72. Kapitel


Wie Don Quijote und Sancho nach ihrem Dorfe kamen

Diesen ganzen Tag verweilten Don Quijote und Sancho Pansa in diesem Dorfe und in diesem Wirtshause und warteten den Abend ab, der eine, um in freiem Felde seine Tracht Geißelhiebe vollends abzumachen, der andre, um diese Geißelung und mit ihr seine Wünsche am Ziel zu sehen.

Inzwischen kam ein Reisender zu Pferde mit drei oder vier Dienern im Gasthaus an, und einer von ihnen sagte zu dem Reiter, der ihr Herr zu sein schien: »Hier kann Euer Gnaden, Señor Don Álvaro Tarfe, heute Mittagsruhe halten; das Gasthaus scheint sauber und kühl zu sein.«

Bei diesen Worten sprach Don Quijote zu Sancho: »Siehe, Sancho, als ich jenes Buch durchblätterte, das den zweiten Teil meiner Geschichte enthalten soll, bin ich, wie ich meine, zufällig auf diesen Namen Don Álvaro Tarfe gestoßen.«

»Das kann wohl sein«, entgegnete Sancho; »lassen wir ihn absteigen, nachher wollen wir ihn danach fragen.«

Der Ritter stieg ab, und die Wirtin gab ihm ein Zimmer im Erdgeschoß gegenüber dem Gemache Don Quijotes; es war ebenfalls mit bemaltem Stoff behangen wie das Zimmer Don Quijotes. Der neu angekommene Edelmann kleidete sich sommerlich um, und nachdem er sich in die Vorhalle des Wirtshauses begeben, die geräumig und kühl war und in welcher Don Quijote auf und ab ging, fragte er diesen: »Wo reist Euer Gnaden hin, edler Junker?«

Don Quijote antwortete: »Nach einem Dorfe hier in der Nähe, wo ich geboren bin; und wo geht Euer Gnaden hin?«

»Ich gehe nach meiner Vaterstadt Granada«, antwortete der Edelmann.

»Eine treffliche Vaterstadt«, versetzte Don Quijote. »Aber Euer Gnaden wolle mir den Gefallen tun, Euren Namen zu nennen; denn es scheint mir weit wichtiger, ihn zu erfahren, als ich füglich sagen kann.«

»Mein Name ist Don Álvaro Tarfe«, antwortete der Fremde.

Darauf versetzte Don Quijote: »Dann sind Euer Gnaden gewiß jener Don Álvaro Tarfe, dessen Name gedruckt zu lesen ist im zweiten Teil der Geschichte des Don Quijote von der Mancha, der von einem neuen Schriftsteller in Druck gegeben und ans Licht der Welt gebracht worden ist.«

»Ebendieser bin ich«, antwortete der Edelmann, »und der erwähnte Don Quijote, die Hauptperson in der besagten Geschichte, war ein sehr guter Freund von mir, und ich war es, der ihn aus seiner Heimat fortführte oder wenigstens ihn bewog, zu einem Turnier nach Zaragoza zu kommen, wohin ich selber reiste; und wahrlich, wahrlich, ich habe ihm viele Freundschaftsdienste erwiesen und ihn davor bewahrt, daß ihm der Henker den Buckel strich, weil er über alles Maß frech gewesen.«

»So sagt mir doch auch, Señor Don Álvaro«, fragte darauf Don Quijote, »gleiche ich irgendwie jenem Don Quijote, von welchem Euer Gnaden spricht?«

»Nein, gewiß nicht«, antwortete der Fremde, »nicht im geringsten.«

»Und jener Don Quijote«, fragte der unsrige, »hatte er einen Schildknappen bei sich namens Sancho Pansa?«

»Allerdings hatte er ihn«, antwortete Don Álvaro, »und wiewohl dieser als witziger Spaßmacher galt, so habe ich doch nie einen Witz von ihm gehört, der witzig gewesen wäre.«

»Das will ich wohl glauben«, fiel hier Sancho Pansa ein; »denn witzige Späße sind nicht jedermanns Sache, und jener Sancho, von dem Euer Gnaden spricht, Herr Junker, muß ein großer Schurke und zugleich ein Dummkopf und Spitzbube gewesen sein; denn der wahre Sancho Pansa bin ich, und witzige Einfälle regnet es nur so bei mir. Macht nur einmal die Probe und zieht hinter mir her, wenigstens ein Jahr lang, und Ihr werdet sehen, daß sie mir auf Schritt und Tritt von den Lippen fallen, und zwar von solcher Art und in solcher Zahl, daß ich, während ich in den meisten Fällen gar nicht weiß, was ich sage, jeden zum Lachen bringe, der mich hört. Und der wahre Don Quijote von der Mancha, der berühmte, der heldenhafte und scharfsinnige, der verliebte, der Abhelfer aller Ungebühr, der Fürsprecher der Unmündigen und Waisen, der Beschützer der Witwen, der Herzensmörder aller Jungfrauen, der die unvergleichliche Dulcinea von Toboso zur einzigen Gebieterin hat, das ist dieser Herr, der hier vor Euren Augen steht und der mein Dienstherr ist. Jedweder andre Don Quijote und jeder andre Sancho Pansa ist nichts als Humbug und Spiegelfechterei.«

»Bei Gott, ich glaube es«, antwortete Don Álvaro; »denn in den paar Worten, die Ihr gesagt habt, lieber Freund, habt Ihr mehr Kurzweiliges vorgebracht als jener andre Sancho Pansa in sämtlichen Äußerungen, die ich von ihm gehört, und deren waren gar viele. Er hatte mehr vom Fresser an sich als vom witzigen Spaßmacher und mehr vom Dummkopf als vom kurzweiligen Menschen, und ich halte es für ausgemacht, daß die Zauberer, die den guten Don Quijote verfolgen, mich mit dem schlechten Don Quijote haben verfolgen wollen. Aber ich weiß eigentlich nicht, was ich sagen soll, denn ich kann es schwören, ich habe ihn zu Toledo im Tollhaus eingesperrt verlassen, wo man ihn heilen will, und jetzt kommt hier ein andrer Don Quijote zum Vorschein, der gänzlich anders ist als der meinige.«

»Ich«, sagte Don Quijote, »ich weiß nicht, ob ich gut bin; aber ich darf sagen, daß ich nicht der schlechte bin. Zum Beweis dafür sollt Ihr wissen, Señor Don Álvaro Tarfe, daß ich in meinem ganzen Leben nie in Zaragoza gewesen bin; vielmehr, gerade weil man mir sagte, jener angebliche Don Quijote sei bei dem Turnier in jener Stadt gewesen, wollte ich sie gar nicht betreten, um ihn angesichts der ganzen Welt Lügen zu strafen; und daher zog ich geradewegs nach Barcelona. Das ist der Wohnsitz der feinen Sitte, die Herberge der Fremden, die Zuflucht der Armen, die Heimat der Helden, der Rächer der Gekränkten, das anmutige Stelldichein treuer Freundschaften und ganz einzig durch seine Lage und Schönheit. Und wiewohl meine dortigen Erlebnisse nicht sehr freudig, sondern recht trauriger Art waren, so ertrage ich sie doch ohne Betrübnis, nur weil ich Barcelona gesehen habe. Kurz, Señor Don Álvaro Tarfe, ich bin Don Quijote von der Mancha, derselbe, von dem man spricht, und nicht jener Elende, der sich meinen Namen anmaßen und mit meinen Gedanken prunken wollte. Ich bitte Euer Gnaden, bei alledem, was Ihr dem Vorzuge, ein Ritter zu sein, schuldet, geruhet, vor dem Bürgermeister dieses Dorfes eine Erklärung abzugeben, daß Ihr mich noch nie in Eurem Leben gesehen habt und daß ich nicht der im zweiten Teil gedruckte Don Quijote bin, ebensowenig wie dieser Sancho Pansa, mein Schildknappe, derselbe ist, den Ihr gekannt habt.«

»Das will ich sehr gerne tun«, antwortete Don Álvaro, »obgleich es höchst wunderbar ist, zwei Don Quijotes und zwei Sancho Pansas zu gleicher Zeit zu sehen, die im Namen ebenso miteinander übereinstimmen, wie sie in ihren Handlungen sich unterscheiden; und nochmals sage ich’s und bleibe fest dabei, ich habe nicht gesehen, was ich gesehen, und was vor meinen Augen geschehen, ist nicht geschehen.«

»Ganz gewiß«, sagte Sancho, »muß Euer Gnaden ebenso verzaubert sein wie unser Fräulein Dulcinea von Toboso; und wollte der Himmel, Ihr könntet dadurch entzaubert werden, daß ich mir noch einmal dreitausend und soundso viele Hiebe gäbe, wie ich mir sie für Dulcinea aufmesse; ich gäbe sie mir, ohne den geringsten Vorteil dafür zu verlangen.«

»Ich verstehe nicht, was das mit den Hieben heißen soll«, sagte Don Álvaro.

Und Sancho antwortete ihm, das wäre zu weitläufig zu erzählen; er würde es ihm aber mitteilen, wenn sie vielleicht desselben Weges zögen.

Inzwischen kam die Essensstunde; Don Quijote und Don Álvaro speisten zusammen. Zufällig kam der Bürgermeister des Ortes mit einem Aktuar ins Gasthaus, und vor besagtem Bürgermeister stellte Don Quijote einen förmlichen Antrag nebst Gesuch: wie sein Recht es erheische, daß Don Álvaro Tarfe, nämlich der Edelmann, der hier zugegen sei, vor Seiner Gnaden dem Herrn Bürgermeister erklärt, daß er den gleichfalls hier anwesenden Don Quijote von der Mancha durchaus nicht kenne und daß dieser nicht derselbe sei, der geschildert werde in einer im Druck erschienenen Geschichte unter dem Titel Zweiter Teil des Don Quijote von der Mancha, verfaßt von einem gewissen de Avellaneda aus Tordesillas. Hierauf erledigte der Bürgermeister die Sache nach Recht und Gesetz; die Erklärung wurde ordnungsgemäß ausgestellt, wie in solchen Fällen erforderlich, worüber Don Quijote und Sancho sehr vergnügt waren, gerade als ob eine solche Erklärung von Wichtigkeit wäre und als ob der Unterschied zwischen den beiden Don Quijotes und den beiden Sanchos sich nicht schon deutlich genug in ihren Worten und Werken zeigte.

Zwischen Don Álvaro und Don Quijote wurden viele Höflichkeitsbezeigungen und freundschaftliche Anerbietungen ausgetauscht, wobei der große Manchaner seinen Verstand in so hellem Lichte zeigte, daß er Don Álvaro Tarfe seinen Irrtum gänzlich benahm und dieser wirklich glaubte, er müsse verzaubert sein, da er zwei einander so entgegengesetzte Don Quijotes mit Händen griff.

Der Abend kam heran, sie schieden von diesem Orte, und ungefähr eine halbe Meile von da trennten sich die verschiedenen Straßen; die eine führte nach Don Quijotes Dorf, während Don Álvaro die andere einschlagen mußte. Auf diesem kurzen Wege erzählte ihm Don Quijote das Unglück seiner Niederlage und die Verzauberung Dulcineas sowie die Art ihrer Heilung. Alles dieses setzte Don Álvaro aufs neue in Verwunderung; er umarmte Don Quijote und Sancho und setzte seinen Weg fort, so wie Don Quijote den seinigen.

Der Ritter verbrachte diese Nacht wiederum in einem Gehölz, um Sancho Gelegenheit zur Vollendung seiner Geißelung zu geben, und Sancho tat das auch auf dieselbe Weise wie in der vergangenen Nacht, mehr auf Kosten der Rinde der dort stehenden Buchen als auf Kosten seines Rückens, den er so sorgsam schonte, daß die Hiebe ihm nicht einmal eine Mücke von der Haut fortgescheucht hätten, falls eine solche darauf gesessen hätte. Der betrogene Don Quijote ließ keinen Hieb in seiner Rechnung verlorengehen und fand, daß es mit denen der vergangenen Nacht dreitausendneunundzwanzig waren. Die Sonne schien absichtlich früher aufgestanden zu sein, um das Opfer mit anzusehen, und bei ihrem Lichte setzten sie ihren Weg wieder fort, wobei sie von dem Irrtum Don Álvaros sprachen und wie wohl sie daran getan hätten, daß sie seine Aussage vor Gericht hätten feststellen lassen, und zwar auf so beweiskräftige Weise.

Diesen Tag und diese Nacht zogen sie weiter, ohne daß ihnen etwas Erzählenswertes begegnet wäre, außer, daß in der Nacht Sancho seine Aufgabe vollendete, worüber Don Quijote über alle Maßen glücklich war, so daß er den Tag kaum erwarten konnte, um zu sehen, ob er unterwegs seine nun entzauberte Gebieterin Dulcinea treffen werde. Wirklich begegnete ihm bei Fortsetzung seiner Reise kein Frauenzimmer, dem er nicht entgegenging, um herauszufinden, ob es Dulcinea von Toboso sei, da er fest auf Merlins Verheißungen baute.

Unter solchen Gedanken und voll von diesen Wünschen stiegen sie eine Anhöhe hinan, von welcher aus sie ihr Dorf erblickten. Bei diesem Anblick warf Sancho sich auf die Knie und sagte: »Öffne die Augen, ersehnte Heimat, und sieh Sancho Pansa, deinen Sohn, zu dir zurückkehren, wenn nicht mit vielen Reichtümern, doch mit vielen Prügeln beladen, öffne die Arme und empfange auch deinen Sohn Don Quijote, den zwar fremde Arme besiegt haben, der aber als Sieger über sich selbst einherzieht, was, wie er selber mir gesagt hat, der größte Sieg ist, den man erringen kann. Geld bringe ich mit; aber kriegt ich Hiebe schwer und mächtig, ritt ich doch einher gar prächtig.«

»Hör auf mit diesem Blödsinn«, sagte Don Quijote, »wir wollen in unser Dorf einziehen mit dem rechten Fuß voran; dort wollen wir auf Mittel sinnen, wie wir unsre poetischen Gedanken zur Tat werden lassen, und wollen den Plan zu dem Schäferleben ausarbeiten, dem wir uns zu widmen gedenken.«

Hiermit stiegen sie den Hügel hinab und zogen nach ihrem Dorfe.

73. Kapitel


Von den Vorzeichen, welche Don Quijote beim Einzug in sein Dorf bemerkte, nebst andern Begebnissen, so dieser großen Geschichte zu besonderer Zierde und höherem Wert gereichen

Am Eingang des Dorfes, so berichtet Sidi Hamét, sah Don Quijote, wie zwei Jungen auf den Tennen des Ortes miteinander Streit hatten, und der eine sagte zum andern: »Gib dir keine Mühe, Periquillo, du wirst sie in deinem Leben nie wiedersehen.«

Dies hörte Don Quijote und sprach zu Sancho: »Hast du beachtet, Freund, was jener Junge gesagt hat: du wirst sie in deinem Leben nie wiedersehen?«

»Nun denn«, antwortete Sancho, »was kümmert es uns, daß der Junge das gesagt hat?«

»Was es uns kümmert?« entgegnete Don Quijote; »siehst du denn nicht, daß das, wenn man dieses Wort auf meine Wünsche anwendet, bedeutet, daß ich Dulcinea nicht wiedersehen werde?«

Sancho wollte ihm antworten, als seine Aufmerksamkeit durch den Anblick eines Hasen abgelenkt wurde, der fliehend über das Feld rannte, von vielen Hunden und Jägern verfolgt, und sich ängstlich unter die Beine des Esels flüchtete und dort niederduckte. Sancho ergriff ihn mit der bloßen Hand und reichte ihn Don Quijote hin; dieser aber sprach: »Malum signum, malum signum! Ein Hase flieht, Hunde verfolgen ihn, Dulcinea läßt sich nicht sehen.«

»Euer Gnaden ist gar wunderlich«, sagte Sancho. »Wir wollen annehmen, dieser Hase ist Dulcinea von Toboso, diese Hunde, die ihn verfolgen, sind die schurkischen Zauberer, die sie in eine Bäuerin verwandelt haben; sie flieht, ich ergreife sie und bringe sie in Eure Gewalt, Ihr habt sie in Euren Armen und hegt und herzet sie; was ist das für ein böses Zeichen, oder welch böse Vorbedeutung kann man daraus entnehmen?«

Die beiden Jungen, die miteinander gestritten, kamen herbei, um den Hasen zu sehen, und Sancho fragte den einen, worüber sie sich gezankt hätten. Derjenige, der gesagt hatte: ›Du wirst sie in deinem Leben nie wiedersehen‹, antwortete ihm, er habe dem andern Jungen einen Käfig mit Grashüpfern weggenommen und gedenke ihm den seiner Lebtage nicht wiederzugeben. Sancho nahm vier Viertelrealen aus seiner Tasche, gab sie dem Jungen für den Käfig und überreichte diesen Don Quijote mit den Worten: »Hier, Señor, seht hier Eure Vorzeichen über den Haufen geworfen; ohnehin haben sie mit unsern Erlebnissen, wie ich als dummer Kerl meine, ebensowenig zu schaffen wie mit den Wolken vom vorigen Jahr. Auch habe ich meines Wissens den Pfarrer unsres Dorfes sagen hören, es gezieme sich nicht für Christen und vernünftige Leute, auf solche Kindereien zu achten; ja Euer Gnaden selbst hat es mir in den letzten Tagen gesagt und mich belehrt, daß alle Christen, die auf Vorzeichen etwas geben, dumme Kerle seien. Also brauchen wir uns nicht darauf zu versteifen, sondern wollen darüber hinweggehen und in unser Dorf einziehen.«

Die Jäger kamen herzu und verlangten ihren Hasen, Don Quijote gab ihn ihnen. Dann setzten sie ihren Weg fort und trafen auf einem Rasenplätzchen den Pfarrer und den Baccalaureus Carrasco in ihrem Brevier lesend. Nun muß man wissen, daß Sancho Pansa über seinen Grauen und über das Bündel mit den Rüstungsstücken als Reisedecke den mit Flammen bemalten Überwurf von Wollenzeug gebreitet hatte, mit dem er im Schlosse des Herzogs an jenem Abend bekleidet war, wo Altisidora wieder ins Leben zurückkehrte. Auch hatte er den spitzen Hut dem Tiere auf den Kopf gestülpt, jedenfalls die unerhörteste Verkleidung und Ausschmückung, in der man je auf Erden einen Esel gesehen. Die beiden wurden sogleich von dem Pfarrer und dem Baccalaureus erkannt, welche ihnen mit offenen Armen entgegenkamen. Don Quijote stieg ab und preßte sie innig in die Arme. Die Gassenjungen, die wie Luchse sind, denen man nicht entgehen kann, bemerkten den spitzen Hut des Esels, rannten herbei, ihn anzusehen, und riefen einander zu: »Kommt, Jungen, da könnt ihr Sanchos Esel sehen, schöner als ein Pfingstochse, und Don Quijotes Gaul, noch magerer als am ersten Tag.«

So zogen sie im Dorfe ein, von Gassenjungen umringt, vom Pfarrer und Baccalaureus begleitet, begaben sich nach dem Hause Don Quijotes und fanden an dessen Tür die Haushälterin und die Nichte, zu welchen die Nachricht von der Ankunft des Ritters schon gedrungen war. Dieselbe Kunde hatte man auch schon Teresa Pansa, der Ehefrau Sanchos, gebracht; mit unordentlich herumhängendem Haar und halbbekleidet, ihre Tochter Sanchica an der Hand führend, lief sie herbei, um ihren Mann zu sehen; und als sie ihn nicht so fein angezogen fand, wie ihrer Meinung nach ein Statthalter sein müßte, sprach sie zu ihm: »Wie kommst du daher, Mann? Du kommst ja zu Fuß mit Blasen an den Sohlen und siehst eher aus wie ein Stadtnarr als wie ein Statthalter!«

»Schweig, Teresa!« antwortete Sancho. »Gar oft sind da Haken und Stangen, und es tut kein Speck dranhangen. Laß uns nach Hause gehen, da wirst du Wunder hören. Geld bringe ich mit, das ist die Hauptsache, ich habe es im Schweiß meines Angesichts verdient und ohne jemandes Schaden.«

»Bring du nur Geld mit, lieber Mann«, sagte Teresa, »ob du es nun hier am Ort oder da und dort verdient hast, ja, du magst es verdient haben, wie du willst, so hast du sicher damit keine neue Mode in der Welt aufgebracht.«

Sanchica umarmte ihren Vater und fragte ihn, ob er ihr etwas mitgebracht habe, sie habe auf ihn gewartet wie auf einen Maienregen. Sie faßte ihn am Gürtel, sein Weib ergriff seine Hand, das Mädchen zog den Esel hinter sich her, und so gingen sie nach ihrem Hause und ließen Don Quijote in dem seinigen unter den Händen seiner Nichte und seiner Haushälterin und in der Gesellschaft des Pfarrers und des Baccalaureus.

