Erstes Kapitel

Der schwarze Panther.

Es war um die Mittagszeit eines sehr heißen Junitags, als der „Dogfish“, einer der größten Passagier- und Güterdampfer des Arkansas, mit seinen mächtigen Schaufelrädern die Fluten des Stromes peitschte. Er hatte am frühen Morgen Little Rock verlassen und sollte nun bald Lewisburg erreichen, um dort anzulegen, falls neue Passagiere oder Güter aufzunehmen seien.

Die große Hitze hatte die besser situierten Reisenden in ihre Kajüten und Kabinen getrieben, und die meisten der Deckpassagiere lagen hinter Fässern, Kisten und andern Gepäckstücken, welche ihnen ein wenig Schatten gewährten. Für diese Passagiere hatte der Kapitän unter einer ausgespannten Leinwand einen Bed-and-board errichten lassen, auf welchem allerlei Gläser und Flaschen standen, deren scharfer Inhalt jedenfalls nicht für verwöhnte Gaumen und Zungen berechnet war. Hinter diesem Schenktisch saß der Kellner mit geschlossenen Augen, von der Hitze ermüdet, mit dem Kopfe nickend. Wenn er einmal die Lider hob, wand sich ein leiser Fluch oder sonst ein kräftiges Wort über seine Lippen. Dieser sein Unmut galt einer Anzahl von wohl zwanzig Männern, welche vor dem Tische in einem Kreise auf dem Boden saßen und den Würfelbecher von Hand zu Hand gehen ließen. Es wurde um den sogenannten „Drink“ gespielt, d.h. der Verlierende hatte am Schlusse der Partie für jeden Mitspielenden ein Glas Schnaps zu bezahlen. Infolgedessen war dem Kellner das Schläfchen, zu welchem er so große Lust verspürte, versagt.

Diese Männer hatten sich jedenfalls nicht erst hier auf dem Steamer zusammengefunden, denn sie nannten einander „du“ und schienen, wie gelegentliche Äußerungen verrieten, ihre gegenseitigen Verhältnisse genau zu kennen. Entgegengesetzt dieser allgemeinen Vertraulichkeit gab es unter ihnen einen, dem eine gewisse Art von Respekt erwiesen wurde. Man nannte ihn Cornel, eine gebräuchliche Verstümmelung des Wortes Colonel, Oberst. Dieser Mann war lang und hager; sein glatt rasiertes, scharf und spitz gezeichnetes Gesicht wurde von einem borstigen roten Kehlbarte umrahmt; fuchsrot waren auch die kurzgeschorenen Kopfhaare, wie man sehen konnte, da er den alten, abgegriffenen Filzhut weit in den Nacken geschoben hatte. Sein Anzug bestand aus schweren, nägelbeschlagenen Lederschuhen, Nankingbeinkleidern und einem kurzen Jackett von demselben Stoffe. Eine Weste trug er nicht; an Stelle derselben war ein ungeplättetes, schmutziges Hemd zu sehen, dessen breiter Kragen, ohne von einem Halstuche gehalten zu werden, weit offen stand und die nackte, sonnenverbrannte Brust sehen ließ. Um die Hüften hatte er sich ein rotes Fransentuch geschlungen, aus welchem die Griffe des Messers und zweier Pistolen blickten. Hinter ihm lag ein ziemlich neues Gewehr und ein leinener Schnappsack, welcher mit zwei Bändern versehen war, um auf dem Rücken getragen zu werden.

Die andern Männer waren in ähnlicher Weise sorglos und gleich schmutzig gekleidet, dafür aber sehr gut bewaffnet. Es befand sich kein einziger unter ihnen, dem man beim ersten Blicke hätte Vertrauen schenken können. Sie trieben ihr Würfelspiel mit wahrer Leidenschaftlichkeit und unterhielten sich dabei in so rohen Ausdrücken, daß ein halbwegs anständiger Mensch sicher keine Minute lang bei ihnen stehen geblieben wäre. Jedenfalls hatten sie schon manchen „Drink“ gethan, denn ihre Gesichter waren nicht nur von der Sonne erhitzt, sondern der Geist des Branntweins führte bereits die Herrschaft über sie.

Der Kapitän hatte die Kommandobrücke verlassen und war aufs Achterbord zum Steuermann gegangen, um demselben einige notwendige Weisungen zu erteilen. Als dies geschehen war, sagte der letztere: „Was meint Ihr zu den Jungens, welche da vorn beim Würfeln sitzen, Kapitän? Mir scheint, es sind Boys von der Art, die man nicht gern an Bord kommen sieht.“

„Denke es auch,“ nickte der Gefragte. „Haben sich zwar als Harvesters ausgegeben, welche nach dem Westen wollen, um sich auf Farmen zu verdingen, aber ich möchte nicht der Mann sein, bei welchem sie nach Arbeit fragen.“

„Well, Sir. Ich meinesteils halte sie für richtige und wirkliche Tramps. Hoffentlich halten sie wenigstens hier an Bord Ruhe!“

„Wollte es ihnen nicht raten, uns mehr, als wir gewöhnt sind, zu belästigen. Wir haben Hands genug an Bord, sie alle in den alten, gesegneten Arkansas zu werfen. Macht Euch übrigens zum Anlegen klar; denn in zehn Minuten kommt Lewisburg in Sicht!“

Der Kapitän kehrte auf seine Brücke zurück, um die beim Landen nötigen Befehle zu erteilen. Man sah sehr bald die Häuser des genannten Ortes, welche das Schiff mit einem langgezogenen Brüllen der Dampfpfeife begrüßte. Von der Landebrücke wurde das Zeichen gegeben, daß der Steamer Fracht und Passagiere mitzunehmen habe. Die bisher unter Deck befindlichen Reisenden kamen herauf, um die kurze Unterbrechung der langweiligen Fahrt zu genießen.

Ein sehr unterhaltendes Schauspiel bot sich ihnen freilich nicht. Der Ort war damals noch lange nicht von seiner jetzigen Bedeutung. Am Halteplatze standen nur wenige müßige Menschen; es gab nur einige Kisten und Pakete aufzunehmen, und die Zahl der an Bord steigenden neuen Passagiere betrug nicht mehr als drei, welche, als sie die Passage bezahlten, von dem betreffenden Offizier ganz und gar nicht als Gentlemen behandelt wurden. Der eine von ihnen war ein Weißer von hoher, außerordentlich kräftiger Gestalt. Er trug einen so kräftigen, dunkeln Vollbart, daß man nur die Augen, die Nase und den obern Teil der Wangen erkennen konnte. Auf seinem Kopfe saß eine alte Bibermütze, welche im Laufe der Jahre fast kahl geworden war. Ihre einstige Gestalt zu bestimmen, war ein Werk der Unmöglichkeit; höchst wahrscheinlich hatte sie schon alle möglichen Formen gehabt. Der Anzug dieses Mannes bestand aus Hose und Jacke von starkem, grauem Leinen. In dem breiten Ledergürtel steckten zwei Revolver, ein Messer und mehrere kleine, dem Westmanne unentbehrliche Instrumente. Außerdem besaß er eine schwere Doppelbüchse, an deren Schaft, um beides bequemer tragen zu können, ein langes Beil gebunden war.

Als er das Fahrgeld bezahlt hatte, warf er einen forschenden Blick über das Deck. Die gut gekleideten Kajütenpassagiere schienen ihn nicht zu interessieren. Da fiel sein Auge auf die andern, welche vom Spiele aufgestanden waren, um die an Bord Steigenden zu betrachten. Er sah den Cornel; sein Blick verließ denselben sofort wieder, als ob er ihn gar nicht bemerkt habe; aber er brummte, indem er die heruntergerutschten Schäfte seiner hohen Wasserstiefel wieder über die mächtigen Oberschenkel heraufzog, leise vor sich hin: „Behold! Wenn das nicht der rote Brinkley ist, so will ich geräuchert und mit der Schale aufgefressen werden! Der Zweck, zu welchem er sich eine solche Schar von Boys zusammengetrommelt hat, ist sicherlich kein guter. Hoffentlich kennt er mich nicht.“

Derjenige, den er meinte, hatte auch ihn gesehen und gestutzt. Er wendete sich in leisem Tone an seine Gefährten: „Seht euch einmal den schwarzen Kerl an! Kennt ihn einer von euch?“

Die Frage wurde verneint.

„Nun, ich muß ihn schon einmal gesehen haben, und zwar unter Umständen, welche für mich nicht erfreulich gewesen sind. Es steckt in mir so eine dunkle Erinnerung davon.“

„Dann müßte er dich doch auch kennen,“ meinte einer. „Er hat uns angesehen, dich aber dabei gar nicht bemerkt.“

„Hm! Vielleicht fällt es mir noch ein. Oder noch besser, ich frage ihn nach seinem Namen. Wenn ich den höre, werde ich gleich wissen, woran ich bin. Gesichter kann ich wohl vergessen, Namen aber nicht. Machen wir also einen Drink mit ihm!“

„Wenn er mitthut!“

„Das wäre eine schandbare Beleidigung, wie ihr alle wißt. Derjenige, dem ein Drink abgeschlagen wird, hat hier zu Lande das Recht, mit dem Messer oder der Pistole zu antworten, und wenn er den Beleidiger niedersticht, kräht kein Hahn darüber.“

„Er sieht aber nicht so aus, als ob er zu etwas, was ihm nicht beliebt, zu zwingen sei.“

„Pshaw! Wettest du mit?“

„Ja, wetten, wetten!“ ertönte es im Kreise. „Der Verlierer zahlt drei Glas für jeden.“

„Mir ist’s recht,“ erklärte der Cornel.

„Mir auch,“ meinte der andre. „Aber es muß Gelegenheit zur Revanche sein. Drei Wetten und drei Drinks.“

„Mit wem?“

„Nun, zunächst mit dem Schwarzen, den du zu kennen behauptest, ohne zu wissen, wer er ist. Sodann mit einem der Gentlemen, die noch da stehen und nach dem Ufer gaffen. Nehmen wir den großen Kerl, der wie ein Riese unter Zwergen bei ihnen steht. Und endlich den roten Indsman, welcher nebst seinem Jungen mit an Bord gekommen ist. Oder fürchtest du dich vor ihm?“

Ein allgemeines Gelächter ertönte als Antwort auf diese Frage, und der Cornel meinte in verächtlichem Tone: „Ich mich vor dieser roten Fratze fürchten? Pshaw! Dann noch eher vor dem Riesen, auf den du mich hetzen willst. All devils, muß dieser Mensch stark sein! Aber gerade solche Giganten pflegen am wenigsten Mut zu haben, und er ist so fein und schmuck gekleidet, daß er sicher nur in Salons, nicht aber mit Leuten unsers Schlags umzugehen versteht. Also ich halte die Wette. Einen Drink von drei Gläsern mit jedem der drei. Und nun an das Werk!“

Er hatte die drei letzten Sätze so laut gerufen, daß sie von allen Passagieren gehört werden mußten. Jeder Amerikaner und jeder Westmann kennt die Bedeutung des Wortes Drink, besonders wenn dasselbe so laut und drohend ausgesprochen wird, wie es hier der Fall war. Darum richteten sich aller Augen auf den Cornel. Man sah, daß er, ebenso wie seine Gesellen, schon halb betrunken war, doch ging keiner fort, da jeder eine interessante Scene erwartete und gern erfahren und sehen wollte, wer die drei seien, denen der Trunk angeboten werden sollte.

Der Cornel ließ die Gläser füllen, nahm das seinige in die Hand, ging auf den Schwarzbärtigen los, welcher sich noch in der Nähe befand, und nach einem bequemen Platz für sich suchte, und sagte: „Good day, Sir! Ich möchte Euch dieses Glas anbieten. Ich halte Euch natürlich für einen Gentleman, denn ich trinke nur mit wirklich noblen Leuten und hoffe, daß Ihr es auf mein Wohl leeren werdet!“

Der Vollbart des Angeredeten wurde breit und zog sich wieder zusammen, woraus zu schließen war, daß ein vergnügtes Lächeln über sein Gesicht gehe.

„Well,“ antwortete er. „Ich bin nicht abgeneigt, Euch diesen Gefallen zu thun, möchte aber vorher wissen, wer mir diese überraschende Ehre erweist.“

„Ganz richtig, Sir! Man muß wissen, mit wem man trinkt. Ich heiße Brinkley, Cornel Brinkley, wenn’s Euch beliebt. Und Ihr?“

„Mein Name ist Großer, Thomas Großer, wenn Ihr nichts dagegen habt. Also auf Euer Wohl, Cornel!“

Er leerte das Glas, wobei die andern auch austranken und gab es dem Obersten zurück. Dieser fühlte sich als Sieger, betrachtete ihn in beinahe beleidigender Art und Weise vom Kopfe bis zu den Füßen herab und fragte:

„Mir scheint, das ist ein deutscher Name. Ihr seid also ein verdammter Dutchman, he?“

„Nein, sondern ein German, Sir,“ antwortete der Deutsche in freundlichster Weise, ohne sich durch die Grobheit des andern aufregen zu lassen. „Euern verdammten Dutchman müßt Ihr an eine andre Adresse bringen. Bei mir verfängt er nicht. Also Dank für den Drink und damit hallo!“

Er wendete sich scharf auf dem Absatze um und ging rasch davon, indem er sich leise sagte: „Also wirklich dieser Brinkley! Und Cornel nennt er sich jetzt! Der Kerl hat nichts Gutes vor. Wer weiß, wie lange man sich mit ihm an Bord befindet. Ich werde die Augen offen halten.“

Brinkley hatte zwar den ersten Teil der Wette gewonnen, blickte aber gar nicht sehr siegreich drein. Seine Miene war eine andre geworden; sie bewies, daß er sich ärgerte. Er hatte gehofft, daß Großer sich weigern und dann durch Drohungen zum Trinken zwingen lassen werde; dieser aber war der Klügere gewesen, hatte erst getrunken und dann ganz offen gesagt, daß er zu klug sei, Veranlassung zu einem Krakehl zu geben. Das wurmte den Cornel. Dann näherte er sich, nachdem er sich das Glas hatte wieder füllen lassen, seinem zweiten Opfer, dem Indianer.

Mit Großer waren nämlich zwei Indsmen mit an Bord gekommen, ein älterer und ein junger, welcher vielleicht fünfzehn Jahre zählen mochte. Die unverkennbare Ähnlichkeit ihrer Gesichtszüge ließ vermuten, daß sie Vater und Sohn seien. Sie waren so gleich gekleidet und bewaffnet, daß der Sohn als das genaue, verjüngte Spiegelbild des Vaters erschien.

Ihre Anzüge bestanden aus ledernen, an den Seiten ausgefransten Leggins und gelb gefärbten Mokassins. Ein Jagdhemd oder Jagdrock war nicht zu sehen, da sie den Leib von den Schultern an in jene Art bunt schillernder Zunidecken, von denen das Stück oft über sechzig Dollar kostet, gehüllt hatten. Das schwarze Haar war schlicht nach hinten gekämmt und fiel dort bis auf den Rücken herab, was ihnen ein frauenhaftes Aussehen verlieh. Ihre Gesichter waren voll, rund und besaßen einen äußerst gutmütigen Ausdruck, welcher dadurch erhöht wurde, daß sie ihre Wangen mit Zinnober hochrot gefärbt hatten. Die Flinten, welche sie in den Händen hielten, schienen zusammen keinen halben Dollar wert zu sein. Überhaupt sahen die beiden ganz und gar ungefährlich aus, und so seltsam dazu, daß sie, wie bereits erwähnt, das Gelächter der Trinker erregt hatten. Sie waren, als ob sie sich vor andern Menschen fürchteten, scheu auf die Seite gegangen und lehnten nun an einem aus starkem Holze gefertigten mannshohen, ebenso breiten und gleich langen Kasten. Dort schienen sie auf nichts zu achten, und selbst als der Cornel jetzt auf sie zukam, erhoben sie die Augen nicht eher, als bis er hart vor ihnen stand und sie anredete: „Heißes Wetter heut! Oder nicht, ihr roten Burschen? Da thut ein Trunk wohl. Hier, nimm, Alter, und schütte es auf die Zunge!“

Der Indianer rührte kein Glied und antwortete in gebrochenem Englisch: „Not to drink – nicht trinken.“

„Was, du willst nicht?“ brauste der Besitzer des roten Kehlbartes auf. „Es ist ein Drink, verstanden, ein Drink! Diesen zurückgewiesen zu sehen, ist für jeden veritablen Gentleman, wie ich einer bin, eine blutige Beleidigung, welche mit dem Messer vergolten wird. Doch, vorher muß ich wissen, wer du bist. Wie heißest du?“

„Nintropan-hauey,“ antwortete der Gefragte ruhig und bescheiden.

„Zu welchem Stamme gehörst du?“

„Tonkawa.“

„Also zu den zahmen Roten, welche sich vor jeder Katze fürchten, verstanden, vor jeder Katze, und wenn es auch nur das kleinste Kätzchen wäre. Mit dir werde ich kein Federlesens machen. Also, willst du trinken?“

„Ich nicht trinken Feuerwasser.“

Er sagte das trotz der Drohung, welche der Cornel ausgesprochen hatte, ebenso ruhig, wie vorher. Der letztere aber holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

„Hier dein Lohn, du roter Feigling!“ rief er aus. „Ich will mich nicht anders rächen, weil so eine Canaille zu tief unter mir steht.“

Kaum war der Hieb erteilt, so fuhr die Hand des Indianerknaben unter die Zunidecke, jedenfalls nach einer Waffe und zugleich flog sein Blick zum Gesicht seines Vaters empor, was dieser jetzt thun und sagen werde. Das Gesicht des Roten war ein so ganz andres geworden, daß man es jetzt fast nicht hätte wiedererkennen mögen. Seine Gestalt schien emporgewachsen zu sein, seine Augen leuchteten auf, und über seine Züge zuckte eine plötzlich lebendig gewordene Energie. Aber ebenso schnell senkten sich seine Wimpern wieder nieder; sein Körper fiel zusammen, und sein Gesicht nahm den vorherigen ergebenen Ausdruck an.

„Nun, was sagst du dazu?“ fragte der Cornel höhnisch.

„Nintropan-hauey danken.“

„Hat dir die Ohrfeige so sehr gefallen, daß du dich für sie bedankst? Nun, da hast du noch eine!“

Er holte abermals aus, schlug aber, da der Indianer den Kopf blitzschnell senkte, mit der Hand gegen den Kasten, an welchem die Indsmen lehnten, daß es einen lauten, hohlen Ton ergab. Da erscholl von innen erst ein kurzes, scharfes Knurren und Fauchen, welches schnell zu einem wilden, gräßlichen Schrei anschwoll, dem ein solches donnerähnliches Brüllen folgte, daß man meinte, das Schiff erzittere unter diesen entsetzlichen Tönen.

Der Colonel sprang einige Schritte zurück, ließ das Glas fallen und schrie mit erschrockener, heftig gellender Stimme: „Heavens! Was ist das? Welch eine Bestie steckt in diesem Kasten? Ist das erlaubt? Man kann vor Schreck den Tod oder wenigstens die Epilepsie davontragen!“

Der Schrecken hatte nicht nur ihn, sondern auch die andern Passagiere ergriffen. Die an Deck sich befindenden Männer hatten ebenso wie der Cornel laut aufgeschrieen. Nur vier von ihnen hatten mit keiner Wimper gezuckt, nämlich der Schwarzbärtige, welcher jetzt ganz vorn am Bug saß, der riesenhafte Herr, welchen der Cornel zum dritten Drink einladen wollte und die beiden Indianer. Diese vier Personen hatten ebensowenig wie die andern gewußt, daß sich ein wildes Tier an Bord und zwar dort in dem Kasten befinde, aber sie besaßen eine so große und langgeübte Selbstbeherrschung, daß es ihnen nicht schwer wurde, ihre Überraschung zu verbergen.

Das Gebrüll war auch unter Deck in den Kajüten gehört worden. Es kamen mehrere Damen unter lautem Geschrei herauf und erkundigten sich nach der Gefahr, die ihnen drohe.

„Es ist nichts, Ladies und Mesch’schurs,“ antwortete ein sehr anständig gekleideter Herr, welcher soeben auch aus seiner Kabine getreten war. „Nur ein Pantherchen, ein kleines Pantherchen, weiter gar nichts! Ein allerliebster Felis panthera, nur ein schwarzer, nur ein schwarzer, Mesch’schurs!“

„Was? Ein schwarzer Panther!“ heulte ein kleines, bebrilltes Männlein auf, dem man es ansah, daß er mehr in zoologischen Büchern als im praktischen Verkehr mit wilden Tieren bewandert sei. „Der schwarze Panther ist ja das allergefährlichste Viehzeug! Er ist größer und länger als der Löwe und der Tiger! Er mordet aus reiner Blutgier und nicht nur aus Hunger. Wie alt ist er denn?“

„Nur drei Jahre, Sir, nicht älter.“

„Nur? Das nennt Ihr nur? Da ist er ja vollständig ausgewachsen! Mein Gott! Und so eine Bestie befindet sich hier an Bord! Wer kann das verantworten?“

„Ich, Sir, ich,“ antwortete der elegante Fremde, indem er sich gegen die Damen und Herren verneigte. „Erlaubt mir, mich vorzustellen, Myladies und Gentlemen! Ich bin der berühmte Menageriebesitzer Jonathan Boyler und befinde mich seit einiger Zeit mit meiner Truppe in Van Büren. Da dieser schwarze Panther in New Orleans für mich angekommen war, so begab ich mich mit meinem erfahrensten Tierbändiger dorthin, um ihn abzuholen. Der Kapitän dieses guten Schiffes erteilte mir gegen hohen Transport die Erlaubnis, den Panther hier zu verladen. Er machte dabei die Bedingung, daß die Passagiere möglichst nicht erfahren sollten, in welcher Gesellschaft sie sich befinden. Darum fütterte ich den Panther nur des Nachts und habe ihm, by god, stets ein ganzes Kalb gegeben, damit er sich so vollfressen solle, daß er den ganzen Tag verschläft und sich kaum bewegen kann. Freilich, wenn man mit Fäusten an den Kasten schlägt, so wacht er auf und läßt auch seine Stimme hören. Ich hoffe, daß die verehrten Damen und Herren nun von der Anwesenheit des Pantherchens, welche ja nicht die mindeste Störung bewirkt, keine Notiz mehr nehmen.“

„Was?“ antwortete der mit der Brille, indem seine Stimme fast überschnappte. „Keine Störung bewirkt? Keine Notiz mehr nehmen? Alle Teufel, ich muß wirklich sagen, daß eine solche Anforderung noch nie an mich gestellt worden ist! Ich soll dieses Schiff mit einem schwarzen Panther bewohnen? Ich will gehenkt sein, wenn ich das fertig bringe! Entweder muß er fort, oder ich gehe. Werft die Bestie ins Wasser! Oder schafft den Kasten an das Ufer!“

„Aber, Sir, es ist wirklich ganz und gar keine Gefahr vorhanden,“ versicherte der Menageriebesitzer. „Seht Euch nur den starken Kasten an, und – – “

„Ach was Kasten,“ unterbrach ihn das Männchen. „Diesen Kasten kann ich zersprengen, um wieviel leichter da erst der Panther!“

„Bitte, mich sagen zu lassen, daß sich in dem Kasten der eigentliche eiserne Käfig befindet, den selbst zehn Löwen oder Panther nicht zu zertrümmern vermöchten.“

„Ist das wahr? Zeigt uns den Käfig! Ich muß mich überzeugen.“

„Ja, den Käfig zeigen, den Käfig zeigen! Wir müssen wissen, woran wir sind,“ riefen zehn, zwanzig, dreißig und noch mehr Stimmen.

Der Menageriebesitzer war Yankee und ergriff also die Gelegenheit beim Schopfe, diesen allgemeinen Wunsch zu seinem Vorteile auszubeuten.

„Ganz gern, ganz gern!“ antwortete er. „Aber, Myladies und Gentlemen, es ist doch leicht einzusehen, daß man den Käfig nicht betrachten kann, ohne auch den Panther zu erblicken. Dies jedoch darf ich ohne gewisse Gegenleistung nicht gestatten. Um den Reiz dieses seltenen Schauspiels zu erhöhen, werde ich eine Fütterung des Tieres anbefehlen. Wir arrangieren drei Plätze, den ersten zu einem Dollar, den zweiten zu einem halben und den dritten zu einem Vierteldollar. Da sich lauter Ladies und wirkliche Gentlemen hier befinden, so bin ich überzeugt, daß wir den zweiten und dritten Rang gleich von vornherein weglassen können. Oder ist jemand da, der nur einen halben oder gar nur einen Vierteldollar zahlen will?“

Es antwortete natürlich niemand.

„Nun also, nur erste Plätze. Bitte, Myladies und Mylords, einen Dollar die Person.“

Er nahm seinen Hut ab und kassierte die Dollars ein, während sein Tierbändiger, den er herbeigerufen hatte, die zu der Schaustellung nötigen Vorbereitungen traf.

Die Passagiere waren meist Yankees, und als solche erklärten sie sich mit der jetzigen Wendung der Angelegenheit vollständig einverstanden. Waren vorher die meisten von ihnen empört darüber gewesen, daß der Kapitän seinen Steamer zur Beförderung eines so gefährlichen Raubtieres hergegeben hatte, so fühlten sie sich jetzt durch die Gelegenheit versöhnt, durch die Besichtigung des Panthers eine willkommene Abwechselung in das langweilige Schiffsleben gebracht zu sehen. Selbst der kleine Gelehrte hatte seine Angst überwunden und sah der Schaustellung mit großem Interesse entgegen.

Der Cornel benutzte dieselbe, seinen Gefährten den Antrag zu stellen:

„Hört, Boys, eine Wette habe ich gewonnen und die andre verloren, da der rote Halunke nicht getrunken hat. Das hebt sich auf. Die dritte machen wir nicht um drei Gläser Brandy, sondern um den Dollar Entree, den wir zahlen müssen. Seid ihr damit einverstanden?“

Natürlich nahmen die Genossen den Vorschlag an, denn der Riese sah nicht so aus, als ob er sich Angst einflößen lassen werde.

„Gut,“ meinte der Cornel, den der Genuß des vielen Branntweins siegesgewiß machte. „Paßt auf, wie gern und schnell dieser Goliath mit mir trinken wird!“

Er ließ sich das Glas füllen und näherte sich dann dem Erwähnten. Die Körperformen dieses Mannes waren allerdings riesige zu nennen. Er war noch höher und breiter gebaut als der Schwarzbärtige, welcher sich Großer genannt hatte. Er war ganz gewiß kein Stubenmensch, denn sein Gesicht war von der Sonne braun gebrannt; seine männlich schönen Züge besaßen einen kühnen Schnitt, und seine blauen Augen hatten jenen eigentümlichen, nicht zu beschreibenden Blick, durch welchen sich Menschen auszeichnen, welche auf großen Flächen leben, wo der Horizont kein eng begrenzter ist, also Seeleute, Wüstenbewohner und Prairiemänner. Zu erwähnen wäre noch, daß sein Gesicht glatt rasiert war, daß er vielleicht vierzig Jahre alt sein konnte, und daß er einen eleganten Reiseanzug trug. Waffen sah man nicht an ihm. Er stand bei mehreren Herren, mit denen er sich lebhaft über den Panther unterhielt. Auch der Kapitän befand sich bei ihnen. Er war von der Kommandobrücke herabgekommen, um die Vorstellung mit dem Panther auch anzusehen.

Da kam der Cornel herbei, stellte sich breitspurig vor sein drittes vermeintliches Opfer hin und sagte: „Sir, ich biete Euch einen Drink an. Hoffentlich weigert Ihr Euch nicht, mir als einem veritablen Gentleman zu sagen, wer Ihr seid.“

Der Angeredete warf ihm einen erstaunten Blick in das Gesicht und wendete sich wieder weg, um die durch den frechen Patron unterbrochene Unterhaltung fortzusetzen.

„Pooh!“ rief dieser aus. „Seid Ihr taub, oder wollt Ihr mich absichtlich nicht hören? Dieses letztere möchte ich Euch nicht raten, da ich keinen Spaß verstehe, wenn mir ein Drink abgeschlagen wird. Ich gebe Euch den guten Rat, Euch ein Beispiel an dem Indsman zu nehmen!“

Der Belästigte zuckte leicht die Achsel und fragte den Kapitän: „Ihr habt gehört, was dieser Bursche da zu mir sagt?“

„Yes, Sir, jedes Wort,“ nickte der Gefragte.

„Well, so seid Ihr Zeuge, daß ich ihn nicht hergerufen habe.“

„Was?“ brauste der Cornel auf. „Einen Burschen nennt Ihr mich? Und den Drink weist Ihr zurück? Soll es Euch wie dem Indianer ergehen, dem ich – – –“

Er kam nicht weiter, denn er hatte in diesem Augenblick eine so gewaltige Ohrfeige von dem Riesen erhalten, daß er niederstürzte, eine ganze Strecke auf dem Boden hinschoß und sich dann sogar noch überkugelte. Da lag er einen Augenblick wie erstarrt, raffte sich jedoch schnell auf, riß das Messer heraus, erhob es zum Stoße und sprang auf den Riesen ein.

Dieser hatte die beiden Hände in die Hosentaschen gesteckt und stand so gemütlich da, als ob ihm nicht die mindeste Gefahr drohe, als ob der Cornel gar nicht vorhanden sei. Dieser brüllte in wütendem Tone: „Hund, mir eine Ohrfeige? Das kostet Blut, und zwar das deinige!“

Mehrere der Männer und auch der Kapitän wollten dazwischen treten, aber der Riese wies sie mit einem energischen Kopfschütteln zurück, erhob, als der Cornel ihm bis auf zwei Schritte nahe gekommen war, das rechte Bein und empfing ihn mit einem solchen Fußtritte auf den Magen, daß der Betroffene abermals zu Boden flog und fortkollerte.

„Nun ist’s aber gut, sonst – – –“ rief der Goliath drohend.

Aber der Cornel sprang wieder auf, schob das Messer in den Gürtel und zog, vor Grimm brüllend, eine der Pistolen hervor, um sie auf den Gegner zu richten. Dieser aber nahm seine rechte Hand aus der Tasche, in welcher er einen Revolver stecken gehabt hatte.

„Fort mit der Pistole!“ gebot er, indem er den Lauf seiner kleinen, aber guten Waffe auf die rechte Hand des Gegners hielt.

Ein – zwei – drei dünne aber scharfe Knalle – – der Cornel schrie auf und ließ die Pistole fallen.

„So, Bursche!“ sagte der Riese. „Du wirst nicht gleich wieder Ohrfeigen geben, wenn man es verschmäht, aus dem Glase zu trinken, an welchem du vorher dein großes Maul abgewischt hast. Ich habe dir die Hand zerschmettert. Und wenn du nun noch wissen willst, wer ich bin, so – – –“

„Verdammt sei dein Name!“ schäumte der Cornel, „Ich mag ihn nicht hören. Dich selbst aber will und muß ich haben. Drauf, auf ihn, Jungens; go on!“

Jetzt zeigte es sich, daß diese Kerls eine wirkliche Bande bildeten, in welcher alle für einen standen. Sie rissen ihre Messer aus den Gürteln und warfen sich auf den Riesen, welcher verloren zu sein schien, ehe der Kapitän seine Leute zu Hilfe rufen konnte. Der mutige Mann aber streckte einen Fuß vor, erhob die Arme und rief: „So kommt heran, wenn ihr es wagt, mit Old Firehand anzubinden!“

Der Klang dieses Namens war von augenblicklicher Wirkung. Der Cornel, welcher sein Messer mit der unverletzten Linken wieder ergriffen hatte, hielt den Schritt an und rief: „Old Firehand! Alle Teufel, wer hätte das gedacht! Warum habt Ihr das nicht vorher gesagt!“

„Ist’s etwa nur der Name, der einen Gentleman vor euern Ungezogenheiten schützt? Macht euch von dannen, setzt euch ruhig in einen Winkel und kommt mir nicht wieder vor die Augen, sonst lösche ich euch alle aus!“

„Well, wir sprechen später weiter!“

Er drehte sich um und ging mit seiner blutenden Hand nach vorn. Die Seinen folgten ihm wie Hunde, welche Prügel bekommen haben. Dort setzten sie sich nieder, verbanden ihrem Anführer die Hand, sprachen leise und angelegentlich miteinander und warfen dabei Blicke nach dem berühmten Jäger, welche zwar keineswegs freundliche waren, aber doch bewiesen, welch einen gewaltigen Respekt sie vor ihm hatten.

Aber nicht allein auf sie hatte der weitbekannte Name gewirkt. Es gab unter den Passagieren wohl keinen, der nicht schon von diesem kühnen Manne, dessen ganzes Leben aus gefährlichen Thaten und Abenteuern zusammengesetzt war, gehört gehabt hätte. Man trat unwillkürlich ganz ehrerbietig von ihm zurück, und betrachtete nun viel eingehender die hohe Gestalt, deren doch so harmonische Dimensionen und Verhältnisse jedem schon vorher aufgefallen waren.

Der Kapitän reichte ihm die Hand und sagte im freundlichsten Tone, zu dem ein Yankee sich verstehen kann: „Aber, Sir, das hätte ich wissen sollen! Ich hätte Euch meine eigene Kajüte abgetreten. Bei Gott, es ist eine Ehre für den „Dogfish“, daß Eure Füße seine Planken betreten haben. Warum habt Ihr Euch anders genannt?“

„Ich habe Euch meinen wirklichen Namen gesagt. Old Firehand aber werde ich von den Westmännern genannt, weil das Feuer meiner Büchse, von meiner Hand geleitet, stets ein verderbenbringendes ist.“

„Ich hörte, Ihr schießt nie fehl?“

„Pshaw! Fehlschießen eine Unmöglichkeit! Jeder gute Westmann kann das genau so wie ich. Aber Ihr seht, welchen Vorteil ein bekannter Kriegsname hat. Hätte sich der meinige nicht so weit herumgesprochen, so wäre es gewiß zum Kampfe gekommen.“

„In welchem Ihr gegen diese Übermacht hättet unterliegen müssen!“

„Meint Ihr?“ fragte Old Firehand, indem ein selbstbewußtes, doch gar nicht stolzes Lächeln über sein Gesicht flog. „So lange man nur mit Messern kommt, ist mir gar nicht bange. Ich hätte mich gewiß so lange gehalten, bis Eure Leute zur Hand gewesen wären.“

„An denen hätte es freilich nicht gefehlt. Aber was thue ich nun mit den Halunken? Ich bin Herr, Gebieter und Richter hier. Soll ich sie in Ketten legen und dann abliefern?“

„Nein.“

„Oder soll ich sie ans Ufer setzen?“

„Auch nicht.“

„Aber Strafe muß doch sein.“

„Ich rate Euch, darauf zu verzichten. Ihr macht diese Tour mit Eurem Steamer doch wohl nicht zum letztenmal?“

„Fällt mir gar nicht ein! Ich denke, noch lange Jahre auf dem alten Arkansas auf und ab zu schwimmen.“

„Nun, so hütet Euch, jetzt die Rache dieser Menschen zu erwecken! Es würde sicher zu Eurem Verderben sein. Sie sind im stande, sich irgendwo am Ufer festzusetzen und Euch einen Streich zu spielen, der Euch nicht nur das Schiff, sondern auch das Leben kosten kann.“

„Das sollten sie wagen!“

„Sie wagen es gewiß. Übrigens würde das gar kein Wagnis für sie sein. Sie würden alles heimlich thun und es so einrichten, daß ihnen niemand etwas anhaben kann.“

Jetzt sah Old Firehand den Schwarzbärtigen, welcher herbeigekommen und in der Nähe stehen geblieben war, den Blick in bescheidenem Verlangen auf den Jäger gerichtet. Dieser trat auf ihn zu und fragte: „Ihr wollt mit mir sprechen, Sir? Kann ich Euch einen Gefallen erweisen?“

„Einen sehr großen,“ antwortete der Deutsche.

„So sagt, welchen!“

„Erlaubt mir, Euch einmal die Hand zu drücken, Sir! Das ist alles, um was ich Euch bitte. Dann will ich befriedigt gehen und Euch nicht weiter belästigen. Aber an diese Stunde werde ich mit Freuden denken all mein Lebelang.“

Man sah seinem offenen Blick und hörte seinem Tone an, daß diese Worte wirklich aus dem Herzen kamen. Old Firehand streckte ihm die Rechte entgegen und fragte: „Wie weit wollt Ihr mit diesem Schiffe fahren?“

„Mit diesem Schiffe? Nur bis Fort Gibsen.“

„Das ist doch weit genug!“

„O, dann will ich mit dem Boote noch weiter. Ich fürchte, daß Ihr, der berühmte Mann, der noch niemals unterlegen ist, mich für furchtsam haltet.“

„Warum?“

„Weil ich vorhin den Drink dieses sogenannten Cornels angenommen habe.“

„O nein. Ich kann Euch nur loben, daß Ihr so besonnen gewesen seid. Freilich, als er dann den Indsmann schlug, nahm ich mir vor, ihm eine scharfe Lehre zu erteilen, was ja auch geschehen ist.“

„Hoffentlich läßt er sie sich zur Warnung dienen. Übrigens, wenn Ihr ihm die Finger steif geschossen habt, so ist’s mit ihm als Westmann aus. Von dem Roten aber weiß ich nicht, was ich denken soll.“

„Wieso?“

„Er hat sich als wirklicher Feigling betragen, und ist doch nicht im mindesten erschrocken, als das Brüllen des Panthers erscholl. Das kann ich mir gar nicht zusammenreimen.“

„Nun, den Reim will ich Euch machen. Es fällt mir nicht schwer, ihn fertig zu bringen.“

„So, kennt Ihr den Indianer?“

„Gesehen habe ich ihn noch nie, desto mehr aber von ihm gehört.“

„Auch ich hörte den Namen, als er ihn aussprach. Es ist ein Wort, bei dem man die Zunge brechen kann. Es war mir unmöglich, es mir zu merken.“

„Weil er sich seiner Muttersprache bediente, jedenfalls um den Cornel nicht merken zu lassen, mit wem er es zu thun hatte. Sein Name ist Nintropan-hauey, und sein Sohn heißt Nintropan-homosch; das bedeutet der große Bär und der kleine Bär.“

„Ist’s möglich? Von diesem Vater und diesem Sohne habe ich freilich schon oft gehört. Die Tonkawa sind entartet. Nur diese beiden Nintropan haben die Kriegslust ihrer Ahnen geerbt und treiben sich im Gebirge und in der Prairie umher.“

„Ja, sie sind zwei tüchtige Kerls. Und nun werdet Ihr wohl nicht mehr denken, daß sie aus Feigheit dem Cornel nicht geantwortet haben, wie es sich eigentlich gehörte.“

„Ein andrer Indsman hätte den Kerl sofort kalt gemacht!“

„Vielleicht. Aber habt Ihr nicht gesehen, daß der Sohn unter seine Decke nach dem Messer oder dem Tomahawk griff? Nur als er das regungslose Gesicht seines Vaters sah, verzichtete er darauf, die That augenblicklich zu rächen. Ich sage Euch, bei diesen Indsmen genügt ein kurzer Blick, wo es bei uns Weißen oft einer langen Rede bedarf. Seit dem Augenblicke, daß der Cornel den Indianer in das Gesicht schlug, ist sein Tod eine beschlossene Sache. Die beiden „Bären“ werden nicht eher von seiner Fährte lassen, bis sie ihn ausgelöscht haben. Aber, Ihr nanntet ihm Euern Namen, den ich als einen deutschen erkannte. Wir sind also Landsleute.“

„Wie, Sir, auch Ihr seid ein Deutscher?“ fragte Großer erstaunt.

„Allerdings. Mein eigentlicher Name ist Winter. Auch ich fahre noch eine gute Strecke mit diesem Schiffe, und da findet sich für uns beide jedenfalls Gelegenheit, uns wieder zu sprechen.“

„Wenn Ihr Euch herablassen wollt, so soll es mir die denkbar größte Ehre sein, Sir.“

„Macht keine Komplimente. Ich bin nicht mehr, als Ihr seid, ein Westmann, weiter nichts.“

„Ja, aber der General ist auch nicht mehr als der Rekrut, ein Soldat nämlich.“

„Wollt Ihr Euch in Wahrheit mit einem Rekruten vergleichen? Dann dürftet Ihr Euch nur erst kurze Zeit im Westen befinden.“

„Nun,“ meinte der Bärtige in bescheidenem Tone, „etwas länger bin ich doch schon da. Ich heiße Thomas Großer. Den Familiennamen läßt man hier weg; aus dem Thomas macht man einen Tom, und weil ich einen so gewaltigen und schwarzen Bart trage, nennt man mich den schwarzen Tom.“

„Wie? Was?“ rief Old Firehand aus. „Ihr seid der schwarze Tom, der berühmte Rafter?“

„Tom heiße ich, Rafter bin ich, ob berühmt, das bezweifle ich.“

„Ihr seid es, Ihr seid es, Sir. Ich versichere es Euch mit meinem Handschlage!“

„Nicht allzulaut, bitte, Sir!“ warnte Tom. „Der Colonel dort soll meinen Namen nicht hören.“

„Warum nicht?“

„Weil er mich an demselben wiederkennen würde.“

„So habt Ihr schon mit ihm zu thun gehabt?“

„Ein wenig. Ich erzähle es Euch schon noch. Ihr kennt ihn nicht?“

„Ich sah ihn heut zum erstenmal.“

„Nun, seht seinen Bart und sein rotes Haar und hört dazu, daß sein Name Brinkley ist.“

„Was Ihr sagt! So ist er der rote Brinkley, der hundert Schandthaten begangen hat, ohne daß man ihm eine einzige beweisen kann?“

„Er ist’s, Sir. Ich habe ihn erkannt.“

„Dann werde ich ihm, wenn er länger an Bord bleibt, etwas schärfer auf die Finger sehen. Und Euch muß ich näher kennen lernen. Ihr seid der Mann, der für mich paßt. Wenn Ihr Euch nicht bereits anderweit versprochen hättet, könnte ich Euch brauchen.“

„Nun,“ meinte Tom, indem er nachdenklich zu Boden blickte, „die Ehre, bei Euch sein zu können, ist viel mehr wert, als alles andre. Ich bin zwar einen Bund mit andern Rafters eingegangen; sie haben mich sogar zu ihrem Anführer gemacht; aber wenn Ihr mir Zeit lassen könnt, sie zu benachrichtigen, so läßt sich das leicht lösen.“

„Schön. Ihr müßt Euch einen Kajütenplatz nehmen, damit wir beisammen sind. Was Ihr draufzuzahlen habt, will ich gern ersetzen.“

„Danke, Sir! Wir Rafters verdienen, wenn wir fleißig sind, auch viel Geld. Und gerade jetzt habe ich alle Taschen voll, denn ich komme von Vicksburg unten herauf, wo ich unsre Rechnungen präsentiert und in Kasse umgewandelt habe. Ich kann also den Kajütenplatz selbst bezahlen. Aber seht! Mir scheint, die Vorstellung soll jetzt beginnen.“

Der Menageriebesitzer hatte aus Kisten und Paketen mehrere Sitzreihen hergestellt und lud nun in pomphaften Worten das Publikum ein, Platz zu nehmen. Dies geschah. Das Schiffspersonal durfte, soweit es nicht beschäftigt war, gratis zuschauen. Der Cornel kam mit seinen Leuten nicht herbei; er hatte die Lust dazu verloren.

Die beiden Indianer waren nicht gefragt worden, ob sie auch mit teilnehmen wollten. Zwei Indsmen bei Ladies und Gentlemen, welche pro Person einen Dollar bezahlt hatten, daß wollte der Besitzer des Tieres sich nicht vorwerfen lassen. Sie standen also von ferne und schienen weder dem Käfige noch der Zuschauergruppe die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, während aber ihren scharfen, verstohlenen Blicken von allem, was geschah, nicht daß Geringste entging.

Nun saßen die Zuschauer vor dem noch geschlossenen Kasten. Die meisten von ihnen hatten keinen richtigen Begriff von einem schwarzen Panther. Die katzenartigen Raubtiere der neuen Welt sind bedeutend kleiner und ungefährlicher als diejenigen der alten Welt. Der Gaucho zum Beispiel fängt den Jaguar, welcher der amerikanische Tiger genannt wird, mit dem Lasso und schleift ihn hinter sich her. Das dürfte er beim bengalischen Königstiger nicht wagen. Und der amerikanische Löwe, der Puma, flieht vor dem Menschen, selbst wenn er vom Hunger gepeinigt wird. Man hat die Vorstellung, daß der Panther bedeutend kleiner sei als der Löwe und Tiger, und da die Zuschauer bei diesen beiden Bezeichnungen an den Puma und Jaguar dachten, so erwarteten die meisten von ihnen, ein kaum mehr als einen halben Meter hohes und dementsprechend langes und starkes Raubtier zu sehen. Wie fühlten sie sich daher betroffen, als jetzt die Vorderwand des Kastens entfernt wurde und sie den Panther erblickten.

Er hatte seit New Orleans im Dunkeln gelegen, der Kasten war nur des Nachts geöffnet worden. Jetzt erblickte er zum erstenmal wieder das Tageslicht, welches seine Augen blendete. Er schloß sie und blieb noch liegen, lang ausgestreckt, so lang wie der Kasten war. Dann blinzelte er leise, dabei bemerkte er die vor ihm sitzenden Menschen. Im Nu war er auf und stieß ein Brüllen aus, welches die Wirkung hatte, daß die Mehrzahl der Zuschauer aufsprangen, um zu retirieren.

Ja, es war ein ausgewachsenes prächtiges Exemplar, gewiß einen Meter hoch und ohne Schwanz zweimal so lang. Er faßte die Stäbe des eisernen Käfigs mit den Vordertatzen und schüttelte sie, daß der Kasten in Bewegung kam. Dabei zeigte er das fürchterliche Gebiß. Die dunkle Farbe erhöhte nur den Eindruck, den er machte.

„Ja, Myladies und Gentlemen,“ sagte der Menageriebesitzer in erklärendem Tone, „die schwarze Abart des Panthers ist wohl auf den Sundainseln daheim. Diese Tiere sind aber klein. Der echte schwarze Panther, welcher freilich sehr selten ist, wird in Nordafrika, an der Grenze der Sahara gefunden. Er ist ebenso stark und weit gefährlicher als der Löwe und kann ein ausgewachsenes Rind im Rachen forttragen. Was seine Zähne vermögen, werdet ihr gleich sehen, da die Fütterung beginnt.“

Der Bändiger brachte die Hälfte eines Schafes herbei und legte sie vor dem Käfig nieder. Als der Panther das Fleisch erblickte, gebärdete er sich wie unsinnig. Er sprang auf und ab und fauchte und brüllte, daß die furchtsameren der Zuschauer sich noch weiter zurückzogen als bisher.

Ein an der Schiffsmaschine beschäftigter Neger hatte der Neugierde nicht widerstehen können und sich herbeigeschlichen. Der Kapitän sah ihn und befahl ihm, sofort an seine Arbeit zurückzukehren. Da der Schwarze nicht gleich gehorchte, ergriff der Kapitän ein nahe liegendes Tauende und versetzte ihm mit demselben einige Hiebe. Nun zog sich der Gezüchtigte schnell zurück, blieb aber an der in den Maschinenraum führenden Lucke stehen, zog dem Kapitän hinter dem Rücken desselben eine drohende Grimasse und schüttelte die Fäuste gegen ihn. Da die Zuschauer nur auf den Panther achteten, hatten sie das nicht bemerkt. Der Cornel aber sah es und sagte zu seinen Gefährten: „Dieser Nigger ist dem Kapitän nicht hold, wie es scheint. Vielleicht kann er uns von Nutzen sein. Wollen uns an ihn machen. Einige Dollar wirken bei einem Schwarzen Wunder.“

Jetzt schob der Tierbändiger das Fleisch zwischen den Eisenstäben hindurch in den Käfig, musterte die Zuschauer mit prüfendem Blicke und sagte dann seinem Herrn einige leise Worte. Dieser schüttelte bedenklich den Kopf, der andre redete weiter auf ihn ein und schien seine Bedenken zu zerstreuen, denn der Besitzer nickte endlich und erklärte den vor dem Käfige Sitzenden und Stehenden: „Myladies und Mesch’schurs, ich sage euch, daß ihr ungeheures Glück habt. Ein gebändigter schwarzer Panther ist noch nie gesehen worden, wenigstens hier in den Staaten nicht. Während des dreiwöchentlichen Aufenthaltes in New Orleans nun hat mein Bändiger den Panther in die Schule genommen und erklärt jetzt, zum erstenmal öffentlich zu ihm in den Kasten gehen und sich neben ihm niedersetzen zu wollen, falls ihr ihm eine entsprechende Gratifikation zusagt.“

Der Bändiger war ein starker, außerordentlich muskulöser Mensch mit einem ungewöhnlich selbstbewußten Zuge im Gesicht. Er war jedenfalls vom Gelingen seines Vorhabens vollständig überzeugt, wie seine gegenwärtige zuversichtliche Miene bewies.

Der Panther hatte sich über seine Mahlzeit hergemacht, deren Knochen zwischen seinen Zähnen wie Pappe zermalmt wurden. Er schien nur auf seinen Fraß zu achten, und so konnte wohl selbst der Laie der Ansicht sein, daß es keine große Gefahr auf sich habe, gerade jetzt den Käfig zu betreten.

Kein andrer als der vorhin am ängstlichsten war, nämlich der kleine, bebrillte Gelehrte, antwortete enthusiasmiert: „Das würde herrlich sein, Sir! Ein Bravourstück, für welches man schon etwas zahlen kann. Wieviel will der Mann denn haben?“

„Hundert Dollar?“

„Hm! Ist das nicht zu viel?“

„Nein, sondern viel zu wenig, Sir. Die Gefahr, in welche er sich begibt, ist nicht gering, da er des Tieres erst kaum halb sicher ist.“

„So! Nun, ich bin nicht reich. Fünf Dollar aber steuere ich bei. Mesch’schurs, wer zahlt noch etwas?“

Es meldeten sich so viele, daß die Summe zusammenkommen mußte. Man hatte nun einmal begonnen, und so sollte das Schauspiel auch völlig ausgekostet werden. Selbst der Kapitän wurde erregt und bot Wetten an.

„Sir,“ warnte ihn Old Firehand, „begeht keinen Fehler! Ich bitte Euch, das Wagnis nicht zuzugeben. Gerade weil der Mann des Tieres noch nicht sicher ist, habt Ihr die Verpflichtung, Einspruch zu erheben.“

„Einspruch?“ lachte der Kapitän. „Pshaw! Bin ich etwa der Vater oder die Mutter des Bändigers? Habe ich ihm Befehle zu erteilen? Hier in diesem gesegneten Lande hat jedermann das Recht, seine Haut zu Markte zu tragen, ganz wie es ihm beliebt. Wird er von dem Panther gefressen, nun, so ist das seine und des Panthers Sache, nicht aber die meinige. Also, Gentlemen, ich behaupte, daß der Mann nicht so heil wieder herauskommt, wie er hineingeht, und setze hundert Dollar. Wer geht darauf ein? Zehn Prozent der Gewinne soll der Bändiger noch extra erhalten.“

Dieses Beispiel elektrisierte. Es wurden mehrere Wetten zu nicht unbedeutenden Beträgen abgeschlossen, und es stellte sich heraus, daß dieselben dem Bändiger, falls sein Wagnis gelingen sollte, gegen dreihundert Dollar einbringen mußten.

Es war nicht gesagt, ob der Tierbändiger dabei bewaffnet sein solle. Er holte seinen Totschläger, eine Peitsche, deren Knauf eine Explosionskugel enthielt. Griff das Tier ihn an, so bedurfte es nur eines kräftigen Hiebes seinerseits, den Panther augenblicklich zu töten.

„Ich traue selbst einem solchen Totschläger nicht,“ sagte Old Firehand zu dem schwarzen Tom. „Ein Feuerwerkskörper wäre praktischer, da das Tier durch denselben zurückgeschreckt würde, ohne doch getötet zu werden. Doch thue jeder nach seinem Wohlgefallen. Ich will’s loben, aber erst dann, wenn es gelungen ist.“

Jetzt hielt der Bändiger eine kurze Ansprache an das Publikum, und wendete sich dann gegen den Käfig. Er öffnete die schweren Riegel und schob darauf das schmale Gitter, welches die ungefähr fünf Fuß hohe Thür bildete, zur Seite. Um einzutreten, mußte er sich bücken. Dabei bedurfte er beider Hände, um die Thür zu halten, und dann, wenn er sich im Käfige befand, wieder zu schließen; deshalb hatte er den Totschläger zwischen die Zähne genommen und war also, wenn auch nur für diesen kurzen Augenblick, wehrlos. Zwar war er schon oft bei dem Tiere im Käfige gewesen, aber unter ganz andern Umständen. Da war dasselbe nicht tagelang im Dunkeln gewesen; es hatten sich nicht so viele Menschen in der Nähe befunden, und es hatte auch nicht das Stampfen der Maschine und das Rauschen und Brausen der Räder gegeben. Diese Umstände waren weder von dem Menageriebesitzer noch von dem Bändiger genug in Betracht gezogen worden, und nun zeigten sich die Folgen.

Als der Panther das Geräusch des Gitters hörte, drehte er sich um. Eben schob der Bändiger den gesenkten Kopf herein – eine geradezu gedankenschnelle Bewegung des Raubtieres, ein blitzähnliches Aufzucken, und es hatte den Kopf, aus dessen Mund der Totschläger fiel, im Rachen und zerkrachte ihn mit einem einzigen Bisse in Splitter und zu Brei.

Das Geschrei, welches sich in diesem Augenblicke vor dem Käfige erhob, spottete jeder Beschreibung. Alles sprang auf und rannte zeternd davon. Nur drei blieben, der Menageriebesitzer, Old Firehand und der schwarze Tom. Der erstere wollte die Thür des Käfigs zuschieben, aber dies war unmöglich, da die Leiche sich halb in demselben und halb außerhalb befand. Dann wollte er den Toten bei den Beinen fassen und herausziehen.

„Um Gottes willen, das nicht.“ rief Old Firehand. „Der Panther käme hinterdrein. Schiebt den Körper vollends hinein, er ist nun doch tot. Dann geht die Thüre zu!“

Der Panther lag vor der kopflosen Leiche. Die Knochensplitter im blutig geifernden Rachen, hielt er die funkelnden Augen auf seinen Herrn gerichtet. Er schien die Absicht desselben zu erraten, denn er brüllte zornig auf und kroch auf der Leiche vor, dieselbe durch die Schwere seines Körpers festhaltend. Sein Kopf war nur noch wenige Zoll von der Thüröffnung entfernt.

„Fort, fort! Er kommt heraus!“ rief Old Firehand. „Tom, Ihr Gewehr! Ihr Gewehr! Ein Revolver würde das Übel nur ärger machen!“

Der schwarze Tom sprang nach seiner Büchse.

Von dem Augenblicke, in welchem der Bändiger den Käfig betreten hatte, bis zum gegenwärtigen waren kaum zehn Sekunden vergangen. Niemand hatte noch Zeit gefunden, sich vollständig in Sicherheit zu bringen. Das ganze Deck bildete einen Wirrwarr von fliehenden und vor Angst schreienden Personen. Die Thüren nach den Kajüten und den Unterdecks waren verstopft. Man duckte sich hinter Fässern und Kisten nieder und sprang doch wieder auf, weil man sich da nicht vollständig sicher fühlte.

Der Kapitän war nach seiner Kommandobrücke gerannt und stieg dieselbe empor, drei und vier Stufen auf einmal nehmend. Old Firehand folgte ihm. Der Menageriebesitzer flüchtete sich nach der Hinterwand des Käfigs. Der schwarze Tom rannte nach seinem Gewehre. Unterwegs fiel ihm ein, daß er das Beil mit demselben zusammengebunden hatte und es also nicht augenblicklich gebrauchen könne. Er blieb also bei den beiden Indianern, an denen er vorübergewollt hatte, stehen und riß dem alten Bär die Flinte aus der Hand.

„Ich selbst schießen,“ sagte dieser, seine Hand nach der Waffe ausstreckend.

„Laß mich!“ herrschte der Bärtige ihm zu „Ich schieße jedenfalls besser als du!“

Er drehte sich nach dem Käfig um. Der Panther hatte diesen soeben verlassen, hob den Kopf und brüllte. Der schwarze Tom legte an und drückte ab. Der Schuß krachte, aber die Kugel traf nicht. Hastig riß er nun auch dem jungen Indianer die Flinte aus der Hand und gab die Ladung derselben auf das Tier ab – mit demselben Mißerfolge.

„Schlecht schießen. Gewehr nicht kennen,“ sagte der alte Bär so ruhig, als ob er in seinem sicheren Wigwam beim Braten sitze.

Der Deutsche beachtete diese Worte nicht. Er warf die Flinte weg und eilte weiter nach vorn, wo die Gewehre der Leute des Cornel lagen. Diese Gentlemen hatten keine Lust gehabt, den Kampf mit dem Tiere aufzunehmen, sondern sich schleunigst versteckt.

Da ertönte in der Nähe der Kommandobrücke ein entsetzlicher Schrei. Eine Dame wollte sich auf dieselbe flüchten. Der Panther sah sie eben, als das erwähnte Brüllen beendet war. Er duckte sich nieder und sprang dann in langen, weiten Sätzen auf sie zu. Sie sah es und stieß jenen Schrei aus. Sie befand sich noch unten, während Old Firehand auf der fünften oder sechsten Stufe stand. Im Nu hatte er sie erfaßt, schwang sie zu sich empor und hob sie mit starken Armen über sich hinauf, wo der Kapitän sie an sich nahm. Das war das Werk von zwei Augenblicken gewesen, und nun befand sich der Panther an der Brücke. Er setzte die beiden Vordertatzen auf eine der Stufen und zog schon den Körper zusammen, um sich empor und auf Old Firehand zu schnellen. Dieser versetzte ihm mit aller Gewalt einen Fußtritt auf die Nase und feuerte ihm dann die noch übrigen drei Kugeln seines Revolvers gegen den Kopf.

Diese Art der Abwehr war eigentlich eine lächerliche. Mit einem Fußtritte und einigen erbsengroßen Revolverkugeln schreckt man keinen schwarzen Panther zurück; aber Old Firehand besaß eben kein wirksameres Verteidigungsmittel. Er war überzeugt, daß das Tier ihn nun packen werde; aber es geschah noch nicht, sondern der Panther drehte, in seiner an der Treppe aufgerichteten Stellung verharrend, den Kopf langsam zur Seite, als ob er sich auf etwas Besseres besinnen wolle. Hatten die aus solcher Nähe abgeschossenen Kugeln, die kaum linientief in seine harte Schädeldecke eingedrungen sein konnten, ihn in eine Art von Betäubung versetzt? Oder war der Tritt auf die empfindliche Nase ihm zu schmerzhaft gewesen, kurz und gut, er richtete die Augen nicht mehr auf Old Firehand, sondern nach dem Vorderdeck, wo jetzt ein etwa dreizehnjähriges Mädchen stand, unbeweglich, wie vom Schreck gelähmt, beide Arme nach der Kommandobrücke ausgestreckt. Es war die Tochter der Dame, welche Old Firehand soeben vor dem Panther gerettet hatte. Das Kind hatte, sich selbst auf der Flucht befindend, seine Mutter in Gefahr gesehen und und war vor Entsetzen darüber da, wo es noch stand, halten geblieben, in ein helles, weithin leuchtendes Gewand gekleidet, welches dem Panther in die Augen fiel. Er ließ die Tatzen von der Treppe, wendete sich ab und schnellte sich, sechs bis acht Ellen lange Sätze machend, auf das Kind zu, welches das Entsetzliche kommen sah und sich weder zu bewegen, noch einen Laut auszustoßen vermochte.

„Mein Kind, mein Kind!“ jammerte die Mutter.

Alle, die es sahen, schrieen oder brüllten mit; aber keiner rührte die Hand oder den Fuß zur Rettung. Es war auch keine Zeit dazu. Keine? Und rührte sich wirklich kein Mensch? Doch einer, und zwar derjenige, dem man eine solche Umsicht, Kühnheit und Geistesgegenwart wohl am allerwenigsten zugetraut hätte, nämlich der junge Indianer.

Er hatte mit seinem Vater ungefähr zehn Schritte von dem Mädchen entfernt gestanden. Als er die Gefahr bemerkte, in welcher sich dasselbe befand, blitzten seine Augen auf. Er sah nach rechts und links, wie nach einem Rettungswege suchend; dann ließ er die Zunidecke von den Schultern fallen und rief seinem Vater in der Sprache der Tonkawa zu: „Tiakaitat; schai schoyana – bleib stehen; ich werde schwimmen!“

Er sprang mit zwei Sätzen auf das Mädchen zu, ergriff es an dem Taillengürtel, schnellte mit ihr nach der Reiling und schwang sich auf diese hinauf. Dort blieb er einen Augenblick stehen, um zurückzublicken. Der Panther war hinter ihm und setzte eben zum letzten Sprunge an. Kaum hatten die Pranken des Tieres den Boden verlassen, so flog der junge Indianer, sich eine seitwärtige Richtung gebend, um nicht neben dem Tiere in das Wasser zu kommen, von der Reiling in den Fluß hinab. Das Wasser schlug über ihm und seiner Last zusammen. Zugleich schoß der Panther, dessen Sprungkraft eine so große war, daß er sich nicht zu halten vermochte, über das Geländer hinaus und hinunter in den Strom.

„Stopp, stopp auf der Stelle!“ kommandierte der Kapitän geistesgegenwärtig durch das Sprachrohr in den Maschinenraum hinab.

Der Ingenieur gab Gegendampf; der Steamer stoppte und blieb dann dadurch auf der Stelle halten, daß die Räder nur so viel Wasser griffen, als nötig war, die Rücktrift zu vermeiden.

Da die Gefahr für die Passagiere jetzt vorüber war, eilten alle aus den verschiedenen Verstecken hervor und an das Geländer. Die Mutter des Kindes war in Ohnmacht gefallen, der Vater desselben rief mit überlauter Stimme: „Tausend Dollar für die Rettung meiner Tochter, zweitausend, dreitausend, fünftausend, noch mehr, noch viel mehr!“

Niemand hörte auf ihn. Alle beugten sich über die Reiling, um in den Fluß hinabzusehen. Da lag der Panther, als vortrefflicher Schwimmer, mit ausgebreiteten Pranken auf dem Wasser und sah sich nach der Beute um – vergeblich. Der kühne Knabe war mit dem Mädchen nicht zu sehen.

„Sie sind ertrunken, in die Räder gekommen!“ jammerte der Vater, indem er sich das Haar mit beiden Händen raufte.

Da aber ertönte vom andern Bord die schallende Stimme des alten Indianers herüber. „Nintropan-homosch klug gewesen. Unter Schiff wegschwimmen, damit Panther nicht sehen. Hier unten sein!“

Alles rannte nun nach Steuerbord, und der Kapitän befahl, Taue auszuwerfen. Ja wirklich, da unten, hart an der Schiffswand, schwamm langsam auf dem Rücken, um nicht abgetrieben zu werden, der „junge Bär“ und hatte sich das bewußtlose Mädchen quer über den Leib gelegt. Taue waren schnell zur Hand; sie wurden hinabgelassen. Der Knabe befestigte eines derselben unter den Armen des Mädchens, und schwang, während dieses emporgezogen wurde, sich behend an einem zweiten an Bord.

Er wurde mit brausendem Jubel begrüßt, schritt aber stolz davon, ohne ein Wort zu sagen. Aber als er an dem Cornel, welcher auch mit zugesehen hatte, vorüber kam, blieb er vor ihm stehen und sagte so laut, daß jedermann es hörte: „Nun, fürchtet sich Tonkawa vor kleiner, räudiger Katze? Cornel ist ausgerissen mit all seinen zwanzig Helden; Tonkawa aber hat großes Ungetüm auf sich gelenkt, um Mädchen und Passagiere zu retten. Cornel bald noch mehr von Tonkawa hören!“

Die Gerettete wurde nach der Kajüte getragen. Da streckte der Steuermann, welcher den besten Ausblick hatte, die Hand nach Backbord aus und rief:

„Seht den Panther; seht das Floß!“

Jetzt sprangen alle wieder auf die angegebene Seite hinüber, wo sich ihnen ein neues und nicht weniger aufregendes Schauspiel bot. Man hatte nämlich, nur mit dem bisher Erzählten beschäftigt, ein kleines, aus Strauchwerk und Schilf gefertigtes Floß nicht bemerkt, auf welchem zwei Gestalten saßen, welche vom rechten Flußufer her den Steamer erreichen wollten. Sie arbeiteten mit aus Zweigen improvisierten Rudern. Die eine Person war ein Knabe, die andre schien ein ganz eigen- oder fremdartig gekleidetes Frauenzimmer zu sein. Man sah eine Kopfbedeckung, ähnlich einer alten Flatusenhaube, darunter ein volles, rotwangiges Gesicht mit kleinen Äuglein. Die übrige Gestalt steckte in einem weiten Sacke oder einem ähnlichen Dinge, dessen Schnitt und Fasson jetzt nicht zu bestimmen war, da die Person nicht stand, sondern saß. Der Schwarze Tom stand neben Old Firehand und fragte ihn: „Sir, kennt Ihr diese Frau?“

„Nein. Ist sie denn so berühmt, daß ich sie kennen müßte?“

„Allerdings. Sie ist natürlich gar keine Frau, sondern ein Mann, ein Prairiejäger und Fallensteller. Und da kommt der Panther. Da werdet Ihr sehen, was eine Frau, die ein Mann ist, zu leisten vermag.“

Er beugte sich über die Reiling und rief hinab: „Holla, Tante Droll, aufgepaßt. Der will Euch fressen.“

Das Floß war ungefähr noch fünfzig Schritte von dem Steamer entfernt. Der Panther war, nach seiner Beute suchend, immer an der Seite des Schiffes hin und der geschwommen. Jetzt sah er das Floß und hielt auf dasselbe zu. Die auf demselben befindliche scheinbare Frau sah nach dem Deck empor, erkannte den, der sie angerufen hatte, und antwortete mit hoher Fistelstimme: „Good lack, Ihr seid es, Tom? Freue mich sehr, Euch zu sehen, wenn es nötig ist! Was ist das für ein Tier?“

„Ein schwarzer Panther, der von Bord gesprungen ist. Macht Euch davon. Schnell, schnell!“

„Oho! Tante Droll reißt vor niemand aus, auch nicht vor einem Panther, mag er schwarz, blau oder grün aussehen. Darf man das Vieh erschießen?“

„Natürlich! Aber Ihr bringt es nicht fertig. Es gehörte in eine Menagerie und ist das gefährlichste Raubtier der Welt. Flieht auf die andre Seite des Schiffes.“

Niemand als nur Tom kannte die närrische Gestalt, doch riefen alle ihr die Warnung zu, zu fliehen. Sie aber schien einen Spaß daran zu finden, mit dem Panther Haschens zu spielen. Sie führte das zerbrechliche Ruder mit wahrer Meisterschaft und wußte dem Tiere mit erstaunlicher Geschicklichkeit auszuweichen. Dabei rief sie immer mit derselben Fistelstimme herauf: „Werde es schon fertig bringen, alter Tom. Wohin wird denn so eine Kreatur geschossen, wenn es nötig ist?“

„Ins Auge,“ antwortete Old Firehand.

„Well! So wollen wir diese Wasserratte mal herankommen lassen.“

Er zog das Ruder ein und griff zu der Büchse, welche neben ihm gelegen hatte. Floß und Panther näherten sich einander schnell. Das Raubtier blickte mit weit offenen, starren Augen auf den Feind, welcher das Gewehr anlegte, kurz zielte und zweimal abdrückte. Das Gewehr weglegen, zum Ruder greifen und das Floß zurücktreiben, war das Werk eines Augenblickes. Der Panther war verschwunden. Da, wo man ihn zuletzt gesehen hatte, bezeichnete ein Strudel den Ort seines Todeskampfes, dann sah man ihn weiter abwärts wieder an der Oberfläche erscheinen, regungslos und tot, dort trieb er einige Sekunden lang und wurde dann wieder in die Tiefe gezogen.

„Ein Meisterschuß!“ rief Tom vom Deck herab, und die Passagiere stimmten begeistert bei, nur der Menageriebesitzer nicht, welcher um den teuren Panther und seinen Tierbändiger gekommen war.

„Zwei Schüsse waren es,“ antwortete die abenteuerliche Gestalt vom Flusse herauf. „In jedes Auge einer. Wohin geht dieser Steamer, wenn es nötig ist?“

„Soweit er genug Wasser findet,“ antwortete der Kapitän.

„Wir wollten an Bord und haben uns deshalb drüben am Ufer dieses Floß gebaut. Wollt Ihr uns aufnehmen?“

„Könnt Ihr Passage zahlen, Ma’am oder Sir? Ich weiß wirklich nicht, ob ich Euch als Mann oder als Frau heraufbefördern soll.“

„Als Tante, Sir. Ich bin nämlich Tante Droll, verstanden, wenn es nötig ist. Und was die Passage betrifft, so pflege ich mit gutem Gelde, oder gar mit Nuggets zu bezahlen.“

„So sollt Ihr die Strickleiter hinunter haben. Kommt also an Bord! Wir müssen machen, daß wir von dieser unglückseligen Stelle fortkommen.“

Die Strickleiter wurde herabgelassen. Erst stieg der Knabe hinauf, der auch mit einem Gewehre bewaffnet war; dann warf der andre das Gewehr über, erhob sich, ergriff die Leiter, stieß das Floß unter sich fort und turnte sich mit einer eichkätzchenartigen Geschicklichkeit an das Deck, wo er mit großen, ungemein erstaunten Blicken empfangen wurde. – –

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Fünftes Kapitel

Indianisches Meisterstück.

Die Rollingprairie lag im Mittagssonnenglanze. Hügel auf Hügel, mit dichtem Grase, dessen Halme sich im leisen Winde bewegten, bewachsen, glich sie einem Smaragdsee, dessen Wellen plötzlich erstarren mußten. Eine dieser festgewordenen Wogen glich in Beziehung auf Länge, Gestalt und Höhe der andern, und wenn man aus einem der Wellenthäler in das andre kam, hätte man das letztere mit dem ersteren verwechseln können. Nichts, gar nichts rundum als Wellenhügel, so weit der Horizont reichte. Wer sich hier nicht nach dem Kompaß oder dem Stande der Sonne richtete, der mußte sich verirren, wie der Laie im kleinen Boote sich auf der weiten See verirrt. In dieser grünen Einöde schien es kein Lebewesen zu geben; nur droben, hoch in den Lüften, zogen zwei schwarze Hühnergeier, scheinbar ohne die Flügel zu bewegen, ihre Kreise. Sollten sie wirklich die einzigen Geschöpfe sein, die es hier gab? Nein, denn soeben ließ sich ein kräftiges Schnauben vernehmen, und hinter einem der Wellenberge kam ein Reiter hervor, und zwar ein höchst sonderbar ausgestatteter Reiter.

Der Mann war von gewöhnlicher Gestalt, weder zu groß noch zu klein, weder zu dick noch zu dünn, schien aber kräftig zu sein. Er trug lange Hose, Weste und kurze Jacke, welche Kleidungsstücke aus wasserdichtem Gummistoffe gefertigt waren. Auf dem Kopfe saß ein Korkhut mit Nackentuch, wie die englischen Offiziere in Ostindien und andern heißen Ländern zu tragen pflegen. Die Füße steckten in indianischen Mokassins.

Die Haltung dieses Mannes war diejenige eines geübten Reiters; sein Gesicht – ja, dieses Gesicht war eigentlich ein sehr sonderbares. Der Ausdruck desselben war geradezu dumm zu nennen, und zwar nicht etwa ausschließlich durch die Nase, welche zwei ganz verschiedene Seiten hatte. Auf der linken Seite war sie weiß und hatte die leicht gebogene Gestalt einer gewöhnlichen Adlernase; auf der rechten Gesichtsseite war sie dick, wie geschwollen und von einer Farbe, welche man weder rot noch grün noch blau nennen konnte. Eingerahmt wurde dieses Gesicht von einem Kehlbarte, dessen lange dünne Haare vom Halse aus bis über das Kinn hervorstarrten. Der Bart wurde gestützt durch zwei riesige Vatermörder, deren bläulicher Glanz verriet, daß der Reiter es in der Prairie vorzog, Gummiwäsche zu tragen.

An die Steigbügelriemen war rechts und links je ein Gewehr, dessen Kolben neben dem Fuße des Reiters auf dem schuhartigen Bügel stand, geschnallt. Quer vor dem Sattel hing eine lange Blechrolle oder Kapsel, deren Zweck wohl kaum zu erraten war. Auf dem Rücken trug der Mann einen Ledertornister mittlerer Größe und darauf einige blecherne Gefäße und sonderbar geformte Eisendrähte. Der Gürtel war breit, auch von Leder, und glich einer sogenannten Geldkatze. Vor ihm hingen mehrere Beutel nieder, vorn blickten die Kolben oder Griffe eines Messers und mehrerer Revolver heraus, und hinten waren zwei Taschen, welche man für Patronenbehälter halten mußte, daran befestigt.

Das Pferd, war ein gewöhnlicher Gaul, nicht zu gut und nicht zu schlecht für die Strapazen des Westens; es war an ihm gar nichts Besonderes zu bemerken, als daß er als Schabracke eine Decke trug, welche sicherlich viel Geld gekostet hatte.

Der Reiter schien anzunehmen, daß sein Pferd mehr Prairieverstand besitze als er, wenigstens bemerkte man nicht, daß er demselben die Richtung gab, er ließ es laufen, wie und wohin es ihm beliebte. Es schritt durch einige Wellenthäler, kletterte dann einen Hügel hinauf, trollte drüben wieder hinab, fiel einmal freiwillig in Trab, ging wieder langsamer, kurz, der Mann mit dem Korkhelme und dem erzdummen Gesichte schien kein bestimmtes Ziel, aber viel Zeit und Muße zu haben.

Plötzlich blieb das Pferd stehen; es spitzte die Ohren, und der Reiter schreckte leicht zusammen, denn vor ihm, es war nur nicht zu sehen, woher eigentlich, ließ sich eine scharfe, befehlende Stimme hören: „Stop, keinen Schritt weiter, oder ich schieße! Wer seid Ihr, Master?“

Der Reiter blickte auf, vor sich, hinter sich, nach rechts und nach links; es war kein Mensch zu sehen. Er verzog keine Miene, zog den Deckel von der langen, rollenförmigen Blechkapsel, welche vorn quer über den Sattel hing, schüttelte ein Fernrohr heraus, schob die Glieder desselben auseinander, so daß es wohl fünf Fuß lang wurde, kniff das linke Auge zu, hielt das Rohr vor das rechte und richtete es gegen den Himmel, den er eine Weile ganz ernsthaft und angelegentlich beguckte, bis dieselbe Stimme sich lachend vernehmen ließ: „Schiebt doch Eure Sternenröhre wieder zusammen! Ich sitze nicht auf dem Monde, der auch gar nicht zu sehen ist, sondern hier unten auf der alten Mutter Erde. Und nun sagt mir, woher Ihr kommt!“

Der Reiter schob, dem Befehle gehorchend, das Rohr zusammen, steckte es in die Kapsel, verschloß dieselbe sorgfältig und langsam, als ob er gar keine Eile habe, deutete dann mit der Hand hinter sich und antwortete: „Von daher!“

„Das sehe ich, mein alter Boy! Und wo wollt Ihr hin?“

„Dorthin!“ antwortete der Gefragte, indem er mit der Hand nun vorwärts zeigte.

„Ihr seid wirklich ein köstlicher Junge!“ lachte der noch immer unsichtbare Inquirent. „Da Ihr Euch aber nun einmal auf dieser gebenedeiten Prairie befindet, vermute ich, daß Ihr die Gebräuche derselben kennt. Es treibt sich hier so viel fragwürdiges Gesindel umher, daß ein ehrlicher Mann gezwungen ist, jede Begegnung etwas scharf zu nehmen. Zurück könnt Ihr in Gottes Namen reiten, wenn es Euch gefällig ist. Wollt Ihr aber vorwärts, wie es allen Anschein hat, so müßt Ihr uns Rede und Antwort stehen, und zwar der Wahrheit gemäß. Also heraus damit! Woher kommt Ihr?“

„Von Schloß Castlepool,“ antwortete der Mann im Tone eines Schulknaben, welcher sich vordem strengen Gesichte des Lehrers fürchtet.

„Das kenne ich nicht. Wo ist dieser Ort zu finden?“

„Auf der Landkarte von Schottland,“ erklärte der Reiter, indem sein Gesicht fast noch dümmer wurde als vorher.

„Gott segne Euren Verstand, Sir! Was geht mich Schottland an. Und wohin reitet Ihr?“

„Nach Kalkutta.“

„Mir auch unbekannt. Wo liegt denn dieser schöne Ort?“

„In Ostindien.“

„Lack-a-day! So wollt Ihr also an diesem sonnigen Nachmittage von Schottland aus über die Vereinigten Staaten nach Ostindien reiten?“

„Heute nicht ganz.“

„So! Würdet es wohl auch nicht leicht machen können. So seid Ihr wohl ein Englishman?“

„Yes.“

„Von welcher Profession?“

„Lord.“

„Alle Wetter! Ein englischer Lord mit einer runden Hutschachtel auf dem Kopfe! Euch muß man sich genauer besehen. Komm, Uncle, der Mann wird uns wohl nicht beißen. Ich habe alle Lust, seinen Worten Glauben zu schenken. Entweder ist er übergeschnappt oder wirklich ein englischer Lord mit fünf Meter Spleen und zehn Hektoliter Leberleiden.“

Jetzt wurden auf der Höhe des nächsten Wellenhügels zwei Gestalten, welche dort im Grase gelegen hatten, sichtbar, eine lange und eine sehr kleine. Beide waren ganz gleich gekleidet, ganz in Leder wie echte, richtige Westmänner, selbst ihre breitkrämpigen Hüte waren von Leder. Die Gestalt des Langen stand steif wie ein Pfahl auf dem Hügel; der Kleine war buckelig und hatte eine Habichtsnase, deren Rücken fast so scharf wie ein Messer war. Auch ihre Gewehre waren von gleicher Konstruktion, alte, sehr lange Rifles. Der kleine Buckelige hatte das seinige mit dem Kolben auf die Erde gesetzt, und doch ragte die Mündung des Laufes noch um einige Zoll über seinen Hut hinaus. Er schien der Sprecher der beiden zu sein, denn während der Lange noch kein Wort gesagt hatte, fuhr er jetzt fort: „Bleibt noch halten, Master, sonst würden wir schießen! Wir sind noch nicht miteinander fertig.“

„Wollen wir wetten?“ fragte der Engländer hinauf.

„Was?“

„Zehn Dollar oder fünfzig oder hundert Dollar, ganz wieviel euch beliebt.“

„Worauf?“

„Daß Ich euch eher erschieße als ihr mich.“

„Dann würdet Ihr verlieren.“

„Meint Ihr? Well, setzen wir also hundert Dollar.“

Er griff nach hinten an die eine Patronentasche, zog sie nach vorn, öffnete sie und nahm einige Banknoten heraus. Die beiden Obenstehenden sahen einander erstaunt an.

„Master,“ rief der Kleine, „ich glaube, Ihr macht wirklich Ernst!“

„Was denn sonst?“ fragte der Englishman erstaunt. „Das Wetten ist meine Passion, das heißt, ich wette gern und bei jeder Gelegenheit.“

„Und tragt eine ganze Tasche voll Banknoten in der Prairie herum!“

„Könnte ich wetten, wenn ich kein Geld bei mir hätte? Also hundert Dollar, sagt ihr? Oder wollt ihr noch mehr setzen?“

„Wir haben kein Geld.“

„Das thut ja gar nichts; ich schieße es euch einstweilen vor, bis ihr mich bezahlen könnt.“

Er sagte das mit solchem Ernste, daß der Lange vor Verwunderung tief Atem holte und der Buckelige geradezu betroffen ausrief: „Uns borgen – bis wir bezahlen können? Ihr seid also sicher, zu gewinnen?“

„Sehr!“

„Aber, Master, um zu gewinnen, müßtet Ihr uns eher erschießen als wir Euch; als Tote aber könnten wir Euch nicht bezahlen!“

„Bleibt sich gleich! Ich hätte doch gewonnen und habe so viel, daß ich euer Geld nicht brauche.“

„Uncle,“ meinte der Kleine kopfschüttelnd zu dem Langen, „so einen Boy habe ich weder schon gesehen, noch gehört. Wir müssen hinab zu ihm, um ihn näher zu betrachten.“

Er kam mit schnellen Schritten herab, und der Lange folgte ihm steif und in kerzengerader Haltung, als ob er eine Bohnenstange im Körper habe.

Unten im Wellenthale angekommen, sagte der Bucklige: „Steckt Euer Geld wieder ein; aus der Wette kann nichts werden. Und nehmt den Rat von mir an: Laßt diese Banknotentasche niemand sehen; Ihr könntet es zu bereuen haben oder gar mit dem Leben büßen. Ich weiß wirklich nicht, was ich von Euch denken und aus Euch machen soll. Es scheint nicht ganz richtig in Eurem Kopfe zu sein. Wir wollen Euch einmal auf den Zahn fühlen. Kommt also mit, nur wenige Schritte weiter.“

Er streckte die Hand aus, um das Pferd des Engländers am Zügel zu fassen, da glänzten in den beiden Händen desselben zwei Revolver und er rief in kurzem, strengem Tone. „Hand weg, oder ich schieße!“

Der Kleine fuhr erschrocken zurück und wollte sein Gewehr heben.

„Unten lassen. Keine Bewegung, sonst drücke ich los.“

Die Haltung und das Gesicht des Engländers hatte sich plötzlich außerordentlich verändert. Das waren nicht die dummen Züge von vorher, und aus den Augen blitzte eine Intelligenz, eine Energie, welche den beiden andern die Worte benahm.

„Meint ihr wirklich, daß ich verrückt bin?“ fuhr er fort. „Und haltet ihr mich wirklich für einen Menschen, vor welchem ihr euch gebärden könnt, als ob die Prairie nur euer Eigentum sei? Da irrt ihr euch. Bisher habt ihr mich gefragt, und ich antwortete euch. Nun aber will auch ich wissen, wen ich vor mir habe. Wie heißt ihr, und was seid ihr?“

Diese Fragen waren an den Kleinen gerichtet; er sah in die scharf forschenden Augen des Fremden, die einen ganz eigenartigen Eindruck auf ihn machten, und antwortete halb ärgerlich und halb verlegen: „Ihr seid hier fremd; darum wißt Ihr es nicht; aber man kennt uns vom Mississippi an bis hinüber nach Frisco als ehrliche Jäger und Fallensteller. Wir sind jetzt unterwegs nach den Bergen, um eine Gesellschaft von Bibermännern zu suchen, der wir uns anschließen können.“

„Well! Und eure Namen?“

„Unsre eigentlichen Namen können Euch nichts nützen. Mich nennt man den Humply-Bill, weil ich leider buckelig bin, worüber ich aber noch lange nicht Lust habe, vor Gram zu sterben, und mein Kamerad hier ist nur als Gunstick-Uncle bekannt, weil er stets so steif in der Welt herumläuft, als ob er einen Ladstock verschluckt hätte. So, nun kennt Ihr uns und werdet uns auch über Euch die Wahrheit sagen, ohne dumme Witze zu machen.“

Der Engländer betrachtete sie mit einem durchdringenden Blicke, als ob er ihnen bis tief in das Herz zu sehen wünsche; dann nahmen seine Züge einen freundlichen Ausdruck an; er nahm ein Papier aus der Banknotentasche, faltete es auseinander, reichte es den beiden hin und antwortete: „Ich habe nicht gescherzt. Da ich euch für brave und ehrliche Leute halte, so sollt ihr diesen Paß ansehen.“

Die beiden sahen und lasen, blickten einander an, dann riß der Lange die Augen und den Mund möglichst weit auf, und der Kleine sagte, diesmal in einem sehr höflichen Tone: „Wirklich ein Lord, Lord Castlepool. Aber, Mylord, was wollt Ihr in der Prairie? Das Leben steht Euch – –“

„Pshaw!“ unterbrach ihn der Lord. „Was ich will? Die Prairie und das Felsengebirge kennen lernen und dann nach Frisco gehen. War schon überall in der Welt, nur in den Vereinigten Staaten noch nicht. Doch, jetzt sind wir einander vorgestellt und brauchen nicht mehr fremd zu thun. Kommt also zu euren Pferden! Ich meine nämlich, daß ihr Pferde habt, obgleich ich sie noch nicht gesehen habe.“

„Freilich haben wir welche; sie stehen da hinter dem Hügel, wo wir anhielten, um auszuruhen.“

„So folgt mir hin!“

Seinem Tone nach war er jetzt derjenige, welcher ihnen, anstatt sie ihm, Vorschriften zu machen hatte. Er stieg vom Pferde und schritt ihnen voran, in dem Wellenthale weiter, bis hinter den Wellenberg, wo zwei Pferde grasten, welche zu derjenigen Sorte zu gehören schienen, welche im Vulgärdeutsch Klepper, Ziegenbock oder gar Kracke genannt zu werden pflegen. Sein Pferd war ihm dabei wie ein Hund nachgelaufen. Die beiden Pferde kamen auf dasselbe zu; es wieherte aber zornig und schlug gegen sie aus, um sie von sich zu treiben.

„Eine giftige Kröte!“ meinte Humply-Bill dazu. „Scheint ungesellig zu sein.“

„O nein,“ antwortete der Lord. „Es weiß bloß, daß ich noch nicht nahe verwandt mit euch bin und will also mit euren Pferden einstweilen auch fremd bleiben.“

„Wäre es wirklich so klug? Man sieht es ihm nicht an. Scheint ein Ackerpferd gewesen zu sein.“

„Oho! Es ist ein echter kurdischer Husahn, wenn ihr gütigst erlaubt.“

„So! Wo liegt denn dieses Land?“

„Zwischen Persien und der Türkei. Habe ihn selbst dort gekauft und mit nach Hause genommen.“

Er sagte das in einem so gleichgültigen Tone, als ob es ebenso leicht sei, ein Pferd aus Kurdistan nach England und von da wieder hinüber nach den Vereinigten Staaten zu transportieren, wie einen Kanarienvogel von dem Harze nach dem Thüringer Walde zu bringen. Die beiden Jäger warfen einander verstohlenen Blicke zu. Er aber setzte sich ganz ungeniert in das Gras, wo sie vorher gesessen hatten. Dort lag eine angeschnittene, gestern gebratene Rehkeule. Er zog sein Messer, schnitt ein tüchtiges Stück herunter und begann zu essen, als ob das Fleisch nicht den andern, sondern ihm gehöre.

„So ist’s recht!“ meinte der Buckelige. „Nur keine Umstände machen in der Prairie.“

„Mache sie auch nicht,“ antwortete er. „Habt gestern ihr Fleisch geschossen, so schieße heute oder morgen ich welches, natürlich auch für euch mit.“

„So? Meint Ihr denn, Mylord, daß wir morgen noch beisammen sein werden?“

„Morgen und noch viel länger. Wollen wir wetten? Ich setze zehn Dollar und auch mehr, wenn ihr wollt.“

Er griff nach der Geldtasche.

„Laßt Eure Banknoten hinten,“ antwortete Humply. „Wir wetten nicht mit.“

„So setzt euch her zu mir! Will es euch erklären.“

Sie ließen sich ihm gegenüber nieder. Er musterte sie nochmals mit einem scharfen Blicke und sagte dann: „Bin den Arkansas heraufgekommen und in Mulvane ausgestiegen. Wollte dort einen Führer engagieren oder zwei; fand aber keinen, der mir gefiel. War lauter Schund, die Kerls. Bin also fortgeritten, weil ich mir sagte, daß echte Prairiemänner wohl nur in der Prairie zu finden sind. Treffe jetzt euch, und ihr gefallt mir. Wollt ihr mit?“

„Wohin denn?“

„Nach Frisco hinüber.“

„Das sagt Ihr so ruhig, als ob es nur ein Tagesritt sei?“

„Es ist ein Ritt. Ob er einen Tag oder ein Jahr dauert, das bleibt sich gleich.“

„Hm, ja. Aber habt Ihr eine Ahnung von dem, was einem unterwegs begegnen kann?“

„Habe noch nicht daran gedacht, hoffe aber, es zu erfahren.“

„Wünscht Euch nicht zu viel. Übrigens können wir nicht mit. Wir sind nicht so reich, wie Ihr zu sein scheint; wir leben von der Jagd und können also keinen monatelangen Abstecher nach Frisco machen.“

„Ich bezahle euch!“

„So? Na, dann würde sich über die Sache sprechen lassen.“

„Könnt ihr schießen?“

Es war ein fast mitleidiger Blick, den der Buckelige auf den Lord warf, als er antwortete: „Ein Prairiejäger und schießen! Das ist fast noch schlimmer, als ob Ihr fragt, ob ein Bär fressen könne. Beides ist genau so selbstverständlich wie mein Buckel.“

„Möchte aber doch eine Probe sehen. Könnt ihr die Geier von da oben herunterholen?“

Humply maß die Höhe, in welcher sich die beiden Vögel wiegten, mit den Augen und antwortete. „Warum nicht? Ihr freilich würdet es uns mit Euren beiden Sonntagsflinten nicht nachmachen.“

Er deutete auf das Pferd des Lords. Die Gewehre hingen noch an den Bügelriemen; sie waren blank geputzt, so daß sie ganz wie neu aussahen, was dem Westmann ein Greuel ist.

„So schießt!“ gebot der Lord, ohne auf die letzte Behauptung des Buckeligen zu achten.

Dieser stand auf, legte sein Gewehr an, zielte kurz und drückte ab. Man sah, daß der eine der Geier einen Stoß erhielt; er schlug flatternd die Flügel, suchte sich zu halten, doch vergebens; er mußte nieder, erst langsam, dann schneller; endlich zog er die Flügel an den Leib und fiel wie ein schwerer Klumpen senkrecht zur Erde nieder.

„Nun, Mylord, was sagt Ihr dazu?“ fragte der kleine Schütze.

„Nicht übel,“ lautete die kalte Antwort.

„Was? Nicht übel nur? Bedenkt diese Höhe, und daß die Kugel den Vogel gerade ins Leben traf, denn er war schon in der Luft tot! Jeder Kenner hätte das einen Meisterschuß genannt.“

„Well, der zweite!“ nickte der Lord dem langen Jäger zu, ohne auf den Vorwurf des Kleinen einzugehen.

Gunstick-Uncle erhob sich steif vom Boden, stützte sich mit der Linken auf seine lange Rifle, erhob die Rechte wie ein Deklamierender, wendete das Auge gen Himmel zu dem zweiten Geier und sprach in pathetischem Tone: „Wandelt der Aar in Gefilden der Lüfte – blickt er herab auf die Grüfte und Schlüfte – denket mit Sehnsucht des Aases voll Düfte – ich aber schieße ihn tot in die Hüfte!“

Bei diesen improvisierten Reimen war seine Pose so steif und eckig wie diejenige eines Gliedermannes. Er hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen, desto größeren Eindruck mußte dieses herrliche Poem machen. So dachte er. Darum ließ er den erhobenen Arm sinken, wendete sich gegen den Lord und blickte diesen mit stolzer Erwartung an. Der Engländer hatte längst wieder sein dummes Gesicht angenommen; jetzt zuckte es in und auf demselben, als ob das Lachen mit dem Weinen kämpfe.

„Habt Ihr es richtig gehört, Mylord?“ fragte der Buckelige. „Ja, der Gunstick-Uncle ist ein feiner Kerl. Er war Schauspieler und ist noch jetzt ein Dichter. Er spricht blutwenig, aber wenn er einmal den Mund aufthut, so redet er nur in Engelszungen, das heißt in Reimen.“

„Well!“ nickte der Engländer. „Ob er in Reimen oder in Gurkensalat redet, das ist nicht meine, sondern seine Sache, aber kann er schießen?“

Der lange Dichter zog den Mund bis an das rechte Ohr und warf die Hand weit von sich, was eine Bewegung der Verachtung sein sollte. Dann erhob er seine Rifle zum Zielen, setzte sie aber wieder ab. Er hatte den rechten Augenblick versäumt, denn während seines dichterischen Ergusses hatte das Geierweibchen, erschrocken über den Tod ihres Männchens, beschlossen, sich davon zu machen. Der Vogel hatte sich schon weit entfernt.

„Er ist unmöglich zu treffen,“ sagte Humply. „Meinst du nicht, Uncle?“

Der Gefragte erhob beide Hände gen Himmel nach dem Punkte, an welchem man den Geier erblickte, und antwortete in einem Tone, als ob er Tote erwecken wolle: „Es tragen ihn die Flügel – fort über Thal und Hügel – er ist mit großen Wonnen – nun leider mir entronnen – und wer ihn nun will kriegen – schnell hinterdrein mag fliegen!“

„Unsinn!“ rief der Lord. „Meint ihr wirklich, daß er nicht mehr zu treffen ist?“

„Ja, Sir,“ antwortete Humply. „Kein Old Firehand, kein Winnetou und kein Old Shatterhand vermöchte ihn jetzt noch herunterzuholen, und das sind doch die drei besten Schützen des fernen Westens.“

„So!“

Während der Lord dies mehr hervorstieß als deutlich aussprach, ging ein helles, blitzartiges Zucken über sein Gesicht. Er trat schnell zum Pferde, nahm eins der Gewehre vom Riemen, entfernte die Sicherung, legte an, zielte, drückte ab, alles wie in einem einzigen kurzen Augenblicke, ließ das Gewehr wieder sinken, setzte sich nieder, griff nach der Rehkeule, um sich noch ein Stück von derselben zu schneiden, und sagte: „Nun, war er zu treffen oder nicht?“

Auf den Gesichtern der beiden Jäger lag der Ausdruck des höchsten Erstaunens, ja der Bewunderung. Der Vogel war getroffen, und zwar gut, denn er fiel mit zunehmender Schnelligkeit in einer sich verengenden Schneckenlinie zur Erde nieder.

„Wonderful!“ rief Humply ganz begeistert aus. „Mylord, wenn das nicht ein Zufall – – –“

Er hielt inne. Er hatte sich nach dem Engländer umgedreht und sah diesen kauend am Boden sitzen, den Rücken nach der Seite gerichtet, wohin der Meisterschuß gerichtet gewesen war. Das war doch kaum zu glauben!

„Aber, Mylord,“ fuhr er fort, „dreht Euch doch um! Ihr habt den Geier nicht nur getroffen, sondern wirklich erlegt!“

„Das weiß ich,“ antwortete der Englishman, indem er, ohne sich umzusehen, ein Stück Fleisch in den Mund schob.

„Aber Ihr habt es ja gar nicht beobachtet!“

„Ist nicht nötig; ich weiß es doch. Meine Kugel geht nie fehl.“

„Aber dann seid Ihr ja ein Kerl, der es, wenigstens was das Schießen betrifft, mit den drei berühmten Männern, deren Namen ich vorhin nannte, getrost aufnehmen kann! Oder nicht, Uncle?“

Der famose Ladestock-Onkel stellte sich abermals in Positur und antwortete, mit beiden Händen gestikulierend: „Getroffen ist der Geier – der Schuß war ungeheuer – ich muß auf Ruhm verzichten – – –“

„Und höre auf, zu dichten!“ fiel der Engländer ihm in die Rede.

„Wozu diese Reime und das Geschrei! Ich wollte wissen, was für Schützen ihr seid. Nun setzt euch wieder her, und laßt uns weiter verhandeln. Also ihr geht mit mir, und ich bezahle euch die Reise. Einverstanden?“

Beide blickten einander an, nickten sich zu und antworteten mit einem beistimmenden Ja.

„Well! Und wieviel verlangt ihr?“

„Ja, Mylord, mit dieser Frage bringt Ihr mich in Verlegenheit. Wir haben noch nie im Dienste eines Mannes gestanden, und von einer sogenannten Bezahlung kann bei Scouts, die wir sein sollen, doch wohl nicht gesprochen werden.“

„All right! Ihr habt euren Stolz, und das gefällt mir. Es kann hier nur von einem Honorare die Rede sein, dem ich, wenn ich mit euch zufrieden bin, eine Extragratifikation zufüge. Ich bin hierher gekommen, um etwas zu erleben, um berühmte Jäger zu sehen, und mache euch also folgendes Anerbieten: Ich bezahle euch für jedes Abenteuer, welches wir erleben, fünfzig Dollar.“

„Sir,“ lachte Humply, „da werden wir reiche Leute, denn an Abenteuern gibt’s hier keinen Mangel, erleben thut man sie, ja, ob aber überleben, das ist eine andre Frage. An uns beiden soll es da nicht fehlen; aber für einen Fremden ist es geratener, die Abenteuer zu fliehen, anstatt sie aufzusuchen.“

„Ich aber will sie haben! Verstanden! Auch will ich mit berühmten Jägern zusammentreffen. Ihr nanntet vorhin drei Namen, von denen ich schon viel gehört habe. Sind diese drei Männer jetzt im Westen?“

„Da fragt Ihr mich zu viel. Diese berühmten Personen sind überall und nirgends. Man kann sie nur durch Zufall treffen, und selbst wenn man ihnen einmal begegnet, ist es die Frage, ob sich so ein König der Westmänner herbeiläßt, einen zu beachten.“

„Man soll und wird mich beachten! Ich bin Lord Castlepool, und was ich will, das will ich! Für jeden von diesen drei Jägern, dem wir begegnen, zahle ich euch hundert Dollar.“

„Alle Teufel! Habt Ihr denn gar so viel Geld bei Euch, Mylord?“

„Ich habe, was ich unterwegs brauche. Das Geld bekommt ihr erst in Frisco bei meinem Bankier. Seid ihr das zufrieden?“

„Ja, ganz gern. Hier unsre Hände darauf. Wir können ja gar nichts Besseres thun, als auf Eure Vorschläge eingehen.“

Beide reichten ihm die Hand. Dann zog er die zweite Tasche von hinten nach vorn, öffnete sie und nahm ein Buch heraus.

„Das ist mein Notizbuch, in welches alles eingetragen wird,“ erklärte er. „Ich werde jedem von euch ein Conto eröffnen und seinen Kopf und Namen darübersetzen.“

„Seinen Kopf?“ fragte der Buckelige verwundert.

„Ja, seinen Kopf. Bleibt einmal unbeweglich so sitzen wie jetzt!“

Er schlug das Buch auf und nahm den Stift zur Hand. Sie sahen daß er abwechselnd sie anblickte, dann wieder auf das Papier niederschaute und dabei den Stift bewegte. Nach wenigen Minuten zeigte er ihnen, was er gezeichnet hatte; sie erkannten ihre wohlgetroffenen Köpfe und die Namen darunter.

„Auf diese Blätter wird eingetragen, was ich euch nach und nach schulden werde,“ erklärte er ihnen. „Verunglücke ich, so nehmt ihr das Buch mit nach Frisco und zeigt es dem Bankier, dessen Namen ich euch später nenne; er wird euch die betreffende Summe sofort und unbeanstandet auszahlen.“

„Das ist ja eine ganz prächtige Einrichtung, Mylord,“ meinte Humply; „Wir wollen zwar nicht wünschen, daß – – – behold, Uncle, sieh einmal unsre Pferde an. Sie wedeln mit den Ohren und öffnen die Nüstern. Es muß etwas Fremdes in der Nähe sein. Die Rolling Prairie ist gefährlich. Steigt man auf die Hügel, so wird man gesehen, und bleibt man unten, so kann man das Nahen eines Feindes nicht bemerken und also sehr leicht überrascht werden. Will doch einmal nach oben steigen.“

„Ich steige mit,“ erklärte der Lord.

„Bleibt lieber unten, Sir. Ihr könntet mir die Sache verderben.“

„Pshaw! Ich verderbe nichts.“

Die beiden stiegen aus dem Wellenthale nach der Spitze des Hügels empor. Als sie diesen beinahe erreicht hatten, legten sie sich nieder und krochen vorsichtig vollends hinauf. Das Gras verdeckte ihre Körper, und die Köpfe erhoben sie nur so weit, als nötig war, Umschau zu halten. „Hm, Ihr fangt die Sache für einen Neuling gar nicht so übel an, Sir,“ lobte Humply. „Ich könnte es wirklich selbst kaum besser machen. Aber seht Ihr dort den Mann auf dem zweiten Wellenhügel, geradeaus von uns?“

„Yes! Ein Indianer, wie es scheint?“

„Ja, es ist ein Roter: Hätte ich – – ah, Sir, lauft doch einmal hinab und holt Euer Fernrohr herbei, damit ich das Gesicht des Mannes erkennen kann.“

Der Lord folgte dieser Aufforderung.

Der Indianer lag auf dem erwähnten Hügel im Grase und schaute aufmerksam nach Osten, wo aber gar nichts zu sehen war. Er richtete einigemal seinen Oberkörper weiter auf, um seinen Gesichtskreis zu vergrößern, ließ ihn aber stets schnell wieder niederfallen. Wenn er jemand erwartete, dann gewiß nur ein feindliches Wesen.

Jetzt brachte der Lord sein Rohr, stellte es und reichte es dem Buckeligen hin. Eben als derselbe den Indianer vor das Glas bekam, sah dieser für einen Augenblick nach rückwärts, so daß sein Gesicht zu erkennen war. Sofort legte Humply das Rohr weg, sprang vollständig auf, so daß seine ganze Gestalt vom Standpunkte des Roten aus zu erkennen war, hielt die Hände an den Mund und rief mit lauter Stimme: „Menaka schecha, Menaka schecha! Mein Bruder mag zu seinem weißen Freunde kommen!“

Der Indianer fuhr schnell herum, erkannte die buckelige Gestalt des Rufenden und glitt augenblicklich von der Spitze des Hügels herab, so daß er im Wellenthale verschwand.

„Jetzt, Mylord, werdet Ihr wohl sehr bald die ersten fünfzig Dollar einzahlen müssen,“ sagte Humply zu dem Engländer, indem er sich wieder niederduckte.

„Wird es ein Abenteuer geben?“

„Sehr wahrscheinlich, denn der Häuptling blickte jedenfalls nach Feinden aus.“

„Ein Häuptling ist er?“

„Ja, ein tüchtiger Kerl, Osagenhäuptling.“

„Und ihr kennt ihn?“

„Wir kennen ihn nicht nur, sondern wir haben mit ihm die Pfeife des Friedens und der Bruderschaft geraucht und sind verpflichtet, ihm in jeder Lage beizustehen, so wie er uns auch.“

„Well, so wünsche ich, daß er nicht nur einen, sondern möglichst viele Gegner erwartet!“

„Malt den Teufel nicht an die Wand! Derartige Wünsche sind gefährlich, da sie nur allzuleicht in Erfüllung gehen. Kommt mit hinab! Der Uncle wird erfreut, aber auch erstaunt darüber sein, daß der Häuptling sich in dieser Gegend befindet.“

„Wie nanntet Ihr den Roten?“

„In der Osagensprache Menaka schecha; d.h. die gute Sonne oder die große Sonne. Er ist ein sehr tapferer und erfahrener Krieger und dabei kein eigentlicher Feind der Weißen, obgleich die Osagen zu den Völkerschaften der noch ungezähmten Sioux gehören.“

Unten angekommen, fanden sie den Uncle in einer steifen, theatralischen Pose. Er hatte alles gehört und diese Haltung angenommen, um seinen roten Freund möglichst würdevoll zu begrüßen.

Nach kurzer Zeit begannen die Pferde zu schnauben, und gleich darauf sah man den Indianer kommen. Er befand sich in den besten Mannesjahren und trug die gewöhnliche indianische Lederkleidung, welche an einigen Stellen zerrissen und an andern mit frischem Blute befleckt war. Waffen hatte er keine. Auf jede seiner Wangen war eine Sonne tättowiert; an seinen beiden Handgelenken war die Haut aufgeschunden. Er mußte gebunden gewesen sein und die Fesseln gesprengt haben. Jedenfalls befand er sich auf der Flucht und wurde verfolgt.

Trotz der Gefahr, die dem Indianer drohte und ihm sehr nahe sein konnte, kam er sehr langsam herbei, reichte, ohne zunächst den Engländer zu beachten, den beiden Jägern die Rechte und sagte im ruhigsten Tone und sehr geläufigem Englisch: „Ich habe die Stimme und Gestalt meines Bruders und Freundes sogleich erkannt und freue mich, euch begrüßen zu können.“

„Wir freuen uns desgleichen; das wirst du uns glauben,“ antwortete Humply.

Der lange Uncle hielt beide Hände ausgestreckt über den Kopf des Roten, als ob er ihn segnen wolle, und rief aus: „Sei gegrüßt im Erdenthale – viele, viele tausendmale – großer Häuptling, edler Schatz – nimm bei deinen Freunden Platz – und verzehr in aller Eile – diesen Rest der Reheskeule!“

Bei den letzten Worten deutete er in das Gras, wo das lag, was der Lord von der Keule übrig gelassen hatte, nämlich der Knochen mit einigen harten Fleischfasern, welche dem Messer nicht hatten weichen wollen.

„Still, Uncle.“ gebot Humply, „es ist jetzt wahrhaftig keine Zeit für deine Gedichte. Siehst du denn nicht, in welchem Zustande sich der Häuptling befindet?“

„Gebunden, doch entkommen – hat er zu seinem Frommen – die Flucht hierher genommen,“ antwortete der Gescholtene deklamierend.

Der Buckelige wendete sich von ihm ab, deutete auf den Lord und sagte zu dem Osagen: „Dieses Bleichgesicht ist ein Meister im Schießen und ein neuer Freund von uns. Ich empfehle ihn dir und deinem Stamme.“

Da gab der Rote dem Engländer nun auch die Hand und antwortete: „Ich bin der Freund eines jeden guten und ehrlichen Weißen; die Diebe, Mörder und Leichenschänder aber sollen vom Tomahawk gefressen werden!“

„Bist du so schlimmen Leuten begegnet?“ erkundigte sich Humply.

„Ja. Meine Brüder mögen ihre Gewehre bereit halten, denn diejenigen, welche mir nachjagen, können jeden Augenblick hier sein, obgleich ich sie nicht gesehen habe. Sie werden zu Pferde sitzen und ich mußte gehen; aber die Füße der „guten Sonne“ sind so schnell und ausdauernd wie die Läufe des Hirsches, den kein Roß erreicht. Ich bin viele Bögen und Kreise gegangen, auch habe ich mich oft rückwärts bewegt, mit den Fersen voran, um sie aufzuhalten und irre zu führen. Sie trachten nach meinem Leben.“

„Das sollen sie bleiben lassen! Sind ihrer viele?“

„Ich weiß es nicht, denn als sie meine Flucht entdecken mußten, war ich schon fort.“

„Wer ist es denn? Welche Weißen konnten es wagen, die „gute Sonne“ gefangen zu nehmen, um sie zu töten?“

„Es sind viele, viele Menschen, mehrere hundert schlechte Leute, welche von den Bleichgesichtern Tramps genannt werden.“

„Tramps? Wie kommen diese hierher, und was wollen sie in dieser abgelegenen Gegend? An welchem Orte befinden sie sich?“

„In dem Winkel des Waldes, welchen ihr Osage-nook nennt, den aber wir die Ecke des Mordes heißen, weil unser berühmtester Häuptling mit seinen tapfersten Kriegern dort hinterlistig umgebracht worden ist. Alle Jahre, wenn der Mond sich dreizehnmal gefüllt hat, besuchen einige Abgesandte unsres Stammes diesen Ort, um an den Gräbern der gefallenen Helden den Tanz des Todes aufzuführen. So verließ auch ich in diesem Jahre mit zwölf Kriegern unsre Weidegründe, um mich nach dem Osage-nook zu begeben. Wir kamen vorgestern dort an, suchten die Gegend ab und überzeugten uns, daß kein feindliches Wesen vorhanden sei. Wir fühlten uns also sicher und schlugen unser Lager bei den Gräbern auf. Gestern jagten wir, um Fleisch zur Speise zu haben, und heute nahmen wir die Feier vor. Ich war so vorsichtig gewesen, zwei Wachen auszustellen, dennoch war es weißen Männern gelungen, sich unbemerkt in unsre Nähe zu schleichen. Sie hatten die Spuren gesehen, welche während der Jagd von unsern Füßen und den Hufen unsrer Pferde zurückgelassen worden waren, und fielen während des Tanzes so plötzlich über uns her, daß wir nur wenige Augenblicke zum Widerstande fanden. Sie waren mehrere hundert Köpfe stark; wir töteten einige von ihnen; sie erschossen acht von uns; ich wurde mit den übrigen vier überwältigt und gebunden. Man hielt Gericht über uns, und wir erfuhren, daß wir heute abend am Feuer gemartert und dann verbrannt werden sollten. Sie lagerten sich bei den Gräbern und trennten mich von meinen Kriegern, damit ich nicht mit denselben sprechen könne. Man band mich an einem Baume fest und stellte einen weißen Wächter zu mir; aber der Riemen, welcher mich hielt, war zu schwach; ich zerriß ihn. Zwar schnitt er mir, wie ihr sehen könnt, tief in das Fleisch, hoch kam ich los und benutzte den Augenblick, an welchem der Wächter einmal fortging, dazu, mich heimlich davon zu schleichen.“

„Und deine vier Gefährten?“ fragte Bill.

„Sie sind natürlich noch dort. Oder meinst du, daß ich hätte nach ihnen forschen sollen?“

„Nein; du wärst dadurch nur von neuem in die Gefangenschaft geraten.“

„Mein Bruder sagt die Wahrheit. Ich hätte sie nicht retten können, sondern wäre mit ihnen umgekommen. Ich beschloß, nach Butlers Farm zu eilen, deren Besitzer mein Freund ist, und von dort her Hilfe zu holen.“

Humply-Bill schüttelte den Kopf und meinte: „Fast unmöglich! Vom Osage-nook bis zu Butlers Farm sind gute sechs Stunden zu reiten, mit einem schlechten Pferde bringt man noch viel länger zu. Wie kannst du da bis zum Abend, an welchem deine Gefährten sterben sollen, zurückgekehrt sein?“

„O, die Füße der guten Sonne sind ebenso schnell wie diejenigen eines Pferdes,“ antwortete der Häuptling selbstbewußt. „Meine Flucht wird die Folge haben, daß man die Hinrichtung aufschiebt und sich zunächst alle Mühe gibt, mich wieder einzufangen. Die Hilfe würde also wohl zur rechten Zeit eintreffen.“

„Dieses Exempel kann stimmen und auch nicht. Gut, daß du uns getroffen hast, denn nun ist es nicht nötig, nach Butlers Farm zu laufen; wir werden mit dir gehen, um deine Gefährten zu befreien.“

„Will mein weißer Bruder dies wirklich thun?“ fragte der Indianer in freudigem Tone.

„Natürlich! Was denn anders? Die Osagen sind ja unsre Freunde, während die Tramps die Gegner eines jeden ehrlichen Mannes sind.“

„Aber es sind ihrer so viele, so sehr viele, und wir hier haben zusammen nur acht Arme und Hände!“

„Pshaw, du kennst mich ja! Meinst du, daß ich die Absicht habe, mich offen mitten unter sie hineinzustürzen? Vier listige Köpfe können es schon wagen, sich an eine Horde Tramps zu schleichen, um einige Gefangene herauszuholen. Was sagst du dazu, alter Uncle?“

Der Steifnackige breitete beide Arme aus, schloß entzückt die Augen und rief: „Ich reite sofort mit Vergnügen – hin, wo die weißen Schufte liegen – und hole ohne Furcht und Graus – die roten Brüder alle ‚raus!“

„Schön! Und Ihr, Mylord?“

Der Engländer hatte sein Notizbuch herausgenommen, um den Namen des Häuptlings zu notieren; er schob es jetzt wieder in die Tasche und antwortete: „Natürlich reite ich mit; es ist ja ein Abenteuer!“

„Aber ein sehr gefährliches, Sir!“

„Desto besser! Da zahle ich zehn Dollar mehr, also sechzig. Aber wenn wir reiten wollen, so müssen wir ein Pferd für die „gute Sonne“ besorgen!“

„Hm, ja!“ antwortete der Buckelige, indem er ihn überrascht anblickte.

„Aber woher würdet denn Ihr eins nehmen, he?“

„Natürlich von seinen Verfolgern, welche wahrscheinlich nahe genug hinter ihm sind.“

„Ganz richtig, ganz richtig! Ihr seid kein unebener Kerl, Sir, und ich denke, daß wir uns so leidlich zusammenarbeiten werden. Nur ist es dabei wünschenswert, daß unser roter Freund eine Waffe besitzt.“

„Ich trete ihm eins von meinen Gewehren ab. Hier ist’s ja schon; den Gebrauch desselben werde ich ihm erklären. Und nun dürfen wir keine Zeit versäumen, sondern ich schlage vor, uns so aufzustellen, daß die Verfolger, wenn sie hier ankommen, von allen Seiten eingeschlossen sind.“

Der Ausdruck des Erstaunens auf dem Gesichte des Kleinen wurde immer intensiver. Er maß den Engländer mit einem fragenden Blicke und antwortete: „Ihr sprecht da grad wie ein alter, erfahrener Jäger, Sir! Wie meint Ihr denn eigentlich, daß wir das anzufangen hätten?“

„Sehr einfach. Einer bleibt hier auf dem Hügel, auf welchem wir beide jetzt waren. Er empfängt die Kerls genau so, wie ihr beide vorher mich empfangen habt. Die andern drei gehen einen Bogen, so daß ihre Spuren nicht zu sehen sind, und besteigen die drei benachbarten Höhen. Kommen dann die Kerls, so befinden sie sich zwischen den vier besetzten Hügeln, und wir haben sie fest, denn wir sind oben gedeckt und können sie nach Belieben wegputzen, während sie von uns nur den Rauch unsrer Schüsse bemerken.“

„Ihr redet wirklich wie ein Buch, Mylord! Sagt aufrichtig, befindet Ihr Euch wirklich jetzt zum erstenmal in der Prairie?“

„Allerdings. Aber ich habe mich vorher an andern Orten befunden, wo man nicht weniger vorsichtig sein muß als hier. Wir haben ja bereits davon gesprochen.“

„Well! Ich sehe, daß wir mit Euch nicht viel Ärger haben werden, und das ist mir lieb. Ich gestehe, daß ich ganz denselben Vorschlag machen wollte. Bist du einverstanden, alter Uncle?“

Der Steife machte eine theatralische Armbewegung und antwortete: „Jawohl, sie werden eingeschlossen – und miteinander totgeschossen!“

„Gut, so bleibe ich hier, um sie, sobald sie kommen, anzureden. Der Mylord geht nach rechts; du wendest dich links, und der Häuptling postiert sich auf den vorstehenden Hügel. Auf diese Weise bekommen wir sie zwischen uns, und ob wir sie töten oder nicht, das soll ganz darauf ankommen, wie sie sich verhalten.“

„Nicht töten!“ meinte der Lord.

„Ganz recht, Sir! Auch ich bin dagegen, aber diese Schurken verdienen eigentlich keine Nachsicht, und wenn wir sie schonen, was thun wir dann mit ihnen? Können wir sie mit uns schleppen? Unmöglich! Und lassen wir ihnen die Freiheit, so verraten sie uns. Ich werde so laut mit ihnen reden, daß Ihr jedes Wort hört, dann wißt Ihr, was zu thun ist. Schieße ich einen über den Haufen, so ist das ein sicheres Zeichen, daß Ihr auf die andern schießen sollt. Entkommen darf keiner. Denkt daran, daß sie acht Osagen getötet haben, ohne von diesen vorher feindlich behandelt worden zu sein! Und nun vorwärts, Mesch’schurs; ich denke, daß wir nicht länger zögern dürfen.“

Er stieg den nächsten Wellenberg empor und legte sich da, wo er vorher mit dem Engländer den Indianer beobachtet hatte, in das Gras. Die drei andern verschwanden zu beiden Seiten in den Wellenthälern. Die Pferde blieben da, wo sie gestanden hatten. Der Lord hatte sein Fernrohr mitgenommen.

Es verging wohl eine Viertelstunde, ohne daß die Annäherung eines menschlichen Wesens zu bemerken war. Der Wächter, welchem der Häuptling entkommen war, mußte sehr nachlässig gewesen sein und die Flucht desselben spät entdeckt haben. Dann war von dem Hügel, auf welchem sich der Engländer befand, der laute Ruf zu hören: „Aufgepaßt, sie kommen!“

„Still!“ warnte der Buckelige etwas weniger laut.

„Pshaw! Sie können es nicht hören, sind fast noch eine Meile entfernt.“

„Wo?“

„Geradeaus nach Ost. Habe durch das Rohr zwei Kerls gesehen, welche auf einem Hügel standen und herwärts schauten, ob der Häuptling zu sehen sei. Haben jedenfalls die Pferde unten stehen gehabt.“

„So paßt doppelt scharf auf, und schont die Pferde; wir brauchen sie!“

Es verging wieder einige Zeit; dann hörte man den Hufschlag nahender Tiere. Im Wellenthal, das vor dem Buckeligen lag, wurden zwei nebeneinander reitende Männer sichtbar; sie waren sehr gut bewaffnet und beritten und hielten die Augen scharf auf die Fährte des Häuptlings, welcher sie folgten, gerichtet. Gleich hinter ihnen erschienen noch zwei und dann noch einer; es waren also fünf Verfolger. Als sie die Mitte des Wellenthales erreicht hatten, und sich also zwischen den vier Versteckten befanden, rief Bill ihnen zu: „Stop, Mesch’schurs! Keinen Schritt weiter, oder ihr hört meine Büchse reden!“

Sie hielten überrascht an und schauten nach oben, ohne aber jemand zu erblicken, da der Buckelige im tiefen Grase lag. Doch gehorchten sie seinem Befehle, und der Vorderste antwortete. „Alle Teufel! Was gibt es denn hier für einen heimlichen Wegelagerer? Zeigt Euch uns doch, und sagt, welches Recht Ihr habt, uns anzuhalten!“

„Das Recht eines jeden Jägers, welchem Fremde begegnen.“

„Wir sind auch Jäger. Seid Ihr ein ehrlicher Kerl, so laßt Euch sehen!“

Die fünf Tramps hatten ihre Gewehre zur Hand genommen, sie sahen keineswegs friedlich aus, dennoch antwortete der Kleine: „Ich bin ein ehrlicher Mann und kann mich wohl sehen lassen. Da habt ihr mich!“

Er sprang auf, so daß sie seine ganze Gestalt sehen konnten, hielt aber sein Auge so scharf auf sie gerichtet, daß ihm nicht die geringste ihrer Bewegungen entgehen konnte.

„Zounds!“ rief einer von ihnen. „Irre ich mich nicht, so ist das der Humply-Bill!“

„So werde ich allerdings genannt.“

„Dann ist auch der Gunstick-Uncle in der Nähe; denn diese beiden trennen sich nie!“

„Kennt Ihr uns denn?“

„Will’s meinen; habe von früher her ein Wort mit Euch zu reden!“

„Ich kenne Euch aber nicht!“

„Möglich, denn Ihr habt mich bloß von weitem gesehen. Boys, dieser Kerl ist uns im Wege; ich glaube gar, er hat mit dem Roten gemeinschaftliche Sache gemacht. Holen wir ihn von da oben herunter!“

Er zielte auf den Kleinen und drückte ab. Bill sank blitzschnell, wie von der Kugel getroffen, in das Gras nieder.

„Heigh-day, das war fein gezielt!“ rief der Mann. „Nun ist nur noch der Gun– – –“

Er konnte den Satz nicht vollenden. Bill hatte sich freiwillig niedergeworfen, um nicht getroffen zu werden; jetzt blitzte es rasch hintereinander aus seinen beiden Läufen auf, und keine Sekunde später krachten auch die Gewehre der drei andern. Die fünf Tramps stürzten von ihren Pferden, und die vier Sieger kamen von den Hügeln in das Thal herab, um die fünf Pferde an der Flucht zu hindern. Die Tramps wurden untersucht.

„Nicht schlecht gemacht,“ meinte Bill. „Kein einziger Fehlschuß. Der Tod ist augenblicklich eingetreten.“

Der Osagenhäuptling betrachtete die beiden Männer, nach deren Stirnen er gezielt hatte. Er sah die kleinen Kugellöcher hart über den Nasenwurzeln und wendete sich an den Lord. „Das Gewehr meines Bruders ist von sehr kleinem Kaliber, aber es ist eine ausgezeichnete Gun, auf welche man sich verlassen kann.“

„Will es meinen,“ nickte der Englishman. „Habe beide Gewehre extra für die Prairie bestellt.“

„Mein Bruder mag mir dieses hier verkaufen. Ich gebe ihm hundert Biberfelle dafür.“

„Es ist mir nicht feil.“

„So gebe ich ihm hundertfünfzig!“

„Auch dann nicht!“

„Auch nicht für zweihundert?“

„Nein, und wenn diese Biberfelle zehnmal so groß wie Elefantenhäute wären.“

„So biete ich ihm den höchsten Preis, den es geben kann; ich tausche diese Gun gegen das beste Reitpferd der Osagen ein!“

Es war seinem Gesichte anzusehen, daß er glaubte, ein noch nie dagewesenes Gebot gemacht zu haben, doch der Lord schüttelte den Kopf und antwortete: „Lord Castlepool tauscht und verkauft nie. Was wollte ich mit dem Pferde thun, da das meinige wenigstens ebenso vortrefflich ist wie dasjenige, von welchem du sprichst.“

„Kein Pferd der Savanne kommt über das meinige. Aber da ich meinen weißen Bruder nicht zwingen kann, mir sein Gewehr zu verkaufen, so werde ich es ihm hiermit zurückgeben. Diese Toten haben mehr Waffen bei sich, als ich für mich bedarf.“

Er gab das Gewehr zurück, machte aber dabei ein Gesicht, in welchem das größte Bedauern zu lesen war. Den Toten wurden alle nützlichen Gegenstände abgenommen. Als man ihre Taschen nach solchen durchsuchte, meinte Bill: „Der Kerl hat mich gekannt; ich aber kann mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Mag sein! Aus seinen Worten ging hervor, daß ich von ihm und also auch von den andern nichts Gutes zu erwarten hatte. Darum wollen wir uns ja nicht über den Tod dieser Menschen grämen. Wer weiß, wie viele Schandthaten wir dadurch, daß sie unsre Kugeln bekamen, verhütet haben. Nun kann sich auch der Häuptling beritten machen, und es bleiben noch vier ledige Pferde übrig, gerade ausreichend für die Osagen, welche wir herausholen wollen.“

„Nun reiten wir sofort zu den Tramps?“ fragte der Engländer.

„Natürlich. Ich kenne diese Gegend und weiß, daß wir nicht vor Abend an dem Osage-nook ankommen können, da wir nicht die gerade Richtung einschlagen dürfen, sondern einen Bogen schlagen müssen, um den Wald hinter ihnen zu erreichen.“

„Und diese Leichen?“

„Lassen wir einfach liegen. Oder habt Ihr vielleicht Lust, diesen Halunken ein Erbbegräbnis, ein Mausoleum bauen zu lassen? Mögen sie in den Magen der Geier und Cojoten begraben werden, mehr gehört ihnen nicht!“

Das war vielleicht eine harte, eine unchristliche Rede, aber der wilde Westen hat seine eigene Art von Zartgefühl; in einer Gegend, wo ringsum Tod und Verderben drohen, wird der Mensch gezwungen, Rücksicht zunächst nur auf sich selbst zu nehmen und alles zu vermeiden, was seine persönliche Sicherheit gefährdet. Hätten die vier Männer sich bei den Leichen verweilen wollen, um sie zu begraben und ein Gebet über ihnen zu sprechen, so wäre das eine Zeitverschwendung gewesen, welche sie sehr leicht, die gefangenen Osagen aber fast sicher, mit dem Leben hätten bezahlen müssen. Man koppelte also die ledigen Pferde zusammen, stieg auf und ritt davon, zunächst gerade nordwärts, um dann nach Osten umzubiegen. Der Häuptling machte den Führer, da er den Lagerplatz der Tramps kannte. Es ging während des ganzen Nachmittags über die offene Rolling-Prairie. Keine Fährte wurde getroffen und kein Mensch gesehen. Als die Sonne sich zur Rüste neigen wollte, erblickte man in der Ferne einen dunklen Waldstreifen, und der Osage erklärte: „Das ist die hintere Seite des Waldes. Die vordere biegt sich nach innen und bildet die Ecke oder den Winkel, welchen wir den Winkel des Mordes nennen, und dort liegen die Gräber unsrer Erschlagenen.“

„Wie weit ist es, ehe man von hier aus quer durch den Wald den Winkel erreicht?“ fragte der Lord.

„Haben wir den Wald betreten, so müssen wir eine Viertelstunde gehen, um an das Lager der Tramps zu gelangen,“ erklärte der Rote.

Da hielt Bill sein Pferd an, stieg ab und setzte sich, ohne ein Wort zu sprechen, im Grase nieder. Der Uncle und der Indianer folgten diesem Beispiele, als ob sich das ganz von selbst verstehe. Der Englishman stieg infolgedessen auch ab, erkundigte sich aber: „Ich denke, wir dürfen keine Zeit verlieren. Wie können wir die Osagen befreien, wenn wir uns hier niedersetzen und die Hände in den Schoß legen?“

„Das ist sehr falsch gefragt, Sir,“ antwortete der Buckelige. „Fragt lieber: Wie können wir die Osagen befreien, wenn wir erschossen worden sind?“

„Erschossen? Wieso?“

„Meint Ihr, daß die Tramps ruhig in ihrem Lager sitzen bleiben?“

„Schwerlich!“

„Ganz gewiß nicht! Sie müssen essen und werden also jagen. Sie schwärmen im Walde umher. Dieser ist da, wo wir ihn betreten, nur eine Viertelstunde breit, und es läßt sich mit vollster Bestimmtheit erwarten, daß sich gerade dort Leute befinden, welche uns kommen sehen würden. Wir müssen also hier warten, bis es dunkel geworden ist; dann haben sich die Kerls alle nach dem Lager zusammengezogen, und wir können unbemerkt den Wald erreichen. Seht Ihr das ein?“

„Well,“ nickte der Lord, indem er sich nun auch niedersetzte. „Habe nicht geglaubt, daß ich noch so dumm sein kann!“

„Ja, Ihr wäret diesen Leutchens gerade in die Hände geritten, und ich hätte Euer Tagebuch nach Frisco tragen müssen, ohne einen einzigen Dollar zu bekommen.“

„Nichts bekommen? Warum?“

„Weil wir unser Abenteuer noch nicht ganz erlebt haben.“

„Haben es erlebt! Ist bereits vorüber und auch eingetragen. Begegnen mit dem Häuptling und Erschießen der fünf Tramps war ein vollständiges Abenteuer für fünfzig Dollar. Steht bereits im Buche. Befreiung der Osagen ist ein neues Abenteuer.“

„Auch für fünfzig Dollar?“

„Yes!“ nickte der Lord.

„Nun, dann notiert nur immer fort, Sir,“ lachte Bill. „Wenn Ihr jedes Erlebnis in so und so viele Unterabenteuer zerlegt, werdet Ihr uns in Frisco ein solches Geld zu zahlen haben, daß Ihr nicht wißt, woher es nehmen!“

Der Lord lächelte leise vor sich hin und antwortete: „Wird schon ausreichen. Kann Euch bezahlen, ohne Schloß Castlepool verkaufen zu müssen. Wollen wir wetten? Ich setze zehn Dollar. Wer noch?“

„Ich nicht, Sir. Wollte ich immer so mit Euch wetten, so würde ich alles, was ich mir bei Euch verdiene, wieder verlieren, und das kann dem Neffen meines Onkels nicht einfallen.“

Die Sonne verschwand, und die Schatten der Dämmerung huschten durch die Wellenthäler, stiegen höher und höher, überfluteten auch die Hügel und hüllten endlich die ganze Erde in ihr düsteres Gewand. Auch der Himmel war dunkel und ganz sternenleer.

Nun wurde aufgebrochen; aber man ritt nicht bis ganz an den Wald heran. Die Vorsicht gebot, die Pferde im Freien zu lassen. Hölzerne Pflöcke, um die Pferde mittels der Zügel an den Boden zu fesseln, führt jeder Westmann mit sich. Auf diese Weise band man die Tiere an und wendete sich dann im Gänsemarsch dem Walde zu.

Der Rote schritt voran. Sein Fuß berührte den Boden so leise, daß das Ohr nichts davon zu vernehmen vermochte. Der Lord, welcher ihm folgte, gab sich Mühe, ebenso unhörbar zu gehen. Es war rundum nichts zu vernehmen als der leise Wind, welcher die Wipfel der Bäume bewegte.

Jetzt ergriff der Osage die rechte Hand des Engländers und flüsterte ihm zu: „Mein weißer Bruder gebe seine andre Hand weiter, damit die drei Bleichgesichter eine Kette bilden, welche ich führe, damit sich keiner an einen Baum stoße.“

Während er mit der ausgestreckten einen Hand sich vorwärts tastete, zog er mit der andern die Weißen hinter sich her. Dem Lord wurde die Zeit sehr lang, denn in solchen Lagen dehnen die Minuten sich zu Stunden aus. Endlich blieb der Häuptling stehen und flüsterte: „Meine Brüder mögen lauschen. Ich habe die Stimmen der Tramps vernommen.“

Sie horchten und bemerkten bald, daß der Rote sich nicht geirrt hatte. Man hörte sprechen, wenn auch aus weiter Ferne, so daß die Worte nicht verstanden werden konnten. Nach wenigen Schritten gewahrte man einen leisen Dämmerschein, welcher es dem Auge ermöglichte, die Baumstämme zu unterscheiden.

„Meine Brüder mögen hier warten, bis ich zurückkehre,“ sagte der Osage. Kaum gesagt, huschte der Rote schon fort und war im nächsten Augenblicke verschwunden. Es war wohl über eine halbe Stunde vergangen, als er zurückkehrte. Sie hatten sein Kommen weder gesehen noch gehört; er tauchte plötzlich vor ihnen, wie aus der Erde, auf.

„Nun?“ fragte Bill. „Was hast du uns zu melden?“

„Daß noch mehr Tramps gekommen sind, noch viel mehr.“

„Wetter! Ob diese Kerls vielleicht hier ein Meeting abzuhalten gedenken? Dann wehe den Farmers und sonstigen Leuten, welche in der Gegend wohnen. Hast du gehört, was gesprochen wurde?“

„Es brannten mehrere Feuer, und der ganze Platz war hell. Die Tramps hatten einen Kreis gebildet, in welchem ein Bleichgesicht mit roten Haaren stand und eine lange und sehr laute Rede hielt.“

„Wovon sprach er? Hast du ihn verstanden?“

„Ich verstand ihn ganz genau, denn er sprach beinahe brüllend, aber meine Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, meine roten Brüder zu entdecken, und so habe ich nur sehr wenig von dem, was er sprach, behalten.“

„Nun, und das Wenige? Was war es?“

„Er sagte, der Reichtum sei ein Raub an den Armen und man müsse also den Reichen alles nehmen, was sie haben. Er behauptete, der Staat dürfe von dem Unterthan keine Steuern erheben und man müsse ihm also alles Geld, welches er in den Kassen habe, wieder wegnehmen. Er sagte, daß die Tramps alle Brüder seien und schnell sehr reich werden könnten, wenn sie seinen Vorschlägen folgen wollten.“

„Weiter! Was noch?“

„Ich habe nicht weiter auf seine Worte geachtet. Er sprach noch von der großen, vollen Kasse einer Eisenbahn, welche leer gemacht werden müsse. Dann aber habe ich nicht mehr auf seine Worte gehört, denn ich sah den Ort, an welchem sich meine roten Brüder befinden.“

„Wo ist das?“

„In der Nähe eines kleineren Feuers, an welchem niemand saß. Dort standen sie an Baumstämmen, an welche sie gebunden waren, und bei jedem von ihnen saß ein Tramp, der ihn bewachte.“

„So kann man sich nicht leicht anschleichen?“

„Man kann es. Ich hätte sie wohl losschneiden können; besser aber war es, ich that es nicht und holte meine weißen Brüder, um mir dabei zu helfen, weil es da viel schneller geht. Aber ich bin vorher bis zu einem meiner roten Brüder gekrochen und habe ihm zugeflüstert, daß sie gerettet werden sollen.“

„Das ist sehr gut, denn nun sind sie vorbereitet und werden, wenn wir ihnen nahe kommen, uns nicht etwa durch eine Bewegung der Freude und Überraschung verraten. Diese Tramps sind keine Westmänner. Es ist eine ungeheure Dummheit von ihnen, die Gefangenen nicht in ihre Mitte zu nehmen. In diesem Falle könnten wir sie nicht durch List befreien, sondern wir müßten, obgleich wir nur vier Personen sind, in den Kreis dieser Kerls hineinspringen, um, während der Schreck sie lähmt, die Osagen loszuschneiden. Führe uns nach dem Orte, an welchem sie sich befinden!“

Der Häuptling voran, huschten die vier von Baum zu Baum und gaben sich dabei Mühe, möglichst im Schatten der Stämme zu bleiben. So näherten sie sich schnell dem Lagerplatze, auf welchem sie jetzt acht Feuer zählen konnten. Das kleinste brannte in dem innersten Winkel der Ecke, sehr nahe bei den Bäumen, und dorthin waren die Schritte des Häuptlings gerichtet. Er blieb einmal für einige Augenblicke stehen und raunte den drei Weißen zu: „Jetzt sitzen mehrere Bleichgesichter an diesem Feuer. Vorhin saß niemand dort. Der Mann mit dem roten Haar ist dabei. Diese Leute scheinen die Anführer, die Häuptlinge zu sein. Seht ihr wenige Schritte davon meine Osagen an den Bäumen?“

„Ja,“ antwortete der Buckelige. „Die Rede, welche der Rote gehalten hat, ist zu Ende und nun sitzen die Kerls abgesondert von den übrigen, jedenfalls um Rat zu halten. Es kann sehr wichtig sein, zu erfahren, was sie vorhaben. So viele Tramps sind nicht wegen einer Kleinigkeit hier versammelt. Glücklicherweise stehen einige Büsche unter den Bäumen. Ich werde einmal hinkriechen, um zu hören, wovon gesprochen wird.“

„Mein Bruder mag es lieber nicht thun,“ warnte der Häuptling.

„Warum? Glaubst du, daß ich mich erwischen lasse?“

„Nein. Ich weiß, daß mein Bruder das Anschleichen versteht; aber er könnte doch gesehen werden.“

„Gesehen, doch nicht erwischt!“

„Ja, mein Bruder hat leichte Füße und würde schnell entkommen, doch würde es uns dann unmöglich sein, die Osagen zu befreien.“

„Nein. Wir würden in einigen Augenblicken ihre Wächter niedergemacht und ihre Banden zerschnitten haben; dann schnell fort durch den Wald und zu den Pferden. Möchte den Tramp sehen, welcher das verhindern wollte! Also ich schleiche mich hin. Werde ich bemerkt, so springet Ihr zu den Gefangenen. Geschehen kann uns nichts. Hier ist mein Gewehr, Uncle.“

Er gab, um von derselben nicht gehindert zu sein, seinem Gefährten die Büchse, legte sich auf die Erde nieder und kroch dem Feuer zu. Seine Aufgabe war viel leichter zu lösen, als er geglaubt hatte. Die Tramps sprachen so laut, daß er fast auf halbem Wege liegen bleiben und doch jedes Wort hören konnte.

Wenn der Häuptling der Ansicht gewesen war, daß die vier an diesem Feuer sitzenden Männer die hervorragenden Tramps, die Anführer seien, so hatte er sich nicht geirrt. Der eine von ihnen, der mit dem roten Kopfe, war der Cornel Brinkley, welcher sich mit seinen wenigen, den Rafters entkommenen Begleitern heute gegen Abend hier eingestellt hatte. Er war soeben im Sprechen, und der Humply-Bill hörte ihn sagen. „Ich kann euch also einen großen Erfolg versprechen, denn dort ist die Hauptkasse. Ihr seid also einverstanden?“

„Ja, ja, ja,“ antworteten die drei andern.

„Und wie ist’s mit Butlers Farm? Wollt ihr sie auch mitnehmen? Oder soll ich das auf eigene Faust ausführen und ein halbes Schock eurer Leute dazu werben?“

„Wir machen natürlich mit,“ erklärte einer. „Sehe nicht ein, warum wir das Geld dir in die Tasche fallen lassen sollen! Es fragt sich nur, ob es schon da ist.“

„Noch nicht. Die Rafters haben nicht sofort Pferde gehabt, während ich gleich am nächsten Morgen einige gute Klepper fand. Sie können also noch nicht auf der Farm sein. Aber Butler ist auch ohnedies reich genug. Wir überfallen die Farm, rauben sie aus und erwarten dann ganz ruhig die Ankunft der Rafters und der Halunken, von denen sie befehligt werden.“

„Weißt du denn genau, daß sie dorthin kommen werden?“

„Ganz genau. Dieser Old Firehand muß hin, eines Ingenieurs wegen, welcher sich jedenfalls schon jetzt dort befindet.“

„Welches Ingenieurs? Was ist mit ihm?“

„Nichts. Das ist eine Geschichte, welche euch ganz gleichgültig sein kann. Vielleicht erzähle ich sie euch ein andres Mal. Vielleicht engagiere ich euch noch zu einem ganz andern Coup, bei welchem das Geld in Masse zu verdienen ist.“

„Du sprichst in Rätseln! Aufrichtig gestanden, möchte ich mit diesem Old Firehand lieber nichts zu thun haben. Ich hörte oft von ihm erzählen.“

„Hast du Angst?“ höhnte der Rote.

„Angst nicht, aber eine sehr triftige Abneigung gegen diese Art von Menschen.“

„Unsinn! Was sollte er uns anhaben können? Denke doch, daß wir vierhundert Kerls beisammen haben, welche es mit dem Teufel aufnehmen würden!“

„Sollten die alle mit nach Butlers Farm?“

„Natürlich! Der Weg dorthin geht ja in unsrer Richtung. Wollen wir etwa wieder nach hier zurück?“

„Nein, das ist richtig. Und wann brechen wir auf?“

„Morgen nachmittag, so daß wir die Farm am Abend erreichen. Sie ist groß und wird ein hübsches Feuer geben, an welchem wir uns manchen Braten wärmen können.“

Humply-Bill hatte genug gehört; er kroch zurück zu den Gefährten und forderte dieselben auf, sich nun an die Befreiung der Osagen zu machen. Nach seiner Meinung sollte sich jeder hinter einen derselben schleichen, aber der Häuptling fiel ihm in die Rede und sagte: „Ich habe meine weißen Brüder nur geholt, um mir schnell Hilfe zu bringen, falls es mir nicht gelingen sollte, meine roten Brüder allein zu befreien. Was jetzt geschehen muß, ist nicht Sache der Weißen, sondern der roten Männer. Ich gehe allein, und meine Bruder mögen mir nur dann beispringen, wenn das, was ich thue, bemerkt wird.“

Er schlich sich wie eine Schlange auf dem Boden fort.

„Was hat er vor?“ fragte der Engländer leise.

„Ein Meisterstück,“ antwortete Bill. „Seid so gut und legt Euch mit uns nieder, und schaut scharf dorthin, wo die Gefangenen stehen. Geht es verkehrt, so eilen wir hin und helfen. Wir brauchen ihnen nur die Riemen zu durchschneiden und dann zu unsern Pferden zu laufen.“

Der Lord folgte der Aufforderung. Das Feuer, an welchem die vier Anführer der Tramps saßen, war vielleicht zehn Schritte von dem Rande des Waldes entfernt. An dem letzteren standen die Bäume, an welche die Gefangenen in aufrechter Stellung an Händen und Füßen gebunden waren. Neben jedem Gefangenen saß oder lag ein bewaffneter Wächter. Der Englishman strengte seine Augen an, den Häuptling zu sehen, doch vergebens. Er sah nur, daß einer der Wächter, welcher gesessen hatte, sich jetzt umlegte und zwar mit einer so schnellen Bewegung, als ob er umgefallen sei. Auch die andern drei Wächter bewegten sich, einer nach dem andern, und sonderbarerweise so, daß ihre Köpfe in den Schatten der betreffenden Bäume zu liegen kamen. Dabei war kein Laut, nicht das leiseste Geräusch zu hören gewesen.

Es verging noch eine kleine Weile und dann sah der Lord plötzlich den Häuptling zwischen sich und Bill am Boden liegen.

„Nun, fertig?“ fragte der letztere.

„Ja,“ antwortete der Rote.

„Aber deine Osagen sind ja noch gefesselt!“ flüsterte der Lord ihm zu.

„Nein; sie sind nur stehen geblieben, bis ich mit euch gesprochen habe. Mein Messer traf die Wächter mitten in das Herz, und dann habe ich ihnen die Skalps genommen. Jetzt schleiche ich mich wieder hin, um mit meinen roten Brüdern zu den Pferden zu gehen, bei denen sich auch die unsrigen noch befinden. Da alles so gut gegangen ist, werden wir nicht fortgehen, ohne unsre Pferde zu holen.“

„Warum euch noch in diese Gefahr begeben?“ warnte Bill.

„Mein weißer Bruder irrt sich. Es ist jetzt keine Gefahr mehr vorhanden. Sobald ihr die Osagen von ihren Bäumen verschwinden seht, könnt ihr Euch fortbegeben. Bald werdet ihr das Stampfen der Pferde hören und das Geschrei der Tramps, welche dort wachen. Dann kommen wir zu der Stelle, an welcher wir vorhin abgestiegen sind, howgh!“

Mit diesem letzten Bekräftigungsworte wollte er andeuten, daß jeder Einwand nutzlos sei, dann war er plötzlich nicht mehr zu sehen. Der Lord fixierte die Gefangenen; sie lehnten steif aufgerichtet an ihren Bäumen, dann waren sie in einem Nu fort, wie in die Erde hinein verschwunden.

„Wonderful!“ flüsterte er dem Buckeligen begeistert zu. „Ganz, wie man es in Romanen gelesen hat!“

„Hm!“ antwortete der Kleine. „Ihr werdet bei uns noch manchen Roman erleben; das Lesen ist freilich leichter, als das Mitmachen.“

„Wollen wir fort?“

„Noch nicht. Ich möchte die Gesichter sehen, welche die Kerls machen, wenn die Geschichte losgeht. Wartet noch einige Augenblicke.“

Es verging keine lange Zeit, so ertönte von jenseits des Lagers ein lauter Schreckensruf; ein zweiter antwortete; darauf folgten mehrere schrille Schreie, denen man es anhörte, daß sie aus Indianerkehlen kamen – und nun ein Schnauben und Stampfen, ein Wiehern und Dröhnen, unter welchem die Erde zu zittern schien.

Die Tramps waren aufgesprungen. Jeder rief, schrie und fragte, was geschehen sei. Da ertönte die Stimme des roten Cornels: „Die Osagen sind fort. Alle Teufel, wer hat sie – – –“

Er hielt entsetzt mitten in der Rede inne. Er war, während er sprach, zu den Wächtern gesprungen und hatte den ihm nächsten derselben gepackt, um ihn emporzuzerren. Er sah die verglasten Augen und den haarlosen, blutigen Schädel desselben. Er riß den zweiten, dritten und vierten in den Schein des Feuers und schrie dann entsetzt: „Tot! Skalpiert, alle vier! Und die Roten sind fort! Wohin?“

„Indianer, Indianer!“ rief es in diesem Augenblicke von der Seite her, an welcher sich die Pferde befunden hatten.

„Zu den Waffen, zu den Pferden!“ brüllte der rote Cornel. Wir sind überfallen. Man will uns die Pferde stehlen!“

Es gab eine Scene ganz unbeschreiblicher Verwirrung. Alles rannte durcheinander, aber es war kein Feind zu sehen, und erst als man sich nach längerer Zeit einigermaßen beruhigt hatte, stellte es sich heraus, daß nur die erbeuteten Indianerpferde fehlten. Nun erst, nachdem das Unglück geschehen war, wurden Posten ausgestellt und man durchsuchte die Umgebung des Lagers, doch ohne allen Erfolg. Man kam zu der Meinung, daß noch andre als nur die gefangenen Osagen im Walde gewesen seien und sich herbeigeschlichen hatten, um ihre Kameraden zu befreien. Sie hatten dabei die Wächter von hinten erstochen und skalpiert und sich dann der Indianerpferde bemächtigt. Unbegreiflich war es den Tramps, daß die Ermordung der Wächter so vollständig lautlos hatte vor sich gehen können. Wie hätten sie sich aber gewundert, wenn sie gewußt hätten, daß es nur ein einziger gewesen war, der dieses indianische Meisterstück fertig gebracht hatte.

Als dann die Anführer wieder an ihrem Feuer beisammensaßen, sagte der Cornel: „Dieses Ereignis ist zwar kein großes Unglück für uns, aber es zwingt uns zur Änderung unsres Planes für morgen. Wir müssen schon sehr frühzeitig von hier aufbrechen.“

„Warum?“ wurde er gefragt.

„Weil die Osagen alles gehört haben, was wir gesprochen haben. Ein wahres Glück ist es, daß sie von unsrer Absicht auf den Eagle-tail nichts wissen, denn davon sprachen wir nicht hier, sondern vorher drüben beim andern Feuer. Aber was wir mit Butlers Farm vorhaben, das wissen sie.“

„Und du meinst, daß sie es verraten?“

„Natürlich!“

„Sollten diese wilden Halunken mit Butler befreundet sein?“

„Befreundet oder nicht; sie werden es ihm melden, um sich an uns zu rächen und uns einen warmen Empfang zu bereiten.“

„Das ist freilich leicht zu denken, und da ist es allerdings geraten, uns soviel wie möglich zu sputen. Möchte nur wissen, wo die fünf Kerls bleiben, welche dem flüchtigen Häuptling nach sind!“

„Mir auch unbegreiflich. Hätte er seine Zuflucht in dem Walde gesucht, so wäre er schwer oder unmöglich zu finden gewesen; seine Spur führte aber weit in die offene Prairie hinaus und er hatte kein Pferd. Da müssen sie ihn doch erwischt haben!“

„Jedenfalls. Aber sie sind wohl auf dem Rückwege von der Nacht überrascht worden und haben sich verirrt. Oder haben sie sich gelagert, um sich nicht zu verirren, und stoßen morgen früh zu uns. Jedenfalls werden wir ihre Fährte treffen, denn sie nahmen genau die Richtung, welche wir einhalten müssen.“

Da allerdings befand sich der Sprecher in einem Irrtum. Der Himmel oder vielmehr die Wolken sorgten dafür, daß die betreffende Spur verwischt wurde, denn es stellte sich später ein, wenn auch leichter, aber mehrere Stunden anhaltender Regen ein, welcher alle Huf- und Fußeindrücke verwischte.

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Das Kleeblatt

Das Kleeblatt

Wer auf dem gewöhnlichen Wege von El Paso del Norte über den Rio Colorado nach Kalifornien hinüber wollte, der kam, bevor er Tucson, die Hauptstadt von Arizona erreichte, vorher nach der alten Mission San Xavier del Bac, welche ungefähr neun Meilen von Tucson entfernt liegt. Diese Mission wurde im Jahre 1668 gegründet und ist ein so prächtiges Bauwerk, daß es den Wanderer mit Staunen erfüllt, ein so glänzendes Monument der Zivilisation mitten in den Wildnissen von Arizona anzutreffen.

An jeder Ecke des Gebäudes erhebt sich ein hoher Glockenturm; die Front ist mit phantastischen Ornamenten reich verziert; die Hauptkapelle trägt eine große Kuppel und über den Mauern sind massive Simskränze und geschmackvolle Verzierungen angebracht. Dieses Bauwerk würde jeder großen Stadt, jeder Residenz zur Zierde gereichen.

Diese Mission ist zum Teil von einem Dorfe umgeben, in dem zur Zeit, in welcher unsre Erzählung spielt, Papago-Indianer in der Stärke von vielleicht dreihundert Seelen wohnten. Diese Papagos waren und sind noch heute ein friedfertiger, arbeitsamer und den Weißen wohlgesinnter Stamm, dessen Angehörige ihr Gebiet durch ein künstliches Bewässerungssystem wunderbar ergiebig gemacht haben und mit Weizen, Korn, Granaten, Kürbissen und andern Früchten und Lebensmitteln fleißig bebauen.

Leider hatten diese braven, arbeitsamen Menschen sehr viel von und unter dem weißen Gesindel zu leiden, welches sich Arizona zum Tummelplatze auserkoren hatte. Dieses ringsum von Gebirgen und Wüsten eingeschlossene Territorium besaß so gut wie gar keine Verwaltung; der Arm der Gerechtigkeit konnte nur schwer oder gar nicht über die Grenzen hereinreichen, und so zogen sich Hunderte und aber Hunderte, welche mit dem Gesetze zerfallen waren, aus Mexiko und den Staaten herein, um ein Leben zu führen, dessen Grundlage in der rohesten Gewaltthätigkeit bestand.

Zwar lag in der Hauptstadt Militär, welches die Aufgabe hatte, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen; aber es waren nur zwei Kompagnien, also viel zu wenig für einen so weiten Bereich von gegen 300 000 Quadratkilometer, und dazu standen die Verhältnisse so, daß diese Helden froh waren, wenn sie selbst von dem Gesindel in Ruhe gelassen wurden. Hilfe konnte von ihnen wohl kaum erwartet werden. Das wußten die außerhalb des Gesetzes Stehenden nur zu wohl und zeigten darum eine Frechheit, welche geradezu ihresgleichen suchte. Sie wagten sich, in Banden versammelt, bis in die unmittelbare Nähe von Tucson heran, und niemand getraute sich nur eine Viertelstunde weit zu entfernen, ohne ein Arsenal von Waffen mit sich zu führen. Ein amerikanischer Reisender schildert die damaligen Zustände in folgender Weise:

„Die verzweifeltsten Schurken von Mexiko, Texas, Kalifornien und den andern Staaten fanden in Arizona sichere Zuflucht vor dem Strafrichter. Mörder und Diebe, Gurgelabschneider und Spieler bildeten die Masse der Bevölkerung. Alle Welt mußte bewaffnet sein, und blutige Scenen bildeten das tägliche Vorkommnis. Von einer Regierung war nicht die Rede, noch weniger von Gesetzes- oder Militärschutz. Die Beschäftigung der Besatzung von Tucson bestand darin, daß sie sich betrank und alles gewähren ließ. So war Arizona vielleicht der einzige unter der schützenden Aegide einer zivilisierten Regierung stehende Punkt des Landes, wo jedermann die Justiz in seinem Interesse handhabte.“

Da traten drüben in San Franzisko rechtlich denkende, mutige Männer zusammen, um einen „Sicherheitsausschuß“ zu bilden, welcher zwar zunächst seine Thätigkeit über Kalifornien erstrecken sollte, bald aber sein kräftiges Walten auch im benachbarten Arizona bemerken ließ. Kühne Gestalten tauchten bald hier und bald dort, bald einzeln und bald zu Trupps vereinigt, im Lande auf, um dasselbe von den Verbrechern zu säubern, und nie verschwanden sie wieder, ohne die deutlichsten Spuren davon zurückzulassen, daß sie Gericht gehalten hatten. – –

Bei den Papagos von San Xavier del Bac hatte sich ein Irländer niedergelassen, welcher wohl auch aus keinem ehrbaren Grunde nach Arizona gekommen war. Er hatte da einen Laden eröffnet und behauptete, alle möglichen Gegenstände zu verkaufen; in Wirklichkeit aber konnte man bei ihm fast weiter nichts bekommen als einen Schnaps, für dessen Selbstfabrikation und Verkauf er die Bezeichnung eines Giftmischers verdiente. Sein Ruf war ein solcher, daß ehrliche Leute nicht bei oder mit ihm verkehrten.

Es war ein wunderbar schöner Apriltag, als er an einem der rohen Tische saß, welche vor seiner aus Luftziegeln errichteten Hütte standen. Er schien bei schlechter Laune zu sein, denn er klopfte mit dem leeren Schnapsglase auf die Platte des Tisches, und als nicht sofort jemand erschien, ihm dasselbe zu füllen, rief er, sich nach der offenen Thür wendend, in zornigem Tone:

„Holla, alte Hexe! Hast du keine Ohren? Brandy will ich haben, Brandy! Mach schnell, sonst helfe ich nach!“

Da trat eine alte Negerin mit der Flasche aus der Hütte und füllte ihm das Glas. Er leerte es in einem Zuge, ließ sich wieder eingießen, und während sie dies that, sagte er:

„Den ganzen Tag kein einziger Gast zu sehen! Die roten Halunken wollen das Trinken nicht lernen. Wenn dann auch kein Fremder kommt, kann ich mich hersetzen und mir Löcher in den eigenen Magen brennen!“

„Nicht allein sitzen,“ begütigte die Alte. „Gäste kommen.“

„Woher weißt du das?“ fragte er.

„Hab’sehen.“

„Wo?“

„Auf Weg von Tubac her.“

„O wirklich? Wer ist’s?“

„Nicht wissen. Alte Augen nicht erkennen. Es Reiter sein, viele Reiter.“

Auf diese Worte hin stand er auf und eilte um die Ecke der Hütte. Von dort aus konnte er den Weg nach Tubac überblicken. Dann kam er schnell zurück und rief der Alten zu:

„Es sind die Finders, verstanden, die Finders, und zwar alle zwölf! Die verstehen es, zu trinken; da blüht der Weizen. Schnell hinein; wir müssen Flaschen füllen!“

Beide verschwanden in der Hütte. Nach einigen Minuten kamen zwölf Reiter in das Dorf, hielten vor der Hütte an und sprangen von den Pferden, die sie dann frei laufen ließen. Es waren wilde Gestalten von verwegenem Aussehen und so gut bewaffnet, wie es in dieser Gegend und bei den jetzigen Verhältnissen für jedermann nötig war. Einige trugen mexikanische Kleidung; die andern stammten aus den Staaten; das sah man ihnen deutlich an. Eins aber hatten sie alle gemein: es gab keinen einzigen unter ihnen, der ein vertrauenerweckendes Aussehen besaß.

Sie lärmten und schrieen roh durcheinander, warfen sich Scheltworte zu, einer von ihnen trat an die geöffnete Thür, zog seinen Revolver, gab einen Schuß in das Innere der Hütte ab und rief dann hinein:

„Hallo, Paddy! Bist du daheim oder nicht, alter Giftmischer? Komm heraus mit deiner Schwefelsäure; wir haben Durst!“

Paddy ist bekanntlich die scherzhafte Bezeichnung des Irländers. Der Wirt erschien mit einer vollen Flasche unter jedem Arme und zwölf Gläsern in den Händen. Die Gläser auf zwei Tische setzend und sie dann füllend, antwortete er:

„Bin schon da, Mesch’schurs. Waret schon angemeldet; meine Schwarze hat euch kommen sehen. Hier, trinkt, und seid gebenedeiet in meinem Hause!“

„Behalte die Benediktion für dich, alter Spitzbube, außer sie soll als Vorbereitung zum Tode gelten! Wer dein Zeug trinkt, begeht einen Selbsttotschlag.“

„Schlagt euch nur immer tot, Mr. Buttler; werde euch mit einer weiteren Flasche wieder auferwecken. Haben einander seit Wochen nicht gesehen. Wie ist’s inzwischen ergangen? Gute Geschäfte gemacht?“

„Gute?“ antwortete Buttler mit einer wegwerfenden Handbewegung und indem er den Inhalt seines Glases hinunterstürzte, worin ihm seine Kameraden folgten. „Miserabel ist’s gegangen, armselig wie noch nie. Haben nicht ein einziges Geschäft gemacht, welches der Rede wert gewesen wäre.“

„Aber warum? Ihr werdet doch die Finders genannt und nennt euch selbst auch so. Habt ihr die Augen nicht offen gehalten? Ich glaubte, heut ein gutes Geschäft mit euch machen zu können.“

„Das heißt, du wolltest uns den erwarteten Raub abkaufen und uns dabei wieder betrügen, wie du ja immer thust. Diesmal aber gibt es nichts, wirklich nichts. Den Roten ist nichts mehr abzunehmen, und wenn man einem Weißen begegnet, so ist er selbst einer, der in andrer Leute Taschen greifen muß. Dazu kommt der Sicherheitsausschuß, den der und jener holen möge! Was haben diese Halunken sich in unser Geschäft zu mischen? Was kümmert es sie, wenn wir da ernten, wo wir nicht, aber auch sie nicht, gesäet haben. Wahrlich, man muß jetzt darauf vorbereitet sein, aus jedem Strauche, an welchem man vorüberkommt, die Läufe einiger Doppelgewehre hervorblicken zu sehen! Aber Aug‘ um Aug‘, Zahn um Zahn! Wir haben uns vorgenommen, jeden ohne Gnade und Barmherzigkeit aufzuhängen, der den Verdacht in uns erweckt, zu diesem Vigilanzausschusse zu gehören. Hast du vielleicht dergleichen Burschen bei dir bemerkt, Paddy?“

„Hm!“ brummte der Wirt. „Traut ihr mir zu, allwissend zu sein? Kann man es einem Menschen an der Nase absehen, ob er vigiliert oder, wie ihr, massakriert?“

„Blamiere dich nicht, Paddy! Ein Vorstehhund ist von einem Bluthund leicht zu unterscheiden, auch wenn beide Menschen sind. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jedem Menschen, der zu diesem Ausschusse gehört, dies auf fünfzig Schritt Entfernung ansehe. Doch jetzt einstweilen von etwas anderm. Wir haben Hunger. Hast du Fleisch?“

„Nicht so viel, wie man auf die Zungenspitze bringen kann.“

„Eier?“

„Kein einziges. Lauft stundenweit herum, und ihr werdet kein Schlachttier noch eine Henne finden. Daran sind euresgleichen schuld, welche überall aufgeräumt haben.“

„Aber Brot?“

„Nur Maisfladen, und auch die müssen erst gebacken werden.“

„So mag deine Negerin backen; für frisches Fleisch werden wir selbst Sorge tragen.“

„Ihr? Ich habe euch doch schon gesagt, daß nichts zu finden ist.“

Pshaw! Wir haben doch gefunden.“

„Was?“

„Einen Ochsen.“

„Wohl gar! Unmöglich! Wo denn?“

„Unterwegs, da hinten im Thale von Santa Cruz. Notabene, dieser Ochse gehört zu einem Wagenzuge, dem wir begegnet, oder vielmehr, an dem wir vorübergeritten sind.“

„Ein Wagenzug? Vielleicht Emigranten?“

„Wahrscheinlich; vier Wagen, jeder mit vier Ochsen bespannt.“

„Wieviel Menschen?“

„Weiß ich nicht genau. Es waren nebst den Ochsenlenkern noch einige Reiter bei den Wagen. Wieviel Personen im Innern saßen, konnte ich nicht sehen.“

„Aber gesprochen habt ihr doch mit ihnen?“

„Ja. Sie wollen über den Colorado hinüber und werden heut nacht hier Rast halten.“

„Hier? Hm! Hoffentlich geschieht nichts, was unsern guten Ort in Verruf bringen könnte, Sir!“

Er machte bei diesen Worten eine nicht mißzuverstehende Gebärde.

„Keine Sorge!“ antwortete Buttler. „Wir wissen unsre Freunde zu schonen. Freilich, der Wagenzug muß unser werden, aber erst, wenn er sich jenseits Tucson befindet. Hier werden wir uns bloß einen Ochsen holen, weil wir Fleisch brauchen.“

„Mit der Absicht etwa, ihn zu bezahlen? Es wird diesen Leuten nicht einfallen, ein Zugtier zu verkaufen.“

„Unsinn! Was fällt dir ein, Paddy! Wir nehmen wohl, aber wir bezahlen nie; das weißt du ja. Wenn wir bei dir einkehren, ist es freilich anders. Du bist unser Hehler, und dich bezahlen wir nicht bloß, sondern wir lassen uns sogar von dir betrügen. Übrigens werden uns diese Leute nicht viel Widerstand leisten. Es gab da vier Ochsentreiber, die wir kaum rechnen, zwei Knaben zu Pferde und den Scout(Pfadfinder“>, den sich die Emigranten gemietet haben. Dieser letztere allein ist zu fürchten, doch werden wir zwölf schnell mit ihm fertig werden. Er bekommt die erste Kugel. Wer in den Wagen saß, weiß ich nicht, wie bereits gesagt; aber wer so weichlich ist, sich unter die Plane zu stecken, von dem haben wir keine ernste Gegenwehr zu erwarten. Dann ritt noch so eine Figur hinterdrein, von der ich wahrlich nicht zu sagen vermag, ob sie eine männliche oder eine weibliche gewesen ist, obgleich sie ein Gewehr überhängen hatte und unter dem Mantel sogar einen Säbel zu tragen schien. Ich redete auch diese Gestalt an, bekam aber eine höchst kurze Antwort, die ich nicht verstand. Wenn ich mich nicht irre, ist es Deutsch gewesen.“

„Welch ein Blödsinn! Wer hier einen Säbel trägt, der ist verrückt und jedenfalls nicht zu fürchten. Ihr werdet also diesen Zug überfallen?“

„Gewiß.“

„Dann hoffe ich, daß ihr mich bei dem Geschäft beteiligen werdet!“

„Natürlich. Die Bedingungen sollst du sofort hören.“

Da jetzt die alte Negerin aus der Hütte trat, um die Gäste zu bedienen, steckten die beiden die Köpfe zusammen, um ihr Gespräch leise fortzusetzen. Die andern elf hatten auf dasselbe wenig geachtet und sich miteinander in überlauter Weise unterhalten, wobei sie dem Brandy so fleißig zusprachen, daß die leer gewordenen Flaschen bald mit vollen vertauscht werden mußten. Die Indianer des Ortes, welche währenddem ihren Beschäftigungen nachzugehen hatten, machten ziemliche Umwege, um nicht an der Schnapsbude vorüber zu kommen. Sie fürchteten sich vor den lärmenden Weißen, von denen ihnen die Erfahrung sagte, daß sie besser fern von denselben blieben.

Und dazu hatten sie allen Grund. Der Irländer hatte die zwölf Reiter mit dem Namen „the Finders“ bezeichnet. So wurde eine überall gefürchtete Gesellschaft von Freibeutern genannt, die sich seit längerer Zeit im südlichen Arizona berüchtigt gemacht hatte. Sie tauchte bald hier, bald dort, oft geteilt und an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit auf und entwickelte, da ihre Mitglieder sehr gut beritten waren, in Beziehung auf die Ortsveränderung eine solche Schnelligkeit, daß es noch niemand, selbst den Vigilanzmännern nicht, gelungen war, einem von ihnen beizukommen. Finder ist gleichbedeutend mit dem gleichlautenden deutschen Worte Finder, war hier aber wohl mit „die Findigen“ zu übersetzen, weil ihnen nicht leicht eine Beute zu entgehen vermochte.

Plötzlich verstummte der Lärm vor der Schenkhütte, und aller Augen richteten sich verwundert auf drei neue Ankömmlinge, welche auf dem Platze erschienen. Das Aussehen dieser drei Männer berechtigte allerdings einen jeden, der sie zum erstenmal sah, verwundert zu sein. Sie waren von ihren Tieren gesprungen und gingen nach einem leerstehenden Tische, ohne, wie es den Anschein hatte, die anwesende Gesellschaft zu beachten.

Der vorderste von ihnen war ein kleines, sehr dickes Kerlchen. Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Farbe, Alter und Gestalt selbst dem schärfsten Denker ein nicht geringes Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge des gewaltsamen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den andern Gesichtsteilen nur zwei kleine, kluge Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit dem Ausdrucke schalkhafter List die „Gifthütte“ des Irländers überflogen, während ihr versteckter Blick eigentlich den zwölf Finders galt.

Die beschriebene Oberpartie ruhte auf einem Körper, der bis auf die Kniee herab völlig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend längere Person angefertigt worden war, aus Fleck auf Fleck und Flick auf Flick bestand und dem kleinen Männchen das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beinchen hervor, die in ausgefransten Leggins steckten, welche so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können. Die Füße hatten jene außerordentliche Dimension, von welcher man in Deutschland zu sagen pflegt: „Mit fünf Schritten über die Rheinbrücke hinüber.“ In der Hand trug dieser Mann eine Flinte, die das Aussehen eines alten Prügels hatte, der im Walde abgeschnitten worden war. Die Waffen, welche wahrscheinlich in seinem Gürtel steckten, konnte man nicht sehen, weil der Jagdrock sie verdeckte.

Und sein Pferd? Es war kein Pferd, sondern ein Maultier, aber augenscheinlich ein so altes, daß die Eltern desselben kurz nach der Sündflut gelebt haben mußten. Die langen Ohren, mit denen es wie mit Windmühlenflügeln spielte, waren kahl; eine Mähne gab es wohl schon längst nicht mehr; der Schwanz bestand aus einem nackten Stummel, an welchem sich zehn oder zwölf Härchen langweilten, und dazu war das Tier wirklich zum Erschrecken dürr. Aber seine Augen waren hell wie bei einem jungen Füllen und von einer Lebhaftigkeit, einem Ausdrucke, welche wenigstens dem Kenner Respekt einzuflößen vermochten.

Derjenige, der ihm nach dem Tische folgte, war nicht weniger ein Original. Unendlich lang und entsetzlich fleischlos und ausgetrocknet, hing seine knochige Gestalt weit vornüber, so daß es schien, als gebe es für seine Augen keine andre Perspektive als diejenige auf seine beiden Füße, welche an zwei Beine gewachsen waren, deren Längsausdehnung einem angst und bange machen konnte. Über seine festen, kernigen Jagdschuhe hatte er ein Paar lederne Gamaschen geschnallt, welche noch ein gutes Stück des Oberschenkels bedeckten; der Leib steckte in einem eng anliegenden Kamisole, das mittelst eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die verschiedensten kleinen Notwendigkeiten staken und hingen, zusammengehalten wurde; um die breiten, eckigen Schultern zog sich eine wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubnis hatten, nach allen Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und auf dem kurzgeschorenen Kopfe saß ein Ding, nicht Tuch, nicht Mütze und auch nicht Hut, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten Unmöglichkeit war. Auf seiner Schulter hing eine alte, lange Rifle, die von weitem aus einem an einen Stock befestigten Wasserschlauch zu bestehen schien.

Der dritte und letzte war ebensolang und dürr, wie dieser zweite, hatte ein großes, dunkles Tuch turbanartig um den Kopf gewunden und trug eine rote Husarenjacke, welche sich auf irgend eine unbegreifliche Weise nach dem fernen Westen verirrt hatte, lange Leinenhose und darüber Wasserstiefel, an welche zwei riesige Sporen geschnallt waren. In seinem Gürtel steckten zwei Revolver und ein Messer vom besten Kingfieldstahl; sein Gewehr war eine jener doppelläufigen Kentuckybüchsen, welche in der Hand ihres Besitzers nie einen Schuß versagen und nie das Ziel verfehlen. Wollte man in der Physiognomie dieses Mannes nach irgend einer Eigentümlichkeit suchen, so fiel der sehr breite Mund auf, den er hatte. Die beiden Mundwinkel schienen eine ganz bedeutende Zuneigung für die Ohrläppchen zu besitzen und näherten sich denselben auf die zutraulichste Weise. Dabei besaß das Gesicht den Ausdruck der ehrlichsten Treuherzigkeit; der Besitzer desselben war jedenfalls ein Mann, in dem kein Falsch gefunden werden konnte.

Diese beiden letzteren waren mit Pferden beritten, die wohl schon viele Strapazen hinter sich hatten, aber noch weit mehr aushalten konnten.

Als die drei sich niedergesetzt hatten und der Wirt zu ihnen trat und nach ihren Wünschen fragte, erkundigte sich der Kleine:

„Was gibt’s bei Euch zu trinken?“

„Brandy, Sir,“ antwortete der Irländer.

„Gebt drei Gläser, wenn Ihr sonst weiter nichts habt!“

„Was soll es sonst hier geben? Oder wollt ihr vielleicht Champagner trinken? Ihr seht nicht so aus, als ob ihr ihn bezahlen könntet.“

„Leider, leider, ja,“ nickte das Männchen mit bescheidenem Lächeln, „Ihr im Gegenteile seht mir ganz danach aus, als ob Ihr so einige hunderttausend Flaschen hier liegen hättet, wie mir scheint.“

Der Wirt entfernte sich, brachte das Verlangte und setzte sich dann wieder zu den zwölfen hin. Der Kleine setzte das Glas an die Lippen, kostete den Brandy, spuckte ihn aus und schüttete den Inhalt seines Glases auf die Erde. Seine beiden Gefährten thaten dasselbe, und der mit der Husarenjacke zog seinen Mund noch breiter, als er so schon war, und meinte:

„Pfui, Kuckuck! Ich glaube gar, dieser irische Spitzbube will uns mit seinem Brandy ermorden! Meinst du nicht auch, Sam Hawkens?“

Yes,“ antwortete der Kleine. „Wird ihm aber nicht gelingen. Wir drei vertragen schon noch so ein Gift, zumal wir es nicht trinken. Aber wie kommst du dazu, ihn einen irischen Spitzbuben zu nennen?“

„Wie ich dazu komme? Well! Wer den nicht sofort beim ersten Blicke für einen Irländer hält, der ist ein Dummkopf, wie er im Buche steht.“

„Sehr richtig! Aber daß du es ihm sofort angesehen hast, das wundert mich grad darum außerordentlich, hihihihi!“

Dieses „Hihihihi“ war ein ganz eigenartiges, man möchte sagen, nach innen gerichtetes Lachen, bei welchem seine Äuglein lustig funkelten. Man hörte, daß es ein Gewohnheitslachen war.

„Willst du damit etwa sagen,“ fragte der andre, „daß ich sonst ein Dummkopf bin?“

„Sonst? Warum bloß sonst? Nein, immer, immer bist du einer, Will Parker! Ich habe dir nun schon fünfzehn Jahre lang gesagt, daß du ein Greenhorn bist, ein Greenhorn, wie mir noch keines vorgekommen ist. Wirst du mir es nun endlich einmal glauben?“

„Nein,“ erklärte der andre, ohne sich durch dieses beleidigende Wort nur im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen. „Nach fünfzehn Jahren ist man kein Greenhorn mehr.“

„Durchschnittlich, ja; aber wer selbst in diesen fünfzehn Jahren nichts gelernt hat, der ist noch immer eins und wird’s auch immer bleiben, wenn ich mich nicht irre. Und eben daß du dies nicht einsiehst, das ist der sicherste Beweis, daß du noch jetzt ein Greenhorn bist. Was hältst du von den zwölf Gentlemen dort, die uns so neugierig beliebäugeln?“

„Viel Gutes nicht. Siehst du, wie sie lachen? Das gilt dir, alter Sam.“

„Mir? Wieso?“

„Weil es keinen Menschen gibt, der dich ansehen kann, ohne über dich zu lachen.“

„Freut mich, Will Parker, freut mich ungemein. Das gehört nämlich auch zu den vielen Vorzügen, welche ich vor dir besitze. Wer ein Auge auf dich wirft, möchte weinen, bitterlich weinen; bist eben ein trauriger Kerl, ein ganz trauriger, hihihihi!“

Sam Hawkens und Will Parker schienen in dem Verhältnisse einer immerwährenden lustigen Fehde zu einander zu stehen. Keiner nahm dem andern etwas übel. Der dritte hatte bis jetzt geschwiegen; nun zog er behaglich seine herabgerutschten Gamaschen in die Höhe, streckte die langen Beine weit von sich und sagte, indem ein derb ironisches Lächeln sich über sein hageres Gesicht ausbreitete:

„Wissen nicht, was sie aus uns machen sollen, diese Gentlemen. Stecken die Köpfe zusammen und werden doch nicht klug über uns. Feine Gesellschaft das; nicht, Sam Hawkens?“

„Ja,“ nickte der Gefragte. „Laß sie sich die Köpfe zerbrechen, Dick Stone! Desto besser wissen wir, was wir von ihnen zu halten haben; Spitzbuben, was, alter Dick?“

Yes. Ahnt mir sehr, daß wir ein Wörtchen mit ihnen werden sprechen müssen.“

„Mir auch. Und nicht nur ahnen! Halte es sogar für sicher, daß wir ihnen unsre Fäuste auf die Nasen setzen werden. Es sind grad genau die zwölf, auf deren Spur wir trafen.“

„Und die dann dem Wagenzuge folgten, um denselben erst heimlich zu beobachten.“

„Dann ritt der eine hin und fragte die Leute aus. Kommt mir verdächtig vor, sehr verdächtig! Sag ‚mal, Will, hast du vielleicht einmal von den Finders gehört?“

„Gehört?“ antwortete Parker. „Dir ist wohl dein Gedächtnis abhanden gekommen, altes Coon? Hast ja selbst wiederholt von ihnen gesprochen!“

Well, weiß das ganz genau. Fragte nur, um zu erfahren, ob du als Greenhorn endlich einmal gelernt hast, aufzupassen, wenn erfahrene Leute mit dir reden. Du weißt also noch, wie viel Finders es geben soll?“

„Zwölf.“

„Und wieviel Personen siehst du hier sitzen, geliebter Will?“

„Dreizehn,“ lachte Parker vergnügt.

