51. Kapitel


Vom Fortgang der Statthalterschaft Sancho Pansas, nebst andern Begebnissen, die ebenfalls so aussehen, als wären sie nicht übel

Es kam der Morgen nach jener Nacht, wo der Statthalter die Runde gemacht hatte. Der Truchseß hatte sie schlaflos zugebracht, denn seine Gedanken waren völlig mit dem Angesicht, der jugendlichen Frische und der Schönheit des verkleideten Mädchens beschäftigt. Der Haushofmeister hatte den noch übrigen Teil der Nacht dazu verwendet, seiner Herrschaft zu schreiben, was Sancho Pansa tue und rede, über seine Taten ebenso verwundert wie über seine Reden, denn in seinen Worten und Handlungen waren Züge von Verstand und Albernheit stets untereinandergemischt. Endlich stand der Herr Statthalter vom Bette auf, und auf Anordnung des Herrn Doktor Peter Stark ließ man ihn mit ein wenig Eingemachtem und vier Schluck frischen Wassers frühstücken, was alles Sancho gern mit einem Stück Brot und einer Weintraube vertauscht hätte. Aber da er sah, daß hier mehr Zwang als Willensfreiheit herrschte, ließ er es über sich ergehen, seinem Gemüte zum großen Schmerz und seinem Magen zum Verdruß, wiewohl Peter Stark ihm einreden wollte, daß wenige und leichte Gerichte den Geist kräftigen, und das sei gerade für Personen, die in bedeutenden Ämtern und Würden stehen, besonders wichtig, da sie in diesen nicht sowohl die Kräfte des Körpers als auch die des Geistes zu gebrauchen hätten. Bei solchen Spitzfindigkeiten hatte Sancho Hunger zu leiden, und so argen Hunger, daß er die Statthalterschaft, ja auch den, der sie ihm verliehen, in seinem Innern verwünschte. Aber mit seinem Hunger und mit seinem Eingemachten ging er dennoch dieses Tages hin und saß zu Gericht.

Das erste, was er zu hören bekam, war eine Frage, die ein Fremder in Anwesenheit des Haushofmeisters und der übrigen Mithelfer bei ihm vorbrachte und die folgendermaßen lautete: »Señor, ein wasserreicher Fluß trennte die zwei Hälften einer und derselben Herrschaft. Euer Gnaden wolle wohl aufmerken, denn der Fall ist von Wichtigkeit und einigermaßen schwierig. Ich sage also, über diesen Fluß führte eine Brücke, und am Ende dieser stand ein Galgen und eine Art Gerichtshaus, in dem für gewöhnlich vier Richter ihren Sitz hatten und Recht sprachen nach dem Gesetz, das der Herr des Flusses, der Brücke und der Herrschaft gegeben hatte. Dies Gesetz lautete: Wenn einer über diese Brücke vom einen Ufer zum andern hinübergeht, muß er erst eidlich erklären, wohin und zu welchem Zwecke er dahin geht, und wenn er die Wahrheit sagt, so sollen sie ihn hinüberlassen, und wenn er lügt, soll er dafür an dem Galgen, der allda vor aller Augen steht, ohne alle Gnade hängen und sterben. Nachdem nun dies Gesetz und dessen strenge Verfügungen bekanntgeworden, gingen viele hinüber, und man konnte sogleich an dem, was sie beeideten, ersehen, daß sie die Wahrheit sagten, und die Richter ließen sie unbehelligt hinübergehen.

Nun geschah es einmal, daß ein Mann bei der Eidesleistung erklärte, er gehe hinüber, um an dem Galgen dort zu sterben, und zu keinem andern Zweck. Die Richter stutzten bei diesem Eidschwur und sagten: ›Lassen wir diesen Mann frei hinüber, so hat er einen Meineid geschworen und muß gemäß dem Gesetze sterben; hängen wir ihn aber, so hat er geschworen, er gehe hinüber, um an diesem Galgen zu sterben, und da er also die Wahrheit gesagt hat, muß er nach dem nämlichen Gesetz frei ausgehen.‹ Nun verlangt man von Euer Gnaden zu wissen, Herr Statthalter, was sollen die Richter mit diesem Manne anfangen? Denn bis jetzt sind sie noch immer in Zweifeln befangen und unentschieden. Da sie aber von dem hohen und scharfen Verstande Euer Gnaden gehört, so haben sie mich hergesendet, um Euch in ihrem Namen zu bitten, Ihr möchtet Euer Gutachten in einem so verwickelten und zweifelhaften Falle erteilen.«

Sancho gab hierauf zur Antwort: »Wahrlich, Eure Herren Richter, die Euch an mich senden, hätten das wohl unterlassen dürfen, denn ich bin ein Mann, der eher schwer von Begriff als scharfsinnig ist. Aber wiederholt mir den Handel immerhin noch einmal, so daß ich’s verstehen kann; vielleicht ist es doch möglich, daß ich ins Schwarze schieße.«

Der Fragesteller setzte wiederum und zum drittenmal auseinander, was er zuvor gesagt hatte, und Sancho sprach: »Meines Erachtens läßt sich der ganze Handel im Handumdrehen ins klare bringen. Die Sache ist nämlich die: Der bewußte Mann hat geschworen, daß er hinübergeht, um am Galgen zu sterben. Und wenn er am Galgen stirbt, hat er die Wahrheit geschworen und ist kraft des Gesetzes berechtigt, frei zu bleiben und über die Brücke zu gehen. Und wenn er nicht gehängt wird, hat er falsch geschworen und verdient kraft desselben Gesetzes, gehängt zu werden?«

»Genauso ist es, wie der Herr Statthalter sagt«, bemerkte der Bote, »und was die Vollständigkeit und das Verständnis des Falles betrifft, so läßt sich nicht mehr verlangen und ist weiter kein Zweifel möglich.«

»Nun, so sag ich jetzt«, versetzte Sancho, »man soll diejenige Hälfte von dem Manne, die wahr geschworen hat, hinübergehen lassen und die Hälfte, die gelogen hat, an den Galgen hängen; und auf diese Weise wird das Gesetz buchstäblich erfüllt.«

»Herr Statthalter«, entgegnete der Fragesteller, »da muß aber der bewußte Mensch in zwei Hälften zerteilt werden, in eine lügnerische und eine wahrhaftige, und wenn man ihn zerteilt, muß er unbedingt sterben; und dann geht nichts von all dem in Erfüllung, was das Gesetz verlangt, und es ist doch durchaus unerläßlich, daß dasselbe erfüllt werde.«

»Kommt einmal her, wackerer Herr«, entgegnete Sancho. »Entweder bin ich ein Klotzkopf, oder für Euren Brückengänger ist ebensoviel Grund vorhanden zu sterben, als zu leben und über die Brücke zu gehen; denn wenn die Wahrheit ihn errettet, so verurteilt ihn die Lüge gleicherweise. Und daher müßt Ihr meiner Meinung nach den Herren, die Euch zu mir geschickt haben, sagen: Da in betreff der Gründe, ihn zu verurteilen oder ihn freizusprechen, das Zünglein der Waage mitten inne steht, sollen sie ihn frei hinüberlassen, sintemal Gutes tun mehr als Böses gepriesen wird; und das würde ich ihnen schriftlich mit meines Namens Unterschrift geben, wenn ich schreiben könnte. Das ist aber nicht meine eigene Weisheit, sondern mir ist eine Lehre eingefallen, die hat mir unter vielen andern mein Herr Don Quijote gegeben am Abend, eh ich hierherkam, um Statthalter auf dieser Insul zu werden, und sie lautete: Wenn Recht und Richter in Zweifel sind, solle ich ein Stückchen nachgeben und mich zur Barmherzigkeit halten; und Gott hat es so gefügt, daß mir das jetzt eben eingefallen ist, weil es auf diesen Fall paßt, als wär es dafür gemacht.«

»Ganz richtig«, bemerkte der Haushofmeister, »und ich bin überzeugt, daß Lykurgus selbst, der Gesetzgeber der Lakedämonier, keine bessere Entscheidung hätte fällen können als die des großen Sancho Pansa. Hiermit aber mag die Sitzung des heutigen Morgens zu Ende sein, und ich will anordnen, daß der Herr Statthalter ein Mahl ganz nach seinem Belieben erhält.«

»Das will ich ja haben, und ehrlich Spiel!« sagte Sancho. »Gebt mir zu essen, und dann mögen Rechtsfälle auf mich niederregnen und dunkle Rechtsfragen kommen, ich will ihnen mit einem Griff den Docht schneuzen!«

Der Haushofmeister hielt Wort, da es sein Gewissen gedrückt hätte, einen so verständigen Statthalter verhungern zu lassen. Zudem hatte er vor, noch in dieser Nacht mit ihm ein Ende zu machen, indem er ihm einen letzten Possen spielen wollte, wozu er den förmlichen Auftrag erhalten hatte.

Nachdem nun Sancho diesen Tag gegen die Regeln und Lehrsprüche des Doktors Machdichfort gespeist hatte, trat während des Abdeckens ein Eilbote herein und brachte einen Brief Don Quijotes an den Statthalter. Sancho befahl dem Geheimschreiber, ihn für sich zu lesen, und wenn sich nichts darin fände, was geheimzuhalten wäre, so solle er ihn laut vorlesen. Der Geheimschreiber gehorchte, und nachdem er den Brief durchgesehen, sagte er: »Ganz gut kann der Brief laut vorgelesen werden, denn was Señor Don Quijote an Euer Gnaden schreibt, verdient mit goldenen Buchstaben gedruckt und geschrieben zu werden.«

Brief Don Quijotes von der Mancha an Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária

Während ich erwartete, von deinen Unbesonnenheiten und Mißgriffen Nachricht zu erhalten, Freund Sancho, erhielt ich solche von deinem verständigen Benehmen, wofür ich dem Himmel ganz besondern Dank sage, der die Armen aus dem Mist emporhebt und Dummköpfe zu verständigen Leuten schafft. Ich höre, daß du regierst, wie wenn du ein Mensch wärest, und daß du ein Mensch bist, wie wenn du ein niederes Tier wärst, so groß ist die Demut, mit der du dich benimmst; du sollst dir aber merken, Sancho, daß es in vielen Fällen angemessen und für das amtliche Ansehen unentbehrlich ist, der Demut des eignen Herzens entgegenzutreten, denn die äußere Erscheinung eines Mannes, der einem wichtigen Amte vorsteht, muß diesem entsprechen, nicht aber dem Maßstabe dessen, wozu sein demütiger Sinn ihn hinneigt. Kleide dich gut; ein Stück Holz, wenn schön angezogen, sieht nicht wie ein Stück Holz aus. Ich sage nicht, du sollst in Flitterschmuck und Staat einhergehen, sollst auch nicht Soldatentracht anlegen, da du doch ein Richter bist, sondern du sollst dich mit der Tracht schmücken, die dein Amt erheischt, und sie reinlich und gut halten.

Um die Zuneigung der Leute zu gewinnen, über die du Statthalter bist, hast du unter andrem zweierlei zu tun: erstens, gegen jedermann höflichen Anstand zu beobachten, was ich dir indessen schon einmal gesagt habe; und zweitens, für reichlichen Vorrat an Lebensmitteln zu sorgen, da nichts den Armen so reizt wie Hunger und Teuerung.

Gib nicht viele Gesetze, und wenn du ihrer gibst, so sorge dafür, daß es gute Gesetze sind, besonders aber, daß sie gehalten und befolgt werden; denn Gesetze, die nicht gehalten werden, sind geradeso, als wären sie nicht vorhanden; ja sogar erwecken sie die Meinung, daß der Fürst, der die Einsicht und Befugnis hatte, die Gesetze zu erlassen, nicht die Macht besaß, ihre Befolgung durchzusetzen. Gesetze aber, welche drohen und nicht zur Ausführung kommen, werden am Ende gleich dem Klotz, dem Froschkönig: anfangs setzte er die Frösche in Schrecken, und mit der Zeit verachteten sie ihn und sprangen auf ihm herum.

Sei ein Vater der Tugenden und den Lastern ein Stiefvater. Sei nicht immer streng und nicht immer mild und suche dir die Mitte zwischen diesen zwei Gegensätzen; darin beruhen Anfang und Ende der Weisheit. Besuche die Gefängnisse, die Fleischbänke und die Marktplätze, denn die Anwesenheit des Statthalters ist an solchen Orten von großer Wichtigkeit. Sprich den Gefangenen Trost zu, welche die baldige Entscheidung ihres Loses erhoffen. Sei ein Popanz den Fleischern, und diese werden alsdann richtiges Gewicht halten; und aus demselben Grunde sei der Schrecken der Marktweiber. Zeige dich nicht – wenn du es auch vielleicht wärest, was ich nicht glaube – als ein Habgieriger, als ein Weiber Jäger, als ein Vielfraß; denn sobald das Volk und seine Umgebung an dir einen bestimmten Hang ausfindig machen, werden sie von dieser Seite her ihre Geschütze gegen dich spielen lassen, bis sie dich in den Abgrund des Verderbens hinabgeschleudert haben.

Die Ratschläge und Belehrungen, die ich dir schriftlich gegeben, ehe du zu deiner Statthalterschaft aufbrachst, erwäge sie und erwäge sie wieder, gehe sie durch und gehe sie immer wieder durch, und da wirst du sehen, wie du in ihnen, wenn du sie treulich beobachtest, ein Hilfsmittel finden wirst, das dir die Drangsale und Schwierigkeiten erleichtert, denen ein Statthalter bei jedem Schritt begegnet.

Schreibe deiner Herrschaft und zeige dich ihr dankbar; die Undankbarkeit ist die Tochter des Hochmuts und eine der größten Sünden, die wir kennen. Wer aber denen dankbar ist, die ihm Gutes getan, der zeigt damit, daß er auch Gott dankbar sein wird, der ihm soviel Gutes getan hat und fortwährend tut.

Die Frau Herzogin hat einen besonderen Boten mit deinem Anzug und noch einem Geschenk an deine Frau Teresa Pansa abgehen lassen; wir erwarten jeden Augenblick Antwort. Ich war etwas unwohl infolge einer gewissen Katzbalgerei, die sich mit mir, nicht sehr zum Besten meiner Nase, zugetragen hat; aber es war am Ende doch nichts, denn wenn es Zauberer gibt, die mich mißhandeln, gibt es ihrer auch solche, die mich beschützen. Benachrichtige mich, ob der Haushofmeister, der sich bei dir befindet, mit dem Tun und Lassen der Trifaldi etwas zu schaffen hatte, wie du geargwöhnt hast. Überhaupt wirst du mir stets von allem, was dir begegnet, Nachricht geben, sintemal der Weg so kurz ist; übrigens gedenke ich das müßige Leben, das ich führe, bald aufzugeben, da ich für ein solches nicht geboren bin.

Ich bin in eine Angelegenheit verwickelt worden, die mich, wie ich glaube, bei den Herrschaften hier in Ungnade bringen wird; aber wenn mir auch viel daran liegt, so liegt mir eigentlich gar nichts daran. Denn zuletzt und am Ende muß ich eher die Pflichten meines Berufs als ihr Belieben zur Richtschnur nehmen, gemäß dem oft gehörten Spruche: Amicus Plato, sed magis amica veritas. Ich sage dir diesen Spruch aus dem Lateinischen, weil ich mir denke, seit du Statthalter bist, wirst du es gelernt haben. Und nun Gott befohlen; er behüte dich davor, daß jemand jemals Mitleid mit dir haben müsse.

Dein Freund Don Quijote von der Mancha

Sancho hörte mit größter Aufmerksamkeit den Brief an, welcher von allen Hörern gepriesen und als hochverständig erachtet wurde. Sancho aber erhob sich sofort vom Tische, rief den Geheimschreiber und schloß sich mit ihm in sein Zimmer ein; er wollte nämlich auf der Stelle seinem Herrn Don Quijote antworten. Er befahl dem Geheimschreiber, alles, was er ihm vorsagen werde, genau niederzuschreiben, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen; jener gehorchte, und das Antwortschreiben bekam folgenden Inhalt:

Brief Sancho Pansas an Don Quijote von der Mancha

Ich habe so viel mit meinen Geschäften zu tun, daß ich keine Zeit habe, mir den Kopf zu kratzen, ja nicht einmal, mir die Nägel zu schneiden, und daher habe ich sie so lang, daß Gott erbarm. Ich sage das, allerliebster Herre mein, damit Ihr nicht erschreckt, wenn ich bis jetzt noch keine Nachricht von meinem Wohl- oder Übelergehen in der Statthalterschaft dahier gegeben habe, in der ich mehr Hunger leide, als da wir beide durch Wälder und Wüsteneien zogen.

Der Herzog, mein Herr, hat mir neulich geschrieben und Nachricht gegeben, es seien gewisse Kundschafter in meine Insul gekommen, um mich umzubringen; bis jetzt aber hab ich noch keinen andern entdeckt als einen gewissen Doktor, der hier am Orte besoldet wird, um alle Statthalter, die herkommen, umzubringen; er heißt Doktor Peter Stark und ist gebürtig aus Machdichfort; aus diesem Namen möge Euer Gnaden ersehen, daß man wirklich Angst haben kann, durch diesen Mann vom Leben zum Tode gebracht zu werden. Dieser genannte Doktor sagt selbst von sich, daß er keine Krankheiten heilt, wenn sie da sind, sondern daß er ihnen zuvorkommt, damit sie nicht kommen, und die Heilmittel, die er anwendet, sind wenig essen und immer weniger essen, bis daß er den Leuten nichts weiter als die puren Knochen gelassen hat, als ob die Auszehrung nicht ein größer Übel wäre als das Fieber. Zuletzt wird er mich Hungers sterben lassen, und zuletzt werde ich vor Ärger des Todes sein; denn während ich dachte, ich käme an die Statthalterschaft hier, um warm zu essen und kühl zu trinken und meinen Leib auf Bettlaken von feinem Linnen und auf Federpfühlen zu pflegen, bin ich hierhergekommen, um mit Fasten Buße zu tun, gerade als wär ich ein Einsiedler, und da ich die Buße nicht aus eignem Willen tue, so meine ich, am Ende und zu guter Letzt holt mich noch der Teufel.

Bis jetzt hab ich weder etwas an Gebühren eingestrichen noch auf Nebenwegen erschlichen, und ich weiß nicht, woran das liegt, denn ich habe mir hier sagen lassen, daß die Statthalter, die auf diese Insul zu kommen pflegen, bevor sie selbige noch betreten, von den Leuten in der Stadt viel Geld geschenkt oder geliehen bekommen und daß dies gewöhnlicher Brauch ist bei allen andern, die zu Statthaltereien kommen, und nicht bloß bei dieser hier.

Vorige Nacht, als ich die Runde machte, traf ich ein sehr schönes Mädchen in Mannstracht und einen Bruder von ihr in Weiberkleidern; in das Mädchen hat sich mein Truchseß verliebt und sie in seinen Gedanken zu seiner Frau erkoren, wie er sagte, ich aber habe den jungen Burschen zu meinem Schwiegersohn erwählt. Noch heute wollen wir beide unsre Absichten bei dem Vater der zwei zur Sprache bringen; er ist ein gewisser Diego de la Llana, ein Junker und ein so alter Christ, wie man sich nur wünschen kann.

Ich besuche die Marktplätze, wie es Euer Gnaden mir anrät, und gestern habe ich ein Marktweib gefunden, das heurige Haselnüsse verkauft; ich habe aber herausgefunden, daß sie unter einen Scheffel heurige Haselnüsse einen Scheffel alte gemengt hat, die taub und schimmelig waren. Ich habe sie sämtlich den Schülern der Armenschule gegeben, die schon die guten von den schlechten sondern werden, und das Weib darf zur Strafe vierzehn Tage lang nicht auf den Markt. Mir ist gesagt worden, ich hätte da tapfer zugegriffen. Ich muß hierbei Euer Gnaden sagen, daß es in dieser Stadt allgemein heißt, es gebe kein schlimmeres Volk als die Marktweiber; denn sie sind alle unverschämt, gewissenlos und frech; und ich glaube es wohl nach dem, was ich an andern Orten gesehen habe.

Daß die gnädige Frau Herzogin meiner Frau Teresa Pansa geschrieben hat und hat ihr das Geschenk geschickt, wovon Euer Gnaden spricht, das ist mir sehr angenehm, und ich will mich bestreben, mich ihr seinerzeit dankbar zu erweisen. Küßt ihr von meinetwegen die Hände und sagt ihr, ich sage, sie hat es nicht in einen Sack mit Löchern geworfen, und dies soll ihr durch die Tat bewiesen werden.

Ich möchte nicht, daß Ihr in verdrießliche Hängereien mit meiner Herrschaft dorten kämt; denn wenn Ihr mit ihr böse werdet, so muß es offenbar mir zum Schaden ausschlagen. Auch wäre es nicht recht, da mir die Lehre gegeben wird, ich solle dankbar sein, wenn Euer Gnaden es nicht wäre gegen Personen, die Euch so viele Gunst erwiesen haben, und Ihr seid in ihrem Schloß so köstlich und glänzend aufgenommen worden.

Die Geschichte mit der Katzbalgerei verstehe ich nicht, aber ich denke mir, es wird wieder eine von den schändlichen Untaten sein, wie sie die Zauberer gegen Euer Gnaden zu verüben pflegen; ich werde es erfahren, sobald wir uns wiedersehen.

Ich möchte Euch gern etwas schicken, aber ich weiß nicht, was ich schicken soll, wenn nicht etwa ein paar Röhrchen zu Klistierspritzen; die macht man auf dieser Insul sehr hübsch für an Schweinsblasen zu befestigen. Indessen wenn mein Amt mir eine Zeitlang bleibt, will ich suchen, was ich von Rechts wegen oder von Unrechts wegen bekomme, davon etwas zu schicken.

Falls mir meine Frau Teresa Pansa schreiben sollte, so wolle Euer Gnaden das Postgeld bezahlen und mir den Brief schicken; ich habe das allergrößte Verlangen, zu erfahren, wie es bei mir zu Hause steht, bei meiner Frau und bei meinen Kindern.

Und hiermit bitte ich Gott, Euer Gnaden von schlechtgesinnten Zauberern zu befreien und mich froh und friedlich dieser Statthalterschaft zu entledigen, woran ich zweifle, denn ich meine, ich werde aus ihr nur mit dem Leben scheiden, so behandelt mich der Doktor Peter Stark. –

Euer Gnaden Diener,
Sancho Pansa, Statthalter

Der Geheimschreiber versiegelte den Brief und fertigte sogleich den Boten ab.

Dann traten die Personen zusammen, die ihr Spiel mit Sancho Pansa trieben, und verabredeten unter sich, wie sie seiner Statthalterschaft ein Ende machen sollten. Den Nachmittag verbrachte Sancho mit dem Erlaß einiger Verordnungen in betreff der guten Verwaltung seiner vermeintlichen Insul. Er verordnete, es sollten Auf- und Wiederverkäufer von Lebensmitteln im Gemeinwesen nicht geduldet werden; Wein sollte man einführen dürfen, woher man wolle, doch unter der Bedingung, daß der Ort angegeben werden müsse, woher er sei, damit man seinen Preis nach seinem veranschlagten Wert, seiner Güte und seinem Ruf festsetzte, und wer ihn mit Wasser vermische oder ihn unter anderem Namen ausbiete, solle das mit dem Leben büßen. Er setzte den Preis aller Fußbekleidung herab, besonders den der Schuhe, weil er ihm übermäßig hoch schien. Für die Dienstbotenlöhne stellte er einen Tarif auf, da diese sich jetzt auf den Wegen groben Eigennutzes zügellos ergingen. Er verhängte sehr strenge Strafen über diejenigen, die bei Tag oder bei Nacht schlüpfrige oder unziemliche Lieder sängen. Er verbot jedem Blinden, Lieder von Wundern zu singen, wenn er nicht ein glaubhaftes Zeugnis bei sich habe, daß das Wunder echt und wahr sei; denn es bedünkte ihn, daß die meisten Wunder von denen, welche Wunder singen, erfunden seien und den wahren Wundern Abbruch tun. Er schuf und besetzte die Stelle eines Armenvogts, nicht damit er die Armen verfolgen solle, sondern damit er untersuche, ob sie wirklich arm seien, denn unter dem Deckmantel erdichteter Verkrüppelung und vorgeblicher Wunden werden die Arme und Hände zu Dieben und die Gesundheit zur Trunksucht.

Kurz, er erließ so treffliche Verordnungen, daß sie bis zum heutigen Tage an jenem Orte beobachtet werden und den Namen tragen: Verordnungen des großen Statthalters Sancho Pansa.

52. Kapitel


Wo das Abenteuer mit der zweiten Kammerfrau Schmerzenreich oder Vielbedrängt berichtet wird, welche sonst auch den Namen Doña Rodríguez führt

Sidi Hamét erzählt: Sobald Don Quijote von seinen Schrammen im Gesicht wieder geheilt war, schien ihm das Leben, das er in diesem Schlosse führte, völlig unverträglich mit dem Ritterorden, zu dem er sich bekenne. Er beschloß daher, sich von dem herzoglichen Paar Urlaub zu erbitten, um nach der Stadt Zaragoza abzureisen, deren Festspiele schon herannahten, wo er den Harnisch zu erringen dachte, der bei diesen Festlichkeiten dem Sieger zuteil wird. Als er nun eines Tages mit Herzog und Herzogin zu Tisch saß und gerade im Begriff war, sein Vorhaben ins Werk zu setzen und den Urlaub zu erbitten, siehe, da traten unversehens zur Tür des großen Saals zwei Frauen herein, von Kopf zu Füßen in Trauer gehüllt; eine derselben näherte sich dem Ritter, warf sich, so lang sie war, auf den Boden vor ihm und preßte den Mund auf Don Quijotes Füße und stieß so klägliche, so tiefe, so schmerzliche Seufzer aus, daß alle, die sie hörten und anschauten, wie ganz verwirrt dastanden. Wiewohl der Herzog und die Herzogin dachten, es sei dies nur ein Possen, den ihre Diener dem Ritter spielen wollten, so blieben sie doch in Zweifel und Spannung, als sie sahen, mit welcher Leidenschaftlichkeit die Frau stöhnte und weinte, bis endlich Don Quijote voll Mitleids sie vom Boden emporhob und sie hieß, sich zu enthüllen und den Schleier von dem tränenreichen Antlitze abzunehmen. Sie tat es und ließ die Anwesenden sehen, was sie nimmer erwartet hätten, denn sie entschleierte das Gesicht der Doña Rodríguez, der Kammerfrau vom Hause; und die andre in Trauer war ihre Tochter, das von dem Sohne des reichen Bauern betrogene Mägdlein.

Alle, die sie kannten, verwunderten sich höchlich und der Herzog und die Herzogin mehr als alle; denn sie hielten sie zwar für dumm und albern, aber doch nicht so sehr, daß sie sich bis zu förmlichen Narrenstreichen versteigen sollte. Endlich sprach Doña Rodríguez, zu den Herrschaften gewendet: »Geruhen Eure Exzellenzen zu gestatten, daß ich mit dem Ritter hier mich ein weniges bespreche; denn also ist’s unerläßlich, um mich glücklich aus einer Verwicklung zu ziehen, in welche mich die Frechheit eines nichtswürdigen Buben gebracht hat.«

Der Herzog gewährte ihr die Erlaubnis, mit dem Señor Don Quijote zu besprechen, soviel sie nur Lust habe.

