XIV.

Anjou-Wein.

Nachdem man beinahe verzweifelte Nachrichten vom König erhalten hatte, fing das Gerücht von seiner Wiedergenesung an sich zu verbreiten, und da er große Eile hatte, in Person zu der Belagerung zu kommen, so sagte man, er würde abreisen, sobald er wieder zu Pferde steigen könnte.

Monsieur, welcher wußte, daß er jeden Tag durch den Herzog von Angoulême, durch Bassompierre oder durch Schomberg, die sich um das Commando stritten, im Oberbefehl ersetzt werden konnte, that mittlerweile nur wenig, verlor seine Zeit durch Umhertappen und wagte kein großes Unternehmen, um die Engländer von der Insel Ré zu vertreiben, wo sie die Citadelle Saint-Martin und das Fort de la Prée belagerten, während die Franzosen ihrerseits La Rochelle belagerten.

D’Artagnan war, wie gesagt, ruhiger geworden, wie dies stets nach einer überstandenen Gefahr, oder wenn man die Gefahr für verschwunden hält, der Fall ist. Sein einziger Kummer war, daß er keine Nachricht von seinen Freunden erhielt.

Aber eines Morgens wurde ihm durch folgenden aus Villeroy datirten Brief Alles klar:

»Herr d’Artagnan,

»Die Herren Athos, Porthos und Aramis machten, nachdem sie bei mir ein gutes Mahl eingenommen hatten, einen so gewaltigen Lärm, daß ihnen der Herr Schloßrichter, ein sehr strenger Mann, einige Tage Zimmerarrest gab. Ich vollziehe ihre Befehle, indem ich Euch zwölf Flaschen von meinem Anjou-Wein schicke, dem sie großes Lob spenden; sie wünschen, Ihr möget ihren Lieblingswein auf ihre Gesundheit trinken.

»Ich bin, mein Herr, mit der größten Achtung

Euer

ergebenster und gehorsamster Diener
Godeau, Gastwirth der Musketiere.«

»Vortrefflich!« rief d’Artagnan, »sie gedenken mein bei ihren Vergnügungen, wie ich ihrer bei meinem Kummer gedachte. Ich werde gewiß auf ihre Gesundheit trinken, und zwar von ganzem Herzen und nicht allein.«

Und d’Artagnan lief zu zwei Garden, mit denen er mehr Freundschaft geschlossen hatte, als mit den andern, und lud sie ein, den köstlichen Wein mit ihm zu trinken, der von Villeroy angekommen war. Der Eine von ihnen war für denselben Abend, der Andere für den folgenden eingeladen; so wurde also die Zusammenkunft auf den zweiten Tag festgesetzt.

D’Artagnan schickte seine zwölf Flaschen Wein in die Trinkstube der Garden, mit dem Befehle, sie sorgfältig aufzubewahren. Als der Tag des Festes erschien, mußte Planchet schon um neun Uhr sich an Ort und Stelle begeben, um die nothwendigen Vorbereitungen zu treffen, während die Stunde zum Mittagsmahle auf ein Uhr festgesetzt war.

Stolz, zur Würde eines Haushofmeisters erhoben worden zu sein, war Planchet darauf bedacht, sich seiner Aufgabe als ein gescheidter Kerl zu entledigen. Er nahm zu diesem Ende noch einen Bedienten von einem der Gäste seines Herrn, Namens Fourreau, zu sich, nebst Baisemout, dem falschen Soldaten, der unsern Helden hatte tödten wollen und, da er zu keinem Korps gehörte, in den Dienst d’Artagnans oder vielmehr Planchets getreten war, seitdem ihm d’Artagnan das Leben geschenkt hatte.

Zur bestimmten Stunde erschienen die zwei Gäste, nahmen Platz und die Gerichte wurden aufgetragen; Planchet wartete mit der Serviette unter dem Arm auf, Fourreau öffnete die Flaschen, und Baisemout, der Rekonvalescent, goß den Wein, der durch das Schütteln einen Satz bekommen zu haben schien, in gläserne Karaffen über. Die erste Flasche von diesem Wein war etwas trüb, Baisemont goß den Satz in ein Glas und d’Artagnan erlaubte ihm, dasselbe zu trinken, denn der arme Teufel hatte noch nicht viel Kraft.

Die Gäste hatten die Suppe gegessen und waren gerade im Begriff, das erste Glas an die Lippen zu setzen, als plötzlich die Kanone im Fort Louis und im Fort Neuf ertönte. Die Garden glaubten, es handle sich um einen unvorhergesehenen Angriff von Seiten der Engländer und von Seiten der Belagerten, und liefen nach ihren Degen; d’Artagnan machte es ebenso und alle drei eilten an ihre Posten.

Aber kaum waren sie außerhalb der Trinkstube, als sie sich durch ein gewaltiges Getöse gefesselt sahen. Von allen Seiten ertönte der Ruf: »Es lebe der König! Es lebe der Herr Kardinal!« und die Trommler schlugen in allen Richtungen.

Der König hatte wirklich in seiner Ungeduld zwei Etapen verdoppelt und traf in diesem Augenblick mit all seinen Haustruppen und einer Verstärkung von zehntausend Mann ein. Vor und hinter ihm zogen die Musketiere. D’Artagnan hatte mit seiner Kompagnie Spalier zu machen, und begrüßte mit einer ausdrucksvollen Geberde seine Freunde und Herrn von Treville. Sobald die Empfangsceremonie vorüber war, versammelten sich die vier Freunde.

»Bei Gott!« rief d’Artagnan, »Ihr hättet nicht besser ankommen können; das Fleisch hat gewiß noch nicht Zeit gehabt, kalt zu werden. Nicht wahr, meine Herren,« fügte der junge Mann gegen die zwei Garden bei, die er seinen Freunden vorstellte. – »Ah! ah! es scheint, wir bankettiren,« sprach Porthos. – »Hoffentlich ist doch keine Frauensperson bei dem Mahle?« sagte Aramis. – »Gibt es trinkbaren Wein in Eurer Schenke?« fragte Athos. – »Ei! bei Gott den Eurigen, lieber Freund,« antwortete d’Artagnan. – »Unseren Wein?« rief Athos. – »Ja den Wein, welchen Ihr mir geschickt habt.« – »Wir haben Euch Wein geschickt?« – »Ihr wißt doch von dem köstlichen Wein von den Rebhügeln von Anjou? …« – »Ja, ich weiß wohl, von welchem Weine Ihr sprecht.« – »Von dem Wein, welchem Ihr den Vorzug gebt.« – »Allerdings, wenn ich weder Champagner noch Chambertin habe.« – »Nun! in Ermanglung des Champagners und des Chambertin werdet Ihr Euch mit diesem begnügen.« – »Wir haben also Anjou-Wein kommen lassen, wir Leckermäuler?« sprach Porthos. – »Nein, es ist der Wein, den man mir in Eurem Auftrage geschickt hat.« – »In unserem Auftrag?« riefen die Musketiere. – »Aramis, habt Ihr den Wein geschickt?« fragte Athos. – »Nein, und Ihr Porthos?« – »Nein.« – »Ganz wohl, aber Euer Wirth, Godeau, der Wirth der Musketiere.« – »Meiner Treu, er mag kommen, woher er will, daran ist nichts gelegen,« sagte Porthos, »wir wollen ihn versuchen und wenn er gut ist, trinken.« – »Nein,« entgegnete Athos, »wir wollen den Wein nicht trinken, der aus einer unbekannten Quelle kommt.« – »Ihr habt Recht, Athos,« sprach d’Artagnan. »Niemand von Euch hat den Gastwirth Godeau beauftragt, mir den Wein zu schicken?« – »Nein: und dennoch ist er Euch in unserem Auftrage zugeschickt worden?« – »Hier ist der Brief,« erwiderte d’Artagnan, und übergab seinen Kameraden das Billet. – »Das ist nicht seine Handschrift,« rief Athos; »ich kenne sie, denn ich habe vor dem Abgang die Rechnungen der Brüderschaft geordnet.« – »Ein falscher Brief,« sagte Porthos, »wir hatten keinen Zimmerarrest.« – »D’Artagnan,« sprach Aramis im Tone des Vorwurfs, »wie konntet Ihr glauben, wir hätten Lärm gemacht? …«

D’Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern schüttelte seine Glieder.

»Du jagst mir Schrecken ein,« sagte Athos, der ihn nur bei bedeutenden Gelegenheiten duzte; »was ist denn vorgefallen?«

»Rasch, laßt uns laufen, meine Freunde!« rief d’Artagnan, dessen Geist ein furchtbarer Verdacht durchzuckte: »sollte es abermals eine Rache von dieser Frau sein?«

Athos erbleichte ebenfalls.

D’Artagnan stürzte nach der Trinkstube; die drei Musketiere und die zwei Garden folgten ihm.

Das Erste was d’Artagnan beim Eintritt in den Speisesaal ins Auge fiel, war Baisemout, der sich in furchtbaren Convulsionen auf dem Boden wälzte.

Bleich wie der Tod suchten ihm Planchet und Fourreau Hülfe zu leisten, aber jeder Beistand war offenbar fruchtlos; alle Züge des Sterbenden waren im Todeskampfe zusammengezogen.

»Ah!« rief er, als er d’Artagnan gewahr wurde; »ah! das ist abscheulich: Ihr gebt Euch das Ansehen, als wolltet Ihr mich begnadigen, und Ihr vergiftet mich.«

»Ich!« rief d’Artagnan, »ich, Unglücklicher! Was sagst Du da?«

»Ich sage, daß Ihr mir diesen Wein gegeben habt; ich sage, daß Ihr mich habt trinken heißen, ich sage, daß Ihr Euch an mir rächen wolltet, ich sage, daß dies abscheulich ist.«

»Glaubt es nicht, Baisemout,« rief d’Artagnan, »glaubt es nicht: ich schwöre Euch …«

»Aber es lebt ein Gott! Gott wird Euch bestrafen! Mein Gott, laß ihn einen Tag leiden, was ich leide.«

»Beim heiligen Evangelium,« sprach d’Artagnan, sich auf den Sterbenden stürzend, »ich schwöre Euch, ich wußte nicht, daß dieser Wein vergiftet war, und wollte so eben selbst davon trinken.«

»Ich glaube Euch nicht,« sagte der Soldat und verschied unter doppelten Qualen.

»Schändlich! schändlich!« murmelte Athos, während Porthos die Flaschen zerbrach und Aramis etwas spät den Befehl gab, einen Beichtiger zu holen.

»Oh! meine Freunde,« sprach d’Artagnan, »Ihr habt mir abermals das Leben gerettet, und zwar nicht allein mir, sondern auch diesen Herren. Meine Herren,« fuhr er, sich an die Garden wendend, fort, »ich bitte, dieses ganze Abenteuer zu verschweigen; hohe Personen könnten in einer Beziehung zu dem, was Ihr gesehen habt, stehen, und das Schlimme von Allem dem würde auf uns zurückfallen.«

»Ach! gnädiger Herr,« stammelte Planchet, mehr todt als lebendig, »ach, gnädiger Herr, da bin ich schön durchgeschlüpft.«

»Wie, Schurke!« rief d’Artagnan, »Du wolltest also meinen Wein trinken?«

»Auf die Gesundheit des Königs, gnädiger Herr; ich wollte eben ein armseliges Gläschen leeren, als Fourreau mir sagte, man rufe mich.«

»Ach!« sprach Fourreau, dem die Zähne vor Schrecken klapperten, »ich wollte ihn entfernen, um allein trinken zu können.«

»Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »Ihr begreift, daß ein solches Mahl nach dem, was vorgefallen ist, nur sehr traurig sein könnte: entschuldigt also gütigst, und wollt mich, ich bitte, an einem anderen Tag mit Eurer Gesellschaft beehren!« Die zwei Garden nahmen die Entschuldigungen d’Artagnan’s höflich auf und entfernten sich, da sie wohl begreifen mochten, daß die vier Freunde allein zu sein wünschten.

Als der junge Garde und die drei Musketiere ohne Zeugen waren, schauten sie sich mit einer Miene an, aus der hervorging, daß sie die ernste Bedeutung ihrer Lage begriffen.

»Vor Allem,« sprach Athos, »wollen wir dieses Zimmer verlassen; ein Todter ist eine schlechte Gesellschaft.«

»Planchet,« sagte d’Artagnan, »ich empfehle Dir, über den Leichnam des armen Teufels zu wachen; er soll in geweihter Erde begraben werden. Allerdings hat er ein Verbrechen begangen, aber er bereute es.«

Die vier Freunde entfernten sich aus dem Zimmer und überließen Planchet und Fourreau die Sorge, Baisemout die letzte Ehre zu erweisen.

Der Wirth gab ihnen eine andere Stube, in die man ihnen weich gesottene Eier und Wasser brachte, das Athos selbst aus dem Brunnen schöpfte. Mit ein paar Worten wurden Porthos und Aramis über die Lage der Dinge in Klare gesetzt.

»Nun! wohl,« sagte d’Artagnan zu Athos, »Ihr seht, es ist ein Krieg auf Leben und Tod.«

Athos schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Ja, ja, ich sehe es wohl, aber glaubt Ihr, sie sei es?«

»Ich bin es fest überzeugt.«

»Doch, ich muß Euch gestehen, daß ich noch daran zweifle.«

»Aber die Lilie auf der Schulter …«

»Es ist eine Engländerin, welche irgend ein Verbrechen in Frankreich begangen haben wird, wofür man sie gebrandmarkt hat.«

»Athos, es ist Eure Frau, sage ich Euch,« antwortete d’Artagnan; »erinnert Ihr Euch nicht, wie sehr sich die zwei Signalements gleichen?«

»Ich glaubte, die andere müßte todt sein, ich hatte sie so gut gehenkt!«

Nun war die Reihe an d’Artagnan, den Kopf zu schütteln.

»Aber was läßt sich am Ende machen?« sprach der junge Mann.

»Offenbar kann man nicht ewig mit einem Schwert über dem Haupte bleiben,« sagte Athos, »und man muß aus dieser Lage herauskommen.«

»Aber wie?«

»Hört: versucht es irgendwo mit ihr zusammen zu kommen und zu einer Erklärung mit ihr zu gelangen. Sagt ihr: »»Krieg oder Friede. Ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, nie etwas von Euch zu sagen, nie etwas gegen Euch zu thun. Von Eurer Seite fordere ich einen feierlichen Eid, neutral in Beziehung auf meine Person zu sein; wollt Ihr dies nicht, so suche ich den Kanzler, den König, den Henker auf: ich bringe den ganzen Hof gegen Euch in Aufruhr, ich gebe Euch als Gebrandmarkte an: ich stelle Euch vor Gericht und wenn man Euch freispricht, nun wohl! dann tödte ich Euch, so wahr ich ein Edelmann bin, an dem nächsten besten Eckstein, wie ich einen wüthenden Hund umbringen würde.««

»Dieses Mittel gefällt mir,« erwiderte d’Artagnan, »aber wie mit ihr zusammenkommen?«

»Die Zelt, mein theurer Freund, die Zeit führt die Gelegenheit herbei; die Gelegenheit ist die Martingale; je höher man spielt, desto mehr gewinnt man, wenn man zu warten weiß.«

»Ja; aber umgeben von Mördern und Giftmischern zu warten …«

»Bah!« rief Athos, »Gott hat uns bis daher bewahrt, Gott wird uns auch fernerhin bewahren.«

»Allerdings uns. Doch wir sind im Ganzen genommen Männer, und es liegt in unserem Stande, unser Leben zu wagen; aber sie…« fügte er mit halber Stimme bei.

»Wer, sie?« fragte Athos.

»Constance.«

»Madame Bonacieux? Ah! das ist richtig,« sprach Athos. »Armer Freund! Ich vergaß, daß Ihr verliebt seid.«

»Ei, wohl!« sagte Aramis; »aber habt Ihr nicht aus dem Briefe, der sich bei dem Schurken fand, welcher Euch ermorden wollte, ersehen, daß sie in einem Kloster ist? Man befindet sich ganz wohl in einem Kloster, und sobald die Belagerung vorüber ist, erkläre ich Euch meines Theils …«

»Gut, gut,« rief Athos. »Ja, mein lieber Aramis, wir wissen, daß Eure Wünsche auf die Religion abzielen.«

»Ich bin nur einstweilen Musketier,« sagte Aramis demüthig.

»Er scheint lange Zeit keine Briefe mehr von seiner Geliebten empfangen zu haben,« sagte Athos leise; »aber merke nicht darauf, wir kennen das.«

»Mir scheint, es gibt ein ganz einfaches Mittel,« rief Porthos. »Welches?« fragte d’Artagnan.

»Sie ist in einem Kloster, sagt Ihr?«

»Ja.«

»Nun, sobald die Belagerung vorüber ist, entführen wir sie aus diesem Kloster.«

»Aber man muß auch wissen, in welchem Kloster sie sich befindet.«

»Das ist richtig,« versetzte Porthos.

»Doch, wenn ich bedenke,« sprach Athos, »behauptet Ihr nicht, mein liebes d’Artagnan, die Königin habe das Kloster für sie ausgewählt.«

»Ja, ich glaube es wenigstens.«

»Gut! da kann uns Porthos helfen.«

»Wie dies, wenn ich bitten darf?«

»Durch Eure Marquise, durch Eure Herzogin, Eure Prinzessin; sie muß einen langen Arm haben.«

»Stille!« erwiderte Porthos und legte einen Finger auf seine Lippen; »ich halte sie für eine Kardinalistin und sie darf nichts davon wissen.«

»Dann übernehme ich es, Kunde von ihr zu erhalten,« sagte Aramis.

»Ihr! Aramis?« riefen die drei Freunde; »Ihr, und wie dies!«

»Durch den Almosenier der Königin, mit dem ich befreundet bin,« antwortete Aramis erröthend.

Die vier Freunde hatten ihr bescheidenes Mahl zu sich genommen und trennten sich auf diese Versicherung, mit dem Versprechen, sich am Abend wieder zu sehen. D’Artagnan kehrte nach Hause zurück, und die Musketiere begaben sich nach dem Quartiere des Königs, wo sie sich ihre Wohnungen einrichten zu lassen hatten.

I.

Die Equipirungsjagd

Der ängstlichste von den vier Freunden war offenbar d’Artagnan, obgleich dieser in seiner Eigenschaft als Garde viel leichter zu equipiren war, als die Herren Musketiere; aber unser Junker aus der Gascogne hatte, wie man bereits sehen konnte, einen vorsichtigen, etwas geizigen Charakter, und war dabei so eitel, daß er Porthos die Spitze bieten konnte. Mit der Unruhe seiner Eitelkeit verband sich bei d’Artagnan in diesem Augenblick eine minder egoistische Unruhe. Alle Erkundigungen, die er über Madame Bonacieux einzog, blieben erfolglos. Herr von Treville hatte mit der Königin gesprochen; die Königin wußte nicht, wo die junge Frau war, und versprach, sie suchen zu lassen. Aber diese Zusage war sehr unbestimmt und diente d’Artagnan nicht zur Beruhigung.

Athos verließ sein Zimmer nicht; er war entschlossen, keinen Schritt zum Behuf seiner Equipirung zu unternehmen.

»Es bleiben uns vierzehn Tage,« sagte er zu seinen Freunden; »wohl! wenn ich nach Verlauf dieser vierzehn Tage nichts gefunden habe, oder vielmehr, wenn mich nichts aufgesucht hat, so werde ich, da ich ein zu guter Katholik bin, um mir mit einem Pistolenschuß den Hirnschädel zu zerschmettern, einen ehrlichen Streit mit vier Leibwachen Seiner Eminenz oder mit acht Engländern suchen und mich schlagen, bis mich einer tötet, was in Betracht der Quantität nicht ausbleiben kann. Man wird dann sagen, ich sei im Dienste des Königs gestorben, und ich werde meinen Dienst gethan haben, ohne daß ich mich zu equipiren brauche.«

Porthos ging fortwährend, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schüttelnd, auf und ab und sagte:

»Ich habe meine Gedanken.«

Aramis sah sorgenvoll und verwahrlost aus, und sprach nichts.

Aus diesen unglücklichen Einzelheiten kann man ersehen, daß Verzweiflung in der Gemeinde herrschte.

Die Lakaien theilten wie die Renner Hippolyts die trübe Stimmung ihrer Herren. Mousqueton kaufte Krustenvorräte ein; Bazin, der stets ein gottesfürchtiger Mann gewesen war, verließ die Kirche nicht mehr; Planchet beobachtete den Flug der Mücken, und Grimaud, den das allgemeine Unglück nicht dazu bringen konnte, daß er das ihm von seinem Herrn auferlegte Stillschweigen gebrochen hätte, stieß Seufzer aus, daß sich die Steine hätten erbarmen mögen.

Die drei Freunde, denn Athos hatte, wie gesagt geschworen, keinen Schritt für seine Equipirung zu thun, die drei Freunde gingen am frühen Morgen aus und kehrten sehr spät nach Hause. Sie irrten in den Straßen umher und betrachteten jeden Pflasterstein, um zu schauen, ob nicht etwa ein Vorübergehender seine Börse habe fallen lassen. Man hätte glauben sollen, sie verfolgen eine Fährte, so aufmerksam waren sie überall, wo sie gingen. Wenn sie sich begegneten, richteten sie verzweiflungsvolle Blicke an einander, welche zu fragen schienen: hast Du etwas gefunden?

Da jedoch Porthos zuerst seinen Gedanken gefunden und diesen sodann mit der größten Beharrlichkeit verfolgt hatte, so war er auch der Erste, der an das Werk ging. Es war ein Mann der Ausführung, dieser würdige Porthos. D’Artagnan bemerkte ihn eines Tags, wie er nach der Saint-Leu-Kirche wandelte, und folgte ihm instinktmäßig. Er trat in den heiligen Ort ein, nachdem er zuvor seinen Schnurrbart in die Höhe gestrichen und den Knebelbart lang gezogen hatte, was von seiner Seite stets äußerst eroberungssüchtige Pläne andeutete. Da d’Artagnan einige Vorsichtsmaßregeln traf, so glaubte Porthos nicht gesehen worden zu sein. Porthos lehnte sich an die eine Seite eines Pfeilers, d’Artagnan, stets unbemerkt, an die andere.

Es wurde gerade eine Predigt gehalten, weßhalb die Kirche sehr voll war. Porthos benützte diesen Umstand, um die Frauen zu beäugeln. In Folge der Bemühungen Mousqueton’s kündigte sein Aeußeres entfernt nicht die Trübsal des Innern an. Sein Filzhut war wohl etwas abgetragen, seine Feder wohl etwas verschossen, seine Stickereien wohl etwas matt geworden, seine Spitzen wohl etwas verzerrt; aber in dem Halblicht verschwanden alle diese Bagatellen und Porthos blieb immer der schöne Porthos.

D’Artagnan bemerkte auf einer Bank, zunächst bei dem Pfeiler, an welchem Porthos und er lehnten, eine Art von reifer Schönheit, etwas vergilbt, etwas vertrocknet, aber steif und hochmütig unter ihrer schwarzen Haube. Die Augen unseres Porthos senkten sich verstohlen auf diese Dame und schweiften dann sogleich wieder im Schiff der Kirche umher.

Die Dame, welche von Zeit zu Zeit erröthete, schleuderte mit Blitzesschnelligkeit einen Blick auf den flatterhaften Porthos, und sogleich fing Porthos wieder an, seine Augen mit aller Wuth umher irren zu lassen. Offenbar stachelte dieses Benehmen die Dame mit der Haube ganz ungemein; denn sie biß sich in die Lippen, daß sie bluteten, kratzte sich an der Nase und rückte verzweiflungsvoll auf ihrem Stuhle hin und her.

Als dies Porthos gewahr wurde, strich er seinen Schnurrbart abermals in die Höhe, zog seinen Knebelbart zum zweiten Mal lang und fing an, einer schönen Dame in der Nähe des Chors Zeichen zu machen, einer Dame, die nicht nur eine schöne, sondern auch ohne Zweifel eine vornehme Dame war; denn sie hatte einen Negerknaben, der das Kissen brachte, auf dem sie kniete, und eine Kammerfrau hinter sich, welche die mit einem Wappen gestickte Tasche in der Hand hielt, worin ihr Gebetbuch verwahrt wurde.

Die Dame mit der schwarzen Haube verfolgte den Blick von Porthos in allen seinen Irrfahrten, und erkannte, daß er auf die Dame mit dem Sammetkissen, dem Negerknaben und der Kammerfrau geheftet blieb.

Während dieser Zeit gab sich Porthos nicht die geringste Blöße; er blinzelte mit den Augen, legte die Finger auf seine Lippen und schoß wiederholt ein kleines mörderisches Lächeln ab, welches der verschmähten Schönen wirklich durch Mark und Bein ging.

Sie stieß daher in Form eines mea culpa, und sich an die Brust schlagend, ein so kräftiges Hm! aus, daß alle Welt und sogar die Dame mit dem rothen Kissen sich umwandte; Porthos hielt fest. Er hatte wohl verstanden, aber er spielte den Tauben.

Die Dame mit dem rothen Kissen brachte, denn sie war sehr schön, eine gewaltige Wirkung auf die Dame mit der schwarzen Haube hervor, welche in ihr eine furchtbare Nebenbuhlerin erblickte, eine große Wirkung auch auf Porthos, der sie viel jünger und auch viel hübscher fand, als die Dame mit der schwarzen Haube, eine große Wirkung auf d’Artagnan, der in ihr die Dame von Meung, von Calais und Dover erkannte, die sein Verfolger, der Mann mit der Narbe, mit dem Titel Mylady begrüßt hatte.

Ohne die Dame mit dem rothen Kissen aus dem Auge zu verlieren, fuhr d’Artagnan fort, das Benehmen von Porthos zu verfolgen, das ihn im höchsten Grad belustigte; er glaubte zu errathen, daß seine Dame mit der schwarzen Haube die Procuratorsfrau von der Rue aux Ours war; dies um so mehr, als die Saint-Leu-Kirche unfern von der genannten Straße lag.

Durch Folgerungen errieth er auch, daß Porthos für seine Niederlage in Chantilly, wo sich die Procuratorsfrau so widerspenstig im Punkt der Börse gezeigt hatte, seine Rache nehmen wollte.

Bei Allem dem aber entging es d’Artagnan nicht, daß kein einziges Gesicht die Galanterien von Porthos erwiderte. Es waren nur Chimären und Illusionen; aber gibt es für eine wahre Liebe, für eine wahre Eifersucht eine andere Wirklichkeit, als Illusionen und Chimären?

Die Predigt war zu Ende. Die Procuratorsfrau ging auf den Weihkessel zu. Porthos kam ihr zuvor und steckte statt eines Fingers die ganze Hand hinein. Die Procuratorsfrau lächelte im Glauben, Porthos versetzte sich für sie in Unkosten, aber sie wurde schnell und grausam enttäuscht. Als sie nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, drehte er den Kopf und heftete seine Augen unveränderlich auf die Dame mit dem rothen Kissen, welche sich erhoben hatte und von ihrem Negerknaben und der Kammerfrau gefolgt, herbeikam. Als die Dame mit dem rothen Kissen nahe bei Porthos war, zog dieser seine triefende Hand aus dem Weihkessel; die schöne Andächtige berührte mit ihrer zarten Hand die plumpe von Porthos, machte lächelnd das Zeichen des Kreuzes und verließ die Kirche.

Das war zu viel für die Procuratorsfrau; sie zweifelte nicht mehr daran, daß diese Dame und Porthos in einem Liebesverhältniß standen; wäre sie eine vornehme Dame gewesen, so würde sie in Ohnmacht gefallen sein; da sie aber nur eine Procuratorsfrau war, so begnügte sie sich mit gepreßter Wuth zu Porthos zu sagen:

»Ei, Herr Porthos, Ihr bietet mir kein Weihwasser?«

Porthos machte bei dem Klang dieser Stimme eine Bewegung, etwa wie ein Mensch, der nach einem Schlaf von hundert Jahren erwachen würde.

»Ma … Madame!« rief er, »seid ihr es wirklich? Wie befindet sich Euer Gemahl, der liebe Herr Coquenard? Ist er immer noch ein so großer Filz, wie früher? Wo hatte ich denn die Augen, daß ich Euch während der zwei Stunden, welche die Predigt dauerte, nicht einmal bemerkte?«

»Ich war nur zwei Schritte von Euch entfernt, mein Herr,« antwortete die Procuratorsfrau, »aber bemerktet mich nicht, weil Ihr nur Augen für die schöne Dame hattet, der Ihr so eben Weihwasser gabt.«

Porthos stellte sich, als geriethe er in Verlegenheit.

»Ah!« sagte er »Ihr habt wahrgenommen …«

»Man müßte blind sein, um es nicht zu sehen.«

»Ja,« sagte Porthos nachlässig, »es ist eine Herzogin, eine Freundin von mir, mit der ich wegen der Eifersucht ihres Gatten nur unter den größten Schwierigkeiten zusammenkommen kann, und die mich benachrichtigt hatte, sie würde heute, einzig und allein, um mich zu sehen, in dieser baufälligen Kirche, in diesem abgelegenen, öden Quartier erscheinen.«

»Herr Porthos,« erwiderte die Procuratorsfrau, »würdet Ihr wohl die Güte haben, mir den Arm auf fünf Minuten zu bieten? Ich möchte gern mit Euch sprechen.«

»Wie, Madame!« sagte Porthos sich selbst zublinzelnd, wie ein Spieler, der über den Thoren lacht, welchen er zu fangen im Begriffe ist.

In diesem Augenblick ging d’Artagnan, Mylady verfolgend, vorüber. Er warf Porthos einen Seitenblick zu und las den Triumph in seinem Auge.

»Ei, ei,« sagte er zu sich selbst, im Geiste der äußerst leichten Moral jener Epoche raisonnirend, »da ist Einer, der wohl in der vorgeschriebenen Frist equipirt werden dürfte.«

Dem Drucke des Armes seiner Procuratorsfrau nachgebend, wie eine Barke dem Steuerruder nachgibt, gelangte Porthos in die Nähe des Klosters Saint Magloire, in einen wenigbesuchten, an beiden Enden durch drei Kreuze eingeschlossenen Gang. Man sah hier bei Tage nur essende Bettler oder spielende Kinder.

»Ah, mein Herr Porthos,« rief die Procuratorsfrau, nachdem sie sich versichert hatte, daß sie von Niemand, der nicht zu der gewöhnlichen Bevölkerung dieser Oertlichkeit gehörte, gesehen oder gehört werden konnte; »ah, mein Herr Porthos, Ihr seid, wie es scheint, ein großer Sieger.«

»Ich, Madame?« fragte Porthos sich spreizend. »Und warum dies?«

»Nun die Zeichen von vorhin und das Weihwasser so eben! Es ist mindestens eine Prinzessin, diese Dame mit ihrem Negerknaben und ihrer Kammerfrau.«

»Ihr täuscht Euch. Mein Gott, nein,« antwortete Porthos; »es ist ganz einfach eine Herzogin.« »Und der Läufer, der an der Thüre wartete, und die Karrosse mit dem Kutscher in großer Livree!«

Porthos hatte weder den Läufer, noch die Karrosse gesehen; aber mit dem Blick einer eifersüchtigen Frau hatte Madame Coquenard alles wahrgenommen.

Portos bedauerte, daß er die Dame mit dem rothen Kissen nicht auf den ersten Schlag zu einer Prinzessin gemacht hatte.

