance Bonacieux, welche gestern Abend verschieden ist, vergiftet zu haben.«

Er wandte sich gegen Porthos und Aramis um.

»Wir bezeugen es,« sagten mit einer Bewegung die zwei Musketiere. D’Artagnan fuhr fort:

»Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie mich mit dem Weine vergiften wollte, den sie mir von Villeroi mit einem falschen Briefe zuschickte, als ob der Wein von meinen Freunden käme. Gott hat mich gerettet, aber ein Mann, Namens Baisemout, ist statt meiner gestorben.«

»Wir bezeugen es,« sagten einstimmig Porthos und Aramis.

»Vor Gott und den Menschen,« sprach d’Artagnan weiter, »klage ich diese Frau an, mich zur Ermordung des Grafen von Wardes angereizt zu haben, und da Niemand hier ist, um die Wahrheit dieser Beschuldigung zu bezeugen, so bezeuge ich sie. Ich habe es gesagt.«

Nach diesen Worten trat d’Artagnan mit Porthos und Aramis auf die andere Seite des Zimmers.

»An Euch, Mylord,« sagte Athos.

Der Baron trat ebenfalls vor und sprach:

»Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie den Herzog von Buckingham ermorden ließ.«

»Der Herzog von Buckingham ermordet!« riefen alle Anwesenden wie aus einem Munde.

»Ja,« erwiderte der Baron, »ermordet! Auf Euer warnendes Schreiben hin ließ ich diese Frau verhaften und übergab sie einem redlichen Diener zur Bewachung. Sie verführte diesen Menschen, drückte ihm den Dolch in die Hand, hieß ihn den Herzog ermorden, und in diesem Augenblick bezahlt Felton vielleicht mit seinem Kopfe das Verbrechen dieser Furie.«

Ein Schauer durchlief die Richter bei der Enthüllung dieser noch unbekannten Verbrechen.

»Das ist noch nicht Alles,« versetzte Lord Winter. »Mein Bruder, der Euch zu seiner Erbin eingesetzt hatte, ist in drei Stunden an einer seltsamen Krankheit gestorben, welche auf dem ganzen Körper schwarzblaue Flecken zurückläßt. Meine Schwester, wie ist Euer Gatte gestorben?«

»Gräulich!« riefen Porthos und Aramis.

»Mörderin Buckinghams! Mörderin Feltons! Mörderin meines Bruders! ich verlange Gerechtigkeit von Euch, und wenn sie mir nicht gegeben wird, so werde ich sie mir selbst nehmen!«

Und Lord Winter stellte sich neben d’Artagnan und ließ den Platz für einen andern Ankläger frei.

Myladys Stirne sank in ihre beiden Hände, sie suchte ihre durch einen tödtlichen Schwindel verwirrten Gedanken zu klären.

»Nun ist es an mir,« sprach Athos selbst, indem er zitterte, wie ein Löwe beim Anblick einer Schlange zittert, »nun ist es an mir. Ich heirathete diese Frau, als sie noch ein junges Mädchen war; ich heirathete sie wider den Willen meiner Familie; ich übergab ihr mein Vermögen, ich gab ihr meine Hand, und eines Tages bemerkte ich, daß diese Frau gebrandmarkt war. Diese Frau trug das Brandmal einer Lilie auf der linken Schulter.«

»Oh!« rief Mylady, sich erhebend, »ich fordere Euch auf, das Tribunal, welches diesen schändlichen Spruch über mich verhängt hat, aufzufinden. Ich fordere Euch auf, denjenigen, welcher ihn vollstreckte, zu finden.«

»Stille!« ließ sich eine Stimme vernehmen, »dies zu beantworten kommt mir zu!«

Und der Rothmantel trat ebenfalls näher.

»Wer ist dieser Mann? wer ist dieser Mann?« rief durch den Schrecken niedergeschmettert Mylady, deren Haare sich lösten und auf dem leichenblassen Haupte empor starrten, als ob sie lebendig gewesen wären.

Aller Augen wandten sich nach diesem Manne, denn mit Ausnahme von Athos war er allen unbekannt. Doch auch Athos schaute ihn mit eben so großer Verwunderung an, wie die Andern; er wußte nicht, wie derselbe im Zusammenhang mit dem furchtbaren Drama stehen konnte, das sich in diesem Augenblicke entwickelte.

Nachdem der Unbekannte sich langsam und feierlich Mylady genähert hatte, so daß ihn nur noch der Tisch von ihr trennte, nahm er seine Maske ab.

Mylady schaute einige Zeit mit allen Zeichen wachsenden Schreckens das bleiche, mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart umgebene Gesicht an, dessen einziger Ausdruck eine eisige Unempfindlichkeit war. Dann rief sie plötzlich aufstehend und bis an die Wand zurückweichend:

»Oh! nein, nein, nein! Das ist eine höllische Erscheinung! Er ist es nicht! Zu Hülfe, zu Hülfe!« schrie sie mit rauher Stimme, und wandte sich nach der Wand um, als ob sie sich mit ihren Händen einen freien Durchgang hätte öffnen können.

»Aber wer seid Ihr denn?« riefen alle Zeugen dieser Scene. »Fragt diese Frau,« antwortete der Rothmantel; »denn Ihr seht wohl, daß sie mich wieder erkannt hat.«

»Der Henker von Lille! der Henker von Lille!« rief Mylady, von wahnsinnigem Schrecken erfaßt und sich mit den Händen an die Wand klammernd, um nicht zu fallen.

Alle Anwesenden wichen zurück und der Rothmantel stand allein mitten in der Stube.

»Oh! Gnade! Barmherzigkeit!« rief die Elende, auf die Kniee stürzend.

Der Unbekannte wartete, bis es wieder stille geworden war, und sprach sodann:

»Ich sagte Euch, daß sie mich wiedererkannt hat. Ja, ich bin der Henker der Stadt Lille. Hört meine Geschichte.«

Aller Augen waren auf den Mann geheftet, dessen Worten man mit ängstlicher Neugier entgegenharrte.

»Diese Frau war einst ein junges Mädchen, so schön, wie sie heute ist. Sie war eine Nonne im Kloster der Benedictinerinnen von Templemar. Ein junger Priester von schlichtem, gläubigem Herzen versah den Gottesdienst in der Kirche dieses Klosters. Sie unternahm es, ihn zu verführen, und es gelang ihr. Sie hätte auch einen Heiligen verführt.

»Ihre Gelübde, die Gelübde Beider, waren heilig, unwiderruflich: ihre Liebschaft konnte nicht lange dauern, ohne Beide in das Verderben zu stürzen. Sie bewog ihn, mit ihr die Gegend zu verlassen; aber um gemeinschaftlich nach einem andern Theil Frankreichs zu entfliehen, wo sie als Unbekannte ruhig leben könnten, brauchten sie Geld, und keines von Beiden besaß Geld. Der Priester stahl die heiligen Gefäße und verkaufte sie; aber als sie eben abreisen wollten, wurden Beide verhaftet.

»Acht Tage nachher hatte sie den Sohn des Kerkermeisters verführt und sich geflüchtet. Der junge Priester wurde zu zehn Jahren Kettenstrafe und zur Brandmarkung verurtheilt. Ich war der Henker der Stadt Lille, wie diese Frau sagt. Ich mußte den Schuldigen brandmarken, und der Schuldige, meine Herren, war mein Bruder.

»Ich schwor, daß diese Frau, welche ihn zu Grunde gerichtet hatte und mehr als seine Mitschuldige war, weil sie ihn zum Verbrechen antrieb, wenigstens seine Strafe theilen sollte. Ich vermuthete, an welchem Orte sie verborgen war, verfolgte, erreichte, knebelte sie, und drückte ihr dasselbe Mal auf, das ich meinem Bruder aufgedrückt hatte.

»Am Tage nach meiner Rückkehr nach Lille gelang es meinem Bruder, ebenfalls zu entweichen. Man klagte mich der Mitschuld an und verurtheilte mich, so lange im Gefängniß zu bleiben, bis er sich wieder gestellt hätte. Mein armer Bruder wußte nichts von diesem Urtheil. Er war mit der ehemaligen Nonne wieder zusammengetroffen und mit ihr nach Berri gezogen, wo er eine kleine Pfarre erhielt. Diese Frau galt für seine Schwester.

»Der Herr des Gutes, auf welchem die Kirche des Pfarrers lag, sah die angebliche Schwester und verliebte sich in sie, so daß er ihr die Ehe antrug. Da verließ sie denjenigen, welchen sie ins Verderben gestürzt hatte, um dem Manne zu folgen, den sie ins Verderben stürzen sollte, und wurde Gräfin de la Fère.«

Aller Augen wandten sie gegen Athos, dessen wirklicher Name dies war. Athos aber bestätigte mit einem Zeichen seines Kopfes, daß Alles, was der Henker gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Dieser fuhr fort: »In Verzweiflung, entschlossen sich eines Daseins zu entledigen, dem sie Ehre, Glück, Alles geraubt hatte, kam mein armer Bruder nun nach Lille zurück, und als er von dem Spruche hörte, der mich statt seiner verurtheilt hatte, gab er sich freiwillig in Haft und erhing sich an demselben Abend am Luftloche seines Kerkers.

»Um denjenigen, welche mich verurtheilt hatten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich bemerken, daß sie Wort hielten. Kaum war die Identität des Leichnams nachgewiesen, als man mich wieder in Freiheit setzte. Dies ist das Verbrechen, dessen ich sie anklage, dies die Ursache, warum ich sie gebrandmarkt habe.«

»Herr d’Artagnan,« sprach Athos, »welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«

»Die Todesstrafe!« antwortete d’Artagnan.

»Mylord von Winter.« fuhr Athos fort, »welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«

»Die Todesstrafe!« antwortete Lord Winter.

»Meine Herren Porthos und Aramis,« sagte Athos, »Ihr, die Ihr ihre Richter seid, welche Strafe verhängt Ihr gegen diese Frau?«

»Die Todesstrafe!« antworteten mit dumpfer Stimme die zwei Musketiere.

Mylady stieß ein furchtbares Geheul aus und schleppte sich auf den Knieen einige Schritte gegen ihre Richter.

Athos streckte die Hand gegen sie aus.

»Anna von Breuil, Gräfin de la Fère, Mylady Winter,« sagte er, »Eure Verbrechen haben die Menschen auf Erden und Gott im Himmel ermüdet. Wenn Ihr ein Gebet wißt, so sprecht es, denn Ihr seid verurtheilt und müßt sterben.«

Bei diesen Worten, die ihr keine Hoffnung mehr übrig ließen, richtete sich Mylady in ihrer ganzen Höhe auf und wollte reden. Aber es fehlten ihr die Laute. Sie fühlte, daß eine mächtige, unwiderstehliche, unversöhnliche Hand sie an den Haaren faßte und unwiderruflich fortzog, wie das Verhängniß den Menschen fortzieht. Sie versuchte daher nicht einmal Widerstand zu leisten, und verließ die Hütte.

Lord Winter, d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen nach ihr hinaus; die Bedienten folgten ihren Herren, und die Stube blieb verlassen mit ihren zerbrochenen Fenstern, ihrer offenen Thüre und ihrer rauchigen Lampe, welche düster auf dem Tische fortbrannte.

XXXVIII.

Die Hinrichtung.

Es war um die Mitternachtsstunde. Der in seiner Abnahme sichelförmige und durch die letzten Spuren des Gewitters blutig gefärbte Mond ging hinter dem Dorfe Armentières auf, das in seinem bleichen Schimmer die düstere Silhouette seiner Häuser und das Skelett seines hohen, durchbrochenen Glockenthurms hervorhob. Vorn wälzte die Lys, einem Flusse von geschmolzenem Zinn ähnlich, ihre Wasser, während man auf dem andern Ufer das Profil einer schwarzen Masse von Bäumen auf einem stürmischen Himmel erblickte, dessen dicke, kupferrothe Wolken mitten in der Nacht eine Art von Dämmerung hervorriefen. Zur Linken erhob sich eine alte verlassene Mühle mit unbeweglichen Flügeln, in deren Trümmern von Zeit zu Zeit eine Nachteule ihr monotones, schrilles Geschrei hören ließ. Da und dort erschienen in der Ebene rechts und links vom Wege, auf dem sich der traurige Zug bewegte, niedrige, untersetzte Bäume, welche wie mißgestaltete Zwerge aussahen, die sich niedergekauert hätten, um in dieser finsteren Stunde Menschen aufzulauern.

Zuweilen öffnete ein mächtiger Blitz den Horizont in seiner ganzen Breite, schlängelte sich über die schwarze Masse der Bäume hin und trennte, wie ein furchtbarer Säbel, den Himmel und das Wasser in zwei Theile. Nicht der leiseste Wind bewegte die schwerfällige Atmosphäre. Eine Todtenstille lastete auf der ganzen Natur, der Boden war feucht und schlüpfrig von dem gefallenen Regen und die wiederbelebten Gräser und Kräuter ergossen ihre Wohlgerüche mit neuer Kraft.

Zwei Bediente schleppten Mylady, welche jeder von ihnen an einem Arme hielt. Der Henker ging hinter ihr. Lord Winter, d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen hinter dem Henker. Planchet und Bazin kamen zuletzt.

Die zwei Diener führten Mylady nach dem Flusse. Ihr Mund war stumm, aber ihre Augen sprachen mit jener unaussprechlichen Beredsamkeit und flehten abwechselnd zu Jedem, den sie anschaute.

Als sie sich einige Schritte voraus sah, sagte sie zu den Bedienten:

»Tausend Pistolen für jeden von Euch, wenn ihr meine Flucht begünstigt; wenn Ihr mich aber Euren Herren ausliefert, so habe ich hier in meiner Nähe Rächer, die Euch meinen Tod theuer bezahlen lassen.«

Grimaud zögerte, Mousqueton zitterte an allen Gliedern.

Athos, der die Stimme Myladys gehört hatte, näherte sich rasch, Lord Winter that dasselbe.

»Schickt diese Bedienten weg,« sagte er, »sie hat mit ihnen gesprochen, sie sind nicht mehr sicher.«

Man rief Planchet und Bazin, welche die Stelle von Grimaud und Mousqueton einnahmen.

An den Rand des Wassers gelangt, trat der Henker zu Mylady und band ihre Hände und Füße.

