XXXIV.

Zwei Abarten von Teufeln.

»Ah!« riefen Rochefort und Mylady zugleich, »Ihr seid is?« – »Ja, ich bin es.« – »Und Ihr kommt?« fragte Mylady. – »Von La Rochelle. Und Ihr?« – »Von England.«

– »Buckingham?« – »Todt oder gefährlich verwundet. Als ich abreiste, ohne etwas von ihm erlangen zu können, ermordete ihn ein Fanatiker.« – »Ah,« sprach Rochefort lächelnd, »das ist ein äußerst glücklicher Zufall, worüber sich Seine Eminenz ungemein freuen wird. Habt Ihr ihn davon in Kenntniß gesetzt?« – »Ich habe ihm von Boulogne aus geschrieben. Aber wie kommt Ihr hieher?« – »Seine Eminenz war in Unruhe, und schickte mich aus, um Euch zu suchen.« – »Ich bin erst gestern hier angekommen.« – »Und was habt Ihr seit gestern gemacht?« – »Ich habe meine Zeit nicht verloren.« – »Oh! das kann ich mir wohl denken.« – »Wißt Ihr, wen ich hier getroffen habe?« – »Nein.« – »Rathet!« – »Wie soll ich?« – »Die junge Frau, welche die Königin dem Gefängniß entrissen hat.« – »Die Geliebte des kleinen d’Artagnan?« – »Ja, Madame Bonacieux, deren Zufluchtsstätte der Kardinal nicht kannte.« – »Nun,« sprach Rochefort, »das ist abermals ein Zufall, der dem andern die Stange halten kann. Der Herr Kardinal ist in der That ein vom Glücke begünstigter Mann.« – »Könnt Ihr Euch mein Erstaunen denken,« fuhr Mylady fort, »als ich mich dieser Frau gegenüber fand?« – »Kennt sie Euch?« – »Nein.« – »Dann hält sie Euch für eine Fremde?« – Mylady lächelte. »Ich bin ihre beste Freundin.« – »Bei meiner Ehre!« sprach Rochefort, »nur Ihr, meine liebe Gräfin, könnt solche Wunder bewirken.« – »Es geschah zur rechten Zeit, Chevalier,« sagte Mylady; »denn wißt Ihr, was vorgeht?« – »Nein.« – »Man will sie morgen oder übermorgen mit einem Befehl der Königin holen.« – »Wirklich? und wer dies?« – »D’Artagnan und seine Freunde.« – »In der That? Sie treiben es so arg, daß wir sie in die Bastille schicken müssen.« – »Warum ist dies nicht bereits geschehen?« – »Was wollt Ihr? Der Herr Kardinal hat für diese Menschen eine mir ganz unbegreifliche Vorliebe.« – »Wirklich? nun so sagt ihm Folgendes, Rochefort: sagt ihm, daß unsere Unterredung in der Herberge zum Rothen Taubenschlag von diesen vier Menschen gehört worden ist; sagt ihm, daß einer von ihnen nach seinem Abgang heraufkam und mir mit Gewalt den Geleitsbrief entriß, den er mir gegeben hatte; sagt ihm, daß sie Lord Winter von meiner Fahrt nach England benachrichtigen ließen; daß sie auch diesmal beinahe meine Sendung vereitelt hätten, wie sie die mit den Nestelstiften vereitelten. Sagt ihm, daß von diesen vier Menschen nur zwei, d’Artagnan und Athos, zu fürchten sind; sagt ihm, daß der dritte der Liebhaber der Frau von Chevreuse ist; man muß diesen leben lassen; man weiß sein Geheimniß, er kann von Nutzen sein; der vierte, Porthos, ist ein Einfaltspinsel, ein alberner Geck, mit dem man sich nicht zu beschäftigen braucht.« – »Aber diese vier Menschen müssen in dieser Stunde bei der Belagerung von La Rochelle sein.« – »Ich glaubte dies, wie Ihr, aber ein Brief, den Madame Bonacieux von Frau von Chevreuse erhalten und mir unkluger Weise mitgetheilt hat, gibt mir die Ueberzeugung, daß diese vier Menschen vielmehr in das Feld gezogen sind, um sie zu entführen.« – »Teufel, was ist da zu machen?« – »Was hat Euch der Kardinal in Beziehung auf mich aufgetragen?« – »Eure geschriebenen oder mündlichen Depeschen in Empfang zu nehmen und mit Postpferden zurückzukehren. Sobald er weiß, was Ihr gethan habt, wird er Befehl geben, was Ihr thun sollt.« – »Ich muß also hier bleiben?« – »Hier oder in der Umgegend.« – »Ihr könnt mich nicht mitnehmen?« – »Nein, der Befehl ist streng. In der Gegend des Lagers könntet Ihr erkannt werden, und Eure Gegenwart würde, wie Ihr wohl begreift. Seine Eminenz besonders nach dem, was da drüben vorgefallen ist, compromittiren. Doch sagt mir jetzt schon, wo Ihr Nachrichten vom Kardinal erwarten wollt, damit ich stets weiß, wo ich Euch treffen kann.« – »Wahrscheinlich bin ich nicht im Stande hier zu bleiben.« – »Warum?« – »Ihr vergeßt, daß meine Feinde jeden Augenblick ankommen können.« – »Das ist wahr, aber dann wird diese kleine Frau Seiner Eminenz entschlüpfen.«

»Bah!« sprach Mylady mit einem Lächeln, das nur ihr eigenthümlich war, »Ihr vergeht, daß ich ihre beste Freundin bin.« – »Ah! das ist wahr; ich darf also dem Kardinal sagen, in Beziehung auf diese Frau…« – »Könne er ruhig sein.« – »Nicht mehr? Weiß er, was dies zu bedeuten hat?« – »Er wird es errathen.« »Was soll ich nun thun?« – »Sogleich abreisen. Es scheint mir, die Nachrichten, welche Ihr bringt, sind wohl werth, daß man sich beeilt.« – »Mein Wagen ist in Lilliers gebrochen.« – »Vortrefflich!« – »Wie vortrefflich?« – »Ja, ich brauche Euern Wagen.« – »Und wie soll ich dann reisen?« »Zu Pferde.« – »Ihr habt gut sprechen, hundertundachtzig Meilen!« – »Was ist das?« – »Sie sollen gemacht werden. Und hernach?« – »Wenn Ihr durch Lilliers kommt, schickt Ihr mir den Wagen und gebt Eurem Bedienten Befehl, sich mir zur Verfügung zu stellen.« – »Gut.« – »Ihr habt ohne Zweifel einen Befehl des Kardinals bei Euch?« – »Ich habe eine Vollmacht bei mir.« – Ihr zeigt sie der Aebtissin, und sagt ihr, man werde mich heute oder morgen abholen, und ich habe der Person zu folgen, die sich in Eurem Namen einfinde.« – »Sehr gut!« – »Vergeht nicht, über mich loszuziehen, wenn ihr mit der Aebtissin von mir sprecht.« – »Wozu soll das nützen?« – »Ich bin ein Opfer des Kardinals und muß wohl dieser armen kleinen Madame Bonacieux Vertrauen einflößen.« – »Das ist richtig. Wollt Ihr mir nun einen Bericht von Allem dem machen, was vorgefallen ist?« – »Ich habe Euch die Ereignisse erzählt, Ihr besitzt ein gutes Gedächtniß. Wiederholt die Dinge, wie ich sie Euch mittheilte; ein Papier geht verloren.« – »Ihr habt Recht. Nur damit ich weiß, wo ich Euch finden kann und nicht unnütz in der Gegend umherlaufe.« – »Das ist richtig; wartet!« – »Wollt Ihr eine Karte?« – »Oh! ich kenne diese Gegend vortrefflich.« – »Ihr? wann seid Ihr hier gewesen?« – Ich bin hier erzogen worden.« – »Wirklich!« – »Seht, irgendwo erzogen worden zu sein, nützt doch zu etwas.« – »Ihr werdet mich also erwarten? …« – »Laßt mich einen Augenblick nachdenken … halt, ja in Armentières?« – »Was ist das, Armentières?« – »Eine kleine Stadt an der Lys. Ich habe nur über den Fluß zu setzen, und bin in einem fremden Lande.« – »Vortrefflich! aber wohlverstanden, Ihr geht nur im Fall einer großen Gefahr über den Fluß.« – »Natürlich.« – »Wie soll ich aber dann erfahren, wo Ihr seid?« – »Ihr bedürft Eures Bedienten nicht?« – »Nein.« – »Es ist ein sicherer Mann?« – »Unter jeder Bedingung.« – »Gebt ihn mir; niemand kennt ihn, ich lasse ihn an dem Orte zurück, von dem ich mich entferne, und er führt Euch dahin, wo ich bin.« – »Und Ihr sagt, Ihr werdet mich in Armentières erwarten?« – »In Armentières.« – »Schreibt mir diesen Namen auf ein Stückchen Papier, damit ich ihn nicht vergesse. Der Name einer Stadt kann unmöglich kompromittiren, nicht wahr?« – »Wer weiß? doch gleich viel,« sagte Mylady und schrieb den Namen auf ein Blättchen Papier; »ich gefährde mich dadurch.«

»Gut,« sprach Rochefort, nahm das Papier Mylady aus den Händen, faltete es zusammen, und steckte es in das Futter seines Hutes. »Seid übrigens unbesorgt, ich mache es wie die Kinder und wiederhole den Namen den ganzen Weg entlang, wenn ich das Papier verliere. Nun, ist das Alles?«

»Ich glaube.«

»Wir wollen einmal untersuchen: Buckingham todt oder schwer verwundet: Eure Unterredung mit dem Kardinal von den vier Musketieren gehört; Lord Winter von Eurer Ankunft in Portsmouth benachrichtigt: d’Artagnan und Athos in die Bastille: Aramis der Liebhaber der Frau von Chevreuse; Porthos ein Gimpel; Madame Bonacieux wieder gefunden; Euch den Wagen so bald als möglich schicken; Euch meinen Bedienten zur Verfügung stellen; ein Opfer des Kardinals aus Euch machen, damit die Aebtissin keinen Verdacht schöpft; Armantières an den Ufern der Lys; ist es so?«

»In der That mein lieber Chevalier, Ihr seid ein wahres Wunder von Gedächtniß. Doch fügt noch bei…« – »Was?«

»Ich habe ein sehr hübsches Wäldchen gesehen, das an den Klostergarten stoßen muß. Sagt, es sei mir erlaubt, in diesem Wäldchen spazieren zu gehen. Wer weiß, ich muß vielleicht durch eine Hinterpforte von hier fort.«

»Ihr denkt an Alles.« – »Und Ihr, Ihr vergeßt etwas.« – Was denn?« – »Zu fragen, ob ich Geld brauche.« – »Das ist richtig. Wie viel wollt Ihr?« – »Alles, was Ihr an Gold bei Euch habt.« – »Ich habe ungefähr fünfhundert Pistolen bei mir.« – »Ich etwa eben so viel. Mit tausend Pistolen kann man Allem Trotz bieten. Leert Eure Taschen.« – »Hier.« – »Gut. Und Ihr reist?« – »In einer Stunde. Ich bleibe nur so lange, um einen Bissen zu essen, und schicke mittlerweile nach einem Postpferd.« – »Vortrefflich. Adieu, Graf!« – »Adieu, Gräfin.« – »Empfehlt mich dem Kardinal.« – »Empfehlt mich dem Satan.«

Mylady und Rochefort tauschten ein Lächeln und trennten sich.

Eine Stunde nachher sprengte Rochefort im stärksten Galopp aus Bethune. Nach fünf Stunden kam er durch Arras.

Unsre Leser wissen bereits, wie er von d’Artagnan wiedererkannt wurde, wie dieses Wiedererkennen den vier Musketieren Furcht einflößte und sie zur größten Eile trieb.

XXVIII.

Fünfter Tag der Gefangenschaft.

Mylady war bereits zu einem halben Triumph gelangt und der Erfolg verdoppelte ihre Kräfte.

Bisher hatte sie keine große Mühe gehabt, um Menschen zu besiegen, welche sich leicht verführen ließen und von der galanten Erziehung des Hofes rasch in die Falle gelockt wurden. Mylady war schön genug, um die Sinne zu reizen, und geschickt genug, um alle Hindernisse des Geistes zu überwältigen.

Aber diesmal hatte sie gegen eine rohe und in ihrer Strenge unempfindliche Natur zu kämpfen. Die Religion und die Buße hatten Felton für gewöhnliche Versuchungsmittel unempfänglich gemacht. In diesem exaltirten Kopfe bewegten sich so weit umfassende Pläne, so stürmische Entwürfe, daß darin kein Platz mehr für die Liebe war, für dieses Gefühl, das sich durch die Muße nährt und durch die Verdorbenheit der Sitten groß wird.

Mylady hatte mit ihrer falschen Tugend in der Meinung eines gegen sie eingenommenen Mannes, und durch ihre Schönheit in dem Herzen und in den Sinnen eines unschuldigen Menschen Bresche gemacht.

Nichtsdestoweniger verzweifelte sie manchmal während dieses Abends an dem Geschicke und an sich selbst. Sie rief Gott nicht an, wie wir wissen, sie hegte Vertrauen zu dem Geiste des Bösen, dieser ungeheuern Souveränetät, welche in allen Einzelnheiten des menschlichen Lebens herrscht, und für die wie in der arabischen Fabel ein Granatkern hinreicht, um eine ganze verlorene Welt wieder aufzubauen.

Gut auf den Empfang Feltons vorbereitet, konnte Mylady ihre Batterien für den andern Tag aufpflanzen; sie wußte, daß ihr nur noch zwei Tage übrig blieben, daß, wenn der Befehl einmal von Buckingham unterzeichnet war (und Buckingham mußte ihn um so leichter unterzeichnen, als in dem Befehl ein falscher Name eingetragen war und er die Frau, um die es sich handelte nicht zu erkennen vermochte), daß, wenn dieser Befehl einmal unterzeichnet war, sagen wir, der Baron sie sogleich einschiffen würde; sie wußte auch, daß die zur Deportation verurtheilten Frauen sich minder mächtiger Waffen bei ihren Verführungsplänen bedienen, als die angeblich tugendhaften Frauen, deren Schönheit die Sonne der Welt bescheint, deren Geist die Stimme der Mode rühmt, die ein Wiederschein der Aristokratie mit seinem zauberhaften Glanze vergoldet. Eine zu einer entehrenden Strafe verurtheilte Frau kann immer noch schön sein, aber nicht so leicht wieder zur Macht gelangen. Wie alle Menschen von wahrem Genie kannte Mylady die ihrer Natur und ihren Mitteln zusagende Mitte. Die Armuth widerstrebte ihr, der Zustand der Verachtung minderte ihre Größe um zwei Drittheile. Mylady war nur Königin unter den Königinnen. Ihre Herrschaft bedurfte der Lust befriedigten Stolzes; untergeordnete Menschen zu beherrschen, war für sie eher eine Demüthigung als ein Vergnügen.

Gewiß wäre sie aus ihrer Verbannung zurückgekehrt, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick; aber wie lange konnte diese Verbannung dauern? Für eine thätige, ehrgeizige Natur, wie Mylady, sind die Tage, wo man nicht emporsteigt, verlorene Unglückstage. Wie soll man also die Tage nennen, wo man nur hinabsteigt? Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre verlieren, das ist eine Ewigkeit. Vielleicht nach dem Tode oder der Ungnade des Kardinals zurückkommen, zurückkommen, wenn d’Artagnan und seine Freunde glücklich und triumphirend die wohl verdiente Belohnung für ihre Dienste erhalten hatten: das waren verzehrende Gedanken, welche eine Frau, wie Mylady, nicht ertragen konnte. Der Sturm, welcher in ihr tobte, verdoppelte indessen ihre Kraft, und sie hätte die Wände ihres Kerkers gesprengt, wenn ihr Körper einen Augenblick die Verhältnisse ihres Geistes anzunehmen vermocht hätte.

Unter all diesen Gemüthsbewegungen wurde sie ganz besonders noch durch die Erinnerung an den Kardinal gepeinigt. Was mußte der unruhige, mißtrauische, argwöhnische Kardinal von ihrem Stillschweigen denken und sagen? der Kardinal, nicht nur ihre einzige Stütze, ihr einziger Beschützer in der Gegenwart, sondern auch das Hauptwerkzeug ihres künftigen Glückes, ihrer zukünftigen Rache? Sie kannte ihn: sie wußte, daß sie bei ihrer Rückkehr immerhin eine vergebliche Reise und ihre Gefangenschaft vorschützen, daß sie immerhin die ausgestandenen Leiden mit den schwärzesten Farben ausmalen mochte, der Kardinal würde ihr mit jener spöttischen Ruhe des zugleich durch die Kraft und das Genie mächtigen Skeptikers antworten: »Ihr hättet Euch nicht fangen lassen sollen!«

Mylady raffte ihre ganze Energie zusammen, murmelte in der Tiefe ihrer Gedanken den Namen Felton, den einzigen Strahl, der bis in die Hölle drang, in die sie gestürzt war, und der Schlange ähnlich, welche ihre Ringe rollt und entrollt, um sich, ihrer Kraft recht bewußt zu werden, hüllte sie Felton zum Voraus in die tausend Falten ihrer erfindungsreichen Einbildungskraft.

Indessen verlief die Zeit. Die Stunden schienen eine nach der andern im Vorübergehen die Glocke zu erwecken, und jeder Ton des ehernen Schlägels hallte in dem Herzen der Gefangenen wieder.

Um neun Uhr machte Lord Winter den gewöhnlichen Besuch, beschaute die Fenster und die Gitterstangen davor, sondirte den Boden und die Wände, betrachtete den Kamin und die Thüren, ohne daß während dieser langen und sorgfältigen Untersuchung Mylady oder er ein einziges Wort sprachen. Ohne Zweifel begriffen Beide, daß die Lage der Dinge zu ernst geworden war, um die Zeit mit unnöthigen Worten und in erfolglosem Zorne zu verlieren.

»Gut,« sagte der Baron, als er sie verließ, »Ihr werdet diese Nacht noch nicht entweichen.«

Um zehn Uhr führte Felton eine Wache auf, Mylady erkannte seinen Tritt; sie errieth ihn jetzt, wie eine Liebende den Geliebten ihres Herzens erräth, und dennoch verachtete, verabscheute Mylady diesen schwachen Fanatiker.

Es war nicht die verabredete Stunde und Felton trat nicht ein.

Zwei Stunden später, als es Mitternacht schlug, wurde die Wache abgelöst.

Diesmal war es die Stunde, und Mylady wartete von diesem Augenblick mit großer Ungeduld.

Die neue Wache fing an in der Flur auf und abzugehen.

Nach zehn Minuten kam Felton.

Mylady horchte.

»Höre,« sprach der junge Mann zu der Wache, »entferne Dich unter keinem Vorwand von dieser Thüre; denn Du weißt, daß in der letzten Nacht ein Soldat von Mylord bestraft worden ist, weil er einen Augenblick seinen Posten verlassen hatte, und ich hielt doch während seiner kurzen Abwesenheit Wache.«

»Ja, ich weiß es,« sagte der Soldat.

»Ich empfehle Dir also die pünktlichste Wachsamkeit; aber,« fügte er bei, »ich will hineingehen und zum zweiten Mal das Zimmer dieser Frau visitiren, welche, wie ich fürchte, Unseliges gegen sich selbst beabsichtigt, weshalb ich Befehl erhalten habe, sie zu überwachen.«

»Gut,« murmelte Mylady, »der strenge Puritaner lügt!«

Der Soldat begnügte sich zu lächeln.

»Teufel! mein Lieutenant,« sprach er, »Ihr seid nicht der Unglückseligste, daß man Euch einen solchen Auftrag gegeben hat.«

Felton erröthete; unter allen andern Umständen würde er dem Soldaten, der sich einen solchen Scherz erlaubte, einen Verweis ertheilt haben. Aber sein Gewissen murrte zu laut, als daß sein Mund zu sprechen gewagt hätte.

»Wenn ich rufe,« sagte er, »so komm; wenn man kommt, so rufe mich.«

»Sehr wohl, mein Lieutenant,« antwortete der Soldat.

Felton trat bei Mylady ein. Mylady stand auf.

»Seid Ihr hier?« sagte sie.

»Ich hatte Euch zu kommen versprochen,« erwiderte Felton, »und ich bin gekommen.«

»Ihr habt mir noch etwas Anderes versprochen.«

»Was denn, mein Gott!« rief der junge Mann, der trotz seiner Selbstbeherrschung fühlte, wie seine Kniee zitterten und der Schweiß seine Stirne befeuchtete.

»Ihr habt versprochen, mir ein Messer zu bringen und es mir nach unserer Unterredung zu lassen.«

»Verschont mich mit Euren Worten, Madame,« sagte Felton; »es gibt keine Lage, die so schrecklich wäre, daß sie ein Geschöpf Gottes berechtigte, sich den Tod zu geben. Ich habe überlegt, daß ich mich nie einer solchen Sünde schuldig machen darf.«

»Ah! Ihr habt überlegt,« sprach die Gefangene, indem sie sich mit verächtlichem Lächeln in ihren Lehnstuhl zurückwarf. »Und ich habe mir auch überlegt!«

»Was?«

»Daß ich einem Menschen, der sein Wort nicht hält, nichts zu sagen habe.«

»Oh! mein Gott,« murmelte Felton.

»Ihr könnt Euch entfernen, ich werde nichts sprechen.«

»Hier das Messer,« sagte Felton und zog die Waffe, die er mitzubringen versprochen, aber der Gefangenen nicht hatte geben wollen, aus seiner Tasche.

»Laßt sehen,« sagte Mylady.

»Was wollt Ihr damit machen?«

»Bei meiner Ehre, ich gebe Euch das Messer gleich zurück. Ihr legt es auf diesen Tisch und bleibt zwischen ihm und mir.«

Felton überreichte Mylady die Waffe, sie prüfte aufmerksam die Härtung und versuchte die Spitze an ihren Fingern.

»Gut,« sagte sie und gab das Messer dem jungen Offizier zurück … »das ist ein schöner, guter Stahl … Ihr seid ein treuer Freund, Felton.«

Felton nahm die Waffe und legte sie auf den Tisch, wie dies mit seiner Gefangenen verabredet war.

Mylady folgte ihm mit den Augen und machte eine Geberde der Zufriedenheit.

»Nun hört mich,« sprach sie.

Die Aufforderung war unnöthig, der junge Mann stand vor ihr und lauschte auf ihre Worte, um sie zu verschlingen. »Felton,« sagte Mylady mit einer schwermuthsvollen Feierlichkeit, »Felton, wenn Eure Tochter oder die Tochter Eures Vaters zu Euch spräche: »»Noch jung, zum Unglück ziemlich schön, hat man mich in eine Falle gelockt, ich widerstand; man verdoppelte die Schlingen, die Hinterhalte, die Gewaltstreiche um mich her, ich widerstand; man lästerte die Religion, der ich diene, den Gott, den ich anbete, ich widerstand; dann überhäufte man mich mit Beleidigungen, und da man meine Seele nicht zu verderben vermochte, so wollte man meinen Leib für immer brandmarken.«

Mylady hielt inne, ein bitteres Lächeln zog über ihre Lippen hin.

»Endlich,« sprach Felton, »was that man endlich?«

»Endlich eines Abends beschloß man diesen Widerstand, den man nicht besiegen konnte, zu lähmen, man mischte eines Abends ein narkotisches Mittel in mein Wasser; kaum hatte ich mein kleines Mahl beendigt, als ich von einer seltsamen Schläfrigkeit befallen wurde; obgleich ich kein Mißtrauen hegte, ergriff mich doch eine schwankende Furcht und ich suchte gegen den Schlaf zu kämpfen; ich stand auf, ich wollte zum Fenster laufen, um Hülfe rufen, aber meine Beine versagten mir den Dienst, es war mir, als sänke der Plafond auf mich herab und drückte mich mit seinem Gewichte nieder; ich streckte den Arm aus, ich versuchte zu sprechen; aber ich konnte nur unartikulirte Töne ausstoßen, eine unüberwindliche Erstarrung bemächtigte sich meiner, ich hielt mich an einem Stuhl, denn ich fühlte, daß ich dem Fallen nahe war, bald aber genügte diese Stütze für meine schwachen Arme nicht mehr, ich sank auf ein Knie, dann auf beide, ich wollte beten, meine Zunge war in Eis verwandelt. Gott hörte und sah mich ohne Zweifel nicht, und ich glitt, die Beute eines todähnlichen Schlafes, auf den Boden.

»Von Allem, was während dieses Schlafes vorging, habe ich keine Erinnerung mehr, ich weiß nur noch, daß ich in einem runden, reich ausgestatteten Zimmer erwachte, in welches das Tageslicht durch eine Oeffnung in der Decke drang. Keine Thüre schien den Eingang in dasselbe zu gewähren und man hätte glauben sollen, es wäre ein prächtiges Gefängniß.

»Lange bemühte ich mich, mir Rechenschaft von dem Orte, wo ich mich befand, und von den einzelnen Umständen zu geben, welche mich dahingebracht hatten; mein Geist schien vergebens zu kämpfen, um die drückende Finsterniß des Schlafes abzuschütteln, dem ich mich nicht zu entreißen vermochte; ich hatte unbestimmte Vorstellungen von einem durchlaufenen Räume, vom Rollen eines Wagens, aber dies Alles war so düster und schwankend in meinem Geiste, daß die Ereignisse einem andern Leben, als dem meinigen anzugehören und doch mit dem meinigen durch eine phantastische Doppelheit vermengt zu sein schienen.

»Einige Zeit kam mir der Zustand, in dem ich mich befand, so sonderbar vor, daß ich zu träumen glaubte. Allmälig aber trat die Wirklichkeit schreckensvoll vor mich, ich war nicht mehr in dem Hause, das ich sonst bewohnte; soweit ich es nach dem Sonnenlichte beurtheilen konnte, war der Tag schon zu zwei Dritteln abgelaufen, am Abend zuvor war ich eingeschlummert und mein Schlaf hatte also beinahe vierundzwanzig Stunden gedauert. Was war während dieser langen Zeit vorgefallen?

