58. Kapitel


Welches berichtet, wie so viel Abenteuer auf Don Quijote einstürmten, daß eines dem andern gar keinen Raum ließ

Als Don Quijote sich in freiem Felde sah, ledig und erlöst von den Liebeswerbungen Altisidoras, fühlte er sich ganz in seinem Elemente, als wenn all seine Lebensgeister sich in ihm erneuten, um aufs neue dem Berufe seines Rittertums nachzugehen. Er wendete sich zu Sancho und sprach zu ihm: »Die Freiheit, Sancho, ist eine der köstlichsten Gaben, die der Himmel dem Menschen verliehen; mit ihr können sich nicht die Schätze vergleichen, welche die Erde in sich schließt noch die das Meer bedeckt. Für die Freiheit wie für die Ehre darf und muß man das Leben wagen; Gefangenschaft dagegen ist das größte Unglück, das den Menschen treffen kann. Dies sage ich, Sancho, weil du wohl gesehen hast, welche Gastlichkeit, welchen Überfluß wir in diesem Schloß gefunden haben, das wir jetzt verlassen; und dennoch: bei all jenen üppigen Festmahlen und jenen in Schnee gekühlten Getränken war mir geradeso zumute, als säße ich mitten in den Bedrängnissen des Hungers, denn ich genoß es nicht mit der Freiheit, mit der ich es genossen hätte, wenn alles mein Eigentum gewesen wäre. Die Verpflichtungen, die uns empfangene Wohltaten und Gunstbezeigungen auferlegen, sind Fesseln, die den Geist nicht frei walten lassen. Glücklich, wem der Himmel ein Stück Brot gegeben, ohne daß ihm die Verpflichtung obliegt, einem andern als dem Himmel selbst dafür zu danken.«

»Bei alldem, was Euer Gnaden mir da gesagt hat«, meinte Sancho, »wäre es doch nicht recht, wenn die zweihundert Goldtaler ohne Dank unsrerseits blieben, welche der Haushofmeister des Herzogs mir gegeben und die ich als Magenpflaster und Stärkungsmittel für vorkommende Fälle auf dem Herzen trage; denn wir werden nicht immer Schlösser finden, wo man uns gastlich pflegt; manchmal werden wir auch Schenken antreffen, wo man uns mit Prügeln bewirtet.«

Unter diesen und andern Gesprächen zog der fahrende Ritter mit dem fahrenden Knappen dahin, und sie hatten wenig mehr als eine Meile zurückgelegt, als sie auf dem Gras eines grünen Angers ein Dutzend Männer in Bauerntracht erblickten, die auf ihren Mänteln saßen und speisten. Neben sich hatten sie weiße Leintücher, mit denen etwas zugedeckt war; die Tücher lagen hier aufgebauscht, dort flach ausgebreitet. Don Quijote näherte sich der tafelnden Gesellschaft, und nachdem er sie höflich gegrüßt, fragte er sie, was unter diesen Leintüchern verdeckt liege. Einer aus der Gesellschaft antwortete: »Unter diesen Tüchern haben wir Bildwerke in erhabener und geschnitzter Arbeit; sie sind für einen Altar bestimmt, den wir in unserem Dorfe errichten. Wir tragen sie verdeckt, damit sie ihre Frische nicht verlieren, und auf den Schultern, damit sie nicht zerbrechen.«

»Wenn es euch gefällig ist«, entgegnete Don Quijote, »würde ich mich freuen, sie zu sehen; denn Bilder, die man mit so großer Vorsicht befördert, müssen gewiß vortrefflich sein.«

»Ob sie es sind!« sagte ein andrer; »jedenfalls spricht ihr Preis dafür, denn wahrlich, es ist keines dabei, das nicht auf mehr als fünfzig Taler zu stehen kommt. Damit Euer Gnaden sehen kann, wie wahr dies ist, wartet einen Augenblick, und Ihr sollt mit Euren eignen Augen darüber urteilen.«

Er stand vom Essen auf, nahm die Decke von dem ersten Bilde, und es zeigte sich, daß es den heiligen Georg zu Pferde vorstellte, mit einem Lindwurm, der zu seinen Füßen den Schweif ringelte und dem er mit dem grimmigen Mute, wie man es gewöhnlich darstellt, den Speer in den Rachen stieß. Das ganze Bildwerk war einem goldschimmernden Kleinod zu vergleichen.

Don Quijote betrachtete es und sagte: »Dies war einer der trefflichsten unter den fahrenden Rittern der himmlischen Heerschar; er hieß Sankt Georg und war überdies ein Verteidiger der Jungfrauen. Laßt nun das andre hier sehen.«

Der Mann deckte es auf, und es zeigte sich, daß es der heilige Martin zu Pferde war, wie er seinen Mantel mit einem Armen teilte. Kaum hatte Don Quijote das Bild gesehen, als er sagte: »Auch dieser Ritter gehörte zu den frommen Christen, die auf Abenteuer auszogen, und ich glaube, seine Freigebigkeit war noch größer als seine Tapferkeit, wie du daran sehen kannst, Sancho, daß er seinen Mantel mit dem Armen teilt; er gibt ihm die Hälfte, und es muß damals Winter gewesen sein, sonst hätte er ihm den ganzen Mantel gegeben, so mildtätig war er.«

»Das wird nicht der Grund gewesen sein«, sagte Sancho, »sondern er wird sich an das Sprichwort gehalten haben: Beim Geben wie beim Behalten, Verstand muß da schalten und walten.«

Don Quijote lachte und bat die Leute, auch noch das andre Tuch wegzunehmen; unter diesem kam das Bild des Schutzheiligen Spaniens zum Vorschein, der hoch zu Rosse saß, das Schwert blutig gefärbt und über Schädeln hinreitend. Don Quijote sprach bei dem Anblick: »Auch dieser ist ein Ritter, einer von Christi Heerscharen, er heißt Don Santiago der Maurentöter, einer der streitbarsten Heiligen und Ritter, welche die Welt besessen hat und der Himmel jetzt besitzt.«

Alsbald deckten sie wieder ein andres Tuch auf, unter dem der Sturz des heiligen Paulus von seinem Pferde zu sehen war, nebst allen Umständen, mit denen man auf den Altartafeln seine Bekehrung darzustellen pflegt. Als Don Quijote ihn so lebenstreu abgebildet sah, daß man hätte sagen mögen, Christus rede mit ihm und Paulus antworte, da sprach er: »Dieser war der größte Feind, den die Kirche Gottes unsres Herrn seinerzeit hatte, und der größte Verteidiger, den sie jemals haben wird; für den Glauben war er ein fahrender Ritter im Leben, ein heiliger Streiter festen Fußes im Tode; ein unermüdlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn, der Lehrer der Heiden, der zur hohen Schule den Himmel, zum Lehrer und Meister Jesum Christum selber hatte.«

Da keine weiteren Bilder da waren, bat Don Quijote, sie alle wieder zuzudecken, und sagte zu den Trägern: »Für ein gutes Vorzeichen habe ich es gehalten, meine Freunde, daß ich gesehen habe, was ihr mir gezeigt habt; denn diese Heiligen und Ritter haben sich demselben Werk gewidmet wie ich, nämlich dem Waffenwerk; nur mit dem Unterschied, daß sie Heilige waren und in göttlicher Weise kämpften, ich aber ein Sünder bin und auf menschliche Weise kämpfe. Sie errangen den Himmel durch ihrer Arme Gewalt; denn der Himmel erschließt sich zuweilen der Gewalt, ich aber weiß bis jetzt nicht, was ich durch die Gewalt meiner mühseligen Taten gewinne; doch wenn Dulcinea von ihren Leiden erlöst würde, dann würde mein Schicksal sich erfreulicher gestalten und mein Verstand so aufgehellt werden, daß ich vielleicht meine Schritte einen besseren Weg leiten könnte, als den ich jetzt gehe.«

»Möge Gott das hören und der Vater der Sünden taub sein!« fiel hier Sancho ein.

Die Landleute wunderten sich sehr über Don Quijotes Aussehen wie über seine Äußerungen, deren Sinn sie nicht zur Hälfte verstanden; sie beendeten ihr Mahl, luden ihre Bilder auf, nahmen Abschied von Don Quijote und zogen ihres Weges. Sancho stand da, als hätte er seinen Herrn nie gekannt, abermals staunend, daß er so vieles wisse, und es kam ihm vor, als könnte es keine Geschichte und keinen Vorgang auf der Welt geben, den er nicht an den Fingern herzählen könne und im Gedächtnis habe.

Er sagte zu ihm: »Wahrlich, guter, lieber Herr, wenn man das, was uns heute begegnet ist, ein Abenteuer nennen kann, so war es eines von den angenehmsten und allerliebsten, die uns im ganzen Verlauf unserer Pilgerschaft begegnet sind; aus diesem Abenteuer sind wir ohne Prügel und Angst davongekommen, haben keine Hand ans Schwert gelegt, haben den Boden nicht mit unsren Leibern gemessen und keinen Hunger leiden müssen. Gelobt sei Gott, der mich so etwas mit meinen eignen Augen hat sehen lassen!«

»Wohl gesprochen, Sancho«, erwiderte Don Quijote; »aber du mußt im Auge behalten, daß die Zeiten nicht alle gleich sind und nicht ein Tag ist wie der andere. Was der gemeine Mann gewöhnlich Vorzeichen nennt, die nicht auf natürlichen Vernunftgründen beruhen, die müssen von den Verständigen für Glücksfälle gehalten und als solche beurteilt werden. Einer von jenen abergläubischen Menschen steht morgens früh auf, ihm begegnet ein Bruder vom Orden des heiligen Franziskus, und gerade als wäre ihm ein Vogel Greif entgegengeflogen, wendet er den Rücken und kehrt nach Hause zurück. Ein anderer, ein zweiter Mendoza, verschüttet das Salz auf dem Tische, und gleich überschüttet ihm Trübsinn das ganze Herz, als wenn die Natur die Aufgabe hätte, künftiges Unglück mittels so unbedeutender Dinge wie der erwähnten im voraus anzuzeigen. Ein verständiger Mann und ein Christ hat nicht zu grübeln und nachzusinnen, was der Himmel beschlossen hat. Scipio landet in Afrika, er strauchelt, als er ans Land springt; seine Soldaten halten es für ein schlimmes Vorzeichen; er aber faßt den Boden mit den Händen und ruft: ›Du kannst mir nimmer entgehen, Afrika, denn ich halte dich umfaßt mit meinen Armen.‹ So ist es für mich also nur ein höchst glücklicher Zufall, daß ich diese Bilder auf meinem Weg getroffen habe, Sancho.«

»Das glaube ich auch«, entgegnete Sancho; »aber ich wünschte von Euch zu erfahren, aus welchem Grunde die Spanier, wenn sie in die Schlacht gehen, den Santiago, den Maurentöter, mit den Worten anrufen: ›Santiago, und halte fest, Spanien!‹ Ist Spanien vielleicht so schwach auf den Beinen, daß man es festhalten muß? Oder was ist das für ein seltsamer Brauch?«

»Du bist gar zu einfältig, Sancho«, antwortete Don Quijote. »Bedenke, diesen mächtigen Ritter vom roten Kreuze hat Gott unsrem Spanien als Schutzheiligen gegeben, zumal in den harten Kampfesnöten, die die Spanier mit den Mauren bestanden; und darum rufen sie ihn an und schreien zu ihm als ihrem Verteidiger in allen Schlachten, die sie schlagen, in denen man ihn oft mit Augen gesehen, wie er die Heerhaufen der Araber niederwarf, zu Boden trat, vernichtete und in den Tod schickte; hierfür könnte ich dir viele Beispiele beibringen, die in zuverlässigen spanischen Geschichtsbüchern erzählt werden.«

Sancho gab dem Gespräch eine andere Wendung, indem er zu seinem Herrn sagte: »Ich bin erstaunt, Señor, über die Keckheit Altisidoras, des Hoffräuleins der Herzogin. Der Bursche, den sie Amor heißen, muß sie doch tüchtig verwundet und durchbohrt haben; die Leute sagen, er sei ein blindes Jüngelchen, und obzwar er den Star oder, richtiger gesagt, überhaupt keine Augen hat, wenn er ein Herz, sei es auch noch so ein winziges, zum Ziel nimmt, so trifft er es und schießt es mit seinen Pfeilen durch und durch. Ich habe mir auch sagen lassen, an der Verschämtheit und Zurückhaltung der Jungfrauen täten die Liebespfeile ihre Spitze brechen und stumpf werden; aber an dieser Altisidora scheinen sie eher spitziger als stumpfer zu werden.«

»Du mußt eben bedenken, Sancho«, sprach Don Quijote, »daß die Liebe keine Rücksichten kennt noch sich in vernünftigen Grenzen hält und daß sie genau von derselben Art ist wie der Tod, der über die hohen Burgen der Könige ebenso herfällt wie über die demütigen Hütten der Schäfer. Wenn sie von einem Herzen völlig Besitz ergriffen hat, so ist das erste, was sie tut, daß sie ihm die Scheu und die Scham benimmt, und darum hat ohne Scham Altisidora ihren Wünschen Worte geliehen, die in meinem Busen eher Unmut als schmerzliches Mitgefühl erregten.«

»Das ist ja offenbare Grausamkeit«, sprach Sancho, »eine Undankbarkeit ohnegleichen! Von mir muß ich sagen, mich hätte das kleinste Liebeswort von ihr besiegt und unterworfen. O zum Kuckuck, was für ein Herz von Marmelstein, was für ein Gemüt von Erz, was für eine Seele von grobem Mörtel! Jedoch ich kann mir gar nicht vorstellen, was denn eigentlich das Fräulein an Eurer Person gefunden hat, daß Ihr sie so besiegt und Euch unterworfen habt. Was für ein stattliches Aussehen, was für Jugendglanz, was für Lieblichkeit, was für ein Gesicht, welcher von all diesen Reizen für sich, oder waren es alle zusammen, hat sie verliebt gemacht? Wahrlich, wahrlich, gar oft steh ich da und betrachte Euer Gnaden von der Fußspitze bis zum letzten Haar am Kopfe und sehe immer mehr Dinge zum Abschrecken als zum Verliebtmachen; und da ich auch gehört habe, Schönheit sei die erste und hauptsächlichste Eigenschaft, die verliebt macht, und da Euer Gnaden keine besitzt, so kann ich nicht herausbringen, worein das arme Ding sich verliebt hat.«

»Merke dir, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »daß es zweierlei Schönheiten gibt, die der Seele und die des Körpers. Die der Seele waltet und erscheint im Geiste, in der Sittsamkeit, im edlen Benehmen, in der Freigebigkeit, in der feinen Bildung, lauter Eigenschaften, die sich auch in einem häßlichen Manne finden können; und wenn der Blick sich auf diese Schönheit und nicht auf die des Körpers richtet, pflegen diese Eigenschaften die Liebe mit Ungestüm und größerer Macht als sonst zu entfachen. Ich, Sancho, sehe wohl, daß ich nicht schön bin, aber ich weiß auch, daß ich nicht mißgestaltet bin; und für einen braven Mann, wenn er nur die Gaben der Seele besitzt, die ich aufgezählt habe, genügt es schon, daß er kein Ungeheuer ist, um von Herzen geliebt zu werden.«

Unter solchen Reden und Gegenreden kamen sie in einen Wald abseits vom Wege; und plötzlich, und ohne daß er sich versah, fand sich Don Quijote in ein Netz von grünen Fäden verwickelt, die von einem Baum zum andern ausgespannt waren. Er konnte sich nicht vorstellen, was das sein sollte, und sagte zu Sancho: »Mich bedünkt, die Sache mit diesem Netz muß eines der unerhörtesten Abenteuer sein, die ich mir denken kann. Ich will des Todes sein, wenn die Zauberer, die mich verfolgen, mich nicht darein verwickeln und meinen Weg hemmen wollen, wie zur Rache für den harten Sinn, den ich gegen Altisidora bewiesen; aber ich tue ihnen zu wissen: wenn auch dieses Netz, so wie es aus grünen Fäden geschlungen ist, aus härtestem Demant oder stärker wäre als jenes, womit der eifersüchtige Gott der Schmiede Venus und Mars umstrickt hielt, so würde ich es doch zerreißen, als wäre es aus Seegras oder aus Baumwollfäden.«

Und als er nun vordringen und alles zerreißen wollte, da boten sich plötzlich seinen Blicken, zwischen den Bäumen hervortretend, zwei wunderschöne Schäferinnen; wenigstens waren sie als Schäferinnen gekleidet, nur was sonst Schäferpelze und Bauernröcke sind, das war alles vom feinsten Brokat, und der ganze Anzug bestand aus golddurchwirktem Taft. Ihre Haare hingen ihnen aufgelöst über die Schultern herab und konnten in blondem Schimmer mit den Strahlen der Sonne wetteifern; sie waren bekränzt mit Gewinden aus grünem Lorbeer und rotem Amarant und schienen nicht jünger als fünfzehn und nicht älter als achtzehn Jahre zu sein. Es war ein Anblick, der Sancho in Verwunderung setzte, Don Quijote mit Staunen erfüllte und die Sonne zum Stillstehen zwang, um die beiden Jungfrauen zu schauen; und alle vier standen in wundersamem Schweigen gefesselt.

Wer endlich zuerst zu sprechen begann, das war eine der beiden Hirtinnen, die Don Quijote so anredete: »Hemmt Euren Schritt, Herr Ritter, und zerreißt die Netze nicht, die nicht zu Eurem Schaden, sondern zu unserm Zeitvertreib hier ausgespannt sind; und da ich im voraus weiß, Ihr werdet uns fragen, zu welchem Zwecke wir sie ausgelegt haben und wer wir sind, so will ich es Euch in kurzen Worten sagen, In einem Dorfe, etwa zwei Meilen von hier, wo viele vornehme Familien und viele Junker und reiche Leute wohnen, ist unter einer Anzahl Freunden und Verwandten verabredet worden, mit Söhnen, Frauen und Töchtern, Nachbarn und Bekannten hierherzukommen, um an diesem Orte, der einer der angenehmsten in dieser ganzen Gegend ist, uns dadurch zu erlustigen, daß wir alle zusammen ein neues schäferliches Arkadien schaffen. Wir Mädchen kleiden uns alle als Schäferinnen, die jungen Männer als Hirten; wir haben zwei Schäferspiele einstudiert, das eine von dem weitgepriesenen Dichter Garcilaso, das andere von dem vortrefflichen Camoëns in seiner eigenen portugiesischen Sprache; wir haben sie aber bis jetzt noch nicht aufgeführt. Gestern sind wir hier eingetroffen; wir haben unter diesen Zweigen am Ufer eines wasserreichen Baches, der all diese Wiesen befruchtet, Zelte aufgeschlagen von der Art, die man Reisezelte nennt. In der verflossenen Nacht haben wir hier an den Bäumen diese Netze ausgespannt, um die einfältigen Vöglein zu berücken, damit sie, von unsrem Lärmen aufgeschreckt, hineinfliegen. Ist es Euch angenehm, unser Gast zu sein, Señor, so sollt Ihr freundlich und höflich aufgenommen werden; denn jetzt darf an diesem Ort weder Kummer noch Trübsinn Einlaß finden.«

Hiermit endete sie und schwieg. Don Quijote gab ihr zur Antwort: »Gewiß, schönstes Fräulein, größer konnten das Staunen und die Bewunderung Aktäons nicht sein, da er plötzlich Diana sich in den Fluten baden sah, als meine Überraschung war bei dem Anblick Eurer Reize. Ich lobe die Absicht, Euch hier so zu unterhalten, und für Euer Anerbieten danke ich Euch höflich. Wenn ich Euch dienen kann, so dürft Ihr nur befehlen und könnt sicher sein, Gehorsam zu finden; denn mein Beruf ist kein anderer, als mich dankbar und wohltätig zu erweisen gegen Leute aller Art, zumal gegen so hochgestellte, wie Ihr es offenbar seid. Wenn diese Netze, die wohl nur einen kleinen Raum umfassen können, das ganze Erdenrund umspannten, so würde ich neue Welten aufsuchen, um durch sie mir einen Weg zu bahnen, damit ich Eure Netze nicht zerreißen müßte. Damit Ihr aber meinen hochtönenden Äußerungen einigen Glauben schenket, so beachtet wohl, der Euch dieses verheißt, ist kein Geringerer als Don Quijote von der Mancha, wenn vielleicht dieser Name zu Euren Ohren gedrungen ist.«

»O Herzensfreundin«, sagte hier die andere Schäferin, »welch großes Heil ist uns widerfahren! Siehst du diesen Herrn, den wir vor unsern Augen haben? Wohl denn, so wisse, er ist der tapferste, der verliebteste, der höflichste Ritter von der Welt, wenn anders die Geschichte uns nicht belügt und betrügt, die von seinen Großtaten im Druck verbreitet ist und die ich gelesen habe. Ich will wetten, der wackere Mann, der ihn begleitet, ist ein gewisser Sancho Pansa, sein Schildknappe, mit dessen kurzweiliger Art sich nichts auf der Welt vergleichen läßt.«

»Freilich ist es so«, sprach Sancho; »ich bin der kurzweilige Geselle, der Schildknappe, von dem Euer Gnaden spricht, und dieser Ritter ist mein Dienstherr, derselbige Don Quijote von der Mancha, von dem in Geschichten und Berichten gesagt wird.«

»Ach, liebe Freundin«, rief die andere, »wir wollen ihn bitten zu bleiben, unsere Eltern und Brüder werden sich unendlich darüber freuen. Auch ich habe von seiner Tapferkeit und Liebenswürdigkeit dasselbe gehört, was du sagst, und insbesondere erzählt man von ihm, er sei der treueste und beständigste Liebhaber, den man kennt, und seine Dame sei eine gewisse Dulcinea von Toboso, der man in ganz Spanien die Palme der Schönheit zuerkennt.«

»Mit Recht erkennt man sie ihr zu«, versetzte Don Quijote, »wenn nicht etwa Eure unvergleichliche Schönheit es in Frage stellt. Bemüht euch nicht, meine Fräulein, mich aufzuhalten, denn die ausdrücklichen Vorschriften meines Berufes gestatten mir an keinerlei Stätte zu rasten.«

Inzwischen näherte sich ihnen der Bruder einer der beiden Schäferinnen, ebenfalls als Schäfer und mit einer Pracht und einem Reichtum gekleidet, welcher dem der Schäferinnen gleichkam. Sie erzählten ihm, daß der Mann bei ihnen der mannhafte Don Quijote von der Mancha und der andere sein Schildknappe Sancho sei, von denen er schon gehört habe, da er ihre Geschichte gelesen. Der stattliche Hirt erbot sich ihm zu allen Diensten und bat ihn, mit zu ihren Zelten zu kommen; Don Quijote mußte nachgeben und kam mit. Indem begannen die Jagdgehilfen auf die Büsche zu schlagen, die Netze füllten sich mit mannigfaltigen Vögelein, die, durch die Farbe der Netze getäuscht, sich in die Gefahr stürzten, vor der sie fliehen wollten. Mehr als dreißig Personen kamen nach und nach zusammen, alle prachtvoll als Schäfer und Schäferinnen gekleidet, und augenblicklich waren sie alle in Kenntnis gesetzt, wer Don Quijote und sein Schildknappe seien, und sie waren darob nicht wenig erfreut, da sie schon durch seine Geschichte von ihm erfahren hatten. Alles begab sich nun nach den Zelten; man fand die Tafeln gedeckt und reich, üppig und zierlich besetzt; man erwies Don Quijote alle Ehre, indem man ihm den obersten Platz an der Tafel gab; aller Augen waren auf ihn gerichtet, und alle wunderten sich über ihn.

Als sodann abgedeckt worden, erhob Don Quijote ernst und gelassen seine Stimme und sprach: »Unter den schwersten Sünden, die die Menschen begehen, bezeichnen etliche den Hochmut als die ärgste; ich aber sage, es ist die Undankbarkeit, und ich halte mich dabei an den üblichen Spruch, daß der Undankbaren die Hölle voll ist. Diese Sünde habe ich, soviel an mir lag, immer möglichst zu vermeiden gestrebt von dem Augenblicke an, wo mir der Gebrauch der Vernunft geworden, und wenn ich die guten Werke, die man mir erweist, nicht auch mit guten Werken vergelten kann, so setze ich an deren Stelle den innigen Wunsch, sie zu vollbringen; und wenn dies nicht genügt, so mache ich sie öffentlich bekannt; denn wer die Wohltaten, die er empfängt, öffentlich erzählt und verkündiget, der würde sie auch mit seinen Wohltaten vergelten, wenn er es vermöchte, denn großenteils stehen die, welche empfangen, weit unter denen, welche geben; und so ist Gott über allen, weil er allen der Geber ist, und die Gaben des Menschen können denen Gottes nimmer gleichkommen, da ein unendlicher Abstand dazwischen ist. Aber dieses Unvermögen, diese Armut wird gewissermaßen durch die Dankbarkeit ersetzt. Ich nun, der ich dankbar bin für die Gunst, die man mir hier erwies, und sie nicht im selben Maße vergelten kann, ich halte mich in den engen Grenzen meines Könnens und biete an, was ich vermag und was auf meinem eigenen Felde gewachsen ist; und somit erkläre ich, daß ich zwei Tage, vom Morgen zum Abend, mitten auf dieser Landstraße, die nach Zaragoza führt, gegen männiglich behaupten und verfechten werde, daß diese als Schäferinnen verkleideten Fräulein, die allhier weilen, die schönsten und feinsten Jungfräulein sind, so auf Erden zu finden, ausgenommen nur die unvergleichliche Dulcinea von Toboso, die alleinige Herrin meiner Gedanken; das sage ich mit Gunst und Verlaub aller Ritter und Damen, so mich hören.«

Sancho, der seinem Herrn mit größter Aufmerksamkeit zugehört hatte, schrie bei diesen Worten plötzlich auf und sagte: »Ist’s denn möglich, daß jemand auf der Welt sich erfrechen kann, zu sagen und zu beschwören, dieser mein Herr sei ein Narr? Sagt mir, ihr gnädigen Herren Schäfer, gibt’s einen Dorfpfarrer, und sei er auch noch so gescheit und studiert, der so reden könnte, wie mein Herr eben geredet hat? Oder gibt es einen fahrenden Ritter, mag er auch noch so sehr im Ruf eines Helden stehen, der so etwas anbieten könnte, was mein Herr eben hier geboten hat?«

Don Quijote wendete sich zu Sancho und sprach mit zornglühendem Gesicht: »Ha, Sancho, kann auf dem ganzen Erdenrund ein Mensch leugnen, daß du ein Dummkopf bist, mit Dummheit ausgefüttert und verbrämt mit allerhand Bosheit und Spitzbüberei? Wer heißt dich an meine Angelegenheiten rühren und erörtern, ob ich gescheit oder verrückt bin? … Schweig und antworte mir nicht, sondern sattle Rosinante, wenn er abgesattelt ist; wir wollen mein Anerbieten in Ausführung bringen, und da das Recht auf meiner Seite ist, so kannst du jeglichen, der dasselbe zu bestreiten wagen würde, zum voraus als besiegt ansehen.«

In stürmischer Wut und mit allen Zeichen der Entrüstung sprang er von seinem Sitze auf, daß alle Umstehenden staunten und in Zweifel gerieten, ob sie ihn für einen Narren oder für einen verständigen Menschen halten sollten. Indessen wollten sie ihm zureden, doch nicht auf ein derartiges Unternehmen auszuziehen; sie nähmen ja seine dankbare Gesinnung als völlig bekannt an, und es bedürfe keiner neuen Beweise für seinen streitbaren Mut, da diejenigen schon genügten, die in der Geschichte seiner Taten erzählt seien. Aber all dessen unerachtet beharrte er auf der Ausführung seines Vorhabens; er bestieg Rosinante, faßte seinen Schild in den Arm, ergriff seinen Speer und stellte sich mitten auf der Heerstraße hin, die nicht weit von der Flur vorbeiführte. Sancho folgte ihm auf seinem Esel und mit ihm die ganze schäferliche Sippschaft, alle begierig, zu sehen, was es mit seinem kühnen und unerhörten Anerbieten werden sollte.