„Zieh den Wirt ab, Dummkopf!“

„Wie hätte ich das zu machen? Wird er es ruhig hinnehmen, daß ich ihn abziehe?“

„Bist und bleibst ein Greenhorn durch und durch! Hätte gar nichts dagegen, wenn du selbst abzögest! Hast noch nicht mal gelernt, einen Irländer abzuziehen; darum will ich deinem schwachen Verstande zu Hilfe kommen und dir sagen, daß ohne ihn zwölf Personen dort sitzen. Begreifst du das, süßer Parker?“

Yes, lieber Sam. Kenne dich genau und wußte also, daß du ihn selbst gern abziehen möchtest. Darum habe ich mich verstellt und so gethan, als ob ich im Subtrahieren grad so wenig leistete wie du. Also zwölf sind’s; du hast diesesmal gar nicht übel gerechnet, mein Sohn. Hoffentlich gibst du dir fernerhin die gleiche Mühe wie jetzt. Zwölf, hm! Das ist freilich auffällig!“

„Auffällig? Findest du das wirklich? Da hat das Greenhorn doch endlich ‚mal eine Spur von Nachdenken verraten! Nun sag aber auch, wieso denn auffällig?“

„Sie sind zwölf, und die Finders sollen auch zwölf sein,“ antwortete Parker mit unerschütterlicher Ruhe.

„Folglich –? Fahre weiter!“

„Folglich ist anzunehmen, daß sie vielleicht die Finders sind.“

„So ist es, geehrter Will. Hab sie sehr im Verdachte, sie seien es. Der Anführer soll Buttler heißen. Werden erfahren, ob ein Esquire dieses Namens bei ihnen ist.“

„Werden es dir gleich sagen!“

„Keine Sorge! Sind neugierig auf uns, diese Gentlemen. Sehe ihnen an den Nasenspitzen an, daß bald einer von ihnen kommen wird, um uns zu interviewen. Gebt ihnen nur keine Auskunft. Bin neugierig, wie sie es anstellen werden.“

„Höflich jedenfalls nicht,“ meinte Dick Stone. „Werden sie nicht allzu fein ablaufen lassen.“

„Warum?“ fragte Sam Hawkens. „Meinst wohl, daß wir grob werden sollen?“

„Sogar sehr!“

„Fällt mir nicht ein! Wir drei werden zusammen the leaf of trefoil genannt; ist ein Ehrenname; dürfen ihm keine Schande machen; sind bekannt als drei zusammengehörige Gentlemen, welche dadurch berühmt sind, daß sie durch List und Höflichkeit mehr zu erreichen pflegen als durch Grobheit und Gewalt. So soll es auch hier sein, so und nicht anders.“

Well; aber dann werden diese Burschen glauben, daß wir uns vor ihnen fürchten!“

„Mögen sie, mögen sie immerhin, alter Dick. Wenn sie es thäten, würden sie sehr bald einsehen, daß sie sich geirrt haben, und zwar sehr, hihihihi! Das Kleeblatt, und sich fürchten! Kann darauf schwören, daß wir mit ihnen zusammengeraten. Wollen den Wagenzug überfallen, was wir nicht dulden werden. Mögen also erst immer denken, daß wir Angst haben; werden dann schon bald erkennen, daß sie sich geirrt haben.“

„Willst du mit ihnen kämpfen?“

„Nein.“

„Aber doch sie unschädlich machen, wenn sie die Finders sind?“

„Ja.“

„Wird kaum ohne Kampf abgehen!“

„Meinst du? Pshaw! Dieses alte Coon“ – dabei deutete er mit Behagen auf sich selbst- „hat zuweilen Gedanken, welche besser sind als Messerstiche und Flintenschüsse. Mache gern einen Spaß, und ist dabei ein Vorteil über die Gegner zu erringen, so ist es um so besser. Mag nicht gern Blut vergießen; man kann seiner Feinde Herr werden, auch ohne sie umzubringen und auszulöschen. Habe da meine Vorbilder.“

„Weiß genau, wer diese Vorbilder sind.“

„Du weißt es wirklich? Nun, wer?“

„Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen. Diese drei vergießen nie einen Tropfen Blutes, außer wenn es unumgänglich notwendig ist.“

Well, ist richtig, und doch sind sie bekannt und berühmt als die drei größten Helden des Westens. Will es auch so machen, will ihrem Beispiele folgen.“

„Und wohl auch ein Held werden, alter Sam?“ fragte Will Parker in scherzhaft ironischem Tone.

„Schweig, Greenhorn! Sam Hawkens weiß genau, wer er ist und was er leisten kann. Hast du nicht gesehen, daß ich es mit zwei Dutzend Roten aufgenommen habe?“

Yes.“

„Daß ich viel, vielmal durch List Ziele erreichte, an denen fünfzig und noch mehr verwegene Westmänner gescheitert wären und ihr Leben gelassen hätten?“

Yes. Was wahr ist, darf man nicht leugnen. Bist ein ganzer Kerl, Sam, ein verteufelt feiner Pfiffikus, und viele, viele haben es teuer bezahlen müssen, daß sie den Fehler begingen, dich für dumm zu halten.“

Well, werde also wohl auch mit diesen zwölf zu Ende kommen, ohne ihnen geradezu die Köpfe entzweischlagen oder Löcher durch die Leiber schießen zu müssen.“

„Also List?“

Yes.“

„Welche?“

„Weiß jetzt noch nicht; wird sich aber im betreffenden Augenblick ergeben. Müssen uns zunächst verstellen, uns auslachen lassen, müssen recht unerfahren thun.“

„Wie Greenhörner?“

„Ja, wie Greenhörner, was freilich bei dir, Will Parker, keiner Verstellung bedarf, da du wirklich eins bist. Seht, wie sie über meine Mary, über mein Maultier lachen!“

„Ist aber auch keine Schönheit, Sam!“

„Schönheit? Unsinn! Ein häßliches Vieh ist sie, ein großartig häßliches Vieh; aber ich vertausche sie dennoch nicht gegen tausend edle Rosse. Ist klug, erfahren und verständig wie – wie – wie, na, wie Sam Hawkens, ihr Herr, selber, und hat mir hundertmal das Leben gerettet. Hab sie aber auch nie, nie im Stiche gelassen und würde mein Leben wagen, wenn sie sich in Gefahr befände. Meine Mary ist eben meine Mary, einzig, unübertrefflich und mit keinem andern Viehzeug zu vergleichen, sonst aber eine störrische, heillose, niederträchtige Bestie, welche man am liebsten gleich totschießen sollte.“

„Grad wie deine Liddy,“ warf Dick Stone ein.

„Ja, die Liddy erst,“ nickte Sam Hawkens, wobei seine kleinen Äuglein funkelten und er mit der Hand liebkosend über sein altes, sonderbares Gewehr strich. „Die Liddy ist mir ebenso lieb wie die Mary; sie hat mir nicht ein einzigesmal versagt, mich nie im Stich gelassen. Wie oft hat Freiheit und Leben von ihr abgehangen, und stets hat sie ihre Schuldigkeit gethan. Freilich hat sie auch ihre Mucken, ihre großen Mucken, und wer sie nicht kennt, dessen Kürbis schwimmt gegen das Wasser. Ich aber kenne sie, ich habe sie studiert wie der Arzt die Karfunkelbeule; ich weiß genau, welche Vorzüge und welche Schwächen sie besitzt und an welcher Stelle ich sie streicheln und liebkosen muß, um sie bei guter Laune zu erhalten. Ich gebe sie nicht aus der Hand, bis ich sterbe, und wenn ich einmal tot bin, und ihr seid dabei, so thut mir den Gefallen und gebt mir meine Liddy mit unter den Rasen, mit dem ihr mich bedeckt. Kein andrer, der sie nicht kennt und lieb hat, soll sie jemals in die Hände bekommen. Die Mary, die Liddy, Dick Stone und Will Parker, das sind die vier, die mir ans Herz gewachsen sind und außer denen ich nichts mag und nichts besitze auf der ganzen weiten Welt.“

Ein feuchter Schimmer verdrängte das vorher so helle Funkeln seiner Augen, doch strich er mit den beiden Händen schnell über dieselben und sagte in wieder munterem Tone:

„Seht, da steht einer von den zwölfen auf, der, welcher mit dem Wirte so heimlich gemunkelt hat. Höchst wahrscheinlich kommt er her, um uns zu äffen. Well, die Komödie kann losgehen; aber verderbt sie mir nicht etwa!“

Man darf sich nicht darüber wundern oder es gar belächeln, daß Sam Hawkens seinem Maultiere und seinem Gewehre solche Kosenamen gegeben hatte und in so zärtlicher Weise von ihnen sprach. Die Westmänner vom alten Schrote und Korne – leider ist diese Sorte bis auf wenige, die man zählen kann, jetzt ausgestorben – waren ganz andre Menschen als das Gesindel, welches nach ihnen kam. Unter dem Ausdrucke Gesindel sind hier nicht etwa nur moralisch verkommene Menschen gemeint; dieses Wort hat hier eine andre als die gewöhnliche Bedeutung. Wenn ein Millionär, ein Bankier, ein Offizier, ein Advokat, meinetwegen auch der Präsident der Vereinigten Staaten selbst, nach dem Westen geht, ausgerüstet mit den jetzigen massenmörderischen Waffen, ängstlich behütet und bewacht von einer zahlreichen Begleitung, damit ihm ja keine Mücke in die Hühneraugen beißt, und von einem sicheren Standorte aus das Wild zu hundert Exemplaren niederknallt, ohne dessen Fleisch gegen den Hunger zu gebrauchen, so wird dieser hohe und vornehme Herr von dem wirklichen Westmann eben zum „Rabble“, zum Gesindel gerechnet. Der Indianer, der Westmann vom Fache, „machte“ nur dann Fleisch, wenn er es brauchte. Er fing das ihm nötige Pferd aus einer Herde wilder Mustangs heraus; er kannte die Zeiten, wenn die Büffel von Süden nach Norden zogen und wenn sie zurückkehrten; er wußte die Gegenden, durch welche sie auf ihren Wanderungen kamen, und machte dort und dann Jagd auf sie, nur um sein Leben zu fristen. Da traf man auf Mustangherden zu fünftausend Stück; da kamen die Bisons gewallt wie ein Meer, zwanzig- und dreißigtausend und noch mehr zählend. Wo sind diese ungeheuren Massen hin? Verschwunden! So weit die Savannen reichen, ist kein einziger Mustang mehr zu sehen. Ausgerottet, vernichtet! Im Nationalparke droben „hegt“ oder „schont“ man jetzt einige Büffel; hier oder da kann man in irgend einem zoologischen Garten noch einen einzelnen sehen; aber in der Prairie, welche sie früher zu Millionen bevölkerten, sind sie ausgestorben; der Indianer verhungert körperlich und moralisch, und einen wirklichen, echten Westmann sieht man nur noch in Bilderbüchern. Daran ist das schuld, was der Trapper, der Squatter „Gesindel“ nennt. Man sage ja nicht, daß der Grund in dem Vorrücken der Zivilisation liege. Die Zivilisation hat nicht die Aufgabe der Ausrottung, der Vernichtung. Wie oft thaten sich, als die Pacificbahnen erstanden, Gesellschaften von hundert und noch mehr „Gentlemen“ zusammen, um, mit Gewehren „neuester“ Konstruktion bewaffnet, einen Jagdausflug zu unternehmen. Sie dampften nach dem Westen, ließen in der Prairie halten und schossen aus den sicheren Coupés heraus auf die vorüberziehenden Büffelherden; dann fuhren sie weiter, ließen die Tierleichen zum Verfaulen liegen und rühmten sich, Prairiejäger gewesen zu sein und ein „excellent and eximious“ Vergnügen gehabt zu haben. Dabei waren auf ein wirklich getötetes Tier zehn und noch mehr angeschossene, verwundete zu rechnen, welche sich mühsam und schmerzvoll weiterschleppten, um dann elend zu verenden. Der Indianer stand von fern, sah mit ohnmächtigem Grimme zu, in welcher Weise man ihm seine Nahrung raubte, ihn zum Hunger trieb und konnte nichts dagegen thun. Beschwerte er sich, so wurde er ausgelacht; wehrte er sich, so wurde er niedergemacht wie die Büffel, welche er für sein Eigentum hielt und deshalb geschont hatte.

Ganz anders der wirkliche Westmann, der frühere Jäger. Dieser schoß nicht mehr, als er brauchte. Er holte sich das Fleisch mit Gefahr seines Lebens. Er wagte sich auf seinem Pferde mitten in die Büffelherde hinein. Er kämpfte mit dem Mustang, den er sich fangen und zähmen wollte; er trat selbst dem grauen Bären kühn entgegen; sein Leben war ein unaufhörlicher, aber ritterlicher Kampf mit feindlichen Verhältnissen, feindlichen Tieren und feindlichen – Menschen. Dabei mußte er sich auf sich selbst, auf sein Pferd und auf sein Gewehr verlassen können, wenn er nicht „ausgelöscht“ werden wollte. Das Pferd war daher sein Freund, die Büchse seine Freundin. Wie mancher Jäger hat oft und zwar sehr oft sein Leben für sein Pferd gewagt! Und mit welcher Liebe hing er an seinem Gewehre, jenem toten, seelenlosen Gegenstande, dem seine dankbare Phantasie dennoch eine Seele beilegte. Er hungerte und dürstete, um vor allen Dingen sein Pferd fressen und saufen zu lassen, und sah erst auf sein Gewehr, ehe er an sich selber dachte. Er gab beiden Namen wie menschlichen Personen und sprach mit ihnen wie mit Menschen, wenn er einsam, nur mit ihnen allein sich in das Gras der Prairie oder in das Moos des Urwaldes gelagert hatte. Zu dieser Art von Westmännern gehörte Sam Hawkens. Die Rauheit seines wilden Lebens hatte sein Herz nicht verdorben, er war trotz derselben ein gemütvolles aber dabei außerordentlich schlaues Kind geblieben.

Was er erwartet hatte, das geschah: Buttler war aufgestanden, kam herbei, pflanzte sich gebieterisch vor dem Tische, an welchem die drei saßen, auf und sagte, ohne sie zu grüßen, in höhnischem Tone:

„Wie prächtig ihr euch ausnehmt, Leute! Ihr scheint höchst sonderbare, höchst lächerliche Drillinge zu sein!“

Yes,“ nickte Sam sehr ernsthaft und sehr bescheiden.

Dieses Eingeständnis klang so komisch, daß Buttler laut auflachte und, während seine Gefährten in das Gelächter einstimmten, fortfuhr:

„Wer seid ihr denn eigentlich?“

„Ich bin der erste,“ antwortete Sam.

„Ich der zweite,“ fügte Dick Stone hinzu.

„Und ich der dritte,“ stimmte Will Parker ein.

„Der erste, der zweite, der dritte? Was denn?“ fragte Buttler, nicht gleich wissend, was sie meinten.

„Na, Drilling natürlich!“ antwortete Sam mit außerordentlicher Treuherzigkeit.

Ein zweites, allgemeines Gelächter folgte diesen seinen Worten. Buttler war geschlagen; darum fuhr er den Kleinen unwillig an:

„Macht keine dummen Witze! Ich bin gewohnt, ernsthaft mit mir verkehren zu lassen. Daß ihr nicht Drillinge sein könnt, sieht man ja. Ich wollte eure Namen wissen. Heraus damit also!“

„Ich heiße Grinell,“ antwortete Sam kleinlaut.

„Und ich Berry,“ gestand Dick furchtsam.

„Und ich White,“ stieß Will sehr ängstlich hervor.

„Grinell, Berry und White,“ meinte Buttler, „eure Namen kenne ich jetzt. Nun sagt mir auch, was ihr seid!“

„Fallensteller,“ erklärte Sam Hawkens.

„Fallensteller?“ lachte der Examinator. „Ihr seht mir ganz und gar nicht so aus, als ob ihr jemals einen Biber oder ein Racoon gefangen hättet!“

„Haben auch noch nicht,“ gab der kleine Sam bescheiden zu.

„Ah, habt noch nicht! Wollt also wohl erst?“

Yes.“

„Gut, sehr gut! Wo kommt ihr denn her?“

„Von Castroville unten herauf.“

„Was habt ihr dort getrieben?“

„Einen Kleiderladen, Compagniegeschäft zu dreien.“

„So so! Ist wohl schlecht gegangen?“

Yes. Haben ein wenig Bankerott gemacht; hatten zu viel ausgeborgt, Kredit gegeben, aber keinen bekommen.“

„Richtig, richtig! Haben es euch gleich angesehen, daß ihr pleite gehen müßt. Also Kleiderhändler, vielleicht gar Schneider. Drei Schneider, die aus Ungeschick in die Pleite gefallen sind und nun den außerordentlich klugen Gedanken gefaßt haben, sich als Trapper wieder aufzuhelfen! Hört ihr es?“

Diese Frage war an seine Genossen gerichtet, welche dem Gespräche mit ironischem Behagen zuhörten. Sie ließen ein drittes, schallendes Gelächter hören. Sam Hawkens aber rief scheinbar zornig.-

„Ungeschick? Da irrt Ihr Euch gewaltig, Sir. Wir wußten wohl, woran wir waren. Aus der Pleite mußte natürlich für uns etwas abfallen, sonst hätten wir sie nicht gemacht.“

Er zog seinen bockledernen Jagdrock vorn auf, klopfte auf seinen breiten Gürtel, daß es metallisch klang, und fügte stolz hinzu:

„Hier sitzen die Moneten, Sir!“

Das Gesicht Buttlers nahm den Ausdruck eines Raubvogels an, der nach Beute ausspäht, und in möglichst unbefangenem Tone fragte er:

„Ihr habt Moneten? Dann seid ihr freilich klüger gewesen, als ihr ausseht. Wieviel hat euch denn der Bankerott eingebracht?“

„Über zweitausend Dollar.“

„Die tragt ihr bei euch?“

Yes.“

„Die ganze Summe?“

Yes,“

„Auf der Reise, in dieser unsichern Gegend!“

Pshaw! Wir haben Waffen.“

„Die würden euch verteufelt wenig nützen. Wenn zum Beispiel die Finders kämen, die würden euch drei Schneider ausbeuteln, ehe ihr nur Zeit fändet, die Augen aufzumachen. Warum habt ihr das viele Geld nicht lieber einer Bank anvertraut?“

„Werden es noch thun.“

„Wo?“

„Droben in Prescott.“

„Da hinauf wollt ihr?“

Yes.“

„Als Fallensteller?“

Yes.“

„Habt ihr denn Fallen?“

„Nein.“

„Woher wollt ihr sie nehmen?“

„In Prescott kaufen.“

„Himmel! Seid ihr Menschen! Was gedenkt ihr denn da oben zu fangen?“

„Biber und – und – und –“

Er stockte verlegen.

„Und – und – was denn weiter?“ drang Buttler in den Kleinen.

„Grizzlybären.“

Da ertönte von den andern Tischen ein wahrhaft homerisches Gelächter herüber. Buttler lachte auch, daß ihm die Thränen in die Augen traten und der Atem versagte, und rief, als er sich einigermaßen beruhigt hatte:

„Grizzlybären wollt ihr in Fallen fangen, Grizzlybären, von denen einer neun Fuß hoch wird und auch neun Zentner wiegen wird! In Fallen fangen?“

„Warum nicht?“ knurrte Sam verdrießlich. „Wenn nur die Fallen groß und stark genug sind!“

„Es gibt aber keine Grizzlyfallen und wird auch keine geben!“

„So lassen wir uns in Prescott von einem Schmiede welche machen.“

„Wie denn? In welcher Konstruktion?“

„Das werden wir ihm schon sagen.“

„Ihr drei Schneider? Halt auf, Kleiner, Dicker, halt auf, sonst ersticke ich!“

Er lachte wieder aus vollem Halse und konnte erst nach einer Weile fortfahren –

„Und selbst wenn das mit den Grizzlybären möglich wäre, so müßte man sich doch schon darüber halb totlachen, daß ihr, um Biber zu fangen, hinauf nach Prescott wollt.“

„Nach Prescott eigentlich nicht; dort wollen wir die Fallen kaufen; dann reiten wir nach dem Gila und dem San Franziskoflusse.“

An welchem es zwei Zoll hoch Wasser gibt; wo sollen da die Biber herkommen!“

„Das laßt nur unsre Sorge sein, Sir! Hab ein Buch gelesen, in welchem alles steht, auch das von den Bibern.“

„Schön, schön, vortrefflich! Wenn ihr so klug seid, euch nach einem Buche zu richten, so läßt sich nichts weiter sagen. Ich wünsche euch so viel Biber und Bären, wie ihr wollt. Aber ihr werdet auch noch andres finden.“

„Was?“

„Wilde Indianer, welche euch Tag und Nacht umschleichen, um euch zu überfallen.“

„Da wehren wir uns.“

„Mit euern Waffen etwa?“

Yes.“

„Zum Beispiel hier mit Eurer Flinte?“

Yes.“

„Alle Wetter, werdet ihr da ungeheure Heldenthaten verrichten. Zeigt doch einmal das Schießholz her! Das müssen wir uns unbedingt besehen.“

Er nahm Sam Hawkens das Gewehr aus der Hand und ging mit demselben zu seinen Genossen hinüber, welche es unter den kräftigsten Bemerkungen betrachteten. Auch Dick Stone mußte seine lange Rifle zeigen, welche denselben ironischen Beifall fand; dann sagte Buttler, indem er die Gewehre zurückgab:

„Ich habe euch ein großes Unrecht gethan, Mesch’schurs, und muß euch deshalb um Verzeihung bitten.“

„Welches Unrecht?“ fragte Sam.

„Ich hätte euch fast mit andern Leuten verwechselt.“

„Mit wem?“

„Mit dem Kleeblatte.“

„Kleeblatt? Wer ist das?“

„Das sind drei berühmte Jäger, welche stets beisammen sind und darum das Kleeblatt genannt werden, Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker.“

„Kennt Ihr die?“

„Nein, eben nicht, sonst wäre ich doch nicht in die Gefahr geraten, euch beinahe mit ihnen zu verwechseln.“

„Aber Ihr müßt doch wenigstens wissen, wie sie aussehen!“

„Das weiß ich auch. Sam Hawkens ist so klein und dick wie Ihr, und die beiden andern sollen so lang und dürr wie Eure Gefährten sein; das stimmt. Dazu kommt, daß Sam einen ledernen Jagdrock zu tragen pflegt, an welchem Fleck an Fleck so aufgenäht ist, daß kein Indianerpfeil mehr hindurchzudringen vermag. Ihr habt auch einen solchen Rock. Das ist nur Zufall, führte mich aber doch für einige Minuten irre. Jetzt freilich weiß ich, woran ich bin. Das Kleeblatt hat nicht mit alten Kleidern Pleite gemacht, ist jedenfalls ganz anders und weit besser beritten als ihr und würde nie solche Schießprügel auch nur berühren, wie die eurigen sind. Da man aber nie vorsichtig genug sein kann und besonders Sam Hawkens ein großer Pfiffikus sein soll, so will ich doch noch sicherer gehen, als ich bis jetzt gegangen bin. Ich habe gehört, daß Will Parker einmal skalpiert worden sein soll und infolgedessen eine Perücke trägt. Mr. Berry und Mr. White mögen mir also einmal ihre Köpfe zeigen!“

Buttler fühlte sich also noch nicht ganz beruhigt. Glücklicherweise war er falsch berichtet worden; nicht Will Parker, sondern Sam Hawkens hatte das entsetzliche Unglück gehabt, skalpiert zu werden. Stone und Parker entblößten bereitwillig ihre Häupter; Buttler griff in ihre Haare, überzeugte sich, daß es keine falschen waren, und sagte:

All right, ihr seid drei Schneider, und ich will nun nur um euertwillen hoffen, daß ihr mit euern Gewehren jetzt ebenso umzugehen versteht wie früher mit euern Nähnadeln.“

„Keine Sorge!“ meinte Sam sehr zuversichtlich. „Was wir treffen wollen, das treffen wir.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“

„Wettschießen, wettschießen!“ flüsterten diejenigen, welche Buttler am nächsten saßen, diesem zu.

Im Westen, wo fast jeder Mann ein guter Schütze ist, läßt nie jemand die Gelegenheit zu einem Wettschießen vorübergehen. Die Schützen messen sich gern miteinander; der Ruhm des Siegers spricht sich weit herum, und es werden oft dabei bedeutende Summen auf das Spiel gesetzt. Hier nun gab es nicht nur Gelegenheit zu einem Wett-, sondern sogar zu einem spaßhaften Schießen; die drei Schneider hatten wohl nicht gelernt, mit Gewehren umzugehen, und da die ihrigen nichts taugten, so gab es jedenfalls etwas zu lachen, wenn man sie dazu brachte, ihre vermeintliche Kunst zu zeigen. Darum sagte Buttler, um Sam anzustacheln, in zweifelndem Tone:

„Ja, mit der Nähnadel den Ärmel eines Rockes treffen, das kann sogar ein Blinder; aber schießen, Schießen, das ist doch etwas ganz andres. Habt Ihr denn schon einmal geschossen, Mr. Grinell?“

Yes,“ antwortete der Kleine.

„Wonach?“

„Nach Sperlingen.“

„Mit diesem Gewehre?“

„Nein, mit dem Blasrohre.“

„Mit dem Blasrohre!“ lachte Buttler laut auf. „Und da denkt Ihr, daß Ihr auch mit dem Gewehre ein guter Schütze seid?“

„Warum nicht? Zielen ist doch zielen!“

„So? Wie weit könnt Ihr denn treffen?“

„Doch jedenfalls so weit, wie die Kugel läuft.“

„Sagen wir zweihundert Schritte?“

Well.“

„Ungefähr so weit entfernt steht die zweite Hütte da drüben. Glaubt Ihr, sie zu treffen?“

„Die Hütte?“ meinte Sam in beleidigtem Tone. „Die trifft ein Blinder, grad wie mit der Nadel den Rockärmel.“

„So wollt Ihr wohl sagen, daß das Ziel kleiner sein soll?“

Yes.“

„Wie groß ungefähr?“

„Wie meine Hand.“

„Und das glaubt Ihr zu treffen, mit diesem Euerm Schießzeuge hier?“

Yes.“

„Unsinn! Dieser Lauf muß ja gleich beim ersten Schuß zerplatzen, und wenn er das nicht thut, so ist er so krumm gezogen, daß Eure Kugeln um jede Hausecke biegen, nie aber gerade fliegen werden.“

„Versucht es doch einmal!“

„Wollen wir wetten? Ihr habt ja Geld dazu.“

„Nicht nur Geld, sondern auch Lust.“

„Wieviel setzt Ihr?“

„Soviel wie Ihr.“

„Also einen Dollar?“

„Einverstanden.“

„So gilt also die Wette. Aber wir wollen nicht nach jener Hütte schießen, weil der Besitzer es wohl nicht dulden würde, sondern ich –“

„Schießt nach der meinigen!“ unterbrach ihn der Wirt. „Ich klebe an die hintere Front ein Papier, so groß wie meine Hand; dies ist das Ziel.“

Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man begab sich nach der hintern Seite; das Papier wurde angeklebt, und dann zählte Buttler zweihundert Schritte ab. Er setzte einen Dollar, und Sam gab den seinigen. Darauf loste man, wer zuerst schießen solle. Das Los fiel auf Buttler. Er stellte sich in der abgemessenen Entfernung auf, zielte nur ganz kurz, drückte ab und traf das Papier.

Nun war die Reihe an Sam. Er machte die krummen Beinchen möglichst weit auseinander, legte seine Liddy an, bog sich weit, weit nach vorn und zielte eine lange, lange Zeit. In dieser Stellung sah er aus wie ein Photograph, welcher sich unter die Hülle seines Apparates beugt, um nach seinem Objekte zu visieren. Alle lachten. Da endlich krachte der Schuß, und Sam flog zur Seite, das Gewehr fallen lassend und mit der Hand die rechte Backe haltend. Das Gelächter wurde zum förmlichen Gejohle.

„Hat Euch die Flinte gestoßen, wohl gar einen Hieb gegeben?“ fragte Buttler.

Yes, sogar eine Ohrfeige ist’s gewesen!“ antwortete der Kleine wehmütig.

„Das Ding haut also; es scheint Euch selbst gefährlicher zu sein als andern Leuten. Wollen sehen, ob Ihr getroffen habt.“

Auf dem Papier war keine Spur von der Kugel zu bemerken. Man suchte lange, lange Zeit, bis endlich einer, welcher zur Seite gegangen war, unter dröhnendem Lachen den andern zurief:

„Kommt her zu mir! Es konnte mir nicht einfallen, hier zu suchen; aber da steckt sie, da, wer sie sehen will. Kommt her! Der Schnaps läuft aus dem Loche!“

Jedenfalls zum Transporte bestimmt, stand an der Seite des Hauses, vielleicht zehn Schritte von demselben entfernt, ein volles Branntweinfaß. In dieses war die Kugel geflogen, und man sah den Inhalt in einem fingerdicken Strahle aus dem frischen Schußloche strömen. Das jetzt entstehende Gelächter wollte kein Ende nehmen. Der Wirt aber fluchte und verlangte Entschädigung. Als Sam ihm dieselbe zusagte, beruhigte er sich und trieb mit dem Hammer einen hölzernen Pflock in das Loch, um dasselbe zu schließen.

„Also nicht einmal das Haus habt Ihr getroffen!“ rief Buttler dem ganz verdutzt dreinschauenden Kleinen zu, „Ich habe Euch ja gesagt, daß Eure Kugeln um alle Ecken biegen werden. Der Dollar ist mein. Wollt Ihr noch einen wagen, Mr. Grinell?“

Yes,“ antwortete Sam.

Mit dem zweiten Schusse traf er wenigstens das Haus, aber ganz unten an der Ecke, während das Ziel oben in der Mitte der Mauer sich befand. So gab er noch vier oder fünf Schüsse ab, ohne dem Papier näher zu kommen, und verlor noch ebensoviele Dollars. Darüber wurde er zornig und rief aus:

„Es ist nur, weil es bloß um einen Dollar geht. Ich glaube, wenn es mehr gälte, könnte ich besser zielen.“

„Mir recht,“ lachte Buttler. „Wieviel wollt Ihr parieren?“

„Soviel wie Ihr.“

„Sagen wir zwanzig?“

Yes!“

Sam verlor auch diese zwanzig, verlor sie aber, weil er wieder ganz genau in dieselbe Ecke traf. Buttler strich das Geld ein und fragte:

„Noch einmal gefällig, Mr. Grinell?“

Dabei zwinkte er seinen Leuten heimlich und vergnügt mit den Augen zu.

Yes,“ antwortete Sam. „Es muß doch einmal werden.“

„Denke es auch. Wie hoch?“

„Wie Ihr wollt.“

„Fünfzig Dollar.“

Yes.“

„Oder wir sagen lieber hundert?“

„Das ist zu viel. Ich bin zwar überzeugt, daß ich jetzt endlich treffen werde, aber es thut mir leid, Euch eine solche Summe abzunehmen, Mr. – wie heißt Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Buttler,“ antwortete der Gefragte zu schnell und also unvorsichtig. Wahrscheinlich hätte er einen andern Namen genannt, wenn er nicht durch Sams Frage so plötzlich überrumpelt worden wäre.

„Schön, Mr. Buttler,“ fuhr er fort. „Also nicht hundert; es ist zu viel.“

Nonsense! Was ich gesagt habe, das halte ich; es fragt sich nur, ob Ihr Mut habt.“

„Mut? Den hat ein Schneider immer.“

„Also hundert?“

Yes.“

Buttler war so sicher, das Ziel zu treffen, während Sam natürlich wieder danebenschießen würde, daß er diesmal noch kürzer zielte als vorher. Oder regte ihn die Höhe der Summe auf, kurz und gut, seine Kugel kam neben, zwar hart aber doch neben dein Papiere in die Mauer zu sitzen. Das raubte ihm aber nicht die gute Laune, denn sein Gegner traf jedenfalls nicht so nahe an das Ziel. Im schlimmsten Falle konnte es zum Stechen kommen, und da war ihm der Sieg dann sicher.

Jetzt zielte Sam, aber wohin? Nach der Mauerecke, wohin er bisher stets getroffen hatte und wo von ihm, außer dem ersten Schusse, Kugel auf Kugel saß.

„Was fällt Euch ein, Mr. Grinell,“ rief Buttler erstaunt, „Ihr zielt ja nach der Ecke!“

„Versteht sich ganz von selbst,“ antwortete der Kleine getrost.

„Warum denn aber?“

„Habe erst jetzt mein Gewehr begriffen.“

„Wieso?“

„Scheint seinen eigenen Willen, seine Launen zu haben. Ziele ich nach dem Papiere da oben in der Mitte, so geht die Kugel da hinunter in die Ecke. Ziele ich aber nach der Ecke, so wird sie wohl hinauf nach dem Papiere fliegen.“

„Das ist Verrücktheit!“

„Nicht von mir, sondern von der Flinte. Paßt’mal auf!“

Er drückte ab, und die Kugel saß – – ganz genau in der Mitte des Zieles.

„Seht Ihr nun, daß ich recht hatte!“ lachte der Kleine. „Gewonnen! Gebt die hundert Dollar heraus, Mr. Buttler!“

Die Summen waren noch nicht gesetzt worden. Buttler zögerte, der Aufforderung Folge zu leisten; es kam ihm der Gedanke, die Zahlung zu verweigern; dann aber hatte er einen Einfall, den er für besser hielt; er zog also die Goldstücke aus seiner Tasche, gab sie Sam und sagte:

„Halten wir auf?“

„Wie Ihr wollt.“

„Oder setzen wir noch einmal?“

„Meinetwegen!“

„Aber nicht hundert, sondern zweihundert!“

„Sir, das ist zu viel!“

„Für mich nicht. Oder habt Ihr Angst bekommen?“

„Angst? Fällt mir nicht ein!“

„Also zweihundert; aber gleich gesetzt!“

„Gut! Da mein Kamerad Mr. Berry mag den Unparteiischen machen und das Geld verwahren, und wir nehmen ein neues Papier mit einem Punkte genau in der Mitte. Wessen Kugel diesem am nächsten sitzt, der hat gewonnen.“

„Einverstanden,“ erklärte Buttler; „aber wir schießen nicht auf zwei- sondern auf dreihundert Schritte!“

„Da treffe ich nichts!“

„Ist auch nicht nötig. Vorwärts, Mr. Grinell, zweihundert Dollar heraus!“

Sam gab Dick Stone das Geld. Buttler schien nicht mehr so viel zu besitzen, denn er ging zu mehreren seiner Gefährten, um sich von ihnen aushelfen zu lassen. Als er die Summe beisammen hatte, gab er sie auch an Dick, welcher sehr wohl wußte, weshalb ihn Sam als Unparteiischen vorgeschlagen hatte. Nachdem ein neues Papier angeklebt worden war, zählte man dreihundert Schritte ab, und Buttler machte sich zum Schusse bereit.

„Ziele besser als vorhin!“ rief ihm einer seiner Männer zu.

„Schweig!“ antwortete er zornig. „Ein Schneider sticht mich nicht aus!“

„Vorhin aber doch!“

„War nur Zufall, weiter nichts.“ Er zielte diesesmal doch viel länger und sorgfältiger als vorher. Sein Schuß traf das Papier, wenn auch nicht den Mittelpunkt desselben.

„Prachtschuß, Hauptschuß, famoser Schuß!“ belobten ihn seine Gefährten.

Er nickte siegesgewiß dazu und hielt es für unter seiner Würde, auf Sam nun acht zu geben. Dieser stand bereit zum Schusse und rief seinem Gegner zu:

„Mr. Buttler, macht einmal die Augen auf!“

„Warum?“

„Ich werde diesmal grad den Punkt in der Mitte treffen.“

„Bildet Euch das nicht ein! Ihr könnt ihn in dieser Entfernung gar nicht sehen und kaum das Papier erkennen.“

„Ist auch nicht nötig, denn ich habe ihn doch nicht zu sehen, sondern zu treffen. Paßt auf, eins – zwei – drei!“

Bei eins stellte er sich in Positur, bei zwei legte er an, und bei drei krachte sein Schuß. Ein zwölf- oder dreizehnstimmiger Ruf des Schreckens oder des Ärgers folgte; er hatte wirklich den Mittelpunkt getroffen. Dick Stone eilte zu ihm, hielt ihm das Geld hin und sagte:

„Nimm rasch, alter Sam, sonst bekommst du es dann nicht!“

Well, würden mir es später aber doch noch geben müssen.“

Er steckte es ein und schritt dann der Hütte zu.

„Ein unbegreifliches, ein verdammtes Glück ist das!“ rief ihm Buttler zornig entgegen. „So ein Zufall ist noch gar nicht dagewesen!“

„Bei mir allerdings noch nicht,“ gestand Sam ein, und zwar ganz der Wahrheit gemäß, denn er war ein so vortrefflicher Schütze, daß er keines Zufalles bedurfte. Buttler aber nahm diese Worte in andrem Sinne und sagte:

„So gebt das Geld wieder heraus!“

„Herausgeben? Warum? Aus welchem Grunde?“

„Weil Ihr soeben zugegeben habt, daß das Ziel nicht von Euch, sondern durch den Zufall getroffen worden ist.“

„Schön! Aber der Zufall hat sich meiner Hand und meiner Flinte bedient; er hat das Ziel getroffen, also die Wette gewonnen; ihm gehört das Geld, und ich werde es ihm geben, sobald ich ihm zum nächstenmal begegne.“

„Das soll wohl ein Witz sein, Sir?“ fragte Buttler drohend, und zugleich bildeten seine Leute einen engen Kreis um ihn und Sam.

Dieser letztere zeigte nicht die mindeste Besorgnis, sondern antwortete ruhig:

„Sir, Schneider pflegen keine Witze zu machen, wenn es sich um Geld handelt. Es ist mein Ernst. Wollen wir weiter schießen?“

„Nein; ich habe mit Euch, aber nicht mit Eurem Zufalle wetten wollen. Ist Euch derselbe immer so günstig?“

Er gab seinen Gefährten einen verstohlenen Wink, auf Feindseligkeiten zu verzichten; Sam bemerkte denselben aber doch und antwortete:

„Stets, nämlich wenn es sich der Mühe lohnt, eines lumpigen Dollars wegen aber nicht; da geht meine Kugel lieber in die Ecke.“

Eben wollten sie sich um diese Ecke wenden, um nach der‘ vorderen Seite des Hauses zurückzukehren, als ihnen jemand entgegenkam. Dieser jemand war – Sam Hawkens Maultier, dessen Kopf neugierig nach seinem Herrn auszublicken schien. Buttler, welcher vorangegangen war, stieß mit dem Tiere fast zusammen.

„Häßliches Vieh!“ rief er aus, der Mary einen Fausthieb gegen den Kopf gebend. „Ist ein wahres, richtiges Schneiderpferd! Einem andern könnte es im ganzen Leben nicht einfallen, sich auf eine solche Bestie zu setzen!“

„Sehr richtig!“ stimmte Sam bei. „Nur fragt es sich, warum?“

„Warum? Aus Abscheu natürlich! Was denn sonst?“

„Es läßt sich gut sagen, aus Abscheu, wenn der Grund wo ganz anders liegt.“

„Wo soll er denn liegen?“

„Im Unvermögen.“

„Wieso? Wie meint Ihr das? Wollt Ihr etwa sagen, daß man Euern Ziegenbock nicht reiten könne?“

„Das behaupte ich nicht, Sir; ich wollte nur soviel sagen, daß ihn nur ein sehr guter Reiter besteigen kann.“

Er sagte diese Worte in einem so eigenartigen Tone, daß Buttler rasch frug:

„Meint Ihr etwa, daß ich kein guter Reiter bin, daß ich mit Eurer Bestie nicht fortkäme?“

„Das ist nicht meine Meinung gewesen, Sir, obgleich sehr zu erwarten steht, daß es Euch binnen einer Minute abwerfen würde.“

„Mich? Den besten Reiter zwischen Frisco und New Orleans? Ihr seid verrückt!“

Sam maß ihn mit einem neugierigen Blicke vom Kopfe an bis zu den Füßen herab und fragte dann in ungläubigem Tone:

„Ihr der beste Reiter? Das glaube ich nicht. Ihr seid nicht zum Reiter gebaut; dazu sind Eure Beine zu lang.“

„Nicht zum Reiter gebaut!“ lachte Buttler auf. „Was will ein Schneider vom Reiten verstehen! Als Ihr vorhin hier ankamt, hingt Ihr auf Euerm Viehzeuge wie ein Affe auf dem Kamele, und da wollt Ihr vom Reiten sprechen? Laßt Euch nicht auslachen! Euer Maultier nehme ich so zwischen die Schenkel, daß es binnen fünf Minuten zusammenbricht!“

„Oder Euch binnen einer Minute herunterwirft!“

„Sagt Ihr das wirklich im Ernste?“

Yes.“

„Wollen wir wetten?“

„Ich setze zehn Dollar!“

„Ich auch!“

„Daß es mich nicht herunterwirft!“

„Und ich behaupte dies aber!“

„Gut, fertig, zehn Dollar heraus!“

Sam zog das Geld hervor und gab es Dick Stone wieder. Buttler borgte es sich von seinen Gefährten und gab es dann auch an Dick. Lieber hätte er es einem seiner Leute anvertraut, wollte aber keinen Verdacht erwecken.

„Eine miserable Wette!“ sagte der Wirt zu ihm. „Um zehn Dollar zu gewinnen, auf ein solches Scheusal steigen! Diesmal aber werdet Ihr sicher gewinnen.“

Buttler nahm die alte Mary beim Zügel und führte sie von der Ecke fort nach dem vor dem Hause liegenden freien Platz.

„Also binnen einer Minute herunter!“ rief er Hawkens zu. „Sitze ich dann noch darauf, habe ich gewonnen.“

„Darf ich mit dem Tiere reden?“ fragte Sam.

„Warum nicht? Redet mit ihm, pfeift mit ihm oder singt mit ihm, ganz wie Ihr wollt!“

Es hatten sich zwei Gruppen gebildet. Auf der einen Seite stand Sam mit Dick und Will, auf der andern der Wirt mit den Leuten Buttlers. Dieser letztere stieg auf. Das Maultier ließ es sich ruhig gefallen und stand still und unbeweglich, als ob es aus Holz geschnitzt sei, Da sagte Sam:

„Bocke ihn ab, meine gute Bucking-Mary!“

Augenblicklich machte das Maultier einen runden, hohen Katzenbuckel, ging mit allen Vieren in die Luft, streckte sich da aus und kam mit dem Reiter zu gleicher Zeit wieder auf dem Erdboden an; es stand auf derselben Stelle, Buttler aber saß nicht mehr im Sattel, sondern neben der Mary unten auf dem Boden. Seine Leute schrieen überrascht auf; er sprang empor und rief ergrimmt:

„Dieses Vieh ist des Teufels! Erst steht es fromm wie ein Lamm, und dann geht es ganz plötzlich wie ein Ballon in die Luft!“

„Da wäre es besser, Ihr wäret Luftschiffer anstatt Reiter; das Geld ist mein,“ antwortete Sam, indem er es einstrich.

„Zum Henker! Ich weiß nicht, ob ich richtig verstanden habe. Sagtet Ihr dem Tiere nicht, daß es mich abbocken solle?“

Yes.“

„Sir, das verbitte ich mir!“

Pshaw! Ihr habt gesagt, daß ich mit ihm reden kann, ganz wie ich will.“

„Aber zu meinem Schaden!“

„Nein, sondern zu Eurem Nutzen. Ihr braucht ja nur zu hören, was ich sage, so wißt Ihr, was das Tier thun wird und wie Ihr Euch dagegen zu verhalten habt, wenn Ihr ein so guter Reiter seid, wie Ihr vorhin sagtet.“

Well, so werde ich das nächstemal sicher gewinnen; ich lasse mich nicht wieder herabbocken. Setzt Ihr noch einmal zehn Dollar?“

„Gern.“

Buttler borgte sich das Geld zum zweitenmal, gab es Dick und sagte zu Sam, indem er wieder aufstieg:

„Nun, sagt dem Racker doch wieder, was er thun soll!“

Sam lachte kurz und lustig auf und rief dem Maultier zu:

„Streif ihn ab, meine liebe Striping-Mary!“

Die Mary setzte sich augenblicklich in galoppierende Bewegung, gegen welche keine Bemühung Buttlers etwas half, schlug einen Bogen nach der unteren Hausecke zu und rannte, bei derselben angekommen, nach der oberen Ecke hin, und zwar so eng an der Mauer, daß das rechte Bein Buttlers an der Ecke hängen blieb und er, wenn er sich dasselbe nicht arg zerschinden oder gar brechen lassen wollte, aus dem Sattel mußte; er wurde „abgestreift“ und kam wieder auf die liebe Erde zu sitzen.

„Alle neunundneunzigtausend Teufel!“ schrie er wütend, indem er sich erhob und sein Knie befühlte. „Diese Bestie ist ein wahres Höllenvieh. Ich war natürlich auf das Abbocken gefaßt. Wie könnt Ihr ihm da befehlen, daß es mich abstreifen soll?“

Diese Frage galt Sam, welcher antwortete:

„Es ist ausgemacht worden, daß ich mit dem Maultiere sprechen, pfeifen oder auch singen kann, ganz wie es mir beliebt. Daran halte ich fest. Das Geld ist mein.“

Er strich es ein. Buttler hinkte zum Wirte hin und sagte halblaut zu ihm:

„Gib mir zwanzig Dollar! Meine Leute haben nichts mehr.“

„Wollt Ihr wieder wetten?“ fragte der Irländer.

„Natürlich!“

„Ihr werdet abermals verlieren!“

„Jetzt ganz gewiß nicht wieder!“

„Und wenn aber doch? Von wem bekomme ich dann mein Geld?“

„Von mir, Halunke, von mir!“

„Aber wann?“

„Bis morgen früh.“

„Morgen früh? Wenn er Euch alles abgenommen hat?“

„Dummkopf! Das ist nur geborgt. Meine Leute würden wohl nicht so ruhig zusehen, wenn sie nicht wüßten, daß ich morgen früh wieder nicht nur zu meinen Verlusten bin, sondern noch viel mehr habe.“

„Ah, die zweitausend Dollar dieses Schneiders?“

Yes.“

„Nehmt Euch in acht, Sir! Dieser Kerl ist doch nicht ganz so dumm, wie wir gedacht haben.“

Pshaw! Alles Zufall!“

„Mit dem Schießen, ja; aber das mit dem Maultiere wohl nicht.“

„Auch das! Das Tier ist ein altes, ausrangiertes Zirkusvieh, welches er für einige Dollar erhalten hat. Es kann diese beiden Kunststücke; das ist alles, Zufall, nur Zufall. Also her mit dem Gelde! Ich muß einstweilen wenigstens die letzten zweimal zehn Dollar wieder haben.“

Als ihm der Wirt das Geld aus dem Hause geholt hatte, rief er Sam Hawkens zu:

„Wettet Ihr noch mal mit?“

„Ja, doch nun zum letztenmal.“

„Einverstanden; aber um zwanzig Dollar!“

Yes.“

„Da ist das Geld. Dazu gebe ich die heiligste Versicherung, daß mich Euer Scheusal jetzt nicht herunterbringt, es kann machen, was es immer will.“

Er stieg auf, nahm die Mary kurz in die Zügel und fest zwischen die Schenkel und horchte zu Sam hin, was dieser befehlen würde, ob abbocken oder abstreifen. Der Kleine aber gebot keins von beiden, sondern rief:

„Wälze ihn ab, meine liebe Rolling-Mary!“

Das Maultier warf sich augenblicklich nieder und rollte sich wie eine Walze auf dem Boden hin. Wenn Buttler sich nicht alle Glieder zerquetschen oder gar zerbrechen lassen wollte, mußte er die Zügel fahren lassen und die Füße aus den Steigbügeln nehmen. Kaum fühlte die Mary, daß sie ihn los war, so sprang sie auf, trabte zu ihrem Herrn hin, stieß ein triumphierendes Geschrei aus und rieb ihr Maul an seiner Schulter.

Buttler erhob sich langsam vom Boden, befühlte und betastete sich oben und unten, hinten und vom und machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Er war wütend über die mehrfache Blamage, welche er erlitten hatte, und wollte sich dies doch nicht merken lassen. Dazu schmerzten ihn alle seine Knochen und Muskeln, denn er hatte unter der Mary wie unter einer Drehrolle gelegen.

„Beliebt es Euch vielleicht, noch einmal zu wetten?“ rief ihm Sam Hawkens zu.

„Geht zum Satan, sowohl mit Eurem Zufalle wie mit Eurer schändlichen Bestie!“ antwortete der Gefragte, indem er sich niedersetzte.

„Habe mit dem Satan keine Geschäfte, Mr. Buttler, werde also dahin gehen, wohin es mir gefällt.“

„Nach Prescott doch?“

Yes.“

„Schon heut?“

„Nein. Werden heut hier in San Xavier del Bac bleiben.“

„Habt ihr euch schon nach einem Obdache umgesehen?“

„Nein. Ist nicht nötig; werden im Freien schlafen,“

„Habt ihr zu essen?“

„Noch nicht. Dachten hier was zu bekommen.“

„Damit steht es schlimm. Es ist nichts mehr zu haben. Ihr könnt euch also nur dann satt essen, wenn ihr unsre Gäste sein wollt. Seid also klug, und nehmt meine Einladung an!“

„Thue es hiermit, Sin Wann werdet ihr speisen?“

„Wenn das Fleisch angekommen ist. Ich werde euch benachrichtigen.“

Damit waren die Wetten beendet und war auch das Gespräch vorüber. Die beiden Gruppen hielten sich nun jede wieder für sich selbst.

„Hast ein famoses Geschäft gemacht!“ sagte Dick Stone zu Sam. „Wollte, ich wäre an deiner Stelle!“

„Ist gar nicht nötig, denn wir teilen natürlich, wenn ich mich nicht irre. Halten uns wahrhaftig für Schneider, hihihihi! Und Buttler heißt der Kerl!“

„Sind also die zwölf Finders. Schlechte Gesellschaft das, zum Abendessen!“

„Hätte nicht notwendig gehabt, ihre Einladung anzunehmen; haben ja in unsren Satteltaschen noch Proviant für einen ganzen Tag, was ganz gut bis Tucson reicht; hege aber meine gute Absicht dabei. Will sie nämlich festnehmen.“

„Ohne Kampf?“

„Ohne.“

„Aber wie?“

„Das wird sich finden.“

„Hätten wohl lieber fortreiten sollen von hier; ist ein sehr gefährliches Plaster für uns, das hiesige.“

„Wieso?“

„Werden dir den Gewinn natürlich wieder abnehmen wollen, und wenn nicht mit List, dann mit Gewalt. Wohl nur deshalb sind wir zum Essen geladen worden.“

„Versteht sich am Rande des Teiches. Soll ihnen aber schwer werden. Fürchte mich nicht vor ihnen, besonders da ich gesehen habe, wie leicht sie sich nasführen lassen. Uns für Schneider zu halten, uns, das Kleeblatt!“

„Haben sogar von diesem Kleeblatte gehört und uns einen Augenblick lang wirklich für dasselbe gehalten!“

„So daß Buttler euch die Köpfe untersuchte. Hätte der Kerl auf dem meinigen eine Entdeckungsreise unternommen, so wäre es ihm nicht länger in den Sinn gekommen, ein Kleeblatt für drei Schneider zu halten, hihihihi! Besaß einst auch mein eigenes Haar mit samt der Haut, an welche es gewachsen war, habe es von Kindesbeinen an ehrlich und mit vollem Rechte getragen, und kein Advokat hat es gewagt, es mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees um mich waren, und mir das Fell bei lebendigem Leibe vom Kopfe schnitten und rissen. Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir eine neue Haut gekauft; nannten es Perrücke und kostete mich drei dicke Bündel Biberfelle, wenn ich mich nicht irre. Schadet aber nichts, denn das neue Fell ist zuweilen praktischer als das alte, besonders im Sommer; kann es abnehmen, wenn mich schwitzt und es waschen und kämmen, ohne mich auf den Kopf zu kratzen. Und wenn abermals ein Roter meinen Skalp verlangen sollte, so kann ich ihm denselben verehren, ohne daß es ihm vorher Mühe und mir Schmerzen macht.“

„Und wie albern,“ fiel Will Parker ein, „daß sie wirklich glaubten, wir wollten droben am Gila Biber, sogar graue Bären fangen!“

„War gar nicht so albern, wie du denkst,“ erklärte Sam. „Haben ja sehr deutlich gesehen, daß du ein Greenhorn bist, und einem solchen ist eben alles zuzutrauen, auch daß er auf einem Heuboden Seehunde und Walfische fangen will. Sprachen davon, daß sie Fleisch erwarten. Wo sie es herbekommen? Ob etwa von Tucson? Ist kaum zu glauben. Wahrscheinlich auch ein Gaunerstreich. Werden es sich stehlen wollen – – behold, da kommen sie gezogen; werden sie also nun wohl kennen lernen.“

Er deutete nach vorn, wo auf dem freien Platze ein großer, langer, mit vier Ochsen bespannter Blahewagen erschien, dem noch drei andre folgten. Ein sehr gut bewaffneter Reiter ritt voran, das war der Scout. Neben den Wagen ritten zwei Knaben oder Jünglinge, welche auch Messer, Revolver und Doppelbüchsen trugen. Die Ochsentreiber waren nicht beritten. In zweien der Wagen gab es Insassen; man sah sie neugierig unter der Blahe hervorblicken.

Der Scout hatte wohl die Absicht gehabt, hier halten zu lassen; aber als er die Gesellschaft vor der Schnapsschänke erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht, und er ritt weiter; die Wagen folgten ihm natürlich.

„Verdammt!“ sagte einer der Finders mit unterdrückter Stimme zu dem Wirte. „Da scheint aus dem Braten heut abend nichts zu werden.“

„Warum nicht?“

„Weil sie weiterfahren. Wer weiß, wie weit von hier sie dann halten.“

„Werden nicht weit kommen. Man sah, daß die Ochsen müde waren. Hast du das Gesicht des Scout bemerkt?“

„Nein.“

„Es verfinsterte sich, als er euch erblickte. Es ist in ihm Verdacht gegen euch entstanden, weil ihr ihn zu weit ausgefragt habt. Er hätte wohl hier Lager gemacht und ist nur euretwegen wieder fort, weit aber keineswegs, wohl nur bis ans Ende des Ortes, wo es Gras für die Rinder gibt.“

„Ich werde einmal nachsehen.“

„Thu das nicht. Wenn er dich sieht, wächst sein Mißtrauen.“

„Das ist richtig,“ bestätigte Buttler. „Wir müssen warten, bis es dunkel geworden ist; dann gehe ich selbst mit einigen von euch ihnen nach. Sie werden ihre Ochsen frei grasen lassen; wir führen einen von denselben fort und schlachten ihn.“

„Und werdet entdeckt!“ warf der Wirt ein.

„Was nennst du entdeckt? Wenn jemand kommt, so sitzen wir bei dir und essen gebratenes Rind; das ist alles. Der fehlende Ochse aber liegt weit draußen vor dem Dorfe, zwar erstochen und angeschlachtet, aber wer will beweisen, daß wir die Thäter sind?“

„Wir essen grad das Stück Fleisch, welches an dem toten Ochsen fehlt!“

„Das ist kein Beweis, denn wir haben es soeben von einem unbekannten Roten gekauft. Und will man uns trotzdem noch weiter belästigen, so haben wir Gewehre und Messer, uns jeden Lästigen vom Halse zu schaffen.“

„Die drei Schneider da drüben essen mit?“

„Ja. Weißt du, Paddy, was für einen Gedanken ich habe?“

„Nun?“

„Wir machen sie betrunken.“

„Um sie dann – – –?“

„Ja, um sie dann – – – ganz so, wie du meinst.“

„Bei mir im Hause?“

„Ja, drin in der Stube. Hier im Freien wäre es unmöglich. Man könnte versteckte Zeugen haben.“

„Aber es ist für mich höchst gefährlich, eine solche That in meinem Hause, in meiner Stube geschehen zu – – –“

„Schweig! Du bekommst von dem, was wir bei den Kerls finden, dreihundert Dollar; das ist genug für die kleine Belästigung -bist du einverstanden?“

„Ja, denn ich sehe, es geht nicht wohl anders. Aber ich befürchte, daß sich die Kerls schwer berauschen lassen werden.“

„Leicht, sehr leicht im Gegenteile. Hast du nicht gesehen, daß sie deinen Schnaps wegschütteten?“

„So etwas sieht jeder Wirt!“

„Daraus folgt doch, daß sie keine Schnapstrinker sind und also nichts vertragen können. Nach einigen Gläsern werden sie toll und voll betrunken sein.“

„Ich bin der Ansicht: Daraus folgt, daß sie keine Schnapstrinker sind und also keinen trinken werden. Wie wollt ihr sie da betrunken machen?“

„Hm, auch das wäre möglich. Hast du denn gar nichts andres als nur Schnaps?“

Der Wirt machte ein Gesicht, welches pfiffig sein sollte, und antwortete:

„Für gute Freunde und wenn es ehrlich bezahlt wird, habe ich irgendwo ein Fäßchen sehr hitzigen Kalientewein aus Kalifornien liegen – – –“

„Kalientewein? Alle Wetter, den mußt du schaffen!“ fiel Buttler ein. „Ein einziger Liter davon wirft die drei Schneider um, und für uns wird dieser Kaliente eine wahre Wonne sein. Wieviel soll er kosten?“

„Vierzig Liter sechzig Dollar.“

„Etwas teuer, aber einverstanden. Du bekommst also dreihundertsechzig Dollar von dem, was uns die nächste Nacht einbringt.“

„Warum wollt ihr solche Umwege mit diesen Schneidern machen, Sir? Sie einladen, mit ihnen essen, sie unterhalten, dann berauschen und so weiter? Gibt es denn keinen kürzern und bessern Weg?“

„Das sehr wohl; aber Paddy, ich will dir sagen: Es liegt in dem Habitus dieser drei Männer so ein Etwas, was mich nicht so ganz an die Schneider glauben läßt. Ich habe es mir überlegt. Die Schüsse, welche der Kleine gethan hat, sind Meisterschüsse gewesen, sogar die ersten Fehlschüsse. Wir sahen ihn nach dem Papiere zielen, und doch hat er mit einer blitzschnellen Bewegung des Gewehres, welche wir gar nicht bemerkt haben, genau Kugel auf Kugel in die Ecke geschickt. Schau hin, wie sie da sitzen! Sie sehen nicht ein einziges Mal her, 0 bewahre; aber ich sage dir, daß sie trotzdem alles so genau wissen, als ob sie ihre Augen immerwährend hierher richteten. Ich kenne diese maskierten Späherblicke. Und ihre Haltung! Als ob sie jeden Augenblick bereit wären, ihre Revolver abzudrücken. Hätte einer von ihnen eine Perücke aufgehabt, so würde ich jetzt darauf schwören, daß sie das gefürchtete Kleeblatt sind. Und auch trotzdem, daß sie es nicht sein können, müssen wir uns vorsehen. Überfallen, überrumpeln lassen die sich nicht so leicht, wenigstens nicht ohne daß sie blitzschnell mit ihren Messern und Kugeln zur Hand sind.“

„Aber zwölf oder gar dreizehn gegen drei; da muß der Ausgang doch wohl sicher sein!“

„Allerdings; aber von den zwölf, also von uns, werden dabei sicher einige getötet oder gar verwundet. Eine Betäubung durch einen tüchtigen Rausch ist da das sicherste und ungefährlichste – – –“

Buttler hielt mitten in der Rede inne, deutete nach dem freien Platze hinüber und fuhr fort:

„Da kommt die sonderbare Gestalt, welche hinter dem Wagen herritt; sie ist zurückgeblieben, sieht den Zug nicht mehr und weiß nun augenscheinlich nicht, wohin sie sich wenden soll.“

Der Ausdruck „sonderbare Gestalt“, dessen er sich bediente, war sehr zutreffend und sagte eher zu wenig als zu viel. Indem sie langsam nähergeritten kam, machte sie in kurzen, fast genau abgemessenen Zeiträumen die regelmäßigsten Pendelbewegungen auf dem Pferde, jetzt mit den Beinen weit nach hinten und den Kopf vornüber gesunken, dann rasch mit demselben nach hinten und mit den beiden Beinen nach vorn. Der Körper war in einen langen, weiten Regenmantel und der Kopf in ein großes Wiener Saloppentuch gehüllt, dessen Zipfel bis auf den Rücken des Pferdes herunter fiel. An den Füßen trug die Figur Zeugstiefeletten; über die eine Schulter hing eine Flinte, und unter dem grauen Mantel schien ein Säbel zu stecken. Das Gesicht, welches aus dem Tuche hervorblickte, war bartlos, voll und rot, so daß man, besonders bei dieser Art sich zu kleiden, jetzt wirklich nicht zu sagen vermochte, ob ein Maskulinum oder Femininum da auf dem langsamen, hagern Klepper saß. Und das Alter des rätselhaften Wesens? War diese Frau ein männlicher Mensch, so mochte er fünfunddreißig Jahre zählen; war dieser Mann aber eine Dame, so stand sie sicher im Anfange der Vierzig. Jetzt war sie bei den Tischen angekommen, hielt das Pferd an und grüßte in hohem Kopf- oder Fisteltone:

„Guten Tag, meine Herren! Haben Sie vielleicht vier Ochsenwagen gesehen?“

Alles bisher Gehörte war natürlich englisch gesprochen worden; dieser Damenherr oder diese Herrendame aber bediente sich der deutschen Sprache, deren die Gefragten nicht mächtig waren, weshalb auch keine Antwort erfolgte. Als die Frage in der Tonlage des eingestrichenen d wiederholt wurde, stand Sam Hawkens auf, trat zu dem Pferde hin und antwortete deutsch:

„Sprechen Sie nicht englisch?“

„Nein, nur deutsch.“

„Darf ich erfahren, wer Sie sind?“

Da bekam er eine kleine Terz höher, also im eingestrichenen f, zu hören:

„Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.“

„Klotzsche bei Dresden? Was der Teufel, da sind Sie wohl ein Sachse?“

„Ja, ein geborener, jetzt aber emeritiert.“

„Und ich auch, obgleich ich mich schon so lange in Amerika befinde, daß ich beinahe vergessen habe, woher ich bin. Sie gehören wohl zu den vier Wagen, Herr Kantor?“

„Ja. Ich bitte aber sehr, recht vollständig zu sein; sagen Sie also lieber, Herr Kantor emeritus! Dann weiß gleich jedermann, daß ich den Orgel- und Kirchendienst quittiert habe, um meine sämtlichen Befähigungen nun ganz allein der harmonischen Göttin der Musik zu widmen,“

Die Äuglein Sams leuchteten lustig auf, doch meinte er in ernstem Tone:

„Gut, Herr Kantor emeritus, Ihre Wagen sind längst vorüberpassiert, und werden, wie ich vermute, draußen vor dem Dorfe angehalten haben.“

„Wieviel Takte habe ich da noch weiterzureiten?“

„Takte?“

„Hm – – hm – – Schritte wollte ich wohl sagen.“

„Das weiß ich ebensowenig, weil ich mich gleichfalls zum erstenmale hier befinde. Erlauben Sie, daß ich Sie führe?“

„Sehr gern, mein werter Herr. Ich bin die Melodie, und Sie machen die Begleitung. Wenn wir unterwegs keine langen Viertelpausen und Fermaten machen, werden wir wohl mit dem Fine bei den Wagen angekommen sein.“

Sam warf seine Liddy über die Schulter, pfiff seiner Mary, welche ihm wie ein folgsamer Hund folgte, nahm das Pferd des seltsamen Emeritus bei dem Zügel und schritt der Richtung nach, welche die Wagen eingehalten hatten. Da erklang die hohe Fistelstimme vom Klepper herab:

„Sie wissen nun, wie ich heiße und wer und was ich bin; darf ich auch Ihren Namen erfahren?“

„Später.“

„Warum nicht jetzt?“

„Weil sich Leute hier befinden, die ihn nicht wissen dürfen; ich werde Ihnen das später erklären.“

„Warum erst später? So eine Ungewißheit ist mir so ziemlich wie eine unaufgelöste Septime oder None. Haben Sie also die Gewogenheit, diesen Dominantseptakkord von A gefälligst nach D- dur oder doch wenigstens nach B- moll herüberzuleiten!“

„Das wäre eine Unvorsichtigkeit, welche nicht nur mich, sondern auch Sie in Schaden bringen kann. Sie befinden sich in Gefahr, Herr Kantor!“

„Bitte, bitte, Kantor emeritus! In Gefahr? Das geht mich nichts an. Für Musensöhne gibt es nur die eine Gefahr, daß ihre Schöpfungen nicht anerkannt werden; ich kann aber hier weder applaudiert noch deploriert werden, weil niemand meine Kompositionen kennt, welche übrigens nur erst in meinem Kopfe, aber noch nicht in Partitur vorhanden sind.“

„Also Sie komponieren?“

„Ja, bei Tag und Nacht.“

„Was?“

„Eine große Oper für drei Theaterabende in zwölf Akten, für jeden Abend vier Akte; wissen Sie, so eine Trilogie wie der Ring der Nibelungen von Richard Wagner, diesesmal aber nicht von ihm sondern von mir, dem Herrn Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.“

„Können Sie das denn nicht daheim komponieren? Was treibt Sie denn da nach Amerika, noch dazu nach Arizona, dem gefährlichsten Teil des wilden Westens?“

„Wer mich treibt? Der Geist, die Muse, wer denn anders? Der begnadete Musensohn muß den Eingebungen der Göttin folgen.“

„Das verstehe ich nicht. Ich folge keiner Göttin, sondern meinem Verstande.“

„Weil Sie kein Begnadeter sind. Mit Verstand komponiert man keine Oper, sondern mit Generalbaß und Kontrapunkt, wenn nämlich ein passendes Libretto, ein Text vorhanden ist. Und dieser Text, der ist eben die Spannfeder, die mich herübergeschwippst hat nach Amerika.“

„Wieso, Herr Kantor?“

„Bitte wiederholt recht sehr: Kantor emeritus! Es ist wirklich nur der Vollständigkeit halber. Man könnte denken, daß ich noch immer zu Klotzsche bei Dresden die Orgel spielen muß, während ich doch schon seit zwei Jahren einen Nachfolger habe. Meine Oper ist nämlich im Kopfe vollständig fertig; aber es fehlt mir der passende Text dazu. Ich habe mich mit berühmten Dichtern in Verbindung gesetzt, zum Beispiel mit Herrn Zuckerkrach in Wien, der einen sehr schönen Gespensterroman, und mit Herrn von Kuchenbruch in Halle, welcher eine sehr lebhafte Ode an den Meerbusen von Biscaya geschrieben hat. Sie haben mir unter die Arme gegriffen, aber nicht poetisch genug. Ich will Hexameter komponieren aber keine Jamben. Auch waren sie mir viel zu zart, zu lyrisch, zu butterig weich, denn ich brauche einen kräftigen, einen gigantischen, einen cyklopischen Text, denn meine Oper soll eine Heldenoper werden. Da habe ich mich also selbst nach Helden umsehen müssen, aber leider keine recht geeigneten gefunden. Die Helden von Rottecks Weltgeschichte sind nämlich schon viel zu sehr abgedroschen worden; ich aber will neue, originale Helden, die noch nicht zwischen den Coulissen und Soffitten gestanden haben. Da lebt nun in der Nähe von Dresden zuweilen mein Freund und Gönner Hobblefrank, und der – – –“

„Der Hobblefrank lebt dort? Den kennen Sie?“ fiel Sam schnell und überrascht ein.

„Ja. Sie auch?“

„Sehr gut sogar, sehr gut! Weiter, weiter!“

„Und der hat mich auf solche Helden, wie ich sie brauche, aufmerksam gemacht.“

„Wohl auf sich selbst?“

„Auch mit.“

„Auf wen noch, Herr Kantor?“

„Ich ersuche Sie nun schon zum vierten- oder gar zum fünftenmale: Herr Kantor emeritus! Es ist gewiß und wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen. Man könnte sonst denken, ich messe mir ein Amt an, in welchem ich mich nun schon seit zwei Jahren nicht mehr befinde. Also der Hobblefrank, über den wir übrigens noch weiter sprechen werden, hat mich auf solche für mich passende Helden aufmerksam gemacht, zunächst natürlich auf sich selbst und sodann in zweiter Linie auf drei andre Männer, mit denen er früher hier im wilden Westen ganz außerordentliche Thaten verrichtet hat und wahrscheinlich jetzt wieder zusammengetroffen ist.“

„Wer sind diese Leute?“

„Ein Apachenhäuptling, welcher Winnetou heißt und zwei berühmte weiße Prairiejäger, Namens Old Shatterhand und Old Firehand.“

Good lack! Das sind allerdings die allerberühmtesten Gentlemen, die ich kenne!“

„Wie? Auch Sie kennen dieselben?“

„Und ob! Wer sollte die nicht kennen! Und wer noch nicht das Glück gehabt hat, sie zu sehen, dem ist, mag er sein, wer er will, doch so viel von ihnen erzählt worden, daß er sie beinahe so gut kennt, als ob er mit ihnen beisammengewesen wäre.“

„So könnten auch Sie mir von ihnen erzählen?“

„Will es meinen! Ich, und nichts von ihnen wissen, hihihihi! Ich sage Ihnen, daß Sie von mir so viel über diese Gents hören können, daß Sie zwanzig Opern davon zu komponieren imstande sind. Die Musik dazu müssen Sie sich freilich selber machen.“

„Natürlich, natürlich! Der Hobblefrank hat mir alle Abenteuer erzählt, die er mit den Herren erlebte; kann ich von Ihnen noch Ferneres vernehmen, so ist mir das lieb, weil dadurch mein zu bearbeitender Stoff reicher wird.“

„Sie sollen mehr erfahren, als Sie brauchen. Aber sagten Sie nicht soeben, daß der Hobble jetzt wieder mit ihnen zusammengetroffen sei?“

„Ja, so sagte ich; ich vermute es, wenn ich es auch nicht ganz bestimmt behaupten kann. Ich war nämlich einige Tage lang nicht daheim gewesen; als ich nach Hause kam, fand ich einige Zeilen von ihm vor, in denen er mich aufforderte, schleunigst zu ihm zu kommen, falls es noch meine Absicht sei, mit ihm nach Amerika zu gehen, um die betreffenden Helden für meine Oper persönlich kennen zu lernen. Ich suchte ihn natürlich sofort auf, kam jedoch zu spät, denn die Villa Bärenfett, welche er bewohnt, war verschlossen – alles zu, kein Mensch da, und vom Nachbar konnte ich nur erfahren, daß der Hobblefrank für längere Zeit verreist sein müsse. Ich habe als ganz selbstverständlich angenommen, daß er nach Amerika ist, und bin ihm nachgereist.“

„Warum aber grad in dieses wilde Arizona hinein? Haben Sie denn Grund, zu glauben, daß er sich in dieser Gegend befindet?“

„Ja. Er sprach nämlich einmal mit mir über die ungeheuern Gold- und Silberreichtümer von Arizona und Nevada und erwähnte dabei, daß er sofort dorthin aufbrechen werde, sobald er erfahre, daß einer seiner früheren Gefährten sich dorthin wenden wolle. Er steht nämlich mit ihnen im Briefwechsel. Da er nun so plötzlich und ohne auf mich zu warten abgereist ist, vermute ich, daß er von einem Freunde, wahrscheinlich von Old Shatterhand, eine solche Nachricht empfangen hat.“

„Und daraufhin, also nur daraufhin, haben Sie diese weite Reise gemacht?“

„Ja, ich bin sicher, ihn hier zu treffen.“

Heigh-ho! Für diese Sicherheit gebe ich Ihnen nicht einen Pfennig. Meinen Sie denn, man treffe sich hier hüben so leicht, wie man sich drüben in der Heimat so zwischen Klotzsche und Zitzschewig findet?“

„Warum nicht? Land ist Land, gleichviel, ob es Sachsen oder Arizona heißt. Warum soll man sich in dem einen schwerer begegnen als in dem andern?“

„Welche Frage! Erstens handelt es sich darum, daß Arizona und Nevada je zwanzigmal größer sind als Sachsen und dann kommen auch die Verhältnisse in Betracht. Haben Sie eine Ahnung davon, wie viele und welche Indianerstämme hier wohnen?“

„Die gehen mich doch nichts an!“

„Kennen Sie die Unwegsamkeit des Landes, die wilden Schluchten und Canons, die Öde der Bergregion, die Trostlosigkeit der Wüsten, besonders derjenigen, welche zwischen Kalifornien, Nevada und Arizona liegt?“

„Geht mich auch nichts an!“

„Verstehen Sie die Sprachen der Indianer, der hiesigen Weißen?“

„Brauche ich nicht! Meine Sprache ist die Musik.“

„Aber der wilde Indianer wird ganz und gar nicht musikalisch mit Ihnen sprechen und verfahren! Wie es scheint, wissen Sie gar nicht, welchen Gefahren Sie sich aussetzen, wenn Sie den Hobblefrank aufsuchen wollen.“

„Gefahren? Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie ich darüber denke. Ein Jünger der Kunst, ein Sohn der Musen hat keine Gefahren zu fürchten. Er steht so hoch über dem gewöhnlichen Leben wie die Violine über dem Rumpelbasse; er lebt und atmet den Äther himmlischer Akkorde und hat mit irdischen Dissonanzen nichts zu schaffen.“

Well! So lassen Sie sich einmal von einem Indsman den Skalp über die Ohren ziehen, und sagen Sie mir dann, welche himmlischen Akkorde Sie dabei vernommen haben! Hier zu Lande gibt es nur eine Musik, und das ist diese hier.“

Er schlug bei diesen Worten mit der Hand an sein Gewehr und fuhr dann fort:

„Dieses musikalische Instrument gibt die Töne an, nach denen in Arizona und Nevada getanzt wird, und – –“

„Getanzt – – – Pfui!“ unterbrach ihn der Kantor. „Wer hat vom Tanzen gesprochen, oder wer wird überhaupt davon sprechen! Ein Künstler niemals! Das Tanzen ist eine hastige und immerwährende Veränderung des festen Standpunktes, durch welche man in unästhetischen Schweiß gerät.“

„Dann will ich wünschen, daß Sie hier nicht in die Lage kommen, ganz gegen Ihren künstlerischen Willen den Schwerpunkt und mit ihm noch einiges andre, vielleicht gar das Leben zu verlieren. Leider steht schon jetzt zu befürchten, daß Sie sehr bald gezwungen sein werden, einen Hopser zu tanzen, bei welchem es wohl kaum ohne Schweiß abgehen wird.“

„Ich? Fällt mir nicht ein!“

„Oho! Sie müssen!“

„Wer wollte oder könnte mich zwingen?“

„Die Herren, welche da hinter uns vor der Schnapsschenke saßen.“

„Wieso?“

„Das werde ich Ihnen später erklären.“

„Warum nicht jetzt?“

„Weil ich es andern auch noch sagen muß und ein Ding nicht gern zweimal thue, wenn es nicht nötig ist, und weil wir jetzt da angekommen sind, wohin wir wollten, wenn ich mich nicht irre.“

Sie hatten das Dorf verlassen und befanden sich nun hinter demselben an der Straße, welche nach der Hauptstadt führt. Während dieses ganzen Weges und Gespräches hatte der Kantor seine eigentümlichen Pendelbewegungen auf dem Pferde fortgesetzt. Bald den Oberkörper nach vorn, bald nach hinten biegend, hatte er die Beine und Füße mit den Bügeln in die entgegengesetzte Richtung geschoben, was dem kleinen Sam Hawkens, wie sein lustiges Augenblinzeln zeigte, nicht wenig Spaß zu machen schien. Jetzt sahen sie die vier großen, schweren Auswandererwagen vor sich stehen. Die Insassen derselben waren ausgestiegen und hatten die Ochsen ausgespannt, welche das nicht allzu reich sprossende Gras abweideten.

Die Wagen waren in der Weise aufgefahren, daß sie eng neben einander standen, mit den Deichseln alle nach einer Seite, nach Süden gerichtet, ein großer Fehler in jener Gegend, wo es der Indianer und des herumvagierenden weißen Gesindels wegen stets geraten ist, eine sogenannte Wagenburg zu bilden. Die Insassen waren ausgestiegen und bewegten sich in geschäftiger Weise auf dem Platze umher. Zwei Frauen suchten nach dornigem Akaziengestrüpp, dem einzigen Holze, das es hier zu einem Feuer gab; zwei andre hantierten mit Töpfen, in denen das Essen gekocht werden sollte; einige Kinder halfen dabei. Zwei Männer schafften in Eimern Wasser herbei; ein dritter untersuchte die Wagenräder; diese drei waren noch ziemlich jung. Ein vierter, welcher gewiß die Fünfzig überschritten hatte, aber noch bei vollen Manneskräften und sehr robust und stark gebaut war, stand inmitten dieses Treibens, um dasselbe zu bewachen und von Zeit zu Zeit mit heller Stimme und in kurzen Worten einen Befehl auszusprechen. Er schien also der Anführer dieser Auswanderer zu sein. Als er die beiden Ankömmlinge bemerkte, rief er dem einen derselben entgegen.

„Wo bleiben Sie denn nun wieder einmal, Herr Kantor? Man ist in steter Sorge um Sie und – –“

„Bitte, bitte, Herr Schmidt,“ unterbrach ihn der Angeredete; „Herr Kantor emeritus, wie ich Ihnen schon hundertmal gesagt habe. Es ist wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen und weil ich mir kein Amt anmaßen darf, welches ich nicht mehr bekleide.“

Dabei hielt er sein Pferd an und stieg von demselben herunter, aber wie! Er nahm erst das rechte Bein empor, um links herunter zu kommen; das schien ihm aber zu gefährlich zu sein; darum zog er nun den linken Fuß aus dem Bügel, um zu versuchen, rechts auf die Erde zu kommen, was für ihn aber wahrscheinlich ebenso bedenklich war. Darum stemmte er beide Hände auf den Sattelknopf, lüpfte sich empor und schob sich nach hinten, so daß er auf die Kruppe des Pferdes zu sitzen kam. Von da aus retirierte er langsam immer weiter rückwärts und rutschte endlich beim Schwanze herunter. Das Tier war lammfromm und ermüdet und ließ diese sehr seltsame und lächerliche Prozedur ruhig vor sich gehen. Die Emigranten hatten diesem „Abrutsche“ schon sehr oft beigewohnt, weshalb er auf sie keinen Eindruck machte; dem guten Sam Hawkens aber war so etwas noch nicht vorgekommen, und so mußte er sich große Mühe geben, nicht laut aufzulachen.

„Ach was, Emeritus!“ antwortete Schmidt in kräftiger Weise, die ihm eigen zu sein schien. „Für uns sind Sie noch immer der Herr Kantor. Haben Sie sich emeritieren lassen, so ist das Ihre Sache, aber kein Grund für uns, dieses ewige Fremdwort immer wiederzukauen. Warum bleiben Sie immer zurück? Man hat nur stets auf Sie aufzupassen!“

„Piano, piano, lieber Schmidt! Ich höre Sie sehr gut, auch wenn Sie nicht so schreien. Es kam mir ein musikalischer Gedanke. Ich glaube nämlich, daß man bei einer Ouverture, wenn das Cello im Orchester fehlt, die Stimme desselben auch der dritten Trompete übergeben kann. Nicht?“

„Übergeben Sie sie meinetwegen der großen Paukentrommel! Ich weiß wohl, daß ein Wagen geschmiert werden muß, wenn er gut laufen soll, aber nicht, was in einer Ouverture getrompetet werden muß. Was haben Sie uns denn da für einen Hanswurst mitgebracht?“

Bei diesen Worten deutete er auf Sam Hawkens. Der Kantor antwortete, ohne ihm das kräftige und wohl auch beleidigende Wort zu verweisen:

„Dieser Herr ist – – ist – – heißt – – hm, das weiß ich selbst noch nicht. Ich traf ihn im Dorfe und fragte ihn nach Ihnen; da ist er so freundlich gewesen, mich heraus zu Ihnen zu modulieren. Die Hauptsache ist, daß er auch ein Sachse ist.“

„Ein – – Sachse?“ fragte Schmidt im Tone des Erstaunens, indem er Sam vom Kopfe an bis zu den Füßen herunter betrachtete. „Das ist doch gar nicht möglich! Wenn bei uns in Sachsen jemand in solcher Kleidung herumliefe, würde er auf der Stelle arretiert!“

„Aber wir sind glücklicherweise jetzt nicht in Sachsen,“ antwortete Hawkens ganz freundlich; „darum werde ich meine Freiheit wahrscheinlich behalten, wenn ich mich nicht irre. Ihr werdet hier noch ganz andre Anzüge zu sehen bekommen, als der meinige ist. Es gibt im wilden Westen nicht auf je zwanzig Schritte zehn Kleidermagazine. Darf ich vielleicht erfahren, wohin ihr wollt, meine Herren?“

„Ihr?“ meinte Schmidt in abweisendem Tone. „Wir sind gewohnt, Sie genannt zu werden, und möchten, ehe wir Ihnen Auskunft geben, zunächst wissen, wer Sie sind, was Sie treiben und auf welchem Weg Sie sich befinden.“

Well, das können Sie wissen. Ich heiße Falke, bin aus Sachsen herübergekommen, lebe als Westmann und gebe jedem die Ehre, die ihm gebührt. Da habt Ihr meine volle Legitimation. Ob Ihr mir meine Frage nun auch beantworten wollt, das steht in Eurem Belieben.“

„Ihr und Euer? Herr Falke, ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir gewohnt sind – – –“

„Schon gut, schon gut!“ unterbrach ihn der Kleine. „Und ich habe auch bereits gesagt, daß ich einem jeden die Ehre gebe, die ihm gebührt. Wer mich als einen Hanswurst betrachtet, der wird von mir Ihr oder gar Er genannt, und sagt der Esel dieses Wort noch einmal, so gehe ich fort und laß ihn so dumm bleiben, wie er ist.“

„Alle Donner! Meinen Sie damit etwa mich?“ brauste der Alte auf, indem er drohend einen Schritt zurücktrat.

„Ja,“ antwortete der Kleine, indem er ihm furchtlos und höchst freundlich in die Augen sah.

„Da machen Sie ja gleich, daß Sie wieder fortkommen, falls Sie wünschen, daß Ihre Knochen bei einander bleiben sollen!“

„Ich habe ja schon gesagt, daß ich gehen und Sie bleiben lassen werde, was und wie Sie sind. Aber als Ihr Landsmann denke ich, die Pflicht zu haben, Sie vorher zu warnen.“

„Vor wem?“

„Vor den zwölf Reitern, welche heute an Ihnen vorübergekommen sind.“

„Ist nicht nötig. Wir sind selbst so klug, zu wissen, woran wir sind. Die Kerls haben uns gleich nicht gefallen und, als sie uns ausfragen wollten, keine Auskunft erhalten. Sie sehen also, daß Ihre guten Lehren bei uns überflüssig sind.“

Er drehte sich um, zum Zeichen, daß er mit Sam Hawkens nichts mehr zu thun haben wolle. Dieser machte eine Bewegung, sich zu entfernen, blieb aber doch, angetrieben von seinem guten Herzen, wieder halten und sagte:

„Master Schmidt, noch ein Wort!“

„Was?“ fragte der Alte barsch.

„Wenn Ihr wirklich keine guten Lehren braucht, so will ich sie gerne für mich behalten. Gestattet mir nur noch das eine zu fragen. Stehen eure Wagen nur einstweilen so bei einander wie jetzt?“

„Warum diese Frage?“

„Weil dies die allerbequemste Weise ist, bestohlen oder gar überfallen zu werden; hätte ich hier etwas zu gebieten, so würde mit den vier Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen alle Menschen und Ochsen – – hihihihi – Menschen und Ochsen während der ganzen Nacht zu bleiben hätten. Dabei müßte von der Dunkelheit an bis zum frühen Morgen ein Posten sorgsam Wache halten.“

„Warum?“

„Weil ihr euch in Avijour befindet und nicht daheim in der Dresdener oder Leipziger Kreisdirektion.“

„Wo wir sind, das wissen wir genau. Um das zu erfahren, brauchen wir keinen Hanswurst zu fragen. Macht Euch also fort von hier, sonst schaffe ich Euch Spannfedern in die Beine!“

Well, gehe schon, wenn ich mich nicht irre, habe es gut gemeint mit euch; aber wenn dem Esel zu wohl ist, so habe ich nichts dagegen, wenn er auf das Eis geht, um eine Polka zu probieren!“

Er drehte sich scharf um und entfernte sich nach dem Dorfe zu. Schmidt fuhr den Kantor unmutig an:

„Da hatten Sie uns einen saubern Kerl gebracht. Sah aus wie ein Harlekin und war dabei doch grob wie Bohnenstroh. Für solche Landsmänner muß ich danken.“

„Aber mit mir ist er vorher sehr zuvorkommend und freundlich gewesen,“ wagte der Emeritus einzuwerfen. „Das war wohl die Folge davon, daß ich ihn hübsch dolce angesprochen habe, wie wir Musikkünstler uns auszudrücken pflegen, während Sie ihm sehr sforzando über den Mund gefahren sind.“

„Weil er wie ein Landstreicher dahergelaufen kam und ––“

Schmidt war von einem lauten Ausrufe unterbrochen worden. Die beiden jungen Männer, welche die Wagen zu Pferde begleitet und von denen die Finders gesprochen hatten, waren am Flusse gewesen, um ihre verstaubten Pferde zu waschen; jetzt kamen sie zurückgeritten. Der eine von ihnen hatte ein sehr intelligentes Gesicht vom Schnitte und der hellen Farbe des Europäers, obgleich die letztere infolge der Sonnenglut beträchtlich gedunkelt war. Er mochte wohl achtzehn Jahre zählen und war von mehr breiter als hoher Figur. Noch interessanter war der Kopf des andern. Seine kühn modellierten Züge waren echt indianisch, doch nicht von der bei den Indsmen gewöhnlichen Schärfe, auch standen seine Backenknochen nicht so weit hervor. Die Farbe seines Gesichtes war ein mattes Bronce, zu welchem das helle Grau seiner scharfen Augen ebenso wie das Mittelblond seines Haares lebhaft kontrastierte. Seine Gestalt war schlanker, doch nicht weniger kräftig als diejenige seines Begleiters, mit welchem er jedenfalls im gleichen Alter stand. Beide waren nach europäischer Art gekleidet und, wie es schien, vortrefflich bewaffnet. Ebenso saßen beide sehr gut zu Pferde, zumal der Grauäugige, welcher mit seinem Tiere wie zusammengegossen schien. Dieser letztere hatte, als er, sich dem Lager nähernd, Sam Hawkens schnell von dannen gehen sah, den Ruf ausgestoßen, durch welchen Schmidt unterbrochen worden war.

„Was gibt’s? Was wollen Sie?“ fragte dieser entgegen.

Der junge Mann trieb sein Pferd schnell näher und antwortete, vor Schmidt anhaltend, in deutscher Sprache doch mit fremdem Accent:

„Wer war der kleine Mann, welcher soeben von hier fortgegangen ist?“

„Warum?“

„Weil er mir bekannt vorkam. Seine Kleidung ist eine andre, und ich habe sein Gesicht nicht gesehen; aber sein Gang fällt mir auf. Hatte er einen Bart?“

„Ja.“

„Das stimmt! Die Augen?“

„Sehr klein.“

„Die Nase?“

„Fürchterlich.“

„Stimmt auch! Hatte er vielleicht falsches Haar?“

„Wie kann ich das wissen? Man fragt doch keinen Menschen bei der ersten Begegnung mit ihm, ob sein Haar echt ist!“

„Das thut man nicht; aber eine Perücke ist vom echten Haare mit dem ersten Blicke zu unterscheiden. Wissen Sie vielleicht, was er ist?“

„Einen Westmann nannte er sich.“

„Auch dieses stimmt. Hat er vielleicht seinen Namen genannt?“

„Ja.“

„Sam Hawkens etwa?“

„Nein. Er heißt Falke und ist ein Deutscher.“

„Sonderbar, aber doch erklärlich! Falke heißt englisch auch hawk. Viele Deutsche nehmen, wenn sie herüberkommen, englische Namen an; warum sollte jemand, der Falke heißt, sich nicht Hawkens nennen? Aber daß Sam Hawkens ein Deutscher ist, das glaube ich nicht; er hat nie davon gesprochen und sich auch stets so als Yankee gegeben, daß er jedenfalls westlich vom Atlantik geboren ist. Aber diese Gestalt und dieser eigentümliche, schleichende Gang! Jeder gute Westmann hat das Anschleichen gelernt; aber so pflegt nur Sam Hawkens zu schleichen. Doch halt, noch eine Frage. hat dieser Mann während des Gespräches vielleicht einmal gelacht?“

„Ja.“

„Wie?“

„Ausgesucht höhnisch, als er von Menschen und von Ochsen sprach.“

„Ich meine, mit welchem Vokale, mit welchem Laute er lachte. Man lacht mit a und mit i, sogar mit e oder mit o.“

„Es war mit i, und mehr ein Kichern als ein Lachen.“

„Wirklich, wirklich?“ fragte der Jüngling in höher interessiertem Tone. „Dann ist er es vielleicht doch gewesen. Sam Hawkens hat ein ganz eigentümliches Hihihihi, wie man es von keinem andern hört; man vernimmt es sehr oft von ihm; es klingt so listig und dabei stillvergnügt; er schluckt es halb in sich hinein. Und noch ein Erkennungszeichen für ihn gibt es: hat er vielleicht eine Redensart wiederholt?“

„Nicht daß ich wüßte.“

„Hat er nicht einigemal gesagt: Wenn ich mich irre?“

„Möglich, daß er etwas dem ähnliches gesagt hat; ich habe nicht darauf geachtet.“

„So war er es doch nicht. Sam Hawkens sagt so oft: Wenn ich mich nicht irre, daß es einem jeden auffallen muß; dies wäre auch hier der Fall gewesen, und ich habe mich also geirrt.“

Er schwang sich, wie sein Gefährte schon gethan hatte, vom Pferde und ließ es laufen. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, doch hatte Sam sich seiner Redensart zufälligerweise nicht so oft bedient, daß sie besonders in die Ohren gefallen wäre.

Der Kleine war nach der Schenke zurückgekehrt und hatte sich wieder zu Dick und Will gesetzt. Um doch etwas zu verzehren, ließen sie sich je noch einen Whisky geben, den sie mit Wasser verdünnt tranken. Die Finders lachten über diese Nüchternheit, ließen die Drei aber sonst in Ruhe.

Als es dunkel geworden war, brannte der Irländer eine Laterne an, welche aufgehängt wurde und den Platz vor dem Hause zur Not erleuchtete; in das Innere desselben sollte erst später, beim Essen, gegangen werden. Nach einiger Zeit stand Buttler vom Tische auf, gab dreien seiner Gefährten einen Wink und entfernte sich mit ihnen.

„Das hat irgend einen Zweck,“ sagte Will Parker leise. „Wohin mögen sie wollen?“

„Kannst du dir das nicht denken?“ fragte ihn Sam.

„Nein. Ich bin nicht allwissend.“

„Ich auch nicht; aber wer kein solches Greenhorn wie Will Parker ist, der muß wissen, was sie wollen.“

„Nun, was, altes gescheites Coon?“

„Fleisch.“

„Woher?“

„Von den Auswanderern.“

„Ah, ja! Die haben gewiß Rauchfleisch mit, und das soll ihnen gestohlen werden.“

„Fällt keinem Menschen ein! Die Finders haben Appetit nach frischem Fleische, und da draußen bei den Wagen gibt es sechzehn Ochsen. Weißt du nun, woran du bist, mein süßer Will?“

„Ah, die Ochsen, richtig, richtig!“ nickte der Gefragte.

„Es ist diesen Gentlemen wirklich zuzutrauen, daß sie einen Ochsen stehlen, was viel leichter ist, als in einen bewachten Wagen zu steigen, um einen harten Schinken herauszuholen. Man legt sich auf die Erde, schleicht sich an das Tier und treibt es langsam und vorsichtig vom Lager fort, bis man es sicher hat.“

„So ist es; ja, so wird’s gemacht, hihihihi! Scheinst in früherer Zeit ein feiner Ochsendieb gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre.“

„Schweig, altes Coon! Mir sollten diese Leute leid thun, wenn sie ein Zugtier einbüßen. Ist dir deine Vermutung erst jetzt gekommen?“

„Nein, sondern gleich als Buttler vom Fleische sprach.“

„Und bist bei den Emigranten gewesen und hast sie nicht gewarnt?“

„Wer sagt dir denn, daß ich dies nicht gethan habe? Aber man nannte mich einen Hanswurst, dessen guten Rat niemand braucht. Sam Hawkens ein Hanswurst, hihihihi! Hat mir ungeheuern Spaß gemacht. Bin zwar nicht ganz salonmäßig gekleidet; aber dieser Kantor emeritus sieht doch noch weit eher wie ein Bajazzo aus als ich, wenn ich mich nicht irre.“

„Du lachst. Denkst du denn auch daran, daß wir zum Essen eingeladen sind?“

„Natürlich denke ich daran! Fühle ja einen Hunger wie ein Prairiewolf, dem die Sonne zwei Wochen lang in den leeren Magen geschienen hat.“

„Willst also der Einladung folgen und gestohlenes Fleisch mitessen?“

Yes, sogar sehr!“

„Sam, das wird mir schwer, zu glauben, da du eine so grundehrliche alte Haut bist. Doch thu, was du willst; ich aber mache nicht mit. Gestohlene Ware ißt Will Parker nicht!“

„Sam Hawkens auch nicht, außer er weiß, daß sie hinterher bezahlt wird.“

„Ach, du meinst – – –?“

„Ja,“ nickte der Kleine. „Bin ein Hanswurst genannt worden und mußte mich mit meinem Rate abweisen lassen, werde also nichts verhindern. Strafe muß sein, besonders wenn sie zur Lehre und zur Besserung dient, wie mir scheint. Werde auch mit dem größten Appetit mitessen, dann aber dafür sorgen, daß die Bestohlenen voll entschädigt werden.“

„Wenn das ist, esse ich auch mit. Müssen uns aber dabei sehr in acht nehmen. Sollte mich wundern, wenn uns die Finders ungerupft von dannen lassen wollten.“

„Werden ihre eigenen Federn lassen müssen; paß nur auf!“

Buttler mochte mit seinen Gefährten vielleicht drei Viertelstunden fortgewesen sein, als sie zurückkehrten. Sie brachten eine Rindslende mit, welche in das Haus geschafft wurde, um dort gebraten zu werden. Bis sie gar war, wurden noch mehrere Flaschen Whisky geleert. Als die Negerin endlich meldete, daß der Braten fertig sei, kam Buttler zu dem „Kleeblatt“ herüber, um dasselbe aufzufordern, sich mit in das Innere des Hauses zu begeben.

„Können wir das, was ihr uns spenden wollt, nicht lieber herausbekommen?“ fragte Sam.

„Nein,“ lautete die Antwort. „Wer unser Gast sein will, muß bei uns sitzen. Übrigens wißt ihr vielleicht, daß der Wein nur in Gesellschaft mundet.“

„Wein? Woher soll der hier kommen?“ that Sam erstaunt.

„Ja, woher! Nicht wahr, das wundert euch? Ich sage euch, ihr seid bei echten Gentlemen zu Gaste geladen. Wir haben gesehen, daß ihr keinen Whisky mögt, und darum euch zu Liebe und euch zu Ehren den Wirt überredet, uns das einzige Fäßchen abzulassen, was er noch im Hause hat. Es ist ein Wein, wie ihr wohl noch keinen gekostet habt. Also kommt, Mesch’schurs!“

Er wendete sich nach der Thür, in welcher seine Leute schon verschwunden waren. Dadurch gewann Sam Gelegenheit, seinen Gefährten zuzuraunen:

„Wollen uns betrunken machen und dann ausrauben. Denken, wir haben Kindermagen, weil wir den Giftschnaps des Iren verschmähen. Hihihihi, sollen sich täuschen, wenn ich mich nicht irre! Sam Hawkens trinkt wie ein Kellerloch, und hat man je ein Kellerloch berauscht gesehen? Hört also, Boys: Richtet euch genau nach mir. Wir thun, als könnten wir nichts vertragen, trinken sie aber dennoch alle unter den Tisch.“

„Wenn sie uns nicht vorher schon massakrieren!“ bemerkte Will.

„Fällt ihnen nicht ein! Müßten doch auf Widerstand gefaßt sein. Würden zwar denken, uns überwältigen zu können, zwölf gegen drei, doch nicht ohne daß auch wir ihnen einige Kugeln oder Stiche in das Fleisch geben. Werden es also jedenfalls vorziehen, uns schwer betrunken zu machen, daß wir uns dann nicht zu wehren vermögen. Also keine Sorge, altes Greenhorn! Hast immer Angst. Sam Hawkens aber ist kein solcher Neuling wie Will Parker und weiß ganz genau, wieviel er wagen darf.“

Während dieses kurzen Gespräches thaten sie, als ob sie nach ihren Tieren sähen, die sich in der Nähe befanden, und traten dann in das Haus.

Rechts lag die Küche mit einem höchst primitiven Herd, auf welchem ein Feuer brannte; über diesem hatte die Negerin das Fleisch gebraten. Links standen zwei lange Tafeln, welche aus ungehobelten Pfählen und Brettern bestanden, daran je zwei Bänke aus demselben Materiale. Es war also für alle Anwesenden Platz zum Sitzen vorhanden. Das Weinfaß lag in der Ecke auf einem Klotze; der Ire füllte daraus zwei Krüge, aus denen getrunken wurde. Gläser gab es nicht.

Die Finders hatten sich vorgenommen, wenig zu trinken, bis ihre drei Gäste vollständig berauscht seien. Sie ließen also die Krüge fast ununterbrochen kreisen und thaten so, als ob sie tüchtig tränken, nahmen aber nur kleine Schlucke. Der Wein war aber wirklich gut; er schmeckte ihnen, und so kam es, daß ihre Schlucke immer größer wurden.

Auch der Braten war vorzüglich; man sprach ihm tüchtig zu und war mit ihm schon fast auf die Neige gelangt, als eine Unterbrechung des Mahles eintrat. Es erschien nämlich der schon erwähnte Führer der Auswanderer unter der Thür, hinter ihm der alte Schmidt und dann auch die drei andern Männer. Sie hatten ihre Gewehre bei sich, während diejenigen der Schmausenden weggelegt worden waren. Als sie die Scene kurz überblickt hatten, trat der Führer einige Schritte näher und sagte:

Good evening, Mylords! Erlaubt ihr uns vielleicht, euch gesegnete Mahlzeit zu wünschen?“

„Warum nicht?“ antwortete Buttler. „Würden euch gern einladen, mitzuthun; haben aber schon beinahe aufgegessen; Knochen, die wir euch geben könnten, gibt es nicht.“

„Thut uns leid. Also nicht mal Knochen? Da ist’s wohl gar Lende, was ihr euch geleistet habt?“

Yes, eine feine Büffellende.“

„Laufen hier noch Büffel herum? Es wird wohl ein zahmes Rind gewesen sein?“

„Wohl möglich. Haben es aber als Büffellende gekauft.“

„Wo denn, wenn ich fragen darf?“

„In Rhodes Rancho im Thale von Santa Cruz, an dem wir vorübergekommen sind.“

„Das muß doch einen tüchtigen Pack gegeben haben, und wir haben keinen bei euch bemerkt, als ihr an uns vorüberrittet.“

„Weil jeder sein Stück bei sich trug, wenn Ihr nichts dagegen habt, Sir,“ hohnlächelte Buttler.

Well, Master. Wie aber kommt es denn, daß uns ein Ochse fehlt?“

„Fehlt euch ein Ochse? Ah, wie viele seid ihr denn gewesen?“

Die Finders belohnten diesen groben Witz mit einem schallenden Gelächter. Der Führer ließ sich dadurch nicht irre machen und fuhr fort:

„Ja, ein Zugochse ist uns abhanden gekommen. Habt ihr vielleicht eine Ahnung, Gentlemen, wohin er ist?“

„Habt ihr ihn uns vielleicht zur Bewachung anvertraut? Sucht ihn doch!“

„Das thaten wir natürlich und haben ihn gefunden.“

„So seid froh, Sir, und laßt uns mit diesem euerm Ochsen in Ruhe! Wir haben mit dem Beeste nichts zu schaffen.“

„Wahrscheinlich doch! Die Sache ist nämlich die, daß er fortgelockt und erstochen worden ist, mit einem schönen, regelrechten Stiche zwischen die beiden betreffenden Wirbel, einem Stiche, der den sofortigen und lautlosen Tod des Tieres zur Folge hatte. Das ist ganz die Art und Weise der Rinderdiebe, ihre Beute gleich in der Nähe abzuschlachten.“

Well. So denkt ihr also, der Ochse sei euch gestohlen worden?“

„Das denken wir nicht nur, sondern wir sind überzeugt davon.“

„So jagt den Dieben nach! Vielleicht erwischt ihr sie. Das ist der einzige und beste Rat, den ich euch geben kann.“

„Wir haben ihn bereits befolgt. Sonderbarerweise nämlich fehlt an dem erstochenen Ochsen gerade nur die Lende!“

„Das finde ich nicht sonderbar, sondern ganz erklärlich. Die Diebe haben wohl gewußt, daß die Lende das beste und schmackhafteste Stück eines Rindes ist.“

Well, sie sind also gleicher Ansicht mit euch gewesen, da ich ja sehe, daß euer Braten grad auch Lende war, wahrscheinlich die Lende eines Zugochsen, nicht aber diejenige eines Büffels.“

Da stand Buttler von der Bank, auf welcher er sitzen geblieben war, auf und fragte in drohendem Tone:

„Was soll das heißen, Sir? Bringt Ihr etwa unsern Braten mit der Lende des gestohlenen Rindes zusammen?“

„Ja, das thue ich allerdings, und ich hoffe, daß ihr nichts dagegen habt.“

Im Nu hatte Buttler sein Gewehr in der Hand, und auch seine Gefährten sprangen auf, die ihrigen zu ergreifen.

„Mann,“ rief er dem Führer zu, „wißt Ihr, was Ihr thut, was Ihr wagt? Wollt Ihr etwa behaupten, wir seien die Diebe, welche Ihr sucht? Seht diese zwölf Gewehre auf Euch gerichtet, und wiederholt die Anschuldigung, welche Ihr ausgesprochen habt!“

„Fällt mir nicht ein! Ich habe meine Pflicht gethan und bin nun fertig. Ich bin der Führer der Männer, welche da hinter mir stehen; sie sind Deutsche und können nicht englisch sprechen. Was ich sagte, habe ich in ihrem Namen gesagt und kann nun gehen. Ich bin ihr Scout, aber nicht ihr Ochsenhirt; was nun zu thun ist, mögen sie selber thun.“

Er drehte sich um und ging fort. Dieser Mann hatte von seinem Standpunkte aus ganz recht; er war ein Mietling und that nur das, wofür er bezahlt wurde. Er hatte eigentlich schon zuviel gethan, indem er sich eines abhanden gekommenen Rindes wegen vor die drohenden Läufe dieser gefährlichen Leute wagte. Die Deutschen hatten wahrscheinlich gemeint, er werde diese Angelegenheit zu Ende führen, denn sie standen, als er sich entfernt hatte, zunächst wie ratlos da, bis dem alten Schmidt ein Auskunftsmittel in den Sinn kam. Er wendete sich nämlich an Sam Hawkens, welcher mit seinen beiden Freunden ruhig weitergegessen und scheinbar auf sonst nichts geachtet hatte.

„Herr Falke, haben Sie gehört, was unser Führer gesagt hat?“

„So ziemlich,“ antwortete der Kleine, indem er ein Stück Fleisch in den Mund schob.

„Wir haben es nicht verstanden. Hielt er diese Leute für die Diebe?“

„Ja.“

„Und das sagte er ihnen?“

„Ja.“

„Was war die Folge?“

„Die Folge? Hm, die Folge war, daß er dann fortging.“

„Alle Teufel! Soll ich mir etwa meinen Ochsen stehlen lassen!“

„Sollen? Sie haben sich ihn stehlen lassen, wenn ich mich nicht irre.“

Bei diesen letzteren Worten, auf welche er besonders aufmerksam gemacht worden war, horchte Schmidt auf. Dann fuhr er fort:

„Das muß aber doch bestraft werden!“

„Von wem?“

„Vom Gerichte. Und ich muß Schadenersatz bekommen!“

„Von wem?“

„Von den Spitzbuben.“

„So redet mit dem Gerichte und auch mit den Spitzbuben.“

„Ich verstehe ja nicht englisch!“

„Ihr könntet auch nichts machen, wenn Ihr es verständet.“

„So helfen Sie mir doch! Sie sind ein Deutscher, also ein Landsmann von uns und müssen sich unsrer annehmen.“

„Ich muß? Was könnt Ihr von der Hilfe eines Hanswurstes erwarten? Hättet Ihr meinen Rat befolgt, eine Wagenburg gebildet und Euer Vieh bewacht, so wäre Euch der Ochse nicht gestohlen worden. Ich kann nichts für Euch thun, gar nichts.“

„Aber hier sitzen, mit den Spitzbuben gemeinschaftliche Sache machen und von dem gestohlenen Braten essen, das können Sie wohl, nicht?“

„Ja, das kann ich, denn ich bin von ihnen zum Mitessen eingeladen worden, wenn ich mich nicht irre.“

Wieder horchte Schmidt auf, als er diese Worte hörte. Das war ja genau die Redensart, deren sich Sam Hawkens zu bedienen pflegte! Dann stieß der Deutsche den Kolben seines Gewehres wütend auf den Fußboden und rief:

„Dann danke ich für die Landsmannschaft und werde mir selber helfen!“

„Wie wollt Ihr das anfangen?“

„Ich zwinge diese Schufte, mich zu bezahlen!“

„In welcher Weise?“

„Durch Gewalt. Wir sind vier Personen und haben unsre Gewehre!“

„Und hier stehen zwölf verwegene Männer euch gegenüber, welche ebenso gute Gewehre besitzen. Begeht keine Dummheit! Der Ochse ist dadurch, daß ihr euch in eine offenbare Lebensgefahr begebt, nicht wieder lebendig zu machen.“

„Das weiß ich auch; aber wo bleibt das Geld, welches er mich kostet?“

„Diese Leute haben kein Geld, und selbst wenn sie welches besäßen, würdet Ihr es ihnen durch Gewalt nicht abzuzwingen vermögen.“

„Soll ich etwa List anwenden?“

„Dazu seid Ihr nicht der Mann. Ein Bär ist kein Fuchs und ein Tolpatsch kein Pfiffikus, wenn ich mich nicht irre.“

Schon wollte Schmidt wegen des Tolpatsches eine grobe Antwort geben, als die letzteren Worte ihn von diesem Vorhaben abbrachten. Er fragte rasch:

„Wenn ich mich nicht irre! So haben Sie jetzt schon dreimal gesagt. Heißen Sie wirklich Falke?“

„Ja, wenn ich mich nicht irre.“

„Und bringen doch immer diese Worte, welche die Redensart eines andern Westmannes sein sollen.“

„Welches Mannes?“

„Schi-So hat mir seinen Namen gesagt; ich habe ihn aber wieder vergessen.“

„Schi-So?“ fragte Sam, sichtlich überrascht. „Wer ist das?“

„Ein junger Begleiter von uns, der Sohn eines Navajohäuptlings, welcher Nitsas-Ini heißt.“

Da machte Sam eine Bewegung der Freude und rief aus:

„Nitsas-Ini? Sein Sohn ist bei euch? Kommt er aus Deutschland zurück?“

„Ja; er ist mit uns herübergefahren.“

„Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Da es so steht, sollen Sie mich nicht umsonst um meinen Beistand gebeten haben. Kehren Sie nun ruhig in Ihr Lager zurück; Sie werden Ihren Ochsen ersetzt bekommen.“

Hatte er vorher Ihr zu ihm gesagt, so begann er nun, ihn Sie zu nennen. Die Nachricht, welche er soeben empfangen hatte, mußte ihn also umgestimmt haben.

„Das sagen Sie wohl nur, um mich loszuwerden?“ fragte Schmidt mißtrauisch.

„Nein. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie volle Entschädigung erhalten werden, und vielleicht noch mehr als das. Wieviel hat der Ochse gekostet?“

„Hundertdreißig Dollar.“

„Die erhalten Sie. Ich sage es Ihnen, und also ist es wahr, wenn ich mich nicht irre.“

„Schon wieder: Wenn ich mich nicht irre! So sind Sie wohl der Westmann, welchen Schi-So meint?“

„Jedenfalls bin ich es, denn ich weiß, daß mir diese Worte sehr oft über die Zunge schlüpfen, ohne daß ich es beabsichtige. Es ist eine Angewohnheit von mir, welche abzulegen ich mir vergeblich Mühe gegeben habe. Ich habe Schi-So früher sehr oft gesehen, wenn ich mich als Gast bei dem Stamme seines Vaters befand. Sagen Sie ihm, daß ich mit dem Frühesten hinaus in das Lager kommen werde, um ihn zu begrüßen. Wo befand er sich denn, als ich gegen Abend draußen war?“

„Er war nach dem Flusse geritten.“

„Und Ihr Scout, den ich auch nicht sah?“

„Der war fort, um vielleicht einen wilden Truthahn zu schießen. Ich werde ihm eine Predigt darüber halten, daß er uns hier so schmachvoll verlassen hat.“

„Das wird Ihnen keinen Nutzen bringen. Wenn Sie ihn nicht dafür bezahlen, daß er Sie und alle Ihre Habe vor jeder Gefahr zu schützen hat, können Sie nicht verlangen, daß er sich selbst in Gefahr begibt. Also gehen Sie jetzt! Ihr längeres Bleiben hat keinen Zweck, sondern nur den Erfolg, diese Leute hier noch mehr gegen Sie aufzuregen.“

„Sie werden aber Wort halten?“

„Gewiß; Sie können sich darauf verlassen.“

„So will ich gehen, und niemals wieder soll es mir vorkommen, daß ich mir etwas stehlen lasse.“

„Wenn Sie nicht verständiger handeln, als Sie heut gehandelt haben, werden Sie noch oft Schaden erleiden, bis Sie endlich klüger geworden sind.“

„Haben Sie keine Sorge. Ich werde von jetzt an sehr darauf achten, wenn mir jemand einen guten Rat erteilt.“

„So will ich das benutzen und Ihnen gleich jetzt den Rat geben, niemals wieder, wenigstens im wilden Westen nicht, einen Menschen nach dem Anzuge zu taxieren, den er auf dem Leibe trägt. Kleider machen hier nicht Leute; das merken Sie sich!“

Als Schmidt mit seinen drei Männern das Haus verlassen hatte, fragte Buttler den Kleinen:

„Wir haben kein Wort verstanden. Was meinte denn der Kerl?“

„Er verlangte Schadenersatz.“

„Und was habt Ihr geantwortet?“

„Ihn fortgeschickt.“

Sam sagte damit keine Lüge, aber auch nicht, daß er Ersatz versprochen hatte. Der Finder fühlte sich befriedigt und meinte:

„Es war sein Glück, daß er Euch gehorcht hat. Wir sind nicht gewohnt, mit Deutschmen viel Federlesens zu machen. jetzt aber setzt Euch wieder nieder. Wir wollen zeigen, daß diese Dummköpfe uns den Appetit nicht verdorben haben.“

Das Essen und Trinken begann von neuem; das erstere währte nicht lange mehr, da nur der Rest noch zu verzehren war; desto mehr wurde sich dann auf das letztere verlegt. Als das Faß halb geleert war, gab sich Sam den Anschein, als ob der Wein eine berauschende Wirkung auf ihn zu äußern beginne, und Dick und Will folgten seinem Beispiele. Das freute die Finders außerordentlich; sie sahen ihre Absicht gelingen, glaubten, daß es nur noch kurzer Zeit bedürfen werde, ihre Opfer einzuschläfern, und sprachen nun den Krügen noch mehr als vorher zu. So verging Viertelstunde auf Viertelstunde. Sam that, als ob er nur noch mit Mühe die Augen offen zu halten vermöge; den Finders begannen die ihrigen auch zuzufallen, doch nicht zum Scheine, sondern aus wirklicher Betrunkenheit; sie hatten vorher zuviel Schnaps zu sich genommen.

Der erste, welchen das Trinken vollständig übermannte, war der Irländer. Er setzte sich am Herde nieder, schlief ein, nickte tiefer und immer tiefer und fiel dann endlich, ohne aufzuwachen, auf den Boden nieder, so lang er war.

Sam hatte dem Anführer sehr fleißig zugetrunken, und dieser bekam einen solchen Rausch, daß er den Kopf in die Hände und die Ellenbogen auf die Tafel stemmen mußte, um ihn zu halten. Er merkte sehr wohl, daß der Wein ihn übermannen wolle, und gedachte, sich keine Blöße vor seinen Leuten geben zu dürfen. Darum blinzelte er ihnen verstohlen, wie er meinte, zu; sie sollten denken, daß er sich bloß verstelle. Die ganz natürliche Folge davon war, daß sie glaubten, sich denselben Anschein geben zu sollen, dies war ihnen außerordentlich lieb, und so trat in der erst so lauten und beweglichen Gesellschaft bald die größte Ruhe und Stille ein.

Da stand Hawkens auf, um die Krüge zu füllen. So lange noch ein Tropfen in dem Fasse war, weckte er bald den einen, bald den andern auf, um ihn zum Trinken zu nötigen.

Endlich war das Faß leer und die Finders schliefen alle einen tiefen, tiefen Schlaf, aber nicht den der Gerechten. Sam machte die Probe, indem er einige von ihnen weckte. Sie lallten, ohne zur richtigen Besinnung zu gelangen, unverständliches Zeug und fielen wieder zusammen. Einer von ihnen stierte mit leblosen Augen vor sich hin und fragte:

„Sind sie nun endlich betrunken, Buttler?“

„Ja, ganz und gar,“ antwortete Sam.

„Dann hinaus mit ihnen und das Messer zwischen die Rippen; dann teilen wir das Geld und scharren sie ein.“

Und als Sam nichts dazu sagte, fuhr er mit Iallender Zunge fort:

„Was redest du nicht? Willst du sie etwa laufen lassen? Das geht nicht; ihr Tod ist beschlossen. Soll ich –- mit –- meinem –-Messer–anfangen?“

„Ja,“ sagte Hawkens.

„Dann – – nehme ich – – den kleinen – – Di – – Di – – Dicken und – – –“

Er griff mit der Hand nach dem Gürtel, um sein Messer zu ziehen, stand auf, konnte sich aber nicht halten und glitt auf den Boden nieder, wo er ohne Besinnung liegen blieb.

„Da haben wir es gehört,“ flüsterte Dick Stone. „Ermordet sollen wir werden, und nachdem man uns ausgeraubt hat, will man uns verscharren. Du hattest mit deiner Vermutung also das Richtige getroffen, alter Sam. Was thun wir nun?“

„Das Einfachste: wir fesseln sie. Riemen und Schnüre wird es wohl im Hause geben.“

Ja, es gab deren genug, und bald hatten die Drei die Finders nicht nur, sondern auch den Wirt und die alte Negerin, welche auch schwer betrunken war, an Händen und Füßen gefesselt. Nun ließ Sam seine beiden Genossen als Wächter zurück und ging nach dem Lagerplatze der deutschen Emigranten. Als er sich demselben näherte, hörte er eine jugendliche Stimme rufen:

Who is there? I shoot – wer ist da? Ich schieße!“

„Sam Hawkens ist’s,“ antwortete er.

„Schon? Das ist prächtig! Tretet näher, Sir! Daß Ihr so bald kommt, ist ein gutes Zeichen, wie ich vermute?“

„Kann auch ein schlimmes sein. Wie nun, wenn ich hätte fliehen müssen?“

„Dann wären Eure beiden Gefährten bei Euch. Ohne die flieht Ihr gewiß nicht; also meine ich, weil sie im Dorfe geblieben sind, daß es dort gut stehe. Kommt herein, Sir; steigt über diese Wagendeichsel!“

„Bin zu klein dazu; will lieber drunterweg kriechen.“

Sam bemerkte, daß man mit den Wagen ein Viereck gebildet und die Tiere in dasselbe getrieben hatte. Sein Rat war also befolgt worden, doch leider erst dann, als man durch Schaden klug geworden war. Der, welcher die Wache gehabt und ihn angerufen hatte, streckte ihm die Hand zum Gruße entgegen. Es war Schi-So, der Indianerhäuptlingssohn. Er hatte im reinsten Englisch gesprochen. Jetzt fragte ihn Sam:

„Hoffentlich sprechen Sie deutsch, junger Freund, da Sie sechs Jahre in Deutschland gewesen sind?“

„Ziemlich gut.“

„So lassen Sie uns die Schläfer wecken und deutsch sprechen, da sie Deutsche sind. Doch horch! Wer kommt da?“

Sie horchten in die Nacht hinaus. Man hörte Pferdegetrappel vom Dorfe her.

„Ein Reiter ist’s, ein einzelner,“ flüsterte Schi-So. „Wer mag das sein?“

„Es ist kein Reiter; diesen Hufschlag kenne ich sehr genau. Es ist meine alte, gute Mary, welche mir nachgelaufen kommt. Sie kennen sie von früher her?“

„Ja, ich kenne sie. Aber bitte, sagen Sie nicht Sie, sondern Du zu mir! Ich bin Indsman und will ein solcher bleiben und den Gewohnheiten meines Stammes nicht untreu werden.“

„Recht so, mein junge! Bist also da drüben nicht stolz geworden? Da wird der alte Sam dich lieb behalten. Hast mir viel zu erzählen, doch ist jetzt nicht die Zeit dazu; müssen es für später aufheben.“

Das Maultier kam bis an die Wagendeichsel heran, an welcher Sam noch immer stand, und rieb den Kopf an seiner Schulter. Durch das laute Sprechen waren die Schläfer wach geworden; sie kamen herbei, um zu fragen, wer gekommen sei; sie konnten Sam nicht sehen, weil das Feuer verloschen war. Er wurde von Schmidt ganz anders empfangen als beim ersten Male und erteilte die Weisung, daß es wieder angebrannt werden solle. Als das Feuer den Platz beleuchtete, verlangte er zunächst, die Namen der Anwesenden kennen zu lernen. Schi-So stellte ihm die Personen vor. Die drei jüngeren, aber auch verheirateten Auswanderer hießen Strauch, Ebersbach und Uhlmann; Schi-So’s junger Freund wurde Adolf Wolf genannt. Mehr wollte Sam nicht wissen; er meinte, das Nähere könne er später erfahren, und jetzt müsse man sich zunächst mit der Gegenwart beschäftigen. Die Frauen und Kinder, unter denen keine kleinen waren, kamen auch herbei; der Scout konnte selbstverständlich nicht fern bleiben, und so waren alle beisammen, als Sam in seiner eigenartigen Weise von seinem heutigen Zusammentreffen mit den Finders zu erzählen begann. Außer dem jungen, blonden Indianer hatte ihn bisher keiner der Anwesenden gekannt. Als sie hörten, in welcher Weise er die Wetten gewonnen und dann die Finders in den Schlaf getrunken und dann sich ihrer Personen versichert hatte, erkannten sie trotz der Einfachheit und Bescheidenheit seiner Darstellungsweise, daß dieses kleine, sonderbare Männchen keineswegs ein gewöhnlicher Westläufer oder gar Herumstreicher sei. Das fühlte auch der alte Schmidt; darum streckte er ihm, als die Erzählung zu Ende war, die Hand entgegen und sagte in entschuldigendem Tone:

„Ich sehe ein, daß ich Sie um Verzeihung bitten muß; ich habe Sie verkannt. Hoffentlich tragen Sie es mir nicht nach?“

„Werde mich hüten!“ lachte der Kleine. „Habe an mir selbst genug zu tragen und werde mich also nicht auch noch mit andrer Leute Fehler schleppen. Der Hanswurst ist vergeben und soll auch vergessen sein, wenn ich mich nicht irre.“

„Sie behaupten also, daß diese zwölf Personen die Finders sind?“

„Ja.“

„Daß Sie mit Stone und Parker ermordet werden sollten?“

„Ja.“

„Und daß diese Spitzbuben auch uns überfallen und ausrauben wollten?“

„Auch das.“

„So liegen Gründe genug vor, sie alle um den Hals oder wenigstens in das Zuchthaus zu bringen. Wir werden sie also während dieser Nacht bewachen und morgen dann der Behörde übergeben.“

„Nein, das werden wir nicht.“

„Was denn?“

„Sie laufen lassen.“

„Laufen lassen? Solche Verbrecher, denen Sie soeben mit heiler Haut entgangen sind? Haben Sie ein Gehirn im Kopfe?“

„Vielleicht steckt’s drin; in den Stiefeln wenigstens habe ich es nicht, Master Schmidt. Man merkt es wohl, daß Sie eben jetzt von drüben herüberkommen und noch fremd im Lande sind. Wenn Euch drüben jemand einen Schafskopf nennt, so schleppt Ihr ihn schnell vor den Richter; hier aber macht man das anders. Selbst ist der Mann! Welche Behörde meinen Sie? Wo gibt es eine? Und wenn, hat sie auch die nötige Gewalt? Kann ich beweisen, was ich behaupte?“

„Ich denke doch!“

„Nein. Ich halte diese Männer für die Finders, weil sie ihrer zwölf sind und einer von ihnen Buttler heißt. Ist das vor dem Richter ein Beweis? Ich behaupte, daß man uns ermorden wollte, denn ein total Betrunkener hat es geschwatzt. Ich sage Ihnen, daß Sie überfallen werden sollen, denn ich vermute es. Was wird der Richter dazu meinen? Und wenn er die Anzeige annimmt und die Finders einsperrt, so haben wir Aufenthalt und eine Menge Scherereien, daß wir himmelblau vor Ärger werden.“

„Nun wohl! Sie sagten: Selbst ist der Mann. Bilden wir also selbst ein Gericht. Wir verurteilen die Spitzbuben zum Tode und geben jedem von ihnen eine Kugel.“

„Soll mich Gott behüten! Ich bin kein Mörder. Nur in direkter Verteidigung meines Lebens bin ich im stande, Menschenblut zu vergießen.“

„Also wollen Sie sie wirklich entlaufen lassen?“

„Ja.“

„Und sie sollen keine Strafe bekommen?“

„Doch! Grad deshalb, weil sie bestraft werden sollen, will ich sie laufen lassen.“

„Herr, das ist ja gar nicht möglich; das ist widersinnig! Wollen Sie mich etwa foppen?“

„Habe keine Lust dazu. Würde keine Ehre einbringen, einen Neuling zu foppen. Widersinnig, sagen Sie? Master Schmidt, die Sache hat den besten Sinn, den es geben kann, wenn ich mich nicht irre. Es gehört dazu nichts weiter als ein wenig Grütze im Kopfe. Haben Sie welche drin, hihihihi?“

„Herr, Ihr werdet beleidigend!“ brauste Schmidt auf, der trotz seines vorhin gegebenen Versprechens sein Temperament nicht bezähmen konnte.

„Beleidigend? Nein. Spreche nur stets so, wie mit mir geredet wird. Haben mich vorhin auch gefragt, ob ich ein Gehirn im Kopfe habe. Werde Ihnen erklären, daß kein Widersinn vorhanden ist. Wir haben jetzt keine Beweise, sondern nur Vermutungen; müssen also nach Beweisen fischen. Lassen wir die Kerls jetzt laufen, so überfallen sie Ihren Wagenzug, und wir nehmen sie beim Schopfe; dann besitzen wir den Beweis, der ihnen an den Kragen gehen wird, wenn ich mich nicht irre.“

„Wie? Überfallen sollen wir uns lassen?“

„Ja, freilich.“

„Da begeben wir uns aber doch in eine Gefahr, in welcher wir umkommen können!“

„Denke nicht daran! Kommt ganz darauf an, wo man das Pferd aufzäumt, ob beim Kopfe oder beim Schwanze. Verlassen Sie sich nur auf mich! Sam Hawkens, dieses alte Coon, wird schon eine List ausfindig machen, in welcher diese Finders stecken bleiben müssen. Werden noch weiter darüber sprechen. Muß mich auch mit Dick Stone und Will Parker bereden. Die Hauptsache ist jetzt zunächst die Erfüllung meines Versprechens: Schadenersatz für den gestohlenen und getöteten Ochsen. Wollen Sie ihn sich jetzt holen?“

„Wenn ich ihn bekommen kann, sofort. Nur fragt es sich, ob die Finders die ganze Summe bezahlen werden.“

„Warum sollten sie nicht?“

„Weil sie nur die Lende genommen und wir uns das andere zurückgeholt haben, um es selbst zu verzehren.“

„Bleibt sich gleich; der Ochse ist tot und muß bezahlt werden. Also kommen Sie jetzt, sich den Ersatz zu holen! Aber hüten Sie sich dabei, mich bei meinem hiesigen Namen Sam Hawkens zu nennen! Ich habe meine guten Gründe, diesen Menschen denselben noch nicht wissen zu lassen.“

„Wer von uns soll alles mit nach dem Dorfe gehen?“

„Nur Sie allein, Master Schmidt; mehr brauchen wir nicht. Die andern mögen hier bleiben, sich zum Aufbruche rüsten und die Ochsen an die Wagen spannen, damit Ihr Zug nach unsrer Rückkehr sofort nach Tucson aufbrechen kann.“

„Jetzt schon, noch während der Nacht? Wir müssen doch ausruhen und wollten erst am Morgen fort.“

„Das wird nun nicht möglich sein. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, müssen Sie unbedingt auf die fernere Nachtruhe verzichten.“

Da ertönte von dort, wo die Frauen sich befanden, eine tiefe kräftige Baßstimme im ausgesprochensten sächsischen Dialekte.

„Hörn Se, daraus wird nischt! Der Mensch will seine ordentliche Ruhe haben und das Vieh ooch. Es wird also hier geblieben!“

Sam blickte die Sprecherin verwundert an. Einen Einspruch von weiblicher Seite, und noch dazu in diesem Tone, hatte er nicht erwartet. Sie war eine starkknochige Gestalt von sehr männlichem, resolutem Aussehen. Hätte das Feuer heller gebrannt, oder wäre es Tag gewesen, so würde der Kleine bemerkt haben, daß unter ihrer scharf gebauten Nase sich eine dunkle Linie hinzog, welche man beim besten Willen doch nicht anders als einen Schnurrbart nennen konnte.

„Ja, gucken Sie nur immer her!“ fuhr sie fort, als sie den befremdeten Blick des Westmannes auf sich gerichtet sah. „Es wird nich andersch. Bei Tage wird gefahren und bei Nacht geschlafen. Da könnte jeder kommen und unsre Ordnung über den Haufen werfen!“

„Aber mein Vorschlag zielt nur auf Ihre Sicherheit, auf Ihren Vorteil hin, liebe Frau,“ antwortete Sam.

„Das machen Sie mir nich weiß!“ entgegnete sie wegwerfend. „Een ordentlicher Mensch treibt sich nich so mitten in der Nacht und bei solcher Finsterheet in Amerika herum. ja, wenn’s derheeme wär, da ließ ich mersch gefallen; aber in fremden Erdteelen wartet man hübsch ruhig, bis es Tag geworden is. Verschtehen Se mich?“

„Freilich verstehe ich Sie, liebe Frau; aber ich denke, –“

„Liebe Frau?“ unterbrach sie ihn. „Ich bin gar nich Ihre liebe Frau! Wissen Se, wer ich eegentlich bin und wie ich heeße?“

„Natürlich sind Sie die Gattin eines dieser vier Gentlemen.“

„Gentlemen! Reden Se doch deutsch, wenn Se eene deutsche Frau vor sich haben! Ich bin die Frau Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern. Der da“ – – – dabei deutete sie auf einen der drei jüngeren Auswanderer – – „is mein gegenwärtiger Gemahl und Ehemann, Herr Schmiedemeester Ebersbach; so wird’s nämlich geschrieben, gesprochen aber Eberschbach. Und daß Sie’s gleich von vorn’rein wissen, er tanzt nich etwa so, wie Sie pfeifen, sondern er hat sich nach mir zu richten, weil ich elf Jahre älter bin und also mehr Verschtand und Erfahrung haben muß als er. Ich bleibe hier und er folglich ooch. Bei nachtschlafender Zeit wird nich in der Welt herumgefahren.“

Da keiner der Emigranten eine Entgegnung aussprach, so ließ Sam Hawkens seine lebhaften Äuglein lustig im Kreise herumgehen und meinte dann:

„Wenn die Herren gewohnt sind, dieser sehr energischen Lady zu gehorchen, so kann ich allerdings nur bitten, wenigstens für dieses Mal eine Ausnahme zu machen.“

Er wollte weiter sprechen; sie aber fiel ihm schnell in die Rede:

„I was Se nich sagen! Eene Ausnahme! Als ob ich mer das gefallen ließe! Da kennen Se mich schlecht! Was gucken Se mich denn so an? Se brauchen keen solches Gesicht zu machen. Wissen Se, ich bin’s, nach der man sich hier zu richten hat, ich; verschtehn Se mich? Wer hat denn die ganzen Kosten bezahlt? Für die Überfahrt und nachher ooch für den Landweg bis hierher? Und wer wird noch weiter herborgen müssen? Ich! Ich bin’s Kapital! jetzt wissen Se alles, und nun woll’n mer wieder schlafen gehn!“

Wieder sagte keiner der Männer ein Wort dagegen, selbst Schmidt nicht, der doch der Anführer zu sein schien und vor Abend gegen Sam so kräftig aufgetreten war. Darum stand dieser letztere vom Feuer, an welchem er gesessen hatte, auf und sprach in gleichgültigem Tone:

„Ganz wie Sie wollen. Sagen wir also gute Nacht, wenn ich mich nicht irre. Es ist das letzte Mal, daß Sie es thun, denn ich bin überzeugt, daß der heutige Schlaf Ihr letzter ist, hihihi!“

Er wendete sich zum Gehen; da stand die Frau auch schnell auf, hielt ihn am Arme fest und fragte:

„Unser letzter Schlaf? Wie meenen Se das, Sie kleenes Männchen Sie?“

Sie war allerdings, als sie so neben ihm stand, um einen Kopf länger als er. Er that, als hätte er diese Bezeichnung nicht gehört, und antwortete:

„Ich meine, daß Sie früh nicht wieder aufwachen werden.“

„Warum denn nich?“

„Weil Sie tot sein werden.“

„Tot? Das fällt mir gar nich ein! Frau Rosalie Eberschbach schtirbt noch lange nich!“

„Glauben Sie, daß die zwölf Vagabunden, mit denen Sie es zu thun haben, gesonnen sein werden, sich nach Frau Rosalie Ebersbach zu richten?“

„Die können uns nischt thun; die sind gefangen und gebunden, wie Sie uns erzählt haben.“

„Sie werden sich aber frei machen und über Sie herfallen, sobald ich mich mit meinen beiden Kameraden aus der Schenke entfernt habe.“

„Sie wollen sich entfernen, wollen fort?“

„Natürlich!“

„Wohin?“

„Nach Tucson.“

„Warum aber denn? Es is doch eegentlich Ihre Pflicht, diese Gefangenen zu bewachen, bis wir uns in Sicherheet befinden! Was soll ich denn von Ihnen denken, wenn Sie uns im Schtiche lassen und von hier verschwinden wie Butter an der Sonne!“

„Denken Sie, was Sie wollen!“

„Schöne Rede das, sehr schöne Rede! Haben Se denn noch nich gehört, daß Männer gegen Damen uffmerksam zu sein und sie zu beschützen haben? Und Frau Rosalie Eberschbach is eene Dame, verschtanden!“

„Ganz richtig; aber wer sich unter meinen Schutz begibt, der hat sich nach mir zu richten. Auch verstanden? Sie sollen überfallen werden. Geschieht das hier, nachdem Sie sich wieder schlafen gelegt haben, so sind Sie verloren. Geschieht es nicht, so können wir nichts beweisen. Um den Beweis zu führen, müssen wir nach Tucson, wo ich den Kommandanten ersuchen will, uns ein Detachement Soldaten zur Hilfe zu geben. Dann sind wir den Finders auch an Zahl so überlegen, daß wir sie ergreifen können, ohne daß es zum Schusse kommt und einer von uns verwundet wird. Darum müssen wir sofort aufbrechen, um schon am Morgen in Tucson zu sein und die Falle, welche wir den Finders stellen wollen, fertig zu haben, ehe sie dieselbe bemerken. Können Sie das begreifen, Frau Ebersbach, geborene Leiermüller?“

„Warum haben Se das nich gleich gesagt?“ fragte sie in ganz anderm Tone. „Übrigens bin ich als Leiermüllern verwitwet, nich aber geboren. Wenn Sie so vernünftig mit mir reden wie eben itzt, bin ich ooch vernünftig. Ich bin nämlich ooch nich uff den Kopp gefallen; das können Sie sich merken. Also wollen wir die Ochsen anschpannen und uns zum Weiterfahren fertig machen. Aber daß nur Schmidt mit Ihnen gehen soll, daraus wird nischt. Ich will mer diese Kerls ooch ansehen. Warten Se een bißchen; ich will mer eene Flinte holen.“

Sie ging zu ihrem Wagen, in welchem sich das Gewehr befand. Als sie mit demselben zurückkehrte, wurde sie von ihrem Manne gebeten:

„Bleib da, Rosalie! Das ist nichts für Frauen. Ich werde an deiner Stelle mitgehen.“

„Du?“ antwortete sie. „Du wärscht der Kerl dazu! Schpiel dich nur nich etwa als Mann und Helden uff ; du weeßt, daß ich das een für allemal nich leiden kann. Du bleibst also und wartest, bis ich wiederkomme!“

Sie wendete sich zu Sam, welcher, leise vor sich hinkichernd, mit ihr und Schmidt nach dem Dorfe ging. Als sie die Schenke erreichten und in dieselbe traten, waren die Finders infolge der drückenden Fesseln aus ihrem betäubenden Rausche erwacht, und Buttler sprach eben zornig auf Stone und Parker ein.

„Was will der Mann?“ fragte Sam Hawkens die beiden.

„Was soll er wollen,“ antwortete Stone. „Wundert sich natürlich darüber, daß wir sie haben und nicht sie uns. Fragt, ob dies der Dank dafür sei, daß wir mit ihnen essen und trinken durften.“

„Ja,“ rief Buttler in grimmigem Tone, indem er an seinen Banden zerrte und sich bemühte, wenigstens den Oberkörper aufzurichten, „was ficht euch an, uns im Schlafe in dieser Weise zu behandeln? Wir haben euch gastlich aufgenommen, euch nicht beleidigt, nicht das mindeste gethan und dafür seid – – –“

„Nicht das mindeste gethan?“ unterbrach ihn Sam. „Glaube wohl, daß euch das ungeheuer ärgert – übrigens wozu die vielen Worte: wir wissen und kennen eure Absichten, denen wir zum Opfer fallen sollten, und zum Danke dafür gedenken wir euch dem Richter auszuliefern.“

Da lachte Buttler höhnisch auf und fragte:

„Und der wird euch ohne Beweise glauben?“

„Ihr habt euch in eurem Rausche verschnappt.“

„Und selbst wenn es so wäre, wird kein Richter auf das Wort eines Schwertrunkenen hören. Eure Beweise stehen auf schwachen Füßen, Sir. Mag der Richter erscheinen; wir werden ihm ruhig entgegensehen. Was haben wir euch gethan? Euch nicht ein einziges Haar gekrümmt!“

„Weil wir so klug waren, euch zuvorzukommen. Sehen aber freilich ein, daß eine Anzeige nichts taugt. Könnten zwar beschwören, was wir von euch gehört haben, würden aber so viel Zeit mit euch und dem Richter verlieren, daß wir lieber davon absehen.“

„Das ist der beste Gedanke, den ihr zum Vorteile für euch haben könnt. Nun hoffe ich aber auch, daß ihr die Fesseln von uns nehmt!“

„Nicht so stürmisch, Sir! Haben vorher noch ein Wort mit euch zu reden.“

„So macht schnell! Was wollt ihr noch?“

„Bezahlung für den Ochsen, den ihr erstochen habt.“

„Was geht euch der Ochse an!“

„Sehr viel. Haben uns nämlich diesen deutschen Emigranten angeschlossen. Wollen nämlich auch hinauf in die Berge, um Bären und Biber in Fallen zu fangen, grad so wie wir. Sind also ihre Gefährten geworden, und haben also die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie ihren Verlust ersetzt erhalten.“

„Das geht euch dennoch nichts an!“ zürnte Buttler. „Wir geben nichts!“

„Schadet nichts; denn was ihr nicht gebt, das nehmen wir uns.“

„So, wollt ihr uns bestehlen?“

„Nein, sondern nur dafür sorgen, daß wir euch für ehrliche Bezahler halten dürfen. Wie hoch wird wohl der Wert des Ochsen sein, Master Buttler?“

„Das ist uns gleich. Wir haben kein Geld mehr. Ihr wißt ja, daß ihr uns infolge der Wetten alles abgenommen habt.“

„Habt euch aber wenig darüber geärgert, weil ihr es uns wieder rauben wolltet. Rechnen wir hundertfünfzig Dollar. Nicht?“

„Meinetwegen hunderttausend. Wir können nicht bezahlen.“

„Mit Geld freilich nicht; ist auch nicht nötig; werdet ja nicht ganz und gar leere Taschen haben.“

Zounds! Wollt ihr uns etwa die Taschen ausräumen!“

„Warum nicht?“

„Sir, das wäre Raub!“

„Schadet nichts. Freut uns, euch einmal in das Handwerk pfuschen zu können.“

„Wir sind keine Räuber, und wenn ihr euch an den Dingen vergreift, welche wir bei uns haben, werden wir euch anzeigen!“

„Würde uns sehr lieb sein. Möchten gern wissen, was der Richter sagt, wenn er euch zu sehen bekommt. Also vorwärts, Dick und Will! Wollen einmal ihre Taschen untersuchen.“

Die beiden Genannten machten sich mit dem größten Vergnügen an das Werk; die Finders sträubten sich dagegen, soviel sie konnten, doch ohne Erfolg; ihre Taschen wurden alle geleert. Es fanden sich viele Gegenstände, besonders einige wertvolle Uhren vor, von denen man getrost behaupten konnte, daß sie gestohlen oder geraubt worden waren. Sam nahm die Uhren, zeigte sie Schmidt und fragte diesen:

„Die Burschen besitzen kein bares Geld. Würden Sie diese Uhren an Zahlungsstatt nehmen?“

„Wenn sie keine Münze haben, ja,“ antwortete der Gefragte; „nur fragt es sich, ob ich nicht dadurch einbüße. Ich müßte die Uhren verkaufen, und kein Händler zahlt dafür den wirklichen Wert.“

„Haben Sie keine Sorge. Sie büßen keinen Pfennig ein. Diese Uhren haben gewiß den vierfachen Wert Ihres Ochsen; darauf können Sie sich verlassen.“

„Aber mein Gewissen, Herr!“

„Wieso?“

„Wird es mir erlauben, diese Gegenstände anzunehmen?“

„Warum nicht?“

„Wenn sie nun gestohlen sind!“

„Das sind sie wahrscheinlich.“

„So gehören sie dem Bestohlenen, aber nicht mir.“

„Das ist richtig; aber diese Leute würden die Uhren niemals wieder bekommen. Wahrscheinlich sind sie ermordet worden und selbst wenn dies nicht wäre, dürfen Sie ohne Skrupel zugreifen. Es herrschen hier ganz andre Verhältnisse als drüben in der deutschen Heimat.“

„Aber man hat doch, wenn die rechtmäßigen Eigentümer nicht mehr leben oder nicht ausfindig gemacht werden können, die Pflicht, solche Gegenstände der Behörde zu übergeben!“

„Wen meinen Sie hier unter der Bezeichnung Behörde? Kein hiesiger Beamter würde sich die Mühe geben, nach dem Eigentümer zu forschen, sondern die Uhren einfach für sich behalten und Sie heimlich auslachen. Stecken Sie dieselben also getrost ein und falls Sie damit ein Unrecht zu begehen glauben, werde ich die Verantwortung auf mein Gewissen nehmen.“

„Wenn das so ist, so würde es geradezu Dummheit von mir sein, wenn ich mich ferner weigern wollte.“

Er schob die Uhren also in die Tasche. Als Buttler dies sah, rief er aus:

„Was soll das heißen? Ich glaube, dieser Mensch will sich an unserm Eigentum vergreifen. Das soll –“

„Schweig, Schurke!“ schnitt ihm Sam in donnerndem Tone die Rede ab. „Er hat sie als Bezahlung für den getöteten Ochsen betrachtet und ihr könnt froh sein, wenn dies die ganze Strafe ist, welche ihr für das, was ihr gethan habt und noch thun wolltet, erleidet. Heute seid ihr einmal an die richtigen Leute gekommen, an drei Schneider, welche es verstehen, solchen Halunken, wie ihr seid, die Röcke anzumessen. Wenn euch wieder einmal solche Kleiderhändler begegnen sollten, so seht euch ja vor, ehe ihr wieder daran denkt, mit ihnen wetten zu wollen! Übrigens sind wir ganz und gar nicht gewillt, uns in Beziehung auf diese Uhren der Rechenschaft zu entziehen. Wir fahren von hier nach Tucson und werden morgen abend an dem dahinter liegenden Knotenpunkte unser Lager aufschlagen. Ihr könnt uns folgen und uns mit Polizei aufsuchen, welcher wir sehr gern Rede stehen wollen.“

„Ja, ja, das werden wir thun, ganz gewiß werden wir das thun! Wir kommen in euer Lager und holen uns wieder, was ihr uns gestohlen habt. Und nun nehmt uns die Fesseln ab! Das können wir verlangen, da ihr jetzt wohl endlich mit uns fertig seid.“

„Daß wir Narren wären. Geben wir euch frei, so würdet ihr uns schon heut im Lager aufsuchen anstatt morgen. Ihr bleibt also so liegen, wie ihr seid. Wenn es Tag geworden ist, wird wohl jemand kommen, der euch frei macht.“

„So nehmt den Lohn dafür später in der Hölle!“

„Danke, Sir! Und damit ihr nicht etwa einen von uns unberechneten Schaden anrichten könnt, werden wir euch jetzt eure Munition nehmen. Ihr könnt sie euch morgen mit den Uhren wieder holen. Es wird euch bis dahin alles ehrlich aufgehoben werden.“

Hawkens, Stone und Parker entluden die Gewehre und nahmen alle vorhandenen Patronen oder Kugeln und das Pulver an sich, worüber die Finders in außerordentlichen Zorn gerieten.

Frau Ebersbach war während der ganzen Scene stille Zuschauerin gewesen. Sie verstand nicht, was gesprochen wurde, konnte sich aber dennoch alles leicht erklären. Und noch einen andern stummen Zuschauer gab es – Mary, das Maultier Sams, welches seinem Herrn auch jetzt wieder gefolgt war, mit dem Vorderleibe im Hause stand und alle Bewegungen seines Herrn mit großer Aufmerksamkeit verfolgte.

Als man mit den Finders zu Ende war, wurde die Schänke verlassen und die Thür von außen zugemacht und mit einem schweren Steine angedrückt; dann marschierten die fünf Personen nach dem Lager. Mary trabte gemütlich hinterdrein. Sie war gewohnt, ihrem Herrn wie ein treuer Hund auf Schritt und Tritt zu folgen, wenn er ihr nicht durch ein bestimmtes Zeichen zu verstehen gegeben hatte, daß sie an Ort und Stelle zu bleiben habe.

Während ihrer Abwesenheit waren alle Vorbereitungen getroffen worden, so daß jetzt sofort aufgebrochen werden konnte. Der Führer ritt voran, mit ihm die beiden Jünglinge, denen es von Interesse war, nächtlich an der Spitze dieses einsamen Zuges zu reiten. Dann folgten die Wagen, von Dick Stone und Will Parker geleitet, während Sam Hawkens mit dem Kantor hinten folgte. Er hatte sich mit Absicht diesen Begleiter auserwählt, da er glaubte, von diesem am besten über die Verhältnisse der Personen, welche diese kleine Karawane bildeten, unterrichtet werden zu können. Eigenartig, sehr eigenartig mußten diese Verhältnisse sein; das sagte er sich nach dem, was er bis jetzt davon gesehen und erfahren hatte. Der originelle musikalische Kantor; diese Frau Rosalie Ebersbach, vor welcher alle so bedeutenden Respekt zu haben schienen und die ihm, dem erfahrenen Westmanne, so absprechend entgegengetreten war; der Sohn des Indianerhäuptlings, welcher aus Deutschland kam; der junge Deutsche, welcher dessen Freund zu sein und nicht zu den andern zu gehören schien; das waren Persönlichkeiten und Verhältnisse, welche die Neugierde erwecken mußten. Der Kantor kam der Wißbegierde des Kleinen entgegen, denn kurze Zeit, nachdem die Wagen sich in Bewegung gesetzt hatten, begann er das beabsichtigte Gespräch mit der Frage:

„Unsre Frau Rosalie war mit bei diesen Finders. Denen wird sie aber ihre Meinung gesagt haben, denn sie weiß ihre Zunge zu gebrauchen, wenn sie will. Sie hat doch jedenfalls mit ihnen gesprochen?“

„Kein Wort.“

„Das sollte mich wundern. Ich habe im Gegenteile geglaubt, daß sie ganz fortissimo mit ihnen verfahren würde.“

„Spricht sie denn englisch?“

„Nur einige Worte, welche sie sich unterwegs gemerkt hat.“

„Wie können Sie da denken, daß sie mit diesen Leuten reden könne, die nur englisch oder spanisch verstehen!“

„Sie konnte sich doch eben dieser Worte, welche sie gelernt hat, bedienen.“

„Zehn oder zwölf zufällig aufgeschnappte Ausdrücke reichen zu einer langen Strafpredigt nicht aus. Übrigens hatte es den Anschein, als ob ihr, als sie die Finders sah, der Mut zu einer solchen Rede entschwunden sei.“

„Der Mut? Wieso? Diese Burschen haben doch gefesselt am Boden gelegen; da brauchte sie sich nicht vor ihnen zu fürchten.“

„Zu fürchten gerade nicht; aber trotzdem haben diese wilden Gestalten einen Eindruck auf sie gemacht, durch welchen sie zum Schweigen veranlaßt worden wäre, selbst wenn sie englisch hätte sprechen können.“

„Das glauben Sie ja nicht! Frau Rosalie fürchtet sich vor keinem Menschen, mag er noch so vornehm oder noch so verwegen aussehen. Sie hat Haare auf den Zähnen und ist gewohnt, daß man ihr den Willen thut.“

„Das habe ich freilich bemerkt. Sie alle hielten ja den Mund, als sie mir widersprach.“

„Ja, das muß man thun, wenn man nicht ein tüchtiges Graupelwetter auf sich laden will. Dabei aber ist sie seelensgut und, wenn man sie nur reden läßt, gleich wieder um den kleinen Finger zu wickeln. Widerspruch verträgt sie freilich nicht.“

„Das ist ein großer Fehler, wenn ich mich nicht irre. Wenn man eine Sache nicht versteht, muß man Lehre annehmen.“

„O, diese Frau Rosalie versteht vieles und alles!“

„Unsinn! Von den hiesigen Verhältnissen und wie man sich dabei zu verhalten hat, kann sie gar nichts wissen. Und wenn sich solche Scenen wiederholen, wie die heutige war, muß sie sehr gewärtig sein, nicht nur tüchtig zurechtgewiesen zu werden, sondern auch, wenn sie bei ihrem Willen beharrt, die ganze Gesellschaft in Schaden oder gar Gefahr zu bringen.“

„Auch das dürfen Sie nicht glauben. Selbst wenn sie etwas nicht kennt und versteht, findet sie sich außerordentlich schnell hinein. Sie haben ja auch gesehen, daß sie dann einer Ansicht mit Ihnen war. Es ist immer besser, sie laufen zu lassen, wie sie laufen will, sie kommt doch stets am richtigen Fine an.“

„Wenn Sie so sprechen, scheinen auch Sie einen großen Respekt vor ihr zu haben, Herr Kantor.“

„Herr Kantor emeritus, wenn ich bitten darf! Es ist ja nur der Vollständigkeit wegen, weil ich meinen Abschied genommen habe und also nicht mehr im Amte bin. Ja, ich habe Respekt vor ihr, und sie verdient ihn auch. Sie ist eine tüchtige und musikalisch gebildete Frau.“

„Aha, musikalisch gebildet, hihihihi! Komponiert sie etwa auch?“

„Nein; aber sie spielt.“

„Was?“

„Ziehharmonika.“

„Alle Wetter, das ist freilich etwas andres! Ziehharmonika! Ein vorzügliches Instrument, wenn ich mich nicht irre! ja, wenn sie diese spielt, so muß man Respekt vor ihr haben. Ich habe noch nie von einer Dame gehört, welche Ziehharmonika spielt.“

„Ich auch nicht; Frau Rosalie ist die erste. Sie hat sich manchen schönen Thaler damit verdient.“

„Ah, etwa bei einer herumziehenden Damenkapelle gewesen?“

„Nein, zum Tanze aufgespielt.“

„Öffentlich?“

„Ja.“

„Bravo! Ich denke, Sie halten den Tanz für etwas Ordinäres?“

„Das thue ich auch; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Frau Rosalie ist nämlich eine geborene Morgenstern –“

„Das weiß ich; sie hat es mir gesagt.“

„Und heiratete in die Leiermühle bei Heimberg –“

„Verwitwete Leiermüllerin,“ nickte Sam Hawkens lächelnd.

„Zur Mühle gehörte eine Schankgerechtigkeit mit kleinem Tanzsaale. Das Geschäft war vorher schlecht gegangen, bis sie sich desselben annahm. Das war wieder einmal ein in die Augen fallender Beweis, welchen Wert die edle Musika hat; sie verläßt keinen Musensohn und auch keine Musentochter. Frau Rosalie kaufte sich eine Ziehharmonika, lernte sie spielen und zog mit derselben die tanzlustige Jugend der ganzen Umgegend an sich. Da sie selbst zum Tanze aufspielte, brauchte sie keine Musikanten zu bezahlen und nahm ein schönes Geld für sich ein, da die Tour pro Person zwei Pfennige kostete; billiger machte sie es nicht, denn wen die Musen geadelt haben, der hat die Pflicht, seinen Wert aufrecht zu erhalten. Also es wurde nicht nur getanzt, sondern auch gegessen und getrunken; das Geschäft hob sich außerordentlich, und als der alte Leiermüller starb, hinterließ er sie als eine Witwe, welche auf einem vollen Geldsacke saß und sagen konnte: Kommt her und habt Respekt vor mir!“

„Und den hatte man auch?“

„Natürlich! Sie war die reichste Frau im Dorfe, verkaufte dann später die Mühle zu einem hohen Preise und wurde hierauf die Frau unsres Schmiedemeisters –“

„Welcher auch Respekt vor ihr hat!“

„Warum sollte er nicht?“

„Wie aber und aus welchem Grunde kommt sie jetzt nach Amerika?“

„Diesen vortrefflichen Gedanken habe ich ihr eingegeben.“

„Sie? Hm! Die Frau konnte in der Heimat bleiben; sie hatte ja doch keine Not daheim.“

„So meinen Sie, daß man nur aus Not auswandern soll?“

„Das nicht; aber ein Zwang, ein innerer oder äußerer Zwang, ist doch meist die Ursache.“

„War es auch hier, nämlich ein Drang, ein Stringendo nach der neuen Welt. Ich hatte ihr Bücher geborgt, und die Schmiederei ging schlecht; es gefiel ihr nicht mehr daheim. Als sie nun hörte, was der Hobble-Frank mir alles gesagt und erzählt hatte, und daß ich meine Helden hier in Amerika suchen wollte, da war sie ganz Feuer und Flamme und wollte mit.“

„Wie kamen Sie denn zu ihr, die in Heimberg wohnt, während Sie aus Klotzsche sind? Liegen diese beiden Orte nahe beisammen?“

„Nein, Heimberg liegt oben im Gebirge, Klotzsche aber nahe bei Dresden. Aber ich war doch in Heimberg Kantor, meine letzte Anstellung, und zog des besseren Klimas wegen, sobald ich emeritiert worden war, nach Klotzsche, blieb aber mit Heimberg in stetem Briefwechsel und war auch öfters dort. Trotz alledem wäre ihr der Gedanke, nach Amerika zu gehen, nicht mit solcher Gewalt gekommen, wenn die Wolfsche Angelegenheit nicht gewesen wäre.“

„Welche Angelegenheit?“

„Das wissen Sie noch nicht?“

„Nein.“

„Wolf, der Heimberger Förster, hat einen kinderlosen Bruder in Amerika, welcher vielen, vielen Wald, große Herden und ich glaube gar auch Silbergruben besitzt. Dieser Bruder hat ihn gebeten, ihm seinen Sohn hinüberzuschicken, den er zu seinem Nachfolger und Universalerben machen will, wenn er ihm gefällt. Der Förster fragte seinen Sohn, welcher sich auf der Tharandter Forstakademie befand, und dieser hatte sogleich Lust, dem Rufe zu folgen, nachdem er sein Examen bestanden haben würde.“

„War das nicht Leichtsinn oder Lieblosigkeit gegen seine Eltern?“

„Gott bewahre! Nicht im geringsten, sondern gerade das Gegenteil. Der Förster hat eine zahlreiche Familie und ein geringes Gehalt. Da ist Schmalhans Küchenmeister, und die Opfer, welche das Studium des Ältesten gekostet hat, sind ihm außerordentlich schwer geworden; es war unmöglich, die andern Söhne auch eine bessere Carriere betreten zu lassen, obwohl sie sehr begabt dazu waren. Da hat denn Adolf den Ruf des Oheims mit Freuden vernommen. Er mußte zwar die Heimat und die Eltern verlassen, sagte sich aber, daß er als Nachfolger des reichen Pflanzers seinen Geschwistern schnell emporhelfen könne.“

„Diese Gesinnung ist freilich ehrenwert. Und hat er dem Rufe gefolgt?“

„Ja.“

„Wann?“

„Eben jetzt. Sie haben ihn ja gesehen.“

„Ich? Wo denn?“

„Hier bei uns. Da vorn reitet er ja!“

„Der ist’s, der? Dieser junge Mann? Der kann doch unmöglich die Forstakademie schon vollständig absolviert haben?“

„Doch, und zwar hat er sie mit sehr guten Zeugnissen verlassen. Sie mögen daraus ersehen, was für ein tüchtiger junger Mann er ist. Er wird, da sein Onkel große Waldungen besitzt, diesem mit seinen Kenntnissen Nutzen bringen. Allerdings gab es für ihn auch noch einen andern Grund, sich so schnell und willig für Amerika zu entscheiden, und dieser Grund kann mit dem indianischen Worte Schi-So bezeichnet werden.“

„Das ist doch der Name des Häuptlingssohnes?“

„Allerdings. Sie sind, wie ich gehört habe, ein Bekannter dieses Häuptlings. Wissen Sie vielleicht, weshalb dieser seinen Sohn nach Deutschland geschickt hat?“

„Ja.“

„Das ist mir lieb. Können Sie es mir einmal prima vista vorgeigen, oder ist vielleicht ein Geheimnis dabei?“

„Es gibt keinen Grund, die Sache geheim zu halten; es ehrt vielmehr den Häuptling und kennzeichnet ihn als einen Mann, der den Bildungsgrad von seinesgleichen weit, weit überragt. Nämlich als er noch jung war, überfiel ein feindlicher Stamm einen Auswandererzug; es wurde alles niedergemetzelt und nur ein Mädchen verschont und mitgenommen, welches eine Deutsche war. Der Häuptling rettete sie und brachte sie zu seinem Stamme. Sie sollte sich dort zunächst von ihrem Unglücke und Leide erholen, und dann wollte er sie nach der nächsten weißen Ansiedelung bringen. Sie wurde gut gepflegt und noch besser behandelt; ihre Verwandten waren ermordet worden; sie hatte nirgends Bekannte; die Ansiedelung, wohin sie gebracht werden sollte, war ihr fremd; es gefiel ihr bei den Navachos, und sie gewann den Häuptling Nitsas-Ini (großer Donner) lieb, der sie gerettet hatte – sie blieb und wurde seine Frau. Sie hat es nie zu bereuen gehabt und lebte außerordentlich glücklich mit ihm.“

„Ist das die Möglichkeit!“ rief der Kantor aus. „Ein roter Mensch mit einer weißen Frau!“

„Ein roter Mensch, sagen Sie? Das klingt wie verächtlich! Ich sage Ihnen, daß Gott der Vater und Schöpfer aller Menschen ist; die Farbe der Haut macht keinen Unterschied. Ich habe Indianer kennen gelernt, vor denen sich tausend und hunderttausend Weiße schämen müßten. Nitsas-Ini war ein solcher. Seine weiße Frau war kein hochgebildetes Fräulein, sondern ein gewöhnliches Mädchen gewesen, aber als Deutsche überragte sie doch in jeder Beziehung alle roten Frauen und Mädchen. Das gereichte dem ganzen Stamme zum Segen. Sie wurde das Vorbild aller Squaws und Töchter. Es trat ein andrer Ton ein; es bildeten sich andre Formen; ihr Mann, der Häuptling, war ihr erster und ihr eifrigster Schüler und hatte später nichts dagegen, daß sie mit den Kindern, die sie ihm schenkte, deutsch sprach, sie unterrichtete und ihnen Bücher kaufte. Da lernten sie Winnetou, den großen Apachen kennen; mit ihm kam Old Shatterhand, der berühmte Freund und Beschützer aller gutgesinnten roten Männer. Sie sahen mit Freuden, was die weiße Squaw geleistet, welchen Segen sie gestiftet hatte; sie blieben längere Zeit bei dem Stamme und kehrten oft zu demselben zurück, um dem Werke Festigkeit und Ausbau zu geben. Nie hat dieser Stamm wieder Krieg geführt, sondern nur, wenn er sich verteidigen mußte, zu den Waffen gegriffen. Seine Angehörigen sind Freunde der Weißen, wurden infolgedessen von diesen nie vertrieben, sondern durften ihr Gebiet behalten, wenn sie sich auch in Beziehung auf die Abgrenzung und Einteilung desselben nach den vorgeschriebenen Gesetzen richten mußten. Diese Navachos befinden sich im Besitze fruchtbarer Weideländereien und ungeheurer Wälder; ihr Reichtum ist von Jahr zu Jahr gewachsen, und so sehnsüchtig die weißen Squatter und Landfresser nach demselben blicken, es ist für keinen dieser Männer etwas zu holen. Denn infolge von Old Shatterhands Bemühungen betrachtet die Regierung der Vereinigten Staaten das Gebiet nicht als Indianerreservation, sondern als in berechtigten Händen befindliches Privateigentum, dessen Besitzer das Gesetz gegen jeden Eingriff zu schützen hat. Man könnte sich bewogen fühlen, dieses Gebiet ein zivilisiertes zu nennen. Der große Donner war einsichtig genug, zu erkennen, daß er für die Zukunft nicht die nötigen Kenntnisse besitze, und daß sein Nachfolger mehr, viel mehr lernen müsse, als er selbst gelernt hatte. Er faßte, beeinflußt durch seine kluge weiße Frau, den Entschluß, seinen Erstgeborenen in eine Schule der Weißen zu schicken. Old Shatterhand kam und stimmte lebhaft bei. Er war ein Deutscher und die Squaw eine Landsmännin von ihm, und beide brachten den Häuptling dahin, den Sohn nach Deutschland zu senden, um ihn dort einer berühmten Erziehungsanstalt anzuvertrauen. Old Shatterhand schlug eine solche vor, und sein Vorschlag wurde angenommen.“

„Ich weiß, ich weiß,“ fiel da der Kantor ein. „Ich kenne diese Anstalt.“

„Wirklich? Nun, welche?“

„Es ist die höhere Lehr- und Erziehungsanstalt, kurz und gut, das berühmte Institut Direktor Arno Kriegers in Kötzschenbroda bei Dresden.“

„Woher wissen Sie das?“

„Schi-So sagte es mir, und auch Adolf Wolf ist dort für die Tharandter Akademie vorgebildet worden.“

„So brauche ich nicht viel mehr hinzuzufügen, denn das weitere scheinen Sie besser zu wissen, als ich es weiß. Old Shatterhand ebnete den Weg zur Aufnahme in das Institut, und die Häuptlingssquaw brachte dann ihren Sohn hinüber, bei welcher Gelegenheit sie die große Freude hatte, ihre Heimat wiederzusehen. Später lernte ich den großen Donner kennen und erfuhr zu meinem Erstaunen von ihm, daß er einen Sohn in Kötzschenbroda bei Direktor Krieger habe. Der Knabe rechtfertigte die Empfehlungen Old Shatterhands; seine Zensuren lauteten ohne Ausnahme auf Eins, und als er von dort nach Tharandt ging, gestanden sich seine Lehrer, daß dieser rote Schüler von keinem der bisherigen weißen übertroffen worden sei. Übrigens darf man ihn nicht in dem Sinne rot nennen, in welchem dieses Wort gewöhnlich gebraucht zu werden pflegt. Sie kennen ihn und haben also gesehen, daß seine deutsche Abstammung mütterlicherseits von Einfluß auf die Farbe seines Haares und seiner Augen gewesen ist. So, das ist das, was Sie über ihn zu wissen wünschten. Und nun ahne ich auch, auf welche Weise der Försterssohn zu ihm gekommen ist. Sie sagten ja, daß dieser auch bei Direktor Krieger vorgebildet worden sei?“

„Ja, sie waren dort Klassenbrüder und sind auch zu gleicher Zeit nach Tharandt gegangen. Eigentümlich war es, daß der Ruf von Wolfs Oheim gerade zu der Zeit eintraf, zu welcher der Abgang Schi-Sos beschlossen wurde. Warum hat der letztere denn eigentlich gerade Tharandt besuchen müssen?“

„Der großen Wälder wegen, welche sein Stamm besitzt. Er soll als späterer Häuptling die nötigen Kenntnisse besitzen, die Reichtümer, welche in diesen Forsten stecken, nicht nur zu erhalten, sondern womöglich noch zu vermehren. Man weiß, daß die Vereinigten Staaten sich durch die schlechteste Forstwirtschaft auszeichnen; vor den daraus folgenden großen Schäden soll Schi-So einst seinen Stamm bewahren. Doch weiter! Sie wollten mir doch wohl sagen, welchen Einfluß diese beiden Zöglinge von Kriegers Institut auf die frühere Leiermüllerin ausgeübt haben, Herr Kantor?“

„Ja; aber zunächst haben Sie doch endlich die Güte, darauf zu achten, daß ich nicht mehr im Amte bin und daß Sie also der Vollständigkeit wegen Herr Kantor emeritus zu sagen haben. Ich darf mich nicht mit Federn schmücken, welche ich längst abgelegt habe, und das immerwährende Weglassen dieses höchst notwendigen Wortes erregt in mir den sehr begründeten Verdacht, daß Sie mich noch immer im Amte stehend glauben und an meiner musikalischen Begabung zweifeln, welche allein mich veranlaßt hat, mich emeritieren zu lassen! Oder lassen Sie diese lateinische Bezeichnung vielleicht deshalb stets fallen, weil ich Sie nicht bei Ihrem Namen und vollständigen Titel nenne? Sie müssen bedenken, daß mir eigentlich noch keins von beiden bekannt ist!“

„Nicht deshalb, sondern nur aus reiner Vergeßlichkeit. Was meinen Namen betrifft, so hieß ich drüben Samuel Falke, werde aber hier hüben Sam Hawkens genannt. Es genügt vollständig, wenn Sie einfach Sam zu mir sagen.“

„Das ist nicht höflich genug. Ich will Ihnen also einen Vorschlag machen. Da Sie früher Samuel Falke waren, es jetzt aber nicht mehr sind, gerade so, wie ich nicht mehr Kantor bin, so wäre es gewiß ganz richtig und den Umständen gemäß, wenn ich entweder Samuel emeritus oder auch Falke emeritus zu Ihnen sagte. Welches von beiden ist Ihnen lieber?“

„Keins. Ein Name ist kein Amt. Nennen Sie mich also Sam oder Hawkens.“

„Schön, ganz wie Sie wollen! Aber warum durften die Finders nicht erfahren, daß Sie Sam Hawkens sind?“

„Weil ich unter diesem Namen weit bekannt bin. Man hat mir, Dick Stone und Will Parker den Namen das Kleeblatt gegeben, weil wir drei stets beisammen sind. Man rechnet uns nicht zu den gewöhnlichen Westläufern, sondern zu den erfahrenen Männern, welche wissen, was sie wollen, und sich weder besiegen noch betrügen lassen. Ich will die Finders überlisten; dies würde mir aber nicht gelingen, wenn sie wüßten, wen sie vor sich haben; sie würden entweder ganz von uns lassen oder doch wenigstens sich so in acht nehmen, daß ich meine Absicht nicht erreichte. Und es liegt mir doch viel daran, diese Menschen für ehrliche Leute unschädlich zu machen.“

„Sehr wohl; jetzt weiß ich, woran ich bin, und kann nun wieder nach Tharandt übergehen. Schi-So und Wolf kamen nämlich von Tharandt oft nach Heimberg herauf, welches ein vielbesuchter Luftkurort ist, und kehrten in der Leiermühle, später auch in der Schmiede ein, als die Müllerin den Schmied geheiratet hatte. Sie waren also mit beiden gut bekannt. Gerade als mich der Hobble-Frank bestimmt hatte, nach Amerika zu gehen und seine Helden aufzusuchen, kam der Brief des Onkels und auch die Nachricht, daß Schi-So zu seinem Stamme zurückkehren werde. Dieser Onkel war ungeheuer reich und wohnte, wie man bald heraus hatte, in der Nähe der Navachos; das ging rasch im Dorfe herum, welches meist blutarme Einwohner hat; da fiel es mir denn nicht schwer, einige von ihnen zu vermögen auszuwandern und mit mir hinüber zu ziehen.“

„Also haben Sie, sozusagen, diese armen Leute verführt!“ meinte Sam in vorwurfsvollem Tone.

„Verführt? Was für ein Ausdruck! Ein Kantor emeritus, welcher tausendmal beim Gottesdienste die Orgel gespielt hat, gehört halbwegs zur Geistlichkeit, also zu demjenigen Stande, in welchem man nicht nach Verführern suchen darf. Führer bin ich ja, aber doch nicht Verführer, denn ich will diese Leute zum Glücke führen. Ich bin überzeugt, daß der Onkel Wolfs sie sehr gut aufnehmen wird. Und Geld, sich Land zu kaufen oder ein Geschäft anzufangen, ist auch vorbanden.“

„Ich denke, diese drei sind arm!“

„Ja, Schmidts, Strauchs und Uhlmanns hatten nichts; aber Ebersbachs sind, wie Sie gehört haben, wohlhabend und Frau Rosalie hat ihnen das nötige Geld vorgeschossen. Sie ersehen daraus, was für eine brave Frau sie ist. Sie konnte recht wohl im Vaterlande bleiben und hat sich nur aus Teilnahme für diese drei, aus Freundschaft für mich und infolge ihres Dranges nach der Fremde entschlossen, mitzugehen. Besonders entzückt war sie darüber, daß in Amerika die Damen so außerordentlich geachtet und berücksichtigt werden.“

„Ach so,“ lächelte Sam vergnügt; „und Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüllerin ist eben auch eine Dame! Das erklärt mir freilich das vorher Unerklärliche. Sie haben also alle die Absicht, sich bei dem Oheime Wolfs anzusiedeln?“

„Sie wollen ihn fragen. Gibt er es nicht zu, so ziehen sie weiter.“

„Und Sie? Was beginnen denn Sie?“

„Ich? Ich suche natürlich Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou auf. Natürlich werde ich auch den Hobble finden.“

„Sie scheinen, wie bereits gesagt, sich das als außerordentlich leicht vorzustellen, und doch können Sie jahrelang im Westen herumreiten, ohne auch nur auf einen von diesen Männern zu treffen.“

„So muß man fragen, sich erkundigen!“

„Denken Sie, es sei hier geradeso wie in einem deutschen Dorfe oder Städtchen, in welchem man sofort berichtet wird, wenn man nach dem Herrn Müller, Meier oder Schulze fragt? Die Gesuchten können leicht zehnmal ganz nahe an Ihnen vorüberreiten oder in sehr geringer Entfernung von Ihnen lagern, ohne daß Sie es ahnen.“

„Oho! Ich ahne es; darauf können Sie sich verlassen. Einem Tonkünstler ist nichts zu schwer. Wer von den Musen ausgezeichnet und bevorzugt wird, bei dem sammeln alle Töne sich zu Accorden. So werden auch die gesuchten Männer sich um mich zusammenfinden, wie wohlgeschulte Musici um ihren Dirigenten.“

„Will es Ihnen wünschen. Was ich dabei thun kann, da wir dieselbe Route haben, das wird natürlich geschehen. Jetzt aber sollten Sie sich in einen der Wagen legen, um zu schlafen.“ .

„Schlafen? Warum?“

„Weil wir morgen abend wahrscheinlich nicht schlafen können; wir müssen wachen, da die Finders uns überfallen wollen.“

„Sie sind davon also wirklich überzeugt, Herr Hawkens?“

„Ja. Irgend jemand, der am frühen Morgen nach der Schenke kommt oder an derselben vorübergeht, wird ihr Rufen hören und sie befreien. Dann setzen sie sich auf die Pferde, um uns nachzureiten.“

„Nach Tucson?“

„Fällt ihnen nicht ein. In dieser Stadt lassen sie sich ganz gewiß nicht sehen. Sie werden Tucson umreiten und dann unsern Wagengeleisen folgen, bis sie bemerken, daß wir Lager gemacht haben. Um von uns nicht bemerkt zu werden, halten sie an und warten, bis es Nacht geworden ist. Um ja nichts zu verabsäumen, habe ich ihnen die Munition genommen; doch sind sie gewiß so klug, sich in San Xavier del Bac mit neuer zu versorgen, was ihnen freilich nicht leicht werden wird, da ich nicht glaube, daß dort viel zu haben ist. Also, folgen Sie meinem Rate und steigen Sie in einen Wagen!“

„Danke! Ich schlafe nicht.“

„Warum aber nicht?“

„Weil während eines solchen nächtlichen Rittes die schönsten musikalischen Gedanken kommen. Ich mache da Studien für meine Oper. Vielleicht lasse ich gleich im ersten Akte einen solchen Ochsenwagenzug über die Bühne gehen, was beim Scheine einer kleinen Mondessichel einen ganz besonderen Eindruck machen muß, zumal die Instrumente dabei das Knallen der Peitschen, das Brüllen der Ochsen und das Knarren der Räder nachzuahmen haben.“

„Möche dabei sein!“ sagte Sam im ernsthaftesten Tone. „Muß ein außerordentlicher Kunstgenuß sein! Also machen Sie Ihre Studien und bleiben Sie meinetwegen wach. Aber werfen Sie sich denn immerwährend so bald nach vorn und bald nach hinten? Das muß Sie doch ungeheuer ermüden!“

„Allerdings; aber es ist leider nicht zu umgehen.“

„Nicht zu umgehen? Unbegreiflich! Wieso denn? Es strengt natürlich auch das Pferd an und macht es kaput.“

„Kann nicht anders, bester Herr Sam. Ich komponiere immerwährend und immerfort, selbst jetzt, während ich mit Ihnen spreche. Indem mir nun die Melodien durch das Gehirn erklingen, muß ich sie nach ihrer Taktart prüfen. Dazu gehört eigentlich ein sehr empfindliches Instrument, welches Mälzels Metronom oder Taktmesser genannt wird. Da ich dasselbe aber unmöglich durch den wilden Westen mit mir führen kann, so habe ich ein weit bequemeres und praktischeres Metronom erfunden, indem ich mich in ganz regelmäßigen Intervallen im Sattel hin und her schwinge. Freilich wird das Pferd dadurch zuweilen irre, denkt, ich will herunter, und hält im Laufen an; aber das thut mir nichts, denn sobald ich die Komposition dann fertig habe, treibe ich es wieder an.“

„Aber dadurch bleiben Sie doch jedenfalls oft zurück!“

„Das kommt freilich vor.“

„Das kann aber höchst gefährlich für Sie werden, Sie unvorsichtiger Mann!“

„Glaube es nicht, Herr Sam!“

„Wenn Sie zurückbleiben und von rotem oder weißem Gesindel überfallen werden, können wir Sie nicht retten.“

„Mich überfällt kein Gesindel, ich bin gefeit dagegen.“

„Unsinn!“

„Sprechen Sie nicht von Unsinn, lieber Herr Sam! Ich weiß schon, was ich sage. Haben Sie vielleicht schon einmal gehört, daß ein berühmter Opernkomponist von irgend welchem Gesindel überfallen worden sei?“

„Nein; ist mir nichts erinnerlich.“

„Da haben Sie es, was ich meine. Als Komponist einer großen Heldenoper und Selbstdichter des dazu gehörigen Librettos stehe ich unter dem ganz besonderen Schutze der Musen. Dieselben werden sich hüten, mich zu hohen musikalischen Gedanken zu begeistern und dann überfallen und töten zu lassen, wobei diese Gedanken für immer wieder verloren gehen würden. Das wäre ja ganz dieselbe Dummheit, als wenn der Schuster mir zwei neue Stiefel machte und sie, wenn er sie fertig hat, in den Ofen steckte, um sie zu vernichten. Oder meinen Sie, die Musen seien weniger klug, als ein gescheiter Schuster?“

„Kann das nicht sagen; habe noch mit keinem von diesen Frauenzimmern gesprochen und auch noch keins gesehen. Aber ich kann nicht während der ganzen Nacht hier bei Ihnen sein und darf auch keinem andern zumuten, stets nur auf Sie aufzupassen; da Sie nun auf keinen Fall zurückbleiben dürfen, weil wir Feinde hinter uns haben, so werde ich Sie anbinden, um Ihrer Person ganz sicher zu sein.“

„Anbinden, Herr Hawkens? Woran denn? Etwa an das Pferd?“

„Das würde nichts nützen, da der Gaul auch in diesem Falle stehen bleiben könnte. Nein, ich meine, daß ich ihn hier an den hintersten Wagen binden werde.“

„Sie halten dieses für praktisch?“

„Sehr! Das Pferd kann nicht stehen bleiben, sondern muß trotz Ihrer Schwingungen ununterbrochen weiterlaufen. Dabei befinden Sie sich stets allein und ungestört und können Ihren musikalischen Schöpfungen nachhängen, ohne in denselben unterbrochen zu werden.“

„Richtig, sehr richtig! Dieser Gedanke ist sehr gut; ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für denselben und werde Ihnen bei der ersten Aufführung meiner Oper gern ein Freibillet zur Verfügung stellen. Oder wünschen Sie deren zwei?“

„Ich werde darüber nachdenken, Herr Kantor, falls ich zufällig –“

„Bitte, bitte, Herr Kantor emeritus! Ich kann es Ihnen zuschwören, daß es nur der Vollständigkeit wegen ist.“

„Weiß, weiß! Und ich versichere Ihnen, daß es bei mir nur aus Vergeßlichkeit geschah.“

Sam zog einen Riemen aus der Satteltasche und band mit demselben den Gaul des Kantors hinten an den Wagen an. So war für den guten, ununterbrochenen Fortgang sowohl des Pferdes als auch der Oper gesorgt, und der geniale Komponist brauchte nicht immerwährend beaufsichtigt und im Auge behalten zu werden.