Don Quijote, ohne die geeignete Frist und Stunde abwarten zu wollen, ging auf der Stelle mit dem Baccalaureus und dem Pfarrer beiseite und erzählte ihnen in kurzen Worten seine Niederlage und die von ihm übernommene Verpflichtung, sein Dorf ein ganzes Jahr lang nicht zu verlassen, was er buchstäblich einhalten wolle, schlecht und recht als fahrender Ritter handelnd und dazu verbunden durch die strenge Pflicht und Vorschrift des fahrenden Rittertums. Er habe den Gedanken gefaßt, während dieses Jahres als Schäfer zu leben und in der Einsamkeit der Gefilde seine Zeit zuzubringen, wo er seinen Liebesgedanken freien Lauf lassen und sich in dem tugendsamen schäferlichen Berufe üben könne; er bitte sie, wenn sie nicht zuviel zu tun hätten und nicht mit wichtigeren Angelegenheiten beschäftigt seien, ihm Gesellschaft leisten zu wollen; er würde Schafe kaufen, eine Herde, die groß genug sei, daß sie sich den Namen Schäfer beilegen dürften. Übrigens tue er ihnen zu wissen, daß die Hauptsache schon getan sei, denn er habe ihnen bereits ihre Namen zugedacht, die ihnen passen würden wie angegossen.

Der Pfarrer bat, sie ihnen mitzuteilen. Don Quijote antwortete, er werde der Schäfer Quijoti heißen, der Baccalaureus Schäfer Carrascón, der Pfarrer Schäfer Curiambro und Sancho Pansa Schäfer Pansino.

Alle waren starr über Don Quijotes neue Narrheit, aber aus Angst, er könnte noch einmal aus dem Dorf zu neuen Rittertaten ausziehen, und in der Hoffnung, er könne wohl während dieses Jahres geheilt werden, stimmten sie seinem neuen Plane zu, ließen seine Torheit als Gescheitheit gelten und erboten sich, ihm in seinem neuen Berufe Gesellschaft zu leisten.

»Dazu kommt noch«, sagte Sansón Carrasco, »daß ich, wie die ganze Welt ja weiß, ein hochberühmter Dichter bin; ich werde also bei jeder Gelegenheit Gedichte verfassen, schäferliche oder höfische, oder wie es mir sonst am besten paßt, damit wir in jenen Wildnissen, wo wir umherwandern werden, uns gut unterhalten. Was aber am nötigsten ist, meine Herren, ein jeder muß sich einen Namen für die Schäferin wählen, die er in seinen Versen zu feiern gedenkt, und es darf kein Baum übrigbleiben, wenn er auch noch so hart ist, wo er nicht ihren Namen eingraben soll, wie es Brauch und Sitte ist bei den verliebten Schäfern.«

»So ist’s recht«, bemerkte Don Quijote, »obwohl ich selbst der Mühe überhoben bin, den Namen einer erdichteten Schäferin aufzusuchen, denn es ist ja die unvergleichliche Dulcinea von Toboso da, der Stolz dieser Gestade, der Schmuck dieser Gefilde, die Lebensquelle der Schönheit, die Blume der Anmut, kurz ein Wesen, für welches keine Lobpreisung zuviel ist, mag sie noch so übertrieben scheinen.«

»Das ist wahr«, sagte der Pfarrer; »aber auch wir werden hierherum die richtigen Schäferinnen finden, und wollen wir bessere besitzen, so lassen wir sie uns schnitzen.«

Sansón Carrasco fügte hinzu: »Und wenn es uns an Namen fehlen sollte, so werden wir ihnen die gedruckten Namen aus Büchern geben, von denen die Welt voll ist, Fílida, Amarilis, Diana, Flérida, Galatea, Belisarda; denn da diese auf den Märkten verkauft werden, können auch wir sie kaufen und sie uns aneignen. Wenn meine Dame, oder richtiger gesagt, meine Schäferin zufällig Ana heißen sollte, werde ich sie unter dem Namen Anarda feiern, und wenn Franziska, nenne ich sie Franzenia, und wenn Lucía, Lucinda, denn das ist alles einerlei; und Sancho Pansa, sofern er in unsre Brüderschaft eintreten sollte, kann sein Weib Teresa Pansa unter dem Namen Teresaina feiern.«

Don Quijote lachte sehr über diese Verwendung der Namen, und der Pfarrer lobte über alles Maß seinen ehrbaren und tugendsamen Entschluß und erbot sich aufs neue, ihm während der ganzen Zeit, die ihm von seinen pflichtmäßigen Beschäftigungen frei bleiben würde, Gesellschaft zu leisten. Hiermit nahmen sie Abschied von ihm mit der Bitte und dem guten Rat, für seine Gesundheit zu sorgen und seiner mit allem Guten zu pflegen.

Das Schicksal wollte es, daß seine Nichte und die Haushälterin die Unterhaltung der drei mit anhörten, und sobald die beiden sich entfernt hatten, traten sie in Don Quijotes Zimmer, und die Nichte sprach zu ihm: »Was ist das, Herr Oheim? Jetzt, wo wir dachten, Euer Gnaden werde sich wieder auf Euer Haus beschränken und in ihm ein ruhiges und ehrbares Leben führen, wollt Ihr Euch auf neue Irrwege einlassen und das Schäferlein spielen:

Schäferlein, wo kommst du her?
Schäferlein, wo gehst du hin?

Wahrhaftig, das Rohr ist schon zu dürr, um Pfeifchen daraus zu schneiden.«

Die Haushälterin fügte hinzu: »Und kann denn Euer Gnaden auf freiem Felde die Mittagsstunden des Sommers, die kalten Nächte des Winters und das Geheul der Wölfe aushalten? Gewiß nicht, denn das ist ein Geschäft und Amt für handfeste, abgehärtete Leute, die von den Windeln und Wickelbändern an für einen solchen Beruf sind erzogen worden. Wenn denn zwischen zwei Übeln die Wahl sein muß, so ist es immer noch besser, ein fahrender Ritter sein als ein Schäfer. Überlegt es Euch, Señor, nehmt meinen Rat an, ich gebe ihn Euch nicht etwa von Wein und Brot übersättigt, sondern ganz nüchtern, und weil ich fünfzig Jahre alt bin: Bleibt in Eurem Hause, sorgt für Euer Hab und Gut, geht häufig zur Beichte, tut den Armen Gutes, und es soll auf meine Seele kommen, wenn Ihr dabei schlecht fahrt.«

»Schweigt, Kinder«, antwortete ihnen Don Quijote, »ich weiß ganz wohl, was ich zu tun habe. Bringt mich zu Bett, ich glaube, ich bin nicht recht wohl. Und im übrigen seid überzeugt, daß ich, ob ich nun als fahrender Ritter lebe oder als Schäfer herumfahre, nie unterlassen werde, für eure Bedürfnisse zu sorgen, wie ihr aus meinen Handlungen erkennen werdet.«

Die guten Mädchen, denn das waren Haushälterin und Nichte ohne Zweifel; brachten ihn zu Bett, wo sie ihm zu essen gaben und ihn bestmöglich verpflegten.

74. Kapitel


Wie Don Quijote krank wurde, sein Testament machte und starb

Da die menschlichen Dinge nicht von ewiger Dauer sind und es von ihrem Beginn an mit ihnen immer abwärtsgeht, bis sie zu ihrem letzten Ende gelangen, besonders aber das menschliche Leben, und da Don Quijotes Leben nicht das Vorrecht vom Himmel besaß, in seinem Laufe stillezustehen, so kam sein Ende und Ziel, als er sich dessen am wenigsten versah. Sei es nun von dem Gram über seine erlittene Niederlage oder durch Fügung des Himmels, der es so angeordnet, kurz, es nistete sich bei ihm ein Fieber ein, das ihn sechs Tage lang ans Bett fesselte. Während dieser Zeit wurde er häufig von seinen Freunden, dem Pfarrer, dem Baccalaureus und dem Barbier, besucht, und Sancho Pansa, sein braver Schildknappe, wich nicht vom Kopfende seines Bettes. Da sie alle glaubten, der Kummer darüber, daß er sich besiegt und seine Sehnsucht nach Dulcineas Erlösung und Entzauberung nicht erfüllt sah, hätte ihn in diesen Zustand versetzt, so suchten sie auf jede mögliche Weise ihn aufzuheitern, und der Baccalaureus ermahnte ihn, Mut zu fassen und aufzustehen, um ihr Schäferleben zu beginnen, für welches er schon ein Hirtengedicht verfaßt habe, das alle Gedichte von Sanazáro in den Schatten stelle. Er habe auch schon für sein eigenes Geld zwei kostbare Hunde gekauft, um die Herde zu hüten; der eine heiße Barcino und der andre Butrón, ein Herdenbesitzer in Quintanar habe sie ihm verkauft. Aber trotz alledem blieb Don Quijote in seinem Trübsinn befangen. Seine Freunde riefen den Arzt, der ihm den Puls fühlte und gar nicht zufrieden damit war und ihm riet, er möge auf jeden guten und schlechten Fall hin für das Heil seiner Seele sorgen, da seines Körpers Heil in Gefahr stehe.

Don Quijote hörte dies mit ruhiger Ergebung an; aber nicht also seine Haushälterin, seine Nichte und sein Schildknappe, die bitterlich zu weinen anfingen, als sähen sie ihn schon tot vor ihren Augen liegen. Der Arzt äußerte die Vermutung, daß Schwermut und Kummer sein Ende herbeiführten. Don Quijote bat, man möge ihn allein lassen, weil er ein wenig schlafen wolle; sie taten es, und er schlief in einem Zuge, wie man zu sagen pflegt, über sechs Stunden, so daß Haushälterin und Nichte schon fürchteten, er würde aus dem Schlafe nicht wieder zum Leben kommen. Indessen erwachte er nach Verlauf der erwähnten Zeit und sprach laut aufschreiend: »Gelobt sei der allmächtige Gott, der mir eine so große Wohltat erwiesen! Wahrlich, seine Barmherzigkeit hat keine Grenzen, und die Sünden der Menschen mindern und hemmen sie nimmer.«

Die Nichte horchte aufmerksam auf die Worte des Oheims, und sie schienen ihr vernünftiger zu sein, als er sie, wenigstens in dieser Krankheit, zu äußern pflegte. Sie fragte ihn: »Was denn meint Euer Gnaden, Señor? Haben wir was Neues? Was meint Ihr mit dieser Barmherzigkeit und mit den Sünden der Menschen?«

»Die Barmherzigkeit, die ich meine, liebe Nichte«, antwortete Don Quijote, »ist die, welche Gott in diesem Augenblicke an mir bewiesen hat, Gott, welchen meine Sünden, wie ich sagte, nicht abhalten, sie an mir zu üben. Mein Verstand ist jetzt wieder klar und hell, frei von allen umnebelnden Schatten der Unvernunft, mit welchen das beständige, das verwünschte Lesen der abscheulichen Ritterbücher meinen Geist umzogen hatte. Jetzt erkenne ich ihren Unsinn und ihren Trug, und ich fühle mich nur deshalb voll Leides, weil diese Erkenntnis meines Irrtums so spät gekommen ist, daß ich keine Zeit mehr habe, ihn einigermaßen wiedergutzumachen und andre Bücher zu lesen, um meine Seele zu erleuchten. Ich fühle mich, liebe Nichte, dem Tode nahe, ich möchte gerne so sterben, daß ich bewiese, mein Leben sei nicht so arg gewesen, um den Namen eines Narren zu hinterlassen; wenn ich es auch gewesen bin, so möchte ich dies doch nicht auch noch mit meinem Tode bekräftigen. Rufe mir, meine Liebe, meine guten Freunde, den Pfarrer, den Baccalaureus Sansón Carrasco und Meister Nikolas den Barbier; ich will beichten und mein Testament machen.«

Durch den Eintritt der genannten drei Personen wurde die Nichte dieser Mühe überhoben. Kaum erblickte Don Quijote sie, so rief er ihnen entgegen: »Wünscht mir Glück, meine lieben Herren, daß ich nicht mehr Don Quijote von der Mancha bin, sondern Alonso Quijano der Gute, wie ich um meines Lebenswandels willen genannt wurde. Jetzo bin ich ein Feind des Amadís von Gallien und der unzähligen Schar seiner Sippschaft; jetzt sind mir all die gottverlassenen Geschichten vom fahrenden Rittertum verhaßt; jetzt erkenne ich meine Torheit und die Gefahr, in die mich das Lesen dieser Bücher gestürzt hat; jetzt bin ich nach Gottes Barmherzigkeit durch eignen Schaden klug geworden und verabscheue sie.«

Als die drei ihn so reden hörten, hielten sie es für zweifellos, daß Ihn eine neue Narrheit befallen habe, und Sancho sprach zu ihm: »Jetzt, Señor Don Quijote, wo wir Nachricht haben, daß das Fräulein Dulcinea entzaubert ist, kommt Euer Gnaden mit solchen Sachen? Und jetzt, wo wir so drauf und dran sind, Schäfer zu werden, um unser Leben unter lauter Gesang zuzubringen wie die Prinzen, jetzt will Euer Gnaden unter die Einsiedler gehen? So wahr Ihr Euer Leben von Gott habt, schweigt still, kommt wieder zu Euch und gebt Euch nicht mit Fabeleien ab.«

Don Quijote

»Die bisherigen Fabeleien«, erwiderte Don Quijote, »sind zu meinem Schaden wahre Geschichten gewesen, aber mein Tod wird sie mit des Himmels Hilfe zu meinem Frommen wenden. Ich fühle, meine Herren, daß mein letztes Stündlein rasch naht; laßt mir die Possen beiseite und holt mir einen Beichtvater, der mir die Beichte abnimmt, und einen Gerichtsschreiber, der mein Testament macht; denn in so dringenden Augenblicken wie diesem darf der Mensch mit seinem Seelenheil keinen Spaß machen. Ich bitte euch also, während der Herr Pfarrer meine Beichte abnimmt, geht nach dem Gerichtsschreiber.«

Die Anwesenden sahen einander an, ganz verwundert über Don Quijotes Äußerungen, und obschon sie noch zweifelten, waren sie doch geneigt, ihm Glauben zu schenken, und sie hielten es für ein Zeichen seines nahenden Todes, daß er sich so rasch aus einem Verrückten in einen gescheiten Menschen verwandelt habe. Zu den bereits erwähnten Äußerungen fügte er noch andre, die so klar, so voll christlichen Sinnes und so vernünftig waren, daß ihnen zuletzt jeder Zweifel verging und sie überzeugt waren, daß er wieder völlig bei klarem Verstande sei.

Der Pfarrer ließ alle hinausgehen, blieb mit ihm allein und nahm ihm die Beichte ab. Der Baccalaureus war gegangen, den Gerichtsschreiber zu holen, und kehrte in kurzer Zeit mit diesem und Sancho Pansa zurück. Als der letztere, der schon von dem Baccalaureus gehört hatte, in welchem Zustande sein Herr sei, die Haushälterin und die Nichte in Tränen fand, fing er an, das Gesicht zu verziehen und gleichfalls Tränen zu vergießen. Die Beichte war vorüber, der Pfarrer trat heraus und sagte: »Wirklich, er stirbt, und wirklich ist Alonso Quijano der Gute wieder bei Verstand; wir können jetzt alle hineingehen, damit er sein Testament machen kann.«

Diese Nachricht gab den angeschwollenen Augen der Haushälterin, der Nichte und des redlichen Schildknappen Sancho Pansa einen so gewaltigen Stoß, daß ihnen dichte Tränen aus den Wimpern und tausend tiefe Seufzer aus der Brust hervorbrachen; denn es war wirklich so, wie schon manchmal gesagt worden: solange Don Quijote schlechtweg Alonso Quijano der Gute war, und ebenso während er Don Quijote von der Mancha war, stets war er von freundlicher Gemütsart und angenehm im Umgang und deshalb nicht nur von den Leuten seines Hauses, sondern von allen, die ihn kannten, geliebt und wohlgelitten.

Der Gerichtsschreiber trat mit den andern ein, und nachdem Don Quijote den Eingang des Testamentes verfaßt und seine Seele Gott befohlen, auch allen hierbei üblichen christlichen Bräuchen genügt hatte, sagte er, als er an die Vermächtnisse kam: »Item ist mein Wille: sintemalen Sancho Pansa, den ich in meiner Verrücktheit zu meinem Schildknappen machte, gewisse Gelder von mir in Händen hat und zwischen ihm und mir gewisse Rechnungen und verdrießliche Händel stattgefunden haben, so will ich, daß man die Gelder ihm nicht zu Lasten schreibe, auch keine Abrechnung von ihm verlange, sondern wenn etwas übrigbleibt, nachdem er sich für meine Schulden an ihnen bezahlt gemacht hat, so soll der Rest, der nicht groß sein wird, ihm gehören und zum Nutzen gereichen; und wenn ebenso, wie ich zur Zeit meiner Verrücktheit Veranlassung war, ihm die Regierung der Insul zu übergeben, ich jetzt, wo ich bei Verstand bin, ihm die eines Königreichs verleihen könnte, so würde ich sie ihm verleihen, weil die Einfalt seines Gemütes und die Treue seiner Handlungsweise es verdienen.«

Hier wendete er sich zu Sancho und sprach zu ihm: »Vergib mir, Freund, daß ich dir Anlaß gegeben, verrückt zu scheinen, wie ich es selbst war, und dich zu demselben Irrtum verleitet, in den ich gefallen war, nämlich daß es fahrende Ritter auf Erden gegeben hat oder gibt.«

»Ach«, rief Sancho unter Tränen, »sterbt doch nicht, mein lieber gnädiger Herr, sondern nehmt meinen Rat an und lebt noch lange Jahre; denn die größte Narrheit, die ein Mensch in diesem Leben begehen kann, ist, sich mir nichts, dir nichts ins Grab zu legen, ohne daß einer ihn umbringt und ohne daß eine andere Macht als die der Schwermut sein Ende herbeiführt. Macht nur, daß Ihr nicht so träge seid, sondern von Eurem Bett aufsteht, und dann wollen wir hinaus ins Freie, in Schäfertracht, wie wir verabredet haben; vielleicht finden wir hinter einem Busche hier herum Señora Doña Dulcinea so entzaubert, daß man nichts Herrlicheres sehen kann. Kommt Euch der Tod aber vom Verdruß über Eure Niederlage, so schiebt die Schuld auf mich und sagt, weil ich dem Rosinante den Gurt schlecht umgeschnallt habe, deshalb wäret Ihr geworfen worden; außerdem werdet Ihr in Euren Ritterbüchern gelesen haben, wie ganz gewöhnlich es ist, daß ein Ritter den andren niederwirft und daß, wer heute besiegt ist, morgen der Sieger sein kann.«

»So ist es«, sagte Sansón; »der wackere Sancho Pansa hat vollkommen das Richtige getroffen.«

»Gemach, meine Herren, gemach, meine Herren«, sprach Don Quijote; »das Nest ist leer in diesem Jahr, das vorig Jahr voll Vöglein war. Ich war verrückt, und jetzt bin ich bei Verstand; ich war Don Quijote von der Mancha, und jetzt bin ich, wie gesagt, Alonso Quijano der Gute. Möchte doch bei Euch meine Reue und meine Aufrichtigkeit mich wieder in die Achtung zurückbringen, die man sonst für mich empfand! Jetzt wolle der Herr Gerichtsschreiber fortfahren.

Item: ich vermache all mein Hab und Gut, und zwar unter Ausschluß aller anderen Personen, meiner Nichte, der hier gegenwärtigen Antonia Quijana, nachdem sie zuvor, aus den flüssigen Mitteln meines Vermögens, soviel entnommen, als nötig ist, um meine Vermächtnisse zu bestreiten; und als erste Auszahlung soll meine Haushälterin den Lohn erhalten, den ich ihr für die Zeit schulde, die sie bei mir gedient hat, und ferner noch zwanzig Taler für ein Kleid.

Zu meinen Testamentsvollstreckern ernenne ich den Herrn Pfarrer und den Herrn Baccalaureus Sansón Carrasco, beide hier zugegen. Item ist mein Wille: wenn meine Nichte Antonia Quijana sich verheiraten will, so soll sie nur einen solchen Mann ehelichen, von dem man vorher festgestellt hat, daß er nicht einmal weiß, was Ritterbücher sind, und falls er es weiß und meine Nichte sich trotzdem mit ihm verheiratet, so soll sie alles dessen verlustig gehen, was ich ihr vermacht habe, und meine Testamentsvollstrecker können es nach ihrem Belieben zu frommen Werken verwenden.