Da brach sie das Schweigen und rief: »Ihr seid feige, elende Mörder, Ihr erhebt Euch zu zehn, um eine Frau umzubringen. Nehmt Euch in Acht, wenn man mir auch keine Hülfe bringt, so wird man mich doch rächen! …«

»Ihr seid kein Weib,« sprach Athos kalt, »Ihr gehört nicht dem Menschengeschlechts an, Ihr seid ein der Hölle entsprungener Teufel, den wir wieder dahin zurückschicken werden.«

»Oh! meine tugendhaften Herren,« sprach Mylady, gebt wohl Acht, daß derjenige von Euch, welcher ein Haar von meinem Haupte berührt, nicht auch ein Mörder ist.«

»Der Henker kann tödten, ohne darum ein Mörder zu sein, Madame,« sprach der Rothmantel und klopfte dabei an sein breites Schwert. »Er ist der Nachrichter, der letzte Richter und nichts Anderes.«

Während er sie band und diese Worte sprach, stieß Mylady wiederholt ein Geschrei aus, das gar düster und seltsam klang, ais es durch die Nacht hinflog und sich in der Tiefe des Waldes verlor.

»Wenn ich schuldig bin, wenn ich die Verbrechen begangen habe, deren Ihr mich bezichtigt,« heulte Mylady, »so führt mich vor ein Tribunal. Ihr seid nicht die Richter, die mich verdammen können.«

»Ich habe Euch Tyburn vorgeschlagen,« entgegnete Lord Winter, »warum habt Ihr es nicht angenommen?«

»Weil ich nicht sterben will,« rief Mylady, gegen den Henker sich sträubend, »weil ich zu jung bin, um zu sterben.«

»Die Frau, welche Ihr in Bethune vergiftet habt, war noch jünger, als Ihr, und ist dennoch gestorben,« sagte d’Artagnan.

»Ich werde in ein Kloster eintreten, ich werde den Schleier nehmen,« rief Mylady.

»Ihr waret in einem Kloster,« sprach der Henker, »und Ihr habt es verlassen, um meinen Bruder zu verderben.«

Mylady stieß abermals ein Angstgeschrei aus und fiel auf die Kniee.

Der Henker hob sie bei den Armen auf und wollte sie nach dem Nachen tragen.

»Oh! mein Gott, mein Gott!« rief sie. »Wollt Ihr mich denn ertränken?«

Dieses Geschrei hatte etwas so Herzzerreißendes, daß d’Artagnan, der Anfangs der erbittertste Verfolger Myladys war, sich auf einen Baumstumpf niederließ, das Haupt neigte und die Ohren mit seinen flachen Händen verstopfte; aber dennoch hörte er sie schreien und drohen.

D’Artagnan war der jüngste von allen diesen Männern; sein Herz erweichte sich.

»Oh! ich kann dieses furchtbare Schauspiel nicht ansehen,« sagte er; »ich kann nicht zugeben, daß diese Frau so stirbt.«

Mylady hatte die letzten Worte gehört und gab sich wieder einem Strahle der Hoffnung hin.

»D’Artagnan! d’Artagnan!« rief sie, »erinnerst Du Dich, daß ich Dich geliebt habe?«

Der junge Mann stand auf und machte einen Schritt gegen sie.

Athos stand ebenfalls auf, zog seinen Degen und stellte sich ihm in den Weg.

»Wenn Ihr noch einen Schritt macht, d’Artagnan,« sprach er, »so mögen sich unsere Schwerter kreuzen.«

D’Artagnan fiel auf die Kniee und betete.

»Auf!« fuhr Athos fort, »Henker, thue Deine Pflicht.«

»Gern, gnädiger Herr,« antwortete der Henker; »denn so wahr ich ein guter Katholik bin, glaube ich, daß ich gerecht handle, wenn ich mein Geschäft an dieser Frau vollziehe.«

Athos trat näher zu Mylady und sprach:

»Ich vergebe Euch das Böse, was Ihr mir zugefügt habt, ich vergebe Euch meine zertrümmerte Zukunft, meine verlorene Ehre, meine befleckte Liebe und mein für immer durch die Verzweiflung, in die Ihr mich gestürzt habt, zu Grunde gerichtetes Glück. Sterbt im Frieden!«

Lord Winter kam ebenfalls heran und sagte:

»Ich vergebe Euch die Vergiftung meines Bruders, die Ermordung Seiner Herrlichkeit, des Lord Buckingham, ich vergebe Euch den Tod des armen Felton, ich vergebe Euch, was Ihr gegen meine Person versucht habt. Sterbt im Frieden!«

»Was mich betrifft,« sprach d’Artagnan, »so vergebt mir, Madame, daß ich durch einen eines Edelmannes unwürdigen Betrug Euren Zorn hervorgerufen habe, und dagegen vergebe ich Euch die Ermordung meiner armen Freundin und die grausame Rache, die Ihr an mir verübt habt. Sterbt im Frieden!«

»I am lost!« murmelte Mylady englisch, »I must die!« 2

Dann erhob sie sich und warf einen jener leuchtenden Blicke um sich, die aus einem Flammenauge hervorzuspringen schienen.

Sie sah nichts. Sie horchte, sie hörte nichts.

Sie hatte nur Feinde um sich her.

»Wo soll ich sterben?« fragte sie.

»Auf dem andern Ufer,« antwortete der Henker.

Dann ließ er sie in seine Barke eintreten, und als er den Fuß auf diese setzte, um ihr zu folgen, überreichte ihm Athos eine Summe Geldes.

»Nehmt,« sprach er, »hier ist der Lohn der Hinrichtung, damit man sehe, daß wir als Richter handeln.«

»Gut,« versetzte der Henker, »diese Frau soll nun erfahren, daß ich nicht mein Gewerbe treibe, sondern meine Pflicht erfülle.«

Und er warf das Geld in den Fluß.

»Seht,« sagte Athos, »diese Frau hat ein Kind, und dennoch hat sie kein Wort von ihrem Kinde gesprochen.«

Der Nachen entfernte sich nach dem linken Ufer der Lys, die Schuldige und den Nachrichter mit sich tragend. Die Anderen blieben auf dem rechten Ufer, und waren niedergekniet.

Der Nachen glitt langsam den Strick der Fähre entlang unter dem Widerschein einer bleichen Wolke, welche in diesem Augenblick über dem Wasser schwebte.

Man sah ihn am andern Ufer landen. Die Personen zeichneten sich schwarz an dem röthlichen Horizont ab. Mylady hatte während der Ueberfahrt den Strick an ihren Füßen loszumachen gewußt. Als sie sich nahe am Ufer befand, sprang sie leicht zu Boden und ergriff die Flucht.

Aber der Boden war feucht: oben auf der Böschung angelangt, glitt sie aus und fiel auf ihre Kniee nieder.

Ein abergläubischer Gedanke berührte sie ohne Zweifel. Sie sah ein, daß der Himmel ihr seinen Beistand versagte, und verharrte gebeugten Hauptes und mit gefalteten Händen in der Stellung, worin sie sich befand.

Da sah man vom andern Ufer den Henker langsam seine Arme erheben, ein Strahl des Mondes spiegelte sich auf der Klinge seines breiten Schwertes. Die beiden Arme fielen nieder, man hörte das Zischen des Schwertes, und eine verstümmelte Masse wälzte sich unter dem Streiche.

Dann nahm der Henker seinen rothen Mantel ab, legte den Körper darauf, warf den Kopf dazu, knüpfte den Mantel an seinen vier Enden zusammen, lud ihn auf seine Schulter, und stieg wieder in den Nachen.

Als er die Mitte der Lys erreicht hatte, hielt er die Barke an, hob seine Last über den Fluß und rief:

»Gottes Gerechtigkeit mag walten!«

Und er schleuderte den Leichnam in die Tiefe des Wassers, das sich über demselben schloß.

  1. Ich bin verloren! ich muß sterben!

XXXIX.

Eine Botschaft des Kardinals.

Drei Tage nachher kamen die vier Musketiere nach Paris zurück. Sie hatten sich innerhalb der Grenzen ihres Urlaubs gehalten und statteten noch an demselben Abend Herrn von Treville ihren gewöhnlichen Besuch ab.

»Nun, meine Herren,« fragte sie der brave Kapitän, »habt Ihr Euch bei Eurem Ausfluge gut unterhalten?«

»Außerordentlich,« antwortete Athos in seinem und seiner Freunde Namen.

Am 6. des darauf folgenden Monats verließ der König, dem Versprechen getreu, das er dem Kardinal in Bezug auf seine Rückkehr nach La Rochelle geleistet hatte, die Stadt Paris, noch ganz betäubt von der Nachricht, die sich über die Ermordung Buckinghams verbreitete.

Obgleich davon unterrichtet, daß der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, von einer Gefahr bedroht war, wollte die Königin, als man ihr diesen Tod ankündigte, nicht daran glauben. Sie rief sogar unkluger Weise aus: »Das ist falsch, er hat mir kürzlich erst geschrieben!«

Aber am andern Tage mußte sie wohl der unseligen Kunde Glauben schenken. La Porte, wie alle Menschen in England durch den Befehl des Königs Karl I. zurückgehalten, kam als Ueberbringer des letzten traurigen Geschenkes an, das Buckingham der Königin überschickte.

Der König war voll Freude, als er die Nachricht erhielt. Er gab sich nicht einmal die Mühe, diese Freude zu verbergen, sondern ließ sie sogar geflissentlich in Gegenwart der Königin hervorbrechen. Ludwig XIII. fehlte es, wie allen schwachen Geistern, an allem Edelmuth.

Bald aber wurde der König wieder düster und übler Laune. Seine Stirne war keine von denen, welche sich auf lange Zeit erheitern. Er fühlte, daß er sich, in das Lager zurückkehrend, wieder in seine Sklaverei begab, und dennoch kehrte er zurück.

Der Kardinal war für ihn die bezaubernde Schlange, und er war der Vogel, der von Zweig zu Zweig hüpft, ohne ihr entweichen zu können.

Die Rückkehr nach La Rochelle war auch äußerst traurig. Unsere Freunde besonders setzten ihre Kameraden in Erstaunen. Sie ritten dicht neben einander mit düsteren Augen und gesenkten Häuptern. Nur Athos allein hob seine breite Stirne von Zeit zu Zeit empor, ein Blitz leuchtete in seinen Augen, ein bitteres Lächeln zog über seine Lippen hin, und dann überließ er sich wieder, wie seine Kameraden, seinen finstern Träumereien.

Gleich nach der Ankunft der Eskorte in einer Stadt zogen sich die vier Freunde, sobald sie den König nach seiner Wohnung geleitet hatten, entweder nach ihren Quartieren oder in eine abgelegene Schenke zurück, wo sie weder spielten noch tranken, sondern nur unter sorgfältigem Umherschauen, ob Niemand sie hören könne, leise mit einander sprachen.

Als der König eines Tages auf dem Wege Halt gemacht hatte, um die Elster zu beizen, und die vier Freunde ihrer Gewohnheit gemäß, statt der Jagd zu folgen, in einem Wirthshaus an der Landstraße saßen, sprengte ein Mann, der von La Rochelle kam, mit verhängtem Zügel heran, hielt vor der Thüre, um ein Glas Wein zu trinken, und schaute ins Innere der Stube, wo sich die vier Musketiere befanden.

»Holla! Herr d’Artagnan,« sprach er, »seid Ihr es nicht, den ich da innen sehe?«

D’Artagnan schaute auf und stieß ein Freudengeschrei aus. Der Unbekannte, der ihn rief, war sein Gespenst, sein Unbekannter von Meung, von der Rue des Fossoyeurs und von Arras.

D’Artagnan zog den Degen und stürzte nach der Thüre. Aber statt zu fliehen, sprang der Unbekannte vom Pferde und lief d’Artagnan entgegen.

»Ah! mein Herr,« sprach der junge Mann, »endlich treffe ich Euch. Diesmal sollt Ihr mir nicht entgehen!«

»Das ist auch diesmal gar nicht meine Absicht, denn ich suchte Euch. Ich verhafte Euch im Namen des Königs!«

»Wie, was sagt Ihr?« rief d’Artagnan.

»Ihr habt mir Euren Degen zu geben, mein Herr, und zwar ohne Widerstand. Es geht um Euren Kopf, das sage ich Euch.«

»Wer seid Ihr denn?« fragte d’Artagnan den Degen senkend, aber ohne ihn abzugeben.

»Ich bin der Chevalier von Rochefort, der Stallmeister des Herrn Kardinals von Richelieu, und habe Befehl, Euch vor Se. Eminenz zu führen.«

»Wir kehren zu Seiner Eminenz zurück, Herr Chevalier,« sagte Athos vortretend, »und Ihr werdet wohl Herrn d’Artagnan auf sein Wort glauben, daß er sich in gerader Richtung nach La Rochelle begibt.«

»Ich muß ihn den Wachen überliefern, die ihn nach dem Lager führen werden.«

»Wir werden ihm als solche dienen, mein Herr, bei unserem adeligen Ehrenwort! Aber ich sage Euch auch,« fügte Athos die Stirne faltend bei, »ich sage Euch bei unserem adeligen Ehrenwort, daß uns Herr d’Artagnan nicht verläßt.«

Der Chevalier von Rochefort warf einen Blick zurück und sah, daß sich Porthos und Aramis zwischen ihn und die Thüre gestellt hatten. Er begriff, daß er ganz der Willkür dieser vier Männer bloßgestellt war.

»Meine Herren,« sagte er, »wenn mir Herr d’Artagnan seinen Degen übergeben und sein Wort dem Eurigen beifügen will, so begnüge ich mich mit Eurem Versprechen, Herrn d’Artagnan in das Quartier des Herrn Kardinals zu führen.«

»Ihr habt mein Wort,« sprach d’Artagnan, »und hier meinen Degen.«

»Das ist mir um so lieber,« fügte Rochefort bei, »als ich meine Reise fortsetzen muß.«

»Geschieht dies, um Mylady aufzusuchen,« sprach Athos kalt, »so bemüht Euch nicht, Ihr werdet sie nicht finden.«

»Was ist denn aus ihr geworden?« fragte Rochefort heftig.

»Kommt in das Lager zurück, und Ihr sollt es erfahren.«

Rochefort blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Da man aber nur noch eine Tagereise von Surgères entfernt war, bis wohin der Kardinal dem König entgegenkommen wollte, so beschloß er, den Rath von Athos zu befolgen und mit ihm zurückzukehren.

Ueberdies bot ihm diese Rückkehr einen weiteren Vortheil: er konnte seinen Gefangenen selbst überwachen.