In langsamem Ochsenschritte ging die Fahrt die ganze Nacht hindurch vor sich, und so kam es, daß die Reisenden erst zwei Stunden nach Tagesanbruch die Stadt vor sich liegen sahen, obgleich die Entfernung zwischen San Xavier del Bac und Tucson eine so kurze ist.

Der Anblick dieser Hauptstadt war ein wenig erfreulicher. Obgleich es noch so früh am Tage war, strahlte die Sonne doch schon mit einer fast unerträglichen Glut auf die kahlen Schlammhütten und Mauertrümmer herab. Äußerst häßliche Koyotehunde bellten und heulten dem Zuge entgegen, und ausgedörrte, in bunte Fetzen gehüllte Menschengestalten lungerten vor den Thüren und an den Ecken herum und verzerrten grinsend ihre sonnverbrannten Gesichter, als der letzte Wagen an ihnen vorüberknarrte und sie den Herrn Emeritus auf dem hinten angebundenen Pferde erblickten. Er nickte ihnen, ohne ihr Lachen übelzunehmen, freundlich zu; mochten sie seine Situation für lächerlich halten, ihm war es ganz recht, daß er das Tier nicht mehr zu lenken brauchte.

Auf Sams Anweisung wurde auf einem freien oder vielmehr vollständig kahlen Platze angehalten, wo sich bald eine Menge von kläffenden Hunden, schreienden Kindern und neugierigen Tagedieben einfanden, welche die Wagen umlungerten und ihre Aufmerksamkeit besonders auf Sam Hawkens und den Kantor richteten, wohl wegen der sonderbaren Persönlichkeit des ersteren und auch infolge der ungewöhnlichen Weise, in welcher beide gekleidet waren.

Da die deutschen Auswanderer während ihrer Reise nur wenig Englisch gelernt und vom Spanischen sich gar nur einige Brocken angeeignet hatten und sich also der hiesigen Bevölkerung gegenüber nicht verständlich machen konnten, übernahm es Sam Hawkens, sich zu erkundigen, ob man hier Futter für das Vieh und Wasser bekommen könne. Ja, Heu und Wasser war zu haben, aber beides in sehr schlechtem Zustande und zu hohen Preisen, und zehn, zwanzig und noch mehr Faulenzer zeigten sich bereit, es herbeizuholen, um sich durch diese Arbeit, welche eigentlich keine Arbeit war, einige Centavos zu verdienen.

Als dies besorgt war, begab sich der Kleine zum Kommandanten, um demselben sein Anliegen vorzutragen. Er vernahm, daß dieser Offizier mit zahlreicher Begleitung nach Prescott gereist und fast die ganze Besatzung nach der Gegend des Guadalupepasses aufgebrochen sei, um die dort hausenden aufrührerischen Mimbrenjos zu züchtigen. Er wurde zu einem Kapitän geführt, welcher die Stellvertretung des Kommandanten übernommen hatte. Er saß bei seiner Morgenschokolade und las in einer alten Zeitungsnummer, welche hier in Tucson aber neu genannt werden mußte. Als er den Eintretenden erblickte, zeigte sein Gesicht zunächst den Ausdruck der Überraschung; dann erheiterte es sich mehr und mehr; endlich lachte er laut auf, erhob sich von seinem Stuhle und sagte in einem Tone, dessen Impertinenz nicht zu verkennen war:

„Mensch, wer seid Ihr? Was wollt Ihr? So ein Jack-pudding ist mir noch niemals vorgekommen!“

„Mir auch nicht,“ antwortete Sam in einer Weise und mit einer Handbewegung, welche ahnen ließen, daß er den Offizier meinte.

„Euch auch nicht? Was wollt Ihr damit sagen?“ fuhr ihn dieser in ganz anderm Tone an. „Wollt Ihr mich etwa beleidigen!“

„Ist es eine Beleidigung, wenn ich Euch beistimme?“ fragte Sam sehr ernst und sehr ruhig,

„Ach so! Dann lobe ich Eure edle Selbsterkenntnis. Ich wiederhole Euch, daß ich noch keinem solchen Harlekin begegnet bin, wie Ihr zu sein scheint. Ihr kommt wohl, um die Erlaubnis zu bitten, hier eine lustige Vorstellung geben zu dürfen?“

„Ja, das ist’s,“ lachte Sam. „Ihr habt’s erraten, Sir, und sollt mir dabei helfen, wenn ich mich nicht irre.“

„Helfen? Ich? Haltet Ihr den Stellvertreter des Kommandanten, einen Vereinigtenstaatenoffizier für einen ebensolchen Lustigmacher, wie Ihr seid?“

„In diesem Fall, ja,“ antwortete Sam, indem er sich kaltblütig einen Stuhl herbeizog und sich auf denselben setzte.

„Mensch, noch ein solches Wort und ich lasse Euch einsperren und durchpeitschen!“ drohte der Offizier, indem er einige Schritte auf den Kleinen zutrat. „Wie könnt Ihr Euch ohne meine Erlaubnis setzen! Ihr befindet Euch bei dem Höchstgebietenden der Stadt und habt vor ihm zu stehen. Also auf mit Euch, und zwar augenblicklich!“

Er griff bei diesen Worten mit der Hand nach einem Nagel, an welchem eine Reitpeitsche hing. Auf Sam aber machte diese Bewegung nicht den geringsten Eindruck. Er sagte in einem sehr gelassenen Tone:

„Ich befinde mich bei dem Höchstgebietenden? Meinetwegen, ja; habe nichts dagegen; bin ja ein Kamerad von ihm.“

„Ein Kamerad? Von mir?“ dehnte der andre. „Ihr wäret ein Offizier, Ihr, Ihr?“

Bei dieser Frage ließ er einen Blick unendlicher Geringschätzung über die Gestalt des Kleinen gleiten.

Well, Offizier!“ nickte dieser freundlich. „Habt Ihr vielleicht einmal etwas von dem bekannten Leaf of trefoil gehört?“

„Kleeblatt? Welches Kleeblatt meint Ihr da?“

„Die drei Prairiejäger, wenn ich mich nicht irre.“

„Ja, dieses Kleeblatt kenne ich. Es besteht aus Dick Stone, Will Parker und Sam Hawkens, von dem man sich erzählt, daß –“

„Schön, Sir, schön!“ unterbrach ihn der Westmann. „Habt also von diesen dreien gehört. Freut mich, freut mich sehr! Werden da bald mit unsrer lustigen Vorstellung im reinen sein und dabei erfahren, wer den Bajazzo macht. Wißt Ihr vielleicht auch, daß Sam Hawkens im letzten Kriege Scout gewesen ist?“

„Ja, unter General Grant. Er hat es infolge seiner großen dabei geleisteten Dienste, durch seine List und Kühnheit bis zum Kapitän gebracht. Aber was hat das mit Euch zu thun?“

„Viel, sehr viel, Sir; jedenfalls mehr als mit Euch, denn ich schätze, daß Ihr damals noch gar nicht in der Uniform gesteckt habt. Das Kleeblatt befindet sich nämlich gegenwärtig hier.“

„Hier? In Tucson?“

Yes, Sir. Und Sam Hawkens, der verdiente Vereinigtenstaatenkapitän, befindet sich Euch sogar noch näher; er sitzt in diesem Augenblicke hier in Eurer Stube.“

„Hier? In meinem Zimmer?“ rief der Stellvertreter betroffen und indem seine Augen sich erweiterten. „Es ist ja außer mir kein andrer Mensch da als Ihr?“

Well, stimmt genau, Sir!“

„Dann – dann – wäret Ihr – Ihr, Ihr dieser Hawkens!“

Yes, bin ich auch, wenn ich mich nicht irre.“

Thunder-storm! Ihr wäret Sam Hawkens? Ihr?“

„Denke es. Warum sollte ich es nicht sein?“

„Weil – weil – weil,“ stotterte der Kapitän verlegen, „weil Ihr keineswegs darnach ausseht. Ein Offizier kann sich doch unmöglich in solche Kleider stecken!“

„Wüßte nicht, warum er es nicht thun sollte! Warum sollte sich gerade ein Offizier nicht nach seinem Geschmacke kleiden, Sir? Und dies ist nun einmal mein Geschmack, der Geschmack von Sam Hawkens, und wer denselben für geschmacklos halten sollte, der mag dies thun; ich habe nichts dagegen, so lange er schweigt. Wenn er es aber wagt, es mir zu sagen, so befindet sich die richtige Antwort auf eine solche Beleidigung hier in meiner Hand!“

Sam Hawkens zeigte bei diesen Worten auf sein Gewehr und fügte hinzu.

„Übrigens, daß ich damals Offizier wurde, darauf gebe ich keinen leeren Kürbiskern. Zu einem tüchtigen Westmanne gehört weit mehr als zu einem Subalternoffizier, und ein Westmann bin ich, Sir; ja, der bin ich ganz gewiß, und wenn Ihr es nicht glaubt, so bin ich bereit, es Euch zu beweisen. Wollen wir uns einander gegenüberstellen, um zu erfahren, wessen Kugel ganz genau das Herz des andern trifft? Bin sofort bereit dazu, Sir, sofort, wenn Sie es wünschen!“

Das wurde in einem Tone gesprochen, welcher trotz der allerdings lächerlichen Gestalt Sams dem Offizier sichtlich imponierte. Der letztere machte eine abwehrende Handbewegung und antwortete, diesesmal nun in höflichem Tone:

Ast gar nicht nötig, Sir, ist nicht nötig! Warum sollen sich Gentlemen, welche Kameraden sind, ohne alle Veranlassung niederschießen?“

„Hm! Veranlassung wäre wohl vorhanden dazu. Aber da Ihr erkannt habt, daß der vermeintliche Hanswurst ein Gentleman und Euer Kamerad ist, so habt hier meine Hand. Wollen nun in Frieden über die lustige Aufführung sprechen, an welcher Ihr Euch beteiligen sollt.“

Sie schüttelten sich die Hände, und dann erzählte Sam von seinem gestrigen Zusammentreffen mit den zwölf Reitern, welche er für die Finders hielt. Der Kapitän hörte sehr aufmerksam zu; sein Gesicht nahm je länger desto mehr den Ausdruck großer Spannung an, und als der Kleine geendet hatte, sprang er erregt auf und rief:

„Wenn Ihr Euch nicht irrtet, Sam! Wenn es wirklich die Finders wären! Welch ein Fang!“

Sam blinzelte ihn mit seinen kleinen Äuglein an und fragte:

„Meint Ihr, daß Sam Hawkens so dumm ist, nicht zu wissen, was er behauptet? Sie sind es, sage ich Euch, sie sind es!“

„Aber warum seid Ihr da von San Xavier del Bac fortgeritten, ohne sie mitzunehmen? Sie waren doch gefesselt und befanden sich in Eurer Gewalt!“

„Kann ich beweisen, daß sie Diebe, Räuber, Mörder, daß sie wirklich die Finders sind? Dieser Beweis muß erst erbracht werden, indem ich ihnen die Gelegenheit gebe, uns zu überfallen. Wenn wir sie dabei ergreifen, sind sie ohne weiteres überführt.“

„Ergreifen! Ihr wollt euch also überfallen lassen?“

Yes.“

„In Wirklichkeit überfallen lassen?“

„Natürlich! Oder meint Ihr, daß ich nur davon träumen soll?“

„Das ist Scherz; mir aber ist es Ernst. Ich könnte mich meinen Vorgesetzten nicht besser empfehlen, als wenn wir gerade jetzt, da ich der Kommandierende bin, diese berüchtigte Bande in die Hand bekämen. Aber wenn ihr warten wollt, bis sie über euch herfallen, begeht ihr euch in die größte Gefahr!“

„Fällt keinem Menschen ein!“

„Und doch! Der Überfall wird doch in der Weise stattfinden, daß sie euch niederschießen?“

„Wenn wir uns hinstellen, ja; aber der kleine Sam Hawkens wird mit seinen Leuten verschwunden sein.“

„Dann ist aber von einem Überfalle keine Rede!“

„Warum nicht? Die Wagen werden überfallen, und wenn wir nicht bei denselben sind, so bleibt die That doch ein Verbrechen, und wir können getrost behaupten, daß sie uns ermordet hätten, wenn sie uns angetroffen hätten. Wir werden zwar nicht beweisen können, daß sie Mörder sind; aber sie überfallen nächtlicher Weile einen Wagenzug; das ist Raub, und darauf steht hier zu Lande die Todesstrafe.“

Well! Aber wie wollt ihr sie dabei ergreifen, ohne daß es zum Kampfe kommt und ihr euch also in die Gefahr begebt, euer Leben zu verlieren?“

„Das wird sich finden, wird sich ganz gewiß finden, Sir, wenn Ihr uns dabei unterstützen wollt.“

„Das soll mehr als gern geschehen; nur möchtet Ihr mir sagen, wie Ihr Euch diese Unterstützung denkt.“

„Setzt Euch aufs Pferd und begleitet uns mit einem Trupp Eurer Kavallerie!“

„Ich wäre ganz glücklich, wenn ich das thun dürfte; aber es ist mir nicht gestattet, meinen Posten hier zu verlassen. Und da ich so wenig Leute hier habe, könnte ich höchstens nur zwanzig Mann detachieren.“

„Das genügt vollständig, Sir.“

„Wenn Ihr dies meint, so soll’s geschehen, doch muß ich unbedingt vorher wissen, wie Ihr Euch die Sache denkt. Hat Eure Ansicht meinen Beifall, so sollt Ihr zwanzig Mann bekommen. Seid Ihr denn wirklich so sicher, daß die Finders Euch folgen werden?“

„Daß sie kommen werden, das ist so sicher, wie mein alter Filzhut hier, hihihihi! Sie werden freilich nicht wagen, sich in Tucson sehen zu lassen, sondern die Stadt umreiten; dennoch aber ist es möglich, daß sie einen einzelnen von ihnen als Kundschafter in die Stadt senden. Darum darf jetzt niemand als nur wir beide, höchstens noch der Lieutenant, erfahren, was wir vorhaben. Also sie werden einen Bogen um die Stadt schlagen, bis sie wieder auf unsre Wagenspur treffen, und derselben folgen, bis sie bemerken, daß und wo wir für die nächste Nacht Lager machen. Sie bleiben natürlich zurück und ruhen aus, bis es dunkel geworden ist; dann kann und wird der Überfall stattfinden, wenn ich mich nicht irre.“

„Nun, und Ihr? Ihr wolltet doch nicht bei den Wagen bleiben, wie Ihr vorhin sagtet.“

„Ja, wir werden uns freilich hüten, uns erschießen zu lassen. Wir gehen fort.“

„Wohin?“

„Das kommt darauf an, wo wir lagern werden. Kennt Ihr die Stelle, an welcher die Guadeloupestraße mit dem Wege von Babasaqui zusammenstößt? Und wird diese Stelle auch dem Lieutenant, den Ihr uns mitgeben wollt, bekannt sein?“

„Wir sind beide mehrere Male dort gewesen, er sowohl wie ich.“

Well, ist mir lieb. Dort werden wir lagern, denn dort gibt es Wasser, was für unsre Zugtiere die Hauptsache ist. Ihr schickt den Lieutenant mit seinen Leuten voraus dorthin; aber er muß sich seitwärts unsres Weges halten, damit die Finders nicht etwa seine Spur treffen und mißtrauisch werden. Wir folgen später und treffen mit ihm dort zusammen. Sobald es zu dunkeln beginnt, zünden wir ein großes, helles Feuer an, damit die Finders uns leicht bemerken können. Dann lassen wir die Wagen stehen und machen uns zur Seite, um die Kerls, sobald sie sich heimlich nähern, gleich mit den Fäusten zu packen, niederzureißen und gefangen zunehmen.“

Der Kapitän ging eine Weile schweigend, aber mit raschen Schritten im Zimmer hin und her; dann blieb er vor Sam stehen und sagte:

„Wie Ihr das sagt, klingt es so glatt, so leicht, als ob es nur so und gar nicht anders kommen könne. Die Finders werden den Überfall aber jedenfalls nicht unternehmen, ohne vorher einen Kundschafter nach eurem Lager gesandt zu haben.“

„Das sollen sie auch, und das werden sie allerdings.“

„Aber dann sieht der Späher doch, daß ihr euch nicht im Lager befindet!“

„Nein, das sieht er nicht, denn wir werden es nicht eher verlassen, als bis er dagewesen ist.“

„Dann müßtet ihr aber doch über sein Kommen und Gehen unterrichtet sein!“

„Das werden wir auch, Sir.“

„Wieso? Auf welche Weise?“

„Hm, Ihr scheint Sam Hawkens für dümmer zu halten, als er ist, hihihihi! Den Finders traut Ihr zu, daß sie einen Kundschafter voraussenden. Können denn dasselbe auch nicht wir thun? Ich sage Euch, Sir, daß ich diese Kerls viel eher belauschen werde, als sie uns.“

Der Offizier schüttelte zweifelnd den Kopf und entgegnete:

„Das dürfte wohl unmöglich sein. Ihr müßtet sie schon am Tage beschleichen. Ich habe viel, sehr viel von Euch und Euern beiden Kameraden erzählen hören; ich weiß also, wie listig und wie verwegen Ihr seid, aber diese Leute am hellen, lichten Tage belauschen, hier, wo es keine Wälder gibt, wo man sich verstecken kann, das dürfte Euch wohl kaum gelingen. Dazu müßt Ihr folgendes bedenken: Ihr brennt ein großes Feuer an: sie hingegen werden sich hüten, dies zu thun; sie können also euern Lagerplatz schon von weitem sehen, während Ihr nicht wißt, wo sie zu finden sind.“

„Meint Ihr? Meint Ihr wirklich? Sam Hawkens soll nicht wissen, wohin sich diese Gentlemen stecken werden, hihihihi! Das ist gerade so, als wenn mein Kopf nicht wissen sollte, daß er unter seinem Hute steckt! Ich sage Euch, die Finders werden weder nach rechts noch nach links von unsrer Fährte weichen und auch auf derselben halten bleiben, wenn sie unser Feuer sehen. Sam Hawkens aber weiß ganz genau, auf welche Entfernung hin ein Feuer, wie er es anbrennen wird, zu bemerken ist. Habt keine Sorge um mich, und sagt mir rund heraus, ob Ihr Euch mit dieser Sache befassen wollt oder nicht! Wir werden auch allein ganz gut mit ihnen fertig; nur müßten wir ihnen in diesem Falle unsre Kugeln schmecken lassen. Da ich aber lieber kein Blut vergießen will, habe ich mich an Euch gewendet. Wenn Ihr mir zwanzig Mann, also vierzig Hände, zur Verfügung stellt, können wir mit den Fäusten fertig bringen, was sonst nur mit Hilfe von Pulver und Blei zu erreichen wäre.“

„Gut, ich bin einverstanden, möchte aber vorher auch die Meinung des Lieutenants hören.“

„So laßt den Mann kommen, Sir! Denke aber, daß er dem Stocke, den ich schwimmen lassen will, keine andre Richtung geben wird.“

Der Kapitän holte den Lieutenant selbst herbei, und es erfolgte eine Unterredung, an deren Schlusse sich diese Ansicht Sams bewahrheitete: es blieb bei dem, was er beschlossen hatte. Die beiden Offiziere waren neugierig, auch Dick Stone und Will Parker zu sehen, doch Hawkens redete ihnen das aus, da ihr Besuch bei den Wagen oder der Besuch der beiden Genannten bei ihnen gewiß Aufsehen erregt hätte. Ein etwaiger Späher der Finders mußte dann davon erfahren, und Buttler konnte dann gar wohl erraten, daß die Garnison zu Hilfe gerufen worden sei. Als noch einige nebensächliche Dinge besprochen und bestimmt worden waren, entfernte sich Sam, sehr zufrieden über das Ergebnis der Verhandlung mit seinem Herrn „Kameraden“.

Als er bei den Wagen ankam, stand die ganze nichtsthuende Bevölkerung von Tucson um dieselben, gerade so, wie hier in Deutschland die Müßiggänger nach einem Zigeunerlager laufen, um sich das Treiben desselben anzusehen. Die Gesellschaft saß, ohne diese große Zuschauerschaft zu beachten, beim Frühstücke, und Sam setzte sich mit nieder, um an dem frugalen Essen teilzunehmen und zu berichten, welches Ergebnis seine Unterredung mit dem Kapitän gehabt habe.

Später kamen einige der Neugierigen näher, um sich mit den Reisenden zu unterhalten, was seitens der Auswanderer nur bei dem Kantor Erfolg hatte, wenn auch nur einen sehr geringen, da dieser sich eine größere Anzahl englischer Brocken angeeignet hatte, als die andern. Unter diesen Leuten befand sich ein junger Mann, welcher sich, von den übrigen unbefriedigt, an den Führer machte und diesen, mit ihm allein stehend, in ein Gespräch verwickelte. Sam beobachtete ihn; er bemerkte, daß derselbe eine militärische Haltung besaß und während des Gespräches besonders forschend auf die drei „Kleeblätter“ blickte. Darum stand der Kleine auf und näherte sich ihnen. Als er hinkam, hörte er noch deutlich, daß der Führer auf eine an ihn gerichtete Frage antwortete:

„Ja, es ist das Kleeblatt; ich kann es versichern, obgleich ich es erst auch nicht glauben wollte.“

Da nahm Sam den Fremden beim Arme und sagte in einem sehr bestimmten Tone:

„Master, Ihr seid Soldat, nicht? Ihr gehört zur hiesigen Garnison?“

Man sah dem Manne an, daß ihn diese Frage in Verlegenheit brachte. Er stotterte etwas, was als Antwort dienen sollte, aber nicht verstanden werden konnte; darum fuhr der Kleine fort:

„Geniert Euch nicht; ich zürne Euch nicht. ich habe dem Kapitän gesagt, daß ich Sam Hawkens bin; er kennt mich nicht persönlich und muß doch infolge einer Zusicherung, welche er mir gegeben hat, wissen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Darum habt Ihr die Uniform ausziehen und in dieser Kleidung zu uns gehen müssen, um genaue Erkundigung einzuziehen. Gesteht, daß es so ist!“

„Ja, Sir, Ihr täuscht Euch nicht,“ lautete jetzt die Antwort. „Da ich nun weiß, daß Ihr zu dem Kleeblatte gehört, darf ich es gestehen.“

„So meldet dem Kapitän, was Ihr gehört habt; sprecht aber ja mit keinem andern davon!“

„Kein Wort sage ich, Sir. Ich weiß, um was es sich handelt; ich bin Unteroffizier und gehöre zu den Zwanzig, welche mit dem Lieutenant reiten werden.“

„Wann brecht ihr auf?“

„Schon in einer halben Stunde.“

„So sagt dem Lieutenant, er soll euch einzeln und nach verschiedenen Richtungen aus der Stadt reiten lassen! Dadurch wird vermieden, daß irgend jemand auf den richtigen Gedanken kommt.“

Der Unteroffizier entfernte sich, und nun wendete sich Sam an den Führer:

„Sagt mir doch einmal, wie Ihr dazu kommt, diesem Manne Auskunft über uns zu erteilen!“

„Er fragte mich!“ antwortete der Führer kurz.

„So! Also wenn Euch jemand fragt, so antwortet Ihr, es mag sein, wer es will.“

„Ihr wollt mir doch nicht etwa den Mund verbieten?“

„Ja, das will ich allerdings! Ihr wißt, daß niemand erfahren soll, daß wir das Kleeblatt sind, und doch habt Ihr es diesem Frager sofort auf die Nase gehängt. Ihr wollt ein Scout, ein Westmann sein und habt noch nicht einmal das Abc der Vorsicht inne. Ich möchte mich Eurer Führung nicht anvertrauen.“

„Das habt Ihr auch nicht nötig. Ehe Ihr zu uns kamt, ging alles nach meiner Weisung und nach meinem Willen; nun aber thut Ihr, als ob Ihr unser Gebieter wäret. Ich bin von diesen Leuten engagiert worden und führe sie –“

„Ins Verderben!“ fiel Sam ihm in die Rede. „Ihr habt sie zu beschützen. Thut Ihr das? Ohne unser Kommen würden sie heut abend beraubt und ermordet werden!“

Pshaw! Ich habe meine Augen auch offen. Laßt Euch sagen, Master Hawkens, daß ich die mir Anvertrauten bis Fort Yuma zu führen habe. Bis dorthin bin ich Herr des Zuges. Wollt Ihr mit, so habt Ihr Euch mir zu fügen. Später dann könnt Ihr befehlen, so viel Ihr wollt! Basta!“

Da klopfte ihm Sam auf die Achsel und sagte mit seinem freundlichsten Lächeln, hinter welchem sich aber stets das Gegenteil verbarg:

„Nicht basta, noch lange nicht! Ich weiß, wohin diese Leute wollen; es ist nicht nötig, daß sie über Fort Yuma ziehen; es gibt einen kürzeren Weg, den Ihr freilich nicht zu kennen scheint. Ihr bleibt bis morgen früh noch bei uns; dann könnt Ihr gehen, wohin es Euch beliebt.“

„Mir recht, wenn ich meinen Lohn bis Fort Yuma bekomme!“

„Den werdet Ihr erhalten, und dann führe ich diese Leute, ohne Lohn von ihnen zu verlangen; sie werden dann nicht wieder durch die Schwatzhaftigkeit ihres Scout in Gefahr geraten.“

Der Führer setzte sich mürrisch auf eine Wagendeichsel; Sam wendete sich von ihm ab und seinen Gefährten zu.

„Hast einen Fehler gemacht, Sam,“ meinte Will Parker. „Kann dich nicht begreifen.“

„Fehler gemacht? Welchen?“ fragte der Kleine.

„Warum soll er noch bis morgen bei uns bleiben? Hättest ihn gleich fortschicken sollen.“

„Das also, das soll ein Fehler sein! Will Parker, das Greenhorn, untersteht sich Sam Hawkens gute Lehren zu erteilen! Siehst du denn nicht ein, altes Coon, daß ich ihn heut noch nicht fortschicken darf?“

„Nein, das sehe ich nicht ein.“

„O, süßer Will, wie traurig steht’s mit dir! Wirst niemals, nie, ein Westmann werden. Wie blamiert es mich, einen solchen Lehrjungen zu haben, der nichts begreifen kann! Du aber kannst dich glücklich schätzen, daß ich dein Meister bin, denn ohne mich und Dick Stone wärest du längst schon ausgelöscht worden. Weißt du, was dieser sogenannte Scout machen würde, wenn ich ihn schon heut davon jagte?“

„Nun, was?“

„Er würde aus Rache zu den Finders gehen und ihnen unser Vorhaben verraten. Aber dein kleines Gehirn reicht gar nicht zu, diesen großen Gedanken in sich aufzunehmen.“

Yes,“ stimmte Parker sehr ernsthaft zu. „Du hast wirklich recht, alter Sam. Es ist eine wahre Sünde und Schande mit mir, daß keine deiner guten Lehren und Ermahnungen wie ein Tintenklex an mir haften bleibt. Ich begreife gar nicht, wie du es nur so mit mir aushalten kannst.“

„Das ist kein Wunder, da du überhaupt gar nichts begreifen kannst. Der Grund liegt darin, daß ich für dich fühle und empfinde wie eine nachsichtige Mutter, die gerade dasjenige Kind, welches ihr die meisten Sorgen macht, am meisten liebt.“

Jetzt sah man einen Kavalleristen vorüberreiten; der Aufbruch des Militärs hatte also begonnen. Der Wagenzug aber blieb noch lange halten und setzte sich erst um die Mittagszeit wieder in Bewegung.

Man hatte bis zu dem Punkte, an welchem für die Nacht gehalten werden sollte, ungefähr neun englische Meilen zurückzulegen und mußte also selbst bei dem langsamen Ochsenschritte noch vor abend dort ankommen. Die Gegend, durch welche der Zug sich bewegte, war eine mit Kies bedeckte Einöde, auf welcher nur hier und da ein hagerer Kaktus oder ein elender Mesquitestrauch zu sehen war. Was man davon dürr fand, wurde mitgenommen, um heut abend ein großes Feuer unterhalten zu können. Überhaupt besteht die ganze zwischen Tucson und dem Gila liegende Strecke aus solchem kiesigen Wüstenlande, wo es Wasser für das Vieh nur in einigen Tümpeln gibt und für die Menschen an zwei oder drei Punkten, wo die frühere Überlandpostgesellschaft Brunnen graben ließ, welche noch heut bestehen. Man nennt diese Gegend die Neunzigmeilenwüste. jedenfalls gibt es außer an den angeführten Stellen auch noch an andern Orten Wasser, doch halten die wilden Indianer derartige Punkte verborgen, indem sie die Löcher mit Häuten bedecken, auf welche sie Kies und Sand streuen, gerade so, wie die Nomaden der Sahara es mit ihren verborgenen Brunnen thun.

Sam Hawkens leitete den Wagenzug; der bisherige Führer ritt nicht mehr voran, sondern hinterdrein. Die Blicke, welche er von Zeit zu Zeit auf den Kleinen warf, waren keine guten. Wenn sie bemerkt worden wären, hätte man aus ihnen ersehen können, daß er auf Rache sann.

Als am Nachmittag nur noch zwei englische Meilen zurückzulegen waren, achtete Sam noch weit mehr als vorher auf den Weg und dessen Umgebung. Von einem gebahnten „Wege“ war allerdings keine Rede; aber wer diese Gegend passierte, der hielt, ob zu Pferde oder zu Wagen, dieselbe Richtung ein, und so kommt es, daß man hyperbolisch sogar von Straßen spricht, welche die einzelnen Orte dort verbinden.

Diese letzten zwei Meilen führten über wellenförmiges Land, welches so aussah, als ob eine Schar von Giganten riesenhafte Körbe voll Sand, Kies und Steingetrümmer hier nebeneinander ausgeschüttet hätte. Darum kamen die Wagen nur sehr langsam vorwärts. Einer dieser Giganten hatte seinen Korb mit großen, mannshohen und noch höheren Felsenstücken gefüllt gehabt und dieselben so hingeworfen, daß sie wie eine Brustwehr neben-, zwischen- und übereinander lagen. Wer sich dahinter versteckte, konnte sehr weit sehen, ohne selbst gesehen zu werden.

Sam deutete auf diese Felsen und rief seinen beiden andern „Blättern“ zu:

„Das ist der Ort, an welchem die Finders halten werden. Oder willst du vielleicht wetten, Will Parker, daß ich unrecht habe?“

„Fällt mir nicht ein, altes Coon,“ antwortete der Genannte. „So klein mein Gehirn nach deiner Meinung ist, es hat doch diese Felsen sofort als mutmaßliche Haltestelle in sich aufgenommen. Schau, da drüben, links, gibt es noch ähnliche hohe Steine. Vielleicht reiten die Kerls dort hinüber.“

„Nein, denn hier siehst du einige hundert Grashalme, welche sie ihren Pferden gönnen werden. Dort drüben wird sich aber auch jemand befinden.“

„Wer?“

„Kannst du das dir nicht denken?“

„Doch, alter Sam.“

„Nun, wer?“

„Du selbst. Du wirst dich dort verstecken, um ihre Ankunft zu beobachten und sie dann zu belauschen.“

Da schlug Sam seine fetten Hände über dem Kopfe zusammen und rief in gut gespielter Verwunderung:

„Ist so etwas denn möglich! Dieses Greenhorn hat auf einmal einen Gedanken, einen wirklichen Gedanken, und zwar einen ganz richtigen und guten! Entweder geht die Welt bald unter, oder bei diesem alten Will Parker ist der Knoten endlich doch gerissen. Ja, edler Will, ich werde, wenn ich unsern Lagerplatz gesehen habe, nach dort drüben zurückkehren und auf die Finders warten.“

„Nimmst du mich mit?“

„Kann es nicht riskieren, Will. Gehören geschickte und erfahrene Leute zu so etwas. Mußt erst noch länger in die Schule gehen.“

„Hm, ist’s nicht etwa so, daß du dich täuschest, alter Sam? Habe einen Jungen gekannt, welcher absolut nichts lernte, obwohl er einen sehr anstelligen Kopf besaß. Die Leute sagten, nicht der junge, sondern der Lehrer, der nichts verstand, sei schuld daran. Ist wahrscheinlich hier bei uns auch der Fall.“

Nachdem man noch einige niedrige Bodenerhebungen überwunden hatte, wurde das Land wieder eben, und eine gute Viertelstunde später verwandelte sich der sterile Kies in eine Erde, welche eine Gruppe von Mesquite- und Ocochillabüschen trug. Da gab es sogar Wasser. Es war hier nämlich einer jener Brunnen, welche von der Überlandpostgesellschaft gegraben worden sind. Der Lagerplatz war erreicht, und man hielt an.

Zunächst erquickten sich die Menschen an dem Wasser; dann wurden die Pferde und Ochsen getränkt, welche alsdann den Versuch machten, sich aus dem stacheligen Gebüsch die wenigen grünen Blätter zu holen. Die Wagen waren, wie Sam gestern geraten hatte, so aufgefahren worden, daß sie die Seiten eines zwischen ihnen liegenden Viereckes bildeten.

Natürlich blickte man nach den Soldaten aus. Sie waren nicht zu sehen. Sam nickte befriedigt vor sich hin und sagte:

„Ist kein übler Kopf, dieser Lieutenant. Hat nicht eher hier erscheinen wollen, als bis wir angekommen sind. Wird sich aber nun bald sehen lassen.“

Als ob seine Worte von dem Betreffenden gehört worden seien, tauchte jetzt im Norden ein einzelner Reiter auf, welcher rasch näher kam. Es war der Lieutenant. Als er das Lager erreichte, gab er Sam Hawkens die Hand und sagte:

„Wir befinden uns schon seit Stunden in der Nähe, mieden aber diese Stelle, weil, da man hier Wasser findet, leicht jemand kommen und uns dann den Finders verraten könnte. Nun aber müssen unsre Pferde saufen. Dürfen wir her?“

„Ja, Sir,“ antwortete der Kleine. „Aber wenn es dunkel werden will, müßt ihr wieder fort. Es werden Späher kommen, welche euch nicht sehen dürfen. Ihr zieht euch dann so weit zurück, daß ihr dann, wenn wir euch brauchen, schnell geholt werden könnt.“

„Einverstanden. Wo aber meint Ihr denn, daß die Finders halten werden, um auf die rechte Zeit zu warten?“

Sam deutete nach Südost zurück, wo man die vorhin erwähnten Felsen von hier aus gerade noch sehen konnte.

„Dort hinter jenen Steinen, Sir. Da sie wahrscheinlich schon am Tage dort ankommen werden, dürfen sie nicht weiter, weil wir sie sonst bemerken würden.“

„Aber werden sie nicht mich und meine Reiter sehen?“

„Nein. Ich habe gestern bei ihnen gesessen und weiß, daß keiner von ihnen ein Fernrohr besitzt; ein Auge aber, und wenn es noch so scharf ist, kann in dieser Weite nur die großen Wagen und später, wenn es dunkel geworden ist, das Feuer erkennen. Ihr könnt also eure Leute getrost holen, Sir.“

Der Offizier ritt fort und kehrte bald darauf mit seinen zwanzig Kavalleristen zurück, welche sich nur so weit entfernt vom Lager befunden hatten, daß sie von demselben aus eben gerade nicht mehr gesehen werden konnten. Es wurde der Ort bestimmt, bis zu welchem sich die Truppen bei der Dämmerung zurückzuziehen hatten; dann schickte sich Sam an, seinen Spähergang anzutreten. Er mußte gehen, da er sich als Reiter nicht so gut und leicht verbergen konnte. Er trat also zu seinem Maultiere, gab demselben einen leichten Klaps und sagte:

„Leg dich nieder, alte Mary, und warte, bis ich wiederkomme!“

Es verstand ihn ganz genau, legte sich nieder, und nun konnte man die höchste Summe darauf wetten, daß es sich nicht eher von der Stelle rührte, als bis es von seinem zurückgekehrten Herrn dazu aufgefordert wurde. Dann wendete er sich an Parker:

„Wie steht es, süßer Will? Wünschtest du nicht, mitgenommen zu werden?“

„Lauf nur allein,“ war die Antwort. „Kannst ein Greenhorn, wie ich bin, doch nicht brauchen.“

„Muß dich aber doch mitnehmen, wenn du etwas lernen sollst.“

Well, ich gehe mit, doch nicht des Lernens halber, sondern damit du nicht ohne Hilfe bist, wenn die Finders dich erwischen und skalpieren wollen.“

„Mögen es immer thun. Können meine Haut bekommen. Werde mir eine andre und schönere kaufen.“

Sam und Parker verließen das Lager. Sie nahmen ihre Waffen mit, da es möglich war, sich derselben bedienen zu müssen. Südöstlich lagen die Steine, hinter welchen, wie Sam annahm, sich die Finders verbergen würden. Mehr nach Süd, also nach rechts, sah man die Felsen, bei denen Sam sich verstecken wollte. Dorthin nahmen sie ihren Weg, doch nicht in gerader Richtung, sondern in einem westwärts geschlagenen Bogen, um, falls die Finders schon angekommen sein sollten, nicht von ihnen gesehen zu werden. Natürlich hatte Sam, ehe er sich aus dem Lager entfernte, für alle möglichen Fälle die nötigen Anweisungen zurückgelassen.

Als die beiden ihr Ziel erreichten, stand die Sonne schon dem Horizonte nahe; in einer halben Stunde mußte die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung eintreten. Drüben bei den andern Felsen befand sich noch kein Mensch; sie richteten ihre Blicke also dahin, wo die Erwarteten herkommen mußten. Niemand war zu sehen.

„Ob sie überhaupt kommen werden?“ fragte Parker. „Wir sind nur von einer Vermutung, nicht aber von einer Gewißheit ausgegangen.“

„Was du Vermutung nennst, ist für mich Gewißheit,“ antwortete Sam. „Soll mich wundern, wenn ich mich irrte.“

„Die Lugt kann ihnen vergangen sein; haben ihnen nicht gut mitgespielt.“

„Desto kräftiger wird ihr Durst nach Rache sein. Schau! Bewegt sich nicht etwas dort zwischen den beiden vorletzten Bodenwellen?“

Parker strengte seine Augen an und antwortete dann hastig:

„Reiter! Sie sind’s!“

„Ja, sie sind’s; sie kommen aus der Einsenkung hervor. Man kann sie noch nicht zählen, aber mehr als zwölf sind es nicht.“

„Und wohl auch nicht weniger. Sie sind’s gewiß. Alter Sam, du hast recht gehabt!“

„Habe immer recht, süßer Will, immer, und das ist gar nicht schwer. Weißt du, wie man es machen muß, um niemals unrecht zu haben?“

Yes; ist sehr leicht.“

„Nun, wie?“

„Man muß gar nichts behaupten.“

„Auch richtig; aber das meine ich nicht. Man darf nicht eher etwas sagen, als bis man gewiß weiß, daß es richtig ist.“

„Ist keine Kunst!“

„Nicht? Nun, dann muß man immer das Gegenteil von dem behaupten, was ein Greenhorn sagt.“

„Schön, lieber Sam! Werde also von jetzt an dir niemals beistimmen, dann habe ich immer recht. Schau, sie bleiben halten! Sie besprechen sich. Sie werden doch nicht herüber zu uns wollen!“

„Fällt ihnen nicht ein! Jetzt setzen sie sich wieder in Bewegung. Sie weichen rechts von unsrer Fährte ab. Sie kennen diese Gegend und wissen, daß sie dort hinauf zu den Felsen müssen, wenn sie unser Lager sehen wollen.“

„Du meinst, sie nehmen als sicher an, daß wir dort am Wasserlagern?“

„Natürlich! Kein Mensch wird, wenn er Wasser haben kann, in die Wüste gehen. Welch eine Frage wieder! Will Parker, Will Parker, was werde ich noch an dir erleben müssen! Ich kann mit dir keine Ehre einlegen und darf mich also in deiner Gesellschaft vor niemand sehen lassen. Du betrübst und grämst mich noch in den blassen Tod hinein, wenn ich mich nicht irre. Schau, sie reiten hinauf, und ich hatte wieder recht: sie kommen nicht hierher.“

Man sah, daß sie sich nach den jenseitigen Felsen bewegten. je näher sie denselben kamen, desto vorsichtiger bewegten sie sich, indem sie jeden Stein zur Deckung nahmen, um vom Wasser aus nicht gesehen zu werden. Sie stiegen schließlich von den Pferden und führten dieselben hinter sich her, weil sie im hohen Sattel mehr in die Augen fallen mußten. Endlich hatten sie die Felsen erreicht und lauschten hinter denselben hervor. Man sah ihren Bewegungen an, daß sie sich freuten, den Wagenzug zu erblicken. Die Pferde wurden etwas rückwärts angepflockt, und dann nahmen die Reiter die verschiedensten Stellungen ein, in denen sie das Lager bequem beobachten konnten.

„Sie sind’s,“ nickte Sam. „Zwölf; man kann sie jetzt zählen.“

„Gehen wir hinüber?“ fragte Will.

„Ja, sobald es dunkel geworden ist.“

Da brauchten sie nicht lange zu warten. Die Sonne hatte schon den Horizont berührt; sie verschwand; der immer tiefer werdende Schatten der Dämmerung flog von Osten herbei, und draußen am Wasser leuchtete nun ein hohes, helles Feuer auf. Man konnte die Finders schon nicht mehr erkennen.

„Komm,“ forderte Sam seinen Kameraden auf. „Wir wollen keine Zeit verlieren.“

Sie verließen ihr Versteck und schritten demjenigen ihrer Gegner zu. Je näher sie demselben kamen, desto leiser, zuletzt vollständig unhörbar, wurden ihre Schritte. Daß Sam Hawkens mit seinen Riesenstiefeln so geräuschlos auftrat wie ein Sperling im Grase, das war geradezu unbegreiflich. Und Will Parker benahm sich mit einem Geschick, welches bewies, daß er kein Greenhorn war, wenn er von Sam auch oft so genannt wurde.

Als sie an den Fuß der kleinen Anhöhe gelangten, gab Sam seinem Begleiter das Gewehr und flüsterte ihm zu:

„Bleib hier zurück und halte meine Liddy! Ich will allein hinauf.“

Well; aber wenn du in Gefahr gerätst, komme ich nach.“

Pshaw, wüßte nicht, welche Gefahr dies sein könnte! Spitz die Ohren, Will, damit du nicht etwa ertappt wirst!“

„Von wem?“

„Von dem Kundschafter, den sie gewiß nun bald fortschicken werden. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich, daß er hier vorüberkommt.“

Er legte sich auf den Boden nieder und kroch weiter. Es war jetzt die beste Zeit zum Anschleichen, weil so kurz nach der Dämmerung die wenigen Sterne, welche zu sehen waren, noch matt schimmerten. Bekanntlich wächst der Glanz der Sterne von der Dämmerung an.

Wie bereits bemerkt, bestand die Bodenwelle, auf welcher die Felsenstücke lagen, aus lauter Geröll, welches demjenigen, welcher im Anschleichen keine sehr große Gewandtheit besaß, unter den Füßen und Händen fortrollen mußte. Sam aber schob sich Zoll um Zoll vorwärts, ohne daß ein Steinchen aus seiner Lage geriet. Es ergab sich dabei wirklich die absoluteste Unhörbarkeit. So erreichte er die Höhe und hielt an. Seine scharfen an die Dunkelheit gewöhnten, weil in derselben geübten Augen sahen die Gegner vor sich; er hätte sie ebensogut bemerkt, wenn er sie nicht gesehen hätte, denn sie sprachen miteinander. Er wagte es, sich ihnen noch mehr zu nähern, und hielt endlich bei einem großen Steinbrocken an, hinter welchem er sich niederkauerte. Zwei oder drei der Finders standen aufgerichtet an den Felsen, um über dieselben hinweg das ferne Lagerfeuer zu beobachten; die übrigen hatten es sich bequem gemacht; sie saßen auf der Erde. Zwei waren es, welche miteinander sprachen, Buttler und ein andrer. Eben als Sam es sich hinter seinem Steine bequem gemacht hatte, hörte er den letzteren sagen:

„Hätten Wir nur mehr Munition bekommen können! Wir müssen außerordentlich sparsam sein.“

„Nur einstweilen,“ antwortete Buttler. „Wir werden uns alles wiedernehmen und noch weit mehr dazu. Poston, jetzt ist’s Zeit, dunkel genug. Mache dich fort! Aber laß dich ja nicht erwischen oder auch nur hören oder sehen, sonst hast du es mit mir zu thun!“

„Werde mich hüten, mich sehen zu lassen,“ antwortete der Angeredete. „Es ist nicht zum erstenmal, daß ich lauschen gehe.“

„Darum eben schicke ich dich und keinen andern. Du brauchst dich nicht in Gefahr zu begeben, brauchst nichts zu wagen und dich ihnen nicht allzuweit zu nähern, das wäre unnötig.“

„Aber ich möchte doch gern wissen, was sie reden!“

„Ist von keinem Nutzen für uns. Ich will nur wissen, ob sie allein am Wasser sind oder noch andre sich mit dort befinden.“

„Aber wenn ich sie reden hören könnte, würde ich erfahren, ob sie vielleicht Verdacht haben!“

„Verdacht? Woher soll ihnen dieser kommen?“

„Sie können doch denken, daß wir ihnen folgen werden?“

„Dazu sind sie zu dumm. Die Deutschen sind gar nicht zu rechnen, und der Scout schien nicht der Mann zu sein, der sein Leben wagt, um andre zu retten. Also bleiben nur die drei Schufte, welche gestern trotz ihrer Dummheit ein solches Glück gegen uns gehabt haben. Ihr Verstand reicht sicher nicht so weit, zu denken, daß wir ihnen nachgeritten sind. Am Gila in Fallen Bären und Biber fangen! Hat man jemals eine solche Verrücktheit gehört? Also geh, Poston, und spute dich! In einer halben Stunde kannst du wieder hier sein.“

Der Späher entfernte sich, und der allererste Sprecher nahm nun wieder das Wort-.

„Wann denkst du, daß wir uns auf sie werfen, Buttler? Heut abend noch oder morgen früh?“

„Morgen erst? So lange mag ich nicht warten. Ich brenne vor Begierde, ihnen, und vor allen Dingen dem kleinen, dicken Kerl, die Rechnung heimzuzahlen. Nein, heut abend noch.“

„Wenn sie schlafen und das Feuer ausgegangen ist?“

„Nein. Wir werden sie mit einer einzigen Salve niederschießen; dazu gehört Licht.“

„Aber das Feuer ist groß und leuchtet so weithin, daß sie uns sehen müssen, wenn wir kommen.“

„Dadurch, daß sie einen solchen Höllenbrand angefacht haben, beweisen sie, daß sie nicht den geringsten Verdacht hegen. Es ist freilich unangenehm, daß die Riesenflamme gar so weit leuchtet; wir müssen also warten, bis sie niedrig brennt. Dann aber wird keinen Augenblick länger gezögert. Ich sage euch, auf den Kleinen, Dicken darf mir niemand schießen, denn der soll von meiner Kugel sterben.“

Er erging sich weiter in zornigen Ausdrücken und in überkräftigen Redensarten über das gestrige Erlebnis, die dabei gegen ihn aufgetretenen Personen und die Übertölpelung, welcher er mit seinen Gefährten verfallen war. Sam erwartete, noch weiteres Wichtiges zu hören; darum blieb er wohl noch eine gute Viertelstunde liegen, sah sich aber getäuscht und verließ darum nun seinen Ort ebenso leise und vorsichtig, wie er gekommen war. Als er unten bei Will Parker anlangte, gab dieser ihm sein Gewehr zurück und sagte:

„Hier hast du die Liddy. Gab es etwas zu hören?“

„Wenig.“

„Aber wichtig?“

„Nur daß der Überfall dann geschehen soll, wenn unser Feuer nicht mehr so hell brennt wie vorher. Wir müssen uns darauf einrichten. Hast du den Kundschafter gesehen?“

„Ja. Er ging ziemlich nahe an mir vorüber, hat mich aber nicht bemerkt.“

„So komm! Wir müssen zu den Unsrigen.“

Sie entfernten sich, erst mit gedämpften Schritten, dann aber mit weniger Vorsicht, denn sie schritten nicht direkt auf das Lager zu, sondern machten einen Umweg, um nicht auf den zurückkehrenden Späher zu treffen. Sie hatten noch nicht ganz die Hälfte des Weges zurückgelegt, so hörten sie einen lauten englischen Ausruf, dem ein zweiter deutscher folgte.

Tempest!“ rief die erste Stimme.

„Herr Jemineh!“ schrie die zweite. „Wer fällt denn da über mich weg?“

„Das ist der Kantor,“ raunte Sam seinem Kameraden zu. „Der Mann macht mir da wohl eine Dummheit. Komm schnell näher, aber leise, damit man uns nicht eher bemerkt, als bis wir uns bemerken lassen wollen!“

Sie huschten der Gegend zu, aus welcher die Stimmen jetzt weiter erklangen. Als sie nahe genug gekommen waren, blieben sie halten und lauschten.

„Wer Ihr seid, habe ich gefragt!“ sagte der englisch Sprechende.

„Ich ersticke!“ wurde ihm deutsch geantwortet.

Ja, es war die Stimme des Emeritus. Sie klang so, als ob ihn jemand an der Kehle habe.

„Den Namen will ich wissen!“ erklang es wieder englisch.

„Dort vom Lager.“

„Ich verstehe Euch nicht. Redet doch englisch!“

„Ich komponiere!“

„Gehört Ihr zu den Leuten, welche dort am Feuer sitzen?“

„Eine Heldenoper, welche drei ganze Abende füllen soll!“

„Mensch, wenn Ihr nicht verständlich redet, kommt Ihr nicht los! Also Antwort! Wer seid Ihr?“

„Zwölf Akte, auf jeden Abend vier.“

„Den Namen, den Namen!“

„Ich suche den Hobble-Frank!“

„Ah endlich! Frank heißt Ihr? Was treibt Ihr denn hier, so allein und nächtlicher Weile?“

„Aus Klotzsche bei Dresden bin ich. Laßt mich doch los -o, o, endlich! Gott sei Dank!“

Die Stimme klang freier; der Kantor hatte sich losgerissen und eilte fort. Man hörte seine Schritte.

„Nun ist er doch fort!“ stieß der andre zornig hervor. „Soll ich – nein; ich muß weiter.“

Er verfolgte den Fliehenden nicht, sondern nahm seinen Weg mit schnellen Schritten zu den Finders.

„Es ist der Kundschafter,“ flüsterte Sam. „Das ist eine fatale Geschichte. Kann uns alles verderben. Ich muß wieder nach den Felsen zurück, um zu hören, was der Mann dort meldet. Bleib hier stehen! Ich muß noch eher dort sein als er.“

Er rannte fort. Will Parker wartete. Es verging wohl eine halbe Stunde, ehe Sam zurückkehrte. Als er kam, meldete er:

„Es ist besser abgelaufen, als ich dachte. Diese Begegnung konnte dem Kantor das Leben kosten oder, wenn wir ihm beisprangen, wenigstens unsern Plan zu Schanden machen.“

„Für wen halten die Finders diesen Unglücksemeritus?“ erkundigte sich Parker.

„Es ist gar nicht von ihm gesprochen worden.“

„Nicht? Das ist unmöglich.“

„Es ist wirklich so. Der Kundschafter hat nämlich die Begegnung gar nicht erwähnt.“

„Wirklich nicht? Unbegreiflich! Sie ist doch so wichtig, daß er sie unbedingt melden muß!“

„Das begreift dieser Mann vielleicht nicht. Er hat sie höchst wahrscheinlich aus Angst verschwiegen.“

„Aus Angst? Wieso?“

„Aus Angst vor den Vorwürfen. Ehe er ging, drohte ihm Buttler, sich ja nicht sehen zu lassen; nun ist er gar über jemand weggefallen. Wenn er dies sagt, hat er nichts Gutes zu erwarten; darum zog er vor, lieber zu schweigen. Das kann uns nur lieb sein. Komm nun jetzt zum Lager!“

Sie gingen weiter, hatten aber noch nicht viele Schritte gethan, als sie schon wieder stehen blieben, da sie ein Geräusch vor sich hörten. Als es näher kam, erkannten sie, daß es Hufschläge waren.

„Ein galoppierendes Pferd, welches gerade auf uns zukommt!“ sagte Parker.

„Ja, so ist es,“ stimmte Sam bei. „Was ist das nun wieder, wenn ich mich nicht irre! Schnell zur Seite!“

Das Pferd war schnell näher gekommen; sie wichen gerade noch zu rechter Zeit aus; als es vorüberschoß, sahen sie trotz der Dunkelheit, daß zwei Gestalten auf demselben saßen. Die eine von ihnen stöhnte laut.

„Wir das einer von uns, Sam?“ fragte Parker.

„Weiß nicht. Waren überhaupt zwei, altes Greenhorn.“

„Aber Feinde. Der eine saß richtig im Sattel; der andre kniete hinter ihm und hatte ihn beim Halse.“

„So genau habe ich es nicht unterscheiden können. Hast du dich nicht etwa geirrt?“

„Nein. Ich stand näher als du und konnte es also deutlicher sehen. Einer von ihnen gehörte wohl zu uns; wer aber mag der zweite sein?“

Dieser zweite gehörte ebenso wie der erste zur Gesellschaft. Daß sie miteinander an Sam und Will vorüberritten, und zwar auf einem Pferde, beruhte auf folgender Ursache:

Schi-So, der Häuptlingssohn, hatte sich stets nur zu Adolf Wolf, seinem gleichalterigen einstigen Studiengenossen und jetzigen Gefährten gehalten, war nach Indianerweise gegen Sam, Will und Dick nicht aufdringlich gewesen, hatte aber alle Vorkommnisse, Reden und Gespräche mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Er hatte in Tucson gehört, wie Sam den Führer zurechtwies und ihm sagte, daß er morgen entlassen werde. Später war ihm das stille, brütende Wesen dieses Mannes aufgefallen; er hatte Verdacht gefaßt und ihn von nun an sehr aufmerksam beobachtet. Jetzt, am Lager, hatte der Scout mit den deutschen Auswanderern nach Sams und Will Parkers Entfernung einen Streit vom Zaune gebrochen, und Frau Rosalie ihrem lebhaften Temperament zufolge an demselben teilgenommen. Was der eigentliche Grund oder Gegenstand des Zankes war, wußte Schi-So nicht; er hörte nur, daß die Frau schließlich zornig ausrief.-

„Denken Se nich etwa, daß wir Ihre Unterthanen und Schklaven sind! Ich, Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllerin habe hier gerade so viel zu befehlen wie Sie. Verschtehn Se mich! Sie zeigen uns den Weg und kriegen Ihr Geld dervor. So is die Sache. Und morgen gehn Se ab. Der Herr Sam Hawkens wird uns weiter führen; der verschteht seine Sache besser als Sie und macht’s noch derzu ganz umsonst.“

„Besser wie ich?“ fragte zornig der Scout. „Darüber haben Sie als Fremde und als Frau gar kein Urteil. Weiber haben überhaupt zu schweigen!“

„Zu schweigen? I, was Se nich sagen! Schweigen sollen wir Damen? Wozu haben wir denn den Mund bekommen? Etwa bloß zum Nüsseknacken und Oppedeldoc trinken? Hörn Se, da sind Se uff dem Holzwege! Schweigen lieber Sie, denn alles, was Se sagen, is schlechte Leinewand und imitiertes Meublemang! Wir werden froh sein, wenn Se morgen fort sein werden. Uff Ihre lockere Amtsführung als Wegweiser und Schkuut dürfen Se sich wahrhaftig nich viel einbilden!“

„Ich kann dieses Amt ja schon heut niederlegen!“

„So? Das is uns lieb; das is uns recht; das wird oogenblicklich angenommen. Also treten Se ab! Sie sind hiermit aus Amt und Schtand und Brot entlassen!“

„Nicht eher, als bis ich meine Bezahlung bekommen habe!“

„Die sollen Se haben, oogenblicklich haben. Wegen den paar Pfennigen lassen wir uns nich beim Land- und Kreisgericht verklagen. Julius, haste Geld bei der Hand?“

Julius hieß ihr Mann, welcher neben ihr stand. Er bejahte ihre Frage.

„So bezahl den Mann; mir kommt er nich wieder ins Haus. Dem will ich’s zeigen, ob wir Damen schweigen müssen oder nich! Ich bin nur deshalb mit nach Amerika, weil da die Damen feiner als drüben behandelt werden, und gleich dieser erste Yängki, der mir in den Weg gekommen is, will mir die Schprachwerkzeuge verbieten! Das muß eenen ja aus allen seinen sieben Himmeln reißen! Also zahl ihn aus, und dann hau du ju du!“

Der Scout erhielt wirklich seinen Lohn so ausgezahlt, als ob er mit bis nach Fort Yuma geritten wäre. Er schob es mit pfiffigem Lächeln in die Tasche. Jedenfalls hatte er den Streit nur deshalb vom Zaune gebrochen, um das Geld zu bekommen und sich noch während der Abwesenheit Sams entfernen zu können. Er sattelte sein Pferd, nahm sein Gewehr und stieg auf. Da trat Dick Stone zu ihm und fragte:

„Wollt Ihr mir wohl sagen, Sir, was es zu bedeuten hat, daß Ihr da Euern Gaul so plötzlich zwischen die Beine nehmt? Wie es scheint, wollt Ihr fort?“

Yes. Habt Ihr etwas dagegen?“ antwortete der Führer impertinent.

„Sehr viel sogar.“

„Darnach werde ich nicht fragen.“

„Oho! Dick Stone ist ganz genau der Mann, nach dessen Wort man fragt. Wir sollen überfallen werden; es heißt entweder hie Freund oder hie Feind; wer uns in diesem Augenblick verläßt, ist unser Feind.“

„Ich bin entlassen worden.“

„Als Führer, ja, aber nicht fortgejagt. Niemand hindert Euch, bis morgen zu bleiben. Wenn Ihr trotzdem fort wollt, so kennen wir den Grund!“

„Kennt Ihr ihn? Ah, wirklich?“ höhnte der Scout. „Wollt Ihr vielleicht die Güte haben, ihn mir zu sagen?“

„Ja. Ihr wollt zu den Finders, um sie zu warnen.“

„Ich glaube, Ihr seid verrückt geworden, Master!“

„Schwerlich. Dieser Gedanke liegt so nahe, daß ihn jedes Kind haben muß.“

„Da will ich Euch doch sagen, wohin ich will. Ich bin von diesen Deutschen entlassen worden und kann also nicht hier bei ihnen bleiben; meine Ehre verbietet mir das. Darum will ich hinaus zu den Soldaten, um bei ihnen bis zum Tagesanbruch zu bleiben. So, das ist meine Absicht, und nun laßt mich fort!“

Dick Stone ließ sich, durch diese Lüge für einen Augenblick getäuscht, die Zügel, welche er ergriffen hatte, aus der Hand zerren; der Scout gab seinem Pferde einen Hieb und ritt davon, der Richtung zu, in welcher sich der Lieutenant nach Sams und Parkers Entfernung mit seinen zwanzig Mann zurückgezogen hatte. Aber schon eine Sekunde später war Dick Stone wieder klar. Er sprang nach der Stelle, an welcher sein Gewehr lag, und rief:

„Der Schuft hat mich belogen; er will uns doch verraten; ich schicke ihm eine Kugel nach!“

Da schnellte Schi-So zu ihm hin und sagte:

„Schießt nicht, Sir! Es ist dunkel; die Kugel würde fehlgehen. Ich bringe Euch den Mann zurück.“

Nach diesen Worten schoß der Jüngling fort, in die dunkle Nacht hinaus.

„Ihn zurückbringen? Dieser Knabe?“ fragte Dick. „Sollte ihm schwer fallen. Ich muß ihm selbst nachreiten.“

Er wollte zu seinem Pferde; da ergriff ihn Adolf Wolf am Arme und bat:

„Bleibt hier! Er holt ihn wirklich.“

„Ist unmöglich!“

„Er holt ihn! Ihr könnt es glauben. Schi-So bringt, obgleich er noch so jung ist, noch ganz andre Dinge fertig.“

Der bestimmte Ton und die überzeugungsvolle Miene Wolfs blieben nicht ohne Wirkung.

„Hm,“ brummte Dick, „würde wohl zu nichts führen, wenn ich ihm nachritte. Kann doch nicht sehen, wohin er ist. Will er wirklich zu den Finders, so wird er wahrscheinlich auf Sam und Will stoßen, die ihn nicht weiterlassen werden. Bleib also hier. Aber eine verteufelte Geschichte ist es doch, wenn er entkommt. Was wird Sam dazu sagen!“

Dieser sagte gar nichts, sondern er stand gerade in diesem Augenblicke noch neben Parker und horchte mit diesem nach der Richtung, in welcher das Pferd an ihnen vorüber verschwunden war. Man hörte es noch deutlich schnauben, aber keine Huftritte mehr. Doch nach einiger Zeit waren sie wieder zu vernehmen; sie kamen wieder zurück, näher und näher und viel langsamer als vorher.

„Sonderbar!“ brummte Sam. „Die beiden Reiter kommen retour, und zwar im Schritt. Wir legen uns nieder, weil wir dann besser sehen können, wer es ist.“

Sie duckten sich auf den Boden. Jetzt kam das Pferd; es saß nur ein Reiter darauf, aber es zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her. Jetzt erkannten die beiden den Reiter.

„Schi-So!“ rief Sam. „Ihr seid es, Ihr? Wie kommt Ihr hierher?“

Der Gefragte hielt das Pferd an und antwortete in bittendem Tone:

„Sagt du zu mir, Sir! Ich habe Euch schon einmal darum ersucht. Der Scout ließ sich sein Geld geben und ritt gegen unsern Willen fort. Er wollte uns den Finders verraten; da sprang ich ihm nach, ereilte ihn und schwang mich hinter ihm auf das Pferd. Als ich ihn mit dem Revolverkolben betäubt hatte, hielt ich das Tier an und warf ihn herunter; nun zieht es ihn an meinem Lasso hinter sich her.“

„Tausend Donner! Nacheilen, aufs Pferd springen, betäuben, herunterwerfen! Du bist ja der reine, richtige Old Shatterhand geworden! Braver Bursche! Werde es deinem Vater erzählen. Du hast den Verräter vielleicht gar erschlagen?“

„Nein; er ist nur betäubt.“

„Wahrhaftig, der wirkliche Old Shatterhand! Und das alles so ruhig, ohne einen Schuß oder sonstigen Lärm, wenn ich mich nicht irre!“

Der Jüngling antwortete einfach und bescheiden –

„Lärm durfte doch nicht sein, weil die Feinde sich in der Nähe befinden.“

All right; hast deine Sache so brav gemacht, daß jedes Lob überflüssig ist, Komm jetzt mit nach dem Lager! Wir wollen uns beeilen, mit den Finders fertig zu werden. Es ist besser, sie nicht lange warten zu lassen.“

Es ging wieder dem Feuer entgegen. Dem Scout kehrte infolge der Schmerzen, welche das auf der Erde schleifen verursachte, die Besinnung zurück. Er begann zu wimmern, doch wurde nicht darauf geachtet, bis das Lager erreicht worden war. Dort raffte er sich langsam auf. Der Lasso war ihm um die Hände gebunden, unter den Armen hindurchgeschlungen und dann an den Sattel befestigt worden. Es läßt sich leicht denken, wie er empfangen wurde. Er starrte finster vor sich nieder und beantwortete kein an ihn gerichtetes Wort. Ebenso schweigsam verhielt sich Schi-So zu dem Lobe, welches ihm von allen Seiten gebracht wurde. Er ging ganz still davon, konnte es aber doch nicht verhindern, daß Frau Rosalie ihn sehr fest beim Arme ergriff und fragte:

„Herr Schi-So, haben Se vielleicht eenmal die Geschichte von der verzauberten Prinzessin gelesen?“

„Welche?“ antwortete er. „Es gibt sehr viele Geschichten, welche diesen Titel haben.“

„Ich meene nämlich diejenigte Prinzessin, die in eenen Kirchturmknopf hineingezaubert war.“

„Die kenne ich nicht.“

„Der Kirchturm war hundertundelf Ellen hoch; darum mußte derjenige, der die Prinzessin erlösen wollte, hundertundelf Heldenthaten verrichten, uff jede Elle eene. Viele tausend Jahre hat das arme Wurm im Knopfe geschteckt, ohne daß es jemand nur bis zur dritten oder vierten Heldenthat gebracht hat, bis endlich een junger Rittersmann aus Schleswig-Holschteen kam und alle hundertundelf Heldenthaten, eene nach der andern, mit dem Schwerte um das Leben brachte. Da schprang der Kirchturmknopf uff und entzwee und die erlöste Prinzessin trat holdselig heraus, reichte dem Erretter die rechte Hand und führte ihn hinunter in die Sankristei.“

„So!“ lächelte Schi-So. „Und die Nutzanwendung dieser ebenso schönen wie rührenden Geschichte?“

„Nutzanwendung? Was meenen Sie damit? Was soll das heeßen? Wenden Se den Nutzenwenigstens nich zu Ihrem Schaden an! Ich habe Ihnen von diesem Turmknopf erzählt, weil ich sehe, daß Sie ooch so een tapferer Schleswig-Holschteener sind. Gibt es bei den Indianern ooch verzauberte Prinzessinnen?“

„Nein.“

„Jammerschade! Ich gloob, Sie brächten’s ooch bis hundertundelf. Rechnen Sie uff meine Hochachtung und uff meine Dankbarkeet!“

Sie wollte noch weiter sprechen, wurde aber von jemand fortgeschoben, der sich zwischen sie und ihn drängte. Es war der Kantor, welcher, seine Hand ergreifend, sagte:

„Teurer Freund und junger Mann, Sie wissen, daß ich im Begriffe stehe, eine große Heldenoper zu komponieren?“

„Ja; Sie haben uns das oft und wiederholt gesagt.“

„Und daß diese Oper zwölf Akte haben wird?“

„Ich glaube allerdings, daß es zwölf waren, von denen Sie sprachen.“

„Schön! In welchem Akte wollen Sie erscheinen?“

„Warum ich?“

„Weil Sie ein Held sind, wie ich ihn für meine Komposition brauche. Sie werden auftreten, indem Sie den Verräter zu Pferde am Lasso über die Bühne schleppen. Also bitte, in welchem Akte?“

Über das sonst so ernste Gesicht des Mestizen glitt ein fröhliches Lächeln, als er antwortete:

„Sagen wir im neunten.“

„Schön! Und wollen Sie ihn in Dur oder in Moll über die Bühne schleppen?“

„In Moll.“

„Gut; da werde ich C- moll wählen, denn dies hat den Dominantsextaccord von G und ist im ersten Grade mit dem herrlichen Es- dur verwandt. Und als Taktart wählen wir nicht Dreiviertel- oder Sechsachtel-, sondern den Viervierteltakt, weil das Pferd, auf welchem Sie auf der Bühne erscheinen werden, gerade vier Beine hat. Sie sehen, daß alles stimmen wird. Ich werde mir das alles gleich notieren.“

Er zog sein Merkbuch aus der Tasche. Da erklang hinter ihm eine Stimme:

„Ich habe Ihnen auch etwas zu notieren, Herr Kantor.“

Er drehte sich um und sah Sam vor sich stehen. In höflichem Tone antwortete er:

„Bitte, bitte, Kantor emeritus! Es ist nur der Vollständigkeit halber. Da ich nicht mehr im Amte bin –“

„So treiben Sie sich da draußen vordem Lager herum!“ unterbrach ihn Sam. „Wer hat Ihnen denn geheißen, das Lager zu verlassen?“

„Geheißen? Die Kunstbegeisterung trieb mich hinaus, erst lento, dann vivace und endlich gar allegrissimo. Sie wissen, wenn die Muse befiehlt, dann muß ihr jünger gehorchen.“

„Da bitte ich Sie, Ihrer Muse den Abschied zu geben, denn sie meint es nichts weniger als gut mit Ihnen.“

„Wieso?“

„Weil sie Sie auf Wege treibt, wo Sie leicht verunglücken können.“

„Daß ich nicht wüßte, werter Herr. Ich brauchte für meine Oper einen Doppeltriller; da ich denselben nicht hier im Lager finden konnte, so verließ ich dasselbe, um mir draußen in der Einsamkeit, wo mich niemand stört, einen auszusinnen.“

„Da setzten Sie sich auf die Erde nieder?“

„Ja.“

„Und warteten, ob der Triller kommen würde? Aber statt seiner kam ein fremder Mann, der Sie nicht sah, und stolperte über Sie weg!“

„O, er stolperte nicht nur, sondern er stürzte wirklich hin, lang über mich hinweg. Im nächsten Augenblicke hatte er mich beim Halse, gerade so, wie man eine Violine bei dem Halse faßt.“

„Dann gab es ein Duett!“

„Eigentlich kein Duett; wir sprachen nur ein wenig mit einander.“

„Sie deutsch, er englisch, und keiner verstand den andern!“

„Das ist kein Wunder. Wer mich verstehen will, darf mir doch nicht den Hals zusammenpressen. Das konnte er sich denken! Übrigens benutzte ich die Gelegenheit, als er mich einmal locker ließ, ihn und den Ort zu verlassen.“

„Wohl auch allegro oder allegrissimo?“

„Es war schon mehr con fretta, denn ich hatte ihn in dem Verdachte, mich abermals fesseln zu wollen.“

„Das wollte er allerdings, und noch viel mehr als das! Wissen Sie, wer er war?“

„Nein; es gab im Laufe der kurzen Unterredung keine Gelegenheit, uns einander vorzustellen.“

„Das glaube ich wohl. Es war überhaupt nicht auf solche Höflichkeiten, sondern auf Ihr Leben abgesehen.“

„Auf mein Leben?“ fragte der Kantor sehr erstaunt.

„Allerdings. Der Mann, welcher über Sie hinwegtrillerte, gehörte zu den Finders, welche uns überfallen und ermorden wollen.“

„Sollte man dies glauben!“

„Viel leichter zu glauben, als zu bezweifeln. Sie wußten, daß die Feinde sich da drüben befinden und liefen trotzdem hinaus und nach dieser Richtung hin. Sie scheinen nicht recht bei Sinnen gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre. Welcher vernünftige Mensch begibt sich in eine so offen drohende Gefahr!“

„Gefahr? Sie irren. Ich hatte schon wiederholt das Vergnügen, Ihnen zu erklären, daß es für einen Sohn der Musen keine Gefahr gibt außer der einzigen, daß seine Werke nicht anerkannt werden. Andre Fährlichkeiten existieren nicht.“

„Also, wenn ein offenbarer Mörder geradezu über Sie wegstolpert und Sie bei der Gurgel faßt, um Sie zu erdrosseln, so ist das keine Gefahr für Sie?“

„Nein. Sie haben ja den Beweis, lieber Herr; er hat mich gehen lassen und ist auch selbst gegangen. Über mir schwebt eben ein Genius, welcher über mich wacht und mich vor jedem Unglücke bewahrt.“

„Wenn dieser Glaube Sie glücklich macht, so mögen Sie ihn meinetwegen behalten, bis Sie einmal erschossen, erschlagen, erstochen und skalpiert werden. Aber aus Rücksicht auf uns sollten Sie vorsichtig sein. Ihre sehnsüchtige Erwartung eines Trillers hat auch uns in Gefahr gebracht. Wir werden in Zukunft nicht nur Ihr Pferd anbinden dürfen.“

„Etwa mich auch?“

„Allerdings.“

„Herr, dagegen muß ich protestieren! Das Genie kennt keine Banden, und wenn man es dennoch schnürt, zerreißt es alle Fesseln. Wie wollen Sie die Töne einer Trompete unterdrücken, wenn sie einmal am Munde sitzt?“

„Indem ich sie einfach vom Munde wegnehme, wenn ich mich nicht irre. Für jetzt nun verlange ich, daß Sie sich unbedingt ruhig verhalten und da bleiben, wohin ich Sie stelle. Es hängt unser aller Leben davon ab, daß niemand einen Fehler macht.“

„Wenn dies der Fall ist, werde ich Ihren Anordnungen folgen; Sie können sich darauf verlassen. Sollte es aber doch zum Kampfe kommen und jemand dabei sterben, so bin ich gern erbötig, für ihn schnell eine Missa pro defunctis auf beliebigem Text zu komponieren. Ich werde augenblicklich über ein schönes und ergreifendes Thema dazu nachdenken.“

Das Feuer war bis jetzt noch immer hoch geschürt worden. Nun sollte das Lager verlassen werden. Sam bestimmte, daß nur er, Stone, Parker und die Soldaten sich bei der Überrumpelung der Finders zu beteiligen hätten; die andern sollten der dabei doch drohenden Gefahr nicht ausgesetzt werden. Schmidt, Strauch, Ebersbach und Uhlmann waren damit einverstanden. Frau Rosalie aber erklärte beherzt:

„Was, ich soll die Hände in den Schoß legen, wenn andre für mich ihr Leben wagen? Das kann ich nich zugeben, ganz gewiß nich. Wenn keene Flinte für mich übrig is, da nehme ich eene Hacke oder Schaufel, und wehe dem Urian, der mir zu nahe kommt! In dem Herrn Emeritus seiner Heldenoper müssen doch ooch Damen ufftreten, und ich will die erschte sein, die erscheint. Also sagt mir nur den Ort, wo ich mich hinzuschtellen hab‘. Ich werde meine Sache machen; ausreißen thu ich sicher nich!“

Es kostete nicht wenig Mühe, ihr begreiflich zu machen, daß ihre Beteiligung nicht nur nichts nützen, sondern sogar nur schaden könne, und sie ergab sich nur ungern darein, sich den Unthätigen zugesellen zu müssen. Die vier deutschen Auswanderer zogen mit ihren Frauen, Kindern und Zugtieren nach der Stelle, an welcher die Soldaten warteten. Der Kantor war natürlich auch bei ihnen, und Sam schärfte ihnen ein, ja streng acht auf ihn zu geben, damit es ihm nicht möglich sei, sich zu entfernen und Unheil anzustiften. Die Pferde wurden auch dorthin in Sicherheit gebracht. Eigentlich sollten Schi-So und Adolf Wolf, da sie noch so jung waren, auch von der Beteiligung ausgeschlossen sein; aber der erstere erklärte so bestimmt, daß dies eine große Beleidigung für ihn sei, daß Sam ihm seinen Wunsch erfüllte und infolgedessen auch Adolf nicht mehr zurückweisen konnte. Der gefangene Scout wurde selbstverständlich auch mit in Sicherheit gebracht. Nun konnten alle Soldaten sich beteiligen; es brauchte keiner von ihnen als Pferdewache zurückzubleiben, da ihre Tiere von den Deutschen unter Aufsicht genommen wurden; sie kamen jetzt herbei, und eben wollte Sam Hawkens ihren Offizier über die Art und Weise der Abwehr gegen die Finders unterrichten, als der junge Häuptlingssohn in bescheidenem Tone zu ihm sagte:

„Werden Sie es mir verzeihen, wenn ich es wage, Sie auf etwas sehr Notwendiges aufmerksam zu machen?“

Er hatte deutsch gesprochen, um von dem Lieutenant nicht verstanden zu werden. Sam erkannte diese Rücksichtsnahme an und antwortete.

„Wie könnte ich dem Sohne meines Freundes, des großen Donners, zürnen. Sprich, wie du es auf der Zunge hast!“

Der Jüngling folgte dieser Aufforderung, indem er fortfuhr:

„Wer den Feind in der Nähe weiß, der sucht ihn zu beschleichen; das weiß der berühmte Sam Hawkens viel besser, als ich es ihm zu sagen vermag. Wir haben die Finders beschlichen und belauscht. Werden sie dasselbe nicht auch mit uns thun?“

Über Sams Bartwald ging eine Bewegung, wie wenn der Wind über die Wipfel der Bäume streicht. Seine kleinen, listigen Äuglein schlossen sich für einen Augenblick; dann, als sie sich wieder geöffnet hatten, zwinkerte er wie in halber Verlegenheit mit den Lidern und antwortete:

Behold, das ist wirklich kein übler Gedanke! Du hast recht, vollständig recht, und ich bin ein Esel sonder gleichen gewesen, daß ich nicht daran gedacht habe. Wenn es den Kerls eingefallen ist, uns zu belauschen, so wissen sie, daß wir auf ihren Überfall vorbereitet sind und sogar Soldaten bei uns haben, wenn ich mich nicht irre. Ich werde also sofort einmal um das Lager schleichen, um zu erfahren, ob die Luft rein ist.“

„Und soll ich nicht vielleicht nach der Richtung gehen, aus welcher die Finders kommen werden? Ich könnte Euch schnell von ihrer Annäherung benachrichtigen.“

„Ja, thue das, mein Sohn, thue das sogleich! Ich habe eine Unterlassungssünde begangen, welche uns aber hoffentlich keinen Schaden bringen wird. Sie wissen, wo wir uns befinden, denn sie können unser Feuer sehen, und so denke ich, daß sie es nicht für notwendig gehalten haben, noch extra einen Späher auszusenden.“

Schi-So huschte in die finstere Nacht hinaus, und der kleine Jäger fuhr fort:

„Ein ganz tüchtiger junger Mann! Wird es zu ‚was bringen! Hat mir eine Lehre gegeben, eine Lehre, daß ich altes Coon mich schämen möchte wie ein Sonntagsschütze, der von Hasen erschossen worden ist, wenn ich mich nicht irre. Ist mir auch noch nicht passiert, zu vergessen, daß man unter solchen Umständen einen Kundschafter aussendet, sogar einen zweiten und auch dritten, wenn der erste nichts erfahren hat oder mit der Rückkehr zögert! Bleibt hier stehen, Mesch’schurs, ich werde euch nicht lange auf mich warten lassen.“

Er ging. Sein Unternehmen war nicht ganz ungefährlich. Befand sich einer der Finders in der Nähe und er wurde von demselben bemerkt, ehe er selbst ihn sah, so konnte er leicht eine scharfe, spitze Messerklinge in den Leib bekommen. Darum durfte er nicht unvorsichtig sein, sondern mußte alle Finessen eines erfahrenen Westmannes in Anwendung bringen. Er ging nicht etwa schnell und aufrecht um das Lager, sondern er kroch langsam auf Händen und Füßen um dasselbe und strengte dabei Augen und Ohren auf das äußerste an, um einen etwa anwesenden Feind rechtzeitig zu gewahren. Daher kam es, daß über eine halbe Stunde verging, bis er zu dem Punkte zurückkehrte, von welchem er ausgegangen war.

Unterdessen hatte Schi-So ganz genau die gerade Linie eingehalten, welche nach dem Aufenthaltsorte der Finders führte. Als er ungefähr zehn Minuten gegangen war, natürlich ganz ebenso vorsichtig, wie Sam seine Runde gemacht hatte, hielt er an und setzte sich nieder. Um ihn her herrschte die tiefste Stille; er kannte die Schärfe seines Gehöres und wußte, daß er die Annäherung der Feinde gewiß gewahren würde. Hinter ihm brannte das Lagerfeuer tiefer und immer tiefer, bis es nur noch glimmte und dann ganz erlosch. Das war der Zeitpunkt, an welchem die Finders aufbrechen wollten. Er durfte nun jeden Augenblick ihres Nahens gewärtig sein. Und wirklich, er hörte jetzt etwas wie ein leises Wehen von der betreffenden Seite her. Ein andrer hätte gemeint, daß ein Lufthauch über die Gräser gehe; Schi-So aber wußte, daß es das kaum wahrnehmbare Geräusch schleichender Schritte sei. Er richtete sich halb auf und lauschte noch angestrengter als bisher; er erkannte, daß er sich nicht getäuscht habe. Seine guten Ohren sagten ihm, daß die Nahenden in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritten von ihm vorüberkommen würden; darum huschte er schnell fünfzehn Schritte vor und legte sich dann platt auf die Erde nieder.

Und da kamen sie, leise und langsam, einen dichten Trupp bildend und nicht einer hinter dem andern, wie Indianer oder erfahrene Westmänner gegangen wären. Sie passierten vorüber, und Schi-So erhob sich, um ihnen auf dem Fuße zu folgen. Er wußte, daß sie an irgend einer Stelle stehen bleiben würden. Dann sprach der Anführer jedenfalls einige Worte, und vielleicht gelang es ihm, dieselben zu vernehmen.

So ging es weiter und weiter, sie voran und er wie ein unhörbarer Schatten hinter ihnen her. Ja, sie hielten an, aber nicht eher, als bis sie fast in der unmittelbaren Nähe des Lagers angekommen waren. Wenn der Häuptlingssohn jetzt etwas hören wollte, so mußte er verwegen sein. Er legte sich also wieder auf die Erde nieder und kroch so nahe zu ihnen hin, daß er die Füße des Nächsten hätte mit der Hand erreichen können. Dieses kühne Experiment wurde belohnt, denn er hörte Buttler sprechen, zwar leise, aber doch so, daß er die Worte noch so leidlich verstehen konnte:

„Da sind wir angekommen. Seht Ihr nun das Lager?“

„Ja,“ entgegnete einer, und die andern stimmten ihm bei.

Die hohen, massig gebauten Wagen waren nämlich trotz der Dunkelheit gegen den helleren Himmel zu sehen. Der Anführer fuhr fort:

„Das Feuer ist vollständig ausgegangen, und ich denke, daß sie schlafen werden. Dennoch werden wir noch einige Zeit warten, bevor wir über sie herfallen. Sicher ist sicher. Aber umzingeln müssen wir sie schon jetzt. Wenn jeder von uns sich dreißig Schritte von dem andern entfernt, reicht unsre Zahl aus, einen Kreis um die Wagen zu bilden. Ist das geschehen, so wartet ihr, bis ich euch das Zeichen gebe.“

„Welches Zeichen?“ wurde gefragt.

„Ich ahme mit einem Grashalme das Zirpen eines Heimchens nach. Auf dieses Zeichen kriecht jeder von euch auf die Wagen zu, hinter denen sie schlafen werden. Wenn ich vor den Wagen angekommen bin, zirpe ich zum zweitenmal und warte ein wenig, um euch Zeit zu geben, auch dort anzulangen. Wenn ich dann zum drittenmal zirpe, ist das für euch der Befehl, unter den Wagen und Deichseln und zwischen den Rädern hindurchzukriechen und den Kerls eure Messer zu geben. Zu schießen vermeiden wir wo möglich.“

„Was geschieht mit den Weibern und Kindern?“

„Sie werden auch ausgelöscht. Es darf keine Seele leben bleiben, welche uns später verraten könnte. Die Beute teilen wir, und die Wagen werden dann verbrannt, die Leichen auch. Also vorwärts jetzt! Die eine Hälfte von euch geht nach rechts und die andre nach links; ich bleibe hier. Nehmt euch aber in acht und vermeidet jedes Geräusch, damit wir nicht verraten werden!“

Da fragte einer noch:

„Wenn wir nun auf einen Wächter treffen? Vielleicht haben sie einen ausgestellt.“

„Das glaube ich nicht. Diese unerfahrenen Menschen sind viel zu dumm, als daß sie auf einen solchen Gedanken kämen.“

„Aber wenn es dennoch wäre?“

„So wird er erstochen. Geschossen darf nicht werden. Der Messerstoß muß gut sitzen und ihn auf der Stelle töten. Also ans Werk jetzt, und paßt auf mein Zirpen auf!“

Die Finders entfernten sich nach zwei Seiten, um die Wagen zu umzingeln; Buttler aber blieb stehen. Schi-So überlegte einen Augenblick. Sollte er jetzt schnell fort, um Sam Hawkens Meldung zu machen? Nein. – Er hatte den Anführer so schön vor sich; wenn er ihn unschädlich machte, waren die übrigen dann viel leichter zu bewältigen. Er wartete also eine Minute, richtete sich dann hinter Buttler auf und versetzte ihm einen so kräftigen Kolbenhieb, daß der Getroffene laut los zusammenbrach. Er hätte ihn erstechen können, wollte aber kein Menschenleben vernichten. Der Aufenthalt in Europa und unter Christen war nicht ohne Wirkung auf ihn gewesen.

Er hing das Gewehr über und schlich davon, den Betäubten am Kragen hinter sich herschleifend. Er wußte genau die Stelle, an welcher sich Sam Hawkens mit den Soldaten befand. Es war ein Glück, daß dieser sich mit ihnen eine Strecke von dem Lager entfernt gehabt hatte; so konnten die Finders dieses einschließen, ohne auf die Verteidiger zu treffen.

Sam hatte Stone, Parker und dem Offizier einen Plan klar gemacht, bei dessen Ausführung alles Blutvergießen vermieden wurde und jede eigene Fährlichkeit ausgeschlossen war. In Beziehung auf die Ausführung desselben wurde nur noch auf die Rückkehr des Häuptlingssohnes gewartet. Da endlich kam dieser. Er zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her und ließ ihn auf die Erde fallen. Als Sam dies sah, bückte er sich nieder, um den Gegenstand zu betrachten, und meinte erstaunt:

„Ein Mensch! Wie kommst du dazu? Ist er tot?“

„Nein, sondern nur betäubt,“ antwortete Schi-So.

„Wer ist es?“

„Buttler.“

„Alle Teufel! Auf welche Weise ist er denn um die Besinnung gekommen?“

„Durch einen Kolbenhieb von mir.“

„Von dir? Da hast du einen großen Fehler begangen und meinen ganzen schönen Plan zu schanden gemacht! Wo befinden sich seine Leute?“

„Sie liegen rund um die Wagen.“

Zounds! Hast du sie kommen sehen?“

„Ja.“

„Und es mir nicht gemeldet!“

„Es gab keine Zeit dazu. Ich konnte nicht hierher, sondern mußte ihnen folgen, um zu hören, was sie vorhatten.“

„Und hast du es gehört?“

„Ich habe es erfahren und dann Buttler niedergeschlagen.“

„Das hättest du nicht thun sollen! Mein Plan war so gut, ganz vortrefflich, und kann nun wahrscheinlich nicht ausgeführt werden. Erzähle schnell, wie das gekommen ist!“

Schi-So kam dieser Aufforderung in kurzen Worten nach. Als er geendet hatte, sagte Sam, und zwar in einem ganz andern Tone als bisher:

„Alle Wetter, hast du das gut gemacht! ja, wenn es so steht, dann kann ich dich unmöglich tadeln; ich muß dich vielmehr loben. Nun werde ich, nämlich ich und nicht ihr Buttler, diesen Finders etwas vorzirpen, was sie in unsre Hände bringen wird. Bindet den Kerl an den Armen und Beinen und gebt ihm einen Knebel in den Mund, damit er nicht etwa laut werden kann, wenn er erwacht!“

Die Soldaten waren sofort bereit, dem Befehle Folge zu leisten. Während dies geschah, fragte der Lieutenant:

„Also Ihr wollt an Buttlers Stelle das Zeichen geben, Sir? Könnt Ihr denn so zirpen wie ein Heimchen, wie eine Grille?“

„Haltet Ihr das für so schwer?“ gegenfragte Sam.

„Nein; aber ich könnte es nicht. Wie wird es gemacht?“

„Sehr einfach, mit Hilfe eines Grashalmes. Man legt die beiden Hände so zusammen, daß sie eine hohle Faust bilden, auf welche die Daumen nebeneinander zu liegen kommen. Klemmt man nun zwischen den Daumen einen Halm straff und bläst auf den letztem, so entsteht ein Ton, der ganz dem Zirpen eines Heimchens gleicht.“

„Das muß ich doch versuchen!“

„Habe nichts dagegen, Sir; nur bitte ich, diesen Versuch morgen oder nach zehn Jahren, nicht aber schon heut und hier zu machen, denn Ihr würdet uns die Burschen vertreiben, die wir fangen wollen.“

„Wieso?“

„Weil das richtige Zirpen nicht gleich beim erstenmal gelingt. Ihr würdet sehr wahrscheinlich einen Ton hervorbringen, ähnlich demjenigen, wenn man Buttermilch oder Syrup durch eine Klarinette bläst. Es will eben alles, selbst das Kleinste und Einfachste, gelernt sein.“

„Hm, es ist möglich! Aber was meint Ihr, was wir nun thun werden, da wir ganz anders zu handeln haben, als vorhin bestimmt worden ist?“

„Ich trete an Buttlers Stelle.“

„Das habt Ihr bereits gesagt. Aber wir?“

„Ihr macht euch hinter die Finders, je zwei von uns hinter einen von ihnen. Unsre Leute reichen dazu aus. Das muß aber äußerst vorsichtig geschehen, damit sie ja nichts davon merken. Wenn ich zirpe, avancieren sie, und ihr hinter ihnen her. Wenn ich dann das dritte Zeichen gebe, werden sie unter den Wagen hindurchkriechen wollen, aber dann von euch gepackt. Zwei gegen einen, das ist eigentlich gar nicht ehrenvoll; dennoch rate ich, sich nicht der Hände, sondern lieber der Gewehrkolben zu bedienen. Sie rasch niederschlagen, das ist das Einfachste und Sicherste; dabei wird keinem von uns ein Haar gekrümmt.“

„Es gibt etwas noch viel Einfacheres.“

„Was?“

„Nicht jeder Kolbenhieb ist tödlich. Darum denke ich, daß wir uns lieber unsrer Messer bedienen. Ein Stich, gut getroffen, ist allem andern vorzuziehen.“

„Fällt mir nicht ein, ist zu gefährlich! Wer hat Euch denn gesagt, daß den Kerls das Leben genommen werden soll? Eben deshalb und um sie nur zu betäuben, will ich nichts vom Schießen und vom Stechen wissen. Ich habe mich hundertmal meiner Haut zu wehren gehabt, wobei es mir sehr ernstlich an das Leben gegangen ist, wenn ich mich nicht irre, aber dabei doch nie vergessen, daß Menschenblut der kostbarste Saft ist, den es auf Erden gibt. Ich töte einen Menschen nur dann, wenn es keinen andern Ausweg gibt, also wenn es unbedingt notwendig ist.“

„Aber diese Halunken haben ihr Leben schon längst verwirkt!“

„Mag sein.“

„Sie müssen zertreten werden wie giftige Reptilien, gegen welche man sich nicht anders wehren kann!“

„Das ist Eure Ansicht, vielleicht die ganz richtige; ich aber bin weder ihr Richter noch ihr Henker.“

„Aber, Sir, wie könnt Ihr als Westmann so zartfühlend sein! Ihr habt doch gesagt, daß Ihr die Finders uns übergeben wollt?“

„Allerdings.“

„Wir werden sie also nach der Hauptstadt transportieren?“

„Natürlich.“

„Und was meint Ihr wohl, was dort mit ihnen geschehen wird?“

„Man wird ihnen Stricke um die Hälse binden und sie an denselben in die Höhe ziehen.“

„Das ist richtig; man wird sie hängen. Sie werden also sterben. Da ist es doch höchst gleichgültig, ob wir sie hier erstechen oder ob sie dort hingerichtet werden!“

„Mag sein. Aber Ihr rechnet das eine nicht, daß dort das Gesetz waltet, während sie hier noch nicht verurteilt sind. Nein, nein, wir fangen sie lebendig. Was dann in der Hauptstadt mit ihnen geschieht, das ist Eure Sache.“

„Hm, so will ich mich Euch fügen; also ganz wie Ihr wollt. Doch behaupte ich, daß diese Schurken eine solche Rücksicht nicht verdienen.“

Es wurde nun zur That geschritten. Die Soldaten teilten sich zu zweien; Stone, Parker und der Lieutenant übernahmen ihre Führung. Sie entfernten sich, um paarweise die Finders einzuschließen. Adolf Wolf blieb bei Buttler zurück, um ihn zu bewachen; Schi-So mußte Sam Hawkens nach der Stelle führen, an welcher er Buttler überwältigt hatte. Diese beiden letzteren bildeten also ein Glied im Ringe der Finders, während die Soldaten um denselben einen Kreis geschlossen hatten.

Als Sam sich sagte, daß diese Umschließung vollendet sei, klemmte er einen Grashalm zwischen die Daumen und ließ auf demselben das verabredete Zirpen hören. Hierauf avancierte er mit dem Häuptlingssohne nach der Mitte des Kreises und gab, an dem Wagen angekommen, das zweite Zeichen, worauf er eine Weile wartete. Da kam es zu beiden Seiten leise, leise herangekrochen. Lang ausgestreckt im Graseliegend, sahen die beiden die Finders sich wie Schlangen näher windend. Der Kreis hatte sich so verengt, daß man von einem Gliede desselben aus das andre leidlich erkennen konnte.

„Buttler, ich bin da,“ flüsterte es von rechts herüber.

„Es geht alles gut,“ raunte der andre links. „Verlier doch nicht die Zeit, sondern gib das Zeichen, denn wir sind alle da.“

Sam wendete sich rückwärts. Seine scharfen Augen sahen Dick Stone mit einem Soldaten hinter dem ersten Sprecher liegen; hinter dem zweiten warteten auch bereits zwei Militärs. Da zirpte er zum drittenmal und warf sich dann nach links auf den Finder, um diese beiden letzteren zu unterstützen, während der Häuptlingssohn nach rechts hin sprang; aber Schi-So brauchte gar nicht zu helfen, denn Dick Stone hatte den betreffenden Finder schon fest beim Kragen.

Man hörte Kolbenschläge und einige unterdrückte Schreie; dann war es rundum still.

„Hallo,“ rief Sam mit lauter Stimme, „ist alles gut gegangen?“

„Alles,“ antwortete Will Parker auf der andern Seite. „Wir haben sie.“

„So bringt sie hierher und brennt das Feuer wieder an, damit wir, wie es die Höflichkeit erfordert, ihnen unsre Gesichter zeigen können!“

Einige Minuten später lagen die gefangenen und gefesselten Finders innerhalb der Wagenburg; um sie herum saßen Sam, Dick, Will, der Lieutenant, Schi-So und Adolf Wolf, während die Soldaten fortgegangen waren, um ihre Pferde zu holen und mit diesen alle Personen, welche sich mit bei denselben befanden. Das Feuer loderte hell und hoch auf, so daß das Lager fast tageshell erleuchtet war.

Die Finders lagen nebeneinander und zwar jetzt mit offenen Augen. Es war keiner von ihnen erschlagen worden; sie hatten ihre Besinnung wieder; sie sahen und hörten also alles, was um sie her vorging, aber keiner von ihnen schien Lust zu haben, ein Wort zu sprechen, doch konnte man ihre Gefühle leicht aus den wütenden Blicken erraten, welche sie um sich warfen. Es hatte bisher noch niemand eine Frage an sie gerichtet. Sam Hawkens wollte damit bis zur Rückkehr der Auswanderer warten, da diese es ja waren, gegen welche der beabsichtigte Überfall hatte unternommen werden sollen. Da hörte man von weitem eine jubillerende, weibliche Stimme rufen:

We have them, we have them!“

Es war eine weibliche Stimme, die Ruferin kam näher, erreichte das Lager, kroch unter einer Deichsel hindurch, schoß auf Sam los und schrie ihn an:

We have them, we have them!Heeßt das nicht: Wir haben sie, wir haben sie, Herr Hawkens?“

Es war die liebe Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüller. Sie war allen andern vorausgeeilt.

„Ja,“ antwortete Sam. „So heißen diese englischen Worte, wenn man sie ins Deutsche übersetzt.“

„Also we have them, we have them, wir haben sie! Gott sei Dank. Was für eine Angst habe ich ausgestanden und was für eine Sorge habe ich gehabt! Ich wäre beinahe ausgerissen und wieder herzugekommen, um mit kämpfen, fechten und schtreiten zu helfen. Da aber kamen die Soldaten und sagten:

We have them!“ Was das in unsrer Mutterschprache zu bedeuten hat, das weeß ich ungefähr und bin offs schleunigste fortgerannt, um sie ooch mit zu haben. Das sind sie wohl, die dahier liegen?“

Sie deutete auf die Gefesselten.

„Ja, das sind sie,“ antwortete der Gefragte.

„Aber, was is denn das? Die leben ja noch! Ich dachte, es würden nur ihre toten Leichen zu erblicken sein. Das will mir nich in den Kopp. Is das vielleicht mit Fleiß geschehen?“

„Allerdings.“

„Na, da is Ostern heuer off eenen Donnerschtag gefallen, anschtatt off eenen Sonntag, wie sich’s von Rechtswegen ganz von selbst verschteht! Wissen Sie denn nich, Herr Hawkens, daß uns diese Raubmörder und Wildschützen haben um unser Leben bringen wollen?“

„Das weiß ich allerdings.“

„Und Sie haben dieselben dennoch nich erschossen? Das is eene Edelmütigkeet, der ich unmöglich meine Billigung zu erteilen vermag. Wer umbringt, der muß wieder umgebracht werden; Ooge um Ooge, Backzahn um Backzahn; so schteht es in der Bibel und in allen Gesetzbüchern geschrieben!“

„Sind Sie denn wirklich ermordet worden, Frau Ebersbach?“

„Nee. Wie können Sie nur so fragen! Wenn ich umgebracht wäre, so schtände ich jetzt doch als Geist oder als Geschpenst vor ihnen, und ich hoffe, daß Sie mich nich für so etwas halten.“

„O nein, als Geist kommen Sie mir gar nicht vor. Also Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sie sind nicht umgebracht worden; darum haben wir die Finders auch nicht umgebracht.“

„Aber sie wollten uns doch ermorden! Das is doch ganz dasselbe, als ob sie uns wirklich ermordet hätten!“

„Und ich wollte sie dafür erschießen lassen; das ist also ganz genau so, als ob sie wirklich erschossen worden wären.“

Sie sah ihn in komisch wirkender Betroffenheit an, schlug sich gegen die Stirn und bekannte offenherzig:

„Was für eene dumme Rosalie ich da gewesen bin! Laß mich da mit meinen eegenen Worten schlagen! Das is mir jetzt zum erschtenmale in meinem Leben vorgekommen, denn Sie können es mir off mein Ehrenwort glooben, daß ich gar nich so leicht zu schlagen bin, wie Sie zu denken scheinen. Wer es in Redensarten und Spitzfindigkeiten mit mir offnehmen will, der muß sehr schpät zu Bette gehen und morgens früh halb dreie wieder munter sein. Aber sagen Sie mir doch wenigstens, was nun mit dieser Rasselbande geschehen soll. Da Sie so schonungsvoll mit den Halunken verfahren sind, so möchte ich mir mit gutem Grunde die Frage erlooben, ob sie vielleicht gar eene Belohnung, eene Prämie oder so eene goldene Medallche bekommen sollen!“

„Was wir zu thun beabsichtigen, das werden Sie sehr bald erfahren.“

„Das hoffe ich. Bedenken Sie, daß ich zu den Persönlichkeeten gehöre, off die es abgesehen war! Wenn der Überfall gelungen wäre, so läge ich jetzt als ermordete und abgeschiedene Leiche off dem Schlachtfelde, und das Morgenrot thäte mir zum frühen Tode leuchten. Das erfordert Schtrafe; verschtehen Sie mich?“

„Die Strafe wird nicht ausbleiben, Frau Ebersbach; darauf können Sie sich verlassen. Damit aber soll nicht gesagt sein, daß wir die Schuldigen umbringen müssen. Wir sind Christen, und Sie gar sind eine Dame, eine Frau. Sie gehören zum zarten, schönen Geschlechte, welches auf Haß und Zorn verzichtet und in Liebe und Güte die Welt beherrscht. Ich bin überzeugt, daß auch in Ihrem Herzen die Milde wohnt, ohne welche selbst die schönste Frau ein häßliches Wesen ist.“

Der spaßhafte kleine Jäger hatte sich, indem er in dieser Weise sprach, nicht verrechnet. Frau Rosalie warf sich in die Brust und antwortete:

„Die Milde wohnt? Natürlich wohnt sie da! Ich habe noch een Herz, und was für eens. Es schmilzt wie Butter an der Sonne. Ich gehöre ooch zu dem schönen, zarten Geschlechte, von dem Sie reden, und will mit meiner Güte die Welt beherrschen. Es kommt zwar vor, daß der Mensch verkannt wird, und es hat schon oft Oogenblicke gegeben, wo meine Milde und Güte nich tief genug erforscht worden is, aber hier bei dieser Gelegenheit will ich öffentlich beweisen, daß mein schwaches Geschlecht schtark in der Verzeihung is. Sie sollen sich nich in mir geirrt haben, Herr Hawkens. Ich mag nischt von eener Beschtrafung dieser Mörderbande wissen; lassen Sie sie loofen?“

Sie hätte vielleicht noch länger gesprochen; da aber kamen die Soldaten mit ihren Pferden, um sich draußen vor den Wagen zu lagern, und mit ihnen die Auswanderer, welche den gefangenen Scout mitbrachten.

Nun ging es zunächst an ein sehr reges Fragen und Antworten, welches nicht eher aufhörte, als bis die Deutschen alles, was während ihrer Abwesenheit geschehen war, auf das genaueste erfahren hatten. Auch der Kantor hörte sehr aufmerksam zu, doch nicht, indem er still am Feuer saß wie die andern, sondern er befand sich dabei in fortwährender Bewegung. Er machte sich mit den Gefesselten zu schaffen, deren Lage ihm nicht zu passen schien. Er schob und zerrte bald an dem einen, bald an dem andern herum, zerrte und schob wieder und immer wieder, so daß Sam ihn endlich fragte:

„Was thun Sie denn da? Liegen diese Leute nicht richtig, Herr Kantor?“

Der Gefragte drehte sich zu ihm und antwortete in wichtigem Tone:

„Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Hawkens! Es ist das nur der Vollständigkeit halber und damit keine Verwechselung vorkomme. Ja, Sie haben es erraten: die Gefangenen müssen ganz anders liegen.“

„Warum?“

„Ihre Gruppierung macht nicht den richtigen Effekt.“

„Effekt? Was haben wir hier mit Effekt zu schaffen?“

„Mehr als Sie denken. Es scheint Ihnen entweder noch nicht bekannt oder schon wieder entfallen zu sein, womit ich umgehe?“

Ohne augenblicklich an die sonderbare Manie des Kantors zu denken, fragte Sam unvorsichtig:

„Was könnte das sein?“

„Nichts andres als meine Oper. Ich gehe damit um, eine große Heldenoper von zwölf Akten zu komponieren und reise nur deshalb in dieser Gegend, um mir den Stoff zu derselben zu suchen. Eine Scene dazu, eine ganz vortreffliche Scene, habe ich hier gefunden, nämlich den Chor der Mörder. Sie liegen am Boden und singen ein doppeltes Sextett. Dazu ist aber eine ganz andre Gruppierung notwendig, als diejenige, welche Sie ihnen gegeben haben. Ich studiere dieselbe jetzt und werde sie mir notieren, sobald ich sie gefunden habe. Sie dürfen versichert sein, daß ich mich in acht nehme, den Leuten dabei nicht wehe zu thun!“

„Was das betrifft, so stoßen Sie nur immer herzhaft zu. Kerls, wie diese sind, braucht man nicht mit seidenen Handschuhen anzugreifen.“

Daraufhin fuhr der Heldenkomponist in seiner Beschäftigung fort und zwar so energisch und nachhaltig, daß Buttler endlich das bisher beobachtete Schweigen brach und zornig zu Sam hinüberrief:

„Sir, was hat nur dieser Mann immer und fortwährend mit uns zu schaffen? Sorgt doch endlich dafür, daß er uns in Ruhe läßt! Wir sind keine Spielpuppen, an denen man nach Belieben zerren und ziehen kann!“

Sam hielt es nicht der Mühe wert, zu antworten, darum fuhr Buttler nach einer Weile fort:

„Ich muß überhaupt fragen, mit welchem Rechte ihr uns überfallen und niedergeschlagen habt!“

„Fragen?“ lachte der Kleine. „Ich denke, ihr braucht da keine Auskunft und könnt euch die Antwort selbst erteilen.“

„Wieso? Wir haben keine Ahnung eines Grundes, in dieser Weise behandelt zu werden. Wir sind als friedliche Reisende gekommen und haben euer Feuer gesehen. Da wir nicht wußten, wer an demselben lagerte, schlichen wir uns, wie sich das ganz von selbst versteht, heimlich heran, um uns zu unterrichten. Dabei sind wir heimtückisch niedergeschlagen worden. Wir verlangen, sofort freigelassen zu werden!“

„Verlangt das immerhin; ich habe nichts dagegen. Wünsche haben kann jeder Mensch; aber ob dieselben in Erfüllung gehen, das ist eine ganz andre Sache. Frei werdet ihr sein oder vielmehr hängen, nämlich morgen in Tucson, an einem schönen starken Pfahle.“

„Wenn ihr Witze machen wollt, so macht bessere als dieser ist! Es ist kein Spaß, sich an ehrlichen Leuten zu vergreifen, und da ihr von Tucson redet, so könnte es sehr leicht geschehen, daß ihr selber es seid, die dort aufgehängt werden. Oder ist es euch vielleicht unbekannt, wie hierzulande Menschen behandelt werden, welche nachts über andre, ehrliche Leute herfallen?“

„Ehrlich? Hihihihi! Eure Ehrlichkeit haben wir in San Xavier del Bac kennen gelernt!“

„Was dort geschah, gehört nicht hierher. Ich meine, die Sache liegt heute klar: wir wollten sehen, wer hier lagert, und sind dabei überfallen worden.“

„Hm! Ihr wußtet also nicht, wen ihr hier treffen würdet?“

„Nein.“

„Und seid uns doch seit San Xavier auf Schritt und Tritt gefolgt!“

„Das ist Lüge!“

„Und habt bis vorhin da hinten in den Felsen gesteckt, um nur zu warten, bis unser Feuer verlöschen würde!“

„Wozu?“

„Um uns zu überfallen.“

„Wieder Lüge, ganz gemeine, erbärmliche Lüge!“

Da erhob sich Sam vom Feuer, trat zu ihm hin, fuhr ihn an:

„Sprecht ja nicht von erbärmlich und gemein, sonst laß ich Euch den Rücken bläuen, daß es Euch schwarz vor allen Augen wird! Ich heiße Sam Hawkens; versteht Ihr mich: da sitzen Dick Stone und Will Parker. Man pflegt uns das Kleeblatt zu nennen. Abermals verstanden? Meint ihr, daß ihr die Kerls dazu seid, solchen Westmännern etwas weiß zu machen? Und wer uns gar mit gemein und erbärmlich kommt, den werfen wir in die Luft, daß er droben in den Wolken hängen bleibt!“

Buttler schien auf einmal die Sprache verloren zu haben. Sam Hawkens fügte hinzu:

„Ich selbst war heute bei euch, habe euch dort bei den Steinen belauscht und jedes Wort gehört. Ihr seid die Finders, doch brauchte ich das nicht erst heute zu erfahren, denn ich habe es schon in San Xavier gewußt.“

Da stieß Buttler erschrocken hervor:

Heavens! Die Finders! Welch ein Gedanke, uns mit diesen zu verwechseln! Wer hat Euch das weiß gemacht, Sir?“

„Ihr selbst. Ich habe gute Ohren.“

„O, selbst die schärfsten Ohren können sich irren und falsch verstehen!“

„Meint Ihr? War es vielleicht auch falsch verstanden, als Ihr vorhin gefragt wurdet, was aus den Frauen und Kindern werden solle, die sich bei uns befinden?“

„Ich weiß nichts davon.“

„Daß sie auch ausgelöscht werden sollten, um euch nicht etwa später verraten zu können?“

„Habe keine Ahnung davon!“

„Auch nicht davon, daß ihr die Beute teilen und die Wagen dann verbrennen wolltet?“

„Nein.“

„So besitzt Ihr ein außerordentlich schwaches Gedächtnis, dem man aber in Tucson nachhelfen wird.“

Da ergriff auch der Offizier, und zwar zum erstenmal, das Wort, indem er Sam aufforderte:

„Verschwendet Eure Worte nicht an diesen Menschen, Sir! Er mag leugnen, wie er will, es wird ihm doch nichts nützen. Es ist erwiesen, daß sie die Finders sind, und so werden sie morgen baumeln.“

„Wird dazu nicht unser Zeugnis nötig sein?“ erkundigte sich Dick Stone.

„Nein. Ihr gedenkt mit den Wagen weiter zu fahren, und ich will Euch nicht aufhalten, oder gar wieder nach Tucson zurückschleppen. Ihr habt mir gesagt, was zu sagen war; das ist grad so gut, als ob es vor Gericht geschehen sei. Beweise haben wir mehr als genug, und so ist gar kein Zweifel darüber möglich, daß diese Gegend endlich einmal von dieser Bande, der wir so lange vergeblich nachgestellt haben, gesäubert wird. Ich gebe Euch mein Wort, daß sie alle hängen werden.“

Auf weiteres Reden wurde verzichtet. Man stellte die für nötig gehaltenen Wachen aus und legte sich dann schlafen. Einer der Soldaten hatte bei den Gefangenen zu sitzen, um dieselben nicht aus den Augen zu lassen.

Der gefesselte Scout war zu den Finders gesellt worden und ganz zufälligerweise neben Buttler zu liegen gekommen. Diese beiden hatten bisher kein Wort mit einander gewechselt, obgleich es gar nicht schwer war heimlich zu sprechen, da diese Leute sehr eng zusammenlagen. Später, als alles schlief und der Scout bemerkte, daß der Wächter wahrscheinlich nur darauf zu sehen hatte, daß keiner der Gefangenen sich von den Banden befreie, stieß er Buttler mit dem Ellbogen an und flüsterte ihm zu:

„Schlaft Ihr, Sir?“

„Nein,“ lautete die Antwort. „Wer soll unter solchen Umständen schlafen können?“

„So dreht Euch zu mir herum! Ich habe mit Euch zu sprechen.“

Buttler folgte dieser Aufforderung und erkundigte sich sodann:

„Ihr waret doch der Führer dieser Halunken. Wie kommt es, daß man Euch Euren Lohn in dieser Weise gegeben hat?“

„Weil man mich in dem Verdacht hatte, gemeinschaftliche Sache mit euch machen zu wollen.“

„Das war aber doch nicht wahr?“

„Erst allerdings nicht; die Absicht kam mir dann später. Ich heiße Poller, Sir, und möchte, daß Ihr Vertrauen zu mir habt. Es steht hundert gegen eins zu wetten, daß Ihr verloren seid; ich aber möchte Euch gern retten.“

„Ist das Euer Ernst?“

„Ja; ich schwöre es Euch zu. Diese Kerls haben mich schwer beleidigt und ich bin nicht der Mann, dies ungerächt hingehen zu lassen. Allein kann ich nichts machen. Wenn Ihr mir aber helfen wollt, so sollen sie sicher und gewiß ihren Lohn haben.“

„Helfen? Hier kann niemand helfen, weder Ihr mir, noch ich Euch.“

„Denkt das nicht! Ich bin überzeugt, daß sie mich morgen freigeben. Man wird euch auf die Pferde binden und nach Tucson transportieren. Ich werde euch folgen; darauf gebe ich Euch mein Wort!“

„Bin Euch dankbar, Sir! Kann mir aber nichts nützen. Es wird mir unmöglich sein, fortzukommen.“

Pshaw! Habe da einen guten Gedanken. Steht Ihr etwa so fest zu Euren Leuten, daß ihr nicht frei sein wollt, ohne daß auch sie loskommen?“

„Unsinn! jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn ich nur mich rette, so mögen sie immerhin baumeln.“

Well, dann sind wir eins. Sagt ihnen, daß sie sich während des Rittes so stellen sollen, als ob der Kolbenhieb, den jeder bekommen hat, schlimme Nachwehen habe. Taumelt auf dem Pferde hin und her; stellt Euch so schwach wie möglich. Es sollte mich wundern, wenn dieser Lieutenant nicht einmal halten ließe, damit Ihr Euch erholen könnt. Da muß man Euch die Fesseln von den Füßen nehmen. Dann könnt Ihr Euch, selbst wenn die Hände dann zusammengebunden bleiben, rasch des schnellsten Pferdes bemächtigen und davon reiten, natürlich zurück, wo ich Euch erwarte. Man wird überrascht sein und Euch nicht gleich folgen; dadurch bekommt Ihr Vorsprung. Kommt uns dann später einer nahe, so habe ich meine gute Büchse und schieß ihn vom Pferde herunter.“

Buttler antwortete nicht gleich; er überlegte und sagte erst nach einer längeren Weile:

„Euer Vorschlag ist der einzige, welcher helfen kann; ich werde ihn befolgen. Komme ich wirklich frei, dann dreimal wehe diesem Kleeblatte und allen diesen Deutschen! Wir wollen zusammenhalten, Master Poller.“

Hiermit war das heimlich geführte Gespräch, von welchem der Wächter nichts bemerkt hatte, beendet. Buttler fühlte sich einigermaßen beruhigt und schlief dann sogar ein.

Zu erwähnen wäre noch, daß Sam einige Soldaten unter der Führung des Häuptlingssohnes nach dem Lagerplatze der Finders gesandt hatte, um sich der dort zurückgebliebenen Pferde und ihres Wächters zu bemächtigen, was auch gelungen war.

Kaum graute der Morgen, so stand man vom Lager auf. Erst wurde von den Vorräten, welche die Kavalleristen mitgebracht hatten, ein kurzes Frühstück gehalten, und dann erklärte der Lieutenant, mit seinen Gefangenen aufbrechen zu wollen. Er ließ sie auf ihre Pferde binden; die gefesselten Hände blieben ihnen vorn, damit sie die Zügel zu führen vermochten. Während dies geschah, rief der Scout Sam Hawkens an:

„Und was soll mit mir geschehen? Soll ich etwa als Gefangener hier gefesselt liegen bleiben?“

„Nein,“ antwortete Sam. „Ich wollte Euch bloß für diese Nacht sicher halten; nun es Tag geworden ist, könnt Ihr reiten, wohin Ihr wollt.“

Well; so gebt mich frei!“

„Nur keine Überstürzung, mein sehr verehrtester Master Poller! Ich kalkuliere, daß Ihr Euch an uns rächen wollt und uns vielleicht zu diesem Zwecke folgen werdet; ich werde Euch also dadurch unschädlich machen, daß ich Eure Waffen zurückbehalte.“

„Ich protestiere! Das wäre Diebstahl, Raub!“

Pshaw! Nennt es, wir Ihr wollt; es wird durchaus nicht anders.“

Poller wurde von seinen Banden befreit, setzte sich wetternd und schimpfend auf sein Pferd und ritt westwärts davon, um später unbemerkt in die Richtung nach Tucson umzulenken. Dann, nachdem der Lieutenant Abschied genommen hatte, machte er sich mit seinen Soldaten und Gefangenen ostwärts auf den Weg. Nun, da die vielen Menschen fort waren und man wieder an den Einzelnen denken konnte, bemerkte Sam Hawkens, daß der Kantor fehlte. Schon sollten Boten nach ihm ausgesandt werden, da sah man ihn kommen, langsam und wie zornig gestikulierend, von Westen her. Als er das Lager erreichte, fuhr Sam ihn heftig an:

„Wo laufen Sie schon wieder herum? Was haben Sie da draußen zu suchen?“

„Einen Triumphmarsch,“ antwortete der Musikenthusiast, welcher ziemlich echauffiert aussah.

„Triumphmarsch? Sind Sie toll?“

„Toll? Wie kommen Sie zu einer so beleidigenden Frage, werter Herr? Wir haben ja gesiegt; wir haben die Feinde gefangen genommen, und darum bin ich fortgegangen, um in der Einsamkeit das Motiv zu einem Sieges- und Einzugsmarsch zu finden.“

„Dummheit! Sie sollen sich nicht so da draußen herumtreiben; es ist das ein Fehler, den ich nicht dulden darf!“

„Fehler? Erlauben Sie gütigst! Ein jünger der Kunst begeht keinen Fehler; den hat vielmehr der Scout begangen.“

„Der Scout? Wieso?“

„Ich war eben im schönsten Komponieren, da kam er auf mich zugeritten und nahm mir alle meine Waffen ab; nur den Säbel hier hat er mir gelassen; er könne ihn nicht brauchen.“

„Donnerwetter!“ fuhr da Sam Hawkens auf. „Dachte es mir doch! Ich schicke den Burschen ohne Waffen fort und Sie laufen extra hinaus ins Weite, um ihm dafür die Ihrigen zu überlassen!“

„Überlassen! Ist mir nicht eingefallen. Genommen hat er sie mir und und mir als Bezahlung zwei – zwei – ich darf es gar nicht sagen, gegeben.“

„Sagen Sie es nur! Ich muß es wissen.“

„Deutsch bring ich es nicht heraus. Lateinisch wird es Colaphus genannt.“

Colaphus ist Ohrfeige. Also zwei Ohrfeigen haben Sie von ihm bekommen?“

„Ja, und was für welche! Fortissimo!“

„Das war die beste That, die dieser Mensch in seinem Leben begangen hat!“

„Bitte, bitte, wertester Herr Hawkens! Ein Komponist und Musenjünger, dem man zwei so gewaltige Maulschellen gibt, der – –“

„Der hat sie verdient, und auch noch einige dazu!“ fiel Sam ihm in die Rede. „Ich werde Sie viel, viel schärfer im Auge behalten als bisher. Machen Sie sich jetzt zum Aufbruche fertig; wir fahren weiter!“

Eine Stunde später setzte sich der Wagenzug in Bewegung. Voran ritt Sam Hawkens, welcher an die Stelle des bisherigen Führers getreten war. –

Buttler war fest entschlossen, den Rat des Scouts zu befolgen; er kannte sonst keinen andern Weg, der zur Rettung führen konnte.

Also Unwohlsein heucheln! Er hatte dies heute gleich nach seinem Erwachen seinen Leuten mitgeteilt, sie aber gewarnt, damit nicht etwa zu früh zu beginnen, da dies Verdacht erregt hätte. Darum stellte er sich erst dann, als ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt worden war, angegriffen, fuhr sich mit den gefesselten Händen nach dem Kopfe und stöhnte dabei. Dem Lieutenant mußte dies auffallen; er erkundigte sich nach der Ursache und erhielt zur Antwort, daß der gestrige Kolbenhieb das Gehirn erschüttert haben müsse. Buttler wurde schwächer und schwächer; er begann im Sattel zu wanken, so daß er rechts und links je einen Kavalleristen bekam, die ihn stützen mußten. Als dieselbe Schwäche sich dann auch noch bei einigen andern Gefangenen zeigte, wurde der Offizier besorgt und gab den Befehl zu halten und abzusitzen. Natürlich stiegen die Soldaten zuerst ab, um dann den Finders die Riemen, mit denen sie an die Pferde befestigt waren, von den Beinen zu nehmen. Buttler war der erste, mit dem dies geschah; er wurde vom Pferde gehoben und sank sofort auf die Erde nieder. Infolge dieser sehr großen Schwäche glaubte man, für ihn keine besondere Aufmerksamkeit nötig zu haben, und wendete diese vielmehr seinen Leuten zu. Das beabsichtigte er. Er hatte gesehen, daß das Pferd des Lieutenants das beste von allen war; es stand abseits ledig, denn der Offizier war natürlich auch abgestiegen. Während die Kavalleristen also für Buttler keinen Blick der Beobachtung hatten, sprang er plötzlich auf, schnellte zu dem Pferde hin, warf sich trotz seiner zusammengebundenen Hände in den Sattel, ergriff die Zügel und jagte davon – westwärts, weil er dort von dem Scout erwartet wurde.

Das war so schnell geschehen, und der Schreck lähmte die Glieder der Kavalleristen in der Weise, daß der Flüchtling einen ganz bedeutenden Vorsprung erreicht hatte, ehe hinter ihm der erste Schrei des Zornes und der Überraschung erscholl.

„Schießen, schießen! Schießt ihn aus dem Sattel; aber trefft das Pferd nicht etwa!“ rief der Offizier.

Alle eilten nach den Pferden, an deren Sätteln die Gewehre hingen. Darüber verging viele Zeit, und da das Pferd nicht getroffen werden sollte, war das Zielen schwer. Endlich krachten einige Schüsse, aber weil zu hoch gezielt, gingen die Kugeln über den Flüchtling weg; dann befand er sich außerhalb des Schußbereiches.

Indessen hatten die andern Gefangenen diese Verwirrung benützt, teils davonzulaufen, teils auf ihren Pferden, von denen sie noch nicht gestiegen waren, davonzureiten. Das gab ein wütendes Geschrei und heilloses Durcheinander. Die Kavalleristen mußten sich zerstreuen, um jedem einzelnen Entrinnenden nachzujagen, und so gab es nur vier oder fünf, welche sich hinter Buttler hermachten – ganz vergeblich; sein Vorsprung war zu groß und sein Pferd das schnellere; sie verloren ihn aus den Augen und kehrten schimpfend wieder um. Er aber jagte unaufhaltsam weiter, bis er vor sich einen Reiter erblickte; es war der Scout, sein neuer Verbündeter, der ihn froh bewillkommte. Beide suchten zunächst ein sicheres Versteck gegen die Verfolger auf und folgten dann am nächsten Morgen, um sich zu rächen, den Spuren des Wagenzuges, welcher ihnen nur eine Tagereise voraus war. – – –

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Gerechte Strafe

Gerechte Strafe

Es war zwei Tage später. Da, wo der Chelly-Arm sich in den Rio San Juan ergießt, welcher auch den Namen Rio del Navajos führt, gab es auf der Landzunge zwischen diesen beiden Flüssen ein ganz bedeutendes Indianerlager. Es mochten da wohl an die sechshundert Navajos versammelt sein, und zwar nicht zur Jagd, weil man da Zelte mitgebracht haben würde, die jetzt aber fehlten, sondern es handelte sich um einen Kriegszug, denn alle Gesichter waren mit den Kriegsfarben bemalt.

Die Stelle war außerordentlich gut zum Lager geeignet. Sie bildete ein Dreieck, welches an zwei Seiten von den beiden Flüssen eingefaßt und beschützt wurde und also nur von der dritten Seite angegriffen werden konnte. Gras gab es mehr als genug, Bäume und Sträucher auch, und an Wasser war nun vollends gar kein Mangel.

An langen Riemen, welche von Baum zu Baum gezogen worden waren, hingen lange, dünn geschnittene Fleischstücke zum Trocknen, der notwendige Proviant für den beabsichtigten Kriegszug. Die Roten lagen entweder unbeschäftigt im Grase oder sie badeten in einem der Flüsse. Andre dressierten ihre Pferde und noch andre übten sich im Gebrauche ihrer Waffen.

In der Mitte des Lagers stand eine Hütte, welche aus Strauchwerk errichtet worden war. Eine lange Lanze, welche neben der Thür in der Erde steckte, war mit drei Adlerfedern geschmückt; die Hütte war also die Wohnung von Nitsas-Ini, dem obersten Häuptlinge des Navajovolkes. Er befand sich nicht im Innern, sondern saß vor derselben. Er war wohl noch nicht ganz fünfzig Jahre alt, von kräftiger, ebenmäßiger Gestalt und hatte, was wohl auffallen mußte, sein Gesicht nicht mit Farbe bestrichen. Daher waren die Züge desselben deutlich zu sehen. Man konnte das Resultat einer Betrachtung dieser Züge in das eine Wort zusammenfassen: edel. In seinem Blicke lag eine ungewöhnliche Intelligenz, eine Ruhe und Klarheit, welche man an Indianern sonst nicht zu beobachten pflegt, Er machte keineswegs den Eindruck eines wilden oder auch nur halbwilden Menschen. Wenn man nach der Ursache davon suchte, so brauchte man nur auf die Person zu blicken, welche an seiner Seite saß und sich mit ihm unterhielt – – eine Squaw.

Das war unerhört! Eine Squaw im Kriegslager, und noch dazu an der Seite des Häuptlings! Man weiß ja, daß selbst die geliebteste Indianerfrau es nicht wagen darf, öffentlich an der Seite ihres Mannes zu sitzen, falls derselbe eine nur einigermaßen hervorragende Stellung einnimmt. Und hier handelte es sich um den obersten Häuptling eines Stammes, welcher noch heutigen Tages im stande ist, fünftausend Krieger zusammenzubringen. Aber diese Frau war keine indianische Squaw, sondern eine Weiße, ja sogar eine Weiße von deutscher Abstammung; sie war – kurz sei es gesagt, Schi-Sos Mutter, welche den Häuptling der Navajos zum Manne genommen und einen so glücklichen, bildenden Einfluß über ihn gewonnen hatte, wie schon früher einmal erwähnt worden ist.

Vor diesen beiden stand, an den Sattel seines Pferdes gelehnt, ein langer, hagerer, aber sehr kräftig aussehender Mann, dessen Vollbart eine glänzend eisgraue Farbe angenommen hatte. Man mußte es ihm auf den ersten Blick ansehen, daß er nie gewohnt gewesen war, die Hände in den Schoß zu legen, und wohl mehr erfahren und erlebt hatte als tausend andre. Diese drei Personen sprachen miteinander, und zwar in deutscher Sprache. Auch der Häuptling bediente sich derselben, was sich freilich nur dadurch erklären ließ, daß seine Frau eine Deutsche war.

„Ich beginne nun auch, Sorge zu haben,“ sagte soeben der Eisgraue. „Unsre Kundschafter sind so lange fort, daß wir nun endlich eine Nachricht von ihnen haben müßten.“

„Es muß ihnen ein Unglück begegnet sein,“ nickte die Frau.

„Das befürchte ich nicht,“ meinte der Häuptling. „Khasti-tine ist der beste Kundschafter des ganzen Stammes und hat neun erfahrene Späher mitbekommen; da kann mir nicht bange um sie sein. Wahrscheinlich sind sie nicht auf Nijoras gestoßen und müssen nun lange suchen, um Spuren von ihnen zu finden. Dabei haben sie sich zu teilen, um verschiedene Richtungen abzustreifen und dann ist es nicht leicht, sich wieder zusammenzufinden; wenigstens vergeht eine längere Zeit dabei.“

„Wollen hoffen, daß es so ist! Also ich reite jetzt und darf mir einige Krieger mitnehmen?“

„Soviel wie du willst. Wer die Antilope jagen will, darf nicht allein reiten, sondern muß genug Leute haben, um sie müde zu treiben.“

„So lebe wohl, Nitsas-Ini!“

„Lebe wohl, Maitso!“

Der Eisgraue bestieg sein Pferd und forderte im langsamen Fortreiten einige Indianer auf, mit ihm zu kommen. Sie waren gern bereit dazu, denn die Antilopenjagd ist ein Vergnügen, welches die Indianer jener Gegenden mit Leidenschaft betreiben. Er war von dem Häuptlinge Maitso genannt worden. Dieses Wort bedeutet in der Navajosprache so viel wie Wolf, woraus sich auch schließen ließ, daß dies der ursprüngliche deutsche Name dieses Mannes war. Denkt man daran, daß der junge Freund und Kamerad Schi-Sos Adolf Wolf hieß, so wird man leicht zu der Ahnung kommen, daß dieser Maitso der Onkel war, den Adolf aufsuchen wollte.

Der Graue ritt mit seinen indianischen Begleitern weit in die Ebene hinein, und es gelang ihnen, einige Antilopen zu erlegen. Auf dem Heimwege bemerkten sie, noch lange bevor sie das Lager erreicht hatten, drei Reiter, welche langsam aus östlicher Richtung geritten kamen; die Pferde derselben mußten einen langen und anstrengenden Weg zurückgelegt haben, denn man sah ihnen schon von weitem an, daß sie außerordentlich ermüdet waren.

Diese drei Reiter hielten, als sie den Trupp erblickten, ihre Pferde an, um zu beraten, ob es geraten sei, demselben zu trauen; dann kamen sie vollends herbei. Diese Leute waren Poller, Buttler und der Ölprinz.

„Guten Abend, Sir!“ grüßte der letztere, da die Sonne schon tief im Versinken war. „Ihr seid ein Weißer, und darum kalkuliere ich, daß Ihr uns eine wahrheitstreue Auskunft geben werdet. Zu welchem Stamme gehören die Roten, welche da bei euch sind?“

„Zu den Navajos,“ antwortete Wolf, indem er die ihm Unbekannten mit nicht eben günstiger Miene musterte.

„Wer führt sie an?“

„Nitsas-Ini, der oberste Häuptling.“

„Und Ihr? Wer seid Ihr? Ihr könnt doch unmöglich zu den Navajos gehören!“

„Warum nicht?“

„Weil Ihr ein Weißer seid.“

Pshaw! Es kann auch weiße Navajos geben. Ich wohne schon lange Jahre in ihrer Nähe und rechne mich auch zu ihnen.“

„Wo sind sie jetzt?“

„Hm? Warum fragt Ihr so?“

„Weil wir es wissen müssen.“

„Müssen? Das heißt, ich muß es Euch sagen? Kein Mensch muß, und ich muß erst recht nicht.“

„Und dennoch werdet Ihr mir Auskunft geben. Wir wollen Nitsas-Ini aufsuchen, um ihm eine sehr wichtige Nachricht zu bringen.“

„Von wem?“

„Von seinen Kundschaftern.“

Wenn er geglaubt hatte, den Alten damit sofort zu ködern, so hatte er sich geirrt. Dieser sah ihn vielmehr noch mißtrauischer als vorher an und sagte:

„Kundschafter? Wüßte nicht, wo wir Kundschafter hätten!“

„Verstellt Euch nicht! Ihr dürft Vertrauen zu uns haben. Wir bringen wirklich eine sehr wichtige Botschaft von ihnen.“

„Das von der Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich setze den Fall, wir hätten wirklich einige Späher zu irgend einem Zwecke ausgesandt und diese hätten uns etwas zu berichten, meint Ihr, daß sie da auf den außerordentlichen Gedanken kommen würden, uns dies durch drei Bleichgesichter sagen zu lassen? Die würden uns wohl einen von sich schicken.“

„Ja, wenn sie könnten!“

„Warum sollten sie nicht können?“

„Weil sie gefangen sind.“

„Gefangen? Alle Teufel! Bei wem?“

„Bei den Nijoras.“

„Hole Euch der Kuckuck! Leute, wie unsre Späher sind, nimmt man nicht so leicht gefangen.“

„Sie sind es aber doch!“

„Wo?“

„Zwei Tagesritte von hier, aufwärts im Chellythale.“

„Wie viele sind’s?“

„Acht Mann.“

„Stimmt leider nicht, stimmt wirklich nicht!“

„Donner und Doria, seid doch nicht so ungläubig! Ich weiß wohl, daß es zehn gewesen sind; aber es fehlen zwei, die von den Nijoras ausgelöscht worden sind.“

„Ausgelöscht? Hört, Master, seht Euch vor! Keiner von euch dreien hat ein Gesicht, welches mir gefallen könnte. Wenn Ihr uns etwas sagt, so sorgt ja dafür, daß es wahr ist, sonst kann es Euch schlimm ergehen!“

„Ganz wie Ihr wollt! Wir sind gar nicht so sehr darauf erpicht, Euch einen solchen Dienst zu erweisen und dafür Grobheiten und Beleidigungen einzuernten!“

„Begehrt nicht so auf! Ihr habt keine Waffen und seid also ohne jede Hilfe. Es gehört gar keine übergroße Phantasie dazu, euch für Vagabunden zu halten.“

„Weil wir Flüchtlinge sind!“

„Ach so! Woher kommt ihr denn?“

„Von den Nijoras, bei denen wir gefangen waren.“

„Hm! Mitgefangene unsrer Kundschafter also?“

„Ja. Zuckt immerhin mit der Achsel! Ihr werdet es uns doch noch Dank wissen, daß wir zu Euch gestoßen sind. Ist Euch vielleicht das Gloomy-water jenseits des Chelly bekannt?“

„Ja.“

„Nun, gar nicht weit davon ist Euer Khasti-tine von Mokaschi mit noch einem Kundschafter erschossen worden, und die acht übrigen wurden am Gloomy-water gefangen genommen und nach dem Chelly geschleppt. Dort gelang es uns dreien, die wir auch in die Hände der Nijoras geraten waren, zu entkommen. Nun glaubt mir oder glaubt mir nicht; es ist mir sehr egal!“

Jetzt, da Wolf den Namen Khasti-tine hörte, konnte er nicht länger zweifeln; er rief erschrocken aus:

„Khasti-tine erschossen? Ist das wahr? Und die andern Gefangenen? Alle Wetter, da steht es schlimm um sie!“

„O, es gibt noch andre, um die es ebenso schlimm steht!“

„Noch andre? Wen denn?“

„Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkens und noch andre Westmänner; dazu eine ganze Gesellschaft deutscher Auswanderer.“

„Seid Ihr toll!“ stieß Wolf hervor. „Old Shatterhand und Winnetou auch gefangen?“

Da nahm sich auch Poller des Gespräches an, indem er antwortete:

„Noch mehr, viel mehr! Schi-So ist auch dabei; er kommt aus Deutschland mit einem andern jungen Manne, welcher Adolf Wolf heißt.“

Da brüllte der Alte förmlich heraus:

„Adolf Wolf? Ein Deutscher? Wißt Ihr das genau?“

„Natürlich weiß ich es. Ich bin ja der Führer der ganzen Gesellschaft gewesen; ich kann deutsch sprechen und habe mir ihr Vertrauen erworben.“

„Mein Himmel! Da muß ich Euch sagen, daß ich der Oheim dieses Adolf Wolf bin. Er will zu mir. Also er gefangen, und Schi-So auch? Schnell, schnell, kommt zum Häuptling! Ihr müßt uns alles erzählen, und dann brechen wir sofort auf, um Hilfe zu bringen.“

Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, dem Lager zu. Die drei Weißen folgten ihm, indem sie verstohlen befriedigte Blicke unter sich wechselten. Den Schluß bildeten die Indianer. Es lag Poller, Buttler und dem Ölprinzen nur daran, sich hier bei den Navajos Waffen und Munition zu holen und dann schleunigst weiter zu reiten. Sie sagten sich natürlich, daß sie verfolgt würden, und hegten keineswegs die Absicht, sich ergreifen zu lassen. Da hatten sie nur mit zwei Möglichkeiten zu rechnen. Entweder gelang es ihnen, den Navajos bald, nachdem sie von diesen ausgerüstet worden waren, wieder zu entwischen, das war das Wünschenswerteste, oder man ließ sie nicht fort, sondern zwang sie, wieder umzukehren und mit gegen die Nijoras zu ziehen. In diesem Falle galt es vor allen Dingen, Zeit zu gewinnen, um eine passende Gelegenheit zur Flucht abzuwarten. Dies konnte aber nur dadurch geschehen, daß das Zusammentreffen der Navajos mit Old Shatterhand und seinen Leuten verhindert wurde. Wie dies anzufangen war, darüber dachte der Ölprinz jetzt während des Rittes nach dem Lager nach. Erst wollte ihm nichts einfallen, schließlich aber kam ihm doch ein passender Gedanke: Old Shatterhand und Winnetou befanden sich mit ihren Begleitern auf der linken Seite des Chellyflusses; wenn man die Navajos veranlaßte, auf dem rechten Ufer zu bleiben, so wurde das Zusammentreffen jedenfalls um mehrere Tage hinausgeschoben, und es stand zu erwarten, daß sich während dieser Zeit eine Gelegenheit zum Entrinnen finden werde. Darum instruierte der Ölprinz seine beiden Freunde mit gedämpfter Stimme, so daß der voranreitende „Wolf“ es nicht hören konnte:

„Laßt mich reden, wenn wir gefragt werden, und merkt euch vor allen Dingen das eine: Wir haben uns nicht am linken, sondern am rechten Ufer des Flusses befunden, und auf derselben Seite befindet sich auch Old Shatterhand mit seinen Leuten.“

„Warum das?“ erkundigte sich Buttler.

„Werde es dir später erklären; jetzt ist keine Zeit dazu.“

Er hatte recht, denn die Reiter näherten sich eben jetzt dem Lager. Die in demselben befindlichen Indianer blickten verwundert auf die drei fremden Weißen, denn sie hatten in dieser abgelegenen Gegend und jetzt, wo das Kriegsbeil ausgegraben worden war, keine Bleichgesichter vermuten können. Wolf ritt mit diesen bis an das Zelt des Häuptlings, welcher wie vorher vor dem Eingange saß, stieg da von seinem Pferde und meldete:

„Ich habe diese weißen Männer getroffen und zu dir gebracht, weil sie eine sehr wichtige Botschaft für dich haben.“

Nitsas-Ini, der „Große Donner“, betrachtete die drei Ankömmlinge, welche auch aus ihren Sätteln sprangen, und fragte dann den Wolf:

„Hast du sie als Freunde begrüßt?“

„Ja.“

Da zog der Häuptling seine Stirn in Falten und meinte:

„Ein geübtes Auge sieht es schon dem Baume an seiner Rinde an, wenn er innerlich faul ist. Du hast deine Augen nicht offen gehabt.“

Die drei Weißen hatten also keinen guten Eindruck auf ihn gemacht; sie hätten taub sein müssen, um dies seinen Worten nicht anzuhören. Der Ölprinz trat nahe zu ihm heran und sagte in halb höflichem und halb vorwurfsvollem Tone:

„Es gibt Bäume, welche innerlich gesund sind, obgleich ihre Rinde krank zu sein scheint. Der Große Donner mag erst dann über uns urteilen, wenn er uns kennen gelernt hat!“

Die Falten in der Stirn des Häuptlings vertieften sich, und seine Stimme klang streng abweisend, als er antwortete:

„Es sind mehrere hundert Sommer vergangen, seit die Bleichgesichter in unser Land gekommen sind; wir haben also Zeit genug gehabt, sie kennen zu lernen. Es gab nur wenige unter ihnen, welche Freunde der roten Männer genannt werden konnten.“

„Zu diesen gehören wir; das werden wir Euch beweisen.“

„Wenn ihr dies könnt, so wird es zu eurem Glücke sein!“

„Zu unserm Glücke? Ich denke, wir haben hier bei Euch nichts zu befürchten, weil Mr. Wolf uns freundlich aufgenommen hat!“

„Was er gethan und gesprochen hat, bindet die roten Männer nicht. Ich bin der oberste Häuptling der Navajos, bei denen ihr euch befindet, und euer Schicksal hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von dem, was ich über euch bestimme.“

Bei diesen Worten wurde es den drei Männern bange; der Ölprinz ließ sich dies aber nicht merken, sondern fuhr in zuversichtlichem Tone fort:

„Ich habe gehört, daß der Große Donner ein gerechter und weiser Anführer ist; er wird Krieger, welche zu ihm gekommen sind, um ihn und seine Leute zu retten, nicht feindlich behandeln.“

„Ihr uns retten?“ fragte der Häuptling, indem er sein Auge abermals geringschätzig über ihre Gestalten gleiten ließ. „Wer gerettet werden soll, muß sich in einer Gefahr befinden.“

„Dies ist freilich der Fall.“

„So sagt, was für eine Gefahr es ist, aus welcher ihr uns erlösen wollt!“

„Die Gefahr vor den Nijoras.“

Pshaw!“ rief er unter einer wegwerfenden Handbewegung aus. „Die Nijoras sind Männer, welche wir zertreten werden!“

„Das denkest du, aber sie sind euch an Zahl weit überlegen.“

„Und wenn sie zehnmal hundert zählten, wir würden sie doch vernichten, denn ein Navajo ist so viel wie zehn Nijoras zusammen. Und ihr wollt uns helfen, ihr, die ihr keine Waffen habt? Nur ein Feigling kann sich sein Gewehr nehmen lassen.“

Das war eine Beleidigung. Hätte der Ölprinz sich dieselbe gefallen lassen, so wäre er allerdings feig gewesen, das sah er gar wohl ein, und darum antwortete er in zornigem Tone:

„Wir sind gekommen, euch Gutes zu erweisen, und du vergiltst uns diese Absicht mit beleidigenden Worten? Wir werden euch augenblicklich verlassen.“

Er trat zu seinem Pferde und gab sich den Anschein, als ob er wieder in den Sattel steigen wolle. Da aber sprang der Häuptling auf, streckte seine Hand gebieterisch aus und rief:

„Herbei, ihr Navajo-Krieger; laßt diese Bleichgesichter nicht von der Stelle!“

Diesem Rufe wurde augenblicklich Folge geleistet; als die drei Weißen von den Roten ringsum eingeschlossen waren, fuhr er fort:

„Meint ihr, daß man zu uns kommen und von uns gehen darf wie ein Prairiehase von und zu seinem Baue? Ihr befindet euch in unsrer Gewalt und verlaßt diesen Ort nicht eher, als bis ich es euch erlaube. Beim ersten Schritte, den ihr gegen meinen Willen thut, treffen euch die Kugeln meiner Leute!“

Das klang drohend und sah nicht weniger bedrohlich aus, denn eine Menge Gewehre waren auf die drei gerichtet. Doch auch jetzt ließ der Ölprinz seine Besorgnis nicht erkennen; er nahm den Fuß wieder aus dem Bügel und die Hand vom Sattel weg und sagte in möglichst ruhigem Tone:

„Ganz, wie du willst! Wir sehen ein, daß wir in eure Hände gegeben sind, und müssen uns fügen; aber alle eure Gewehre sollen uns nicht zwingen, euch die Botschaft mitzuteilen, welche wir euch bringen wollten.“

„Die Botschaft? Ich kenne sie.“

„Nein!“

Pshaw! Ihr wolltet mir sagen, daß die Hunde von Nijoras das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“

„Nein. Das brauchen wir dir nicht zu sagen, denn das weißt du schon.“

„So wolltet ihr mir melden, daß sie schon aus ihren Hütten aufgebrochen sind. Aber dazu brauche ich euch nicht, denn ich habe Kundschafter ausgesandt, welche mich zur rechten Zeit benachrichtigen werden.“

„Da irrst du dich. Deine Kundschafter können dir keine Nachricht bringen.“

„Warum?“

„Weil sie gefangen sind.“

„Gefangen? Bei wem?“

„Eben bei den Nijoras.“

„Das ist eine Lüge! Ich habe die erfahrensten, die klügsten Männer ausgewählt, denen es nicht einfallen wird, sich ergreifen zu lassen. Ich durchschaue dich; ich errate alle deine Gedanken!“

„So? Wärst du wirklich so klug, dahin blicken zu können, wo meine Gedanken wohnen?“

„Ja. Du weißt, daß man Kundschafter aussendet, und kannst dir denken, daß wir dies auch gethan haben. Darum redest du von unsern Spähern, ohne aber etwas von ihnen zu wissen.“

„Meinst du? Es wäre allerdings besser für euch, wenn das, was ich weiß, nicht geschehen wäre. Ich will dir zeigen, in welchem Irrtum du dich befindest. Du hast zehn Späher ausgeschickt, deren Anführer Khasti-tine war. Ist es so oder nicht?“

„Uff! Es ist so,“ gestand der Häuptling erstaunt.

„So höre weiter! Khasti-tine wurde mit noch einem Krieger erschossen – – –“

„Uff, uff! Von wem?“

„Von Mokaschi, dem Häuptling der Nijoras, eigenhändig; die andern acht wurden gefangen genommen, gerade so wie wir.“

„Gerade so wie ihr? Auch ihr seid in die Hände der Nijoras gefallen gewesen?“

„Ja, Es gelang uns, zu entfliehen, doch ohne Waffen, die man uns abgenommen hatte. Darum sind wir unbewaffnet hier angekommen. Du hältst uns aus diesem Grunde für Feiglinge. Wie nennst du da deine Kundschafter, die ihre Waffen auch hergeben mußten und nicht die Klugheit und Thatkraft besaßen, sich einen Weg zur Flucht zu öffnen?“

„uff, uff, uff!“ rief der Häuptling. „Meine Späher gefangen und Khasti-tine erschossen! Das erfordert Rache! Wir müssen sofort aufbrechen, um diese Hunde von Nijoras zu überfallen. Wir – –“

Er war außerordentlich aufgeregt, ganz gegen die sonstige Indianerruhe, und wollte in sein Zelt, um seine Waffen zu holen. Da ergriff Wolf, welcher bisher geschwiegen hatte, ihn beim Arm und sagte:

„Halt, warte noch! Du mußt doch erfahren, wo die Nijoras sich befinden, wenn du sie überfallen willst. Das werden dir diese Männer sagen. Sie wissen auch noch andre Dinge, welche sogar noch viel, viel wichtiger sind.“

„Noch wichtiger?“ fragte der Häuptling, indem er sich wieder umwendete. „Was kann wichtiger sein, als daß Khasti-tine tot ist und unsre Kundschafter gefangen genommen worden sind?“

„Schi-So ist auch gefangen!“

„Schi – – – Schi-Schi- – –“

Er wollte den Namen seines Sohnes vollständig aussprechen, brachte aber nur die erste Hälfte desselben über die Lippen. Dann stand er steif, als ob er zu Stein geworden sei, und nur seine rollenden Augen zeigten, daß Leben in ihm war. Seine Krieger drängten sich näher herbei, doch ließ keiner einen Laut hören. Der Ölprinz sah ein, daß er den jetzigen Augenblick für sich ausnützen müsse, und sagte also mit weithin hörbarer Stimme:

„Ja, so ist es; Schi-So ist auch gefangen. Er soll am Marterpfahle sterben.“

„Und mein Neffe Adolf, welcher mit ihm aus Deutschland gekommen ist, befindet sich auch in der Gewalt der Nijoras.“ fügte Wolf hinzu.

Da kehrte dem Häuptling die Fassung zurück. Er besann sich, daß es doch unter seiner Würde sei, merken zu lassen, wie sehr die Nachricht ihn getroffen hatte; darum zwang er sich zu äußerlicher Ruhe und fragte:

„Schi-So gefangen? Wißt Ihr das genau?“

„Sehr genau,“ antwortete der Ölprinz. „Wir haben nicht nur in seiner Nähe gefesselt gelegen, sondern sogar mit ihm und allen seinen Begleitern gesprochen.“

„Wer befand sich bei ihm?“

„Ein junger Freund von ihm, welcher Wolf heißt, mehrere deutsche Familien, welche von drüben ausgewandert sind, und sodann eine ganze Schar berühmter Westmänner, von denen Ihr gewiß nicht denken werdet, daß sie sich so leicht gefangen nehmen lassen.“

„Wer sind diese Männer?“

„Old Shatterhand – – –“

„Old Shat – – – uff, uff!“

„Ferner Winnetou.“

„Der größte Häuptling der Apachen? Uff, uff, uff!“

„Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, der Hobble-Frank, gewiß lauter Leute, welche du nicht zu den Feiglingen zählen wirst.“

Es erklangen rundum laute Rufe des Erstaunens, ja des Schreckens; dadurch fand der Häuptling Zeit, sich zu fassen, denn die Selbstbeherrschung hatte ihm abermals vergehen wollen. Er schob die ihm im Wege Stehenden auseinander und eilte in sein Zelt. Man hörte seine Stimme und diejenige seiner weißen Frau; dann kamen beide heraus, und die letztere rief, sich an die drei Bleichgesichter wendend:

„Ist es möglich, ist es wahr? Mein Sohn befindet sich in den Händen der feindlichen Nijoras?“

„Ja,“ antwortete der Ölprinz.

„So muß er Schnell, schnell gerettet werden! Erzählt, was Ihr davon wißt, und sagt, wo sich die Feinde befinden! Wir müssen eilen. Also macht, redet, sprecht!“

Sie als Frau konnte ihre Aufregung natürlich viel weniger beherrschen, als der Häuptling. Sie hatte Grinleys Arm ergriffen und schüttelte denselben, als ob sie die gewünschte Auskunft dadurch beschleunigen könne; der Ölprinz aber antwortete in einem ruhigen Tone:

„Ja, wir sind allerdings gekommen, um Euch von dem, was geschehen ist, zu benachrichtigen; aber der Häuptling hat uns wie Feinde empfangen, und so wollen wir das, was wir wissen, doch lieber für uns behalten.“

„Hund!“ fuhr ihn da der „Große Donner“ an. „Du willst nicht sprechen? Es gibt Mittel, dir den Mund zu öffnen!“

„Nein,“ behauptete der Ölprinz mit einem siegesgewissen Lächeln.

„Wir braten euch am Feuer!“

Pshaw!“

„Wir binden euch an den Marterpfahl!“

Pshaw! Wir sind tapfere Männer und wissen zu sterben.“

Da legte die Frau die Hände auf Schulter und Arme ihres roten Mannes und bat ihn in dringendem Tone:

„Sei freundlich mit ihnen! Sie haben uns benachrichtigen wollen und also nicht verdient, daß du sie als Feinde behandelst.“

„Ihre Gesichter sind nicht die Gesichter guter Männer; ich traue ihnen nicht,“ antwortete er finster.

Die Frau des roten Mannes aber fuhr fort zu bitten, und Wolf vereinigte seine Vorstellungen mit den ihrigen, weil ihm um seinen Neffen bange war. Auch ihm gefielen diese drei Weißen desto weniger, je öfter er sie anschaute; aber sie hatten ihm nichts Böses gethan, und er konnte auf Grund ihrer Aussage seinen Verwandten retten; das war für ihn Grund genug, auch Fürbitte einzulegen. Der Häuptling, welcher allerdings viel lieber Strenge angewendet hätte, konnte diesem doppelten Drängen nicht widerstehen und erklärte schließlich.

„Es soll so sein, wie Ihr wünscht; die Bleichgesichter mögen in Frieden sagen, was sie uns mitzuteilen haben. Also redet!“

Diese Aufforderung war an den Ölprinzen gerichtet. Wenn der Häuptling glaubte, daß dieser ihr sofort nachkommen werde, so irrte er sich, denn Grinley antwortete:

„Ehe ich deinen Wunsch erfülle, muß ich erst wissen, ob ihr unsre Wünsche erfüllen werdet.“

„Welche Wünsche habt ihr?“

„Wir brauchen Waffen. Werdet ihr uns welche geben, wenn wir euch den Dienst leisten, den ihr von uns verlangt?“

„Ja,“

„Jedem ein Gewehr und ein Messer?“

„Ja.“

„Auch Munition?“

„Ja.“

„Auch einen Vorrat von Fleisch, da wir nicht wissen, ob wir bald auf ein Wild treffen werden?“

„Auch das, obgleich es nicht notwendig ist, denn so lange ihr bei uns seid, werdet ihr nicht Not leiden.“

„Davon sind wir ja fest überzeugt; aber wir können leider doch nicht lange bleiben.“

„Wann wollt ihr fort?“

„Nachher, sobald wir euch erzählt haben, was geschehen ist.“

„Das ist unmöglich.“

„Warum?“

„Ihr müßt bei uns bleiben, bis wir uns überzeugt haben, daß alles, was ihr uns erzählt habt, die Wahrheit ist.“

„Das ist ein Mißtrauen, welches uns beleidigen muß. Was für einen Grund hätten wir, euch zu täuschen?“

„Das weiß ich nicht. Es kann da viele Gründe geben.“

„Keinen einzigen. Es gibt zwei Möglichkeiten, Entweder sind wir eure Freunde oder eure Feinde. Im ersteren Falle kann es uns nicht einfallen, euch zu belügen, und im letzteren würden wir es niemals gewagt haben, euer Lager aufzusuchen.“

„Das klingt freilich so, als ob ich euch trauen dürfte; aber die Bleichgesichter haben doppelte Zungen; mit der einen reden sie so und mit der andern anders.“

„Das ist bei uns nicht der Fall. Wir waren Gefangene der Nijoras; sie wollten uns töten, und wir sind ihnen mit vieler Mühe und unter großen Gefahren entkommen. Du mußt uns glauben, wenn ich dir sage, daß wir uns an ihnen rächen wollen. Wir können dies aber nicht, weil wir zu schwach dazu sind. Darum sind wir zu euch gekommen.“

Der Häuptling wollte noch immer Widerspruch erheben; seine weiße Squaw aber bat ihn im dringenden Tone:

„Glaube ihnen, glaube ihnen doch, sonst vergeht die kostbare Zeit und wir kommen zur Rettung unsres Sohnes zu spät.“

Da Wolf sich dieser Bitte anschloß, so antwortete der „Große Donner“.-

„Der Wind will nach seiner Richtung gehen, aber wenn er durch hohe Berge aufgehalten wird, muß er sich in eine andre Richtung wenden. Der Wind ist mein Wille und ihr seid die Berge; es soll so sein, wie ihr wollt.“

„Also wir dürfen fort, wann es uns beliebt?“ fragte der Ölprinz.

„Ja.“

„Ihr legt uns kein Hindernis in den Weg?“

„Keins.“

„So ist unser Übereinkommen getroffen und wir wollen die Pfeife des Friedens darüber rauchen.“

Da verfinsterte sich das Gesicht des Häuptlings plötzlich wieder und er rief aus:

„Glaubt ihr mir nicht? Haltet ihr mich für einen Lügner?“

„Nein. Aber in der Zeit des Krieges braucht man kein Versprechen zu halten, welches ohne den Rauch des Kalummets gegeben wurde. Ihr könnt die Friedenspfeife getrost anbrennen, denn wir meinen es ehrlich. Wir reden die Wahrheit und können es euch beweisen, wenn ihr es verlangt.“

„Beweisen? Womit?“

„Schon durch unsern Bericht an sich selbst. Sobald ihr ihn vernommen habt, werdet ihr überzeugt sein müssen, daß jedes Wort die Wahrheit enthält. Dann aber kann ich euch auch sogar ein Papier zeigen, dessen Inhalt alles bestätigen wird.“

„Ein Papier? Ich mag nichts vom Papiere wissen, denn es kann mehr Lügen enthalten, als ein Mund auszusprechen vermag. Auch habe ich nicht gelernt, mit den Zeichen zu sprechen, welche auf euren Papieren stehen.“

„So kann Mr. Wolf jedenfalls lesen; er wird dir sagen, daß wir ehrlich und offen sind. Willst du nun die Pfeife des Friedens mit uns rauchen?“

„Ja,“ antwortete der Häuptling, als er den bittenden Blick seiner Frau bemerkte.

„Für dich und alle die Deinen?“

„Ja, für mich und für sie.“

„Dann nimm dein Kalummet, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Er hatte die Friedenspfeife an seinem Halse hängen, nahm sie herab, füllte den schön geschnittenen Kopf mit Tabak und brannte denselben an. Nachdem er die vorgeschriebenen sechs Züge gethan hatte, reichte er sie dem Ölprinzen, von dem sie an Buttler und dann an Poller überging. Als dies geschehen war, glaubte der Ölprinz sicher zu sein. Er dachte nicht daran, daß Wolf das Kalummet nicht erhalten hatte und also nicht an den Vertrag gebunden war.

Jetzt setzten sich alle auf den Boden nieder und Grinley begann zu erzählen. Er berichtete von dem Petroleumfunde, aber ohne den Ort zu nennen, von dem Verkaufen an den Bankier und von seiner Reise in die Berge. Natürlich verschwieg er die Wahrheit. Er sagte, er sei schon auf Forners Rancho mit Buttler und Poller und den Auswanderern zusammengetroffen, auch mit Winnetou, Old Shatterhand und den andern Jägern; dann seien sie alle den Nijoras in die Hände gefallen, und bei diesen hätten sie die gefangenen Navajokundschafter vorgefunden und von diesen gehört, daß Khasti-tine von Mokaschi erschossen worden sei.

Die Navajos hatten bis jetzt schweigend zugehört, doch läßt sich denken, daß sowohl der Häuptling als auch seine Squaw innerlich nicht so ruhig waren, wie sie sich äußerlich zeigten; sie wußten ja ihren Sohn in großer Gefahr. Auch Wolf hing mit gespannter Aufmerksamkeit an den Lippen des Erzählers. Sie ahnten nicht, daß die Gefangenen sich befreit hatten und daß der Ölprinz um seines Vorteiles willen so arg log. Jetzt machte er eine Pause und der Häuptling benutzte dieselbe, zu fragen:

„Wie ist es euch denn gelungen, zu entfliehen?“

„Mit Hilfe eines kleinen Federmessers, welches die Nijoras nicht bemerkt hatten. Unsre Hände waren zwar gebunden, trotzdem aber konnte einer meiner beiden Gefährten mir in die Tasche greifen und das Messerchen herausnehmen und öffnen, und als er mir meine Fesseln zerschnitten hatte, konnte ich dies dann auch mit den ihrigen thun.“

Der „Große Donner“ blickte eine Weile vor sich nieder; dann hob er rasch den Kopf und fragte:

„Und dann?“

„Dann sind wir schnell aufgesprungen und zu den Pferden gerannt; wir bestiegen die drei ersten besten und jagten davon.“

„Wurdet ihr verfolgt?“

„Ja, aber nicht eingeholt.“

„Warum machtet ihr nur euch frei und nicht auch die andern?“

Das war eine verfängliche Frage, bei welcher er sein Auge scharf auf den Ölprinzen richtete. Dieser sah ein, daß er sich jetzt zusammennehmen müsse und antwortete:

„Weil wir keine Zeit dazu fanden. Einer der Wächter sah, daß wir uns bewegten; er kam herbei; da konnten wir natürlich nichts anders thun als davoneilen.“

Er glaubte eine genügende Erklärung gegeben zu haben und betrachtete es darum gar nicht als Hinterlist, als sich der Häuptling weiter erkundigte:

„Du hast das kleine Messer noch?“

„Ja.“

„Ihr habt neben den andern Gefangenen gelegen?“

„Ja.“

Er hätte jetzt viel lieber „nein“ gesagt, das war aber nun nicht mehr möglich, da er vorhin das Gegenteil behauptet hatte. Er begann, die Absicht zu ahnen, welche der „Große Donner“ verfolgte, und wirklich meinte dieser nun in einem sehr strengen Ton:

„Hätte ich nicht die Pfeife des Friedens mit euch geraucht, so würde ich euch jetzt in Fesseln legen lassen!“

„Warum?“ fragte Grinley erschrocken.

„Weil ihr entweder Lügner oder feige Schurken seid.“

„Wir sind keins von beiden!“

„Schweig! Entweder belügt ihr jetzt uns, oder ihr habt euch gegen eure Mitgefangenen wie Schufte benommen!“

„Wir konnten sie nicht retten!“

„O doch! Und wenn nichts andres möglich war, so konntest du dem Nächsten, der bei euch lag, das kleine Messer geben.“

„Dazu war die Zeit zu kurz.“

„Lüge nicht! Und wenn du recht hättest, so mußtet ihr die Nijoras überlisten. Während sie euch verfolgten, mußtet ihr heimlich zurückkehren und die Gefangenen befreien.“

„Das war uns unmöglich. Wenn uns nun auch zwanzig oder dreißig folgten, die übrigen zweihundertsiebzig waren doch zurückgeblieben.“

Kaum hatte er dieses Wort gesagt, so bereute er es. Es zeigte sich auch gleich, daß er einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte, denn der Häuptling fragte:

„Also waren es dreihundert?“

„Ja.“

„Du siehst, daß wir viel mehr sind, und doch sagtest du vorhin, daß sie uns weit überlegen seien. Du hast zwei Zungen, hüte dich!“

„Ich hatte euch nicht genau gezählt,“ entschuldigte sich Grinley.

„So öffne deine Augen besser! Wenn du bei Nacht siehst, wie groß die Zahl der Nijoras ist, mußt du jetzt am Tage doch viel besser wissen, wie viele Krieger hier beisammen sind. An welchem Ufer lagerten die Nijoras?“

„Am rechten.“

„Wann wollten sie aufbrechen?“

„Erst nach einigen Tagen,“ log der Ölprinz, „weil sie noch weitere Krieger erwarteten.“

„Beschreib uns die Stelle genau!“

Er that es, so gut er konnte und fügte dann hinzu:

„Jetzt habe ich alles gesagt, was ich sagen konnte, und ich hoffe, daß du dein Wort halten wirst. Gebt uns Waffen und laßt uns weiter ziehen!“

Der „Große Donner“ wiegte seinen Kopf bedenklich hin und her und antwortete nach einer Weile:

„Ich bin Nitsas-Ini, der oberste Häuptling der Navajos, und habe noch nie mein Wort gebrochen. Aber habt ihr denn auch bewiesen, daß eure Worte die Wahrheit enthalten?“

„Du mußt doch zugeben, daß alles stimmt, was ich gesagt habe!“

„Es stimmt, aber du kannst trotzdem ein Schurke sein.“

„So will ich euch den unumstößlichen Beweis liefern, welcher euer Mißtrauen vollständig zerstreuen wird.“

Er bemerkte oder beachtete nicht die warnenden Blicke, welche Buttler und Poller auf ihn richteten. Er griff in die Tasche und zog die Anweisung auf San Franzisko hervor, welche er von dem Bankier erhalten hatte. Indem er sie dem „Wolf“ hingab, sagte er:

„Hier, werft einmal einen Blick auf dieses Wertpapier! Eine solche Summe wird, zumal unter solchen Umständen, doch nur einem ehrlichen Menschen angewiesen. Meint Ihr nicht?“

Wolf überflog das Dokument mit prüfendem Blicke und las es dann dem Häuptlinge vor. Dieser blickte, wie vorher schon einige Male, sinnend zu Boden und sagte dann:

„So ist also dein Name Grinley?“

„Ja.“

„Wie heißen diese deine beiden Gefährten?“

„Dieser hier Buttler und dieser andre Poller.“

Wolf wollte jetzt dem Ölprinzen die Anweisung zurückgeben, da aber nahm der Häuptling sie ihm schnell aus der Hand, legte sie in ihre Falten zusammen, schob sie sich in den Gürtel und fuhr in einem Tone, als ob er da gar nichts Besonderes gethan hätte, fort:

„Ich habe von einem Bleichgesichte gehört, welches Grinley heißt und der Ölprinz genannt wird. Kennst du den?“

„Der bin ich,“ antwortete Grinley.

„Und ich hörte ferner von einem Bleichgesichte, welches Buttler heißt und der Anführer der Finders war. Kennst du den Mann?“

„Nein.“

„Dieser hier ist es nicht?“

„Nein.“

„Wo liegt die Ölquelle, welche du verkauft hast?“

„Am Chelly.“

„Das ist nicht wahr, dort gibt es keinen Tropfen Öl.“

„Das ist richtig; ich wollte sagen in der Nähe des Chelly.“

„Aber wo?“

„Am Gloomy-water

„Ist auch nicht wahr.“

„O doch!“

„Sprich nicht dagegen. Es gibt keine Stelle, so groß wie meine Hand, die ich nicht betreten hätte. Es gibt kein Öl in dieser Gegend. Du bist ein Betrüger!“

„Donner und Wetter!“ fuhr da der Ölprinz auf. „Soll ich mir – – –“

„Schweig!“ fiel der Häuptling ihm in die Rede. „Ich habe es euch gleich angesehen, daß ihr keine ehrlichen Männer seid, und habe nur darum das Kalummet geraucht, weil ich dazu gedrängt wurde.“

„So willst du wohl eine Ausrede machen, um dein Wort brechen zu können?“

Der „Große Donner“ machte eine unnachahmlich stolze Handbewegung und antwortete, indem ein höchst geringschätzendes Lächeln über sein Gesicht glitt:

„Solcher Menschen wegen, wir ihr seid, soll mir kein Mann nachsagen, daß ich mein Wort nicht gehalten habe.“

„So gebt uns Waffen, Munition und Fleisch, und laßt uns ziehen! Und gib mir mein Papier zurück! Warum hast du es eingesteckt?“

„Ich habe es nicht dir zurückzugeben, sondern dem, von welchem ich es genommen habe. Du hast das Bleichgesicht, welches die Ölquelle kaufte, in der kein Öl vorhanden ist, um dieses Geld betrogen. Der Wolf wird wissen, was er zu thun hat.“

Er zog das Papier aus dem Gürtel und gab es Wolf mit einem bezeichnenden Winke zurück. Dieser schob es schnell in seine Tasche.

„Halt!“ rief Grinley, indem seine Augen zornig blitzten. „Das Papier gehört mir!“

„Ja,“ nickte Wolf, indem er ein sehr behagliches Lächeln zeigte.

„Also her damit!“

„Nein,“ antwortete Wolf mit demselben behaglichen Lächeln.

„Warum nicht? Wollt Ihr an mir zum Diebe werden?“

„Nein.“

„Dann heraus damit!“

„Nein.“

„So seid Ihr ja ein Dieb, und ich – – –“

Da fiel Wolf ihm in einem ganz andern Tone in die Rede:

„Mäßigt Euch, Mr. Grinley! Wenn Ihr mich beleidigt, ist’s um Euch geschehen. Ich bin kein Dieb.“

„Warum behaltet Ihr denn diese Anweisung, welche mir gehört?“

„Weil uns manches in eurer Erzählung nicht einleuchten will und weil ihr gar so rasch von hier fort wollt. Leute, welche mit genauer Not der Gefangenschaft und dem Tode entronnen sind, bedürfen der Ruhe und der Pflege. Dies könntet ihr hier haben; ihr wollt aber fort. Sodann würde jeder andre an eurer Stelle sich uns auf unserm Zuge gegen die Nijoras anschließen, um sich zu rächen; auch das wollt ihr nicht. Ihr wollt nur fort, nur fort, und zwar sehr schnell. Das sieht natürlich ganz so aus, als ob ihr vor jemand, der hinter euch her kommt, eine gewaltige Angst hättet.“

„Was wir denken und wollen, das geht Euch nichts an,“ antwortete der Ölprinz protzig. „Ich habe mit dem Häuptling und durch ihn mit allen den Seinen die Pfeife des Friedens geraucht; er muß seine Versprechungen erfüllen, und es darf mir nichts genommen werden.“

„Ganz richtig, Sir! Der Große Donner wird sein Wort ganz gewiß halten.“

„So gebt das Papier heraus!“

„Ich? Fällt mir nicht ein! Ich will es keineswegs stehlen, sondern nur aufheben.“

„Hölle und Teufel! Für wen?“

„Für diejenigen, welche nach euch kommen.“ Und als der Ölprinz zornig aufbrausen wollte, schnitt er ihm das Wort mit dem sehr energischen Zurufe ab. „Haltet den Mund! Glaubt ja nicht, daß Ihr der Mann seid, von dem ich mich einschüchtern lasse! Wenn ihr ehrliche Leute seid, so könnt ihr ruhig bei uns bleiben. Ob ihr euch das Geld drei oder vier Tage früher oder später auszahlen laßt, das kann euch nicht an den Bettelstab bringen. Ich will euch sagen, was ich denke. Im ersten Augenblicke habe ich euch für Gentlemen gehalten; damit ist es aber vorüber, seit ich eure famose Erzählung gehört habe.“

„Sie ist wahr!“

„Unsinn! Ihr sagt, Old Shatterhand, Winnetou, Sam Hawkens und andre seien mit euch gefangen gewesen? Und ihr seid allein entkommen! Mr. Grinley, das ist außerordentlich auffällig. Ihr habt da Männer genannt, welche weit eher entkommen würden, als ihr. Vielleicht habt ihr sie in die Hände der Nijoras gespielt. Das mag nun freilich sein, wie es will; Winnetou und Old Shatterhand sind Leute, die für sich selber sorgen werden. Für mich ist die Hauptsache jetzt diese Anweisung. Wir werden die Gefangenen befreien und also mit ihnen zusammen kommen; oder sie befreien sich selbst und kommen hinter euch her; auch in diesem Falle treffen wir auf sie. Da werden wir natürlich diesen Bankier Mr. Rollins sehen und ihm die Anweisung zeigen. Ist Eure Sache eine ehrliche, so könnt Ihr getrost bei uns bleiben; seid Ihr aber ein Betrüger, so habt Ihr Euch dieses Mal umsonst bemüht.“

Da sprang der Ölprinz vom Boden auf und schrie:

„Das wollt Ihr thun? Das sagt Ihr mir? So wollt Ihr an mir handeln? Was geht es Euch an, daß ich schnell weiter muß! Habe ich nötig, Euch meine Gründe zu sagen? Ich bleibe dabei: die Friedenspfeife ist geraucht worden und niemand darf mich hier festhalten!“

„Das wird auch kein Mensch thun!“ antwortete Wolf ruhig.

„Und ich muß bekommen, was man mir versprochen hat!“

„Waffen, Pulver, Blei und Fleisch? Ja, das werdet Ihr erhalten.“

„Und mein Papier zurück! Es ist mein Eigentum!“

„Wenn dies erwiesen ist, erhaltet Ihr es allerdings zurück.“

„Nein, jetzt, sofort! Es darf uns nichts genommen werden, denn der Häuptling hat mit uns für sich und all die Seinen das Kalummet geraucht.“

„Das stimmt. Aber, Mr. Grinley, haltet Ihr mich etwa auch für einen Indianer, für einen Navajo?“

„Fragt nicht solchen Unsinn!“

„Schön! Ich gehöre also nicht zu dem Großen Donner und den Seinen. Oder habe ich mit Euch das Kalummet geraucht?“

Grinley starrte ihm ins Gesicht und fand keine Antwort.

„Ja, so ist es,“ nickte Wolf mit einem überlegenen Lächeln. „Ihr mögt sonst ein schlauer Fuchs sein; heute aber seid Ihr das Gegenteil gewesen. Man läuft hier im wilden Westen nicht mit Hunderttausenden in der Tasche herum und wenn man es dennoch thut, so behält man sie drin stecken und zeigt -sie nicht vor. Nun habt Ihr gehört, was ich Euch zu sagen hatte: wir sind fertig.“

Er stand auf und wollte sich entfernen. Da packte ihn der Ölprinz am Arme und schrie ihn an:

„Das Papier heraus, oder ich erwürge Euch!“

Wolf schleuderte ihn mit einem kräftigen Rucke von sich ab, zog seinen Revolver, hielt ihm denselben entgegen und antwortete drohend:

„Wagt Euch noch einen einzigen Schritt an mich heran und meine Kugel fährt Euch in den Schädel! Bleibt bei uns, oder macht Euch fort, mir ist es ganz gleich; aber dieses Papier gebe ich nicht eher wieder her, als bis ich meinen Neffen befreit und mit dem Bankier gesprochen habe. Jetzt ist’s genug!“

Er ging nun wirklich fort. Der Ölprinz mußte dies zähneknirschend sehen, ohne ihn halten zu können. Er wendete sich wutschnaubend an den Häuptling; dieser hörte ihn lächelnd an und antwortete dann in größter Seelenruhe:

„Der Wolf ist ein freier Mann, er kann thun, was ihm beliebt. Wenn du bei uns bleibst, so bekommst du dein Papier wieder.“

„Ich muß aber fort!“

„So mag es dir der Bankier nachsenden. Du hast uns eine Botschaft gebracht, und ich gebe dir Waffen, Munition und Fleisch dafür, obgleich sie wohl nicht wahr ist. Verlange nicht mehr von mir. Willst du bei uns bleiben?“

„Nein.“

„So sollst du jetzt gleich erhalten, was ausbedungen ist; dann könnt ihr weiter reiten.“

Er ging, um die nötigen Befehle zu erteilen, und auch seine Navajos zogen sich von den drei Weißen zurück wie Tauben, die auf dem Felde vor den Krähen weichen. Die Betrüger standen allein. Niemand hörte auf sie; darum konnten sie gegenseitig ihren Gefühlen ganz ungeniert Luft machen.