Item bitte ich meine Herren Testamentsvollstrecker, wenn sie das Glück haben sollten, den Schriftsteller kennenzulernen, der eine Geschichte geschrieben haben soll, die unter dem Titel Zweiter Teil der Geschichte des Don Quijote von der Mancha in der Welt umläuft, so mögen sie ihn in meinem Namen so inständig als möglich um Verzeihung bitten, daß ich ihm unwissentlich den Anlaß gegeben, so vielen und großen Unsinn zu schreiben, wie er da aufgehäuft hat, denn ich scheide aus diesem Leben mit Gewissensbissen, daß ich ihm Gelegenheit zu solchen Albernheiten gegeben.«

Hiermit schloß das Testament; Don Quijote fiel bald darauf in eine Ohnmacht und streckte sich der Länge nach im Bett aus. Alle gerieten in Schrecken und bemühten sich, ihm beizustehen, und während der drei Tage, die er nach Errichtung seines Testaments noch lebte, befielen ihn solche Ohnmächten noch sehr häufig. Das Haus war fortwährend in Angst und Schrecken, aber trotzdem speiste die Nichte, trank die Haushälterin und war Sancho Pansa guter Dinge, denn die sichere Aussicht auf ein Erbe tilgt oder mildert wenigstens bei dem Erben das Gefühl des Schmerzes, den der Verstorbene billigermaßen bei den Seinigen zurücklassen muß.

Endlich kam die letzte Stunde Don Quijotes, nachdem er alle Sakramente empfangen und nachdem er mit vielen nachdrücklichen Worten seinen Abscheu vor den Ritterbüchern ausgesprochen. Der Gerichtsschreiber war dabei zugegen und erklärte, er habe nie in einem Ritterbuche gelesen, daß ein fahrender Ritter jemals so ruhig und so christlich in seinem Bette gestorben wie Don Quijote, welcher unter Wehklagen und Tränen der Anwesenden seine Seele dahingab – ich will sagen: er starb.

Sobald der Pfarrer sah, daß er verschieden war, bat er den Gerichtsschreiber, eine Urkunde aufzusetzen, daß Alonso Quijano der Gute, gemeiniglich Don Quijote von der Mancha genannt, aus diesem zeitlichen Leben geschieden und eines natürlichen Todes gestorben sei; er verlange, sagte er, dieses Zeugnis, um die Möglichkeit zu beseitigen, daß irgendein anderer Schriftsteller als Sidi Hamét Benengelí ihn fälschlich von den Toten auferwecke und Geschichten ohne Ende von seinen Taten schreibe.

Dieses Ende nahm der sinnreiche Junker von der Mancha, dessen Geburtsort Sidi Hamét nicht genau angeben wollte, um allen Städten und Dörfern der Mancha den Wettstreit darüber zu ermöglichen, welcher Ort ihn als seinen Sohn beanspruchen und unter die Seinigen zählen dürfe, so wie einst jene sieben Städte Griechenlands sich um Homer gestritten.

Wir schildern nicht die Wehklagen Sanchos noch die der Nichte und Haushälterin Don Quijotes noch die merkwürdigen Inschriften seines Grabsteins, außer derjenigen, die ihm Sansón Carrasco in folgenden Versen gesetzt:

Hier ruht der vielkühne Junker,
Der ein Held von hohem Streben,
Dessen Ruhm zur Sonne fliegt;
Und der Tod selbst hat sein Leben
Nicht durch seinen Tod besiegt.

Auf ein Weltall höhnisch zückt‘ er
Schwert und Speer, den Feind zerstückt‘ er
Als ein Popanz, ein unbändiger;
Keiner war im Tod verständiger
Noch im Leben je verrückter.

Und der hochweise Sidi Hamét sprach zu seiner Feder: Hier an diesem Schlüsselbrett sollst du von diesem Kupferdraht herabhängen, meine liebe Feder, ob du nun gut geschnitten oder schlecht gespitzt warst, und da sollst du lange Jahrhunderte ruhen, falls anmaßliche und räuberische Geschichtsschreiber dich nicht herabnehmen, dich zu entweihen. Aber ehe sie dir nahe kommen, kannst du sie warnen und ihnen so nachdrücklich, als du vermagst, zurufen:

Weg da, weg da, schlecht Gesindel!
Wage keiner, dran zu rühren!
Denn dies Werk war mir, mein König,
Vorbehalten zu vollführen.

Für mich allein ist Don Quijote geboren und ich für ihn; er wußte Taten zu vollbringen und ich sie zu schreiben; wir beide allein sind bestimmt, zusammen ein Ganzes zu bilden, zum Trutz und Ärger des sogenannten Schriftstellers aus Tordesillas, der sich vermaß oder sich künftig noch vermessen wird, mit einer groben, ungeschlachten Straußenfeder die Taten meines mannhaften Ritters niederzuschreiben; denn das ist keine Last für seine Schultern, kein Gegenstand für seinen matten Geist. Wenn du ihn vielleicht einmal kennenlernst, so sage ihm, er soll die müden und modernden Gebeine Don Quijotes im Grabe ruhen lassen und ihn nicht, allen Satzungen des Todes zuwider, nach Altkastilien führen und ihn zu diesem Zwecke aus der Gruft reißen, wo er wahr und wirklich der Länge nach ausgestreckt liegt und in die Unmöglichkeit versetzt ist, eine dritte Reise und neue Ausfahrt zu unternehmen. Denn um die vielen Fahrten lächerlich zu machen, die so viele fahrende Ritter unternommen, genügen schon die zwei, die er zum Vergnügen und Wohlgefallen all derer unternommen, die in unseren wie in fremden Reichen davon Kunde erlangt haben.

Und hiermit wirst du, lieber Leser, deine Christenpflicht erfüllen, indem du guten Rat dem erteilst, der dir übelwill; und ich werde zufrieden und stolz sein, daß ich der erste gewesen, der die Früchte von Sidi Haméts Schriften vollkommen so gepflückt hat, wie er selber es gewollt. Meine Absicht war keine andere, als den Abscheu aller Menschen gegen die fabelhaften und abgeschmackten Geschichten der Ritterbücher zu wecken, welche durch die meines wahren Don Quijote bereits ins Straucheln geraten und ohne Zweifel ganz zu Falle kommen werden. Lebe wohl!

8. Kapitel


Worin berichtet wird, was Don Quijote begegnete, da er hinzog, seine Herrin Dulcinea von Toboso zu erschauen

»Gepriesen sei Allah der Allmächtige!« – so spricht Hamét Benengelí zu Beginn dieses achten Kapitels –, »gepriesen sei Allah!« wiederholt er dreimal und bemerkt, er erhebe darum diese Lobpreisungen, weil er denn endlich Don Quijote und Sancho draußen im Freien habe und weil die Leser seiner ergötzlichen Geschichte sich darauf gefaßt machen können, daß von nun an die Heldentaten Don Quijotes und die lustigen Einfalle seines Schildknappen wieder beginnen; er ermahnt sie, die früheren Rittertaten des sinnreichen Junkers zu vergessen und die Blicke auf diejenigen zu richten, die da kommen sollen und gleich jetzt auf dem Wege nach Toboso ihren Anfang nehmen, wie die früheren im Gefilde von Montíel begonnen haben. Und was er verlangt, ist nicht viel im Verhältnis zu dem vielen, was er verspricht. Folgendermaßen aber fährt er fort:

Don Quijote und Sancho blieben allein zurück auf der Landstraße; und kaum hatte sich Sansón entfernt, so begann Rosinante zu wiehern und der Graue seine Seufzer auszustoßen, was von beiden, dem Ritter und dem Schildknappen, für ein gutes Zeichen und eine höchst glückliche Vorbedeutung gehalten wurde. Jedoch, die Wahrheit zu sagen, war das Aufseufzen und Iahen des Grauen viel anhaltender als das Wiehern des Gauls, woraus Sancho schloß, sein Glück werde das seines Herrn überragen und weit höher steigen. Ich weiß nicht, ob ihn hierüber die bei den Gerichten geltende Astrologie belehrte, auf die er sich etwa verstanden hätte, obschon die Geschichte nichts davon berichtet; nur hat man ihn sagen hören, wenn er stolperte oder hinfiel, es wäre ihm lieber, er wäre zu Hause geblieben; denn beim Stolpern und Fallen komme nichts heraus als zerrissene Schuhe oder gebrochene Rippen. Und hierin, so einfältig er war, hatte er nicht so unrecht.

Don Quijote sprach zu ihm: »Freund Sancho, die Nacht kommt rasch über uns, mit tieferer Finsternis, als wir sie gerade nötig hätten, um schon mit dem anbrechenden Tag Toboso zu erblicken, wohin ich zu ziehen beschlossen habe, bevor ich mich an ein neues Abenteuer wage; dort will ich den Segen und Urlaub der unvergleichlichen Dulcinea erlangen, und mit sotanem Urlaub gekräftigt, glaub ich und erachte ich für gewiß, jedwedes fährliche Abenteuer bewältigen und glückhaft zu Ende führen zu können; denn nichts in diesem Leben macht die fahrenden Ritter tapferer, als wenn sie sich der Huld ihrer Damen erfreuen.«

»Das will ich wohl glauben«, entgegnete Sancho, »aber es wird für Euer Gnaden wohl schwierig sein, sie zu sprechen oder ihr einen Besuch zu machen, wenigstens an einem Orte, wo Ihr ihren Segen empfangen könntet, wenn sie ihn Euch nicht etwa über die Hofmauer herüber erteilt, wo ich sie das erstemal gefunden habe, als ich ihr den Brief über die Torheiten und Verrücktheiten brachte, in deren Verrichtung Euer Gnaden dort im Innersten der Sierra Morena begriffen war.«

»Wie eine Hofmauer kam dir der Ort vor, Sancho«, sprach Don Quijote, »wo du jene nie genug gepriesene Lieblichkeit und Schönheit gesehen hast? Nein, nichts anderes konnten es sein als Galerien oder Vorhallen oder Säulengänge, oder wie man es sonst nennt, eines reichen königlichen Schlosses.«

»Das ist alles möglich«, entgegnete Sancho, »aber mir schien’s eine Hofmauer, oder ich muß schwach im Gedächtnis sein.«

»Dessenungeachtet wollen wir hin«, versetzte Don Quijote; »so ich sie nur erblicken mag, ist mir es ganz dasselbe, ob über eine Hofmauer hinweg oder ob am Fenster oder ob zwischen den Ritzen oder dem Zaun eines Parkes hindurch. Jeglicher Strahl, der von der Sonne ihrer Schönheit in meine Augen dringt, wird meinen Geist erleuchten und mein Herz so kräftigen, daß ich einzig und ohnegleichen dastehen werde an Geistesschärfe und Heldengröße.«

»Nun wahrlich, Señor«, entgegnete Sancho, »als ich selbige Sonne des Fräuleins Dulcinea von Toboso erblickte, da schien sie nicht so hell, daß sie Strahlen von sich werfen konnte; und das mußte wohl daran liegen, daß Ihre Gnaden, wie ich Euch erzählt habe, gerade den Weizen siebte, wovon ich gesagt, und der viele Staub, den sie herausschüttelte, sich ihr wie eine Wolke vors Gesicht legte und es verdunkelte.«

»Wie? Immer wieder, Sancho, verfällst du darauf«, entgegnete Don Quijote, »zu sagen, zu denken, zu glauben und darauf zu bestehen, daß meine Gebieterin Dulcinea Weizen siebte, da doch dies ein Dienst ist, der allem ferneliegt, was fürnehme Personen zu tun pflegen, als welche bestimmt und vorbehalten sind für ganz andre Beschäftigungen, die auf Büchsenschußweite deren Fürnehmheit erkennen lassen? Schlecht haften in deinem Gedächtnis, o Sancho, jene Verse unsers Dichters, worin er uns die Arbeiten schildert, so dort in ihren kristallenen Heimstätten jene vier Nymphen verrichteten, die aus dem geliebten Tajo hervor ihre Häupter erhoben und sich auf dem grünen Rain niederließen, um jene reichen Gewandstoffe zu fertigen, die der sinnreiche Dichter uns dort beschreibt und die samt und sonders aus Gold, Seide und Perlen gewirkt und gewoben waren. Und gerade dieser Art mußte die Beschäftigung meiner Gebieterin sein, als du sie erblicktest, falls nicht der Neid, den irgendein böser Zauberer sicherlich gegen alles hegt, was mich betrifft, mir ein jegliches, was mir Freude schaffen mag, in ganz andre Gestaltungen als die wirklichen umkehrt und umwandelt. Daher fürchte ich auch, in jener Geschichte, die von meinen Taten gedruckt im Umlauf sein soll, wenn vielleicht ihr Verfasser ein mir feindlich gesinnter Zauberer war, wird er zum öftern eine Tatsache für eine andre hingesetzt haben, wird unter eine Wahrheit tausend Lügen gemengt und ein Vergnügen darin gefunden haben, ganz andre Begebnisse zu berichten, die fernab von dem liegen, was der Verfolg einer wahren Geschichte erheischt. O Neid, du Wurzel unzähligen Übels, du Krebsschaden der Tugend! Alle Laster, Sancho, führen ich weiß nicht was für einen Genuß mit sich; aber das Laster des Neides führt nichts mit sich als Widerwärtigkeit, Groll und Wut.«

»Ja, das sag ich auch«, versetzte Sancho; »auch ich denke, in dem Lesestück oder Geschichtsbuch, das der Baccalaur Carrasco über uns zwei, wie er sagt, zu Gesicht bekommen hat, wird mein guter Name hinstolpern wie eine Schweineherde hinter dem Treiber, der immer ausrufen muß: Hierher des Weges, du gescheckte Sau! Oder es geht damit wie im Sprichwort: Hier wackelt er nach rechts und links, und dort kehrt sein Rock die Gassen. Und doch, so wahr ich ein braver Kerl bin, hab ich keinem Zauberer was Böses nachgesagt und hab auch nicht so viel Glücksgüter, daß ich beneidet werden könnte. Allerdings ist’s wahr, ich bin hie und da ein bißchen boshaft und hab auch so was von Verschmitztheit an mir, aber alles das bedeckt und verhüllt der weite Mantel meiner Herzenseinfalt, die immer natürlich und nie erkünstelt ist. Und hätt ich auch nichts andres, als daß ich fest und aufrichtig an Gott glaube, wie ich stets getan, und an alles, woran die heilige römisch-katholische Kirche festhält und glaubt, und daß ich ein Todfeind der Juden bin, wie ich es wirklich bin, so sollten die Geschichtsschreiber Erbarmen mit mir haben und mich in ihren Schriften freundlich behandeln. Aber mögen sie sagen, was sie wollen, nackt bin ich zur Welt gekommen, nackt bin ich noch heute, hab nichts verloren und nichts gewonnen; und steh ich auch in den Büchern und geh in der Welt von Hand zu Hand, mir liegt nicht eine Bohne dran, wenn sie von mir sagen, was immer sie wollen.«

»Das sieht mir nach jener Geschichte aus, Sancho«, sprach Don Quijote, »die sich mit einem berühmten Dichter unserer Zeit zugetragen, der eine boshafte Satire gegen alle Damen vom Hofe verfaßt und darin eine von ihnen nicht mit aufgeführt noch genannt hatte, so daß man zweifeln konnte, ob sie zu ihnen gehörte oder ob nicht; und da sie sah, daß sie nicht auf der Liste der übrigen stand, beschwerte sie sich bei dem Dichter und fragte ihn, was er denn an ihr bemerkt habe, um sie nicht in die Zahl der andern einzureihen; er möchte doch sein Spottgedicht verlängern und sie in den neuen Zusatz aufnehmen; wo nicht, solle er wohl bedenken, daß alle Menschen sterblich seien. Der Dichter erfüllte ihren Wunsch und schilderte sie mit Bezeichnungen, die selbst eine alte Kammerzofe nicht in den Mund hätte nehmen mögen, und nun war sie zufrieden, daß sie in Ruf, wenn auch in Verruf gekommen war. Hierher gehört auch, was man von jenem Hirten erzählt, der den berühmten Tempel der Diana, welcher als eines der Sieben Weltwunder galt, in Flammen setzte und verbrannte, bloß damit sein Name in den kommenden Jahrhunderten fortlebe; und obschon das Verbot erging, ihn je zu nennen und seines Namens mündlich oder schriftlich Erwähnung zu tun, damit er das Ziel seines Wunsches nicht erreiche, so erfuhr man dennoch, daß er Herostratus hieß.

Hierher gehört auch, was dem großen Kaiser Karl dem Fünften mit einem Edelmann in Rom begegnete. Der Kaiser wollte den berühmten Rundbau in Augenschein nehmen, der im Altertum der Tempel aller Götter hieß und jetzt mit besserem Namen die Kirche aller Heiligen heißt; es ist dies das Gebäude, das von allen, die das Heidentum in Rom aufgerichtet hat, am vollständigsten erhalten geblieben ist und das von der Großartigkeit und Prachtliebe seiner Erbauer am besten Zeugnis ablegt. Es hat die Gestalt einer durchgeschnittenen Pomeranze, ist ungeheuer groß und sehr hell, während doch das Licht nur durch ein einziges Fenster hereinfällt oder, richtiger gesagt, durch eine runde Öffnung in der Kuppel oben. Als der Kaiser von hier aus das Gebäude betrachtete, befand sich ein römischer Ritter ihm zur Seite, der ihm die Schönheiten dieses Riesenwerks und die Kunstmittel bei dieser merkwürdigen Bauart erklärte. Nachdem sie dann die Stelle verlassen hatten, sagte er zum Kaiser: ›Tausendmal, geheiligte Majestät, kam mich die Lust an, Eure Majestät mit den Armen zu umfassen und mich aus dieser Kuppelöffnung hinunterzustürzen, um der Welt einen unvergänglichen Namen zu hinterlassen.‹

›Ich danke Euch‹, antwortete der Kaiser, ›daß Ihr einen so schlimmen Gedanken nicht zur Ausführung gebracht habt, und hinfüro will ich Euch keine Gelegenheit mehr bieten, mir nochmals einen Beweis Eures Pflichtgefühls zu geben; und daher verbiete ich Euch, jemals wieder ein Wort an mich zu richten oder zu weilen, wo ich verweilen mag.‹

Aber nach diesen Worten verlieh er ihm eine große Gnade.

Hiermit will ich sagen, Sancho, daß die Begierde, Ruhm zu gewinnen, gewaltig wirksam in den Menschen ist. Was, meinst du, warf den Horatius Codes in voller Rüstung von der Brücke hinab in den Tiber? Was hat dem Mucius Scavola Arm und Hand ins Feuer gehalten? Was trieb den Curtius, sich in den tiefen glühenden Schlund zu stürzen, der inmitten der Stadt Rom zum Vorschein gekommen? Was bewog den Julius Cäsar, entgegen allen bösen Vorzeichen über den Rubikon zu gehen? Und aus neueren Beispielen: Wer hat die Schiffe angebohrt und die tapferen Spanier, die der ritterlichste aller Ritter, Cortéz, in der neuen Welt anführte, auf dem Trocknen und abgeschnitten von aller Welt gelassen? Alle diese Großtaten und viele andre noch von mancher Art waren und werden sein Werke des Ruhms, den die Sterblichen als Lohn ersehnen und als Anteil an der Unsterblichkeit, die ihre rühmlichen Handlungen verdienen. Jedoch wir katholischen Christen und fahrenden Ritter sollen mehr nach der Glorie der künftigen Jahrhunderte trachten, die da unvergänglich ist in den ätherischen Gefilden des Himmels, als nach der Eitelkeit des Ruhmes, den man in dieser irdischen und vergänglichen Zeitlichkeit erwirbt; denn dieser Ruhm, so lang er auch dauern möge, muß zuletzt doch mit der Welt vergehen, die ihr vorbestimmtes Ende hat. Sonach, o Sancho, sollen unsre Taten niemals die Grenzen überschreiten, die uns die christliche Religion, zu der wir uns bekennen, gesetzt hat. Wir sollen in den Riesen den Hochmut ertöten, den Neid durch unsre Großmut und unsern Edelsinn, den Zorn durch unsere gelassene Haltung und Seelenruhe; wir essen ein kärgliches Essen und wachen ein häufiges Wachen und ertöten dadurch die Schlemmerei und den Schlaf; das schmähliche Gelüste und die Unzüchtigkeit durch die redliche Treue, die wir den Frauen bewahren, welche wir zu Herrinnen unserer Gedanken eingesetzt haben; die Trägheit dadurch, daß wir in allen Teilen der Welt umherziehen und Gefahren aufsuchen, die uns zunächst zu guten Christen, dann zu ruhmvollen Rittern machen können und wirklich machen.«

»Alles, was Euer Gnaden mir bis hierher gesagt hat«, sprach Sancho, »hab ich ganz gut verstanden. Aber bei alledem wünschte ich doch, Ihr möchtet mich über einen Zweifel abklären, der mir eben zu Kopf gestiegen ist.«

»Aufklären willst du sagen, Sancho«, fiel Don Quijote ein. »In Gottes Namen red heraus, ich will dir antworten, so gut ich kann.«

»Sagt mir, Señor«, fuhr Sancho fort, »jener Juli und August und all jene heldenhaften Ritter, die Ihr aufgezählt habt, die jetzt schon tot sind, wo sind sie denn jetzt?«

»Die Heiden unter ihnen«, antwortete Don Quijote, »sind ohne Zweifel in der Hölle; die Christen, wenn sie gute Christen waren, sind im Fegfeuer oder im Himmel.«

»Ganz recht«, entgegnete Sancho; »aber jetzt wollen wir mal hören: Haben die Grabstätten, wo die Leiber jener vornehmen Herrschaften liegen, silberne Ampeln vor ihnen hängen, oder sind die Wände ihrer Kapellen geschmückt mit Krücken, Bahrtüchern, abgeschnittenem Haupthaar, wächsernen Beinen oder Augen? Und wenn nicht damit, mit was sind sie geschmückt?«

Darauf antwortete Don Quijote: »Die Grabstätten waren bei den Heiden meistenteils prachtvolle Tempel; Julius Cäsars Asche wurde in einer Urne oben auf einem steinernen Obelisk von ungeheurer Größe beigesetzt, den man heutzutage in Rom die Nadel des heiligen Petrus nennt. Dem Kaiser Hadrian diente zur Grabstätte eine Burg, so groß wie ein ansehnliches Dorf, die man die Moles Hadriani nannte und die jetzt in Rom die Engelsburg heißt. Die Königin Artemisia bestattete ihren Gatten Mausolus in einem Grabmal, das man für eines der Sieben Weltwunder hielt. Aber keine dieser Grabstätten, ebensowenig als die vielen andern, die den Heiden gehörten, wurde je mit Bahrtüchern oder andern Opfergaben und Denkzeichen geschmückt, welche angezeigt hätten, daß die dort Begrabenen Heilige seien.«

»Darauf eben wollte ich hinaus«, versetzte Sancho. »Nun sagt mir jetzt: was ist mehr, einen Toten auferwecken oder einen Riesen erschlagen?«

»Die Antwort liegt auf der Hand«, antwortete Don Quijote; »einen Toten zu erwecken ist weit mehr.«

»Jetzt hab ich Euch erwischt«, sprach Sancho. »Also ist der Ruhm derer, die Tote auferwecken, den Blinden das Gesicht wiedergeben, die Lahmen und Krummen gerademachen und den Kranken Genesung verleihen; und es brennen Ampeln vor ihren Grabstätten, und es sind ihre Kapellen voll andächtiger Leute, die ihre heiligen Überreste auf den Knien verehren – also ist solch ein Ruhm besser für dies Leben und für das andere als der Ruhm, den alle heidnischen Kaiser und alle fahrenden Ritter, die es gegeben, jemals in der Welt zurückgelassen haben und zurücklassen werden.«

»Auch dies muß ich als wahr zugestehen«, antwortete Don Quijote.