Man setzte sich in Marsch.

Am andern Tag um drei Uhr Nachmittags erreichte man Surgères: der Kardinal erwartete hier Ludwig XIII. Der Minister und der König tauschten hier viele Schmeicheleien und Liebkosungen aus und beglückwünschten sich über den glücklichen Zufall, der Frankreich von dem erbitterten Feinde befreite, welcher ganz Europa gegen dasselbe aufwiegelte.

Sobald dies geschehen war, verabschiedete sich der Kardinal, welcher von Rochefort die Ankunft d’Artagnan’s erfahren hatte und diesen sogleich vernehmen wollte, von dem König, indem er ihn einlud, am andern Tag die vollendeten Dammarbeiten zu besichtigen.

Als der Kardinal am Abend nach seinem Quartier am Pont de Pierre zurückkam, fand er d’Artagnan ohne Degen und die drei Musketiere bewaffnet vor dem Hause, das er bewohnte.

Da er ihnen diesmal an Kräften überlegen war, so schaute er sie streng an und gab d’Artagnan mit den Augen und mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Wir erwarten Dich, d’Artagnan,« sprach Athos laut genug, daß es der Kardinal hören konnte.

Seine Eminenz faltete die Stirne, stand einen Augenblick still und setzte sodann seinen Weg fort, ohne eine Silbe zu sprechen.

D’Artagnan trat hinter dem Kardinal, Rochefort hinter d’Artagnan ein. Die Thüre wurde bewacht.

Seine Eminenz begab sich in das Zimmer, das ihm als Arbeitskabinet diente, und befahl Rochefort durch ein Zeichen, d’Artagnan einzuführen.

Rochefort gehorchte und zog sich zurück.

D’Artagnan blieb allein bei dem Kardinal. Es war seine zweite Zusammenkunft mit Richelieu, und er gestand später, er sei überzeugt gewesen, daß es seine letzte sein würde.

Richelieu blieb an dem Kamin stehen. Ein Tisch war zwischen ihm und d’Artagnan.

»Mein Herr,« sprach der Kardinal, »Ihr seid auf meinen Befehl verhaftet worden.« – »Man hat es mir gesagt, Monseigneur.« – »Wißt Ihr, warum?« – »Nein, Monseigneur, denn die einzige Sache, wegen deren ich verhaftet werden könnte, ist Seiner Eminenz noch unbekannt.«

Richelieu schaute den jungen Mann fest an und rief:

»Holla! was wollt Ihr damit sagen?«

»Wenn mich Monseigneur zuerst über die Verbrechen belehren will, die man mir aufbürdet, so werde ich ihm sodann die Handlungen nennen, die ich begangen habe.«

»Man bürdet Euch Verbrechen auf, welche noch höhere Häupter, als das Eurige, fallen gemacht haben,« sagte der Kardinal.

»Welche, Monseigneur?« fragte d’Artagnan mit einer Ruhe, die den Kardinal in Erstaunen setzte.

»Man klagt Euch an, Ihr habet mit den Feinden des Königreichs korrespondirt; man klagt Euch an, Ihr habet Staatsgeheimnisse erlauscht; man klagt Euch an, Ihr habet die Pläne Eures Generals zu vereiteln gesucht.«

»Und wer beschuldigt mich dessen, Monseigneur?« sprach d’Artagnan, welcher sich dachte, daß die Anklage von Mylady komme. »Ein von den Gerichten gebrandmarktes Weib, ein Weib, das einen Mann in Frankreich und einen andern in England geheirathet, ein Weib, das seinen zweiten Gatten vergiftet und mich selbst zu vergiften gesucht hat.«

»Was sagt Ihr da, Herr!« rief der Kardinal voll Erstaunen, »von welchem Weibe sprecht Ihr so?«

»Von Mylady Winter,« antwortete d’Artagnan, »ja, von Mylady Winter, deren Verbrechen Eure Eminenz ohne Zweifel nicht kannte, als sie dieselbe mit ihrem Vertrauen beehrte.«

»Mein Herr,« sprach der Kardinal, »wenn Mylady Winter die Verbrechen begangen hat, deren Ihr sie bezichtigt, so soll sie bestraft werden.« – »Sie ist bestraft.« – »Und wer hat sie bestraft?« – »Wir.« – »Sie ist im Gefängniß?« – »Sie ist todt.«

»Todt!« wiederholte der Kardinal, der nicht an das glauben konnte, was er hörte. »Habt Ihr nicht gesagt, sie sei todt?«

»Dreimal versuchte sie es, mich zu tödten, und ich verzieh ihr; aber sie mordete eine Frau, die ich liebte; dann nahmen meine Freunde und ich sie gefangen, hielten Gericht und verurtheilten sie.«

D’Artagnan erzählte nun die Vergiftung von Madame Bonacieux im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, das Gericht in dem einsamen Hause und die Hinrichtung am Ufer der Lys. Ein Schauer lief dem Kardinal durch den ganzen Leib, und doch schauerte der Kardinal nicht so leicht.

Aber als ob sich plötzlich ein stummer Gedanke seiner bemeisterte, erhellte sich allmälig das bisher so düstere Antlitz des Kardinals und erlangte die vollkommenste Ruhe.

»Ihr habt Euch also,« sprach er mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit der Strenge der Worte stand, »Ihr habt Euch also zu Richtern aufgeworfen, ohne zu bedenken, daß diejenigen, welche strafen und nicht den Auftrag dazu haben, Mörder sind?«

»Monseigneur, ich schwöre, daß ich nicht einen Augenblick die Absicht gehabt habe, meinen Kopf gegen Euch zu vertheidigen; ich werde mich der Strafe unterziehen, die Eure Eminenz über mich ausspricht. Ich hänge nicht so sehr am Leben, daß ich den Tod fürchten sollte.«

»Ja, ich weiß es, Ihr seid ein beherzter Mann,« sprach der Kardinal mit beinahe zärtlichem Tone; »ich kann Euch also zum Voraus sagen, daß man Gericht über Euch halten, ja sogar Euch verurtheilen wird.«

»Ein Anderer könnte Seiner Eminenz entgegnen, er habe seine Begnadigung in der Tasche; ich aber begnüge mich zu antworten: befehlt, Monseigneur, ich bin bereit.« – »Eure Begnadigung?« fragte Richelieu erstaunt. – »Ja, Monseigneur,« erwiderte d’Artagnan. – »Und von wem unterzeichnet? Vom König?«

Der Kardinal sprach diese Worte mit einem eigenthümlichen Ausdruck der Verachtung.

»Nein, von Eurer Eminenz.« – »Von mir? Ihr seid ein Narr, mein Herr.« – »Monseigneur wird ohne Zweifel seine Handschrift erkennen.«

Bei diesen Worten überreichte d’Artagnan dem Kardinal das kostbare Papier, das Athos Mylady entrissen und d’Artagnan übergeben hatte, dem es als Schutzwache dienen sollte.

Seine Eminenz nahm es und las es langsam und mit starker Betonung jeder einzelnen Silbe.

»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Träger des Gegenwärtigen gethan, was er gethan hat.

»Im Lager von Rochelle, den 3. Aug. 1628.

» Richelieu

Der Kardinal versank in tiefes Nachsinnen, nachdem er das Papier gelesen hatte, gab es aber d’Artagnan nicht zurück.

»Er überlegt, durch welche Strafe er mich zum Tode befördern soll,« sagte der Gascogner ganz leise zu sich selbst. »Gut, er soll sehen, wie ein Edelmann stirbt.«

Der junge Musketier war in der besten Fassung, um heldenmütig zu scheiden.

Richelieu dachte immer noch nach, rollte das Papier in seiner Hand zusammen und rollte es wieder aus einander. Dann schaute er auf und heftete seinen Adlerblick auf diese redlichen, offenen, gescheiten Züge, auf dieses in Folge der Leiden, die er seit einem Monat ausgestanden, von Thränen durchfurchte Antlitz, und dachte zum dritten und vierten Male, wie viel dieser Junge von zwanzig Jahren Zukunft vor sich hatte, und welche Mittel seine Thätigkeit, sein Muth und sein Geist einem guten Herrn bieten konnten.

Andererseits hatten ihn die Verbrechen, die Macht, das höllische Genie Myladys mehr als einmal erschreckt. Er fühlte etwas wie eine geheime Freude darüber, daß er für immer von dieser gefährlichen Schuldgenossin befreit war.

Langsam zerriß er das Papier, welches ihm d’Artagnan so edelmüthig übergeben hatte.

»Ich bin verloren,« sprach d’Artagnan zu sich selbst.

Und er verbeugte sich tief vor dem Kardinal, wie ein Mensch, der da sagt: »Gnädiger Herr, Euer Wille soll geschehen.«

Der Kardinal trat an den Tisch, schrieb, ohne sich zu setzen, ein paar Zeilen auf ein Pergament, das zu zwei Dritteln bereits voll geschrieben war, und druckte sein Siegel darunter.

»Das ist meine Verurtheilung,« dachte d’Artagnan, »er erspart mir die Unannehmlichkeiten der Bastille und den langsamen Gang eines Gerichts. Ich finde das noch sehr liebenswürdig von ihm.«

»Nehmt,« sprach der Kardinal zu dem jungen Manne, »ich habe Euch ein Blanket genommen und gebe Euch ein anderes. Der Name fehlt auf diesem Patent, Ihr werdet ihn selbst eintragen.«

D’Artagnan ergriff das Papier zögernd und warf einen Blick darauf.

Es war eine Lieutenants-Stelle bei den Musketieren.

D’Artagnan fiel dem Kardinal zu Füßen.

»Monseigneur,« rief er, »mein Leben gehört von nun an Euch, verfügt darüber: aber ich verdiene die Gunst nicht, die Ihr mir bewilligt; ich habe drei Freunde, welche würdiger …«

»Ihr seid ein braver Junge, d’Artagnan,« unterbrach ihn der Kardinal und klopfte ihn, entzückt, diese widerspenstige Natur besiegt zu haben, vertraulich auf die Schulter; »macht mit diesem Patent, was Ihr wollt, da der Name weiß ist; nur erinnert Euch, daß ich es Euch gebe.«

»Ich werde es nie vergessen,« antwortete d’Artagnan, »Eure Eminenz darf dessen versichert sein.«

Der Kardinal wandte sich um und rief: »Rochefort«.

Der Chevalier hatte sich ohne Zweifel vor der Thüre aufgehalten, und trat sogleich ein.

»Rochefort,« sagte der Kardinal, »Ihr seht hier Herrn d’Artagnan, ich nehme ihn unter die Zahl meiner Freunde auf. Man umarme sich also und sei vernünftig, wenn man sein Leben lieb hat.«

Rochefort und d’Artagnan küßten sich mit dem Rande ihrer Lippen; aber der Kardinal war da und beobachtete sie mit wachsamem Auge. Sie verließen zu gleicher Zeit das Zimmer.

»Wir treffen uns wieder, nicht wahr, mein Herr?« sprachen sie. – »Wann es Euch gefällig ist,« sagte d’Artagnan.

»Die Gelegenheit wird sich finden,« erwiderte Rochefort.

»Was da?« brummte der Kardinal die Thüre öffnend.

Die Männer lächelten sich zu, drückten sich die Hand und verbeugten sich vor Seiner Eminenz.

»Wir fingen an unruhig zu werden,« sprach Athos, als der Musketier zurückkam.

»Hier bin ich, meine Freunde,« antwortete d’Artagnan. – »Frei?« – »Nicht allein frei, sondern in Gunsten.« – »Ihr werdet uns das erzählen.« – »Noch diesen Abend. Doch für diesen Augenblick trennen wir uns.«

D’Artagnan begab sich wirklich noch denselben Abend in die Wohnung von Athos, den er im besten Zuge fand, seine Flasche spanischen Wein zu leeren, ein Geschäft, dem er gewissenhaft jeden Abend oblag.

Er erzählte seinem Freunde, was zwischen ihm und dem Kardinal vorgefallen war, zog sein Patent aus der Tasche und sprach:

»Nehmt, mein lieber Athos, was Euch ganz natürlich zukommt.«

Athos lächelte in seiner sanften, liebenswürdigen Art und erwiderte: »Freund, für Athos ist es zu viel, für den Grafen de la Fère ist es zu wenig. Behaltet dieses Patent, es gehört Euch: ach! Ihr habt es theuer genug bezahlen müssen.«

D’Artagnan entfernte sich aus dem Zimmer von Athos und trat bei Porthos ein.

Er traf ihn in einem prächtigen, mit glänzenden Stickereien bedeckten Rock, wie er sich eben im Spiegel beschaute.

»Ah! ah!« rief Porthos, »Ihr seid es, lieber Freund; wie findet Ihr, daß mir dieser Rock steht?«

»Vortrefflich,« sprach d’Artagnan; »doch ich komme, um Euch ein Kleid anzutragen, das Euch noch viel besser stehen wird.«

»Welches?« – »Die Uniform eines Musketierlieutenants.«

D’Artagnan erzählte Porthos seine Unterredung mit dem Kardinal, zog das Patent aus seiner Tasche und sagte:

»Nehmt, mein Lieber, schreibt Euern Namen darauf und seid ein guter Chef für mich.«

Porthos warf einen Blick auf das Patent und gab es zum großen Erstaunen des jungen Mannes zurück.

»Ja,« sprach er, »das würde mir sehr schmeicheln, aber ich könnte diese Gunst nicht lange genug genießen; während unseres Zuges nach Bethune ist der Gatte meiner Herzogin gestorben, und da mir die Kasse des Seligen die Hand reicht, so heirathe ich die Wittwe. Seht, ich habe so eben meinen Hochzeitsanzug probirt. Behaltet das Lieutenantspatent, mein Lieber, behaltet es.«

Und er legte es d’Artagnan wieder in die Hände.

Der junge Mann begab sich zu Aramis.

Er fand ihn vor einem Betpult knieend, seine Stirne auf ein Andachtsbuch gestützt.