»Ah, Ihr seid das Lieblingskind der Schönen, Herr Porthos,« versetzte die Procuratorsfrau seufzend. – »Ihr mögt wohl denken,« erwiderte Porthos, »daß es mir bei einem Aeußern, wie es mir die Natur vergönnt hat, nicht an Glück fehlen kann.« – »Mein Gott, wie schnell die Männer doch vergessen!« rief die Procuratorsfrau, die Augen zum Himmel erhebend. – »Mir scheint es, weniger schnell als die Frauen,« antwortete Porthos, »denn am Ende kann ich wohl sagen, daß ich Euer Opfer war, als ich mich verwundet, sterbend, von den Aerzten verlassen sah. Ich, der Sprößling einer erhabenen Familie, der ich mich Eurer Freundschaft anvertraut hatte, wäre beinahe in einer schlechten Herberge in Chantilly anfangs an meinen Wunden und dann vor Hunger gestorben, und zwar, ohne daß Ihr mich nur einer Antwort auf die dringenden Briefe würdigtet, die ich an Euch schrieb.« – »Aber, Herr Porthos …« murmelte die Procuratorsfrau, welche gegenüber dem Betragen der vornehmen Damen jener Zeit einsah, daß sie Unrecht hatte. – »Ich, der ich für Euch die Gräfin von Penaflor opferte!« – »Ich weiß es wohl.« – »Die Baronin von …« – »Herr Porthos, peinigt mich nicht.« – »Die Gräfin von …« – »Herr Porthos, seid edelmüthig!« – »Ihr habt Recht, Madame, ich werde nicht vollenden.« – »Die Schuld liegt an meinem Manne, der nichts von Anlehen hören will.« – »Madame Coquenard,« sprach Porthos, »erinnert Euch des ersten Briefes, den Ihr mir geschrieben habt, und der tief in mein Herz geprägt ist.«

Die Procuratorsfrau stieß einen Seufzer aus.

»Aber die Summe, die Ihr von mir entlehnen wolltet,« sprach sie, »war auch etwas stark. Ihr sagtet, Ihr braucht tausend Livres.«

»Madame Coquenard, ich gab Euch den Vorzug. Ich dürfte nur an die Herzogin von… schreiben. Ich will ihren Namen nicht sagen, denn ich bin ganz außer Stande, eine Frau zu compromittiren. Ich weiß nur, daß es mich höchstens eine Zeile an sie gekostet hätte, und sie würde mir fünfzehn hundert geschickt haben.«

Die Procuratorsfrau vergoß eine Thräne.

»Herr Porthos,« sagte sie, »ich schwöre Euch, daß Ihr mich schwer bestraft habt, und daß Ihr Euch, wenn Ihr Euch in Zukunft in einer ähnlichen Verlegenheit befindet, nur an mich wenden dürft.«

»Pfui, Madame,« rief Porthos wie empört, »sprechen wir nicht von Geld, wenn es Euch beliebt; denn das ist demüthigend.«

»Also liebt Ihr mich nicht mehr?« fragte die Procuratorsfrau langsam und traurig.

Porthos beobachtete ein majestätisches Stillschweigen.

»Also auf diese Weise antwortet Ihr mir? Ach! ich begreife!« – »Denkt an die Beleidigung, die Ihr mir zugefügt habt, Madame! sie ist hier fest geblieben,« sprach Porthos und preßte die Hand an sein Herz. – »Ich werde sie wieder gut machen, hört wohl, mein lieber Porthos.« – »Ueberdies, was verlangte ich von Euch?« versetzte Porthos mit einem gutmüthigen Achselzucken; »ein Anlehen nichts weiter; im Ganzen bin ich kein unbilliger Mensch; ich weiß, daß Ihr nicht reich seid, Madame Coquenard, und daß Euer Mann die armen Prozeßkrämer besteuern muß, um ihnen ein paar Thaler abzulocken. Oh! wenn Ihr eine Gräfin, eine Marquise, oder eine Herzogin wäret, dann wäre es etwas ganz Anderes, und ich wüßte keine Entschuldigung für Euch zu finden.«

Die Procuratorsfrau war gereizt.

»Vernehmt, Porthos,« sprach sie, »daß meine Geldkasse, obgleich nur die Kasse einer Procuratorsfrau, vielleicht besser gespickt ist, als die aller Eurer zu Grunde gerichteten Zieraffen.« – »Das ist eine doppelte Beleidigung für mich,« sagte Porthos, seinen Arm von dem der Procuratorsfrau losmachend, »denn wenn Ihr reich seid, Madame Coquenard, so ist Eure Weigerung völlig unentschuldbar.« – »Wenn ich Euch sage reich,« erwiderte die Procuratorsfrau, welche einsah, daß sie sich etwas zu weit hatte fortreißen lassen, »so darf man meine Worte nicht buchstäblich nehmen. Ich bin nicht reich, aber wohlhabend.« – »Gut, Madame,« sagte Porthos. »Sprechen wir nicht mehr hievon, ich bitte Euch. Ihr habt mich verkannt; jede Sympathie ist zwischen uns erloschen.« – »Undankbarer Mensch!« – »Ihr habt wohl ein Recht, Euch zu beklagen,« sagte Porthos. – »Geht also mit Eurer Herzogin! Ich halte Euch nicht zurück.« – »Ah, sie ist doch nicht gar so schlimm, wie ich glaubte.« – »Hört, Herr Porthos, ich wiederhole zum letzten Male, liebt Ihr mich noch?« – »Ach, Madame,« entgegnete Porthos, mit dem schwermüthigsten Tone, den er anzunehmen vermochte, »wenn wir in einen Krieg ziehen, in einen Krieg, wo mir meine Ahnungen sagen, daß ich meinen Tod finden werde…« – »Oh! sprecht nicht solche Dinge,« rief die Procuratorsfrau und brach in ein Schluchzen aus. – »Irgend etwas sagt mir dies,« fuhr Porthos, immer schwermüthiger werdend, fort. – »Gesteht vielmehr, daß Ihr eine neue Liebe hegt.« – »Nein, gewiß nicht, ich rede offenherzig mit Euch. Kein neuer Gegenstand rührt mich, und ich fühle, daß sogar hier im Grunde meines Herzens Etwas für Euch spricht. Aber in vierzehn Tagen wird, wie Ihr wißt oder vielleicht nicht wißt, dieser unselige Feldzug eröffnet, und ich sehe mich auf eine abscheuliche Weise durch meine Equipirung in Anspruch genommen. Dann muß ich eine Reise zu meiner Familie machen, welche in dem entferntesten Theile der Bretagne wohnt, um die für meinen Auszug erforderlichen Summen zu erhalten.«

Porthos bemerkte einen letzten Kampf zwischen der Liebe und dem Geiz.

»Und da die Güter der Herzogin,« fuhr er fort, »die Ihr so eben in der Kirche gesehen habt, bei den meinigen liegen, so machen wir die Reise miteinander. Eine Reise, wie Ihr wißt, erscheint bekanntlich viel kürzer, wenn man sie zu zweit macht.« – »Ihr habt also keine Freunde in Paris, Herr Porthos?« sagte die Procuratorsfrau. – »Ich glaubte welche zu haben,« erwiderte Porthos mit seiner schwermüthigen Miene, »aber ich habe eingesehen, daß ich mich täuschte.« – »Ihr habt Freunde, Herr Porthos, Ihr habt,« versetzte die Procuratorsfrau mit einer Begeisterung, über die sie selber erstaunte. »Ihr seid der Sohn meiner Tante, folglich mein Vetter. Ihr kommt von Noyen in der Picardie; Ihr habt mehrere Prozesse in Paris und keinen Procurator. Werdet Ihr wohl Alles dies behalten?« – »Vollkommen, Madame.« – Kommt zur Mittagessenszeit.« – »Sehr gut.« – »Und haltet Euch fest bei meinem Manne, der gar verschmitzt ist, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre.« – »Sechsundsiebenzig Jahre! Pest! was für ein schönes Alter!« sprach Porthos. – »Ein hohes Alter wollt Ihr sagen, Herr Porthos. Der liebe alte Mann kann mich auch jeden Augenblick zur Wittwe machen,« fuhr sie mit einem vielsagenden Blicke fort. »Glücklicherweise ist nach einem unter uns abgeschlossenen Heirathsvertrag der überlebende Theil Erbe des ganzen Vermögens.« – »Des ganzen?« sagte Porthos. – »Des ganzen.« – »Ihr seid eine vorsichtige Frau, wie ich sehe, meine liebe Madame Coquenard,« sprach Porthos, der Procuratorin zärtlich die Hand drückend. – »Wir sind also ausgesöhnt, lieber Herr Porthos,« sagte sie, sich zierend. – »Für das ganze Leben,« erwiderte Porthos mit derselben Miene. – »Aus Wiedersehen also, mein Verräther.« – »Auf Wiedersehen, meine Vergeßliche.« – »Morgen, mein Engel!« – »Morgen, Flamme meines Lebens!«

X.

Athos, ohne sich die geringste Mühe zu geben, seine Equipirung fand.

D’Artagnan war in so gewaltiger Aufregung, daß er, ohne sich im Geringsten darum zu bekümmern, was aus Ketty wurde, in größter Eile die Hälfte von Paris durchlief und nicht eher stille hielt, als bis er sich vor der Thüre von Athos befand. Die Verwirrung seines Geistes, der Schrecken, der ihn spornte. das Geschrei einiger Patrouillen, die ihn verfolgten, bewirkten nur, daß er seinen Lauf noch mehr beschleunigte.

Er flog durch den Hof, stieg die zwei Treppen hinauf, und klopfte an die Thüre, daß sie hätte in Stücke springen sollen.

Grimaud öffnete mit schlaftrunkenen Augen. D’Artagnan stürzte mit solcher Gewalt in das Vorzimmer, daß er ihn beinahe niedergeworfen hätte.

Trotz der gewöhnlichen Stummheit Grimauds kam ihm diesmal das Wort. Beim Anblick des entblößten Degens, den d’Artagnan in der Hand hielt, bildete sich der arme Bursche ein, er habe es mit einem Mörder zu thun, rief:

»Zu Hülfe! zu Hülfe! zu Hülfe!«

»Schweig‘, Unglücklicher!« sprach der junge Mann, »ich bin d’Artagnan. Erkennst Du mich nicht mehr? wo ist Dein Herr?«

»Ihr Herr d’Artagnan?« rief Grimaud erschrocken, »unmöglich!«

»Grimaud,« sagte Athos, im Schlafrock aus seinem Zimmer tretend, »ich glaube, Du erlaubst Dir zu sprechen!«

»Ach, gnädiger Herr, weil …«

»Stille!«

Grimaud begnügte sich mit dem Finger auf d’Artagnan zu deuten.

Athos brach bei all‘ seinem Phlegma in ein Gelächter aus, das durch die verstörte Miene seines jungen Freundes gar wohl motivirt war.

»Lacht nicht, mein Freund!« rief d’Artagnan, »um des Himmels willen, lacht nicht, denn bei meiner Seele sage ich Euch, es ist kein Grund zum Lachen vorhanden.«

Und er sprach diese Worte mit einer so feierlichen Betonung und mit einem so unzweideutigen Ausdruck des Schreckens, daß Athos ihn bei der Hand nahm und ausrief:

»Solltet Ihr verwundet sein, mein Freund? Ihr seht sehr bleich aus.« – »Nein, aber es ist mir so eben ein furchtbares Abenteuer begegnet. Seid Ihr allein, Athos?« – »Bei Gott, wer soll denn zu dieser Stunde bei mir sein?« – »Gut, gut!»

D’Artagnan stürzte in das Zimmer von Athos.

»Ei, so sprecht doch,« sagte dieser, die Thüre verschließend und die Riegel vorschiebend, um nicht gestört zu werden. »Ist der König todt? Habt Ihr den Herrn Kardinal umgebracht? Ihr seid ganz verwirrt. Sprecht! laßt hören! denn ich sterbe in der That vor Unruhe.« – »Athos,« antwortete d’Artagnan, »seid bereit, eine unglaubliche, unerhörte Geschichte zu hören!« – »Redet doch,« sagte Athos. – »Nun wohl,« fuhr d’Artagnan, sich nach dem Ohr von Athos beugend und die Stimme dämpfend fort, »Mylady ist mit einer Lilie auf der Schulter bezeichnet.« – »Ha!« rief der Musketier, als ob ihn eine Kugel ins Herz getroffen hätte. – »Sagt,« sprach d’Artagnan, »seid Ihr sicher, daß die Andere todt ist?« – »Die Andere?« versetzte Athos mit so dumpfer Stimme, daß es d’Artagnan kaum hörte. – »Ja, die, von welcher Ihr mir eines Tages in Amiens erzählt habt.«

Athos stieß einen Seufzer aus, und ließ den Kopf in seine Hände fallen.

»Diese,« fuhr d’Artagnan fort, »ist eine Frau von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren.« – »Blond?« fragte Athos. – »Ja.« – »Blaue, helle Augen, von seltener Klarheit, mit schwarzen Wimpern und Brauen?« – »Ja.« – »Groß, gut gewachsen? es fehlt ihr ein Zahn neben dem Augenzahn auf der linken Seite?« – »Ja.« – »Die Lilie ist klein und roth, etwas verwischt durch Pflaster, welche man aufgelegt hat?« – »Ihr sagt jedoch, diese Frau sei eine Engländerin?« – »Ja.« – »Man nennt sie Mylady, aber sie kann dessenungeachtet eine Französin sein. Lord Winter ist nur ihr Schwager.« – »Ich will sie sehen, d’Artagnan!« – »Nehmt Euch in Acht, Athos, nehmt Euch in Acht. Ihr wolltet sie tödten? Sie ist die Frau, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten und Euer nicht zu fehlen.« – »Sie wird es nicht wagen, etwas zu sagen, denn sie würde sich dadurch selbst verrathen.« – »Sie ist zu Allem fähig! Habt Ihr sie je wüthend gesehen?« – »Nein,« sprach Athos. – »Eine Tigerin, ein Pantherthier! ach, mein lieber Athos, ich fürchte sehr, eine gräßliche Rache auf uns herabbeschworen zu haben!«

D’Artagnan erzählte nun Alles, den wahnsinnigen Zorn Mylady’s und ihre Todesdrohungen.

»Ihr habt Recht, und ich würde mein Leben für ein Haar geben,« sprach Athos. »Zum Glück verlassen wir Paris übermorgen, wir ziehen höchst wahrscheinlich nach La Rochelle, und wenn wir einmal fort sind …« – »Wird sie Euch verfolgen bis an’s Ende der Welt, Athos, wenn sie Euch wieder erkennt. Laßt also ihren Haß sich gegen mich allein wenden.« – »Ei, mein Lieber, was ist daran gelegen, daß sie mich tödtet!« sagte Athos. »Glaubt Ihr etwa, ich hänge am Leben?« – »Unter Allem dem ist ein furchtbares Geheimniß verborgen. Die Frau ist die Spionin des Kardinals. Das bin ich fest überzeugt.« – »In diesem Fall seid auf Eurer Hut. Wenn der Kardinal nicht wegen der Londoner Angelegenheit eine hohe Bewunderung für Euch hegt, so hegt er einen gewaltigen Haß. Aber da er Euch am Ende nichts offen vorwerfen kann und der Haß befriedigt werden muß, besonders wenn es ein Kardinalshaß ist, so hütet Euch wohl! Wenn Ihr ausgeht, geht nicht allein aus, wenn Ihr eßt, nehmet Eure Vorsichtsmaßregeln; mißtraut Allem, selbst Eurem Schatten.«

»Zum Glück handelt es sich nur darum,« sprach d’Artagnan, »bis übermorgen in Bangigkeit umherzugehen. Denn sind wir einmal bei der Armee, so haben wir es hoffentlich nur noch mit Männern zu thun.« – »Indessen,« sagte Athos, »verzichte ich auf meine Einsperrungspläne und gehe überall hin mit Euch. Ihr müßt nach der Rue des Fossoyeurs zurückkehren; ich werde Euch begleiten.« – »Es sei, mein lieber Athos; aber laßt mich Euch zuerst den Ring zustellen, den ich von dieser Frau empfangen habe. Der Saphir gehört Euch. Habt Ihr mir nicht gesagt, es sei ein Familienjuwel?« – »Ja, mein Vater kaufte ihn um zweitausend Thaler, wie er mir einst sagte. Er bildete einen Theil der Hochzeitsgeschenke, die er meiner Mutter machte. Es ist ein prächtiger Stein. Meine Mutter gab ihn mir, und ich in meiner damaligen Narrheit schenkte ihn, statt ihn wie eine heilige Reliquie zu bewahren, meinerseits dieser Elenden.« – »Gut, nehmt den Ring zurück, an dem Ihr begreiflich hängen müßt.« – »Ich den Ring zurücknehmen, nachdem er durch die Hände dieser Schändlichen gegangen ist? Nie, dieser Ring ist beschmutzt, d’Artagnan.« – »Dann verkauft oder verpfändet ihn; man wird Euch wohl tausend Thaler darauf leihen. Mit dieser Summe macht Ihr Eure Angelegenheiten bequem ab. Mit dem ersten Geld, das Ihr einnehmt, löst Ihr ihn sodann wieder und nehmt ihn von seinen alten Flecken gereinigt zurück, denn er ist durch die Hände von Wucherern gegangen.«

Athos lächelte.

»Ihr seid ein entzückender Junge, mein lieber d’Artagnan,« sprach er. »Ihr richtet durch Eure ewige Heiterkeit die armen Geister in ihrem Kummer auf. Nun denn, ja, verpfänden wir diesen Ring, der mir gehört, aber unter einer Bedingung.« – »Unter welcher?« – »Daß fünfhundert Thaler für Euch und fünfhundert für mich sind.« – »Was denkt Ihr, Athos? Ich bedarf nicht des vierten Theils dieser Summe, da ich bei den Garden stehe und wenn ich meinen Sattel verkaufe, so verschaffe ich mir den Betrag. Was brauche ich? ein Pferd für Planchet, das ist Alles. Dann vergeßt Ihr, daß ich auch einen Ring besitze.« – »An dem Ihr noch mehr zu hängen scheint, als ich an dem meinigen. Wenigstens glaubte ich dies zu bemerken.« – »Ja, denn in einem äußersten Fall kann er uns nicht nur aus einer großen Verlegenheit, sondern auch aus einer großen Gefahr ziehen. Das ist kein einfacher Diamant, es ist zugleich ein Talisman.«

»Ich verstehe Euch nicht, aber ich glaube, was Ihr sagt. Um wieder auf meinen Ring, oder vielmehr auf den Eurigen zurückzukommen, so müßt Ihr die Hälfte der Summe, die man Euch darauf leihen wird, annehmen, oder ich werfe ihn in die Seine, und ich zweifle, ob, wie bei Polykrates, ein Fisch so gefällig ist, ihn uns wieder zu bringen.« – »Gut, ich nehme es an,« sagte d’Artagnan.

In diesem Augenblick trat Grimaud in Begleitung von Planchet ein. Dieser war unruhig über seinen Herrn und neugierig zu erfahren, was ihm begegnet sein möchte.

Athos kleidete sich an, und als er auszugehen bereit war, machte er Grimaud ein bedeutsames Zeichen, der Diener nahm seine Muskete von der Wand, und schickte sich an, seinen Herrn zu begleiten.

D’Artagnan und Athos gelangten ohne irgend einen Unfall in die Rue des Fossoyeurs. Herr Bonacieux stand an seiner Thüre und schaute d’Artagnan auf eine pöbelhaft spottende Weise an.

»Eh! mein lieber Miethsmann,« sagte er, »beeilt Euch, es wartet ein hübsches Mädchen in Eurem Zimmer, und Ihr wißt, die Frauen lieben es nicht, daß man sie warten läßt.«

»Es ist Ketty« rief d’Artagnan und lief in den Gang.

Auf dem nach seinem Zimmer führenden Boden fand er das arme Kind, das sich ganz zitternd an die Thüre lehnte. Sobald sie ihn erblickte, sagte sie:

»Ihr habt mir Euren Schutz versprochen, Ihr habt mir gelobt, mich vor ihrem Zorne zu retten. Erinnert Euch, daß Ihr es seid, der mich zu Grunde gerichtet hat.«

»Ja, allerdings,« erwiderte d’Artagnan; »sei ruhig, Ketty. Aber was ist denn nach meinem Abgang vorgefallen?«

»Weiß ich es?« sagte Ketty, »Auf ihr Geschrei liefen alle Lakaien herbei; sie war furchtbar aufgebracht und spie alle Verwünschungen der Welt gegen Euch aus. Dann dachte ich, sie würde sich erinnern, daß Ihr durch mein Zimmer in das ihrige eingedrungen wäret, und sie müßte in mir Eure Mitschuldige erkennen. Ich nahm das wenige Geld, das ich besaß, sowie meine kostbarsten Kleidungsstücke, und flüchtete mich.«

»Armes Kind, aber was soll ich mit Dir machen? Ich reise übermorgen ab.«

»Alles was Ihr wollt, Herr Chevalier. Macht, daß ich Paris, daß ich Frankreich verlasse.«

»Ich kann Dich doch nicht mit zur Belagerung von La Rochelle führen,« sprach d’Artagnan.

»Nein, aber Ihr könnt mich in der Provinz unterbringen, bei irgend einer Dame von Eurer Bekanntschaft; in Eurer Heimath zum Beispiel.«

»Oh, meine liebe Freundin, in meiner Heimath haben die Damen keine Kammerfrauen. Doch halt! ich weiß, was zu thun ist. Planchet, hole mir Aramis. Er möge sogleich kommen. Wir haben etwas sehr Wichtiges mit ihm zu sprechen.«

»Ich begreife,« sagte Athos; »aber warum nicht Porthos? Es scheint mir, seine Marquise …«

»Die Marquise von Porthos ließe sich eher von den Schreibern ihres Mannes ankleiden, als daß sie eine Kammerfrau hielte,« sprach d’Artagnan lachend. »Ueberdies dürfte Ketty nicht gerne in der Rue aux Ours wohnen, nicht wahr, Ketty?«

»Ich werde wohnen, wo man will,« sagte Ketty, »vorausgesetzt, daß ich gut verborgen bin und man nicht weiß, wo ich mich aufhalte.«

»Jetzt, Ketty, da wir uns zu trennen im Begriffe sind, und Du folglich nicht mehr auf mich eifersüchtig bist …«

»Herr Chevalier,« sprach Ketty, »nah oder fern, ich werde Euch beständig lieben.«

»Wo Teufels nistet sich die Beständigkeit ein!« murmelte Athos.

»Auch ich,« sagte d’Artagnan, »auch ich werde Dich stets lieben, glaube mir. Aber höre, antworte mir. Ich lege ein großes Gewicht auf die Frage, die ich an dich richte. Solltest Du nie von einer jungen Frau gehört haben, die man in einer Nacht wegführte?« – »Halt… Oh! mein Gott, Herr Chevalier, liebt Ihr diese Frau noch?« – »Nein, einer meiner Freunde liebt sie – Athos, den Du hier siehst.« – »Ich!« rief Athos mit dem Ausdruck eines Menschen, der gewahr wird, daß er auf eine Natter getreten. – »Allerdings Ihr,« erwiderte d’Artagnan, Athos die Hand drückend. »Ihr wißt wohl, wie sehr wir an dem Schicksal der guten Frau Bonacieux Theil nehmen. Ueberdies wird Ketty nicht plaudern. Nicht wahr, Ketty? Du begreifst, mein Kind,« fuhr d’Artagnan fort, »es ist die Frau des abscheulichen Affen, den Du bei Deinem Eintritt unten an der Thüre gesehen hast.« – »Oh! mein Gott!« rief Ketty, »Ihr erinnert mich an meine Angst; wenn er mich nur nicht erkannt hat! …« – »Wie, erkannt? Du hast also diesen Menschen schon gesehen?« – »Er ist zweimal zu Mylady gekommen.« – »Um welche Zeit?« – »Vor etwa vierzehn oder achtzehn Tagen.« – »Ganz richtig.« – »Und gestern Abend ist er wieder erschienen.« – »Gestern Abend?« – »Ja, einen Augenblick, ehe Ihr selbst eingetroffen seid.« – »Mein lieber Athos, wir sind von einem Netz von Spionen umgeben! Und Du glaubst, er habe Dich erkannt, Ketty?« – »Ich senkte meine Haube, als ich ihn erblickte, aber vielleicht war es zu spät.« – »Geht hinab, Athos, man mißtraut Euch weniger, als mir, und seht, ob er immer noch vor der Thüre steht.«

Athos ging hinab und kam sogleich wieder zurück.

»Der Krämer ist fort,« sprach er, »und das Haus ist geschlossen.« – »Er wird sich ohne Zweifel entfernt haben, um zu melden, daß alle Tauben im Schlage sind.« – »Gut! aber wir wollen ausfliegen,« sagte Athos, »und nur Planchet hier lassen, um uns Nachricht zu bringen.« – »Noch eine Minute! Aramis, nach dem wir geschickt haben?« – »Das ist richtig, erwarten wir Aramis.«

In demselben Augenblicke trat Aramis ein.

Man setzte ihm die ganze Angelegenheit auseinander und sagte ihm, daß er nothwendig unter allen seinen hohen Bekannten einen Platz für Ketty suchen müsse.

Aramis dachte einen Augenblick nach und erwiderte dann erröthend:

»Wird Euch wirklich ein großer Dienst dadurch erwiesen?«

»Ich werde Euch mein ganzes Leben dafür dankbar sein.«

»Nun wohl. Frau von Bois-Tracy hat mich für eine ihrer Freundinnen, welche, glaube ich, in der Provinz wohnt, um eine sichere Kammerfrau gebeten, und wenn Ihr mir für dieses Mädchen stehen könnt, d’Artagnan …«

»Oh! gnädiger Herr,« rief Ketty, »ich werde gewiß der Person, die mich in den Stand setzt, Paris zu verlassen, mit Leib und Seele ergeben sein.«

»Dann geht die Sache vortrefflich,« sprach Aramis.

Er setzte sich an einen Tisch, schrieb ein paar Worte, versiegelte sie mit einem Ringe und händigte das Billet Ketty ein.

»Du weißt nun, mein Kind,« sagte d’Artagnan, »daß es hier nicht besser für uns ist, als für Dich. Wir müssen uns jetzt trennen, werden uns aber in schöneren Tagen wiederfinden.«

»Und an welchem Ort und zu welcher Zeit wir uns wieder sehen werden,« sprach Ketty, »so werde ich Euch so innig lieben, wie ich Euch heute liebe.«

Einen Augenblick nachher trennten sich die drei jungen Männer und ließen nur Planchet zurück, um das Haus zu bewachen.

Aramis kehrte in seine Wohnung zurück, während Athos und d’Artagnan für Unterbringung des Saphirs sorgten.

Man fand, wie unser Gascogner vorhergesehen hatte, leicht dreihundert Pistolen auf den Ring. Ueberdies bemerkte der Jude, wenn man denselben an ihn verkaufen wollte, so würde er sogar fünfhundert Pistolen dafür geben, da er ein prachtvolles Ohrgehänge daraus machen lassen könnte.

Mit der Thätigkeit zweier Soldaten und der Wissenschaft zweier Kenner brauchten Athos und d’Artagnan kaum drei Stunden, um die ganze Equipirung des Musketiers einzukaufen. Athos war vornehmer Herr bis an die Nagelspitzen. Sobald ihm etwas anstand, bezahlte er den verlangten Preis, ohne daß er nur den geringsten Versuch machte, etwas herunterzumarkten. D’Artagnan wollte ihm hierüber Bemerkungen machen, aber Athos legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter, und d’Artagnan begriff, daß für ihn, den kleinen gascognischen Edelmann, das Handeln gut war, aber nicht für einen Mann von fürstlichem Aussehen.

Der Musketier fand ein herrliches andalusisches Roß, schwarz wie Gagath, mit Feuer schnaubenden Nüstern, eleganten, zarten Beinen und sechs Jahre alt. Er untersuchte das Pferd und erkannte es als tadellos. Man bot es für tausend Franken. Vielleicht hätte er es für weniger bekommen, aber während sich d’Artagnan mit dem Pferdehändler über den Preis besprach, zählte Athos die hundert Pistolen auf den Tisch.

Grimaud erhielt ein picardisches Pferd, untersetzt und stark, das dreihundert Livres kostete.

Nachdem der Sattel für letzteres Pferd und die Waffen für Grimaud gekauft waren, blieb kein Sou mehr von den hundert und fünfzig Pistolen von Athos übrig. D’Artagnan bot seinem Freunde etwas von dem ihm zukommenden Theil an. Aber Athos beschränkte sich statt jeder Antwort darauf, die Achseln zu zucken.

»Wie viel würde der Jude für den Ring geben, wenn man ihm denselben als volles Eigenthum überließe?« fragte er. – »Fünfhundert Pistolen.« – »Das heißt zweihundert Pistolen mehr: hundert Pistolen für Euch, hundert Pistolen für mich. Das ist ein wahres Glück, mein lieber Freund, kehrt zu dem Juden zurück.« – »Wie? Ihr wollt …« – »Dieser Ring würde offenbar zu traurige Erinnerungen in mir zurückrufen; dann haben wir ihm auch die dreihundert Pistolen nicht heimzubezahlen, so daß wir bei diesem Handel zweitausend Livres gewinnen. Sagt ihm, der Ring gehöre ihm, d’Artagnan, und kommt mit zweihundert Pistolen zurück. – »Ueberlegt, Athos.«

– »Das baare Geld ist in diesen Zeitläuften theuer, und man muß Opfer zu bringen wissen. Geht, d’Artagnan, geht. Grimaud wird Euch mit seinem Mousqueton begleiten.«

Nach einer halben Stunde kam d’Artagnan mit den zweihundert Pistolen und ohne daß ihm ein Unfall zugestoßen war, zurück.

So fand Athos in seiner Wirtschaft Mittel, auf die er nicht gerechnet hatte.

XI.

Eine holdselige Erscheinung.

Zur bestimmten Stunde waren die vier Freunde bei Athos versammelt. Ihre Unruhe, ihre Bangigkeit in Betreff der Equipirung war völlig verschwunden, und jedes Gesicht behielt nur noch den Ausdruck seiner eigenen und geheimen Unruhe, denn hinter jedem gegenwärtigen Glück ist eine Furcht vor der Zukunft verborgen.

Plötzlich trat Planchet ein und brachte zwei Briefe mit der Adresse d’Artagnan’s.

Der eine war ein zierlich zusammengefaltetes Billet von länglicher Form, mit einem hübschen Siegel von grünem Wachs, auf dem sich eine Taube mit einem grünen Zweig im Schnabel eingedrückt fand.

Der andere war ein großer viereckiger Brief, auf dem das furchtbare Wappen von Seiner Eminenz, dem Kardinal Herzog glänzte.

Bei dem Anblick des kleinen Briefes hüpfte d’Artagnan’s Herz vor Freude, denn er glaubte die Handschrift zu erkennen, und obgleich er dieselbe nur einmal gesehen, so hatte sich doch die Erinnerung tief in seinem Innern eingegraben.

Er nahm also den kleinen Brief und entsiegelte ihn eilig.

»Reitet nächsten Mittwoch,« schrieb man ihm, »von sechs bis sieben Uhr auf der Straße von Chaillot spazieren, und schaut sorgfältig in jeden Wagen, der an Euch vorüber kommt. Aber wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen etwas liegt, so sprecht kein Wort. Macht keine Bewegung, woraus man ersehen könnte, daß Ihr diejenige erkannt habt, welche Alles wagt, um Euch einen Augenblick zu sehen.«

Keine Unterschrift.

»Das ist eine Falle,« sprach Athos, »geht nicht hin, d’Artagnan.« – »Ich glaube aber die Handschrift ganz wohl zu erkennen,« sagte d’Artagnan. – »Sie kann nachgemacht sein,« entgegnete Athos. »Von sechs bis sieben Uhr ist um diese Zeit die Straße von Chaillot ganz verlassen. Ihr könntet eben sowohl im Walde von Bondy spazieren gehen.« – »Doch wenn wir Alle gingen?« sagte d’Artagnan. »Was Teufels, man wird nicht alle vier, nebst vier Lakaien, vier Pferden und den Waffen verschlingen; das müßte eine schöne Unverdaulichkeit zur Folge haben.« – »Dann wäre es auch eine schöne Gelegenheit, unsere Rosse zu zeigen,« sprach Porthos. – »Aber wenn es eine Frau ist, die Euch schreibt,« sagte Aramis, »und wenn diese Frau nicht gesehen zu werden wünscht, so bedenkt, daß Ihr sie compromittirt, d’Artagnan, was einem Edelmann gar übel steht.« – »Wir bleiben etwas zurück,« rief Porthos, »und er allein reitet voraus.« – »Ja, aber eine Pistole ist bald aus einem Wagen abgefeuert, der im Galop dahinfährt.« – »Bah!« erwiderte d’Artagnan, »man wird mich nicht treffen.« – »Wir holen dann den Wagen ein, und bringen Alle um, die darin sitzen. Dadurch haben wir immerhin eben so viele Feinde weniger.« – »Er hat Recht,« sagte Porthos, »eine Schlacht kann nichts schaden, wir müssen ohnehin unsere Waffen versuchen.« – »Meiner Treu! Wir wollen uns dieses Vergnügen gönnen,« versetzte Aramis mit seiner sanften, gleichgültigen Miene. – »Wie Ihr wollt,« sprach Athos. – »Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »es ist halb fünf Uhr, und wir haben kaum Zeit, uns auf den Weg nach Chaillot zu machen.« – »Wenn wir zu spät ritten,« sagte Porthos, »so würde man uns nicht mehr sehen, und das wäre sehr schade. Vorwärts also, meine Herren.« – »Aber Ihr vergeßt den zweiten Brief,« rief Athos. »Das Sigel scheint mir anzudeuten, daß er geöffnet zu werden verdient. Ich meines Theils muß Euch erklären, daß ich mich viel mehr um diesen bekümmere, als um den kleinen Wisch, den Ihr ganz zart in Euren Busen gesteckt habt.«

D’Artagnan erröthete.

»Nun wohl,« sprach der junge Mann, »sehen wir, meine Herren, was Seine Eminenz von mir will.«

D’Artagnan entsiegelte und las:

»Herr d’Artagnan, Garde des Königs, Kompagnie des Essarts, wird diesen Abend um acht Uhr im Palais-Kardinal erwartet.

La Houdiniére, Kapitän der Leibwache.«

»Teufel!« rief Athos, »das ist ein Rendezvous, welches viel mehr beunruhigen muß, als das andere.«

»Ich gehe zu dem zweiten, wenn ich von dem ersten zurückkomme,« sprach d’Artagnan. »Das eine soll um sieben, das andere um acht Uhr stattfinden. Ich habe Zeit zu Allem.«

»Hm! ich ginge nicht,« entgegnete Aramis. »Ein galanter Ritter darf bei einem Rendezvous nicht fehlen, das ihm eine Dame gibt. Aber ein kluger Edelmann kann sich entschuldigen und nicht zu seiner Eminenz gehen, besonders wenn er einige Gründe hat, zu glauben, daß man ihn nicht rufe, um ihm Komplimente zu machen.«

»Ich bin der Meinung von Aramis,« fügte Porthos bei.

»Meine Herren,« antwortete d’Artagnan, »ich habe bereits durch Herrn von Cavois eine ähnliche Einladung zu Sr. Eminenz erhalten. Ich vernachläßigte sie, und am andern Tage begegnete mir ein großes Unglück. Constance verschwand. Was auch daraus werden mag, ich gehe in jedem Falle hin.«

»Wenn dies Euer fester Entschluß ist, so führt ihn aus,« sprach Athos.

»Aber die Bastille?« sagte Aramis.

»Bah! Ihr werdet mich herausziehen,« erwiderte d’Artagnan.

»Allerdings,« versetzten Aramis und Porthos mit bewundernswürdiger Bestimmtheit, und als ob dies eine ganz einfache Sache wäre. »Allerdings werden wir Dich herausziehen, aber mittlerweile würdet Ihr, da wir übermorgen abreisen, besser daran thun, Euch der Gefahr der Bastille nicht auszusetzen.«

»Thun wir, was in unsern Kräften liegt,« sprach Athos, »verlassen wir ihn diesen Abend nicht. Erwarten wir ihn jeder an einer Thüre des Palastes, je mit drei Musketieren hinter uns. Bemerken wir, daß ein Wagen mit geschlossenem Schlag und von verdächtigem Aussehen herauskommt, so fallen wir darüber her. Es ist schon sehr lange, daß wir keinen Strauß mehr mit den Leibwachen des Herrn Kardinals ausgefochten haben, und Herr von Treville muß uns für todt halten.«

»Ihr seid offenbar zum Heerführer geboren, Athos,« sprach Aramis. »Was sagt Ihr zu diesem Plane, meine Herren?«

»Vortrefflich!« wiederholten die jungen Leute im Chor.

»Gut!« sprach Porthos, »ich laufe nach dem Hotel und benachrichtige unsere Kameraden, damit sie sich auf dem Platze des Palais-Kardinal bereit halten; Ihr laßt mittlerweile die Pferde durch die Bedienten satteln.«

»Ich, was mich betrifft, habe kein Pferd,« entgegnete d’Artagnan, aber ich will eines von Herrn von Treville nehmen.« – »Das ist unnöthig,« versetzte Aramis. »Ihr nehmt eines von den meinigen.« – »Wie viel habt Ihr denn?« fragte d’Artagnan. – »Drei,« antwortete Aramis lächelnd. – »Mein Lieber,« sagte Athos, »Ihr seid sicherlich der bestbezahlte Dichter von Frankreich und Navarra.«

»Hört, mein lieber Aramis, Ihr werdet nicht wissen, was Ihr mit drei Pferden thun sollt? nicht wahr? Ich begreife sogar nicht, warum Ihr drei Pferde gekauft habt.«

»Ich habe auch nur zwei gekauft,« erwiderte Aramis.

»Das dritte ist Euch also vom Himmel zugefallen?«

»Nein, das dritte ist mir diesen Morgen von einem Bedienten ohne Livree zugeführt worden, der mir nicht sagen wollte, wem er gehörte, und mir die Versicherung gab, er habe den Befehl von seinem Gebieter erhalten …«

»Oder von seiner Gebieterin,« unterbrach ihn d’Artagnan.

»Das macht nichts zur Sache,« fuhr Aramis erröthend fort, »und der mir die Versicherung gab, sage ich, er habe Befehl von seinem Gebieter oder seiner Gebieterin erhalten, dieses Pferd in meinen Stall zu bringen, ohne zu sagen, woher es käme.«

»Dergleichen begegnet nur einem Dichter,« sprach Athos ernst.

»Nun, wir wollen dieß benützen,« sagte d’Artagnan. »Welches von den zwei Pferden werdet Ihr reiten? Das, welches Ihr gekauft habt oder das, welches man Euch geschenkt hat?«

»Offenbar das, welches man mir geschenkt hat. Ihr begreift, daß ich eine solche Beleidigung …«

»Dem unbekannten Geber nicht anthun kann,« versetzte d’Artagnan.

»Oder der geheimnißvollen Geberin,« sprach Athos.

»Das gekaufte ist Euch also unnütz.«

»Beinahe.«

»Ihr habt es selbst ausgewählt?«

»Ja, und zwar mit der größten Sorgfalt. Die Sicherheit des Reiters hängt, wie Ihr wißt, beinahe immer von seinem Pferde ab.«

»Nun wohl, überlaßt es mir um den Preis, den es Euch kostet.«

»Ich wollte es Euch anbieten, mein lieber d’Artagnan, und dabei Euch jede Zeit gönnen, die Ihr nöthig haben könntet, um mir diese Bagatelle zurückzubezahlen.«

»Und wie viel kostet Euch das Pferd?«

»Achthundert Livres.«

»Hier sind vierzig Doppelpistolen, mein Freund,« sprach d’Artagnan und zog diese Summe aus seiner Tasche. »Ich weiß, daß dies die Münze ist, in der man Euch Eure Gedichte bezahlt.«

»Ihr seid also bei Kasse?«

»Reich, sehr reich, mein Lieber!«

Und d’Artagnan ließ in seiner Tasche den Rest seiner Pistolen klingen.

»Schickt Euren Sattel in das Hotel der Musketiere, und man wird Euch Euer Pferd mit den unsrigen hieher führen.«

»Sehr gut, aber es ist bald fünf Uhr, eilen wir!«

Eine Viertelstunde nachher erschien Porthos am Ende der Rue Ferou auf einem prächtigen Rosse. Mousqueton folgte ihm auf einem Auvergner Pferde, das kleiner, aber stark war. Porthos glänzte vor Stolz und Freude.

Zu gleicher Zeit sah man Aramis von dem andern Ende der Straße her auf einem herrlichen englischen Renner; Bazin folgte ihm auf einem Rothschimmel und führte ein kräftiges Mecklenburger Roß am Zügel, das für d’Artagnan bestimmt war.

Die zwei Musketiere begegneten sich vor der Thüre. Athos und d’Artagnan betrachteten dieselben durch das Fenster.

»Teufel!« sagte Aramis, »Ihr habt da ein herrliches Pferd, mein Lieber.«

»Ja,« antwortete Porthos, »es ist das, welches man mir gleich am Anfang schicken sollte. Ein schlechter Spaß des Gemahls hatte es durch ein anderes ersetzt; aber er ist schön dafür bestraft worden, und ich habe vollständige Genugthuung erhalten.«

Grimaud zeigte sich ebenfalls, das Pferd seines Herrn an der Hand haltend; d’Artagnan und Athos kamen herab, schwangen sich neben ihren Gefährten in den Sattel, und nun ritten alle vier nach dem Quai, Athos auf dem Pferde, das er seiner Gattin, Porthos auf dem Pferd, das er der Procuratorin, Aramis auf dem Pferd, das er seiner Geliebten, und d’Artagnan auf dem Pferd, das er seinem guten Glück, der schönsten Geliebten der Welt, zu verdanken hatte. Die Bedienten folgten ihnen. Die Kavalcade brachte, wie dies Porthos vorher gedacht hatte, eine gute Wirkung hervor, und wenn sich Madame Coquenard auf dem Wege von Porthos eingefunden und gesehen hätte, wie vornehm er auf seinem spanischen Rosse aussah, so würde sie den Aderlaß nicht bedauert haben, den sie an der Geldkasse ihres Mannes vorgenommen hatte.

In der Nähe des Louvre begegneten die vier Freunde Herrn von Treville, der von Saint-Germain zurückkam. Er hieß sie stille halten, um ihnen sein Kompliment über ihre Equipirung zu machen, was im Augenblick einige hundert Müßiggänger um sie versammelte.

D’Artagnan benützte diesen Umstand, um mit Herrn von Treville von dem Brief mit dem großen rothen Siegel und dem herzoglichen Wappen zu sprechen. Es versteht sich, daß er von dem andern keine Silbe verlauten ließ.

Herr von Treville billigte seinen Entschluß und versicherte ihn, daß, wenn er am andern Morgen nicht wieder erschienen wäre, er ihn zu finden wissen würde, wo er auch sein möchte.

In diesem Augenblick schlug die Glocke der Samaritaine sechs Uhr. Die vier Freunde entschuldigten sich mit einer Zusammenkunft und nahmen von Herrn von Treville Abschied.

Ein kurzer Galop brachte sie auf die Straße von Chaillot. Der Tag fing an sich zu neigen. Wagen fuhren hin und her. In einiger Entfernung von seinen Freunden bewacht, senkte d’Artagnan seine Blicke in die Tiefe jedes Wagens. Er gewahrte jedoch kein ihm bekanntes Gesicht.

Endlich, nachdem er eine Viertelstunde gewartet hatte und die Abenddämmerung völlig eingebrochen war, fuhr ein Wagen in starkem Galop auf der Straße von Sevres herbei. Eine Ahnung sagte d’Artagnan zum Voraus, dieser Wagen müsse die Person enthalten, welche ihn bisher beschieden hatte. Der junge Mann war selbst ganz erstaunt, als er fühlte, wie heftig sein Herz pochte. Beinahe in derselben Sekunde schlüpfte ein Frauenkopf aus dem Kutschenschlage hervor, zwei Finger auf dem Mund, als wollte man Stillschweigen empfehlen oder einen Kuß zusenden. D’Artagnan stieß einen leichten Schrei der Freude aus. Diese Frau oder vielmehr diese Erscheinung – denn der Wagen war mit der Geschwindigkeit einer Vision vorüber gezogen – war Madame Bonacieux.

In unwillkürlichem Drang und trotz der Empfehlung, die an ihn ergangen war, setzte d’Artagnan sein Pferd in Galop und holte den Wagen mit einigen Sprüngen wieder ein, aber die Scheibe des Kutschenschlages war hermetisch verschlossen und die Erscheinung verschwunden.

D’Artagnan erinnerte sich nun der Worte, die man ihm in dem Billet eingeschärft hatte: »wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen Etwas liegt, so bleibt unbeweglich, als ob Ihr nichts gesehen hättet.«

Er hielt also stille und zitterte, nicht für sich, sondern für die arme Frau, die sich offenbar einer großen Gefahr ausgesetzt hatte, indem sie ihn hieher beschieden.

Die Kutsche setzte ihren Weg in größter Eile fort, fuhr nach Paris hinein und verschwand.

D’Artagnan war ganz verblüfft auf demselben Platze geblieben und wußte nicht, was er denken sollte. War es Madame Bonacieux und kehrte sie nach Paris zurück, warum dieses flüchtige Rendezvous? warum dieser einfache Austausch eines Blickes? warum dieser zugeworfene Kuß? War sie es dagegen nicht, was immer noch sein konnte, denn das geringe Tageslicht machte einen Irrthum ganz leicht möglich; war sie es nicht, sollte dies dann nicht der Anfang eines Ueberfalls sein, den man gegen ihn mit dem Köder dieser Frau beabsichtigte, da man seine Liebe für dieselbe gar wohl kannte?

Die drei Freunde näherten sich ihm. Alle drei hatten vollkommen einen Frauenkopf aus dem Kutschenschlage erscheinen sehen, aber keiner von ihnen, mit Ausnahme von Athos, kannte Madame Bonacieux. Athos war allerdings der Meinung, sie sei es gewesen, aber minder unruhig mit diesem hübschen Gesichte beschäftigt, als d’Artagnan, hatte er einen zweiten Kopf, einen Männerkopf, im Hintergrunde des Wagens zu sehen geglaubt.

»Wenn dem so ist,« sprach d’Artagnan, »so bringt man sie ohne Zweifel von einem Gefängnisse in das andere. Aber, was wollen sie mit diesem armen Geschöpfe machen? Und wie soll ich sie je wiederfinden?«

»Freund,« sprach Athos ernst, »erinnert Euch, daß man nur bei den Todten nicht Gefahr läuft, ihnen auf Erden wieder zu begegnen. Ihr wißt etwas so gut wie ich, nicht wahr? Wenn nur Eure Geliebte nicht todt ist, falls sie es ist, der wir soeben begegnet haben, so werdet Ihr sie eines Tages wiederfinden und vielleicht, mein Gott,« fügte er mit dem ihm eigentümlichen menschenfeindlichen Tone bei, »vielleicht früher, als Euch lieb sein wird!«

Es schlug halb acht Uhr. Der Wagen war zwanzig Minuten nach der für das Rendezvous bestimmten Stunde gekommen. Die Freunde erinnerten d’Artagnan daran, daß er einen Besuch zu machen hatte, bemerkten jedoch, daß es immer noch Zeit sei, sich davon zu entbinden. Aber d’Artagnan war zugleich halsstarrig und neugierig. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Palais Richelieus zu gehen, um zu erfahren, was ihm Seine Eminenz sagen wollte. Nichts konnte ihn in seinem Entschluß wankend machen.

Man gelangte nach der Rue St. Honoré und vor das Palais-Kardinal, und traf die zwölf zusammenberufenen Musketiere, welche, ihre Kameraden erwartend, auf- und abgingen. Man erklärte ihnen erst hier, um was es sich handelte.

D’Artagnan war sehr bekannt bei dem ehrenwerten Corps der Musketiere. Man wußte, daß er einst eine Stelle bei demselben bekommen sollte, und betrachtete ihn zum Voraus als einen Kameraden. Dem zu Folge nahm jeder gerne die Sendung an, für welche er beschieden war. Ueberdies hatte man aller Wahrscheinlichkeit nach dem Herrn Kardinal und seinen Leuten einen schlimmen Streich zu spielen, und zu solchen Unternehmungen waren die würdigen Herren stets bereit.

Athos theilte sie in drei Gruppen, übernahm das Kommando der einen, übergab die zweite Aramis, die dritte Porthos, und jede Gruppe legte sich einem Eingang gegenüber in den Hinterhalt.

D’Artagnan trat muthig durch die Hauptpforte ein. Obgleich sich der junge Mann kräftig unterstützt fühlte, war er doch nicht ganz ruhig, als er die große Treppe Stufe um Stufe hinauf stieg. Sein Benehmen gegen Mylady glich einigermaßen einem Verrath, und er vermuthete die politischen Beziehungen, welche zwischen dem Herzog und dieser Frau bestanden; überdies war Herr von Wardes, den er so übel zugerichtet hatte, einer von den Getreuen Seiner Eminenz, und d’Artagnan wußte, daß Seine Eminenz, wenn sie einerseits furchtbar für ihre Feinde war, andererseits eine große Anhänglichkeit an ihre Freunde bewies.

»Hat Herr von Wardes unsere ganze Angelegenheit dem Kardinal erzählt, woran nicht zu zweifeln ist, hat er mich erkannt, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt, so darf ich mich beinahe als einen Verurtheilten betrachten,« sagte d’Artagnan den Kopf schüttelnd. »Aber warum hat er bis heute gewartet? Das ist ganz einfach: Mylady wird Klage gegen mich geführt haben, mit jenem heuchlerischen Schmerz, der so interessant macht. Und das letzte Verbrechen hat das Ueberlaufen des Gefässes bewirkt.«

»Zum Glück,« fügte er bei, »sind meine Freunde unten und werden mich nicht wegführen lassen, ohne mich zu vertheidigen. Indessen kann die Musketiercompagnie des Herrn von Treville nicht für sich allein den Krieg gegen den Kardinal führen, der über die Streitkräfte von ganz Frankreich zu verfügen hat, und dem gegenüber der König ohne Willen und die Königin ohne Macht ist. D’Artagnan, mein Freund, Du bist klug. Du hast vortreffliche Eigenschaften, aber die Weiber werden Dich zu Grunde richten!«

Er war bis zu diesem traurigen Schlusse gelangt, als er in das Vorzimmer eintrat. Hier übergab er seinen Brief dem Huissier vom Dienste, der ihn in den Wartesaal führte und sich in das Innere des Palastes verfügte.

In diesem Wartesaal befanden sich fünf bis sechs Leibwachen des Herrn Kardinals, die ihn, da sie d’Artagnan erkannten und wußten, daß er es war, der Jussac verwundet hatte, mit sonderbarem Lächeln anschauten.

Dieses Lächeln erschien d’Artagnan als ein schlimmes Vorzeichen. Aber da unser Gascogner nicht leicht einzuschüchtern war, oder vielmehr da er in Folge eines den Söhnen seiner Heimath natürlichen Stolzes nicht leicht sehen ließ, was in seiner Seele vorging, wenn das, was vorging, der Furcht glich, so pflanzte er sich unerschrocken vor den Herren Garden auf und wartete, die Hand auf die Hüfte gestützt, in einer Stellung, der es nicht an Majestät fehlte.

Der Huissier kehrte zurück und machte d’Artagnan ein Zeichen, ihm zu folgen. Es kam dem jungen Manne vor, als ob die Garden unter sich flüsterten, als sie ihn weggehen sahen.

D’Artagnan kam zuerst durch eine Flur, sodann durch einen Salon, trat in eine Bibliothek ein und stand vor einem Manne, der an einem Bureau saß und schrieb.

Der Huissier, der ihn eingeführt hatte, zog sich zurück, ohne ein Wort zu sprechen.

D’Artagnan glaubte Anfangs, er habe es mit einem Richter zu thun, der in seinen Acten arbeite, aber er bemerkte, daß der Mann an dem Bureau, Worte an den Fingern skandirend, schrieb oder vielmehr Zeilen von ungleicher Länge corrigirte. Er sah, daß er einem Dichter gegenüberstand. Nach einem Augenblick schloß der Dichter sein Manuscript, auf dessen Decke Mirame, Tragödie in fünf Acten, geschrieben war, und schaute empor.

D’Artagnan erkannte den Kardinal Richelieu.

XII.

Eine furchtbare Erscheinung.

Richelieu stützte seinen Ellbogen auf sein Manuscript, seine Wange auf seine Hand und schaute d’Artagnan einen Augenblick an. Niemand besaß ein tiefer forschendes Auge als der Kardinal, und dem jungen Mann rann es bei diesem Blick wie Fieber durch die Adern.

Er blieb indessen fest, hielt seinen Hut in der Hand und erwartete das Belieben Seiner Eminenz, ohne zu viel Stolz, aber auch ohne zu viel Demuth.

»Mein Herr,« sprach der Kardinal, »seid Ihr ein d’Artagnan aus Bearn?«

»Ja, Monseigneur.«

»Es giebt mehrere Linien d’Artagnan in Tarbes und in der Umgegend; zu welcher gehört Ihr?«

»Ich bin der Sohn desjenigen, welcher die Religionskriege unter dem großen König Heinrich, dem Vater Seiner Allergnädigsten Majestät, mitgemacht hat.«

»Gut Ihr seid es, der etwa vor sieben oder acht Monaten von seiner Heimath abgereist ist, um in der Hauptstadt sein Glück zu suchen?«

»Ja, Monseigneur.«

»Ihr seid durch Meung gekommen, wo Euch etwas begegnete; ich weiß nicht mehr genau was, aber irgend etwas.«

»Monseigneur,«sprach d’Artagnan,« »es begegnete mir …«

»Unnöthig, unnöthig,« versetzte der Kardinal mit einem Lächeln, welches andeutete, daß er die Geschichte so gut kannte, wie derjenige, welcher sie erzählen wollte. »Ihr waret an Herrn von Treville empfohlen?«

»Ja, Monseigneur, aber gerade bei dieser unglücklichen Angelegenheit in Meung …«

»Ging der Empfehlungsbrief verloren,« unterbrach ihn Seine Eminenz, ja, ich weiß es. Aber Herr von Treville ist ein geschickter Physiognomiker, der die Menschen auf den ersten Blick kennt, und er hat Euch in der Compagnie seines Schwagers, des Herrn des Essarts, untergebracht, wobei er Euch Hoffnung machte, mit der Zeit bei den Musketieren eintreten zu können?«

»Monseigneur ist vollkommen unterrichtet.«

»Seit dieser Zeit ist Euch Vielerlei begegnet. Ihr seid eines Tages hinter dem Karmeliterkloster spazieren gegangen, wo es besser gewesen wäre, Ihr hättet Euch anderswo befunden; dann habt Ihr mit Euren Freunden eine Reise nach den Bädern von Forges gemacht. Sie sind auf der Route zurückgeblieben, Ihr aber habt Euren Weg fortgesetzt. Das ist ganz einfach, Ihr hattet Geschäfte in England.«

»Monseigneur,« sagte d’Artagnan ganz verblüfft, »ich begab mich …«

»Auf die Jagd nach Windsor oder anderswohin, das geht Niemand etwas an. Ich weiß das, weil es mein Beruf ist. Alles zu wissen. Bei Eurer Rückkehr seid Ihr von einer hohen Person empfangen worden, und ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr das Andenken bewahrt habt, welches Ihr von ihr erhieltet.«

D’Artagnan trug den Diamant am Finger, den er von der Königin hatte, und drehte rasch den Stein nach Innen; aber es war zu spät.

»Am Tage nach diesem Empfang besuchte Euch Herr von Cavois,« fuhr der Cardinal fort. »Er bat Euch, in den Palast zu kommen, Ihr gabt ihm diesen Besuch nicht zurück und hattet Unrecht.«

»Monseigneur, ich fürchtete, die Ungnade Eurer Eminenz auf mich gezogen zu haben.«

»Und warum dies, mein Herr? Weil Ihr die Befehle Eurer Vorgesetzten mit mehr Muth und Verstand befolgt habt, als irgend ein Anderer gethan haben dürfte? Ihr solltet meine Ungnade auf Euch gezogen haben, während Ihr Lob verdient? Ich bestrafe nur die Leute, welche nicht gehorchen, und nicht diejenigen, welche, wie Ihr … zu gut … gehorchen. Und zum Beweise erinnert Euch an das Datum des Tages, an welchem ich Euch zu mir beschied, und sucht in Eurem Gedächtnis, was an diesem Tage vorgefallen ist.«

An diesem Tag hatte die Entführung der Frau Bonacieux stattgefunden.

D’Artagnan schauerte und erinnerte sich, daß eine halbe Stunde vorher die arme Frau an ihm vorübergekommen war, ohne Zweifel abermals durch dieselbe Macht weggeführt, der man ihr Verschwinden zuschreiben mußte.

»Da ich seit einiger Zeit nicht mehr von Euch sprechen hörte,« fuhr Richelieu fort, »so wollte ich wissen, was Ihr machtet. Uebrigens seid Ihr mir immerhin einigen Dank schuldig, denn es konnte Euch nicht entgehen, wie sehr man Euch unter allen Umständen schonte.«

D’Artagnan verbeugte sich.

»Dies rührte nicht allein von einem Gefühl natürlicher Billigkeit her,« fuhr der Kardinal fort, »sondern auch von einem Plan, den ich mir in Beziehung auf Euch gemacht hatte.«

D’Artagnan staunte immer mehr.

»Ich wollte Euch,« sprach der Kardinal, »Ich wollte Euch diesen Plan an dem Tag auseinandersetzen, wo Ihr meine erste Einladung empfangen habt, aber Ihr kamet nicht. Zum Glück ist durch die Zögerung noch nichts verloren, und Ihr sollt ihn heute hören. Setzt Euch zu mir, Herr d’Artagnan, Ihr seid ein zu guter Edelmann, um stehend hören zu müssen.«

Der Kardinal deutete hiebei mit dem Finger auf einen Stuhl, aber der junge Mann war über das, was vorging, so verwundert, daß er, ehe er gehorchte, auf ein zweites Zeichen wartete.

»Ihr seid muthig, Herr d’Artagnan,« fuhr Seine Eminenz fort, »Ihr seid klug, was noch mehr ist. Ich liebe die Menschen von Kopf und Herz. Erschreckt nicht,« sprach er lächelnd, »unter den Menschen von Herz verstehe ich die Menschen von Muth; aber so jung Ihr seid und obgleich Ihr erst in die Welt eintretet, habt Ihr doch mächtige Feinde. Wenn Ihr Euch nicht hütet, so werden sie Euch ins Verderben stürzen.«

»Ach, Monseigneur,« antwortete der junge Mann, »sie werden dies leicht zu Stande bringen, denn sie sind stark und wohl unterstützt, während ich allein stehe.«

»Ja, das ist wahr, aber obgleich allein, habt Ihr bereits viel gethan, und werdet, wie ich nicht zweifle, noch viel thun. Ihr bedürft jedoch meiner Ansicht nach einiger Anleitung auf der abenteuerlichen Laufbahn, die Ihr eingeschlagen habt, denn wenn ich mich nicht täusche, seid Ihr mit dem ehrgeizigen Gedanken, Euer Glück zu machen, nach Paris gekommen.«

»Ich bin in dem Alter toller Hoffnungen, Monseigneur,« erwiderte d’Artagnan.

»Tolle Hoffnungen sind nur für die Thoren vorhanden, mein Herr, und Ihr seid ein Mann von Geist. Laßt hören, was würdet Ihr zu einer Fähnrichsstelle bei meiner Leibwache und zu einer Kompagnie nach dem Feldzuge sagen?«

»Ah! Monseigneur …«

»Ihr nehmt an, nicht wahr?«

»Monseigneur,« erwiderte d’Artagnan mit verlegener Miene.

»Wie, Ihr weigert Euch?« rief der Kardinal erstaunt.

»Ich bin bei der Leibwache Seiner Majestät und habe keinen Grund, damit unzufrieden zu sein.«

»Aber es scheint mir, daß meine Leibwachen auch die Seiner Majestät sind, und daß man, wenn man in einem französischen Korps dient, dem König dient.«

»Monseigneur, Ew. Eminenz hat meine Worte unrichtig verstanden.«

»Ihr wollt einen Vorwand, nicht wahr? Ich begreife. Nun, Ihr habt den Vorwand. Das Vorrücken, der Feldzug, der sich eröffnet, die Gelegenheit, die ich Euch biete – das genügt für die Welt; für Euch kommt noch das Bedürfniß sicherer Protektion dazu. Denn Ihr müßt wissen, Herr d’Artagnan, daß schwere Klagen gegen Euch bei mir erhoben worden sind. Ihr widmet Eure Tage und Eure Nächte nicht ausschließlich dem Dienste des Königs.«

D’Artagnan erröthete.

»Ueberdies,« fuhr der Kardinal fort und legte seine Hand auf einen Haufen Papiere, »überdies habe ich hier einen ganzen Stoß, der Euch betrifft. Aber ich wollte zuvor mit Euch sprechen, ehe ich ihn las. Ich weiß, daß Ihr ein entschlossener Mann seid, und Eure Dienste könnten Euch unter guter Leitung viel eintragen, statt Euch zu Unheil zu führen. Auf! überlegt und entscheidet Euch.«

»Eure Güte macht mich ganz verwirrt, Monseigneur,« antwortete d’Artagnan, »und ich erkenne in Ew. Eminenz eine Seelengröße, die mich klein macht, wie einen Wurm der Erde, aber da mir Monseigneur freimüthig zu sprechen erlaubt …«

D’Artagnan hielt inne.

»Ja, sprecht.«

»So werde ich Ew. Eminenz sagen, daß alle meine Freunde bei den Musketieren und Leibwachen des Königs und alle meine Feinde in Folge eines mir ganz unbegreiflichen Unsterns bei Ew. Eminenz dienen. Ich wäre also hier sehr unwillkommen und müßte da unten in einem schlimmen Lichte erscheinen, wenn ich das, was mir Monseigneur bietet, annehmen würde.«

»Solltet Ihr bereits den stolzen Gedanken haben, ich biete Euch weniger, als Ihr verdient, mein Herr?« sagte der Kardinal mit verächtlichem Lächeln.

»Monseigneur, Ew. Eminenz ist hundertmal zu gut gegen mich, und ich glaube im Gegentheil nicht genug gethan zu haben, um eine solche Güte zu verdienen. Die Belagerung von la Rochelle wird eröffnet, Monseigneur; ich werde unter den Augen Ew. Eminenz dienen, und wenn ich das Glück gehabt habe, mich bei dieser Belagerung so zu benehmen, daß ich Euere Blicke auf mich ziehe, nur dann habe ich eine glänzende Handlung hinter mir, welche die Protektion rechtfertigt, der Ihr mich zu würdigen die Güte haben werdet. Alles zu seiner Zeit. Später werde ich vielleicht das Recht haben, mich zu geben; heute würde es aussehen, als ob ich mich verkaufte.«

»Das heißt, Ihr verweigert mir Euern Dienst, mein Herr?« sprach der Kardinal mit einem ärgerlichen Ton, unter dem jedoch eine gewisse Achtung durchdrang. »Bleibt also frei und bewahrt Euern Haß und Euere Sympathien.«

»Monseigneur …«

»Gut, gut,« sagte der Kardinal, »ich grolle Euch darum nicht; aber versteht wohl: man hat alle Verpflichtung, seine Freunde zu vertheidigen und zu belohnen; seinen Feinden ist man nichts schuldig. Dennoch will ich Euch einen Rath geben. Haltet Euch gut, nehmt Euch wohl in Acht, denn von dem Augenblick an, wo ich meine Hand von Euch abziehe, gebe ich keinen Heller mehr für Euer Leben.«

»Ich werde mich bestreben,« antwortete der Gascogner demüthig und zugleich mit einer gewissen Sicherheit.

»Erinnert Euch später und in einem gewissen Augenblick, wenn Euch Unheil widerfährt,« sagte Richelieu mit vorleuchtender Absicht, »daß ich Euch aufgesucht und daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um dieses Unheil von Euch abzuwenden.«

»Was auch geschehen mag,« erwiderte d’Artagnan, die Hand auf seine Brust legend und sich verbeugend, »ich werde eine ewige Dankbarkeit gegen Ew. Eminenz für das bewahren, was Ihr mir in diesem Augenblick gethan habt.«

»Gut also, Herr d’Artagnan, wir werden uns, wie Ihr sagtet, nach dem Feldzug wieder sehen. »Ich folge Euch mit den Augen, denn ich werde unten sein,« fuhr der Kardinal fort und zeigte d’Artagnan eine prachtvolle Rüstung, die er anlegen sollte. »Und wenn wir zurückkommen, rechnen wir ab.«

»Oh! Monseigneur!« rief d’Artagnan, »erspart mir die Last Eurer Ungnade; bleibt neutral, Monseigneur, wenn Ihr findet, daß ich als ritterlicher Mann handle.«

»Jüngling,« sagte Richelieu, »wenn ich Euch noch einmal sagen kann, was ich Euch heute gesagt habe, so gelobe ich es Euch zu sagen.«

Die letzten Worte Richelieus drückten einen furchtbaren Zweifel aus; d’Artagnan war darüber mehr bestürzt, als über eine Drohung, denn dies war eine Verkündigung. Der Kardinal suchte ihn also vor einem Unglück zu bewahren, das ihn bedrohte. Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber Richelieu entließ ihn mit einer stolzen Geberde.

D’Artagnan entfernte sich, aber an der Thüre drückte es ihm beinahe das Herz ab, und es fehlte wenig, so wäre er umgekehrt. Doch das strenge, ernste Antlitz von Athos trat ihm vor die Augen. Machte er mit dem Kardinal den Vertrag, den dieser ihm vorschlug, so würde ihm Athos keine Hand mehr geben, Athos würde ihn verleugnen.

Diese Befürchtung hielt ihn ab; so mächtig ist der Einfluß eines wahrhaft großartigen Charakters auf seine ganze Umgebung.

D’Artagnan stieg dieselbe Treppe hinab, auf der er heraufgekommen war; er fand vor der Thüre Athos und die vier Musketiere, welche auf seine Rückkehr warteten und unruhig zu werden anfingen. D’Artagnan beruhigte sie mit einem Worte, und Planchet lief umher, um die Andern zu benachrichtigen, daß es unnöthig sei, länger Wache zu halten, indem sein Herr wohlbehalten das Palais des Kardinals verlassen habe.

Sobald sie zu Athos zurückgelangt waren, erkundigten sich Aramis und Porthos nach der Ursache dieser seltsamen Bestellung; aber d’Artagnan sagte ihnen nur, Herr von Richelieu habe ihn kommen lassen, um ihm den Eintritt bei seinen Leibwachen mit dem Grad eines Fähnrichs anzutragen; er habe aber dieses Anerbieten ausgeschlagen.

»Und Ihr habt Recht gehabt,« riefen einstimmig Aramis und Porthos.

Athos versank in eine tiefe Träumerei und erwiderte nichts.

Aber als er mit d’Artagnan allein war, sagte er:

»Ihr habt gethan, was Ihr thun mußtet, aber Ihr habt vielleicht Unrecht gehabt.«

D’Artagnan stieß einen Seufzer aus, denn diese Stimme antwortete auf eine geheime Stimme seiner Seele, die ihm sagte, daß großes Unglück seiner harre.

Der nächste Tag ging unter Vorkehrungen für die Abreise hin.

D’Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville. Noch zu dieser Stunde glaubte man, die Trennung der Garden und der Musketiere würde nur ganz kurz sein; der König würde sein Parlament noch an demselben Tage halten, und am andern Morgen abreisen. Herr von Treville beschränkte sich also darauf, d’Artagnan zu fragen, ob er seiner bedürfe; d’Artagnan aber antwortete stolz, er habe Alles, was er brauche.

Die Nacht versammelte alle Kameraden der Gardecompagnie des Essarts und der Musketiercompagnie des Herrn von Treville, welche Freundschaft miteinander geschlossen hatten. Man verließ sich, um sich wieder zu sehen, wann und wenn es Gott gefiele. Die Nacht war also, wie man sich denken kann, eine höchst geräuschvolle, denn bei einem solchen Fall läßt sich die äußere Unruhe nur mit der äußersten Sorglosigkeit bekämpfen.

Am Morgen trennten sich die Freunde beim ersten Trompetenschall, die Musketiere liefen nach dem Hotel des Herrn von Treville, die Garden nach dem des Herrn des Essarts. Jeder der Kapitäne führte seine Compagnie sogleich nach dem Louvre, wo sie der König Revue passiren ließ.

Der König war traurig und schien krank zu sein, was ihm von seinem guten Aussehen benahm. Es hatte ihn in der That am Tag vorher mitten im Parlament, während er zu Gericht saß, das Fieber ergriffen. Er war darum nicht minder entschlossen, an demselben Tage abzugehen und wollte, trotz allen Bemerkungen, die man ihm machte, die Revue halten, in der Hoffnung, durch dieses erste, kräftige Entgegenstreben die Krankheit zu besiegen, die sich seiner bemächtigte.

Als die Revue vorüber war, marschierten die Garden allein aus, da die Musketiere erst mit dem König abgehen sollten, wodurch es Porthos vergönnt war, mit seiner herrlichen Equipirung einen Ritt durch die Rue aux Ours zu machen.

Die Procuratorin sah ihn in seiner neuen Uniform und auf seinem schönen Pferd vorüberreiten. Sie liebte ihn zu sehr, um ihn abziehen zu lassen; sie machte ihm ein Zeichen abzusteigen und zu ihr zu kommen. Porthos war prächtig: seine Sporen klirrten, sein Panzer glänzte, sein Schwert schlug stolz an seine Beine. Diesmal fühlten die Schreiber keine Lust zum Lachen, so sehr hatte Porthos das Ansehen eines Ohrenabschneiders.

Der Musketier wurde bei Herrn Coquenard eingeführt, dessen kleines graues Auge vor Zorn blitzte, als er seinen angeblichen Vetter ganz flammend erblickte. Eines jedoch tröstete ihn einigermaßen: man sagte allgemein, es würde ein sehr heftiger Feldzug werden, und er hoffte ganz stille im Grunde seines Herzens, Porthos werde dabei das Leben verlieren.

Porthos machte Herrn Coquenard sein Kompliment und verabschiedete sich von ihm. Meister Coquenard wünschte ihm alles mögliche Glück. Madame Coquenard konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, aber ihr Schmerz gab zu keinem bösen Gedanken Anlaß; man wußte, daß sie sehr an ihrem Verwandten hing, um dessen willen sie manchen furchtbaren Streit mit ihrem Gatten durchzufechten hatte.

So lange die Procuratorin ihrem schönen Vetter mit den Augen folgen konnte, neigte sie sich zum Fenster hinaus, das man hätte glauben können, sie wolle sich herausstürzen, und winkte mit dem Sacktuch. Porthos empfing alle diese Zeichen der Zärtlichkeit als ein Mann, der an dergleichen Kundgebungen gewöhnt ist. Als er jedoch um die Straßenecke ritt, nahm er seinen Hut vom Kopfe und schwenkte ihn zum Lebewohl.

Aramis schrieb einen langen Brief. An wen? Niemand wußte es. Ketty, welche an demselben Abend nach Tours abreisen sollte, wartete auf diesen geheimen Brief im Nebenzimmer.

Athos trank in kleinen Zügen die letzte Flasche von seinem spanischen Wein.

Während dieser Zeit defilirte d’Artagnan mit seiner Kompagnie. Als er nach dem Faubourg Saint-Germain kam, drehte er sich um und schaute die Bastille heiter an, der er bis dahin glücklich entgangen war. Da er nur die Bastille anschaute, sah er Mylady nicht, die ihn, auf einem Isabell reitend, mit dem Finger zwei Menschen von ziemlich schlimmem Aussehen bezeichnete, welche sich sogleich den Reihen näherten, um ihn zu betrachten. Auf eine Frage, die sie mit dem Blicke machten, antwortete Mylady, er sei es. Sobald sie sich überzeugt hatte, daß kein Versehen bei Ausführung ihres Auftrags stattfinden konnte, spornte sie ihr Pferd und verschwand.

Die zwei Männer folgten sodann der Kompagnie und bestiegen beim Ausgang aus dem Faubourg Saint-Antoine Pferde welche ein Bedienter ohne Livree für sie bereit hielt.

VI.

Seine Majestät König Ludwig der Dreizehnte.

Diese Begebenheit machte großes Aufsehen. Herr von Treville äußerte sich laut sehr ungehalten über seine Musketiere und wünschte ihnen in der Stille Glück. Da aber keine Zeit zu verlieren war, um den König zu benachrichtigen, so begab er sich eiligst in den Louvre. Es war schon zu spät. Der König war mit dem Kardinal eingeschlossen; man sagte, er arbeite und könne in diesem Augenblick Niemand empfangen. Abends kam Herr von Treville zum Spiele des Königs. Der König gewann, und da Se. Majestät sehr geizig war, so war sie auch vortrefflicher Laune. Sobald der König Treville von fern erblickte, rief er ihm zu: »Kommt her, Herr Kapitän, daß ich Euch ausschelte; wißt Ihr, daß Se. Eminenz Eure Musketiere bei mir verklagt hat, und vor lauter Aerger krank geworden ist? Ei, ei, es sind doch leibhaftige Teufel, wahre Galgenstricke, Eure Musketiere!«

»Nein, Sire,« erwiederte Treville, der mit dem ersten Blick bemerkte, welche Wendung die Sache nahm, »nein, sie sind im Gegentheil ganz gute, lammfromme Jungen, und ich hafte dafür, daß sie keinen andern Wunsch hegen, als daß ihr Degen nur im Dienste Eurer Majestät aus der Scheide komme. Aber was wollt Ihr? die Leibwachen des Herrn Kardinals suchen unablässig Streit mit ihnen, und für die Ehre des Korps sehen sich die armen jungen Leute zur Verteidigung genöthigt.«

»Hört Herrn von Treville!« sagte der König, »hört ihn! Sollte man nicht glauben, er spreche von einer religiösen Gemeinschaft? In der That, mein lieber Kapitän, ich habe Lust, Euch Euer Patent abzunehmen und es Fräulein von Chemerault zu geben, der ich eine Abtei zugesagt habe. Hoffet aber nicht, daß ich Euch aufs Wort glauben werde. Man nennt mich Ludwig den Gerechten, und wir werden sogleich sehen!«

»Gerade, weil ich auf diese Gerechtigkeit baue, Sire, erwarte ich ruhig und geduldig, was Ew. Majestät beliebt.«

»Wartet immerhin, wartet immerhin, ich werde Euch nicht lange warten lassen,« sprach der König.

Das Glück nahm wirklich eine Wendung, und da der König seinen Gewinn zu verlieren anfing, so war es ihm nicht unangenehm, daß er einen Vorwand erhielt, um – man entschuldige den Spielerausdruck, dessen Ursprung wir nicht kennen – um Karl den Großen zu machen. Der König stand bald auf, steckte das Gold, das vor ihm lag und zum größeren Theil von seinem Gewinn herrührte, in die Tasche und sagte:

»Vieuville, nehmt meinen Platz ein: ich habe in wichtigen Angelegenheiten mit Herrn von Treville zu verhandeln. Ah … ich hatte achtzig Louisd’or vor mir. Legt dieselbe Summe auf, damit diejenigen, welche verloren haben, sich nicht beklagen können. Vor Allem Gerechtigkeit.« Dann wandte er sich gegen Herrn von Treville, ging mit ihm nach einer Fenstervertiefung und fuhr fort:

»Nun, mein Herr, Ihr sagt, die Leibwachen Sr. Eminenz haben Streit mit Euren Musketieren angefangen?«

»Ja, Sire, wie immer.«

»Und wie kam das? sprecht, denn Ihr wißt, mein lieber Kapitän, ein Richter muß alle Parteien hören.«

»Ach! mein Gott! auf die einfachste und natürlichste Weise. Drei meiner besten Soldaten, welche Ew. Majestät dem Namen nach kennt, und deren Ergebenheit Ihr mehr als einmal gewürdigt habt, denn ich kann den König versichern, daß ihnen ihr Dienst sehr am Herzen liegt; drei von meinen besten Soldaten, sage ich, die Herren Athos, Porthos und Aramis, machten eine Lustpartie mit einem Junker aus der Gascogne, den ich ihnen an demselben Morgen empfohlen hatte. Die Partie sollte, wie ich glaube, in Saint-Germain stattfinden, und sie hatten sich bei den Karmeliter-Barfüßern zusammenbestellt, als sie von Herrn von Jussac, den Herren Cahusac und Biscarat und zwei anderen Leibwachen gestört wurden, welche gewiß nicht ohne eine schlimme Absicht gegen die Edikte in so zahlreicher Gesellschaft dahin kamen.«

»Ah! ah! Ihr bringt mich auf den Gedanken, sie haben die Absicht gehabt, sich selbst zu schlagen.«

»Ich klage sie nicht an, Sire, aber ich überlasse es Ew. Majestät zu bedenken, was fünf bewaffnete Männer an einem so öden, verlassenen Orte, wie die Umgegend des Barfüßerklosters ist, thun können.«

»Ja, Ihr habt Recht, Treville, Ihr habt Recht.«

»Als sie meine Musketiere erblickten, gaben sie sodann ihren Plan auf und vergaßen ihren Privathaß über dem Korpshaß; denn es ist Ew. Majestät nicht unbekannt, daß die Musketiere, die ganz und gar nur dem Könige angehören, die natürlichen Feinde der Leibwachen sind, welche dem Herrn Kardinal angehören.«

»Ja, Treville, ja,« sagte der König schwermüthig, es ist sehr traurig, glaubt mir, in Frankreich zwei Parteien, zwei Köpfe des Königthums zu sehen, aber dies Alles soll ein Ende nehmen. Ihr sagt also, die Leibwachen haben Streit mit den Musketieren gesucht?«

»Ich sage, daß die Sache wahrscheinlich so gegangen ist, aber ich schwöre nicht, Sire. Ihr wißt, wie schwer es ist, die Wahrheit zu erkennen, und wenn man nicht mit dem bewunderungswürdigen Instinkte begabt ist, der Ludwig XIII. den Beinamen »der Gerechte« erworben hat …«

»Und Ihr habt Recht, Treville; aber Eure Musketiere waren nicht allein, es befand sich noch ein Junge bei ihnen.«

»Ja, Sire, und ein verwundeter Mann, so daß drei Musketiere des Königs, worunter ein Verwundeter, und ein Junge nicht allein gegen fünf der furchtbarsten Leibwachen des Herrn Kardinals Stand gehalten, sondern auch vier von ihnen zur Erde niedergestreckt haben.«

»Aber das ist ja ein wahrer Sieg!« rief der König ganz strahlend; »ein vollständiger Sieg!«

»Ja, Sire, eben so vollständig als der vom Pont de Ce!« »Vier Mann, worunter ein Verwundeter und ein Junge, sagt Ihr?«

»Kaum ein Jüngling, der sich bei dieser Gelegenheit so vortrefflich benommen hat, daß ich mir die Freiheit nehme, denselben Ew. Majestät zu empfehlen.«

»Wie heißt er?«

»D’Artagnan, Sire. Er ist der Sohn eines meiner ältesten Freunde; der Sohn eines Mannes, der mit Euerem königlichen Vater glorreichen Andenkens manchen Krieg mitgemacht hat.«

»Und Ihr sagt, dieser junge Mensch habe sich gut benommen? Erzählt mir das, Treville; Ihr wißt, ich liebe Erzählungen von Krieg und Kämpfen.«

Und der König richtete sich auf und strich sich stolz den Schnurrbart in die Höhe.

»Sire,« erwiederte Treville, »Herr d’Artagnan ist, wie ich Euch gesagt habe, beinahe noch ein Kind, uns da er nicht die Ehre hat, Musketier zu sein, so trug er bürgerliche Kleidung; als die Leibwachen des Herrn Kardinals erkannten, wie jung er war und daß er nicht zu dem Korps gehörte, so forderten sie ihn auf, sich zurückzuziehen, ehe sie angreifen würden.« – »Ihr seht also, Treville,« unterbrach ihn der König, »daß sie der angreifende Theil gewesen sind.« – »Allerdings, Sire, es unterliegt keinem Zweifel mehr; sie forderten ihn also auf, sich zu entfernen, er aber antwortete, er sei seinem Herzen nach Musketier und gehöre ganz und gar Seiner Majestät, werde also bei den Herren Musketieren bleiben.« – »Wackrer Jüngling!« murmelte der König. – »Er blieb in der That bei ihnen, und Ew. Majestät hat einen so festen Kämpen an ihm, daß er es war, der Jussac den furchtbaren Degenstich beibrachte, worüber der Herr Kardinal so sehr erbost ist.« – »Er hat Jussac verwundet?« rief der König; »dieser Junge! das ist unmöglich, Treville.« – »Es ist, wie ich Ew. Majestät zu sagen die Ehre habe.« – »Jussac, einer der besten Degen des Königreichs!« – »Wohl, Sire, er hat seinen Meister gefunden.« – »Ich will diesen jungen Menschen sehen, Treville, ich will ihn sehen, und wenn man etwas für ihn thun kann, nun, wir werden sorgen.« – »Wann wird Ew. Majestät denselben zu empfangen geruhen?« – »Morgen um die Mittagsstunde, Treville.« – »Soll ich ihn allein bringen?« – »Nein, bringt mir alle vier miteinander. Ich will allen zugleich danken; ergebene Männer sind selten, Treville, und man muß die Ergebenheit belohnen. – »Um die Mittagsstunde werden wir im Louvre sein.« –»Ah! über die kleine Treppe, Treville, über die kleine Treppe, der Kardinal braucht es nicht zu erfahren …« – »Sehr wohl, Sire.« – »Ihr versteht, Treville, ein Edikt bleibt immer ein Edikt, und es ist am Ende verboten, sich zu schlagen.« – »Aber dieses Zusammentreffen, Sire, liegt ganz außerhalb der gewöhnlichen Bedingungen des Duells, es ist ein Streit, und es dient überdies zum Beweis, daß fünf Leibwachen des Kardinals gegen meine drei Musketiere und Herrn d’Artagnan waren.« – »Das ist richtig,« sprach der König, »aber gleich viel, kommt immerhin über die kleine Treppe.«

Treville lächelte; da es aber schon viel war, daß er dieses Kind dazu gebracht hatte, sich gegen den Gebieter aufzulehnen, so verbeugte er sich ehrfurchtsvoll vor dem König und verabschiedete sich mit dessen Erlaubnis.

Schon an demselben Abend wurden die drei Musketiere von der ihnen vergönnten Ehre benachrichtigt. Da sie den König schon seit langer Zeit kannten, so geriethen sie dadurch nicht besonders ins Feuer, aber d’Artagnan mit seiner gascognischen Einbildungskraft erblickte darin sein zukünftiges Glück und brachte die Nacht in goldenen Träumen hin. Schon um acht Uhr Morgens war er bei Athos.

D’Artagnan fand den Musketier ganz angezogen und zum Ausgehen bereit. Da man sich erst zur Mittagsstunde bei dem König einzufinden hatte, so beabsichtigte er mit Porthos und Athos eine Partie in einem, nahe bei den Ställen des Luxembourg liegenden Ballhause zu machen. Athos lud d’Artagnan ein, ihn zu begleiten, und obgleich er dieses Spiel nicht kannte, an dem er nie Theil genommen hatte, willigte dieser doch in den Vorschlag ein, da er nicht wußte, was er von neun Uhr Morgens bis Mittag mit seiner Zeit machen sollte.

Die zwei Musketiere waren schon eingetroffen und spielten mit einander zum Zeitvertreib, ohne die Regeln zu beobachten. Athos, der in allen körperlichen Hebungen sehr stark war, stellte sich ihnen mit d’Artagnan gegenüber und forderte sie heraus. Aber bei seiner ersten Bewegung bemerkte er, obgleich er mit der linken Hand spielte, daß seine Wunde noch zu neu war, um ihm eine solche Uebung zu gestatten. D’Artagnan blieb also allein, und da er sich für zu ungeschickt erklärte, um eine regelmäßige Partie aufrecht zu erhalten, so fuhr man fort, sich Bälle zuzusenden, ohne das Spiel zu berechnen. Aber einer von den Bällen flog, von der herkulischen Faust von Porthos geschleudert, so nahe an d’Artagnans Gesicht vorüber, daß, wenn er ihn getroffen hätte, statt an ihm vorbei zu schießen, seine Audienz verloren gewesen wäre, weil ihn dieser ohne allen Zweifel in die Unmöglichkeit versetzt hätte, vor dem König zu erscheinen. Da nun seiner gascognischen Einbildungskraft zu Folge von dieser Audienz seine ganze Zukunft abhing, so verbeugte er sich höflich vor Porthos und Aramis und erklärte, er würde die Partie nicht eher aufnehmen, als bis er im Stande wäre, ihnen Widerstand zu leisten, worauf er seinen Platz auf der Gallerie nahm.

Unglücklicher Weise befand sich unter den Zuschauern ein Mann von der Leibwache Sr. Eminenz, der, noch ganz grimmig über die Niederlage, die seine Kameraden am Tage vorher erlitten hatten, fest entschlossen war, die erste Gelegenheit zu ergreifen, um Rache zu nehmen. Er meinte, diese Gelegenheit biete sich ihm, und sagte, sich an seinen Nachbar wendend:

»Man darf sich nicht wundern, daß dieser junge Mensch vor einem Ball bange hat: er ist ohne Zweifel ein Musketier-Lehrling.«

D’Artagnan drehte sich um, als ob ihn eine Schlange gestochen hätte, und schaute den Mann, der das kecke Wort gesprochen, fest an.

»In Gottes Namen!« fuhr dieser, seinen Knebelbart auf eine freche Weise kräuselnd fort, »schaut mich an, so lange Ihr wollt, mein kleiner Herr; was ich gesagt habe, habe ich gesagt.« – »Und da das, was Ihr gesagt habt, zu klar ist, um einer Erläuterung zu bedürfen, so bitte ich Euch, mir zu folgen,« antwortete d’Artagnan mit dumpfer Stimme. – »Wann dies?« fragte der Garde mit derselben spöttischen Miene. – »Sogleich, wenn es Euch gefällig ist.« – »Und Ihr wißt ohne Zweifel, wer ich bin?« – »Ich, ich weiß es nicht und kümmere mich auch nicht darum.« – »Ihr habt Unrecht, denn wenn Ihr meinen Namen wüßtet, wäret Ihr vielleicht minder eilig.« – »Wie heißt Ihr?« – »Bernajoux, Euch zu dienen.« – »Wohl, mein Herr Bernajoux,« erwiederte d’Artagnan ruhig, »ich will Euch vor der Thüre erwarten.« – »Geht, Herr, ich folge Euch.« – »Beeilt Euch nicht zu sehr, mein Herr, damit man nicht gewahr wird, daß wir mit einander gehen; Ihr begreift, daß bei unserem Geschäfte zu viele Menschen lästig wären.« – »Ganz gut,« antwortete der Garde, erstaunt, daß sein Name keine größere Wirkung auf den jungen Menschen hervorgebracht hatte.

Der Name Bernajoux war m der That Jedermann bekannt, d’Artagnan allein vielleicht ausgenommen; denn er war einer von denjenigen, die am häufigsten bei den täglichen Streitigkeiten vorkamen, welche alle Edikte des Königs und des Kardinals nicht zu unterdrücken im Stande gewesen waren.

Porthos und Aramis waren so sehr mit ihrer Partie beschäftigt, und Athos schaute ihnen mit so viel Aufmerksamkeit zu, daß sie nicht einmal ihren jungen Gefährten hinausgehen sahen, der, wie er zu dem Gardisten Sr. Eminenz gesagt hatte, vor der Thüre wartete; nach einem Augenblick folgte ihm Bernajoux. Da d’Artagnan keine Zeit zu verlieren hatte, indem die Audienz bei dem König auf die Mittagsstunde bestimmt war, so schaute er um sich und sagte zu seinem Gegner, als er keinen Menschen auf der Straße erblickte:

»Meiner Treu, es ist ein Glück für Euch, obgleich Ihr Bernajoux heißt, daß Ihr es nur mit einem Musketier-Lehrling zu thun habt; seid indessen ruhig, ich werde mir alle Mühe geben. Legt Euch aus!« – »Ei,« erwiederte der Mann, den d’Artagnan auf diese Art herausforderte, »mir scheint dieser Platz sehr schlecht gewählt, wir wären viel besser hinter der Abtei Saint-Germain oder auf der Schreiberwiese.« – »Was Ihr da sagt, ist sehr verständig,« entgegnete d’Artagnan; »aber leider kann ich nur über wenig Zeit verfügen, da ich gerade um 12 Uhr ein Rendezvous habe. Ausgelegt also, mein Herr, ausgelegt!«

Bernajoux war nicht der Mann, der eine solche Aufforderung zweimal an sich ergehen ließ. In demselben Augenblick glänzte sein Degen in seiner Hand und er fiel gegen seinen Widersacher aus, den er bei seiner großen Jugend leicht einzuschüchtern hoffte.

Aber d’Artagnan hatte den Tag vorher seine Lehre gemacht, und ganz frisch geschliffen durch seinen Sieg, ganz aufgeblasen von seinem zukünftigen Glücke, war er entschlossen, keine Hand breit zurückzuweichen: die zwei Degen waren auch sogleich gebunden, und da d’Artagnan fest auf seiner Stelle blieb, so machte sein Gegner einen Schritt rückwärts. Aber d’Artagnan ergriff den Augenblick, wo bei dieser Bewegung die Klinge von Bernajoux von der Linie abwich, machte seine Klinge los, führte einen Hieb von oben herunter und traf seinen Gegner in die Schulter. Sogleich machte d’Artagnan seiner Seits einen Schritt zurück und hob seinen Degen in die Höhe, aber Bernajoux rief ihm zu, es sei nichts, stürzte wie blind auf ihn los und rannte sich selbst in den Degen seines Feindes. Da er indessen nicht fiel, da er sich nicht für besiegt erklärte, sondern nur seine Stellung mehr nach dem Hotel des Herrn de la Tremouille zu nahm, in dessen Diensten er einen Verwandten hatte, so bedrängte ihn d’Artagnan, welcher nicht wußte, wie schwer sein Gegner verwundet war, auf das lebhafteste und hätte ihm ohne Zweifel mit einem dritten Streiche den Garaus gemacht, als auf das Geräusch, welches von der Straße bis zu dem Ballspiele hinausdrang, zwei von den Freunden des Gardisten, welche ihn einige Worte mit d’Artagnan wechseln und in Folge dessen hinausgehen gesehen hatten, mit dem Degen in der Faust aus dem Ballhause stürzten und über den Sieger herfielen. Aber sogleich erschienen Athos, Porthos und Aramis ebenfalls und nöthigten die zwei Leibwachen in dem Augenblick, wo sie ihren jungen Kameraden angriffen, zum Rückzug. Jetzt fiel Bernajoux zu Boden, und da die Leibwachen nur zu zwei gegen vier waren, so schrieen sie: »Zu Hülfe, Hotel de la Tremouille!« Auf dieses Geschrei lief Alles, was sich in dem Hotel befand, heraus und fiel über die vier Kameraden her, welche ihrerseits: »Uns zu Hülfe Musketiere!« zu schreien anfingen.

Dieser Ruf fand in der Regel Gehör, denn man kannte die Musketiere als Feinde Sr. Eminenz und liebte sie wegen ihres Hasses gegen den Kardinal. Auch ergriffen die Leibwachen der Compagnien, welche nicht dem Herzog Roth gehörten, wie ihn Aramis genannt hatte, in der Regel bei diesen Streitigkeiten Partei für die Musketiers des Königs. Von drei Gardisten von der Compagnie des Herrn des Essarts, welche vorübergingen, kamen also zwei den vier Kameraden zu Hülfe, während der andere nach dem Hotel des Herrn von Treville lief und daselbst: »Zu Hülfe, Musketiere, uns zu Hülfe!« rief. Da gewöhnlich das Hotel des Herrn von Treville voll von Soldaten dieser Waffe war, welche ihren Kameraden schnell zu Hülfe eilten, so wurde das Gefecht allgemein, aber die Oberhand blieb auf der Seite der Musketiere; die Leibwachen des Kardinals und die Leute des Herrn de la Tremouille zogen sich in das Hotel zurück, dessen Thore sie noch zeitig genug schlössen, um ihre Feinde zu verhindern, daß sie mit ihnen einbrachen. Den Verwundeten hatte man gleich Anfangs und zwar, wie gesagt, in sehr schlimmem Zustand weggebracht.

Die Aufregung hatte unter den Musketieren und ihren Verbündeten den höchsten Grad erreicht, und man berathschlagte bereits, ob man nicht, um die Unverschämtheit der Bedienten des Herrn de la Tremouille zu bestrafen, welche einen Ausfall auf die Musketiere des Königs zu machen gewagt hatten, Feuer an das Hotel legen sollte. Ein Vorschlag zu diesem Ende wurde gemacht und mit Begeisterung aufgenommen, als es zum Glück elf Uhr schlug; d’Artagnan und seine Gefährten erinnerten sich ihrer Audienz, und da sie es bedauert hätten, wenn ein so schöner Streich ohne sie ausgeführt worden wäre, so suchten sie die Köpfe zu beschwichtigen, was ihnen auch gelang. Man begnügte sich, einige Pflastersteine an die Thore zu werfen, aber diese widerstanden und man war der Sache müde; überdieß hatten diejenigen, welche man als Anführer des Unternehmens betrachten mußte, seit einigen Augenblicken die Gruppe verlassen und gingen nach dem Hotel des Herrn von Treville zu, der sie, bereits von diesem neuen Handgemenge unterrichtet, erwartete.

»Rasch in den Louvre,« sagte er, »in den Louvre, ohne einen Augenblick zu verlieren, wir müssen den König zu sehen suchen, ehe uns der Kardinal zuvorgekommen ist; wir erzählen ihm die Sache als eine Folge der gestrigen Angelegenheit, und Beides wird zugleich durchgehen.«

Herr von Treville begab sich in Begleitung der vier jungen Leute nach dem Louvre, aber mit großem Erstaunen vernahm der Kapitän der Musketiere, der König sei nach dem Walde von Saint-Germain auf die Hirschjagd gezogen. Herr von Treville ließ sich diese Nachricht zweimal wiederholen, und jedes Mal bemerkten seine Gefährten, wie sich sein Antlitz verdüsterte.

»Hatte Se. Majestät schon gestern die Absicht, diese Jagd zu machen?« fragte er.

»Nein, Ew. Excellenz,« antwortete der Kammerdiener, »der Oberjäger meldete diesen Morgen, man habe in vergangener Nacht einen Hirsch zu Sr. Majestät Vergnügen bestellt. Anfangs antwortete der König, er werde nicht gehen, aber er konnte der Lust nicht widerstehen, die ihm diese Jagd gewähren sollte, und er entfernte sich nach dem Frühstück!«

»Und hat der König den Kardinal gesehen?« fragte Herr von Treville.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach,« antwortete der Kammerdiener, »denn ich habe heute früh den Wagen Sr. Eminenz angespannt gesehen; ich fragte, wohin sie ginge, und man antwortete mir: nach Saint Germain.«

»Man ist uns zuvorgekommen,« sagte Herr von Treville. »Meine Herren, ich werde den König diesen Abend sprechen; Euch aber rathe ich nicht, Euch dahin zu wagen.«

Dieser Rath war zu vernünftig und kam überdies von einem Manne, der den König zu gut kannte, als daß die vier jungen Leute ihn zu bekämpfen gesucht hätten. Herr von Treville forderte sie auf, nach Hause zu gehen und Nachricht von ihm zu erwarten.

In sein Hotel zurückgekehrt, bedachte jedoch Herr von Treville, daß es für ihn das Klügste wäre, zuerst Klage zu führen. Er schickte deßhalb einen seiner Bedienten zu Herrn de la Tremouille mit einem Brief, worin er ihn bat, die Leibwache des Herrn Kardinals aus seinem Hause zu entfernen und seinen Leuten einen Verweis darüber zu geben, daß sie die Frechheit gehabt hätten, einen Ausfall gegen die Musketiere zu machen. Aber bereits durch seinen Stallmeister unterrichtet, mit dem Bernajoux, wie man weiß, verwandt war, ließ ihm Herr de la Tremouille antworten, es sei weder an Herrn von Treville, noch an seinen Musketieren, sich zu beklagen, sondern im Gegenteil an ihm, dessen Leute von den Musketieren angegriffen und verwundet worden seien und dem sie sein Hotel hätten in Brand stecken wollen. Da jedoch der Streit zwischen diesen beiden hohen Herren lange hätte dauern können, indem natürlich jeder auf seiner Meinung beharren mußte, so ersann Herr von Treville ein Auskunftsmittel, durch das er die ganze Sache zu beendigen beabsichtige; es bestand darin, Herr de la Tremouille selbst aufzusuchen.

Er begab sich also sogleich in sein Hotel und ließ sich melden.

Die zwei Herren begrüßten sich sehr höflich, denn wenn auch keine Freundschaft unter ihnen bestand, so achteten sie sich doch gegenseitig. Beide waren Männer von Herz und Ehre, und da Herr de la Tremouille, ein Protestant, den König nur selten sah und keiner Partei angehörte, so erfaßte er seine gesellschaftlichen Verhältnisse gewöhnlich ohne Vorurtheil. Diesmal war jedoch sein Empfang, obgleich höflich, kälter als in Regel.

»Mein Herr,« sagte Herr von Treville, »jeder von uns glaubt, er habe sich über den andern zu beklagen, und ich bin gekommen, damit wir diese Angelegenheit gemeinschaftlich ins Reine bringen.« – »Gerne,« erwiederte Herr de la Tremouille, »aber ich habe Euch zu bemerken, daß ich gut unterrichtet bin, und daß alles Unrecht auf Seiten Eurer Musketiere zu suchen ist.« – »Ihr seid ein zu vernünftiger und gerechter Mann, mein Herr,« sagte Herr vom Treville, »um den Vorschlag nicht anzunehmen, den ich Euch machen will.« – »Macht ihn, ich höre.« – »Wie geht es Herrn Bernajoux, dem Vetter Eures Stallmeisters?« –»Sehr schlecht; außer dem nicht besonders gefährlichen Degenstich, den er in den Arm bekommen hat, ist ihm noch ein anderer durch die Lunge beigebracht worden, und der Arzt prophezeit das Schlimmste.« – »Hat der Verwundete sein Bewußtsein behalten?« – »Vollkommen.« – »Spricht er?« – »Mit einer Schwierigkeit, aber er spricht.« – »Nun gut, mein Herr, gehen wir zu ihm. Beschwören wir ihn im Namen Gottes, vor den er vielleicht bald gerufen wird, die Wahrheit zu sagen. Er soll Richter in seiner eigenen Sache sein, und was er sagt, werde ich glauben.«

Herr de la Tremouille überlegte einen Augenblick und willigte dann ein, da man nicht wohl einen billigeren Vorschlag machen konnte.

Beide gingen in das Zimmer hinab, wo der Verwundete lag. Als dieser die edlen Herren eintreten sah, versucht er es, sich auf seinem Bette zu erheben, aber er war zu schwach, und erschöpft durch diese kurze Anstrengung fiel er beinahe bewußtlos zurück.

Herr de la Tremouille näherte sich ihm und ließ ihn an flüchtigen Salzen riechen, die ihn wieder ins Leben zurückriefen. Herr von Treville forderte Herrn de la Tremouille auf, den Kranken selbst zu fragen, damit man ihn nicht beschuldigen könne, er habe einen Einfluß auf denselben ausgeübt.

Es geschah, was Herr von Treville vorhergesehen hatte. Zwischen das Leben und den Tod gestellt, dachte Bernajoux nicht einen Augenblick daran, die Wahrheit zu verschweigen, und erzählte den zwei Herren den Vorfall ganz genau, wie er sich ereignet hatte.

Das war Alles, was Herr von Treville haben wollte; er wünschte Bernajoux eine baldige Wiedergenesung, nahm von Herrn de la Tremouille Abschied, kehrte sogleich in sein Hotel zurück und ließ die vier Freunde benachrichtigen, daß er sie zum Mittagessen erwarte.

Herr von Treville empfing sehr gute, jedoch antikardinalistische Gesellschaft. Man begreift leicht, daß sich das Gespräch während des ganzen Mittagessens um die beiden Niederlagen drehte, welche die Leibwachen Sr. Eminenz erlitten hatten. Da nun d’Artagnan der Held dieser zwei Tage gewesen war, so fielen ihm alle Glückwünsche zu, die ihm Athos, Porthos und Aramis nicht nur als gute Kameraden, sondern auch als Männer überließen, an denen die Reihe in dieser Beziehung schon oft genug gewesen war.

Gegen sechs Uhr äußerte Herr von Treville, er sei verpflichtet, sich nach dem Louvre zu begeben: da jedoch die von Sr. Majestät bewilligte Audienzstunde vorüber war, stellte er sich, statt den Eingang bei der kleinen Treppe zu fordern, mit den vier jungen Leuten im Vorzimmer auf. Der König war noch nicht von der Jagd zurückgekommen. Unsere jungen Leute warteten, unter die Schaar der Höflinge gemischt, kaum eine halbe Stunde, als sich alle Thüren öffneten und man den König ankündigte.

Bei dieser Ankündigung bebte d’Artagnan bis in das Mark seiner Knochen. Der nächstfolgende Augenblick sollte aller Wahrscheinlichkeit nach über sein ganzes Leben entscheiden. Seine Augen waren voll Furcht auf die Thüre geheftet, durch welche Se. Majestät eintreten mußte.

Ludwig XIII. erschien zuerst in dem Vorzimmer. Er trug ein noch ganz bestaubtes Jagdgewand, hatte große Stiefel an und hielt eine Peitsche in der Hand. Auf den ersten Blick erkannte d’Artagnan, daß im Geiste des Königs ein Sturm tobte.

So sichtbar auch diese Stimmung bei Sr. Majestät war, so hielt sie die Höflinge doch nicht ab, sich in den königlichen Vorgemächern an seinem Weg aufzustellen. Für sie ist es immer noch besser, mit einem zornigen Auge, als gar nicht gesehen zu werden. Die drei Musketiere zögerten also nicht und traten einen Schritt vor, während d’Artagnan im Gegentheil hinter ihnen verborgen blieb. Aber obgleich der König Athos, Porthos und Aramis persönlich kannte, ging er doch an ihnen vorüber, ohne sie anzuschauen, ohne mit ihnen zu sprechen, als ob er sie nie gesehen hätte. Als die Augen des Königs sich einen Moment auf Herrn von Treville hefteten, hielt dieser den Blick mit solcher Festigkeit aus, daß der König sein Gesicht abwandte, worauf Se. Majestät unter fortwährendem Gemurre sich in ein inneres Gemach zurückzog.

»Die Sache steht schlimm,« sagte Athos lächelnd, »und man wird uns diesmal noch nicht zu Ordensrittern machen.«

»Wartet hier zehn Minuten,« sprach Herr von Treville, »und wenn Ihr mich nach Ablauf dieser Zeit nicht herauskommen seht, so kehrt in mein Hotel zurück, denn es ist unnütz, daß Ihr dann länger hier verweilt.«

Die jungen Leute warteten zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten; als sie sahen, daß Herr von Treville nicht wieder erschien, entfernten sie sich, sehr unruhig über das, was geschehen würde.

Herr von Treville war keck in das Kabinet des Königs getreten und hatte Se. Majestät, in einem Fauteuil sitzend und mit dem Griffe seiner Peitsche auf seine Stiefel klopfend, in sehr übler Laune gefunden, was ihn nicht abhielt, den König mit dem größten Phlegma nach seinem Befinden zu fragen.

»Es steht schlecht, mein Herr, sehr schlecht,« erwiederte der König,« ich langweile mich.«

Dies war in der That die schlimmste Krankheit Ludwigs XIII., der häufig einen seiner Höflinge am Arme nahm, in ein Fenster zog und zu ihm sagte: Mein Herr So und So, langweilen wir uns mit einander.«

»Wie! Ew. Majestät langweilt sich,« sprach Herr von Treville, »habt Ihr heute nicht das Vergnügen der Jagd genossen?«

»Ein schönes Vergnügen! auf meine Ehre, ganz entartet, und ich weiß nicht, ob das Wild keine Fährte mehr hat oder ob die Hunde keine Nase mehr haben. Wir treiben einen Zehnender auf, wir reiten ihm sechs Stunden nach, und als er eben im begriff ist, Halt zu machen, als Simon eben das Horn an den Mund setzen will, um Halali zu blasen, krack! verschlägt die ganze Meute die Spur und schießt einem Spießer nach. Ihr werdet sehen, daß ich genöthigt bin, auf diese Jagd Verzicht zu leisten, wie ich auf die Beize verzichtet habe. Ach! ich bin ein sehr unglücklicher König, Herr von Treville, ich hatte nur noch einen Geierfalken, er ist vorgestern gestorben.«

»In der That, Sire, ich begreife Eure Verzweiflung, und das Unglück ist groß, aber ich denke, es bleibt Euch noch eine gute Anzahl von Falken und Sperbern übrig.«

»Und kein Mensch, um sie abzurichten; die Falkeniere verschwinden und nur ich allein verstehe noch die Kunst der Jägerei. Nach mir wird Alles aus sein, und man wird nur noch mit Fuchs- und Marderfallen jagen. Wenn ich noch Zeit hätte, Schüler zu bilden! Aber nein, da ist der Herr Kardinal, der mir nicht einen Augenblick Ruhe läßt, der mir von Spanien vorschwatzt! von Oestreich, von England! á propos Kardinal, Herr von Treville, ich bin unzufrieden mit Euch.«

Herr von Treville erwartete den König auf dieser Stelle; er kannte ihn von lange her, er wußte, daß alle diese Klagen nur eine Vorrede, nur eine Art von Aufregung waren, um sich selbst zu ermuthigen, und daß er dahin kommen wollte, wohin er endlich gelangt war.

»Und wodurch habe ich das Unglück gehabt, Ew. Majestät zu mißfallen?« fragte Herr von Treville, das tiefste Erstaunen heuchelnd. – »Erfüllt Ihr auf diese Weise Eure Aufgabe, mein Herr?« fuhr der König fort, ohne unmittelbar auf die Frage des Herrn von Treville zu antworten; »habe ich Euch dafür zum Kapitän meiner Musketiere ernannt, daß sie einen Menschen ermorden, ein ganzes Quartier in Aufruhr bringen und Paris niederbrennen wollen, ohne daß Ihr mir ein Wort davon sagt? Doch während ich mich ereifere. Euch anzuklagen,« fuhr der König fort, »sitzen die Ruhestörer ohne Zweifel bereits im Gefängniß, und Ihr kommt, um mir anzuzeigen, daß Gerechtigkeit gepflogen worden ist.« – »Sire,« antwortete Herr von Treville ruhig, »ich komme im Gegentheil, um diese von Euch zu verlangen.« – »Und gegen wen?« rief der König. – »Gegen die Verleumder,« sprach Herr von Treville. – »Ah! das ist doch ganz neu,« versetzte der König. »Werdet Ihr mir nicht zugestehen, daß sich Eure drei verdammten Musketiere, Athos, Porthos und Aramis und Euer Junker von Bearn wie Wüthende auf den armen Bernajoux geworfen und denselben dergestalt mißhandelt haben, daß er wahrscheinlich noch in dieser Stunde verscheiden wird? Werdet Ihr nicht zugeben, daß sie hierauf das Hotel des Herzogs de la Tremouille belagert haben und dasselbe in Brand stecken wollten, was in Kriegszeiten vielleicht kein sehr großes Unglück gewesen wäre, insofern es ein Hugenottennest ist, jedoch in Friedenszeiten ein ärgerliches Beispiel geben würde? Sagt, wollt Ihr all dies abläugnen?« – »Und wer hat Euch dieses schöne Märchen geliefert, Sire?« fragte Herr von Treville ruhig. – »Wer mir dieses schöne Märchen geliefert hat, mein Herr? wer anders als derjenige, welcher wacht, wenn ich schlafe, welcher arbeitet, wenn ich mich belustige, welcher Alles lenkt, innerhalb und außerhalb des Königreichs, in Frankreich wie in Europa? – »Ew. Majestät beliebt ohne Zweifel von Gott zu sprechen«, sagte Herr von Treville, »denn ich kenne nur Gott, der so hoch über Ew. Majestät steht.« – »Nein, mein Herr, ich spreche von der Stütze des Staates, von meinem einzigen Diener, von meinem einzigen Freunde, von dem Herrn Kardinal.« – »Se. Eminenz ist nicht Se. Heiligkeit, Sire!« – »Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?« – »Daß nur der Pabst unfehlbar ist, und daß sich diese Unfehlbarkeit nicht auf die Kardinäle erstreckt.« – »Ihr wollt behaupten, er täusche mich? Ihr wollt behaupten, er verrathe mich? Ihr klagt ihn also an. Seht, sprecht, gesteht freimüthig, daß Ihr ihn anklagt.« – »Nein, Sire, aber ich sage, daß er sich selbst täuscht, ich sage, daß er schlecht unterrichtet gewesen ist, ich sage, daß er sich beeilt hat, die Musketiere Sr. Majestät anzuklagen, gegen die er ungerecht ist, und daß er seine Nachrichten nicht aus guten Quellen geschöpft hat.« – »Die Anklage kommt von Herrn de la Tremouille, vom Herzog selbst. Was habt Ihr hierauf zu erwiedern?« – »Ich könnte erwiedern, Sire, er sei zu sehr bei der Sache betheiligt, um unparteiischer Zeuge bei dieser Frage zu sein, aber weit entfernt hievon, Sire, ich kenne den Mann als einen loyalen Edelmann, und ich stelle die Sache seinem Ausspruch anheim, jedoch unter einer Bedingung.« – »Unter welcher?« – »Daß Ew. Majestät ihn kommen läßt, ihn selbst Auge in Auge ohne Zeugen befragt, und daß ich vor Ew. Majestät sogleich erscheinen darf, sobald der Herzog dagewesen ist.« – »Gut so!« rief der König, »und Ihr fügt Euch in das, was Herr de la Tremouille aussprechen wird?« – »Ja, Sire.« – »Ihr unterwerft Euch der Genugthuung, die er fordert?« – »Vollkommen.« – »La Chesnaye!« rief der König, »la Chesnaye?«

Der vertraute Kammerdiener des Königs, der sich immer in der Nähe der Thüre aufhielt, trat ein.

»La Chesnaye,« sprach der König, »man gehe sogleich und hole mir Herrn de la Tremouille; ich will ihn noch diesen Abend sprechen.«

»Ew. Majestät gibt mir ihr Wort, daß sie Niemand sehen wird, als Herrn de la Tremouille und mich?« – »Niemand, auf mein adeliges Wort!« – »Morgen also, Sire.« – »Morgen, mein Herr.« – »Um welche Stunde, wenn es Ew. Majestät gefällig wäre?« – Wann es Euch beliebt.« – Aber ich müßte Ew. Majestät aufzuwecken befürchten, wenn ich zu früh käme.« – »Mich aufwecken! Schlafe ich? Ich schlafe nicht mehr, mein Herr; ich träume nur zuweilen, das ist das Ganze. Kommt also so frühe als Ihr wollt, um sieben Uhr etwa; aber nehmt Euch in Acht, wenn Euere Musketiere schuldig sind.« – Wenn meine Musketiere schuldig sind, Sire, so sollen die Schuldigen in die Hände Ew. Majestät überliefert werden, welche nach Gutdünken über sie verfügen wird. Fordert Ew. Majestät noch mehr, so mag sie sprechen, ich bin bereit, ihr zu gehorchen.« – »Nein, mein Herr; nein! man hat mich nicht ohne Grund Ludwig den Gerechten genannt. Morgen also, mein Herr, morgen.« – »Gott beschütze Ew. Majestät bis dahin.«

So wenig der König schlief, schlief Herr von Treville doch noch viel schlechter; er hatte noch an demselben Tage den drei Musketieren und ihrem Geführten Nachricht geben lassen, daß sie sich am andern Morgen um halb sieben Uhr bei ihm einfinden sollten. Er nahm sie mit sich, ohne eine Versicherung, ohne ein Versprechen, und ohne ihnen zu verbergen, daß ihr Glück und sogar das seinige davon abhing, wie die Würfel fielen.

Unten an der kleinen Treppe angelangt, hieß er sie warten. Wenn der König gegen sie aufgebracht wäre, sollten sie sich entfernen, ohne gesehen zu werden: wenn er sie empfangen wollte, so dürfte man sie nur rufen.

Im Privatvorzimmer des Königs traf Herr von Treville la Chesnaye, der ihm mittheilte, man habe den Herzog de la Tremouille am vorigen Abend nicht in seinem Hotel getroffen, er sei zu spät nach Hause gekommen, um sich noch in den Louvre zu begeben; er sei erst vor einem Augenblick erschienen und befinde sich eben jetzt bei dem König.

Dieser Umstand war Herrn von Treville sehr angenehm, denn er war nun überzeugt, daß keine fremde Meinung zwischen die Angabe des Herrn de la Tremouille und ihn einschleichen könne.

Kaum waren zehn Minuten abgelaufen, so öffnete sich in der That die Kabinetsthüre des Königs, und Herr von Treville sah den Herzog de la Tremouille herauskommen, der auf ihn zutrat und zu ihm sagte:

»Herr von Treville, Se. Majestät hat mich kommen lassen, um sich zu erkundigen, wie sich die Dinge gestern Morgen in meinem Hotel zugetragen haben. Ich habe die Wahrheit gesprochen, das heißt, daß meine Leute den Fehler gemacht haben, und daß ich bereit sei, mich bei Euch zu entschuldigen. Da ich Euch gerade hier finde, so nehmt diese Entschuldigung gefälligst an und haltet mich stets für einen Euerer Freunde.«

»Mein Herr Herzog,« sagte Herr von Treville, »ich hegte ein solches Zutrauen zu Eurer Rechtschaffenheit, daß ich bei Sr. Majestät keinen andern Vertheidiger als Euch selbst haben wollte. Ich sehe, daß ich mich nicht getäuscht habe, und ich danke Euch dafür, daß es noch einen Mann gibt, von dem man, ohne sich zu irren, sagen kann, was ich von Euch gesagt habe.«

»Gut! gut!« sprach der König, der alle diese Komplimente zwischen den Thürflügeln mit angehört hatte; »nun sagt ihm, Treville, da er Euer Freund zu sein behauptet, daß ich zu den seinigen zu gehören wünsche, daß er mich vernachlässige, daß ich ihn bald drei Jahre nicht mehr gesehen habe, und daß ich ihn überhaupt nur sehe, wenn ich ihn holen lasse. Sagt ihm das in meinem Namen, denn das sind Dinge, die ein König nicht selbst sagen kann.«

»Ich danke, Sire, ich danke,« sprach der Herzog, »aber Ew. Majestät mag wohl glauben, daß nicht diejenigen, ich sage dies nicht in Beziehung auf Herrn von Treville, daß nicht diejenigen, welche sie zu jeder Stunde des Tages um sich sieht, ihr am meisten ergeben sind.«

»Ah! Ihr habt gehört, was ich gesprochen habe; desto besser, Herzog, desto besser,« sagte der König und trat bis vor die Thüre. »Ah! Ihr seid es, Treville, wo sind Euere Musketiere? Ich habe Euch vorgestern befohlen, sie zu bringen, warum habt Ihr es nicht gethan?« – »Sie sind unten, Sire, und mit Euerer Erlaubniß lasse ich sie heraufholen.«

»Ja, ja, sie sollen sogleich kommen; es ist bald acht Uhr und um neun Uhr erwarte ich einen Besuch. Geht, Herr Herzog, und kommt gewiß wieder. Tretet ein, Treville.«

Der Herzog verbeugte sich und ging. In dem Augenblick, wo er die Thür öffnete, erschienen die drei Musketiere und d’Artagnan, von la Chesnaye geführt, oben an der Treppe.

»Kommt, meine Braven, kommt,« sagte der König, »ich muß Euch schelten.«

Die Musketiere näherten sich unter Verbeugungen, d’Artagnan hinter ihnen.

»Wie Teufels!« fuhr der König fort, »Ihr vier habt sieben Leibwachen Seiner Eminenz in zwei Tagen kampfunfähig gemacht! Das ist zu viel, meine Herren, zu viel. Auf diese Art wäre Seine Eminenz genöthigt, seine Kompagnie in drei Wochen zu erneuern, und ich, die Edikte in aller Strenge in Anwendung zu bringen. Zufällig Einen, da wollte ich nichts sagen, aber sieben, ich wiederhole es, das ist zu viel.«

»Sire, Ew. Majestät sieht wohl, daß sie ganz zerknirscht und reumüthig erscheinen, um ihre Entschuldigungen vorzubringen.«

»Ganz zerknirscht und reumüthig! hm!« rief der König, »ich traue ihren heuchlerischen Gesichtern nicht ganz; ich sehe besonders da hinten ein Gascognergesicht. Tretet näher, mein Herr.«

D’Artagnan begriff, daß das Kompliment an ihn gerichtet war, und näherte sich, seine verzweiflungsvollste Miene annehmend.

»Wie, Ihr sagtet, es sei ein Jüngling? es ist ein Kind, Herr von Treville, ein wahres Kind. Hat dieser dem Jussac den bösen Degenstoß gegeben?«

»Und Bernajoux die zwei schönen Streiche.«

»Wahrhaftig!«

»Abgesehen davon,« sprach Athos, »daß ich, wenn er mich nicht den Händen Biscarats entrissen hätte, sicherlich nicht die Ehre haben könnte, in diesem Augenblick Ew. Majestät meine untertänigste Reverenz zu machen.«

»Es ist also ein wahrer Teufel, dieser Bearner, Ventre-saintgris! Herr von Treville, wie mein königlicher Vater gesagt haben würde. Bei diesem Gewerbe muß man viele Wämmser durchlöchern und viele Degen zerbrechen. – Die Gascogner sind wohl stets arm, nicht wahr?«

»Sire, ich darf wohl behaupten, daß man noch keine Goldmine in ihren Bergen gefunden hat, obgleich ihnen der Herr im Himmel dieses Wunder als Belohnung für die Art und Weise schuldig wäre, wie sie die Ansprüche Eures königlichen Vaters unterstützt haben.«

»Damit ist gesagt, daß sie mich selbst zum König gemacht haben, Treville, insofern ich der Sohn meines Vaters bin. Ganz wohl, ich sage nicht nein. La Chesnaye, seht nach, ob Ihr in allen meinen Taschen vierzig Pistolen findet, und wenn Ihr sie findet, bringt sie mir. Und nun, junger Mann, legt die Hand auf das Herz und sprecht, wie hat sich die Sache zugetragen?«

D’Artagnan erzählte das Abenteuer des vorigen Tages mit allen Einzelheiten; wie er aus Freude, Se. Majestät zu sehen, nicht habe schlafen können und drei Stunden vor der Audienzzeit zu seinen Freunden gekommen sei; wie sie sich mit einander in ein Ballhaus begeben haben, und wie er, weil er Furcht geäußert, einen Ball ins Gesicht zu bekommen, von Bernajoux verspottet worden sei, was dem Spötter selbst beinahe sein Leben und Herrn de la Tremouille sein Hotel gekostet habe.

»Es ist gut so,« murmelte der König, ja, so hat mir der Herzog die Sache erzählt. Armer Kardinal! sieben Menschen in zwei Tagen und zwar seine liebsten; aber damit ist es genug, meine Herren, versteht Ihr? es ist genug; Ihr habt Eure Rache für die Rue de Ferou und noch mehr genommen; Ihr müßt zufrieden sein.«

»Wenn Ew. Majestät es ist,« sagte Treville, »wir sind es.«

»Ja, ich bin es,« fügte der König bei, nahm eine Faust voll Gold aus la Chesnayes Händen, übergab sie d’Artagnan und sagte: »Hier, zum Beweise meiner Zufriedenheit.«

Damals waren die stolzen Ideen, wie sie jetzt der äußere Anstand heischt, noch nicht in der Mode. Ein Edelmann nahm unmittelbar aus der Hand des Königs Geld an und fühlte sich nicht im geringsten dadurch gedemüthigt. D’Artagnan steckte also die vierzig Pistolen ohne alle Umstände in die Tasche und bedankte sich im Gegentheil ganz unterthänig bei dem König.

»So! so!« sprach der König und schaute auf die Pendeluhr; »es ist nun halb neun Uhr und Ihr müßt Euch entfernen; ich habe Euch gesagt, ich erwarte Jemand um neun Uhr. Ich danke Euch für Eure Ergebenheit, meine Herren. Ich kann stets darauf zählen, nicht wahr?«

»Oh! Sire,« riefen die vier Gefährten einstimmig, wir lassen uns für Ew. Majestät in Stücke hauen.«

»Gut, gut; aber bleibt ganz, das ist mehr werth, Ihr seid mir so nützlicher. Treville,« fügte der König mit halber Stimme hinzu, während sich die Andern entfernten, »da kein Platz bei den Musketieren offen ist, und ich überdies als Bedingung der Aufnahme in dieses Corps ein Noviziat festgesetzt habe, so bringt diesen Jungen in die Kompagnie der Garden des Herrn des Essarts, Eures Schwagers. Ah! bei Gott, Treville, ich freue mich auf die Grimasse, die der Kardinal machen wird, er wird wüthend sein, aber daran ist mir nichts gelegen, ich bin in meinem Recht.«

Und der König begrüßte Herrn von Treville mit der Hand. Dieser ging und suchte seine Musketiere auf, die er in einer Theilung der Pistolen mit d’Artagnan begriffen fand.

Und Richelieu war, wie Se. Majestät gesagt hatte, wirklich wüthend, so wüthend, daß er acht Tage die Spielpartie des Königs nicht besuchte, was den König nicht abhielt, ihm das freundlichste Gesicht von der Welt zu machen und ihn, so oft er ihm begegnete, mit dem schmeichelhaftesten Tone zu fragen:

»Nun, mein Herr Kardinal, wie geht es dem armen Bernajoux und dem armen Jussac, Euren Leuten?«

VII.

Das Hauswesen der Musketiere.

Als sich d’Artagnan außerhalb des Louvre befand und mit seinen Freunden über die Verwendung seines Antheils an den vierzig Pistolen berathschlagte, riet ihm Athos, ein gutes Gastmahl zu bestellen, Porthos einen Lakaien zu nehmen, und Aramis, sich eine anständige Geliebte zu verschaffen.

Das Mahl wurde an demselben Tage ausgeführt und der Lakai servierte dabei. Athos hatte das Mahl bestellt, Porthos den Lakaien geliefert. Dieser war ein Picarde, den der glorreiche Musketier an demselben Tag und aus dieser Veranlassung auf dem Pont de la Tournelle anwarb, während er in das Wasser spuckend Kreise machte. Porthos behauptete, diese Beschäftigung sei der Beweis eines überlegenden und contemplativen Geistes und nahm ihn ohne weitere Empfehlung mit. Das vornehme Aussehen dieses Edelmannes, für dessen Rechnung er sich angeworben glaubte, hatte Planchet – dies war der Name des Picarden – verführt; es trat eine kleine Enttäuschung bei ihm ein, als er sah, daß der Platz bereits durch einen Zunftgenossen Namens Mousqueton besetzt war, und Porthos ihm eröffnete, daß sein Hausstand, so groß er auch sei, zwei Bedienten nicht zulasse, und daß er in d’Artagnans Dienst treten müsse. Als er aber dem Mahl beiwohnte, das sein Herr gab, und diesen bei der Bezahlung eine Hand voll Gold aus der Tasche ziehen sah, hielt er sein Glück für gegründet und dankte dem Himmel, daß er ihn in die Hände eines solchen Krösus fallen lassen; in dieser Meinung beharrte er bis nach dem Festmahl, von dessen Abhub er ein langes Fasten wieder gut machte. Aber Planchet’s Chimären verschwanden, als er Abends das Bett seines Herrn machte. Dieses Bett war das einzige in der Wohnung, welche aus einem Vorzimmer und einem Schlafzimmer bestand. Planchet schlief im Vorzimmer auf einer Decke, welche dem Bette d’Artagnans entzogen wurde, und worauf dieser von nun an Verzicht leistete.

Athos besaß einen Bedienten, Namens Grimaud, den er auf eine ganz eigenthümliche Weise für seinen Dienst dressirt hatte. Er war sehr schweigsam, dieser würdige Herr; wohlverstanden, wir sprechen von Athos. In den fünf oder sechs Jahren, die er im vertrautesten Umgang mit seinen zwei Gefährten Porthos und Aramis lebte, erinnerten sich diese wohl ihn lächeln, aber nie lachen gesehen zu haben. Seine Worte waren kurz, ausdrucksvoll, sie sagten immer das, was sie sagen wollten, und nicht mehr; keine Ausschmückungen, keine Stickereien, keine Arabesken. Obgleich Athos erst dreißig Jahre zählte und ein Mann von großer körperlicher und geistiger Schönheit war, kannte doch Niemand eine Geliebte von ihm. Er sprach nie von Frauen; er hielt jedoch auch Niemand davon ab, in seiner Gegenwart von ihnen zu sprechen, obgleich man leicht wahrnehmen konnte, daß diese Art von Unterhaltung, in die er sich nur mit bitteren Worten und menschenfeindlichen Bemerkungen mischte, ihm ganz besonders unangenehm war. Seine Zurückhaltung, sein herbes Wesen, seine Stummheit gaben ihm beinahe das Aussehen eines Greises; um von seinen Gewohnheiten nicht abgehen zu müssen, hatte er Grimaud daran gewöhnt, ihm auf eine einfache Geberde, auf eine einzige Bewegung seines Mundes zu gehorchen. Nur in höchst wichtigen Fällen sprach er mit ihm. Grimaud, der seinen Herrn wie das Feuer fürchtete, obgleich er für seine Person eine große Anhänglichkeit und für seinen Geist eine große Verehrung hegte, glaubte zuweilen vollkommen verstanden zu haben, was er verlangte, eilte, den erhaltenen Befehl auszuführen, und that gerade das Gegentheil davon. Dann zuckte Athos die Achseln und prügelte Grimaud, ohne in Zorn zu gerathen. An solchen Tagen sprach er ein wenig.

Porthos hatte einen Charakter, der, wie man bereits bemerken konnte, dem von Athos gerade entgegengesetzt war: er sprach nicht nur viel, sondern er sprach auch laut; es war ihm indessen, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenig daran gelegen, ob man ihm zuhörte oder nicht; er sprach, weil es ihm Vergnügen machte, zu sprechen und sich zu hören; er sprach von allen Dingen mit Ausnahme der Wissenschaften; in dieser Hinsicht nahm er einen eingefleischten Haß zum Vorwand, den er seit seiner Kindheit gegen die Gelehrten zu hegen vorgab. Er hatte kein so vornehmes Aussehen, wie Athos, und das Gefühl seiner niedrigeren Stellung in Beziehung auf das Aeußere machte ihn am Anfang ihrer Verbindung oft ungerecht gegen diesen Edelmann, den er sodann durch seine glänzende Toillette zu überbieten sich bemühte. Aber mit seiner einfachen Musketier-Kasake und einzig und allein durch die Art und Weise, wie er den Kopf zurückwarf und den Fuß vorsetzte, nahm Athos sogleich wieder den ihm gebührenden Platz ein und verwies den pomphaften Porthos auf den zweiten Rang. Porthos tröstete sich damit, daß er das Vorzimmer des Herrn von Treville und die Wachtstube des Louvre mit dem Lärme von seinem Liebesglück erfüllte, wovon Athos nie sprach, und nachdem er vom Bürgeradel zum Kriegsadel, von der Robine zur Baronin übergegangen war, handelte es sich im gegenwärtigen Augenblicke bei Porthos um nichts Geringeres, als um eine ausländische Prinzessin, die ihm ein ungemeines Wohlwollen kundgegeben hatte.

Ein altes Sprichwort sagt: wie der Herr, so der Diener. Gehen wir also vom Diener des Athos zum Diener des Porthos, von Grimaud zu Mousqueton über.

Mousqueton war ein Normanne, dessen friedlichen Namen Boniface sein Herr in den unendlich klangreicheren und kriegerischen Mousqueton verwandelt hatte. Er war in den Dienst von Porthos unter der Bedingung getreten, nur mit Kleidern und Wohnung, aber dies auf eine prachtvolle Weise, versehen zu werden. Er verlangte nur zwei Stunden täglich; um sich einer Industrie zu widmen, mit deren Ertrag er seine übrigen Bedürfnisse bestreiten wollte. Porthos hatte den Handel angenommen; die Sache stand ihm auf diese Art ganz gut an. Er ließ Mousqueton Wämmser aus seinen alten Kleidern und abgetragenen Mänteln zuschneiden, und mit Hülfe eines geschickten Schneiders, der den alten Röcken durch Wenden ein neues Ansehen verlieh, und dessen Frau man im Verdacht hatte, sie veranlasse Porthos, etwas von seinen aristokratischen Gewohnheiten herabzusteigen, spielte Mousqueton im Gefolge seines Herrn eine ziemlich gute Figur. Was Aramis betrifft, dessen Charakter wir hinreichend geschildert zu haben glauben, – einen Charakter, den wir überdies, wie den seiner Gefährten, in seiner Entwicklung verfolgen können, so hieß sein Lakai Bazin. Da sein Herr Hoffnung hatte, eines Tages in den geistlichen Stand einzutreten, so war er immer schwarz gekleidet, wie dies der Diener eines Geistlichen sein soll. Es war ein Berrichon 1, von ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Jahren sanft, friedlich, fett, pflegte in den Mußestunden, die ihm sein Herr ließ, fromme Bücher zu lesen, und speiste, streng genommen für zwei zu Mittag, wobei er sich übrigens mit wenigen Schüsseln begnügte, diese aber mußten vortrefflich zubereitet sein. Im Uebrigen war er stumm, blind, taub, aber von feuerfester Treue. Da wir jetzt die Herren und die Diener wenigstens oberflächlich kennen, wollen wir zu den Wohnungen der Einzelnen übergehen.

Athos wohnte in der Rue Ferou, zwei Schritte vom Luxemburg; seine Wohnung bestand aus zwei kleinen, sehr reinlich ausgestatteten Zimmern in einem möblierten Hause, dessen noch sehr junge und in der That sehr hübsche Wirthin vergeblich mit ihm liebäugelte. Einige Ueberreste großer ehemaliger Herrlichkeit glänzten da und dort an den Wänden dieser bescheidenen Wohnung: ein reich damascirter Degen zum Beispiel, der seiner Form nach aus der Zeit Franz I. herrühren mochte, und dessen mit kostbaren Steinen incrustirter Griff wohl an zweihundert Pistolen werth war; dennoch hatte sich Athos selbst in seinen größten Verlegenheiten nie herbeigelassen, ihn zu verkaufen oder zu verpfänden. Dieser Degen war lange Zeit ein Gegenstand sehnsüchtigen Trachtens von Porthos gewesen. Porthos hätte zehn Jahre seines Lebens für den Besitz dieses Degens gegeben.

Als er eines Tages ein Rendezvous mit einer Herzogin hatte, versuchte er es, ihn von Athos zu entlehnen. Ohne ein Wort zu sprechen, leerte Athos seine Taschen, suchte alle seine Juwelen zusammen, Börsen, goldene Nadeln und Ketten, und bot ihm Alles an, aber von dem Degen sagte er, er sei an seine Stelle befestigt und solle diese nur verlassen, wenn sein Herr selbst seine Wohnung verlasse. Außer diesem Degen besaß er noch ein Porträt, einen vornehmen Mann aus der Zeit Heinrichs III. in äußerst eleganter Tracht und mit dem Heiligengeistorden darstellend, und dieses Porträt glich Athos in Beziehung auf gewisse Linien; es lag eine Familienähnlichkeit darin, aus der sich erkennen ließ, daß dieser vornehme Mann, ein Ritter der Orden des Königs, sein Vorfahre war. Eine Lade endlich von prachtvoller Goldschmiedsarbeit, mit demselben Wappen verziert, wie der Degen und das Porträt, bildete einen Kaminaufsatz, der gewaltig von der übrigen Ausstattung abstach. Athos trug den Schlüssel dieser Lade stets bei sich, aber eines Tages öffnete er sie vor Porthos, und dieser hatte Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß die Lade nur Briefe und Papiere enthielt – Liebesbriefe und Familienpapiere ohne Zweifel.

Porthos hatte eine geräumige Wohnung von äußerst prunkvollem Aussehen in der Rue du Vieux-Colombier. So oft er mit einem Freunde an seinen Fenstern vorüber kam, an deren einem Mousqueton stets in großer Livree stand, hob Porthos Kopf und Hand in die Höhe und sagte: Hier ist meine Wohnung.« Aber nie fand man ihn zu Hause, nie lud er Jemand ein, mit ihm hinaufzusteigen, und Niemand konnte sich einen Begriff davon machen, welche wirkliche Reichthümer diese prunkvolle Außenseite in sich schließen dürfte.

Aramis hatte eine kleine Wohnung, bestehend aus einem Ankleidezimmer, einem Speisezimmer und einem Schlafzimmer; das letztere lag, wie die ganze Wohnung im Erdgeschoß und ging auf einen frischen, grünen, schattigen und für die Augen der Nachbarschaft undurchdringlichen kleinen Garten.

Von d’Artagnan wissen wir, wie er wohnte, und wir haben bereits mit seinem Lakaien, Meister Planchet, Bekanntschaft gemacht.

D’Artagnan war von Natur sehr neugierig, wie alle Leute von intrigantem Geist, und gab sich alle Mühe, um zu erfahren, wer Athos, Porthos und Aramis, genau genommen, seien; denn unter diesen Kriegsnamen verbarg jeder der jungen Leute seinen wahren adeligen Namen, Athos besonders, in dem man auf eine Meile den hochgeborenen Mann erkannte. Er wandte sich also an Porthos, um Auskunft über Athos und Aramis zu erhalten, und an Aramis, um Porthos kennen zu lernen.

Leider wußte Porthos von dem Leben seines schweigsamen Kameraden selbst nicht mehr, als was zufällig und von ferne her davon bekannt geworden war. Man sagte, er habe furchtbares Unglück in seinen Liebesangelegenheiten gehabt, ein schändlicher Verrath habe das Leben dieses trefflichen jungen Mannes auf immer vergiftet. Worin bestand dieser Verrath? Niemand wußte es.

Was Porthos betraf, so konnte man sein Leben, abgesehen von seinem wahren Namen, den, wie die seiner beiden Kameraden, nur Herr von Treville wußte, leicht kennen lernen. Ihn, den eitlen, indiscreten Menschen, durchschaute man wie einen Krystall. Die Nachforschung nach seinen Verhältnissen würde nur dadurch irre geleitet worden sein, wenn man alles Gute, was er von sich selbst sagte, geglaubt hätte.

Aramis sah aus, als ob er kein Geheimniß besäße, während er von Mysterien vollgepfropft war, er antwortete wenig auf die Fragen, die man über Andere an ihn richtete, und wußte geschickt denjenigen auszuweichen, welche seine Person betrafen. Als ihn d’Artagnan eines Tages lange über Porthos ausgeforscht und von ihm das Gerücht von dem Glücke des Musketiers bei einer Prinzessin erfahren hatte, wollte er auch wissen, wie es mit den Liebeshändeln desjenigen stehe, mit dem er sich unterhielt.

»Und Ihr, mein lieber Gefährte,« sagte er, »Ihr, der Ihr von Baroninnen, Gräfinnen, Prinzessinnen Anderer sprecht?«

»Um Vergebung,« unterbrach ihn Aramis, »ich habe gesprochen, weil Porthos selbst davon spricht, weil er alle diese schönen Dinge vor mir ausgeschrieen hat. Aber glaubt mir, mein lieber Herr d’Artagnan, wenn ich es aus einer andern Quelle wüßte, oder wenn er es mir anvertraut hätte, so gäbe es für ihn keinen verschwiegenem Beichtvater, als ich bin.«

»Ich zweifle nicht daran,« erwiederte d’Artagnan, »aber es scheint mir, Ihr habt Euch selbst mit den Wappen sehr vertraut gemacht, was ein gewisses Taschentuch beweist, dem ich die Ehre Eurer Bekanntschaft zu danken habe.«

Aramis ärgerte sich diesmal nicht, sondern nahm seine bescheidenste Miene an und antwortete mit rührendem Tone:

»Vergeßt nicht, mein Lieber, daß ich der Kirche angehören will und alle weltlichen Veranlassungen fliehe. Das Taschentuch, welches Ihr gesehen habt, ist mir nicht anvertraut worden, sondern einer von meinen Freunden vergaß es bei mir. Ich mußte es zu mir nehmen, um ihn und die Dame, die er liebt, nicht zu compromitiren. Ich für meine Person habe keine Geliebte und will keine haben; ich folge hierin dem sehr vernünftigen Beispiel von Athos, welcher ebenfalls keine hat.«

»Aber, den Teufel! Ihr seid nicht Abbé, so lange Ihr die Musketierkasake tragt.«

»Musketier ad interim, mein Lieber, wie der Kardinal sagt, Musketier wider meinen Willen, aber glaubt mir, im Herzen Geistlicher. Athos und Porthos haben mich, um mich zu beschäftigen, da hineingeschoben; im Augenblick, wo ich ordinirt werden sollte, hatte ich eine kleine Streitigkeit mit… Aber das interessirt Euch nicht und ich raube Euch eine kostbare Zeit.«

»Im Gegentheil, das interessirt mich sehr,« rief d’Artagnan, »und ich habe in diesem Augenblicke durchaus nichts zu thun.«

»Wohl, aber ich muß mein Brevier beten,« antwortete Aramis, »sodann einige Verse machen, welche Madame d’Aiguillon von mir verlangt hat. Ferner muß ich mich nach der Rue Saint-Honoré begeben, um Schminke für Frau von Chevreuse zu kaufen. Ihr seht, mein lieber Freund, daß, wenn Ihr auch keine Eile habt, ich doch sehr bedrängt bin.«

Nach diesen Worten reichte Aramis seinem jungen Gefährten freundlich die Hand.

D’Artagnan war nicht im Stande, mehr über seine drei neuen Freunde zu erfahren, so sehr er sich auch Mühe gab. Er entschloß sich also, für die Gegenwart Alles zu glauben, was man von ihrer Vergangenheit sagte, mit der Hoffnung, in der Zukunft sichere und umfassendere Nachrichten zu erhalten. Einstweilen betrachtete er Athos als einen Achilles, Porthos als einen Ajax und Aramis als einen Joseph.

Uebrigens führten die vier jungen Leute ein lustiges Leben. Athos spielte, aber stets unglücklich. Er entlehnte indessen nie einen Sou von seinen Freunden, obgleich ihnen seine Börse stets zu Diensten stand, und wenn er auf Ehrenwort gespielt hatte, ließ er seinen Gläubiger um sechs Uhr am andern Morgen wecken, um ihm seine Schuld vom vorhergehenden Abend zu bezahlen. Porthos gab starke Leidenschaften kund: an Tagen, wo er gewann, war er übermüthig und freigebig, und wenn er verlor, verschwand er völlig auf mehrere Tage, bis er mit bleicher Miene und langen Zügen, aber mit Geld in den Taschen, wieder zum Vorschein kam. Aramis spielte nie. Er war der schlimmste Musketier und der abscheulichste Tischgesellschafter, den man sich denken konnte. Er hatte stets etwas zu arbeiten. Mitten in einem Mahle, wenn Jeder in der Aufregung des Weines und der Wärme des Gesprächs glaubte, man habe wenigstens noch zwei bis drei Stunden bei Tische zu bleiben, schaute Aramis zuweilen auf seine Uhr, erhob sich mit einem verbindlichen Lächeln und beurlaubte sich von der Gesellschaft, um, wie er sagte, zu einem Casuisten zu gehen, mit dem er eine Zusammenkunft verabredet hatte. Ein ander Mal kehrte er nach seiner Wohnung zurück, um eine These zu schreiben, und bat seine Freunde, ihn nicht zu stören. Athos aber lächelte in der schwermüthigen Weise, die so gut zu seinem schönen Gesichte stand, und Porthos trank und schwur, aus Aramis würde nie etwas Anderes als ein Dorfpfarrer werden.

Planchet, der Diener d’Artagnans, ertrug das Glück auf eine vortreffliche Weise; er erhielt dreißig Sou täglich und kam einen Monat lang heiter, wie ein Dompfaffe, und sehr freundlich gegen seinen Herrn nach Hause. Als ein entgegengesetzter Wind auf das Hauswesen der Rue des Fossoyeurs zu blasen anfing, das heißt, als die vierzig Pistolen vom König Ludwig XIII. verzehrt oder wenigstens beinahe verzehrt waren, stimmte er Klagen an, welche Athos ekelhaft, Porthos unschicklich und Aramis lächerlich fand. Athos rieth d’Artagnan, den Burschen zu entlassen, Porthos wollte, man sollte ihn zuvor durchprügeln, und Aramis behauptete, ein Herr dürfe nur die Komplimente anhören, die man ihm sage.

»Das könnt Ihr leicht behaupten,« erwiederte d’Artagnan, »Ihr, Athos, der Ihr stumm mit Grimaud lebt, ihm zu sprechen verbietet und folglich nie schlimme Worte mit ihm wechselt; Ihr, Porthos, der Ihr einen prachtvollen Haushalt führt und für Euren Diener Mousqueton ein Gott seid; und endlich Ihr Aramis, der Ihr, stets mit Euren theologischen Studien beschäftigt. Eurem Diener Bazin, einem frommen, religiösen Menschen, die tiefste Ehrfurcht einflößt; aber ich, der ich ohne Mittel und ohne einen bestimmten Stand bin, ich, der ich nicht Musketier und nicht einmal Gardist bin, was soll ich thun, um Planchet Zuneigung, Schrecken oder Achtung einzuflößen?«

»Die Sache ist schwierig,«antworteten die drei Freunde; »es ist eine häusliche Angelegenheit; es ist mit den Bedienten, wie mit den Frauen, man muß sie sogleich auf den Fuß setzen, auf dem sie bleiben sollen.«

D’Artagnan überlegte und beschloß, Planchet provisorisch braun und blau zu prügeln, was mit der Gewissenhaftigkeit ausgeführt wurde, welche d’Artagnan in allen Dingen beobachtete; nachdem er ihn gehörig durchgewammst hatte, verbot er ihm, seinen Dienst ohne seine Erlaubniß zu verlassen. »Denn,« fügte er bei, »denn die Zukunft kann mir nicht entgehen, ich erwarte mit Bestimmtheit bessere Zeiten, Dein Glück ist also gemacht, wenn Du bei mir bleibst, und ich bin ein zu guter Herr, um Deinem Glück durch Genehmigung des Abschieds, den Du von mir verlangst, im Wege zu stehen.«

Diese Handlungsweise flößte den Musketieren große Achtung vor der Politik d’Artagnans ein. Planchet wurde ebenfalls von Bewunderung ergriffen und sprach nicht mehr vom Gehen.

Das Leben der vier jungen Leute war ein gemeinschaftliches geworden; d’Artagnan, der keine Gewohnheit hatte, da er von seiner Provinz herkam, und mitten in eine ihm ganz neue Welt gerieth, nahm alsbald die Gewohnheiten seiner Freunde an.

Man stand im Winter gegen acht Uhr, und im Sommer gegen sechs Uhr auf, holte bei Herrn von Treville das Losungswort und erkundigte sich zugleich nach dem Stande der Angelegenheiten. D’Artagnan that, obgleich er kein Musketier war, den Dienst mit einer rührenden Pünktlichkeit; er war stets auf der Wache, weil er stets demjenigen von seinen drei Freunden, welcher seine Wache bezog, Gesellschaft leistete. Man kannte ihn im Hotel der Musketiere und jeder behandelte ihn als einen guten Kameraden. Herr von Treville, der ihn mit dem ersten Blick gewürdigt hatte und eine wahre Zuneigung für ihn faßte, empfahl ihn beständig dem König.

Die drei Musketiere liebten den jungen Kameraden ungemein. Die Freundschaft, welche diese vier Menschen verband, und ihr Bedürfniß, sich drei- bis viermal täglich zu sehen, sei es wegen eines Duells, sei es in Geschäften oder wegen einer Lustparthie, machten, daß sie sich unablässig nachliefen, wie Schatten, und man begegnete den Unzertrennlichen immer, wie sie sich vom Luxemburg nach der Place Saint-Sulpice oder von der Rue du Vieux-Colombier nach dem Luxemburg begleiteten.

Mittlerweile gingen die Versprechungen des Herrn von Treville ihren Gang. An einem schönen Morgen befahl der König dem Herrn Chevalier des Essarts, d’Artagnan als Kadet in seine Gardenkompagnie aufzunehmen. Seufzend zog d’Artagnan dieses Gewand an, das er um den Preis von zwei Jahren seines Lebens gegen die Musketiersuniform vertauscht hätte. Aber Herr von Treville versprach diese Gunst nach einem Noviziat von zwei Jahren, das sich indessen abkürzen ließ, wenn sich für d’Artagnan eine Gelegenheit darbot, dem König einen Dienst zu leisten oder eine glänzende Waffenthat auszuführen. D’Artagnan beruhigte sich bei diesem Versprechen und trat schon den andern Tag seinen Dienst an.

Nun war es an Athos, Porthos und Aramis, mit d’Artagnan die Wache zu beziehen. Die Kompagnie des Herrn Chevalier des Essarts bekam also an den Tagen, wo d’Artagnan Dienst hatte, vier Mann, statt eines einzigen.

  1. Aus Berry.

VIII.

Eine Hof-Intrigue.

Die vierzig Pistolen von König Ludwig XIII. nahmen, wie alle Dinge dieser Welt, nachdem sie einen Anfang gehabt hatten, auch ein Ende, und seit diesem Ende waren unsere vier Gefährten in eine Klemme gerathen. Einige Zeit hatte Athos den Bund mit seinen eigenen Pfennigen unterstützt. Ihm folgte Porthos, und durch eine seiner gewöhnlichen Verschwendungen war es ihm gelungen, beinahe vierzehn Tage lang die Gesammtbedürfnisse zu bestreiten; endlich kam die Reihe an Aramis, der sich auf das Zuvorkommendste auspfänden ließ und, wie er sagte, durch den Verkauf seiner theologischen Bücher einige Pistolen zu verschaffen wußte.

Man nahm nun, wie gewöhnlich seine Zuflucht zu Herrn von Treville, der einige Vorschüsse auf den Sold bewilligte. Aber diese konnten nicht lange ausreichen für Musketiere, welche mit vielen Rechnungen im Rückstande waren, und für einen Gardisten, der keine hatte. Als man endlich sah, daß Alles zu Ende ging, raffte man mit einer letzten Anstrengung acht bis zehn Pistolen zusammen, mit denen Porthos spielte. Leider hatte er an diesem Tage kein Glück; er verlor Alles und überdieß noch fünfundzwanzig Pistolen auf Ehrenwort. Nun wurde die Verlegenheit sehr bedenklich, man sah die Ausgehungerten auf den Quais und in den Wachstuben umherlaufen, wo sie sich von ihren auswärtigen Freunden so oft als nur möglich zu Tische laden ließen; nach der Meinung von Aramis mußte man in glücklichen Umständen rechts und links Gastereien aussäen, um im Unglück einige ernten zu können.

Athos wurde viermal eingeladen und nahm jedesmal seine Freunde sammt ihren Lakaien mit sich. Porthos fand sechs Gelegenheiten und ließ gleichfalls seine Kameraden daran Antheil nehmen; Aramis hatte acht; es war dies ein Mensch, der wie man bereits wahrnehmen konnte, wenig Lärm und viel Geschäfte machte. D’Artagnan aber, der noch Niemand in der Hauptstadt kannte, fand nur ein Chocoladefrühstuck bei einem Priester aus seiner Heimath und ein Mittagsbrod bei einem Cornet der Garden. Er führte sein Heer zu dem Priester, dem man seinen Mundvorrath für zwei Monate verzehrte, und zu dem Cornet, welcher Wunder that; aber man speist stets nur einmal, selbst wenn man viel speist, wie Planchet sagte.

D’Artagnan war daher sehr betrübt, daß er nur anderthalb Mahle, denn das Frühstück bei dem Priester konnte er nur für ein halbes Mahl zählen, seinen Gefährten als Wiedervergeltung für die Schmäuse anbieten konnte, welche Athos, Porthos und Aramis verschafft hatten. Er glaubte sich der Gesellschaft verpflichtet; er vergaß in seiner jugendlichen Gutmüthigkeit, daß er diese Gesellschaft einen Monat lang gänzlich ernährt hatte, und sein geschäftiger Geist fing an zu arbeiten. Er dachte, daß diese Verbindung von vier jungen, muthigen, unternehmenden, thätigen Männern einen andern Zweck haben müsse, als müßige Spaziergänge, Fechtstunden und mehr oder minder geistreiche Spässe. In der That, vier Menschen wie sie, von der Börse bis zum Leben einander ergeben, Leute, die sich beständig unterstützten, vor nichts zurückwichen, die gemeinschaftlich gefaßten Beschlüsse einzeln oder miteinander ausführten, acht Arme, welche allen vier Winden Trotz boten oder sich nach einem einzigen Punkte wandten, mußten unvermeidlich, ob nun unterirdisch oder am lichten Tage, ob nun untergrabend oder durchstechend, ob mit List oder mit Gewalt, sich einen Weg nach dem Ziel öffnen, das sie erreichen wollten, mochte es auch noch so gut beschützt, noch so weit entfernt sein. Das Einzige, worüber d’Artagnan erstaunte, war, daß seine Gefährten noch nicht an das gedacht hatten.

Er dachte daran, und zwar sehr ernstlich; er zerbrach sich den Kopf, um eine Richtung für diese einzige, aber vierfach vermehrte Kraft zu finden, mit der man, wie er nicht zweifelte, wie mit dem Hebel, den Archimed suchte, die Welt aus ihren Fugen heben mußte. Da klopfte es leise an seine Thür. D’Artagnan weckte Planchet auf und befahl ihm, zu öffnen.

Aus den Worten, d’Artagnan weckte Planchet auf, darf der Leser nicht schließen, es sei Nacht gewesen oder noch nicht Tag geworden. Nein, es hatte so eben vier Uhr Nachmittags geschlagen. Planchet hatte zwei Stunden vorher von seinem Herrn Mittagsbrod verlangt und war mit dem Sprichwort abgefertigt worden: »Wer schläft, speist.« Und Planchet speiste schlafend.

Ein Mann von ziemlich einfacher Miene und bürgerlichem Aussehen wurde eingeführt.

Planchet hätte gern zum Nachtisch der Unterredung zugehört, aber der Bürger erklärte d’Artagnan, er habe ihm im Vertrauen etwas Wichtiges mitzutheilen und wünschte mit ihm unter vier Augen zu sein.

D’Artagnan ließ Planchet abtreten und hieß seinen Besuch sitzen.

Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen die zwei Männer sich ansahen, gleichsam um eine vorläufige Bekanntschaft mit einander zu machen, wonach d’Artagnan sich verbeugte, zum Zeichen, daß er zu hören bereit sei.

»Ich habe von Herrn d’Artagnan als von einem sehr braven jungen Manne reden hören,« sagte der Bürger, »und dieser Ruf, in dem er gerechter Weise steht, hat mich bestimmt, ihm ein Geheimniß anzuvertrauen.« – »Sprecht, mein Herr, sprecht,« sagte d’Artagnan, der instinktmäßig etwas Vortheilhaftes roch. Der Bürger machte eine neue Pause und fuhr dann fort: – »Ich habe eine Frau, welche Weißzeugverwalterin bei der Königin ist, und der es weder an Verstand noch an Schönheit gebricht. Man hat mich vor ungefähr drei Jahren veranlaßt, sie zu heirathen, obgleich sie nur ein kleines Vermögen besitzt, weil Herr de la Porte, der Mantelträger der Königin, ihr Pathe ist und sie ganz besonders begünstigt. – »Nun, mein Herr?« fragte d’Artagnan. – »Nun!« versetzte der Bürger, »nun, mein Herr! Meine Frau ist gestern Morgen, als sie aus ihrem Arbeitszimmer ging, entfuhrt worden.« – »Und von wem ist Eure Frau entführt worden?« – »Ich weiß es nicht gewiß, mein Herr, aber ich habe Jemand im Verdacht.« – »Und wer ist die Person, die Ihr im Verdachte habt?« – »Ein Mann der sie seit geraumer Zeit verfolgte.« – »Teufel!« – »Aber, mein Herr, ich muß Euch sagen,« fuhr der Bürger fort, »daß in Allem dem weniger Liebe, als Politik zu suchen ist.« –

»Weniger Liebe als Politik?« erwiederte d’Artagnan mit sehr nachdenklicher Miene, »und wen habt Ihr im Verdacht?« – »Ich weiß nicht, ob ich Euch meinen Verdacht offenbaren soll … – »Mein Herr, ich muß Euch bemerken, daß ich durchaus nichts von Euch verlange. Ihr seid zu mir gekommen, Ihr sagtet, Ihr habet mir ein Geheimniß anzuvertrauen. Thut, wie es Euch beliebt, Ihr habt noch Zeit, Euch zurückzuziehen.« – »Nein, nein, Herr, nein, Ihr habt das Aussehen eines ehrlichen jungen Mannes, und ich vertraue Euch. Ich glaube also nicht, daß meine Frau wegen ihrer eigenen Liebschaften, sondern wegen der Liebschaften einer viel vornehmeren Dame verhaftet worden ist.« – »Ah! ah! etwa wegen der Liebschaften der Frau von Bois-Tracy?« rief d’Artagnan, der dem Bürger gegenüber das Ansehen haben wollte, als wäre er ganz auf dem Laufenden mit den Angelegenheiten des Hofes.« – »Höher, mein Herr, höher!« –»Der Frau d’Aiguillon?« – »Noch höher!« – »Der Frau von Chevreuse?« – »Noch höher, viel höher!« – »Der …« d’Artagnan hielt inne. – »Ja, mein Herr,« antwortete der erschrockene Bürger so leise, daß man ihn kaum hören konnte. – »Und mit wem?« – »Mit wem? natürlich mit dem Herzog von …« – »Dem Herzog von …« – Ja, mein Herr,« antwortetet der Bürger mit fast unmerklicher Stimme. – »Aber woher wißt Ihr das Alles? – »Ah! woher ich das weiß!« – »Ja, woher Ihr es wißt? Keine halbe Offenbarungen, oder… Ihr versteht mich!« – »Ich weiß es von meiner Frau, mein Herr, von meiner Frau selbst.« – »Und von wem weiß es diese?« – »Von Herrn de la Porte. Habe ich Euch nicht gesagt, daß sie die Pathin von Herrn de la Porte, dem Vertrauten der Königin, ist? Nun, Herr de la Porte hatte sie zu Ihrer Majestät gebracht, damit unsere arme Königin, verlassen von dem König, bespäht von dem Kardinal, verrathen von Allen, doch wenigstens Eine Seele hätte, der sie sich anvertrauen könnte.« –»Ah, ah! das wird immer klarer,« sprach d’Artagnan. – »Meine Frau ist nun vor vier Tagen zu mir gekommen; es ist nämlich eine von ihren Bedingungen, daß sie mich zweimal in der Woche besuchen darf, denn wie ich zu bemerken die Ehre gehabt habe, meine Frau liebt mich zärtlich: meine Frau ist also zu mir gekommen und hat mir anvertraut, die Königin schwebe in diesem Augenblick in großer Furcht.« – »Wahrhaftig?« – »Ja. Der Herr Kardinal verfolgt sie, wie es scheint, mehr als je. Er kann ihr die Geschichte mit der Sarabande nicht vergeben. Ihr kennt die Geschichte der Sarabande?« –»Bei Gott! Ob ich sie kenne?« erwiederte d’Artagnan, der nichts von der ganzen Sache wußte, aber sich das Ansehen geben wollte, als wäre er völlig eingeweiht. – »So, daß es jetzt nicht mehr Haß, sondern Rache ist.« – »Wirklich?« – »Und die Königin glaubt. – »Nun, was glaubt die Königin?« – »Sie glaubt, man habe in ihrem Namen an den Herzog von Buckingham geschrieben.« – »Im Namen der Königin?« – »Ja, um ihn nach Paris kommen zu lassen und ihn, wenn er einmal in Paris wäre, in eine Falle zu locken. –»Teufel! aber mein lieber Herr, was hat Eure Frau mit Allem dem zu schaffen?« – »Man kennt ihre Ergebenheit für die Königin, man will sie entweder von ihrer Gebieterin entfernen, oder sie einschüchtern, um die Geheimnisse Ihrer Majestät zu erfahren, oder sie zu Spionendiensten verführen.« – »Das ist wahrscheinlich,« sprach d’Artagnan; »aber kennt Ihr den Mann, der sie in Verhaft genommen hat?« – »Ich habe Euch gesagt, daß ich ihn zu kennen glaube.« – »Sein Name?« – »Ich weiß ihn nicht; ich weiß nur, daß er eine Kreatur des Kardinals und ihm mit Leib und Seele ergeben ist.« – »Aber Ihr habt ihn gesehen?« – »Ja, meine Frau hat ihn mir einmal gezeigt.« – »Dürfte man ihn wohl an seinem Signalement erkennen?« – »Oh, gewiß! es ist ein Herr von hochmüthigem Aussehen, schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe, durchdringendem Auge, weißen Zähnen und mit einer Narbe an der Schläfe.« – »Einer Narbe an der Schläfe!« rief d’Artagnan, »und dabei weiße Zähne, ein durchdringendes Auge, dunkle Gesichtsfarbe, schwarze Haare und ein hochmüthiges Aussehen, das ist mein Mann von Meung.« –»Das ist Euer Mann, sagt Ihr?« – »Ja, ja, das thut aber nichts zur Sache. Nein, ich täusche mich, es vereinfacht sie vielmehr im Gegentheil; wenn Euer Mann der meinige ist, so werde ich mit einem einzigen Streich doppelte Rache nehmen, das ist das Ganze; aber wo diesen Menschen finden?« – »Ich weiß es nicht.« – »Habt Ihr nicht die geringste Kunde von seiner Wohnung?« – »Keine; als ich eines Tags meine Frau nach dem Louvre zurückführte, kam er gerade heraus, während sie einzutreten im Begriff war, und da hat sie mir ihn gezeigt.« – »Teufel, Teufel!« murmelte d’Artagnan, »das ist Alles so unbestimmt. Von wem habt Ihr die Entführung Eurer Frau erfahren?« – »Von Herrn de la Porte.« – »Hat er Euch einzelne Umstände angegeben?« – »Er wußte nichts weiter.« – »Und Ihr habt von keiner anderen Seite etwas erfahren?« – »Doch; ich habe gehört…« – »Was?« – »Aber ich weiß nicht, ob ich nicht eine große Unklugheit begehe.« – »Ihr kommt noch einmal auf diesen Punkt. Nun muß ich Euch aber bemerken, daß es diesmal ein wenig zu spät ist, um zurückzutreten.« – »Ich trete auch nicht zurück,« rief der Bürger unter verschiedenen Flüchen, mit denen er sich wohl Muth machen wollte. Ueberdies, so wahr ich Bonacieux heiße…« – »Ihr heißt Bonacieux?« unterbrach ihn d’Artagnan. – »Ja, das ist mein Name.« – »Ihr sagtet, so wahr ich Bonacieux heiße! Entschuldigt, daß ich Euch unterbrochen habe, aber es kam mir vor, als wäre mir dieser Name nicht unbekannt.« – »Das ist möglich, mein Herr, ich bin Euer Hauseigentümer.« – »Ah! ah!« rief d’Artagnan halb aufstehend und grüßend, »Ihr seid mein Hauseigentümer?« – »Ja, mein Herr, ja, und da Ihr seit den drei Monaten, die Ihr bei mir wohnt, wahrscheinlich aus geschäftlicher Zerstreutheit, meinen Miethzins zu bezahlen vergessen habt, ich Euch aber nicht ein einziges Mal drängte, so dachte ich, Ihr würdet auf meine Zartheit Rücksicht nehmen.« – »Allerdings, mein lieber Herr Bonacieux,« erwiederte d’Artagnan, »glaubt mir, daß ich ein solches Benehmen zu schätzen weiß, und wie gesagt, wenn ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein kann…« – »Ich glaube Euch, mein Herr, ich glaube Euch, und hege, so wahr ich Bonacieux heiße, Vertrauen zu Euch.« – »vollendet also Eure angefangene Mittheilung.«

Der Bürger zog ein Papier aus seiner Tasche und überreichte es d’Artagnan.

»Ein Brief!« sprach der junge Mann.

»Den ich diesen Morgen erhalten habe.«

D’Artagnan öffnete, und da der Tag sich zu neigen anfing, so trat er näher an’s Fenster. Der Bürger folgte ihm.

›Suchet Eure Frau nicht,‹ las d’Artagnan; ›sie wird Euch zurückgegeben werden, wenn man ihrer nicht mehr bedarf. Thut Ihr einen Schritt, um sie aufzufinden, so seid Ihr verloren.‹

»Das ist sehr bestimmt,« fuhr d’Artagnan fort. »Im Ganzen aber ist es nur eine Drohung.«

»Ja, aber diese Drohung erschreckt mich, mein Herr; ich bin durchaus kein Mann vom Degen und fürchte mich vor der Bastille.«

»Herr,« sprach d’Artagnan, »ich sehne mich eben so wenig nach der Bastille, als Ihr. Wenn es sich nur um einen Degenstoß handelte, das möchte noch gehen.« – »Ich habe jedoch bei dieser Veranlassung sehr auf Euch gezählt, mein Herr.« – »So?« –»Als ich Euch beständig von Musketieren von herzlichem Ansehen umgeben sah und erkannte, daß es Musketiere des Herrn von Treville und folglich Feinde des Kardinals waren, so dachte ich, Ihr und Eure Freunde würdet mit dem größten Vergnügen bereit sein, unserer armen Königin zu ihrem Recht zu verhelfen und zugleich Sr. Eminenz einen schlimmen Streich zu spielen.« – »Allerdings!« – »Und dann dachte ich auch, insofern Ihr mir drei Monate Miethzins schuldig wäret, an die ich Euch nie ermahnt habe…« – »Ja, ja, Ihr habt mir diesen Grund bereits genannt, und ich finde ihn vortrefflich.« – »Beabsichtigend ferner, so lange Ihr mir die Ehre erzeigen werdet, bei mir zu bleiben, um von Eurem zukünftigen Miethzins zu sprechen…« – »Schon gut.« – Und überdies, daß ich Euch im Falle der Noth, solltet Ihr Euch in diesem Augenblick, wider alle Wahrscheinlichkeit, in einer Klemme befinden, fünfzig Pistolen anzubieten gedenke…« – »Vortrefflich; Ihr seid also reich, mein lieber Herr Bonacieux?« – »Ich bin wohlhabend, das ist das rechte Wort. Ich habe mir so zwei- bis dreitausend Thaler Renten in meinem Kramladen und besonders dadurch erworben, daß ich einige Kapitalien bei der letzten Reise des berühmten Seefahrers Jean Mosauet anlegte, so daß Ihr wohl begreifen könnt, mein Herr … Ah! dort…« rief der Bürger.

»Was?« fragte d’Artagnan. – »Was sehe ich?« – »Wo?« – »Auf der Straße, Eurem Fenster gegenüber, in der Vertiefung jener Thüre, ein Mann in einen Mantel gehüllt.« – »Er ist es!« rief d’Artagnan und der Bürger zu gleicher Zeit, denn beide hatten ihren Mann erkannt.

»Ah! diesmal,« schrie d’Artagnan, nach seinem Degen laufend, »diesmal soll er mir nicht entgehen.«

Und vom Leder ziehend stürzte er aus dem Zimmer.

Auf der Treppe begegnete er Athos und Porthos, die ihn besuchen wollten. Sie machten Platz, d’Artagnan schoß wie ein Pfeil zwischen ihnen durch.

»He da! wohin läufst Du denn?« riefen die beiden Musketiere zugleich.

»Der Mann von Meung,« erwiederte d’Artagnan und verschwand.

D’Artagnan hatte seinen Freunden mehr als einmal sein Abenteuer mit dem Unbekannten, so wie die Erscheinung der schönen Reisenden mitgeteilt, der dieser Mensch eine, wie es schien, so wichtige Sendung anvertraute.

Athos hatte gemeint, d’Artagnan habe seinen Brief bei dem Streite verloren. Ein Edelmann wäre seiner Ansicht nach – und nach dem Portrait, das d’Artagnan von dem Unbekannten entworfen hatte, konnte es nur ein Edelmann sein – ein Edelmann wäre der Gemeinheit zu stehlen unfähig gewesen.

Porthos hatte in Allem diesem nur ein verliebtes Rendezvous gesehen, das ein Kavalier einer Dame, oder eine Dame einem Kavalier gab, und das durch die Anwesenheit d’Artagnans und seines gelben Rosses gestört wurde.

Aramis sagte, bei so geheimnisvollen Dingen sei es besser, sie gar nicht ergründen zu wollen.

Sie konnten also aus den paar Worten d’Artagnans schließen, wovon die Rede war, und da sie dachten, wenn d’Artagnan seinen Mann getroffen oder aus dem Gesichte verloren hätte, würde er zurückkommen, so setzten sie ihren Weg fort.

Als sie in d’Artagnans Zimmer traten, war es leer. Die Folgen des Zusammentreffens befürchtend, welches ohne Zweifel zwischen dem jungen Manne und dem Unbekannten stattfinden würde, hatte der Hauseigenthümer für gut befunden, sich aus dem Staub zu machen.

IX.

D’Artagnan zeigt sich in einem eigenthümlichen Lichte.

Nach Verlauf einer halben Stunde kehrte d’Artagnan zurück, wie dies Athos und Porthos vorhergesehen hatten. Er hatte auch dießmal seinen Mann verfehlt, welcher wie durch ein Zauberwerk verschwunden war. D’Artagnan war ihm mit dem Degen in der Faust durch alle benachbarten Straßen nachgelaufen, ohne etwas zu finden, was dem Gesuchten glich. Dann kam er auf das zurück, wobei er vielleicht hätte anfangen sollen und klopfte an die Thüre, an die sich der Unbekannte gelehnt hatte; aber vergeblich ließ er zehn- bis zwölfmal hinter einander den Klopfer ertönen. Niemand antwortete, und Nachbarn, welche in Folge des Geräusches auf ihre Thürschwelle liefen oder die Nase durch’s Fenster steckten, gaben ihm die Versicherung, dieses Haus, dessen Fenster sämmtlich verschlossen waren, sei seit sechs Monaten völlig unbewohnt.

Während d’Artagnan in den Straßen umherlief und an die Thüren klopfte hatte sich Aramis bei seinen zwei Gefährten eingefunden, so daß d’Artagnan, in sein Zimmer zurückkehrend, die Versammlung vollzählig fand.

»Nun?« fragten die drei Musketiere zugleich, als sie d’Artagnan mit Schweiß auf der Stirne und zornentstelltem Gesicht eintreten sahen.

»Nun!« rief dieser und warf seinen Degen auf das Bett, »der Mensch muß der leibhaftige Teufel sein; er ist verschwunden, wie ein Phantom, wie ein Schatten, wie ein Gespenst.«

»Glaubt Ihr an Erscheinungen?« fragte Athos seinen Kameraden Porthos.

»Ich? ich glaube nur das, was ich gesehen habe, und da ich nie Erscheinungen gesehen habe, so glaube ich nicht daran.«

»Die Bibel,« sagte Aramis, »macht es uns zum Gesetz, daran zu glauben: der Schatten Samuels erschien Saul, es ist dies ein Glaubensartikel, den ich nicht gern in Zweifel ziehen lasse.«

»In jedem Fall ist dieser Mann, ob nun Mensch oder Teufel, Körper oder Schatten, Täuschung oder Wirklichkeit, zu meiner Verdammniß geboren; denn durch seine Flucht entgeht uns ein herrliches Geschäft, meine Freunde, ein Geschäft, wobei man hundert Pistolen und vielleicht noch mehr hätte gewinnen können.«

»Wie das?« fragten Porthos und Aramis.

Athos aber begnügte sich, seinem Stummheitssystem getreu, d’Artagnan nur mit einem Blick zu befragen.

»Planchet,« sagte d’Artagnan zu seinem Bedienten, der in diesem Augenblick durch die ein wenig geöffnete Thür seinen Kopf steckte, um wo möglich einige Brocken von dem Gespräche zu erhaschen, »geh‘ hinab zu meinem Hauseigenthümer Bonacieux und sage ihm, er möge uns ein halb Dutzend Flaschen Beaugencywein schicken. Ich ziehe diesen vor.«

»Ah, Du scheinst offenen Credit bei Deinem Hauseigenthümer zu haben?« fragte Porthos.

»Ja,« antwortete d’Artagnan, »von heute an, und seid nur ruhig, wenn sein Wein schlecht ist, so muß er uns andern holen.«

»Man muß gebrauchen und nicht mißbrauchen,« sagte Aramis spruchreich.

»Ich habe immer behauptet, d’Artagnan sei der einsichtsvollste Kopf unter uns Vieren,« bemerkte Athos, und nachdem er diese Meinung ausgesprochen, auf welche d’Artagnan mit einer Verbeugung antwortete, verfiel er alsbald wieder in sein gewöhnliches Stillschweigen.

»Aber nun laßt einmal hören, wie verhält sich die Sache?« fragte Porthos.

»Ja,« sprach Aramis, »theilt es uns mit, lieber Freund, wenn nicht die Ehre einer Dame bei dieser Eröffnung betheiligt ist; in diesem Fall würdet Ihr besser daran thun, das Geheimnis für Euch zu behalten.«

»Seid unbesorgt,« erwiederte d’Artagnan, »es wird sich Niemands Ehre bei dem, was ich Euch mittheilen will, zu beklagen haben.«

Und hierauf erzählte er seinen Freunden Wort für Wort, was sich zwischen ihm und seinem Hauswirth begeben hatte, und wie der Mann, der die Frau des würdigen Hauseigenthümers entführt, derselbe war, mit dem er an der Herberge zu Meung Streit gehabt hatte.

»Eure Angelegenheit ist nicht schlimm,« sagte Athos, nachdem er den Wein als Kenner gekostet und mit einem Zeichen angedeutet hatte, daß er ihn gut finde, »und man könnte wohl aus diesem braven Manne fünfzig bis sechzig Pistolen herausbringen. Nun entsteht nur noch die Frage, ob fünfzig bis sechzig Pistolen so viel werth sind, daß man vier Köpfe dafür aufs Spiel setzt.«

»Aber bemerkt wohl,« rief d’Artagnan, »daß eine Frau bei dieser Angelegenheit betheiligt ist, eine entführte Frau, eine Frau, die man ohne Zweifel bedroht, die man wahrscheinlich martert und zwar Alles dies, weil sie ihrer Gebieterin treu ist.«

»Bemerkt wohl, d’Artagnan,« sprach Aramis, »Ihr erhitzt Euch meiner Ansicht nach ein wenig zu sehr über das Schicksal der Frau Bonacieux. Das Weib ist zu unserem Verderben geboren und von ihm rührt all unser Unglück her.«

Bei dieser Sentenz von Aramis runzelte Athos die Stirne und biß sich in die Lippen.

»Ich hin nicht wegen Frau Bonacieux unruhig,« rief d’Artagnan, »sondern wegen der Königin, die der König im Stich läßt, die der Kardinal verfolgt, und welche die Köpfe ihrer Freunde einen nach dem andern fallen sieht.«

»Warum liebt sie das, was wir am meisten auf der Welt verabscheuen: die Spanier und die Engländer?«

»Ei! meiner Treue!« sprach Athos, »ich muß gestehen, dieser Engländer ist im höchsten Grad würdig, geliebt zu werden. Ich habe nie eine so erhabene Miene erschaut, wie die seinige.«

»Abgesehen davon, daß er sich kleidet, wie kein anderer Mensch,« sprach Porthos; »ich war im Louvre an dem Tag, wo er seine Perlen ausstreute, und ich habe zwei aufgerafft, die ich für zehn Pistolen das Stück verkaufte. Und Du, Aramis, kennst Du ihn?«

»So gut als Ihr, meine Herren, denn ich befand mich unter denjenigen, die ihn im Garten von Amiens angehalten haben, wo mich der Stallmeister der Königin, Herr von Putange, eingeführt hatte. Ich war um diese Zeit im Seminar, und die Geschichte kam mir damals sehr schlimm für den König vor.«

»Wenn ich nur wüßte, wo sich der Herzog von Buckingham befindet,« sagte d’Artagnan, »so sollte mich das nicht abhalten, ihn bei der Hand zu nehmen und zur Königin zu führen, wäre es auch nur, um den Kardinal wüthend zu machen; denn unser wahrer, unser einziger und ewiger Feind, meine Herren, ist der Kardinal, und wenn wir Mittel und Wege finden könnten, ihm einen recht garstigen Streich zu spielen, so würde ich, ich gestehe es, gerne meinen Kopf einsetzen.«

»Und der Krämer hat Euch gesagt, d’Artagnan,« sprach Athos, »man habe den Buckingham unter einem falschen Vorwand kommen lassen?«

»Sie befürchtet es.«

»Wartet, Aramis.«

»Was?« fragte Porthos.

»Immer zu! ich suche mich gewisser Umstände zu erinnern.«

»Und nun bin ich überzeugt,« sprach d’Artagnan, »daß die Verhaftnahme dieser Kammerfrau der Königin sich auf die Ereignisse, von denen wir reden, und vielleicht auf die Gegenwart des Herrn von Buckingham in Paris bezieht.«

»Der Gascogner ist voll kluger Gedanken,« sagte Porthos mit Bewunderung.

»Ich höre ihn sehr gerne sprechen,« versetzte Athos, »sein Patois ergötzt mich.«

»Meine Herren,« rief Aramis, »höret mich an.«

»Hören wir Aramis,« sprachen die drei Freunde.

»Gestern befand ich mich bei einem gelehrten Doctor der Theologie, den ich bei meinen Studien zuweilen um Rath frage.« Athos lächelte.

»Er wohnt in einem öden Quartier,« fuhr Aramis fort; »es entspricht aber seinem Geschmack, seiner Beschäftigung. In dem Augenblick nun, wo ich aus seinem Hause trat …«

Aramis hielt inne.

»Nun!« fragten seine Zuhörer, »in dem Augenblick, wo Ihr aus seinem Hause tratet …«

Aramis schien nicht recht daran zu wollen, wie ein Mensch, der mitten in einer Lüge sich durch ein unvorhergesehenes Hinderniß gehemmt sieht; aber die Augen seiner drei Gefährten waren auf ihn geheftet, ihre Ohren erwarteten gespannt die Fortsetzung, es gab kein Mittel, zurückzuweichen.

»Dieser Doktor hat eine Nichte,« fuhr Aramis fort.

»Ah! er hat eine Nichte,« unterbrach ihn Porthos.

»Eine sehr achtungswerthe Dame,« sagte Aramis.

Die drei Freunde brachen in ein Gelächter aus.

»Ah! wenn Ihr lacht oder wenn Ihr zweifelt,« sagte Aramis, »so erfahrt Ihr nichts mehr«.

»Wir sind gläubig wie Mahomedaner und stumm wie Gräber,« erwiederte Athos.

»Ich fahre also fort,« sprach Aramis. »Diese Nichte besucht ihren Oheim zuweilen; gestern befand sie sich nun zu gleicher Zeit mit mir bei ihm, und ich machte ihr das Anerbieten, sie an ihren Wagen zu führen.«

»Ah, sie hat einen Wagen, die Nichte des Doktors?« unterbrach ihn Porthos, der unter andern Fehlern auch den einer großen Fessellosigkeit der Zunge besaß; »eine schöne Bekanntschaft, mein Freund.«

»Porthos,« sprach Aramis, »ich habe Euch bereits mehr als einmal bemerkt, daß Ihr sehr indiscret seid, und daß Euch dies bei den Frauen schadet.«

»Meine Herren! meine Herren!« rief d’Artagnan, der bereits klar dem Abenteuer auf den Grund sah, »die Sache ist ernst; lassen wir also wo möglich alles Scherzen.«

»Ein großer, brauner Mann, mit adeligen Manieren … halt, so etwa in der Art des Eurigen, d’Artagnan.«

»Vielleicht derselbe« sagte dieser.

»Wohl möglich,« fuhr Aramis fort … »er näherte sich mir plötzlich, in Begleitung von fünf bis sechs Menschen, die ihm ungefähr auf zehn Schritte folgten, und sagte mit dem höflichsten Tone zu mir: ›Mein Herr Herzog und Sie, Madame,‹ fuhr er gegen die Dame fort, die ich am Arm führte …

»Ah! die Nichte des Doctors?«

»Stille, Porthos!« sprach Athos; »Ihr seid unerträglich.«

›Wollet gefälligst in diesen Wagen steigen, und zwar ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, ohne den mindesten Lärm zu machen.‹

»Er hielt Euch für Buckingham!« rief d’Artagnan. – »Ich glaube es,« antwortete Aramis. – »Aber diese Dame?« fragte Porthos. – »Er hielt sie für die Königin!« sagte d’Artagnan. – »Allerdings!« erwiederte Aramis. – »Der Gascogner hat den Teufel im Leibe,« rief Athos, »nichts entgeht ihm.« – »Es ist nicht zu leugnen,« sprach Porthos, »Aramis hat die Gestalt des schönen Herzogs und auch etwas von seiner Tournure; dennoch scheint es mir, daß die Musketier-Tracht …«

»Ich trug einen ungeheuren Mantel,« entgegnete Aramis.

»Im Monat Juli? Teufel!« rief Porthos; »befürchtete der Doctor, man würde Dich erkennen?«

»Ich begreife, daß sich der Spion durch die Tournure täuschen ließ,« sprach Athos, »aber das Gesicht …«

»Ich hatte einen großen Hut,« sagte Aramis.

»O! mein Gott,« rief Porthos, »was für Vorsichtsmaßregeln, um Theologie zu studiren.«

»Meine Herren, meine Herren,« sagte d’Artagnan, »verlieren wir nicht die Zeit mit unnützem Geschwätze; wir wollen uns zerstreuen und die Frau des Krämers aufsuchen; das ist der Schlüssel der Intrigue.«

»Eine Frau von so untergeordneter Stellung! Ihr glaubt, d’Artagnan!« sprach Porthos verächtlich die Lippen verziehend.

»Es ist die Pathin La Portes, des vertrauten Dieners der Königin, habe ich Euch das nicht gesagt, meine Herren? Und dann war es diesmal vielleicht Berechnung von der Königin, daß sie so tief unten Beistand suchte. Die erhabenen Köpfe sieht man von ferne, und der Kardinal hat ein gutes Gesicht.«

»Wohl!« sprach Porthos, »doch setzt zuerst mit dem Krämer einen Preis fest und zwar einen guten Preis.«

»Das ist unnöthig,« entgegnete d’Artagnan, »denn ich glaube, wenn er uns nicht bezahlt, so wird man uns von einer andern Seite bezahlen.«

In diesem Augenblick ertönte auf der Treppe das Geräusch eiliger Tritte, die Thüre öffnete sich mit Getöse und der unglückliche Krämer stürzte in das Zimmer, wo der Rath gehalten wurde.

»Ach! meine Herren,« rief er, »rettet mich, ums Himmels willen, rettet mich; es sind vier Männer da, die mich verhaften wollen; rettet mich, rettet mich.«

Porthos und Aramis sprangen auf.

»Einen Augenblick,« rief d’Artagnan und gab ihnen sogleich ein Zeichen, ihre halbgezogenen Degen wieder in die Scheide zu stecken; »es bedarf hier nicht des Muthes, sondern der Klugheit.«

»Doch wir lassen nicht…« rief Porthos.

»Ihr laßt d’Artagnan machen,« sprach Athos; »ich wiederhole es, er ist der Einsichtsvollste von uns, und ich meines Theils erkläre, daß ich ihm gehorche. Thu‘, was Du willst, d’Artagnan.«

In diesem Augenblick erschienen die vier Leibwachen an der Thüre des Vorzimmers, doch als sie vier Musketiere mit dem Degen an der Seite in aufrechter Haltung erblickten, zögerten sie, weiter zu gehen.

»Tretet ein, meine Herren, tretet ein,« rief d’Artagnan; »Ihr seid hier in meiner Wohnung und wir sind insgesammt treue Diener des Königs und des Herrn Kardinals.«

»In diesem Falle werdet Ihr Euch nicht widersetzen, wenn wir die Befehle, die wir erhalten haben, vollstrecken?« fragte derjenige, welcher der Anführer der kleinen Mannschaft zu sein schien.

»Im Gegentheil, meine Herren, wir werden Euch im Falle der Noth unterstützen.«

»Was spricht er da?« murmelte Porthos.

»Du bist ein Einfaltspinsel,« sagte Athos, »schweige!«

»Aber Ihr habt mir versprochen …,« flüsterte der arme Krämer ganz leise.

»Wir können Euch nur retten, wenn wir frei bleiben,« antwortete d’Artagnan rasch und ebenfalls leise, »machen wir aber Miene, Euch zu vertheidigen, so verhaftet man uns ebenfalls.«

»Es scheint mir jedoch …«

»Kommt, meine Herren, kommt,« sprach d’Artagnan laut; »ich habe keinen Grund, den Herrn zu beschützen. Ich sah ihn heute zum ersten Mal und aus welcher Veranlassung! er wird es Euch selbst sagen, um die Bezahlung meiner Hausmiethe zu fordern. Ist dieß wahr, Herr Bonacieux? Antwortet!«

»Es ist die reine Wahrheit,« rief der Krämer, aber der Herr sagt Euch nicht …«

»Schweigt über mich, schweigt über meine Freunde, schweigt besonders über die Königin, oder Ihr stürzt Alles ins Verderben, ohne Euch zu retten. Vorwärts, vorwärts, meine Herren, führt diesen Mann weg!«

Und d’Artagnan stieß den ganz betäubten Krämer in die Hände der Leibwachen und sagte:

»Ihr seid ein Halunke, mein Lieber, Ihr kommt und verlangt Geld von mir, von einem Musketier! Fort ins Gefängniß! Noch einmal, meine Herren, führt ihn ins Gefängniß und haltet ihn so lange als möglich unter Schloß und Riegel – ich gewinne dadurch Zeit, zu bezahlen.«

Die Sbirren verwickelten sich in Danksagungen und nahmen ihre Beute mit sich fort.

In dem Augenblick, wo sie hinausgingen, klopfte d’Artagnan ihrem Führer auf die Schulter, füllte zwei Gläser mit Beaugency-Wein, den er der Freigebigkeit des Herrn Bonacieux zu verdanken hatte, und sprach:

»Werde ich nicht auf Eure Gesundheit, werdet Ihr nicht auf die meinige trinken?« – »Das wäre eine große Ehre für mich,« antwortete der Anführer der Sbirren, »und ich nehme es dankbar an.« – »Auf Eure Gesundheit also, mein Herr …, wie heißt Ihr?« – »Boisrenard.« – »Boisrenard!« – »Auf die Eurige, mein edler Herr, wie heißt Ihr, wenn es gefällig ist?« – »d’Artagnan.« – »Auf die Eurige, Herr d’Artagnan.«

»Und vor Allem,« rief d’Artagnan, als erfaßte ihn eine Begeisterung, »auf die des Königs und des Kardinals!«

Der Anführer der Sbirren hätte vielleicht an der Aufrichtigkeit d’Artagnans gezweifelt, wenn der Wein schlecht gewesen wäre, aber der Wein war gut und der Mann somit überzeugt.

»Aber was für einen teuflischen Unsinn habt Ihr da gemacht?« sagte Porthos, als sich die vier Freunde wieder allein befanden. »Pfui! vier Musketiere lassen einen Unglücklichen, der um Hilfe ruft, in ihrer Mitte verhaften! Ein Edelmann trinkt mit einem Schergen!«

»Porthos,« sprach Aramis, »Athos hat Dir bereits bemerkt. Du seist ein Einfaltspinsel, und ich pflichte seiner Ansicht bei. D’Artagnan, Du bist ein großer Mann, und wenn Du einmal an der Stelle des Herrn von Treville stehst, so bitte ich um Deine Protektion für eine Abtei.«

»Ah, ich kann nicht klug aus der Sache werden,« sagte Porthos; »Ihr billigt, was d’Artagnan gethan hat?«

»Ich glaube bei Gott wohl,« erwiederte Athos; »ich billige nicht nur, was er gethan hat, sondern ich wünsche ihm sogar Glück dazu.«

»Und nun, meine Herren,« sprach d’Artagnan, ohne sich die Mühe zu geben, Porthos sein Benehmen zu erläutern, »Alle für Einen, Einer für Alle, das ist unser Wahlspruch, nicht wahr?«

»Indessen,« sagte Porthos.

»Strecke die Hand aus und schwöre,« riefen Athos und Aramis zu gleicher Zeit.

Besiegt durch das Beispiel, streckte Porthos unter leisen Flüchen die Hand aus, und die vier Freunde wiederholten mit einer Stimme die von d’Artagnan vorgesprochene Formel:

»Alle für Einen, Einer für Alle.«

»So ist es gut,« sagte d’Artagnan; »Jeder gehe nun ruhig nach Hause, und aufgepaßt! Von diesem Augenblicke an liegen wir im Streite mit dem Kardinal.«

XXVIII.

Rückkehr.

D’Artagnan blieb ganz betäubt durch die furchtbare Mittheilung von Athos. Es erschienen ihm noch sehr viele Dinge dunkel in dieser halben Offenbarung. Vor Allem war sie von einem völlig betrunkenen Menschen, einem halb Betrunkenen gemacht worden. Aber trotz der Schwankung, welche durch den Dunst von zwei oder drei Flaschen Burgunder im Gehirn entsteht, war d’Artagnan, als er am andern Morgen erwachte, jedes Wort noch so gegenwärtig, als ob die Sylben, wie sie von dem Mund des Einen fielen, in den Geist des Andern eingezeichnet worden wären. Der Zweifel, der sich in ihm regte, erzeugte ein noch viel lebhafteres Verlangen, Gewißheit zu bekommen, und er begab sich zu seinem Freund in der besten Absicht, das Gespräch am vorigen Abend wieder anzuknüpfen, aber er fand Athos bereits wieder in den feinsten, undurchdringlichsten Menschen umgewandelt.

Der Musketier, nachdem er einen Händedruck und ein Lächeln mit ihm ausgetauscht hatte, kam ihm indessen zuvor.

»Ich war gestern sehr betrunken, mein lieber d’Artagnan,« rief er, »ich fühlte dies heute Morgen an meiner immer noch etwas schweren Zunge und an meinem aufgeregten Pulse. Ich wette, daß ich tausenderlei närrische Dinge preisgegeben habe.«

Während er diese Worte sprach, schaute er seinen Freund so fest an, daß dieser dadurch in Verlegenheit gerieth.

»Nicht doch,« erwiederte d’Artagnan, »und wenn ich mich recht erinnere, so habt Ihr nichts Außerordentliches gesprochen.

»Ah, Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich glaubte Euch eine höchst klägliche Geschichte erzählt zu haben,« und dabei sah er den jungen Mann an, als wollte er in der Tiefe seiner Seele lesen.

»Meiner Treu‘,« sprach d’Artagnan, »es scheint, ich war noch betrunkener als Ihr, da ich mir gar nicht mehr erinnern kann.«

Athos ließ sich nicht mit diesen Worten abspeisen, sondern versetzte:

»Es kann Euch nicht entgangen sein, mein lieber Freund, daß jeder seine eigene Art von Trunkenheit bat: der Eine, eine lustige, der Andere eine traurige. Ich habe sie traurige Trunkenheit, und wenn ich einmal weingrün bin, so ist es meine Manier, alle trübselige Geschichten zu erzählen, die mir meine alberne Amme in das Hirn gepflanzt hat. Das ist mein Fehler, ein Hauptfehler, ich gestehe es zu; aber abgesehen davon bin ich ein guter Trinker.«

Athos sagte dies auf eine so natürliche Weise, daß d’Artagnan in seiner Ueberzeugung erschüttert wurde.