Sie richtete nun ihre Rede und ihre Blicke auf Don Quijote und sprach: »Etliche Tage ist es her, tapferer Ritter, seit ich Euch von dem Unrecht und Treubruch berichtet habe, so ein schlechter Bauer gegen mein sehr teures und hochgeliebtes Töchterlein verübt; es ist die Unglückselige, so hier gegenwärtig ist; Ihr nun habt mir verheißen, Euch ihrer anzunehmen und das Unrecht wieder zurechtzubringen, so man ihr angetan. Jetzt aber ist mir zu Ohren gekommen, daß Ihr dieses Schloß verlassen wollt, um auf glückliche Abenteuer auszugehen, welche Gott Euch bescheren wolle. So bitte ich Euch denn, ehe Ihr auf ferne Pfade hinauszieht, daß Ihr selbiges Ungetüm von einem Bauern zum Kampfe fordert und ihn dazu zwingt, daß er meine Tochter ehelicht und so das Eheversprechen einlöst, das er ihr gegeben hat, bevor und ehe er sich mit ihr erlustete. Denn zu glauben, der Herzog, mein Herr, werde mir zu meinem Recht verhelfen, hieße Birnen vom Ulmenbaum brechen wollen, eben aus dem Grunde und Anlaß, den ich Euer Gnaden in aller Heimlichkeit dargelegt. Und hiermit bitte ich zu Gott, daß er Euch Gesundheit zur Genüge verleihe, wir aber seines Schutzes nimmer verlustig gehen mögen.«

Auf diese Worte entgegnete Don Quijote mit würdigem Ernst und Selbstgefühl: »Treffliche Kammerdame, mindert Eure Tränen, oder besser gesagt, trocknet sie und spart Eure Seufzer; ich nehme es auf mich, Eurer Tochter zu helfen. Zwar wäre es besser für sie gewesen, wenn sie sich nicht so leicht und rasch dem Glauben an verliebter Jünglinge Versprechungen hingegeben hätte, denn diese werden schneller hingesagt als erfüllt. Sonach werde ich, mit Erlaubnis des Herzogs, meines Herrn, sofort auf die Suche nach diesem ruchlosen Jüngling ausziehen und werde ihn finden und werde ihn zum Kampfe fordern und werde ihn erschlagen, sofern und sobald er Winkelzüge macht und der Erfüllung seines gegebenen Wortes ausweichen will. Ist ja doch der fürnehmste Zweck meines Berufs, die Demütigen zu schonen und die Hochmütigen zu strafen; ich meine, den von Elend Bedrängten beizuspringen und die Bedränger zu vernichten.«

»Es ist nicht nötig«, entgegnete der Herzog, »daß Euer Gnaden sich die Mühe auferlege, den Bauern zu suchen, über den diese wackere Kammerfrau Klage führt; auch braucht Ihr von mir keine Erlaubnis, ihn herauszufordern, vielmehr sehe ich ihn als bereits gefordert an und mache mich dafür verbindlich, daß diese Forderung zu seiner Kenntnis kommt und er sie annimmt und, um sich zu verantworten, hierher zu diesem Schlosse kommt, allwo ich beiden freies und sicheres Feld zum Kampf gewähren werde, unter Beobachtung aller bei solchen Fällen üblichen Regeln, wobei ich auch jedem gleiches Recht wahren werde; wie das zu wahren all jene Fürsten verpflichtet sind, welche denen freies Kampffeld gewähren, die innerhalb der Grenzen ihres herrschaftlichen Gebietes sich schlagen.«

»Unter dieser Zusicherung also und mit freundwilligem Urlaub Eurer Hoheit«, versetzte Don Quijote, »erkläre ich, daß ich mich für diesmal meines Adelsstands entäußere, mich zum niedren Stand des Übeltäters herablasse und selbigem Stand mich anbequeme, mich zu seinesgleichen mache und ihn in den Stand setze, mit mir zu kämpfen. Und so, ob er auch abwesend, fordere ich ihn und heische ihn zur Verantwortung darum, daß er übel daran getan, diese arme Person, so eine Jungfrau war und jetzo durch sein Verschulden nicht mehr ist, zu betrügen, und daß er die Zusage, ihr rechtmäßiger Ehegemahl zu werden, halten oder durch meine Hand sterben muß.«

Und sogleich zog er einen Handschuh aus und warf ihn mitten in den Saal; der Herzog hob ihn auf und erklärte, wie schon gesagt, nehme er die besagte Forderung im Namen seines Untertans an; er bestimme den sechsten Tag nach dem heutigen für den Kampf und als Kampfplatz den großen Hof des Schlosses, als Waffen die gewöhnlichen der Ritter, Speer und Schild und Harnisch mit Panzerringen, nebst allen andern Bewaffnungsstücken, die sonder Trug noch Falsch, ohne Hinterlist oder Zaubermittel, von den Kampfrichtern untersucht und richtig befunden würden.

»Jedoch vor allen Dingen«, fuhr der Herzog fort, »müssen diese brave Kammerfrau und diese nicht brave Maid ihre Sache ganz in die Hände des Señor Don Quijote legen; andernfalls läßt sich nichts tun, noch kann diese Forderung zu gebührender Ausführung gelangen.«

»Gewiß lege ich es in seine Hände«, erwiderte die Kammerfrau.

»Ich auch«, fügte die Tochter hinzu, ganz in Tränen zerfließend, voller Beschämung und in gar übler Verfassung.

Nachdem nun diese Bestimmungen getroffen worden und der Herzog sich ausgedacht hatte, was zu tun sei, gingen die beiden im Trauergewand von dannen, und die Herzogin ordnete an, sie sollten fernerhin nicht als ihre Dienerinnen behandelt werden, sondern als abenteuernde Damen, die zu ihrem Schlosse gekommen seien, um ihr Recht zu suchen. Es wurde ihnen also ein besonderes Zimmer angewiesen, und sie wurden wie Fremde bedient, zu nicht geringem Erstaunen der übrigen Dienerinnen, die nicht wußten, was es mit der Einfältigkeit und Dreistigkeit der Doña Rodríguez und ihrer trotz dem fahrenden Ritter so übel fahrenden Tochter für ein Ende nehmen sollte.

Wie man so weit war, um das Fest in noch höherem Maße zu erheitern und dem Mahl ein fröhliches Ende zu bereiten, trat der Edelknabe zum Saal herein, der die Briefe und Geschenke an Teresa Pansa, die Frau des Statthalters Sancho Pansa, überbracht hatte. Über seine Ankunft waren Herzog und Herzogin hochvergnügt, da sie begierig waren zu erfahren, was ihm auf seiner Reise begegnet sei; aber als sie ihn danach fragten, antwortete er, er könne dies nicht so öffentlich und auch nicht mit wenigen Worten sagen; Ihre Exzellenzen möchten sich gedulden, bis er sie allein sprechen könne, einstweilen aber möchten sie sich mit diesen Briefen unterhalten. Darauf holte er zwei Briefe hervor und überreichte sie zu Händen der Herzogin. Der eine trug die Aufschrift: »Brief an meine gnädige Frau, die Herzogin N. N., wohnhaft wo weiß ich nicht«, und der andre: »An meinen Mann Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária, welchem Gott mehr glückliche Jahre schenke als mir.«

Der Herzogin ließ es keine Ruhe, bis sie ihren Brief lesen konnte; sie öffnete ihn, und nachdem sie ihn für sich durchgegangen und gefunden, daß er sich zum Vorlesen vor dem Herzog und den Umstehenden eigne, trug sie ihn laut vor. Er lautete folgendermaßen:

Brief von Teresa Pansa an die Herzogin

Viel Vergnügen hat mir, o Herrin, der Brief gemacht, den Euer Hoheit mir geschrieben; ich hatte wirklich groß Verlangen danach. Die Korallenschnur ist sehr schön, und der Jagdanzug meines Mannes steht nicht hinter ihr zurück. Daß Euer Hoheit meinen Gatten Sancho zum Statthalter gemacht hat, darüber ist das ganze Dorf sehr vergnügt, wiewohl es kein Mensch glaubt, vor allem der Pfarrer und Meister Nikolas der Barbier und Sansón Carrasco der Baccalaur nicht; aber ich gebe keinen Deut darum; wenn es so ist – und es ist wirklich so –, da mag jeder sagen, was er Lust hat. Freilich, ohne die Korallen und den Anzug täte ich es auch nicht glauben, denn hier im Dorf hält jeder meinen Mann für einen einfältigen Tropf, und nachdem er eben erst eines Gutsherrn Statthalter über eine Herde Ziegen gewesen, können sie sich nicht denken, zu was für einer anderen Statthalterschaft er gut sein soll. Gott gebe ihm seinen Segen und leite seine Schritte so, wie er es für seine Kinder nötig hält.

Ich, liebe Frau Herzens-Herzogin, bin mit Verlaub von Euer Gnaden entschlossen, mir das gute Glück zunutze zu machen; ich will in die Residenz gehen und mich da in einer Kutsche ausstrecken, damit den tausend Neidhammeln, die ich schon habe, die Augen aus dem Kopf springen. Daher bitte ich Euer Exzellenz, meinem Mann zu befehlen, er soll mir ein wenig Geld schicken; es muß aber was Rechtes sein, denn in der Residenz sind die Ausgaben groß; das Brot kostet einen Real und Fleisch das Pfund dreißig Maravedis, daß es ein wahrer Jammer ist. Will er aber, daß ich nicht hingehe, so soll er mich beizeiten in Kenntnis setzen, denn es kribbelt mir schon in den Füßen vor lauter Lust, mich auf den Weg zu machen. Auch sagen mir meine Freundinnen und Nachbarinnen, wenn ich und meine Tochter in Pracht und Prunk in der Residenz herumsteigen, da muß am Ende mein Mann durch mich bekannt werden, mehr als ich durch ihn, dieweil notwendigerweise viele Leute fragen werden: Wer sind die Damen in dieser Kutsche? Und da wird einer von meiner Dienerschaft antworten: die Frau und die Tochter von Sancho Pansa, dem Statthalter der Insul Baratária. Und auf die Art wird Sancho bekannt, ich aber geehrt werden, und – was dein Herze gelüstet, geh nach Rom, da findest du’s.

Es tut mir leid, sosehr mir was leid tun kann, daß es dies Jahr in unserm Dorf keine Eicheln gegeben hat; trotzdem schicke ich Euer Hoheit fast ein halb Viertel, die bin ich selbst in den Wald gegangen aufzulesen und auszulesen, habe sie aber nicht größer gefunden. Ich wünschte gern, sie wären wie Straußeneier.

Euer Oberherrlichkeit wollen nicht vergessen, mir zu schreiben, ich will schon auf die Antwort bedacht sein und Euch über mein Wohlbefinden berichten und über alles, was aus unsrem Dorf zu berichten ist, allwo ich beständig zu Gott bitte, Euer Hoheit in Obhut zu nehmen und meiner nicht zu vergessen.

Es empfiehlt sich diejenige, die mehr Lust hat, Euer Herrlichkeit zu sehen, als brieflich zu begrüßen:
Eure Dienerin Teresa Pansa

Groß war das Vergnügen, das die Hörer alle über Teresa Pansas Brief empfanden, vor allen der Herzog und die Herzogin. Die letztere bat Don Quijote um seine Ansicht darüber, ob man wohl auch den für den Statthalter gekommenen Brief öffnen dürfe, der nach ihrer Meinung ganz vortrefflich sein müsse. Don Quijote erwiderte, er wolle ihn öffnen, um ihnen Vergnügen zu machen; er tat also und fand, daß der Brief folgendermaßen lautete:

Brief von Teresa Pansa an ihren Ehemann Sancho Pansa

Ich habe deinen Brief erhalten, herzlieber Sancho, und ich versichere und schwör dir’s als eine katholische Christin, daß nicht zwei Finger breit dran fehlten, so wär ich vor Vergnügen verrückt geworden. Siehst du, lieber Freund, als ich zu hören bekam, daß du Statthalter bist, meinte ich vor lauter Seligkeit tot hinzufallen; du weißt, was man sagt, plötzliche Freude bringt die Leute ebenso um wie großer Schmerz. Deine Tochter Sanchica ließ vor lauter Vergnügen das Wasser unter sich gehen, ohne es zu merken. Den Anzug, den du mir geschickt hast, hatte ich vor Augen, und die Korallen, die mir die gnädige Frau Herzogin schickte, hatte ich um den Hals und die Briefe in Händen, und den Überbringer derselben hatte ich da vor mir stehen, und bei alledem glaubte und dachte ich, es sei alles nur ein Traum, was ich sah und mit Händen griff; denn wer konnte denken, daß ein Ziegenhirt es so weit bringen sollte, ein Statthalter über Insuln zu werden? Du weißt ja, lieber Freund, meine Mutter hat gesagt: Wer lang lebt, erlebt viel. Ich sage das, weil ich noch mehr zu erleben gedenke, wenn ich noch mehr Jahre lebe, denn es läßt mir keine Ruhe, bis ich dich als Pächter oder Steuereinnehmer sehe. Das sind Stellen, wobei einen freilich der Teufel holt, wenn man sie zu schlechten Zwecken benutzt, wobei man aber zuletzt doch immer Geld hat und mit Geld umgeht.

Meine gnädige Frau Herzogin wird dir sagen, daß ich den Wunsch habe, nach der Residenz zu kommen; überlege dir das und sage mir, was du haben willst; ich will bestrebt sein, dir dort Ehre zu machen, weil ich in der Kutsche fahren will.

Der Pfarrer, der Barbier, der Baccalaur, ja auch der Küster können nicht glauben, daß du Statthalter bist, und sagen, alles sei Betrug oder Zauberergeschichten, wie es alle die Geschichten deines Dienstherrn Don Quijote sind; und Sansón sagt, er will hingehen und dich aufsuchen und dir die Statthalterschaft aus dem Kopf und dem Don Quijote die Narretei aus dem Hirn treiben. Ich aber tue weiter nichts als sie auslachen und meine Schnur ansehen und überlegen, wie ich aus deinem Anzug einen für unsre Tochter zurechtmachen kann.

Ich habe meiner gnädigen Frau Herzogin Eicheln geschickt, ich wollte, sie wären von Gold gewesen. Schicke du mir Perlenschnüre, wenn man sie auf deiner Insul trägt.

Das Neueste aus unserm Dorf ist, daß die Berrueca ihre Tochter mit einem Maler verheiratet hat, der nichts kann; der ist hierhergekommen, um zu malen, was eben vorkäme. Der Gemeinderat hat ihn beauftragt, das Wappen Seiner Majestät über die Tür des Rathauses zu malen; er verlangte zwei Taler, und man hat sie ihm im voraus gegeben; er hat acht Tage daran gearbeitet, und als sie herum waren, hatte er nichts gemalt und sagte, er könne es nicht über sich gewinnen, soviel geringfügigen Plunder zu malen; er hat das Geld zurückgegeben, und trotzdem, auf den Grund seiner Tüchtigkeit als Handwerksmann, hat er sich verheiratet. Freilich hat er den Pinsel beiseite gelegt und die Hacke zur Hand genommen und geht aufs Feld als ein recht braver Kerl. Der Sohn von Pedro de Lobo hat die niederen Weihen genommen und die Tonsur dazu, in der Absicht, geistlich zu werden; das hat Minguilla erfahren, die Enkelin von Mingo Silvato, und hat eine Klage gegen ihn angestellt, weil er ihr die Ehe versprochen hat. Böse Zungen wollen wissen, sie sei von ihm in andern Umständen, er aber leugnet es Stein und Bein. Heuer gibt es keine Oliven, auch findet sich kein Tropfen Essig im ganzen Dorf. Eine Kompanie Soldaten ist hier durchgekommen, sie haben auf ihrem Marsch drei Mädchen aus unserm Dorf mitgenommen. Ich will dir nicht sagen, wer sie sind; vielleicht, daß sie wiederkommen, und da wird’s auch nicht an Männern fehlen, die sie heiraten mit den guten oder bösen Flecken auf ihrem Ruf.

Sanchica klöppelt jetzt Spitzen von Leinenzwirn, verdient täglich ihre acht Maravedis über die Kosten und legt sie in eine Sparbüchse als Beisteuer für ihre Ausstattung; aber jetzt, wo sie eines Statthalters Tochter ist, wirst du ihr schon die Mitgift stellen, ohne daß sie dafür arbeitet.

Der Brunnen auf dem Markt ist versiegt. Der Blitz hat in den Galgen geschlagen, aber es liegt mir den Kuckuck dran.

Ich erwarte auf Gegenwärtiges Antwort und Bescheid über meine Reise nach der Residenz. Und hiermit bitte ich Gott, dir längeres Leben als mir zu gewähren oder ein ebenso langes, denn ich möchte dich nicht ohne mich in dieser Welt zurücklassen.
Deine Frau Teresa Pansa

Die Briefe wurden hoch gefeiert und belacht, gepriesen und bewundert, und um das letzte Siegel auf die Freude zu drücken, kam auch noch der Eilbote, der den Brief Sanchos an Don Quijote überbrachte. Dieser Brief wurde ebenfalls öffentlich verlesen und erweckte Zweifel an der Einfältigkeit des Statthalters.

Die Herzogin zog sich zurück, um von dem Edelknaben zu hören, was in Sanchos Dorf vorgegangen; er berichtete es ihr ganz ausführlich, ohne den geringsten Umstand unerwähnt zu lassen; er überreichte ihr die Eicheln und dazu einen Käse, den ihm Teresa mitgegeben, weil er noch besser sei als der Käse von Tronchon. Die Herzogin empfing alles mit dem größten Vergnügen, und dabei wollen wir sie lassen, um zu erzählen, welch ein Ende die Statthalterschaft des großen Sancho Pansa genommen, der die Blume und der Spiegel war aller insulanischen Statthalter.

53. Kapitel


Von dem trübseligen Ausgang und Ende, so Sancho Pansas Statthalterschaft genommen

Wer da glaubt, daß hienieden die Dinge dieser Welt immer in demselben Zustande bleiben werden, der lebt in einem großen Irrtum. Im Gegenteil scheint es, daß alles hienieden stets im Kreise geht, ich meine, sich rundum dreht. Dem Frühling folgt der Sommer, dem Sommer der Hochsommer, dem Hochsommer der Herbst, dem Herbst der Winter und dem Winter der Frühling, und so dreht sich die Zeit fort und fort in diesem ewigen Kreislauf. Nur das menschliche Leben eilt zu seinem Ende flüchtiger als die Zeit, ohne die Hoffnung, sich wieder zu erneuern, außer in jenem Leben, das keine Schranken kennt, die es begrenzen.

Also spricht Sidi Hamét, der mohammedanische Weise, denn die Erkenntnis von der Flüchtigkeit und dem Unbestande des irdischen Lebens und der Dauer des ewigen, das wir erhoffen, haben viele gehabt ohne die Leuchte des Glaubens und es lediglich am Lichte der Natur erkannt. Hier aber sagt es unser Autor nur aus Anlaß der kurzen Zeit, die Sanchos Statthalterschaft brauchte, um zu Ende zu gehen, zu zerfallen, sich aufzulösen und wie Schatten und Rauch zu entschwinden.

Sancho lag zu Bett, es war in den Tagen seiner Statthalterschaft die siebente Nacht; er war satt, nicht von Brot und Wein, sondern vom Gerichthalten und vom Erteilen von Gutachten und vom Erlassen neuer Gesetze und Verordnungen; und wie endlich der Schlaf, unerachtet und trotz des Hungers, ihm die Augen zu schließen begann, da hörte er großes Gelärm von Glocken und schreienden Stimmen, als wollte die ganze Insul in den Erdboden versinken. Er setzte sich im Bette aufrecht und horchte, um herauszufinden, was die Ursache eines so großen Aufruhrs sein könnte; aber nicht nur erriet er es nicht, sondern da dem Geschrei und Glockengeläute sich noch der Schall unzähliger Trompeten und Trommeln beigesellte, so wuchs seine Verwirrung noch mehr als seine Angst und sein Entsetzen; er sprang auf die Beine, zog sich wegen der Feuchtigkeit des Bodens Pantoffeln an, und ohne einen Schlafrock oder etwas dergleichen umzuwerfen, lief er zur Tür seines Zimmers; da sah er mit einem Male zwanzig und mehr Leute mit brennenden Fackeln in der Hand und bloßen Schwertern über die Gänge herlaufen, und die schrien überlaut: »Zu den Waffen, zu den Waffen, Herr Statthalter! Auf zu den Waffen! Feinde ohne Zahl sind in die Insul eingedrungen, und wir sind verloren, wenn Eure Vorkehrungen und Eure Tapferkeit uns nicht retten!«

Unter solchem Lärmen, Wüten und Toben drangen sie zur Tür, wo Sancho in Betäubung dastand und in Entsetzen über alles, was er sah und hörte; und als sie ihn erblickten, sprach einer zu ihm: »Euer Gnaden muß sich auf der Stelle waffnen, wenn Ihr nicht verloren sein wollt und nicht die ganze Insul verloren sein soll.«

»Wie, ich soll mich waffnen?« entgegnete Sancho; »aber was weiß ich von Waffen oder von Retten? Solche Sachen überläßt man am besten meinem Herrn Don Quijote, der sie im Handumdrehen in Ordnung bringen wird; ich aber, ich Sünder vor Gott und den Menschen, ich verstehe gar nichts von dergleichen Fechtereien.«

»Oho, Herr Statthalter«, schrie ein andrer, »was soll diese Weichmütigkeit? Euer Gnaden wolle sich sofort waffnen; hier bringen wir Euch Waffen zu Schutz und Trutz, kommt heraus auf den Marktplatz dort, seid unser Führer und unser Hauptmann, denn das gehört sich für Euch als unsern Statthalter.«

»So waffnet mich denn in Gottes Namen«, versetzte Sancho.

Und sogleich brachten sie ihm zwei große Schilde herbei, mit denen sie sich zum voraus versehen hatten, und schnürten sie ihm über das Hemd, ohne ihn erst ein andres Kleidungsstück anziehen zu lassen, einen Schild vorn und einen hinten, zogen ihm die Arme durch ein paar runde Löcher, die sie bereits angebracht hatten, und banden ihn ringsum mit Stricken so fest, daß er eingemauert und in Bretter eingeklemmt dastand, steif und gerade in die Höhe wie eine Spindel, ohne die Knie biegen oder nur einen Schritt tun zu können. Sie gaben ihm einen Speer in die Hand, auf den er sich stützte, um sich nur auf den Füßen halten zu können. Als sie ihn nun so hergerichtet hatten, sagten sie ihm, er solle gehen und sie führen und alle zu Mut entflammen, und da er ihr leuchtendes Merkziel, ihre Laterne und ihr Morgenstern sei, so würden ihre Angelegenheiten gewiß zu gutem Ende kommen.

»Wie soll ich gehen, ich Unglückseliger«, erwiderte Sancho, »wo ich nicht mal die Kniescheiben bewegen kann? Denn daran hindern mich diese Bretter, die mir so dicht ans Fleisch geschnürt sind. Das einzige, was ihr tun könnt, ist: ihr nehmt mich auf die Arme und gebt mir meinen Platz, querliegend oder aufrecht stehend, an irgendeinem Torweg, und den will ich verteidigen, entweder mit diesem Speer oder mit meinem Leibe.«

»Geht doch, Herr Statthalter!« sagte ein dritter, »die Furcht hindert Euch mehr am Gehen als die Bretter; macht fort und rührt Euch, es ist spät, und die Zahl der Feinde wächst, das Geschrei wird stärker, und die Gefahr drängt.«

Auf dies Zureden und diese Vorwürfe versuchte der arme Statthalter, sich zu bewegen, und stürzte alsbald mit einem so gewaltigen Schlag zu Boden, daß er glaubte, er habe sich alle Glieder entzweigebrochen. Er lag da wie eine Schildkröte, die von ihren Schalen umschlossen und überdeckt, oder wie ein Stück Speck, zwischen zwei Mulden eingeklemmt, oder wie ein Kahn, der umgeschlagen im Sande des Ufers liegt. Aber diese Sippschaft, die nur auf Schimpf und Spott ausging, hatte, als sie ihn hinstürzen sah, darum noch kein Erbarmen mit ihm; vielmehr löschten sie die Fackeln aus und erhoben aufs neue ein Geschrei, gewaltiger als zuvor, wiederholten den Ruf »Zu den Waffen!« in stürmischerer Hast, stampften über den armen Sancho weg und führten unzählige Schwerthiebe auf die Schilde, und wenn er nicht die Glieder eingezogen und den Kopf tief zwischen die Schilde gesteckt hätte, so wäre es dem armen Statthalter sehr übel ergangen, der in dieser Enge zusammengekauert schwitzte, ja in Schweiß zerfloß und sich von ganzem Herzen Gott dem Herrn befahl, daß er ihn aus dieser Gefahr erlöse. Etliche strauchelten über ihn, andre fielen auf ihn; ja einer stellte sich eine geraume Weile auf ihn und lenkte von da wie von einer Warte herab die Heere und rief mit lauter Stimme: »Hierher, wer zu den Unsern gehört! Von dieser Seite her drängen die Feinde am heftigsten heran! Die schwache Stelle dort wohl gehütet! Dieses Tor rasch verschlossen! Die Treppen dort verrammelt! Herbei mit Granaten, mit Pech und Harz in Kesseln siedenden Öles! Versperrt die Straßen mit Bettpfühlen!« Kurz, er nannte in wütender Hast allen Plunder und alle Gerätschaften und Werkzeuge des Kriegs, womit man den Sturm auf eine Stadt abzuwehren pflegt, und der arme zerquetschte Sancho, der alles anhörte und aushalten mußte, sagte zu sich selbst: O wollte doch mein Herrgott, diese Insul wäre endlich vollständig verloren und ich wär entweder tot oder aus dieser großen Not erlöst!

Der Himmel hörte sein Flehen, und als er es am wenigsten zu hoffen wagte, hörte er plötzlich ringsher rufen: »Sieg, Sieg! Die Feinde, geschlagen, ziehen ab! Auf, Herr Statthalter, Euer Gnaden wolle sich erheben und sich des Sieges freuen und die Beute verteilen, die durch die Heldenhaftigkeit dieses unbesiegbaren Armes den Feinden abgenommen worden.«

»Hebt mich auf«, sagte mit schmerzlich zitternder Stimme der schmerzensreiche Sancho.

Sie halfen ihm auf, und als er auf seinen Füßen stand, sagte er: »Der Feind, den ich besiegt haben soll, den soll man mir meinetwegen auf die Stirne nageln. Ich will nicht Beute von Feinden verteilen, sondern einen Freund, sofern ich einen habe, bitten und anflehen, mir einen Schluck Wein zu geben, denn ich verschmachte, und mir den Schweiß abzutrocknen, denn ich zerfließe zu Wasser.«

Sie trockneten ihn ab, brachten ihm den Wein, banden ihm die Schilde ab; er setzte sich auf sein Bett und wurde ohnmächtig von der Angst, dem Schrecken und der erlittenen Drangsal. Den Anstiftern der bösen Posse tat es schon leid, sie bis zu einem so bitteren Ernste getrieben zu haben; aber seine sofortige Rückkehr zur Besinnung mäßigte das unerquickliche Gefühl, das seine Ohnmacht bei ihnen hervorgerufen hatte. Er fragte, wieviel Uhr es sei; sie antworteten ihm, der Morgen breche schon an. Er schwieg, und ohne weiter ein Wort zu sagen, begann er sich anzukleiden, in tiefe Stille versenkt, und alle schauten ihm gespannt zu, voll Erwartung, was sein eilfertiges Ankleiden bedeuten möge.