D’Artagnan erzählte ihm seine Zusammenkunft mit dem Kardinal, zog sein Patent zum dritten Mal aus der Tasche und sprach:

»Ihr, unser Freund, unser Licht, unser unsichtbarer Beschützer, empfangt dieses Patent; Ihr habt es mehr als jeder Andere durch Eure Weisheit und Eure stets von gutem Erfolge begleiteten Rathschläge verdient.«

»Ach! theurer Freund,« erwiderte Aramis, »unsere letzten Abenteuer haben mir einen gänzlichen Widerwillen gegen das Soldatenleben eingeflößt. Diesmal steht mein Entschluß unwiderruflich fest: nach der Belagerung trete ich bei den Lazaristen ein. Behaltet dieses Patent, d’Artagnan. Das Waffenhandwerk sagt Euch zu; Ihr werdet ein kühner und verwegener Kapitän sein.«

Das Auge feucht von Dankbarkeit, strahlend vor Freude kehrte d’Artagnan zu Athos zurück, den er immer noch am Tisch fand, wo er sein letztes Glas Malaga beim Schein einer Lampe beäugelte.

»Auch sie haben mich zurückgewiesen,« sagte er.

»Ganz einfach, lieber Freund, keiner war dieses Vorzugs würdiger, als Ihr.«

Er nahm eine Feder, schrieb in das Patent den Namen d’Artagnan und gab es ihm zurück.

»Ich werde also keine Freunde mehr haben,« sprach der junge Mann. »Ach! nichts mehr, als bittere Erinnerungen.«

Und er ließ sein Haupt zwischen seine beiden Hände fallen, während zwei Thränen an seinen Wangen herabrollten.

»Ihr seid noch jung,« erwiderte Athos, und Euere bittern Erinnerungen haben Zeit, sich in süße Erinnerungen zu verwandeln.«

XXXI.

Was in Portsmouth am 23. August 1628 vorfiel.

Felton nahm von Mylady Abschied, wie ein Bruder, der einen einfachen Spaziergang machen will, von seiner Schwester Abschied nimmt, d.h. in dem er ihr die Hand küßte.

Seine ganze Person schien in den Zustand ihrer gewöhnlichen Ruhe zurückversetzt zu sein; nur war in seinen Augen ein seltsamer, dem Wiederscheine eines Fensters ähnlicher Glanz vorherrschend. Seine Stirne war noch bleicher, als früher, seine Zähne waren zusammengepreßt und seine Sprache machte sich durch ein gewisses Stoßen der Töne bemerkbar, woraus sich schließen ließ, daß finstere Gedanken in seinem Innern ihr Lager genommen hatten.

So lange er sich auf der Barke befand, die ihn nach dem Lande führte, war sein Gesicht Mylady zugewendet, die ihm, auf dem Verdecke stehend, mit den Augen folgte. Alle Beide fürchteten sich sehr wenig vor einer Verfolgung. Man betrat das Zimmer Myladys nie vor neun Uhr, und man brauchte drei Stunden, um vom Schlosse aus London zu erreichen.

Felton stieg an das Land, erkletterte den kleinen Kamm der auf die Höhe des abschüssigen Ufers führte, grüßte Mylady mm letzten Mal und lief nach der Stadt.

Nach hundert Schritten konnte er, weil sich das Terrain senkte, nur noch den Mast des Schiffes sehen.

Er eilte in der Richtung von Portsmouth fort, dessen Thürme und Häuser er in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile im Morgennebel vor sich erblickte.

Jenseits Portsmouth war das Meer mit Schiffen bedeckt, deren Masten, einem Wald von winterlich entblätterten Pappelbäumen ähnlich, sich unter dem Hauch des Windes schaukelten.

Während seines raschen Laufes durchging Felton Alles, was ihm zehn Jahre asketischer Betrachtungen und ein langer Aufenthalt unter den Puritanern an wahren und falschen Beschuldigungen gegen den Liebling Jacobs VI. und Carls I. geliefert hatten.

Wenn Felton die öffentlichen Verbrechen des Ministers, schreiende, so zu sagen europäische Verbrechen mit den unbekannten und persönlichen Verbrechen verglich, mit denen ihn Mylady belastete, so fand er, daß der schuldigere von den zwei Menschen, welche Buckingham in sich schloß, derjenige war, dessen Leben das Volk nicht kannte. Seine so seltsame, so neue, so glühende Liebe ließ ihn die schändlichen, erdichteten Anklagen von Lady Winter so ansehen, wie man durch ein Vergrößerungsglas in sonst unbemerkbaren Atomen furchtbare Ungeheuer erblickt.

Der rasche Lauf entzündete sein Blut noch mehr. Der Gedanke, daß er eine furchtbarer Rache preisgegebene Frau hinter sich ließ, die er liebte, oder vielmehr wie eine Heilige anbetete, die Aufregung der vorhergehenden Stunden und Tage, die gegenwärtige Anstrengung, Alles dies exaltirte seine Seele über das Maß menschlicher Gefühle.

Er erreichte Portsmouth gegen acht Uhr Morgens. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Trommeln wurden in den Straßen und in den Häfen gerührt. Die zum Einschiffen bestimmten Truppen marschirten nach dem Meere zu.

Felton gelangte mit Staub bedeckt und von Schweiß triefend nach dem Admiralitätspalast. Sein gewöhnlich bleiches Gesicht war purpurroth vor Grimm und Hitze. Die Wache wollte ihn zurückweisen, aber Felton rief den Anführer des Postens, zog aus seiner Tasche den Brief, welchen er zu überbringen hatte, und sagte nur die Worte:

»Eilbote von Lord Winter.«

Bei dem Namen des Lords, den man als einen der vertrautesten Freunde Seiner Herrlichkeit kannte, gab der Anführer der Posten Befehl, Felton, der ohnedies die Uniform eines Marineoffiziers trug, passiren zu lassen.

Felton stürzte in den Palast. Im Augenblick, wo er in die Flur eintrat, erschien auch ein bestaubter, athemloser Mann, der vor der Thüre ein Postpferd stehen ließ, das sogleich vor Erschöpfung in die Kniee sank.

Felton und er wandten sich zu gleicher Zeit an Patrick, den ersten Kammerdiener des Herzogs. Felton nannte den Baron Winter. Der Unbekannte wollte Niemand nennen und behauptete, er dürfe sich nur dem Herzog allein zu erkennen geben. Jeder wollte vor dem andern den Eintritt erlangen.

Patrick, welcher wußte, daß Lord Winter in dienstlichen und freundschaftlichen Verhältnissen zu dem Herzog stand, gab demjenigen, der in des Lords Namen kam, den Vorzug. Der Andere war genöthigt zu warten, und man sah deutlich, wie sehr er diese Zögerung verwünschte.

Der Kammerdiener ließ Felton durch einen großen Saal gehen, in welchem die Deputirten von La Rochelle, mit dem Fürsten von Soubise an der Spitze warteten, und führte ihn in ein Kabinet, wo Buckingham, aus dem Bade kommend, seine Toilette vollendete, der er diesmal, wie immer, eine besondere Aufmerksamkeit widmete.

»Der Lieutenant Felton,« sagte Patrick, »von Lord Winter geschickt.«

»Von Lord Winter?« wiederholte Buckingham. »Laßt ihn eintreten.«

Felton trat ein. In diesem Augenblicke warf Buckingham einen reichen, mit Gold gestickten Schlafrock auf das Kanapé, um ein durchaus mit Perlen gesticktes Wamms von blauem Sammet anzuziehen.

»Warum ist der Baron nicht selbst gekommen?« fragte Buckingham. »Ich erwartete ihn diesen Morgen.«

»Er hat mich beauftragt, Eurer Herrlichkeit zu sagen,« antwortete Felton, »daß er sehr bedaure, nicht diese Ehre haben zu können, aber er sei durch eine nothwendige Bewachung im Schlosse abgehalten.«

»Ja, ja,« sprach Buckingham, »ich weiß das, er hat eine Gefangene.«

»Gerade von dieser Gefangenen wollte ich mit Eurer Herrlichkeit sprechen,« versetzte Felton.

»Nun, so sprecht!«

»Was ich zu sagen habe, kann nur von Eurer Herrlichkeit gehört werden.«

»Laß uns allein, Patrick,« sprach Buckingham, »aber halte Dich im Bereich der Glocke auf. Ich werde Dich sogleich rufen.«

Patrick ging hinaus.

»Wir sind allein, mein Herr,« sagte Buckingham, »sprecht nun.«

»Mylord,« erwiderte Felton, »der Baron von Winter hat Euch kürzlich geschrieben, und Euch in seinem Briefe gebeten, einen Deportationsbefehl bezüglich auf eine junge Frau Namens Charlotte Backson zu unterzeichnen.«

»Ja, mein Herr, und ich habe ihm geantwortet, er möge mir diesen Befehl bringen oder schicken, und ich werde ihn unterzeichnen.«

»Hier ist er, Mylord.«

»Gebt,« sagte der Herzog.

Er nahm das Papier aus den Händen Feltons und warf einen raschen Blick darauf. Als er sah, daß es derjenige war, welchen man ihm angekündigt hatte, legte er ihn auf den Tisch, ergriff eine Feder und schickte sich an, denselben zu unterzeichnen.

»Um Vergebung Mylord,« sprach Felton, den Herzog zurückhaltend. »Weiß Eure Herrlichkeit, daß der Name Charlotte Backson nicht der wahre Name dieser jungen Frau ist?«

»Ja, mein Herr, ich weiß es,« antwortete der Herzog, die Feder in das Tintenfaß tauchend.

»Also kennt Eure Herrlichkeit ihren wahren Namen?« fragte Felton in kurzem Tone.

»Ich kenne ihn.«

Der Herzog näherte die Feder dem Papiere. Felton erbleichte.

»Und mit dem wahren Namen vertraut,« sprach Felton, »wird Eure Herrlichkeit dennoch unterzeichnen?«

»Allerdings,« erwiderte Buckingham, »eher zweimal, als einmal.«

»Ich kann nicht glauben,« fuhr Felton mit einer Stimme fort, welche immer mehr abgestoßen klang, »ich kann nicht glauben, daß Eure Herrlichkeit weiß, daß es sich um Lady Winter handelt.«

»Ich weiß es vollkommen, obgleich ich staune, daß Ihr es wißt.«

»Und Eure Herrlichkeit wird diesen Befehl ohne Gewissensbisse unterzeichnen?«

Buckingham schaute den jungen Mann stolz an.

»Ei! Herr, wißt Ihr,« sagte er, »daß Ihr ganz seltsame Fragen an mich stellt, und daß es einfältig von mir ist darauf zu antworten?«

»Antwortet, gnädigster Herr,« sprach Felton; »die Lage der Dinge ist bedeutungsvoller, als Ihr wohl glauben möget.«

Buckingham dachte, da der junge Mann von Lord Winter abgeschickt sei, so spreche er ohne Zweifel in dessen Namen, und besänftigte sich.

»Ohne irgend einen Gewissensbiß,« sagte er, »und der Baron weiß so gut wie ich, daß Mylady eine große Verbrecherin ist, und daß man es beinahe als eine Begnadigung betrachten muß, wenn man ihre Strafe auf Deportation beschränkt.«

Der Herzog legte die Feder auf das Papier.

»Ihr werdet diesen Befehl nicht unterzeichnen, Mylord,« sprach Felton und machte einen Schritt gegen den Herzog.

»Ich werde diesen Befehl nicht unterzeichnen?« fragte Buckingham, »und warum nicht?«

»Weil Ihr in Euch gehen und Mylady Gerechtigkeit widerfahren lassen werdet.«

»Man würde ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sie nach Tyburn schickte,« sagte Buckingham. »Mylady ist eine schändliche Verbrecherin.«

»Gnädigster Herr, Mylady ist ein Engel. Ihr wißt es wohl, und ich fordere von Euch ihre Freiheit.«

»Seid Ihr ein Narr,« rief Buckingham, »daß Ihr so sprecht!«

»Mylord, entschuldigt mich, ich spreche wie ich kann. Bedenkt jedoch Mylord, was Ihr zu thun im Begriffe seid, und fürchtet das Maß zu überschreiten.«

»Wie? … Gott vergebe mir,« rief Buckingham, »ich glaube, er droht mir!«

»Nein, Mylord, ich bitte noch und sage Euch: ein Tropfen Wasser reicht hin, um das volle Gefäß überlaufen zu machen. Ein leichter Fehler genügt, um die Strafe auf das trotz so vieler Verbrechen bis auf diesen Tag verschonte Haupt zu ziehen.«

»Herr Felton,« sprach Buckingham, »Ihr entfernt Euch und meldet Euch sogleich in Arrest.«

»Und Ihr, Ihr werdet mich ganz anhören, Mylord. Ihr habt das junge Mädchen verführt, Ihr habt die Unglückliche beschmutzt, mißhandelt. Macht Eure Verbrechen gegen sie wieder gut; laßt sie frei ziehen, und ich werde nichts Anderes von Euch fordern.«

»Ihr werdet nicht fordern?« sprach Buckingham, Felton mit Erstaunen anschauend und auf jede Silbe der vier Worte, die er sprach, einen besonderen Nachdruck legend.

»Mylord,« fuhr Felton fort, der immer aufgeregter wurde, je länger er sprach, »ganz England ist Eurer Frevel müde, Mylord, Ihr habt die königliche Gewalt, die Ihr an Euch gerissen, mißbraucht, Mylord, Ihr seid Gott und den Menschen zum Abscheu. Gott wird Euch später bestrafen, aber ich, ich bestrafe Euch heute.«

»Ah, das ist zu stark,« rief Buckingham mit einem Schritte gegen die Thüre.

Felton versperrte ihm den Weg.

»Ich bitte Euch in Demuth: unterzeichnet den Freilassungsbefehl von Lady Winter. Bedenkt, daß es die Frau ist, sie Ihr entehrt habt.«

»Entfernt Euch, Herr,« sagte Buckingham, »oder ich rufe und lasse Euch von meinen Leuten wegjagen.«

»Ihr werdet nicht rufen,« sagte Felton und warf sich zwischen den Herzog und die Glocke, welche auf einem mit Silber eingelegten Tischchen stand. »Nehmt Euch in Acht, Mylord, Ihr seid jetzt in den Händen Gottes.«

»In den Händen des Teufels, wollt Ihr sagen!« rief Buckingham, die Stimme verstärkend, um Leute herbeizuziehen, ohne diese jedoch unmittelbar aufzufordern.

»Unterzeichnet, Mylord, unterzeichnet die Freigebung von Lady Winter,« sagte Felton und stieß ein Papier vor den Herzog.

»Gewalt? scherzt Ihr? Holla, Patrick!«

»Unterzeichnet Mylord!«

»Nie!«

»Nie?«

»Herbei!« rief der Herzog und lief zu gleicher Zeit nach seinem Degen.