»Also dieser Ruhm, diese Gnaden, diese Vorzüge vor allen, wie man es eben nennt«, entgegnete Sancho, »wohnen den Leibern und Überresten der Heiligen bei, welche mit Gutheißung und Erlaubnis unserer heiligen Mutter Kirche Ampeln, Kerzen, Bahrtücher, Krücken, Bilder, Haarlocken, Augen, Beine haben, mit denen sie die Frömmigkeit vermehren und ihren christlichen Ruhm erhöhen. Die Körper der Heiligen oder ihre Überreste – die Könige tragen sie auf den Schultern, küssen die Bruchstücke ihrer Knochen, schmücken und bereichern mit ihnen ihre Hauskapellen und ihre liebsten und am höchsten geschätzten Altäre.«

»Was soll ich nach deiner Meinung, Sancho, aus dem, was du alles gesagt, für Folgerungen ziehen?« fragte Don Quijote.

»Ich will damit sagen«, antwortete Sancho, »daß wir darauf ausgehen sollen, Heilige zu werden, und da werden wir in viel kürzerer Zeit den Ruhm erlangen, nach dem wir trachten. Und bedenkt, Señor, daß gestern oder vorgestern – denn so kann man immerhin sagen, da es so kurze Zeit her ist – zwei geringe Barfüßermönche heilig- oder doch seliggesprochen wurden; die hatten eiserne Ketten, mit denen sie ihren Leib gürteten und marterten, und es gilt jetzo für ein besonderes Glück, wenn man die Ketten berühren und küssen darf, und sie genießen größere Verehrung als das Schwert Roldáns in der Rüstkammer des Königs unseres Herrn, den Gott erhalte. Demnach, Herre mein, hat es höhern Wert, ein demütig Klosterbrüderlein zu sein, in welchem Orden es auch sein mag, als ein heldenhafter fahrender Ritter; zwei Dutzend Geißelhiebe auf den eignen Rücken richten bei Gott mehr aus als zweitausend Speeresstöße, mag man nun damit Riesen treffen oder Ungeheuer oder Drachen.«

»Das ist schon alles richtig«, entgegnete Don Quijote; »aber wir können nicht alle ins Kloster gehen, und es gibt der Wege viele, auf denen Gott die Seinen gen Himmel führt; auch das Rittertum ist ein frommer Orden; es gibt heilige Ritter in den himmlischen Glorien.«

»Gewiß«, versetzte Sancho; »aber ich habe sagen hören, es gibt mehr Mönche im Himmel als fahrende Ritter.«

»Das kommt daher«, gab Don Quijote zur Antwort, »daß die Anzahl der Mönche größer ist als die der Ritter.«

»Aber fahrende gibt’s doch viele«, meinte Sancho.

»Viele«, entgegnete Don Quijote, »jedoch wenige von ihnen verdienen den Ritternamen.«

Unter diesen und anderen dergleichen Gesprächen verging ihnen die Nacht und der folgende Tag, ohne daß ihnen etwas begegnete, was des Erzählens wert wäre, worüber Don Quijote nicht wenig verdrießlich war. Endlich am nächsten Tag gewahrten sie beim Abendgrauen die große Stadt Toboso, und bei diesem Anblick wurde Don Quijotes Herz fröhlich und Sanchos Seele betrübt; denn der Schildknappe kannte Dulcineas Haus nicht und hatte sie in seinem Leben nicht zu Gesicht bekommen, ebensowenig wie sein Herr. So waren denn beide in großer Aufregung, der eine, weil er sie zu sehen begehrte, der andere, weil er sie nie gesehen hatte; und Sancho besann sich vergeblich, was er tun sollte, wenn sein Herr ihn nach Toboso hineinsenden würde. Endlich beschloß Don Quijote, beim Eintritt der Nacht in die Stadt einzuziehen. Bis die Stunde herannahte, hielten sie im Schatten eines Eichenwäldchens, das sich nahe bei Toboso befand, und als der bestimmte Augenblick kam, ritten sie in die Stadt ein, wo ihnen Begebnisse widerfuhren, die beinahe nach Begebnissen aussehen.

9. Kapitel


Worin berichtet wird, was darin zu finden ist

Mitternacht war’s auf den Punkt, vielleicht auch etwas weniger oder mehr, als Don Quijote und Sancho den Wald verließen und in Toboso einzogen. Der Ort ruhte in tiefer Stille, denn all seine Bewohner lagen im Schlummer und schliefen auf beiden Ohren, wie man zu sagen pflegt. Die Nacht war zwischen hell und dunkel; doch hätte Sancho es lieber gehabt, sie wäre ganz finster, um in ihrer Finsternis eine Entschuldigung für seine einfältige Lüge zu finden. Im ganzen Ort hörte man nichts als Hundegebell, das Don Quijotes Ohren betäubte und Sanchos Herz beängstigte. Dann und wann iahte ein Esel, grunzten Schweine, miauten Katzen, und diese Stimmen von so verschiedenartigem Klang erschollen um so lauter, je stiller die Nacht war. All dies hielt der verliebte Ritter für eine böse Vorbedeutung, aber trotzdem sagte er zu Sancho: »Sancho, mein Sohn, sei du der Führer zu Dulcineas Palast, vielleicht finden wir sie noch wach.«

»Zu welchem Palast soll ich der Führer sein?« entgegnete Sancho; »derjenige, worin ich Ihre Hoheit sah, war nur ein ganz kleines Häuschen.«

»So muß sie sich damals gerade in ein kleines Nebengebäude ihrer Königsburg zurückgezogen haben«, versetzte Don Quijote, »um sich in der Einsamkeit mit ihren Hoffräulein zu erlusten, wie es Brauch und Sitte hoher Damen und Prinzessinnen ist.«

»Señor«, sprach Sancho darauf, »da nun einmal Euer Gnaden mir zum Trotze will, daß das Häuschen unsers Fräuleins Dulcinea eine Königsburg sein soll, ist denn dies jetzt eine Stunde, um etwa die Tür offen zu finden? Und war’s wohlgetan, mit dem Türklopfer wider das Tor zu donnern, daß man uns hört und uns aufmacht und alle Welt in Schrecken und Aufruhr gebracht wird? Haben wir etwa vor, am Haus unserer Lustdirnen zu pochen wie Zuhälter, die zu jeder beliebigen Stunde kommen und anklopfen und eingehn, und sei es auch noch so spät?«

»Erst wollen wir die Königsburg finden«, versetzte Don Quijote, »und alsdann werd ich dir schon sagen, Sancho, was geraten ist zu tun. Aber höre, Sancho; entweder sehe ich nicht gut, oder jene mächtige Masse mit dem Schatten, den man von hier aus bemerkt, das muß es sein; diesen Schatten wirft gewiß der Palast Dulcineas.«

»So möge denn Euer Gnaden der Führer sein«, entgegnete Sancho, »vielleicht ist’s wirklich so; aber auch wenn ich es mit den Augen sehe und mit den Händen greife, werd ich es geradeso glauben, wie ich glaube, daß es jetzt Tag ist.«

Don Quijote ritt voraus, und nachdem er etwa zweihundert Schritte zurückgelegt hatte, stieß er auf die mächtige Masse, die den Schatten warf, sah einen Turm und erkannte alsbald, daß besagtes Gebäude keine Königsburg, sondern die Hauptkirche des Ortes war, und sprach: »Auf die Kirche sind wir gestoßen, Sancho.«

»Ich seh’s schon«, versetzte Sancho, »und wolle Gott, daß wir nicht an unser Grab geraten. Es ist kein gutes Zeichen, zu solcher Stunde auf Kirchhöfen herumzusteigen, zumal ich Euer Gnaden ja gesagt habe, wenn ich mich recht entsinne, daß des Fräuleins Haus in einem Sackgäßchen liegen muß.«

»Daß dich Gott verdamme, verrückter Mensch!« rief Don Quijote aus; »wo hast du je gefunden, daß die Burgen und Paläste der Könige in Sackgassen erbaut sind?«

»Señor«, antwortete Sancho, »ländlich sittlich; vielleicht ist’s hier Sitte in Toboso, Paläste und große Gebäude in engen Gäßchen aufzuführen. Sonach bitte ich Euer Gnaden, laßt mich hier in ein paar Gassen oder auch Gäßchen suchen, die mir in den Wurf kommen; es wäre ja möglich, daß ich in irgendeinem Winkel auf diese Königsburg stieße – o sähe ich sie doch schon von den Hunden aufgefressen! –, der wir so kreuz und quer nachlaufen.«

»Sprich mit Ehrfurcht von Dingen, die meine Herrin betreffen«, fiel Don Quijote hier ein; »laß uns die Sache in Frieden betreiben, wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.«

»Gut, ich will mich im Zaum halten«, entgegnete Sancho; »aber wie soll ich geduldig ertragen, daß Euer Gnaden verlangt, ich solle von dem einzigen Mal, wo ich das Haus unserer Madam gesehen habe, es nun immerdar im Kopf haben und mitten in der Nacht finden können; da doch Euer Gnaden es nicht finden, der Ihr es vieltausendmal gesehen haben müßt?«

»Du wirst mich noch in Verzweiflung bringen, Sancho«, rief Don Quijote. »Komm mal her, du Lästermaul; habe ich dir nicht tausendmal erklärt, daß ich all mein Lebtag die unvergleichliche Dulcinea nicht mit Augen gesehen noch jemals die Schwelle ihres Palastes überschritten habe und daß ich nur vom Hörensagen und von wegen des großen Rufes ihrer Schönheit und Verständigkeit in sie verliebt bin?«

»Jetzo hör ich’s«, antwortete Sancho, »und da sag ich, da Euer Gnaden sie nicht zu Gesicht bekommen hat – ich denn auch nicht.«

»Das kann nicht sein«, entgegnete Don Quijote; »wenigstens hast du mir bereits gesagt, du hättest sie gesehen, wie sie Weizen siebte, damals, als du mir die Antwort auf den Brief brachtest, den ich ihr durch dich übersandte.«

»Darauf könnt Ihr nicht gehen, Señor«, gab Sancho zur Antwort; »ich sag Euch, den Anblick Dulcineas und die Antwort, die ich Euch brachte, hatt ich auch nur vom Hörensagen, denn ich weiß geradesoviel, wer Fräulein Dulcinea ist, als wie ich dem Himmel eine Ohrfeige geben kann.«

»Sancho, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »alles hat seine Zeit; es gibt eine Zeit zum Spaßen und eine Zeit, wo Späße unschicklich und mißfällig sind. Darum, weil ich sage, ich habe die Gebieterin meines Herzens weder gesehen noch gesprochen, darfst du nicht auch sagen, du habest sie weder gesprochen noch gesehen, da doch, wie du weißt, das Gegenteil der Fall ist.«

Während die beiden in solchem Gespräche begriffen waren, sahen sie einen Mann mit zwei Maultieren in ihrer Nähe vorüberkommen, und sie schlossen aus dem Gerassel des Pflugs, der am Boden nachschleppte, es müsse ein Ackersmann sein, der früh vor dem Tag aufgestanden, um an seine Feldarbeit zu gehen. So war es auch wirklich. Der Landmann kam singend einher und ließ jene Romanze hören, die da lautet:

Schlimm geriet sie euch, Franzosen,
Jene Jagd in Roncesvalles.

»Ich will des Todes sein, wenn uns nicht diese Nacht was Schlimmes zustößt«, sprach Don Quijote. »Hörst du nicht, was der Bauer dort singt?«

»Freilich hör ich es; aber was hat die Jagd in Roncesvalles mit unserm Vorhaben zu schaffen? Er hätte ebensogut die Romanze vom Calaínos singen können, es wäre ganz einerlei für den guten oder schlechten Erfolg in unserer Angelegenheit.«

Indem kam der Landmann heran, und Don Quijote fragte ihn: »Könnt Ihr mir wohl sagen, guter Freund Ihr, dem Gott alles Glück verleihen wolle, wo ist hierherum der Palast der unvergleichlichen Prinzessin Dulcinea von Toboso?«

»Señor«, antwortete der Bursche; »ich bin hier fremd, es ist erst wenige Tage her, seit ich mich hier im Ort aufhalte, wo ich einem reichen Bauer bei der Feldarbeit helfe. Im Hause hier gegenüber wohnt der Pfarrer des Orts und der Küster; beide oder einer von ihnen kann Euer Gnaden Auskunft über diese Frau Prinzessin geben, denn sie führen das Verzeichnis aller Einwohner in Toboso. Indessen glaub ich nicht, daß in ganz Toboso eine Prinzessin wohnt; aber viele Damen, vornehm genug, daß eine jede in ihrem eigenen Hause eine Prinzessin vorstellen kann.«

»Unter diesen also, lieber Freund«, sprach Don Quijote, »muß sich die befinden, nach der ich frage.«

»Das ist möglich«, entgegnete der Bursche, »und Gott befohlen, denn schon bricht der Morgen an.«

Und hiermit trieb er seine Maultiere an und achtete auf keine Fragen weiter. Sancho sah, daß sein Herr nachdenklich und sehr ärgerlich war, und sagte zu ihm: »Señor, der Tag kommt rasch heran, und gar schlecht tät es uns passen, fänd uns die Sonn auf der Gassen. Es ist gewiß besser, wir machen uns zur Stadt hinaus, und Euer Gnaden versteckt sich irgendwo im Wald hier in der Nähe, und dann bei Tag komm ich wieder her und will hier im ganzen Ort keinen Winkel undurchsucht lassen nach unsres Fräuleins Haus, Königsburg oder Palast; und ich müßte doch gar viel Unglück haben, wenn ich den nicht finde, und sobald ich ihn finde, red ich mit Ihro Gnaden und sag ihr, wo und wie Euer Gnaden sich befindet und daß Ihr darauf wartet, daß sie Euch Befehl und Anweisung erteilen soll, damit Ihr sie ohne Nachteil für Ehre und Ruf des Fräuleins sprechen könnt.«

»Da hast du, Sancho«, bemerkte Don Quijote, »mit wenigen Worten viel Schönes und Wahres gesagt. Der Rat, den du mir hier gegeben hast, ist mir erwünscht, und ich nehme ihn aufs willigste an. Komm, mein Sohn, wir wollen suchen, wo ich mich verbergen kann; und du alsdann kehre wieder hierher, um meine Gebieterin zu suchen, zu sehen, zu sprechen, sie, von deren Klugheit und Edelsinn ich hohe und mehr als wundervolle Gunst und Gnade erwarte.«

Sancho war außer sich vor Ungeduld, seinen Herrn aus dem Orte fortzuschaffen, damit er nicht hinter die Lüge in betreff der Antwort komme, die er ihm von seiten Dulcineas nach der Sierra Morena gebracht hatte. Daher beschleunigte er den Abzug aus der Stadt, und er geschah augenblicks. Zweitausend Schritte von dem Orte fanden sie ein Wäldchen oder Gebüsch; darin versteckte sich Don Quijote, während Sancho zur Stadt zurückkehrte, um Dulcinea zu sprechen, bei welcher Gesandtschaft ihm Dinge begegneten, die neue Aufmerksamkeit und neues Vertrauen erheischten.

71. Kapitel


Von dem, was sich zwischen Don Quijote und seinem Knappen Sancho zutrug, da sie nach ihrem Dorfe zogen

Der besiegte und schwer bekümmerte Don Quijote zog seines Weges, einerseits überaus nachdenklich, andrerseits sehr vergnügt. Sein Trübsinn war veranlaßt durch seine Niederlage, seine Heiterkeit durch den Gedanken an die Wundertätigkeit Sanchos, wie er sie durch Altisidoras Auferweckung gezeigt hatte, wiewohl es ihm doch einigermaßen schwerfiel zu glauben, daß das verliebte Mädchen wirklich tot gewesen. Sancho hingegen wanderte keineswegs mit frohem Sinne dahin; es verdroß ihn gewaltig, daß Altisidora ihr Versprechen, ihm die Hemden zu schenken, nicht gehalten hatte. Dies ging ihm beständig im Kopfe herum, und er sagte zu seinem Herrn: »Wahrhaftig, Señor, ich bin gewiß der unglücklichste Arzt, der auf der Welt zu finden ist. Es gibt Doktoren auf Erden, die, wenn sie auch ihre Kranken umbringen, dennoch bezahlt werden wollen für ihre Arbeit, die doch in nichts andrem besteht, als daß sie ein Zettelchen mit etlichen Arzneien darauf vollschreiben, die sie nicht einmal selber machen, sondern der Apotheker, und wupp dich! da haben sie ihren Profit weg. Mir aber, den die Heilung anderer Leute Blutstropfen, Nasenstüber, blaue Mäler, Nadelstiche und Geißelhiebe kostet, mir gibt man keinen Heller. Aber hol mich der und jener, ich schwör’s: bekomm ich noch einmal einen Kranken unter die Hände, so soll man mir sie tüchtig schmieren, bevor ich ihn heile; denn wovon soll der Pfaff essen, wenn nicht von der Messen? Und ich mag nicht glauben, daß mir der Himmel die Wunderkraft, die ich besitze, gegeben hat, damit ich sie für nichts und wieder nichts zum Besten Dritter verwende.«

»Du hast recht, Freund Sancho«, erwiderte ihm Don Quijote, »und Altisidora hat sehr unrecht getan, daß sie dir die versprochenen Hemden nicht gegeben; und wiewohl deine Kraft gratis data ist, denn sie hat dich keinerlei Studium gekostet, so ist’s doch mehr als Studium, wenn du Martern an deinem eigenen Leibe erduldest. Was mich betrifft, so kann ich dir sagen, wenn du für die Geißelhiebe zur Entzauberung Dulcineas Bezahlung verlangt hättest, so hätte ich dir sie längst zu deiner vollen Zufriedenheit gegeben; aber ich weiß nicht, ob die Zahlung sich mit der Kur verträgt, und ich möchte nicht, daß die Belohnung der Wirkung der Arznei hinderlich wäre. Trotzdem dünkt es mich, es kann nicht viel dabei verloren sein, wenn man es versucht. Überlege dir, Sancho, wieviel du verlangst, und geißle dich auf der Stelle, und mach dich dafür mit eigner Hand bezahlt, denn du hast ja Geld von mir in Verwahr.«

Bei diesem Anerbieten riß Sancho Augen und Ohren sperrangelweit auf und war es in seinem Herzen sogleich zufrieden, sich freiwillig zu geißeln, und sprach zu seinem Herrn: »Wohlan denn, Señor, ich bin bereit, Eure Wünsche zu erfüllen, wenn ich einen Vorteil dabei habe; die Liebe zu meinen Kindern und zu meiner Frau zwingt mich, eigennützig zu erscheinen. Sagt mir, gnädiger Herr, wieviel wollt Ihr mir geben für jeden Hieb, den ich mir gebe?«

»Wenn ich dich im Verhältnis zu der Wichtigkeit und der eigentümlichen Art dieses Heilmittels bezahlen sollte, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »so würden der Staatsschatz von Venedig und die Goldgruben von Potosi nicht hinreichen, um dich zu bezahlen. Überschlage du, wieviel Geld du von mir bei dir hast, und setze den Preis für jeden Geißelhieb an.«

»Deren sind dreitausenddreihundert und soundso viel«, entgegnete Sancho; »von denen habe ich mir etwa fünf gegeben, bleiben noch die andren übrig. Wir wollen diese fünf zu den soundso viel rechnen und auf die dreitausend und dreihundert kommen ; jeden zu einem Viertelreal gerechnet – denn weniger nehme ich nicht, und wenn’s die ganze Welt mir befehlen wollte –, macht dreitausenddreihundert Viertelrealen; die dreitausend sind fünfzehnhundert halbe Realen, die machen siebenhundertfünfzig Realen; und die dreihundert machen fünfundsiebzig Realen, und schlagen wir diese zu den siebenhundertfünfzig, so sind es im ganzen achthundertfünfundzwanzig Realen. Dies will ich abziehen von dem Geld, das ich für Euer Gnaden in Verwahr habe, und dann komme ich reich und zufrieden nach Hause, wenn auch tüchtig zerprügelt, denn man fängt keine Forellen ohne … weiter sag ich nichts.«

»O du gebenedeiter Sancho! O du liebenswürdiger Sancho!« rief Don Quijote; »wie sehr werden Dulcinea und ich dir zu jedem Gegendienst verpflichtet sein, solange uns der Himmel Leben vergönnen wird! Wenn sie wieder sein wird, was sie gewesen, und es ist unmöglich, daß sie nicht wieder so werde, dann wird ihr Unglück ein Glück und meine Niederlage ein wonnevoller Triumph gewesen sein. Denke aber nach, Sancho, wann du deine Geißelung anfangen willst; und damit du sie beschleunigst, lege ich dir hundert Realen zu.«

»Wann?« versetzte Sancho; »diese Nacht noch unfehlbar. Sorge Euer Gnaden nur dafür, daß wir sie draußen unter freiem Himmel zubringen, so will ich mir schon meinen Leib wund schlagen.«

Es kam endlich die Nacht, welche Don Quijote mit größter Ungeduld erwartet hatte, da es ihm vorkam, als seien die Räder an Apollos Wagen gebrochen und der Tag ziehe sich länger als gewöhnlich hin, gerade wie es den Verliebten geht, die die Rechnung ihrer Wünsche nie richtig zu stellen vermögen. Sie begaben sich nun in ein anmutiges Wäldchen, etwas abseits vom Wege, entlasteten die Sättel Rosinantes und des Esels, streckten sich ins grüne Gras und speisten von Sanchos Reisevorrat. Sancho machte aus der Halfter und dem Strick des Grauen eine starke geschmeidige Geißel und zog sich etwa zwanzig Schritte von seinem Herrn unter Buchen zurück, die dort standen. Don Quijote, der ihn so voll Entschlossenheit und Mut sah, sagte zu ihm: »Hab acht, Freund, daß du dich nicht in Stücke haust; laß dir Zeit, so daß jeder Schlag auf den andern warten muß; übereile dich nicht so sehr auf deiner Bahn, daß etwa in ihrer Mitte dir der Atem ausginge; ich meine, geißle dich nicht so gewaltig, daß du das Leben einbüßest, ehe du die gewünschte Anzahl erreicht hast; und damit du nicht durch eine Karte zuviel oder zuwenig das Spiel verlierst, will ich hier stehenbleiben und die Hiebe, die du dir gibst, an meinem Rosenkranz abzählen. Der Himmel stehe dir bei, wie es dein guter Vorsatz verdient.«

»Den guten Zahler drückt kein Pfand«, entgegnete Sancho; »ich will mich so hauen, daß es mich nicht umbringt, aber mir weh tut, denn davon hängt ja wohl dieses Wunder ab.«

Er entblößte sich sogleich vom Gürtel bis zum Nacken, schwang seinen Strick und fing an, sich zu geißeln, und Don Quijote fing an, die Hiebe zu zählen. Sancho mochte sich etwa sechs oder acht gegeben haben, als ihm der Spaß doch zu beschwerlich und der Preis gar zu gering erschien; er hielt ein wenig inne und sagte zu seinem Herrn, er müsse wegen Übervorteilung Berufung einlegen, denn jeder dieser Hiebe sei es wert, mit einem halben Realen, nicht mit einem Viertel bezahlt zu werden.

»Mach nur weiter, Freund Sancho, und laß den Mut nicht sinken«, sagte Don Quijote, »ich verdoppele den Lohn.«

»Auf die Art«, versetzte Sancho, »mag’s in Gottes Namen sein, und es soll Hiebe regnen.«

Allein der Schelm gab sie sich bald nicht mehr auf den Rücken, sondern schlug auf die Bäume und stöhnte von Zeit zu Zeit so gewaltig, als risse er sich bei jedem Hieb die Seele aus dem Leib. Don Quijotes Herz aber wurde weich, und in der Besorgnis, er möchte sich dabei ums Leben bringen und er selbst könnte alsdann durch Sanchos Unvorsichtigkeit das Ziel seiner Wünsche nicht erreichen, rief er ihm zu: »Bei deinem Leben, Freund, laß es jetzt gut sein, denn diese Arznei scheint mir sehr bitter; das Beste ist Eile mit Weile, Rom ist nicht in einem Tage erbaut. Mehr als tausend Hiebe, wenn ich mich nicht verrechnet habe, hast du dir schon gegeben, die mögen für jetzt genügen; der Esel, wenn ich mich eines rohen Volksausdrucks bedienen soll, der Esel trägt die Ladung, doch nicht die Überladung.«

»Nein, nein, Señor«, antwortete Sancho, »von mir soll es nicht heißen: Hat er das Geld heimgetragen, hat er nicht Lust, sich weiterzuplagen. Geht wieder ein wenig beiseite und laßt mich mir mindestens noch einmal tausend Hiebe aufstreichen; denn wenn wir in diesem Gefecht noch zwei Gänge tun, so haben wir die ganze Partie gewonnen, und es bleibt uns gar noch ein Überschuß.«

»Da du so gut im Zeuge bist«, sprach Don Quijote, »so möge dir der Himmel beistehen; prügle dich immer zu! Ich gehe beiseite.«

Sancho kehrte zu seiner Aufgabe mit so mutigem Eifer zurück, daß er im Nu vielen Bäumen die Rinde abgeschlagen hatte; mit solcher Härte geißelte er sich! Einmal, wie er einen ungeheuren Hieb auf eine Buche führte, erhob er seine Stimme und rief: »Hier soll Simson sterben und alle Philister mit ihm verderben!«

Bei diesem kläglichen Schrei und beim Schall des grausamen Hiebes eilte Don Quijote herbei, ergriff die zusammengedrehte Halfter, die Sancho als Geißel brauchte, und sprach zu ihm: »Gott verhüte, Freund Sancho, daß du mir zulieb das Leben einbüßest, welches dir dazu dienen soll, Weib und Kinder zu ernähren. Mag Dulcinea eine bessere Gelegenheit abwarten; ich will mich in den Grenzen einer bereits nahe gerückten Hoffnung halten und harren, bis du neue Kräfte gewinnst, damit dieser Handel zu aller Zufriedenheit zu Ende geführt werde.«

»Weil Euer Gnaden es so will«, erwiderte Sancho, »so mag es meinetwegen so geschehen. Werft mir aber Euren Mantel um die Schultern, ich bin im Schweiß und möchte mich nicht gern erkälten, denn ein Neuling im Geißeln ist solcher Gefahr ausgesetzt.«

Don Quijote tat also und blieb im Unterkleid; er deckte Sancho zu, welcher schlief, bis die Sonne ihn aufweckte. Hierauf setzten sie ihre Reise wieder fort und beschlossen sie an diesem Tage in einem Dorfe, das drei Meilen von ihrem letzten Rastort entfernt lag. Sie stiegen in einem Wirtshause ab, denn für ein solches erkannte es Don Quijote, und nicht für eine Burg mit tiefem Graben, Türmen, Fallgitter und Zugbrücke. Überhaupt, seit er besiegt worden, sah er alle Dinge viel richtiger an, wie sogleich erzählt werden soll.

Man brachte sie in einem Zimmer zu ebener Erde unter, welches statt mit gepreßten Ledertapeten mit altem bemaltem Wollenzeug behangen war, wie es in Dörfern bräuchlich ist. Auf einer dieser Tapeten war von geschicktester Hand der Raub der Helena gemalt, wie der freche Gast sie dem Menelaus entführte; und auf einer andern zeigte sich die Geschichte von Dido und Äneas, sie auf einem hohen Turme, wie sie mit einem halben Bettlaken dem fliehenden Gaste Zeichen machte, der auf einer Fregatte oder Brigantine über das Meer enteilte. Der Betrachter erkannte bei den zwei Bildern, daß Helena gar nicht ungern entfloh, denn sie lachte verstohlen und schelmisch; aber die schöne Dido sah man Tränen vergießen, so dick wie Nüsse. Don Quijote sprach bei diesem Anblick: »Diese beiden Damen waren höchst unglücklich, daß sie nicht zu unsrer Zeit geboren wurden; und ich bin unglücklich über alle Ritter, daß ich nicht zu ihrer Zeit geboren wurde. Denn hätte ich diese Herren feindlich angerannt, so wäre Troja nicht verbrannt und Karthago nicht zerstört worden; denn schon dadurch, daß ich den Paris getötet hätte, wäre all dies große Unglück vermieden worden.«

»Ich will wetten«, sagte Sancho, »es vergeht nicht viel Zeit, so wird es keine Weinstube, keine Schenke, kein Wirtshaus und keine Barbierstube geben, wo nicht die Geschichte unsrer Taten gemalt zu sehen ist; nur möchte ich wünschen, daß die Hände eines besseren Malers sie malten als die des Schmierfinks, der diese hier abgebildet hat.«

»Du hast recht, Sancho«, sagte Don Quijote, »denn dieser Maler ist wie Orbaneja, jener Maler in Ubeda, der, wenn man ihn fragte, was er male, stets antwortete: ›Was eben daraus werden wird.‹ Wenn er einmal einen Hahn malte, so schrieb er darunter: ›Dies ist ein Hahn‹, damit man nicht meinen möchte, es sei ein Fuchs. Von dieser Art, Sancho, muß wohl der Maler oder Schriftsteller sein – denn beides ist ganz einerlei –, der die Geschichte jenes neuen Don Quijote ans Licht gezogen hat; auch er hat auf gut Glück drauflosgemalt oder -geschrieben. Er kann auch jenem Dichter namens Mauleón geglichen haben, der sich in den letzten Jahren in der Residenz herumtrieb und jede Frage auf der Stelle beantwortete; und als ihn einer fragte: ›Was bedeutet Deum de deo‹, antwortete er: ›Dreh um oder ich drehe.‹ Doch lassen wir dies beiseite und sage mir, ob du gedenkst, dir diese Nacht wieder eine Tracht aufzuzählen, und ob du es lieber unter Dach und Fach oder unter freiem Himmel tun willst.«

»Ei, du lieber Gott, Señor«, antwortete Sancho, »bei dem, was ich mir aufzuzählen gedenke, ist mir’s einerlei, ob ich im Haus oder im freien Felde bin; indessen möchte ich trotzdem, daß es unter Bäumen geschehe, denn es kommt mir vor, als leisteten sie mir Gesellschaft und hülfen mir wunderbar, meine Drangsal zu tragen.«

»Aber so soll es nicht sein, Freund Sancho«, erwiderte Don Quijote; »sondern damit du neue Kräfte sammelst, wollen wir es für unser Dorf aufheben, da wir spätestens übermorgen dort ankommen werden.«

Sancho erklärte, der Ritter möge nach Belieben handeln, er aber wolle dies Geschäft in aller Kürze abmachen, solang das Blut noch warm und die Mühlsteine noch scharf seien; »denn im Verzug liegt meistenteils die Gefahr; und auf Gott sollst du vertrauen und mit der Keule dreinhauen. Besser ein Hab-ich als zwei Hätt-ich, besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.«

»Keine Sprichwörter mehr, Sancho, beim alleinigen Gott!« rief Don Quijote; »es scheint, du kehrst zurück zu dem sicut erat. Sprich einfach und glatt und verirre dich nicht ins Hundertste und Tausendste, wie ich dir schon öfters gesagt habe, und du wirst sehen, wie du hundert- und tausendmal besser fährst.«

»Ich weiß nicht, warum ich immer das Unglück habe«, entgegnete Sancho, »daß ich keinen vernünftigen Satz sprechen kann ohne ein Sprichwort, und kein Sprichwort, das mir nicht ein vernünftiger Satz scheint; aber ich will mich bessern, wenn ich kann.«

Und hiermit endigte für diesmal ihr Gespräch.

68. Kapitel


Von dem borstigen Abenteuer, welches Don Quijote begegnete

Die Nacht war ziemlich finster, obgleich der Mond am Himmel stand, freilich nicht an einer Stelle, wo man ihn sehen konnte; denn manchmal geht Frau Diana bei den Gegenfüßlern spazieren und läßt die Waldberge schwarz und die Täler dunkel. Don Quijote entrichtete der Natur seinen Zoll, indem er dem ersten Schlummer unterlag, aber den zweiten gestattete er sich nicht; ganz im Gegensatze zu Sancho, der einen zweiten Schlaf nicht kannte, weil bei ihm der erste vom Abend bis zum Morgen dauerte, worin sich seine kräftige Gesundheit und sein Mangel an Sorgen zeigte. Don Quijote aber hatte Sorgen, die ihn so hellwach hielten, daß er zuletzt Sancho aufweckte und ihm sagte: »Ich wundere mich über die Gleichgültigkeit deines Gemüts. Ich glaube wirklich, du bist aus Marmor oder hartem Erz geschaffen, welchem Bewegung und Gefühl gänzlich abgeht. Ich wache, wenn du schläfst; ich weine, wenn du singst; ich werde schier ohnmächtig vom Fasten, während du vor Übersättigung träge und ohne Atem dastehst. Es ist aber die Art redlicher Diener, den Kummer ihrer Herren mitzutragen, und ihre Schmerzen sollen sie mitschmerzen, und wäre es auch nur um des guten Scheines willen. Sieh die Heiterkeit dieser Nacht, die Einsamkeit, in der wir uns befinden und die uns einlädt, unsern Schlaf durch einiges Wachen zu unterbrechen. Ich beschwöre dich bei deinem Leben, steh auf und entferne dich eine kleine Strecke von hier und gib dir mit frischem Mute und dankenswerter Entschlossenheit drei- bis vierhundert Hiebe auf Abschlag der für Dulcineas Entzauberung erforderlichen; darum bitte ich dich inständig, denn ich will nicht wieder handgemein mit dir werden wie neulich, weil ich weiß, daß deine Hände schwer auf den Gegner fallen. Wenn du dich gehauen hast, alsdann wollen wir den Rest der Nacht damit verbringen, daß ich die Schmerzen der Trennung, du deine feste Treue besingst, und wollen also auf der Stelle mit dem Schäferleben einen Anfang machen, wie wir es in unsrem Dorfe führen werden.«

»Señor«, entgegnete Sancho, »ich bin kein Klosterbruder, um mich mitten aus meinem Schlafe herauszureißen und mich zu geißeln; auch will es mir nicht in den Kopf, daß man von dem Schmerz der Hiebe plötzlich zur Musik, von einem Äußersten zum andern übergehen kann. Euer Gnaden soll mich schlafen lassen und mich nicht mit der Selbstgeißelung drängen, oder Ihr bringt mich noch zu dem Eidschwur, daß ich nie an ein Härchen von meinem Rock, geschweige von meinem Fleisch rühren werde.«

»O verhärtete Seele du!« rief Don Quijote. »O Schildknappe sonder Mitleid! O mein mit Undank gegessenes Brot! O wie unüberlegt waren die Gnaden, die ich dir erwiesen und die ich dir noch zu erweisen vorhabe! Durch mich bist du Statthalter geworden, durch mich hast du die Aussicht, bald Graf zu werden oder einen andren gleichwertigen Adelsstand zu erlangen, und die Erfüllung dieser Hoffnung wird sich nicht länger verzögern als der Ablauf dieses Jahres: post tenebras spero lucem.«

»Das verstehe ich nicht«, versetzte Sancho; »ich verstehe nur, daß ich, solange ich schlafe, weder Furcht noch Hoffnung, weder Mühseligkeit noch Wonnen habe. Heil dem, der den Schlaf erfunden hat, diesen Mantel, der alle menschlichen Gedanken deckt, dies Gericht, das den Hunger vertreibt, dies Wasser, das den Durst in die Flucht schlägt, dies Feuer, das die Kälte erwärmt, diese Kälte, die die Hitze mäßigt, kurz die allgemeine Münze, für welche man alles kaufen kann, Waage und Gewicht, womit der Hirte und der König, der Einfältige und der gescheite Kopf gleich abgewogen und gleich schwer befunden werden. Nur eins hat der Schlaf, was vom Übel ist, wie ich habe sagen hören, nämlich daß er dem Tode ähnlich sieht, weil zwischen einem Schlafenden und einem Gestorbenen sehr wenig Unterschied ist.«

»Noch nie habe ich dich in so gewählten Worten reden hören, Sancho«, sprach Don Quijote, »und daran erkenne ich die Wahrheit des Sprichwortes, das du manchmal anführst: Frag nicht, wo seine Wiege steht, frag nur, wo er zur Atzung geht.«

»Ei zum Henker«, entgegnete Sancho, »lieber, guter Herr, jetzt bin’s nicht ich, der Sprichwörter aneinanderflickt, sondern Euch fallen sie paarweise von den Lippen, besser als mir; nur wird jedenfalls zwischen den meinigen und den Eurigen dieser Unterschied sein: die Eurigen werden immer zur rechten Zeit kommen und die meinigen zur Unzeit, aber am Ende sind es immer nur Sprichwörter.«

So weit waren sie, als sie ein dumpfes Brausen und ein rauhes Getöse vernahmen, welches sich über alle die Täler hinzog. Don Quijote sprang auf und griff zum Schwert, und Sancho versteckte sich hinter dem Esel und deckte sich auf beiden Seiten mit dem Waffenbündel und mit dem Sattel seines Tieres; er zitterte vor Furcht, während Don Quijote vor Bestürzung starr war. Von Minute zu Minute nahm das Getöse zu und kam näher heran zu den beiden angstbeklemmten Männern oder, richtiger gesagt, zu dem einen, denn von dem andren weiß man ja, wie mutig er war. Die Sache war nun die, daß etliche Leute einen Haufen von über sechshundert Schweinen zum Verkauf nach dem Markte trieben und mit diesen gerade jetzt des Weges zogen; und das Lärmen und Tosen, das Grunzen und Schnauben war so heftig, daß Don Quijote und Sancho ganz taub davon wurden und gar nicht wußten, was es nur sein könnte. Die riesige Herde der Grunzer kam in gedrängter Schar heran, und ohne der Würde Don Quijotes oder Sanchos die geringste Beachtung zu schenken, stürzten die Tiere über beide hinweg, zerstörten Sanchos Verschanzungen und warfen nicht nur Don Quijote zu Boden, sondern gaben ihm auch noch Rosinante zur Begleitung. Die dichtgedrängte Masse, das Grunzen, der Sturmschritt, in dem die unsaubern Bestien heranstürzten, warf den Eselssattel, die Rüstungsstücke, den Grauen, Rosinante, Sancho und Don Quijote unter- und übereinander, hierhin und dorthin aufs Feld. Sancho stand wieder auf, so gut er es vermochte, bat seinen Herrn um das Schwert und sagte ihm, er wolle ein halbes Dutzend von diesen Herren und ihren unverschämten Schweinen umbringen, denn jetzt war ihm klargeworden, was für eine Art von Tieren es war. Don Quijote sprach zu ihm: »Laß sie laufen, Freund, diese Schmach, ist die Strafe meiner Sünden, es ist eine gerechte Züchtigung des Himmels, daß einen fahrenden Ritter, der besiegt worden, die Schakale fressen, die Wespen stechen und die Schweine mit Füßen treten.«

»Dann muß es auch eine Züchtigung des Himmels sein«, versetzte Sancho, »daß die Schildknappen besiegter Ritter von Mücken gestochen, von Läusen gefressen und von Hunger angefallen werden. Wenn wir Schildknappen die Söhne der Ritter wären, denen wir dienen, oder doch sehr nahe Verwandte, dann wäre es nicht zu verwundern, daß wir für ihre Sünden büßen müssen bis ins vierte Geschlecht. Aber was haben die Pansas mit den Quijotes gemein? Nun gut, jetzt wollen wir es uns wieder bequem machen und wollen das wenige, was von der Nacht übrig ist, schlafen. Gott wird es Morgen werden lassen, und es wird uns schon wieder gut gehen.«

»Schlafe du nur, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »du bist zum Schlafen geboren; ich aber, geboren, um zu wachen, will bis zum Morgengrauen meinen Gedanken die Zügel schießen lassen und ihnen in einem kleinen Madrigal Luft machen, welches ich, ohne daß du es bemerktest, diese Nacht im Kopfe entworfen habe.«

»Mir kommt es so vor«, versetzte Sancho, »als ob Gedanken, die einem gestatten, Verse zu machen, nicht so arg und schwer sein können; verselt Ihr, soviel Ihr wollt, ich will schlafen, soviel ich kann.«

Und sogleich nahm sich Sancho so viel Raum auf dem Erdboden, als er Lust hatte, kauerte sich zusammen und schlief einen festen Schlaf, ohne daß ihn Bürgschaften oder Schulden oder sonst irgendein Kummer darin störten. Don Quijote, an den Stamm einer Buche oder Korkeiche gelehnt – Sidi Hamét Benengelí gibt die Art des Baumes nicht genau an –, sang zur Musik seiner eigenen Seufzer folgendes Lied:

O Liebe, wenn ich denke,
Wie du mich triffst mit grimmen Schicksalsschlägen,
Eil ich dem Tod entgegen,
Daß ich mein endlos Leid ins Nichts versenke.

Doch nah ich schon der Stunde,
Dem Hafen, wo der Qual ich bald entronnen,
Fühl ich so hohe Wonnen,
Daß neugestärkt zum Leben ich gesunde.

So will der Tod mir geben
Das Leben, Tod sich mir in Leben wandeln.
Wie seltsam an mir handeln,
Bald feindlich und bald freundlich, Tod und Leben.

Jeden dieser Verse begleitete er mit vielen Seufzern und mit nicht wenigen Tränen, als ein Mann, dessen Herz ganz zerrissen war vom Schmerz über seine Niederlage und die Abwesenheit Dulcineas. Inzwischen kam der Tag, die Sonne schien mit ihren Strahlen dem braven Sancho in die Augen; er erwachte, dehnte sich, schüttelte sich und streckte seine trägen Glieder; er betrachtete die Zerstörung, die die Schweine in seinem Speisevorrat angerichtet hatten, und verfluchte die ganze Herde – und noch anderes dazu. Endlich setzten die beiden ihre Reise fort, und als der Abend herabsank, sahen sie etwa zehn Männer zu Pferd und vier oder fünf zu Fuß ihnen entgegenkommen. Dem Ritter pochte das Herz vor Überraschung und dem Knappen das seinige vor Schrecken. Denn die Leute, die sich ihnen näherten, trugen Speere und Rundschilde und schienen ganz zum Kriege gerüstet. Don Quijote wendete sich zu Sancho und sagte: »Dürfte ich meine Waffen brauchen, Sancho, und hätte mir mein Versprechen nicht die Arme gebunden, so würde ich den ganzen feindlichen Zug, der da kommt, über uns herzufallen, für Kuchen und Zuckerbrot erachten; indessen möglicherweise ist es auch etwas anderes, als wir besorgen.«

Indem kamen die Reiter heran, legten ihre Lanzen ein, umringten ohne ein Wort Don Quijote und setzten ihm mit Todesdrohungen die Speere auf Rücken und Brust. Einer von den Leuten zu Fuß legte den Finger auf den Mund zum Zeichen, daß Don Quijote schweigen solle, ergriff Rosinante am Zügel und führte ihn abseits von der Landstraße; die andern Leute zu Fuß trieben Sancho und den Grauen vor sich her, und sämtlich, unter Beobachtung eines wundersamen Stillschweigens, folgten sie den Schritten dessen, der Don Quijote führte. Dieser wollte zwei- oder dreimal fragen, wohin sie ihn führten oder was ihr Begehr wäre, aber kaum begann er die Lippen zu bewegen, als man sie ihm auch schon wieder mit den Lanzenspitzen verschloß. Unsrem Sancho widerfuhr das nämliche, denn kaum machte er Miene, reden zu wollen, so stach ihn einer der Leute zu Fuß mit einem eisernen Stachel, und den Esel nicht minder, gerade als hätte er auch reden wollen. Die Nacht brach herein, sie beschleunigten ihre Schritte, in den beiden Gefangenen wuchs die Furcht, besonders als sie hörten, daß man ihnen von Zeit zu Zeit zurief: »Vorwärts, ihr Troglodyten! Schweigt, ihr Barbaren! Büßet, ihr Kannibalen! Beschwert euch nicht, ihr Szythen! Und öffnet die Augen nicht, ihr mörderischen Polypheme, ihr blutdürstigen Löwen!« – und andere Unnamen ähnlicher Art, womit sie die Ohren des unglücklichen Herrn und Dieners peinigten.

Sancho sprach derweilen vor sich hin: »Was, wir sollen ein Trog voll Düten sein? Barbiere? Hannibale? Bin ich etwa ein Karren, daß man ruft: zieht ihn, zieht ihn? All die Unnamen gefallen mir gar nicht, es bläst ein böser Wind für uns; alles Pech kommt uns auf einmal auf den Buckel wie dem Hund die Prügel; wenn es doch allein mit Prügeln ausginge, was uns droht bei diesem Abenteuer; das kommt uns gewiß heut abend teuer!«

Don Quijote war schier von Sinnen, ohne daß er mit all seinem Nachdenken herausbekommen konnte, was diese Schimpfnamen bedeuten sollten, die man ihnen beilegte und aus denen ihm nur so viel klarwurde, daß hier nichts Gutes zu hoffen, aber viel Böses zu fürchten sei.

Indessen kamen sie etwa um ein Uhr in der Nacht vor einem Schlosse an, das Don Quijote alsbald als das des Herzogs erkannte, wo sie erst vor kurzem geweilt hatten. »So helfe mir Gott!« sagte er, als er den Herrensitz erkannte, »was soll das geben? Freilich, in diesem Hause ist alles Höflichkeit und freundliches Benehmen; aber für die Besiegten wandelt sich das Gute in Schlimmes und das Schlimme in Schlimmeres.«

Sie zogen in den großen Hof des Schlosses ein und sahen ihn so hergerichtet und aufgeputzt, daß es ihr Erstaunen vermehrte und ihre Furcht verdoppelte, wie man im folgenden Kapitel sehen wird.

69. Kapitel


Von dem wundersamsten und unerhörtesten Vorfall, den im ganzen Verlauf dieser großen Geschichte Don Quijote erlebt hat

Die Berittenen stiegen ab, und zusammen mit denen zu Fuße packten sie mit Ungestüm Sancho und Don Quijote und trugen sie in den Hof. Ringsherum brannten an die hundert Fackeln auf ihren Ständern und in den Bogengängen um den Hof mehr als fünfhundert Lampen, so daß, der Nacht zum Trotze, die ziemlich finster war, man den Mangel der Tageshelle nicht bemerkte. Mitten in dem Hof erhob sich ein Katafalk wohl zwei Ellen hoch vom Boden; darüber war ein mächtig großer Baldachin von schwarzem Samt ausgebreitet, und ringsherum auf den Stufen brannten Kerzen von weißem Wachs auf mehr als hundert silbernen Leuchtern. Auf der Bühne lag der Leichnam einer Jungfrau von so reizendem Aussehen, daß sie durch ihre Schönheit den Tod selber schön erscheinen ließ. Ihr Haupt lag auf einem Kissen von Brokat und war bekrönt mit einem Kranze von mannigfachen duftigen Blumen; ihre Hände waren über der Brust gekreuzt und hielten einen Zweig der gelblichen Siegespalme. An einer Seite des Hofes stand eine Zuschauertribüne, und dort saßen auf zwei Sesseln zwei Männer, welche, da sie Kronen auf dem Kopfe und Zepter in den Händen hielten, deutlich erkennen ließen, daß sie entweder wirkliche Könige waren oder solche vorstellen sollten. Oben an der einen Seite dieser Tribüne, zu der man einige Stufen hinaufstieg, standen noch zwei Sessel, auf welche die Leute, die Don Quijote und Sancho gefangen herbeigebracht, diese niedersetzten, wobei sie in tiefem Schweigen verharrten und den beiden durch Zeichen zu verstehen gaben, daß auch sie schweigen sollten. Aber auch ohne diese Weisung hätten sie geschwiegen, denn das Erstaunen über das Schauspiel, das sich ihnen bot, lähmte ihnen die Zunge. Jetzt stiegen zwei vornehme Personen mit zahlreichem Gefolge auf die Tribüne, und Don Quijote erkannte sie sogleich als seine Wirte, den Herzog und die Herzogin; sie setzten sich auf zwei reichgeschmückte Sessel neben die zwei Männer, die wie Könige aussahen. Wer hätte sich nicht darob verwundern müssen, zumal hierzu noch kam, daß Don Quijote in dem Leichnam auf dem Katafalk die schöne Altisidora erkannte!

Als der Herzog und die Herzogin die Tribüne bestiegen, erhoben sich Don Quijote und Sancho und machten ihnen eine tiefe Verbeugung, und das herzogliche Paar erwiderte die Begrüßung mit einem leichten Neigen des Kopfes. Indem trat ein Diener hervor, und quer über die Tribüne schreitend, näherte er sich dem biederen Sancho und warf ihm ein Überkleid von schwarzem Barchent über, das ganz mit Flammenzungen bemalt war; dann nahm er ihm seine Mütze ab und setzte ihm einen hohen spitzen Hut auf, wie diejenigen ihn tragen, die vom heiligen Gericht verurteilt worden; dabei sagte er ihm ins Ohr, er solle die Lippen nicht öffnen, sonst würde man ihm einen Knebel in den Mund stecken oder ihm gar das Leben nehmen. Sancho betrachtete sich von oben bis unten und sah sich von Flammen umgeben, aber da sie ihn nicht brannten, so machte er sich keinen Deut daraus. Er nahm sich den spitzen Hut ab, sah ihn mit Teufeln bemalt, setzte ihn wieder auf und sagte für sich: Meinetwegen! Der Hut brennt mich nicht, und die Teufel werden mich nicht holen.

Don Quijote betrachtete ihn ebenfalls, und obschon die Furcht ihm die Sinne ganz benommen hatte, so konnte er sich doch nicht enthalten, über Sanchos Aussehen zu lächeln. In diesem Augenblick ließ sich, scheinbar unter dem Katafalk hervor, ein sanfter angenehmer Flötenton hören, der, da keine menschliche Stimme störend dazwischenklang – denn an diesem Orte mußte das Stillschweigen selbst Stillschweigen beobachten –, süß und liebeswarm in die Ohren drang. Jetzt erschien unversehens nahe dem Ruhekissen der scheinbaren Leiche ein schöner Jüngling, der zum Klang einer Harfe, die er selbst spielte, mit lieblicher und heller Stimme folgende Stanzen sang:

Bis wieder zu sich kommt Altisidora,
Die hinschied, weil zu grausam Don Quijote;
Solang die Damen gehn im schlechtsten Flore
In diesem Schloß, wo haust der Zaubrer Rotte;
Solang die Herzogin der Zofen Chore
Grobwollne Kleidung gibt, so lang, bei Gotte!
Sing ich ihr Unglück, ihre Reiz und Grazien,
Weit besser als der Sänger einst aus Thrazien.

Nicht nur, dieweil ich Lebenshauch genieße,
Gebührt dir meines Liedes treue Weise;
Von toter Zung aus kaltem Mund noch fließe
Das Loblied, das ich schulde deinem Preise.
Wenn meine Seel aus ihrem Burgverliese
Sich löst und hinschwebt durch die stygschen Kreise,
Wird sie dich feiern noch und Töne singen,
Die des Vergessens Strom zum Lauschen zwingen.

»Nicht weiter«, sagte jetzt einer der beiden, die wie Könige aussahen; »nicht weiter, göttlicher Sänger; es wäre ein Bemühen ohne Ende, uns jetzt den Tod und die Reize der schönen Altisidora zu schildern, die nicht tot ist, wie die unverständige Welt meint, sondern lebt auf den Zungen des Ruhmes und in den Martern, die Sancho Pansa, der allhier zugegen ist, erdulden muß, um sie dem verlorenen Lebenslichte wieder zuzuführen. So sprich denn du, Rhadamanthus, der du mit mir in den düstern Höhlen des Hades richtest und alles weißt, was über die Frage, ob diese Jungfrau wieder ins Leben zurückkehren wird, im Buche des unerforschlichen Schicksals beschlossen steht: sage und verkünde es sogleich, damit das Glück uns nicht verzögert werde, das wir von ihrer Rückkehr ins Dasein hoffen.«

Kaum hatte Minos, der Richter und Rhadamanthus‘ Genosse, dies gesprochen, als Rhadamanthus sich erhob und sagte: »Frisch auf, ihr Diener dieses Hauses, hohe und niedre, große und kleine, kommt herbei, einer nach dem andern, und zeichnet Sanchos Gesicht mit vierundzwanzig Nasenstübern, gebt ihm zwölf Kniffe und sechs Nadelstiche in die Arme und Hüften, denn von dieser feierlichen Handlung hängt das Heil Altisidoras ab.«

Als Sancho Pansa dies hörte, brach er das Stillschweigen und rief: »Hol mich der und jener, ebensowenig lasse ich mir das Gesicht zeichnen oder meine Backen anrühren, als ich ein Türke werde! Herrgott sackerment! Mir im Gesicht herumfahren, was hat das mit der Auferstehung dieser Jungfrau zu tun? Wo der Bär Honig geleckt hat, kommt er immer wieder! Die Zauberer verhexten Dulcinea, und mich prügeln sie, damit sie entzaubert wird; Altisidora stirbt an einem Leiden, das Gott ihr geschickt hat, und was soll sie wieder aufwecken? Daß ich vierundzwanzig Nasenstüber bekommen soll, daß mir der Leib mit Nadelstichen zerlöchert wird und daß mir mit Zwicken und Kneipen blaue Maler auf die Arme gezeichnet werden! Mit solchen Späßen geht mir zum Schwager Simpel; ich bin ein alter Hund, ich lasse mich nicht auf den Stier hetzen.«

»Du bist des Todes!« sprach Rhadamanthus mit schrecklicher Stimme; »sänftige dein Gemüt, du Tiger! Demütige dich, stolzer Nimrod! Und dulde und schweig, da man von dir nichts Unmögliches verlangt, und gib dich nicht damit ab, die Schwierigkeiten dieses Handels ergründen zu wollen; genasenstübert mußt du werden, wie ein Sieb zerstochen sollst du sein, Zwicken sollst du seufzend erdulden. Auf, sage ich, ihr Diener, folgt meinem Befehl; so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ihr sollt sehen, wozu ihr auf der Welt seid!«

Jetzt erschienen etwa ein Halbdutzend Kammerfrauen; sie schritten über den Hof, eine hinter der andern, in feierlichem Zug, vier von ihnen mit Brillen vor den Augen; alle hielten die rechte Hand empor, so daß das Handgelenk etliche Finger breit aus dem Ärmel hervorsah, damit nach heutiger Mode die Hände länger schienen. Kaum hatte Sancho sie erblickt, als er wie ein Stier brüllend schrie: »Ich will mir von aller Welt im Gesicht herumfahren lassen, aber zugeben, daß mich alte Schachteln von Kammerfrauen anrühren, das nie! Man mag mir das Gesicht mit Katzenkrallen zerkratzen, wie es meinem Herrn in diesem selben Schlosse geschehen ist; man mag mir den Leib mit scharfen Dolchen durchbohren, man mag mir die Arme mit feurigen Zangen zwicken, das will ich mit Geduld ertragen, oder ich will es diesen Herrschaften zu Gefallen tun; aber daß mich Kammerfrauen anrühren, das leide ich nicht, und sollte mich auch der Teufel holen.«

Nun brach auch Don Quijote das Schweigen und sprach zu Sancho: »Hab Geduld, mein Sohn, mache diesen Herrschaften eine Freude und sage dem Himmel tausendmal Dank, daß er solche Wunderkraft in deinen Leib gelegt hat, daß du mit dessen Marterung die Verzauberten entzaubern und die Toten auferwecken kannst.«

Schon waren die Kammerfrauen an Sancho herangetreten, als er, endlich fügsamer und gläubiger geworden, sich auf seinem Sessel zurechtsetzte und Gesicht und Bart der ersten hingab, die ihm mit einem ganz gehörigen Stüber die Nase siegelte und sich hierauf tief vor ihm verbeugte.

»Weniger Höflichkeit und weniger Schminke, Jungfer Zofe«, sprach Sancho, »denn bei Gott, Eure Hände riechen stark nach Essigschmiere.«

Genug, alle Kammerfrauen verabfolgten ihm Nasenstüber, und eine Menge Diener des Hauses zwickten ihn ins Fleisch; aber was er gar nicht aushalten konnte, das war das Stechen mit den Nadeln, und daher sprang er voll Wut vom Sessel auf, ergriff eine neben ihm brennende Fackel, schlug damit auf die Kammerfrauen und alle seine Peiniger und schrie: »Hinaus mit euch, ihr Diener der Hölle! Ich bin nicht von Erz, daß ich so ungeheure Martern nicht fühlen sollte!«

Altisidora war es jetzt wohl müde, so lange auf dem Rücken zu liegen, und drehte sich auf die andre Seite. Sobald die Umstehenden das bemerkten, riefen sie alle wie aus einem Munde: »Altisidora lebt! Altisidora ist wieder am Leben!« Rhadamanthus gebot Sancho, seinen Zorn zu bändigen, da der beabsichtigte Zweck jetzt bereits erreicht sei. Sobald aber Don Quijote gewahr ward, daß Altisidora sich bewegte, warf er sich auf die Knie vor Sancho und sagte zu ihm: »Jetzt ist es Zeit, du Sohn meines Herzens, du jetzt nicht mehr mein Schildknappe, dir einige von den Geißelhieben aufzumessen, die du dir für Dulcineas Entzauberung zu geben verpflichtet bist. Jetzt, sage ich, ist die Zeit, wo deine Wunderkraft auf ihrer Höhe steht, so daß sie das Heil, das man von dir erhofft, mit völliger Wirksamkeit erzielen kann.«

Da sprach Sancho: »Das kommt mir vor wie Pech auf Pech und nicht wie Honig auf Waffeln. Das wäre nicht übel, wenn jetzt nach dem Zwicken, den Nasenstübern und Nadelstichen auch noch die Hiebe kommen sollten! Da könnt ihr ja schließlich vollends einen großen Stein nehmen, mir ihn um den Hals binden und mich in einen Brunnen werfen; und das wäre mir nicht einmal sehr leid, wenn ich doch, um fremdes Leid zu heilen, immer den Prügeljungen für jedermann abgeben soll. Laßt mich in Ruh! Sonst, bei Gott, schmeiße ich alles hin und übergeb es dem Teufel, wenn er es auch nicht nehmen mag.«

Inzwischen hatte sich Altisidora bereits auf ihrem Lager aufgerichtet, und im nämlichen Augenblick ertönten die Schalmeien, in deren Klänge die Flöten und die Rufe aller einstimmten: »Es lebe Altisidora, Altisidora lebe!« Der Herzog und die Herzogin und die Könige Minos und Rhadamanthus und mit ihnen allen Don Quijote und Sancho gingen hin, Altisidora zu begrüßen und ihr von ihrem Lager herabzuhelfen. Sie spielte noch die Kraftlose und Matte, verneigte sich vor dem herzoglichen Paar und den zwei Königen, blickte Don Quijote unwillig an und sprach: »Gott vergebe es dir, du Ritter ohne Herz, durch dessen Grausamkeit ich länger als ein Jahrtausend, wie mir scheint, in der andern Welt gewesen bin! Dir aber, o du barmherzigster Schildknappe, den die Welt je gesehen, dir danke ich das Leben, das ich besitze. Von heut an, Freund Sancho, verfüge über sechs meiner Hemden, die ich dir überlasse, damit du ihrer sechs für dich daraus machen kannst, und sind sie auch nicht alle heil und ganz, so sind sie wenigstens alle sauber.«

Sancho küßte ihr dafür die Hände, in den seinigen den hohen spitzen Hut und die Knie auf dem Boden. Der Herzog befahl, den Hut ihm abzunehmen und ihm seine Mütze wiederzugeben, auch ihm seinen Rock wieder anzuziehen und das Überkleid mit den Flammen abzunehmen. Sancho bat jedoch den Herzog, ihm das Kleid und den spitzen Hut zu lassen; er wolle beides mit heimnehmen zum Wahrzeichen und Denkmal dieses unerhörten Abenteuers. Die Herzogin antwortete, man werde es ihm gerne lassen, er wisse ja, wie sie ihm gewogen sei. Der Herzog befahl, den Hof auszuräumen; alle sollten sich alsbald nach ihren Zimmern begeben, Don Quijote und Sancho aber sollte man nach den Gemächern geleiten, die ja für sie bestimmt seien.

7. Kapitel


Von der Zwiesprach zwischen Don Quijote und seinem Schildknappen, nebst andern hochwichtigen Begebenheiten

Kaum bemerkte die Haushälterin, daß Sancho Pansa sich mit ihrem Herrn einschloß, so wurde es ihr auch klar, was sie miteinander zu verhandeln hatten; sie ahnte, es werde aus dieser Beratung der Entschluß zu einer dritten Ausfahrt hervorgehen, nahm bekümmert und verdrossen ihren Schleier und suchte den Baccalaureus Sansón Carrasco auf, da es sie bedünkte, weil er ein gutes Mundwerk hatte und ein nagelneuer Freund ihres Herrn war, so würde er ihn bereden können, von einem so törichten Vorhaben abzulassen. Sie traf ihn an, wie er eben im Innenhof seines Hauses umherspazierte, und sobald sie ihn erblickte, fiel sie ihm zu Füßen, in Angstschweiß und Bekümmernis. Als Carrasco sie mit solchen Zeichen des Schmerzes, ja des Entsetzens kommen sah, fragte er: »Was soll das heißen, Jungfer Haushälterin? Was ist Euch zugestoßen, daß Ihr ausseht, als wollte sich Euch das Herz aus dem Leibe losreißen?«

»Es ist nichts, mein lieber Herr Sansón, als daß mein Herr abfahren will, ja gewiß, er will abfahren.«

»Und wo will er abfahren, Jungfer?« fragte Sansón dagegen, »und warum soll er abfahren? Hat er sich vielleicht was am Leibe gebrochen?«

»Er fährt ja nicht so ab, wie Ihr’s meint«, antwortete sie, »nur zur Pforte seiner Verrücktheit fährt er hinaus; ich meine, herzlieber Herr Baccalaureus, er will noch einmal ab- und ausfahren, das wird alsdann das drittemal sein, und er will was suchen gehen, was er teuer heißt, und ich weiß nicht, wie es ihm so teuer sein kann. Das erstemal, wo er uns zurückgebracht wurde, da lag er quer über einem Esel und war halbtot geprügelt; das zweitemal fuhr er auf einem Ochsenkarren daher, eingesperrt in einen Käfig, in den er sich für hineingezaubert hielt, und da kam der Arme in solchem Zustand heim, daß ihn die leibliche Mutter nicht erkannt hätte, abgemagert, blaßgelb, die Augen waren bis in die hintersten Kämmerchen seines Hirnkastens eingesunken; und um ihn wieder ein klein wenig zu sich zu bringen, hab ich über sechshundert Eier verbraucht, das wissen Gott und die ganze Welt und meine Hennen, die werden mich nicht Lügen strafen.«

»Das will ich schon glauben«, versetzte der Baccalaureus, »daß sie so redlich, so fett und so gut gezogen sind, daß sie sicher nie falsch Zeugnis ablegen würden, und wenn sie darüber bersten sollten. Aber wirklich, Jungfer Haushälterin, geht nichts weiter vor? Und ist sonst keine Verkehrtheit geschehen als diejenige, die, wie Ihr fürchtet, unser Señor Don Quijote begehen will?«

»Nein, Señor«, antwortete sie.

»Dann seid nur ohne Sorgen«, entgegnete der Baccalaureus, »und geht in Gottes Namen nach Hause, und haltet mir etwas Warmes zum Frühstück bereit, und unterwegs betet mir das Gebet der heiligen Apollonia, wenn Ihr es auswendig wißt; ich komme gleich hin, und da werdet Ihr Wunder sehen.«

»Daß Gott erbarm!« erwiderte die Haushälterin; »das Gebet der heiligen Apollonia heißt Ihr mich beten? Solche Gebete wären ganz gut, wenn mein Herr es in den Zähnen hätte; er hat es aber im Oberstübchen.«

»Ich weiß, was ich sage, Jungfer Haushälterin; geht nur und fangt mit mir keinen Disput an; denn Ihr wißt, in Salamanca bin ich Doktor worden, und höher hinaus doktert sich’s nicht.«

So sprach Carrasco, und damit ging die Haushälterin von dannen, und der Baccalaureus suchte alsbald den Pfarrer auf, um mit ihm etwas zu besprechen. Was, wird seiner Zeit berichtet werden.

Während der Zeit aber, wo Don Quijote und Sancho Pansa miteinander eingeschlossen waren, fand folgende Zwiesprache statt, welche die Geschichte mit großer Genauigkeit und getreuem Berichte wiedergibt. Es sprach nämlich Sancho zu seinem Herrn: »Señor, ich habe bereits meine Frau dazu verwattiert, daß sie mich mit Euer Gnaden hinziehen läßt, wohin es Euch beliebt.«

»›Persuadiert‹ mußt du sagen, Sancho, nicht verwattiert«, bemerkte Don Quijote.

»Schon ein- oder zweimal«, entgegnete Sancho, »wenn ich mich recht entsinne, hab ich Euer Gnaden gebeten, Ihr möchtet mir meine Ausdrücke nicht verbessern, sobald Ihr nur versteht, was ich damit sagen will; und wenn Ihr sie nicht versteht, so sagt lieber: Sancho oder du Teufelsbraten, ich versteh dich nicht; und wenn ich mich alsdann nicht deutlich mache, nachher könnt Ihr mich verbessern, denn ich lasse mich immer gern verkehren.«

»Ich verstehe dich nicht, Sancho«, fiel Don Quijote rasch ein; »denn ich weiß nicht, was das heißt: ich lasse mich gern verkehren.«

»Das heißt«, erwiderte Sancho, »ich lasse mich einmal so gehen.«

»Jetzt verstehe ich dich noch weniger«, versetzte Don Quijote.

»Nun, wenn Ihr mich nicht verstehn könnt«, sprach Sancho dagegen, »dann weiß ich nicht, wie ich es sagen soll; ich weiß nichts weiter, Gott helfe mir. Amen.«

»Jetzt, jetzt komme ich darauf«, entgegnete Don Quijote; »du willst sagen, du läßt dich gern bekehren, bist so fügsam und manierlich, daß du gern annimmst, was ich dir sage, und alles gelten lassest, was ich dich lehre.«

»Ich will wetten«, sagte Sancho, »Ihr habt mich gleich von Hause aus durchschaut und verstanden, habt mir aber erst den Kopf durcheinanderbringen wollen, damit Ihr noch ein paar hundert Dummheiten von mir hört.«

»Kann wohl sein«, entgegnete Don Quijote; »aber im Ernst, was sagt Teresa?«

»Teresa sagt«, antwortete Sancho, »bei Euer Gnaden soll ich den Daumen fest einsetzen und die Augen hübsch offenhalten, und schwarz und weiß sollen den Vortritt haben, und Maulspitzen sollen daheim bleiben; wer die Karten abhebt, der hat sie nicht zu mischen; denn ein Hab ich ist besser als zwei Hätt ich; und ich sage: Weiber Rat ist wenig wert, und ein Narr, wer sich nicht dran kehrt.«

»Das sag ich auch«, entgegnete Don Quijote. »Spreche Er nur zu, lieber Sancho, geh Er weiter; Er redet heute ganz herrlich.«

»Die Sache ist nun die«, versetzte Sancho, »daß wir, wie Euer Gnaden am besten weiß, alle sterblich sind; heute rot, morgen tot; und läuft der Hammel, so schnell er kann, ’s Lamm kommt doch zugleich mit ihm an; und hoffe keiner mehr Stunden zu leben, als ihm Gott im Himmel will geben. Denn: Der Tod hat taube Ohren; pocht er an unsres Lebens Toren, hat er’s eilig, jedes Wort ist verloren; und da hält kein Bitten auf und keine Gewalt und kein Zepter und kein Krummstab; so heißt es allüberall unter dem Volk, und so predigt man uns von der Kanzel.«

»Alles das ist wahr«, sprach Don Quijote; »aber ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«

»Ich will darauf hinaus«, antwortete Sancho, »daß Euer Gnaden mir einen festen Dienstlohn bestimmen sollen, nämlich was Ihr mir jeden Monat zu geben habt, solang ich Euch diene, und daß besagter Lohn mir aus Eurem Vermögen ausgezahlt werden soll; denn ich mag nicht auf Gnadengeschenke hin dienen, die da spät oder nicht zur rechten Zeit oder niemals kommen. Was mein ist, das gesegne mir Gott. Kurz, ich will wissen, wieviel ich verdiene, mag es wenig oder viel sein. Denn: Hat die Henn im Nest ein Ei, legt sie bald noch mehr dabei; viele Körnchen geben einen Haufen, und solang etwas zunimmt, nimmt es nicht ab. Freilich, wenn es geschähe – woran ich nicht glaube und was ich nicht hoffe –, daß Euer Gnaden mir die Insul gäbe, die Ihr mir versprochen habt, so bin ich nicht so undankbar und nehm es auch nicht so genau, daß ich nicht ganz bereitwillig abschätzen ließe, wie hoch sich das jährliche Einkommen dieser Insul beläuft, und mir es von meinem Lohn nach Verhältnis in Ratten abziehen ließe.«

»Mein guter Sancho«, bemerkte hier Don Quijote, »zuweilen kommt es wohl vor, daß die Raten von Ratten aufgezehrt werden.«

»Ich versteh schon«, entgegnete Sancho, »ich wette, ich hätte Raten sagen sollen und nicht Ratten; aber es tut nichts, denn Euer Gnaden hat mich ja verstanden,«

»Und so gut verstanden«, versetzte Don Quijote, »daß ich bis zum äußersten Ende deiner Gedanken durchgedrungen bin und das Ziel kenne, nach welchem du mit den unzähligen Pfeilen deiner Sprichwörter schießest. Sieh, Sancho, gewiß würde ich dir einen Lohn bestimmt haben, hätte ich in irgendeiner von den Geschichten der fahrenden Ritter ein Beispiel gefunden, das mich durch ein kleinstes Ritzchen nur hätte sehen lassen und belehrt hätte, wieviel die Knappen denn eigentlich auf jeglichen Mond oder jegliches Jahr zu verdienen pflegten. Aber ich habe ihre Geschichten sämtlich oder doch die meisten gelesen und erinnere mich nicht, gelesen zu haben, daß jemals ein fahrender Ritter seinem Schildknappen einen bestimmten Lohn ausgesetzt hätte; ich weiß nur, daß sie alle auf ihres Herrn Belieben und Gnade dienten; und nachher, wann sie am wenigsten dran dachten, sobald ihrem Herrn ein glückliches Los geworden, sahen sie sich unvermutet mit einer Insul belohnt oder mit etwas andrem von gleichem Werte, und mindestenfalls trugen sie einen Adelstitel mit herrschaftlicher Besitzung davon. Wenn es mit solchen Hoffnungen, und was dazukommen mag, dir genehm ist, Sancho, aufs neue in meinen Dienst zu treten, so möge es in Gottes Namen geschehen. Wenn du aber glaubst, daß ich den alten Brauch der fahrenden Ritter aus seinen festen Regeln und aus den Angeln reißen werde, so bist du völlig verblendet. Demnach, mein guter Sancho, geh wieder heim und tu deinem Weibe meine Absichten kund; und wenn es ihr und dir genehm ist, auf mein Belieben und meine Gnade hin mir zu folgen, bene quidem, und wo nicht, bleiben wir gut Freund wie zuvor; denn wenn es im Taubenschlag nicht an Futter fehlt, wird’s auch nicht an Tauben fehlen. Dazu merke Er sich, mein Sohn: eine gute Anwartschaft ist besser denn ein verderblicher Besitz und eine gute Forderung besser denn eine schlechte Zahlung. Ich rede auf solche Art, Sancho, um Ihm zu zeigen, daß auch ich mit Sprichwörtern um mich werfen kann, als wenn sie geregnet kämen. Und kurz, ich will sagen und ich sag Ihm, wenn Er nicht auf Belieben und Gnade mit mir ziehen und mein eigen Los mit mir teilen will, so behüt Ihn Gott und gebe, daß man Ihn heiligspreche; mir aber wird es nicht an Schildknappen gebrechen, die gehorsamer und dienstbeflissener als Er und nicht so voller Bedenklichkeiten und so schwatzhaft sind.«

Als Sancho den festen Entschluß seines Herrn vernahm, umwölkte sich ihm der Himmel, und seines Herzens Mut ließ die Flügel hängen; denn er hatte gedacht, nicht um alle Schätze der Welt würde sein Herr ohne ihn ziehen. Und während er so unschlüssig und nachdenklich dastand, kam Sansón Carrasco und mit ihm die Haushälterin und die Nichte, die begierig waren zu hören, wie er ihren Herrn bereden werde, nicht abermals auf die Suche nach Abenteuern zu gehen.

Sansón trat ein, der durchtriebene Schelm, umarmte ihn wie das vorige Mal und sprach zu ihm mit erhobener Stimme: »O du Blume der fahrenden Ritterschaft! O du strahlendes Licht des Waffenwerks! Ehre und Spiegel der spanischen Nation! Wolle Gott der Allmächtige da, wo es ausführlicher geschrieben steht, daß derjenige oder diejenigen, die Störung und Hindernis schaffen wollen deiner dritten Ausfahrt, nimmermehr einen Ausweg finden mögen aus dem Labyrinth ihrer Strebungen und daß nimmermehr ihnen zur Erfüllung komme, was sie böslich erstreben.«

Und sich zur Haushälterin wendend, fuhr er fort: »Itzo braucht die Jungfer Haushälterin nicht mehr das Gebet der heiligen Apollonia herzusagen, denn ich weiß nun, daß es unwandelbare Bestimmung der Sphären ist, Señor Don Quijote soll abermals an die Ausführung seiner erhabenen und noch nie dagewesenen Pläne gehen, und ich würde mein Gewissen schwer belasten, wenn ich diesen Ritter hier nicht drängen und bereden wollte, die Kraft seines tapfern Arms und die Tüchtigkeit seines gewaltigen Geistes nicht länger mehr im Verborgenen zu lassen und zurückzuhalten; denn durch sein Zögern versäumt er, das Unrechte zurechtzubringen, den Waisen aufzuhelfen, einzustehen für die Ehre der Jungfrauen, für den Schutz der Witwen, die Beschirmung der Frauen und andres derselben Art, was alles den Orden der fahrenden Ritterschaft angeht, berührt, davon abhängt und damit verbunden ist. Auf, Don Quijote, Herre mein, schöner und schlachtenkühner Mann! Lieber heut als morgen soll sich Euer Gnaden, Euer Hoheit auf den Weg machen, und wenn es an etwas gebrechen sollte, um alles ins Werk zu setzen, hier steh ich, um mit meiner Person und Habe das Fehlende zu ergänzen; und wenn es not täte, Euer Herrlichkeit als Schildknappe zu dienen, so würde ich es mir zum höchsten Glücke rechnen.«

Hier wendete sich Don Quijote zu Sancho und sprach: »Hab ich dir’s nicht gesagt, Sancho, ich würde Schildknappen mehr bekommen, als ich brauchen kann? Schau, wer sich mir hier dazu anbietet, wer anders als ein Baccalaureus, wie er noch nicht dagewesen, Sansón Carrasco, der Stolz und die Freude der Hallen von Salamancas Schulen, gesund von Körper, gewandt von Gliedern, schweigsam, geduldig ausharrend in Hitz und Kälte, so in Hunger wie in Durst, mit all jenen Eigenschaften, die für den Schildknappen eines fahrenden Ritters erforderlich sind. Aber niemalen geb es der Himmel zu, daß ich, um einem Gelüste zu frönen, die Säule der Gelehrsamkeit und das Gefäß des Wissens zerhaue und zerbreche und die ragende Palme der schönen und freien Künste entwipfle. Er, der neue Simson, bleibe in seiner Heimat, bringe ihr Ehre und Ehre zugleich den weißen Haaren seiner greisen Eltern; ich aber werde mir mit jeglichem Schildknappen genügen lassen, sintemal Sancho nicht geruht, mit mir zu ziehen.«

»Jawohl geruh ich«, entgegnete Sancho, ganz zerknirscht und die Augen voller Tränen. Und er fuhr fort: »Von mir soll man nicht sagen, Herre mein: Wenn aus ist der Schmaus, die Gast gehn nach Haus. Ich komme aus keiner undankbaren Sippe; die ganze Welt und insbesondere mein heimatlich Dorf weiß, wer die Pansas gewesen sind, von denen ich abstamme. Zudem hab ich aus Euren vielen guten Werken und aus Euern noch bessern Worten erkannt und ersehen, daß Euer Gnaden den Wunsch hegt, mir Gunst und Gnade zu erweisen; und wenn ich mich vorher von wegen meines Lohns ein bißchen zu mausig gemacht habe, so war’s nur meiner Frau zu Gefallen; denn wenn die anfängt, einem irgendwas einzureden, so gibt’s keinen Schlägel, der die Reifen am Faß so fest antreibt, wie sie einen antreibt, ihr den Willen zu tun. Freilich soll der Mann ein Mann sein und das Weib ein Weib, und weil ich ein Mann bin in jeder Hinsicht, was ich nicht leugnen kann, so will ich es auch in meinem Hause sein, und mag sich drüber ärgern, wen’s ärgert. Und mithin ist nichts weiter vonnöten, als daß Ihr Euer Testament mit zugehörigem Kodizill macht, so daß es nicht revoltiert werden kann, und wir uns gleich auf den Weg machen, damit der Herr Sansón nicht an seiner Seele Schaden nehme, sintemal er sagt, daß sein Gewissen ihm driktiert, er solle Euer Gnaden zureden, zum drittenmal in die weite Welt hinauszuziehen. Ich aber erbiete mich aufs neue, Euer Gnaden treu und redlich, ja so gut und noch besser zu dienen, als sämtliche Schildknappen in vergangener und jetziger Zeit ihren fahrenden Rittern gedient haben.«

Der Baccalaureus war hoch erstaunt, als er Sancho Pansa auf solche Art und mit solchen Ausdrücken reden hörte; denn wiewohl er das erste Geschichtsbuch über dessen Herrn gelesen hatte, so dachte er sich doch nicht, daß Sancho wirklich ein so drolliger Kauz sei, als er dort geschildert wird. Aber wie er jetzt von Testament und Kodizill reden hörte, das man nicht revoltieren könne, anstatt Testament und Kodizill, das man nicht revozieren könne, da glaubte er alles, was er gelesen hatte; es stand nun fest für ihn, daß Sancho einer der prächtigsten Einfaltspinsel unsres Jahrhunderts sei, und er sagte bei sich, zwei solche Narren wie Herr und Diener seien in der Welt noch nicht gesehen worden.

Zuletzt umarmten sich Don Quijote und Sancho und wurden die besten Freunde miteinander; und auf Rat und Vorschlag des großen Carrasco, der nunmehr ihr Orakel war, wurde beschlossen, daß die Abreise in drei Tagen stattfinden solle, binnen welcher Frist es möglich sein würde, alles Erforderliche für die Reise herzurichten und einen Helm mit Visier zu beschaffen; denn den, erklärte Don Quijote, müsse er unter jeder Bedingung mitführen. Sansón bot ihm einen an, denn er wußte, daß ein Freund von ihm einen solchen besaß und ihn ihm nicht versagen werde; der Helm war freilich eher dunkel von Rost und Schimmel als hell und rein im Glanze des Stahls.

Die Verwünschungen, welche die beiden Weiber, Haushälterin und Nichte, auf den Baccalaureus schleuderten, waren nicht zu zählen; sie rauften sich das Haar, zerkratzten sich das Gesicht, und nach Art der vormals üblichen Klageweiber jammerten sie über das Scheiden ihres Herrn, als ob es sein Tod wäre.

Der Plan, welchen Sansón damit verfolgte, daß er Don Quijote zu einer nochmaligen Ausfahrt beredete, bestand darin, daß er etwas vollbringen wollte, was die Geschichte später berichten wird; alles auf Anraten des Pfarrers und des Barbiers, mit denen er sich vorher darüber besprochen hatte.

In der Tat versorgten sich Don Quijote und Sancho während der drei Tage mit allem, was ihnen zweckmäßig erschien; und nachdem Sancho sein Weib und Don Quijote seine Nichte und seine Haushälterin beschwichtigt hatte, begaben sie sich auf den Weg, ohne daß jemand es wußte außer dem Baccalaureus, der sie eine halbe Meile über den Ort hinaus begleitete. So zogen sie gen Toboso hin, Don Quijote auf seinem wackern Rosinante und Sancho auf seinem alten Grautier, den Zwerchsack mit Vorräten zur reisigen Fahrt versehen und die Börse mit Geld, das ihm Don Quijote für etwa vorkommende Fälle behändigt hatte.

Sansón umarmte den Ritter mit der Bitte, ihm von seinen guten oder schlechten Erfolgen Kunde zu geben, damit er sich ob jener freue, ob dieser sich betrübe, wie es die Gesetze der Freundschaft erheischten. Don Quijote versprach es ihm; Sansón kehrte in sein Dorf zurück, und die beiden nahmen ihren Weg nach der großen Stadt Toboso.