»O! das ist es, in der That,« sprach der junge Mann, der hinter die Wahrheit zu kommen suchte. »Dergleichen ist es. Ich erinnere mich, wie man sich eines Traumes erinnert, daß wir von Gehenkten gesprochen haben.« – »Ah, Ihr seht wohl,« sagte Athos erbleichend, während er zu lächeln suchte, »ich wußte es, die Gehenkten sind mein Alp.« – »Ja, ja,« entgegnete d’Artagnan, »das Gedächtnis kehrt wieder bei mir ein: es war die Rede … wartet nur … es war die Rede von einer Frau.« – »Seht,« erwiederte Athos beinahe bleifarbig geworden, »das ist meine große Geschichte von der blonden Frau. Wenn ich diese erzähle, bin ich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken.« – »Ja, das ist es,« sagte d’Artagnan, »die Geschichte von der blonden Frau, groß und schön mit blauen Augen.« – »Ja, und gehenkt.« – »Durch ihren Gatten, der ein hoher Herr von Eurer Bekanntschaft war,« fuhr d’Artagnan, seinen Freund fest anschauend, fort. – »Seht Ihr, wie man einen Menschen bloßstellen kann, wenn man nicht mehr weiß, was man sagt,« fuhr Athos fort und zuckte die Achseln, als ob er sich selbst bemitleidete. »Gewiß, ich will mich nicht mehr betrinken, d’Artagnan, es ist eine gar zu schlechte Gewohnheit. Bald hätte ich vergessen,« fügte er hinzu, »ich danke Euch für das Pferd, das Ihr mir mitgebracht habt.« – »Gefällt es Euch?« – »Ja, aber es ist kein Pferd für Strapazen.« – »Ihr täuscht Euch. Ich habe zehn Meilen in weniger als anderthalb Stunden mit ihm ge macht, und es schien nicht mehr ermüdet, als wenn es einmal auf der Place Saint-Sulpice im Kreise umher geritten worden wäre.« – »Ei, ei, das ist sehr ärgerlich.« – »Aergerlich?« – »Ja, ich habe mich desselben entäußert.« – »Wie dies?« – »Hört: als ich diesen Morgen um sechs Uhr erwachte, schlieft Ihr wie ein Dachs, und ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ich war noch ganz verdumpft von unserer gestrigen Schwelgerei. Ich ging in den großen Saal hinab und sah einen von unfern Engländern, der mit einem Roßtäuscher um ein Pferd handelte. Dem seinigen war ein Blutgesäß gesprungen. Ich nähere mich ihm und sage, als ich gewahr wurde, daß er hundert Pistolen für einen Schweißfuchs bot: ›Bei Gott, mein edler Herr, ich habe auch ein Pferd zu verkaufen.‹ – ›Und zwar ein sehr schönes,‹ sprach er. ›Ich habe es gestern gesehen. Der Knecht Eures Freundes führte es an der Hand.‹ – ›Glaubt Ihr, es sei hundert Pistolen werth?‹ – ›Ja. Wollt Ihr es mir um diesen Preis geben?‹ – ›Nein, aber ich spiele mit Euch darum.‹ – ›Wie?‹ – ›Mit Würfeln.‹ – »Gefugt gethan, und ich habe das Pferd verloren.« Doch hört wohl,« fuhr Athos fort, »die Decke habe ich wieder gewonnen.«

D’Artagnan machte eine ziemlich verdrießliche Miene.

»Das ist Euch unangenehm?« sprach Athos.

»Allerdings, ich muß es Euch gestehen,« erwiederte d’Artagnan. »Dieses Pferd sollte dazu dienen, uns an einem Schlachttag kenntlich zumachen; es war ein Pfand, ein Andenken. Athos, Ihr habt Unrecht gehabt.«

»Ei, mein lieber Freund, versetzt Euch an meine Stelle,« entgegnete der Musketier, »ich langweilte mich zum Sterben, und dann auf Ehre, ich liebe die englischen Pferde nicht. Hört, wenn es sich nur darum handelt, von irgend Jemand erkannt zu werden, so wird der Sattel genügen. Er ist auffallend genug. Was das Pferd betrifft, so werden wir irgend eine Entschuldigung finden, um sein Verschwinden zu rechtfertigen. Was Teufels! ein Pferd ist sterblich. Gesetzt, das meine hätte den Wurm oder den Rotz bekommen!«

D’Artagnan’s Antlitz erheiterte sich nicht.

»Es ist mir verdrießlich,« fuhr Athos fort, »daß Ihr so viel auf diese Thiere zu halten scheint, denn ich bin mit meiner Geschichte noch nicht zu Ende.« – »Was habt Ihr weiter noch gemacht?« – »Nachdem ich mein Pferd verloren hatte, neun gegen zehn, (seht, was für ein Wurf!) kam mir der Gedanke, um das Eurige zu spielen.« – »Ja, aber es blieb doch hoffentlich bei dem Gedanken?« – »Nein, ich brachte ihn sogleich in Ausführung.« – »Ah, den Henker!« rief d’Artagnan unruhig. – »Ich spielte und verlor.« – »Mein Pferd?« – »Euer Pferd, sieben gegen acht; um ein Auge … Ihr kennt das Sprichwort?« – »Athos, ich schwöre, Ihr seid nicht bei Vernunft.« – »Mein Lieber, das hättet Ihr mir gestern sagen sollen, als ich Euch die tollen Geschichten erzählte, und nicht heute. Ich verlor es also sammt Sattel und Zeug.« – »Aber das ist abscheulich!« – »Nur Geduld, Ihr habt Unrecht. Ich wäre ein vortrefflicher Spieler, wenn ich nicht hartnäckig würde, aber das ist der Fall, wie beim Trinken. Ich wurde also hartnäckig.« – »Aber um was konntet Ihr denn spielen? Es blieb Euch ja nichts mehr übrig.« – »Allerdings, mein Freund, es blieb Euch noch der Diamant übrig, der an Eurem Finger glänzt und den ich gestern bemerkt hatte.« – »Dieser Diamant!« rief d’Artagnan, und fuhr mit der Hand an seinen Ring. – »Und da ich Kenner bin, insoferne ich einige für eigene Rechnung besessen hatte, schätzte ich ihn auf tausend Pistolen.« – »Ich hoffe« sprach d’Artagnan halbtodt vor Schrecken, »Ihr erwähntet meines Diamants nicht?« – »Im Gegentheil, lieber Freund, Ihr begreift doch, daß dieser Diamant unser einziges Rettungsmittel war. Mit ihm konnte ich unser Reitzeug, unsere Pferde, und sogar Geld für die Reise wieder gewinnen.« – »Athos, Ihr macht mich zittern!« rief d’Artagnan. – »Ich sprach also von Eurem Diamant mit meinem Gegenspieler, der ihn ebenfalls wahrgenommen hatte. Was Teufel, mein Lieber, Ihr tragt an Eurem Finger einen Stern des Himmels und wollt, man soll nicht darauf aufmerksam werden? Unmöglich.« – »Vollendet, mein Lieber, vollendet!« sprach d’Artagnan, »denn auf Ehre, Ihr bringt mich um mit Eurer Kaltblütigkeit.« – »Wir theilten also diesen Diamant in zehn Theile von je hundert Pistolen.« – »Ah, Ihr wollt scherzen und mich auf die Probe stellen,« sagte d’Artagnan, den der Zorn zu ersticken drohte. – »Nein, ich scherze nicht, Mord und Teufel! Ich hätte Euch wohl sehen mögen! Vierzehn Tage lang hatte ich kein menschliches Antlitz zu Gesicht bekommen, und war durch dieses ewige Umarmen der Weinflaschen rauhborstig geworden.« – »Das ist kein Grund, um meinen Ring auf das Spiel zu setzen,« entgegnete d’Artagnan, die Hand krampfhaft zusammenpressend. – »Hört also das Ende. Zehn Theile zu hundert Pistolen, ohne Revanche. Auf dreizehn Würfe verlor ich Alles. Auf dreizehn Würfe! Dreizehn ist immer eine Unglückszahl für mich gewesen; es geschah am 13. Juli, daß …« – »Tod und Teufel!« rief d’Artagnan aufspringend; die Geschichte dieses Tages machte ihn die des vorhergehenden vergessen. – »Geduld,« sprach Athos, »ich hatte einen Plan. Der Engländer war ein Original. Ich sah ihn am Morgen mit Grimaud plaudern, und dieser meldete mir, er habe ihm den Antrag gemacht, er möge in seine Dienste treten. Ich spiele mit ihm um Grimaud, den stillschweigenden Grimaud, in zehn Portionen getheilt.« – »Ah, Gottes Wunder!« rief d’Artagnan und brach in ein lautes Gelächter aus. – »Grimaud selber, hört Ihr wohl, und mit den zehn Theilen von Grimaud, der nicht ganz einen Dukaten werth ist, gewinne ich den Diamant wieder. Sagt mir also noch einmal, die Beharrlichkeit sei keine Tugend.« – »Meiner Treue! das ist drollig!« rief d’Artagnan getröstet, und hielt sich vor Lachen die Seiten. – »Ihr begreift, daß ich, als ich mich wieder bei Kräften fühlte, abermals um den Diamant zu spielen anfing.« – »Ah, Teufel!« sagte d’Artagnan verdüstert. – »Ich gewann Euer Reitzeug wieder und dann Euer Pferd, dann mein Reitzeug, dann mein Pferd, und verlor abermals. Kurz, ich habe Euer Reitzeug wieder bekommen und das meinige. Und so stehen nun die Sachen. Das war ein vortrefflicher Wurf, und ich blieb dabei.«

D’Artagnan athmete, als ob man ihm das ganze Wirthshaus von der Brust genommen hätte.

»Der Diamant bleibt mir also?« sprach er schüchtern. –

»Unberührt, mein lieber Freund. Auch das Reitzeug Eueres Bucephalus und des meinigen.« – »Aber was sollen wir mit dem Reitzeug ohne Pferd machen?« – »Ich habe hierüber einen Gedanken.« – »Athos, Ihr macht mich beben.« – »Hört: Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, d’Artagnan!« – »Und ich habe auch keine Lust zu spielen.« – »Verschwören wir nichts. Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, sagte ich, Ihr müßt folglich eine glückliche Hand haben.« – »Gut, und hernach?« – »Gut, der Engländer und sein Gefährte sind noch hier. Ich bemerkte, daß es ihnen sehr leid thut, unser Reitzeug nicht zu besitzen. Ihr scheint viel auf Euer Pferd zu halten. An Euerer Stelle würde ich um Euer Reitzeug gegen Euer Pferd spielen.« – »Aber er wird nicht um ein einziges Reitzeug wollen.« – »Spielt um beide. Bei Gott, ich bin kein Egoist, wie Ihr.« – »Ihr würdet dies thun?« sagte d’Artagnan unentschlossen, so sehr wurde er unwillkürlich von der Zuversichtlichkeit seines Freundes angesteckt. – »Bei meinem Ehrenwort, auf einen Wurf!« – »Da ich die Pferde verloren habe, so muß mir sehr viel daran liegen, wenigstens das Reitzeug zu behalten.« – »So spielt um Euern Diamant.« – »O, das ist ein ander Ding; nie, nie!« – »Teufel!« sprach Athos, »ich würde Euch vorschlagen, um Grimaud zu spielen; da dies aber bereits geschehen ist, so wird der Engländer ohne Zweifel nicht mehr wollen.« – »Entschieden, mein lieber Athos,« sagte d’Artagnan, »ich will lieber gar nichts mehr wagen.« – »Das ist Schade,« sprach Athos kalt. »Der Engländer ist ganz gespickt mit Pistolen. Ei, mein Gott, versucht doch einen Wurf. Ein Wurf ist bald gemacht.« – »Und wenn ich verliere?« – »Ihr werdet gewinnen.« – »Aber wenn ich verliere?« – »Gut, so gebt Ihr ihm unser Reitzeug.« – »Es mag sein, einen Wurf,« sprach d’Artagnan.

Athos suchte den Engländer auf und fand ihn im Stalle, wo er das Reitzeug der Freunde mit lüsternen Augen betrachtete. Die Gelegenheit war günstig. Er machte seine Bedingungen: Beider Reitzeug gegen ein Pferd oder hundert Pistolen nach Belieben. Der Engländer rechnete schnell. Das Reitzeug war wenigstens dreihundert Pistolen werth. Er schlug ein.

D’Artagnan warf die Würfel zitternd und bekam die Zahl drei. Seine Blässe erschreckte Athos, welcher nur die Worte sprach: »Das ist ein trauriger Wurf, Kamerad; Ihr bekommt die Pferde mit Sattel und Zeug, mein Herr.«

Triumphirend nahm sich der Engländer nicht einmal die Mühe, die Würfel zu rollen. Er warf sie auf den Tisch, ohne hinzusehen, so sehr war er von seinem Siege überzeugt. D’Artagnan hatte sich umgedreht, um seinen Verdruß zu verbergen.

»Halt, halt, halt!« sprach Athos in seinem ruhigen Tone. »Das ist ein außerordentlicher Wurf, und ich habe ihn nur viermal in meinen Leben gesehen. Zwei Aß!«

Der Engländer schaute und war wie niedergedonnert. D’Artagnan schaute ebenfalls und wurde roth vor Freude.

›Ja,‹ fuhr Athos fort, »nur viermal: einmal bei Herrn von Crequi, zum zweiten Mal bei mir im Felde, in meinem Schlosse, als ich noch ein Schloß hatte, ein drittes Mal bei Herrn von Treville, und ein viertes Mal in einer Schenke, wo es mich traf und ich dabei hundert Louisd’or nebst einem Abendbrod verlor.« – »Der Herr nimmt also sein Pferd wieder?« sprach der Engländer. – »Allerdings,« sagte d’Artagnan. – »Dann findet keine Revanche statt?« – »Unsere Bedingungen lauteten: keine Revanche, wie Ihr Euch erinnern werdet.« – »Allerdings; das Pferd soll Eurem Bedienten übergeben werden.« »Einen Augenblick,« sagte Athos. »Mit Euerer Erlaubniß, mein Herr, ich wünschte ein Wort mit meinem Freunde zu sprechen.« – »Sprecht!«

Athos nahm d’Artagnan bei Seite.

»Nun?« fragte d’Artagnan. »Was willst Du noch von mir, Versucher? Du willst, daß ich spiele?« – »Ich will, daß Du nachdenkst.« – »Worüber?« – »Du hast das Pferd wieder genommen?« – »Gewiß.« – »Du hast Unrecht. Ich würde die hundert Pistolen nehmen. Du weißt, daß Du um unser Reitzeug gegen das Pferd, oder um hundert Pistolen gespielt hast.« – »Ja.« – »Ich würde die hundert Pistolen nehmen.« – »Gut, und ich nehme das Pferd.« – »Und Ihr habt Unrecht, mein Freund, das wiederhole ich Euch. Was wollen wir mit einem Pferde für uns Beide machen? Ich kann doch nicht hinten aufsitzen, wir würden aussehen, wie zwei Haimonskinder, die ihre Brüder verloren haben. Ihr könnt mich doch nicht so sehr demüthigen, daß Ihr auf diesem prachtvollen Schlachtrosse neben mir herreitet. Ich nähme, ohne einen Augenblick m schwanken, die hundert Pistolen. Wir brauchen Geld, um nach Paris zurückzukommen.« – »Es liegt mir Alles an diesem Pferde, Athos.« – »Und Ihr habt Unrecht mein Freund. Ein Pferd macht einen Seitensprung, ein Pferd bäumt sich und überschlägt, ein Pferd frißt aus einer Krippe, aus der ein rotziges Thier gefressen hat, dann ist ein Pferd, oder vielmehr es sind hundert Pistolen verloren. Ferner muß der Herr sein Pferd ernähren, während im Gegentheil hundert Pistolen ihren Herrn ernähren.« – »Aber wie sollen wir zurückkommen?« – »Auf den Pferden unserer Bedienten. Bei Gott! man wird uns immer noch am Gesicht ansehen, daß wir Leute von Stand sind.« – »Wir werden uns gut ausnehmen auf solchen Mähren, während Aramis und Porthos auf ihren schönen Rossen einherreiten.« – »Aramis! Porthos!« rief Athos und brach in ein schallendes Gelächter aus. – »Was gibt es denn?« fragte d’Artagnan, der die Heiterkeit seines Freundes nicht begreifen konnte. – »Nichts, nichts, fahrt nur fort,« sagte Athos. – »Also Euer Rath …« – »Ist, die hundert Pistolen zu nehmen, d’Artagnan mit den hundert Pistolen können wir schwelgen bis zu dem Ende des Monats. Wir haben Strapazen ausgestanden, seht Ihr wohl, und bedürfen ein wenig der Ruhe.« – »Ich ausruhen? o nein, Athos! Sobald ich in Paris bin, forsche ich wieder nach dieser armen Frau.« – »Wohl, glaubt Ihr etwa, Euer Pferd wäre Euch zu diesem Behufe nützlicher, als schöne Louisd’or? Nehmt die hundert Pistolen, mein Freund, nehmt die hundert Pistolen.«

D’Artagnan bedurfte nur eines Grundes um sich zu fügen, und dieser schien ihm vortrefflich. Ueberdies befürchtete er, in den Augen von Athos egoistisch zu erscheinen, wenn er länger auf seinem Willen beharren würde. Er willigte also ein, und wählte die hundert Pistolen, die ihm der Engländer sogleich ausbezahlte.

Nun dachte man nur an die Abreise, der Friedensschluß mit dem Wirthe kostete außer dem alten Pferd von Athos sechs Pistolen. D’Artagnan und Athos nahmen die Pferde von Planchet und Grimaud. Die zwei Bedienten begaben sich, die Sättel auf ihren Köpfen tragend, zu Fuß auf den Weg.

So schlecht beritten die Freunde auch waren, so gewannen sie doch bald einen Vorsprung vor ihren Lakaien und langten in Crevecoeur an. Sie erblickten von ferne Aramis, der sich schwermüthig auf ein Fenstergesimse stützte und nachschaute, wie der Horizont in eine Staubwolke gehüllt wurde.

»He, holla, Aramis! was macht Ihr denn da?« riefen die zwei Freunde.

»Ah, Ihr seid es, d’Artagnan, Ihr seid es, Athos?« sprach der junge Mann. »Ich dachte darüber nach, mit welcher Schnelligkeit die Güter dieser Welt verschwinden. Mein englisches Roß, das sich von hier entfernte, und eben in einem Staubwirbel verschwunden ist, war mir ein lebendiges Bild von der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge. Das Leben läßt sich in die drei Worte auflösen: fuit. est. erit.« – »Das will sagen?« fragte d’Artagnan, der die Wahrheit zu ahnen anfing. – »Das will sagen, daß ich so eben einen albernen Handel abgeschlossen habe. Sechszig Louisd’or um ein Pferd, das nach seinem Gange zu schließen wenigstens fünf Meilen in einer Stunde zurücklegen kann.«

D’Artagnan und Athos brachen in ein Gelächter aus.

»Mein lieber d’Artagnan,« sagte Aramis, »seid mir nicht zu sehr gram, ich bitte Euch. Noth kennt kein Gebot. Ueberdies bin ich am meisten gestraft, da mich dieser heillose Roßhändler wenigstens um fünfzig Louisd’or betrogen hat. Ah! Ihr seid gute Haushalter, Ihr Beiden. Ihr reitet auf den Pferden Eurer Lakaien, und laßt Euch Eure Luxuspferde sachte und in kleinen Tagemärschen an der Hand nachführen.«

In demselben Augenblick hielt ein Frachtwagen, den man seit einigen Minuten auf der Straße von Amiens erblickte, vor dem Gasthofe an, und man sah Grimaud und Planchet, ihre Sättel auf dem Kopfe, aussteigen. Der Frachtwagen kehrte leer nach Paris zurück, und die zwei Lakaien hatten sich anheischig gemacht, den Fuhrmann auf dem ganzen Wege zechfrei zu halten, wenn er sie mitnehmen würde.

»Was ist das? was soll das bedeuten?« sagte Aramis, als er sah, was vorging. »Nur die Sättel?« – »Begreift Ihr nun?« sprach Athos. – »Meine Freunde, das ist gerade, wie bei mir. Ich habe Sattel und Zeug instinktmäßig behalten. Holla, Bazin, trage mein neues Reitzeug zu denen der beiden Herren.« – »Und was habt ihr mit euren Doktoren gemacht?« fragte d’Artagnan.

»Mein Lieber, ich habe sie am andern Tag zum Mittagessen eingeladen,« sprach Aramis. »Es gibt hier, beiläufig gesagt, vortrefflichen Wein. Ich machte sie, so gut es mir möglich war, betrunken, dann verbot mir der Pfarrer, die Uniform abzulegen, und der Jesuit bat mich, ihn unter die Musketiere aufnehmen zu lassen!« – »Ohne These,« rief d’Artagnan, »ohne These! Ich verlange die Unterdrückung der These.«

»Von da an lebte ich angenehm,« fuhr Aramis fort. »Ich fing ein Gedicht in einsilbigen Versen an, das ist schwierig, aber das Verdienst liegt bei jeder Sache in der Schwierigkeit. Der Stoff ist galanter Natur; ich werde Euch den ersten Gesang vorlesen. Er hat vierhundert Verse und dauert eine Minute.«

»Meiner Treue, mein lieber Aramis,« sprach d’Artagnan, der die Verse beinahe eben so sehr haßte, als das Latein, »fügt dem Verdienste der Schwierigkeit noch das der Kürze bei, und Ihr könnt wenigstens überzeugt sein, daß es zwei Verdienste haben wird.«

»Ein drittes besteht darin,« fuhr Aramis fort, »daß es redliche Leidenschaften athmet. Wir kehren nach Paris zurück? Bravo! Ich bin bereit! Wir werden also den guten Porthos wieder sehen? Desto besser! Ihr glaubt nicht, wie sehr er mir fehlte, dieser große Pinsel. Ich sehe ihn so gerne in seiner Selbstzufriedenheit, das söhnt mich mit mir aus. Er wird sein Pferd nicht verkauft haben, und wäre es auch gegen ein Königreich! Es ist mir, als ob ich ihn vor mir hätte, auf seinem schönen Thier und seinem glänzenden Sattel. Er sieht gewiß aus, wie ein Großmogul.«

Man hielt eine Stunde an, um die Pferde ausschnaufen zu lassen. Aramis bezahlte seine Rechnung, brachte Bazin bei seinen Kameraden im Frachtwagen unter, und man setzte sich in Marsch, um zu Porthos zu gelangen.

Die Freunde fanden ihn beinahe genesen und folglich minder bleich, als er bei d’Artagnans erstem Besuch gewesen war. Er saß vor einem Tische, auf dem, obgleich er allein war, ein Mittagsbrod für vier Personen figurirte; dieses Mittagsbrod bestand aus zierlich zugerichteten Fleischspeisen, ausgesuchten Weinen und vortrefflichem Obst.

»Ah, bei Gott!« sprach er ausstehend, »Ihr kommt wie gerufen, meine Herren. Ich war gerade bei der Suppe und Ihr könnt mit mir zu Mittag speisen.«

»Oh, oh!« rief d’Artagnan, »hat Mousqueton solche Flaschen mit dem Lasso gefangen, dann finde ich hier ein gespicktes Fricandeau und einen Lendenbraten …«

»Ich stärke mich,« sagte Porthos, »ich stärke mich. Nichts schwächt so sehr, als diese verdammten Quetschungen. Habt Ihr schon Quetschungen gehabt, Athos?«

»Niemals, nur erinnere ich mich, daß ich bei unserem Streit in der Rue Ferou einen Degenstich bekam, der nach Verlauf von vierzehn oder acht Tagen genau dieselbe Wirkung hervorbrachte.«

»Aber dieses Mittagsbrod war nicht für Euch allein, mein lieber Porthos,« sagte Aramis.

»Nein,« erwiederte Porthos, »ich erwartete einige Edelleute aus der Nachbarschaft, die mir so eben sagen ließen, sie würden nicht kommen; ihr nehmt ihre Stellen ein, ich verliere nichts bei dem Tausch. Holla, Mousqueton, Stühle! und man verdopple die Flaschen!«

»Wißt Ihr, was wir hier essen?« sagte Athos nach zehn Minuten.

»Bei Gott!« antwortete d’Artagnan, »ich esse gespicktes Kalbfleisch mit Artischocken.« – »Und ich Hammelskeule,« sprach Porthos. – »Und ich Hühnerfricassee,« sagte Aramis. – »Ihr täuscht Euch, meine Herren,« erwiederte Athos ernst. »Ihr verspeist Pferdefleisch.« – »Geht doch,« rief d’Artagnan. – »Pferdefleisch!« brummte Aramis mit einer Grimasse des Ekels.

Porthos allein antwortete nicht.

»Ja, Pferdefleisch, nicht wahr. Porthos, wir speisen Pferdefleisch, und vielleicht Sattel und Zeug dazu?«

»Nein, meine Herren, ich habe das Reitzeug behalten,« sagte Porthos.

»Meiner Treue, von uns ist einer so gut wie der andere,« rief Aramis; »es ist, als ob wir uns das Wort gegeben hätten.«

»Was wollt Ihr, dieses Pferd beschämte meine Gäste und ich wollte sie nicht demüthigen.«

»Und dann ist Euere Herzogin immer noch in den Bädern, nicht wahr?« fragte d’Artagnan.

»Immer noch,« erwiederte Porthos. »Auch schien der Gouverneur der Provinz, einer von den Edelleuten, die ich heute zum Mittagsbrod erwartete, ein so großes Verlangen darnach zu haben, daß ich es ihm schenkte.« – »Geschenkt,« rief d’Artagnan.

»Oh! mein Gott, ja, geschenkt, das ist das rechte Wort,« sprach Porthos, »es war wenigstens hundert und fünfzig Louisd’or werth und der Knicker wollte mir nicht mehr dafür geben, als achtzig.« – »Ohne den Sattel?« sagte Aramis. – »Ja, ohne den Sattel.«

»Ihr bemerkt, meine Herren,« sprach Athos, »daß Porthos abermals den besten Handel von uns allen gemacht hat.«

Dann entstand ein schallendes Gelächter, wodurch der arme Porthos ganz verdutzt wurde, aber man erzählte ihm bald die Ursache dieser Heiterkeit, an der er, seiner Gewohnheit gemäß, geräuschvollen Antheil nahm.

»Auf diese Art sind wir also alle bei Kasse,« sagte d’Artagnan. – »Was mich betrifft,« entgegnete Athos, »ich fand den spanischen Wein von Aramis so gut, daß ich sechzig Flaschen in den Frachtwagen der Bedienten packen ließ, was meinen Baarbestand gewaltig geschmälert hat.« – »Und ich,« sprach Aramis, »stellt Euch vor, daß ich meinen letzten Sou der Kirche von Montdidier und den Jesuiten von Amiens geschenkt, daß ich überdies Verbindlichkeiten eingegangen hatte, welche erfüllt werden mußten: ich habe für mich und Euch, meine Herren, Messen bestellt, die man lesen wird, und bei denen wir uns, wie ich gar nicht zweifle, vortrefflich befinden werden.« –»Und ich,« sagte Porthos, »glaubt Ihr, meine Quetschung habe nichts gekostet? Die Wunde Mousquetons nicht zu rechnen, für den ich jeden Tag zweimal den Chirurgen kommen lassen mußte.« – »Wohl, wohl,« versetzte Athos, mit d’Artagnan und Aramis ein Lächeln austauschend, »ich sehe, daß Ihr Euch sehr großmüthig gegen den armen Burschen benommen habt. So benimmt sich nur ein guter Herr.« – »Kurz, wenn ich meine Rechnung bezahlt habe, werden mir höchstens dreißig Thaler übrig bleiben.« – »Und mir ungefähr zehn Pistolen,« sprach Aramis. – »Es scheint, wir sind die Krösusse der Gesellschaft,« sagte Athos, »wie viel habt ihr noch von Eueren hundert Pistolen übrig?« – »Von meinen hundert Pistolen? Erstlich habe ich Euch fünfzig davon gegeben.« – »Ihr glaubt?« – »Bei Gott!« – »Ah! es ist wahr, ich erinnere mich.« – »Dann habe ich dem Wirthe sechs bezahlt.« – »Welches Vieh, dieser Wirth? Warum habt Ihr ihm sechs Pistolen gegeben?« – »Weil Ihr es mich hießet.« – »Allerdings ich bin zu gut. Kurz, es bleiben übrig?« – »Fünf und zwanzig Pistolen,« antwortete d’Artagnan.« – »Und ich,« sprach Athos, etwas kleine Münze aus der Tasche ziehend, »seht hier.« – »Ihr, nichts.« – »Meiner Treue, oder so wenig, daß es nicht der Mühe werth ist, es zur Masse zu schlagen.« – »Nun wollen wir berechnen, wie viel wir besitzen: Porthos?« – »Dreißig Thaler.« – »Aramis?« – »Zehn Pistolen.« – »Und Ihr, d’Artagnan?« – »Fünf und zwanzig.« – »Das macht im Ganzen?« fragte Athos. – »Vier hundert und fünf und siebenzig Livres,« antwortete d’Artagnan, ein Archimed im Rechnen. – »Bei unserer Ankunft in Paris werden uns immerhin noch vierhundert übrig bleiben,« rief Porthos. »Vortrefflich! doch wir wollen jetzt speisen, der zweite Gang wird kalt.«

Nunmehr über ihre Zukunft beruhigt, erwiesen die vier Freunde dem Mittagsmahl alle Ehre, die Überreste desselben aber wurden den Herren Mousqueton, Bazin, Planchet und Grimaud überlassen.

Als d’Artagnan in Paris ankam, fand er einen Brief von Herr des Essarts, der ihn von dem festen Entschluß Sr. Majestät, am ersten Mai den Feldzug zu eröffnen, benachrichtigte und ihn darauf aufmerksam machte, daß er sich ungesäumt zu equipiren habe.

Er lief sogleich zu seinen Kameraden, die er eine halbe Stunde zuvor verlassen hatte und jetzt sehr traurig, oder vielmehr sehr in Unruhe fand. Sie waren bei Athos im Rathe versammelt, was immer Umstände von ernster Bedeutung ankündigte.

Es hatte wirklich jeder in seiner Wohnung einen ähnlichen Brief von Herrn von Treville erhalten.

Die vier Philosophen schauten sich ganz verdutzt an; Herr von Treville kannte keinen Scherz, was die Disciplin betraf.

»Wie hochschätzt Ihr diese Equipirungen?« fragte d’Artagnan.

»O! das läßt sich so ungefähr sagen,« erwiederte Aramis, »wir haben in diesem Augenblick unsere Rechnung mit spartanischer Knickerei gemacht und gefunden, daß jeder von uns fünfzehnhundert Livres braucht.«

»Vier mal fünfzehn macht sechzig, das sind sechstausend Livres,« sprach Athos.

»Mir scheint,« entgegnete d’Artagnan, »tausend Livres wären hinreichend für Jeden. Ich spreche allerdings nicht als Spartaner, sondern als Procurator …«

Das Wort Procurator erweckte Porthos.

»Halt! ich habe einen Gedanken,« rief er.

»Das ist schon etwas; ich habe nicht einmal einen Schatten von einem Gedanken,« sprach Athos kalt; »aber d’Artagnan ist ein Narr, meine Herren. Tausend Livres! Ich erkläre, daß ich für meine Equipirung allein zweitausend brauche.«

»Vier mal zwei macht acht,« sagte Aramis; »wir brauchen also achttausend Livres, um uns zu equipiren, wobei nicht zu vergessen, daß wir die Sättel bereits haben.«

»Und dann,« sagte Athos, der, um diesen verheißungsreichen Gedanken auszusprechen wartete, bis d’Artagnan, welcher Herrn von Treville danken wollte, die Thüre hinter sich geschlossen hatte, »und dann der schöne Diamant, der am Finger unseres Freundes funkelt. Was Teufels, d’Artagnan ist ein zu guter Kamerad, um Brüder in der Verlegenheit stecken zu lassen, während er an seinem Mittelfinger das Lösegeld für einen König trägt.«