Aber Felton ließ ihm nicht Zeit, ihn zu ziehen; er hielt ganz entblößt und unter seinem Wams verborgen das Messer, mit dem sich Mylady gestochen hatte. Mit einem Sprunge war er an dem Herzog.

In diesem Augenblick trat Patrick in den Saal und rief:

»Mylord, ein Brief von Frankreich.«

»Von Frankreich!« sprach der Herzog, der jetzt Alles um sich her vergaß und nur daran dachte, von wem wohl dieser Brief komme.

Felton benützte diesen Augenblick und stieß ihm das Messer bis ans Heft in die Seite.

»Ha, Verräther!« schrie Buckingham, »Du hast mich ermordet.« »Mörder! Mörder!« heulte Patrick.

Felton warf seine Blicke umher, um zu entfliehen. Als er die Thüre geöffnet sah, stürzte er in das anstoßende Zimmer, wo erwähntermaßen die Abgeordneten von La Rochelle warteten, eilte durch dieses und lief nach der Treppe. Aber auf der ersten Stufe begegnete er Lord Winter, der ihn, als er ihn bleich, verstört, leichenfarbig, an der Hand und im Gesicht mit Blut befleckt, herabstürzen sah, an der Gurgel faßte, und ihm zurief:

»Ich wußte es! ich hatte es geahnt. Eine Minute zu spät! Oh! ich Unglücklicher! ich Unglücklicher!«

Felton leistete keinen Widerstand. Lord Winter übergab ihn den Wachen, die ihn bis auf weitere Befehle auf eine kleine, das Meer beherrschende, Terrasse führten, und eilte selbst in das Cabinet Buckinghams.

Bei des Herzogs Geschrei, bei dem Rufe Patricks lief der Mann, welchen Felton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Cabinet. Er fand den Herzog auf einem Sopha ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.

»La Porte,« sprach der Herzog mit sterbender Stimme, »La Porte, kommst Du von ihr?«

»Ja, gnädigster Herr,« antwortete der getreue Diener Annas von Oesterreich, »aber vielleicht zu spät.«

»Stille, La Porte! man könnte Euch hören. Patrick, laß Niemand herein. Oh! ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen läßt. Mein Gott, ich sterbe!«

Und der Herzog fiel in Ohnmacht.

Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Anführer der Expedition, die Beamten des Hauses Buckingham in sein Zimmer eingedrungen. Ueberall erscholl ein Geschrei der Verzweiflung. Die Nachricht, welche den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.

Lord Winter raufte sich die Haare aus.

»Um eine Minute zu spät!« rief er, »um eine Minute zu spät! O mein Gott, welch ein Unglück!«

Man hatte ihm wirklich Morgens um sieben Uhr gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Er erinnerte sich wieder, was ihm d’Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte. Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächste beste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hofe herab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Felton auf der ersten Stufe.

Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und Alle waren mit neuer Hoffnung belebt.

»Meine Herren,« sagte er, »laßt mich mit Patrick und La Porte allein … Ah! Ihr seid es, Lord Winter! Ihr habt mir diesen Morgen einen seltsamen Narren geschickt; seht den Zustand, in welchen er mich versetzt hat!«

»Oh! Mylord,« rief der Baron, »Mylord, ich werde mich nie zu trösten wissen.«

»Und Du hättest Unrecht, mein guter Winter,« erwiderte Buckingham und reichte ihm die Hand. »Ich kenne keinen Menschen, der es verdiente, von einem andern Menschen ein ganzes Leben hindurch beklagt zu werden. Aber ich bitte Dich, laß uns allein.«

Der Baron entfernte sich schluchzend.

Es blieben nur noch der Verwundete, La Porte und Patrick. Man suchte einen Arzt und konnte ihn nicht finden.

»Ihr werdet leben, Mylord, Ihr werdet leben,« wiederholte vor dem Sopha des Herzogs knieend, der Bote Annas von Oesterreich.

»Was schreibt sie mir?« fragte der Herzog mit schwacher Stimme, von Blut triefend und furchtbare Schmerzen bewältigend, um von der Geliebten sprechen zu können. »Was schreibt sie mir? Lies mir ihren Brief vor!« – »Oh! Mylord!« rief La Porte. – »Nun, La Porte, siehst Du nicht, daß ich keine Zeit zu verlieren habe?«

La Porte erbrach das Siegel und legte dem Herzog das Pergament unter die Augen; aber Buckingham versuchte vergebens die Schrift zu unterscheiden.

»Lies doch,« sagte er, »lies doch. Ich sehe nichts mehr, lies doch, denn bald vielleicht werde ich auch nicht mehr hören und sterben, ohne zu erfahren, was sie mir geschrieben hat.«

La Porte machte keine Schwierigkeiten mehr und las:

»Mylord,

»Bei dem, was ich, seit ich Euch kenne, für Euch und durch Euch gelitten habe, beschwöre ich Euch, wenn Euch an meiner Ruhe etwas gelegen ist, die großen Rüstungen zu unterbrechen, welche Ihr gegen Frankreich ins Werk setzt, und einen Krieg aufzugeben, als dessen scheinbare Ursache man laut die Religion bezeichnet, während man ganz leise sagt, Eure Liebe für mich sei die verborgene Ursache. Dieser Krieg kann nicht nur für Frankreich und England große Katastrophen, sondern auch für Euch ein Unglück herbeiführen, über das ich mich nie mehr trösten würde.

»Wacht über Euer Leben, das man bedroht und das mir von dem Augenblicke an theuer sein wird, wo ich nicht mehr genöthigt bin, in Euch einen Feind zu sehen.

Eure wohlergebene
Anna

Buckingham raffte den ganzen Rest seines Lebens zusammen, um diesen Brief zu hören. Sobald er zu Ende war, fragte er, als hätte er eine bittere Enttäuschung darin gefunden:

»Habt Ihr mir nichts Anderes mündlich zu sagen, La Porte?«

»Allerdings, gnädiger Herr. Die Königin beauftragte mich Euch zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein, denn sie habe sichere Kunde, daß man Euch ermorden wolle.«

»Und das ist Alles? das ist Alles?« versetzte Buckingham ungeduldig.

»Sie hat mich auch noch beauftragt, Euch zu sagen, daß sie Euch stets liebe.«

»Ah!« rief Buckingham, »Gott sei gelobt! Mein Tod wird also für sie nicht der Tod eines Fremden sein.«

La Porte zerfloß in Thränen.

»Patrick,« sprach der Herzog, »bring mir das Kästchen, in welchem die diamantenen Nestelstifte eingeschlossen waren.«

Patrick brachte den verlangten Gegenstand, worin La Porte ein früheres Eigenthum der Königin erkannte.

»Jetzt das kleine Kissen von weißem Atlas, auf welches ihre Chiffre in Perlen gestickt ist.«

Patrick gehorchte abermals.

»Seht, La Porte,« sprach Buckingham, »das find die einzigen Pfänder, die ich von ihr besitze. Dieses silberne Kästchen und diese zwei Briefe. Ihr gebt sie Ihrer Majestät zurück und zum letzten Andenken … (er suchte einen kostbaren Gegenstand um sich her) … fügt Ihr …«

Er suchte abermals, aber seine durch den Tod verfinsterten Blicke begegneten nur dem Messer, das Feltons Händen entfallen war, und dessen Klinge noch von frischrothem Blute rauchte.

»Und Ihr fügt dieses Messer bei,« sprach der Herzog und drückte La Porte die Hand.

Er legte das kleine Kissen in das silberne Kästchen, ließ das Messer hineinfallen und machte La Porte ein Zeichen, daß er nicht mehr sprechen könne. Dann erfaßte ihn eine letzte krampfhafte Zuckung, die er nicht mehr zu bekämpfen vermochte, und er glitt vom Sopha auf den Boden herab.

Patrick stieß ein furchtbares Geschrei aus. Buckingham wollte zum letzten Mal lächeln, aber der Tod schlug seinen Gedanken in Fesseln und dieser blieb wie ein letztes Lebewohl auf seine Lippen und auf seine Stirne geprägt.

In diesem Augenblick traf der Arzt des Herzogs ganz verstört ein. Er war schon an Bord des Admiralschiffes gewesen, und man hatte sich genöthigt gesehen, ihn dort zu suchen.

Er näherte sich dem Herzog, nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinigen und ließ sie wieder fallen.

»Alles ist vergeblich,« sprach er, »er ist tot!«

»Tot! Tot!« rief Patrick.

Bei diesem Schrei drang der ganze Haufe wieder in den Saal und überall herrschte Bestürzung und Aufruhr.

Sobald Lord Winter Buckingham entseelt sah, lief er zu Felton zurück, den die Soldaten auf der Terrasse des Palastes bewachten.

»Elender,« sprach er zu dem jungen Manne, der seit dem Tode Buckinghams seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte. »Elender, was hast Du gethan?«

»Ich habe mich gerächt,« antwortete er.

»Du!« rief der Baron, »sage, daß Du diesem verfluchten Weibe als Werkzeug gedient hast; aber ich schwöre Dir, dieses Verbrechen soll ihr letztes sein!«

»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt,« entgegnete Felton ruhig, »und ich begreife nicht, von was Ihr sprechen wollt, Mylord: ich habe den Herzog von Buckingham getötet, weil er es Euch selbst zweimal abschlug, mich zum Kapitän zu ernennen. Ich habe ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft, das ist das Ganze.«

Lord Winter schaute die Leute, welche Felton banden, erstaunt an und wußte nicht, was er von einer solchen Unempfindlichst denken sollte. Nur Eines lagerte sich wie eine Wolke auf Feltons Stirne. Bei jedem Tritt, den er hörte, glaubte der naive Puritaner den Tritt und die Stimme Myladys zu hören, welche komme, um sich in seine Arme zu werfen, sich mit ihm anzuklagen und dem Verderben zu überantworten.

Plötzlich bebte er. Sein Blick war auf einen Punkt im Meere gerichtet, das man von der Terrasse aus, auf welcher er sich befand, völlig beherrschte. Mit seinem seemännischen Adlerblick hatte er da, wo ein Anderer nur eine auf den Wellen sich wiegende Möve gesehen hätte, ein Segel erschaut, das nach der Küste Frankreichs steuerte. Er erbleichte, fuhr mit der Hand nach dem brechenden Herzen und begriff den ganzen Verrath.

»Eine letzte Gnade,« sagte er zu dem Baron. – »Welche?« fragte dieser. – »Wie viel Uhr ist es?« – »Neun Uhr.«

Mylady hatte ihre Abfahrt um anderthalb Stunden vorgerückt. Sobald sie den Kanonenschuß hörte, der ein unglückliches Ereigniß verkündigte, gab sie Befehl, die Anker zu lichten.

Die Barke schwamm in großer Entfernung von dem Gestade unter einem blauen Himmel.

»Es war so Gottes Wille,« sprach Felton, mit der Resignation des Fanatikers, jedoch ohne seine Augen von dem Fahrzeug losmachen zu können, an dessen Bord er ohne Zweifel das weiße Gespenst derjenigen zu unterscheiden glaubte, welcher sein Leben geopfert werden sollte.

Lord Winter folgte seinem Blicke, schaute in sein leidendes Antlitz und errieth Alles.

»Du sollst vorerst allein bestraft werden. Elender,« sagte der Lord zu Felton, der sich, die Augen nach der See gekehrt, wegführen ließ, »aber ich schwöre Dir bei dem Andenken an meinen Bruder, den ich unendlich liebte, daß Deine Mitschuldige nicht gerettet ist.«

Felton neigte das Haupt, ohne eine Silbe zu sprechen.

Der Baron aber stieg rasch die Treppe hinab und begab sich nach dem Hafen.

XXXII.

In Frankreich.

Als König Carl I. von England den Tod des Herzogs erfuhr, fürchtete er vor Allem, die Rocheller könnten durch diese furchtbare Nachricht entmuthigt werden, er suchte sie ihnen daher, wie die Memoiren des Kardinals sagen, so lang als möglich vorzuenthalten, ließ die Häfen in seinem ganzen Königreich schließen und sorgfältig darüber wachen, daß kein Schiff auslaufen konnte, bis das Heer, welches Buckingham ausrüstete, abgegangen wäre, und übernahm es, in Ermangelung Buckinghams, die Abfahrt in eigener Person zu leiten.

Er trieb die Strenge sogar so weit, daß er den Gesandten Dänemarks, der sich bereits verabschiedet hatte, und den Botschafter von Holland, der die indischen Schiffe, welche Carl I. den Vereinigten Niederlanden zurückgegeben, in den Hafen von Vließingen zurückführen sollte, in England zurückhielt.

Da er aber seinen Befehl erst fünf Stunden, nachdem die Sache vorgefallen war, das heißt gegen zwei Uhr Nachmittags erließ, so waren bereits zwei Schiffe aus dem Hafen ausgelaufen: das eine führte Mylady, welche das Ereigniß vermuthete und in ihrem Glauben noch bestätigt wurde, als sie die schwarze Flagge auf dem Admiral-Schiff sah.

Wen das zweite Schiff führte und wie es hinauskam, werden wir später mittheilen.

Während dieser Zeit ging nichts Neues im Lager von La Rochelle vor. Nur beschloß der König, der sich wie immer, im Lager aber vielleicht noch ein wenig mehr als anderswo, langweilte, das Fest des heiligen Ludwig incognito in Saint-Germain mitzumachen, und ersuchte den Kardinal, eine Eskorte von zwanzig Musketieren für ihn bereit zu halten. Der Kardinal, den die Langweile des Königs manchmal ansteckte, bewilligte mit großem Vergnügen seinem königlichen Lieutenant einen Urlaub, und dieser versprach ihm, am 15. September zurück zu sein.

Von Sr. Eminenz benachrichtigt, traf Herr von Treville Anstalt zur Reise, und da er, ohne die Ursache zu wissen, mit dem lebhaften Verlangen und sogar dem gebieterischen Bedürfniß seiner Freunde, nach Paris zurückzukehren, vertraut war, so bezeichnete er sie zur Theilnahme an der Eskorte.

Die vier jungen Leute erfuhren die Neuigkeit eine Viertelstunde nach Herrn von Treville, denn sie waren die ersten, denen er sie mittheilte. Jetzt erst wußte d’Artagnan die Gunst recht zu schätzen, die ihm der Kardinal dadurch bewilligt hatte, daß er ihn zu den Musketieren übertreten ließ. Ohne diesen Umstand hätte er im Lager zurückbleiben müssen, während seine Freunde reisten.

