29. Kapitel


Von dem merkwürdigen Abenteuer mit dem verzauberten Nachen

Auf den hergebrachten – oder noch nicht hergebrachten – Wegen erreichten Don Quijote und Sancho – zwei Tage, nachdem sie das Wäldchen verlassen hatten – den Fluß Ebro, und Don Quijote freute sich sehr seines Anblicks. Er betrachtete lange die Lieblichkeit seiner Gestade, die Klarheit seiner Gewässer, die ernste Ruhe seiner Strömung, die Fülle seiner flüssigen Kristalle; und dieser heitre Anblick erneute in seiner Erinnerung tausend Liebesgedanken. Vorzugsweise aber kam ihm in Sinn und Gedanken, was er in der Höhle des Montesinos gesehen; denn wenn auch Meister Pedros Affe ihm gesagt hatte, ein Teil jener Geschichten sei Wahrheit, ein Teil aber Lüge, so hielt er sich mehr an die wahrhaften, ganz im Gegensatze zu Sancho, der sie sämtlich für die Lüge selbst hielt.

Indem er nun in solchen Gedanken dahinzog, fiel ihm ein kleiner Nachen ohne Ruder in die Augen, der an einen Baumstamm am Ufer angebunden war. Don Quijote blickte sich nach allen Seiten um und sah niemanden, und ohne weiteres stieg er von Rosinante ab und befahl Sancho, gleichfalls von seinem Grauen abzusitzen und beide Tiere zusammen an den Stamm einer dort stehenden Pappel oder Weide fest anzubinden.

Sancho fragte ihn nach der Ursache dieses unerwarteten Beginnens. Don Quijote antwortete: »Du mußt wissen, Sancho, der Nachen hier ist dazu da, und anders kann es nicht sein, mich zu rufen und aufzufordern, daß ich hineinsteige und darin fortschiffe, um Beistand zu leisten irgendeinem Ritter oder sonst einer hilfsbedürftigen vornehmen Persönlichkeit, die gewißlich von großen Nöten bedrängt sein muß; denn so pflegt es in den Ritterbüchern zu sein und bei den Zauberern, die mit solchen Geschichten zu tun haben; wenn ein Ritter sich in einer Drangsal befindet und aus selbiger nur durch eines andern Ritters Hand erlöst werden kann, obgleich sie zwei- oder dreitausend Meilen, ja noch weiter voneinander entfernt sind, da entführen sie ihn gewaltsam in einer Wolke oder bieten ihm einen Nachen dar, damit er dareinsteige, und in kürzerer Zeit, als man die Augen öffnet und schließt, führen sie ihn davon, sei es durch die Lüfte, sei es das Meer hindurch, wie es ihnen beliebt und wo sein Beistand notwendig ist. Sonach, o Sancho, befindet sich dieser Nachen zum nämlichen Zwecke hier; und dies ist so sicher, wie der Tag jetzo scheinet, und ehe denn derselbe vorübergehe, binde den Grauen und Rosinante zusammen an; und nun in Gottes Namen, möge Er uns geleiten! Denn ich werde von meiner Einschiffung nicht abstehen, und kämen selbst Barfüßermönche und bäten mich darum.«

»Wenn es denn einmal so ist«, entgegnete Sancho, »und Euer Gnaden verfällt mit aller Gewalt bei jedem Schritt auf solcherlei, ich weiß nicht, soll ich sagen Unsinn, so bleibt nichts übrig, als zu schweigen und den Kopf zu neigen nach dem Sprichwort: Tu, was dein Herr gebeut, und setze dich mit ihm zu Tische. Aber trotzdem will ich, da ich mein Gewissen von Schuld frei halten will, Euer Gnaden ernstlich sagen, mir wenigstens kommt es so vor, dieser Nachen gehört nicht zu den verzauberten, sondern gehört irgendwelchen Fischern hier am Flusse, in dem die besten Eisen auf der Welt gefangen werden.«

So sprach Sancho, während er die Tiere anband, die er mit großem Seelenschmerz dem Schutz und Schirm der Zauberer überlassen mußte. Don Quijote ermahnte ihn, ob der Tiere unbekümmert zu sein, denn der, welcher sie selbst in fernsten Distanzen über Pfade und Lande führen werde, der werde auch Sorge tragen, sie zu nähren.

»Was ist das für ein Tanz, der Dißtanz?« sagte Sancho; »ich verstehe das nicht, habe ein solches Wort all mein Lebtag nicht gehört.«

»Distanz heißt Entfernung«, erwiderte Don Quijote, »und es ist kein Wunder, daß du es nicht verstehst, denn du bist nicht verpflichtet, Latein zu können wie so manche, die so tun, als könnten sie es, und doch nichts davon verstehen.«

»Jetzt wären sie also angebunden«, fiel Sancho ein; »was haben wir nun zu tun?«

»Was?« antwortete Don Quijote; »ein Kreuz schlagen und den Anker lichten, ich meine uns einschiffen und das Tau kappen, womit dieser Nachen vor Ufer festliegt.«

Und mit einem Sprung schwang er sich hinein, Sancho folgte ihm, er schnitt das Seil durch, und der Nachen entfernte sich allmählich vom Ufer. Als sich aber Sancho ungefähr zwei Ellen weit im Gewässer des Flusses sah, begann er zu zittern und sein Verderben zu fürchten; aber nichts machte ihm so viel Kummer, als daß er seinen Esel iahen hörte und sah, wie sich Rosinante abarbeitete, um loszukommen. Da sprach er zu seinem Herrn: »Mein Grauer schreit iah im Schmerz ob unsrer Entfernung, und Rosinante müht sich, loszukommen, um sich uns nachzustürzen. O liebste Freunde, bleibt in Frieden allhier, und möge auf die Torheit, die uns von euch fortführt, die Enttäuschung bald folgen und uns dann zum holden Zusammensein mit euch zurückbringen!«

Und hiermit begann er so bitterlich zu weinen, daß Don Quijote ärgerlich und auffahrend zu ihm sagte: »Was fürchtest du, feiges Geschöpf? Worüber weinst du, Butterherz? Wer verfolgt dich, wer bedrängt dich, du Maus, die sich im Loche duckt? Oder was geht dir ab, und darbst du etwa im Schoße des Überflusses? Pilgerst du etwa zu Fuß und barfüßig über die Rhypäischen Gebirge, oder sitzest du nicht vielmehr hier, wo eine breite Planke dir einen Sitz gewährt wie einem Erzherzog, auf der geruhsamen Strömung dieses lieblichen Flusses, von wo wir nach kurzer Weile in das weite Meer hinausfahren werden? Aber schon müssen wir hinausgekommen und mindestens sieben- oder achthundert Meilen weit gefahren sein, und wenn ich ein Astrolabium hier hätte, um die Polhöhe damit zu bestimmen, würde ich dir sagen, wie viele der Meilen wir gefahren sind; indessen, ich verstehe entweder nicht viel davon, oder wir haben die Linie der Nachtgleiche, die die beiden entgegengesetzten Pole teilt und sich in gleichem Abstande von ihnen hinzieht, bereits durchschnitten oder werden sie bald durchschneiden.«

»Und wann wir zu diesem Linchen mit dem Nachtleibchen kommen«, fragte Sancho, »wieviel haben wir dann zurückgelegt?«

»Viel«, antwortete Don Quijote, »denn von den dreihundertsechzig Graden, welche die aus Erde und Wasser zusammengesetzte Kugel enthält nach der Kalkulation und Berechnung des Ptolemäus, jenes größten Kosmographen, den man kennt, werden wir die Hälfte zurückgelegt haben, sobald wir an die erwähnte Linie kommen.«

»Bei Gott«, sprach Sancho, »da bringt Ihr mir zum Zeugen Eurer Angaben einen schönen Kerl daher, einen, der Kalk im Latz hat, einen Polen, der mäh sagt, und dazu einen Possengrafen, den man kennt.«

Don Quijote lachte laut auf über die Auslegung, die Sancho der Kalkulation und dem Ptolemäus und dem Kosmographen gegeben, und sagte ihm: »Du mußt wissen, Sancho, wenn die Spanier und überhaupt die Reisenden sich in Cádiz nach Ostindien einschiffen, so haben sie ihre Merkzeichen, woran sie erkennen, daß sie über die Linie der Nachtgleiche, von der ich dir sagte, hinausgekommen sind, und eines davon besteht darin, daß bei allen Leuten im Schiffe die Läuse absterben, ohne daß eine einzige übrigbleibt, und im ganzen Schiff würde man keine finden, wenn man sie auch mit Gold aufwiegen wollte. Sonach, Sancho, magst du dir nur mit der Hand über den Schenkel fahren, und falls du eine am Leben findest, so sind wir gleich aus dem Zweifel; wenn aber nicht, so sind wir über die Linie hinaus.«

»Ich glaube nichts von alledem«, entgegnete Sancho; »aber doch will ich tun, was Euer Gnaden mir befiehlt. Zwar weiß ich nicht, wozu wir solche Proben anstellen sollen, da ich mit meinen eignen Augen sehe, daß wir uns noch keine fünf Ellen weit vom Ufer entfernt haben, ja, wir sind nicht einmal zwei Ellen von dem Ort weg, wo unsre Tiere stehen, denn dorten stehen Rosinante und mein Grauer am gleichen Fleck, wo wir sie gelassen, und wenn ich den Augenpunkt nehme, wie ich es jetzt tue, so schwör ich’s bei dem und jenem, wir bewegen uns überhaupt nicht, wir kommen nicht einmal so geschwind vom Fleck wie eine Ameise.«

»Mach nur die Probe, die ich dir angegeben habe, Sancho«, befahl Don Quijote, »kümmere dich um keine andre, denn du weißt nicht, was Koluren und Linien sind, Parallelen und Tierkreise, Ekliptik und Pol, Sonnenwende und Nachtgleiche, Planeten, Sternbilder, die Punkte und Grade, nach denen die Himmels- und die Erdkugel eingeteilt wird; denn wenn du dies oder auch nur einen Teil davon wüßtest, so würdest du deutlich sehen, wieviel Parallelkreise wir durchschnitten, wieviel Himmelszeichen wir erblickt, wieviel Sternbilder wir hinter uns gelassen haben und noch hinter uns lassen werden. Und nochmals sage ich dir; du sollst dich befühlen und Jagd machen, denn ich bin überzeugt, du bist jetzt sauberer als ein Bogen glattes weißes Papier.«

Sancho befühlte sich, griff mit der Hand sachte und vorsichtig an die linke Hüfte, hob den Kopf, sah seinen Herrn starr an und sagte: »Entweder taugt die Probe nicht, oder wir sind noch nicht dahin gelangt, wo Euer Gnaden meint, ja auf viele Meilen nicht.«

»Wie denn?« fragte Don Quijote, »hast du etwas gefunden?«

»Sogar mehr als etwas«, antwortete Sancho. Er schüttelte die Finger ab und wusch sich die ganze Hand im Flusse, auf dem der Nachen sanft dahinglitt, ohne daß ihn eine geheime Kraft oder ein verborgener Zauberer in Bewegung setzte außer des Wassers eigener Strömung, die jetzt still und freundlich hinwallte.

Indem wurden sie mitten im Flusse Wassermühlen gewahr, und kaum hatte Don Quijote sie erblickt, als er mit lauter Stimme zu Sancho sprach: »Siehst du dort, o mein Freund, da tritt hervor die Stadt, Burg oder Feste, worin irgendein schwerbedrückter Rittersmann oder eine mißhandelte Königin, Infantin oder Prinzessin gefangenliegen muß, und zu deren Beistand bin ich hierhergeführt worden.«

»Was, zum Teufel, für Stadt, Feste oder Burg meint Euer Gnaden, Señor?« fragte Sancho Pansa. »Seht Ihr denn nicht, daß es Wassermühlen im Flusse sind, wo das Getreide gemahlen wird?«

»Schweig, Sancho«, sagte Don Quijote; »denn wenn sie auch wie Wassermühlen aussehen, so sind es doch keine. Ich habe dir ja schon gesagt, daß Zauberei alles verwandelt und aus seinem angebornen Wesen zu einem andern umgestaltet; damit will ich nicht sagen, daß sie das eine zum andern wirklich umgestaltet, sondern es scheint nur äußerlich so. Das hat die Erfahrung uns gezeigt in der Verwandlung meiner Dulcinea, dieser einzigen Zuflucht meiner Hoffnungen.«

Unterdessen war der Nachen mitten in die Strömung geraten und begann rascher zu treiben als bisher. Als die Leute auf den Wassermühlen sahen, wie der Nachen auf dem Flusse herankam und nahe daran war, gerade in den Wassersturz des Mühlkanals hineinzutreiben, sprangen viele von ihnen eiligst mit langen Stangen heraus, um ihn aufzuhalten, und da sie ganz weiß aussahen und ihre Gesichter und Kleider mit Mehl bestäubt waren, so boten sie einen unangenehmen Anblick. Sie stießen ein großes Geschrei aus und riefen: »Ihr verdammten Kerle, wohin wollt ihr? Seid ihr lebensmüde? Was? Wollt ihr zwischen den Rädern ersaufen und zerschellen?«

»Sagte ich dir nicht, Sancho«, sagte Don Quijote jetzt, »daß wir die Stelle erreicht haben, wo ich zeigen soll, wie weit die Kraft meines Armes reicht? Schau hin, wieviel Wegelagerer und feige Schurken sich mir entgegenwerfen; schau hin, wieviel Scheusale mir Widerpart halten; schau hin, wieviel häßliche Fratzen einherkommen und uns Gesichter schneiden. Aber gleich sollt ihr es erfahren, Schelmengezücht!«

Und er stellte sich im Nachen aufrecht, begann mit mächtiger Stimme die Müller zu bedräuen und rief: »Schlechtgesinntes und noch schlechter beratenes Lumpenpack, laßt in Freiheit, laßt ungehindert über sich selbst verfügen die Person, die ihr in eurer Feste oder Zwingburg geknechtet haltet, ob sie hoch oder niedrig, welchen Standes oder Ranges sie sein möge; denn ich bin Don Quijote von der Mancha, der Löwenritter genannt, welchem durch des hohen Himmels Gebot es vorbehalten ist, dies Abenteuer zu glücklichem Ende zu führen!«

Und mit diesen Worten griff er zum Schwerte und begann damit Lufthiebe gegen die Müller zu führen; diese aber, die die Narreteien wohl hörten, aber nicht verstanden, mühten sich, mit ihren Stangen den Nachen aufzuhalten, der schon im Begriff war, in den Strudel des Mühlkanals hineinzutreiben. Sancho warf sich auf die Knie und betete andächtig zum Himmel, ihn aus einer so offenbaren Gefahr zu erlösen, und der Himmel tat es auch vermittels der Geschicklichkeit und Behendigkeit der Müller, die sich mit ihren Stangen wider den Nachen stemmten und ihn zurückhielten, jedoch nicht verhindern konnten, daß der Nachen umschlug und der Ritter und sein Schildknappe kopfüber ins Wasser stürzten. Indessen ging es für Don Quijote gut aus, da er schwimmen konnte wie ein Gänserich, obwohl das Gewicht der Rüstung ihn zweimal auf den Grund hinunterzog; und wären die Müller nicht gewesen, die sich ins Wasser stürzten und sie herauszogen, so wäre für beide hier ein Troja gewesen.

Als sie nun ans Land gebracht und freilich mehr durchnäßt als durstig waren, warf sich Sancho auf die Knie, faltete die Hände, heftete die Blicke gen Himmel und flehte zu Gott in langem andächtigem Gebete, ihn fürderhin von den tollkühnen Anschlägen und Wagnissen seines Herrn zu erlösen. Inzwischen kamen die Fischer herbei, die Eigentümer des Nachens, welchen die Mühlräder in Trümmer zerschlagen hatten; und da sie ihn zerschellt sahen, gingen sie sofort daran, Sancho die Kleider auszuziehen und zugleich von Don Quijote Schadenersatz zu fordern. Der Ritter aber, mit größter Gemütsruhe, als ob er an der ganzen Sache unbeteiligt wäre, versicherte den Müllern und Fischern, er werde den Nachen mit Vergnügen bezahlen, wenn man ihm die Person oder die Personen, die in dieser ihrer Burg gefangenlägen, frei und sonder hinterhaltige Tücke herausgebe.

»Was für Personen oder was für eine Burg meint Ihr, närrischer Mensch?« entgegnete einer von den Müllern. »Wollt Ihr vielleicht die Personen mitschleppen, die in unsre Mühlen kommen, um ihr Getreide zu mahlen?«

»Jetzt genug«, sprach Don Quijote zu sich selber; »da wär ich ein Prediger in der Wüste, wollte ich dieses Gesindel dazu bewegen, für gute Worte eine gute Tat zu tun. Bei diesem Abenteuer müssen zwei mächtige Zauberer aufeinandergestoßen sein, und der eine hindert, was der andre plant; der eine bescherte mir den Nachen, der andre ließ mich scheitern. Gott besser’s! Besteht doch diese ganze Welt nur aus Anschlägen und geheimen Plänen, von denen einer immer dem andern feindlich entgegenwirkt. Mehr kann ich nicht tun.«

Hierauf erhob er seine Stimme und fuhr in seiner Rede fort, indem er die Mühlen ins Auge faßte: »Freunde ihr, wer ihr auch sein möget, die ihr in diesem Kerker eingesperrt weilet, vergebt mir! Um meines Mißgeschicks willen und zu eurem Unglück kann ich euch nicht aus euren Nöten lösen; für einen andern Ritter muß dies Abenteuer vorbehalten und aufbewahrt sein.«

Und dann verglich er sich auch gleich mit den Fischern und bezahlte für den Nachen fünfzig Realen, welche Sancho gar ungern hergab, wobei er sagte: »Bei zwei Kahnfahrten wie dieser würde unser ganzes Hab und Gut scheitern gehen.«

Den Fischern erschien es als ein seltsam Schauspiel, wie diese zwei Gestalten so ganz anders als alle andern Menschen in ihrer Erscheinung waren, und sie konnten mit Don Quijotes Reden und Fragen nicht das geringste anfangen; und da sie beide für verrückt hielten, ließen sie sie stehen und kehrten heim, die einen zu ihren Mühlen, die Fischer zu ihren Hütten.

Don Quijote und Sancho aber kehrten zurück zu ihren Tieren, um selber dumme Tiere zu bleiben, und so endete das Abenteuer mit dem verzauberten Nachen.

3. Kapitel


Von der heiteren Unterhaltung zwischen Don Quijote, Sancho Pansa und dem Baccalaureus Sansón Carrasco

In tiefes Nachdenken versunken saß Don Quijote, während er den Baccalaureus Carrasco erwartete, von dem er die Nachrichten über sich selbst zu hören gedachte, die laut Sanchos Angabe in einem Buche standen. Er konnte nicht glauben, daß ein solches Geschichtswerk wirklich vorhanden wäre; denn an der Klinge seines Schwertes war das Blut seiner Feinde, die er getötet, noch nicht vertrocknet, und schon sollten seine großen Rittertaten im Druck veröffentlicht sein! Trotzdem dachte er sich, daß irgendein Zauberer, ob Freund oder Feind, mittels seiner Zauberkunst sie in Druck geben konnte: wenn ein Freund, um sie zu verherrlichen und sie über die ausgezeichnetsten Taten fahrender Ritter zu erheben; wenn ein Feind, um sie zunichte zu machen und sie unter die schmählichsten herabzusetzen, die man je von einem schmählichen Schildknappen geschrieben; wiewohl, so sagte er zu sich selbst, Taten von Schildknappen noch niemals aufgezeichnet worden. Und wenn es auch wahr wäre, und es wäre die angebliche Geschichte wirklich vorhanden, so müßte sie als die eines fahrenden Ritters notwendig in großartigem Stil gehalten sein, erhaben, ungewöhnlich, prachtvoll und wahrhaft.

Damit tröstete er sich einigermaßen, aber diesen Trost benahm ihm gleich wieder der Gedanke, daß der Verfasser ein Maure sei, wie aus dem Namen Sidi zu schließen, und daß man Wahrheit von den Mauren nicht erwarten könne, da sie sämtlich Betrüger, Fälscher und Schwindler sind. Er fürchtete, sein Liebesverhältnis sei vielleicht von dem Verfasser nicht mit gehöriger Schicklichkeit behandelt worden, was der Ehrbarkeit seiner Herrin Dulcinea von Toboso zur Schädigung und Benachteiligung gereichen könnte; er wünschte, der Maure hätte seine Treue geschildert und die sittsame Rücksicht, die er ihr gegenüber stets bewahrt habe, indem er Königinnen, Kaiserinnen und Jungfrauen von jedem Range verschmähte und den ungestümen Drang der natürlichen Triebe in Schranken hielt.

Und so, mit diesen und viel anderen Gedanken sich tragend und sich plagend, fanden ihn Sancho und Carrasco, den Don Quijote mit vieler Höflichkeit empfing. Der Baccalaureus, obwohl er Sansón, das ist Simson, hieß, war nicht sehr groß von Gestalt, hingegen sehr groß an Verschmitztheit; er hatte eine welke Gesichtsfarbe, aber einen sehr hellen Verstand. Er mochte etwa vierundzwanzig Jahre alt sein, hatte ein rundes Gesicht mit stumpfer Nase und großem Mund, alles Kennzeichen, daß er zu Schelmenstreichen aufgelegt war und seine Freude an Scherz und Spott hatte, die er denn auch sogleich bewies. Denn als er Don Quijote sah, warf er sich vor ihm auf die Knie und sprach: »Es reiche mir Eure Hoheit die Hand zum Kusse, Señor Don Quijote von der Mancha, denn bei Sankt Petrus‘ Rock, den ich trage, wiewohl ich erst die vier niederen Weihen habe, Euer Gnaden ist einer der berühmtesten fahrenden Ritter, die es auf dem ganzen Erdenrund gegeben hat und geben wird. Gepriesen sei Sidi Hamét Benengelí, der die Geschichte Eurer Großtaten geschrieben hat, und nochmals gepriesen sei der fleißige Forscher, der es unternommen, sie aus dem Arabischen in unsere kastilianische Volkssprache übersetzen zu lassen zum allgemeinen Ergötzen der Leserwelt!«

Don Quijote hieß ihn sich erheben und sprach: »Demnach ist es wahr, daß eine Geschichte von mir vorhanden ist und daß es ein Maure und ein Zauberer war, der sie verfaßt hat?«

»Das ist so völlig wahr, Señor«, sprach Sansón, »daß ich überzeugt bin, bis zum heutigen Tage sind schon mehr als zwölftausend Stücke besagter Geschichte verbreitet; oder wenn das einer bestreitet, so mögen Portugal, Barcelona und Valencia es bezeugen, wo sie gedruckt wurden; und es geht sogar das Gerücht; daß sie eben jetzt zu Antwerpen unter der Presse ist, und mir schwant es, daß es bald kein Land und keine Sprache mehr gibt, wo man sie nicht übersetzen wird.«

Don Quijote sprach darauf: »Eines unter allem muß dem tugendsamen und hochstehenden Manne am meisten Freude schaffen, nämlich daß er, noch zu seinen Lebzeiten in Büchern gedruckt, allenthalben im Munde des Volkes wohlberufen lebt; ich sage ›wohlberufen‹, denn wäre es das Gegenteil, so käme kein Tod solchem Leben gleich.«

»Wenn es sich um guten Ruf und guten Namen handelt«, sagte der Baccalaureus, »so trägt Euer Gnaden einzig und allein vor allen fahrenden Rittern die Palme davon; denn der Maure in seiner Sprache und der Christ in der seinen waren darauf bedacht, uns Euer Gnaden Trefflichkeit ganz nach dem Leben zu schildern, so auch Eure Kühnheit in Gefahren, Eure Geduld in Widerwärtigkeiten, das gelassene Ertragen von Mißgeschick und Wunden und die Tugend und Enthaltsamkeit in der rein platonischen Liebe Euer Gnaden zu unserm Fräulein Doña Dulcinea von Toboso.«

»Niemals«, fiel hier Sancho Pansa ein, »habe ich unser Fräulein Dulcinea eine Doña nennen hören, sondern nur das Fräulein Dulcinea von Toboso, und hierin ist also die Geschichte im Irrtum.«

»Das ist kein Einwurf von Bedeutung«, entgegnete Carrasco.

»Gewiß nicht«, sprach Don Quijote; »aber sagt mir doch, Herr Baccalaureus: auf welche von meinen Großtaten wird in jener Geschichte am meisten Gewicht gelegt?«

»Darüber sind die Urteile verschieden«, antwortete der Baccalaureus, »gerade wie der Geschmack verschieden ist. Einige halten es mit dem Abenteuer von den Windmühlen, die Euer Gnaden für Riesen und für den hundertarmigen Briareus hielt, andere mit der Geschichte von den Walkmühlen; dieser mit der Beschreibung der beiden Heere, die sich hernach als zwei Herden Hammel auswiesen, jener rühmt zumeist das Abenteuer mit dem Leichnam, den man zum Begräbnis nach Segovia brachte. Der eine sagt, die Geschichte von der Befreiung der Galeerensklaven übertreffe alle übrigen; der andere, keine lasse sich mit der von den zwei Benediktiner-Riesen vergleichen, nebst dem Kampfe mit dem mannhaften Biskayer.«

»Sagt mir, Herr Baccalaureus«, sprach jetzt Sancho, »kommt dabei auch das Abenteuer mit den Yanguesen vor, als unseren wackeren Rosinante die Lust ankam, Trüffeln im Meere fischen zu wollen?«

»Dem Zauberer«, sprach Sansón, »ist nichts in der Feder zurückgeblieben, er sagt alles und zeigt alles deutlich, sogar die Bocksprünge, die der biedere Sancho auf der Bettdecke machte.«

»Auf der Bettdecke habe ich keine Sprünge gemacht«, erwiderte Sancho, »wohl aber in der Luft, und wahrlich mehr, als mir lieb war.«

»Meiner Meinung nach«, sprach Don Quijote, »gibt es in der Welt keine Geschichte eines Menschenlebens, in der es nicht bald aufwärts und bald abwärts ginge, insbesondere die Geschichten, die vom Rittertum handeln, die da niemals lauter glückliche Begebnisse enthalten können.«

»Trotzdem«, entgegnete der Baccalaureus, »sagen einige, die die Geschichte gelesen haben, es wäre ihnen erfreulich gewesen, wenn ihre Verfasser etliche von den endlosen Prügeln vergessen hätten, die der Señor Don Quijote bei so manchem Zusammentreffen aufgezählt bekam.«

»Das gehört aber gerade zu der Wahrheit der Geschichte«, sagte Sancho.

»Man hätte sie übrigens auch aus Billigkeitsrücksichten verschweigen können«, sagte Don Quijote, »denn wenn Vorgänge die Wahrheit der Geschichte weder verändern noch zerstören, so braucht man sie gewiß nicht niederzuschreiben, sobald sie den Helden der Geschichte an seinem Ansehen schädigen können. Wahrlich, Äneas war nicht so fromm, wie Vergil ihn schildert, und Odysseus nicht so klug, wie Homer ihn darstellt.«

»Ganz richtig«, versetzte Sansón; »aber ein anderes ist es, als Dichter zu schreiben, und ein anderes, als Historiker. Der Dichter kann die Ereignisse uns sagen oder singen, nicht wie sie waren, sondern wie sie sein sollten; und der Geschichtsschreiber muß sie darstellen, nicht wie sie sein sollten, sondern wie sie waren, ohne der Wahrheit irgend etwas abzubrechen oder beizufügen.«

»Wenn also der Herr Maure darauf ausgeht, die Wahrheit zu sagen«, warf Sancho dazwischen, »so finden sich sicherlich bei den Prügeln meines Herrn auch die meinigen; denn die Kerle haben niemals Seiner Gnaden das Maß von seinem Rücken genommen, ohne mir es gleich von meinem ganzen Körper zu nehmen; aber ich sehe keinen Grund, mich darüber zu wundern; denn, wie mein Herr sagt, am Schmerz des Hauptes müssen auch die Glieder teilhaben.«

»Er ist ein Schalk, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »wahrlich, Ihm fehlt es nicht an Gedächtnis, wenn Er es nur will.«

»Wenn ich auch die Stockhiebe, die ich bekommen, vergessen wollte«, sagte Sancho darauf, »so würden es doch die blauen Flecke nicht zulassen, die ich noch frisch auf den Rippen habe.«

»Schweig Er, Sancho«, versetzte Don Quijote, »und unterbreche Er den Herrn Baccalaureus nicht, den ich bitte, fortzufahren und zu erzählen, was in der erwähnten Geschichte von mir gesagt wird.«

»Und auch von mir«, sprach Sancho, »denn die Leute sagen ungleichen, ich sei eine der wichtigsten Prisonen darin.«

»Personen, nicht Prisonen, Freund Sancho«, fiel Sansón ein.

»So haben wir jetzt noch einen, der an den Fikabeln herumklaubt? Wenn Ihr so weitermacht, werden wir unser Leben lang nicht fertig.«

»Und mein Leben lang will ich kein Glück von Gott haben«, versetzte der Baccalaureus, »wenn Ihr nicht die zweite Person in der Geschichte seid, und es gibt mehr als einen, der lieber Euch reden hört als die hochgestochenste Person im ganzen Buch; wiewohl auch mehr als einer behauptet, Ihr wäret gar zu leichtgläubig gewesen, als Ihr meintet, es könnte seine Richtigkeit mit der Statthalterschaft über die Insul haben, die Euch der Señor Don Quijote anbot, der hier zugegen ist.«

»Es ist noch nicht aller Tage Abend«, sprach Don Quijote, »und dieweil Sancho in die Jahre kommen wird, so wird er mit der Erfahrung, die das Alter gibt, auch geeigneter und geschickter zur Regierung werden als jetzt.«

»Bei Gott, Señor«, versetzte Sancho, »die Insul, die ich in meinem jetzigen Alter nicht Statthaltern könnte, die könnte ich auch in Methusalems Alter nicht Statthaltern; das Schlimme bei der Sache ist, daß die Insul sich Gott weiß wo befindet, und nicht, daß es mir an Grütze fehlen sollte, um sie als Statthalter zu regieren.«

»Befiehl du das Gott dem Herrn, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »alles wird noch gut gehen und vielleicht besser, als du denkst; denn es bewegt sich kein Blatt am Baume ohne Gottes Willen.«

»In Wahrheit, so ist’s«, sprach Sansón; »wenn Gott es will, wird es Sancho nicht an tausend Insuln fehlen, um Statthalter darüber zu sein, viel weniger an einer.«

»Hab ich doch Statthalter in der Welt gesehen«, sagte Sancho, »die meines Bedünkens mir nicht an die Schuhsohle reichen, und trotzdem heißt man sie Euer Herrlichkeit und bedient sie auf Silber.«

»Das sind keine Statthalter von Insuln«, entgegnete Sansón, »sondern von anderen Statthaltereien, die leichter zu handhaben sind; denn wer Statthalter über eine Insul ist, der muß wenigstens die Grammatik verstehen.«

»Mit dem Kram wollte ich schon zurechtkommen«, entgegnete Sancho; »mit der Mattik aber, da gebe ich nichts darauf und mache mir nichts draus, denn da versteh ich nichts davon. Aber wir wollen die Geschichte mit der Statthalterei in Gottes Hand befehlen, der mich schon an die Stelle setzen wird, wo er mich am besten brauchen kann. Ich sage Euch, Herr Baccalaur Sansón Carrasco, es hat mir ungeheuer viel Vergnügen gemacht, daß der Verfasser des Buches dergestalt von mir gesprochen hat, daß die Geschichten, die von mir erzählt werden, nicht langweilig sind; denn ich gebe mein Wort als ein braver Schildknappe, hätte er von mir irgendwas gesagt, das einem Altchristen, wie ich bin, übel anstünde, es gäbe einen Lärm, daß uns die Taubstummen hören sollten.«

»Das hieße Wunder tun«, entgegnete Sansón.

»Wunder oder nicht Wunder«, sagte Sancho, »jeder soll sich vorsehen, wie er von den Prisonen redet oder schreibt, und soll nicht in die Kreuz und Quer alles hinsetzen, was ihm durch den Kopf geht.«

»Einer von den Vorwürfen, die man gegen besagte Geschichte erhebt«, sprach der Baccalaureus, »ist, daß der Verfasser eine Novelle in sie eingeflochten hat, betitelt ›Der törichte Vorwitz‹; nicht deshalb, weil sie schlecht oder schlecht erzählt wäre, sondern weil sie nicht dahin gehöre und nichts mit der Geschichte Seiner Gnaden des Señor Don Quijote zu tun habe.«

»Ich wette darauf«, versetzte Sancho, »der Hundekerl hat Kraut und Rüben durcheinandergemengt.«

»Jetzt sag ich aber«, sprach Don Quijote, »der Verfasser meiner Geschichte ist kein weiser Zauberer gewesen, sondern irgendein unwissender Schwätzer, der wie ein Blinder herumtappend und ohne rechte Überlegung sich ans Werk gemacht und drauflosgeschrieben hat, es mag draus werden, was da werden will, wie es Orbaneja getan, der Maler aus Ubeda, der einmal auf die Frage, was er da male, die Antwort gab: Was eben draus werden mag. Einmal malte er einen Hahn, aber so ungeschickt und so unkenntlich, daß er es für notwendig fand, mit Großbuchstaben dazuzuschreiben: Dies ist ein Hahn. Und so wird’s auch wohl mit meiner Geschichte sein, sie wird einer besonderen Auslegung bedürfen, damit man sie versteht.«

»Das nicht«, entgegnete Sansón, »denn sie ist so verständlich, daß man nichts darin schwierig finden kann. Die Kinder nehmen sie zur Hand, die Jünglinge lesen sie, die Männer verstehen sie, die Greise rühmen sie; und kurz, sie ist in so vielen Händen, so von allen Klassen des Volks gelesen und gekannt, daß man keinen dürren Gaul auf der Straße sieht, ohne daß die Leute gleich sagen: Das ist ja Rosinante! Wer sich aber am meisten dem Lesen dieses Buches hingibt, das sind die Edelknaben; es gibt kein Vorzimmer bei vornehmen Herren, wo nicht ein Don Quijote zu finden wäre; wenn einer ihn hinlegt, nimmt ihn der andere gleich; diese fallen mit Ungestüm darüber her, jene wollen ihn wiederhaben. Endlich bietet auch die besagte Geschichte den heitersten und unschädlichsten Zeitvertreib, der jemals bis zum heutigen Tage vorhanden gewesen; denn in dem ganzen Buche findet sich nicht ein unanständiges Wort, ja nichts, was dem ähnlich sähe, noch irgendein Gedanke, der etwas anderes als ehrlich und von echtem Schrot und Korn wäre.«

Don Quijote entgegnete: »Anders schreiben hieße nicht die Wahrheit sagen, sondern lügen; und die Geschichtsschreiber, die lügen, sollten verbrannt werden wie die Falschmünzer. Ich weiß aber nicht, was den Verfasser bewogen hat, sich mit Novellen und Geschichten von dritten Personen auszuhelfen, da er deren doch so viel von mir zu schreiben hatte. Er wird sich gewiß an den alten Spruch gehalten haben: Von Heu und von Stroh … et cetera. Denn wahrlich, hätte er weiter nichts als meine Gedanken, meine Seufzer, meine redlichen Absichten und meine Wagnisse dargestellt, so hätte er einen dickeren oder doch ebenso dicken Band schreiben können, als wenn man die sämtlichen Werke des Tostado zusammenbinden wollte. In der Tat, Herr Baccalaureus, soviel ich davon verstehe, um ein Geschichtswerk oder überhaupt ein Buch, welcher Art es auch sei, zu schreiben, bedarf es gesunden Verstandes und reifen Urteils; mit Anmut zu scherzen und witzig zu schreiben ist die Sache hochbegabter Männer. Die geistvollste Rolle in der Komödie ist die des dummdreisten Narren; denn diese Eigenschaft darf der nicht haben, der den Einfältigen vorstellen soll. Die Geschichte ist wie ein Heiligtum, denn sie muß wahr sein, und wo die Wahrheit ist, da ist Gott – insoweit es Wahrheit betrifft. Aber dessenungeachtet gibt es Leute, die Bücher schreiben und unter die Leute werfen, als wären es Fastnachtskrapfen.«

»Es gibt kein so schlechtes Buch«, sagte der Baccalaureus dagegen, »das nicht etwas Gutes enthielte.«

»Das ist ohne Zweifel so«, versetzte Don Quijote; »aber sehr häufig kommt es vor, daß Männer, die nach Verdienst durch ihre Schriften großen Ruf errungen und erworben hatten, ihn gänzlich einbüßten oder doch einigermaßen schmälerten, wenn sie diese Schriften in Druck gaben.«

»Das kommt daher«, sprach Sansón, »daß man über gedruckte Werke mit Muße nachdenkt und daher ihre Fehler leicht erkennt, und die Beurteilung geschieht um so gründlicher und strenger, je größer der Ruf des Verfassers ist. Männer, die durch ihren Genius Ruhm erworben haben, große Dichter, glänzende Geschichtsschreiber, werden immer, oder doch in den meisten Fällen, von denen beneidet, die besonderes Vergnügen darin finden, die Schriften Dritter zu beurteilen, ohne daß sie jemals eigene Arbeiten ans Licht gegeben.«

»Das ist nicht zu verwundern«, sprach Don Quijote, »gibt es doch auch viele Theologen, die nicht für die Kanzel taugen, hingegen sehr geeignet sind, um zu erkennen, was an den Predigten anderer zu wenig oder zu viel ist.«

»Alles das ist richtig, Señor Don Quijote«, versetzte Carrasco, »aber ich wünschte, derartige Tadler hätten mehr Barmherzigkeit und weniger Kritik und unterließen es, sich an jedes Stäubchen zu halten, wenn sie der hellen Sonne eines schönen Werkes Übles nachreden wollen. Denn wenn aliquando bonus dormitat Homerus, so mögen sie bedenken, wie lange er wach gewesen, um das Licht seines Werkes mit so wenig Schatten als möglich der Welt zu bieten; und es könnte wohl auch der Fall sein, daß, was ihnen mißfällt, nur kleine Muttermale wären, die manchmal dem Gesichte, das solche hat, um so größeren Reiz verleihen. Und so sage ich denn, daß es das größte Wagestück ist, ein Buch drucken zu lassen, da es über alle Unmöglichkeiten unmöglich ist, es so zu schaffen, daß es alle Leser befriedigt und erfreut.«

»Das Buch, das von mir handelt«, sprach Don Quijote, »muß wenige befriedigt haben.«

»Ganz umgekehrt; denn da stultorum infinitus est numerus, so ist die Zahl derjenigen unendlich groß, denen die besagte Geschichte gefallen hat. Einige jedoch haben das Gedächtnis des Verfassers der Schwäche oder der böslichen Absicht beschuldigt, da er zu erzählen vergißt, wer der Spitzbube war, der Sanchos Esel stahl; denn der wird dort nicht genannt, und man kann nur aus der Erzählung schließen, daß der Esel dem Sancho gestohlen worden; und gleich darauf sehen wir ihn auf dem nämlichen Esel reiten, ohne daß er erst wieder zum Vorschein gekommen wäre. Auch sagen die Leute, der Verfasser habe zu sagen vergessen, was Sancho mit den hundert Goldtalern tat, die er in der Sierra Morena in dem Mantelsack fand, und mancher Leser möchte wissen, was er damit anfing oder wozu er sie verwendete; und dies ist einer der wesentlichsten Punkte, die in dem Buche fehlen.«

Sancho antwortete: »Ich, Herr Sansón, bin jetzt nicht dazu aufgelegt, mich mit Zählen oder Erzählen abzugeben; es ist mir im Magen ganz schwach geworden, und wenn ich diesem Zustand nicht mit zwei Schluck Firnewein abhelfe, so werd ich am Ende noch dran glauben müssen. Ich hab den Wein im Keller, meine Hausehre erwartet mich; sobald ich mit dem Essen fertig bin, komme ich zurück und geb Euch und aller Welt Red und Antwort auf jede beliebige Frage, sowohl über den Verlust des Esels als auch über die Verwendung der hundert Goldtaler.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten noch sonst ein Wort zu sagen, ging er nach Hause. Don Quijote bat und drängte den Baccalaureus, mit seinem ärmlichen Büßermahl vorliebzunehmen; dieser nahm die Einladung an und blieb da; es wurde zu der Alltagskost noch ein Paar Täubchen zugegeben; es wurde vom Rittertum gesprochen, Carrasco fügte sich in die Liebhaberei seines Wirts; sie hielten ihr Mittagsschläfchen, Sancho kehrte zurück, und das vorige Gespräch wurde wieder aufgenommen.

30. Kapitel


Von dem, was Don Quijote mit einer schönen Jägerin begegnete

Recht schwermütig und mißlaunisch kehrten Ritter und Knappe zu ihren Tieren zurück, insbesondere Sancho, dem es ans Herz griff, den Geldvorrat anzugreifen; denn alles, was daraus entnommen wurde, schien ihm von seinem Fleisch und Blut genommen. Und wortlos setzten sie sich alsbald in den Sattel und entfernten sich von dem vielgerühmten Flusse, Don Quijote in Gedanken an seine Liebe versunken, Sancho in Gedanken an sein Emporkommen; dieses schien ihm jetzt weiter entfernt zu sein denn je. Denn so einfältig er auch war, sah er doch ein, daß die Handlungen seines Herrn, insgesamt oder doch größtenteils, widersinniges Zeug waren, und er suchte nach einer Gelegenheit, wo er eines Tages, ohne Abrechnung oder Verabschiedung, sich aus seines Herrn Klauen losmachen und heimkehren könnte. Allein das Schicksal lenkte die Dinge gerade zum Gegenteil dessen, was er befürchtete.

Es geschah nämlich, daß am nächsten Tage beim Sonnenuntergang, als sie eben aus einem Walde herauskamen, Don Quijote seine Blicke über eine grünende Flur schweifen ließ und an deren äußerstem Rand Leute erblickte, in denen er beim Näherkommen Falkenjäger erkannte. Er ritt noch näher heran und sah unter ihnen eine stattliche Dame auf einem schneeweißen Zelter oder Damenpferd, das in grünem Reitzeug prangte und einen silbernen Frauensattel trug. Die Dame war ebenfalls in grüne Tracht gekleidet, so reich und glanzvoll, daß es schien, die Pracht selber habe sich in ihre Gestalt verwandelt. Auf ihrer linken Hand trug sie einen Jagdfalken, woran Don Quijote erkannte, sie sei eine höchst vornehme Dame und müsse die Gebieterin des ganzen Jagdgefolges sein; und dies war wirklich der Fall. Daher sprach er zu Sancho: »Eile, mein Sohn Sancho, und sag jener Dame auf dem Zelter mit dem Falken auf der Hand, ich, der Löwenritter, küsse ihrer hohen Schönheit die Hände, und wenn Ihre Hoheit es gestatte, so würde ich mich ihr zum Handkuß bieten und würde ihr in allem zu Diensten sein, was meine Kräfte leisten könnten und Ihre Hoheit mir gebieten wollte. Und bedenke wohl, Sancho, wie du dich ausdrückst, und sei darauf bedacht, in deine Botschaft keines von deinen üblichen Sprichwörtern hineinzuflicken.«

»Jawohl, da habt Ihr den rechten Flickschneider gefunden«, erwiderte Sancho; »kommt mir nur nicht mit so etwas! Wahrlich, es ist nicht das erstemal in meinem Leben, daß ich Botschaften an hochgeborne und hochgewachsene Frauenzimmer überbracht habe.«

»Außer der, so du dem Fräulein Dulcinea ausgerichtet«, versetzte Don Quijote, »wüßte ich nicht, daß du eine andre ausgerichtet, wenigstens nicht in meinen Diensten.«

»Das ist wahr«, entgegnete Sancho, »aber dem guten Zahler tut’s um kein Pfand leid, und in vollem Haus ist bald gericht‘ der Schmaus; ich meine, man braucht mir nichts zu sagen und mich auf nichts aufmerksam zu machen; denn ich hab von allem etwas, und ich versteh ein wenig von allem.«

»Das glaub ich, Sancho«, sprach Don Quijote; »geh hin zu guter Stunde, und Gott geleite dich.«

Sancho flog im gestreckten Galopp davon, nachdem er den Grauen aus seinem gewöhnlichen Schritt getrieben, und kam zur Stelle, wo die schöne Jägerin hielt; er stieg ab, warf sich vor ihr auf die Knie und redete sie so an: »Schöne Dame, jener Ritter, der sich dorten zeigt und der Löwenritter heißt, ist mein Herr, und ich bin ein Schildknappe in seinem Dienste, den man in seiner Heimat Sancho Pansa benamset. Der besagte Löwenritter, der sich noch vor kurzem der Ritter von der traurigen Gestalt nannte, sendet her und läßt Eurer großmögenden Herrlichkeit sagen, Ihr möchtet geruhen, ihm zu gestatten, daß er mit Dero Willen, Gutheißen und Zustimmung sein Begehren ins Werk setzen dürfe, welches kein andres ist, wie er selber sagt und ich glaube, als Eurer erhabenen Falkenier-Hoheit und Huldseligkeit dienstbar zu sein; und so Eure Herrlichkeit ihm solches erlaubt, da werden Hochdieselben tun, was zu Hochdero Bestem gereichet, und er wird sich dadurch mit hochansehnlichster Gunst und Herzensfreude begnadet sehen.«

»Wahrlich, mein wackerer Schildknappe«, entgegnete die Dame, »Ihr habt Eure Botschaft mit all jenen Umständlichkeiten ausgerichtet, welche bei solchen Botschaften erforderlich sind. Erhebt Euch vom Boden; der Schildknappe eines so ausgezeichneten Ritters, wie es Der von der traurigen Gestalt ist, von dem wir hierzulande schon vieles vernommen, darf gebührendermaßen nicht auf den Knien liegen; steht auf, werter Freund, und sagt Eurem Herrn, er möge kommen, es sei uns dieses sehr erwünscht, und möge meine und meines Gemahls, des Herzogs, Gastfreundschaft freundlichst annehmen in dem Lustschloß, das wir hier besitzen.«

Sancho stand auf, höchlich verwundert über die Schönheit der freundlichen Dame wie über ihre so äußerst feine und höfliche Art, noch mehr aber darüber, daß sie ihm gesagt, sie habe von seinem Herrn, dem Ritter von der traurigen Gestalt, vernommen; und wenn sie ihn nicht den Löwenritter genannt habe, so müsse der Grund wohl sein, daß er sich diesen Namen erst kürzlich beigelegt.

Die Herzogin, deren Stammsitz und Namen man bis jetzt noch nicht in Erfahrung gebracht hat, fragte ihn nun: »Lieber Schildknappe, sagt mir doch, ist dieser Euer Herr nicht jener, von dem eine Geschichte, die sich nennt die des sinnreichen Junkers Don Quijote von der Mancha, im Druck umläuft und der zur Gebieterin seines Herzens eine gewisse Dulcinea von Toboso erkoren hat?«

»Ganz derselbe ist es, Señora«, antwortete Sancho, »und jener Schildknappe, der in besagter Geschichte vorkommt oder vorkommen sollte und der Sancho Pansa heißt, bin ich, wenn man mich nicht etwa in der Wiege verwechselt hat, ich meine, wenn man mich nicht im Druck verwechselt hat.«

»Über all das bin ich hocherfreut«, sprach die Herzogin. »Geht, Freund Pansa, und sagt Euerm Herrn, er würde auf meinem Grund und Boden willkommen und wohlaufgenommen sein, und nichts könnte mir begegnen, das mir größeres Vergnügen bereiten würde.«

Mit einem so erwünschten Bescheid kehrte Sancho in höchster Freude zu seinem Herrn zurück und berichtete diesem alles, was ihm die vornehme Dame gesagt, wobei er mit seinen gewohnten bäurischen Ausdrücken ihre große Schönheit, Liebenswürdigkeit und leutselige Art bis in den Himmel erhob. Da brüstete sich Don Quijote in seinem Sattel, trat fest in die Bügel, rückte sein Visier zurecht, spornte Rosinante mit Macht und ritt mit edlem Anstand heran, um der Herzogin die Hände zu küssen.

Diese aber hatte inzwischen den Herzog, ihren Gemahl, rufen lassen und erzählte ihm, während Don Quijote sich näherte, dessen ganze Botschaft; und da beide den ersten Teil unserer Geschichte gelesen und daraus die närrischen Grillen Don Quijotes erfahren hatten, so erwarteten sie ihn mit größtem Vergnügen und mit einer wahren Sehnsucht, ihn kennenzulernen, und mit der entschiedenen Absicht, auf seine Grillen einzugehen, allem zuzustimmen, was er ihnen sagen würde, und ihn, solang er bei ihnen weile, als fahrenden Ritter zu behandeln und dabei getreulich all die Förmlichkeiten zu beobachten, wie sie bräuchlich in den Ritterbüchern, die sie gelesen hatten, ja, die sie sehr liebten.

Inzwischen nahte Don Quijote mit aufgeschlagenem Visier, und da er Miene machte, vom Pferde zu steigen, kam Sancho herbei, ihm den Bügel zu halten; aber diesem begegnete das Unglück, daß beim Absteigen von seinem Grauen ein Fuß sich ihm in einem Strick des Eselssattels verfing, so daß es ihm unmöglich war, sich loszumachen, und er mit dem Bein hängenblieb, Mund und Brust im Staube schleppend. Don Quijote, der nicht gewohnt war abzusteigen, ohne daß man ihm den Bügel hielt, glaubte, Sancho stehe schon da, um ihm diesen zu halten, schwang sich mit ganzem Körper auf einmal hernieder und riß Rosinantes Sattel mit sich, der offenbar nicht fest genug gegürtet war, und Sattel und Mann stürzten zu Boden, nicht ohne daß sich der Ritter herzlich schämte und leise für sich eine Masse von Flüchen gegen den Unglücksmenschen von Sancho ausstieß, der noch immer den Fuß in der Schlinge hatte. Der Herzog befahl seinen Jägern, dem Ritter und dem Knappen zu Hilfe zu eilen; sie hoben Don Quijote auf, dem der Fall übel mitgespielt hatte und der, so gut es eben anging, herbeihinkte, um sich vor dem erlauchten Paar auf die Knie zu werfen. Allein der Herzog ließ dies durchaus nicht zu, stieg vielmehr von seinem Pferde, eilte auf Don Quijote zu, umarmte ihn und sprach zu ihm: »Es tut mir leid, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, daß die erste Gestalt, in der sich Euer Gnaden auf meinem Grund und Boden gezeigt hat, eine so traurige war, wie wir eben gesehen; aber die Nachlässigkeit der Schildknappen ist häufig schuld an noch schlimmeren Zufällen.«

»Der Zufall, der mir vergönnte, Euch zu sehen, hochherziger Fürst«, entgegnete Don Quijote, »kann unmöglich ein schlimmer sein, und wäre selbst mein Sturz so tief gewesen, daß er erst an dem Schlunde des Abgrunds haltgemacht hätte; denn auch von da würde das stolze Bewußtsein, Euch gesehen zu haben, mich wieder emporheben und heraufholen. Mein Schildknappe, den Gott verdamme, versteht sich besser darauf, den Zügel der Zunge zu losen Reden loszubinden, als den Sattel so zu schnallen, daß er einen sicheren Sitz beut; aber in welcher Lage ich mich auch befinden möge, gefallen oder aufrechtstehend, zu Fuß oder zu Rosse, werde ich immer Euch zu Diensten sein, wie auch meiner gnädigen Frau Herzogin, Eurer würdigen Gemahlin, der würdigen Herrin der Schönheit und allwaltenden Fürstin der edlen Sitte.«

»Sachte, mein verehrter Señor Don Quijote«, sprach der Herzog; »solange mein gnädiges Fräulein Dulcinea von Toboso da ist, mag es nicht gebührend sein, die Schönheit anderer zu preisen.«

Inzwischen war Sancho Pansa bereits aus der Schlinge befreit, und da er in der Nähe stand, so sprach er, ehe noch sein Herr antworten konnte: »Es ist nicht zu leugnen, vielmehr zu behaupten, daß unser Fräulein Dulcinea von Toboso ausbündig schön ist; aber wo man sich’s am wenigsten versieht, springt der Hase aus dem Kraut. Ich habe sagen hören, was man Natur nennt, ist wie ein Töpfer, der Gefäße aus Ton macht, und wer ein schönes Gefäß macht, kann auch zwei und auch drei und auch hundert machen. Damit will ich sagen, daß unsere gnädige Frau Herzogin keineswegs meiner Gebieterin, dem Fräulein Dulcinea von Toboso, nachsteht.«

Don Quijote wandte sich zur Herzogin und sprach zu ihr: »Eure Hoheit möge mir glauben, daß kein fahrender Ritter jemals auf Erden einen größeren Schwätzer und Lustigmacher zum Schildknappen gehabt hat als ich, und er wird dartun, daß ich hierin die Wahrheit rede, wenn es Euer erhabenen Herrlichkeit beliebt, einige Tage lang meine Dienste anzunehmen.«

Darauf erwiderte die Herzogin: »Daß der wackere Sancho ein Lustigmacher ist, das schätze ich hoch, denn es ist ein Zeichen seines Verstandes; Scherz und Witz, Señor Don Quijote, wie Euer Gnaden wohl weiß, kehren nicht bei stumpfen Geistern ein; und da der wackere Sancho ein lustiger und witziger Kopf ist, so erkläre ich ihn von vornherein auch für einen gescheiten Kopf.«

»Und für einen Vielschwätzer«, fügte Don Quijote bei.

»Desto besser«, sagte der Herzog; »denn sind’s der Späße viele, so lassen sie sich nicht mit wenigen Worten sagen. Aber mit solchen Worten wollen wir nicht die Zeit verlieren; darum komme der Ritter von der traurigen Gestalt …«

»Der Löwenritter, muß Euer Hoheit sagen«, sprach Sancho; »es gibt keine traurige Gestalt noch Ungestalt mehr.«

»Also der Löwenritter«, fuhr der Herzog fort. »Ich sage denn: es komme der Herr Löwenritter nach dem Schlosse, das ich hier in der Nähe habe, allwo ihm die Aufnahme werden soll, wie sie einer so hohen Persönlichkeit von Rechts wegen gebührt und wie ich und die Herzogin sie stets allen Rittern zuteil werden lassen, die unser Schloß beehren.«

Mittlerweile hatte Sancho Rosinantes Sattel wieder in Ordnung gebracht und den Gurt festgeschnallt; Don Quijote bestieg seinen Gaul und der Herzog ein prächtiges Roß, sie nahmen die Herzogin in die Mitte und ritten den Weg zum Schloß. Die Herzogin befahl Sancho, neben ihr zu reiten, weil sie unendliches Vergnügen an seinen gescheiten Einfällen hatte. Sancho ließ sich nicht lange bitten; er mischte sich unter die Gesellschaft und gab den vierten Mann bei der Unterhaltung ab, zum großen Ergötzen der Herzogin und des Herzogs, die es für ein großes Glück hielten, einen solchen fahrenden Ritter und einen solchen erfahrenen Schildknappen in ihrem Schlosse aufnehmen zu können.

31. Kapitel


Welches von vielen und wichtigen Dingen handelt

Unsäglich groß war die Freude, die Sancho in seinem Herzen trug, als er sich seiner Meinung nach in hoher Gunst bei der Herzogin sah; denn alsbald kam ihm der Gedanke, er werde in ihrem Schlosse dasselbe finden, was er in Don Diegos und in Basilios Hause gefunden, wie er denn stets aufs Wohlleben erpicht war; und daher ergriff er die Gelegenheit, sich gütlich zu tun, beim Schopfe, wann und wo sie sich ihm darbot.

Hier erzählt die Geschichte, daß, ehe sie zu dem Lusthaus oder Schloß kamen, der Herzog vorausritt und seiner gesamten Dienerschaft Befehl erteilte, auf welche Art und Weise sie Don Quijote behandeln sollten. Als dieser nun mit der Herzogin an der Pforte des Schlosses anlangte, traten im Augenblick zwei Lakaien oder Reitknechte heraus, gekleidet in prächtige bis auf die Füße herabfallende Röcke, sogenannte Hausröcke vom feinsten karmesinroten Atlas, und ehe Don Quijote sie nur recht gesehen oder gehört hatte, hoben sie ihn in ihren Armen vom Pferde und sagten ihm: »Wolle Euer Herrlichkeit sich bemühen, unserer gnädigen Frau Herzogin absteigen zu helfen.«

Don Quijote tat also, und es gab große Höflichkeitsbezeigungen von beiden Seiten über den Gegenstand; aber zuletzt siegte die Beharrlichkeit der Herzogin, die nur in den Armen des Herzogs von ihrem Zelter steigen oder sich herabheben lassen wollte, indem sie sagte, sie finde sich nicht würdig, einen so hohen Ritter mit so unnützer Beschwer zu belästigen. Der Herzog erschien denn endlich, um ihr herabzuhelfen, und beim Eintritt in den großen Innenhof nahten zwei schöne Jungfrauen und warfen dem Ritter einen weiten Mantel aus feinstem Scharlach über die Schultern; und im Nu füllten sich alle Galerien um den Hof her mit Dienern und Dienerinnen des herzoglichen Paares, die mit lauter Stimme riefen: »Willkommen sei die Blume und Perle der fahrenden Ritter!« Und gleichzeitig gossen sie wohlriechendes Wasser über Don Quijote und das herzogliche Paar. Über alles dies war Don Quijote höchlich verwundert, und es war dies der erste Tag, wo er ganz und gar an sich glaubte und erkannte, daß er in Wirklichkeit und nicht bloß in der Einbildung ein fahrender Ritter sei, da er sich ganz auf dieselbe Art behandelt sah, wie er es von den besagten Rittern in vergangenen Zeiten gelesen hatte.

Sancho ließ seinen Esel im Stich und hing sich an die Herzogin, er trat in das Schloß ein, und da er doch Gewissensbisse empfand, daß er seinen Grauen allein gelassen, wandte er sich an eine ehrwürdige Kammerfrau, die mit den anderen zur Begrüßung der Herzogin herausgekommen, und sagte zu ihr leise: »Señora Gonzalez oder wie sonst Euer Gnaden Name lautet…«

»Doña Rodríguez de Grijalba heiße ich«, antwortete die Kammerfrau; »was wünschet Ihr, guter Freund?«

Sancho antwortete: »Ich wünschte, Euer Gnaden erwiese mir die Gnade, sich vors Tor des Schlosses zu verfügen, wo Ihr einen mir gehörigen grauen Esel finden werdet; Euer Gnaden geliebe, ihn in den Stall bringen zu lassen oder hineinzubringen, denn das arme Tierchen ist ein wenig furchtsam und wird sich unter keiner Bedingung darein finden, allein zu bleiben.«

»Wenn der Herr so anständig ist wie der Diener«, antwortete die Kammerfrau, »so sind wir gut daran! Geht selber, guter Freund, geht zum Henker, Ihr und der Euch hergebracht hat! Geht und sorgt für Euren Esel; wir Kammerfrauen in diesem Hause sind dergleichen Verrichtungen nicht gewohnt.«

»Aber wirklich«, entgegnete Sancho, »ich habe von meinem Herrn gehört, der hat alle Geschichten mit der Wünschelrute aufgespürt, wie er die Geschichte von Lanzelot erzählte, da sagte er, daß,

Als er herkam aus Britannien,
Edeldamen seiner pflagen,
Kammerfrauen seines Rosses;

und was insbesondere mein Grautier betrifft, würde ich’s nicht gegen das Roß des Señor Lanzelot tauschen.«

»Guter Freund, seid Ihr von Beruf ein Possenreißer«, entgegnete die Kammerfrau, »so hebt Eure Witze für Gelegenheiten auf, wo man sie für Witze hält und sie Euch bezahlt; bei mir könnt Ihr nichts weiter gewinnen als Verachtung.«

»Wahrhaftig, Euer Gnaden«, erwiderte Sancho, »bei Euern Jahren hat das Spiel nicht viel Punkte mehr zu vergeben.«

»Du Hurensohn«, rief die Kammerfrau zornentbrannt, »ob ich alt bin oder nicht, darüber habe ich meine Rechnung mit dem Himmel zu machen, aber nicht mit dir, Schelm, Knoblauchfresser!«

Sie schrie das so laut, daß die Herzogin es hörte; und als sie sich umwendete und die Kammerfrau so aufgeregt sah, die Augen mit Blut unterlaufen, fragte sie, mit wem sie’s habe.

»Mit dem da«, antwortete die Kammerfrau, »mit dem sauberen Burschen, der mit aller Gewalt von mir verlangt hat, ich solle seinen Esel, der da vor dem Schloßtor steht, in den Stall bringen, und mir als Beispiel aufstellt, daß es schon einmal so vorgekommen wäre, ich weiß nicht wo, und daß Edeldamen einen gewissen Lanzelot und Kammerfrauen sein Roß gepflegt hätten, und obendrein hat er mich in seiner Höflichkeit eine alte Person geheißen.«

»Das würde ich für eine Beleidigung halten«, versetzte die Herzogin, »ärger als jede andere, die man gegen mich ausstoßen könnte.«

Und das Wort an Sancho richtend, sagte sie: »Merkt Euch, Freund Sancho, daß Doña Rodríguez noch sehr jung ist und daß sie ihre Haube mehr um ihrer Würde willen und dem Herkommen zuliebe trägt als ihrer Jahre wegen.«

»Meine eigenen Jahre, soviel ich noch zu leben habe«, entgegnete Sancho, »sollen lauter Unglück sein, wenn ich es darum gesagt habe; ich hab’s nur gesagt, weil ich meinen Esel so gern habe, daß es mich bedünkte, ich könnte ihn keiner barmherzigeren Person anvertrauen als der Señora Doña Rodríguez.«

Don Quijote, der allem zugehört hatte, sprach zu ihm: »Sind das Äußerungen für diesen Ort, Sancho?«

»Señor«, antwortete Sancho, »jeder muß seine Not da klagen, wo er sich gerade befindet; hier ist mir mein Esel in den Sinn gekommen, und hier hab ich von ihm gesprochen; und wenn ich im Stall an ihn gedacht hätte, so hätte ich im Stall von ihm gesprochen.«

Darauf sagte der Herzog: »Sancho hat vollkommen recht, und es ist kein Grund, ihm irgendeinen Vorwurf zu machen. Der Esel soll sein Futter nach Herzenslust bekommen, und Sancho soll nur außer Sorge sein, man wird den Esel behandeln wie ihn selber.«

Unter diesen Gesprächen, die allen ergötzlich waren, nur nicht dem Ritter, langte man im oberen Geschoß an und führte Don Quijote in einen mit den reichsten Gold- und Brokatstoffen geschmückten Saal. Sechs Fräulein nahmen ihm Wehr und Waffen ab und dienten ihm als Edelknaben, alle vom Herzog und der Herzogin unterwiesen, was sie zu tun hatten und wie sie Don Quijote behandeln sollten, damit er glaube und sehe, daß man ihn als fahrenden Ritter behandelte.

Nachdem ihm die Waffen abgenommen waren, stand Don Quijote in seinen engen Kniehosen da und in seinem gemsledernen Wams, hager, lang und dürr, mit Backenknochen, die von innen einander zu küssen schienen – eine Gestalt, daß die Mädchen, die ihn bedienten, wenn sie sich nicht ganz gehörig in acht genommen hätten, um das Lachen zu verbeißen – was eine der ausdrücklichen Vorschriften war, die ihre Herrschaft ihnen erteilt hatte –, vor Lachen gewiß hätten bersten müssen. Sie baten ihn, sich entkleiden zu lassen, um ihm ein Hemd anzulegen; allein dies wollte er nun und nimmer zugeben, indem er sagte, Sittsamkeit stehe den fahrenden Rittern ebenso wohl an wie Tapferkeit. Jedoch ersuchte er sie, das Hemd Sancho zu überreichen; dann schloß er sich mit diesem in ein Gemach ein, wo ein prachtvolles Bett stand, entkleidete sich und zog das Hemd an. Und da er sich nun mit Sancho allein sah, sprach er zu ihm: »Sage mir, du neugebackener Hofnarr und altbackener Lümmel, dünkt es dich wohlgetan, eine so ehrwürdige und achtungswerte Kammerdame wie jene an ihrer Ehre anzugreifen und zu beleidigen? War es etwa Zeit, dich deines Esels zu erinnern? Oder sind dies Herrschaften, von denen anzunehmen ist, sie werden die Tiere Not leiden lassen, nachdem sie deren Besitzer mit so feiner Art behandelt haben? Um Gottes willen, Sancho, nimm dich zusammen und laß nicht die Fäden an dir sehen, damit die Leute nicht dahinterkommen, aus wie gemeinem grobem Stoffe du gewebt bist. Bedenke, du Sündenmensch, daß der Herr um so höher gewertet wird, je ehrsamer und anständiger seine Diener sind, und daß es einer der größten Vorzüge ist, welche fürstliche Personen vor andern voraushaben, daß sie Diener um sich haben, die so trefflich sind wie sie selber. Siehst du denn nicht ein, o du beschränkter Kopf! o ich vom Glück Verfolgter! daß, wenn du wie ein grober Bauer oder ein possenreißender Dummerjan auftrittst, sie mich für einen Windbeutel halten müssen oder einen Schmarotzer, der mit dem Rittertum wuchern will? Nein, nein, Freund Sancho, laß ab von solchen Unzuträglichkeiten; denn wer als Schwätzer und Witzmacher herumstolpert, fällt beim ersten falschen Tritt zu Boden und wird zum verhöhnten Allerweltsnarren. Zügle deine Zunge; jedes Wort mußt du überlegen und wiederkäuen, bevor es dir über die Lippen kommt, und bedenke, daß wir in eine Umgebung gelangt sind, aus der wir durch Gottes Beistand und meines Armes Kraft mit dem größtmöglichen Erbteil an Ruhm, sowie bereichert an Hab und Gut scheiden sollen.«

Sancho versprach ihm eifrig, sich lieber den Mund zu vernähen oder sich in die Zunge zu beißen, als ein Wort zu sagen, das nicht passend und wohlerwogen wäre, wie er es ihm geboten habe; der Ritter möge deswegen ganz ohne Sorge sein, denn durch ihn werde es niemals herauskommen, wer sie seien.

Don Quijote kleidete sich an, legte sich sein Wehrgehänge mit dem Schwert um die Schulter, warf den weiten Scharlachmantel um, setzte sich eine Jagdmütze von grünem Atlas auf, welche die Jungfräulein ihm gegeben, und verfügte sich in diesem Staat nach dem großen Saal, wo er die Fräulein in zwei gleich langen Reihen aufgestellt fand, alle mit dem Erforderlichen versehen, um ihm Wasser über die Hände zu gießen, was sie denn auch mit vielen Verbeugungen und Förmlichkeiten taten. Sofort traten zwölf Edelknaben mit dem Haushofmeister herzu, um ihn zur Tafel zu führen, da die Herrschaften ihn schon erwarteten. Sie nahmen ihn in die Mitte und geleiteten ihn mit feierlichem Pomp und majestätischer Würde in einen andern Saal, wo ein prachtvoller Tisch mit nur vier Gedecken bereitstand. Die Herzogin und der Herzog gingen ihm bis zur Tür des Saals entgegen, um ihn zu empfangen, und mit ihnen ein Geistlicher von ernstem Aussehen, einer von jenen, die in fürstlichen Häusern das Regiment führen; einer von jenen, welche, da sie nicht selbst als Fürsten geboren sind, es nimmer lernen, diejenigen, die es sind, anzuweisen, wie sie es sein sollen; einer von jenen, die begehren, daß die Großen das Maß ihrer Größe von der Kleinlichkeit ihres Geistes abnehmen sollen; von jenen, welche die Großen, die sie unter ihrer Leitung halten, lehren wollen, sich einzuschränken, sie aber in Wirklichkeit zu Knausern machen. Zu diesen, sage ich, mochte wohl der ernst aussehende Geistliche gehören, der mit dem herzoglichen Paar dem Ritter zur Begrüßung entgegenging.

Sie wechselten tausend Höflichkeiten und artige Reden miteinander, und dann nahmen sie ihn in die Mitte und führten ihn zur Tafel, um Platz zu nehmen. Der Herzog lud Don Quijote auf den Ehrensitz am oberen Ende des Tisches, und obschon er es ablehnte, drang der Herzog so in ihn, daß er den Sitz annehmen mußte. Der Geistliche setzte sich gegenüber und Herzog und Herzogin zu beiden Seiten der Tafel. Sancho war bei allem zugegen und sperrte Mund und Nase auf vor Erstaunen ob all der Ehren, die diese fürstlichen Personen seinem Herrn erwiesen; als er aber die vielen Förmlichkeiten und Bitten sah, die zwischen dem Herzog und dem Ritter hin und her gingen, um diesen an den Ehrenplatz am oberen Ende der Tafel zu nötigen, da sagte er: »Wenn Euer Gnaden es mir erlaubt, so will ich Euch eine Geschichte erzählen, die sich wegen der Plätze bei Tisch in meinem Dorf zugetragen hat.«

Kaum hatte Sancho dies gesagt, als Don Quijote von Zittern befallen wurde, da er fürchtete, Sancho werde ohne allen Zweifel irgendwelche Albernheit sagen. Sancho blickte ihn an, verstand ihn wohl und sprach: »Euer Gnaden braucht nicht zu fürchten, Herre mein, daß ich mich vergesse oder etwas Unrechtes sage; die guten Lehren sind mir noch unvergessen, die mir Euer Gnaden über das Wenig oder Viel, das Gut- oder Schlechtsprechen gegeben hat.«

»Ich entsinne mich nichts dergleichen, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »sag, was du willst, aber mach es kurz.«

»Was ich also sagen will«, sprach Sancho, »ist so vollkommene Wahrheit, daß mein Herr Don Quijote, der hier zugegen ist, mich nicht Lügen strafen wird.«

»Meinetwegen lüge du, soviel du Lust hast«, versetzte Don Quijote, »ich werde dich nicht daran hindern; aber bedenke wohl, was du sagen willst.«

»Ich hab es so bedacht und wieder bedacht, daß der wenig zu tun hat, der dran mäkeln will, wie sich sogleich zeigen soll.«

»Es wäre geraten«, sprach Don Quijote, »Eure Hoheiten ließen diesen Toren hinauswerfen, der Blödsinn ohne Ende vorbringen wird.«

»Bei des Herzogs Leben«, sprach die Herzogin, »Sancho soll mir nicht einen Augenblick von der Seite kommen; ich mag ihn wohl leiden, denn ich weiß, er ist ein Mann von heiterem Witz.«

»Heitere Tage möge Euer Herrlichkeit verleben«, sprach Sancho, »weil ich bei Euch in so gutem Ruf stehe, wenn ich auch selber gar keinen habe. Meine Geschichte aber ist folgende: Ein Junker aus meinem Dorfe, ein sehr reicher und angesehener Mann, denn er stammte von den Alamos aus Medina del Campo und war verheiratet mit Doña Mencia de Quiñones, welche eine Tochter war von Don Alonso de Marañón, einem Ritter des Ordens von Santiago, der im Hafen La Herradura ertrank, von dessentwegen in unsrem Dorf vor Jahren jene Schlägerei stattgefunden, an welcher, wie ich meine, auch mein Herr Don Quijote teilgenommen hat, bei welcher der kleine Lausbub Tomasillo eine Wunde davongetragen hat, der Sohn von Balbastro dem Schmied … ist das nicht alles wahr, werter Herr und Gebieter? So wahr ich lebe, Ihr müßt es sagen, damit die Herrschaften mich nicht für einen lügenhaften Schwätzer halten.«

»Bis jetzt«, fiel der Geistliche ein, »halte ich Euch mehr für einen Schwätzer als für einen Lügner; aber wofür ich Euch fernerhin halten werde, weiß ich noch nicht.«

»Du bringst so viele Zeugen bei, Sancho«, erklärte Don Quijote, »und so viele Merkzeichen, daß ich dir das Zugeständnis nicht versagen kann, daß du sicher die Wahrheit sagen wirst. Fahre fort und kürze die Erzählung ab, denn es sieht geradeso aus, als solltest du in ein paar Tagen nicht fertigwerden.«

»Er soll seine Geschichte keineswegs abkürzen, um mir etwa gefällig zu sein«, sprach die Herzogin; »vielmehr soll er sie so erzählen, wie er es eben versteht, wenn er auch in ganzen sechs Tagen nicht zu Ende käme; und falls es wirklich der Tage so viele würden, so hätte ich gewiß keine angenehmeren in meinem ganzen Leben verbracht.«

»So sag ich denn, meine Herrschaften«, fuhr Sancho fort, »daß dieser besagte Junker, denn ich kenne ihn wie hier meine Hand, denn es ist von meinem Haus zu seinem keinen Flintenschuß weit, einen armen, aber ehrbaren Bauersmann zu Tische lud …«

»Vorwärts, Freund«, fiel hier der Geistliche ein, »denn es sieht so aus, als wolltet Ihr mit Eurer Erzählung erst in der andern Welt zum Ziele kommen.«

»Weniger als halbwegs dahin werde ich zum Ziele kommen, so Gott will«, entgegnete Sancho. »Ich sage also, wie der besagte Bauersmann ins Haus des erwähnten Junkers eingeladen hinkam, Gott hab ihn selig, sintemal er schon tot ist, ja zum genaueren Wahrzeichen sagt man, er sei heilig wie ein Engel gestorben, denn ich war nicht dabei, denn ich war zur selben Zeit nach Tembleque ins Heu gegangen …«

»So lieb Euch Euer Leben ist, mein Sohn«, sprach hier der Geistliche, »kehrt schleunigst von Tembleque zurück, und ohne den Junker zu begraben, bringt Eure Erzählung zu Ende, wenn Ihr nicht noch mehr Leichenbegängnisse halten wollt.«

»Die Sache ist nun die«, versetzte Sancho, »daß die beiden sich gerade zu Tisch setzen wollten, ich meine, ich sehe sie lebendiger vor mir als je …«

Das herzogliche Paar hatte großes Vergnügen an dem Mißvergnügen, das der biedere Geistliche über die Umschweife und Unterbrechungen bezeigte, mit welchen Sancho seine Geschichte erzählte und worüber Don Quijote sich schier in Grimm und Wut verzehrte.

»Ich sage also«, fuhr Sancho fort, »daß, wie die beiden im Begriff waren, sich zu Tisch zu setzen, der Bauer hartnäckig darauf bestand, der Junker müsse sich obenan setzen, und der Junker bestand in gleicher Weise darauf, der Bauer müsse sich dahin setzen, weil in seinem Hause stets geschehen müsse, was er befehle; jedoch der Bauer, der als höflich und wohlgesittet gelten wollte, gab einfach nicht nach, bis der Junker ärgerlich ihm beide Hände auf die Schultern legte, ihn mit Gewalt auf den Stuhl niedersetzte und zu ihm sagte: ›Setz dich, du Lümmel, denn wo ich sitze, ist immer oben.‹ Und das ist meine Geschichte, und wahrlich, ich glaube, ich habe sie hier nicht unschicklich beigebracht.«

Don Quijotes Gesicht überzog sich mit tausend wechselnden Farben, die seine braune Haut mit Flecken bedeckten und auf dem dunklen Grunde deutlich hervortraten. Herzog und Herzogin verbissen sich das Lachen, damit Don Quijotes Zorn nicht noch höher steige, da er Sanchos Bosheit wohl verstanden hatte; und um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, fragte die Herzogin den Ritter, was für Nachrichten er von Fräulein Dulcinea habe und ob er ihr dieser Tage etwelche Geschenke an Riesen oder Wegelagerern zugesendet habe; denn es könne doch nicht fehlen, daß er deren viele besiegt habe.

Darauf antwortete Don Quijote: »Herrin mein, meine Mißgeschicke hatten zwar einen Anfang, aber ein Ende werden sie nimmer haben. Riesen habe ich besiegt, und feige Schelme und Wegelagerer habe ich ihr zugesendet; aber wo, wo sollten sie sie finden, wenn sie doch verzaubert und in die scheußlichste Bäuerin verwandelt ist, die man sich vorstellen kann?«

»Ich weiß nicht«, fiel Sancho Pansa ein, »mir doch scheint sie das schönste Geschöpf auf der Welt; wenigstens in der Leichtigkeit und im Springen, weiß ich, steht sie keinem Seiltänzer nach. Wahr und wahrhaftig, Frau Herzogin, sie springt vom Boden auf einen Esel hinauf, als wär sie eine Katze!«

»Und habt Ihr sie verzaubert gesehen, Sancho?« fragte der Herzog.

»Ob ich sie gesehen habe!« antwortete Sancho; »wer, zum Teufel, anders als ich ist denn der erste gewesen, der hinter die Geschichte mit der Verzauberei gekommen ist? Sie ist geradeso verzaubert wie mein Vater selig.«

Der Geistliche, der von Riesen, feigen Schelmen und Verzauberungen reden hörte, kam jetzt darauf, daß dies Don Quijote von der Mancha sein müsse, dessen Geschichte der Herzog tagtäglich las, worüber er ihm öfters Vorwürfe gemacht hatte, indem er ihm sagte, es sei ein Unsinn, solchen Unsinn zu lesen. Als er sich nun überzeugte, daß sein Verdacht vollkommen richtig war, sprach er in vollem Zorn zu dem Herzog: »Gnädiger Herr, Euer Durchlaucht hat dereinst unsrem Gott und Herrn Rechenschaft zu geben für das Tun und Lassen dieses armen Menschen. Dieser Don Quijote, oder Don Hans Narr oder wie er heißen mag, ist meiner Meinung nach noch nicht bis zu dem Punkte verrückt, auf dem ihn Euer Durchlaucht gern sehen möchte, und darum gebt Ihr ihm Gelegenheit, seine Narreteien und Tollheiten immer noch weiter zu spinnen.«

Und das Wort an Don Quijote richtend, sprach er zu diesem: »Und Ihr, Ihr liebe Einfalt, wer hat Euch in den Kopf gesetzt, daß Ihr ein fahrender Ritter seid, Riesen besiegt und Wegelagerer aufgreift? Geht in Gottes Namen, und in Gottes Namen laßt Euch gesagt sein: kehrt heim zu Eurem Hause und erzieht Eure Kinder, wenn Ihr deren habt, und sorgt für Euer Hab und Gut und laßt ab davon, in der Welt herumzustrolchen, Maulaffen feilzuhalten und jedem, der Euch kennt und nicht kennt, etwas zum Lachen zu geben. Wo, zum Henker! habt Ihr gefunden, daß es fahrende Ritter gegeben hat oder heutzutage noch gibt? Wo gibt es in Spanien Riesen oder Wegelagerer in der Mancha oder verzauberte Dulcineas oder die ganze Masse von Albernheiten, die man von Euch erzählt?«

Don Quijote horchte aufmerksam auf die Worte des ehrwürdigen Mannes, und als er sah, daß dieser nunmehr schwieg, stand er von seinem Stuhle auf, und ohne die gebührende Rücksicht auf das herzogliche Paar zu nehmen, sprach er mit zornerfülltem Antlitz und drohender Miene: . .. allein seine Antwort verdient ein besonderes Kapitel.

32. Kapitel


Von der Antwort, die Don Quijote seinem Tadler erteilte, benebst anderen ernsten und lustigen Begebenheiten

Als nun Don Quijote sich erhoben hatte, sprach er, vom Kopf bis zu den Füßen zitternd, als hätte er Quecksilber im Leibe, mit hastiger, unsicherer Stimme: »Der Ort, wo ich weile, und die Persönlichkeiten, vor denen ich stehe, und die Achtung, die ich von jeher vor dem Stand hegte und hege, dem Ihr angehört, dies alles hält und fesselt meinem gerechten Ingrimm die Hände; und sowohl aus diesen Gründen als auch darum, weil ich weiß, was alle wissen, daß die Waffen der Träger des Bürgergewandes dieselben sind wie die des Weibes, nämlich die Zunge, so will ich mit der meinigen mich in einen gleichen Kampf einlassen mit Euch, von dem man eher weise Lehren erwarten sollte als ruchlose Schmähungen. Frommer und wohlmeinender Tadel würde eine andre Umgebung und andre Formen erheischen; so viel aber ist sicher: mich öffentlich und in so herber Weise zu tadeln, dies hat alle Grenzen eines ehrlichen Tadels überschritten. Denn der erste Tadel, den jemand ausspricht, stützt sich schicklicher auf Milde als auf Härte, und es ist nicht wohlgetan, wenn man, ohne die Natur des Fehlers, den man tadelt, näher zu kennen, den Sünder ohne weiteres einen Verrückten und Hans Narren heißt. Oder saget mir doch: ob welcher von all den Verrücktheiten, die Ihr bei mir gefunden habt, verurteilt und schmäht Ihr mich und heißt mich heimgehen und für mein Hausregiment und mein Weib und meine Kinder sorgen, ohne daß Ihr wißt, ob ich solche besitze oder nicht? Braucht man weiter nichts, als sich auf schiefen und krummen Wegen in fremde Häuser einzudrängen, um da über die Herrschaft das Regiment zu führen und sich herauszunehmen, während mancher in der beengten Dürftigkeit eines Kosthauses aufgewachsen ist, ohne mehr von der Welt gesehen zu haben, als in zwanzig, dreißig Meilen Umgegend zu finden ist, als sich herauszunehmen, sag ich, mit dreister Unerfahrenheit der Ritterschaft Gesetze vorzuschreiben und über die fahrenden Ritter Urteile zu fällen? Ist es vielleicht ein eitles Beginnen, oder ist es Zeitverschwendung, wenn man die Welt durchwandert, nicht um deren Genüsse aufzusuchen, sondern ihre harte Mühsal, durch welche die Edlen zum Sitze der Unsterblichkeit emporgehoben werden? Wenn mich die Ritter, die Erlauchten, die Hochgebornen für einen Hans Narren hielten, so würde ich das für eine nie wieder gutzumachende Beschimpfung halten; wenn aber studierte Leute, die den Pfaden des Rittertums nie genaht, geschweige denn sie betreten haben, mich für einfältig halten, darum geb ich keinen Deut. Ein Ritter bin ich, als Ritter werde ich sterben, wenn es dem Höchsten gefällt. Etliche suchen ihren Weg auf dem weiten Felde der hochmütigen Ehrsucht, andre auf dem Felde niedriger Speichelleckerei, andre auf dem trügerischer Scheinheiligkeit, andre auf dem der wahren Gottesfurcht; jedoch ich, von meinem Stern geleitet, wandle den schmalen Pfad des fahrenden Rittertums, und um dieser Aufgabe willen verschmähe und veracht ich Hab und Gut, aber nicht die Ehre. Ich habe der Unbill gesteuert, Unrecht wieder zurechtgebracht, Übermut gezüchtigt, Riesen besiegt, Ungeheuer niedergeworfen. Ich bin verliebt, aber aus keinem andern Grund, als weil jeder fahrende Ritter es notwendig sein muß; und indem ich es bin, gehör ich doch nicht zu denen, die sinnlich lieben, sondern zu den enthaltsamen Platonikern. Meine Absichten richte ich stets auf tugendsame Zwecke, welche darin bestehen, jedem Gutes und keinem Böses zu tun; und wenn, wer solches beabsichtigt, wenn, wer solches ins Werk setzt, ein Narr genannt zu werden verdient, so mögen es Eure Hoheiten aussprechen, edler Herzog und edle Herzogin.«

»Bei Gott, sehr gut!« fiel Sancho ein; »sagt kein Wort mehr zu Euren Gunsten, mein Herr und Gebieter; denn es läßt sich auf der ganzen weiten Welt nichts Besseres drüber sagen und nichts Besseres erdenken und nichts Besseres tun, als dabei zu bleiben. Und wenn der Herr da leugnet, wie er’s denn wirklich geleugnet hat, daß es auf der Welt fahrende Ritter gegeben hat und gibt, was Wunder, daß er von allem, was er gesagt hat, auch nicht das geringste versteht?«

»Seid Ihr vielleicht, guter Freund«, fragte der Geistliche, »jener Sancho Pansa, von dem es heißt, sein Herr habe ihm eine Insul versprochen?«

»Freilich bin ich der«, antwortete Sancho, »und ich verdiene sie ebensogut wie irgendein andrer. Ich bin der Mann, der sagt: Sollst dir gute Gesellen wählen, wirst bald selbst zu den Guten zählen; und ich gehöre zu denen, von denen es heißt: Frag nicht, wo seine Wiege steht, frag, mit wem er zur Atzung geht; und zu denen, die da sagen: Wer unter guten Baum sich streckt, der wird von gutem Schatten gedeckt. Ich habe mich unter den Schatten eines guten Herrn gestreckt, und es ist viele Monate her, seit ich bei ihm bin, und ich will werden wie er selber, wenn es Gott gefällt und er am Leben bleibt und ich am Leben bleibe; und ihm wird’s weder an Kaisertümern zum Herrschen fehlen noch mir an Insuln zum Statthalter.«

»Gewiß nicht, Freund Sancho«, fiel hier der Herzog ein; »denn ich, im Namen des Señor Don Quijote, befehle Euch die Statthalterschaft einer mir gehörigen und gerade nicht vergebenen Insul von nicht geringer Bedeutung.«

»Wirf dich auf die Knie nieder, Sancho«, sprach Don Quijote, »und küsse Seiner Durchlaucht die Füße für die Gnade, so er dir erwiesen.«

Sancho tat es; als aber der Geistliche das sah, stand er voll Empörung von der Tafel auf und sagte: »Bei dem Ordenskleide, das ich trage, beinahe möchte ich sagen, Euer Durchlaucht ist geradeso einfältig wie diese Sünder hier. Bedenkt nur, müssen sie nicht zu Narren werden, wenn ihre Narrheiten von den Verständigen heiliggesprochen werden? Halte Euer Durchlaucht nur immer Gesellschaft mit ihnen; solange sie hier hausen, werde ich dort in meiner Zelle hausen, und ich werde mich enthalten, meine Mißbilligung über Dinge auszusprechen, die ich nicht bessern kann.«

Ohne ein Wort weiter zu sagen und einen Bissen weiter zu essen, ging er von dannen, ohne daß die Bitten des Herzogs und der Herzogin ihn zurückzuhalten vermochten; allerdings sagte der Herzog nicht viel, denn er erstickte schier an dem Lachen, zu dem der ungebührliche Zorn des Geistlichen ihn gereizt hatte. Als er sich endlich satt gelacht, sprach er zu Don Quijote: »Herr Löwenritter, Ihr habt so großartig für Euch geantwortet, daß Euch nichts mehr zu tun bleibt zur Abwehr dieser scheinbaren Beleidigung, die in Wirklichkeit gar keine ist, denn so wenig ein Weib beleidigen kann, so wenig kann es ein Geistlicher, wie Euer Gnaden am besten weiß.«

»So ist es«, entgegnete Don Quijote, »und zwar weil der, welcher selbst nicht beleidigt werden kann, keinen beleidigen kann. Weil Frauen, Kinder und Geistliche sich nicht gegen Beleidigungen verteidigen können, so kann ihre Ehre nicht gekränkt werden; denn zwischen Beleidigung und Ehrenkränkung ist dies der Unterschied, wie Euer Durchlaucht wissen. Die Ehrenkränkung kommt von jemandem, der sie zu begehen vermag, sie begeht und dem Gekränkten die Stirn bietet; die Beleidigung kann von jedem Beliebigen kommen, ohne daß sie die Ehre kränkt. Zum Beispiel: es steht jemand achtlos auf der Straße, es kommen zehn mit gewaffneter Hand und geben ihm Stockprügel, er zieht das Schwert und tut seine Schuldigkeit, aber die Überzahl der Feinde tritt ihm entgegen und macht es ihm unmöglich, sein Vorhaben durchzusetzen, das heißt, sich zu rächen; der Betreffende ist nun zwar beleidigt, aber nicht an seiner Ehre gekränkt. Ein andres Beispiel wird dies mehr bekräftigen: es steht jemand da und hat den Rücken gewendet, es kommt ein andrer und gibt ihm Stockprügel, und im Augenblick darauf flieht er davon und stellt sich dem andern nicht, und der andre eilt ihm nach und holt ihn nicht ein: der Mann, der die Prügel empfing, hat eine Beleidigung empfangen, aber keine Ehrenkränkung; denn bei der Ehrenkränkung muß man dem Gekränkten sofort die Stirne bieten. Wenn derjenige, der die Prügel gegeben, wiewohl er sie ihm hinterrücks im Überfall gegeben, das Schwert zöge und ruhig wartend dastünde, seinem Gegner die Stirn zu bieten, dann wäre der Geprügelte zugleich beleidigt und an seiner Ehre gekränkt: beleidigt, weil er hinterrücks geprügelt worden; an der Ehre gekränkt, weil, der ihm die Prügel gab, den Rücken nicht wendete, festen Mutes aushielt und Stirn gegen Stirn für seine Tat einstand.

So kann ich denn nach den Gesetzen des fluchwürdigen Zweikampfs mich beleidigt fühlen, aber nicht an meiner Ehre gekränkt; denn Kinder und Frauen haben kein Gefühl dafür, können nicht fliehen und haben auch keinen Grund, dem Gegner standzuhalten; und ebenso ist’s mit denen, die sich dem Dienst der heiligen Kirche gewidmet haben, weil es diesen drei Klassen von Menschen an Waffen zu Schutz und Trutz fehlt und sie daher, obwohl von der Natur darauf angewiesen, sich zu verteidigen, keineswegs gehalten sind, irgend jemand anzugreifen. Und obschon ich eben erst gesagt habe, ich könnte mich möglichenfalls beleidigt fühlen, so sag ich jetzt: nein, in keinem Falle; denn wer nicht an seiner eignen Ehre gekränkt werden kann, der kann noch weniger einen andern an der Ehre kränken. Aus diesen Gründen darf ich die Kränkungen, die jener wackere Mann mir mit seinen Worten angetan, nicht empfinden und empfinde sie wirklich nicht. Nur hätte ich gewünscht, er wäre noch ein wenig dageblieben, um ihn des Irrtums zu überführen, in dem er sich befindet, wenn er meint und sagt, fahrende Ritter habe es in der Welt weder gegeben noch gebe es solche anjetzt; denn wenn Amadís das gehört hätte oder einer der unzähligen aus seiner Nachkommenschaft, so weiß ich, es wäre Seiner Gnaden nicht gut bekommen.«

»Darauf schwör ich selber ganz gewiß«, sprach Sancho; »einen Schwerthieb hätten sie ihm versetzt, daß sie ihn von oben bis unten auseinandergehauen hätten wie einen Granatapfel oder wie eine überreife Melone. Ja, die waren die Rechten, um sich so etwas gefallen zu lassen! Beim heiligen Kreuzeszeichen, ich bin sicher, hätte Rinald von Montalbán solche Redensarten von dem Männlein gehört, so hätte er ihm das Maul mit einem Streich gestopft, daß er in drei Jahren kein Wort mehr geschwatzt hätte; ja, er hätte nur mit ihnen anbinden sollen, und da hätte er sehen mögen, wie er aus ihren Händen losgekommen wäre!«

Die Herzogin wollte schier vor Lachen sterben, als sie Sancho so reden hörte, und innerlich hielt sie ihn für kurzweiliger und verrückter als seinen Herrn; und es gab zu jener Zeit nicht wenige, die ebenso urteilten.

Don Quijote beruhigte sich endlich, und die Mahlzeit kam zu Ende. Während der Tisch abgedeckt wurde, traten vier Mägdlein herzu, die eine mit einem silbernen Becken, die andre mit einer ebenfalls silbernen Kanne, die andre mit zwei schneeweißen reichverzierten Handtüchern über der Schulter, und die vierte, ihre Arme bis zum Ellenbogen entblößt, hielt in ihren weißen Händen – denn weiß waren sie selbstverständlich! – eine neapolitanische Seifenkugel. Die Zofe mit dem Waschbecken trat heran und hielt dieses mit edlem Anstand und höchst unbefangen unter Don Quijotes Bart, und der Ritter, ohne ein Wort zu sagen, verwundert ob einer derartigen Förmlichkeit, war des Glaubens, es müßte in diesen Landen der Brauch sein, statt der Hände den Bart zu waschen, und somit streckte er den seinigen, so tief er nur konnte, ins Becken. Sogleich begann die andre Zofe, Wasser mit der Kanne einzugießen, und die Zofe mit der Seife beeilte sich, ihm den Bart einzureiben, und überzog mit Schneeflocken – denn nicht minder weiß war der Seifenschaum – nicht nur den Bart, sondern das ganze Gesicht des gehorsamen Ritters samt den Augen, so daß der Schaum ihn mit Gewalt nötigte, sie zu schließen.

Der Herzog und die Herzogin, die von alledem nichts gewußt hatten, standen erwartend da, wo eine so ungewöhnliche Abwaschung hinauswolle. Als das Bartputzermägdlein ihn mit einem faustdicken Seifenschaum dasitzen hatte, stellte sie sich an, als sei ihr das Wasser ausgegangen, und hieß die Kannenträgerin frisches holen; Señor Don Quijote werde sich so lange gedulden. Sie tat es, und Don Quijote saß nun da mit dem seltsamsten und lächerlichsten Aussehen, das man sich nur denken kann. Alle Anwesenden, und deren waren viele, starrten ihn an, und wie sie ihn so mit seinem ellenlangen und ungewöhnlich braunen Halse sahen, die Augen geschlossen, den Bart voll Seife, da war es ein großes Wunder und eine seltene Selbstüberwindung, daß sie das Lachen zu verbeißen vermochten.

Don Quijote

Die Veranstalterinnen der Posse hielten ihre Augen niedergeschlagen und wagten ihre Herrschaft nicht anzusehen; dem herrschaftlichen Paare zuckte bald Zorn, bald Lachlust durch den ganzen Körper, und beide wußten nicht, welchem Drang sie nachgeben sollten, ob sie das dreiste Unterfangen der Mädchen bestrafen oder sie belohnen sollten für das Vergnügen, Don Quijote in solchem Zustande zu sehn. Endlich kam die Zofe mit der Kanne; Don Quijotes Abwaschung wurde beendet, und sofort kam das Mädchen mit den Handtüchern, ihn ernst und gelassen zu reinigen und abzutrocknen.

Dann machten ihm alle vier zugleich eine tiefe und lange Verbeugung und wollten gehen; aber der Herzog, damit Don Quijote den ihm gespielten Streich nicht merke, rief die Zofe mit dem Becken herbei und sagte zu ihr: »Kommet her und waschet auch mich, gebt aber acht, daß euch das Wasser nicht ausgeht.«

Das Mädchen, gescheit und gewandt, trat herzu und hielt dem Herzog das Becken unter wie zuerst dem Ritter; sie machten sich eilig daran, ihn recht tüchtig zu waschen und einzuseifen, und nachdem sie ihn gereinigt und abgetrocknet, machten sie ihre Verbeugungen und gingen von dannen. Später hat man erfahren, der Herzog habe geschworen, wenn sie ihn nicht ganz ebenso waschen würden wie Don Quijote, so würde er ihre Keckheit strafen; sie machten dieses aber auf klügliche Weise wieder gut, indem sie ihn selbst ebenfalls einseiften.

Sancho sah den Förmlichkeiten der Abwaschung aufmerksam zu und sagte zu sich selber: Gott steh mir bei! Vielleicht ist es hierzulande der Brauch, den Schildknappen den Bart zu waschen wie den Rittern? Denn bei Gott und meiner armen Seele, ich hab es sehr nötig; ja, wenn sie mir ihn mit dem Schermesser kürzen täten, das würde ich mir für eine noch größere Wohltat erachten.

»Was redet Ihr so für Euch, Sancho?« fragte die Herzogin.

»Ich sage, Señora«, antwortete er, »daß an andern Fürstenhöfen, wie ich habe sagen hören, beim Abdecken Wasser für die Hände gereicht wird, aber nicht Seifenwasser für den Bart. Darum ist’s gut, wenn man lang lebt, dann erlebt man viel; zwar heißt es auch: wer viele Jahre lebt, hat viel Böses durchzumachen, aber eine solche Abwaschung ist doch eher ein Vergnügen als eine Mühsal.«

»Macht Euch darum keinen Kummer, Freund Sancho«, sagte die Herzogin; »ich will’s schon machen, daß meine Zofen Euch waschen, ja Euch mit Haut und Haaren einweichen, wenn es nötig ist.«

»Mit dem Barte bin ich schon zufrieden«, erwiderte Sancho, »wenigstens für jetzt; was weiter werden soll, dafür wird Gott schon sorgen.«

»Merkt Euch, Haushofmeister«, sprach die Herzogin, »was der wackere Sancho wünscht, und erfüllt buchstäblich sein Begehr.«

Der Haushofmeister antwortete, man werde dem Herrn Sancho in allem zu Diensten sein; und hiermit entfernte er sich, um seine Mahlzeit zu halten, und nahm Sancho mit, während Herzog und Herzogin mit Don Quijote bei der Tafel sitzen blieben und sich über viele und verschiedenartige Dinge unterhielten, die sich jedoch alle auf das Waffenwerk und das fahrende Rittertum bezogen. Die Herzogin ersuchte Don Quijote, da er doch ein gutes Gedächtnis zu besitzen scheine, so möge er ihr die Schönheit und die Gesichtszüge des Fräuleins Dulcinea von Toboso zeichnen und beschreiben; denn nach dem, was der Ruf von ihren Reizen verkünde, müsse sie das schönste Geschöpf auf dem Erdkreise und sogar in der ganzen Mancha sein.

Don Quijote seufzte, als er den Wunsch der Herzogin vernahm, und sprach: »Könnte ich mir das Herz herausreißen und es hier auf diesem Tische in einer Schüssel Euer Hoheit vor Augen legen, dann würde ich meine Zunge der Mühe überheben, zu sagen, was kaum der Gedanke fassen kann; denn Euer Durchlaucht würden in meinem Herzen sie getreu abgebildet erblicken. Aber wie soll ich jetzo, Punkt für Punkt und Zug für Zug, die Schönheit der unvergleichlichen Dulcinea zeichnen und beschreiben? Da dies eine Bürde ist, für andre Schultern geeigneter als für die meinen, eine Aufgabe, mit der sich der Pinsel eines Parrhasios, eines Timanthes und eines Apelles und der Meißel eines Lysippos beschäftigen sollte, um sie auf Leinwand, in Marmor oder in Erz zu malen und einzugraben, und die Ciceronische und Demosthenische Redekunst, um sie zu preisen.«

»Was bedeutet demosthenisch, Señor Don Quijote?« fragte die Herzogin; »das ist ein Wort, das ich all meiner Lebtage nicht gehört habe.«

»Demosthenische Redekunst«, antwortete Don Quijote, »bedeutet dasselbe wie Redekunst des Demosthenes, gerade wie Ciceronische die des Cicero, und beide waren die zwei größten Redner der Welt.«

»So ist’s«, sagte der Herzog, »und Ihr habt einen argen Fehler gemacht, daß Ihr das gefragt habt. Aber trotz alledem würde uns Señor Don Quijote ein großes Vergnügen machen, wenn er uns ihre Züge malen wollte; und wenn er es auch nur mit flüchtigen Strichen und Umrissen täte, so würde ihr Bild doch so hervortreten, daß die schönsten Damen sie beneiden müßten.«

»Gewiß würde ich es tun«, erwiderte Don Quijote, »hätte das Unglück, das ihr vor kurzem widerfuhr, sie nicht aus meiner Erinnerung gelöscht, und dieses Unglück ist von solcher Art, daß ich sie eher beweinen als beschreiben möchte. Denn Eure Hoheiten müssen wissen: als ich in den letzten Tagen mich aufmachte, ihr die Hände zu küssen und von ihr Segen, Gutheißung und Urlaub zu dieser dritten Ausfahrt zu empfahen, fand ich in ihr eine ganz andere, als die ich suchte. Ich fand sie verzaubert und aus einer Prinzessin in eine Bauerndirne verwandelt, aus einer schönen Jungfrau in eine häßliche, aus einem Engel in eine Teufelin, aus einer wohlduftenden in eine verpestete, aus einer wohlredenden in eine bäurisch polternde, aus einer würdig ernsten in eine Luftspringerin, aus Licht in Finsternis, in einem Wort: aus Dulcinea von Toboso in eine Dorfbewohnerin aus Sayago.«

»Hilf Himmel!« rief hier der Herzog mit einem lauten Aufschrei; »wer war es, der der Welt soviel Böses angetan hat? Wer hat dem Erdenkreise die Schönheit geraubt, die ihm Freude schuf, die geistreiche Anmut, die ihm Stoff zu heiterer Unterhaltung gab, die Sittsamkeit, die ihm Ehre und Ruhm war?«

»Wer?« antwortete Don Quijote; »wer kann es sein als irgendein boshafter Zauberer aus der Zahl der vielen Neidharte, die mich verfolgen? Diese gottverfluchte Sippschaft, zur Welt geboren, um die Taten der Guten zu verdunkeln und zunichte zu machen und die Handlungen der Schlechten ins Licht zu stellen und zu erhöhen. Verfolgt haben mich die Zauberer, Zauberer verfolgen mich, und Zauberer werden mich verfolgen, bis sie mich und meine hohen Rittertaten in den tiefen Abgrund der Vergessenheit hinabgestoßen haben; und gerade an jener Stelle tun sie mir weh und verwunden sie mich, wo sie wissen, daß ich es am schmerzlichsten empfinde, denn einem fahrenden Ritter die Dame seines Herzens entreißen heißt ihm die Augen rauben, mit denen er sieht, und die Sonne, von der er Licht empfahet, und den Lebensunterhalt, mit dem er sein Dasein fristet. Schon oftmalen hab ich es gesaget, und anitzo sage ich es aufs neue: der fahrende Ritter ohne eine Dame seines Herzens ist wie ein Baum ohne Blätter, ein Gebäude ohne Grundmauer, ein Schatten ohne den Körper, der ihn wirft.«

»Weiter bedarf es keiner Worte«, sprach die Herzogin; »wenn wir jedoch der Geschichte von den Taten des Señor Don Quijote Glauben schenken sollen, die erst wenige Tage vor unserem Zusammentreffen unter großem Beifall des Publikums ans Licht der Welt getreten ist, so geht daraus hervor, wenn ich mich recht entsinne, daß Euer Gnaden das Fräulein Dulcinea niemals gesehen hat und daß ein solches Fräulein gar nicht auf der Welt vorhanden, sondern daß es eine erträumte Dame ist, die Ihr in Eurem Geiste erzeugt und geboren und mit allen den Reizen und Vollkommenheiten ausgemalt habt, die Euch beliebten.«

»Darüber läßt sich viel sagen«, entgegnete Don Quijote; »Gott allein weiß, ob es eine Dulcinea in der Welt gibt oder nicht, oder ob sie ein Traumbild ist oder nicht; dies gehört nicht zu den Dingen, deren Ergründung man bis zum letzten Punkte durchführen darf. Ich habe meine Herzensgebieterin weder erzeugt noch geboren, wiewohl ich mir sie so vorstelle, wie eine Dame sein muß, die in sich alle Eigenschaften vereinigt, welche sie in allen Landen der Welt berühmt machen könnten, wie zum Beispiel: schön ohne Makel, würdevoll ohne Hochmut, liebefühlend mit Züchtigkeit, dankbar, weil sie fein gesittet ist, fein gesittet weil wohlerzogen, und endlich hochgestellt durch Abstammung, denn über adligem Blute strahlt und waltet die Schönheit mit höherem Grade von Vollkommenheit als bei den Schönen von niedriger Abkunft.«

»Das ist richtig«, sagte der Herzog; »allein Señor Don Quijote muß mir gestatten zu bemerken, was das Buch von seinen Taten mich zu sagen nötigt. Es ist daraus nämlich zu entnehmen: wenn man auch zugeben will, es habe in oder außerhalb Toboso eine Dulcinea gelebt und sie habe den höchsten Grad der Schönheit besessen, den Euer Gnaden uns schildert, so kommt sie doch im Punkte der hohen Geburt den Orianen, den Alastrajareas, den Madásimas nicht gleich, noch andern von solcherlei Sippschaft, von denen die Geschichtsbücher voll sind, die Euer Gnaden wohl kennt.«

»Hierauf kann ich entgegnen«, sagte Don Quijote, »daß Dulcinea die Tochter ihrer Taten ist und daß Tugenden das Blut veredeln und daß der Niedriggeborene, wenn tugendhaft, mehr zu schätzen und höherzuhalten ist als der Lasterhafte von hoher Stellung. Und dies gilt hier um so mehr, als Dulcinea einen Zierat besitzt, der sie einst zur Königin mit Krone und Zepter erheben kann, denn das Verdienst eines schönen und tugendsamen Weibes reicht so weit, daß es noch größere Wunder vollbringen kann, und wenn auch noch nicht in der Wirklichkeit, doch der inneren Berechtigung nach trägt sie in sich die Gewißheit weit größerer Glückesgaben.«

»Ich muß sagen, Señor Don Quijote«, versetzte die Herzogin, »in allem, was Ihr sprecht, geht Ihr so vorsichtig zu Werke, als trügt Ihr Blei an den Füßen und als hättet Ihr, wie die Seeleute sagen, das Senkblei in der Hand, und von nun an werde ich glauben und werde allen Leuten meines Hauses und nötigenfalls selbst dem Herzog, meinem Gemahl, den Glauben beibringen, daß es eine Dulcinea von Toboso gibt und daß sie heutigentags lebt und schön ist und von vornehmer Geburt und es verdient, daß ein solcher Ritter wie der Señor Don Quijote ihr in Liebe dient; dies ist das Höchste, was ich von ihr zu rühmen vermag und weiß. Dennoch kann ich nicht umhin, einen Zweifel auszusprechen und ich weiß nicht was für einen kleinen Groll gegen Sancho Pansa zu hegen. Der Zweifel ist, daß die erwähnte Geschichte berichtet, besagter Sancho Pansa habe das besagte Fräulein Dulcinea, als er ihr einen Brief von Euch brachte, gefunden, wie sie einen Sack Weizen siebte, und zu besonderem Wahrzeichen erzählt die Geschichte, es sei gemeiner gelber Weizen gewesen; und dies ist etwas, das mich an ihrer hohen Geburt zweifeln läßt.«

Darauf gab Don Quijote zur Antwort: »Herrin mein, Eure Hoheit muß wissen, daß alles oder beinahe alles, was mir begegnet, sich ganz außerhalb des gewöhnlichen Verlaufs der Dinge hält, die den andern fahrenden Rittern begegnen; ob es nun durch den unerforschlichen Willen des Schicksals so gelenkt wird oder durch die Bosheit irgendeines mißgünstigen Zauberers. Nun ist es eine erwiesene Tatsache, daß alle oder die meisten fahrenden Ritter von Ruf einesteils die Himmelsgabe hatten, nicht verzaubert werden zu können, andernteils eine so undurchdringliche Haut besaßen, daß sie nicht verwundet werden konnten, wie das der Fall war mit dem berühmten Roldán, einem der zwölf Pairs von Frankreich, von dem man erzählt, daß er nur an der Sohle des linken Fußes verwundet werden konnte, und auch das nur mit der Spitze einer großen Stecknadel und durchaus mit keiner andern Waffe; weshalb ihn denn Bernardo del Carpio, als er ihn in Roncesvalles umbringen wollte und sah, daß er ihn nicht mittels des Eisens verwunden konnte, vom Boden aufhob und erwürgte, indem er sich daran erinnerte, wie Herkules den Antäus getötet hatte, jenen Riesen, den man für einen Sohn der Erde ausgibt. Aus dem Gesagten will ich folgern, daß ich wohl möglicherweise eine solche Himmelsgabe besitzen könnte; keineswegs zwar die, nicht verwundet werden zu können, weil mir die Erfahrung oftmalen bewiesen, daß ich eine zarte und durchaus nicht undurchdringliche Haut habe; ebensowenig die, nicht verzaubert werden zu können, denn ich habe mich bereits einmal in einem Käfig gefangen gesehen, worein die ganze Welt mich einzusperren nicht vermocht hätte, wenn es nicht durch Zauberkraft geschehen wäre. Jedoch, da ich mich aus dieser Verzauberung befreit habe, will ich gerne glauben, daß mich keine andre auf Erden künftig mehr schädigen kann; und da so jene Zauberer sehen, daß ihre argen Tücken mir nichts anhaben können, so rächen sie sich an den Wesen, die mir die liebsten sind, und um mir das Leben zu nehmen, quälen und entstellen sie das Leben Dulcineas, durch die allein ich Leben habe. Mithin glaube ich, als mein Schildknappe ihr meine Botschaft überbrachte, verwandelten sie sie in eine Bauernmagd, die mit so niedriger Arbeit beschäftigt war, wie es das Weizensieben ist. Aber ich habe schon seinerzeit gesagt, jener Weizen war weder vom gemeinen gelben noch war es überhaupt Weizen, sondern es waren Perlen aus dem Morgenland; und zum Erweis dieser Tatsache will ich Euern Durchlauchtigkeiten sagen, daß ich vor kurzem, als ich durch Toboso kam, Dulcineas Palast nirgends finden konnte und daß am andern Tage, während mein Schildknappe Sancho sie in ihrer eignen Gestalt, der schönsten des Erdkreises, erblickte, sie mir wie eine grobe häßliche Bäuerin vorkam, und zwar eine durchaus nicht verständig redende, während sie doch der Inbegriff aller Verständigkeit ist.

Da ich nun nicht verzaubert bin und nach menschlichem Ermessen nicht verzaubert werden kann, so ist sie die Verzauberte, die schwer Geschädigte, die Verwandelte, die Verwechselte und Vertauschte, und an ihrer Person haben meine Feinde ihre Rache gegen mich geübt, und um ihretwillen werde ich in unaufhörlichen Tränen dahinleben, bis ich sie wieder in ihrem vorigen Zustande sehe. Das alles hab ich gesagt, damit sich niemand daran stoße, was Sancho vom Sieben und vom Fegen Dulcineas erzählt hat; denn wenn sie sie mir umgestaltet haben, ist’s kein Wunder, daß sie sie auch ihm verwandelt haben. Dulcinea ist eine angesehene Dame von guter Geburt und stammt von den adligen Geschlechtern in Toboso, deren es viele alte und sehr gute gibt. Ganz gewiß ist ihr Heimatort ihr nicht wenig Dank schuldig, da er durch sie berühmt und in künftigen Zeitaltern viel genannt werden wird, wie es Troja durch Helena und Spanien durch die Cava geworden ist, obzwar Toboso aus besserem Anlaß und mit höherem Ruhm.

Andererseits wünsche ich auch Euern Herrlichkeiten klarzumachen, daß Sancho Pansa einer der kurzweiligsten Schildknappen ist, der jemals in eines fahrenden Ritters Diensten gestanden. Er äußert manchmal so scharfsinnige Albernheiten, daß das Nachdenken darüber, ob er albern oder scharfsinnig ist, nicht geringes Vergnügen macht; er hat Tücke in sich, daß man ihn als einen Schelmen verurteilen müßte, und kommt dann wieder mit so gedankenlosen Verkehrtheiten, daß das Urteil über ihn als einen Hausnarren aufs neue Bestätigung erhält; er zweifelt an allem und glaubt alles, und wenn ich meine, er wird vor lauter Dummheit in den Abgrund hinunterstürzen, so bricht er plötzlich mit den verständigsten Äußerungen hervor, die ihn zum Himmel hinaufheben. Kurz, ich würde ihn für keinen andern Schildknappen hergeben, und wenn man mir noch eine große Stadt darauf herausgäbe; und daher bin ich im Zweifel, ob es recht getan sein wird, ihn zu der Statthalterschaft zu entsenden, mit welcher Euer Hoheit ihn beehrt hat, wiewohl ich in ihm eine gewisse Tauglichkeit für das Statthalteramt finde; wenn man seinem Geiste die Auswüchse ein klein wenig beschneidet, wird er mit jeder beliebigen Statthalterschaft so gut wie der König mit seinem Steuerwesen fertigwerden. Zudem wissen wir bereits aus vielfacher Erfahrung, daß es weder großer Geschicklichkeit noch großer Kenntnisse bedarf, um Statthalter zu sein, denn es gibt hierzulande an die hundert, die kaum lesen können und doch scharf auf ihre Amtsgeschäfte sehen wie ein Jagdfalke. Der Punkt, auf den es ankommt, ist, das Gute zu wollen und in allen Dingen nach dem Rechten und Richtigen zu streben; denn es wird ihm nie an jemandem fehlen, der ihm Rat und Anleitung für seine Obliegenheiten erteilt, wie das bei Statthaltern der Fall ist, welche als Ritter erzogen und nicht Studierte sind und welche daher mit Hilfe eines Beisitzers Recht sprechen. Ich würde ihm raten: Laß dir nichts schenken, laß das Recht nicht kränken; und andere Sächelchen mehr, die ich noch auf dem Herzen habe und die seinerzeit zum Vorschein kommen sollen, zum Nutzen für Sancho und zum Besten der Insul, die er etwa zum Statthaltern bekommen würde.«

So weit waren der Herzog, die Herzogin und Don Quijote in ihrer Unterhaltung gekommen, als sie großes Geschrei und großes Gelärm im Palaste hörten; plötzlich stürzte Sancho in den Saal, in großen Ängsten, einen Scheuerlappen als Barbiertuch vor dem Halse, und hinter ihm her eine Menge Diener oder, richtiger gesagt, Küchenschlingel und anderes geringes Hausgesinde, und einer davon hatte einen kleinen Kübel voll Wasser, dem man an der Färbung und Unsauberkeit ansah, daß es Spülwasser war. Der mit dem Kübel folgte und verfolgte ihn und gab sich die größte Mühe, ihm das Gefäß unter dem Barte festzuhalten und anzubinden, und ein anderer Küchenjunge machte Miene, ihm den Bart zu waschen.

»Was ist das, Kinder?« fragte die Herzogin; »was ist das? Was wollt ihr mit diesem wackern Mann? Wie? Bedenkt ihr nicht, daß ihr in ihm einen erwählten Statthalter vor euch habt?«

Darauf antwortete der den Barbier spielende Küchenjunge:

»Dieser Herr will sich nicht waschen lassen, wie es der Brauch ist und wie sich unser gnädiger Herr, der Herzog, und sein eigener Herr haben waschen lassen.«

»Freilich will ich’s«, entgegnete Sancho in höchstem Zorn, »aber ich verlangte, daß es mit reinlicheren Handtüchern geschehen sollte und hellerem Waschwasser und mit nicht so schmutzigen Händen; denn so groß ist der Unterschied nicht zwischen mir und meinem Herrn, daß man ihn mit Engelswasser und mich mit Teufelslauge waschen muß. Die Bräuche in den Landen und Palästen der Großen sind ja insoweit ganz gut, als sie einem nicht lästig werden, aber die Art, wie hier der Bart gewaschen wird, ist ärger, als wie sich die Büßer bei Wallfahrten den Rücken kitzeln. Ich hab einen sauberen Bart und habe derlei Abkühlungen nicht nötig, und wer da herkommt und will mich waschen oder will mir nur ein Haar anrühren auf meinem Kopf, ich meine an meinem Bart, dem will ich, mit Respekt zu sagen, einen derartigen Schlag mit meiner Faust versetzen, daß sie ihm im Hirnkasten steckenbleiben soll. Denn all diese Ziermonjen und Einseifungen sehen eher aus, als wollte man die Gäste foppen, nicht aber mit Artigkeiten erfreuen.«

Die Herzogin starb schier vor Lachen, als sie Sanchos Ingrimm sah und seine Äußerungen hörte. Don Quijote jedoch war nicht sehr entzückt, ihn mit dem schmutzigen Handtuch so übel aufgeputzt und von so vielen Küchengehilfen umringt zu sehen; und daher machte er eine tiefe Verbeugung vor den herzoglichen Ehegatten, als ob er sie um Erlaubnis bäte zu reden, und sprach mit gelassener ernster Stimme zu dem Küchenvolk: »Holla, edle Herren, wollet mir den Burschen in Ruhe lassen und hingehen, wo ihr hergekommen seid, oder meinetwegen anderswohin, wenn ihr Lust habt; mein Schildknappe ist so sauber wie irgendeiner, und die Kübel da sind für ihn zu kleine und zu enghalsige Krüglein. Nehmt meinen Rat an und laßt ihn in Ruhe, denn er und ich verstehen keinen Spaß.«

Sancho nahm ihm das Wort aus dem Munde und fuhr statt seiner also fort: »Nein doch, kommt nur her und treibt euern Spaß mit dem Landstreicher, und ihr sollt sehen, ich laß es mir so wenig gefallen, als es jetzt nachtschlafende Zeit ist. Bringt einen Kamm her, oder was ihr sonst wollt, und striegelt mir meinen Bart, und wenn ihr etwas daraus hervorholt, was der Reinlichkeit zuwider ist, so könnt ihr mir ihn kreuzweise verschneiden.«

Jetzt sprach die Herzogin, ohne daß sie darum zu lachen aufhörte: »Sancho Pansa hat recht mit allem, was er gesagt hat, und wird in allem recht haben, was er sagen wird; er ist sauber und hat, wie er sagt, das Waschen nicht nötig, und wenn unser Brauch ihm nicht gefällt: wohl, des Menschen Wille ist sein Himmelreich; zumal da ihr, die Fürsorger der Reinlichkeit, so über alles Maß nachlässig und leichtsinnig, ich will nicht sagen vermessen wäret, für eine solche Persönlichkeit und einen solchen Bart anstatt Becken und Kamm von reinem Gold und statt deutscher Leintücher Kübel und Näpfe von Holz zu bringen und Wischlappen für einen Schenktisch. Aber ihr seid nun einmal schlechte, ungezogene Burschen, und ihr könnt es nicht lassen, ihr Schlingel, euren Groll gegen die Schildknappen fahrender Ritter zu zeigen.«

Die schelmischen Diener und selbst der Haushofmeister, der mit ihnen gekommen war, glaubten, die Herzogin habe im Ernste gesprochen; sie nahmen daher Sancho den Scheuerlappen von der Brust weg, gingen ganz bestürzt und beinahe beschämt von dannen und ließen ihn stehen. Als Sancho sich dieser Gefahr entledigt sah, die nach seiner Meinung eine außerordentlich große war, warf er sich vor der Herzogin auf die Knie und sagte: »Von großen Damen erwartet man große Gnaden; diese, so mir Euer Gnaden heut erzeigt hat, kann gar nicht anders vergolten werden als mit dem Wunsche, daß ich zum fahrenden Ritter geschlagen werde, um alle Tage meines Lebens hinfort dem Dienste einer so hohen Frau zu widmen. Ich bin ein Bauer, Sancho Pansa heiße ich, ich bin verheiratet, habe Kinder und diene als Schildknappe; wenn ich mit irgendwas hiervon Euer Hoheit dienen kann, so werde ich kürzere Zeit mit dem Gehorchen zögern als Eure Herrlichkeit mit dem Befehlen.«

»Wohl sieht man, Sancho«, erwiderte die Herzogin, »höflich zu sein habt Ihr in der Schule der Höflichkeit selbst gelernt; wohl sieht man, will ich damit sagen, Ihr seid am Busen des Señor Don Quijote großgezogen, welcher gewiß die Perle aller Höflichkeiten ist und die Blume aller Zeremonien, oder Ziermonjen, wie Ihr sagt. Heil einem solchen Herrn und einem solchen Diener, dem einen als dem Polarstern der fahrenden Ritterschaft, dem andern als dem Leitstern schildknapplicher Treue! Steht auf, Freund Sancho, ich will Euer höfliches Benehmen damit vergelten, daß ich den Herzog, meinen Gemahl, veranlasse, so schnell, als er es vermag, Euch die gnädige Zusage einer Statthalterschaft zu erfüllen.«

Hiermit endigte das Gespräch; Don Quijote ging, seine Mittagsruhe zu halten, und die Herzogin ersuchte Sancho, falls er nicht allzu große Lust zu schlafen habe, möchte er den Nachmittag mit ihr und ihren Zofen in einem ganz kühlen Saale verbringen. Sancho antwortete darauf, obschon er wirklich die Gewohnheit habe, im Sommer vier oder fünf Stunden lang einen Mittagsschlaf zu halten, so werde er doch, um ihrer Güte sich gefällig zu erweisen, mit all seinen Kräften sich bemühen, heute gar nicht zu schlafen, und ihrem Befehl gehorsamen. Damit ging er von dannen. Der Herzog gab aufs neue Anweisungen, Don Quijote als fahrenden Ritter zu behandeln, ohne im allergeringsten von der Art abzuweichen, wie, nach den vorliegenden Berichten, die alten Ritter behandelt wurden.

33. Kapitel


Von dem ergötzlichen Gespräche, so von der Herzogin und ihren Jungfräulein mit Sancho Pansa geführt worden und das wohl wert ist, daß man es lesen und sich merken soll

Wie nun die Geschichte erzählt, hielt Sancho diesmal keinen Mittagsschlaf, sondern begab sich, um sein Versprechen zu erfüllen, nach seinem Essen zur Herzogin; und diese, weil sie großes Vergnügen daran hatte, ihm zuzuhören, hieß ihn auf einem niedrigen Stuhle neben sich niedersitzen, obwohl Sancho aus lauter Höflichkeit sich nicht setzen wollte. Allein die Herzogin sagte ihm, er solle als Statthalter Platz nehmen und als Schildknappe sprechen, wiewohl schon jedes einzelne dieser beiden Ämter ihn würdig mache, selbst den Stuhl des Cid Ruy Diaz, des großen Kämpen, einzunehmen. Sancho zog demütig den Kopf zwischen die Schultern und setzte sich, und alle Mägdlein und Frauen der Herzogin umringten ihn, tief schweigend und gespannt, zu vernehmen, was er sagen würde; aber die Herzogin ergriff als erste das Wort und sprach: »Jetzt, da wir allein sind und keiner uns hier hört, wünschte ich, daß der Herr Statthalter mir einige Zweifel lösen möchte, die in mir beim Lesen der Geschichte entstanden sind, welche von dem großen Don Quijote bereits im Druck verbreitet ist. Einer von diesen Zweifeln ist folgender: Da der wackere Sancho die Dulcinea, ich will sagen, das Fräulein Dulcinea von Toboso nie gesehen und ihr auch den Brief des Señor Don Quijote nie gebracht hat, weil dieser in der Sierra Morena im Taschenbuch zurückblieb, wie konnte er wagen, die Antwort zu erfinden, nebst dem Geschichtchen, daß er sie beim Weizensieben angetroffen habe, während doch alles nur ein Possenstreich und eine Lüge und dem guten Rufe der unvergleichlichen Dulcinea so äußerst nachteilig war, alles Dinge, die nicht zur Stellung und Treue eines braven Schildknappen stimmen?«

Ohne auf diese Worte eine Silbe zu erwidern, erhob sich Sancho vom Stuhle und ging sachten Schrittes mit vorgebeugtem Körper, den Daumen auf die Lippen gelegt, im ganzen Zimmer umher, wobei er die Vorhangteppiche einen nach dem andern in die Höhe hob, setzte sich dann wieder und sprach: »Jetzt, Herrin mein, da ich gesehen habe, daß außer den Anwesenden keiner da ist, uns aus dem Hinterhalt zuzuhören, will ich ohne Furcht und Scheu beantworten, was ich bin gefragt worden und was ich etwa noch weiter gefragt werde. Das erste, was ich zu sagen habe, ist, daß ich meinen Herrn Don Quijote für einen unheilbaren Narren halte, wiewohl er manchmal Dinge sagt, die nach meiner Meinung und auch nach der Meinung aller, die ihm zuhören, so gescheit sind und in so richtigem Geleise gehen, daß der Satan selber sie nicht besser äußern könnte; aber trotz alledem steht es vollständig und einwandfrei bei mir fest, daß er verrückt ist. Weil ich nun diese Überzeugung habe, so nehme ich mir heraus, ihm Dinge weiszumachen, die weder Hand noch Fuß haben, wie jene Geschichte mit der Antwort auf den Brief und jene von vor sechs oder acht Tagen, die noch nicht in einem Buch steht, nämlich die Geschichte mit der Verzauberung unseres Fräuleins Doña Dulcinea. Denn ich hab ihm den Glauben beigebracht, sie sei verzaubert, was geradeso wahr ist, wie daß das Wasser den Berg hinaufläuft.«

Die Herzogin bat ihn, ihr diese Verzauberung oder Posse zu erzählen, und Sancho berichtete ihr alles genauso, wie es geschehen war, woran die Zuhörer sich nicht wenig ergötzten. Dann fuhr die Herzogin in ihren Fragen folgendermaßen fort: »Über das, was der wackere Sancho erzählt hat, habe ich ein Bedenken, das mir im Geiste hin und her hüpft, und es flüstert mir was ins Ohr und sagt mir: Da Don Quijote von der Mancha toll und blödsinnig und verrückt ist und Sancho Pansa, sein Schildknappe, es weiß und trotzdem ihm dient und nachläuft und fortwährend auf seine eitlen Versprechungen baut, so muß er ohne allen Zweifel noch toller und dümmer als sein Herr sein; und da dies wirklich so ist, so wird es dir übel angerechnet werden, Frau Herzogin, wenn du dem nämlichen Sancho Pansa eine Insul gibst, um sie als Statthalter zu regieren; denn wer nicht den Verstand hat, sich selbst zu führen und zu beaufsichtigen, wie kann der die Führung und Aufsicht über andre üben?«

»Bei Gott, Señora«, erwiderte Sancho, »diese Bedenklichkeit ist keine Fehlgeburt; aber befehlt ihr nur, deutlich, oder wie sie sonst will zu reden; denn ich sehe es wohl ein, sie redet wahr, und wär ich gescheit, so hätte ich schon längst meinen Herrn im Stiche lassen müssen. Aber das ist einmal mein Schicksal, das ist einmal mein Pech: ich kann nicht anders, ich muß ihm überallhin folgen; wir sind aus demselben Ort, ich habe sein Brot gegessen, ich habe ihn lieb, er ist dankbar, er hat mir seine Esel geschenkt; und vor allem, ich bin treu, und sonach ist es ausgeschlossen, daß uns je etwas anderes trennen könnte als Schaufel und Spaten. Und wenn Eure Hochmütigkeit keine Lust hat, mir die versprochene Statthalterschaft geben zu lassen – mir auch recht, denn aus Staub hat mich Gott geschaffen, und, möglicherweise, wenn man mir sie nicht gibt, könnte dies meiner Seele zum Heil gereichen; denn bin ich auch ein Dummkopf, verstehe ich doch jenes Sprichwort: Der Ameise sind zu ihrem Unglück Flügel gewachsen; es wäre ja auch möglich, daß Sancho der Schildknappe geschwinder in den Himmel kommt als Sancho der Statthalter. Man backt hier geradeso gutes Brot wie in Frankreich, und bei Nacht sind alle Katzen grau; und der Mensch hat Pech zur Genüge, der nachmittags um zwei noch kein Frühstück bekommen hat; kein Magen ist eine Spanne größer als der andre, so daß man ihn, wie es im Sprichwort heißt, nur mit Heu und Stroh stopfen kann; und die Vöglein auf dem Felde haben Gott zum Versorger und Ernährer; und vier Ellen grobes Tuch von Cuenca halten wärmer als vier Ellen hochfeines Tuch von Segovia; und wenn wir von dieser Welt scheiden und uns hinunter in die Erde legen, da muß der Fürst über einen ebenso engen Pfad wie der Taglöhner; und des Papstes Leichnam braucht nicht mehr Raum als des Küsters, obwohl jener soviel höher steht als dieser; und wenn wir in die Grube fahren, da drücken wir uns alle zusammen und ziehen die Glieder ein, oder andre drücken und ziehen uns zusammen, ob wir nun wollen oder nicht, und darin gute Nacht. Und ich sage nochmals, wenn Euer Herrlichkeit keinen Insuln-Statthalter aus mir machen will, weil ich zu dumm bin, so bin ich gescheit genug, mir nichts daraus zu machen. Und ich habe immer sagen hören, hinter dem Kreuze steckt der Teufel, und es ist nicht alles Gold, was gleißt, und hinter den Stieren, dem Pflug und dem Ochsenjoch haben sie den Bauern Wamba hervorgeholt, um König von Spanien zu werden, und mitten aus seinen Goldstoffen, Lustbarkeiten und Reichtümern haben sie den Rodrigo herausgerissen, um ihn den Schlangen vorzuwerfen, falls nämlich die alten Romanzen nicht lügen.«

»Ganz sicher lügen sie nicht!« fiel hier Doña Rodríguez ein, die Kammerfrau, die unter den Zuhörerinnen war; »denn es gibt eine Romanze, die sagt, sie haben den König lebendig in eine Grube voll Kröten, Schlangen und Eidechsen geworfen, und der König hat noch zwei Tage lang in der Grube mit kläglicher schwacher Stimme gesungen:

Ach, sie fressen schon, sie fressen,
Womit am meisten ich gesündigt!

Und darum hat der Herr sehr recht, wenn er sagt, er wolle lieber ein Bauer als ein König sein, wenn er vom Gewürm gefressen werden soll.«

Die Herzogin konnte sich des Lachens nicht erwehren, als sie die Einfalt ihrer Kammerfrau hörte, so wie sie auch nicht umhinkonnte, sich über Sanchos Reden und Sprichwörter zu verwundern, und sie sprach zu diesem: »Der wackere Sancho weiß ja, daß, was ein Ritter einmal versprochen hat, er zu erfüllen bestrebt ist, und sollte es ihn auch das Leben kosten. Der Herzog, mein Herr Gemahl, gehört zwar nicht zu den fahrenden, aber nichtsdestoweniger ist er ein Ritter und wird darum sein Wort betreffs der versprochenen Insul erfüllen, aller Mißgunst und Bosheit der Welt zum Trotz. Seid nur guten Mutes, Sancho; ehe Ihr Euch’s verseht, werdet Ihr auf dem Thron Eurer Insul und Herrschaft sitzen und den Zepter Eurer Statthalterschaft in Händen haben, welche Ihr gegen eine andre von eitel Gold und Juwelen nicht hergeben würdet. Was ich Euch aber anrate, ist, daß Ihr Euch wohl überlegt, wie Ihr als Statthalter Eure Untertanen regieren sollt.«

»In betreff des Gutregierens«, antwortete Sancho, »brauche ich keinen Rat, denn ich bin schon von mir aus gutherzig und habe Mitleid mit den Armen; wer sich mit Kochen und Backen muß quälen, dem sollst du seinen Laib Brot nicht stehlen. Aber beim heiligen Kreuzeszeichen, mir darf man nicht mit falschen Würfeln spielen; ich bin ein alter Jagdhund und verstehe mich auf jedes Hussah-heh! und reibe mir auch zu rechter Zeit den Schlaf aus den Augen und lasse mir keinen blauen Dunst vormachen, denn ich weiß, wo mich der Schuh drückt. Das sag ich von dessentwegen, weil ich für die Guten zugänglich und bei der Hand sein will und die Schlechten bei mir keinen Schritt und keinen Fuß hereinsetzen sollen. Und mir scheint, bei dem Statthaltern und Regieren kommt alles auf den Anfang an, und es wäre möglich, daß nach vierzehn Tagen Statthalterschaft ich mir aus lauter Vergnügen daran die Finger nach dem Amt lecken täte und mehr davon verstünde als von der Feldarbeit, bei der ich aufgewachsen bin.«

»Ihr habt recht, Sancho«, sagte die Herzogin; »es fällt kein Meister vom Himmel, und aus Menschen macht man Bischöfe und nicht aus Steinen. Aber um wieder auf unser voriges Gespräch zurückzukommen, nämlich über die Verzauberung des Fräulein Dulcinea, so halte ich für sicher und mehr als erwiesen, daß jener Einfall Sanchos, seinen Herrn zum besten zu haben und ihm weiszumachen, die Bäuerin sei Dulcinea, und wenn er sie nicht erkenne, so müsse sie verzaubert sein – daß dieser Einfall in der Tat eine Erfindung der Zauberer war, die den Señor Don Quijote verfolgen. Denn tatsächlich weiß ich aus guter Quelle, daß jene Bäuerin, die den Sprung auf ihre Eselin tat, Dulcinea von Toboso war und ist und daß der wackere Sancho, während er meinte, der Betrüger zu sein, der Betrogene ist; und an dieser Tatsache ist so wenig zu zweifeln wie an alledem, was wir nie mit Augen gesehen. Ja, der Señor Sancho Pansa soll wissen, daß wir auch hierzulande Zauberer haben, die uns wohlgesinnt sind und uns glatt und einfach, ohne Arglist und Ränke sagen, was in der Welt vorgeht; und Ihr könnt mir glauben, Sancho, daß die eselspringerische Bauerndirne wirklich Dulcinea von Toboso war und ist und geradeso verzaubert ist wie ihre Mutter, die sie zur Welt geboren; und dereinst, wann wir es uns am wenigsten versehen, werden wir sie sicherlich in ihrer wahren Gestalt erblicken, und dann wird Sancho von dem Irrtum frei werden, in dem er sich jetzo befindet.«

»Alles das kann wohl sein«, entgegnete Sancho Pansa, »und jetzt will ich auch glauben, was mein Herr von den Merkwürdigkeiten erzählt hat, die er in der Höhle des Montesinos gesehen, wo er nach seinen Worten das Fräulein Dulcinea von Toboso in derselben Tracht und Kleidung erblickte, wie ich angab sie gesehen zu haben, als ich lediglich zu meinem persönlichen Vergnügen sie verzauberte. Gerade das Gegenteil davon muß wahr gewesen sein. Denn von meinem armseligen Verstand kann und darf man nicht annehmen, daß er eine so spitzfindige Schelmerei im Nu ausgeheckt hätte. Auch halte ich meinen Herrn nicht für so verrückt, als daß er auf eine so dürftige und magere Versicherung wie die meinige etwas glauben würde, das wider alle menschliche Vernunft ist. Indessen, Señora, wäre es darum doch nicht recht, wenn Hochdero Gütigkeit mich darum für einen böswilligen Menschen halten wollte; denn ein Klotzkopf wie ich ist nicht gehalten, die Gedanken und Bosheiten der abscheulichen Zauberer zu kennen. Ich habe die Geschichte ersonnen, um dem Schelten meines Herrn Don Quijote zu entgehen, und nicht in der Absicht, ihm weh zu tun; und wenn es umgekehrt ausgefallen ist, so lebt ein Gott im Himmel, der Herzen und Nieren prüft.«

»So ist’s in Wahrheit«, sprach die Herzogin. »Aber sagt mir jetzt, Sancho, was ist es denn eigentlich mit der Höhle des Montesinos? Es wäre mir angenehm, das zu wissen.«

Darauf erzählte ihr Sancho Punkt für Punkt, was über dies Abenteuer berichtet worden; und als die Herzogin es vernommen, sagte sie: »Aus diesem Vorgang läßt sich schließen: weil der große Don Quijote sagt, er habe dort die nämliche Bäuerin gesehen wie Sancho am Ausgang von Toboso, so unterliegt es keinem Zweifel, daß es Dulcinea ist und daß die Zauberer hier in der Gegend sehr rührig sind und alles und jedes mit größter Aufmerksamkeit verfolgen.«

»Das sag ich auch«, versetzte Sancho Pansa; »wenn unser Fräulein Dulcinea von Toboso verzaubert ist, so ist’s ihr eigner Schaden; ich aber, ich will nicht mit den Feinden meines Herrn anbinden, sie müssen allzu zahlreich und bösartig sein. Wahr bleibt es, die ich gesehen habe, war eine Bäuerin, und für eine Bäuerin hab ich sie gehalten, und für eine Bäuerin, wie gesagt, hab ich sie erkannt; und wenn sie dennoch Dulcinea war, so geht das nicht auf meine Rechnung und darf mir nicht zu Lasten geschrieben werden; oder wer’s tut, soll mir schwer davon zu tragen haben. Aber das ist die alte Leier: Sancho hat’s gesagt, Sancho hat’s getan, Sancho ist hinüber, Sancho ist herüber – als ob Sancho so der erste beste wäre und nicht derselbe Sancho, der bereits in Büchern weit und breit durch die Welt geht, wie mir Sansón Carrasco gesagt hat, der nichts Geringeres ist als ein gelehrtes Haus, ein Mann, den sie in Salamanca selbst zum Baccalaur gemacht haben; und solche Personen können nicht lügen, höchstens wenn sie gerade Lust dazu haben oder es ihnen ganz besonders dient. Also braucht keiner mit mir anzubinden, und da ich einen guten Leumund habe und ein guter Name, wie ich von meinem Herrn gehört habe, mehr wert ist als großer Reichtum, so mache man mir nur immer die Statthalterschaft einstweilen zurecht, und man wird sein blaues Wunder sehen; denn wer ein guter Schildknappe gewesen ist, wird auch ein guter Statthalter sein.«

»Alles, was der wackere Sancho da gesagt hat«, sprach die Herzogin, »sind lauter Catonische Denksprüche oder, zum wenigsten, dem Michael Verino, florentibus occidit annis, aus der Seele gesprochen. Wirklich, wirklich, um nach seiner Art zu reden, unter einem schlechten Mantel steckt in der Regel ein guter Trinker.«

»Wahrlich, Señora«, entgegnete Sancho, »ich hab in meinem ganzen Leben niemals aus bösem Vorsatz getrunken; aus Durst, ja, das wäre möglich, denn ich habe nichts vom Heuchler an mir; ich trinke, wann ich Lust habe, und wann ich keine Lust habe und man mir zu trinken gibt, damit ich nicht zimperlich oder unmanierlich aussehe; denn wenn ein Freund dir zutrinkt, welch ein Herz ist so steinern, nicht Bescheid zu tun? Hosen, die zieh ich an, aber mache sie nicht schmutzig; trinken tu ich, aber nicht saufen, zumal die Schildknappen der fahrenden Ritter für gewöhnlich nur Wasser trinken, dieweil sie stets durch Forsten, Wälder und Felder, über Berge und Felsklippen ziehen, ohne nur einen barmherzigen Tropfen Wein zu bekommen, und wenn sie ein Auge darum geben wollten.«

»Das glaube ich wohl«, sagte die Herzogin darauf, »und für jetzt mag Sancho schlafen gehen; später wollen wir weiter miteinander reden und Anordnung treffen, daß ihm die bewußte Statthalterschaft schleunigst zurechtgemacht werde, wie er sich ausdrückt.«

Abermals küßte Sancho der Herzogin die Hände und bat sie, ihm die Gnade zu erweisen, daß für seinen Grauen gut gesorgt werde, denn der sei sein Herz und seine Seele und das Licht seiner Augen.

»Was ist das für ein Grauer?« fragte die Herzogin.

»Mein Esel«, antwortete Sancho; »um ihn nicht mit diesem Namen zu nennen, heiße ich ihn gewöhnlich meinen Grauen. Die Frau Kammerfrau da hab ich gebeten, als ich hier ins Schloß kam, sie möchte für ihn sorgen, und sie ward darob so entrüstet, als ob ich ihr gesagt hätte, sie sei eine häßliche oder alte Jungfer, während es doch viel passender und natürlicher für Kammerfrauen sein muß, den Eseln ihr Futter zu geben, als in den Schloßzimmern vornehm zu tun. Gott soll’s wissen, wie hat sich einmal ein Junker in meinem Dorf mit diesen Damen so schlimm gestanden!«

»Das muß wohl ein gemeiner Bauer gewesen sein«, versetzte Doña Rodríguez, die Kammerfrau; »wär er ein Junker gewesen und edel von Geburt, so hätte er sie bis über die Hörner des Monds und die Sterne erhoben.«

»Schon gut, nicht weiter!« sprach die Herzogin; »Doña Rodríguez soll schweigen, und Señor Pansa soll sich zufriedengeben, und die Verpflegung des Grauen soll meine Sorge sein; denn da er Sanchos Kleinod ist, will ich ihn wie meinen Augapfel hüten und auf den Händen tragen.«

»Wofern er nur im Stalle steht, so ist das schon genug«, entgegnete Sancho; »denn auf Euer Hoheit Händen sind weder er noch ich wert einen Augenblick getragen zu werden, und das würde ich ebensowenig erlauben, als daß mir einer Dolchstöße versetzte; denn wenn auch mein Herr sagt, daß man in betreff der Höflichkeiten eher durch eine Karte zuwenig als zuviel das Spiel verliert, so muß man doch, wenn es Esel und andere Langohren betrifft, stets die Richtschnur an der Hand haben und maßhalten.«

»Sancho soll ihn mit zur Statthalterschaft befördern«, sprach die Herzogin, »dort kann er ihn pflegen, wie er will, ja auch ihn in den Ruhestand versetzen.«

»Frau Herzogin«, sprach Sancho, »Euer Gnaden braucht nicht zu denken, Ihr hättet da zuviel gesagt; ich habe wohl schon zwei Esel und noch mehr zu Statthalterschaften kommen sehen, und daß ich den meinigen dazu beförderte, wäre gerade nichts Neues.«

Sanchos Worte weckten aufs neue bei der Herzogin soviel Lachen wie Vergnügen; sie schickte ihn zur Ruhe und ging zum Herzog, um ihm zu erzählen, wie sie sich mit Sancho unterhalten. Beide verabredeten unter sich einen Plan und alle Vorbereitungen, um Don Quijote einen Possen zu spielen, der ganz ausgezeichnet und der Manier der Ritterbücher wohl angepaßt sein sollte, einer Manier, in der sie ihm noch andere Streiche spielten, alle so sachgemäß und so gescheit angelegt, daß es die besten Abenteuer sind, die in dieser großen Geschichte vorkommen.

27. Kapitel


Wo berichtet wird, wer Meister Pedro und sein Affe gewesen, benebst dem Mißerfolge Don Quijotes bei dem Abenteuer mit den Iah-Schreiern, welches er nicht so zu Ende führte, wie er gewollt und gedacht hatte

Sidi Hamét, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte, beginnt dies Kapitel mit den Worten: Ich schwöre als ein katholischer Christ … Hierzu bemerkt der Übersetzer, daß, wenn Sidi Hamét als ein katholischer Christ schwur, während er doch unzweifelhaft Maure war, dies nichts andres bedeute als: geradeso wie der katholische Christ die Wahrheit schwört oder beschwören soll und gelobt, sie in jeder Beziehung zu sagen, ebenso werde auch er die Wahrheit, wie wenn er als katholischer Christ den Eid geleistet hätte, in allen Dingen sagen, die er über Don Quijote schreiben wolle, insbesondere in seinem Bericht, wer Meister Pedro gewesen und wer der wahrsagende Affe, der all jene Ortschaften mit seinen Angaben in Verwunderung gesetzt habe.

Nun sagt er, wer den ersten Teil dieser Geschichte gelesen habe, werde sich noch, jenes Ginés von Pasamonte erinnern, dem mit andern Galeerensklaven Don Quijote in der Sierra Morena die Freiheit gegeben, eine Wohltat, die ihm nachher von diesem schlechten und argen Pack übel gedankt und noch übler gelohnt wurde. Dieser Ginés von Pasamonte, den Don Quijote Gineselchen von Parapilla hieß, war derselbe, der unsrem Sancho Pansa seinen Grauen gestohlen hatte; und weil im ersten Teil durch Verschulden der Drucker das Wann und Wie nicht beigebracht worden, hat das vielen Leuten Anlaß zu allerhand Bedenken gegeben, indem sie den Fehler der Druckerei der Vergeßlichkeit des Verfassers zur Last legten. Allein, kurz gesagt, Ginés stahl ihn, während Sancho Pansa schlafend auf ihm saß, indem er die List und das gleiche Verfahren anwandte wie Brunell, als er dem Sakripant vor Albraca das Roß zwischen den Beinen wegstahl; späterhin erlangte Sancho seinen Esel wieder, wie berichtet worden.

Dieser Ginés also, in der Angst, von der Polizei aufgespürt zu werden, die ihn suchte, um ihn für seine unzähligen Schelmenstreiche und Verbrechen zu bestrafen – welche so zahlreich und so eigenartig waren, daß er selbst ein dickes Buch mit deren Beschreibung gefüllt hat –, beschloß, nach dem Königreich Aragon hinüberzuwandern, sich das linke Auge zu verdecken und sich dem Geschäft eines Puppenspielers zu widmen; denn darauf und auf die Taschenspielerei verstand er sich hervorragend. Es geschah nun, daß er von einigen freigelassenen Christen, die aus der Berberei kamen, jenen Affen kaufte, den er lehrte, jedesmal, wenn er ihm ein gewisses Zeichen gab, ihm auf die Schulter zu springen und ihm etwas ins Ohr zu flüstern oder doch so zu tun. Nachdem ihm dies gelungen, pflegte er jedesmal, ehe er den Ort, den er gerade besuchen wollte, mit seinem Puppentheater und Affen betrat, sich in dem nächstgelegenen Dorf, oder bei wem es sonst am leichtesten anging, zu erkundigen, was für besondere Ereignisse in dem fraglichen Ort vorgefallen und welchen Personen dieselben begegnet seien, und prägte sie seinem Gedächtnisse gut ein. Das erste, was er dann tat, war, daß er sein Puppenspiel sehen ließ, welches einmal die eine, ein andermal die andre Geschichte, aber stets eine heitere und ergötzliche und allbekannte zum besten gab. War die Vorstellung zu Ende, so sprach er von den Künsten seines Affen und sagte dem Volk, dieser errate alles Vergangene und Gegenwärtige, aber auf das Zukünftige lasse er sich nicht ein. Für die Antwort auf jede einzelne Frage verlangte er zwei Realen; für einige tat er es auch billiger, je nachdem es ihm angemessen schien, wenn er den Fragern an den Puls fühlte. Manchmal kam er auch in ein Haus, von dessen Bewohnern er die Lebensgeschichte kannte, und auch wenn man ihn nichts fragte, weil man ihm nichts zahlen wollte, gab er seinem Affen das Zeichen und erklärte sogleich, der Affe habe ihm dies und jenes gesagt, was mit den wirklichen Vorgängen gänzlich übereinstimmte. Hierdurch gewann er unsägliches Vertrauen und Ansehn bei den Leuten, und alles lief ihm nach. Andre Male wieder antwortete der Schlauberger so, daß die Antwort auf jede Frage paßte, und da niemand ihm näher auf den Grund ging oder ihn drängte zu erklären, warum alles von seinem Affen erraten werde, wußte er jedermann zu äffen und füllte seinen Lederbeutel.

Gleich wie er ins Wirtshaus trat, erkannte er Don Quijote und Sancho, und so fiel es ihm leicht, Don Quijote und Sancho Pansa und alle in der Schenke Anwesenden in Verwunderung zu setzen; aber es wäre ihn teuer zu stehen gekommen, wenn Don Quijote mit der Hand etwas tiefer herabgefahren wäre, als er dem König Marsilius den Kopf abschlug und dessen ganze Reiterei vernichtete, wie im vorhergehenden Kapitel gesagt worden.

Dies ist es, was von Meister Pedro und seinem Affen zu berichten ist. Nun kehre ich zu Don Quijote von der Mancha zurück und sage, daß er nach dem Abschied von der Schenke beschloß, zuerst die Ufer des Flusses Ebro und die ganze Umgegend zu besuchen, bevor er in die Stadt Zaragoza einzöge, da bis zum Turnier ihm Zeit genug zu allem blieb. In dieser Absicht zog er seines Weges weiter und verfolgte ihn zwei Tage lang, ohne daß ihm etwas begegnete, was des Niederschreibens wert wäre, bis er am dritten beim Hinaufreiten auf einen Hügel ein großes Gelärm von Trommeln, Trompeten und Musketen hörte. Im Anfang glaubte er, ein Fähnlein Kriegsleute ziehe in der Nähe vorüber, und um sie zu sehen, ritt er den Hügel ganz hinauf; als er aber auf dem Gipfel hielt, erblickte er unten an dessen Fuß einen Haufen, nach seiner Schätzung mehr als zweihundert Leute, mit verschiedenartigen Waffen gerüstet, sagen wir mit Spießen, Armbrüsten, Partisanen, Hellebarden, Piken, einigen Musketen und vielen Rundschilden. Er ritt von der Anhöhe wieder herunter und näher auf die Schar zu, bis er die Banner deutlich unterscheiden, sich über die Farben Rechenschaft geben und sich die Sinnbilder mit Wahlsprüchen merken konnte; namentlich fiel ihm eines auf, das auf einer Standarte oder Reiterfahne von weißem Atlas zu sehen war und das einen Esel, ähnlich einem kleinen sardinischen Langohr, ganz naturgetreu darstellte, mit emporgerecktem Kopf, offenem Maul und heraushangender Zunge, in der Bewegung und Stellung, als ob er im Iah-Schreien begriffen wäre; rings um das Tier standen mit großen Buchstaben diese zwei Verse geschrieben:

Nicht vergeblich iahten sie im Walde,
Der eine und der andere Alkalde.

Aus diesem Wahrzeichen entnahm Don Quijote, daß dies das Volk aus dem Iaher-Dorf sein müsse, und sagte dies seinem Sancho, wobei er ihm auseinandersetzte, was auf der Standarte geschrieben stand. Er sagte ihm auch, der Mann, der ihm diese Geschichte berichtet, habe sich mit der Angabe geirrt, daß es zwei Gemeinderäte gewesen, die das Iah-Geschrei hören ließen, denn nach den Versen auf der Standarte seien es vielmehr zwei Bürgermeister gewesen.

Darauf entgegnete Sancho: »Señor, daran dürft Ihr Euch nicht stoßen; es kann ja sein, daß die Gemeinderäte, die damals iah schrien, mit der Zeit Bürgermeister ihres Orts geworden sind, und daher kann man sie mit beiden Titeln benennen. Zumal es auch für die Wahrheit der Geschichte nichts ausmacht, ob die Iah-Schreier nun Gemeinderäte sind oder Bürgermeister, sofern sie nur ganz gewiß iah geschrien haben; denn ein Bürgermeister kann es schließlich so gut wie ein Gemeinderat.«

Zuletzt ersahen und erfuhren sie, daß das in Zorn entflammte Dorf jetzt auszog, um mit dem andern zu kämpfen, das jenes zum Zorn zu reizen pflegte, mehr, als recht war, und mehr, als sich für die gute Nachbarschaft ziemte. Don Quijote ritt näher zu ihnen hin, zu nicht geringer Bekümmernis Sanchos, der nie ein Freund davon war, solchen Fehden beizuwohnen. Die Leute von dem kriegerischen Trupp nahmen ihn in ihre Mitte, da sie glaubten, es sei einer von ihrer Partei. Don Quijote schlug das Visier auf und ritt mit adliger Entschlossenheit und Haltung bis zur Eselsstandarte, und dort stellten sich die Vornehmsten des Heeres rings um ihn her, um ihn anzuschauen mit jenem Staunen, in das jeder verfiel, der ihn zum erstenmal sah. Als Don Quijote die gespannte Aufmerksamkeit bemerkte, mit der sie ihn betrachteten, wollte er dies Stillschweigen benutzen, erhob die Stimme und sprach: »Liebe Herren, so inständig ich’s vermag, bitte ich euch, die Ansprache, die ich an euch richten will, nicht zu unterbrechen, bis ihr etwa findet, daß sie euch widerwärtig und langweilig ist; sobald aber dies der Fall ist, werde ich bei dem allerkleinsten Zeichen, das ihr gebet, ein Siegel auf meinen Mund drücken und meiner Zunge einen Zaum anlegen.«

Alle baten ihn zu sagen, was ihm gut dünke, sie würden ihm gerne zuhören.

Auf diese Erlaubnis hin fuhr Don Quijote folgendermaßen fort: »Ich, meine Herren, bin ein fahrender Ritter, dessen Beruf der des Waffenwerks ist und dessen Amt es ist, die Schutzbedürftigen zu schützen und den Notbedrängten zu Hilfe zu kommen. Es ist einige Tage her, seit ich euer Mißgeschick erfahren sowie den Grund, der euch veranlaßt, jeden Augenblick die Waffen zu ergreifen, um euch an euren Feinden zu rächen; und nachdem ich ein und viele Male in meinem Geiste über euren Handel nachgedacht, finde ich, den Gesetzen des Zweikampfs gemäß, daß ihr im Irrtum seid, wenn ihr eure Ehre für gekränkt haltet; denn kein einzelner kann eine ganze Ortschaft an der Ehre kränken, wenn er sie nicht etwa in ihrer Gesamtheit als Verräter anklagt und herausfordert, weil er nicht weiß, welcher einzelne die Verräterei begangen hat, ob deren seine Anklage und Forderung ergeht. Ein Beispiel hiervon haben wir in Don Diego Ordoñez de Lara, der gegen die ganze Stadt Zamora Anklage und Herausforderung ergehen ließ, weil er nicht wußte, daß Bellido Dolfos allein den Verrat begangen hatte, seinen König zu erschlagen; daher beschuldigte und forderte er alle, und die Rache und die Zurückweisung der Anklage war nun die Sache aller. Indessen ist es zweifellos, daß Señor Don Diego die Grenzen der Ausforderung zu weit überschritt; denn er hatte keinen Grund zur Anklage und Forderung gegen die Toten noch gegen das Wasser oder Brot noch gegen die noch Ungebornen noch gegen all den andern Kram, wie dorten berichtet wird. Aber das mag hingehn; denn wird der Zorn so heiß, daß er die eigne Mutter nicht schont, dann hat die Zunge keinen Vater, der sie zur Schonung anhält, und duldet weder Zuchtmeister noch Zaum.

Da es nun an dem ist, daß ein einzelner niemals ein Königreich, eine Landschaft, eine Stadt, ein Gemeinwesen oder eine ganze Einwohnerschaft an der Ehre kränken kann, so ist es klar, daß kein Anlaß vorliegt, Rache zu suchen für die Herausforderung oder Ehrenkränkung, da eine solche Kränkung nicht vorhanden ist. Es wäre wahrlich eine schöne Geschichte, wenn die Leute aus dem Orte, der Uhrenheim gescholten wird, oder jene, die zum Spotte Topfgucker oder Apfelmusfresser, junge Walfische, Seifensieder genannt oder mit andern Spitznamen und Titeln belegt werden, welche Gassenbuben und geringes Volk immer im Munde führen – eine schöne Geschichte wär es wahrlich, wenn all diese hochberufenen Städter sich ärgern und rächen und die Schwerter beständig wie Posaunen ziehen wollten, um sich in jeden beliebigen Streit zu stürzen, wie bedeutungslos er auch sein möge. Nein, nein, das gestatte und wolle Gott nicht. Männer von Einsicht, wie jedes wohlgeordnete Gemeinwesen, haben nur aus vier Gründen die Waffen zu ergreifen, die Schwerter zu ziehen und sich selbst und ihr Leben und Vermögen aufs Spiel zu setzen. Der erste Grund ist, den katholischen Glauben zu verteidigen; der zweite, sein Leben zu verteidigen, was göttlichen und menschlichen Rechtes ist; der dritte, zur Verteidigung seiner Ehre, seiner Familie und Habe; der vierte, zum Dienste seines Königs in gerechtem Kriege; und wenn wir einen fünften hinzufügen wollten – der eigentlich an zweiter Stelle genannt werden kann –, so war es zur Verteidigung seines Vaterlands. Zu diesen fünf Gründen als den wichtigsten kann man etliche andre beifügen, die gerecht und vernünftig sein mögen und uns zwingen können, die Waffen zu ergreifen; aber die Waffen für Kindereien zu ergreifen und wegen Dingen, die eher zum Lachen sind als zur Ehrenkränkung, da scheint es doch, daß, wer es tut, jeder vernünftigen Überlegung bar ist; besonders, sintemal eine ungerechte Rache – und eine gerechte kann es überhaupt nicht geben – geradeswegs wider die heilige Lehre geht, die wir bekennen und durch welche uns geboten wird, unsern Feinden Gutes zu tun und die zu lieben, die uns hassen, ein Gebot, das zwar etwas schwer zu erfüllen scheint, aber nur für diejenigen, die weniger von Gott als von der Welt und mehr vom Fleisch als vom Geist in sich haben. Denn Jesus Christus, der wahrhafte Gott und Mensch, der niemals gelogen hat noch lügen konnte noch kann, hat als unser Gesetzgeber gesagt, sein Joch sei sanft und seine Last leicht; und daher konnte er uns nichts befehlen, was zu erfüllen unmöglich wäre. Mithin, meine Herren, seid ihr nach menschlichen und göttlichen Gesetzen gehalten, eure Gemüter zum Frieden zu stimmen.«

»Soll mich der Teufel holen«, sagte hier Sancho für sich, »wenn dieser mein Herr nicht ein Tolloge ist; und wenn er es nicht ist, so gleicht er doch einem wie ein Ei dem andern.«

Don Quijote schöpfte einen Augenblick Atem, und da er bemerkte, daß die Leute ihm noch immer schweigend zuhörten, wollte er mit seiner Rede fortfahren, und er hätte auch fortgefahren, wenn nicht Sanchos Gescheitheit dazwischengefahren wäre; denn als er sah, daß sein Herr noch zögerte, nahm er das Wort für ihn und sprach: »Mein Herr Don Quijote von der Mancha, der sich eine Zeitlang der Ritter von der traurigen Gestalt nannte und sich jetzt der Löwenritter nennt, ist ein Junker von großer Überlegung, der Latein und Spanisch versteht wie ein Baccalaur und in allem, was er vornimmt und was er anrät, wie ein höchst wackerer Kriegsmann handelt und alle Gesetze und Ordnung dessen, was man Zweikampf heißt, bis aufs Tüpfelchen versteht; und daher ist weiter nichts zu tun, als sich von ihm und seinen Worten leiten zu lassen, und auf mein Haupt soll die Schuld kommen, wenn man dabei jemals fehlgeht; zumal es nun ausgemacht ist, daß es eine Dummheit ist, wenn man sich schon über ein Eselsgeschrei ärgert. Ich erinnere mich, daß ich, als ich noch ein Knabe war, iah schrie, wann und wie oft ich Lust hatte, ohne daß jemand mir’s wehrte, und zwar tat ich es so manierlich und natürlich, daß, wenn ich iahte, alle Esel des Dorfs iahten, und deshalb blieb ich doch immer meiner Eltern Sohn, die höchst ehrsame Leute waren; und wiewohl ich wegen dieses Talents von mehr als einem Halbdutzend der hochnäsigsten Leute in meinem Dorf beneidet wurde, gab ich nicht einen Deut darum. Und damit ihr seht, daß ich die Wahrheit sage, wartet einmal und hört zu, denn diese Kunst ist wie das Schwimmen: hat man es einmal gelernt, vergißt man es nie wieder.«

Und sofort hielt er die Hand an die Nase und begann so kräftig zu iahen, daß alle umliegenden Täler widerhallten. Aber einer von denen, die um ihn herstanden, in der Meinung, der Schildknappe treibe seinen Spott mit ihnen, erhob einen langen Stecken, den er in der Hand hatte, und gab ihm damit einen solchen Schlag, daß er den biedern Sancho Pansa, der nicht imstande war, dagegen aufzukommen, kopfüber zu Boden streckte.

Als Don Quijote seinen Sancho so übel zugerichtet sah, sprengte er mit eingelegtem Speer auf den Mann los, der den Schlag geführt, aber es waren ihrer so viele, die sich dazwischenwarfen, daß es nicht möglich war, ihn zu rächen; ja, im Gegenteil, als er sah, daß eine Wetterwolke von Steinen über ihn herregnete und tausend zielende Armbrüste und eine nicht geringere Zahl Musketen ihn bedräuten, wendete er Rosinante und jagte, so schnell dieser vermochte, aus dem Gedränge von dannen, wobei er sich Gott von ganzem Herzen anbefahl, daß er ihn aus dieser Gefahr befreien möge. Bei jedem Schritt fürchtete er, eine Kugel könnte ihm zum Rücken hinein- und zur Brust wieder herausfahren, und jeden Augenblick holte er aus tiefer Brust den Atem hervor, um zu sehen, ob er ihm nicht schon ausgehe. Aber die Leute begnügten sich damit, ihn fliehen zu sehn, ohne daß sie auf ihn schössen. Sancho setzten sie auf seinen Esel, nachdem er kaum wieder zu sich gekommen, und ließen ihn seinem Herrn nachreiten; nicht als wäre er imstande gewesen, sein Tier zu lenken, aber der Graue folgte den Spuren Rosinantes, von dem er keinen Augenblick ließ.

Als nun Don Quijote sich eine tüchtige Strecke entfernt hatte, blickte er sich um und sah Sancho kommen und erwartete ihn, da er bemerkte, daß keiner ihn verfolgte. Die Bauern verweilten dort bis zur Nacht, und weil ihre Gegner sich nicht zum Kampfe gestellt, kehrten sie fröhlich und guter Dinge in ihr Dorf zurück. Hätten sie die alte Sitte der Griechen gekannt, so hätten sie dort an Ort und Stelle ein Siegesmal aufgerichtet.

28. Kapitel


Von allerlei Dingen, die, wie Benengelí anmerkt, der Leser erfahren wird, so er sie mit Achtsamkeit lieset

Wenn der Tapfere flieht, ist des Feindes Kriegslist und Übermacht offenbar geworden, und es ist die Art fürsichtiger Männer, sich für eine bessere Angelegenheit aufzusparen. Diese Wahrheit bestätigte sich an Don Quijote, welcher, der Wut des Landvolks und den bösen Absichten jenes erregten Bauernhaufens weichend, sich aus dem Staube machte und, ohne an Sancho oder die Gefahr, in der er ihn zurückließ, zu denken, sich so weit entfernte, als ihm für seine Sicherheit hinreichend schien. Ihm folgte Sancho, quer auf seinem Esel liegend, wie schon berichtet. Als er endlich anlangte, war er wieder zu sich gekommen; er ließ sich von seinem Grauen herab und sank zu Rosinantes Füßen nieder, ganz voller Ängste, ganz zerdroschen und ganz zerprügelt. Don Quijote stieg ab, seine Wunden zu untersuchen, aber als er ihn von Kopf bis zu Füßen heil und gesund fand, sprach er mit nicht geringem Zorn zu ihm: »Zu gar unglücklicher Stunde hat Er zu iahen verstanden, Sancho! Wo hat Er denn gelesen, daß es nützlich sei, im Hause des Gehenkten vom Strick zu reden? Was für eine Begleitung paßte wohl zu Seiner Eselsmusik als die von Stockprügeln? Danke Er noch Gott dafür, daß man Ihn nur mit einem Stecken gesegnet und Ihm nicht das Zeichen des Kreuzes mit einem Säbel geschlagen hat.«

»Ich kann Euch nicht antworten«, antwortete Sancho, »denn mir ist, als spräche mein Rücken statt meiner. Steigen wir auf und entfernen wir uns von hier, ich werde künftig mein Iahen aufstecken, aber niemals aufhören zu sagen, daß die fahrenden Ritter fliehen und ihre braven Schildknappen, zu Brei und Staub zermalmt, in den Händen ihrer Feinde lassen.«

»Wer sich zurückzieht, flieht nicht«, entgegnete Don Quijote; »denn du mußt wissen, Sancho, die Tapferkeit, die nicht auf der Grundlage der Vorsicht ruht, heißt Vermessenheit, und die Heldentaten des Vermessenen werden weit mehr der Gunst des Glückes als seinem Mute zugeschrieben. Daher bekenne ich wohl, daß ich mich zurückgezogen, nicht aber, daß ich geflohen bin; und darin bin ich vielen Tapfern gefolgt, die sich für bessere Zeiten aufgespart haben, und hiervon sind die Geschichtsbücher voll, von denen ich dir aber, weil es dir nicht zum Nutzen und mir nicht zum Vergnügen gereicht, jetzo nichts berichten will.«

Inzwischen war Sancho mit Don Quijotes Beistand schon aufgestiegen; dieser schwang sich ebenfalls auf seinen Rosinante, und so ritten sie Schritt vor Schritt voran, um sich in einem Wäldchen zu bergen, das sich etwa eine Viertelmeile von dort zeigte. Von Zeit zu Zeit stieß Sancho ein klägliches Ach! und gar schmerzliche Seufzer aus, und auf Don Quijotes Frage nach der Ursache so bittern Leides antwortete er, von dem Ende des Rückgrats bis zum Genick hinauf habe er so arge Schmerzen, daß er fast von Sinnen komme.

»Die Ursache dieses Schmerzes muß gewißlich die sein«, versetzte Don Quijote, »daß der Stecken, mit dem du geschlagen wurdest, breit und lang war und dir mithin über den ganzen Rücken reichte, zu dem die Stellen alle gehören, die dir weh tun; und hätte der Stecken noch weiter gereicht, so würde dir noch mehr weh tun.«

»Bei Gott!« erwiderte Sancho, »da hat mich Euer Gnaden aus einer großen Ungewißheit gerissen und hat mich mit den hübschesten Ausdrücken darüber aufgeklärt. Ei, zum Kuckuck, war denn die Ursache meines Schmerzes so verborgen, daß man mich erst belehren mußte, es schmerze mich all das, was der Stecken getroffen hat? Wenn mir die Knöchel am Fuß weh täten, da könnte man allenfalls herumraten, weshalb sie mir weh tun; aber daß mir weh tut, was Prügel gespürt hat, das zu erraten ist keine Kunst. Wahrlich, mein werter Dienstherr, fremdes Leid hängt einem am Haar und schüttelt sich leicht ab. Jeden Tag entdecke ich aufs neue, wie wenig ich von der Kameradschaft mit Euch zu erwarten habe; denn wenn Ihr mich diesmal habt prügeln lassen, werden wir noch einmal und noch hundertmal zu dem Wippen von damals wiederkommen und zu andern Gassenbubereien, und habe ich diese diesmal auf dem Rücken verspürt, so werde ich sie künftig über die Augen kriegen. Weit besser tät ich – nur bin ich leider ein Esel und werde in meinem ganzen Leben nichts Gescheites tun! –, weit besser tät ich, sag ich nochmals, wenn ich zu meinem Hause und meiner Frau und meinen Kindern heimkehrte und täte mit dem, was mir Gott in seiner Gnade beschert, meine Frau ernähren und meine Kinder erziehen und nicht mit Euch herumziehen auf weglosen Wegen, auf Pfaden und Bahnen, wo weder Pfad noch Bahn ist, und das bei schlechtem Trunk und noch schlechterem Essen. Und dann erst das Schlafen! Zähle, mein lieber Knappe, sieben Fuß Erdboden ab, und wünschest du mehr, nimm noch einmal soviel, denn es steht bei dir, darüber frei zu verfügen, und strecke dich ganz nach deinem Belieben aus. O daß ich doch den auf dem Scheiterhaufen und zu Staub verbrannt sähe, der sich zuerst auf das fahrende Rittertum geworfen, oder wenigstens den ersten, der sich zum Schildknappen hergegeben solcher tollen Kerle, wie es die bisherigen fahrenden Ritter alle gewesen sein müssen! Von den heutigen sage ich nichts; denn weil Euer Gnaden einer von ihnen ist, so hab ich Respekt vor ihnen und insbesondere, weil ich weiß, daß Ihr in allem, was Ihr redet und denkt, dem Teufel selbst an Gescheitheit immer um einen Schritt voraus seid.«

»Ich möchte eine ordentliche Wette mit Ihm anstellen, Sancho«, erklärte Don Quijote, »daß jetzt, wo Er in einem fort schwatzt, ohne daß jemand ihm dazwischenfährt, ihm an Seinem ganzen Leibe nichts weh tut. Rede Er, mein Sohn, was Ihm nur in den Sinn und auf die Lippen kommt; denn sofern Ihn nur nichts mehr schmerzet, will ich mir dafür die Langeweile, die mir Sein ungereimtes Zeug verursacht, zum Vergnügen gereichen lassen. Und wenn Er sich so sehr nach Hause zu Weib und Kindern sehnt, so wolle Gott nicht, daß ich Ihn daran hindere; Er hat ja Geld von mir bei sich, überlege Er sich, wie lang es her ist, seit wir dies dritte Mal aus unsrem Dorf auszogen, überlege Er, wieviel Er jeden Monat verdient haben kann und muß, und mache Er sich selbst bezahlt.«

»Als ich«, erwiderte Sancho, »bei Tomé Carrasco, dem Vater des Baccalaur Sansón Carrasco, diente, den Euer Gnaden gut kennt, verdiente ich zwei Taler den Monat außer dem Essen. Was ich bei Euer Gnaden verdienen soll, weiß ich nicht, obzwar ich weiß, daß der Knappe des fahrenden Ritters sich mehr abplagen muß, als wer bei einem Bauersmann dient. Denn wirklich, wer bei Bauern arbeitet, mag noch soviel bei Tag schaffen müssen, er hat doch schlimmstenfalls zur Nacht seine Fleischsuppe zu essen und ein Bett zum Schlafen; in einem solchen aber hab ich nicht geschlafen, seit ich Euer Gnaden diene, ausgenommen die kurze Zeit, wo wir im Hause des Don Diego de Miranda verweilten; und ferner den Schmaus mit den guten Sachen, die ich aus Camachos Fleischtöpfen abschöpfte, und ferner, was ich in Basilios Haus genossen habe an Essen, Trinken und Schlafen. Die ganze übrige Zeit hab ich auf harter Erde unter freiem Himmel geschlafen, allem preisgegeben, was man die Ungunst des Wetters nennt, und habe mich von ein paar Schnitzeln Käse und Brotkrumen genährt und Wasser getrunken, bald aus den Bächen, bald aus den Quellen, wie wir sie in den unwegsamen Gegenden finden, durch die wir unsern Weg nehmen.«

»Ich gebe zu«, sagte Don Quijote, »alles, was du sagst, mag wahr sein; wieviel, meint Er, soll ich Ihm mehr geben, als Tomé Carrasco Ihm gab?«

»Meiner Meinung nach«, sprach Sancho, »da würde ich mit zwei Realen, die mir Euer Gnaden jeden Monat drauflegte, mich für gut bezahlt erachten, das heißt, soviel den Lohn angeht. Aber sofern es sich um die Abfindung handelt für Euer Wort und Versprechen, mir die Statthalterschaft einer Insul zu verleihen, da wäre es recht und billig, daß Ihr mir noch weitere sechs Realen drauflegtet, und das würde im ganzen dreißig Realen ausmachen.«

»Gut«, versetzte Don Quijote, »und nach diesem Lohne, den Er sich selber ausgeworfen hat, fünfundzwanzig Tage ist’s her, seit wir aus unsrem Dorf ausgezogen, rechne Er es nach Verhältnis aus, Sancho, und sehe Er zu, was ich Ihm schulde, und mache Er sich, wie gesagt, mit eigenen Händen bezahlt.«

»Ei, der Kuckuck«, sprach Sancho, »Euer Gnaden geht ganz fehl in Dero Rechnung, denn bei dem Versprechen der Insul muß von dem Tag an gerechnet werden, wo Euer Gnaden sie mir versprach, bis zur gegenwärtigen Stunde, darin wir leben.«

»Wie? Ist es denn so lang her, Sancho, daß ich sie Ihm versprach?« sagte Don Quijote.

»Wenn ich mich recht entsinne«, antwortete Sancho, »muß es mehr als zwanzig Jahre her sein, drei Tage mehr oder minder.«

Don Quijote schlug sich mit aller Macht vor die Stirn, brach in herzliches Lachen aus und sprach: »Bin ich doch in der Sierra Morena und im ganzen Verlauf unsrer Fahrten höchstens kaum zwei Monate umhergezogen, und du behauptest, Sancho, es sei zwanzig Jahre her, daß ich dir die Insul versprochen? Da seh ich allerdings, du willst, daß das Geld, das du von mir hast, gänzlich für deinen Lohn drauf geht; und wenn das so ist und du Lust dazu hast, so schenke ich dir gleich auf der Stelle, und wohl bekomm es dir! Denn um nur eines so schlechten Schildknappen ledig zu sein, will ich mit Vergnügen arm und ohne einen Pfennig bleiben. Aber sage mir, du Übertreter aller schildknapplichen Gesetze des fahrenden Rittertums, wo hast du gehört oder gelesen, daß jemals eines fahrenden Ritters Schildknappe sich mit seinem Herrn auf solches Feilschen eingelassen hat: soundso viel mehr müßt Ihr mir geben, damit ich Euch diene? Forsche doch, forsche doch, du Bösewicht, du elender Feigling, du Scheusal, denn wie all dieses kommst du mir vor, forsche doch die Flut ihrer Geschichten durch, und so du findest, daß jemals ein Schildknappe gesagt oder nur gedacht hat, was du jetzt sagst, so sollst du es mir auf die Stirne nageln und als Zugabe mit vier Nasenstüber ins Gesicht zeichnen. Wende deinem Grautier die Zügel oder vielmehr das Halfter und kehre heim zu deinem Hause, denn nicht einen winzigen Schritt mehr sollst du von heut an mit mir ziehen. O welch schlechter Dank für mein Brot! O übel angebrachte Versprechungen! O du, der mehr von einer Bestie als von einem Menschen an sich hat! Jetzt, wo ich dachte, dich zu Würden zu bringen, und zwar zu solchen, daß man dich, deiner Frau zum Trotz, Euer Herrlichkeit nennen müßte, jetzt willst du mich verlassen? Jetzt gehst du, wo ich des festen und der Ausführung sichern Vorsatzes lebte, dich zum Herrn der besten Insul der Welt zu machen? Aber in Wahrheit, wie du schon früher etlichemal gesagt hast, der Honig ist nicht da für des Esels Maul. Ein Esel bist du, und ein Esel wirst du bleiben, und als Esel wirst du enden, wann du einst deinen Lebenslauf abschließest; denn ich bin überzeugt, dein Leben wird eher sein letztes Ziel erreichen, ehe du merkst und einsiehst, daß du ein dummes Vieh bist.«

Während Don Quijote ihn mit solchen Scheltworten überhäufte, schaute Sancho seinen Herrn starren, unverwandten Blickes an, und es kam eine solche Zerknirschung über ihn, daß ihm Tränen in die Augen traten und er endlich mit schmerzbewegter und wehleidiger Stimme zu ihm sagte: »Herre mein, ich gesteh es zu, zum vollständigen Esel fehlt mir nur der Schwanz; will Euer Gnaden mir den ansetzen, so will ich gerne sagen, der Schwanz gehöre mir von Rechts wegen zu, und will Euch zum Esel dienen alle meine noch übrigen Lebtage. Verzeihet mir, habt Mitleid mit meiner Jugend und bedenket, daß ich gar unwissend bin und daß, wenn ich viel rede, das mehr von Schwäche als von Bosheit kommt; doch: Wer fehlt und sich Besserung vorgenommen, darf hoffen, vor Gottes Thron zu kommen.«

»Ich hätte mich gewundert, Sancho, wenn du nicht wieder ein Sprüchlein in deine Rede eingestreut hättest. Nun gut, ich verzeihe dir, mit dem Beding, daß du dich besserst und daß du von jetzt an nicht mehr so an deinen Vorteil denkst, sondern daß du dich bestrebst, dein Herz weit zu machen, und Mut und Zuversicht fassest, die Erfüllung meiner Zusagen abzuwarten; denn wenn es sich auch verzögert, so wird es darum nicht unmöglich.«

Sancho versprach, er würde demgemäß handeln, wenn er auch den Mut dazu nur aus seiner Schwäche schöpfen könnte.

Hiermit begaben sie sich in das Wäldchen, und Don Quijote lagerte sich am Fuß einer Ulme, Sancho am Fuß einer Buche; denn diese Bäume und andre ihresgleichen haben immer nur Füße und niemals Hände. Sancho verbrachte die Nacht unter Schmerzen, denn der lange Stecken machte sich bei der nächtlichen Kühle stärker bemerklich; Don Quijote verbrachte sie unter seinen üblichen beständigen Erinnerungen. Aber trotz alledem gaben beide ihre Augen dem Schlummer hin, und beim Anbrechen der Morgenröte setzten sie ihren Weg fort, um die Gestade des Ebro aufzusuchen, wobei ihnen begegnete, was im kommenden Kapitel erzählt werden soll.

26. Kapitel


Wo das anmutige Abenteuer mit dem Puppenspiel fortgesetzt wird, nebst andern in Wirklichkeit äußerst schönen Geschichten

Still war’s, und jedes Ohr hing an Äneens Munde:

ich will sagen, alle, die dem Puppenspiel zuschauten, hingen am Munde des Erklärers von dessen Wunderdingen, als man hinter der Puppenbühne hervor eine Menge Pauken und Trompeten erschallen und zahlreiche Geschütze feuern hörte. Dieser Lärm ging rasch vorüber, und sogleich erhob der Bursche seine Stimme und sprach: »Diese wahrhafte Geschichte, die hier den Herrschaften vorgeführt wird, ist buchstäblich aus den französischen Chroniken entnommen sowie aus den spanischen Romanzen, die im Munde der Männer und Jünglinge weit und breit auf den Gassen umgehen. Sie zeigt, wie der Señor Don Gaiféros seine Gattin Melisendra befreite, welche da gefangensaß in Spanien in der Gewalt der Mohren, zu Sansueña, denn so hieß damals die Stadt, die heutzutage Zaragoza heißt. Schaut her, meine Herrschaften, wie der Don Gaiféros beim Brettspiel sitzt, genauso, wie es im Liede heißt:

Beim Brettspiel sitzt der Ritter Don Gaiféros,
Und Melisendra hat er längst vergessen.

Und die Person, die hier auftritt, mit der Krone auf dem Haupt und dem Zepter in Händen, ist der Kaiser Karl der Große, der als Vater selbiger Melisendra gilt; ärgerlich ob des müßigen Treibens und der Lässigkeit seines Schwiegersohnes, kommt er, um ihn zu zanken; und schaut nur, mit welchem Ungestüm und Nachdruck er ihn schilt! so daß er gerade aussieht, als wollte er ihm mit dem Zepter ein halb Dutzend Kopfnüsse geben; ja es gibt Schriftsteller, die da sagen, er habe sie ihm gegeben, und zwar ganz tüchtig gegeben. Und nachdem er ihm vieles darüber gesagt, welche Gefahr seine Ehre laufe, wenn er nicht für die Befreiung seiner Gattin Sorge trage, sagte er zu ihm, wie erzählt wird:

Nun sagt ich genug; bedenkt es.

Schaut nun auch, meine Herrschaften, wie der Kaiser ihm den Rücken kehrt und den Don Gaiféros ganz verdrossen stehenläßt; seht, wie der, außer sich vor Zorn, das Spielbrett und die Steine weit von sich wegwirft und eilig seine Waffen begehrt und von seinem Vetter Don Roldán dessen Schwert Durindana geliehen haben will und wie Don Roldán es ihm nicht leihen will, hingegen ihm seine Begleitung bei dem schwierigen Unternehmen anbietet, das er vorhat. Er aber, der Mannhafte und Zürnende, will sie nicht annehmen; vielmehr sagt er, er allein sei schon Manns genug, seine Gemahlin dem Kerker zu entreißen, wenn sie selbst im tiefsten Mittelpunkt der Erde gefangensäße; und hiermit geht er ab, sich zu wappnen, um sich unverzüglich auf den Weg zu begeben.

Wendet nun die Augen, meine Herrschaften, zu jenem Turm, der sich dorten zeigt; es wird angenommen, daß es einer von den Türmen der Burg von Zaragoza ist, welche man heutzutage die Aljafería heißt; und jene Dame, die auf dem Söller dort in Mohrentracht erscheint, ist die unvergleichliche Melisendra, die von dort aus gar viele Male nach dem Wege gen Frankreich ausgeschaut und sich in ihrer Gefangenschaft damit getröstet hat, daß sie ihre Gedanken fleißig nach Paris und zu ihrem Gatten wandern ließ. Jetzt aber werdet ihr ein neues Ereignis sehen, das vielleicht noch nie erschaut worden. Seht ihr nicht jenen Mohren, der ganz still und sachte, Schritt für Schritt, den Finger auf dem Munde, hinter der schönen Melisendra herankommt? Nun schaut, wie er ihr einen Kuß mitten auf die Lippen gibt und wie eilig sie dann ausspuckt und sich mit ihrem weißen Hemdärmel den Mund abwischt und wie sie jammert und aus Verzweiflung sich ihre schönen Haare ausrauft, als trügen sie die Schuld an dem Frevel. Schauet ferner, wie jener andere würdige Mohr dort auf dem offenen Gange steht; es ist der König Marsilius von Sansueña, der die Frechheit jenes Mohren gesehen und deshalb, wiewohl es ein Verwandter und großer Günstling von ihm ist, sogleich befiehlt, ihn zu greifen und ihn mit zweihundert Hieben auf den Rücken durch die hierzu bräuchlichen Straßen der Stadt zu schleppen,

Mit Ausrufern voraus
Und der Büttel Piken hinterdrein.

Seht hier, wie sie den Spruch vollführen, obwohl das Verbrechen kaum vollführt worden, denn bei den Mohren gibt es keine Zustellung an die Parteien, keine Beweisaufnahme, keinen Vollstreckungsbefehl wie bei unsereinem.«

»Kind, Kind«, fiel hier Don Quijote mit lauter Stimme ein, »verfolge deine Geschichte in gerader Linie und laß dich nicht auf Quersprünge ein; denn um einen Tatbestand klarzustellen, sind zu viel Beweise und Gegenbeweise erforderlich.«

Auch Meister Pedro sprach von innen: »Junge, laß dich auf keine Weitschweifigkeiten ein, sondern tu, was hier der Herr dir befiehlt, das wird am richtigsten sein; bleibe du bei deinem einfachen Lied und laß dich nicht auf kontrapunktische Figuren ein, die gewöhnlich vor lauter Künstlichkeit in die Brüche gehen.«

»Das will ich tun«, gab der Bursche zur Antwort und fuhr folgendermaßen fort: »Diese Figur, die hier zu Pferde erscheint in einem Gaskognermantel, ist Don Gaiféros in eigner Person, den seine Gattin erwartet; nachdem die Dreistigkeit des verliebten Mohren gesühnt ist, hat sie sich mit fröhlicherem und schon beruhigterem Antlitz auf den Erker des Turmes gestellt und spricht mit ihrem Gatten, in der Meinung, es sei irgendein Wandersmann, und mit dem hält sie nun all die Besprechungen und Unterredungen aus den Romanzen, wo es heißt:

Ritter, so Ihr zieht gen Frankreich,
O so fraget nach Gaiféros.

Davon will ich aber hier nichts weiter hersagen, weil die Weitschweifigkeit meistens Überdruß erzeugt. Genug, daß ihr seht, wie Don Gaiféros sich entdeckt und wie Melisendra durch ihr freudiges Gebaren uns zeigt, daß sie ihn erkannt hat; jetzt sehen wir sogar, wie sie sich vom Söller herabläßt, um sich dem Gaul ihres wackeren Gemahls auf die Kruppe zu setzen. Aber ach! die Unglückliche! Ein Zipfel ihres Unterrocks hat sich in einer Eisenstange des Söllers verfangen, und sie hängt in der Luft, ohne zum Boden herabgelangen zu können. Aber ihr seht, wie der barmherzige Himmel in den größten Nöten Hilfe bringt; denn Don Gaiféros eilt herbei, und ohne darauf zu achten, ob das prächtige Unterröcklein zerreißt oder nicht, zieht er sie zum Boden herunter und hebt sie mit einem Schwung seinem Pferde auf die Kruppe, daß sie rittlings sitzt wie ein Mann, und er heißt sie sich festhalten und die Arme von hintenher um ihn schließen, so daß sie ihm diese auf der Brust kreuzt, um nicht zu fallen, denn die Prinzessin Melisendra war solcherlei Reitens nicht gewohnt. Ihr seht ferner, wie der Gaul wiehert und damit deutlich zeigt, daß er sich der tapferen und schönen Bürde freut, die er an seinem Herrn und seiner Herrin trägt. Ihr seht; wie sie den Rücken wenden und sich aus der Stadt entfernen und heiter und seelenvergnügt den Weg nach Paris einschlagen. Ziehe in Frieden, du edles Liebespaar, du Paar, wie ein andres nicht zu finden! Möget ihr sicher und wohlbehalten in eurem ersehnten Vaterlande anlangen, ohne daß das Schicksal jemals eurer glückhaften Fahrt ein Hindernis in den Weg lege! Mögen die Augen eurer Freunde und Anverwandten euch in stillem Frieden die Tage genießen sehen, die euch das Leben noch übrigläßt und deren so viele sein mögen als diejenigen Nestors.«

Hier erhub Meister Pedro seine Stimme abermals und rief: »Bleib in der Ebene, Junge, und versteige dich nicht zu hoch, das gezierte Wesen mißfällt immer.«

Der Dolmetsch gab keine Antwort, sondern fuhr folgendermaßen fort: »Es fehlte nicht an müßigen Augen, die alles zu sehen pflegen, es war nicht möglich, daß sie das Heruntergleiten und Aufsitzen Melisendras nicht gesehen hätten; sie gaben dem König Marsilius davon Kunde, der dann sogleich Lärm schlagen ließ; und schauet nur, wie eilig! Denn beinahe versinkt die ganze Stadt in den Boden vom Geläute der Glocken, die auf allen Türmen der Moscheen erschallen.«

»Das nicht!« fiel hier Don Quijote ein; »in betreff der Glocken begeht Meister Pedro einen ganz groben Irrtum; denn bei den Mauren gibt es keine Glocken, sondern nur Pauken und eine Art von Holzflöten, ähnlich unsern Schalmeien; und das Glockenläuten in Sansueña ist jedenfalls eine große Verkehrtheit.«

Als Meister Pedro dies vernahm, hörte er gleich mit seinem Läuten auf und sprach: »Euer Gnaden sollte nicht auf solche Kleinigkeiten sehen, Señor Don Quijote; treibt doch nicht alles so auf die Spitze, daß zuletzt keine mehr da ist. Führt man nicht hierzulande tausend Komödien auf, voll von tausend Ungehörigkeiten und Verkehrtheiten, und trotz alledem machen sie ihren Weg mit größtem Erfolg und werden nicht nur mit Beifall angehört, sondern mit Bewunderung und allem möglichen? Fahr fort, Junge, und laß reden; denn wenn ich nur meinen Geldbeutel fülle, führe ich meinetwegen mehr Verkehrtheiten auf, als es Sonnenstäubchen gibt.«

»Das ist ganz wahr«, versetzte Don Quijote.

Der Bursche aber sprach weiter: »Schauet nur, wie viele und wie glänzende Reiterei zur Verfolgung dieses edlen Liebespaares aus der Stadt zieht, wieviel Trompeten blasen, wieviel Flöten schallen und wieviel Pauken und Trommeln schlagen! Ich fürchte, man wird sie einholen und, an den Schweif ihres eignen Rosses gebunden, zurückschleppen, was ein grausiges Schauspiel sein würde.«

Als nun Don Quijote so viel Mohrenvolk sah und so viel brausenden Lärm hörte, bedünkte es ihn wohlgetan, dem fliehenden Paar Hilfe zu gewähren; er stand auf und rief mit mächtiger Stimme: »Nie würde ich gestatten, daß während meiner Lebenstage und in meiner Gegenwart einem so ruhmvollen Ritter und so kühnen Liebeshelden wie Don Gaiféros so von der Übermacht mitgespielt werde. Haltet an, gemeines Gesindel, keinen Schritt weiter, sonst seid ihr in Fehde mit mir!«

Ein Mann, ein Wort! Schon zog er das Schwert, sprang in einem Satze dicht vor das Puppentheater und begann mit raschester, beispielloser Wut auf das Mohrenpuppenvolk Hiebe niederregnen zu lassen, schlug die einen nieder, säbelte den andern den Kopf ab, hieb den einen zum Krüppel, den andern in Stücke, und unter viel andern Hieben zog er eine so gewaltige Prime, daß er, wenn Meister Pedro sich nicht gebückt, die Glieder eingezogen und sich vorsichtig geduckt, ihm den Kopf abgehackt hätte, als wäre er von Marzipan. Meister Pedro schrie: »Haltet ein, gnädiger Herr Don Quijote! Bedenket doch, was Ihr da niederwerft, in Stücke schlagt und umbringt, das sind keine wirklichen Mauren, sondern Püppchen aus Pappe; bedenket, Gott sei mir armen Sünder gnädig! All mein Hab und Gut zerstört Ihr und richtet mir’s zugrunde!«

Aber Don Quijote ließ darum nicht ab und wiederholte seine Hiebe, doppelhändige Schwertschläge, Quarten und Terzen, als ob sie geregnet kämen. In einem Wort, in kürzerer Zeit, als man zwei Kredos betet, hatte er das ganze Puppentheater zu Boden geschlagen, die ganze Maschinerie und alle Puppen kurz und klein gehauen, den König Marsilius schwer verwundet und Kaiser Karl dem Großen Krone und Kopf in zwei Stücke zerspalten. Das zuhörende Publikum geriet in Aufruhr, der Affe flüchtete über das Dach des Wirtshauses, der Vetter geriet in Angst, der Diener in Schrecken; ja Sancho selbst empfand eine ganz gewaltige Furcht; denn nachdem das Unwetter vorübergegangen, schwur er, seinen Herrn niemals in einem so wahnsinnigen Zorn gesehen zu haben.

Nachdem nun die allgemeine Zerstörung des Puppentheaters vollbracht war, beruhigte sich Don Quijote ein wenig und sprach: »Jetzt möchte ich alle jene hier vor mir haben, die nicht glauben noch sich überzeugen lassen wollen, wie großen Nutzen die fahrenden Ritter der Welt bringen. Bedenket, wenn ich mich hier nicht zugegen befände, was aus dem wackeren Don Gaiféros und der schönen Melisendra geworden wäre; ganz gewiß wäre schon die Stunde da, wo diese Hunde sie eingeholt und ihnen irgendwelche Unbill angetan hätten. Mit einem Wort, hoch lebe das fahrende Rittertum, hoch über allem, was heutzutage auf Erden lebt!«

»Möge es denn in Gottes Namen hochleben!« sprach Meister Pedro mit kläglicher Stimme, »und möge ich elendiglich sterben, da ich so im Unglück bin, daß ich mit König Rodrigo sagen kann:

Gestern war ich Herr von Spanien;
Heut hab ich nicht eine Zinne,
Die ich mein noch heißen könnte.

Es ist noch nicht eine halbe Stunde her, ja nicht einen halben Augenblick, da sah ich mich als Herrn von Königen und Kaisern, meine Ställe und Kasten und Säcke voll unzähliger Pferde und unendlichen Staates, und jetzt seh ich mich zugrunde gerichtet und niedergeschlagen, ein armer Mann und Bettler und obendrein noch ohne meinen Affen, denn wahrlich, ehe ich den wieder in meine Gewalt bringe, werde ich Blut schwitzen müssen. Und all das durch die unbedachte Wut dieses Herrn Ritters, von dem man rühmt, er beschütze die Waisen, steuere dem Unrecht und tue noch andre Liebeswerke; und bei mir allein ist sein edelmütiges Wollen in die Brüche gegangen: Lob und Preis dafür dem Himmel in seinen höchsten Regionen! Es ist einmal nicht anders, der Ritter von der traurigen Gestalt war dazu bestimmt, meine Puppen zu den traurigsten Gestalten zu verunstalten.«

Sancho Pansa gingen Meister Pedros Worte zu Herzen, und er sagte zu ihm: »Weine doch nicht, Meister Pedro, und jammere nicht so, du brichst mir das Herz; ich sage dir, mein Herr Don Quijote ist ein echter und gewissenhafter Christ, und wenn er zur Einsicht kommt, daß er dir ein Unrecht getan hat, wird er schon die rechte Weise finden und gern erbötig sein, dich zu bezahlen und zufriedenzustellen, und wird dir noch viel drauflegen.«

»Sofern der Herr Don Quijote einen Teil der Kulissen und Figuren, die er zerstört hat, mir bezahlen wollte, so wäre ich zufriedengestellt, und Seine Gnaden würde sein Gewissen beruhigen, denn keiner kann selig werden, der sich fremdes Gut gegen den Willen des Besitzers anmaßt und es nicht zurückerstattet.«

»Das ist wahr«, versetzte Don Quijote, »aber bis jetzt ist mir nicht bewußt, daß ich mir etwas von Eurem Besitz angemaßt hätte, Meister Pedro.«

»Nicht bewußt?« entgegnete Meister Pedro, »und diese Leichenreste, die hier auf diesem harten dürren Boden umherliegen, wer anders hat sie zerstreut und zerstört als die unbesiegliche Kraft dieses gewaltigen Armes? Und wem gehörten ihre Körper als mir? Und womit ernährte ich mich als mit ihnen?«

»Jetzt muß ich vollends glauben«, erwiderte hier Don Quijote, »was ich schon so oft vermutet: daß nämlich jene Zauberer, die mich verfolgen, mir beständig die Gestalten, wie sie wirklich sind, vor Augen stellen und sie mir dann gleich in alles, was ihnen einfällt, verwandeln. Wirklich und wahr, sag ich euch Herren, die ihr mich anhört, ist mir alles, was hier geschehen, so vorgekommen, als wenn es buchstäblich so geschähe und Melisendra wäre Melisendra und Don Gaiféros wäre Don Gaiféros und Marsilius wäre Marsilius und Karl der Große wäre Karl der Große. Deshalb ist mein Zorn entbrannt, und um meinen Beruf als fahrender Ritter zu erfüllen, wollte ich dem fliehenden Paar Hilfe und Beistand gewähren, und in dieser guten Absicht hab ich getan, was ihr gesehen habt. Ist es verkehrt ausgeschlagen, so ist es nicht meine Schuld, sondern die der bösen Geschöpfe, die mich verfolgen. Nichtsdestominder will ich für diesen meinen Irrtum, obschon er nicht aus Böswilligkeit entsprungen, mich selbst zu den Kosten verurteilen. Überlegt, Meister Pedro, was Ihr für die zerschlagenen Puppen haben wollt; ich erbiete mich, es Euch sofort in gutem und gangbarem spanischem Gelde zu bezahlen.«

Meister Pedro verbeugte sich vor ihm und sagte: »Nichts Geringeres erwartete ich von dem beispiellosen christlichen Sinn des mannhaften Don Quijote von der Mancha, des wahren Helfers und Beschützers aller notbedrängten und hilfsbedürftigen Landfahrer; und hier sollen der Herr Wirt und der große Sancho zwischen Euer Gnaden und mir Vermittler und Abschätzer des Wertes sein, den die nun einmal zerschlagenen Puppen haben oder haben konnten.«

Der Wirt und Sancho erklärten sich dazu bereit, und sogleich hob Meister Pedro den König Marsilius von Zaragoza, dem der Kopf fehlte, vom Boden auf und sagte: »Ihr seht, wie unmöglich es ist, diesen König wieder in seinen früheren Zustand zu versetzen, und daher bedünkt es mich, besserem Ermessen unvorgreiflich, daß mir für seinen Tod, Hintritt und Untergang vier und ein halber Real zu verabreichen sind.«

»Weiter«, sprach Don Quijote.

»Sodann für diese klaffende Wunde von oben bis unten«, fuhr Meister Pedro fort, indem er den entzweigehauenen Kaiser Karl den Großen zu Händen nahm, »wäre nicht zuviel, wenn ich fünf und ein viertel Realen verlangte.«

»Das ist nicht zuwenig«, fiel Sancho ein.

»Auch nicht zuviel«, erklärte der Wirt; »wir wollen den Posten halbieren und fünf Realen dafür auswerfen.«

»Gebt ihm die fünf und ein viertel ganz«, versetzte Don Quijote; »denn bei dem Ersatz für ein so bedeutendes Unglück kommt es nicht auf einen Viertelreal mehr oder weniger an. Meister Pedro soll aber rasch zu Ende kommen, denn es wird Essenszeit, und es kommen mir gewisse Anwandlungen von Hunger.«

»Für diese Puppe«, sprach Meister Pedro, »die keine Nase hat und der ein Auge fehlt, es ist die der schönen Melisendra, will ich, und ich halte mich dabei an den richtigen Preis, zwei Realen und zwölf Maravedis.«

»Ei, das wäre der Teufel«, fiel Don Quijote ein, »wenn die Melisendra mit ihrem Gatten nicht wenigstens schon an der französischen Grenze wäre, denn das Roß, auf dem sie ritten, schien mir eher zu fliegen als zu laufen; und sonach ist mir nicht zuzumuten, daß ich die Katze für einen Hasen kaufe und mir hier eine Melisendra ohne Nase und Augen vorweisen lasse, während die wahre soeben jetzt in Frankreich dabei ist, sorglos mit ihrem Gatten der Muße zu pflegen. Gott gesegne einem jeden das Seinige, Herr Meister Pedro! Ziehen wir unsres Weges mit ruhigem Schritte und redlicher Gesinnung! Und nun fahret fort!«

Da Meister Pedro sah, daß Don Quijote wieder linksum machte und in seine früheren Einbildungen zurückfiel, wollte er sich den guten Kunden nicht entgehen lassen und sprach daher zu ihm: »Das muß nicht Melisendra sein, sondern eins von den Fräulein, die sie bedienten, und sonach, wenn man mir sechzig Maravedis für sie gibt, bin ich zufrieden und wohlbezahlt.«

Auf diese Weise setzte er noch für viele andre zertrümmerte Puppen den Preis an, den dann die beiden Schiedsrichter ermäßigten, zur Zufriedenheit beider Teile, welche so bis zum Betrag von vierzig und dreiviertel Realen gelangten. Außer diesem Gelde, das Sancho auf der Stelle hergab, verlangte Meister Pedro zwei Realen für die Mühe, den Affen einzufangen.

»Gib sie ihm« sprach Don Quijote, »nicht um den Affen einzufangen, sondern damit Ihr einen Affen oder auch einen Spitz nach Hause bringt. Aber zweihundert gäb ich jetzo Trinkgeld, wer mir mit Gewißheit sagen könnte, ob die Señora Doña Melisendra und der Señor Don Gaiféros schon in Frankreich und bei den Ihrigen sind.«

»Keiner könnte es uns besser sagen als mein Affe«, sagte Meister Pedro; »aber kein Teufel vermöchte ihn jetzo einzufangen, wiewohl ich denke, seine Anhänglichkeit und sein Hunger werden ihn heut abend noch zwingen, mich aufzusuchen. Nun, Gott wird morgen Tag werden lassen, da werden wir schon sehn.«

So ging denn das Unwetter, das sich ob des Puppentheaters erhoben, zu Ende, und alle verzehrten ihr Abendessen in Frieden und Freundschaft und auf Kosten Don Quijotes, der über die Maßen freigebig war. Ehe noch der Morgen anbrach, zog der Mann mit den Speeren und Hellebarden von dannen; und nachdem es Tag geworden, nahmen der Vetter und der junge Diener Abschied von Don Quijote, der erste, um nach seinem Heimatort zurückzukehren, der andre, um seine Reise fortzusetzen, und zur Beihilfe für diese spendete Don Quijote ein Dutzend Realen. Meister Pedro wollte sich nicht abermals mit Don Quijote, den er nun zur Genüge kannte, in Hin- und Herreden einlassen; er stand daher früh vor der Sonne auf, nahm die Überbleibsel seines Puppentheaters und seinen Affen und ging ebenfalls auf die Suche nach seinen eignen Abenteuern.

Den Wirt, der Don Quijote nicht kannte, setzten dessen Narreteien ebensosehr in Verwunderung wie dessen Freigebigkeit. Zum Schlusse bezahlte ihn Sancho sehr reichlich, nach seines Herrn Befehl; sie nahmen Abschied von ihm, verließen etwa um acht Uhr morgens die Schenke und begaben sich auf den Weg, wo wir sie hinziehen lassen wollen, damit wir Zeit für die Erzählung andrer Dinge gewinnen, die zum Verständnis dieser fürtrefflichen Geschichte gehören.

23. Kapitel


Von den wundersamen Dingen, die der allerfürtrefflichste Don Quijote nach seinem Bericht in der tiefen Höhle des Montesinos gesehen hat, die jedoch so unmöglich und ungeheuerlich sind, daß dies für untergeschoben gehalten wird

Es mochte die vierte Stunde des Nachmittags sein, als die Sonne, hinter Wolken versteckt, mit spärlichem Licht und gemäßigtem Strahl dem Ritter es endlich ermöglichte, ohne Beschwerlichkeit und sicher vor der Tageshitze seinen beiden ausgezeichneten Zuhörern zu erzählen, was er in der Höhle des Montesinos erschaut hatte; und er begann folgendermaßen: »Ungefähr zwölf oder vierzehn Klafter in der Tiefe dieses unterirdischen Kerkerlochs befindet sich rechter Hand eine Höhlung, ein Raum von der Ausdehnung, daß ein großer Wagen mit seinen Maultieren darin Platz haben kann. Es dringt in ihn ein schwaches Licht durch Spalten oder Löcher, die bis zur Oberfläche der Erde gehn. Als ich diesen Raum, diese Höhlung erblickte, war ich es schon müde und überdrüssig, an dem Seil hangend und schwebend in diesem düstern Raum ohne eine sichere und bestimmte Richtung hinunterzugleiten, und so entschloß ich mich, in die besagte Höhlung hineinzugehen und ein wenig auszuruhen. Ich rief euch zu und bat euch, nicht mehr Seil nachzulassen, bis ich es verlangen würde, aber ihr habt mich wohl nicht gehört. Da nahm ich das Seil auf, das ihr herabließt, legte es in einen Kringel oder Kreis zusammen und setzte mich darauf, tief nachdenkend, was ich tun sollte, um auf den Grund hinunterzugelangen, da ich niemanden hatte, mich festzuhalten. Während ich in dieser Erwägung und Verlegenheit dasaß, überfiel mich plötzlich, und ohne daß ich es wollte, ein tiefer, schwerer Schlaf; und als ich mich dessen am wenigsten versah, ohne daß ich wußte, wann und wie, erwachte ich wieder und fand mich mitten auf der schönsten, lieblichsten, wonniglichsten Flur, die die Natur zu erschaffen oder die sinnreichste Einbildungskraft des Menschen sich zu erdenken vermag. Ich tat die Augen weit auf, rieb sie mir und überzeugte mich, daß ich nicht schlief, sondern wirklich wach war. Dessenungeachtet fühlte ich mir an Kopf und Brust, um mich zu vergewissern, ob ich selber es sei, der an diesem Orte weile, oder ein eitles Traumgebild. Aber das Gefühl, das Bewußtsein, der verständige Zusammenhang der Überlegungen, die ich bei mir anstellte, gaben mir die Gewißheit, daß ich dort unten derselbe war, der ich jetzt an dieser Stelle bin.

Alsbald bot sich meinen Blicken ein prächtig reicher Palast, eine gewaltige Königsburg, deren Mauern und Wände aus durchsichtig glänzendem Kristall gefügt schienen. Zwei große Torflügel taten sich auf, aus ihnen sah ich einen ehrwürdigen Greis hervortreten und auf mich zuschreiten, er trug einen langen Mantel von dunkelviolettem Flanell, der ihm auf dem Boden nachschleppte; um die Schultern und die Brust zog sich eine Stola von grünem Atlas, wie Stiftspriester sie tragen; sein Haupt bedeckte ein schwarzes Mailänder Barett, und sein schneeweißer Bart reichte ihm bis über den Gürtel hinab. Er trug keine Waffe, hingegen einen Rosenkranz mit Kügelchen, größer als eine gewöhnliche Walnuß, und jede zehnte Kugel war wie ein mittelgroßes Straußenei. Die Haltung, der Gang, die Würde und die mächtig große Gestalt, jedes für sich allein und alles zusammen, setzten mich in Staunen und Verwunderung. Er trat an mich heran, und das erste, was er tat, war, daß er mich zärtlich in die Arme schloß und sofort mich so ansprach: ›Lange Zeit ist es her, o mannhafter Ritter Don Quijote von der Mancha, seit wir, die wir in dieser Abgeschiedenheit verzaubert weilen, darauf hofften, dich zu erblicken, auf daß du der Welt Kunde brächtest von dem, was die tiefe Höhle, die du betreten hast, die Höhle des Montesinos geheißen, in sich enthält und verbirgt; ein Heldenwerk, das allein deinem unbesieglichen Herzen und allein deinem staunenswerten Mute vorbehalten war. Komm mit mir, erlauchter Mann; ich will dir die Wunder zeigen, die dieser durchsichtige Palast umschließt, dessen Vogt und Oberaufseher ich auf alle Zeiten bin; denn ich bin eben der Montesinos, von dem die Höhle ihren Namen hat.‹

Kaum sagte er mir, er sei der Montesinos, als ich ihn fragte, ob es auf Wahrheit beruhe, was man sich in der Welt dort oben erzähle, daß er nämlich seinem besten Freunde Durandarte mit einem kleinen Jagdmesser das Herz mitten aus der Brust geschnitten und es zu Fräulein Belerma gebracht habe, wie der Freund es im Augenblick seines Sterbens ihm aufgetragen.

Er antwortete mir, die Leute sagten hierüber die volle Wahrheit, nur nicht in betreff des Messers, denn es sei weder ein Messer noch gar ein kleines gewesen, sondern ein scharfer Dolch, spitziger als ein Schusterpfriem.«

»Der besagte Dolch«, fiel Sancho hier ein, »muß von Ramón de Hoces, dem Sevillaner, gewesen sein.«

»Ich weiß nicht«, meinte Don Quijote. »Aber nein, er wird nicht von diesem Waffenschmied gewesen sein; Ramón de Hoces war ja noch gestern am Leben, und das Begebnis zu Roncesvalles, wo diese Unglücksgeschichte vorfiel, hat sich vor vielen Jahren zugetragen. Aber dieser Punkt ist von keinem Belang und stört und ändert in keiner Weise den Inhalt und Zusammenhang der Geschichte.«

»Ja, so ist’s«, versetzte der Vetter; »fahret nur fort, Señor Don Quijote, ich höre Euch mit dem allergrößten Vergnügen zu.«

»Mit nicht geringerem erzähle ich«, erwiderte Don Quijote. »Und so sag ich denn, daß der ehrwürdige Montesinos mich in den kristallenen Palast führte, wo sich zu ebener Erde in einem Saal, der überaus kühl und ganz von Alabaster war, ein marmornes Grabmal befand, mit höchster Meisterschaft gearbeitet, auf welchem ich einen Ritter der ganzen Länge nach ausgestreckt erblickte, nicht aus Erz noch aus Marmor noch aus Jaspis geformt, wie sie sich sonst gewöhnlich auf Grabmälern finden, sondern von purem Fleisch und Bein. Die rechte Hand – die meines Bedünkens ziemlich behaart und nervig war, ein Zeichen der großen Körperkraft ihres Besitzers – hatte er auf die Seite des Herzens gelegt; und ehe ich nur eine Frage an Montesinos richtete, der bemerkte, wie ich voll Staunens die Gestalt auf dem Grabmal anstarrte, sprach er: ›Dies ist mein Freund Durandarte, zu seiner Zeit aller liebenden und heldenhaften Ritter Blume und Spiegel; ihn hat hier verzaubert, wie er mich und viele andre Männer und Frauen verzaubert hat, Merlin, jener französische Zauberer, der, wie man sagt, des Teufels Sohn war; ich aber glaube, daß er keineswegs der Sohn des Teufels war, jedoch so viel Wissen und Schlauheit besaß, daß er, wie man sagt, dem Teufel etwas vormachen konnte. Wie oder warum er uns verzaubert hat, keiner weiß es, aber es wird sich schon erweisen, wann die Zeit kommt, und die ist wohl nicht sehr weit. Was mich wundert, ist, daß ich so gewiß, wie es jetzo Tag ist, weiß, daß Durandarte seine Tage in meinen Armen endete und daß ich nach seinem Tode ihm sein Herz mit meinen eignen Händen ausschnitt; und wahrlich, es muß wohl zwei Pfund gewogen haben, denn nach Angabe der Naturkundigen ist, wer ein größeres Herz hat, mit größerer Tapferkeit begabt, als wer ein kleines hat. Da nun dem so ist und dieser Ritter wirklich gestorben ist, warum jammert und seufzt er jetzt dann und wann, als ob er am Leben wäre?‹

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so schrie der unglückselige Durandarte laut auf und sprach:

›Vetter Montesinos, diese
Letzte Bitte darf ich wagen:
Wenn ich nun im Tod erblichen
Und mein Herz hat ausgeschlagen,
Dann sollst du mit Messer oder
Dolch, und darfst mir’s nicht versagen,
Aus der Brust das Herz mir schneiden
Und es zu Belerma tragen.‹

Als der ehrwürdige Montesinos dies hörte, warf er sich auf die Knie vor dem schmerzenreichen Durandarte und sprach mit Tränen in den Augen: ›Allbereits, Señor Durandarte, habe ich getan, was Ihr mir an dem bittern Tag unsres Verderbens aufgetragen; so gut ich es vermochte, schnitt ich Euch das Herz aus, ohne das allergeringste Stücklein davon in der Brust zu lassen; ich säuberte es mit einem Spitzentüchlein; ich ritt damit im gestreckten Galopp nach Frankreich, nachdem ich Euch zuvor in den Schoß der Erde bestattet mit so viel Tränen, daß sie hingereicht hätten, mir damit die Hände zu reinigen und das Blut abzuwaschen, das an ihnen haftete, weil ich Euch in den Eingeweiden wühlte; und zum weiteren Wahrzeichen sag ich Euch, bester Herzensvetter, am ersten besten Ort, wo ich hinkam, streute ich etwas Salz auf Euer Herz, damit es nicht übel röche und wenn nicht frisch, so doch wenigstens eingesalzen der Jungfrau Belerma vorgelegt werde, welche jetzt mit Euch und mir und mit Guadiana, Eurem Schildknappen, und mit der Kammerdame Ruidera und ihren sieben Töchtern und zwei Nichten und viel andern aus Euern Bekannten und Freunden von dem Zauberer Merlin sämtlich allhier verzaubert worden sind. Das ist nun schon viele Jahre, und wiewohl ihrer bereits über fünfhundert sind, ist noch keiner von uns allen gestorben. Nur fehlen uns Ruidera und ihre Töchter und Nichten, denn da sie immerzu weinten, hat Merlin aus Mitleid, das er mit ihnen fühlen mochte, sie in ebenso viele Seen verwandelt, und jetzt werden sie in der Welt der Lebendigen und insbesondere in der Provinz La Mancha die Seen der Ruidera genannt. Die sieben Töchter gehören den Königen von Spanien und die zwei Nichten den Rittern eines hochheiligen Ordens, der den Namen des heiligen Johannes trägt. Da Guadiana, Euer Schildknappe, gleichfalls Euer Unglück beweinte, so ward er in einen Fluß des Namens Guadiana verwandelt. Als er aber an die Oberfläche der Erde gelangte und die Sonne an dem weiten Himmel droben erblickte, empfand er so großen Schmerz darob, Euch verlassen zu haben, daß er sich in den Busen der Erde hinabstürzte; da es indessen unmöglich ist, dem natürlichen Drang und Laufe für immer zu widerstehn, bricht er dann und wann aus den Tiefen hervor und zeigt sich der Sonne und den Menschen. Auf seinen Wegen spenden ihm die besagten Seen reichlich von ihren Gewässern, mit denen er sodann sowie mit viel andern, die sich ihm vereinen, prachtvoll und mächtig in Portugal einzieht. Aber dessenungeachtet, und wo immer er strömt, zeigt er sich traurig und düster und rühmt sich nicht, in seinen Wassern leckere und gesuchte Fische zu nähren, sondern nur gemeine und unschmackhafte, sehr verschieden von denen des goldenen Tajo. Was ich Euch jetzt sage, o mein Vetter, habe ich Euch schon oftmalen gesaget, und da Ihr mir nicht antwortet, so vermeine ich, Ihr schenkt mir keinen Glauben oder hört mich nicht, und Gott weiß, welche Pein mir das bereitet. Eine Nachricht aber will ich Euch jetzo mitteilen, welche, so sie Eurem Schmerz auch keine Erleichterung gewähren sollte, ihn wenigstens in keinerlei Weise mehren wird. Wisset, hier habet Ihr ihn vor Euch stehn – öffnet die Augen, und Ihr werdet es erschauen! –, ihn, jenen großen Ritter, von dem der zauberkundige Merlin so vieles geweissagt hat, jenen Don Quijote meine ich, der aufs neue, und mit größerem Erfolg als in den vergangenen Zeitaltern, in dem jetzigen die vergessene fahrende Ritterschaft wiedererweckt hat und durch dessen Hilfe und Beistand es geschehen könnte, daß wir sämtlich entzaubert würden, denn große Taten sind großen Männern vorbehalten.‹

›Und wenn es nicht geschähe‹, antwortete der schmerzenreiche Durandarte mit schwacher tonloser Stimme, ›wenn es nicht geschähe, o mein Vetter, so sag ich: Geduld, und neue Karten geben.‹

Und indem er sich wieder auf die Seite legte, versank er aufs neue in sein gewohntes Schweigen und sprach kein Wort weiter.

In diesem Augenblick erscholl ein großes Heulen und Wehklagen, begleitet von markerschütterndem Ächzen und angstvollem Schluchzen. Ich wendete den Kopf und sah durch die kristallenen Wände hindurch in feierlichem Zuge zwei Reihen allerschönster Jungfrauen einen andern Saal entlang hinschreiten, alle in Trauer gekleidet, mit weißen Turbanen auf den Häuptern nach türkischer Art. Zuletzt kam hinter den Jungfrauen eine vornehme Dame daher – als eine solche erkannte man sie an ihrer ernsten Würde –, ebenfalls schwarz gekleidet, mit weißen Kopfbinden, so lang und tief herabhangend, daß sie den Boden küßten. Ihr Turban war zweimal so groß als der größte auf dem Haupte jedes andern Fräuleins; sie hatte zusammengewachsene Augenbrauen, die Nase war etwas stumpf, der Mund groß, aber die Lippen rot; wenn sie zuweilen ihre Zähne sehen ließ, bemerkte man, daß sie auseinanderstanden und nicht schön angewachsen waren, hingegen weiß glänzten wie geschälte Mandeln. In den Händen trug sie ein feines Linnentuch und darin, soviel man erspähen konnte, ein Herz, das aus einer Mumie genommen schien, so dürr und ausgetrocknet war es.

Montesinos sagte mir, all die Leute in dem Zuge seien Durandartes und Belermas Dienerschaft, die dort mitsamt ihrer Herrschaft verzaubert sei, und die letzte, die das Tuch mit dem Herzen in ihren Händen trage, sei Fräulein Belerma, die mit ihren Zofen viermal in der Woche diesen feierlichen Umzug abhalte, wobei sie über Durandartes Leiche und schmerzenreiches Herz Klagelieder sängen oder vielmehr weinten. Wenn sie mir aber einigermaßen häßlich vorgekommen sei oder doch nicht so schön, wie ihr Ruf sie schildere, so liege die Schuld an den traurigen Nächten und noch traurigeren Tagen, die sie in dieser Verzauberung verbringe, wie er dies an den breiten Ringen unter ihren Augen und an ihrer kränklichen Gesichtsfarbe sehen könne; denn ihre Blässe und ihre Augenringe hätten ihre Ursache nicht etwa in dem monatlichen Unwohlsein, das bei Frauen regelmäßig vorkomme – sintemal es schon viele Monde, ja selbst Jahre her sei, daß sie darunter nicht mehr zu leiden habe –, sondern in der Qual, die ihr Herz empfinde ob des Herzens, das sie unausgesetzt in ihren Händen halte und das ihr die traurigen Schicksale ihres vom Glück arg mißhandelten Anbeters stets erneue und ins Gedächtnis zurückrufe. Wenn das nicht wäre, so würde ihr an Schönheit, Lieblichkeit und Anmut kaum die hohe Dulcinea von Toboso gleichkommen, die in dieser ganzen Umgegend, ja in der ganzen Welt so gefeiert sei.

›Haltet ein! Señor Don Montesinos!‹ fiel ich ihm hier ins Wort; ›erzählt Eure Geschichte, wie sich’s gebührt; denn Euer Gnaden weiß wohl, jeder Vergleich hinkt und ist widerwärtig, und daher soll man niemanden mit einem andern vergleichen. Die unvergleichliche Dulcinea ist, was sie ist, und das Fräulein Doña Belerma ist, was sie ist und gewesen ist, und dabei wollen wir es bewenden lassen.‹

Darauf antwortete er mir: ›Vergebt mir, Señor Don Quijote; ich gestehe, ich habe mich verfehlt und mich unschicklich ausgedrückt, als ich sagte, das Fräulein Dulcinea würde kaum dem Fräulein Belerma gleichkommen, sintemalen schon der Umstand, daß ich, ich weiß nicht durch welche Ahnungen, innegeworden, daß Euer Gnaden ihr Ritter ist, mir genügen sollte, um mir lieber die Zunge abzubeißen, als sie mit irgendwem, außer mit dem Himmel selbst, zu vergleichen.‹

Bei dieser Ehrenerklärung, die mir der erhabene Montesinos gab, erholte sich mein Gemüt von dem jähen Aufruhr, in den es geraten, als ich hörte, daß man meine Gebieterin mit Belerma verglich.«

»Und doch wundre ich mich«, sprach Sancho, »daß Euer Gnaden nicht über den alten Lümmel herfiel und ihm mit Fußtritten alle Knochen im Leibe zusammentrat und ihm den Bart bis aufs letzte Haar ausraufte.«

»Nein, Freund Sancho«, erwiderte Don Quijote, »es stand mir nicht wohl an, solches zu tun, denn wir sind alle verpflichtet, Greise zu ehren, auch wenn sie keine Ritter sind, insbesondere aber diejenigen, die es sind und sich im Zustande der Verzauberung befinden. Auch ist mir bewußt, daß wir bei gar viel andern Fragen und Antworten, deren wir unter uns beiden pflogen, einander nichts schuldig geblieben sind.«

Hier fiel der Vetter ein: »Ich weiß nicht, Señor Don Quijote, wie Euer Gnaden in so kurzer Zeit, als Ihr dort unten wart, so vieles sehen und so vieles reden und antworten konnte.«

»Wie lang ist es her, seit ich hinunterstieg?« fragte Don Quijote.

»Wenig mehr als eine Stunde«, antwortete Sancho.

»Das ist nicht möglich«, versetzte Don Quijote; »denn dort ward es mir Abend und dann Morgen und wurde wieder Abend und wieder Morgen, dreimal hintereinander, so daß ich nach meiner Berechnung drei Tage an jenen entfernten und unserm Auge verborgenen Orten geweilt habe.«

»Was mein Herr sagt, ist jedenfalls wahr«, sprach Sancho; »denn da alles, was sich mit ihm zugetragen, immer mittels Zauberei geschehen ist, so mag vielleicht, was uns eine Stunde deucht, dort als drei Tage nebst zugehörigen Nächten erscheinen.«

»So wird es wohl sein«, entgegnete Don Quijote.

»Und hat Euer Gnaden während dieser ganzen Zeit nichts gegessen?« fragte Sancho.

»Nicht mit einem Bissen habe ich mein Fasten gebrochen«, antwortete Don Quijote, »und ich habe auch nicht den geringsten Hunger gespürt.«

»Aber essen denn die Verzauberten?« fragte der Vetter.

»Sie essen nichts«, antwortete Don Quijote, »haben auch keine größeren Entleerungen; jedoch nimmt man allgemein an, daß ihnen Nägel, Bart und Haare wachsen.«

»Und schlafen etwa die Verzauberten, Señor?« fragte Sancho.

»Gewiß nicht«, antwortete Don Quijote, »wenigstens hat während der drei Tage, wo ich bei ihnen weilte, keiner ein Auge zugetan, und ich ebensowenig.«

»Hier«, sagte Sancho, »paßt das Sprichwort gut: Sag mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. Euer Gnaden gehen mit verzauberten Leuten um, die da immer fasten und wach bleiben; nun bedenkt, ob es zu verwundern ist, daß Ihr nicht esset und nicht schlaft, solang Ihr mit ihnen umgeht. Aber verzeiht mir, Herre mein, wenn ich Euch sage, von allem, was Ihr eben erzählt habt, Gott soll mich holen« – er wollte eigentlich sagen: der Teufel –, »wenn ich Euch das geringste davon glaube.«

»Wieso nicht?« sagte der Vetter; »sollte Señor Don Quijote lügen? Und wenn er es auch wollte, so hat er doch gar keine Zeit gehabt, eine solche Million Lügen auszudenken und zu erdichten.«

»Ich wahrlich glaube nicht, daß mein Herr lügt«, sagte Sancho.

»Wenn nicht, was glaubst du denn?« fragte ihn Don Quijote.

»Ich glaube«; antwortete Sancho, »jener Merlin oder jene Zauberer, die die ganze Rotte verzaubert haben, die Ihr dort unten gesehen und gesprochen haben wollt, die haben Euch die ganze Geschichte und alles, was Ihr noch weiter zu erzählen habt, in die Pfann-da-sieh oder in den Kopf gesetzt.«

»Das alles wäre möglich, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »aber es verhält sich nicht so, denn was ich erzählt, das sah ich mit meinen eignen Augen, das könnt ich mit Händen greifen. Aber was wirst du dazu sagen, wenn ich dir jetzt dies mitteile: Unter zahllosen andern Seltsamkeiten und Wundern, die mich Montesinos sehen ließ – ich werde sie dir seiner Zeit mit Muße, eins nach dem andern, im Verlauf unsrer Reise erzählen, da sie nicht alle hierhergehören –, zeigte er mir auch drei Bäuerinnen, die auf jenen allerlieb liebsten Gefilden umhersprangen und –hüpften wie die Ziegen; und kaum hatte ich sie erblickt, so erkannte ich in der einen die unvergleichliche Dulcinea von Toboso und in den zwei andern jene nämlichen Bauernmädchen, ihre Begleiterinnen, mit denen wir vor der Stadt Toboso Zwiesprach hielten. Ich fragte Montesinos, ob er sie kenne; er antwortete mit Nein; er glaube, es müßten irgendwelche verzauberte vornehme Damen sein, die erst vor wenigen Tagen auf diesen grünen Fluren aufgetaucht seien, und ich solle mich darüber nicht wundern, denn es befänden sich dort noch viele andre Damen aus vergangener und gegenwärtiger Zeit, sämtlich in mancherlei Gestalten verhext, und unter diesen habe er die Königin Ginevra erkannt und ihre Kammerfrau Quintanona, die Lanzelot den Wein kredenzte,

Als er aus Britannien kam.«

Als Sancho Pansa seinen Herrn so reden hörte, meinte er schier den Verstand zu verlieren oder sich totzulachen; denn da er wußte, was Wahres an der vorgeblichen Verzauberung Dulcineas war, bei der er der Zauberer und Zeuge gewesen, war es ihm nun völlig außer Zweifel, sein Herr sei nicht bei Sinnen, ja ganz und gar verrückt, und daher sagte er zu ihm: »Unselig war der Anlaß, unseliger noch die Stunde, ja ein Tag des Unheils war es, wo Ihr, mein teurer Schirmherr, zu jener andern Welt hinabgestiegen, und unglücklich war der Augenblick, wo Ihr dem Señor Montesinos begegnet seid, der Euch in solchem Zustand zu uns zurückgesendet. Ihr befandet Euch so wohl hier oben, wart bei vollem Verstande, wie Gott ihn Euch verliehen hatte; jeden Augenblick redetet Ihr weise Sprüche und erteiltet guten Rat und erzähltet nicht wie jetzt die ärgsten Ungereimtheiten, die man sich erdenken kann.«

»Sintemal ich dich kenne, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »berühren mich deine Worte nicht.«

»Mich ebensowenig Euer Gnaden Worte«, gab Sancho zurück, »mögt Ihr mich nun wundschlagen oder gar umbringen für das, was ich gesagt habe und was ich noch sagen werde, wenn Ihr Euch in Eurem Reden nicht ändert und nicht bessert. Aber jetzt, wo wir noch gut miteinander sind, sagt mir doch: wie oder woran habt Ihr unser gnädig Fräulein erkannt? Und falls Ihr mit ihr gesprochen, was habt Ihr ihr gesagt, und was hat sie Euch geantwortet?«

»Ich habe sie daran erkannt«, antwortete Don Quijote, »daß sie die nämlichen Kleider trug wie damals, wo du sie mir zeigtest. Ich redete sie an, aber sie antwortete mir nicht eine Silbe, sondern wandte mir den Rücken und floh mit solcher Geschwindigkeit davon, daß kein Pfeil sie erreicht hätte. Ich wollte ihr nacheilen und hätte es auch getan, wenn mir nicht Montesinos geraten hätte, ich solle mir damit keine Mühe machen, weil es vergebens sein würde, und insbesondere weil die Stunde herannahe, wo mir gezieme, den Abgrund wieder zu verlassen. Imgleichen sagte er mir, mit der Zeit würde er mir Nachricht geben, auf welche Art er und Belerma und Durandarte nebst allen, so dort weilen, zu entzaubern seien. Aber unter allem Jammer, den ich dort erschaute und mir merkte, jammerte mich’s am meisten, daß gerade, während Montesinos so mit mir sprach, eine der beiden Gefährtinnen der glückverlassenen Dulcinea sich mir von der Seite her näherte, ohne daß ich sie kommen sah, und, die Augen voll Tränen, mit leisem, scheuem Ton zu mir sprach: ›Mein Fräulein Dulcinea von Toboso küßt Euer Gnaden die Hände und fleht zu Euer Gnaden, ihr die Gnade zu erweisen und sie wissen zu lassen, wie Ihr Euch befindet, und ferner, sintemal sie sich eben in einer großen Not befindet, fleht sie zu Euer Gnaden so inständig, als sie vermag, Ihr möchtet geruhen, ihr auf diesen neuen baumwollenen Unterrock hier ein halb Dutzend Realen, oder so viele deren Euer Gnaden bei sich haben, zu leihen, und sie gibt ihr Wort darauf, selbige Euch in aller Kürze zurückzuerstatten.‹

In Staunen und Verwunderung setzte mich diese Botschaft; ich wandte mich zu Señor Montesinos und fragte ihn: ›Ist’s möglich, Señor Montesinos, daß Verzauberte von vornehmem Stande Not leiden?‹

Darauf antwortete er mir: ›Glaubet mir, Señor Don Quijote von der Mancha, was man Not benennet, ist an jedem Ort zu Hause, erstreckt sich auf alle Lande und ergreift alle Menschen und verschont selbst nicht die Verzauberten. Und sintemalen das Fräulein Dulcinea von Toboso um die sechs Realen bitten läßt und das Pfand dem Anscheine nach gut ist, so könnt Ihr nicht umhin, sie ihr zu verabreichen, denn sie muß ohne Zweifel in große Bedrängnis geraten sein.‹

›Ein Pfand kann ich nicht nehmen‹, erwiderte ich ihm, ›aber ebensowenig ihr geben, was sie erbittet; denn ich besitze nur vier Realen.‹

Diese gab ich ihr; es waren dieselben, die du, Sancho, mir jüngst behändigt hattest, um den Armen, die mir begegnen könnten, Almosen zu spenden. Und ich sprach zu ihr: ›Saget, Freundin mein, Eurer Gebieterin, daß ihre Drangsale mir in der Seele weh tun und daß ich ein Fugger sein möchte, um ihnen abzuhelfen; ferner laß ich ihr sagen, daß ich mich nicht Wohlbefinden kann und darf, wenn ich ihrer liebreizenden Gegenwart und hochverständigen Unterhaltung entbehre, und daß ich, so inständig ich es vermag, zu ihr flehe, Ihro Gnaden möchte geruhen, diesem ihrem in Liebe gefesselten Diener und in der Irre wandernden Ritter ihren Anblick und ihre Ansprache zu vergönnen. Saget ihr des ferneren, sie werde, ehe sie sich dessen versieht, vernehmen, daß ich einen Eid und ein Gelöbnis getan, nach Art dessen, so der Markgraf von Mantua geschworen, um seinen Neffen Baldovinos zu rächen, als er ihn inmitten des Gebirges sterbend fand – nämlich daß er an keinem gedeckten Tisch mehr essen wolle, benebst diesem und jenem, was er noch beifügte, bis daß er ihn würde gerächt haben. Und so will ich einen Eid tun, nicht zu ruhen und zu rasten und alle sieben Erdstriche zu durchziehen, mit noch größerer Sorgfalt und Achtsamkeit als der Prinz Dom Pedro von Portugal, bis ich sie entzaubert habe.‹

›Alles das und noch mehr ist Euer Gnaden meiner Herrin schuldig‹, antwortete mir das Fräulein.

Sie nahm die vier Realen, und anstatt mir eine Verbeugung zu machen, machte sie einen Bocksprung, zwei Ellen hoch in die Luft.«

»O heiliger Gott!« rief hier Sancho laut aufschreiend; »ist’s möglich, daß so was in der Welt vorkommt und daß in der Welt die Zauberer und Zaubereien solche Macht haben, daß sie den gesunden Verstand meines Herrn in so unsinnige Verrücktheit verwandeln? O Señor, Señor, um Gottes willen, habt acht auf Euch selber und haltet Eure Ehre in guter Hut und glaubt doch nicht länger an das hohle Zeug, das Euch den Kopf geschädigt und zugrunde gerichtet hat!«

»Du sprichst so, weil du mich liebst, Sancho«, sagte Don Quijote. »Und da du in den Dingen dieser Welt keine Erfahrung hast, scheint dir alles unmöglich, was nur mit einiger Schwierigkeit zu begreifen ist. Aber mit der Zeit, das hab ich dir bereits gesagt, will ich dir von dem vielen, was ich dort unten gesehen, einiges von solcher Art erzählen, daß du sofort alles bereits Erzählte glauben wirst, da dessen Wahrheit weder Einwand noch Widerspruch gestattet.«