„Verfluchter Kerl, dieser Wolf!“ knirschte Grinley. „Er gibt die Anweisung wirklich nicht heraus!“

„So etwas habe ich mir gleich gedacht, als ich sah, daß du sie vorzeigen wolltest,“ antwortete Buttler. „Bist ein Dummkopf gewesen, wie es keinen zweiten gibt!“

„Schweig, Esel! Ich konnte nicht anders. Sie wollten mir nicht glauben, und da mußte ich mich legitimieren.“

„Legitimieren! Mit einer erschwindelten Anweisung! Hat man jemals so etwas gehört! Nun siehst du, wie schön dir diese Legitimation gelungen ist!“

„Das konnte ich nicht vorher wissen!“

„Aber ich hab’s gewußt! Wo ist nun der Lohn für alle Mühe, die wir uns gegeben, für alle Gefahren, die wir durchgemacht haben? Ein einziger Augenblick hat uns um alles gebracht!“

So ging es eine ganze Weile fort, aber als Poller auch anfing, Vorwürfe zu machen, brachte Grinley ihn durch einige Grobheiten zum Schweigen und fuhr dann fort:

„Ich mag unvorsichtig gewesen sein, doch ist noch lange nicht alles verloren. Wir werden die Anweisung wiederbekommen.“

„Von diesem Wolf?“ fragte Buttler mit einem Lachen des Zweifels.

„Ja.“

„Willst du etwa hierbleiben und warten, bis die Nijoras kommen oder gar Old Shatterhand und Winnetou?“

„Fällt mir nicht ein! Wir reiten fort.“

„Aber da geben wir doch das Papier auf!“

„Nein. Ich sage, wir reiten fort, aber nicht eher, als bis wir Wolf gezwungen haben, es herauszugeben.“

„Wie willst du ihn zwingen?“

„Denke daran, daß wir Waffen erhalten.“

„Also mit ihm kämpfen?“

„Ja, wenn er uns dazu zwingt.“

„Und die Roten? Wie werden die sich dazu verhalten?“

„Sie werden sich nicht einmischen. Wir haben die Friedenspfeife mit ihnen geraucht, und solange wir ihr Lager nicht verlassen, dürfen sie nicht Partei gegen uns und für ihn nehmen. Er hat ja erklärt, daß er nicht zu ihnen gehört. Etwas andres wäre es, wenn wir das Lager verließen und dann vielleicht zurückkehrten; dann hätte das Kalummet seine Kraft verloren. Seht, da bringt man uns das Fleisch! Die Gewehre und Messer werden bald folgen, und dann suche ich diesen Wolf auf. Ihr haltet doch zu mir?“

„Natürlich! Für eine solche Summe kann man schon etwas wagen. Wir können ja probieren, wie es geht. Wenn es gefährlich für uns werden will, ist es doch noch Zeit, von dem Kampfe abzusehen. Dort steigen mehrere Rote zu Pferde. Wohin mögen sie wollen?“

„Kann uns gleichgültig sein. Uns geht es wohl nichts an.“

Buttler irrte sich, als er dies dachte, Der Häuptling näherte sich mit einem Roten, welcher lange, dünne Stücke getrockneten Fleisches trug.

„Wann wollen die Bleichgesichter uns verlassen?“ fragte er.

„Sobald wir bekommen haben, was uns versprochen worden ist.“

„Und wohin werdet ihr die Schritte eurer Pferde lenken?“

„Hier zum Bette des Rio Navajos hinab. Wir wollen den Colorado hinunter.“

„So könnt ihr sofort aufbrechen. Hier ist Fleisch.“

„Und das andre?“

„Werdet ihr auch erhalten. Seht ihr die Reiter dort?“

„Ja.“

„Sie haben drei Gewehre, drei Messer und Pulver und Blei für euch. Sie werden eine Stunde lang mit euch reiten und dann, wenn sie euch diese Sachen gegeben haben, wieder zu uns zurückkehren.“

Die drei sahen sich enttäuscht an. Der Häuptling bemerkte dies sehr wohl, that aber so, als ob es ihm entgangen sei.

„Warum bekommen wir das denn nicht jetzt?“ fragte Buttler.

Da ging ein ganz eigentümliches Lächeln über das Gesicht des „Großen Donners“, und er antwortete:

„Ich habe vernommen, daß die Bleichgesichter die Gewohnheit haben, lieben Gästen das Ehrengeleite zu geben. Dies soll hier mit euch geschehen.“

„Wir nehmen es dankbar an; aber die Waffen können wir ja doch selber tragen.“

„Warum sollt ihr euch diese Mühe geben? Ihr braucht sie doch jetzt nicht. Seht, meine Leute brechen auf! Sie pflegen schnell zu reiten. Macht, daß ihr ihnen nachkommt, sonst erreichen sie vor euch die Stelle, an welcher sie euch die Waffen übergeben sollen, und wenn ihr dann nicht da seid, bekommt ihr sie nicht.“

Er machte mit der Hand die Bewegung des Abschiedes und wendete sich davon, indem sein Gesicht vor Schadenfreude förmlich glänzte. Er hatte sein Versprechen erfüllt und zugleich das Vorhaben der Weißen verhindert.

„Schlauer Fuchs, diese Rothaut!“ stieß Grinley hervor. „Er scheint geahnt zu haben, was wir uns vorgenommen hatten.“

„Ja,“ stimmte Buttler bei. „Dieser rote Spitzbube ist eben auch ein Freund von Old Shatterhand und Winnetou, und wenn man es mit einem solchen Kerl zu thun hat, kann man gewiß sein und darauf schwören, daß man übertölpelt und betrogen wird. Nun ist für uns nichts mehr zu hoffen.“

Pshaw! Ich gebe die Hoffnung noch lange nicht auf.“

„Wirklich? Denkst du, daß es möglich ist, noch etwas zu erreichen?“

„Ja.“

„Auf welche Weise?“

„Wir warten, bis die sechs Kerls fort sind und kehren dann um.“

„Um mit Wolf anzubinden?“

„Ja.“

„Das wäre wieder dumm, denn die Roten würden ihm alle helfen. Du hast ja selbst gesagt, daß wenn wir das Lager verlassen haben, das Kalummet keine Kraft mehr besitzt.“

„Ja, das wäre freilich eine Dummheit, wenn wir ihn offen anpacken wollten.“

„Also heimlich?“

„Ja. Ihr könnt euch denken, daß sie baldigst aufbrechen werden, um die vermeintlichen Gefangenen zu befreien, und wir wissen, daß sie am rechten Ufer aufwärts ziehen werden. Wir reiten ihnen nach, bis wir den Platz erreichen, wo sie für die Nacht lagern. Da belauschen wir sie, und es sollte mich wundern, wenn wir keine Gelegenheit fänden, uns an diesen Wolf zu machen.“

„Das mag richtig sein. Das ist ein Gedanke, welcher mir wieder Leben gibt. Hoffentlich hat der Kerl die Anweisung bei sich!“

„Wo sollte er sie sonst haben? Hier im Westen gibt es keine feuerfesten Tresors, in denen man das Geld, welches man nicht besitzt, aufbewahren kann.“

Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten ohne Abschied davon. Wem hätten sie ade sagen können? Es schien sich kein Mensch um sie zu bekümmern; aber es schien auch nur so, denn in Wirklichkeit waren alle Augen heimlich auf sie gerichtet.

Als der Ölprinz und seine beiden Genossen hinter der Böschung des Ufers verschwunden waren, kam Wolf wieder zum Vorschein. Er hatte sich hinter eine Baumgruppe zurückgezogen gehabt und schritt jetzt auf das Häuptlingszelt zu, vor welchem der „Große Donner“ die hervorragendsten seiner Krieger zur Beratung zusammenkommen ließ. Die weiße Squaw befand sich in großer Sorge um ihren Sohn und trieb ihren Mann zum schleunigen Aufbruche, um die Nijoras zu überfallen. Er tröstete sie damit, daß Schi-So sich in Gesellschaft so berühmter, tapferer und erfahrener Krieger befände.

„Und,“ fügte Wolf zur Beruhigung hinzu, „die Gefangenen werden erst nach beendetem Kriege, nach der Heimkehr in die Dörfer getötet; der Krieg hat aber noch gar nicht begonnen, und so braucht es Euch um Euren Sohn nicht angst zu sein, wie auch ich für meinen Neffen noch lange nicht die größeste Besorgnis hege. Vor allen Dingen müssen wir an das Nächste denken. Es muß ein Lauscher hinunter an den Fluß gelegt werden.“

„Wozu?“ fragte der Häuptling.

„Wenn mich meine Vermutung nicht trügt, so kehren die drei Weißen, nachdem sie die Waffen bekommen haben, wieder um und folgen uns nach. Eine so hohe Summe gibt man nicht auf, ohne geradezu alles zu versuchen, sie wieder zu erhalten.“

„Du meinst, daß sie dich zwingen wollen, das Papier herauszugeben?“ fragte der Häuptling.

„Ja.“

„Sie mögen kommen! Sie haben unser Lagerverlassen, und der Rauch des Kalummets kann sie also nicht mehr schützen. Sie würden unsre Kugeln schmecken.“

„Wenn wir sie sähen, ja. Sie werden sich aber hüten, sich sehen zu lassen, sondern uns im Verborgenen nachschleichen, um mich zu überfallen, wenn sich eine passende Gelegenheit dazu ergibt. Ich muß aus diesem Grunde zu meiner Sicherheit wissen, ob sie überhaupt umkehren. Darum bitte ich dich, einen berittenen Späher hinunter an den Fluß zu postieren.“

„Warum beritten?“

„Weil wir doch bald von hier aufbrechen und er uns ohne Pferd nicht leicht einholen könnte.“

Der Häuptling folgte diesem Rate, und dann konnte die Besprechung über den durch die Not so beschleunigten Zug gegen die Nijoras beginnen.

Eigentlich gab es gar nicht viel zu verhandeln. Es war zwar anzunehmen, daß Grinley, Buttler und Poller nicht die Wahrheit gesagt hatten in Beziehung dessen, was ihre Personen, ihre Absichten und Thaten betraf, aber daß sie gefangen gewesen waren, mußte geglaubt werden, weil sie keine Waffen gehabt hatten. Auch daß die Kundschafter der Navajos, Old Shatterhand und Winnetou nebst ihren Begleitern in die Hände der Nijoras geraten waren, durfte als wahr angenommen werden. Jedenfalls hatten die Nijoras auch Kundschafter ausgeschickt, und diese hatten das Lager der Navajos sicher erspäht, da sie von den Gegenkundschaftern nicht daran verhindert worden waren. Auf alle Fälle hatten die Nijoras beschlossen, zum Angriffe überzugehen, und diese Absicht war bestärkt worden durch die Flucht der drei Bleichgesichter, von denen die Nijoras sich sagen konnten, daß sie jedenfalls die Navajos aufgesucht hatten, um bei diesen Schutz zu suchen und sie zu benachrichtigen. Dies konnte nur durch einen schnellen Angriff wett gemacht werden, und so waren die Nijoras jedenfalls sofort gegen die Navajos aufgebrochen. Diese letzteren glaubten hinwiederum, den Angriff nicht abwarten zu sollen, sondern ihm zuvor- oder wenigstens entgegenzukommen. Darum rüsteten sie sich zum Aufbruche, welcher gerade in dem Augenblicke geschah, als die sechs Reiter zurückkehrten, welche Grinley, Buttler und Poller fortgeschafft hatten. Als sie befragt wurden, wie dieselben sich verhalten hätten, erklärten sie, daß die drei Weißen nach Empfang der Waffen und der Munition ruhig weiter geritten wären, ohne durch irgend etwas zu verraten, daß sie die Absicht hegten, umzukehren. Dennoch blieb der Späher unten am Flusse stehen und erhielt die Weisung, falls die Bleichgesichter zurückkehrten, sie erst vorüber zu lassen, eine Weile zu beobachten und sie dann in einem weiten Bogen zu umreiten, um seinen Kameraden nachzufolgen.

Der Zug ging natürlich am rechten Flußufer aufwärts, denn man hatte der Aussage des Ölprinzen, daß die Nijoras sich an diesem befänden, Glauben geschenkt; in Wirklichkeit kamen sie aber am linken herunter. Als der Tag sich zu Ende neigte, kam der Späher nach und meldete, daß die drei Weißen in der That umgekehrt seien und den Navajos auf deren Fährte folgten. Da man dies nun wußte, waren sie nicht zu fürchten.

Es wurde den ganzen Abend weiter geritten und erst gegen Mitternacht angehalten, da man nun, wie man fälschlicherweise annahm, jeden Augenblick auf die Nijoras treffen konnte. Man lagerte sich, brannte aber keine Feuer an, da diese zur Entdeckung führen konnten.

Eigentlich beabsichtigte man, nach rückwärts einige Posten auszustellen, um die drei Weißen abzuhalten; aber Wolf, auf den allein es diese doch abgesehen hatten, riet davon ab, da es nicht notwendig sei. Es stand mit Gewißheit zu erwarten, daß Buttler, Poller und Grinley nicht kommen würden, da es ihnen unmöglich gewesen war, in der Dunkelheit der Spur der Navajos zu folgen; der Mond war erst später aufgegangen.

Nach vorwärts aber wurden Wachen ausgestellt, denn das erforderte die allgemeine Sicherheit. Das Zelt des Häuptlings war aufgeschlagen worden, damit seine weiße Squaw in demselben schlafen könne. Sie hatte sich wohl auf die Decke hingestreckt, konnte aber aus Sorge für ihren Sohn keine Ruhe finden. Die Luft wurde ihr so schwül im Innern, daß sie nach einiger Zeit wieder aufstand und hinaus in das Freie ging.

Der Mond stand über den Uferbäumen und belächelte sein Bild, welches ihm aus dem hier schmalen, aber ziemlich tiefen Wasser des Flusses entgegenglänzte. Tiefe Stille herrschte ringsumher; nur zuweilen schnaubte eines der Pferde oder schlug mit dem Schwanze nach den Stechmücken, die es hier am Flusse gab; weiter war nichts zu hören. Wirklich weiter nichts? O doch, denn plötzlich klang es im Sechsachteltakte vom andern Ufer herüber:

„Fitifitifiti, fititi, fititi, fititi, fititi, fitifitifiti, fititi, fititi, ti!“

Die Indianer fuhren aus dem Schlafe empor und lauschten erstaunt. War das eine menschliche Stimme oder ein Instrument gewesen? Der Häuptling trat leise zu seiner Frau und fragte:

„Hast du es gehört? So etwas habe ich noch nie vernommen. Was mag es gewesen sein?“

„Es hat jemand die Violine nachgeahmt und einen Walzer geträllert,“ antwortete sie.

„Violine? Walzer? Was ist das? Ich weiß es nicht.“

Sie wollte Auskunft geben, kam aber nicht dazu, denn es tönte von drüben herüber:

„Clililililili, lilili, lilili, Clililililili, lilili, lilili, lilili, li!“

„Das ist ja wieder anders!“ flüsterte der Häuptling.

„Das war die Klarinette, welche nachgeahmt wurde.“

„Klarinette? Kenne ich nicht. Ich denke, daß da drüben – –“

„Trärärä tä – t–tä– trärärä tä – tä – tä –!“ wurde er drüben unterbrochen.

„Das war die Trompete,“ erklärte die Squaw, welche auch nicht wußte, was sie denken sollte. Und ehe noch der Häuptling antworten konnte, erklang es weiter:

„Tschingtschingtschingtschingbumbum, tschingbumbum, tschingbumbum, tschingtschingtsching tschingbumbum, tschingbumbum bum –!“

„Das war die große Trommel mit dem Messingbecken,“ sagte die Squaw, deren Erstaunen von Minute zu Minute gewachsen war.

„Trompete, Trommel, Becken?“ fragte der „Große Donner“. „Das sind lauter Worte, welche ich nicht verstehe. Ist vielleicht ein böser Geist da drüben?“

„Nein, es ist kein Geist, sondern ein Mensch.“

„Weißt du das gewiß?“

„Ja. Er ahmt den Klang verschiedener Musikinstrumente mit der Stimme nach.“

„Aber das ist doch nicht Musik der roten Männer!“

„Nein, sondern der Bleichgesichter.“

„Sollte es ein Bleichgesicht sein?“

„Möglich.“

„Aber die sind doch gefangen! Ich werde einige Späher hinübersenden, welche dieses sonderbare Wesen beschleichen sollen.“

Eine Minute später schwammen weiter unten, wo sie von dem sonderbaren Instrumentisten nicht bemerkt werden konnten, vier Navajos über den Strom, stiegen drüben an das Ufer und schlichen sich dann flußaufwärts. Nach kurzer Zeit ertönte ein unterdrückter Schrei und hierauf kamen die Vier, einen menschlichen Körper halb über Wasser haltend, wieder herübergeschwommen. Als sie den Körper auf die Beine gestellt hatten, meldete einer von ihnen dem Häuptlinge:

„Dieses Bleichgesicht ist es gewesen; es lehnte an einem Baume und trommelte sich mit den Fingern auf den Bauch.“

Der „Große Donner“ trat an die fremde Gestalt heran, betrachtete sie und fragte:

„Was treibst du hier mitten in der Nacht? Was bist du, und wer sind die, zu denen du gehörst?“

Er hatte halb englisch und halb indianisch gesprochen; der Gefragte verstand ihn nicht, ahnte aber, was man wissen wollte, und antwortete in deutscher Sprache:

„Guten Abend, meine Herren! Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden, was ein berühmter Sommerluftkurort ist. Es liegt an der Dresden-Zittauer und Dresden-Königsbrücker Eisenbahn und hat eine Restauration, in welcher es während der großen Sommersaison jede Woche einen Vortragsabend gibt. Warum haben Sie mich denn in meinem Studium gestört? Ich bin wahrhaftig ganz pudelnaß geworden!“

Die Roten verstanden kein Wort; aber man kann sich das freudige Erstaunen der weißen Squaw denken, als sie die bekannten Laute ihrer Muttersprache hörte. Sie trat eiligst auf den Emeritus zu und rief aus:

„Sie sprechen deutsch? Sie sind ein Deutscher, ein Kantor aus der Dresdener Gegend? Wie in aller Welt kommen Sie denn hierher an den Chellyfluß?“

Nun war das Erstaunen auf der Seite des Herrn Kantors. Er trat einige Schritte zurück und rief aus, indem er die Hände zusammenschlug:

„Die Laute meiner Muttersprache aus diesem Munde! Eine Indianerin, eine echte Indianerin, welche deutsch redet!“

„Sie irren sich; ich bin zwar jetzt die Frau eines Indianers, nämlich des Häuptlings der Navajos, aber von Geburt eine Deutsche.“

„Und Sie haben einen Indianer zum Manne genommen? Wie heißt denn Ihr Herr Gemahl?“

„Nitsas-Ini, der Große Donner.“

Großer Donner? Zu dem wollen wir ja!“

„Wirklich? Sie sagen wir; also sind Sie nicht allein?“

„Bewahre! Wir sind eine ganze Gesellschaft tüchtiger Westmänner und Helden beisammen, Winnetou, Old Shatterhand, Sam …“

„Kann ich erfahren, wo ihre Gefährten sich jetzt befinden?“

„Sie sind den Nijoras nach.“

„Die wollen uns doch überfallen.“

„Ja, wenn ich mich nicht täusche, glaube ich, dies gehört zu haben.“

„Sie sagen mir da etwas für uns ganz außerordentlich Wichtiges. Wir sind nämlich den Nijoras entgegengezogen, um ihrem Überfalle zuvorzukommen.“

„Wie? Ihnen entgegen? Ich glaube, daß Sie sich da auf dem falschen Wege befinden, verehrteste Frau Häuptling.“

„Wieso?“

„Wieso? Weil die sich drüben am linken Ufer befinden.“

„Nicht hier am rechten?“

„Nein.“

„Wirklich nicht? Wissen Sie das auch gewiß? Es kommt uns nämlich sehr viel darauf an, daß Sie sich nicht etwa in einem Irrtum befinden.“

„Ein Irrtum ist gar nicht möglich. Wenn wir jünger der Kunst einmal etwas wissen, so wissen wir es auch ordentlich und richtig. Wir sind ja eben von den Nijoras überfallen worden.“

„Das weiß ich. Drei von Ihnen haben sich gerettet.“

„Drei? Da denken Sie höchst wahrscheinlich an Buttler, Poller und den Ölprinzen. Die sind uns leider durchgebrannt.“

„Durchgebrannt? Also entflohen? Etwa Ihnen?“

„Ja.“

„Aber sie wollen doch Ihre Gefährten gewesen sein. Wie ist es da möglich, daß sie Ihnen entflohen sein können?“

„Es ist so. Glauben Sie es mir.“

„Das werden Sie mir noch deutlicher erklären müssen. Diese drei Männer erzählten, daß Old Shatterhand mit seiner Gesellschaft noch gefangen gewesen sei, als es ihnen gelang, sich zu retten.“

„Das ist entweder eine Lüge oder ein Irrtum in der Zeitrechnung. Als sie sich davonmachten, waren wir schon längst wieder frei. Haben Sie denn diese drei Personen gesehen?“

„Sogar gesprochen haben wir mit ihnen.“

„Da will ich hoffen, daß Sie sich in acht genommen haben!“

„Warum?“

„Weil das Menschen zu sein scheinen, denen man nicht weiter trauen darf, als man sie sieht. Die haben den Schalk im Nacken, ja ja, den Schalk im Nacken. Es ist ihnen sogar gelungen, mich zu täuschen, mich, der ich ein Sohn der Musen bin. Das will doch gewiß viel heißen, sehr viel! Ich werde Ihnen das schon noch erzählen, Frau Häuptling.“

„Ja, später. Für jetzt möchte ich zunächst wissen, wo Old Shatterhand und Winnetou sich befinden.“

„Das weiß ich nicht.“

„Nicht? Aus Ihren früheren Worten schien aber doch hervorzugehen, daß Sie es wissen müssen!“

„Das mag sein. Aber einesteils bekümmere ich mich nicht eingehend um solche Sachen, weil meine Heldenoper alle meine Gedanken in Anspruch nimmt, und andernteils verhalten sich meine Gefährten nicht so mitteilsam gegen mich, wie Sie anzunehmen scheinen. Es ist dies eine sehr zarte Rücksichtnahme von ihnen, für welche ich ihnen wirklich dankbar sein muß. Sie wollen mich nicht mit diesen profanen Sachen belästigen, da ich weit Höheres zu schaffen habe. Ich weiß also nicht, wo Old Shatterhand und Winnetou sich in diesem Augenblicke befinden; ich kann nur sagen, daß sie hinter den Nijoras her sind. Wenn sie mich mitgenommen hätten, könnte ich Ihnen den Ort, wo man sie jetzt zu suchen hat, genau sagen.“

„Wann sind sie denn von Ihnen fort?“

„Noch vor Mittag heut. Sie haben niemand als nur Schi-So mitgenommen.“

„Schi-So? Was? Meinen Sohn?“

„Ihren Sohn? Wie? Er ist Ihr Sohn?“

„Ja. Wußten Sie das nicht?“

„Nein. Ich wußte nur, daß er der Sohn von Nitsas-Ini sei, ob aber auch der Ihrige, das war mir bis zum gegenwärtigen Augenblicke unbekannt.“

„Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Frau des Häuptlings bin!“

„Das stimmt; aber wissen Sie, es ist für einen jünger der Kunst nicht so leicht, sich in die Verhältnisse einer Familie hineinzudenken, bei der die Mutter weiß, der Vater aber von kupferner Farbe ist. Ich werde es mir aber sehr genau überlegen, und dann ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie in meiner Oper einen Platz bekommen, etwa als rote Heldenmutter, denn eine weiße habe ich schon in der Person von Frau Rosalie Ebersbach.“

Der Kantor kam ihr etwas sonderbar vor. Sie schüttelte leise den Kopf und erkundigte sich dann:

„Was thaten Sie denn eigentlich vorhin da drüben, wo Sie sich befanden?“

„Ich komponierte.“

„Das heißt, Sie arbeiteten an Ihrer Oper?“

„Ja. Ich komponierte den Heldeneinzugsmarsch.“

„Aber so laut!“

„Das muß so sein; das geht nicht anders. Ich muß doch hören, wie die einzelnen Instrumente klingen.“

„Aber das kann Ihnen doch sehr leicht das Leben kosten l“

„Fällt ihm nicht ein!“

„O doch! Wie nun, wenn Feinde in der Nähe gewesen wären?“

„Es waren keine da.“

„Wußten Sie das?“

„Ja.“

„Woher?“

„Sam Hawkens hat es gesagt. Darum paßte er auch nicht sehr auf mich auf, und so gelang es mir, mich zu entfernen, ohne daß man acht darauf hatte. Ich ging so weit fort, daß sie mich nicht hören konnten, und probierte da die einzelnen Stimmen des Orchesters durch. Da wurde ich leider plötzlich unterbrochen. Man packte mich von hinten, schnürte mir die Kehle zu, so daß es mit dem Komponieren rein alle war, und transportierte mich hierher. Ich hoffe, daß man mich wieder hinüberschafft!“

„Das wird geschehen. Ist es weit bis zu Ihrem Lager?“

„Nun, eine tüchtige Viertelstunde wird man zu gehen haben, da ich mich so weit entfernen mußte, um nicht gehört zu werden.“

„Und wer befehligt dort?“

„Sam Hawkens hat den Oberbefehl. Old Shatterhand hat nur die Weisung gegeben, daß wir ihnen möglichst schnell auf ihrer Fährte nachfolgen sollten. Bei Anbruch des Abends mußten wir natürlich Lager machen, weil in der Dunkelheit die Fährte nicht zu sehen war.“

„So ist es gut für einstweilen; ich werde jetzt mit meinem Manne sprechen.“

Sie wollte sich nach diesen Worten von ihm abwenden; da hielt er sie am Arme zurück und bat:

„Vergessen Sie nicht, ihm zu sagen, daß ich ein jünger der Kunst und ein Sohn der Musen bin! Man soll mich ja nicht wieder so durch das Wasser schleppen, wie es vorhin geschehen ist!“

Da trat Wolf, der von fern gestanden und zugehört hatte, zu ihm heran und sagte in barschem Tone:

„Da hätten Sie hübsch daheim bleiben sollen. Musensöhne gehören nicht hierher nach dem wilden Westen!“

„Warum?“ fragte der Kantor.

„Weil sie, wenn sie Ihnen nur einigermaßen ähneln, ganz konfuse und verrückte Menschen sind.“

„Oho! Da muß ich denn doch bitten, in einem andern Tone mit mir – –“

„Schweigen Sie! Was Sie gethan haben, ist eine ganz unverzeihliche Unvorsichtigkeit. Wenn Sam Hawkens geglaubt hat, daß keine Feinde hier sein können, so ist das ein Irrtum gewesen. Daß Sie sich aber aus dem Lager entfernt haben, ohne um Erlaubnis zu fragen, das konnte Ihnen allen leicht das Leben kosten. Wie nun, wenn an unsrer Stelle sich die Nijoras hier befunden hätten?“

„Die sind drüben am linken Ufer!“

„Sie könnten auch herübergegangen sein. Dann wären Sie verloren gewesen. Übrigens können wir Ihre Aussagen gar nicht als maßgebend betrachten. Wir sind gezwungen, einige Kundschafter fortzuschicken, um zu erfahren, was von Ihren Darlegungen falsch und was richtig ist.“

„Es ist alles richtig! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.“

„Ihr Wort gilt gar nichts. Sie kommen mir so verworren vor, daß ich diejenigen nicht beneide, welche sich mit Ihnen zu befassen haben. Wer weiß, was für Unheil schon von Ihnen angerichtet worden ist!“

„Nicht das geringste! Von der Kunst kann überhaupt nur Heil und Segen kommen.“

„Aber von ihren Jüngern nicht, wenn sie Ihnen gleichen.“

„Das ist eine Beleidigung, Herr! Wer sind Sie denn eigentlich? Sie reden deutsch. Sind Sie etwa ein Landsmann von mir?“

„Ja.“

„So sollten Sie höflicher sein. Wenn sich Landsleute so fern von der Heimat treffen, so sollten sie sich freuen, aber nicht einander ärgern!“

„Da haben Sie recht. Aber wer sich über so einen Konfusionsrat, wie Sie sind, nicht ärgert, der muß ein Engel sein. Sie bringen nicht nur die Sicherheit, sondern das Leben Ihrer Gefährten in Gefahr, und das geht mich auch etwas an, denn, wenn ich mich nicht irre, befindet sich bei Ihnen eine Person, welche meinem Herzen sehr nahe steht.“

„Wer könnte das sein? Etwa Frau Rosalie Ebersbach?“

„Unsinn! Ist nicht ein junger Deutscher bei Ihnen, welcher Wolf heißt?“

„Jawohl, Adolf Wolf.“

„Nun, ich heiße auch Wolf.“

„Ah, da sind Sie vielleicht gar der Onkel?“

„Woher vermuten Sie das?“

„Weil ich weiß, daß er zu seinem Onkel will. Sie heißen auch Wolf und sagen, daß er Ihrem Herzen nahe steht; da denke ich natürlich, daß er der Neffe ist.“

„So ist es auch. Da haben Sie gezeigt, daß Sie doch auch einmal logisch denken können, und das soll mich mit Ihnen aussöhnen. Setzen Sie sich nieder! Sie werden hier warten müssen, bis die Kundschafter zurück sind. Ich gehe selbst mit ihnen.“

Nun verdolmetschte er den Indianern, was er von dem Kantor erfahren hatte, und es wurde dann beschlossen, daß er mit noch zwei Roten über den Fluß schwimmen sollte, um das Lager der Weißen aufzusuchen.

Die drei waren gute Schwimmer; sie kamen leicht und schnell hinüber und wendeten sich dann links, um leise am Wasser hinschleichend, sich dem Lager zu nähern. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, so hörten sie Schritte, welche sich ihnen näherten. Schnell versteckten sie sich hinter einige Büsche. Die Personen, welche kamen, sprachen miteinander, doch nicht laut. Wolf sah, als sie herangekommen waren, daß es zwei waren; sie blieben halten und lauschten.

„Das is doch wirklich een schrecklicher Mensch,“ sagte der eine. „Der hat wahrhaftig gar keen bißchen Sitzefleesch; sobald wir Lager machen, schleicht er sich off und davon. Nu müssen wir uns in alle Richtungen komprimieren, um ihn zu finden, und dürfen doch nich laut nach ihm rufen, weil een Ohr da herum schtecken könnte, was keene angenehmen Gesinnungen für uns im Busen trägt. Wenn wir ihn gefunden haben, so hängen wir ihn an. Meenste nich ooch, alter Droll?“

„Ja,“ stimmte der andre bei. „Die Oper, die er mache will, is verrückt, und er selber is noch viel verrückter. Der kann uns noch in großen Schaden bringe. Es wird wirklich nich anders; wir müssen ihn anhänge!“

Wolf hörte, daß er es mit Deutschen zu thun hatte, und grüßte hinter seinem Busche hervor:

„Guten Abend, meine Herren, es freut mich sehr, Landsleute hier zu treffen.“

Aber er sah die beiden schon nicht mehr, er hörte nur das Knacken ihrer Gewehrhähne. Sie waren gleich beim ersten Worte, welches er gesprochen hatte, wie in den Erdboden hinein verschwunden.

„Wo sind Sie hin?“ fuhr Wolf fort. „Aus Ihrem Verhalten und Ihrer Schnelligkeit ersehe ich, daß Sie gute Westmänner sind; aber Ihre Vorsicht ist hier unnötig. Sie hören ja, daß ich auch deutsch spreche.“

„Das zieht bei uns nich,“ lautete die Antwort hinter einem Gesträuch heraus. „Es gibt mehrschtenteels Schurken, die ooch zuweilen deutsch reden können.“

„Ich bin aber ein wirklicher Deutscher!“

Als er sich dann in kurzen Worten als Adolf Wolfs Onkel legitimiert und über das Zusammentreffen mit dem Kantor berichtet hatte, rief Hobble-Frank:

„Alle Wetter, is das so! Da is es gut, daß wir eenander nich erschossen haben! Also sind Sie der Onkel von Adolf Wolf? Da krauchen Sie doch mal nich länger dort im Busch herum, sondern kommen Sie raus, Sie alter deutscher Napoleum!“

„Gern; vorher aber noch ein Wort. Es sind zwei Navajokrieger bei mir. Wie werden Sie sich zu ihnen verhalten?“

„So freundlich, als ob sie meine zwee eenzigen Patenkinder wären. Die Navajos sind doch unsre Freunde!“

„Gut, so kommen wir!“

Er trat mit den beiden Roten aus seinem Verstecke hervor und die beiden andern tauchten auch wieder wie aus der Erde auf. Der eine reichte ihm die Hand entgegen und sagte:

„Jetzt können wir off Ihren Gruß antworten. Guten Abend also und willkommen unter Freunden. Und damit Sie wissen, wer wir sind- Ich bin Herr Hehogabalus Morpheus Edeward Franke, genannt der Bärenjäger Hobble-Frank. Und hier mein Freund und Kamerad is die sogenannte Tante Droll, alias Herr Sebastian Melchior Pampel.“

„Es freut mich, zwei so tüchtige Westmänner persönlich kennen zu lernen. Wollen Sie mich nach Ihrem Lagerführen?“

„Sehr gerne. Erlauben Sie mir, Ihr Cicero zu sein, aber sagen Sie mir dabei, wo eegentlich nun unser Kantor schteckt!“

„Er befindet sich in unserm Lager,“ antwortete Wolf, „wir mußten ihn so lange festhalten, bis wir erfahren hatten, zu wem er gehörte.“

„Das kann ich Ihnen sagen: Unter die Narren gehört er. Der Mann hat uns schon sehr viel Unannehmlichkeeten und Emballagen bereitet.“

Als sie den Lagerplatz erreichten, befanden sich nur die Auswanderer mit ihren Frauen und Kindern dort; die andern waren fortgegangen, um nach dem Kantor zu suchen.

„Wie benachrichtigen wir sie nur?“ fragte Frank. „Wir können sie doch nich holen, weil wir nich wissen, wo sie schtecken.“

„Schießen Sie ein Gewehr ab,“ riet Wolf. „Da werden sie gleich kommen.“

„Aber es könnten doch feindliche Menschen sich in der Nähe befinden; die würden wir durch den Schuß anlocken.“

„Nein. Nun, da ich unser Lager und das Ihrige kenne, weiß ich sehr genau, daß wir nichts zu befürchten haben.“

Auf dieses Wort hin schoß Frank sein Gewehr ab. Dann horchten sie, ob sich das Geräusch der Nahenden bald hören lassen werde.

Die Auswanderer betrachteten die drei Ankömmlinge mit neugierigen Blicken; sie hatten vor den beiden Indianern erschrecken wollen, wurden aber durch den Umstand, daß Frank sie gebracht hatte, schnell beruhigt. Der Schuß brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Die Abwesenden kehrten in kurzer Zeit einer nach dem andern zurück. Es läßt sich denken, wie entzückt Adolf Wolf war, als sein Oheim sich ihm zu erkennen gab. Es gab eine Scene der Freude und der Rührung, an welcher auch die andern alle herzlichen Anteil nahmen. Gern hätten dann Onkel und Neffe sich von ihnen abgesondert, um über die Heimat, die Verwandten und über alles zu sprechen, was ihnen auf dem Herzen lag, doch gab es keine Zeit dazu; die Gefühle der einzelnen Personen mußten zurücktreten vor der Gefahr, in welcher sich alle befanden. Und da Wolf in diesem Augenblicke der Vertreter der Navajos war, so wurde er jetzt als solcher vor allen Dingen in Anspruch genommen.

Es waren ihm die Namen sämtlicher Anwesenden genannt worden, und er wendete sich zunächst an den Bankier:

„Wenn ich mich nicht irre, wurdet Ihr mir als Mr. Rollins aus Arkansas bezeichnet. Ist es so?“

„Ja, Sir,“ antwortete der Gefragte.

„Seid Ihr etwa der Bankier dieses Namens?“

„Ja.“

„Habt eine Ölquelle gekauft?“

„Leider ja, die aber keine Ölquelle war.“

„Dachte es mir. Seid beschwindelt worden.“

„Und wie! Leider sind uns die drei Kerle entkommen. Ich hoffe aber, daß wir sie noch einholen werden.“

„Wollt sie also nicht laufen lassen?“

„Nein. Sie haben ja meine Anweisung bei sich und wollen nach Frisco hinunter, um sie dort in Gold umzusetzen.“

„Wenn’s nur das ist, so laßt sie immer laufen!“

„So? Das ratet Ihr mir? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“

„Aus diesem Grunde hier. Wollt Ihr einmal sehen, was dies ist?“

Er zog einen Gegenstand aus der Tasche und reichte ihn Rollins hin. Als dieser einen Blick darauf geworfen hatte, rief er in froher Überraschung aus:

„Sir, was sehe ich da! Das ist ja meine Unterschrift, die Anweisung, welche ich in Grinleys Händen glaubte!“

„Wie Ihr seht, habt Ihr Euch da geirrt; er besitzt sie nicht mehr.“

„Sie ist’s; sie ist es wirklich. Nun ist alles gut; nun habe ich diesen Verlust nicht mehr zu befürchten; das, was es mich bisher gekostet hat, will ich gar nicht rechnen.“

Dann mußte Wolf erzählen, wie er in den Besitz dieser Schrift gekommen sei.

Er that dies in kurzer Weise; als er dann sagte, daß Grinley, Buttler und Poller wieder umgekehrt seien, fragte Sam Hawkens:

„Wollen die Kerle etwa hinter Euch her, Mr. Wolf?“

„Natürlich, sie wollen die Gelegenheit, wenn ich mich einmal allein von den andern entferne, abwarten und mich überfallen, um mir das Papier wieder abzunehmen.“

„So ist es; so denke ich es mir auch. Soll ihnen aber nicht nur nicht gelingen, sondern sie werden sich dadurch in unsre Hände liefern.“

„Das hoffe ich auch.“

„Und dann werden wir kurzen Prozeß mit ihnen machen. Wenigstens entlaufen sollen sie uns gewiß nicht wieder. Wo habt ihr euch heut gelagert?“

„Eine Viertelstunde abwärts von hier am jenseitigen Ufer.“

„Denkt ihr, daß sie euch nahe sind?“

„Nein. Sie haben unsrer Fährte nur so lange, als es Tag war, folgen können; dann mußten sie warten. Wir haben also einen ziemlichen Vorsprung vor ihnen.“

„Schön, so fangen wir sie morgen.“

„Oder auch nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil wir da mit den Nijoras zu thun bekommen werden.“

„Hm, das ist wahr. Möchte wissen, was diese Halunken vornehmen werden, wenn sie euer voriges Lager erreichen und da sehen, daß die Vögel, die sie fangen wollten, ausgeflogen sind.“

„Das ist doch leicht zu denken.“

„Meint Ihr? Ich glaube es nicht.“

„Sie werden natürlich über den Fluß gehen und uns folgen.“

„Für so dumm halte ich Mokaschi nicht.“

„Dumm? Wieso würde dies eine Dummheit sein?“

„Weil ihr ihm weit überlegen seid. Er hat dreihundert Krieger bei sich und wird Kundschafter voransenden, welche euer Lager beobachten sollen. Wenn sie sehen, daß es verlassen ist, werden sie hinreiten, um das Terrain genau in Augenschein zu nehmen. Sie müßten blind sein, wenn sie da nicht sähen, daß ihr die doppelte Anzahl von Männern seid. Das melden sie dem Häuptling, und da wird er sich wohl hüten, seine Absicht, euch anzugreifen, auszuführen.“

„Und was meint Ihr, was er dann thun wird? Verzichten?“

„Nein. Er wird sich zurückziehen und eilende Boten heimsenden, welche Nachschub holen müssen. Ist dieser angekommen, dann geht er wieder angriffsweise vor.“

„Und uns soll er da die Dummheit zutrauen, so lange zu warten, bis er seine Krieger verdoppelt hat? Nein, nein, Mr. Hawkens; ich bin da ganz andrer Ansicht als Ihr.“

„So laßt sie hören! Nur wenn jeder seine Meinung sagt, kann man zur richtigen Klarheit kommen.“

„Die Sache liegt ganz anders, als Ihr annehmt. Euer Ölprinz hat uns belogen, indem er sagte, daß die Nijoras am rechten Flußufer abwärts kämen; die Absicht, die ihn dabei geleitet hat, ist leicht zu durchschauen.“

Well. Er hat den Kampf zwischen den Navajos und Nijoras hinausschieben wollen, um Zeit zur Ausführung seines Vorhabens zu bekommen.“

„So ist es. Die Nijoras reiten am linken Flußufer hinab, um die Navajos zu überrumpeln, und diese reiten am rechten Ufer aufwärts, um jenen zuvorzukommen. Das ergibt ein Such- und Versteckensspiel, bei welchem gewiß so viel Zeit vergeht, als er braucht, um wieder zu seiner Anweisung zu kommen. Davon wissen aber die Nijoras nichts. Sie ahnen nicht, daß der Ölprinz bei uns gewesen ist und uns diese Lüge gesagt hat. Sie finden unser Lager verlassen; sie sehen unsre Fährte und werden derselben ungesäumt folgen, um plötzlich, wenn wir dies gar nicht ahnen, von hinten über uns herzufallen. Ein so ungeahnter Angriff, ein solcher Überfall vom Rücken her gleicht den Zahlenunterschied vollständig aus. Das werdet Ihr mir zugeben.“

„Kann nichts dagegen sagen; denke aber doch, daß sie sich hüten werden, das zu thun, was Ihr von ihnen annehmt.

Übrigens gibt es hier einen Umstand, den wir mehr als alles andre in Berechnung ziehen müssen.“

„Und der ist?“

„Old Shatterhand und Winnetou, welche uns mit Schi-So vorangeritten sind.“

„Daß dies geschehen ist, das habe ich erfahren; aber warum sie es gethan haben, das weiß ich noch nicht. Sie wollten wohl die Nijoras beobachten?“

„Eigentlich nicht. Einer solchen Beobachtung bedurfte es nicht, weil es als sicher anzunehmen war, daß sie direkt zu den Navajos reiten würden. Diese mußten von dem bevorstehenden Überfalle benachrichtigt werden.“

„Ah, so wollten die drei zu uns?“

„Ja.“

„Da mußten sie aber doch von den Nijoras gesehen werden, die sich zwischen uns und den dreien befanden!“

„Nein, denn Old Shatterhand beabsichtigte, einen Bogen zu reiten. Er und Winnetou haben die besten Pferde des ganzen Westens, und für Schi-So wurde von den andern Tieren das schnellste ausgewählt. Es stand also zu erwarten, daß sie die Nijoras rechtzeitig überholen würden.“

Da machte Wolf ein bedenkliches Gesicht und sagte:

„Es ist mir nicht lieb, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, dies zu thun. Es war gar nicht notwendig, uns zu benachrichtigen.“

„Aber doch gewiß! Eure Kundschafter waren ergriffen worden; sie konnten euch also keine Nachricht bringen.“

„Aber unsre Posten waren aufmerksame Leute; sie hätten den anrückenden Feind gewiß bemerkt. Nun müssen wir grad auf die beiden Männer, auf welche wir uns sonst am meisten hätten verlassen können, verzichten, auf Winnetou und auf Old Shatterhand.“

„Verzichten? Das sehe ich denn doch nicht ein.“

„Aber gewiß. Wenn es ihnen auch gelingt, die Nijoras zu umreiten und ihnen zuvorzukommen, so treffen sie uns nicht an; sie finden das Lager verlassen und wissen nicht, was sie nun thun sollen. Hinter sich haben sie die Feinde, und wir sind fort. Sie werden dastehen und sich ansehen und ganz verwundert mit den Köpfen schütteln.“

Da lachte Sam Hawkens laut auf und rief:

„Dastehen, sich angucken, die Köpfe schütteln? Hihihihi! Was fällt Euch denn ein, Mr. Wolf! Ihr behauptet, diese beiden berühmten Männer zu kennen, und kennt sie doch ganz und gar nicht. Ich sage Euch, sie werden nicht dastehen, sich auch nicht ansehen und noch viel weniger verwundert die Köpfe schütteln. Ich möchte wissen, wann oder von wem sich einer von ihnen jemals hätte verblüffen lassen! Wenn Ihr das von ihnen denkt, so könnt Ihr mir leid thun, herzlich leid!“

„Ihr nehmt das, was ich gesagt habe, viel zu scharf, Mr. Hawkens. Ja, ich kenne diese beiden Männer, das darf ich gar wohl behaupten; und ich weiß, was sie geleistet haben und noch leisten können; es kommt eben kein andrer Westmann über sie. Aber sie sind doch auch nur Menschen, und es gibt Lagen, in denen selbst ein Ausbund von Klugheit Fehler machen würde.“

„Die zwei aber nicht; das sage ich Euch. Man hätte wirklich oft denken mögen, daß sie allwissend seien. So eine Divinationsgabe, wie sie besitzen, habe ich noch nie bei einem andern Menschen bemerkt. Sie besitzen ein Ahnungsvermögen, welches fast an das Hellsehen streift. Das ist ihnen natürlich angeboren und durch viele, viele Übung vergrößert und verfeinert. Ich bin überzeugt, daß sie trotz der vielen Eindrücke, welche eure Pferde beim Verlassen des Lagers gemacht haben, doch noch die Spuren von Grinley, Poller und Buttler entdecken, Sie werden sehen, daß diese hinter euch her sind, und wer weiß, was sie dann thun. Vielleicht etwas, woran kein andrer Mensch denken würde. Doch, da fällt mir ein: wir haben noch nicht von Khasti-tine und dem andern fehlenden Kundschafter gesprochen. Wißt ihr nicht, wo sie eigentlich stecken?“

„Ja.“

„Nun?“

„Es wurden zehn Kundschafter ausgesandt; acht sind bei den Nijoras gefangen; die beiden übrigen aber wurden ermordet.“

„Von wem?“

„Von den Nijoras natürlich.“

„Das vermutet ihr?“

„Wir vermuten es nicht bloß, sondern wir wissen es.“

„Von wem?“

„Von eurem Ölprinzen.“

„Ah! Der hat es euch gesagt?“

„Ja,“

„Und ihr habt es geglaubt?“

„Gewiß. Warum sollten wir es nicht glauben? Sie sind als Späher gegen die Feinde ausgezogen und von ihnen ertappt und erschossen worden. Das ist doch sehr einfach.“

„Nicht so einfach, wie ihr denkt. Ich habe doch gehört, daß besonders Khasti-tine ein ausgezeichneter Späher gewesen sein soll?“

„Nicht nur das. Er war trotz seiner Jugend ein Meister im Kundschaften.“

„So! Und da ist es euch nicht aufgefallen, daß er jetzt, wo er sich nicht allein befand, sondern neun Gefährten bei sich hatte, so unvorsichtig gewesen sein soll, sich erwischen zu lassen?“

Wolf sah Sam forschend in das Gesicht und fragte dann:

„Was beabsichtigt Ihr denn eigentlich mit Euren Worten?“

„Euch auf die Wahrheit zu bringen. Die Nijoras haben Eure Späher nicht getötet.“

„Wer denn?“

„Der Ölprinz.“

„Der – Ölprinz?“ wiederholte Wolf im Tone des absolutesten Unglaubens.

„Ja, der Ölprinz,“ bestätigte Sam.

„Das ist ein Irrtum. Wer hat Euch das weisgemacht?“

„Hört, Mr. Wolf, Sam Hawkens läßt sich nicht so leicht etwas weismachen!“

„Mag sein; so seid Ihr erbittert gegen den Ölprinzen, und diese Erbitterung hat Euch auf eine ungerechtfertigte Vermutung, auf eine falsche Berechnung gebracht.“

„Ich habe weder etwas vermutet noch etwas berechnet, sondern meine Behauptung gründet sich auf Thatsachen.“

„Alle Donner! So redet doch! Was sind das für Thatsachen?“

„Khasti-tine hat seine Sache ganz ausgezeichnet gemacht. Er beschlich den Häuptling der Nijoras so vortrefflich, daß dieser unbedingt in seine Hände fallen mußte; da aber kam ein andrer, ein ganz Unbeteiligter dazu und schoß ihn und seinen Gefährten hinterrücks nieder.“

„Und dieser Mörder soll – soll – euer Ölprinz gewesen sein?“

„Soll es nicht gewesen sein, sondern ist es gewesen.“

„Beweist es mir; beweist es!“

„Nichts ist leichter als das. Es waren Zeugen dabei, zwei Männer, die es verhindern wollten, aber nicht verhindern konnten, weil es zu schnell geschah. Und diese Zeugen sitzen hier bei uns.“

„Hier?“ fragte Wolf, indem sein Blick suchend im Kreise herumging.

„Ja. Mr. Rollins und Mr. Baumgarten sind’s. Fragt sie nur; laßt es Euch von ihnen erzählen.“

Er wollte es doch noch nicht glauben; aber als der Bankier ihm den Vorgang genau und bis in das Einzelnste berichtet hatte, konnte er nicht länger zweifeln und rief nun um so grimmiger aus:

„Also dieser Kerl, dieser Schurke ist es wirklich gewesen! Und den haben wir bei uns gehabt! Er hat sich in meiner unmittelbaren Nähe befunden, so daß ich ihm das Messer in das Herz hätte stoßen können. Und wir haben nichts geahnt, nichts, gar nichts!“

„Ja, sogar bewaffnet habt ihr die Leute, hihihihi!“ lachte Sam in seiner sonderbaren Weise. „Habt das sehr gut gemacht, wirklich außerordentlich gut!“

„Schweigt, Mr. Hawkens! Konnte man an so etwas denken? Ist so eine Frechheit für möglich zu halten? Kann ein Mensch, der unsre Kundschafter ermordet, sich dann zu uns wagen und Unterstützung von uns verlangen?“

„Daß es möglich ist, habt Ihr soeben erfahren. Gut nur, daß Ihr die Anweisung zurückbehalten habt. Den Kerl selbst freilich habt Ihr laufen lassen, ihn mit samt seinen beiden Helfershelfern.“

„Ja, das habe ich leider; aber ich bin überzeugt, daß dies nur für einstweilen gilt. Sie werden uns, und zwar vielleicht schon morgen, wieder in die Hände laufen.“

„Hm!“ brummte Sam.

„Was brummt Ihr dazu?“

„O, ich wollte damit nur sagen, daß oft nicht alles so geschieht, wie man es wünscht.“

Pshaw! Die Kerle sind ja hinter uns her und wir brauchen also nichts, gar nichts zu thun, als auf sie zu warten.“

„Ganz richtig! Aber wenn ihr nun nicht warten könnt? Es kann leicht etwas geschehen, was euch anderweit vollständig in Anspruch nimmt. Oder der Ölprinz kann sich besinnen und umkehren.“

„So jagen wir ihm nach und ruhen nicht eher, als bis wir ihn erwischen! Ich werde ihm morgen einige Kundschafter entgegenschicken, um darüber Gewißheit zu bekommen, ob er uns wirklich folgt oder nicht.“

„Und er sieht diese Kundschafter und macht sich aus dem Staube.“

„Das gewiß nicht, denn ich suche die besten meiner Leute aus. Also der, der ist der Mörder von Khasti-tine! Das muß der Häuptling erfahren, und zwar sofort! Er wartet überhaupt auf Nachricht. Ich muß ihn mit Euch zusammenbringen, damit wir uns wegen morgen beraten können. Wollt Ihr mitgehen?“

„Nein,“ antwortete Hawkens. „Er mag kommen.“

„Aber bedenkt, daß er ein bedeutender Häuptling ist! Er darf wohl erwarten, daß Ihr so höflich seid, ihn aufzusuchen!“

„Wie? Was? Seid Ihr so weit verindianert, daß Ihr einen Roten für höher und besser erachtet, als einen Weißen?“

„Das nicht, aber er ist Häuptling.“

„Schön! Er ist der Anführer seiner roten Männer, und ich bin heut Anführer dieser weißen Ladies und Gentlemen. Ich darf überhaupt nicht fort, selbst wenn ich wollte.“

„Warum nicht?“

„Als Old Shatterhand heut mit Winnetou und Schi-So fortritt, sagte er mir, er würde mir den Ort, wo wir des Nachts lagern sollten, durch das Umknicken von drei jungen Baumstämmchen bezeichnen. Wir sind seiner Spur gefolgt und gegen Abend auf dieses Zeichen getroffen. Da haben wir zu bleiben.“

„Aber warum?“

„Er hat gewünscht, daß wir uns in dieser Nacht hier befinden. Nach seinen Gründen habe ich ihn nicht gefragt; jedenfalls aber hat er welche, und wenn so ein Mann Gründe hat, so sind sie gewiß gut und man hat sie zu achten. Es ist vielleicht gar möglich, daß er kommt.“

„Heute nacht?“

„Ja.“

„Das kann er nicht.“

„O, der kann, was er will!“

„Aber wenn er nach unserm letzten Lager geritten ist und dabei gezwungen war, einen Bogen um die Nijoras zu schlagen, so kann er in dieser Nacht nicht hier sein.“

„Geht mich gar nichts an. Er hat seinen Grund gehabt, mir diesen Ort hier anzuweisen, sonst wäre es ja gar nicht nötig gewesen, mir eine Stelle zu bezeichnen. Wir dürfen nicht von hier fort. Schickt also nach dem Großen Donner; er mag kommen!“

„Wie Ihr wollt; ich will nicht in Euch dringen.“

Er erteilte den beiden Indianern, welche mit ihm gekommen waren, den Auftrag, ihrem Häuptlinge die betreffende Meldung zu machen, und sie huschten vom Lagerfeuer fort, um diesen Befehl auszuführen.

Die Unterhaltung war bis jetzt in englischer Sprache geführt worden und da die deutschen Auswanderer derselben nicht mächtig waren, wußten sie nicht, wovon die Rede gewesen war. Darum bat Frau Rosalie den Hobble-Frank, ihr das Nötige mitzuteilen. Er that dies in deutscher Sprache. Als Wolf dies hörte, ging er auch vom Englischen auf das Deutsche über und machte hier und da einige Bemerkungen zu Franks Erklärungen.

Der Hobble schien ihm überhaupt zu gefallen. Es flogen Fragen und Antworten zwischen ihnen hin und her; das ernste Gesicht Wolfs erheiterte sich bei den sonderbaren Ausdrücken Franks immer mehr und endlich rief er lachend aus:

„Sie sind also wirklich das Original, wie es mir beschrieben worden ist. Ich wollte es nicht glauben.“

„Beschrieben worden? Von wem denn?“ fragte der kleine Mann.

„Von Old Shatterhand.“

„Hat er sich dabei eenes mündlichen oder eenes schriftlichen Tones bedient?“

„Mündlich natürlich, mündlich.“

„Und wie hat er mich da genannt? Een Original?“

„Ja, oder wenigstens so ähnlich.“

„Ähnlich? Danke sehr vor Wurschtfett ohne Majoran! Ich bin nich ähnlich; ich bin überhaupt keenem Menschen ähnlich. Was ich bin, das bin ich ooch richtig, das bin ich ganz. Und wenn mein verehrter Old Shatterhand mich een Original genannt hat, so will ich es ooch sein, denn das is eene Ehre für mich. Es gibt unter zehn Menschen kaum drei oder viere, die man Originalersch nennen könnte, denn nich jedermann hat den Origines schtudiert.“

Da blickte Wolf verwundert auf und fragte:

„Sie bringen den mit dem Worte Original zusammen?“

„Selbstverschtändlich!“

„Das ist ein Irrtum, Herr Franke!“

„Bitte, bewegen Sie sich ja nich in tiefern Luftschichten, während ich mit meiner Wissenschaft am höchsten Firmamente hinsegle! Ich kenne den Origines ganz genau – – –“

„Origenes wollen Sie sagen,“ unterbrach ihn Wolf.

„Fällt mir nich im Troome ein!“

„Aber es heißt doch so, Origenes!“

„Das is eene ganz grundlose Vermutung Ihres irrtümlichen Gedankensystems. Origines war zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft der berühmteste Brillenfabrikant und zugleich noch das berühmteste Original. Seit jener Zeit werden alle originale Menschen nach ihm benannt, ohne daß sie gerade ooch Brillenmacher oder Optikusse zu sein brauchen.“

„Ich glaube aber behaupten zu müssen, daß Origenes ein berühmter Kirchenlehrer gewesen ist. Es gab auch noch einen andern Origenes, welcher Philosoph war.“

„So? Gab es denn nich ooch noch eenen dritten Origines, der Velocipedist gewesen ist? Es is doch höchst eegentümlich, daß, sobald zwee Deutsche sich zum erschten Male treffen, allemal die gelehrten Reibereien losgehen! Das is wirklich nur bei den Deutschen der Fall, denn es is mir noch niemals vorgekommen, daß mir een Araber oder Chinese widersprochen hat. Die haben mich schtets reden lassen!“

„Gut, so werde ich dasselbe thun,“ lachte Wolf.

„Das is sehr weise von Ihnen gehandelt, denn dadurch erschparen Sie sich wissenschaftliche Demütigungen, denen Ihr kindlicher Geist noch nich gewachsen is. Schpäter, wenn wir uns erscht ‚mal über die Schöpfung im allgemeenen und im besondern geeenigt haben werden, werde ich Ihnen een paar Bücher borgen, aus denen Sie die Anfangsgründe der diätetischen Weltanschauung kennen lernen können, wenn Sie Anlage dazu besitzen und sich die gehörige Mühe geben. Bis dahin aber wollen wir lieber von Dingen schprechen, welche nich so angreifend für Ihr sanftes Gehirn sind. Wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, so bin ich gar nich abgeneigt dazu, denn die wahre Bildung und Improvidenz beschteht darin, daß man sich mit Vergnügen zu dem geistig Schwächeren herunterläßt; aber da müssen wir een Thema suchen, wozu Ihr Nervensystem mehr heitere Minorität besitzt, als zu solchen hohen metallischen Konflikten.“

„Gut, Herr Franke,“ lächelte Wolf. „Ist es Ihnen recht, wenn wir von dem reden, was uns am nächsten liegt, also von den Indianern?“

„Da schtimme ich bei, obwohl ich ooch da überzeugt bin, daß Sie mit Ihren Ansichten in die Käse fliegen.“

„In die Käse? Wieso oder warum?“

„Weil es Ihnen jedenfalls ooch da an der ausgedehnten Erfahrung und Expansation mangelt,“

„Expansion, meinen Sie?“

„Nee, ich meene Expansation. Sie müssen sich das een für alle Male merken, daß ich es schtets so meene, wie ich es sage. Wer es anders meent, der is keen Ehrenmann, ooch in Beziehung off die Fremdwörter nich!“

„Gut! Also Sie behaupten, daß es mir in Beziehung auf die Indianer an der Erfahrung mangelt?“

„Ja.“

„Ich weiß aber, daß ich mich schon weit länger im Westen befinde, als Sie.“

„Das thut nischt. Schtecken sie heut eenen fein dressierten arabischen Hengst in eenen Eselsschtall, so wird der Esel ooch denken oder gar sagen, er is länger da. Die Zeit thut’s nich, sondern der Geist, das is die Hauptsache. Sie sind nur körperlich hier gewesen; ich aber habe meinen ganzen Geist in die indianischen Verhältnisse versenkt, und zwar so tief, daß ich ihn beinahe nich wieder herausgebracht hätte.“

„Er wollte also darin stecken bleiben?“

„Unsinn! Mein Geist bleibt niemals schtecken! Nee, er wollte durch, ganz durch, mitten durch und off der andern Seite wieder ’naus. Das wollte ich aber nich, weil ich doch nich wußte, wo ich da hingeraten würde. Ja, so is es; ich habe die Indianer förmlich schtudiert. Was für welche kennen denn Sie?“

„Alle Stämme, die hier in dieser Gegend wohnen.“

„Nur? Da reichen Sie mir mit Ihrer ganzen, langen Geschtalt nich ‚mal ‚rauf bis an meine Hosentasche. Ich bin bis hinauf zum Nationalpark gewesen, nämlich mit Old Shatterhand und Winnetou. Da haben wir ganz andre Schtudien machen können und ganz andre Indsmen kennen gelernt.“

„Ja, ich weiß es; ich habe es gehört. Sie haben es damals mit den Sioux zu thun gehabt.“

„Sogar mit den Ogallellah!“

„Die sind wohl schlimmer als die hiesigen Roten?“

„Schlimmer? Hm! Dieses Ausdruckes mag ich mich überhaupt nich bedienen. Für eenen tüchtigen Weißen is überhaupt keen Indianer schlimm; er haut sie alle in die Pfanne, wenn er nämlich wilde wird. Unsereenem gegenüber is es ganz gleich, ob’s een Apache oder een Comanche oder een Dakota is, sie sind doch alle weiter nischt als bloße Senfindianer.“

„Senfindianer? Wieso?“

„Das wissen Sie nich?“

„Nein.“

„Na, da sagen Sie nun nich mehr, daß Sie die Indianer kennen!“

„Aber, Herr Franke, von einem Senfindianer habe ich wirklich noch nichts gehört.“

„Nich? Da hört doch alles off! Es gibt nich nur eenen, sondern sogar zwee Senfindianer. Und da kennen Sie wirklich keenen davon?“

„Nein.“

„Weder den alten noch den jungen?“

„Nein. Vielleicht sind Sie so gut, mich aufzuklären.“

„Ja, ich will die Güte haben.“

„Wo leben denn diese beiden Senfindianer?“

„Das thut gar nischt zur Sache; es genügt für Sie, zu wissen, daß sie in Washington gewesen sind.“

„In Washington? So?“

„Ja, beim großen, weißen Vater. Sie wissen vielleicht, wer mit diesen Worten gemeent sein soll?“

„Ja. Die Indianer pflegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten den großen, weißen Vater zu nennen.“

„Richtig! Wie ich höre, sind Sie doch nich ohne alle Anlage zur Wissenschaft. Also diese beeden Indianer waren von ihrem Schtamme nach Washington gesandt worden, um dem großen, weißen Vater eenige Wünsche des Schtammes vorzutragen. Als Gesandtschaft mußten sie nobel und rücksichtsvoll behandelt werden, und darum wurden sie des Abends zum Supper, zum Abendessen beim Präsidenten eingeladen. Sie saßen da nebeneenander ganz unten an der Tafel, die fast zusammenbrach vor Flaschen, Schüsseln und Tellern, die darauf schtanden. Da gab’s Schpeisen, die sie im Leben noch nich gesehen, noch viel weniger aber gegessen hatten; dabei lagen die Messer, Gabeln und Löffel, und sie mußten achtgeben, wie sie sich dabei zu benehmen hatten. Da raunte der Alte dem jungen listig zu: Mein junger Bruder mag mit mir offpassen, wovon die weißen Gäste am wenigsten nehmen; das ist die teuerste und köstlichste Schpeise; da langen wir tüchtig zu.

„Sie gaben also acht und bemerkten, daß am allerwenigsten genommen wurde von einer braunen Schpeise, die auf silbernen Untersetzern in kleenen, feinen Gläsern schteckte. In jedem Gläschen gab es eenen kleenen Löffel, der aus Schildkrötenschale gemacht war. Da meente der Alte wieder zu dem Jungen: In diesen Gläsern befindet sich das teuerste und köstlichste Gericht. Mein junger Bruder kann een solches Glas mit seiner Hand erreichen; er mag sich zuerst von der Schpeise nehmen.

„Der junge Indianer zog sich das Glas herbei, nahm eenen gehäuften Löffel voll und rasch darauf noch eenen zweeten. Dabei blickte er sich um, ob man wohl bemerkt habe, daß er gleich zwee Löffel voll genommen hatte. Keen Mensch guckte her. Erscht nun begann er, die köstliche Schpeise mit der Zunge zu zerdrücken, und der Alte sah ihm dabei voller Schpannung in das Gesicht. Dieses Gesicht wurde nach und nach gelb, rot und blau, sogar grün, aber es blieb schtarr und unbewegt, denn een Indianer darf selbst bei den ärgsten Schmerzen nich mit der Wimper zucken. Die Oogen wurden schtarr und immer schtarrer und fingen an zu thränen, bis das Wasser schtromweise über die Backen runterlief. Da machte der junge Indsman eenen fürchterlichen, todesmutigen Schluck, und – hinunter war der Senf und es wurde ihm wieder besser, nur daß das Wasser noch immer in Schtrömen aus den Oogen lief. Darum fragte der alte Indsman neugierig: Warum weint denn mein junger, roter Bruder?

„Dieser hätte um alles in der Welt nich eingestanden, daß ihm die köstliche Schpeise so off die Nerven und an das Leben gegangen sei, und darum antwortete er: Ich dachte eben daran, daß mein Vater vor fünf Jahren im Mississippi ertrunken is; darum weine ich.

„Bei diesen Worten schob er dem Alten das Glas hin. Dieser hatte gesehen, wie schlau sein junger Bruder gewesen war, und machte es ebenso: er schob schnell hinter eenander zwee volle Löffel in den Mund und klappte ihn dann rasch zu. Aber dann gingen mit eenem Male die Lippen wieder auseenander und klappten auf und zu wie bei eenem Karpfen, der keene Luft bekommen kann oder wie wenn man eenen brennend heeßen Bissen in den Mund gesteckt hat und doch nich wieder herausnehmen kann. Dann zog es dem Alten die Schtirnhaut in die Höhe, und in der Gurgel quirlte es höchst verdächtig. Die Farbe seines Gesichtes veränderte sich wie bei eenem Chamäleon; der Schweeß sickerte aus allen Poren; die Oogen wurden rot und füllten sich mit eenem See von Thränen, welcher bald überlief und seine Fluten über die Backen herniedergoß. Das sah der junge und fragte ihn: Warum weint mein alter, roter Bruder?

„Da schluckte dieser mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft den Senf hinunter, holte tief und schtöhnend Atem und antwortete: Ich weine darüber, daß du damals vor fünf Jahren nich ooch gleich mit ersoffen bist!

„So, Herr Wolf, das is die berühmte Geschichte von den zwee Senfindianern, die Sie noch nich kennen. Ich hoffe, daß Sie nun überzeugt sind, daß ich Ihnen ooch in diesem Fache weit überlegen bin!“

Ein allgemeines Gelächter war die Folge, ein Gelächter, in welches er selbst sehr kräftig einstimmte und welches bei der nächtlichen Stille, die rundum herrschte, wohl eine Viertelstunde weit zu hören war. Darum durfte es kein Wunder genannt werden, als vom Wasser her eine laute Stimme erschallte, welche im indianischen Englisch rief:

„Haben die Bleichgesichter den Verstand verloren, oder sind sie Weiber geworden, daß sie sich nicht beherrschen können? jeder Baum kann einen Feind verbergen, wenn man nicht daheim in seinem Zelte ist.“

Es war Nitsas-Ini, welcher kam, gefolgt von einigen seiner besten Krieger. Auch seine weiße Squaw brachte er mit, wohl deshalb, weil die Boten gesagt hatten, daß hier auch Frauen seien. Die Lagernden erhoben sich, ihn zu begrüßen. Er blieb vor ihrem geöffneten Kreise stehen und ließ, jedem einen scharfen, musternden Blick zuwerfend, sein Auge in die Runde geben. Als er Sam Hawkens sah, nahm sein ernstes Gesicht einen milderen Ausdruck an und er sagte, ihm die Hand reichend:

„Mein weißer Bruder Sam ist dabei? Dann weiß ich, daß diese laute Lustigkeit uns keinen Schaden bringen wird, denn Sam Hawkens läßt seine Stimme nicht hören, wenn ein Feind in der Nähe ist.“

Auch Dick Stone und Will Parker bekamen eine Hand, und dann wurden ihm die Namen der übrigen genannt. Von den Frauen nahm er nicht die geringste Notiz. Als ihm Adolf Wolf genannt wurde, legte er ihm die Hand auf den Kopf und sagte:

„Du bist der Freund meines Sohnes und der Neffe meines weißen Bruders. Sei willkommen unter den Zelten der Navajos! Du wirst wie ein Kind unsres Stammes sein.“

Beim Anblicke des Hobble-Frank, dessen Name ihm auch genannt wurde, lächelte er ein wenig und sagte.

„Mein Bruder Frank kennt alle Geheimnisse des Himmels und der Erde. Wir werden sehr viel von ihm lernen können.“

„Das ist wahr,“ antwortete Frank sehr ernst. „Es freut mich, daß der große Häuptling der Navajos dies weiß und anerkennt; darum werde ich ihm meine ganze Wissenschaft zur Verfügung stellen.“

Darauf machte der Hobble der weißen Squaw eine Verbeugung und sprach, indem er sich seiner Muttersprache bediente:

„Verehrte Dame, ich preise mich sehr glücklich, Ihre ergebenste Bekanntschaft zu machen. Wenn ich wüßte, daß Sie noch nischt von mir gehört hätten, so würde ich so freundlich sein, mich Ihnen mit meinem ganzen Namen zu – – –“

„Ist nicht nötig, Herr Franke,“ unterbrach sie ihn mit einem heiteren Lächeln. „Ich kenne Sie schon sehr genau.“

„Wohl aus den Erzählungen meines Freundes Old Shatterhand?“

„Ja. Auch Winnetou hat zuweilen von Ihnen gesprochen.“

„Freut mich ungemeen; trotzdem aber gebe ich Ihnen parlamentarisch zu bedenken, daß die richtige Wirklichkeet oder die wirkliche Richtigkeet niemals von eener bloßen Erzählung oder Beschreibung erreicht werden kann. Was Sie jetzt von mir wissen, das is, sozusagen, een kleenes Laternenlicht. Lassen Sie mich aber erscht acht Tage bei Ihnen sein, so wird Ihnen in mir eene Sonne leuchten, bei deren Schtrahlen alle Fixschterne erbleichen müssen. Erlooben Sie mir gehorsamst, Sie mit den hiesigen Herrschaften bekannt zu machen! Hier is vor allen Dingen unsre wackere Frau Rosalie Eberschbach. Nachher –“

Er wollte zu einer andern Person übergehen; aber Frau Rosalie schob ihn mit den Worten fort:

„Was man eenmal macht, das muß man ooch richtig machen. Verschtehn Se mich! Ich werde die Vorschtellung selber besorgen. Dazu brauchen wir keenen Herrn, der zwar gelehrt sein will, sich aber nich ‚mal eenen vollschtändigen Namen merken kann.“

„Na“, meinte er, „wollen Sie mir etwa gar zumuten, alle Ihre Namen herunterzuleiern, die Sie von der Wiege bis zum Grabe gehabt haben? Ich habe den richtigen genannt und der wird wohl genügen!“

„Genügen? I, was Sie nich sagen! Gewöhnlich genügt er, ja; aber bei eener Vorschtellung, wo off den Eindruck des erschten Oogenblicks so viel und alles ankommt, kann man nich ausführlich genug sein.“

Und sich zu der weißen Squaw wendend, fuhr sie fort:

„Also ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern, verwittwete Leiermüllern, aus Heimberg in Sachsen, und hier is Julius, mein zweeter Gatte und Schmiedemeester—“

In dieser Weise nannte sie die Namen aller Personen der vier Auswandrerfamilien und lud dann die Frau des Häuptlings ein, sich bei ihr niederzusetzen. Die Squaw folgte bereitwillig dieser Aufforderung und bald befanden sich die Damen in einer sehr angeregten Unterhaltung, welche aber auf die Bitte der Squaw leise geführt wurde, denn bei den Indianern haben die Frauen in Gegenwart der Männer zu schweigen, selbst wenn diese nicht sprechen.

Dieses letztere war hier zunächst auch der Fall. Der Häuptling hatte sich zu Sam Hawkens gesetzt und blickte lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen, finster vor sich hin. Die indianische Höflichkeit verbot den andern, sein Schweigen mit einem Worte zu brechen. Dann, nach ungefähr einer Viertelstunde, sagte er endlich:

„Mein Bruder Sam mag mir sagen, wohin Old Shatterhand mit Winnetou ist!“

„Sie sind hinter den Nijoras her, um, wenn es sich als notwendig erweisen würde, euch zu warnen.“

„So mag mir Sam erzählen, was geschehen ist!“

Hawkens kam dieser Aufforderung nach. Er unterrichtete den Häuptling von allem, ohne aber viel Worte zu machen. Als er geendet hatte, blickte Nitsas-Ini wieder eine Weile still vor sich hin und sagte dann:

„Morgen wird die Strafe kommen. Sind meine weißen Brüder bereit, uns zu helfen?“

„Ja,“ antwortete Sam. „Eure Feinde sind unsre Feinde, und unsre Freunde mögen auch die eurigen sein!“

„Sie sind es. Wir wollen das Kalummet darauf rauchen.“

Er nahm die Friedenspfeife von der Schnur, mittelst welcher sie an seinem Halse hing, öffnete den Tabaksbeutel und stopfte sie. Als er sie in Brand gesetzt hatte, erhob er sich, blies den Rauch nach dem Himmel und nach der Erde, dann nach den vier Himmelsrichtungen und sagte:

„Alle Bleichgesichter, welche hier versammelt sind, sollen unsre Brüder und Schwestern sein. Ich spreche im Namen des ganzen Stammes der Navajos. Howgh!“

Er hätte eigentlich dem Gebrauche gemäß eine lange Rede halten sollen, aber die Umstände waren heut so, daß er es für besser hielt, so kurz wie möglich zu sein. Bei dem letzten indianischen Worte Howgh, welches eine Bekräftigung wie unser Amen bedeutet, gab er die Pfeife an Sam und setzte sich wieder nieder. Dieser stand auf, that dieselben sechs Züge und sagte:

„Ich rauche und spreche im Namen meiner weißen Brüder und Schwestern, die sich hier befinden. Wir wollen wie Söhne und Töchter der Navajos sein und im Kampf und Frieden bei Euch bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er setzte sich auch wieder nieder und reichte dem Häuptlinge die Pfeife, der sie nun nicht weiter gab, sondern bis zu Ende rauchte. Als sie ausgegangen war, hing er sie wieder an die Schnur und sagte:

„Morgen, noch ehe die Sonne hoch gestiegen ist, wird das Blut des Mörders und seiner beiden Begleiter fließen.“

„Denkst du, daß sie bis zu dieser Zeit hier angekommen sein werden?“ fragte Sam.

„Sie werden hier sein.“

„Sie werden aber nicht offen geritten, sondern heimlich geschlichen kommen. Man wird gut aufpassen müssen, um sie zu sehen.“

„Ich werde ihnen zwei Männer entgegensenden, welche die Augen des Adlers haben; die werden es mir melden, wenn sie kommen und an welcher Stelle sie eintreffen.“

„Was das betrifft, so ist diese Stellung sehr leicht zu erraten.“

„Was meint mein Bruder Sam?“

„Sie werden natürlich eurer Fährte folgen und also an den Ort kommen, an welchem ihr jetzt lagert. Ihr braucht ihn nur zu verlassen und euch in der Nähe zu verstecken, so müssen sie in eure Hände fallen.“

„Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; aber dennoch werde ich ihnen die beiden Späher entgegensenden, damit sie mir ganz sicher sind und ich sie auf alle Fälle ergreife.“

„Aber wenn du nicht Zeit dazu hast?“

„Wer könnte mich hindern?“

„Die Nijoras.“

„Die werden mich nicht hindern, sondern mir im Gegenteile förderlich sein, die Mörder zu ergreifen. Sie sind nach unserm Lager; sie finden dieses verlassen und werden uns folgen. Sie haben also die Mörder vor sich, die wir hinter uns haben. Sie bringen sie uns zugetrieben.“

„Wenn du dich nicht irrst, soll es mich freuen.“

„Ich irre mich nicht, Was könnten die Nijoras anders thun, als uns folgen?“

„Old Shatterhand schien diese Ansicht nicht zu haben.“

„Und doch ist er fort, um uns zu warnen?“

„Das hat er vielleicht nur vorgeschützt, um nicht das Richtige sagen zu müssen.“

Der Häuptling schien einige Augenblicke über das Gehörte nachdenken zu müssen und fragte sodann, aber mit unterdrückter Stimme, da ihm sein Scharfsinn das Richtige beinahe ahnen ließ:

„Glaubt er vielleicht, daß die Nijoras nicht direkt nach unserm Lager sind?“

„Es schien fast so,“ antwortete Sam ebenso leise.

„Dann könnten sie es nur auf andre abgesehen haben?“

„Ja.“

„Auf euch?“

„Ich vermute es. Gesagt hat Old Shatterhand nichts.“

„Er hat geschwiegen, weil unter meinen weißen Brüdern Leute sind, welche Angst bekommen hätten.“

„Das vermute ich.“

Wolf war auch wieder mitgekommen. Er hatte, da er auch neben dem Häuptling saß, die letzten leisen Sätze gehört und gab jetzt seine entgegengesetzte Meinung zu hören:

„Was Ihr da gesagt habt, halte ich für grundfalsch. Es wird den Nijoras nicht einfallen, ihre Zeit damit zu verschwenden, daß sie euch abfassen, nachdem ihr ihnen schon vorher entkommen seid und sie sich sagen müssen, daß ihr euch in acht nehmen werdet. Das einzig Richtige, was sie thun können und auch thun werden, ist, daß sie erst uns angreifen, die wir stärker sind, als ihr seid, und erst dann, wenn sie uns besiegt haben, euch vornehmen.“

„Diese Ansicht hat ihre volle Berechtigung, wenn ich mich nicht irre,“ sagte Hawkens; „aber wir befinden uns in ihrem Rücken, und es ist eine alte, bewährte Regel, daß man sich stets und vor allen Dingen den Rücken freihalten soll.“

„Ich habe aber schon bereits gesagt, daß Old Shatterhand und Winnetou gar nicht wissen werden, woran sie sind. Sie befinden sich jenseits der Nijoras, die sie überholt haben, um uns zu warnen. Nun sind wir fort und da ist guter Rat für sie schwer.“

Er hatte, um seiner Ansicht mehr Nachdruck zu geben, lauter als vorher gesprochen, so daß alle seine Worte hören konnten. Daher kam es, daß Sams darauf folgende Entgegnung unwillkürlicher auch vernehmbarer wurde:

„Und ich wiederhole, was ich euch bereits gesagt habe: Für Winnetou und Old Shatterhand ist niemals guter Rat schwer. Sie wissen stets, was sie zu thun haben. Ich habe noch keinen von ihnen jemals im Zweifel darüber gesehen, was im nächsten Augenblicke geschehen soll.“

„Aber es gibt dennoch Augenblicke, in denen der Verstand des Klügsten nicht ausreichen will!“

„Für diese beiden nicht. Sie werden auch heute ganz genau gewußt haben, warum sie uns voranritten und warum wir hier lagern sollen.“

Da ertönte eine tiefe, männliche Stimme unter den nächsten Bäumen hervor:

„Recht so, Sam Hawkens! Man soll die Ehre und den guten Namen seiner Kameraden stets verfechten. Wir haben allerdings sehr wohl gewußt, was wir thaten und warum wir es thaten.“

Old Shatterhand war es, der diese Worte gesprochen hatte. Er kam jetzt herbei, schüttelte den Navajos allen, auch Wolf und der weißen Frau die Hände und sagte dann zu dem Häuptlinge:

„Warum haben meine Brüder keine Posten ausgestellt? Es war zwar nichts zu befürchten, weil ich mit Winnetou vorangewesen bin, aber man soll diese Vorsicht nie versäumen.“

Er that nicht im geringsten verwundert darüber, daß die Navajos sich hier anstatt in ihrem früheren Lager befanden. Und ebenso gleichgültig that Nitsas-Ini. Er wußte, daß Old Shatterhand seinen Sohn Schi-So mitgenommen hatte. Er brachte ihn aber nicht wieder. Warum? Er hätte gern gefragt. Sein Vaterherz sehnte sich nach dem Kinde; aber er durfte als Krieger und gar Häuptling sich dies nicht merken lassen.

Die weiße Squaw war, als sie Old Shatterhand sah, aufgesprungen. Sie wagte es nicht, eine Frage an ihn zu richten. Aber – wo war ihr Sohn? Mit dem Instinkte der Liebe wendete sie sich nach der Richtung, aus welcher der große Jäger gekommen war. Ihr Auge versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen; dann eilte sie mit dem lauten, jubelnden Ausrufe: „Schi-So, mein Stern!“ zwischen den nächsten Bäumen hinein.

Die Anwesenden harrten still, ohne ein Wort zu sprechen. Der Häuptling saß mit unbeweglichem Angesichte da, als ob er eine steinerne Statue sei. Da, vielleicht nach zehn Minuten, hörte man leichte Schritte aus dem Dunkel kommen. Die Squaw brachte ihren Sohn an der Hand geführt. Als sie mit ihm in den Kreis des Lichtes getreten war, ließ sie diese Hand los und setzte sich ruhig wieder an ihren Platz. Dem Herzen war Genüge geschehen, still, ohne laute Worte und Ausrufe, doch mit nicht weniger Zärtlichkeit; nun aber mußte dem indianischen Stolze auch Rechnung getragen werden.

Schi-So ging zu seinem Vater und reichte ihm die Hand entgegen. Der Häuptling sah seinen Sohn kommen; er erblickte die jugendkräftige Gestalt, das frische Gesicht, die intelligenten Züge, die gewandten Bewegungen. Einen Augenblick lang, aber auch nur einen einzigen Augenblick, leuchteten seine Augen in stolzer Freude auf; dann war sein Gesicht wieder so unbeweglich wie vorher; er ergriff nicht die dargereichte Hand des Sohnes, sondern that, als ob er ihn gar nicht sähe. Schi-So wendete sich um und setzte sich dann neben Adolf Wolf nieder. Es fiel ihm gar nicht ein, sich gekränkt zu fühlen. Er wußte, wie sehr sein Vater ihn liebte; er kannte die indianischen Anstandsregeln und bereute es, seinem Vater die Hand angeboten zu haben. Er hatte dies gethan, weil er aus Europa kam; nach der Sitte seiner Heimat war es nicht erlaubt. Er war ein Knabe und durfte in Gegenwart von Männern nichts thun, was in der gegenwärtigen Lage nicht unbedingt nötig war.

Old Shatterhand hatte diese Scene mit einem Lächeln der Befriedigung betrachtet. Er wußte, daß in dieser Familie mehr Liebe und Glück wohnte, als in mancher vornehmen, weißen, deren Glieder in Gegenwart andrer sich Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten erweisen, aber dann, wenn sie sich unbeobachtet wissen, einander wie Hund und Katze behandeln. Jetzt wurde er von dem Häuptlinge gefragt:

„Mein Bruder Old Shatterhand war in unserm früheren Lager?“

„Nein. Wäre ich dort gewesen, so könnte ich jetzt noch nicht wieder hier sein. Aber der Ölprinz war mit Buttler und Poller dort?“

„Ja.“

„Ihr habt ihnen Waffen und Munition gegeben?“

„Ja.“

„Sie haben gesagt, sie seien mit uns geritten, mit uns von den Nijoras ergriffen worden, aber so glücklich gewesen, zu entkommen?“

„So ist es. Woher weiß mein Bruder dies alles? Hat er vielleicht mit diesen drei Mördern gesprochen?“

„Nein,“ lächelte Old Shatterhand. „Was ich soeben sagte, vermutete ich. Diese Mörder brauchten Waffen; sie mußten also zu euch, denn weiter war niemand da, von dem sie welche erhalten konnten. Um euch gutwillig zu machen, mußten sie euch belügen und euch sagen, daß sie Begleiter und Beschützer von Schi-So gewesen seien. Das ist ja alles so selbstverständlich, daß ein jedes Kind es sich denken kann. Und selbst wenn ich Zeit gehabt hätte, so wäre es mir nicht eingefallen, nach eurem früheren Lagerplatze zu reiten, denn ich erfuhr gegen Abend, daß ihr ihn verlassen hattet.“

„Von wem?“

„Von meinen Augen.“

„Uff! So hast du uns gesehen?“

„Ja. Ich saß diesseits des Flusses auf einem hohen Baum, um nach den Nijoras auszuschauen, und sah euch am jenseitigen Ufer aufwärts gezogen kommen.“

„So haben die Nijoras uns vielleicht auch gesehen?“

„Nein.“

„Weißt du das genau?“

„Ja.“

„Von wem?“

„Von ihnen selbst. Sie haben es gesagt, und ich hörte es, denn ich habe sie belauscht. Schi-So war mit uns; er hielt die Pferde, während Winnetou und ich uns an die Feinde schlichen. Ich bin mit Schi-So zurückgekehrt, um meinen weißen Brüdern Nachricht zu geben und meine roten Brüder aufzusuchen; Winnetou aber blieb zurück, um die Feinde auch weiter zu beobachten. Ich bin sehr erfreut darüber, daß ich meinen Bruder Nitsas-Ini hier finde und die Krieger der Navajos nicht aufzusuchen brauche.“

„Auch ich freue mich sehr, meinen Bruder Shatterhand nach so langer Trennung wiederzusehen. Die Feinde werden morgen in unsre Hände fallen.“

„Das ist auch meine Ansicht, obgleich ich weiß, daß diejenige meines Bruders auf einer falschen Voraussetzung beruht.“

„Old Shatterhand irrt sich! Ich denke ganz dasselbe wie er.“

„Unmöglich.“

„Nein. Die Nijoras werden unsern Lagerplatz verlassen finden und unsern Spuren folgen.“

„Die Nijoras werden zunächst nicht nach euerm Lagerplatze reiten, sondern uns überfallen. Sie ahnen nicht, daß die Krieger der Navajos ihr Lager verlassen haben.“

„Uff! Meine weißen Brüder sollen überfallen werden?“

„Ja.“

„Wo?“

„Sie denken, daß wir ihnen folgen, um die Navajos aufzusuchen, und haben sich am Winterwasser festgesetzt, um uns dort ganz unerwartet einzuschließen.“

„Am Winterwasser? Dieser Plan ist sehr klug von ihnen ausgesonnen, denn es gibt keinen Platz, der sich so gut zu einem Überfalle eignet, wie dieser. Meine Brüder werden ihn vermeiden?“

„Wir werden im Gegenteile hingehen.“

„Und kämpfen?“

„Ja. Vielleicht aber ist ein Kampf gar nicht notwendig. Es ist möglich, daß sich die Nijoras ohne allen Kampf ergeben müssen.“

„Uff! Wie sollte das möglich sein?“

„Die Krieger der Navajos werden uns dabei helfen. Das denke ich doch!“

„Wenn du es wünschest, werden wir es thun. Aber wir wollten die Feinde jenseits des Flusses an unserm heutigen Lagerplatze erwarten.“

„Ich weiß nicht, wo ihr lagert; aber das Winterwasser eignet sich für unsern Zweck jedenfalls viel besser.“

„Mein Bruder hat recht. Wir werden mit ihm nach dem Winterwasser gehen. Aber wie sollen wir nun den Ölprinzen und seine beiden Mordgesellen erwischen?“

„Ihr wollt sie fangen?“ fragte Old Shatterhand, auf dessen Gesicht jetzt ein leichter Ausdruck des Erstaunens zu sehen war, eine außerordentliche Seltenheit bei diesem Manne, dessen Divinationsgabe Sam Hawkens noch vor kurzem so gerühmt hatte.

„Ja,“ antwortete der Häuptling.

„Aber ihr habt sie doch mit Gewehren und Munition ausgerüstet!“

„Weil sie uns belogen.“

„Und sie ungehindert ziehen lassen!“

„Weil ich ihnen mein Wort darauf gegeben hatte.“

„Ah, jetzt errate ich! Du wußtest ja noch nicht, daß der Ölprinz deine beiden Kundschafter ermordet hat!“

„Nein, das wußte ich nicht.“

„Hast es aber nun von meinen Gefährten erfahren?“

„Du hast es erraten.“

„Und nun willst du ihnen nach, um den Tod der Kundschafter zu rächen?“

„Rächen will und muß ich ihn, aber ich brauche sie nicht zu verfolgen, denn sie kommen uns nach.“

„Wirklich? Sonderbar! Sie sollten doch froh sein, euch und uns entkommen zu sein!“

Da fiel Wolf schnell ein, indem er ein höchst befriedigtes und selbstbewußtes Gesicht zeigte:

„Ja, wenn sie die Unterschrift, die Anweisung noch hätten!“

„Besitzen sie die nicht mehr?“

„Nein. Ich habe sie ihnen abgenommen und behalten.“

„Ah! Wie ist das zugegangen?“

Wolf erzählte es und fügte dann hinzu:

„Wir haben sie dann beobachten lassen und erfahren, daß sie uns folgen, Wir wollten sie, um ganz sicher zu gehen, morgen erwarten und ihnen zwei Späher entgegenschicken.“

„Hm! Das ist nicht ungefährlich. Sie werden ganz von selbst kommen. Durch Späher aber könnt ihr sie leicht vertreiben.“

„Das ist richtig, und ich hätte auch von den Kundschaftern abgesehen,“ sagte der Häuptling. „Aber wann denkst du, daß wir morgen nach dem Winterwasser aufbrechen müssen?“

„Wenn der Tag beginnt.“

„Da sind sie noch nicht da. Du siehst also ein, daß wir einige Leute zurücklassen müssen.“

„Leider ja. Ich würde das am liebsten selbst übernehmen, aber ich bin nicht zu entbehren. Wolf und du ganz ebenso. Es geht also nicht anders; wir müssen Späher zurücklassen. Aber suche ja die besten, listigsten und zuverlässigsten Leute dazu aus!“

„Das werde ich thun. Du brauchst keine Sorge zu haben.“

„Sag ihnen, daß sie sie lieber niederschießen als entkommen lassen sollen; ich hasse das Blutvergießen, aber diese Mörder sind wie wilde Tiere; sie werden sich an unsre Fersen heften, um, wenn sie das Papier nicht wieder bekommen, sich blutig an uns zu rächen. Aber noch eins.- Ich vermisse den Kantor. Wo ist er?“

„Bei mir im Lager. Er war von hier entflohen und eine große Strecke flußabwärts gegangen. Dort sang er und machte großen Lärm. Ich sandte einige Krieger über den Fluß, welche ihn fangen und herüberschaffen mußten.“

„Dieser unvorsichtige und unverbesserliche Mensch! Er muß wirklich angebunden werden!“

„Vergib es ihm! Durch sein Lärmen und Schreien habe ich euch gefunden.“

„Das ist keine Entschuldigung für seine Thorheit. Er hat uns schon viel Schaden gemacht.“

„Er hat den Verstand nicht am richtigen Platze.“

„Aber auch nicht am unrichtigen, denn er scheint leider gar keinen zu haben!“

„Soll ich ihn holen lassen?“

„Ja. Da er nicht mit deinen Kriegern reden kann, stellt er dort vielleicht noch größere Dummheiten an, als er bei uns hier ausführen könnte.“

Es wurde ein Roter fortgeschickt, der ihn bringen sollte. Dann erst begann Old Shatterhand, von seinem heutigen Ritte zu erzählen.

Seinen und auch Winnetous scharfen Augen war es nicht entgangen, daß die Nijoras, deren Fährte sie gefolgt waren, nach und nach ein viel langsameres Tempo eingeschlagen hatten. Welchen Grund hatten sie dazu?

Es war nicht Gepflogenheit der beiden berühmten Männer, zu etwas, was sie selbst erforschen konnten, den Rat oder die Meinung andrer einzuholen; darum hatten sie keinem ihrer Gefährten, auch Sam Hawkens nicht, etwas von dieser ihrer Beobachtung gesagt. Sie paßten nun nur schärfer auf, und erkannten, daß sie sich nicht getäuscht hatten.

„Was sagt mein Bruder Shatterhand dazu?“ fragte Winnetou.

„Daß sie keine Eile mehr zu haben scheinen, an die Navajos zu kommen,“ antwortete dieser.

„Mein Bruder denkt genau so wie ich. Sie scheinen ihren Angriff auf diese verschieben zu wollen. Da ist nur ein Gedanke möglich, auf wen sie es abgesehen haben können.“

„Auf uns natürlich.“

„Ja, doch warum? Sie können doch nichts Klügeres thun, als schleunigst über die Navajos herzufallen, die nicht genau unterrichtet sind, weil ihre Kundschafter teils gefangen genommen und teils ermordet wurden.“

„Aber mein Bruder Winnetou mag bedenken, daß wir ihnen hart im Rücken sind und einige sehr gute Pferde haben. Wir können, wenigstens einige von uns, durch einen Parforceritt um sie herum- und ihnen vorauskommen und die Navajos benachrichtigen.“

„Uff!“ nickte der Apache. „Das wird es sein.“

„Ja, das ist es wahrscheinlich. Sie wollen dies verhüten und sich überhaupt den Rücken frei machen. Ein solcher Gedanke ist Mokaschi, ihrem Häuptlinge, sehr wohl zuzutrauen. Darum reiten sie jetzt langsamer, um uns näher bei sich zu haben, und, wenn sich eine geeignete Gegend dazu findet, nicht lange auf uns warten zu müssen. Wenn diese unsre Vermutung richtig ist, brauchen wir nur darüber nachzudenken, welcher Ort von hier aus ihnen am bequemsten zu einem Überfalle gelegen ist. Mein roter Bruder kennt die Gegend ja sehr genau.“

„Mein weißer Bruder auch.“

„So laß uns nachdenken!“

„Uff!“ meinte Winnetou nach einer kleinen Weile, „es gibt einen, den sie noch heut vor Abend erreichen werden.“

„Ich denke ganz dasselbe. Du meinst das Winterwasser?“

„Ja. Du auch?“

„Ja.“

Es war wirklich überaus eigentümlich, wie sehr diese beiden Männer in all ihrem Denken und Fühlen harmonierten. Kaum hatte der eine einen Gedanken gefaßt, so stand ganz dieselbe Idee auch schon im Kopfe des andern klar da. So auch jetzt. Beide hatten zu gleicher Zeit an das Winterwasser gedacht.

„Es ist sehr möglich, daß sie uns dort erwarten,“ meinte Old Shatterhand.

„Ich behaupte es beinahe,“ stimmte der Apache ein.

„Wollen wir ihnen in die Gewehre und in die Messer laufen?“

„Nein.“

„So müssen wir Gewißheit haben.“

„Es muß jemand hin, um sie zu beobachten.“

„Aber wer?“

„Mein Bruder Shatterhand; er ist der umsichtigere und bedächtigere von uns beiden.“

„Nein, sondern mein Bruder Winnetou, dessen Blicke und Sinne viel schärfer sind als die meinigen.“

„Old Shatterhand ist stärker als ich. Er kann einer Gefahr viel besser widerstehen.“

„Und du bist gewandter. Aber warum uns gegenseitig so messen! Das Winterwasser ist ein höchst verfänglicher Ort, der einem einzelnen Kundschafter zu viel Zeit raubt und zu viel Mühe macht. Es sollten wenigstens zwei sein.“

„So reiten wir beide!“

„Ja. Wir können abkommen, denn es droht den Unsrigen während unsrer Abwesenheit keine Gefahr. Hinter sich haben sie keine Feinde, und vor ihnen, da reiten ja wir, um sie zu decken. Es wird gehen. Eigentlich aber müßten wir noch jemand mitnehmen.“

„Warum?“

„Falls sie uns überfallen wollen, genügen wir beide vollständig; aber wenn sie dies nicht beabsichtigen und doch zu den Navajos wollen, müssen wir diese benachrichtigen; dazu aber kann keiner von uns beiden abkommen.“

„Nein.“

„Wir müssen also einen Dritten mit uns nehmen.“

„Wen wird mein Bruder Shatterhand dazu auswählen?“

„Ich schlage Schi-So vor.“

„Ja. Er ist ein guter Reiter und kennt die Gegend so genau wie wir. Von den andern kennt sie keiner. Also nehmen wir ihn mit. Doch, sollen die übrigen erfahren, weshalb wir diesen Ritt unternehmen?“

„Denkt mein Bruder Winnetou, daß es besser ist, es ihnen zu verschweigen?“

„Ja. Wir haben Männer dabei, welche keine Helden sind, und Squaws und Kinder, zu denen man nicht vorher von Gefahren reden soll. Wenn sie es kurz vorher erfahren, ist’s früh genug.“

So schnell dieser Beschluß gefaßt worden war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Schon nach kurzer Zeit ritten die Drei im Galopp voran, während die andern im bisherigen langsamen Schritte folgten.

Die Gegend war eben. Links lag die flache, vegetationslose Steppe und rechter Hand der Fluß, dessen Ufer, weil es da Feuchtigkeit gab, erst von einem Wald- und Busch- und dann von einem Grasstreifen besäumt waren. Bei der außerordentlich reinen Luft, welche es dort immer gibt, konnte man, außer wenn der Fluß eine nach links gerichtete Krümmung beschrieb, sehr weit sehen. Es war also nicht zu befürchten, daß man plötzlich und unerwartet auf die absichtlich oder unabsichtlich halten gebliebenen Nijoras stoßen werde.

So ging es weiter bis zum späten Nachmittage, wobei die Fährte von Zeit zu Zeit genau abgelesen wurde. Es ergab sich, daß man den Indianern immer näher kam. Sie waren nun nicht mehr eine ganze Stunde voraus.

Da war links, von Süden her, ein ganz dunkler Streifen schnurgerade und genau rechtwinkelig auf den Fluß gezogen. In der Ferne, ganz im Süden, bestand er aus einzelnen dürren Mezquitopflanzen, die sich nachher zu Sträuchern vereinigten. Später traten die Büsche näher zusammen; sie wurden saftiger und grüner, während sie im Süden eine graue, hungrige Färbung besaßen. Je näher dem Flusse, desto dichter und üppiger zeigte sich das Gehölz, aus welchem dann sogar Bäume hervorragten, die sich mit dem Waldesstreifen des Flusses vereinigten.

Dieser Streifen von Vegetation bezeichnete den Lauf des Winterwassers, wenn da überhaupt von einem Laufe, einem Rinnen des Wassers die Rede sein konnte.

In der feuchten Jahreszeit, das heißt zur Zeit der wenigen Regentage, sammelte sich das Wasser in dieser flußbettartigen Vertiefung und gab den Pflanzen für einige Wochen ein frisches Aussehen, während sie sonst dürr, arm und traurig dastanden. je näher dem Flusse aber, desto länger währte die Lebensfreudigkeit, bis es schließlich sogar Bäumen gelang, sich für das ganze Jahr am Leben zu erhalten. Der Kopf, welcher sich den Namen Winterwasser ausgesonnen hatte, hatte jedenfalls noch weniger Feuchtigkeit besessen, als das Flüßchen selbst.

Die drei Reiter befanden sich jetzt in einer solchen Entfernung von diesem Winterwasser, daß man von dort aus nun fast bemerkt werden mußte. Um nicht gesehen zu werden, waren sie also gezwungen, sich im Schutze des Wald- und Buschsaumes weiter zu bewegen. Sie stiegen ab und suchten ein gutes Versteck für ihre Pferde, bei welchen Schi-So zurückbleiben sollte. Er bekam auch die Gewehre in Verwahrung, weil diese einen durch das Gebüsch schleichenden, oder gar am Boden kriechenden Späher nur belästigen können. Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand unter den Bäumen am Flußrande langsam weiter, die Augen scharf vorwärts gerichtet, um jeden etwa noch hier befindlichen Nijora rechtzeitig zu erspähen.

Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, blieben sie halten, und Old Shatterhand sagte:

„Wollen wir uns nicht zunächst überzeugen, ob die Nijoras am Winterwasser geblieben oder weitergeritten sind?“

„Ja. Diese Bäume sind hoch genug.“

„Und auch dicht genug belaubt, so daß wir, wenn wir sie ersteigen, von Weitem nicht gesehen werden können.“

Sie suchten sich zwei Bäume aus, welche die nötige Höhe besaßen und zugleich so nahe bei einander standen, daß zwei Menschen, die sich oben befanden, einander ohne allzu lautes Reden verstehen konnten. Beide kletterten ausgezeichnet und waren wie die Eichkätzchen im Nu oben. Sie bemerkten, daß sie eine gute Wahl getroffen hatten, denn der Rundblick, welcher sich ihnen hier oben bot, war mehr als genügend. Sie konnten, was sie auch gewollt hatten und sehr notwendig war, über die am Winterwasser stehenden Bäume hinweg auf die jenseits sich ausbreitende Ebene sehen. Diese war vollständig leer.

„Sie stecken am Winterwasser,“ sagte Old Shatterhand zu Winnetou hinüber.

„Ja, sie sind nicht weitergeritten, sonst müßten wir sie da draußen auf der Steppe sehen,“ antwortete dieser. „Mein Bruder mag sein Rohr zur Hand nehmen.“

Old Shatterhand führte auf allen seinen Streifzügen ein gutes Fernrohr bei sich; es steckte in der Satteltasche, und er hatte es vorhin, als er sein Pferd bei Schi-So zurückließ, mitgenommen. Jetzt richtete er es auf das Strauchwerk des Winterwassers und blieb eine Zeit lang in unbeweglicher Haltung auf dem Aste sitzen. Dann nahm er das Rohr vom Auge und meldete dem Apachen:

„Sie sind dort. Das Rohr zieht mir das Gebüsch bis ganz nahe vor die Augen heran. Sie lagern jenseits des Gebüsches hart am Ufer des Winterwassers. Eben bringen viele ihre Pferde aus der Tränke unten am Chellyflusse.“

„Würde man sie belauschen können?“

„Jetzt nicht, aber gewiß später, wenn es dunkel geworden ist.“

„Hat mein weißer Bruder Lust, es zu thun?“

„Natürlich! Es ist immer von Vorteil, wenn man hören kann, was die Feinde sprechen.“

„So warten wir bis zur Dunkelheit und schleichen uns dann hin.“

„Ja, aber nicht hier oben, sondern unten warten wir; da ist’s bequemer.“

Schon wollte er vom Baume steigen, als er ein verwundettes „Uff l“ des Apachen hörte.

„Hat mein Bruder etwas gesehen?“ erkundigte er sich.

„Ja.“

„Was?“

„Reiter.“

„Wo?“

„Drüben am andern Ufer. Es war wie eine lange Schlange von Reitern, welche sich nahe an den Bäumen hinzog. Mein Bruder mag warten, bis sie wieder erscheinen. Sie werden bald über die schmale Lichtung müssen, welche uns gegenüberliegt.“

Die beiden Lauscher hielten ihre Augen mit Spannung über den Fluß hinübergerichtet. Da kamen zunächst zwei einzelne Reiter; es waren Indianer. Sie ritten im Galopp über die Lichtung und begannen die Büsche jenseits derselben zu durchsuchen. Dann kam einer zurück und winkte; sie hatten nichts Verdächtiges gefunden.

„Mein Bruder mag sein Rohr nehmen; da wird er vielleicht die Gesichter erkennen,“ meinte Winnetou.

Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und richtete das Fernrohr nach der Blöße. Auf den Wink des Spähers kamen seine Leute hinter dem Gebüsch hervor, eine lange, lange Reihe von Reitern, welche mit den Kriegsfarben bemalt waren; darum konnte Old Shatterhand ihre Gesichter nicht erkennen; aber dennoch wollten ihm viele der Gestalten bekannt vorkommen. Am Schlusse des Zuges kamen zwei, von denen er sofort wußte, wer sie waren, nämlich Nitsas-Ini und seine weiße Squaw, deren Gesicht natürlich unbemalt war. Als sie alle hinter dem Gesträuch auf der andern Seite der Lichtung verschwunden waren, sagte der Apache:

„Das müssen die Krieger der Navajos gewesen sein; etwas andres ist kaum möglich. Da es zu weit bis dort hinüber ist, konnte ich sie nicht erkennen, aber es war mir, als ob sich am Ende des Zuges eine Squaw befunden habe. Mein Bruder konnte durch sein Rohr besser sehen. Hast du jemand erkannt?“

„Ja. Nitsas-Ini und seine Squaw ritten hinterdrein.“

„So sind es also die Navajos gewesen, wie ich vermutete. Sie haben jedenfalls unten an der Mündung des Flusses gelagert. Warum haben sie diesen Ort verlassen?“

„Und warum halten sie sich da drüben am rechten Ufer?“

„Ja, das ist sonderbar. Sie wissen doch, daß sie die Nijoras auf dieser Seite des Flusses zu suchen haben, da deren Gebiet auf derselben liegt.“

„Sollten sie durch irgend eine falsche Nachricht dazu veranlaßt worden sein?“

„Das ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich.“

„Dann müssen wir uns fragen, wer ihnen diese Nachricht gebracht hat.“

„Ein Kundschafter nicht, denn ihre Späher können ja nicht zu ihnen, weil sie gefangen sind.“

„Es gibt nur einen einzigen möglichen Fall.“

„Welchen?“

„Daß sie von dem Ölprinzen irre geleitet worden sind.“

„Richtig! Der ist jedenfalls zu ihnen, um sich und seine beiden Begleiter ausrüsten zu lassen, weil sie jetzt unbewaffnet waren.“

„Aber was können diese drei für Gründe haben, die Navajos da drüben heraufzuschicken?“,

„Wir wollen uns darüber nicht die Köpfe zerbrechen. jedenfalls werden wir diese Gründe erfahren. Steigen wir jetzt herab! Es will dunkel werden, und wir können nun bald an die Nijoras kommen.“

Sie stiegen von den Bäumen, da sie unten sicherer waren. Es konnte aus irgend einem Grunde ein Nijora an diese Stelle kommen und da mußte er sie, wenn sie oben saßen, weit eher entdecken, als wenn sie sich unten befanden und sich vor ihm verbergen konnten. Als sie nun wieder nebeneinander standen, sagte Old Shatterhand:

„Unsre Freunde mögen da drüben den Weg eingeschlagen haben, aus welcher Ursache es immer sei, so können sie den Zweck, welchen sie dabei verfolgen, sehr leicht verfehlen.“

„Warum?“ fragte der Apache.

„Weil es möglich ist, daß sie von den Nijoras gesehen worden sind.“

„Uff! Das ist wahr. Diese liegen hüben am Ufer und die Navajos kamen drüben am Ufer!“

„Diese Ufer sind zwar mit Büschen und Bäumen besetzt, aber unsre Freunde haben über die Lichtung gemußt, wo sie von jedem, der hüben am Wasser stand, gesehen werden mußten.“

„Die Nijoras tränkten vorhin ihre Pferde. Hoffentlich sind sie jetzt damit fertig gewesen und es hat keiner von ihnen mehr unten am Flusse gestanden. Ich will noch einmal auf den Baum klettern und die Stelle dort betrachten.“

Er kletterte wieder hinauf, hielt eine kurze Weile scharfen Ausguck, kam dann wieder herab und sagte:

„Es ist niemand am Wasser, und so denke ich, daß die Navajos nicht gesehen worden sind.“

„Das beruhigt mich. Übrigens werden wir es erfahren, wenn wir die Nijoras nachher belauschen. Wenn sie unsre Freunde gesehen haben, werden sie ganz gewiß davon sprechen.“

Die Dämmerung trat jetzt ein, und so machten sich die beiden Männer auf den Weg, welcher gar nicht ungefährlich für sie war. Man konnte noch ungefähr sechs bis acht Schritte weit sehen, doch wurde es so schnell dunkel, daß es, als sie in der Nähe des Winterwassers ankamen, so finster war, daß sie sich nicht mehr allein auf ihre Augen verlassen konnten, sondern auch den Tastsinn zu Hilfe nehmen mußten. Hierbei kam es ihnen sehr zu statten, daß sie schon öfters hier gewesen waren und also die Örtlichkeit genau kannten.

Der Chelly floß hier fast genau von Ost nach West und es ist bereits gesagt worden, daß das Winterwasser von Süd nach Nord, also rechtwinklig, auf ihn stieß. Die Ufer beider waren hier mit Wald und Busch bestanden und sehr hoch. Von der Höhe bis hinab zum Wasser des Chelly konnte man recht gut sechzig Fuß rechnen. Im Winterwasser befanden sich in der gegenwärtigen Jahreszeit nur einige Pfützen, welche dem Übergange nicht im mindesten hinderlich waren. Das Terrain war an der Mündung des Winterwassers sehr felsig und die Ufer fielen so steil ab, daß man da zu Pferde nicht hinunter konnte. Wer hinüber wollte, mußte vielmehr eine Strecke am Winterwasser hinauf bis zu einer Stelle, wo beide Ufer sich einander flacher zuneigten. Diese Stelle war aber auch die einzige, welche sich zum Übergange eignete. Ebenso geeignet war sie natürlich auch zu einem Überfalle.

Da man sonst nirgends hinüber konnte und also unbedingt gezwungen war, diesen Ort aufzusuchen, so brauchte der Feind nur hier zu warten. Man mußte ihm, wenn er es nicht ganz und gar ungeschickt anfing, unbedingt in die Hände fallen, vorausgesetzt natürlich, daß er zahlreich genug auftreten konnte.

Die Nijoras lagerten nicht an dieser Furt. Sie waren da hinüber und hatten das jenseitige linke Ufer abwärts bis zur Mündung verfolgt und dort oben ihr Lager aufgeschlagen. Dort gab es kein Wasser. Wer sein Pferd tränken oder für sich selbst Wasser holen wollte, der mußte nach der soeben beschriebenen Furt zurück und hinunter auf den Grund des jetzt trockenen Winterwasserbettes steigen und, diesem abwärts folgend, bis zur Mündung desselben gehen, wo der Chelly vorüberfloß.

Das war beschwerlich genug. Die Nijoras hätten es viel bequemer gehabt, wenn sie sich unten an der Mündung gelagert hätten; aber das war unmöglich, ohne daß Spuren entstanden, welche nicht vollständig auszulöschen waren, und dies sollte vermieden werden.

Soviel über das Terrain, welches für beide Teile so überaus wichtig war.

Da die Nijoras drüben lagerten, mußten Winnetou und Old Shatterhand natürlich auch hinüber. Als sie das hohe Ufer des Winterwassers erreicht hatten, sahen sie von drüben die Lagerfeuer zwischen den großen Felsstücken, die es dort gab, herüberleuchten.

„Wie unvorsichtig!“ sagte Winnetou.

„Ja,“ stimmte Old Shatterhand bei. „Diese Kerls müssen es für ganz sicher halten, daß wir noch zu weit zurück sind, um diese Stelle noch heut erreichen zu können.“

„Das ist noch nicht alles. Ihre Feuer leuchten doch auch drüben weit in die Ebene hinaus. Wie leicht könnten sie da von den Navajos bemerkt werden.“

„Das läßt mich eben vermuten, daß die Nijoras die Navajos vorhin gesehen haben. Sie wissen, daß diese jenseits des Flusses sind und also nicht hierherkommen können.“

„Wir werden bald Gewißheit darüber erlangen und wollen jetzt nur weitergehen.“

Sie gingen diesseits am Winterwasser hinauf, bis sie die Stelle der Furt erreichten, und stiegen da hinab und drüben wieder hinauf. Dann schlichen sie sich am linken Ufer des Winterwassers wieder abwärts, wobei sie um so vorsichtiger verfuhren, je näher sie dem Lager kamen. Von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch huschend, vermieden sie jede Stelle, auf welche ein Strahl der Lagerfeuer fiel.

Als sie soweit herangekommen waren, daß sie die einzelnen Gestalten unterscheiden konnten, sagte Winnetou, natürlich leise:

„Mein Bruder mag hier stehen bleiben. Ich will aus diesem Holze hinaus und das Lager auf der freien Seite umschleichen, um zu sehen, wo die Pferde sind und ob man Posten ausgestellt hat.“

Er huschte fort, und es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis er wiederkam und meldete:

„Die Pferde befinden sich jenseits des Lagers und werden uns also nicht durch ihr Schnauben verraten können. Nach der freien Ebene hinaus sind Posten ausgestellt. Das kann nur gegen die Navajos sein, und darum ist es gewiß, daß die Nijoras nicht wissen, wo diese sich befinden.“

„Mein roter Bruder hat das Lager von draußen her überblicken können. Hat er vielleicht gesehen, wo der Häuptling Mokaschi sitzt?“

„Ja. Er sitzt mit noch drei alten Kriegern an einem breiten Felsenstücke.“

„Wenn wir das erreichen könnten!“

„Wir können es, wenn wir recht vorsichtig sind. Es liegt dort am Uferrande und es können sich also keine Nijoras dahinter befinden. Ich will voran und mein Bruder mag mir folgen!“

Das konnte nicht, wie bisher, in aufrechter Stellung geschehen, denn dies wäre nun sehr gefährlich gewesen. Sie legten sich also nieder und krochen auf dem Bauche weiter, wobei sie jeden Baum und Strauch und jede andre Pflanze, jeden Stein, der ihnen Deckung bot, mit ebenso großer Klugheit wie Geschicklichkeit benutzten.

Ihr Ziel war das Felsstück, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Es war lang und nicht sehr breit und hatte beinahe doppelte Manneshöhe. Da es oben mit Moos bewachsen war, hatte das lange Jahre hindurch darauf gefallene Laub festen Halt gehabt und sich, ohne vom Winde fortgeweht zu werden, in Humuserde verwandeln können. Diese lag nun in einer ziemlich dicken Schicht auf dem Steine und noch höher in den Rissen und Ritzen desselben. Darum hatten sich auf diesem Felsenstücke einige Sträucher entwickeln können, welche ihre Zweige über den Rand desselben herunter neigten.

Zwischen diesem Steine und dem steil abwärts fallenden Ufer gab es einen nur schmalen Raum, doch genügte er vollständig dem Zwecke, welchen die beiden Lauscher verfolgten. Es gelang ihnen, den Stein unbemerkt zu erreichen und hinter denselben zu kommen. Der erwähnte Raum, auf welchem sie nun lagen, hatte nur Mannesbreite, so daß sie sich nun ganz hart an der Kante des Ufers befanden. Wenn diese Stelle aus lockerer Erde bestand und sich unter dem Gewichte der beiden Männer loslöste, so mußten sie in die Tiefe stürzen. Sie untersuchten daher vor allen Dingen den Boden und fanden zu ihrer Beruhigung, daß er aus hartem, festem Fels bestand. Nun richteten sie sich auf, um den Stein zu besteigen. Wenn sie dann oben lagen, hatten sie den Häuptling auf der andern Seite gerade unter sich sitzen.

Es gab eine Stelle, wo man mit den Händen festfassen konnte. Old Shatterhand griff da fest zu, stieg auf den Rücken des Apachen und schwang sich dann hinauf. Das war ein höchst gefährliches Wagestück, da er bei dem geringsten falschen Griffe oder Fehltritte in die Tiefe gestürzt wäre. Auch durfte der Aufschwung nur sehr vorsichtig und nicht zu hoch geschehen, weil Old Shatterhand sonst von den Nijoras jenseits des Steines gesehen worden wäre. Oben angelangt, legte er sich platt nieder und hielt dem Apachen den in Schlingen gelegten Lasso herunter, um ihn mit demselben hinaufzuziehen. Auch das gelang sehr gut.

Nun lagen sie oben. Aber wehe ihnen, wenn sie bemerkt wurden! In diesem Falle waren sie trotz aller ihrer Stärke, List und Geschicklichkeit verloren. Hinter sich den Abgrund und vor sich das von dreihundert Kriegern besetzte Lager, wäre ihnen in diesem Falle nichts andres übrig geblieben, als auf alle Gegenwehr zu verzichten und sich zu ergeben.

Dicht auf dem Felsblocke liegend, schoben sie sich vorsichtig bis zu dem erwähnten Gesträuch vor und konnten nun, durch dasselbe blickend, das ganze Lager übersehen.

Es brannten nicht weniger als acht Feuer, an welchen sich die Nijoras soeben ihr Abendessen bereiteten. Unter ihnen, an den Felsen gelehnt, saß Mokaschi mit den drei ältern Indianern abgesondert von den gewöhnlichen Kriegern. Sie sprachen miteinander, doch nicht eifrig, sondern in abgebrochenen Sätzen, zwischen denen es längere oder kürzere Pausen gab. Wie die beiden Späher bald hörten, waren diese vier Roten nicht ganz einig untereinander. Einer von ihnen, ein alter, aber noch sehr rüstiger Mann mit grauem Haar sagte:

„Mokaschi wird es bereuen, nach seiner heutigen Ansicht gehandelt zu haben. Wir hätten uns beeilen und die Hunde der Navajos schnell aufsuchen sollen, um sie zu töten.“

„Das werden wir ja auch,“ antwortete der Häuptling.

„Aber nicht schnell genug! Die Navajos werden nicht so lange warten.“

„Mein alter Bruder läßt außer Betracht, daß der Unterschied nur einen Tag beträgt. Wenn wir morgen die Bleichgesichter ergriffen haben, werden wir sofort gegen die Navajos aufbrechen.“

„Der Unterschied beträgt über einen Tag, denn wir sind, um diese Bleichgesichter näher an uns heranzulassen, langsamer geritten.“

„Das schadet nichts. Die Schakale der Navajos werden nicht eher aus ihren Höhlen gehen, als bis wir kommen. Sie können ihr Lager nicht eher verlassen, als bis die Kundschafter, welche sie ausgesandt haben, zurückgekehrt sind, sonst würden sie doch von diesen nicht gefunden werden. Das muß mein alter Bruder gar wohl bedenken!“

„Ich bedenke es; aber das Jahr besitzt einen Sommer und einen Winter, und alle Dinge auf Erden haben zwei Seiten. So ist’s auch hier. Mokaschi meint, daß die Navajos warten werden, weil sie Kundschafter ausgesandt haben, und ich denke, daß sie nicht warten werden.“

„Warum?“

„Gerade dieser Kundschafter wegen. Da diese schon so lange fort sind und nicht zurückkehren, muß ihnen ein Unfall zugestoßen sein. Das werden sich die Navajos sagen und also wohl nicht länger warten.“

„Der Gedanke meines Bruders ist nur halb richtig. Wenn die Feinde wirklich Verdacht schöpfen, werden sie sich doch hüten, mit allen ihren Kriegern auszuziehen, ohne zu wissen, wo wir zu finden sind. Sie werden vielmehr neue Späher aussenden.“

„Das ist nicht besser als das andre, denn diese neuen Kundschafter werden uns entdecken und dies dem Häuptlinge melden. Dann wird man uns überfallen, ohne daß wir darauf vorbereitet sind.“

„Wir würden vorbereitet sein, da wir stets Posten ausstellen.“

„Aber das ist doch nicht so gut, als wenn Mokaschi auf seinen neuen Plan verzichtet hätte. Anstatt daß wir die Navajos überraschen, werden sie uns angreifen!“

Er sprach in einem etwas scharfen Tone, wie es einem Häuptling gegenüber nicht gebräuchlich ist. Darum antwortete Mokaschi nun:

„Mein Bruder trägt den Schnee des Alters auf seinem Haupte. Er hat mehr Winter gesehen als ich und viel erlebt. Darum darf er es ohne Scheu sagen, wenn er einmal anders denkt als ich. Aber nicht er ist der Anführer, sondern ich bin es. Wenn ich auch die Meinungen der erfahrenen Männer anhöre, so habe ich doch darüber zu entscheiden und alle müssen sich fügen!“

Der Alte senkte seinen Kopf und sagte:

„Du hast recht. Dein Wille mag geschehen!“

„Ja, er geschieht, und du wirst einsehen, daß er der beste war. Oder hast du etwa geglaubt, daß es uns glücken werde, die Navajos zu überraschen?“

„Ja.“

„Nein, das wäre nicht geschehen. Sie stellen jedenfalls ebenso Vorposten aus wie wir. Wir müssen den Ort, an welchem sie sich befinden, durch unsre Späher erst entdecken. Wie leicht können diese gesehen, ergriffen oder gar getötet werden, gerade so wie wir die Kundschafter der Navajos gefangen genommen haben. Und das ist noch nicht das Wichtigste. Es gibt etwas, woran mein alter Bruder gar nicht gedacht zu haben scheint. Nämlich die Navajos wissen bereits, daß wir kommen.“

„Uff!“ rief der Alte. „Wer soll es ihnen gesagt haben?“

„Die drei Bleichgesichter, welche uns entflohen sind.“

„Uff, uff! Das ist wahr! Wenn sie wirklich zu den Navajos geritten sind!“

„Sie sind ganz gewiß zu ihnen. Vielleicht haben sie sie schon heut gefunden und sie über uns benachrichtigt. Da werden die Navajos sofort aufbrechen, um uns entgegenzuziehen und plötzlich anzugreifen. Das aber ist es, worauf ich warte.“

„Wie? Mokaschi wartet darauf, von den Feinden eher überfallen zu werden, als wir sie angreifen können?“

„Ja.“

„Aber mein Bruder Mokaschi kennt doch die alte Kriegerregel, daß derjenige leichter siegt, der eher kommt!“

„Ich kenne sie; sie ist sehr gut, aber sie paßt nicht auf alle Fälle.“

„Auf den jetzigen auch nicht?“

„Nein. Die Navajos haben ihr Lager ganz gewiß an einem Orte, der sich leicht verteidigen läßt. Der Sieg würde also schwer für uns werden und uns wohl viel Blut kosten. Warum wollen wir es nicht ebenso machen wie sie? Sie sollen kommen und uns angreifen, aber an einem Orte, der ihnen verderblich werden muß.“

„Wo liegt dieser Ort?“

„Hier.“

„Am Winterwasser?“

„Ja.“

„So will Mokaschi den Feind also hier erwarten?“

„Ja.“

„Das lag aber doch nicht in dem ursprünglichen Plane!“

„Nein. Ich wollte die Navajos überraschen; das ist -nun aber nicht mehr möglich, weil sie von den drei entflohenen Bleichgesichtern benachrichtigt worden sind. Es war also nötig, meinen Plan zu ändern. Wir werden uns hier am Winterwasser verstecken. Wenn die Navajos kommen, lassen wir sie von dem hohen Ufer hinunter in das tiefe Flußbett kommen und fallen dann über sie her. Sie stecken dann da unten und können sich nicht verteidigen, weil sie, von uns zwischen den Felsen zusammengedrängt, keinen Raum dazu haben.“

„Uff, uff!“ rief der Alte, indem sein Gesicht sich erheiterte.

„Stimmt mein alter Bruder mir nun bei?“ fragte der Häuptling.

„Ja. Mokaschis neuer Plan ist gut, und ich denke, daß er gelingen wird, wenn kein Hindernis dazwischen kommt.“

„Es gibt nur ein einziges Hindernis, welches möglich ist, und dieses wollen wir eben morgen beseitigen.“

„Jetzt verstehe ich es. Du meinst die Bleichgesichter hinter uns?“

„Ja. Sie folgen uns; sie wollen die Navajos aufsuchen. Wenn wir sie vorüberziehen ließen, würden sie es den Feinden verraten, daß wir hier auf sie warten. Das darf nicht geschehen. Wir werden also Winnetou und Old Shatterhand mit allen ihren Leuten festnehmen.“

„Sollen sie getötet werden?“

„Ja, wenn sie sich wehren.“

„Und wenn sie sich aber nicht wehren?“

„So nehmen wir sie nur gefangen und führen sie, wenn wir siegreich heimkehren, unsern Frauen, Greisen und Kindern zu, welche über solche Gefangene in lauten Jubel ausbrechen werden. Wer Old Shatterhand und Winnetou und die andern berühmten Leute, welche bei ihnen sind, zur Siegesbeute macht, dessen Ruhm wird an jedem Lagerfeuer verkündet.“

„Und was soll dann mit diesen vornehmen Gefangenen geschehen?“

„Das kann ich heut nicht sagen. Die Beratung wird darüber entscheiden. Jedenfalls würden wir, wenn wir sie nicht am Marterpfahle sterben ließen, ihnen das Leben nicht umsonst schenken, sondern sie müßten um dasselbe kämpfen.“

„Uff, uff! Winnetou und Old Shatterhand mit unsern Kriegern auf Tod und Leben kämpfend! Das würde ein Schauspiel sein, wie es die Krieger der Nijoras noch nie erlebt haben!“

Die Augen des Alten leuchteten förmlich vor Wonne; die beiden andern brachen auch in begeisterte „Uffs!“ aus, und Mokaschi, darüber froh, eine solche Zustimmung erhalten zu haben, fuhr in seiner Darlegung fort:

„Das Winterwasser ist wie kein zweiter Ort dazu geeignet, den Feinden aufzulauern und sie ohne große Mühe oder gar Gefahr zu ergreifen oder zu vernichten. Meine Brüder werden morgen sehen, wie leicht wir die Bleichgesichter in unsre Hände bekommen, obgleich sie von den berühmtesten Männern des Westens angeführt werden.“

Da machte der Alte doch wieder ein bedenkliches Gesicht und sagte:

„Hofft Mokaschi wirklich so zuversichtlich auf das Gelingen?“

„Ja.“

„Aber gerade weil diese berühmten Männer dabei sind, kann es leicht fehlschlagen.“

„Nein.“

„Old Shatterhand und Winnetou haben Gedanken, welche ihnen vorauszugehen pflegen. Sie pflegen alles zu erraten, das muß Mokaschi wissen.“

„Ich weiß, daß sie sehr kluge Leute sind und in die Gedanken andrer Menschen zu schauen vermögen. Unsern Plan aber werden sie nicht erraten. Sie denken, daß wir gegen die Navajos ziehen und uns also um sie gar nicht bekümmern. Sie werden nicht ahnen, daß wir hier auf sie warten, sondern überzeugt sein, daß wir uns schon weit von hier befinden.“

„Ich wünsche sehr, daß dies richtig sein möge; aber ich denke daran, was wir in der letzten Zeit erfahren haben. Kein Adler hat so scharfe Augen, kein Mustang so leise Ohren und kein Fuchs so große List wie Old Shatterhand und Winnetou. Hatten wir sie nicht bereits in unsrer Gewalt? Waren sie nicht sogar gefesselt? Und doch haben wir sie freigeben müssen! Und wer hat uns dazu gezwungen? Nur diese beiden Männer allein, welche gefesselt und unbewaffnet waren, während wir freie Hände und unsre Waffen hatten und dreimal zehn mal zehn Krieger zählten. Wenn wir sie morgen wirklich ergreifen und dann auch festhalten wollen, so dürfen wir es nicht so machen wie das letztemal.“

„Wir werden klüger sein. Wir haben doch schon heut alles gethan, was uns die Klugheit gebietet. Wir haben unser Lager sogar hier oben aufgeschlagen, anstatt unten am Wasser, wo wir Spuren hätten zurücklassen müssen. Wenn die Bleichgesichter morgen kommen, werden sie keine einzige Spur da unten sehen und also ahnungslos von da drüben hinunter in die Tiefe reiten, während wir hier versteckt liegen und auf sie warten. Sie werden an das Wasser des Chelly gehen, um ihre Pferde zu tränken, und da fallen wir über sie her.“

„Du meinst, daß sie nicht stracks über die Furt reiten, sondern eine Weile dableiben?“

„Ja. Es gibt auf eine lange, lange Strecke hier die einzige Stelle, wo man von dem hohen Ufer so leicht hinab zum Wasser kommt. Das wissen sie, und darum werden sie sich diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen.“

„Mein Bruder wird recht haben, denn es sind ja Squaws und Kinder bei ihnen, auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Und denkt Mokaschi wirklich, daß sie ohne Kampf in unsre Hände geraten werden?“

„Ja.“

„Aber wenn sie sich doch verteidigen?“

„Da schießen wir sie nieder. Aber es wird ihnen nicht einfallen, Gebrauch von ihren Waffen zu machen, wenn wir nur keinen Fehler begehen. Sobald sie unten am Wasser sind, eilen wir hinab ––“

„Zu Fuße?“

„Ja. Es würde die größte Thorheit sein, hinunter zu reiten.“

„So müssen wir einige Krieger hier oben bei den Pferden lassen.“

„Nein. Wir binden die Tiere an. Es darf von uns kein Mann fehlen; darauf beruht mein Plan. Wenn die Weißen unsre große Zahl sehen, werden sie auf alle Gegenwehr verzichten; darum müssen wir alle beisammen sein, und es soll kein einziger von uns zurückbleiben. Mein alter Bruder mag sich doch einmal überlegen, in welcher Lage sie sich dann befinden! Sie haben rechts und links die senkrechten Felsen des Flußbettes, welche nicht zu ersteigen sind, vor sich das Wasser des Chelly und hinter sich plötzlich dreihundert feindliche Krieger. Sie würden wahnsinnig sein, wenn sie da auf den Gedanken kämen, sich zu verteidigen.“

„Ich traue ihnen aber diesen Gedanken dennoch zu!“

„Möglich, denn sie sind nicht nur listig, sondern auch kühn und sogar verwegen; aber sie haben Rücksicht auf ihre Squaws und Kinder zu nehmen, deren Leben sie schonen müssen. Hierin wird mir mein alter Bruder zustimmen.“

„Das thue ich. Aber wie dann, wenn sie die Flucht wagen?“

„Die ist unmöglich!“

„O nein.“

„Doch! Wohin sollten sie sich wenden?“

„Nach dem Chelly.“

„Ins Wasser? Das fällt ihnen nicht ein. Sie wissen gerade so gut wie wir, wie leicht ein Schwimmer zu erschießen ist. Und selbst, wenn dies nicht der Fall wäre, so würden gerade wieder ihre Squaws und Kinder es sein, die sie davon abhalten, die Flucht zu ergreifen. Solche Helden wie Winnetou und Old Shatterhand verlassen selbst in der größten Gefahr keinen Menschen, der sich in ihren Schutz begeben hat. Und welche Schande wäre es für sie, wenn von ihnen erzählt werden könnte, daß sie Weiber und Kinder verlassen hätten, deren Sicherheit ihnen anvertraut gewesen war!“

„Mokaschi hat recht. Seine Rede hat alle meine Bedenken zerstreut. Wir können die Bleichgesichter mit Zuversicht erwarten, denn sie werden gezwungen sein, sich uns ohne Kampf zu ergeben. Und dann machen wir es mit den Hunden der Navajos ebenso!“

„Ja, wir locken sie hinunter in das tiefe Felsenbett des Winterwassers und lassen sie nicht wieder herauf.“

„Uff! Das wird eine Wonne sein, denn wir werden hinter den Felsen, Bäumen und Sträuchern stecken und sie von hier oben aus erschießen können, einen nach dem andern, ohne daß uns eine ihrer Kugeln treffen wird.“

„Ja, wir werden sie alle töten, denn wir werden Waffen besitzen, mit denen man selbst den stärksten Feind besiegen kann.“

„Waffen?“ fragte der Alte, welcher nicht erriet, was Mokaschi meinte.

„Ja. Denkt mein Bruder denn nicht an die Silberbüchse des Apachen?“

„Uff! Und an das Zaubergewehr Old Shatterhands! Du hast recht. Diese Bleichgesichter werden uns ihre Waffen geben müssen.“

„Dann können wir mit dem Zaubergewehre alle Navajos niederschießen. Wir -werden gar keine andre Flinte dazu brauchen. Uff, Uff, uff!“

Die vier Indianer waren bei diesen Worten ganz entzückt. Wenn sie geahnt hätten, wer, fast mit den Händen zu ergreifen, da über ihnen lag und alle ihre Worte hörte! Winnetou schob sich ein wenig zurück und zog dann Old Shatterhand am Arme.

„Wollen wir fort?“ fragte dieser ihn leise.

„Ja. Wir haben genug gehört, und mehr brauchen wir nicht zu wissen. Mein Bruder mag kommen.“

Sie krochen nach der hintern Seite des Felsens, wo Old Shatterhand den Apachen wieder am Lasso hinunterließ. Das Nachfolgen war für ihn wieder lebensgefährlich, gelang aber mit Winnetous Hilfe gut.

Nun galt es, den Ort ebenso unbemerkt zu verlassen, wie sie ihn erreicht hatten. Tief am Boden hinkriechend, schlugen sie genau denselben Weg ein, auf welchem sie herbeigekommen waren, und gelangten auch glücklich in eine solche Entfernung vom Lager, daß sie nicht mehr zu kriechen brauchten. Sie erhoben sich also und setzten ihren Rückzug in bequemerer Stellung fort, gingen dann nach der Furt und befanden sich, als sie dieselbe hinter sich hatten, wieder drüben am jenseitigen Ufer in vollständiger Sicherheit. Dort blieben sie stehen und Winnetou meinte:

„Sie haben vor, uns eine Falle zu stellen und glauben wirklich, uns zu fangen.“

„Ja, die Falle ist gut, so gut, daß wir in dieselbe gehen werden.“

„Mein Bruder denkt so wie ich. Wir gehen hinein.“

„Dann mögen sie sehen, ob sie uns fangen werden! Wir holen natürlich die Navajos her, welche wir heute gesehen haben. Die werden die offene Falle hinter uns so verschließen, daß die Nijoras selbst darinnen stecken bleiben. Aber nun laß uns zu Schi-So zurückkehren! Es ist nun nicht nötig, daß wir diesen jungen, wackeren Krieger zu seinen Navajos senden, denn wir werden sie selbst aufsuchen.“

Er wollte fort. Da legte Old Shatterhand ihm die Hand auf den Arm und sagte:

„Mein Bruder mag noch einen Augenblick warten! Wenn wir morgen in die uns gestellte Falle gehen wollen, ohne daß es uns schadet, so müssen wir vorher wissen, daß es auch wirklich und ganz genau dieselbe Falle ist, von der wir jetzt gehört haben.“

„Mein Bruder meint, daß die Nijoras sich doch vielleicht noch eines andern besinnen könnten?“

„Ja. Dann würden wir in die Schlinge gehen, ohne sie öffnen zu können.“

„So muß einer von uns beiden hierbleiben.“

„Gewiß. Einer bleibt da, um die Nijoras scharf zu beobachten. Soll ich das sein?“

„Nein, ich bleibe hier. Mein Bruder Old Shatterhand versteht es besser als ich, mit seinen weißen Männern und Frauen umzugehen. Darum mag er fortreiten und sie benachrichtigen.“

„Gut! Aber es ist nicht nötig, daß du während der ganzen Nacht hier am Winterwasser bleibst, sondern es genügt, wenn du morgen früh wieder hergehst.“

„Ja, ich muß doch auch zu meinem Pferde, bei dem ich während der Nacht lagern werde.“

„So komm!“

Sie wendeten sich nun der Richtung zu, aus welcher sie gekommen waren. Jetzt brauchten sie sich nicht zu verbergen, denn sie konnten ja, weil es dunkel war, nicht gesehen werden. Sie hielten sich vielmehr auf der offenen Steppe und kamen auf diese Weise sehr schnell vorwärts. Dabei berieten sie sich über die Art und Weise, in der ihr Plan morgen ausgeführt werden sollte.

„Ich nehme natürlich an, daß ich die Navajos in der Nacht auffinde,“ sagte Old Shatterhand. „Sie werden augenblicklich bereit sein, auf meine Vorschläge einzugehen.“

„Sie werden nicht nur bereit sein, sondern sich außerordentlich darüber freuen. Wann wird mein Bruder Old Shatterhand hier eintreffen?“

„Das kann ich nicht genau sagen, da ich nicht weiß, wann ich die Navajos treffen werde. Kann ich es aber ermöglichen, so breche ich mit dem Tagesgrauen von der Stelle auf, an welcher unsre Gesellschaft jetzt lagert.“

Es ist bereits erwähnt worden, daß er während des Herweges eine dazu passende Stelle gefunden und den nachfolgenden Gefährten genau bezeichnet hatte.

„So mag mein Bruder,“ sagte der Apache, „wenn er kommt, da halten bleiben, wo wir Schi-So vorhin zurückgelassen haben. Ich werde mich in der Nähe befinden und dir dann sagen, wie die Nijoras sich verhalten haben.“

„Ja. Und dann werden wir ja wissen, ob wir unsern jetzigen Gedanken ausführen können. Ich wünsche sehr, daß es geschehen kann, denn dann ist es möglich, den Konflikt, welcher zwischen den beiden Stämmen entstanden ist, ohne Blutvergießen auszugleichen.“

„Wie denkt sich denn Old Shatterhand die Ausführung unsers Planes? Wir werden mit den weißen Leuten also nach dem Winterwasser reiten?“

„Ja.“

„Und so in die Furt hinabsteigen, als ob wir nichts ahnten?“

„Ja.“

„Und auch die Squaws und die Kinder mitnehmen?“

„Natürlich!“

„Aber sie werden sich fürchten und uns also sehr hinderlich sein!“

„Wir dürfen sie trotzdem nicht zurücklassen, weil ihr Fehlen den Nijoras auffallen müßte und sie vielleicht mißtrauisch machen würde.“

„Das ist richtig. Sie dürfen also nicht zurückbleiben, doch mag mein Bruder sie sehr ermahnen, ja nichts zu thun, was uns schaden kann. Aber, wenn wir uns dann unten zwischen dem Wasser und den Felsen befinden und die Nijoras kommen, dann dürfen die Navajos keinen Augenblick zögern!“

„Nicht eine Sekunde! Sie werden da sein.“

„Ohne von den Nijoras bemerkt zu werden?“

„Ja.“

„Aber diese roten Männer werden uns beobachten, wenn wir kommen. Wie will Old Shatterhand es anfangen, daß sie die Navajos nicht sehen?“

„Sehr einfach. Die Navajos dürfen natürlich nicht hinter uns herkommen, denn da würden sie bemerkt. Sie müssen vielmehr schon an Ort und Stelle, also in der Nähe der Furt des Winterwassers sein, wenn wir dort ankommen. Zunächst werden wir zusammenreiten, unsre Weißen und die Navajos. Wenn wir aber so weit gekommen sind, daß wir von den Nijoras fast gesehen werden können, halten wir an. Das wird also da sein, wo ich dich treffen will. Dort erfahre ich von dir, wie die Angelegenheit steht. Steht sie gut, so warten die Weißen, bis ich wiederkomme, und ich führe die Navajos in einem weiten Bogen nach Süden, dahin, wo das Gesträuch des Winterwassers beginnt. Während wir diesen Bogen reiten, halten wir uns so weit von den Nijoras entfernt, daß sie uns nicht sehen können. Wenn wir dann im Süden am Winterwasser angekommen sind, führe ich die Roten auf dem trockenen Grunde desselben abwärts bis in die Nähe der Furt, wo sie auf uns warten müssen. Dann kehre ich zu euch zurück und wir brechen mit der weißen Gesellschaft auf.“

-Das ist richtig. So habe ich es auch gedacht. Wir führen die Weißen nach der Furt, reiten hinab, aber nicht drüben wieder hinauf, sondern wenden uns nach rechts dem Wasser des Chelly zu.“

„Ganz recht! Dort steigen wir von den Pferden und thun so, als ob wir hier ausruhen wollten. Zugleich aber müssen wir dafür sorgen, daß uns die Nijoras nicht etwa beim ersten Anpralle fassen können. Es gibt da unten Felsen genug, hinter welche wir sofort springen können, wenn die Roten kommen. Deine Silberbüchse und mein Henrystutzen werden die ersten Worte mit ihnen reden, und dann sind ihnen die Navajos schon im Rücken.“

„Werden wir schießen müssen?“

„Wenn es nicht anders geht, ja; wir wollen aber möglichst ihr Leben schonen. Doch, ich glaube, daß wir nun beinahe an Ort und Stelle sind.“

Sein scharfes Auge hatte sich trotz der Dunkelheit zurechtgefunden. Die beiden näherten sich dem Saume des Ufers und riefen Schi-So’s Namen; er antwortete und kam mit den Pferden aus den Büschen, zwischen denen er gesteckt hatte, heraus.

„Gute Nacht!“ sagte Winnetou, indem er sein Pferd beim Zügel nahm und es in das Buschwerk zurückführte.

„Gute Nacht!“ antwortete Old Shatterhand, indem er das seinige bestieg, um fortzureiten.

Beide hatten natürlich mit den Pferden auch ihre Gewehre von Schi-So zurückgenommen. Dieser mochte über die kurze Art und Weise dieser Verabschiedung erstaunt sein; er wagte es aber nicht, ein Wort darüber zu bemerken oder eine Frage auszusprechen; dies gab der Respekt nicht zu, den er für diese beiden berühmten Männer hegte. Er stieg auch auf sein Pferd und folgte Old Shatterhand.

Dieser hatte zunächst einen kurzen Trab eingeschlagen und verhielt sich einige Zeit lang still. Dann fragte er den Jüngling in seiner leutseligen Art und Weise:

„Schi-So wird gar nicht wissen, woran er mit uns ist?“

„Ich werde es erfahren,“ antwortete der Angeredete höflich.

„Ja, du wirst es erfahren. Wenn ich es dir jetzt sagen wollte, müßte ich es zweimal erzählen, und das möchte ich vermeiden. Aber eins will ich doch bemerken, worüber du dich freuen wirst: Ich habe deine Eltern gesehen.“

„Wirklich, wirklich? Wo?“ fragte Schi-So, freudig überrascht.

„Am jenseitigen Ufer. Sie ritten mit einer großen Kriegerschar aufwärts.“

„Jedenfalls um nach den Nijoras zu suchen?“

„Ja.“

„Da werden sie des Nachts lagern! Wenn ich sie aufsuchen dürfte!“

„Du darfst. Ich muß sie nämlich suchen, und da sollst du mich begleiten. Ich denke, daß du noch in dieser Nacht deinen Vater und deine Mutter begrüßen kannst. Wir haben Eile. Laß uns Galopp reiten!“

Ein kurzes Wort von ihm genügte, sein Pferd zum schnelleren Laufe anzutreiben, und Schi-So folgte ihm, in stiller Wonne an das Wiedersehen mit seinen Eltern, besonders mit seiner Mutter denkend.

Diesmal gehörte kein großer Scharfsinn dazu, den Ort, nach welchem sie wollten, zu entdecken. Als sie sich demselben näherten, sahen sie den Schein des Feuers zwischen den Bäumen hervorschimmern. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sagte:

„Wie unvorsichtig, so ein Feuer zu brennen! Ich bin zwar überzeugt, daß diese Stelle hier jetzt ganz gefahrlos ist, aber man zündet doch nicht ein Feuer an, an welchem man einen Büffel braten könnte! Sam Hawkens muß sehr genau wissen, daß er sich hier in vollster Sicherheit befindet. Steigen wir ab und schleichen wir uns heimlich hin! Wollen sehen, was sie thun und reden. Man kann ja schon hier ihre lauten Stimmen hören.“

Sie stiegen ab und führten ihre Pferde leise nach dem Rande des Buschwerkes, wo, wie sie bemerkten, die Gesellschaft die ihrigen stehen hatte. Dann schlichen sie sich näher. Da sahen sie zu ihrem Erstaunen den Häuptling der Navajos mit seiner weißen Squaw.

„Deine Eltern sind da,“ flüsterte Old Shatterhand seinem jungen Begleiter zu. „Siehst du sie?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

Er sagte nur dieses eine Wort, doch das scharfe Ohr des Jägers hörte es, daß seine Stimme dabei vor freudiger Erregung zitterte.

„Wie mögen sie sich hierher gefunden haben? Und welche Freude, als sie hörten, daß du bei uns bist! Natürlich haben sie erfahren, daß ich dich mitgenommen habe. Ich denke, daß du sie sehr freudig begrüßen möchtest; aber das geht nicht; sie sind nicht allein gekommen, und du mußt auf die andern Navajos Rücksicht nehmen; bleib hier stehen! Ich will zunächst allein zu ihnen.“

Old Shatterhand schlich sich noch weiter hinan und hörte, was gesprochen wurde. Dann folgte die Scene, welche bereits beschrieben worden ist.

Dann, als dieselbe vorüber war, setzte er sich zu Nitsas-Ini, um mit ihm über das, was morgen vorgenommen werden sollte, zu beraten. Er erklärte ihm den Plan, den er mit Winnetou entworfen hatte, und der Häuptling war mit demselben vollständig einverstanden.

Nachher wurde der emeritierte Kantor gebracht, und der Empfang, den er fand, war kein allzu freundlicher, denn Old Shatterhand sagte ihm tüchtig die Meinung, ohne ihn allerdings von seiner Thorheit zu überzeugen.

Dann riet Old Shatterhand den Anwesenden, sich zur Ruhe zu legen, weil morgen ein anstrengender Tag zu erwarten sei.

Der Häuptling der Navajos kehrte mit seiner weißen Squaw nicht nach seinem Lager zurück, sondern erklärte, daß er hierbleiben wolle. Dafür schickte er seine Roten zurück, welche seine Befehle nach dem Lager bringen sollten.

Es wurde eine Wache ausgestellt; man ließ das Feuer erlöschen, und dann wurde es ruhig. Schi-So lag neben seiner Mutter; sie hatten ihre Hände ineinander vereinigt.

Es war spät geworden und die kurze Zeit, welche bis zum Morgen übrig geblieben war, verging sehr schnell. Eben graute der Tag, als Old Shatterhand die Schläfer weckte. Als diese an den Fluß traten, um sich zu waschen, sahen sie die Krieger der Navajos, welche in einer langen Reihe am jenseitigen Ufer aufwärts geritten kamen und, als sie gerade gegenüber anlangten, ihre Pferde in das Wasser trieben, um das diesseitige Ufer zu erreichen.

Die Weißen machten sich nun auch schnell zum Aufbruche fertig; dann setzte sich der Zug flußabwärts in Bewegung, Old Shatterhand und Nitsas-Ini ritten an der Spitze. Dieser letztere hatte den Boten, welche von ihm in sein Lager geschickt worden waren, die Namen zweier Indianer genannt, welche nicht mitkommen, sondern als Späher dem Ölprinzen entgegenreiten und ihn und seine Begleiter beobachten sollten. Er glaubte, diese Aufgabe in die besten Hände gelegt zu haben, da sie zu den gewandtesten und verschlagensten Leuten seines Stammes gehörten.

Diese beiden Indianer blieben also zurück. Sie hatten den Ölprinzen, Buttler und Poller zu beobachten und ihnen heimlich zu folgen. Sie sollten sie nicht aus den Augen lassen. Falls sie bemerken sollten, daß die Drei entwischen wollten, hatten sie den Befehl, sie lieber zu töten, als sie entkommen zu lassen.

Als es hell genug geworden war, ritten sie denen, die sie erwarteten, entgegen, denn das hatte der Häuptling befohlen. Es war anzunehmen, daß die drei Weißen auf der Fährte der Navajos kommen würden. Da, wo die letzteren gelagert hatten, konnte man ihre Annäherung nicht vorher bemerken, und so ritten die zwei Indianer lieber zurück, um sich an einer Stelle zu verstecken, an welcher sie die drei Weißen schon von weitern kommen sehen konnten.

Nach vielleicht schon einer halben Stunde sahen sie, daß das Buschwerk des Ufers in einer langen, schmalen Spitze hinaus in die offene Steppe trat. Nach dieser Spitze ritten sie nun, führten ihre Pferde in das Gebüsch, banden sie dort an und versteckten sich auch selbst in der Nähe. Nämlich jenseits dieser Spitze lag die Ebene auch weit offen da, und so konnten sie von hier aus den Ölprinzen und seine Begleiter schon sehen, wenn diese noch über eine englische Meile entfernt waren. Darum glaubten sie, eine sehr gute Wahl getroffen zu haben und ihrer Sache ganz sicher sein zu dürfen.

Dem war aber leider gar nicht so!

Grinley, Poller und Buttler hatten, wie schon früher bemerkt, den Navajos nicht bis zu deren Lager folgen können, weil die Nacht inzwischen angebrochen war und sie in der Dunkelheit die Fährte nicht sehen konnten. Sie waren da, wo sie sich gerade befanden, von den Pferden gestiegen, um den Morgen zu erwarten. Ehe sie einschliefen, unterhielten sie sich über die Ereignisse der letzten Tage, die ihnen so wenig Gutes gebracht hatten, und natürlich auch über die ihrer Ansicht nach schändliche Art und Weise, in welcher sie um die Anweisung gekommen waren. Sie waren wütend darüber und beschlossen, alles daran zu setzen, das Papier wieder in ihre Hände zu bekommen, und dabei keinen Menschen zu schonen, er sei, wer er wolle.

Dabei galt es, alle Vorsicht zu entwickeln. Sie überlegten alles, was zu thun war, ganz genau und gingen auch das Geschehene noch einmal mit großer Sorgfalt durch. Dabei kamen sie auch auf den Umstand, daß sie heute die Spur eines einzelnen Reiters gesehen hatten, welche von links her auf die Gesamtfährte der Navajos gestoßen war. Sie hatten ihr keine Bedeutung beigemessen; aber jetzt, wo sie nach reiflicher Überlegung zu dem Resultate gekommen waren, daß alle List, Sorgfalt und Vorsicht anzuwenden sei, wollte ihnen diese Fährte doch wichtiger erscheinen.

Sie beschlossen, vorsichtig zu sein und wenn die Navajos ihnen einen Hinterhalt legten, sie entweder zu täuschen oder gar kalt zu machen.

Kaum dämmerte der nächste Morgen heran, so saßen sie schon wieder auf ihren Pferden und ritten weiter. Bei offenem Terrain hielten sie sich auf der Spur der Navajos; gab es aber Büsche, so machten sie einen Umweg über dieselben herum. Bald kamen sie so weit, daß sie die erwähnte Buschspitze vor sich liegen sahen.

Buttler hielt sein Pferd an und musterte die Spitze mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen. Dann sagte er.

„Auf dieser Seite liegt eine weite Fläche und wenn ich recht vermute, auf der andern auch. Keine Örtlichkeit eignet sich also so vortrefflich dazu, uns schon von weitem kommen zu sehen, und wenn es wahr ist, daß man uns einen Hinterhalt gelegt hat, so stecken die Kerls dort und nirgends anders. Wir werden uns also sehr hüten, uns diesem Gebüsch von außen zu nähern oder um dasselbe herumzureiten. Nein, wir schleichen uns heimlich hin, und wehe den Hunden, die sich dort von uns finden lassen! Kommt!“

Er stieg ab und führte sein Pferd dem Flusse zu; die andern folgten ihm in derselben Weise. Unter den Bäumen des Flusses angekommen, gingen sie aufwärts, dem Wasser entgegen, immer durch die Sträucher gedeckt, so daß man sie von der Spitze aus nicht sehen konnte. Das ging natürlich sehr langsam, und es dauerte lange Zeit, ehe sie diejenige Stelle des Flußufers erreichten, von welcher aus sich die Buschwerksspitze in die freie Ebene hinauszog. Da banden sie die Pferde an und bogen vom Wasser in einem rechten Winkel ab, um, der Spitze folgend, dieselbe nach vorhandenen Indianern zu durchsuchen. Das war wenige Minuten, bevor die beiden Navajo-Indianer von der andern Seite herkamen.

Sie verfuhren mit aller nötigen und möglichen Vorsicht, ohne ein menschliches Wesen oder die Spur eines solchen zu entdecken. Fast hatten sie schon die äußerste Spitze erreicht, und eben wollte der Ölprinz den Vorschlag machen, zu den Pferden zurückzukehren und weiter zu reiten, da zeigte Buttler zwischen die Büsche hinaus und sagte:

„Hallo, dort kommen zwei Rote! Wahrscheinlich sind es die, welche wir suchen. Wollen wir sie unbelästigt vorüberlassen?“

„Vorüber?“ antwortete Poller. „Sie wollen wohl nicht vorüber. Wie mir scheint, halten sie gerade auf uns zu.“

„Allerdings. Kommt zurück! Wir müssen sie beobachten.“

Sie retirierten eine kleine Strecke und versteckten sich dann so gut, wie die Örtlichkeit es erlaubte. Die beiden Navajos kamen heran, zogen ihre Pferde, nachdem sie abgestiegen waren, in das Gesträuch herein und versteckten sich dann auch in dasselbe. Die beiden Parteien waren nicht mehr als etwa zehn Schritte von einander entfernt, Die Indianer waren überzeugt, allein zu sein, und hielten es infolge dessen nicht für nötig, leise miteinander zu sprechen, ihre Worte wurden von den Weißen daher deutlich gehört.

„Ob die Bleichgesichter kommen werden?“ meinte der eine.

„Sie kommen,“ sagte der andre. „Sie wollen das Papier holen und werden also nicht zurückbleiben.“

„So gehen sie in den Tod. Folgen sie unsern Kriegern, so werden sie gefangen und gemartert, und folgen sie ihnen nicht, weil sie Verdacht fassen, so erschießen wir sie.“

„Hört ihr es?“ flüsterte der Ölprinz Buttler und Poller zu. „Wir brauchen gar nichts weiter zu hören.“

„Nein; wir wissen genug,“ stimmte Buttler bei. „Wie steht’s?“

An die Hölle mit ihnen!“

Well, bin dabei. Nehmt die Gewehre und zielt auf die Köpfe!“

Er legte sein Gewehr auch an und zählte:

„Eins – zwei – drei!“

Die drei Schüsse krachten. Die Büsche, in denen die Roten steckten, raschelten; es gab ein kurzes Röcheln und Stöhnen; dann war es still. Die Weißen verließen ihr Versteck und gingen hinüber; die Roten lagen, beide durch die Köpfe geschossen, tot in dem Gesträuch.

„So!“ lachte der Ölprinz. „Die folgen uns nun nicht nach und schießen uns auch nicht nieder. Sie mögen hier für die Geier und Wölfe liegen bleiben.“

Poller nickte zustimmend und auch Buttler hatte nichts einzuwenden. Sie wandten sich, um zu ihren Pferden zurückzukehren, da blieb Buttler aber plötzlich stehen und meinte:

„Wartet noch, was wir von ihren Sachen brauchen können, wollen wir doch mitnehmen.“

Die drei Banditen plünderten die Toten aus, deren Gewehre und Munition ihnen besonders willkommen war. Natürlich nahmen sie die Indianerpferde auch mit, die ihnen große Erleichterung bieten konnten. Wenn man als Flüchtling die Pferde wechseln kann, kommt man schneller vorwärts als mit nur einem Gaule. Zu ihrer Freude fanden sie in den Satteltaschen einen beträchtlichen Vorrat von Dörrfleisch. Die Roten hatten sich damit versehen, weil sie auf eine längere Abwesenheit von den Ihrigen mußten gefaßt sein.

Nun setzten die drei Mörder, jetzt mit fünf Pferden, ihren Weg fort. Sie brauchten nicht mehr so vorsichtig zu sein, denn jetzt war kein Hinterhalt mehr zu erwarten, und so ließen sie ihre Tiere tüchtig ausgreifen, bis sie den Ort am Ufer erreichten, wo die Navajos während der Nacht gelagert hatten. Sie stiegen ab, um denselben zu untersuchen, fanden aber nichts, was sie besonders interessieren konnte, als nur die Spuren davon, daß die Roten heute früh am diesseitigen Ufer weiter aufwärts geritten seien.

Sie folgten dieser Fährte und erreichten nach einer Viertelstunde die Stelle, an welcher die Navajos über den Fluß gesetzt waren. Sie thaten dasselbe und fanden drüben die deutlichen Eindrücke des Lagers der Weißen. Da stiegen sie wieder von den Pferden, um diesem Platze ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Sie waren alle drei im Leben und in den Vorkommnissen des Westens erfahren, und so kam es, daß sie sich in Beziehung auf das, was hier stattgefunden hatte, nicht täuschten, wenn sie auch die näheren Umstände unmöglich wissen konnten.

„Hier hat es auch ein Lager gegeben,“ sagte der Ölprinz. „Wißt ihr, wer dagewesen ist?“

„Natürlich Old Shatterhand mit seinen Leuten,“ antwortete Buttler. „Es kann gar niemand anders gewesen sein. Schaut da zu den Büschen hinaus! Ihre Fährte geht am hohen Ufer hin nach Westen,“

„Ja; die Navajos sind über den Fluß herübergekommen und zu ihnen gestoßen. Sie haben sich mit ihnen vereinigt und sind nun alle hinter den Nijoras her. Das gibt –“

Er hielt in seiner Rede inne. Man sah es ihm an, daß er erschrocken war.

„Was ist’s?“ fragte Buttler.

„Alle tausend Teufel!“

„Was denn?“

„Da kommt mir ein Gedanke, ein armseliger, miserabler Gedanke!“

„Welcher?“

„Wenn es so ist, wie ich denke, so können wir uns nur gleich aufmachen und fortreiten wie alte Hunde, welche Prügel und nichts zu fressen bekommen haben!“

„Warum denn? So rede doch!“

„Reden? Was ist da zu reden! Das mußt du dir doch selber sagen, wenn du nur eine kleine Spur von Verstand besitzest!“

„So habe ich freilich meinen Verstand verloren, denn ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“

„Das ist unbegreiflich! Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Mit dem Gelde ist es nämlich aus, vollständig aus. Wir werden nicht einen Dollar, nicht einen Cent bekommen!“

„Alle Donner! Warum nicht?“

„Weil die Anweisung zum Teufel ist!“

„Inwiefern soll sie denn zum Teufel sein? Ich verstehe noch immer nicht, was du redest!“

„So ist dir wirklich dein ganzes bißchen Denkkraft abhanden gekommen. Du weißt doch, daß Old Shatterhand und Winnetou ganz dicke Freunde der Navajos sind?“

„Das weiß ich allerdings.“

„Die Roten werden ihm also, sobald sie mit ihm hier zusammentrafen, nichts verschwiegen haben.“

„Ja. Wahrscheinlich haben sie ihm gesagt, daß wir bei ihnen gewesen sind und sie so schön genasführt haben.“

„Darauf bilde dir ja nichts ein, denn jetzt sind wir die Genasführten. Wer hatte die Anweisung?“

„Wolf, der Deutsche.“

„Schön! Er ist mit hier gewesen und hat natürlich den Bankier gesehen und mit ihm gesprochen. Was versteht sich nun da von selbst?“

„Daß er – – Satan! Jetzt weiß ich, was du meinst! Es ist alles erzählt worden, und da – – da hat dieser Wolf dem Bankier die Anweisung ausgehändigt. Ist dies das, was du meintest?“

„Ja.“

„So ist es bei uns freilich mit jeder Hoffnung aus. Es ist alles, alles vergeblich gewesen, und du mußt nun endlich einsehen und zugeben, was für ein Knaben- oder Jungenstreich es von dir war, diesem Wolf die Anweisung zu zeigen!“

Der Ölprinz wollte diesen Fehler beschönigen, und so entstand ein Wortwechsel, welcher so hitzig wurde, daß die beiden nahe daran waren, sich aneinander zu vergreifen. Da schob Poller sie auseinander und sagte:

„Ihr werdet euch doch nicht die Hälse brechen wollen! Damit macht ihr die Sache nicht anders. Ich sehe nicht ein, warum wir gleich das Allerschlimmste annehmen und jede Hoffnung aufgeben sollen. Es ist ja noch gar nichts verloren.“

„Nicht?“ rief der Ölprinz ärgerlich aus.

„Nein, noch gar nichts.“

„So bin nun ich es, der nichts versteht und nichts begreift. Die Anweisung ist doch weg. Oder nicht?“

„Nein, sie ist nicht weg. Erst hatte sie Wolf, und nun hat sie Rollins. Was ist das für ein Unterschied? Es ist ganz gleich, wer sie hat, wenn sie nur noch da ist.“

„Das weiß ich auch; das braucht mir niemand zu sagen. Aber sie ist eben nicht mehr da.“

„Wer sagt das?“

„Ich sage es, denn es versteht sich doch ganz von Selbst, daß Rollins sie sofort vernichtet hat!“

„Vernichtet? Das nehme ich erst dann an, wenn es bewiesen ist. Vernichtet, das heißt doch wohl zerrissen. Was man zerreißt, steckt man nicht ein, um es sorgfältig aufzuheben, sondern man wirft es weg. Wo aber ist hier auch nur das kleinste Stückchen Papier zu sehen? Es ist seit gestern abend bis jetzt vollständig windstill gewesen; es hat keinen Lufthauch gegeben, welcher die Papierfetzen hätte mit fortnehmen können; sie müßten also noch daliegen. Wollen einmal suchen, ganz sorgfältig suchen, nicht bloß hier, sondern auch in der Umgebung des Lagers.“

Sie thaten dies auf das eifrigste, fanden aber nichts. Da sagte der Ölprinz, indem er tief Atem holte und sein Gesicht sich wieder aufklärte:

„Da bekomme ich wirklich neuen Mut. Was Poller vorbringt, ist ganz richtig. Ein zerrissenes Papier steckt man nicht ein, sondern wirft es weg; der Bankier hat die Anweisung also nicht zerrissen, sondern aufgehoben.“

„So ist es,“ nickte Poller. „Vielleicht gar hat er sie nur deshalb nicht vernichtet, um in ihr ein Andenken an seine Erlebnisse im wilden Westen zu haben.“

„Ja, das ist auch möglich. Ich habe wieder Hoffnung. Es ist mir sogar lieber, daß er sie jetzt hat, als wenn Wolf sie noch hätte. Aus Wolfs Tasche wäre sie nur mit Lebensgefahr und durch einen Mord zu bekommen gewesen, während der Bankier ein unerfahrener Kerl ist, der nicht einmal den Mut besitzen würde, sich ernstlich zu verteidigen. Ja, wenn das Papier wirklich nicht vernichtet sein sollte, sondern noch vorhanden ist, so glaube ich fest, daß wir es leichter als vorher bekommen können. Nicht?“

„Allerdings,“ stimmte Buttler ein. „Mit diesem Rollins wird kein Federlesen gemacht. Mit ihm werden wir viel eher fertig, als mit jedem andern. Also, einen Entschluß gefaßt! Was thun wir jetzt?“

„Warten wir hier? Oder reiten wir weiter, den vereinigten Weißen und Roten nach?“

„Wir folgen ihnen.“

„Aber mit doppelter Vorsicht!“

„Das wird gar nicht sehr nötig sein. Sie haben uns Späher entgegengeschickt und ahnen nicht, daß wir diese Kerls erschossen haben. Sie wissen uns also unter Aufsicht und werden denken, daß sie von den Kundschaftern Nachricht erhalten, ehe wir kommen. Wir können also frisch weiterreiten, ohne uns viel umzusehen.“

Sie stiegen wieder auf, nahmen die beiden erbeuteten Pferde am Leitzügel und ritten weiter, den Spuren der Navajos und der Weißen nach.

Es kam so, wie sie es sich gedacht hatten: ihr Ritt ging glatt von statten und niemand stellte sich ihnen in den Weg. Es ging immer auf dem hohen Ufer des Flusses in der Nähe des Baum- und Strauchsaumes hin, und die Fährte, welcher sie folgten, blieb sich immer gleich, bis sie an eine Stelle kamen, an welcher sie bedeutend breiter und viel ausgetretener war. Das mußte einen Grund haben. Sie hielten also an und stiegen ab, um die Spuren hier zu untersuchen. Sie befanden sich an dem Orte, an welchem Schi-So im Gebüsch gestern abend mit den Pferden auf Old Shatterhand und Winnetou gewartet hatte und wo der Apache heut früh die vereinigten Weißen und Roten hatte empfangen wollen.

„Hier haben die Kerle längere Zeit gehalten,“ sagte Buttler. „Das sieht man ganz genau. Die Pferde sind nicht über den Boden fortgelaufen, sondern sie haben dagestanden und ihn zerstampft und sogar mit den Hufen aufgescharrt.“

„Welche Ursache mag da vorgelegen haben?“ meinte der Ölprinz.

„Wer weiß das! Wahrscheinlich erfahren wir es später.“

„Ich möchte es aber schon jetzt wissen. Seht, da führen Spuren von hier grad ins Gebüsch! Wollen einmal sehen, was es da drin gegeben hat!“

Sie ließen ihre Pferde stehen und gingen auf das Gesträuch zu. Da hörten sie eine Stimme in deutscher Sprache rufen:

„Zu Hilfe, zu Hilfe! Kommt her, kommt hier herein!“

Sie blieben stehen und horchten.

„Das war nicht englisch,“ sagte der Ölprinz.

„Es schien deutsch zu sein; ich verstehe es aber nicht,“ meinte Buttler.

„Aber ich verstehe es,“ erklärte Poller, der einstige Führer der Auswanderer. „Es ruft jemand um Hilfe und bittet uns, zu ihm hineinzukommen.“

„Das können wir thun, denn wenn jemand unsre Hilfe braucht, da haben wir nichts zu befürchten.“

„Aber wenn es eine Finte ist, wenn wir in eine Falle gelockt werden sollen!“

„Das glaube ich nicht. Kommt nur immer mit!“

Sie folgten den Fuß- und Hufstapfen, die in das Gebüsch führten, und sahen bald zwei gesattelte Pferde, welche im Gesträuche angebunden waren. Sie schienen dem um Hilfe Bittenden so nahe gekommen zu sein, daß er sie sehen konnte, denn er rief jetzt:

„Hierher, hierher, Herr Poller! Haben Sie die Güte und schneiden Sie mich los!“

„Er ruft mich; er kennt mich!“ sagte Poller.

„Kommen Sie doch, Herr Poller, kommen Sie schnell!“ rief es wieder.

„Alle Teufel! Wenn ich mich da nicht irre, so ist das die Stimme des verrückten Kantors, der eine Oper von zwölf Akten komponieren will und dabei allerlei Dummheiten macht! Kommt! Da brauchen wir uns freilich nicht zu fürchten.“

„Aber,“ meinte der Ölprinz vorsichtig, „er gehört jetzt zu Old Shatterhand und Winnetou, und wer weiß, ob das nicht eine Schlinge ist, in welche wir die Köpfe stecken sollen.“

„Schwerlich, schwerlich! Ich bin vielmehr überzeugt, daß er abermals infolge eines dummen Streiches hier stecken- und zurückgeblieben ist. Kommt nur getrost mit mir weiter!“

Er drang tiefer in das Gebüsch ein, und sie folgten ihm. Da bewahrheitete sich die Vermutung Pollers allerdings, denn sie sahen den Kantor, dem die Hände auf den Rücken und dann an den Stamm eines Baumes festgebunden waren. Man hatte das allerdings in einer Weise gethan, daß er sich dabei in einer völlig schmerzlosen und ganz bequemen Lage befand, denn er saß in dem weichen Grase des ebenso weichen Bodens und lehnte mit dem Rücken an dem Baum.

„Sie, Herr Kantor?“ fragte Poller. „Das ist doch sonderbar!“

„Kantor emeritus, wenn ich Sie bitten darf! Es ist sowohl der Vollständigkeit, als auch der Unterscheidung wegen, denn ein Emeritus ist nicht mehr aktiv, Herr Poller.“

„Ihre Lage scheint allerdings eine mehr passive als aktive zu sein. Wie sind Sie denn in diese Passivität geraten?“

„Man hat mich hier angebunden.“

„Das sehe ich. Aber wer?“

„Stone und Parker.“

„Aber die können das doch nicht aus eigenem Antriebe gethan haben!“

„Nein. Old Shatterhand war es, der es ihnen befohlen hat.“

„Warum?“

„Das – – das weiß – – das weiß ich eigentlich gar nicht,“ sagte er, weil er sich doch genierte, den Grund mitzuteilen.

„Aber Old Shatterhand thut doch nie etwas ohne Ursache!“

„Nein; er wird wohl auch hier eine gehabt haben; aber ich kenne sie wirklich nicht. Fragen Sie mich also nicht darnach, sondern schneiden Sie mich lieber los!“

„Das kann nicht so leicht und schnell geschehen, wie Sie denken.“

„Warum?“

„Ich möchte wohl, aber – – – aber ich muß auch wissen, daß es angebracht ist und keinen Schaden macht.“

„Was sollte es denn für Schaden bringen!“

„Das weiß ich nicht; aber Old Shatterhand wird es wissen. Er hat Sie jedenfalls hier anbinden lassen, um Sie an der Ausführung irgend einer Dummheit zu verhindern. Dennoch aber finde ich es sehr unrecht von ihm, Sie hier festknüpfen und in der Wildnis so allein und ohne Schutz zu lassen.“

„Allein? Ich bin nicht allein.“

„Nicht?“

„Nein. Es ist noch jemand da.“

„Wer?“

„Herr Rollins, der Bankier.“

„Der?“ fragte Poller, indem es wie Befriedigung über sein Gesicht ging. „Nur dieser oder noch jemand?“

„Er allein.“

„Auch angebunden?“

„Nein, sondern um mich zu bewachen. Er hat sich selbst dazu angeboten. Ich habe ihn ohne Unterlaß himmelhoch gebeten, mich loszumachen; aber er hat mir meinen Wunsch nicht erfüllt. Er ist ein gefühlloser, grausamer Mensch.“

Diese Ansicht des Kantors war Poller höchst willkommen; darum sagte er, ihn in derselben bestärkend.

„Ja, das war allerdings grausam von ihm und verdient eine sehr nachdrückliche Strafe. Man sollte eigentlich Sie losmachen und ihn dafür anbinden!“

„Ja, das wäre ihm sehr recht! Ich würde mich sehr darüber freuen und ihn auch nicht losbinden, und wenn er mich noch so sehr darum bäte. Ich ließe ihn hängen und ginge fort, um seine Klagen oder Vorwürfe gar nicht zu hören.“

„Wohin würden Sie da gehen?“

„Den andern nach, hinunter nach dem Winterwasser.“

„Ah, die andern sind am Winterwasser?“

„Ja.“

„Was wollen sie dort?“

„Die Nijoras angreifen und gefangen nehmen, die dort auf uns gelauert haben.“

„Ob ihnen das gelingen wird!“

„Gewiß! Old Shatterhand war ganz überzeugt davon und Winnetou auch. Dieser ist während der ganzen Nacht hier gewesen, um die Nijoras zu belauschen. Ich durfte nicht mit, weil sie glaubten, daß ich – daß ich – – hm; darum banden sie mich fest, und der Bankier erbot sich, bei mir zu bleiben, da sonst niemand sich dazu meldete. Er wollte lieber hier sein, als sich in die Gefahr begeben, während des Kampfes von den Wilden entweder blessiert oder gar ermordet zu werden.“

„Das war sehr, sehr klug von ihm. Können Sie vielleicht sagen, ob er mit dem Wolf gesprochen hat?“

„Mit dem Deutschen, der zu den Navajos gehört?“

„Ja,“

„Gewiß hat er mit ihm gesprochen.“

„Was?“

„Verschiedenes. Ich habe nicht aufgemerkt, weil ich meine Gedanken bei meiner Heldenoper haben muß.“

„Wenn Sie das nicht wissen, so haben Sie doch vielleicht erfahren, ob er ihm etwas gegeben hat?“

„Gegeben? Allerdings.“

„Was?“

„Die Anweisung, welche er Ihnen abgenommen hat.“

„So! Wissen Sie das genau?“

„Nein; ich war nicht dabei; aber ich habe es gehört, als sie davon sprachen.“

„Das ist mir lieb. Da befindet sich das Papier nun endlich einmal in den richtigen Händen.“

„Ja. Er wird es sich nicht wieder nehmen lassen.“

„So hat er es wohl vernichtet?“

„O nein. Er will es als Andenken aufbewahren.“

„Das glaube ich, Es wird ein gutes Erinnerungszeichen an die Abenteuer sein, welche er erlebt hat. Er hat es natürlich zu den andern Papieren in die Brieftasche gesteckt?“

„Nein, das hat er nicht gethan, denn er meinte, so eine Anweisung sei ein gefährliches Ding für ihn. Wenn es in falsche Hände gerät und in San Francisco präsentiert wird, so erhält der Betreffende das Geld und Rollins muß es dann einbüßen. Darum hat er das Papier sehr gut versteckt.“

„Versteckt? Hm, was heißt versteckt! Man glaubt zuweilen etwas sehr gut, ganz vorzüglich aufgehoben zu haben, und verliert es doch.“

„Dieser nicht. Er hat es zwischen das Futter seines Rockkragens geschoben. Dort sucht es niemand.“

„Das hat er allerdings schlau angefangen. Aber ich sehe ihn doch nicht. Wo ist er denn?“

„Fort. Er saß drüben am Rande des Gebüsches und sah Sie kommen. Da bekam er Angst und versteckte sich.“

„Erkannte er uns denn?“

„Nein. Sie waren zu weit entfernt. Aber da Sie von dieser Seite kamen und also nicht zu unsern Freunden gehören konnten, hielt er Sie für Feinde, denen man nicht trauen darf. Er wollte sich lieber gar nicht sehen lassen.“

„So ist er also fort und Ihnen ist sein Versteck unbekannt?“

„O, ich kenne es!“

„So sagen Sie es uns, damit wir ihn holen und ihm beweisen können, daß -wir es gut mit ihm und Ihnen meinen!“

„Gut meinen?“ antwortete der Kantor mit dem Bestreben, seinem Gesicht einen pfiffigen, besserwissenden Ausdruck zu geben. „Da denken Sie wohl gar, daß ich Ihren Worten glaube, verehrter Herr Poller?“

„Natürlich.“

„Fällt mir gar nicht ein. Uns Jüngern der Wissenschaft macht man nicht so leicht etwas weiß.“

„Das ist gar nicht meine Absicht. Was ich sage, das ist wahr, ich meine es gut mit ihm und mit Ihnen.“

„Vielleicht mit mir, aber nicht mit ihm!“

„Warum?“

„Weil Sie schlecht an ihm gehandelt haben.“

„Das bildet er sich nur ein.“

„Nein. Das mit der Petroleumquelle ist nicht wahr gewesen. Sie haben ihn um das viele Geld bringen wollen.“

„Unsinn! Wenn er den See genau untersucht, so wird er finden, daß die Quelle wirklich vorhanden ist. Er versteht aber nichts davon und hat sich von andern Leuten gegen uns einnehmen lassen. Wie ehrlich wir sind, können Sie daraus ersehen, daß wir dem Wolf die Quittung gegeben haben, als wir bei den Navajos waren.“

„Hat er sie Ihnen denn nicht abgenommen?“

„Nein. Ein so wertvolles Papier läßt man sich nicht abnehmen. Er hat doch gar nicht gewußt, daß wir es hatten, also müssen wir es ihm doch gesagt haben.“

„Das stimmt allerdings.“

„Darum möchten wir jetzt gern einmal mit ihm sprechen und ihm sagen, was er zu thun hat, wenn er sich je noch in den Besitz der Quelle setzen und ein reicher Mann werden will. Also, wo steckt er?“

„Hm, ich weiß noch nicht recht, ob ich es sagen soll.“

„So behalten Sie es für sich! Uns kann es ja gleich sein. Aber ich dachte, es würde Ihnen Spaß machen, wenn wir ihn an Ihrer Stelle anbänden.“

„Ja, das würde mir Spaß machen, ungeheuren Spaß! Er hätte es verdient, weil er für meine Bitten nur taube Ohren hatte.“

„Und Sie würden dann aus Ihrer Lage befreit!“

„Sonst nicht?“

„Nein.“

„Aber ich habe Sie doch auch befreit, als ich Ihnen mein Federmesser gab! Es würde höchst undankbar von Ihnen sein, wenn Sie mich hier hängen ließen.“

„Das sind zwei sehr verschiedene Fälle. Bei uns handelte es sich um das Loben. Wir waren von den Feinden gefesselt worden. Bei Ihnen aber handelt es sich nur um eine jedenfalls sehr begründete Vorsichtsmaßregel, und Sie sind von Ihren Freunden hier angebunden worden. Wenn ich Sie dadurch von Feinden befreien und vom Tode erretten könnte, würde ich Sie sofort abbinden, so aber werde ich mich hüten, etwas gegen den Willen Old Shatterhands zu thun. Höchstens thäte ich es, um den Bankier an Ihre Stelle zu setzen und ihn also für die Grausamkeit zu bestrafen, welche er Ihnen gegenüber gezeigt hat.“

„Ja, grausam war es, außerordentlich grausam!“

„Und bedenken Sie, welche Scene das für Ihre Oper ergeben würde! Der, welchen Sie vergeblich angefleht haben, muß dann Sie bitten, ihn loszumachen! Das ist die alles bestrafende Gerechtigkeit, auf welche es bei jedem Theaterstücke doch am meisten ankommt.“

„Ja, ja, da haben Sie recht!“ rief der Kantor wie elektrisiert. „Eine Scene für meine Oper, eine prächtige, eine herrliche Scene! Erst flehe ich ihn an; das gibt eine Gnadenarie für Bariton. Er verweigert mir die Erfüllung meiner Bitte im zweiten Baß. Dann wird der Bariton frei und der zweite Baß wird angebunden. Das gibt wieder eine Gnadenarie, auf welche dann ein großes Duett für zweiten Baß und Bariton folgt. Das macht Effekt; das macht Effekt, ungeheuren Effekt! Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie mich hierauf aufmerksam gemacht haben.“

„Soll ich also den Bankier holen und an Ihrer Stelle anbinden?“

„Ja, holen Sie ihn!“

„Wo ist er aber?“

„Er sagte, es gebe hier hinter uns einen schmalen Riß im Felsen des Ufers, der mit Gesträuch überwachsen sei. Dort hinein wollte er sich verstecken.“

„Gut, wir werden den Riß leicht finden; nur muß ich vorher hier meinen Gefährten sagen, um was es sich handelt, und sie fragen, ob sie damit einverstanden sind.“

Er übersetzte ihnen den Inhalt des Gespräches. Sie hätten gar zu gern den Kantor auslachen mögen, hatten aber keine Zeit dazu vor Freude darüber, daß es ihnen so unerwartet gelingen solle, wieder zu der Anweisung zu kommen. Sie hatten auch ganz und gar nichts dagegen, daß der Bankier an des Kantors Stelle angebunden werden solle, denn dem letzteren mußten sie dankbar sein, während sie dem ersteren gern alles Böse gönnten.