Man wird später sehen, daß das ungeduldige Verlangen, wieder nach Paris zu kommen, von der Furcht vor der Gefahr herrührte, der Madame Bonacieux preisgegeben sein mußte, wenn sie im Kloster von Bethune mit Mylady, ihrer Todfeindin, zusammen traf. Aramis hatte auch unmittelbar an Marie Michon, die Weißnätherin von Tours, welche sich so schöner Bekanntschaften erfreute, geschrieben, sie möchte von der Königin für Madame Bonacieux die Erlaubniß auswirken, das Kloster verlassen und sich nach Lothringen oder Belgien zurückziehen zu dürfen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und schon nach acht bis zehn Tagen hatte Aramis folgenden Brief empfangen:

»Mein lieber Vetter, Ihr erhaltet hier die Erlaubniß, unsere kleine Dienerin aus dem Kloster in Bethune zurückzuziehen, da ihr Eurer Ansicht nach die Luft daselbst nicht zuträglich ist; meine Schwester schickt Euch diese Erlaubniß mit großem Vergnügen, denn sie liebt das kleine Mädchen gar sehr und gedenkt ihr in der Folge nützlich zu sein.

»Ich umarme Euch.
Marie Michon.«

Diesem Brief war eine in folgenden Worten abgefaßte Vollmacht beigefügt:

»Die Superiorin des Klosters in Bethune wird der Person, welche ihr dieses Billet zustellt, die Novizin übergeben, die auf meine Empfehlung und unter meinem Patronat in ihr Kloster eingetreten ist.

»Im Louvre, den 10. August 1628. Anna

Man begreift, wie sehr die Verwandtschafts-Verhältnisse zwischen Aramis und einer Weißnähterin, welche die Königin ihre Schwester nannte, unsere Freunde belustigten; aber nachdem Aramis wiederholt bis unter das Weiße der Augen bei den plumpen Späßen von Porthos erröthet war, bat er seine Genossen, nie mehr auf diesen Gegenstand zurückzukommen, und erklärte zugleich, wenn man ihm noch ein Wort hierüber sagen sollte, so würde er seine Base nun und nimmermehr als Vermittlerin in solchen Angelegenheiten benützen.

Es war also nicht mehr von Marie Michon die Rede unter den vier Musketieren, welche übrigens in Händen hatten, was sie haben wollten, nämlich den Befehl, Madame Bonacieux aus dem Kloster der Karmeliterinnen in Bethune wegzunehmen. Dieser Befehl nützte ihnen allerdings nicht viel, so lange sie sich im Lager von La Rochelle, das heißt am andern Ende Frankreichs, befanden. Auch war d’Artagnan im Begriff, sich von Herrn von Treville, unter einfacher Andeutung der Wichtigkeit seiner Abreise, einen Urlaub zu erbitten, als ihm wie seinen Freunden die Nachricht ertheilt wurde, daß sich der König mit einer Eskorte von zwanzig Musketieren, worunter auch sie, nach Paris begeben würde.

Die Freude war groß. Man schickte die Bedienten mit dem Gepäcke voraus und zog am 16. Morgens ab.

Der Kardinal begleitete Se. Majestät von Surgères bis Maupes, und hier nahmen der König und sein Minister unter großen Freundschaftsbetheurungen von einander Abschied.

Obgleich der König, welcher Zerstreuung suchte, so schnell als es ihm möglich war, reiste, denn er wollte am 23. in Paris sein, hielt er doch von Zeit zu Zeit stille, um die Elster beizen zu sehen, ein Vergnügen, wofür er stets eine große Vorliebe hegte. Von den zwanzig Musketieren freuten sich immer sechszehn, wenn dies der Fall war, über die Ruhe, welche dann eintrat, aber vier murrten gewaltig. D’Artagnan besonders hatte ein beständiges Summen in den Ohren, was Porthos also erklärte:

»Eine sehr vornehme Dame hat mich belehrt, dies bedeute, daß man irgendwo von Dir spreche.«

Endlich am 23. in der Nacht zog die Eskorte durch Paris, der König dankte Herrn von Treville und bevollmächtigte ihn, Urlaube auf vier Tage unter der Bedingung zu ertheilen, daß sich keiner von den Begünstigten bei Strafe der Bastille an einem öffentlichen Ort sehen lasse.

Die vier ersten Urlaube, welche bewilligt wurden, erhielten, wie sich leicht denken läßt, unsere vier Freunde. Athos erhielt sogar sechs Tage statt vier, und ließ diesen sechs Tagen noch zwei Nächte beifügen, denn sie reisten am 24. Abends fünf Uhr ab, und Herr von Treville stellte den Urlaub vom Morgen des 25. aus.

»Ei! mein Gott,« sprach d’Artagnan, der bekanntlich nie an Etwas verzweifelte, »wir machen viel Wesens um eine ganz einfache Sache; wir reiten ein paar Pferde zu Tode, was liegt daran? ich habe Geld; in zwei Tagen bin ich in Bethune, überreiche der Superiorin den Brief der Königin und führe den theuren Schatz, den ich suche, nicht nach Belgien, nicht nach Lothringen, sondern nach Paris, wo er besser verborgen sein wird, besonders so lange der Herr Kardinal vor La Rochelle liegt. Sind wir einmal aus dem Felde zurück, so erhalten wir von der Königin, halb durch die Protektion ihrer Base, halb für die Dienste, die wir ihr persönlich geleistet haben. Alles was wir wollen. Bleibt also hier und erschöpft Euch nicht durch unnütze Anstrengungen. Ich und Planchet genügen für eine so einfache Expedition.«

Hierauf erwiderte Athos ruhig: »Wir besitzen auch Geld, denn ich habe den Rest des Diamants noch nicht ganz vertrunken, und Porthos und Aramis haben ihn noch nicht ganz verspeist. Wir werden also eben so gut vier Pferde, als eines zu Tode reiten. Aber bedenkt, d’Artagnan,« fügte er mit so finsterer Betonung bei, daß dieser von einem Schauer ergriffen wurde, »bedenkt, daß Bethune eine Stadt ist, wo der Kardinal einer Frau Rendezvous gegeben hat, welche, wohin sie auch geht, stets Unglück mit sich bringt. Wenn Ihr nur mit vier Männern zu thun hättet, d’Artagnan, so ließe ich Euch allein ziehen. Ihr habt es aber mit einem Weibe zu thun, darum laßt uns zu vier ausziehen, und möge es Gott gefallen, daß wir mit unsern vier Bedienten die hinreichende Zahl bilden.«

»Ihr erschreckt mich, Athos!« rief d’Artagnan; »mein Gott! was fürchtet Ihr denn?« – »Alles!« antwortete Athos.

D’Artagnan schaute die Gesichter seiner Freunde forschend an; auf allen trat, wie bei Athos, das Gepräge tiefer Unruhe scharf hervor, und man setzte den Ritt in großer Eile, aber ohne ein Wort zu sprechen fort.

Als sie am 25. in Arras anlangten, und d’Artagnan vor dem Gasthaus zur goldenen Egge abstieg, um ein Glas Wein zu trinken, kam ein Reiter aus dem Posthof, wo er die Pferde gewechselt hatte, und sprengte mit verhängtem Zügel auf der Straße nach Paris fort. Im Augenblick, wo er durch das große Thor in die Straße ritt, öffnete der Wind den Mantel, in den er sich gehüllt hatte, obgleich man erst im Monat August war, und lüpfte seinen Hut, den der Reisende mit der Hand faßte und rasch wieder in die Stirne drückte.

D’Artagnan heftete seinen Blick auf diesen Menschen, erbleichte, und ließ sein Glas fallen.

»Was habt Ihr, gnädiger Herr?« fragte Planchet. »Holla! herbei, meine Herren, mein Gebieter wird unwohl!«

Die drei Freunde liefen herbei, und fanden d’Artagnan, der, statt sich übel zu befinden, nach seinem Pferde eilte. Sie hielten ihn auf der Schwelle zurück.

»Wo, des Teufels, willst Du denn hin?« rief ihm Athos zu.

»Er ist es!« erwiderte d’Artagnan bleich vor Zorn und mit schweißtriefender Stirne; »er ist es, laßt mich ihn einholen.« – »Wer denn?« – »Er! dieser Mensch!« – »Welcher Mensch?«

»Dieser verfluchte Mensch, mein böser Genius, dem ich stets begegnete, wenn ich von einem Unglück bedroht war, derjenige, welcher die furchtbare Frau begleitete, als ich sie zum ersten Male erblickte; derjenige, welchen ich suchte, als ich unsern Freund Athos herausforderte; derjenige, welchen ich an demselben Morgen gewahr wurde, wo man Madame Bonacieux entführte; ich habe ihn gesehen, er ist es! der Mann von Meung, ich habe ihn wieder erkannt, als der Wind seinen Mantel öffnete.«

»Teufel!« sprach Athos träumerisch.

»Zu Pferde! meine Herren, zu Pferde! wir wollen ihn verfolgen und werden ihn sicherlich einholen.«

»Mein Lieber,« sagte Aramis, »bedenkt, daß er in der entgegengesetzten Richtung von uns reitet, daß er ein frisches Pferd hat und daß unsere Pferde ermüdet sind, daß wir folglich unsere Pferde, ohne die geringste Hoffnung ihn zu erreichen, zu Tode reiten werden. Lassen wir also den Mann, d’Artagnan, und retten wir die Frau.«

»He, Herr!« rief ein Stallknecht, der dem Unbekannten nachlief. »He, Herr, hier ist ein Papier, das aus Eurem Hute fiel. He, Herr, he!«

»Mein Freund,« sprach d’Artagnan, »eine halbe Pistole für dieses Papier.«

»Meiner Treu, Herr, mit dem größten Vergnügen.«

Entzückt über den guten Tagelohn, den er gemacht hatte, kehrte der Stallknecht in den Hof des Wirthshauses zurück; d’Artagnan entfaltete das Papier.

»Nun?« fragten seine Freunde lauschend.

»Ein einziges Wort!« antwortete d’Artagnan.

»Ja,« sagte Aramis, »aber dieses Wort ist der Name einer Stadt.«

» Armentières,« las Porthos. »Armentières, ich kenne das nicht.«

»Und der Name dieser Stadt ist von ihrer Hand geschrieben.«

»Wir wollen das Papier sorgfältig bewahren,« sprach d’Artagnan. »Meine halbe Pistole ist vielleicht nicht verloren. Zu Pferde, meine Freunde, zu Pferde!«

Und die vier Gefährten sprengten im Galopp auf der Straße nach Bethune fort.

XXXIII.

Das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune.

Die großen Verbrecher tragen eine Art von Vorherbestimmungen mit sich, durch welche sie alle Hindernisse zu überwinden vermögen und allen Gefahren entgehen, bis zu dem Augenblick, den die Vorsehung als Klippe ihres frevelhaften Glücks bezeichnet hat.

Dies war bei Mylady der Fall. Sie fuhr mitten durch die Kreuzer der beiden Nationen und gelangte ohne irgend einen Unfall nach Boulogne.

Als sich Mylady in Portsmouth ausschiffte, war sie eine durch die Verfolgungen Frankreichs aus La Rochelle vertriebene Engländerin. Nach einer zweitägigen Fahrt sich in Boulogne ausschiffend, gab sie sich für eine Französin aus, welche die Engländer in Portsmouth aus Franzosenhaß mißhandelten.

Mylady trug übrigens den wirksamsten aller Pässe bei sich: ihre Schönheit und die Freigebigkeit, mit der sie die Pistolen ausstreute. Von den gebräuchlichen Formalitäten durch das höfliche Lächeln und die galanten Manieren eines alten Hafengouverneurs befreit, der ihr die Hände küßte, hielt sie sich in Boulogne nur so lange auf, bis sie einen in folgenden Worten abgefaßten Brief auf die Post gegeben hatte.

»An Seine Eminenz, Monseigneur Kardinal von Richelieu, im Lager von La Rochelle.

»Monseigneur, Ew. Eminenz mag unbesorgt sein. Seine Herrlichkeit der Herzog von Buckingham wird nicht nach Frankreich abgehen.

Boulogne den 25. Abends.                                Mylady ***.«

»N. S. Nach dem Wunsche Eurer Eminenz begebe ich mich in das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, wo ich weiteren Befehlen entgegen sehe.«

Mylady begab sich wirklich noch an demselben Abend auf den Weg.

Die Nacht überfiel sie. Sie sah sich genöthigt anzuhalten und schlief in einem Gasthof. Am andern Morgen um fünf Uhr reiste sie wieder ab und hatte nach drei Stunden Bethune erreicht.

Sie ließ sich das Kloster der Karmeliterinnen zeigen und verfügte sich sogleich nach demselben. Die Superiorin kam ihr entgegen. Mylady wies ihr den Befehl des Kardinals. Die Aebtissin ließ ihr ein Zimmer geben und ein Frühstück vorsetzen.

Alles Vergangene hatte sich vor den Augen dieser Frau verwischt, und den Blick auf die Zukunft gerichtet, sah sie nur das hohe Glück, das ihr der Kardinal vorbehielt, den sie so gut bedient hatte, ohne daß sein Name irgendwie in diese blutige Angelegenheit gemischt war. Die stets neuen Leidenschaften, welche sie verzehrten, gaben ihrem Leben Aehnlichkeit mit jenen Wolken, die am Himmel aussteigen, ein Wiederschein bald von Azur, bald von Feuer, bald von der schwarzen Farbe des Sturmes sind und keine andere Spuren als Verwüstung und Tod zurücklassen.

Nach dem Frühstück machte ihr die Aebtissin ihren Besuch. Im Kloster gibt es wenig Zerstreuungen, und es drängte die gute Vorsteherin, bald Bekanntschaft mit ihrer neuen Kostgängerin anzuknüpfen.

Mylady wollte der Aebtissin gefallen, und dies war etwas Leichtes für eine Frau von so hervorragenden Eigenschaften. Sie versuchte es, liebenswürdig zu sein: sie war bezaubernd und verführte die Superiorin durch ihr wechselreiches Gespräch und durch die über ihre ganze Person ausgegossene Anmuth.

Die Aebtissin, eine Tochter aus adeligem Hause, liebte besonders die Hofgeschichten, welche so selten in die Klostermauern gelangen, an deren Schwelle das Geräusch der Welt erstirbt.

Mylady dagegen war sehr auf dem Laufenden mit allen aristokratischen Intriguen, in deren Mitte sie fünf bis sechs Jahre beständig gelebt hatte. Sie fing also an, der guten Aebtissin von den weltlichen Ränken und Geschichten des Hofes von Frankreich, sowie den übertriebenen Andachtsübungen des Königs zu erzählen. Sie lieferte ihr die Scandalchronik der vornehmen Herren und Damen des Hofes, welche die Aebtissin dem Namen nach kannte, berührte obenhin die Liebschaft der Königin mit Buckingham und sprach viel, damit man ein wenig sprechen möchte.

Aber die Aebtissin begnügte sich zu hören und zu lächeln, und antwortete nicht. Da Mylady jedoch sah, daß diese Art von Erzählungen sie sehr zu ergötzen schien, so fuhr sie fort, lenkte aber das Gespräch auf den Kardinal.

Dabei gerieth sie jedoch in große Verlegenheit, denn sie wußte nicht, ob die Aebtissin Royalistin oder Kardinalistin war. Sie hielt sich deshalb in einer klugen Mitte. Aber die Aebtissin, welche ihrerseits eine noch klügere Zurückhaltung beobachtete, beschränkte sich darauf, eine tiefe Verbeugung mit dem Kopfe zu machen, so oft die Reisende den Namen Seiner Eminenz aussprach.

Mylady fing an zu glauben, sie würde sich in diesem Kloster gewaltig langweilen. Sie beschloß daher, etwas zu wagen, um sogleich zu erfahren, woran sie sich zu halten hatte. Da sie wissen wollte, wie weit die Discretion der Aebtissin ging, begann sie sehr verblümt über den Kardinal loszuziehen; dann rückte sie näher und erzählte von den Liebschaften des Ministers mit Frau von Aiguillon, mit Marion de Lorme und einigen andern galanten Damen.

Die Aebtissin hörte aufmerksam zu, belebte sich allmählig und lächelte.

»Gut,« sagte Mylady zu sich selbst, »sie findet Geschmack an meiner Unterhaltung. Ist sie eine Kardinalistin, so treibt sie es wenigstens nicht fanatisch.«

Dann ging sie auf die Verfolgungen über, welche sich der Kardinal gegen seine Feinde zu Schulden kommen ließ. Die Aebtissin beschränkte sich darauf, sich zu bekreuzigen, ohne zu billigen oder zu mißbilligen. Dies bestätigte Mylady in ihrer Meinung, daß die Nonne mehr Royalistin als Kardinalistin sei. Mylady trug immer dicker auf.

»Ich bin sehr unwissend in allen diesen Verhältnissen,« sagte die Aebtissin endlich, »aber wie ferne wir auch vom Hofe leben, wie sehr wir auch außerhalb der weltlichen Interessen gestellt sind, so haben wir doch äußerst traurige Beispiele von der Wahrheit dessen, was Ihr uns da erzählt, und eine unserer Kostgängerinnen hat viel unter der Rache und den Verfolgungen des Herrn Kardinals gelitten.«

»Eine Eurer Kostgängerinnen?« fragte Mylady. »O mein Gott! die arme Frau! wie sehr beklage ich sie!«

»Und Ihr habt Recht, denn sie ist sehr zu beklagen. Gefängniß, Drohungen, Mißhandlungen, Alles mußte sie ausstehen. Aber im Ganzen,« versetzte die Aebtissin, »hatte der Herr Kardinal vielleicht triftige Gründe so zu handeln, und obgleich sie wie ein Engel aussieht, so darf man die Menschen doch nicht nach ihrem Gesichte beurtheilen.«

»Gut,« sagte Mylady zu sich selbst, »wer weiß? ich entdecke vielleicht hier etwas.«

Und sie verlieh ihren Zügen einen Ausdruck vollkommener Unschuld.

»Ach, ich weiß wohl,« sprach Mylady, »man sagt, es sei den Physiognomien nicht zu trauen. Aber wem sollte man denn Glauben schenken, wenn nicht dem schönen Werke des Herrn? Ich für meine Person werde vielleicht mein ganzes Leben lang getäuscht werden; aber stets werde ich einer Person trauen, deren Gesicht mir Mitgefühl einflößt.«

»Ihr seid also versucht, diese junge Frau für unschuldig zu halten?« fragte die Aebtissin.

»Der Herr Kardinal bestraft nicht allein die Verbrechen,« erwiderte Mylady; »es gibt gewisse Tugenden, die er noch heftiger verfolgt, als gewisse Frevel.«

»Erlaubt mir, Madame, Euch mein Erstaunen auszudrücken,« sagte die Aebtissin. – »Und worüber?« fragte Mylady naiv.

»Ueber die Sprache, die Ihr führt.«

»Was findet Ihr denn Wunderbares an dieser Sprache?« fragte Mylady lächelnd.

»Ihr seid die Freundin des Kardinals, da er Euch hierher schickt, und dennoch …«

»Und dennoch spreche ich Schlimmes von ihm,« versetzte Mylady, den Gedanken der Superiorin vollendend.

»Wenigstens sagt Ihr nichts Gutes von ihm.«

»Dies geschieht, weil ich nicht seine Freundin, sondern sein Opfer bin,« erwiderte sie seufzend.

»Doch diesen Brief, durch den er Euch mir empfiehlt…«

»Ist ein Befehl für mich, in einer Art von Gefängniß zu verharren, bis er mich durch seine Schergen …«

»Aber warum habt Ihr Euch nicht geflüchtet?«

»Wohin sollte ich gehen? Glaubt Ihr, es gebe irgend einen Ort der Erde, wohin der Kardinal nicht reichen könnte, wenn er sich die Mühe geben will seinen Arm auszustrecken? Wäre ich ein Mann, so dürfte dies noch möglich sein, aber eine Frau! … Was sollte ich als Frau machen? Hat die junge Kostgängerin, die Ihr bei Euch habt, zu entfliehen versucht?«

»Nein, das ist wahr; doch bei ihr ist es etwas Anderes. Sie wird, wie ich glaube, durch irgend eine Liebschaft in Frankreich zurückgehalten.«

»Wenn sie liebt,« sprach Mylady mit einem Seufzer, »ist sie nicht ganz unglücklich.«

»Also sehe ich,« fragte die Aebtissin, und schaute Mylady mit wachsender Theilnahme an, »also sehe ich abermals eine arme Verfolgte vor mir?«

»Ach ja,« antwortete Mylady.

Die Aebtissin betrachtete Mylady einen Augenblick mit großer Unruhe, als ob ein neuer Gedanke in ihrem Geist rege geworden wäre.

»Ihr seid keine Feindin unseres heiligen Glaubens,« sprach sie stammelnd.

»Ich,« rief Mylady, »ich eine Protestantin? Oh nein! ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich im Gegentheil eine eifrige Katholikin bin.«

»Dann, Madame,« sprach die Aebtissin lächelnd, »dann möget Ihr Euch beruhigen; denn das Haus, in welchem Ihr Euch befindet, soll kein harter Kerker für Euch sein, und wir werden Alles thun, was in unsern Kräften liegt, um Eure Gefangenschaft angenehm zu machen. Ueberdies findet Ihr hier die junge Frau, welche ohne Zweifel wegen einer Hofintrigue verfolgt wird. Sie ist liebenswürdig, anmuthig, und wird Euch gefallen.«

»Wie heißt sie?«

»Sie ist mir von einer sehr hochgestellten Person unter dem Namen Ketty empfohlen worden. Ich habe ihren andern Namen nicht zu erfahren gesucht.«

»Ketty!« rief Mylady. »Seid Ihr dessen gewiß?«

»Daß sie sich so nennen läßt? Ja, Madame. Solltet Ihr sie etwa kennen?«

Mylady lächelte bei dem Gedanken, diese junge Frau könnte ihre ehemalige Zofe sein. In die Erinnerung an dieses Mädchen mischte sich eine Erinnerung des Zorns, und die Rachgier verstörte schnell Myladys Züge, welche jedoch beinahe in demselben Augenblicke den ruhigen, wohlwollenden Ausdruck wieder annahmen, den diese Frau mit den hundert Gesichtern ihnen zuvor verliehen hatte.

»Und wann könnte ich diese junge Dame sehen, für welche ich bereits eine so große Sympathie in mir fühle?« fragte Mylady.

»Diesen Abend,« erwiderte die Aebtissin, »noch heute. Aber Ihr reist seit vier Tagen, wie Ihr mir selbst sagt, seid heute Morgen um fünf Uhr aufgestanden und müßt der Ruhe bedürfen. Legt Euch nieder und schlaft. Zur Stunde des Mittagessens werden wir Euch erwecken.«

Obgleich Mylady, unterstützt durch alle Aufregungen, welche ein neues Abenteuer in ihrem nach Intriguen gierigen Gemüthe erzeugte, leicht den Schlaf hätte entbehren können, so nahm sie doch nichts destoweniger das Anerbieten der Superiorin an. Seit zehn bis vierzehn Tagen hatte sie so verschiedene Gemüthsbewegungen durchlebt, daß, wenn auch ihr eiserner Körper die Anstrengungen zu ertragen vermochte, ihre Seele doch der Ruhe bedurfte.

Sie nahm also von der Aebtissin Abschied und legte sich, sanft gewiegt durch Rachegedanken, auf die der Name Ketty sie gebracht hatte, zu Bette. Sie erinnerte sich des beinahe unbegrenzten Versprechens, das der Kardinal ihr gegeben hatte, falls sie ihre Unternehmungen glücklich zu Ende führte. Es war ihr geglückt und somit konnte sie sich an d’Artagnan rächen.

Eines jedoch erschreckte Mylady, das Andenken an ihren Gatten, den Grafen La Fère, den sie todt, oder wenigstens aus dem Vaterland entfernt geglaubt hatte, nun aber in Athos, dem besten Freund d’Artagnans, wiederfand.

Aber wenn er der Freund d’Artagnans war, so mußte er ihm auch in allen seinen Handlungen, wodurch er den Plan Seiner Eminenz vereitelt hatte, Beistand geleistet haben; wenn er der Freund d’Artagnans war, so war er der Feind des Kardinals, und ohne Zweifel würde es ihr gelingen, ihn in dasselbe Rachewerk zu verstricken, in welchem der junge Musketier seinen Untergang finden sollte.

Alle ihre Aussichten waren angenehme Gedanken für Mylady. Sanft von diesen gewiegt, entschlummerte sie bald.

Sie wurde durch eine weiche Stimme erweckt, die am Fuße ihres Bettes ertönte. Mylady öffnete die Augen und sah die Aebtissin in Begleitung einer jungen Person mit blonden Haaren und zartem Teint, welche einen Blick voll wohlwollender Neugierde auf sie heftete.

Das Gesicht dieser jungen Person war ihr völlig unbekannt. Beide schauten sich prüfend und mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, während sie die üblichen Höflichkeiten austauschten. Beide waren sehr schön, aber von verschiedenartiger Schönheit. Mylady lächelte jedoch, als sie erkannte, daß sie selbst in Bezug auf vornehmes Aussehen und aristokratische Manieren bei Weitem den Vorzug hatte.

Die Aebtissin stellte sie einander vor, und nachdem dieser Förmlichkeit Genüge geleistet war, ließ sie die beiden jungen Frauen allein, da ihre Pflichten sie in die Kirche riefen.

Da die Novize sah, daß Mylady im Bette lag, so wollte sie der Superiorin folgen; aber Mylady hielt sie zurück.

»Wie, Madame,« sprach sie, »kaum habe ich Euch erblickt, und Ihr wollt mich bereits wieder Eurer Gegenwart berauben, auf die ich, ich gestehe es, für die Dauer meiner Anwesenheit an diesem Orte ein wenig rechnete.«

»Nein, Madame,« antwortete die Novize, »ich glaubte nur, die Zeit schlecht gewählt zu haben. Ihr schlieft, Ihr seid müde.«

»Wohl,« erwiderte Mylady, »was können schlafende Menschen Besseres erwarten, als ein gutes Erwachen? Dieses Erwachen habt Ihr mir gegeben. Laßt es mich nach meinem Wohlgefallen genießen.«

Und hierauf nahm sie die junge Person bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl, der in der Nähe ihres Bettes stand.

Die Novize setzte sich.

»Mein Gott,« sprach sie, »wie unglücklich ich bin! Ich befinde mich nun sechs Monate hier ohne einen Schatten von Zerstreuung; Ihr kommt; Eure Gegenwart sollte für mich eine liebliche Gefährtin sein, und wahrscheinlich habe ich nun in den nächsten Augenblicken das Kloster zu verlassen.«

»Wie?« sprach Mylady, »Ihr geht also bald von hier?«

»Wenigstens hoffe ich es,« erwiderte die Novize mit einem freudigen Ausdruck, den sie nicht im Mindesten zu verbergen bemüht war.

»Ihr habt, wie ich höre, durch den Kardinal gelitten,« fuhr Mylady fort. »Das ist ein weiterer Grund der Sympathie zwischen uns.«

»Also ist das, was mir unsre gute Mutter gesagt hat, eine Wahrheit? Ihr seid ebenfalls ein Opfer des Kardinals?«

»Still,« entgegnete Mylady, »selbst hier dürfen wir nicht so von ihm sprechen. Mein ganzes Unglück kommt davon her, daß ich ungefähr das, was ihr so eben sagtet, in Gegenwart einer Frau äußerte, die ich für meine Freundin hielt und die mich verrieth. Und Ihr, seid Ihr auch ein Opfer des Verraths?«

»Nein,« antwortete die Novize, »sondern meiner Anhänglichkeit an eine Frau, die ich liebte, für die ich das Leben hingegeben hätte, für die ich es noch hingeben würde.«

»Und die Euch verlassen hat, nicht wahr?«

»Ich war so ungerecht, dies zu glauben; aber seit ein paar Tagen habe ich den Beweis vom Gegenteil erlangt und danke Gott dafür. Es würde mich das Leben gekostet haben, wenn ich hätte glauben müssen, ich sei ganz und gar von ihr vergessen worden. Aber Ihr, Madame,« fuhr die Novize fort, »es scheint mir, Ihr seid frei, und wenn ihr fliehen wolltet, so würde es nur von Euch abhängen.«

»Wohin soll ich gehen, ohne Freunde, ohne Geld, in einer Gegend von Frankreich, die ich nicht kenne, wo …«

»Oh! rief die Novize, was die Freunde betrifft, Ihr werdet sie überall finden, wo Ihr wollt, denn ihr scheint so gut zu sein, und seid so schön!«

»Darum bin ich nicht minder allein und verfolgt,« fügte Mylady bei und versüßte ihr Lächeln, so daß es einen wahrhaft englischen Ausdruck annahm.