70. Kapitel


Welches auf das neunundsechzigste folgt und von Dingen handelt, so für das Verständnis dieser Geschichte unentbehrlich sind

Sancho schlief diese Nacht auf einem Feldbette, und zwar in demselben Zimmer mit Don Quijote, was er gern vermieden hätte; denn er wußte wohl, sein Herr würde ihn vor lauter Fragen und Antworten nicht schlafen lassen, und er war nicht aufgelegt, viel zu reden, weil der Schmerz ihm die erlittenen Martern stets gegenwärtig erhielt und seiner Zunge die gewohnte Freiheit nicht verstattete. Er hätte lieber allein in einer Strohhütte geschlafen als in diesem prächtigen Zimmer in Gesellschaft. Seine Besorgnis erwies sich als so begründet und seine Vermutung als so richtig, daß sein Herr kaum ins Bett gestiegen war, als er ihm sagte: »Sancho, was hältst du von den Begebnissen dieses Abends? Groß und gewaltig ist die Kraft verschmähter Liebe, wie du ja mit deinen eignen Augen Altisidora tot gesehen hast; tot nicht durch Pfeile, nicht durch das Schwert oder durch ein andres Werkzeug des Krieges, nicht durch tödliches Gift, sondern nur durch die Wirkung der Härte und Mißachtung, mit der ich sie immer behandelt habe.«

»Wäre sie doch in Gottes Namen gestorben, wann sie wollte und wie sie wollte«, entgegnete Sancho, »und hätte mich in Ruhe gelassen, denn ich hab sie in meinem Leben nicht verliebt gemacht und nicht verschmäht. Ich verstehe einfach nicht, was das Heil und Leben der Altisidora, einer Jungfer mit mehr Launen als Verstand, mit der Marterung Sancho Pansas zu tun haben soll, wie ich schon früher gesagt habe. Freilich sehe ich jetzt endlich klar und deutlich, daß es Zauberer und Verzauberungen in der Welt gibt; und vor denen möge mich Gott behüten, da ich mich vor ihnen nicht hüten kann. Aber bei alledem bitte ich Euer Gnaden, mich schlafen zu lassen und mich nichts mehr zu fragen, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mich zum Fenster hinausstürze.«

»Schlafe, Freund Sancho«, antwortete Don Quijote, »wenn es dir die empfangenen Nadelstiche und die blauen Male vom Zwicken und die Nasenstüber erlauben.«

»Keinen Schmerz«, entgegnete Sancho, »habe ich so gefühlt wie den Schimpf von den Nasenstübern, aus keinem andern Grunde, als weil sie mir von Kammerfrauen gegeben wurden, möge Gott sie verdammen! Und nochmals bitte ich Euer Gnaden, mich schlafen zu lassen, denn der Schlummer ist all denen eine Linderung des Elends, deren Leiden wach bleiben.«

»Mag es denn so sein«, sagte Don Quijote, »und Gott sei mit dir.«

Die beiden schliefen nun, und währenddessen wollte Sidi Hamét, der Verfasser dieser großen Geschichte, niederschreiben und berichten, was den Herzog und seine Gemahlin bewegen hatte, den künstlichen Bau dieses ganzen Unternehmens aufzurichten. Er sagt nämlich, daß der Baccalaureus Sansón Carrasco – weil er nicht vergessen hatte, daß der Spiegelritter von Don Quijote besiegt und niedergeworfen worden war, welcher Unfall und Sturz all seine Pläne auslöschte und zunichte machte – noch einmal sein Glück versuchen wollte und jetzt einen besseren Erfolg als den vorigen hoffte. Er erkundigte sich daher bei dem Edelknaben, der den Brief und das Geschenk an Sanchos Weib Teresa Pansa überbrachte, wo Don Quijote sich aufhalte; dann schaffte er sich neue Wehr und Waffen an und ein andres Pferd, setzte den weißen Mond auf seinen Schild und führte alles auf einem Maulesel mit sich, den diesmal ein Bauer am Zügel leitete, und zwar nicht sein früherer Schildknappe Tomé Cécial, damit er weder von Sancho noch von Don Quijote erkannt würde. So kam er zum Schloß des Herzogs, der ihm den Weg und die Richtung angab, die Don Quijote eingeschlagen hatte, um sich beim Turnier von Zaragoza einzufinden.

Der Herzog erzählte ihm ferner, was für Possen man ihm mit der Erfindung von Dulcineas Entzauberung gespielt habe, welche auf Kosten von Sanchos Sitzteilen geschehen sollte. Endlich erzählte er ihm auch, welchen Streich Sancho seinem Herrn gespielt hatte, als er ihm weismachte, Dulcinea sei verzaubert und in eine Bäuerin verwandelt, und wie dann die Herzogin, seine Gemahlin, Sancho den Glauben beibrachte, er im Gegenteil sei es, der sich getäuscht habe, weil Dulcinea wirklich verzaubert sei. Darüber lachte und staunte der Baccalaureus nicht wenig, indem er sich Sanchos Witz und Einfalt und zugleich das Übermaß von Don Quijotes Narrheit lebhaft vorstellte. Der Herzog bat ihn, wenn er ihn finde und ihn besiege oder auch nicht, so möge er wieder über hier zurückkehren, um ihm von dem Erfolge zu berichten. Der Baccalaureus tat also; er brach auf, um den Ritter zu suchen, fand ihn nicht in Zaragoza, zog weiter, und es begegnete ihm, was bereits berichtet worden. Er nahm seinen Rückweg über das Schloß des Herzogs und erzählte ihm den ganzen Hergang nebst den Bedingungen des Kampfes. Don Quijote kehre bereits zurück, um als ein redlicher fahrender Ritter sein gegebenes Wort zu erfüllen und sich auf ein Jahr nach seinem Dorfe zurückzuziehen. In dieser Zeit, sagte der Baccalaureus, könne möglicherweise der Ritter von seiner Verrücktheit genesen, denn nur dieser Zweck habe ihn bewogen, all die Verkleidungen vorzunehmen, da es ein wahrer Jammer sei, daß ein Junker von so klarem Verstande wie Don Quijote verrückt sei. Hierauf verabschiedete er sich von dem Herzog, kehrte nach seinem Dorfe zurück und erwartete hier Don Quijote, der ihm nachfolgte.

Dies brachte nun den Herzog auf den Einfall, ihm jenen Possen zu spielen – soviel Vergnügen fand er am Tun und Treiben Sanchos und Don Quijotes! –, er ließ nämlich die Wege nah und fern vom Schlosse, überall, wo er annahm, daß Don Quijote vorüberkommen könne, mit vielen seiner Diener zu Fuß und zu Pferd besetzen, damit sie, wenn sie ihn fänden, ihn mit Gewalt oder in Güte nach dem Schlosse brächten. Sie fanden ihn; sie gaben dem Herzog Nachricht, und dieser, der schon alles vorbereitet hatte, ließ beim Empfang der Nachricht von seiner Ankunft sogleich die Fackeln und Lampen im Hofe anzünden, Altisidora auf den Katafalk legen und das ganze bereits erzählte Schauspiel herrichten, alles so natürlich und so gut angeordnet, daß zwischen dem Scherz und der Wahrheit nur ein äußerst geringer Unterschied war. Sidi Hamét sagt auch noch weiter, er sei der Meinung, daß die Anstifter der Fopperei ebensolche Narren seien wie die Gefoppten und der Herzog und die Herzogin seien selbst keine zwei Finger breit von der Grenze der Verrücktheit entfernt gewesen, da sie so viel Mühe darauf verwandten, ein paar Verrückte zum besten zu haben.

Von diesen beiden schlief jetzt der eine tief und fest, und der andre wachte in frei umherschweifenden Gedanken; so befiel sie der Morgen und die Lust aufzustehen, denn weder besiegt noch als Sieger fand Don Quijote jemals Vergnügen am trägen Bette.

Da nahte sich Altisidora, die nach seiner Meinung vom Tod auferstanden, um die Possenstreiche ihrer Herrschaft weiterzuspinnen. Bekrönt mit demselben Kranze, den sie auf dem Katafalk getragen, bekleidet mit einem Gewand von weißem Taft, das mit goldnen Blumen übersät war, die Haare aufgelöst über den Rücken wallend, gestützt auf einen Stab vom feinsten schwarzen Ebenholz, trat sie ins Gemach Don Quijotes, der, ob ihrer Anwesenheit bestürzt und verwirrt, sich fast ganz in die Laken und Decken des Bettes verkroch und versteckte; seine Zunge blieb stumm, ohne daß er es vermocht hätte, das Fräulein auch nur mit der geringsten Höflichkeit zu begrüßen.

Altisidora setzte sich auf einen Stuhl neben dem Kopfende seines Bettes, stieß einen tiefen Seufzer aus und sprach mit zärtlicher schwacher Stimme zu ihm: »Wenn hochgestellte Frauen und schüchterne Mägdlein das Gesetz der Ehre mit Füßen treten und der Zunge gestatten, mit öffentlicher Kundgebung der Geheimnisse, die ihr Herz in sich birgt, ins Gebiet des Unschicklichen einzubrechen, so geschieht dies nur in bitterer Herzensnot. Ich, Señor Don Quijote von der Mancha, ich bin eines von diesen Mägdelein, bedrängt, besiegt und voll Liebe; aber bei alledem still duldend und keusch, und zwar in so hohem Grade, daß mir das Herz brach über meinem Schweigen und ich das Leben verlor. Zwei Tage ist’s her, seit durch das ständige Grübeln über die Härte, mit der du mich behandelt hast, o du, härter als Marmor bei meinen Klagen! felsenherziger Ritter! ich dem Tode anheimgefallen oder wenigstens von denen, die mich sahen, für tot gehalten wurde. Und hätte nicht Amor sich meiner erbarmt und das Mittel zu meiner Rettung in die Martern dieses guten Schildknappen gelegt, so wäre ich dort in jener andern Welt geblieben.«

»Der Amor«, sagte Sancho, »hätte das Mittel ganz gut in die Marterung meines Esels legen können, ich wäre ihm dankbar dafür gewesen. Aber sagt mir, Fräulein, so wahr Euch der Himmel mit einem weichherzigem Liebhaber als meinem Herrn versehen möge, was habt Ihr denn eigentlich in der andern Welt gesehen? Wie sieht’s in der Hölle aus? Denn dahin muß doch sicherlich kommen, wer aus Verzweiflung stirbt.«

»Soll ich Euch die Wahrheit sagen«, antwortete Altisidora, »so muß ich wohl nicht vollständig tot gewesen sein, denn ich bin nicht in die Hölle gekommen; wär ich da hineingekommen, so hätte ich sicherlich nicht mehr heraus gekonnt, wenn ich auch gewollt hätte. In Wirklichkeit bin ich nur bis zur Pforte gekommen, wo ungefähr ein Dutzend Teufel Pelota spielten, alle in Hosen und Wams, um den Hals flachanliegende Kragen mit flämischen Spitzen, mit Aufschlägen von den nämlichen Spitzen, die sie statt der Handkrausen trugen, so daß etwa vier Finger breit vom Arme freiblieben, damit die Hände länger schienen, in welchen sie feurige Ballschläger, sogenannte Raketen, hielten. Was mich am meisten wunderte, war, daß ihnen als Bälle Bücher dienten, die dem Anschein nach voll Windes und grober Wollflocken waren, etwas Wunderbares, das noch nicht dagewesen. Aber noch mehr als dies wunderte mich, daß sie bei diesem Spiel alle ärgerlich knurrten, alle zankten, alle sich verwünschten, während es sonst bei Spielern bräuchlich ist, daß die Gewinner vergnügt und nur die Verlierer traurig sind.«

»Das ist kein Wunder«, entgegnete Sancho, »denn die Teufel, ob sie nun spielen oder nicht, ob sie gewinnen oder nicht gewinnen, können niemals vergnügt sein.«

»So muß es wohl sein«, versetzte Altisidora; »aber noch etwas anderes setzt mich in Staunen, ich will sagen, setzte mich damals in Staunen, nämlich daß jeder Ball gleich beim ersten Wurf in Stücke ging, so daß er nicht noch einmal gebraucht werden konnte, und daher gab es immer wieder in Menge neue und alte Bücher, daß es ein Wunder war. Einem der Bücher, einem frischen, funkelnagelneuen und gut gebundenen, gaben sie einen tüchtigen Puff, so daß sie ihm die Eingeweide herausschlugen und die Blätter weit herumstreuten. Ein Teufel sagte zu einem andern: ›Seht, was für ein Buch das ist?‹ Und der Teufel antwortete: ›Es ist der zweite Teil der Geschichte des Don Quijote von der Mancha, nicht von dem ursprünglichen Verfasser Sidi Hamét geschrieben, sondern von einem Aragonesen, der selber angibt, er sei aus Tordesillas gebürtig/

›Weg mit ihm!‹ schrie der andre Teufel darauf; ›werft ihn in die Abgründe der Hölle, damit meine Augen ihn nicht wieder erblicken!‹

›Ist das Buch denn so schlecht?‹ fragte der andre.

›So schlecht‹, antwortete der erste, ›daß ich selbst mit der größten Mühe kein schlechteres fertigbringen würde.‹

Sie setzten ihr Spiel fort und spielten Pelota mit noch andern Büchern; ich aber, weil ich Don Quijote nennen hörte, den ich so sehr liebe und im Herzen trage, habe mir die Mühe gegeben, dieses Traumgesicht im Gedächtnis zu behalten.«

»Ein Traumgesicht muß es sicherlich gewesen sein«, sprach Don Quijote, »denn es gibt kein andres Ich in der Welt. Bereits wandert diese neue Geschichte von einer Hand zur andern, bleibt aber in keiner, denn alle treten sie mit Füßen. Ich ärgere mich nicht, zu hören, daß ich wie ein gespenstisches Wesen in den Finsternissen des Abgrundes oder im Lichte der Erdenwelt umherziehe, denn ich bin nicht der, von welchem jene Geschichte spricht. Wäre sie gut, getreu und wahr, so würde sie Jahrhunderte leben; ist sie aber schlecht, so wird der Weg von ihrer Geburt bis zum Grabe nicht lang sein.«

Altisidora wollte mit ihren Klagen über Don Quijote fortfahren, als dieser zu ihr sagte: »Oftmals habe ich Euch erklärt, Fräulein, wie leid mir es tut, daß Ihr Eure Gedanken auf mich gerichtet habt, da sie von den meinigen nur Dankbarkeit und nicht Heilung erlangen können. Ich bin dazu geboren, dem Fräulein Dulcinea von Toboso anzugehören, und die Schicksalsgöttinnen, wenn es solche gäbe, haben mich für sie allein bestimmt; und glauben, daß eine andre Schönheit jemals den Platz einnähme, den sie in meiner Seele behauptet, heißt das Unmögliche glauben. Diese Erklärung muß Euch genügen, damit Ihr Euch in die Grenzen Eurer Züchtigkeit zurückziehet, da niemand sich zu Unmöglichem verpflichten kann.«

Als Altisidora dies hörte, schien sie sich mächtig zu erbosen und zu erzürnen und sagte: »So wahr Gott lebt, Herr Stockfisch, der Ihr statt des Herzens einen ehernen Mörser habt! Ihr harter Dattelkern! zäher und störrischer als ein Bauer, den man um etwas bittet, wenn er sich etwas andres vorgenommen hat! Wenn ich über Euch herfalle, werd ich Euch die Augen ausreißen. Meint Er vielleicht, Er nie unbesiegter Jämmerling, Er Prügeljunge, ich bin Seinetwegen gestorben? Alles, was Ihr diese Nacht gesehen habt, war nur ein Possenspiel; ich bin kein Weib, das sich für ein solches Kamel nur das Schwarze am Nagel weh tun ließe, geschweige, daß sie sterben sollte.«

»Das glaub ich gern«, sagte Sancho, »denn mit dem Sterben der Verliebten, das ist nur eine Geschichte zum Lachen; sie mögen’s wohl sagen, aber es tun? Das mag der Judas glauben.«

Während dieses Gespräches trat der Musiker ein, der als Sänger und Dichter die beiden erwähnten Stanzen gesungen hatte; er machte vor Don Quijote eine tiefe Verbeugung und sagte: »Euer Gnaden, Herr Ritter, wollen mich unter die Zahl Eurer ergebensten Diener rechnen und als solchen annehmen; denn seit vielen Tagen bin ich Euch zugetan, sowohl um Eures Rufes als auch um Eurer Taten willen.«

Don Quijote entgegnete: »Euer Gnaden wolle mir sagen, wer Ihr seid, damit meine Höflichkeit Euren Verdiensten entsprechen möge.«

Der Jüngling antwortete, er sei der Musiker und Lobredner vom letzten Abend.

»Gewiß«, versetzte Don Quijote, »Ihr habt eine vortreffliche Stimme; aber was Ihr gesungen habt, scheint mir nicht am Platze gewesen zu sein, denn was haben die Stanzen des Garcilaso mit dem Tode dieses Fräuleins zu schaffen?«

»Wundert Euch nicht darüber«, antwortete der Musiker, »denn unter den dichterischen Gelbschnäbeln unsrer Zeit ist es bräuchlich, daß ein jeder schreibt, wie er Lust hat, und stiehlt, von wem er Lust hat, mag es nun zu seinem Gegenstand passen oder nicht; und sie singen oder schreiben keine Dummheit, ohne deren Berechtigung mittels der angeblichen dichterischen Freiheit zu behaupten.«

Don Quijote wollte antworten, aber er wurde daran durch den Herzog und die Herzogin verhindert, die kamen, ihn zu besuchen. Es entspann sich nun zwischen ihnen ein langes und vergnügliches Gespräch, bei welchem Sancho so viel Witz und so viel Stachelreden zum besten gab, daß er das herzogliche Paar aufs neue in Erstaunen setzte, sowohl ob seiner Einfalt als auch ob seines Scharfsinns. Don Quijote bat um die Erlaubnis, noch an diesem nämlichen Tage abreisen zu dürfen, weil es besiegten Rittern wie ihm eher gezieme, in einem schmutzigen Stall als in königlichen Palästen zu wohnen. Sie gaben die Erlaubnis gern und freundlich, und die Herzogin fragte ihn, ob Altisidora bei ihm in Gunst stehe. Er antwortete ihr: »Verehrte Gebieterin, Eure Herrlichkeit muß wissen, daß das ganze Leiden dieses Fräuleins aus Müßiggang entsteht, und das Mittel dagegen ist ehrbare und anhaltende Beschäftigung. Hier an dieser Stelle hat sie mir gesagt, in der Hölle würden Spitzen getragen, und da sie ohne Zweifel solche anzufertigen versteht, so sollte sie solche Arbeit nie aus der Hand lassen; denn wenn sie beschäftigt ist, die Klöppel in Bewegung zu halten, wird das Bild oder werden die Bilder dessen, was sie liebt, ihre Phantasie nicht in Bewegung setzen können. Dies ist die Wahrheit, dies ist meine Meinung, dies ist mein Rat.«

»Auch der meinige«, fügte Sancho hinzu, »denn ich habe in meinem ganzen Leben keine Spitzenklöpplerin gesehen, die vor Liebe gestorben wäre; Mädchen, die tätig sind, richten ihre Gedanken mehr auf die Vollendung der ihnen obliegenden Arbeit als auf ihre Liebesgeschichten. Das sage ich aus eigner Erfahrung, denn wenn ich beim Graben und Schaufeln bin, denke ich nicht an meine Hausehre, ich meine an meine Teresa Pansa, die ich doch lieber habe als meine Augenwimpern.«

»Sehr richtig gesprochen, Sancho«, sagte die Herzogin, »und ich will dafür sorgen, daß meine Altisidora sich künftig mit Weißnäherei beschäftigt, worauf sie sich vortrefflich versteht.«

»Es ist gar nicht nötig, Señora«, versetzte Altisidora, »dies Heilmittel anzuwenden, denn der Gedanke an die Grausamkeit, mit der dieser stumpfsinnige Landstreicher mich behandelt hat, wird ihn ohne ein andres Hilfsmittel aus meinem Gedächtnisse auslöschen. Mit Erlaubnis Eurer Durchlaucht will ich mich jetzt von hinnen begeben; nicht sehen will ich mehr vor meinen Augen, ich will nicht sagen seine traurige Gestalt, sondern vielmehr sein häßliches, abscheuliches Gerippe.«

»Das kommt mir vor«, sagte der Herzog, »wie es im Liede heißt:

Daß wer heftig schmäht –
Bereit schon ist er zu vergeben.«

Altisidora tat, als ob sie sich die Tränen mit einem Tüchlein abtrocknete, und ging mit einer Verbeugung vor ihrer Herrschaft aus dem Zimmer.

»Ich sage dir, armes Mädchen«, sprach Sancho, »ich sage dir, es wird dir bös ergehen; denn du hast es mit einer Seele von Dünengras, mit einem Herzen von Eichenholz zu tun gehabt. Wahrhaftig, hättest du mit mir zu tun, so hättest du ein andres Vögelchen pfeifen hören.«

Die Unterredung ging zu Ende; Don Quijote kleidete sich an, speiste mit dem herzoglichen Paare und begab sich noch am nämlichen Nachmittag auf den Weg.