Die drei entfernten sich also für kurze Zeit, um nach dem Risse zu suchen; sie fanden ihn unschwer in nicht zu großer Entfernung von dem Baume, an welchem der Kantor hing. Als sie das Gezweig, welches ihn bedeckte, zur Seite schoben, sahen sie Rollins, der mit eng zusammengeschmiegtem Körper in der Spalte steckte. Sie hatten ihre Messer in den Händen, und der Ölprinz sagte in höhnischem Tone:

„Hallo, Mr. Rollins, was thut Ihr in dieser Felsenöffnung? Sucht Ihr vielleicht eine Petroleumquelle da?“

Der Bankier erschrak, als er die drei erkannte. Daß sie die drei Reiter seien, die er gesehen hatte, das hatte er nicht gedacht. Er mußte sich natürlich sagen, daß von diesen Leuten für ihn nichts Gutes zu erwarten sei. Er war kein Held, hätte sich aber gegen einen doch verteidigt; hier standen drei vor ihm, mit Messern in den Händen; er sah ein, daß eine Gegenwehr da seine Lage nur verschlimmern könne.

„Seid doch so gut und kommt heraus!“ forderte ihn der Ölprinz auf. Ihr versäumt ja ganz und gar die Pflicht, zu der Ihr berufen worden seid!“

„Pflicht?“ antwortete er, indem er sich ängstlich und verlegen aus der Spalte hervormachte.

„Ja, Sir. Ihr sollt doch Euern guten Freund, den Kantor, bewachen. Warum seid Ihr davongelaufen?“

„Ich sah drei Reiter kommen, wußte aber nicht, daß ihr es waret.“

„So! Ihr wäret also, wenn Ihr uns erkannt hättet, nicht geflohen?“

„Nein.“

„Freut mich, daß Ihr so große Freundschaft für uns und so großes Vertrauen zu uns hegt! Da Ihr nun wißt, daß wir es sind, so werdet Ihr wohl mit uns zu dem Kantor zurückkehren. Also kommt!“

Sie nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn zu dem Baume. Dort nahm ihm der Ölprinz die beiden Revolver und die Munition ab und sagte:

„Ihr steht unter einem mächtigen Schutze und braucht keine Waffen, während wir verteufelt schlecht bewaffnet sind. Ihr werdet uns also gewiß gern aushelfen. Und nun muß ich Euch etwas recht Lustiges sagen. Ihr habt dem Kantor auf all sein Bitten nicht den Gefallen gethan, ihn loszubinden – – –“

„Das ist mir verboten worden!“ fiel er rasch ein.

„Geht uns nichts an! Er ist natürlich sehr aufgebracht darüber und wünscht, Euch einmal fühlen zu lassen, wie es ist, wenn man an einem Baume hängt. Wir sind gutmütiger als Ihr und werden ihm diesen sehr bescheidenen Wunsch erfüllen.“

„Was meint ihr?“ stotterte er ängstlich hervor. „Was soll das heißen? Wollt ihr etwa – – –?!“

„Euch anbinden? Ja.“

„Hört, das dulde ich nicht, Mesch’schurs!“

Er richtete sich möglichst stramm auf und gab sich Mühe, martialisch auszusehen. Da klopfte der Ölprinz ihm auf die Achsel und sagte lachend:

„Blast Euch nicht unnötig auf, Sir! Wir kennen Euch doch genau! Wir werden Euch anbinden. Wehrt Ihr Euch dagegen, so brauchen wir Gewalt, und Ihr kennt uns gut genug, um zu wissen, daß Ihr dann nicht wohl mit heiler Haut davonkommen werdet. Laßt Ihr es Euch aber gefallen, so reiten wir dann weiter, ohne uns ferner um Euch zu kümmern. Wir wollen dem Kantor den Willen thun, weiter nichts. Wenn wir dann fort sind, kann er Euch wieder losmachen. Also, was sagt Ihr zu der Sache?“

Er nahm eine drohende Haltung an und spielte mit seinem Messer. Buttler und Poller folgten diesem seinem Beispiele. Dem Bankier wurde es himmelangst. Daß er von diesen Leuten keine Schonung zu erwarten habe, das wußte er. Sein Stolz fühlte sich beleidigt; er, der Bankier, der Gentleman, sollte sich vor diesen Mördern und Betrügern demütigen; das ging ihm gegen den Strich, doch dachte er mit keinem Gedanken daran, sich zu weigern und ihnen Widerstand zu leisten. Am besten war es, klug zu sein und ihnen den Willen zu thun. Sie wollten ihn ja nur anbinden und dann fortgehen. Waren sie fort, so konnte der Kantor ihn sofort wieder freimachen. Darum zwang er seinen Grimm hinunter und sagte in einem Tone, als ob es ihm gar nicht schwer falle, auf den Scherz einzugehen:

„Was ich dazu sage? Nichts. Ob ich da an diesem Baume sitze oder anderswo, das ist mir gleich. Wenn es euch Spaß macht, diesem verrückten Menschen seinen noch verrückteren Wunsch zu erfüllen, so thut es. Mir fällt es nicht ein, mich deshalb mit euch herumzubalgen.“

„Das ist sehr verständig, höchst verständig von Euch,“ grinste ihn der Ölprinz an. „Es ist allerdings eine ganz und gar verrückte Idee von ihm. Er hat sich über Euch geärgert und will Euch zur Strafe dafür am Baume sehen; das ist die Sache. Wir haben versprochen, ihm den Willen zu thun, und wenn wir es thun, so geschieht es nur der Form wegen und für ganz kurze Zeit. Mag also jetzt der Spaß beginnen!“

Er band den Kantor los. Rollins trat an den Baum, hielt seine Hände hin und sagte:

„Da, macht euch das billige Vergnügen, Mesch’schurs!“

Er hatte natürlich geglaubt, daß man ihn ebenso leicht binden werde, wie der Kantor gebunden gewesen war; aber er sollte sofort einsehen, wie groß sein Irrtum gewesen war. Poller ergriff ihn beim rechten und Buttler beim linken Arme. Sie rissen ihn mit einem so rücksichtslosen Ruck mit dem Rücken an den Baum, daß er laut aufschrie, und legten seine Arme rückwärts an den Stamm. Während sie sie da festhielten, band ihm der Ölprinz die Hände zusammen und antwortete:

„Ja, Mr. Rollins, das billige Vergnügen beginnt; aber Euch kann es leicht sehr teuer zu stehen kommen.“

Thunderstorm!“ fluchte der Bankier. „Was fällt euch denn ein? So haben wir nicht gewettet!“

„Ihr nicht, aber wir!“

„Ihr renkt mir ja alle Glieder aus!“

„Kann Euch gar nichts schaden; aber es wird gar nicht lange dauern. Wartet nur einen Augenblick und haltet den Kopf still, sonst schneide ich Euch die Ohren mit herunter!“

Er trennte ihm, der sich nun nicht zu wehren vermochte, auch wenn er es gewollt hätte, mit zwei, drei raschen Messerschnitten den Kragen vom Rocke.

„Sir, was thut Ihr da hinter mir?“ fuhr Rollins auf. „Ich glaube gar, Ihr schneidet da an mir herum!“

„Ja, das thue ich allerdings,“ lachte der Ölprinz; „aber es geht Euch nicht an das Leben, sondern nur einstweilen an den Kragen.“

Er trat vor ihn hin und hielt ihm den abgeschnittenen Teil des Rockes vor das Gesicht.

„Mein – – mein – – mein Kragen!“ schrie der Bankier auf, indem ihm alles Blut aus dem Gesichte wich.

„Kragen? O nein! Ihr haltet das für einen Rockkragen? Das ist ein großer Irrtum von Euch. Ich sage Euch, daß ich hier eine ganz neumodische Tasche für Wertpapiere in meinen Händen halte.“

„Tasche – –Wertpapiere – – –“ stammelte der Getäuschte. „Was – was – – was meint Ihr damit?“

„Werde es Euch augenblicklich zeigen.“

Er griff zwischen das Futter des Kragens, zog ein Papier hervor, faltete es auseinander, warf einen Blick darauf, hielt es dann dem Bankier vor das Gesicht und fuhr in triumphierendem Tone fort:

„Hier ist der Inhalt dieser prächtigen Tasche. Hoffentlich kennt Ihr das Papier. Es sollte für Euch ein Andenken sein, aber ich denke, daß ich es weit besser in Ehren zu halten verstehe als Ihr. So eine Schrift steckt man doch nicht in den Rockkragen, sondern man schafft sie hinunter nach Frisco, um sie dort mit gutem, klingendem Golde zu vertauschen.“

„Ihr seid ein Schurke, ein Räuber, ein – ein – ein – –“

Die Wut erstickte seine Stimme, so daß er kein Wort weiter hervorbrachte. Seine Lippen färbten sich blau und seine Augen wollten aus ihren Höhlen treten. Er wollte sich von dem Baume losreißen; dabei schnitt ihm aber der Riemen so in das Fleisch, daß er einen gellenden Schmerzensschrei ausstieß.

„Seid still; beruhigt Euch l“ hohnlachte der Ölprinz. „Ich nehme mir nur zurück, was man mir unrechtmäßigerweise vorenthalten hat. Ihr seid überlistet, Sir. Gebt Euch keine Mühe, ohne Hilfe vom Baume loszukommen; Ihr verursacht Euch dadurch nur Schmerzen.“

Rollins konnte nur mit einem ohnmächtigen Zähneknirschen antworten. Der Kantor war bis jetzt ein stiller Zeuge des Vorganges gewesen; jetzt hielt er es für geraten, sich ins Mittel zu legen. Er sagte in seinem höflichsten Tone:

„Meine verehrtesten Herren, ich muß Sie unbedingt bitten, mir zu sagen, warum Sie diesem Herrn den Kragen vom Rocke geschnitten haben!“

„Weil er nicht an den Rock gehört,“ antwortete Poller lachend.

„Oho! Dieser Kragen ist Herrn Rollins Eigentum; er kann ihn also da tragen, wo es ihm beliebt, sogar am Rocke!“

„Es ist ja gar kein Kragen, sondern ein Portefeuille für Wertsachen!“

„So? Und wo pflegt man denn so ein Ding hinzustecken?“

An die Tasche.“

„Gut, so stecken Sie es ihm in die Rocktasche.“

„Diesen Gefallen will ich Ihnen sehr gern erweisen.“

Er nahm dem Ölprinzen den ausgeplünderten Kragen aus der Hand und schob ihn dem Bankier in die erwähnte Tasche.

„Auch das Papier mit!“ befahl der Kantor.

„Nein, das werde ich freilich nicht thun. Dieses Papier gehört Mr. Grinley; er wird es also behalten.“

„Es gehört ihm nicht. Sie haben mir ja vorhin gesagt, daß Sie es bei den Navajos freiwillig herausgegeben haben!“

„Ja. Und nun nehmen wir es ebenso freiwillig wieder.“

„Da sind Sie doch Spitzbuben!“

„Ja, das sind wir allerdings, Herr Kantor.“

„Bitte, Herr Kantor emeritus. Es ist das eine ganz notwendige Bezeichnung, auf welcher ich bestehen muß, Sie wollen das Papier also wirklich entwenden?“

„Ja.“

„Dann sind Sie gar nicht wert, daß ein jünger der Kunst, wie ich bin, noch ein Wort mit Ihnen spricht. Machen Sie also, daß Sie fortkommen!“

„Diesen Wunsch werden wir Ihnen sogleich erfüllen, mein lieber Herr Kantor emeritus.“

„So ist’s recht! Man muß die Leute nur immer auf die richtige Ausdrucksweise aufmerksam machen, dann merken sie sich’s endlich doch einmal.“

„Das ist wahr, und ich will nur wünschen, daß Sie für die beiden Gnadenarien und das Duett, welches Sie komponieren wollen, die richtige Ausdrucksweise ebenso finden mögen.“

„O, was das betrifft, so ist das über allem Zweifel erhaben.“

„So sind wir alle außer dem Bankier zufriedengestellt. Leben Sie wohl!“

„Leben Sie wohl, meine Herren!“

Er machte eine Verbeugung. Die drei Räuber gingen hinaus zu ihren Pferden, stiegen auf und ritten davon, sehr zufrieden mit dem Erfolge dieser letzten halben Stunde.

Der Kantor setzte sich nun dem Bankier gegenüber und musterte ihn mit sehr zufriedenen Blicken. Es war ja sein Wunsch erfüllt: er war frei und der andre hing an dem Baume.

Rollins konnte ein solches Verhalten nicht begreifen; es erfüllte ihn mit Wut, und darum schrie er zornig auf ihn ein, indem er ihn in den drohendsten Ausdrücken aufforderte, ihn augenblicklich loszumachen. Dies that er in englischer Sprache, welche der Kantor leider nicht verstand. Vorher hatte dieser letztere, als er noch am Baume hing, dieselbe Bitte mit ganz demselben Mißerfolge wohl hundertmal ausgesprochen, aber in deutscher Sprache, welche dem Bankier unverständlich war. Dieser hatte geglaubt, der Kantor räsonniere auf Old Shatterhand und die beiden Personen, die ihn angebunden hatten. Es war verboten worden, ihn loszubinden, und darum hatte Rollins nicht angenommen, daß er los wolle; der Emeritus aber hatte geglaubt, der andre wolle ihn nicht aus seiner Lage befreien; daher vorhin sein Ärger über ihn und daher jetzt die Ruhe, mit welcher er das Geschrei anhörte und die Anstrengungen ansah, welche Rollins machte, um vom Baume loszukommen.

Während dieser alle möglichen englischen Schimpfwörter herwetterte, saß der Komponist ihm gegenüber, um ihn zu studieren, und pfiff dabei eine Melodie durch die Zähne, aus welcher sich eine Gnadenarie entwickeln sollte. Der Bankier schäumte fast vor Wut über sein Gegenüber und verwünschte es tausendmal, daß er sich angeboten hatte, bei ihm zu bleiben. Dann, als sein Grimm den höchsten Grad erreicht hatte, trat auf diese Aufregung eine plötzliche große Abspannung ein. Die Folge derselben war, daß er ruhiger zu überlegen vermochte. Er hatte von seinem Buchhalter Baumgarten einige deutsche Brocken profitiert, und der Kantor hatte sich, wie er wußte, auch einige englische Ausdrücke gemerkt. Sollte es denn nicht möglich sein, auf Grund dieser freilich geringen Kenntnisse zu einer Verständigung zu kommen? Er versuchte es und begann:

„Mr. Kantor, to unbind, unbind!“

„Kantor emeritus, bitte!“ war die Antwort.

Unbind, unbind!“

„Umbinden?“ fragte der Kantor. „Sie wollen etwas umgebunden haben? Was denn?“

Er wußte nicht, daß unbind so viel wie losbinden bedeutet. So ging es wohl eine Viertelstunde lang zwischen ihnen herüber und hinüber. Erstens verstand der Kantor den Bankier nicht und zweitens sah er nicht ein, warum derjenige, der ihn am Baum hatte hängen lassen, nicht auch ein wenig an demselben hängen solle. Dann siegte aber seine Gutmütigkeit. Er ging, als Rollins seine schmerzhaften Bestrebungen, sich loszureißen, erneuerte, zu ihm hin und löste mit größter Mühe die absichtlich sehr fest geschlungenen Knoten auf. Er glaubte, nun ein freundliches Wort des Dankes zu hören, hatte sich da aber sehr geirrt. Rollins streckte seine Glieder und versetzte dann dem Emeritus einen Faustschlag gegen den Kopf, daß der Getroffene taumelte und dann in ein Gebüsch stürzte; dann band er sein Pferd los, setzte sich auf und ritt davon, nach Westen zu, wo er die Gefährten wußte.

Der Kantor raffte sich langsam auf, befühlte die getroffene Stelle seines Kopfes und sagte:

„Dankbarkeit ist eine seltene Tugend; das weiß ich freilich wohl; aber daß man für seinen guten Willen und für einen solchen Dienst eine solche Kopfnuß erhält, das geht doch eigentlich über die Schnur. Der Mann ist Bankier, will also jedenfalls als gebildeter Mann gelten; aber ich sehe hier wieder einmal ein, daß die wahre und echte Bildung doch nur bei den Jüngern der Kunst zu finden ist. Mein Kopf brummt mir, als wenn zehn Gnadenarien, von lauter zweiten Bässen gesungen, auf einmal drin ertönten! Nun ist er fort. Was soll ich hier allein? Soll ich etwa warten, bis noch andre Spitzbuben kommen, die nachher auch noch mich bestehlen? Nein; da reite ich ihm lieber nach.“

Er holte sein Pferd auch aus dem Gebüsch, kletterte hinauf und ritt davon, gen Westen, wohin die Fährte der Weißen und der Navajos führte.

Wie war es aber denn eigentlich gekommen, daß der gute Kantor zurückgelassen und sogar angebunden worden war?

Zunächst war es wohl kein Wunder, wenn er von allen seinen Gefährten als sogenanntes Schreckenskind betrachtet wurde. Er machte alles verkehrt, brachte Wirrnis in die größte Ordnung und hatte nicht nur der Gesellschaft schon oft die größten Verlegenheiten bereitet, sondern für sie sogar Gefahren heraufbeschworen, denen man nur mit Mühe und Not entkommen war. Sein gestriger Streich, als er des Nachts am Flusse die Stimmen des Orchesters erklingen ließ, hatte glücklicherweise keine üblen Folgen gehabt; aber Old Shatterhand war willens, so etwas nicht wieder vorkommen zu lassen, und hatte ihm darum mit Anbinden gedroht. Diese Strafe war schon früher einmal, und zwar durch Sam Hawkens, über den Emeritus verhängt worden. Man hatte ihn samt seinem Pferde hinten an einen Wagen angebunden.

Heut früh nun hatte er sich kurz nach dem Aufbruche an den Hobble-Frank gemacht und ihn gefragt:

„Herr Franke, Sie wissen wohl genau, wohin wir reiten?“

„Ja,“ antwortete dieser.

„Ich nicht. Wissen Sie, ich mußte so lange bei den Indianern bleiben, und als ich nachher in unser Lager kam, war die Beratung eigentlich schon vorüber, und auf das, was gesprochen wurde, habe ich in meinem Zorne nicht geachtet. Wenn Sie bedenken, wie man mir mitgespielt hat, werden Sie einsehen, daß ich sehr viel Veranlassung zum Zorne hatte.“

„Nee, das sehe ich nich ein.“

„Nicht? Ich habe Sie doch immer für einen verständigen und ernstlich denkenden Menschen gehalten!“

„Das bin ich ooch, und ich wollte es niemand raten, etwa das Gegenteel zu denken!“

„Aber da müssen Sie doch einsehen, daß ich gar nichts Unrechtes gethan habe!“

„Nischt Unrechtes? Na, der Ausdruck is eegentlich noch viel zu zahm für das, was Sie gethan haben.“

„Wie, zu zahm? So geben also auch Sie mir unrecht?“

„Natürlich! Man schtellt sich doch nich des Nachts, wo alle Schtimmen schweigen, mitten in den wilden Westen hinein, um mit allen möglichen musikalischen und fraktionellen Inschtrumenten zu trillern und zu piepen, daß man es schtundenweit hören kann. Das hätte uns alle möglichen Feinde auf den Hals bringen können.“

„Es waren aber doch keine da!“

„Das wußten Sie nich. Und die Nijoras, zu denen wir jetzt wollen, konnten ebensogut in unsrer Nähe liegen, wie die Navajos, von denen wir glücklicherweise nichts zu fürchten hatten.“

„Also gegen die Nijoras geht es jetzt? Das war es, was ich jetzt von Ihnen wissen wollte. Wie es den Anschein hat, sollen sie von uns überfallen werden?“

„Ja.“

„Das freut mich sehr; das freut mich ungemein!“

„Warum?“

„Darnach brauchen Sie doch gar nicht erst zu fragen. Sie wissen doch wohl, daß ich eine zwölfaktige Heldenoper komponieren will!“

„Ja; es is mir ganz so, als ob Sie schon eenmal von so etwas geschprochen hätten.“

„Jedenfalls habe ich es Ihnen schon gesagt. Ich habe hier nun die Helden gefunden, die ich dazu brauche; aber in ihrer Thätigkeit habe ich sie eigentlich noch nicht gesehen.“

„Nich? Na, ich dächte doch, daß bisher schon genug geleistet worden is, was andre Leute nich gleich fertig bringen würden. Wir sind ja gradezu immer aus dem eenen Abenteuer in das andre geflogen!“

„Das gebe ich ja ganz gern zu; aber das, wobei das Heldenturn sich in seiner vollsten Glorie zeigen kann, hat es noch nicht gegeben.“

„Was wäre das?“

„Eine Schlacht, ein allgemeiner Kampf, wo Mann gegen Mann zu stehen hat und der Held einen Feind nach dem andern niederschlägt, wissen Sie, so ungefähr wie Roland bei Roncesvalles.“

„Roland? Da irren Sie sich sehr wahrscheinlich.“

„Inwiefern?“

„Das is doch nich Roland, sondern Iffland gewesen.“

„Iffland? Nein, liebster Herr Frank, das ist unmöglich, vollständig unmöglich.“

„Vollschtändig unmöglich? Warum denn, he?“

„Erstens weil Iffland damals noch nicht gelebt hat.“

„So, so! Sehn Sie doch mal an, was Sie da nich alles wissen! Also das war erschtens. Und zweetens?“

„Zweitens ist, so viel ich mich erinnere, Iffland gar kein Held, sondern ein Schauspieler und Theaterdichter gewesen. Wie kann er da zur Zeit Karls des Großen im Thale von Roncesvalles gekämpft haben!“

Da machte Frank sein grimmigstes Gesicht und fragte:

„Wollen Sie etwa das, was ich gesagt habe, dekonfektionieren? Da kommen Sie bei mir an den Falschen. Ihren großen Karl kenne ich viel besser als Sie. Er is der erschte Kaiser von Deutschland gewesen und hat eene runde Tafel voll lauter Ritter gehabt. Iffland war der berühmteste davon und is dort im Thale von Roncesvalles mitten im Kampfe an den Masern geschtorben. Allerdings hatte Karl der Große ooch eenen Theaterdichter; der hat aber nich Iffland, sondern Uhland geheeßen und außer andern schönen Sachen ooch den berühmten Löwenritt von Freiligrath gedichtet. Haben Sie das begriffen?“

Der Kantor sah den Kleinen erstaunt an; er öffnete den Mund, um zu antworten, brachte ihn aber nicht wieder zu.

„Ja, sehn Sie, da schperren Sie den Mund auf über meine Gelehrsamkeet! Machen Sie ihn nur wieder zu und schweigen Sie! Es scheint gar, nach Ihrem Gesichte zu urteelen, als ob Sie mir widerschprechen wollten. Das lassen Sie aber ja bleiben, denn Widerschpruch vertrage ich partuhmang nich. Reden wir also von was andrem! Sie wollten, wie es scheint, gern eener Schlacht beiwohnen?“

Der Kantor hätte sich gern noch weiter über Roland, Iffland und Uhland mit ihm gestritten; aber er wollte Frank bei guter Laune erhalten; darum ließ er dieses Thema fallen und antwortete:

„Ja, ich möchte einen wirklichen, blutigen Kampf erleben.“

„Warum denn das? So etwas is gefährlich und man soll es sich also gar nich wünschen.“

„Aber ich brauche es für meine Oper. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß es in einer Heldenoper nicht ohne Kampf abgehen kann!“

„Das is doch nur off der Bühne, und Sie brauchen sich doch nich derohalben eenen wirklichen Kampf, een wirkliches Blutvergießen zu wünschen.“

„O doch! Wenn man so etwas wirklich gesehen und miterlebt hat, kann man es viel besser komponieren. Das Getöse des Kampfes, das Schreien und Heulen, das Knattern der Gewehre, das Krachen der Schüsse, das alles läßt sich nur dann richtig durch Töne wiedergeben, wenn man es selbst gehört hat.“

„Aber es kann Ihnen Ihr Leben kosten und dann is ooch Ihre ganze schöne Oper futsch!“

„Glauben Sie das ja nicht! Wir Komponisten stehen unter dem ganz besondern Schutze der Musen; uns kann nichts passieren. Oder haben Sie einmal gehört, daß ein berühmter Komponist von den Indianern erstochen oder erschossen worden sei?“

„Nee, das nich.“

„Also! Ich befinde mich nicht in der geringsten Gefahr, wenn sich mein Wunsch erfüllt; darauf können Sie sich verlassen. Denken Sie, daß es heute zu einem Kampfe kommen wird?“

„Hm! Wenn alles so klappt, wie Old Shatterhand und Winnetou beschprochen haben, so loofen uns die Feinde in die Hände, ohne daß een Schuß dabei zu fallen braucht. Wenn es aber andersch wird, da freilich kann es sehr schlimm ausfallen.“

„Wie denn anders?“

„Ja. da können verschiedene Fälle eintreten. Man weeß ja im voraus nie, was alles geschehen kann. So zum Beischpiel brauchen die Nijoras nur zu merken, daß die Navajos in dem Hinterhalte liegen, so geht der Krawall los.“

„Wie sollten sie das merken?“

„Off irgend eene Weise. Een Dummer fragt doch immer mehr, als was een Gescheiter beantworten kann! Ich sage ja, daß man vorher nicht wissen kann, was geschieht. So darf zum Beischpiel Ihr Pferd, wenn wir an die Furt kommen, es sich nur in den Kopf setzen, nach links anstatt nach rechts zu loofen, so is schon alles verraten.“

Der Hobble-Frank hatte es halb ironisch und halb scherzhaft gemeint; aber über das Gesicht des Kantors ging ein Zug hoher Befriedigung und er fragte:

„Also nach links anstatt nach rechts? Habe ich das richtig verstanden? ja?“

Er nickte vergnügt vor sich hin, und der Hobble ahnte nicht, auf was für einen gefährlichen Gedanken er den kampfbegierigen Kantor gebracht hatte. Dieser war nämlich entschlossen, dem ihm so unabsichtlich erteilten Winke zu folgen und in der Furt nach links abzubiegen. Er dachte zwar ein wenig an die Verantwortlichkeit, die er dadurch auf sich lud, doch mehr noch an die Vorteile, die er in künstlerischer Beziehung aus einem Kampfe ziehen zu können glaubte. Dabei sagte er sich bei aller Unvorsichtigkeit, daß ihm die denkbar größten Vorwürfe gemacht werden würden, und da kam er auf den Gedanken, es so einzurichten, daß sie ihn nicht allein treffen könnten. Er mußte einen Mitschuldigen oder eine Mitschuldige haben und ersah sich dazu Frau Rosalie aus, weil er hoffte, daß diese energische Frau sich und ihn schon herausbeißen werde. Darum lenkte er während des Rittes sein Pferd neben das ihrige und sagte:

„Haben Sie keine Angst vor dem, was nun bald geschehen wird, Frau Ebersbach?“

„Angst?“ antwortete sie. „Vor wem sollte ich denn Angst haben?“

„Vor den Nijoras.“

„I was Sie nich denken! Ich habe mein Lebtage vor keener Mannsperson Angst gehabt, und vor diesen roten Affen, da fällt es mir erscht recht nich ein.“

„Aber es wird höchst wahrscheinlich zum Kampfe kommen!“

„Das gloobe ich nich; Old Shatterhand hat gesagt, daß es heute ohne Blutvergießen abloofen wird, und wenn der was sagt, da beißt keene Maus keenen Faden davon ab!“

„Aber die Nijoras werden sich hüten, so gutwillig in die Falle zu gehen, welche ihnen gestellt werden soll. Sie wehren sich ganz gewiß, und dann ist es sicher, daß die Kugeln pfeifen werden.“

„So pfeife ich ooch mit. Es is manchmal gar nich übel, wenn so een bißchen gepfiffen wird.“

„Ich warne Sie, Frau Ebersbach, die Gefahr, der wir entgegengehen, nicht leicht zu nehmen. Seien Sie klug und machen Sie es so, wie ich es machen werde!“

„So? Und wie werden Sie es denn machen?“

„Ich werde abseits gehen.“

„Ah! Sie wollen sich off die grüne Seite schwenken?“

„Ja.“

„Wann denn und wo denn?“

„Wenn wir an das Winterwasser kommen werden. Da reite ich links ab.“

„Aber Sie haben doch gehört, daß wir rechts hinunter nach dem Flusse reiten wollen!“

„Das ist richtig; ich lenke aber nach links, wo die Navajos halten werden. Da bin ich in Sicherheit.“

„In Sicherheet! Sie wollen also Ihren unschterblichen Leichnam in Sicherheet bringen?“

„Ja! Wollen Sie nun mitmachen?“

„Nee, das thue ich nich. Und Sie werden es ooch bleiben lassen!“

„Nein, ich thue es.“

„Das is aber doch ganz gegen den Willen Old Shatterhands!“

„Mag es! Ich bin ein freier Mann und kann machen, was ich will.“

„Nee, das können Sie nich! Sie sind keen freier Mann. Solange Sie sich bei uns befinden, haben Sie sich nach uns zu richten.“

„Ich werde es dennoch thun!“ sagte er in sehr bestimmtem Tone, weil er sich über die resolute Weise der Frau Rosalie ärgerte. „Nun grad erst recht!“

„Nee, nun grad erscht recht werden Sie es nich thun.“

„Glauben Sie wirklich, daß Sie mir irgend etwas verbieten können, Frau Ebersbach?“

„Ja, das gloobe ich, das gloobe ich sogar sehr!“

„Fällt keinem Menschen ein!“

„Es fällt mir ein und das ist vollschtändig genug. Ich will nich, daß Sie Ihren Vorsatz ausführen, und nach diesem meinen Willen haben Sie sich zu richten.“

„Oho!“ rief er zornig.

„Oho? Hier wird gar nischt oho! Wenn Sie nich wollen, wie ich will, so werde ich meinen Worten Nachdruck geben! Was Sie vorhaben, kann uns sehr leicht in Schaden bringen.“

„Möchte wissen, auf welche Weise! Ich habe mir vorgenommen, links zu reiten, und werde meinen Willen durchsetzen.“

„I, was Se nich sagen! Erschtens dürfen Sie überhaupt keenen Willen haben, und zweetens dürfen Sie ihn nachher, wenn Sie ihn nich haben, ooch nich durchsetzen. Wissen Sie, ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern und weeß, was ich zu thun .habe. Ich lasse mir Ihretwegen nich von den feindlichen Indianern off den Kopp herumtrommeln. Sie werden gleich erfahren, daß und wie ich mich zu benehmen weeß!“

Der Zug hielt in diesem Augenblicke an, denn Winnetou war aus dem Gesträuch getreten. Er kam auf Old Shatterhand und den Häuptling der Navajos zu und meldete:

„Die Nijoras sind bei ihrem Plane geblieben und haben ihre Stellung nicht verändert. Meine Brüder können also das ausführen, was ich gestern mit Old Shatterhand besprochen habe. Es ist nur eine kleine Änderung, welche ich für nötig halte.“

„Welche?“ fragte Old Shatterhand.

„Wir haben uns entschlossen, hinab in die ausgetrocknete Furt zu reiten; die Krieger der Navajos haben sich dann uns zur linken Hand versteckt, und wir wenden uns in dem trockenen Winterwasserbette nach rechts, bis wir den Fluß erreichen. Dann kommen die Nijoras herab, um uns zu überfallen, und da sollen sie von den Navajos im Rücken angegriffen werden. Meine weißen Brüder und Schwestern werden sich nicht fürchten, und ich zweifle auch ganz und gar nicht daran, daß alles so gehen wird, wie wir gedacht haben; aber es ist dennoch nötig, an alles zu denken und keine Vorsicht zu versäumen. Es soll kein Blut fließen; aber wenn die Nijoras nur uns vor sich sehen, ist es möglich, daß sie glauben, uns überwältigen zu können. Wir sind nur wenige Männer und werden trotzdem den ersten Stoß aushalten; aber wenn die Nijoras schießen, werden sie doch einige von uns verwunden oder gar töten. Darum ist es nötig, zu verhüten, daß sie überhaupt von ihren Gewehren Gebrauch machen. Mein Bruder Old Shatterhand wird wissen, wie wir das am besten und sichersten erreichen können.“

„Dadurch, daß wir ihnen gleich im ersten Augenblicke zeigen, daß sie verloren wären, wenn sie es zum Kampfe kommen lassen,“ antwortete der Genannte.

„Und wie zeigen wir ihnen das? Sie sehen nicht die vielen Navajos hinter sich, sondern nur die weißen Männer und Frauen vor sich.“

„Wir müßten vom bei uns auch Navajos haben.“

„Das ist es, was ich meine,“ nickte der Häuptling der Apachen.

„Aber wir dürfen sie nicht mitbringen; sie dürfen nicht mit uns kommen!“

„Nein.“

„Sondern sie müssen schon vorher am Platze sein, ohne aber von den Nijoras gesehen zu werden.“

„Mein weißer Bruder hat ganz meine Gedanken.“

„Es ist sehr leicht zu erraten, was mein roter Bruder meint. Die Nijoras zählen dreihundert Krieger, während wir sechshundert haben. Es genügt, wenn wir ihnen fünfhundert in den Rücken schicken; die übrigen hundert müssen hier vom hohen Ufer hinab zum Flusse steigen und sich da unten abwärts schleichen, bis sie in die Nähe der Mündung des Winterwassers gekommen sind. Dort verbergen sie sich im Gesträuch und warten, bis wir kommen. Sobald wir anlangen und die Nijoras sich auf uns werfen wollen, treten diese hundert Krieger aus ihrem Verstecke hervor und gesellen sich uns zu. Das wird die beabsichtigte Wirkung haben, denn die Feinde werden stutzen, und dadurch bekommt unser Hinterhalt von fünfhundert Mann Zeit, ihnen in den Rücken zu kommen.“

„So ist es. Ich stimme ganz den Worten Old Shatterhands bei. Nitsas-Ini, der tapfere Häuptling der Navajos, mag die Hundert von seinen Kriegern auswählen, damit sie sich jetzt entfernen, um die Mündung des Winterwassers heimlich zu erreichen. Dann reiten die Fünfhundert auch fort, und sobald wir annehmen können, daß sie sich in ihrem Hinterhalte befinden, brechen wir auch von hier auf.“

So geschah es. Es wurden hundert Navajos abgezählt, welche in das Ufergebüsch eindrangen, um zum Flusse hinabzusteigen. Dabei konnten sie natürlich ihre Pferde nicht mitnehmen; diese mußten vielmehr von den andern mitgeführt werden. Als sie fort waren, machten sich auch die Fünfhundert auf den Weg.

Als auf diese Weise die Navajos alle fort waren, erklärte Old Shatterhand den deutschen Auswanderern den Plan noch einmal in ihrer Muttersprache, weil vorhin englisch gesprochen worden war. Er bat sie, keine Sorge zu haben, da alles gutgehen werde, und ermahnte sie dringend, ja recht vorsichtig zu sein und nichts zu thun, was das Gelingen des Planes in Frage stellen könne. Da sagte Frau Rosalie zu ihm:

„Wir andern werden ganz gewiß keenen Fehler machen; aber ich weeß eenen, der sich fest vorgenommen hat, eene große Dummheet zu begehen.“

„Wer ist das?“

„Wer das is? Da fragen Sie ooch noch darnach? Wenn von Dummheeten die Rede is, so können Sie es sich doch gleich denken, wen ich meene, den Kantor natürlich. Er hat mich zu derselben Dummheit überreden wollen; er will nämlich, wenn wir nach dem Winterwasser kommen, links abschwenken.“

„Alle Donner! Das könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen! Das ist wirklich sein Plan?“

„Eben hat er es mir gesagt. Ich habe ihn gewarnt; aber er schnauzte mich grob an und meinte, es hätte ihm keen Mensch was zu befehlen. Er is ganz des Teufels droff, seinen Willen durchzusetzen.“

„Das müssen wir uns doch sehr streng verbitten! Ist das wahr, was Frau Ebersbach jetzt von Ihnen gesagt hat?“

Diese Frage war an den Kantor gerichtet.

„Ja,“ antwortete er, da er es doch nicht leugnen konnte.

„Sie wollen also, ohne mich zu fragen, eine andre Richtung einschlagen?“

„Ja.“

„Weshalb?“

Der Kantor schwieg.

„Reden Sie!“

Diese Aufforderung war im allerstrengsten Tone gesprochen. Der Kantor ärgerte sich darüber und antwortete wieder nicht. Da fuhr ihn Old Shatterhand zornig an:

„Wenn Sie nicht reden wollen, werde ich ihnen den Mund öffnen. Es handelt sich hier um unser Leben. Also, was ist der Grund Ihrer Absicht?“

„Meine Oper,“ stieß der Gefragte hervor.

„Ihre Oper! Wir sollen also abermals nur Ihres verrückten Hirngespinstes wegen in Gefahr gebracht werden! Inwiefern ist denn diese berühmte Oper der Grund zu dem, was Sie thun wollen?“

Wieder wollte der Kantor nicht mit der Sprache heraus. Da legte sich der Hobble-Frank ins Mittel, indem er sagte:

„Ich weeß es, was für eene vorhandene Absicht im Grund- und Hypothekenbuche seines Vorhabens verzeichnet is.“

„Nun, welche?“

„Ich habe vorhin mit ihm geschprochen und ziehe aus dem, was er gesagt hat, die Divisionsklausel, daß er für seine Oper eene Kampfesscene braucht.“

„Ah so! Und da will er gerade das herbeiführen, was wir vermeiden wollen?“

„So is es. Er will nach links, damit die Nijoras unsern Hinterhalt sehen sollen.“

„Sollte man so etwas für möglich halten! Das ist nicht eine Verrücktheit, sondern gradezu ein Verbrechen! Was thut man nur mit einem solchen Manne? Wollen Sie mir sofort versprechen, von Ihrem Vorhaben abzuweichen, Sie unbegreifliches Menschenkind!“

Der Kantor brauchte nur mit ja zu antworten, so war alles gut. Aber er hatte zu Frau Rosalie behauptet, daß er seinen Willen durchsetzen werde, und wollte sich nun ihr gegenüber nicht blamieren. Darum beantwortete er die Aufforderung Old Shatterhands wieder mit einem Schweigen. Dieser fuhr also in erhobenem Tone fort:

„Ich frage Sie, ob Sie mir jetzt versprechen wollen, Ihre Absicht aufzugeben!“

Abermals keine Antwort.

„Gut!“ meinte Old Shatterhand. „So werde ich dafür sorgen, daß Sie uns nicht schaden können. Sie dürfen nicht mit; Sie bleiben hier an dieser Stelle.“

Das empörte den Zukunftskomponisten außerordentlich. Er bekam die Sprache wieder und antwortete:

„Das lass’ich mir nicht gefallen, Herr Shatterhand. Ich bin kein Soldat oder Rekrut, der sich andonnern lassen und gehorchen muß!“

„Sie werden gehorchen. Sie bleiben hier und ich lass‘ jemand bei Ihnen, der Sie beaufsichtigen muß.“

„Dem gehe ich durch!“

„Schön! So werde ich also die Drohung wahr machen, welche ich Ihnen schon ausgesprochen habe. Ich binde Sie an. Steigen Sie vom Pferde!“

Old Shatterhand stieg selbst aus dem Sattel und faßte, als der Kantor sich weigerte, dies auch zu thun, ihn beim Leibe und zog ihn herab. Er wurde nach dem Gebüsch geschafft und dort an den Baum gebunden. Sein Widerstand fruchtete nichts. Nun handelte es sich darum, wer bei ihm bleiben sollte. Der Bankier bot sich an, denn der Gedanke, von den Nijoras überfallen zu -werden, hatte für ihn nichts Behagliches. Old Shatterhand war damit einverstanden, schärfte ihm aber ein, den Kantor nicht etwa, falls er gute Worte geben sollte, loszubinden; es solle später ein Bote geschickt werden, um die beiden nachzuholen.

Bis jetzt hatte man die fünfhundert Navajos, welche nach Süden geritten waren, noch reiten sehen; nun aber verschwanden sie am Horizonte und es war anzunehmen, daß sie nach kurzer Zeit ihr Ziel erreichen würden. Darum gab Old Shatterhand den Befehl, nun den unterbrochenen Ritt fortzusetzen.

Es war wirklich ein großes Vertrauen, weiches ihm und Winnetou von den Deutschen geschenkt wurde. Diese letzteren gingen einer Schar wilder, feindlicher Indianer entgegen, ohne um sich, um ihre Frauen und Kinder besorgt zu sein. Das war natürlich nur die Folge des Eindruckes oder Einflusses, welchen diese beiden Männer auf sie ausübten. In der Nähe des Apachen und seines weißen Bruders konnte eben keine Furcht aufkommen.

Old Shatterhand ermahnte alle, sich ein möglichst unbefangenes Aussehen zu geben und ja nicht etwa forschende oder gar ängstliche Blicke nach der Gegend zu werfen, von welcher man wußte, daß die Feinde dort versteckt seien, und sie gaben sich Mühe, sich streng nach dieser Instruktion zu richten.

Indem man parallel mit dem Flusse ritt, näherte man sich dem Winterwasser auf einer rechtwinkelig auf dasselbe stoßenden Linie. Sam Hawkens machte allerlei Späße; er lachte laut und hielt die andern an, in sein Lachen einzustimmen. Er verfolgte dabei die Absicht, die Nijoras sicher zu machen. Sie sollten denken, daß die Ankömmlinge nicht im mindesten an das Vorhandensein einer Gefahr glaubten.

An der Stelle angekommen, wo sich unten die Furt befand, ritt man langsam vom Ufer in das ausgetrocknete Bett hinab. Winnetou und Old Shatterhand waren voran. Ihren scharfen Augen konnte nichts entgehen, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie auf gar nichts aufmerksam seien.

Links von ihnen lagen einige Felsblöcke, welche zur Zeit des Hochwassers von diesem überflutet wurden. Hinter einem derselben lugte ein Kopf hervor, nämlich derjenige von Nitsas-Ini. Er hatte sich so weit nach vom gewagt, um die weißen Freunde zu benachrichtigen, daß er mit seinen Leuten an Ort und Stelle sei.

„Altso-ti – wir sind hier,“ raunte er ihnen in seiner Sprache zu, und dann war sein Kopf wieder verschwunden.

Die Gesellschaft bog rechts ab und ritt im Bette des Winterwassers nach der Mündung desselben, wo es auf den Chellyfluß stieß. Rechts und links gab es hohe, steile Felsen und vorn an der Mündung floß das Wasser des Chelly vorüber. An seinem Ufer befand sich ein schmaler, aber sehr dicht mit Bäumen und Büschen besetzter Streifen; dort wurde angehalten.

Old Shatterhand untersuchte das Buschwerk mit scharfem Blicke. Da raschelte es in demselben und der Arm eines Roten streckte sich für einen kurzen Augenblick hervor. Das war das Zeichen, daß die hundert Navajos sich auch schon da befanden. Es war also gelungen, dem Feinde zwei Hinterhalte zu legen.

Der Uferfelsen trat auf der linken Seite etwas hervor und bildete eine Ecke. Nach derselben deutend, sagte Old Shatterhand:

„Die Frauen und Kinder mögen sich hinter diese Ecke zurückziehen; dann sind sie vollständig sicher vor jeder Gefahr.“

Die Betreffenden gehorchten dieser Aufforderung. Nur eine machte eine Ausnahme, nämlich Frau Rosalie.

„Was? Ich soll mich verschtecken?“ rief sie aus. „Was sollen da diese Indianersch von mir denken!“ Dabei nahm sie ihrem Manne das Gewehr aus der Hand, faßte es beim Laufe und schwang den Kolben drohend über ihrem Kopfe.

„Pst! Nicht so; fort mit dem Gewehre!“ warnte Old Shatterhand. „Die Nijoras beobachten uns und könnten aus dieser Bewegung schließen, was geschehen soll. Sie werden heulend und schreiend gerannt kommen. Dann legt jeder sein Gewehr auf sie an, doch ohne zu schießen. Nur wenn sie sich dadurch nicht zurückhalten lassen, müssen wir uns wehren. Dann werde ich Feuer kommandieren, bitte aber, ihr Leben zu schonen und sie nur in die Beine zu schießen. jetzt setzt euch nieder und thut ganz so, als ob ihr von ihrer Nähe keine Ahnung hättet!“

Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Die Leute setzten sich alle so, daß sie dem Wasser des Chelly den Rücken, dem trockenen Bette des Winterwassers aber das Gesicht zukehrten. So mußten sie die Nijoras kommen sehen.

Old Shatterhand und Winnetou standen beieinander und unterhielten sich in höchst unbefangener Weise. Sie hatten scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit für die Richtung, aus welcher die Feinde erwartet wurden, sahen aber trotzdem alles sehr genau. Das Winterwasser hatte, wenn es stark angeschwollen war, viele Felsstücke mit sich fortgeführt und an der Mündung oder in der Nähe derselben abgesetzt. Hinter diesen Steinen konnte man Deckung finden, und es stand zu erwarten, daß der Vortrab der Nijoras im Schutze derselben heimlich herangekrochen kommen werde.

Dem war auch wirklich so, denn Winnetou bemerkte hinter einem dieser Steine eine Bewegung, blickte für einen kurzen Moment schärfer hin und sagte dann zu Old Shatterhand:

„Hinter dem großen dreieckigen Blocke steckt ein Feind. Hat mein Bruder ihn gesehen?“

„Ja. Ich sah ihn von dem dahinter liegenden Felsen gekrochen kommen. Ich weiß auch, wer es ist.“

„Mokaschi, der Häuptling wohl?“

„Ja.“

„So ist der Augenblick da. Hält mein Bruder es nicht für besser, daß wir gar nicht warten, bis sie auf uns eindringen?“

„Ja, sie werden um so bestürzter sein. Willst du mit ihm reden?“

„Nein. Mein Bruder mag es thun. Du hast den Stutzen, den sie für ein Zaubergewehr halten. Deine Stimme wird also besser wirken als die meinige.“

„Gut, so mag es beginnen l“

Er rief einige halblaute Worte nach dem Gebüsche hin, in welchem die hundert Navajos steckten, und sagte zu den Weißen:

„Die Nijoras sind da. Steht auf, und legt die Gewehre an!“

Frau Rosalie hatte ihrem Manne sein Gewehr wiedergeben müssen, aber an Stelle desselben eine Reserveflinte ergriffen. Als die Männer jetzt aufsprangen und ihre Gewehre erhoben, legte sie ihre Flinte auch an. Old Shatterhand trat einige Schritte vor, den Stutzen schußbereit in der Hand und rief dann nach dem erwähnten Felsenstücke hin:

„Warum versteckt sich Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, wenn er uns besuchen will? Er mag offen zu uns kommen. Wir wissen, daß er sich mit seinen dreihundert Kriegern hier befindet.“

„Uff, uff!“ erscholl es da hinter dem Steine hervor und Mokaschi richtete sich auf. „Die weißen Hunde wissen es, daß wir hier sind? Und dennoch sind sie gekommen? Hat der große Geist ihr Gehirn verbrannt, daß sie, die wenigen, es wagen wollen, hier mit uns zu kämpfen?“

„Wir wagen nichts, denn der Häuptling der Nijoras ist in einem großen Irrtume befangen. Sieht er nicht meine Leute dastehen, um den Feind mit ihren Büchsen zu empfangen? Und sieht er nicht das Zaubergewehr in meiner Hand? Wer kann ihm widerstehen!“

„Wir werden so schnell über Old Shatterhand kommen, daß er nur zwei- oder dreimal schießen kann; dann wird er von der Menge meiner Krieger niedergerissen. Soll ich ihm zeigen, wie viele ihrer sind?“

„Ich weiß es schon; dreihundert.“

„Und die sind nicht fern von hier, sondern nahebei. Die Bleichgesichter haben nur die Wahl, sich zu ergeben oder in das Wasser getrieben und getötet zu werden. Sie mögen sehen, daß sie eingeschlossen sind.“

Er hob die Hand hoch empor und auf dieses Zeichen tauchten hinter allen Steinen Nijoras auf. Andre, die da nicht Platz gefunden hatten und deshalb zurückgeblieben waren, kamen herbeigesprungen und erhoben ein markerschütterndes Kriegsgeheul. Sie griffen aber nicht an, sondern blieben hinter ihrem Häuptlinge stehen, weil dieser auch nicht vorwärts ging. Er erhob den Arm wieder; das Geheul verstummte augenblicklich und er rief Old Shatterhand zu:

„Die Bleichgesichter sehen, daß sie verloren sind, wenn sie kämpfen. Wenn sie klug sein wollen, so ergeben sie sich uns.“

„Ja, man kann von Mokaschi Klugheit lernen, denn er ist ein großer Pfiffikus. Er weiß und sieht recht gut, wie es steht. Es sind über zwanzig Gewehre auf ihn und seine Krieger gerichtet; das gibt aus diesen Doppelläufen vierzig Schüsse. Dazu kommen die vielen Kugeln meines Zaubergewehres. Ehe die Nijoras an uns kommen, sind sechzig und noch mehr von ihnen gefallen, und dann beginnt noch der Kampf mit den Messern und den Kolben. Das weiß er recht gut. Er weiß, daß, wenn wir je besiegt werden könnten, er weit über hundert Krieger verlieren würde und daß er der allererste wäre, den meine Kugel niederstreckte. Darum fordert er uns auf, uns zu ergeben. So klug wie er aber, sind wir auch.“

„Old Shatterhand verrechnet sich. Ehe nur zehn von uns gefallen oder verwundet sind, befinden sich die Bleichgesichter in unsrer Gewalt. Ja, Old Shatterhand ist ein berühmter Jäger und ein sehr kluger Krieger; aber wenn er sich uns nicht ergibt, so handelt er nicht wie ein kluger Mann.“

„Ich danke dem Häuptlinge der Nijoras für die schönen Worte, welche er mir gesagt hat; aber er hat noch lange nicht genug gesagt, denn ich bin noch viel, viel klüger, als er denkt. Wir wenigen Bleichgesichter fürchten uns nicht vor dreihundert Nijoras; aber dennoch sind wir nicht allein gekommen. Als Mokaschi die Hand erhob, ließen sich seine Krieger sehen. Auch ich will einmal meine Hand erheben, um zu zeigen, daß ich ganz dasselbe kann.“

Er reckte den Arm empor; sofort sprangen die hundert Navajos aus den Büschen, bildeten blitzschnell eine Doppelreihe und richteten ihre Gewehre auf die Nijoras. Diese stießen ein Geheul der Überraschung aus. Keiner von ihnen hatte gewagt, sein Gewehr auf einen der Weißen zu richten, denn diese hatten ihre Gewehre zuerst erhoben und befanden sich also im Vorteile. Wer dem Feinde darin zuvorkommt, schießt ihn nieder, sobald er eine drohende Bewegung macht. Old Shatterhand gab ein Zeichen, daß er weitersprechen wolle und das Geheul verstummte.

„Mokaschi wird jetzt einsehen, daß ich vorhin noch zu wenig gesagt habe. Wir würden nicht hundert, sondern zweihundert Nijoras töten, noch ehe sie an uns kommen könnten. Der Häuptling der Nijoras hat vorhin gemeint, daß mein Gehirn krank sei. Wie steht es denn mit dem seinigen? Kann er nicht mehr denken, nicht sehen und nicht hören? Warum starrt er nur vorwärts, zu uns herüber? Er mag doch einmal hinter sich sehen!“

Mokaschi drehte sich um, und seine Krieger thaten dasselbe. Sie hatten ihre ganze Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet und nicht auf das geachtet, was hinter ihnen vorgegangen war. Sie hatten es ja überhaupt für unmöglich gehalten, daß dort etwas geschehen könne. Da sahen sie, kaum zwanzig Schritte von sich entfernt, die fünfhundert Navajos halten, welche die ganze Breite des trockenen Winterwasserbettes ausfüllten und dabei in acht bis zehn Gliedern hintereinanderstanden. Vor ihrer Front hielt ihr Häuptling und rief Mokaschi zu:

„Hier stehen fünfhundert Krieger der Navajos und vor euch auch hundert neben den Bleichgesichtern, welche unüberwindlich sind. Wünscht der Häuptling der Nijoras, daß wir den Kampf beginnen?“

Die Nijoras heulten vor Schreck wie wilde Tiere. Die ihnen doppelt überlegenen Navajos überschrien sie noch, aber bei ihnen war es ein Freudengeheul. Da gab Old Shatterhand das Zeichen der Ruhe, und es wurde augenblicklich still. Er sprach mit erhobener Stimme:

„Ich frage Mokaschi ganz so, wie Nitsas-Ini ihn gefragt hat, nämlich ob wir den Kampf beginnen sollen. Über sechshundert Kugeln werden in den zusammengedrängten Haufen der Nijoras fahren. Wie viele von ihnen werden da übrig bleiben? Kein einziger.“

Mokaschi antwortete nicht sofort; er blickte finster vor sich nieder, und dann sagte er knirschend:

„Wir werden sterben; aber jeder von uns wird wenigstens einen Navajo vorher töten.“

„Das sagst du, aber du glaubst es selber nicht, denn sobald nur einer von euch sein Gewehr erhebt, schießen wir alle. Ich wiederhole jetzt die Worte, welche du vorhin zu mir gesprochen hast: hat der große Geist euer Gehirn verbrannt, daß ihr hierher gekommen seid, mit uns zu kämpfen, die wir euch doch überlegen sind? Ist euer Hirn ausgetrocknet und alle geworden, daß ihr euch in ganz dieselbe Falle locken laßt, in welche wir gehen sollten? Seid ihr blind und taub geworden, daß ihr weder gehört noch gesehen habt, daß Winnetou mit mir gestern in eurem Lager war, um euch zu belauschen? Du saßest mit den alten Kriegern an einem Felsen, der nahe am hohen Rande des Ufers liegt, und wir lagen oben auf diesem Felsen. Da haben wir alles gehört, was ihr gesprochen habt. Wißt ihr nicht, wie vorsichtig man sein muß, wenn man das Kriegsbeil ausgegraben hat.“

„Uff! uff!“ rief Mokaschi betroffen aus. „Old Shatterhand und Winnetou haben auf dem Steine gelegen, an welchem wir saßen?“

„Ja. Wir hörten zu, als ihr berietet, wie ihr uns hier überfallen wolltet. Warum macht ihr euch Männer zu Feinden, von denen ihr wißt, daß sie sich vor allen Kriegern eures ganzen Stammes nicht fürchten?“

Da legte Mokaschi sein Gewehr auf die Erde nieder und sagte:

„Der große Manitou ist gegen uns gewesen; er hat nicht gewollt, daß wir siegen sollen. Old Shatterhand oder Winnetou mag her zu mir kommen, um mit mir zu kämpfen. Welcher von uns beiden den andern tötet, dessen Stamm soll als Sieger gelten.“

„Was für Worte höre ich da aus deinem Munde! Willst du ein Spottgelächter zur Antwort haben? Soll es heißen, daß Mokaschis Worte wie die Rede eines Kindes oder wie das Geplapper eines alten Weibes klingen? Glaubst du, Winnetou oder mich besiegen zu können? Hast du jemals vernommen, daß einer von uns beiden einmal einem Feinde unterlegen sei? Dein Vorschlag kann an eurem Schicksale, an eurem Untergange nichts ändern. Du würdest unbedingt besiegt und mit dir wären alle deine Krieger verloren.“

„So sterben sie mit mir!“

„Das kann ebenso gut ohne einen Zweikampf zwischen dir und mir geschehen,“ antwortete Old Shatterhand auf Mokaschis Äußerung. „Ihr seid von allen Seiten eingeschlossen. Ihr seid verloren, sobald der Kampf beginnt. Wie kannst du es da einem von uns zumuten, mit dir zu kämpfen und das Schicksal zweier Stämme von dem Ausgange dieses Kampfes abhängig zu machen! Was einmal mir gehört, brauche ich mir doch nicht erst noch zu erwerben. Der Sieg gehört uns; wozu soll ich mir ihn erst noch extra erkämpfen?“

„So willst du nicht mit mir ringen?“

„Nein, denn ich müßte dich töten, und das will ich nicht.“

„Ich werde doch ohnedies und trotzdem sterben, denn du hast selbst gesagt, daß deine erste Kugel mir gelten werde.“

„Ja, falls es zum Kampfe kommt; ich meine aber, daß es weit besser sei, ihn zu vermeiden.“

„Wie soll er vermieden werden? Etwa dadurch, daß wir uns euch auf Gnade ‚oder Ungnade ergeben?“

„Nein, denn so ergeben sich tapfere Männer nicht, und die Nijoras sind ja tapfere Krieger. Kennst du Old Shatterhand und Winnetou so wenig, daß du uns ein solches Verlangen zutraust, dessen Erfüllung euch und allen euren Nachkommen immerwährende Schande bereiten müßte?“

Da holte Mokaschi tief und erleichtert Atem und fragte.

„Wie soll es denn sonst möglich sein, den Kampf zu vermeiden, ohne daß unsre Weiber und Kinder mit Fingern auf uns zeigen und uns verhöhnen?“

„Das wollen wir beraten. Mokaschi und Nitsas-Ini mögen hierher zu mir und Winnetou kommen. Mokaschi mag seine Waffen mitbringen, denn er hat sich noch nicht ergeben und muß als freier Mann gelten. Aber eure und unsre Krieger behalten genau ihre jetzigen Stellungen bei, bis unsre Beratung zu Ende ist.“

„Kann diese Beratung nicht hier bei mir abgehalten werden?“

„Das könnte sie wohl; aber du wirst zugeben, daß wir uns im Vorteile befinden und es also für richtiger halten, daß du zu uns kommst.“

„Als freier Mann und Krieger?“

„Ja.“

„So werde ich kommen.“

Er nahm sein Gewehr wieder von der Erde auf und kam auf Old Shatterhand zugeschritten; bei ihm angekommen, setzte er sich mit der würdevollen Haltung eines Häuptlings nieder. Der weiße Jäger nahm neben ihm Platz, Winnetou ebenso. Nitsas-Inikam auch. Er mußte durch die Nijoras hindurch. Sie machten ihm Platz. Er bekam da manchen finstern Blick, aber keiner wagte es, ihn feindlich zu berühren oder auch nur ein unfreundliches Wort zu sagen. Als er sich zu den andern gesetzt hatte, wurde auch noch Wolf herbeigewinkt, der bei den Navajos im Ansehen eines Häuptlings stand.

Nun hätte die Beratung beginnen können, denn diejenigen, auf welche es ankam, waren beisammen. Aber sie saßen nach Indianerart wohl eine Viertelstunde da, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Old Shatterhand und Winnetou richteten ihre Augen forschend auf die drei andern, als ob sie ihre geheimsten Gedanken erraten wollten; dann tauschten sie einen kurzen Blick miteinander aus. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Dann war Winnetou der erste, welcher sprach, doch nur indem er die kurze Frage aufwarf:

„Hier sitzen fünf Krieger zur Beratung. Welcher von ihnen soll reden?“

Wieder eine Zeitlang tiefes Schweigen; dann antwortete Nitsas-Ini:

„Unser Bruder Old Shatterhand hat kein Blut gewollt; er mag sprechen!“

„Howgh!“ sagten die andern, um ihre Zustimmung auszudrücken.

Old Shatterhand wartete, damit seine Worte dann größeres Gewicht haben möchten, auch eine kleine Weile; dann begann er:

„Meine Brüder wissen, daß ich ein Freund der roten Männer bin. Dem Indsman gehörte das ganze Land von einem Meere bis zum andern; da kam der Weiße und nahm ihm alles und gab ihm dafür seine Krankheiten. Der Indianer ist ein armer, kranker Mann geworden, welcher sehr bald sterben wird. Der Weiße ist sein Feind und hat ihn am meisten dadurch besiegt, daß er Unfrieden unter die roten Völker warf und einen Stamm gegen den andern aufhetzte. Die roten Männer waren so unklug, dies geschehen zu lassen, und sind selbst bis auf den heutigen Tag nicht klüger geworden. Sie reiben sich untereinander auf und könnten doch heut noch Großes erreichen, wenn sie den gegenseitigen Haß fallen ließen und unter sich das wären, was sie sein sollen und wozu sie geboren sind, nämlich Brüder. Habe ich recht?“

„Howgh!“ ertönte es rundum.

„Ja, ich habe recht, denn daß es so ist, wie ich sage, beweisen auch die zwei Stämme, welche sich feindlich hier gegenüberstehen. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, zu welchem großen Volke der Stamm der Navajos gehört!“

„Zum Volke der Apachen,“ antwortete der Genannte.

„Und auch Mokaschi mag mir sagen, zu welchem Volke die Nijoras gehören!“

„Auch zu den Apachen,“ antwortete der dazu Aufgeforderte.

„Da sehen meine Brüder, wie wahr ich gesprochen habe. Die Nijoras und die Navajos gehören nicht nur zur Rasse der roten Männer, sondern sind sogar Kinder eines einzelnen Volkes derselben. Sie sollten sich lieb haben, sich unterstützen und Seite an Seite miteinander gegen ihre gemeinschaftlichen weißen Feinde kämpfen. Statt dessen aber befehden sie sich gegenseitig und arbeiten ihrem Feinde in die Hände. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, weshalb er gegen die Nijoras ausgezogen ist!“

„Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“

„Gut. So mag mir nun auch Mokaschi sagen, weshalb er seine Krieger gegen die Navajos geführt hat!“

„Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“

„Merkt ihr da nicht, was ich sagen will? Ich wollte die Gründe eures Streites hören, und ihr habt keinen nennen können, sondern nur die Thatsache angegeben, daß die Kriegsbeile gegenseitig ausgegraben worden sind. Ist das nicht genau wie bei kleinen Kindern, welche einander bei den Haaren raufen, ohne daß sie eine triftige Veranlassung dazu haben? Wollt ihr als Kinder gelten? Soll man über euch wie über Kinder lächeln, über euch, die ihr geachtet und gefürchtet wäret, wenn ihr fest und treu zusammenhieltet? Ihr seid gegeneinander gezogen, um euch zu bekämpfen, euch zu vernichten, und es ist gut, daß eure besten Freunde, nämlich Winnetou und ich, dazugekommen sind, um euch zu sagen, was ihr eigentlich von selbst wissen solltet.“

Er ließ eine Pause eintreten, um seine Worte wirken zu lassen, und fuhr dann fort:

„Mein roter Bruder Nitsas-Ini ist nicht nur ein berühmter, tapferer Krieger, sondern auch ein umsichtiger und kluger Beherrscher seines Stammes. Er hat eingesehen, daß der rote Mann sterben muß, wenn er so bleibt, wie er jetzt ist. Darum hat er weise Entschlüsse gefaßt und sie auch ausgeführt. Er hat eine weiße Squaw genommen, die er liebt und der er vieles, sehr vieles verdankt, was er sonst nicht kennen und nicht haben würde. Er hat seinen Sohn über das Meer gesandt, damit dieser dort lernen möge, wie man aus einer Wüste ein fruchtbares Land macht. Er weiß, daß der Krieg nur Unheil bringt und das Glück nur im Frieden zu erlangen ist. Sollte er sich plötzlich geändert haben? Sollte er heut das Blut seiner roten Mitbrüder wünschen?“

„Uff, uff! Ich will es nicht!“ rief der Navajo aus.

„Das habe ich gewußt und gedacht. Wenn es anders wäre, so möchte ich nicht länger dein Freund und Bruder sein. Wie aber steht es mit Mokaschi, dem Häuptlinge der Nijoras? Er ist ausgezogen zum Kampfe, ohne einen rechten Grund dazu zu haben, und hat keinen einzigen Vorteil über seine Feinde errungen. Er muß sogar, wenn er seinen Mund die Wahrheit sprechen läßt, zugeben, daß er sich in diesem Augenblicke in einer sehr gefährlichen Lage befindet. Wird er mir das eingestehen?“

„Howgh!“ nickte Mokaschi, welcher einzusehen begann, welche außerordentlich friedlichen Absichten Old Shatterhand verfolgte.

„Und wird ein kluger Mann, wenn er mitten in solchen Gefahren steckt, noch immer den Tod seiner Gegner wünschen, die doch sein Leben in ihren Händen haben?“

„Nein.“

„Wohlan, so sind wir ja ganz gleicher Meinung. Weder Nitsas-Ini noch Mokaschi wünschen die Fortsetzung der Feindseligkeit. Es handelt sich also nur noch darum, welches Blut bisher geflossen ist und welche Rache dafür genommen werden soll. Hat Mokaschi einen Mann von seinen Kriegern verloren?“

„Nein.“

„Hat er also Rache an den Navajos zu nehmen?“

„Nein.“

„So frage ich nun dasselbe auch meinen Bruder Nitsas-Ini.“

„Khasti-tine und sein Begleiter, einer der beiden Kundschafter, sind getötet worden,“ meinte dieser ernst.

„Von den Nijoras?“

„Nein, sondern von dem Bleichgesichte, welches sich Ölprinz nennt.“

„Hast du den Tod dieser beiden Krieger also an den Nijoras zu rächen?“

„Nein.“

„Also auch hierin steht ihr euch gegenseitig gleich. Die Ungleichheit besteht nur darin, daß die Nijoras jetzt so eingeschlossen sind, daß ihr Blut fließen würde, falls es zum Kampfe käme; Nitsas-Ini hat aber erklärt, daß er kein Blut vergießen will. Eine weitere Ungleichheit besteht darin, daß Mokaschi acht Krieger der Navajos gefangen hat. Soll das nicht gegenseitig ausgeglichen werden? Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und die Navajos lösen die Umschlingung, in welcher sich die Nijoras befinden. Dann werden die Schlachtbeile eingegraben. Ich hoffe, daß meine Brüder auf diesen Vorschlag eingehen; darum thue ich das, was ihr jetzt sehen werdet.“

Er nahm den Tabaksbeutel vom Gürtel und die Friedenspfeife von der Schnur, an welcher sie an seinem Halse hing, stopfte sie und legte sie vor sich hin. Dann fragte er Mokaschi:

„Ist der Häuptling der Nijoras mit meinem Vorschlage einverstanden?“

„Ja,“ antwortete dieser, innerlich sehr froh, auf so billige Weise aus der Gefahr, ja vom beinahe sicheren Untergange errettet zu werden.

„Und was sagt der Häuptling der Navajos dazu?“

Dieser stimmte nicht sofort ein, sondern meinte:

„Mein Bruder Old Shatterhand hat mehr für die Nijoras, als für die Navajos gesprochen.“

„Wieso?“

„Sie befinden sich in unsrer Gewalt, und es ist kein Vorteil für sie, daß sie acht Gefangene gemacht haben, denn diese Gefangenen sind schon jetzt so gut wie wieder in unsern Händen. Ich brauche nur einige meiner Krieger hinauf in das Lager der Nijoras zu senden, um diese Gefangenen loszubinden. Sag also, ob du gerecht gegen uns gesprochen hast!“

„Ja, denn ich frage dich, wem du die gute Lage, in welcher ihr euch befindet, zu verdanken hast?“

„Dir und Winnetou,“ antwortete Nitsas-Ini aufrichtig und der Wahrheit gemäß. Er war ein ehrlicher Mann.

„Ja, uns verdankst du sie. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, sondern um dich zu bewegen, billig gegen die Nijoras zu sein. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Friedensvorschlage?“

„Es ist so, als ob ich selbst deine Worte gesprochen hätte,“ antwortete der Apache.

„Und Mai-tso, der Wolf?“

„Ich bin ganz der Meinung Winnetous,“ stimmte dieser bei.

„So hat nur Nitsas-Ini noch sein Wort zu sagen.“

Der Genannte überflog die Aufstellung seiner Leute und diejenige der Feinde mit einem langen Blicke. Es that ihm wohl leid, auf den großen Vorteil, in welchem er sich befand, so ohne weiteres verzichten zu müssen; aber der Einfluß, welchen seine weiße Squaw nach und nach über ihn gewonnen hatte, machte sich auch jetzt geltend; er war aus einem wilden Indianer ein friedliebender und einsichtsvoller Häuptling seines Stammes geworden. Er zögerte zwar noch einige Augenblicke, erklärte dann aber doch:

„Mein Bruder Old Shatterhand mag recht behalten. Die Nijoras sollen nicht länger umzingelt sein.“

„Und du bist bereit, das Calumet mit Mokaschi zu rauchen?“

„Ja.“

Da stand Old Shatterhand auf, wendete sich gegen die Indianer und rief mit lauter Stimme:

„Die Krieger der Navajos und Nijoras mögen ihre Augen hierher richten, um zu sehen, was ihre Häuptlinge beschlossen haben.“

Er versetzte den Tabak in Brand und gab Nitsas-Ini die Pfeife. Dieser erhob sich, that sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und rief mit lauter Stimme, so daß alle Anwesenden es hören mußten:

„Die Kriegsbeile werden eingegraben; wir rauchen die Pfeife des Friedens. Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und sind dann unsre Brüder. Dieses rauche und sage ich für alle meine Krieger. Es ist so gut, als ob sie selbst es gesagt und das Calumet dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!“

Die Navajos waren höchst wahrscheinlich nicht sehr erbaut über diesen Ausgang der Verhandlung. Sie befanden sich so im Vorteile, daß es ihnen wohl schwer wurde, dasselbe so leichthin aufzugeben; aber die Disziplin verhinderte sie, widerspenstig zu sein, zumal ihnen der Gebrauch des Calumetrauchens so heilig war, daß sie es nicht gewagt hätten, an dem Beschlusse ihres Häuptlings zu rütteln.

Dieser gab die Friedenspfeife an Mokaschi, welcher sich auch erhob, die gleichen sechs Züge that und dann ebenso laut wie Nitsas-Ini verkündete:

„Hört, ihr Krieger der Navajos und Nijoras, der Tomahawk des Krieges ist wieder in die Erde versenkt. Die Männer der Navajos öffnen den Kreis, mit dem sie uns umschlossen haben, und sind dann unsre Brüder. Ich habe das mit dem Calumet bestätigt und es ist ganz so, als ob meine Krieger es gesagt und die Pfeife dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!“

Niemand war froher als die Nijoras, die einen so glücklichen Ausgang der für sie so gefährlichen Angelegenheit kaum für möglich gehalten hatten. Old Shatterhand, Winnetou und Wolf mußten als Zeugen des Vertrages auch die sechs Züge aus der Pfeife thun, brauchten aber keine Rede dazu zu halten.

Jetzt war die Sitzung beendet und die vorher so feindliche Situation verwandelte sich in eine friedliche. Die Navajos ließen die Nijoras aus ihrer Umschlingung frei, und da es hier am Flusse an Raum mangelte, so begaben sich Freund und Feind hinauf zum Lager der Nijoras, um dort das Friedensfest zu feiern und vor allen Dingen die Gefangenen zu befreien. Winnetou, Old Shatterhand und Wolf gingen auch nach oben, wo ihre Anwesenheit zunächst notwendig war; die andern Weißen aber blieben noch unten. Sie waren alle froh, daß die Feindseligkeit ein solches Ende genommen hatte.

Bald waren sie alle in lebhafter Unterhaltung über das eben Erlebte, besonders Frank und Frau Rosalie kamen in ein eifriges Zwiegespräch, an dem auch Adolf Wolf kurze Zeit teilnahm, doch bald trennte er sich wieder von den beiden, um seinen Onkel aufzusuchen, der sich oben auf dem hohen Ufer im Lager befand. Als er an die Furt kam, begegnete er den Navajos, welche ihre Pferde aus den Verstecken geholt hatten und sie auch hinaufschaffen wollten. Ihr Häuptling leitete diese Arbeit und Winnetou und Old Shatterhand standen bei ihm. Da erschien ein Reiter oben am Rande der Furt; er sah die Genannten stehen und rief herab:

„Mr. Shatterhand, gut, daß ich Euch sehe! Darf ich da hinab?“

„Mr. Rollins!“ antwortete der Gefragte. „Ihr hier? Ihr solltet doch bei dem Kantor bleiben, bis ich einen Boten sende. Warum habt Ihr Euch davongemacht?“

„Werde es Euch gleich sagen. Also, darf ich hinunter zu Euch?“

„Ja.“

Er kam langsam herabgeritten, sprang dann von seinem Pferde und rief in erregtem Tone:

„Wäre ich doch nicht dort geblieben, sondern mit Euch geritten! Wenn Ihr wüßtet, was ich erlebt habe!“

„Was habt Ihr denn erlebt? Was ist geschehen? Ihr seht ja außerordentlich echauffiert aus.“

„Ist auch kein Wunder. Bin an den Baum gebunden gewesen.“

„Ihr? Das war doch der Kantor!“

„Ja, erst; dann aber kam er los und ich wurde angebunden.“

„Von wem denn?“ fragte Old Shatterhand verwundert.

„Von dem Ölprinzen. Dieser Halunke hat mir meine Anweisung wieder abgenommen.“

„Der Ölprinz? Alle Wetter! Wie ist das geschehen? Erzählt es doch, schnell!“

Der Bankier berichtete, was geschehen war.

„Mann,“ rief dann Old Shatterhand aus, „das habt Ihr schlau, sehr schlau angefangen! Warum habt Ihr denn den Wisch nicht vernichtet!“

„Jawohl, Ihr habt recht; jetzt bereue ich es bitter. Verschafft mir den Zettel wieder, Sir; ich bitte Euch inständigst darum!“

„Ja, erst macht Ihr die Fehler, und dann soll ich sie ausbessern! Die Kerls mögen meinetwegen reiten, wohin sie wollen. Hättet Ihr die Dummheit nicht gemacht!“

Da fiel Nitsas-Ini ein:

„Sie werden nicht reiten, wohin sie wollen. Der Ölprinz hat meine beiden Kundschafter ermordet; ich muß ihn haben. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir nicht dabei helfen?“

Winnetou nickte und Old Shatterhand sagte:

„Ich habe im Unmute gesprochen. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir die Kerls haben müssen. Habt Ihr denn gesehen, wohin sie ritten?“

„Ja.“

„Nun, nach welcher Richtung?“

„Stromaufwärts, dahin, woher sie gekommen waren und woher auch wir gekommen sind.“

„Also ist es doch so! Sie sind den Spuren der Navajos gefolgt, um Wolf zu überfallen und ihm die Schrift abzunehmen. Durch Zufall sind sie aber viel leichter dazu gekommen. Wie lange ist das her?“

„Sehr lange. Dieser Kantor sollte mich losmachen, that es aber nicht.“

„So müssen wir uns schleunigst auf den Weg machen.“

„Stromaufwärts?“ fragte der Häuptling,

„Ja, denn wir dürfen ihre Fährte keinesfalls vernachlässigen; sie sind aber jedenfalls stromabwärts geritten.“

„Aber dieser Mann behauptet doch das Gegenteil!“

„Rollins hat auch recht; die Banditen sind aufwärts, aber nur eine Strecke.“

„Und dann wieder abwärts?“

„So hätten sie ja hier vorüber gemußt!“

„Nein. Sie sind hinüber nach dem andern Ufer.“

„Uff! Hat mein Bruder Grund, dies zu denken?“

„Ja. Sie haben das Papier und wollen nach San Francisco. Da müssen sie nach dem Colorado hinunter, ganz denselben Weg, den sie ritten, als sie in euerm Lager waren. Hier konnten sie nicht vorbei, weil sie von dem Kantor erfahren haben, daß wir hier sind. Sie sind also aufwärts zurück bis dahin, wo wir gestern lagerten, und dann über den Fluß hinüber. Mein roter Bruder mag mit einer Schar seiner Leute schnell abwärts reiten, bis er eine Stelle findet, an welcher er über den Fluß hinüber kann. Ist er drüben, so wird er nach ihrer Fährte suchen und dabei sehen, ob sie aus dieser Gegend schon fort sind.“

„Sie werden unbedingt fort sein!“

„Nein. Es steht zu vermuten, daß sie irgendwo da drüben stecken, um zu sehen, wie der Überfall hier abläuft. Mein Bruder muß ihnen so breit wie möglich den Weg verlegen, daß sie ja nicht vorüber können.“

„Und was wird Old Shatterhand thun?“

„Ich werde mit Winnetou aufwärts reiten, um ihrer Spur zu folgen. Da diese mit der unsrigen zusammenfällt, so ist sie außerordentlich schwer zu lesen; daher müssen wir diesen Weg selber machen; wir können uns auf keinen andern verlassen. Natürlich aber reiten wir nicht allein, sondern wir nehmen auch Begleiter mit.“

„Ich habe diesen Hunden doch Späher entgegengesandt! Sie müssen von ihnen nicht bemerkt worden sein.“

„Es ist auch noch andres möglich. Entweder haben sie sie getäuscht oder sie gar getötet.“

„Wenn dies der Fall ist, dann müssen sie am Marterpfahle sterben!“

„Erst wollen wir sie fangen, und erst dann können wir über ihren Tod sprechen. Mein roter Bruder mag sofort aufbrechen und ja nichts versäumen!“

Da erschien wieder ein Reiter oben an der Furt. Er sah die Personen auch und fragte ebenso wie vorhin der Bankier, ob er herunterkommen dürfe.

„Ja, kommen Sie!“ antwortete Old Shatterhand, indem es in seinen Augen wenig verheißungsvoll flimmerte.

Der Kantor kam herab.

„Da bin ich wieder,“ sagte er ahnungslos. „Wo sind die andern Deutschen?“

„Da, wohin Sie nicht kommen werden, damit Sie nicht wieder Unheil anrichten können, Sie Verräter!“

„Verräter? Wieso?“

„Sie haben dem Ölprinz gesagt, wo Mr. Rollins das Papier hat.“

„Ja, das habe ich. Sie fragten mich und da konnte ich sie doch nicht belügen.“

„Man kann klug sein, ohne zu lügen, Sie Dummkopf und Faselhans! Ich diktiere Ihnen Ihre Strafe: Sie werden wieder angebunden!“

„Das werde ich nicht; ich dulde das nicht. Sie haben keine Gewalt über mich!“

„Sogar sehr. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.“

Er sagte zu einigen Navajos ein paar Worte, welche der Kantor nicht verstand; da nahmen sie ihn und sein Pferd zwischen sich und schafften ihn hinauf ins Lager, wo er trotz alles Sträubens wirklich angebunden wurde. Nach kurzer Zeit jagte Nitsas-Ini mit zwanzig seiner Krieger stromabwärts; Mokaschi, sein nunmehriger Freund, hatte sich ihm mit auch zwanzig Nijoras angeschlossen. Winnetou und Old Shatterhand dagegen ritten stromaufwärts. Bei ihnen befanden sich Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und zehn Navajokrieger. Frank und Droll hatten auch mitgewollt, waren aber von Old Shatterhand vermocht worden, zurückzubleiben, um mit Wolf darauf zu achten, daß im Lager nichts vorkomme, was später gerügt werden müsse.

Die Frauen saßen noch unten am Wasser beisammen; die weiße Squaw war bei ihnen, ihre Männer natürlich auch. Sie sprachen von ihrer Zukunft, von ihren früheren Plänen und was durch die Ereignisse der letzten Zeit an diesen geändert worden war. Da kam Wolf von oben herab, um nach ihnen zu sehen. Die Squaw, welche, wenn sie deutsch mit ihm sprach, ihn Sie nannte, aber du zu ihm sagte, wenn sie indianisch mit ihm redete, winkte ihn näher zu sich hin und sagte:

„Wir sprechen von dem Vorhaben dieser unsrer Landsleute. Sie sind herübergekommen, um sich eine Heimat hier zu gründen. Mittel besitzen sie nicht; nur Ebersbachs haben Geld und wollen die andern damit unterstützen. Was sagen Sie dazu? Ich werde mit meinem Manne darüber sprechen, sobald er Zeit dazu hat.“

„Das ist nicht nötig,“ lächelte er.

„Warum?“

„Weil ich es schon gethan habe.“

„Sie haben mit ihm davon gesprochen?“

„Ja.“

„Und was hat er gesagt?“

„Er will Ihnen eine Freude bereiten dadurch, daß er diese Deutschen in seinem Gebiete behält.“

„Das ist schön! Das freut mich herzlich! Ich weiß, daß er mir meinen Wunsch jedenfalls erfüllt hätte; aber daß er meine Bitte nicht erst abgewartet hat, das ist mir doppelt lieb. Wie haben Sie sich denn nun die Sache gedacht?“

„Sehr einfach. Diese Leute bekommen Land geschenkt, so viel sie brauchen; es ist ja mehr als genug davon da, Waldland, Ackerland, Weideland, ganz wie sie es wünschen; sie können es sich aussuchen. Dann veranstalten wir einen Ritt nach Guayolote oder La Tinajo hinüber, wo wir Ackergeräte und alle nötigen Werkzeuge bekommen werden. Für Pferde, Kühe und andre Weidetiere werden wir auch sorgen, und beim Bau ihrer Wohnungen werden ihnen alle unsre Männer und Squaws gern helfen, so daß sie sehr bald eingerichtet sein können. Nur hat die Sache freilich einen Haken.“

„Einen Haken? Wirklich?“ fragte sie, ein wenig beunruhigt.

„Ja, einen bösen, schlimmen Haken,“ lächelte er wieder.

„Was wäre das wohl?“

„Eine Frage, auf deren Beantwortung alles ankommt.“

„Welche Frage ist es denn? So reden Sie doch nur!“

„Es ist die Frage, ob sie auch wollen.“

„Ah!“ seufzte sie erleichtert auf. „Ich wollte schon ängstlich werden.“

„Was nützt es, wenn Sie von uns alles bekommen sollen, aber nichts haben wollen! Wie steht es denn in dieser Beziehung?“

Diese Frage war an die Deutschen gerichtet; diese antworteten natürlich mit einem freudigen Ja. Besser konnten sie es ja gar nicht wünschen. Daß sie Land und alles, was sie brauchten, geschenkt bekommen würden, das hätten sie, wenn es ihnen früher gesagt worden wäre, nicht für möglich gehalten und also nicht geglaubt. Frau Rosalie, welche gern für die andern sprach, drückte die weiße Squaw an sich, reichte Wolf die Hand und rief aus:

„Jetzt soll mir jemand sagen, daß die Wilden nich viel besser sind, als die gebildeten Leute bei uns derheeme! Keen Mensch bei uns drüben is so human, eenem armen Teufel een solches Geschenk zu machen und noch dazu een so großes. Drüben würde uns niemand ooch nur das kleenste Feld- oder Gartenbeet anbieten und hier bekommen wir gleich so viel, daß wir een Rittergut droffsetzen können, und das Vieh und Haus und Hof mit den Gerätschaften dazu! Ich halte es von jetzt an mit den Indianern und nich mehr mit den Weißen. Hoffentlich wird der Kantor nich ooch mit dableiben wollen! Da könnte uns das ganze Glück in den Brunnen fallen.“

„Nein, den bringen wir fort,“ versicherte Wolf. „Dieser Pechvogel würde uns nur Unglück bringen. Es wird Ihnen bei uns gefallen. Wir haben große Kulturpläne und da kommen Sie uns eben recht; nun wird Ihnen unsre Freigebigkeit erklärlich sein. Schi-So und mein Neffe sollen das Werk, welches wir begonnen haben, später zu Ende führen. Wir werden beweisen, daß der rote Mann dem Weißen gleichgestellt werden darf. Doch halt! Was war das da drüben jenseits des Flusses? War das nicht ein Schrei? Das klang genau wie der Todesschrei eines Menschen. Sollte der Ölprinz mit seinen beiden Kerls da drüben stecken und schon mit unsern Leuten in Kampf geraten sein? Das ist doch aber nicht möglich!“

Da kam der Hobble-Frank gelaufen. Er hatte den Schrei auch gehört und wollte fragen, ob Wolf ihn vernommen habe. Nach kurzer Zeit kam Adolf Wolf in ganz derselben Absicht.

„Onkel, da drüben schrie jemand. Hast du es gehört?“

„Wir alle haben es gehört,“ antwortete ihm der Hobble. „Es war een anthropologisch menschlicher Schrei, keen animalisch zoologisch tierischer. Wallen und wandeln Sie mit mir hinauf ins Lager. Die Roten haben Feuer angebrannt und braten daran ihr Fleesch, daß das ganze Flußthal davon duftet. Wahrscheinlich sind sie so reserviert, daß sie uns ooch een Schtück davon karambolieren.“

Er nahm Adolfs Arm in den seinen und zog ihn mit sich fort.

Was den Schrei betrifft, welcher für den Todesschrei eines Menschen gehalten worden war, so hatte es mit demselben seine Richtigkeit. Der Ölprinz war mit seinen beiden Begleitern ganz so, wie Old Shatterhand es vermutet hatte, am Flusse aufwärts bis zum letzten Lagerplatze der Navajos geritten und dort an das andre Ufer gegangen. Ihre Absicht war, da drüben abwärts zu reiten, um nach dem Colorado zu kommen; aber dann fiel es ihnen ein, daß es doch vielleicht geraten sei, zu wissen, welcher von den beiden Stämmen über den andern den Sieg erringen werde. Sie blieben also in der Nähe des Ufers und suchten sich, als sie der Mündung des Winterwassers gegenüber angekommen waren, einen Platz, von welchem aus sie die Vorgänge da drüben beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden.

Aber sie hatten einen weiten Umweg machen müssen, bei welchem so viel Zeit vergangen war, daß sie schon zu spät kamen. Die Entscheidung, das heißt die Versöhnung der beiden Stämme war schon vorüber; die Roten hatten sich nach dem Lager oben zurückgezogen, wo sie von drüben aus nicht gesehen werden konnten, und so bemerkten die drei Banditen nur die weißen Frauen und Männer, welche plaudernd am Wasser saßen und die ebenfalls weißen Personen, welche da ab- und zugingen. Sie wurden dadurch der Meinung, daß die Entscheidung noch nicht gefallen sei, und blieben länger liegen, als mit ihrer Sicherheit zu vereinbaren war. Sie ahnten nicht, daß Old Shatterhand schon hinter ihnen war und Nitsas-Ini ihnen mit seinen vierzig Roten den Weg verlegt hatte.

Wie schon längst erwähnt, hatten der Ölprinz und Buttler sich Pollers nur zu ihren Zwecken bedient und wollten sich dann später seiner entledigen. Daß dies nur durch einen Mord geschehen könne, wenn sie sich nicht für später gefährden wollten, das stand bei ihnen fest. jetzt glaubten sie die Zeit gekommen und zogen sich von ihm zurück, um sich darüber zu besprechen. Aber Poller war kein schlechter Beobachter und hatte aus ihren Blicken und Mienen geschlossen, daß sie ihm nicht wohlgesinnt seien; er empfand das Gefühl, daß für ihn eine Gefahr in der Luft liege, und beobachtete sie nun schärfer. Da fiel es ihm auf, daß sie sich jetzt beide zugleich von ihm entfernten. Er kroch unter den Büschen ihnen nach und sah sie nahe beisammenstehen und leise miteinander sprechen. Es gelang ihm, so weit an sie heranzukommen, daß er nur zwei Schritte von ihnen entfernt war, konnte aber ihre Worte nicht verstehen, bis der Ölprinz etwas lauter sagte.

„Jetzt ist die beste Gelegenheit. Er bekommt ganz unerwartet das Messer und bleibt hier liegen. Finden ihn dann die Weißen, so denken sie, daß er von den feindlichen Roten erstochen worden ist.“

Er merkte wohl, daß nur er gemeint sein könne, und war so entrüstet darüber, daß er vergaß, vorsichtig zu sein, und sich plötzlich vor ihnen aufrichtete.

„Was, ihr wollt mich erstechen, ihr elenden Halunken!“ herrschte er sie an. „Ist das der Dank für das, was –“

Er konnte nicht weiter sprechen. Sie hörten, daß ihre Absicht verraten war; nun nur nicht weiter zögern. Sie verständigten sich durch einen einzigen kurzen Blick, dann hatte ihn Buttler mit einem schnellen Griffe gepackt und Grinley stieß ihm das Messer in die Brust. Die Klinge traf so gut, daß er nur den erwähnten Todesschrei ausstoßen konnte und dann leblos zusammenbrach. Sie raubten ihn aus und ließen ihn liegen, um dann wohl noch eine Stunde lang die Mündung des Winterwassers zu beobachten.

Als da drüben noch immer nichts geschah, fiel ihnen ein, daß ihre Zeit doch zu kostbar sei, als daß sie hier noch länger liegen könnten. Sie stiegen auf, nahmen Pollers Pferd am Zügel, wendeten sich hinaus auf die freie Ebene und ritten davon.

Nur fünf Minuten später kam Old Shatterhand mit Winnetou und den andern. Diese scharfsinnigen Leute hatten alle Schwierigkeit überwunden und die Fährte, obgleich dieselbe mit der alten Spur zusammenfiel, bis hierher verfolgt. Sie sahen die Eindrücke und auch die Leiche.

„Mein Gott, das ist Poller!“ rief Old Shatterhand entsetzt aus, indem er ihn sogleich untersuchte. „Sie haben ihn ermordet, um ihn loszuwerden. Er ist tot und hat nun seinen Lohn dahin! Hier haben sie gelegen, um uns drüben zu beobachten und – – –“

„Mein Bruder mag sich nicht verweilen,“ unterbrach ihn Winnetou. „Sie sind vor kaum fünf Minuten fort. Hier geht ihre Spur hinaus ins Freie. Schnell ihnen nach!“

Sie zogen die Pferde hinter sich her und stiegen dann, als sie das Gebüsch hinter sich hatten, auf, um den beiden Mördern im Galopp zu folgen. Nach zehn Minuten sahen sie sie vor sich auf der freien Ebene. Zufälligerweise blickte Buttler sich um und bemerkte die Verfolger.

„Um Gotteswillen, Old Shatterhand und Winnetou mit Weißen und Roten!“ rief er aus. „Fort, fort, im Galopp!“

Sie spornten ihre Pferde an, aber die Verfolger kamen schnell näher.

„So ist es nichts; sie holen uns ein,“ schrie der Ölprinz. „Hier im Freien entkommen wir nicht. Wir müssen ins Gebüsch!“

Sie lenkten nach links einer Buschspitze zu, welche sich als grüne Zunge in die Ebene zog. Es war dasselbe Gesträuch, in welchem sie die Navajospäher ermordet hatten.

Inzwischen war von Nitsas-Ini die ganze Ebene mit seinen Roten besetzt worden. Da die Verfolgten auch in der Nähe des Flusses unter den Bäumen herabkommen konnten, drang er mit einigen Kriegern dort ein und ging mit ihnen langsam aufwärts; die Pferde hatten sie als hinderlich zurückgelassen. Sie kamen auch nach der Buschspitze und fanden die noch bemerkbaren Spuren. Denselben nachgehend, trafen sie die Leichen ihrer beiden Späher.

Ein fürchterlicher Grimm bemächtigte sich des Häuptlings. Er öffnete bereits den Mund, um demselben Worte zu geben, da hörten sie Hufschlag. Sie eilten nach dem Rande des Gebüsches und sahen die Flüchtlinge, hinter sich die Verfolger, herangesprengt kommen. Der Häuptling hatte ihnen den Marterpfahl angedroht; aber die Wut, welche ihn ergriffen hatte, ließ ihn nicht daran denken – zum Glücke für sie, denn ein plötzlicher Tod war für sie besser.

„Sie kommen, die Hunde!“ rief er aus. „Gebt ihnen eure Kugeln!“

Er sprang aus dem Gebüsch heraus; seine Leute folgten ihm. Sie legten ihre Gewehre an. Der Ölprinz und Buttler sahen die roten Gestalten vor sich auftauchen.

„Alle Teufel!“ knirschte der erstere. „Vor uns Feinde und hinter uns Feinde! Ist das nicht der Busch, in welchem wir die zwei Navajos kalt machten?“

„Ja,“ antwortete Buttler. „Was thun? Rechts seitwärts ausbrechen?“

Sie hielten ihre Pferde für einen kurzen Augenblick an; das war genug; es gab ein festes Zielen. Die Schüsse der Navajos krachten; die Pferde der beiden Mörder bäumten sich und schossen dann mit ihren zu Tode getroffenen Reitern vorwärts, den Büschen zu und zwischen dieselben hinein, bis sie mit den losen Zügeln hängen blieben; da fielen die Erschossenen herab, gerade neben ihre Opfer hin.

Nur einige Augenblicke später kam Old Shatterhands Trupp. Sie stiegen vor dem Gebüsch ab und drangen in dasselbe ein. Da sahen sie den Häuptling mit seinen Leuten bei den vier Leichen stehen. Sie begriffen sofort, was jetzt und vorher hier geschehen war.

„Welch ein Gericht!“ sagte Old Shatterhand, den es schauderte. „Gerade hier, an derselben Stelle, wo sie mordeten, hat sie die Strafe ereilt. Gott ist gerecht.“

„Und ich war zu schnell,“ fügte der Häuptling hinzu. „Sie sollten zu Tode gemartert werden. Diese schnelltötenden Kugeln sind keine Strafe für sie. Nehmt die Leichen unsrer ermordeten Brüder und bindet sie auf die Pferde. Sie sollen oben, wo wir lagern, als tapfere Söhne der Navajos begraben werden. Diese weißen Hunde aber mögen hier liegen bleiben, um von den Aasgeiern zerrissen zu werden!“

Da flüsterte Sam Hawkens Old Shatterhand zu:

„Wir gehen heimlich her und begraben sie, wenn ich mich nicht irre. Sie waren Verbrecher, aber doch auch Menschen.“

Ein stilles, zustimmendes Nicken zeigte, daß der Jäger damit einverstanden war.

Die andern Roten wurden alle herbeigeholt; dann setzte sich der Trupp mit den beiden Leichen in Bewegung, an einer passenden Stelle über den Fluß hinüber und dann dem Lager zu. Dort verwandelte der Anblick der Toten das Freuden- und Versöhnungsfest in eine Trauerfeier. Dumpfe Klagetöne erschollen, bis am Abende zwei hohe Steinhügel sich über den von ihnen eingeschlossenen Ermordeten erhoben.

Die Stämme der Navajos und Nijoras blieben noch zwei Tage beisammen; dann trennten sie sich. Die Weißen zogen natürlich mit den ersteren fort, hinauf nach dem Rio de Chaco, wo der Stamm seine Hütten und Zelte hatte. Dort wurden die berühmten Westmänner mit Freuden und die deutschen Auswanderer mit großer Gastfreundlichkeit aufgenommen.

Und was dann geschah? Darüber könnte man noch Bücher schreiben. Nitsas-Ini hielt Wort. Die vier Familien erhielten alles, was Wolf ihnen an der Mündung des Winterwassers versprochen hatte, und es kam so, wie Frau Rosalie Ebersbach gesagt hatte: Sie hätten auf die ihnen geschenkten Ländereien Rittergüter setzen können. Nie wurde ihr gutes Einvernehmen mit den Navajos getrübt, denn der alte Nitsas-Ini hatte eine weiße, deutsche Frau und der junge Häuptling Schi-So war fast eher ein Deutscher als ein Indianer zu nennen.

Die Westmänner blieben längere Zeit da, um den vier Haushaltungen so eingehend wie möglich mit Rat und That beizustehen, und nahmen dann, allerdings nicht für immer, Abschied von den weißen und roten Freunden. Sie gingen hinüber nach Kalifornien und erlebten während dieses Rittes gar mancherlei seltsame Abenteuer. In San Francisco trennten sich die andern von der Tante Droll und dem Hobble-Frank, denn diese beiden glaubten, den unerfahrenen und faseligen Kantor nach Hause begleiten zu müssen. Beim Abschied fragte Sam Hawkens:

„Wann wird man euch denn einmal wiedersehen, ihr beiden größten Helden des wilden Westens, hihihihi?“

„Wenn du dich gebessert hast, alter pränumerander Schäker du,“ antwortete der Hobble. „Schreib mir ‚mal eenen Brief nach meiner Villa Bärenfett. Es würde mich sehr protegieren, zu hören, daß du dich hier im Westen gut soufflierst!“

Und die zwölfaktige Heldenoper? Wenn die ersten drei Takte davon fertig sind, werde ich es sofort melden.

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Im Mogollongebirge

Im Mogollongebirge

Am kleinen Rio San Carlos, einem Nebenflusse des Rio Gila, stand ein Rancho, welcher nach seinem damaligen Besitzer Forners Rancho genannt wurde. Es gehörte diesem Amerikaner eine große Strecke Weidelandes; zur Feldwirtschaft war nur der am Flusse gelegene Teil desselben geeignet. Das Haus war nicht groß, aber sehr stark aus Steinen gebaut und von einer ebenso starken, doppelt mannshohen Mauer umgeben, welche in regelmäßigen Zwischenräumen von schmalen Schießscharten unterbrochen wurde, hier in dieser abgelegenen und gefährlichen Gegend eine sehr notwendige Einrichtung. Der Hof, welchen diese Mauer umschloß, war so groß, daß Forner im Falle einer Feindseligkeit von seiten der Indianer seinen ganzen Viehbestand in denselben zu retten vermochte.

Es war jetzt die beste Jahreszeit; die Steppe trug dichtes, grünes Gras, in welchem sich zahlreiche Rinder und Schafe gütlich thaten; auch einige Dutzend Pferde weideten im Freien, von mehreren Knechten bewacht, welche, ihres friedlichen Amtes waltend, miteinander Karten spielten. Das breite, gegen den Fluß gerichtete Mauerthor stand weit offen. Eben jetzt erschien der Ranchero unter demselben, eine echte, sehnige und kräftige Hinterwäldlergestalt. Er überflog mit scharfem aber zufriedenem Blicke die weidenden Herden und beschattete dann seine Augen mit der Hand, um hinaus in die Ferne zu sehen. Da nahm sein Gesicht den Ausdruck der Spannung an; dann wendete er sich um und rief über den Hof hinüber:

„Hallo, Boy, stell‘ die Brandyflasche bereit! Es kommt einer, der ihr auf den Boden sehen wird.“

„Wer?“ fragte derjenige, dem dieser Ruf gegolten hatte, nämlich sein Sohn, dessen Gesicht an einem Fenster des Hauses erschien.

„Der Ölprinz.“

„Kommt er allein?“

„Nein. Es sind zwei Reiter mit einem Packpferde bei ihm.“

Well; wenn sie ebenso trinken wie er, kann ich lieber gleich mehrere Flaschen herausstellen.“

Vor dem Hause lagen zehn oder zwölf Steinquader, welche so geordnet waren, daß der größte, mittelste, den Tisch vorstellte, während die andern, kleineren, als Sessel dienten. Der Sohn kam bald aus dem Hause und stellte drei volle Schnapsflaschen nebst einigen Gläsern auf diesen Tisch; dann schritt er über den Hof herüber, um den Ankömmlingen an der Seite des Vaters entgegenzusehen.

Diese hatten das jenseitige Ufer des Flüßchens erreicht und trieben ihre Pferde in das nicht tiefe Wasser desselben.

„Ist’s möglich!“ meinte da Forner erstaunt. „Aber wahrscheinlich irre ich mich. Wüßte wirklich nicht, was diesen Mann aus dem sichern Arkansas in diese haltlose Gegend führen könnte.“

„Wen?“ fragte der Sohn.

„Master Rollins in Brownsville.“

„Etwa der Bankier, mit welchem du damals zu thun hattest?“

„Ja. Und wahrhaftig, er ist’s; ich irre mich nicht! Bin großartig neugierig, zu erfahren, was er hier im wilden Arizona zu suchen hat.“

Die Reiter hatten das diesseitige Ufer erreicht und hielten nun im Trabe auf den Rancho zu. Der vorderste von ihnen rief schon von weitem:

Good morning, Master Forner! Habt Ihr einen kräftigen Schluck übrig für drei Gentlemen, welche vor Durst fast von den Pferden fallen?“

Der Sprecher war ein langer, hagerer und sehr gut bewaffneter Mann, dessen außerordentlich scharf geschnittenes Gesicht von der Sonne verbrannt und von Wind und Wetter gegerbt worden war. Er trug einen für diese Gegend geradezu eleganten Anzug, welcher aber gar nicht zu ihm zu passen schien.

Der zweite Reiter war ein ältlicher Herr von behäbigem Aussehen. Der schnelle Morgenritt schien ihn angestrengt zu haben; er schwitzte. An seinem Sattel hing ein schönes Jagdgewehr. Ob er noch andre Waffen – wohl in den Taschen – bei sich hatte, sah man nicht, da er keinen Gürtel trug. Desto deutlicher aber sah man seinem ganzen Habitus an, daß ihm der wilde Westen fremd oder doch wenigstens nicht anheimelnd war. Er schien sich ungefähr in derselben Lage wie eine Landratte auf hoher See zu befinden.

Der dritte Ankömmling war ein junger, blonder und kräftiger Mann, welcher zwar nicht wie ein erfahrener Westmann auf dem Pferde saß, aber doch wenigstens ein guter Promenadenreiter war. Er hatte ein offenes, sympathisches Gesicht, welches leicht gebräunt war. Seine Waffen bestanden aus einem Gewehre, einem Bowiemesser und zwei Revolvern.

„Mehr als einen Schluck!“ antwortete Forner. „Welcome, Mesch’schurs! Steigt ab und laßt es euch bei mir gefallen!“

Der behäbig aussehende Herr hielt sein Pferd an, musterte den Ranchero einige Sekunden lang und sagte dann:

„Mir ist’s, also ob wir uns schon gesehen hätten, Sir. Forners Rancho! Also heißt Ihr Forner. Seid Ihr vielleicht bei mir in Brownsville gewesen? Ich heiße Rollins, und dieser junge Sir hier an meiner Seite ist Mr. Baumgarten, mein Buchhalter.“

Forner verbeugte sich gegen die beiden und antwortete:

„Natürlich haben wir uns gesehen, Sir. Ich hatte meine Ersparnisse bei Euch stehen und holte sie mir, ehe ich nach Arizona ging. Nur war es keine so hohe Summe, daß Euch meine Person hätte auffallen und im Gedächtnis bleiben müssen. Also kommt herein! Mein Brandy ist so gut, wie sonst irgend einer, und einen Imbiß könnt Ihr auch haben, wenn Ihr keine großen Ansprüche macht. Wie lange gedenkt Ihr hier zu bleiben, Master Grinley?“

„Bis die heißeste Mittagszeit vorüber ist,“ antwortete der, welcher Ölprinz genannt worden war, denn an diesen hatte Forner seine Frage gerichtet.

Die Pferde wurden abgesattelt und durften auf die Weide gehen. Die Reiter nahmen auf und an den erwähnten Steinen Platz. Grinley goß sich sofort ein Glas voll Brandy und leerte es in einem Zuge; schon nach kurzer Zeit hatte er der Flasche auf den Boden gesehen. Der Bankier mischte den Branntwein mit Wasser, während Baumgarten nur Wasser trank. Forner, Vater und Sohn, hatten sich in das Haus zurückgezogen, um von ihren einfachen Vorräten den Gästen ein Essen zu bereiten.

Von ihnen allen konnte keiner sehen, daß jetzt abermals zwei Reiter über den Fluß kamen und sich dem Rancho näherten. Sie hatten jedenfalls einen weiten Ritt hinter sich, und ihre Pferde waren sehr ermüdet. Diese beiden Männer waren Buttler, der Anführer der zwölf Finders, und Polier, der entlassene Führer der deutschen Auswanderer. Indem sie sich dem offenen Thore näherte, fragte Polier:

„Bist du wirklich überzeugt, daß der Ranchero dich nicht kennt? Du hast ihn mir als einen ehrlichen Kerl beschrieben, und ich nehme also an, daß der Name Buttler bei ihm Anstoß erregen würde.“

Man sieht, die beiden waren so vertraut miteinander geworden, daß sie sich jetzt du nannten. Buttler antwortete:

„Er hat mich nie gesehen. Nur mein Bruder ist oft bei ihm gewesen.“

„Der aber natürlich auch Buttler heißt!“

„Allerdings, aber er hat sich hier stets Grinley genannt.“

„Das war klug. Aber Brüder pflegen sich ähnlich zu sehen. Wahrscheinlich ist dies bei euch auch der Fall?“

„Nein. Wir sind Stiefbrüder und stammen von verschiedenen Müttern.“

„Weißt du, wo er sich jetzt befindet?“

„Nein. Als wir uns trennten, ging ich südwärts, um die Gesellschaft der Finders zu gründen; er aber war unentschlossen, wohin er sich wenden würde. Wer weiß, wo wir uns einmal wiedertreffen, wenn wir überhaupt in diesem Leben–alle Wetter, dort sitzt er ja!“

Die beiden waren in diesem Augenblicke unter dem Thore angekommen und sahen die drei Fremden im Hofe sitzen.

Buttler erkannte sofort Grinley, seinen Bruder, und hielt erstaunt sein Pferd an. Grinleys Blick fiel zu gleicher Zeit nach dem Thore. Er erkannte Buttler und hatte trotz seiner Überraschung die Geistesgegenwart, die Hand schnell auf den Mund zu legen, was eine Aufforderung zum Schweigen ist.

„Ja, er ist es,“ fuhr Buttler fort, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte und in den Hof ritt. „Sahst du das Zeichen, welches er mir gab? Wir dürfen ihn nicht kennen.“

Sie stiegen von ihren Pferden, ließen dieselben laufen und näherten sich den Steinen, gerade als die beiden Forners aus dem Hause kamen, um ihren Gästen Fleisch und Brot zu bringen. Sie grüßten und fragten, ob es erlaubt sei, sich mit niederzusetzen. Es wurde ihnen natürlich nicht versagt, und sie aßen und tranken mit, ohne daß man sie nach ihren Namen und sonstigen Verhältnissen oder Absichten fragte.

Die beiden Brüder, welche sich nicht kennen durften, beabsichtigten ganz selbstverständlich, sich gegen einander auszusprechen; dies mußte aber heimlich geschehen. Darum stand Grinley nach dem Essen auf und sagte, er wolle hinter das Haus gehen und sich dort im Schatten niederlegen, um ein wenig auszuruhen. Buttler folgte ihm nach einiger Zeit so unauffällig und unbefangen wie möglich. Die andern blieben sitzen.

Und wieder kamen zwei Reiter, aber nicht jenseits des Flusses, sondern am diesseitigen Ufer entlang. Sie waren sehr gut beritten. Wären ihre Figuren andre gewesen, so hätte man sie von weitem für Old Shatterhand, den berühmten Prairiejäger, und für Winnetou, den ebenso berühmten Häuptling der Apachen, halten können. Aber sie waren beide von zu kleiner Gestalt, der eine dick und der andre schmächtig.

Der Schmächtige trug lederne ausgefranste Leggins und ein ebenso ausgefranstes ledernes Jagdhemde, dazu lange Stiefel, deren Schäfte er über die Kniee emporgezogen hatte. Auf seinem Kopfe saß ein sehr breitkrämpiger Filzhut. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte hing ein Lasso und am Halse an einer seidenen Schnur eine indianische Friedenspfeife. Quer über dem Rücken hatte er zwei Gewehre, ein langes und ein kurzes. Genau so pflegte sich Old Shatterhand zu kleiden. Auch er besaß zwei Gewehre, den gefürchteten Henrystutzen und den weltbekannten langen, schweren Bärentöter.

Während dieser kleine hagere Mann bemüht zu sein schien, ein Eben- oder Abbild von Old Shatterhand zu liefern, war der andre bemüht gewesen, Winnetou nachzuahmen. Er trug ein weißgegerbtes und mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und an den Nähten mit Haaren besetzt; ob dies aber Skalphaare waren, das ließ sich sehr bezweifeln. Die Füße steckten in mit Perlen gestickten Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Am Halse trug er auch eine Friedenspfeife und dazu ein Ledersäckchen, welches einen indianischen Medizinbeutel vorstellen sollte. Um die dicke Taille schlang sich ein breiter Gürtel, welcher aus einer Santillodecke bestand. Aus demselben schauten die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor. Sein Kopf war unbedeckt; er hatte sich die Haare lang wachsen lassen und sie in einen hohen Schopf geordnet. Quer über dem Rücken hing ihm ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holzteile mit silbernen Nägeln beschlagen waren -eine Imitation der berühmten Silberbüchse des Apachenhäuptlings Winnetou.

Wer Old Shatterhand und Winnetou kannte und hier diese beiden Männlein sah, der hätte sich sicher eines Lächelns nicht erwehren können – das glattrasierte, gutmütige und etwas naseweise Gesicht des Hageren im Vergleiche zu den durchgeistigten, gebieterischen Zügen Old Shatterhands -und die blühend roten, runden Backen, die treuherzigen Augen und freundlich lächelnden Lippen des Dicken als Konterfei des ernsten, bronzenen Gesichtes des Apachen!

Und doch waren diese beiden ganz und gar nicht Personen, über welche zu lachen man Ursache gehabt hätte. Ja, sie besaßen gewisse auffällige Eigentümlichkeiten, aber sie waren Ehrenmänner, Gentlemen durch und durch, und hatten mancher großen und seltenen Gefahr tapfer und unerschrocken in das Auge geschaut. Mit einem Worte: der Dicke war der als „Tante Droll“ bekannte Westmann und der Hagere sein Freund und Vetter Hobble-Frank.

Ihre Verehrung für Old Shatterhand und Winnetou war so groß, daß sie sich wie diese beiden gekleidet hatten, was ihnen freilich ein ganz ungewohntes Aussehen gab. Ihre Anzüge waren neu und hatten jedenfalls ein nicht geringes Geld gekostet; und in Beziehung auf ihre Pferde waren sie auch nicht sparsamer gewesen.

Auch sie hatten den Rancho zum Ziele und ritten durch das Thor desselben ein. Als sie auf dem Hofe erschienen, erregten sie einiges Aufsehen, welches seinen Grund in dem Kontraste hatte, welcher zwischen ihrer kriegerischen Ausrüstung und ihrem gutmütigen Aussehen bestand. Sie machten nicht viel Federlesens, stiegen von ihren Pferden, grüßten kurz und setzten sich auf zwei noch leere Steine, ohne zu fragen, ob dies den andern angenehm sei oder nicht.

Forner musterte die beiden Ankömmlinge mit neugierigen Augen. Er war ein erfahrener Mann und wußte dennoch nicht, was er aus ihnen machen sollte. Er konnte nur durch Fragen zum Ziele kommen; darum erkundigte er sich:

„Wollen die Gentlemen vielleicht auch etwas genießen?“

„Jetzt nicht,“ antwortete Droll.

„Also später. Wie lange gedenkt ihr hier zu bleiben?“

„Das kommt auf die Verhältnisse an, wenn es nötig ist.“

„Ihr meint jedenfalls hiesige Verhältnisse?“

„Ja.“

„Da kann ich euch sagen, daß ihr bei mir sicher seid.“

„Wo anders auch!“

„Meint ihr? So wißt ihr wohl noch gar nicht, daß die Navajos ihre Kriegsbeile ausgegraben haben?“

„Wir wissen’s.“

„Und daß auch die Moquis und Nijoras sich im hellen Aufstande befinden?“

„Auch das.“

„Und dennoch fühlt ihr euch sicher?“

„Warum sollen wir uns unsicher fühlen, wenn es nötig ist?“

Es ist ganz eigentümlich und eine alte Erfahrung, daß es selten einen richtigen Westmann gibt, der sich nicht irgend eine bestimmte, stehende Redensart angewöhnt hat. Sam Hawkens z.B. bediente sich häufig der Worte „wenn ich mich nicht irre“; Droll hatte sich den Ausdruck „wenn es nötig ist“ angewöhnt. Oft werden diese Redensarten bei Gelegenheiten angewandt, wo sie höchst lächerlich erscheinen und wohl gar das Gegenteil von dem sagen, was ausgedrückt werden soll. So auch jetzt und hier. Darum sah Forner den kleinen Dicken erstaunt an, fuhr aber doch ernsthaft fort:

„Kennt Ihr denn diese Völkerschaften, Sir?“

„Ein wenig.“

„Das reicht nicht aus. Man muß Freund mit ihnen sein, und selbst dann noch ist es möglich, daß man den Skalp verliert, wenn sie den Kampf gegen die Weißen beschlossen haben. Wenn euch euer Weg etwa nach Norden führt, So rate ich euch ab; es ist dort keineswegs geheuer. Ihr scheint zwar gut ausgerüstet zu sein, aber wie ich an euern neuen Anzügen sehe, kommt ihr direkt aus dem Osten, und eure Gesichter sind auch nicht solche, aus denen man den unerschrockenen Westmann sofort herauszulesen vermag.“

„So! Das ist sehr aufrichtig. Ihr beurteilt die Leute also nach ihren Gesichtern, wenn es nötig ist?“

„Ja.“

„Das gewöhnt Euch sobald wie möglich ab. Man schießt und sticht mit der Büchse und dem Messer, nicht aber mit dem Gesichte, verstanden! Es kann einer sehr martialische und grimmige Gesichtszüge besitzen und dabei doch ein Hasenfuß sein.“

„Das will ich nicht bestreiten; aber ihr – hm. Darf ich nicht vielleicht erfahren, was ihr seid, Mesch’schurs?“

„Warum denn nicht?“

„Nun, bitte!“

„Wir sind – na ja, wir sind eigentlich das, was man Rentiers oder wohl auch Particuliers nennt.“

„O weh! Da seid ihr wohl zu euerm Vergnügen nach dem Westen gekommen?“

„Zu unserm Herzeleid natürlich nicht!“

„Wenn das ist, Sir, da kehrt sofort wieder um, sonst werdet Ihr hier ausgelöscht, wie man ein Licht ausbläst. Aus der Art und Weise, wie Ihr redet, höre ich, daß Ihr keine Ahnung von den Gefahren habt, die in dieser Gegend auf Euch warten, Master – Master – wie ist doch Euer Name?“

Droll griff gemächlich in die Tasche, brachte eine Karte hervor und überreichte sie ihm. Der Ranchero machte ein Gesicht, als ob er sich die größte Mühe geben müsse, das Lachen zu verbeißen, und las laut.

„Sebastian Melchior Pampel.“

Der Hobble-Frank hatte auch in die Tasche gelangt und ihm eine Karte gegeben. Forner las:

„Heliogabalus Morpheus Edeward Franke.“

Er hielt einen Augenblick inne und brach dann lachend los:

„Aber, Gents, was sind das für sonderbare Namen, und was seid ihr doch für sonderbare Menschen! Meint ihr etwa, daß die aufrührerischen Indianer vor diesen euern Namen ausreißen werden? Ich sage euch, daß –“

Er mußte innehalten, denn Rollins, der Bankier, fiel ihm in die Rede:

„Bitte, Master Forner, redet nichts, was diese Gentlemen beleidigen könnte. Ich habe zwar nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich weiß, daß sie Leute sind, vor denen Ihr Respekt haben müßt.“

Und sich dann direkt an den Hobble-Frank wendend, fuhr er fort:

„Sir, Euer Name ist ein so ungewöhnlicher, daß ich ihn mir gemerkt habe. Ich bin der Bankier Rollins aus Brownsville in Arkansas. Wurden nicht vor einigen Jahren Gelder für Euch bei mir deponiert?“

„Ja, Sir, das ist richtig,“ nickte Frank. „Ich vertraute es einem guten Freunde an, welcher es für mich bei Euch niederlegen mußte, weil Ihr mir von Old Shatterhand als sicher geschildert worden waret. Später konnte ich es nicht selbst erheben, sondern ließ es mir nach New York schicken.“

„Das stimmt, das stimmt!“ fiel Rollins eifrig ein. „Old Shatterhand, ja, ja! Ihr hattet damals droben in der Nähe von Fillmore City, am Silbersee glaube ich, eine große Masse Gold gefunden. Ist’s nicht so, Sir?“

„Ja,“ lachte Frank vergnügt. „Es waren so einige Fingerhüte voll.“

Da sprang Forner von seinem Sitze auf und rief:

„Donnersturm! Ist das wahr, ist das möglich? Ihr seid mit da oben am Silbersee gewesen?“

„Gewiß. Und hier mein Vetter war auch dabei.“

„Wirklich, wirklich? Damals waren ja alle Zeitungen voll von der außerordentlichen Geschichte. Old Firehand, Old Shatterhand, Winnetou sind dabei gewesen, diese berühmten Kerls. Dann der dicke Jemmy, der lange Davy, der Hobble-Frank, die Tante Droll! So kennt Ihr also diese Leute, Sir?“

„Natürlich kenne ich sie. Hier sitzt die Tante Droll, da neben mir, wenn Ihr es gütigst erlaubt.“

Er deutete bei diesen Worten auf seinen Gefährten, dieser zeigte auf ihn und erklärte:

„Und hier habt Ihr unsern Hobble-Frank, wenn es nötig ist. Meint Ihr nun immer noch, daß wir Leute sind, welche den Westen noch nicht kennen?“

„Unglaublich, geradezu unglaublich! Aber es kann nicht sein! Die Tante Droll ist nie anders zu sehen, als in einem ganz sonderbaren Anzuge, in welchem man sie für eine Lady hält. Und der Hobble-Frank trägt einen blauen Frack mit blanken Knöpfen und auf dem Kopfe einen großen Federhut!“

„Muß das immer sein? Darf man sich nicht anders kleiden? Meint Ihr, daß ein Anzug so unverwüstlich ist, daß er im wilden Westen jahrhundertelang getragen werden kann? Als Freunde und Gefährten von Old Shatterhand und Winnetou beliebt es uns jetzt, uns genau wie diese beiden Männer zu kleiden. Wenn Ihr uns nicht glaubt, so ist das Eure Sache; wir haben nichts dagegen.“

„Ich glaube es, Sir, ich glaube es! Ich habe ja gehört, daß man es der Tante Droll und dem Hobble-Frank gar nicht ansehen soll, was für prächtige Kerls sie sind, und das stimmt vollständig. Wie freu‘ ich mich, euch zu sehen, Mesch’schurs. Jetzt müßt ihr erzählen; ich bin ganz begierig, aus euerm eigenen Munde zu erfahren, was sich alles damals ereignet hat, und wie jenes außerordentliche Placer entdeckt worden ist.“

Da wehrte der Bankier ab.

„Langsam, langsam, Sir! Das könnt Ihr noch jederzeit hören. Es gibt vorher noch viel Wichtigeres, wenigstens für mich.“

Er hatte das zu Forner gesagt; dann fügte er hinzu, sich an Droll und Frank wendend:

„Ich stehe nämlich vor einem ähnlichen Ereignisse; ich befinde mich auf dem Wege, viele, viele Millionen zu verdienen.“

„Wißt Ihr auch ein Placer, Sir?“ fragte Droll.

„Ja; aber nicht Gold, sondern Petroleum soll dort zu finden sein.“

„Auch nicht übel, Sir. Petroleum ist flüssiges Gold. Wo soll denn dieses Placer zu suchen sein?“

„Das ist noch Geheimnis. Master Grinley hat es entdeckt. Er besitzt aber nicht die Mittel, es auszubeuten; dazu gehört viel, sehr viel Geld, und das habe ich. Er hat mir das Placer angeboten, und ich bin bereit, es ihm abzukaufen. Zu solchen Geschäften muß man die eignen Augen nehmen. Darum habe ich mich mit meinem Buchhalter, Mr. Baumgarten hier, aufgemacht, um mich von Grinley nach der Stelle führen zu lassen. Wenn seine Beschreibung sich als richtig erweist, kaufe ich ihm den Platz auf der Stelle ab.“

„Also wo er Euch hinführen wird, das wißt Ihr nicht?“

„Genau allerdings nicht. Es ist ja ganz begreiflich, daß er den Ort bis zum letzten Augenblicke geheim halten will. Wenn es sich um Millionen handelt, kann man nicht bedächtig genug sein.“

„Ganz richtig. Hoffentlich ist er es nicht allein, welcher vorsichtig handelt, denn Ihr habt noch viel mehr Grund, wenigstens ebenso vorsichtig zu sein. Aber so ungefähr müßt Ihr doch wissen, in welcher Gegend das Öl zu finden ist?“

„Das weiß ich allerdings.“

„Nun, wo? Wenn Ihr es mir nämlich sagen wollt.“

„Euch sage ich es gern, denn ich möchte wissen, was Ihr davon haltet. Es ist am Chellyarm des Rio San Juan.“

Das volle, rote Gesicht Drolls zog sich in die Länge. Er sah nachdenklich vor sich nieder und sagte:

„Am Chellyarm des Rio San Juan? Da – soll – Pe–tro-le-um zu finden – sein? Im ganzen Leben nicht!“

„Was? Wie? Warum?“ rief der Bankier. „Ihr glaubt es nicht?“

„Nein.“

„Kennt Ihr denn die Gegend?“

„Nein.“

„So könnt Ihr doch auch nicht in dieser Weise absprechend urteilen!“

„Warum nicht? Man braucht nicht dort gewesen zu sein, um dennoch zu wissen, daß es dort kein Öl geben kann.“

„Da widerspreche ich. Mr. Grinley war dort und hat Öl gefunden. Ihr aber seid nicht dort gewesen, Sir.“

„Hm! Ich war auch noch nicht in Ägypten und am Nordpole; aber wenn mir jemand sagte, er habe im Nil Buttermilch fließen und am Pole Palmen wachsen sehen, so glaube ich es nicht.“

„Ihr zieht die Sache in das Lächerliche; um ein so schnelles und bestimmtes Urteil fällen zu können, müßtet Ihr Geolog oder Geognost sein. Seid Ihr das?“

„Nein; aber ich besitze meinen gesunden Menschenverstand und habe ihn geübt.“

Da nahm Forner sich der Sache an, indem er der Tante Droll erklärte:

„Ihr thut Mr. Grinley unrecht, Sir, jedermann hier weiß, daß er Petroleum gefunden hat. Es ist ihm gar mancher heimlich nachgegangen, um ihm sein Geheimnis abzulauschen und den Ort zu entdecken, doch stets vergeblich.“

„Natürlich ganz vergeblich, weil es diesen Ort überhaupt nicht gibt!“

„Es gibt ihn, sage ich Euch! Mr. Grinley wird hier von jedermann der Ölprinz genannt.“

„Das beweist gar nichts.“

„Aber er hat mir verschiedene Male Proben des Öles gezeigt!“

„Auch das ist kein Beweis. Petroleum kann jeder zeigen. Es ist mir wirklich ganz unglaublich, daß es da oben Erdöl gibt. Nehmt Euch in acht, Mr. Rollins! Denkt daran, daß es vor nicht gar langer Zeit Schwindler gab, welche Geldleute in sogenannte Gold- und sogar auch Diamantdistrikte lockten; dann stellte es sich heraus, daß es dort weder Metalle noch Edelsteine gab!“

„Sir, wollt Ihr Mr. Grinley verdächtigen?“

„Fällt mir nicht ein. Die Sache geht mich gar nichts an; aber Ihr habt mich nach meiner Meinung gefragt, und ich habe sie Euch mitgeteilt.“

„Gut! Darf ich vielleicht auch erfahren, was Mr. Frank davon denkt?“

„Ganz dasselbe, was Droll denkt,“ antwortete der Hobble-Frank. „Wenn Ihr uns nicht beistimmen wollt, so wartet hier einige Tage; dann werden zwei Personen kommen, auf deren Urteil Ihr Euch verlassen könnt.“

„Wer wird das sein?“

„Old Shatterhand und Winnetou.“

„Was?“ fragte Forner freudig überrascht. „Diese beiden Männer wollen in einigen Tagen nach hier kommen?“

„Ja.“

„Woher wißt Ihr das?“

„Von Old Shatterhand.“

„Hat er Euch hierher bestellt?“

„Nein; aber er hat die Güte, mich zuweilen mit einem Briefe zu erfreuen, und vor acht Wochen schrieb er mir, daß er sich mit Winnetou verabredet habe, um die jetzige Zeit mit ihm auf Forners Rancho am Rio San Carlos zusammenzutreffen.“

„Und Ihr meint, daß dies geschehen wird?“

„Ganz bestimmt.“

„Es können Störungen eintreten!“

„Ja; aber dann wartet hier einer auf den andern.“

„Und wenn sie doch nicht kommen?“

„Sie kommen so gewiß, wie der Tag auf die Nacht erscheint. Es ist dagewesen, daß sie sich verabredet haben, an einem gewissen Tage bei einem bestimmten Baume mitten im Urwalde zusammenzutreffen, und niemals haben sie sich verfehlt. Sobald ich den Brief gelesen hatte, war ich überzeugt, daß sie jedes Hindernis überwinden und zur angegebenen Zeit hier sein würden. Ich entschloß mich sofort, mit dabei zu sein und sie zu überraschen. Mein Vetter Droll war gleich dabei, und daß wir aus Deutschland und Sachsen herübergekommen sind, das muß Euch beweisen, daß sie unbedingt hier eintreffen werden.“

„Aus Deutschland? Aus Sachsen?“ fiel da Baumgarten, der Buchhalter, rasch ein. „So seid Ihr wohl ein Deutscher, Sir?“

„Ja. Wißt Ihr das noch nicht?“

„Nein. Und hätte ich es einmal gewußt, so habe ich es wieder vergessen. Um so mehr bin ich erfreut, in Euch einen Landsmann begrüßen zu können. Hier meine Hand, Sir; erlaubt mir gefälligst, die Eurige zu drücken!“

Da reichte ihm der Hobble-Frank die seinige hin und rief erfreut in seinem heimatlichen Dialekte:

„Da nehmen Sie sie hin; hier ist sie gegenwärtig mit allen Fingern, die daran gehören! Sie ooch een Deutscher? Wenn mersch nich erleben thät, so thät mersch gar nich glooben! In welcher heimatlichen Gegend sind denn eegentlich Sie aus der jenseitigen Ewigkeet in die diesseitige Zeitlichkeet hineingeschprungen?“

„In Hamburg.“

„In Hamburg? I der Tausend! Also eenige Stunden oberhalb der geographischen Schtelle, an welcher meine liebe Elbe ihre Verlobung mit der Nordsee feiert. Das is mir unendlich intriguant. Wir sind also beede mit Elbwasser getooft, und wenn ich wieder off meinem Bärenfette sitze, kann ich Ihnen mit den Wellen meine Grüße franko zuschpedieren.“

„Bärenfett?“ fragte Baumgarten verwundert.

„Jawohl, jawohl! Sind Sie denn nich Abonnement vom Guten Kameraden, der in Schtuttgart herausgegeben und an allen Orten der Erde begeischdert gelesen wird?“

„Sie meinen die Knabenzeitung, die diesen Titel führt?“

„Natürlich meene ich nur die!“

„Gesehen habe sich sie, aber abonniert bin ich nicht darauf.“

„Nich? Hören Sie, das is eene Unterlassungssünde, für welche es keenpaterpizzicato gibt. Die müssen Sie halten; die müssen Sie lesen! Ohne die kann keen gebildeter Mensch mehr existieren, denn ich bin eener ihrer oberschten Mitarbeiter. Hätten Sie sie gelesen, so wüßten Sie ganz genau, was ich mit meinem Bärenfett meene, nämlich meine Villa Bärenfett, die ich im dritten Jahrgange paganini 397 so physikalisch-dramatisch geschildert habe. Wenn Sie mal nach Sachsen kommen, müssen Sie mich da besuchen, denn dort finden Sie alle Andenken, Erinnerungen und Souverains von meinen ein- und auswärtigen Erlebnissen.“

Baumgarten hatte vom Hobble-Frank gehört: er besann sich jetzt, daß derselbe als ein recht sonderbares Menschenkind geschildert worden war. Jetzt hatte er ihn in Lebensgröße vor sich und gab sich der nun in einem ununterbrochenen Strome fließenden Unterhaltung mit großem Vergnügen hin. Dieselbe gewann dadurch an Interesse und Lebhaftigkeit, daß sich Droll in seinem Altenburger Dialekte auch daran beteiligte.

Unterdessen stand Poller, der entlassene Führer, von seinem Platze auf und that, als ob er nach seinem Pferde sehen wolle. Er machte sich eine kleine Weile mit demselben zu schaffen und verschwand dann hinter dem Hause, wo die beiden Brüder Buttler neben einander im Grase lagen und sich höchst wichtige Dinge mitzuteilen hatten. Da der eine von ihnen sich hier auf dem Rancho unter dem Namen Grinley eingeführt hatte, mag ihm derselbe auch behalten bleiben. Die Gebrüder Buttler hatten früher im Verein mit andern gleichgesinnten Menschen an den Grenzen zwischen Kalifornien, Nevada und Arizona eine lange Reihe von Thaten begangen, welche so unerhört waren, daß sich schließlich notgedrungener Weise eine Gesellschaft von Regulatoren gebildet hatte, um diesem Unwesen, gegen welches sich das Gesetz als machtlos erwies, auf eigene Faust ein Ende zu machen. Dies war gelungen. Man hatte die meisten Mitglieder der Bande gelyncht: nur wenige waren entkommen, unter ihnen gerade die beiden hervorragendsten und schlimmsten, die Buttlers. Sie hatten sich, wie bereits erwähnt, getrennt. Der eine war nach dem Süden gegangen, um die Gesellschaft der Finders zu gründen, und der andre hatte sich lange Zeit planlos in Utah, Colorado und Neumexiko herumgetrieben, bis er auf einen raffinierten Gedanken verfallen war, dessen Ausführung in das Werk zu setzen er jetzt nun im Begriffe stand. Als er seinem Bruder das Hauptsächlichste darüber mitgeteilt hatte, warf dieser einen bewundernden Blick auf ihn und sagte:

„Du warst stets der Pfiffigere von uns beiden, und ich gestehe dir aufrichtig, daß mir auch dein jetziger Plan ungeheuer imponiert. Meinst du, daß dieser Bankier Rollins wirklich darauf hereinfallen wird?“

„Unbedingt. Er ist geradezu begeistert für das Unternehmen, welches mir mit einem Schlage wenigstens hunderttausend Dollars einbringen wird.“

„Soviel – – soviel setzt er daran?!“ rief der andre aus.

„Still! Nicht so laut! Hier haben zuweilen die Grashalme Ohren. Bedenke, daß er überzeugt ist, mit leichter Mühe und in kürzester Zeit Millionen verdienen zu können! Was sind da lumpige hunderttausend Dollars, für welche ich mich ein für allemal abfinden lasse!“

„Aber wann zahlt er sie? Er muß ja in kürzester Zeit hinter den Betrug kommen.“

„Sofort hat er zu zahlen, sofort. Ich weiß, daß er die Anweisungen schon jetzt in der Tasche trägt. Sie sind nur noch zu unterschreiben, und das wird er sicher thun, sobald das Öl ihn in den voraussichtlichen Taumel versetzt.“

„So wundert mich nur eins, nämlich, daß er keinen wirklich Sachverständigen mitgenommen hat; der Buchhalter, welcher ihn begleitet, ist in dieser Beziehung doch wohl nur ein Null.“

„Ja, das habe ich geschickt anfangen müssen. Je mehr Begleiter, desto mehr Bieter. Ich soll auf ihn allein angewiesen sein und keine andre Gelegenheit zum Verkaufe finden. Nähme er einen Ingenieur mit, so könnte dieser leicht auf eigene Faust und heimlich mit mir verhandeln. Diesen Gedanken glaubt er, selbst gefaßt zu haben, und doch bin ich es, der ihm denselben eingegeben hat. Den Buchhalter hat er mitgenommen, weil er seiner bedarf, um sofort und nach allen Seiten hin disponieren zu können. Ich habe mir ihn gefallen lassen, weil er ein dummer Deutscher ist, den ich nicht zu fürchten brauche. Er wäre der Allerletzte, auf den Gedanken zu kommen, daß die Petroleumquelle Schwindel ist.“

„Bist du überzeugt, daß dein Ölvorrat hinreichend ist?“ fragte Buttler seinen Bruder.

„Er reicht. Du kannst dir aber denken, welche Mühe es mich gekostet hat, die Fässer von so weit her- und einzeln hinaufzuschaffen. Kein Mensch durfte etwas ahnen, und jede Begegnung hatte ich unterwegs zu vermeiden. Ich habe mich damit ein ganzes, volles Jahr geschunden und alles allein, ganz allein machen müssen, denn einen Vertrauten außer dir konnte ich nicht gebrauchen, und du warst nicht da.“

„Hättest du denn auch das, was nun noch zu thun ist, ohne fremde Hilfe fertig gebracht?“

„Es hätte gehen müssen, wäre aber nur sehr schwer gegangen. Du mußt bedenken, daß ich der Führer des Bankiers bin und mich also nicht von ihm entfernen darf, ganz besonders auch deshalb nicht, weil er sonst Verdacht schöpfen könnte. Und doch hätte ich dies thun müssen, um das Öl in das Wasser zu bringen. Es sind vierzig Fässer, eine wahre Heidenarbeit für einen einzelnen Menschen, der überdies keine Zeit dazu hat! Um so mehr freue ich mich, dich getroffen zu haben, denn ich denke doch, daß du mir helfen wirst?“

„Mit dem größten Vergnügen. Aber natürlich setze ich da voraus, daß es nicht umsonst geschehen soll.“

„Selbstverständlich. Zwar von den hunderttausend Dollars möchte ich nichts abgeben, denn ich habe sie redlich verdient, und du hast nun weiter nichts zu thun, als die Fässer zu öffnen. Ich werde also mehr verlangen und was dies beträgt, das ist dein, verstehst du?“

„Und wenn er aber nicht mehr gibt?“

„Er gibt mehr; ich versichere es dir. Und sollte ich mich darin täuschen, so kennst du mich und weißt, daß wir leicht einig werden. Du wirst aber heut noch aufbrechen müssen, denn wenn du länger bleibst, kann leicht etwas geschehen, was Rollins und seinen Deutschen auf den Gedanken bringt, daß wir uns kennen.“

„Ich müßte auch ohnedies fort, da noch am Nachmittage die Auswanderer mit ihrem Kleeblatte ankommen und die dürfen mich natürlich nicht sehen.“

„Ahnen sie, daß du sie verfolgst?“

„Nein, wenigstens glaube ich es nicht, denn sie können nicht erfahren haben, daß ich entkommen bin. Es hat uns große Anstrengung gekostet, sie ein- und dann heut gar zu überholen. Dieser schlaue Sam Hawkens hat sie beredet, von ihrer ursprünglich geplanten Richtung abzuweichen. Er ist über den Gila gegangen, anstatt diesem zu folgen und hat dann, um rascher reisen zu können, auf Bells Farm die langsamen Ochsen mit den schnelleren Maultieren vertauscht und ebenda die Wagen und alles überflüssige Gerät verkauft. Nun reiten sie alle.“

„Du weißt bestimmt, daß sie heute hier ankommen?“

„Ja; ich habe sie gestern abend in ihrem Lager belauscht. Poller hat es auch gehört.“

„Ah, dieser Poller! Ist er dir nicht im Wege?“

„Jetzt noch nicht.“

„Aber desto mehr mir. Kannst du ihn nicht loswerden?“

„Schwerlich.“

„Durch irgend eine List?“

„Geht nicht. Er würde mich aus Rache an das Kleeblatt verraten und gewiß auch Aufklärung über dich erteilen.“

„Er kennt mich doch nicht!“

„O doch, denn als ich dich sitzen sah, habe ich ihm gesagt, daß du mein Bruder bist. Während wir uns jetzt hier befinden, wird sicher von eurer Petroleumquelle gesprochen; er denkt sich natürlich das Richtige und würde, wenn ich ihn verließe, an dir zum Verräter werden.“

„Das ist dumm. Du hättest ihm nichts sagen sollen.“

„Es ist nun einmal geschehen und kann nicht geändert werden. Überdies kann er mir behilflich sein und mir da droben am Gloomy-water meine Arbeit sehr erleichtern.“

„Willst du ihn einweihen?“

„Nur zum Teil, vollständig nicht.“

„Dennoch wird er mit uns teilen wollen!“

„Mag sein; er bekommt jedoch nichts. Sobald ich ihn nicht mehr gebrauchen kann, schaffe ich ihn aus dem Wege.“

Well, das lass‘ ich gelten. Er mag uns jetzt helfen, und dann bekommt er, ist’s nötig, eine Kugel oder mag im Petroleum ersaufen. Wann brecht ihr hier auf?“

„Das kann sofort geschehen.“

„Schön! So könnt ihr heut abend schon weit von hier sein.“

„Da täuschest du dich. Es fällt mir gar nicht ein, die deutschen Auswanderer aus den Augen zu lassen.“

„Auf sie wirst du nun, da du mir zu helfen hast, verzichten müssen.“

„Keinesweges. Es ist einer dabei, Ebersbach heißt er, welcher viel bares Geld bei sich hat, und außerdem besitzen sie viel und allerlei, was unsereiner gut gebrauchen und verwerten kann. Dazu kommt die Rache, die ich an ihnen nehmen will und die ich ganz unmöglich aufgeben kann.“

„Ist mir außerordentlich unlieb und paßt ganz und gar nicht in meinen Plan!“

„Warum nicht? Ihr Weg führt sie in der Nähe des Gloomy-water vorüber; du brauchst dich ihnen also nur anzuschließen; das übrige ist dann meine Sache.“

So weit waren sie in ihrem Gespräch gelangt, als sie Poller kommen sahen. Er trat ganz zu ihnen heran und sagte in wichtigem Tone:

„Ich muß euch stören, denn da vorn gehen wichtige Dinge vor.“

„Sind sie wirklich so wichtig, daß du uns deshalb unterbrechen mußt?“ fragte Buttler unwillig.

„Ja. Nämlich Old Shatterhand und Winnetou kommen hierher.“

„Alle Wetter!“ fuhr Grinley auf. „Was haben die hier zu suchen!“

„Was geht es dich an, daß sie kommen?“ meinte Buttler, jetzt wieder ruhig. „Dir kann es ja ganz gleichgültig sein, wo sie stecken.“

„Ganz und gar nicht, denn da, wo diese beiden Menschen sich befinden, bleibt in der ganzen Gegend kein herabgefallenes Blatt unumgewendet; sie müssen alles wissen und erfahren alles.“

„Hm, das ist wahr. Woher weißt du denn, Poller, daß sie kommen?“

„Eben als du dich entfernt hattest, kamen zwei Fremde, von denen wir es erfahren haben. Sie wollen hier auf Winnetou und Old Shatterhand warten und sind genau so gekleidet, wie diese beiden sich zu tragen pflegen. Jetzt sitzen sie da und kauderwelschen mit dem Buchhalter des Bankiers in deutscher Sprache.“

„Woher wißt Ihr denn,“ fragte Grinley, „daß es ein Buchhalter mit seinem Bankier ist?“

„Rollins hat es selbst gesagt.“

„Daß doch – hat er vielleicht gar noch mehr von uns erzählt?“

„Ihr meint von Petroleum? ja, das hat er gesagt.“

„Das ist fatal, außerordentlich fatal!“ rief er aus, indem er eifrig aufsprang. „Ich muß vor zu ihnen, um weiteres zu verhüten. Ihr sagt, daß sie deutsch sprechen. Sind sie denn Deutsche?“

„Ja. Der eine wird Tante Droll und der andre Hobble-Frank genannt.“

„Was Ihr sagt! Da gehören sie ja zu der Gesellschaft, die da oben am Silbersee in kurzer Zeit so reich geworden ist!“

„Ja; sie sprachen davon. Diese beiden Kerls scheinen sehr viel Geld bei sich zu haben.“

„Und was sagten sie zu meiner Petroleumquelle?“

„Sie glaubten es nicht und haben den Bankier gewarnt. Sie halten es für Schwindel.“

„Donner und Doria! Habe ich es nicht sofort gesagt, als ich hörte, daß Old Shatterhand und Winnetou kommen wollen! Sie sind noch nicht einmal da und schon beginnt der Teufel sein Spiel! Da können wir uns nur fest in den Sattel setzen. Was sagte der Bankier zu der Warnung?“

„Er schien das Vertrauen nicht zu verlieren; aber sie rieten ihm, hier auf Winnetou und Old Shatterhand zu warten und sich bei ihnen zu erkundigen.“

„Das fehlte noch! Ging er vielleicht darauf ein?“

„Das sagte er nicht. Jetzt sitzt er still dort und scheint zu überlegen.“

„Da muß ich zu ihm, um ihm die Grillen auszureden. Vorher aber muß ich mit Euch schnell klar werden, denn Ihr müßt fort. Also hört, was ich Euch sage!“

Sie sprachen noch eine kleine Weile leise und hastig miteinander. Es schienen Versprechungen und Beteuerungen zu sein, denn sie gaben einander die Hände mehreremal; dann gingen Buttler und Poller miteinander nach vom, wo sie dem Ranchero erklärten, daß sie aufbrechen wollten. Sie wollten das, was sie verzehrt hatten, bezahlen, aber er nahm nichts, da sein Rancho kein Wirtshaus sei; dann ritten sie fort, ohne daß jemand – natürlich Grinley ausgenommen – etwas über ihre Namen und Absichten erfahren hatte. Sie waren nicht einmal darnach gefragt worden.

Kurze Zeit darauf kam Grinley herbeigeschlendert. Er that, als ob er sich nun ausgeruht habe, und setzte sich wieder an seinen Platz, indem er Frank und Droll höflich grüßte und ihnen ein möglichst offenes und ehrliches Gesicht zeigte, um ihr Vertrauen zu erwecken. Der Bankier konnte sich jedoch nicht halten; er sagte:

„Master Grinley, hier sitzen zwei gute Bekannte von Winnetou und Old Shatterhand, nämlich Mr. Droll und Mr. Hobble-Frank, welche nicht an Eure Petroleumquelle glauben wollen. Was sagt Ihr dazu?“

„Was ich dazu sage?“ antwortete der Gefragte gleichmütig, „ich sage, daß ich ihnen das gar nicht übelnehmen will. In Sachen, wo es sich um so große Summen handelt, muß man vorsichtig sein. Ich habe ja selbst auch nicht eher daran geglaubt, als bis meine Ölproben von mehreren Sachverständigen untersucht worden waren. Wenn es den Herren Spaß macht, mögen sie mit uns reiten, um sich zu überzeugen, was für eine mächtige Menge von Öl der Platz enthält.“

„Sie wollen hier auf Winnetou und Old Shatterhand warten.“

„Dagegen kann ich gar nichts haben; aber da ich mein Placer weder an Old Shatterhand noch an Winnetou verkaufen will, so bin nicht ich es, der auf diese beiden zu warten hat.“

„Aber wenn nun ich warten möchte?“

„So fällt es mir nicht ein, Euch zu hindern. Ich zwinge keinen Menschen mit mir zu gehen. Wenn ich hinüber nach Frisko reite, finde ich Kapitalisten genug, welche sofort dabei sind und mich nicht unterwegs im Stiche lassen. Wer mir nicht glaubt, der mag daheim bleiben.“

Er goß ein volles Glas Brandy hinunter und ging dann hinaus zu seinem Pferde.

„Da habt ihr es,“ meinte der Bankier. „Sein Verhalten muß euch vollständig überzeugen, daß er seiner Sache sicher ist.“

„Das ist er allerdings,“ antwortete der Hobble-Frank. „Aber ob diese Sache eine gerechte oder ungerechte ist, wird sich erst später herausstellen.“

„Ich habe ihn beleidigt, und er wird nicht hier warten. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich ihn nicht allein fortlassen kann, sondern mit ihm gehen muß, denn ich mag auf das außerordentliche Geschäft, auf welches ich mit ihm eingegangen bin, nicht verzichten. Ihr werdet doch wohl zugeben, daß euer Mißtrauen noch gar nichts beweist.“

„Für Euch wahrscheinlich nicht; aber wir hielten es für unsre Pflicht, Euch zur Vorsicht zu mahnen. Wir haben gesagt, daß da oben, wohin Ihr wollt, kein Petroleum gefunden werden kann; damit soll freilich nicht direkt behauptet werden, daß Euer Grinley partout ein Betrüger sei, denn er kann sich ja selbst geirrt haben. Doch will ich Euch freimütig gestehen, daß mir sein Gesicht nicht gefällt. Was mich betrifft, so würde ich es mir zehnmal überlegen, ehe ich ihm mein Vertrauen schenkte.“

„Ich danke Euch für Eure Aufrichtigkeit, bin aber nicht der Meinung, daß man einen Menschen für sein Gesicht verantwortlich machen kann, denn er hat es sich nicht selbst gegeben.“

„Da irrt Ihr Euch, Sir. Allerdings, das Gesicht wird dem Kinde von der Natur gegeben, dann aber durch die Erziehung und andre Eindrücke verändert, wobei auch die Seele von innen heraus an dieser Veränderung teilnimmt. Ich werde keinem Menschen trauen, der mich nicht aufrichtig und grad ansehen kann, und das ist mit diesem Master Grinley der Fall. Ich fordere keineswegs von Euch, ihn für einen Spitzbuben zu halten, sondern will Euch nur zur Vorsicht mahnen.“

„Was das betrifft, so würde ich auch ohne diese Eure Ermahnung nicht leichtsinnig handeln. Ich bin Geschäftsmann und pflege scharf zu kalkulieren. Da versteht es sich ganz von selbst, daß ich hier, wo es sich um so hohe Summen dreht, mich hundertmal bedenke, ehe ich nur zehn Worte sage.“

Well, ich begreife das; aber Ihr seid unerfahren hier im wilden Westen. Ich will gern glauben, daß Ihr in Eurem Comptoir der Mann und Meister seid, dem nichts entgehen kann; die hiesigen Verhältnisse aber sind Euch fremd. Auch von dem Petroleum ganz abgesehen, wollt Ihr, der Ihr ein reicher Mann seid, mit einem Menschen, den Ihr nicht kennt, nach einer Gegend, in welcher Euch im Falle der Gefahr keine Spur von Hilfe werden kann – – –“

„O, wir sind ja zwei gegen einen!“ fiel der Bankier ein, indem er auf seinen Begleiter deutete.

„Jetzt; ob aber auch später, das könnt Ihr nicht behaupten. Grinley kann da oben Helfershelfer haben, die auf Euch warten; auch müßt Ihr bedenken, daß die Roten, durch deren Gebiet Ihr kommt, grad jetzt im Aufstande begriffen zu sein scheinen. Und selbst, wenn dies nicht wäre, so gewährt Euch der Umstand, daß Ihr zwei gegen einen seid, nicht die mindeste Sicherheit. Er schießt Euch plötzlich nieder, oder er nimmt Euch im Schlafe fest, um Euch Geld oder sonst etwas abzupressen. Darum habe ich Euch vorgeschlagen, hier zu warten, bis Old Shatterhand und Winnetou kommen. Das sind berühmte und erfahrene Männer, auf deren Urteil Ihr Euch ganz sicher verlassen könntet.“

Rollins blickte eine ganze Weile nachdenklich und still vor sich nieder. Franks Vorstellungen hatten sichtlich Eindruck auf ihn gemacht. Dann fragte er:

„Meint Ihr denn, daß beide Gentlemen sich für mein Vorhaben interessieren würden?“

„Ich bin überzeugt davon. Petroleum da oben am Chelly-flusse! Ich versichere Euch, daß sie sich den Mann, der das behauptet, sehr genau ansehen würden. Höchst wahrscheinlich würden sie es Euch ganz aus freien Stücken anbieten, mit hinaufzureiten. Und in solcher Begleitung wäret Ihr sicherer, als wenn hundert Soldaten über Euch wachten.“

„Das glaube ich gern; aber wie Ihr gesehen habt, kann ich leider nicht warten, bis sie kommen. Wenn ich darauf bestehe, hier zu bleiben, reitet der Ölprinz ganz sicher ohne mich fort.“

„Davon bin ich auch überzeugt, und ich kenne auch den Grund: er hat die Begleitung solcher Leute höchst wahrscheinlich sehr zu fürchten.“

„Mögt Ihr da recht haben, oder nicht, es bleibt mir nur die eine Wahl: Entweder begleiten wir Grinley weiter und setzen uns den Gefahren aus, auf welche Ihr hingedeutet habt, oder ich verzichte auf ein Geschäft, welches Millionen einbringen muß, wenn es glückt.“

„Das ist richtig. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und Ihr müßt nun selbst wissen, wofür Ihr Euch zu entscheiden habt.“

„Das ist schwer, sehr schwer, zumal diese Entscheidung so rasch getroffen werden muß. Ich habe bis zu dieser Stunde das vollste Vertrauen zu Grinley gehabt; jetzt ist es beinahe erschüttert worden, Was soll ich thun? Verzichten? Die größte Dummheit, die es gäbe, wenn die Sache ehrlich wäre! Mr. Baumgarten, Ihr steht mir hier am nächsten, was werdet Ihr mir raten?“

Der junge Deutsche war dem Gespräche mit Aufmerksamkeit gefolgt, ohne sich an demselben zu beteiligen. Jetzt, da er direkt aufgefordert worden war, zu sprechen, antwortete er:

„Die Sache ist so wichtig, daß ich darauf verzichten muß, Euch einen Rat zu geben, es würde dadurch eine Verantwortlichkeit auf mich fallen, die ich nicht auf mich nehmen kann. Also mit Eurer Erlaubnis, Sir, einen direkten Rat nicht; aber was ich an Eurer Stelle thun würde, das kann ich Euch sagen.“

„Nun? Verzichten, oder die Gefahr auf mich nehmen?“

„Keines von beiden.“

„Es gibt ja nichts Drittes!“

„O doch!“

„Was wäre das?“

„Wir reiten mit dem Ölprinzen weiter, ohne uns dadurch in Gefahr zu bringen.“

„Wie wollt Ihr das anfangen?“

„Wir bitten diese beiden Gentlemen hier, Mr. Frank und Mr. Droll, uns zu begleiten.“

„Hm!“ brummte der Bankier. „Meint ihr, daß uns dies nützen könnte?“

Er schien die beiden kleinen Männer nicht für voll anzusehen.

„Unbedingt!“ antwortete der Buchhalter im Tone vollster Überzeugung. „Wer mit Winnetou und Old Shatterhand so lange zusammengewesen ist, wie diese meine beiden lieben Landsleute, auf den kann man sich gar wohl verlassen, ganz abgesehen davon, daß Mr. Frank und Mr. Droll auch ohnedies Männer sind, welche Haare auf den Zähnen haben.“

„Zugegeben! Aber ob sie einverstanden sein werden, mit uns zu gehen?“

„Ich hoffe, daß sie es thun, wenn wir darum bitten.“

„Nein, das werden wir nicht,“ antwortete der Hobble-Frank.

„Nicht?“ fragte Baumgarten. „Warum?“

„Erstens weil wir hier bleiben müssen, um mit Shatterhand und dem Apachen zusammenzutreffen, und zweitens weil wir uns nur solchen Leuten anzuschließen pflegen, welche Vertrauen zu uns haben.“

„Das haben wir ja!“

„Nein.“

„Wieso?“

„Hat Mr. Rollins es nicht sehr deutlich in Frage gestellt, ob wir Euch nützen würden?“

„Das war nicht so gemeint, wie Ihr es aufzunehmen beliebt. Ihr habt ihn besorgt gemacht und tragt also selbst die Schuld, wenn er sich nun bedenklich zeigt. Was aber mich betrifft, so halte ich grad euch beide für die Leute, welche wir brauchen, und denke, daß ihr einen Landsmann nicht im Stiche lassen werdet.“

„Hm, das mit dem Landsmann hat seine Richtigkeit; ein Deutscher kann stets und überall auf uns rechnen. Ich würde also wohl mitgehen; aber Ihr wißt es ja, warum wir hier bleiben müssen.“

„Müssen? Das wohl nicht. Winnetou und Old Shatterhand können uns ja nachkommen, oder, wenn sie das nicht wollen, hier warten, bis Ihr zurückkehrt. Bedenkt, daß wir bis zum Chellyflusse nur drei Tage zu reiten haben; das wären sechs Tage für hin und zurück, gewiß keine lange Zeit für Leute, welche nicht nach Stunden zu rechnen brauchen, sondern vielmehr freie Herren ihrer Tage und Wochen sind. Euch und ihnen kann es sogar auf Monate und Jahre nicht ankommen.“

„Das geben wir zu; in dieser Beziehung sind wir nicht nur Freiherren, sondern Grafen und Fürsten. Übrigens sind wir überzeugt, daß unsre berühmten Freunde sehr gern auf uns warten, oder gar uns nachfolgen werden, wenn wir sie durch den Ranchero darum bitten lassen. Sie haben keine Ahnung davon, daß wir hier sind, und schon die Freude, uns so unerwartet wiederzusehen, wird sie veranlassen, unsern Wunsch zu erfüllen. Was meinst du dazu, Vetter Droll?“

„Wir reiten mit,“ antwortete der Gefragte kurz entschlossen. „Old Shatterhand kommt sicher nach und der Apache auch. Ich brenne darauf, diesem Ölprinzen ein wenig auf die Finger zu sehen, und da er nicht warten will, so bleibt uns nichts übrig, als mitzugehen. Es gibt hier zwei Gründe, welche so wichtig sind, daß wir ihnen folgen müssen. es handelt sich um ein Millionengeschäft, und Mr. Baumgarten ist ein Deutscher, der ein Recht hat, Teilnahme und Hilfe von uns zu erwarten.“

„Ich danke euch!“ sagte der letztere, indem er ihnen die Hände drückte. „Ich will nun auch offen sein und gestehen, daß ich dem Ölprinzen kein volles Vertrauen entgegengebracht habe; grad darum bat ich Mr. Rollins, mich mitzunehmen. Ich habe Grinley unterwegs stets beobachtet und sehr scharf im Auge behalten, aber freilich nichts entdeckt, was mein Mißtrauen hätte vergrößern können. Jedoch nun, wo ich solche Leute, wie ihr seid, bei uns weiß, ist mir für die Folge nicht mehr bange. Schlagt ein, wollen gute Kameraden sein!“

Er reichte den beiden abermals die Hände, und der Bankier folgte diesem Beispiele. Er schien jetzt erfreut darüber zu sein, solche Begleiter gefunden zu haben. Der Ranchero war herbeigekommen, hatte den letzten Teil des Gespräches mit angehört und sagte nun:

„So ist’s recht, Mesch’schurs; haltet gut zusammen! Ich denke nicht, daß ihr das wegen des Ölprinzen nötig haben werdet, denn ich kann nichts Böses über ihn sagen; aber der Indianer wegen gebe ich euch diesen Rat. Die Nijoras und Navajos haben ihre Kriegsbeile ausgegraben und selbst den Moquis, die sonst außerordentlich friedlich sind, soll heute nicht mehr zu trauen sein. Ihr werdet also nicht hierblieben. Was soll ich Winnetou und Old Shatterhand sagen, wenn sie kommen?“

„Daß sie hier auf uns warten oder, noch weit besser, uns nach dem Chellyflusse sofort folgen sollen,“ antwortete Droll. „Ich muß Euch aber sehr bitten, dem Ölprinzen hiervon nichts mitzuteilen!“

„Das verspreche ich Euch gern; er soll kein Wort erfahren. Wo er nur stecken mag? Will doch einmal nach ihm sehen.“

Er ging hinaus vor das Thor, wohin Grinley vorhin vorausgegangen war, und sah sich nach demselben um. Da erblickte er eine Gruppe von Reitern, welche sich von Süden her dem Rancho näherte. Diese Leute waren noch so fern, daß man jetzt nur bemerken konnte, daß sie auch Lasttiere bei sich hatten. Bald darauf aber erkannte Forner, daß die Gesellschaft nicht nur aus Männern bestand; es waren auch Frauen und Kinder dabei. Einige Reiter hatten Pferde; die übrigen saßen auf Maultieren.

Voran ritt ein kleiner Kerl, welcher in einem großen und viel zu weiten bockledernen Jagdrocke stak. Von dem Gesichte waren wegen eines außerordentlich starken Bartwuchses nur zwei kleine, listig blickende Äuglein und eine Nase zu sehen, welche fast erschreckende Dimensionen besaß. Dieses Männchen war Sam Hawkens, welcher mit seinen beiden Gefährten Dick Stone und Will Parker die Leitung der Auswandererkarawane übernommen hatte und mit derselben von dem erst projektierten Wege abgewichen war, weil das Verbleiben auf demselben zu viel Zeit erfordert hätte. Er ließ sein altes Maultier, die „Mary“, aus dem langsamen Marschschritte in Galopp fallen, hielt sie vor Forner an und grüßte:

Good day, Sir! Nicht wahr, diese Niederlassung wird Forners Rancho genannt?“

„Ay, Master, das ist so,“ antwortete der Farmer, indem er erst den Kleinen und dann die nachfolgenden Reiter musterte. „Ihr scheint wohl Emigranten zu sein, Master?“

Yes, wenn Ihr nämlich nichts dagegen habt.“

„Ist mir recht, wenn ihr nur ehrliche Kerls seid. Wo kommt ihr her?“

„Ein wenig von Tucson herauf.“

„Da habt ihr einen bösen Weg gehabt, zumal Kinder bei euch sind. Und wo wollt ihr hin?“

„Gegen den Colorado zu. Ist der Ranchero daheim?“

Yes, wie ihr seht. Ich bin es selbst.“

„So sagt, ob wir bis morgen früh bei Euch rasten dürfen?“

„Soll mir recht sein; denn ich hoffe, daß ich es nicht zu bereuen brauche, wenn ich euch diese Erlaubnis gebe.“

„Werden Euch nicht fressen; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Und was wir vielleicht von Euch entnehmen, das werden wir gern bezahlen.“

Er stieg ab. Der Ölprinz hatte erst fern gestanden, war aber näher gekommen und hatte alles gehört. Er wußte nun, daß er die Auswanderer vor sich hatte, von denen er von seinem Bruder und dem ungetreuen Führer gehört hatte. Die im Hofe befindlichen Personen kamen auch an das Thor, und zwar grad in dem Augenblicke, in welchem die Gesellschaft dort anlangte, um abzusteigen. Das ging aber nicht so glatt, wie man erwartet hatte. Der Maulesel, auf welchem Frau Rosalie saß, schien seinen Kopf für sich zu haben; er wollte sie nicht herablassen, sondern weiterlaufen. Der Hobble-Frank trat als stets galantes Kerlchen herbei, um ihr behilflich zu sein, und das empörte den Maulesel in der Weise, daß er mit allen vier Beinen zugleich in die Luft ging und sie abwarf. Die Frau hätte sicher einen schweren Fall gethan, wenn Frank nicht so gewandt gewesen wäre, sie aufzufangen. Aber anstatt ihm dafür dankbar zu sein, riß sie sich von ihm los, gab ihm einen sehr kräftigen Rippenstoß und fuhr ihn zornig an:

Sheep’s-head!“ – was so viel wie Schafskopf bedeutet.

Sheep’s-nose – Schafsnase!“ antwortete er in seiner wohlbekannten Zungenfertigkeit.

„Clown – Grobian!“ fuhr sie wütend fort, indem sie ihm die geballte Rechte entgegenstreckte.

Stupid girl – dumme Liese!“ lachte er und wendete sich von ihr ab.

Sie hielt ihn für einen Amerikaner und hatte sich also derjenigen englischen Kampfeswörter bedient, welche ihr bekannt waren, die stupid girl aber brachte sie in solche Aufregung, daß sie seinen Arm faßte und ihn deutsch andonnerte, weil ihr englischer Sprachschatz nun nicht weiterreichte:

„Sie Esel, großartiger, Sie! Wie können Sie eine Dame schimpfen! Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern. Ich werde Sie beim Gerichtsamte anzeigen! Erscht machen Sie mir meinen Esel irre; nachher quetschen Sie Ihre Arme um meine Tallje, und endlich werfen Sie mir Schimpfwörter ins Gesicht, die een anschtändiger Mensch gar nich kennen darf. Das muß gerochen werden! Ich werde Sie ganz exemplarisch beschtrafen lassen. Verschtehn Se mich?“

Sie blickte ihn höchst herausfordernd an und stemmte kampfeslustig beide Hände in die Hüften. Der Hobble-Frank trat vor Überraschung einen Schritt zurück und fragte:

„Wie war das? Ihr Name is Rosalie Eberschbach?“

„Ja,“ antwortete sie, indem sie ihm diesen Schritt folgte.

„Geborene Morgenschtern?“ fuhr er fort, indem er zwei Schritte retirierte.

„Natürlich! Oder hab’n Sie vielleicht etwas dagegen?“ erwiderte sie, indem sie ihm um zwei Schritte folgte.

„Verwitwete Leiermüllern?“

„Na, freilich!“ nickte sie.

„Aber da sind Sie doch wohl eene Deutsche?“

„Und was für eene! Sagen Se nur noch een falsches Wort, so werden Se mich kennen lernen! Ich bin gewöhnt, daß man per Galanterie mit mir verkehrt. Verschtehn Se mich!“

„Und ich bin doch galant gegen Sie gewesen!“

„Galant? Was Se nich sagen! Is es etwa galant von Ihnen, sich an meinem Esel zu vergreifen?“

„Ich wollte ihn nur halten, weil er Ihnen nich gehorchte.“

„Nich gehorchte? Da hört aber gradezu alles und verschiedenes off! Mir gehorcht jeder Esel; das können Se sich merken! Und nachher haben Se mich in Ihren Armen halb zerdrückt. Der Atem ging mir aus, und das Feuer is mir förmlich aus den Oogen herausgefahren. Das muß ich mir schtreng verbitten. Mit eener Dame muß man hübsch sachte und behutsam verfahren. Wir sind das schönere und ooch das sanftere Geschlecht und wollen zart behandelt sein. Wer aber wie een Packträger zugreift und – – –“

Sie hielt inne, denn sie wurde unterbrochen; es erscholl hinter ihr ein Ausruf, der sie verstummen ließ, ein Ausruf der Verwunderung und des Entzückens:

„Herr Jemmineh, das ist ja doch wohl der berühmte Hobble-Frank!“

Frank wendete sich schnell um und rief, als er den Sprecher sah, mit ebenso großem Erstaunen:

„Unser Kantor Hampel! Is das denn die Möglichkeet! Schteigen Sie ab, und schweben Sie in meine Arme!“

Der langsame Opernbeflissene war, wie gewöhnlich, zurückgeblieben und erst jetzt beim Thore angekommen. Er hielt warnend den Finger empor und antwortete:

„Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Frank! Sie wissen ja, es ist nur der Vollständigkeit halber und um etwaige Verwechselungen zu vermeiden. Es könnte leicht einen zweiten Kantor Matthäus Aurelius Hampel geben, der noch nicht emeritiert worden ist. Und sodann möchte ich Sie, ehe ich absteige, auf einen noch andern Punkt aufmerksam machen.“

„Off welchen denn?“

„Das werde ich Ihnen gleich sagen.“

„Sie sehen, wie begierig ich darauf bin, mein sehr verehrter und lieber Kantor.“

„Sehen Sie, da ist es schon wieder! Sie sagen bloß Kantor, während ich Sie höflicher Weise Herr Frank tituliere. Ein jünger der Kunst darf sich nichts vergeben, und darum muß ich Sie bitten, bei mir zukünftig den Herrn nicht wegzulassen. Das ist nicht etwa Stolz von mir, sondern nur der Vollständigkeit wegen, wie Sie wohl wissen werden.“

Der Kantor kletterte sehr vorsichtig vom Pferde und umarmte Frank mit majestätischen Bewegungen. Dieser meinte lachend:

„Wir befinden uns hier merschtenteels im wilden Westen, wo so eene Vollschtändigkeet eegentlich gar nich nötig is; aber wenn es Ihnen Schpaß und Vergnügen macht, da werde ich Herr Kantor sagen.“

„Herr Kantor emeritus, bitte ich!“

„Gut, schön! Aber sagen Sie mir jetzt zu allererscht, wo und wie Sie da so hergeschneit kommen. Sie können sich mit aller Offiziellität daroff verlassen, daß ich een Reservoir mit Ihnen hier nicht für möglich gehalten hätte.“

„Revoir, auf deutsch Wiedersehen, wollen Sie wohl sagen! Das wundert mich sehr. Sie mußten auf ein Zusammentreffen mit mir gefaßt sein, Sie kennen doch meine Absicht, eine Oper zu komponieren?“

„Ja, Sie haben davon gesprochen, eene Oper von drei oder vier Aktricen.“

„Zwölf! Und nicht Aktricen, sondern Akte! Es soll eine Heldenoper werden, und da Sie mir von den Helden des Westens erzählt haben, so wollte ich mit Ihnen nach dem Westen reisen, um mir Stoff für diese Oper zu sammeln. Sie sind aber leider fortgegangen, ohne mich zu benachrichtigen, und da ich ungefähr wußte, wohin Sie sind, so bin ich nachgekommen.“

„Welche Unvorsichtigkeet! Meenen Sie etwa, daß man sich hier so leicht und so schnell treffen kann wie derbeeme off dem Haus- oder Oberboden? Sie haben da mit eener gradezu lebensgefährlichen Unvorsichtigkeet gehandelt, und ich muß Ihnen eene kräftige Reprisande erteelen, denn es gibt –“

„Reprimande wollen Sie wohl sagen,“ fiel ihm der Kantorin die Rede, „was einen Verweis, einen Tadel zu bedeuten hat.“

Da zog Frank die Stirn in Falten und sagte in sehr ernstem Tone:

„Hören Sie, Herr Kantor, Sie haben mir nun schon bereits zum drittenmale widersprochen; das kann und darf ich aber unmöglich dulden. Die erschten beeden Male habe ich’s unbeschtraft hingehen lassen; jetzt aber darf ich meine Nachsicht nich länger kompendieren. Sie wissen nich bloß, wer und was ich bin; Sie wissen ooch, was ich leiste. In allen Wissenschaften gut sistiert, habe ich mir besondersch in Fremdwörtern eene Untrüglichkeet angeeignet, die sich niemals gymnastieren läßt. Ihre Widerschprüche sind also Beleidigungen für mich, wegen denen ich mich eegentlich mit Ihnen duellisieren müßte, wenn ich nich so een guter Freund von Ihnen wäre. Also reden Sie mir nich mehr drein, wenn ich in Zukunft wieder etwas sage; es könnte das unsre gegenseitige Sympathie auseenanderpartizipieren, was mir um Ihretwillen leid thun würde. Jetzt aber geschtatte ich mir, Ihnen hier meinen Freund und Vetter vorzuschtellen, wofür ich hoffe, daß Sie mich mit Ihren Begleitern subkutan bekannt machen werden. Bei mir heeßt es immer wie bei Cäsar: fenni, fitti, fitschi, zu deutsch: er kam, sie packte ihn, und ich kriegte ihn!“

Der Kantor schien große Lust zu haben, ihn abermals zu verbessern, sah aber glücklicherweise davon ab und nannte ihm die Namen aller derer, welche mit ihm gekommen waren. Da gab es ein freudiges Hallo, als die Männer, welche so viel voneinander gehört hatten, sich nun persönlich kennen lernten, besonders als Sam, Dick und Will erfuhren, daß sie mit Old Shatterhand und Winnetou zusammentreffen würden. Da gab es zu erzählen und tausend Fragen zu beantworten. Aber zunächst war es notwendig, das Lager zu errichten und für die Tiere zu sorgen; alles andre mußte aufgeschoben werden.

Als man damit beschäftigt war, sah der Ölprinz eine Weile zu. Er hatte versprechen müssen, sich der Auswandererkarawane zu bemächtigen und sie seinem Bruder und dessen Begleiter nachzubringen; darum nahm er einen Augenblick wahr, an welchem sich Sam Hawkens abgesondert von den andern befand, grüßte ihn höflich und sagte:

„Ich habe gehört, Sir, daß Ihr Sam Hawkens, der berühmte Westmann seid. Hat man Euch vielleicht meinen Namen genannt?“

„Nein,“ antwortete der Kleine, auch in höflichem Tone. Der Ölprinz war ein Stiefbruder Buttlers und diesem in Beziehung auf seine Gesichtszüge gar nicht ähnlich. Darum konnte Sam nicht ahnen, daß er einen so nahen Verwandten des Räubers vor sich hatte.