Don Quijote also, wie gesagt, mitten auf dem Wege haltend, ließ die Lüfte von folgenden Worten widerhallen: »O ihr Wanderer und Wegefahrer, Ritter, Schildknappen, Leute zu Fuß und zu Roß, die ihr dieses Weges kommt oder in den zwei nächsten Tagen kommen werdet! Wisset, daß Don Quijote von der Mancha, ein fahrender Ritter, hier auf dieser Stelle hält, um seine Behauptung zu verfechten, daß alle Schönheit und Liebenswürdigkeit der Welt übertroffen wird von derjenigen, so an den Nymphen glänzet, welche diese Gefilde und Haine bewohnen, ausgenommen allein die holde Dulcinea von Toboso, die Gebieterin meines Herzens. Darum und von dessentwegen, wer entgegengesetzten Sinnes ist, der komme her, hier bin ich seiner gewärtig.«

Zweimal wiederholte er diese nämlichen Worte, und beide Male wurden sie von keinem abenteuernden Ritter vernommen. Jedoch das Schicksal, welches seine Angelegenheiten vom Guten zum Besseren lenken wollte, fügte es so, daß sich gleich nachher auf der Landstraße eine Menge Leute zu Pferd sehen ließen; viele von ihnen mit Speeren in den Händen, ritten sie alle in einem dichten Haufen und in größter Eile dahin. Kaum hatten Don Quijotes Begleiter jene erblickt, als sie die Flucht ergriffen und sich weit von der Straße entfernten; denn sie sahen wohl, daß sie sich einer großen Gefahr aussetzten, wenn sie zögerten. Nur Don Quijote hielt stand mit unerschrockenem Herzen, Sancho aber deckte sich mit Rosinantens Kruppe wie mit einem Schild. Der Trupp der Speerträger kam näher, und einer von ihnen, der voranritt, rief Don Quijote mit lauter Stimme zu: »Mach dich aus dem Wege, du Teufelskerl, sonst werden dich die Stiere dort in Stücke zerstampfen!«

»Ha, Gesindel!« erwiderte Don Quijote, »was gehen mich eure Stiere an, und wären es auch die wildesten, die der Jarama an seinen Ufern züchtet. Bekennet, ihr Schurken, jetzt gleich, bekennet alle auf einen Schlag, daß Wahrheit ist, was ich hier verkündet habe; wo nicht, so sage ich euch Fehde an.«

Der Ochsentreiber fand keine Zeit, zu antworten, und Don Quijote keine, um vom Wege zu weichen, wenn er auch gewollt hätte, und die ganze Herde der wilden Stiere und der zahmen Leitochsen, nebst der Menge von Treibern und andern Leuten, welche die Tiere an den Ort führen wollten, wo am nächsten Tage ein Stiergefecht sein sollte, überrannten Don Quijote und Rosinante, Sancho und den Esel und warfen sie alle zu Boden, daß sie über das Feld hinkugelten, Sancho war wie gerädert, Don Quijote von Entsetzen betäubt, der Esel zerschlagen und Rosinante nicht im besten Zustand; doch endlich rafften sie sich alle wieder auf, und Don Quijote begann in großer Hast, bald stolpernd und bald zu Boden stürzend, der Ochsenherde nachzulaufen und laut zu schreien: »Haltet stand und wartet, schurkisches Gesindel! Ein Ritter allein stellt sich euch, und der ist nicht so geartet und nicht so gesinnt wie die Leute, die da sagen: Man muß dem fliehenden Feind eine goldene Brücke bauen!«

Aber die eilig hinstürmenden Treiber ließen sich dadurch nicht aufhalten und machten sich aus seinen Drohungen nicht mehr als aus den Wolken vom vorigen Jahr. Die Ermattung zwang endlich Don Quijote zurückzubleiben, und vom Laufen geschwächt, jedoch nicht gerächt, setzte er sich am Wege nieder und wartete, bis Sancho, Rosinante und der Graue kamen. Und sie kamen; Herr und Diener stiegen wieder auf, und ohne erst umzukehren, um von dem nachgeahmten oder nachgeäfften Arkadien Abschied zu nehmen, und mehr beschämt als vergnügt, zogen sie ihres Weges weiter.

59. Kapitel


Worin der außerordentliche Vorfall erzählt wird, welcher Don Quijote begegnete und den man wohl für ein Abenteuer halten darf

Gegen den Staub und die Erschöpfung, welche Don Quijote und Sancho von der unhöflichen Behandlung der Stiere davontrugen, bot ein reiner klarer Quell ihnen Hilfe, den sie in einem kühlen Wäldchen fanden. An dessen Rande setzten sich die beiden Wegemüden, Herr und Diener, und ließen den Grauen und Rosinante frei laufen ohne Halfter und Zügel. Sancho machte sich an den Proviant in seinem Zwerchsack und nahm daraus »etwas Beikost«, wie er es zu nennen pflegte; er spülte sich den Mund aus, und Don Quijote wusch sich das Gesicht, und durch diese Abkühlung gewannen ihre entkräfteten Lebensgeister neue Kraft. Aber Don Quijote mochte vor lauter Verdruß nicht essen, und Sancho wagte aus lauter Höflichkeit nicht, an die Speisen zu rühren, die er vor sich hatte, und hoffte, sein Herr werde durch eigenes Zugreifen ihm das Zeichen zum Essen geben; aber als er sah, daß jener, in seinen Träumereien befangen, gar nicht daran dachte, das Brot zum Munde zu führen, tat er den Mund auf, aber nicht zum Reden, sondern er warf alle gute Lebensart beiseite und begann seinen Vorrat an Brot und Käse in den Magen einzusacken.

»Iß, Freund Sancho«, sprach Don Quijote; »friste das Leben, das dir mehr gilt als mir, mich aber laß sterben unter dem Ansturm meiner Gedanken und der feindlichen Gewalt meines Unglücks. Ich, Sancho, bin geboren, um beständig sterbend zu leben, und du, um essend zu sterben; und daß du erkennst, wie wahr ich rede, sieh mich in Geschichtsbüchern gedruckt, weitberufen im Waffenwerk, voll Anstands in meinem Tun, von Fürsten geehrt, von Jungfrauen umworben, und zuletzt, zuletzt, da ich Palmen, Triumphe und Siegeskränze erhoffte, die meine mannhaften Taten errangen und verdienten, habe ich mich heute morgen niedergetreten und zerstoßen und zermalmt gesehen von den Füßen schmutziger, unflätiger Tiere. Diese Betrachtung stumpft mir die Zähne, lähmt mir die Kinnladen, entkräftet mir die Hände und raubt mir ganz und gar die Lust zu essen, so daß ich gedenke, mich vom Hunger töten zu lassen, die grausamste unter allen Todesarten.«

»Demnach«, sagte Sancho, ohne mit seinem hastigen Kauen aufzuhören, »wird Euer Gnaden mit jenem Sprichwort nicht übereinstimmen: Wenn’s gestorben sein soll, eß ich mich erst voll. Ich für mein Teil gedenke mich bestimmt nicht umzubringen, sondern ich mache es lieber wie der Schuster, der mit den Zähnen am Leder zieht, bis er es so lang hat, als er es haben will. Ich will mein Leben mit Essen so lang hinziehen, bis es so weit gelangt, wie der Himmel ihm bestimmt hat. Laßt Euch sagen, Señor, es gibt keine größere Narretei als eine, die freiwillig aufs Verzweifeln ausgeht, wie Euer Gnaden tun will. Folgt mir, erst etwas gegessen, und dann legt Euch ein wenig schlafen auf den grünen Pfuhl des Grases hier, und Ihr sollt sehen, beim Erwachen werdet Ihr Euch nicht wenig erquickt fühlen.«

Don Quijote tat nach dem Rat, da es ihn bedünkte, Sanchos Worte seien eher die eines Weisen als eines Dummkopfs, und er sprach zu ihm: »Wenn du, mein Sancho, für mich tun wolltest, was ich dir jetzt sagen will, dann würde meine Erquickung um so gewisser und mein Kummer nicht so schwer sein; und zwar solltest du, während ich, deinem Rate folgend, schlafe, ein wenig abseits von hier gehen, deinen Leib den Lüften zur Schau stellen und dir auf selbigen mit Rosinantes Zügeln drei- oder vierhundert Geißelhiebe geben, auf Abrechnung der dreitausend und soundso viel, die du dir zur Entzauberung Dulcineas aufmessen sollst; wahrlich, es ist kein geringer Jammer, daß dies arme Fräulein durch deine Saumseligkeit und Vernachlässigung verzaubert bleiben muß.«

»Darüber läßt sich viel sagen«, versetzte Sancho; »für jetzt wollen wir zwei beide schlafen, und nachher steht’s bei Gott, was kommen wird. Euer Gnaden muß bedenken, daß es keine Kleinigkeit ist, wenn sich ein Mensch bei kaltem Blute geißeln soll, besonders wenn die Hiebe auf einen schlecht gepflegten und noch schlechter genährten Körper fallen. Unser Fräulein Dulcinea soll Geduld haben, und wenn sie sich’s am wenigsten versieht, wird sie’s erleben, daß meine Haut vor lauter Hieben zu einem Sieb geworden ist, und solang einer nicht gestorben ist, so lange hat er’s Leben; ich meine, auch ich habe noch das Leben nebst dem Wunsche, mein Versprechen zu halten.«

Don Quijote sagte ihm Dank dafür, aß ein wenig und Sancho viel, beide legten sich schlafen und ließen die zwei beständigen Kameraden und Freunde, Rosinante und den Grauen, nach ihrem freien Willen und ohne bestimmte Anweisung auf dem üppigen Grase weiden, das reichlich auf der Wiese wuchs. Sie erwachten etwas spät, stiegen wieder auf, setzten ihren Weg fort und eilten vorwärts, um eine Schenke zu erreichen, die dem Anscheine nach eine Meile von da entfernt sich zeigte; ich sage, es war eine Schenke, denn Don Quijote nannte sie so, ganz gegen seine Gewohnheit, alle Schenken Burgen zu nennen. So kamen sie denn zu der Schenke und fragten den Wirt, ob er sie aufnehmen könne. Dieser bejahte und versicherte sie aller Bequemlichkeit und Pflege, die sie in Zaragoza selbst finden würden. Sie stiegen ab, und Sancho schaffte seinen Proviantsack in ein Zimmer, zu dem ihm der Wirt den Schlüssel gab. Er führte die Tiere in den Stall, gab ihnen ihr Futter, ging dann, um Don Quijote, der auf einer Steinbank saß, nach seinen Befehlen zu fragen, und sagte dem Himmel besonderen Dank dafür, daß sein Herr diese Schenke nicht wieder für eine Burg gehalten habe.

Es kam die Stunde des Abendessens, sie zogen sich auf ihre Zimmer zurück; Sancho fragte den Wirt, was er ihnen zu essen geben könne. Der Wirt antwortete, sie würden nach Herzenslust bedient werden; er möge also nur bestellen, was er wolle, seine Schenke sei versehen mit den Vöglein aus den Lüften, mit dem Geflügel der Erde und mit den Fischen des Meeres.

»Soviel ist nicht nötig«, antwortete Sancho; »mit einem Paar zartgebratener Hähnchen haben wir genug, denn mein Herr ist ein bißchen wählerisch und mag nicht viel essen, und ich bin auch kein so arger Fresser.«

Der Wirt erwiderte, Hähnchen habe er nicht, die Hühnergeier hätten sie geraubt.

»Dann lasse der Herr Wirt ein Huhn braten«, sagte Sancho, »aber zart muß es sein.«

»Ein Huhn? O du meine Güte!« antwortete der Wirt.

»Wahrhaftig, wahrhaftig, gestern habe ich mehr als fünfzig zum Verkauf in die Stadt geschickt, aber außer Hühnern kann Euer Gnaden bestellen, was Ihr wollt.«

»Dann wird’s nicht an Kalb- und Ziegenfleisch fehlen«, meinte Sancho.

»Im Hause habe ich jetzt keines«, entgegnete der Wirt, »denn es ist ausgegangen; aber die nächste Woche wird übergenug dasein.«

»Damit kommen wir weit!« entgegnete Sancho; »ich will aber wetten, all dieser Mangel wird am Ende zum Überfluß an Schinken und Eiern, der doch dasein muß.«

»Bei Gott«, rief der Wirt, »es ist ein guter Witz, den mein Gast da macht! Wenn ich Euch gesagt habe, daß ich weder Hühner noch Hähnchen habe, wollt Ihr, ich soll Eier bringen? Denkt, ich bitt Euch, auf andre Leckerbissen und fragt nicht mehr nach Hühnern.«

»So kommt doch in Henkers Namen zur Sache«, schrie Sancho, »und sagt mir endlich, was Ihr habt, und laßt die Redensarten.«

»Herr Gast«, sagte der Wirt, »was ich wahr und wirklich habe, das sind ein paar Ochsenfüße, die wie Kalbsfüße aussehen, oder auch zwei Kalbsfüße, die wie Ochsenfüße aussehen; sie sind gekocht mit ihren zugehörigen Kichererbsen, Zwiebeln und Speck, und jetzt im Augenblick rufen sie beständig: Iß mich auf! Iß mich auf!«

»Die stemple ich auf der Stelle zu meinem Eigentum«, sagte Sancho, »und keiner rühre sie mir an! Ich zahle sie besser als jeder andre, denn für mich wüßte ich nichts, was besser schmeckte, und ich gebe keinen Deut darum, ob es Kalbs- oder Ochsenfüße sind, wenn’s nur Klauen sind.«

»Keiner wird daran rühren«, sagte der Wirt; »denn meine andern Gäste führen als vornehme Leute ihren Koch, Vorschneider und Speisevorrat mit sich.«

»Wenn es sich ums Vornehmsein handelt«, versetzte Sancho, »so ist keiner vornehmer als mein Herr; allein der Beruf, dem er obliegt, erlaubt weder Küche noch Keller mitzuführen; wir lagern auf grünem Anger und essen uns satt an Eicheln oder Mispeln.«

So besprach sich Sancho mit dem Wirt; er wollte ihm aber nicht weiter antworten, als der Wirt ihn fragte, welches denn das Amt oder der Beruf seines Herrn sei.

Nun kam die Stunde des Abendessens, Don Quijote zog sich auf sein Zimmer zurück, der Wirt brachte das Gericht, wie er es beschrieben, und setzte sich, um allen Ernstes mitzuessen. Nun geschah es, daß im Zimmer nebenan, welches von dem Don Quijotes nur durch eine dünne Wand von Fachwerk getrennt war, der Ritter folgendes sagen hörte: »Ich bitte Euch um alles, Señor Don Gerónimo, bis man uns das Essen bringt, wollen wir noch ein Kapitel im zweiten Teil des Don Quijote von der Mancha lesen.«

Kaum hörte Don Quijote seinen Namen, als er aufsprang und aufmerksamen Ohres horchte, was von ihm gesprochen werde; und er hörte den erwähnten Don Gerónimo antworten: »Warum wollt Ihr, Señor Don Juan, daß wir den Unsinn lesen, da doch ganz unmöglich, wer den ersten Teil der Geschichte des Don Quijote von der Mancha, gelesen hat, Vergnügen daran finden kann, diesen zweiten zu lesen.«

»Trotzdem mag es nützlich sein, ihn zu lesen«, sagte der Herr, der Don Juan genannt wurde; »denn kein Buch ist so schlecht, daß nicht etwas Gutes darin wäre. Was mir aber in diesem Buche am meisten mißfällt, ist, daß es uns den Don Quijote schildert als einen Mann, der sich seiner Liebe zu Dulcinea von Toboso bereits entschlagen hat.«

Als Don Quijote das hörte, erhob er voll Zorn und Ingrimm seine Stimme und rief: »Wer da auch immer sagt, Don Quijote habe Dulcinea von Toboso vergessen oder könne sie vergessen, dem will ich Schwert gegen Schwert beweisen, daß er weit von der Wahrheit abweicht; denn weder kann die unvergleichliche Dulcinea von Toboso vergessen werden, noch kann in Don Quijotes Busen Vergessenheit Raum finden. Sein Wahlspruch ist die Beständigkeit, und sein Beruf ist, sie zu wahren, mit Freudigkeit, und ohne sich Zwang anzutun.«

»Wer spricht da mit uns?« rief man aus dem andern Zimmer.

»Wer wird’s sein«, antwortete Sancho, »als Don Quijote von der Mancha selber, der für alles einstehen wird, was er gesagt hat und auch was er noch künftig sagen wird, denn den guten Zahler drückt kein Pfand.«

Kaum hatte Sancho dies gesprochen, als zwei Edelleute, denn nach ihrem Aussehen mußten es solche sein, zur Tür des Zimmers eintraten; und einer von ihnen schlang die Arme um Don Quijotes Hals und sprach zu ihm: »Euer Aussehen kann Euren Namen nicht Lügen strafen, und Euer Name kann nicht verfehlen, Eurem Aussehen die rechte Bedeutung zu geben. Ihr, Señor, seid ohne Zweifel der wahre Don Quijote von der Mancha, der Polar- und Morgenstern des fahrenden Rittertums, jenem zu Trutz und Ärger, der sich Euren Namen anmaßen und Eure Taten zunichte machen wollte, wie es der Verfasser dieses Buches getan, welches ich Euch hier überreiche.«

Er gab ihm ein Buch in die Hand, das sein Gefährte bei sich hatte; Don Quijote nahm es, und ohne ein Wort zu entgegnen, begann er es durchzublättern; nach kurzer Weile gab er es ihm zurück mit den Worten: »In dem wenigen, was ich hier gesehen, habe ich drei Dinge gefunden, in denen dieser Schriftsteller Tadel verdient. Das erste sind einige Worte, die ich in der Vorrede gelesen; das andre, daß die Sprache Aragonesisch ist, da er manchmal die Artikel ausläßt; und das dritte, was ihn am meisten als unwissenden Menschen kennzeichnet, daß er in dem wichtigsten Punkte der Geschichte irrt und von der Wahrheit abweicht; denn er sagt hier, die Frau meines Schildknappen Sancho Pansa heiße Mari-Gutiérrez, während sie doch Teresa Pansa heißt; und wer in einem solchen Hauptpunkt irrt, von dem kann man auch wohl besorgen, daß er in allen übrigen Punkten der Geschichte irrt.«

Hier fiel Sancho ein: »Ein schöner Kerl von einem Geschichtsschreiber, wahrhaftig! Der muß gut in unsren Erlebnissen zu Hause sein, da er Teresa Pansa, meine Frau, Mari-Gutiérrez nennt. Nehmt das Buch noch einmal, Señor, und seht nach, ob auch ich darin vorkomme und ob er meinen Namen verändert hat.«

»Nach dem, was ich hier eben gehört habe, guter Freund«, sprach Don Gerónimo, »müßt Ihr sicherlich Sancho Pansa sein, der Schildknappe des Señor Don Quijote.«

»Freilich bin ich’s«, antwortete Sancho, »und bin stolz darauf.«

»Nun wahrhaftig«, sagte der Edelmann, »dieser neue Schriftsteller behandelt Euch nicht so manierlich, wie Ihr Euch selber zeigt; er schildert Euch als Vielfraß, als einfältigen und keineswegs kurzweiligen Menschen und ganz anders als den Sancho, der im ersten Teil der Geschichte Eures Herrn beschrieben wird.«

»Gott verzeih es ihm«, entgegnete Sancho; »er hätte mich in meinem Winkel sitzen lassen sollen, ohne meiner zu gedenken; denn nur wer Musik kann, soll aufspielen, und Sankt Peter fühlt sich nirgends wohler als in Rom.«

Die beiden Edelleute luden Don Quijote ein, auf ihr Zimmer zu kommen und das Abendessen mit ihnen einzunehmen, denn sie wüßten, daß es in dieser Schenke nichts gebe, was sich für ihn zu essen schicke.

Don Quijote, stets höflich, fügte sich ihrer Bitte und speiste mit ihnen; Sancho blieb zurück als unumschränkter Herrscher über sein kälbernes Gericht, setzte sich am Tisch obenan und neben ihn der Wirt, der nicht weniger als Sancho ein Liebhaber seiner Kalbsfüße oder Ochsenklauen war.

Während des Mahles fragte Don Juan unsern Don Quijote, welche Kunde er von dem Fräulein Dulcinea von Toboso habe, ob sie verheiratet sei und schon Kinder habe oder erst in gesegneten Umständen sei oder ob sie sich noch im Stand einer reinen Jungfrau befinde und unter Wahrung ihrer Keuschheit und guten Sitte der Liebessehnsucht des Señor Don Quijote gedenke.

Darauf antwortete er: »Dulcinea ist Jungfrau und meine Liebe beständiger denn je, unser Gedankenaustausch so spärlich wie immer, ihre Schönheit in die einer unsaubern Bäuerin verwandelt.«

Und sofort erzählte er ihnen Punkt für Punkt die Verzauberung des Fräuleins Dulcinea, sein Abenteuer in der Höhle des Montesinos nebst der Anweisung, die ihm der weise Merlin gegeben, um sie zu entzaubern, nämlich der Anweisung an Sancho, sich zu geißeln. Die beiden Edelleute fanden das höchste Vergnügen daran, Don Quijote die seltsamen Begebnisse seiner Geschichte erzählen zu hören, und sie staunten ebensosehr über seine Narreteien wie über die feingebildete Art, wie er sie erzählte. Bald hielten sie ihn für einen verständigen Menschen, bald sank er vor ihren Augen bis zur Verrücktheit herab, und sie konnten sich nicht entscheiden, welche Stufe sie ihm zwischen Gescheitheit und Tollheit zuweisen sollten.

Als Sancho mit seinem Essen fertig war, verließ er den Wirt, der nur noch torkelte, begab sich zu seinem Herrn aufs Zimmer und sprach beim Eintreten: »Ich will mich totschlagen lassen, meine Herren, wenn der Verfasser dieses Buches, das Euer Gnaden da haben, nicht will, daß wir ein Hühnchen zusammen rupfen sollen. Wenn er mich nun doch einmal einen Vielfraß nennt, wie Euer Gnaden sagen, so möchte ich doch wenigstens, daß er mich nicht auch noch einen Trunkenbold hieße.«

»Doch, er heißt Euch so«, sagte Don Gerónimo; »aber ich erinnere mich nicht mehr genau, mit welchen Ausdrücken er das tut, wenn ich auch ganz genau weiß, daß seine Äußerungen gar schlecht lauten und zudem lügenhaft sind, wie ich das an den Gesichtszügen des wackern Sancho hier deutlich erkenne.«

»Euer Gnaden können mir glauben«, erklärte Sancho, »der Sancho und der Don Quijote in dieser Geschichte müssen ganz andere sein, als die in dem Buche vorkommen, das Sidi Hamét Benengelí verfaßt hat; die letzteren sind wir nämlich selbst: mein Herr, tapfer, verständig und verliebt; und ich, einfältigen Gemüts, kurzweilig und weder ein Fresser noch ein Trunkenbold.«

»Ja, das glaube ich«, sagte Don Juan, »und wenn es möglich wäre, müßte eine Verordnung ergehen, daß niemand sich erdreisten dürfe, über den großen Don Quijote und alles, was ihn betrifft, zu schreiben, außer Sidi Hamét Benengelí, sein erster Geschichtsschreiber, geradeso wie Alexander anordnete, daß keiner sich erkühnen solle, ihn zu malen, außer Apelles.«

»Malen mag mich, wer da will«, bemerkte Don Quijote, »aber mißhandeln lasse ich mich nicht; denn gar manchmal bricht die Geduld danieder, wenn man sie mit Beleidigungen überlastet.«

»Keine Beleidigung«, erwiderte Don Juan, »kann man dem Señor Don Quijote zufügen, die er nicht zu rächen wüßte, falls er sie nicht mit dem Schilde seiner Geduld abwehrt, der meines Dafürhaltens stark und groß ist.«

Unter diesen und andern Gesprächen verging ein großer Teil der Nacht, und obwohl Don Juan wünschte, daß Don Quijote noch mehr in dem Buche lese, um zu sehen, wie er sich darüber auslassen würde, konnte man ihn doch nicht dazu bewegen; er sagte, er nähme es als gelesen an, und erklärte es wiederholt für ein durchaus albernes Buch; er wünsche nicht, daß der Verfasser, wenn er vielleicht erführe, daß er es in Händen gehabt, in der Vorstellung schwelge, daß er es gelesen, weil von unzüchtigen und schändlichen Dingen die Gedanken sich abwenden müßten, wieviel mehr die Augen.

Die beiden fragten ihn, wohin er seine Fahrt zu richten beschlossen habe. Er antwortete, nach Zaragoza, weil er dem Turnier um den Siegespreis des Harnischs beiwohnen wolle, welches in jener Stadt jedes Jahr abgehalten wird. Don Juan machte ihn darauf aufmerksam, diese neue Geschichte erzähle, daß Don Quijote, möge er nun sein, wer er wolle, dort bei einem Ringelrennen zugegen gewesen, dessen Beschreibung ohne alle Erfindungsgabe sei, dürftig an Wappensprüchen, höchst ärmlich an Rittertrachten, doch reich an Albernheiten.

»In diesem Falle«, entgegnete Don Quijote, »werde ich keinen Fuß in die Stadt Zaragoza setzen und auf solche Weise vor der ganzen Welt die Lüge dieses neuen Geschichtsschreibers offenbar machen; dann sollen die Leute sehen, daß ich nicht der Don Quijote bin, von dem jener spricht.«

»Daran werdet Ihr sehr wohl tun«, sagte Don Gerónimo; »es gibt ja auch ein Turnier in Barcelona, bei welchem der Señor Don Quijote seine Tapferkeit wird zeigen können.«

»So gedenke ich zu tun«, sprach Don Quijote; »und nun, weil es Zeit ist, wollet mir Urlaub geben, zu Bette zu gehen, und nehmt mich auf unter die Zahl Eurer ergebensten Freunde und Diener.«

»Mich auch«, sagte Sancho; »vielleicht bin ich künftig einmal auch zu etwas gut.«

Hiermit schieden sie voneinander; Don Quijote und Sancho zogen sich auf ihr Zimmer zurück und ließen Don Juan und Don Gerónimo in großer Verwunderung über die Vermischung von Verstand und Torheit, die der Ritter gezeigt. Jetzt waren sie fest überzeugt, daß dies der echte Don Quijote und der echte Sancho waren, nicht aber jene, die ihr aragonischer Erfinder beschreibt.

Don Quijote stand früh am Morgen auf, klopfte an die Wand des nachbarlichen Zimmers und verabschiedete sich von den Herren, die ihn bewirtet. Sancho bezahlte den Gastwirt reichlich und riet ihm, den Speisevorrat seiner Schenke weniger zu rühmen oder sie mit besserem Vorrat zu versorgen.