»Ich erhob mich wankend. Die Lahmheit aller meiner Bewegungen bewies, daß der Einfluß des narkotischen Mittels noch nicht ganz aufgehört hatte. Das Zimmer war übrigens zur Aufnahme eines weiblichen Wesens eingerichtet und der vollendetsten Kokette wäre kein Wunsch übrig geblieben, den sie nicht erfüllt gesehen hätte, wenn sie ihren Blick in diesem Gemach umherlaufen ließ.

»Offenbar war ich nicht die erste Gefangene, die sich in diesem glänzenden Kerker eingeschlossen gesehen hatte, aber Ihr begreift, Felton, je schöner der Kerker war, desto mehr mußte er mich in Schrecken setzen.

»Ja, es war ein Gefängniß; denn vergebens versuchte ich hinauszukommen, ich sondirte alle Wände, um eine Thüre zu entdecken, überall gaben sie einen vollen und zugleich matten Ton von sich.

»Zwanzig Mal machte ich vielleicht die Runde im Zimmer, um irgend einen Ausweg zu suchen, es war keiner vorhanden; der Müdigkeit und dem Schrecken unterliegend, sank ich in einen Lehnstuhl.

»Mittlerweile rückte die Nacht rasch heran und mit der zunehmenden Finsterniß vermehrte sich meine Angst; ich wußte nicht, ob ich da, wo ich saß, sitzen bleiben sollte, es kam mir vor, als wäre ich von unbekannten Gefahren umgeben, in die ich bei jedem Schritt stürzen müßte. Obgleich ich seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen hatte, ließ mich doch meine Furcht keinen Hunger empfinden.

»Kein Geräusch von außen, nach dem ich die Zeit hätte ermessen können, drang zu mir: ich vermuthete nur, es möchte etwa sieben oder acht Uhr sein; denn wir waren im Monat Oktober und es war bereits finstere Nacht.

»Plötzlich machte mich das Knarren einer auf ihren Angeln sich drehenden Thüre heftig erbeben, eine Feuerkugel erschien über der gläsernen Oeffnung, des Plafond, und ich sah zu meinem größten Schrecken, daß einige Schritte vor mir ein Mann stand.

»Ein Tisch mit zwei Gedecken, auf dem ein vollständiges Abendbrod aufgetragen war, hatte sich, wie durch einen Zauber, mitten im Zimmer erhoben.

»Dieser Mann war derjenige, welcher mich seit einem Jahre verfolgte, der meine Entehrung geschworen hatte, und mir mit den ersten Worten, die aus seinem Munde kamen, begreiflich machte, daß ich durch seinen Entschluß jeder Hoffnung beraubt sei, wieder in Freiheit gesetzt zu werden.«

»Der Schändliche!« murmelte Felton.

»Oh ja! der Schändliche!« rief Mylady, den Antheil gewahrend, den der junge Offizier, dessen Seele an ihren Lippen zu hängen schien, an dieser seltsamen Erzählung nahm, »oh! ja! der Schändliche, er glaubte, damit, daß er mich im Schlafe entführen ließ, als Alles abgemacht; er kam in der Hoffnung, ich würde meine Schande hinnehmen, weil die That vollbracht war, er bot mir ein Vermögen gegen mein Herz.

»Alles, was ein Frauenherz an erhabener Verachtung, an Worten des Abscheus in sich zu schließen vermag, ergoß ich über diesen Menschen: ohne Zweifel war er an dergleichen Vorwürfe gewöhnt, denn er hörte mich ruhig, lächelnd, mit gekreuzten Armen an; als er glaubte, ich habe Alles gesagt, näherte er sich mir, um meine Hand zu ergreifen, aber ich sprang nach dem Tische, ergriff ein Messer, hielt es an meine Brust und rief: »»Noch einen Schritt und Ihr habt Euch außer meiner Schande auch meinen Tod vorzuwerfen.««

»Ohne Zweifel lag in meinem Blick, in meiner Stimme, in meiner ganzen Person jene Wahrheit der Geberde, der Stellung und des Tones, welche auch die verdorbensten, verkehrtesten Gemüther überzeugt, denn er blieb stille stehen.

»»Euern Tod?«« sagte er zu mir, »»oh! nein. Ihr seid eine zu reizende Gefangene, als daß ich mich entschließen könnte. Euch so zu verlieren. Adieu, meine Schönste, um Euch wieder zu besuchen, werde ich warten, bis Ihr Euch in eine bessere Stimmung versetzt habt.««

»Nach diesen Worten pfiff er. Die Flammenkugel stieg in die Höhe und verschwand. Ich befand mich wieder in der Finsterniß. Einen Augenblick nachher hörte ich dasselbe Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Thüre. Die Feuerkugel wurde abermals herabgelassen und ich sah mich allein.

»Dieser Augenblick war furchtbar; hätte ich noch einige Zweifel über mein Unglück gehabt, sie wären unter einer jammervollen Wirklichkeit verschwunden; ich befand mich in der Gewalt eines Menschen, den ich nicht nur verabscheute, sondern auch verachtete, eines Menschen, der mir bereits einen unseligen Beweis von dem, was er zu thun im Stande war, gegeben hatte.« »Aber, wer war denn dieser Mensch?« fragte Felton. Mylady beantwortete diese Frage nicht und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Ich brachte die Nacht, bei dem geringsten Geräusche zitternd, auf einem Stuhle zu; um Mitternacht etwa erlosch die Lampe und ich befand mich wieder in völliger Dunkelheit, aber die Stunden gingen vorüber, ohne daß mein Verfolger zum zweiten Male erschien; der Tag brach an, der Tisch war verschwunden, nur hatte ich das Messer noch immer in der Hand. »Auf diesem Messer beruhte meine ganze Hoffnung.

»Ich war von Müdigkeit ganz entkräftet, die Schlaflosigkeit brannte m meinen Augen; denn ich hatte es nicht gewagt, auch nur einen Augenblick zu schlummern. Der Tag beruhigte mich, ich warf mich auf mein Bett, ohne mich von meinem Befreiungsmesser zu trennen, das ich unter dem Kopfkissen verbarg.

»Als ich erwachte, stand abermals ein gedeckter Tisch im Zimmer.

»Diesmal machte sich trotz meiner Befürchtungen, trotz meiner Angst ein peinlicher Hunger fühlbar, ich hatte seit achtundvierzig Stunden keine Nahrung zu mir genommen; ich aß Brod und etwas Obst; da ich mich aber des narkotischen Mittels erinnerte, mit dem das Wasser vermischt gewesen war, das ich getrunken hatte, so berührte ich das, welches auf dem Tische stand, nicht, sondern füllte mein Glas an einem marmornen, über meiner Toilette an der Wand befestigten Handbrunnen.

»Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln schwebte ich nichtsdestoweniger in großer Angst, aber meine Furcht war dießmal nicht begründet, ich brachte den Tag hin, ohne daß ich etwas von dem verspürte, was ich gefürchtet hatte.

»Damit man mein Mißtrauen nicht wahrnähme, war ich darauf bedacht, die Flasche halb zu leeren.

»Der Abend kam, doch so finster es auch wurde, so begannen meine Augen sich daran zu gewöhnen; mitten in der Dunkelheit sah ich, wie der Tisch versank. Nach einer Viertelstunde kam er wieder mit meinem Abendbrod beladen, und einen Augenblick nachher wurde mein Zimmer mit derselben Lampe beleuchtet.

»Ich war entschlossen, nur Speisen zu mir zu nehmen, in welche man unmöglich Schlafmittel mischen konnte; zwei Eier und etwas Obst bildeten mein Mahl, dann schöpfte ich ein Glas Wasser aus meiner Schutzquelle und trank es.

»Bei dem ersten Schlucke kam es mir vor, als hätte es nicht mehr denselben Geschmack, wie am Morgen; ein jäher Verdacht regte sich in mir; ich hielt inne, aber ich hatte bereits ein halbes Glas getrunken. Den Rest goß ich mit Abscheu aus und wartete mit Angstschweiß auf der Stirne.

»Ohne Zweifel hatte mich ein unsichtbarer Zeuge Wasser aus dem Brunnen nehmen sehen und benützte gerade mein Vertrauen, um meinen so kalt beschlossenen, so grausam verfolgten Untergang sicher zu bewerkstelligen.

»Es verging keine halbe Stunde, als dieselben Symptome wieder eintraten; nur kämpfte ich länger, da ich kaum ein halbes Glas Wasser getrunken hatte, und statt gänzlich zu entschlummern, verfiel ich in eine Art von Betäubung, die mir das Gefühl von Allem, was um mich her vorging, ließ, ohne daß ich zu fliehen vermochte.

»Ich schleppte mich nach meinem Bette, um dort das einzige Vertheidigungsmittel zu suchen, das mir übrig blieb, mein Rettungsmesser, aber ich war nicht im Stande, das Kopfkissen zu erreichen, sank in die Kniee und klammerte mich mit den Händen an eine der Bettsäulen an.«

Felton wurde furchtbar bleich und ein krampfhafter Schauer durchlief seinen ganzen Körper.

»Das Gräßlichste dabei war,« fuhr Mylady mit bebender Stimme fort, als ob sie noch mit derselben Angst erfüllt wäre, wie in jenem furchtbaren Augenblicke, »das Gräßlichste dabei war, daß ich dießmal das Bewußtsein der Gefahr hatte, die mich bedrohte, daß meine Seele, so zu sagen, in meinem entschlummerten Körper wachte, daß ich sah und hörte: Alles dies freilich nur wie in einem Traum, aber darum war es nicht minder peinlich.

»Ich sah die Lampe, welche hinaufgezogen wurde und mich allmälig in der Finsterniß ließ.

»Dann hörte ich das Geräusch der Thüre, das mir so wohl bekannt war, obgleich sich diese Thüre nur zweimal geöffnet hatte.

»Ich fühlte instinktmäßig, daß man sich mir näherte; man sagt, der Unglückliche, der in den Wüsten Amerikas umherirre, fühle auf solche Art die Annäherung der Schlange.

»Ich wollte meine Kräfte zusammenraffen, ich versuchte zu schreien; durch eine unglaubliche Willensanstrengung hob ich mich sogar in die Höhe, doch nur, um sogleich wieder zurückzufallen.«

»Aber sagt mir endlich, wer war denn Euer Verfolger?« rief der junge Offizier.

Mylady überschaute mit einem Blicke, welche Pein sie Felton dadurch verursachte, daß sie bei allen Einzelnheiten ihrer Geschichte so lange verweilte; aber sie wollte ihm keine Folter ersparen. Je mehr sie ihm das Herz zu brechen vermochte, desto gewisser mußte er sie rächen. Sie fuhr also dießmal ebenfalls fort, als ob sie seinen Ausruf nicht gehört hätte, oder als ob sie glaubte, der Augenblick, ihm zu antworten, sei noch nicht gekommen.

»Als er mich anblickte, hörte ich ihn schreien: »»Diese elenden Puritaner! ich wußte wohl, daß sie ihre Henker ermüdeten, hielt sie aber für minder stark gegen ihre Verführer.««

Felton hörte zu, ohne daß er etwas Anderes vernehmen ließ, als eine Art von Schnauben; der kalte Schweiß rieselte von seiner Marmorstirne, und seine unter dem Rock verborgene Hand zerfleischte seine Brust.

»Meine erste Bewegung,« fuhr Mylady fort, »als ich zu mir selbst kam, war, daß ich unter dem Kopfkissen das Messer suchte, welches ich nicht hatte erreichen können; hatte es nicht zur Verteidigung gedient, so konnte es wenigstens zur Sühnung dienen.

»Als ich aber dieses Messer ergriff, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Ich habe geschworen, Euch Alles zu sagen und werde Euch Alles sagen; ich habe Euch Wahrheit versprochen und werde mein Wort halten, und sollte ich dabei zu Grunde gehen.«

»Es kam Euch der Gedanke, an diesem Menschen Rache zu nehmen, nicht wahr?« rief Felton.

»Nun! ja,« erwiderte Mylady, »ich weiß wohl, dieser Gedanke ziemte sich nicht für eine Christin. Ohne Zweifel blies ihn der ewige Feind unserer Seele meinem Geiste ein. Nun, was soll ich Euch noch weiter sagen, Felton,« fuhr Mylady mit dem Tone eines Weibes fort, das sich eines Verbrechens anklagt, »dieser Gedanke kam mir und verließ mich nicht mehr. Für diese mörderische Absicht habe ich jetzt vielleicht die Strafe zu tragen.«

»Fahrt fort, fahrt fort,« rief Felton, »es drängt mich, Euch zur Rache gelangen zu sehen.«

»Oh! ich beschloß, sie so bald als möglich in das Werk zu setzen, ich zweifelte nicht daran, daß er in der nächsten Nacht wieder kommen würde. Bei Tage hatte ich nichts zu befürchten.

»Als die Frühstücksstunde kam, zögerte ich nicht zu essen und zu trinken; ich war entschlossen, mich zu stellen, als speise ich auch zu Nacht, aber nichts zu mir zu nehmen, und mußte also durch die Nahrung am Morgen das Fasten am Abend bekämpfen.

»Von meinem Frühstück nahm ich ein Glas Wasser und verbarg es, weil mich der Durst am meisten gepeinigt hatte, als ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank geblieben war.

»Der Tag verging ohne einen andern Einfluß auf mich, als daß er mich in meinem Entschluß bestärkte; nur war ich dafür besorgt, daß mein Gesicht durch Nichts den Gedanken meiner Seele kundgab, denn ich zweifelte nicht daran, daß man mich beobachtete; wiederholt fühlte ich sogar ein Lächeln auf meinen Lippen. Felton, ich wage es nicht, Euch zu gestehen, bei welchem Gedanken ich lächelte, Ihr könntet von Abscheu gegen mich ergriffen werden.«

»Fahrt fort, fahrt fort,« sprach Felton, »Ihr seht wohl, daß ich höre, und daß es mich drängt, zum Ende zu gelangen.«

»Der Abend kam,« fuhr Mylady fort, »die gewöhnlichen Ereignisse traten ein; mein Abendbrod wurde wie in den vorhergehenden Tagen in der Dunkelheit servirt, dann erleuchtete sich die Lampe und ich setzte mich zu Tische.

»Ich aß nur etwas Obst, stellte mich, als ob ich ein wenig Wasser aus der Flasche einschenkte, trank sodann dasjenige, das ich mir in meinem Glase aufbewahrt hatte, suchte dabei jedoch so geschickt zu manövriren, daß meine Spione, wenn ich welche hatte, keinen Verdacht schöpfen konnten.

»Nach dem Abendbrod gab ich dieselben Zeichen der Erstarrung kund, wie am Tage vorher, aber diesmal that ich, als ob ich entschlummerte, wie wenn ich der Müdigkeit unterläge, oder wie wenn ich mich an die Gefahr gewöhnt hätte.

»Nun fand ich mein Messer, und während ich mich schlafend stellte, preßte ich krampfhaft das Heft in der Hand.

»Es vergingen zwei Stunden, ohne daß etwas Neues vorfiel. Jetzt, o mein Gott! wer mir das am Tage vorher gesagt hätte, jetzt fürchtete ich, er könnte nicht kommen.

»Endlich sah ich die Lampe sachte sich erheben und in der Vertiefung das Plafond verschwinden; mein Zimmer erfüllte sich mit Finsterniß, aber ich strengte mich an, die Dunkelheit mit meinem Blicke zu durchdringen.

»Es gingen etwa zehn Minuten vorüber, ich hörte kein anderes Geräusch, als die Schläge meines Herzens.

»Ich flehte den Himmel an, er möge ihn kommen lassen.

»Endlich hörte ich das bekannte Knarren der Thüre, die sich öffnete und wieder schloß. Trotz eines dicken Teppichs erdröhnte der Boden unter einem Tritte und ich sah unerachtet der Finsterniß einen Schatten, der sich mir näherte.«

»Eilt, eilt!« unterbrach Felton die Erzählerin, »seht Ihr nicht, daß mich jedes Eurer Worte brennt, wie geschmolzenes Blei?«

»Da raffte ich alle meine Kräfte zusammen,« fuhr Mylady fort; »ich erinnerte mich, daß die Stunde der Rache oder vielmehr der Gerechtigkeit geschlagen hatte, ich sah mich wie eine zweite Judith an, ich hielt mein Messer in der Hand, und als ich bemerkte, daß er mir nahe genug war, stieß ich es ihm mit einem letzten Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung mitten auf die Brust.

»Der Elende! er hat Alles vorhergesehen, seine Brust war durch ein Panzerhemd beschützt, die Messerspitze sprang ab.

»»Ah! ah!« rief er, indem er mich beim Arme ergriff und mir die Waffe entriß, die mich so schlecht bedient hatte, »»Ihr trachtet mir nach dem Leben, schöne Puritanerin; aber das ist mehr als Haß, das ist Undankbarkeit. Beruhigt Euch, mein schönes Kind; ich glaubte, Ihr wäret zahm geworden. Ich bin keiner von den Tyrannen, welche die Frauen mit Gewalt zurückhalten. Ihr liebt mich nicht? Ich bezweifelte es in meiner Eitelkeit, nun bin ich überzeugt. Morgen seid Ihr frei.««

»Ich hatte nur ein einziges Verlangen, nämlich von ihm getödtet zu werden.

»»Nehmt Euch in Acht,«« sprach ich, »»denn meine Freiheit ist Eure Schande.««

»»Erklärt Euch deutlicher, schöne Sibylle.««

»»Ja, denn sobald ich diesen Ort verlassen habe, sage ich Alles; ich sage, welche Gewaltthat Ihr an mir verübt habt; mit lauter Stimme erzähle ich der Welt von meiner Gefangenschaft, von diesem Schlosse der Ehrlosigkeit. Ihr seid sehr hoch gestellt, aber zittert! Ueber Euch ist ein König! über dem König lebt ein Gott!««

»So sehr mein Verfolger noch Herr über sich zu sein schien, so vermochte er doch eine Bewegung des Zornes nicht zu bewältigen. Ich konnte den Ausdruck seines Gesichtes nicht sehen, aber ich fühlte, wie sein Arm zitterte, auf. dem meine Hand lag. »»Dann werdet Ihr nicht von hinnen gehen,«« sprach er.

»»Gut! gut!«« rief ich, »»die Stelle meines Todes wird auch die Stelle meines Grabes sein. Ich werde hier sterben, und Ihr werdet sehen, ob ein Gespenst, das anklagt, nicht furchtbarer ist, als ein Lebender mit allen seinen Drohungen.««

»»Man wird Euch keine Waffen lassen.««

»»Es gibt eine, welche die Verzweiflung jedem Menschen zugänglich gemacht hat, wenn er nur den Muth besitzt, sich ihrer zu bedienen. Ich werde mich aushungern.««

»»Hört,«« sprach der Elende, »»ist der Friede nicht mehr werth, als ein solcher Krieg? Ich schenke Euch sogleich die Freiheit, ich erkläre Euch für eine Tugend, ich nenne Euch die Lukretia Englands.««

»»Und ich sage, daß Ihr der Sextus seid, ich klage Euch vor den Menschen an, wie ich Euch vor Gott angeklagt habe, und wenn es sein muß, unterzeichne ich, wie Lucretia, meine Anklage mit Blut.««

»»Ah! ah!«« erwiderte mein Feind mit spöttischem Tone, »»das ist etwas Anderes. Meiner Treu, Ihr seid im Ganzen hier sehr gut, es soll Euch an nichts fehlen, und wenn Ihr Hungers sterbt, so ist es Eure eigene Schuld.««

»Nach diesen Worten entfernte er sich, ich hörte die Thüre öffnen und schließen. Ich war wie niedergeschmettert, und zwar, das gestehe ich, weniger durch meinen Schmerz, als durch die Schmach, nicht gerächt zu sein.

»Er hielt Wort. Der ganze Tag, die ganze Nacht verging, ohne daß ich ihn wieder sah, aber auch ich hielt Wort und berührte weder Speise noch Trank, denn ich war entschlossen, mich durch den Hunger zu tödten.

»Ich brachte den Tag und die Nacht in Gebeten hin, denn ich hoffte, Gott würde mir meinen Selbstmord vergeben.

»In der zweiten Nacht öffnete sich die Thüre. Ich lag auf dem Boden, die Kräfte verließen mich allmälig.

»Bei dem Geräusch richtete ich mich auf eine Hand auf.

»»Nun!«« sprach eine Stimme, die zu furchtbar in meinen Ohren klang, als daß ich sie nicht hätte erkennen sollen, »»nun! sind wir ein wenig besänftigt, werden wir unsere Freiheit mit dem einfachen Versprechen zu schweigen bezahlen? Hört, ich bin ein guter Mensch,«« fügte er bei, »»und obgleich ich die Puritaner nicht liebe, lasse ich ihnen, wie den Puritanerinnen, wenn sie hübsch sind, Gerechtigkeit widerfahren. Auf, leistet mir einen kleinen Eid auf das Kreuz, mehr verlange ich nicht.««

»»Auf das Kreuz!«« rief ich mich erhebend, denn beim Ton der verhaßten Stimme hatte ich meine ganze Kraft wieder gewonnen: »»auf das Kreuz schwöre ich, daß kein Versprechen, keine Drohung, keine Marter mir den Mund verschließen soll; auf das Kreuz schwöre ich Euch als einen Mörder, als einen Ehrenräuber, als einen Elenden anzuklagen; auf das Kreuz schwöre ich, daß ich, wenn es mir je gelingt, diesen Ort zu verlassen, im Namen des ganzen Menschengeschlechts Rache gegen Euch fordern werde.««

»»Nehmt Euch in Acht,«« erwiderte er mit einer drohenden Betonung, die ich noch nicht von ihm gehört hatte, »»es steht mir ein Mittel zu Gebot, das ich nur im äußersten Falle anwenden werde, um Euch den Mund zu verschließen, oder wenigstens zu verhindern, daß man auch nur ein Wort von dem glaubt, was Ihr aussagt.««

»Ich raffte alle meine Kräfte zusammen, um ihm mit einem schallenden Gelächter zu antworten …

»Er sah, daß unter uns nun ein Krieg auf Leben und Tod ausgebrochen war.

»»Hört,«« sagte er, »»ich gebe Euch noch den Rest der Nacht und den morgigen Tag. Bedenkt wohl. Versprecht zu schweigen, und Reichthum, Achtung, Ehre soll Euch umgeben; droht Ihr zu sprechen, so überantworte ich Euch der Schande.«« »»Ihr?«« rief ich, »»Ihr?««

»»Der ewigen, untilgbaren Schande.«« »»Ihr?«« wiederholte ich. »Ah! ich sage Euch, Felton, ich hielt ihn für wahnsinnig.

»»Oh! laßt mich,«« rief ich, »»geht, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mir in Eurer Gegenwart die Hirnschale an der Wand zerschmettere.««

»»Gut, Ihr wollt es so haben; morgen Abend also.«« »»Morgen Abend,«« erwiderte ich, sank auf den Boden nieder und biß vor Wuth in den Teppich.«

Felton stützte sich auf einen Schrank und Mylady sah mit teuflischer Freude, daß der junge Offizier vielleicht nicht die Kraft haben würde, die Erzählung bis zu Ende zu hören.

XXIX.

Ein Vorwurf zu einer klassischen Tragödie.

Nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen Mylady den jungen Offizier, der ihr zuhörte, zu beobachten beschäftigt war, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:

»Ich hatte beinahe drei Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und war furchtbaren Qualen preisgegeben; zuweilen zog es wie Wolken über meine gepreßte Stirne hin, meine Augen verschleierten sich, meine Gedanken geriethen in Verwirrung.

»Der Abend kam; ich war so schwach, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht sank, und so oft ich ohnmächtig wurde, dankte ich Gott, denn ich glaubte, mein Tod nahe heran.

»Mitten in einer solchen Ohnmacht hörte ich, daß sich die Thüre öffnete. Der Schrecken brachte mich zum Bewußtsein.

»Mein Verfolger trat mit einem maskirten Manne ein; er war selbst maskirt; ich erkannte seinen Tritt, ich erkannte seine Stimme, ich erkannte das imposante Wesen, das die Hölle seiner Person zum Unglück der Menschheit verliehen hat.

»»Nun!«« sprach er, »»seid Ihr entschlossen, mir den Eid zu leisten, den ich von Euch verlange?««

»»Ihr habt es gesagt, die Puritaner haben nur ein Wort: das meinige habt Ihr vernommen, ich habe mir angelobt. Euch auf Erden vor dem Gerichte der Menschen, im Himmel vor dem Gerichte Gottes zu verfolgen!««

»»Ihr beharrt also auf Eurer Absicht?««

»»Ich schwöre es vor Gott, der mich hört; ich nehme die ganze Welt zum Zeugen Eures Verbrechens, und zwar bis ich einen Rächer gefunden habe.««

»»Ihr seid eine Metze,«« rief er mit einer Donnerstimme, »»und sollt die Strafe der Metzen erdulden! … Gebrandmarkt in den Augen der Welt, die Ihr anrufen wollt, versucht es dieser Welt zu beweisen, daß Ihr weder wahnwitzig noch schuldig seid.««

»Dann wandte er sich an seinen Begleiter mit den Worten: »»Henker, thue Deine Schuldigkeit.««

»Oh! seinen Namen! seinen Namen!« rief Felton abermals; »nennt mir seinen Namen.«

»Trotz meines Geschreis, trotz meines Widerstands, denn ich fing nun an, zu begreifen, daß es sich für mich um etwas Schlimmeres, als um den Tod handelte, packte mich der Henker, warf mich zu Boden, schnürte mir die Arme fest zusammen, und vom Schluchzen halb erstickt, beinahe ohne Bewußtsein, Gott anrufend, der mich nicht hörte, stieß ich plötzlich einen furchtbaren Schrei des Schmerzes und der Schande aus: ein glühendes Eisen, ein rothes Eisen, das Eisen des Henkers hatte man auf meine Schulter gedrückt.«

Felton schnaubte und brüllte.

»Seht,« sprach Mylady, sich mit der Majestät einer Königin erhebend, »seht Ihr, wie man für das reine Mädchen, das ein Opfer der Rohheit eines heillosen Missethäters war, ein neues Märtyrthum ersonnen hatte. Lernt das Herz der Menschen kennen, und dient von nun an minder leicht als Werkzeug ihrer ungerechten Rache.«

Mit einer raschen Bewegung öffnete Mylady ihr Kleid, zerriß den Batist, welcher ihre Schulter bedeckte, und zeigte, roth vor geheucheltem Zorn und gespielter Scham, dem jungen Manne das untilgbare Mal, das ihre so schöne Schulter entehrte.