„Ich heiße Grinley; man nennt mich in dieser Gegend den Ölprinzen, weil ich eine Stelle weiß, an welcher eine außerordentlich ergiebige Ölquelle zu Tage tritt.“

„Eine Ölquelle?“ fragte Sam sofort interessiert. „Dann seid Ihr sehr glücklich gewesen und könnt ein steinreicher Mann werden. Wollt Ihr die Ausbeutung der Quelle in die eigene Hand nehmen?“

„Nein; dazu bin ich zu arm.“

„Also verkaufen?“

„Ja.“

„Habt Ihr schon einen Käufer?“

„Ich habe einen gefunden. Er sitzt drin im Hofe, Mr. Rollins, ein Bankier aus Brownsville in Arkansas.“

„So laßt Euch nicht über die Ohren barbieren, und verlangt so viel wie möglich! Ihr wollt mit ihm nach der Quelle reiten?“

„Ja.“

„Ist es weit von hier?“

„Nicht sehr.“

Well, der Ort ist natürlich Euer Geheimnis, und ich will Euch nicht nach demselben fragen. Aber Ihr habt mich angeredet, und ich schließe daraus, daß Ihr irgend einen Grund habt, Euch mir zu nähern?“

„Das ist richtig, Sir. Man sagte vorhin, daß Ihr nach dem Colorado wollt?“

„Allerdings.“

„Meine Petroleumquelle liegt am Chellyflusse und ich habe von hier aus also die Richtung, welche auch Ihr reitet.“

„Freilich wohl; aber warum sagt Ihr das grad mir?“

„Weil ich Euch bitten wollte, mir zu erlauben, mich Euch anzuschließen.“

„Mit Eurem Bankier?“

„Ja, und mit dem Buchhalter desselben, welcher bei ihm ist.“

Sam betrachtete den Ölprinzen vom Kopfe bis zu den Füßen herab und antwortete dann:

„Hm, man kann hier in der Wahl seiner Begleiter nicht vorsichtig genug sein, wie Ihr wohl wissen werdet.“

„Ich weiß das gar wohl; aber sagt mir doch, Sir, ob ich wie ein Mensch aussehe, dem man kein Vertrauen schenken darf?“

„Das will ich nicht behaupten. Aber warum wollt Ihr mit uns reiten? Einen Fundort von Petroleum hält man doch geheim, und darum ist es auffällig, daß Ihr Euch uns anschließen wollt, wenn ich mich nicht irre.“

„Was das betrifft, so bin ich überzeugt, daß ein Sam Hawkens mich nicht betrügen wird.“

Well; damit habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen. Durch mich und meine Kameraden werdet Ihr sicher keinen einzigen Tropfen Öl verlieren.“

„Ich habe noch einen andern Grund, sogar zwei. Die Roten sind unruhig geworden, und da fühle ich mich bei Euch sichrer, als wenn ich mit meinen beiden unerfahrenen Leuten allein reiten müßte. Das werdet Ihr wohl begreifen?“

„Sehr gut.“

„Und sodann hat Mr. Frank mich in große Verlegenheit gebracht. Wir haben ihm aufrichtig mitgeteilt, was wir droben am Chelly wollen, und er hat mir diese Offenheit damit vergolten, daß er den Bankier mißtrauisch gemacht hat. Er glaubt nicht, daß am Chelly Petroleum zu finden ist.“

„Hm, das kann ich ihm nicht verdenken. Ich muß Euch sagen, Sir, daß ich auch nicht daran glaube.“

„Das sagt Ihr im Ernste?“

„Im vollen Ernste.“

„So haltet auch Ihr mich für einen Schwindler?“

„Nein.“

„O doch. Es ist ja gar nicht anders möglich, wenn Ihr nicht an meine Behauptung glaubt.“

„Ich denke, daß Ihr getäuscht worden seid.“

„Es hat mich niemand täuschen können, denn ich selbst bin es gewesen, der das Placer entdeckt hat.“

„Kein andrer war dabei?“

„Keinen“

„So habt Ihr sehr einfach Euch selbst getäuscht und irgend eine Flüssigkeit für Petroleum gehalten.“

„Das ist ja gar nicht möglich, Sir. Welche Flüssigkeit könnte das sein?“

„Weiß es auch nicht; aber ich möchte darauf schwören, daß es da oben am Chelly kein Petroleum gibt.“

„Kennt Ihr die Gegend?“

„Ja; ich bin einmal dort gewesen.“

„Längere Zeit?“

„Nein, sondern nur einige Tage; aber das ist gar nicht nötig; man braucht nicht dort gewesen zu sein, um zu wissen, daß kein Erdöl dort vorhanden ist; die Gegend stimmt nicht dazu. ja, wenn Ihr sagtet, Gold und Silber oder irgend ein andres Metall dort entdeckt zu haben, das wollte ich wohl glauben, Petroleum aber nie!“

„Aber ich habe es doch probieren lassen!“

„So! Und wie ist das Gutachten ausgefallen?“

„Zu meiner vollsten Zufriedenheit.“

„Das kann ich nicht begreifen. Dann ist ein Wunder geschehen, und ich gestehe Euch, daß es mich verlangt, dieses sonderbare Petroleum zu sehen.“

„Das könnt Ihr, Sir. Wenn Ihr uns die Erlaubnis gebt, uns Euch anzuschließen, werdet Ihr es zu sehen bekommen.“

„Ihr würdet mich zu dem Placer führen?“

„Ja.“

Well; das ist mir wirklich hoch interessant. Also Mr. Frank hat auch nicht an das Öl geglaubt und Mr. Droll wohl auch nicht?“

„Beide nicht.“

„Und Ihr ärgert Euch natürlich darüber?“

„Darüber eigentlich nicht, sondern vielmehr darüber, daß sie den Bankier mißtrauisch gemacht haben. Sie konnten meinetwegen zehnmal oder hundertmal zweifeln; aber ihm ihren Unglauben aufzureden, das hätten sie nicht thun sollen. Sie konnten mir dadurch leicht das Geschäft, welches ich vorhabe zu Schanden machen.“

„Ist dieser Mr. Rollins denn wirklich zweifelhaft geworden?“

„Ja. Und eben auch aus diesem Grunde habe ich Euch gebeten, mich mitzunehmen. Sie wissen sich dann unter Eurem Schutze und werden nicht länger denken, daß ich irgend etwas gegen sie unternehmen will. Wollt Ihr mir den Gefallen thun, Sir?“

„Gern, möchte aber vorher meine Gefährten darum fragen.“

„Ist das nötig, Sir? Sehe ich so wenig Vertrauen erweckend aus, daß Ihr, der Ihr der Anführer zu sein scheint, Euch erst die Genehmigung andrer holen müßt?“

„So schlimm ist es nicht. Wenn Ihr nichts dagegen habt, daß ich aufrichtig gegen Euch bin, will ich Euch ehrlich sagen, daß ich Euch nicht für einen Schwindler, aber auch nicht für das Gegenteil halte; ich halte Euch für einen Menschen, den man erst kennen lernen und prüfen muß, um ihn richtig beurteilen zu können. Darum wollte ich mich erst bei Dick Stone und Will Parker erkundigen.“

„Alle Teufel, Sir! Diese Eure Aufrichtigkeit ist nicht etwa ein Kompliment gegen mich!“

„Aber sie ist doch besser, als wenn ich Euch in das Gesicht freundlich, hinterrücks aber mit Mißtrauen behandelte. Und damit Ihr seht, daß es nicht gar so schlimm gemeint ist, will ich meine Gefährten nicht erst fragen, ob sie Euch mitnehmen wollen, sondern Euch meine Zustimmung gleich jetzt erteilen.“

„Den Bankier und seinen Buchhalter eingeschlossen?“

„Versteht sich doch ganz von selbst, Sir.“

„Wann reitet Ihr von hier fort?“

„Morgen früh, wenn ich mich nicht irre. Wann wolltet denn Ihr weiter?“

„Heute schon; aber ich werde Mr. Rollins und Mr. Baumgarten zu bestimmen suchen, bis morgen zu warten.“

„Thut das, Sir; denn unsre Tiere sind ermüdet und die Frauen und Kinder ebenso, weil diese des Reitens nicht gewohnt sind. Ich will hoffen, daß ich es nicht zu bereuen haben werde, Euch meine Zustimmung gegeben zu haben.“

„Keine Sorge, Sir! Ich bin ein ehrlicher Kerl und glaube dies auch dadurch bewiesen zu haben, daß ich trotz der Gefahr, die ich dabei laufen könnte, bereit bin, Euch das Placer zu zeigen. Ein andrer würde das wohl schwerlich thun.“

„Ja; ich wenigstens würde mich sehr hüten, mein Geheimnis außer dem Käufer noch andern Leuten zu verraten. Also wir sind einig, Sir; morgen früh wird aufgebrochen.“

Er wendete sich von ihm ab. Der Ölprinz wendete sich nach dem Hofe, indem er einen Fluch ausstieß und dann zornig vor sich hinmurmelte:

Damned fellow! Das sollst du mir büßen! Mir so etwas in das Gesicht zu sagen! Ich muß erst beobachtet und geprüft werden, ehe man mich für einen ehrlichen Menschen halten kann! Der Blitz soll dir dafür in die Glieder fahren! jetzt freut es mich, daß mein Bruder diese Halunken haben will. Hatte erst wenig Lust, mich mit ihnen abzugeben; nach dieser Beleidigung aber wird es mir eine Wonne sein, sie ihm zuzuführen. ja, sie sollen Petroleum zu sehen bekommen, und zwar was für welches!“

Die Pferde, Maultiere und Maulesel waren jetzt entsattelt und weideten im frischen Grase oder thaten sich im Wasser des Flusses gütlich. Mit Hilfe von Stangen, welche Forner herlieh, und Decken wurden Zelte improvisiert, da so viele Personen nicht im Innern des Rancho Platz finden konnten; die Zelte wurden im Hofe errichtet. Dann entwickelten die Frauen eine sehr rege Thätigkeit, welche bald zur Folge hatte, daß der Hof vom Dufte gebratenen Fleisches und neu gebackener Maisfladen erfüllt war. Zu dem Schmause, weicher nun begann, wurden der Hobble-Frank und auch die Tante Droll eingeladen. Die andern mochten für sich selber sorgen.

Frank lachte still in sich hinein, als er bemerkte, wie besorgt Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern und verwitwete Leiermüller für ihn war. Sie legte ihm die besten Bissen vor; er mußte fast mehr essen, als er vermochte, und als er schließlich nicht mehr konnte und sehr energisch dankte, weil sie ihm noch einen dampfenden Maiskuchen aufzwingen wollte, bat sie ihn:

„Nehmen Sie doch nur dieses noch, Herr Hobble-Frank! Ich gebe es Ihnen ungeheuer gern. Verschtehen Se mich?“

„O ja,“ lachte er. „Ich habe ja schon vorhin gesehen, daß Sie mir gern ‚was geben. Beinahe hätte ich sogar Ohrfeigen bekommen.“

„Weil ich nich wußte, wer Sie eegentlich sind. Wenn ich Sie für den berühmten Hobble-Frank gehalten hätte, wäre das Mißverschtändnis gar nich vorgefallen.“

„Aber eenem andern gegenüber wären Sie demnach grob gewesen?“

„Verschteht sich ganz von selbst. So een Betragen is eene Beleidigung, und beleidigen lasse ich mich eenmal nich, denn ich bin nich nur eene gebildete, sondern ooch eene tapfere Frau und weeß genau, wie man sich zu verhalten hat, wenn man als Dame nich mit der erforderlichen Weechherzigkeet behandelt wird.“

„Aber ich wiederhole Ihnen, daß von eener Unzartheet oder gar Beleidigung gar keene Rede war. Ich wollte Ihnen eene ritterliche Offmerksamkeet erweisen, weil Ihr Maulesel schtörrisch war. Mir haben Sie fälschlicherweise die Vorwürfe gemacht, während der Esel es gewesen is, der sich nich als Gentleman gegen Sie betragen hat.“

„Was brauchten Sie ihn aber anzugreifen? Sie hatten doch nich die allerkleenste Ursache dazu. Ich wäre schon alleene mit ihm fertig geworden. Ich verschtehe es schon mit Eseln umzugehen, von welcher Sorte sie nur immer sein mögen. Sie werden mich schon noch kennen lernen. Wenn Sie ‚mal eene recht resolute Person brauchen, so wenden Se sich nur an mich. Ich fürchte mich vor keenem Esel und vor keenem Maultiere, vor keenem roten Indianer und ooch vor keenem weißen Bleichgesichte. Der Herr Kantor emeritus hat uns so viel Liebes und Schönes von Ihnen erzählt, daß ich Sie lieb gewonnen habe und bereit bin, Ihnen in aller Not und Gefahr hilfreich beizuschpringen. Sie können sich droff verlassen: ich gehe für Sie durchs Feuer, wenn es sein muß. Da, nehmen Sie noch dieses Schtückchen Rindfleesch; es is das beste, was ich noch für Sie habe.“

„Danke, danke!“ wehrte er ihr ab. „Ich kann nich mehr, wirklich nich mehr. Ich bin geschtoppt voll und könnte mir, wenn ich noch mehr äße, leicht eene gefährliche Indigestikulation zuziehen.“

„Indigestion, wollen Sie wohl sagen, Herr Frank,“ fiel der Kantor ihm in die Rede. Da aber fuhr ihn der Kleine zornig an:

„Schweigen Sie, Sie konfuser Emeritechnikus! Was verschtehen denn Sie von griechischen und arabischen Wörterbüchern! Sie können zwar Orgel schpielen und vielleicht ooch Opern komprimieren, im übrigen müssen Sie ganz schtille sein, zumal eenem Prairiejäger und Gelehrten gegenüber, wie ich eener bin. Wenn ich mich mit Ihnen in gelehrten Schtreit einlassen wollte, würden Sie doch allemal kleene zugeben müssen!“

„Das möchte ich denn doch bezweifeln,“ wendete der Kantor ein.

„Wie? Was? Das wollen Sie nich zugeben? Soll ich’s Ihnen beweisen? Soll ich Ihnen zeigen, was für eene schprächliche Null Sie gegen mich sind, wenn es sich um unsre extrakten Wissenschaften handelt?“

„Exakt muß es heißen, Herr Frank!“

Da fuhr der Kleine ihn noch zorniger als vorher an:

„Was? Schon wieder wollen Sie mich verbessern? Was meenen Sie denn eegentlich mit Ihrem exakt, he?“

„Unter exakten Wissenschaften versteht man bekanntlich diejenigen Wissenschaften, welche auf sichern, feststehenden Kenntnissen beruhen.“

„Ach so! Und damit wollen Sie mich Schlagen, mich, den berühmten Hobble-Frank? Wissen Sie, was das zu bedeuten hat? Besitzen Sie eene Ahnung davon? Es soll Ihnen gleich een Licht offgehen! Was verschtehen Sie denn nu zweetens unter dem Worte, dessen ich mich höchst zutreffender Weise bedient habe; ich meene nämlich das Wort extrakt?“

„Den Auszug aus irgend etwas, zum Beispiele aus Schriften, aus Kräutern und so weiter.“

„Schön, sehr schön, mein lieber Herr Kantor emeritus! Sie geben aber doch wohl zu, daß der Extrakt stets das Beste enthält? Lindenblütenextrakt zum Beispiel enthält die ganzen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, welche in der Lindenblüte geschteckt haben. Nich?“

„Ja, wenn ich mich auch vielleicht etwas anders ausgedrückt hätte.“

„O bitte, drücken Sie sich immer ergebenst aus, wohin es Ihnen beliebt, ich bin Ihnen nich im geringsten hinderlich. Die Hauptsache is, daß Sie mir zugeschtimmt haben. Extrakt is der Inbegriff aller Geister, die sich herausziehen lassen. Wenn ich nun von extrakten Wissenschaften schpreche, so meene ich natürlich, daß die Geister aller Wissenschaften in mir vereenigt sind. Das muß jedes Kind einsehen, Ihnen aber scheint diese Schprache viel zu hoch zu sein. Es ist wirklich nich zu begreifen, wie es menschenmöglich sein kann, daß Sie sich vorhin über meine Indigestikulation offgehalten haben!“

„Weil es Indigestion heißen muß.“

„So, so! Was soll denn dieses schöne, liebliche Wort bedeuten?“

„Unverdaulichkeit. Indigestibel bedeutet unverdaulich oder unverdaubar.“

„Das gloobe ich Ihnen sofort und von ganzem Herzen, denn Sie selber sind im höchsten Grade indigestibel; wenigstens ich kann Sie ganz unmöglich verdauen. Was haben Sie nun aber gegen das Wort, welches ich gebraucht habe, nämlich Indigestikulation?“

„Daß es kein richtiges Wort, sondern der reine Unsinn ist.“

„Ach so, hm, hm! Und was heeßt denn wohl Gestikulation?“

„Die Gebärdensprache, die Sprache durch Bewegung der Hand oder andrer Körperteile.“

„Schön, sehr schön! jetzt habe ich Sie, wohin ich Sie haben wollte. Jetzt sind Sie gefangen wie Kleopatra von Karl Martell in der Schlacht an der Beresina! Also Gestikulation is Gebärden- oder Bewegungsschprache, und indi bedeutet innerlich, sich off den Magen beziehend, denn Sie haben selber gesagt, daß indigestibel unverdaulich heißt. Also wenn ich mich des sehr geistreichen Ausdruckes Indigestikulation bediene, so habe ich zu viel gegessen und will durch die Blume andeuten, daß mein Magen sich in schtürmische Windungen versetzt, um mich durch diese Gebärden- und Bewegungsschprache daroff offmerksam zu machen, daß ich Messer, Gabel und Löffel nun in die Serviette wickeln und beiseite legen soll. Sie aber scheinen für solche zarten Andeutungen Ihres Magens keen Verschtändnis zu besitzen, sonst hätten Sie meine Indigestikulation nich angezweifelt. Is Ihnen vielleicht die Fabel von dem Frosche und dem Ochsen bekannt?“

„Ja.“

„Nu, wie war die denn?“

„Der Frosch sah einen Ochsen, wollte sich so groß machen, wie dieser war, blies sich auf und –- zerplatzte dabei.“

„Und die Lehre, welche man aus dieser Fabel zu ziehen hat?“

„Der Kleine soll sich nicht groß dünken, sonst kommt er in Schaden.“

„Schön, sehr schön! Ausgezeichnet sogar!“ stimmte Frank begeistert bei. „Nehmen Sie sich diese Lehre zu Herzen, Herr Kantor emeriticus!“

„Warum, wenn ich Sie darum fragen darf?“

„Weil diese Fabel außerordentlich gut off uns paßt, nämlich off Sie und mich.“

„Wieso?“

Das schlaue Lächeln, mit welchem der Kantor dieses Fragewort aussprach, ließ erraten, daß er beabsichtigte, den Hobble-Frank in seine eigene Falle zu locken. Auch die andern blickten mit großer Spannung zu dem erregten Kleinen herüber; sie waren neugierig, ob er wirklich in die Grube fallen würde, in welche der Kantor stürzen sollte. Frank war zu begeistert, dies zu bemerken; er antwortete auf das „Wieso?“ des Emeritus, ohne sich zu überlegen, was er sagte:

„Weil Sie geistig unbedeutend sind, während ich eene Größe bin. Wenn Sie sich mit mir vergleichen wollen, so müssen Sie unbedingt zerplatzen, denn Sie sind in Bezug off Kenntnisse, Fertigkeeten und Wissenschaften der kleene Frosch, während ich in allen diesen Dingen der große Och – – –“

Frank hielt mitten im Worte inne; sein Gesicht wurde länger; er erkannte plötzlich, an welcher Leimrute er im Begriff stand, kleben zu bleiben.

„… der große Ochse bin,“ ergänzte der Kantor den unterbrochenen Satz. „Ja, ja, da haben Sie Recht. Ihr Beispiel ist nicht ganz unzutreffend gewählt, besonders rücksichtlich des einen Bildes, welches Sie auf sich beziehen.“

Es brach natürlich ein allgemeines Gelächter aus, welches gar nicht enden wollte. Frank schrie zornig dazwischen hinein, was aber nur zur Folge hatte, daß das Lachen immer stärker wurde und immer wieder von neuem ausbrach. Da sprang er, im höchsten Grade ergrimmt, auf und brüllte, was er nur brüllen konnte:

„Haltet die Mäuler, ihr Schreihälse, ihr! Wenn ihr nich off der Schtelle schtille seid, reite ich fort und lasse euch hier sitzen!“

Aber man beachtete diese Drohung nicht; das Gelächter schwoll im Gegenteile von neuem an und selbst sein Freund und Vetter Droll lachte, daß er sich den Bauch mit beiden Händen halten mußte. Dies brachte den Hobble vollends außer sich, er schüttelte die geballten Fäuste wütend gegen die Lachenden und rief mit vor Zorn fast überschnappender Stimme:

„Nu gut! Ihr wollt nich hören, da sollt ihr fühlen! Ich schüttle den Schtaub von meinen Schtiefeln wie Johann Huß off seinem Scheiderhaufen in Magenta und gehe meine Wege. Düh l’ah wollüh, Anton! Ich wasche meine Hände in kindlicher Unschuld und lasse die Seefe bei euch zurück. Adieu, off Reservoir in eener bessern Welt, wo’s keene dummen Menschen gibt, die über meine reformatorische Geistesgröße lachen!“

Er rannte davon, während das Gelächter nun wahrhaft homerisch hinter ihm erscholl. Sein Pferd graste draußen im Freien; er lief hinaus.

Ein einziger nur war es, der nicht mit in das Lachen eingestimmt hatte, nämlich Schi-So, der Häuptlingssohn. Der angeborene Indianerernst ließ ihn zurückhaltend sein. Er verstand ja auch deutsch und hatte gar wohl gehört, in welch drolliger Weise Frank in sein eigenes Netz gelaufen war; er fühlte sich auch belustigt, doch fand seine Heiterkeit ihren Ausdruck nur in einem Lächeln, welches um seine Lippen spielte. Er erhob sich nach kurzer Zeit von seinem Platze und ging nach dem Thore, um sich nach dem zornigen Kleinen umzusehen. Bereits nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück und meldete.

„Er macht wirklich Ernst, denn er sattelt draußen sein Pferd. Soll ich ihn bitten zurückzukommen?“

„Nee,“ antwortete Droll in seiner Altenburger Mundart. „Er will uns nur in Verlegenheet bringe. Ich kenne meine Pappenheimer; dem fällt es epper gar nich ein, fortzureite und mich hier sitze zu lasse.“

Dennoch kehrte Schi-So an das Thor zurück. Kaum war er dort angekommen, so ließ er einen Pfiff hören und rief, als sie nach ihm hinblickten, ihnen zu:

„Er steigt auf; es scheint ihm Ernst zu sein.“

Nun rannten alle hin. Da kamen sie gerade recht, zu sehen, daß der ergrimmte Hobble wirklich im Sattel saß und, sein Pferd nach dem Flusse lenkend, fortritt. Droll rief ihm nach.

„Frank, Vetter, wo willste hin? Es war ja gar nich so gemeent!“

Der Hobble drehte sein Pferd herum und antwortete:

„Meents wie ihr wollt; der Prairiejäger und Privatgelehrte Heliogabalus Morpheus Edeward Franke läßt sich nich auslachen.“

„Mer habe ja nich über dich, sondern über den Kantor gelacht,“ log Droll.

„Das machste mir nich weiß. Ihr habt über den Ochsen gelacht, den ich gar nich ‚mal vollschtändig ausgeschprochen habe; er kam nur halb heraus; die hintere Hälfte is mir im Munde schtecken geblieben. Is das etwa lächerlich?“

„Lächerlich nich, aber höchst gefährlich, eenen halben Ochsen im Maule zu habe; das macht dir wahrhaftig keener von uns nach. Unsre Achtung schteigt; also komm nur wieder her, altes Haus!“

„Fällt mir nich im Troome ein, besonders da du sogar jetzt wieder über den Ochsen lachst. O, Vetter Droll, was muß ich alles von dir erleben und erleiden. Das hätte ich nich gedacht! Aber Schtrafe muß sein. Ich bin Achilles mit der Ferse und werde es mit euch grad so machen, wie er es mit den Russen gemacht hat.“

„Achilles? Der is mir unbekannt und seine Ferse ooch.“

„Pfui Schande, so was nich zu wissen! Und dennoch lachste über mich? Achilles war der größte Held der Schpartaner und zog mit den Russen gegen die Türken aus. Bei der Belagerung von Dünkirchen beleidigte ihn Gortschakoff durch grad so een höllisches Hohngelächter, wie heut das eurige war; da setzte er sich off seinen Rappen und jagte wütend und mit verhängtem Zügel zum Burgthore hinaus. Seit dieser Zeit is er verschwunden, schpurlos verschwunden, und keen Mensch hat ihn jemals wiedergesehn. Zum Andenken aber hat man ihm eenen astronomischen Fixstern an den Himmel gesetzt, mit seinem schpartanischen Namen darüber. Wenn du off die Himmelskarte guckst, kannste ihn am südlichen Firmamente im Bilde des grauen Bären sehen, zu dem ooch der Mond gehört. So wie dieser große Held wird jetzt ooch der Hobble-Frank verschwinden.“

„Unsinn! Komm nur her, und sei nich albern!“

„Albern? Dieses Wort schtößt dem Faß vollends den Boden’naus! Der Hobble-Frank und albern! Hat man jemals so was nur gehört! Nee, ich verschwinde ganz so, wie Achilles unsichtbar geworden is, und lasse mich durch nischt zur Rückkehr mehr bewegen, ooch nich dadurch, daß ihr mir eenen Schtern ’noff an den Himmel setzt. Lebt also wohl, Gentlemen! Habe die Ehre! Mein Kompliment!“

Er wendete wieder um, gab seinem Pferde die Sporen, jagte nach dem Flusse und ritt in denselben hinein.

„Frank, Frank, kehr um, kehr doch um!“ schrie Droll ihm lachend nach. „Du kannst doch deine Tante nich verlasse!“

Der Hobble drehte diesmal nur den Kopf herum und rief zurück:

„Wir sind von heute an geschiedene Leute; da beißt keene Maus keenen Faden nich! Ich drehe mich kontinatürlich weiter, wie sich die Erde um die Sonne dreht. Ich bin für euch een abgeschiedener, toter Mann. Quietist in patrem – Friede eurer Asche!“

Der neue Achilles ritt weiter, über das Flüßchen hinüber und dann in den weiten Camp hinein.

„Das thut mir außerordentlich leid,“ gestand der besorgte Kantor. „Er ist etwas streitfertig, besonders in Beziehung auf die Wissenschaft, aber sonst ein seelensguter Mann. Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, ihn zu treffen, und nun haben wir ihn eingebüßt!“

„Für höchstens eenige Schtunden nur,“ antwortete Droll.

„Meinen Sie wirklich?“

„Ja; ich kenne ihn. Wenn man ihm nich recht gibt, so schmollt er gern, wird aber gleich wieder gut.“

„Aber heut scheint es anders zu sein!“

„Nee. So wild wie heut is er freilich noch nie gewese; zum Fortreite is es noch niemals gekomme; aber ich weeß, daß er ohne mich nich lebe kann, und selbst wenn er das könnte, verlasse thut er mich doch sicher nich. Er wird seinen Zorn hinaus in den Camp reite, ihn dort liege lasse und nachher zu uns zurückkomme; darauf könne Sie sich verlasse. Dann dürfe Sie freilich nich off ihn rede; Sie müsse so thun, als ob gar nischt geschehe wäre und als ob Sie ihn gar nich sehe thäte. Überhaupt dürfe Sie ihn, wenn er ‚mal zu schtreite beginnt, nich durch Widerschpruch zornig mache. Er bildet sich nu eemal ein, alle mögliche Gelehrsamkeet zu besitze; das macht keenem eenen Schaden; darum lasse Sie ihn off seinem Schteckenpferd sitze, wenn er es partuh reite will!“

Natürlich waren alle Anwesenden Zeugen der Entfernung Franks gewesen. Sogar das Gesinde des Ranchero hatte, durch das Gelächter angelockt, das Haus verlassen und war vor das Thor gelaufen. Auch der Bankier hatte mit seinem Buchhalter den Vorgang beobachtet; da er nicht deutsch verstand, mußte der letztere ihm die gefallenen Reden erklären. Er lachte nachträglich auf das herzlichste und war neugierig, ob die Voraussetzung Drolls sich erfüllen und Frank wiederkommen werde. Während diese beiden noch miteinander sprachen, trat Sam Hawkens zu ihnen und fragte:

„Ihr wollt nach dem Chellyflusse, Mr. Rollins? Unser Weg führt uns dort vorüber, und morgen früh reiten wir von hier fort, Euer Ölprinz hat die Absicht, sich uns anzuschließen, und ich bin darauf eingegangen. Wißt Ihr schon davon?“

„Nein; er hat mir noch nichts gesagt. Was denkt Ihr von dem Ölfunde?“

„Daß er sich in der Flüssigkeit geirrt hat, wenn es nicht etwas noch Schlimmeres ist. Ich kann Euch nur zur Vorsicht mahnen.“

„Also genau so, wie Mr. Frank und auch Mr. Droll mir sagten. Diese beiden scheinen auch mit euch zu gehen?“

„Ja. Und später kommt Old Shatterhand mit Winnetou uns nach. Ich denke, daß die Gelegenheit gar nicht trefflicher für Euch passen kann. Ihr werdet mir willkommen sein; macht aber, was Ihr wollt!“

Well! Ich müßte gar kein Hirn im Kopfe haben, wenn ich nicht auf Euern Vorschlag eingehen wollte. Ihr gewährt mir einen Schutz, den ich vielleicht sehr nötig habe. Es mag also zugesagt sein: ich werde mich Euch anschließen, Sir, und sage Euch für die Erlaubnis einstweilen meinen Dank.“

So war die Sache also zur allseitigen Zufriedenheit abgemacht, und Rollins, Baumgarten und der Ölprinz, welche sich bisher mehr für sich gehalten hatten, schlossen sich den Emigranten und deren Führern an. Man setzte sich zusammen; es wurde viel erzählt, so daß man bald bekannter miteinander wurde. Darüber verging der Nachmittag; der Abend brach herein, und man brannte im Hofe ein Feuer an, um an demselben das Fleisch, welches der Ranchero lieferte, zu braten. Nach dem Essen sollte Kaffee gekocht werden. Die dazu gehörigen Gefäße hatten die Einwanderer mit; man brauchte sie also nicht von Forner zu borgen. Frau Rosalie und eine der andern Frauen nahmen einen Kessel und gingen damit nach dem Flusse, um Wasser zu holen. Nach einigen Minuten kamen sie in großer Aufregung und ohne den Kessel zurück. Ihre Gesichter drückten das größte Entsetzen aus.

„Was ist denn mit Ihnen?“ fragte der Kantor. „Wo haben Sie den Kessel? Wie sehen Sie denn aus?“

Die andre Frau konnte vor Schreck nicht reden; Frau Rosalie antwortete, aber unter allen Anzeichen des Schreckes.

„Wie ich aussehe? Wohl schlecht, he?“

„Ganz leichenblaß. Ist Ihnen vielleicht etwas passiert?“

„Passiert? Und ob! Herjesses, was wir gesehen haben!“

„Was denn?“

„Was? Ja, das weeß ich nich, da fragen Sie mich zu viel.“

Da meinte ihr Mann:

„Sei doch nich so dumm! Du mußt doch wissen, waste gesehen hast!“

Da stemmte sie die Fäuste in die Hüften und fuhr ihn zornig an:

„Weeßt du es vielleicht?“

„Ich? Nee,“ antwortete er verblüfft.

„Na also! Da schweigste ooch schtille, verschtehste mich! Ich weeß schon, wo ich meine Oogen hab; aber so een grausiges Geschöpf, wie wir gesehen haben, is mir in meinem ganzen Leben noch nich vorgekommen.“

„Es war een Geist, een Flußgeschpenst,“ erklärte die andre Frau, indem sie sich schüttelte. Sie hatte die Sprache wieder erlangt.

„Unsinn!“ antwortete Frau Rosalie. „Geister gibt es nich, und an Geschpenster gloobe ich erscht recht nich.“

„So war es een Wassernix!“

„Ooch nich. Sei doch nich so abergläubisch! Nixe gibt es nur in den Kindermärchen.“

„Was denkste denn, was es da gewesen sein mag?“

„Ja, da fragste mich zu viel. Een Geist also warsch nich, denn es gibt keenen; een Mensch is es ooch nich gewesen, also warsch een Vieh, aber was für eens!“

Da ergriff der Kantor das Wort wieder:

„Wenn es ein Tier gewesen ist, so werden wir die Gattung, die Art und den Namen bald herausbekommen; ich bin ja Zoologe, nämlich vom Unterrichte in der Schule her. Beantworten Sie mir meine Fragen. War es ein Wirbeltier?“

„Von eenem Wirbel hab’ich nischt bemerkt. Dazu ist es zu dunkel gewesen.“

„Welche Größe hatte es denn?“

„Als es im Wasser saß, konnte ich das nich gut sehen; aber als es offschprang, war es meiner Seele so groß wie een Mensch.“

„Also war es unbedingt ein Wirbeltier, wahrscheinlich ein Säugetier?“

„Das kann ich nich sagen.“

„Gehen wir die einzelnen Klassen durch. Ist es ein Affe gewesen?“

„Nee, denn es hatte keenen Schwanz.“

„Es gibt auch ungeschwänzte Affen. Vielleicht ein Raubtier?“

„Ooch nich, obgleich es gefährlich genug ausgesehen hat.“

„Woher wissen Sie denn, daß es kein Raubtier gewesen ist?“

„Weil es keene Haare hatte.“

„So so, hm, hm! Vielleicht ein Fisch?“

„Nee, gar nich, denn een Fisch hat doch keene Arme und Beene.“

„Die hatte es aber?“

„Ja.“

„Sonderbar, höchst sonderbar! Arme und Beine haben nur die Menschen und die Affen; ein Affe aber war es nicht, wie Sie behaupten; also scheint anzunehmen zu sein, daß es ein Mensch gewesen ist, zumal er keine Haare, also kein Fell gehabt hat.“

„Gott bewahre, een Mensch war es nich; een Mensch hat eene ganz andre Schtimme,“

„Hatte er denn eine?“

„Na, und was für eene.“

„Können Sie es mir nicht einmal vormachen?“

„Ich will’s versuchen,“ meinte sie, setzte sich in Positur, holte tief Atem und brüllte dann. „Uhuahuahuahuaauauauahhh!“

Bei diesem entsetzlichen Gebrüll sprangen alle Anwesende auf.

„Herrgott, was muß das für eine Bestie gewesen sein – ein Löwe – Tiger – – Panther!“ so rief es durcheinander.

„Still, ihr Leute!“ gebot der Kantor. „Regen Sie sich nicht auf! Sie haben ja gehört, daß es kein Raubtier gewesen ist. Wir haben also nichts zu befürchten, und ich werde an der Hand der Wissenschaft die Sache bald aufklären. Das Tier hatte kein Fell, war also kein Säugetier. Ein Fisch kann es auch nicht gewesen Sein, weil es eine Stimme hatte. Da wir von den wirbellosen Tieren ganz absehen müssen, so bleiben uns nur noch die Amphibien, besonders die Frösche und die Kröten.“

Da rief die andre Frau schnell:

„Ja, ja, das is richtig; es war eene Kröte!“

„Nee, es war een Frosch!“ behauptete Frau Rosalie ebensoschnell.

„Nee, eene Kröte! So wie dieses Vieh, kann nur eene Kröte im Wasser sitzen.“

„Se hoppte aber doch in die Höhe!“

„Kröten hoppen ooch!“

„Aber nich so wie die Frösche, und Kröten halten sich ooch mehrschtenteels off der Erde off, aber nich im Wasser. Verschtehste mich. Es war een Frosch!“

„Aber ein so großer Frosch!“ zweifelte der Kantor, indem er bedenklich mit dem Kopfe schüttelte. „Sie sagten doch, daß er so groß wie ein Mensch gewesen sei?“

„Ja, so groß war er, off Ehre!“

„Hm, hm! Der größte Frosch, den es hier in Amerika gibt, das ist der Ochsenfrosch; aber der ist doch nicht so groß wie ein Mensch!“

„Ochsenfrosch? Gibt es da welche? Da is es ganz gewiß eener gewesen.“

„Unmöglich, denn ein solcher Frosch erreicht niemals eine solche Größe.“

„Warum denn nich? Es gibt überall Riesen und Zwerge, also wird es wohl auch unter den Fröschen solche geben. Es is also een Ochsenfroschriese, oder een Riesenochsenfrosch, oder een Ochsenriesenfrosch, oder een Froschochsenriese, oder een Riesenfroschochse, oder een Froschriesenochse—“

„Halt, halt, halt!“ wehrte der Kantor schaudernd ab. „Was werden Sie noch alles aus diesem Frosche machen! In meinem Lehrbuche der Naturgeschichte war ein solcher Ochsenfroschriese nicht verzeichnet; aber ich will nicht streiten; ich lebe mehr der Kunst als der Zoologie und will nicht behaupten, daß es solche Abnormitäten nicht geben kann. Sie meinen also wirklich, daß es ein riesiger Ochsenfrosch gewesen ist, Frau Ebersbach?“

„Ja, off Ehre und off Seligkeet! Ich kann’s beschwören, denn wie das Vieh so mit allen vier Beenen in die Höhe schprang, kann es nischt andres als nur een Frosch gewesen sein.“

„Was that das Tier denn vor dem Springen? Saß oder schwamm es?“

„Es saß wie een Frosch sitzt! Den hintern Teil sah mer nich, und von der vordem Hälfte guckten nur die obern Beene, een bissel vom Leibe und der Kopp aus dem Wasser. Und nu besinne ich mich ooch ganz genau off das breete Froschmaul und off die Glotzoogen, mit denen er uns entgegenschtarrte, Herr Kantor.“

„Bitte, Kantor emeritus, der Vollständigkeit halber! Wir stehen trotz der Beschreibung, welche Sie uns liefern, vor einem Rätsel, und ich schlage vor, wir gehen nach dem Flusse, um uns zu überzeugen.“

„Meenen Sie, daß er noch dortsitzt?“

„Ja. Frösche sind keine Zug-, sondern Standtiere. Dieser Frosch ist hier geboren oder vielmehr gelaicht worden und wird diese Gegend also nie verlassen. Da es aber ein so großes Biest ist, schlage ich vor, die Gewehre mitzunehmen. Frösche haben nämlich Zähne, während Kröten keine haben. Das Tier könnte beißen.“

Der Wirt mußte einige Laternen herschaffen, und dann verließen alle ohne Ausnahme den Hof, um nach dem Flusse zu gehen. Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker waren die hintersten. Ihnen hatte sich auch Droll angeschlossen. Dieser letztere fragte, indem er leise vor sich hinlachte:

„Was meint ihr wohl, Mesch’schurs, was für ein Tier dieses Viehzeug ist?“

„Doch nur ein Frosch, so groß wie meine Hand,“ antwortete Hawkens. „Er ist vor den Weibern plötzlich aufgesprungen, und im Schreck haben sie ihn für fünfzigmal größer gehalten, als er war.“

„Nein; er ist wirklich so groß,“ entgegnete Droll.

„Wie? Glaubt Ihr das wirklich?“

„Ja.“

„Unsinn! Ein Frosch, so groß wie ein Mensch!“

„Es ist ja gar kein Frosch!“

„Nicht?“

„Nein.“

„Was denn?“

„Ein Mensch, welcher gebadet hat.“

„Ah! Gewiß einer der Knechte, welche hier im Freien das grasende Vieh zu bewachen haben.“

„Auch nicht.“

„Wer denn?“

„Mein Hobble-Frank.“

„Alle Wetter! Welche Idee, wenn ich mich nicht irre!“

„Ja, er ist’s gewiß. Er sprach heut, als wir drin im Hofe bei der Sonnenglut zusammensaßen, daß er heut abend, wenn es finster sein werde, ein Bad nehmen wolle. Das hat er jetzt gethan.“

„Aber er ist doch fort!“

Pshaw! Er ist wieder da; ich kenne ihn. In den Hof hat er freilich nicht kommen wollen, sondern sich hier ins Freie gelagert. Da ist ihm der Gedanke an das Bad wieder aufgestiegen; er hat sich ausgezogen und ist in das Wasser gegangen. Das ist so gewiß, daß ich um tausend Dollars wetten will.“

„Sollte mich freuen, wenn er wiedergekommen wäre.“

„Ich habe nicht daran gezweifelt.“

„Na, daß er uns ganz verlassen werde, habe ich auch nicht gedacht; er weiß ja, wohin wir morgen wollen, und da meinte ich, daß er unterwegs wieder zu uns stoßen würde. Ah, schaut! Da haben wir ja den Frosch!“

Nämlich der Zug der Neugierigen war, mit vier Laternen versehen, in der Nähe des Flusses angekommen. Da saß der Hobble-Frank neben seiner weidenden Mary im Grase. Er erhob sich ganz erstaunt, als er die vielen Menschen erblickte, und fragte in deutscher Sprache:

„Was habt ihr denn da vor, ihr Leute? Das is ja die reene Wallfahrt, die da herangeschlängelt kommt!“

„Ah, Sie sind wieder da, Herr Frank!“ antwortete der Emeritus. „Das ist mir außerordentlich lieb, denn vielleicht können Sie uns Auskunft geben. Wie lange befinden Sie sich wieder hier?“

„Seit vielleicht eener Schtunde.“

„Haben Sie beobachtet, was an dieser Stelle vorgegangen ist?“

„Natürlich! Ich habe ja meine Oogen und ooch meine Ohren, und so eenem Prairiejäger, wie ich bin, kann niemals nischt entgehen.“

„Haben Sie die beiden Frauen gesehen, welche Wasser holen wollten?“

„Ja.“

„Und auch das Tier?“

„Welches Tier?“

„Welches im Wasser gesessen hat?“

„Im Wasser gesessen? Ich habe keens bemerkt.“

„So sind Ihre Augen und Ohren doch nicht so aufmerksam gewesen, wie Sie denken.“

„Oho! Was für een Vieh soll es denn gewesen sein?“

„Ein Ochsenfrosch.“

„Sapperlot! Da soll eener hier gewesen sein?“

„Ja.“

„Wer hat denn das gesagt?“

„Die Frauen.“

„Von eenem Ochsenfrosch is mir wirklich nischt ins Bewußtsein gekommen.“

„Waren Sie denn wirklich in der Nähe, als die Damen hier waren?“

„Was das betrifft, so war ich ihnen allerdings sehr nahe.“

Da schob sich Frau Rosalie zu ihm hin und sagte:

„Sie habe ich allerdings nich gesehen, Herr Hobble-Frank, desto deutlicher aber den Ochsenfrosch. Wenn Sie so sehr in unsrer Nähe gewesen sein wollen, so müssen Sie ihn unbedingt ooch gesehen haben!“

„Leider nich!“

„Er war ja groß genug!“

„Wie denn ungefähr?“

„Grad wie een ausgewachsener Mensch.“

„Oho! So groß wird im ganzen Leben keen Frosch, Frau Eberschbach, selbst wenn es een Ochsenfrosch wäre. Ich habe genug solche Kerls gesehen; sie werden etwas größer als eene tüchtige Männerhand, größer nich. Ihren Namen haben sie nich etwa daher, daß sie die Größe eines Ochsen besitzen, sondern von ihrer obligaten Schtimme. Sie schreien nämlich ganz ähnlich, wie ein Ochse brüllt.“

„Das schtimmt, das schtimmt! Wir haben das Biest schreien hören.“

„Wann denn?“

„Na, als wir hier waren!“

„Das hätt‘ ich doch ooch hören müssen!“

„Das denke ich ooch. Wo haben Se denn nur Ihre Ohren und Ihre Oogen gehabt, daß Sie das Vieh nich gehört und nich gesehen haben?“

„Das weeß ich wirklich nich. Zeigen Sie mir doch ergebenst ‚mal die genaue topographische Schtelle, an welcher der Frosch gebrüllt hat!“

„Er brüllte erscht dann, als er offschprang.“

„Hörn Se ‚mal, Frau Eberschbach, das will mir unglooblich erscheinen. Een Frosch brüllt nich im Schpringen, sondern nur wenn er sitzt.“

„Nee, dieser schrie in dem Oogenblicke, an welchem er aus dem Wasser in die Höhe fuhr. Kommen Sie! Ich will Ihnen die Schtelle zeigen.“

Frau Ebersbach führte den ungläubigen Frank vollends an das Ufer hinab, deutete auf einen Punkt desselben, in dessen Nähe der leere Eimer lag, dann in das Wasser hinein und erklärte dabei:

„Hier schtanden wir, um Wasser für den Kaffee zu schöpfen; da sehen Sie zum Beweise ooch den Eemer liegen, den wir vor Platzangst weggeworfen haben. Und da im Wasser saß der Ochsenfrosch.“

Da machte der Hobble-Frank ein sehr langes Gesicht, welches aber mehr und mehr einen lustigen Ausdruck annahm, und fragte:

„Sie haben also genau gesehen, daß es een Ochsenfrosch gewesen is?“

„Na, offen und ehrlich geschtanden, haben wir erscht nich so recht gewußt, in welche Klasse von Insekten das Biest gehören mag; aber unser Herr Kantor hat die Zowolie schtudiert, und mit seiner gütigen Hilfe is es herausgedüftelt worden, daß es ooch een Ochsenfrosch gewesen is.“

„Ausgezeechnet, ausgezeechnet! Das macht mir gewaltigen Schpaß, meine Damen und meine Herren! Und warum kommen Sie denn jetzt mit Laternen und Lampinjongs nach dem Flusse gezogen?“

„Um den Ochsenfrosch zu suchen und zu fangen,“ antwortete Frau Rosalie.

„Meenen Sie, daß das so leicht sein wird?“

„Na, vor eenem Frosche werden wir uns doch nich fürchten. Er is zwar riesengroß, aber wenn er sich ooch wehrt, es hilft ihm nischt. Sobald er beißen will, wird er erschossen. Wir haben die Flinten mit, wie Se sehen.“

Da schlug er ein helles Gelächter auf, durch welches Frau Rosalie sich so beleidigt fühlte, daß sie zornig sagte:

„Feixen Se nich so! Es is keen Schpaß, so bei nachtschlafender Zeit und wenn es dunkel wird, off eenen Ochsenriesen –- Froschriesenochsen – – Riesenochsenfr – – –“

Sie hielt einen Augenblick verlegen inne; da Frank noch lauter lachte als vorher, stemmte sie die Fäuste in die Hüften und schrie ihn an:

„Sie sind wohl übergeschnappt, Sie Lachmeier, Sie? Ich möchte bloß wissen, wo Sie Ihre Bildung hernehmen, daß Sie in Gegenwart eener so reschpektabeln Dame, wie ich bin, nich ernsthaft bleiben können. So een Lachtauber, wie Sie, is mir wirklich im ganzen Leben noch nich vorgekommen!“

Er gab sich die größte Mühe, den Lachreiz zu bemeistern, und antwortete ihr, als ihm dies gelungen war:

„Und wenn eener seine Bildung mit Scheffeln messen könnte, hier müßte er lachen. Een Ochsenfrosch soll das gewesen sein, een Ochsenfrosch!“

Er fing von neuem an zu lachen. Da faßte sie ihn bei den beiden Oberarmen, schüttelte ihn und rief:

„Kommen Sie nur zu sich! Sie müssen ja sonst die Maulschperre kriegen, Sie ewiger Lachullrich, Sie! Is denn een Ochsenfrosch gar so ‚was Lächerliches?“

„Ochsenriesenfrosch – Riesenfroschochse – Froschriesenochse!“ lachte er weiter. „Mich, den berühmten und gelehrten Hobble-Frank für eenen Ochsenfrosch zu halten! Das is schtark; das is zu schtark; das geht wahrhaftig über alle Begriffe und logischen Estimationen!“

Da trat sie einen Schritt zurück, funkelte ihn mit ihren Augen an und fragte:

„Sie, Sie sind für eenen Ochsenfrosch gehalten worden?“

„Ja, ich!“ lachte er.

„Von wem denn?“

„Von Ihnen doch!“

„Das is nich wahr; das is eene Lüge, eene großartige Lüge!“

„Ich muß es leider dadroff ankommen lassen, denn was ich sage, das is wahr. Ich war hinaus ins Camp geritten, und kehrte, als es dunkel geworden war, wieder um. Es war den ganzen Tag über so heeß gewesen und der Ritt hatte mich noch mehr erhitzt. Als ich hier dann wieder durch das Flüßchen ritt, kühlte mich das Wasser so hübsch an, und es fiel mir ein, daß ich een Bad hatte nehmen wollen. Ich stieg also vom Pferde oder vielmehr von meiner alten, guten Mary, die een Maultier is, zog mich aus und ging ins Wasser.“

Als Frank hier eine kurze Pause machte, schlug Frau Rosalie die Hände zusammen und rief ahnungsvoll aus:

„Herrjemerschneh, was werd’ich da zu hören bekommen! Sie sind ins Wasser geschtiegen?“

„Ja. Ich schwamm hin und her, plätscherte mich tüchtig aus und wollte eben wieder offs Trockene heraus, als ich zwee weibliche Personen erblickte, welche nach dem Flusse gekommen waren und, ohne daß ich sie wegen der Finsternis bemerkt hatte, sich schon ganz nahe befanden. Ich hockte mich rasch nieder, denn ich gloobte, daß sie vorübergehen würden; aber sie kamen grad nach derjenigen Schtelle, wo der Hase im Pfeffer und der Frank im Wasser lag. Da blieben sie schtehen und sahen mich an.“

„Das is freilich wahr,“ fiel Frau Rosalie ein. „Wir sahen was Helles im dunkeln Wasser und wußten erscht gar nich, was wir daraus machen sollten; aber off alle Fälle war es een lebendiges Wesen, was uns fürchterlich anglotzte.“

„Bitte sehr, Frau Eberschbach! Angeklotzt habe ich Sie nich! Ich habe Sie sogar ängstlich angeblickt, weil ich hoffte, daß Sie sich in zartfühlender Deliciosität entfernen würden. Aber dies war nich der Fall. Darum entschloß ich mich zu eener strategischen Revolution: ich schprang in die Höhe, klatschte die Hände zusammen und brüllte, was ich konnte.“

Frau Ebersbach schien über diese Mitteilung sehr indigniert und im Begriffe zu sein, ihm noch schärfer als bisher antworten zu wollen; da aber ergriff Droll das Wort:

„Es is een Irrtum gewese, meine verehrte Herrschafte, een Irrtum, der keenen Menschen in Schaden bringe kann. Darum wolle mer uns nich weiter schtreite und zanke, sondern lieber demjenigen Ehre erweise, dem Ehre zu erweise is. Unser Hobble-Frank, der Rieseochsefrosch, soll lebe hoch, hoch und dreimal hoch!“

Als alle lachend in das Hoch eingestimmt hatten, fuhr er fort:

„Dort liegt der Kessel; schöpft ihn voll, damit wir endlich zu unserm Kaffee komme; dann schtelle wir uns in Reih und Glied, um unsern Ochsefrosch im Triumph eheeme zu schaffe!“

So geschah es, Hobble-Frank mochte sich noch so sehr sträuben; er wurde dem Schmiede Ebersbach, welcher der längste der Anwesenden war, wie ein Kind auf die Schultern gesetzt, und dann kehrte der Zug im militärischen Gleichschritte und indem alle das Quaken von Fröschen nachahmten, in den Hof zurück.

Nun setzte man sich um das Feuer, und die unterbrochene Bereitung des Abendbrotes wurde wieder aufgenommen. Als das Fleisch verzehrt worden war, wurde Kaffee gekocht, von welchem jeder einige Becher voll bekam.

Das Ziel für morgen war ein einsames Pueblo, welches am südlichen Abhange der Mogollonberge lag. Um es noch vor Abend zu erreichen, mußte man zeitig aufbrechen und durfte unterwegs nicht öfters und allzulange rasten. Dennoch ging man heute nicht zeitig schlafen. Es gab zwischen denen, welche sich noch nie gesehen hatten und sich kennen lernen wollten, gar viel zu erzählen. Im Laufe des Abends wurde zwischen Hawkens, Stone und Parker einerseits und Frank und Droll andrerseits Brüderschaft gemacht, wie das so zwischen Westmännern üblich ist. Nur ganz hervorragende Jäger pflegen sich in dieser Beziehung zurückzuhalten, und dann wird auch kein andrer es wagen, einen Antrag auf das Du auszusprechen.

Was den Ölprinzen betrifft, so beteiligte er sich auch recht lebhaft an der Unterhaltung. Dies wurde dadurch möglich, weil der Bankier das Deutsche auch nicht verstand und man diesem zuliebe sich viel des Englischen bediente; so konnte Grinley also auch teilnehmen. Er gab sich sichtlich alle Mühe, Sympathie zu erwecken, was ihm bei den deutschen Auswanderern auch leidlich zu gelingen schien, obgleich diese nicht viel von der englischen Unterhaltung verstanden. Auch der Bankier schien in seinem Mißtrauen arg wankend zu werden. Schi-So und sein junger Gefährte Adolf Wolf beteiligten sich an der Unterhaltung, wie es ihrem jugendlichen Alter zukam, nur in der Weise, daß sie antworteten, wenn sie gefragt wurden.

Bei dem eigenartigen Charakter des kleinen, listigen Sam Hawkens, der Lustigkeit Drolls und der Originalität des Hobble-Frank verstand es sich ganz von selbst, daß das Gespräch ein höchst animiertes war. Die Zeit verging außerordentlich schnell, so daß alle höchst verwundert waren, als Will Parker endlich daran erinnerte, daß Mitternacht bereits vorüber sei.

Es gab jetzt nur vier, höchstens fünf Stunden Schlaf; darum legte man sich nun zur Ruhe. Wenige Minuten später schliefen alle. Wachen brauchte man nicht auszustellen, weil die Knechte des Ranchero draußen wachten.

Als am andern Morgen der Tag kaum graute, hatte Forner schon für Kaffee und frisches, in Fladenform gebackenes Maisbrot gesorgt, so daß die Gesellschaft sich wegen des Frühstückes gar nicht zu bemühen oder Zeit zu verlieren brauchte. Die Tiere wurden tüchtig getränkt, weil bis zum Abende kein Wasser zu finden war; der Ranchero bekam Bezahlung für das, was er geliefert hatte; den Knechten desselben wurde ein Trinkgeld gegeben; dann brach man auf.

Sam Hawkens war dafür besorgt gewesen, daß die Frauen auf ihren Tieren gute Sitze hatten: das Reiten strengte sie auch nicht mehr als die Männer an. Die Kinder hatten Platz in Körben gefunden, deren zwei je ein Maultier trug, einen auf der rechten und einen auf der linken Seite. Diese mit Stroh ausgepolsterten Plätze verursachten gar keine Beschwerden, und so kam es, daß die Reiter ihre Tiere ausgreifen lassen konnten und der Ritt ein ziemlich schneller war.

Je weiter man sich von dein Flusse entfernte, desto unfruchtbarer wurde das Land. Wo es in jenen Gegenden Feuchtigkeit gibt oder gar fließendes Wasser, da bringt die Erde einen außerordentlichen Reichtum von Produkten hervor; wo aber der belebende Tropfen fehlt, ist nichts als Öde, als die trostloseste Wüste zu sehen.

Am Vormittage war die Temperatur noch nicht allzu beschwerlich; je höher aber die Sonne stieg, desto größer wurde die Hitze, welche von dem sterilen, felsigen Boden und den nackten, kahlen Steinwänden der Berge zurückgestrahlt,wurde, so daß sie für die deutschen Emigranten, welche eine solche Glut nicht gewöhnt waren, kaum auszuhalten war.

Bis einige Stunden nach Mittag ging es durch flache Thalmulden oder über weite Ebenen, welche nicht eine Spur von Vegetation zeigten. Dann gab es Höhen, die aber dem Auge keine Erquickung boten, da die hier so geizige Natur ihnen keinen einzigen Baum, nicht einmal einen Strauch geschenkt hatte. Nur an verborgenen, seltenen Stellen, auf welche die Sonne nicht von früh bis zum Abend zu brennen vermochte, wo es also wenigstens für einige Zeit Schatten gab, ließ sich ein einsamer, phantastisch gestalteter Kaktus sehen, dessen farb- und charakterloses Grau dem Beschauer jedoch auch keine Freude brachte.

Zur Zeit der größten Tageshitze wurde an einer steilen Bergwand gerastet. Es gab da einigen Schatten; aber die gegenüberliegende Wand warf die Wärme so intensiv auf die Ruhenden, daß dieselben keine Erquickung fanden und sie lieber wieder aufstiegen, weil der Ritt, wenn er ein schneller war, doch eine etwas kühlende Luftbewegung brachte,

Endlich – die Sonne neigte sich schon sehr dem Horizonte zu – schien die Hitze abzunehmen, und zwar schneller, weit schneller, als es eigentlich hätte sein sollen. Sam Hawkens prüfte den Himmel und machte ein leicht bedenkliches Gesicht.

„Warum schaust du so nach oben?“ fragte ihn der Hobble-Frank. „Es scheint mir, als ob der Horizont dir nich gefällt?“

„Kannst recht haben,“ antwortete der Gefragte.

„Warum?“

„Weil sich die Luft so schnell und plötzlich abkühlt.“

„Ach, wohl gar Gewitter?“

„Möchte es fast befürchten, wie mir scheint.“

„Das wäre doch gut! Een Gewitter nach dieser Trockenheet und Hitze müßte uns doch willkommen sein!“

„Danke! Die Gewitter pflegen in dieser Gegend ganz anders aufzutreten, als du zu denken scheinst. Es gibt Jahre, in denen hier nicht ein Tropfen Regen fällt; ja es hat Zeiten gegeben, wo es zwei und gar drei Jahre lang nicht geregnet hat. Wenn es dann aber einmal ein Wetter gibt, dann ist es auch ein fürchterliches. Wollen machen, daß wir das Pueblo erreichen.“

„Wie weit ist’s noch dahin?“

An einer halben Stunde sind wir dort.“

„Da hat’s ja keene Gefahr. Es schteht noch nich een Wölkchen am Firmamente des Himmels; es können also noch Schtunden vergehen, ehe es da oben schwarz und finster wird.“

„Irre dich nicht. Es bedarf hier nur einiger Minuten, um den Himmel zu verdunkeln, und ich möchte fast behaupten, daß ich die Elektrizität, welche sich in der Luft angesammelt hat, rieche. Schau nur meine Mary an, wie eilig sie es hat, wie sie die Nüstern aufbläst und mit den Ohren und mit dem Schwanze wedelt! Die weiß ganz genau, daß etwas im Anzuge ist, das gescheite Vieh.“

Es war wirklich so. Das alte Maultier hastete förmlich vorwärts und zeigte eine Unruhe, welche auffallen mußte. Und doch war für den Unerfahrenen ganz und gar nichts Bedrohliches zu bemerken. Als Frank seinem Vetter Droll die Befürchtung Sams mitteilte, antwortete dieser:

„Habe mir ooch schon so ‚was gedacht. Sieh nur, wie gelb es draußen rund off dem Gesichtskreis liegt! Das wird höher und höher schteige, und wenn es den Scheitelpunkt erreicht hat, bricht das Wetter los. Gut, daß wir bald unter Dach und Fach komme!“

„Im Pueblo?“

„Ja.“

„Da gibt’s doch wohl nur Zelte, durch die der Regen dringen wird.“

„Was du denkst. Hast du denn noch keen Pueblo gesehn?“

„Nee.“

„Da wirst du dich wundern, wenn wir hinkommen. So een Pueblo is ganz sonderbar anzuschauen.“

Er hatte ganz recht, wenn er sagte, daß ein Pueblo einen ganz eigenartigen Anblick biete. Was das Wort an und für sich betrifft, so ist es ein spanisches und bedeutet „bewohnter Ort“, also sowohl ein einzelnes Haus als auch ein Dorf, eine Ortschaft. Diejenigen Indianer, welche Pueblos bewohnen, werden Puebloindianer oder kurzweg Pueblos genannt. Zu ihnen gehören die Tanos, Taos, Tehua, Jemes, Queres, Acoma, Zuhi und Moqui, im weiteren Sinne auch noch die Pimas, Maricopas und Papagos am Gilaflusse und südlich von demselben.

Ein Pueblo ist entweder aus Stein oder aus Adobes (Luftziegeln) oder aus beiden gebaut. Gewöhnlich liegt das Gebäude an einem Felsen, welcher als Rückwand dient, und etwaige Felstrümmer sind mit in den Mauerbau gezogen. Das Gebäude steigt stets stufenartig an, so daß jedes vorhergehende, tiefere Stockwerk vor dem nachfolgenden, höheren vortritt, und alle sind mit einem flachen Dache versehen. Das Erdgeschoß also trägt auf seinem platten Dache das erste Gestock, welches um einige Meter zurückgebaut ist. Dadurch bleibt vor dem ersten Stocke ein freier Raum, der vordere Teil des Parterredaches, in welchem sich ein Loch befindet, das den Eingang zum Parterre bildet. Der zweite Stock liegt auf dem ersten, aber auch zurück und hat vor sich das vordere platte Dach des ersten Geschosses. In der Parterremauer gibt es keine Thür; es hat überhaupt kein Geschoß eine eigentliche Thür, sondern ein Loch im Dache, durch welches man hinabsteigt. Treppen gibt es nicht, sondern nur Leitern, welche von Stock zu Stock außen anliegen und weggenommen werden können. Wer also in das Parterre will, muß zum ersten Stock hinauf- und dann durch das dort im Parterredache befindliche Loch hinuntersteigen. Die immer weiter zurückliegenden höheren Stockwerke bilden also eine Reihe gewaltiger Stufen, von denen man sich ein ungefähres Bild machen kann, wenn man sich hier bei uns einen Weinberg betrachtet, welcher sich etagenweise nach rückwärts in die Höhe hebt.

Zu dieser Bauart waren die alten seßhaften und arbeitsamen Urwohner durch die Nähe der räuberisch herumstreifenden wilden Horden gezwungen. So ein Pueblo bildet, so einfach sein Bau ist, eine Festung, welche durch die Angriffsmittel, die es damals gab, unmöglich eingenommen werden konnte. Man brauchte nur die Leiter wegzunehmen, so konnte der Feind nicht herauf. Und brachte er welche mit, so mußte er jedes vorhergehende Stockwerk erobern, ehe er seinen Angriff auf das nachfolgende, höhere richten konnte.

Diese Puebloindianer sind meist sehr friedlich gesinnt und stehen unter der Aufsicht von Agenturen. Es gibt aber Pueblobauten, welche einsam in fern- und abgelegenen Gegenden liegen; deren Bewohner betrachten sich als frei und sind genau so zu beurteilen und zu behandeln wie die ungezügelt herumzichenden Stämme. Zu dieser letzteren Art gehörte das Pueblo, welches sich unsre Reiter zum heutigen Ziele genommen hatten. Die Bewohner desselben waren wilde Nijoraindianer, deren Häuptling Ka Maku hieß. Ka heißt drei, und Maku ist der Plural von Finger; Ka Maku bedeutet also „Drei Finger“. Er trug diesen Kriegs- und Ehrennamen, weil er an der linken Hand im Kampfe zwei Finger verloren hatte und also nur noch drei besaß. Er war als ein tapfrer, aber habsüchtiger Krieger bekannt, auf dessen Wort und Freundschaft man sich in gewöhnlichen Zeiten vielleicht verlassen konnte; jetzt jedoch, wo verschiedene Stämme ihre Kriegsbeile ausgegraben hatten, war es jedenfalls gewagt, ihm rückhaltloses Vertrauen zu schenken.

Sein Pueblo lag einsam im Glanze der nun fast untergehenden Sonne. Es hatte außer dem Erdgeschoß fünf Etagen, welche sich mit ihrem Rücken an die senkrechte Wand des Berges lehnten. Zusammengesetzt waren die untern Stockwerke aus gewaltigen Felsstücken, welche durch Adobessteine verbunden waren; die oberen Etagen bestanden ausschließlich aus Luftziegeln. Der Bau war ganz gewiß mehr als ein halbes Jahrtausend alt, und noch zeigte sich nicht der kleinste Riß in demselben.

Man sah Frauen und Kinder auf den Terrassen sitzen, alle beschäftigt und sehr ernsten Gesichtes, wie es so Art der Roten ist. Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerken können, daß diese Frauen, ja auch die Kinder, oft und geflissentlich nach Süden blickten, als ob sie von dorther ein wichtiges Ereignis erwarteten. Ein Mann oder gar Krieger war jetzt nicht zu sehen.

Da aber stiegen aus dem Loche der dritten Terrasse drei Personen, ein Roter und zwei Weiße hervor, welche auf dieser Plattform stehen blieben und ihre Aufmerksamkeit auch nach Süden richteten. Der Rote war Ka Maku, der Häuptling, eine lange, sehnige Gestalt mit der Rabenfeder im Schopfe. Sein Gesicht war nicht bemalt, ein Zeichen, daß sein Pueblo im Frieden lag; darum steckte auch nur das Skalpmesser in seinem Gürtel. Die beiden Weißen neben ihm waren –- Buttler, der Anführer der zwölf Finders, und Poller, sein Gefährte, welcher der Führer der deutschen Einwanderer gewesen war. Als sich in der Richtung, in welche sie blickten, nichts sehen ließ, sagte Buttler:

„Noch nicht; aber sie kommen jedenfalls noch vor Anbruch des Abends.“

„Ja, sie werden sich beeilen,“ stimmte der Häuptling bei. „Es sind kluge Männer bei ihnen, welchen nicht entgehen wird, daß ein Wetter naht; darum werden sie ihren Ritt beschleunigen, um hier zu sein, ehe es hereinbricht.“

„Du wirst also Wort halten? Ich darf mich auf dich verlassen?“

„Ich lüge nicht gegen dich. Du bist seit langer Zeit mein Bruder gewesen, und ich werde ehrlich gegen dich sein. Doch hoffe ich, daß ich mich auch auf dich verlassen kann und den Lohn erhalte, welchen du mir versprochen hast.“

„Ich habe dir meine Hand darauf gegeben; das ist so gut wie ein Schwur. Sorge nur dafür, daß ich baldigst und ungesehen mit dem Ölprinzen sprechen kann!“

„Ich werde ihn zu dir führen. Es wäre mir wohl nicht leicht geworden, dir mein Wort zu halten; nun aber, da das Wetter naht, werden diese Bleichgesichter nicht im Freien bleiben wollen, sondern in das Pueblo steigen, um nicht naß zu werden; da kann ich sie gefangen nehmen, ohne daß es zum Kampfe kommt.“

„Diejenigen aber, welche ich dir bezeichnet habe, mußt du von ihnen trennen, damit sie später glauben, daß der Ölprinz sie gerettet hat.“

„Es wird geschehen, wie du gesagt hast. Uff! Da draußen kommen Reiter; sie werden es sein. Versteckt euch schnell!“

Die beiden stiegen eiligst nach dem obersten Stock empor, in welchem sie verschwanden. Der Häuptling aber blieb stehen und beobachtete die Nahenden mit scharfem Auge.

Es war ein langer Zug von Reitern und Packpferden, lang, weil er sich auf indianische Weise im Gänsemarsche, also ein Reiter hinter dem andern, bewegte. Nur die drei vordersten ritten nebeneinander, nämlich Sam Hawkens, Droll und der Hobble-Frank. Als dieser letztere die sich übereinander aufbauenden Terrassen des Pueblo beim Näherkommen deutlich vor sich liegen sah, sagte er:

„So een Bauwerk is mir noch nich vorgekommen. Was für een Bauschtiel mag das wohl sein? Ob byzantinisch-chloroformisch oder hebräisch-imperialisch? Vielleicht is es gotisch-objektivisch, vielleicht ooch griechisch-mixturalisch. Jedenfalls aber is es für so eenen Sachverschtändigen, wie ich bin, über alle Maßen interessant, zu sehen, mit welch eener regelmäßigen Treppenschtufenförmlichkeet sich diese Puebloindianer übereenander auf- und ansässig gemacht haben. Hast du, geliebter Sam, een architektonisches Verschtändnis für so eene amphidialektische Gebäudeförmlichkeet?“

„Du meinst jedenfalls amphitheatralisch,“ antwortete Hawkens.

„Nee, das fällt mir nich im Troome ein. Ich gebe dir zu bedenken, daß du nich die nötigen Kenntnisse und Finessen besitzest, meinen gelehrten Verschtand petrefaktisch zu verbessern. Das Wort amphi is griechischer Dialekt und hat mit der Opernbühne und dem Theater nischt zu thun, und weil es Dialekt is, wird een derartiges Mauerwerk een amphidialektisches genannt. Als ich damals noch als Forschtgehilfe in Moritzburg amtifizierte, kam der berühmte Baumeester Gottfried Semper oft in unsern Wald schpaziert; ich habe ihn wohl zwanzigmal von weitem gesehen, und eenmal ging er so nahe an mir vorüber, daß ich guten Tag zu ihm sagte. Er nickte mir interimistisch zu und antwortete mit freundlichem Kontrapunkte: Habe die Ehre Wenn ich nun so eener Berühmtheet so nahe geschtanden habe, wirscht du doch nich wagen wollen, mir meine Bauschtile und geometrischen Schtandesverhältnisse abzuändern. Oder kannst du mir vielleicht sagen, off welchem Grundschteene die gesamte Baukunst errichtet is?“

„Nun?“

„Off dem Pythagoräischen Lehrsatz, welcher bekanntlich lautet: das Quadrat der Hypokonfuse sitzt off den beeden Kathedern. Aber was nutzt der Kuh Muschkate! Ich kann euch zehn Wochen lang das höhere Tierreich predigen, ihr bleibt doch die niedrigen Regenwürmer, die nur als Maulwurfsfutter nütze sind.“

Er machte bei diesen Worten eine wegwerfende Geste, die leider keinen andern Erfolg hatte, als daß die beiden andern sich heimlich und vergnügt zulächelten. Dann wurde schweigend weitergeritten, bis man am Fuße des Bauwerkes angekommen war.

Die Leiter, welche zum Besteigen des Erdgeschosses diente, war aufgezogen. Auf den verschiedenen Terrassen ließen sich außer den Frauen und Kindern nur einige Männer sehen. Das machte den Eindruck, daß die Krieger abwesend seien. Der Häuptling erwartete in stolzer, unbeweglicher Haltung die Ansprache der Reisenden. Sam Hawkens rief in dem dort gebräuchlichen, aus Englisch, Spanisch und Indianisch zusammengemischten Idiom zu ihm hinauf:

„Bist du Ka Maku, der Häuptling dieses Pueblo?“

„Ja,“ antwortete er kurz.

„Wir wollen hier rasten. Können wir Wasser für uns und unsre Pferde bekommen?“

„Nein.“

Diese Abweisung war eine scheinbare. Es lag in seinem Plane, sie festzuhalten; er mußte ihnen also Wasser gewähren; aber sie sollten nicht ahnen, daß er sich nur gar zu gern mit ihnen befassen wolle.

„Warum nicht?“ fragte Sam.

„Das wenige Wasser, welches wir haben, reicht kaum für uns und unsre Tiere.“

„Ich sehe aber doch weder eure Krieger noch eure Pferde. Wo befinden sie sich?“

„Auf der Jagd; sie werden aber bald zurückkehren.“

„Dann müßt ihr Wasser übrig haben. Warum verweigerst du es uns?“

„Ich kenne euch nicht.“

„Siehst du nicht, daß Frauen und Kinder bei uns sind? Wir sind also friedlich gesinnte Leute. Wir müssen trinken. Wenn du uns kein Wasser gibst, werden wir es uns suchen.“

„Ihr werdet es nicht finden.“

„Meinst du, daß weiße Männer keine Augen haben?“

„Sucht! Dann werde ich erfahren, ob ihr sehen könnt.“

Er wendete sich ab und that so, als ob er nichts mehr von ihnen wissen wolle. Das war dem braven Hobble-Frank zu viel; er sagte in zornigem Tone zu seinem Vetter Droll:

„Was denkt denn der Kerl eegentlich, wer und was wir sind? Wenn mir’s einfällt, so gebe ich ihm eene Kugel durch den Kopp, nachher wird er schon höflicher werden. Wir sind auserlesene, peremierende Leute, die Haare zwischen den Zähnen haben, und lassen uns nich wie Vagabunden von der hohen Pforte weisen. Ich schlage vor, in ernster Kompression mit diesem konsistenten Manne zu schprechen. Oder nich?“

„Ja,“ antwortete der geborene Altenburger in seinem heimatlichen Dialekte; „es is nich sehr angenehm, Dorscht zu habe und keen Wasser zu bekomme; aber finde wer’n mersch jedenfalls; mer dürfe nur bloß suche.“

Die Reiter stiegen ab, um nach einem vorhandenen Quell zu suchen. Feuchtigkeit war genug da, denn es wuchs Gras in der Nähe des Pueblo, und gar nicht fern von demselben gab es mehrere kleine Gärten mit Mais, Melonen und andern Gewächsen, deren Gedeihen fleißiges Begießen voraussetzte. Aber das Gesuchte wollte sich trotz alles Forschens nicht entdecken lassen, so daß Frank schließlich unmutig ausrief –

„Dummköpfe sind wir, weiter nischt! Wenn Old Shatterhand oder Winnetou mit ihrer anwesenden Gegenwart hier vorhanden wären, hätten sie das Wasser längst gefunden; ja, ich gloobe sogar, daß sie es riechen thäten.“

„Dieser berühmten Krieger bedarf es nicht,“ meinte da Schi-So, der Häuptlingssohn, welcher sich an den bisherigen Bemühungen nicht beteiligt, sondern denselben leise lächelnd zugesehen hatte. &Man muß nachdenken, anstatt zu suchen.“

„So? Na, da denke doch ‚mal nach!“

Man sieht, daß unter den sich näher stehenden Personen der Reisegesellschaft das Sie oder Ihr dem Du gewichen war. Es widerstrebte dem Hobble-Frank, von dem Jünglinge, der fast noch ein Knabe war, an Scharfsinn übertroffen zu werden.

„Das habe ich schon gethan,“ antwortete dieser.

„Wirklich? So habe doch die Gewogenheit, uns das offizinelle Resultat deiner geistigen Anschtrengung mitzuteilen!“

„Dieses Pueblo ist eine Festung, welche ohne Wasser nicht bestehen kann. Am notwendigsten ist dasselbe im Falle einer Belagerung, während welcher die Verteidiger den Bau nicht verlassen können. Zieht man diesen Umstand in Erwägung, so läßt sich leicht denken, wo der Brunnen zu finden ist.“

„Ah, du meenst vielleicht im Innern des Gebäudes?“

„Ja.“

„Aber wo denn da?“

„Jedenfalls nicht in einem der oberen Stockwerke,“ lächelte der junge Indianer.

„Nee, ooch ich hab‘ noch keen Wasserwerk off eener Kirchturmspitze gesehen. Der Brunnen wird parterre zu suchen sein.“

„Wo er schon vor Jahrhunderten, als das Pueblo erbaut wurde, angelegt worden ist.“

„Richtig! Das is so klar und deutlich wie Schtiefelwichse.

„Höre, mein lieber, jugendlicher Freund, du scheinst gar nich so dumm zu sein, wie du aussiehst. Wenn du dich so weiter fortentwickelst, is es partial möglich, daß aus dir vielleicht,was werden kann. Also da im Erdgeschoß hätten wir zu suchen. Aber wie kommen wir hinein? Een subjektives Eingangsthor is nich vorhanden, ebensowenig sind gerade oder gewendelte Treppen zu sehen, und die gewohnheetsmäßige Leiter haben sie außergewöhnlich emporgezogen. Aber wenn wir eene ägyptisch-sarmatische Pyramide bilden, indem immer eener off die Achseln des andern schteigt, so können mehrere von uns hinauf offs Dach und von da inwendig hinunter ins Parterre gelangen, wo das Aqua destillanterium zu finden is.“

Da bemerkte Sam Hawkens:

„Das hieße den Zugang erzwingen, was wir möglichst vermeiden wollen, wenn ich mich nicht irre. Wie es scheint, können wir das umgehen; der Häuptling kommt herab. Ich denke, daß er mit uns reden will.“

Wirklich kam Ka Maku jetzt bis auf die erste Plattform herabgestiegen. Er trat an den Rand derselben vor und fragte.

„Haben die Bleichgesichter das Wasser gefunden?“

„Erlaube uns, hinauf zu dir zu kommen, dann werden wir es finden,“ antwortete Sam, der Kleine.

„Denkst du, daß es hier oben fließt?“

„Nein, sondern unter dir im Erdgeschoß.“

„Du hast es erraten. Ich würde euch welches geben, aber es ist hier so selten, daß – –“

„Wir werden es dir bezahlen,“ unterbrach ihn Sam.

„Das ist gut! Doch weiß mein Bruder vielleicht, daß mehrere Stämme der Roten ihre Kriegsbeile gegen die Weißen ausgegraben haben? Darf man da den Bleichgesichtern trauen?“

„Von uns hast du nichts zu fürchten. Vielleicht hast du schon einmal von uns gehört. Ich und diese beiden Krieger, welche hier neben mir stehen, werden das Kleeblatt genannt; da hinter mir steht – – –“

„Das Kleeblatt?“ fiel ihm der Häuptling schnell in die Rede. „Da kenne ich eure Namen. Ihr heißt Hawkens, Stone und Parker?“

„Ja.“

„Warum habt Ihr mir das nicht gleich gesagt? Das Kleeblatt ist stets freundlich zu uns roten Männern gewesen; ihr seid unsre Brüder, und wir heißen euch willkommen. Ihr sollt Wasser haben, umsonst und so viel, wie ihr braucht. Unsre Frauen sollen es euch hinausreichen.“

Auf einen Ruf von ihm kamen die Squaws auf die unterste Plattform herabgestiegen und holten aus dem innen im Erdgeschosse befindlichen Brunnen in großen, thönernen Krügen Wasser, welches die Reisenden sich leicht herunterlangen konnten, weil einige Leitern angelegt worden waren. Das Ganze machte einen so friedlichen Eindruck, daß weder Sam Hawkens, der doch sonst so klug war, noch einer seiner Gefährten auf den Gedanken kam, daß die Freundlichkeit des Häuptlings nur Verstellung sei.

Während die Menschen sich erquickten und dann die durstigen Pferde getränkt wurden, hatte die Farbe des Himmels sich in sehr bedrohlicher Weise verändert. Er war erst hellrot, dann dunkelrot und schließlich violett geworden, und diese letztere Färbung ging nun in ein düsteres Schwarz über, ohne daß man hätte sagen können, daß eigentliche Wolken vorhanden seien.

„Das sieht bös aus,“ meinte Will Parker zu Hawkens. „Was sagst du dazu, Sam? Das scheint ein Hurrikan oder Tornado zu werden.“

„Glaube es nicht,“ antwortete der Gefragte, indem er mit einem langen Blicke den Himmel prüfte. „Ja, Sturm wird es geben, einen tüchtigen Sturm, aber viel, sehr viel Wasser dazu. Es wäre am besten, wenn wir unter Dach und Fach kommen könnten, und unsre Pferde auch, sonst gehen sie uns durch.“

Und sich an den Häuptling wendend, welcher noch immer auf der Plattform stand, fragte er diesen –

„Was sagt mein roter Bruder zu diesen bedenklichen Wetteranzeichen? Was wird daraus werden?“

„Ein großer Sturm mit einem solchen Regen, daß in kurzer Zeit hier alles schwimmen wird.“

„Denke das auch, habe aber keine Lust, zu schwimmen und unsre Sachen durch den Regen verderben zu lassen. Können wir nicht im Pueblo aufgenommen werden?“

„Meine weißen Brüder mögen mit ihren Frauen und Kindern zu uns heraufsteigen. Es soll sie kein Tropfen Regen treffen.“

„Und unsre Tiere? Gibt es keinen Platz für sie, wo sie uns nicht entfliehen können?“

„Da links um die Ecke des Pueblo ist ein Korral, in welchem ihr sie einsperren könnet.“

„Gut, das werden wir thun. Indessen können die Frauen zu euch emporsteigen.“

Es wurden noch einige Leitern herabgelassen, an denen die deutschen Frauen und Kinder nach der zweiten Etage und durch das dort befindliche Loch in das Innere der ersten Etage niederstiegen. Zu gleicher Zeit kamen mehrere indianische Squaws und halberwachsene Knaben herunter, welche das Gepäck, das man den Pferden und Maultieren abgenommen hatte, nach der ersten Plattform trugen und von da durch ein ebensolches Deckenloch in das Erdgeschoß schafften.

An der Seite des Pueblo, welche der Häuptling bezeichnet hatte, war durch ziemlich hohe Mauern ein offener, viereckiger Platz eingeschlossen, den Ka Maku als Korral bezeichnet hatte. Hierher wurden die Pferde geschafft. Als sie sich in Sicherheit befanden, verschloß man den Eingang durch Stangen, welche in dazu bestimmte Mauerlöcher querüber zu liegen kamen. Eben als man damit fertig war, gab es mit einemmal einen Blitz, als ob der ganze Himmel in Flammen stehe, und es krachte ein Donnerschlag, unter dem die Erde zu zittern schien. Zu gleicher Zeit begann es zu regnen, daß man kaum einige Schritte weit zu sehen vermochte, und es brach urplötzlich ein Sturm los, welcher von solcher Mächtigkeit war, daß man sich an der Mauer festhalten mußte, um nicht niedergeworfen zu werden. Die Männer eilten zu den Leitern.

Der Bankier und sein deutscher Buchhalter waren nicht so erfahren, gewandt und schnell wie die andern und darum die letzten, welche die Leitern erreichten. Alles drängte in höchster Eile hinauf nach der zweiten Plattform und nach dem dort befindlichen Loche, durch welches man mittels einer Leiter in das erste Stockwerk niederstieg. Da immer nur eine Person hineinkonnte, ging dies nicht so schnell, wie der gleich einem See niederstürzende Regen wünschen ließ. Jeder dachte nur an sich selbst und drängte vorwärts; auf andres hatte man nicht acht. So kam es, daß keinem die fünf oder sechs Indianer auffielen, welche ganz plötzlich bei dem Häuptlinge standen, der das Niedersteigen leitete.

Der Deckel, durch welchen das Eingangsloch verschlossen werden konnte, lag neben demselben. in der Nähe waren mehrere große, mehr als zentnerschwere Steine zu sehen, was auch niemandem auffiel. Der Bankier und Baumgarten, sein Buchhalter, waren, wie schon erwähnt, die beiden letzten. Eben als der erstere seinen Fuß auf die erste, oberste Leitersprosse setzen wollte, rief ihm der Häuptling zu

„Halt, zurück! Ihr dürft nicht da hinein!“

„Warum nicht?“ fragte Rollins.

„Das werdet ihr erfahren.“

Er warf sich mit den erwähnten Indianern auf die beiden, welche, ehe sie sich nur besinnen und an Widerstand denken konnten, niedergerissen und gefesselt wurden. Ihre Hilferufe, die sie ausstießen, wurden von dem Toben des Sturmes und dem Krachen des Donners verschlungen. Ebenso schnell, wie dies geschehen war, zog der Häuptling die Leiter aus dem Loche empor und warf den Deckel auf dasselbe, worauf seine Leute die schweren Steine auf den letzteren wälzten. Die Hinabgestiegenen konnten nicht herauf; sie waren gefangen.

Hierauf wurden der Bankier und Baumgarten eine Etage tiefer geschafft und mittels Lassos in das Erdgeschoß hinabgelassen. Dann wurde auch hier der Eingang mit dem fallthürähnlichen Deckel verschlossen, Hierauf schickte der Häuptling einen seiner Leute fort, Der Mann verließ zunächst mittels der untersten Leiter das Pueblo und rannte dann trotz Blitz und Donner, Sturm und Regen längs der Felsenhöhe, an welche sich das Bauwerk schmiegte, hin, bog um eine Ecke derselben und kam dann nach vielleicht zehn Minuten an einen Platz, wo, wie es schien, die Trümmer einer herab- oder zusammengestürzten Steinwand ein Wirrwarr bildeten, welches sich sehr gut zum Verstecke eignete. Hierher hatten sich die Krieger des Pueblo mit ihren Pferden zurückgezogen, um den Weißen glaubhaft zu machen, daß sie auf der Jagd abwesend seien. Diesen Leuten meldete der Bote, daß der Streich geglückt sei und sie also zurückkehren könnten.

Ja, er war geglückt, und zwar viel, viel leichter, besser und schneller, als der Häuptling sich vorher gedacht hatte. Zu diesem unerwarteten Gelingen hatte freilich das so plötzlich hereinbrechende Wetter am meisten mitgewirkt, kaum weniger aber auch die Unvorsichtigkeit, mit welcher die Gefangenen in die Falle gegangen waren.

Erst waren, wie schon erzählt, die Frauen und Kinder von der dritten Terrasse in das zweite Stockwerk hinabgestiegen. Als sie da angelangt waren, sahen sie sich in einem ungefähr fünf Ellen hohen, fensterlosen Raume. Es war außer dem Loche oben in der Decke, durch welches sie herabgestiegen waren, nicht die kleinste Maueröffnung vorhanden. Dieses Stockwerk wurde von vier Querwänden in fünf Räume geteilt, deren mittelster der größte war; in diesem befanden sie sich. In einer Nische desselben brannte ein kleines Thonlämpchen, dessen matter Schein nur wenige Schritte weit zur Geltung kam.

Frau Rosalie sah sich kopfschüttelnd um. Als sie in dem ganzen Raume außer der Leiter und der Lampe nicht den geringsten Gegenstand entdeckte, sagte sie entrüstet:

„Na, so was habe ich ooch noch nich gesehen und erlebt! Schteckt man denn seine Gäste in so een Loch, wo es keen Kanapee und keenen eenzigen Schtuhl nich gibt! Das is ja grad wie in eenem Keller! Wo setzt man sich hin? Wo hängt man seine Sachen off? Wo macht man das Feuer? Wo kocht man den Kaffee? Keen Fenster is zu sehen, und keen Ofen is da! Das muß ich mir wirklich sehr verbitten! Wir sind Damen, und Damen schteckt man nich in – – – Dunner Sachsen!“ unterbrach sie sich erschrocken, als sie den ersten Donnerschlag hörte, welcher bis in diesen Raum herabklang. „Ich gloobe gar, das hat eingeschlagen! Nich?“

„Ja, das war een Schlag, und was für eener!“ antwortete Frau Strauch. „Ich guckte grad in das Loch hinauf und habe es deutlich blitzen sehen.“

„Na, dann stellt euch nur gleich alle mit ’nander dort in die hinterschte Ecke! Die Männer schprachen unterwegs davon, daß die Gewitter hier ganz andersch offtreten als bei uns derheeme. Wenn so een rabiater amerikanischer Blitz durch das Loch herunterkommt, sind wir bei lebendigem Leibe off der Schtelle mausetot. Da is es freilich gut, daß es hier keen Heu, keen Schtroh und überhaupt keene brennbaren Sachen gibt. Verschteht ihr mich? Hört ihr’s, wie der Regen da oben auftrappst? Du meine Güte, unsre guten Männer werden durchweecht bis off die Haut! Nachher gibt’s Erkältung, Schnupfen, Leib- und Magenschmerzen, und wer hat die Sorgen und die Angst? Natürlich wir Weiber, wir Frauen, wir Damen, wie sich ganz von selbst verschteht! Wenn sie nur bald kämen!“

Ihr Wunsch wurde augenblicklich erfüllt, denn soeben kam der erste herabgestiegen, Hobble-Frank, dem nach und nach die andern folgten. Unten angekommen, schüttelte er die Nässe möglichst von sich ab, sah sich um und sagte enttäuscht:

„Was is denn das für een konfernalisches Loch hier unten? Das soll doch nich etwa eene aggregate Wohnung für provisorische Menschen sein? Ich danke für Pflaumenkuchen zu Weihnachten! Nich ‚mal das liebe Tageslicht will hier herunter! Wenn diese roten Gentlemen keenen bessern Aufenthaltsort für uns haben, werde ich ihnen nächstens eenen königlich sächsischen Baumeester herüberschicken. Der mag ihnen zeigen, was für een Unterschied is zwischen meiner brillanten Villa Bärenfett an der Elbe und dieser unterirdischen Hekatombe unter der Erde. Wo setzt man sich denn da eegentlich hin, wenn man müde is und een Mittagsschlummerchen riskieren will?“

„Überall hin, Herr Franke,“ antwortete Frau Rosalie. „Platz is genug.“

„Wie? Was sagen Sie?“ fragte der Hobble gereizt. „Überall hin? Warum setzen denn Sie sich nich? Wohl weil es Ihnen nich paßt? Und was Ihnen nich gefällt, das is wohl für mich gut genug? Da kommen Sie freilich an den Unrichtigen. Bei meinen vestibulen Anlagen und Talenten habe ich es nich nötig, mit dem fürlieb zu nehmen, was andern Leuten nich in die Suppe und in den Kaffee paßt!“

„Still, Frank!“ forderte ihn Sam auf. „Es ist hier nicht der Ort und die Zeit zu solchen Häkeleien. Wir haben mehr und Besseres zu thun.“

„So? Was denn?“

„Vor allen Dingen müssen wir die Friedenspfeife rauchen, wenn ich mich nicht irre.“

„Mit diesen Indianern?“

„Ja, mit dem Häuptlinge wenigstens. Du weißt doch jedenfalls, daß man eines Roten erst dann sicher ist, wenn man das Calummet mit ihm geraucht hat.“

„Das weeß ich wohl. Aber da hätten wir doch draußen roochen sollen!“

„Warum?“

„Um eben unsrer Sicherheit willen.“

„Es gab ja keine Zeit dazu.“

„Die hätten wir uns trotz des schlechten Wetters nehmen sollen. Jetzt schtecken wir in diesem Keller und wenn die Roten es nich offrichtig mit uns meenen, so is es grad so gut, als ob – – alle tausend Deixel! Siehste, daß die Geschichte schon losgeht? Da ziehen sie die Leiter in die Höhe. Haltet sie fest; haltet sie fest!“

Er eilte hin und sprang mit ausgestreckten Armen in die Höhe, um die Leiter noch zu ergreifen, kam aber zu spät; sie verschwand oben durch die Öffnung.

„Da habt ihr die Bescherung!“ rief er zornig. „Jetzt schtecken wir in der Patsche, grad wie Pythagoras im Fasse!“

„Das war wohl Diogenes,“ verbesserte Sam.

„Schweig!“ fuhr ihn Frank an. „Was verschtehst du von Diogenes! Das is der Zwerg beim Heidelberger Fasse. Ich aber meene dasjenige Faß, in welchem Pythagoras schteckte, als der große Georginenzüchter Galilei zu ihm kam und ihn bat: „Karo, Karo, gib mir meinen Leviathan wieder!“ Als guter Deutscher mußt du wissen, daß das kurz nach der Schlacht im Teutoburger Walde geschah, wo Dschingis Khan dem General Moreau alle beede Beene wegschießen ließ. Das eene flog nach Blasewitz, wo es die berühmte Gustel von Blasewitz in der Nähe von Wallensteens Lager fand, und das andre nach Loschwitz ins Schillerhäuschen, wo Schiller grad damals seinen Trompeter von Sigmaringen dichtete. Er und die Gustel haben nachher die Beene zusammengetragen und oberhalb Dresden bei Räcknitz unter vier Linden begraben. Ich bin selbst dort gewesen und habe das Denkmal, welches off seine Beene gesetzt worden is, mit meinen eegenen zwee Oogen gesehen. Is das nich Beweis genug? Willst du nu noch immer mit mir schtreiten?“

„Nein,“ lachte Sam. „Aber die Sache mit der Leiter kommt mir nun auch einigermaßen bedenklich vor. Warum hat man sie hinaufgezogen? Hat man sie vielleicht schnell für ein andres Stockwerk gebraucht? Das wäre bei diesem Wetter ja wohl leicht möglich. Laßt einmal sehen, ob wir alle beisammen sind!“

Es stellte sich heraus, daß der Bankier und sein Buchhalter fehlten. Darum meinte Sam Hawkens befriedigt:

„Da bin ich beruhigt. Die gehören zu uns und müssen also auch noch zu uns herab. Die Leiter ist schnell anderwärts gebraucht worden, wenn ich mich nicht irre.“

„Aber warum hat mer da obe zugemacht und den Deckel offs Loch gelegt?“ warf Droll ein.

„Das fragst du noch?“ antwortete Frank. „Ich schäme mich wahrhaftig, daß du mein Vetter und Verwandter bist! jeder vernünftige Mensch macht, wenn es regnet, die Klappe zu. Hier regnet es nicht bloß, sondern es gießt wie aus Badewannen. Darum is der Deckel zugemacht worden, damit es nich prima Visite uns off die Köppe regnen soll. Kannst du das begreifen?“

„Ja, lieber Freund und Vetter Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, weil du’s so deutlich zu mache verschtehst, habe ich’s verschtande.“

„Ja, das wird der Grund sein,“ stimmte Sam bei. „Wir haben Zeit; bis der Häuptling herunterkommt, wollen wir uns einmal unsre heutige Wohnung ansehen. Wir können das, weil es eine Lampe gibt.“

Sie waren von dieser „Wohnung“ keineswegs erbaut. Die Räume waren vollständig leer. Es gab keinen Sitz, keine Decke, keine Spur von Stroh, Heu oder Laub, woraus man auch nur für einen einzigen Menschen ein Lager hätte bereiten können. Das zog die Stimmung der durchnäßten Leute tief herab. Doch Sam verlor seinen Gleichmut noch immer nicht, sondern sagte, als sie wieder in den mittleren Raum zurückgekehrt waren:

„Das wird bald anders werden; laßt nur erst den Häuptling kommen. Dann werden wir alles erhalten, was wir brauchen.“

Schi-So, der junge Indianer, hatte sich an der Besichtigung der Räumlichkeiten nicht mit beteiligt. Er saß, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, am Boden und blickte sehr ernst vor sich hin. Jetzt, als er Sams tröstliche Worte hörte, brach er sein bisheriges Schweigen und sagte:

„Sam Hawkens irrt sich. Es wird nicht bald anders werden.“

„Wieso?“ fragte der Genannte.

„Wir sind gefangen.“

„Gefangen? Alle Wetter! Woraus schließest du das?“

„Ich bin Indianer und weiß, woran ich bin, ihr seid erfahrene Westmänner und könnt das ebenso wissen. Als wir oben einstiegen, sah ich zwei Leitern, welche an dem nächsten Stockwerk lehnten. Wenn man schnell eine brauchte, warum hat man da nicht eine von diesen genommen, welche doch bequemer zu haben waren, sondern grad die unsrige emporgezogen?“

„Ah! Ich habe diese beiden Leitern auch gesehen. Da ist es allerdings sonderbar, daß man grad die unsrige genommen hat.“

„Und noch eins,“ fuhr der Jüngling fort. „Wo ist Grinley, welcher sich den Namen eines Ölprinzen gibt?“

„Alle Wetter, ja, das ist richtig!“ rief Sam in betroffenem Tone aus.

„Warum fehlen grad die beiden, welche er höchst wahrscheinlich betrügen will? Er weiß, daß wir es nicht zu dem Betruge kommen lassen werden; er will sie von uns trennen und hat sich zu diesem Zwecke an den Häuptling gewendet.“

„Aber wie und wann?“

„Denkt an die beiden Weißen, welche vor uns auf Forners Rancho gewesen sind! Er hat mit ihnen gesprochen; ich habe erfahren, daß er sogar mit dem einen längere Zeit hinter dem Hause gesteckt hat.“

„Wenn das wäre, so gäbe es freilich einen Zusammenhang, der mich bedenklich machen muß. Aber wie kann man es wagen, so viele Leute, wie wir sind, hier als Gefangene einzuschließen? Wir sind ausgezeichnet bewaffnet und können ausbrechen.“

„Wo?“

„Indem wir den Deckel öffnen.“

„Versucht das doch! Er geht gewiß nicht auf.“

„Dann durch die Außenmauer.“

„Die besteht aus Steinen und einem Mörtel, welcher sicher noch härter als Stein ist.“

„Durch die Decke.“

„Versucht es einmal, mit euern Messern hindurchzukommen!“

„Aber ich habe außer dem Häuptlinge nur Weiber und Kinder gesehen!“

„Die Krieger hatten sich versteckt. Sie sollen sich auf der Jagd befinden. Welch ein Wild gäbe es zu dieser Jahreszeit und in dieser öden Gegend zu jagen? Ihr wißt, daß mehrere Indianerstämme das Kriegsbeil ausgegraben haben. Wenn diese sich auf dem Kriegspfade befinden und zu jeder Zeit an jedem Orte erscheinen können, werden da andre so unvorsichtig sein, ihr festes Lager zu verlassen, indem sie auf die Jagd gehen und dabei ihr Leben riskieren? Gehen überhaupt die Puebloindianer in solchen Massen auf die Jagd? Leben sie nicht vielmehr von den Erträgnissen, welche sie in ihren Gärten ziehen?“

„Du hast recht. Deine Gründe sind nicht zu widerlegen.“

„Ja; wir sind gefangen.“

„So wollen wir uns überzeugen und vor allen Dingen versuchen, ob der Deckel da oben zu öffnen ist.“

Dick Stone und Will Parker mußten zusammentreten. Sam stieg auf ihre Schultern, so daß er den Deckel erreichen konnte, und stemmte sich mit aller Kraft gegen denselben -vergebens; er war nicht um einen halben Zoll zu bewegen.

„Es ist richtig; man hat uns eingeschlossen,“ zürnte er, indem er wieder niederstieg. „Aber wir werden diesen Schuften zeigen, daß sie sich verrechnet haben.“

„In welcher Weise?“ fragte Stone.

„Wir graben uns durch, entweder durch die Mauer oder durch die Decke. Wollen zunächst die erstere untersuchen.“

Bei dem Scheine des Lämpchens wurden erst in den verschiedenen Abteilungen der Etage mehrere Mauerstellen in Augenschein genommen. Es zeigte sich, daß die ganze Außenmauer, wie Schi-So gesagt hatte, in ihrer ganzen Länge aus dicken Steinen bestand, welche durch einen Mörtel verbunden waren, den kein Messer zu entfernen vermochte. Und andre, kräftigere Werkzeuge gab es nicht. Schi-So blieb auf seinem Platze sitzen, ohne sich an der Untersuchung zu beteiligen.

Nun blieb nur noch die Decke, durch welche vielleicht ein Ausgang erzwungen werden konnte. An der Untersuchung beteiligten sich alle Männer, indem je zwei sich zusammenstellten und ein dritter auf sie stieg, um mit dem Messer zu versuchen, ein Loch fertig zu bringen. Es stellte sich heraus, daß die eigentliche Unterlage aus einem eisenfesten Holze bestand, Knüppel an Knüppel nebeneinander gelegt, welches selbst seit Jahrhunderten nicht von der Feuchtigkeit angegriffen worden war und den Messern einen unbesieglichen Widerstand entgegensetzte, so daß man nicht einmal in Erfahrung bringen konnte, woraus die darauf liegenden Schichten bestanden.

Die Frauen hatten diesen Bemühungen mit banger Erwartung zugesehen; als sich dieselben als nutzlos erwiesen und die Versuche eingestellt wurden, rief Frau Rosalie zornig aus:

„Sollte man denn denken, daß es so schlechte Menschen in der Welt geben kann! Wir haben dieser indianischen Rasselbande nich das mindeste gethan und trotzdem schperren sie uns hier ein wie Schpitzbuben, die zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden sind. Wenn ich die Halunken jetzt hier hätte, Herr meines Lebens, wie wollte ich ihnen die Wahrheet sagen! Aber da sieht man wieder ‚mal, was dabei ‚rauskommt, wenn man sich off die Männer verläßt! Die sollen unsre natürlichen Beschützer sein; aber anschtatt offzupassen und uns zu beschützen, führen sie uns gradezu ins blaue Unglück’nein!“

„Sei doch schtille!“ bat ihr Mann. „Du beleidigst ja die Herren mit deiner ewigen Zankerei.“

„Was? Wie? Ewig?“ fragte sie erbost. „Seit wann habe ich denn geredet und geschprochen? Seit höchstens drei oder vier Sekunden. Und das nennst du ewig? Es is mir ganz egal, ob ich jemand beleidige, denn ich bin in meinem guten Rechte. Und wer recht hat, der braucht seine Zunge nich schtille schtehn zu lassen. Wir sind so dumm gewesen, uns einschperren zu lassen; ich bin nich schuld daran; aber fragen will ich doch, was wir nun zu erwarten haben und was mit uns geschehen wird?“

„Das fragen Sie noch?“ antwortete der Hobble-Frank, indem es pfiffig um seine Mundwinkeln zuckte. „Es is doch ganz selbstverständlich, was mit uns geschehen wird.“

„Na, was denn zum Beischpiele?“

„Zuerscht werden wir gefesselt – – –“

„Etwa ooch wir Damen?“

„Natürlich! Dann bindet man uns an den Marterpfahl – –“

„Uns Damen ooch?“

„Selbstverschtändlich! Und nachher werden wir ermordet – – –“

„Die Damen ooch?“

„Allemal! Und wenn wir dann tot sind, werden wir schkalpiert.“

„Dunner Sachsen! Doch nich etwa wir Damen ooch?“

„Freilich ooch! Die Roten pflegen die Weiber sogar lebendig zu schkalpieren; sie warten gar nich, bis sie tot sind, wissen Sie, weil die Damen schöneres und längeres Haar haben, was dem Schkalpe eenen viel größeren Wert verleiht ––“

„Danke ergebenst für diese Schmeichelei!“ fiel sie ihm in die Rede.

„Bitte sehr!“ antwortete er. „Und sodann weil die Schkalphaut sich bei eener toten Leiche nich so gut losziehen läßt wie bei eener lebendigen.“

„Ist das wahr, oder wollen Sie mir bloß angst machen, Herr Franke?“

„Es is die volle, reene Wahrheet, off die Sie sich ganz ergebenst verlassen können.“

„So sind diese Roten ja die echten und richtigen Mordbarbaren! Aber ich lasse mich weder tot noch lebendig schkalpieren. Meine Haut bekommen sie nich, um keenen Preis. Ich wehre mich; ich verteidige meine Haare vom erschten bis zum letzten Oogenblicke. Mir sollen sie nich kommen, denn ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern, und mich sollen sie kennen lernen!“

Bei der andern Gruppe von Gefangenen, nämlich bei dem Bankier und seinem Buchhalter, ging es weniger lebhaft her. Sie lagen miteinander im Erdgeschosse. Dort brannte keine Lampe; es war finster. Die dortige Feuchtigkeit der Luft und ein zeitweiliges Gurgeln ließen vermuten, daß sie sich in der Nähe der Wasserquelle befanden. Die Mauern waren hier unten so stark, daß das Toben des Unwetters fast gar nicht vernommen wurde. Als man sie an Lassos niedergelassen, und der Deckel sich über ihnen geschlossen hatte, horchten die beiden erst eine kleine Weile. Es blieb rund um sie her still, und nichts verriet die Anwesenheit eines andern Menschen. Darum ergriff der Bankier das Wort, natürlich in englischer Sprache:

„Seid Ihr ohnmächtig, Mr. BaumgaRten, oder hört Ihr mich?“

„Ich höre Euch, Sir. Es ist allerdings zum ohnmächtig werden. Was haben wir den Indianern gethan, daß sie uns in dieser Weise behandeln?“

„Hm, das frage ich mich auch. Warum nehmen sie grad uns zwei gefangen und nicht auch die andern?“

„Was das betrifft, so vermute ich, daß diese es nicht besser haben werden als wir.“

„Ihr meint, daß sie auch gefangen sind?“

„Ja.“

„Habt Ihr einen Grund dazu?“

„Mehrere. Einer von ihnen ist mir vor allen Dingen maßgebend. Die Roten können uns nicht gefangen nehmen, ohne unsre Gefährten auch festzuhalten, da diese uns sonst jedenfalls befreien würden.“

„Das ist richtig, aber zugleich auch traurig für uns, denn wir müssen die Hoffnung, befreit zu werden, aufgeben.“

„Fällt mir nicht ein! Ich hoffe bis zum letzten Augenblicke.“

„Auf wen?“

„Zunächst auf Gottes Hilfe. Und sodann erscheint es keineswegs ausgeschlossen, daß wir trotz allem auch auf unsre Gefährten rechnen können. Sie sind wahrscheinlich ebenso eingeschlossen wie wir, aber nicht gefesselt. Sie haben ihre Waffen bei sich. Nehmen Sie dazu, was für Kerls sie sind! Dieser Hobble-Frank ist zwar eine ganz wunderliche, originelle Persönlichkeit, aber gewiß ein unerschrockener, mutiger Mensch und tüchtiger Westmann. Von Hawkens, Parker, Stone und Droll läßt sich ganz dasselbe sagen, und was die übrigen betrifft, so gibt es außer diesem unzuverlässigen Kantor gewiß keinen, der die Hände furchtsam in den Schoß legen wird.“

Well, denke das auch. Aber warum hat man sich unser bemächtigt? Das ist es, was ich wissen möchte. Vielleicht eines Lösegeldes halber?“

„Schwerlich. So etwas wäre die Artweißer Banditen, aber nicht diejenige der Indianer.“

„Also einfach uns ausrauben?“

„Auch nicht, wenigstens nicht allein. Wäre es nur das, so hätte man uns sogleich die Taschen geleert, anstatt uns nur die Waffen abzunehmen. Ich bin kein Westmann und kann also nichts Sicheres sagen, aber ich vermute, das Verhalten der Roten ist eine Folge der zwischen ihnen und den Weißen ausgebrochenen Streitigkeiten.“

All devils! Dann hätten wir nichts zu hoffen, denn dann wären wir, sozusagen, Kriegsgefangene, und es wird uns wohl an den Kragen gehen!“

„Wenigstens wird das die Absicht der Roten sein.“

„Schöne Aussicht! Am Marterpfahle braten und skalpiert zu werden!“

„So weit sind wir noch nicht! Ich hoffe, wie gesagt, bis zum letzten Augenblicke. Wollen zunächst einmal versuchen, ob wir aus den Fesseln kommen können.“

Sie gaben sich alle Mühe; sie strengten ihre Kräfte bis auf das Äußerste an, doch ohne jeden Erfolg; die Riemen waren zu fest. Freilich, wenn Old Shatterhand und Winnetou sich an ihrer Stelle befunden hätten, die wären wohl schon nach einigen Minuten ihrer Banden ledig geworden; aber diese beiden hier waren unerfahren, und es fehlte ihnen derjenige Scharfsinn, welcher selbst aus der übelsten Lage noch einen Ausgang findet. Sie gaben ihre Bemühungen, die Riemen zu zersprengen, auf; sie einander aufzuknoten, daran dachten sie nicht, und doch hätten sie, selbst mit gefesselten Händen, wenigstens einen Versuch dazu machen können.

Sie lagen nun still neben einander und warteten – – eine lange, lange Zeit, wie ihnen dünkte. Da hörten sie über sich ein Geräusch. Der Deckel wurde entfernt. Sie erblickten den blauen Sternenhimmel. Das Unwetter hatte sich also verzogen‘ und es war Abend geworden. Sie sahen, daß die Leiter herabgelassen wurde und der Häuptling an derselben herniederstieg. Er bückte sich nach ihnen und betastete sie mit seinen Händen. Als er sich überzeugt hatte, daß sie noch gefesselt waren und still gelegen hatten, sagte er:

„Die weißen Hunde sind dümmer wie die heulenden Koyoten. Sie kommen in die Wohnung der roten Krieger, ohne zu bedenken, daß jetzt das Messer zwischen uns und ihnen ausgegraben ist. Sie haben uns unser Land, unsre heiligen Orte genommen und uns vertrieben; sie verfolgen und betrügen uns fort und fort. Sie kamen zu Wenigen und schwellen zu Millionen an; wir aber waren Millionen und müssen verschwinden wie die Mustangs und Bisons auf der Savanne. Aber wir sterben nicht, ohne uns zu rächen. Das Kriegsbeil ist ausgegraben, und alle Bleichgesichter, welche in unsre Hände fallen, sind verloren. So auch ihr. Morgen früh, sobald der Tag graut, werden die Marterpfähle errichtet werden, und euer Schmerzgeheul wird so laut in die Lüfte schallen, daß die Geier in Scharen kommen werden, um euch das blutige, vor Schmerz dampfende Fleisch vom lebendigen Leibe zu reißen. So wird es geschehen, denn Ka Maku, der Häuptling, hat es gesagt!“

Nach diesen Worten stieg er wieder empor, zog die Leiter nach sich und legte den Deckel auf die Öffnung.

Seine Drohung war den beiden durch Mark und Bein gegangen; sie nahmen dieselbe ernst, denn sie wußten nicht, daß er im Auftrage handelte und ihnen ihr Schicksal nur deshalb in so düsterer Farbe malte, damit sie ihrem vermeintlichen Retter später um so dankbarer sein möchten.

Dieser Besuch des Häuptlings drückte den Bankier vollständig nieder, und auch Baumgarten war bei weitem nicht mehr so zuversichtlich wie vorher. Schon morgen früh am Marterpfahle! Das war ja entsetzlich schnell und die Zeit viel, viel zu kurz zu einer möglichen Rettung!

Sie teilten sich ihre Befürchtungen mit; sie zermarterten sich das Gehirn, um einen Ausweg zu finden; sie begannen wieder, an ihren Fesseln zu zerren, so daß dieselben ihnen in das Fleisch schnitten, doch ohne den geringsten Erfolg. Da – – es waren wohl einige Stunden vergangen, hörten sie wieder ein Geräusch. Sie blickten nach oben. Der Deckel wurde weggeschoben, und ein Kopf erschien über der Öffnung.

„Pst, pst, Mr. Rollins, seid Ihr etwa da unten?“ hörten sie in unterdrücktem Tone fragen.

„Ja, ja!“ antwortete der Genannte, vor Freude laut, weil er Hoffnung schöpfte.

„Leise, leise! Wenn man etwas von uns hört, bin ich verloren. Ist vielleicht Mr. Baumgarten bei Euch?“

„Ja, ich bin auch hier,“ antwortete der Deutsche.

„Endlich, endlich finde ich euch! Ich habe euch unter tausend Todesgefahren gesucht, um euch zu retten. Habt ihr euch gewehrt? Seid ihr etwa verwundet?“

Es klang eine fast liebevolle Besorgnis aus diesen Worten.

„Nein, wir sind gesund und unbeschädigt,“ antwortete Rollins.

„So wartet eine kleine Weile; ich will sehen, ob es mir gelingt, eine Leiter herbeizuschaffen. Es stehen zwar überall Wächter da oben, aber ich will, um euch zu retten, gern mein Leben wagen.“

Der Kopf verschwand aus der Öffnung.

„Gott sei Dank! Wir werden entkommen!“ seufzte der Bankier, indem er sich durch einen tiefen, tiefen Atemzug erleichterte. „Das war Grinley, unser Ölprinz. Nicht?“

„Ja,“ antwortete der Buchhalter. „Zwar konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber ich habe ihn an der Stimme erkannt, obgleich er nur flüstern durfte.“

„Er holt uns heraus; er riskiert sein Leben, um uns zu befreien. Ist das nicht brav, außerordentlich brav von ihm?“

„Sehr!“

„Da sieht man wieder einmal, wie sich Leute, die sonst scharfsinnig sind, in einem Menschen irren können! Man wollte ihn zum Betrüger stempeln. Jetzt können wir die feste Überzeugung haben, daß er unser vollstes Vertrauen verdient, Ihr seht, wie ehrlich und treu er ist. ich werde gewiß nicht wieder an ihm zweifeln.“

Jetzt erschien der Ölprinz wieder an der Öffnung. Er ließ eine Leiter herab und forderte die beiden mit leiser Stimme auf:

„Es ist mir gelungen. Da habt ihr die Leiter. Kommt herauf!“

„Wir können nicht, denn wir sind gefesselt,“ antwortete Rollins.

„Das ist schlimm, sehr schlimm, denn da vergeht eine kostbare Zeit, weil ich zu euch hinunter muß.“

Er kam zu ihnen hernieder, betastete ihre Fesseln und schnitt dieselben durch. Sie standen auf und dehnten ihre Glieder, um das stockende Blut wieder in Umlauf zu bringen. Dabei erkundigte sich Rollins:

„Das werde ich Euch nie vergessen, Sir! Aber sagt mir doch einmal wie es Euch gelungen ist, hier – – –“

„Pst, still!“ fiel ihm der Ölprinz in die Rede. „Davon später. Jetzt haben wir keine Zeit. Es gilt, schnell fortzukommen, da jeden Augenblick jemand nach euch sehen kann; dann wären wir verloren. Kommt also schnell herauf! Aber richtet euch nicht etwa in die Höhe, denn da würdet ihr sofort gesehen. Wir müssen uns kriechend entfernen.“

Er stieg empor, und sie folgten ihm. Oben legten sie sich glatt auf das Dach nieder.

„Schaut hinauf!“ flüsterte er ihnen zu. „Seht ihr die Wächter?“

Sie sahen im hellen Sternenscheine Indianer auf den oberen Terrassen stehen. In ihrer Unerfahrenheit fiel es ihnen gar nicht auf, daß grad hier unten bei ihnen, wo ein Posten doch am notwendigsten gewesen wäre, keiner stand. Und noch viel weniger kamen sie auf den Gedanken, daß sie von den Wächtern da oben recht gut gesehen wurden und das Gebaren des Ölprinzen nichts war als die reine Spiegelfechterei. Er ließ das Loch offen und die Leiter in demselben stecken und raunte ihnen zu:

„Folgt mir ganz leise bis hin zum Rande, wo ich eine Leiter angelegt habe. Wenn wir nicht gesehen werden und erst unten sind, dann haben wir nichts mehr zu fürchten.“

Sie krochen nach der Kante der ersten Terrasse und sahen dort die Leiter lehnen. Auch das fiel ihnen nicht auf. Sie stiegen einer nach dem andern hinunter und befanden sich nun außerhalb des Pueblo.

„Endlich, endlich!“ sagte da der Ölprinz. „Es ist gelungen. Nun schnell fort von hier!“

„Noch nicht, Mr. Grinley,“ sagte der gewissenhafte Buchhalter. „Unsre Gefährten sind doch jedenfalls auch gefangen?“

„Allerdings.“

„Wollen wir sie stecken lassen? Wir haben wohl die Pflicht, ihnen—“

„Unsinn!“ fiel ihm der andre in die Rede. „Was fällt Euch ein! Der Häuptling hat gelogen. Seine Krieger sind nicht auf der Jagd, sondern hier. Was können wir drei gegen sechzig bis siebzig wohlbewaffnete Indianer thun? Wir würden ins sichere Verderben rennen. Seid froh, daß ich euch herausgeholt habe! jedes längere Verweilen muß uns Verderben bringen.“

„Das mag richtig sein; aber es thut mir doch leid um die, welche wir nicht retten können.“

„So, die werden schon selbst für sich sorgen. Es sind ja tüchtige Kerls dabei, welche gewiß einen Ausweg finden werden.“

„Das beruhigt mich. Aber wie kommen wir fort? Man wird uns wahrscheinlich verfolgen. Ja, wenn wir unsre Pferde und Waffen hätten! Auch unser Gepäck wird uns fehlen.“

„Es ist alles da; ich habe alles gerettet!“

„Was? Wie? Das ist ja ganz unmöglich!“

„So, ein mutiger Mann macht seinen Freunden zuliebe selbst das Unmögliche möglich. Ich allein freilich hätte es nicht fertig gebracht; ich habe Hilfe und Unterstützung gefunden.“

„Bei wem?“

„Bei zwei wackern Gentlemen, zu denen ich euch führen werde. Kommt also rasch; wir dürfen keinen Augenblick mehr hier verweilen.“

Er führte sie an der Außenmauer des Pueblo hin und dann nach dem Trümmergewirr, in welchem heut die Indianer gesteckt hatten. Dort trafen sie auf Buttler und Poller und fanden bei denselben nicht nur ihre Pferde und Waffen, sondern auch ihr ganzes sonstiges Eigentum. Darüber waren sie denn doch erstaunt; ihre Fragen aber wies der Ölprinz mit den Worten zurück:

„Jetzt müssen wir augenblicklich fort, denn man wird, wie ihr selbst ganz richtig vermutet habt, uns verfolgen, und da ist es notwendig, einen möglichst großen Vorsprung zu erlangen. Unterwegs sollt ihr erfahren, wie sich alles zugetragen hat.“

Er hatte sich eine glaubhafte Erzählung zurechtgelegt und war überzeugt, daß dieselbe die gewünschte Aufnahme finden werde. Sie stiegen auf und jagten im Galopp von dannen. Der Bankier war von Dank gegen seine Retter erfüllt; ihn kümmerten die Zurückgelassenen nicht; Baumgarten aber konnte sich des Gedankens doch nicht erwehren, daß es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre, die Befreiung ihrer Gefährten wenigstens zu versuchen.

Diese letzteren befanden sich in einer Lage, welche zwar jedenfalls ernst war, aber doch auch ihre komische Seite hatte, dieses letztere infolge der Eigentümlichkeiten einiger der beteiligten Personen. Man war zuerst der Überzeugung gewesen, daß die Eingangsklappe wieder geöffnet werde, damit der Bankier und sein Buchhalter noch nachkommen könnten. Die feste Behauptung Schi-Sos brachte in diese Ansicht die erste Bresche, und als man dann längere Zeit, ja stundenlang gewartet hatte, ohne daß der Deckel geöffnet wurde, konnte es nicht länger in Abrede gestellt werden, daß die Meinung des Indianerjünglings die richtige war. Da erlitt die bisher ziemlich ruhige Stimmung der Eingesperrten freilich einen gewaltigen Umschlag. Die erfahrenen Westmänner waren allerdings gewohnt, sich zu beherrschen, desto aufgeregter aber zeigten sich die andern, die deutschen Auswanderer, welche vor Sorge außer sich waren; sie dachten natürlich, daß es nicht bloß auf ihr Eigentum, sondern auch auf ihr Leben abgesehen sei. Ein einziger von ihnen bewahrte seine Fassung, nämlich der Kantor, welchem es gar nicht einfiel, zu glauben, daß sein künstlerisches Dichten und Trachten hier einen gewaltthätigen Abschluß finden könne. Wie sich sehr leicht denken läßt, führte Frau Rosalie das erste Wort. Sie schimpfte ganz gewaltig zunächst auf die Indianer und dann aber auch auf Sam Hawkens und seine Gefährten, denen sie die Schuld gab, daß sie in die gegenwärtige Lage gekommen war.

„Wer hätte das diesem alten, roten Indianerbürgermeester angesehen!“ zürnte Frau Rosalie. „Der Mann war so freundlich, wie schöne, gelbe Grasbutter; er that so schön und so freundlich, daß ich schon gloobte, er werde mich zu eenem Walzer anggaschieren. Und jetzt schtellt sich’s ‚raus, daß das alles Falschheet, Betrug und Hinterlistigkeet gewesen is. Ohrfeigen sollte man dem Kerl geben, Maulschellen, gehörige, tüchtige Maulschellen, immer eene herüber und die andre hinüber! Was will er denn eegentlich von uns? Off was hat er es denn abgesehen? Off unsre Sachen und off unser Geld? Sagen Sie mir doch das, Herr Hawkens! Reden Sie doch; schprechen Sie doch! Schtehen Sie doch nich da wie een chinesischer Ölgötze, der keen Wort von sich geben kann! Ich will und muß partuh wissen, woran ich bin!“

„Natürlich haben sie es auf unser Eigentum abgesehen,“ antwortete Sam.

„Natürlich? Das finde ich gar nich so natürlich wie Sie. Mein Eegentum is eben mein Eegentum, an dem mir keen andrer Mensch herumzufispern hat. Wer die Hand nach meinen rechtmäßigen und gesetzlichen Habseligkeeten ausschtreckt, der is een Schpitzbube, verschtehn Se mich! Und da gibt’s in Sachsen gewisse Paragraphen, welche von der Polizei schtreng gehandhabt werden. Wer maust, der wird eingeschteckt oder ooch sogar ins Loch geschperrt!“

„Das ist sehr richtig; aber leider befinden wir uns nicht in Sachsen.“

„Nich in Sachsen? I was Se nich sagen! Ich bin noch lange keene Amerikanerin; ich befinde mich zwar gegenwärtig off der Auswanderung, aber meine gute, sächsische Schtaatsangehörigkeet habe ich trotzdem noch nich offgegeben. Ich bin immer noch eene Landestochter des schönen Sachsenlandes an der Elbe. Die Sachsen haben in mehr als zwanzig Schlachten gesiegt und werden mich ooch hier herauszuhauen wissen. Verschtehn Se mich? Ich habe dreißig Jahre lang meine Abgaben, Schteuern und Schulanlagen pünktlich und ehrlich bezahlt, bin noch keenen einzigen Pfennig schuldig geblieben und kann also wohl verlangen, daß mein Heimatsschtaat sich tapfer meiner annimmt, wenn so een roter, indianischer Taugenischt und Thunichgut mich betrügen und beschtehlen will! Ich lass’mich nich berauben und dann ohne eenen Pfennig in der Tasche fortjagen.“

Sam warf einen seiner eigentümlich funkelnden Blicke auf die erregte Frau und meinte:

„Sie machen sich eine falsche Vorstellung, Frau Ebersbach. Man wird Sie nicht ausrauben und dann fortjagen.“

„Nich? Was denn?“

„Wenn der Indianer raubt, so tötet er auch. Nimmt er uns das Eigentum, so nimmt er uns auch das Leben, damit wir uns nicht später rächen können.“

„Herr, meine Seele! Wollen Sie etwa sagen, daß wir ermordet werden sollen?“

„Ja.“

„Wirklich? Na, da hört aber nu grad alles off! Und das haben Sie gewußt und uns trotzdem hierher geführt? Herr Hawkens, nehmen Sie es mir ja nich übel, aber Sie sind een Ungeheuer, een Molch, een Drache, wie es keenen zweeten geben kann!“

„Entschuldigen Sie! Konnte ich wissen, was die Indianer vorhatten? Diese Pueblos sind als freundlich und zuverlässig bekannt; es war beinahe unmöglich, zu denken, daß sie uns eine solche Falle stellen würden.“

„Mußten Sie denn hineinschpringen? Wir konnten draußen bleiben.“

„Bei dem Wetter?!“

„Ach was Wetter! Ich lasse mir doch lieber zehn Wasserbottiche in den Zopf regnen, als mich ausrauben und umbringen. Das können Sie sich doch so von ohngefähr selbst denken. Du lieber Himmel! Ermordet werden! Wer hätte das gedacht! Ich bin ausgewandert, um noch eene ganze Reihe von Jahren amerikanisch leben zu bleiben, und kaum habe ich meine Füße in dieses Land gesetzt, so tritt mir ooch schon der leibhaftige Tod entgegen. Ich möchte denjenigen sehen, der das aushalten kann!“

Da trat der Kantor zu ihr heran, legte ihr die Hand auf den Arm und sagte in beruhigendem Tone:

„Regen Sie sich nicht unnütz auf, meine liebe Frau Ebersbach. Vom Tode kann hier keine Rede sein.“

„Nich? Wieso?“

„Solange ich bei Ihnen bin, sind Sie sicher vor jeder Gefahr. Ich schütze Sie!“

„Sie? – – Mich – –?“ fragte sie, indem sie ihren Blick ungläubig an seiner Gestalt heruntergleiten ließ.

„Ja, ich Sie! Sie wissen doch wohl, daß ich eine Heldenoper von zwölf Akten komponieren will?“

„Natürlich; ich hab’s ja mehr als oft genug hören müssen.“

„Na, also! Ein Komponist ist ein jünger der Kunst, und Sie können sich fest darauf verlassen, daß diese mächtige Göttin keinen ihrer Anhänger sterben läßt.“

„Aber ich komponiere doch nich!“

„Schadet nichts; Sie stehen unter meinem Schutze. Um meiner großen Oper willen werden es die Musen zu machen wissen, daß ich gesund und froh nach Hause zurückkehre, denn sonst würde der Welt ein Kunstwerk verloren gehen, welches geradezu unersetzlich wäre. Es wird mir während meiner amerikanischen Reise kein Haar meines Hauptes gekrümmt werden; folglich ist auch jeder, der sich bei mir befindet, vor jedem Unfalle sicher.“

„Schön! Dann will – – – ich wollte sagen. Wenn Sie so sicher sind, daß uns nischt passieren kann, so haben Sie doch,mal die Gewogenheet, uns aus der Patsche, in -welcher wir schtecken, herauszuschaffen!“

Da kratzte er sich hinter dem Ohre und antwortete brummend:

„Sie scheinen mich falsch verstanden zu haben, meine Allerliebste. Man darf ein Tonstück, welches mit Lento bezeichnet ist, nicht allegro vivace spielen. Wenn ich gesagt habe, daß Ihnen in meiner Gegenwart kein Unglück geschehen kann, so meine ich damit keineswegs, daß ich es bin, der die Pforten unsrer gegenwärtigen Gefangenschaft zu öffnen hat. Dazu sind andre Leute da. Ich brauche Ihnen nur Herrn Franke zu nennen, der schon viele große Thaten ausgeführt hat und uns auf keinen Fall sitzen lassen wird. Habe ich da nicht recht?“

Er richtete diese letztere Frage an den Hobble-Frank. Dieser fühlte sich geschmeichelt und antwortete in seiner bekannten Weise:

„Ja, Sie haben richtig geschprochen, vollschtändig richtig, Herr Kantor emeriticus, und das Vertrauen, mit welchem Sie mich in so reservierter Weise beehren, soll nich betrogen werden. Ich bin der Mann, off den Sie sich in jeder partikularen Fährlichkeet verlassen können. Was keen Verschtand der Verschtändigen sieht, das is dem Hobble sein Lieblingslied. Und wenn alle Schtränge reißen sollten, ich mache euch frei!“

„Wie denn?“ fragte Sam.

„Du gloobst’s wohl etwa nich?“

„Ob ich es glaube oder nicht, das ist jetzt Nebensache. Ich möchte aber wissen, wie du es anfangen willst, deine Versicherung wahr zu machen.“

„Nebensache? Red nich so dumm. Der Glaube is eben grad die Hauptsache. Mit Hilfe des Glaubens kann man psychologische Berge versetzen und die intimsten Eisenbahnen bauen. Dieses Schprüchwort hat schon Josua gesagt, als er die Pyramide des ägyptischen Königs Washington von Moskau nach Schtockholm schaffte.“

„Aber, verehrtester Herr Frank,“ fiel da der Kantor ein, „Josua, Washington, Pyramide, Stockholm, Ägypten – wie kann man das zusammenbringen?“

„Wie? Das fragen Sie? Sie, der Sie een jünger der Kunst sein wollen? Ich sage Ihnen, für mich is es gar keene Kunst, das alles zusammenzureumen. Sie haben ja gehört, daß ich es fertig gebracht habe. Und so werde ich es ooch mit der größten Leichtigkeet und Differenz fertig bringen, uns zu befreien. Es gehört weiter gar nischt dazu, als een bißchen angeborene Schlauheet und affektierte Pfiffigkeet. Während ihr euch hier ganz ohne Resultat und Marzipan hier herumgeschtritten habt, bin ich mit meiner innerlichen Orangerie zu Rate gegangen und habe den Weg entdeckt, der uns ins Freie führen wird.“

„So bin ich sehr neugierig, ihn kennen zu lernen,“ meinte Sam.

„Das gloobe ich dir offs Wort. Du hättest ihn jedenfalls nich gefunden!“

„Laß nur erst hören, ob dein Weg kein Irrweg ist.“

„Du, ich will dir’mal was sagen. Wo du nich bist, Herr Organist, da schweigen alle Flöten. Ich bin der Herr Organist und du bist die Flöte, welche zu schweigen hat! Mein Weg is der richtige, wie ihr gleich erkennen werdet. Ihr habt an der Mauer herumgepocht und an der Decke herumgeschtochen, ohne ein richtiges Facit destillata zu finden; eure Messer konnten nich in die Schteene dringen. Ich aber mach eene Wette mit, daß es hier Löcher gibt, in denen wir die Hebel der Befreiung ansetzen müssen, wenn wir die Fesseln der Gefangenschaft in die Luft mundieren wollen.“

„Löcher? Wo denn?“

„Wo? ja, das müssen wir erst suchen.“

„So sind wir grad so klug, wie vorher, als wir suchten und nichts fanden!“

„Schweig schtille! Wäre dieses Suchen unter meiner geographischen Oberleitung vor sich gegangen, so hättet ihr den Kasus Belladonna sofort gefunden. Eure Oogen sind mit Blindheet geschlagen und alle eure Nasen nich drei Pfennige wert. Der Deckel da oben is zu, und außer ihm scheint es keene Öffnung zu geben. Wenn das wahr wäre, so müßte man hier erschticken, weil die Lebensluft infolge unsers konservierten Sauerschtoffes alle würde. Wenigstens würde es hier moderig und müffig riechen. Nu seht euch aber’mal die Lampe an, wie schön sie brennt, und schtrengt dazu die Riechorgane an, ob ooch nur eene Schpur von schlechter Luft vorhanden is! Ich bin überzeugt, daß die Luft immer wieder erneuert wird, was der Gelehrte mit Vehikulation bezeichnet. Diese Vehikulation habe ich sehr genau schtudiert, als ich meine Villa „Bärenfett“ bauen ließ. Sie findet schtets in der Weise schtatt, daß unten die frische Luft eintritt und die schlechte oben entweicht. Es müssen also unten und oben Löcher sein, hier ebenso wie in meiner Villa an der Elbe. Es gibt eenen immerwährenden Luftzug hier, den wir entdecken müssen. Und wißt ihr denn, wie man diese Entdeckung am besten improfitieren kann?“

„Mit dem Lichte, meinst du wohl?“ fragte Sam.

„Ja, mit der Lampe. Siehste, daß es bei dir Zeiten gibt, wo du nich ganz off den Kopp gefallen bist! Nehmt also ‚mal die Lampe und haltet sie unten am Fußboden längs der Mauer hin; da werdet ihr die Schtellen finden, wo die Luft von außen hereinkommt. Und wenn ihr nachher die Decke ebenso untersucht, entdeckt ihr ganz gewiß die Panamakanäle, durch welche die schlechte Atmosphäre in das draußen befindliche Weltall schteigt.“

„Du, Frank, dieser Gedanke ist wirklich nicht übel!“ rief Sam Hawkens. „Deine Beobachtung ist ganz richtig; wir haben hier eine vollständig reine Luft; es muß also eine Art von Ventilation vorhanden sein. Wir werden suchen.“

„Na, siehste also, alte Flöte, daß der Organist seine Sache verschteht! Wenn ich nich wäre, so – – – horch!“

Er hielt in seiner Rede inne, und die andern lauschten auch nach oben, wo jetzt ein Geräusch vernommen wurde. Das Wetter war vorüber; es donnerte nicht mehr und so hörte man ziemlich deutlich, was auf dem platten Dache geschah: es wurden schwere Steine weggewälzt, und dann öffnete man den Deckel, aber nur um eine schmale Lücke. Dann ließ sich die Stimme des Häuptlings vernehmen:

„Die weißen Männer mögen hören, was ich ihnen sage! Sie werden jetzt wissen, daß sie meine Gefangenen sind. Es ist Krieg zwischen uns und den Bleichgesichtern, und so sollte ich sie eigentlich töten; aber ich will gnädig sein und ihnen ihr Leben schenken, wenn sie freiwillig alles abgeben, was sie bei sich haben. Ihr Anführer mag mir antworten!“

Mit der Bezeichnung Anführer war Sam Hawkens gemeint. Dieser antwortete sofort:

„Du sollst alles haben, was du wünschest. Laß uns hinauf, so geben wir es ab!“

„Mein Bruder spricht mit der Zunge der Schlange. Wenn ich euch hinaufließe, so würdet ihr nichts geben, sondern euch wehren.“

„So komm herab und hol dir, was du verlangst!“

„Dann würdet ihr mich unten behalten. Die Bleichgesichter mögen zunächst ihre Waffen zusammenthun und mit den Riemen, welche ich hinabwerfe, zusammenbinden. Wir werden dann unsre Lassos hinablassen und die Bündels emporziehen. Der Anführer mag sagen, ob ihr damit einverstanden seid!“

„Wird Ka Maku, der Häuptling, sein Wort halten und uns auch freilassen, wenn wir ihm alles abgegeben haben?“

„Ja.“

„Ja? Hihihihi! Halte uns doch nicht für so dumm“, wie du selber bist, und mach dich schleunigst von da oben weg, sonst gebe ich dir eine Kugel in den Kopf! Wir wissen genau, woran wir mit euch sind, ihr Lügner und Verräter. Ihr werdet nicht so viel von uns bekommen, wie man vom Fingernagel schneidet.“

„Ist das dein Ernst?“

„Mein voller Ernst.“

„So müßt ihr sterben!“

„Warte es ab! Der Tod drohte uns auch dann, wenn wir euch alles geben. Ihr habt euch verrechnet. Wir haben Gewehre und werden euch zwingen, uns ohne Lösegeld ziehen zu lassen.“

„Mein Bruder irrt sich. Eure Waffen bringen euch keinen Nutzen, denn es wird gar nicht zum Kampfe kommen. Ihr seid eingesperrt und könnt nicht heraus. Wir werden euch nicht angreifen, und ihr braucht euch nicht zu verteidigen; aber ihr habt kein Wasser und nichts zu essen. Wir werden warten, bis ihr verschmachtet seid, und dann ohne Kampf bekommen, was wir wollen. Howgh!“

Der Deckel klappte wieder zu, und dann hörte man unten, daß die Steine auf denselben gewälzt wurden.

„Dummheit!“ brummte Dick Stone. „Du hättest es besser machen sollen!“

„Wie denn?“ fragte Sam.

„Gar nicht antworten, sondern ihm eine Kugel geben.“

„Fällt mir nicht ein!“

„Warum nicht? Der Halunke hielt zwar den Kopf weit zurück, aber seine Stirn war doch so deutlich zu sehen, daß man sie mit einer Kugel durchlöchern konnte.“

„Das weiß ich wohl, alter Dick; aber du glaubst doch nicht, daß uns dies etwas genützt hätte. Unsre Lage wäre im Gegenteile dadurch nur verschlimmert worden. Nein, wenn es nicht notwendig ist, vergieße ich kein Blut. Wollen vor allen Dingen versuchen, uns durch List zu befreien.“

„So gilt es, den Rat Franks zu befolgen; aber wir müssen uns damit beeilen, denn die Lampe wird nicht mehr lange brennen, dann sitzen wir im Finstern.“

Es stellte sich heraus, daß der Hobble-Frank recht gehabt hatte. In der Außenmauer waren nahe dem Fußboden Löcher angebracht, um den Eintritt der Luft zu ermöglichen, und bald entdeckte man auch in der Decke kleine Öffnungen, durch welche die schlechte Luft entweichen konnte. Diese Öffnungen führten schräg durch die Decke. Wären sie senkrecht angebracht gewesen, so hätte man sie leichter entdeckt, weil man den Himmel hätte durch sie sehen können. Sie hatten einen Durchmesser von vielleicht nur sechs Centimeter; bedeutend größer waren die Öffnungen, welche unten durch die Außenmauer führten.

„Jetzt ist uns wahrscheinlich geholfen,“ meinte Will Parker. „Vorhin konnten wir mit unsern Messern nichts machen; jetzt aber bieten die Löcher uns Punkte, wo die scharfen Klingen gewiß greifen werden. Es fragt sich nur, wo wir hinaus wollen. Durch die Mauer?“

„Die ist zu dick,“ sagte Sam. „Um da ein Loch, welches groß genug ist, fertig zu bringen, müßten wir mehrere Tage lang arbeiten.“

„Also durch die Decke?“

„Ja. Freilich wird das dadurch schwierig, daß derjenige, welcher arbeitet, auf den Schultern zweier andrer stehen oder sitzen muß; aber wenn wir erst einmal ein Holz entfernt haben, dann wird es desto schneller gehen. Leider haben wir nur noch höchstens für eine halbe Stunde Licht; dann befinden wir uns im Finstern. Suchen wir uns die passendste Stelle aus!“

Die war bald gefunden. Sam und Frank wollten zuerst arbeiten; der erstere stellte sich auf Stone und Parker, der letztere auf die beiden Deutschen Ebersbach und Strauch. Später, wenn sie ermüdet waren, sollten sie abgelöst werden. Als sie ihre Arbeit in Angriff genommen hatten, machte Schi-So die Bemerkung:

„Das Licht reicht nicht. Vielleicht ist es später nötiger als jetzt. Warum es also jetzt zu Ende brennen lassen?“

Er hatte recht; darum wurde es ausgelöscht. Nun war es völlig dunkel in dem Raume. Man hörte das leise Bohren und Knirschen der Messer und das Atmen der beiden Arbeitenden; sie strengten sich so an, daß sie schon nach einer Viertelstunde abgelöst werden mußten. Von Schlaf war keine Rede. Man bohrte und schnitt und kratzte die ganze Nacht hindurch; dann war so viel Holz aus der Decke geschnitten, daß ein Loch entstand, durch welches ein Mann kriechen konnte. Nun galt es, dieses Loch durch das Außenmaterial nach oben fortzusetzen. Dieses Material bestand aus festgeschlagenem Lehm, welcher fast zu Stein verhärtet war. Da kam man äußerst langsam voran, und es war Mittag geworden, als das Geräusch, welches die Messer verursachten, einen Klang annahm, welcher verriet, daß die Decke nun bald durchbrochen sei.

„Macht jetzt leise, so leise wie möglich,“ gebot Sam Hawkens, „sonst hören sie euch oben.“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so fiel draußen über den Arbeitenden ein Schuß, und einige Augenblicke später rief Dick Stone, welcher neben Droff oben im Loche arbeitete:

All devils! Ich bin verwundet.“

„Ist’s möglich? Wo denn?“ fragte Sam.

„Im Oberarme. Die Halunken schießen auf uns.“

„Durch die Decke? Da haben sie also das Geräusch eurer Messer gehört. Ist’s bös mit der Wunde?“

„Glaube nicht. Wahrscheinlich ein Streifschuß. Der Knochen ist unverletzt; aber ich fühle das Blut rinnen.“

„So kommt schnell herab! Sie könnten wieder schießen und euch in die Köpfe treffen. Wollen deinen Arm untersuchen.“

Jetzt war es gut, daß man die Lampe nicht ganz ausgebrannt hatte. Kaum war der Platz unter dem Loche frei geworden, so fielen noch zwei oder drei Schüsse durch die Decke. Man hörte die Kugeln unten in den Boden schlagen. Sam Hawkens stieß ein überlautes Gebrüll aus.

„Was schreist du?“ fragte ihn Parker. „Bist du getroffen worden?“

„Nein. Will bloß wissen, wo die Halunken stehen.“

Oben ertönte ein Freudengeheul. Die Indianer hatten die Stimme Sams gehört, glaubten, ihn getroffen zu haben, und äußerten in dieser Weise ihre Freude darüber.

„Sehr gut!“ lachte Sam. „Die Kerls liegen oder kauern gerade über unserm Loche und horchen. Wollen ihnen auch einige Kugeln geben. Frank und Droll, kommt! In unsern drei Doppelgewehren stecken sechs Kugeln. Jeder zwei Schüsse schnell hintereinander. Eins – zwei – drei!“

Die Schüsse krachten, und sofort erhob sich draußen über den Gefangenen ein Wat- und Schmerzensgeheul.

Well! Ausgezeichnet! Hihihihi!“ lachte Sam. „Wir scheinen einige getroffen zu haben. Glaube nicht, daß sie sich wieder hersetzen, um zu lauschen.“

„Aber ich stelle mich auch nicht wieder in das Loch, um auf mich schießen zu lassen!“ murrte Stone.

„Wird kein Mensch verlangen,“ erwiderte Sam. „Zeig deinen Arm!“

Die Lampe war wieder angebrannt worden. Beim Scheine derselben stellte es sich heraus, daß es nur eine kleine Streifwunde war, welche leicht verbunden werden konnte. Als dies geschehen, ließ sich der Hobble-Frank hören:

„Wir hätten nich durch die Decke, sondern hier unten durch die Mauer graben sollen. Off der Decke schtehen die Indianer und hören uns. Brechen wir aber durch die Mauer, so kann uns keen Mensch hören.“

„Aber die Arbeit ist viel schwerer,“ warf Sam ein.

„Lieber eene schwere Arbeit, wobei man nich das Leben wagt, als eene leichte, bei der man erschossen wird. Das is meine unmaßgebliche Kompensation, mit welcher ich geflissentlicherweise recht haben werde.“

Man stimmte ihm bei. Es wurde eine kurze Beratung gehalten, deren Ergebnis der Beschluß war, seinem Rate Folge zu leisten. Die in der Außenmauer befindlichen Luftlöcher waren so groß, daß man zwei Flintenläufe nebeneinander in eins derselben stecken und sie als Hebel benützen konnte. Auf diese Weise gelang es, allerdings erst nach stundenlanger Anstrengung, das Bindematerial der Steine so zu lockern, daß man nun mit den Messern fortfahren konnte.

Darüber verging der Nachmittag. Es war Abend geworden, als endlich der erste Stein aus der Mauer fiel. Der erste! Und wie viele waren noch zu entfernen! Und wie stand es mit den Gefangenen! Sie hatten hier Rast machen und sich erholen wollen; aber es war nach ihrer Ankunft nur Zeit zum Trinken, nicht zum Essen gewesen. Nun waren sie schon über einen Tag gefangen, ohne etwas genossen zu haben. Der Hunger und der Durst stellten sich ein. Das hatte bei den Erwachsenen jetzt noch nicht viel zu sagen, aber die Kinder verlangten nach Speise und nach Trank und konnten nicht leicht beruhigt werden.

Indem immer je zwei und zwei sich ablösten, wurde die ganze Nacht hindurch an dem Loche gearbeitet; es ging äußerst langsam vorwärts, weil die Mauer so stark und der Mörtel fast noch fester als der Stein war. Endlich war man hindurch; ein Stein fiel nach außen, Das kleine Loch, welches dadurch entstanden war, ließ den fahlen Schein des anbrechenden Morgens hereinfallen. Nun ging es rascher; noch eine halbe Stunde und das Loch war so weit, daß ein Mann hinauskriechen konnte.

„Gewonnen!“ jubelte Frau Rosalie. „Dieses Loch is zwar keene bequeme Passage für eene anschtändige Dame, aber wenn es sich um die Freiheit handelt, krieche ich sogar durch eene Feueresse, wobei man sich doch schpäter wieder abwaschen kann. Jetzt vorwärts, meine Herren! Wer macht voran? Die Höflichkeet erfordert natürlich, daß wir Damen zu allererscht gerettet werden. Darum mache ich den Vorschlag, daß ich den Anfang mache.“

Sie bückte sich schon, um den Kopf in das Loch zu stecken; aber der Hobble-Frank zog sie zurück und sagte:

„Sind Sie denn nich recht gescheit, Madame Eberschbach? Was fällt Ihnen denn ein? Das is nischt für Weiber. Hier müssen die Herren der Schöpfung den Anfang machen.“

„Wer?“ fragte sie. „Die Herren der Schöpfung? Zu denen rechnen Sie sich wohl ooch mit?“

„Natürlich!“

„Na, da thut mir aber die ganze liebe Schöpfung leed. Ich bin eene Dame, eene deutsche Dame vom zusammengeenten deutschen Kaiserreich. Und haben Sie etwa nicht gehört, daß man gegen Damen zuvorkommend sein soll?“

„Ja, das weeß ich sehr genau und bin es ooch schtets gewesen.“

„Das machen Sie mir nich weiß; verschtehn Se mich! Ich danke dafür, wenn eener, der so unhöflich is, sich ooch noch großartig eenen Herrn der Schöpfung nennt!“

„Aber ich verschtehe Sie nich, meine liebste, ergebenste Frau Eberschbach! Ich bin doch ganz und gar zuvorkommend gegen Sie!“

„I, was Sie nich sagen! Wieso denn eegentlich?“

„Weil ich Ihnen beim Hinauskriechen so pomäle zuvorkommen will. Is das denn nich zuvorkommend?“

„O – o – o! Ja, wenn Sie das in dieser Weise meenen, da wenden Sie das Wort ganz falsch an. Sie sollen zuvorkommend sein, indem Sie mich zuvorkommend sein lassen. Können Sie das denn nich begreifen?“

„Sogar sehr gut. Aber Sie machen’s doch ganz verkehrt!“

„Verkehrt? Wieso?“

„Na, das Loch da is doch wenigstens fünf Ellen hoch über der darunterliegenden Terrasse. Nich?“

„Jawohl.“

„Sie müssen also so hoch hinunterschpringen?“

„Natürlich!“

„Können Sie das?“

„Ich hoffe es. Wenn es sich um meine Freiheit und um mein Leben handelt, schpringe ich, so hoch oder so tief es is.“

„Mit dem Koppe voran?“

„Mit dem Koppe? Wie denn anders?“

„Na, wenn Sie mit dem Koppe fünf Ellen tief unten offfliegen, da schtoßen Sie ihn sich so weit in die Achseln hinein, daß er gar nich mehr zu sehen is. Man schpringt doch mit den Füßen, aber nich mit demjenigen Körperteele, in welchem der gesunde Menschenverschtand offbewahrt zu werden pflegt. Also muß man mit den Füßen voran durch dieses Loch kriechen!“

„Das is aber dennoch verkehrt. Ich habe doch die Oogen nich in den Füßen!“

„Sehr richtig, wenn Sie nich etwa die Hühneroogen meenen.“

„Und ich muß mich doch, wenn ich hinauskomme, erscht genau umsehen, ob niemand da is, der mir schaden kann! Dazu sind die Oogen notwendig, und also muß man mit dem Koppe zuerscht ins Loch.“

„Ooch das gebe ich zu. Dennoch werden Sie sofort einsehen, daß es höchst rücksichtsvoll von mir is, wenn ich vor Ihnen hinein will. Ich setze den Fall, die Indianer haben die Schteene fallen. hören, welche wir hinaus geschtoßen haben. Dann schtehen sie gewiß Wache und sehen unser Loch. Wenn nun der erschte kommt, der hinaus will, so geben sie ihm sicher eene Kugel, ganz gleich, ob er mit den Füßen oder mit dem Koppe zuerscht das Morgenlicht erblickt. Wenn Sie nun noch voran wollen, so habe ich nischt dagegen. Schaköng a song Hut!“

„Da danke ich freilich; da danke ich sehr! Ich bin eine Dame und als solche nich verpflichtet, für die Herren der Schöpfung den Kugelfang abzugeben.“

Sie trat jetzt außerordentlich schnell zurück. Aber Frank erhielt auch nicht die Erlaubnis, der erste zu sein, sondern Sam Hawkens nahm dieses gefährliche Vorrecht für sich in Anspruch. Er kroch, mit dem Kopfe voran, langsam, sehr langsam vorwärts. Als sein Auge die Mündung des Loches erreicht hatte, fuhr er schnell zurück, kam wieder herein und meldete:

„Wahrhaftig, es stehen mehrere Wachen unten auf der Plattform. Unser Loch ist also entdeckt worden.“

„Haben sie dich gesehen?“ fragte Dick Stone.

„Nein.“

„Wie sind sie bewaffnet?“

„Mit Gewehren.“

„So schießen sie auf alle Fälle. Sie stehen unten auf der Plattform, auf welche wir springen müssen, und von uns kann immer nur einer hinaus. Wahrscheinlich wird das Loch nicht nur von ihnen, sondern auch von oben aus bewacht. Wollen einmal sehen.“

Er nahm seine lange Rifle, stülpte seine unaussprechliche und unbeschreibliche Kopfbedeckung auf die Mündung und schob den Lauf langsam so in das Loch, daß es draußen aussehen mußte, als ob ein Menschenkopf in der Öffnung erscheine. Draußen ertönte ein Ruf, und zugleich fielen mehrere Schüsse. Er zog das Gewehr wieder herein, untersuchte die Kopfbedeckung genau und sagte:

„Zwei Kugeln sind hindurch, eine von unten und eine von oben. Was sagst du dazu, alter Sam?“

Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Gefragte antwortete. Sie warteten alle mit großer Spannung auf seine Rede; dann endlich sagte er in einem Tone, welcher ziemlich niedergeschlagen klang:

„Es sind auch Wächter über uns, welche über die Kante unsrer Etage hinausblicken und das Loch beobachten. Über uns Wächter und unter uns Wächter; das ist schlimm, sehr schlimm!“

„Wir schießen sie weg!“ meinte der Hobble wohlgemut.

„Versuch es doch!“

„Warum nich?“

„Überlege doch, bevor du sprichst. Kannst du diejenigen, welche auf unserm Dache liegen, wegschießen?“

„Nee. Daran hatte ich freilich nich gedacht; aber desto leichter diejenigen, welche draußen unter uns schtehen.“

„Wie willst du das anfangen?“

„Na, ich brauch‘ doch bloß das Gewehr off sie zu richten und loszudrücken!“

„Das ist leichter gesagt als gethan. Das Loch ist so eng, daß du nur dann auf sie zielen kannst, wenn du das ganze Gewehr, die beiden Hände und den Kopf draußen hast. Aber ehe du dich in diese höchst gefährliche Lage bringst, hast du einige Kugeln im Kopfe.“

„Wetter! Das is richtig! Nu haben wir das schöne Loch und können doch nich’naus!“

„Leider, leider! Wir haben uns umsonst geplagt. Wir können weder durch die Decke noch durch die Mauer.“

„Dunner Sachsen! Is das wahr?“ fragte Frau Rosalie.

„Es ist nur zu wahr,“ erklärte Sam.

„Gibt es denn keenen andern Ausweg? Etwa hier durch den Fußboden?“

„Nein, denn es wird unter uns jedenfalls auch aufgepaßt.“

„Na, da schtehen die Ochsen ja gerade so am Berge wie vorher! Und das will sich Herren der Schöpfung nennen. Wenn ich een Mann wäre, ich wüßte gewiß, was ich thäte!“

„Nun, was?“

„Ja, das weeß ich eben nich, weil ich keen Mann, sondern eene Dame bin. Die Herren sind da, um uns zu schützen; verschtehn Sie mich? Nu thun Sie doch Ihre Pflicht! Ich hab’s ganz und gar nich nötig, mir den Kopp darüber zu zerbrechen, wie Sie mich aus dieser Gefangenschaft retten wollen. Aber ‚raus muß ich unbedingt, und so fordre ich Sie off, Ihre paar Sinne anzuschtrengen, um zu ermitteln, off welche Weise Sie mich retten können und sich dazu!“

Es trat eine lange Pause ein. Jeder und jede dachte nach, ob es denn keinen Weg der Rettung gebe; aber es erhob niemand die Stimme, um einen solchen zu verkünden. So verging eine halbe, eine ganze Stunde in trübem, peinlichem Schweigen. Da endlich hörte man Schi-So sagen:

„Das Denken und Grübeln bringt keinen Nutzen. Wir können nicht hinaus, denn wir müßten einzeln hinauskriechen und würden einzeln weggeschossen. Dennoch aber denke ich, daß wir gerettet werden.“

„Wie? Wie? Wodurch? Auf welche Weise?“ erklang es um ihn her.

„Old Shatterhand und Winnetou wollen sich auf Forners Rancho treffen. Forner wird ihnen von uns sagen, und es ist gewiß, daß diese beiden berühmten Männer unsrer Spur folgen. Sie werden also hier nach dem Pueblo kommen.“

„Ja,“ erklärte Sam mit einem tiefen Seufzer, „das ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben können. Sie werden kommen; darauf möchte ich schwören, und wenn wir es bis dahin aushalten, werden wir gerettet werden.“

„Aber das sind doch nur zwee Menschen. Was können die gegen so viele Indianer ausrichten?“ warf Frau Rosalie ein.

„Schweigen Sie unterthänigst!“ wurde sie von dem Hobble aufgefordert. „Was verschtehen Sie von diesen beeden Helden, die meine Freunde und Gönner sind! Ich sage Ihnen: Und wenn tausend Rote uns bewachen, Old Shatterhand und Winnetou holen uns doch heraus, entweder mit List oder mit Gewalt, je nachdem es ihnen beliebt. Die haben noch ganz andre Sachen fertig gebracht. Wenn sie nur erscht unsre Schpur haben, nachher brauchen wir uns nich zu sorgen; sie holen uns heraus, und nich uns alleene!“

„Wen denn noch?“

„Ooch den Bankier, wenn er noch lebt.“

„Der wird wohl nicht mehr leben,“ meinte Sam; „er nicht und sein Buchhalter nicht. Auf diese beiden war es wohl ganz besonders abgesehen, sonst hätte man sie nicht von uns getrennt.“

Er hatte recht, jedoch in andrer Art. Auf sie war es allerdings besonders abgesehen gewesen, doch nicht so, daß es, wenigstens von seiten des Häuptlings, ihr Leben galt. Sie waren entkommen und mit dem Ölprinzen, Buttler und Poller gegen Norden geritten, ohne anzuhalten, bis sie um die Mittagszeit in den Mogollonbergen den ersten Wald erreichten, der ihnen Schatten, Kühlung und Wasser bot. Da stiegen sie ab und setzten sich an einem Bache nieder, um auszuruhen und auch ihren Pferden Erholung zu gönnen. Hier war es, wo der Ölprinz sein Märchen erzählte, mit welchem er dem Bankier die Ereignisse des vergangenen Abends zu erklären versuchte, was ihm auch vollständig gelang. Rollins hielt ihn jetzt fest für einen Ehrenmann und freute sich auch darüber, in Buttler und Poller so brave und ehrenwerte Gefährten gefunden zu haben.

Als sie sich ausgeruht hatten, stiegen sie wieder auf und ritten weiter, bis sie gegen Abend eine Stelle fanden, welche sich sehr gut zum Lagerplatze für die Nacht eignete. Es gab da Wasser und genug dürres Holz, um ein Feuer die ganze Nacht zu unterhalten. Daß der Ölprinz, Buttler und Poller sehr reichlich mit Nahrungsmitteln versehen waren, die sie nur vom Pueblo mitgenommen haben konnten, das fiel weder Rollins noch Baumgarten auf. Als Poller das Feuer anbrannte, meinte Buttler im Tone leiser Besorgnis:

„Wir befinden uns in der Nähe des Gebietes der Nijoraindianer. Wäre es nicht vielleicht besser, auf das Feuer zu verzichten, welches uns verraten kann?“

„Es hat keine Gefahr,“ erklärte der Ölprinz. „Ich stehe mit den Nijoras auf gutem Fuße.“

„Aber sie haben das Kriegsbeil ausgegraben!“

„Thut nichts. Mir sind sie selbst auf dem Kriegszuge nicht gefährlich.“

„Mag sein; aber sie wohnen nördlich von hier und die Gileños südlich; wir befinden uns also auf der Grenze zwischen beiden, und solche Grenzgebiete sind stets gefährlich, weil da etwaige Feindseligkeiten zuerst beginnen und zum Austrage gebracht werden. Da gibt es immer einzelne Herumtreiber, welche die gefährlichsten sind und weder Feind noch Freund schonen, wenn sie nur ihre Rechnung dabei finden.“

„Und ich sage dir, du kannst sicher sein, daß sich in dieser ganzen Gegend außer uns kein Mensch befindet. Und gerade diese Stelle liegt tief versteckt; ich glaube, ich bin der einzige, der sie kennt, denn so oft ich auch hier war, bin ich doch niemals einem Menschen begegnet und habe auch nie die leiseste Spur von einem solchen gefunden. Wir befinden uns im weiten Umkreise ganz allein und können ruhig unser Feuer brennen lassen.“

Er war vollständig überzeugt, recht zu haben, und hatte doch nicht recht, denn es gab nordwärts von ihnen zwei Reiter, welche, ohne daß sie einander sahen, das gleiche Ziel zu verfolgen schienen, nämlich die Stelle, an welcher der Ölprinz mit seinen Begleitern lagerte.

Diese beiden Reiter waren vielleicht drei englische Meilen von diesem Lagerplatze und nur eine voneinander entfernt und hielten einer wie der andre nach Süden zu.

Der eine war ein Weißer und ritt einen prächtigen Rapphengst mit roten Nüstern und jenem Haarwirbel in der langen Mähne, welcher bei den Indianern als sicheres Kennzeichen vorzüglicher Eigenschaften gilt. Sattel und Riemenzeug waren von feiner, indianischer Arbeit. Dieser Mann war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt, aber seine Sehnen schienen von Stahl und seine Muskeln von Eisen zu sein. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes, ernstes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, welche er bis über die Kniee emporgezogen hatte, und einen breitkrämpigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel, der rundum mit Patronen gefüllt zu sein schien, staken zwei Revolver und ein Bowiemesser. An ihm hingen außer mehreren Lederbeuteln zwei Paar Schraubenhufeisen und vier fast kreisrunde, dicke Stroh- oder Schilfgeflechte, welche mit Riemen und Schnallen versehen waren. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte trug er einen aus mehrfachen Riemen geflochtenen Lasso und um den Hals an einer starken Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. In der Rechten hielt er ein kurzläufiges Gewehr, dessen Schloß eine höchst eigentümliche Konstruktion besaß – es war ein fünfundzwanzigschüssiger Henrystutzen – und über seinem Rücken hing ein doppelläufiger Bärentöter von allerschwerstem Kaliber, wie es heutigen Tages keinen mehr gibt.

Der echte Prairiejäger gibt nichts auf Glanz und Sauberkeit; je mitgenommener er aussieht, desto größer die Ehre, denn desto mehr hat er mitgemacht. Er betrachtet einen jeden, der auf sein Äußeres etwas hält, mit souveräner Geringschätzung; der allergrößte Greuel aber ist ihm ein blankgeputztes Gewehr. Nach seiner Überzeugung hat kein Westläufer die nötige Zeit, sich mit solchen Nebendingen abzugeben. Nun aber sah an diesem Manne alles so sauber aus, als sei er erst gestern von St. Louis aus nach dem Westen aufgebrochen. Seine Gewehre schienen vor kaum einer Stunde aus der Hand des Büchsenmachers hervorgegangen zu sein. Seine Stiefel waren makellos eingefettet und seine Sporen ohne die geringste Spur von Rost. Seinem Anzuge konnte keine Spur von Strapazen angesehen werden, und wahrhaftig, er hatte nicht nur sein Gesicht, sondern sogar seine Hände rein gewaschen! Es war wirklich gar nicht schwer, in ihm einen Sonntagsjäger zu vermuten.

Und allerdings, dieser Westmann war sehr, sehr oft von Leuten, die ihn nicht kannten und zum erstenmal sahen, seines saubern Äußeren wegen für einen Sonntagsjäger gehalten worden. Sobald sie aber seinen Namen hörten, sahen sie ein, welch ein grundfalsches Urteil sie gefällt hatten, denn er war kein andrer als Old Shatterhand, der berühmteste, verwegenste und dabei doch bedächtigste Jäger des wilden Westens, der unerschütterliche Freund der roten Nation und zugleich der unerbittlichste Feind aller Bösewichter, deren es jenseits des Mississippi eine Menge gab und noch heute gibt.

Old Shatterhand war sein Kriegsname, abgeleitet von dem englischen Worte shatter, zerschmettern, niederschmettern. Er vergoß nämlich nur dann das Blut eines Feindes, wenn es unbedingt nötig war, und selbst dann tötete er nicht, sondern verwundete nur. Im Handgemenge pflegte er, dem man eine solche Körperkraft kaum ansah, den Gegner mit einem einzigen Hiebe gegen die Schläfe niederzuschmettern. Daher der Name, der ihm von den weißen und roten Jägern gegeben war.

Und der andre Reiter, welcher eine englische Meile westlich von ihm ritt, war ein Indianer; das Pferd, auf welchem er saß, glich ganz genau demjenigen von Old Shatterhand.

Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblick der Begegnung, noch ehe sie gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat oder verhalten konnte, weil man sie eben zum erstenmal sieht, fühlt man sogleich und deutlich, ob man sie hassen oder lieben werde. Ein solcher Mensch schien dieser Indianer zu sein.

Er trug ein weißgegerbtes, mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemd. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und mit dicken Fransen von Skalphaaren besetzt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd oder Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße steckten in mit Perlen gestickten Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Um den Hals trug er einen kostbaren Medizinbeutel, die kunstvoll geschnitzte Friedenspfeife und eine dreifache Kette von den Krallen des grauen Bären, welche er mit größter Lebensgefahr dem grauen Bären, dem gefürchtetsten Raubtiere der Felsengebirge, abgenommen hatte. Um seine schlanke Taille schlang sich ein breiter Gürtel, welcher aus einer kostbaren Santillodecke bestand. Aus demselben schauten, wiederum so wie bei Old Shatterhand, die Griffe zweier Revolver und eines Skalpmessers hervor. Den Kopf trug er unbedeckt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Keine Adlerfeder, kein andres Unterscheidungszeichen schmückte diese Frisur, und doch sagte man sich gleich beim ersten Blicke, daß dieser rote Krieger ein Häuptling, und zwar kein gewöhnlicher, sein müsse. Der Schnitt seines schönen, männlich ernsten Angesichtes konnte ein römischer genannt werden; die Backenknochen standen kaum merklich vor, die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Quer über dem Sattel hatte er ein Gewehr vor sich liegen, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren.

Wäre ihm ein Westmann begegnet, der ihn noch nie gesehen hatte, er hätte ihn sofort an diesem Gewehre erkannt, welches der Gegenstand des Gespräches an Tausenden von Lagerfeuern gewesen war. Es gab im Westen drei Gewehre, an deren Berühmtheit kein viertes reichte; das waren Old Shatterhands Henrystutzen, sein Bärentöter und Winnetous Silberbüchse. Dieser rote Reiter war also Winnetou, der Häuptling der Apachen, überhaupt der berühmteste Häuptling des Westens, der treueste und aufopferndste Freund seiner Freunde und zugleich der gefürchtetste Gegner aller seiner Feinde.

Er ritt nicht nach unsrer Manier, sondern er hing vorn über auf seinem Pferde, als ob er das Reiten gar nicht verstehe. Sein Blick schien müd und träumerisch unausgesetzt am Boden zu haften, aber wer ihn kannte, der wußte, daß seine Sinne von einer unvergleichlichen Schärfe waren und seinem Auge nichts, aber auch gar nichts entging.

Da plötzlich richtete er sich mitten im Reiten auf; ebenso schnell hatte er seine Silberbüchse angelegt und auf einen Baum gerichtet; der Schuß krachte; es war ein kurzer, scharfer, sonorer Knall. Er lenkte sein Pferd nach dem Baume, ganz an denselben heran, stieg mit den Füßen auf den Sattel, langte in eine Höhlung, welche sich in der Nähe des untersten Astes befand, und zog den Gegenstand hervor, nach welchem er geschossen hatte. Es war ein Tier von der Größe eines mittleren Hundes mit gelblich grauem Pelze, dessen Grannen schwarze Spitzen hatten; der Schwanz war halb so lang wie der Körper. Dieses Tier war ein Waschbär oder Schupp, bei den Amerikanern Coati oder Raccoon genannt, für jeden Jäger ein höchst willkommener Braten.

Kaum hatte er den Waschbären in der Hand, und noch waren seit seinem Schusse nicht zehn Sekunden vergangen, so ertönte östlich von ihm ein zweiter Schuß, welcher einen tiefen, eigentümlich schweren Fall hatte.

„Uff!“ sagte der Indianer überrascht zu sich. „Akaya Selkhi-Lata!“

Dieser Ausruf in der Apachensprache heißt: „Dort ist Old Shatterhand!“ Und sonderbar: Auch Old Shatterhand hatte scheinbar ganz gleichgültig und in sich versunken seinen Weg verfolgt, als der Schuß des Apachen fiel. Sofort hielt er sein Pferd an und sagte:

„Das war Winnetou, der Häuptling der Apachen! Ich kenne die Stimme seiner Silberbüchse.“

Er hatte diese Worte in deutscher Sprache gesagt, ein untrügliches Zeichen, daß er ein Deutscher war. Schnell nahm er seinen Bärentöter vor und gab den Schuß ab, an welchem Winnetou augenblicklich seinen Freund erkannte. Dem Europäer und auch jedem andern, der den Westen nicht betreten hat, scheint dies unmöglich zu sein; aber der erfahrene und geübte Westmann kennt die Stimme jedes ihm bekannten Gewehres; seine Sinne sind geschärft, weil von der Feinheit derselben hundertmal sein Leben abgehangen hat und noch abhängen wird. Wer sich diese Sinnesschärfe nicht anzueignen vermag, der geht verloren. Wie verschieden ist die menschliche Stimme! Man hört einen Bekannten unter Tausenden heraus. Und wie ist es z. B. mit dem Hundegebell? Erkennst du deinen Phylax, Cäsar, Ami oder Nero nicht sofort an der Stimme? So ist es auch mit den Gewehren. Ein jedes hat eine andre, seine eigene Stimme; das weiß und hört freilich nur derjenige, der ein Ohr dafür hat.

Als die beiden Schüsse, an denen die Freunde einander sich erkannten, gefallen waren, verließen sie ihre bisherige Richtung und ritten aufeinander zu, Old Shatterhand westlich und Winnetou östlich. Um den andern genau zu finden, schoß jeder noch einmal; dann trafen sie auf einer kleinen Lichtung zusammen, sprangen von den Pferden und umarmten und küßten einander.

„Wie freut sich meine Seele, meinen guten, weißen Bruder schon heut zu treffen!“ sagte Winnetou. „Wir wollten erst übermorgen uns auf Forners Rancho finden. Mein Herz sehnte sich seit langer Zeit nach dir und meine Gedanken eilten dir viele Tagereisen weit entgegen.“

„Auch ich bin ganz glücklich, den besten und edelsten meiner Freunde bei mir zu haben,“ erwiderte Old Shatterhand. „Ich habe an dich mit Sehnsucht gedacht; du hast mir gefehlt, seit ich von dir schied, und meine Seele ist nun stille, da ich dich vor mir sehe. Wie ist es meinem Bruder während dieser langen Zeit ergangen?“

„Die Sonne steigt und fällt wieder nieder; die Tage kommen und gehen; das Gras wächst und verdorrt; Winnetou aber ist derselbe geblieben. Hat mein weißer Bruder viel erlebt, seit ich ihn zum letzten Male sah?“

„Viel! Nicht jeder Tag ist schön, und unter den Blumen der Prairie gibt es manche giftige. Dieser Prairie gleicht die Vergangenheit. Aber auch ich bin noch der, der ich war. Wenn wir am Lagerfeuer sitzen, werden wir uns erzählen, was wir erlebt und erfahren haben. Weiß mein Bruder einen Platz, an dem es sich gut ruhen läßt?“

„Ja. Wenn wir noch eine Stunde reiten, kommen wir über ein kleines Wasser, in welches sich ein Seitenquell ergießt. Da, wo dieser Quell entspringt, ist der Ort von allen Seiten mit Gebüsch umgeben, durch welches kein Auge dringen kann. Dort dürfen wir ein Feuer haben, an welchem wir den Waschbär braten, den ich soeben geschossen habe. Mein Bruder mag mit mir kommen!“

Sie ritten weiter unter den hohen, lichten Bäumen des Waldes hin. Es war hier ziemlich düster, denn die Sonne hatte sich, was man aber im Walde nicht bemerken konnte, dem Horizonte weit zugeneigt.

Als eine Stunde ziemlich vergangen war, erreichten sie das Wasser, den kleinen, schmalen Bach, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Sie ritten über denselben hinüber und – -hielten sofort ihre Pferde an, denn sie erblickten im Grase einen Streif, eine niedergetretene Fährte, welche von links her kam und nach rechts am Wasser weiterführte. Beide stiegen ab, um die Spur zu betrachten und zu lesen, und beide richteten sich nach wenigen Augenblicken zu gleicher Zeit wieder auf. Sie waren im Spurenlesen gleich gut bewandert.

„Fünf Reiter,“ sagte Old Shatterhand, „mit ziemlich müden Pferden.“

„Erst vor einigen Minuten hier vorübergekommen,“ ergänzte Winnetou. „Werden nicht weit von hier Lager machen. Was beschließt Old Shatterhand?“

„Wir dürfen sie nicht unbeachtet lassen, sondern müssen sehen, wer sie sind. Mein Bruder wird wissen, daß der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist. Da muß man vorsichtig sein.“

Sie schritten nach einem dichten Gebüsch, welches in der Nähe stand, führten die Pferde hinein, um sie einstweilen zu verbergen, banden sie an und legten ihnen die Hände auf die Nasen. Das war das Zeichen für die indianisch dressierten Tiere, sich ruhig zu verhalten und nicht etwa durch ein lautes Schnauben zu verraten. Dann kehrten sie zu dem Wasser zurück und folgten der Spur mit langsamen, unhörbaren Schritten. Sie waren beide Meister im Anschleichen und benutzten jeden Baum, jeden Strauch, jede Biegung des Baches zur Deckung für sich.

Kaum waren sie fünf Minuten gegangen, so blieb Winnetou stehen und sog die Luft durch die Nase ein. Old Shatterhand that dasselbe und spürte Rauch.

„Sie befinden sich ganz in der Nähe und haben ein Feuer,“ flüsterte er Winnetou zu. „Es müssen Weiße sein, denn ein Roter würde nicht die Unvorsichtigkeit begehen, einen Lagerplatz zu wählen, der nach der Windrichtung hin offen ist.“

Winnetou nickte und huschte weiter. Der Bach wand sich jetzt zwischen Bäumen hin, unter denen ziemlich hohe Büsche standen. Das gab eine herrliche Deckung für die beiden Jäger. Bald sahen sie das Feuer; es brannte hart am Wasser, und die Flamme stieg wohl mehrere Fuß empor. Das war eine Unvorsichtigkeit, die ein richtiger Westmann wohl nicht begangen hätte.

Der Boden des Waldes bestand hier aus weichem Moose, so daß die Schritte auch ungeübterer Leute, als Winnetou und Old Shatterhand waren, nicht gehört werden konnten. Vier Bäume, hinter denen das Feuer brannte, standen eng beisammen, und zwischen ihren Stämmen gab es Buschwerk; das bildete einen Schirm, hinter welchem die beiden Lauscher sich leicht verstecken konnten. Sie krochen vorsichtig heran und legten sich lang auf den Boden nieder, mit den Köpfen hart an den Büschen, durch deren blattlose Unterteile sie hindurchblicken konnten. Da sahen sie die fünf Männer ganz nahe vor sich. Das Feuer brannte ungefähr vier Schritte von den Bäumen entfernt. Diesseits desselben saßen der Ölprinz und Buttler, sein Bruder, mit den Rücken an die Stämme gelehnt, jenseits der Bankier und Baumgarten, sein Buchhalter; rechts davon war Poller beschäftigt, dürres Holz klein zu brechen und in die Flamme zu werfen. Sie mußten sich sehr sicher fühlen, denn sie hielten es nicht für nötig, bei dem Gespräch, welches sie führten, leise zu sprechen, vielmehr redeten sie so laut, daß man ihre Worte gewiß auf wenigstens zwanzig Schritte weit deutlich verstehen konnte, ein Umstand, welcher den beiden Lauschern nur lieb sein mußte.

„Ja, Mr. Rollins,“ sagte der Ölprinz, „ich versichere Euch, daß das Geschäft, welches Ihr machen werdet, ein glänzendes, ein großartiges sein wird. Das Petroleum schwimmt dort gewiß einen Finger dick auf dem Wasser; es muß unterirdisch in großen Massen vorhanden sein. Wenn dies nicht der Fall wäre, so hätte ich es gar nicht entdeckt, denn der Ort liegt so versteckt und weltverlassen, daß ich wette, es ist noch nie der Fuß eines Menschenkindes hingekommen und es würde ihn auch in Jahrzehnten keiner betreten, obgleich der Chelly-Arm schon oft von Jägern und wohl noch mehr von Indianern besucht worden ist. Wie gesagt, ich wäre an dieser Stelle gewiß vorüber gegangen, wenn mich nicht der Ölgeruch aufmerksam gemacht hätte.“

„War dieser wirklich so stark?“ fragte der Bankier.

„Sollte es meinen! Ich war wohl fast eine halbe Meile von der Stelle entfernt, und doch spürte meine Nase das Petroleum. Ihr könnt Euch also denken, in welchen Massen es vorhanden sein muß. Ich bin überzeugt, daß der Bohrer gar nicht tief in die Erde zu dringen braucht, um auf das unterirdische Ölbassin zu treffen. Heigh-day, muß das eine Fontaine geben, wenn es dann emporspringt! Wollen wir wetten, Sir, daß sie wenigstens hundert Fuß in die Höhe steigt?“

„Ich wette nie,“ antwortete Rollins in ruhigem Tone, zu welchem er sich zwingen mußte, denn das Funkeln seiner Augen bewies, daß seine Begierde heftig erregt worden war; „aber ich will hoffen, daß alles wirklich so ist, wie Ihr sagt.“

„Kann es anders sein, Sir? Kann ich Euch belügen, da Ihr doch dann, wenn wir an Ort und Stelle kommen, den Betrug sofort erkennen würdet? Ich habe noch keinen einzigen Dollar von Euch verlangt, sondern Ihr bezahlt mich erst dann, wenn Ihr Euch überzeugt habt, daß ich Euch nicht täusche und der Handel ein ehrlicher ist. Ein Betrug könnte doch nur dann möglich sein, wenn ich die Bedingung stellte, vorher bezahlt zu werden.“

„Ja, Ihr habt da so gehandelt, daß ich Euch für einen ehrlichen Mann halten muß; das will ich gern zugeben.“

„Dazu kommt, daß Ihr mich nicht bar, sondern in Anweisungen auf San Francisco bezahlen werdet.“

„Ihr wollt doch hoffentlich nicht damit sagen, daß Ihr bezweifelt, daß diese Anweisungen in Frisco honoriert werden?“

„Fällt mir nicht ein! Ich weiß, daß Eure Unterschrift selbst für eine Million gut sein würde. Aber sagt mir doch einmal, ob Ihr diese Anweisungen bereits jetzt in der Tasche tragt!“

Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerkt, daß er bei dieser Frage einen Ausdruck der Spannung auf seinem Gesichte nicht ganz zu unterdrücken vermochte. Sein Blick war mit schlecht verhehlter Begierde auf den Bankier gerichtet, und das hatte seinen guten Grund.

Der angebliche Petroleumfund war Schwindel; Rollins sollte getäuscht und nach der Zahlung mit seinem Buchhalter ermordet werden. Hätte er die Summe bar bei sich gehabt, so wäre sie ihm schon längst abgenommen worden, und er lebte nicht mehr. Trug er nun die fertig ausgestellten Anweisungen in seiner Tasche, so war das ebensogut wie bares Geld, und man brauchte sich mit ihm keinen Augenblick länger zu befassen. Eine Kugel in den Kopf, dem Buchhalter auch eine, und der Ölprinz befand sich so gut wie im Besitze des Geldes. Waren diese Papiere aber noch nicht fertig, so mußte die Komödie weiter- und bis zu Ende gespielt werden.