Don Quijote

Endlich war er fertig, und Schritt für Schritt, denn er war ganz gerädert und vermochte nicht schnell zu gehn, begab er sich nach dem Stalle, und alle folgten ihm dahin. Er ging zu seinem Grauen, umarmte ihn, gab ihm einen Friedenskuß auf die Stirn und sprach zu ihm, nicht ohne Tränen in den Augen: »Komm du her, du mein Kamerad, mein Freund und Miterdulder meiner Drangsale und Leiden. Als ich mit dir eines Sinnes hinlebte und keine anderen Gedanken hatte, als daß ich dafür sorgen müßte, dein Geschirr zu flicken und dein Bäuchlein zu pflegen, da waren meine Stunden, meine Tage und meine Jahre glückselig; aber seit ich dich verlassen und auf die Turmhöhe des Ehrgeizes und Hochmutes gestiegen, seitdem sind mir tausend Quälereien, tausend Drangsale und zehntausend Kümmernisse in die Seele gedrungen.«

Während er diese Worte sprach, sattelte er zugleich seinen Esel, ohne daß jemand ein Wort sagte; und sobald der Sattel aufgelegt war, stieg er mit großen Schmerzen und Beschwerden auf seinen Grauen, wandte sich zu dem Haushofmeister, dem Geheimschreiber, zu dem Truchseß und zu Peter Stark, dem Doktor, und zu den andern, die in großer Zahl zugegen waren, und sprach: »Macht Platz, meine Herren, und laßt mich zu meiner alten Freiheit zurückkehren; laßt mich wieder mein vergangenes Leben aufsuchen, damit ich auferstehe aus diesem jetzigen Tode. Ich bin nicht geboren, ein Statthalter zu sein, noch Insuln oder Städte zu verteidigen gegen die Feinde, die sie angreifen wollen. Besser verstehe ich mich darauf, zu ackern und zu graben, Reben zu beschneiden und zu stocken, als Gesetze zu geben oder Länder und Königreiche zu verteidigen. Am wohlsten ist es dem heiligen Petrus in Rom; ich meine, jedem ist es am wohlsten, wenn er das Gewerbe treibt, für das er geboren ist. Eine Sichel steht mir besser zur Hand als eines Statthalters Zepter; lieber will ich mich an einer Krautsuppe satt essen als mich der Quälerei eines aufdringlichen Arztes unterwerfen, der mich durch Hunger umbringen will; und lieber will ich mich sommers in dem Schatten einer Eiche zur Rast legen und winters mich in einen abgeschabten Schafpelz wickeln und dabei in meiner Freiheit bleiben, als in der Knechtschaft einer Statthalterei unter Bettlaken von feinem Linnen liegen und mich in Zobelpelz kleiden. Gott sei mit euch, ihr Herren, und sagt meinem gnädigen Herzog: Nackt bin ich heut, nackt ward ich geboren, hab nichts gewonnen und nichts verloren; ich meine, ich bin ohne einen Pfennig in diese Statthalterschaft gekommen, und ohne einen Pfennig verlasse ich sie wieder, ganz gegen die Gewohnheit anderer Statthalter, wenn sie aus anderen Insuln scheiden. Jetzt tretet beiseite und laßt mich gehen, ich will mir Pflaster auflegen; ich glaube, alle meine Rippen sind mir zerquetscht dank den Feinden, die heute nacht auf mir herumspaziert sind.«

»Nein, das darf nicht sein, Herr Statthalter«, sagte der Doktor Stark; »ich will Euer Gnaden ein Tränklein geben, das gegen die Schmerzen vom Fall und gegen die Quetschungen hilft und Euch sofort in Eurer vorigen Gesundheit und Kraft wiederherstellt. Was aber das Essen betrifft, so verspreche ich Euer Gnaden, mich zu bessern und Euch in Fülle essen zu lassen, worauf Ihr nur Lust habt.«

»Zu spät«, antwortete Sancho; »ebenso sicher verzichte ich aufs Fortgehen, wie ich ein Türke werde. Solche Späße erträgt man nicht zweimal. Bei Gott, ebensowenig bleibe ich bei dieser Statthalterschaft oder nehme eine andre an, und wenn man sie mir auf dem Präsentierteller reichte, als ich ohne Flügel gen Himmel fliege. Ich bin aus dem Geschlecht der Pansas, die alle einen harten Kopf haben, und wenn sie einmal ungerade sagen, so bleibt’s bei ungerade, wenn auch gerade geworfen ist, der ganzen Welt zu Trotz. In diesem Stalle sollen die Flügel abfallen, die mir, der Ameise, gewachsen waren und mich in die Luft emportrugen, um von den Schwalben und andren Vögeln gefressen zu werden; wir wollen wiederum unten auf ebnem Boden die Füße aufsetzen, und wenn auch diese Füße nicht mehr in verzierten Schuhen von Korduan prangen, so wird es ihnen doch nicht an Bauernlatschen aus Hanfschnüren fehlen; jeder geselle sich zu seinesgleichen, jeder strecke sich nach der Decke. Jetzt aber laßt mich fort, es wird mir schon zu spät.«

Darauf sagte der Haushofmeister: »Herr Statthalter, wir wollen Euer Gnaden recht gern ziehen lassen, sosehr es auch uns leid tun wird, Euch zu verlieren; denn ob Eurer Talente und Eures wahrhaft christlichen Verfahrens willen müssen wir notwendig Euer Bleiben wünschen. Allein es ist bekannt, daß jeder Statthalter verpflichtet ist, ehe er von dem Sitze seiner Statthalterschaft scheidet, vorher Rechenschaft abzulegen. Legt Rechenschaft ab über die zehn Tage, die Ihr das Amt innegehabt, und dann mögt Ihr mit Gott in Frieden hinziehen.«

»Keiner kann Rechenschaft von mir fordern«, entgegnete Sancho, »außer wen der Herzog, mein Herr, dazu verordnen will; ich will eben zu ihm gehen, und ihm werde ich sie aufs allerbeste ablegen. Zudem, wenn ich so nackt aus dem Amt gehe, wie ich es tue, so bedarf es keines andren Beweises, daß ich regiert habe wie die lieben Engelein.«

»Bei Gott, der große Sancho hat recht«, sagte der Doktor Stark, »und ich bin der Meinung, wir lassen ihn ziehen, denn der Herzog wird unendlich erfreut sein, ihn wiederzusehen.«

Alle waren damit einverstanden und ließen ihn gehen, nachdem sie ihm ihre Begleitung angeboten sowie alles sonstige, was er zur Pflege seiner Person und zur Bequemlichkeit seiner Reise wünschen möchte. Sancho antwortete, er wünsche nichts weiter als ein wenig Gerste für seinen Grauen und einen halben Käse und ein halbes Brot für sich; denn da der Weg so kurz sei, so habe er keinen größern noch bessern Speisevorrat nötig. Sie umarmten ihn alle, und auch er umarmte sie alle unter Tränen und ließ sie voll Verwunderung zurück, sowohl über seine Äußerungen als über seinen so festen und so verständigen Entschluß.

46. Kapitel


Von dem furchtbaren Schellen- und Katzenstreit, welchen Don Quijote im Verlauf des Liebeshandels der verliebten Altisidora ausstund

Wir verließen den großen Don Quijote in den Gedanken befangen, die das Ständchen des verliebten Fräuleins in ihm erweckt hatte. Er legte sich mit ihnen zu Bett, und wie wenn es Flöhe wären, ließen sie ihn keinen Augenblick schlafen noch zur Ruhe kommen, und dazu kamen noch die Maschen, die ihm an seinen Strümpfen fehlten. Aber da die Zeit flüchtig ist und nirgends ein tiefer Einschnitt auf ihrem Wege sie hemmt, so eilte sie von dannen wie auf den Stunden dahinreitend, und die Stunde des Morgens kam schleunigst heran. Als Don Quijote dies gewahrte, verließ er die weichen Federn, kleidete sich, nimmer lässig, in seine lederne Kleidung und legte seine Reisestiefel an, weil er das Mißgeschick seiner Strümpfe gerne verbergen mochte. Er warf seinen Scharlachmantel um, setzte auf sein Haupt eine Jägermütze von grünem Samt, mit silbernen Borten besetzt; er hing das Wehrgehenk über seine Schultern, mit seinem guten scharfen Schwert; er ergriff einen großen Rosenkranz, den er beständig bei sich führte, und schritt in großer Haltung und steifer Feierlichkeit nach dem Vorsaal, wo sich der Herzog und die Herzogin befanden, bereits angekleidet und wie in Erwartung des Ritters. Auf seinem Wege, der durch eine Galerie führte, hatten sich Altisidora und die andre Zofe, ihre Freundin, aufgestellt, um sein zu harren, und sobald Altisidora den Ritter erblickte, tat sie, als fiele sie in Ohnmacht; ihre Freundin fing sie in den Schößen ihres Gewandes auf und wollte ihr eiligst den Busen aufschnüren. Don Quijote sah dies, näherte sich ihnen und sagte: »Ich weiß schon, woher diese Zufälle kommen.«

»Ich aber weiß es nicht«, antwortete die Freundin, »Altisidora ist das gesündeste Mädchen im Hause, und ich habe nie ein Ach von ihr gehört all die Zeit, seit ich sie kenne. Daß doch des Himmels Strafe all die fahrenden Ritter treffe, die es auf Erden gibt! Das heißt, wenn sie alle undankbaren Herzens sind. Geht nur, Señor Don Quijote, denn das arme Kind kommt nicht wieder zu sich, solang Euer Gnaden hierbleibt.«

Darauf entgegnete Don Quijote: »Señora, laßt mir diese Nacht eine Laute in mein Zimmer legen, ich will diesem bekümmerten Fräulein Trost spenden, so gut ich es vermag; im Anfang einer Leidenschaft des Herzens ist unverzügliche Enttäuschung ein bewährtes Heilmittel.«

Mit diesen Worten entfernte er sich, damit er nicht von denen, die ihn etwa dort sähen, üble Nachrede zu erleiden hätte. Er hatte sich noch nicht weit entfernt, da kam die ohnmächtige Altisidora wieder zu sich und sagte zu ihrer Gefährtin: »Unbedingt muß man ihm die Laute hinlegen; ohne Zweifel will uns Don Quijote ein Ständchen bringen, und das kann nicht schlecht ausfallen, da es von ihm kommt.«

Sofort gingen sie zur Herzogin und meldeten ihr das Vorgefallene und Don Quijotes Verlangen nach einer Laute; sie freute sich darob über die Maßen und verabredete mit dem Herzog und ihren Zofen, ihm einen Possen zu spielen, der jedoch mehr zum Lachen als jemandem zum Schaden sein sollte. In heiterster Stimmung erwarteten sie die Nacht, die ebenso schnell kam, als der Tag gekommen war, welchen das herzogliche Paar in behaglichen Gesprächen mit Don Quijote verbrachte.

An dem nämlichen Tage sandte die Herzogin in Wahrheit und Wirklichkeit einen ihrer Edelknaben, denselben, der im Wald die Rolle der verzauberten Dulcinea gespielt hatte, zu Teresa Pansa mit dem Briefe ihres Mannes Sancho Pansa und dem Bündel Kleidungsstücke, die er dagelassen hatte, damit man sie ihr übersende, und mit dem Auftrag, ausführlichen Bericht über alles zurückzubringen, was zwischen ihm und ihr vorfallen werde.

Als dies geschehen und es elf Uhr nachts geworden, fand Don Quijote eine Gitarre in seinem Gemach; er stimmte sie, öffnete das Gitterfenster und bemerkte, daß Leute im Garten waren; nachdem er über die Saiten gefahren und die Gitarre so rein als möglich gestimmt hatte, räusperte er sich, machte sich die Kehle frei und begann alsbald mit einer etwas rauhen, aber doch rein klingenden Stimme folgende Romanze zu singen, die er selbst an diesem nämlichen Tage gedichtet hatte:

Aus den Angeln hebt den Geist oft
Die Gewalt des Liebesdranges,
Nimmt dabei zu ihrem Werkzeug
Süßigkeit des Müßigganges.

Nähn und weben und der Arbeit
Den Tribut allstündlich zahlen
Ist das beste Gegenmittel
Für das Gift der Liebesqualen.

Mägdlein, still und eingezogen,
Sehnt sich’s nach dem Ehebande,
So ist Züchtigkeit die Mitgift,
Die man preist im ganzen Lande.

Ritter, ob sie abenteuern
Oder Dienst am Hofe nahmen,
Liebeln mit den leichtgesinnten,
Freien nur die züchtgen Damen.

Oft geht morgens auf die Liebe,
Rasch, daß sie dem Gast behage,
Und am Abend geht sie unter,
Endet mit des Scheidens Tage.

Flüchtge Liebschaft, heut gekommen
Und dann morgen schon gegangen,
Läßt im Geist kein dauernd Bildnis
Und im Herzen kein Verlangen.

Malst ein Bild du auf das andre,
Wird’s verschwimmen und verflachen;
Macht die erste Schönheit Stiche,
Kann die zweite keine machen.

Dulcinea von Toboso
Steht im Herzen mein gemalet
Auf noch nie berührter Tafel,
Und nie löscht, was dorten strahlet.

Denn bei einem Liebespaare
Schätzt man feste Treu vor allen;
Für dies Paar tut Amor Wunder,
Hebt es zu des Ruhmes Hallen.

So weit war Don Quijote mit seinem Gesange gekommen, dem der Herzog und die Herzogin, Altisidora und fast alle Leute im Schloß zuhörten, als unversehens von einem Altan senkrecht über Don Quijotes Fenster ein Seil heruntergelassen wurde, an welchem über hundert Schellen befestigt waren, und gleich darauf ward ein Sack voll Katzen ausgeschüttet, denen ebenfalls Schellen, aber kleinere, an die Schwänze gebunden waren. So gewaltig erscholl das Gerassel der Schellen und das Miauen der Katzen, daß das herzogliche Paar, das doch selbst den Spaß ausgedacht hatte, darüber in Schrecken geriet und Don Quijote vor Entsetzen schier von Sinnen kam; und das Schicksal fügte es, daß zwei oder drei Katzen durchs Fenster in sein Zimmer hineinsprangen, hier von einer Ecke zur andern jagten, und es war, als ob ein ganzes Lager voll Teufel im Zimmer umginge; sie verlöschten die Kerzen, die im Gemache brannten, fuhren hin und her und suchten, wo sie entwischen könnten. Das Seil mit den großen Schellen wurde inzwischen unaufhörlich hinaufgezogen und herabgelassen; die meisten von den Leuten im Schlosse, die den wahren Sachverhalt nicht kannten, gerieten vor Erstaunen und Verwunderung ganz außer sich. Don Quijote fuhr in die Höhe, zog das Schwert und begann zum Fenster hinaus Stiche mit seiner Klinge auszuteilen und gewaltig laut zu rufen: »Fort mit euch, ihr boshaften Zauberer! Fort, du hexenmeisterlich Gesindel! Ich bin Don Quijote von der Mancha, gegen den euer böser Wille nichts vermag und sonder Gewalt ist!«

Jetzt wandte er sich gegen die Katzen, die in seinem Gemach umhertobten, und führte zahllose Schwerthiebe nach ihnen; sie liefen zum Fenster und sprangen hinaus. Eine aber, die sich von Don Quijotes Schwertstreichen arg in die Klemme gebracht sah, sprang ihm ins Gesicht, packte ihn mit Krallen und Zähnen an der Nase, und Don Quijote begann vor Schmerz darüber aus Leibeskräften zu schreien. Als der Herzog und die Herzogin das hörten, konnten sie sich wohl denken, was geschehen war; sie eilten mit größter Schnelligkeit nach seinem Zimmer, öffneten es mit dem Hauptschlüssel und erblickten den armen Ritter, wie er aus allen Kräften sich mühte, die Katze von seinem Gesicht loszureißen. Sie traten mit Lichtern hinein und sahen den ungleichen Kampf; der Herzog sprang hinzu, um die Gegner auseinanderzubringen; aber Don Quijote rief: »Keiner soll ihn von mir wegreißen! Laßt mich Mann gegen Mann mit diesem Teufel fertigwerden, mit diesem Hexenmeister, diesem Zauberer! Ich will ihn lehren, ich allein gegen ihn, wer Don Quijote von der Mancha ist!«

Aber die Katze kümmerte sich nicht um diese Drohungen, sondern fauchte und krallte sich fester an. Doch der Herzog riß sie endlich los und warf sie zum Fenster hinaus. Don Quijote stand da, das Gesicht zerkratzt und zerlöchert wie ein Sieb und die Nase nicht im besten Zustand, und dennoch sehr ärgerlich, weil man ihn den Kampf nicht zu Ende führen ließ, in welchen er mit jenem schurkischen Zauberer so eng verstrickt war.

Man ließ heilendes Wundöl bringen, und Altisidora selbst legte mit ihren schneeweißen Händen einen Verband auf jede verletzte Stelle, und beim Auflegen der Binden sagte sie ihm mit leiser Stimme: »All diese Widerwärtigkeiten begegnen dir, Ritter mit dem steinernen Busen, ob der Sünde deiner Hartherzigkeit und deines Starrsinns; wollte Gott, daß Sancho, dein Schildknappe, nimmer daran dächte, sich zu geißeln, damit deine so heißgeliebte Dulcinea niemals ihrer Verzauberung ledig werde und du ihrer weder genießest noch das Ehebett mit ihr besteigest, wenigstens solange ich lebe, die ich dich anbete.«

Auf all dies gab Don Quijote weiter keine Antwort als einen tiefen Seufzer, und alsbald streckte er sich auf sein Bett und dankte dem herzoglichen Paar für die erwiesene Gnade, nicht als ob er vor jenem katzenhaften Zauberer- und Schellenklingelgesindel sich gefürchtet, sondern weil er die freundliche Gesinnung erkannt habe, mit der sie ihm zu Hilfe gekommen. Herzog und Herzogin überließen ihn nun seiner Ruhe und entfernten sich, bekümmert über den schlechten Ausgang des gespielten Streiches. Sie hatten nicht gedacht, diese Aventüre werde ihn so schlimm und so teuer zu stehen kommen, und nun kostete sie ihn fünf Tage Haft in Zimmer und Bett; aber hierbei begegnete ihm ein anderes Abenteuer, das vergnüglicher war als das vorige und welches sein Geschichtsschreiber für jetzt nicht erzählen will, um sich nach Sancho Pansa umzusehen, der sich in seiner Statthalterschaft sehr tätig und sehr launig zeigte.

47. Kapitel


Wo weitererzählt wird, wie sich Sancho Pansa in seiner Statthalterschaft benommen

Es erzählt die Geschichte, daß Sancho Pansa aus der Gerichtsstube zu einem prachtvollen Palast geführt wurde, wo in einem weiten Saale eine königlich besetzte Tafel aufs feinste hergerichtet war. Sobald Sancho in den Saal trat, ertönte Oboenklang und erschienen vier jugendliche Diener, ihm Wasser für die Hände zu reichen, was Sancho mit großer Würde entgegennahm. Die Musik hörte auf, und Sancho setzte sich auf den Ehrenplatz an der Tafel, weil kein anderer Sitz und auf dem ganzen Tisch kein andres Gedeck vorhanden war. Ihm zur Seite stellte sich ein Mann, der sich nachher als Arzt zu erkennen gab, mit einem Fischbeinstäbchen in der Hand. Das reichgestickte weiße Leintuch wurde weggenommen, mit welchem das Obst und eine große Auswahl von Schüsseln mit mannigfachen Gerichten zugedeckt war. Einer, der wie ein studierter Mann aussah, sprach den Segen, und ein Hausdiener legte Sancho ein spitzenbesetztes Vorstecktuch um; ein anderer, der das Amt des Truchsessen versah, setzte eine Platte mit Obst vor ihn hin; aber kaum hatte er einen Bissen verzehrt, da berührte der Mann neben ihm die Platte mit dem Stäbchen, worauf sie mit größter Geschwindigkeit abgetragen wurde. Indes setzte der Truchseß dem Statthalter von einem andern Gerichte vor; Sancho machte sich daran, es zu versuchen; allein ehe er noch zur Schüssel gelangte oder sie versuchte, hatte das Stäbchen sie schon berührt und ein Diener sie ebenso schnell wie den Teller mit Obst abgetragen.

Als Sancho dies sah, war er starr vor Staunen, schaute einem nach dem andern ins Gesicht und fragte, ob dies Mahl in ähnlicher Weise verzehrt werden solle, wie bei der Taschenspielerei die Kügelchen verschwinden. Der mit dem Stäbchen antwortete: »Hier darf nicht anders gespeist werden, als wie es Brauch und Sitte auf allen andern Insuln ist, wo Statthalter regieren. Ich, Señor, bin Arzt und werde auf dieser Insul besoldet, um deren Statthalter ärztlich zu behandeln, und auf deren Gesundheit bin ich weit mehr bedacht als auf die meinige. Zu diesem Zweck studiere ich Tag und Nacht und erforsche und ergrüble die Leibesbeschaffenheit des Statthalters, um ihn in richtiger Weise zu behandeln, wenn er in Krankheit verfallen sollte; und meine Haupttätigkeit besteht darin, daß ich seinen Mittags- und Abendmahlzeiten beiwohne, um ihn von den Speisen genießen zu lassen, die ihm nach meiner Meinung heilsam sind, und ihm das wegzunehmen, was ich für ihn und seinen Magen als nachteilig und schädlich erachte. Deshalb auch habe ich die Platte mit Obst wegnehmen lassen, weil Obst allzuviel Feuchtigkeit enthält, und ebenso die Schüssel mit dem andern Gericht, weil es allzu heiß war und viel Gewürze enthielt, die den Durst mehren, und wer zuviel trinkt, der vernichtet und zerstört jene Urfeuchtigkeit, die der Grundstoff des Lebens ist.«

Don Quijote

»Dann wird jene Schüssel mit Rebhühnern, die dort gebraten zu sehn und meines Erachtens trefflich zubereitet sind, mir gewiß nicht schaden«, meinte Sancho.

Rasch entgegnete der Arzt: »Die soll der Herr Statthalter nicht zu essen bekommen, solange ich am Leben bin.«

»Aber warum?« fragte Sancho.

Der Arzt antwortete: »Weil unser aller Meister Hippokrates, der Leitstern und das Licht der Heilkunst, in einem seiner Lehrsprüche sagt: Omnis saturatio mala, perdices autem pessima; das heißt: Jede Sättigung ist schädlich, die Sättigung mit Rebhühnern aber am schädlichsten.«

»Wenn dem so ist«, versetzte Sancho, »so seht zu, Herr Doktor, welches unter all den Gerichten auf diesem Tische mir am zuträglichsten und welches mir am wenigsten schädlich ist, und laßt mich davon essen und schlagt mir mit Euerm Stecken nicht darauf, denn so wahr ich Statthalter bin und so wahr mein Leben mir von Gott noch lange soll erhalten bleiben, ich sterbe vor Hunger. Wenn man mich aber am Essen hindert, dann – und da mag der Herr Doktor sagen, was er will – raubt man mir eher das Leben, als es zu verlängern.«

»Euer Gnaden hat recht, Herr Statthalter«, entgegnete der Arzt, »und sonach halte ich dafür, daß Euer Gnaden nicht von dem Kaninchen-Ragout dort essen darf, denn es ist ein Gericht, in dem man leicht ein Haar findet. Von dem Kalbfleisch hier könntet Ihr schon was versuchen, wenn es nicht ein gedämpftes wäre; so aber darf es nicht sein.«

Und Sancho sprach: »Die große Schüssel, die dort vorne dampft, scheint mir Olla podrida zu sein, und da sich eine so große Mannigfaltigkeit von Eßbarem in derlei Ollas podridas findet, so kann mir’s ja nicht fehlen, daß ich irgendwas drin finde, das mir schmeckt und zuträglich ist.«

»Auf keinen Fall!« sagte der Arzt; »fern von uns bleibe ein so böser Gedanke; es gibt nichts in der Welt, das schwerer verdaulich wäre! Das ist recht für Domherren oder für Schulrektoren oder für Bauernhochzeiten, aber nichts für Statthalter, wo nur das Allerbeste und Allerleckerste hinkommen darf; und zwar deshalb, weil stets einfache Heilmittel den zusammengesetzten vorzuziehen sind; denn bei den einfachen kann man sich nicht irren, wohl aber bei den zusammengesetzten, indem man Gewicht und Menge der Bestandteile nicht richtig einhält. Indessen was nach meiner Erfahrung der Herr Statthalter essen soll, um seine Gesundheit zu erhalten und zu stärken, das ist ein Hundert Waffelröhrchen nebst dünnen Scheiben Quittenfleisch, die Euch den Magen in Ordnung bringen und die Verdauung befördern.«

Als Sancho das hörte, stemmte er seinen Rücken gegen die Lehne des Sessels, sah dem so trefflichen Arzt starr und unverwandt ins Gesicht und fragte ihn mit ernstem strengem Ton, wie er heiße und wo er studiert habe.

Er antwortete: »Ich, Herr Statthalter, heiße Doktor Peter Stark von Deutungen, bin gebürtig aus Machdichfort, einem Dorf, das zwischen Caracuel und Almodóvar del Campo zur rechten Hand liegt, und habe promoviert an der Universität Osuna.«

Da sprach Sancho, ganz von Zorn entbrannt: »Also denn, Herr Doktor Peter Stark von bösen Deutungen, gebürtig aus Machdichfort, einem Dorf, das zwischen Caracuel und Almodóvar del Campo zur rechten Hand liegt, der Ihr in Osuna promoviert habt, verschwindet auf der Stelle; andernfalls schwör ich beim Licht der Sonne, ich nehm einen Prügel und treibe zuerst Euch und dann alle anderen Ärzte mit Stockprügeln hinaus, daß mir keiner auf der Insul bleiben soll, wenigstens keiner von denen, welche ich als Dummköpfe erfinde, die nichts verstehen; die gelehrten, einsichtigen und verständigen Ärzte aber, vor denen will ich mein Haupt in Demut neigen und sie als göttliche Männer verehren. Und nun sag ich nochmals, Peter Stark soll verschwinden, sonst nehm ich den Sessel hier, auf dem ich sitze, und schlag ihn an seinem Kopf in tausend Stücke; und wenn meine Amtsführung zur Untersuchung kommt, mag man dafür Rechenschaft von mir fordern, da werde ich erklären, ich hätte Gott einen Dienst damit getan, daß ich einen schlechten Arzt, einen Henkersknecht und Verderber des Gemeinwesens aus der Welt geschafft habe. Aber nun gebt mir zu essen, andernfalls nehmt meine Statthalterschaft wieder an Euch; ein Amt, das seinen Mann nicht nährt, ist keine Bohne wert.«

Der Doktor geriet in Angst, als er den Statthalter so zornig sah, und wollte eben das Machdichfort aus dem Saal spielen, wenn nicht im nämlichen Augenblick ein Posthorn auf der Straße geblasen hätte; der Truchseß sah zum Fenster hinaus und wandte sich mit den Worten ins Zimmer zurück: »Da kömmt ein Eilbote von meinem Herrn, dem Herzog; er muß eine Meldung von Wichtigkeit bringen.«

Der Eilbote trat schwitzend und ängstlich in den Saal, nahm einen verschlossenen Brief aus dem Busen und überreichte ihn dem Statthalter; Sancho übergab ihn dem Haushofmeister und hieß ihn die Aufschrift lesen, welche lautete: An Don Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária, zu eigenen Händen oder zu denen seines Geheimschreibers.

Als Sancho dies hörte, fragte er: »Wer ist hier mein Geheimschreiber?«

Einer der Anwesenden antwortete: »Ich, Señor, denn ich kann lesen und schreiben und bin ein Biskayer.«

»Damit könntet Ihr auch beim Kaiser selber Geheimschreiber sein«, sagte Sancho. »öffnet den Brief und seht nach, was er besagt.«

Der neugebackene Geheimschreiber tat so, und nachdem er den Inhalt gelesen, bemerkte er, es sei eine Angelegenheit, die unter vier Augen verhandelt werden müsse.

Sancho befahl, den Saal zu räumen; es solle niemand als der Haushofmeister und der Truchseß dableiben. Die andern entfernten sich, auch der Arzt; und sofort las der Geheimschreiber den Brief vor, welcher folgendermaßen lautete:

Es ist zu meiner Kenntnis gekommen, Señor Don Sancho Pansa, daß Feinde von mir und Eurer Insul einen schweren Angriff auf sie unternehmen wollen, ich weiß nicht in welcher Nacht; es gilt also, wachsam und auf der Hut zu sein, damit sie Euch nicht unvorbereitet überfallen. Ich erfahre auch durch zuverlässige Kundschafter, daß vier Leute verkleidet in Eure Stadt gekommen sind, um Euch das Leben zu rauben, weil sie sich vor Eurer geistigen Überlegenheit fürchten; haltet die Augen offen und beobachtet scharf, wer Euch zu sprechen kommt, und eßt von nichts, was man Euch vorsetzt. Ich werde darauf bedacht sein, Euch zu Hilfe zu kommen, wenn Ihr Euch in Nöten seht; Ihr aber werdet in allem handeln, wie von Eurer Einsicht zu erwarten steht.

Gegeben dahier, am sechzehnten August, um vier Uhr morgens.

Euer Freund, der Herzog

Sancho geriet in großen Schrecken, und die Umstehenden zeigten die gleiche Bestürzung. Er wandte sich zum Haushofmeister und sagte ihm: »Was jetzo zu tun ist, muß auf der Stelle geschehen: der Doktor Stark muß in ein Kerkerloch geworfen werden, denn wenn irgendeiner mich tot haben will, so ist er es sicherlich, und zwar mit dem langsamsten, ärgsten Tod, nämlich dem Hungertod.«

»Auch ich bin der Meinung«, sagte der Truchseß, »daß Euer Gnaden nichts von alldem essen soll, was hier auf der Tafel steht, denn Nonnen haben es hergeschickt, und wie man zu sagen pflegt, hinter dem Kreuze steht der Teufel auf der Lauer.«

»Das kann ich nicht leugnen«, erwiderte Sancho; »so gebt mir für jetzt ein Stück Brot und etwa vier Pfund Trauben, in denen kann kein Gift stecken; denn wahrlich, ich kann’s nicht aushalten, ohne was zu essen. Und wenn wir uns wirklich für die bewußten Schlachten bereithalten sollen, die uns dräuen, so müssen wir notwendigerweise gehörig genährt sein, denn der Magen hält das Herz aufrecht und nicht das Herz den Magen. Ihr aber, Geheimschreiber, verfaßt eine Antwort an den Herzog, meinen Herrn, und sagt ihm, es soll alles ausgeführt werden, was er befiehlt und wie er es befiehlt, ohne daß ein Tüpfelchen daran fehlt. Gebt auch der Herzogin, meiner gnädigen Frau, einen Handkuß von mir, und ich lasse sie bitten, sie möge nicht vergessen, meinen Brief und mein Bündel mit einem besonderen Boten an meine Frau Teresa Pansa zu senden; sie würde mir dadurch eine große Gnade erweisen, und ich würde mich bemühen, ihr in allem, was meine Kräfte vermögen, zu dienen. Ihr könnt auch einen Handkuß für meinen Herrn Don Quijote einflicken, damit er sieht, daß ich für sein Brot dankbar bin. Und als ein guter Geheimschreiber und ein guter Biskayer könnt Ihr noch beifügen, soviel Ihr Lust habt und was sich am besten schickt. Jetzt aber deckt ab oder gebt mir was zu essen, und ich meinesteils will schon mit allen Kundschaftern und Mördern und Zauberern fertigwerden, die etwa mich und meine Insul angreifen wollen.«

Indem trat ein Hausdiener ein und sagte: »Es ist ein Bauer da, der ein Anliegen hat, und er will über das Anliegen, das, wie er sagt, sehr wichtig ist, mit Euer Gnaden sprechen.«

»Das ist ein seltsam Ding mit den Leuten, die ein Anliegen haben«, sprach Sancho; »können sie so dumm sein und nicht einsehen, daß derlei Stunden wie die jetzige nicht die Zeit sind, wo man kommt und über ein Anliegen verhandelt? Sind vielleicht wir Statthalter, wir Richter nicht auch Menschen von Fleisch und Blut? Kann man uns denn nicht so lange ausruhen lassen, als unser Bedürfnis erfordert? Sollen wir denn aus Marmelstein sein? Bei Gott und meiner armen Seele, wenn meine Statthalterschaft länger dauert – sie wird aber nicht dauern, wie ich schon merke –, so will ich mehr als einen von denen, die mit Anliegen kommen, gehörig vornehmen. Jetzt sagt dem Menschen, er soll eintreten; aber man soll vorher achthaben, daß er nicht einer von den Kundschaftern ist oder gar mein Mörder.«

»Gewiß nicht, Señor«, antwortete der Diener, »denn er sieht aus wie einer, der das Pulver nicht erfunden hat, und ich müßte mich nicht drauf verstehen, wenn er nicht so unschuldig ist wie das liebe Brot.«

»Es ist nichts zu fürchten«, sagte der Haushofmeister, »wir sind ja alle hier zur Hand.«

»Ginge es nicht an, Truchseß«, sprach Sancho, »daß ich jetzt, wo der Doktor Stark nicht da ist, etwas Tüchtiges und Nahrhaftes zu mir nähme, wäre es auch nur ein Stück Brot und eine Zwiebel?«

»Diesen Abend beim Nachtmahl soll die Entbehrung des Mittagessens wiedergutgemacht und soll Euer Gnaden zufriedengestellt und schadlos gehalten werden«, sagte der Truchseß.

»Das gebe Gott«, entgegnete Sancho.

Indem trat der Bauer ein; er sah ganz anständig aus, und man konnte ihm auf tausend Meilen die Ehrlichkeit und Gutmütigkeit aus dem Gesichte lesen. Das erste, was er sagte, war: »Wer ist hier der Herr Statthalter?«

»Wer soll es sein«, antwortete der Geheimschreiber, »als der Herr, der auf dem Sessel sitzt!«

»Dann bücke ich mich in Ehrerbietung vor ihm«, sagte der Bauer, warf sich auf die Knie und erbat sich seine Hand, um sie zu küssen. Sancho verweigerte sie ihm und hieß ihn aufstehen und sagen, was er wolle. Der Bauer tat also und sprach sodann: »Ich, Señor, bin ein Bauer aus Miguel Turra, einem Ort zwei Meilen von Ciudad Real.«

»Haben wir schon wieder ein Machdichfort?« entgegnete Sancho. »Redet nur zu, mein Lieber; ich kann Euch sagen, daß ich Miguel Turra sehr gut kenne und daß es nicht weit von meinem Dorf ist.«

»Die Sache ist die, Señor«, fuhr der Bauer fort, »daß ich durch Gottes Barmherzigkeit mich seinerzeit im Licht und Angesicht der heiligen römisch-katholischen Kirche verheiratet habe; ich habe zwei Söhne, die studieren, und der jüngere studiert auf den Baccalaureus und der ältere auf den Lizentiaten. Ich bin Witwer, denn meine Frau ist gestorben, oder richtiger gesagt, ein schlechter Arzt hat sie mir umgebracht, indem er ihr etwas zum Abführen eingab, während sie schwanger war, und wäre es Gottes Wille gewesen, daß das Kind richtig zur Welt gekommen wäre, und es wäre ein Knabe gewesen, so hätt ich ihn auf den Doktor studieren lassen, damit er auf seine Brüder, den Baccalaur und den Lizentiaten, keinen Neid zu haben brauchte.«

»Demnach«, sagte Sancho, »wäre Eure Frau nicht ums Leben gekommen oder ums Leben gebracht worden, so wäret Ihr anitzo kein Witwer.«

»Nein, Señor, gewiß nicht«, antwortete der Bauer.

»Hiermit also wären wir im reinen«, versetzte Sancho. »Weiter, mein Lieber, es ist jetzt eher Zeit zum Schlafen, als derlei Anliegen zu erledigen.«

»Ich sage also«, sprach der Bauer, »daß mein Sohn, derjenige, der Baccalaur werden soll, sich in ein Mädchen in derselben Stadt verliebt hat namens Clara Perlerina, die Tochter des Andres Perlerino, eines sehr reichen Bauern; und diesen Namen Perlerino haben sie nicht ihrer Abstammung oder sonst ihrer Familie wegen, sondern weil alle aus diesem Hause perlatisch, das heißt gichtbrüchig sind, und damit der Name besser klingt, heißt man sie nicht Perlatische, sondern Perlerins. Allerdings ist auch das Mädchen, wenn man die Wahrheit sagen soll, wie eine Perle vom Morgenland, und wenn man sie auf der rechten Seite anschaut, sieht sie aus wie eine Blume im Feld; aber auf der linken ist’s nicht ganz so, denn es fehlt ihr das linke Auge, das ist ihr von den Blattern ausgelaufen. Und wiewohl die Pockennarben in ihrem Gesicht zahlreich und groß sind, so sagen doch die Leute, die die Clara liebhaben, es wären keine Narben, sondern Gräber, darin die Herzen ihrer Liebhaber begraben werden. Sie liebt die Reinlichkeit so sehr, daß sie, um ihr Gesicht nicht zu verunreinigen, die Nase sozusagen aufgestülpt trägt, so daß es ganz den Anschein hat, als wollte die Nase vor dem Mund davonlaufen. Trotz alledem sieht sie ausnehmend schön aus, denn sie hat einen großen Mund, und wenn nicht darin zehn oder zwölf Vorder- und Backenzähne fehlten, könnte der Mund unter den schönstgeformten mitgehen, ja sich hervortun. Von den Lippen habe ich nichts zu sagen, denn sie sind so dünn und fein, daß, wenn es der Brauch wäre, Lippen aufzuhaspeln, man sie zu einem Strang Zwirn brauchen könnte; doch da ihre Farbe verschieden von der sonst bei Lippen gewöhnlichen ist, so sehen sie gar wunderbar aus, blau und grün und violett gesprenkelt. Aber verzeiht mir, Herr Statthalter, wenn ich so ins einzelne die Züge des Mädchens male, das am Ende doch immerhin meine Tochter werden soll; ich habe sie sehr lieb, und sie mißfällt mir gar nicht.«

»Malt, was Ihr Lust habt«, entgegnete Sancho; »ich habe meine Freude an Eurem Gemälde, und wenn ich nur gegessen hätte, so gäb’s keinen besseren Nachtisch für mich als Eure Konterfeiung.«

»Dafür muß ich ergebensten Dank sagen«, erwiderte der Bauer; »aber was nicht ist, kann noch werden. Und ich sage Euch, Señor, wenn ich ihr liebreizendes Wesen und ihren hohen Wuchs malen könnte, so wäre es etwas Wunderbares; aber ich kann’s nicht, weil sie bucklig ist und der Hals ihr in den Schultern steckt und ihre Knie zum Mund heraufgezogen sind, und bei alledem kann man wohl sehen, daß sie, wenn sie sich aufrichten könnte, mit dem Kopf ans Dach stoßen würde. Auch würde sie meinem Baccalaur schon längst die Hand zur Ehe gereicht haben, nur daß sie sie nicht ausstrecken kann, weil sie lauter Knollen an den Gelenken hat; aber trotzdem sieht man an ihren breiten gerieften Nägeln, daß sie vom echten Schlag und von guter Art ist.«

»Gut jetzt«, fiel Sancho ein, »und bedenkt, daß Ihr sie bereits von Kopf zu Fuß abgeschildert habt. Was wollt Ihr eigentlich? Kommt zur Sache ohne Umwege und Nebenwege, ohne Lappalien und Anhängsel.«

»Ich wünschte, Señor«, erwiderte der Bauer, »Euer Gnaden möchte mir die Gnade erweisen, mir einen Empfehlungsbrief an meinen Gegenschwäher mitzugeben und ihn zu bitten, er möchte die Gewogenheit haben und in diese Heirat willigen, da wir an Gütern des Glücks und der Natur nicht ungleich sind; denn die Wahrheit zu sagen, Herr Statthalter, mein Sohn ist vom Teufel besessen, und es vergeht kein Tag, wo ihn die bösen Geister nicht drei- oder viermal heimsuchen. Und weil er einmal ins Feuer gefallen ist, davon hat er das Gesicht verrunzelt wie Pergament, und die Augen tränen und fließen ihm ein wenig. Aber er hat ein Gemüt wie ein Engel, und wenn er sich nicht manchmal selbst zerprügelte und sich Faustschläge gäbe, wäre er ein gottseliger Junge.«

»Wünscht Ihr sonst noch was, braver Mann?« sprach Sancho dagegen.

»Ich wünschte wohl noch was«, antwortete der Bauer, »nur wage ich es nicht zu sagen; indessen heraus damit, denn zuletzt soll mir’s doch nicht im Leibe verfaulen, mag’s nun glücken oder mißglücken. Ich sage also, Señor, Ich wünschte, Euer Gnaden gäbe mir dreihundert oder sechshundert Taler für die Ausstattung meines Baccalaur, ich meine für die Einrichtung seines Hauses, denn am Ende müssen sie doch selbständig für sich leben, ohne den bösen Launen der Schwiegereltern ausgesetzt zu sein.«

»Überlegt Euch, ob Ihr sonst noch was wollt«, sagte Sancho, »und laßt Euch nicht etwa durch Blödigkeit oder Verschämtheit abhalten, es zu sagen.«

»Nein, gewiß nicht«, antwortete der Bauer.

Und kaum hatte er das gesagt, als der Statthalter auf beide Füße sprang, den Sessel ergriff, auf dem er gesessen hatte, und ausrief: »Ich schwör’s bei dem und jenem, Er Klumpfuß, Er Bauernlümmel, Er Esel, wenn Er mir nicht gleich aus den Augen geht und verschwindet, so will ich Ihm mit diesem Stuhl den Kopf zerschlagen und entzweispalten! Du Schelm von einem Hurensohn, du Hofmaler beim Teufel selber! Jetzt kommst du und verlangst sechshundert Taler von mir? Wo soll ich sie denn hernehmen, du Rotzbub? Und warum soll ich sie dir geben, selbst wenn ich sie hätte, du Gauner, du hirnverbrannter Kerl? Was liegt mir an Miguel Turra und der ganzen Sippschaft der Perlerins? Fort mit dir, sag ich; oder, beim Leben des Herzogs, meines Herrn, ich tue, was ich gesagt. Du bist sicher nicht aus Miguel Turra, sondern bist so ein Spitzbube, den die Hölle hergeschickt hat, um mich zu versuchen. Sag mir doch, Verruchter, es ist noch nicht einmal anderthalb Tage her, seit ich Statthalter bin, und du willst, ich soll schon sechshundert Taler haben?«

Der Truchseß winkte dem Bauern, er solle den Saal verlassen; der ließ den Kopf hängen und ging, scheinbar voller Furcht, der Statthalter möchte seine Drohung ausführen; der arge Schelm wußte seine Rolle aufs beste zu spielen.

Aber lassen wir Sancho jetzt mit seinem Zorn, lassen wir Frieden im Kreise dort walten und kehren wir zurück zu Don Quijote, den wir mit verbundenem Gesicht verlassen haben, der Heilung seiner Kratzwunden obliegend, von welchen er in acht Tagen noch nicht völlig hergestellt war. An einem dieser acht Krankentage begegnete ihm etwas, was Sidi Hamét mit derselben Genauigkeit und Wahrheitsliebe zu erzählen verspricht, wie er alle Umstände in dieser Geschichte zu erzählen pflegt, so geringfügig sie auch seien.

48. Kapitel


Von der Begebenheit zwischen Don Quijote und Doña Rodríguez, der Kammerfrau der Herzogin, nebst andern Ereignissen, so des Niederschreiben und ewigen Gedächtnisses würdig sind

Äußerst traurig und niedergeschlagen saß der sehr wunde Don Quijote da; sein Gesicht war verbunden und nicht von Gottes Hand, sondern von Katzenkrallen gezeichnet; ein Mißgeschick solcher Art, wie es eben dem fahrenden Rittertum anhängt. Sechs Tage verbrachte er, ohne unter die Leute zu gehen. Während dieser Zeit lag er einmal eines Nachts wach und ruhelos und dachte an sein Unglück und an Altisidoras Verfolgungen; da hörte er, wie die Tür seines Gemaches mit einem Schlüssel geöffnet wurde, und sogleich kam er auf die Vermutung, das verliebte Fräulein nahe sich, um einen Sturm auf seine Keuschheit zu unternehmen und ihn in eine Lage zu bringen, daß er die Treue brechen müsse, die er seiner Herrin Dulcinea von Toboso schuldete.

»Nein«, sagte er, bereits fest glaubend, was seine Einbildung ihm vorspiegelte – und er sagte es so laut, daß man es draußen hören konnte –, »nicht die größte Schönheit auf Erden soll die Macht haben, daß ich die anzubeten aufhöre, die ich in meines Herzens Mitte und an der verborgensten Stelle meines Innern eingegraben und eingezeichnet trage; ob du nun, meine geliebte Herrin, in eine zwiebelrunde Bäuerin verwandelt seiest oder in eine Nymphe des goldenen Tajo, die da aus Gold und Seide Gewebe webt, oder ob Merlin oder Montesinos dich an einem Ort festgebannt halten, wo es sie gelüstet, denn allerorten, wo du sein magst, bist du mein, und allwärts, wo ich sein mag, bleibe ich der Deine.«

Im gleichen Augenblick, da er diese Worte zu Ende sprach, sah er die Tür aufgehen. Er stellte sich auf seinem Bette aufrecht, von oben bis unten in eine Decke von gelbem Atlas eingehüllt, ein Nachtkäppchen auf dem Kopf, das Gesicht und den Schnurrbart verbunden: das Gesicht wegen der Schrammen von den Katzenkrallen, den Schnurrbart, damit er sich nicht in Unordnung auflöse und herabfalle. In diesem Aufzug sah er aus wie der seltsamste Spuk, der sich erdenken läßt. Er heftete die Augen starr auf die Tür, und als er schon erwartete, die ihrem Sieger hingegebene liebeskranke Altisidora werde hereinschreiten, sah er eine äußerst ehrwürdige Kammerfrau eintreten, in einer weißen Haube mit so breiten und langen Säumen, daß sie damit von Kopf zu Füßen umhüllt und umschleiert war. In den Fingern der linken Hand hielt sie ein brennendes Kerzenstümpfchen, und mit der rechten beschattete sie ihr Gesicht, damit ihr das Licht nicht in die Augen schien, vor welchen sie eine große Brille trug. Sie schritt leise einher und setzte ihre Füße sachte auf.

Don Quijote schaute von seiner Warte auf sie hernieder, und als er ihren Aufzug sah und ihr Stillschweigen gewahrte, glaubte er, es komme eine Hexe oder Zauberin daher, um an ihm etwelche arge Freveltat zu verüben, und begann in aller Hast sich zu bekreuzen. Die Erscheinung trat näher, und als sie bis zur Mitte des Zimmers gekommen, erhob sie die Augen und sah, wie hastig Don Quijote sich bekreuzte; und wenn er erschrocken war, eine solche Gestalt zu sehen, so war sie ganz entsetzt, die seinige zu erblicken; und als sie ihn so hochgestreckt und so gelb von Gesicht sah, mit der Bettdecke und dem Verband, der ihn entstellte, schrie sie laut auf und rief: »Jesus! Was seh ich?«

Vor Schreck fiel ihr die Kerze aus der Hand, und als sie sich im Dunkeln fand, wendete sie den Rücken, um davonzulaufen, stolperte vor lauter Bestürzung über ihre Schleppe und tat einen schweren Fall. Don Quijote fing vor Angst zu schreien an: »Ich beschwöre dich, Gespenst, oder was du sein magst, sag mir, wer du bist, und sag mir, was du von mir willst. Bist du eine Seele aus dem Fegefeuer, so sage mir’s, ich will für dich tun, soviel meine Kräfte vermögen, denn ich bin ein katholischer Christ und tue gern Gutes an jedermann, und darum hab ich mir den Orden der fahrenden Ritterschaft erkoren, zu dem ich mich bekenne und dessen Amt sich selbst darauf erstreckt, den Seelen im Fegfeuer wohlzutun.«

Die von ihrem Fall gequetschte Kammerfrau, die sich also beschwören hörte, schloß aus ihrer Furcht auf die Don Quijotes und antwortete ihm mit schmerzlichem leisem Tone: »Señor Don Quijote – sofern etwa Euer Gnaden wirklich Don Quijote ist –, ich bin kein Gespenst und keine Erscheinung und keine Seele aus dem Fegfeuer, sondern Doña Rodríguez, die Ehrendame der gnädigen Frau Herzogin, und will in einer von jenen Nöten, denen Ihr Abhilfe zu schaffen pflegt, mich an Euer Gnaden wenden.«

»Sagt mir, Señora Doña Rodríguez«, sprach Don Quijote, »kommt Ihr vielleicht in der Absicht, hier eine Kuppelei zu versuchen? Denn ich tu Euch zu wissen, ich bin für niemand nütze, dank der unvergleichlichen Schönheit meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso. Ich sag Euch also, Señora Doña Rodríguez, sofern Ihr jede Liebesbotschaft vermeidet und beiseite laßt, könnt Ihr Eure Kerze wieder anzünden, und dann kommt wieder, und dann wollen wir über alles sprechen, was Ihr mir auftragen wollt und wozu Ihr Lust habt, doch jede aufregende Süßrednerei ausgenommen.«

»Ich von jemandem Liebesbotschaft, verehrter Herr?« entgegnete die Kammerfrau. »Da kennt mich Euer Gnaden schlecht. Jawohl, noch bin ich nicht so alt, daß ich mich auf solche Kindereien einlassen sollte; Gott sei Dank habe ich noch meinen vollen Verstand im Leibe und habe all meine Vorder- und Backenzähne im Mund, ausgenommen etliche wenige, um die mich ein böses Flußfieber schändlich gebracht hat, wie es in unsrem aragonischen Lande so häufig vorkommt. Aber wartet ein wenig, Herr Ritter, ich geh hinaus und zünde eine Kerze an und komme in einem Augenblick zurück, um Euch meine Bekümmernisse zu klagen, als dem Manne, der allen Bekümmernissen auf der Welt Abhilfe schafft.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ sie das Gemach, während Don Quijote dortblieb und sie geruhsam und nachdenklich erwartete. Aber bald bestürmten ihn tausend Gedanken ob dieses neuen Abenteuers; es schien ihm, er habe nicht recht gehandelt und noch weniger es recht bedacht, daß er sich in die Gefahr begebe, seiner Gebieterin die verheißene Treue zu brechen, und er sprach zu sich selbst: Wer weiß, ob nicht der Teufel, der schlau und voller Tücken ist, mich jetzt mit einer Kammerfrau berücken will, was er mit Kaiserinnen, Königinnen, Herzoginnen, Markgräfinnen und Gräfinnen nicht vermocht hat? Oftmals habe ich, und zwar von vielen einsichtsvollen Leuten, sagen hören, wenn er es nur irgendwie vermag, hat er dich lieber mit einer stumpfen Nase als mit einer Adlernase zum besten; und wer weiß, ob nicht diese Einsamkeit, diese Gelegenheit, diese Stille meine schlummernden Begierden aufwecken und bewirken werden, daß ich am Ende meiner Jahre da falle, wo ich noch nie gestrauchelt bin? In dergleichen Fällen ist fliehen besser als den Kampf erwarten. Doch ich muß wohl nicht recht bei Verstande sein, da ich solchen Unsinn sage und denke. Es ist nicht möglich, daß eine alte, weißbehaubte, lange und bebrillte Kammerfrau einen lüsternen Gedanken auch nur in dem ruchlosesten Herzen auf Erden erregen oder aufjagen kann. Gibt es vielleicht eine Kammerfrau auf dem weiten Erdenkreis, die anders als widerwärtig, sauertöpfisch und zieräffisch wäre? Fort also, du kammerfrauliche Sippschaft, untauglich zu jedem frohen Genuß der Menschheit! O wie recht hat jene Dame getan, von der man sagte, sie habe zwei alte Kammerfrauen, nämlich Puppen mit Lappen ausgestopft, mit ihren Brillen und Nähkissen neben ihrem Sessel stehen, gerade als ob sie Handarbeiten verrichteten, und diese Puppen hätten ihr für die Erhaltung der Hausordnung ganz dieselben Dienste geleistet wie leibhaftige Kammerfrauen.

Mit diesen Worten sprang er aus dem Bett, um die Tür abzuschließen und die Frau Rodríguez nicht hereinzulassen; aber gerade als er beim Zuschließen war, da kehrte schon Frau Rodríguez mit einer brennenden Kerze von weißem Wachs zurück, und als sie Don Quijote nun von nahem sah, eingewickelt in seine Bettdecke, mit seinem Verbande und seinem Nachtkäppchen oder Mützchen mit Ohrlappen, bekam sie abermals Furcht, zog sich etwa zwei Schritte zurück und sagte: »Sind wir Damen hier sicher, Herr Ritter? Denn ich erachte es nicht für ein Zeichen besonderer Züchtigkeit, daß Euer Gnaden vom Bett aufgestanden ist.«

»Das nämliche habe auch ich Anlaß zu fragen, Señora«, antwortete Don Quijote; »und sonach frage ich, ob ich sicher davor bin, daß ich nicht angefallen und mir Gewalt angetan werde.«

»Gegen wen oder von wem verlangt Ihr, Herr Ritter, diese Sicherheit?« entgegnete die Alte.

»Von Euch und gegen Euch verlange ich sie«, antwortete Don Quijote, »denn ich bin weder von Marmelstein, noch seid Ihr von Erz; und jetzt ist auch nicht zehn Uhr morgens, sondern Mitternacht und sogar noch was darüber, wie ich meine; und wir befinden uns in einem fester verschlossenen und heimlicheren Raum, als es jene Höhle sein mochte, wo der verräterische, vermessene Äneas die Liebe der schönen frommen Dido genoß. Aber reicht mir die Hand, Señora; ich will keine größere Sicherheit als die, so meine Enthaltsamkeit und Keuschheit und Eure höchst ehrwürdige Haube mir gewähren.«

Mit diesen Worten küßte er ihr die rechte Hand und bot ihr die seinige, und sie reichte ihm die ihre mit den nämlichen Umständlichkeiten.

Hier schaltet Sidi Hamét eine Äußerung zwischen Klammern ein; nämlich er versichert beim Mohammed, um die zwei, so innig Hand in Hand verschlungen, miteinander von der Tür nach dem Bett gehen zu sehen, würde er den besten Kaftan hergeben von den zweien, die er besitze.

Don Quijote legte sich alsdann in sein Bett, und Doña Rodríguez setzte sich etwas entfernt davon auf einen Stuhl, ohne die Brille oder die Kerze wegzulegen. Don Quijote kauerte sich zusammen, zog die Decke ganz über sich und ließ nichts weiter als das Gesicht frei. Nachdem beide sich nun völlig beruhigt, brach Don Quijote zuerst das Schweigen mit diesen Worten: »Meine verehrte Doña Rodríguez, Ihr könnt Euch jetzt offenbaren und alles von Euch geben, was Ihr auf Eurem bekümmerten Herzen und in Eurem betrübten Gemüte habt, und Ihr sollt von mir mit keuschen Ohren angehört und mit Werken der Barmherzigkeit unterstützt und errettet werden.«

»Das glaube ich gerne«, versetzte die alte Kammerfrau, »denn von dem edlen und freundlichen Aussehen Euer Gnaden ließ sich nur eine so christliche Erwiderung erwarten. Es ist die Sache nun die: Wiewohl mich Euer Gnaden auf diesem Stuhle, mitten im Königreich Aragon, in der Tracht einer demütigen und tiefbekümmerten Kammerfrau sieht, so bin ich doch aus der asturischen Landschaft Oviedo gebürtig und stamme von einem Geschlechte, mit welchem viele von den Vornehmsten jener Landschaft versippt sind; aber mein Unglück und die Lässigkeit meiner Eltern, welche vor der Zeit verarmten, ohne zu wissen wann und wie, führten mich in die Residenz nach Madrid, wo, in der allerbesten Absicht und um größeres Unheil zu verhüten, meine Eltern mich bei einer vornehmen Dame unterbrachten, um da als Haus- und Nähmädchen zu dienen. Und ich muß Euer Gnaden zu wissen tun, im Hohlsäumen und im Weißnähen hat es mir in meinem ganzen Leben nie eine andre zuvorgetan. Meine Eltern ließen mich im Dienst und kehrten nach ihrer Heimat zurück, und wenige Jahre nachher sind sie hingeschieden und gewiß in den Himmel eingegangen, denn sie waren gute katholische Christen. Ich war nun verwaist und mußte mit dem elenden Lohn auskommen und den erbärmlichen Geschenken, die man dergleichen Dienerinnen in einem vornehmen Hause zu geben pflegt.

Um diese Zeit, ohne daß ich Anlaß dazu gegeben hätte, verliebte sich einer unsrer Kammerjunker in mich, ein Mann schon bei Jahren, mit hübschem Bart und stattlichem Aussehen, insbesondere aber von so gutem Adel wie der König, denn er stammte aus dem Gebirge. Unser Liebesverhältnis blieb nicht so geheim, daß es nicht zur Kenntnis meiner gnädigen Frau hätte kommen müssen, und diese, um allem Geschwätz und Gerede vorzubeugen, verheiratete uns mit Zustimmung und angesichts unsrer hl. Mutter, der römisch-katholischen Kirche. Aus dieser Ehe entsproßte eine Tochter, um all meinem Glück, wenn ich je glücklich gewesen, den Todesstoß zu versetzen; nicht als ob ich an der Geburt des Kindes gestorben wäre, denn ich bekam es ganz in der Ordnung und zu rechter Zeit, sondern weil kurz nachher mein Gatte an einem gewissen Schreck, den er hatte, starb, und wäre es jetzt an der Zeit, den Vorfall zu erzählen, so weiß ich, Euer Gnaden würde sich höchlich wundern.«

Hierbei begann sie kläglich zu weinen und fuhr folgendermaßen fort: »Señor Don Quijote, Euer Gnaden wolle mich entschuldigen, ich kann nicht länger an mich halten, denn jedesmal, wenn ich an meinen unglücklichen Verstorbenen denke, füllen sich meine Augen mit Tränen. So wahr mir Gott helfe, wie vornehm sah er aus, wenn er meine gnädige Frau geleitete und sie hinter ihm auf der Kruppe eines mächtigen Maultieres ritt, das schwarz war wie Ebenholz. Damals gab es weder Kutschen noch Tragsessel, wie sie jetzt bräuchlich sein sollen, und die Damen ritten auf der Kruppe hinter ihren Kammerjunkern. Aber dies wenigstens kann ich nicht umhin Euch zu erzählen, damit Ihr seht, welch feine Lebensart mein guter Mann hatte und wie peinlich er in allem auf Anstand hielt. Beim Einbiegen in die Santiagostraße zu Madrid, die etwas eng ist, kam ihm ein Oberhofrichter mit zwei Gerichtsdienern entgegen, und sobald mein lieber Kammerjunker ihn erblickte, wendete er, so daß man sah, er wolle dem Herrn das Geleite geben. Meine Gebieterin, die auf der Kruppe ritt, sagte leise zu ihm: ›Was tut Ihr, einfältiger Mensch? Wißt Ihr nicht etwa, daß ich da bin?‹ Der Hofrichter hielt als höflicher Mann sein Pferd an und sprach zu ihm: ›Reitet nur Eures Weges weiter, Señor; mir kommt es zu, meiner gnädigen Frau Doña Casildéa‹ – so hieß meine Dienstherrin – ›das Geleite zu geben‹. Trotzdem bestand mein Mann darauf, seine Mütze in der Hand, dem Hofrichter das Geleite zu geben. Als meine Gnädige das sah, zog sie voll Zorn und Ärger eine große Stecknadel, oder, ich glaub, es war eine Ahle, aus ihrem Besteck und stach sie ihm in die Lenden, so daß mein Mann laut aufschrie und sich so winden und krümmen mußte, daß er seine Gebieterin zu Boden warf. Zwei ihrer Lakaien eilten herbei, um sie aufzuheben, und dasselbe tat der Hofrichter mit den Gerichtsdienern. Das ganze Guadalajar-Tor geriet in Aufruhr, ich meine das müßige Volk, das sich dort umhertrieb. Meine Gebieterin ging zu Fuß nach Hause, und mein Mann lief zu einem Barbier und klagte, ihm seien die Eingeweide durch und durch gestochen. Das höfliche Benehmen meines Mannes wurde bekannt, und zwar so allgemein, daß ihm die Jungen auf den Gassen nachliefen, und deshalb, und weil er kurzsichtig war, hat ihn meine Gebieterin verabschiedet; und von dem Kummer darüber, glaub ich ganz gewiß, ist ihm seine tödliche Krankheit gekommen.

Ich war nun Witwe, ohne Beschützer und mit einer Tochter auf dem Hals, die an Schönheit ständig zunahm wie der Schaum im Meer. Zuletzt, da ich im Ruf der vorzüglichsten Näherin stand, geruhte meine gnädige Frau, die Herzogin, die mit dem Herzog, meinem Herrn, erst kürzlich vermählt war, mich hierher in das Königreich Aragonien mitzunehmen, ja meine Tochter auch. Und wie die Tage kamen und gingen, wuchs meine Tochter heran und in ihr alle Reize der Welt; sie singt wie eine Lerche, tanzt, springt im Reigen wie der Gedanke so flüchtig und tanzt jeden Kunstreigen wie besessen; sie liest und schreibt wie ein Schulmeister und rechnet wie ein Geizhals; wie sie sich sauberhält, davon will ich gar nichts sagen, das fließende Wasser ist nicht sauberer; sie muß jetzt, wenn ich mich recht entsinne, sechzehn Jahre, fünf Monate und drei Tage alt sein, einen vielleicht mehr oder weniger. Kurz, in diese meine Tochter hat sich der Sohn eines sehr reichen Bauern verliebt; er wohnt in einem Dorf, nicht weit von hier, das dem Herzog, meinem Herrn, gehört. Zuletzt, ich weiß nicht wann noch wie, sind sie zusammengekommen, und mit einem Eheversprechen hat er dann meine Tochter betrogen und will ihr das Versprechen nicht halten. Und wiewohl der Herzog, mein Herr, es weiß, denn ich habe mich bei ihm nicht einmal, sondern oftmals beschwert und ihn gebeten, dem Bauern zu befehlen, daß er meine Tochter heiratet, so hat er für mich Ohren wie ein Handelsmann, dem man von seinen Schulden spricht; er hört mich kaum an, und der Grund ist, weil der Vater des Verführers so reich ist und ihm Geld leiht und ihm jeden Augenblick als Bürge einsteht für seine leichtsinnigen Schulden, so will er ihn nicht verärgern und ihm keine Unannehmlichkeiten bereiten.

Ich wünschte also, verehrter Herr, Ihr möchtet es auf Euch nehmen, diese Ungebühr abzustellen, sei es mittels Bitten, sei es mittels der Waffen, da, wie die ganze Welt sagt, Euer Gnaden zur Welt gekommen, um Ungebührlichkeiten abzustellen, Unrecht wieder zurechtbringen und die im Elend liegen zu schirmen. Stelle sich Euer Gnaden die Verwaistheit meiner Tochter vor, ihr reizendes Wesen, ihre Jugend und all ihre guten Eigenschaften, wie ich gesagt; ja bei Gott und meiner armen Seele, von allen Fräulein, die meine gnädige Frau hat, ist keine einzige, die ihr nur bis an die Schuhsohlen reicht. Da ist eine namens Altisidora, die sie für die aufgeweckteste und allerliebste halten, aber meiner Tochter kann sie sich nicht auf zwei Meilen nähern, denn Ihr müßt wissen, verehrter Herr, es ist nicht alles Gold, was gleißt, und diese Altisidora hat mehr Selbstüberhebung als Schönheit und ist mehr dreist als sittsam. Außerdem ist sie auch nicht recht gesund und hat so einen widerlichen Atem; daß man es keinen Augenblick bei ihr aushalten kann. Ja, auch meine gnädige Frau, die Herzogin … Aber ich will schweigen, denn, wie man zu sagen pflegt, die Wände haben Ohren.«

»Woran denn hapert es bei der Frau Herzogin? Bei meinem Leben beschwör ich Euch, Señora Doña Rodríguez?!« fragte Don Quijote.

»Nach solcher Beschwörung«, antwortete die Kammerfrau, »kann ich nicht umhin, auf die mir gestellte Frage nach voller Wahrheit zu antworten. Seht Ihr, Señor Don Quijote, die Schönheit meiner gnädigen Frau Herzogin? Den zarten Schmelz ihres Gesichts, der geradeso aussieht wie der Glanz eines geschliffenen polierten Schwertes? Die beiden Wangen von Milch und Blut, deren eine strahlt wie die Sonne und die andre wie der Mond? Und den lieblichen Anstand, mit dem sie über den Boden schreitet, ja ihn zu betreten verschmäht, so daß es aussieht, als gieße sie Gesundheit aus auf jede Stelle, über die sie hinwandelt? Nun, so hört denn, daß sie es zunächst zwar Gott zu danken hat, sodann aber zwei Fontänen, die sie an beiden Beinen hat und aus denen all die bösen Säfte abfließen, deren sie voll ist, wie die Ärzte sagen.«

»Heilige Maria!« sprach Don Quijote; »ist es möglich, daß die gnädige Frau Herzogin solche Abflußkanäle hat? Ich hätte es niemals geglaubt, selbst wenn es mir die Barfüßermönche gesagt hätten; allein wenn Señora Doña Rodríguez es sagt, so muß es wahr sein. Jedoch müssen solche Fontänen an solcher Stelle nicht böse Säfte, sondern flüssiges Ambra ausgießen. Wahrlich, jetzt erst bin ich völlig, überzeugt, daß der Besitz solcher Quellflüsse von hoher Wichtigkeit für die Gesundheit ist.«

Kaum hatte Don Quijote seinen Satz zu Ende gesprochen, als die Türen des Gemaches mit einem kräftigen Ruck aufgerissen wurden; vor plötzlichem Schreck fiel der Doña Rodríguez die Kerze aus der Hand, und es wurde so finster im Zimmer wie in einem Wolfsrachen, wie man zu sagen pflegt. Gleich darauf fühlte die arme Kammerfrau, wie jemand sie mit beiden Händen so fest an der Kehle packte, daß sie nicht einmal keuchen konnte, und wie eine andre Person mit größter Geschwindigkeit, ohne ein Wort zu reden, ihr den Rock aufhob und mit einem Ding, das ein Pantoffel schien, ihr alsbald so viel Hiebe aufzählte, daß es zum Erbarmen war. Und wiewohl Don Quijote dies Erbarmen wirklich mit ihr fühlte, rührte er sich nicht aus seinem Bette und blieb ruhig und still, ja sogar voller Furcht, es werde ein voll gerüttelt und geschüttelt Maß Prügel nun auch ihm zugute kommen.

Und seine Furcht war nicht vergebens; denn sobald die schweigsamen Peiniger die Kammerfrau, die nicht einmal zu jammern wagte, genugsam zerbleut hatten, machten sie sich an Don Quijote, wickelten ihn aus dem Bettlaken und der Decke heraus und kneipten ihn so unablässig und so stark, daß er nicht anders konnte, er mußte sich mit Faustschlägen verteidigen, und all dies in wunderbarem Schweigen. Der Kampf dauerte etwa eine halbe Stunde; die Spukgestalten entfernten sich; Doña Rodríguez nahm ihre Röcke zusammen und ging, ihr Mißgeschick beseufzend, zur Tür hinaus, ohne ein Wort zu Don Quijote zu sagen. Dieser aber, schmerzensreich und wohlgekneipt, in Unklarheit über alles und in tiefem Nachdenken, blieb allein zurück; und da wollen wir ihn lassen mit seinem sehnlichen Verlangen, zu erfahren, wer der verruchte Zauberer gewesen, der ihn so zugerichtet.

Aber dies wird sich seinerzeit schon finden; Sancho Pansa ruft uns, wie es der Zusammenhang der Geschichte verlangt.

49. Kapitel


Von dem, was unserm Sancho Pansa begegnete, da er auf seiner Insul die Runde machte

Wir verließen den großen Statthalter ärgerlich und aufgebracht über den verschmitzten Bauern, der so schön zu konterfeien wußte. Er war von dem Haushofmeister angeleitet, wie dieser von dem Herzog, um Sancho zum besten zu haben; aber dieser, obschon einfältig, plump und derb, war Manns genug gegen all und jeden. Er sprach zu den Umstehenden – auch zum Doktor Peter Stark, der, nachdem man mit dem Geheimnis im Brief des Herzogs fertiggeworden, wieder in den Saal gekommen war: »Jetzt sehe ich es in der Tat ein, daß Richter und Statthalter von Erz sein oder werden müssen, um nicht die Zudringlichkeit der Leute zu empfinden, die ein Anliegen haben und verlangen, daß man sie zu jeder Stunde und zu jeder Zeit anhören und abfertigen und sich bloß mit ihrem Anliegen beschäftigen soll, mag dazwischenkommen, was mag; und wenn der arme Kerl von Richter sie nicht anhört und abfertigt, entweder weil er nicht kann oder weil er gerade keine Sprechstunde hat, gleich verwünschen sie ihn und murren über ihn und zerreißen ihn bis auf die Knochen, ja sie hecheln sogar seine Familie durch. Du dummer Mensch mit deinem Anliegen! Hab doch nicht solche Eile, warte Zeit und Gelegenheit ab, um deine Sache zu betreiben! Komm doch nicht zur Essenszeit und nicht zur Schlafenszeit; die Richter sind auch von Fleisch und Blut und müssen der Natur den Zoll entrichten, den sie von ihnen nach dem Naturgesetz verlangt; ausgenommen ich, der ich meiner Natur nichts zu essen gebe, dank dem Herrn Doktor Peter Stark aus Machdichfort, der da vor mir steht und der mich Hungers sterben lassen will und behauptet, solch ein Sterben sei Leben. So gebe ihm Gott ein solches Leben, ihm und allen denen von seiner Sippschaft! Ich meine die Sippschaft der schlechten Ärzte, denn die guten verdienen Palmen und Lorbeer.«

Alle, die Sancho Pansa kannten, waren voll Verwunderung, ihn so gebildet reden zu hören, und wußten nicht, welchem Umstande dies zuzuschreiben, wenn nicht dem, daß wichtige Ämter und Dienstpflichten den Verstand schärfen, falls sie ihn nicht gänzlich lähmen. Zuletzt versprach der Doktor Peter Stark von Deutungen aus Machdichfort, ihm diesen Abend ein Nachtessen zu verabreichen, obwohl er damit alle Lehrsätze des Hippokrates übertrete.

Hiermit gab sich der Statthalter zufrieden und wartete mit großer Sehnsucht auf den Anbruch der Nacht und die Stunde des Abendessens; und obschon es ihm vorkam, als stünde die Zeit still und bewegte sich nicht von der Stelle, so kam doch endlich die ersehnte Stunde; er bekam gehacktes Rindfleisch mit Zwiebeln und ein paar gedämpfte Kalbsfüße, die schon etwas bei Jahren waren. Er machte sich über all dieses mit größerem Genusse her, als wenn man ihm Mailänder Haselhühner, römische Fasanen, Kalbfleisch von Sorrent, Rebhühner von Moron oder Gänse von Lavajos vorgesetzt hätte; und während des Essens wandte er sich an den Doktor und sagte zu ihm: »Merkt Euch, Herr Doktor, gebt Euch künftig keine Mühe, mir kostbare Sachen und ausgesuchte Gerichte zum Essen bringen zu lassen, denn damit würdet Ihr meinen Magen aus seinem Geleise bringen, da er an Ziegen- oder Rindfleisch, an Speck und Dörrfleisch, an Rüben und Zwiebeln gewöhnt ist, und vielleicht, wenn man ihm herrschaftliche Gerichte bietet, nimmt er sie mit Widerwillen zu sich, ja zuweilen mit Ekel. Was der Truchseß tun kann, ist, daß er mir öfter eine Olla podrida vorsetzt, wo alles wie Kraut und Rüben untereinander ist, und je ärger das Untereinander, desto besser schmeckt es, und er kann alles, was er will, wenn es nur was zu essen ist, hineintun und daruntermengen, und ich werd es ihm schon einmal danken und vergelten. Auch soll keiner sich unterstehen, mich zum Narren zu halten, denn entweder wir sind da oder wir sind nicht da. So wollen wir denn alle in Frieden und Freundschaft miteinander leben, denn wenn Gott die Sonne aufgehen läßt, so geht sie für jedermann auf. Ich will in dieser Insul als Statthalter regieren und lasse das Recht nicht brechen und mich nicht bestechen; und jedermänniglich soll die Augen auftun und Achtung geben, daß ihn keiner zum Hanswurst macht, denn ich sag ihm, bei mir sind alle Teufel los, und wenn man mich reizt, so soll man sein blaues Wunder erleben. Ja freilich, macht euch nur zu Honig, so fressen euch die Fliegen!«

»Gewiß, Herr Statthalter«, sagte der Truchseß, »Euer Gnaden hat vollkommen recht mit allem, was Ihr sagt; und im Namen aller Insulaner auf dieser Insul, die Euch aufs pünktlichste zu dienen stets bereit sind, biete ich Euch Liebe und Freundschaft dar; denn Eure milde Regierungsweise in diesen Anfängen Eurer Statthalterschaft läßt ihnen keine Möglichkeit, irgend etwas zu tun oder zu wollen, das gegen Euer Gnaden Bestes wäre.«

»Das glaub ich wohl«, entgegnete Sancho, »und sie wären Narren, wenn sie was anderes täten oder wollten; und ich wiederhole, man soll auf meinen Unterhalt wohl bedacht sein wie auch auf den meines Grauen, was bei diesem ganzen Handel das Wichtigste ist und worauf es am allermeisten ankommt. Sobald es aber Zeit ist, wollen wir die Runde machen; es ist meine Absicht, diese Insul von allem Unrat und von landstreicherischem, faulem und sittenlosem Gesindel zu säubern; denn ihr müßt wissen, Freunde, das unnütze träge Volk ist im Gemeinwesen ganz das nämliche wie die Drohnen im Bienenstock, die den Honig verzehren, den die Arbeitsbienen bereiten. Ich gedenke den Bauern aufzuhelfen, den Edelleuten ihre Vorrechte zu wahren, die Tugendhaften zu belohnen und vor allem die Religion und die Würde der Geistlichen in Ehren zu halten. Was meint ihr dazu, Freunde? Habe ich recht, oder habe ich Stroh im Hirn?«

»Euer Gnaden hat so sehr recht, Herr Statthalter«, antwortete der Haushofmeister, »daß ich erstaunt bin, wie ein Mann so ganz ohne Schulbildung wie Ihr – denn soviel ich glaube, habt Ihr gar keine – solches und so vieles sagen kann, was voller Kernsprüche und Belehrung ist, während dies doch so fernab liegt von allem, was diejenigen von Euer Gnaden Geistesgaben erwartet haben, welche uns hierhergesendet, und ebenso wir, die wir hierhergekommen sind. Jeden Tag erlebt man Neues auf der Welt; Spott und Scherz wird zu Ernst, und die Spötter werden am Ende selbst zum Spott.«

Es kam die Nacht, und der Statthalter hatte sich gesättigt, mit Erlaubnis des Herrn Doktor Stark. Man versah sich nun mit allem Erforderlichen zur Runde; Sancho verließ seine Wohnung mit dem Haushofmeister, dem Geheimschreiber und dem Truchseß, mit dem Chronisten, dem es oblag, Sanchos Taten zum steten Gedächtnis aufzuzeichnen, und mit so viel Häschern und Gerichtsschreibern, daß sie schon einen hübschen Trupp ausmachen konnten. Sancho ging in der Mitte mit seinem Richterstab; man konnte nichts Stattlicheres sehen. Nachdem sie einige Straßen durchzogen hatten, hörten sie Schwertergeklirr; sie eilten hinzu und fanden zwei Männer, die miteinander fochten. Als diese aber die Gerichtsbeamten kommen sahen, hielten sie inne, und einer von ihnen rief: »Hierher, in Gottes und des Königs Namen! Was, soll man es ertragen, daß mitten unter Menschen in dieser Stadt Raub getrieben wird und daß man mitten auf der Straße wie Wegelagerer die Leute anfällt?«

»Beruhigt Euch, braver Mann«, sprach Sancho, »und erzählt mir, warum Ihr Euch schlagt; ich bin der Statthalter.«

Der andre der zwei Streitenden sprach: »Herr Statthalter, ich will es Euch in kurzen Worten sagen. Euer Gnaden soll erfahren, daß dieser Biedermann soeben in dem Spielhause dort drüben über tausend Realen gewonnen hat, Gott weiß wie; ich war dabei und habe mehr als einen zweifelhaften Wurf mit meinem Schiedsspruch zu seinen Gunsten entschieden, gegen das Gebot meines eigenen Gewissens. Er stand mit seinem Gewinn auf, und während ich erwartete, er würde mir wenigstens so ein paar Tälerchen Gewinstanteil verehren, wie das Sitte und Brauch ist gegenüber angesehenen Leuten wie mir, die wir für alle Fälle, für gute wie böse, dem Spiele beiwohnen, um ungerechte Ansprüche zu unterstützen und Streitigkeiten zu verhüten, sackte er sein Geld ein und entfernte sich aus dem Hause. Aufgebracht lief ich ihm nach und bat ihn mit freundlichen und höflichen Worten, mir wenigstens acht Realen zu geben, da er weiß, daß ich ein Ehrenmann bin und zum Leben weder ein Gewerbe noch ein Vermögen habe, denn jenes haben meine Eltern mich nicht gelehrt und dieses mir nicht hinterlassen; und der Spitzbube, der als Dieb nicht hinter Kakus zurücksteht und als Falschspieler nicht hinter Andradilla, wollte mir nicht mehr als vier Realen geben, woraus Ihr, Herr Statthalter, ersehen könnt, wie der Mensch keine Scham und kein Gewissen hat. Aber wahrlich, wäre Euer Gnaden nicht dazugekommen, so hätte er mir seinen Gewinn schon wieder herauswürgen und lernen sollen, wieviel Gewicht nötig ist, damit das Zünglein der Waage einspielt.«

»Was sagt Ihr dazu?« fragte Sancho.

Der andre antwortete, es sei alles wahr, was sein Gegner gesagt habe, und er habe ihm nur vier Realen geben wollen, weil er ihm häufig soviel verabreiche; und die Leute, die auf einen Gewinnanteil ausgehen, müssen höflich sein und mit vergnügtem Gesicht annehmen, was man ihnen gibt, wenn sie nicht etwa bestimmt wissen, daß es Falschspieler sind, die ihren Gewinn auf unrechte Weise gemacht haben. Er aber sei ein ehrlicher Mann und keineswegs ein Dieb, wie jener sage, und dafür gebe es keinen besseren Beweis, als daß er ihm nichts habe geben wollen, während die Falschspieler immer den gewohnheitsmäßigen Zusehern, die sie kennen, zinspflichtig sind.

»Das ist richtig«, sagte der Haushofmeister; »wollet nun erwägen, Herr Statthalter, was mit diesen Leuten geschehen soll.«

»Was geschehen soll«, antwortete Sancho, »ist dies: Ihr, der Ihr gewonnen habt, ob auf rechtliche oder unrechtliche oder einerlei was für Weise, gebt auf der Stelle dem Angreifer hundert Realen von Eurem Geld, und außerdem habt Ihr für die armen Leute im Gefängnis dreißig Realen herauszurücken; Ihr aber, der Ihr ohne Gewerbe und Vermögen seid und als Faulenzer auf dieser Insul herumlungert, nehmt auf der Stelle die hundert Realen, und morgen habt Ihr den ganzen Tag Zeit, um von der Insul zu verschwinden, und seid auf zehn Jahre verbannt, bei Strafe, daß Ihr, wenn Ihr das Gebot brecht, die zehn Jahre in der andern Welt abmachen sollt, denn ich will Euch an einen hohen Galgen hängen, oder vielmehr der Henker soll es auf meinen Befehl tun. Und keiner soll mir was dagegensagen, sonst laß ich ihn meine Hand fühlen.«

Der eine zahlte, der andre sackte ein; dieser verließ die Insul, jener begab sich nach Hause, und der Statthalter blieb noch stehen und sagte: »Jetzt denke ich, entweder hab ich dazu nicht Macht genug, oder ich schaffe diese Spielhäuser ab, denn wie ich sehe, sind sie höchst verderblich.«

»Dies Spielhaus jedoch«, sprach ein Amtsschreiber, »wird Euer Gnaden nicht aufheben können, denn es wird von einem vornehmen Herrn gehalten, und er verliert ohne allen Vergleich jährlich mehr, als er aus den Karten an Einnahme zieht. Gegen andre Spielbuden geringerer Art kann Euer Gnaden Dero Macht zeigen, die schaden auch am meisten und bergen am meisten Unfug; in den Häusern ansehnlicher Edelleute und großer Herren wagen die Falschspieler nicht, von ihren Kniffen Gebrauch zu machen. Und da das Laster des Spiels zur allgemeinen Gewohnheit geworden, so ist es besser, wenn in einem vornehmen Hause gespielt wird als in dem irgendeines Handwerksmannes, wo sie einen Pechvogel nach Mitternacht und noch später einfangen und bei lebendigem Leibe schinden.«

»Allerdings, Gerichtsschreiber«, entgegnete Sancho, »ich weiß, darüber läßt sich viel sagen.«

Indem kam ein Nachtwächter herzu, der einen jungen Menschen gefangen führte, und sagte: »Herr Statthalter, dieser Bursche kam gerade auf uns zu, als er aber die Obrigkeit gewahrte, nahm er Reißaus und lief davon wie ein Wiesel, woraus zu ersehen, daß es ein Übeltäter sein muß. Ich war eilig hinter ihm her, wäre er aber nicht gestolpert und gefallen, so hätte ich ihn nie eingeholt.«

»Warum bist du weggelaufen, Mensch?« fragte Sancho.

Der junge Mann antwortete: »Señor, um den vielen Fragen zu entgehen, welche die Herren vom Gericht immer stellen.«

»Was hast du für ein Handwerk?«

»Weber.«

»Und was webst du?«

»Lanzenspitzen, mit Euer Gnaden Verlaub.«

»Du willst den Hanswurst spielen, willst den Possenreißer machen? Gut; aber wo wolltest du jetzt eben hin?«

»Ich wollte frische Luft schöpfen, Señor.«

»Und wo schöpft man frische Luft auf dieser Insul?«

»Wo sie weht.«

»Schön, Eure Antworten sind sehr treffend; Ihr habt Kopf, junger Mann; aber jetzt nehmt einmal an, ich sei die frische Luft und wehe Euch im Rücken an und treibe Euch voran bis ins Gefängnis. Greift ihn, holla, und führt ihn hin! Dort will ich ihn diese Nacht ohne frische Luft schlafen lassen.«

»Bei Gott«, sprach der junge Mann, »Ihr könnt es geradesowenig fertigbringen, mich im Gefängnis schlafen zu lassen, wie mich zum König zu machen.«

»Warum denn sollte ich es nicht fertigbringen, dich im Gefängnis schlafen zu lassen?« entgegnete Sancho. »Habe ich nicht die Macht, dich gefangenzunehmen und wieder loszulassen, wann und wie oft ich es will?«

»Mag Euer Gnaden auch noch soviel Macht haben«, sagte der junge Mann, »so werdet Ihr es doch niemals fertigbringen, mich im Gefängnis schlafen zu lassen.«

»Warum nicht?« versetzte Sancho; »führt ihn sogleich hin, er soll dort mit seinen eigenen Augen sehen, daß er sich geirrt hat, wenn auch der Gefängnisaufseher noch so gern seine übliche eigennützige Nachsicht gegen ihn zeigen möchte; dem setze ich eine Strafe von zweitausend Talern an, wenn er dir erlaubt, einen Schritt aus dem Gefängnis zu tun.«

»Alles das ist ja zum Lachen«, entgegnete der junge Mann, »die Sache ist die, daß alle Menschen insgesamt, soviel ihrer heute auf Erden leben, es nicht fertigbringen können, mich im Gefängnis schlafen zu lassen.«

»Sag mir, Teufelskerl«, sprach Sancho, »hast du einen Engel, der dich herausholt und dir die Handschellen abnimmt, die ich dir will anlegen lassen?«

»Nun, Herr Statthalter«, antwortete der junge Mann voll liebenswürdigster Laune, »wir wollen uns jetzt einmal verständigen und zu dem Punkte kommen, auf den es ankommt. Nehme Euer Gnaden einmal an, Ihr befehlt, mich ins Gefängnis zu setzen, und da legt man mir Handschellen und Ketten an und wirft mich in ein tiefes Loch, und dem Gefängnisaufseher werden schwere Strafen angesetzt, wenn er mich herausläßt, und er tut alles genau, wie ihm befohlen: trotz alledem, wenn ich nicht schlafen will und will die ganze Nacht wachbleiben, ohne ein Auge zuzutun, wird Euer Gnaden mit all Eurer Macht es fertigbringen, daß ich schlafe, wenn ich nicht will?«

»Gewiß nicht«, sagte der Geheimschreiber, »und der Mann hat seine Behauptung erwiesen.«

»Hiernach«, fiel Sancho ein, »würdest du dich aus keinem andern Grund Schlafens enthalten, als weil du einmal den Willen dazu hast, und nicht, weil du meinem Willen entgegenzuhandeln beabsichtigst?«

»Nein, Señor«, antwortete der Jüngling, »daran denke ich nicht im entferntesten.«

»So geht denn mit Gott«, sprach Sancho; »geht nach Hause und schlaft dorten, und Gott verleihe Euch einen gesunden Schlummer, ich will ihn Euch nicht rauben. Aber ich rate Euch, künftighin treibt keinen Spaß mehr mit dem Gericht; Ihr könntet einmal auf ein Gericht stoßen, das Euch den Spaß auf Euren Hirnschädel fallen ließe.«

Der Jüngling entfernte sich, und der Statthalter setzte seine Runde fort. Gleich darauf kamen zwei Häscher, die einen Mann herbeiführten und sagten: »Herr Statthalter, dies hier scheint ein Mann, ist es aber nicht, sondern ein Weib, und zwar kein häßliches, das sich als Mann verkleidet hat.«

Sie hielten ihr zwei oder drei Laternen unter die Augen, bei deren Schein man das Antlitz eines Mädchens erblickte, das sechzehn Jahre oder wenig mehr zählen mochte, die Haare in ein Netz von Gold und grüner Seide zurückgebunden, schön wie die Maienblumen. Man betrachtete sie von oben bis unten und sah, daß sie Strümpfe von rosa Seide trug mit Kniebändern von weißem Taft und Fransen von Gold mit kleinen Perlchen; die Pluderhosen waren von golddurchwirktem grünem Stoff, der Überwurf von demselben Zeug war offen, und darunter trug sie ein Wams vom feinsten Zeug, weiß mit Gold; als Fußbekleidung trug sie weiße Männerschuhe. Sie hatte kein Schwert umgegürtet, sondern einen reichverzierten Dolch, und an den Fingern trug sie viele und wertvolle Ringe.

Kurz, das Mädchen gefiel allen wohl, und es kannte sie keiner von allen, die sie sahen; auch die Leute aus dem Ort erklärten, sie hätten keine Ahnung, wer es sein könne. Die Mitwisser bei den Possenstreichen, die man mit Sancho vorhatte, fanden sich gerade am meisten überrascht, denn dieser Vorfall und die Festnahme dieses Mädchens war kein von ihnen angelegter Plan, und so standen sie in Ungewißheit da und in zweifelnder Erwartung, worauf die Sache hinauslaufen würde. Sancho war ganz außer sich ob der Schönheit des Mädchens und fragte sie, wer sie sei, wohin sie wolle und welcher Grund sie bewogen habe, diese Tracht anzulegen.

Mit niedergeschlagenen Augen und voll züchtiger Verschämtheit antwortete sie: »Señor, ich kann das nicht so öffentlich sagen, was mir so wichtig wäre geheimzuhalten. Eines jedoch wünsche ich Euch von vornherein zu bemerken, nämlich daß ich weder ein Dieb noch ein Missetäter bin, sondern ein unglückliches Mädchen, das sich von der Macht der Eifersucht gezwungen gesehen, die Schicklichkeit zu verletzen, welche die Sittsamkeit uns sonst auferlegt.«

Als der Haushofmeister dies hörte, sagte er: »Herr Statthalter, lasset die Leute beiseite treten, damit diese Dame sich nicht so in Verlegenheit finde, Euch mitzuteilen, was sie auf dem Herzen hat.«

Der Statthalter erteilte den Befehl dazu; alle traten beiseite außer dem Haushofmeister, dem Truchseß und dem Geheimschreiber. Als sie sich nun allein sahen, fuhr das Mädchen folgendermaßen fort: »Ich, meine Herren, bin die Tochter von Pedro Perez Mazorca, dem Schafwollpächter hier, der häufig in meines Vaters Haus zu kommen pflegt.«

»Das kann nicht richtig sein, Senorita«, sagte der Haushofmeister; »ich kenne den Pedro Perez sehr gut und weiß, daß er kein Kind hat, weder Sohn noch Tochter. Zudem sagt Ihr, er sei Euer Vater, und setzt gleich hinzu, daß er häufig in Eures Vaters Haus zu kommen pflegt.«

»Das ist mir auch aufgefallen«, sprach Sancho.

»Jetzt, meine Herren«, erwiderte das Mädchen, »bin ich so verwirrt, daß ich nicht weiß, was ich sage; aber die Wahrheit ist, daß ich die Tochter des Diego de la Llana bin, den Euer Gnaden wohl alle kennen.«

»Das allerdings kann richtig sein«, entgegnete der Haushofmeister. »Ich kenne den Diego de la Llana und weiß, daß er ein vornehmer und reicher Junker ist und einen Sohn und eine Tochter hat und daß keiner in der ganzen Stadt, seit er Witwer geworden, sagen kann, er habe jemals seine Tochter von Angesicht gesehen; er hält sie so abgeschlossen, daß er nicht einmal der Sonne ihren Anblick verstattet; aber trotz alledem rühmt das Gerücht sie als eine außerordentliche Schönheit.«

»Es ist wahr«, antwortete das Mädchen, »und diese Tochter bin ich, und ob in betreff meiner Schönheit der Ruf lügt oder nicht, darüber werdet Ihr jetzt bereits enttäuscht sein, da Ihr mich gesehen habt.«

Hier begann sie bitterlich zu weinen. Als der Geheimschreiber dies sah, trat er näher zu dem Truchseß heran und sagte ihm ganz leise ins Ohr: »Ohne Zweifel muß dem armen Mädchen etwas Besonderes zugestoßen sein, da sie in solchem Aufzug und zu solcher Stunde aus dem Hause läuft, wo sie aus so guter Familie ist.«

»Daran ist nicht zu zweifeln«, versetzte der Truchseß, »besonders da ihre Tränen Eure Vermutung bestärken.«

Sancho sprach ihr Trost zu mit den bestmöglichen Worten, die er finden konnte, und bat sie, ihnen ohne alle Scheu zu sagen, was ihr zugestoßen sei; sie alle würden bestrebt sein, ihr aufrichtig und auf jede mögliche Weise zu helfen.

»Die Sache ist die, meine Herren«, antwortete sie, »daß mein Vater mich seit zehn Jahren von aller Welt abgeschlossen hält, also seit meine Mutter im Grab liegt. Zu Hause wird in einem reichgeschmückten Betsaal Messe gelesen; und während dieser ganzen Zeit habe ich bei Tag nur die Sonne und bei Nacht nur den Mond und die Sterne gesehen. Ich weiß nicht, was Straßen, Plätze und Kirchen sind, nicht einmal, was Männer sind, ausgenommen meinen Vater und meinen Bruder und Pedro Perez den Pächter; und weil dieser so häufig in unser Haus kommt, kam ich auf den Gedanken, ihn für meinen Vater auszugeben, um den wirklichen nicht nennen zu müssen. Diese Einkerkerung, dieses Verbot jedes Gangs aus dem Hause und selbst zur Kirche macht mich seit vielen Tagen und Monden ganz untröstlich; ich wollte die Welt sehen oder wenigstens die Stadt, wo ich geboren bin, und es bedünkte mich, daß dieses Verlangen nicht gegen die gute Sitte und Schicklichkeit sei, die zu wahren ein Fräulein von Stande sich selbst schuldig ist. Als ich von Stiergefechten, Ringelrennen und Komödien hörte, bat ich meinen Bruder, der ein Jahr jünger ist als ich, mir zu sagen, was das für Dinge seien und ebenso noch vieles andere, was ich noch nie gesehen hatte; er setzte mir es auseinander, so gut er konnte, aber dies alles fachte nur meine Begierde, es selber zu sehen, noch heftiger an. Zuletzt, um die Erzählung von meinem Verderben abzukürzen, zuletzt, bekenne ich, verlangte und erbat ich von meinem Bruder … O hätte ich nie so etwas verlangt, nie so etwas erbeten!«

Hier begann sie aufs neue zu weinen. Der Haushofmeister sagte zu ihr: »Fahrt fort, Señorita, und erzählt uns alles zu Ende, was Euch begegnet ist; nach Euren Worten und Euren Tränen sind wir alle in gespannter Erwartung.«

»Wenige Worte habe ich noch zu sagen«, antwortete das Fräulein, »aber viele Tränen zu weinen, denn wenn Wünsche auf ein schlechtes Ziel gerichtet sind, so können sie nur arge Enttäuschungen wie diese nach sich ziehen.«

Die Schönheit des Mädchens war dem Truchseß tief ins Herz gedrungen; er hielt noch einmal seine Laterne näher hin, und es deuchte ihn, es seien nicht Tränen, die sie weinte, sondern Perlenstaub oder Tau von den Wiesen – ja, er hielt diese Tränen für noch Höheres und stellte sie Perlen aus dem Morgenlande gleich und wünschte beständig, ihr Unglück möchte doch nicht so groß sein, als ihre Tränen und Seufzer es anzudeuten schienen. Der Statthalter verzweifelte schier darüber, wie das Mädchen seine Erzählung immer weiter hinauszog, und sagte ihr, sie möchte endlich aufhören, sie noch länger in Spannung zu halten; es sei schon spät und noch ein großer Teil der Stadt übrig, wo er die Runde zu machen habe.

Stets von Schluchzen unterbrochen und unter halberstickten Seufzern sprach sie: »Mein Unglück ist kein andres, mein Mißgeschick ist kein andres, als daß ich meinen Bruder bat, er solle mich mit einem seiner Anzüge als Mann verkleiden und mich eines Nachts mit aus dem Hause nehmen, um den ganzen Ort zu sehen, während unser Vater schliefe. Von meinen Bitten gedrängt, gab er endlich meinen Wünschen nach; ich zog diese Kleidung an, er legte eine von mir an, die ihm paßt wie angegossen, denn er hat kein Härchen Bart und sieht aus wie ein wunderschönes Mädchen; und diese Nacht, es mag eine Stunde her sein, kaum mehr oder weniger, schlüpften wir aus dem Hause, und von unsrem kindlichen und unbesonnenen Vorhaben weitergeführt, sind wir durch die ganze Stadt gestreift. Als wir aber wieder nach Hause wollten, sahen wir einen großen Trupp Leute kommen, und mein Bruder sagte zu mir: ›Schwester, das wird die Runde sein; beschleunige deine Schritte und leg ihnen Flügel an und laufe eilig hinter mir her, damit man uns nicht erkenne, denn sonst ergeht es uns übel.‹

Mit diesen Worten wandte er den Rücken und fing an, ich sage nicht: zu laufen, sondern zu fliegen; ich, nach kaum sechs Schritten, falle vor Schreck zu Boden, und da kommt der Gerichtsdiener und bringt mich hierher vor euch Herren, wo ich vor so vielen Leuten in Schande stehe, als ob ich ein ungeratenes leichtfertiges Ding wäre.«

»Sonach, Señorita«, sprach Sancho, »hat Euch sonst keine Widerwärtigkeit betroffen und hat Euch auch keine Eifersucht, wie Ihr zu Anfang Eurer Erzählung gesagt, aus Eurem Hause hinausgetrieben?«

»Nichts hat mich betroffen, und nicht Eifersucht hat mich herausgetrieben, sondern nur das Verlangen, die Welt zu sehen, und auch nicht mehr als die Straßen dieser Stadt.«

Daß die Angaben des Mädchens auf Wahrheit beruhten, wurde vollends dadurch bestätigt, daß die Häscher nun auch mit ihrem inzwischen eingefangenen Bruder kamen, den einer von ihnen eingeholt, als er von seiner Schwester geflüchtet war. Er trug nur einen kostbaren Rock und einen Überwurf aus blauem Damast mit Tressen von feinstem Gold, den Kopf ohne Schleiertuch, mit nichts andrem geschmückt als mit seinen eigenen Haaren, die goldne Ringe schienen, so blond und gelockt waren sie. Der Statthalter, der Haushofmeister und der Truchseß gingen mit ihm beiseite und fragten ihn, ohne daß seine Schwester es hören konnte, warum er in dieser Tracht gehe, und er, mit nicht geringerer Scham und Verlegenheit als vorher sie, erzählte dasselbe wie seine Schwester, was dem verliebten Truchseß gar großes Vergnügen machte. Der Statthalter aber sagte zu ihnen: »Ganz gewiß, ihr jungen Leute, war dies alles eine große Kinderei, und um so einen törichten Streich zu erzählen, waren nicht so viele Weitläufigkeiten nötig und nicht so viele Tränen und Seufzer; denn hättet Ihr bloß gesagt, wir sind der und die und haben uns dieses Kunstgriffs bedient, um aus dem elterlichen Hause zu kommen und herumzuspazieren, bloß aus Neugier, ohne sonst einen Zweck, so wäre die Mär damit fertig gewesen ohne Seufzerei und Geflenn.«

»Das ist wahr«, entgegnete das Mädchen; »aber ihr müßt wissen, meine Herren, meine Verwirrung war so groß, daß sie mir gar nicht erlaubte, mich so zu benehmen, wie ich hätte sollen.«

»Das macht nichts«, versetzte Sancho; »wir wollen gehen und von euch beiden, sobald ihr im Hause eures Vaters seid, Abschied nehmen; vielleicht hat er euch noch nicht vermißt. Künftig aber benehmt euch nicht so kindisch und seid nicht so neugierig darauf, die Welt zu sehen; denn ein brav Mägdlein mag nicht hinaus, bricht lieber das Bein und bleibt zu Haus; und: Streichen sie draußen vor den Toren, ist ein Weib und ein Huhn gar bald verloren; und: Die es gelüstet zu sehen, die gelüstet’s auch, gesehen zu werden. Mehr sag ich nicht.«

Der Jüngling dankte dem Statthalter, daß er ihnen die Gnade erweisen wolle, sie wieder nach Hause zu bringen, und so nahmen sie ihren Weg dahin; es war nicht sehr weit. Als sie ankamen, warf der Bruder einen kleinen Kiesel gegen ein Fenstergitter, und alsbald kam eine Dienerin herunter, die auf sie gewartet hatte und ihnen die Tür öffnete; sie traten ein und ließen die ganze Gesellschaft in Verwunderung über ihre anmutige Art und ihre Schönheit wie über ihr Verlangen, die Welt zu sehen, und zwar bei Nacht und ohne aus der Stadt hinauszukommen. Indessen schrieben sie dies alles auf Rechnung ihres jugendlichen Alters.

Der Truchseß fühlte sich mitten ins Herz getroffen und nahm sich auf der Stelle vor, am nächsten Tage bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten, da er es für sicher hielt, er würde sie ihm als einem Manne in des Herzogs Diensten nicht abschlagen. Ja auch in Sancho entstanden Wünsche und Pläne in unklaren Umrissen, den jungen Mann mit seiner Tochter Sanchica zu verheiraten, und er beschloß, dies seinerzeit zur Sprache zu bringen, da er nicht zweifelte, daß man einer Statthalterstochter keinen Gatten abschlagen könne.

Hiermit ging die Runde dieser Nacht zu Ende und ein paar Tage später auch die ganze Statthalterschaft, womit all seine Pläne über den Haufen geworfen und ausgelöscht wurden, wie man nachher ersehen wird.

45. Kapitel


Wie der große Sancho Pansa Besitz von seiner Insul ergriff und wie er zu statthaltern angefangen

O du, der du ständig die Gegenfüßler heimsuchst, Fackel der Welt, Auge des Himmels, du lieblicher Hin- und Herbeweger der Kühlgefäße! Thymbräer hier genannt, Phöbos dort, als Bogenschütze an jenem Ort verehrt, als Arzt an diesem! Vater der Poesie, Erfinder der Musik, du, der du immer aufgehst und, wenn es auch anders scheint, niemals untergehst! Dich rufe ich an, o Sonne, mit deren Beistand der Mensch den Menschen erzeugt, dich flehe ich an, mir hilfreich zu sein und das Dunkel meines Geistes zu erleuchten, damit ich die Erzählung von der Statthalterschaft des großen Sancho Pansa Punkt für Punkt vortragen kann; ohne dich fühle ich mich schwach, matt und voller Verwirrung.

Ich sage also, daß Sancho mit seiner ganzen Begleitung nach einem Orte von etwa tausend Bürgern kam, einem der ansehnlichsten, die der Herzog besaß. Man gab ihm an, es sei dies die Insul Baratária, entweder weil der Ort wirklich Baratária hieß oder weil er so wohlfeilen Kaufes, was in der Landessprache barato heißt, die Statthalterschaft bekommen hatte. Bei der Ankunft vor den Toren des Städtchens, das von Mauern umgeben war, kam ihm der Gemeinderat entgegen; die Glocken läuteten, die gesamte Einwohnerschaft erging sich in Freudenbezeigungen und führte ihn mit großem Pomp zur Hauptkirche, um Gott zu danken; und alsbald übergab man ihm unter wunderlichen Förmlichkeiten die Schlüssel der Stadt und erkannte ihn als immerwährenden Statthalter der Insel Baratária an. Der Anzug, der Bart, die dicke und kleine Gestalt des neuen Statthalters versetzte die Leute alle, die nicht wußten, wo die Sache ihren Knoten hatte, in große Verwunderung, ja auch alle, die es wußten, und deren waren viele.

Sodann führte man ihn aus der Kirche zum Richterstuhl, setzte ihn darauf, und der Haushofmeister des Herzogs sagte zu ihm: »Es ist alter Brauch auf dieser Insul, Herr Statthalter, daß der, so von dieser gepriesenen Insul Besitz ergreift, gehalten ist, eine Frage zu beantworten, die man ihm stellt und die einigermaßen verwickelt und schwierig sein muß; mittels selbiger Antwort fühlt die Stadt dem neuen Statthalter den Puls und kann sich mithin ob seines Hierherkommens freuen oder betrüben.«

Während dieser Worte des Haushofmeisters betrachtete Sancho eine Anzahl großer Buchstaben, die an die Wand gegenüber seinem Stuhl geschrieben waren, und da er nicht lesen konnte, fragte er, was die Malereien auf der Wand dort bedeuten sollten.

Man gab ihm zur Antwort: »Señor, dort steht der Tag geschrieben und verzeichnet, an welchem Euer Gnaden von dieser Insul Besitz ergriffen hat, und die Inschrift besagt: Heute, am soundsovielten in dem und dem Monat und dem und dem Jahr, hat Besitz von dieser Insul ergriffen der Señor Don Sancho Pansa, welcher sie lange Jahre beherrschen möge.«

»Und wen nennt man Don Sancho Pansa?« fragte Sancho.

»Euer Gnaden«, antwortete der Haushofmeister; »diese Insul hat kein andrer Pansa betreten als der, welcher auf diesem Stuhle sitzt.«

»So merkt Euch denn, Freund«, sprach Sancho, »daß ich kein Don führe und es in meiner ganzen Familie niemals einen Don gegeben hat; Sancho Pansa heiße ich kurzweg, und Sancho hieß mein Vater und Sancho mein Großvater, und sie alle waren Pansas ohne Hinzufügung von Dons oder Doñas, und mir scheint, auf dieser Insul gibt es mehr Dons als Kieselsteine. Aber genug damit, Gott versteht mich, und es kann geschehen, daß ich, wenn die Statthalterschaft nur vier Tage in meinen Händen bleibt, diese Dons ausjäte, die ob ihrer Menge so lästig fallen müssen wie die Stechfliegen. Der Herr Haushofmeister wolle nun mit seiner Frage kommen; ich will so gut antworten, wie ich nur immer kann, ob sich nun die Stadt darüber betrüben oder nicht betrüben wird.«

In diesem Augenblick traten zwei Männer in die Gerichtsstube, der eine in der Tracht eines Bauern, der andre in der eines Schneiders – er hatte nämlich eine große Schere in der Hand –; und der Schneider sprach: »Herr Statthalter, ich und dieser Bauersmann erscheinen deshalb vor Euer Gnaden, weil dieser wackre Mann gestern in meine Bude kam – ich bin nämlich, mit Verlaub der geehrten Gesellschaft, Gott sei Dank! ein gelernter und geprüfter Schneider – und mir ein Stück Tuch in die Hand gab und mich fragte: ›Señor, ist das wohl genug Tuch, um mir eine Mütze zu machen?‹ Ich überschlug, wieviel Tuch es wäre, und antwortete mit Ja. Er mußte nun wohl meinen, wie ich meine – und ich habe ganz richtig gemeint –, ich wolle ihm sicher ein Stück von dem Tuche stehlen, und darauf brachte ihn nur seine eigne Schlechtigkeit und der arge Ruf, in dem die Schneider stehen; so erwiderte er mir, ich möchte doch sehen, ob es nicht für zwei Mützen reiche. Ich erriet seine Gedanken und sagte ihm ja; er aber, der das Steckenpferd seines verwünschten ersten Argwohns ritt, legte eine Mütze nach der andern zu, und ich legte ein Ja nach dem andern zu, bis wir auf fünf Mützen kamen. Eben jetzt hat er sie abholen wollen, ich gebe sie ihm, und er will mir den Macherlohn nicht zahlen, verlangt vielmehr, ich soll ihm sein Tuch zahlen oder zurückgeben.«

»Verhält sich dies alles so, Freund?« fragte Sancho.

»Ja, Señor«, antwortete der Mann; »aber laßt Euch nur einmal die fünf Mützen zeigen, die er mir gemacht hat.«

»Sehr gern«, erwiderte der Schneider. Und sofort zog er die Hand unter dem Mantel hervor, wies an ihr die fünf Mützen, die auf den fünf Fingerspitzen saßen, und sagte: »Hier sind die fünf Mützen, die dieser wackere Mann bei mir bestellt hat, und bei Gott und meiner armen Seele, es ist mir nichts von dem Tuch übriggeblieben, und ich bin bereit, die Sache den Geschworenen des Handwerks zur Untersuchung vorzulegen.«

Alle Anwesenden lachten über die Menge der Mützen und über diesen neuartigen Rechtsstreit. Sancho überlegte sich die Sache eine kurze Weile und sprach dann: »Mich dünkt, in diesem Rechtsstreit braucht es keines langen Verzuges, sondern es kann ein sofortiger Spruch nach redlichem Gutbefinden erfolgen; und sonach ergeht mein Urteil dahin: der Schneider verliert seinen Macherlohn und der Bauer sein Tuch, und die Mützen sollen an die Sträflinge im Gefängnis abgegeben werden, und damit abgemacht.«

Wenn der Urteilsspruch, den er späterhin in betreff der Börse des Herdenbesitzers fällte, bei den Zuhörern Bewunderung erregte, so reizte dieser Spruch sie zum Lachen; aber zuletzt wurde des Statthalters Spruch doch vollzogen.