»Aber ich sehe hier eine Lilie,« rief Felton.

»Darin liegt gerade die Niederträchtigkeit,« antwortete Mylady, »die Brandmarkung von Frankreich! … Er hätte beweisen müssen, von welchem Tribunal mir diese aufgedrückt worden sei, und ich hätte einen öffentlichen Aufruf an alle Gerichte des Königreichs ergehen lassen. Aber durch die Brandmarkung von Frankreich war ich wirklich gebrandmarkt.«

Das war zu viel für Felton. Bleich, unbeweglich, niedergeschmettert durch diese furchtbare Enthüllung, geblendet durch die übermenschliche Schönheit dieser Frau, die sich mit einer Schamlosigkeit vor ihm enthüllte, welche er erhaben fand, stürzte er endlich vor ihr auf die Kniee nieder, wie dies die ersten Christen vor jenen heiligen Märtyrerinnen thaten, welche die Verfolgung der Kaiser im Circus der blutgierigen Lüsternheit des Pöbels bloßstellte. Das Brandmal verschwand, die Schönheit allein blieb übrig!

»Vergebung, Vergebung!« rief Felton, »o Vergebung!«

Mylady las in seinen Augen: Liebe, Liebe!

»Vergebung, wofür?« fragte sie.

»Vergebung dafür, daß ich mit Euren Verfolgern in Verbindung stand.«

Mylady reichte ihm die Hand.

»So schön! so jung!« rief Felton und bedeckte ihre Hand mit Küssen.

Mylady ließ einen jener Blicke, die einen Sklaven zum König machen, auf ihn fallen.

Felton war Puritaner. Er ließ die Hand dieser Frau los, um ihr die Füße zu küssen.

Er liebte sie bereits nicht mehr, er betete sie an.

Als diese Krise vorüber war, als Mylady ihre Kaltblütigkeit, die sie nie verlassen hatte, wieder gewonnen zu haben schien, sprach er:

»Und nun habe ich Euch nur Eines noch zu sagen: nennt mir den Namen Eures wahren Henkers, denn für mich gibt es nur einen; der andere war das Werkzeug und nicht mehr.«

»Wie, Bruder!« rief Mylady, »ich soll ihn Dir nennen und Du hast ihn noch nicht errathen?«

»Wie!« versetzte Felton, »Er! … abermals er! – immer er! … Er, der wahre Schuldige?«

»Der wahre Schuldige ist der Verwüster Englands, der Verfolger der ächten Gläubigen, der feige Räuber der Ehre so vieler Frauen! Er, der aus einer Laune seines verdorbenen Herzens so viel Blutvergießen über England bringt, der heute die Protestanten beschützt, und sie morgen verrathen wird.«

»Buckingham! also Buckingham!« rief Felton außer sich.

Mylady verbarg ihr Gesicht in den Händen, als vermöchte sie die Schmach nicht zu ertragen, an welche dieser Mann sie erinnerte.

»Buckingham! der Henker dieses engelreinen Geschöpfes!« rief Felton. »Und Du hast ihn nicht mit Deinem Donner niedergeschmettert, mein Gott! und Du lässest ihn erhaben, geehrt, mächtig, zu unser aller Verderben!«

»Gott verläßt den, der sich selbst verläßt,« sprach Mylady.

»Er will also auf sein Haupt die Strafe der Verdammten herabrufen,« fuhr Felton mit wachsender Begeisterung fort. »Die menschliche Rache soll also der göttlichen Rache zuvorkommen!«

»Die Menschen fürchten und schonen ihn.«

»Oh, ich fürchte ihn nicht und werde ihn nicht schonen!« rief Felton.

Myladys Seele schwamm in höllischer Freude.

»Aber in welchem Zusammenhange,« fragte Felton, »steht Lord Winter, mein Beschützer, mein Vater, mit Allem dem?«

»Hört, Felton,« erwiderte Mylady, »neben feigen und verächtlichen Menschen finden sich erhabene, edelmüthige Naturen; ich hatte einen Bräutigam, einen Mann, der mich liebte und den ich liebte, ein Herz wie das Eurige, Felton, einen Mann, wie Ihr. Ich ging zu ihm und erzählte ihm Alles. Er kannte mich und zweifelte nicht einen Augenblick. Er war ein hochgestellter Herr, in allen Beziehungen Buckingham gleich. Er sprach nichts, gürtete nur sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel, und begab sich nach Buckingham Palace.«

»Ich begreife,« sagte Felton, »obgleich man gegen solchen Menschen nicht das Schwert, sondern den Dolch brauchen muß.«

»Buckingham war am Tage vorher abgereist, als Botschafter nach Spanien geschickt, wo er um die Hand der Infantin für König Karl I., der damals noch Prinz von Wales war, werben sollte. Mein Bräutigam kam zurück.«

»»Hört,«« sprach er zu mir, »»dieser Mensch ist abgereist, und folglich für den Augenblick meiner Rache entgangen; aber mittlerweile schließen wir unsere Verbindung, wie wir dies beabsichtigten, und dann baut auf Lord Winter, daß er seiner Ehre und die seiner Gemahlin aufrecht zu erhalten wissen wird.««

»Lord Winter!« rief Felton.

»Ja,« antwortete Mylady, »Lord Winter, und nun begreift Ihr wohl Alles, nicht wahr? Buckingham blieb beinahe ein Jahr abwesend. Acht Tage vor seiner Ankunft starb Lord Winter plötzlich und hinterließ mich als seine einzige Erbin. Woher kam der Schlag? Gott, der Alles weiß, weiß auch dies ohne Zweifel. Ich klage Niemand an.«

»Oh welch ein Abgrund! Welch ein furchtbarer Abgrund!« rief Felton.

»Lord Winter war gestorben, ohne seinem Bruder etwas zu sagen. Das furchtbare Geheimniß sollte vor Allem verborgen bleiben, bis es wie ein Gewitter über dem Haupte des Schuldigen ausbrechen würde; Euer Beschützer hatte nur mit Widerwillen die Heirath seines Bruders mit einem jungen Mädchen ohne Vermögen angesehen. Ich fühlte, daß ich keine Stütze bei einem Manne zu erwarten hatte, der in seinen Erbschaftshoffnungen betrogen worden war, und zog nach Frankreich, entschlossen, mein ganzes übriges Leben daselbst zuzubringen. Aber da sich mein Vermögen in England befand, und jede Verbindung durch den Krieg abgebrochen war, so fehlte es mir an Allem, und ich sah mich genöthigt, dahin zurückzukehren. Vor sechs Tagen landete ich in Portsmouth.«

»Was geschah weiter?« fragte Felton.

»Buckingham erfuhr ohne Zweifel meine Rückkehr, er sprach darüber mit Lord Winter und sagte ihm, seine Schwägerin sei eine Geschändete, eine Gebrandmarkte. Die edle, reine Stimme meines Gatten konnte mich nicht mehr vertheidigen. Lord Winter glaubte Alles, was man ihm sagte, um so leichter, als er ein Interesse dabei hatte, es zu glauben. Er ließ mich verhaften und hierher führen, und stellte mich unter Eure Obhut. Das Uebrige wißt Ihr. Uebermorgen deportirt er mich. Uebermorgen schickt er mich in die Verbannung unter ehrlose Verbrecher. Oh! der Faden ist gut gesponnen, das Complott ist geschickt angelegt, aber meine Ehre wird es nicht überleben. Ihr seht wohl, daß ich sterben muß, Felton. Felton, gebt mir das Messer!«

Und nach diesen Worten sank Mylady, als ob alle ihre Kräfte erschöpft wären, schwach und schmachtend in die Arme des jungen Offiziers.

»Nein, nein!« rief er, »nein. Du sollst leben, rein und geehrt. Du sollst über Deine Feinde triumphiren!«

Mylady stieß ihn sachte mit der Hand zurück, während sie ihn mit dem Blicke anzog.

»O den Tod! den Tod!« sprach sie, die Stimme und die Augen verschleiernd. »O lieber den Tod, als die Schande! … Felton, mein Bruder, mein Freund, ich beschwöre Dich!«

»Nein,« rief Felton, »nein. Du sollst leben und gerächt werden.«

»Felton, ich bringe Unglück über Alles, was mich umgibt. Felton, verlaß mich! Felton, laß mich sterben!«

»Wohl, so sterben wir mit einander!« rief er.

Es tönten mehrere Schläge an der Thüre.

»Horch!« sprach sie, »man hat uns belauscht; man kommt! Es ist vorbei; wir sind verloren.«

»Nein,« sprach Felton, »es ist die Wache, welche mir meldet, daß eine Runde kommt.«

»Dann eilt an die Thüre und öffnet selbst.«

Felton gehorchte. Diese Frau war bereits sein ganzer Gedanke, seine ganze Seele.

Er stand dem Sergenten gegenüber, der eine Wachpatrouille commandirte.

»Was gibt es?« fragte der Offizier.

»Ihr habt mir gesagt, ich solle die Thüre öffnen, wenn ich um Hülfe rufen höre, aber Ihr vergaßt, mir den Schlüssel zu lassen. Ich hörte Euch rufen, ohne daß ich verstand, was Ihr verlangtet, und wollte die Thüre öffnen, aber sie war von innen verschlossen, und ich rief deßhalb den Sergenten.«

»Und hier bin ich,« sagte der Sergent.

Verwirrt, beinahe verrückt, blieb Felton lautlos.

Mylady betriff, daß sie sich der Lage der Dinge bemächtigen mußte. Sie lief nach dem Tische und ergriff das Messer, welches Felton darauf gelegt hatte.

»Und mit welchem Rechte wollt Ihr mich hindern zu sterben?« fragte sie.

»Großer Gott!« rief Felton, als er das Messer in ihrer Hand blinken sah.

In diesem Augenblick erscholl ein ironisches Gelächter in der Flur.

Von dem Geräusche herbeigezogen, stand der Baron im Schlafrocke, den Degen unter dem Arm, auf der Thürschwelle.

»Ah! ah!« sagte er, »wir sind im letzten Akte der Tragödie angelangt. Ihr seht, Felton, das Drama hat alle von mir bezeichneten Phasen durchgemacht; aber seid unbesorgt, das Blut wird nicht fließen.«

Mylady begriff, daß sie verloren war, wenn sie nicht Felton einen unmittelbaren und furchtbaren Beweis von ihrem Muthe gab.

»Ihr täuscht Euch, Mylord, das Blut wird fließen. Möge es auf diejenigen zurückfallen, welche es fließen lassen!«

Felton stieß einen Schrei aus und stürzte auf sie zu. Es war zu spät, Mylady hatte gestochen.

Aber das Messer hatte glücklicher Weise – wir sollten sagen geschickter Weise – das stählerne Planchet getroffen, das in jener Zeit wie ein Panzer die Brust der Frauen beschützte. Es hatte das Kleid zerrissen, war aber dann abgeglitten und schräg zwischen dem Fleisch und den Rippen eingedrungen.

Myladys Kleid war darum nicht minder in einer Sekunde mit Blut befleckt.

Mylady sank zurück und schien ohnmächtig. Felton entriß ihr das Messer.

»Seht, Mylord,« sprach er mit düsterer Miene. »Diese Frau war unter meine Obhut gestellt und hat sich getötet.«

»Seid unbesorgt, Felton,« sprach Lord Winter, »sie ist nicht tot. Die Teufel sterben nicht so leicht; seid unbesorgt, erwartet mich in meinem Zimmer.«

»Aber, Mylord …«

»Geht, ich befehle es Euch!«

Felton gehorchte dem Befehl seines Vorgesetzten, aber er steckte das Messer in seinen Busen, als er sich entfernte.

Lord Winter begnügte sich, die Frau zu rufen, welche Mylady bediente, und als diese gekommen war, empfahl er ihr die noch immer ohnmächtige Gefangene und ließ sie mit dieser allein.

Da jedoch die Wunde trotz seines Argwohns von Bedeutung sein konnte, so schickte er sogleich einen Reitenden ab, um den Arzt zu holen.

III.

Engländer und Franzosen.

Zur bestimmten Stunde begab man sich mit den vier Lakaien hinter dem Luxemburg in ein Gehege, das den Ziegen überlassen war, Athos gab dem Ziegenhirten ein Geldstück, damit er sich entferne. Die Lakaien mußten Wache halten.

Bald näherte sich eine stillschweigende Truppe demselben Gehege, trat ein und stieß zu den Musketieren. Dann fanden nach den englischen Gebräuchen die Vorstellungen statt.

Die Engländer waren insgesammt Leute von hohem Stande; die bizarren Namen der drei Freunde wurden deßhalb für sie ein Gegenstand, nicht nur des Erstaunens, sondern auch der Unruhe.

»Bei Allem dem,« sprach Lord Winter, als die Freunde genannt waren, »bei Allem dem wissen wir nicht, wer Ihr seid, und wir schlagen uns mit solchen Namen nicht. Das sind ja wahre Schäfernamen.« – »Es sind auch, wie Ihr voraussetzt, Mylord, nur falsche Namen.« – »Um so mehr müssen wir darauf bestehen, die wahren Namen zu erfahren,« antwortete der Engländer. – »Ihr habt doch auch gegen uns gespielt, ohne uns zu kennen,« sagte Athos, »und uns dabei unsere zwei Pferde abgenommen.« – »Das ist wahr, aber wir wagten nur unsere Pistolen. Diesmal setzen wir unser Blut ein. Man spielt mit der ganzen Welt, aber man schlägt sich nur mit Seinesgleichen. – »Das ist richtig,« sprach Athos.

Und er nahm denjenigen von den vier Engländern, mit welchem er sich schlagen sollte, bei Seite und nannte ihm ganz leise seinen Namen. Porthos und Aramis thaten ihrerseits dasselbe.

»Genügt das,« sprach Athos zu seinem Gegner, »und findet Ihr meine Abkunft vornehm genug, um mir die Gnade zu erzeigen, den Degen mit mir zu kreuzen?« – »Ja, mein Herr,« antwortete der Engländer sich verbeugend. – »Gut! soll ich Euch nun etwas sagen?« versetzte Athos kalt. – »Was?« fragte der Engländer. – »Ihr hättet viel besser daran gethan, nicht von mir zu fordern, daß ich meinen Namen nenne.« – »Warum dies?« – »Weil man mich für tot hält, und ich aus Gründen wünschen muß, daß man mein Leben nicht erfahre, ich werde deßhalb genöthigt sein, Euch zu töten, damit mein Geheimniß nicht in der Welt herumgetragen wird.«

Der Engländer schaute Athos an und glaubte, dieser scherze; aber Athos scherzte durchaus nicht.

»Meine Herren,« sagte Athos, sich an seine Gefährten und an seine Gegner wendend, »sind wir fertig?« – »Ja« antworteten einstimmig Engländer und Franzosen. – »Dann legt Euch aus!« sprach Athos.

Und alsbald glänzten acht Degen in den Strahlen der untergehenden Sonne, und rasch begann der Kampf mit einer Erbitterung, die bei dem gegenseitigen Nationalhaß ganz natürlich war.

Athos focht mit eben so viel Ruhe und Methode, als ob er in einem Fechtsaal stände.

Porthos, dem sein Abenteuer in Chantilly ohne Zweifel etwas von seinem allzu großen Selbstvertrauen benommen hatte, spielte den Feinen und Klugen.

Aramis, der den dritten Gesang seines Gedichtes vollenden wollte, arbeitete wie ein Mann der große Eile hat.

Athos tötete zuerst seinen Gegner. Er hatte ihm nur einen Stoß beigebracht, aber dieser war, wie er vorhergesehen tötlich gewesen; der Degen drang durch das Herz.

Porthos streckte hierauf seinen Gegner zu Boden; er hatte ihm den Schenkel durchstochen. Da ihm der Engländer seinen Degen übergab, so nahm er ihn in seine Arme und trug ihn in seinen Wagen.

Aramis bedrängte seinen Gegenkämpfer so kräftig, daß er ihn, nachdem er ihn beinahe fünfzig Schritt weit über die Mensur getrieben hatte, kampfunfähig machte.

D’Artagnan trieb ganz einfach ein Vertheidigungsspiel. Als er seinen Gegner sehr ermüdet sah, schlug er ihm mit einem sehr heftigen Quartstoß den Degen aus der Faust. Sobald der Baron sich entwaffnet sah, machte er ein paar Schritte rückwärts, aber bei dieser Bewegung glitt sein Fuß und er fiel auf die Erde.

D’Artagnan war mit einem Sprung auf ihm und setzte ihm den Degen an die Kehle.

»Ich könnte Euch töten, mein Herr,« sagte er zu dem Engländer, »und Ihr seid in meinen Händen, aber ich schenke Euch Eurer Schwester zu Liebe das Leben.«

D’Artagnan war im höchsten Grad erfreut: jetzt war der Plan verwirklicht, den er im Voraus gefaßt, und dessen Entwickelung das von uns besprochene Lächeln auf sein Gesicht gerufen hatte.

Entzückt darüber, daß er es mit einem Edelmann von so schönem Charakter zu thun hatte, schloß der Engländer d’Artagnan in seine Arme, sagte den drei Musketieren tausend Schmeicheleien, und da der Gegner von Porthos bereits in seinen Wagen gebracht war und der von Aramis sich aus dem Staube gemacht hatte, so dachte man nur noch an den Toten.

Als Porthos und Aramis in der Hoffnung, seine Wunde würde nicht tötlich sein, ihn entkleideten, fiel eine schwere Börse aus seinem Gürtel. D’Artagnan hob sie auf und reichte sie Lord Winter.

»Ei! den Teufel, was soll ich denn damit machen?« sprach der Engländer. – »Gebt diese Börse seiner Familie zurück,« erwiderte d’Artagnan. – »Seine Familie kümmert sich viel um eine solche Erbärmlichkeit! sie erbt eine Rente von fünfzehntausend Louisd’or. Behaltet diese Börse für Eure Lakaien!«

Während dieser Zeit hatte sich Athos seinem Freund d’Artagnan genähert.

»Nein,« sprach er, »geben wir die Börse nicht unsern Lakaien, sondern den englischen.«

Athos nahm die Börse, warf sie dem Kutscher in die Hand und rief: »Für Euch und Eure Kameraden.«

Diese Großartigkeit der Manieren bei einem gänzlich entblößten Menschen setzte sogar Porthos in Erstaunen, und diese französische Freigebigkeit hatte, von Lord Winter und seinem Freunde wieder erzählt, überall, nur nicht bei den Herrn Grimaud, Mousqueton, Planchet und Bazin, den günstigen Erfolg.

»Und nun, mein junger Freund, denn ihr erlaubt mir hoffentlich, daß ich Euch diesen Namen gebe,« sagte Lord Winter; »noch diesen Abend, wenn es Euch genehm ist, stelle ich Euch Lady Clarick, meiner Schwester, vor, denn sie soll Euch ebenfalls gewogen werden, und da sie bei Hof nicht übel angeschrieben ist, so wird vielleicht in Zukunft ein Wort von ihr nicht unvortheilhaft für Euch sein.«

D’Artagnan erröthete vor Vergnügen und verbeugte sich zum Zeichen der Einwilligung.

Lord Winter gab d’Artagnan, ehe er ihn verließ, die Adresse seiner Schwester; sie wohnte auf der Place Royale, was damals das vornehmste Quartier war, Nro. 6. Ueberdies machte er sich anheischig, ihn zum Behuf der Vorstellung abzuholen. D’Artagnan gab ihm um acht Uhr bei seinem Freunde Athos Rendezvous.

Diese Vorstellung bei Mylady nahm den Kopf unseres Gascogners gewaltig in Anspruch. Er erinnerte sich, auf welch seltsame Weise diese Frau bis jetzt in sein Geschick verwickelt gewesen war. Nach seiner Ueberzeugung war sie ein Geschöpf des Kardinals, und dennoch sah er sich unwiderstehlich durch eines jener Gefühle, von denen man sich keine Rechenschaft gibt, zu ihr hingezogen. Er fürchtete nur, Mylady möchte in ihm den Mann von Meung und Dover wieder erkennen. Dann würde sie wissen, daß er einer von den Freunden des Herrn von Treville war und folglich mit Leib und Seele dem König gehörte, wodurch er gleich einen Theil seiner Vortheile verlieren mußte. Was den Anfang einer Intrigue zwischen ihr und dem Grafen von Wardes betrifft, so kümmerte sich unser junger Mann nur sehr wenig um diesen Umstand, obgleich der Marquis jung, hübsch, reich und bei dem Kardinal sehr in Gunst war. Es will nicht wenig heißen, wenn man zwanzig Jahre zählt, besonders wenn man in Tarbes geboren ist.

D’Artagnan fing damit an, daß er in seinem Zimmer eine glänzende Toilette machte; dann kehrte er zu Athos zurück und erzählte diesem seiner Gewohnheit gemäß Alles. Athos hörte ruhig seine Pläne an, schüttelte sodann den Kopf und empfahl ihm mit einer gewissen Bitterkeit große Vorsicht.

»Wie?« sprach er, »Ihr habt vor Kurzem erst eine Frau verloren, die Ihr gut, schön, vollkommen nanntet, und Ihr lauft bereits einer andern nach?«

D’Artagnan fühlte die Wahrheit dieses Vorwurfs.

»Ich liebe Madame Bonacieux mit dem Herzen, während ich Mylady mit dem Kopfe liebe,« sagte er, »und indem ich mich bei ihr einführen lasse, suche ich mir Licht über die Rolle zu verschaffen, die sie bei Hofe spielt.« – »Welche Rolle sie spielt, bei Gott, das ist nach Allem, was Ihr mir erzählt habt, nicht schwer zu errathen. Sie ist eine Emissärin Richelieus, eine Frau, die Euch in eine Falle locken wird, in der Ihr ganz einfach Euren Kopf lassen müßt.« – »Teufel! Athos, es scheint mir, Ihr seht die Dinge sehr schwarz.« – »Mein Lieber, ich mißtraue den Frauen; was wollt Ihr! ich habe meinen Lohn dahin; und ganz besonders mag ich nichts von den Blonden wissen. Mylady ist blond, sagtet Ihr mir?« – »Sie hat Haare vom schönsten Blond, das man sehen kann.« – »Ah! mein armer d’Artagnan!« rief Athos. – »Hört: ich will mir Licht verschaffen, und wenn ich weiß, was ich wissen will, halte ich mich ferne.« – »Verschafft Euch Licht,« sagte Athos phlegmatisch.

Lord Winter erschien zur bestimmten Stunde, aber zu rechter Zeit benachrichtigt, ging Athos in das zweite Zimmer. Er fand also d’Artagnan allein, und da es beinahe acht Uhr war, so führte er den jungen Mann mit sich fort.

Eine elegante Karrosse wartete vor der Hausthüre; sie war mit zwei vortrefflichen Pferden bespannt, und man hatte in einem Augenblick die Place Royale erreicht.

Mylady Winter empfing d’Artagnan höchst verbindlich.

Ihr Hotel war mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, und sie hatte, obgleich die meisten Engländer durch den Krieg vertrieben, Frankreich verließen oder es zu verlassen im Begriffe waren, neue Ausgaben hiefür gemacht, woraus hervorging, daß die allgemeine Maßregel, wodurch die Engländer entfernt wurden, sie nicht traf.

»Ihr seht hier,« sprach Lord Winter, »Ihr seht hier einen jungen Edelmann, der mein Leben in seinen Händen hatte und keinen Mißbrauch von seinem Vortheil machen wollte, obgleich wir doppelte Feinde waren, einmal weil ich ihn beleidigt hatte, und dann weil ich ein Engländer bin. Dankt ihm also, wenn Ihr einige Freundschaft für mich fühlt.«

Mylady zog die Augenbrauen etwas zusammen, eine kaum bemerkbare Wolke lagerte sich über ihre Stirne, und ein so seltsames Lächeln erschien auf ihren Lippen, daß der junge Mann, der diese dreifache Nuance gewahr wurde, von einem leichten Schauder erfaßt wurde.

Der Bruder sah nichts; er hatte sich umgedreht, um mit dem Lieblingsaffen von Mylady zu spielen, der ihn am Wamms zupfte.

»Seid willkommen, mein Herr,« sprach Mylady mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit den Symptomen schlechter Laune stand, welche d’Artagnan bemerkt hatte, »denn Ihr habt Euch heute ein ewiges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.«

Der Engländer drehte sich jetzt wieder um und erzählte den Kampf, ohne auch nur das Geringste zu übergehen. Mylady hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu; aber wie sehr sie sich auch anstrengte, um ihre Eindrücke zu verbergen, so sah man doch leicht, daß ihr das Gespräch durchaus nicht angenehm war; das Blut stieg ihr in den Kopf und ihr kleiner Fuß bewegte sich unruhig unter dem Kleide.

Lord Winter bemerkte nichts; als er vollendet hatte, näherte er sich einem Tisch, auf welchen man ein silbernes Brett mit einer Flasche spanischem Wein gestellt hatte; er füllte zwei Gläser und lud d’Artagnan ein, zu trinken.

D’Artagnan wußte, daß es eine grobe Unhöflichkeit gegen einen Engländer wäre, auf einen Toast nicht Bescheid zu thun. Er trat an den Tisch und ergriff das zweite Glas, verlor jedoch Mylady nicht aus dem Gesicht, und gewahrte im Spiegel die Veränderung, welche in ihren Zügen vorging. Jetzt, da sie nicht mehr beobachtet zu sein glaubte, belebte ein Gefühl, das der Wildheit glich, ihr Antlitz. Sie biß mit ihren schönen Zähnen in das Taschentuch.

Die hübsche Zofe, welche d’Artagnan bereits gesehen hatte, trat ein; sie sagte einige Worte auf Englisch zu Lord Winter, der augenblicklich, unter Vorschützung dringender Geschäfte, d’Artagnan um Erlaubnis bat, sich entfernen zu dürfen, und seine Schwester ersuchte, Verzeihung für ihn zu erlangen.

D’Artagnan tauschte einen Händedruck mit Lord Winter und kam zu Mylady zurück. Das Gesicht dieser Frau hatte mit überraschender Beweglichkeit seinen anmuthigen Ausdruck wieder angenommen: nur deuteten einige rote Fleckchen auf ihrem Taschentuche an, saß sie sich die Lippen blutig gebissen hatte.

Ihre Lippen waren herrlich, wie aus Korallen geformt.

Das Gespräch nahm eine heitere Wendung. Mylady schien ganz von ihrer vorhergehenden Stimmung zurückgekommen. Sie erzählte, daß Lord Winter nur ihr Schwager und nicht ihr Bruder sei; sie selbst habe einen jüngeren Sohn geheirathet, der sie als Wittwe mit einem Kind hinterlassen. Dieses Kind sei der einzige Erbe von Lord Winter, wenn er nicht heirathe. Alles dies ließ d’Artagnan einen Schleier erschauen, der etwas verhüllte; aber er vermochte noch nichts unter dem Schleier zu unterscheiden.

Nach einer Unterredung von einer halben Stunde hatte d’Artagnan indessen die Ueberzeugung gewonnen, daß Mylady seine Landsmännin war; sie sprach das Französische mit einer Reinheit und Eleganz, daß kein Zweifel übrig blieb.

D’Artagnan verschwendete galante Redensarten und Ergebenheits-Betheuerungen. Mylady lächelte wohlwollend zu allen Albernheiten, die unserem Gascogner entschlüpften. Endlich war die Stunde zum Aufbruch gekommen! d’Artagnan verabschiedete sich von Mylady und verließ den Saal als der glücklichste der Sterblichen.

Auf der Treppe begegnete er der hübschen Zofe, welche sanft an ihn anstreifte, bis unter die Augen erröthete und ihn mit so weicher Stimme wegen dieser Berührung um Verzeihung bat, daß diese auch augenblicklich bewilligt wurde.

D’Artagnan kam am andern Tag wieder und wurde noch freundlicher, als am Abend zuvor, empfangen. Lord Winter war nicht anwesend, und Mylady machte ihm alle Honneurs. Sie schien ein großes Interesse an ihm zu nehmen, fragte ihn, wo er wohne, wer seine Freunde seien, und ob er nicht zuweilen daran gedacht habe, in den Dienst des Herrn Kardinals zu treten.

D’Artagnan war, wie man weiß, sehr klug für einen jungen Mann von zwanzig Jahren, und erinnerte sich alsbald seines Verdachts in Beziehung auf Mylady. Er sprach mit großen Lobeserhebungen von Seiner Eminenz und sagte zu Mylady, er würde nicht verfehlt haben, bei der Leibwache des Kardinals statt bei der des Königs einzutreten, wenn er zum Beispiel Herrn von Cavois statt Herrn von Treville gekannt hätte.

Mylady gab dem Gespräch eine andere Wendung, ohne daß es nur entfernt den Anschein einer Absicht hatte, und fragte d’Artagnan auf die gleichgültigste Weise der Welt, ob er je in England gewesen sei.

D’Artagnan antwortete, er sei von Treville dahin geschickt worden, um wegen einer Remonte von Pferden zu unterhandeln, und habe auch vier Stück als Muster mitgebracht.

Mylady biß sich im Verlauf des Gespräches wiederholt auf die Lippen, sie hatte es mit einem jungen Manne zu thun, der sich keine Blößen gab.

D’Artagnan zog sich zu derselben Stunde, wie am Tage vorher, zurück. In der Flur begegnete er abermals der hübschen Ketty, so hieß die Zofe. Sie schaute ihn mit einem Ausdruck geheimen Wohlwollens an. Aber d’Artagnan war so sehr mit der Gebieterin beschäftigt, daß er nur das gewahr wurde, was von ihr herrührte.

Am zweiten Tag kam d’Artagnan abermals und am dritten ebenso, und jedes Mal wurde ihm ein freundlicherer Empfang von Mylady zu Theil.

Jenen Abend begegnete er auch der hübschen Zofe auf der Treppe, oder in der Hausflur.

Aber d’Artagnan ließ, wie gesagt, die seltsame Beharrlichkeit der armen Ketty unbeachtet.

XXX.

Die Flucht.

Myladys Wunde war, wie Lord Winter gedacht hatte, durchaus nicht gefährlich. Sobald sie sich mit der für ihre Bedienung bestimmten Frau allein befand, schlug sie die Augen wieder auf.

Aber man mußte Schwäche und Schmerz heucheln; das war nicht schwierig für eine Schauspielerin wie Mylady. Die arme Frau, welche sich beeilte sie zu entkleiden, wurde auch dergestalt von ihrer Gefangenen bethört, daß sie, trotz der Einwendungen Myladys, auf ihrem Willen, die ganze Nacht bei ihr zu wachen, beharrte.

Aber die Gegenwart dieser Frau hinderte Mylady nicht am Nachdenken. Es blieb kein Zweifel mehr, Felton war überzeugt, Felton gehörte ihr. Wäre ein Engel dem jungen Manne erschienen, um Mylady anzuklagen, er würde ihn in seiner damaligen Gemüthsstimmung sicherlich für einen Abgesandten des Teufels gehalten haben.

Mylady lächelte bei diesem Gedanken; denn Felton war von nun an ihre einzige Hoffnung, ihr einziges Rettungsmittel.

Aber in Lord Winter konnte ein Verdacht gegen ihn entstanden sein. Felton konnte jetzt selbst überwacht werden.

Gegen vier Uhr Morgens erschien der Arzt; doch seit der Zeit, wo Mylady sich den Stich beigebracht, hatte sich die Wunde bereits wieder geschlossen. Der Arzt konnte also weder ihre Richtung noch ihre Tiefe ermessen. Er erkannte nur an dem Pulse der Kranken, daß die Sache von keiner Bedeutung war.

Am Morgen schickte Mylady, unter dem Vorwand, die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben und der Ruhe zu bedürfen, die Frau weg, welche bei ihr wachte.

Sie hegte einigermaßen die Hoffnung, Felton werde zur Frühstückstunde erscheinen, aber er kam nicht.

Hatten sich ihre Befürchtungen verwirklicht? Sollte ihr Felton, von dem Baron beargwöhnt, in dem entscheidenden Augenblicke sein Wort nicht halten können? Sie hatte nur noch einen Tag. Lord Winter hatte ihr die Einschiffung auf den 23. angekündigt und man hatte bereits den Morgen des 22. erreicht. Nichtsdestoweniger wartete sie noch geduldig bis zur Stunde des Mittagsmahles. Obgleich sie am Morgen nichts gegessen hatte, wurde doch das Mittagsbrod zur gewöhnlichen Stunde gebracht. Mylady bemerkte mit Schrecken, daß die Uniform der Soldaten, welche sie bewachten, sich verändert hatte. Sie wagte es jetzt zu fragen, was aus Felton geworden sei?

Man antwortete ihr: Felton sei vor einer Stunde zu Pferde gestiegen und weggeritten.

Sie erkundigte sich, ob sich der Baron immer noch im Schlosse befinde. Der Soldat bejahte diese Frage mit der Bemerkung, er habe Befehl erhalten, ihn zu benachrichtigen, wenn ihn die Gefangene zu sprechen wünsche.

Mylady antwortete, sie sei für den Augenblick zu schwach und wünsche nur allein zu bleiben.

Der Soldat trat, das Mittagsbrod zurücklassend, ab.

Felton war entfernt. Die Marinesoldaten hatten sich verändert: man mißtraute also Felton.

Dies war der letzte Schlag für die Gefangene.

Sobald sie sich allein sah, stand sie auf. Das Bett, in welchem sie aus Klugheit, und damit man sie für schwer verwundet halten sollte, geblieben war, brannte sie wie ein glühender Rost. Sie warf einen Blick nach der Thüre. Der Baron hatte ein Brett vor das Gitter nageln lassen. Ohne Zweifel fürchtete er, es dürste ihr mit Hülfe dieser Oeffnung durch irgend ein teuflisches Mittel gelingen, die Wachen zu verführen.

Mylady lächelte vor Freude; sie konnte sich allen ihren Gemüthsbewegungen, ohne beobachtet zu werden, hingeben. Sie durchlief das Zimmer mit der Exaltation einer Wahnsinnigen oder einer in einem eisernen Käfig eingeschlossenen Tigerin. Wäre ihr das Messer geblieben, sie hätte sicherlich daran gedacht, nicht mehr sich selbst, sondern diesmal den Baron zu ermorden.

Um sechs Uhr trat Lord Winter, bis an die Zähne bewaffnet, ein. Dieser Mann, in dem Mylady bis dahin nur einen eleganten, artigen Edelmann gesehen hatte, war ein bewunderungswürdiger Kerkermeister geworden. Er schien Alles vorherzusehen, Alles zu errathen. Allem zuvorzukommen.

Ein einziger Blick auf Mylady unterrichtete ihn von Allem, was in ihrer Seele vorging.

»Gut,« sagte er, »aber Ihr werdet mich heute noch nicht umbringen. Ihr habt keine Waffe mehr und überdieß bin ich auch auf meiner Hut. Ihr hattet schon angefangen, meinem armen Felton den Kopf zu verdrehen. Er stand bereits unter Eurem höllischen Einflüsse, aber ich will ihn retten; er wird Euch nicht mehr sehen. Alles ist vorbei. Packt Eure Kleidungsstücke zusammen. Morgen reist Ihr ab. Ich hatte die Einschiffung auf den 23. festgestellt; aber je näher die Sache gerückt wird, desto sicherer ist sie. Morgen Mittag habe ich Euern Verbannungsbefehl, von Buckingham unterzeichnet, in meinen Händen. Sprecht Ihr ein einziges Wort zu irgend Jemand, ehe Ihr Euch auf dem Schiffe befindet, so schießt Euch mein Sergeant über den Haufen, dazu hat er Befehl. Sprecht Ihr auf dem Schiffe ein Wort zu irgend Jemand, ehe es der Kapitän gestattet, so läßt Euch dieser ins Meer werfen, das ist so abgemacht. Auf Wiedersehen, dies hatte ich Euch heute zu eröffnen. Morgen sehe ich Euch noch einmal, um Abschied zu nehmen.«

Nach diesen Worten entfernte sich der Baron.

Mylady hatte diese ganze drohende Tirade mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit Wuth im Herzen, angehört.

Man trug das Abendbrod auf. Mylady fühlte, daß sie der Kräfte bedurfte. Sie wußte nicht, was in dieser Nacht vorgehen konnte, welche drohend herannahte, denn schwere Wolken wälzten sich am Himmel hin und ferne Blitze kündigten einen Sturm an.

Der Sturm brach wirklich gegen zehn Uhr Abends aus. Mylady fand einen Trost darin, daß die Natur die Verwirrung ihres Herzens theilte. Der Donner rollte in der Luft, wie der Zorn in ihrem Herzen. Es war ihr, als brauste der Wind über ihre Stirne, wie über die Bäume hin, deren Zweige er krümmte, deren Blätter er fortriß. Sie heulte wie der Ocean, und ihre Stimme verlor sich in der großen Stimme der Natur, welche ebenfalls zu seufzen und zu verzweifeln schien.

Von Zeit zu Zeit betrachtete sie einen Ring, den sie am Finger trug. Der Kasten dieses Ringes enthielt ein feines, scharfes Gift; dies war ihre letzte Zuflucht.

Plötzlich hörte sie an ein Fenster klopfen, und bei dem Schimmer eines Blitzes erblickte sie ein männliches Gesicht hinter den Gitterstangen. Sie lief nach dem Fenster und öffnete es.

»Felton!« rief sie, »ich bin gerettet!«

»Ja,« sagte Felton, »aber stille, stille! Ich brauche Zeit, um Euere Stangen zu durchsägen. Nehmt Euch in Acht, daß sie Euch nicht durch das Gitter in der Thüre sehen.«

»Oh! das dient zum Beweise, daß der Herr für uns ist, Felton,« versetzte Mylady, »sie haben das Gitter mit einem Brette verschlossen.«

»So ist es gut! Gott hat sie wahnsinnig gemacht,« sprach Felton.

»Aber was habe ich zu thun?« fragte Mylady.

»Nichts, nichts, verschließt nur dieses Fenster wieder. Legt Euch schlafen, oder legt Euch wenigstens ganz angekleidet in Euer Bett. Sobald ich fertig bin, klopfe ich an die Scheibe. Aber könnt Ihr mir auch folgen?«

»O gewiß!«

»Eure Wunde?«

»Macht mir Schmerzen, hindert mich aber nicht zu gehen.«

»Haltet Euch also auf das erste Zeichen bereit.«

Mylady schloß das Fenster, löschte ihre Lampe aus und kauerte sich, wie ihr Felton empfohlen hatte, in ihr Bett. Inmitten der Klagen des Sturmes hörte sie das Knirschen der Feile an den Stangen, und bei dem Schimmer jedes Blitzes gewahrte sie den Schatten Feltons hinter den Scheiben.

Sie verbrachte eine Stunde ohne zu athmen, keuchend, mit Schweiß auf der Stirne, unter furchtbarer Angst bei jeder Bewegung, die sie in der Flur hörte.

Es gibt Stunden, welche ein Jahr dauern.

Nach Verlauf einer Stunde klopfte Felton abermals. Mylady sprang aus ihrem Bett und öffnete. Zwei ausgebrochene Stangen bildeten eine Oeffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte.

»Seid Ihr bereit?« – fragte Felton. – »Ja; soll ich etwas mitnehmen?« – »Geld, wenn Ihr habt!« – »Glücklicher Weise hat man mir das, was ich besaß, gelassen.« – »Desto besser, denn ich habe das meinige aufgebraucht, um eine Barke zu miethen.« – »Nehmt,« sagte Mylady und legte Felton einen Sack Gold in die Hände.

Felton nahm den Sack und warf ihn an den Fuß der Mauer.

»Wollt Ihr nun kommen?« sprach er.

»Hier bin ich!«

Mylady stieg auf einen Stuhl und schlüpfte mit dem ganzen obern Theile ihres Körpers durch das Fenster. Sie sah, daß der junge Offizier auf einer Strickleiter über dem Abgrunde hing.

Zum ersten Male erinnerte sie eine Regung von Angst daran, daß sie ein Weib war.

Die gähnende Leere machte ihr bange.

»Ich dachte es mir,« sagte Felton.

»Es ist nichts,« sprach Mylady, »ich werde mit geschlossenen Augen hinabsteigen.«

»Habt Ihr Vertrauen zu mir?« sagte Felton.

»Könnt Ihr noch fragen?«

»Reicht mir Eure zwei Hände, kreuzt sie; so ist es gut.«

Felton band ihr die zwei Faustgelenke mit seinem Taschentuche zusammen und umwickelte das Taschentuch mit einem Stricke.

»Was macht Ihr?« fragte Mylady erstaunt.

»Legt Eure Arme um meinen Hals und fürchtet Euch nicht.«

»Aber Ihr werdet durch mich das Gleichgewicht verlieren, und wir stürzen Beide hinab.«

»Seid unbesorgt; ich bin ein Seemann!«

Man hatte keine Sekunde, um sich zu besinnen. Mylady legte ihre beiden Arme um Feltons Hals und ließ sich aus dem Fenster gleiten.

Felton fing an die Sprossen langsam, eine nach der andern, hinabzusteigen. Trotz des Gewichtes der zwei Körper wiegte sie der Orkan in der Luft.

Plötzlich hielt Felton inne.

»Was giebt es?« fragte Mylady. – »Still!« sagte Felton, »ich höre Tritte!« – »Wir sind entdeckt!«

Es wurde wieder einen Augenblick still.

»Nein,« sprach Felton, »es ist nichts.« – »Aber was ist denn das für ein Geräusch?« – »Es kommt von der Patrouille, welche auf dem Rundengang geht.« – »Wo ist der Rundengang?« – »Gerade unter uns.« – »Sie wird uns entdecken.« – »Wenn keine Blitze kommen, nicht.« – »Sie wird unten an die Leiter stoßen.« – »Glücklicherweise ist diese um sechs Fuß zu kurz.« – »Mein Gott! hier kommen sie!« – »Schweigt!«

Alle Beide blieben zwanzig Fuß über der Erde unbeweglich und ohne zu athmen aufgehängt. Während dieser Zeit gingen die Soldaten lachend und plaudernd unter ihnen hin.

Es war für die Flüchtlinge ein furchtbarer Augenblick.

Die Patrouille zog weiter. Man hörte, wie sich das Geräusch ihrer Tritte immer mehr entfernte und das Gemurmel ihrer Stimmen immer schwächer wurde.

»Nun sind wir gerettet,« sprach Felton.

Mylady stieß einen Seufzer aus und wurde ohnmächtig.

Felton fuhr fort hinabzusteigen. Als er unten an der Leiter angelangt war, und keine Stütze mehr für seine Füße fühlte, klammerte er sich mit den Händen an, und als er die letzte Sprosse erreicht hatte, ließ er sich an den Faustgelenken herabhängen und berührte die Erde. Er bückte sich, hob den Goldsack auf und nahm ihn zwischen die Zähne.

Dann nahm er Mylady in seine Arme und entfernte sich rasch, in entgegengesetzter Richtung von der, welche die Patrouille eingeschlagen hatte. Bald verließ er den Rundengang, stieg durch die Felsen hinab und ließ, am Ufer des Meeres angelangt, einen scharfen Ton seiner Pfeife hören.

Ein ähnliches Signal antwortete, und fünf Minuten nachher sah er eine Barke mit vier Mann erscheinen.

Die Barke kam so nahe als möglich zum Ufer heran, aber sie hatte hier nicht genug Tiefe, um den Rand erreichen zu können. Felton ging bis an den Gürtel in das Wasser, da er seine kostbare Beute Niemand anvertrauen wollte.

Zum Glück fing der Sturm an sich ein wenig zu legen. Das Meer war jedoch immer noch aufgeregt. Die kleine Barke hüpfte, wie eine Nußschale über die Wellen hin.

»Zur Schaluppe!« sagte Felton, »und rasch vorwärts.«

Die vier Männer fingen an zu arbeiten, aber die See ging zu hoch, als daß die Ruder eine starke Wirkung hätten äußern können.

Doch man entfernte sich wenigstens vom Schlosse. Das war die Hauptsache. Die Nacht hatte Wasser und Land in tiefe Finsterniß gehüllt, und bereits war es unmöglich, das Ufer von der Barke aus zu unterscheiden, man hätte also noch viel weniger die Barke vom Ufer aus unterscheiden können.

Ein schwarzer Punkt schwankte auf dem Meere.

Das war die Schaluppe.

Während die Barke mit aller Kraft ihrer vier Ruderer vorrückte, band Felton den Strick und das Sacktuch los, womit die Hände Myladys zusammengeknüpft waren.

Nachdem er ihre Hände gelöst hatte, nahm er Seewasser und sprengte es ihr ins Gesicht.

Mylady stieß einen Seufzer aus.

»Wo bin ich,« sagte sie.

»Gerettet!« antwortete der junge Offizier.

»Oh! gerettet! gerettet!« rief sie. »Ja, hier ist der Himmel, hier ist das Meer! Die Luft, die ich athme, ist die Freiheit. Ach! Dank, Felton, tausend Dank!«

Der junge Mann drückte sie an sein Herz.

»Aber, was habe ich denn an den Händen?« fragte Mylady: »es scheint, man hat sie mir in einen Schraubstock gepreßt.«

Mylady hob die Arme auf; die Faustgelenke waren in der That gequetscht.

»Ach!« seufzte Felton, die schönen Hände anschauend und schüttelte schmerzlich den Kopf.

»Oh! es ist nichts, es ist nichts!« rief Mylady; »ich erinnere mich nun wieder.«

Mylady suchte mit den Augen um sich her.

»Er ist da,« sprach Felton und stieß mit dem Fuß an den Goldsack.

Man näherte sich dem Schiffe. Der Matrose von der Wache rief die Barke an. Die Barke antwortete.

»Was für ein Schiff ist das?« fragte Mylady. – »Das, welches ich für Euch gemiethet habe.« – »Wohin wird es mich bringen?« – »Wohin Ihr wollt, nur müßt Ihr mich in Portsmouth an das Land setzen.« – »Was wollt Ihr in Portsmouth machen?« fragte Mylady. – »Die Befehle von Lord Winter vollziehen,« antwortete Felton mit düsterem Lächeln. – »Welche Befehle?« – »Ihr begreift nicht?« – »Nein, erklärt Euch, ich bitte.« – »Da er mir mißtraute, wollte er Euch selbst bewachen, und schickte mich ab, um für ihn Euren Deportations-Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen.« – »Aber wenn er Euch mißtraute, wie konnte er Euch diesen Auftrag anvertrauen?« – »Konnte er glauben, daß ich wußte, was ich trug, da er mir nichts gesagt hatte, und ich das Geheimniß von Euch erfuhr?« – »Das ist richtig. Und Ihr geht nach Portsmouth?« –»Ich habe keine Zeit zu verlieren; morgen ist der 23. und Buckingham geht morgen mit der Flotte ab.« – »Er geht morgen ab! Wohin?« – »Nach La Rochelle.« – »Er darf nicht abgehen!« rief Mylady, ihre gewöhnliche Geistesgegenwart verlierend. – »Seid ruhig,« erwiderte Felton, »er wird nicht abgehen.«

Mylady bebte vor Freude, sie hatte tief im Herzen des jungen Mannes gelesen: der Tod Buckinghams stand mit allen Buchstaben darin geschrieben.

»Felton!« sagte sie, »Ihr seid groß, wie Judas Maccabäus! Sterbt Ihr, so sterbe ich mit Euch. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.«

»Leise, wir sind an Ort und Stelle.«

Man berührte wirklich die Schaluppe.

Felton stieg zuerst die Leiter hinauf und reichte Mylady die Hand, während die Matrosen sie unterstützten, denn die See war noch stürmisch.

Einen Augenblick nachher befanden sie sich auf dem Verdeck.

»Kapitän,« sprach Felton, »hier ist die Person, von der ich gesagt habe, und die Ihr gesund und wohlerhalten nach Frankreich bringen müßt.«

»Gegen tausend Pistolen,« entgegnete der Kapitän.

»Ich habe Euch fünfhundert gegeben.«

»Ganz richtig.«

»Und hier sind die andern fünfhundert,« sprach Mylady und fuhr in den Goldsack.

»Nein,« erwiderte der Kapitän, »ich habe nur ein Wort, und dieses gab ich dem jungen Manne: die anderen fünfhundert Pistolen ist man mir erst schuldig, wenn wir in Boulogne angekommen.«

»Und wir werden ankommen?«

»Gesund und wohlbehalten,« sprach der Kapitän, »so wahr ich Jack Butler heiße.«

»Gut,« sprach Mylady, »wenn Ihr Euer Wort haltet, so gebe ich Euch nicht fünfhundert, sondern tausend Pistolen.«

»Dann Hurrah für Euch, meine schöne Dame!« rief der Kapitän, »und Gott möge mir oft Kunden, wie Eure Herrlichkeit schicken!«

»Mittlerweile führt uns in die kleine Bucht von Chichester,« sagte Felton, »vor Portsmouth, Ihr wißt, es ist verabredet, daß Ihr uns dahin bringen sollt!«

Der Kapitän erwiderte diese Worte durch den Befehl zu dem erforderlichen Manöver, und um sieben Uhr Abends ankerte das kleine Schiff in der bezeichneten Bucht.

Während dieser Fahrt erzählte Felton Mylady Alles, wie er, statt nach London zu gehen, das Schiff gemiethet hatte, wie er zurückgekehrt war, wie er mit Hülfe von Lücken, hervorspringenden Steinen und Klammern, die er befestigte, um seinen Füßen einen Halt zu geben, die Mauer erstiegen und endlich zu dem Gitter gelangt, die Leiter angebunden hatte: das Uebrige wußte Mylady.

Mylady suchte ihrer Seits den jungen Offizier in seinem Vorhaben zu ermuthigen und zu bestärken, aber bei den ersten Worten, die aus ihrem Munde kamen, sah sie, daß der Fanatiker eher einer Dämpfung, als einer Aufmunterung bedurfte.

Es wurde verabredet, daß Mylady Felton bis zehn Uhr erwarten sollte; wäre er um zehn Uhr nicht zurück, so sollte sie absegeln.

In der Voraussetzung, daß er frei wäre, sollte er sodann in Frankreich im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune mit ihr zusammentreffen.

XXIII.

Offizier!

Richelieu erwartete mittlerweile Kunde aus England.

Aber es kam keine Nachricht, außer unangenehmen, bedrohlichen. So gut La Rochelle eingeschlossen war, so sicher der Erfolg durch die Maßregeln, die man ergriffen, und besonders durch den Damm erscheinen durfte, der keine Barke mehr in die belagerte Stadt eindringen ließ, so konnte die Blokade doch noch lange Zeit dauern, und das war eine große Schmach für die Waffen des Königs und eine große Last für den Herrn Kardinal, der allerdings nicht mehr Ludwig XIII. mit Anna von Oesterreich zu veruneinigen hatte, was bereits abgemacht war, wohl aber Herrn von Bassompierre versöhnen sollte, der sich mit dem Herzog von Angoulème entzweit hatte.

Die Stadt hatte trotz der unglaublichen Beharrlichkeit ihres Bürgermeisters eine Meuterei versucht, um sich zu ergeben. Der Bürgermeister ließ die Meuterer hängen. Die Strafe brachte die schlimmsten Köpfe zur Ruhe, und sie ergaben sich jetzt in die Aussicht auf den Hungertod, der immerhin langsamer und auch nicht so schrecklich gewiß war, als die Erdrosselung.

Von Zeit zu Zeit erwischten die Belagerer Boten, welche die Rocheller an Buckingham schickten, oder Spione, welche Buckingham an die Rocheller absandte.

Im einen wie im andern Fall war der Proceß schnell abgemacht. Der Kardinal sprach das einzige Wort: Gehenkt! Man lud den König ein, das Hängen mit anzusehen; der König kam kraftlos herbei und wählte sich einen guten Platz, um die Operation in allen ihren Einzelnheiten anschauen zu können. Dies gewährte ihm stets einige Zerstreuung, aber er langweilte sich dessenungeachtet und sprach alle Augenblicke von einer Rückkehr nach Paris, so daß Seine Eminenz wenn es an Boten und Spionen gefehlt hätte, trotz ihrer Einbildungskraft in große Verlegenheit gerathen wäre.

Nichtsdestoweniger ging die Zeit vorüber, und die Rocheller ergaben sich nicht. Der letzte Spion, den man auffing, war der Ueberbringer eines Briefes. Dieser Brief sagte allerdings Buckingham, daß die Stadt jetzt in der äußersten Noth sei, aber statt des Beisatzes: »Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir uns ergeben,« war ganz einfach beigefügt: »Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir bei Eurer Erscheinung sammt und sonders verhungert sein.« Die Rocheller setzten ihre Hoffnung also auf Buckingham. Buckingham war ihr Messias. Hätten sie eines Tages auf eine sichere Weise erfahren, daß sie nicht mehr auf Buckingham rechnen dürften, so wäre offenbar ihr Muth mit der Hoffnung gesunken.

Der Kardinal erwartete also mit großer Ungeduld Nachrichten aus England, die ihm melden würden, daß Buckingham nicht komme.

Die Frage, ob man die Stadt nicht stürmen solle, wurde oft im Rathe des Königs verhandelt. Einmal schien La Rochelle uneinnehmbar, und dann wußte der Kardinal, was er auch gesagt haben mochte, gar wohl, daß das bei einem solchen Zusammentreffen, wo Franzosen gegen Franzosen kämpfen sollten, vergossene Blut einen Schrecken einjagen mußte, der für die Politik eine retrograde Bewegung von sechszig Jahren bedeutete, und Richelieu war um diese Zeit, was man heut zu Tage einen Mann des Fortschrittes nennt. In der That hatten im Jahr 1628 die Plünderung von La Rochelle und die Ermordung von drei bis viertausend Hugenotten, welche sich tödten ließen, viel Aehnlichkeit mit dem Gemetzel der Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Dieses Mittel, das dem König, einem guten Katholiken, keineswegs widerstrebte, scheiterte stets an der Behauptung der belagernden Generale; »La Rochelle ist auf keine andere Weise, als durch den Hunger zu nehmen.«

Der Kardinal konnte nicht über die Angst hinweg kommen, worein seine furchtbare Emissärin ihn versetzte; denn auch er hatte die seltsamen Verhältnisse dieser Frau begriffen, die bald eine Schlange, bald eine Löwin war. Hatte sie ihn verrathen? war sie todt? Er kannte sie hinreichend, um zu wissen, daß sie, für oder gegen ihn handelnd, Freundin oder Feindin, ohne große Hindernisse nicht unbeweglich blieb. Aber von welcher Seite kamen diese Hindernisse? Das war es, was er nicht wissen konnte.

Uebrigens zählte er auf Mylady, und zwar mit Recht. Er hatte in der Vergangenheit dieser Frau gewisse Dinge errathen, die nur sein rother Mantel bedecken konnte; und er fühlte, daß diese Frau ihm aus dem einen oder dem andern Grunde zugethan war, da nur er allein sie in der Gefahr, von der sie bedroht war, mächtig beschützen konnte.

Er beschloß also, den Krieg ganz allein zu führen und einen von außen kommenden Erfolg nur so zu erwarten, wie man einen günstigen Zufall erwartet. Er ließ an dem furchtbaren Damm, welcher La Rochelle aushungern sollte, weiter bauen, und warf mittlerweile seine Augen auf die unglückliche Stadt, welche so viel tiefes Elend, so viel heldenmüthige Tugenden in sich schloß; er erinnerte sich dabei des Wortes von Ludwig XI., seinem politischen Vorgänger, wie er selbst der Vorgänger von Robespierre war. Er erinnerte sich der Maxime von Gevatter Tristan: »Divide et impera.«

Als Heinrich IV. Paris belagerte, ließ er Brod und Lebensmittel über die Mauern werfen. Der Kardinal ließ kleine Zettel hinüberwerfen, in welchen er den Rochellern vorstellte, wie ungerecht, selbstsüchtig und barbarisch das Verfahren ihrer Häupter sei. Diese Häupter hatten Getreide im Ueberfluß und vertheilten es nicht. Sie nahmen als Grundsatz an, denn sie hatten Grundsätze, daß wenig daran liege, ob die Weiber, Kinder und Greise umkommen, wenn nur die Männer, welche die Mauern verteidigen sollten, stark und gesund bleiben. Bis jetzt war dieser Grundsatz, sei es aus Ergebenheit, sei es, weil jede Auflehnung vergeblich gewesen wäre, ohne allgemein anerkannt zu werden, von der Theorie zur Praxis übergegangen: aber durch die erwähnten Zettel geschah ein Angriff auf denselben. Diese Zettel erinnerten die Männer daran, daß die Kinder, Weiber und Greise, die man sterben ließ, ihre Söhne, Frauen und Väter waren; daß es billiger wäre, wenn jeder dem allgemeinen Elend unterworfen würde, damit die Gleichmäßigkeit der allgemeinen Lage auch Einhelligkeit in den Beschlüssen herbeiführen müßte.

Aber in dem Augenblick, wo der Kardinal bereits sein Mittel Früchte tragen sah und sich zur Anwendung desselben Glück wünschte, gelangte ein Einwohner von La Rochelle, der durch die königlichen Linien gedrungen war – Gott weiß, auf welche Weise, denn Bassompierre, Schomberg und der Herzog von Angoulême beobachteten, selbst wieder von dem Kardinal überwacht, eine große Wachsamkeit – ein Einwohner von La Rochelle, sagen wir, gelangte, von Portsmouth her, in die Stadt und sagte aus, er habe eine herrliche Flotte gesehen, welche noch vor acht Tagen auslaufen werde. Ueberdies kündigte Buckingham dem Bürgermeister an, daß endlich das große Bündniß gegen Frankreich sich erklärt habe, und daß zu gleicher Zeit die englischen, kaiserlichen und spanischen Heere das Königreich überfallen werden. Dieser Brief wurde öffentlich auf allen Plätzen vorgelesen. Man klebte eine Abschrift an die Straßenecken, und diejenigen, welche Unterhandlungen angeknüpft hatten, brachen dieselben wieder ab, um die in so kurzer Zeit angekündigte Hülfe zu erwarten.

Dieser unvorhergesehene Umstand versetzte Richelieu wieder in seine frühere Unruhe und nöthigte ihn, seine Augen abermals dem Meere zuzuwenden.

Während dies vorging, führte die königliche Armee, frei von der Unruhe ihres einzigen und wahren Hauptes, ein lustiges Leben, es fehlte im Lager nicht an Speise und Trank und nicht an Geld. Alle Corps wetteiferten an Kühnheit und Heiterkeit. Spione auffangen und hängen, kecke Expeditionen auf dem Damm oder auf der See ausführen, Tollheiten ersinnen und kaltblütig ins Werk setzen, das waren die Zeitvertreibe, womit sich die Armee die Tage verkürzte, welche den von Angst und Hunger aufgeriebenen Rochellern so lang, und dem Kardinal, der sie belagerte, noch weit länger erschienen.

Wenn der Kardinal, welcher stets wie der geringste Soldat umher ritt, seinen nachdenkenden Blick zuweilen über die Werke hinschweifen ließ, welche unter seinem Befehl von Ingenieuren errichtet wurden, die er aus allen Winkeln Frankreichs herbeirief, und er dann einem Musketier von Treville’s Kompagnie begegnete, so schaute er ihn auf eine seltsame Weise an, und richtete seinen Blick sogleich wieder anderswohin, wenn er in ihm nicht einen von den vier Gefährten erkannte.

Eines Tages ritt der Kardinal, von tödtlichem Aerger gequält, ohne Hoffnung auf die Unterhandlungen mit der Stadt, ohne Nachrichten aus England, in keiner andern Absicht, als gerade um auszureiten, nur von Cahusac und La Houdinière begleitet, am Ufer entlang hin, und vermischte die Unermeßlichkeit seiner Träume mit der Unermeßlichkeit des Oceans. So kam er auf einen Hügel, von dessen Höhe herab er, hinter einer Hecke und unter einer Baumgruppe vor der großen Sonnenhitze geschützt, sieben von leeren Flaschen umgebene Menschen liegen sah. Vier davon waren unsere Musketiere, welche sich anschickten, einen Brief vorlesen zu hören, den einer von ihnen bekommen hatte. Dieser Brief war so wichtig, daß man ihm zu Liebe auf einer Trommel Karten und Würfel im Stiche ließ.

Die drei Andern beschäftigten sich, eine ungeheure mit Stroh umflochtene Flasche Collioure-Wein aufzumachen. Es waren die Lakaien dieser Herren.

Richelieu war, wie gesagt, bei finsterer Laune, und in dieser Gemüthsstimmung ärgerte ihn nichts mehr als die Heiterkeit Anderer. Ueberdies hegte er einen seltsamen Argwohn und glaubte, gerade die Ursache seiner Traurigkeit errege die Heiterkeit der Fremden. Er gab La Houdinière und Cahusac ein Zeichen, stille zu halten, stieg vom Pferde und näherte sich diesen verdächtigen Lachern, in der Hoffnung, mit Hülfe des Sandes, der seinen Schritt unhörbar machte, und der Hecke, die seinen Gang bedeckte, einige Worte von dem Gespräch zu erlauschen, das ihm so interessant erschien. Erst zehn Schritte von der Hecke erkannte er das gascognische Geplauder d’Artagnans, und da er bereits wußte, daß diese Leute zu den Musketieren gehörten, so zweifelte er nicht daran, daß die drei Andern die sogenannten Unzertrennlichen, das heißt, Athos, Porthos und Aramis seien.

Man kann sich leicht denken, daß sein Verlangen, etwas von dem Gespräch zu hören, sich durch diese Entdeckung nur noch vermehrte. Seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an und er näherte sich der Hecke mit dem Tritt einer Tigerkatze; aber er hatte noch nicht mehr als einige unbestimmte Sylben ohne einen richtigen Sinn aufzufassen vermocht, als ein kurzer kräftiger Ruf ihn beben machte und die Aufmerksamkeit der Musketiere erregte.

» Offizier!« rief Grimaud.

»Ihr sprecht, glaube ich, Bursche,« sagte Athos, sich auf einem Ellbogen erhebend und Grimaud mit seinem flammenden Blick anblitzend.

Grimaud fügte auch kein Wort mehr bei, er begnügte sich, den Zeigefinger in der Richtung der Hecke auszustrecken, und deutete durch Geberde den Kardinal und seine Escorte an.

Mit einem Sprung waren die vier Musketiere auf den Beinen und grüßten ehrfurchtsvoll.

Der Kardinal schien wüthend.

»Es scheint, daß man sich bei den Herren Musketieren bewachen läßt,« sagte er. »Kommt der Engländer zu Lande oder sollten sich die Musketiere für hohe Offiziere halten?«

»Monseigneur,« antwortete Athos, denn er allein hatte mitten unter dem allgemeinen Schrecken die Ruhe und Kaltblütigkeit des vornehmen Mannes behalten, die ihn nie verließ. »Monseigneur, wenn die Musketiere nicht im Dienste sind oder wenn ihr Dienst zu Ende ist, so trinken und würfeln sie und sind für ihre Lakaien sehr hohe Offiziere.«

»Lakaien!« brummte der Kardinal, »Lakaien, welche Befehl haben, ihre Herren zu benachrichtigen, wenn Jemand vorüber kommt, das sind keine Lakaien, sondern Wachen.«

»Seine Eminenz sieht jedoch, daß wir, wenn wir diese Vorsichtsmaßregel nicht getroffen hätten, uns der Unannehmlichkeit ausgesetzt haben würden, sie vorübergehen zu lassen, ohne ihr unsere Ehrfurcht zu bezeigen und unsern Dank für die Gnade ihres Besuches, abzustatten. D’Artagnan,« fuhr Athos fort, »Ihr, der Ihr Euch so eben nach einer Gelegenheit sehntet, Monseigneur Eure Dankbarkeit auszudrücken, habt sie nun gefunden und werdet sie benützen.«

Diese Worte wurden mit dem unstörbaren Phlegma, das Athos in den Stunden der Gefahr bezeichnete, und mit der außerordentlichen Höflichkeit gesprochen, die ihm in gewissen Augenblicken etwas Königliches gab, so daß er ein majestätischeres Ansehen hatte, als geborene Könige.

D’Artagnan näherte sich und sprach einige Worte des Dankes, welche bald unter dem düsteren Blicke des Kardinals erloschen.

»Gleich viel, meine Herren,« fuhr der Kardinal fort, der sich, wie es schien, durch den von Athos benützten Zwischenfall nicht im Geringsten von seiner ersten Ansicht abbringen ließ, »gleichviel, ich liebe es nicht, daß einfache Soldaten weil sie den Vorzug haben, in einem privilegirten Corps zu dienen, auf diese Art die großen Herren spielen, und die Disciplin ist für sie dieselbe, wie für die ganze Welt.«

Athos ließ den Kardinal ganz aussprechen, verbeugte sich sodann zum Zeichen der Beipflichtung und versetzte:

»Die Disciplin, Monseigneur, ist, wie ich hoffe, von uns in keiner Beziehung vergessen worden, wir sind nicht im Dienste und glaubten, da nur nicht im Dienste sind, über unsere Zeit nach unserem Gutdünken verfügen zu können. Sollte uns Eure Eminenz durch einige besondere Befehle beglücken wollen, so sind wir bereit zu gehorchen. Monseigneur sieht,« fuhr Athos die Stirne runzelnd fort, denn dieses Verhör fing an, ihn ungeduldig zu machen, »daß wir, um auf den ersten Trommelschlag bereit zu sein, mit unsern Waffen ausgezogen sind.«

Und er deutete mit dem Finger auf die vier Musketen, welche in der Nähe der Trommel, auf der die Würfel und Karten lagen, aufgepflanzt waren.

»Eure Eminenz wolle überzeugt sein,« fügte d’Artagnan bei, »daß wir ihr entgegengekommen wären, wenn wir hätten vermuthen können, daß sie sich uns in so kleiner Gesellschaft näherte.«

Der Kardinal biß sich in den Schnurrbart und auch etwas in die Lippen.

»Wißt Ihr, wie Ihr ausseht, wenn Ihr, wie in diesem Augenblick, stets beisammen, stets bewaffnet und von Euren Bedienten bewacht seid?« sprach der Kardinal. »Ihr seht aus, wie Verschwörer.«

»Oh! was das betrifft, Monseigneur, das ist wahr,« sprach Athos. »Wir conspiriren allerdings, wie Seine Eminenz an jenem Morgen sehen konnte, aber nur gegen die Rocheller.«

»Ei, meine Herren Politiker,« entgegnete der Kardinal, ebenfalls die Stirne faltend, »man würde vielleicht in Eurem Gehirn das Geheimniß von allerlei Dingen finden, wenn man darin lesen könnte, wie Ihr in dem Briefe gelesen habt, den Ihr bei meiner Ankunft verbarget.«

Athos stieg das Blut ins Gesicht, er machte einen Schritt gegen Seine Eminenz.

»Man sollte glauben, Ihr hegtet wirklich einen Argwohn gegen uns, Monseigneur, und wir hätten ein wahres Verhör zu bestehen.«

»Und wenn es nun wirklich ein Verhör wäre?« fragte der Kardinal.

»Monseigneur, ich habe Eurer Eminenz gesagt, daß sie nur zu fragen habe und daß wir zu antworten bereit seien.«

»Was für ein Brief war das, den Ihr vorhin gelesen habt, Herr Aramis, und was verbargt Ihr?«

»Einen Brief von einer Frau, Monseigneur.«

»Oh ich begreife,« sprach der Kardinal, »man muß bei solchen Briefen discret sein; aber man kann sie doch einem Beichtiger zeigen, und Ihr wißt, ich gehöre dem geistlichen Stande an.«

»Monseigneur,« sagte Athos mit einer um so furchtbareren Ruhe, als er bei dieser Antwort um seinen Kopf spielte, »Monseigneur, der Brief ist von einer Frau, aber weder Marion Delorme, noch Frau von Combalot, noch Frau von Chaulnes unterzeichnet.

Der Kardinal wurde bleich wie der Tod. Ein wilder Blitz guckte aus seinen Augen. Er wandte sich um, als wollte er Cahusac und La Houdinière einen Befehl geben. Athos sah diese Bewegung und machte einen Schritt gegen die Musketen, auf welche die drei Freunde ihre Augen wie Männer gerichtet hielten, die sehr wenig Lust hatten, sich verhaften zu lassen. Der Kardinal war zu drei, die Musketiere, ihre Bedienten mit einbegriffen, zu sieben. Er dachte, die Partie wäre um so weniger gleich, wenn Athos und seine Gefährten wirklich conspiriren, und vermöge einer der raschen Wendungen, über die er stets zu verfügen im Stande war, verwandelte sich sein ganzer Zorn in ein lächeln.

»Gut, gut,« sprach er, »Ihr seid wackre junge Leute, stolz in der Sonne, getreu in der Dunkelheit, und es ist kein Fehler, über sich selbst zu wachen, wenn man so gut über Andere wacht. Meine Herren, ich habe die Nacht durchaus nicht vergessen, wo Ihr mir als Escorte bei meinem Ritt nach dem rothen Taubenschlag dientet. Wenn irgend eine Gefahr auf der Route, die ich zu machen habe, zu befürchten wäre, so würde ich Euch bitten, mich zu begleiten. Da aber dies nicht der Fall ist, so bleibt, wo Ihr seid, endiget Eure Flaschen, Eure Partie und Euern Brief. Gott befohlen, meine Herren!«

Hierauf bestieg er wieder sein Pferd, das ihm Cahusac entgegen brachte, grüßte sie mit der Hand und entfernte sich.

Die vier jungen Leute standen unbeweglich und folgten ihm mit den Blicken, ohne ein einziges Wort zu sprechen, bis er verschwunden war.

Dann schauten sie sich an.

Alle sahen bestürzt aus, denn trotz des freundschaftlichen Abschiedes des Kardinals begriffen sie, daß Seine Eminenz mit Wuth im Herzen wegging.

Athos allein lächelte verächtlich.

Als der Kardinal außer Hör- und Sehweite war, rief Porthos, welcher große Lust hatte, seine üble Laune auf einen Andern fallen zu lassen:

»Dieser Grimaud hat sehr spät geschrieen!«

Grimaud war im Begriff zu antworten, um sich zu entschuldigen. Athos hob den Finger auf und Grimaud schwieg.

»Würdet Ihr den Brief abgegeben haben, Aramis?« sagte d’Artagnan.

»Ich,« erwiderte Aramis mit seiner flötendsten Stimme, »ich war entschieden. Wenn er die Auslieferung verlangt hätte, so würde ich ihm mit einer Hand den Brief übergeben und mit der andern den Degen durch den Leib gerannt haben.«

»Das erwartete ich,« sagte Athos, »und darum habe ich mich zwischen Euch und ihn geworfen. Dieser Mann ist in der That sehr unklug, daß er auf solche Art mit andern Männern spricht. Man sollte glauben, er habe es sein Leben lang nur mit Weibern und Kindern zu thun gehabt.«

»Mein lieber Athos!« rief d’Artagnan, »ich bewundere Euch, aber wir hatten im Ganzen doch Unrecht.«

»Wie, Unrecht?« entgegnete Athos, »wem gehört denn diese Luft, die wir athmen? wem dieses Meer, an welchem wir lagern? wem dieser Brief von Eurer Geliebten? Etwa dem Kardinal? Dieser Mensch bildet sich am Ende ein, die ganze Welt gehöre ihm. Ihr standet stammelnd, erstaunt, vernichtet da, als ob die Bastille vor Euch empor starrte, und die eisige Medusa Euch in Stein verwandelte. Ist Verliebtheit eine Conspiration? Ihr seid in eine Frau verliebt, die der Kardinal einsperren ließ; Ihr wollt sie den Händen des Kardinals entziehen, das ist die Partie, die Ihr mit Seiner Eminenz spielt. Dieser Brief ist Euer Spiel. Warum solltet Ihr Euer Spiel Eurem Gegner zeigen? Er mag es errathen! Wir errathen das seinige gar wohl.«

»Was Ihr da sagt, Athos, ist allerdings sehr vernünftig,« sprach d’Artagnan.

»Dann sei von dem ganzen Vorfall nicht mehr die Rede, und Aramis nehme den Brief seiner Base da auf, wo ihn der Herr Kardinal unterbrochen hat.«

Aramis zog den Brief aus seiner Tasche. Die drei Freunde näherten sich ihm und die drei Lakaien lagerten sich abermals um die Strohflasche.

»Ihr habt nur eine oder zwei Zeilen gelesen,« sagte d’Artagnan. »Lest also den Brief von Anfang an.«

»Gerne,« erwiderte Aramis.

»Mein lieber Vetter,

»Ich glaube wohl, daß ich mich entschließen werde, nach Bethune abzureisen, wo meine Schwester unsere kleine Magd in eine Karmeliterinnen-Kloster gebracht hat. Dieses arme Kind hat sich darein ergeben. Es weiß, daß es nicht anderswo leben kann, ohne daß das Heil seiner Seele gefährdet wäre. Wenn jedoch unsere Familienangelegenheiten sich ordnen, wie wir es wünschen, so glaube ich, daß die Arme auf die Gefahr ihres Seelenheiles hin zu demjenigen zurückkehren wird, nach welchen sie sich um so mehr sehnt, als sie weiß, daß man stets an sie denkt. Einstweilen ist sie nicht zu unglücklich. Ihr einziger Wunsch ist ein Brief von ihrem Bräutigam. Ich weiß sehr wohl, daß solche Waaren schwer durch die Gitter gehen, aber im Ganzen, mein lieber Vetter, bin ich – und ich habe Euch hievon Beweise gegeben – nicht gar zu ungeschickt, und ich übernehme diesen Auftrag. Meine Schwester dankt Euch für Eure beständige Erinnerung; sie schwebte einen Augenblick in großer Unruhe, aber jetzt ist sie ein wenig beruhigt, weil sie ihren Gehülfen hinuntergeschickt hat, damit nichts Unvorhergesehenes vorfallen kann.

»Adieu, mein lieber Vetter, gebt so oft als möglich Nachricht von Euch, das heißt, so oft, als Ihr es sicher thun zu können glaubt. Ich küsse Euch.

Marie Michon

»O wie viel Dank bin ich Euch schuldig, Aramis,« rief d’Artagnan. »Die theure Constance! endlich habe ich also Kunde von ihr! Sie lebt, sie ist in Sicherheit in einem Kloster; sie ist in Bethune! Wo liegt Bethune, Athos?«

»Auf der Grenze von Artois und Flandern; ist die Belagerung einmal aufgehoben, so können wir eine Reise dahin machen.«

»Und das wird hoffentlich nicht mehr lange währen,« sprach Porthos; »denn man hat diesen Morgen wieder einen Spion gehängt, welcher behauptete, die Rocheller seien am Oberleder ihrer Stiefel. Nehme ich nun an, daß sie die Sohlen essen, wenn sie das Oberleder verzehrt haben, so sehe ich nicht ein, was ihnen nachher noch übrig bleiben soll, wenn sie nicht einander selber verspeisen wollen.«

»Arme Tröpfe!« sprach Athos und leerte ein Glas vortrefflichen Bordeauxweins, der, ohne damals schon seinen heutigen Ruf zu besitzen, ihn doch wenigstens verdiente. »Arme Tröpfe, als ob die katholische Religion nicht die vortheilhafteste und angenehmste der Religionen wäre. Doch gleich viel,« fuhr er fort, nachdem er mit der Zunge am Gaumen geschnalzt hatte, »es sind brave Leute. Aber was Teufels macht Ihr denn, Aramis, Ihr steckt diesen Brief in Eure Tasche?«

»Ja,« sagte d’Artagnan, »Athos hat Recht, man muß ihn verbrennen. Wer weiß jedoch, ob der Herr Kardinal nicht ein Geheimniß besitzt, um die Asche zu befragen.«

»Er muß wohl eines besitzen,« erwiderte Athos.

»Aber, was wollt Ihr denn mit dem Briefe machen?« fragte Porthos.

»Kommt hieher, Grimaud,« sagte Athos.

Grimaud stand auf und gehorchte.

»Zur Strafe dafür, daß Ihr ohne Erlaubniß gesprochen habt, mein Freund, werdet ihr das Stück Papier essen, und für den Dienst, den Ihr uns leistet, trinkt ihr sodann dieses Glas Wein. Hier, nehmt zuerst den Brief, kaut kräftig.«

Grimaud lächelte, und die Augen auf das Glas gerichtet, das Athos bis auf den Rand gefüllt hatte, zerkaute er das Papier und verschlang es.

»Bravo, Meister Grimaud!« rief Athos, »und nun dieses. Gut, ich entbinde Euch der Verpflichtung, Dank zu sagen.«

Grimaud trank stillschweigend das Glas Bordeauxwein, aber seine zum Himmel aufgeschlagenen Augen sprachen, so lange diese süße Beschäftigung dauerte, eine Sprache, die, obgleich stumm, darum doch nicht minder ausdrucksvoll war.

»Und nun,« sagte Athos, »wenn nicht der Herr Kardinal den geistreichen Gedanken hat, Grimaud den Bauch öffnen zu lassen, können wir, glaube ich, beinahe ruhig sein.«

Während dieser Zeit setzte Seine Eminenz ihren schwermüthigen Spazierritt fort und brummte wiederholt in seinen Schnurrbart:

»Diese vier Bursche müssen um jeden Preis mein werden.«

XXIV.

Erster Tag der Gefangenschaft.

Kehren wir zu Mylady zurück, die uns ein Blick auf die Küste Frankreichs eins Weile aus dem Gesichte verlieren ließ.

Wir werden sie in der verzweifelten Lage wieder finden, in der wir sie zurückgelassen haben, einen Abgrund düsterer Betrachtungen, eine finstere Hölle grabend, an deren Pforte sie beinahe jede Hoffnung zurückgelassen hat, denn zum ersten Male zweifelt, zum ersten Male fürchtet sie.

Bei zwei Gelegenheiten hat ihr Glück sie verlassen, bei zwei Gelegenheiten hat sie sich entdeckt und verrathen gesehen, bei zwei Gelegenheiten scheiterte sie an dem bösen Geiste, den ohne Zweifel der Herr sandte, um sie zu bekämpfen. D’Artagnan hat sie besiegt, sie, die unbesiegbare Macht des Bösen.

Er hat sie in ihrer Liebe verletzt, in ihrem Stolze gedemüthigt, und nun richtet er sie in ihrem Vermögen zu Grunde, schlägt sie in ihrer Freiheit, bedroht sie sogar in ihrem Leben. Mehr noch, er hat eine Ecke ihrer Maske aufgehoben, mit der sie sich bedeckt, die sie so stark macht.

D’Artagnan hat von Buckingham, den sie haßt, wie sie alles haßt, was sie geliebt hat, den Sturm abgewendet, mit dem ihn Richelieu in der Person der Königin bedrohte. D’Artagnan hat sich für Wardes ausgegeben, für den sie eine glühende Tigerliebe, unbezähmbar, wie bei allen Frauen dieses Charakters, hegte. D’Artagnan kennt das furchtbare Geheimniß, das nach ihrem Schwure Niemand kennen sollte, ohne zu sterben. In dem Augenblick, wo sie von Richelieu eine Vollmacht erhalten hat, mit dessen Hülfe sie sich an ihrem Feinde zu rächen gedenkt, wird ihr dieses Papier aus den Händen gerissen, und d’Artagnan hält sie gefangen und will sie nach irgend einem schmachvollen Botanybay, nach irgend einem abscheulichen Tyburn des indischen Oceans schicken.

Denn alles dies kommt ohne Zweifel von d’Artagnan. Von wem sollte so viele auf ihr Haupt gehäufte Schmach kommen, außer von ihm? Er allein konnte Lord Winter all‘ die furchtbaren Geheimnisse mittheilen, die er nach einander durch eine unselige Verkettung von Umständen erfahren hatte.

Wie viel Haß zersetzt sie! Hier, unbeweglich und die glühenden Augen starr auf ihr einsames Stübchen geheftet, während das Geräusch des dumpfen Schnaubens, das zuweilen aus der Tiefe ihrer Brust hervorkommt, das Tosen der Wellen begleitet, welche steigen, brausen und brüllen und sich wie eine ewige, unmächtige Verzweiflung an den Felsen brechen, auf denen das stolze, düstere Schloß erbaut ist, während ihr stürmischer Zorn mit seinen Blitzen ihren Geist erleuchtet, hier entwirft sie gegen Madame Bonacieux, gegen Buckingham und besonders gegen d’Artagnan großartige, in der fernen Zukunft sich verlierende Rachepläne.

Ja, aber um sich zu rächen, muß man frei sein, und um frei zu sein, wenn man gefangen ist, muß man eine Mauer durchbrechen, Gitterstangen losmachen, einen Boden durchhöhlen, lauter Unternehmungen, welche ein geduldiger und starker Mann zu Ende führen kann, an denen jedoch die fieberhaften Aufregungen einer Frau scheitern müssen.

Um Alles dies zu thun, muß man überdies Zeit, Monate Jahre haben, und sie hat, wie ihr Mylord Winter, ihr brüderlicher und furchtbarer Kerkermeister, sagte, nur zehn bis zwölf Tage.

Und dennoch, wenn sie ein Mann wäre, würde sie Alles dies versuchen, und es würde ihr vielleicht gelingen; warum hat sich der Himmel so getäuscht, indem er diese männliche Seele in einen so schwachen und zarten Leib legte?

Die ersten Augenblicke der Gefangenschaft waren also furchtbar. Mit einigen krampfhaften Zuckungen der Wuth, die sie nicht zu überwinden vermochte, wurde die Schuld weiblicher Schwäche an die Natur abgetragen. Nach und nach aber hat sie die Ausbrüche ihres tollen Zornes bewältigt, das Nervenzittern, welches ihren Körper bewegte, ist verschwunden, und sie hat sich nun auf sich selbst zurückgewunden, wie eine müde Schlange, wenn sie ausruht.

»Auf, auf! ich war eine Thorin, daß ich mich hinreißen ließ,« spricht sie, in den Spiegel schauend, der ihren Augen den glühenden Blick zurückwirft, durch den sie sich selbst zu befragen scheint, »keine Gewaltthätigkeit! die Gewaltthätigkeit ist ein Zeichen der Schwäche, und ich habe nie durch dieses Mittel gesiegt. Wenn ich vielleicht von meiner Kraft gegen Frauen Gebrauch machen müßte, hätte ich Hoffnung, sie noch schwächer zu finden, als ich selbst bin, und sie folglich zu überwältigen; aber ich kämpfe gegen Männer und bin für sie nur eine Frau. Wir wollen als Frau kämpfen. Meine Kraft liegt in meiner Schwäche.«

Als wollte sie sich selbst von den Veränderungen Rechenschaft geben, die sie in ihrer so ausdrucksvollen und so edeln Physiognomie zu bewerkstelligen im Stande war, ließ sie diese sodann nach und nach alle Ausdrücke annehmen, vom Zorne an, der ihr Gesicht krampfhaft zusammenzog, bis zum sanftesten, zärtlichsten, verführerischsten Lächeln. Ihre Haare erhielten unter ihren geschickten Händen alle Wellenformen, von denen sie glaubte, sie dürften die Reize ihrer Züge erhöhen. Endlich murmelte sie mit sich selbst zufrieden:

»Noch ist nichts verloren, ich bin immer noch schön.«

Es war ungefähr acht Uhr Abends. Mylady bemerkte ein Bett und dachte, ein paar Stunden Ruhe würden nicht nur ihren Kopf und ihre Gedanken, sondern auch ihren Teint erfrischen. Doch ehe sie sich niederlegte, kam ihr noch eine bessere Idee; sie hatte von Abendbrod sprechen hören. Schon war sie seit geraumer Zeit in diesem Zimmer und man konnte nicht länger zögern, ihr das Mahl zu bringen. Die Gefangene wollte keine Zeit verlieren, und sie beschloß schon an diesem Abend einen Versuch zu machen, um das Terrain zu sondiren und die Charaktere der Leute zu erforschen, denen ihre Bewachung anvertraut war.

Ein Licht erschien unter der Thüre, es kündete die Rückkehr ihrer Kerkermeister an. Mylady, welche sich erhoben hatte, warf sich rasch wieder in ihren Lehnstuhl, den Kopf zurückgebogen, die Haare aufgelöst und zerstreut, den Hals halb entblößt unter zerknitterten Spitzen, eine Hand auf ihrem Herzen, die andere herabhängend.

Man öffnete die Riegel, die Thüre ächzte auf ihren Angeln; Tritte erschollen im Innern und näherten sich.

»Stellt den Tisch hierher,« sagte eine Stimme, an der Mylady Felton erkannte.

Der Befehl wurde vollzogen.

»Bringt Lichter und laßt die Wache ablösen,« fuhr Felton fort, und dieser doppelte Befehl, den der junge Lieutenant denselben Menschen ertheilte, gab Mylady die Ueberzeugung, daß ihre Diener und ihre Wächter dieselben Menschen waren, nämlich Soldaten.

Endlich wandte sich Felton, der Mylady noch nicht angeschaut hatte, nach ihr um.

»Ah! ah!« sagte er, »sie schläft gut, bei ihrem Erwachen wird sie zu Nacht speisen.«

Er machte einige Schritte, um sich zu entfernen.

»Aber, mein Lieutenant,« sagte der Soldat, der etwas weniger stoisch war, als sein Vorgesetzter, und sich Mylady genähert hatte, »diese Frau schläft nicht.«

»Wie, sie schläft nicht?« sprach Felton, »was macht sie denn?«

»Sie ist ohnmächtig. Ihr Gesicht ist sehr bleich, und ich höre, wie sehr ich auch lausche, keinen Athemzug.«

»Ihr habt Recht,« erwiderte Felton, nachdem er Mylady von dem Platze, wo er stand, ohne einen Schritt gegen sie zu thun, angeschaut hatte. »Benachrichtigt Lord Winter, seine Gefangene sei in Ohnmacht gefallen, denn ich weiß nicht, was ich thun soll, da dieser Fall nicht vorhergesehen ist.«

Der Soldat ging ab, um den Befehlen des Officiers zu gehorchen. Felton setzte sich auf einen Stuhl, der sich zufällig in der Nähe der Thüre fand, und wartete, ohne ein Wort zu sprechen, ohne die geringste Geberde zu machen. Mylady besaß die große, von den Frauen so sehr studirte Kunst, alles mit Hülfe eines Reflexes, eines Spiegels oder eines Schattens zu sehen; sie bemerkte Felton, der ihr den Rücken zukehrte; sie schaute ihn beinahe zehn Minuten beständig an, und während dieser zehn Minuten wandte sich der kalte Wächter nicht ein einziges Mal um.

Sie bedachte nun, daß Lord Winter kommen und durch seine Gegenwart ihrem Kerkermeister neue Kraft verleihen würde. Ihr erster Versuch war gescheitert; sie faßte ihren Entschluß als eine Frau, welche auf ihre Mittel zählt. Diesem Entschlusse zu Folge hob sie den Kopf, öffnete die Augen und stieß einen schwachen Seufzer aus.

Bei diesem Seufzer wandte sich Felton um.

»Ah! Ihr seid erwacht, Madame,« sprach er, »ich habe also nichts mehr hier zu thun. Wenn Ihr etwas braucht, so ruft.«

»Oh, mein Gott, mein Gott! was habe ich gelitten!« murmelte Mylady mit der wohlklingenden Stimme, welche Alle bezauberte, sie sie ins Verderben stürzen wollte.

Und sich auf ihrem Stuhle aufrichtend, nahm sie eine noch anmuthigere und zugleich nachlässigere Stellung an.

Felton stand auf.

»Ihr werdet auf diese Art dreimal des Tags bedient werden, Madame,« sprach er, »Morgens um neun Uhr, Mittags um ein Uhr und Abends um acht Uhr. Wenn Euch das nicht genehm ist, so könnt Ihr andere Stunden statt derer, welche ich Euch vorschlage, nennen, und man wird sich in dieser Beziehung Euern Wünschen fügen.«

»Aber soll ich denn immer in dieser großen, traurigen Stube allein bleiben?« fragte Mylady.

»Eine Frau aus der Gegend ist bestellt, sie wird morgen im Schlosse sein und zu Euch kommen, so oft Ihr ihre Gegenwart wünscht.«

»Ich danke Euch, mein Herr,« antwortete die Gefangene demüthig.

Felton grüßte leicht und wandte sich nach der Thüre. In dem Augenblick, wo er über die Schwelle treten wollte, erschien Lord Winter, gefolgt von dem Soldaten, der ihn von Myladys Ohnmacht in Kenntnis gesetzt hatte, in der Flur; er hielt einen Flacon mit Riechsalz m der Hand.

»Wie! was geht denn hier vor?« sprach er mit spöttischem Tone, als er sah, daß seine Gefangene aufrecht stand und Felton im Begriff war zu gehen. »Die Todte ist also wieder erweckt? Mein Gott, Felton, mein Junge, hast Du denn nicht wahrgenommen, daß man Dich für einen Neuling hielt und den ersten Akt einer Komödie mit Dir spielte, dessen ganze Entwicklung zu verfolgen wir ohne Zweifel das Vergnügen haben werden?«

»Ich habe es wohl gedacht, Mylord,« erwiderte Felton, »aber da die Gefangene im Ganzen doch eine Frau ist, so wollte ich die Rücksicht nehmen, die ein Mann von guter Geburt einem weiblichen Wesen schon um seiner selbst willen schuldig ist.«

Mylady bebte am ganzen Leibe. Diese Worte liefen wie Eis durch alle ihre Adern.

»Diese schönen Haare,« versetzte Lord Winter lächelnd, »diese schönen, so geschickt ausgebreiteten Haare, diese weiße Haut, dieser schmachtende Blick haben Dich also nicht verführt, Marmorherz?«

»Nein, Mylord,« antwortete der unempfindliche junge Mann, »glaubt mir, es bedarf mehr, als der Frauen-Kunstgriffe und Koketterien, um mich zu bestechen.«

»Wenn dem so ist, mein braver Lieutenant, so mag Mylady etwas Anderes ersinnen, und wir wollen zu Nacht speisen. Oh! sei ruhig, sie hat eine furchtbare Phantasie, und der zweite Akt der Komödie wird bald dem ersten folgen.«

Nach diesen Worten nahm Lord Winter Felton beim Arme, und ging lachend mit ihm weg.

»Oh! ich werde schon finden, was Du brauchst,« murmelte Mylady zwischen den Zähnen; armer, verunglückter Mönch, umgekehrter Soldat, der Du Dir Deine Uniform aus einer Kutte geschnitten hast.«

»Doch, was ich noch bemerken wollte,« versetzte Lord Winter, auf der Schwelle stehen bleibend, »dieses Scheitern braucht Euch den Appetit nicht zu benehmen. Kostet das Huhn und die Fische, die ich bei meinem Ehrenwort nicht habe vergiften lassen. Ich bin ziemlich wohl mit meinem Koche zufrieden, und da er nichts von mir zu erben hat, so setze ich volles Vertrauen in ihn. Macht es wie ich. Gott befohlen, liebe Schwester. Bei Eurer nächsten Ohnmacht sehen wir uns wieder.«

Das war Alles, was Mylady zu ertragen vermochte. Ihre Hände zogen sich krampfhaft auf dem Lehnstuhl zusammen. Ihre Zähne knirrschten dumpf, ihre Augen folgten der Bewegung der Thüre, welche sich hinter Lord Winter und Felton schloß, und als sie sich allein sah, fühlte sie sich von einer neuen Krisis der Verzweiflung befallen. Sie schaute nach dem Tische, gewahrte ein Messer, stürzte darauf los und ergriff es. Aber es trat sogleich eine grausame Enttäuschung ein, die Klinge war rund, und von biegsamem Silber.

Ein schallendes Gelächter wurde an der Thüre hörbar, und diese öffnete sich wieder.

»Ah! ah!« rief Lord Winter, »ah, ah! siehst Du wohl, mein braver Felton, was ich Dir gesagt habe? Dieses Messer war für Dich bestimmt, mein Kind, sie hätte Dich umgebracht. Siehst Du, das ist eine ihrer Verkehrtheiten, daß sie sich der Leute, welche sie geniren, auf die eine oder die andere Weise entledigt. Wenn ich auf Dich gehört hätte, so wäre das Messer spitzig und von Stahl gewesen, dann gäbe es keinen Felton mehr; sie hätte Dich erstochen und nach Dir die ganze Welt. Siehst Du, John, wie sie das Messer so gut zu halten weiß!«

Mylady hielt in der That noch die unschädliche Waffe in ihrer Hand. Die letzte Beleidigung löste ihre Hände, ihre Kräfte und sogar ihren Willen auf. Das Messer fiel zu Boden.

»Ihr habt Recht, Mylord,« sprach Felton mit einem Ausdruck des tiefsten Ekels, der in dem Herzen Myladys wiederhallte, »Ihr habt Recht und ich hatte Unrecht.«

Hierauf entfernten sich Beide abermals.

Aber diesmal horchte Mylady aufmerksamer, als das erste Mal, und sie hörte, wie ihre Tritte nach und nach im Hintergrunde der Flur erstarben.

»Ich bin verloren,« murmelte sie, »ich befinde mich in der Gewalt von Leuten, auf die ich nicht mehr Einfluß ausüben werde, als auf Bildsäulen von Erz oder Granit. Sie kennen mich auswendig und sind gegen alle meine Waffen gepanzert.«

»Doch diese Sache kann unmöglich,« sprach sie nach einem Augenblick, »so endigen, wie sie es beschlossen haben.«

Die Furcht und das Gefühl der Schwäche schwammen, wie dies die letztere Betrachtung, die instinktmäßige Rückkehr zur Hoffnung, andeutete, nicht lange oben in dieser tiefen Seele.

Mylady setzte sich zu Tische, aß von mehreren Gerichten, trank ein wenig spanischen Wein und fühlte ihre ganze Entschlossenheit wieder erwachen.

Ehe sie sich schlafen legte, hatte sie bereits die Worte, die Schritte, die Geberden, die Zeichen und sogar das Stillschweigen ihrer Kerkermeister erklärt, analysirt, von allen Seiten betrachtet, in allen Punkten geprüft, und aus diesem geschickten, geistreichen Studium hatte sie entnommen, daß Felton jedenfalls der weniger unverwundbare von Beiden war.

Ein Wort besonders tauchte immer wieder im Geiste der Gefangenen auf.

»Wenn ich auf Dich gehört hätte,« hatte Lord Winter zu Felton gesagt.

Felton hatte also zu ihren Gunsten gesprochen, da ihn Lord Winter nicht hören wollte.

»Dieser Mensch,« wiederholte Mylady, »hat also jedenfalls einen mehr oder minder starken Anflug von Mitleid in seinem Herzen. Diesen Schimmer werde ich zu einem Brande anfachen, der ihn verzehren soll. Der andere kennt mich, er fürchtet mich und weiß, was er von mir zu erwarten hat, wenn ich je seinen Händen entkomme. Es ist also vergeblich, etwas gegen ihn zu versuchen. Aber bei Felton ist es etwas Anderes. Er ist ein unschuldiger reiner junger Mann, ein tugendhafter Mensch, wie es scheint. Bei ihm gibt es ein Mittel, ihn zu verderben.«

Und Mylady legte sich nieder und entschlummerte mit einem Lächeln auf den Lippen. Wer sie schlafend sah, hätte glauben können, ein junges Mädchen liege vor ihm und träume von dem Blumenkranz, den es beim nächsten Fest auf seiner Stirne tragen solle.

XXV.

Zweiter Tag der Gefangenschaft.

Mylady träumte, sie habe d’Artagnan endlich erwischt und wohne seiner Hinrichtung bei; der Anblick seines unter dem Henkerbeil entströmenden verhaßten Blutes brachte dieses reizende Lächeln auf ihre Lippen. Sie schlief, wie ein Gefangener schläft, der durch seine erste Hoffnung eingewiegt wird.

Als man am andern Morgen in ihr Zimmer trat, lag sie noch im Bette. Felton verweilte in der Flur. Er brachte die Frau, von der er am Abend zuvor gesprochen hatte. Diese Frau trat ein, näherte sich dem Bette Mylady’s und bot ihr ihre Dienste an.

Mylady war gewöhnlich bleich, ihre Gesichtsfarbe konnte also diejenige täuschen, die sie zum erstenmale sah.

»Ich habe das Fieber,« sprach sie, »und konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun. Ich leide furchtbar. Werdet Ihr menschlicher sein, als man gestern gegen mich gewesen ist? Ich verlange nichts Anderes, als liegen bleiben zu dürfen.«

»Wollt Ihr, daß man einen Arzt rufe?« sprach die Frau.

Felton hörte diesen Dialog an, ohne ein Wort zu sagen. Mylady überlegte, daß sie, je mehr man sie mit Menschen umgebe, desto mehr Leute hätte, die sie zum Mitleid bewegen könnte, und daß sich sodann die Wachsamkeit Lord Winters verdoppeln müßte. Ueberdies konnte der Arzt erklären, die Krankheit sei nur geheuchelt, und Mylady wollte, nachdem sie die erste Partie verloren hatte, die zweite nicht ebenfalls verlieren.

»Einen Arzt holen,« sagte sie, »wozu soll dies nützen? Diese Herren haben gestern erklärt, mein Uebel sei eine Komödie. Heute würde wohl dasselbe der Fall sein. Denn seit gestern Abend hat man Zeit genug gehabt, den Arzt zu benachrichtigen.«

»Nun, so sagt selbst,« sprach Felton ungeduldig, »welche Kur Ihr wünscht.«

»Ei, mein Gott, weiß ich es denn? ich fühle, daß ich leide; das ist Alles. Man gebe mir, was man will, es ist mir ganz gleichgültig!«

»Holt Lord Winter,« sagte Felton, der ewigen Klagen müde.

»Oh! nein, nein!« rief Mylady, »nicht, mein Herr, ruft ihn nicht! Ich beschwöre Euch, ich befinde mich wohl! ich brauche nichts; ruft ihn nicht!«

Sie sprach diese Worte mit einer so natürlichen Heftigkeit, daß Felton, davon hingerissen, einige Schritte in das Zimmer that.

»Er ist bewegt,« dachte Mylady.

»Wenn Ihr jedoch wirklich leidet, Madame,« sagte Felton, »so wird man einen Arzt holen, und täuscht Ihr uns, nun, um so schlimmer für Euch; wir haben uns wenigstens nichts vorzuwerfen.«

Mylady antwortete nicht, sondern sie warf ihren schönen Kopf auf das Kissen zurück und fing an zu weinen und zu schluchzen.

Felton betrachtete sie mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit. Als er aber sah, daß die Krisis sich zu verlängern drohte, ging er weg. Die Frau folgte ihm. Lord Winter erschien nicht.

»Ich glaube, ich fange an, klar zu sehen,« murmelte Mylady mit einer wilden Freude und begrub sich unter ihren Betttüchern, um allen denjenigen, welche sie beobachten könnten, diesen Ausbruch innerer Befriedigung zu verbergen.

Es schlug zehn Uhr.

»Nun ist es Zeit, die Krankheit aufhören zu lassen,« sagte sie. »Wir wollen aufstehen, und schon heute einigen Erfolg zu gewinnen suchen. Ich habe nur zehn Tage, und heute Abend und bereits zwei davon abgelaufen.«

Die Bedienung hatte, als sie am Morgen in Mylady’s Zimmer getreten war, ihr das Frühstück gebracht. Nun dachte die Gefangene, man werde es ihr bald wegnehmen, und sie werde bei dieser Gelegenheit Felton wiedersehen.

Mylady täuschte sich nicht. Felton erschien abermals und gab, ohne nachzusehen, ob Mylady das Frühstück berührt hatte oder nicht, Befehl, den Tisch wegzutragen, den man gewöhnlich ganz serviert brachte.

Felton blieb zurück. Er hielt ein Buch in seiner Hand. In einem Fauteuil in der Nähe des Kamins liegend, glich Mylady, schön, bleich und ergebungsvoll, einer heiligen Jungfrau, welche dem Märtyrerthum entgegensieht.

Felton näherte sich ihr und sprach:

»Lord Winter, der ein Katholik ist, wie Ihr, Madame, glaubte, die Entbehrung der Gebräuche und Zeremonien Eurer Religion dürfte schmerzlich für Euch sein. Er erlaubt also, daß Ihr jeden Tag die gewöhnlichen Gebete Eurer Messe lest, und hier ist ein Buch, welches das Ritual enthält.«

Bei der Miene, mit der Felton dieses Buch auf das Tischchen legte, an welchem Mylady saß, bei dem Tone, mit dem er die zwei Worte Eurer Messe aussprach, bei dem verächtlichen Lächeln, womit er dieselben begleitete, hob Mylady das Haupt und schaute den Offizier aufmerksamer an.

An dem ernsten Schnitt des Haares, an der einfachen Tracht, an der Stirne, die so glatt war wie Marmor, aber hart und undurchdringlich wie dieser, erkannte sie einen von den finstern Puritanern, dergleichen sie sowohl am Hof des Königs Jakob, als am Hof des Königs von Frankreich, wo sie zuweilen trotz der Erinnerung an die Sanct-Bartholomäusnacht Zuflucht suchten, so häufig getroffen hatte.

Sie hatte daher eine jener raschen Eingebungen, wie sie nur Leute von Genie in großen Krisen, in den äußersten Momenten, die über Glück und Leben entscheiden sollen, zu bekommen pflegen.

Die zwei Worte Eurer Messe und ein einziger Blick auf Felton hatten ihr in der That das ganze Gewicht der Antwort enthüllt, welche sie zu geben im Begriffe war.

Aber mit dem ihr eigenthümlichen schnellen Geistesblick trat diese Antwort sogleich ganz fertig auf ihre Lippen, und mit einer verächtlichen Betonung, welche sie mit dem Ausdruck in Einklang brachte, den sie in der Stimme des jungen Mannes wahrgenommen hatte, erwiderte sie:

»Ich, mein Herr? meine Messe? Lord Winter, der verdorbene Katholik, weiß ganz wohl, daß ich nicht seiner Religion angehöre, und es ist nur eine Falle, die er mir legen will.«

»Von welcher Religion seid Ihr denn, Madame?« fragte Felton mit einem Staunen, das er trotz seiner Selbstbeherrschung nicht ganz zu verbergen vermochte.

»Ich werde es sagen!« rief Mylady mit einer erheuchelten Begeisterung, »ich werde es sagen, wenn ich genug für meine Religion gelitten haben werde.«

Der Blick Feltons enthüllte vor Mylady die ganze Ausdehnung des Raumes, den sie sich durch dieses einzige Wort geöffnet hatte.

Der junge Mann blieb indessen stumm und unbeweglich. Sein Blick hätte allein gesprochen.

»Ich bin in den Händen meiner Feinde,« fuhr sie in jenem Tone der Begeisterung fort, von dem sie wußte, daß er den Puritanern eigenthümlich war. »Gott mag mich retten, oder ich mag für meinen Gott untergehen! Das ist die Antwort, die ich Euch Lord Winter zu überbringen bitte,« fügte sie bei und deutete mit der Fingerspitze auf das Gebetbuch, jedoch ohne es zu berühren, als hätte sie sich durch eine solche Berührung verunreinigt geglaubt, »Ihr könnt dieß zurückbringen und gebraucht es für Euch selbst; denn Ihr seid ohne Zweifel ein doppelter Mitschuldiger von Lord Winter, mitschuldig bei seiner Verfolgung, mitschuldig bei seiner Ketzerei.«

Felton antwortete nicht. Er nahm das Buch mit demselben Gefühl des Widerwillens, das er bereits kund gegeben hatte, und zog sich nachdenklich zurück.

Lord Winter erschien gegen fünf Uhr Abends. Mylady hatte den ganzen Tag Zeit gehabt, den Plan für ihr Benehmen zu entwerfen. Sie empfing ihn als eine Frau, die bereits wieder in alle ihre Vortheile eingetreten ist.

»Es scheint,« sagte der Baron, indem er sich Mylady gegenüber in einen Lehnstuhl setzte und seine Füße nachläßig gegen den Kamin ausstreckte, »es scheint, wir haben eine kleine Apostasie gemacht.«

»Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«

»Ich will damit sagen, daß Ihr, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, die Religion gewechselt habt. Solltet Ihr zufällig einen dritten protestantischen Gatten genommen haben?«

»Erklärt Euch, Mylord,« entgegnete die Gefangene mit Majestät; »denn ich sage Euch, daß ich Eure Worte zwar höre, aber nicht verstehe.«

»Dann habt Ihr gar keine Religion, und das gefällt mir noch besser,« versetzte Lord Winter mit Hohnlachen.

»Jedenfalls stimmt es besser zu Euren Grundsätzen,« sprach Mylady kalt.

»Ich muß Euch gestehen, daß mir dies vollkommen gleichgültig ist.«

»Gesteht immerhin diese religiöse Gleichgültigkeit, Eure Ausschweifungen und Verbrechen sind hinreichende Belege hiefür.«

»Wie, Ihr sprecht von Ausschweifungen, Frau Messalina, Ihr sprecht von Verbrechen, Lady Macbeth? Entweder habe ich unrecht verstanden, oder Ihr seid bei Gott! sehr unverschämt.«

»Ihr sprecht so, weil man uns hört, mein Herr,« erwiderte Mylady mit kaltem Tone, »und weil Ihr Eure Kerkermeister und Henker gegen mich einnehmen wollt.«

»Meine Kerkermeister, meine Henker! potz tausend, Madame, Ihr stimmt einen kuriosen Ton an, und die Komödie von gestern verwandelt sich heute Abend in eine Tragödie. Uebrigens werdet Ihr in acht Tagen da sein, wo Ihr sein sollt, und meine Aufgabe ist geendigt.«

»Schandfleck, heilloser Schandfleck!« rief Mylady mit der Begeisterung des Opfers, das seine Richter herausfordert.

»Bei meinem Ehrenwort, ich glaube, die drollige Person wird verrückt,« sagte Lord Winter. »Seid ruhig, Frau Puritanerin, oder ich lasse Euch in den Kerker werfen. Bei Gott! mein spanischer Wein steigt Euch in den Kopf, nicht wahr? Aber seid unbesorgt, diese Trunkenheit ist nicht gefährlich und wird keine Folgen haben.«

Und Lord Winter zog sich fluchend zurück, was in jener Zeit eine ganz ritterliche Gewohnheit war.

Felton stand allerdings vor der Thüre und hatte kein Wort von dieser ganzen Scene verloren.

Mylady hatte ihn richtig errathen.

»Ja, gehe, gehe!« sagte sie zu ihrem Schwager, »die Folgen kommen im Gegentheil: aber Du sollst sie erst erfahren, wenn es nicht mehr Zeit ist, sie zu vermeiden.«

Es trat wieder eine völlige Stille ein. Zwei Stunden verliefen und man brachte das Abendbrod; man fand Mylady mit ihrem Gebet beschäftigt, mit einem Gebet, das sie von einem Diener ihres zweiten Gatten, einem äußerst strengen Puritaner, gelernt hatte. Sie schien in eine solche Begeisterung versetzt, daß man glauben konnte, sie achte ganz und gar nicht auf das, was um sie her vorging. Felton befahl durch ein Zeichen, sie nicht zu stören, und als Alles in Ordnung war, entfernte er sich geräuschlos mit den Soldaten.

Mylady wußte, daß sie beobachtet werden konnte, sie setzte deßhalb ihr Gebet bis zum Schlusse fort, und es kam ihr vor, als ob der Soldat, der an ihrer Thüre Wache hielt, nicht mehr in demselben Schritt marschirte, sondern horchte.

Für den Augenblick wollte sie nicht mehr; sie stand auf, setzte sich zu Tische, aß wenig und trank nur Wasser.

Eine Stunde nachher kam man, um den Tisch wegzunehmen. Aber Mylady bemerkte, daß Felton die Soldaten diesmal nicht begleitete.

Er fürchtete also, sie zu oft zu sehen.

Sie wandte sich ab, um zu lächeln, denn in diesem Lächeln lag ein so triumphirender Ausdruck, daß sie sich schon dadurch hätte verrathen können.

Abermals ließ sie eine halbe Stunde vergehen, und da in diesem Augenblick Alles in dem alten Schlosse still war und man nur das ewige Gemurmel des Meeres, dieses ungeheure Athemholen des Oceans, vernahm, so stimmte sie mit ihrer reinen, klangreichen, vibrirenden Stimme den ersten Vers des folgenden, damals bei den Puritanern sehr beliebten, Psalmes an:

»Herr Du verläßt uns nur.
Zu prüfen uns’re Stärke,
Doch Deine Himmelshand
Beut dann den Preis für unsere Werke.«

Diese Verse waren nicht ausgezeichnet, dazu fehlte im Gegentheil noch viel: aber die Protestanten kümmerten sich nichts um die Poesie.

Während Mylady sang, horchte sie zugleich. Der Soldat, welcher vor ihrer Thüre Wache hielt, stand stille, als ob er in Stein verwandelt worden wäre. Mylady konnte hienach die Wirkung beurtheilen, die sie hervorgebracht hatte.

Sie setzte nun ihren Gesang mit unaussprechlicher Inbrunst und Gefühlsfülle fort. Es kam ihr vor, als verbreiteten sich die Töne in der Feme unter den Gewölben und müßten wie ein magischer Zauber das Herz ihrer Kerkermeister erweichen. Jedoch, der Soldat, welcher Schildwache stand, ohne Zweifel ein eifriger Katholik, schüttelte den Zauber ab, denn er öffnete das in der Thüre angebrachte Gitter und sprach:

»Schweigt, Madame, Euer Gesang ist traurig, wie de profundis, und wenn man, außer dem Vergnügen, hier in Garnison zu sein, auch noch solche Dinge hören müßte, so wäre es nicht auszuhalten.«

»Stille!« sagte eine tiefe Stimme, an der Mylady Felton erkannte. »In was mischt Ihr Euch, Bursche? Hat man Euch geboten, diese Frau im Singen zu hindern? Nein! man hat Euch gesagt, Ihr sollt sie bewachen und auf sie schießen, wenn sie zu entweichen suchen würde. Bewacht sie, schießt auf sie, wenn sie entweichen will, aber ändert nichts an dem Befehl.«

Ein Ausdruck unnennbarer Freude erleuchtete das Antlitz Mylady’s, aber dieser Ausdruck war flüchtig, wie der Wiederstrahl eines Blitzes, und als ob sie das Zwiegespräch nicht gehört hätte, von dem sie kein Wort verlor, fuhr sie zu singen fort, indem sie ihrer Stimme den ganzen Zauber, den ganzen Umfang, die ganze Verführungskraft verlieh, womit sie von einem Dämon ausgerüstet war.

»Für so viele Thränen, Elend, Bann und Ketten
Bleibt mir Gebet noch, Kraft und Jugend,
Gott zählt sie selbst, die Zahl der Schrecken,
Und lohnt sie mit dem Lohn der Tugend.«

Diese Stimme von unerhörtem Umfang und voll erhabener Leidenschaft gab der rohen, ungeschliffenen Poesie dieser Psalmen eine Zauberkraft, welche selbst die begeisterten Puritaner nur selten in den Gesängen ihrer Brüder fanden: Felton glaubte den Engel singen zu hören, der die drei Hebräer im feurigen Ofen tröstete.

Mylady fuhr fort:

»Er kommt gewiß, gerechter großer Gott,
Des Leidens Lösetag,
Und immer bleibt uns Märtyrthum und Tod,
Ob jener auch die Hoffnung täuschen mag.«

Dieser Vers, in welchen die furchtbare Zauberin ihre ganze Seele legte, vollendete die Verwirrung im Herzen des jungen Offiziers. Er öffnete heftig die Thüre und Mylady sah ihn bleich wie immer, aber mit glühenden, beinahe irren Augen eintreten.

»Warum singt Ihr so,« sprach er, »und mit einer solchen Stimme?«

»Ich bitte um Vergebung, mein Herr,« erwiderte Mylady mit sanftem Tone. »Ich vergaß, daß meine Lieder in diesem Hause nicht gebräuchlich sind. Ich habe Euch ohne Zweifel in Eurem Glauben verletzt, aber ich schwöre Euch, es geschah unwillkürlich. Verzeiht mir also einen Fehler, der vielleicht groß, aber gewiß absichtslos ist.«

Mylady war in diesem Augenblick so schön, die religiöse Begeisterung, in welche sie sich versetzt hatte, gab ihrem Gesicht einen solchen Ausdruck, daß es Felton in seiner Verblendung vorkam, als sähe er den Engel, den er kurz zuvor zu hören geglaubt hatte.

»Ja, ja,« antwortete er, »ja, Ihr stört die Leute, die dieses Schloß bewohnen, Ihr bringt sie in Aufregung.«

Der arme Thor bemerkte nicht einmal die Zusammenhangslosigkeit seiner Rede, während Mylady ihr Luchsauge in die tiefste Tiefe seiner Seele tauchte.

»Ich werde schweigen,« sprach Mylady, indem sie mit der ganzen Weichheit, die sie ihrer Stimme, mit der ganzen Resignation, die sie ihrer Haltung zu geben vermochte, die Augen niederschlug.

»Nein, nein, Madame,« erwiderte Felton, »singt nur etwas weniger laut, besonders bei Nacht.«

Nach diesen Worten verließ Felton eilig das Zimmer, da er fühlte, daß er der Gefangenen gegenüber seine Strenge nicht länger zu bewahren vermochte.

»Ihr habt wohl gethan, Lieutenant,« sagte der Soldat. »Solche Gesänge drehen das Herz um; doch man gewöhnt sich am Ende daran. Die Stimme ist so schön!«

XXVI.

Dritter Tag der Gefangenschaft.

Felton war gekommen, aber es blieb noch ein Schritt zu thun: man mußte ihn zurückhalten oder er mußte vielmehr von selbst bleiben, und Mylady sah nur dunkel das Mittel, das sie zu diesem Resultate führen sollte.

Man brauchte noch mehr, man mußte ihn zum Sprechen bringen, um ebenfalls mit ihm zu sprechen; denn Mylady wußte wohl, daß ihre größte Versuchungskraft in ihrer Stimme lag, welche so geschickt die ganze Tonleiter von dem menschlichen Wort bis zur himmlischen Sprache durchlief.

Aber trotz dieser Verführungskunst konnte Mylady an dem geringsten Zufall scheitern, denn Felton war unterrichtet. Von nun an beobachtete sie alle seine Handlungen, alle seine Worte, den einfachsten Blick seiner Augen, jede Geberde, jedes Athemholen, das man als einen Seufzer halten konnte, kurz sie studirte Alles, wie ein geschickter Schauspieler, dem man eine Rolle in einem Fach gegeben hat, worin er nicht gewöhnlich auftritt.

Lord Winter gegenüber war ihr Benehmen leichter; in Beziehung auf ihn hatte sie schon am Tage vorher ihren ganzen Operationsplan festgestellt; stumm und würdig in seiner Anwesenheit bleiben, ihn zuweilen durch eine geheuchelte Verachtung, durch ein geringschätziges Wort reizen, ihn zu Drohungen und Gewaltthätigkeiten antreiben, die einen Kontrast mit ihrer Resignation bilden würden, dies war ihr Plan. Felton würde sehen, er würde vielleicht nichts sagen, aber er würde sehen.

Am Morgen kam Felton, wie gewöhnlich. Mylady ließ ihn allen Vorbereitungen zu ihrem Frühstück beiwohnen, ohne ein Wort an ihn zu richten.

In dem Augenblick, wo er sich entfernen wollte, belebte sie daher ein Hoffnungsschimmer, denn sie glaubte, er wolle sprechen; aber seine Lippen bewegten sich, ohne daß ein Ton aus seinem Munde kam, mit einer gewaltigen Anstrengung verschloß er die Worte, die seinen Lippen entschlüpfen wollten, und verließ das Zimmer.

Gegen Mittag trat Lord Winter ein.

Es war ein schöner Sommertag, und ein Strahl der bleichen Sonne Englands, welche erleuchtet und nicht erwärmt, drang durch die Gitter des Gefängnisses.

Mylady schaute durch das Fenster und stellte sich, als ob sie das Oeffnen der Thüre nicht hörte.

»Ah, ah,« sagte Lord Winter, »nachdem man abwechselnd Komödie und Tragödie gespielt hat, spielt man jetzt Melancholie.«

Die Gefangene antwortete nicht.

»Ja, ja, ich verstehe,« fuhr Lord Winter fort. »Ihr möchtet wohl auf diesem Gestade in Freiheit sein, Ihr möchtet wohl auf einem guten Schiff die Wellen dieser smaragdgrünen See durchfurchen. Ihr möchtet, sei es zu Wasser oder zu Land, mir einen jener guten kleinen Hinterhalte legen, die Ihr so schön einzurichten wißt. Geduld, Geduld! in vier Tagen ist Euch das Gestade erlaubt und die See geöffnet, mehr vielleicht, als Ihr wünschen möget, denn in vier Tagen ist England von Euch befreit.«

Mylady faltete die Hände und schlug ihre schönen Augen zum Himmel auf.

»Herr, Herr,« sprach sie mit englischer Weichheit der Geberde und Betonung, »vergib diesem Manne, wie ich ihm selber vergebe!«

»Ja bete. Verdammte!« rief der Baron, »Dein Gebet ist um so edelmüthiger, als Du Dich, ich schwöre es Dir, in der Gewalt eines Menschen befindest, der Dir nicht vergeben wird.«

Und er entfernte sich.

Im Moment wo er hinausging, glitt ein scharfer Blick durch die halbgeöffnete Thür, und sie gewahrte Felton, der sich rasch auf die Seite drückte, um nicht gesehen zu werden.

Dann warf sie sich auf die Kniee und fing an zu beten.

»Mein Gott! mein Gott!« sagte sie, »Du weißt, für was für eine heilige Sache ich leide. Gib mir die Kraft, das Leiden zu ertragen.«

Die Thüre wurde sachte geöffnet, die schöne Beterin gab sich den Anschein, als hätte sie es nicht einmal gehört, und fuhr mit einer thränenreichen Stimme fort:

»Rächender Gott! Gott der Güte! wirst Du die schändlichen Pläne dieses Mannes in Erfüllung gehen lassen?«

Jetzt erst stellte sie sich, als hörte sie das Geräusch der Tritte Feltons; sie sprang rasch wie ein Gedanke aus und erröthete, als schämte sie sich, auf den Knieen getroffen worden zu sein.

»Ich störe Betende nicht gerne, Madame,« sprach Felton mit ernstem Tone. »Laßt Euch also nicht durch mich unterbrechen, ich beschwöre Euch darum.«

»Woher wißt Ihr, daß ich betete?« sagte Mylady mit einer von Schluchzen erstickten Stimme. »Ihr täuschet Euch, mein Herr, ich betete nicht.«

»Glaubt Ihr denn, Madame,« antwortete Felton, mit demselben Ernst, doch mit etwas weicherem Ausdruck, »glaubt Ihr, ich halte mich für berechtigt, ein Geschöpf, das sich vor seinem Schöpfer niederwerfen will, daran zu verhindern? das wolle Gott verhüten! Ueberdies steht den Schuldigen die Reue wohl an, welches Verbrechen sie auch begangen haben mögen, ein Schuldiger ist mir heilig zu den Füßen Gottes.«

»Schuldig ich?« entgegnete Mylady mit einem Lächeln, das einen Engel des jüngsten Gerichts entwaffnet haben würde. »Schuldig, o mein Gott! Du weißt, ob ich es bin? Sagt, ich sei verdammt, mein Herr! Aber Ihr wißt, Gott, der die Märtyrer liebt, läßt es oft zu, daß die Unschuldigen auf dieser Erde verdammt werden.«

»Mögt Ihr verdammt, mögt Ihr unschuldig, mögt Ihr eine Märtyrin sein,« antwortete Felton, »Ihr habt um so mehr Grund zu beten, und ich werde Euch mit meinem Gebet unterstützen.«

»Oh! Ihr seid ein Gerechter,« rief Mylady ihm zu Füßen fallend, »hört, ich kann es nicht länger in mir verschließen, denn ich fürchte, es könnte mir in dem Augenblick, wo ich den Kampf bestehen und meinen Glauben bekennen soll, an Kraft mangeln; hört das Flehen einer Frau, welche von der Verzweiflung erfaßt ist. Man täuscht Euch, mein Herr, aber hievon soll nicht die Rede sein. Ich bitte Euch nur um eine Gnade, und wenn Ihr sie mir gewährt, werde ich Euch dafür in dieser und in der andern Welt segnen.«

»Sprecht mit dem Herrn, Madame,« sagte Felton, »ich habe zum Glück nicht den Auftrag, zu vergeben oder zu strafen. Gott hat diese Verantwortlichkeit einem Höheren übertragen.«

»Mit Euch, nein, mit Euch allein. Hört mich und tragt zu meinem Untergange, zu meiner Schmach bei.«

»Wenn Ihr diese Schmach verdient habt, Madame, wenn Ihr die Schande Euch selbst zuzuschreiben habt, so müßt Ihr Euch geduldig unterwerfen und in Gottes Willen fügen.«

»Was sagt Ihr? Oh! Ihr versteht mich nicht. Wenn ich von Schande spreche, so meint Ihr, ich spreche von einer Bestrafung, von Gefängnis oder vom Tod? Möchte es dem Himmel so gefallen! Was liegt mir an Tod oder Gefängniß?«

»Nun begreife ich Euch nicht, Madame,« sagte Felton.

»Oder Ihr stellt Euch, als ob Ihr mich nicht begriffet, mein Herr,« erwiderte die Gefangene mit einem zweifelhaften Lächeln.

»Nein, Madame, bei der Ehre eines Soldaten, bei dem Glauben eines Christen.«

»Wie! Ihr kennt die Absichten Lord Winters in Beziehung auf meine Person nicht?«

»Ich kenne sie nicht.«

»Unmöglich! Ihr, sein Vertrauter!«

»Ich lüge nie, Madame.«

»Doch er verstellt sich zu wenig, als daß man ihn nicht errathen sollte.«

»Ich suche nichts zu errathen, ich warte, bis man mir etwas anvertraut, und außer dem, was er mir in Eurer Gegenwart gesagt hat, ist mir von Lord Winter nichts anvertraut worden.«

»Wie!« rief Mylady mit einem unglaublichen Gepräge von Wahrheit, »Ihr seid also nicht sein Mitschuldiger! Ihr wißt nicht, daß er mir eine Schmach anzuthun gedenkt, der alle Strafen der Erde an Abscheulichkeit nicht gleichkommen?«

»Ihr täuscht Euch, Madame,« entgegnete Felton erröthend. »Lord Winter ist keines solchen Verbrechens fähig.«

»Gut!« sagte Mylady zu sich selbst, »er nennt das ein Verbrechen, ohne zu wissen, was es ist.«

Dann sprach sie laut:

»Der Freund des Schändlichen ist zu Allem fähig.«

»Wen nennt Ihr den Schändlichen?« fragte Felton.

»Gibt es in England zwei Menschen, denen ein solcher Name gebührt?«

»Ihr sprecht von George Villiers,« sagte Felton, dessen Blicke flammten.

»Den die Heiden, die Ungläubigen und die Gottlosen Herzog von Buckingham nennen,« versetzte Mylady; »ich hätte nicht geglaubt, daß in ganz England ein Mensch leben könnte, der einer so langen Erläuterung bedürfte, um denjenigen zu erkennen, von welchem ich sprechen wollte.«

»Die Hand des Herrn ist über ihm ausgestreckt, er wird der verdienten Strafe nicht entgehen.«

Felton sprach in Beziehung auf den Herzog nur das Gefühl der Verwünschung aus, das alle Engländer gegen den Mann hegten, den auch die Katholiken schlechtweg Satan nannten.

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief Mylady, »wenn ich Dich bitte, über diesen Menschen die ihm gebührende Strafe zu verhängen, so weißt Du, daß ich nicht meiner eigenen Rache Genüge thun will, sondern die Befreiung eines Volkes vom Himmel erflehe.«

»Ihr kennt ihn also?« fragte Felton.

»Endlich fragt er mich!« sagte Mylady zu sich selbst, voll Freude, so schnell zu einem so großen Resultat gelangt zu sein.

»Ob ich ihn kenne! oh ja! zu meinem Unglück, zu meinem ewigen Unglück.« Und Mylady rang die Hände, als ob sie von einem Paroxismus des Schmerzes befallen wäre.

Felton fühlte ohne Zweifel in seinem Innern, daß ihn die Kraft verließ; er machte einige Schritte gegen die Thüre; aber die Gefangene, welche ihn nicht aus den Augen ließ, lief ihm nach und hielt ihn zurück.

»Mein Herr!« rief sie, »seid barmherzig, hört meine Bitte. Das Messer, welches mir die unselige Klugheit des Barons genommen hat, weil er weiß, welchen Gebrauch ich davon machen will … Oh! hört mich bis zu Ende. Dieses Messer, oh! gebt es mir nur auf eine Minute zurück, gebt es mir aus Gnade, aus Mitleid. Ich umfasse Eure Kniee! Ihr schließt die Thüre, ich will nicht Euch an das Leben gehen. Gott! Euch an das Leben gehen. Euch, dem einzigen gerechten, guten und teilnehmenden Wesen, das ich getroffen habe! Euch, meinem Retter vielleicht. Eine Minute, nur eine Minute dieses Messer und ich gebe es Euch durch das Gitter der Thüre zurück! Nur eine Minute, Herr Felton, und Ihr habt meine Ehre gerettet!«

»Euch tödten!« rief Felton voll Schrecken und vergaß seine Hände denen seiner Gefangenen zu entziehen; »Euch tödten!«

»Ich habe es ausgesprochen, mein Herr,« murmelte Mylady, indem sie die Stimme sinken ließ und kraftlos auf den Boden niederfiel, »ich habe mein Geheimniß ausgesprochen! Er weiß Alles, mein Gott! ich bin verloren!«

Felton blieb unbeweglich und unentschlossen auf der Stelle.

»Er zweifelt noch,« dachte Mylady, »ich bin nicht wahr genug gewesen.«

Man hörte in der Flur gehen, Mylady erkannte den Tritt von Lord Winter.

Felton erkannte ihn ebenfalls und machte einen Schritt gegen die Thüre.

Mylady sprang auf und sagte mit gepreßter Stimme:

»Oh! nicht ein Wort, nicht ein Wort zu diesem Menschen von Allem, was ich Euch gesagt habe, oder ich bin verloren; und Ihr seid es … Ihr …«

Als die Tritte nun näher kamen, schwieg sie aus Furcht, ihre Stimme könnte gehört werden, und legte dabei mit einer Geberde unsäglichen Schreckens ihre schöne Hand Felton auf den Mund.

Felton stieß Mylady sanft zurück und diese sank auf eine Bank.

Lord Winter ging an der Thüre vorüber, ohne stehen zu bleiben, und man vernahm das Geräusch der Tritte, wie sie sich entfernten.

Bleich wie der Tod, horchte Felton einen Augenblick mit gespanntem Ohr; als aber das Geräusch gänzlich erstorben war, athmete er wie ein Mensch, der aus einem Traume erwacht, und stürzte aus dem Zimmer.

»Ah!« sagte Mylady, als sie die Tritte Feltons in entgegengesetzter Richtung sich ebenfalls verlieren hörte, »endlich bist Du mein.«

Dann verdüsterte sich ihre Stirne wieder.

»Wenn er bei dem Baron plaudert, bin ich verloren,« sagte sie, »denn der Baron, der wohl weiß, daß ich mir nicht das Leben nehme, wird mir in seiner Gegenwart ein Messer in die Hände geben, und Felton wird sehen, daß diese ganze große Verzweiflung nur eine Spiegelfechterei war.«

Sie stellte sich vor den Spiegel und beschaute sich: nie war sie so schön gewesen.

»Oh! ja,« sprach sie lächelnd, »aber er wird nicht plaudern.«

Am Abend erschien Lord Winter, als man Mylady ihr Mahl brachte.

»Mein Herr,« sprach Mylady, »ist Eure Gegenwart eine nothwendige Beigabe meiner Gefangenschaft, und könntet Ihr mir nicht den Zuwachs an Qualen ersparen, den mir Eure Besuche verursachen?«

»Wie, meine liebe Schwester, habt Ihr mir nicht auf eine ganz empfindsame Weise mit diesem schönen, heute aber gegen mich so grausamen, Munde angekündigt, Ihr seiet einzig und allein, um mich nach Gefallen sehen zu können, nach England gekommen, nur um diesen Genuß zu haben, dessen Entbehrung Ihr so sehr fürchtetet, wie Ihr mir sagt, daß Ihr Alles dafür gewagt habt, Seekrankheit, Sturm, Gefangenschaft? Uebrigens hat mein Besuch diesmal einen Grund.«

Mylady bebte; sie glaubte, Felton habe gesprochen; nie vielleicht fühlte diese Frau, welche so mächtige und entgegengesetzte Gemütsbewegungen erfahren hatte, ihr Herz so heftig schlagen.

Sie saß; Lord Winter nahm einen Lehnstuhl, stellte ihn neben sie, setzte sich und zog ein Papier aus seiner Tasche, das er langsam entfaltete.

»Hört,« sprach er, »ich wollte Euch diesen Paß zeigen, den ich selbst abgefaßt habe, und der Euch als Verhaltungs-Vorschrift in dem Leben dienen soll, das ich Euch lasse.«

Dann las er, seine Augen von Mylady ab und nach dem Papier wendend:

»Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach … der Name ist noch nicht eingetragen,« unterbrach sich Winter, »wenn Ihr einem Orte den Vorzug gebt, so sagt es mir; beträgt die Entfernung wenigstens zwei tausend Meilen von London, so soll Euch willfahrt werden. Ich fahre also fort: Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach … zu führen. Sie wird an diesem Orte bleiben, ohne sich je mehr als drei Meilen davon zu entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches soll die Todesstrafe an ihr vollzogen werden. Sie erhält täglich fünf Schillinge für Kost und Wohnung.«

»Dieser Befehl betrifft mich nicht,« sprach Mylady kalt, »da ein anderer Name als der meinige, eingetragen ist.«

»Ein Name! habt Ihr einen Namen?«

»Ich habe den Eures Bruders.«

»Ihr täuscht Euch; mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Sagt mir seinen Namen und ich werde ihn an die Stelle von Charlotte Backson setzen. Nicht? Ihr wollt nicht? … Ihr schweigt. Gut; Ihr werdet unter dem Namen Charlotte Backson in das Gefangenen-Register eingetragen.«

Mylady blieb stumm; diesmal aber geschah es nicht aus Verstellung, sondern vor Schrecken. Sie glaubte, der Befehl werde alsbald vollstreckt werden; sie fürchtete, Lord Winter habe ihre Abreise beschleunigt; sie glaubte sich verurtheilt, schon an demselben Abend weggebracht zu werden; für einen Augenblick war in ihrem Innern Alles verloren, als sie plötzlich bemerkte, daß der Befehl noch nicht mit einer Unterschrift versehen war.

Die Freude, welche ihr diese Entdeckung gewährte, war so groß, daß sie nicht die Kraft besaß, sie zu verbergen.

»Ja, ja,« sprach Lord Winter, als er wahrnahm, was in ihr vorging, »ja, Ihr sucht die Unterschrift, und sagt Euch: »»Noch ist nicht Alles verloren, da diese Akte nicht unterzeichnet ist. Man zeigt sie mir, um mir Schrecken einzuflößen, das ist das Ganze.«« Ihr täuscht Euch: morgen wird dieser Befehl Lord Buckingham zugeschickt, übermorgen kommt er von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen zurück, und vierundzwanzig Stunden nachher, dafür stehe ich Euch, beginnt der Anfang der Vollstreckung. Gott befohlen, Madame, ich habe Euch sonst nichts zu sagen.«

»Und ich, mein Herr, erkläre Euch, daß dieser Mißbrauch der Gewalt, daß diese Verbannung unter einem fremden Namen eine Niederträchtigkeit ist.«

»Wollt Ihr vielleicht lieber unter Euerem eigenen Namen gehenkt werden? Ihr wißt, die englischen Gesetze sind unerbittlich im Punkte einer Doppelehe; erklärt Euch ganz offen; obgleich mein Name oder vielmehr der meines Bruders in diese Geschichte verflochten ist, scheue ich doch den Scandal eines öffentlichen Prozesses nicht, wenn ich überzeugt sein kann, daß ich mit Einem Schlag von Euch befreit werde.«

Mylady antwortete nicht, wurde aber leichenblaß.

»Oh, ich sehe, daß Ihr die Auswanderung vorzieht. Vortrefflich, Madame, ein altes Sprichwort behauptet: Reisen bilden die Jugend. Meiner Treu, Ihr habt nicht ganz Unrecht, das Leben ist so schön! Darum habe ich auch ganz und gar keine Lust, mich von Euch umbringen zu lassen. Es bleibt also noch der Punkt der fünf Schillinge zu ordnen; ich zeige mich hier etwas sparsam, nicht wahr? Das kommt davon her, daß ich Euch die Möglichkeit rauben will. Eure Wächter zu bestechen. Uebrigens besitzt Ihr immer noch Eure Reize, um sie zu verführen. Benützt sie, wenn der Umstand, daß Ihr bei Felton gescheitert seid, Euch nicht einen Widerwillen gegen dergleichen Versuche beigebracht hat.«

»Felton hat nicht gesprochen,« sagte Mylady zu sich selbst, »noch ist nichts verloren.«

»Und nun, Madame, auf Wiedersehen! Morgen werde ich Euch den Abgang meines Boten melden.«

Lord Winter stand auf, verbeugte sich ironisch vor Mylady und verließ das Zimmer.

Mylady athmete: sie hatte noch vier Tage vor sich, vier Tage genügten ihr, um Felton vollends zu verführen.

Ein furchtbarer Gedanke tauchte in ihr auf, der Gedanke, Lord Winter könnte Felton selbst abschicken, um den Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen; auf diese Art entging ihr Felton, denn es bedurfte des Zaubers einer fortwährenden Verführung, wenn die Gefangene ihren Plan zum Ziel führen sollte.

Doch, wie gesagt, ein Umstand beruhigte sie; Felton hatte nicht gesprochen.

Sie wollte sich nicht das Ansehen geben, als ob Winters Drohungen ihr zu Herzen gingen; deßhalb setzte sie sich zu Tisch und speiste.

Dann warf sie sich, wie am Tage vorher, auf die Kniee und betete laut. Der Soldat hörte, wie am Tage vorher auf, im Gange umherzumarschiren, blieb vor der Thüre stille stehen und lauschte.

Bald vernahm sie leichtere Tritte, als die der Wache, welche aus dem Hintergrunde der Flur kamen und vor ihrer Thüre still anhielten.

»Er ist es,« sagte sie.

Und sie stimmte denselben religiösen Gesang an, der am Abend vorher Felton so sehr exaltirt hatte.

Aber ihre Thüre blieb verschlossen, obgleich ihre sanfte, volle, sonore Stimme harmonischer, ergreifender vibrirt hatte, als je. Wohl glaubte Mylady bei einem flüchtigen Blicke, den sie nach dem Gitter warf, die glühenden Augen des jungen Mannes gesehen zu haben, aber ob es nun Wirklichkeit oder eine Vision war, diesmal hatte er die Macht über sich selbst, nicht einzutreten.

Nur meinte Mylady einige Augenblicke, nachdem sie ihren religiösen Gesang vollendet hatte, einen tiefen Seufzer zu vernehmen; dann entfernten sich dieselben Tritte, welche sie kommen gehört hatte, langsam und mit Widerwillen.

XXVII.

Vierter Tag der Gefangenschaft.

Als Felton am andern Tage bei Mylady eintrat, stand sie auf einem Stuhle und hielt einen, mittelst mehrerer in Streifen zerrissener Batistsacktücher geflochtenen Strick in der Hand. Bei dem Geräusch, das Felton durch das Oeffnen der Thüre verursachte, sprang Mylady leise vom Stuhle herab und suchte den improvisirten Strick hinter sich zu verbergen.

Der junge Mann war noch bleicher als gewöhnlich, und seine von der Schlaflosigkeit gerötheten Augen verriethen, daß er eine fieberhafte Nacht zugebracht hatte.

Aber seine Stirne war mehr als je mit einem tiefen Ernst bewaffnet.

Er ging langsam auf Mylady, die sich niedergesetzt hatte, zu, nahm das mörderische Geflechte, das sie aus Unachtsamkeit oder absichtlich hatte vorsehen lassen, an einem Ende und fragte kalt:

»Was soll das bedeuten, Madame?«

»Dies? nichts,« erwiderte Mylady, indem sie mit jenem schmerzhaften Ausdruck, den sie ihren Zügen so gut zu geben wußte, lächelte. »Die Langweile ist, wie Ihr wißt, der Todfeind der Gefangenen. Ich langweilte mich und suchte mich durch das Flechten dieses Strickes zu zerstreuen.«

Felton schaute nach dem Punkte an der Wand, vor dem er Mylady auf dem Stuhle stehend getroffen hatte, auf welchem sie jetzt saß, und er gewahrte über ihrem Kopfe eine vergoldete Krampe in der Mauer befestigt, die zum Aufhängen von Waffen oder Kleidern bestimmt war.

»Und warum standet Ihr auf diesem Stuhle?« fragte er.

»Was kümmert das Euch?« entgegnete Mylady.

»Aber ich wünsche es zu wissen.«

»Fragt mich nicht,« sagte die Gefangene: »Ihr wißt wohl, daß es uns wahren Christen verboten ist, zu lügen.«

»Nun ich will Euch sagen,« sprach Felton, »was Ihr thatet, oder was Ihr vielmehr thun wolltet. Ihr wolltet den unseligen Gedanken zur Ausführung bringen, den Ihr in Eurem Innern nährt. Wenn Euer Gott die Lüge verbietet, Madame, so verbietet er noch viel strenger den Selbstmord.«

»Wenn Gott eines von seinen Geschöpfen, ungerechter Weise verfolgt, zwischen Selbstmord und Schande gestellt sieht,« antwortete Mylady im Tone tiefer Ueberzeugung, »glaubt mir, mein Herr, dann vergibt Gott den Selbstmord, denn der Selbstmord wird zum Märtyrthum.«

»Ihr sagt zu viel oder zu wenig; sprecht, Madame, ums Himmels willen, erklärt Euch.«

»Soll ich Euch die Unglücksfälle meines Lebens erzählen, damit Ihr sie für Märchen erkläret? Soll ich Euch meine Pläne nennen, damit Ihr sie meinem Verfolger angebt? Nein, mein Herr. Ueberdies was liegt Euch am Leben oder Tod einer unglücklichen Verdammten! Ihr seid nur für meinen Leib verantwortlich, insofern man, wenn Ihr einen Leichnam zeigt, der als der meinige erkannt wird, nicht mehr von Euch verlangen wird. Ja, vielleicht erhaltet Ihr sogar doppelten Lohn dafür?«

»Ich, Madame, ich!« rief Felton, »Ihr könnt glauben, ich würde den Preis Eures Lebens annehmen? O Ihr glaubt nicht, was Ihr da sprecht.«

»Laßt es gut sein, Felton, laßt es gut sein,« sprach Mylady voll Heftigkeit. »Jeder Soldat ist ehrgeizig, nicht wahr? Ihr seid ein Lieutenant; nun Ihr werdet meinem Leichenzuge mit dem Grad eines Kapitäns folgen.«

»Aber was habe ich Euch denn gethan,« rief Felton erschüttert, »daß Ihr mir eine solche Verantwortlichkeit vor Gott und den Menschen aufbürdet? In einigen Tagen seid Ihr ferne von hier, Madame; Euer Leben steht nicht mehr unter meiner Bewachung, und dann,« fügte er mit einem Seufzer bei, »dann werdet Ihr thun, was Euch beliebt.«

»Also Ihr,« sprach Mylady, als ob sie einer heiligen Entrüstung nicht länger widerstehen könnte, »Ihr ein heiliger Mann, Ihr, den man einen Gerechten nennt, Ihr verlangt nichts Anderes, als daß man Euch wegen meines Todes nicht eines Versehens beschuldigen könne?«

»Ich muß über Euer Leben wachen, Madame, und werde darüber wachen.«

»Aber begreift Ihr auch den Auftrag, den Ihr erfüllt? Ist er schon grausam, selbst wenn ich schuldig wäre, welchen Namen werdet Ihr ihm geben, welchen Namen wird ihm der Herr geben, wenn ich unschuldig bin?«

»Ich bin Soldat, Madame, und vollziehe die Befehle, die ich erhalten habe.«

»Glaubt Ihr, daß Gott beim jüngsten Gerichte die blinden Henker von den ungerechten Richtern trennen wird? Ihr wollt nicht, daß ich meinen Leib tödte, und macht Euch zum Werkzeug des Menschen, der meine Seele tödten will.«

»Ich wiederhole,« versetzte Felton erschüttert, »es droht Euch keine Gefahr, und ich stehe für Lord Winter, wie für mich selbst.«

»Wahnsinniger!« rief Mylady, »armer Wahnsinniger, der für einen andern Menschen stehen will, während die Weisesten, die Gottgefälligsten nicht wagen können, für sich selbst zu stehen, und der sich auf die stärkere, glücklichere Partei schlägt, um ein schwaches, unglückliches Geschöpf niederzutreten!«

»Unmöglich, Madame, unmöglich,« murmelte Felton, der in Gefangene werdet Ihr durch mich nicht die Freiheit erhalten, als Lebende erhaltet Ihr durch mich nicht den Tod.«

»Ja,« rief Mylady, »ich werde verlieren, was mir theurer ist, als das Leben; ich werde die Ehre verlieren, Felton, und Euch, Euch mache ich vor Gott und den Menschen für meine Schmach, meine Schande verantwortlich.«

Diesmal konnte Felton trotz seiner wirklichen oder scheinbaren Unempfindlichkeit dem Einflusse nicht widerstehen, der sich seiner bereits bemächtigt hatte. Diese schöne Frau, so weiß wie die reinste Vision, bald in Thränen zerfließend, bald drohend zu sehen, der Macht des Schmerzes und der Schönheit bloßgestellt zu sein, das war zu viel für ein durch glühende Träume eines exaltirten Glaubens bereits unterhöhltes Gehirn, für ein zugleich von der brennenden Liebe des Himmels und von dem verzehrenden Hasse der Menschen zernagtes Herz.

Mylady sah seine Unruhe; sie fühlte durch innere Anschauung die Flamme entgegengesetzter Leidenschaften, welche in den Adern des jungen Fanatikers brannten, und einem geschickten Generale gleich, der, wenn er sieht, daß der Feind zurückweichen will, mit einem Siegesgeschrei auf ihn losmarschirt, stand sie auf, ging wie eine schöne Priesterin des Alterthums, begeistert wie eine christliche Jungfrau, den Arm ausgestreckt, mit fliegenden Haaren, mit einer Hand schamhaft das über der Brust zusammengezogene Kleid haltend, den Blick erleuchtet von dem Feuer, das bereits eine Verwirrung in den Sinnen des jungen Puritaners hervorgebracht hatte, auf ihn zu und rief mit ihrer sanften Stimme, der sie bei dieser Gelegenheit eine furchtbare Gewalt verlieh:

»So wirf sein Opfer vor den Baal,
Und wirf den Märtyrer dem Löwen vor.
Gott weckt in Dir der Reue Qual,
Vom Abgrund dringt mein Ruf zu ihm empor.«

Felton blieb wie versteinert auf seiner Stelle.

»Wer seid Ihr? wer seid Ihr?« rief er die Hände faltend. »Seid Ihr Engel oder Teufel! Heißt Ihr Eloah oder Astarte?«

»Hast Du mich nicht erkannt, Felton? Ich bin weder ein Engel noch ein Teufel. Ich bin eine Tochter der Erde, ich bin eine Schwester Deines Glaubens und nichts weiter.«

»Ja, ja,« sprach Felton, »ich zweifelte noch, aber jetzt glaube ich.«

»Du glaubst und bist dennoch der Schuldgenosse dieses Belialskindes, das man Lord Winter nennt? Du glaubst und lässest mich in den Händen meiner Feinde, des Feindes von England, des Feindes Gottes. Du glaubst, und dennoch überantwortest Du mich demjenigen, welcher die Welt mit seinen Ketzereien und Ausschweifungen erfüllt und befleckt, diesem schändlichen Sardanapal, den die Blinden den Herzog von Buckingham und die Gläubigen den Antichrist nennen!«

»Ich Euch Buckingham überantworten! was sagt Ihr da?«

»Sie haben Augen,« rief Mylady, »und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören!«

»Ja, ja,« sprach Felton, indem er mit den Händen über seine schweißbedeckte Stirne strich, als wollte er den letzten Zweifel entfernen; »ja, ich erkenne die Stimme, die in meinen Träumen mit mir spricht; ja, ich erkenne die Züge des Engels, der mir allnächtlich erscheint und meiner schlaflosen Seele zuruft: »»Schlage; rette England, rette Dich, denn Du wirst sterben, ohne Gott entwaffnet zu haben!«« Sprecht, sprecht!« rief Felton, »denn ich kann Euch jetzt verstehen.«

Ein Blitz furchtbarer Freude, aber rasch wie der Gedanke, sprang aus den Augen Myladys hervor.

So flüchtig auch dieses mörderische Zucken gewesen war, so entging es doch Felton nicht, und er bebte, als ob dieser Blitz die Abgründe des Herzens dieser Frau erleuchtet hätte.

Felton erinnerte sich plötzlich der Bemerkungen von Lord Winter, der Verführungskünste Myladys, ihrer ersten Versuche bei ihrer Ankunft. Er wich einen Schritt zurück, ließ den Kopf sinken, hörte aber nicht auf, sie anzuschauen, als ob er von diesem seltsamen Geschöpf verzaubert wäre und seine Augen sich nicht von ihr trennen könnten.

Mylady war nicht die Frau, um sich in dem Sinne dieses Zögerns zu täuschen. Unter den scheinbaren Aufregungen verließ ihre eisige Kaltblütigkeit sie nicht. Ehe ihr Felton geantwortet hatte und sie sich genöthigt sah, das Gespräch wieder aufzunehmen, das so schwer in demselben Tone der Begeisterung fortzusetzen war, ließ sie ihre Arme zurücksinken, als ob weibliche Schwäche über den Enthusiasmus der Begeisterten obsiegte.

»Aber nein,« sprach sie, »mir kommt es nicht zu, die Judith zu sein, welche Bethulien von diesem Holofernes befreien wird. Das Schwert des Ewigen ist zu schwer für meinen Arm. Laßt mich also der Schande durch den Tod entfliehen, laßt mich meine Zuflucht zum Märtyrthum nehmen. Ich verlange von Euch nicht die Freiheit, wie dies eine Schuldige thun würde, nicht die Rache, wie es eine Heidin thäte. Ich bitte Euch, ich flehe Euch auf meinen Knieen an: laßt mich sterben, und mein letzter Seufzer soll eine Segnung für meinen Retter sein.«

Bei dieser sanften, flehenden Stimme, bei diesem schüchternen, niedergeschlagenen Blicke näherte sich Felton.

Allmählig hatte die Zauberin das magische Gewand angethan, das sie nach Belieben an- und ablegte, das heißt die Schönheit, die Sanftmuth, die Thränen und vor Allem den unwiderstehlichen Reiz mystischer Wollust, einer Wollust, die verzehrender wirkt, als jede andere.

»Ach,« sprach Felton, »ich kann weiter Nichts als Euch beklagen, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr ein Opfer seid. Aber Lord Winter erhebt schreckliche Anschuldigungen gegen Euch. Ihr seid Christin, Ihr seid meine Religionsschwester. Ich fühle mich zu Euch hingezogen, ich, der ich nie einen andern Menschen geliebt habe als meinen Wohlthäter, ich, der ich im Leben nur Verräther und Gottlose gefunden habe! Aber Ihr, Madame, die Ihr in Wahrheit so schön, und dem Anscheine nach so rein seid, Ihr habt also, da Euch Lord Winter auf diese Weise verfolgt, große Frevel verübt?«

»Sie haben Augen,« wiederholte Mylady mit einem Ausdrucke unsäglichen Schmerzes, »und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören.« »Aber so sprecht doch,« rief der junge Offizier, »sprecht, sprecht!«

»Euch meine Schmach und meine Schande anvertrauen!« rief Mylady, mit Schamröthe im Gesicht; »denn oft ist das Verbrechen des Einen die Schande des Andern. Euch meine Schande anvertrauen, einem Manne, ich die Frau! Oh,« fuhr sie fort, und legte dabei verschämt die Hand auf die schönen Augen. »Oh! nie, nie werde ich dies über mich vermögen!«

»Vertraut mir als einem Bruder!« rief Felton.

Mylady schaute ihn lange mit einem Ausdrucke an, den der Offizier für Zweifel hielt, während er nichts Anderes, als Beobachtung und hauptsächlich Absicht zu blenden war. Nun faltete Felton flehend die Hände.

»Wohl!« sprach Mylady, »ich will mich einem Bruder anvertrauen, ich will es wagen.«

In diesem Augenblicke hörte man die Tritte von Lord Winter, aber diesmal begnügte sich der furchtbare Schwager Myladys nicht damit, wie am Tage vorher, an der Thüre vorüber zu gehen und sich wieder zu entfernen, sondern er blieb stehen und wechselte zwei Worte mit der Wache. Die Thüre öffnete sich und er trat ein.

Während die zwei Worte gewechselt wurden, war Felton rasch zurückgewichen, und als Lord Winter erschien, stand er einige Schritte von der Gefangenen entfernt.

Der Baron trat langsam ein, und ließ seinen forschenden Blick von der Gefangenen auf den jungen Offizier überschweifen.

»Ihr seid schon sehr lange hier, John,« sagte er. »Hat Euch diese Frau ihr Verbrechen erzählt? Dann begreife ich die Dauer der Unterhaltung.«

Felton bebte und Mylady fühlte, daß sie verloren war, wenn sie dem aus der Fassung gebrachten Puritaner nicht zu Hülfe kam.

»Ah, Ihr fürchtet Eure Gefangene dürfte Euch entkommen,« sprach sie. »Ei, so fragt doch Euren Kerkermeister, welche Gnade ich mir so eben von ihm erbeten habe.«

»Ihr habt Euch eine Gnade erbeten?« sprach der Baron argwöhnisch.

»Ja, Mylord,« erwiderte der junge Mann verwirrt.

»Und welche Gnade? Laßt hören!« fügte Lord Winter bei.

»Ein Messer, das sie mir eine Minute, nachdem sie es empfangen, durch das Gitter der Thüre zurückgeben will,« antwortete Felton.

»Es ist also irgend Jemand hier verborgen, den diese anmuthreiche Person erstechen will?« versetzte Lord Winter mit spöttischem, verächtlichem Tone.

»Ich bin hier,« antwortete Mylady.

»Ich habe Euch die Wahl zwischen Amerika und Tyburn gelassen,« entgegnete Lord Winter. »Wählt Tyburn, Mylady. Glaubt mir, der Strick ist sicherer, als das Messer.«

Felton fühlte einen Schauer durch das Mark seiner Knochen. Wahrscheinlich bemerkte Lord Winter diese Bewegung.

»Ihr habt Recht,« sprach Mylady, »und ich habe bereits daran gedacht;« dann fügte sie mit dumpfer Stimme bei: »ich werde noch einmal daran denken.«

Felton erbleichte und machte einen Schritt vorwärts, denn er erinnerte sich, daß Mylady, als er eintrat, einen Strick in der Hand gehalten hatte.

»Traue nicht, John,« sagte der Baron. »John, mein Freund, ich habe mich auf Dich verlassen. Nimm Dich in Acht, Du bist von mir unterrichtet. Sei übrigens guten Muths, mein Kind! In drei Tagen werden wir von diesem Geschöpfe befreit sein, und an dem Orte, wohin ich sie schicke, wird sie Niemand mehr schaden.«

»Du hörst ihn!« rief Mylady, die Stimme erhebend, so daß der Baron glaubte, sie wende sich an den Himmel, während Felton begriff, daß es ihm galt.

Felton ließ das Haupt sinken und träumte.

Der Baron nahm den Offizier beim Arme und drehte sogleich den Kopf über seine Schulter zurück, um Mylady nicht aus dem Gesichte zu verlieren, bis er das Zimmer verlassen hätte.

»Ach, ich bin noch nicht so weit vorgerückt, als ich glaubte,« sagte die Gefangene, als die Thüre wieder geschlossen war. »Der Baron hatte seine gewöhnliche Albernheit in eine ihm sonst unbekannte Klugheit verwandelt; das ist die Rachgier, die den Menschen bildet. Felton zögerte noch. Ach, das ist kein entschlossener Mensch, wie dieser verdammte d’Artagnan.«

Mylady wartete jedoch mit Ungeduld, denn sie vermuthete mit Recht, der Tag würde nicht vorüber gehen, ohne daß Felton wieder käme. Eine Stunde nach der so eben erzählten Scene hörte sie leise an der Thüre sprechen. Bald öffnete sich die Thüre und sie erkannte Felton.

Der junge Mann trat rasch in das Zimmer ein, ließ die Thüre hinter sich offen und bedeutete Mylady durch ein Zeichen, sie möge schweigen. Sein Gesicht war ganz verstört.

»Was wollt Ihr von mir?« sagte sie.

»Hört,« antwortete Felton mit leiser Stimme; »ich habe die Wache entfernt, um hier bleiben zu können, ohne daß man weiß, daß ich gekommen bin, um mit Euch sprechen zu können, ohne daß man hört, was ich Euch sage. Der Baron hat mir eine furchtbare Geschichte erzählt.«

Mylady nahm wieder das Lächeln des in sein Schicksal ergebenen Opfers an.

»Entweder seid Ihr ein Teufel, oder der Baron, mein Wohlthäter, mein Vater, ist ein Ungeheuer. Ich kenne Euch seit vier Tagen, ich liebe ihn seit zehn Jahren. Ich darf also in der Wahl zwischen Euch beiden wohl bedenklich sein. Erschreckt nicht über das, was ich Euch sage. Ich bedarf der Ueberlegung; ich komme nach Mitternacht zu Euch und Ihr werdet mich überzeugen.«

»Nein, Felton, nein, mein Bruder,« entgegnete sie. »Das Opfer ist zu groß, und ich fühle, was es Euch kostet. Nein, ich bin verloren, richtet Euch nicht auch zu Grunde. Mein Tod wird viel beredter sein, als mein Leben, und das Stillschweigen des Leichnams wird Euch eher überzeugen, als das Wort der Gefangenen.«

»Schweigt, Madame!« rief Felton, »und laßt mich nicht solche Worte hören. Ich bin gekommen, damit Ihr mir bei Eurer Ehre gelobet, damit Ihr mir schwöret bei Allem, was heilig ist, nicht Hand an Euer Leben zu legen.«

»Ich will nicht geloben,« antwortete Mylady, »denn Niemand achtet den Eid so sehr wie ich, und wenn ich geloben würde, dann müßte ich es auch halten.«

»Gut,« sagte Felton, »so versprecht es wenigstens nur bis zu dem Augenblick, wo wir uns wiedergesehen haben werden. Besteht Ihr auf Eurer Absicht, wenn wir uns wiedergesehen haben, so seid Ihr frei, und ich selbst gebe Euch die Waffe, die Ihr von mir verlangt.«

»Es sei!« sagte Mylady, »Euch zu Liebe werde ich warten.«

»Schwöret mir!«

»Ich schwöre bei unserem Gott! Seid Ihr zufrieden?«

»Wohl,« erwiderte Felton, »heute Nacht also!«

Und er stürzte aus dem Zimmer, verschloß die Thüre, und blieb außen, die Halbpike des Soldaten in der Hand haltend, als ob er die Wache bezogen hätte.

Der Soldat kam zurück, Felton gab ihm seine Waffe wieder.

Mylady sah nun durch das Gitter der Thüre, dem sie sich genähert hatte, wie sich der junge Mann mit allen Zeichen einer irrsinnigen Inbrunst geberdete und in einer Art von Entzücken durch die Hausflur wegeilte. Sie aber kehrte, ein Lächeln wilder Verachtung auf den Lippen, an ihren Platz zurück und wiederholte lächelnd den furchtbaren Namen Gottes, bei welchem sie geschworen, ohne ihn je kennen gelernt zu haben.

»Mein Gott,« sagte sie, »wahnsinniger Fanatiker, mein Gott bin ich selbst und derjenige, welcher mir zu meiner Rache verhelfen wird.«