Rollins beachtete weder den bösen Blick noch den Gefühlsausdruck des Fragenden und antwortete:

„Warum wollt Ihr das wissen, Sir?“

„Weil es von großer Wichtigkeit für mich und auch für Euch ist. Wir befinden uns in der Wildnis, wo man seines Lebens oder wenigstens seines Eigentumes niemals sicher ist. Das habt Ihr ja im Pueblo erfahren. Wie nun, wenn wir überfallen und beraubt werden, wenn man Euch die Papiere abnimmt und mit ihnen nach Frisco reitet, um das Geld zu erheben?“

„Das wird nicht geschehen, denn ich bin vorsichtig gewesen. Ich habe zwar Formulare mitgenommen, aber sie sind nicht ausgefüllt und unterschrieben.“

„Das ist recht; das beruhigt mich. Aber wie wollt Ihr sie ausfüllen? Meint Ihr, daß da oben am Chellyflusse Federn wachsen und statt des Wassers Tinte fließt?“

„Habt keine Sorge! Ich bin natürlich mit einigen Federn versehen und habe auch ein kleines Fläschchen Tinte bei mir. Was übrigens den gestrigen Vorgang im Pueblo betrifft, so wundre ich mich allerdings darüber, daß es diesem Häuptlinge Ka Maku nicht eingefallen ist, uns die Taschen auszuleeren. Ich kann mir das wirklich nicht erklären.“

„O, die Erklärung ist doch so einfach wie nur möglich. Die Roten waren mit der Gefangennahme so beschäftigt, daß sie zum Plündern zunächst gar keine Zeit fanden; dies sollte später geschehen.“

„Meint Ihr, daß sie es auch auf unser Leben abgesehen hatten?“

„Natürlich! Ihr wäret auf alle Fälle beim Anbruche des Morgens an den Marterpfahl gebunden worden.“

„Dann haben wir beide euch dreien viel, sehr viel zu verdanken, und es thut mir um unsre armen Gefährten um so mehr leid. Wahrscheinlich lebt in diesem Augenblicke kein einziger mehr.“

„Ja,“ fügte Baumgarten hinzu, „ich mache mir die bittersten Vorwürfe, daß wir fortgeritten sind und nur an uns gedacht haben. Es war unbedingt unsre Pflicht, alles zu versuchen, sie auch zu retten.“

„Das sagt Ihr nur, weil Ihr Euch jetzt in Sicherheit befindet und es Euch nun wohl leicht erscheint, diese Leute aus dem Innern des Pueblo herauszuholen. Ich aber gebe Euch die Versicherung, daß dies nicht nur ungeheuer schwierig, sondern sogar unmöglich gewesen wäre. Wir hätten unser Leben nicht etwa bloß gewagt, sondern es unbedingt verloren, ohne damit den andern den geringsten Nutzen gebracht zu haben. Ich bin hier im wilden Westen erfahren, und Ihr könnt also jedes Wort glauben, welches ich Euch sage. Wir brauchen uns nicht den geringsten Vorwurf zu machen; ja, ich behaupte im Gegenteile, daß unsre Flucht den Gefährten nützlicher gewesen ist, als wenn wir geblieben wären, um sie zu retten, und dabei unser Leben ohne Vorteil für sie eingebüßt hätten.“

„Wieso?“

„Weil sie dadurch Zeit gewonnen haben. Die Roten sind, sobald sie heut früh unser Entkommen entdeckten, sicher sofort aufgebrochen, um uns zu verfolgen; sie haben also keine Zeit, ihre Gefangenen schon heut zu martern und zu töten. Ich rechne einen Tag, daß sie uns folgen, und einen Tag, daß sie zurückkehren; das gibt eine Frist von zwei Tagen, und man weiß, was in zwei Tagen alles geschehen kann, zumal wenn es sich um so tüchtige, erfahrene und kühne Leute handelt. Ja, Ihr könnt sehr ruhig sein!“

„Hm,“ brummte der Bankier, „was ihr da sagt, scheint Hände und Füße zu haben. Der Hobble-Frank ist zwar ein origineller Kauz, aber gewiß kein Mann, der sich gemächlich niederstechen läßt, von Droll möchte ich dasselbe sagen, und nun gar diese drei Jäger, welche sich das Kleeblatt nennen, die haben noch viel weniger den Eindruck auf mich gemacht, als ob sie mit sich scherzen ließen.“

„Ihr meint Sam Hawkens?“ fragte Buttler.

„Ja, ihn und Dick Stone und Will Parker. Das sind Westmänner, wie sie im Buche stehen. Ihr habt sie nicht gesehen, Mr. Buttler und Mr. Poller, und ich habe euch noch nicht erzählt, wie sie mit den deutschen Auswanderern zusammengetroffen sind. Das müßt ihr hören, um zu wissen, was für tüchtige Männer sie sind.“

„Waret Ihr dabei, Sir?“ fragte Poller.

„Nein; aber während des Rittes von Forners Rancho nach dem Pueblo wurde es erzählt; daher weiß ich es.“

Und nun berichtete er, was er gehört hatte. Er ahnte dabei nicht, daß Buttler und Poller die Sache noch viel besser und genauer wußten als er, weil sie ja dabei gewesen waren. Als er geendet hatte, fragte er sie:

„Müssen das nicht tüchtige Kerls sein, da sie mit den berüchtigten Finders in dieser Weise umgesprungen sind?“

„Ja,“ antwortete Buttler mit einem erzwungenen Lächeln. „Besonders scheint dieser Hawkens eine außerordentlich listige Kreatur zu sein.“

„Kreatur? Wie kommt Ihr dazu, ihn so zu nennen? Das hatte einen beinahe feindlichen Klang, Sir. Kennt Ihr ihn etwa? Hat er Euch einmal beleidigt?“

„Nicht im geringsten. Ich habe ihn nie gesehen, ja nicht einmal seinen Namen gehört. Aber die Hauptsache ist, daß Ihr nun seht, wie recht ich vorhin hatte, als ich sagte, Ihr braucht um die Gefangenen im Pueblo nicht besorgt zu sein. Männer wie diejenigen, welche Ihr jetzt genannt habt, wissen sich in jeder Lage zu helfen, und ich möchte fast sagen, ich hege die Überzeugung, daß sie unsrer Hilfe gar nicht bedürfen, um sich zu befreien. Ich wette mit Euch gegen jeden Einsatz: Wenn die Roten, welche uns verfolgen, heimkehren, sind die gefangenen Vögel ausgeflogen.“

„Ich wette nicht, will aber wünschen, daß Ihr recht habt. Vielleicht befinden wir uns dann in viel größerer Gefahr als diejenigen, um welche wir uns so vergeblich gesorgt haben.“

„Wieso?“

„Nun, Ihr sagtet doch, daß wir verfolgt werden.“

„Allerdings.“

„Wenn die Roten uns nun aufstöbern? Wenn sie unser Feuer sehen, welches so schön hell und offen brennt!“

„Das werden sie wohl bleiben lassen. Sie holen uns nicht ein.“

„Irrt Ihr Euch da nicht, Sir? Ich kenne den wilden Westen nicht; aber ich habe viel von ihm gehört und noch mehr über ihn gelesen. Diese Indianer sind schreckliche Leute, welche einem Menschen, den sie haben wollen, monatelang auf der Ferse bleiben, bis sie ihn erwischen.“

„Das wird hier nicht geschehen, denn ich würde dafür sorgen, daß unsre Spur ihnen verloren ginge. Das ist aber gar nicht nötig, denn sie können uns nicht einholen. Bedenkt doch, wann wir vom Pueblo fortgeritten sind, und daß sie erst nach Tagesanbruch sich auf die Verfolgung gemacht haben können! Wir besitzen also einen Vorsprung, den sie gar nicht einholen können.“

„Warum nicht? Sie brauchen nur weiterzureiten, während wir hier sitzen, so sind sie noch vor Mitternacht hier an dieser Stelle.“

Da stieß der Ölprinz ein schallendes Gelächter aus und rief:

„Ihr behauptetet vorhin, vom wilden Westen nichts zu verstehen und habt da allerdings sehr recht gehabt, Sir. Ihr versteht ganz und gar nichts. Ihr behauptet, daß die Roten uns während der Nacht folgen können?“

„Ja. Wenigstens wenn sie klug sind, werden sie es thun, um den Vorsprung, welchen wir haben, auszugleichen.“

„Wie sollen sie das anfangen? Wissen sie denn, wo wir uns befinden?“

„Das nicht; aber sie brauchen doch nur auf unsrer Spur zu bleiben, um uns zu finden.“

„Kann man Spuren etwa riechen, Sir, oder dieselben des Nachts sehen?“

„Na, das nun freilich nicht.“

„Können die Roten also jetzt, da es dunkel geworden ist, unsrer Fährte folgen?“

„Nein.“

„Richtig, nein; sie müssen halten bleiben und warten, bis es wieder Tag geworden ist. Wie also wollen sie unsern Vorsprung einholen, zumal morgen früh unsre Fährte auf keinen Fall mehr zu erkennen ist? Nein, Sir, wir haben nichts, aber auch gar nichts zu fürchten und werden glücklich nach dem Gloomy-water kommen und dort unser Geschäft hoffentlich ganz glücklich zum Abschluß bringen.“

Gloomy-waterFinsteres Wasser? Was ist das?“

„Das ist eben der Ort, an welchem ich das Petroleum entdeckt habe.“

„Und dieser Ort hat diesen Namen? Das klingt ja ganz anders, als Ihr vorhin sagtet.“

„Wieso, Sir?“

„Ihr sagtet doch, es sei wohl noch kein Mensch dorthin gekommen.“

„Das habe ich allerdings gesagt und das ist meine ganz entschiedene Meinung.“

„Aber es muß doch jemand dort gewesen sein!“

„Aus welchem Grunde kommt Ihr auf diese Vermutung?“

„Weil der Ort Gloomy-water heißt; er hat also einen Namen.“

„Nun? Weiter! Ich verstehe Euch noch nicht ganz.“

„Wer einen Namen hat, muß ihn doch von jemand bekommen haben. Nicht?“

„Allerdings.“

„Es muß also einen Menschen geben, von welchem Euer Ort seinen Namen erhalten hat, und dieser Mensch muß dort gewesen sein. Warum hat man nichts davon gehört? Er muß das Petroleum doch ebensogut bemerkt haben, wie Ihr es gesehen habt.“

Dieses Argument brachte den Ölprinzen in Verlegenheit; trotz seiner Verschlagenheit fiel ihm nicht sogleich eine Antwort ein, mit welcher er sich heraushelfen konnte; er füllte die kurze Pause, welche dadurch eintrat, durch ein halblautes Lachen aus, das überlegen klingen sollte. Zum Glücke für ihn wurde es durch seinen Stiefbruder Buttler unterbrochen:

„Mr. Rollins, Ihr glaubt jedenfalls, eine recht geistreiche Bemerkung gemacht zu haben. Nicht?“

„Geistreich?“ antwortete der Gefragte. „Nein, das denke ich keineswegs; aber sachlich war sie jedenfalls. Der Ort hat einen Namen, also muß unbedingt jemand, der ihm denselben gegeben hat, vor Mr. Grinley dort gewesen sein. Und da man diesen Namen kennt, muß dieser jemand viel und oft von dem Orte gesprochen haben. Warum hat er nicht auch vom Petroleum erzählt, welches er doch unbedingt entdeckt haben muß? Und wenn er es entdeckt hat, so wird es ihm nicht eingefallen sein, von diesem Orte zu sprechen, sondern er muß um seines eigenen Vorteiles willen darüber geschwiegen haben. Ihr seht also, es gibt hier gewisse Widersprüche, denen ich meine Aufmerksamkeit unbedingt schenken muß.“

„Thut das immerhin; aber laßt Euch dabei sagen, daß diese Widersprüche nur scheinbar sind.“

„Könnt Ihr sie etwa lösen und erklären?“

„Nichts leichter als das!“

„Nun?“

„Sonderbar, höchst sonderbar, daß man Euch das erst sagen muß, daß Ihr nicht selbst darauf kommt! Der jemand, von welchem Ihr redet, ist eben hier unser Mr. Grinley, der Ölprinz gewesen.“

„Ah!“ machte jetzt der Bankier verwundert.

„Ja, er ist es gewesen und er hat dem Orte den Namen Gloomy-water gegeben, weil – –“

„Weil,“ fiel der Ölprinz schnell ein, „die Örtlichkeit eine düstere ist und weil das Wasser eine fast ganz schwarze Farbe hat.“

Er war nun außerordentlich froh, von Buttler aus seiner Verlegenheit erlöst worden zu sein und warf ihm einen dankbaren Blick zu, welchen dieser mit einem mißbilligenden, leisen Kopfschütteln beantwortete. Weder dieser Blick noch dieses Kopfschütteln wurden von Rollins oder Baumgarten bemerkt. Der Ölprinz schien die Lust, das Gespräch fortzusetzen, verloren zu haben; er stand auf und entfernte sich mit der Bemerkung, daß er noch Holz für das Feuer sammeln wolle.

Nun war es Zeit für Old Shatterhand und Winnetou, sich zurückzuziehen, weil sie, wenn sie noch länger blieben, von Grinley ganz gewiß entdeckt werden mußten. Zum Glück für sie entfernte er sich bachaufwärts und ohne einen Blick nach der Seite zu werfen, wo sie lagen. Wäre sein Auge nach dieser Richtung gefallen, er hätte sie unbedingt sehen müssen.

Er hatte mit dem Rücken nach ihnen gesessen und die Baumstämme und Sträucher hatten sich zwischen ihm und ihnen befunden; aus diesem Grunde hatten sie sein Gesicht nicht sehen können. Aber als er jetzt aufstand, um fortzugehen, mußte er eine Wendung machen, infolge deren sie seine Züge auf das deutlichste erkannten. Sie krochen zurück, in den Wald hinein, bis der Schein des Feuers sie nicht mehr treffen konnte; dann richteten sie sich auf und kehrten nach der Stelle zurück, an welcher sie ihre Pferde versteckt hatten.

Andre Personen hätten nun nichts Eiligeres zu thun gehabt, als sich ihre Bemerkungen über das Gehörte und Gesehene mitzuteilen; diese beiden berühmten Westmänner aber waren aus einem andern Stoffe gemacht. Sie verstanden sich auch ohne Worte und pflegten nur dann zu reden, wenn die Zeit dazu gekommen war.

Winnetou zog sein Pferd aus dem Gebüsch heraus und schritt, es an dem Zügel hinter sich herführend, in den Wald hinein. Old Shatterhand folgte ihm mit dem seinigen, ohne zu fragen, warum der Apache diesen bequemen Ort verließ und den finstern Wald aufsuchte, wo bei der gegenwärtigen abendlichen Dunkelheit mit den Pferden so schlecht fortzukommen war. Er kannte den Grund und hätte, wenn er allein gewesen wäre, genau so wie Winnetou gehandelt.

Da, wo die Pferde gesteckt hatten, gab es Gras für dieselben und auch Wasser, zwei Dinge, welche unbedingt nötig waren. Man hätte dort also recht gut lagern können, ohne befürchten zu müssen, während der Nacht von den fünf Personen, welche belauscht worden waren, entdeckt oder gar belästigt zu werden. Aber es war die Möglichkeit doch nicht ausgeschlossen, daß am nächsten Morgen zufällig einer von ihnen nach dieser Stelle kam, wo er sie sehen oder, falls sie schon fort waren, ihre Lagerspuren entdecken mußte. Darum gingen sie fort. Die Spuren, welche sie bis jetzt gemacht hatten, konnten am nächsten Morgen gewiß nicht mehr erkannt werden, da das Gras sich bis dahin wieder aufgerichtet haben mußte.

Da sie aber unbedingt Wasser und Weide für ihre Tiere brauchten, verstand es sich ganz von selbst, daß sie wieder zu dem Bache zurückkehrten, allerdings an einer sehr entfernten Stelle. Der Weg dorthin mußte durch einen Bogen gemacht werden, den man durch den Wald schlug, weil das weiche Moos desselben die Huf- und Fußeindrücke am Morgen nicht mehr sehen ließ. Das alles verstand sich ganz von selbst, und so kam es, daß Old Shatterhand dem Apachen folgte, ohne zu fragen.

Es gehörten die an die Dunkelheit gewöhnten Augen Winnetous und Old Shatterhands dazu, ohne anzustoßen oder gar zu fallen, durch das Gehölz zu kommen. Sie bewegten sich mit einer Sicherheit, als ob es am hellen Tage wäre, wohl eine ganze Viertelstunde lang zwischen den Bäumen hin und bogen dann nach rechts, um den Bach wieder zu gewinnen. Ganz genau an der Stelle, wo sie ihn erreichten, floß ein kleines Wässerchen in denselben; sie überschritten den Bach und folgten diesem schmalen Wasser aufwärts, bis sie seinen Ursprung erreichten. Das war die Quelle, von welcher Winnetou gesprochen hatte und an der er hatte lagern wollen. Wie außerordentlich ausgeprägt mußte der untrügliche Ortssinn des Häuptlings sein, trotz der Dunkelheit und mitten im wilden Walde diese Quelle zu finden!

Sie nahmen nun ihren Pferden die Sättel ab und ließen sie dann frei grasen; sie durften das, weil die beiden Rappen treu wie die Hunde waren, dem leisesten Ruf gehorchten und sich nie von ihren Herren entfernten. Erst jetzt fiel das erste Wort, indem Winnetou fragte:

„Hat mein Bruder einen Imbiß bei sich?“

„Ein Stück trockenes Fleisch,“ antwortete Old Shatterhand. „Ich sorgte nicht für mehr, weil ich morgen auf Ka Makus Pueblo vorsprechen wollte.“

„Mein Bruder mag sein Fleisch aufheben; wir werden das Coon braten, welches ich vorher geschossen habe.“

Nach diesen Worten entfernte er sich. Old Shatterhand fragte nicht, wohin er wolle; er wußte, daß Winnetou jetzt die Umgebung der Quelle umkreisen würde, um sich zu überzeugen, daß dieselbe sicher sei. Er kehrte nach vielleicht zehn Minuten zurück und brachte einen Arm voll trockenes Holz mit, ein Beweis, daß kein feindliches Wesen in der Nähe sei. Das außerordentlich scharfe Ohr Old Shatterhands hatte das Abbrechen und Knacken dieses Holzes nicht gehört, wieder ein Zeichen von der unvergleichlichen Geschicklichkeit des Apachen.

Bald brannte ein Feuer, aber klein, nach indianischer Weise; die beiden Männer ließen sich an demselben nieder, um den Waschbär aus seinem Fell zu schälen. Nach kurzer Zeit verbreitete das bratende Fleisch desselben jenen feinen Duft umher, welchen es in keiner Küche, sondern nur am Lagerfeuer gibt. Es wurde gegessen, langsam und mit Genuß, ohne daß ein Wort dabei fiel. Als beide satt waren, brieten sie die Überreste des Fleisches für den morgenden Tag, an welchem sie sich nicht mit der Jagd befassen durften, und nun erst hielt Winnetou es an der Zeit, sich hören zu lassen.

„Hat mein Bruder Riemen bei sich?“

„Vielleicht zwanzig Stück,“ antwortete Old Shatterhand, welcher genau wußte, warum der Apache nach Riemen fragte. Mit Riemen ist ein Westmann überhaupt stets gut versehen.

„Ich habe auch so viel,“ erklärte der Häuptling; „dennoch werden wir das Fell dieses Waschbären auch noch in Streifen schneiden, weil wir morgen vielleicht Riemen brauchen.“

„Für Ka Makus Krieger,“ nickte Old Shatterhand. „Dieser Häuptling ist uns zwar nie feindlich begegnet, aber es steht zu erwarten, daß wir ihn morgen zwingen müssen, das zu thun, was wir wollen.“

„Mein Bruder hat recht. Kennt er die Männer, welche wir belauscht haben, oder vielleicht einen von ihnen?“

„Nur einen habe ich schon einmal gesehen, den, welcher Grinley und Ölprinz genannt wurde. Ich entsinne mich, ihn bei einer Bande Buschklepper gesehen zu haben.“

„Auch ohne dies zu wissen, habe ich mir gesagt, daß er ein gefährlicher Mensch ist. Mein Bruder ist mit mir am Chellyflusse, von dem sie sprachen, gewesen; er mag mir sagen, ob es dort Erdöl geben kann!“

„Keinen Tropfen!“

„Und hat dieser Grinley das Gloomy-water entdeckt und ihm den Namen gegeben?“

„Nein. Ich bin mit dir ja schon vor Jahren an diesem kleinen See gewesen und schon damals hatte er seinen Namen. Der Ölprinz hat einen großen Schwindel und jedenfalls noch viel Schlimmeres mit den beiden Männern vor.“

„Einen Doppelmord!“

„Ja. Zwei von den fünf Männern, die wir sahen, sollen betrogen und dann ermordet werden. Sie sollen eine Petroleumquelle vorfinden, diese Entdeckung bezahlen und dann – verschwinden.“

„Wir müssen sie retten!“

„Das versteht sich ganz von selbst.“

„Will mein Bruder das gleich jetzt thun?“

„Nein. Und auch dir kommt das nicht in den Sinn, sonst hättest du dich nicht so weit von ihrem Lager entfernt. Wir würden durch Streitigkeiten aufgehalten werden und selbst dann, wenn die beiden Betrogenen uns Glauben schenkten, würden wir sie zu uns nehmen müssen und dabei die kostbare Zeit verlieren, welche wir brauchen, um die Gefangenen Ka Makus zu befreien.“

„Ja, diese Leute müssen schon morgen unsre Hilfe haben, und darum werden wir den Ölprinzen mit seinen Begleitern einstweilen ziehen lassen. Wir holen sie später sicher ein.“

„So ist mein roter Bruder entschlossen, unsern ursprünglichen Plan aufzugeben?“

„Ja. Wir wollten uns auf Forners Rancho treffen und haben uns schon hier getroffen. Wir wollten von dort aus nach der Sonora hinüber, um die dortigen Stämme der Apachen zu besuchen; das können wir später thun. Jetzt gilt es, diesen zweien Bleichgesichtern das Leben zu retten und die Gefangenen aus dem Pueblo zu holen. Aber was sagt mein Bruder dazu, daß unter ihnen Freunde von uns sind?“

„Ich war natürlich überrascht, als ich es hörte.“

„Was will der Hobble und was will auch Droll jetzt hier?“

„Ich mußte dem kleinen Hobble versprechen, ihm einmal zu schreiben. Das habe ich gethan und dabei erwähnt, daß und wann und wo ich beabsichtigte, mit dir zusammenzutreffen. Da ist in dem kleinen komischen Kerl das Westfieber erwacht und hat ihn herübergetrieben. Droll hat ihn natürlich gern begleitet.“

„Und Hawkens, Stone und Parker sind auch dabei! Uff!“

Dies war ein Ausruf der Verwunderung und Mißbilligung. Der Grund dieser Mißbilligung wurde sofort von Old Shatterhand deutlich angegeben:

„Daß sich so erfahrene Leute fangen lassen; es ist kaum glaublich! Sie müssen doch unbedingt gehört haben, daß sich eine gefährliche kriegerische Bewegung einiger roter Stämme bemächtigt hat, und da ist doppelte Vorsicht geboten. Sie durften das Pueblo nicht betreten, ohne vorher mit dem Häuptling die Pfeife des Friedens geraucht zu haben. Nur das Unwetter von gestern kann daran schuld sein.“

„Ganz richtig! Das Wetter hat sie wahrscheinlich in das Pueblo getrieben, ohne daß sie Zeit fanden, sich vorher der Freundschaft des Häuptlings zu versichern. Das ist klar und leicht zu begreifen.“

„Dieser Häuptling ist den Weißen sonst freundlich gesinnt.“

„Ja, aber anders ist es kaum möglich. Ka Maku muß im Einvernehmen mit diesem Ölprinzen gestanden haben und von ihm verführt worden sein. Wir werden morgen erfahren, daß diese Vermutung die richtige ist. Ferner gebe ich meinem Bruder Winnetou etwas höchst Wichtiges zu bedenken: Unser Hobble-Frank ist mit seinem Droll nach Forners Rancho gekommen, um dort mit uns zusammenzutreffen. Er kennt uns genau und hat also gewußt, daß wir pünktlich dort ankommen würden. Warum hat er nicht auf uns gewartet? Warum hat er sich dem Zuge dieser Auswanderer angeschlossen?“

„Ölprinz!“

Winnetou sagte nur dieses eine Wort und bewies damit, daß es ihm keine Schwierigkeiten bereitete, auch diese schwere Frage zu beantworten.

„Ganz recht. Der kleine Hobble hat auf dem Rancho von dem vermeintlichen Ölfunde gehört und nicht daran geglaubt, sondern Verdacht gefaßt. Er ist ein ritterliches Kerlchen und wagt gern mehr, als er auszuführen vermag; er und Droll haben sich vorgenommen, einmal Winnetou und Old Shatterhand zu spielen und sich der beiden Männer, welche betrogen werden sollen, anzunehmen. Das haben sie natürlich auch Sam Hawkens und seinen beiden Kleeblättern gesagt, und diese sind mit ihnen in den Bund getreten. Das hat der Ölprinz gemerkt und sich ihrer dadurch entledigt, daß er Ka Maku auf irgend eine Weise veranlaßte, den ganzen Zug gefangen zu nehmen und dann aber die Betreffenden entkommen zu lassen.“

„Mein Bruder Old Shatterhand spricht meine eignen Gedanken aus. Wann meint er, daß wir zur Befreiung der Gefangenen von hier aufbrechen werden? Jetzt?“

„Nein; das ist ja sicher auch deine Absicht nicht. Reiten wir jetzt schon fort, so kämen wir am Tage beim Pueblo an und würden leicht entdeckt. Was wir vorhaben, kann nur des Nachts ausgeführt werden. Wenn wir morgen früh von hier fortreiten, kommen wir zeitig genug dort an.“

„Winnetou stimmt bei. Wir werden kurz vor Abend in der Nähe des Pueblo sein, um, bevor es dunkel wird, unsre Augen auf dasselbe zu richten.“

„Ja, um zu rekognoszieren. Durch mein Fernrohr können wir alles sehen, ohne uns soweit nähern zu müssen, daß wir Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Löschen wir jetzt das Feuer aus!“

Während Old Shatterhand die Flamme mit Wasser aus der Quelle löschte, machte Winnetou noch einmal die Runde, um sich zu überzeugen, daß sie ohne Besorgnis schlafen konnten; dann streckten sie sich neben einander zur nächtlichen Ruhe im weichen Grase aus. Sie hielten es nicht für nötig, abwechselnd zu wachen; sie konnten sich auf ihr gutes Gehör und auf ihre Pferde verlassen, welche gewohnt waren, die Annäherung von Menschen oder Tieren durch Schnauben zu verraten.

Am andern Morgen früh erwacht, ließen sie vor allen Dingen die Pferde tüchtig trinken, weil vorauszusehen war, daß dieselben wohl länger als einen Tag kein Wasser bekommen würden, denn am Pueblo konnten sie nicht getränkt werden, weil die Bewohner desselben jetzt als Gegner zu betrachten waren. Die beiden so verschiedenfarbigen und doch so innigen Freunde genossen einen Teil des gestern Abend übrig gebliebenen Fleisches, sattelten dann und ritten mutig dem Tage entgegen, dessen Abend für sie ein sehr schwieriger zu werden versprach.

Von ihrem Lagerplatze bis zum Pueblo war es ein guter Tagesritt, ihre vortrefflichen Pferde aber brauchten sie gar nicht anzustrengen, um schon lange vor Abend an Ort und Stelle zu sein. Sie kannten die Gegend so genau, wie sie dem Ölprinzen bekannt gewesen war. Da dieser die gerade Richtung eingeschlagen hatte und sie dasselbe thaten, fiel ihr Weg mit dem seinigen zusammen. Die Fährte, welche er mit seinen vier Begleitern gestern zurückgelassen hatte, war für gewöhnliche Westmänner nicht zu sehen, für ihre scharfen Augen aber doch von Zeit zu Zeit zu erkennen. Sie ritten während des ganzen Vormittages und machten erst um die Mittagszeit einen Halt, um ihre Pferde ruhen zu lassen. Es war bis dahin nur davon die Rede gewesen, was sie seit ihrer letzten Trennung erlebt hatten; über ihr heutiges Vorhaben hatten sie nichts erwähnt. Jetzt aber, während sie ruhten, sagte Winnetou:

„Mein Bruder sieht ein, daß wir uns nicht getäuscht haben: Ka Maku hat mit dem Ölprinzen im Bunde gestanden.“

„Jawohl,“ nickte Old Shatterhand, „Wäre das nicht der Fall, so hätte der Häuptling die Flüchtigen verfolgt und wir wären ihm entweder begegnet, oder müßten seine Fährte sehen. Und wie wir uns hier nicht geirrt haben, werden wir uns auch in Beziehung auf das übrige nicht täuschen.“

Dann ging es weiter, bis sie am Nachmittage soweit gekommen waren, daß sie bis zum Pueblo nur noch eine Stunde zu reiten hatten. Nun galt es, vorsichtig zu sein, wenn sie sich nicht sehen lassen wollten. Sie stiegen also abermals ab, um noch einige Zeit verstreichen zu lassen, da sie sich dem Pueblo erst kurz vor Abend nähern wollten.

Die Gegend, in welcher sie sich befanden, war eben und sandig. Diese Ebene zog sich als immer schmaler werdende, unfruchtbare Zunge in die Mogollonberge hinein. Hier und da sah man einen einzelnen Felsblock liegen. Sie hatten aus Berechnung sich hinter einen solchen Block niedergesetzt, hinter dessen Ecke hervor sie südwärts blicken konnten, wo das Pueblo lag. Jemand, der von dorther kam, konnte sie und auch ihre Pferde nicht sehen.

Sie hatten noch nicht lange dagesessen, so deutete Winnetou nach rechts hinüber und rief überrascht aus:

„Teshi, tlao tchate!“

Diese drei Worte der Apachensprache bedeuten: „Schau, viel Rehe,“ oder „schau, ein Rudel Rehe!“ Es sind aber nicht wirkliche Rehe gemeint, sondern eine Art der amerikanischen Antilope, welche in Arizona äußerst selten vorkommt.

Daher die Überraschung des Apachenhäuptlings. Wie gern hätten er und Old Shatterhand die Jagd auf diese schnellfüßigen Tiere aufgenommen, die einen sehr zarten Braten geben; aber die Aufgabe, welche sie heut zu lösen hatten, verbot es ihnen.

Das schöne Wild zog in reizenden, eleganten Sprüngen dem Winde entgegen, südwärts, wo es bald hinter dem Horizonte verschwand. Wird es gejagt, so pflegt es mit dem Winde davonzugehen, um den Verfolgern nicht nur aus den Augen, sondern auch aus der Nase zu kommen.

„Herrliches Wildpret!“ sagte Old Shatterhand. „Kommt uns hier aber außerordentlich ungelegen.“

Er prüfte die Luft, welche aus Süden kam.

„Kann uns leicht die Feinde herbeiführen,“ nickte Winnetou. „Das Rudel zieht grad nach dem Pueblo hin. Wenn es von dort gesehen wird, können wir bald rote Jäger hier haben, da die Luft von dorther weht.“

Sie nahmen nun den südlichen Horizont noch schärfer als bisher ins Auge. Es verging eine halbe Stunde und noch mehr, und nichts war zu sehen; die Antilopen schienen also nicht bemerkt worden zu sein. Da aber tauchten da, wohin die Augen gerichtet waren, mehrere kleine Punkte auf, welche sich schnell vergrößerten.

„Uff! Sie kommen!“ sagte Winnetou., „Nun werden wir entdeckt!“

„Vielleicht doch nicht,“ meinte Old Shatterhand. „Es ist möglich, daß wir uns verbergen können. Reiten sie nicht geteilt, sondern in einem Trupp vorüber, so kommen sie nur an einer Seite vorbei, und wir können uns auf die andre hinübermachen. Wollen sehen!“

Sie standen auf und nahmen ihre Pferde kurz bei den Zügeln.

Ja, die Antilopen waren bemerkt worden; sie kamen zurück, und hinter ihnen sah man vier Reiter, welche ihre Pferde zur äußersten Anstrengung antrieben.

„Nur vier!“ sagte Winnetou. „Wäre doch der Häuptling dabei!“

Schnell nahm Old Shatterhand sein Fernrohr aus der Tasche und richtete es auf die Reiter.

„Er ist dabei,“ meldete er. „Er reitet das schnellste Pferd und ist der vorderste.“

„Das ist gut!“ rief der Apache, indem seine Augen leuchteten. „Nehmen wir ihn?“

„Ja. Und natürlich nicht ihn allein, sondern die drei andern auch.“

„Uff!“

Indem er dieses Wort ausrief, sprang er in den Sattel und nahm seine Silberbüchse zur Hand. In demselben Augenblicke saß auch Old Shatterhand schon auf seinem Pferde und hielt den Henrystutzen bereit. Das war so schnell gegangen, daß von dem Augenblicke, in welchem die zurückkehrenden Antilopen gesehen wurden, bis jetzt kaum eine Minute vergangen war. Da kam das flüchtige Wild herangeflogen und jagte in der Entfernung von vielleicht tausend Schritten vorüber. Die vier Indianer waren noch zurück; man hörte ihre scharfen Schreie, mit denen sie ihre Pferde antrieben.

„Jetzt!“ rief Winnetou.

Zugleich mit diesem Worte schoß er hinter dem Felsen hervor, Old Shatterhand dicht neben ihm, den Indianern schräg entgegen. Diese stutzten, als sie so plötzlich zwei Reiter erblickten, die sich ihnen in den Weg warfen.

„Halt!“ rief ihnen Old Shatterhand zu, indem er seinen Rappen parierte und der Apache dasselbe that. „Wo will Ka Maku mit seinen Kriegern hin?“

Es wurde den Indianern schwer, ihre Pferde im schnellsten Laufe anzuhalten; sie thaten es; aber der Häuptling schrie zornig:

„Was haltet ihr uns auf! Nun ist das Fleisch für uns verloren!“

„Ihr hättet es überhaupt nicht bekommen. Jagt man denn die flüchtige Gazelle wie einen langsamen Prairiewolf? Wißt ihr nicht, daß man ihr Fleisch nur dann erlangt, wenn es gelingt, sie einzuschließen, so daß sie trotz ihrer Flüchtigkeit keinen Ausweg findet?“

Erst jetzt war es den vier Roten gelungen, ihre aufgeregten Pferde zur Ruhe zu bringen, und nun konnten sie die beiden Störenfriede genauer betrachten.

„Uff!“ rief da der Häuptling aus. „Old Shatterhand, der große, weiße Jäger!“

„So kennst du mich noch? Kennst du auch den Krieger hier neben mir?“

„Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen!“

„Ja, wir sind es; du täuschest dich nicht. Steig ab mit deinen Leuten, und folge uns dorthin in den Schatten des Felsens, hinter dem wir ruhten, als wir euch kommen sahen.“

„Warum sollen wir denn dorthin gehen?“ fragte jetzt Ka Maku.

„Wir haben mit euch zu sprechen.“

„Kann das nicht auch hier geschehen?“

„Gewiß; die Sonne scheint uns noch zu warm; dort aber gibt es Schatten.“

„Wollen meine beiden berühmten Brüder nicht mit mir nach dem Pueblo kommen, wo sie mir alles ebensogut sagen können, was sie mir hier mitteilen wollen?“

„Ja, wir werden mit dir nach dem Pueblo reiten; vorher aber sollst du die Pfeife des Friedens mit uns rauchen.“

„Ist das nötig? Ich habe sie doch schon längst mit euch geraucht.“

„Damals gab es Frieden in dieser Gegend; jetzt aber ist das Schlachtbeil ausgegraben; darum trauen wir nur dem, welcher bereit ist, das Calumet mit uns zu teilen; hingegen, wer sich dessen weigert, den betrachten wir als unsern Feind. Also entscheidet euch; aber schnell!“

Er spielte hierbei mit seinem Henrystutzen in einer Weise, welche dem Häuptlinge Angst einflößte. Er kannte dieses Gewehr, das die Roten für ein Zaubergewehr hielten, ganz genau und wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn Old Shatterhand es in so demonstrativer Weise in den Händen hielt. Darum erklärte er, freilich in einem nicht sehr frohen Tone:

„Meine berühmten Brüder wünschen es; so werden wir es denn auch thun.“

Er wäre am allerliebsten fortgeritten, wußte aber, daß er dies leider nicht wagen durfte. Sein Pferd war nicht so schnell wie die Kugeln Old Shatterhands und Winnetous. Er hatte zwar auch eine Flinte, seine drei Begleiter ebenso, aber den Gewehren dieser beiden Jäger gegenüber war das genau so, als ob er keine Waffen in der Hand hätte. Er stieg also von seinem Pferde, und seine Leute folgten diesem Beispiele. Man schritt, indem jeder sein Pferd führte, nach dem Felsen, wo man sich niedersetzte. Als dies geschehen war, nestelte Ka Maku seine Friedenspfeife von der Schnur los, mit welcher sie um seinen Hals hing, und sagte:

„Mein Tabaksbeutel ist leer; vielleicht besitzen meine großen Brüder Kinnikinnik, um das Calumet zu füllen?“

„Wir haben Tabak, soviel wir brauchen,“ antwortete Old Shatterhand. „Aber ehe wir mit dir die Friedenspfeife rauchen und dann nach dem Pueblo gehen, um deine Gäste zu sein, möchte ich wissen, was für Krieger wir dort vorfinden werden.“

„Die meinigen.“

„Keine andern?“

„Nein.“

„Und doch wurde mir gesagt, daß du fremde Krieger bei dir beherbergst. Es ist Unfrieden ausgebrochen zwischen einigen Stämmen und zwischen den roten Männern und den Bleichgesichtern. Ka Maku wird begreifen, daß es da gilt, vorsichtig zu sein.“

„Wenn meine Brüder zu mir kommen, werden sie keinen fremden Krieger bei uns finden.“

„Und doch führte eine große Spur von Forners Rancho nach eurem Pueblo, wo sie aufhörte; von euch weg ist sie dann zu einer kleinen Fährte von nur fünf Männern geworden.“

Ka Maku erschrak, ließ sich aber nichts merken, und versicherte in bestimmtestem Ton:

„Da müssen sich meine Brüder irren. Ich weiß von keiner solchen Spur etwas.“

„Der Häuptling der Apachen und Old Shatterhand irren sich niemals wenn es sich um eine Fährte handelt. Sie zählen nicht nur die Eindrücke der Tiere und der Menschen ganz genau, sondern sie kennen auch die Namen der letzteren.“

„So kennen meine berühmten Brüder Namen, welche mir unbekannt sind.“

„Hättest du nie von Grinley, dem Ölprinzen, gehört?“

„Nie.“

„Das ist eine Lüge!“

Da griff der Häuptling nach dem Messer in seinem Gürtel und rief zornig aus:

„Will Old Shatterhand das Haupt eines tapfern Häuptlings beleidigen? Mein Messer würde ihm Antwort geben!“

Der weiße Jäger zuckte leicht die Achsel und antwortete.

„Warum begeht Ka Maku den großen Fehler, mir zu drohen? Er kennt mich doch und weiß also sehr genau, daß er meine Kugel im Kopf hätte, ehe die Spitze seines Messers mich erreichte, oder seine Hand die Flinte gegen mich richten könnte.“

Er hatte während dieser Worte mit einem schnellen Griffe seine beiden Revolver gezogen und hielt ihm die Mündungen derselben entgegen. Zugleich hatte auch Winnetou seine beiden Drehpistolen in den Händen und hielt sie den drei andern Roten vor, indem Old Shatterhand in ruhigem Tone weiter sprach:

„Ich versichere euch bei dem großen Manitou, den die roten Männern verehren, daß bei der leisesten Bewegung eurer Waffen die unsrigen blitzen und knallen werden! Old Shatterhand bricht nie sein Wort; das wißt ihr ebenso gut wie jeder andre Indianer! Ihr kennt diese kleinen Gewehre hier in meinen Händen, in denen zweimal sechs Schüsse stecken. Mein Bruder Winnetou wird euch jetzt eure Messer und Gewehre wegnehmen. Wer sich dagegen wehrt, ja, wer nur eine kleine Bewegung des Widerstandes macht, erhält sofort eine Kugel. Ich habe es gesagt, und es gilt, Howgh!“

Dieses letzte Wort ist eine indianische Bekräftigung. Old Shatterhand wollte mit demselben sagen, daß er gesonnen sei, seine Drohung unbedingt auszuführen. Sein Auge senkte sich mit gebieterischem Blicke in dasjenige des Häuptlings, welcher es nicht wagte, sich zu regen, als der Apache ihm das Messer und die Flinte wegnahm. Auch die drei andern regten sich nicht, als sie von Winnetou entwaffnet wurden. Nachdem dies geschehen war, fuhr Old Shatterhand fort:

„Die roten Männer sehen, wie die Sache steht; sie befinden sich in unsrer Gewalt. Nur das Eingeständnis der Wahrheit kann sie retten. Ka Maku mag meine Fragen beantworten! Warum hat er einige Gefangene mit dem Ölprinzen vorsätzlich entfliehen lassen?“

„Es sind keine Gefangene bei uns gewesen,“ zischte der Häuptling grimmig.

„Und auch jetzt befinden sich keine im Pueblo?“

„Nein.“

„Ka Maku lügt. Er müßte doch wohl wissen, daß Winnetou und Shatterhand nicht junge, unerfahrene Burschen sind, welche sich täuschen lassen. Wir wissen, daß Sam Hawkens, Parker und Stone sich bei euch befinden.“

Das zuckende Auge des Häuptlings verriet seinen Schreck, doch antwortete er nicht.

„Auch noch zwei andre weiße Krieger, Frank und Droll genannt, stecken bei euch. Dazu ein Häuptlingssohn der Navajos und sein junger, weißer Freund, auch noch vier andre weiße Männer nebst ihren Frauen und Kindern. Will Ka Maku dies eingestehen?“

„Kein Mensch ist da, kein einziger,“ lautete die Antwort. „Bin ich ein elender, räudiger Hund, daß ich so mit mir sprechen lassen muß?“

Pshaw! Ich werde noch ganz anders mit dir sprechen! Werden die drei andern roten Krieger vielleicht zugeben, was ihr Häuptling so unklug ist, zu leugnen?“

Diese Frage war an die Begleiter Ka Makus gerichtet.

„Er hat die Wahrheit gesagt,“ antwortete einer von ihnen. „Es gibt keinen Gefangenen bei uns.“

„Ganz, wie ihr wollt. Wir werden nach dem Pueblo gehen, um nachzuforschen, und damit ihr uns nicht hindern könnt, werden wir euch binden. Winnetou wird mit Ka Maku den Anfang machen.“

Der Apache zog seine Riemen aus der Tasche. Da sprang Ka Maku auf und schrie wütend:

„Mich fesseln? Da soll – –“

Er kam nicht weiter, denn er erhielt von Old Shatterhand, der ebenso rasch aufgeschnellt war, einen solchen Fausthieb gegen die Schläfe, daß er augenblicklich zusammenbrach und besinnungslos liegen blieb. Das war der Hieb, dem der berühmte Westmann seinen Namen zu verdanken hatte. Er wendete sich drohend zu den andern dreien:

„Da seht ihr, was es nützt, uns zu widerstehen! Soll ich euch ebenso an die Köpfe schlagen? Haltet still, wenn ihr gefesselt werdet, sonst ergeht es euch grad ebenso wie diesem hier!“

Der zürnende Jäger, welcher mit einem Schlage seiner Hand einen starken Mann zu fällen vermochte, machte einen solchen Eindruck, daß die drei Indianer sich fesseln ließen, ohne daß sie zu widerstreben wagten; dann wurde auch Ka Maku an Händen und Füßen gebunden. Es handelte sich hier um Puebloindianer, die seßhaft waren, die einen guten Teil ihres ursprünglichen Charakters verloren hatten. Hätten sie zu einer herumschweifenden, wilden Truppe gehört, so wäre ihr Verhalten wahrscheinlich ein andres gewesen.

Um ihre Pferde am Entlaufen zu verhindern, wurden sie mit den langen Zügeln an die Erde gepflockt. Dann mußte dafür gesorgt werden, daß die Gefangenen nicht im stande waren, sich von der Stelle zu bewegen oder gar sich trotz der gefesselten Hände gegenseitig Hilfe zu leisten. Ein selbst an Händen und Füßen gebundener Mensch kann, indem er sich fortwälzt, zu entfliehen versuchen, und niemand kann, wenn er gut gefesselt ist, sich selbst befreien, aber doch die Banden seiner Mitgefangenen aufknoten. Darum wurden die Flinten der vier Indianer tief in den Sand gegraben, weit von einander entfernt und dann an jede einer von ihnen so festgebunden, daß er unmöglich loskommen konnte.

Während dies geschah, kehrte dem Häuptling die Besinnung zurück. Als er sah, in welch einer hilflosen Lage er sich befand, knirschte er mit den Zähnen. Old Shatterhand hörte es und sagte:

„Ka Maku trägt selbst die Schuld, daß er in dieser Weise behandelt wird. Ich ersuche ihn noch einmal, die Wahrheit zu gestehen. Wenn er mir verspricht, die Gefangenen herauszugeben und alles, was ihnen gehört, soll er losgebunden werden.“

Der Angeredete spuckte aus und antwortete nicht, für Old Shatterhand eine Beleidigung, welche diesem ein mitleidiges Lächeln entlockte. Nachdem noch einmal sorgfältig nachgesehen worden war, daß es den Gefangenen ganz unmöglich sei, durch eigne Anstrengung loszukommen, bestiegen die beiden Freunde ihre Pferde und ritten fort, dem Pueblo entgegen.

Ka Maku warf ihnen haßerfüllte Blicke nach und sagte sich:

„Diese beiden Hunde waren meine Freunde, sind aber nun meine Feinde geworden. Sie irren sich. Sie glauben, die gefangenen Bleichgesichter befreien zu können, werden aber selbst ergriffen werden, da es ihnen nicht gelingen kann, unsren Wächter zu täuschen. Sie sind zwar Meister des Anschleichens, aber ein Pueblo kann nicht beschlichen werden. Auf keinen Fall werden wir hier lange liegen, denn wenn wir nicht bald zurückkehren, wird man Boten aussenden, welche uns suchen und bald finden werden.“

Darin täuschte sich Ka Maku freilich. Es fiel seinen Leuten gar nicht ein, nach ihm und seinen drei Gefährten wie nach verlorenen Kindern zu suchen. Daß sie nicht zurückkehrten, beunruhigte niemanden. Die Verfolgung der windesschnellen Antilope kann den Jäger weit, weit fortführen, und bricht darüber die Nacht herein, so kann er leicht Gründe haben, die Heimkehr auf den nächsten Morgen zu verschieben.

Da das Pueblo an der Südseite des Felsenberges lag, konnte es nur von dieser Seite her beobachtet werden, und weil Old Shatterhand und Winnetou von Norden, also aus der entgegengesetzten Richtung kamen, mußten sie einen Bogen reiten, wenn sie ihren Zweck erreichen wollten. Dabei waren sie zur allergrößten Vorsicht gezwungen, da zu jedem Augenblicke in ihrem Gesichtskreise ein Indianer erscheinen und sie ebenso gut sehen konnte, wie sie ihn.

Eben war die Sonne hinter dem Horizonte verschwunden, als sie den Berg und an seinem steilen Hange das Pueblo liegen sahen. Sie näherten sich demselben nicht ganz bis auf Augensichtweite; dann hielten sie ihre Pferde an, und Old Shatterhand zog sein Fernrohr hervor. Nachdem er einige Zeit durch dasselbe geblickt hatte, gab er es Winnetou. Dieser setzte es nach einer kurzen Weile ab und sagte:

„Die Gefangenen haben die Hände gerührt, hat mein Bruder das Loch gesehen, welches sich in der Mauer der zweiten Etage befindet?“

„Ja,“ antwortete Old Shatterhand. „Sie haben es durchgebrochen, können aber nicht heraus, weil es bewacht wird. Vielleicht haben sie auch versucht, durch die Decke zu gelangen.“

„Das kann ihnen ebensowenig gelingen, denn auch da stehen die Wächter.“

„Jedenfalls werden, wenn es dunkel ist, Feuer angebrannt; das ist uns außerordentlich hinderlich. Wollen aber zunächst zufrieden sein, daß wir jetzt das Loch gesehen haben, denn nun wissen wir, unter welcher Terrasse die Gefangenen stecken. Unten lehnt eine Leiter an, jedenfalls für den Häuptling, wenn er zurückkehrt, Wie prächtig wäre es, wenn sie nicht emporgezogen würde!“

Sie stiegen ab und setzten sich nieder, um die Dunkelheit zu erwarten. Als dieselbe hereingebrochen war, sahen sie auf dem Pueblo einige Feuer aufflammen. Nun pflockten sie ihre Pferde an und schritten langsam dem Orte entgegen, an welchem es heut ein wahres Meisterstück auszuführen gab. Diese einzelnen zwei Männer wollten es, ob durch List oder Gewalt, mit der ganzen zahlreichen Besatzung des Pueblo aufnehmen!

Eigentlich war es für dieses kühne Unternehmen noch zu früh, und es wäre weit besser gewesen, wenn sie noch einige Stunden hätten warten können, bis die Indianer, welche jetzt noch alle wach waren, sich zur Ruhe gelegt hatten. Dann hätte es nur einige Wachen gegeben, welche zu überwältigen waren. Aber es gab verschiedene sehr triftige Gründe, die Ausführung des Vorhabens trotzdem nicht aufzuschieben. Erstens war zu bedenken, daß doch immerhin ein Umstand eintreten konnte, durch welchen der gefangene Häuptling mit seinen Begleitern befreit wurde. Es konnte einer seiner Leute unterwegs sein und ihn finden. Kam Ka Maku los und in das Pueblo, so war die Befreiung der in demselben eingeschlossenen Leute fast unmöglich. Zweitens konnte man nicht wissen, in welcher Lage sich diese Personen befanden und was ihnen drohte; eine Verzögerung konnte ihnen leicht verhängnisvoll werden. Und drittens fühlten die Roten über die verzögerte Rückkehr ihres Häuptlings jetzt noch keine Besorgnis; wahrscheinlich trat dies erst am morgenden Tage ein; aber es war auch möglich, daß man schon im Verlaufe des Abends sein Fortbleiben auffällig fand. In diesem Falle schickte man wohl Boten nach ihm aus und wartete auf die Rückkehr derselben. Das gab dann einen Zustand der Aufregung, der allgemeinen Wachsamkeit, welcher das Gelingen von Old Shatterhands und Winnetous Vorhaben vereiteln mußte. Darum war es auf alle Fälle besser, schon jetzt an die Ausführung desselben zu gehen.

Als sich diese beiden dem Pueblo weit genug genähert hatten, sagte Winnetou:

„Mein Bruder mag rechts gehen, und ich gehe links. In der Mitte, da wo die Leiter lag, treffen wir zusammen.“

Old Shatterhand verstand ihn; sie wollten erst das vor dem Pueblo liegende Terrain absuchen, ob dasselbe vielleicht bewacht werde oder überhaupt jemand von den Roten sich außerhalb der Niederlassung befand. Old Shatterhand folgte der Aufforderung seines Freundes und fand nichts, was ihm hätte auffallen können. Als er mit ihm zusammentraf, zeigte es sich, daß die Leiter, welche sie hatten liegen sehen, hinaufgezogen worden war.

„Uff!“ sagte der Apache leise. „Sie ist fort. Kein andrer könnte hinauf.“

„Ja, kein andrer,“ nickte Old Shatterhand. „Uns aber soll dies nicht abhalten, das unterste Dach zu erreichen. Vor allen Dingen aber müssen wir wissen, wie die Feinde sich verteilt haben, wo sie sich befinden.“

„Es brennen zwei Feuer.“

„Richtig. Das sind die Wachtfeuer. Eins auf der Terrasse, unter welcher die Gefangenen stecken, und eins auf der darunterliegenden Etage, um das Loch zu erleuchten, durch welches sie sich haben retten wollen. Dort stehen Posten, die ich gezählt habe: oben drei und unten drei. Wo aber sind die andern Indianer?“

„Im Innern der Stockwerke. Hat mein Bruder nicht gesehen, daß dort Licht ist?“

„Ja; die Eingangslöcher stehen offen, und der Lichtschein schlägt von innen heraus. Darnach zu urteilen, würden die Roten mit ihren Squaws und Kindern die oberen Etagen bewohnen, während die beiden unteren unbewohnt sind und wahrscheinlich zur Aufnahme der Vorräte dienen.“

„Mein Bruder hat recht geraten. Ich war vor einigen Jahren hier und habe mir das Innere des Pueblo angesehen.“

„Hm! Die damalige Anordnung kann verändert worden sein. Wir müssen vorsichtig verfahren. Es ist ein schöner Abend heut und wir dürfen getrost annehmen, daß nicht alle Indianer sich in den Wohnungen befinden; sehr wahrscheinlich liegen auch welche, ohne daß wir sie sehen können, auf den platten Dächern im Freien.“

„Wollen wir uns dadurch abhalten lassen?“

„Nein.“

„So stell dich auf die Mauer, damit ich auf deine Schultern steige!“

Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und der Apache schwang sich ihm auf die Achseln. Als er von da aus die Kante der untersten Plattform mit den Händen nicht erreichen konnte, flüsterte er dem Gefährten zu.

„Strecke die beiden Arme hoch, damit ich dir auf die Hände steigen kann!“

Old Shatterhand that dies und hielt den Häuptling mit solcher Leichtigkeit empor, als ob derselbe ein Kind von wenigen Jahren wäre.

„Es geht noch nicht,“ sagte der Apache.

„Wieviel fehlt noch?“ fragte Old Shatterhand.

„Drei Hände breit.“

„Schadet nichts. Deine Finger sind wie von Eisen. Wenn sie die Kante erreichen, wirst du dich festhalten, obgleich dies kein andrer vermöchte. Dann helfe ich mit meinem langen Bärentöter nach. Ich zähle bis drei und werfe dich in die Höhe; paß auf und greif schnell zu! Eins – zwei – drei –!“

Bei drei gab er dem Apachen einen kräftigen Schwung nach oben; dieser erreichte die Kante mit den Händen und hielt sich dort mit denselben wie mit eisernen Klammern fest. Schnell nahm Old Shatterhand seinen langen Bärentöter zur Hand und hielt ihn empor, um mit demselben einen Fuß Winnetous zu stützen. Dieser fand dadurch einen festen Punkt und schwang sich, da Old Shatterhand mit dem Gewehre kräftig nachschob, auf die Terrasse, wo er zunächst ganz still und unbeweglich liegen blieb, um zu lauschen, ob sich vielleicht jemand in der Nähe befinde, der ihn bemerkt habe oder sehen könne. Er lag eng zusammengekrümmt und sprungbereit, um sich sofort wie ein Panther auf denselben zu schnellen und ihn mit einem Griffe nach der Gurgel unfähig zu machen, einen Warnungsruf auszustoßen. Seine scharfen Augen überblickten die ganze Länge der Terrasse – es befand sich außer ihm kein Mensch auf derselben. Unweit von sich sah er das offene, viereckige Eingangsloch, welches hinab in das Erdgeschoß führte, und hart neben ihm lag die Leiter, welche heraufgezogen worden war.

Zunächst kroch er mit unhörbaren, schlangengleichen Bewegungen nach dem Loche und horchte hinab. Es führte eine Leiter hinunter und es war dunkel unten. Nichts regte sich; es schien niemand unten zu sein. Nun kroch er zur Leiter zurück und ließ sie zu Old Shatterhand hinab, so daß sie wieder, wie am Tage, an der Mauer lehnte und der Genannte heraufsteigen konnte. Als dieser Winnetou erreichte, legte er sich neben demselben nieder und fragte:

„Ist jemand unter uns?“

Daß jemand oben bei ihnen auf der Etage sei, das fragte er gar nicht, denn er sah gleich beim ersten Blicke, daß sie sich allein befanden.

„Ich habe nichts gehört,“ antwortete Winnetou.

„Ziehen wir die Leiter wieder herauf?“

„Nein.“

„Richtig! Es könnte der Fall sein, daß wir fliehen müssen, und dann brauchen wir sie. Nun aber auf die nächste Etage.“

Zu derselben führte eine Leiter hinauf, weil nur die unterste weggenommen worden war. Aber diese Leiter durften sie nicht benutzen, denn sie lehnte an der Mitte der Etage, wo das unterste Feuer brannte, an dem die drei Wächter saßen, welche auf das von den Gefangenen durch die Mauer gebrochene Loch aufzupassen hatten. Von diesen hätten sie sofort bemerkt werden müssen, wenn sie auf dieser Leiter emporgestiegen wären.

Die Plattform über ihnen war vielleicht vier Schritte breit und achtzig Schritte lang. Das Feuer, welches in der Mitte brannte, war nach indianischer Weise nur klein und konnte also seinen Schein nicht bis an die Endpunkte der Terrasse werfen; dort war es also dunkel und dort mußten die beiden Befreier hinauf, entweder nach der rechten oder nach der linken Ecke des platten Daches. Sie entschlossen sich für das erstere, und zwar infolge eines Umstandes, der zwar sehr geringfügig, ihnen aber von großem Vorteile war. Andre Leute hätten diesen Umstand wohl gar nicht beachtet; diesen beiden erfahrenen und scharfsinnigen Leuten aber mußte alles, selbst das Geringste, zur Erreichung ihrer Zwecke und Absichten dienen.

Nämlich die drei indianischen Wächter saßen so an dem Feuer, daß zwei von ihnen ihre Gesichter dem Loche, welches sie zu bewachen hatten, zukehrten; der dritte kauerte links davon, so daß er den Lichtschein auf sich nahm und einen langen, dunklen Schatten nach dieser Seite der Plattform warf. Dieser Schatten ermöglichte es, sich ihnen zu nähern, ohne sofort bemerkt zu werden.

Sie zogen also die Leiter, weiche von der ersten Etage hinunter in das Erdgeschoß führte, hinauf und trugen sie nach dem linksseitigen Ende der Etage. Dies mußte mit außerordentlicher Vorsicht geschehen. Dort angekommen, legten sie sie an die Mauer der zweiten Etage und stiegen hinauf. Oben angelangt, blieben sie eine Zeitlang ebenso vorsichtig wie vorher liegen, um diese Plattform zu überblicken.

„Die Wächter sind allein.“ flüsterte der Apache.

„Ja, und das ist gut,“ meinte sein weißer Freund. „Dennoch ist die Sache außerordentlich schwer. Es gibt hier keine Deckung, weder Busch noch Baum, hinter welchen man sich verbergen könnte.“

„Aber Schatten!“

Well! Doch das ist nicht hinreichend. Wir können höchstens bis auf zwanzig Schritte an sie heran, und wenn der Bursche, der den Schatten bildet, sich bewegt, so fällt das Licht auf uns und sie müssen uns noch viel eher bemerken.“

„Wir werden ihre Aufmerksamkeit nach der andern Seite richten.“

„Womit? Mit kleinen Steinchen?“

„Ja.“

„Schön! Wenn sie dumm genug sind, werden sie sich dadurch irre machen lassen. Dann aber heißt es, die zwanzig Schritte in zwei Augenblicken zurückzulegen. Ich schlage den, welcher uns den Rücken kehrt, sofort nieder; du nimmst den nächsten und ich den dritten.“

„Aber ja ohne das geringste Geräusch!“ warnte Winnetou.

„Natürlich, denn sonst werden die drei Wächter auf der nächsten Etage aufmerksam. Selbst wenn uns das Anschleichen gelingt, braucht es nur einem dieser Roten einzufallen, von da oben herabzuschauen, so sieht er uns, und wir sind verraten. Was würden wir in diesem Falle thun?“

„Die drei hier niederschlagen und dann rasch hinauf zu den andern drei. Sind diese unschädlich gemacht, so besitzen wir den Eingang zu denen, die wir befreien wollen.“

„Aber es würde laut hergehen und das ganze Pueblo käme in Alarm.“

„Winnetou und Old Shatterhand würden sich trotzdem nicht fürchten. Wir löschten die Feuer aus und würden nicht gesehen; da könnte man nicht auf uns schießen.“

„Gut! Also jetzt Steinchen her!“

Es war von großem Vorteile für sie, daß Old Shatterhand diese Frage aufgeworfen hatte und sie zu einer Verständigung über dieselbe gekommen waren, denn es trat später wirklich der Umstand ein, daß sie gesehen wurden, und da konnten sie sofort im Einvernehmen handeln, ohne vorher die kostbare Zeit durch Fragen zu verlieren. Sie griffen auf der Plattform mit den Händen nach Steinchen umher und fanden schnell so viele, wie sie brauchten. Dann legten sie sich lang auf den Boden nieder und krochen auf die drei Wächter zu. Old Shatterhand hatte sehr genau taxiert: als sie noch ungefähr zwanzig Schritte von denselben entfernt waren, mußten sie anhalten. Winnetou erhob sich ein wenig und warf ein Steinchen über sie hinweg, so daß es jenseits von ihnen niederfiel. Das dadurch entstehende Geräusch wurde, so gering es war, von ihnen bemerkt, und sie wendeten ihre Gesichter nach rechts, um zu lauschen.

„Es gelingt,“ flüsterte Old Shatterhand. „Sie sind dumm genug, ihre Aufmerksamkeit von dieser unsrer Seite abzuwenden.“

Winnetou warf noch einige Steinchen, was zur Folge hatte, daß die drei Wächter ein lebendes Wesen, vielleicht gar ein feindliches, rechts von sich vermuteten und scharf nach dorthin lauschten.

„Jetzt!“ sagte Old Shatterhand leise.

Sie erhoben sich. Fünf, sechs weite, aber ganz leise und fast unhörbare Sprünge, und sie standen bei den dreien. Die Faust des starken weißen Jägers fuhr dem ersten so gegen den Kopf, daß er lautlos niedersank; im nächsten Augenblicke hatten sie den zweiten und dritten bei den Kehlen. Ein fester Druck, einige Hiebe an die Schläfen und auch diese waren besinnungslos. Sie wurden schnell gefesselt und bekamen Knebel zwischen die Zähne.

„Das ist geglückt!“ flüsterte Old Shatterhand. „Nun schnell die Leiter an das Loch, unter welchem die Gefangenen stecken. Ich will mit ihnen reden; während dessen mag mein Bruder Winnetou die nächste Etage nicht aus den Augen lassen. Es könnte einer der dortigen Wächter an der Kante des Daches erscheinen.“

Er zog nun die Leiter, welche sie vorhin vermieden hatten, als sie sich auf der unteren Plattform befanden, herauf, lehnte sie neben dem Loche an die Mauer und stieg hinauf. Den Kopf in dieses Loch steckend, rief er hinein, aber so, daß nur die innen Befindlichen es hören konnten:

„Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker! Ist einer von euch da?“

Er lauschte und hörte drin eine Stimme:

„Horcht! Da draußen sprach jemand! Es ist ein Mensch am Loche.“

„Wahrscheinlich einer der roten Halunken!“ meinte ein andrer. „Gebt ihm eine Kugel!“

„Unsinn!“ fiel schnell ein dritter ein. „Ein Indianer wagt es nicht, seinen Schädel so schön herzuhalten, daß wir ihm das Lebenslicht ausblasen können, wenn ich mich nicht irre. Es muß ein andrer sein, einer, der uns retten will, vielleicht gar Old Shatterhand oder Winnetou. Macht mir Platz! Ich will an das Loch.“

Aus der Redensart „wenn ich mich nicht irre“, erkannte Old Shatterhand, wer der Sprecher war; darum fragte er:

„Sam Hawkens, seid Ihr da?“

„Will’s meinen,“ antwortete es von innen. „Wer seid denn Ihr?“

„Old Shatterhand.“

Heigh-day! Ist’s wahr?“

Yes. Wollen euch herausholen.“

„Wollen? Die Mehrzahl? Also seid Ihr nicht allein?“

„Nein. Winnetou ist mit.“

„Noch jemand?“

„Wir sind allein.“

Thank you! Haben mit großen Schmerzen auf Euch gewartet. Aber, Sir, seid Ihr denn auch wirklich Old Shatterhand? Oder heißt Ihr vielleicht Mr. Grinley, der Ölprinz?“

„Müßt mich doch an der Stimme erkennen, alter Sam!“

„Stimme hin und Stimme her! In diesem Loche klingt, zumal Ihr leise redet, eine Stimme wie die andre. Es wäre eine nette Geschichte, wenn wir Euch trauten und nachher hätte sich Old Shatterhand in den Ölprinzen verwandelt. So ein dummes Coon bin ich nicht. Gebt mir einen Beweis!“

„Welchen?“

„Habt Ihr Euern Henrystutzen bei Euch?“

„Ja.“

„So langt ihn einmal herein, damit ich ihn befühlen kann.“

„Hier ist er. Aber gebt ihn schnell wieder heraus, denn ich kann ihn jeden Augenblick gebrauchen müssen.“

Er schob das Gewehr ins Loch; es dauerte nur wenige Sekunden, so wurde es ihm zurückgegeben und Sam sagte:

„Es hat seine Richtigkeit; Ihr seid es, Sir. Gott sei Dank, daß Ihr kommt! Wir können nicht hinaus. Zwar ist Rettung möglich; aber es würde dabei einen heißen Kampf geben und wir möchten nicht Blut vergießen. Wie wollt Ihr uns herausbringen?“

„Könnt ihr nicht nach oben?“

„Nein; das Loch ist zu.“

„Habt ihr keine Leiter?“

„Die Schufte haben sie hinaufgezogen.“

„Und Waffen?“

„Die haben wir; man konnte sie uns nicht abnehmen. Werde Euch später erzählen, wie wir in diese himmelblaue Tinte geraten sind.“

„Müßt es freilich sehr geistreich angefangen haben; ist ein wahres Meisterstück von Leuten wie ihr seid! Wer ist alles drin?“

„Gute Bekannte von Euch: Ich, Stone, Parker, Droll, der Hobble-Frank und so weiter.“

„Auch Kinder?“

„Leider!“

Well! So paßt genau auf, was ich Euch sage! Erst schiebt Ihr uns die Kinder heraus; aber sie dürfen keinen Laut von sich geben. Dann folgen die Damen, die hoffentlich auch still sind. Hierauf kommen diejenigen, welche den Westen nicht kennen und wenig Erfahrung besitzen. Es ist geraten, alle diese zuerst ins Freie zu bringen, damit sie schon heraus sind, wenn wir vielleicht entdeckt werden. Hier saßen drei Wächter, die wir überwältigt haben, Über euch sind auch drei, die uns leicht überraschen können. Wenn dies geschehen sollte, so muß ich schnell eingreifen: ich steig‘ hinauf und schlage sie nieder. Gelingt mir dies, so öffne ich euch das Loch und gebe euch eine Leiter herab, an welcher diejenigen, die sich noch drin befinden, schnell zu mir hinaufsteigen und mich unterstützen können. Also, die Erfahrenen von euch bleiben bis zuletzt drin. Habt Ihr alles verstanden?“

„Alles.“

„So macht los! Ich warte hier, um zunächst die Kinder in Empfang zu nehmen.“

In kurzer Zeit erschien ein Knabe im Loche. Old Shatterhand zog ihn heraus und langte ihn Winnetou zu, welcher ihn ergriff und dicht an die Mauer stellte. So wurde es mit allen Kindern und dann auch mit den Frauen gemacht. Das war eine schwere Arbeit, bei welcher Old Shatterhand, auf der Leiter stehend, alle seine Kräfte anstrengen mußte. Als es bis hierher geglückt war und Sam Hawkens ihm meldete, daß nun die Männer, zunächst die deutschen Auswanderer, folgen würden, antwortete er:

„Die bedürfen, um die Leiter zu erreichen, meiner Hilfe nicht. Ich werde mich also entfernen, um die drei über euch befindlichen Wächter in die Augen zu nehmen.“

Er stieg zu Winnetou nieder, warf diesem einige leise, erklärende Worte zu und huschte dicht an der Mauer nach der linken Seite hin, wo die Leiter lag, an welcher sie auf diese Plattform gestiegen waren. Er zog sie herauf und lehnte sie an die nächste Etage, um da hinaufzusteigen.

Oben angekommen und das von dem Feuer erleuchtete Terrain musternd, sah er die großen Steine, welche auf den Deckel gelegt worden waren und diesen festhielten, so daß die Gefangenen nicht herausgekonnt hatten. Daneben lag die Leiter, welche von den Indianern, ehe sie den Deckel zuwarfen, emporgezogen worden war. Eine zweite Leiter führte zur nächsten Plattform empor. Die Wächter saßen so, daß zwei von ihnen ihm den Rücken zukehrten.

Old Shatterhand war auf dieses Dach gestiegen, um im Falle einer Entdeckung sofort bei der Hand zu sein. Im Falle es aber den Gefangenen bis auf den letzten Mann gelang, ins Freie zu kommen, wollte er hinabsteigen, ohne sich sehen zu lassen. So lag er still und wartete. Er rechnete nach, welche Zeit eine Person brauchte, um durch das Loch zu kriechen, und wie viele also schon heraus sein konnten. Eben sagte er sich, daß nun wohl schon der sechste an der Reihe sein werde, da ertönte eine schrille Frauenstimme laut durch die Nacht:

„Herrjesses, Kantor, schtürzen Sie doch nich off mich!“

Sofort sprangen die drei Wächter auf, traten an den Rand der Plattform und blickten hinab. Sie sahen die befreiten Weißen; sie sahen auch den Apachen, der hoch aufgerichtet am Feuer stand. Sie erkannten ihn, und einer von ihnen rief, so daß es über das ganze Pueblo schallte:

„Akhane, akhane, arku Winnetou, nonton, schis inteh!“

Diese Worte heißen zu deutsch: „Herbei, herbei; Winnetou, der Häuptling der Apachen ist da!“

Kaum war dieser Ruf erschollen, so ertönte es hinter ihnen ebensolaut:

„Und hier steht Old Shatterhand, um die Gefangenen zu befreien. Winnetou, nimm die beiden Burschen in Empfang!“

Der weiße Jäger war zu gleicher Zeit mit den Wächtern auf- und auf diese zugesprungen. Während er die angegebenen Worte rief, schlug er einen von ihnen nieder und stieß die beiden andern über die Kante der Plattform, an welcher sie standen, hinab, wo sie von den Untenstehenden in Empfang genommen wurden. Dann warf er zunächst die Leiter um, welche zur nächst höheren Etage führte, damit kein Roter von oben herunter könne. Hierauf wälzte er die zentnerschweren Steine von dem Deckel und nahm diesen weg; dann ließ er die Leiter in das Loch und rief in dasselbe hinab:

„Schnell herauf! Es könnte zum Kampfe kommen.“

Nun sprang er mit beiden Füßen in das Feuer, um dasselbe auszutreten, was, da es klein gewesen war, ihm sofort gelang. Es wurde dunkel, denn Winnetou hatte auch das untere Feuer ausgelöscht. Old Shatterhand hatte mit einer solchen Schnelligkeit gehandelt, daß seit dem Augenblicke, an welchem die unvorsichtige Frauenstimme erschallte, kaum eine Minute bis jetzt vergangen war. Und schon kamen die letzten der Gefangenen aus der Luke zu ihm heraufgestiegen.

Auf den über ihnen liegenden Terrassen wurde es lebendig. Laute, fragende Stimmen erschallten. Lichter erschienen und man sah dunkle Gestalten an den Leitern herniedersteigen. Da ertönte Old Shatterhands mächtige Stimme:

„Die roten Männer mögen oben bleiben, wenn sie nicht sterben wollen! Hier stehen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren Leuten. Wer sich zu uns herunterwagt, wird erschossen!“

Er wollte keinen der Indianer töten, mußte ihnen aber beweisen, daß er wirklich hier war. Diesen Beweis konnte er, wie er wußte, ihnen nur durch seinen so viel- und schnellschüssigen Stutzen geben, den sie alle kannten und fürchteten. Er legte ihn an und zielte empor nach einem Indianer, welcher, mit einer Leuchte in der Hand, eiligst herniedergestiegen kam; er wollte ihn in die Hand treffen und drückte ab.

„Hahi, Latah-schi – au, meine Hand!“ schrie der Getroffene, indem er das Licht oder die Fackel fallen ließ.

Drei weitere Schüsse, schnell hintereinander, und ebenso viele Lichte verschwanden. Eine Stimme rief:

„Das ist Old Shatterhands Zauberflinte; hinauf, schnell wieder hinauf!“

Es wurde oben ganz dunkel und plötzlich so still, als ob auf den höheren Terrassen kein Mensch zu finden sei.

„Seid ihr alle hier?“ fragte Old Shatterhand die jetzt bei ihm Stehenden. „Ist niemand mehr unten?“

„Keiner,“ antwortete Sam Hawkens.

„So legt die beiden Leitern an und steigt hinab zu den andern! Ich denke, daß die Roten uns in Ruhe lassen werden, bis wir die freie Erde unter den Füßen haben.“

Sie folgten seiner Aufforderung; er folgte zuletzt. Als er die nächst untere Plattform erreichte, sah er, daß der umsichtige Apache schon für das weitere gesorgt hatte. Die Befreiten befanden sich auch dort bereits im Niedersteigen. Es fiel Winnetou nicht etwa ein, sie zur Eile aufzufordern; im Gegenteile mahnte er sie, wegen der Frauen und Kinder hübsch langsam und vorsichtig zu verfahren, denn er wußte, daß wenigstens für einige Zeit die Indianer jetzt nicht zu fürchten waren; sie wurden durch die beiden Namen Old Shatterhand und Winnetou in Furcht gehalten.

Der Abstieg ging also ziemlich gemächlich von statten und zwar in der Weise, daß alle Leitern von oben mit hinuntergenommen wurden, um den Roten die Verfolgung zu erschweren. Als sie dann alle am Fuße des Pueblo im Freien beisammenstanden, sagte Old Shatterhand:

„Es ist gelungen, und zwar viel leichter, als ich dachte. Nun gibt –“

Er wurde von mehreren unterbrochen, die ihrer Dankbarkeit Ausdruck geben wollten, fiel ihnen aber schnell in die Rede:

„Still! Nichts davon jetzt! Es muß zunächst das Notwendigste geschehen. Später, wenn wir von hier fort sind, könnt ihr reden, so viel ihr wollt. Wo sind eure Pferde?“

„Dort im Corral, rechts hinter dem Mauerwerk,“ antwortete Hawkens.

„Habt ihr alle eure Waffen?“

„Ja.“

„Und euer Eigentum?“

„Was wir einstecken hatten, konnte uns nicht genommen werden; aber was sich in den Satteltaschen befand, das werden die roten Spitzbuben wohl an sich genommen haben.“

„Hattet ihr auch Packpferde bei euch?“

Yes. Die mußten die Sachen der Auswanderer tragen.“

„Sind diese Gegenstände vorhanden?“

„Weiß nicht; glaube es auch nicht. Das Wetter brach so rasch über uns herein, daß wir gar nicht Zeit hatten, abzuladen und die Tiere abzusatteln.“

„Hm! Wäre alles da, was euch und ihnen gehörte, so könnten wir gleich fort von hier, sonst aber müssen wir die Roten zwingen, das Geraubte herauszugeben. Sam Hawkens mag mich nach dem Corral begleiten; die andern bleiben hier und passen auf die untersten Terrassen des Pueblo auf. Sobald ein Roter sich dort hören oder gar sehen läßt, wird nach ihm geschossen, doch ohne ihn zu treffen; verstanden! Es genügt vollständig, wenn er die Kugel neben sich einschlagen hört. Diese Leute sollen nur wissen, daß wir uns hier aufgestellt haben, um sie nicht herunter zu lassen. Mein Bruder Winnetou wird indessen gehen, um unsre beiden Rappen herbeizuholen.“

Der Apache entfernte sich still, wie es so seine Weise war, und Old Shatterhand ging mit Hawkens nach der Umfriedigung, in welche die Pferde gebracht worden waren. Als diese drei sich entfernt hatten, sagte der Kantor, natürlich in deutscher Sprache:

„Also das sind die beiden großen Helden, nach deren Anblick ich so begierig gewesen bin! Man kann sie nicht erkennen, weil es dunkel ist, aber schon ihr Auftreten imponiert mir ungeheuer. Sie werden sehr hervorragende Stellen in meiner Oper einnehmen.“

„Na, sehen Sie sich die beeden nur erscht eemal bei Tage an!“ antwortete der Hobble-Frank. „Schon während man das erschte Ooge off sie wirft, muß man sich gleich hypothekarisch sagen, daß man keene gewöhnlichen Leute vor sich hat. Is es nich genau so, wie ich prophezeit habe? Diese beeden berühmten Leute brauchen nur zu erscheinen, so sind wir ooch schon frei!“

„Sehr wahr!“ stimmte Droll bei. „Es is een wahres Heldenschtück von ihne, uns herausgeholt zu habe, ohne daß uns nur een Haar gekrümmt worde is. Es wär sogar noch viel besser gegange, wenn Frau Eberschbach den Mund gehalte hätte.“

„Ich?“ fiel schnell Frau Rosalie ein. „Meenen Sie vielleicht, ich bin schuld, daß mir der Schrei entfahren is?“

„Natürlich! Wer denn sonst?“

„Der Kantor, aber doch nich ich!“

„Bitte ergebenst!“ verteidigte sich der von ihr Beschuldigte. „Sie wissen wohl, daß ich Emeritus bin! Wenn Sie das doch nicht immer auslassen wollen. Sie haben kein Recht, zu behaupten, daß ich die tiefe Stille, welche geboten war, gebrochen habe. Über meine Lippen ist kein Laut gekommen, kein einziger, und wenn er noch so pianissimo gewesen wäre. Sie sind es gewesen, Frau Ebersbach, die geschrieen hat.“

„Das leugne ich gar nich. Aber weshalb habe ich geschrieen? Hätten Sie sich doch fester angehalten, Sie Emeritus 1 Wenn Sie wieder ‚mal Lust haben, von der Leiter herabzupurzeln, so thun Sie es doch wenigstens nich grad dann, wenn eene reputierliche Dame drunter schteht! Wenn Sie Ihre Tonleitern ooch nich fester in die Hände nehmen, so kann mich Ihre schöne Heldenoper dauern. Verschtehn Sie mich!“

„Ich verstehe Sie, Verehrteste; aber Sie verstehen etwas nicht, nämlich mit einem Sohne der Musen höflich umzugehen. Ich habe Ihnen versprochen, seiner Zeit an Sie zu denken, und hegte wirklich die Absicht, Ihnen eine Sopranarie in den Mund zu legen; da Sie aber in dieser Weise von meiner Kunst sprechen, sehe ich davon ab. Sie werden nicht die Ehre haben, in meiner Oper zu erscheinen!“

„Nich? 1, was Sie nich sagen! Meenen Sie etwa, es liegt mir so sehr viel daran, off den Brettern zu erscheinen, die die Erde bedeuten? Das fällt mir gar nich ein. Und Sopran hab‘ ich singen sollen? Hören Sie, damit lassen Sie mich in Ruh! Wenn ich singen will, da laß ich mir gar nischt vorschreiben, da singe ich, was ich will, Fagott, Klarinette oder Rumpelbaß, ganz was mir beliebt. Und nu sind wir miteinander für dieses Leben fertig. Leben Sie wohl! Adjes off Ewigkeet!“

Sie wendete sich höchst aufgebracht von ihm ab. Er wollte noch eine Bemerkung machen, doch der Hobble-Frank forderte ihn schnell auf –

„Pst! Schweigen Sie schtille! Es is mir ganz so, als ob ich een lebendiges Wesen da oben off der erschten Etage hätte huschen sehen. Wahrhaftig, da schleicht es wieder! jetzt bleibt es schtehen und neigt den Kopp herab. Das is een Indianer, der jedenfalls eene Okularkonstruktion beabsichtigt, um zu sehen, wo wir schtecken. Er soll es gleich erfahren!“

Er hob sein Gewehr, zielte kurz und drückte ab.

„Uff!“ rief eine erschrockene Stimme gleich nach dem Knalle des Schusses.

Soeben kehrte Old Shatterhand mit Sam Hawkens zurück.

„Was gibt es? Wer hat geschossen?“ fragte er.

„Ich,“ antwortete Frank.

„Warum?“

„Das is eene Frage an das Schicksal, die ich gern beantworten will. Es schtand een roter Signor da oben off dem Dache Nummer eens; der wollte wahrscheinlich wissen, welche Zeit es is, und da habe ich ihm gezeigt, wieviel die Repitieruhr geschlagen hat, wenn er sich nich gleich off die Socken macht. Er hat sich ooch gleich kompetent zurückgezogen.“

„Ist er getroffen worden?“

„Nee; ich habe weiter rechts gezielt, vielleicht zwee Ellen weit; aber wenn er vier Fuß lange Ohren haben sollte, so is ihm die Kugel höchst wahrscheinlich durch das reche Läppchen gefahren, was ihm hoffentlich zur physharmonischen Warnung dienen wird.“

„Also haben sie sich doch schon bis herunter auf die erste Terrasse getraut! Da müssen wir aufpassen. Wir halten uns natürlich in solcher Entfernung, daß sie uns nicht sehen können, denn sonst würden sie auf uns schießen. Aber sie müssen wissen, daß wir da sind und sie nicht herunterlassen. Darum mögen Frank und Droll hinschleichen und sich eng an der Mauer niederlegen. Wenn sie dann aufwärts gegen den Himmel blicken, können sie jeden Kopf sehen, der oben über der Kante erscheint, um herabzublicken. Dann rasch eine Kugel hinauf!“

„Aber wohl ohne zu treffen?“ fragte der Hobble.

„Ja. Ich möchte kein Leben vernichten.“

„Da werde ich mich hüten, meine schönen Kugeln in die Luft zu schießen! Ich schtecke lieber keene in den Lauf.“

Da näherte Schi-Scho sich Old Shatterhand und bat in deutscher Sprache:

„Herr, erlauben Sie mir, an dieser Bewachung des Pueblo teilzunehmen! Sechs Augen sind besser als nur vier.“

„Das ist sehr richtig,“ antwortete der Jäger, indem er den Jüngling, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte, forschend anblickte. „Sie scheinen aber noch sehr jung zu sein. Haben Sie gute Augen?“

„Ja.“

„Und aber auch Erfahrung?“

„Ich bin der Schüler meines Vaters,“ antwortete Schi-So in bescheidenem Tone.

„Wer ist Ihr Vater?“

„Nitsas-Ini, der Häuptling der Navajos.“

„Was? Meines Freundes, des großen Donners? Dann wären Sie ja Schi-So, von dem ich weiß, daß er in Deutschland ist?“

„Ich bin es.“

„Dann hier meine Hand, junger Freund. Ich freue mich sehr, Sie hier zu treffen; sobald wir Zeit haben, sprechen wir weiter miteinander. Wäre es heller, so hätte ich Sie wohl erkannt. Da Sie Schi-So sind, so weiß ich, daß ich Ihren Wunsch getrost erfüllen darf. Gehen Sie also mit Frank und Droll und postieren Sie sich mit ihnen so weit auseinander, daß die ganze Länge der Plattform unter Beobachtung steht!“

Der Häuptlingssohn entfernte sich, stolz darauf, seinen Wunsch erfüllt zu sehen. Eben, als er ging, kehrte Winnetou mit den Pferden zurück, welche in genügender Entfernung von dem Pueblo angepflockt wurden. Als dies geschehen war, fragte er Old Shatterhand:

„Ich hörte einen Schuß. Aus wessen Gewehr ist er gefallen?“

Der Gefragte sagte es ihm und fuhr dann fort:

„Die ledigen Pferde derer, die wir befreit haben, stehen dort im Corral; aber alles Gepäck und das ganze Sattel- und Zaumzeug ist verschwunden.“

„Muß sich im Pueblo befinden!“

„Ja. Wir können also nicht fort, sondern müssen hier bleiben, um die Herausgabe zu erzwingen.“

„Das ist nicht schwer, denn der Häuptling befindet sich in unsrer Hand.“

„Wohl. Wir müssen ihn holen. Will mein roter Bruder den Befehl hier übernehmen? Dann reite ich mit Hawkens, Parker und Stone fort, um Ka Maku herzuschaffen.“

„Mein Bruder mag gehen; er wird bei seiner Rückkehr hier alles in Ordnung finden.“

Die drei „Kleeblätter“ waren gern einverstanden mit Old Shatterhand zu reiten. Sie gingen nach dem Corral, um ihre Tiere zu holen. Diese waren freilich ohne Zaum und Sattel, was aber den Reitern vollständig gleichgültig war. Sie schwangen sich auf und ritten in nördlicher Richtung davon. Es verstand sich ganz von selbst, daß Old Shatterhand sich nun unterwegs erkundigte, wie sie mit den Auswanderern zusammengetroffen und dann in die Gefangenschaft geraten seien. Sie hatten Zeit, es ihm ausführlich zu erzählen und von jedem der Beteiligten eine Charakterschilderung zu geben. Als er alles gehört hatte, sagte er, den Kopf leise schüttelnd:

„Sonderbare Menschen und höchst unvorsichtig dazu! Also ihr habt euch ihrer angenommen und wollt sie begleiten?“

„Ja,“ antwortete Sam. „Sie bedürfen unser, und uns ist es ja ganz gleich, ob wir hierhin oder dorthin reiten. Was sagt Ihr dazu, Sir?“

„Hm! Ich wollte mit Winnetou über die Grenze, halte es aber für meine Pflicht, mich dieser Leute auch anzunehmen, zumal sie durch Gegenden wollen, wo sie ohne die Hilfe erfahrener Leute zu Grunde gehen müssen, da den Roten, auf die sie dort treffen müssen, nicht zu trauen ist. Da gilt es, wie es scheint, nachsichtig zu sein. Dieser emeritierte Kantor zum Beispiel kann gefährlich werden.“

„Ist er schon geworden. Am liebsten hätte ich ihn fortgejagt; aber das geht ja nicht. Und dann die Geschichte mit dem Ölprinzen. Was sagt Ihr dazu?“

„Schwindel!“

Well, ist auch meine Meinung. Der Buchhalter ist ein Deutscher; darf man ihn ins Verderben laufen lassen?“

„Auf keinen Fall. Wir folgen diesem Grinley, der sehr wahrscheinlich auch noch andre Namen führt, und ich denke, daß wir ihn noch zur rechten Zeit einholen werden. Bin sehr neugierig, zu erfahren, auf welche Weise er das Öl aus der Erde gezaubert hat oder noch hervorzaubern will!“

Sie waren sehr schnell geritten und befanden sich jetzt nicht sehr weit mehr von der Stelle, an welcher der gefesselte Häuptling mit seinen Leuten zurückgelassen worden war.

Old Shatterhand erzählte ihnen, wie derselbe in seine und Winnetous Hände gefallen war, und fügte dann hinzu:

„Er hat alles geleugnet und verdient eine Strafe. Ich bin als ein Freund der Roten bekannt und lebe gern mit ihnen in Frieden, darum möchte ich mit Ka Maku so glimpflich wie möglich verfahren. Will sehen, ob er mir doch nicht vielleicht ein Eingeständnis macht. Wenn er euch sieht, merkt er sofort, wie die Sache steht; ich will also voranreiten; folgt mir langsam nach. Wenn ihr euch genau nördlich haltet, kommt ihr grad nach dem Felsen, hinter dem wir die Gefangenen zurückgelassen haben.“

Es war sehr dunkel, und ein andrer hätte sich in dieser ebenen Gegend, in welcher nichts als Anhalt und Merkmal diente, wohl kaum zurechtgefunden; Old Shatterhand aber durfte sich auf seinen Ortssinn verlassen und erreichte sein Ziel mit derselben Genauigkeit, als ob es nicht in dunkler Nacht, sondern am hellen Tage gewesen wäre.

Er war überzeugt, die vier Roten in der Lage anzutreffen, in welcher er sie verlassen hatte, dennoch aber mußte er vorsichtig sein. Sie konnten auf irgend eine Weise die Möglichkeit gefunden haben, sich frei zu machen, und nun auf ihn und Winnetou warten, um sich zu rächen, Darum stieg er in angemessener Entfernung von dem Pferde, pflockte dasselbe an und schlich sich zu Fuße nach dem Felsen hin. Als er so nahe an diesen gekommen war, daß er ihn sehen konnte, legte er sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen weiter. Bald hatte er den hohen, breiten Stein links vor sich, machte einen kurzen Bogen und sah dann die Gefangenen liegen. Sie konnten frei sein und ihre Stellung aus Hinterlist beibehalten haben; darum ließ er sich noch nicht hören, sondern kroch so leise bis hinter den Häuptling heran, daß dieser nicht das geringste Geräusch zu vernehmen vermochte. Dann erhob er die Hand und betastete das in die Erde wie ein Pfahl gegrabene Gewehr, an welches Ka Maku festgebunden worden war. Die Riemen befanden sich noch in derselben Lage wie vorher; sie waren nicht gelöst worden. Da richtete er sich auf und stellte sich, wie plötzlich aus der Erde gewachsen, vor den Gefangenen hin.

„Die Zeit wird Ka Maku lang geworden sein,“ begann Old Shatterhand. „Er hat, da er einen Knebel im Munde trägt, nicht einmal mit seinen Gefährten sprechen können. Ich werde ihm die Stimme wiedergeben.“

Er zog ihm den Knebel aus dem Munde und fuhr fort:

„Der Häuptling hat Zeit gehabt, sich zu besinnen. Wenn er bereit ist, mir zu gestehen, daß sich Gefangene in seinem Pueblo befinden, werde ich ihn freilassen, ohne daß ihm etwas weiteres geschieht.“

Ka Maku schloß aus der Stellung dieser Worte, daß Old Shatterhand noch nichts Genaues wisse, und war infolgedessen entschlossen, nichts zu gestehen. Da er Old Shatterhands Art und Weise kannte, war er überzeugt, daß sein Leben sich nicht in Gefahr befand. Also nichts gestehen und lieber hier noch angebunden liegen, bis seine Leute kommen würden, ihn zu befreien. Er nahm an, daß sie dies bald nach Tagesanbruch thun würden. Er sah nur Old Shatterhand. Wo war Winnetou? Um dies zu erfahren, fragte er:

„Warum kommt nicht der Häuptling der Apachen, um mit mir zu reden?“

Man hörte es seiner Stimme an, daß der Knebel ihm das Atmen erschwert hatte.

„Er mußte in der Nähe des Pueblo bleiben, um dasselbe beobachten zu können.“

Auf Grund dieser Antwort vermutete Ka Maku, daß die Bemühungen Winnetous und Old Shatterhands vergeblich gewesen seien und der letztere nur gekommen sei, durch weiteres Ausfragen etwas zu erfahren; darum sagte er in deutlich höhnischem Tone:

„Winnetou wird nichts andres hören und sehen, als was ich gesagt habe: es befindet sich kein Gefangener bei uns. Warum schleichen die beiden tapfern Männer heimlich beim Pueblo hin und her? Warum fordern sie nicht Einlaß, um sich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe und es ehrlich meine?“

„Weil wir euch nicht trauen und fest überzeugt sind, daß wir auch festgenommen werden würden.“

„Uff! Wo ist die Klugheit Old Shatterhands hin? Der große Geist hat ihm das Gehirn genommen. Ich bin sein Freund gewesen; nun er mich als Feind behandelt hat, wird das Messer zwischen ihm und mir entscheiden!“

„Habe nichts dagegen. Also ihr haltet wirklich keine weißen Männer, Frauen und Kinder im Pueblo gefangen?“

„Nein.“

„Bedenke, daß es mir und Winnetou nicht schwer sein würde, sie zu befreien! Dann träfe dich die Strafe. Gestehst du es aber ein, so werden wir daran denken, daß du unser Freund und Bruder gewesen bist und dich mit Milde behandeln.“

„Old Shatterhand mag thun und denken, was er will. Ich habe die Wahrheit gesagt und werde mich rächen!“

„Ganz wie du willst! Aber horch! Wer mag da kommen?“

Man hörte nahendes Pferdegetrappel; Ka Maku richtete sich, soweit seine Fesseln es zuließen, empor und stieß einen Ruf der Freude aus. Die Reiter, welche sich nahten, konnten doch nur seine Leute sein, die ihn suchten. Sie bogen um den Felsen und blieben da halten. Er konnte ihre Gestalten nicht deutlich erkennen, war aber in seiner Ansicht so sicher, daß er ihnen zurief:

„Ich bin Ka Maku, den ihr sucht. Steigt ab und bindet mich los!“

Da antwortete Sam Hawkens lachend:

„Daß du Ka Maku bist, das glaube ich gern; aber daß ich dich losbinde, das glaube ich nicht. Old Shatterhand wird bestimmen, was geschehen soll. Erkennst du mich vielleicht an der Stimme, alter Schurke?“

„Sam Hawkens!“ schrie der Häuptling vor Schreck förmlich auf.

„Ja, Sam Hawkens und Dick Stone, nebst Will Parker,“ bestätigte Old Shatterhand. „Meinst du nun noch immer, daß der große Geist mir das Gehirn genommen hat? Oder war es richtig, als ich sagte, daß es uns nicht schwer werden würde, die Gefangenen zu befreien? Wir haben die Lanze umgedreht und nun gegen euch gerichtet: Eure Gefangenen sind frei, und ihr seid gefangen. Keiner von deinen Kriegern ist im stande, das Pueblo zu verlassen, denn wir halten vor demselben und werden jedem, der zu entkommen versucht, eine Kugel geben. Wir sind jetzt gekommen, dich zu holen. Wir werden euch auf eure Pferde binden, und ich rate euch, euch ja nicht etwa dagegen zu wehren, wenn ihr nicht unsre Messerklingen kosten wollt!“

Die „Kleeblätter“ stiegen von ihren Pferden und machten sich über die vier Indianer her, welche so bestürzt waren, daß es ihnen gar nicht einfiel, Widerstand zu leisten, der ihnen doch nichts gefruchtet hätte. Sie wurden auf ihre Tiere gebunden, welche bis jetzt angepflockt gewesen waren, und dann trat man den Rückweg an, auf welchem kein Wort gesprochen wurde, bis man bei dem Pueblo angekommen war. Dort mußten die vier Roten absteigen und wurden unter scharfe Bewachung genommen. Sie mußten trotz der Dunkelheit bald bemerken, daß alle ihre Gefangenen, keinen einzigen ausgenommen, sich in Freiheit befanden. Ihr Grimm darüber läßt sich leicht denken.

Die Weißen, besonders die lebhafteren unter ihnen, hätten am liebsten die ganze Nacht durchplaudern mögen; aber Old Shatterhand gab das nicht zu. Er machte sie darauf aufmerksam, daß ihnen morgen ein jedenfalls scharfer und auch langer Ritt bevorstehe, und brachte sie soweit, daß sie, die sich stündlich ablösenden Wachen natürlich abgerechnet, sich zur Ruhe legten.

Die Nacht verging, ohne daß die Roten wagten, das Pueblo zu verlassen und einen Angriff zu versuchen. Als der Tag graute, sah man, daß sie sich auf die oberen Plattformen zurückgezogen hatten. Die Mehrzahl von ihnen schlief, wurde aber, sobald es nur einigermaßen hell geworden war, von den Wächtern, welche auch sie ausgestellt hatten, geweckt. Sie versammelten sich oben und warfen den Weißen, welche sich ebenso vom Schlafe erhoben hatten, drohende Reden herab. Daß ihr Häuptling sich als Gefangener bei diesen befand, konnten sie nicht erkennen.

Winnetou und Old Shatterhand waren entschlossen, sich auf keine langen Verhandlungen einzulassen. Man durfte keine Zeit verlieren, wenn es gelingen sollte, den Ölprinzen noch rechtzeitig einzuholen. Darum begaben sich beide zu Ka Maku, um mit ihm zu reden. Die andern bildeten einen Kreis um sie, um zuzuhören, oder, was diejenigen betraf, die das Gespräch nicht verstehen konnten, wenigstens zuzusehen. Da Winnetou sich lieber schweigend verhielt und nur dann zu sprechen pflegte, wenn es nicht unterlassen werden durfte, ergriff Old Shatterhand das Wort:

„Ka Maku sieht wohl, daß alle seine Gefangenen sich in Freiheit befinden?“

Der Häuptling antwortete nicht; darum ermahnte ihn der Westmann in drohendem Tone:

„Ich pflege nicht gern in den Wind zu reden. Du sollst so mild wie möglich behandelt werden. Antwortest du nicht, so hast du es nur dir zuzuschreiben, wenn wir nur die Rache gelten lassen. Beantworte also meine Frage!“

„Ich sehe, daß sie frei sind,“ knurrte er ingrimmig.

„Und daß deine Krieger nun unsre Gefangenen sind?“

„Das sehe ich nicht.“

„Nicht? Kann einer von ihnen das Pueblo verlassen, wenn wir es nicht wollen? Wir brauchen nicht einmal zu dulden, daß sie auf den Dächern stehen. Unsre Gewehre tragen bis zur obersten Terrasse, und wir können sie alle zwingen, in das Innere der Stockwerke zu flüchten. Wo nehmen sie zu essen und zu trinken her? Sie dürfen nicht dorthin herab, wo der Brunnen ist und die Vorräte liegen. Außerdem haben wir dich und deine drei Gefährten fest. Was meinst du wohl, was wir mit euch vornehmen werden?“

„Nichts!“

„Ah, wirklich?“

„Ja, denn es ist keinem von euch ein Leid geschehen.“

„Das haben sie nicht euch, sondern Winnetou und mir zu verdanken. Ihr hattet es anders mit ihnen vor. Ich will es kurz mit dir machen. Es fehlen ihnen noch viele Sachen, welche sich im Pueblo befinden. Wenn ihnen alles, was verloren gegangen ist, ersetzt wird, geben wir euch frei und reiten fort; weigerst du dich aber dessen, so wirst du erschossen, und wir verbrennen deine Skalplocke, daß du in den ewigen Jagdgründen ohne sie erscheinen mußt. Ebenso wird es deinen drei Mitgefangenen ergehen. Entscheide dich! Sieh, eben jetzt geht die Sonne auf. Wenn sie eine Hand breit über dem Horizonte steht, will ich deine Antwort haben. Länger warte ich nicht. Ich habe gesprochen!“

Er stand auf und ging mit Winnetou fort, zum Zeichen, daß er kein weiteres Wort verlieren wolle. Ka Maku starrte finster vor sich hin. Er kannte die Humanität seiner Sieger und glaubte nicht, daß sie ihre Drohung wahr machen würden. Die ganze Beute hergeben, das schien ihm zu viel verlangt. Als die Sonne soweit, wie angegeben, vorgerückt war, kamen die beiden zurück, und Old Shatterhand fragte:

„Was hat Ka Maku beschlossen? Soll die Ersetzung stattfinden?“

„Nein!“ stieß er hervor.

Well! Ich habe dir gesagt, daß ich gesprochen habe; wir sind fertig. Schafft die Kerls fort, nach jenem Felsen hinüber; schneidet ihnen die Skalplocken ab und gebt nachher jedem eine Kugel in den Kopf! Ich habe keine Lust, meine Worte unnötig zu verlieren.“

Sam, Dick und Will, Frank und Droll griffen zu und schleppten die vier Roten nach dem bezeichneten Felsen. Ein Indianer, welcher ohne Skalplocke stirbt und begraben wird, geht der Freuden der ewigen Jagdgründe verloren. Darum schrie der Häuptling, als Hawkens mit der Linken ihn an der Locke ergriff und mit der Rechten das Messer schwang:

„Halt, halt! Ihr sollt alles haben!“

„Gut!“ nickte Old Shatterhand. „Es war grad die höchste Zeit; widerrufe aber ja nicht, denn dann gibt es keine Gnade! Ich verlange, daß alles, bis auf den geringsten Gegenstand, ausgeliefert wird. Eure Squaws mögen uns diese Sachen heraus- und herunterbringen; sollten Männer es wagen, zu erscheinen, würden wir sie niederschießen. Bist du einverstanden?“

„Ja,“ knirschte Ka Maku.

„So mag dieser Mann hier es den Deinen melden; aber wenn die Auslieferung nicht binnen fünf Minuten beginnt, bist du verloren!“

Er deutete auf einen der Gefangenen; es wurden ihm die Fesseln abgenommen, und dann erhielt er eine Leiter, um auf das Pueblo zu steigen. Erst durch ihn erfuhren die Indianer, daß ihr Häuptling gefangen war. Sie erhoben ein großes Geheul und rannten unter drohenden Gebärden oben hin und her, doch schien der Bote ihnen ernstlich zuzusprechen, und nach den festgesetzten fünf Minuten kamen schon die ersten Squaws mit Lasten herabgestiegen, die sie unten abgaben. Jeder Beraubte nahm das in Empfang, was ihm gehörte und gab an, was ihm noch fehlte. Es wurde scharf darauf gedrungen, daß selbst der kleinste Gegenstand zurückerstattet wurde; das machte freilich viele Mühe, endlich aber war doch alles vorhanden und verteilt. Darum rief der Häuptling:

„Es ist geschehen, was ihr wolltet. Nun bindet mich los und packt euch fort!“

„Du irrst,“ antwortete Old Shatterhand ihm ruhig, „ihr habt noch nicht alles ersetzt.“

„Was verlangst du noch?“

„Die Zeit, die uns verloren gegangen ist.“

„Kann ich euch Zeit geben, Stunden schenken?“ erwiderte Ka Maku.

„Ja. Wir haben alle deinetwegen eine kostbare Zeit verloren, die wir unbedingt wieder einbringen müssen. Das ist mit den schlechten Pferden, welche einige von uns besitzen, nicht möglich. Ich habe gesehen, daß ihr in eurem Corral sehr schöne Tiere habt; wir werden unsre schlechten gegen eure guten umtauschen.“

„Wage das!“ rief Ka Maku, indem seine Augen zornig blitzten.

Pshaw! Was ist dabei zu wagen? Du glaubst doch nicht etwa, daß ich mich vor dir fürchte! Wer kann es uns verwehren, den Tausch vorzunehmen? Du bist in unsrer Gewalt, und deine Krieger dürfen sich nicht herunter wagen, um uns zu hindern. Unsre Gewehre tragen weiter als die ihrigen; wir würden sie treffen, nicht aber sie uns; das wissen sie recht gut und werden sich also hüten, uns nahe zu kommen.“

„Es würde ein Raub, ein Diebstahl sein!“

„Nur Vergeltung! Ihr seid Diebe; wir aber strafen euch. Sollt ihr alle diese Leute umsonst gefangen genommen und beraubt haben? Man muß euch zeigen, daß der Unehrliche stets dem Ehrlichen unterliegt. Also, dein Widerstreben hilft dir nichts. Winnetou, Sam Hawkens und Droll mögen kommen, um mit mir die Pferde auszulesen!“

Er ging mit den drei Genannten nach dem Corral. Der Häuptling geriet in große Wut; er bäumte sich unter seinen Fesseln und gebärdete sich, als ob er den Verstand verloren hätte. Da trat Frau Rosalie zu ihm und fuhr ihn zornig an:

„Willste gleich schtille sein, du Schreihals ewiger, du! Was biste denn eegentlich? Een Häuptling willste sein? Wennste denkst, daß ich das gloobe, da kommste schöne an! Een Lump biste, een langfingriger Galgenschtrick. Verschtehste mich? Klappse sollteste kriegen, Haue, tüchtige Prügel! Eingeschperrt haste uns, uns arme Würmer! Und nu, da das gerechte Schtrafgericht über dich kommt, wie der Pfeffer off die Suppe, da thuste grad, als obste die reene Unschuld wärscht. Nimm dich in acht und komm‘ mir nich etwa ‚mal in meine Hände; ich reiß dir die Haare alle eenzeln ‚raus! So, jetzt weeste, woran du bist und mit wem du es zu thun hast. Bessere dich! jetzt is es vielleicht noch Zeit. Sonst kriegst du’s noch mit der Polizei und dem Schangdarm zu thun!“

Sie warf ihm noch einen vernichtenden Blick zu und wendete sich dann von ihm ab. Ihre Worte blieben nicht ohne Wirkung, obgleich er keins derselben verstanden hatte. Desto verständlicher war ihm ihr Ton gewesen. Er sah ihr ganz erstaunt nach und schwieg, schwieg selbst dann, als kurze Zeit darauf die Pferde aus dem Corral gelassen und gesattelt wurden. Es befanden sich seine besten dabei. Aber wenn er auch nichts sagte, seine Blicke redeten um so deutlicher. Es war ihnen anzusehen, daß er auf Rache sann.

Als die auf den obern Stockwerken befindlichen Roten sahen, daß die Weißen aufbrechen wollten, kamen sie mit Hilfe der ihnen gebliebenen Leitern herabgestiegen. Sie glaubten, dies wagen zu können, weil die Bleichgesichter aufgehört hatten, eine drohende Haltung zu zeigen. Hätte man ihnen den Willen gelassen, so wäre kein ruhiger Abzug möglich gewesen. Darum richtete Old Shatterhand seinen Stutzen auf sie und rief drohend:

„Bleibt oben, sonst schießen wir!“

Da sie dieser Aufforderung nicht Folge leisteten, so gab er zwei Warnungsschüsse ab, doch absichtlich ohne jemand zu treffen. Da erhoben sie ein Geheul und wichen nach oben zurück. Sie waren übrigens den Verhältnissen angemessen sehr gut weggekommen, denn außer den Fackelträgern, welche von Old Shatterhand in die Hände getroffen worden waren, hatte keiner von ihnen eine Verletzung davongetragen; Tote gab es gar nicht. Dennoch sagte der Häuptling zu Old Shatterhand, als dieser das Gewehr absetzte:

„Warum schießest du auf meine Leute? Siehst du nicht, daß sie keine feindlichen Absichten mehr haben?“

„Und hast du nicht gesehen, daß auch meine Absicht eine friedliche war?“ antwortete der Jäger. „Oder glaubst du, ich hätte treffen wollen und doch Fehlschüsse gethan? Wenn ich will, trifft meine Kugel stets; ich habe sie nur warnen wollen.“

„Aber siehst du nicht, daß einige mit verbundenen Händen oben stehen? Sie erheben dieselben, um mir zu zeigen, daß sie verwundet worden sind.“

„Sie mögen es meiner Güte danken, daß ich nur auf ihre Hände, nicht aber auf ihre Köpfe gezielt habe. Eigentlich hättet ihr alle verdient, erschossen zu werden.“

„Nennst du auch das Güte, daß du uns die Pferde weggenommen hast?“

„Allerdings. Es ist das eine Strafe, mit der ihr sehr zufrieden sein könnt. Eigentlich habt ihr eine viel größere, viel strengere verdient.“

„Das sagt du. Weißt du aber, was ich in Zukunft sagen werde?“

Old Shatterhand machte eine geringschätzige Handbewegung, wendete sich ab und stieg, ohne zu antworten, auf sein Pferd. Die andern waren schon aufgesessen. Da rief Ka Maku, über diese Verachtung entrüstet, ihm zornig nach:

„Ich werde jedem, der zu mir kommt, sagen: Winnetou und Old Shatterhand, die so stolz auf ihre Namen sind, sind unter die Pferdediebe gegangen, und Pferdediebe pflegen gehangen zu werden!“

Der Jäger that, als ob er diese Beleidigung gar nicht gehört habe; aber der kleine Hobble-Frank war so ergrimmt über dieselbe, daß er sein Pferd nahe zu dem Häuptling herantrieb und ihn zornig anfuhr:

„Schweig, Halunke! So een inklusiver Spitzbube, wie du bist, muß froh sein, daß er nich selber an eenem kapitularen Schtricke offgehängt worden is. Dir wäre noch besser, du würdest mit eenem Mühlschteen am Halse ersäuft im Indischen Ozean, da wo er am tiefsten is. Da haste meine Meenung, nu adjes!“

Er wendete sein Pferd und ritt davon, leider ohne sich zu sagen, daß Ka Maku diese deutsche Strafrede gar nicht verstanden haben konnte.

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Am Petroleumsee

Am Petroleumsee

Wenn das Kriegsbeil zwischen zwei Indianerstämmen ausgegraben ist, was so viel heißt, daß nun auf Tod und Leben zwischen ihnen gekämpft werden soll, dann werden zunächst und vor allen Dingen von beiden Seiten Kundschafter ausgeschickt, welche zu erfahren suchen, wo der feindliche Stamm sich gegenwärtig befindet und wie viele erwachsene Krieger er zu stellen vermag. Den jetzigen Aufenthalt zu erkunden, ist deshalb schon notwendig, weil die sogenannten „wilden“ Stämme gar nicht seßhaft sind, sondern, stets umherstreifend, ihren Aufenthaltsort, allerdings innerhalb gewisser Grenzen, je nach ihren Bedürfnissen und Absichten immerwährend verändern.

Damit ist die Aufgabe der Kundschafter aber noch nicht erfüllt; sie müssen, und das ist das Schwierigere, auch zu erforschen suchen, in welcher Weise der Feind den Krieg zu führen beabsichtigt, ob er gut verproviantiert ist, wenn er aufbricht, welchen Weg er einzuschlagen und an welchem Orte er auf den Gegner zu treffen gedenkt. Dazu gehören erfahrene Männer, welche neben der unbedingt notwendigen Tapferkeit auch die nötige Umsicht, Vorsicht und List besitzen.

In Fällen, welche von keiner großen Bedeutung sind und dabei weniger Gefahr bieten, bedient man sich als Kundschafter jüngerer Krieger, damit dieselben Gelegenheit finden, ihren Mut und ihre Geschicklichkeit zu zeigen und sich einen Namen zu machen. Handelt es sich aber um mehr als das, so werden ältere, bewährte Männer auserwählt; ja, es kann sogar vorkommen, daß der Häuptling selbst auf Kundschaft geht, wenn er die Angelegenheit für dem entsprechend wichtig hält.

Da, wie ganz selbstverständlich, von beiden Seiten Späher ausgesandt werden, so kommt es vor, daß dieselben aufeinander treffen. Dann heißt es, alles aufzubieten, was Verschlagenheit und Kühnheit vermögen, um die feindlichen Kundschafter unschädlich zu machen, also sie zu töten. Wenn das gelingt, so bleibt der Gegner ohne Nachricht, wird also durch den Angriff überrascht und mit größerer Leichtigkeit besiegt.

Es läßt sich da leicht denken, daß bei einem solchen Zusammentreffen der beiderseitigen Späher oft weit mehr List, Gewandtheit und Verwegenheit aufgeboten wird, als bei dem späteren eigentlichen Kampfe. Es geschehen dabei Thaten, deren Erzählung noch später, nach langen Jahren, von Mund zu Munde geht.

Wie schon mehrfach erwähnt, waren gerade in gegenwärtiger Zeit zwischen einigen Stämmen sehr ernste Feindseligkeiten ausgebrochen, nämlich zwischen den Nijoras und den damals nördlich von ihnen hausenden Navajoindianern. Der Chellyarm des Rio Colorado bildete die Grenze zwischen diesen beiden Stämmen. Die Gegend, welche er durchfließt, war also das sehr gefährliche Gebiet, in welchem die Gegner voraussichtlich aufeinander treffen würden, und das also vorher von den Kundschaftern durchspäht werden mußte.

Die Gefährlichkeit dieser Gegend betraf nicht etwa nur die Indianer, sondern auch die Weißen, denn die Erfahrung lehrt, daß, sobald Rote gegeneinander kämpfen, die Bleichgesichter von beiden Seiten als Feinde betrachtet werden. Sie befinden sich dann, um ein Bild zu gebrauchen, wie zwischen den Klingen einer Schere, welche in jedem Augenblicke sich zusammenziehen können.

Das Gloomy-water, nach welchem der Ölprinz wollte, lag am Chellyflusse. Grinley kannte die Gefahr, welche jeden Weißen, der gerade jetzt dorthin wollte, erwartete, glaubte aber, den Ritt doch riskieren zu können, weil er bisher von Angehörigen beider Stämme nie feindlich behandelt worden war. Vielleicht hätte er trotzdem davon abgesehen, wenn er nicht durch die Zeit und die Verhältnisse dazu gedrängt worden wäre. Wenn er seinen Zweck erreichen wollte, mußte er sich beeilen; er durfte den Bankier weder zur Besinnung kommen, noch irgend welchen Umstand eintreten lassen, durch den dieser etwa gewarnt werden konnte.

Was Rollins und seinen Buchhalter betrifft, so hatten diese zwar gehört, daß ein Bruch zwischen den Nijoras und Navajos stattgefunden habe, besaßen aber nicht die nötigen Erfahrungen und Kenntnisse, um zu wissen, was auch ihnen dadurch drohte. Und der Ölprinz hütete sich gar wohl, sie darüber aufzuklären.

Die fünf Männer befanden sich vielleicht noch einen Tagesritt vom Chelly entfernt, als sie, über eine offene, grasige Prairie reitend, welche zuweilen durch Buschwerk unterbrochen wurde, sich plötzlich einem Reiter gegenüber sahen, den sie nicht eher hatten bemerken können, weil sich ein solches Gesträuch zwischen ihm und ihnen befunden hatte. Er war ein Weißer, hatte ein Felleisen hinter sich aufgeschnallt und ritt einen kräftigen indianischen Pony, welchem man es aber ansah, daß er tüchtig angestrengt worden war. Beide Teile blieben überrascht voreinander halten.

„Hallo!“ rief der Fremde. „Das hätten Rote sein sollen!“

„Dann wäre es um Euern Skalp geschehen gewesen,“ antwortete der Ölprinz, wobei er ein erzwungenes Lachen hören ließ, um seine eigene Verlegenheit zu verbergen, denn auch er war über dieses so unerwartete Zusammentreffen erschrocken.

„Oder um die eurigen,“ entgegnete der andre. „Bin nicht der Mann, der sich seine Kopfhaut so leicht über die Ohren ziehen läßt.“

„Auch nicht, wenn fünf gegen einen stehen?“

„Auch dann nicht, wenn es Rote sind. Habe noch mehr gegen mich gehabt und meinen Skalp dennoch behalten.“

„So möchte man Respekt vor Euch haben, Sir. Darf man vielleicht wissen, wer Ihr seid?“

„Warum nicht? Brauche mich nicht zu schämen, es zu sagen.“ Und auf das Felleisen hinter sich deutend, erklärte er: „Wundere mich eigentlich über Eure Frage. Ihr scheint keine rechten Westleute zu sein. Müßtet es doch diesem Dinge da ansehen, daß ich Kurier bin.“

Er war also einer jener kühnen Männer, welche, ihr Felleisen mit Briefen und ähnlichen Dingen gefüllt, auf ihren schnellen Pferden furchtlos über die Prairien und Felsenberge ritten. Jetzt freilich trifft man keinen solchen Kurier mehr an.

„Ob wir Westmänner sind oder nicht, geht Euch nichts an,“ gab ihm der Ölprinz zurück. „Euer Felleisen habe ich freilich gesehen, aber ich weiß, daß durch diese Gegend hier noch niemals ein Kurier gekommen ist. Diese Leute pflegen sich doch stets auf der Albuquerque-San Franciscostraße zu halten. Warum seid Ihr von dieser abgewichen?“

Der Mann richtete seine klugen Augen halb verächtlich auf den Fragesteller und antwortete:

„Bin eigentlich nicht verpflichtet, Euch Auskunft zu geben, und habe auch keine Lust, es zu thun, aber da ich sehe, daß Ihr im Begriffe steht, ganz ahnungslos in Euer Verderben zu rennen, sollt Ihr erfahren, daß ich wegen der Navajos und Nijoras von meiner Richtung abgewichen bin. Sie hätte mich gerade durch die Gegend geführt, die ein kluger Mann jetzt am liebsten den Roten überläßt, nämlich durch das Gebiet am Chellyflusse. Wißt Ihr denn nicht, wer sich gerade jetzt dort in den Haaren liegt?“

„Meint Ihr vielleicht der einzige Kluge zu sein, den es hier im Westen gibt?“

Der Ölprinz hätte wohl besser gethan, höflich zu sein, aber der Schreck über die plötzliche Begegnung hatte ihn zornig gemacht, und diesem einzelnen Manne gegenüber hielt er es nicht für nötig, das ihm eigene rücksichtslose Wesen zu verleugnen. Der Kurier blickte prüfend von einem zum andern, ohne die Grobheit, welche er anzuhören bekam, in gleicher Weise zu beantworten, nickte dann leise vor sich hin und sagte, indem er auf den Bankier und den Buchhalter deutete, in ruhigem Tone:

„Ich möchte behaupten, daß wenigstens diese beiden Männer noch nicht viel Blut haben fließen sehen. Wenn Ihr so sehr klug seid, daß Ihr keines Rates bedürft, so will ich wenigstens sie auffordern, vorsichtig zu sein. Vielleicht wissen sie gar nicht, was sie thun und wagen. Es steckt doch kein vernünftiger Mensch den Kopf in eine Presse, welche soeben zugeschraubt werden soll!“

Diese ernsten Worte hatten den Erfolg, daß der Bankier sich erkundigte:

„Was wollt Ihr sagen, Sir? Welche Presse meint Ihr?“

„Die, welche sich da hinter mir am Chelly befindet. Ihr scheint schnurstracks in dieselbe hineinreiten zu wollen. Kehrt um, Mesch’schurs, sonst geratet ihr zwischen die Skalpmesser der beiden Stämme, die einander abschlachten wollen, und was da von euch übrig bleiben wird, das können die Geier und Prairiewölfe fressen. Hört auf mich; ich meine es gut mit euch!“

Ein Blick in sein offenes Gesicht, in seine ehrlichen Augen genügte zu der Überzeugung, daß er die Wahrheit redete. Darum fragte Rollins:

„Meint Ihr wirklich, daß die Gefahr so groß ist?“

„Ja, das meine ich. Habe heut früh Spuren gesehen, welche mir zeigten, daß sich die Kundschafter schon gegenseitig beschleichen. Das ist stets etwas, was sich jeder kluge Mann zur Warnung dienen läßt. Müßt ihr denn unbedingt und gerade jetzt nach dieser Gegend? Könnt ihr diesen unvorsichtigen Ritt nicht aufschieben bis auf bessere, friedlichere Zeiten?“

„Hm, das könnten wir thun. Wenn Ihr behauptet, daß die Gefahr so groß ist, so halte ich es allerdings für besser –“

„Nichts da!“ fiel ihm der Ölprinz in die Rede. „Kennt Ihr diesen Mann hier? Wollt Ihr ihm mehr glauben und vertrauen als uns? Wenn er sich vor einer Spur im Grase fürchtet, so ist das seine Sache, aber nicht die unsrige.“

„Aber Kuriere pflegen erfahrene Leute zu sein; er scheint die Wahrheit zu sprechen, und wenn es sich ums Leben, also um alles handelt, so ist es nicht geraten, tollkühn zu sein. Ob unser Geschäft heut oder einige Tage später zu stande kommt, das macht wohl keinen Unterschied.“

„Es macht einen! Ich habe gar keine Lust, mich ewig hier herumzudrücken, Sir.“

„Ah, es handelt sich um ein Geschäft!“ lächelte der Kurier.

Well, da gehöre ich nicht dazu. Habe meine Pflicht gethan und euch gewarnt; mehr kann man nicht von mir verlangen.“

Bei diesen Worten ergriff er die Zügel, um seinen Pony wieder in Bewegung zu setzen.

„Wir verlangen gar nicht mehr,“ fuhr ihn der Ölprinz an. „Wir haben überhaupt gar nichts von Euch verlangt, und Ihr konntet also Eure Meinung recht gut für Euch behalten. Macht Euch fort von uns!“

Der Kurier ließ sich auch durch dieses Verhalten nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete im Tone eines Lehrers, der seinem Schüler eine Ermahnung gibt:

„So ein Grobian wie Ihr ist mir noch nicht vorgekommen; es reiten doch recht verschiedene Menschen im Westen hin und her!“

Und sich an den Bankier wendend, fuhr er fort:

„Ehe ich dem Befehle dieses großmächtigen Gentleman Gehorsam leiste und mich fort von Euch mache, muß ich Euch noch eins sagen, nämlich: Wenn es sich in dieser Gegend um ein Geschäft handelt, so ist es allemal ein gefährliches, auch in ganz gewöhnlichen, friedlichen Zeiten; wenn es aber selbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen keinen Aufschub erleiden darf, so ist es nicht bloß ein gefährliches, sondern geradezu ein verdächtiges. Nehmt Euch also in acht, Sir, daß es Euch dabei nicht an Kopf und Kragen geht!“

Er wollte fort; da zog der Ölprinz sein Messer und schrie ihn an:

„Das war eine Beleidigung, Mensch! Soll ich dir diesen spitzen Stahl zwischen die Rippen geben? Sag noch ein einziges Wort, so thue ich es!“

Da blitzten aber auch schon die Läufe zweier Revolver in den Händen des Kuriers und noch mehr blitzten seine Augen, als er ihm, verächtlich lachend, antwortete:

„Versuch’s doch einmal, my boy! Thu augenblicklich das Messer fort, sonst schieße ich! Hier sind zwölf Kugeln, Mesch’schurs. Wer von euch nur die bloße Hand gegen mich bewegt, dem schieße ich ein Loch durch seine arme Seele. Also fort mit dem Messer, Mensch! Ich zähl‘ bis drei! Eins – – zwei – – –“

Es war ihm anzusehen, daß es ihm ernst war, seine Drohung wahr zu machen; darum ließ es Grinley wohlweislich nicht bis zur Drei kommen, sondern steckte sein Messer ein, ehe sie ausgesprochen wurde.

„So ist’s richtig!“ lachte der Kurier. „Ich wollte Euch auch nicht geraten haben, es darauf ankommen zu lassen. Für heut ist’s genug; aber sollten wir uns vielleicht noch einmal begegnen, so werdet Ihr noch viel mehr von mir lernen!“

Nun ritt er fort und hielt es nicht der Mühe wert, sich einmal umzusehen. Grinley griff nach seinem Gewehre, um es auf ihn zu richten; da legte der Buchhalter ihm die Hand auf den Arm und sagte in beinahe strengem Tone:

„Macht keine weiteren Dummheiten, Sir! Wollt Ihr den Mann erschießen?“

„Keine weiteren Dummheiten?“ wiederholte der Ölprinz Baumgartens Worte. „Habe ich denn schon welche gemacht?“

„Allerdings!“

„Wieso?“

„Eure Grobheit, Euer ganzes Verhalten war eine. Der Mann meinte es offenbar gut mit uns, und ich kann wirklich keinen Grund ersehen, der Euch veranlassen konnte, ihn in solcher Weise zu behandeln!“

Grinley wollte ihm eine zornige Antwort geben, besann sich aber eines andern und erwiderte:

„Bin ich grob gegen ihn gewesen, so seid Ihr es jetzt gegen mich; lassen wir das sich gegenseitig aufheben. Der Kerl war, indem er Euch warnte, ein Hasenfuß.“

„Aber als Ihr mit dem Messer an ihn wolltet, benahm er sich gar nicht wie ein solcher, sondern Ihr waret es, der beigeben mußte!“

„Das ist gar keine Schande. Der Teufel mag ruhig zusehen, wenn ihm zwei sechsfach geladene Läufe auf die Brust gerichtet werden! Doch genug hiervon; reiten wir weiter!“

Buttler und Poller hatten sich während dieser ganzen Scene äußerst ruhig verhalten, doch war ihnen anzusehen, daß sie sich über das Erscheinen und Verhalten des Kuriers, besonders über seine Warnungen, nicht wenig ärgerten. Sie warfen im Weiterreiten ebenso wie der Ölprinz besorgt forschende Blicke auf Rollins und Baumgarten, um an ihren Mienen abzulesen, welchen Eindruck diese Warnungen gemacht hatten.

Die Stimmung war eine ganz andre als vorher; es wurde nicht gesprochen, und jeder schien mit seinen Gedanken zu thun zu haben, bis nach einiger Zeit die Sonne verschwand und ein zum Nachtlager passender Ort gefunden wurde. Um ein Abendessen brauchten sie sich nicht zu sorgen, weil der Ölprinz auf dem Pueblo hinreichend mit Proviant versehen worden war. Sie verzehrten es schweigend, und erst als es völlig dunkel geworden war, fiel das erste Wort aus Baumgartens Munde:

„Brennen wir ein Feuer an?“

„Nein,“ antwortete Grinley.

„Also seid Ihr doch auch besorgt von wegen der Indianer?“

„Besorgt? Nein! Ich kenne diese Gegend und die Roten, die es in derselben gibt, viel besser als der Kurier, der wohl zum erstenmal hierhergekommen ist. Von Sorge oder gar Angst kann keine Rede sein, doch braucht die Vorsicht immerhin nicht vernachlässigt zu werden. Wenn der Mann Spuren gesehen hat, so ist es nicht notwendig, daß sie gerade von Kundschaftern herrühren. Dennoch wollen wir lieber kein Feuer machen. Ihr sollt mir später nicht den Vorwurf machen, etwas unterlassen zu haben, was zu unsrer Sicherheit erforderlich war.“

„Hm!“ brummte der Bankier nachdenklich. „Ihr seid also überzeugt, daß es die Gefahr nicht gibt, von welcher der Kurier sprach?“

„Für uns nicht; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Um Euch vollständig zu überzeugen und ganz zu beruhigen, will ich, obgleich es ganz und gar nicht nötig ist, ein Übriges thun und morgen Poller und Buttler voranschicken.“

Die beiden Genannten hatten dies erwartet; sie sagten nichts dazu.

„Warum? Was sollen sie?“ fragte der Bankier.

„Unsre Eclaireurs machen, also voranreiten, um dafür zu sorgen, daß Ihr nicht in Gefahr kommt. Ihr seht also, daß ich allen Möglichkeiten Rechnung trage, und werdet Euch hoffentlich wieder beruhigt fühlen.“

„Schön! Wir brechen also morgen früh nicht alle auf?“

„Nein. Ich bleibe mit Euch und Mr. Baumgarten hier. Nur Buttler und Poller reiten fort. Sie werden scharf aufpassen und, falls sie eine Gefahr für uns entdecken, sofort zurückkehren, um uns zu warnen.“

„Das beruhigt mich, Mr. Grinley. Dieser Kurier hatte mir doch einigermaßen Angst gemacht.“

Er ahnte nicht, daß die Veranstaltung, welche ihn beruhigte, ganz den gegenteiligen Zweck hatte, den Betrug vorzubereiten, welchem er zum Opfer fallen sollte.

Da die beiden Genannten frühzeitig aufbrechen sollten, so wurde das Gespräch nicht fortgesetzt, sondern man legte sich schlafen; je einer mußte wachen; die Reihenfolge ergab, daß Baumgarten die erste und der Bankier die zweite Wache hatte. Als der letztere dann den Ölprinzen, welcher folgte, geweckt und sich niedergelegt hatte, blieb dieser wohl eine halbe Stunde lang unbeweglich sitzen; dann beugte er sich zu dem Bankier und Buchhalter nieder, um zu erfahren, ob sie schliefen. Als er bemerkte, daß ihr Schlaf ein fester war, weckte er Poller und Buttler leise; die drei standen auf und entfernten sich eine Strecke, so weit, daß sie nicht gesehen und gehört werden konnten; sie hatten heimlich miteinander zu reden.

„Dachte es, daß du uns wecken würdest,“ sagte Buttler. „Hol der Teufel den Kurier, der uns leicht das ganze Spiel verderben konnte! Hättest dich übrigens anders verhalten sollen!“

„Willst auch du mir Vorwürfe machen?“ brummte sein Bruder.

„Wunderst du dich darüber? Der Kerl hatte Haare auf den ähnen und hat dich, wie man so sagt, auf der ganzen Linie geschlagen.“

„Oho!“

Pshaw! Gib es nur zu; es ist doch wahr! je erregter du wurdest, desto ruhiger blieb er; schon da war er dir überlegen; diesen Eindruck haben Rollins und Baumgarten unbedingt auch gehabt. Und dann gar die Messergeschichte! Es war eine riesige Blamage, als wir uns nicht rühren durften!“

„Du doch auch nicht!“

„Allerdings nicht. Es reizte mich freilich wohl, dem Kerl die Zähne zu zeigen; aber es war ihm völliger Ernst. Er hätte wahrhaftiglich geschossen. Fünf gegen einen. Was müssen Rollins und Baumgarten von uns denken!“

„Laß sie denken, was sie wollen! Sie haben das erschütterte Vertrauen wiedergefunden. Reden wir von besserem! Ich habe euch die Lage des Petroleumsees genau beschrieben. Getraut ihr euch, ihn zu finden?“

„Unbedingt.“

„Wenn ihr zeitig aufbrecht und durch nichts aufgehalten werdet, seid ihr schon des Nachmittags dort. Die Höhle werdet ihr ebenso leicht finden wie das Gloomy-water?“

„Versteht sich.“

„In ihr findet ihr alles, was nötig ist: die vierzig Fässer Öl, die Werkzeuge und alles andre. Nun merkt wohl auf! Ihr müßt mit der Arbeit sofort, wenn ihr angekommen seid, beginnen, weil es dann längerer Zeit bedarf, die Spuren dieser Arbeit zu verwischen. Ihr rollt die Fässer einzeln bis hart an das Wasser und schafft sie, wenn das Petroleum in den See gelaufen ist, wieder in die Höhle. Den Eingang zu dieser verschließt ihr gerade in derselben Weise, wie ihr ihn findet; er darf selbst für das schärfste Auge nicht zu entdecken sein. Dann löscht ihr alle Spuren aus, welche durch das Rollen der Fässer entstanden sind. Hoffentlich werdet ihr mit dem allen bis zum Abende fertig.“

„Wenn die Arbeit am See beendet ist, was dann?“ fragte Buttler.

„Dann schlaft ihr aus und reitet uns am nächsten Morgen entgegen, um uns zu sagen, daß ihr den See gefunden habt und der Weg dorthin ganz ungefährlich ist. Dabei ist die Hauptsache, daß ihr euch ganz begeistert über den Petroleumfund zeigt.“

„Daran soll es nicht fehlen, Wollen schon dafür sorgen, daß die beiden von unsrer Begeisterung angesteckt werden. Du thust hoffentlich dann auch deine Pflicht!“

„Natürlich!“

„Wieviel war es, was du geben wolltest?“

„Ihr bekommt miteinander fünfzigtausend Dollar, in welche ihr euch teilt,“

Bei diesen Worten ergriff er die Hand seines Bruders, und drückte sie, zum Zeichen, daß dieses Versprechen nur eine Lockspeise für Poller sein solle. Für diesen war ja nicht das Geld, sondern das Messer oder eine Kugel bestimmt. Poller ahnte dies nicht, traute den beiden Betrügern und rief freudig, aber in ganz leisem Tone aus.

„Fünfzigtausend, die wir teilen! So bekomme ich also fünfundzwanzigtausend?“

„Ja,“ nickte Grinley.

„Das ist herrlich! Ich gehöre Euch mit Leib und Seele! Wenn man es nur sofort und bar haben könnte!“

„Leider ist das unmöglich. Er zahlt ja in Anweisungen auf Frisco.“

„Wir reiten also dann alle drei nach San Franzisco?“

„Alle drei.“

„Na, diesen Weg will ich ganz gern machen. Für fünfundzwanzigtausend Dollar reitet man gern noch viel weiter.“

Well! Nun noch eine Ermahnung. Ich bin wegen der Indianer keineswegs so ruhig, wie ich mich gestellt habe. Nehmt euch in acht; laßt euch nicht sehen, damit ihr ganz gewiß zum Gloomy-water kommt und die Vorbereitungen treffen könnt. Es wäre ja entsetzlich, wenn ich mit den beiden dort anlangte, und es wäre nur pures Wasser zu sehen.“

„Das kann gar nicht stattfinden,“ meinte Buttler.

„Gar wohl, wenn ihr nicht vorsichtig seid.“

„Nein, denn wenn uns etwas passierte, würden und könnten wir euch nicht entgegenkommen, und daraus müßtest du doch ersehen, daß die Sache nicht in Ordnung ist.“

„Das ist richtig. In diesem Falle würde ich mich dann hüten, die beiden nach dem See zu führen.“

„Was würdet ihr dann thun?“

„Natürlich nach euch forschen, um euch beizustehen, wenn es nötig ist.“

„Das hoffen wir. Du bist uns nötig, grad ebenso, wie wir dich brauchen. Keiner darf den andern sitzen lassen. Nun aber wollen wir wieder zum Lager zurück. Die beiden könnten, wenn einer von ihnen aufwacht und uns vermißt, Verdacht schöpfen.“

Als sie zu Rollins und Baumgarten kamen, fanden sie, daß diese noch fest schliefen, und ließen sich leise bei ihnen nieder. Die Nacht verging ohne Störung, und als der Morgen anbrach, traten Buttler und Poller ihren Tagemarsch an.

Rollins und Baumgarten hatten geglaubt, daß diese zwei nur eine gewisse Strecke voranzureiten und sie ihnen dann zu folgen hätten, doch der Ölprinz belehrte sie eines andern:

„Das würde unklug und unzulänglich sein. Sie gehen als Späher, haben sich also überall umzusehen und müssen langsam reiten; wir würden sie also bald einholen und wären gezwungen, wieder und wieder zurückzubleiben. Da ist es doch entschieden besser, daß wir ihnen Zeit lassen, den ganzen Weg zu machen und den Weg in einem ununterbrochenen Ritte auszukundschaften.“

„Und wann folgen wir?“

„Morgen früh.“

„So spät!“

„Es ist das nicht zu spät. Ihr habt ja selbst verlangt, daß keine Vorsicht versäumt werden möge. Treffen die beiden unterwegs Feinde, so kehren sie zurück, um es uns zu melden. Kommen sie bis heute abend nicht wieder, so ist das ein sicheres Zeichen, daß wir nichts zu befürchten haben, denn es ist ihnen nichts aufgestoßen. Dann können wir morgen, nachdem unsre Pferde sich heute gut ausgeruht haben, die Strecke bis zum Ziele mit doppelter Schnelligkeit zurücklegen.“

Das leuchtete ihnen ein, da sie keine Erfahrungen besaßen und also Grinley, ohne ihn zu kritisieren, für alles sorgen ließen.

Der Tag verging, und es wurde Abend, ohne daß Buttler und Poller zurückkehrten, was die drei Zurückgebliebenen in eine heitere, zuversichtliche Stimmung versetzte. Der Bankier konnte während der ganzen Nacht nicht einen Augenblick lang schlafen; er befand sich in fieberhafter Aufregung. Also morgen, morgen war der große Tag, an dem er das größte und bedeutendste Geschäft seines Lebens abzuschließen hatte, ein so glänzendes Geschäft, wie es ihm in keinem Traum vorgekommen war! Ölprinz sollte er werden, Besitzer einer unerschöpflichen Petroleumquelle! Sein Name sollte neben den Namen der größten Millionäre genannt werden; ja, er würde wohl in kurzer Zeit zu den berühmten sogenannten „Vierhundert“ von New York gehören! Das ließ ihm keine Ruhe. Er hatte, als der Tag graute, wohl kaum einen Versuch gemacht, die Augen zu schließen, und weckte Grinley und Baumgarten, um sie zum Aufbruche zu mahnen.

Sie waren gern bereit dazu, und als die Sonne am Horizonte erschien, hatten sie mit ihren ausgeruhten Pferden schon einige Meilen zurückgelegt.

Die Gegend, durch welche sie kamen, war bergig; die Höhen trugen dichte Wälder, und die Thäler hatten sich mit saftigem Grase geschmückt. In dem letzteren fanden sie von Zeit zu Zeit die Fährte ihrer vorangerittenen Gefährten. Es wurde Mittag, wo den Pferden eine Ruhestunde gegönnt werden mußte.

„Wir werden bald einen dazu passenden Ort finden,“ sagte der Ölprinz, „einen tiefen Thalkessel, dessen Sohle die Sonne auf der südlichen Seite nicht treffen kann. Dort ist es kühl. In einer Viertelstunde sind wir dort.“

Sie befanden sich jetzt auf einer ziemlich steil ansteigenden Lehne; als sie dieselbe hinter sich hatten, senkte sich das mit Nadelbäumen bestandene Terrain so schnell abwärts, daß sie absteigen und ihre Pferde führen mußten, um sie zu schonen.

„Nun noch zweihundert Schritte,“ sagte Grinley, „dann seht ihr das Thal gerade vor euch liegen. Es ist nicht groß, und mitten in demselben liegt ein riesiger Felsblock, neben welchem eine mehrhundertjährige Blutbuche steht.“

Als sie diese Entfernung zurückgelegt hatten, blieben seine Begleiter halten, ganz überrascht von dem Anblicke, welcher sich ihnen bot. Gerade vor ihren Füßen senkte sich das Gestein beinahe lotrecht abwärts; sie standen am Rande des Thalkessels, welcher von hohen Felswänden eingeschlossen wurde, aber zwei schmale Ausgänge hatte. Sie befanden sich auf einer, einem Altane gleichenden niedrigen Stelle der Westwand. Der eine Eingang lag an der Süd- und der andre an der Nordseite. Der Felsenteil, welcher den Altan trug, trat ziemlich weit in das Thal hinein, so daß der Steinblock, von welchem der Ölprinz vorhin gesprochen hatte, gar nicht weit von ihnen lag. Die Blutbuche neben ihm war ein Baum von solch schönem Baue, daß sein Anblick einen Maler in Entzücken versetzt hätte.

„Welch herrlicher Baum!“ rief Baumgarten aus. „So einen – – –“

„Pst!“ warnte ihn da Grinley, indem er ihn am Arme faßte. „Still! Wir sind nicht allein hier. Seht Ihr die beiden Indianer dort an der Nordseite des Felsblockes? jenseits desselben scheinen ihre Pferde zu grasen.“

Es war so. Zwei Indianer saßen am Felsen, da, wo er Schatten warf. Dort waren sie vor den heißen Strahlen der Sonne geschützt. Sie waren mit den Kriegsfarben bemalt, so daß man ihre Züge nicht zu erkennen vermochte. Der eine von ihnen trug zwei weiße Adlerfedern im Schopfe. Und nun erst fiel den drei Beobachtern ein dunkler Strich im Grase auf, welcher beim südlichen Eingange begann und wie eine gerade gezogene Schnur nach dem Felsblock führte.

„Dieser Strich ist die Fährte, welche die beiden Roten gemacht haben,“ erklärte Grinley seinen Begleitern. „Sie sind von Süden her hereingekommen und werden, wenn sie sich ausgeruht haben, nach Norden hinausreiten.“

„Da können wir aber doch nicht weiter, nicht hinab!“ bemerkte der Bankier besorgt. „Seit unsrer Gefangenschaft im Pueblo traue ich keinem Indsman mehr. Wer mögen die beiden sein?“

„Ich kenne sie und weiß sogar den Namen des einen. Es ist Mokaschi, der Häuptling der Nijoras.“

„Was bedeutet dieser Name?“ erkundigte sich der Buchhalter.

„Mokaschi heißt Büffel. Der Häuptling war, als die Bisons noch in großen Herden durch die Savannen und über die Pässe zogen, ein berühmter Büffeljäger. Daher sein Name.“

„Wenn Ihr ihn kennt, so kennt er vielleicht auch Euch?“

„Ja, denn ich bin früher einige Male bei seinem Stamme gewesen.“

„Wie ist er Euch gesinnt?“

„Freundlich, wenigstens früher, und diese Gesinnung wird sich in Friedenszeiten auch nicht ändern. Jetzt aber ist das Beil des Krieges ausgegraben, und da darf man nicht trauen.“

„Hm, was ist da zu thun?“

„Weiß wirklich nicht. Reiten wir vollends hinab, so empfängt er uns vielleicht freundlich, vielleicht auch nicht. Auf alle Fälle aber erfährt er unsre Anwesenheit, die ihm besser verborgen bleiben sollte.“

„Können wir ihm denn nicht auf einem Umwege ausweichen?“

„Allerdings; aber dieser Umweg würde so bedeutend sein, daß wir heut nicht an unsern Petroleumsee gelangten. Noch viel weniger würden wir auf Buttler und Poller treffen, die uns wahrscheinlich entgegengeritten kommen. Es ist wirklich höchst fatal, daß diese beiden Nijoras gerade hier – – -halt,“ unterbrach er sich, „was ist denn das?“

Er sah etwas, was die drei Beobachter in die höchste Spannung versetzen mußte. Es erschienen nämlich am südlichen Eingange, woher die Spur der Nijoras kam, zwei Indianer, nicht beritten, sondern zu Fuße. Auch ihre Gesichter waren mit Kriegsfarben bemalt; der eine von ihnen trug eine Adlerfeder im Haare, war also nicht gerade ein hervorragender Häuptling, mußte sich aber durch seine kriegerischen Eigenschaften ausgezeichnet haben. Bewaffnet waren sie mit Gewehren.

„Sind das auch Nijoras?“ fragte Rollins.

„Nein, sondern Navajos,“ antwortete der Ölprinz leise, als ob die Roten ihn hören könnten.

„Kennt Ihr sie vielleicht?“

„Nein. Der mit der Feder ist ein noch junger Krieger, welcher diese Auszeichnung jedenfalls erst nach der Zeit, in welcher ich zum letzten Male bei den Navajos war, erhalten hat.“

„Alle Donner! Sie legen sich ins Gras. Warum thun sie das?“

„Erratet ihr das nicht? Sie sind ja Feinde der Nijoras. Hier treffen Kundschafter beider Stämme zusammen. Das gibt Blut! Die Navajos sind auf die Spur der Nijoras gestoßen und ihnen heimlich gefolgt bis hier ins Thal herein. Paßt auf, was geschehen wird!“

Er zitterte vor Aufregung, und seinen beiden Begleitern ging es ebenso; der Platz, auf welchem sie standen, lag so, daß sie den Vorgang beobachten konnten, ohne gesehen zu werden.

Die zwei Navajos krochen langsam auf den Spitzen der Hände und Füße auf der Fährte der Nijoras nach dem Felsenblocke hin.

„Alle Teufel!“ meinte der Ölprinz. „Mokaschi und sein Begleiter sind verloren, wenn sie nur noch eine Minute sitzen bleiben!“

„Herrgott!“ fragte der aufgeregte Buchhalter. „Können wir die Blutthat nicht verhüten?“

„Nein, nein – – und – – aber – – ja,“ antwortete Grinley mit fliegendem Atem –- „benutzen müssen wir die Sache.“

Die beiden Navajos befanden sich noch zehn Schritte vom Felsblocke entfernt. Erreichten sie ihn, so war es um die Nijoras, welche hinterrücks überfallen wurden, geschehen.

„Benutzen? Wieso?“ erkundigte sich der Bankier, der kaum zu atmen wagte.

„Sollt es sofort sehen.“

Er nahm sein Doppelgewehr mit einer schnellen Bewegung vom Sattel und legte es an.

„Um Gottes willen, Ihr wollt doch nicht etwa schießen!“ wollte Baumgarten ihm sein Vorhaben vereiteln, aber da krachte auch schon der erste Schuß und eine Sekunde später der zweite. Der eine Navajo, welcher die Feder trug, wurde vom ersten Schusse in den Kopf getroffen und war sofort tot; den andern erreichte die zweite Kugel; er that einen Satz in die Luft, noch einen und brach dann zusammen.

„Herr, mein Gott! Ihr habt sie erschossen!“ schrie Rollins vor Entsetzen laut auf.

„Zu meinem und Eurem Nutzen,“ antwortete der Ölprinz in kaltem Tone, indem er das Gewehr absetzte und auf dem Felsen soweit vortrat, daß er von unten gesehen werden konnte.

Der Erfolg der beiden Schüsse auf die Nijoras war ein blitzschneller. Sie sprangen im ersten Schrecke aus ihrer sitzenden Stellung auf, warfen sich aber sofort wieder nieder, platt ins Gras, um ein so wenig wie möglich sichtbares Ziel zu bieten. Sie glaubten, die Schüsse seien auf sie gerichtet gewesen, denn sie konnten, da der Felsblock dazwischen lag, die beiden toten Navajos nicht liegen sehen. Da sie sich aber den, welcher geschossen hatte, hinter diesem Blocke dachten, so krochen sie langsam und vorsichtig am Fuße desselben hin, um die eine Ecke zu erreichen, von wo aus sie dann den oder die Schützen zu bemerken hofften. Da rief der Ölprinz von seinem Altane herab:

„Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, darf sich unbedenklich aufrichten; er braucht sich nicht zu verstecken, denn seine Feinde sind tot.“

Mokaschi richtete den Blick zu ihm empor, stieß, als er ihn sah, einen Ruf der Überraschung aus und fragte:

„Uff! Wer hat geschossen?“

„Ich.“

„Auf wen?“

„Auf die zwei Navajos.“

„Wo?“

„Hinter Eurem Felsen. Geht hin! Sie sind tot.“

Aber der vorsichtige Rote folgte dieser Aufforderung keineswegs sofort, sondern er kroch weiter, bis zur Ecke hin und lugte hinter derselben hervor, erst im höchsten Grade vorsichtig; dann hob er den Kopf immer höher, zog sein Messer, um auf alles vorbereitet zu sein, und sprang mit zwei, drei schnellen Sätzen zu den Leichen hin. Als er sah, daß kein Leben mehr in ihnen war, richtete er sich auf und rief dem Ölprinzen zu:

„Du hast recht; sie sind tot. Komm herab!“

„Ich bin nicht allein; es sind noch Männer bei mir.“

„Bleichgesichter?“

„Ja.“

„Wie viele?“

„Zwei.“

„Bring sie mit!“

„Wollen wir ihm den Willen thun?“ fragte Rollins den Ölprinzen.

„Natürlich,“ antwortete dieser.

„Hat das keine Gefahr?“

„Nun nicht die geringste. Ich habe den beiden Nijoras das Leben gerettet, und sie sind uns also zum größten Dank verpflichtet.“

„Aber, Sir, es ist ein Mord, ein Doppelmord!“

Pshaw! Laßt Euch das nicht anfechten. Zwei Indianer mußten auf alle Fälle sterben. Sagte oder that ich nichts, so traf es die Nijoras. Rief ich ihnen eine Warnung zu, so gab es einen Kampf zwischen Vieren, den wohl schwerlich einer von ihnen überlebt hätte. Die Vier hätten einander zerfleischt. Da habe ich das schwarze Los den beiden Navajos zugeworfen und mir dadurch die Dankbarkeit und Freundschaft Mokaschis erworben. Jetzt brauchen wir keine Sorge mehr zu haben. Unser Petroleumunternehmen muß gelingen, denn die Nijoras werden uns beschützen. Also kommt und folgt mir getrost!“

Sie thaten dies, konnten sich aber eines Grauens vor diesem Manne nicht erwehren, der um eines Vorteiles willen zweien Menschen, die ihm nichts gethan, so schlanker Weise das Leben genommen hatte. Ihr Weg führte sie außerhalb des Thales bis zum südlichen Eingang desselben nieder. Als sie durch denselben passierten, sahen sie nicht, daß hinter einem Gebüsch zwei funkelnde Augen auf sie gerichtet waren. Sie verschwanden hinter dem engen Durchlasse, und nun richtete sich ein Roter hinter dem Gesträuch auf und knirschte.

„Uff! Der Alte war der Mörder! Ich konnte meinen Brüdern nicht helfen, aber ich werde sie rächen. Man wird nach unsern Spuren forschen, mich aber nicht finden.“

Sich wieder niederduckend, verschwand er im Gesträuch. Er war ein Navajo. Jedenfalls hatte er als Sicherheitsposten hier bleiben müssen, während seine unglücklichen Gefährten in das Thal gedrungen waren.

Der Ölprinz ritt mit Rollins und Baumgarten getrosten Mutes auf den Häuptling zu, der sie an dem Felsblocke erwartete. Mokaschi hatte vorhin Grinleys Gesicht der Entfernung wegen nicht deutlich erkennen können; jetzt, als er es in der Nähe sah, zog sich seine Stirn unter den Querstrichen der Kriegsfarben finster zusammen.

„Wo kommen die drei Bleichgesichter her?“ fragte er.

Der Ölprinz hatte einen weit freundlichern Empfang erwartet; er antwortete enttäuscht, indem er vom Pferde stieg, was auch seine Begleiter thaten.

„Unser Pfad hat am Rio Gila begonnen.“

„Wo wird er denn enden?“

„Am Wasser des Chelly.“

„Seid ihr allein?“

„Ja.“

„Kommen noch mehr der Bleichgesichter nach?“

„Nein. Und wenn welche kommen sollten, so sind sie nicht Freunde von uns.“

„Wißt ihr, daß die Pfeife des Friedens von uns zerbrochen worden ist?“

„Ja,“

„Und dennoch wagt ihr euch hierher?“

„Eure Feindschaft ist doch nur gegen die Navajos, nicht aber gegen die Weißen gerichtet!“

„Die Bleichgesichter sind schlimmer als die Hunde der Navajos. Als es noch keine Weißen gab, herrschte Frieden unter allen roten Männern. Nur den Bleichgesichtern haben wir es zu verdanken, daß der Tomahawk unser Leben frißt. Sie werden nicht geschont.“

„Willst du damit sagen, daß ihr unsre Feinde seid?“

„Ja, eure Todfeinde.“

„Und doch habt ihr beide meinen zwei Kugeln euer Leben zu verdanken! Wollt ihr uns dafür am Marterfeuer braten?“

Über das Gesicht des Häuptlings zuckte ein verächtliches Lächeln, als er hierauf antwortete:

„Du sprichst vom Marterfeuer, als befändest du dich bereits in unsrer Gewalt, und doch sind wir nur zu zweien, während ihr zu dreien seid. Du scheinst den Mut eines Frosches zu haben, welcher der Schlange in den Rachen springt, wenn sie den Blick auf ihn richtet.“

Dieses beleidigende Verhalten war jedenfalls nicht bloß eine Folge der jetzt herrschenden feindseligen Verhältnisse. Sehr wahrscheinlich war das Ansehen Grinleys schon früher ein ganz andres bei den Nijoras gewesen, als er seinen Begleitern gesagt hatte. Er fühlte, daß sie unbedingt auf diesen Gedanken kommen mußten und wollte dem entgegenwirken, indem er fragte:

„Mokaschi, der tapfere Häuptling, kennt mich wohl nicht mehr?“

„Mein Auge hat noch nie ein Gesicht vergessen, selbst wenn es dasselbe nur ein einziges Mal und kurz zu sehen bekam.“

„Ich habe den Kriegern der Nijoras nie ein Leid gethan!“

„Uff! Warum sprichst du so? Hättest du einen meiner Krieger nur mit einer Bewegung der Fingerspitze gekränkt, so lebtest du nicht mehr.“

„Warum trittst du denn so feindlich gegen mich auf? Ist dein Leben so wenig wert, daß du den Retter desselben nicht einmal willkommen heißest?“

„Sag mir erst, wann du die Navajos, welche du vorhin tötetest, gesehen und wie lange du sie verfolgt hast!“

„Ich sah sie zwei Minuten, bevor ich sie erschoß, um dich zu retten.“

„Was hatten sie dir gethan?“

„Nichts.“

„Du hattest keine Rache gegen sie?“

„Nein.“

„Und doch hast du sie getötet!“

„Nur um dich zu retten!“

„Hund!“ donnerte da Mokaschi, indem seine Augen funkelten, den Weißen an. „Es haben mir viele Jäger und Krieger ihr Leben zu verdanken, und ich habe es nicht ein einziges Mal erwähnt, obgleich Jahre darüber vergangen sind. Du aber stehst erst wenige Augenblicke vor mir und hast dich bereits fünfmal meinen Retter genannt. Wenn du so dich selbst bezahlst, darfst du keinen Lohn von mir erwarten. Habe ich verlangt, von dir gerettet zu werden?“

Grinley fühlte sich außerordentlich eingeschüchtert, wagte aber dennoch den Einwurf:

„Nein; aber ohne mich wärest du jetzt tot.“

„Wer sagt dir das? Es ist ein Lüge. Du siehst hier neben dem Felsen unsre Pferde stehen, welche uns die Annäherung jedes fremden Menschen verraten. Eben hörten wir sie schnauben und griffen schon nach unsern Messern, als deine Schüsse fielen. Die Navajos hatten dir nichts gethan. Du hast nicht mit ihnen gekämpft, sondern sie aus dem Hinterhalte erschossen. Du bist kein Krieger, sondern ein Mörder. Dort hegen ihre Leichen. Darf ich mir ihre Skalpe nehmen? Nein, denn sie sind von deinen heimtückischen Kugeln gefallen. Wärest du nicht gekommen, so hätte ich sie, durch das Schnauben unsrer Pferde aufmerksam gemacht, mit dem Messer empfangen und dürfte mich mit ihren Skalplocken schmücken. Kennst du den, in dessen Haar die Feder steckt? Sein Name lautet Khasti-tine, obgleich die Zeit seines Lebens erst zwanzig Sommer und Winter beträgt. Diesen Ehrennamen erhielt er infolge seiner Klugheit und Tapferkeit. Und so einen Krieger hast du gemordet! Und mich hast du um den Ruhm gebracht, ihn besiegt zu haben! Und da verlangst du anstatt Rache Lohn von mir!“

Dem Ölprinzen wurde himmelangst, und seinen Begleitern war es nicht weniger bange. Der Häuptling fuhr fort:

„So wie du sind die Bleichgesichter alle. Wieviel gute gibt es unter ihnen? Auf einen Old Shatterhand, in dessen Herzen die Liebe wohnt, kommen hundertmal hundert andre, welche uns das Verderben bringen. Bleibt hier stehen, bis ich wiederkomme! Wenn ihr es wagt, euch zu entfernen, seid ihr verloren!“

Er gab dem andern Nijora einen Wink und schritt mit ihm, die Fährte sorgfältig untersuchend, neben derselben hin dem Eingange zu, hinter welchem die beiden verschwanden.

„O wehe! Das klang viel, viel anders, als wir erwarteten!“ klagte der Bankier. „Ihr habt uns da eine Suppe eingebrockt, die so dick geraten ist, daß wir, wenn wir sie essen müssen, an ihr ersticken können!“

„Ein Mörder!“ stimmte der Buchhalter bei. „Der Häuptling hatte recht. Warum habt Ihr doch nur geschossen! Dieser Khasti-tine, ein so junges Blut und doch schon so berühmt! Schaudert Euch nicht selber ob dieser That?“

„Schweigt!“ herrschte ihn der Ölprinz an. „Es ist doch so, wie ich sagte; ich habe den Häuptling vom Tode errettet. Das vom Schnauben der Pferde ist Ausrede, ist Lüge!“

„Möchte es bezweifeln. Der Mann sieht genau so aus, als ob er wisse, was er sagt. Standen wir nicht wie Schulbuben vor ihm? Es wird am besten sein, uns aus dem Staub zu machen, ehe er wiederkommt!“

„Wagt das nicht, Mr. Baumgarten! Er scheint noch mehr Krieger in der Nähe zu haben. Wenn wir uns entfernten, würde er sich mit ihnen an unsre Fersen heften, und dann wären wir verloren, während es so noch möglich ist, daß er uns laufen läßt. Warten wir also!“

Es verging über eine Viertelstunde, ehe die Nijoras wiederkamen. Als sie herangekommen waren, sagte Mokaschi:

„Die Rache steht bereits hinter dir, und das Verderben wird dich ereilen, ohne daß ich die Hand an dich lege. Es sind nicht zwei, sondern drei Navajos gewesen. Der dritte hat im Eingange Wache gehalten und wohl alles gesehen, ohne die Mordthat verhindern zu können. Er wird seine Moccassins auf deine Fährte setzen und dir folgen, bis sein Messer dir im Herzen sitzt. Dein Skalp sitzt nicht fester auf deinem Haupte, als ein Regentropfen, den der Wind vom Zweige schüttelt. Ich habe keinen Teil an dir, weder im Guten noch im Bösen. Warum wollt ihr nach dem Chellyflusse? Was sucht ihr dort?“

„Ein Stück Land,“ erklang es kleinlaut aus dem Munde des seiner Sache vorher so sichern Ölprinzen.

„Gehört es dir?“

„Ja.“

„Wer hat es dir geschenkt?“

„Niemand.“

„Und dennoch behauptest du, daß es dir gehöre!“

„Ja. Es ist ein Tomahawk-Improvement.“

„Es thut mir leid, daß ich das hören muß.“

„Warum?“

„Weil das ein Räuber- und Diebeswort ist! Ein Stück Land am Chellyflusse! Es ist dein! Und hier steht Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, welche die rechtmäßigen Herren und Besitzer der ganzen Chellygegend sind! Ihr räudigen Hunde! Was würden die Bleichgesichter jenseits des großen Meeres sagen, wenn wir hinüberkämen und behaupteten, daß ihr Land unser sei? Wir aber sollen es uns gefallen lassen, daß sie über uns herfallen und uns alles nehmen! Ein Stück Land am Chellyflusse, welches dir gehört, obgleich du es von uns weder gekauft noch geschenkt erhalten hast! Meine Faust sollte dich niederschlagen, doch ist sie zu stolz, dich zu berühren. Macht euch fort von hier, fort nach dem Landfetzen, nach welchem eure Seelen schreien! Setzt euch darauf und ihr braucht gar nicht lange zu warten, so wird er euch die blutige Ernte bringen!“

Er streckte die Hand gebieterisch nach dem nördlichen Ausgange aus. Sie stiegen schnell auf ihre Pferde und trabten eiligst fort, im tiefsten Herzen froh, den Ort, der ihnen so gefährlich werden konnte, mit heiler Haut verlassen zu dürfen.

Um die Worte und das Verhalten des Häuptlings zu verstehen, muß man wissen, auf welche Weise sich die Weißen in den Besitz von Ländereien zu setzen pflegten. Nach dem sogenannten Heimstättengesetz kann nämlich jedes Familienhaupt und jeder einundzwanzigjährige Mann, welcher entweder Bürger ist oder Bürger werden zu wollen erklärt, eine noch unbesetzte Parzelle Land von 160 Acres ohne alle Bezahlung erwerben; nur muß er sie fünf Jahre lang bewohnen und bebauen. Außerdem wurden Millionen Acres namentlich an die Eisenbahnen verschleudert.

Und was die Tomahawk-Improvements betrifft, so brauchte nach ihnen jemand, um als Eigentümer einer ihm zusagenden Strecke Landes zu gelten, dasselbe nur dadurch als das seinige zu bezeichnen, daß er mit der Axt einige Bäume anhieb, eine Hütte baute und etwas Getreide säete. Was die Indianer, die Herren dieser Ländereien, dazu sagten, darnach wurde nicht gefragt!

Die drei Weißen ritten, als sie das Thal verlassen hatten, eine ganze Weile schweigend nebeneinander durch den lichten Wald. Der Ölprinz fühlte recht wohl, daß er von dem Häuptling der Nijoras weit mehr als von dem Kurier blamiert worden war. Er war wütend über die Behandlung, welche er erfahren hatte, und sann nun darüber nach, wie es ihm gelingen könne, sein bei dem Bankier und dem Buchhalter wohl mehr als wankend gewordenes Ansehen wieder zu befestigen. Dann sagte er, die lange Stille endlich unterbrechend:

„So sind diese roten Halunken! Undankbar im höchsten Grade! Man kann noch so lange in Frieden mit ihnen gelebt und ihnen noch so viele und große Wohlthaten erwiesen haben, eines schönen Tages brechen sie doch die Treue und haben vollständig vergessen, welchen Dank sie einem schuldig sind.“

Yes,“ nickte Rollins. „Das war eine böse Lage, in welcher wir uns befanden. Wir können froh sein, daß wir so mit einem blauen Auge aus derselben entkommen sind. Ich dachte bereits, daß es uns an das Leben gehen würde.“

„Freilich wäre es uns an das Leben gegangen, wenn der Häuptling mir nicht im stillen recht gegeben hätte, weil er doch unbedingt einsehen mußte, daß ich sein Retter war, Es wird mir aber niemals wieder einfallen, einem Indianer Gutes zu erweisen.“

„Richtig! Diese roten Kerls sind es nicht wert, daß man sich ihrer annimmt.“

Aus diesen Worten des Bankiers war zu ersehen, daß er weniger geneigt war, den Ölprinzen wegen seines Verhaltens zu verurteilen. Er gehörte zu jenen echten Yankees, denen ein Menschenleben nichts gilt. Die Gefahr, in welcher er sich befunden hatte, war vorüber und ebenso der Eindruck, welchen die Ermordung der beiden Navajos für den Augenblick auf ihn gemacht hatte. Anders aber bei Baumgarten. Dieser war als Deutscher innerlich ganz anders angelegt; er hielt das Verhalten Grinleys für ein Verbrechen, konnte nicht über die Verurteilung desselben hinüberkommen und fragte daher den Ölprinzen jetzt in ernstem, vorwurfsvollem Tone:

„Habt Ihr denn jemals einem Indianer Gutes erwiesen, Sir?“

„Ich? Welch eine Frage! Hunderte von diesen roten Halunken haben mir ihr Leben zu verdanken, und Tausende haben Fleisch, Brot, Pulver, Blei und noch vieles andre von mir bekommen.“

„Auch die Nijoras?“

„Diese erst recht.“

„Der Häuptling that aber gar nicht so, als ob dies der Fall wäre!“

„Weil er ein undankbarer Schuft ist.“

„Hm! Warum habt Ihr ihn denn nicht daran erinnert?“

„Aus reiner Noblesse, Sir.“

„Unsinn! In einer Lage, wie die war, in welcher wir uns befanden, ist Noblesse die größte Dummheit, die es meiner Ansicht nach geben kann.“

„Das sagt Ihr, weil Ihr den Westen nicht kennt.“

„Meinetwegen! Dennoch würde ich an Eurer Stelle den Häuptling daran erinnert haben, daß er und sein Stamm mir Dankbarkeit schuldeten. Ihr habt keinen Laut hören lassen. Vielleicht leben die Wohlthaten, von denen Ihr redet, nur in Eurem Kopfe.“

„Sir! Wollt Ihr mich beleidigen?“ fuhr da der Ölprinz auf. „Mich vielleicht gar zum Lügner machen?“

„Fällt mir gar nicht ein. Ich sage meine Meinung, und das Recht, dies zu thun, hat wohl jedermann!“

„Ja, wenn er dabei nicht die Ehre eines andern kränkt. Ihr solltet Euch mir gegenüber doch etwas vorsichtiger und rücksichtsvoller ausdrücken!“

„So? Warum das? Warum grad Euch gegenüber?“

„Weil ihr mir nicht nur viel verdanken -werdet, sondern auch schon zu verdanken habt. Ich stehe im Begriffe, euch zu steinreichen Leuten zu machen!“

„Nicht mich, sondern nur Mr. Rollins, und dafür werdet Ihr mehr als gut bezahlt.“

„Ich habe Euch aus der Gefangenschaft im Pueblo errettet!“

„Das mag sein, doch will ich Euch aufrichtig sagen, daß mir, je mehr ich über diese Angelegenheit nachdenke, desto mehr Fragen aufstoßen, die ich mir nicht zu beantworten vermag.“

Grinley warf ihm von der Seite her einen scharf forschenden Blick zu; er wollte zornig auffahren, besann sich aber eines andern und fragte in ruhiger Weise.

„Welche Fragen könnten das wohl sein? Darf ich sie erfahren?“

„Ich halte es nicht für nötig.“

„Nicht? Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich sie Euch beantworten könnte.“

„Das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sogar gewiß. Ihr könntet; aber ob Ihr auch würdet, das bezweifle ich.“

„Wenn ich kann, so will ich auch, Sir; darauf könnt Ihr Euch verlassen.“

„Mag sein; dennoch wollen wir nicht weiter davon sprechen. Nur weil Ihr so stark betont, daß wir Euch so viel zu verdanken haben und auch zu verdanken haben werden, will ich Euch sagen, daß wohl noch nicht aller Tage Abend ist.“

„Wie meint Ihr das?“

„Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir mit Euch quitt werden, so daß Ihr dann keinen Dank mehr von uns zu fordern habt.“

„Möchte wissen, wie das der Fall sein könnte!“

„Sehr einfach- In Bezug auf das Geschäft, welches abgeschlossen werden soll, habt Ihr keinen Dank zu fordern, denn Ihr werdet bezahlt; das habe ich schon erwähnt. Und daß Ihr uns aus dem Pueblo errettet habt, ist Euch von uns zwar auf das Konto geschrieben worden, doch werden wir diesen Posten vielleicht sehr bald ausstreichen müssen, da Ihr die beiden Navajos erschossen habt.“

„Was geht das dieses Konto an?“

„Fragt doch nicht so, als ob Ihr ein Neuling wärt! Es ist doch keineswegs ausgeschlossen, daß wir den Navajos begegnen.“

„Was wäre das weiter?“

„Sie würden den Tod der beiden Kundschafter rächen.“

Pshaw! Durch diese Behauptung beweist Ihr eben, daß Ihr den Westen gar nicht kennt. Wie wollen sie wissen, was geschehen ist?“

„Wie? Habt Ihr denn nicht gehört, was Mokaschi sagte? Es sind drei Navajos gewesen, nicht bloß zwei. Der dritte wird uns folgen.“

Das Gesicht des Ölprinzen wollte ernst und nachdenklich werden, aber er zwang ein höhnisches Lachen hervor und antwortete.

„Da sieht man, was für ein kluger Kerl Ihr seid! Glaubt Ihr denn, daß Mokaschi da seine wirkliche Meinung gesagt hat?“

„Ja.“

„Wirklich? So muß ich Euch sagen, daß aus Euch niemals ein richtiger Westmann werden könnte. Mokaschi ist auf Kundschaft gegen die Navajos ausgerückt. Daß er das selbst gethan und nicht gewöhnliche Krieger geschickt hat, ist ein Zeichen, daß er der Sache die größte Wichtigkeit beilegt. Er ist auf drei Feinde gestoßen, welche auch Kundschafter sind, und muß alles thun, dieselben unschädlich zu machen. Zwei habe ich erschossen; der dritte lebt noch und hat die Nijoras gesehen. Er wird nicht uns verfolgen, sondern seinen Stamm auf das schleunigste aufsuchen, um zu melden, daß Mokaschi sich hier befindet. Dieser muß das auf alle Fälle zu verhindern suchen; er wird also sich auf die Fährte des Navajo machen, um ihn einzuholen und zu töten. Sehr Ihr das ein oder nicht?“

„Hm!“ brummte Baumgarten. „Vielleicht ist es so, wie Ihr sagt, vielleicht aber auch nicht.“

„Es ist so und nicht anders; das versichere ich Euch und – – –“

Er sprach nicht weiter, sondern hielt sein Pferd an und bückte aufmerksam in die Ferne. Während sie sich jetzt auf einer kleinen, offenen Prairie befanden, war dort der Rand eines Waldes zu sehen. Von diesem dunklen Hintergrunde stachen zwei Reiter ab, welche halten geblieben waren, weil sie die drei auch bemerkt hatten.

„Zwei Männer,“ meinte Grinley. „Es sind, wie es scheint, Weiße. Da ist hundert gegen eins zu wetten, daß wir Buttler und Poller vor uns haben. Drei gegen zwei, da brauchen wir uns nicht zu fürchten. Vorwärts also!“

Sie ritten weiter, auf die andern zu. Als diese das sahen, trieben sie ihre Pferde auch wieder vorwärts. Bald erkannte man sich gegenseitig. Ja, die beiden Genannten waren es. Als sie auf Hörweite herangekommen waren, rief der Ölprinz ihnen zu.

„Ihr seid es? Das ist ein gutes Zeichen. Habt ihr den Weg frei gefunden?“

„Ja,“ antwortete Buttler, „so frei wie im tiefsten Frieden. Wir sind nicht auf die Spur auch nur eines einzigen Indianers gestoßen.“

„Und habt das Gloomy-water gefunden?“

Yes, mit Leichtigkeit.“

„Nun? Und das Öl?“

„Großartig, geradezu großartig!“ antwortete der Gefragte, indem sein Gesicht vor Wonne zu strahlen schien. Er wendete sich an den Bankier und fuhr fort:

„Habt die Güte, uns einmal anzuriechen! Wie findet Ihr unsern Duft? Ist das etwa Rosenöl, Sir?“

Die beiden dufteten infolge der Arbeit, welche sie zu bewältigen gehabt hatten, natürlich sehr stark nach Petroleum. Rollins‘ Züge nahmen sofort einen entzückten Ausdruck an. Er antwortete:

„Rosenöl nun freilich nicht, mir aber grad so lieb, als ob es welches wäre. Wie lange dauert es, Mesch’schurs, bis man ein Pfund Rosenöl beisammen hat! Das Erdöl aber läuft so bereitwillig aus der Erde, daß man täglich Hunderte von Fässern füllen kann. Der Duft, den ihr verbreitet, ist mir weit angenehmer, als alle andern Gerüche der Welt. Meint Ihr das nicht auch, Mr. Baumgarten?“

„Ja,“ nickte dieser, dessen Gesicht nun auch einen heitern, zuversichtlichen Ausdruck angenommen hatte.

Well! Ihr wolltet bis jetzt noch immer nicht recht an die Sache glauben; ich habe Euch das oft angesehen. Gebt Ihr es zu?“

„Will es nicht leugnen, Sir.“

„Aber nun? jetzt wird sich Euer Mißtrauen doch wohl in das Gegenteil verkehren?“

Da fiel der Ölprinz ein:

„Auch ich habe natürlich bemerkt, daß Mr. Baumgarten mir weniger Vertrauen schenkte, bin aber zu stolz gewesen, mich dadurch beleidigt zu fühlen. Jetzt wird er einsehen, daß er einen Ehrenmann vor sich hat, der das Vertrauen wohl verdient, welches er beansprucht hat. Aber bleiben wir nicht hier auf der offenen Prairie halten. Es gibt Indianer da, welche uns leicht bemerken könnten.“

„Indianer?“ fragte Buttler, indem sie vorwärts ritten, dem Walde entgegen, aus welchem er mit Poller gekommen war. „Seid ihr etwa auf welche getroffen?“

„Ja.“

„Alle Wetter! Wann?“

„Vor kurzer Zeit.“

„Was für welche?“

„Nijoras. Sogar der Häuptling derselben.“

„Und gut mit ihnen auseinandergekommen?“

„So leidlich. Hätte schlimmer werden können.“

Er erzählte den Vorgang, und es verstand sich ganz von selbst, daß Buttler und Poller sich mit seinem Verhalten einverstanden erklärten, Mittlerweile erreichten sie den Wald, welcher ihrer Unterhaltung ein Ende bereitete, denn die Bäume desselben standen so dicht, daß man einzeln hintereinander reiten mußte, was dem Bankier gar nicht lieb war, da er darauf brannte, Weiteres und Ausführliches über den Petroleumsee zu erfahren.

Nach einiger Zeit ging das Gehölz zu Ende und es öffnete sich von neuem eine grasige Savanne. Nun konnten sich die Reiter zusammenhalten, und Rollins fragte nach dem Gloomy-water und allen Verhältnissen desselben. Buttler und Poller erfüllten seine Neugierde in einer Weise, welche seine Erwartung noch mehr steigerte und ihn in die größte Aufregung versetzte. Als er behauptete, den Augenblick der Ankunft kaum erwarten zu können, beruhigte ihn Buttler durch die Mitteilung:

„Was das betrifft, so wird Eure Geduld nicht mehr lange auf die Probe gestellt werden, denn wir haben höchstens noch anderthalb Stunden zu reiten.“

„Anderthalb? Und vor einer halben Stunde haben wir euch getroffen; das macht zwei ganze. So habt ihr den Petroleumsee erst seit zwei Stunden verlassen?“

„So ungefähr.“

„Warum nicht eher? Eine Botschaft wie die, welche ihr mir brachtet, kann man nicht früh genug erfahren.“

Diese Frage kam höchst ungelegen, denn er durfte doch nicht erfahren, welche langwierige Arbeit sie am Gloomy-water zu verrichten gehabt hatten, doch Poller brachte sich aus der Verlegenheit, indem er die Auskunft gab:

„Es war unsre Aufgabe, für eure Sicherheit zu sorgen. Dazu gehörte vor allen Dingen auch, daß wir die ganze Umgegend des Sees absuchten. Das war nicht leicht, denn das Terrain ist ein schwieriges, und wir konnten nur langsam verfahren, weil wir vorsichtig sein mußten. Darum sind wir erst vor einigen Stunden fertig geworden.“

„Und ihr habt nichts gefunden, was auf eine Gefahr für uns schließen läßt?“

„Nichts, gar nichts. Ihr braucht nicht die mindeste Sorge zu haben, Sir.“

Rollins fühlte sich nicht nur beruhigt, sondern so froh und zuversichtlich gestimmt, wie noch selten in seinem Leben. An dem Orte, den er in der Zeit von nicht viel über einer Stunde erreichen würde, lag für ihn ein Kapital in der Höhe von vielen, vielen Millionen! Er hätte seine Begleiter alle umarmen mögen, begnügte sich aber damit, seinem Buchhalter die Hand zu drücken und zu ihm zu sagen:

„Endlich, endlich am Ziele! Und endlich, endlich nun aus den Ungewißheiten heraus! Seid Ihr nicht auch darüber froh?“

„Natürlich, Sir,“ lautete die einfache Antwort.