»Hört,« sprach die Novize, »man muß die Hoffnung auf den Himmel nicht aufgeben. Seht, es kommt immer ein Augenblick, wo das Gute, was wir gethan haben, vor Gott für unsre Sache spricht, und es ist vielleicht ein Glück für Euch, daß Ihr, so niedrig auch meine Stellung ist, so wenig ich Macht besitze, mich getroffen habt, denn wenn ich diesen Ort verlasse, nun, dann werde ich einige mächtige Freunde haben, die, nachdem sie für mich in’s Feld gezogen sind, auch für Euch zu Felde ziehen können.«

»Oh! wenn ich sagte, ich sei allein,« erwiderte Mylady, in der Hoffnung, die Novize zum Sprechen zu bringen, »so äußerte ich dies nicht, als ob ich nicht auch einige hohe Bekanntschaften hätte, sondern weil diese Bekanntschaften vor dem Kardinal zittern. Die Königin selber wagt es nicht, mir gegen diesen furchtbaren Minister beizustehen, und ich habe den Beweis, daß Ihre Majestät trotz ihres vortrefflichen Herzens mehr als einmal genöthigt gewesen ist, die Personen, welche ihr Dienste geleistet hatten, dem Zorn seiner Eminenz preiszugeben.«

»Glaubt mir, Madame, es kann bei der Königin den Anschein haben, als hätte sie diese Personen verlassen, aber man muß dem Schein nicht glauben; je mehr sie verfolgt werden, desto mehr denkt Ihre Majestät an sie, und in dem Augenblick, wo sie wähnen, die Königin denke am wenigsten an sie, erhalten sie oft den Beweis einer herzlichen Erinnerung.«

»Ach! ich glaube es wohl,« sprach Mylady. »Die Königin ist so gut!«

»Ihr kennt sie also, diese schöne und edle Königin, da Ihr so von ihr sprecht!« rief die Novize begeistert.

»Das heißt,« versetzte Mylady, in ihren Verschanzungen bedrängt, »ich habe nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich kenne viele von ihren vertrautesten Freunden. Ich kenne Herrn von Putange; ich habe in England Herrn Dujart kennen gelernt; ich kenne Herrn von Treville.«

»Herrn von Treville!« rief die Novize, »Ihr kennt Herrn von Treville?«

»Ja vollkommen, sehr gut sogar.«

»Den Kapitän der Musketiere des Königs?«

»Den Kapitän der Musketiere des Königs.«

»Oh! nun werdet Ihr sehen,« sprach die Novize, »daß wir sogleich ganz gut mit einander bekannt, ja beinahe Freundinnen sein werden. Wenn Ihr Herrn von Treville kennt, so müßt Ihr in seinem Hause gewesen sein.«

»Oft,« antwortete Mylady, welche die Lüge bis zum Ende führen wollte, als sie bemerkte, daß sie auf diesem Weg zum Ziele kam.

»Ihr müßt bei ihm einige von seinen Musketieren gesehen haben?«

»Alle diejenigen, welche er gewöhnlich empfängt,« erwiderte Mylady, für welche dieses Gespräch ein wirkliches Interesse zu gewinnen anfing.

»Nennt mir einige von denen, die Ihr kennt, und Ihr werdet sehen, daß sie zu meinen Freunden gehören.«

»Ich kenne,« sprach Mylady etwas verlegen, »ich kenne Herrn von Louvigny, Herrn von Courtivon, Herrn von Ferussac.«

Die Novize ließ sie aussprechen; als sie aber sah, daß Mylady inne hielt, so fragte sie:

»Kennt Ihr nicht einen Edelmann Namens Athos?«

Mylady wurde so bleich, wie die Leintücher, in denen sie lag, und konnte sich, so sehr sie sich auch zu beherrschen wußte, eines Schreies nicht enthalten, während sie die Novize bei der Hand faßte und mit dem Blicke verschlang.

»Wie? was habt Ihr? Oh! mein Gott,« fragte die arme junge Frau, »habe ich etwas gesagt, was Euch verletzte?«

»Nein, aber der Name ist mir aufgefallen, weil ich diesen Mann ebenfalls kenne, und weil es mir seltsam vorkommt, daß ich Jemand finde, der so genau mit ihm bekannt ist.«

»O ja, sehr genau bekannt, und zwar nicht allein mit ihm, sondern auch mit seinen Freunden, den Herren Aramis und Porthos.«

»In der That? Auch sie kenne ich,« rief Mylady, welche eine eisige Kälte in ihr Herz dringen fühlte.

»Nun, wenn Ihr sie kennt, so müßt Ihr wissen, daß es gute und brave Kameraden sind. Warum wendet Ihr Euch nicht an sie, wenn Ihr der Hülfe bedürft?«

»Das heißt,« stammelte Mylady, »ich stehe mit keinem von ihnen in einer wirklichen Verbindung. Ich kenne sie, weil ich einen von ihren Freunden, Herrn d’Artagnan, von ihnen sprechen hörte.«

»Ihr kennt also Herrn d’Artagnan!« rief die Novize, die nun ihrerseits Mylady bei der Hand faßte und sie mit ihren Augen verschlang.

Dann sagte sie, als sie den seltsamen Ausdruck in Myladys Blick gewahr wurde: »Um Vergebung, Madame, in welcher Eigenschaft kennt Ihr ihn?« – »Wie meint Ihr?« sprach Mylady verlegen. »In der Eigenschaft eines Freundes.« – »Ihr täuscht mich, Madame,« versetzte die Novize, »Ihr seid seine Geliebte gewesen!« – »Ihr seid es gewesen, Madame,« entgegnete Mylady. – »Ich!« rief die Novize. – »O ja, Ihr; ich kenne Euch jetzt. Ihr seid Madame Bonacieux.«

Die junge Frau wich voll Staunen und Schrecken zurück.

»Oh! leugnet nicht, antwortet,« sprach Mylady.

»Nun ja, Madame, ich liebe ihn. Sind wir Nebenbuhlerinnen?«

Das Gesicht Myladys beleuchtete sich mit einem so wilden Feuer, daß Madame Bonacieux unter allen andern Umständen voll Angst entflohen wäre; aber jetzt wurde sie einzig und allein durch die Eifersucht beherrscht.

»Sprecht, laßt hören, Madame,« fuhr Frau Bonacieux mit einer Energie fort, deren sie gar nicht fähig schien. »Seid Ihr seine Geliebte gewesen?«

»O! nein!« rief Mylady mit einer Betonung, die keinen Zweifel an der Wahrheit dessen, was sie sagte, übrig ließ. »Nie! nie!«

»Ich glaube Euch,« sprach Madame Bonacieux, »aber warum dieser Schrei?«

»Wie, Ihr begreift nicht?« sagte Mylady, welche sich von ihrer Unruhe erholt und ihre ganze Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte. – »Wie soll ich begreifen? ich weiß nichts.« – »Ihr begreift nicht, daß d’Artagnan, der mein Freund war, mich zu seiner Vertrauten gewählt hatte?« – »Wirklich?«

»Ihr begreift nicht, daß ich Alles weiß. Eure Entführung aus dem kleinen Hause in St. Germain, seine und seiner Freunde Verzweiflung, ihre Nachforschungen seit jenem Augenblick? Und ich soll nicht staunen, wenn ich mich so unvermuthet in Eurer Nähe befinde, nachdem wir so oft mit einander von Euch gesprochen haben, die er mit der ganzen Macht seiner Seele liebt, so daß auch ich Euch lieben mußte, noch ehe ich Euch gesehen hatte? Ach! theure Constance, endlich, endlich finde ich Euch!«

Und Mylady streckte ihre Arme nach Madame Bonacieux aus, welche nunmehr überzeugt war, und in dieser Frau, die sie einen Augenblick vorher für ihre Nebenbuhlerin gehalten hatte, nur noch eine ergebene und aufrichtige Freundin erblickte.

»Oh! vergebt mir! vergebt mir!« sagte sie und sank auf ihre Schulter, »ich liebe ihn so sehr!«

Die zwei Frauen hielten sich einen Augenblick umarmt. Wenn Myladys Kräfte ihrem Haß gleichgekommen wären, so würde diese Umarmung nur mit dem Tode von Madame Bonacieux geendigt haben. Aber da sie die junge Frau nicht ersticken konnte, so lächelte sie ihr zu.

»Oh! theure, schöne Kleine,« sagte Mylady, »wie glücklich bin ich. Euch zu sehen. Laßt mich Euch anschauen.« Und bei diesen Worten verschlang sie die Novize wirklich mit ihren Blicken. »Ja, Ihr seid es. Nach dem, was er mir von Euch gesagt hat, erkenne ich Euch zu dieser Stunde, ich erkenne Euch vollkommen.«

Die arme junge Frau konnte nicht ahnen, wie schrecklich es hinter dem Wall dieser reinen Stirne, hinter diesen schönen Augen, worin sie nur das Interesse des Mitleids las, zuging.

»Ihr wißt also, was ich gelitten habe,« sprach Madame Bonacieux, »da er Euch sein Leiden mitgetheilt hat. Aber für ihn dulden ist Glück.«

Mylady wiederholte mechanisch: »Ja, das ist Glück.«

Sie dachte an etwas Anderes.

»Und dann,« fuhr Madame Bonacieux fort, »ist mein Unglück seinem Ende nahe: morgen, diesen Abend vielleicht werde ich ihn wiedersehen, und dann besteht die Vergangenheit nicht mehr für mich.«

»Diesen Abend? morgen?« rief Mylady, durch diese Worte aus ihrer Träumerei gerissen. »Was wollt Ihr damit sagen? Erwartet Ihr vielleicht Nachrichten von ihm?« – »Ich erwarte ihn selbst.« – »Ihn selbst! D’Artagnan hier!« – »Ihn selbst.«

»Das ist unmöglich! Er befindet sich mit dem Kardinal bei der Belagerung von La Rochelle und wird erst nach der Einnahme der Stadt nach Paris zurückkehren.«

»Ihr glaubt dies, aber sagt: ist meinem d’Artagnan, diesem trefflichen und loyalen Edelmanns, etwas unmöglich?«

»Ah! ich kann es nicht glauben.«

»Nun, so lest doch,« sprach die unglückliche junge Frau, im Uebermaß ihrer Freude und ihres Stolzes, indem sie Mylady den Brief überreichte.

»Die Handschrift der Frau von Chevreuse!« sagte Mylady zu sich selbst. »Ich war überzeugt, daß mit dieser ein Einverständniß stattfand.«

Und sie las mit gierigen Blicken folgende Zeilen:

»Mein liebes Kind, haltet Euch bereit. Unser Freund wird Euch bald besuchen, und zwar nur, um Euch dem Gefängnisse zu entreißen, wo Ihr Euch Eurer Sicherheit wegen verborgen halten mußtet. Trefft Eure Vorkehrungen zur Reise und verzweifelt nie an uns.

»Unser vortrefflicher Gascogner hat sich so eben wieder brav und getreu gezeigt, wie immer. Sagt ihm, daß man ihm irgendwo für den Rath, den er ertheilt, sehr dankbar sei.«

»Ja, ja,« sprach Mylady, »ja, dieser Brief ist genau. Wißt Ihr vielleicht, worin dieser Rath besteht?«

»Nein; ich vermuthe nur, daß er die Königin von irgend einer Machination des Kardinals benachrichtigt hat.«

»Ja, so ist es ohne Zweifel,« erwiderte Mylady, gab den Brief Madame Bonacieux zurück und ließ ihr nachdenkendes Haupt auf die Brust sinken.

In diesem Augenblick hörte man den Galop eines Pferdes.

»Oh!« rief Madame Bonacieux, an das Fenster stürzend, »sollte er es sein?«

Mylady war vor Erstaunen in Stein verwandelt im Bette geblieben. Es begegneten ihr plötzlich so viele unerwartete Dinge, daß sie zum ersten Male den Kopf verlor.

»Er! er!« murmelte sie, »sollte er es sein?« Und sie verharrte mit starren Augen in ihrem Bette.

»Ach! nein,« sprach Madame Bonacieux, »es ist ein Mann, den ich nicht kenne. Es scheint, er kommt hieher; er reitet langsamer – er hält vor der Thüre – er läutet.«

Mylady sprang aus dem Bette.

»Seid Ihr gewiß, daß er es nicht ist?« sagte sie. – »O ja, ganz gewiß.« – »Ihr habt vielleicht schlecht gesehen?« – »Oh! ich würde ihn erkennen, wenn ich nur die Feder seines Hutes, das Ende seines Mantels erblickte.«

Mylady kleidete sich fortwährend an.

»Gleich viel, Ihr sagt, dieser Mann komme hieher?« – »Ja, er ist bereits in das Kloster eingetreten.« – »Das geschieht entweder Euret- oder meinetwegen.« – »O mein Gott! wie aufgeregt seht Ihr aus!« – »Ja, ich gestehe, ich hege nicht Euer Vertrauen, ich fürchte Alles von dem Kardinal!« – »Stille!« sagte Madame Bonacieux, »man kommt.«

Die Thüre öffnete sich wirklich und die Aebtissin trat ein.

»Kommt ihr von Boulogne?« fragte sie Mylady.

»Allerdings,« antwortete diese, indem sie ihre Kaltblütigkeit wieder zu erlangen suchte. »Wer fragt nach mir?«

»Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, aber von dem Kardinal kommt.«

»Und mich sprechen will?« sagte Mylady.

»Der eine Dame sprechen will, welche von Boulogne eingetroffen sein soll.«

»Dann laßt ihn eintreten, Madame!«

»Oh! mein Gott, mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »sollte es eine schlimme Kunde sein?« – »Ich befürchte es.« – »Ich lasse Euch mit diesem Fremden allein; aber sobald er sich entfernt hat, kehre ich mit Eurer Erlaubniß wieder zurück.«

»Ich bitte Euch darum.«

Die Aebtissin und Madame Bonacieux verließen das Zimmer.

Mylady blieb, die Augen auf die Thüre geheftet, allein. Bald hörte man Sporengeklirr auf der Treppe. Dann näherten sich Tritte: die Thüre wurde geöffnet und ein Mann erschien.

Mylady stieß einen Freudenschrei aus. Dieser Mann war der Graf von Rochefort, die ergebenste Seele Seiner Eminenz.