Jetzt erschienen vor ihm zwei alte Männer; der eine trug einen Rohrstock, und der ohne Stock sprach: »Señor, diesem wackern Mann habe ich vor manchen Tagen zehn Goldtaler geliehen, um ihm einen Gefallen und ein gutes Werk zu tun, unter der Bedingung, daß er sie mir wiedergebe, sobald ich sie von ihm verlangen würde. Nun sind viele Tage vergangen, ohne daß ich sie von ihm verlangte, weil ich ihn durch das Wiedergeben nicht in eine noch größere Not bringen wollte, als die er zu der Zeit erlitt, wo ich sie ihm lieh. Aber weil es mir vorkam, als denke er überhaupt nicht ans Zahlen, habe ich sie einmal und dann vielmals von ihm verlangt; aber er gibt sie mir nicht nur nicht wieder, sondern er leugnet sie mir ab und sagt, ich hätte ihm niemals zehn Goldtaler geliehen, und wenn ich sie ihm doch geliehen, so habe er sie mir bereits wiedergegeben. Zeugen habe ich keine, weder für das Darlehen noch für die Rückzahlung, weil er sie mir nicht wiedergegeben hat. Ich möchte nun, daß Euer Gnaden ihn unter Eid vernähme, und falls er schwören sollte, daß er mir sie wiedergegeben, so will ich, hier und vor Gottes Angesicht, sie ihm erlassen.«

»Was sagt Ihr dazu, Ihr braver Alter mit dem Stock?« sprach Sancho.

Darauf sagte der Alte: »Ich, Señor, bekenne, daß er sie mir geliehen hat; aber wollet nur Euern Richterstab senken, und da er es auf einen Eid stellt, so will ich schwören, daß ich sie ihm wahr und wirklich wiedergegeben und bezahlt habe.«

Der Statthalter senkte seinen Richterstab, und der Alte mit dem Stock gab diesen inzwischen dem andern, ihn während des Schwörens zu halten, als ob er ihm hinderlich wäre; dann legte er die Hand auf das Kreuz am Griff des Stabes und erklärte, es sei wahr, die geforderten zehn Goldtaler seien ihm geliehen worden, aber er habe sie dem andern mit eigner Hand in die seinige zurückgegeben, und weil jener nicht daran denke, fordere er sie immer aufs neue von ihm zurück.

Als der hohe Statthalter dies vernahm, fragte er den Gläubiger, was er auf die Behauptung seines Gegners zu antworten habe. Dieser erklärte, sein Schuldner werde jedenfalls die Wahrheit geredet haben, da er ihn für einen braven Mann und guten Christen halte; er müsse also vergessen haben, wie und wann jener das Geld ihm zurückerstattet habe, und er werde jetzt nie mehr etwas von ihm fordern. Der Schuldner nahm seinen Stock wieder, verbeugte sich und verließ die Gerichtsstube.

Als Sancho dies sah und bemerkte, wie der Beklagte ohne weiteres sich entfernte und der Kläger so geduldig und gelassen dastand, neigte er das Haupt auf die Brust, legte den Zeigefinger der rechten Hand an Augenbrauen und Nase, saß eine kurze Weile wie nachdenkend da, erhob dann den Kopf und gebot, man solle ihm den Alten mit dem Stock rufen, der sich schon entfernt hatte. Man brachte ihn herbei, und als Sancho ihn erblickte, sagte er zu ihm: »Guter Freund, gebt mir Euren Stock, ich brauche ihn.«

»Sehr gern«, antwortete der Alte; »hier ist er, Señor.« Und er gab ihn ihm in die Hand.

Sancho nahm den Stock, reichte ihn dem andern Alten und sagte zu diesem: »Geht mit Gott, Ihr seid nunmehr bezahlt.«

»Ich, Señor?« entgegnete der Alte; »ist denn dies Rohr zehn Goldtaler wert?«

»Allerdings«, sagte der Statthalter; »oder wenn nicht, so bin ich der größte Tölpel von der Welt. Jetzt soll’s zutage kommen, ob ich Grütze genug habe, ein ganzes Königreich zu regieren.«

Und sogleich befahl er, das Rohr vor aller Augen entzweizubrechen und aufzuspalten. Es geschah, und im Hohlraum des Stocks fand man zehn Taler in Gold. Alle staunten voll Bewunderung und hielten ihren Statthalter für einen neuen Salomo. Man fragte ihn, woraus er geschlossen habe, daß die zehn Goldtaler sich in dem Stocke befänden, und er antwortete: Weil er gesehen, wie der Alte seinem Gegner den Stock übergab, während er den Eid leistete und schwur, er habe die geliehenen Taler wahr und wirklich zurückgegeben, und nach der Eidesleistung den Stock von ihm zurückforderte, so sei es ihm deswegen in den Sinn gekommen, daß in dem Stock der geforderte Betrag sein müsse. Daraus könne man denn ersehen, daß Leute, die da regieren, auch wenn sie Dummköpfe sind, manchmal bei ihren Urteilssprüchen von Gott selbst geleitet werden. Außerdem habe er den Pfarrer seines Dorfs einen ähnlichen Fall wie diesen erzählen hören, und er habe ein so gutes Gedächtnis, daß, wenn er nicht gerade all das vergäße, was er behalten möchte, kein so gutes Gedächtnis auf der ganzen Insul zu finden sein würde.

Genug; die beiden Alten gingen von dannen, der eine beschämt, der andre bezahlt; die Anwesenden waren voll Verwunderung, und der Schreiber, der Sanchos Worte, Taten und ganzes Gebaren zu verzeichnen hatte, konnte nicht mit sich einig werden, ob er ihn unter die dummen oder gescheiten Köpfe rechnen und einschreiben sollte.

Don Quijote

Kaum war dieser Rechtsstreit zu Ende, so trat in die Gerichtsstube ein Weib, das einen Mann in der Tracht eines reichen Viehzüchters am Arme festhielt und laut schreiend rief: »Gerechtigkeit, Herr Statthalter, Gerechtigkeit! Und wenn ich sie auf Erden nicht finde, so will ich sie droben im Himmel suchen. Lieber Herr Herzens-Statthalter, dieser schlechte Mensch hat mich mitten im Felde dort gepackt und hat meinen Körper gebraucht, als wär es ein ungewaschener Lumpen, und, o ich Unglückliche, er hat mir geraubt, was ich seit mehr als dreiundzwanzig Jahren gehütet habe und hab es gegen Heiden und Christen, gegen Einheimische und Fremde verteidigt, und war immer hart wie eine Korkeiche und erhielt mich rein und unberührt wie der Salamander im Feuer oder wie die Wolle in den Dornen, damit jetzt der Kerl da kommt und mich mit seinen saubern Händen betastet!«

»Das ist erst noch festzustellen«, sagte Sancho, »ob der feine Junge saubere Hände hat oder nicht.«

Und sich zu dem Manne wendend, fragte er ihn, was er auf die Klage dieses Weibes zu antworten habe. Der aber entgegnete voller Bestürzung: »Meine Herren, ich bin ein unglücklicher Züchter von Borstenvieh, und heut morgen ging ich hier aus der Stadt, wo ich vier, mit Respekt zu vermelden, Schweine verkauft hatte, die mir für Viehzoll und Steuern kaum weniger Geld wegnahmen, als sie eingetragen hatten. Ich kehrte in mein Dorf zurück, traf unterwegs diese alte Schachtel, und der Teufel, der immer das Oberste zuunterst kehrt und bei allem die Hand im Spiel hat, der hat’s so gemacht, daß wir uns zusammen erlusteten; ich zahlte ihr, was sich gehört, sie aber war nicht zufrieden damit und packte mich und ließ mich nicht los, bis sie mich hierher vors Amt geschleppt hat. Sie sagt, ich hätte sie mit Gewalt geschwächt, und das lügt sie, bei dem Eid, den ich leiste oder zu leisten willens bin, und dies ist die ganze Wahrheit, ohne daß ein Deut daran fehlt.«

Nun fragte ihn der Statthalter, ob er etwas Silbergeld bei sich habe; er antwortete, er habe gegen zwanzig Taler in einem ledernen Beutel im Busen stecken. Sancho befahl ihm, den Beutel hervorzuholen und ihn, so wie er sei, der Klägerin zu übergeben. Er tat es mit Zittern; das Weib nahm ihn, machte allen ringsum tausend Bücklinge, bat Gott, den Herrn Statthalter bei Leben und Gesundheit zu erhalten, der so sehr für bedrängte jungfräuliche Waisen sorge, und ging hiermit zur Gerichtsstube hinaus; den Beutel hielt sie mit beiden Händen fest, doch nicht ohne erst nachzusehen, ob das Geld darin wirklich Silbermünze sei.

Kaum war sie draußen, da sagte Sancho zu dem Viehzüchter, dem schon die Tränen hervordrangen und Augen und Herz dem Beutel nachfolgten: »Guter Freund, geht dem Weibsstück nach und nehmt ihr den Beutel weg, wenn sie sich auch noch so sehr sträubt, und kommt mit ihm wieder hierher.«

Das hieß nicht tauben Ohren predigen, wie sich sogleich zeigte, denn der Mann eilte wie der Blitz hinaus und machte sich an die Ausführung des Befehls. Alle Anwesenden waren gespannt auf den Ausgang dieses Rechtsstreits, und kurz darauf kam der Mann mit dem Weibe zurück, beide fester aneinanderhängend und zusammengekettet als das erstemal; sie, mit aufgerafftem Rock, hielt den Beutel im Schoß, während der Mann sich aufs äußerste abmühte, ihn ihr zu entreißen. Aber dies gelang ihm nicht, so gut wußte sie den Beutel zu verteidigen, und heftig schreiend stieß sie die Worte aus: »Gerechtigkeit vor Gott und der Welt! Seht, Herr Statthalter, wie wenig der Bösewicht Scham und Furcht hat, denn mitten im Ort und mitten auf der Straße hat er mir den Beutel wegnehmen wollen, den Euer Gnaden mir zugesprochen hat!«

»Und hat er ihn Euch weggenommen?« fragte der Statthalter.

»Was heißt wegnehmen?« antwortete das Weib. »Eher ließ ich mir das Leben nehmen als den Beutel! Jawohl, so ein gutmütig Kind sollt ich sein! Da müßten mir ganz andre Katzen ins Gesicht springen als so ein jämmerlicher schmutziger Kerl! Da wären Zangen und Hämmer, Schlägel und Meißel nicht genug, um ihn mir aus den Krallen zu reißen, ja nicht einmal die Tatzen eines Löwen; eher meine Seele mitten aus dem Leibe heraus!«

»Sie hat recht«, sagte der Mann; »ich gebe mich überwunden; ich habe nicht Kraft genug und bekenne, daß die meinige nicht ausreicht, um ihr den Beutel zu nehmen.«

Und hiermit ließ er sie los.

Da sagte der Statthalter zu dem Weibe: »Zeigt einmal den Beutel her, züchtiges, tapferes Weib.«

Sie reichte ihm denselben sogleich, und der Statthalter gab ihn dem Manne zurück und sagte zu der so gewaltig Starken, aber keineswegs gewaltsam Geschwächten: »Werte Frau, wenn Ihr ebensoviel Mut und Tapferkeit, wie Ihr bei Verteidigung dieses Beutels bewiesen habt, ja auch nur die Hälfte davon bei Verteidigung Eures Körpers bewiesen hättet, so hätte alle Gewalt des Herkules Euch keine Gewalt antun können. Geht mit Gott oder zu allen Teufeln und kommt mir nicht mehr auf die Insul hierher noch auf sechs Meilen im Umkreis, bei Strafe von zweihundert Geißelhieben; packt Euch auf der Stelle, sag ich, Lügenmaul, unverschämte Person, Betrügerin.«

Das Weib schrak zusammen, ließ den Kopf hängen und entfernte sich höchst mißvergnügt; der Statthalter aber sagte zu dem Manne: »So, mein Lieber, geht in Gottes Namen nach Eurem Dorfe heim mit Eurem Gelde, und künftig, wenn Ihr es nicht einbüßen wollt, laßt Euch nicht wieder in den Sinn kommen, Euch mit jemandem zu erlusten.«

Der Mann dankte ihm so unbeholfen, als er nur konnte, und ging; und die Zuhörer standen abermals voll Bewunderung der Urteile und Sprüche ihres neuen Statthalters. Alles dies wurde von seinem Chronisten aufgezeichnet und dem Herzog schriftlich mitgeteilt, der mit großer Ungeduld darauf wartete. Hier verlassen wir nun den guten Sancho, denn es treibt uns mit großer Eile zu seinem von Altisidoras Ständchen freudig aufgeregten Herrn und Meister.

43. Kapitel


Von den guten Lehren, welche Don Quijote seinem Sancho Pansa noch ferner erteilte

Wer die vorigen Reden Don Quijotes gehört, hätte der ihn nicht für einen Mann von gutem Verstande und noch bessrem Herzen halten müssen? Allein wie es oftmals im Verlauf dieser Geschichte gesagt worden, er verfiel in Unsinn nur, wenn man bei ihm an das Ritterwesen rührte, und in all seinen Reden zeigte er einen hellen, offenen Kopf, so daß bei jeder Gelegenheit seine Taten seinen Verstand und sein Verstand seine Taten Lügen strafte. Aber in dieser seiner neuesten Tat, nämlich der Fortsetzung seiner Weisheitslehren, zeigte er liebenswürdigste Anmut und trieb seine Klugheit wie seine Narrheit auf den höchsten Grad. Mit gespannter Aufmerksamkeit hörte ihm Sancho zu und gab sich Mühe, seine Lehren im Gedächtnis festzuhalten als redlicher Schüler, der gewillt war, sie zu befolgen und, da er jetzt mit seiner Statthalterschaft schwanger ging, durch ihre Hilfe mit einer glücklichen Geburt gesegnet zu werden. Don Quijote fuhr also fort und sprach: »Was die Frage betrifft, wie du dich und dein Haus regieren sollst, so ist das erste, was ich dir rate, reinlich zu sein und dir die Nägel zu schneiden, nicht aber sie wachsen zu lassen, wie etliche tun, die in ihrer Ungebildetheit meinen, lange Nägel verschönern die Hände, als wenn dieser Auswuchs, dies Anhängsel, das sie wegzuschneiden verschmähen, wirklich Fingernägel wären, wo es doch vielmehr Krallen eines eidechsenfangenden Aasgeiers sind: eine schlechte Gewohnheit, schweinisch und unerhört widerwärtig.

Gehe nicht mit losem Gurt und schlampig einher, denn ein unordentlicher Anzug verrät immer einen schlaffen Geist, wenn nicht etwa solche Unordentlichkeit und Nachlässigkeit zu den Mitteln schlauer Verstellung gehört, wie man sie Julius Cäsar nachsagt.

Fühle deinem Amte mit Überlegung den Puls, was es abwerfen kann, und wenn es dir gestattet, deinen Dienern Livree zu geben, so gib sie ihnen lieber anständig und dauerhaft als in die Augen fallend und prunkvoll, und teile sie zwischen deiner Dienerschaft und den Armen; ich will damit sagen, wenn du sechs Hausdiener kleiden kannst, so kleide ihrer drei und dazu drei Arme; so wirst du Diener im Himmel und auf Erden haben.

Aber für diese neue Art, Livree zu geben, wird eitlen Prahlern immer das Verständnis fehlen.

Iß weder Knoblauch noch Zwiebeln, damit die Leute nicht am Geruch deine niedrige Herkunft erkennen. Geh mit langsamen Schritten, sprich mit ruhiger Gelassenheit, aber nicht so, daß es aussieht, als wolltest du dir selbst zuhören, denn alle Ziererei ist vom Übel.

Iß wenig zu Mittag und noch weniger zu Abend, denn die Gesundheit des ganzen Leibes wird in der Werkstätte des Magens bereitet.

Sei mäßig im Trinken und bedenke, daß Wein im Übermaß weder Geheimnisse bewahrt noch Wort hält.

Hüte dich, mit beiden Backen zugleich zu kauen und vor anderen Leuten zu eruktieren.«

»Das Ding mit dem Eruktieren, das versteh ich nicht«, sagte Sancho.

Don Quijote entgegnete: »Eruktieren, Sancho, heißt rülpsen. Dies Wort ist zwar sehr bezeichnend, jedoch eines der unschicklichsten Wörter in unserer Sprache; und darum haben die Leute, die auf feinen Ausdruck halten, ihre Zuflucht zum Latein genommen und sagen eruktieren für rülpsen und statt Rülpser Eruktation. Und wenn auch der und jener diese Ausdrücke nicht verstehen sollte, so macht das wenig aus; der Gebrauch wird sie mit der Zeit allmählich einführen, bis sie mit Leichtigkeit verstanden werden; und dies heißt die Sprache bereichern, über welche die gemeine Menge und der Gebrauch alle Macht haben.«

»Wahrhaftig, Señor«, sagte Sancho, »eine Eurer Ermahnungen und Belehrungen, die ich ernstlich im Gedächtnis behalten will, wird die sein, nicht zu rülpsen, denn ich pflege das häufig zu tun.«

»Eruktieren, nicht rülpsen«, fiel Don Quijote ein.

»Eruktieren will ich von nun an sagen«, entgegnete Sancho, »und wahrlich, ich werde es nicht vergessen.«

»Ferner, Sancho, sollst du in deine Rede nicht die Menge Sprichwörter einmischen, wie du zu tun pflegst. Sprichwörter sind zwar gute Sinnsprüche, ziehst du sie aber öfter bei den Haaren herbei, scheinen sie eher Ungereimtheiten als Sinnsprüche.«

»Da kann nur Gott helfen«, erwiderte Sancho; »denn ich weiß mehr Sprichwörter, als im Buch stehen; und wenn ich rede, kommen mir so viele auf einmal in den Mund, daß sie sich stoßen und drängen, um miteinander herauszukommen; aber die Zunge stößt eben diejenigen hinaus, die ihr zuerst in den Weg kommen, wenn sie auch nicht zur Sache passen. Ich will aber von jetzt an aufpassen, daß ich nur diejenigen herauslasse, die sich zur Würde meines Amtes schicken. In vollem Haus ist bald gerüstet der Schmaus, und wer die Karten abhebt, der hat nicht zu mischen; und wer Sturm läutet, ist sicher vor der Gefahr; und: Gib’s aus der Hand und behalt’s in der Hand, zu beidem brauchst du Verstand.«

»Immer drauf, Sancho!« fiel Don Quijote ein. »Nur immer Sprichwörter zusammengebracht, aneinandergeflickt, auf eine Schnur gezogen! Keiner wehrt es dir. Meine Mutter zankt mich, und ich tanze ihr auf der Nase herum! Eben erst sage ich dir, du sollst die Sprichwörter beiseite lassen, und im gleichen Augenblick gibst du wieder eine ganze Litanei davon zum besten, die zu dem Gegenstand unsrer Besprechung geradeso passen wie die Faust aufs Auge. Sieh, Sancho, ich sage ja nicht, daß ein am rechten Ort angewendetes Sprichwort sich übel ausnimmt; aber wenn man Sprichwörter kreuz und quer aufeinanderhäuft und aneinanderreiht, wird die Rede niedrig und gemein.

Wenn du reitest, lehne den Körper nicht auf den hinteren Sattelbogen zurück und halte die Beine nicht steif ausgestreckt und vom Bauch des Pferdes weg; hänge aber auch nicht so auf dem Sattel, daß es aussieht, als säßest du auf deinem Grauen, denn am Reiten zeigt es sich, ob einer ein Ritter oder ein Stallknecht ist.

Halte maß im Schlafen, denn wer nicht früh mit der Sonne aufsteht, genießt den Tag nicht; und merke dir, Sancho, Fleiß ist der Vater des Glücks, und Trägheit, seine Feindin, erreicht nie das Ziel redlichen Willens.

Die letzte Lehre, die ich dir jetzt geben will, hat zwar nichts mit der Anständigkeit der äußeren Erscheinung zu tun; du sollst sie aber doch wohl im Gedächtnis behalten, denn ich glaube, sie wird dir von nicht minderem Nutzen sein, als die ich dir bisher gegeben. Es ist nämlich folgende: Laß dich niemals darauf ein, über die Herkunft der Familien zu streiten, wenigstens nicht so, daß du sie miteinander vergleichst; denn unter den verglichenen muß notwendig eine die vornehmere sein, und die, welche du niedriger stellst, wird dich gründlich hassen, und die, welche du höher stellst, wird dir es nicht im geringsten lohnen.

Deine Kleidung sei eine lange Hose, ein weiter Leibrock und ein noch etwas weiterer Mantel; kurze Hosen unter keiner Bedingung, denn sie passen weder für Ritter noch für Statthalter.

Dies ist’s, was mir vorderhand an guten Lehren für dich in den Sinn gekommen ist; mit der Zeit wird sich andres finden, und ich werde dann nicht verfehlen, dir weitere Ratschläge zukommen zu lassen, ja nachdem du daran denken wirst, mich von deinen Umständen in Kenntnis zu setzen.«

»Señor«, entgegnete Sancho, »ich sehe wohl ein, was Euer Gnaden mir gesagt hat, ist alles gut und fromm und nützlich; aber wozu soll mir’s helfen, wenn ich mich an nichts von alledem erinnere? Es mag sein, daß die Geschichte mit den Nägeln, die ich mir nicht wachsen lassen soll, und mit dem Wiederverheiraten, wenn sich die Gelegenheit bietet, mir nicht aus dem Sinn kommen wird; was aber den übrigen Krimskrams und all den närrischen Schnickschnack angeht, darauf besinn ich mich nicht mehr und werde auch künftig mich ebensowenig darauf besinnen können wie auf die Wolken vom vorigen Jahr, und darum müßt Ihr sie mir schriftlich geben; wenn ich auch nicht lesen und schreiben kann, ich werde sie meinem Beichtvater geben, damit er sie mir einprägt und wieder ins Gedächtnis bringt, wo’s nötig ist.«

»Gott verzeih mir meine Sünden!« versetzte Don Quijote; »wie schlecht steht es um einen Statthalter, der nicht lesen noch schreiben kann! Denn du mußt wissen, mein Sancho, wenn ein Mensch nicht lesen kann oder linkshändig ist, so beweist das zweierlei: daß entweder seine Eltern zu arm und zu gering waren oder er so verkehrt und schlecht geartet, daß er nicht imstande war, gute Sitte und gute Lehre anzunehmen. Das ist ein großer Mangel an dir, und ich wünschte daher, daß du wenigstens unterschreiben lerntest.«

»Meinen Namen kann ich schon unterschreiben«, erwiderte Sancho; »denn als ich Einnehmer in meinem Dorfe war, lernte ich ein paar Buchstaben malen, wie man sie auf Warenballen macht, und die Leute sagten, die bedeuteten meinen Namen. Außerdem kann ich tun, als hätte ich die Gicht an der rechten Hand, und einen andern für mich unterzeichnen lassen; es gibt für alles ein Kraut, nur nicht für den Tod. Und wenn ich einmal den Befehl und den Stab in Händen habe, kann ich tun, was mir gut dünkt; zudem, wenn einer den Schultheiß zum Vater hat. … Und wenn ich Statthalter bin, was doch mehr als Schultheiß ist, da sollen sie mir nur kommen, sie sollen schon sehen! Oder sie sollen mich einmal schief ansehen und mir nachreden! Aber, aber, da gehen sie nach Wolle aus und kommen geschoren nach Haus. Und wen Gott liebhat, dem merkt es alle Welt an; und des Reichen dumme Redensarten gelten in der Welt für Sprüche Salomonis; und da ich reich sein werde, wenn ich Statthalter bin, und dazu freigebig sein will, so wird kein Fehler an mir zu sehen sein. Nein, macht euch nur zu Honig, so fressen euch die Fliegen; du giltst soviel, wie du hast, sagte meine Großmutter, und wer ein Rittergut hat und adlig Geschlecht, denk nicht, daß einer an dem dich rächt.«

»O daß dich Gott verdamme, Sancho!« fiel hier Don Quijote ein, »daß sechzigtausend Teufel dich und deine Sprichwörter holten! Schon seit einer Stunde häufst du eins aufs andre und trichterst sie mir ein wie Wasser auf der Folter. Ich versichere dir, diese Sprichwörter bringen dich noch eines Tages an den Galgen; um ihretwillen nehmen dir deine Untertanen die Statthalterschaft, oder es bilden sich Bündnisse unter den Ortschaften gegen dich. Sage mir nur, wo du sie her hast, du unwissender Mensch? Oder wie du sie anwendest, du Einfaltspinsel? Ich, wenn ich nur eines beibringen und richtig anwenden will, ich schwitze und mühe mich ab, als wäre ich ein Schatzgräber.«

»Um Gottes willen, lieber Herr und Gebieter«, antwortete Sancho, »wie regt sich Euer Gnaden doch über gar geringe Dinge auf! Was, zum Teufel, macht es Euch aus, wenn ich mein Eigentum ausnütze? Ich habe ja kein andres und weiter kein Vermögen als Sprichwörter und immer wieder Sprichwörter. Und jetzt eben kommen mir ihrer vier in den Sinn, die aufs Härchen hierhergehören wie Birnen in den Obstkorb; aber ich gebe sie nicht her, denn das Schweigen zur rechten Zeit ist ein großer Heiliger.«

»Dieser Heilige bist du nicht«, sagte Don Quijote, »denn das Schweigen zu rechter Zeit ist deine Sache nicht, wohl aber das Reden und immerfort Reden zu unrechter Zeit. Aber trotzdem möchte ich wohl wissen, welche vier Sprichwörter dir jetzt in den Sinn gekommen sind, die hierher passen sollten; ich wenigstens, der ich ein gutes Gedächtnis habe, suche überall darin herum, und kein passendes Sprichwort will mir einfallen.«

»Was kann es für bessere geben«, sagte Sancho, »als die: Man soll den Daumen nie zwischen die Backenzähne stecken, und: Auf ein ›Pack dich aus meinem Hause!‹ und ›Was willst du mit meinem Weib?‹ läßt sich nichts antworten; und: Ob Krug wider Stein oder Stein wider Krug, der Krug ist der Verlierer. Alle diese passen aufs Härchen. Mit dem Statthalter soll niemand anbinden, überhaupt mit keinem, der ihm zu befehlen hat, denn er wird den Schaden davon haben, gerade wie der, der den Finger zwischen die Backenzähne hinten steckt; und wenn sie auch nicht hinten sind, falls es nur Backenzähne sind, ’s ist kein Unterschied.

Und gegen das, was der Statthalter sagt, darauf läßt sich nichts antworten, so wenig wie auf das ›Pack dich!‹ und ›mein Weib laß ungeschoren!‹ Und was das mit dem Stein wider Krug betrifft, das kann ja ein Blinder sehen. Demnach muß notwendig, wer den Splitter im fremden Auge sieht, den Balken im seinigen sehen, damit man nicht von ihm sagt: Eine Gestorbene ist arg erschrocken, als sie eine Geköpfte zu sehen bekam. Auch weiß Euer Gnaden ja: Der Dummkopf weiß in seinem Hause mehr als der gescheite Kopf im fremden.«

»Das ist nicht so, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »der Dummkopf, in seinem Haus wie im fremden, weiß nichts, weil auf der Grundmauer der Dummheit kein vernünftiges Gebäude stehen kann. Aber lassen wir das hier auf sich beruhen, Sancho. Wenn du ein schlechter Statthalter wirst, so hast du die Schuld und ich die Schande davon; aber ich tröste mich damit, daß ich meine Schuldigkeit getan, da ich so ernstlich und vernünftig, als ich vermochte, dir meinen guten Rat erteilt habe; und damit habe ich meine Pflicht und mein Versprechen gelöst. Gott geleite dich, Sancho, und regiere dich bei deiner Regierung, mich aber befreie er von der Angst, die ich im Gewissen fühle, du möchtest auf der ganzen Insul das Oberste zuunterst kehren, was ich hätte verhindern können, wenn ich dem Herzog offenbart hätte, was du für ein Mensch bist, und ihm gesagt hätte, daß dein ganzer Dickwanst und deine ganze zwerghafte Person weiter nichts als ein Sack voller Sprichwörter und Tücken ist.«

»Señor«, erwiderte Sancho, »wenn Euer Gnaden der Meinung ist, daß ich für selbige Statthalterschaft nicht tauge, so laß ich sie auf der Stelle fahren; denn von meiner Seele ist mir das Schwarze am Fingernagel schon allein weit lieber als mein ganzer Leib, und ich kann als Sancho von Brot und Zwiebeln ebensogut leben wie als Statthalter von Rebhühnern und Kapaunen; zumal die Menschen im Schlaf alle gleich sind, Große und Kleine, Arme und Reiche. Und wenn Euer Gnaden es recht bedenkt, werdet Ihr sehen, Ihr allein habt mich zum Statthaltern gebracht, denn ich versteh den Geier davon, wie man Statthalter über Insuln ist; und wenn Ihr glaubt, daß mich, wenn ich Statthalter werde, der Teufel holt, da will ich lieber als Sancho in den Himmel denn als Statthalter in die Hölle kommen.«

»Bei Gott, Sancho«, sprach Don Quijote hierauf, »ob dieser letzten Worte, die du geredet, erachte ich, daß du verdienst, über tausend Insuln Statthalter zu sein. Du hast ein gutes Herz, ohne das keinerlei Wissen Wert hat, befiehl dich Gott dem Herrn und trachte von Anfang an, bei deinen Vorsätzen nicht fehlzugehen; ich meine, du sollst stets die Absicht und den festen Vorsatz haben, bei allen Angelegenheiten, die dir vorkommen, das Rechte zu tun, denn der Himmel ist stets dem guten Wollen günstig. Jetzt aber gehen wir zum Mittagsmahl; ich glaube, die Herrschaften erwarten uns schon.«

44. Kapitel


Wie Sancho Pansa zu seiner Statthalterschaft gesendet wurde, und von dem merkwürdigen Abenteuer, das Don Quijote im Schlosse begegnete

Es heißt, daß in der eigentlichen Urschrift dieser Geschichte, da wo Sidi Hamét an die Abfassung dieses Kapitels kommt – welches sein Übersetzer nicht so wiedergegeben, wie er es geschrieben hatte –, daß da eine Art von Bedauern zum Ausdruck kam, das der maurische Verfasser über sich selbst empfunden, weil er eine Geschichte wie die des Don Quijote unter die Hände genommen, die so trocken und in so enge Grenzen gebannt sei, da er immer, wie es ihn bedünke, nur von dem Ritter und von Sancho sprechen müsse, ohne daß er wagen dürfe, sich in sonstigen Abschweifungen und Einschaltungen ernsteren und auch unterhaltenderen Inhalts zu verlieren. Er fügte bei, wenn Geist, Hand und Feder beständig daran gebunden seien, von einem einzigen Gegenstande zu schreiben und durch den Mund weniger Personen zu sprechen, so sei dies eine unerträgliche Mühsal, deren Ergebnis ohne Ergebnis für des Verfassers Ruhm bleibe, und um diesen Mißstand zu vermeiden, habe er sich im ersten Teile des Kunstgriffs bedient, etliche Novellen einzuflechten, wie die vom törichten Vorwitz und die vom Hauptmann in der Sklaverei, welche von der eigentlichen Geschichte so gut wie unabhängig sind, während die übrigen dort berichteten Vorgänge dem Ritter selbst begegnet sind, also unbedingt erzählt werden mußten. Allein er dachte sich auch, wie er sagt, daß viele Leser, hingerissen von der Teilnahme, welche Don Quijotes Heldentaten in Anspruch nehmen, den Novellen keine widmen und flüchtig oder widerwillig über sie hinwegeilen würden, ohne die feine Arbeit und Kunst in ihnen zu beachten, die man klar erkennen müßte, sobald sie für sich allein, ohne die Narreteien Don Quijotes und Sanchos Einfältigkeiten, ans Licht getreten wären. Daher wollte er in diesen zweiten Teil weder selbständige noch in die Geschichte verflochtene Novellen einfügen, sondern nur einige Episoden, die sich sofort als solche erkennen lassen und die aus den Begebenheiten selbst, wie sie unsre Geschichte darbietet, hervorgegangen sind; und auch diese nur in beschränktem Maße und ohne größeren Aufwand, an Worten, als gerade genügt, um sie vorzutragen. Da er sich mithin in den engen Grenzen seiner Erzählung hält, während er doch Geschick, hinlängliche Fähigkeit und Verstand hat, um über das ganze Weltall zu schreiben, so bittet er, man solle seine Arbeit nicht mißachten, vielmehr ihm Lob spenden, nicht für das, was er schreibt, sondern für das, was er zu schreiben unterlassen hat.

Und hierauf fährt er fort und sagt, daß Don Quijote, als er Sancho die Lehren erteilt hatte, ihm diese nach dem Essen noch am nämlichen Nachmittag schriftlich übergab, damit er jemanden suchen könne, der sie ihm vorlese. Aber kaum hatte er sie ihm gegeben, so verlor dieser sie wieder, und sie gelangten in die Hände des Herzogs, der sie der Herzogin mitteilte; und beide verwunderten sich aufs neue über Don Quijotes Verrücktheit und Verstand. Sie fuhren daher mit ihren lustigen Streichen fort und sandten noch denselben Abend Sancho mit zahlreicher Begleitung nach der Ortschaft, die für ihn eine Insul sein sollte.

Es traf sich nun, daß derjenige, dem Sanchos Überwachung aufgetragen worden, ein Haushofmeister des Herzogs, ein sehr gescheiter und witziger Mann war – denn es gibt keinen Witz ohne Gescheitheit –, derselbe, welcher die Rolle der Gräfin Trifaldi mit so vieler Laune gespielt hatte, wie berichtet; und mit diesen Geistesgaben und mit Anweisungen, die ihm seine Herrschaft darüber erteilt hatte, wie er sich Sancho gegenüber zu verhalten habe, gelang es ihm, den Plan wunderbar auszuführen.

Als nun Sancho diesen Haushofmeister erblickte, fiel ihm sofort das Gesicht der Trifaldi ein, und er wendete sich zu seinem Herrn und sprach: »Señor, entweder soll mich der Teufel auf dieser Stelle holen, so wahr ich ein gerechter und rechtgläubiger Mensch bin, oder Euer Gnaden muß mir zugestehen, daß das Gesicht dieses herzoglichen Haushofmeisters da vor uns das Gesicht der Schmerzenreich selber ist.«

Don Quijote betrachtete den Haushofmeister aufmerksam und sagte sodann zu Sancho: »Es ist kein Grund, daß dich der Teufel hole, weder als gerechten noch als rechtgläubigen Menschen – ich weiß zwar nicht, was du damit meinst –: das Gesicht der Schmerzenreich ist das des Haushofmeisters; aber der Haushofmeister ist darum noch nicht die Schmerzenreich. Wäre er es, so wäre das doch recht widersinnig, und es ist jetzt nicht Zeit, eine gründliche Untersuchung darüber anzustellen, denn das würde uns in ein verworrenes Labyrinth führen. Glaube mir, Freund, es tut uns not, inbrünstig zu Gott dem Herrn zu beten, daß er uns beide von bösen Hexenmeistern und Zauberern erlöse.«

»Es ist wirklich kein Spaß, Señor«, versetzte Sancho; »sondern ich hab ihn gerade sprechen hören, und es war genauso, als ob die Stimme der Trifaldi mir in die Ohren klänge. Nun gut, ich will für jetzt still sein; aber ich will künftighin doch genau Obacht geben, ob ich nicht noch ein Merkmal entdecke, das meinen Verdacht bestätigt oder gänzlich beseitigt.«

»Das mußt du tun, Sancho«, sprach Don Quijote, »und mir von allem Nachricht geben, was du in dieser Sache etwa entdecken magst, sowie von allem, was dir in deiner Statthalterschaft begegnet.«

Sancho reiste endlich ab, von großem Gefolge begleitet, in der Tracht eines richterlichen Beamten, darüber einen weiten Mantel von hellbraunem gewässertem Kamelott, mit einer Mütze von demselben Stoff. Er ritt auf einem Maulesel mit kurzgeschnallten Bügeln, und hinter ihm zog auf Befehl des Herzogs sein Grautier einher mit Eselsgeschirr und Aufputz, alles von Seide und hell erglänzend. Von Zeit zu Zeit wandte sich Sancho nach seinem Esel um und schaute ihn an und ritt in dessen Gesellschaft so vergnügt dahin, daß er nicht mit dem deutschen Kaiser getauscht hätte. Beim Abschied vom Herzog und von der Herzogin küßte er ihnen die Hände und bat seinen Herrn um seinen Segen; dieser gab ihn unter Tränen, und Sancho empfing ihn mit Flennen.

Laß nun, freundlicher Leser, den wackern Sancho in Frieden und in Gottes Namen ziehen und mache dich auf zwei Scheffel Gelächter gefaßt, welches die Kunde davon, wie er sich in seinem Amte benahm, bei dir sicherlich hervorrufen wird; inzwischen aber vernimm mit Bedacht, was seinem Herrn in dieser Nacht widerfuhr, und wenn du darüber nicht in helles Lachen ausbrichst, wirst du wenigstens den Mund zur spöttischen Miene eines Affen verziehen; denn Don Quijotes Erlebnisse müssen entweder mit Bewunderung oder mit Gelächter begrüßt werden.

Es wird also erzählt, daß Sancho kaum abgereist war, als Don Quijote schon sich einsam fühlte, und wäre es ihm möglich gewesen, die Bestallung widerrufen zu lassen und ihm die Statthalterschaft wieder abzunehmen, so hätte er es sicherlich getan. Die Herzogin bemerkte seinen Trübsinn und fragte ihn, weshalb er traurig sei; wenn es wegen Sanchos Abwesenheit wäre, so gäbe es Schildknappen, Kammerfrauen und Zofen in ihrem Hause, die ihn ganz seinem Wunsch entsprechend bedienen würden.

»Es ist wahr, Herrin mein«, antwortete Don Quijote, »daß ich Sanchos Abwesenheit schmerzlich fühle; aber dies ist nicht der Hauptgrund, daß ich niedergeschlagen aussehe, und von den vielen Anerbietungen, mit denen Euer Exzellenz mich beehrt, nehme ich nur eine an, nämlich die huldvolle Gesinnung, von der sie ausgehen, und im übrigen bitte ich Euer Exzellenz dringend, zu gestatten und zu erlauben, daß innerhalb meines Gemaches ich mich selbst bediene.«

»Wahrlich, Señor Don Quijote, das darf nicht sein; vier meiner Fräulein sollen Euch bedienen, alle vier schön wie die Blumen.«

»Mir wären sie nicht wie Blumen«, entgegnete Don Quijote, »sondern wie Dornen, die mir in die Seele stechen würden. Weder sie noch irgend jemand ihresgleichen soll in mein Zimmer kommen, geradesowenig, wie sie hineinfliegen können. Sofern Euer Hoheit fortfahren will, mir Gnade zu erweisen, wenn ich sie auch nicht verdiene, so gestattet, daß ich allein in meinem Zimmer bleibe und mich selbst bediene, auf daß ich eine Mauer ziehe zwischen meiner Begehrlichkeit und meiner Sittsamkeit, und ich will von dieser meiner Gewohnheit nicht abgehn um der hochherzigen Güte willen, die Euer Hoheit mir erzeigen will. Mit einem Wort, ich will lieber in meinen Kleidern schlafen als gestatten, daß mich jemand entkleidet.«

»Nicht weiter, nicht weiter, Señor Don Quijote«, erwiderte die Herzogin; »jetzt sage ich meinesteils, ich werde anordnen, daß nicht einmal eine Fliege in Euer Gemach kommt, geschweige eine Jungfrau. Ich bin nicht die Frau, durch deren Schuld die Züchtigkeit des Señor Don Quijote die mindeste Beeinträchtigung erleiden soll; denn wie es mich schier bedünken will, steht unter seinen vielen Tugenden die der Keuschheit obenan. Ihr mögt Euch ganz allein und nach Eurer gewohnten Weise auskleiden und anziehn, wie und wann Ihr’s wollet; niemand wird Euch daran hindern, und Ihr sollt in Eurem Gemache die Gefäße finden, deren einer bedarf, der bei verschlossenen Türen schläft, damit kein natürliches Bedürfnis Euch zwinge, sie zu öffnen. Es lebe die erhabene Dulcinea von Toboso tausend Jahrhunderte lang, und es verbreite sich ihr Name über das ganze Erdenrund, da sie würdig war, von einem so mannhaften und so keuschen Ritter geliebt zu werden; und möge der gütige Himmel dem Herzen Sancho Pansas, unsres Statthalters, das innige Verlangen einflößen, seine Geißelung baldigst zu vollenden, damit die Welt endlich der Schönheit einer so hohen Dame aufs neue genießen möge.«

Darauf sagte Don Quijote: »Eure Hoheit hat gesprochen als die würdige Herrin, die Ihr seid, denn von einer edlen Frau kann keine unedle in den Mund genommen werden; und Dulcinea wird durch das Lob Eurer Hoheit glücklicher und berühmter in der Welt werden als durch alle Lobpreisungen der größten Meister der Beredsamkeit.«

»Nun gut, Señor Don Quijote«, versetzte die Herzogin; »die Stunde des Abendessens naht heran, und der Herzog wird wohl schon warten; kommt, wir wollen das Abendmahl halten. Auch werdet Ihr Euch wohl zeitig niederlegen; Eure gestrige Reise nach Candaya war nicht so kurz, daß sie Euch nicht einigermaßen ermüdet hätte.«

»Ich fühle keine Müdigkeit, Señora«, erwiderte Don Quijote; »denn ich kann Euer Hoheit schwören, in meinem ganzen Leben hab ich kein ruhigeres und sanfter gehendes Tier geritten als den Holzzapferich, und ich weiß nicht, was den Malambruno bewogen haben kann, sich eines so leichten, sanften Gaules zu berauben und ihn so mir nichts, dir nichts zu verbrennen.«

»Vielleicht kann man annehmen«, antwortete die Herzogin, »daß er aus Reue ob des Bösen, das er der Trifaldi und ihren Genossen und andern Personen angetan, und ob der Missetaten, die er als Hexenmeister und Zauberer jedenfalls verübt haben muß, alle Werkzeuge seines bisherigen Treibens vernichten wollte; und als das hauptsächlichste, das, weil es von Land zu Land schweifte, ihn am meisten in Unruhe versetzte, hat er den Holzzapferich verbrannt. Durch dessen glühende Asche und durch das Siegeszeichen jener Inschrift aber lebt für alle Zeiten fort die Heldenkühnheit des großen Don Quijote von der Mancha.«

Aufs neue sprach Don Quijote der Herzogin seinen Dank aus, und nachdem er zu Abend gespeist, zog er sich allein in sein Gemach zurück, ohne jemandem den Eintritt zu seiner Bedienung zu gestatten; so sehr fürchtete er, daß eine etwaige Gelegenheit ihn verführen könnte, die treue Sittsamkeit einzubüßen, die er seiner Herrin Dulcinea um so mehr bewahrte, als die Tugend des Amadís, der fahrenden Ritter Blume und Spiegel, in seiner Vorstellung stets lebendig war. Er schloß die Tür hinter sich zu, zog sich beim Lichte zweier Wachskerzen aus, und als er sich seiner Fußbekleidung entledigte, o Mißgeschick, unwürdig einer solchen Persönlichkeit! da lösten sich ihm nicht Seufzer aus seinem Innern noch irgend etwas andres, das die Säuberlichkeit seiner feinen Lebensart hätte verdächtigen können, sondern es lösten sich ihm an einem Strumpfe zwei Dutzend Maschen auf, und der Strumpf wurde zu einem Fenstergitter. Das betrübte den wackern Herrn über die Maßen, und er hätte eine Unze Silber darum gegeben, ein Quentchen grüne Seide an Ort und Stelle zu haben, ich sage grüne Seide, denn die Strümpfe waren grün. Hier hat Benengelí ausgerufen und geschrieben: »O Armut! Armut! Ich weiß nicht, aus welchem Grunde der große Dichter aus Córdoba dich nannte:

Heilige, unbedankte Himmelsgabe!

Ich, wiewohl ein Maure, weiß von meinem Umgang mit Christen her, daß die Heiligkeit in Liebe, Demut, Glaube, Gehorsam und Armut besteht; aber trotzdem sage ich, der muß viele Gnade von Gott haben, der freudig in Armut lebt, wenn es nicht eine Armut jener Art ist, von welcher einer ihrer größten Heiligen sagt: ›Brauchet aller Dinge, als ob ihr ihrer nicht brauchet‹, und das nennt man die Armut im Geiste. Aber du andre Armut – von dir nämlich rede ich –, warum hängst du dich immer lieber an die Junker und Edelgebornen als an andere Leute? Warum nötigst du sie, die Löcher an ihren Schuhen schwarz zu überstreichen und an ihren Röcken Knöpfe zu haben, von denen die einen von Seide, die andern von Roßhaar und andre von Glas sind? Warum müssen meistens ihre Halskragen platt aufliegen mit unordentlichen Falten vom Waschen her und nicht frei stehn als gesteifte Krausen, denen mit dem Brenneisen die Hohlfalten gerundet wurden?«

Und hieraus ist zu ersehen, daß der Gebrauch der Stärke und der Kragen mit runden Hohlfalten schon alt ist.

Dann fährt er fort: »Oh, elend ist der Mann von guter Geburt, der seiner Ehre ein Krankentränklein eingibt, indem er bei verschlossener Tür ein schlechtes Mahl verzehrt und den Zahnstocher zum Heuchler macht, mit dem er auf die Straße hinausgeht, ohne daß er etwas gegessen hätte, das ihn nötigte, sich in den Zähnen zu stochern! Elend ist er, sage ich, der ein scheues, zaghaftes Ehrgefühl hat und immer meint, man sähe eine Meile weit die Flicken an seinen Schuhen, die durchgeschwitzten Stellen an seinem Hut, das Fadenscheinige an seinem Mantel und den Hunger in seinem Magen.«

All dieses trat auch vor Don Quijotes Seele, als ihm seine Maschen aufgingen; aber er schöpfte Trost, als er sah, daß Sancho ein Paar Reisestiefel zurückgelassen hatte, und diese gedachte er am nächsten Tage anzuziehen.

Endlich legte er sich nieder, nachdenklich und bekümmert, sowohl weil er Sancho entbehren mußte als auch wegen des unheilbaren Mißgeschicks seiner Strümpfe, deren Maschen er gern wieder aufgenommen hätte, wenn auch mit Seide von andrer Farbe, was doch eines der deutlichsten Zeichen von Elend ist, die ein Edelmann im Verlauf einer langwährenden Dürftigkeit von sich geben kann. Er löschte die Kerzen aus, aber es war heiß, und er konnte nicht schlafen; er erhob sich vom Bette und öffnete das Gitterfenster, das auf einen herrlichen Garten hinausging. Beim öffnen aber hörte er, daß Leute sich im Garten bewegten und miteinander sprachen. Er horchte aufmerksam; die Stimmen von unten wurden lauter, so daß er folgende Worte vernehmen konnte: »Dringe nicht weiter in mich, o Emerencia, daß ich singen soll; du weißt ja, seit dieser Fremde in unser Schloß gekommen ist und meine Augen ihn erblickt haben, kann ich nicht mehr singen, sondern nur weinen, zumal der Schlaf unsrer Herzogin eher leicht als schwer ist und ich um alle Schätze der Welt nicht möchte, daß sie uns hier fände. Und gesetzt den Fall, sie schliefe fest und würde nicht wach, so wäre dennoch mein Gesang vergeblich, wenn er doch schläft und ihn nicht hört, dieser mein Äneas, der in meine Lande gekommen, um mich zu verhöhnen und zu verlassen.«

»Laß dir doch so was nicht einfallen, Freundin Altisidora«, wurde geantwortet. »Ganz gewiß schläft die Herzogin jetzt und das ganze übrige Haus, ausgenommen der Gebieter und Auferwecker deines Herzens; denn eben habe ich bemerkt, daß er das Fenster seines Zimmers geöffnet hat, und er muß ganz gewiß wach sein; singe, mein armes Kind, mit leisem süßem Tone zum Klang deiner Harfe, und sollte die Herzogin uns hören, so geben wir der Hitze dieser Nacht die Schuld.«

»Darin liegt mein Bedenken nicht, o Emerencia«, gab Altisidora zur Antwort, »sondern darin, daß ich nicht möchte, daß mein Gesang mein Herz verriete und ich von denen, die Amors gewaltige Macht nicht kennen, für ein lüsternes und leichtfertiges Mägdlein gehalten würde. Aber komme, was kommen mag, besser ist Schamröte im Gesicht als eine Wunde im Herzen.«

Hiermit begann sie die Harfe in süßesten Tönen zu spielen. Als Don Quijote dies hörte, geriet er vor Staunen ganz außer sich, denn im Augenblick fielen ihm die zahllosen ähnlichen Abenteuer von Fenstern, Gittern und Gärten, Ständchen, Liebesgetändel und ähnlichen Narrheiten ein, die er in seinen törichten Ritterbüchern gelesen hatte. Sogleich stellte er sich vor, irgendein Fräulein der Herzogin sei in ihn verliebt und ihre Sittsamkeit zwinge sie, ihre Neigung geheimzuhalten. Er fürchtete, sie möchte ihn besiegen, und nahm sich in seinen Gedanken vor, sich nicht bezwingen zu lassen; und indem er aus vollem Herzen und mit den besten Vorsätzen sich seiner Herrin Dulcinea von Toboso anbefahl, beschloß er, der Musik zu lauschen; und damit man merke, daß er da sei, tat er, als müsse er niesen, worüber sich die Mädchen nicht wenig freuten, da sie nichts andres wünschten, als daß Don Quijote ihnen lausche.

Als nun die Harfe gestimmt und geprobt war, begann Altisidora folgende Romanze:

O du, der du dort auf feinstem
Linnen ohne Sorg und Plage
Schläfst mit ausgestreckten Beinen
All die Nacht bis hell am Tage;

Du, der kühnste aller Ritter,
Die zur Welt die Mancha sandte,
Du, geehrt mehr und gesegnet
Als das Gold aus Yemens Lande;

Hör ein Mägdlein an aus gutem
Hause, dem es schlecht ergangen,
Das am Lichte deiner beiden
Sonnen Feuer hat gefangen.

Schlagen willst du dich mit Rittern
Und hast Herzen wund geschlagen,
Und wen du verwundest, schnöde
Willst du Heilung ihm versagen.

Sag mir, heldenhafter Jüngling,
Dem Gott heile seine Plagen,
Ob in Libyen du geboren,
Ob, wo Jacas Berge ragen?

Sag, ob Schlangen dich gesäugt?
Sage, war wohl deine Amme
Waldes Schauer und das Grausen
Hoch auf des Gebirges Kamme?

Preisen darf sich Dulcinea,
Maid von vollen derben Wangen,
Daß sie eines Tigers, eines
Wilden Untiers Herz gefangen.

Darum wird ihr Ruhm ertönen
Vom Jarama zum Henares,
Vom Pisuerga zum Arlanza,
Vom Tajo zum Manzanares.

Gerne möcht ich mit ihr tauschen,
Gäb mein Wams, geschmückt mit Spangen,
Ihr noch gern heraus, das schönste,
Daran goldne Fransen hangen.

Oh, ruht‘ ich in deinen Armen,
Mindstens auf dem lieben Platze
Vor dem Bett, daß ich den Kopf dir
Und vom Haar die Schuppen kratze!

Viel begehr ich, und ich bin doch
Unwert solcher Gnadengaben;
Nur, und dies genügt mir Armen,
Möcht ich dir die Füße schaben.

Oh, wieviel Nachtmützen gäb ich,
Socken dir von feinstem Baste,
Mäntel aus holländschem Linnen,
Strumpf und Hosen von Damaste!

Und mit Perlen, wie Galläpfel
Dick, wollt ich dich gern begaben,
Die man Solitaire nennt,
Weil sie keinesgleichen haben.

Schau nicht vom Tarpeja auf mich,
Denn in Glut brech ich zusammen
Größter Nero aus der Mancha,
Fache nicht noch mehr die Flammen.

Ich, ein Kind, ein zartes Mägdlein,
Zähle noch nicht fünfzehn Jahre;
Vierzehn zähl ich und drei Monde,
So wahr Gott mich fromm bewahre!

Bin nicht lahm und nicht verkrüppelt,
Frisch und schön bin ich vor allen;
Meine Haare Lilienstengel,
Die bis auf den Boden wallen.

Meine Schönheit preist den Schöpfer,
Ob auch etwas platt die Nase;
Ist mein Mund wie Adlers Schnabel,
Sind die Zähne doch Topase.

Meine Stimme, wie du hörest,
Ist vom allersüßten Klange;
Unter Mittelgröße bin ich,
Fein von Wuchs und stolz von Gange.

Diese Reize sind zur Beute
Deinem Köcher jetzt gefallen,
Und ich heiß Altisidora,
Dien als Zof in diesen Hallen.

Hier endete der Gesang der herzenswunden Altisidora und begann das Entsetzen des liebesumworbenen Don Quijote, welcher mächtig aufseufzend zu sich selber sagte: Was muß ich doch für ein unseliger fahrender Ritter sein, daß es kein Fräulein geben kann, das sich nicht gleich in mich verliebt! Wie glückverlassen muß doch die unvergleichliche Dulcinea von Toboso sein, daß man sie meine Treue ohnegleichen nicht allein genießen lassen will! Was wollt ihr von ihr, o Königinnen? Zu welchem Zweck verfolgt ihr sie, ihr Kaiserinnen? Warum bedrängt ihr sie, ihr Mägdlein von vierzehn bis fünfzehn Jahren? Lasset doch, lasset doch die Arme triumphieren, sich erfreuen und stolz sein ob des Loses, das Amor ihr zuteilen wollte, indem er ihr mein Herz unterwarf und ihr meine Seele dahingab. Bedenke, o verliebte Schar, ich bin nur für Dulcinea von Teig und Zuckerkuchen und für alle andern von Marmelstein. Für sie bin ich Honig und für euch Wermut; für mich ist Dulcinea allein die Schöne, die Verständige, die Züchtige, die Edelgeborne, und die andern all sind die Häßlichen, die Dummen, die Leichtfertigen, die von niedrigster Geburt. Für sie, für keine andere hat mich die Natur auf die Welt geschleudert, ob nun Altisidora weine oder singe, ob nun die Dame verzweifle, um derentwillen man mich in der Burg des verzauberten Mohren durchgeprügelt hat; möge man mich kochen oder braten, ich gehöre Dulcinea an, stets lauter, adelig und keusch, trotz allen Zaubermächten auf Erden.

Hiermit schlug er das Fenster zu und legte sich mißmutig und gramvoll, als sei ihm ein großes Unglück begegnet, in sein Bett, wo wir ihn für jetzt lassen werden; denn bereits ruft uns der große Sancho Pansa, der gerade seine gepriesene Statthalterschaft antreten will.