6. Kapitel


Von den Begebenheiten zwischen Don Quijote und seiner Nichte und Haushälterin; eins der wichtigsten Kapitel in dieser ganzen Geschichte

Während Sancho Pansa und sein Weib Teresa Cascajo dieses ungereimte Gespräch miteinander führten, waren die Nichte und die Haushälterin Don Quijotes nicht müßig, da sie aus tausend Anzeichen schlossen, daß ihr Ohm und Herr zum drittenmal davongehen und zum Berufe seiner fahrenden Ritterschaft, bei der er nach ihrer Meinung so übel gefahren, zurückkehren wolle. Sie bemühten sich auf jede mögliche Weise, ihn von einem so unseligen Gedanken abzubringen; aber alles das war die Stimme des Predigers in der Wüste, alles hieß nur kaltes Eisen schmieden. Dessenungeachtet sagte die Haushälterin zu ihm unter vielen andern Vorstellungen, die sie ihm machte: »In der Tat, Señor, wenn Ihr Euch nicht ruhig auf den Beinen haltet und still im Hause bleibt und nicht davon ablasset, durch Berg und Tal zu schweifen wie eine Seele, die im Fegefeuer nicht Ruhe findet, und aufzusuchen, was die Welt, wie ich höre, Abenteuer heißt, was ich aber Not und Elend heiße, dann muß ich es mit Jammern und Schreien Gott und dem König klagen, daß er Abhilfe dagegen schafft.«

Darauf entgegnete Don Quijote: »Haushälterin, was Gott auf deine Klagen antworten wird, das weiß ich nicht, und ebensowenig, was Seine Majestät antworten mag. Ich weiß nur, wenn ich der König wäre, so würde ich es wohl bleiben lassen, auf eine solche Unmasse von Eingaben, wie man sie ihm täglich überreicht, einen Bescheid zu erteilen; denn unter den Mühsalen, die den Königen obliegen, ist eine der größten, daß sie genötigt sind, jedermann anzuhören und jedem Antwort zu erteilen. Daher möchte ich nicht, daß meine Angelegenheiten ihm Last und Ärger bereiten sollten.«

Die Haushälterin versetzte: »Saget uns, Señor, gibt es am Hofe Seiner Majestät nicht Ritter und Edelleute?«

»Gewiß«, antwortete Don Quijote, »und viele; und es hat seinen guten Grund, daß solche am Hofe vorhanden sind, dem hohen Stand der Fürsten zur Zierde und der königlichen Majestät zur Verherrlichung.«

»Warum also«, entgegnete sie, »könnte Euer Gnaden nicht einer von denen sein, die in aller Ruhe ihrem Herrn und König dienen und deshalb am Hofe leben?«

»Sieh, meine Liebe«, antwortete Don Quijote, »nicht alle Ritter können Hofleute sein, und nicht alle Hofleute können oder sollen fahrende Ritter sein. Es muß von aller Art Leute in der Welt geben, und wiewohl wir insgesamt Ritter sein mögen, so ist doch ein großer Unterschied zwischen den einen hier und den andern dort. Denn die Ritter vom Hof, ohne ihre Gemächer zu verlassen und die Schwelle des Königshauses zu überschreiten, die spazieren auf einer Landkarte durch die ganze Welt, und es kostet sie keinen Pfennig, und sie erdulden dabei nicht Hitze noch Kälte, weder Hunger noch Durst; wir aber, die wahren, die fahrenden Ritter, in Sonnenglut und Frost, in freier Luft und in allem Ungemach des Wetters, bei Tag und Nacht, zu Fuß und zu Pferde, wir durchmessen die weite Erde mit unsern eignen Füßen. Und nicht nur Feinde in Abbildungen kennen wir, sondern solche von Fleisch und Blut, und jeden Augenblick, wo es gilt, und bei jeder Gelegenheit greifen wir sie an, ohne uns um Kleinigkeiten oder um die Gesetze des Zweikampfs zu kümmern: ob der Gegner eine kürzere oder längere Lanze oder Schwertklinge führt; ob er Reliquien oder etwa einen geheimen Zaubertrug am Leibe verbirgt; ob die Sonne gleich geteilt und abgemessen werden soll oder nicht, nebst andern Bräuchen dieser Art, die bei Einzelkämpfen Mann gegen Mann üblich sind und die du nicht kennst, aber ich. Und ferner mußt du noch wissen, daß den echten rechten fahrenden Ritter, so er auch ein Dutzend Riesen ersähe, die mit ihren Häuptern die Wolken nicht nur berühren, sondern überragen, und deren jeder ungeheure Türme als Beine hat und deren Arme Mastbäumen von großen gewaltigen Schiffen gleichsehen, und jedes Auge wie ein Mühlrad und glühender als ein Glasofen, dennoch dies alles unter keinen Umständen in Schrecken setzen darf; vielmehr muß er mit edlem Anstand und unverzagtem Herzen sie angreifen und bestürmen und, sofern möglich, sie in einem kurzen Augenblick besiegen und daniederschlagen, wenn sie sogar mit den Schuppen eines gewissen Fisches gepanzert wären, die da härter sein sollen als von Demant, und wenn sie statt der Ritterschwerter scharfschneidende Klingen von Damaszenerstahl trügen oder Keulen, mit Spitzen von dem nämlichen Stahl beschlagen, wie ich sie mehr als einmal erschaut habe. All dieses hab ich dir gesagt, Haushälterin, auf daß du den Unterschied ersiehst, der zwischen der einen Art von Rittern und der andern besteht; und recht wäre es in der Tat, wenn kein Fürst wäre, der nicht diese zweite oder, besser gesagt, erste Art von fahrenden Rittern höher als die andre schätzte; denn wie wir in ihren Geschichten lesen, war mancher unter ihnen, der nicht nur eines Königreichs, sondern vieler Heil und Rettung geworden.«

»O mein lieber Ohm!« sagte hier die Nichte, »bedenket doch, daß alles; was Ihr von den fahrenden Rittern sagt, nur Fabel und Lüge ist; und ihre Geschichten, wenn man sie auch nicht verbrennen wollte, verdienten wenigstens, daß man einer jeden ein Bußkleid mit gelbem Kreuz oder sonst ein Abzeichen umhinge, damit man sie daran als ein unehrlich Ding und als einen Verderb für die guten Sitten erkennen könnte.«

»Bei dem Gotte, von dem ich das Leben habe!« rief Don Quijote, »wärst du nicht meine leibliche Nichte, meiner eignen Schwester Kind, ich würde für die Lästerung, die du gesprochen, eine solche Züchtigung über dich verhängen, daß sie in der ganzen Welt hin widerhallen sollte. Wie denn! Ist’s möglich, daß eine halbwüchsige Dirne, die kaum imstand ist, ihr Dutzend Spitzenklöppel zu handhaben, sich erdreistet, ihren Mund gegen die Ritterbücher aufzutun und sie zu bekritteln? Was würde der Herr Amadís sagen, wenn er so etwas hörte? Doch nein, er würde dir verzeihen; denn er war der langmütigste und höflichste Ritter seiner Zeit und überdies ein großer Beschützer der Jungfrauen. Allein es könnte dich einer gehört haben, bei dem es dir ob deines Geredes nicht gut ergangen wäre; denn nicht alle sind höflich oder freundlich von Gesinnung; manche sind böse Schelme und Grobiane. Und nicht alle, die sich Ritter nennen, sind es durch und durch, denn etliche sind von echtem Gold, andre aber von Tombak. Sie alle sehen aus wie Ritter, aber nicht jeder verträgt den Strich auf dem Prüfstein der Wahrheit. Es gibt gemeine Menschen, die vor Begierde bersten, als Ritter zu gelten; es gibt hochgestellte Ritter, die vorsätzlich danach zu ringen scheinen, als gemeine Menschen zu gelten. Jene steigen empor, entweder durch Ehrgeiz oder durch Tugend; diese sinken herab, entweder durch Schlaffheit oder durch Laster. Wir müssen mit verständiger Erkenntnis prüfen, um diese beiden Arten von Rittern zu unterscheiden, die im Namen so ähnlich, so gründlich verschieden in der Handlungsweise sind.«

»Gott steh mir bei!« sagte die Nichte, »wie mögt Ihr nur, Herr Ohm, so viel wissen, daß Ihr im Notfall auf die Kanzel steigen könntet und könntet auf den Gassen predigen gehen; und gleichwohl seid Ihr mit so völliger Blindheit geschlagen und in einem so handgreiflichen Unsinn befangen, daß Ihr Euch für einen streitbaren Mann haltet, während Ihr alt seid; für begabt mit Stärke, während Ihr gebrechlich seid; für einen Helden, der alles Ungerade wieder gerademacht, während Ihr vom Alter gekrümmt seid; und mehr als alles das, für einen Ritter, da Ihr es doch nicht seid? Denn wiewohl die Junker es werden können, so sind doch die armen nicht in dem Falle.«

»Es ist vieles in deinen Worten richtig«, entgegnete Don Quijote, »und ich könnte dir über die Abstammung der Menschengeschlechter manches sagen, was dich in Erstaunen setzen würde; aber ich sage es nicht, um nicht das Göttliche mit dem Menschlichen zu vermengen. Seht, Kinder, alle Geschlechter, die es auf Erden gibt – und hier hört mir aufmerksam zu –, kann man auf vier Arten zurückführen, nämlich auf folgende: Es gibt Geschlechter, die einen geringen Ursprung hatten, und sie haben sich nach und nach ausgebreitet und sind herangewachsen, bis sie die höchste Höhe erreichten; andre hatten einen hohen Ursprung und wußten sich diesen Standpunkt zu wahren und wahren und erhalten ihn noch heute in derselben Höhe, wie sie begonnen hatten; andre wieder gibt es, die zwar in ihrem Ursprung groß gewesen, aber nachher in einer winzigen Spitze endigen wie eine Pyramide, indem die Größe ihres Anfangs sich immer mehr verkleinerte und verringerte, bis sie in einem Nichts ausging wie bei einer Pyramide die Spitze, die im Verhältnis zur Grundfläche oder dem Fuß der Pyramide ein Nichts ist; andre endlich gibt es – und das ist die große Mehrzahl –, bei denen weder der Anfang groß noch die Mitte bedeutsam war und deren Ende sonach namenlos sein wird wie das Geschlecht der niederen, gewöhnlichen Masse. Von der ersten Art, jener, die einen geringen Anfang hatten und zu der Höhe emporstiegen, die sie noch jetzt innehaben, möge dir das ottomanische Haus zum Beispiel dienen, das, von einem geringen, niedrigen Hirten ausgehend, auf dem Gipfel steht, wo wir es heute sehen. Von der zweiten Art von Geschlechtern, die ihren Ursprung auf der Höhe hatten und sich auf ihr erhielten, ohne sie noch mehr zu steigern, können viele Fürsten ein Beispiel geben, welche ihren Rang erblich empfingen und sich in demselben forterhalten, ohne ihn zu erhöhen oder zu erniedrigen. Von denen, die groß begannen und in einer kleinen Spitze endigten, gibt es Tausende von Beispielen; denn all die Pharaonen und Ptolemäer Ägyptens, die Cäsaren Roms nebst dem ganzen Gewimmel, wenn man dieses Wort hier gebrauchen darf, von unzähligen Fürsten, Monarchen, Herrschern, von Medern, Assyrern, Persern, Griechen und Barbaren, all diese Geschlechter und Herrscherhäuser haben in einer Spitze, in einem Nichts geendet, sie ebenso wie jene, die ihnen einst den Ursprung gegeben; denn es ist undenkbar, heutzutage noch einen von ihren Abkömmlingen aufzufinden, und wenn wir einen fänden, so wäre es in niedrigem und geringem Stande. Von den Geschlechtern der gemeinen Masse brauche ich nichts zu sagen; denn diese dienen nur dazu, die Zahl der Lebenden zu vermehren, ohne sonst etwa auf Ruhm und Preis Anspruch machen zu können.

Aus all dem Gesagten mögt ihr nun entnehmen, meine lieben Törinnen, daß eine gewaltige Vermischung unter den Geschlechtern ist und daß nur diejenigen unsern Augen als groß und vornehm erscheinen, die sich als solche durch ihrer Sippen Tugend, Reichtum und Mildtätigkeit bewähren. Ich sage Tugend, Reichtum und Mildtätigkeit, denn der Große, der ein Schurke ist, wird ein großer Schurke sein, und der Reiche ohne Mildtätigkeit ist ein geiziger Bettler; denn den Besitzer von Reichtümern macht es nicht glücklich, daß er sie besitzt, sondern daß er sie verwendet, und nicht, daß er sie verwendet, wie es ihn gelüstet, sondern daß er versteht, sie gut zu verwenden. Dem besitzlosen Ritter bleibt kein andrer Weg, sich als Ritter zu bewähren, als der Weg der Tugend, indem er leutselig, wohlgesittet, höflich und fein und dienstfertig ist; nicht hochmütig, nicht anmaßend, nicht tadelsüchtig; vor allem aber sei er mildtätig; denn mit zwei Maravedís, die er freudigen Herzens dem Armen schenkt, zeigt er sich ebenso freigebig, als wer seine Almosenspende an die große Glocke hängt; und keiner, der ihn mit den erwähnten Tugenden geschmückt sieht, wird, wenn er ihn auch nicht näher kennt, umhinkönnen, ihn für einen Mann von edler Geburt zu halten und zu erklären; und es war ein Wunder, wenn das nicht der Fall wäre; denn stets war Lob und Preis der Tugend Lohn, und dem Tugendhaften kann das Lob nicht fehlen.

Zwei Wege gibt es, Kinder, auf denen der Mensch wandeln und zu Reichtum und Ehre gelangen kann; der eine ist der der Wissenschaften, der andre der des Waffenwerks. Ich weiß mehr vom Waffenwerk als von der Wissenschaft und bin, nach meiner Neigung zu den Waffen zu schließen, unter dem Einfluß des Planeten Mars geboren; und daher bin ich so gut wie gezwungen, seinen Wegen zu folgen, und auf diesen will ich aller Welt zum Trotze wandeln, und vergeblich würdet ihr euch abmühen, mich zu überreden, daß ich nicht wolle, was der Himmel will, das Schicksal gebeut und die Vernunft erheischt und was überdies und vor alledem mein Wunsch verlangt; denn wer da die unzähligen Mühsale kennt – und ich kenne sie –, die von dem fahrenden Rittertum unzertrennlich sind, der weiß auch, welch zahllose Menge hoher Güter es gewährt. Auch weiß ich, daß der Pfad der Tugend gar schmal und der Weg des Lasters breit und geräumig ist, und weiß, daß beider Zwecke und Endziele verschieden sind; denn der des Lasters, weit und bequem, endet mit dem Tode, und der der Tugend, eng und mühselig, endet mit schönerem Leben, nicht mit einem Leben, das da endet, sondern mit dem Leben, das ewig dauert. Auch weiß ich, was der große kastilianische Dichter sagt:

Auf diesem rauhen Pfad kannst du erreichen
Den hohen Thronsitz der Unsterblichkeit,
Wo nie anlangen, die vom Pfade weichen.«

»O ich Unglückliche!« rief die Nichte aus; »mein Ohm ist auch ein Dichter! Alles weiß er, alles versteht er. Ich will wetten, wenn er Lust hätte, Maurer zu werden, er könnte ein Haus so leicht herstellen wie einen Käfig.«

»Ich gebe dir mein Wort, Nichte«, entgegnete Don Quijote, »wenn die Rittertumsgedanken nicht alle meine Sinne mit sich fortrissen, so gäbe es nichts, das ich nicht fertigbrächte, keine künstliche Arbeit, die nicht aus meinen Händen hervorginge, vor allem Käfige und Zahnstocher.«

Da hörte man an der Tür pochen, und auf die Frage, wer da poche, antwortete Sancho Pansa, er sei es. Kaum hatte die Haushälterin seine Stimme erkannt, da lief sie und verbarg sich, so widerwärtig war er ihr. Die Nichte öffnete ihm, sein Herr Don Quijote eilte, ihn mit offenen Armen zu empfangen, und beide schlossen sich in sein Gemach ein und hielten daselbst ein neues Gespräch zusammen, das dem vorigen nicht nachsteht.

60. Kapitel


Von dem, was dem Ritter Don Quijote begegnete, da er gen Barcelona zog

Der Morgen war kühl und ließ zum voraus erkennen, nicht minder kühl werde dieser Tag sein, an welchem Don Quijote aus dem Wirtshause schied. Er hatte sich vorher erkundigt, welches der nächste Weg nach Barcelona sei, ohne Zaragoza zu berühren; so sehr drängte es ihn, den neuen Geschichtsschreiber Lügen zu strafen, der, wie man ihm sagte, ihn so tief herabsetzte.

Es fügte sich nun, daß in mehr als sechs Tagen ihm nichts begegnete, was des Niederschreibens wert wäre. Am Abend des sechsten Tages, als er gerade abseits von der Landstraße dahinritt, überraschte ihn die Nacht unter dicht verwachsenen Eichen, oder waren es Korkbäume; hierin eben beobachtet Sidi Hamét nicht die Genauigkeit, die er bei andern Dingen einzuhalten pflegt. Herr und Diener stiegen ab und machten sich die Baumstämme zu Kopfkissen; Sancho, der an diesem Tage ein Vesperbrot eingenommen hatte, ging ohne weiteres zu den Pforten des Schlummers ein; aber Don Quijote, den seine Phantasien mehr als der Hunger wachhielten, konnte die Augen nicht schließen, und er schweifte mit seinen Gedanken an tausend verschiedenen Orten hin und her. Bald kam es ihm vor, als befände er sich in der Höhle des Montesinos; bald; als sehe er die in eine Bäuerin verwandelte Dulcinea umherhüpfen und auf ihre Eselin springen; bald, als tönten ihm ins Ohr die Worte des weisen Merlin, die ihm die Bedingungen und Bemühungen verkündeten, welche man zur Entzauberung Dulcineas erfüllen und beharrlich einhalten müsse. Er verzweifelte schier über die Lässigkeit seines Knappen Sancho und über dessen Mangel an Nächstenliebe, da dieser sich seines Wissens nur fünf Hiebe versetzt hatte, eine unschickliche und geringe Zahl im Verhältnis zu der großen Menge Hiebe, die noch fehlten; und hierüber betrübte und ärgerte er sich so sehr, daß er zu folgenden Erwägungen kam: Wenn Alexander der Große den gordischen Knoten mit den Worten durchgehauen hat: »Zerhauen ist ebensogut wie Aufknoten«, und darum dennoch Herr von ganz Asien wurde, so könnte es jetzt bei der Entzauberung Dulcineas ebensogut gehen, wenn ich selber Sancho wider seinen Willen die Hiebe gäbe; denn wenn diese Erlösung davon abhängt, daß Sancho die dreitausend und soundso viel Streiche bekommt, was liegt daran, ob er sie sich selbst gibt oder ob sie ihm ein andrer aufzählt, da doch das Wesentliche ist, daß er sie bekommt, woher sie auch kommen mögen?

Nach dieser Überlegung nahm er Rosinantes Zügel, legte sie sich so zurecht, daß er bequem damit hauen konnte, trat dann zu Sancho heran und begann ihm die Leibriemen zu lösen, wiewohl man allgemein sagt, daß Sancho nur einen hatte, nämlich den, der ihm die Hosen hinaufhielt. Doch kaum war Don Quijote ihm nahe gekommen, als Sancho zu vollem Bewußtsein erwachte und rief: »Was ist das? Wer rührt mich an und macht mir den Riemen auf?«

»Ich bin’s«, antwortete Don Quijote; »ich will deine Unterlassungssünde wiedergutmachen und meinen Drangsalen Abhilfe schaffen; ich will dich geißeln und dich von der Schuld, die du übernommen, wenigstens zum Teil entlasten. Dulcinea vergeht in Elend, du lebst unbekümmert, ich sterbe vor Sehnsucht; also löse deinen Hosenriemen aus eignem freiem Willen, denn ich bin gewillt, dir an diesem einsamen Orte mindestens zweitausend Geißelhiebe zu geben.«

»Daraus wird nichts, Euer Gnaden«, sagte Sancho; »haltet Ruh, sonst, bei dem wahrhaftigen Gott, schlage ich einen Lärm, daß Taube uns hören sollen. Die Hiebe, zu denen ich mich verpflichtet habe, müssen freiwillig und nicht erzwungen sein, und ich habe jetzt keine Lust, mich zu geißeln; genug, daß ich Euer Gnaden mein Wort gebe, mich zu hauen und mir das Fell zu gerben, sobald mir die Lust dazu kommt.«

»Dies deiner Dienstwilligkeit zu überlassen geht nicht an, Sancho«, erklärte Don Quijote, »denn du bist harten Herzens, und obwohl ein Bauer, hast du gar empfindliches Fleisch.«

Nun mühte er sich und rang mit ihm, um ihm den Hosenriemen aufzuschnallen; als aber Sancho diese Absicht merkte, sprang er auf die Füße, fiel über seinen Herrn her, faßte ihn um den Leib, stellte ihm ein Bein und warf ihn nieder, daß er den Mund gen Himmel aufsperrte; er setzte ihm das rechte Knie auf die Brust und hielt ihm die Hände mit seinen Händen, daß er sich weder rühren noch atmen konnte. Don Quijote aber rief: »Wie, du Bösewicht, gegen deinen Gebieter und angebornen Herrn lehnst du dich auf? Der dir sein Brot gibt, an dem vergreifst du dich?«

»Ich setze keinen König ab und setzte keinen König ein«, antwortete Sancho, »ich wehre mich nur meiner Haut, über die ich doch der angeborne Herr bin. Versprecht mir, daß Ihr Ruhe halten und für jetzt nicht darauf ausgehen wollt, mich zu hauen, dann lasse ich Euch frei und ledig; wo nicht:

Hier sollst du, Verräter, sterben,
Du der Feind von Doña Sancha!«

Don Quijote versprach es ihm und schwur beim Leben der Herrin seiner Gedanken, an kein Fädchen seines Kleides zu rühren und es gänzlich seinem Belieben und freien Willen zu überlassen, wann er sich geißeln wolle. Sancho erhob sich, ging eine gute Strecke von der Stelle weg und wollte sich an einen andern Baum anlehnen, da fühlte er, daß ihm etwas den Kopf berührte, er streckte die Hände empor und ergriff zwei Menschenfüße mit Schuhen und Strümpfen. Er zitterte vor Schreck, lief an einen andern Baum, wo ihm dasselbe widerfuhr; da rief er mit lauter Stimme Don Quijote zu Hilfe. Don Quijote kam, und als er fragte, was ihm zugestoßen sei und wovor er solche Angst habe, antwortete ihm Sancho, alle diese Bäume hingen voller Füße und Beine von Menschen. Don Quijote griff hinauf, erriet sogleich, was es sein müsse, und sagte zu Sancho: »Du brauchst keine Angst zu haben, denn diese Füße und Beine, die du berührst und nicht siehst, gehören sicherlich Buschkleppern und Räubern, die an diesen Bäumen aufgehängt sind; hier im Walde pflegt die Gerechtigkeit sie, wenn sie sie ergreift, zu zwanzigen oder dreißigen zu hängen, und daraus schließe ich, daß wir nahe bei Barcelona sein müssen.«

Es war auch in der Tat so, wie er vermutet hatte; als die Morgenröte erschien, erhoben sie ihre Augen und sahen, daß die Früchte jener Bäume wirklich Leichname von Räubern waren. Indem wurde es voller Tag, und wenn die Toten sie in Schrecken gesetzt hatten, so gerieten sie in nicht mindere Bestürzung bei dem Anblick von mehr als vierzig lebendigen Räubern, die plötzlich sie umringten und ihnen auf katalonisch zuriefen, stillzuhalten und zu warten, bis ihr Hauptmann käme. Don Quijote war zu Fuß, sein Roß nicht aufgezäumt, sein Speer war an einen Baum gelehnt und er, in einem Wort, wehrlos; und daher fand er es geraten, die Arme zu kreuzen und sein Haupt zu beugen, um sich für beßre Zeit und Gelegenheit aufzusparen. Die Räuber machten sich über den Grauen her und suchten ihn durch und ließen ihm nichts von allem, was er im Zwerchsack und im Felleisen trug, und es war ein Glück für Sancho, daß er die Goldtaler des Herzogs sowie die von Hause mitgebrachten in einer Katze um den Leib trug; aber trotzdem hätte die wackere Sippschaft ihn noch gründlicher durchsucht und sogar nachgesehen, was er etwa zwischen Haut und Fleisch verborgen trage, wenn nicht gerade jetzt ihr Hauptmann gekommen wäre. Dem Aussehen nach mochte es ein Mann von etwa vierunddreißig Jahren sein; er war kräftig gebaut, von mehr als mittlerer Größe, ernsten Blickes und braun von Gesichtsfarbe. Er ritt auf einem mächtigen Gaul, trug ein stählernes Panzerhemd und zu beiden Seiten vier Pistolen, die man in jener Gegend Stutzen nennt. Er sah, daß seine Knappen, denn so heißt man die Leute dieses Gewerbes, im Begriffe waren, Sancho Pansa auszuplündern; er befahl ihnen, es zu unterlassen, es wurde ihm sofort gehorcht, und so schlüpfte die Geldkatze durch. Er wunderte sich, den Speer an den Baum gelehnt zu sehen, den Schild auf dem Boden und Don Quijote in Rüstung und in tiefem Nachsinnen, mit dem traurigsten und schwermütigsten Gesicht, das leibhaftige Bild der Traurigkeit. Er näherte sich ihm und sagte: »Seid nicht so bekümmert, guter Freund; Ihr seid nicht in die Hände eines grausamen Busiris gefallen, sondern in die des Roque Guinart, in denen mehr das Mitleid als die Strenge waltet.«

»Nicht deshalb bin ich voll Kümmernis;«, entgegnete Don Quijote, »weil ich in deine Gewalt gefallen bin, o tapferer Roque, dessen Ruhm auf Erden keine Grenzen hat, sondern weil meine Sorglosigkeit so groß gewesen, daß deine Leute mich überraschen konnten, ohne daß mein Pferd aufgezäumt war, während ich doch gemäß dem Orden der fahrenden Ritterschaft, zu dem ich mich bekenne, verpflichtet bin, stets auf der Hut und zu jeder Stunde meine eigene Schildwache zu sein. Denn ich tue dir zu wissen, o großer Roque, wenn sie mich auf meinem Rosse mit meinem Speer und meinem Schild angetroffen hätten, so wäre es ihnen nicht sehr leicht geworden, über mich zu siegen, dieweil ich Don Quijote von der Mancha bin, der Mann, der mit seinen Großtaten das ganze Erdenrund erfüllt hat.«

Roque Guinart merkte sofort, daß Don Quijotes schwache Seite weit mehr die Narrheit als die Tapferkeit war, und obwohl er schon manchmal von ihm gehört, so hatte er doch seine Taten nie für Wirklichkeit gehalten und konnte sich nicht überreden, daß eine so verrückte Liebhaberei wirklich in der Seele eines Mannes herrschen könne; nun aber freute er sich außerordentlich, ihm begegnet zu sein, um mit den Händen zu greifen, was er bisher nur aus der Ferne über ihn vernommen hatte.

Daher sagte er zu ihm: »Tapferer Ritter, seid nicht unmutig und haltet das Los, das Euch zugefallen, nicht für ein unglückliches; denn wohl möchte es geschehen, daß gerade, wenn Euer Fuß hier strauchelt, der krumme Pfad Eures Geschickes sich wieder geraderichtete, sintemalen auf Umwegen, die oft gar seltsam und von Menschen noch nimmer erschaut und nimmer geahnt worden, der Himmel die Gefallenen zu erheben und die Armen reich zu machen pflegt.«

Don Quijote war schon im Begriff, ihm seinen Dank auszusprechen, als sie hinter sich ein Stampfen hörten wie von einem ganzen Trupp Pferde; es war jedoch nur ein einziges, auf welchem ein Jüngling in rasendem Sturm einhergejagt kam. Er schien gegen zwanzig Jahre alt zu sein, war in grünen Damast mit goldenen Tressen gekleidet, trug enge Beinkleider und einen Schiffermantel, einen Hut auf wallonische Art mit geschweiften Krempen, knapp anliegende gewichste Stiefel, Sporen, Dolch und Degen vergoldet, eine Stutzbüchse in der Hand und ein Paar Pistolen im Gürtel. Bei dem Pferdegestampf wandte Roque den Kopf und erblickte diese reizende Gestalt, die beim Näherkommen ihn so anredete: »Ich kam hierher, dich aufzusuchen, o tapferer Roque, um bei dir, wenn nicht Hilfe, doch Erleichterung meines Elends zu finden; und um dich nicht in Ungewißheit zu lassen, weil ich weiß, du hast mich nicht erkannt, will ich dir sagen, wer ich bin. Ich bin Claudia Gerónima, die Tochter von Simón Porte, der stets dein inniger Freund war und zugleich ein Todfeind von Clauquel Torrellas, der auch dein Feind ist, da er zu deiner Gegenpartei gehört; du weißt auch, daß dieser Torrellas einen Sohn hat, der Don Vicente Torrellas heißt oder wenigstens vor noch nicht zwei Stunden so hieß. Dieser nun – um die Erzählung meines Unglücks kurz zu fassen, will ich dir in wenigen Worten sagen, welches Leid er mir zugefügt hat. Er sah mich, er machte mir den Hof, ich hörte ihn an, ich verliebte mich hinter dem Rücken meines Vaters, denn es gibt kein Weib, so behutsam und zurückhaltend es auch sei, das nicht mehr als genug Zeit dazu fände, seine stürmischen Wünsche zur Tat werden zu lassen. Kurz, er versprach mir die Ehe, ich gab ihm darauf das Wort, ihm zu gehören, jedoch ohne daß wir weiter gingen. Gestern erfuhr ich, daß er, vergessend, was er mir schuldet, sich mit einer andren vermählen und heute morgen sich trauen lassen wollte, eine Nachricht, die mir die Besinnung und meine Geduld raubte; und da mein Vater nicht zu Hause war, so legte ich rasch die Tracht an, die du siehst, bestieg mein Pferd und trieb es zur Eile, erreichte Don Vicente ungefähr eine Meile von hier, und ohne mich damit aufzuhalten, Klagen auszustoßen und Entschuldigungen anzuhören, schoß ich diese Büchse auf ihn ab und obendrein diese zwei Pistolen, und ich glaube, ich habe ihm mehr Kugeln als nötig in den Leib gejagt und an seiner Brust Pforten geöffnet, aus denen, von seinem Blut umgossen, meine Ehre gerächt hervorging. Dort ließ ich ihn nun unter den Händen seiner Diener, die an seine Verteidigung zu denken weder wagten noch vermochten; ich komme zu dir, damit du mich hinüber nach Frankreich bringst, wo ich Verwandte habe, bei denen ich leben kann, und bitte dich zugleich, meines Vaters Verteidigung zu übernehmen, damit die zahlreichen Freunde Don Vicentes es nicht wagen, an ihm eine frevelhafte Rache zu üben.«

Roque, voll Verwunderung ob des Mutes, der glänzenden Tracht, der schönen Gestalt und der Schicksale der reizenden Claudia, sprach zu ihr: »Komm, Señora, wir wollen sehen, ob dein Feind tot ist, und dann wollen wir erwägen, was dir am meisten frommt.«

Don Quijote, der aufmerksam zugehört hatte, was Claudia gesagt und was Roque Guinart antwortete, sprach: »Niemand braucht sich mit der Verteidigung dieses Fräuleins zu bemühen, ich nehme sie auf mich; man gebe mir mein Roß und meine Waffen und erwarte mich hier; ich will jenen Ritter aufsuchen und will ihn tot oder lebendig zur Erfüllung des Wortes zwingen, das er einer so großen Schönheit gegeben.«

»Daran darf keiner zweifeln«, sprach Sancho, »denn mein Herr hat eine sehr glückliche Hand als Ehevermittler. Hat er doch vor wenigen Tagen erst einen andren zur Heirat gezwungen, der ebenfalls einer Jungfrau sein Wort nicht halten wollte; und wären nicht die Zauberer, die ihn verfolgen, gekommen und hätten dessen wahre Gestalt in die eines Lakaien verwandelt, so wäre schon jetzt die besagte Jungfrau keine solche mehr.«

Roque, dessen Gedanken sich mehr mit den Geschicken der schönen Claudia beschäftigten als mit dem Gerede des Herrn und des Dieners, hörte es nicht einmal, und nachdem er seinen Knappen befohlen, Sancho alles wiederzugeben, was sie vom Gepäck des Esels genommen, und sie angewiesen, an den Ort zurückzukehren, wo sie vergangene Nacht gelagert hatten, entfernte er sich in aller Eile mit Claudia, um den verwundeten oder toten Don Vicente aufzusuchen. Sie kamen an die Stelle, wo Claudia ihn angetroffen, und fanden dort nichts als frisch vergossenes Blut; aber als sie ihre Blicke nach allen Seiten hin aussendeten, entdeckten sie oben auf einem Hügel einige Leute und vermuteten, wie es auch wirklich der Fall war, es müsse Don Vicente sein, den seine Diener tot oder lebendig fortschafften, entweder um ihn verbinden zu lassen oder um ihn zu begraben. Sie beeilten sich, die Leute einzuholen, und da diese einen sehr langsamen Schritt einhielten, so konnte dies leicht geschehen. Sie fanden Don Vicente in den Armen seiner Diener, die er mit matter, schwacher Stimme bat, sie möchten ihn dort sterben lassen, weil der Schmerz der Wunden es ihm unmöglich mache weiterzukommen. Claudia und Roque sprangen von ihren Pferden und eilten zu ihm hin; die Diener erschraken vor Roques Anblick, und Claudia war über denjenigen Don Vicentes entsetzt; und halb zärtlich und halb ergrimmt trat sie ihm zur Seite, ergriff seine Hand und sagte: »Hättest du mir diese gereicht, unsrer Abrede gemäß, so wäre es nie so weit gekommen.«

Der verwundete Edelmann öffnete die halbgeschlossenen Augen, und als er Claudia erkannte, sprach er: »Wohl seh ich’s, meine schöne, meine betrogene Geliebte, du warst es, die mich getötet; du hast mir gelohnt, wie es mein liebendes Herz nimmer verdient und wie es ihm nie gebührte, denn weder mit Gedanken noch Taten habe ich dich je gekränkt oder dich kränken können.«

»Also ist es nicht wahr«, fragte Claudia, »daß du dich heut morgen mit Leonora vermählen wolltest, der Tochter des reichen Balbastro?«

»Wahrlich nicht«, antwortete Don Vicente; »mein Unstern muß dir eine solche Nachricht zugebracht haben, damit du mir aus Eifersucht das Leben rauben solltest, und dennoch preise ich mich glücklich, da ich dies Leben von deiner Hand, da ich es in deinen Armen verliere. Und willst du dich überzeugen, wie ernst und wahr meine Worte, so drücke mir die Hand und nimm mich als deinen Gatten an, falls du es wünschest; eine größere Genugtuung kann ich dir für die Kränkung nicht geben, die du wähnst von mir erlitten zu haben.«

Claudia drückte ihm die Hand, und so heftig krampfte sich ihr hierbei das Herz zusammen, daß sie über Don Vicentes blutende Brust ohnmächtig hinsank, und ihn überkam ein Anfall tödlichen Krampfes. Roque war bestürzt und wußte nicht, was tun. Die Diener eilten, Wasser zu holen, um es ihnen ins Gesicht zu spritzen; sie brachten es herbei und besprengten sie damit, Claudia kam aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich, aber nicht Don Vicente von seinem Anfall; sein Leben war zu Ende. Als Claudia dies sah, als sie sich überzeugt hatte, daß ihr teurer Gatte nicht mehr lebe, erschütterte sie die Luft mit ihren Seufzern, ließ sie den Himmel von ihrem Jammer widerhallen, raufte sich die Haare und gab sie den Winden preis, zerfleischte ihr Gesicht mit ihren eignen Händen und ließ allen Schmerz und alles Weh schauen, wie man es von einem gequälten Herzen sich nur erdenken kann. »O du grausames, unbesonnenes Weib!« rief sie; »wie so leicht ließest du dich hinreißen, einem so argen Gedanken die Tat folgen zu lassen! O wahnsinnige Gewalt der Eifersucht, zu welch verzweiflungsvollem Ziele führst du den, der dir Einlaß in seinen Busen verstattet! O mein Gemahl, den sein Unglück, weil er der Geliebte meines Herzens war, vom Brautbett ins Grab gestürzt hat!«

So innig, so schmerzlich war Claudias Jammerklage, daß sie Tränen aus Roques Augen entlockte, die nicht gewohnt waren, sie um irgendeines Anlasses willen zu vergießen. Auch die Diener weinten, Claudia wurde immer von neuem ohnmächtig, und der ganze Umkreis schien ein Feld der Trauer und eine Stätte des Unheils.

Endlich gebot Roque Guinart den Dienern Don Vicentes, dessen Leiche zu dem nahen Wohnort des Vaters zu tragen, um ihn der Gruft zu übergeben. Claudia erklärte dem Roque, sie wolle in ein Kloster gehen, wo eine Tante von ihr Äbtissin sei, und dort gedenke sie ihr Leben an der Hand eines besseren, der Sterblichkeit nicht so unterworfenen Bräutigams zu beschließen; Roque pries ihren frommen Entschluß und erbot sich, sie zu begleiten, wohin sie auch wolle, und ihren Vater gegen die Verwandten Don Vicentes, ja gegen die ganze Welt zu verteidigen, wenn man ihn antasten wolle. Claudia wollte indes seine Begleitung unter keiner Bedingung annehmen, dankte ihm mit den herzlichsten Worten für sein Anerbieten und nahm unter Tränen von ihm Abschied. Die Diener Don Vicentes trugen seinen Leichnam von dannen, und Roque kehrte zu den Seinigen zurück.

So endete das Liebesabenteuer der Claudia Gerónima. Aber wie konnte es anders sein, da die Fäden ihrer jammervollen Geschichte von der unbesiegbaren und grausamen Gewalt ihrer Eifersucht gesponnen waren!

Roque Guinart fand seine Knappen, wohin er sie beschieden hatte, und den Ritter Don Quijote bei ihnen; er saß auf seinem Rosinante und hielt eine Ansprache an sie, um sie zu überreden, sie möchten von ihrer Lebensweise lassen, die so gefährlich für die Seele wie für den Körper sei. Aber da die meisten von ihnen Gaskogner waren, rohes, liederliches Gesindel, so ging ihnen Don Quijotes Rede nicht sehr zu Herzen.

Gleich nach seiner Ankunft fragte Roque den Schildknappen Sancho, ob seine Leute die Kostbarkeiten und Wertsachen, die sie dem Esel abgenommen, ihm wiedergegeben und zurückerstattet hätten. Sancho antwortete mit Ja, nur fehlten ihm drei Nachthauben, die soviel wert seien wie drei große Städte.

»Was sagst du, Bursche?« sagte einer der Anwesenden; »ich habe sie, und sie sind keine drei Realen wert.«

»Das ist allerdings wahr«, sagte Don Quijote: »aber mein Schildknappe schätzt sie so hoch, wie er gesagt hat, und zwar um des Gebers willen, dem ich sie verdanke.«

Roque Guinart befahl, sie ihm auf der Stelle wiederzugeben; dann ließ er die Seinigen sich in einer Reihe aufstellen und sämtliche Kleidungsstücke, Kostbarkeiten und baren Gelder sowie alles, was sie seit der letzten Teilung erbeutet, vor aller Augen an Ort und Stelle bringen. Er nahm kurzerhand eine Schätzung vor; was sich nicht teilen ließ, rechnete er in Geld um und verteilte das Ganze unter seine sämtlichen Kameraden so gerecht und einsichtig, daß er das Gesetz der austeilenden Gerechtigkeit nicht in einem Punkte verletzte. Nachdem dies geschehen und alle einverstanden, zufriedengestellt und ausbezahlt waren, sagte Roque zu Don Quijote: »Wenn man es mit diesen Leuten nicht genau nähme, so könnte man nimmer mit ihnen auskommen.«

Hierauf bemerkte Sancho: »Wie ich sehe, ist die Gerechtigkeit so was Gutes, daß sie selbst unter Spitzbuben geübt werden muß.«

Dieses hörte einer der Knappen, hob den Flintenkolben und hätte ganz sicher Sanchos Schädel damit zerschmettert, wenn Roque Guinart ihm nicht zugeschrien hätte, einzuhalten. Sancho wurde fast ohnmächtig vor Schrecken und nahm sich vor, den Mund nicht mehr aufzutun, solange er sich unter dieser Sippschaft befinde.

In diesem Augenblick kamen einer oder einige von den Knappen, die als Feldwachen auf den Wegen aufgestellt waren, um zu erspähen, was für Leute vorüberzogen, und ihrem Hauptmann alles zu melden. Der Kundschafter sagte: »Señor, nicht weit von hier auf der Straße, die nach Barcelona führt, kommt ein großer Trupp Leute.«

Roque erwiderte: »Hast du gesehen, ob sie zu den Leuten gehören, die uns suchen, oder zu denen, die wir suchen?«

»Nur zu denen, die wir suchen«, antwortete der Knappe.

»Dann zieht alle hin«, versetzte Roque, »und bringt mir sie sogleich hierher und lasset keinen entwischen!«

Sie taten wie befohlen. Don Quijote, Sancho und Roque blieben allein zurück und erwarteten, was für Gefangene die Knappen bringen würden. In der Zwischenzeit sprach Roque zu Don Quijote: »Unsre Lebensweise, Señor Don Quijote, muß Euch als eine ganz neue vorkommen, neu unsre Abenteuer, neu unsre Erlebnisse, alle aber gefahrvoll, und ich wundere mich nicht, wenn es Euch so vorkommt, denn ich gestehe, es gibt tatsächlich kein unruhigeres und aufgeregteres Leben. Zu ihm hat mich einst irgendein Drang nach Rache verlockt, ein Drang, dessen Macht das ruhigste Gemüt in Wallung bringen kann. Ich bin von Natur mitleidig und hege die besten Absichten; allein, wie gesagt, der Durst nach Rache für eine mir angetane Beleidigung wirft meine besseren Triebe so völlig danieder, daß ich meiner besseren Einsicht zum Trotz bei dieser Lebensweise verharre; und so wie ein Abgrund zum andern führt und eine Suade die andre nachzieht, so haben sich die Ringe an der Kette meiner Rachetaten so aneinandergefügt, daß ich nicht nur Rache für mich selbst, sondern auch Rache für dritte Personen auf mich nehme. Allein Gott ist so gnädig, daß ich, wiewohl mitten im Labyrinth meiner Verirrungen, doch nicht die Hoffnung aufgebe, aus ihm dereinst in einen sicheren Hafen zu gelangen.«

Don Quijote war höchlich verwundert, Roque so fromm und verständig reden zu hören, denn er hatte bei sich gedacht, daß unter den Leuten, die das Geschäft des Stehlens und Raubens und Mordens betreiben, keiner sein könnte, bei dem vernünftige Überlegung Raum fände. Er entgegnete ihm: »Señor Roque, der Anfang der Genesung besteht darin, daß die Krankheit erkannt wird und daß der Kranke die Heilmittel willig einnimmt, die der Arzt ihm verordnet. Ihr seid krank, Ihr kennt Euer Leiden, und der Himmel, oder richtiger gesagt Gott, der unser aller Arzt ist, wird bei Euch ärztliche Mittel anwenden, die Euch heilen, die aber in der Regel nur allmählich Heilung bringen, nicht mit einemmal auf wunderbare Weise. Zudem sind die einsichtigen Sünder der Besserung viel näher als die einfältigen; und da Ihr in Euern Äußerungen Euern verständigen Geist gezeigt habt, so braucht Ihr nur mutige Zuversicht zu hegen und fest auf Besserung der Krankheit Eures Gewissens zu hoffen. Wollt Ihr aber Euern Weg abkürzen und mühelos den Weg Eures Seelenheils einschlagen, so folget mir nach; ich will Euch lehren, ein fahrender Ritter zu werden, ein Beruf, den so viele Drangsale und Mißgeschicke heimsuchen, daß sie, wenn Ihr sie als Bußübung hinnehmt, Euch im Handumdrehen in den Himmel versetzen werden.«

Roque lachte hellauf über Don Quijotes guten Rat, und um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, erzählte er ihm den traurigen Vorgang mit Claudia Gerónima, worüber Sancho sich herzlich betrübte, denn die Schönheit, Entschlossenheit und Kühnheit des Mädchens hatten es ihm angetan.

Mittlerweile kamen die Knappen mit ihrem Fang; sie brachten zwei Edelleute zu Pferde, zwei Pilger zu Fuß und eine Kutsche mit Frauenzimmern nebst etwa einem Halbdutzend Dienern, welche die Damen teils zu Fuß, teils zu Pferde begleiteten; dann noch zwei Maultiertreiber, die zu den Edelleuten gehörten. Die Knappen hatten sie in die Mitte genommen, und Sieger und Besiegte beobachteten tiefes Schweigen und erwarteten, daß der große Roque Guinart das Wort nehme. Dieser fragte zuerst die Edelleute, wer sie seien, wohin sie reisten und wieviel Geld sie bei sich hätten. Einer von ihnen antwortete ihm: »Señor, wir sind Hauptleute vom spanischen Fußvolk, haben unsre Kompanien in Neapel und wollen uns auf einer von den vier Galeeren einschiffen, die in Barcelona liegen sollen, um nach Sizilien zu fahren; wir haben etwa zwei- bis dreihundert Goldtaler bei uns, womit wir uns reich und glücklich schätzen, denn der Soldat ist bei seinem dürftigen Sold keine größeren Schätze gewohnt.«

Roque fragte nun die Pilger das nämliche wie die Hauptleute; sie antworteten ihm, sie seien im Begriff, sich nach Rom einzuschiffen, und hätten beide zusammen etwa sechzig Realen bei sich. Jetzt wollte er auch hören, wer sich in der Kutsche befinde, wohin sie wollten und wieviel Geld sie mit sich führten. Einer von den Begleitern zu Pferd antwortete: »Meine gnädige Frau Doña Guiomar de Quiñones, die Gemahlin des Präsidenten am Gerichtshofe zu Neapel, nebst einem Töchterchen, einer Zofe und einer Kammerfrau sind in dieser Kutsche; wir sechs Diener begleiten sie, und wir haben sechshundert Goldtaler bei uns.«

»Demnach haben wir hier schon neunhundert Goldtaler und sechzig Realen«, sagte Roque Guinart; »meiner Leute werden etwa siebzig sein; seht, wieviel auf einen jeden kommt, denn ich bin ein schlechter Rechner.«

Bei diesen Worten erhoben die Räuber ihre Stimmen und riefen: »Tausend Jahre möge Roque Guinart leben, den schofeln Kerlen zum Trutz, die auf sein Verderben ausgehen.«

Die beiden Hauptleute zeigten große Betrübnis, die Frau Präsidentin war sehr niedergeschlagen, und die Pilger waren auch nicht besonders vergnügt, als sie sahen, daß ihr Vermögen beschlagnahmt werden sollte. Roque hielt sie einen Augenblick so in der Angst; er wollte aber ihre Betrübnis, die man ihnen auf Büchsenschußweite ansehen konnte, nicht länger dauern lassen und sprach, zu den Hauptleuten gewendet: »Meine Herren Hauptleute, wollet so freundlich sein, mir sechzig Goldtaler zu leihen, und die Frau Präsidentin achtzig, damit ich meine Leute zufriedenstellen kann, denn wovon soll der Pfaff essen, wenn nicht von der Messen? Dann könnt ihr frei und ledig eurer Wege ziehen. Ich werde euch einen Geleitbrief geben, damit man euch nichts Böses zufüge, wenn ihr auf einen andern von meinen Haufen stoßt, die ich in der ganzen Gegend verteilt habe; denn ich habe nicht vor, Soldaten zu kränken oder Frauen, zumal solche von Stande.«

Mit vielen und beredten Worten dankten die Hauptleute für Roques freundliche Art und Freigebigkeit; denn als solche betrachteten sie es, daß er ihnen ihr eignes Geld ließ. Die Señora Doña Guiomar de Quiñones wollte aus dem Wagen herausstürzen, um dem großen Roque Hände und Füße zu küssen, aber er ließ es nicht zu, bat sie vielmehr um Verzeihung für die ihr zugefügte Unbill, zu der er durch die strengen Obliegenheiten seines argen Berufes genötigt sei. Die Frau Präsidentin befahl einem ihrer Diener, sofort die achtzig Goldtaler herzugeben, die auf ihren Teil kamen, und die Hauptleute hatten bereits ihre sechzig abgeliefert. Die Pilger wollten eben ihr ganzes bißchen Armut hergeben, da sagte ihnen Roque, sie sollten es nur gut sein lassen. Hierauf wendete er sich zu den Seinigen und sagte ihnen: »Von diesen Goldtalern kommen zwei auf jeden von euch, bleiben zwanzig übrig, davon sollen zehn den Pilgern hier gegeben werden und die andern zehn diesem wackern Schildknappen, damit er diesem Abenteuer Gutes nachsagen kann.«

Man brachte ihm Schreibzeug, das er immer mit sich führte, und er schrieb ihnen einen Geleitbrief für die Führer seiner Räuberhaufen. Dann nahm er Abschied von ihnen und entließ sie in Freiheit und in Bewunderung seines edlen Anstands, seines feinen Benehmens und seines eigentümlichen Verfahrens, ob dessen sie ihn eher für einen Alexander von Mazedonien als für einen ausgemachten Straßenräuber hielten.

Einer von den Knappen aber sagte in seiner halb gaskognischen, halb katalanischen Mundart: »Unser Hauptmann da, der paßt besser zum Klosterpfaffen als zum Räuber; wenn er künftig den Freigebigen spielen will, dann soll er es mit seinem Gelde tun und nicht mit dem unsrigen.«

Der Unglückliche hatte dies nicht so leise gesagt, daß es Roques Ohr entgangen wäre; dieser zog sein Schwert und spaltete ihm den Kopf fast in zwei Hälften mit den Worten: »So züchtige ich freche böse Mäuler.«

Alle fuhren vor Schreck zusammen, und keiner wagte ein Wort zu sagen, so sehr wußte er sie in Zucht zu halten. Roque ging dann beiseite und schrieb einen Brief an einen seiner Freunde in Barcelona, worin er ihm mitteilte, der berühmte Don Quijote von der Mancha befinde sich bei ihm; es sei der kurzweiligste und verständigste Mensch von der Welt, und nach vier Tagen, auf Sankt Johannis, werde er ihn auf den Strand vor die Stadt bringen, in voller Wehr, auf seinem Rosse Rosinante, und zugleich auch seinen Knappen Sancho auf seinem Esel; er möge seine Freunde, die Niarros, davon in Kenntnis setzen, damit sie sich an ihm erlustigten; es wäre ihm zwar lieber, wenn seine Feinde, die Cadells, um dies Vergnügen kämen, aber dies sei unmöglich, weil Don Quijotes Narretei und Gescheitheit und die witzigen Einfälle seines Knappen Sancho Pansa jedenfalls der ganzen Welt Vergnügen machen müßten. Diesen Brief schickte er durch einen seiner Knappen ab, der die Tracht eines Räubers gegen die eines Bauern vertauschte, nach Barcelona kam und den Brief richtig dem Manne ablieferte, an den er gerichtet war.

54. Kapitel


Welches von Dingen handelt, so diese Geschichte und keine andere betreffen

Der Herzog und die Herzogin beschlossen, der Herausforderung, welche Don Quijote aus dem bereits erwähnten Anlaß gegen ihren Untertan gerichtet hatte, ihren Lauf zu lassen. Da jedoch der junge Mann sich in Flandern befand, wohin er geflüchtet war, um Doña Rodríguez nicht zur Schwiegermutter zu bekommen, so ordneten sie an, daß an seine Stelle ein Lakai aus der Gaskogne treten sollte, namens Tosílos, dem sie vorher genaue Anweisung erteilten, wie er sich zu benehmen habe.

Nach zwei Tagen sagte der Herzog zu Don Quijote, sein Gegner werde in vier Tagen kommen, sich in voller Rüstung auf dem Kampfplatz stellen und mannlich verfechten, daß die Maid in ihren halben Bart, ja in ihren ganzen Bart hineinlüge, wenn sie auf ihrer Behauptung bestehe, daß er ihr die Ehe versprochen habe. Don Quijote freute sich höchlich ob dieser Zeitung; er versprach sich selber, bei dieser Gelegenheit Wunder der Tapferkeit zu verrichten, und er betrachtete es als großen Glücksfall, daß sich ihm eine Gelegenheit darbot, diesen Herrschaften zu zeigen, wie weit sich die Kraft seines gewaltigen Armes erstrecke. Und so wartete er in froher Aufregung und vergnügter Stimmung die vier Tage ab, die in der Rechnung seiner Sehnsucht vierhundert Jahrhunderte ausmachten.

Wir wollen sie vorübergehen lassen, wie wir schon soviel andres haben vorübergehen lassen, und wollen Sancho begleiten, der halb vergnügt, halb traurig auf seinem Grautier dahinzog, seinen Herrn zu suchen, dessen Gesellschaft ihm besser behagte als die Statthalterschaft über alle Insuln der Welt. Es begab sich nun, als er sich noch nicht sehr weit von seiner Statthalterinsul entfernt hatte – es war ihm nämlich nie eingefallen, sich zu erkundigen, ob er eine Insul, eine Stadt, ein Städtchen oder Dorf bestatthalterte –, daß er dort auf seinem Wege sechs Pilger mit ihren Wanderstäben einherkommen sah, die zu jenen Ausländern gehörten, welche mit Gesang um Almosen bitten. Als sie näher kamen, stellten sie sich in eine Reihe, erhoben alle zusammen ihre Stimmen und begannen in ihrer Sprache zu singen, was Sancho nicht verstehen konnte, ausgenommen ein Wort, das deutlich ›Almosen‹ lautete; daraus wurde ihm denn klar, daß es eben ein Almosen war, um was sie in ihrem Gesang baten. Da er nun, wie Sidi Hamét sagt, über die Maßen mildherzig war; so zog er aus seinem Zwerchsack das halbe Brot und den halben Käse, womit er sich versehen hatte, und reichte es ihnen hin, wobei er ihnen durch Zeichen zu verstehen gab, daß er sonst nichts für sie habe. Sie nahmen es sehr gern und sagten in deutscher Sprache: »Geld, Geld.«

»Ich verstehe nicht, was ihr von mir wollt, liebe Leute«, antwortete Sancho.

Da zog einer von ihnen einen Geldbeutel aus dem Busen und wies ihn Sancho hin, woraus diesem klarwurde, daß sie Geld von ihm verlangten; er aber legte den Daumen an die Kehle, hielt die Hand in die Höhe und streckte die Finger aus, womit er ihnen zu verstehen gab, daß er nicht die Spur von Geld habe, spornte seinen Esel und ritt durch sie hindurch. Als er indessen beim Vorüberreiten einen von ihnen aufmerksamer ansah, stürzte dieser auf ihn los, warf ihm die Arme um die Brust und rief laut in gut kastilianischer Sprache: »Gott steh mir bei! Was seh ich? Ist’s möglich, daß ich meinen lieben Freund, meinen braven Nachbarn Sancho Pansa in den Armen halte? Ja, er ist’s ohne Zweifel; ich liege ja nicht im Schlafe und bin jetzt nicht betrunken.«

Sancho war erstaunt, als er von dem ausländischen Pilger bei Namen genannt und gar umarmt wurde; er sah ihn lange an, ohne ein Wort zu reden, mit größter Aufmerksamkeit, und konnte ihn dennoch nimmer erkennen. Als der Pilger ihn so verlegen sah, sprach er zu ihm: »Wie? Ist’s möglich, Sancho Pansa, du alter Freund, daß du deinen Nachbarn Ricote nicht kennst, den Morisken, den Krämer in deinem Dorfe?«

Jetzt betrachtete ihn Sancho mit noch größerer Aufmerksamkeit, stellte sich seine Gesichtszüge aufs neue vor und erkannte ihn zuletzt ganz und gar; und ohne von seinem Tier abzusteigen, warf er ihm die Arme um den Hals und sagte: »Wer zum Teufel hätte dich erkennen sollen, Ricote, in dieser Fastnachtstracht, die du trägst? Sage, wer hat dich zum Franzmann gemacht, und wie traust du dich denn wieder nach Spanien hinein, wo es dir sehr schlecht ergehen wird, wenn sie dich ertappen und erkennen?«

»Wenn du mich nicht verrätst, Sancho«, antwortete der Pilger, »bin ich sicher; in dieser Tracht wird niemand mich erkennen. Aber gehen wir etwas abseits vom Wege nach jenem Wäldchen dort drüben; da wollen meine Kameraden essen und rasten, und dort sollst du mit ihnen essen; es sind sehr freundliche Leute. Da kann ich dir dann auch erzählen, was mir begegnet ist, seit ich unser Dorf verlassen habe, um dem Ausweisungsbefehl Seiner Majestät zu gehorchen, der die unglücklichen Angehörigen meines Volkes mit solcher Strenge bedroht, wie du gehört hast.«

Sancho tat also, Ricote sprach mit den übrigen Pilgern, und diese gingen zu dem Wäldchen hin, das sich vor ihnen zeigte, und entfernten sich ziemlich weit von der Heerstraße. Sie warfen ihre Stäbe hin, legten ihre weiten Kragen oder Pilgermäntel ab und standen nun in ihren Unterkleidern da; alle waren junge, hübsche Leute, außer Ricote, der schon bei Jahren war. Alle hatten Zwerchsäcke bei sich, welche dem Anscheine nach sämtlich wohlgefüllt waren, wenigstens mit solchen Dingen, die die Kehle reizen und den Durst auf zwei Meilen weit herbeirufen. Sie lagerten sich auf dem Boden, machten das Gras zum Tischtuch und legten darauf Brot, Salz, Messer, Nüsse, Stückchen Käse, saubre Schinkenbeine, an denen zwar nichts zu beißen war, an denen sich aber saugen ließ. Sie stellten auch ein schwarzes Gericht auf, das sie Kaviar benannten und das aus Eiern von Fischen besteht – ein großer Dursterwecker! Es fehlte auch nicht an Oliven, die zwar getrocknet und ohne Brühe, doch wohlschmeckend und lecker waren; aber was am herrlichsten war bei all der Herrlichkeit dieses Festmahls, das waren sechs Lederflaschen voll Wein, sechs, denn jeder holte die seinige aus seinem Zwerchsack hervor; und auch der wackre Ricote, der sich aus einem Morisken in einen Deutschen oder Niederländer verwandelt hatte, holte die seinige heraus, die es an Größe mit allen fünfen aufnehmen konnte. Sie begannen nun mit dem größten Behagen und sehr gemächlich zu essen und labten sich so recht an jedem Bissen, den sie nur mit der Messerspitze nahmen, und zwar von jedem Gericht ganz wenig, und dann hoben alle zugleich wie ein Mann die Arme und die Lederflaschen in die Höhe, und jeder legte seinen Mund an den Mund seiner Flasche und blickte starr nach dem Himmel empor, gerade als ob sie nach ihm zielen wollten; und in dieser Stellung, mit den Köpfen nach links und rechts wackelnd zum Zeichen, wieviel Vergnügen ihnen das machte, verharrten sie eine geraume Weile und leerten das Herzblut der Flaschen in ihre Mägen hinunter.

Sancho saß und schaut‘ es alles; nichts von allem tat ihn schmerzen – im Gegenteil, um dem Sprichwort zu folgen, das er so gut kannte: Kommst du nach Rom, sieh zu, was die andern tun, das tue du, bat er Ricote um die Lederflasche und nahm den Zielpunkt im Himmel wie die andren und mit nicht geringerem Vergnügen als sie. Viermal hielten es die Flaschen aus, daß man sie an den Mund setzte, aber zum fünftenmal war es nicht mehr möglich, denn bereits waren sie dürrer und trockner als Stroh, und das verwandelte die Heiterkeit, die sie bisher an den Tag gelegt, in eine gar trübe Stimmung. Von Zeit zu Zeit legte einer seine rechte Hand in diejenige Sanchos und sagte: »Spanisch und deutsch all eins, gut Kamerad.« Und Sancho antwortete: »Gut Kamerad, schwör Gott!« und brach in ein Lachen aus, das eine Stunde dauerte, und dachte an nichts mehr von allem, was ihm in seiner Statthalterschaft begegnet war; denn über die Zeit, während gegessen und getrunken wird, haben die Sorgen stets nur geringe Gewalt. Das Ende ihres Weinvorrats wurde nun der Anfang eines Schlummers, der sie alle überwältigte, sie schliefen ein auf ihren Tischen und Tischtüchern; nur Ricote und Sancho blieben wach, denn sie hatten mehr gegessen und weniger getrunken.

Ricote führte Sancho abseits, sie setzten sich unter eine Buche nieder und ließen die Pilger in süßen Schlaf versenkt liegen; und Ricote sprach in reinem Kastilianisch, ohne daß er dabei irgendwie über seine Moriskensprache gestolpert wäre, die folgenden Worte: »Wohl weißt du, Sancho Pansa, mein Nachbar und Freund, wie der allgemeine Erlaß und Bannbefehl, den Seine Majestät gegen die Angehörigen meines Volkes verkündigen ließ, alle mit Furcht und Schrecken erfüllte; ich wenigstens war in solcher Angst, daß es mich jetzt bedünkt, ich habe schon vor der Frist, die man uns zur Auswanderung aus Spanien gewährte, die harte Strafe an mir und meinen Kindern selbst vollstreckt. Ich traf nämlich die Anordnung – meiner Meinung nach als vorsorgender Mann, ich meine, als einer, der wohl weiß, daß man ihm in einer bestimmten Zeit das Haus, in dem er lebt, wegnehmen wird, und der daher für ein andres sorgt, um dahin überzusiedeln –, ich richtete es so ein, sage ich, daß ich allein, ohne meine Familie, mein Dorf verließ, um einen Ort zu suchen, wohin ich sie mit Bequemlichkeit bringen könnte, ohne die Übereilung, mit welcher die andern auswanderten. Denn ich sah wohl ein, und ebenso unsre Ältesten, daß diese Erlasse nicht bloß Drohungen waren, wie mancher behauptete, sondern ernstgemeinte Gesetze, die in ihrer bestimmten Frist zur Vollziehung gelangen würden; und dies für wahr zu halten nötigte mich selbst der Umstand, daß ich die verderblichen unsinnigen Anschläge der Unsrigen kannte, die derart waren, daß es mich bedünkt, eine wahrhaft göttliche Eingebung habe Seine Majestät bewegen, einen so mutigen Entschluß in Ausführung zu bringen; nicht weil wir etwa alle schuldig gewesen wären, denn es gab unter uns manchen standhaften wahren Christen, aber ihrer waren so wenige, daß sie denen nicht entgegentreten konnten, die es nicht waren, und es wäre nicht vernünftig gewesen, die Schlange an seinem Busen zu nähren, ich meine, die Feinde im eignen Hause zu behalten.

Kurz, aus gerechten Gründen wurden wir mit der Strafe der Landesverweisung gezüchtigt, die manchen mild und gelinde, uns aber die schrecklichste dünkte, die man uns auferlegen konnte. Wo immer wir sind, weinen wir um Spanien, denn am Ende sind wir doch hier geboren; es ist unser angestammtes Vaterland. Nirgends finden wir die Aufnahme, die unser Unglück verlangen darf, und in der Berberei und in allen Landschaften Afrikas, wo wir hofften, wohlaufgenommen, willkommen geheißen und freundlichst behandelt zu werden, dort kränkt und mißhandelt man uns am meisten. Wir haben unser Glück nicht eher erkannt, als bis wir es verloren hatten, und die Sehnsucht nach Spanien ist bei fast allen den Unsrigen so groß, daß die meisten – und ihrer sind viele –, die die Sprache wie ich verstehen, hierher zurückkehren und ihre Frauen und Kinder schutzlos in der Ferne lassen. So mächtig ist die Liebe, die sie zu Spanien fühlen! Und jetzt erst erkenne ich und erfahre ich an mir die Wahrheit des Spruches: Süß ist die Liebe zum Vaterland.

Ich zog fort, wie gesagt, aus unsrem Dorfe, ging nach Frankreich, und wiewohl man uns dort gut aufnahm, wollte ich mich doch überall umsehen. Ich ging nach Italien, kam nach Deutschland, und dort, kam es mir vor, könne man mit größerer Freiheit weilen, weil die Bewohner des Landes es mit vielen Dingen nicht so genau nehmen; jeder lebt, wie es ihm behagt, denn in dem größten Teile des Landes herrscht Gewissensfreiheit. Nachdem ich zuerst in einem Dorfe nahe bei Augsburg feste Wohnung genommen, schloß ich mich diesen Pilgern an, von denen viele nach ihrer Gewohnheit jährlich nach Spanien ziehen, um die Heiligtümer des Landes zu besuchen, die sie als ihr Indien und als ihr sicherstes Erwerbsmittel und zweifellosen Geschäftsgewinn betrachten. Sie durchwandern fast das ganze Land, und es gibt kein Dorf, aus welchem sie nicht ›gegessen und getrunken‹, wie die Redensart lautet, und mindestens mit einem Real baren Geldes scheiden, und am Ende ihrer Reise ziehen sie mit mehr als hundert Talern Überschuß von dannen; dieses Geld wechseln sie in Gold um, schleppen es aus dem Königreich mit fort, entweder in ihren ausgehöhlten Stäben oder unter den Flicklappen ihrer Pilgermäntel, oder wie sonst ihre List es sie lehrt, und nehmen es in ihre Heimat mit, trotz den Wachen in den Grenzplätzen und Häfen, wo sie durchsucht werden.

Jetzt ist es meine Absicht, Sancho, den Schatz zu holen, den ich vergraben zurückließ; da er außerhalb des Dorfes liegt, kann ich es ohne Gefahr tun. Dann will ich von Valencia aus an meine Tochter und meine Frau, die, wie ich weiß, in Algier sind, schreiben oder zu ihnen hinreisen und ein Mittel aussinnen, wie ich sie nach einem französischen Hafen bringen und von dort nach Deutschland führen kann, wo wir abwarten wollen, was Gott über uns verhängen wird. Denn im Grunde, Sancho, weiß ich doch ganz sicher, daß die Ricota, meine Tochter, und Franziska Ricota, meine Frau, gut katholische Christinnen sind; und wenn ich es auch nicht so völlig bin wie sie, so bin ich doch mehr Christ als Maure und bitte beständig zu Gott, mir die Augen meines Verstandes zu öffnen und mir die Erkenntnis zu geben, wie ich ihm dienen soll. Was mich aber wundert: ich weiß gar nicht, warum meine Frau und meine Tochter lieber nach der Berberei gegangen sind als nach Frankreich, wo sie als Christinnen hätten leben können.«

Sancho entgegnete hierauf: »Bedenke, Ricote, das mochte wohl nicht von ihnen abhängen; denn wer sie mitgenommen hat, war Juan Tiopieyo, der Bruder deiner Frau, und da er wohl ein echter Moslem ist, so ist er dahin gegangen, wo es ihm am angenehmsten schien. Ich kann dir aber noch etwas andres sagen. Ich glaube nämlich, daß du vergeblich suchen willst, was du vergraben hast, denn wir haben erfahren, daß man deinem Schwager und deiner Frau viele Perlen und große Summen in Gold abgenommen hat, die sie heimlich hatten fortschleppen wollen.«

»Das kann wohl sein«, versetzte Ricote; »aber ich weiß, Sancho, sie haben an mein Vergrabenes nicht gerührt, denn ich habe ihnen nicht verraten, wo es sich befand, weil ich irgendeinen Unfall fürchtete. Wenn du also mit mir gehen und mir helfen willst, es auszugraben und es zu verbergen, so gebe ich dir zweihundert Goldtaler, womit du deiner Not abhelfen kannst; denn du weißt ja, ich weiß, daß die bei dir nicht gering ist.«

»Ich würde es schon tun«, erwiderte Sancho, »aber ich bin durchaus nicht habgierig; wäre ich es, so hätte ich nicht heute morgen ein Amt aufgegeben, wo ich die Wände meines Hauses vergolden und vor Ablauf von sechs Monaten von silbernen Tellern hätte essen können. Darum also, und auch weil es mir wie ein Verrat an meinem Könige vorkäme, wenn ich seinen Feinden hülfe, darum will ich nicht mit dir gehen, und wenn du mir auch statt der versprochenen zweihundert Goldtaler vierhundert bar in die Hände gäbst.«

»Und was für ein Amt hast du denn aufgegeben, Sancho?« fragte Ricote.

»Die Statthalterschaft über eine Insul«, antwortete Sancho, »und zwar über eine, daß man wahrlich in der Welt nicht so leicht eine andre finden könnte wie sie.«

»Und wo ist diese Insul?« fragte Ricote.

»Wo?« antwortete Sancho; »zwei Meilen von hier, und sie heist die Insul Baratária.«

»Schweig nur still, Sancho«, sagte Ricote. »Die Insuln liegen weit draußen mitten im Meer, es gibt keine Insuln auf dem festen Land.«

»Was heißt keine?« entgegnete Sancho; »ich sage dir, Freund Ricote, diesen Morgen bin ich aus ihr fort, und gestern hab ich in ihr als Statthalter regiert nach meinem Belieben wie ein Bogenschütz. Aber trotzdem habe ich sie aufgegeben, weil mir das Statthaltern gefährlich vorkam.«

»Und was hat dir die Statthalterschaft eingetragen?« fragte Ricote.

»Sie hat mir eingetragen«, antwortete Sancho, »daß ich zur Einsicht gekommen bin, daß ich zum Regieren nicht tauge, außer etwa über eine Schafherde, und daß die Reichtümer, die man bei solchen Statthaltereien erwirbt, einen die Ruhe und den Schlaf, ja sogar das tägliche Brot kosten, denn auf den Insuln dürfen die Statthalter nur wenig essen, besonders wenn sie einen Arzt haben, der auf ihre Gesundheit sieht.«

»Ich verstehe dich nicht, Sancho«, sagte Ricote; »aber mir scheint, du schwätzt lauter Unsinn. Wer hätte dir Insuln zu regieren geben sollen? Gibt es denn auf der Welt keine geschickteren Leute als dich, um einen Statthalter daraus zu machen? Schweig, Sancho, und komme wieder zu dir und überlege dir, ob du mit mir kommen willst, wie ich dir gesagt, um mir meinen versteckten Schatz heben zu helfen; wahrlich, er ist so groß, daß man ihn wirklich einen Schatz nennen kann, und ich will dir so viel geben, daß du davon leben kannst, wie gesagt.«

»Ich habe dir schon gesagt, Ricote«, versetzte Sancho, »ich will nicht; sei zufrieden, daß ich dich nicht verrate, und setze in Gottes Namen deinen Weg fort und laß mich den meinigen verfolgen; ich weiß, rechtmäßiger Erwerb kann verlorengehen, unrechtmäßiger aber geht verloren und der Besitzer mit.«

»Ich will nicht weiter in dich dringen, Sancho«, sagte Ricote; »aber sage mir, warst du in unsrem Dorf anwesend, als meine Frau, meine Tochter und mein Schwager wegzogen?«

»Freilich war ich anwesend«, antwortete Sancho, »und ich kann dir sagen, als deine Tochter von dannen ging, war sie so schön, daß alles im Dorfe aus den Häusern lief, um sie zu sehen, und jeder sagte, es sei das reizendste Geschöpf von der Welt. Sie ging unter Tränen, umarmte alle ihre Freundinnen und Bekannten und jeden, der da kam, sie zu sehen; und sie bat alle, sie Gott und Unsrer Lieben Frau, seiner Mutter, zu befehlen, und tat das mit so rührendem Ausdruck, daß sie sogar mich zum Weinen brachte, der ich doch sonst nicht so leicht weine. Und wahrhaftig, viele hatten Lust, sie zu verstecken, und wollten ihr nach, um sie unterwegs zu entführen; nur die Furcht, dem Befehl des Königs zuwiderzuhandeln, hielt sie zurück. Besonders Don Gaspár Gregorio zeigte sich höchst leidenschaftlich, jener junge und reiche Majoratsherr, den du kennst, der sie sehr liebhatte, wie die Leute sagen. Seit sie fort ist, hat er sich nimmer in unsrem Dorfe sehen lassen, und wir alle meinten, er sei ihr nach, um sie zu entführen; aber bis jetzt hat man nichts erfahren.«

»Ich hatte immer den Verdacht«, sagte Ricote, »dieser Edelmann sei in meine Tochter verliebt; aber ich vertraue auf die Bravheit meiner Ricota, und es machte mir niemals Kummer, daß er sie liebhatte. Du wirst ja schon gehört haben, Sancho, daß die Moriskinnen sich selten oder nie in Liebeshändel mit Altchristen einlassen, und meine Tochter, die, wie ich glaube, mehr ihr Christentum als die Liebe im Kopfe hatte, würde sich gewiß nie um die Werbungen dieses Majoratsherrn gekümmert haben.«

»Das gebe Gott«, versetzte Sancho, »denn sonst würde es für beide schlimm sein. Jetzt aber laß mich gehen, Freund Ricote; ich will noch heute abend zu meinem Herrn Don Quijote.«

»Gott sei mit dir, Freund Sancho«, sprach Ricote; »meine Kameraden rühren sich schon, und es ist wirklich Zeit, auch unsren Weg fortzusetzen.«

Nun umarmten sich die beiden, Sancho stieg auf seinen Grauen, Ricote nahm seinen Pilgerstab, und so schieden sie voneinander.

55. Kapitel


Von allerlei Dingen, die Sancho unterwegs begegneten, nebst etlichen andern solcher Art, daß man sich nichts Wundersameres erdenken kann

Der Umstand, daß Sancho sich so lange mit Ricote aufgehalten, gestattete ihm nicht, an diesem Tage das Schloß des Herzogs zu erreichen, wenn er auch so weit gelangte, daß er nur noch eine halbe Meile davon entfernt war; da aber überraschte ihn die Nacht, und es wurde rasch stockfinster. Da es indessen Sommer war, machte das ihm keinen großen Kummer, und so wendete er sich abseits vom Weg in der Absicht, den Morgen zu erwarten. Da fügte es sein unglückliches, mißgünstiges Geschick, daß er, während er gerade eine Stelle suchte, wo er es sich bequem machen könnte, mit seinem Esel in eine tiefe, ganz dunkle Grube fiel, die sich zwischen sehr alten Bauten befand. Im Hinunterfallen befahl er sich Gott von ganzem Herzen, da er dachte, er würde im Stürzen erst in der tiefsten Unterwelt haltmachen. Aber so war es doch nicht, denn in drei Mannslängen Tiefe kam der Esel auf den Grund, und Sancho saß noch auf ihm, ohne die geringste Verletzung oder Schädigung erlitten zu haben. Er befühlte sich am ganzen Körper und hielt den Atem an, um zu sehen, ob er unversehrt oder ob ihm irgendein Loch in den Körper geschlagen sei; da er sich aber heil und ganz fand und völlig gesund am Leibe, so konnte er gar nicht fertigwerden, Gott dem Herrn zu danken für die Gnade, die er ihm erwiesen, denn er hatte wirklich gemeint, er sei in tausend Stücke zerschlagen. Dann tastete er mit den Händen an den Wänden der Grube herum, um festzustellen, ob es möglich wäre, ohne fremde Hilfe herauszukommen; aber er fand sie überall glatt und ohne irgendeine Stelle, um sich daran festzuhalten, worüber er sehr betrübt war, besonders als er den Grauen jammervoll und schmerzlich klagen hörte; und das war kein Wunder, und er jammerte nicht aus Übermut, denn wirklich war er ziemlich übel zugerichtet.

»Ach!« rief jetzt Sancho Pansa aus, »wie ganz ungeahnte Ereignisse begegnen doch bei jedem Schritt denen, so auf dieser elenden Welt leben! Wer hätte gedacht, daß der Mann, der gestern als Statthalter einer Insul thronte und seinen Dienern und Untertanen gebot, sich heute in einer Grube begraben sehen würde, ohne einen Menschen zu haben, der ihm beistünde, oder einen Diener oder Untertan, der ihm zu Hilfe käme? Hier werden wir vor Hunger umkommen müssen, ich und mein Esel, wenn wir nicht vorher sterben, er, weil zermalmt und zerschlagen, und ich, weil voll Herzeleid. Jedenfalls werde ich nicht soviel Glück haben wie mein Herr Don Quijote von der Mancha, als er in die Höhle jenes verzauberten Montesinos hinabstieg und eindrang, wo er Leute fand, die ihn besser pflegten als in seinem Hause, so daß es gerade aussah, als wäre er an einen gedeckten Tisch und in ein gemachtes Bett gekommen. Dort sah er schöne und liebliche Erscheinungen, und ich, wie ich glaube, bekomme hier nur Kröten und Schlangen zu sehen. Ich Unglückseliger, welch ein Ende haben meine Narreteien und Hirngespinste gefunden! Aus dieser Stätte, wenn es dereinst dem Himmel beliebt, mich hier auffinden zu lassen, wird man meine Gebeine sauber, gebleicht und abgenagt heraufholen und mit ihnen die meines Esels, und daran werden wir vielleicht erkannt werden, zum mindesten von denen, die gehört haben, daß Sancho Pansa sich nie von seinem Esel und sein Esel sich nie von Sancho Pansa getrennt hat. Nochmals sag ich: O wie elend sind wir, daß unser mißgünstiges Geschick uns nicht vergönnt hat, in unsrer Heimat und inmitten der Unsrigen zu sterben! Und wenn auch dort unser Unglück keine Abhilfe fände, so hätte es doch nicht an einem Freunde gefehlt, der teilnehmenden Schmerz empfunden und uns in der letzten Stunde unsres Bewußtseins die Augen zugedrückt hätte. O mein Kamerad und Freund, welch schlechten Lohn habe ich dir für deine treuen Dienste gezahlt! Vergib mir und bitte das Schicksal, so gut du eben kannst, uns aus den jämmerlichen Drangsalen zu erlösen, darin wir uns beide befinden, und ich verspreche, dir eine Lorbeerkrone aufs Haupt zu setzen, daß du geradeso aussehen sollst wie ein gekrönter Poet, und dir doppeltes Futter zu reichen.«

So wehklagte Sancho, und sein Esel hörte ihm zu, ohne ein Wort zu erwidern; so groß war die Trübsal und Bedrängnis, in der sich das arme Tier befand.

Endlich, nachdem er die ganze Nacht unter erbärmlichem Weheklagen und Jammern verbracht, kam der Tag, bei dessen Licht und Glanz Sancho erkannte, es sei das Unmöglichste unter allen Unmöglichkeiten, ohne Beihilfe aus diesem tiefen Loch herauszukommen. Jetzt begann er aufs neue zu jammern und laut zu schreien, um zu versuchen, ob ihn jemand höre; aber all sein Schreien war die Stimme des Predigers in der Wüste, denn es war in der ganzen Gegend niemand, der ihn hätte hören können, und nun hielt er sich wirklich für tot und begraben. Der Graue lag auf dem Rücken da, und Sancho brachte ihn endlich wieder auf die Beine; er konnte sich aber kaum aufrecht halten. Sancho nahm aus dem Zwerchsack, welcher das Schicksal des Sturzes mit ihm geteilt hatte, ein Stück Brot, gab es seinem Esel, dem es nicht schlecht schmeckte, und sprach zu ihm, als ob er es verstünde: »Jegliche Not erträgt sich mit Brot.«

Jetzt entdeckte er an einer Seite der Grube ein Loch, groß genug, daß ein Mann darin Raum fand, wenn er sich duckte und zusammenkauerte. Sancho Pansa machte sich sogleich an die Stelle, bückte sich und kroch hinein und sah, daß die Höhlung geräumig und weit war; und er konnte das sehen, weil durch die Decke derselben – wenn man es so nennen konnte – ein Sonnenstrahl hereinfiel, der alles deutlich zeigte. Er sah auch, daß sie sich nach einer andern geräumigen Höhlung hin ausdehnte und erweiterte, und als er dies bemerkte, kehrte er wieder zu seinem Esel zurück und begann mit einem Steine die Erde im Loch abzugraben, so daß er in kurzer Zeit Raum genug schaffte, daß sein Esel mit Leichtigkeit hineinkommen konnte, wie er es denn auch tat. Sancho nahm den Esel am Halfter und begann in dieser Höhle voranzuschreiten, um zu sehen, ob er an einer andern Stelle einen Ausweg fände; manchmal tappte er im Dunkeln, manchmal ohne Licht zu sehen, aber niemals ohne Furcht.

So wahr helfe mir Gott, der Allmächtige! sagte er zu sich selber, hier habe ich Pech ganz ungeheuer, und hier hätte mein Herr ein prächtig Abenteuer. Er wahrlich, er würde diesen Abgrund, dies Kerkerloch für einen blühenden Garten und für Galianas Palast halten und nicht zweifeln, daß er aus dieser Finsternis und Bedrängnis sich zu einem blumenreichen Gefilde hinausfinden würde; aber ich, der ohne Glück ist, dem guter Rat fehlt und rechter Mut abgeht, ich denke, bei jedem Schritt wird sich unter meinen Füßen ein neuer Abgrund, tiefer als der vorige, auftun und mich ganz hinunterschlingen. Sei willkommen, Unglück, wenn du allein kommst.

So und mit diesen Gedanken war er wenig über eine halbe Meile, wie ihm schien, fortgewandert, nach deren Zurücklegung er eine dämmernde Helle erblickte, die schon das Tageslicht zu sein schien und die durch irgendeine Öffnung hereinfiel, die ihm zeigte, daß dieser Weg, den er für den Pfad ins andre Leben hielt, doch irgendwo zutage ausgehen müsse.

Hier verläßt ihn Sidi Hamét Benengelí und kehrt in seiner Erzählung zu Don Quijote zurück, welcher freudig bewegt und selbstzufrieden den festgesetzten Tag des Kampfes erwartete, den er mit dem Räuber der Ehre der Tochter von Doña Rodríguez ausfechten sollte, da er gedachte, dieser Maid die Unbill und das Unrecht zurechtzubringen, das ihr angetan worden. Als er nun eines Morgens ausritt, um sich in dem zu üben und zu versuchen, was ihm in der Kampfesnot obliegen werde, die ihm bevorstand, und indem er Rosinante in kurzen Galopp setzte und ihn springen lassen wollte, setzte das Pferd seine Füße so dicht an den Rand einer Höhlung, daß es unfehlbar hineingestürzt wäre, wenn der Ritter es nicht mit aller Gewalt zurückgerissen hätte. Jedoch gelang es ihm, das Pferd zu parieren, es fiel nicht, und indem er dann sich etwas näherte, um die Höhlung zu betrachten, ohne abzusteigen, hörte er von innen lautes Schreien; er horchte aufmerksam, so daß er hören und verstehen konnte, wie jemand rief: »Hallo da oben! Ist denn kein Christenmensch da, der mich hört? Kein barmherziger Rittersmann, der Mitleid hat mit einem lebendig begrabenen Sünder, mit einem unglücklichen Statthalter, der ausgestatthaltert hat?«

Don Quijote kam es vor, als hörte er Sancho Pansas Stimme, und darüber in Staunen und Bestürzung, rief er: »Wer ist dort unten? Wer jammert so?«

»Wer kann hier unten sein, wer soll hier so jammern«, war die Antwort, »als Sancho Pansa, der auf unbekannten Wegen verirrte, von wegen seiner Sünden und seines Pechs Statthalter der Insul Baratária, gewesener Schildknappe des ruhmvollen Ritters Don Quijote von der Mancha?«

Als Don Quijote dies hörte, verdoppelte sich seine Verwunderung, und seine Bestürzung wuchs mehr und mehr, da es ihm in den Sinn kam, Sancho Pansa müsse tot sein und seine Seele erleide an diesem Orte die Qualen des Fegefeuers; und von diesem Wahn überwältigt, rief er: »Ich beschwöre dich bei allem, wobei ich als katholischer Christ dich beschwören kann, sage mir, wer du bist! Und wenn du eine Seele in Fegefeuers Qualen bist, sage mir, was für dich zu tun du von mir begehrest; denn dieweil es meines Berufes ist, den Bedrängten in dieser Welt beizustehen und zu helfen, so will ich auch den Hilfsbedürftigen aus der andern Welt beistehen und zu Hilfe eilen, die sich mit eigner Kraft nicht helfen können.«

»Hiernach«, kam die Antwort herauf, »müßt Ihr, der Ihr mit mir sprecht, mein Herr Don Quijote von der Mancha sein, und auch nach dem Ton der Stimme ist es sicherlich kein andrer.«

»Ich bin Don Quijote«, versetzte der Ritter, »ich bin’s, dessen Beruf es ist, männiglich in seinen Bedrängnissen hilfreich zu sein und Beistand zu leisten, so den Lebendigen wie den Toten. Darum sage mir, wer du bist, der du mich in Bestürzung versetzest; denn bist du mein Schildknappe Sancho Pansa und bist gestorben und es hat dich der Teufel nicht geholt und du weilest durch Gottes Barmherzigkeit im Fegefeuer, so hat unsre heilige Mutter, die römisch-katholische Kirche, Gnadenmittel genug, um dich aus deinen Qualen zu erlösen, und ich meinesteils will ihre Hilfe für dich in Anspruch nehmen, soweit meine Habe reicht. Darum künde mir alles und sage mir, wer du bist.«

»Ich schwör’s bei dem und jenem«, erscholl es von unten, »ich schwör’s bei der Geburt von … nun, von wem Euer Gnaden will, ich schwör es, Señor Don Quijote von der Mancha, daß ich Euer Schildknappe Sancho Pansa bin und daß ich all meiner Lebtage noch nicht gestorben bin; vielmehr habe ich meine Statthalterschaft aufgegeben wegen allerhand Sachen und Ursachen, deren Erzählung längere Zeit erfordern würde, und bin dann in diesen Abgrund gefallen, in dem ich liege und der Graue mit mir, der mich nicht Lügen strafen wird, denn zum weiteren Wahrzeichen steht er selber hier bei mir.«

Ja, noch mehr; es schien, als ob der Esel verstünde, was Sancho gesagt, denn augenblicklich begann er so kräftig zu iahen, daß die ganze Höhle widerhallte.

»Ein prächtiger Zeuge!« sprach Don Quijote; »das Iahen kenne ich, als ob ich ihn selbst erzeugt hätte, und ich höre auch deine Stimme, Sancho mein, warte eine kurze Weile, ich reite ins Schloß des Herzogs, das hier in der Nähe ist, und bringe Leute herbei, um dich aus dieser Grube zu ziehen, in die dich deine Sünden gestürzt haben müssen.«

»Reitet zu, gnädiger Herr«, sprach Sancho, »und kehrt um Gott des Einzigen willen bald zurück; ich kann’s nicht mehr aushalten, hier lebendig begraben zu sein, und ich sterbe schier vor Angst.«

Don Quijote verließ ihn und eilte nach dem Schlosse, um dem herzoglichen Paar den Unfall Sancho Pansas zu erzählen, worüber sie sich nicht wenig wunderten, wiewohl es ihnen sofort klar war, daß er in einen Ausläufer jener Höhle gefallen sein müsse, die vor undenklichen Zeiten dort gegraben worden; aber sie konnten sich nicht vorstellen, wie er seine Statthalterschaft verlassen habe, ohne daß sie Nachricht von seiner Ankunft erhielten. Endlich holte man, wie man im Scherze sagt, Stricke und Galgenstricke herbei, und mit vieler Hände Hilfe und mit schwerer Mühsal zog man den Esel und Sancho Pansa aus den Finsternissen dort unten ans Licht der Sonne herauf.

Ein Student sah das mit an und sagte: »Auf solche Weise sollten alle schlechten Statthalter aus ihren Statthaltereien heimkehren wie dieser Sünder aus den Tiefen des Abgrunds, halbtot vor Hunger, ganz blaß, und ohne einen blassen Pfennig in der Tasche, wie mir es vorkommt.«

Sancho hörte es und sprach: »Acht oder zehn Tage sind’s her, Freund Lästermaul, seit ich die Statthalterschaft über die mir verliehene Insul antrat, und während all dieser Tage habe ich mich keine Stunde auch nur an Brot satt gegessen. Während dieser Zeit haben Ärzte mich verfolgt und Feinde mir die Knochen zusammengetreten; ich habe keine Nebenverdienste erhascht und keine Gebühren in die Taschen gesteckt, zu alledem hatte ich keine Gelegenheit. Und da dies so ist, habe ich meiner Meinung nach keineswegs verdient, auf solche Weise vom Amte zu kommen. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt, und Gott weiß, was das Beste ist und was einem jeden gut ist; und in die Zeit muß man sich schicken; und keiner darf sagen: Von dem Wasser werd ich nimmer trinken, denn glaubst du, im Haus gab’s Speck die Mengen, gibt’s nicht mal Stangen, ihn dranzuhängen; und Gott versteht mich, und damit genug, und mehr sage ich nicht, wenn ich es auch könnte.«

»Ärgere dich nicht, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »laß dich nicht kränken, was du auch hören magst, denn sonst würdest du nie fertig. Lebe du weiter mit deinem guten Gewissen und laß die Leute sagen, was sie sagen wollen, und wenn man den Leuten die Zunge anbinden will, ist’s gerade, als wollte man das freie Feld mit Türen zuschließen. Wenn der Statthalter in Reichtum aus seiner Statthalterschaft scheidet, so sagen sie ihm nach, er sei ein Dieb gewesen, und wenn er in Armut scheidet, er sei ein Tunichtgut und ein einfältiger Mensch gewesen.«

»Wahrlich«, entgegnete Sancho, »diesmal werden sie mich eher für einen Dummkopf als für einen Dieb halten müssen.«

Unter solcherlei Gesprächen gelangten sie, von Gassenjungen und viel andrem Volk umringt, zu dem Schlosse, wo der Herzog und die Herzogin bereits auf einer Galerie standen und Don Quijote und Sancho erwarteten; dieser aber wollte nicht eher hinaufgehen, um den Herzog zu begrüßen, ehe er den Grauen im Stall untergebracht hatte; denn er sagte, sein Tier habe eine gar schlechte Nacht in seiner Herberge verbracht. Dann erst ging er hinauf, sich den Herrschaften vorzustellen, kniete vor ihnen nieder und sagte: »Ich, meine Gnädigsten, bin hingegangen, weil es Eure Hoheit so gewollt, ohne daß ich es verdient hätte, Statthalter zu werden auf Eurer Insul Baratária; nackt und bloß zog ich ein, war nackt und bloß geboren, so hab ich nichts gewonnen, nichts verloren. Ob ich schlecht oder gut regiert habe, dafür hab ich Zeugen um mich gehabt, die mögen sagen, was ihnen gutdünkt. Ich habe Zweifelsfragen gelöst, Prozesse entschieden, und immer bin ich vor Hunger fast gestorben, denn so wollte es der Doktor Peter Stark, gebürtig aus Machdichfort, der insulanische und statthalterische Leibarzt. Der Feind hat uns bei Nacht überfallen, und nachdem er uns in große Bedrängnis gebracht, sagten die Leute von der Insul, sie hätten durch die Kraft meines Armes Befreiung und Sieg errungen; Gott schenke ihnen ebenso ein gesundes Leben, wie sie die Wahrheit sagen. Schließlich habe ich im Verlauf dieser Zeit die Lasten und Pflichten erwogen, die das Regieren mit sich bringt, und habe für mein Teil gefunden, daß meine Schultern sie nicht tragen können, daß es keine Bürden für meinen Rücken und keine Pfeile für meinen Köcher sind; und darum, ehe die Statthalterschaft mich über Bord werfen sollte, hab ich die Statthalterschaft über Bord geworfen und habe gestern morgen die Insul verlassen, wie ich sie gefunden, mit den nämlichen Gassen, Häusern und Dächern, wie sie sie bei meiner Ankunft hatte. Ich habe von niemandem was geborgt und mich auf keine Erwerbsgeschäfte eingelassen. Zwar gedachte ich ein paar nützliche Verordnungen zu erlassen, habe aber keine erlassen, aus Besorgnis, sie würden nicht befolgt werden, wo es dann dasselbe wäre, sie zu erlassen oder sie nicht zu erlassen. Ich habe die Insul, wie gesagt, ohne eine andre Begleitung verlassen als die meines Grauen; ich fiel in einen tiefen Graben und tappte in ihm weiter, bis ich diesen Morgen mit dem Licht der Sonne den Ausgang sah, der aber nicht so leicht war; und hätte mir der Himmel nicht meinen Herrn Don Quijote gesendet, so wäre ich bis zum Ende der Welt dort unten geblieben. Mithin, Herr Herzog und Frau Herzogin Gnaden, steht hier Dero Statthalter vor Euch, der schon in den wenigen zehn Tagen seiner Regierung die Erkenntnis sich erworben, daß es keinen Wert für ihn hat, Statthalter zu sein, ich sage nicht bloß über eine Insul, sondern über die ganze Welt. Und mit dieser Erklärung küsse ich Euer Gnaden die Füße und mach es wie die Knaben bei ihrem Spiel, wenn sie sagen: Spring du aus der Reih und laß mich hinein! Geradeso spring ich aus der Statthalterei heraus und trete wieder in den Dienst meines Herrn Don Quijote, wo ich zwar mein Brot mit Angst und Schrecken esse, aber mich doch wenigstens satt esse; und mir, wenn ich nur satt bin, mir ist’s einerlei, ob von Rüben oder von Rebhühnern.«

Hiermit beschloß Sancho seine langatmige Rede, wobei Don Quijote beständig in Angst war, er würde sie mit tausend Ungereimtheiten vollpfropfen; als er aber sah, daß er sie mit so wenigen zu Ende führte, dankte er dem Himmel in seinem Herzen. Der Herzog umarmte Sancho und sagte ihm, es tue ihm in der Seele weh, daß er die Statthalterschaft so rasch aufgegeben, aber er würde es schon so einrichten, daß ihm ein Amt von geringerer Beschwer und größerem Erträgnis zuteil werde. Auch die Herzogin umarmte ihn und befahl, ihn gut zu pflegen; denn man sah es ihm an, er hatte unter arger Mißhandlung und noch ärgerer Verpflegung zu leiden gehabt.

56. Kapitel


Von dem ungeheuerlichen und unerhörten Kampfe, den Don Quijote von der Mancha mit dem Lakaien Tosílos bestand, um einzustehen für die Ehre der Tochter von Doña Rodríguez, der Kammerfrau.

Der Herzog und die Herzogin bereuten keineswegs den Streich, den sie Sancho Pansa mit der ihm verliehenen Statthalterschaft gespielt hatten, zumal noch am nämlichen Tage ihr Haushofmeister ankam und ihnen so ziemlich alle Äußerungen und Handlungen Punkt für Punkt erzählte, die Sancho während jener Tage getan und vorgenommen hatte; und zuletzt hob er ganz besonders den Sturm auf die Insul hervor sowie Sanchos Angst und seinen Abschied vom Amte, was ihnen nicht wenig Vergnügen bereitete.

Hierauf, so erzählt die Geschichte, nahte der Tag des anberaumten Kampfes, und nachdem der Herzog nicht einmal, sondern sehr viele Male seinen Lakaien Tosílos unterwiesen hatte, wie er sich gegen Don Quijote benehmen müsse, um ihn zu besiegen, ohne ihn zu töten oder auch nur zu verwunden, befahl er, die eisernen Spitzen von den Lanzen abzunehmen, wobei er dem Ritter erklärte, die christliche Lehre, die er sich doch zur Richtschnur nehme, gestatte nicht, daß bei diesem Kampf das Leben so aufs Spiel gesetzt und gefährdet werde, und er möge damit zufrieden sein, daß er ihm auf seinem Gebiet freies Feld zum Gefecht gewähre, obwohl er damit gegen die Satzung des heiligen Tridentinischen Konzils handle, welches dergleichen Zweikämpfe verbiete; er möge also eine so bedrohliche Fehde nicht bis aufs Äußerste treiben.

Don Quijote entgegnete, Seine Exzellenz möge die Einzelheiten dieses Handels so bestimmen, wie es ihm genehm sei; er würde ihm in allem gehorsamen.

Als nun der furchtbare Tag erschienen und der Herzog auf dem Platze vor dem Schloß eine geräumige Bühne hatte aufschlagen lassen, wo die Kampfrichter und die beiden Klägerinnen, Mutter und Tochter, ihren Sitz nehmen sollten, da war aus allen benachbarten Dörfern und Weilern eine zahllose Menge Volks herbeigeströmt, um das neue Schauspiel dieses Kampfes mit anzuschauen, dessengleichen in jener Gegend die Lebenden und auch die Verstorbenen nie ersehen noch erhört hatten.

Der erste, welcher auf den Kampfplatz und in die Schranken trat, war der Turnierwart, der das Feld untersuchte und es ganz durchschritt, auf daß daselbst keinerlei Gefährde sei noch etwas Verstecktes, um darüber zu stolpern oder zu fallen. Sodann erschienen die zwei Frauen und nahmen ihre Sitze ein, in Schleier gehüllt bis über die Augen, ja bis zum Busen herab; sie verrieten nicht geringe Gemütsbewegung, da Don Quijote bereits in den Schranken hielt. Kurz darauf erschien unter dem Geleite zahlreicher Trompeter von der andern Seite des Schloßplatzes her auf einem gewaltigen Roß, das den ganzen Platz zerstampfte, der hochgewachsene Lakai Tosílos mit heruntergeschlagenem Visier, ganz umschanzt mit starken und glänzenden Waffen. Das Roß war dem Aussehen nach ein Friesländer, mit breiter Brust, ein Schwarzschimmel, und an jedem Vorder- und Hinterfuß hing ihm schier ein Viertelzentner wolliges Haar herab. Der streitbare Kämpe war, wie gesagt, vom Herzog genau unterrichtet, was er dem streitbaren Don Quijote von der Mancha gegenüber zu tun habe; er war also angewiesen, ihn unter keiner Bedingung zu töten, sondern er solle bestrebt sein, dem ersten Zusammenstoß auszuweichen, damit der Ritter der Gefahr des Todes entginge, die zweifellos war, wenn Tosílos ihn Speer gegen Speer anrennen würde. Er ritt über den Kampfplatz, und als er an die Stelle kam, wo die Frauen saßen, hielt er eine Zeitlang und betrachtete das Mädchen, das ihn zum Gatten begehrte. Der Turnierwart rief Don Quijote auf, der sich bereits auf der Bahn eingestellt hatte, und richtete gemeinsam mit Tosílos die Frage an die beiden Frauen, ob sie damit einverstanden seien, daß Don Quijote für ihr Recht eintrete. Sie bejahten dies; alles, was er in der Sache tun werde, erklärten sie für wohlgetan, unverbrüchlich und rechtsgültig.

Inzwischen hatten der Herzog und die Herzogin auf einer Galerie Platz genommen, die auf die Schranken hinausging, welche ringsum von zahllosem Volk umkränzt waren, das den furchtbaren Ausgang des nie geschauten Kampfes erwartete. Unter den beiden Kämpen war ausbedungen, wenn Don Quijote siege, so müsse sein Gegner sich mit der Tochter der Doña Rodríguez vermählen, und wenn er besiegt werde, so sei der Widersacher frei und ledig des Eheversprechens, dessentwegen man gegen ihn klagte, ohne irgendeine weitere Genugtuung zu geben. Der Turnierwart teilte Sonne und Wind zwischen ihnen und wies jedem von beiden den Platz an, wo er halten sollte. Die Trommeln wirbelten, Trompetenschall erfüllte die Luft, die Erde bebte unter den Füßen, die Herzen der zuschauenden Menge bangten vor gespannter Erwartung; die einen fürchteten, die andern hofften den guten oder schlimmen Ausgang dieses Handels.

Don Quijote befahl sich jetzt von ganzem Herzen Gott unserm Herrn und dem Fräulein Dulcinea von Toboso und wartete auf das Zeichen zum Angriff. Aber unser Lakai hatte ganz andre Gedanken, und was er dachte, werde ich sogleich erzählen.

Als er nämlich seine Gegnerin aufmerksam betrachtete, erschien sie ihm offenbar als das schönste Weib, das er in seinem Leben gesehen hatte, und der blinde Knabe, den man weit und breit Amor zu nennen pflegt, wollte die ihm hier gebotene Gelegenheit sich nicht entgehen lassen, über eine Lakaienseele zu triumphieren und sie in die Zahl seiner Trophäen aufzunehmen; er näherte sich ihm sachte, leise, ungesehen von allen, und jagte dem armen Lakaien in die linke Seite einen ellenlangen Pfeil, der ihm durch das Herz von einer Seite zur andern hindurchfuhr. Freilich konnte er dies ungefährdet tun, denn Amor ist unsichtbar und geht aus und ein, wo er will, ohne daß jemand Rechenschaft für seine Taten von ihm fordert.

So sage ich denn: als das Zeichen zum Angriff gegeben ward, saß unser Lakai ganz verzückt auf seinem Gaul und träumte von der Schönheit der Maid, die er bereits zur Herrin seines freien Willens gemacht, und daher achtete er nicht auf den Schall der Trompete, wie seinerseits Don Quijote es tat, welcher sie kaum gehört hatte, als er schon zum Angriff stürmte und in so raschem Lauf, als Rosinanten möglich war, auf seinen Feind lossprengte. Als sein wackerer Knappe Sancho ihn ansprengen sah, rief er überlaut: »Gott geleite dich, du Blume und Perle der fahrenden Ritter! Gott verleihe dir den Sieg, denn du hast das Recht auf deiner Seite.«

Wiewohl nun Tosílos Don Quijotes Angriff sah, rührte er sich doch keinen Schritt von seinem Platze, sondern rief dem Turnierwart mit lauter Stimme zu, und als dieser gekommen, um nach seinem Begehr zu fragen, sprach er zu ihm: »Señor, geschieht dieser Kampf nicht zu dem Zwecke, daß ich dieses Fräulein heirate oder nicht heirate?«

»So ist es«, wurde ihm zur Antwort.

»Nun denn«, sagte der Lakai, »ich bin ängstlich in meinem Gewissen und würde dasselbe sehr beschweren, wenn ich in diesem Kampfe weiter ginge; und somit erkläre ich mich für besiegt und bin bereit, dieses Fräulein auf der Stelle zu heiraten.«

Diese Worte des Tosílos setzten den Turnierwart in Erstaunen, und da er einer der Mitwisser des ganzen Anschlages war, wußte er gar nicht, was er ihm antworten sollte. Don Quijote blieb mitten in seinem Ansturm halten, da er sah, daß sein Feind ihm nicht entgegensprengte. Der Herzog wußte nicht, warum es mit dem Kampfe nicht vorwärts wollte, bis der Turnierwart kam und ihm mitteilte, was Tosílos gesagt, worüber er sehr in Verwunderung und Zorn geriet. Indem näherte sich Tosílos dem Sitze der Doña Rodríguez und sprach mit schallender Stimme: »Ich, Señora, will Eure Tochter heiraten und will nicht erst durch Kampf erlangen, was ich in Frieden und ohne Todesgefahr erlangen kann.«

Das hörte der streitbare Don Quijote und sprach: »Da dem nun also ist, so gehe ich meines Versprechens frei und ledig; verheiratet Euch in Gottes Namen, und da Gott unser Herr sie Euch gegeben, so mag Sankt Peter sie Euch gesegnen.«

Der Herzog war inzwischen auf den Schloßplatz heruntergekommen; er trat zu Tosílos und sagte zu ihm: »Ist es wahr, Ritter, daß Ihr Euch für besiegt erklärt und daß Ihr, von Eurem ängstlichen Gewissen getrieben, Euch mit diesem Fräulein vermählen wollt?«

»Ja, Señor«, antwortete Tosílos.

»Daran tut er sehr wohl«, fiel hier Sancho Pansa ein, »denn was du der Maus geben mußt, gib’s lieber der Katze, und die wird dir die Hausplage vom Halse schaffen.«

Tosílos mühte sich, den Helm abzuschnallen, und bat um eilige Hilfe, denn der Atem gehe ihm bald aus und sein Kopf könne nicht so lange in diesem engen Gehäuse eingesperrt bleiben. Man nahm ihm eilends den Helm ab, und unbedeckt und allen offenbar zeigte sich sein Lakaiengesicht. Bei diesem Anblick schrien Doña Rodríguez und ihre Tochter laut auf: »Betrug, Betrug! Man hat uns Tosílos, den Lakaien unsres gnädigen Herzogs, anstatt des wahren Bräutigams untergeschoben; von Gott und dem König heischen wir Recht gegen solche Bosheit, um nicht zu sagen Schurkerei!«

»Habt keine Sorge, meine edlen Frauen«, sprach Don Quijote; »dies ist weder Bosheit noch Schurkerei; und wenn es das wäre, so trägt nicht der Herzog die Schuld, sondern die bösartigen Zauberer, die mich verfolgen und die aus Neid darüber, daß ich die Gloria dieses Sieges erringen würde, das Angesicht Eures Bräutigams in das jenes Mannes verwandelt haben, den Ihr als den Lakaien des Herzogs bezeichnet. Nehmt meinen Rat an und der Bosheit meiner Feinde zum Trutz heiratet ihn, denn ohne allen Zweifel ist er der nämliche, den Ihr zum Gemahl zu erhalten begehret.«

Als der Herzog dies hörte, war er nahe daran, seinen ganzen Zorn in Lachen auszuschütten, und sprach: »So außerordentlich ist alles, was dem Señor Don Quijote begegnet, daß ich beinah glaube, dieser Lakai sei nicht mein Lakai. Wir wollen indessen eine List, einen Kunstgriff anwenden, nämlich die Heirat um vierzehn Tage verschieben, wenn es euch recht ist, und diesen Menschen, der uns in Ungewißheit hält, so lange eingesperrt halten, da er ja möglicherweise binnen dieser Zeit seine frühere Gestalt wiedererlangen kann; denn so lange kann doch der Groll nicht dauern, den die Zauberer gegen den Señor Don Quijote hegen, zumal ihnen gar nicht viel daran liegen kann, sich solcher Ränke und Verwandlungen zu bedienen.«

»O Señor«, sagte Sancho, »dieses Gezücht hat eben einmal zu Brauch und Gewohnheit, alles, was meinen Herrn angeht, zu verwandeln. Sie haben ihm einen Ritter, den er letzter Tage überwand, er hieß der Spiegelritter, in die Gestalt des Baccalaur Sansón Carrasco verwandelt, der aus unserm Dorfe und ein naher Freund von uns ist, und unser Fräulein Dulcinea von Toboso haben sie in eine Bäurin vom Ackerfeld verwandelt; und demnach meine ich, dieser Lakai wird all seiner Lebtage als Lakai leben und sterben.«

Hierauf sagte die Tochter der Doña Rodríguez: »Sei er, wer er wolle, der mich zur Ehe begehrt, ich bin ihm dankbar dafür, denn ich will lieber die rechtmäßige Frau eines Lakaien sein als die betrogene Geliebte eines Ritters, obschon der Mann, der mich betrogen hat, kein Ritter ist.«

Indessen kam all dies Gerede und Getue zu dem Schluß, daß Tosílos eingesponnen wurde, bis man sehen würde, was für ein Ende es mit seiner Verwandlung nehme. Alle riefen Don Quijote als Sieger aus, doch die meisten waren betrübt und mißmutig, daß die zwei so sehnlich erwarteten Kämpen sich nicht in Stücke gehauen hatten, geradeso wie die Gassenbuben ärgerlich werden, wenn der arme Sünder, der an den Galgen soll, nicht hinausgeführt wird, weil ihm die Gegenpartei oder die Justiz Gnade zuteil werden ließ. Die Menge zerstreute sich, der Herzog und Don Quijote kehrten ins Schloß zurück, Tosílos wurde eingesperrt, Doña Rodríguez und ihre Tochter waren seelenglücklich, daß der Fall mit einer Hochzeit ausgehen sollte, und Tosílos hoffte nichts andres.

57. Kapitel


Welches davon handelt, daß und wie Don Quijote von dem Herzog Abschied nahm, auch was ihm begegnete mit der klugen und leichtfertigen Altisidora, dem Fräulein der Herzogin

Lange schon dünkte es Don Quijote rätlich, aus so müßigem Leben endlich zu scheiden, wie er es auf diesem Schlosse führte; er war der Meinung, daß man seine Person allerorten schmerzlich vermisse, wenn er sich so abgeschlossen und müßig bei den zahllosen Festen und Ergötzlichkeiten zurückhalten lasse, mit welchen diese Herrschaften ihn als einen fahrenden Ritter beehrten; und er dachte sich, er würde dereinst dem Himmel strenge Rechenschaft ablegen müssen für dieses tatenlose zurückgezogene Leben. Somit erbat er sich eines Tages Urlaub von dem herzoglichen Paar, um von dannen zu ziehen. Sie gewährten ihm diesen unter Bezeigungen des größten Leidwesens, daß er sie verlasse. Die Herzogin übergab Sancho Pansa die Briefe seiner Frau, und Sancho weinte über sie und sagte: »Wer hätte denken sollen, daß so große Hoffnungen, wie sie die Nachricht von meiner Statthalterschaft im Busen meiner Frau Teresa Pansa erweckt hatte, damit enden würden, daß ich jetzt wieder zu den mühseligen Abenteuern meines Herrn Don Quijote von der Mancha zurückkehre? Bei alledem freut es mich zu sehen, daß meine Teresa sich so benommen hat, wie es einer Person wie ihr zukommt; ich meine, daß sie der Herzogin die Eicheln geschickt hat; hätte sie sie nicht geschickt, so hätte ich großen Verdruß gehabt und sie sich undankbar erwiesen. Was mich tröstet, ist, daß man dieses Geschenk nicht eine Bestechung nennen kann, denn ich war ja schon Statthalter, als sie die Eicheln schickte; auch ist es ganz natürlich, daß einer, dem man eine Wohltat erweist, sich dafür dankbar bezeigt, wenn auch nur mit Kleinigkeiten. Ich aber, ich bin nackt und bloß in die Statthalterschaft gekommen, und nackt und bloß scheide ich aus ihr, und so kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, was nicht wenig heißen will: Nackt bin ich heut, nackt war ich geboren, hab nichts gewonnen und nichts verloren.«

So sprach Sancho zu sich selber am Tage der Abreise, und Don Quijote, nachdem er am Abend vorher von dem herzoglichen Paare Abschied genommen, erschien morgens früh in seiner Rüstung auf dem Schloßplatz. Aus den Galerien blickten ihm alle Leute des Schlosses nach, und auch der Herzog und die Herzogin erschienen, um ihn zu begrüßen. Sancho saß auf seinem Esel, mit seinem Zwerchsack, Felleisen und Reisevorrat, höchst vergnügt, weil der Haushofmeister des Herzogs, derselbe, der die Rolle der Trifaldi gespielt, ihm ein Beutelchen mit zweihundert Goldtalern zugesteckt hatte, um die Bedürfnisse der Reise zu bestreiten, wovon jedoch Don Quijote nichts wußte. Während nun, wie gesagt, alle auf ihn blickten, da plötzlich, unter den andern Frauen und Fräulein der Herzogin, die da zuschauten, erhob ihre Stimme die leichtfertige und kluge Altisidora und rief in klagendem Tone:

Hör und halt die Zügel an,
Ritter, der du arg mich kränkest;
Drücke nicht so fest die Weichen
Deines Gauls, den schlecht du lenkest!
’s ist ja keine Natter, die du
Fliehst, untreuster Mensch auf Erden;
Nein, ein Lämmchen ist’s, das lange
Zeit noch hat, ein Schaf zu werden.

Unhold, muß von dir verhöhnt die
Schönste Maid im Schmerz vergehen,
Die man in Dianas Wald je,
Je in Venus‘ Hain gesehen!

Du fliehender Äneas, du grausamer Birén!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Ha, du raubst – o ruchlos‘ Rauben! –
Mit den Krallen deiner Hände
Dieses Herz, das dir in Demut
Weihte seines Liebens Spende.
Hast geraubt mir drei Nachthäubchen
Und ein Strumpfband – eines Beines,
Das dem reinen Marmor gleich ist,
Glatt und glänzend –, weiß und schwarz.
Raubtest mir zweitausend Seufzer,
Die, wenn sie von Feuer wären
Und es gäb zweitausend Trojas,
Würden all‘ in Brand verzehren.

Du fliehender Äneas, du grausamer Birén!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Hart sei deines Knappen Sancho
Herz, sein Ohr taub deinem Flehen,
Daß aus der Verzaubrung nimmer
Er erlöse Dulcineen.
Deines Frevels Straf erleide
Sie umstrickt von Zaubermächten –
Wie bei mir zu Land oft büßen
Für die Sünder die Gerechten. –
Deiner Abenteuer schönstes
Soll mit Pech der Himmel tränken;
Zum Vergessen werde deine
Treu, zum schnöden Traum dein Denken.

Du fliehender Äneas, du grausamer Biren!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Falscher Mann: so nenne jeder
Von Guadalquivirs Stromrändern
Bis Sevilla dich, von London
Hin bis zu den Engelländern.
Spielst du Skat, Piquet und L’hombre,
Sollen dir den Rücken drehen
Die vier Kön’ge; bei dir seien
As und Sieben nie zu sehen.
Schneidst du dir die Hühneraugen,
Soll vom Schnitt ein Blutstrom gehen;
Wenn du einen Zahn dir ausziehst,
Bleibe stets die Wurzel stehen.

Du fliehender Äneas, du grausamer Biren!
Fahr hin mit Barrabas! Magst du zum Henker gehn!

Während die tiefbetrübte Altisidora solchergestalt jammerte, sah Don Quijote sie beständig an; dann, ohne ihr ein Wort zu erwidern, wendete er sich zu Sancho und sagte: »Bei der ewigen Seligkeit deiner Ahnen, Sancho mein, beschwöre ich dich, mir die Wahrheit zu bekennen. Sage mir, hast du vielleicht die drei Häubchen und die Strumpfbänder mitgenommen, von denen dieses verliebte Fräulein spricht?«

Sancho antwortete: »Die drei Häubchen habe ich allerdings mitgenommen; aber die Strumpfbänder? Nicht um die Welt!«

Die Herzogin war über Altisidoras Mutwillen höchlich verwundert, denn wenn sie sie auch für keck, lustig und übermütig hielt, so doch nicht bis zu dem Grade, daß sie sich solche Leichtfertigkeiten erlauben würde; und da sie von diesem Possenstreich nicht vorher unterrichtet worden, so wuchs ihr Erstaunen um so mehr. Der Herzog wollte den Scherz noch weiter treiben und sprach: »Es scheint mir nicht recht, Herr Ritter, daß Ihr, nach der freundlichen Aufnahme, die Ihr in meinem Schloß erhalten, Euch erkühnt, drei Häubchen mindestens und wohl noch ein mehreres, nämlich die Strumpfbänder meines Fräuleins, mitzunehmen. Das sind Zeichen eines bösen Gemüts, das sind Handlungen, die Eurem Rufe nicht entsprechen. Gebt ihr die Strumpfbänder zurück; wo nicht, fordre ich Euch zum Kampf auf Leben und Tod und fürchte keineswegs, daß schurkische Zauberer mein Gesicht verändern und umgestalten, wie sie es mit dem Gesicht meines Lakaien Tosílos getan, des Mannes, der mit Euch in den Kampf ging.«

»Das wolle Gott nicht«, entgegnete Don Quijote, »daß ich mein Schwert gegen Eure erlauchte Person ziehe, von welcher ich so viele Gnaden empfangen habe. Die Hauben werde ich zurückgeben, da Sancho sagt, er habe sie; die Strumpfbänder aber, das ist unmöglich, denn weder ich habe sie bekommen noch er; und wenn Euer Hoffräulein ihre geheimen Schubfächer nachsieht, so wird sie dieselben ganz gewiß finden. Ich, Herr Herzog, bin nie ein Dieb gewesen, gedenke auch meiner Lebtage keiner zu werden, wenn Gott seine Hand nicht von mir abzieht. Dieses Fräulein, wie sie selber sagt, spricht als Verliebte, woran ich keine Schuld habe, und daher habe ich auch keinen Grund, sie um Verzeihung zu bitten, weder sie noch Euer Exzellenz. Euch flehe ich aber an, eine bessere Meinung von mir zu haben und mir aufs neue Urlaub zu gewähren, daß ich meine Ritterfahrt antrete.«

»Gott beschere Euch eine so gute Fahrt, Señor Don Quijote«, sprach die Herzogin, »daß wir immer gute Nachricht von Euren Heldentaten bekommen, und geht mit Gott; denn je länger Ihr zögert, desto stärker facht Ihr das Feuer an in der Brust der Jungfrauen, die Euch anschauen. Mein Hoffräulein aber werde ich so bestrafen, daß sie sich künftiglich mit keinem Blick, viel weniger mit Worten ungebührlich aufführen soll.«

»Nur ein einziges Wort von mir und nicht mehr sollst du anhören, du streitbarer Don Quijote«, sagte jetzt Altisidora, »nämlich dies: Ich bitte dich um Verzeihung wegen des Strumpfbänderdiebstahls, denn bei Gott und meiner armen Seele, ich habe sie umgebunden, und ich war so zerstreut wie jener, der den Esel suchte und auf ihm ritt.«

»Hab ich’s nicht gesagt?« sprach Sancho; »ich bin der Rechte, um einen Diebstahl zu verhehlen! Hätte ich stehlen wollen, so hätte ich jeden Tag Gelegenheit dazu gehabt in meiner Statthalterschaft.«

Don Quijote neigte sein Haupt und verbeugte sich vor dem herzoglichen Paar und allen Umstehenden; dann wendete er Rosinante, Sancho folgte ihm auf seinem Grauen, und so schied er aus dem Schloß und schlug den Weg nach Zaragoza ein.

50. Kapitel


Worin dargelegt wird, wer die Zauberer und Peiniger waren, so die Kammerfrau pantoffelierten und Don Quijote kneipten und kratzten, nebst den Erlebnissen des Edelknaben, der den Brief an Teresa Pansa, die Hausfrau Sancho Pansas, überbrachte

Es sagt Sidi Hamét, der überaus gründliche Erforscher jedes kleinsten Pünktchens in unserer Geschichte, daß damals, als Doña Rodríguez sich aus ihrem Gemach entfernte, um sich in Don Quijotes Zimmer zu begeben, eine andere Zofe, die mit ihr zusammen schlief, es gewahr wurde; und wie nun denn alle Zofen gar gern alles hören, sehen und riechen, so schlich sie ihr so leise nach, daß die biedere Doña Rodríguez es nicht merkte; sobald sie jene in Don Quijotes Zimmer eintreten sah, lief sie augenblicks, getreu dem allgemeinen Brauch der Zofen, die Klatschbasen zu spielen, zu ihrer gnädigen Frau, der Herzogin, um ihr zu hinterbringen, daß Doña Rodríguez sich im Gemach Don Quijotes befinde. Die Herzogin sagte es dem Herzog und bat ihn um die Erlaubnis, mit Altisidora hinzugehen, um festzustellen, was die Kammerfrau bei Don Quijote wolle. Der Herzog war einverstanden, und beide schlichen sich vorsichtig und leise bis vor die Türe des Gemaches und stellten sich so dicht daran, daß sie alles vernahmen, was drinnen gesprochen wurde.

Als nun die Herzogin hörte, wie die Rodríguez das reichquellende Aranjuez ihrer Fontänen an die große Glocke hing, konnte sie es nicht länger aushalten, und Altisidora ebensowenig; zornerfüllt und rachedürstend stießen sie die Tür auf, stürzten ins Zimmer, peinigten Don Quijote und zerbleuten die Kammerfrau auf die bereits erzählte Weise; denn Beleidigungen, die geradewegs gegen die Schönheit und Eitelkeit der Weiber gerichtet sind, erwecken einen besonderen Ingrimm und entzünden Rachgier in ihnen. Die Herzogin berichtete sodann dem Herzog, was vorgefallen, worüber er großes Vergnügen empfand; und da sie Don Quijote noch immer weiter zum besten haben und sich die Zeit mit ihm vertreiben wollte, so sandte sie den Edelknaben, der die Rolle der Dulcinea bei dem wohlgeplanten Schauspiel von ihrer Entzauberung gespielt – welches Sancho Pansa über seinen Statthalterschaftssorgen gründlich vergessen hatte –, zu Teresa Pansa, seiner Frau, mit dem Brief ihres Mannes und mit einem andern von ihr selbst nebst einer wertvollen großen Korallenkette als Geschenk.

Die Geschichte berichtet nun, daß der Edelknabe ein sehr gescheiter, witziger Kopf war, und mit dem lebhaften Wunsche, seiner Herrschaft einen Dienst zu erweisen, ritt er gern und bereitwillig nach Sanchos Dorf. Vor dessen Eingang sah er eine Anzahl Weiber am Bache mit Waschen beschäftigt und fragte sie, ob vielleicht an diesem Ort eine Frau namens Teresa Pansa wohne, die Frau eines gewissen Sancho Pansa, welcher Schildknappe eines Ritters namens Don Quijote von der Mancha sei. Auf diese Frage sprang ein junges Mädchen auf, die ebenfalls beim Waschen war, und sagte: »Die Teresa Pansa ist meine Mutter, und der besagte Sancho Pansa ist mein Vater und der besagte Ritter unser Dienstherr.«

»So kommt denn, Jungfrau«, sprach der Edelknabe, »und laßt mich Eure Mutter sehen, denn ich bringe ihr einen Brief und ein Geschenk von Eurem besagten Vater.«

»Das tu ich mit großem Vergnügen, Herre mein«, erwiderte das Mädchen, das dem Aussehen nach etwa vierzehn Jahre alt sein mochte. Sie überließ ihre Wäsche einer Freundin, und ohne die Haare aufzubinden oder Schuhe anzuziehen – denn ihre Beine und Füße waren bloß, und ihre Haare hingen wirr um sie herum –, sprang sie vor dem Pferde des Edelknaben her und sagte: »Kommt, gnädiger Herr, gleich beim Eingang des Dorfes ist unser Haus, und meine Mutter ist daheim in großen Sorgen, weil sie seit langer Zeit nichts von meinem Herrn Vater gehört hat.«

»Nun, ich bringe ihr so gute Nachrichten«, sagte der Edelknabe, »daß sie Gott recht sehr dafür zu danken hat.«

Allgemach kam das Mädchen, springend, laufend, hüpfend, zum Dorfe, und noch ehe sie ins Haus trat, rief sie schon an der Türe mit lauter Stimme: »Kommt heraus, Mutter Teresa, kommt, kommt heraus! Hier kommt ein Herr, der bringt Briefe und noch anderes von meinem guten Vater.«

Auf diesen Ruf kam ihre Mutter Teresa heraus; sie spann Werg an einem Rocken und hatte einen dunkelgrauen Rock an, so kurz, als wäre er am Sitz der Scham abgeschnitten. Dazu trug sie ein Leibchen, ebenfalls dunkelgrau, mit einem oben ausgeschnittenen Hemd; sie war noch nicht sehr alt, obschon sie über vierzig Jahre aussah, aber stark, derb, nervig und untersetzt. Als sie ihre Tochter erblickte mit dem Edelknaben zu Pferd, fragte sie: »Was ist das, Kind? Wer ist der Herr da?«

»Das ist ein Diener seiner gnädigen Frau Doña Teresa Pansa«, antwortete der Edelknabe.

Und den Worten folgte die Tat; er sprang rasch vom Pferde, warf sich gar demütiglich vor der gnädigen Frau Teresa auf die Knie und sprach: »Reicht mir die Hände zum Kuß, Doña Teresa, meine gnädige Herrin, denn das seid Ihr als die rechtmäßige und ihm allein eigene Gattin des Señor Don Sancho Pansa, wirklichen Statthalters der Insul Baratária.«

»Ach, ach, Herre mein, steht doch auf von da, laßt das doch«, entgegnete Teresa; »ich bin nicht in Schlössern daheim, sondern eine arme Bäuerin, die Tochter eines Feldarbeiters und die Frau eines fahrenden Schildknappen und gewiß keines Statthalters.«

»Euer Gnaden«, antwortete der Edelknabe, »ist die würdigste Gemahlin eines über alle Würdigkeit würdigen Statthalters; und zum Erweis der Wahrheit meiner Worte wolle Euer Gnaden diesen Brief und dies Geschenk entgegennehmen.«

Und augenblicklich zog er eine Korallenschnur mit goldenen Schließen aus der Tasche, legte sie ihr um den Hals und sagte: »Dieser Brief ist vom Herrn Statthalter, und diese Korallen sind von meiner gnädigen Frau, der Herzogin, welche mich zu Euer Gnaden sendet.«

Teresa war starr vor Staunen und ihre Tochter nicht mehr noch minder. Das Mädchen sagte: »Ich will des Todes sein, wenn nicht unser Herr Don Quijote dahintersteckt; er hat ganz gewiß dem Vater die Statthalterschaft oder Grafschaft gegeben, die er ihm so oft versprochen hat.«

»So ist es allerdings«, versetzte der Edelknabe, »denn aus Rücksicht auf den Señor Don Quijote ist Señor Sancho nunmehr Statthalter der Insul Baratária geworden, wie aus diesem Brief erhellen wird.«

»Lest mir ihn vor, Herr Edelmann«, sagte Teresa, »denn ich kann zwar spinnen, aber kein Sterbenswörtchen lesen.«

»Auch ich nicht«, fügte Sanchica bei; »aber wartet hier auf mich, ich will jemand rufen, der ihn liest, entweder den Pfarrer selbst oder den Baccalaur Sansón Carrasco; die kommen gewiß sehr gern, weil sie Nachricht von meinem Vater hören wollen.«

»Es ist nicht nötig, jemand zu rufen«, erwiderte der Edelknabe; »ich kann zwar nicht spinnen, aber ich kann lesen, und ich will ihn euch gern vorlesen.«

Er las ihn nun von Anfang bis zu Ende; aber weil er schon früher mitgeteilt worden, so wird er hier nicht wiederholt. Sofort zog er dann den andern heraus, der von der Herzogin war und folgendermaßen lautete:

Don Quijote

Freundin Teresa,

die guten Eigenschaften, die Euer Mann Sancho in seinem trefflichen Charakter und in seiner geistigen Tüchtigkeit besitzt, haben mich bewogen und es mir zur Pflicht gemacht, meinen Gemahl, den Herzog, zu bitten, ihm über eine seiner vielen Insuln die Statthalterschaft zu verleihen. Es ward mir die Kunde, daß er in derselben regiert wie ein königlicher Aar, was mir viel Vergnügen macht und folglich auch dem Herzog, meinem Gemahl; und deshalb danke ich dem Himmel vielmals, daß ich mich nicht getäuscht habe, als ich ihn zu besagter Statthalterschaft erkor. Denn ich tue Frau Teresa kund, daß ein guter Statthalter gar schwer auf Erden zu finden ist, und Gott möge es mit mir so gut meinen, wie Sancho regiert!

Hier schicke ich Euch, liebe Freundin, eine Korallenschnur mit goldenen Schließen; ich wollte, es wären Perlen aus dem Morgenland; aber wer dir auch nur einen Knochen gibt, zeigt damit schon, daß er dich nicht Hungers sterben lassen will. Es wird schon die Zeit kommen, wo wir uns kennenlernen und miteinander umgehen werden, und Gott allein weiß, was dereinst alles geschehen wird. Empfehlt mich Eurer Tochter Sanchica und sagt ihr, ich würde sie vornehm verheiraten, wenn sie sich dessen am wenigsten versieht. Ich höre, in Eurem Dorf gibt es große süße Eicheln, schickt mir etwa zwei Dutzend davon; sie werden mir von besonderem Werte sein, da sie von Eurer Hand kommen. Schreibt mir auch recht ausführlich und gebt mir Nachricht von Eurer Gesundheit und Eurem Wohlbefinden; und wenn Ihr was nötig habt, so braucht es nicht mehr, als den Mund aufzutun, und Ihr bekommt, soviel hineingeht. Gott erhalte Euch mir noch lange. Gegeben an diesem Ort. Eure Euch herzlich liebende Freundin
die Herzogin

»Ach je!« sagte Teresa, als sie den Brief hörte, »was für eine gute, einfache, herablassende Herrschaft! So eine Herrschaft will ich mir bis ins Grab gefallen lassen, aber nicht die adligen Weiber, wie wir sie in unserm Dorfe haben, die da meinen, weil sie adlig sind, dürfe kein Lüftchen an sie rühren, und die so hochmütig zur Kirche gehen, als wären sie die Königin selber, daß es geradeso aussieht, als hielten sie es für eine Unehre, sich nach einer Bäuerin umzuschauen. Aber sieh mir einer da die gute Herrschaft an; wiewohl sie eine Herzogin ist, heißt sie mich ihre Freundin und behandelt mich, als wär ich ihresgleichen. Oh, ich wollte, ich sähe sie so hochstehend wie den höchsten Glockenturm in der ganzen Mancha! Was aber die Eicheln betrifft, Herre mein, so will ich Ihro Gnaden einen Scheffel voll schicken, die sollen so dick sein, daß die Leute herbeikommen, um sie anzustaunen.

Für jetzt aber, Sanchica, sorg dafür, daß der Herr sich gütlich tut; versorge sein Pferd, hole Eier aus dem Stall und schneide ein groß Stück Speck; er soll zu essen bekommen wie ein Prinz; die guten Nachrichten, die er uns gebracht hat, und sein freundliches Gesicht sind es wert. Währenddessen will ich ausgehen und unsren Nachbarinnen unser Glück erzählen, auch dem Pater Pfarrer und Meister Nikolas, dem Barbier, die mit deinem Vater von jeher so gut Freund gewesen sind.«

»Das will ich tun, Mutter«, erwiderte Sanchica; »aber bedenkt, daß Ihr mir die Hälfte von der Schnur da geben müßt, ich halte unsre gnädige Frau Herzogin nicht für so dumm, daß sie sie ganz für Euch allein schicken sollte.«

»Sie gehört dir ganz, Kind«, antwortete Teresa, »aber laß mich sie ein paar Tage um den Hals tragen, denn es kommt mir vor, als mache sie mir das Herz froh.«

»Ihr werdet Euch ebenfalls freuen«, sagte der Edelknabe, »wenn Ihr das Bündel seht, das sich in dem Mantelsack hier befindet; es ist ein Anzug vom feinsten Tuch, den der Herr Statthalter ein einziges Mal auf der Jagd trug, und alles das schickt er für Fräulein Sanchica.«

»Tausend Jahre soll er mir am Leben bleiben!« sprach Sanchica hierauf, »und der Überbringer nicht minder, ja meinetwegen zweitausend, wenn’s not täte!«

Jetzo eilte Teresa aus dem Hause, mit den Briefen und mit der Schnur um den Hals, und dabei trommelte sie auf den Briefen, als schlüge sie das Tamburin, und als sie zufällig dem Pfarrer und Sansón Carrasco begegnete, tanzte sie umher und sprach: »Wahrlich, jetzt gibt’s keine Armut mehr in der Verwandtschaft! Wir haben sie, unsere allerliebste Statthalterschaft! Nein, jetzt soll einmal die hochnäsigste Edelfrau kommen und sich mit mir messen, ich will ihr den Hochmut ausziehen.«

»Was ist das, Teresa Pansa?« fragte der Pfarrer, »was sind das für Narreteien? Was sind das für Papiere?«

»Das ist weiter keine Narretei, als daß dies hier Briefe von Herzoginnen und Statthaltern sind«, erklärte Teresa, »und was ich da um den Hals trage, sind echte Korallen; die Avemarias daran und die Paternosters daran sind von geschlagenem Gold, und ich bin eine Statthaltersfrau.«

»Bei Gott und seinen Heerscharen, wir verstehen Euch nicht«, sagte der Baccalaureus, »und wir wissen nicht, was Ihr damit sagen wollt.«

»Hier könnt ihr es sehen«, antwortete Teresa und reichte ihnen die Briefe hin. Der Pfarrer las sie so laut, daß Sansón Carrasco zuhören konnte, und Sansón und der Pfarrer sahen einander an, als ob sie nicht begriffen, was sie gelesen hatten, und der Baccalaureus fragte, wer die Briefe gebracht habe. Teresa antwortete, sie möchten mit ihr nach Hause kommen, da würden sie den Boten sehen, es sei ein junger Mann, ein wahrer Goldmensch, und er bringe ihr noch ein Geschenk, das mehr als ebensoviel wert sei.

Der Pfarrer nahm ihr die Korallen vom Hals, sah sie an und sah sie wieder an, und da er sich überzeugte, daß sie echt waren, wunderte er sich aufs neue und sprach: »Bei dem Priestergewand, das ich trage, ich weiß nicht, was ich sagen, noch was ich von diesen Briefen und diesen Korallen denken soll; einerseits seh ich und greife ich mit Händen, daß die Korallen hier echt sind, und andrerseits lese ich, daß eine Herzogin sich brieflich zwei Dutzend Eicheln ausbittet.«

»Das soll mir der Kuckuck zusammenreimen«, sprach jetzt Carrasco. »Nun gut, wir wollen gehen und uns den Überbringer dieses Papiers ansehen; er soll uns diese Rätsel aufklären.«

Sie taten also, und Teresa kehrte mit ihnen zurück. Sie fanden den Edelknaben damit beschäftigt, etwas Gerste für sein Pferd zu sieben, und Sanchica damit, eine geräucherte Speckseite zu zerlegen, um Eier darüberzuschlagen und dem Edelknaben zu essen zu rüsten, dessen Aussehen und feiner Anzug den beiden Besuchern wohl gefielen. Nachdem sie ihn und er sie höflich begrüßt, fragte ihn Sansón nach Don Quijote wie auch nach Sancho Pansa, denn wenn sie auch die Briefe Sanchos und der Frau Herzogin gelesen hätten, so seien sie doch noch im unklaren und könnten nicht begreifen, was es mit Sanchos Statthalterschaft auf sich habe, zumal über eine Insul, da doch alle oder die meisten im Mittelländischen Meer Seiner Majestät gehörten.

Der Edelknabe gab zur Antwort: »Daß Herr Sancho Pansa Statthalter ist, daran ist nicht zu zweifeln; ob es eine Insul ist oder nicht, über die er die Statthalterschaft führt, darauf lasse ich mich nicht ein; genug, es ist ein Ort von mehr als tausend Bürgern. Und was die Eicheln betrifft, sag ich Euch, daß meine gnädige Frau, die Herzogin, so einfach und herablassend ist, daß sie nicht nur eine Bäuerin um Eicheln bittet; sie hat schon wegen eines Kamms zu einer Nachbarin geschickt. Denn Euer Gnaden müssen wissen, daß die Edeldamen in Aragon, wenn auch so hohen Ranges, nicht so förmlich und hochnäsig sind wie die kastilischen Edelfrauen; sie gehen mit den Leuten viel einfacher und zutraulicher um.«

Während sie mitten in diesem Gespräche waren, kam Sanchica mit einer Schürze voll Eier hereingesprungen und fragte den Edelknaben: »Sagt mir, Señor, trägt mein Vater vielleicht feine Strumpfhosen, seit er Statthalter ist?«

»Darauf habe ich nicht achtgegeben«, antwortete der Edelknabe; »aber wahrscheinlich wird er wohl solche tragen.«

»O du lieber Gott!« versetzte Sanchica; »wie herrlich muß mein Vater in auswattierten Strumpfhosen aussehen! Ist das nicht hübsch, daß ich von Geburt an immer den Wunsch hatte, meinen Vater in Strumpfhosen zu sehen?«

»In dergleichen Kleidungsstücken wird Euer Gnaden ihn sehen, wenn Ihr’s erlebt«, entgegnete der Edelknabe. »Bei Gott, er wird womöglich mit einer Reisemaske gegen Wind und Wetter umhergehen, wenn seine Statthalterschaft nur noch zwei Monate dauert.«

Der Pfarrer und der Baccalaureus merkten wohl, daß der Edelknabe nur aus Spott und Schelmerei so sprach, aber die echten Korallen und der Jagdanzug, den Sancho schickte – Teresa hatte ihnen das Kleid bereits gezeigt –, schlugen alle ihre Überlegungen wieder aus dem Felde. Sie konnten indessen nicht umhin, über Sanchicas Wunsch laut zu lachen; und noch lauter, als Teresa sagte: »Herr Pfarrer, seht Euch doch im Dorf um, ob einer etwa nach Madrid oder nach Toledo reist, er soll mir einen runden Wulst für unter den Rock kaufen, einen echten und rechten nach der Mode, einen von den allerbesten, die zu finden sind; denn wahrlich, wahrlich, ich will in allem, wozu ich imstande bin, der Statthalterschaft meines Mannes Ehre machen; ja sogar, wenn ich bös werde, bin ich imstand und geh in die Residenz und schaffe mir Kutsche und Pferde an wie alle die Damen; wer einen Statthalter zum Mann hat, kann so was schon halten und behalten.«

»Ei, freilich, Mutter«, sagte Sanchica; »wollte Gott, es wäre lieber heut als morgen, und mögen die Leute auch immer sagen, wenn sie mich mit meiner Frau Mutter in der Kutsche sitzen sehen: ›Seht nur einmal die Dingsda, die Tochter von dem Knoblauchfresser, wie sitzt sie da und streckt sich da in der Kutsche, gerade als ob sie dem Papst seine Frau wäre!‹ Aber sie mögen nur immerzu im Dreck patschen, ich will in meiner Kutsche fahren und die Füße hoch über dem Boden haben. Hol der Kuckuck alle Lästermäuler, soviel es auf der Welt gibt! Sitz ich warm und wohlgeborgen, macht mir der Leute Spott keine Sorgen. Hab ich recht, Mutter mein?«

»Und ob du recht hast, Kind!« antwortete Teresa. »All diese Glücksumstände, und noch größere, hat mir mein lieber Sancho proffenzeit, und du wirst sehen, Kind, daß er nicht stehenbleibt, bis er mich zur Gräfin gemacht hat, denn um glücklich zu werden, ist der Anfang alles, und ich hab oft von deinem Vater das Sprichwort gehört, und geradeso wie er dein Vater ist, so ist er auch der Sprichwörter Vater: Schenkt dir einer die Kuh, lauf mit dem Strick herzu. Schenkt dir einer eine Statthalterschaft, so halt sie fest! Schenkt dir einer eine Grafschaft, so greife mit allen Fingern zu; und hält dir einer ein gutes Geschenk hin und lockt dich mit ›hierher, hierher!‹ so sacke es in deinen Ranzen ein. Nein, wahrhaftig, schlafe nur und rufe nicht ›Herein!‹ wenn Glück und Zufalls Gunst an deiner Haustür pochen!«

»Und was liegt mir denn daran«, fuhr Sanchica fort, »daß irgendein Beliebiger sagt, wenn er mich in Stolz und Pracht einhergehen sieht: Dem Hunde zog man an seinen Beinen Hosen an von blankem Leinen, und so weiter.«

Als der Pfarrer dies hörte, sagte er: »Ich kann nicht anders glauben, als daß die vom Geschlechte der Pansas sämtlich mit einem Sack voll Sprichwörter im Leibe auf die Welt gekommen sind; ich habe nie einen von ihnen gesehen, der nicht zu jeder Stunde und bei jeder Unterhaltung damit um sich wirft.«

»Das ist wahr«, versetzte der Edelknabe; »der Herr Statthalter Sancho gibt sie bei jeder Gelegenheit her, und wenn auch viele nicht zur Sache passen, so machen sie doch Vergnügen, und meine gnädige Frau, die Herzogin, und der Herzog haben ihre große Freude daran.«

»Wie? Ihr bleibt noch immer dabei, lieber Herr«, sprach der Baccalaureus, »daß die Geschichte mit Sanchos Statthalterschaft auf Wahrheit beruht und daß es eine Herzogin auf Erden gibt, die ihm Geschenke schickt und ihm schreibt? Denn wir, obschon wir die Geschenke mit Händen greifen und die Briefe gelesen haben, wir glauben es nicht und meinen, es ist eine von den Geschichten unsres Landsmannes Don Quijote, die alle seiner Meinung nach mit Zauberei zugehen; und daher möchte ich beinahe sagen, ich will Euch befühlen und betasten, um zu sehen, ob Ihr das Schattenbild von einem Abgesandten oder ein Mensch von Fleisch und Bein seid.«

»Meine Herren«, versetzte der Edelknabe, »aus eigener Kenntnis weiß ich nichts weiter, als daß ich ein wirklicher Abgesandter bin und der Herr Sancho Pansa in aller Wahrheit ein Statthalter ist und daß meine Herrschaft, der Herzog und die Herzogin, die besagte Statthalterschaft verleihen können und verliehen haben; auch daß ich vernommen habe, daß der mehrerwähnte Sancho Pansa sich in seinem Amte aufs allertüchtigste benimmt. Ob Zauberkunst dabei im Spiel ist oder nicht, darüber mögt ihr Herren unter euch streiten; ich meinesteils weiß nichts andres, bei dem einzigen Eid, den ich schwöre, nämlich beim Leben meiner Eltern, die beide noch am Leben sind und die ich herzlich liebe und verehre.«

»Das kann alles sein«, versetzte der Baccalaureus; »jedoch dubitat Augustinus.«

»Mag zweifeln, wer Lust hat«, entgegnete der Edelknabe; »die Wahrheit ist so, wie ich gesagt, und die wird immer über der Lüge oben bleiben wie Öl über dem Wasser. Andernfalls operibus credite, et non verbis. Möge einer von euch mit mir heimreisen, und ihr werdet mit euren Augen sehen, was ihr mit euren Ohren nicht glauben wollt.«

»Diese Reise ist meine Sache«, sprach Sanchica; »nehmt mich, Señor, auf die Kruppe Eures Gauls, ich möchte gar gern meinen Herrn Vater besuchen.«

»Töchter von Statthaltern dürfen nicht allein über Land reisen«, erwiderte der Edelknabe, »sondern nur in Begleitung von Kutschen und Sänften und zahlreicher Dienerschaft.«

»Bei Gott«, entgegnete Sanchica, »ich komme ebensogut auf einer Eselin fort wie in einer Kutsche; solch eine Ziererei wäre das Rechte für mich!«

»Schweig, Mädchen«, sprach Teresa, »du weißt nicht, was du redest; der Herr hat ganz recht, denn andre Zeit, andrer Sinn; war er Sancho, warst du Sancha, ist er Statthalter, bist du ein Fräulein; aber ich weiß nicht, wenn ich so rede, ob ich rede, was recht ist.«

»Frau Teresa spricht da noch weit richtiger, als sie glaubt«, sagte der Edelknabe. »Aber gebt mir was zu essen und fertigt mich baldigst ab, denn ich will noch diesen Nachmittag heimkehren.«

Hier sagte der Pfarrer: »Euer Gnaden wird wohl kommen und bei mir die Fastenspeise annehmen, denn Frau Teresa hat mehr guten Willen als Vorrat im Hause, um einen so trefflichen Gast zu bewirten.«

Der Edelknabe lehnte ab, aber zuletzt mußte er zu seinem eignen Besten nachgeben, und der Pfarrer nahm ihn sehr gern mit, um ihn bei dieser Gelegenheit mit Muße über Don Quijote und seine Taten auszufragen. Der Baccalaureus bot Teresa an, für sie die Briefe zur Antwort zu schreiben; aber sie wollte nicht; daß er sich in ihre Angelegenheiten mischen sollte, weil sie ihn für einen Spottvogel hielt; und daher gab sie einem Chorknaben, der schreiben konnte, eine Semmel und zwei Eier, um für sie zwei Briefe zu schreiben, einen an ihren Mann und einen an die Herzogin; er verfaßte sie ganz nach den Eingebungen ihres Hirns, und sie sind nicht die schlechtesten, die in dieser großen Geschichte vorkommen, wie man nachher sehen wird.

51. Kapitel


Vom Fortgang der Statthalterschaft Sancho Pansas, nebst andern Begebnissen, die ebenfalls so aussehen, als wären sie nicht übel

Es kam der Morgen nach jener Nacht, wo der Statthalter die Runde gemacht hatte. Der Truchseß hatte sie schlaflos zugebracht, denn seine Gedanken waren völlig mit dem Angesicht, der jugendlichen Frische und der Schönheit des verkleideten Mädchens beschäftigt. Der Haushofmeister hatte den noch übrigen Teil der Nacht dazu verwendet, seiner Herrschaft zu schreiben, was Sancho Pansa tue und rede, über seine Taten ebenso verwundert wie über seine Reden, denn in seinen Worten und Handlungen waren Züge von Verstand und Albernheit stets untereinandergemischt. Endlich stand der Herr Statthalter vom Bette auf, und auf Anordnung des Herrn Doktor Peter Stark ließ man ihn mit ein wenig Eingemachtem und vier Schluck frischen Wassers frühstücken, was alles Sancho gern mit einem Stück Brot und einer Weintraube vertauscht hätte. Aber da er sah, daß hier mehr Zwang als Willensfreiheit herrschte, ließ er es über sich ergehen, seinem Gemüte zum großen Schmerz und seinem Magen zum Verdruß, wiewohl Peter Stark ihm einreden wollte, daß wenige und leichte Gerichte den Geist kräftigen, und das sei gerade für Personen, die in bedeutenden Ämtern und Würden stehen, besonders wichtig, da sie in diesen nicht sowohl die Kräfte des Körpers als auch die des Geistes zu gebrauchen hätten. Bei solchen Spitzfindigkeiten hatte Sancho Hunger zu leiden, und so argen Hunger, daß er die Statthalterschaft, ja auch den, der sie ihm verliehen, in seinem Innern verwünschte. Aber mit seinem Hunger und mit seinem Eingemachten ging er dennoch dieses Tages hin und saß zu Gericht.

Das erste, was er zu hören bekam, war eine Frage, die ein Fremder in Anwesenheit des Haushofmeisters und der übrigen Mithelfer bei ihm vorbrachte und die folgendermaßen lautete: »Señor, ein wasserreicher Fluß trennte die zwei Hälften einer und derselben Herrschaft. Euer Gnaden wolle wohl aufmerken, denn der Fall ist von Wichtigkeit und einigermaßen schwierig. Ich sage also, über diesen Fluß führte eine Brücke, und am Ende dieser stand ein Galgen und eine Art Gerichtshaus, in dem für gewöhnlich vier Richter ihren Sitz hatten und Recht sprachen nach dem Gesetz, das der Herr des Flusses, der Brücke und der Herrschaft gegeben hatte. Dies Gesetz lautete: Wenn einer über diese Brücke vom einen Ufer zum andern hinübergeht, muß er erst eidlich erklären, wohin und zu welchem Zwecke er dahin geht, und wenn er die Wahrheit sagt, so sollen sie ihn hinüberlassen, und wenn er lügt, soll er dafür an dem Galgen, der allda vor aller Augen steht, ohne alle Gnade hängen und sterben. Nachdem nun dies Gesetz und dessen strenge Verfügungen bekanntgeworden, gingen viele hinüber, und man konnte sogleich an dem, was sie beeideten, ersehen, daß sie die Wahrheit sagten, und die Richter ließen sie unbehelligt hinübergehen.

Nun geschah es einmal, daß ein Mann bei der Eidesleistung erklärte, er gehe hinüber, um an dem Galgen dort zu sterben, und zu keinem andern Zweck. Die Richter stutzten bei diesem Eidschwur und sagten: ›Lassen wir diesen Mann frei hinüber, so hat er einen Meineid geschworen und muß gemäß dem Gesetze sterben; hängen wir ihn aber, so hat er geschworen, er gehe hinüber, um an diesem Galgen zu sterben, und da er also die Wahrheit gesagt hat, muß er nach dem nämlichen Gesetz frei ausgehen.‹ Nun verlangt man von Euer Gnaden zu wissen, Herr Statthalter, was sollen die Richter mit diesem Manne anfangen? Denn bis jetzt sind sie noch immer in Zweifeln befangen und unentschieden. Da sie aber von dem hohen und scharfen Verstande Euer Gnaden gehört, so haben sie mich hergesendet, um Euch in ihrem Namen zu bitten, Ihr möchtet Euer Gutachten in einem so verwickelten und zweifelhaften Falle erteilen.«

Sancho gab hierauf zur Antwort: »Wahrlich, Eure Herren Richter, die Euch an mich senden, hätten das wohl unterlassen dürfen, denn ich bin ein Mann, der eher schwer von Begriff als scharfsinnig ist. Aber wiederholt mir den Handel immerhin noch einmal, so daß ich’s verstehen kann; vielleicht ist es doch möglich, daß ich ins Schwarze schieße.«

Der Fragesteller setzte wiederum und zum drittenmal auseinander, was er zuvor gesagt hatte, und Sancho sprach: »Meines Erachtens läßt sich der ganze Handel im Handumdrehen ins klare bringen. Die Sache ist nämlich die: Der bewußte Mann hat geschworen, daß er hinübergeht, um am Galgen zu sterben. Und wenn er am Galgen stirbt, hat er die Wahrheit geschworen und ist kraft des Gesetzes berechtigt, frei zu bleiben und über die Brücke zu gehen. Und wenn er nicht gehängt wird, hat er falsch geschworen und verdient kraft desselben Gesetzes, gehängt zu werden?«

»Genauso ist es, wie der Herr Statthalter sagt«, bemerkte der Bote, »und was die Vollständigkeit und das Verständnis des Falles betrifft, so läßt sich nicht mehr verlangen und ist weiter kein Zweifel möglich.«

»Nun, so sag ich jetzt«, versetzte Sancho, »man soll diejenige Hälfte von dem Manne, die wahr geschworen hat, hinübergehen lassen und die Hälfte, die gelogen hat, an den Galgen hängen; und auf diese Weise wird das Gesetz buchstäblich erfüllt.«

»Herr Statthalter«, entgegnete der Fragesteller, »da muß aber der bewußte Mensch in zwei Hälften zerteilt werden, in eine lügnerische und eine wahrhaftige, und wenn man ihn zerteilt, muß er unbedingt sterben; und dann geht nichts von all dem in Erfüllung, was das Gesetz verlangt, und es ist doch durchaus unerläßlich, daß dasselbe erfüllt werde.«

»Kommt einmal her, wackerer Herr«, entgegnete Sancho. »Entweder bin ich ein Klotzkopf, oder für Euren Brückengänger ist ebensoviel Grund vorhanden zu sterben, als zu leben und über die Brücke zu gehen; denn wenn die Wahrheit ihn errettet, so verurteilt ihn die Lüge gleicherweise. Und daher müßt Ihr meiner Meinung nach den Herren, die Euch zu mir geschickt haben, sagen: Da in betreff der Gründe, ihn zu verurteilen oder ihn freizusprechen, das Zünglein der Waage mitten inne steht, sollen sie ihn frei hinüberlassen, sintemal Gutes tun mehr als Böses gepriesen wird; und das würde ich ihnen schriftlich mit meines Namens Unterschrift geben, wenn ich schreiben könnte. Das ist aber nicht meine eigene Weisheit, sondern mir ist eine Lehre eingefallen, die hat mir unter vielen andern mein Herr Don Quijote gegeben am Abend, eh ich hierherkam, um Statthalter auf dieser Insul zu werden, und sie lautete: Wenn Recht und Richter in Zweifel sind, solle ich ein Stückchen nachgeben und mich zur Barmherzigkeit halten; und Gott hat es so gefügt, daß mir das jetzt eben eingefallen ist, weil es auf diesen Fall paßt, als wär es dafür gemacht.«

»Ganz richtig«, bemerkte der Haushofmeister, »und ich bin überzeugt, daß Lykurgus selbst, der Gesetzgeber der Lakedämonier, keine bessere Entscheidung hätte fällen können als die des großen Sancho Pansa. Hiermit aber mag die Sitzung des heutigen Morgens zu Ende sein, und ich will anordnen, daß der Herr Statthalter ein Mahl ganz nach seinem Belieben erhält.«

»Das will ich ja haben, und ehrlich Spiel!« sagte Sancho. »Gebt mir zu essen, und dann mögen Rechtsfälle auf mich niederregnen und dunkle Rechtsfragen kommen, ich will ihnen mit einem Griff den Docht schneuzen!«

Der Haushofmeister hielt Wort, da es sein Gewissen gedrückt hätte, einen so verständigen Statthalter verhungern zu lassen. Zudem hatte er vor, noch in dieser Nacht mit ihm ein Ende zu machen, indem er ihm einen letzten Possen spielen wollte, wozu er den förmlichen Auftrag erhalten hatte.

Nachdem nun Sancho diesen Tag gegen die Regeln und Lehrsprüche des Doktors Machdichfort gespeist hatte, trat während des Abdeckens ein Eilbote herein und brachte einen Brief Don Quijotes an den Statthalter. Sancho befahl dem Geheimschreiber, ihn für sich zu lesen, und wenn sich nichts darin fände, was geheimzuhalten wäre, so solle er ihn laut vorlesen. Der Geheimschreiber gehorchte, und nachdem er den Brief durchgesehen, sagte er: »Ganz gut kann der Brief laut vorgelesen werden, denn was Señor Don Quijote an Euer Gnaden schreibt, verdient mit goldenen Buchstaben gedruckt und geschrieben zu werden.«

Brief Don Quijotes von der Mancha an Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária

Während ich erwartete, von deinen Unbesonnenheiten und Mißgriffen Nachricht zu erhalten, Freund Sancho, erhielt ich solche von deinem verständigen Benehmen, wofür ich dem Himmel ganz besondern Dank sage, der die Armen aus dem Mist emporhebt und Dummköpfe zu verständigen Leuten schafft. Ich höre, daß du regierst, wie wenn du ein Mensch wärest, und daß du ein Mensch bist, wie wenn du ein niederes Tier wärst, so groß ist die Demut, mit der du dich benimmst; du sollst dir aber merken, Sancho, daß es in vielen Fällen angemessen und für das amtliche Ansehen unentbehrlich ist, der Demut des eignen Herzens entgegenzutreten, denn die äußere Erscheinung eines Mannes, der einem wichtigen Amte vorsteht, muß diesem entsprechen, nicht aber dem Maßstabe dessen, wozu sein demütiger Sinn ihn hinneigt. Kleide dich gut; ein Stück Holz, wenn schön angezogen, sieht nicht wie ein Stück Holz aus. Ich sage nicht, du sollst in Flitterschmuck und Staat einhergehen, sollst auch nicht Soldatentracht anlegen, da du doch ein Richter bist, sondern du sollst dich mit der Tracht schmücken, die dein Amt erheischt, und sie reinlich und gut halten.

Um die Zuneigung der Leute zu gewinnen, über die du Statthalter bist, hast du unter andrem zweierlei zu tun: erstens, gegen jedermann höflichen Anstand zu beobachten, was ich dir indessen schon einmal gesagt habe; und zweitens, für reichlichen Vorrat an Lebensmitteln zu sorgen, da nichts den Armen so reizt wie Hunger und Teuerung.

Gib nicht viele Gesetze, und wenn du ihrer gibst, so sorge dafür, daß es gute Gesetze sind, besonders aber, daß sie gehalten und befolgt werden; denn Gesetze, die nicht gehalten werden, sind geradeso, als wären sie nicht vorhanden; ja sogar erwecken sie die Meinung, daß der Fürst, der die Einsicht und Befugnis hatte, die Gesetze zu erlassen, nicht die Macht besaß, ihre Befolgung durchzusetzen. Gesetze aber, welche drohen und nicht zur Ausführung kommen, werden am Ende gleich dem Klotz, dem Froschkönig: anfangs setzte er die Frösche in Schrecken, und mit der Zeit verachteten sie ihn und sprangen auf ihm herum.

Sei ein Vater der Tugenden und den Lastern ein Stiefvater. Sei nicht immer streng und nicht immer mild und suche dir die Mitte zwischen diesen zwei Gegensätzen; darin beruhen Anfang und Ende der Weisheit. Besuche die Gefängnisse, die Fleischbänke und die Marktplätze, denn die Anwesenheit des Statthalters ist an solchen Orten von großer Wichtigkeit. Sprich den Gefangenen Trost zu, welche die baldige Entscheidung ihres Loses erhoffen. Sei ein Popanz den Fleischern, und diese werden alsdann richtiges Gewicht halten; und aus demselben Grunde sei der Schrecken der Marktweiber. Zeige dich nicht – wenn du es auch vielleicht wärest, was ich nicht glaube – als ein Habgieriger, als ein Weiber Jäger, als ein Vielfraß; denn sobald das Volk und seine Umgebung an dir einen bestimmten Hang ausfindig machen, werden sie von dieser Seite her ihre Geschütze gegen dich spielen lassen, bis sie dich in den Abgrund des Verderbens hinabgeschleudert haben.

Die Ratschläge und Belehrungen, die ich dir schriftlich gegeben, ehe du zu deiner Statthalterschaft aufbrachst, erwäge sie und erwäge sie wieder, gehe sie durch und gehe sie immer wieder durch, und da wirst du sehen, wie du in ihnen, wenn du sie treulich beobachtest, ein Hilfsmittel finden wirst, das dir die Drangsale und Schwierigkeiten erleichtert, denen ein Statthalter bei jedem Schritt begegnet.

Schreibe deiner Herrschaft und zeige dich ihr dankbar; die Undankbarkeit ist die Tochter des Hochmuts und eine der größten Sünden, die wir kennen. Wer aber denen dankbar ist, die ihm Gutes getan, der zeigt damit, daß er auch Gott dankbar sein wird, der ihm soviel Gutes getan hat und fortwährend tut.

Die Frau Herzogin hat einen besonderen Boten mit deinem Anzug und noch einem Geschenk an deine Frau Teresa Pansa abgehen lassen; wir erwarten jeden Augenblick Antwort. Ich war etwas unwohl infolge einer gewissen Katzbalgerei, die sich mit mir, nicht sehr zum Besten meiner Nase, zugetragen hat; aber es war am Ende doch nichts, denn wenn es Zauberer gibt, die mich mißhandeln, gibt es ihrer auch solche, die mich beschützen. Benachrichtige mich, ob der Haushofmeister, der sich bei dir befindet, mit dem Tun und Lassen der Trifaldi etwas zu schaffen hatte, wie du geargwöhnt hast. Überhaupt wirst du mir stets von allem, was dir begegnet, Nachricht geben, sintemal der Weg so kurz ist; übrigens gedenke ich das müßige Leben, das ich führe, bald aufzugeben, da ich für ein solches nicht geboren bin.

Ich bin in eine Angelegenheit verwickelt worden, die mich, wie ich glaube, bei den Herrschaften hier in Ungnade bringen wird; aber wenn mir auch viel daran liegt, so liegt mir eigentlich gar nichts daran. Denn zuletzt und am Ende muß ich eher die Pflichten meines Berufs als ihr Belieben zur Richtschnur nehmen, gemäß dem oft gehörten Spruche: Amicus Plato, sed magis amica veritas. Ich sage dir diesen Spruch aus dem Lateinischen, weil ich mir denke, seit du Statthalter bist, wirst du es gelernt haben. Und nun Gott befohlen; er behüte dich davor, daß jemand jemals Mitleid mit dir haben müsse.

Dein Freund Don Quijote von der Mancha

Sancho hörte mit größter Aufmerksamkeit den Brief an, welcher von allen Hörern gepriesen und als hochverständig erachtet wurde. Sancho aber erhob sich sofort vom Tische, rief den Geheimschreiber und schloß sich mit ihm in sein Zimmer ein; er wollte nämlich auf der Stelle seinem Herrn Don Quijote antworten. Er befahl dem Geheimschreiber, alles, was er ihm vorsagen werde, genau niederzuschreiben, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen; jener gehorchte, und das Antwortschreiben bekam folgenden Inhalt:

Brief Sancho Pansas an Don Quijote von der Mancha

Ich habe so viel mit meinen Geschäften zu tun, daß ich keine Zeit habe, mir den Kopf zu kratzen, ja nicht einmal, mir die Nägel zu schneiden, und daher habe ich sie so lang, daß Gott erbarm. Ich sage das, allerliebster Herre mein, damit Ihr nicht erschreckt, wenn ich bis jetzt noch keine Nachricht von meinem Wohl- oder Übelergehen in der Statthalterschaft dahier gegeben habe, in der ich mehr Hunger leide, als da wir beide durch Wälder und Wüsteneien zogen.

Der Herzog, mein Herr, hat mir neulich geschrieben und Nachricht gegeben, es seien gewisse Kundschafter in meine Insul gekommen, um mich umzubringen; bis jetzt aber hab ich noch keinen andern entdeckt als einen gewissen Doktor, der hier am Orte besoldet wird, um alle Statthalter, die herkommen, umzubringen; er heißt Doktor Peter Stark und ist gebürtig aus Machdichfort; aus diesem Namen möge Euer Gnaden ersehen, daß man wirklich Angst haben kann, durch diesen Mann vom Leben zum Tode gebracht zu werden. Dieser genannte Doktor sagt selbst von sich, daß er keine Krankheiten heilt, wenn sie da sind, sondern daß er ihnen zuvorkommt, damit sie nicht kommen, und die Heilmittel, die er anwendet, sind wenig essen und immer weniger essen, bis daß er den Leuten nichts weiter als die puren Knochen gelassen hat, als ob die Auszehrung nicht ein größer Übel wäre als das Fieber. Zuletzt wird er mich Hungers sterben lassen, und zuletzt werde ich vor Ärger des Todes sein; denn während ich dachte, ich käme an die Statthalterschaft hier, um warm zu essen und kühl zu trinken und meinen Leib auf Bettlaken von feinem Linnen und auf Federpfühlen zu pflegen, bin ich hierhergekommen, um mit Fasten Buße zu tun, gerade als wär ich ein Einsiedler, und da ich die Buße nicht aus eignem Willen tue, so meine ich, am Ende und zu guter Letzt holt mich noch der Teufel.

Bis jetzt hab ich weder etwas an Gebühren eingestrichen noch auf Nebenwegen erschlichen, und ich weiß nicht, woran das liegt, denn ich habe mir hier sagen lassen, daß die Statthalter, die auf diese Insul zu kommen pflegen, bevor sie selbige noch betreten, von den Leuten in der Stadt viel Geld geschenkt oder geliehen bekommen und daß dies gewöhnlicher Brauch ist bei allen andern, die zu Statthaltereien kommen, und nicht bloß bei dieser hier.

Vorige Nacht, als ich die Runde machte, traf ich ein sehr schönes Mädchen in Mannstracht und einen Bruder von ihr in Weiberkleidern; in das Mädchen hat sich mein Truchseß verliebt und sie in seinen Gedanken zu seiner Frau erkoren, wie er sagte, ich aber habe den jungen Burschen zu meinem Schwiegersohn erwählt. Noch heute wollen wir beide unsre Absichten bei dem Vater der zwei zur Sprache bringen; er ist ein gewisser Diego de la Llana, ein Junker und ein so alter Christ, wie man sich nur wünschen kann.

Ich besuche die Marktplätze, wie es Euer Gnaden mir anrät, und gestern habe ich ein Marktweib gefunden, das heurige Haselnüsse verkauft; ich habe aber herausgefunden, daß sie unter einen Scheffel heurige Haselnüsse einen Scheffel alte gemengt hat, die taub und schimmelig waren. Ich habe sie sämtlich den Schülern der Armenschule gegeben, die schon die guten von den schlechten sondern werden, und das Weib darf zur Strafe vierzehn Tage lang nicht auf den Markt. Mir ist gesagt worden, ich hätte da tapfer zugegriffen. Ich muß hierbei Euer Gnaden sagen, daß es in dieser Stadt allgemein heißt, es gebe kein schlimmeres Volk als die Marktweiber; denn sie sind alle unverschämt, gewissenlos und frech; und ich glaube es wohl nach dem, was ich an andern Orten gesehen habe.

Daß die gnädige Frau Herzogin meiner Frau Teresa Pansa geschrieben hat und hat ihr das Geschenk geschickt, wovon Euer Gnaden spricht, das ist mir sehr angenehm, und ich will mich bestreben, mich ihr seinerzeit dankbar zu erweisen. Küßt ihr von meinetwegen die Hände und sagt ihr, ich sage, sie hat es nicht in einen Sack mit Löchern geworfen, und dies soll ihr durch die Tat bewiesen werden.

Ich möchte nicht, daß Ihr in verdrießliche Hängereien mit meiner Herrschaft dorten kämt; denn wenn Ihr mit ihr böse werdet, so muß es offenbar mir zum Schaden ausschlagen. Auch wäre es nicht recht, da mir die Lehre gegeben wird, ich solle dankbar sein, wenn Euer Gnaden es nicht wäre gegen Personen, die Euch so viele Gunst erwiesen haben, und Ihr seid in ihrem Schloß so köstlich und glänzend aufgenommen worden.

Die Geschichte mit der Katzbalgerei verstehe ich nicht, aber ich denke mir, es wird wieder eine von den schändlichen Untaten sein, wie sie die Zauberer gegen Euer Gnaden zu verüben pflegen; ich werde es erfahren, sobald wir uns wiedersehen.

Ich möchte Euch gern etwas schicken, aber ich weiß nicht, was ich schicken soll, wenn nicht etwa ein paar Röhrchen zu Klistierspritzen; die macht man auf dieser Insul sehr hübsch für an Schweinsblasen zu befestigen. Indessen wenn mein Amt mir eine Zeitlang bleibt, will ich suchen, was ich von Rechts wegen oder von Unrechts wegen bekomme, davon etwas zu schicken.

Falls mir meine Frau Teresa Pansa schreiben sollte, so wolle Euer Gnaden das Postgeld bezahlen und mir den Brief schicken; ich habe das allergrößte Verlangen, zu erfahren, wie es bei mir zu Hause steht, bei meiner Frau und bei meinen Kindern.

Und hiermit bitte ich Gott, Euer Gnaden von schlechtgesinnten Zauberern zu befreien und mich froh und friedlich dieser Statthalterschaft zu entledigen, woran ich zweifle, denn ich meine, ich werde aus ihr nur mit dem Leben scheiden, so behandelt mich der Doktor Peter Stark. –

Euer Gnaden Diener,
Sancho Pansa, Statthalter

Der Geheimschreiber versiegelte den Brief und fertigte sogleich den Boten ab.

Dann traten die Personen zusammen, die ihr Spiel mit Sancho Pansa trieben, und verabredeten unter sich, wie sie seiner Statthalterschaft ein Ende machen sollten. Den Nachmittag verbrachte Sancho mit dem Erlaß einiger Verordnungen in betreff der guten Verwaltung seiner vermeintlichen Insul. Er verordnete, es sollten Auf- und Wiederverkäufer von Lebensmitteln im Gemeinwesen nicht geduldet werden; Wein sollte man einführen dürfen, woher man wolle, doch unter der Bedingung, daß der Ort angegeben werden müsse, woher er sei, damit man seinen Preis nach seinem veranschlagten Wert, seiner Güte und seinem Ruf festsetzte, und wer ihn mit Wasser vermische oder ihn unter anderem Namen ausbiete, solle das mit dem Leben büßen. Er setzte den Preis aller Fußbekleidung herab, besonders den der Schuhe, weil er ihm übermäßig hoch schien. Für die Dienstbotenlöhne stellte er einen Tarif auf, da diese sich jetzt auf den Wegen groben Eigennutzes zügellos ergingen. Er verhängte sehr strenge Strafen über diejenigen, die bei Tag oder bei Nacht schlüpfrige oder unziemliche Lieder sängen. Er verbot jedem Blinden, Lieder von Wundern zu singen, wenn er nicht ein glaubhaftes Zeugnis bei sich habe, daß das Wunder echt und wahr sei; denn es bedünkte ihn, daß die meisten Wunder von denen, welche Wunder singen, erfunden seien und den wahren Wundern Abbruch tun. Er schuf und besetzte die Stelle eines Armenvogts, nicht damit er die Armen verfolgen solle, sondern damit er untersuche, ob sie wirklich arm seien, denn unter dem Deckmantel erdichteter Verkrüppelung und vorgeblicher Wunden werden die Arme und Hände zu Dieben und die Gesundheit zur Trunksucht.

Kurz, er erließ so treffliche Verordnungen, daß sie bis zum heutigen Tage an jenem Orte beobachtet werden und den Namen tragen: Verordnungen des großen Statthalters Sancho Pansa.