„Natürlich, Sir!“ wiederholte Rollins, indem er mit dem Kopfe schüttelte. „Das klingt so kalt, so teilnahmlos, als ob die Sache Euch gar nichts anginge!“

„Denkt das nicht! Ihr wißt ja, daß ich in allen Euern Angelegenheiten stets so sorge, als ob es die meinigen wären. Ich freue mich auch, pflege aber so etwas gewöhnlich nicht übermäßig laut zu äußern.“

Well, kenne Euch ja, Mr. Baumgarten. Hier aber könnt Ihr schon etwas lauter sein. Habe Euch noch nichts gesagt, doch konntet Ihr wohl denken, daß ich, da ich Euch mitgenommen habe, mit Euch gewisse Absichten verfolge. Ihr sollt an diesem neuen Unternehmen mehr beteiligt sein, als Ihr bis jetzt gedacht habt. Meint Ihr, daß ich die Absicht habe, mit meiner Familie Arkansas zu verlassen und mich hier im wilden Westen anzusiedeln? Kann mir nicht einfallen. Werde zunächst freilich alles thun, was hier nötig ist; mein fester und eigentlicher Wohnsitz aber wird doch unser Brownsville bleiben. Werde Ingenieure anstellen müssen und über ihnen einen geschäftlichen Direktor, auf den ich mich verlassen kann. Wer meint Ihr wohl, wer dieser Mann sein wird?“

Er blickte dabei den Buchhalter mit bezeichnendem Schmunzeln von der Seite an und fuhr, als dieser nicht gleich antwortete, fort:

„Oder habt Ihr die Absicht, auch Zeit Eures Lebens in Brownsville zu bleiben?“

„Über diese Frage nachzudenken, habe ich bisher noch keine Veranlassung gehabt, Mr. Rollins.“

Well, so habt die Güte, jetzt darüber nachzudenken! Wie nun, wenn der Direktor, von welchem ich sprach, Mr. Baumgarten heißen soll?“

Da richtete sich der Deutsche scharf im Sattel auf und fragte:

„Ist das Euer Ernst, Sir?“

Yes! Ihr wißt, daß ich in so wichtigen Angelegenheiten keinen Scherz zu treiben pflege. Die Stelle ist eine verantwortliche und schwierige. Darum würde ich Euch neben dem Gehalte mit an dem Gewinne beteiligen. Wollt Ihr sie annehmen?“

„Von ganzem Herzen gern!“

„So schlagt ein! Hier ist meine Hand.“

Baumgarten gab ihm die seinige und sagte:

„Ich will keine vielen, überflüssigen Worte machen, Mr. Rollins; Ihr kennt mich und wißt, daß ich nicht undankbar bin. Mein größter Wunsch jetzt ist, der Stellung, die ich bekleiden soll, gewachsen zu sein.“

„Das seid Ihr; ich weiß es.“

„Und ich möchte dies weniger zuversichtlich behaupten. Es ist ja wahr, was Mr. Grinley so oft schon ausgesprochen hat: Ich kenne den Westen nicht, und doch gehören solche Leute her, welche Haare auf den Zähnen haben.“

„Werde schon dafür sorgen, daß Ihr solche Kerls ins Werk bekommt.“

„Es wird Kämpfe geben.“

„Kämpfe? Was für welche?“

„Mit den Indianern. Oder meint Ihr, sie werden es sich ruhig gefallen lassen, daß wir uns hier in der Weise, wie ein großartiges Ölunternehmen es mit sich bringt, festnisten?“

„Werden wenig dagegen thun können.“

„Hm! Sie werden behaupten, der Platz gehöre ihnen, und – – –“

„Macht Euch doch keine so unnützen Gedanken!“ fiel ihm da der Ölprinz in die Rede. „Ihr habt doch gehört, was Mokaschi sagte? Nämlich, daß ich getrost zu meinem Landfetzen gehen soll, um ihn in Besitz zu nehmen.“

„Das war wohl kaum sein Ernst.“

„O doch.“

„Schön! Aber gehört die Stelle wirklich den Nijoras? Ist es nicht möglich, daß auch andre Rote, zum Beispiel die Navajos, auf den Besitz derselben Anspruch erheben?“

„Was diese Kerls sagen und behaupten, kann uns höchst gleichgültig sein. Ich habe mein Tomahawk-Improvement, welches ich Euch abtrete. Das Dokument darüber steckt hier in meiner Tasche. Ihr habt es in Brownsville prüfen lassen; es ist für gut, für echt befunden worden und wird Euch gehören, sobald Ihr mir die Anweisung auf San Francisco aushändigt. Ist dies geschehen, so seid Ihr nach den Vereinigten-Staatengesetzen rechtmäßige Besitzer des Gloomy-waters und kein Roter kann Euch von dort vertreiben.“

„Sehr richtig, Sir. Aber wenn die Roten sich nicht nach diesem Vereinigten-Staatengesetze richten?“

„So werden sie dazu gezwungen. Ihr engagiert natürlich nur Leute, die mit der Büchse und dem Messer umzugehen verstehen; das wird den Indsmen Respekt einflößen. Übrigens könnt Ihr versichert sein, daß Euer Etablissement sehr bald eine weiße Bevölkerung anziehen wird, die zahlreich genug ist, nicht nur jeden Angriff siegreich zurückzuschlagen, sondern die Roten ganz aus der Gegend zu verdrängen. Stellt nur erst eure Maschinen auf! Ihr wißt, daß die Maschine die größte und siegreichste Feindin der Indianer ist.“

Damit hatte er recht. Wo der Weiße sich mit den eisernen Händen und Füßen des Dampfes sehen läßt, muß der Rote weichen: das unerbittliche Schicksal will es so. Die Maschine ist eine unüberwindliche Gegnerin, doch nicht so grausam, wie das Gewehr, das Feuerwasser, oder die Blattern und andre Krankheiten, denen zahllose Indianer zum Opfer gefallen sind und noch fallen werden, wie die Bisons der Savanne, die soweit ausgerottet sind, daß nur noch wenige als Rarität in zoologischen Gärten gehalten werden.

Noch vor Ablauf der angegebenen Frist von anderthalb Stunden befanden die fünf Reiter sich zwischen Höhen, welche von dunklen Nadelbäumen dicht bestanden waren. Nur hier und da ließ sich etwas Laubholz sehen, dessen helles Grün den düsteren Eindruck jener minderte. Als Rollins eine Bemerkung darüber machte, meinte der Ölprinz:

„Kommt nur erst zum Gloomy-water. Dort wird es noch finsterer als hier.“

„Ist’s noch weit bis dort?“

„Nein, Die nächste Schlucht führt ans Ziel.“

Bald war die Schlucht erreicht und man bog in dieselbe ein. Zu beiden Seiten stiegen dunkle Felsen hoch empor, an ihren Lehnen und auf ihren Gipfeln schwarze Hölzer tragend. Auf dem Grunde rieselte ein dünnes, schmales Wässerchen, auf welchem Fettaugen schwammen. Grinley warf, als er das bemerkte, Buttler und Poller einen befriedigten Blick zu. Er hatte nicht heimlich mit ihnen reden können und sich darum bisher im stillen besorgt gefragt, ob sie ihre Aufgabe auch wohl so, wie er es erwartete, gelöst haben würden. Jetzt begann er sich beruhigt zu fühlen, deutete auf das Wasser und sagte zu dem Bankier:

„Seht einmal her, Mr. Rollins! Das ist der Abfluß des Gloomy-water. Was meint Ihr wohl, was auf demselben schwimmt?“

„Petroleum?“ antwortete der Gefragte, indem er niederblickte.

„Ja, Petroleum.“

„Wirklich, wirklich! Schade darum, ewig schade, daß es fortfließt!“

„Laßt es laufen; es ist wenig genug. Das beste an meinem Funde ist ja eben der Umstand, daß der See nur diesen einen, so geringen und gar nicht nennenswerten Abfluß hat. Später könnt Ihr ja dafür sorgen, daß Euch selbst dieses kleine Quantum nicht entgeht.“

„Freilich, freilich! Aber Mr. Grinley, merkt Ihr nicht auch den Geruch?“

„Natürlich! Ich als der Entdecker dieses famosen Ortes muß ihn doch viel eher als Ihr bemerkt haben.“

„Er wird um so stärker, je weiter wir vorwärts kommen.“

„Wartet nur, bis wir an den See kommen. Ihr werdet Euch wohl wundern!“

Der Erdölgeruch wurde auch wirklich mit jedem Schritte stärker. Da traten die Wände der Schlucht plötzlich auseinander und vor den erstaunten Augen des Bankiers und seines Buchhalters öffnete sich eine länglich runde Thalmulde, deren Grund der Petroleumsee soweit ausfüllte, daß zwischen dem Ufer desselben und den Felsen, welche den nur schwer zu erklimmenden Rand des Thales bildeten, ein nur schmaler Bodenstreifen übrig blieb, auf welchem aus dichten Sträuchern riesige Schwarztannen emporragten. Eben solche Bäume stiegen an den Felsen ringsum bis zu dem Hochwalde hinauf, welcher da oben als Wächter zu stehen schien, um keinen einzigen Sonnenstrahl herabzulassen.

Hier unten herrschte trotz des hellen Tages Dämmerung. Kein Lüftchen bewegte die Zweige; kein Vogel war zu sehen; kein Schmetterling gaukelte über Blumen. Alles Leben schien erstorben zu sein. Schien? 0 nein, es schien nicht nur, sondern es war wirklich erstorben, denn auf dem See schwammen zahllose tote Fische, deren mattglänzende Leiber ganz eigenartig von der dunklen, ölig schimmernden Oberfläche abstachen. Dazu der außerordentlich starke Geruch des Öles. Dieser unbewegte und unbeleuchtete See, welcher wie ein im Tode erstarrtes Auge vor den Beschauern lag, führte seinen Namen Gloomy-water, finsteres Wasser, mit dem vollsten Rechte. Der Eindruck, welchen sein Anblick hervorbrachte, war ein derartiger, daß Rollins und Baumgarten eine ganze Weile an seinem Ufer hielten, ohne ein Wort zu sagen.

„Nun, das ist das Gloomy-water,“ unterbrach der Ölprinz die herrschende Stille. „Was meint Ihr dazu, Mr. Rollins? Gefällt es Euch?“

Aus seinem Staunen wie aus einem Traume erwachend holte dieser tief Atem und antwortete:

„Wie er mir gefällt? Welche Frage! Ich glaube, die alten Griechen hatten ein Wasser, über welches die Verstorbenen nach der Unterwelt fuhren. So wie der See hier muß dieses Wasser ausgesehen haben, gewiß so und nicht anders.“

„Weiß nichts von diesem griechischen Gewässer, möchte aber doch behaupten, daß es mit unserm Gloomy-water nicht zu vergleichen ist, denn ich glaube nicht, daß es dort Petroleum wie hier gegeben hat. Steigt ab, Sir, und untersucht das Öl; wir wollen einen Rundgang um den See machen!“

Die Reiter verließen ihre Sättel; sie mußten die Pferde anbinden, denn diese schnaubten und stampften und wollten fort. Der penetrante Petroleumgeruch war ihnen zuwider. Grinley trat hart an das Wasser heran, schöpfte mit der Hand, beroch und betrachtete es und sagte dann in triumphierendem Tone zu dem Bankier:

„Hier habt Ihr die Dollars zu Millionen schwimmen, Sir; überzeugt Euch selbst!“

Rollins schöpfte ebenso, ging weiter und schöpfte wieder; er untersuchte das Wasser an verschiedenen Stellen; er sagte kein Wort; er schüttelte und schüttelte nur immer wieder den Kopf. Er schien sprachlos geworden zu sein; aber seine Augen leuchteten und in seinen Zügen arbeitete die außerordentliche Erregtheit, welche sich seines Innern bemächtigt hatte. Seine Bewegungen waren hastig und dabei unsicher, fast taumelnd; seine Hände zitterten und er schien alle Kraft zusammennehmen zu müssen, um endlich mit beinahe überschnappender Stimme ausrufen zu können:

„Wer hätte das gedacht! Wer hätte das nur denken können! Mr. Grinley, ich finde alles, alles, was Ihr gesagt habt, hier übertroffen!“

„Wirklich? Freut mich, Sir, freut mich ungeheuer!“ lachte der Ölprinz. „Seid Ihr nun endlich überzeugt, daß ich ein ehrlicher Mann bin, der es aufrichtig mit Euch gemeint hat?“

Rollins streckte ihm beide Hände entgegen und antwortete:

„Gebt Eure Hände her; ich muß sie Euch schütteln und drücken. Ihr seid ein Ehrenmann, wie ich noch keinen gefunden habe. Verzeiht es uns, daß wir in unserm Vertrauen einigemal unsicher geworden sind! Wir waren nicht schuld daran!“

„Weiß es, weiß es, Sir,“ nickte Grinley in biederer Weise. „Diese Fremden machten Euch an mir irre. Hättet nicht auf sie hören sollen; ist jetzt aber alles gut, alles! Untersucht das Öl, Sir!“

„Habe schon, habe es untersucht.“

„Nun, und –“

„Es ist das schönste, das reinste Erdöl, welches zu haben ist. Woher kommt es? Hat der See einen Zufluß?“

„Nein, nur diesen kleinen Abfluß. Es muß eine unterirdische Quelle da sein, eine oder vielleicht zwei: eine für das Wasser und eine für das Erdöl. Ihr seht, man braucht das letztere nur so abzuschöpfen und in die Fässer zu füllen.“

Rollins wußte vor Entzücken weder aus noch ein. Baumgarten war nüchterner und bemerkte auf die letzten Worte:

„Ja, man braucht nur abzuschöpfen; aber was dann, wenn abgeschöpft worden ist? Wann und wie stark läuft es nachher wieder zu?“

„Natürlich schnell, so schnell, daß gar keine Unterbrechung der Arbeit eintreten wird.“

„Das möchte ich nicht ohne Kritik annehmen. Es kann doch nur soviel zulaufen, wie abläuft. Nun seht den spärlichen Abfluß hier, welcher unser Wegweiser gewesen ist. Ich glaube, das Wässerchen führt pro Stunde keinen Liter Öl mit sich fort; das ist die Ausbeute, die ganze Ausbeute, die wir zu erwarten haben.“

„Meint Ihr? Nicht mehr? Nicht mehr als bloß einen Liter in der Stunde?“ fragte der Bankier im Tone bitterster Enttäuschung.

Der Mund blieb ihm vor Schreck offen stehen; sein Gesicht war leichenblaß geworden.

„Ja, Mr. Rollins, so ist es,“ antwortete der Buchhalter. „Ihr müßt doch zugeben, daß der Zufluß nicht größer als der Abfluß sein kann? Und wenn er größer wäre, zehnmal größer, hundertmal! Was sind hundert Liter Öl in der Stunde? Nichts, gar nichts. Rechnet die Höhe des Anlage- und des Betriebskapitals, die Abgelegenheit dieser Gegend, die hier vorhandenen Gefahren, die Schwierigkeit des Absatzes! Und hundert Liter pro Stunde!“

„Kann es denn nicht doch mehr sein? Ist es nicht möglich, daß Ihr Euch irrt?“

„Nein und abermals nein. Wie alt ist dieser See? Die Jahre sind nicht zu zählen. Seit seiner Entstehung sind Jahrhunderte oder Jahrtausende vergangen; es fließt so wenig ab. Wenn mehr Öl zuflösse, wie hoch müßte es dann auf dem Wasser stehen! Nein, es ist nichts, gar nichts hier zu holen!“

„Nichts, gar nichts!“ wiederholte der Bankier, indem er mit beiden Händen nach dem Kopfe griff. „Also alle Hoffnung, alle Freude vergeblich! Den weiten, weiten Weg umsonst gemacht! Wer soll das aushalten; wer kann das ertragen!“

Auch der Ölprinz war über die Worte des Buchhalters erschrocken. Mit welchen Mühen und unter welchen Gefahren hatte er das Petroleum faßweise und nach und nach hierher geschafft und versteckt! Was hatte es ihm gekostet! Und nun er so nahe am Erfolge stand, sollte das alles vergeblich gewesen sein! Es flimmerte ihm vor den Augen; er fühlte sich ratlos, konnte kein Wort hervorbringen und richtete seine Blicke hilfesuchend auf seinen Stiefbruder Buttler.

Dieser hatte schon wiederholt gezeigt, daß er ihm an Schlauheit überlegen war, und auch jetzt zeigte es sich, daß der frühere Anführer der „Finders“ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Er gab ein kurzes, überlegenes Lachen zu hören und sagte zu dem Bankier:

„Was lamentiert Ihr denn, Mr. Rollins? Ich kann Euch nicht begreifen! Wenn es mit dem, was Ihr jetzt denkt und sagt, seine Richtigkeit hätte, so würde es Grinley nicht eingefallen sein, so große Hoffnungen auf das Gloomy-water zu setzen.“

„Meint Ihr?“ fragte Rollins schnell, indem er neuen Mut bekam.

„Ja, das meine ich. Und wenn das Öl hier nur so in Fässern zu schöpfen wäre, so würde er Euch den Platz nicht angeboten, sondern selbst behalten haben. Es ist eben die Sache, daß die Gewinnung des Öles einige kostspielige Vorbereitungen erfordert, zu denen er nicht die Mittel besitzt.“

„Vorbereitungen? Welche?“

„Hm! Es wundert mich Sehr, daß Ihr das nicht selbst findet. Habt Ihr vielleicht einmal Physik studiert?“

„Nein.“

„Hm! Schade drum! Brauchte Euch dann keine lange Erklärung zu geben. Will aber versuchen, es Euch deutlich zu machen. Ich setze den Fall, Euer Pferd liegt da im Grase und Ihr steigt in den Sattel. Wird es mit Euch aufstehen können?“

„Ja.“

„Ihr denkt also nicht, daß Ihr ihm zu schwer seid?“

„Nein; es steht auf.“

Well. Setze aber den andern Fall, daß anstatt des Pferdes ein Schoßhündchen hier läge. Würde das Euch auch in die Höhe bringen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich ihm zu schwer wäre.“

„Nun wohl, wendet das doch einmal auf das Petroleum an!“

„Wieso?“ fragte Rollins, der das, was Buttler meinte, nicht zu erraten vermochte.

„Mein Beispiel soll sagen, daß ein schwerer Körper, der auf einem leichteren lastet, diesen niederhält. Das begreift Ihr wohl?“

„Jetzt allerdings.“

„Und auch Ihr, Mr. Baumgarten?“

„Ja,“ nickte der Genannte, welcher den Worten Buttlers mit Aufmerksamkeit gefolgt war. Dieser fuhr fort: „Wißt Ihr nun aber auch, was schwerer ist, das Petroleum oder das Wasser?“

„Das Wasser,“ antwortete der Buchhalter.

Very well! Nun denkt Euch einmal, wie schwer die Wassermenge ist, welche sich hier im See befindet!“

„Tausende von Zentnern.“

„Und auf dem Grunde des Sees gibt es eine Petroleumquelle, das heißt ein kleines Loch, aus welchem das Öl heraus will; aber auf diesem Loche liegen viele tausend Zentner von Wasser. Kann da das Öl heraus?“

„Nein.“

Baumgarten ging in die Falle. Er war Kaufmann; von den physikalischen Gesetzen verstand er wenig; er wußte nicht, daß das Öl, gerade weil es leichter als das Wasser ist, emporsteigen müsse. Grinley begann von neuem aufzuatmen. Auf Buttlers Gesicht ließ sich ein siegesgewisses Lächeln sehen. Er sprach weiter:

„Also das Öl, welches aus der Erde strömen möchte, kann nicht in die Höhe. Wir sehen hier nur das geringe Quantum, welches oben durch irgend eine kleine Ritze aus der Erde sickert. Nun schafft aber einmal eine Pumpe her und pumpt das Wasser aus dem See, oder sorgt auf irgend eine andre Weise für den Abfluß desselben. Dann werdet Ihr sehen, daß ein Ölstrahl hundert Fuß hoch und noch höher in die Luft steigt. Das gibt dann einen Ölspring wie in Pennsylvanien, der an einem Tage mehrere hundert Fässer füllt. Hätte Grinley das Geld zu einem solchen Pumpwerke, so wäre es ihm nicht eingefallen, sich an Euch zu wenden. Da habt Ihr die Sache, wie sie steht. Macht, was Ihr wollt; aber besinnt Euch nicht lange. Wir finden allemal und zu jeder Zeit einen Unternehmer, welcher Geist und Mut genug besitzt, für einen solchen Lumpenpreis Millionen einzuheimsen.“

Das wirkte. Der Bankier jubelte von neuem und Baumgarten ließ alle seine Bedenken fallen. Öl war vorhanden, das sah man ja; man brauchte ihm nur einen Ausweg zu bahnen. Es wurde hin und her gesprochen, natürlich in einer Weise, welche den beiden Käufern die Köpfe verdrehte. Rollins entschloß sich auf den Handel einzugehen, und es geschah nur um der Form willen, daß er meinte, man müsse doch vorher den ganzen Umfang des Sees in Augenschein nehmen.

„Thut das, Mr. Rollins,“ sagte Grinley. „Poller mag Euch führen.“

Der Genannte entfernte sich mit Rollins und Baumgarten. Als sie fort waren, stieß der Ölprinz erleichtert hervor:

„Tausend Donner, war das eine fatale Lage! Fast wären die Kerls noch zu guter Letzt zurückgetreten! Dein Einfall war ausgezeichnet.“

„Ja,“ lachte Buttler. „Wäre ich nicht gewesen, so hättest du deinen Petroleumsee für dich behalten können. Nun aber bin ich überzeugt, daß sie auf den Leim gehen werden.“

„Man sollte es kaum für möglich halten, daß eine solche physikalische Erklärung so harmlos hingenommen wird!“

Pshaw! Rollins ist zu dumm und der Deutsche zu ehrlich.“

„Sie werden an der Höhle vorüberkommen. Es ist doch nichts zu sehen?“

„Nein. Die Arbeit hat uns freilich mehr als Schweiß gekostet. Dafür magst du aber auch Sorge tragen, daß der Handel noch heut zu stande kommt. Wir dürfen keine Stunde versäumen, denn es ist den Roten nicht zu trauen. Wir dürfen nicht länger als höchstens bis morgen früh hier bleiben. Wie fertigen wir denn die beiden Dummköpfe ab, mit dem Messer oder mit der Kugel?“

„Hm, ich möchte beides vermeiden.“

„Sie also leben lassen? Was fällt dir ein!“

„Versteh nicht falsch! Ich will sie bloß nicht sterben sehen; die Erinnerung daran ist unbehaglich. Was sagst du dazu, daß wir sie in die Höhle stecken?“

„Kein übler Gedanke. Wir binden sie und sperren sie hinein. Da gehen sie zu Grunde, ohne daß wir es anzusehen brauchen. Ich bin einverstanden. Aber wann?“

„Sobald wir das Geld haben, bekommt jeder einen Kolbenhieb auf den Kopf.“

„Auch Poller?“

„Der noch nicht. Wir haben ihn wahrscheinlich noch nötig. Bis wir diese gefährliche Gegend hinter uns haben, ist es besser, zu dreien, als nur zu zweien zu sein. Dann können wir uns seiner zu jeder Zeit entledigen.“

Ja, diese Gegend war allerdings für sie gefährlich. Sie ahnten nicht, daß sie beobachtet wurden. Gar nicht weit von ihnen, an der Stelle, wo die Schlucht auf den See mündete, lag ein Indianer hinter dem Gesträuch und beobachtete alles, was vor seinen Augen geschah. Es war der Navajo, welcher der Ermordung seiner beiden Gefährten hatte zusehen müssen, ohne sie verhindern zu können, Grinley und Buttler streckten sich jetzt in das Gras nieder. Als der Indianer dies bemerkte, sagte er zu sich selbst:

„Sie bleiben hier; sie werden diese Gegend jetzt noch nicht verlassen. Ich habe Zeit zu unsern Kriegern zu gehen und sie herbeizuholen.“

Er kroch hinter dem Busche hervor und verschwand in der Schlucht, ohne einen Eindruck seiner Füße im Boden zurückzulassen.

Einige Zeit später hatten die drei Weißen den See umgangen und kehrten zu Buttler und Grinley zurück.

„Nun, Mesch’schurs,“ fragte der letztere, „Ihr habt alles gesehen. Was gedenkt Ihr zu thun?“

„Kaufen,“ antwortete der Bankier.

„Ihr seid also überzeugt, daß Ihr ein Geschäft machen werdet?“

„Ja, wenn auch nicht so groß, wie Ihr Euch vorstellt.“

„Laßt diese Redensart, Sir! Ich gehe keinen Dollar von meiner Forderung herunter, habe überhaupt keine Lust, meine Zeit zu verlieren. Ich halte es nämlich doch für möglich, daß die Roten hinter uns her sind, und möchte ihnen nicht gern meinen Skalp überlassen.“

„So wollen wir schleunigst fort,“ sagte Rollins ängstlich.

„Ja, aber nicht eher, als bis der Handel perfekt ist. Es war ausgemacht, ihn hier am See abzuschließen. Sobald wir unterschrieben und die Papiere ausgetauscht haben, brechen wir auf.“

„Soll mir recht sein. Mr. Baumgarten, habt Ihr vielleicht noch ein Bedenken?“

Ehe der Gefragte antworten konnte, fiel Grinley in scharfem Tone ein:

„Wenn Ihr auch jetzt noch von Bedenken redet, Mr. Rollins, so muß ich das nun wirklich als eine Beleidigung ansehen. Sagt kurz, ob Ihr wollt oder nicht!“

Dadurch eingeschüchtert, erklärte der Bankier:

„Ich will; das versteht sich ganz von selbst.“

„Nun wohl; so können wir zum Abschlusse schreiten. Die Dokumente sind längst aufgesetzt und nur noch zu unterschreiben. Sucht Eure Tinte und Feder hervor!“

Rollins holte das Erforderliche aus seiner Satteltasche, erhielt nach geschehener Unterschrift den Besitztitel und den Kaufkontrakt und unterzeichnete dann die bereit gehaltene Anweisung auf San Francisco. Als Grinley dieselbe in die Hand bekam, betrachtete er sie mit gierigem Blicke und sagte, indem er ein ganz eigentümliches, nach innen gehendes Lachen hören ließ:

„So, Mr. Rollins, jetzt seid ihr Herr und Besitzer dieses großartigen Petroleumdistriktes. Ich wünsche Euch viel Glück! Und da Euch nun alles hier gehört und ich keinen Gebrauch mehr davon machen kann, will ich Euch ein Geheimnis entdecken, dessen Kenntnis Euch von großem Nutzen sein wird.“

„Was für ein Geheimnis?“

„Eine verborgene Höhle.“

„Weiter nichts?“

„Oho! Ihr sagt weiter nichts, als ob dies gar nichts wäre! Aber diese Höhle kann Euch oder Euern Leuten in der ersten Zeit als Vorratskammer dienen und als Versteck bei Indianerangriffen. Es ist sogar möglich, daß sie mit dem unterirdischen Petroleumbassin, welches hier unbedingt vorhanden ist, in Verbindung steht.“

„Ach, Petroleumbassin? Ist’s möglich?“

„Sehr sogar. Ich habe sie noch nicht untersucht.“

„So sagt schnell, wo sie ist! Ich muß sie sehen; ich werde sie später erforschen lassen.“

„Kommt; ich werde sie Euch zeigen.“

Sie gingen eine kurze Strecke am Ufer hin, bis da, wo der Felsen näher an das Wasser trat. Am Fuße dieses Felsens lag ein ziemlich hoher Geröllhaufen, dessen Spitze Buttler und Poller abzuräumen begannen. Bald wurde ein Loch sichtbar, welches in den Felsen führte.

„Das ist die Höhle; das ist sie!“ rief der Bankier aus. „Machen wir den Zugang weiter; schnell! Helft mit dabei, Mr. Baumgarten!“

Die beiden bückten sich nieder, um sich an der Arbeit zu beteiligen. Buttler stand auf und blickte Grinley fragend an. Dieser nickte. Sie ergriffen ihre Gewehre; jeder von ihnen that einen Kolbenschlag – – der Bankier und Baumgarten stürzten, an ihre Köpfe getroffen, vornüber; sie wurden an Händen und Füßen gefesselt und, als der Eingang weit genug geworden war, in die Höhle geschafft und weit hinten in derselben niedergelegt. Wären sie nicht betäubt gewesen, so hätten sie die vielen Fässer gesehen, mit denen die Höhle fast ganz ausgefüllt war.

Hierauf wurde das Geröll wieder aufgeschichtet, bis das Loch nicht mehr zu sehen war. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß die drei Mörder ihren Opfern außer den Kleidern alles, was dieselben besaßen, abgenommen hatten. Dann begaben sie sich zu ihren Pferden zurück.

„Endlich!“ sagte der Ölprinz. „Noch kein Geschäft hat mir so viel Mühe und Sorge gemacht, wie dieses. Und noch ist es nicht vollständig gelungen. Es gilt nun erst, die Anweisung nach San Francisco zu schaffen. Hoffentlich kommen wir glücklich dort an! Wir brechen natürlich doch gleich auf?“

„Ja,“ antwortete Poller. „Vorher aber müssen wir uns doch teilen.“

„Worin?“

„In die Gegenstände, die wir den beiden abgenommen haben.“

„Ist das denn sofort nötig?“

„So sehr nicht; aber es ist jedenfalls besser, es weiß ein jeder, was ihm gehört.“

Grinley hätte ihn am liebsten sogleich niedergeschlagen, aber er sagte sich, daß ihm das, was er jetzt bekam, später doch wieder abgenommen würde. Darum entschied er im Tone der Gutwilligkeit:

„Meinetwegen, die Pferde bleiben natürlich ungeteilt, und über die andern Gegenstände werden wir uns nicht zanken. Wir sind Freunde und Brüder, die sich wegen Kleinigkeiten nicht veruneinigen werden.“

Sie setzten sich nieder und breiteten die geraubten Waffen, Uhren, Ringe, Börsen und andren Gegenstände vor sich aus, um ihren Wert zu taxieren und sie nach demselben unter sich zu verteilen.

Während dies geschah, kamen durch die Schlucht, die nach dem See führte, acht Indianer geschlichen. Es waren Navajos; an ihrer Spitze huschte der Kundschafter, welcher schon vorhin hier gewesen war. Am Eingange zum Thale angekommen, blieben sie halten und lauschten hinter den Büschen hervor, Sie sahen die drei Weißen sitzen.

„Uff!“ flüsterte der Älteste von ihnen, indem er sich an den Kundschafter wandte, „es ist wirklich so, wie mein Bruder berichtet hat: der See ist voll Petroleum. Wo ist dasselbe hergekommen?“

„Die Bleichgesichter werden es wissen,“ antwortete der andre.

„Hat mein Bruder nicht fünf Weiße gezählt? Ich sehe nur drei.“

„Vorhin gab es fünf; es fehlen zwei. Diese drei sind diejenigen, welche ich bei Mokaschi, dem Häuptling der Nijoras sah.“

„Welcher von ihnen hat unsern Bruder Khasti-tine ermordet?“

„Der, welcher jetzt zwei Flinten in den Händen hat.“

Er meinte damit den Ölprinzen.

„Er wird eines bösen Todes sterben; aber auch die beiden andern kommen an den Marterpfahl. Uff! Sie teilen die Sachen, welche vor ihnen liegen. Bald erhält der eine etwas und bald der andre. Der vierte und der fünfte sind verschwunden. Die Sachen haben ihnen gehört. Sollten sie getötet worden sein?“

„Wir werden es erfahren. Wann ergreifen wir sie?“

„Jetzt gleich. Sie achten auf nichts als auf ihren Raub und werden so erschrecken, daß sie sich gar nicht wehren. Meine Brüder mögen mir schnell folgen.“

Er schnellte sich, die sieben andern hinter ihm her, auf die drei Weißen zu. Dieser Überfall kam so plötzlich und wurde so rasch ausgeführt, daß sie gebunden waren, ehe sie nur einen Schrei ausgestoßen oder ein Glied zu ihrer Verteidigung gerührt hatten. Vor Angst versagte ihnen die Sprache.

Auch die Roten sprachen zunächst kein Wort. Fünf von ihnen setzten sich zu den Gefangenen nieder; die andern drei entfernten sich, um das Thal abzusuchen. Als sie zurückkehrten, meldete einer von ihnen:

„Die zwei Bleichgesichter bleiben verschwunden. Wir haben keinen von ihnen gesehen.“

„Sind sie nicht am Felsen emporgestiegen?“ fragte der Älteste.

„Nein; dann hätten wir ihre Spuren gesehen.“

„Wir werden sogleich erfahren, wo sie zu suchen sind.“

Er zog sein Messer, setzte es dem Ölprinzen auf die Brust und drohte:

„Du bist der Schurke, welcher Khasti-tine, unsern jungen Bruder, ermordet hat. Sagst du mir nicht augenblicklich, wo die zwei Bleichgesichter hingekommen sind, welche vorhin noch bei euch waren, so stoß‘ ich dir dieses Eisen in das Herz!“

Dieser Befehl versetzte Grinley in großen Schrecken. Gehorchte er, so holten die Indianer den Bankier und seinen Buchhalter ganz gewiß aus der Höhle; das aber durfte nicht geschehen. Gehorchte er nicht, so stand zu erwarten, daß der Rote seine Drohung ausführen und ihn erstechen werde. Was thun? Da half ihm wieder der listigere Buttler aus der Not; dieser rief dem Indsman zu:

„Du irrst dich. Der Mann, den du erstechen willst, ist nicht der Mörder von Khasti-tine, Wir sind ganz unschuldig an dem Tode desselben.“

Der Indianer ließ von dem Ölprinzen ab und wendete sich an Buttler:

„Schweig! Wir wissen gar wohl, wer der Mörder ist.“

„Nein, ihr wißt es nicht!“

„Dieser unser Bruder hat es gesehen.“

Er deutete auf den Kundschaften

„Er irrt sich,“ behauptete Buttler trotzdem. „Er hat uns bei dem Häuptling der Nijoras gesehen; aber als die beiden Schüsse fielen, standen wir so, daß sein Blick uns gar nicht treffen konnte.“

„So willst du wohl leugnen, bei der Ermordung unsrer beiden Brüder zugegen gewesen zu sein?“

„Nein. Ich habe noch nie eine Lüge gesagt und auch jetzt fällt es mir gar nicht ein, gegen die Wahrheit zu sprechen. Die beiden weißen Männer, nach denen du gefragt hast, sind die Mörder.“

„Uff!“ rief der Rote. „Wir sehen sie nicht; sie sind also fort. So suchst du euch zu retten, indem du die Schuld auf sie wirfst!“

„Sie sind fort, sagst du? Wohin sollen sie sein? Ihr seid Kundschafter, also Krieger, welche scharfe Augen besitzen. Habt ihr denn ihre Spuren gesehen, welche gewiß zu finden wären, wenn sie sich wirklich entfernt hätten?“

„Nein. Du willst also sagen, daß sie noch hier sind?“

„Ja.“

„Wo?“

„An einem Orte, wo ihr sie nicht sehen könnt.“

„Welchen Ort meinst du?“

„Diesen.“

Er deutete auf das Wasser.

„Uff! Sie befinden sich in diesem See?“

„Ja.“

„Sie sind also ertrunken?“

„Ja.“

„Lüg nicht! Es gibt keinen Menschen, der in dieses ölige Wasser ginge.“

„Freiwillig nicht; das ist richtig. Sie wollten nicht hinein, aber sie mußten doch.“

„Wer hat sie gezwungen?“

„Wir. Wir haben sie ersäuft.“

„Ihr – habt – sie – – ersäuft?“ fragte der Indianer. Er war ein Wilder und fühlte doch einen so großen Abscheu vor einer solchen That, daß er die Worte nur in Absätzen herausbrachte. „Ersäuft? Warum?“

„Zur Strafe. Sie waren unsre Todfeinde.“

„Und doch befanden sie sich bei euch! Niemand pflegt in Gesellschaft seiner Todfeinde zu reiten.“

„Wir haben von ihrer Feindschaft nichts gewußt; wir merkten es erst, als wir hier ankamen.“

„Was hattet Ihr ihnen gethan?“

„Nichts. Sie wollten diesen Ölsee allein besitzen und darum uns ermorden. Als wir dies bemerkten, haben wir sie unschädlich gemacht, indem wir sie in das Wasser warfen.“

„Wehrten sie sich nicht?“

„Nein. Wir schlugen sie ganz plötzlich mit den Kolben nieder.“

„Warum sieht man sie nicht?“

„Weil wir ihnen Steine an die Füße gebunden haben; da sind sie auf den Grund gegangen.“

Der Rote schwieg eine Weile. Er überlegte, ob es geraten sei, die Angaben Buttlers zu glauben. Dann sagte er:

Ach will glauben, daß du die Wahrheit redest. Aber mir graut vor euch. Ihr habt Söhne Eurer eignen Rasse ersäuft, so wie man räudige Hunde in das Wasser wirft. Ihr habt sie heimlich getötet, ohne mit ihnen zu kämpfen. Ihr seid böse Menschen!“

„Konnten wir anders handeln? Sollten wir etwa warten, bis sie ihren Plan ausführten und uns hinterrücks niederschossen? Das wollten sie nämlich thun; wir haben sie belauscht.“

„Wie ihr über diese Sache denkt, das geht mich nichts an; kein roter Mann ersäuft einen andern Indianer und wenn es sein größter Feind wäre. Seid ihr schon einmal an diesem Wasser gewesen?“

„Ja, ich,“ antwortete der Ölprinz jetzt.

„Wann?“

„Vor mehreren Monden.“

„War schon damals dieses Öl vorhanden?“

„Ja. Darum ging ich fort, um noch einige Weiße herbeizuholen und es ihnen zu zeigen. Ich wollte mit ihnen eine Gesellschaft zur Gewinnung des Öles gründen. Diese beiden aber wollten uns ermorden, um die alleinigen Besitzer zu sein.“

„Uff! Vorher hat es hier niemals Öl gegeben. Es muß erst kürzlich aus der Erde hervorgebrochen sein. Aber wie konntet ihr euch als Besitzer des Sees dünken! Er gehört den roten Männern. Die Bleichgesichter sind Räuber, welche zu uns kommen, um uns alles zu nehmen, was uns gehört. Der Tomahawk ist ausgegraben. Wäret ihr daheim geblieben! Indem ihr hierhergekommen seid, seid ihr in den Tod geritten.“

„In den Tod? Seid ihr ehrliche Krieger oder seid ihr Mörder? Wir haben euch doch nichts gethan!“

„Schweig! Ist nicht Khasti-tine mit seinem Gefährten ermordet worden?“

„Leider; aber nicht wir sind es, die sie getötet haben.“

„Ihr waret dabei: Ihr hättet die That verhüten sollen.“

„Das war unmöglich. Die beiden Kerle schossen so schnell, daß wir keine Zeit fanden, auch nur ein einziges Wort dagegen zu sagen.“

„Das rettet euch nicht. Ihr habt euch in der Gesellschaft der Mörder befunden; ihr werdet sterben. Wir werden euch zu unserm Häuptling bringen; da werden die Alten über euch zur Beratung sitzen, welchen Tod ihr zu erleiden habt.“

„Aber wir haben doch die beiden Mörder bestraft; dafür solltet ihr uns dankbar sein.“

„Dankbar?“ hohnlachte der Rote. „Meinst du, daß du uns damit einen Dienst erwiesen hast? Es wäre uns lieber, sie lebten noch; da könnten wir uns ihre Skalpe holen und sie am Marterpfahle sterben lassen. Um diese Freude habt ihr uns gebracht. Willst du dich dessen rühmen? Euer Schicksal ist bestimmt; der Tod erwartet euch. Ich habe gesprochen!“

Er wendete sich ab, zum Zeichen, daß er kein Wort mehr sagen werde. Nun wurden ihnen die Taschen geleert. Die Indianer nahmen alles an sich, was sich in denselben befand. Nur als der Anführer die Anweisung sah, faßte er sie vorsichtig mit den Fingerspitzen an, schob sie wieder in die Tasche Grinleys zurück und sagte:

„Das ist Zauberei, ein redendes Papier; kein roter Krieger nimmt ein solches in die Hände, denn es würde später alle seine Gedanken, Worte und Thaten verraten.“

Das war dem Ölprinzen natürlich lieb. Er hoffte zu entkommen, das war dann mit der Anweisung natürlich weit besser, als ohne dieselbe.

Mittlerweile war der Tag so weit vorgeschritten, daß es am See schon dunkel zu werden begann. Die Indianer wären hier über Nacht geblieben, doch trieb sie der Ölgeruch davon. Die Gefangenen wurden auf ihre Pferde gefesselt; dann ritten sie davon, durch die Schlucht zurück und dann ein Stück in den Wald hinein, wo es Wasser gab. Hier saßen sie ab, banden die Gefangenen an drei Bäume und trafen ihre Vorbereitungen zum Lagern. Sie schienen sich an dieser Stelle vollständig sicher zu fühlen; aber hätten sie gewußt, was hinter ihnen geschah, so wären sie gewiß so weit wie möglich fortgeritten.

Mokaschi nämlich, der Häuptling der Nijoras, war, als die fünf Weißen ihn verlassen hatten, so vorsichtig gewesen, die Spuren der Navajokundschafter noch einmal genauer zu untersuchen. Er hatte vorher schon gesehen, daß außer den zwei Ermordeten noch ein dritter dagewesen war; nun wollte er wissen, wo dieser hingekommen war.

Nach längerem Suchen fand er die Fährte; sie führte auf einem Umwege auf die Spur der Bleichgesichter und dann hinter denselben her.

„Dieser Navajo will sich an den Mördern rächen. Er folgt ihnen; daraus ist zu schließen, daß der Kriegertrupp, zu welchem er gehört, sich in derselben Richtung befindet. Wir werden ihm nachreiten und diese Navajos gefangen nehmen.“

So sagte der Häuptling und ritt zunächst in die gerade entgegengesetzte Richtung, bis er eine tief versteckte Lichtung im Walde erreichte, wo ungefähr dreißig Nijorakrieger lagerten, Das waren die Kundschafter, welche dem eigentlichen großen Kriegertruppe voranritten. Mit diesen Leuten kehrte er zu der Fährte der Weißen und des Navajo zurück und folgte derselben. Dabei gebrauchte er die Vorsicht, einen einzelnen seiner Leute weit vorauszusenden.

Sie kamen bis in die Nähe der Schlucht, welche auf den Ölsee mündete. Dort versteckten sie sich. Nach kurzer Zeit sahen sie den Navajokundschafter aus der Schlucht kommen und eiligst fortspringen. Einer der Nijoras machte eine Bewegung, als ob er auf ihn schießen wolle; der Häuptling machte eine abwehrende Handbewegung und flüsterte ihm zu:

„Laß ihn laufen! Er wird bald wiederkommen und andre Navajos mitbringen. Die fangen wir dann.“

Schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit zeigte es sich, daß er ganz richtig vermutet hatte, denn der Kundschafter kehrte mit sieben andern zurück, mit denen er in die Schlucht hineinritt. Sie wollten am Ende derselben von den Pferden steigen und die Weißen überfallen.

Die Nijoras warteten. Mokaschi wunderte sich nicht wenig, als er die Navajos dann mit nur drei Weißen aus der Schlucht kommen sah. Er hatte sie in dem Augenblicke, an welchem er sie aus derselben herauskommen sah, überfallen wollen, gab aber seinen Leuten nun einen Wink, noch versteckt zu bleiben. Er wollte erst sehen, warum zwei Weiße fehlten. Darum ließ er die Feinde fort und ging dann mit noch einigen seiner Leute durch die Schlucht nach dem „finstern Wasser“. Sie suchten so schnell, aber auch so vorsichtig wie möglich den ganzen Rand desselben ab, doch ohne eine Spur der fehlenden Bleichgesichter zu entdecken.

„Fort können sie nicht sein,“ sagte Mokaschi. „Sie leben nicht mehr, und da wir ihre Leichen nicht sehen, sind sie gewiß in das Wasser geworfen worden.“

Er verließ mit seinen Begleitern den See und kehrte zu dem Verstecke der andern zurück. Dort blieben die Pferde unter der Aufsicht von zwei Wächtern zurück; mit den übrigen achtundzwanzig Männern machte er sich zu Fuße hinter den Navajos her. Diese waren jedenfalls nicht weit entfernt, da der Abend hereinzubrechen begann, und also anzunehmen war, daß sie bald lagern würden.

Es war gerade noch so hell, daß man ihre Spuren erkennen konnte; sie führten in den Wald hinein, wo sie dann nicht mehr zu sehen waren. Mokaschi ließ sich dadurch nicht stören. Um die Gesuchten zu finden, brauchte er nur die bisherige Richtung einzuhalten.

Es dauerte auch gar nicht lange, so bemerkte er erst einen Brandgeruch und gleich darauf den Schein eines kleinen indianischen Lagerfeuers. Er blieb halten und flüsterte seinen Leuten zu:

„Diese Navajos sind keine Krieger, sondern junge Knaben, welche keinen Verstand besitzen. Welcher Kundschafter brennt des Nachts ein Feuer an! Meine Brüder mögen sie umzingeln und, sobald ich den Kriegsruf hören lasse, sich auf sie werfen. Wir müssen sie lebendig haben, um sie an den Marterpfahl binden zu können.“

Die Nijoras huschten wie unhörbare Schatten unter den Bäumen hin. Mokaschi schlich sich möglichst nahe zum Feuer heran und nahm sich einen Navajo ins Auge, den er fassen wollte. Als er sich nach einigen Minuten sagen konnte, daß seine Leute bereit seien, stieß er den bekannten, schrill durch den Wald schneidenden Ruf aus und sprang mitten unter die Navajos hinein, um den Betreffenden zu packen. In demselben Augenblicke wiederholten seine Krieger das Kriegsgeschrei und warfen sich von allen Seiten auf die Feinde, welche eine solche Überrumpelung für ganz unmöglich gehalten hatten und so überrascht, so erschrocken waren, daß sie für den Augenblick gar nicht an Widerstand dachten. Sie wurden überwältigt, ohne daß auch nur einer von ihnen Zeit fand, nach dem Messer, Gewehre oder Tomahawk zu greifen.

„Gott sei Dank!“ raunte der Ölprinz seinen beiden Gefährten zu. „Wir sind nun gerettet!“

„Oder nicht!“ antwortete Poller.

„O, gewiß. Mokaschi hat uns ja schon einmal fortreiten lassen. Aus welchem Grunde sollte er uns jetzt festhalten?“

„Aus gar keinem. Diese roten Halunken fragen eben gar nicht nach Gründen.“

„Wartet es ab! Ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“

Niemand hatte auf dieses kurze, leise Gespräch geachtet. Die Navajos lagen gebunden auf der Erde; die Nijoras teilten sich in ihre Waffen. Mokaschi stand hoch aufgerichtet am Feuer und gebot:

„Die Söhne der Navajos mögen mir sagen, welcher von ihnen ihr Anführer ist!“

„Ich bin es,“ antwortete der älteste.

„Wie ist dein Name?“

„Ich werde das schnelle Roß genannt.“

„Dieser Name mag zutreffend sein. Auf der Flucht vor dem Feinde wirst du noch schneller als der Mustang der Prairie sein.“

„Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, lügt. Noch niemals hat ein Feind meinen Rücken zu sehen bekommen!“

„Du nennst meinen Namen; also kennst du mich?“

„Ja, ich habe dich gesehen. Du bist ein kluger und tapferer Krieger. Ich wollte, daß ich mit dir kämpfen dürfte. Dein Skalp würde dann an meinem Gürtel hangen.“

„Meinen Skalp wird nie ein Feind besitzen, am allerwenigsten einer, wie du bist. Hat der große Geist euch denn ohne Gehirn erschaffen? Wißt ihr nicht, daß die Späher der Nijoras ebenso gegen euch unterwegs sind, wie ihr gegen sie? Welcher Kundschaftet geht durch den Wald und über das Gras, ohne sich nach den Spuren seiner Feinde umzusehen? Ein kluger Späher trachtet vor allen Dingen darnach, verborgen zu bleiben; ihr aber brennt ein Feuer an, als ob es euch gerade darauf ankomme, uns herbeizulocken! Ihr werdet freilich nie wieder Gelegenheit haben, solche Fehler zu begehen, denn ihr werdet am Pfahle sterben und vorher so gemartert werden, daß vor Schmerzen eure Stimmen über alle Berge schallen.“

Da antwortete das „schnelle Roß“:

„Martert uns! Wir werden als Krieger sterben, keinen Laut hören lassen und mit keiner Wimper zucken. Die Krieger der Navajos haben gelernt, die größten Schmerzen zu verachten. Was werdet ihr mit diesen Weißen thun?“

Als der Ölprinz diese Frage hörte, antwortete er:

„Mokaschi, der edle und berühmte Häuptling, wird uns freilassen.“

Aber dieser edle und berühmte Häuptling fuhr ihn an:

„Hund! Wer wurde gefragt, ich oder du? Wie kannst du es wagen, vor mir zu reden, noch ehe ich den Mund geöffnet habe!“

„Weil ich weiß, daß du das thun wirst, was ich gesagt habe.“

„Was ich thun werde, wirst du bald erfahren. Einmal habe ich euch ziehen lassen, um euch zu zeigen, daß ich euch verachte; zweimal aber kann dies nicht geschehen. Ihr waret fünf Bleichgesichter. Wo sind die zwei, welche fehlen?“

„Tot,“ antwortete Grinley bedeutend kleinlauter als vorher.

„Tot? Wer hat sie getötet?“

„Wir.“

„Warum?“

„Weil wir bemerkten, daß sie uns nach dem Leben trachteten. Sie wollten uns heimlich ermorden.“

Mokaschi zog die Brauen erstaunt empor und rief aus:

„Uff! Euch heimlich ermorden? Diese Leute! Wer hat euch diese Lüge gesagt?“

„Es ist keine Lüge, sondern Wahrheit. Sie sprachen miteinander, als sie glaubten, daß wir es nicht hörten; aber ich belauschte sie.“

„Hund, das ist eine Lüge! Ich habe die Augen, die Gesichter dieser zwei Männer genau betrachtet; sie waren gute und ehrliche Menschen; ihr aber seid Mörder und Diebe, die man ausrotten muß wie wilde und giftige Tiere. Wo befinden sich ihre Leichen? Ich habe sie nicht gesehen.“

„Im Wasser.“

„Auch sah ich keine Spur von Blut. Also habt ihr sie nicht vorher getötet, ehe sie in das Wasser geworfen wurden?“

„Nein.“

„So sind sie ersäuft worden?“

„Ja.“

Es kostete dem Ölprinzen große Anstrengung, dieses ja auszusprechen. Die Wirkung zeigte sich sofort: Der Häuptling versetzte ihm einen Fußtritt, spie ihm ins Gesicht und rief:

„Ungeheuer, du scheußliches! Du bist kein Mensch, sondern ein Ungeziefer, und sollst eines Todes sterben, welcher deiner würdig ist. Seine Gefährten, die ihn nicht beleidigt haben, nicht nur zu erschlagen, sondern sogar zu ersäufen! Du bist hinterrücks über sie hergefallen, wie du auch Khasti-tine heimtückisch ermordet hast!“

Als das „schnelle Roß“ dies hörte, richtete er sich auf, soweit seine Fesseln dies erlaubten, und sagte:

„Welche Worte hat Mokaschi da gesprochen? Wer hat Khasti-tine ermordet?“

„Dieses Bleichgesicht, welches wagt, zu glauben, daß ich es freilassen werde.“

„Uff! Der Elende sagte, die beiden Ersäuften seien die Mörder.“

„Lüge! Er selbst hat sich gegen mich gerühmt, die beiden Späher der Navajos getötet zu haben. Der feige Schurke bebt nun vor Angst und schiebt die Schuld den zwei ehrlichen Männern zu, welche er ermordet hat. Diese zwei erschossenen Späher und die beiden ermordeten Bleichgesichter sollen fürchterlich gerächt werden, obgleich keiner von ihnen zu meinem Stamme gehört hat. Seht diese drei weißen Mörder vor euch liegen, ihr roten Krieger, sie werden Qualen erleiden müssen, ohne sterben zu können, und dann am Ende ersäuft werden, wie sie ihre Opfer auch ersäuft haben. Howgh; ich habe es gesagt!“

Er spie dem Ölprinzen nochmals in das Gesicht, gab Buttler und Poller je einen sehr kräftigen Fußtritt und wendete sich dann von ihnen ab.

Es wurde ein Bote fortgeschickt, welcher die Pferde holen mußte; als diese kamen, wurde getrocknetes Fleisch aus den Satteltaschen genommen und das Mahl gehalten. Die gefangenen Navajos bekamen auch zu essen; die drei Weißen aber erhielten keinen Bissen.

„Verteufelte Geschichte!“ flüsterte Buttler seinem Stiefbruder zu. „Dieses Ersäufen bricht uns den Hals. Es wäre doch vielleicht besser gewesen, die Wahrheit zu sagen.“

„Nein,“ antwortete der Ölprinz. „Die roten Kerls hätten den Bankier und den Deutschen befreit, ohne daß unsre Lage dadurch verbessert worden wäre. Vor allen Dingen wären wir um die Anweisung gekommen.“

Pshaw! Was nützt sie uns, wenn wir am Marterpfahle braten!“

„So weit ist es noch nicht.“

„Wird aber so weit kommen! Hast ja gehört, was der Häuptling sagte!“

„Gesagt wird manches, was dann doch nicht zur Ausführung kommt.“

„So hast du noch Hoffnung?“

„Natürlich! Befinde mich nicht zum erstenmal in einer solchen Klemme; bin immer mit einem blauen Auge davongekommen. Und selbst wenn ich an den Marterpfahl gebunden werde, halte ich noch immer die Hoffnung fest, bis sie mir den Todesstoß versetzen. Es hat, wie du weißt, schon mancher am Pfahle gehangen und ist doch gerettet worden.“

„Der hatte Freunde, die ihn befreiten; wen aber haben wir?“

„Hm!“

„Keinen Menschen, welcher um unsertwillen wagen würde, hier mit den Roten anzubinden. Wenn die Befreiung nicht uns selbst gelingt, so sind wir verloren.“

Er hatte nur zu recht. Wenn sie es wert gewesen wären, Freunde zu besitzen, so hätten sie jetzt die Hilfe aus der Not viel, viel näher gehabt, als sie glauben oder auch nur ahnen konnten. Es waren Helfer da, nämlich Old Shatterhand und Winnetou.

Diese beiden Männer waren seit dem Augenblicke, an welchem sie nach ihrem Zusammentreffen den Ölprinzen mit seinen Begleitern belauscht hatten, entschlossen gewesen, diesen fünf Männern nach dem Gloomy-water zu folgen. Dadurch aber, daß sie vorher nach dem Pueblo mußten, um die dortigen Gefangenen zu befreien, hatte Grinley einen Vorsprung von zwei Tagereisen bekommen. Eine dieser Tagereisen war diesem freilich dadurch verloren gegangen, daß er Buttler und Poller nach dem See vorausgeschickt hatte und einen ganzen Tag lang liegen geblieben war. Und die zweite Tagereise wurde beinahe dadurch wieder eingebracht, daß Winnetou und Old Shatterhand die besten Pferde der Puebloindianer mitgenommen hatten; der Ritt ging also schneller als sonst von statten. Überdies folgte man keineswegs den Spuren des Ölprinzen; Winnetou wußte einen Weg, welcher mit Umgehung verschiedener Terrainschwierigkeiten rascher an das Ziel führte, und so kam es, daß der Reitertrupp heute kurz vor Abend höchstens noch zwei Stunden zu reiten hatte, um den See zu erreichen. Das war eine Leistung, welche um so mehr anerkannt zu werden verdiente, als sich ja Frauen und Kinder dabei befanden.

Seit dem Pueblo bis hierher war man auf keine einzige Fährte getroffen. Jetzt aber vereinigten sich die Richtungen Old Shatterhands und des Ölprinzen. Da verstand es sich ganz von selbst, daß der erstere auf die Spur des letzteren treffen mußte. Dies geschah an einer Stelle, wo sie über eine Lichtung führte, welche mehr eine Waldwiese als eine Prairie zu nennen war. Man sah sie als ziemlich breite und gerade Linie über dieselbe gehen. Der Zug hielt an. Winnetou und Old Shatterhand stiegen von ihren Pferden, um diese Fährte anzusehen. Die andern blieben im Sattel sitzen; sie waren gewohnt, den beiden ebenso berühmten wie scharfsinnigen Männern den Vortritt zu lassen. Selbst Sam Hawkens, so erfahren und listig wie er war, pflegte sich erst dann der Sache anzunehmen, wenn er von den beiden dazu aufgefordert wurde.

Die Spur schien sehr schwer zu lesen zu sein, denn Old Shatterhand folgte ihr vorwärts, Winnetou schritt sie rückwärts ab, und es verging beinahe eine Viertelstunde, ehe sie wieder um- und zueinander zurückkehrten. Sie stießen gerade da, wo die Reiter hielten, wieder zusammen, so daß also die andern hörten, was sie sich mitzuteilen hatten.

„Was sagt mein roter Bruder zu dieser Spur?“ fragte Old Shatterhand seinen Freund. „Ich habe noch selten eine Fährte gefunden, welche so schwer zu verstehen ist.“

Winnetou blickte gerade vor sich hin, in die Luft hinein, als ob die Erklärung dort zu lesen sei, und antwortete mit der ihm eigenen Bestimmtheit, der man es stets anhörte, daß jede Täuschung ausgeschlossen sei:

„Wir werden morgen dreierlei Menschen sehen- Bleichgesichter und Krieger von zwei roten Nationen.“

„Ja, das meine ich auch. Die Roten werden Navajos und Nijoras sein. Diese drei Parteien befinden sich in diesem Augenblicke am Gloomy-water, um einander zu beschleichen.“

„Mein weißer Bruder hat das richtige erraten, wie immer und stets. Erst sind hier fünf Pferde geritten; das waren die Bleichgesichter, denen wir folgen. Dann kam ein einzelner Reiter und später folgte ein Trupp, welcher wohl aus dreimal zehn Männern bestehen kann.“

Nach diesen Worten blickte er nach Westen, um sich über den Stand der Sonne zu unterrichten, und fuhr dann fort:

„Es wäre wohl vorteilhaft, noch heute das Gloomy-water zu erreichen; aber die Zeit ist zu kurz und die Gefahr dabei zu groß. Was sagt Old Shatterhand dazu?“

„Ich gebe dir recht. Ehe wir am Wasser ankämen, würde es Nacht sein, also zu spät, um noch etwas vornehmen zu können. Wir würden nichts sehen, dafür aber im Gegenteile von den Feinden bemerkt werden. Und schließlich ist zu bedenken, daß unser Trupp nicht nur aus Kriegern oder Männern zusammengesetzt ist.“

„Sehr richtig! Wir können erst morgen früh, wenn es hell geworden ist, an das Wasser und werden also baldigst Lager machen.“

„Wo?“

„Winnetou kennt einen Ort, welcher eine Stunde vom Gloomy-water entfernt ist. Dort kann man sogar ein Feuer anbrennen, welches weder gesehen noch gerochen werden kann. Meine Brüder mögen mir dorthin folgen!“

Damit war für ihn die Sache entschieden und geordnet; er ritt weiter, ohne sich umzusehen, ob die andern ihm auch folgten. Old Shatterhand aber blieb halten, denn er sah mit leisem Lächeln, daß die Westmänner jetzt von den Pferden stiegen, um nun auch ihrerseits die Fährte zu untersuchen. Es war jenes gutmütig-überlegene Lächeln, mit welchem zum Beispiel ein Klaviervirtuos die „berühmten“ Klosterglocken oder das ebenso bekannte Gebet einer Jungfrau spielen hört.

Sie suchten hin und her, teilten sich leise ihre Meinungen mit und schienen nicht einig werden zu können. Da mahnte Old Shatterhand endlich:

„Macht, daß ihr fertig werdet, Mesch’schurs! Winnetou ist schon weit fort und wird soeben dort im Wald verschwinden.“

„Ja, Sir,“ antwortete Sam Hawkens, indem er sich kratzte, „ihr beide habt gut reden, ihr seid Meister; unsereiner aber wird aus der Sache nicht so schnell klug wie ihr, wenn ich mich nicht irre.“

„Was ist denn noch Unklares dabei?“

„Das von den zwei roten Parteien.“

„Das ist doch sehr leicht zu ersehen.“

„Finde es nicht so leicht. Zuerst gab es fünf Reiter; das war natürlich der Ölprinz mit seinen Leuten. Zuletzt kamen ungefähr dreißig Pferde; die wurden von Indianern geritten. Das ist die eine Partei. Nicht?“

„Ja.“

„Und die andre Partei?“

„Ist der einzelne Indianer, welcher den Weißen gefolgt ist.“

„Kann der nicht zu den dreißig Roten gehören?“

„Nein.“

„Er kann doch von ihnen vorausgeschickt worden sein.“

„Nein, denn in diesem Falle wäre er zu ihnen zurückgekehrt, um ihnen Nachricht zu bringen, was aber nicht geschehen ist. Wir wissen, daß der Tomahawk des Kampfes ausgegraben worden ist; wenn es in der hiesigen Gegend zum Streite kommt, so kann es nur zwischen den Nijoras und Navajos geschehen. Diese beiden Nationen senden vorher Kundschafter gegeneinander aus. Die dreißig Reiter, welche hier geritten sind, bilden einen Spähertrupp. Sie sind auf die Spur des einzelnen gestoßen, welcher sie dann folgten, um über seine Kameraden herzufallen.“

„Kameraden? Sollte er welche haben?“

„Das versteht sich ganz von selbst. Keine kriegführende rote Nation schickt einen einzelnen Mann auf Kundschaft aus; die Späher gehen in Trupps; er hat sich aus irgend einem Grunde von dem seinigen entfernt und kehrt jetzt zu ihm zurück. Sie verfolgen ihn.“

„Und gerade auf der Spur der Weißen?“

„Warum nicht? Das kann sowohl Zufall als auch Absicht sein. Kein Späher darf eine Fährte, welche er findet, unberücksichtigt lassen; er muß ihr so weit folgen, bis er sich über sie klar geworden ist. Ich möchte sogar so kühn sein, zu bestimmen, welchen Stämmen diese Kundschafter angehören.“

„Das kann ich ooch!“ fiel da der Hobble-Frank eifrig ein.

„Wirklich?“ fragte Old Shatterhand.

„Ja. Für unsereenen is es doch nich etwa schwer, zu beschtimmen, ob Herodot zu den Makkabäern oder Simson zu den Japanesen gehört hat.“

„Schön; dann mal los!“

„Na, die dreißig sind Nijoras gewesen; der eene aber war een Navajo. Wenn das nich wahr is, will ich nich der berühmte Hobble-Frank sein.“

„Und die Gründe zu dieser Annahme?“

„Die sind so klar wie meine Hutkrempe. Es ist doch erwiesen, daß die Navajos tapfer sind. Nich?“

„Ja.“

„Tapferer wohl als die Nijoras?“

„Möglich.“

„Na, was zeigt denn nu von größerer Tapferkeet? Wenn dreißig hier beisammen sind oder wenn een eenzelner sich ganz alleene in so eene gefährliche Gegend wagt?“

„Das letztere.“

„Also! Er hat mehr gewagt als die andern; darum is er een Navajo und die andern sind Nijoras. Is das die richtige Guitarre oder nich?“

„Auch ich bin überzeugt, daß er ein Navajo ist und die dreißig Nijoras sind, doch aus andern Gründen. Es gibt aber keine Zeit, dieselben auseinanderzusetzen. Man sieht Winnetou schon nicht mehr. Machen wir, daß wir ihn einholen!“

Die Westmänner stiegen wieder auf und ritten im Trabe weiter, bis sie den Apachen erreichten. Noch ehe die Sonne ganz verschwunden war, lenkte dieser links von der Fährte ab, in den Wald hinein, wo sie bald an eine Bodenvertiefung kamen, als ob hier ein Schacht, ein Stollen zusammengestürzt sei. Er zeigte hinab und sagte:

„Da unten werden wir lagern. Stellen wir hier oben eine Wache her, so dürfen wir unten ein Feuer anzünden, ohne daß ein Feind uns zu entdecken vermag.“

Es ging nicht sehr steil zur Tiefe, so daß die Pferde unschwer hinabgeführt werden konnten. Sie fanden an den Zweigen der dort stehenden Büsche genug Futter für die Nacht. Oben blieb ein Wächter stehen, und unten wurde ein Feuer angezündet, an welchem das Abendessen bereitet wurde.

Der Gegenstand des Gespräches war natürlich der morgende Tag, doch wurde dasselbe nicht lange fortgeführt, weil nach dem langen Ritte alle so ermüdet waren, daß sie sich sehr bald niederlegten. Ehe Old Shatterhand und Winnetou dies thaten, hatten sie noch eine kurze Verständigung. Der erstere sagte:

„Es ist möglich, daß es morgen zu einem Kampfe kommt, bei welchem wir die Frauen und Kinder nicht gefährden dürfen, auch möchte ich die Auswanderer nicht dabei haben. Sie sind unerfahren und würden uns nur hinderlich sein. Wollen wir sie nicht lieber hier zurücklassen? Der Ort ist sicher und eignet sich sehr gut zum Verstecke.“

„Für den Fall eines Kampfes hat mein Bruder recht. Aber wie nun, wenn wir das Gloomy-water schnell verlassen müssen? Vielleicht bleibt uns keine Zeit, hierher zurückzukehren und diese Leute zu holen.“

„Hm, ja! Es steht allerdings zu erwarten, daß wir uns beeilen müssen. Ich befürchte, daß die Indsmen die fünf Weißen gefangen nehmen.“

„Winnetou denkt, daß dies schon geschehen ist.“

„Dann müßten wir aber denn doch schnell hinterher sein, um dieselben zu befreien. Wären wir gezwungen, vorher hierher zurückzukehren, so würden wir eine kostbare Zeit versäumen. Aber es ist auch gefährlich, mit den Frauen und Kindern so stracks nach dem See zu gehen.“

„Es gibt nur ein Mittel, diese Gefahr zu vermeiden und doch nicht die Zeit zu versäumen.“

„Ich weiß es. Es muß einer von uns beiden sehr zeitig voranreiten, um die Gegend des dunklen Wassers auszuspähen.“

„So ist es,“ nickte Winnetou.

„Wer soll es thun? Ich bin gern bereit dazu.“

„Nein; ich werde dies thun. Mein Bruder Old Shatterhand muß hier bleiben, weil er mit diesen Leuten besser verkehren kann als ich. Winnetou ist ein Krieger; er wird diese weißen Squaws und Babies beschützen, weil er es versprochen hat, aber ihnen mit Worten die Zeit zu vertreiben, dazu fehlt ihm das Geschick. Ich werde fortreiten, noch ehe es ganz Tag geworden ist. Mein Bruder mag mir dann mit den andern langsam nachkommen. Er braucht nur meiner Spur zu folgen, so wird er, falls Gefahr vorhanden ist, meine Warnungszeichen finden, oder ich komme auch selbst zurück.“

Dabei blieb es. Als Old Shatterhand am nächsten Morgen erwachte, war der Apache fort. Nach vielleicht einer Stunde wurde aufgebrochen. Die Westmänner untersuchten ihre Waffen, ob dieselben in gutem Zustande waren, doch hüteten sie sich wohl, den Auswanderern zu sagen, daß der heutige Ritt vielleicht ein gefährlicher sei; dieselben wurden nur angehalten, die tiefste Stille zu bewahren.

Winnetou hatte dafür gesorgt, daß seine Fährte leicht zu erkennen war. Man folgte derselben langsam, um ihm die zum Spähen erforderliche Zeit zu lassen, und hatte darum die Gegend des Sees erst nach fast zwei Stunden erreicht. Da sah man ihn geritten kommen.

„Alle Wetter, das ist kein gutes Zeichen!“ sagte Sam Hawkens.

„Und ich denke grad das kongruente Gegenteel,“ erklärte der Hobble-Frank. „Er wird uns sagen, wie die Sache schteht; da wissen wir nachher, woran wir sind mit dem neuen Klavier. Käme er nich, da würden unsre Köppe in ihren unklaren Dimensionen schtecken bleiben.“

„Nein. Stände es gut, so würde er am See auf uns warten.“

„Schtreite nur nich so, alter Waschbär! Wir werden gleich erfahren, was richtig is, ob Connewitz oder ob Schtötteritz.“

Jetzt war der Apache angekommen. Der Zug hielt an und Winnetou erklärte:

„Ich kehre nicht zurück, weil eine Gefahr vorhanden ist; sie ist vorüber; ich komme nur, weil es für mich jetzt nichts mehr zu thun gab. Meine Brüder mögen mir folgen!“

Als einige sich an ihn machten, um ihn auszufragen, sagte er:

„Winnetou wird an Ort und Stelle reden, aber nicht vorher.“

Man ritt weiter. Die Fährte derer, welche gestern hier geritten waren, war stellenweise noch ziemlich deutlich zu sehen; nur da, wo es steinigen Boden gab, bedurfte es eines Auges wie dasjenige des Apachen, sie noch zu erkennen. So wurde der Eingang der Schlucht erreicht, welche zum See führte. Da hielt Winnetou an und berichtete.

„Durch diese kurze Schlucht muß man reiten, um nach dem Gloomy-water zu gelangen. Winnetou hat erforscht, was gestern hier geschehen ist.“

Er deutete nach der Höhe des Berges und fuhr fort:

„Da oben haben sieben Kundschafter der Navajos kampiert. Der achte, welcher zu ihnen gehörte, ist der einzelne Reiter, dessen Spur wir gestern gesehen haben. Er ist hinter den Weißen her und hat, als sie sich am See befanden, seine sieben Krieger herbeigeholt, um sie zu überfallen.“

„Ist das geschehen?“ fragte Hawkens.

„Ja. Die Weißen sind überwältigt worden. Aber inzwischen sind die dreißig Nijoras gekommen und haben sich hier hinter den Bäumen versteckt. Meine Brüder können die Spuren derselben noch ganz deutlich sehen. Sie haben gewartet, bis die Navajos mit den weißen Gefangenen vom See zurückkehrten und sind ihnen dann gefolgt.“

„Um sie zu überfallen?“

„Ja.“

„Warum thaten sie das nicht gleich hier? Diese Stelle ist wie geschaffen zu einem Überfalle.“

„Winnetou hat darüber nachgedacht, ohne aber die richtige Antwort zu finden. Vielleicht entdecken wir später den Grund, weshalb die Nijoras noch gewartet haben. Die Navajos sind mit ihren Gefangenen da links in den Wald hinein bis zu einer Stelle, an welcher es Wasser gibt. Dort lagerten sie sich und dort wurden sie von den Nijoras angegriffen.“

„Also hat es Kampf und Blut gegeben?“

„Von Blut hat mein Auge keinen Tropfen entdecken können und ein wirklicher Kampf hat auch nicht stattgefunden. Die Navajos sind so überrascht gewesen, daß sie wohl gebunden worden sind, ehe sie an Widerstand gedacht haben.“

„Pfui Schande!“ rief da der Hobble-Frank aus. „Und ich habe diese Feiglinge tapfere Leute genannt! Wenn ich gewußt hätte, daß sie sich so mir nischt und dir ooch nischt bei den Haaren ergreifen lassen, da hätte ich ihnen eenen ganz andern Namen gegeben. Wer sich fangen läßt, ohne sich ooch nur zur Wehre zu setzen, der hat sich für alle Zeit um meine ganze konvexe Hochachtung gebracht!“

Winnetou beachtete diese in deutscher Sprache vorgebrachte Rede nicht; er fuhr in seiner Erklärung fort:

„Die Navajos und die Weißen befinden sich also in der Gewalt der Nijoras. Diese sind während der Nacht an derselben Stelle lagern geblieben und am Morgen mit ihren Gefangenen fortgeritten.“

„Wohin?“ fragte Sam Hawkens.

„Das weiß ich nicht. Ich habe ihrer Spur nicht folgen können, weil ich ja auf euch warten mußte.“

„Wir müssen ihnen nach! Es handelt sich nicht um den Ölprinzen und die beiden Kerls, welche bei ihm sind. Die mögen meinetwegen skalpiert werden. Aber der Bankier und sein Buchhalter müssen befreit werden. Mir ist nur eins unerklärlich: Am See gibt es doch Wasser und Futter genug für die Pferde. Warum sind die Roten nicht dort geblieben? Warum haben sie da im Walde gelagert, wenn ich mich nicht irre?“

Old Shatterhand hatte bis jetzt noch nichts gesagt, sondern seine Aufmerksamkeit neben den Erklärungen des Apachen auch dem seichten Abflußwässerchen zugewendet, welches aus der Schlucht gerieselt kam. Jetzt, bei Sams letzten Worten, deutete er auf dieses Wasser und antwortete:

„Mir scheint, daß hier die Erklärung fließt!“

„Wieso?“

„Riecht ihr denn nichts? Betrachtet doch das Wasser! Es schwimmen ölige Augen darauf.“

Jetzt blickten alle zu dem Bächlein nieder, sogen die Luft ein und fanden, daß dieselbe nach Petroleum roch.

„Hat mein Bruder etwa Öl im See gesehen?“ fragte Old Shatterhand den Apachen.

„Ja,“ nickte dieser.

„So hat der Ölprinz das ausgeführt, was wir belauschten. Reiten wir hinein. Ich muß sehen, wie es steht.“

„Aber dabei verlieren wir Zeit,“ warf Sam Hawkens ein. „Wir wollen doch den Nijoras nach!“

„Die entgehen uns nicht. Die werden durch die Gefangenen aufgehalten. Wir holen sie jedenfalls noch rechtzeitig ein. Jetzt vor allen Dingen will ich das Gloomy-water sehen.“

Er lenkte sein Pferd nach der Schlucht und die andern folgten ihm. Der Petroleumgeruch wurde von Schritt zu Schritt stärker, bis sie den See vor sich liegen sahen. Der Anblick desselben wirkte so, daß alle ihre Augen wortlos auf die dunkle, unheimliche Fläche richteten. Nur bei einer Person war die Wirkung eine entgegengesetzte, nämlich bei Frau Rosalie Ebersbach. Als diese den See erblickte, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus, rutschte von ihrem Pferde herab, eilte an das Ufer, hielt einen Finger in das Wasser, besah und beroch denselben und rief aus:

„Dunner Sachsen, is das eene großartige Entdeckung! Herr Hobble-Frank, riechen Sie doch gleich ‚mal da an meinen Finger! Schpüren Sie, was das is?“

Sie hielt ihm den Finger unter die Nase. Er zog den Kopf zurück und antwortete.

„Lassen Sie mich mit Ihrem Spitz- und Zeigefinger in Ruhe! Den brauch‘ ich nich, um zu erfahren, woran ich bin. Wenn ich ‚was riechen will, schtecke ich die Nase da in den See. Da habe ich die Petroleumwonne aus der erschten Hand.“

„Also Sie geben ooch zu, daß es Petroleum is?“

„Natürlich! Oder denken Sie etwa, daß ich es für Himbeerlikör halte? Da kennen Sie meine Nase schlecht; die is oft feiner, als ich selber bin.“

„Aber so eene Menge, so eene Menge!“ rief sie, noch immer ganz fassungslos. „Ich hab‘ freilich schon gehört, daß das Petroleum in Amerika aus der Erde geloofen kommt, hab’s aber nich gegloobt. Nu aber liegt’s vor meinen eegenen und leibhaftigen Oogen. Ich bleibe hier; ich bleibe hier; mich bringt keen Mensch von dieser Schtelle fort.“

„So? Was wollen Sie denn da?“

„Ich fange eenen Petroleumhandel an. Da is ja een Geschäft zu machen, wie es gar nich größer sein kann. Hier kostet das Öl nich eenen Pfennig und drüben in Sachsen muß man fürs Liter beinahe zwee Groschen bezahlen. Es bleibt dabei: ich laß mich hier nieder und handle mit Petroleum!“

Sie schlug die Hände sehr energisch zusammen, ein Zeichen, daß dieser Entschluß ein unerschütterlicher sei. Frank antwortete lachend:

„Schön! Setzen Sie sich immer in den Besitz dieser schönen Gegend! Aber gleich schon am erschten Tage kommen die Indianer und roofen Ihnen die Haare alle eenzeln aus. Denken Sie denn, Sie können sich hier so gemütlich niederlassen wie derheeme off den Großvaterschtuhl oder off die Ofenbank? Handeln wollen Sie? Wer kooft Ihnen hier was ab? Wovon leben Sie? Und wonach riechen Sie? Wenn Sie nur drei Tage lang hier sitzen bleiben, hat Ihre ganze komparative Persönlichkeet eenen Duft angenommen, den Sie mit dem ganzen transatlantischen Ozean nich nunterwaschen können.“

Diese Warnung hatte den Erfolg, daß Frau Rosalie ein bedenkliches Gesicht machte und sich ihrem Manne zuwandte, um dessen Meinung zu hören. Die andern hatten sich indessen von ihrem Staunen erholt; sie knieten am Ufer, untersuchten das Öl und teilten sich in lauten Ausrufen ihre Bemerkungen mit. Am ruhigsten waren selbstverständlich Winnetou und Old Shatterhand. Sie hatten sich von den andern entfernt, um einen Gang um den See zu machen und die Ufer desselben genauer abzusuchen, als es vorher von dem Apachen hatte geschehen können.

Derjenige, auf welchen diese Petroleummasse den größten Eindruck machte, war der Kantor. Die andern waren schon längst von ihrem Staunen zurückgekommen, da stand er noch immer da und starrte mit weitgeöffneten Augen und ebenso offenstehendem Munde auf das Wasser. Als der Hobble-Frank dies bemerkte, trat er zu ihm, gab ihm einen Klaps auf den Rücken und sagte:

„Ihnen is wohl der ganze menschliche Verschtand schtehen geblieben? Fassen Sie sich! Nehmen Sie sich zusammen und erinnern Sie sich daran, daß so een See voll Kaffee viel besser schmecken würde, als seine jetzigen Inhaltsbeschtandteele! Wahrhaftig, Sie scheinen Ihre ganze Mutterschprache verloren zu haben! Wenn Sie nich reden können, so versuchen Sie wenigstens, einige Töne zu singen, Herr Kantor!“

Da kehrte dem musikalischen Herrn die Sprachfähigkeit zurück. Er holte tief, tief Atem und antwortete:

„Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Franke! Ich fühle mich ganz grandios berührt. Es ist ein ganz unbeschreiblicher Anblick. Mich überkommt ein Gedanke, ein Gedanke, ebenso grandios und unbeschreiblich wie dieser See, sage ich Ihnen.“

„Welcher Gedanke, Herr Emeritikus?“

„Emeritus, lieber Freund. Sie haben eine Silbe zu viel.“

„Wie? Was? Eene Silbe hätte ich zu viel? Eene ganze Silbe? Wer Ihnen das weiß gemacht hat, der hat das A-B-C noch nich im Koppe. Ehe ich eene Silbe zu viel ausschpreche, gehn eher Sonne, Mond und Schterne zu Grunde. Ich habe mein Silbenmaß schtets bei mir; es is mir angeboren. Ich mach’s ganz so wie die Pflaumenhändler: ich laß eher eene weg, als daß ich eene zu viel gebe; darauf können Sie sich verlassen. Das wollte ich nur so nebenbei bemerkt haben. Die Hauptsache war der grandezziose Gedanke, der Ihnen gekommen is. Darf ich den erfahren?“

„Ja, Ihnen will ich ihn mitteilen, vorausgesetzt, daß Sie es nicht ausplaudern.“

„O, was das betrifft, so dürfen Sie meiner größten und verschwiegensten Dislokation versichert sein. Is dieser Gedanke so een großes Geheimnis?“

„Außerordentlich! Wenn ein andrer Komponist ihn erführe, er würde ihn sofort für sich verarbeiten. Sie wissen doch von meiner Heldenoper? Was?“

„Ja – – zwölf Akte.“

„So ist es, Und wissen Sie, was ich in dieser Oper bringen werde?“

„Natürlich weeß ich das.“

„Nun, was?“

„Musik werden Sie bringen.“

„Natürlich! Das ist ja selbstverständlich. Ich meine in Beziehung auf den Inhalt dieser Musik und auch betreffs der Scenerie, der Ausstattung.“

„Da muß ich sagen, daß ich mich zwar mit allen Wissenschaften beschäftigt habe, aber die musikalische Ausschtattung soll erscht noch drankommen. Also weiter! Was wollen Sie bringen?“

Der Kantor näherte seinen Mund dem Ohre Franks, hielt seine hohlen Hände wie ein Sprachrohr an dasselbe und flüsterte hinein:

„Einen solchen Petroleumsee werde ich bringen.“

Frank fuhr zurück und fragte:

„Etwa off die Bühne?“

„Jawohl, ganz selbstverständlich.“

„Herrjemineh, eenen Petroleumsee off die Bretter, welche die Erde bedeuten! Is das die Möglichkeet?“

„Nicht wahr, Sie staunen?“ fragte der Emeritus triumphierend. „Da wird sogar Ben Akiba zu Schanden.“

„Ben Akiba? In wiefern der?“

„Er hat behauptet, es sei alles schon dagewesen; aber einen Petroleumsee auf der Bühne hat es noch nicht gegeben.“

„Das mit der Bühne mag richtig sein; das mit Ben Akiba aber is unbedingt falsch.“

„Wieso?“

„Es is eene Verwechslung identischer Persönlichkeeten. Wissen Sie, wer das gewesen is, der gesagt hat, es sei schon alles ‚mal dagewesen?“

„Eben dieser Ben Akiba.“

„Nee. Wenn Sie das sagen, da halten Sie die ungerade Fünfe vor eene gerade Neune. Das Wort, daß alles schon dagewesen is, hat Benjamin Franklin gesagt, als er den Blitzableiter erfand und nachher an eene Scheune kam, wo schon seit langer Zeit eener droff gewesen war. Ben Akiba war een ganz andrer Mann, een persischer Feldherr, und hat den griechischen Kaiser Granikus in der Seeschlacht bei Gideon und Ajalon besiegt.“

„Aber, lieber Herr Frank, Gideon und Ajalon, das kommt ja in der Bibel vor, im Buche der Richter, wo Josua – – –“

„Schweigen Sie ergebenst!“ unterbrach ihn Frank in beleidigtem Tone. „Wo das vorkommt, das is meine Sache, aber nich die Ihrige. Reden Sie mir nich in meine Wissenschaft, wie ich Ihnen nich in die Ihrige rede. Ich lasse Ihnen doch ooch Ihren Willen. Ob Sie in Ihrer Oper eenen Petroleumsee bringen oder Ihre Oper hier im Petroleumsee, das is mir ganz egal; das können Sie machen, wie Sie wollen; den Ben Akiba aber nehme ich für mich in Anschpruch; der is mein; den laß ich mir nich von Ihnen komponieren!“

Er wendete sich entrüstet ab und schloß sich Droll, Sam, Dick Stone und Will Parker an, welche sahen, was Winnetou und Old Shatterhand thaten und nun auch zu suchen begannen. Der letztere bemerkte dies, kam eiligst herbei und bat:

„Nehmt euch in acht, Mesch’schurs, daß ihr mir die Spuren nicht verderbt! Was wollt ihr denn entdecken?“

„Wir wollen die Stelle suchen, an welcher die fünf Weißen überrumpelt worden sind,“ antwortete Hawkens.

„Die könnt ihr nicht mehr entdecken. Die Spuren davon sind durch unsre Pferde ausgetreten worden; sie liegt da vorn in der Nähe des Einganges. Wir aber wollen etwas andres, etwas weit Wichtigeres entdecken.“

„Was, Sir?“

„Die Höhle, in welcher, wie ich euch ja erzählt habe, die Petroleumfässer versteckt gewesen sind.“

„Die wird doch wohl zu finden sein!“

„Nicht so leicht, wie ihr denkt. Die Kerls haben die Spuren außerordentlich gut ausgewischt.“

„Sollte man es denken! Eine Höhle, wo so viele Fässer aufbewahrt worden sind, muß groß sein und also einen weiten Eingang haben. Die Fässer sind herausgeschafft, an das Wasser gerollt und nachher, als sie leer waren, wieder hineingeschafft worden. Das muß doch Spuren geben!“

„Natürlich. Sie sind aber leider geradezu meisterhaft verwischt worden.“

„Laßt uns mit suchen, Sir! Dann wird sie sich schon finden.“

„Gut; aber verderbt mir nichts.“

Die sonst so scharfsinnigen Westmänner forschten das ganze Seethal durch; es verging Stunde um Stunde, ohne daß sie ihren Zweck erreichten. Winnetou, der unübertroffene Meister im Spüren, gab endlich alle Hoffnung auf und sagte zu Old Shatterhand:

„Mein weißer Bruder mag sich nicht mehr bemühen. Die Höhle kann wohl nur durch einen Zufall entdeckt werden.“

Aber Shatterhand war hartnäckiger. Er ärgerte sich. Sollte es heißen, daß er nicht im stande gewesen sei, einen Ort zu finden, dessen Dasein vollständig erwiesen war? Er betrachtete es nachgerade als Ehrensache, seinen Zweck doch noch zu erreichen, und antwortete:

„Was der Zufall kann, müssen wir doch auch können. Wozu haben wir gelernt, zu denken?“

Er schloß die Augen, um sich durch nichts irre machen zu lassen, und stand eine Weile still und unbeweglich. Winnetou beobachtete ihn, sah, daß eine eigentümliche Bewegung über sein Gesicht ging und fragte –

„Mein Bruder hat den Weg gefunden?“

„Ja,“ meinte Old Shatterhand, indem er die Augen wieder öffnete; „wenigstens hoffe ich es. Wenn ich mich nicht irre, so war es gar nicht schwierig, ja sogar sehr leicht, die Höhle zu finden. Die vollen Fässer waren schwer, und vierzig waren es. Wo vierzig Fässer hin und her gerollt werden, wird das Gras so fest niedergedrückt, daß es mit den Händen unmöglich aufgerichtet werden kann; es wird mehrere Tage liegen bleiben. Die Arbeit, welche hier geschehen ist, ist aber erst gestern, höchstens vorgestern verrichtet worden. Das Gras müßte also noch niederliegen. Gibt dies mein roter Bruder zu?“

„Old Shatterhand hat recht,“ stimmte der Apache bei.

„Die Stelle muß also da liegen, wo es kein Gras gibt, kein Gras nämlich auf dem ganzen Wege vom Ufer nach dem Felsen, in welchem sich die Höhle befindet.“

„Uff, uff!“ rief Winnetou aus, indem sein bronzenes Angesicht erglühte, vielleicht vor Freude, vielleicht aber auch vor Scham, nicht auch auf diesen Gedanken gekommen zu sein.

„Ferner,“ fuhr Old Shatterhand fort, „beim Auslaufenlassen der Fässer ist unbedingt Öl verschüttet worden, auch muß der Rand des Ufers beschädigt worden sein. Beides müßte man sehen, wenn dieser Rand aus Rasen bestände. Besteht er aber aus Erde oder Gestein, so kann leicht nachgeholfen werden. Nun suche mein roter Bruder das ganze Ufer ab; er wird überall Gras und Rasen finden, zwei Stellen ausgenommen, die wir sofort untersuchen werden.“

Die eine dieser Stellen war nicht allzuweit vom Eingange des Thales entfernt. Dorthin gingen die beiden, gefolgt von den Westmännern, welche begierig waren, zu erfahren, ob der Scharfsinn Old Shatterhands auch dieses Mal das richtige getroffen hatte.

Ein vielleicht drei Ellen breiter, aus Schlammsand und Steingeröll bestehender grasloser Streifen zog sich da von dem Felsen nach dem Wasser hin. Der Jäger kniete in der Nähe des Ufers nieder und beroch den Boden.

„Gefunden!“ rief er aus. „Hier riecht das Gestein nach Öl; es ist welches verschüttet worden.“

Er scharrte mit den Händen den Boden auf; die untere Schicht war voller Öl; man hatte, um dies zu verbergen, die obere darauf geworfen.

„Also hier sind die Fässer geleert worden,“ sagte er. „Wurde dabei das Ufer beschädigt, so war es leicht und schnell ausgebessert, da es aus Geröll bestand. Ich wette mein Leben, daß dort, wo dieser Streifen an den Felsen stößt, die Höhle zu suchen ist. Laßt sehen!“

Er folgte dem Streifen, welcher am Felsen in einen hohen Geröllhaufen auslief; die andern kamen hüben und drüben nachgegangen. Er blieb vor dem Haufen stehen, betrachtete denselben nur einen Augenblick und erklärte dann:

„Ja, wir sind am Ziele. Hinter diesem Steinhaufen befindet sich die Höhle.“

Der Hobble-Frank wollte sich gern auch als berühmten Westmann aufspielen und fragte darum:

„Das sehen Sie mit diesem einen Blick, Herr Shatterhand?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„Das müßte ich doch ooch erkennen können. Darf ich ‚mal hinschen?“

„Thun Sie es!“

Frank betrachtete den Haufen von allen Seiten, schien aber nichts zu finden.

„Nun?“ fragte Old Shatterhand. „Was sehen Sie, lieber Frank?“

„Eenen Haufen, der so wie alle Haufen is; das heeßt een Schteenhaufen, der aus eenem Haufen von Schteenen beschteht.“

„Sehen Sie denn nur die Steine?“

„Ja, nur.“

„Weiter gar nichts?“

„Nich das Geringste.“

„Bedenken Sie, daß unter diesen Umständen der kleinste Gegenstand von der größten Bedeutung sein kann!“

„So, also nach eenem kleenen Gegenschtande soll ich suchen. Ich finde aber nischt.“

Auch die andern bei ihm Stehenden suchten gerade so vergeblich wie er. Nur der Apache ließ ein leises, befriedigendes „Uff!“ vernehmen. Sein Auge war auf einen toten Laufkäfer gefallen, der halb unter einem Steine lag.

„Sonderbar!“ lächelte Old Shatterhand. „Nur Winnetou sieht, was ich meine. Frank, sehen Sie denn den schwarzen Käfer nicht, dessen halber Leib da unter dem Steine hervorblickt?“

„Ja, den Käfer, den habe ich freilich schon längst entdeckt.“

„Nun, und – – –?“

„Nu – – und – –? Ja, was denn nu, und was denn und? Es is eben een Käfer, weiter nischt.“

„Weiter nichts? Sogar sehr viel, denn er sagt mir, daß wir bei der Höhle sind.“

„Wie? Der? Was kann der sagen? Selbst wenn er bei Lebzeiten eene verschtändliche Schprache besessen hätte, er is jetzt tot.“

„Ja, er ist tot. Woran mag er wohl gestorben sein?“

„Weeß ich’s? Vielleicht an Diphtheriteris oder Trommelfellentzündung.“

„Nehmen Sie ihn weg und betrachten Sie ihn!“

Frank mußte den Stein aufheben, um den Käfer wegnehmen zu können.

„Er is von dem Schteene zerquetscht worden,“ erklärte er, indem er ihn betrachtete.

„Ganz richtig! Wie aber hat dies geschehen können? Hat sich das Tierchen etwa selbst unter den Stein gedrängt, so daß es von diesem zermalmt wurde?“

„Nee, dazu hätte das Käferchen die Kraft nich besessen. Der Schteen is off ihn droff geworfen worden.“

„Schön! Endlich haben Sie es! Wenn geworfen wird, ist jemand da, welcher wirft; das sehen Sie doch ein?“

„Ja, das sehe ich – – –“

Er hielt inne, besann sich einige Augenblicke, schlug sich dann mit der Hand an die Stirn und rief aus:

„Jetzt habe ich endlich den Ochsen bei den Hörnern erwischt! jetzt begreife ich’s! Sollte man’s denken, daß so een gescheiter Kerl, wie ich bin, so riesenhaft dumm sein kann! Diese Schteene sind unter- und übereenander geworfen worden, wobei der Käfer sein irdisches Dasein verloren hat. Dieser aus eenern Haufen von Schteenen beschtehende Schteenhaufen is erscht weggeschafft und nachher wieder offgerichtet worden. Warum und wozu? Weil er den verschlossenen Eingang zu der Höhle bildet und –“

Hobble-Frank hielt wieder inne und horchte.

„Was gibt’s?“ fragte Old Shatterhand.

„Ich habe ‚was gehört,“ antwortete Frank.

„Wo? In der Höhle?“

„Ja.“

„Was?“

„Een Geräusch wie von eener unterirdischen Schtimme. Es klang so dumpf. Herr meine Güte, es wird doch nich etwa een Bär drin sein!“

„Schwerlich.“

„Es klang aber beinahe so!“

„Von einem Bären kann keine Rede sein. Wäre einer da, so wäre das Loch vorhanden, durch welches er ein und aus geht.“

„Das is eben gestern zugemacht worden.“

„Das würde er sich wohl verbeten haben,“

„Horchen Sie einmal! Ich hör’s schon wieder.“

Old Shatterhand kniete nieder und horchte. Kaum hatte er das gethan, so sprang er wieder auf und rief aus:

„Herr Gott, es sind Menschen drin! Sie rufen um Hilfe. Schafft die Steine weg, schnell, schnell!“

Sofort waren zehn und mehr Arme bereit, diesen Befehl auszuführen. Schon nach einigen Augenblicken kam das Loch zum Vorscheine.

„Ist da jemand drin?“ fragte Old Shatterhand in englischer Sprache hinein.

Yes,“ antworteten zwei Stimmen zu gleicher Zeit.

„Wer seid ihr?“

„Ich heiße Rollins,“

„und ich Baumgarten,“ erwiderten die beiden.

„Rollins und Baumgarten!“ erklang es aus aller Munde. Das war eine große Überraschung; man hatte ja geglaubt, daß diese beiden mit von den Nijoras ergriffen worden seien, nachdem sie vorher von den Navajos gefangen genommen worden waren. Sie waren ganz glücklich, wieder Menschen zu hören und das Tageslicht zu erblicken, welches durch das sich immer mehr vergrößernde Loch zu ihnen drang. Doch war der Gedanke auch nicht ausgeschlossen, daß der Ölprinz mit Buttler und Poller sich draußen befand. Darum fragte der Bankier, wer vor der Höhle sei. Da antwortete der Hobble-Frank, das gern und stets bereite Kerlchen:

„Wir sind es, die Helfer in der Not: Old Shatterhand, Winnetou, Droll, Sam, Dick und Will. Und wer ich bin, das sollt ihr gleich sehen; ich komme hinein!“

Er zwängte sich durch das Loch, aus welchem ein Freudenruf erschallte. Nun dauerte es nicht lange mehr bis der ganze Steinhaufen entfernt war. Der Eingang besaß die Höhe eines Mannes von mittlerer Größe und war so breit, daß ein Petroleumfaß bequem hinein- oder herausgerollt werden konnte. Als die Retter eintreten wollten, rief Frank ihnen zu:

„Bleibt draußen! Wir kommen hinaus. Ich muß den armen Teufeln nur erst die Fesseln zerschneiden.“

Ja, sie kamen, leichenblaß und angegriffen von der ausgestandenen Angst, ebensosehr auch von dem Petroleumgeruche, welcher in der Höhle herrschte. Sie reichten denen, welche sie von Forners Rancho her kannten, die Hände und blickten dann mit hochachtungsvollen Blicken zu Winnetou und Old Shatterhand auf.

„Das ging um euer Leben, Mesch’schurs,“ sagte der letztere. „Wir haben diese Höhle lange vergeblich gesucht und faßten schon den Entschluß, den See zu verlassen. Hätten wir dies gethan, wo wäre der Tod des langsamen Verschmachtens euer Los gewesen. Ihr habt natürlich Durst und Hunger?“

„Keins von beiden,“ antwortete Baumgarten. „Danke Euch, Sir! Wir haben nicht an Essen und Trinken gedacht, sondern nur an den elenden Tod, der uns getroffen hätte, wenn ihr nicht gekommen wäret.“

„Habt ihr denn nicht gedacht, daß eure Bekannten hier euch folgen würden?“

„Wie konnten wir das? Wir glaubten sie ja noch im Pueblo gefangen. Ich darf euch wohl versichern, daß der Dank, den wir euch – – –“

„Still davon!“ unterbrach ihn Old Shatterhand. „Hebt euern Dank für später auf! jetzt möchte ich vor allen Dingen einiges erfahren, was wir wissen müssen, wenn wir nichts versäumen wollen. Hoffentlich seid ihr nicht so sehr angegriffen, daß ihr nicht antworten könnt?“

„O, nun wir uns wieder in freier Luft befinden, ist alles gut.“

„Schön! Ich habe das Nötige über euch schon erfahren und möchte nur nach dem fragen, was in den letzten Tagen mit euch geschehen ist. Übrigens seid ihr mir nicht ganz unbekannt. Winnetou und ich haben euch schon gesehen.“

„Ah! Wann und wo?“ erkundigte sich der Bankier.

„Einen Tagesritt hinter dem Pueblo, wo ihr des Abends am Bache saßet. Wir krochen unter den Bäumen so nahe zu euch hin, daß wir euer Gespräch hören konnten.“

Good luck! So erfuhrt ihr wohl, daß es sich um einen Petroleumsee handelte?“

„Ja.“

„Und daß wir nach dem Gloomy-water wollten?“

„Wo es kein Petroleum gibt, ja, das hörten wir.“

„Ihr meintet, daß es hier keins geben könne? Warum ließet ihr euch da nicht sehen? Warum warntet ihr uns nicht?“

„Warum? Weil es sich fragt, ob ihr uns geglaubt hättet. Ihr seid ja auch schon vorher von andrer Seite gewarnt worden, ohne daß es gefruchtet hat. Übrigens hatten wir keine Zeit, uns sogleich mit eurem famosen Ölprinzen abzugeben. Wir mußten nach dem Pueblo, um die Gefangenen zu befreien.“

„Das ist euch gelungen, Sir?“

„Wie ihr seht, ja.“

„Wer hat euch da geholfen? Ihr hattet noch andre bei euch, Westmänner, erfahrene Prairieleute?“

„Nein; wir waren allein.“

„Allein?“ rief Rollins aus, indem er vor Erstaunen die Augen weit öffnete. „Ihr beide allein? Und da habt ihr die Gefangenen befreit?“

„Ja,“ antwortete Old Shatterhand, innerlich belustigt über die ungeheure Verwunderung des Bankiers.

„Das ist aber doch gar nicht möglich! Zwei Männer! Niemand weiter dabei! Wie habt Ihr das nur angefangen, Sir?“

„Das laßt Euch später einmal erzählen, Mr. Rollins. Jetzt möchten wir von Euch erfahren, wie Ihr vom Pueblo entkommen seid und was dann bis jetzt geschehen ist. Setzt Euch nieder und erzählt!“

Die ganze Gesellschaft nahm im Grase Platz, und der Bankier berichtete über die Erlebnisse der letzten Tage. Man kann sich denken, in welcher Weise er sich schließlich über Grinley, Buttler und Poller aussprach; da fiel ihm aber Old Shatterhand in die Rede:

„Raisonniert nicht bloß über sie, sondern auch über euch, Sir! Ein solches Vertrauen, wie ihr diesen Kerls entgegengebracht habt, ist mir unbegreiflich. Und die – ich will sagen Harmlosigkeit, mit welcher ihr in die euch gestellte Falle gelaufen seid, ist mir recht unverständlich. Nehmt es mir nicht übel, aber ihr seid an dem, was euch betroffen hat, selber schuld. Ihr vertraut euch, beide allein, unerfahren und ohne allen Schutz, solchen Halunken an! Das ist stark!“

„Ich hielt Grinley für einen ehrlichen Menschen,“ verteidigte sich Rollins kleinlaut.

Pshaw! Dem spricht der Schurke doch gleich aus den Augen. Und wenn es sich um eine so hohe Summe, um ein solches Unternehmen handelt, trifft man doch ganz andre Vorbereitungen!“

„Das wollte er nicht. Es sollte alles heimlich betrieben werden.“

„Aha! Ist denn Mr. Baumgarten hier Sachverständiger in Beziehung auf Petroleum?“

„Nein.“

„Was seid ihr doch für Menschen! Ihr hättet doch wenigstens einen Fachmann mitnehmen müssen!“

„Grinley meinte, dies sei fürerst nicht nötig. Da das Petroleum offen auf dem Wasser schwimme, so bedürfe es nur eines Blickes, um mir zu beweisen, daß das Geschäft ein wahrhaft glänzendes für mich sei.“

„Und als ihr dann kamt und das schöne Öl so schwimmen saht, da waret ihr wohl ganz entzückt?“

„Natürlich! Ihr gebt doch zu, Sir, daß es hier ein ganz außerordentliches Placer für Öl ist?“

Old Shatterhand warf einen fast betroffenen Blick auf den Sprecher, ehe er antwortete:

„Es scheint, ihr wißt selbst jetzt noch nicht, woran ihr eigentlich seid. Ihr haltet diesen See für ein natürliches Ölbassin?“

„Allerdings. Darin hat Grinley die Wahrheit gesagt; aber nachdem er meine Anweisung in den Händen hatte, sind wir niedergeschlagen und eingesperrt worden, um zu Grunde zu gehen. Wahrscheinlich will er nun den See an einen zweiten verkaufen.“

„Habt ihr euch denn nicht in der Höhle umgeblickt?“

„Wie konnten wir das? Als wir aus unsrer Betäubung erwachten, war es finster um uns her. Aber es roch so gewaltig nach Petroleum, daß in der Höhle wahrscheinlich der eigentliche Quell des Petroleums zu suchen ist.“

„Das ist richtig; nur handelt es sich nicht um einen Quell, sondern um viele Quellen, welche aus hölzernen Dauben gefertigt sind.“

„Dauben? Ich verstehe Euch nicht.“

„Na, habt ihr euch denn auch jetzt nicht drin umgesehen?“

„Nein. Wir haben vor lauter Wonne für nichts andres Augen gehabt, als für das Loch, durch welches das Licht des Tages drang.“

„So geht einmal hinein und schaut, was ihr drin finden werdet! Ich bin zwar selbst noch nicht in der Höhle gewesen, glaube aber, ihren Inhalt gut zu kennen. Vorher aber möchte ich Euch fragen, ob Ihr denn, als Ihr hier ankamt, das Petroleum betrachtet habt?“

„Natürlich habe ich das gethan.“

„Und wie habt Ihr es gefunden?“

„Ausgezeichnet gradezu!“

„Ja, ich auch,“ lachte Old Shatterhand. „Es hat gar nicht die Eigenschaften des Rohpetroleums, welches erst in Lampenöl, Schmieröl und Naphtha gespalten werden muß; es ist schon raffiniert. Ist Euch das nicht aufgefallen?“

„Nein. Wollt Ihr etwa sagen, daß es kein Rohpetroleum ist?“

„Ja, grad das meine ich.“

„Was sollte es denn sonst sein?“

„Diese Frage werdet Ihr Euch, wenn Ihr nochmals in der Höhle gewesen seid, wohl selbst beantworten. Wie lange glaubt Ihr wohl, daß das Öl sich hier im See befindet?“

„Wer kann das wissen? Wohl seit Jahrhunderten schon oder gar noch länger.“

„Wer das wissen kann? Ich zum Beispiel weiß es ganz genau. Von Jahrhunderten ist keine Rede. Da wäre die Quelle längt ausgebeutet worden.“

„Es hat sie niemand gekannt. Grinley ist der einzige Mensch, der jemals hier an diesem See gewesen ist.“

„Wenn das wahr ist, so bin ich kein Mensch, und Winnetou ist auch keiner; denn wir sind schon vor Jahren hier gewesen.“

„Ihr – – auch – –?“ fragte Rollins verwundert. „Ihr wart hier? Und habt keinen Gebrauch von diesem Ölreichtum gemacht?“

„Nein.“

„Aber das begreife ich nicht, Sir! Warum denn nicht?“

„Weil noch kein Öl zu sehen war, kein einziger Tropfen, sage ich Euch.“

„So ist es erst später gekommen?“

„Ja, vorgestern.“

„Vor – ge – – stern?“ wiederholte der Bankier dieses Wort. „Ich verstehe Euch wieder nicht, Sir.“

„Nicht? Na, da muß ich deutlicher werden. Ihr habt doch Augen und seht also die große Menge toter Fische schwimmen?“

„Natürlich.“

„Was mag wohl schuld an ihrem Tode sein?“

„Das Öl, ganz selbstverständlich. Kein Fisch kann im Petroleum leben.“

„Schön! Wie lange werden diese Tiere wohl tot sein?“

„Vielleicht zwei Tage, länger nicht, sonst wären sie mehr von der Verwesung ergriffen.“

„Und wo haben sie sich bei Lebzeiten befunden? Sind sie etwa hier unter den Bäumen herumspaziert?“

Da antwortete Rollins im Tone des Gekränktseins:

„Ich möchte doch bitten, zu bedenken, daß ich kein Knabe, sondern ein Mann bin. Ich bin auch nicht geistesschwach und weiß sehr wohl, daß diese Fische hier im See gelebt haben.“

„Sehr gut, Mr. Rollins! jetzt habe ich Euch da, wohin ich Euch haben wollte. Die Fische sind seit zwei Tagen tot, haben also bis vorgestern hier im See gelebt. Im Petroleum können sie nicht leben. Seit wann also wird sich das Öl hier auf dem Wasser befinden?“

Erst jetzt ging dem Bankier das Licht auf, welches ihm angezündet werden sollte. Er sprang von seinem Sitze empor, starrte auf Old Shatterhand nieder, ließ seinen Blick auch über die andern schweifen, bewegte die Lippen, als ob er reden wolle, brachte aber kein einziges Wort hervor.

„Nun, Sir, wollt Ihr mir keine Antwort geben? Wenn es seit vorgestern hier eine Sorte von Petroleum gibt, welches in einer Raffinieranstalt künstlich gereinigt worden ist, so möchte man doch wohl fragen, wie dieser hochinteressante und unbegreifliche Fall zu erklären ist. Die Antwort werdet Ihr da in der Höhle finden. Geht hinein, Mr. Rollins.“

„Das werde ich; das werde ich!“ rief der Bankier aus. „Es kommt mir ein Gedanke, der so außerordentlich ist, daß ich ihn gar nicht auszudenken vermag. Kommt mit, Mr. Baumgarten! Ihr seid bisher mein Gefährte gewesen und müßt auch jetzt, in diesem Augenblicke, bei mir sein.“

Er zog den Buchhalter von seinem Sitze empor und verschwand mit ihm in der Höhle. Die außerhalb derselben Befindlichen horchten. Es waren einige Rufe zu hören; dann vernahm man das Zusammenstoßen und Rollen von Fässern; hierauf stürzte der Bankier heraus und rief in großer Aufregung:

„Welch ein Schwindel! Welch ein raffinierter Betrug! Das Öl ist in diese Gegend transportiert worden, um mir mein Geld abzulocken!“

„Seht Ihr das nun ein?“ fragte ihn Old Shatterhand. „Was habt Ihr denn in der Höhle gefunden?“

„Eine ganze Menge leerer Petroleumfässer.“

„Weiter nichts?“

„Einige Werkzeuge, weiter nichts. Es ist gar keine Quelle vorhanden!“

„So ist es, Sir. Gleich als ich die Kerls von dem Öle, welches hier gefunden worden sein sollte, sprechen hörte, war ich überzeugt, daß dies ein Schwindel sei. Buttler und Poller sind nicht vorausgeschickt worden, um die Sicherheit des Weges zu erforschen, sondern um die Fässer auslaufen zu lassen und sie dann wieder in der Höhle zu verbergen. Der Betrug ist mit vieler Mühe und von langer Hand vorbereitet worden, denn es will etwas sagen, so gegen vierzig schwere Ölfässer nach und nach hierher zu schaffen.“

„Sind aber auch gut bezahlt worden, hihihihi,“ lachte Sam Hawkens. „Wollt Ihr das Öl ausschöpfen und wieder hineinfüllen, oder nur die leeren Fässer mitnehmen, Mr. Rollins?“

„Lacht mich nicht auch noch aus!“ rief dieser. „Mein Geld, mein schönes, schönes Geld! Ich muß es unbedingt wieder haben. Ihr müßt mir dazu verhelfen, Mr. Shatterhand!“

„Einstweilen handelt es sich nicht um das Geld, sondern um die Anweisung,“ antwortete der Jäger. „Meint Ihr, daß dieselbe in San Francisco wirklich honoriert wird?“

„Ganz gewiß, wenn es den Kerls gelingt, den Indianern zu entkommen und Frisco zu erreichen. Ihr machtet doch vorhin während meiner Erzählung die Bemerkung, daß sie von den Nijoras gefangen genommen worden seien?“

„So ist es. Erst wurden sie von den Navajos überfallen und dann mit diesen von den Nijoras ergriffen.“

„Wahrscheinlich haben diese die Weißen beraubt. Meint Ihr nicht, Sir?“

„Jedenfalls.“

„Und also dem Ölprinzen die Anweisung abgenommen? In diesem Falle würde sie wahrscheinlich nicht präsentiert.“

„Ich glaube auch, daß dies nicht geschehen würde, möchte aber behaupten, daß sie ihm den Zettel nicht nehmen. Es gibt ja Indianerstämme, welche in der Zivilisation so weit vorgeschritten sind, daß sie lesen und sogar schreiben können, zu diesen gehören aber die hiesigen Völker nicht. Der wilde Indianer hält jede Schrift für einen Zauber, mit dem er sich nicht befassen mag; darum ist es wahrscheinlich, daß die Nijoras dem Ölprinzen die Anweisung lassen. Gelingt es ihm, ihnen zu entkommen, so wird er ganz gewiß nach Frisco gehen und das Geld erheben.“

„So wäre es am besten, ihm zuvorzukommen. Was meint Ihr dazu, Sir, daß ich mich mit Mr. Baumgarten sofort nach San Francisco aufmache, um die dortige Bank zu verständigen? Wenn der Halunke dann kommt, wird er festgenommen.“

„Unter den jetzigen und hiesigen Verhältnissen werdet Ihr das am liebsten bleiben lassen. Ihr würdet nicht weit kommen. Es wäre übrigens auf keinen Fall nötig, die weite Reise nach San Francisco zu machen, sondern es genügte jedenfalls, nur nach Prescott zu gehen, die dortige Behörde zu verständigen und von da aus die betreffende Bank durch die Post unterrichten zu lassen.“

„Richtig, sehr richtig! Also gehen wir nach Prescott!“

„Nicht so eilig, Mr. Rollins 1 Von hier nach Prescott hättet Ihr wenigstens zehn Tage zu reiten, da die Entfernung in der Luftlinie ungefähr fünfzig geographische Meilen betragen wird. Und, was die Hauptsache ist, kennt Ihr denn den Weg?“

„Nein. Vielleicht hätte einer von euch, der ihn kennt, Lust, gegen eine gute Bezahlung mit uns zu gehen.“

„Es ist wohl keiner unter uns, der den Lohnführer machen würde. Es ist auch zu bedenken, daß der Weg nach Prescott durch Gegenden geht, welche bei den jetzigen Verhältnissen nicht nur unsicher, sondern sogar gefährlich genannt werden müssen. Drei Personen, ihr beide und ein Führer? Selbst wenn er ein tüchtiger Mann wäre, stände zu erwarten, daß ihr nicht lebendig an das Ziel gelangen würdet.“

„So soll ich also nichts thun, sondern mein Geld verlieren?“

Da trat Schi-So, der Navajojüngling, zu Old Shatterhand heran und sagte:

„Sir, werdet Ihr mir erlauben, die Frage zu beantworten, welche Mr. Rollins soeben ausgesprochen hat?“

„Thue es!“ nickte der Jäger. Er nannte ihn „du“, weil er ein Freund seines Vaters war und ihn schon als Knaben gekannt hatte. Schi-So wendete sich an den Bankier und sagte in zuversichtlichem Tone:

„Ihr braucht keine Sorge zu haben, Sir. Ihr werdet die Anweisung zurückerhalten.“

„Wirklich?“ fragte Rollins erfreut. „Auf welche Weise?“

„Durch mich.“

„Durch Euch? Wollt Ihr sie ihm etwa abnehmen?“

„Ja.“

„Wie wollt Ihr denn an ihn kommen? Ihr wißt doch, daß er sich in den Händen der Nijoras befindet.“

„Ich bin ein Navajo; die Nijoras sind jetzt unsre Feinde; sie haben acht Navajokrieger gefangen genommen, deren Bruder ich bin; ich habe die Pflicht, alles zu versuchen, diese Gefangenen zu befreien. Da gerät auch der Ölprinz in meine Hand. Ich nehme ihm die Anweisung ab und gebe sie Euch.“

Der Bankier sah den jungen Indianer, welcher mit einer solchen Bestimmtheit und Sicherheit sprach, erstaunt an und fragte ihn:

„Die Navajos wollt Ihr befreien, mein kleiner Sir? Wißt Ihr denn die Zahl der Nijoras?“

„Es sind nur dreißig.“

„Nur?! Und Ihr, Ihr allein wollt es mit ihnen aufnehmen?“

„Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Übrigens werde ich gar nicht allein sein. Ich suche die Krieger meines Stammes auf.“

„Wißt Ihr denn, wo diese sich befinden?“

„Sie sind hier. Es gibt acht Navajospäher; daraus ist zu schließen, daß unsre Krieger nicht fern von hier zu suchen sind.“

„Aber ehe Ihr sie findet, vergeht die Zeit und die Nijoras werden indessen entkommen!“

„Die entkommen nicht,“ fiel da Old Shatterhand ein. „Wir sind ja hier. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Entschlusse?“

Er hatte diesen Entschluß noch mit keinem Worte bezeichnet, dennoch antwortete der Apache, ihn erratend, sofort:

„Er ist gut. Wir werden den Nijoras folgen, die Navajos befreien und dem Ölprinzen den Zettel abnehmen. &

„Danke Euch, danke Euch!“ rief Rollins jubelnd aus. „Wenn Ihr dies sagt, so ist es gewiß, daß ich die Anweisung zurückerhalte und also mein Geld rette. Aber wann brechen wir auf? Natürlich sofort, meine Herren?“

„Sobald wie möglich,“ antwortete Old Shatterhand. „Erst wollen wir uns diese Höhle auch einmal ansehen, und dann wird Winnetou mich nach der Stelle im Walde führen, wo die Nijoras mit ihren Gefangenen gelagert haben.“

Nun erst wurde das Innere der Höhle untersucht. Sie war keine künstlich hergestellte, sondern eine natürliche, ausgewaschen durch die vom Hochwalde durch den Felsen sickernde Feuchtigkeit, welche von hier aus ihren Abfluß in den See gefunden hatte. Daher der Sand und Steingrus, welcher in einem schmalen Streifen von der Höhle aus nach dem „finstern Wasser“ führte. Man fand vierzig leere Petroleumfässer, einige Hacken und ein Beil, weiter nichts. Zwei der Fässer wurden zerschlagen; ihre Trämmer sollten mitgenommen werden, weil sie ein vorzügliches Feuermaterial lieferten, falls man in eine Gegend kam, wo kein Holz zu finden war.

Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand fort, um die Lagerstätte der Nijoras zu untersuchen. Die andern lagerten sich in das Gras, um auf die Rückkehr dieser beiden zu warten. Sie bildeten da verschiedene kleine Gruppen, so wie die einzelnen sich gerade zusammenfanden. Bei allen war das Thema des Gespräches eines und dasselbe: die Erlebnisse der letzten Tage und daß man die Rettung aller nur Old Shatterhand und Winnetou zu verdanken hätte. Das Lob dieser beiden Männer floß von allen Lippen.

Besonders wußte der Hobble-Frank von ihnen zu erzählen. Er saß bei den deutschen Auswanderern und erzählte in seiner drastischen Weise einige Episoden aus seinem Zusammenleben mit Old Shatterhand und Winnetou. Der Kantor hörte mit großer Aufmerksamkeit zu und benützte eine Pause, welche Frank machte, zu der Bemerkung:

„Das ist es, was ich brauche! Solche Thaten will ich auf die Bühne bringen; die geben den Effekt, welchen ich beabsichtige! Aber es gibt eine Schwierigkeit dabei, die zu überwinden Sie mir vielleicht helfen können, Herr Franke.“

„Was für eene is das denn? Ich liebe nämlich grad die Schwierigkeeten. Für so was Leichtes kann ich mich nich gut kondensieren. Was aber schwer is, was Mühe macht und Anschtrengung kostet, das is zu jeder Zeit mein Lieblingsfach gewesen. Darum habe ich es schtets mehr mit den geistig offwärtsschtrebenden, als mit den körperlich abwärtsgerichteten Wissenschaften und Künsten gehalten. Also wenden Sie sich getrost an mich, Herr Kantor emeriticus! Ich bin der richtige Mann und Held für Sie. Was meenen Sie für eene Schwierigkeet? Ich werde sie mit der größten Leichtigkeet und Kohäsion beseitigen.“

„Hm! Haben Sie vielleicht einmal Old Shatterhand oder Winnetou singen hören?“

„Singen? Nee!“

„Aber diese beiden Männer können doch singen? Oder meinen Sie nicht?“

„Ob sie singen können! Was das für eene indigoflammierte Frage is! Schämen Sie sich denn nich, so was zu denken oder gar so alluvialisch auszuschprechen? Ich sage Ihnen, diese zwee beeden Männer könnes alles, mag es heeßen, wie es will, also ooch singen.“

„Werden Sie nur nicht so grob, Herr Franke! Ich habe es ja nicht bös gemeint. Was denken Sie, würde Old Shatterhand vielleicht einmal singen, wenn ich ihn darum bäte?“

„Hm!“ brummte Frank, indem er ein zweifelndes Gesicht machte.

„Und Winnetou?“

„Der off alle Fälle nich. Er is in allen Sachen groß, und so bin ich überzeugt, daß er ooch een ganz bedeutender Sänger und Koloraturierer is; aber wenn ich offen schprechen soll, so kann ich ihn mir gar nich singend vorschtellen.“

„Wirklich nicht?“

„Nee. Denken Sie sich doch ‚mal diesen berühmten Häuptling mit geschpreizten Beenen und weit offgeschnapptem Munde im Konzertsaale schtehend und die schkandinavische Arie singend: Guter Mond, du gehst so schtille hinter Nachbars Birnboom hin! Können Sie ihn sich off diese Weise ausmalen?“

„Was Sie da sagen, ist nicht ganz ohne. Aber die Indianer singen doch jedenfalls auch!“

„Natürlich. Ich habe schon verschiedene singen hören.“

„Wie klang es denn? Was sangen sie? War es einstimmig oder mehrstimmig? Es ist mir sehr wichtig, das von Ihnen zu erfahren.“

„Hören Sie, das is nu wieder so eene epileptische Frage! Wenn eener singt, so is es doch allemal eenschtimmig. Oder denken Sie etwas, daß een eenzelner Mann achtschtimmig singen kann? Und wenn zwölfe singen, so is es zwölfschtimmig; das muß doch jeder Schangdarm einsehen. Wie es geklungen hat, wollen Sie wissen? Na, nich ganz so wie bei den großen Komponisten Mozart, Galvani und Correggio. Es is nich leicht, es zu beschreiben. Denken Sie sich eenen großen Schmiedeblasebalg, in welchem een Eisbär, een Truthahn und drei junge Schweine schtecken; fangen Sie an, den Balg zu ziehen und zu drücken, dann werden Sie wahrscheinlich etwas zu hören bekommen, was grad so klingt wie eene echte, indianische Zivilschtandsoperette. Haben Sie mich verschtanden?“

„Jawohl. Ihr Beispiel ist ja deutlich genug.“

„Na, was wollen Sie denn mit Old Shatterhand und Winnetou? Warum sollen diese singen?“

„Weil ich wissen möchte, was für Stimmen sie haben.“

„Gute Schtimmen natürlich, sehr schöne Schtimmen sogar. Denn das Gegenteel davon zu denken, das wäre eene Beleidigung für sie.“

„Ob gut oder nicht, das meine ich nicht. Ich wollte wissen, ob sie Tenor, Bariton oder Baß singen.“

„Müssen Sie das denn so notwendig wissen?“

„Ja. Sie sollen doch die Haupthelden meiner Oper sein; also muß ich ihre Stimmlage wissen.“

„Unsinn! Ihre Schtimmlage! Die Schtimme liegt allemal in der Kehle. Wo soll sie denn sonst liegen? Ich habe noch keenen Menschen gesehen, der mit dem Magen oder mit den Ellbogen gesungen hat. Das sollten Sie doch wissen, wenn Sie eene zwölfaktige Oper komprimieren wollen. Und ooch das muß ich an Ihnen rügen, daß Sie das vorher wissen wollen. Das is doch gar nich notwendig. Old Shatterhand und Winnetou sollen offtreten und singen; gut; warten Sie das eenfach ab, so werden Sie gleich hören, ob sie Tenor, Baß oder Bariton singen. Es is doch gar nich notwendig, sich schon vorher darum zu kümmern.“

„Sie irren sich! Ich habe doch das, was gesungen werden soll, vorher zu komponieren!“

„Natürlich! Das is ja Ihre Schuldigkeet als Komponist.“

„Also muß ich doch wissen, ob ich den Gesang in den Baß oder den Tenor legen soll.“

„Legen Sie ihn in die Partitur; da gehört er hin! Der Kapellmeester wird ihn nachher finden, wenn er sich off Musik verschteht, was ich doch hoffen will.“

„Aber,“ erklärte der Kantor eifrig, „eben bevor ich an der Partitur arbeite, muß ich doch wissen, in welcher Stimmlage – –“

„So lassen Sie mich doch mit Ihrer Schtimmlage in Ruhe!“ unterbrach ihn Frank, zornig werdend. „Ich habe doch schon gesagt, daß die in der Gurgel liegt! Sie besitzen doch ooch so eene Art von Menschenverschtand; also is es doch eegentlich gar nich notwendig, daß Sie sich das zweemal sagen lassen. Merken Sie sich das, daß die wahre Weisheet nie wiederholt zu werden braucht!“

Der Kantor öffnete den Mund zu einer Gegenrede; darum fuhr Frank sehr schnell fort.

„Schweigen Sie! Lassen Sie mich ausschprechen! Der Rat, den ich Ihnen gebe, is ausgezeichnet und wird Ihnen sehr viel Zeit, Sorge und Arbeit erschparen. Komprimieren Sie immer Ihre Heldenoper; um Baß oder Tenor brauchen Sie sich dabei gar nich zu kümmern, denn wenn der Vorhang offgezogen wird und die Darschteller zu singen anfangen, wird es sich ganz von selber zeigen, ob sie für den Tenor geeignet, oder zum Kontrabaß geboren worden sind. Es muß doch jedenfalls nur den Sängern ihre Sache sein, ob sie hoch oder niedrig singen wollen. Ich wenigstens ließe mir keenen Tenor vorschreiben, wenn ich eenen Violonbaß in der Gurgel hätte. Das können Sie mir glooben. Ich bin der richtige Mann, der das beurteelen kann, denn als ich damals in Moritzburg als Forschtgehilfe differierte, bin ich Mitglied des dortigen Gesangvereins gewesen und habe sogar den Vertrauensposten animiert, allemal nach der Übungsschtunde die Notenbücher und den Taktschtock einzuschließen, was doch ‚was zu bedeuten hat.“

Hobble-Frank wäre in seiner eifrigen Rede gern fortgefahren; aber da kehrten Winnetou und Old Shatterhand zurück, und der letztere gebot den Lagernden, sich zum Aufbruche zu rüsten; er teilte den Westmännern mit:

„Wir sind den Spuren der Nijoras eine Strecke weit gefolgt. Sie scheinen nach dem Chellyflusse zu wollen, was uns sehr lieb sein muß, da derselbe auch in unsrer Richtung liegt.“

Als dann alle aufgestiegen waren, setzte sich der Trupp in Bewegung. Den Eingang der Höhle wieder zuzuschütten, hätte keinen Zweck gehabt; man ließ sie offen.

Nachdem man die Schlucht passiert hatte, lenkte Winnetou, welcher an der Spitze ritt, nach dem Walde, in welchem die Nijoras die Nacht zugebracht hatten. Man kam auf ihre Fährte; sie führte zur Höhe empor und dann jenseits in ein langes Thal hinab, welches auf eine ebene Savanne mündete, welche eine solche Ausdehnung besaß, daß man ihre Grenzen nicht sehen konnte. Die Spur der Indianer führte in schnurgerader Richtung in diese Ebene hinein.

Hier brauchte man nicht besorgt zu sein, unerwartet auf Feinde zu treffen, denn es wäre jede Annäherung schon von weitem zu bemerken gewesen. Darum duldeten es die beiden Führer, daß ihre Gefährten sich ganz nach ihrem Belieben bewegten und sich laut miteinander unterhielten.

Der Kantor war durch die Auskunft, um welche er den Hobble-Frank gebeten hatte, nicht befriedigt worden; darum machte er sich an die Seite desselben und fragte:

„Herr Franke, würden Sie mir einen Gefallen erweisen?“

„Warum denn nich? Aber was für eenen denn?“

„Ich habe bemerkt, daß Sie bei Old Shatterhand gut stehen. Ihnen erfüllt er vielleicht den Wunsch, mit welchem er mich abweisen würde.“

„So? Wenn Sie das denken, da haben Sie das Richtige getroffen. Ich erfreue mich der ganz besondern Freundschaft und Egalität dieses berühmten Mannes.“

„Dann ersuchen Sie ihn doch einmal, ein Lied zu singen, und wenn es auch nur eine einzige Strophe wäre! Wollen Sie das?“

„Nee, lieber Freund, ich will nich!“

„Nicht? Warum nicht?“

„Ich will ihn bitten, sich bei eenem Grizzlybären schlafen zu legen oder eenen wilden Büffel bei den Hörnern anzufassen; das würde er thun, denn er is der Mann dazu. Aber singen? Nee, das kann ich ihm nich zumuten; da würde er mich schön heimleuchten, hörnse ‚mal. Versuchen Sie es selber; ich will mir da die Finger nich verbrennen. Übrigens, Sie reden nur immer von der Musik Ihrer Oper, aber nich von dem Texte dazu. Haben Sie den schon?“

„Nein.“

„Na, da is aber keene Zeit zu verlieren. Wenden Sie sich schleunigst an eenen Dichter, der das nötige Talent besitzt!“

„Ich gedenke selbst den Text fertig zu bringen.“

„So? Sie selber?“ fragte Frank, indem er ihn mit einem kurzen Seitenblicke maß. &Haben Sie denn die Wissenschaft vom richtigen Verschmaße schtudiert? Können Sie die Helden, welche Sie aus den Kulissen schieben wollen, in die eenzelnen Zeilen und Wörter zerlegen, daß sie sich ooch richtig reimen?“

„Ich hoffe es. Übrigens würde ich hier vergeblich nach einem Dichter suchen.“

„So? I der tausend! Sie denken also wohl, es is keener da?“

„Ja.“

„Hören Sie, da geben Sie sich eener optischen Täuschung hin, die ich Ihnen kurieren muß. Es is nämlich een Dichter unter uns.“

„Wirklich?“

„Ja. Und was für eener!“

„Wer denn?“

„Das erraten Sie nich?“

„Nein.“

„Hm, Sie können mir leid thun! Sie brauchen ihn bloß anzublicken, um ihm sofort anzusehen, daß er eene höchst seltene dichterische Formation im Kopfe trägt. Seine geistig edlen und melodisch delikaten Gesichtszüge beweisen das.“

Der Kantor ließ seinen Blick prüfend von einem Reiter zum andern schweifen und erkundigte sich dann:

„Wen meinen Sie denn?“

Da wies Frank mit dem Zeigefinger auf sich selbst und ließ mit bedeutender Wucht das eine kleine Wörtchen hören.

„Mich.“

„Ah, sich selbst meinen Sie? Sie können dichten?“

„Und aber wie!“

„Unglaublich!“

„Ach was, unglooblich! Ich kann alles! Das müssen Sie doch nu endlich bald bemerken! Sagen Sie mir een Wort, so mache ich sofort zwanzig Reime droff! In höchstens zwee oder drei Schtunden dichte ich Ihnen eenen Operntext zusammen, der sich gewaschen hat. Ich beherrsche meine Mutterschprache in eener so konsumierten Weise, daß die Reime nur so nach allen Seiten fliegen. Wenn Sie daran zweifeln, gebe ich Ihnen die Erloobnis, mich zu prüfen.“

„Sie zu prüfen? Das würden Sie mir übel nehmen.“

„Fällt mir gar nich ein! Wie kann der Löwe oder der Adler dem Schperling etwas übel nehmen! Ich bin überhaupt nich übelnehmisch, wie sich bei meinem edlen Charakterbild von selber verschteht. Also schtellen Sie mir eene Offgabe; sagen Sie mir getrost, was ich dichten soll. Es fällt mir gar nich ein, Sie deshalb tot zu beißen.“

„Nun wohl, machen wir einen Versuch. Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?“

„Singen? Gar nischt natürlich!“

„Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!“

„Da wäre dieses Publikum schöne dumm! Winnetou – eenen Feind beschleichen – und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?“

„Ja, hier im wilden Westen, Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!“

„Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt notwendig is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er also meinetwegen singen.“

„Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.“

„Schön! Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:

Ich bin der große Winnetou, In Amerika geboren, Habe Oogen, aber nu! Rechts und links zwee scharfe Ohren, Krieche off dem Bauch im Grase, Rieche alles mit der Nase.“

Als er diese Reime deklamiert hatte, richtete er auf den Kantor einen triumphierenden Blick, als ob er nun die höchste Anerkennung erwarte. Als der Emeritus aber schwieg, fragte er:

„Na, was sagen Sie dazu? Sind Sie erschtaunt oder nich?“

„Nicht,“ gestand der Gefragte.

„Nich? Ich hoffe doch, daß Sie das, was Sie gehört haben, hochachtungsvoll zu schätzen wissen? Geben Sie Ihr Urteil ab!“

„Ich würde Sie kränken!“

„Nee. Es gibt keen Geschöpf unter mir, welches mich kränken könnte. Ich schwebe geistreich oben drüber!“

„Gut, so sollen Sie erfahren, daß Sie Knüttelverse gemacht haben. Daß Winnetou in Amerika geboren ist, daß er Augen hat, daß er alles mit der Nase, nicht aber mit den Ohren riecht, daß diese letzteren sich links und rechts an seinem Kopfe befinden, daß er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauche kriecht – – das ist ja so selbstverständlich, daß man es gar nicht zu sagen und noch viel weniger zu singen braucht. Also bitte, machen Sie einen andern Reim!“

Als der Hobble dieses Urteil hörte, wurden seine Augen immer größer, seine Brauen stiegen empor; er räusperte sich, als ob er glaube, nicht richtig gehört zu haben, öffnete dann den Mund und brach los –

„Was sagen Sie da? Was haben Sie geschprochen? Was für Zeug hätte ich gemacht? Knüttelversche meenen Sie?“

„Ja; so pflegt man solche Verse zu nennen, Herr Franke,“ antwortete der Kantor unbefangen.

„Knüttelversche, Knüttelversche! Hat man schon jemals so ‚was gehört! Ich, der berühmte Prairiejäger, Westmann und Hobble-Frank habe Knüttelversche gemacht! Da hört denn doch alles und verschiedenes off! Das hat mir noch keen Mensch gesagt, keen eenziger Mensch! Erscht fordern Sie mich off, zu sagen, wer Winnetou is und was er will, und als ich es dann sage, sagen Sie, es wäre überflüssig gewesen, das zu sagen! Ich aber sage Ihnen, daß Sie sich sagen mögen, daß Sie selber überflüssig sind, een ganz überflüssiger Mensch! Warum sind Sie nich mehr im Amte? Weil Sie überflüssig sind, een abgeschiedener und vorübergeschwundener Emeritikus. Ich aber befinde mich noch mitten in meinem Berufe als Prairiejäger, als Mitarbeiter des berühmten Schtuttgarter Guten Kameraden“ also als anerkannter Litterat und permutierter Operndichter. Schteigen Sie also vom Pferde und lösen Sie mir die Riemen meiner Schuhe off, Sie unglücklicher Harfenist und zwölf Akte langer Pauken-, Saiten- und Triangelschpieler! Ich sollte Ihnen eegentlich eene Schtrafrede halten, off griechisch eene Philippine genannt, daß Ihnen alle Ohren wackeln, halte dies aber tief unter meiner kalcinierten Würde und Behendigkeet. Darum will ich schweigen und wortlos den Schtaub von meinen Füßen bürschten, was so viel zu bedeuten hat, daß ich Ihnen meine Freundschaft und Identität offkündige, Ihnen den legierten Reichstagsabschied gebe und mich fernerhin nur in solchen Regionen bewegen werde, wo der Luftballon meines Gedankenfluges von Ihrem Ooge weder erreicht noch akklimatisiert werden kann. Leben Sie also wohl für das gegenwärtige irdische Dasein! Ich wohne für Sie von jetzt an im Lande der seligen Geister und olympischen Schpielkameraden, an die Sie nie nich herankommen können!“

Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, in die Savanne hinein.

„Halt, Frank, wo willste hin?“ rief Droll ihm nach.

„Über euern geistigen Horizont hinaus,“ antwortete er zurück.

„Da halte dich nur fest und fall’drüben nich über den Horizont hinab!“

Der kleine, zornige Kerl wäre wohl noch weiter fortgeritten, wenn ihm nicht Old Shatterhand befehlend zugerufen hätte, zurückzukehren. Er gehorchte und machte sich an Drolls Seite.

„Was war denn los?“ fragte dieser. „Du machst ja een ganz rabiates Gesicht. Hast du dich wieder ‚mal geärgert?“

„Schweig! Empöre dich nich gegen meine Nachsicht und renitente Duldsamkeet! Ich bin off eene Weise verkannt worden, daß mir alle meine Haare ins Gebirge schteigen.“

„Von wem?“

„Vom frühern Kantorei- und Orgelschpieler.“

„Er hat dich beleidigt?“

„Im höchsten Grade nach Reaumur, Pestalozzi, Gall und Fahrenheit!“

„Womit?“

„Das brauchst du nich zu wissen. Bekümmere dich um deine eegne Häuslichkeet und laß mich und meine inkapabeln Schtaatsbürgerrechte ungeschoren!“

Droll lachte leise vor sich hin und schwieg. Er sah ein, daß es am besten sei, den Hobble seinem Zorne, der immer bald zu verrauchen pflegte, ruhig zu überlassen.

Die Savanne, auf welcher sie ritten, nahm kein Ende, oder vielmehr die Ebene; denn wenn man unter Savanne ein Grasland versteht, so hatte man sie schon nach einer Stunde hinter sich; das Gras und mit ihm jede andre Vegetation war verschwunden, und der Boden bestand meist aus hartem Fels, auf welchem kein Gewächs zu leben vermochte. Man befand sich auf dem Plateau des Koloradoflusses, welches an diesem und seinen Nebenflüssen in steile Schluchten und Canons abfällt.

Hier mußte man sehr scharfe Augen besitzen, wenn man die Spur der Nijoras nicht verlieren wollte. Es war wirklich außerordentlich und wurde von den übrigen auch bewundert, mit welcher Sicherheit Winnetou, der an der Spitze ritt, Zeichen fand und deutete, welche keiner der übrigen Reiter, Old Shatterhand natürlich ausgenommen, zu entdecken vermochte.

Um die Mitte des Tages wurde der Frauen und Kinder wegen Halt gemacht. Man gönnte ihnen eine Ruhe von zwei Stunden; dann ging es wieder vorwärts, bis gegen Abend der Apache anhielt und wieder von dem Pferde stieg. Old Shatterhand that dasselbe.

„Warum hier halten?“ fragte Sam Hawkens. „Wollen wir an dieser öden Stelle, die sich gar nicht dazu eignet, die Nacht verbringen?“

„Nein,“ antwortete der Apache. „Die Vorsicht gebietet uns, hier zu warten, bis es dunkel ist.“

„Warum?“

„Weil wir nur noch eine halbe Stunde bis zum Chelly zu reiten haben. Dort gibt es Wald, in welchem die Nijoras wahrscheinlich kampieren werden. Da die Gegend eben ist, würden sie uns kommen sehen und sich verstecken, um uns zu überfallen. Darum müssen wir warten, bis es Nacht geworden ist und sie uns nicht bemerken können.“

„Aber dann können wir auch sie nicht sehen!“

„Wir werden sie finden, wenn nicht heut, so morgen ganz gewiß.“

Die andern stiegen nun auch ab und lagerten sich im Kreise. Am nördlichen Horizonte sah man einige Geier schweben. Sie zogen sehr enge Kreise. Old Shatterhand machte auf diese Vögel aufmerksam und sagte:

„Wo Geier sind, gibt es entweder Aas oder sonstiges Futter. Sie fliegen nicht fort, sondern bleiben an derselben Stelle; es gibt also dort Beute für sie. Ich vermute, daß die Nijoras dort ihr Lager haben.“

„Mein weißer Bruder hat es erraten,“ stimmte Winnetou bei. „Diese Vögel zeigen uns den Weg. Wir werden das Lager noch heut beschleichen.“

„Müssen dabei aber sehr vorsichtig sein. Diese dreißig Nijoras haben den weiten Weg von dem Gloomy-water bis zum Chelly in einer Tour zurückgelegt. Wenn Kundschafter dies thun, weiß man, was es zu bedeuten hat: Sie sind dahin zurückgekehrt, von wo sie ausgegangen sind. Ich vermute also, daß dort am Chelly alle Krieger des Nijorastammes versammelt sind, um den Zug gegen die Navajos zu beginnen.“

„Dann wären ihnen die Gefangenen abgeliefert worden,“ meinte Hawkens, „und es wäre nun doppelt schwer und gefährlich, sie zu befreien.“

„Sie werden frei,“ sagte Winnetou in seiner bestimmten Weise; „nur darf auf unsrer Seite keine Unvorsichtigkeit vorkommen.“

Als es soweit war, daß man nach einer Viertelstunde die Dämmerung erwarten konnte, wurde weiter geritten. Noch ehe es zu dunkeln begann, sah man, daß der Horizont sich im Norden wie ein schwarzer Strich abzeichnete.

„Das ist der Wald des Chellyflusses,“ erklärte Old Shatterhand. „Bleibt hier halten! Ich werde allein weiterreiten, bis ich ihn durch mein Fernrohr absuchen kann. Ein einzelner Reiter kann von dort aus nicht so leicht bemerkt werden wie ein ganzer Trupp.“

Er trabte fort und hielt dann an. Man sah, daß er sein Rohr nach dem Walde richtete. Dann kehrte er zurück und sagte.

„Ihr müßt wissen, daß der Chellyfluß jetzt Wasser hat. Er fließt da, wohin wir wollen, in einem tiefen Thale. Die steilen Seiten desselben tragen Wald; da aber die verdunstende Feuchtigkeit nur in dem Thale, nicht über dasselbe hinaus zu wirken vermag, reicht dieser Wald nur bis zum Rande des Thales herauf, nicht aber in die Ebene hinein. Er bildet oben einen sehr schmalen Saum, den ich mit meinem Fernrohre ab- gesucht habe. Wenn die Nijoras da oben lagerten, hätte ich sie sehen müssen. Sie werden sich also unten in der Tiefe, am Flusse, befinden. Reiten wir also vorwärts!“

Die Dämmerung ist in jenen Gegenden sehr kurz; es wurde schnell dunkel, und nun konnte man sicher sein, vom Rande des Flußthales aus nicht gesehen zu werden. Nur eine kleine Viertelstunde später hörte man an den Huftritten der Pferde, daß der Boden grasig geworden war, und gleich darauf erreichte man den Saum des Waldes. Hier wurde angehalten und abgestiegen.

Ein Feuer anzubrennen, davon konnte keine Rede sein. Man mußte der Nähe der Indianer wegen im Dunkeln und zugleich so fern von ihnen bleiben, daß, falls vielleicht ein Pferd wieherte, sie dies nicht hören konnten. Dazu war natürlich notwendig, zu wissen, an welcher Stelle sie sich befanden. Old Shatterhand und Winnetou waren überzeugt, gar nicht fern von der Gegend zu sein, über welcher die Geier geschwebt hatten; die Indianer mußten also ziemlich nahe sein. Die beiden Genannten gingen fort, um zu rekognoszieren. Sie drangen in den Wald ein, und es verging weit über eine halbe Stunde, ehe einer von ihnen, nämlich Old Shatterhand, zurückkehrte.

„Wir befinden uns gerade an der richtigen Stelle; es ist wirklich zu loben, mit welchem Scharfsinne der Apache uns geleitet hat. Der Rand des Waldes ist hier kaum dreißig Schritte breit; dann steigt er in das Thal hinab. Wir sind ziemlich weit hinuntergestiegen, was bei dieser Dunkelheit keine leichte Sache war, und sahen dann Feuer; wir zählten drei, doch ist es möglich, daß noch mehrere brennen, welche wir nicht sehen konnten. Aus dieser Zahl der Feuer ist zu schließen, daß sich nicht nur die dreißig Kundschafter, sondern alle Kriegsmannschaften der Nijoras da unten befinden. Wir werden, wenn wir den Gefangenen loshelfen wollen, einen schweren Stand haben.“

„Und wo ist Winnetou?“ fragte Sam.

„Ich kehrte zurück, um euch Bericht zu erstatten. Wenn wir beide länger fortblieben, konntet ihr euch leicht beunruhigen. Der Apache ist vollends hinunter, um sich genau umzusehen. Ich denke, daß wir ihn vor Verlauf einer Stunde nicht zurückerwarten können. Das Terrain ist sehr schwierig, und ein Lager zu umschleichen, in welchem so viele Feuer brennen, das erfordert große Behutsamkeit und lange Zeit.“

Es zeigte sich, daß er noch zu wenig gesagt hatte, denn es vergingen fast zwei volle Stunden, bis der Apache sich wieder sehen ließ. Er setzte sich zu Old Shatterhand nieder und sagte:

„Winnetou hat außer den drei Feuern noch zwei weitere gesehen; es sind also fünf, an denen wohl über dreihundert Nijoras lagern.“

„Also ganz, wie wir dachten. Wer ist der Anführer? Hast du ihn entdeckt?“

„Ja. Es ist Mokaschi, den du auch kennst.“

„Der Büffel, ein Krieger, den ich achte. Wenn wir als Freunde kämen, würde er uns gewiß nicht feindlich empfangen.“

„Da wir die Gefangenen befreien wollen, sind wir seine Feinde und dürfen uns nicht vor ihm und seinen Leuten sehen lassen. Mein Auge hat die Gefangenen erblickt.“

„Alle?“

„Ja, acht Navajos und die drei Bleichgesichter. Sie liegen an einem der Feuer und sind von einem doppelten Kreise von Kriegern umgeben.“

„O wehe! Da ist es schwer, sie herauszuholen!“

„.Es ist nicht nur schwer, sondern geradezu unmöglich. Wir können heut nichts thun, sondern müssen warten bis morgen.“

„Ich stimme meinem roten Bruder bei. Es wäre Tollheit, unser Leben zu wagen, wenn der Erfolg so außerordentlich unsicher ist.“

„Erlaubt mir, zu sagen, daß ich diesen Entschluß nicht begreife,“ sprach Hawkens. „Meint ihr, daß wir morgen mehr erreichen werden als heut?“

„Gewiß.“

„Inwiefern? Die Aussichten werden da auch nicht besser sein als heut.“

„O doch.“

„Meint ihr? In welcher Weise könnte das sein?“

„Ihr habt doch mit uns die Ansicht, daß die Nijoras gegen die Navajos ziehen wollen?“

„Natürlich!“

„Glaubt Ihr, daß sie sich da mit den elf Gefangenen belästigen werden?“

„Hm! Es ist freilich nicht anzunehmen, daß sie diese mit sich schleppen werden.“

„Also! Sie lassen sie unter Bewachung zurück. Wir warten dies ab und haben dann viel leichteres Spiel als heut.“

„Das leuchtet mir freilich ein. Daran habe ich gar nicht gedacht, wenn ich mich nicht irre. Wenn man aber nur wüßte, wann sie fortreiten werden.“

„Ich vermute, morgen.“

„Das wäre gut. Wenn sie aber noch da bleiben, kommen wir in die Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden.“

„Das müssen wir riskieren.“

„Freilich; aber das ist viel leichter gesagt als gethan. Es gibt hier oben kein Wasser. Die Pferde haben darunter weniger zu leiden, da sie Gras finden. Aber wir! Am Gloomy-water konnten wir nicht trinken, des Öles wegen; heut hat es während des ganzen Rittes auch keinen Tropfen gegeben. Wenn wir auch morgen nicht trinken können, so wird es mir um die Ladies und um die Kinder bang; von uns selbst will ich da gar nicht sprechen.“

„O, von uns muß grad ooch geschprochen werden,“ fiel da der Hobble-Frank ein. „Wir sind einstweilen noch keene unschterblichen Seelen, sondern Menschen, deren Schterblichkeet een erwiesenes Faktotum is. Jedes schterbliche Wesen aber muß Wasser haben, und ich geschtehe der Wahrheet gemäß ein, ich habe eenen solchen Durscht, daß ich für een paar Schlucke Wasser oder een Glas Lagerbier gern drei Mark bezahlen würde.“

Da konnte sich der Kantor nicht enthalten, ihm in bedauerndem Tone zu versichern:

„Das thut mir außerordentlich leid, Herr Franke. Wenn ich Wasser hätte, würde ich es gern mit Ihnen teilen.“

Er war ein sehr gutmütiger Mensch und er bereute es schon seit langem, den Hobble-Frank heut geärgert zu haben. Diesem aber, der nicht weniger gutmütig war, erging es ebenso. Er sagte sich im stillen, daß er eigentlich doch wohl zu grob gegen den Kantor gewesen sei; er war also versöhnlich gestimmt, hielt es aber nicht für seiner Würde gemäß, dies merken zu lassen, und antwortete also auf die Versicherung des Emeritus:

„Wissen Sie denn, ob ich es von Ihnen annehmen würde?“

„Ich hoffe es!“

„Hoffen Sie das nich! So groß mein Durscht is, mein Charakter is noch viel größer. Wenn Sie mir das ganze Weltmeer hierher brächten, ich rührte doch keenen Tropfen an. Wissen Sie, mit den Knüttelverschen haben Sie sich ihren besten Freund vor den Kopp geschtoßen. Das is een sehr schwerer Verlust für Sie, und Sie können die feste, pekuniäre Überzeugung haben, daß ich Ihnen für Ihr ganzes Leben unersetzlich bleiben werde. Es is traurig für Sie, aber wahr, und ich kann Ihnen beim besten Willen nich helfen.“

Das ging dem Kantor so nahe, daß er den Gedanken daran nicht wieder los wurde. Er konnte, als gegessen worden war und man sich zur Ruhe gelegt hatte, nicht einschlafen. Er fragte sich, auf welche Weise es möglich sei, Frank zu versöhnen, und da kam ihm eine Idee, die er für ganz vorzüglich hielt, obgleich er auf eine unklugere gar nicht hätte kommen können. Frank hatte über Durst geklagt und drei Mark für ein paar Schlucke Wasser zahlen wollen. Wie nun, wenn er ihm den Durst stillte? Das mußte ihn doch sicher rühren, zumal das Herbeischaffen des Wassers nicht nur schwierig, sondern auch wohl nicht ganz gefahrlos war. Unten im Thale war der Fluß, und er, der Kantor, hatte einen ledernen Trinkbecher. Aber es war jedenfalls verboten, da hinabzusteigen. Wenn er es thun wollte, mußte es heimlich geschehen. Er richtete sich halb auf und lauschte, Sie schliefen alle außer Dick Stone, welcher jetzt die Wache hatte; er befand sich in diesem Augenblicke bei den Pferden.

Der Emeritus hatte den Sattel als Kopfkissen unter sich liegen. In der Satteltasche steckte der Becher. Er nahm denselben heraus und kroch leise fort, zwischen die Bäume hinein. Was er beabsichtigte, that er aus zwei Gründen, nämlich Franks wegen und sodann weil er selbst auch einmal „ein Held des Westens“ sein wollte. Der Gedanke, da hinunter zu den Feinden zu steigen und Wasser heraufzuholen, mutete ihn stolz an. Wie würde man sich wundern, wenn er ihn glücklich ausführte. Glücklich? Konnte er überhaupt unglücklich sein? Gewiß nicht, wenn er nur die nötige Vorsicht beobachtete.

Er kroch also weiter und weiter, bis er dachte, daß Dick Stone ihn nun weder mehr hören noch sehen könne. Da erhob er sich und tastete sich fort. Da ging der ebene Boden zu Ende; der Wald senkte sich in das Thal hinab. Nun begannen erst die Schwierigkeiten. Er drehte sich um und begann hinabzuklettern, verkehrt, auf allen Vieren, mit den vorsichtig tastenden Füßen voran. Das ging langsam, außerordentlich langsam. Er konnte erst dann einen Fuß weitersetzen, wenn er vorher mit dem andern den Boden untersucht hatte. Es gab scharfe Steine und dornige Ranken, an denen er sich die Hände verletzte. Er achtete nicht darauf. Je weiter er kam, desto mehr wuchs seine Begierde, das Unternehmen zu Ende zu bringen. Zuweilen verlor er den Halt unter den Füßen und rutschte streckenweit hinab. Das geschah natürlich nicht ohne Geräusch; er aber hörte vor lauter Eifer das Rollen der losgetretenen Steine und das Knicken und Knacken der brechenden Zweige gar nicht.

Jetzt sah der Emeritus die Lagerfeuer leuchten; er glaubte, das Spiel bereits gewonnen zu haben, und hastete weiter und weiter. Er kam den Feuern immer näher und näher. Er sah nicht, daß man dort aufmerksam wurde, daß fünf oder sechs Indianer, welche das Geräusch hörten, aufsprangen und ihm entgegenhuschten. Sie blieben dann stehen und warteten. Er atmete so laut, daß sie es ganz deutlich hören konnten.

„Uff!“ flüsterte einer von ihnen. „Das ist kein Tier, sondern ein Mensch!“

„Ob mehrere?“ fragte ein andrer.

„Nein, nur einer. Ergreifen wir ihn, ohne ihn zu töten!“

Jetzt war er ganz nahe bei ihnen. Sie bückten sich nieder, um ihn gegen die Feuer vor ihre Augen zu bekommen. Sie sahen ihn; sie überzeugten sich, daß er allein war, und streckten nun die Hände nach ihm aus. Als er sich so plötzlich ergriffen fühlte, erschrak er in der Weise, daß er keinen Laut hervorbrachte, obgleich er schreien wollte. Man rief ihm einige Worte zu, die er aber nicht verstand; desto besser aber verstand er die Sprache der Messer, deren Spitzen ihm, wie er fühlte, auf die Brust gesetzt wurden. Es fiel ihm gar nicht ein, sich zu wehren; er folgte, als er fortgezogen wurde, ohne allen Widerstand. Man kann sich denken, welches Aufsehen sein Erscheinen im Lager erregte; aber dieses Aufsehen war kein lärmendes. Ein Weißer hatte sich herbeigeschlichen und war ergriffen worden. Er konnte nicht allein hier in der Gegend sein; er mußte Gefährten bei sich haben, die sich in der Nähe befanden; man mußte also jeden Lärm vermeiden.

Es hatte sich sofort ein Kreis von Roten um ihn gebildet; keiner von ihnen sprach ein Wort. Bei ihm, in der Mitte dieses Kreises, stand Mokaschi, der Häuptling. Dieser that vor allen Dingen das, was ein jeder umsichtige Anführer thun mußte: er schickte einige Späher aus, welche die Umgebung des Lagers absuchen mußten. Dann fragte er den Gefangenen nach seinem Namen und seinen Absichten. Der Kantor verstand kein Wort und sagte, was er sagen zu müssen glaubte, in deutscher Sprache. Da meinte der Häuptling:

„Er kennt unsre Sprache nicht, und wir verstehen die seinige nicht. Wir wollen ihn den drei gefangenen Bleichgesichtern zeigen, vielleicht ist er ihnen bekannt.“

Der Kreis öffnete sich und der Emeritus wurde nach dem Feuer geführt, an welchem die Gefangenen lagerten. Als diese ihn erblickten, rief Poller überrascht aus.-

„Der deutsche Kantor! Der verrückte Kerl! Dieser hirnverbrannte Mensch muß aus dem Pueblo, wo er gefangen war, entkommen sein!“

Er hatte das in einem Gemisch von Englisch und Indianisch gesagt, welches der Kantor nicht verstand. Doch bemerkte dieser, daß die Worte ihm galten, er erkannte den einstigen Führer der Auswandererkarawane und sagte in deutscher Sprache, deren Poller mächtig war:

„Hallo! Das ist ja unser Wegweiser, der Dux, wie wir Komponisten sagen! Und gar mit gefesselten Extremitäten! Herr Poller, wie sind Sie denn in diese fatale Lage gekommen? Ich freue mich natürlich außerordentlich, Sie wiederzusehen.“

„Diese Kerls haben uns gefangen genommen,“ antwortete der Gefragte, natürlich deutsch.

Da aber fiel der Häuptling schnell und in drohendem Tone ein:

„Ihr sollt nicht reden, was ich nicht verstehe! Wollt ihr etwa unsre Messer in die Leiber haben? Kennst du diesen Mann?“

„Ja.“

„Wer ist er?“

„Ein Mann aus Deutschland.“

„Deutschland? Ist dies das Land, in welchem Old Shatterhand geboren wurde?“

„Ja.“

„So ist er wohl auch ein berühmter Jäger?“

„Nein. Er versteht es nicht, eine Waffe zu führen. Er will Musik machen und singen. Er ist verrückt.“

Darauf hin betrachtete der Häuptling den Kantor mit viel weniger feindseligen Augen. Es gibt wilde Völkerschaften, welche die Wahnsinnigen nicht nur nicht bedauern oder gar verachten, sondern ihnen sogar Verehrung zollen. Sie sind der Ansicht, daß ein Geist, ein überirdisches Wesen von dem Irren Besitz ergriffen habe. Auch mehrere Stämme der Indianer huldigen dieser Anschauung und wagen es nicht, sich an einem Wahnsinnigen, selbst wenn er zu einem feindlichen Volke gehört, zu vergreifen. Darum erkundigte sich der Häuptling weiter:

„Weißt du es genau, daß dieser Mann nicht mehr bei seinen Sinnen ist?“

„Sehr genau,“ antwortete Poller, welchem der Gedanke kam, daß er daraus vielleicht Vorteil ziehen könne. „Ich bin ja lange Zeit mit ihm und seinen Begleitern geritten.“

„Wer waren diese?“

„Auch Deutsche, welche herübergekommen sind, sich Land zu kaufen, welches den roten Männern gehört.“

„Das hat ihnen der böse Geist eingegeben; denn wenn sie Land kaufen, so wird es uns gestohlen, und nicht wir, sondern die Länderdiebe bekommen das Geld. Jeder, der in diese Gegend kommt, um Land zu kaufen, ist unser Feind. Will dieser Mann auch welches haben?“

„Nein. Er will die roten Männer und Helden kennen lernen und dann in sein Vaterland zurückkehren, um Lieder über sie zu singen.“

„So ist er uns ja gar nicht gefährlich. Ich werde ihm erlauben, zu singen, so viel er will. Wo aber sind seine Begleiter?“

„Ich weiß es nicht.“

„So frage ihn!“

„Das kann ich nicht.“

„Warum?“

„Weil du uns verboten hast, zu sprechen, was du nicht verstehst. Er redet nur die Sprache seines Landes; in dieser also müßte ich mit ihm reden, und dann bekäme ich, wie du gesagt hast, eure Messer in den Leib.“

„Wenn dies wahr ist, so mußt du freilich in seiner Sprache mit ihm reden; ich erlaube es dir.“

„Daran thust du wohl; denn ich vermute, daß du dann sehr wichtige Dinge durch mich erfahren wirst.“

„Welche Dinge?“

„Die Auswanderer, zu denen er gehört, sind nicht allein. Es sind berühmte Jäger bei ihnen, welche sich vielleicht hier in der Nähe befinden. Sie müssen da sein, denn ich könnte nicht begreifen, wie er, der nichts versteht und wahnsinnig ist, ganz allein hierherkommen könnte.“

„Uff! Berühmte Jäger! Meinst du etwa Bleichgesichter?“

„Ja.“

„Welche?“

„Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, Hobble-Frank und vielleicht auch noch andre.“

„Uff, uff, uff! Das sind lauter berühmte Namen. Diese Männer sind zwar nie unsre Feinde gewesen, aber jetzt, wo der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist, muß man zehnfach vorsichtig sein, Ich will wissen, wo sie sich befinden. Aber hüte dich, mir eine Lüge zu sagen! Sobald eine Unwahrheit aus deinem Munde kommt, seid ihr verloren.“

„Sorge nicht! Du hast uns feindlich behandelt; aber ich werde dir trotzdem beweisen, daß wir eure Freunde sind. Ich kann dir diesen Beweis sogar schon jetzt gleich liefern, indem ich dir sage, daß wir uns bemüht haben, diese weißen Krieger für euch unschädlich zu machen.“

„Wie könntet ihr dies angefangen haben?“

„Wir haben sie in das Pueblo des Häuptlings Ka Maku gelockt.“

„Uff! Ka Maku ist unser Bruder. Sind sie zu ihm gekommen?“

„Ja. Er hat sie alle gefangen genommen, die weißen Jäger, die Auswanderer und ihre Frauen und Kinder.“

„Auch diesen wahnsinnigen Mann hier?“

„Ja.“

„Und jetzt befindet er sich bei uns! Er kann den weiten Weg unmöglich allein gemacht haben. Ich muß wissen, welche Leute bei ihm sind und wo sich dieselben in diesem Augenblicke befinden.“

„Soll ich ihn fragen?“

„Ja. Doch hüte dich, mich betrügen zu wollen! Was du mir auch sagen magst, ich werde dir kein Wort eher glauben, als bis ich mich von der Wahrheit desselben überzeugt habe.“

Nun wendete sich Poller an den Kantor und forderte ihn auf zu erzählen.

Nach einigem Widerstreben berichtete dieser, ohne daran zu denken, wie Poller gehandelt hatte und daß er ihn als Feind zu betrachten habe. Der frühere Führer der Auswanderer hörte mit Staunen von Old Shatterhand und Winnetou. Die Erzählung des Emeritus wurde von dem Häuptling unterbrochen, welcher mißtrauisch war und das lange Zwiegespräch, von welchem er kein Wort verstand, nicht dulden wollte. Poller aber beruhigte ihn mit der Versicherung:

„Ich erfahre da Dinge, welche für dich sehr wichtig sind. Ich muß diesen Verrückten ausfragen, was lange Zeit erfordert, weil sein Verstand nicht mehr ganz bei ihm ist. Laß mich also nur sprechen; du wirst dann später sehen, daß ich jetzt als Freund von euch handle.“

Endlich war der Kantor mit seiner Erzählung fertig; Poller wußte alles und wendete sich an den Häuptling:

„Das Wichtigste sollst du gleich zuerst erfahren: Da oben auf der Höhe befinden sich die zwei berühmtesten Männer des wilden Westens. Wirst du erraten, wen ich meine?“

„Etwa Old Shatterhand?“

„Ja.“

„Und Winnetou, der Häuptling der Apachen?“

„Auch dieser.“

„Uff, uff! Du redest die Wahrheit?“

„Es ist so, wie ich sage. Sie sind gekommen, euch zu überfallen.“

„Da werden sie sterben müssen. Woher kommen sie, wo stecken sie, und wie viele Leute sind bei ihnen?“

Poller gab ihm genaue Auskunft, denn es fiel ihm gar nicht ein, den Häuptling zu belügen und irre zu führen. Er rechnete auf die Dankbarkeit der Roten. Die hervorragendsten Krieger derselben standen in der Nähe und hörten Pollers Worte. Als dieser mit seinen Mitteilungen zu Ende war, blickte der Häuptling eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann, zu den Indianern gewendet:

„Meine Brüder haben gehört, was dieses Bleichgesicht gesprochen hat. Aber die Zungen der Weißen haben zwei Spitzen, von denen die eine mit Trug und die andre mit Falschheit endet. Wir müssen uns überzeugen, ob unsre Ohren die Wahrheit oder die Lüge vernommen haben. Es mögen also Kundschafter, die ich jetzt auswählen werde, zur Höhe steigen.“

Er ging von Feuer zu Feuer, um die Krieger zu bezeichnen, welche er für befähigt hielt, Leute wie Winnetou und Old Shatterhand zu beschleichen; dann sah man diese, nur mit ihren Messern bewaffnet, sich vorsichtig entfernen. Hierauf kam der Häuptling zu Poller zurück und sagte, auf den Kantor zeigend:

„Da dieses Bleichgesicht von einem Geiste, welcher nichts verlangt, als singen zu dürfen, besessen ist, so soll ihm von uns nichts Böses geschehen. Er wird ungefesselt hin und her gehen können, wie es ihm beliebt; aber sobald es ihm einfallen sollte, zu entfliehen, bekommt er eine Kugel. Sag‘ ihm das!“

Poller gehorchte natürlich. Als der Emeritus es hörte, sagte er in triumphierendem Tone:

„Sehen Sie, daß ich recht hatte? Für einen jünger der Kunst gibt es keine Gefahr; die Musen beschützen mich. Merken Sie sich, daß wir Komponisten keine gewöhnlichen Menschen sind!“

Poller ärgerte sich über dieses große Selbstbewußtsein und antwortete also:

„Von Ihren Musen kann hier keine Rede sein. Ja, Sie stehen unter einem besondern Schutze, aber unter einem ganz andern.“

„So? Unter welchem denn?“

„Unter dem der Verrücktheit.“

„Ver – – rückt – – heit?“ dehnte der Musikbeflissene. „Darf ich fragen, wie Sie das meinen?“

„Warum nicht? Kein Indianer thut einem Wahnsinnigen etwas zu leide; darum können Sie hier fast ganz frei spazieren gehen.“

„Wahnsinnig? Spazieren gehen? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß – – –“

Er sah dabei Poller starr in das Gesicht.

„Ja, grad das will ich sagen,“ nickte dieser.

„Daß – – daß ich für wahnsinnig gehalten werde?“

„Gewiß, ganz gewiß ist das der Fall!“

„Wie, was? Ist das möglich? Diese roten Leute halten mich für wahnsinnig!“

„Ja, für verrückt, für vollständig verrückt.“

„Aber warum denn, aus welchem Grunde denn?“

„Weil sie nicht begreifen können, daß ein vernünftiger Mensch über das Meer und nach dem wilden Westen gehen kann, nur um über die Leute, welche er da sieht, Musik zu machen.“

„Musik zu machen? Bitte sehr, Herr Poller; Sie bedienen sich da eines vollständig falschen Ausdruckes. Musik macht ein Bierfiedler oder Leierkastenmann; ich aber bin Komponist; ich werde eine Heldenoper von zwölf Akten komponieren, und Sie werden die Ehre haben, in derselben auch mit vorzukommen.“

„Danke sehr, und bitte, mich dabei auszulassen! Übrigens haben die Indsmen gar nicht so sehr unrecht; denn wenn ich aufrichtig sein will, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie allerdings einen Klapps zu haben scheinen, und zwar einen nicht sehr kleinen.“

„Wie? Meinen Sie das wirklich?“

„Ja; aber Sie brauchen es mir nicht übel zu nehmen, denn bei den Indianern ist es eine Ehre, für verrückt gehalten zu werden.“

„Danke für die Ehre; danke sehr! Lieber will ich doch wie Sie gefesselt an der Erde liegen, aber für einen vernünftigen Menschen gehalten werden. Sagen Sie das dem Häuptling!“

„Fällt mir nicht ein. Der Umstand, daß Sie sich frei bewegen dürfen, kann uns von außerordentlichem Nutzen sein. Mißbrauchen Sie ihn aber nicht und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, sich zu entfernen! Man würde Sie auf der Stelle töten.“

„Pah! Das fällt keinem Menschen ein. ich stehe unter dem Schutze der Kunst.“

„Lassen Sie doch, zum Kuckuck, Ihre Kunst aus dem Spiele! Denken Sie von sich meinetwegen, was Sie wollen; aber denken Sie dabei auch an diejenigen, denen Sie nützlich sein können! Sehen Sie, wie der Häuptling nach uns sieht, wie er uns beobachtet? Wir dürfen nicht zu viel miteinander reden, sonst schöpft er Verdacht. Passen Sie später ein wenig auf mich auf. Wenn ich Ihnen winke, so habe ich Ihnen etwas mitzuteilen. Da nähern Sie sich mir so unbefangen wie möglich, sehen mich gar nicht an und bleiben in meiner Nähe stehen, bis Sie gehört haben, was ich Ihnen mitteilen will. Es wird das von großem Nutzen für Ihre Freunde sein. Wollen Sie das?“

„Ganz gern, Herr Poller. Wir Jünger der Kunst leben zwar in höhern Regionen und gehören später der Nachwelt und der Geschichte an; aber ich bin keineswegs stolz darauf, und wenn ich im gewöhnlichen Leben einem Menschen nützlich sein kann, so weigere ich mich keinesfalls, von meiner Höhe herniederzusteigen.“

Poller wäre am liebsten recht grob geworden, hielt es aber für geraten, sich zu beherrschen und sagte:

„Man hat Sie entwaffnet; sehen Sie doch zu, heimlich, recht heimlich zu einem Messer zu kommen! Ich hoffe doch, daß Sie pfiffig genug sind, mir diesen Wunsch zu erfüllen?“

„Pfiffig? Na, und ob! Ein Komponist ohne Pfiffigkeit ist eine absolute Unmöglichkeit. Wozu aber wollen Sie denn das Messer haben?“

Diese Frage war nun freilich kein Beweis von Pfiffigkeit, das hätte Poller ihm gar zu gern gesagt; aber er befürchtete, ihn damit zu beleidigen und gab ihm also die Auskunft:

„Um mich und Ihre Gefährten zu befreien.“

„Die sind doch nicht gefangen!“

„Das weiß ich sehr wohl; aber man weiß doch nicht, was geschehen kann. Ich habe dem Häuptling vollständig falsch berichtet, dennoch kann der kleinste Zufall seine Späher auf die richtige Spur bringen. Dann ist es sehr leicht möglich, daß Ihre Freunde ergriffen werden, wenn nicht etwas noch Schlimmeres geschieht. In diesem Falle würden sie nur dadurch zu retten sein, daß Sie mir heimlich ein Messer verschaffen. Ihnen zu erklären, wozu ich es haben will, dazu fehlt jetzt die Zeit. Wir dürfen nicht länger miteinander sprechen. Also wollen Sie?“

„Ja. Wenn ich meinen Freunden damit nutzen kann, soll es mir nicht darauf ankommen, einmal den Spitzbuben zu machen, indem ich den Roten ein Messer stehle.“

Poller hatte recht gehabt, denn der Häuptling stand jetzt von dem Platze, an welchem er saß, auf, und kam herbei, die beiden auseinander zu treiben. Doch wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, weil eben jetzt die Kundschafter zurückkehrten. Sie meldeten ihm, daß sich alles genau so verhalte, wie Poller sagte.

„Das ist sein Glück!“ meinte er. „Hätte er mich belogen, so wäre er noch in dieser Nacht getötet worden. Er hat die Bleichgesichter verraten und wird meinen, daß ich ihm dafür gnädig sein werde; da aber irrt er sich, denn ein Verräter ist schlimmer als der schlimmste Feind.“

Er ließ sich das, was die Späher erkundet hatten, auf das genaueste beschreiben und sagte dann:

„Wir werden sie im Schlafe überraschen und also wohl nicht mit ihnen zu kämpfen brauchen. Zwei Krieger von uns auf einen von ihnen, auf Winnetou aber drei und auf Old Shatterhand vier; drei auch für den Posten, welcher Wache hält, damit er schnell und sicher überwältigt wird. Wir nehmen nicht die Gewehre, sondern nur die Messer und Tomahawks mit und Riemen dazu, die Gefangenen zu binden. So große und berühmte Krieger tötet man nicht, denn es ist ein großer Ruhm für uns, sie gefangen zu den Unsrigen zu bringen, und eine noch viel größere Schande für sie, in unsre Hände gefallen zu sein, ohne gekämpft und eine Wunde erhalten zu haben.“

Er suchte sich die zuverlässigsten und stärksten seiner Leute aus und brach mit ihnen auf. Der Mond stand über dem Thale; sein bleicher, matter Schein drang aber nicht durch die Wipfel der Bäume, unter und zwischen denen die Schar der auserwählten Roten jetzt verschwand, um lautlos und in der vorsichtigsten Weise den Bergeshang hinaufzuklettern.

Oben herrschte die tiefste Ruhe. Schi-So hatte bis vor kurzem Wache gestanden und war von Droll abgelöst worden. Der letztere ging, um nach dem anstrengenden Ritte wach zu bleiben, leisen Schrittes und langsam hin und her. Die andern schliefen alle fest, außer dem Hobble-Frank. Dieser hatte einen aufregenden Traum, in welchem er sich mit dem Kantor zankte, und zwar in einer solchen Weise, daß er sich auf ihn stürzte, um ihn zu packen. Darüber wachte er auf. Er öffnete die Augen, sah den bleichen Mond über sich und war froh, daß der Streit nur ein Traum und keine Wirklichkeit gewesen war. Er drehte sich auf die andre Seite, um nach dem Emeritus zu sehen, welcher sich nicht weit von ihm niedergelassen hatte – – er war nicht mehr da. Sollte er sein Lager nach einer andern Stelle verlegt haben? Das war unwahrscheinlich. Frank setzte sich auf und blickte umher; er sah ihn nicht. Er zählte die Schläfer; es fehlte einer. Da weckte der Hobble seinen Nachbar, was zufälligerweise Sam Hawkens war, und flüsterte ihm zu:

„Nimm’s nich übel, Sam, daß ich dich aus dem Schlafe kompensiere; ich sehe den Kantor nich. Wo mag er sein? Soll ich die andern wecken?“

Sam gähnte ein wenig und antwortete dann ebenso leise:

„Wecken? Nein, der Schlaf ist allen nötig. Da du mich nun doch geweckt hast und selbst auch munter bist, wollen wir die Sache allein abmachen. Der unvorsichtige Mann wird wieder mal eine Strecke fortgelaufen sein, um sich im stillen an seiner berühmten Oper zu zermartern. Komm, wollen ihn suchen!“

„In welcher Richtung?“

„Hier in den Wald und den Abhang hinunter, wo die Roten kampieren, hat er sich jedenfalls nicht gewagt.“

„Nee, er is jedenfalls da links in die Ebene hinausfiltriert, um den Mondschein aus der Despektive anzusingen. Nach dieser Seite wollen wir gehn. Nehmen wir die Gewehre mit? Brauchen werden wir sie schwerlich.“

„Brauchen oder nicht brauchen, ein Westmann läßt sein Gewehr nie liegen, ich nehme meine Liddy auf jeden Fall.“

Ehe sie sich entfernten, erkundigten sie sich bei Droll, welcher nun auch bemerkte, daß der Emeritus fehlte, und versicherte:

„Er muß schon fort sein, ehe ich meinen Posten angetreten habe; macht, daß ihr ihn findet, sonst kann’s leicht eene Dummheet geben.“

„Werden ihn schon bringen, wenn ich mich nicht irre,“ nickte Sam. „Wenn wir einen Halbkreis gehen, müssen wir unbedingt auf seine Spur kommen. Der Mond scheint zwar nicht hell, aber ich denke, daß wir sie dennoch bemerken werden – soll ihm diesmal schlecht ergehen, wenn wir ihn erst haben.“

Hawkens und Frank gingen eine Strecke westwärts am Waldessaume hin, um dann ostwärts einen Halbkreis zurückzuschlagen, dessen Mittelpunkt das Lager war. Sie waren gezwungen, tief gebückt zu gehen, um die Spur erkennen zu können. Da sie den Gesuchten nicht sehen konnten, nahmen sie an, daß er sich ziemlich weit entfernt hatte.

Droll folgte ihnen mit seinen Blicken, bis er sie nicht mehr sah; er war besorgt wegen des unvorsichtigen Kantors und lenkte also unwillkürlich die Schärfe seiner Sinne in die Ebene hinaus und stand auch so, daß er derselben das Gesicht zukehrte. Daher sah er nicht, daß jetzt drei Indianer aus dem Waldessaume hervortraten und sich mit unhörbaren Schritten nach ihm hinbewegten. Plötzlich fühlte er zwei Hände an seinem Halse. Er wollte rufen, brachte aber nur ein kurzes Röcheln hervor; dann streckte ihn ein Hieb mit dem stumpfen Tomahawk besinnungslos zu Boden.

Sam Hawkens und der Hobble hatten wohl zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt, ohne eine Spur des Gesuchten zu finden, da vernahmen sie plötzlich einen lauten Kriegsschrei von Winnetou, und nur einen Augenblick später erklang die Stimme Old Shatterhands –

„Wacht auf, der Feind ist – – –“

Weiter kam er nicht; die Worte endeten in einem Gurgeln, welches bis zu ihnen drang.

„Herrgott, nun sind wir überfallen worden! Schnell hin!“ rief Frank und machte eine Drehung, um sich nach dem Lager zurückzuwenden. Da wurde er von Sam ergriffen und zurückgehalten.

„Bist du toll?“ raunte ihm dieser mit unterdrückter Stimme zu. „Horch! Es ist schon vorbei. Wir können nichts mehr thun.“

Es ertönte jetzt ein vielstimmiges indianisches Siegesgeheul. Der Hobble-Frank versuchte, sich loszureißen und rief:

„Ich muß aber hin, ich muß! Wollen wir unsre Freunde abmurksen lassen, ohne ihnen beizuschtehen?“

„Leise, leise, du Unglücksrabe!“ ermahnte Sam. „Ich sage dir, daß wir ihnen nur nützen können, wenn wir nicht hingehen. Es hat gar keinen Kampf gegeben; sie sind im Schlafe überfallen worden; das kann uns beruhigen.“

„Beruhigen? Bist du denn bei Troste und Verschtand? Daß unsre Kameraden überfallen worden sind, das soll uns beruhigen? Soll ich ihnen nich zu Hilfe kommen? Laß mich los, sonst kannst du eene Kugel durch deine Phrenologie kriegen!“

Er rang mit Sam; dieser hielt ihn aber fest und belehrte ihn:

„Bedenke den Mondschein! Die Feinde sehen uns doch kommen und schießen uns nieder, ehe wir für unsre Kameraden auch nur einen Finger rühren können. Es ist ihnen nichts geschehen, grad weil sie im Schlafe überrumpelt worden sind; sie liegen gefesselt dort bei einander, und wenn wir es klug anfangen, können wir sie wahrscheinlich retten.“

„Retten? