7. Kapitel


Von der Zwiesprach zwischen Don Quijote und seinem Schildknappen, nebst andern hochwichtigen Begebenheiten

Kaum bemerkte die Haushälterin, daß Sancho Pansa sich mit ihrem Herrn einschloß, so wurde es ihr auch klar, was sie miteinander zu verhandeln hatten; sie ahnte, es werde aus dieser Beratung der Entschluß zu einer dritten Ausfahrt hervorgehen, nahm bekümmert und verdrossen ihren Schleier und suchte den Baccalaureus Sansón Carrasco auf, da es sie bedünkte, weil er ein gutes Mundwerk hatte und ein nagelneuer Freund ihres Herrn war, so würde er ihn bereden können, von einem so törichten Vorhaben abzulassen. Sie traf ihn an, wie er eben im Innenhof seines Hauses umherspazierte, und sobald sie ihn erblickte, fiel sie ihm zu Füßen, in Angstschweiß und Bekümmernis. Als Carrasco sie mit solchen Zeichen des Schmerzes, ja des Entsetzens kommen sah, fragte er: »Was soll das heißen, Jungfer Haushälterin? Was ist Euch zugestoßen, daß Ihr ausseht, als wollte sich Euch das Herz aus dem Leibe losreißen?«

»Es ist nichts, mein lieber Herr Sansón, als daß mein Herr abfahren will, ja gewiß, er will abfahren.«

»Und wo will er abfahren, Jungfer?« fragte Sansón dagegen, »und warum soll er abfahren? Hat er sich vielleicht was am Leibe gebrochen?«

»Er fährt ja nicht so ab, wie Ihr’s meint«, antwortete sie, »nur zur Pforte seiner Verrücktheit fährt er hinaus; ich meine, herzlieber Herr Baccalaureus, er will noch einmal ab- und ausfahren, das wird alsdann das drittemal sein, und er will was suchen gehen, was er teuer heißt, und ich weiß nicht, wie es ihm so teuer sein kann. Das erstemal, wo er uns zurückgebracht wurde, da lag er quer über einem Esel und war halbtot geprügelt; das zweitemal fuhr er auf einem Ochsenkarren daher, eingesperrt in einen Käfig, in den er sich für hineingezaubert hielt, und da kam der Arme in solchem Zustand heim, daß ihn die leibliche Mutter nicht erkannt hätte, abgemagert, blaßgelb, die Augen waren bis in die hintersten Kämmerchen seines Hirnkastens eingesunken; und um ihn wieder ein klein wenig zu sich zu bringen, hab ich über sechshundert Eier verbraucht, das wissen Gott und die ganze Welt und meine Hennen, die werden mich nicht Lügen strafen.«

»Das will ich schon glauben«, versetzte der Baccalaureus, »daß sie so redlich, so fett und so gut gezogen sind, daß sie sicher nie falsch Zeugnis ablegen würden, und wenn sie darüber bersten sollten. Aber wirklich, Jungfer Haushälterin, geht nichts weiter vor? Und ist sonst keine Verkehrtheit geschehen als diejenige, die, wie Ihr fürchtet, unser Señor Don Quijote begehen will?«

»Nein, Señor«, antwortete sie.

»Dann seid nur ohne Sorgen«, entgegnete der Baccalaureus, »und geht in Gottes Namen nach Hause, und haltet mir etwas Warmes zum Frühstück bereit, und unterwegs betet mir das Gebet der heiligen Apollonia, wenn Ihr es auswendig wißt; ich komme gleich hin, und da werdet Ihr Wunder sehen.«

»Daß Gott erbarm!« erwiderte die Haushälterin; »das Gebet der heiligen Apollonia heißt Ihr mich beten? Solche Gebete wären ganz gut, wenn mein Herr es in den Zähnen hätte; er hat es aber im Oberstübchen.«

»Ich weiß, was ich sage, Jungfer Haushälterin; geht nur und fangt mit mir keinen Disput an; denn Ihr wißt, in Salamanca bin ich Doktor worden, und höher hinaus doktert sich’s nicht.«

So sprach Carrasco, und damit ging die Haushälterin von dannen, und der Baccalaureus suchte alsbald den Pfarrer auf, um mit ihm etwas zu besprechen. Was, wird seiner Zeit berichtet werden.

Während der Zeit aber, wo Don Quijote und Sancho Pansa miteinander eingeschlossen waren, fand folgende Zwiesprache statt, welche die Geschichte mit großer Genauigkeit und getreuem Berichte wiedergibt. Es sprach nämlich Sancho zu seinem Herrn: »Señor, ich habe bereits meine Frau dazu verwattiert, daß sie mich mit Euer Gnaden hinziehen läßt, wohin es Euch beliebt.«

»›Persuadiert‹ mußt du sagen, Sancho, nicht verwattiert«, bemerkte Don Quijote.

»Schon ein- oder zweimal«, entgegnete Sancho, »wenn ich mich recht entsinne, hab ich Euer Gnaden gebeten, Ihr möchtet mir meine Ausdrücke nicht verbessern, sobald Ihr nur versteht, was ich damit sagen will; und wenn Ihr sie nicht versteht, so sagt lieber: Sancho oder du Teufelsbraten, ich versteh dich nicht; und wenn ich mich alsdann nicht deutlich mache, nachher könnt Ihr mich verbessern, denn ich lasse mich immer gern verkehren.«

»Ich verstehe dich nicht, Sancho«, fiel Don Quijote rasch ein; »denn ich weiß nicht, was das heißt: ich lasse mich gern verkehren.«

»Das heißt«, erwiderte Sancho, »ich lasse mich einmal so gehen.«

»Jetzt verstehe ich dich noch weniger«, versetzte Don Quijote.

»Nun, wenn Ihr mich nicht verstehn könnt«, sprach Sancho dagegen, »dann weiß ich nicht, wie ich es sagen soll; ich weiß nichts weiter, Gott helfe mir. Amen.«

»Jetzt, jetzt komme ich darauf«, entgegnete Don Quijote; »du willst sagen, du läßt dich gern bekehren, bist so fügsam und manierlich, daß du gern annimmst, was ich dir sage, und alles gelten lassest, was ich dich lehre.«

»Ich will wetten«, sagte Sancho, »Ihr habt mich gleich von Hause aus durchschaut und verstanden, habt mir aber erst den Kopf durcheinanderbringen wollen, damit Ihr noch ein paar hundert Dummheiten von mir hört.«

»Kann wohl sein«, entgegnete Don Quijote; »aber im Ernst, was sagt Teresa?«

»Teresa sagt«, antwortete Sancho, »bei Euer Gnaden soll ich den Daumen fest einsetzen und die Augen hübsch offenhalten, und schwarz und weiß sollen den Vortritt haben, und Maulspitzen sollen daheim bleiben; wer die Karten abhebt, der hat sie nicht zu mischen; denn ein Hab ich ist besser als zwei Hätt ich; und ich sage: Weiber Rat ist wenig wert, und ein Narr, wer sich nicht dran kehrt.«

»Das sag ich auch«, entgegnete Don Quijote. »Spreche Er nur zu, lieber Sancho, geh Er weiter; Er redet heute ganz herrlich.«

»Die Sache ist nun die«, versetzte Sancho, »daß wir, wie Euer Gnaden am besten weiß, alle sterblich sind; heute rot, morgen tot; und läuft der Hammel, so schnell er kann, ’s Lamm kommt doch zugleich mit ihm an; und hoffe keiner mehr Stunden zu leben, als ihm Gott im Himmel will geben. Denn: Der Tod hat taube Ohren; pocht er an unsres Lebens Toren, hat er’s eilig, jedes Wort ist verloren; und da hält kein Bitten auf und keine Gewalt und kein Zepter und kein Krummstab; so heißt es allüberall unter dem Volk, und so predigt man uns von der Kanzel.«

»Alles das ist wahr«, sprach Don Quijote; »aber ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«

»Ich will darauf hinaus«, antwortete Sancho, »daß Euer Gnaden mir einen festen Dienstlohn bestimmen sollen, nämlich was Ihr mir jeden Monat zu geben habt, solang ich Euch diene, und daß besagter Lohn mir aus Eurem Vermögen ausgezahlt werden soll; denn ich mag nicht auf Gnadengeschenke hin dienen, die da spät oder nicht zur rechten Zeit oder niemals kommen. Was mein ist, das gesegne mir Gott. Kurz, ich will wissen, wieviel ich verdiene, mag es wenig oder viel sein. Denn: Hat die Henn im Nest ein Ei, legt sie bald noch mehr dabei; viele Körnchen geben einen Haufen, und solang etwas zunimmt, nimmt es nicht ab. Freilich, wenn es geschähe – woran ich nicht glaube und was ich nicht hoffe –, daß Euer Gnaden mir die Insul gäbe, die Ihr mir versprochen habt, so bin ich nicht so undankbar und nehm es auch nicht so genau, daß ich nicht ganz bereitwillig abschätzen ließe, wie hoch sich das jährliche Einkommen dieser Insul beläuft, und mir es von meinem Lohn nach Verhältnis in Ratten abziehen ließe.«

»Mein guter Sancho«, bemerkte hier Don Quijote, »zuweilen kommt es wohl vor, daß die Raten von Ratten aufgezehrt werden.«

»Ich versteh schon«, entgegnete Sancho, »ich wette, ich hätte Raten sagen sollen und nicht Ratten; aber es tut nichts, denn Euer Gnaden hat mich ja verstanden,«

»Und so gut verstanden«, versetzte Don Quijote, »daß ich bis zum äußersten Ende deiner Gedanken durchgedrungen bin und das Ziel kenne, nach welchem du mit den unzähligen Pfeilen deiner Sprichwörter schießest. Sieh, Sancho, gewiß würde ich dir einen Lohn bestimmt haben, hätte ich in irgendeiner von den Geschichten der fahrenden Ritter ein Beispiel gefunden, das mich durch ein kleinstes Ritzchen nur hätte sehen lassen und belehrt hätte, wieviel die Knappen denn eigentlich auf jeglichen Mond oder jegliches Jahr zu verdienen pflegten. Aber ich habe ihre Geschichten sämtlich oder doch die meisten gelesen und erinnere mich nicht, gelesen zu haben, daß jemals ein fahrender Ritter seinem Schildknappen einen bestimmten Lohn ausgesetzt hätte; ich weiß nur, daß sie alle auf ihres Herrn Belieben und Gnade dienten; und nachher, wann sie am wenigsten dran dachten, sobald ihrem Herrn ein glückliches Los geworden, sahen sie sich unvermutet mit einer Insul belohnt oder mit etwas andrem von gleichem Werte, und mindestenfalls trugen sie einen Adelstitel mit herrschaftlicher Besitzung davon. Wenn es mit solchen Hoffnungen, und was dazukommen mag, dir genehm ist, Sancho, aufs neue in meinen Dienst zu treten, so möge es in Gottes Namen geschehen. Wenn du aber glaubst, daß ich den alten Brauch der fahrenden Ritter aus seinen festen Regeln und aus den Angeln reißen werde, so bist du völlig verblendet. Demnach, mein guter Sancho, geh wieder heim und tu deinem Weibe meine Absichten kund; und wenn es ihr und dir genehm ist, auf mein Belieben und meine Gnade hin mir zu folgen, bene quidem, und wo nicht, bleiben wir gut Freund wie zuvor; denn wenn es im Taubenschlag nicht an Futter fehlt, wird’s auch nicht an Tauben fehlen. Dazu merke Er sich, mein Sohn: eine gute Anwartschaft ist besser denn ein verderblicher Besitz und eine gute Forderung besser denn eine schlechte Zahlung. Ich rede auf solche Art, Sancho, um Ihm zu zeigen, daß auch ich mit Sprichwörtern um mich werfen kann, als wenn sie geregnet kämen. Und kurz, ich will sagen und ich sag Ihm, wenn Er nicht auf Belieben und Gnade mit mir ziehen und mein eigen Los mit mir teilen will, so behüt Ihn Gott und gebe, daß man Ihn heiligspreche; mir aber wird es nicht an Schildknappen gebrechen, die gehorsamer und dienstbeflissener als Er und nicht so voller Bedenklichkeiten und so schwatzhaft sind.«

Als Sancho den festen Entschluß seines Herrn vernahm, umwölkte sich ihm der Himmel, und seines Herzens Mut ließ die Flügel hängen; denn er hatte gedacht, nicht um alle Schätze der Welt würde sein Herr ohne ihn ziehen. Und während er so unschlüssig und nachdenklich dastand, kam Sansón Carrasco und mit ihm die Haushälterin und die Nichte, die begierig waren zu hören, wie er ihren Herrn bereden werde, nicht abermals auf die Suche nach Abenteuern zu gehen.

Sansón trat ein, der durchtriebene Schelm, umarmte ihn wie das vorige Mal und sprach zu ihm mit erhobener Stimme: »O du Blume der fahrenden Ritterschaft! O du strahlendes Licht des Waffenwerks! Ehre und Spiegel der spanischen Nation! Wolle Gott der Allmächtige da, wo es ausführlicher geschrieben steht, daß derjenige oder diejenigen, die Störung und Hindernis schaffen wollen deiner dritten Ausfahrt, nimmermehr einen Ausweg finden mögen aus dem Labyrinth ihrer Strebungen und daß nimmermehr ihnen zur Erfüllung komme, was sie böslich erstreben.«

Und sich zur Haushälterin wendend, fuhr er fort: »Itzo braucht die Jungfer Haushälterin nicht mehr das Gebet der heiligen Apollonia herzusagen, denn ich weiß nun, daß es unwandelbare Bestimmung der Sphären ist, Señor Don Quijote soll abermals an die Ausführung seiner erhabenen und noch nie dagewesenen Pläne gehen, und ich würde mein Gewissen schwer belasten, wenn ich diesen Ritter hier nicht drängen und bereden wollte, die Kraft seines tapfern Arms und die Tüchtigkeit seines gewaltigen Geistes nicht länger mehr im Verborgenen zu lassen und zurückzuhalten; denn durch sein Zögern versäumt er, das Unrechte zurechtzubringen, den Waisen aufzuhelfen, einzustehen für die Ehre der Jungfrauen, für den Schutz der Witwen, die Beschirmung der Frauen und andres derselben Art, was alles den Orden der fahrenden Ritterschaft angeht, berührt, davon abhängt und damit verbunden ist. Auf, Don Quijote, Herre mein, schöner und schlachtenkühner Mann! Lieber heut als morgen soll sich Euer Gnaden, Euer Hoheit auf den Weg machen, und wenn es an etwas gebrechen sollte, um alles ins Werk zu setzen, hier steh ich, um mit meiner Person und Habe das Fehlende zu ergänzen; und wenn es not täte, Euer Herrlichkeit als Schildknappe zu dienen, so würde ich es mir zum höchsten Glücke rechnen.«

Hier wendete sich Don Quijote zu Sancho und sprach: »Hab ich dir’s nicht gesagt, Sancho, ich würde Schildknappen mehr bekommen, als ich brauchen kann? Schau, wer sich mir hier dazu anbietet, wer anders als ein Baccalaureus, wie er noch nicht dagewesen, Sansón Carrasco, der Stolz und die Freude der Hallen von Salamancas Schulen, gesund von Körper, gewandt von Gliedern, schweigsam, geduldig ausharrend in Hitz und Kälte, so in Hunger wie in Durst, mit all jenen Eigenschaften, die für den Schildknappen eines fahrenden Ritters erforderlich sind. Aber niemalen geb es der Himmel zu, daß ich, um einem Gelüste zu frönen, die Säule der Gelehrsamkeit und das Gefäß des Wissens zerhaue und zerbreche und die ragende Palme der schönen und freien Künste entwipfle. Er, der neue Simson, bleibe in seiner Heimat, bringe ihr Ehre und Ehre zugleich den weißen Haaren seiner greisen Eltern; ich aber werde mir mit jeglichem Schildknappen genügen lassen, sintemal Sancho nicht geruht, mit mir zu ziehen.«

»Jawohl geruh ich«, entgegnete Sancho, ganz zerknirscht und die Augen voller Tränen. Und er fuhr fort: »Von mir soll man nicht sagen, Herre mein: Wenn aus ist der Schmaus, die Gast gehn nach Haus. Ich komme aus keiner undankbaren Sippe; die ganze Welt und insbesondere mein heimatlich Dorf weiß, wer die Pansas gewesen sind, von denen ich abstamme. Zudem hab ich aus Euren vielen guten Werken und aus Euern noch bessern Worten erkannt und ersehen, daß Euer Gnaden den Wunsch hegt, mir Gunst und Gnade zu erweisen; und wenn ich mich vorher von wegen meines Lohns ein bißchen zu mausig gemacht habe, so war’s nur meiner Frau zu Gefallen; denn wenn die anfängt, einem irgendwas einzureden, so gibt’s keinen Schlägel, der die Reifen am Faß so fest antreibt, wie sie einen antreibt, ihr den Willen zu tun. Freilich soll der Mann ein Mann sein und das Weib ein Weib, und weil ich ein Mann bin in jeder Hinsicht, was ich nicht leugnen kann, so will ich es auch in meinem Hause sein, und mag sich drüber ärgern, wen’s ärgert. Und mithin ist nichts weiter vonnöten, als daß Ihr Euer Testament mit zugehörigem Kodizill macht, so daß es nicht revoltiert werden kann, und wir uns gleich auf den Weg machen, damit der Herr Sansón nicht an seiner Seele Schaden nehme, sintemal er sagt, daß sein Gewissen ihm driktiert, er solle Euer Gnaden zureden, zum drittenmal in die weite Welt hinauszuziehen. Ich aber erbiete mich aufs neue, Euer Gnaden treu und redlich, ja so gut und noch besser zu dienen, als sämtliche Schildknappen in vergangener und jetziger Zeit ihren fahrenden Rittern gedient haben.«

Der Baccalaureus war hoch erstaunt, als er Sancho Pansa auf solche Art und mit solchen Ausdrücken reden hörte; denn wiewohl er das erste Geschichtsbuch über dessen Herrn gelesen hatte, so dachte er sich doch nicht, daß Sancho wirklich ein so drolliger Kauz sei, als er dort geschildert wird. Aber wie er jetzt von Testament und Kodizill reden hörte, das man nicht revoltieren könne, anstatt Testament und Kodizill, das man nicht revozieren könne, da glaubte er alles, was er gelesen hatte; es stand nun fest für ihn, daß Sancho einer der prächtigsten Einfaltspinsel unsres Jahrhunderts sei, und er sagte bei sich, zwei solche Narren wie Herr und Diener seien in der Welt noch nicht gesehen worden.

Zuletzt umarmten sich Don Quijote und Sancho und wurden die besten Freunde miteinander; und auf Rat und Vorschlag des großen Carrasco, der nunmehr ihr Orakel war, wurde beschlossen, daß die Abreise in drei Tagen stattfinden solle, binnen welcher Frist es möglich sein würde, alles Erforderliche für die Reise herzurichten und einen Helm mit Visier zu beschaffen; denn den, erklärte Don Quijote, müsse er unter jeder Bedingung mitführen. Sansón bot ihm einen an, denn er wußte, daß ein Freund von ihm einen solchen besaß und ihn ihm nicht versagen werde; der Helm war freilich eher dunkel von Rost und Schimmel als hell und rein im Glanze des Stahls.

Die Verwünschungen, welche die beiden Weiber, Haushälterin und Nichte, auf den Baccalaureus schleuderten, waren nicht zu zählen; sie rauften sich das Haar, zerkratzten sich das Gesicht, und nach Art der vormals üblichen Klageweiber jammerten sie über das Scheiden ihres Herrn, als ob es sein Tod wäre.

Der Plan, welchen Sansón damit verfolgte, daß er Don Quijote zu einer nochmaligen Ausfahrt beredete, bestand darin, daß er etwas vollbringen wollte, was die Geschichte später berichten wird; alles auf Anraten des Pfarrers und des Barbiers, mit denen er sich vorher darüber besprochen hatte.

In der Tat versorgten sich Don Quijote und Sancho während der drei Tage mit allem, was ihnen zweckmäßig erschien; und nachdem Sancho sein Weib und Don Quijote seine Nichte und seine Haushälterin beschwichtigt hatte, begaben sie sich auf den Weg, ohne daß jemand es wußte außer dem Baccalaureus, der sie eine halbe Meile über den Ort hinaus begleitete. So zogen sie gen Toboso hin, Don Quijote auf seinem wackern Rosinante und Sancho auf seinem alten Grautier, den Zwerchsack mit Vorräten zur reisigen Fahrt versehen und die Börse mit Geld, das ihm Don Quijote für etwa vorkommende Fälle behändigt hatte.

Sansón umarmte den Ritter mit der Bitte, ihm von seinen guten oder schlechten Erfolgen Kunde zu geben, damit er sich ob jener freue, ob dieser sich betrübe, wie es die Gesetze der Freundschaft erheischten. Don Quijote versprach es ihm; Sansón kehrte in sein Dorf zurück, und die beiden nahmen ihren Weg nach der großen Stadt Toboso.

70. Kapitel


Welches auf das neunundsechzigste folgt und von Dingen handelt, so für das Verständnis dieser Geschichte unentbehrlich sind

Sancho schlief diese Nacht auf einem Feldbette, und zwar in demselben Zimmer mit Don Quijote, was er gern vermieden hätte; denn er wußte wohl, sein Herr würde ihn vor lauter Fragen und Antworten nicht schlafen lassen, und er war nicht aufgelegt, viel zu reden, weil der Schmerz ihm die erlittenen Martern stets gegenwärtig erhielt und seiner Zunge die gewohnte Freiheit nicht verstattete. Er hätte lieber allein in einer Strohhütte geschlafen als in diesem prächtigen Zimmer in Gesellschaft. Seine Besorgnis erwies sich als so begründet und seine Vermutung als so richtig, daß sein Herr kaum ins Bett gestiegen war, als er ihm sagte: »Sancho, was hältst du von den Begebnissen dieses Abends? Groß und gewaltig ist die Kraft verschmähter Liebe, wie du ja mit deinen eignen Augen Altisidora tot gesehen hast; tot nicht durch Pfeile, nicht durch das Schwert oder durch ein andres Werkzeug des Krieges, nicht durch tödliches Gift, sondern nur durch die Wirkung der Härte und Mißachtung, mit der ich sie immer behandelt habe.«

»Wäre sie doch in Gottes Namen gestorben, wann sie wollte und wie sie wollte«, entgegnete Sancho, »und hätte mich in Ruhe gelassen, denn ich hab sie in meinem Leben nicht verliebt gemacht und nicht verschmäht. Ich verstehe einfach nicht, was das Heil und Leben der Altisidora, einer Jungfer mit mehr Launen als Verstand, mit der Marterung Sancho Pansas zu tun haben soll, wie ich schon früher gesagt habe. Freilich sehe ich jetzt endlich klar und deutlich, daß es Zauberer und Verzauberungen in der Welt gibt; und vor denen möge mich Gott behüten, da ich mich vor ihnen nicht hüten kann. Aber bei alledem bitte ich Euer Gnaden, mich schlafen zu lassen und mich nichts mehr zu fragen, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mich zum Fenster hinausstürze.«

»Schlafe, Freund Sancho«, antwortete Don Quijote, »wenn es dir die empfangenen Nadelstiche und die blauen Male vom Zwicken und die Nasenstüber erlauben.«

»Keinen Schmerz«, entgegnete Sancho, »habe ich so gefühlt wie den Schimpf von den Nasenstübern, aus keinem andern Grunde, als weil sie mir von Kammerfrauen gegeben wurden, möge Gott sie verdammen! Und nochmals bitte ich Euer Gnaden, mich schlafen zu lassen, denn der Schlummer ist all denen eine Linderung des Elends, deren Leiden wach bleiben.«

»Mag es denn so sein«, sagte Don Quijote, »und Gott sei mit dir.«

Die beiden schliefen nun, und währenddessen wollte Sidi Hamét, der Verfasser dieser großen Geschichte, niederschreiben und berichten, was den Herzog und seine Gemahlin bewegen hatte, den künstlichen Bau dieses ganzen Unternehmens aufzurichten. Er sagt nämlich, daß der Baccalaureus Sansón Carrasco – weil er nicht vergessen hatte, daß der Spiegelritter von Don Quijote besiegt und niedergeworfen worden war, welcher Unfall und Sturz all seine Pläne auslöschte und zunichte machte – noch einmal sein Glück versuchen wollte und jetzt einen besseren Erfolg als den vorigen hoffte. Er erkundigte sich daher bei dem Edelknaben, der den Brief und das Geschenk an Sanchos Weib Teresa Pansa überbrachte, wo Don Quijote sich aufhalte; dann schaffte er sich neue Wehr und Waffen an und ein andres Pferd, setzte den weißen Mond auf seinen Schild und führte alles auf einem Maulesel mit sich, den diesmal ein Bauer am Zügel leitete, und zwar nicht sein früherer Schildknappe Tomé Cécial, damit er weder von Sancho noch von Don Quijote erkannt würde. So kam er zum Schloß des Herzogs, der ihm den Weg und die Richtung angab, die Don Quijote eingeschlagen hatte, um sich beim Turnier von Zaragoza einzufinden.

Der Herzog erzählte ihm ferner, was für Possen man ihm mit der Erfindung von Dulcineas Entzauberung gespielt habe, welche auf Kosten von Sanchos Sitzteilen geschehen sollte. Endlich erzählte er ihm auch, welchen Streich Sancho seinem Herrn gespielt hatte, als er ihm weismachte, Dulcinea sei verzaubert und in eine Bäuerin verwandelt, und wie dann die Herzogin, seine Gemahlin, Sancho den Glauben beibrachte, er im Gegenteil sei es, der sich getäuscht habe, weil Dulcinea wirklich verzaubert sei. Darüber lachte und staunte der Baccalaureus nicht wenig, indem er sich Sanchos Witz und Einfalt und zugleich das Übermaß von Don Quijotes Narrheit lebhaft vorstellte. Der Herzog bat ihn, wenn er ihn finde und ihn besiege oder auch nicht, so möge er wieder über hier zurückkehren, um ihm von dem Erfolge zu berichten. Der Baccalaureus tat also; er brach auf, um den Ritter zu suchen, fand ihn nicht in Zaragoza, zog weiter, und es begegnete ihm, was bereits berichtet worden. Er nahm seinen Rückweg über das Schloß des Herzogs und erzählte ihm den ganzen Hergang nebst den Bedingungen des Kampfes. Don Quijote kehre bereits zurück, um als ein redlicher fahrender Ritter sein gegebenes Wort zu erfüllen und sich auf ein Jahr nach seinem Dorfe zurückzuziehen. In dieser Zeit, sagte der Baccalaureus, könne möglicherweise der Ritter von seiner Verrücktheit genesen, denn nur dieser Zweck habe ihn bewogen, all die Verkleidungen vorzunehmen, da es ein wahrer Jammer sei, daß ein Junker von so klarem Verstande wie Don Quijote verrückt sei. Hierauf verabschiedete er sich von dem Herzog, kehrte nach seinem Dorfe zurück und erwartete hier Don Quijote, der ihm nachfolgte.

Dies brachte nun den Herzog auf den Einfall, ihm jenen Possen zu spielen – soviel Vergnügen fand er am Tun und Treiben Sanchos und Don Quijotes! –, er ließ nämlich die Wege nah und fern vom Schlosse, überall, wo er annahm, daß Don Quijote vorüberkommen könne, mit vielen seiner Diener zu Fuß und zu Pferd besetzen, damit sie, wenn sie ihn fänden, ihn mit Gewalt oder in Güte nach dem Schlosse brächten. Sie fanden ihn; sie gaben dem Herzog Nachricht, und dieser, der schon alles vorbereitet hatte, ließ beim Empfang der Nachricht von seiner Ankunft sogleich die Fackeln und Lampen im Hofe anzünden, Altisidora auf den Katafalk legen und das ganze bereits erzählte Schauspiel herrichten, alles so natürlich und so gut angeordnet, daß zwischen dem Scherz und der Wahrheit nur ein äußerst geringer Unterschied war. Sidi Hamét sagt auch noch weiter, er sei der Meinung, daß die Anstifter der Fopperei ebensolche Narren seien wie die Gefoppten und der Herzog und die Herzogin seien selbst keine zwei Finger breit von der Grenze der Verrücktheit entfernt gewesen, da sie so viel Mühe darauf verwandten, ein paar Verrückte zum besten zu haben.

Von diesen beiden schlief jetzt der eine tief und fest, und der andre wachte in frei umherschweifenden Gedanken; so befiel sie der Morgen und die Lust aufzustehen, denn weder besiegt noch als Sieger fand Don Quijote jemals Vergnügen am trägen Bette.

Da nahte sich Altisidora, die nach seiner Meinung vom Tod auferstanden, um die Possenstreiche ihrer Herrschaft weiterzuspinnen. Bekrönt mit demselben Kranze, den sie auf dem Katafalk getragen, bekleidet mit einem Gewand von weißem Taft, das mit goldnen Blumen übersät war, die Haare aufgelöst über den Rücken wallend, gestützt auf einen Stab vom feinsten schwarzen Ebenholz, trat sie ins Gemach Don Quijotes, der, ob ihrer Anwesenheit bestürzt und verwirrt, sich fast ganz in die Laken und Decken des Bettes verkroch und versteckte; seine Zunge blieb stumm, ohne daß er es vermocht hätte, das Fräulein auch nur mit der geringsten Höflichkeit zu begrüßen.

Altisidora setzte sich auf einen Stuhl neben dem Kopfende seines Bettes, stieß einen tiefen Seufzer aus und sprach mit zärtlicher schwacher Stimme zu ihm: »Wenn hochgestellte Frauen und schüchterne Mägdlein das Gesetz der Ehre mit Füßen treten und der Zunge gestatten, mit öffentlicher Kundgebung der Geheimnisse, die ihr Herz in sich birgt, ins Gebiet des Unschicklichen einzubrechen, so geschieht dies nur in bitterer Herzensnot. Ich, Señor Don Quijote von der Mancha, ich bin eines von diesen Mägdelein, bedrängt, besiegt und voll Liebe; aber bei alledem still duldend und keusch, und zwar in so hohem Grade, daß mir das Herz brach über meinem Schweigen und ich das Leben verlor. Zwei Tage ist’s her, seit durch das ständige Grübeln über die Härte, mit der du mich behandelt hast, o du, härter als Marmor bei meinen Klagen! felsenherziger Ritter! ich dem Tode anheimgefallen oder wenigstens von denen, die mich sahen, für tot gehalten wurde. Und hätte nicht Amor sich meiner erbarmt und das Mittel zu meiner Rettung in die Martern dieses guten Schildknappen gelegt, so wäre ich dort in jener andern Welt geblieben.«

»Der Amor«, sagte Sancho, »hätte das Mittel ganz gut in die Marterung meines Esels legen können, ich wäre ihm dankbar dafür gewesen. Aber sagt mir, Fräulein, so wahr Euch der Himmel mit einem weichherzigem Liebhaber als meinem Herrn versehen möge, was habt Ihr denn eigentlich in der andern Welt gesehen? Wie sieht’s in der Hölle aus? Denn dahin muß doch sicherlich kommen, wer aus Verzweiflung stirbt.«

»Soll ich Euch die Wahrheit sagen«, antwortete Altisidora, »so muß ich wohl nicht vollständig tot gewesen sein, denn ich bin nicht in die Hölle gekommen; wär ich da hineingekommen, so hätte ich sicherlich nicht mehr heraus gekonnt, wenn ich auch gewollt hätte. In Wirklichkeit bin ich nur bis zur Pforte gekommen, wo ungefähr ein Dutzend Teufel Pelota spielten, alle in Hosen und Wams, um den Hals flachanliegende Kragen mit flämischen Spitzen, mit Aufschlägen von den nämlichen Spitzen, die sie statt der Handkrausen trugen, so daß etwa vier Finger breit vom Arme freiblieben, damit die Hände länger schienen, in welchen sie feurige Ballschläger, sogenannte Raketen, hielten. Was mich am meisten wunderte, war, daß ihnen als Bälle Bücher dienten, die dem Anschein nach voll Windes und grober Wollflocken waren, etwas Wunderbares, das noch nicht dagewesen. Aber noch mehr als dies wunderte mich, daß sie bei diesem Spiel alle ärgerlich knurrten, alle zankten, alle sich verwünschten, während es sonst bei Spielern bräuchlich ist, daß die Gewinner vergnügt und nur die Verlierer traurig sind.«

»Das ist kein Wunder«, entgegnete Sancho, »denn die Teufel, ob sie nun spielen oder nicht, ob sie gewinnen oder nicht gewinnen, können niemals vergnügt sein.«

»So muß es wohl sein«, versetzte Altisidora; »aber noch etwas anderes setzt mich in Staunen, ich will sagen, setzte mich damals in Staunen, nämlich daß jeder Ball gleich beim ersten Wurf in Stücke ging, so daß er nicht noch einmal gebraucht werden konnte, und daher gab es immer wieder in Menge neue und alte Bücher, daß es ein Wunder war. Einem der Bücher, einem frischen, funkelnagelneuen und gut gebundenen, gaben sie einen tüchtigen Puff, so daß sie ihm die Eingeweide herausschlugen und die Blätter weit herumstreuten. Ein Teufel sagte zu einem andern: ›Seht, was für ein Buch das ist?‹ Und der Teufel antwortete: ›Es ist der zweite Teil der Geschichte des Don Quijote von der Mancha, nicht von dem ursprünglichen Verfasser Sidi Hamét geschrieben, sondern von einem Aragonesen, der selber angibt, er sei aus Tordesillas gebürtig/

›Weg mit ihm!‹ schrie der andre Teufel darauf; ›werft ihn in die Abgründe der Hölle, damit meine Augen ihn nicht wieder erblicken!‹

›Ist das Buch denn so schlecht?‹ fragte der andre.

›So schlecht‹, antwortete der erste, ›daß ich selbst mit der größten Mühe kein schlechteres fertigbringen würde.‹

Sie setzten ihr Spiel fort und spielten Pelota mit noch andern Büchern; ich aber, weil ich Don Quijote nennen hörte, den ich so sehr liebe und im Herzen trage, habe mir die Mühe gegeben, dieses Traumgesicht im Gedächtnis zu behalten.«

»Ein Traumgesicht muß es sicherlich gewesen sein«, sprach Don Quijote, »denn es gibt kein andres Ich in der Welt. Bereits wandert diese neue Geschichte von einer Hand zur andern, bleibt aber in keiner, denn alle treten sie mit Füßen. Ich ärgere mich nicht, zu hören, daß ich wie ein gespenstisches Wesen in den Finsternissen des Abgrundes oder im Lichte der Erdenwelt umherziehe, denn ich bin nicht der, von welchem jene Geschichte spricht. Wäre sie gut, getreu und wahr, so würde sie Jahrhunderte leben; ist sie aber schlecht, so wird der Weg von ihrer Geburt bis zum Grabe nicht lang sein.«

Altisidora wollte mit ihren Klagen über Don Quijote fortfahren, als dieser zu ihr sagte: »Oftmals habe ich Euch erklärt, Fräulein, wie leid mir es tut, daß Ihr Eure Gedanken auf mich gerichtet habt, da sie von den meinigen nur Dankbarkeit und nicht Heilung erlangen können. Ich bin dazu geboren, dem Fräulein Dulcinea von Toboso anzugehören, und die Schicksalsgöttinnen, wenn es solche gäbe, haben mich für sie allein bestimmt; und glauben, daß eine andre Schönheit jemals den Platz einnähme, den sie in meiner Seele behauptet, heißt das Unmögliche glauben. Diese Erklärung muß Euch genügen, damit Ihr Euch in die Grenzen Eurer Züchtigkeit zurückziehet, da niemand sich zu Unmöglichem verpflichten kann.«

Als Altisidora dies hörte, schien sie sich mächtig zu erbosen und zu erzürnen und sagte: »So wahr Gott lebt, Herr Stockfisch, der Ihr statt des Herzens einen ehernen Mörser habt! Ihr harter Dattelkern! zäher und störrischer als ein Bauer, den man um etwas bittet, wenn er sich etwas andres vorgenommen hat! Wenn ich über Euch herfalle, werd ich Euch die Augen ausreißen. Meint Er vielleicht, Er nie unbesiegter Jämmerling, Er Prügeljunge, ich bin Seinetwegen gestorben? Alles, was Ihr diese Nacht gesehen habt, war nur ein Possenspiel; ich bin kein Weib, das sich für ein solches Kamel nur das Schwarze am Nagel weh tun ließe, geschweige, daß sie sterben sollte.«

»Das glaub ich gern«, sagte Sancho, »denn mit dem Sterben der Verliebten, das ist nur eine Geschichte zum Lachen; sie mögen’s wohl sagen, aber es tun? Das mag der Judas glauben.«

Während dieses Gespräches trat der Musiker ein, der als Sänger und Dichter die beiden erwähnten Stanzen gesungen hatte; er machte vor Don Quijote eine tiefe Verbeugung und sagte: »Euer Gnaden, Herr Ritter, wollen mich unter die Zahl Eurer ergebensten Diener rechnen und als solchen annehmen; denn seit vielen Tagen bin ich Euch zugetan, sowohl um Eures Rufes als auch um Eurer Taten willen.«

Don Quijote entgegnete: »Euer Gnaden wolle mir sagen, wer Ihr seid, damit meine Höflichkeit Euren Verdiensten entsprechen möge.«

Der Jüngling antwortete, er sei der Musiker und Lobredner vom letzten Abend.

»Gewiß«, versetzte Don Quijote, »Ihr habt eine vortreffliche Stimme; aber was Ihr gesungen habt, scheint mir nicht am Platze gewesen zu sein, denn was haben die Stanzen des Garcilaso mit dem Tode dieses Fräuleins zu schaffen?«

»Wundert Euch nicht darüber«, antwortete der Musiker, »denn unter den dichterischen Gelbschnäbeln unsrer Zeit ist es bräuchlich, daß ein jeder schreibt, wie er Lust hat, und stiehlt, von wem er Lust hat, mag es nun zu seinem Gegenstand passen oder nicht; und sie singen oder schreiben keine Dummheit, ohne deren Berechtigung mittels der angeblichen dichterischen Freiheit zu behaupten.«

Don Quijote wollte antworten, aber er wurde daran durch den Herzog und die Herzogin verhindert, die kamen, ihn zu besuchen. Es entspann sich nun zwischen ihnen ein langes und vergnügliches Gespräch, bei welchem Sancho so viel Witz und so viel Stachelreden zum besten gab, daß er das herzogliche Paar aufs neue in Erstaunen setzte, sowohl ob seiner Einfalt als auch ob seines Scharfsinns. Don Quijote bat um die Erlaubnis, noch an diesem nämlichen Tage abreisen zu dürfen, weil es besiegten Rittern wie ihm eher gezieme, in einem schmutzigen Stall als in königlichen Palästen zu wohnen. Sie gaben die Erlaubnis gern und freundlich, und die Herzogin fragte ihn, ob Altisidora bei ihm in Gunst stehe. Er antwortete ihr: »Verehrte Gebieterin, Eure Herrlichkeit muß wissen, daß das ganze Leiden dieses Fräuleins aus Müßiggang entsteht, und das Mittel dagegen ist ehrbare und anhaltende Beschäftigung. Hier an dieser Stelle hat sie mir gesagt, in der Hölle würden Spitzen getragen, und da sie ohne Zweifel solche anzufertigen versteht, so sollte sie solche Arbeit nie aus der Hand lassen; denn wenn sie beschäftigt ist, die Klöppel in Bewegung zu halten, wird das Bild oder werden die Bilder dessen, was sie liebt, ihre Phantasie nicht in Bewegung setzen können. Dies ist die Wahrheit, dies ist meine Meinung, dies ist mein Rat.«

»Auch der meinige«, fügte Sancho hinzu, »denn ich habe in meinem ganzen Leben keine Spitzenklöpplerin gesehen, die vor Liebe gestorben wäre; Mädchen, die tätig sind, richten ihre Gedanken mehr auf die Vollendung der ihnen obliegenden Arbeit als auf ihre Liebesgeschichten. Das sage ich aus eigner Erfahrung, denn wenn ich beim Graben und Schaufeln bin, denke ich nicht an meine Hausehre, ich meine an meine Teresa Pansa, die ich doch lieber habe als meine Augenwimpern.«

»Sehr richtig gesprochen, Sancho«, sagte die Herzogin, »und ich will dafür sorgen, daß meine Altisidora sich künftig mit Weißnäherei beschäftigt, worauf sie sich vortrefflich versteht.«

»Es ist gar nicht nötig, Señora«, versetzte Altisidora, »dies Heilmittel anzuwenden, denn der Gedanke an die Grausamkeit, mit der dieser stumpfsinnige Landstreicher mich behandelt hat, wird ihn ohne ein andres Hilfsmittel aus meinem Gedächtnisse auslöschen. Mit Erlaubnis Eurer Durchlaucht will ich mich jetzt von hinnen begeben; nicht sehen will ich mehr vor meinen Augen, ich will nicht sagen seine traurige Gestalt, sondern vielmehr sein häßliches, abscheuliches Gerippe.«

»Das kommt mir vor«, sagte der Herzog, »wie es im Liede heißt:

Daß wer heftig schmäht –
Bereit schon ist er zu vergeben.«

Altisidora tat, als ob sie sich die Tränen mit einem Tüchlein abtrocknete, und ging mit einer Verbeugung vor ihrer Herrschaft aus dem Zimmer.

»Ich sage dir, armes Mädchen«, sprach Sancho, »ich sage dir, es wird dir bös ergehen; denn du hast es mit einer Seele von Dünengras, mit einem Herzen von Eichenholz zu tun gehabt. Wahrhaftig, hättest du mit mir zu tun, so hättest du ein andres Vögelchen pfeifen hören.«

Die Unterredung ging zu Ende; Don Quijote kleidete sich an, speiste mit dem herzoglichen Paare und begab sich noch am nämlichen Nachmittag auf den Weg.

71. Kapitel


Von dem, was sich zwischen Don Quijote und seinem Knappen Sancho zutrug, da sie nach ihrem Dorfe zogen

Der besiegte und schwer bekümmerte Don Quijote zog seines Weges, einerseits überaus nachdenklich, andrerseits sehr vergnügt. Sein Trübsinn war veranlaßt durch seine Niederlage, seine Heiterkeit durch den Gedanken an die Wundertätigkeit Sanchos, wie er sie durch Altisidoras Auferweckung gezeigt hatte, wiewohl es ihm doch einigermaßen schwerfiel zu glauben, daß das verliebte Mädchen wirklich tot gewesen. Sancho hingegen wanderte keineswegs mit frohem Sinne dahin; es verdroß ihn gewaltig, daß Altisidora ihr Versprechen, ihm die Hemden zu schenken, nicht gehalten hatte. Dies ging ihm beständig im Kopfe herum, und er sagte zu seinem Herrn: »Wahrhaftig, Señor, ich bin gewiß der unglücklichste Arzt, der auf der Welt zu finden ist. Es gibt Doktoren auf Erden, die, wenn sie auch ihre Kranken umbringen, dennoch bezahlt werden wollen für ihre Arbeit, die doch in nichts andrem besteht, als daß sie ein Zettelchen mit etlichen Arzneien darauf vollschreiben, die sie nicht einmal selber machen, sondern der Apotheker, und wupp dich! da haben sie ihren Profit weg. Mir aber, den die Heilung anderer Leute Blutstropfen, Nasenstüber, blaue Mäler, Nadelstiche und Geißelhiebe kostet, mir gibt man keinen Heller. Aber hol mich der und jener, ich schwör’s: bekomm ich noch einmal einen Kranken unter die Hände, so soll man mir sie tüchtig schmieren, bevor ich ihn heile; denn wovon soll der Pfaff essen, wenn nicht von der Messen? Und ich mag nicht glauben, daß mir der Himmel die Wunderkraft, die ich besitze, gegeben hat, damit ich sie für nichts und wieder nichts zum Besten Dritter verwende.«

»Du hast recht, Freund Sancho«, erwiderte ihm Don Quijote, »und Altisidora hat sehr unrecht getan, daß sie dir die versprochenen Hemden nicht gegeben; und wiewohl deine Kraft gratis data ist, denn sie hat dich keinerlei Studium gekostet, so ist’s doch mehr als Studium, wenn du Martern an deinem eigenen Leibe erduldest. Was mich betrifft, so kann ich dir sagen, wenn du für die Geißelhiebe zur Entzauberung Dulcineas Bezahlung verlangt hättest, so hätte ich dir sie längst zu deiner vollen Zufriedenheit gegeben; aber ich weiß nicht, ob die Zahlung sich mit der Kur verträgt, und ich möchte nicht, daß die Belohnung der Wirkung der Arznei hinderlich wäre. Trotzdem dünkt es mich, es kann nicht viel dabei verloren sein, wenn man es versucht. Überlege dir, Sancho, wieviel du verlangst, und geißle dich auf der Stelle, und mach dich dafür mit eigner Hand bezahlt, denn du hast ja Geld von mir in Verwahr.«

Bei diesem Anerbieten riß Sancho Augen und Ohren sperrangelweit auf und war es in seinem Herzen sogleich zufrieden, sich freiwillig zu geißeln, und sprach zu seinem Herrn: »Wohlan denn, Señor, ich bin bereit, Eure Wünsche zu erfüllen, wenn ich einen Vorteil dabei habe; die Liebe zu meinen Kindern und zu meiner Frau zwingt mich, eigennützig zu erscheinen. Sagt mir, gnädiger Herr, wieviel wollt Ihr mir geben für jeden Hieb, den ich mir gebe?«

»Wenn ich dich im Verhältnis zu der Wichtigkeit und der eigentümlichen Art dieses Heilmittels bezahlen sollte, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »so würden der Staatsschatz von Venedig und die Goldgruben von Potosi nicht hinreichen, um dich zu bezahlen. Überschlage du, wieviel Geld du von mir bei dir hast, und setze den Preis für jeden Geißelhieb an.«

»Deren sind dreitausenddreihundert und soundso viel«, entgegnete Sancho; »von denen habe ich mir etwa fünf gegeben, bleiben noch die andren übrig. Wir wollen diese fünf zu den soundso viel rechnen und auf die dreitausend und dreihundert kommen ; jeden zu einem Viertelreal gerechnet – denn weniger nehme ich nicht, und wenn’s die ganze Welt mir befehlen wollte –, macht dreitausenddreihundert Viertelrealen; die dreitausend sind fünfzehnhundert halbe Realen, die machen siebenhundertfünfzig Realen; und die dreihundert machen fünfundsiebzig Realen, und schlagen wir diese zu den siebenhundertfünfzig, so sind es im ganzen achthundertfünfundzwanzig Realen. Dies will ich abziehen von dem Geld, das ich für Euer Gnaden in Verwahr habe, und dann komme ich reich und zufrieden nach Hause, wenn auch tüchtig zerprügelt, denn man fängt keine Forellen ohne … weiter sag ich nichts.«

»O du gebenedeiter Sancho! O du liebenswürdiger Sancho!« rief Don Quijote; »wie sehr werden Dulcinea und ich dir zu jedem Gegendienst verpflichtet sein, solange uns der Himmel Leben vergönnen wird! Wenn sie wieder sein wird, was sie gewesen, und es ist unmöglich, daß sie nicht wieder so werde, dann wird ihr Unglück ein Glück und meine Niederlage ein wonnevoller Triumph gewesen sein. Denke aber nach, Sancho, wann du deine Geißelung anfangen willst; und damit du sie beschleunigst, lege ich dir hundert Realen zu.«

»Wann?« versetzte Sancho; »diese Nacht noch unfehlbar. Sorge Euer Gnaden nur dafür, daß wir sie draußen unter freiem Himmel zubringen, so will ich mir schon meinen Leib wund schlagen.«

Es kam endlich die Nacht, welche Don Quijote mit größter Ungeduld erwartet hatte, da es ihm vorkam, als seien die Räder an Apollos Wagen gebrochen und der Tag ziehe sich länger als gewöhnlich hin, gerade wie es den Verliebten geht, die die Rechnung ihrer Wünsche nie richtig zu stellen vermögen. Sie begaben sich nun in ein anmutiges Wäldchen, etwas abseits vom Wege, entlasteten die Sättel Rosinantes und des Esels, streckten sich ins grüne Gras und speisten von Sanchos Reisevorrat. Sancho machte aus der Halfter und dem Strick des Grauen eine starke geschmeidige Geißel und zog sich etwa zwanzig Schritte von seinem Herrn unter Buchen zurück, die dort standen. Don Quijote, der ihn so voll Entschlossenheit und Mut sah, sagte zu ihm: »Hab acht, Freund, daß du dich nicht in Stücke haust; laß dir Zeit, so daß jeder Schlag auf den andern warten muß; übereile dich nicht so sehr auf deiner Bahn, daß etwa in ihrer Mitte dir der Atem ausginge; ich meine, geißle dich nicht so gewaltig, daß du das Leben einbüßest, ehe du die gewünschte Anzahl erreicht hast; und damit du nicht durch eine Karte zuviel oder zuwenig das Spiel verlierst, will ich hier stehenbleiben und die Hiebe, die du dir gibst, an meinem Rosenkranz abzählen. Der Himmel stehe dir bei, wie es dein guter Vorsatz verdient.«

»Den guten Zahler drückt kein Pfand«, entgegnete Sancho; »ich will mich so hauen, daß es mich nicht umbringt, aber mir weh tut, denn davon hängt ja wohl dieses Wunder ab.«

Er entblößte sich sogleich vom Gürtel bis zum Nacken, schwang seinen Strick und fing an, sich zu geißeln, und Don Quijote fing an, die Hiebe zu zählen. Sancho mochte sich etwa sechs oder acht gegeben haben, als ihm der Spaß doch zu beschwerlich und der Preis gar zu gering erschien; er hielt ein wenig inne und sagte zu seinem Herrn, er müsse wegen Übervorteilung Berufung einlegen, denn jeder dieser Hiebe sei es wert, mit einem halben Realen, nicht mit einem Viertel bezahlt zu werden.

»Mach nur weiter, Freund Sancho, und laß den Mut nicht sinken«, sagte Don Quijote, »ich verdoppele den Lohn.«

»Auf die Art«, versetzte Sancho, »mag’s in Gottes Namen sein, und es soll Hiebe regnen.«

Allein der Schelm gab sie sich bald nicht mehr auf den Rücken, sondern schlug auf die Bäume und stöhnte von Zeit zu Zeit so gewaltig, als risse er sich bei jedem Hieb die Seele aus dem Leib. Don Quijotes Herz aber wurde weich, und in der Besorgnis, er möchte sich dabei ums Leben bringen und er selbst könnte alsdann durch Sanchos Unvorsichtigkeit das Ziel seiner Wünsche nicht erreichen, rief er ihm zu: »Bei deinem Leben, Freund, laß es jetzt gut sein, denn diese Arznei scheint mir sehr bitter; das Beste ist Eile mit Weile, Rom ist nicht in einem Tage erbaut. Mehr als tausend Hiebe, wenn ich mich nicht verrechnet habe, hast du dir schon gegeben, die mögen für jetzt genügen; der Esel, wenn ich mich eines rohen Volksausdrucks bedienen soll, der Esel trägt die Ladung, doch nicht die Überladung.«

»Nein, nein, Señor«, antwortete Sancho, »von mir soll es nicht heißen: Hat er das Geld heimgetragen, hat er nicht Lust, sich weiterzuplagen. Geht wieder ein wenig beiseite und laßt mich mir mindestens noch einmal tausend Hiebe aufstreichen; denn wenn wir in diesem Gefecht noch zwei Gänge tun, so haben wir die ganze Partie gewonnen, und es bleibt uns gar noch ein Überschuß.«

»Da du so gut im Zeuge bist«, sprach Don Quijote, »so möge dir der Himmel beistehen; prügle dich immer zu! Ich gehe beiseite.«

Sancho kehrte zu seiner Aufgabe mit so mutigem Eifer zurück, daß er im Nu vielen Bäumen die Rinde abgeschlagen hatte; mit solcher Härte geißelte er sich! Einmal, wie er einen ungeheuren Hieb auf eine Buche führte, erhob er seine Stimme und rief: »Hier soll Simson sterben und alle Philister mit ihm verderben!«

Bei diesem kläglichen Schrei und beim Schall des grausamen Hiebes eilte Don Quijote herbei, ergriff die zusammengedrehte Halfter, die Sancho als Geißel brauchte, und sprach zu ihm: »Gott verhüte, Freund Sancho, daß du mir zulieb das Leben einbüßest, welches dir dazu dienen soll, Weib und Kinder zu ernähren. Mag Dulcinea eine bessere Gelegenheit abwarten; ich will mich in den Grenzen einer bereits nahe gerückten Hoffnung halten und harren, bis du neue Kräfte gewinnst, damit dieser Handel zu aller Zufriedenheit zu Ende geführt werde.«

»Weil Euer Gnaden es so will«, erwiderte Sancho, »so mag es meinetwegen so geschehen. Werft mir aber Euren Mantel um die Schultern, ich bin im Schweiß und möchte mich nicht gern erkälten, denn ein Neuling im Geißeln ist solcher Gefahr ausgesetzt.«

Don Quijote tat also und blieb im Unterkleid; er deckte Sancho zu, welcher schlief, bis die Sonne ihn aufweckte. Hierauf setzten sie ihre Reise wieder fort und beschlossen sie an diesem Tage in einem Dorfe, das drei Meilen von ihrem letzten Rastort entfernt lag. Sie stiegen in einem Wirtshause ab, denn für ein solches erkannte es Don Quijote, und nicht für eine Burg mit tiefem Graben, Türmen, Fallgitter und Zugbrücke. Überhaupt, seit er besiegt worden, sah er alle Dinge viel richtiger an, wie sogleich erzählt werden soll.

Man brachte sie in einem Zimmer zu ebener Erde unter, welches statt mit gepreßten Ledertapeten mit altem bemaltem Wollenzeug behangen war, wie es in Dörfern bräuchlich ist. Auf einer dieser Tapeten war von geschicktester Hand der Raub der Helena gemalt, wie der freche Gast sie dem Menelaus entführte; und auf einer andern zeigte sich die Geschichte von Dido und Äneas, sie auf einem hohen Turme, wie sie mit einem halben Bettlaken dem fliehenden Gaste Zeichen machte, der auf einer Fregatte oder Brigantine über das Meer enteilte. Der Betrachter erkannte bei den zwei Bildern, daß Helena gar nicht ungern entfloh, denn sie lachte verstohlen und schelmisch; aber die schöne Dido sah man Tränen vergießen, so dick wie Nüsse. Don Quijote sprach bei diesem Anblick: »Diese beiden Damen waren höchst unglücklich, daß sie nicht zu unsrer Zeit geboren wurden; und ich bin unglücklich über alle Ritter, daß ich nicht zu ihrer Zeit geboren wurde. Denn hätte ich diese Herren feindlich angerannt, so wäre Troja nicht verbrannt und Karthago nicht zerstört worden; denn schon dadurch, daß ich den Paris getötet hätte, wäre all dies große Unglück vermieden worden.«

»Ich will wetten«, sagte Sancho, »es vergeht nicht viel Zeit, so wird es keine Weinstube, keine Schenke, kein Wirtshaus und keine Barbierstube geben, wo nicht die Geschichte unsrer Taten gemalt zu sehen ist; nur möchte ich wünschen, daß die Hände eines besseren Malers sie malten als die des Schmierfinks, der diese hier abgebildet hat.«

»Du hast recht, Sancho«, sagte Don Quijote, »denn dieser Maler ist wie Orbaneja, jener Maler in Ubeda, der, wenn man ihn fragte, was er male, stets antwortete: ›Was eben daraus werden wird.‹ Wenn er einmal einen Hahn malte, so schrieb er darunter: ›Dies ist ein Hahn‹, damit man nicht meinen möchte, es sei ein Fuchs. Von dieser Art, Sancho, muß wohl der Maler oder Schriftsteller sein – denn beides ist ganz einerlei –, der die Geschichte jenes neuen Don Quijote ans Licht gezogen hat; auch er hat auf gut Glück drauflosgemalt oder -geschrieben. Er kann auch jenem Dichter namens Mauleón geglichen haben, der sich in den letzten Jahren in der Residenz herumtrieb und jede Frage auf der Stelle beantwortete; und als ihn einer fragte: ›Was bedeutet Deum de deo‹, antwortete er: ›Dreh um oder ich drehe.‹ Doch lassen wir dies beiseite und sage mir, ob du gedenkst, dir diese Nacht wieder eine Tracht aufzuzählen, und ob du es lieber unter Dach und Fach oder unter freiem Himmel tun willst.«

»Ei, du lieber Gott, Señor«, antwortete Sancho, »bei dem, was ich mir aufzuzählen gedenke, ist mir’s einerlei, ob ich im Haus oder im freien Felde bin; indessen möchte ich trotzdem, daß es unter Bäumen geschehe, denn es kommt mir vor, als leisteten sie mir Gesellschaft und hülfen mir wunderbar, meine Drangsal zu tragen.«

»Aber so soll es nicht sein, Freund Sancho«, erwiderte Don Quijote; »sondern damit du neue Kräfte sammelst, wollen wir es für unser Dorf aufheben, da wir spätestens übermorgen dort ankommen werden.«

Sancho erklärte, der Ritter möge nach Belieben handeln, er aber wolle dies Geschäft in aller Kürze abmachen, solang das Blut noch warm und die Mühlsteine noch scharf seien; »denn im Verzug liegt meistenteils die Gefahr; und auf Gott sollst du vertrauen und mit der Keule dreinhauen. Besser ein Hab-ich als zwei Hätt-ich, besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.«

»Keine Sprichwörter mehr, Sancho, beim alleinigen Gott!« rief Don Quijote; »es scheint, du kehrst zurück zu dem sicut erat. Sprich einfach und glatt und verirre dich nicht ins Hundertste und Tausendste, wie ich dir schon öfters gesagt habe, und du wirst sehen, wie du hundert- und tausendmal besser fährst.«

»Ich weiß nicht, warum ich immer das Unglück habe«, entgegnete Sancho, »daß ich keinen vernünftigen Satz sprechen kann ohne ein Sprichwort, und kein Sprichwort, das mir nicht ein vernünftiger Satz scheint; aber ich will mich bessern, wenn ich kann.«

Und hiermit endigte für diesmal ihr Gespräch.

65. Kapitel


Wo berichtet wird, wer der Ritter vom weißen Mond gewesen, wie auch Don Gaspár Gregorios Befreiung, nebst andern Begebnissen

Don Antonio Moreno folgte dem Ritter vom weißen Monde nach, und ebenso folgten ihm, ja verfolgten ihn viele Gassenjungen bis zu einem Wirtshaus in der Stadt, wo sie ihn förmlich belagerten. Don Antonio ging hinein, um ihn kennenzulernen. Ein Schildknappe kam dem Ritter entgegen, um ihn zu begrüßen und ihm die Rüstung abzunehmen; er zog sich in ein Zimmer des Erdgeschosses zurück, und mit ihm Don Antonio, der sich vor Neugier nicht lassen konnte, zu erfahren, wer er sei. Da nun Der vom weißen Monde sah, daß der Edelmann nicht von ihm weichen wollte, sagte er zu ihm: »Ich weiß wohl, Señor, warum Ihr kommt; Ihr wollt wissen, wer ich bin; und da kein Grund vorhanden ist, Euch Euren Wunsch zu versagen, so will ich, während mir mein Diener die Rüstung abnimmt, Euch die Geschichte erzählen, ohne von den Tatsachen nur einen Punkt auszulassen. Wisset, Señor, ich bin der Baccalaureus Sansón Carrasco. Ich bin aus dem gleichen Dorf wie Don Quijote von der Mancha, dessen Verrücktheit und Albernheit uns alle, die wir ihn kennen, tief bekümmert. Unter denen, die ihn am meisten bedauerten, war ich, und da ich glaubte, seine Genesung hänge davon ab, daß er sich ruhig verhalte und in seiner Heimat und zu Hause bleibe, so entwarf ich einen Anschlag, um ihn dazu zu zwingen. So mag es nun drei Monate her sein, daß ich ihm auf seinem Wege entgegentrat, als fahrender Ritter unter dem angenommenen Namen des Spiegelritters, um mit ihm zu kämpfen und ihn zu besiegen, ohne ihm einen Schaden zuzufügen, wobei ich als Bedingung unsres Kampfes bestimmte, daß der Besiegte dem freien Willen des Siegers anheimfallen solle; und was ich im Sinn hatte von ihm zu verlangen – denn ich hielt ihn bereits für besiegt –, war, daß er nach seinem Dorfe zurückkehren und es während eines ganzen Jahres nicht verlassen sollte, da er in dieser Frist geheilt werden könnte. Aber das Schicksal fügte es anders, denn er besiegte mich und warf mich vom Pferde, und so blieb mein Plan unausgeführt. Er setzte seinen Weg fort, und ich kehrte heim, besiegt, beschämt und zerschlagen von meinem Fall, der höchst gefährlich war; aber darum erlosch in mir keineswegs der Wunsch, ihn abermals aufzusuchen und zu besiegen, wie heute geschehen. Und da er so gewissenhaft in der Beobachtung aller Vorschriften des fahrenden Rittertums ist, so wird er ohne den geringsten Zweifel, um sein Wort zu erfüllen, auch diejenigen befolgen, die ich ihm gegeben habe. Dieses ist, Señor, der Verlauf der Sache, ohne daß ich sonst noch etwas beizufügen hätte. Ich bitte Euch dringend, verratet mich nicht und sagt Don Quijote nicht, wer ich bin, damit meine gute Absicht erreicht wird und ein Mann wieder in den Besitz seiner Geistesgaben gelangt, der einen so ausgezeichneten Verstand hat, sobald die Torheiten des Rittertums von ihm weichen.«

»O Señor!« sprach Don Antonio, »Gott verzeihe Euch die Unbill, die Ihr der ganzen Welt antut, wenn Ihr den kurzweiligsten Narren, den sie besitzt, wieder zu Verstand bringen wollt! Seht Ihr denn nicht, Señor, daß aller Nutzen, den Don Quijotes Verstand stiften würde, niemals an das Vergnügen heranreichen kann, das er mit seinen Narreteien der Welt verschafft? Aber ich glaube, daß alle Kunst und Mühe des Herrn Baccalaureus nicht ausreichen werden, um einen so durch und durch verrückten Menschen wieder gescheit zu machen, und wenn es nicht gegen die Nächstenliebe wäre, so würde ich sagen, niemals möge Don Quijote wieder genesen! Denn durch seine Gesundheit verlieren wir nicht allein seine ergötzlichen Possen, sondern auch die seines Knappen Sancho Pansa, von denen eine jede die Schwermut selber fröhlich stimmen könnte. Trotz alledem werde ich schweigen und ihm nichts sagen, damit ich sehe, ob meine Vermutung richtig war, daß das von dem Señor Carrasco gebrauchte Mittel ohne Erfolg bleiben wird.«

Dieser meinte, sicherlich sei das Unternehmen bereits in gutem Fortgang, und er hoffe auf dessen glücklichen Erfolg.

Nachdem Don Antonio ihm angeboten, alle seine etwaigen Aufträge auszuführen, verabschiedete sich Carrasco von ihm, ließ seine Waffen auf einen Maulesel binden, bestieg unverzüglich das Pferd, auf dem er zu dem Kampfe geritten, verließ die Stadt noch am nämlichen Tage und kehrte nach seiner Heimat zurück, ohne daß ihm etwas begegnete, was uns veranlassen könnte, es in dieser wahrhaften Geschichte zu berichten.

Don Antonio erzählte dem Vizekönig alles, was Carrasco ihm mitgeteilt hatte, und der Vizekönig freute sich nicht sonderlich darüber, denn durch Don Quijotes Abschließung von der Welt gehe all das Vergnügen verloren, das jetzt ein jeder genießen könne, der von seinen Narreteien vernehme.

Sechs Tage lang lag Don Quijote zu Bett, niedergeschlagen, betrübt, in tiefem Nachsinnen und in übler Stimmung, und ließ seine Gedanken beständig in der Betrachtung seiner unglückseligen Niederlage hin und her schweifen. Sancho sprach ihm Trost zu und sagte ihm unter andrem: »Herre mein, haltet doch den Kopf hoch und heitert Euch auf und sagt dem Himmel Dank, denn hat er Euch auch zu Boden geworfen, so habt Ihr doch keine Rippe gebrochen, und Ihr wißt ja, wer ausgibt, nimmt auch ein, und wo’s Haken gibt und Stangen, fehlt oft der Speck, ihn dranzuhängen. So schlaget dem Arzt ein Schnippchen, sintemal Ihr ihn nicht nötig habt, um Euch von dieser Krankheit zu heilen. Wir wollen nach Hause zurück und wollen das Abenteuersuchen sein lassen in Ländern und Gegenden, die wir nicht kennen. Wenn man es aber recht überlegt, bin ich’s, der am meisten dabei verliert, wenn Ihr auch dabei am schlimmsten seid zugerichtet worden. Ich, der ich mit der Statthalterschaft den Wunsch aufgesteckt habe, nochmals ein Statthalter zu werden, habe keineswegs der Lust entsagt, ein Graf zu werden, aber die Lust wird niemals ihr Ziel erreichen, wenn Euer Gnaden zugleich mit dem Aufgeben Eures ritterlichen Berufs es aufgibt, ein König zu werden. Und sonach gehen jetzt meine Hoffnungen in Rauch auf.«

»Schweig, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »sintemal du siehst, daß meine Abschließung und Zurückgezogenheit von der Welt ein Jahr nicht überschreiten wird; and gleich nachher werde ich mich wieder zu meinem ehrenvollen Beruf wenden, und da wird es mir nicht an Königreichen fehlen und an einer Grafschaft für dich.«

»Das möge Gott hören und der Vater der Sünde dabei taub sein!« sprach Sancho; »ich habe immer sagen hören, ein gutes Hätt-ich ist besser als ein schlechtes Hab-ich.«

So weit waren sie in ihrem Gespräche gekommen, als Don Antonio eintrat und mit freudigstem Gesichte sagte: »Gebt mir Botenlohn, Señor Don Quijote; Don Gaspár Gregorio und der Renegat, der ausgesendet worden, ihn zu holen, sind schon am Strande angelangt; was sage ich am Strande? Sie sind schon im Hause des Vizekönigs und werden im Augenblick hier sein.«

Don Quijotes Gesicht heiterte sich ein wenig auf, und er sprach: »Wahrlich, ich möchte beinahe sagen, ich würde mich gefreut haben, wenn alles schlecht gegangen wäre, weil das mich gezwungen hätte, nach der Berberei zu ziehen, wo ich durch die Kraft meines Armes nicht nur Don Gaspár Gregorio, sondern allen Christensklaven in der Berberei die Freiheit verschafft hätte. Aber was sage ich Elender? Bin ich nicht der Besiegte? Bin ich nicht der, welcher ein ganzes Jahr lang an keine Waffe rühren darf? Was verspreche ich also? Wessen rühme ich mich, da es mir eher ziemt, mit dem Spinnrocken umzugehen als mit dem Schwerte?«

»Laßt das doch, Señor«, sprach Sancho. »Die Henne soll hochleben, auch wenn sie den Pips hat; heute dir, morgen mir. Bei solchen Gefechten und Balgereien weiß man nie, wie sie ausgehen; denn wer heute fällt, kann morgen aufstehen, wenn er nicht im Bett bleiben will, ich meine, wenn er sich seiner Schwäche hingeben will und keinen neuen Mut zu neuen Kämpfen faßt. Jetzt aber muß Euer Gnaden aufstehen und Don Gaspár Gregorio empfangen, denn mich dünkt, die Leute sind alle in Aufruhr, und er muß schon hier im Hause sein.«

Und so war es auch in der Tat, denn Don Gaspár und der Renegat hatten dem Vizekönig bereits über die Hinreise und die Rückkehr Bericht erstattet, und Gregorio, in seiner Sehnsucht, Ana Felix zu sehen, war mit dem Renegaten in Don Antonios Haus geeilt. Obwohl Gregorio, als er von Algier weggebracht wurde, noch in Frauentracht ging, so hatte er sie auf dem Schiffe mit den Kleidern eines Sklaven vertauscht, der zugleich mit ihm entflohen war. Indessen, in welcher Tracht er auch erschienen wäre, so hätte man ihm stets den Menschen angesehen, der geboren war, um Liebe, bereitwilliges Entgegenkommen und Achtung bei allen zu finden, denn er war über die Maßen schön und sein Alter anscheinend nicht höher als siebzehn bis achtzehn Jahre. Ricote und seine Tochter eilten zu ihm hinaus, um ihn zu begrüßen, der Vater mit Tränen und die Tochter mit züchtiger Scheu. Sie umarmten einander nicht, denn wo große Liebe ist, da pflegt man sich nicht leicht große Freiheiten herauszunehmen. Als diese beiden, Gregorio und Ana Felix, in ihrer Schönheit beisammenstanden, erregten sie die Bewunderung aller Anwesenden. Hier war es nur das Schweigen, das für die beiden Liebenden redete, und die Augen allein waren die Dolmetscher ihrer freudigen und reinen Gedanken.

Der Renegat erzählte die Künste und Mittel, die er zur Befreiung Gregorios angewendet. Gregorio berichtete von den Gefahren und Bedrängnissen, von denen er sich unter den Frauen, bei welchen er weilen mußte, bedroht gesehen; er erzählte sie nicht in ausführlicher Darlegung, sondern mit kurzen Worten, die bewiesen, daß sein Verstand seinen Jahren weit voraus war.

Ricote bezahlte nun und belohnte freigebig sowohl den Renegaten als auch die Leute, die auf den Bänken das Ruder geführt hatten. Der Renegat wurde der Kirche wiedergegeben und ihr aufs neue einverleibt; und aus einem kranken und faulen Gliede wurde er ein reines und gesundes durch Buße und Reue.

Zwei Tage darauf besprach sich der Vizekönig mit Don Antonio über die Frage, auf welche Weise sie bewirken könnten, daß Ana Felix und ihr Vater in Spanien bleiben dürften, da es nach ihrer Meinung keinen Nachteil mit sich brächte, wenn eine so gut christliche Jungfrau mit ihrem dem Anscheine nach so wohlgesinnten Vater auch fernerhin im Lande verweilte. Don Antonio erbot sich, nach der Residenz zu gehen, um darüber zu verhandeln, da er ohnehin wegen andrer Geschäfte notwendig dahin müßte, und er deutete an, daß dort durch Gunst und Geschenke viele schwierige Angelegenheiten glücklich zu Ende geführt würden.

»Nein«, sagte Ricote, der bei dieser Unterredung zugegen war, »auf Gunst und Geschenke ist nicht zu bauen; denn bei dem großen Don Bernardino de Velasco, Grafen von Salazár, welchem Seine Majestät unsre Austreibung aufgetragen hat, helfen weder Bitten noch Versprechungen noch Geschenke noch Wehklagen; und wenn er auch zwar Barmherzigkeit mit Gerechtigkeit vereint, so sieht er doch, daß der ganze Körper unsres Volkes angesteckt und angefault ist, und er behandelt ihn lieber mit dem glühenden Eisen, das ausbrennt, als mit der Salbe, die aufweicht und lindert; und so hat er mit Klugheit, mit Einsicht, mit Tätigkeit, mit der Furcht, die er den Schlechten einflößt, die Last dieses großen Unternehmens auf seinen starken Schultern zu tragen gewußt, bis er seinen Auftrag zur gebührenden Ausführung gebracht, ohne daß unsre Anschläge, Künste, Bitten und Betrügereien seine Argusaugen wenden konnten, die er immer wachsam hält, damit keiner von den Unsern zurückbleiben oder sich vor ihm verstecken könne, um als verborgene Wurzel künftig neu auszuschlagen und giftige Früchte in Spanien hervorzubringen, das jetzt gereinigt und von der Furcht erlöst ist, in der unsre große Anzahl es lange Zeit hielt. Ein heldenmütiger Entschluß des großen Philipp des Dritten! Und außergewöhnlich weise, daß er mit der Ausführung diesen Don Bernardino de Velasco beauftragt hat.«

»Jedenfalls werde ich«, sagte Don Antonio, »wenn ich einmal dort bin, alle möglichen Schritte tun, und dann mag der Himmel es fügen, wie er es für am besten hält. Don Gaspár soll mit mir gehen, um seinen Eltern Trost zu bringen nach dem Kummer, den seine Abwesenheit ihnen bereitet hat; Ana Felix soll bei meiner Frau in meinem Hause oder in einem Kloster leben, und ich bin überzeugt, der Herr Vizekönig wird es gern sehen, daß der brave Ricote in seinem Hause bleibt, bis wir sehen, ob ich mit Glück unterhandle.«

Der Vizekönig war mit allen diesen Vorschlägen einverstanden, aber als Don Gaspár Gregorio erfuhr, was im Werk war, erklärte er, er könne oder wolle unter keiner Bedingung Doña Ana Felix verlassen. Da er indessen die Absicht hatte, seine Eltern zu besuchen und dann Vorkehrungen zu treffen, Ana nachzuholen, so willigte er zuletzt in den vereinbarten Plan. Ana Felix blieb bei Don Antonios Gemahlin und Ricote im Hause des Vizekönigs.

Es kam der Tag der Abreise Don Antonios und zwei Tage später der Don Quijotes und Sanchos; der Sturz mit dem Pferde erlaubte dem Ritter nicht, sich früher auf den Weg zu begeben. Es gab Tränen, es gab Seufzer, Ohnmächten und Schluchzen, als Don Gaspár von Ana Felix Abschied nahm. Ricote bot ihm tausend Goldtaler an, wenn er sie wünsche, aber er nahm nichts von ihm, sondern nur fünf, die ihm Don Antonio lieh und deren Rückzahlung in der Residenz er versprach. Und so reisten denn die beiden ab und später, wie gesagt, Don Quijote und Sancho, Don Quijote ohne Wehr und Waffen und in Reisekleidern, Sancho zu Fuß, weil der Esel mit Wehr und Waffen beladen war.

66. Kapitel


Welches von Dingen handelt, die der ersehen wird, der sie lieset, oder hören wird, der sie sich vorlesen läßt

Als Don Quijote von Barcelona schied, betrachtete er sich noch einmal die Stelle, wo er gestürzt war, und sagte: »Hier stand einst Troja; hier hat mein Unglück und nicht meine Feigheit mir den erworbenen Ruhm entrissen, hier hat das Glück seinen Wankelmut an mir erwiesen; hier wurden meine Heldentaten mit Dunkel umzogen; hier, mit einem Wort, stürzte mein Glück zusammen, um sich nie mehr zu erheben.«

Als Sancho diese Wehklage hörte, sagte er: »Tapferen Herzen, Herre mein, ist es ebenso eigen, Geduld im Unglück zu haben wie Freudigkeit im Glücke. Das kann ich an mir selbst erkennen; wenn ich mich vergnügt fühlte, als ich Statthalter war, so bin ich jetzt, wo ich Schildknappe zu Fuß bin, darum nicht traurig; denn ich habe sagen hören, was man in der Welt Fortuna nennt, das sei ein betrunkenes und launisches und obendrein blindes Weib und sehe darum nicht, was es tut, und wisse nicht, wen es niederwirft und wen es erhebt.«

»Du bist ja ein ganzer Philosoph, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »du sprichst wie ein vernünftiger Mensch; ich weiß nicht, wer dich das lehrt. Ich muß dir aber sagen, daß es keine Fortuna auf der Welt gibt und daß alles, was auf Erden geschieht, mag es böse oder gut sein, nicht durch Zufall kommt, sondern durch besondere Schickung des Himmels; und darum pflegt man auch zu sagen: jeder ist seines Glückes Schmied. Ich bin des meinigen Schmied gewesen, aber nicht mit der nötigen Vorsicht, und so ist mich mein Dünkel teuer zu stehen gekommen, da ich hätte bedenken müssen, daß der gewaltigen Größe des Rosses, das den Ritter vom weißen Mond trug, die Schwächlichkeit Rosinantes nicht widerstehen konnte. Ich wagte es dennoch, ich tat, was ich vermochte, ich ward niedergeworfen, und habe ich auch die Ehre eingebüßt, so habe ich doch die Tugend des Worthaltens nicht eingebüßt und kann sie nicht einbüßen. Als ich ein fahrender Ritter, ein kühner und mannhafter, war, habe ich mit meinen Werken und mit meiner Hände Kraft den Wert meiner Taten erwiesen; und jetzt, wo ich ein fußwandernder Knappe bin, werde ich den Wert meiner Worte erweisen durch die Erfüllung des Versprechens, das ich gegeben. Wandere demnach fürbaß, Freund Sancho; wir wollen in unsrer Heimat das Probejahr aushalten und werden durch die Abgeschlossenheit unsres Lebens neue Kraft gewinnen, um dann zu dem Waffenhandwerk zurückzukehren, das ich nie aufgeben werde.«

»Señor«, versetzte Sancho, »zu Fuße wandern ist kein so vergnügliches Ding, daß es mich bewegen und anreizen sollte, große Tagereisen zu machen. Lassen wir diese Wehr und Waffen an einem Baume hängen wie einen zum Strick Verurteilten; und wenn ich alsdann wieder auf dem Rücken meines Grauen sitze und die Beine nicht auf die Erde setzen muß, da wollen wir lange Tagereisen machen, so lang, als Ihr sie begehren und abmessen wollt. Wenn Ihr aber glaubt, daß ich zu Fuß gehen und große Tagereisen machen werde, das heißt das Unglaubliche glauben.«

»Wohlgesprochen, Sancho«, entgegnete Don Quijote. »Meine Waffen sollen als Siegesmal aufgehängt werden, und unter ihnen oder rings um sie her wollen wir in die Bäume eingraben, was am Waffenmal Roldáns geschrieben stand:

Es rühre keiner diese Waffen an,
Der nicht Roldán im Streit bestehen kann.«

»Alles das scheint mir wunderschön«, versetzte Sancho, »und wenn’s nicht deshalb wäre, weil uns Rosinante für die Reise fehlen würde, so wäre es gut, auch ihn mit aufzuhängen.«

»Nein, weder ihn noch die Waffen will ich aufhängen lassen«, entgegnete Don Quijote, »damit man nicht sage: für gute Dienste schlechter Lohn.«

»Euer Gnaden hat sehr wohl gesprochen«, versetzte Sancho, »denn gescheite Leute sagen, man soll des Esels Schuld nicht auf den Sattel schieben; und da Euer Gnaden die Schuld an diesem Vorfall hat, so mögt Ihr Euch immerhin selbst bestrafen und Euern Zorn nicht an den ohnehin schon zerbrochenen und blutigen Rüstungsstücken noch an Rosinantes Sanftmütigkeit auslassen noch an der Weichheit meiner Füße, wenn Ihr verlangt, daß sie mehr, als recht ist, wandern sollen.«

Unter solchen Gesprächen und Unterhaltungen verging ihnen dieser ganze Tag und so noch vier andre, ohne daß ihnen etwas begegnete, was ihre Reise aufgehalten hätte. Am fünften Tage aber fanden sie beim Einzug in ein Dorf vor der Tür eines Wirtshauses eine Menge Leute, die sich da, weil es Festtag im Orte war, die Zeit vertrieben. Als Don Quijote sich ihnen näherte, erhob ein Bauer die Stimme und sagte: »Einer von diesen beiden Herren, die da kommen, da sie die Parteien nicht kennen, soll sagen, was bei unsrer Wette anzufangen ist.«

»Gewiß will ich das sagen«, entgegnete Don Quijote, »und zwar ganz nach dem Rechte, falls ich nur imstande bin, eure Wette richtig zu verstehen.«

»Der Fall ist der«, erklärte der Bauer, »mein guter Herr, daß ein Einwohner dieses Ortes, der so dick ist, daß er fast drei Zentner wiegt, einen andern, der nicht mehr als eineinviertel Zentner wiegt, zum Wettlauf herausgefordert hat. Bedingung war, daß sie einen Weg von hundert Schritten mit gleichem Gewichte laufen sollten; und als man den Herausforderer fragte, wie das Gewicht ausgeglichen werden solle, sagte er: der Herausgeforderte, der nur einhundertfünfundzwanzig Pfund wiegt, solle sich einhundertfünfundsiebzig Pfund Eisen aufladen, dann seien die drei Zentner des Dicken ausgeglichen.«

»Nichts da«, fiel hier Sancho ein, ehe noch Don Quijote eine Antwort geben konnte; »mir, der ich erst vor wenigen Tagen aus Statthalterschaft und Richteramt geschieden bin, wie die ganze Welt weiß, mir kommt es zu, derlei Zweifelsfragen auf den Grund zu kommen und bei jedem Prozeß den Spruch zu fällen.«

»Antworte denn in Gottes Namen, Freund Sancho«, sagte Don Quijote; »ich bin jetzt nicht imstande, einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken, so zerrüttet und verdreht ist mir der Kopf.«

Auf diese Erlaubnis hin sprach Sancho zu den Bauern, deren viele mit offenem Munde um ihn herumstanden und aus seinem Munde den Spruch erwarteten: »Freunde, was der Dicke verlangt, hat keinen Sinn und nicht den geringsten Schatten von Recht; denn wenn es wahr ist, daß der Herausgeforderte die Waffen wählen kann, so darf der Herausforderer keine solchen wählen, die den andern hindern oder gänzlich abhalten, als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen. Und sonach ist mein Urteil dieses: daß der dicke Forderer sich ausputzen, säubern, abreiben, striegeln und abschaben und solcherweise einhundertfünfundsiebzig Pfund seines Fleisches wegnehmen soll von dieser oder jener Stelle seines Körpers, wie es ihm am besten dünkt oder am besten ist; und da ihm so ein Gewicht von einhundertfünfundzwanzig Pfund übrigbleibt, wird er den einhundertfünfundzwanzig Pfund seines Gegners gleichkommen, und so werden sie unter gleichen Bedingungen miteinander laufen.«

»Hol mich der und jener«, sprach da ein Bauer, der Sanchos Spruch zugehört hatte, »der Herr hat geredet wie ein Heiliger und geurteilt wie ein Domherr. Aber gewiß wird der Dicke sich nicht zwei Lot von seinem Fleische wegnehmen wollen, geschweige denn einhundertfünfundsiebzig Pfund.«

»Das beste ist, wenn sie gar nicht laufen«, meinte ein andrer, »damit der Magere sich nicht mit dem Gewicht überlastet und der Dicke nicht nötig hat, sich zu zerfleischen. Die Hälfte der Wette soll auf Wein verwendet werden, und wir wollen diese Herren in die Schenke mitnehmen, wo man den Guten schenkt, und solltet ihr dabei beregnet werden, so werft mir ’nen Mantel um.«

»Ich meinesteils, meine Herren«, antwortete Don Quijote, »muß dafür danken; ich kann mich keinen Augenblick aufhalten, denn Gedanken und Erlebnisse schmerzlicher Art zwingen mich, unhöflich zu erscheinen und rascher als gewöhnlich zu reisen.«

Hiermit gab er Rosinante die Sporen und ritt weiter, und sie alle blieben verwundert stehen über sein seltsames Aussehen und über die Gescheitheit seines Dieners, denn dafür hielten sie Sancho. Und ein andrer von den Bauern sagte: »Wenn ein Diener so gescheit ist, wie muß erst der Herr sein? Ich will wetten, wenn sie nach Salamanca studieren gehen, so werden sie im Handumdrehen Oberhofrichter; denn alles ist Narretei, außer studieren und immer wieder studieren und Gunst und Glück haben, und ehe einer sich’s versieht, steht er da mit einem Richterstab in der Hand oder mit einer Bischofsmütze auf dem Kopf.«

Diese Nacht verbrachten Herr und Diener mitten auf dem Felde unter freiem sternhellem Himmel. Als sie am nächsten Tage ihren Weg fortsetzten, sahen sie einen Mann zu Fuß ihnen entgegenkommen, einen Zwerchsack am Halse hängend und eine Pike oder einen kleinen Spieß in der Hand, ganz nach der Art eines Eilboten zu Fuß. Dieser, als er Don Quijote von weitem erblickte, beschleunigte seine Schritte, eilte halb laufend auf ihn zu, schlang ihm den Arm um den rechten Schenkel, denn höher hinauf reichte er nicht, und sprach zu ihm mit Bezeigungen lebhaftester Freude: »O Señor Don Quijote von der Mancha, wie große Freude wird meinem Herrn, dem Herzog, ins Gemüt einziehen, wenn er erfährt, daß Euer Gnaden nach seinem Schlosse zurückkehrt, denn dort verweilt er noch immer mit der gnädigen Frau Herzogin.«

»Ich kenne Euch nicht, Freund«, antwortete Don Quijote, »und weiß nicht, wer Ihr seid, wenn Ihr es mir nicht sagt.«

»Ich, Señor Don Quijote«, antwortete der Eilbote, »bin Tosílos, der Lakai unsres gnädigen Herzogs, derselbe, der mit Euer Gnaden nicht kämpfen wollte von wegen der Heirat mit der Tochter der Doña Rodríguez.«

»Gott steh mir bei!« sagte Don Quijote, »ist’s möglich, daß Ihr derselbe seid, den die mir feindlichen Zauberer in jenen Lakaien verwandelt haben, den Ihr nennt, um mich um die Ehre jenes Kampfes zu betrügen?«

»Schweigt mir doch, lieber Herr«, entgegnete der Bote; »es hat gar keine Verzauberung stattgefunden, gar keine Verwandlung der Gesichter; ich bin geradeso als Lakai Tosílos in die Schranken geritten, wie ich als Tosílos der Lakai aus ihnen herauskam. Ich dachte, ich könnte mich verheiraten, ohne zu kämpfen, weil mir das Mädchen wohl gefallen hatte, aber es ging mir ganz anders, als ich erwartet hatte; denn sobald Euer Gnaden aus unsrem Schloß abgereist war, ließ mir der Herzog, mein Herr, hundert Prügel aufzählen, weil ich den Befehlen zuwiderhandelte, die er mir vor Beginn des Kampfes erteilt hatte; und das Ganze ist damit zum Abschluß gekommen, daß das Mädchen jetzt eine Nonne und Doña Rodríguez nach Kastilien zurückgekehrt ist; und ich gehe jetzt nach Barcelona, um dem Vizekönig ein Päckchen Briefe zu überbringen, die mein Herr ihm sendet. Wenn Euer Gnaden ein Schlückchen nehmen will, zwar etwas warm, aber rein, so habe ich hier eine Kürbisflasche vom Besten, nebst ich weiß nicht wieviel Schnittchen Käse von Tronchón, die dazu dienlich sind, den Durst zu reizen und zu wecken, wenn er vielleicht noch schläft.«

»Die Einladung laß ich mir gefallen«, sagte Sancho, »setzt alles, was Euch von Höflichkeit noch übrig, guter Tosílos, und schenket ein, zum Trotz und Ärger allen den Zauberern, soviel es ihrer nur in Westindien geben mag.«

»Du bist doch der größte Schlemmer auf der Welt, Sancho«, sprach Don Quijote, »und der größte Dummkopf auf Erden, weil du nicht einsiehst, daß dieser Bote verzaubert und dieser Tosílos unecht ist. Bleibe du bei ihm und iß dich voll; ich will langsam vorausreiten und warten, bis du nachkommst.«

Der Lakai lachte, zog seine Kürbisflasche, holte die Käseschnittchen aus dem Zwerchsack, nahm ein kleines Brot hervor und setzte sich mit Sancho ins grüne Gras, und beide verzehrten in Frieden und Kameradschaft den ganzen Vorrat des Zwerchsackes und leerten ihn bis auf den Grund, und zwar mit so gesundem Appetit, daß sie sogar das Päckchen mit den Briefen ableckten, bloß weil es nach Käse roch. Tosílos sprach zu Sancho: »Dein Herr da, Freund Sancho, macht sich gar vieler Narrheiten schuldig.«

»Was heißt schuldig?« entgegnete Sancho; »er ist keinem was schuldig, er bezahlt alles, besonders wenn die Münze in Narretei besteht. Ich sehe das wahrlich ein und sage es ihm wahrlich auch; aber was nützt es? Zumal jetzt, wo es ganz mit ihm aus ist, weil er von dem Ritter vom weißen Mond besiegt worden ist.«

Tosílos bat, ihm zu erzählen, was es mit dem Ritter auf sich habe, aber Sancho meinte, es sei unhöflich, seinen Herrn warten zu lassen; ein andermal, wenn sie einander wieder begegnen sollten, würde noch Zeit dafür sein.

Damit stand er auf, schüttelte seinen Rock aus und die Krumen aus dem Barte, trieb den Esel vor sich her, sagte Lebewohl, schied von Tosílos und holte seinen Herrn ein, der im Schatten eines Baumes hielt, um ihn zu erwarten.

67. Kapitel


Von dem Entschlusse Don Quijotes, Schäfer zu werden und sich dem Landleben zu widmen, bis das Jahr seines Gelübdes um sein würde, nebst andern wahrhaft ergötzlichen und fürtrefflichen Dingen

Wenn gar viele Gedanken Don Quijote quälten, schon ehe er mit dem Pferde gestürzt war, so waren es ihrer noch viel mehr nach seinem Fall. Er hielt, wie gesagt, im Schatten des Baumes, und dort überfielen ihn all die Gedanken wie Fliegen den Honig. Die einen waren auf Dulcineas Entzauberung gerichtet, die andern auf die Frage, welches Leben er bei seiner erzwungenen Zurückgezogenheit führen sollte. Sancho kam hinzu und rühmte ihm den freigebigen Sinn des Lakaien Tosilos. »Meinst du denn wirklich, Sancho«, sagte Don Quijote zu ihm, »das sei der wirkliche Lakai? Du hast wohl vergessen, daß du Dulcinea in eine Bäuerin verwandelt gesehen hast und den Spiegelritter in den Baccalaureus Carrasco; alles das Werk der Zauberer, die mich verfolgen. Aber sage mir jetzt, hast du diesen Tosílos, den du nennst, gefragt, was der Himmel über Altisidora verhängt hat? Ob sie meine Abwesenheit beweint oder die Liebesgedanken, die sie in meiner Gegenwart quälten, schon in den Händen der Vergessenheit gelassen hat?«

Sancho antwortete: »Meine Gedanken waren nicht derart, daß sie mir Zeit gelassen hätten, nach so einfältigen Kindereien zu fragen. Herr Gott Sapperment, Señor! Was treibt Euer Gnaden, Euch jetzt nach fremden und gar nach verliebten Gedanken zu erkundigen?«

»Bedenke, Sancho«, versetzte Don Quijote, »es ist ein großer Unterschied zwischen den Werken, die aus Liebe, und denen, die aus Dankbarkeit vollbracht werden. Dem Anscheine nach liebte mich Altisidora, sie gab mir die drei Hauben, von denen du weißt; sie weinte bei meiner Abreise, sie verwünschte mich, schmähte mich und beklagte sich über mich öffentlich, aller Schamhaftigkeit zum Trotz; alles deutliche Zeichen, daß sie mich anbetete, denn das Zürnen der Liebenden äußert sich immer zuletzt in Verwünschungen. Ich hatte keine Hoffnungen ihr zu gewähren, keine Schätze ihr zu bieten, denn meine Hoffnungen habe ich sämtlich Dulcineen anheimgestellt, und die Schätze der fahrenden Ritter sind, wie die der Kobolde, nur Schein und Trug. Ich kann ihr nichts geben als dies mein Andenken an sie, unbeschadet jedoch meines Andenkens an Dulcinea, welche du schwer kränkst durch die Lässigkeit in deiner Selbstgeißelung und in der Züchtigung dieses deines Fleisches – o sah ich doch die Wölfe es fressen! –, das lieber für die Würmer aufgespart werden will als für die Rettung dieses armen Fräuleins.«

»Señor«, entgegnete Sancho, »wenn ich die Wahrheit sagen soll, so kann ich mir nicht einreden, daß das Geißeln meiner Sitzteile etwas mit der Entzauberung verzauberter Personen zu tun haben kann; das ist gerade, als sagten wir: wenn dir der Kopf weh tut, so reib dir die Knie mit Salben ein. Mindestenfalls wollte ich darauf schwören, daß Ihr in all den Geschichten, die Ihr von fahrender Ritterschaft gelesen, nie einen gefunden habt, der durch Geißelhiebe entzaubert worden wäre. Indessen, es mag sein, wie es will, ich werde sie mir geben, wann ich Lust habe, und zu einer Zeit, wo es mir gerade paßt, mich zu prügeln.«

»Das gebe Gott!« entgegnete Don Quijote, »und der Himmel verleihe dir seine Gnade, daß du zur Einsicht kommst und die Verpflichtung erkennst, die dir obliegt, meiner Gebieterin zu helfen, die auch die deinige ist, da ich dein Herr bin.«

Unter diesen Gesprächen zogen sie ihres Weges weiter, bis sie zu der nämlichen Gegend und Stelle kamen, wo sie von den Stieren überrannt worden waren. Don Quijote erkannte den Ort und sprach zu Sancho: »Dies ist das Gefilde, wo wir die reizenden Schäferinnen und die stattlichen Schäfer fanden, die hier das arkadische Hirtenleben nachahmen und erneuen wollten, ein ebenso wundersamer wie kluger Gedanke; und nach diesem Vorbild möchte ich, Sancho, wenn du damit einverstanden bist, daß wir uns in Schäfer verwandelten, wenigstens so lange Zeit, als ich zurückgezogen leben muß. Ich will etliche Schafe kaufen nebst allem andern, was zum Hirtenleben nötig ist; dann nenne ich mich Schäfer Quijotiz und dich Schäfer Pansino, und wir durchziehen die Waldberge, die Haine und die Wiesen, hier singend, dort wehklagend und trinkend von den flüssigen Kristallen der Quellen oder auch der klaren Bächlein oder der wasserreichen Ströme. Mit reichgefüllten Händen bieten uns dann die Eichen ihre süße Frucht, einen Sitz die Stämme der harten Korkbäume, Schatten die Weiden am Bach, Wohlgeruch die Rosen, Teppiche in tausend Farben schillernd die weitgedehnten Wiesen; die Lüfte ihren heiteren reinen Atem, Mond und Sterne ihr Licht, wenn auch die Dunkelheit der Nacht es wehren möchte; freudigen Genuß gibt der Gesang, heitere Stimmung fließt aus unsern Tränen, Apollo wird uns Verse eingeben und die Liebe geistreiche Gedanken, mit denen wir uns unsterblichen Ruhm erwerben, nicht nur in den jetzigen Zeiten, sondern auch für alle zukünftigen.«

»So mir Gott helfe!« sagte Sancho, »solch eine Lebensweise kommt mir zupaß und zu Spaß; um so mehr, als ich gedenke, sobald sie der Baccalaur Sansón Carrasco und Meister Nikolas der Barbier einmal mit angesehen haben, so werden sie sie gleich mitmachen und mit uns Schäfer werden wollen; ja, Gott gebe, daß es dem Pfarrer nicht einfällt, auch in den Pferch zu kommen, da er so heiter gelaunt ist und sich so gern erlustigt.«

»Sehr gut gesprochen«, sagte Don Quijote, »und wenn der Baccalaureus sich in den Schoß des Schäfertums begibt, wie er es ohne Zweifel tun wird, so kann er sich den Schäfer Sansonino nennen oder den Schäfer Carrascón; der Barbier Nikolas kann sich Niculoso heißen, wie schon der alte Boscán sich Nemoroso nannte; für den Pfarrer weiß ich keinen Namen, wenn nicht etwa eine Ableitung von seinem Amtstitel als Curat, so daß wir ihn den Schäfer Curiambro nennen. Die Schäferinnen, in die wir verliebt sein müssen, für sie können wir Namen zu Dutzenden auslesen wie Birnen vom Baum, und da der Name meiner Geliebten für eine Schäferin ebensogut paßt wie für eine Prinzessin, so brauche ich mich nicht zu bemühen, um einen besseren für sie zu finden. Du, Sancho, kannst die deinige nennen, wie du Lust hast.«

»Ich gedenke ihr keinen andern zu geben«, entgegnete Sancho, »als Teresarunda, der gut zu ihrem runden Körper paßt sowie zu dem Namen, den sie schon trägt, da sie Teresa heißt. Und zudem, wenn ich sie in meinen Versen preise, darf ich meine keuschen Wünsche an den Tag legen, da ich nicht erst in fremde Häuser nach feineren Semmeln gehe. Der Pfarrer aber, das gehört sich nicht, daß er eine Schäferin hat, weil er ein gutes Beispiel geben muß; und will der Baccalaur eine haben, so mag er sehen, wie er mit seinem Gewissen fertig wird.«

»Weiß Gott«, sagte Don Quijote, »welch ein Leben werden wir führen, Freund Sancho! Wieviel Schalmeien werden wir vernehmen, wieviel zamoranische Mandolinen, wieviel Tamburine, wieviel Schellentrommeln, wieviel Fiedeln! Und wie erst, wenn unter dieser Mannigfaltigkeit von Tönen der Musik auch noch die der Alboguen erschallt? Dann wird man schier alle schäferlichen Instrumente dort zusammen sehen.«

»Was sind Alboguen?« fragte Sancho; »ich habe sie noch niemals nennen gehört und in meinem ganzen Leben nie gesehen.«

»Alboguen«, antwortete Don Quijote, »sind Becken nach Art messingner Leuchterfüße. Wenn man sie mit der hohlen Seite aneinanderschlägt, so geben sie einen Ton von sich, der, wenn auch nicht besonders wohllautend oder harmonisch, so doch nicht unangenehm ist und gut zu der bäurischen Art der Mandoline und des Tamburins paßt. Dieses Wort Alboguen ist maurisch wie alle, die in unsrer kastilianischen Sprache mit Al anfangen, zum Beispiel almohaza der Striegel, almorzar frühstücken, alhombra der Teppich, alguacil der Gerichtsdiener, alhucema der Lavendel, almacén das Magazin, alcancía die irdene Sparbüchse, und andre ähnliche Worte; es werden ihrer nicht viel mehr sein. Nur drei hat unsre Sprache, die maurisch sind und auf i endigen; es sind borceguí der Halbstiefel, zaquizamí der Dachboden, und maravedí. Alhelí die Levkoje und alfaquí der maurische Priester lassen sich sowohl durch das voranstellende Al als auch durch das i, womit sie endigen, als ebenfalls arabisch erkennen. Dies habe ich dir im Vorbeigehen gesagt, weil der Umstand, daß ich Alboguen erwähnte, es mir wieder ins Gedächtnis rief. Was uns aber viel dabei helfen wird, unsern neuen Beruf in höchster Vollkommenheit zu üben, das ist, daß ich, wie du weißt, ein wenig Dichter bin und daß der Baccalaureus Sansón Carrasco es in vorzüglicher Weise ist. Vom Pfarrer sage ich nichts, aber ich wette, daß er gewiß nicht wenig vom Dichter an sich hat; und daß es mit Meister Nikolas ebenso ist, daran zweifle ich nicht, denn alle oder die meisten Barbiere klimpern die Gitarre und schmieden ihre Reime. Ich werde Klagelieder über die Abwesenheit der Geliebten singen, du wirst dich als einen treu Liebenden preisen; der Schäfer Carrascón sich als einen Verschmähten und der Pfarrer Curiambro als das, was ihn am passendsten dünkt; und auf solche Weise wird die Sache gehen, daß man es sich nicht besser wünschen kann.«

Darauf entgegnete Sancho: »Ich, Señor, habe so viel Unglück, daß ich fürchte, nie wird der Tag kommen, an dem ich mich solchem Beruf hingeben kann. Oh, wie niedliche Löffel will ich schnitzen, wenn ich nur erst ein Schäfer bin! Wieviel gute Bröckchen, wieviel Rahm will ich bereiten, wieviel Laubgewinde, wieviel schäferliche Kindereien! Wenn mir dies alles auch nicht den Ruf eines gescheiten Menschen eintragen sollte, so muß es mir doch auf alle Fälle den eines sinnreichen Kopfes verschaffen. Sanchica, meine Tochter, soll uns das Essen auf den Weideplatz bringen. Doch halt! Sie sieht ganz hübsch aus, und es gibt Schäfer, die weit eher Schelme als einfältig sind; und ich möchte nicht, sie ging‘ nach Wolle aus und käm‘ geschoren nach Haus. Es pflegen ja auch Liebeshändel und arge Gelüste auf dem Land daheim zu sein wie in den Städten, in den schäferlichen Hütten wie in königlichen Palästen; und schließt man der Gelegenheit die Tür, so schließt man der Sünde die Tür; und sieht das Auge nicht, bricht das Herz nicht; und besser ein Buschklepper in Wald und Auen, als auf barmherzige Fürbitter bauen.«

»Keine Sprichwörter mehr, Sancho«, sagte Don Quijote; »denn schon eines von denen, die du vorgebracht hast, genügt, um deine Gedanken verständlich zu machen. Oft schon habe ich dir geraten, du solltest nicht so verschwenderisch mit Sprichwörtern und bei ihrem Gebrauche zurückhaltend sein. Aber mich dünkt, es ist die Stimme des Predigers in der Wüste, und meine Mutter zankt mich, und ich tanze ihr auf der Nase herum.«

»Es kommt mir vor«, entgegnete Sancho, »Ihr seid gerade, wie es im Sprichwort heißt: Die Pfanne sagt zum Kessel, hebe dich weg, Schwarzmaul! Ihr scheltet mich, ich soll keine Sprichwörter sagen, und Ihr reihet sie paarweise aneinander.«

»Ja sieh, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »ich bringe die Sprichwörter sachgemäß an, und wenn ich sie zum besten gebe, passen sie wie der Ring an den Finger; aber du ziehst sie an den Haaren herbei, du bringst sie nicht vor, sondern zerrst sie herbei. Wenn ich mich recht entsinne, so habe ich dir schon einmal gesagt, die Sprichwörter sind kurzgefaßte Denksprüche, der Erfahrung und dem Nachdenken unsrer alten Weisen entnommen, und ein Sprichwort am falschen Platz ist eher ein Unsinn als ein Sinnspruch. Aber lassen wir das und gehen wir von der Landstraße ein wenig abseits, um irgendwo die Nacht zu verbringen; was morgen kommt, weiß Gott allein.«

Sie zogen sich seitwärts und speisten spät und schlecht, sehr gegen den Wunsch Sanchos, welchem sich aufs neue das ärmliche Leben des fahrenden Rittertums vergegenwärtigte, wie es im Walde und Gebirge üblich, wenn auch manchmal in Schlössern und Häusern die Hülle und Fülle zum Vorschein kam, wie bei Don Diego de Miranda, bei der Hochzeit des reichen Camacho und bei Don Antonio Moreno. Allein er bedachte, daß es nicht immer Tag und nicht immer Nacht sein könne, und so verbrachte er diese Nacht schlafend, während sein Herr wachte.

64. Kapitel


Welches von dem Abenteuer handelt, das von allen, die Don Quijote bisher erlebt, ihm am meisten Kummer machte

Don Antonio Morenos Gemahlin, so erzählt die Geschichte, war hocherfreut, Ana Felix in ihrem Hause zu sehen. Sie nahm sie mit großer Freundlichkeit auf und verliebte sich schier in ihre Schönheit sowie in ihren Verstand, denn mit beidem war die Moriskin ungewöhnlich von der Natur begünstigt, und alle Leute aus der Stadt, als hätte man sie mit Glocken herbeigeläutet, kamen, um sie zu sehen.

Don Quijote äußerte gegen Don Antonio, das Mittel, das man zur Befreiung Don Gaspár Gregorios gewählt habe, sei nicht das richtige, denn es sei mehr gefährlich als zweckmäßig; am besten wäre es, wenn man ihn mit seinen Waffen hoch zu Roß nach der Berberei brächte; er würde ihn dem ganzen Maurenvolke zum Trotz der Gefangenschaft entreißen, wie Don Gaiféros seine Gattin Melisendra befreit habe.

»Bedenket, Euer Gnaden«, sagte Sancho, als er dies hörte, »daß der Señor Don Gaiféros seine Gattin auf festem Lande befreite und sie auf dem festen Lande nach Frankreich brachte; aber hier, wenn wir vielleicht den Don Gaspár Gregorio befreien, wie sollen wir ihn nach Spanien bringen, wo doch die See dazwischenliegt?«

»Für alles gibt es ein Mittel außer gegen den Tod«, entgegnete Don Quijote; »denn wenn nur die Barke zum Strande gelangt, können wir uns darin einschiffen, und wollte auch die ganze Welt es verwehren.«

»Euer Gnaden malt sich dies gut aus und macht sich’s leicht«, sagte Sancho; »aber zwischen gesagt und getan streckt sich eine lange Bahn, und ich halte es mit dem Renegaten; der scheint mir ein anständiger und guter Mann zu sein.«

Don Antonio bemerkte, wenn der Renegat mit der Sache nicht fertigwerde, so könne man ja immer noch das Auskunftsmittel ergreifen, den großen Don Quijote nach der Berberei hinübergehen zu lassen.

Zwei Tage später schiffte sich der Renegat auf einer leichten Barke mit sechs Ruderbänken an jeder Seite ein, die mit dem tapfersten Schiffsvolk bemannt war; und wieder zwei Tage später fuhren die Galeeren nach der Levante ab, nachdem der General den Vizekönig ersucht hatte, ihn freundlichst von der Befreiung des Don Gaspár Gregorio und allen weiteren Schicksalen der Ana Felix zu benachrichtigen. Der Vizekönig versprach, diesen Wunsch zu erfüllen.

Eines Morgens ritt Don Quijote am Strande spazieren, vollständig gerüstet und gewappnet, denn, wie er häufig sagte: Meine Zierde sind die Waffen, und mein Ausruhn ist der Kampf; und daher ging er keinen Augenblick ohne Rüstung aus. Da sah er einen ebenfalls von Kopf bis Fuß gewaffneten Ritter auf sich zukommen, der einen hellglänzenden Mond im Schilde führte; und als dieser nah genug war, daß man ihn hören konnte, rief er mit lauter Stimme, seine Worte an Don Quijote richtend: »Erlauchter Ritter und nie nach Gebühr gepriesener Don Quijote von der Mancha, ich bin der Ritter vom weißen Monde, dessen unerhörte Heldentaten dir diesen Namen vielleicht ins Gedächtnis zurückgerufen haben. Ich komme, mit dir zu kämpfen und die Kraft deiner Arme zu erproben, damit du erkennest und gestehest, daß meine Dame, wer sie auch immer sei, ohne allen Vergleich schöner ist als deine Dulcinea von Toboso. Wenn du diese zweifellose Tatsache ohne viel Umstände bekennest, so wirst du dir den Tod ersparen und mir die Mühsal, dir den Tod zu geben; wenn du aber kämpfen willst und ich dich besiege, so verlange ich keine andere Genugtuung, als daß du ein volles Jahr hindurch die Waffen ablegst, dich enthältst, auf die Suche nach Abenteuern zu gehen, dich in dein Dorf heimbegibst und zurückziehst, wo du leben sollst, ohne Hand ans Schwert zu legen, in stillem Frieden und ersprießlicher Ruhe, denn also wird es dir gut sein zur Mehrung von Hab und Gut und zum Heil deiner Seele. Wenn du jedoch mich besiegst, so sollst du über mein Leben verfügen, und meine Waffen und mein Roß sollen deine Beute sein, und der Ruhm meiner Taten soll auf dich und deinen Ruhm übergehen. Nun erwäge, was dir am besten scheint, und antworte mir alsbald; diesen ganzen heutigen Tag habe ich mir zur Frist gesetzt, um diesen Handel zu Ende zu führen.«

Don Quijote war betroffen und staunte höchlich, sowohl ob der Vermessenheit des Ritters vom weißen Mond als auch ob des Grundes dieser Herausforderung; und mit Gelassenheit und strenger Miene gab er ihm zur Antwort: »Ritter vom weißen Monde, dessen Großtaten mir bis jetzt noch nicht zur Kenntnis gelangt sind, ich werde Euch schon zum Eidschwur zwingen, daß Ihr die erlauchte Dulcinea niemals gesehen habt. Wenn Ihr sie gesehen hättet, so weiß ich, Ihr würdet Euch hüten, Euch in eine solche Fehde einzulassen, denn ihr Anblick würde Euch der Selbsttäuschung entreißen und Euch belehren, daß es nie eine Schönheit gegeben hat noch geben kann, die da vermöchte, sich mit der ihrigen zu vergleichen. Und indem ich Euch sonach sage, nicht daß Ihr lüget, sondern daß Ihr in Eurem Vorhaben fehlgeht, nehme ich Eure Forderung an unter den Bedingungen, die Ihr dargelegt habt, und zwar auf der Stelle, damit der Tag, den Ihr dazu bestimmt habt, nicht vorübergehe; von Euren Bedingungen aber nehme ich nur die aus, daß der Ruhm Eurer Heldentaten auf mich übergehen soll, denn ich weiß nicht, worin sie bestehen und welcher Art sie sind; ich bin mit den meinigen begnügt, wie sie nun auch sein mögen. Nehmt also soviel Feld zum Anrennen, als Ihr wünschet, ich werde dasselbe tun, und wem es Gott verleiht, dem gebe Sankt Peter seinen Segen dazu.«

Man hatte von der Stadt aus den Ritter vom weißen Mond bemerkt und dem Vizekönig mitgeteilt, daß er mit Don Quijote von der Mancha Zwiesprache halte. Der Vizekönig glaubte, es sei irgendein neues Abenteuer, das Don Antonio Moreno oder sonst ein Edelmann aus der Stadt ausgeheckt habe, begab sich sogleich mit Don Antonio und mehreren andern Edelleuten seines Gefolges nach dem Strande und kam eben an, als Don Quijote Rosinante umwendete, um den nötigen Anlauf zu nehmen. Als nun der Vizekönig sah, daß die beiden Miene machten, zu wenden und aufeinander anzurennen, warf er sich dazwischen und fragte sie nach dem Grunde, der sie so unversehens zum Kampfe veranlasse. Der Ritter vom weißen Monde antwortete, es handle sich um den Vorrang der Schönheit, und wiederholte ihm in kurzen Worten, was er Don Quijote gesagt, nebst der Annahme der von beiden Teilen aufgestellten Bedingungen der Herausforderung. Der Vizekönig näherte sich Don Antonio und fragte ihn leise, ob er wisse, wer dieser Ritter vom weißen Monde sei, oder ob es eine Posse sei, die man Don Quijote spielen wolle. Don Antonio antwortete ihm, er wisse weder, wer er sei, noch ob die Forderung zum Scherz oder ernst gemeint sei.

Diese Antwort brachte den Vizekönig in Verlegenheit; er wußte nicht, ob er den Kampf vor sich gehen lassen sollte oder nicht. Da er jedoch unmöglich annehmen konnte, daß es etwas andres als Scherz sei, entfernte er sich mit den Worten: »Meine Herren Ritter, wenn es hier kein andres Mittel gibt, als zu bekennen oder zu sterben, und der Señor Don Quijote auf seinem Sinn und Ihr, Ritter vom weißen Mond, auf Eurem Unsinn beharrt, dann sei es so in Gottes Namen, und drauflos!«

Der vom weißen Mond dankte mit höflichen und verständigen Worten dem Vizekönig für die ihnen gewährte Erlaubnis, und Don Quijote tat desgleichen. Der letztere befahl sich von ganzem Herzen dem Himmel und seiner Dulcinea, wie er beim Beginn jedes sich ihm darbietenden Kampfes gewohnt war, nahm hierauf noch etwas mehr Feld zum Anrennen, weil er sah, daß sein Gegner das nämliche tat, und ohne daß eine Trompete oder ein andres kriegerisches Instrument erklang, um ihnen das Zeichen zum Angriff zu geben, wandten sie beide in ein und demselben Augenblick ihre Rosse, und da das des Mondritters schneller war, traf er bei zwei Dritteilen der Kampfbahn mit Don Quijote zusammen und rannte ihn mit so gewaltiger Kraft an, daß er, ohne ihn mit dem Speer zu berühren, welchen er anscheinend absichtlich in die Höhe hielt, Rosinante samt Don Quijote in gefährlichem Fall zu Boden warf. Sogleich stürzte er über ihn her, setzte ihm den Speer auf das Visier und sagte: »Ihr seid besiegt, Ritter; ja Ihr seid des Todes, wenn Ihr nicht bekennet gemäß den Bedingungen unsrer Herausforderung.«

Don Quijote, zerschlagen und betäubt, sprach mit schwacher, kraftloser Stimme, welche, da er das Visier nicht hob, wie aus einem Grabe hervorklang: »Dulcinea von Toboso ist das schönste Weib auf der Welt, und ich bin der unglücklichste Ritter auf Erden, und es wäre nicht recht, wenn diese Wahrheit durch meine Schwäche Eintrag erlitte, stoß zu, Ritter, mit deinem Speer und nimm mir das Leben, da du mir die Ehre genommen.«

»Das werde ich sicherlich nicht tun«, sagte Der vom weißen Mond; »es lebe, es lebe in seinem ungeschmälerten Glanze der Ruhm der Schönheit des Fräuleins Dulcinea von Toboso! Ich begnüge mich schon damit, daß der große Don Quijote sich auf ein Jahr oder bis zu der Frist, die ich ihm setzen werde, auf sein Dorf zurückziehe, wie wir übereingekommen, bevor wir uns in diesen Kampf begaben.«

Der Vizekönig und Don Antonio und viele andere, die zugegen waren, vernahmen dies alles und hörten auch Don Quijote antworten, wenn er nichts von ihm begehre, was zu Dulcineas Nachteil gereiche, so werde er alles andre erfüllen als gewissenhafter und rechter Ritter.

Nach dieser Zusicherung wendete Der vom weißen Mond sein Pferd, verbeugte sich vor dem Vizekönig und ritt in kurzem Galopp in die Stadt. Der Vizekönig befahl Don Antonio, ihm nachzueilen und unter jeder Bedingung zu erforschen, wer er sei. Man hob Don Quijote auf, löste ihm das Visier vom Gesicht und fand ihn bleich und in Schweiß zerfließend. Rosinante war so übel zugerichtet, daß er sich für jetzt nicht rühren konnte. Sancho, tief betrübt und von Kummer ganz niedergedrückt, wußte nicht, was er sagen noch was er tun sollte. Es war ihm, als sei dieses ganze Begebnis im Traum an ihm vorübergegangen und dies ganze Schauspiel nur ein wüster Spuk. Er sah seinen Herrn besiegt und verpflichtet, ein Jahr lang die Waffen nicht anzurühren. Das Ruhmeslicht seiner Heldentaten erschien ihm verdunkelt, die Hoffnung auf seine neuen Versprechungen zu nichts geworden, wie der Rauch im Winde in nichts verweht. Er war in ängstlichen Zweifeln, ob Rosinante lahm bleiben würde oder nicht und ob man seinem Herrn die verdrehten Glieder je wieder einrenken könnte – wiewohl es ein rechtes Glück gewesen wäre, wenn man ihm nur den verdrehten Kopf wieder einrichten könnte.

Endlich wurde Don Quijote in einer Sänfte, die der Vizekönig herbeiholen ließ, nach der Stadt gebracht, und der Vizekönig kehrte ebenfalls dahin zurück, voll Begierde, zu erfahren, wer der Ritter vom weißen Mond sei, der Don Quijote so übel mitgespielt hatte.

61. Kapitel


Von den Erlebnissen Don Quijotes beim Einzug in Barcelona, nebst mancherlei, worin mehr Wahres als Gescheites enthalten

Drei Tage und drei Nächte verweilte Don Quijote bei Roque, und wenn er dreihundert Jahre verweilt hätte, so hätte er an dessen Lebensweise immer mehr als genug zu beobachten und zu bewundern gefunden. An einem Orte erwarteten sie den Sonnenaufgang, an dem andern aßen sie zu Mittag; einmal flohen sie, ohne zu wissen wovor, ein andermal harrten sie lange, ohne zu wissen worauf. Sie schliefen stehend, dann unterbrachen sie ihren Schlummer, um von einem Orte zum andern zu ziehen. Beständig galt es, Kundschafter aufzustellen, Schildwachen abzuhören, die Lunten ihrer Büchsen anzublasen, obschon sie deren nicht viel hatten, da sie Stutzen mit Feuersteinschlössern benützten. Roque verbrachte die Nächte getrennt von den Seinigen an Orten, die sie nicht erraten konnten; denn die vielen Achtserklärungen, die der Vizekönig in Barcelona gegen ihn erlassen hatte, hielten ihn in beständiger Unruhe und Besorgnis; er wagte sich niemandem anzuvertrauen und fürchtete, daß seine eignen Leute ihn entweder umbringen oder der Gerechtigkeit überliefern würden: gewiß ein elendes, qualvolles Leben.

Endlich zogen Roque, Don Quijote und Sancho mit sechs von den Knappen auf unbetretenen Wegen, auf Nebenpfaden und verborgenen Stegen nach Barcelona. Sie kamen in der Nacht vor dem Johannisfeste am Strande an, Roque umarmte Don Quijote und Sancho, gab letzterem die zehn versprochenen Goldtaler, die er ihm bis jetzt noch nicht ausgehändigt hatte, und verließ sie unter tausend gegenseitigen Höflichkeitsbezeigungen und Freundschaftsversicherungen.

Roque ritt zurück, Don Quijote erwartete so zu Pferde, wie er gekommen, den Tag, und in der Tat dauerte es nicht lange, bis von den Balkonen des Ostens her das Gesicht der hellen Morgenröte sich entschleierte, die Kräuter und Blumen erfreuend, aber freilich nicht das Gehör der Menschen. Indessen bekamen im nämlichen Augenblick die Ohren doch genug des Genusses am Getöse zahlreicher Schalmeien und Mohrentrommeln, man hörte Schellen klingen und das Trapp-Trapp, das »Macht-Platz! Macht Platz!« der Reiter, die offensichtlich aus der Stadt kamen. Die Morgenröte wich der Sonne, die mit einem Angesicht, größer als das Rund eines Schildes, vom tiefsten Horizont allmählich emporstieg. Don Quijote und Sancho ließen ihre Blicke nach allen Seiten schweifen, sie erblickten das Meer, das von ihnen noch nie erschaut worden, und es schien ihnen weit, unermeßlich zu sein, viel größer als die Teiche der Ruidera, die sie in der Mancha gesehen hatten. Sie erblickten die Galeeren, die am Strande vor Anker lagen, ihre Schirmdächer herabließen und sich dann mit Wimpeln und Fähnchen bedeckt zeigten, die im Winde flatterten und die Wogen streiften und küßten; im Innern ertönten Oboen, Trompeten und Schalmeien, welche die Luft nah und fern mit lieblichen und kriegerischen Klängen erfüllten. Die Schiffe begannen sich in Bewegung zu setzen und eine Art von Seegefecht auf den ruhigen Gewässern aufzuführen, und schier ein Seitenstück dazu führten die zahllosen Reiter auf, die auf schönen Rossen und in glänzenden Trachten aus der Stadt herausgeritten kamen. Die Soldaten auf den Galeeren feuerten zahlloses Geschütz ab, worauf die Mannschaften auf den Mauern und Schanzen der Stadt antworteten; das schwere Geschütz krachte mit furchtbarem Donner durch die Lüfte, und ihm antworteten die Kanonen auf dem Verdeck der Galeeren. Das ruhig heitere Meer, das froh bewegte Gestade, die reine Luft, die nur zuweilen durch den Rauch des Geschützes getrübt wurde, schienen aller Welt plötzlich eine freudige Stimmung einzuflößen und neu zu wecken. Sancho konnte nicht begreifen, wie diese mächtigen Körper, die sich im Meere hinbewegten, so viele Füße haben konnten.

Mittlerweile kamen die Männer in Rittertracht mit wildem Rufen, Schlachtgeschrei und Jauchzen herangesprengt bis zu der Stelle, wo Don Quijote voll Staunen und Verwunderung hielt, und einer von ihnen, derselbe, dem Roque die Nachricht hatte zukommen lassen, rief Don Quijote mit lauter Stimme an: »Willkommen sei er in unsrer Stadt, der Spiegel, der Leuchtturm, die Sonne, der Leitstern der gesamten fahrenden Ritterschaft, wie es andern Ortes ausführlicher geschrieben steht! Willkommen sei, sag ich, der streitbare Don Quijote von der Mancha! Nicht der unechte, der gefälschte, der untergeschobene, welchen man uns dieser Tage in erlogenen Geschichten vorgeführt hat, sondern der wahre, rechtmäßige und echte, den uns Sidi Hamét Benengelí beschrieben hat, die Blume aller Geschichtsschreiber.«

Don Quijote erwiderte kein Wort, auch warteten die Reiter nicht auf eine Antwort, sondern sie ritten mit ihrem Gefolge in allerhand Wendungen hin und wider und tummelten sich im Kreise rings um Don Quijote; und dieser wendete sich zu Sancho und sprach: »Diese Herren haben uns richtig erkannt; ich wette, sie haben unsre Geschichte gelesen, ja auch die kürzlich gedruckte des Aragonesen.«

Der Reiter, welcher Don Quijote angeredet hatte, kehrte wieder zu ihm zurück und sagte: »Señor Don Quijote, seid so freundlich, mit uns zu kommen, wir sind insgesamt Eure Diener und nah befreundet mit Roque Guinart.«

Don Quijote antwortete: »Wenn feine Lebensart wiederum feine Lebensart erzeugt, so ist die Eure, Herr Ritter, eine Tochter oder nahe Verwandte derjenigen des großen Roque. Führt mich, wohin es Euch beliebt; ich habe keinen andern Willen als den Eurigen, zumal wenn Ihr ihn für Eure Dienste in Anspruch nehmen wollt.«

Mit nicht weniger höflichen Worten antwortete ihm der Edelmann; dann nahmen sie alle Don Quijote in die Mitte und ritten beim Klange der Schalmeien und Mohrentrommeln mit ihm nach der Stadt. Beim Einzug aber in dieselbe trieb der Böse sein Spiel, der alles Böse anstiftet, im Verein mit den Gassenbuben, die noch böser sind als der Böse; zwei derselben, mutwillig und frech, drängten sich durch die Menge hindurch, einer von ihnen hob dem Esel und der andre dem Rosinante den Schwanz in die Höhe, und sie schoben und befestigten darunter ein paar Büschel Stachelginster. Die armen Tiere spürten diese neue Art von Sporen, und da sie die Schwänze fest andrückten, steigerten sie selbst ihren Schmerz, so daß sie sich bäumten und mit tausend Seitensprüngen ihre Reiter abwarfen. Don Quijote, erzürnt und beschämt, eilte, den Federbusch unter dem Schwanz seiner Mähre hervorzureißen, und ebenso Sancho unter dem seines Grautiers. Don Quijotes Begleiter wollten die Frechheit der Gassenbuben bestrafen, aber das war nicht möglich, da es diesen leicht gelang, sich inmitten von mehr als tausend ihresgleichen, die ihnen nachliefen, zu verbergen. Don Quijote und Sancho stiegen wieder auf, und unter denselben Jubelrufen und Klängen der Musik gelangten sie zum Hause ihres Führers;, dem man an seiner Größe und Schönheit ansah, daß es einem reichen Edelmann gehörte. Hier wollen wir ihn für jetzt lassen, da Sidi Hamét es so will.

62. Kapitel


Das von dem Abenteuer mit dem Zauberkopf und von anderen Kindereien handelt, die unbedingt hier berichtet werden müssen

Don Antonio Moreno hieß der gastliche Wirt Don Quijotes, ein reicher und geistvoller Edelmann und ein Freund eines anständigen und harmlosen Spaßes. Als er jetzt Don Quijote in seinem Hause sah, sann er auf Mittel, dessen Narreteien ans Licht des Tages zu ziehen, ohne ihm jedoch damit zu schaden; denn Possenstreiche hören auf, es zu sein, wenn sie weh tun, und kein Zeitvertreib ist statthaft, wenn er einem Dritten zum Nachteil gereicht.

Das erste, was er tat, war, daß er Don Quijote die Rüstung abnehmen ließ und ihn in seiner engen gemsledernen Kleidung, wie wir ihn schon manchmal beschrieben und geschildert haben, auf einen Balkon hinausführte, der auf eine der Hauptstraßen der Stadt ging, so daß er allen Leuten und den Gassenbuben zur Schau stand, die ihn anstarrten wie einen Affen. Die Herren in Rittertracht hielten aufs neue ihr Rennen vor ihm, als hätten sie sich allein für ihn so geschmückt und nicht, um den festlichen Tag froh zu begehen. Sancho aber war höchst vergnügt, weil er glaubte, er habe, ohne zu wissen wann und wie, wieder eine Hochzeit des Camacho gefunden, wieder ein Haus wie das des Don Diego de Miranda und wieder ein Schloß wie das des Herzogs. An diesem Tage speisten bei Don Antonio einige seiner Freunde, und alle behandelten und ehrten Don Quijote als einen fahrenden Ritter, worüber er, eitel und aufgeblasen, vor lauter Vergnügen schier aus dem Häuschen war. Sanchos spaßhafte Einfälle ergossen sich so reichlich, daß die Diener des Hauses an seinem Munde hingen wie alle, die ihn hörten.

Während sie noch bei Tische saßen, begann Don Antonio zu Sancho: »Wir haben hier gehört, mein wackrer Sancho, Ihr seid ein so großer Freund von gehackten Hühnerbrüsten und Fleischklößchen, daß Ihr, wenn Euch welche übrigbleiben, sie für den andern Tag im Busen aufhebt.«

»Nein, Señor, das ist nicht wahr«, entgegnete Sancho; »ich halte auf Reinlichkeit mehr als aufs gute Essen, und mein Herr Don Quijote, den Ihr hier vor Euch seht, weiß, daß wir beide oft acht Tage mit einer Handvoll Eicheln oder Nüssen aushalten. Freilich trägt es sich einmal zu, und schenkt man mir die Kuh, lauf ich mit dem Strick herzu; ich meine, ich esse, was man mir vorsetzt, und benutze Zeit und Gelegenheit, wie ich sie finde. Wer aber auch immer erzählt haben mag, ich sei ein ganz besonderer und dazu unsauberer Fresser, der mag sich’s gesagt sein lassen, er hat nicht das Rechte getroffen; und das würde ich noch ganz anders ausdrücken, wenn ich nicht vor den ehrenwerten Herren im Bart da am Tisch zuviel Achtung hätte.«

»Gewiß«, sagte Don Quijote, »die Genügsamkeit und Reinlichkeit, die Sancho beim Essen beobachtet, darf man auf eherne Tafeln schreiben und eingraben, damit sie zu ewigem Gedächtnis bleiben in den kommenden Jahrhunderten. Allerdings, wenn er Hunger hat, sieht’s aus, als schlucke er große Bissen hinunter, denn alsdann ißt er eilig und kaut mit beiden Backen; aber er hält immer die Reinlichkeit hoch, und zur Zeit, wo er Statthalter war, lernte er sogar auf gezierte Manier essen, dergestalt, daß er die Trauben und selbst die Granatkerne mit der Gabel aß.«

»Wie«, fragte Don Antonio, »Statthalter ist Sancho gewesen?«

»Freilich«, antwortete Sancho, »und zwar über eine Insul des Namens Baratária. Zehn Tage habe ich sie regiert, so trefflich, Herz, was begehrst du; dazumalen habe ich meine Ruhe verloren und habe gelernt, alle Statthalterschaften der Welt zu verachten. Ich habe mich von dort geflüchtet, bin in eine Höhle gefallen und habe mich da schon für tot gehalten, bin aber durch ein Wunder wieder lebendig herausgekommen.«

Don Quijote erzählte nun in allen Einzelheiten die ganze Geschichte von Sanchos Statthalterschaft, woran sich die Zuhörer höchlichst ergötzten.

Nachdem abgedeckt war, nahm Don Antonio den Ritter Don Quijote an der Hand und begab sich mit ihm in ein abgelegenes Zimmer, welches mit nichts anderem ausgestattet war als einem Tische, dem Aussehen nach von Jaspis, der auf einem Fuße von demselben Stein ruhte; darauf stand eine Büste nach Art der Brustbilder der römischen Kaiser, welche von Erz zu sein schien. Don Antonio ging mit Don Quijote im ganzen Zimmer hin und her und öfters um den Tisch herum, worauf er sagte: »Jetzt, Señor Don Quijote, wo ich sicher bin, daß uns keiner hört und belauscht und die Tür verschlossen ist, will ich Euer Gnaden eines der seltsamsten Abenteuer oder vielmehr eines der unerhörtesten Wunder zeigen, die man sich vorstellen kann, unter der Bedingung, daß Ihr, was ich Euch sagen werde, in die tiefste Gruft des Geheimnisses verschließt.«

»Das schwör ich«, entgegnete Don Quijote, »ja zu größerer Sicherheit will ich noch eine Steinplatte auf diese Gruft legen; denn ich muß Euch sagen, Señor Don Antonio« – er wußte nämlich schon seinen Namen –, »daß Ihr mit einem Manne redet, der zwar Ohren hat, zu hören, aber keine Zunge, zu sprechen; und daher könnt Ihr mit voller Sicherheit, was Ihr in Eurer Brust hegt, der meinigen anvertrauen und darauf zählen, daß Ihr es in den Abgrund des Stillschweigens versenkt habt.«

»Im Vertrauen auf diese Zusage«, versetzte Don Antonio, »will ich Euch Dinge sehen und hören lassen, die Euch in Verwunderung setzen werden, und will mir zu gleicher Zeit das unangenehme Gefühl erleichtern, daß ich niemanden habe, dem ich meine Geheimnisse mitteilen könnte, da diese nicht derart sind, daß man sie jedem anvertrauen möchte.«

Don Quijote war höchst gespannt, wohin so viele Einleitungen hinauswollten. Indem ergriff Antonio seine Hand und führte sie über den ehernen Kopf, über den ganzen Tisch und über dessen Fuß von Jaspis und sagte dann: »Dieser Kopf, Señor Don Quijote, ist die Arbeit eines der größten Zauberer und Hexenmeister, den die Welt je gekannt; er war, glaub ich, ein Pole und ein Schüler des berühmten Escotillo, von dem so viele Wunder erzählt werden; er war bei mir in meinem Hause, und um den Preis von tausend Goldtalern, die ich ihm gab, verfertigte er diesen Kopf, der die Eigenschaft und Kraft besitzt, auf alle Fragen Antwort zu geben, die man ihm ins Ohr sagt. Der Künstler beobachtete die Richtungen des Windes, zeichnete Zauberfiguren, studierte die Gestirne, beobachtete astrologische Punkte, und nach alledem brachte er das Werk fertig mit der Vollkommenheit, die wir morgen sehen werden, denn freitags ist er stumm, und heute, wo Freitag ist, wird er uns bis morgen warten lassen. Bis dahin könnt Ihr Euch vorbereiten, was Ihr ihn fragen wollt, denn ich weiß aus Erfahrung, daß er bei all seinen Antworten die Wahrheit sagt.«

Don Quijote staunte ob der zauberischen Kraft und Eigenschaft des Kopfes, und beinahe hätte er Don Antonio keinen Glauben geschenkt; aber da er bedachte, wie wenig Zeit nur noch fehle, um den Versuch anzustellen, wollte er ihm nichts weiter sagen, als daß er ihm dafür danke, ein so großes Geheimnis ihm entdeckt zu haben. Sie verließen das Gemach, Don Antonio schloß die Tür mit dem Schlüssel ab, und sie begaben sich nach dem Saal, wo die andern Edelleute sich befanden. Diesen hatte Sancho inzwischen viel von den Abenteuern und Begebnissen erzählt, die seinem Herrn zugestoßen waren.

Am Nachmittag nahmen sie Don Quijote zu einem Spazierritt mit, nicht in Rüstung, sondern im bürgerlichen Straßenanzug, mit einem weiten Überrock von hellbraunem Tuch, der in dieser Jahreszeit den Frost selber zum Schwitzen gebracht hätte. Sie wiesen ihre Diener an, Sancho zu unterhalten und ihn nicht aus dem Hause zu lassen.

Don Quijote ritt nicht auf Rosinante. sondern auf einem hochbeinigen, glänzend aufgeputzten Maulesel mit sanftem Gang. Als sie dem Ritter den Überrock anzogen, hefteten sie ihm, ohne daß er es bemerkte, auf den Rücken ein Pergament, auf das sie mit großen Buchstaben geschrieben hatten: »Dies ist Don Quijote von der Mancha.« Gleich beim Beginn des Rittes zog der Zettel die Augen aller Vorübergehenden auf sich, und da sie die Inschrift lasen, war Don Quijote in beständiger Verwunderung, daß alle, die ihn ansahen, ihn kannten und nannten. Er wendete sich zu Don Antonio, der ihm zur Seite ritt, und sprach: »Groß ist doch der Vorzug des fahrenden Rittertums, daß es den, welcher sich ihm widmet, in allen Landen des Erdenrundes bekannt und berühmt macht. Seht doch nur, Señor Don Antonio, selbst die Gassenjungen in dieser Stadt kennen mich, ohne mich je gesehen zu haben.«

»So ist es, Señor Don Quijote«, erwiderte Don Antonio; »wie das Feuer nicht verborgen und verschlossen bleiben kann, so kann es nicht fehlen, daß die Tugend allbekannt ist, und die Tugend, die sich im Dienste der Waffen bewährt hat, strahlt und thront über allen andern.«

Während nun Don Quijote unter dem ständigen Jubelrufen einherritt, begab es sich, daß ein Kastilianer, der die Inschrift auf dem Rücken gelesen, seine Stimme erhob und rief: »Hol dich der Teufel, wenn du doch Don Quijote von der Mancha bist! Wie hast du nur bis hierher kommen können, ohne daß dich die zahllosen Prügel umgebracht haben, die du auf dem Buckel trägst? Du bist ein Narr, und wärst du es für dich allein und bliebst an der heimatlichen Wohnstätte deiner Narrheit, so wär es noch nicht so arg; aber du hast die Eigentümlichkeit, alle andern, die mit dir umgehen und verkehren, auch zu Narren und zu Verrückten zu machen. Man sehe sich doch nur einmal die Herren an, die neben dir herziehen! Geh heim, verrückter Kerl, zu deinem Hause und kümmre dich um dein Hab und Gut, dein Weib und deine Kinder und laß diese albernen Possen, die dir das Gehirn anfressen und den Rahm von deinem Verstand abschöpfen!«

»Guter Freund«, sagte Don Antonio, »geht Eurer Wege und gebt keinem Euren Rat, der ihn nicht von Euch verlangt. Der Señor Don Quijote von der Mancha ist durchaus verständig, und wir, die wir ihn begleiten, sind auch keine Narren. Man muß das Verdienst ehren, wo es sich findet; und nun geht zum Teufel! Und wo man Euch nicht hinruft, da steckt die Nase nicht hinein.«

»So wahr mir Gott helfe! Euer Gnaden hat recht«, antwortete der Kastilianer; »diesem Biedermann einen Rat geben heißt wider den Stachel locken. Aber trotz alledem tut mir es leid, daß der klare Verstand, den dieser Narr, wie man sagt, in allen andern Dingen zeigt, durch den Kanal seines fahrenden Rittertums abfließt und versickert, und ich und alle meine Nachkommen mögen nach Eurem Wunsche zum Teufel gehen, wenn ich künftig wieder, und würde ich älter als Methusalem, irgendeinem einen Rat gebe, selbst wenn er es von mir verlangt.«

Der Ratgeber zog ab, der Spazierritt nahm seinen weiteren Verlauf; aber der Andrang der Gassenjungen und des andern Volks, um den Zettel zu lesen, war so groß, daß Don Antonio sich genötigt sah, ihn Don Quijote unvermerkt, als wäre es sonst etwas andres, wieder abzunehmen.

Der Abend kam, sie kehrten nach Hause; dort gab es einen Ball, da Don Antonios Gattin, eine feingebildete, heitere, schöne und kluge Dame, ihre Freundinnen eingeladen hatte, um ihrem Gast Ehre zu erweisen und sich an seinen noch nie erlebten Narreteien zu belustigen. Verschiedene von ihnen waren erschienen, es gab ein prachtvolles Abendessen, und etwa um zehn Uhr begann der Ball. Unter den Damen waren zwei, die Scherz und Witz liebten und, obschon von sittsamstem Charakter, sich manchmal einige Freiheiten gestatteten, um dem Scherze Raum zu geben und heitere Stimmung ohne Überdruß zu verbreiten. Diese Damen waren so unablässig bemüht, Don Quijote zum Tanze zu holen, daß er sich zuletzt nicht nur körperlich, sondern auch geistig ganz zerschlagen fühlte. Es war der Mühe wert, Don Quijotes Gestalt zu sehen, lang, ausgestreckt, schlotternd, blaßgelb, eingezwängt in seine Kleidung, linkisch und vor allem nichts weniger als leichtfüßig. Die Dämchen warfen ihm verstohlene Liebesblicke zu, und er zeigte ihnen ebenfalls verstohlen seine Ablehnung; als er sich aber von Zärtlichkeiten zu sehr bedrängt sah, erhob er die Stimme und rief: »Fugite, partes adversae! Laßt mich in Ruhe, ihr argen Gedanken; macht euch von dannen, holde Damen, mit euren Wünschen, denn sie, die meiner Wünsche Königin ist, die unvergleichliche Dulcinea von Toboso, duldet nicht, daß andre als die ihrigen mich unterjochen und knechten.«

Mit diesen Worten setzte er sich mitten im Saal zu Boden, zermalmt und zerschlagen von so unendlicher Tanzübung. Don Antonio hieß ihn aufheben und in sein Bett tragen, und der erste, der Hand anlegte, war Sancho, der zu ihm sprach: »In des Kuckucks Namen, allerliebster Herr, nun habt Ihr mal getanzt! Meint Ihr, alle Helden seien Tänzer und alle fahrenden Ritter Luftspringer? Ich sage Euch, wenn Ihr das denkt, so seid Ihr im Irrtum; mancher mag es wagen, einen Riesen umzubringen, ehe er nur einen Bocksprung macht. Hättet Ihr den Bauerntanz zu tanzen gehabt, da hätte ich für Euch eintreten können, denn den tanze ich wie ein Böcklein; aber was das Balltanzen anbelangt, da laß ich mich nicht drauf ein.«

Mit diesen und ähnlichen Äußerungen brachte Sancho die Ballgäste zum Lachen und seinen Herrn ins Bett; er deckte ihn zu, damit er die Erkältung nach seinem Tanz ausschwitzte.

Am nächsten Tage schien es Don Antonio angemessen, den Versuch mit dem verzauberten Kopf anzustellen, und so schloß er sich denn mit Don Quijote, Sancho und noch zwei Freunden nebst den beiden Damen, welche den Ritter so müde getanzt hatten und diese Nacht bei Don Antonios Gemahlin geblieben waren, in das Zimmer ein, wo der verzauberte Kopf stand. Er erzählte ihnen, welche Eigenschaft der Kopf besitze, erlegte ihnen Stillschweigen auf und bemerkte ihnen, dies sei das erstemal, daß die Kraft des Zauberkopfes erprobt werden solle. Mit Ausnahme der beiden Freunde Don Antonios kannte niemand sonst das Geheimnis dieser Zauberkunst; und hätte Don Antonio es ihnen nicht vorher entdeckt, so wären sie unbedingt in dasselbe Staunen geraten wie die andern, mit solcher Kunst und solchem Geschick war der Kopf eingerichtet.

Der erste, der sich dem Ohr des ehernen Kopfes näherte, war Don Antonio selbst; er fragte ihn mit gedämpfter Stimme, doch so, daß er von allen vernommen werden konnte: »Sage mir, Kopf, vermöge der Kraft, die in dir verborgen ist, welche Gedanken habe ich jetzt?«

Und der Kopf antwortete, ohne die Lippen zu bewegen, mit heller, deutlicher Stimme, so daß seine Worte von allen vernommen wurden: »Über Gedanken habe ich kein Urteil.«

Alle Hörer waren starr vor Erstaunen, zumal sie sahen, daß in dem ganzen Zimmer und rings um den Tisch kein menschliches Wesen war, das hätte antworten können.

»Wieviel sind unser hier?« fragte wiederum Don Antonio, und die Antwort kam ebenso leise: »Hier bist du und deine Frau, mit zwei Freunden von dir und zwei Freundinnen von ihr, und ein weltberühmter Ritter, namens Don Quijote von der Mancha, und ein Schildknappe von ihm, der den Namen Sancho Pansa führt.«

Jetzt begann das Staunen aufs neue; jetzt standen vor Schreck allen die Haare zu Berge. Don Antonio trat von dem Kopfe zurück und sagte: »Dies genügt, um mich zu überzeugen, daß ich von dem Manne nicht betrogen worden bin, der dich mir verkaufte, du weiser Kopf, du redekundiger, orakelspendender, du bewundernswerter Kopf. Jetzt wolle ein andrer hierhertreten und ihn fragen, was er Lust hat.«

Und da die Frauen gewöhnlich alles gern möglichst geschwind wissen möchten, so näherte sich nun zuerst eine der beiden Freundinnen von Don Antonios Gemahlin und fragte: »Sage mir, Kopf, was soll ich tun, um recht schön zu sein?«

»Sei recht sittsam«, lautete die Antwort.

»Ich werde dich nicht wieder fragen«, sagte die Fragerin.

Sofort trat ihre Begleiterin herzu und sprach: »Ich möchte wissen, Kopf, ob mein Gemahl mich liebhat oder nicht.«

Und es kam ihr die Antwort: »Gib acht, wie er sich gegen dich benimmt, dann weißt du es.«

Die junge Frau trat zurück und sagte: »Zu einer solchen Antwort bedurfte es keiner Frage, denn in der Tat erkennen wir die Gesinnung des Menschen an seinem Benehmen gegen uns.«

Hierauf trat einer von Don Antonios zwei Freunden heran und fragte: »Wer bin ich?«

Und es wurde ihm geantwortet: »Du weißt es.«

»Das frage ich dich nicht«, antwortete der Edelmann, »sondern du sollst mir sagen, ob du mich kennst.«

»Allerdings kenne ich dich«, wurde ihm geantwortet, »du bist Don Pedro Noriz.«

»Mehr will ich nicht wissen«, erwiderte Don Pedro, »weil dies mir schon genügt, um einzusehen, o Kopf, daß du alles weißt.«

Er trat beiseite; der andre Freund näherte sich und fragte: »Sage mir, Kopf, was für Wünsche hegt mein Sohn, der Majoratserbe?«

»Ich habe schon gesagt«, wurde ihm geantwortet, »daß ich über Wünsche kein Urteil habe; indessen kann ich dir doch sagen, die deines Sohnes gehen dahin, dich ins Grab zu legen.«

»Das sehe ich mit den Augen und greife es mit den Händen«, sagte der Edelmann, »ich frage nichts weiter.«

Nun trat Don Antonios Gemahlin heran und sagte: »Ich weiß nicht, Kopf, was ich dich fragen soll; nur möchte ich von dir wissen, ob ich mich noch viele Jahre meines guten Mannes erfreuen werde.«

Und es wurde ihr geantwortet: »Ja, du wirst es, denn seine Gesundheit und seine mäßige Lebensweise versprechen ihm ein langes Leben, während viele es durch ihre Unmäßigkeit verkürzen.«

Jetzt trat Don Quijote herzu und sprach: »Sage mir, der du auf alles antwortest, war es Wahrheit oder Traum, was ich von meinen Erlebnissen in der Höhle des Montesinos erzählt habe? Werden die Geißelhiebe meines Schildknappen Sancho zur Wahrheit werden? Wird Dulcineas Entzauberung erfolgen?«

»Über die Geschichte mit der Höhle«, antwortete der Kopf; »läßt sich viel sagen, es ist von allem was daran; mit Sanchos Hieben wird es langsam gehen; Dulcineas Entzauberung wird zu gebührender Vollendung kommen.«

»Mehr will ich nicht wissen«, sagte Don Quijote; »wenn ich nur Dulcinea entzaubert sehe, so ist es mir, als käme auf einen Schlag alles Glück, das ich nur wünschen kann.«

Der letzte Frager war Sancho, und er fragte folgendes: »Bekomme ich, o Kopf, vielleicht noch eine Statthalterschaft zu regieren? Werde ich jemals die Schindereien des Knappenstandes loswerden? Werde ich Weib und Kinder wiedersehen?«

Darauf wurde geantwortet: »Regieren wirst du in deinem Hause, und wenn du heimkehrst, wirst du Frau und Kinder wiedersehen, und wenn du aus deinem Dienste trittst, wirst du des Knappenstandes ledig sein.«

»Sehr gut, beim Himmel!« sagte Sancho Pansa; »das hätte ich mir selber auch sagen können; besser hätte es der Prophet Perogrullo auch nicht gesagt.«

»Dummer Kerl«, sagte Don Quijote, »was willst du denn geantwortet haben? Ist’s nicht genug, daß die Antworten, die dieser Kopf gibt, auf die Fragen passen, die man ihm stellt?«

»Freilich ist es genug«, antwortete Sancho; »indessen wollte ich doch, er hätte sich deutlicher erklärt und mir mehr gesagt.«

Hiermit hatten die Fragen und Antworten ein Ende, nicht aber die Bewunderung, die sich aller bemächtigt hatte, ausgenommen die beiden Freunde Don Antonios, die das Geheimnis kannten. Dieses hat Sidi Hamét Benengelí auch sogleich erklären wollen, um die Welt nicht in Spannung und in dem Glauben zu erhalten, daß der Kopf irgendein zauberhaftes und außerordentliches Geheimnis in sich berge. Er sagt daher, daß Don Antonio Moreno nach dem Muster eines andern von einem Holzschnitzer angefertigten Kopfes, den er in Madrid gesehen, diesen in seinem Hause hatte machen lassen, um sich damit zu unterhalten und die Uneingeweihten in Staunen zu setzen. Die Vorrichtung war folgende: die Tischplatte war von Holz, wie Jaspis gemalt und gefirnißt, und ebenso das Fußgestell, an welchem vier Adlerklauen hervorsprangen, um die Last besser zu tragen. Der Kopf, der einer Schaumünze oder vielmehr der Büste eines römischen Kaisers glich und die Farbe des Erzes trug, war hohl, ebenso wie die Tischplatte, in die der Kopf so fest eingelassen war, daß man keine Spur einer Fuge bemerkte. Der Tischfuß war ebenfalls hohl und hing mit Brust und Hals des Kopfes zusammen; und das Ganze stand in Verbindung mit einem andern Gemach, das sich gerade unter dem Zimmer mit dem Kopf befand. Durch diese ganze Höhlung von Fußgestell und Tisch, von Brust und Hals der erwähnten Büste lief eine Blechröhre, die so genau eingefügt war, daß niemand sie bemerken konnte. In dem unteren Zimmer, das mit dem obern in Verbindung stand, befand sich derjenige, der die Antworten zu geben hatte, und hielt den Mund dicht an die Röhre, so daß wie durch ein Sprachrohr die Stimme von oben nach unten und von unten nach oben drang und deutlich vernehmbare Worte mitteilte; auf diese Art war es nicht möglich, hinter die Täuschung zu kommen. Ein Neffe Don Antonios, ein gescheiter und geistreicher Student, gab die Antworten, und da sein Herr Oheim ihn in Kenntnis gesetzt hatte, wer an diesem Tage mit ihm das Zimmer mit dem Kopf besuchen würde, so war es ihm leicht, auf die erste Frage geschwind und richtig zu antworten; die andern beantwortete er mit Hilfe von Vermutungen und als ein kluger Mann auf kluge Weise.

Sidi Hamét sagt ferner, daß dieses wunderbare Kunstwerk etwa zehn oder zwölf Tage lang befragt wurde; nachher aber habe es sich in der Stadt verbreitet, Don Antonio besitze in seinem Haus einen verzauberten Kopf, der jedem auf seine Fragen antworte, und da habe er gefürchtet, die Sache könnte zu den Ohren der wachsamen Hüter unseres Glaubens gelangen. Nachdem er hierauf den Herren Inquisitoren den Sachverhalt dargelegt, geboten sie ihm, den Kopf zu zerstören und sich nicht weiter damit zu befassen, damit die unwissende Menge nicht Ärgernis daran nähme. Aber für Don Quijote und Sancho Pansa blieb der Kopf ein Zauberwerk und Orakelspender; nur war Don Quijote zufriedener mit ihm als Sancho Pansa.

Um Don Antonio gefällig zu sein und um Don Quijote zu ehren, aber auch um diesem Gelegenheit zu geben, seine Torheiten an den Tag zu legen, beschlossen die Edelleute in der Stadt, nach sechs Tagen ein Ringelrennen zu veranstalten; es fand jedoch nicht statt, aus einem Grunde, der später erzählt werden wird.

Don Quijote bekam Lust, die Stadt in einfacher Kleidung und zu Fuße zu durchwandern, da er befürchtete, wenn er zu Pferde käme, würden ihn die Gassenjungen verfolgen; und so ging er denn mit Sancho und zwei Dienern spazieren, die ihm Antonio mitgab. Da geschah es nun, daß er, beim Durchwandern einer Straße zufällig in die Höhe blickend, über einer Tür mit sehr großen Buchstaben angeschrieben sah: »Hier werden Bücher gedruckt.« Darob freute er sich sehr, denn er hatte bis dahin noch nie eine Druckerei gesehen und wollte gern wissen, wie es darin zuging. Er begab sich mit seiner ganzen Begleitung hinein, sah an einer Stelle Druckbogen abziehen, an einer andern korrigieren, hier setzen, dort den Satz verbessern, kurz, die ganze Einrichtung einer großen Druckerei. Don Quijote trat zu einem Setzkasten und fragte, was denn eigentlich hier vorgenommen werde. Die Gehilfen gaben ihm Auskunft; er war voller Bewunderung und ging weiter. Dann trat er zu einem andern Gehilfen und fragte ihn, was er tue; dieser antwortete: »Señor, der Herr hier« – und er zeigte ihm einen Mann von schöner Gestalt und feinem Aussehen und zugleich von würdiger Haltung – »hat ein italienisches Buch in unsre kastilianische Sprache übertragen, und ich setze es für ihn, um es zur Presse zu geben.«

»Welchen Titel hat das Buch?« fragte Don Quijote.

Der Schriftsteller antwortete: »Señor, das Buch heißt auf italienisch Le bagatelle.«

»Und was bedeutet ›Le bagatelle‹ in unsrer Sprache?« fragte Don Quijote.

»›Le bagatelle‹«, sagte der Schriftsteller, »heißt in unsrer Sprache soviel wie ›Kleinigkeiten‹ oder ›Spielereien‹; und obwohl dieses Buch so bescheiden in seinem Namen ist, so enthält und bietet es doch sehr gute Dinge von wesentlichem Wert.«

»Ich verstehe ein wenig Italienisch«, sagte Don Quijote, »und bin stolz darauf, einige Stanzen aus dem Ariost singen zu können. Aber sagt mir doch, mein verehrter Herr – und ich frage das nicht, um Euer Talent auf die Probe zu stellen, sondern nur aus Neugierde –, habt Ihr in Eurem Buch ein oder das andremal das Wort ›pignata‹ gefunden?«

»Gewiß, mehrmals«, antwortete der Schriftsteller.

»Und wie übersetzt Ihr es in unsre Sprache?« fragte Don Quijote.

»Wie soll ich es übersetzen«, entgegnete der Schriftsteller, »als mit ›Topf‹?«

»Nun, beim Himmel droben«, sagte Don Quijote, »wie weit habt Ihr’s doch im Italienischen gebracht! Ich wette um etwas ganz Erkleckliches, wo es im Italienischen ›piace‹ heißt, da sagt Ihr in unsrer Sprache ›es gefällt‹, und wo es ›piu‹ heißt, da sagt Ihr ›mehr‹, und das ›su‹ übersetzt Ihr mit ›hinauf‹ und das ›giu‹ mit ›hinab‹.«

»Ganz gewiß übersetze ich es so«, sagte der Schriftsteller, »denn das sind die entsprechenden Ausdrücke.«

»Ich wollte drauf schwören«, sagte Don Quijote, »daß Euch die Welt gar nicht kennt, die sich immer dagegen sträubt, talentvolle Köpfe und preiswürdige Arbeiten zu belohnen. Wie viele Talente gehen weit und breit verloren! wie viele gute Köpfe bleiben im Winkel verborgen! wie viele schöne Gaben werden verkannt! Und trotz alledem scheint es mir, daß es sich mit dem Übersetzen von einer Sprache in die andre – es wäre denn aus den Königinnen unter den Sprachen, der griechischen und lateinischen – so verhält, wie wenn einer flandrische Tapeten von der Rückseite betrachtet; man sieht zwar die Figuren, aber sie werden durch die Menge von Fäden ganz entstellt, und man sieht sie nicht in der Glätte und Farbenfrische der Vorderseite. Das Übersetzen aus nah verwandten Sprachen beweist weder Geist noch Sprachgewandtheit, sowenig wie das Übertragen oder Abschreiben von einem Papier auf das andre. Ich will aber aus dem Gesagten nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß die Arbeit des Übersetzens keine löbliche sei, denn der Mensch könnte sich mit noch schlechteren Dingen beschäftigen und mit solchen, die ihm weniger Nutzen bringen. Davon muß man aber die beiden berühmten Übersetzer ausnehmen, nämlich den Doktor Cristóbal de Figueroa mit seinem Pastor Fido und den andren, Don Juan de Jauregui mit seinem Aminta, deren glücklich gelungene Arbeiten zweifeln lassen, was die Übersetzung ist und was die Urschrift. Aber sagt mir, werter Herr, wird dies Buch auf Eure Kosten gedruckt, oder habt Ihr das Verlagsrecht bereits an einen Buchhändler verkauft?«

»Ich lasse es auf meine Kosten drucken«, antwortete der Schriftsteller, »und denke wenigstens tausend Taler bei dieser ersten Auflage zu verdienen; sie wird aus zweitausend Stücken bestehen, die, zu sechs Realen ein jedes, im Handumdrehen verkauft werden müssen.«

»Ihr versteht Euch vortrefflich auf dies Geschäft!« entgegnete Don Quijote; »man sieht wohl, daß Ihr nicht wißt, was die Buchdrucker Euch ankreiden werden und in welchem Verkehr sie miteinander stehen. Ich sage Euch zum voraus, wenn Ihr Eure zweitausend Stücke auf dem Halse habt, wird Euch das den Hals so zusammenschnüren, daß Ihr von Sinnen kommt, zumal wenn das Buch ein bißchen trocken ist und nichts hat, um die Neugierde zu reizen.«

»Wie denn, verehrter Herr?« sagte der Schriftsteller; »wollt Ihr, ich soll es einem Buchhändler geben, damit er mir für das Verlagsrecht drei Maravedis bezahlt und noch meint, er erweise mir dadurch eine große Gnade? Ich lasse meine Bücher nicht drucken, um Ruhm in der Welt zu erlangen, ich bin ihr schon durch meine Werke bekannt; Nutzen will ich haben, denn ohne den ist der Ruhm nicht einen Pfennig wert.«

»Gott gebe, daß Ihr eine glückliche Hand dabei habt«, entgegnete Don Quijote und ging weiter zu einem andern Setzkasten, wo er einen Bogen eines andern Buches korrigieren sah, das den Titel Licht der Seele trug. »Das sind die Bücher«, sagte er, »obwohl es schon viele dieser Art gibt, die man drucken soll; denn der Sünder sind auch gar viele, die heutzutage leben, und für so viele, die in der Finsternis wandeln, bedarf es unendlicher Erleuchtung.«

Er ging weiter und sah, daß man eben noch ein andres Buch korrigierte; auf seine Frage nach dem Titel antwortete man ihm, es heiße Der zweite Teil des sinnreichen Junkers Don Quijote von der Mancha, verfaßt von einem Gewissen, wohnhaft zu Tordesillas. »Von diesem Buche habe ich schon gehört«, sagte Don Quijote; »und wahrlich, ich sage es aus voller Überzeugung, ich glaubte, dies ungereimte Zeug wäre längst verbrannt und zu Staub zermahlen. Aber sein Sankt-Martins-Tag wird ihm kommen wie jedem Schwein. Erdichtete Erzählungen sind insoweit gut und ergötzlich, als sie sich der Wahrheit oder der Wahrscheinlichkeit nähern, und die wahren sind um so besser, je wahrer sie sind.«

Mit diesen Worten verließ er die Druckerei, nicht ohne einigen Ärger an den Tag zu legen.

Noch am nämlichen Tage traf Don Antonio Anstalt, ihn zur Besichtigung der Galeeren zu führen, die am Strande vor Anker lagen, und Sancho freute sich sehr hierüber, weil er in seinem Leben noch keine gesehen. Don Antonio benachrichtigte den Oberbefehlshaber der Galeeren, er werde an diesem Nachmittage seinen Gast hinführen, den berühmten Don Quijote von der Mancha, von dem der Befehlshaber sowie alle Bewohner der Stadt schon gehört hatten. Was ihm auf den Galeeren begegnete, wird im folgenden Kapitel erzählt werden.

63. Kapitel


Von der Unannehmlichkeit, die Sancho Pansa bei dem Besuch der Galeeren erlitt, und von dem sonderlichen Abenteuer mit der schönen Moriskin

Über die Antwort des verzauberten Kopfes stellte Don Quijote vielfache Betrachtungen an, aber mit keiner von allen kam er hinter den Betrug, und alle fanden ihren Abschluß in der Verheißung, die er für untrüglich hielt, Dulcinea werde entzaubert werden. Darum drehten sich alle seine Gedanken, und darüber freute er sich in seinem Herzen, weil er hoffte, die Erfüllung baldigst zu sehen. Sancho aber, sosehr er, wie gesagt, einen Abscheu davor hatte, Statthalter zu sein, wünschte doch wieder zu befehlen und Gehorsam zu finden; – das ist die unheilvolle Folge der Macht, mag sie auch nur eine scheinbare sein.

Indessen begaben sich an demselben Nachmittag Don Antonio Moreno, sein Wirt, und dessen beide Freunde mit Don Quijote und Sancho zu den Galeeren. Der Oberbefehlshaber, von ihrer Ankunft benachrichtigt, freute sich sehr, die beiden so berühmten Männer Quijote und Sancho kennenzulernen; und kaum waren sie am Hafen angelangt, als alle Galeeren ihre Sonnenzelte einzogen und die Schiffsmusik ertönte. Sogleich wurde das Boot ausgesetzt, es war mit reichen Teppichen und Kissen von karmesinrotem Samt belegt; und sobald Don Quijote den Fuß daraufsetzte, feuerte die Admiralsgaleere ihr Vordergeschütz ab, und die andern Galeeren taten dasselbe. Als er die Treppe am Steuerbord hinaufstieg, begrüßte ihn die ganze Rudermannschaft mit dem dreimaligen Rufe Hu! Hu! Hu! wie es Brauch ist, wenn eine vornehme Person an Bord kommt. Der General – so wollen wir ihn nennen –, ein vornehmer valencianischer Edelmann, umarmte Don Quijote und sprach: »Diesen Tag werde ich mit einem roten Strich im Kalender bezeichnen als einen der schönsten, die ich wohl je erleben werde, da ich heute den Señor Don Quijote von der Mancha gesehen, den Mann, in dem aller Glanz des fahrenden Rittertums enthalten und inbegriffen ist.«

In nicht weniger höflichen Ausdrücken antwortete ihm Don Quijote, über die Maßen vergnügt, sich so ganz als großen Herrn behandelt zu sehen. Nun begaben sich alle nach dem Achterdeck der Galeere, das schön geschmückt war, und nahmen auf den Seitenbänken Platz; der Galeerenvogt ging durch den Mittelgang nach der Vorderschanze und gab mit der Pfeife der Rudermannschaft das Zeichen, die Kleider abzulegen, was in einem Augenblick geschehen war. Sancho war starr vor Staunen, soviel pudelnackte Burschen zu sehen, und staunte noch mehr, als er die Sonnenzelte mit solcher Geschwindigkeit aufziehn sah, daß er meinte, es hätten alle Teufel dabei geholfen. Aber alles dieses war nur Zuckerbrot gegen andres, was ich jetzt erzählen will.

Sancho saß ganz still auf der Laufplanke neben dem Vormann auf der Steuerbordseite, als dieser, von seiner Rolle bereits unterrichtet, Sancho um den Leib faßte und ihn mit den Armen in die Höhe schwang; das ganze Rudervolk war auf den Beinen und auf der Lauer und schwang und warf ihn, auf der Steuerbordseite anfangend, von Ruderbank zu Ruderbank, mit solcher Geschwindigkeit, daß es dem armen Sancho vor den Augen nebelte und er glaubte, die Teufel in eigner Person führten ihn von dannen; die Ruderleute aber machten nicht eher halt, bis sie ihn die ganze Backbordseite entlang zurückgeschleudert und auf dem Achterdeck säuberlich hingesetzt hatten. Der arme Mensch war ganz zerschlagen; er keuchte und schwitzte und wußte überhaupt nicht, wie ihm geschehen war.

Als Don Quijote seinen Sancho ohne Flügel so fliegen sah, fragte er den General, ob das die Begrüßung sei, die jedem zuteil werde, der zum erstenmal die Galeeren besuche; denn wenn dies der Fall wäre, so wolle er Seinesteils, da er nicht beabsichtige, sich dem Schiffsdienste zu widmen, keineswegs derlei Übungen mitmachen, und er schwöre zu Gott, wenn jemand ihn anfassen wolle, um Fangball mit ihm zu spielen, so werde er ihm mit Fußtritten die Seele aus dem Leib herausstampfen. Mit diesen Worten stand er auf und legte die Hand ans Schwert. In diesem Augenblick zog man die Sonnenzelte wieder ein und ließ mit ungeheurem Krach die Hauptrah von hoch oben herunterfallen. Sancho meinte, der Himmel ginge aus den Angeln und stürze ihm gerade auf seinen Kopf; vor Angst duckte er sich und steckte den Kopf zwischen die Beine. Auch Don Quijote behielt seine Fassung nicht völlig; auch er entsetzte sich, zog den Kopf zwischen die Schultern und verlor alle Farbe aus dem Gesicht. Die Mannschaft hißte die Rahe mit demselben Hasten und Tosen auf, wie sie sie eingezogen hatte, und alles das in tiefem Schweigen, als ob die Leute weder Stimme noch Atem hätten. Der Schiffsvogt gab das Zeichen, den Anker zu lichten, sprang dann mitten in den Gang zwischen den Bänken mit seinem Farrenschwanz, der Sklavengeißel, und begann damit über die Rücken der Ruderknechte hinzufahren, und die Galeere stach langsam in die See.

Als Sancho so viele rotbemalte Füße, denn dafür hielt er die Ruder, sich auf einmal in Bewegung setzen sah, sagte er zu sich selber: Das sind wirklich Zaubergeschichten, nicht aber, was mein Herr für solche ausgibt. Was haben diese Unglücklichen getan, daß man sie so peitscht? Und wie kann dieser Mensch ganz allein, der da umhergeht und pfeift, die Frechheit haben, so viele Leute durchzuhauen? Da sag ich wahrlich, das ist die Hölle oder wenigstens das Fegfeuer.

Don Quijote, der sah, mit welcher Aufmerksamkeit Sancho den Vorgang betrachtete, sprach zu ihm: »Ha, Freund Sancho, wie geschwind und mit wie wenig Mühe könntest du, wenn du wolltest, deinen Oberkörper entkleiden und dich mit unter diese Herrschaften setzen und auf diese Weise Dulcineas Entzauberung vollenden! Denn bei dem Leid und Schmerz so vieler würdest du das deine nicht sonderlich spüren; und zumal könnt es auch sein, daß der weise Merlin jeden von diesen Hieben, da sie von so kräftiger Hand ausgeteilt werden, für zehn von denen anrechnete, die du dir doch am Ende aufzählen mußt.«

Der General wollte gerade fragen, was das für Hiebe seien und was es mit der Entzauberung Dulcineas auf sich habe, als der wachhabende Matrose rief: »Festung Monjuich meldet ein Ruderschiff an der Küste westwärts in Sicht.«

Bei diesen Worten sprang der General auf die Laufplanke und rief: »Drauflos, Kinder! daß es uns nicht entkommt! Es muß eine Brigantine von algerischen Korsaren sein, die uns der Wartturm meldet.«

Sogleich steuerten die andren drei Galeeren zum Admiralsschiff heran, um Befehle einzuholen. Der General befahl, zwei von ihnen sollten in See stechen; er selbst wolle mit der dritten die Küste entlangfahren, da ihnen auf solche Weise das Schiff nicht entkommen könne. Das Schiffsvolk schlug die Ruder mächtig ins Wasser und trieb die Galeeren mit solcher Gewalt vorwärts, daß sie zu fliegen schienen. Die beiden, die in See gestochen waren, entdeckten auf ungefähr zwei Meilen Entfernung ein Schiff, das sie dem Augenmaß nach auf ein Fahrzeug von etwa vierzehn bis fünfzehn Ruderbänken schätzten, wie es auch wirklich der Fall war; sobald das Schiff die Galeeren gewahr wurde, setzte es alle Ruder bei, in der Absicht und Hoffnung, durch seine Leichtigkeit zu entkommen. Aber dies geriet ihm schlecht, denn die Admiralsgaleere war eines der leichtesten Fahrzeuge auf See und bedrängte es so, daß die Leute auf der Brigantine einsahen, daß an ein Entrinnen nicht zu denken war. Ihr Schiffshauptmann oder Arráez wollte daher, sie sollten die Ruder fallen lassen und sich ergeben, um den Befehlshaber unsrer Galeere nicht zu reizen; allein das Schicksal hatte es anders beschlossen, und als die Admiralsgaleere schon so nah war, daß die Leute auf dem Schiff die Stimmen hören konnten, die ihnen zuriefen, sich zu ergeben, da geschah es, daß zwei Torakis, was ungefähr soviel bedeutet wie zwei besoffene Türken, die mit zwölf andren die Besatzung der Brigantine bildeten, ihre Büchsen abfeuerten und mit ihren Schüssen zwei Soldaten auf unserem Vordersteven töteten. Bei diesem Anblick schwur der General, keinen von allen, die er auf dem Schiffe fangen würde, am Leben zu lassen; er griff mit höchster Wut an, aber das Schiff entschlüpfte ihm unter den Rudern weg. Indessen überholte die Galeere es bald um eine tüchtige Strecke, und die Leute im Schiff sahen sich verloren; noch setzten sie alle Segel, während die Galeere wendete, und taten abermals ihr Äußerstes mit Segeln und Rudern, aber alle ihre Anstrengung half ihnen nicht soviel, als ihre Verwegenheit ihnen schadete, denn die Admiralsgaleere holte sie eine halbe Meile später ein, warf die Enterhaken aus und machte die ganze Besatzung lebendig zu Gefangenen. Inzwischen waren die zwei andern Galeeren herangekommen, und alle vier kehrten mit dem genommenen Schiff nach dem Strande zurück, wo eine unzählige Menge Volk es sie erwartete, begierig zu sehen, was sie mitbrächten.

Der General ging nah am Land vor Anker, wo er erfuhr, daß der Vizekönig von Barcelona am Hafenplatz anwesend war. Er ließ das Boot aussetzen, um ihn an Bord zu holen, und befahl, die Rah herunterzulassen, um auf der Stelle den Arráez und die übrigen Türken, die er auf dem Schiff gefangengenommen, zu hängen; es mochten ihrer gegen sechsunddreißig Mann sein, alles rüstige Leute und meistens türkische Scharfschützen. Der General fragte, wer der Arráez auf der Brigantine sei, und einer der Gefangenen, der nachher als ein spanischer Renegat erkannt wurde, antwortete ihm auf kastilianisch: »Der junge Mann hier ist unser Arráez, Señor.« Und hierbei zeigte er auf einen Jüngling, einen der schönsten und stattlichsten, die die menschliche Phantasie sich nur hätte malen können. Seinem Aussehen nach war er noch keine zwanzig Jahre alt. Der General fragte ihn: »Sag mir, frecher Hund, was bewog dich, mir meine Soldaten zu töten, da du doch sahst, daß es unmöglich war zu entkommen? Ist das die Achtung, die man einer Admiralsgaleere schuldet? Weißt du nicht, daß Tollkühnheit keine Tapferkeit ist? Zweifelhafte Aussichten dürfen den Menschen kühn, aber nicht tollkühn machen.«

Der Arráez wollte antworten, aber der General konnte ihn für den Augenblick nicht anhören, weil er dem Vizekönig zur Begrüßung entgegengehen mußte, der soeben mit mehreren Dienern und einigen Personen aus der Stadt an Bord gestiegen war.

»Die Beute war gut, Herr General«, sagte der Vizekönig.

»Wie gut sie war«, antwortete der General, »werden Euer Exzellenz sogleich sehen, wenn sie an dieser Rah hängt.«

»Warum das?« fragte der Vizekönig.

»Weil sie mir«, antwortete der General, »gegen alles Recht und gegen Vernunft und Kriegsbrauch zwei von den besten Soldaten umgebracht haben, die ich auf diesen Galeeren hatte, und ich habe geschworen, alle Gefangenen aufzuknüpfen, besonders diesen Burschen, welcher der Arráez der Brigantine ist.«

Hierbei zeigte er ihm den jungen Mann, der schon die Hände gebunden und den Strick um die Kehle hatte und den Tod erwartete. Der Vizekönig betrachtete ihn, und da er ihn so schön und so stattlich und so demütig dastehen sah und seine Schönheit ihm in diesem Augenblick höchster Gefahr einen Empfehlungsbrief gab, so stieg in dem Vizekönig der Wunsch auf, ihn dem Tod zu entreißen; er fragte ihn daher: »Sag mir, Arráez, bist du ein Türke oder ein Maure oder ein Renegat?«

Darauf antwortete der Jüngling, ebenfalls auf kastilianisch: »Ich bin weder ein Türke noch ein Maure noch ein Renegat.«

»Was bist du denn dann?« entgegnete der Vizekönig.

»Ein Weib, eine Christin«, antwortete der Jüngling.

»Ein Weib, eine Christin, und in solcher Tracht und in solcher Lage? Über so etwas kann man sich eher wundern als es glauben.«

»Verschiebt, o liebe Herren, die Vollstreckung meines Todesurteils«, sagte der Jüngling; »es kann nicht viel verlorengehen, wenn Eure Rache so lange zögert, bis ich Euch meine Lebensgeschichte erzählt habe.«

Wer wäre so harten Herzens gewesen, daß er sich durch diese Worte nicht hätte erweichen lassen oder wenigstens hätte anhören wollen, was der betrübte und kummervolle Jüngling zu sagen wünschte? Der General gestattete ihm vorzubringen, was er zu sagen habe; er möge aber nicht hoffen, Vergebung für seine erwiesene Schuld zu erlangen. Der Jüngling benutzte diese Erlaubnis zu folgender Erzählung: »Ich stamme von jenem Volke, dessen Unglück größer ist als seine Besonnenheit und auf welches in diesen Tagen ein Meer des Unheils herabgeströmt ist; meine Eltern sind Morisken. Im Verlauf ihres unglücklichen Geschickes wurde ich von zweien meiner Oheime nach der Berberei gebracht, ohne daß es mir etwas half, als ich ihnen erklärte, daß ich eine Christin sei, wie ich es wirklich bin, und zwar keine Scheinchristin, sondern eine wahre und echte. Bei den Beamten, die unsre jammervolle Austreibung zu überwachen hatten, half es mir nichts, dieses wahrhafte Bekenntnis abzulegen, und ebensowenig wollten ihm meine Oheime Glauben schenken; vielmehr hielten sie es für eine Lüge, erfunden zu dem Zwecke, daß ich in dem Lande meiner Geburt bleiben könnte; und so schleppten sie mich mit Gewalt fort. Ich hatte eine Christin zur Mutter und einen Vater, der verständig und nicht minder dem Christentum ergeben war; ich sog den katholischen Glauben mit der Muttermilch ein und war im sittlichen Wandel erzogen, und weder hierin, wie ich glaube, noch in der Sprache verriet ich jemals die Moriskin. Mit diesen Tugenden – denn ich glaube, daß es solche sind – hielten meine Reize, wenn ich einige besitze, gleichen Schritt und wuchsen mit ihnen, und obwohl mein Leben gewiß ein sehr sittsames und eingezogenes war, so genügte meine Zurückgezogenheit doch wohl nicht, um einem jungen Edelmann namens Don Gaspár Gregorio die Gelegenheit zu versagen, mich zu sehen. Er war der Sohn und Majoratserbe eines Herrn, der nah bei unsrem Dorfe seinen Edelsitz hatte. Wie er dazu gelangte, mich zu sehen und mich zu sprechen, wie er sich sterblich in mich verliebte und wie ich mich dennoch nicht ganz von ihm gewinnen ließ, das wäre zu weitläufig zu erzählen, zumal in einem Augenblick, wo ich fürchten muß, daß der grausame Strick, der mich bedroht, sich mir zwischen Zunge und Kehle zusammenschnüren wird; und so will ich nur sagen, daß Don Gaspár mich bei unsrer Auswanderung begleiten wollte. Er mischte sich unter die Morisken, die aus andern Orten auszogen, da er deren Sprache sehr gut verstand, und während der Reise schloß er Freundschaft mit meinen beiden Oheimen, die mich mitgenommen hatten; denn mein Vater, ein kluger und vorsichtiger Mann, hatte bereits nach der ersten Bekanntmachung des Ausweisungsbefehls unser Dorf verlassen und suchte in fremden Landen, wer uns aufnehmen möchte. Er hatte an einer Stelle, die ich allein kenne, viele Perlen und Steine von hohem Wert nebst einigem Barvorrat an goldenen Cruzados und Dublonen vergraben und verborgen zurückgelassen. Er gebot mir, unter keiner Bedingung jemals an diesen Schatz zu rühren, wenn man uns etwa vor seiner Rückkehr vertreiben sollte. Ich gehorchte und zog, wie gesagt, mit meinen Oheimen und andren Verwandten und Bekannten nach der Berberei, und der Ort, wo wir uns niederließen, war Algier; es war, als wären wir in die Hölle gekommen.

Der König erhielt von meiner Schönheit unverzüglich Nachricht, und der Ruf gab sie ihm auch von meinen Reichtümern, was teilweise mir zum Glück ausschlug. Er berief mich zu sich und fragte mich, aus welcher Gegend von Spanien ich sei und was für Geld und Kleinodien ich mitbrächte. Ich nannte ihm das Dorf und fügte bei, Geld und Kleinodien seien dort vergraben; sie seien aber mit Leichtigkeit in Besitz zu nehmen, wenn ich selber zurückkehrte, sie zu holen. Alles dieses sagte ich ihm aus Furcht, daß meine Schönheit, und in der Absicht, daß vielmehr seine Habsucht ihn verblenden möchte. Während er sich so mit mir unterhielt, meldete man ihm, mit mir zusammen sei einer der stattlichsten und schönsten Jünglinge gekommen, die man sich denken könne. Es war mir sogleich klar, daß damit Don Gaspár Gregorio gemeint sei, dessen Schönheit in der Tat die herrlichste und gepriesenste übertrifft. Ich geriet in Bestürzung, da ich die Gefahr erwog, in welcher Don Gáspar schwebte; denn unter jenen türkischen Barbaren wird ein schöner Knabe oder Jüngling höher gehalten und geschätzt als ein Weib, und wenn es noch so reizend wäre. Der König befahl sogleich, den Jüngling herbeizuführen, um ihn zu sehen, und fragte mich, ob es wahr sei, was man von dem jungen Mann sage. Ich nun, als hätte ich plötzlich vom Himmel eine Eingebung erhalten, sagte, es sei allerdings so, aber ich müsse ihm mitteilen, er sei kein Mann, sondern ein Weib wie ich, und ich bäte ihn, mir zu gestatten, daß ich ihm die Kleidung seines Geschlechts anlege, damit seine Schönheit sich in ihrem vollen Glanze zeigen und er ohne Verlegenheit vor seinen Augen erscheinen könne. Er antwortete mir, ich möchte nur immer hingehen und dies tun, und am nächsten Tage wollten wir besprechen, wie man es anfangen solle, daß ich nach Spanien zurückkehren könne, um den verborgenen Schatz zu heben. Ich sprach mit Don Gaspár, erzählte ihm die Gefahr, die ihm drohe, wenn er sich als Mann zeige, kleidete ihn in die Tracht einer Maurin und führte ihn noch an dem nämlichen Nachmittag vor den König, welcher das vermeinte Mädchen voll Bewunderung sah und sich vornahm, es als Geschenk für den Großherrn zu behalten. Da er die Gefahr vermeiden wollte, die ihr im Serail seiner Frauen drohen konnte, und da er sich vor sich selbst fürchtete, befahl er, sie zu vornehmen maurischen Damen zu bringen, welche sie bewachen und bedienen sollten, und so geschah es unverzüglich. Was wir beide empfanden – denn ich leugne nicht, daß ich ihn liebe –, mögen diejenigen würdigen, welche voneinander scheiden mußten, wenn sie sich von Herzen liebten.

Der König befahl sogleich, ich solle auf dieser Brigantine nach Spanien zurückkehren, begleitet von zwei seiner türkischen Soldaten; es waren dieselben, die Eure Soldaten erschossen haben. Auch fuhr dieser spanische Renegat mit mir herüber – und hierbei deutete sie auf den, welcher zuerst gesprochen hatte –; »ich kenne ihn als einen heimlichen Christen, der weit lieber in Spanien bleiben als nach der Berberei zurückkehren möchte. Die übrige Mannschaft der Brigantine besteht aus Mauren und Türken, die nur zum Rudern zu gebrauchen sind. Die beiden Türken, habgierige und freche Leute, wollten dem Befehl nicht Folge leisten, mich und diesen Renegaten an der nächsten spanischen Küste in der Tracht von Christen, mit welcher wir versehen sind, an Land zu setzen; vielmehr beabsichtigten sie, erst an dieser Küste auf Kaperei zu kreuzen und womöglich irgendein Schiff zu erbeuten. Sie fürchteten, wenn sie uns vorher ans Land setzten, so könnten wir zwei durch irgendeinen Zufall verraten, daß die Brigantine noch auf See kreuze, und wenn etwa Galeeren an der Küste wären, würden diese das Schiff aufbringen. In letzter Nacht kam uns der Strand hier in Sicht, und ohne diese vier Galeeren zu bemerken, wurden wir von ihnen aufgespürt, und dann geschah, was Ihr gesehen habt. Es ist mithin so gekommen, daß Don Gaspár Gregorio in Frauenkleidern unter Frauen weilt, in augenscheinlicher Gefahr, ins Verderben zu geraten, und daß ich hier mit gebundenen Händen stehe, in der Erwartung, mein Leben zu verlieren, welches mir ohnehin schon zur Last wird. Dies ist, meine Herren, das Ende meiner traurigen Geschichte, die ebenso wahr als traurig ist. Ich bitte Euch: laßt mich als Christin sterben; denn, wie ich schon gesagt, in keinem Punkt war ich mitschuldig an der Schuld, in welche die Angehörigen meines Volkes gefallen sind.«

Hier schwieg sie, ihre Augen füllten sich mit schmerzlichen Tränen, und viele von den Anwesenden weinten mit ihr. Der Vizekönig, gerührt und voll Mitleid, trat zu ihr hin, ohne ein Wort zu sagen, und löste mit seinen eignen Händen den Strick von den schönen Händen der Maurin, der sie zusammengebunden hielt.

Während aber die christliche Moriskin ihre merkwürdige Geschichte erzählte, hielt ein alter Pilger, der zugleich mit dem Vizekönig an Bord der Galeere gekommen, die Augen auf sie geheftet, und kaum hatte die Moriskin ihre Rede beendet, als er sich vor ihr niederwarf, ihre Füße mit den Armen umfaßte und, von Schluchzen und Seufzen tausendmal unterbrochen, zu ihr sprach: »O Ana Felix, meine unglückliche Tochter, ich bin dein Vater Ricote, der zurückgekehrt ist, um dich aufzusuchen, weil ich ohne dich nicht leben kann, die du meine Seele bist!«

Bei diesen Worten riß Sancho seine Augen weit auf und hob den Kopf in die Höhe, den er im Nachsinnen über das Mißgeschick seiner Luftfahrt bisher gesenkt hielt, sah den Pilger aufmerksam an, erkannte in ihm denselben Ricote, den er an dem Tage angetroffen, wo er seine Statthalterschaft verließ, und erkannte nun auch seine Tochter, welche, jetzt ihrer Bande ledig, ihren Vater umarmte und ihre Tränen mit den seinigen mischte.

Ricote sprach zu dem General und dem Vizekönig: »Dies, verehrte Herren, ist meine Tochter, die minder glücklich in ihren Schicksalen als in ihrem Namen ist. Ana Felix heißt sie, mit dem Familiennamen Ricote, und war weitbekannt um ihrer Schönheit wie um meines Reichtums willen. Ich habe mein Vaterland verlassen, um in fremden Reichen zu suchen, wer uns Herberge und Aufnahme gewähren wolle, und als ich dies in Deutschland gefunden, kehrte ich in dieser Pilgertracht in Gesellschaft andrer Deutscher zurück, meine Tochter zu suchen und die großen Reichtümer auszugraben, die ich versteckt zurückgelassen hatte. Meine Tochter fand ich nicht, ich fand nur den Schatz, den ich bei mir habe, und jetzt, auf dem seltsamen Umweg, den Ihr mit angesehen, habe ich den Schatz gefunden, der mich am reichsten macht, meine geliebte Tochter. Wenn unsre Schuldlosigkeit und ihre Tränen und die meinigen in Eurem strengen Gerechtigkeitsgefühle dem Erbarmen eine Pforte zu öffnen vermögen, so lasset es uns zuteil werden, die wir niemals daran gedacht haben, Euch zu beleidigen, und niemals an den Anschlägen der Unsrigen teilgenommen, die mit Recht des Landes verwiesen wurden.«

Hier fiel Sancho ein: »Ich kenne den Ricote ganz gut und weiß, daß er die Wahrheit sagt in betreff dessen, daß Ana Felix seine Tochter ist; was aber die anderen Lappalien betrifft mit dem Fortreisen und Wiederkommen, mit den guten und bösen Anschlägen, das geht mich nichts an.«

Alle Anwesenden waren über den merkwürdigen Fall hocherstaunt, und der General sagte: »Ganz gewiß hindern mich Eure Tränen an der Erfüllung meines Schwures; lebet, schöne Ana Felix, soviel Lebensjahre Euch der Himmel beschieden hat. Aber jene zwei frechen, zuchtlosen Kerle sollen das Verbrechen büßen, das sie begangen haben.«

Sogleich befahl er, die beiden Türken, die seine Soldaten erschossen hatten, an der höchsten Rah aufzuknüpfen, aber der Vizekönig bat ihn inständig, sie nicht hängen zu lassen, da ihre Tat eher von Verrücktheit als von Rauflust zeuge. Der General erfüllte den Wunsch des Vizekönigs, denn Rache wird selten bei kaltem Blute geübt.

Dann beriet man, auf welche Weise Don Gaspár Gregorio aus der Gefahr, in der er schwebte, gerettet werden könnte. Ricote bot dafür eine Summe von über zweitausend Talern an, die er in Perlen und Kostbarkeiten bei sich hatte. Man ersann mancherlei Anschläge, aber keiner erschien so zweckmäßig wie der, welchen der vorher erwähnte spanische Renegat angab. Dieser erbot sich nämlich, in einer kleinen Barke von etwa sechs Ruderbänken mit christlichen Ruderern nach Algier zu fahren, da er wisse, wo, wie und wann er landen könne und müsse; auch sei ihm das Haus wohlbekannt, in dem Don Gaspár sich aufhalte. Der General und der Vizekönig hatten Bedenken, sich auf den Renegaten zu verlassen und ihm die Christen anzuvertrauen, welche die Ruder führen sollten, aber Ana Felix verbürgte sich für ihn, und ihr Vater Ricote erklärte, er werde das Lösegeld für die Christen bezahlen, falls ihnen etwa ein Unglück begegnen sollte. Nachdem sie sich für diesen Plan entschlossen hatten, fuhr der Vizekönig wieder an Land, und Don Antonio Moreno nahm die Moriskin und ihren Vater mit nach seinem Hause, wobei der Vizekönig ihm auftrug, sie nach bestem Vermögen zu bewirten und liebevoll zu pflegen, und ihm seinerseits alles anbot, was sich zu diesem Zwecke in seinem eigenen Hause finden würde. So groß war das Wohlwollen und das Mitgefühl, das die Schönheit der Ana Felix in seiner Brust erweckt hatte.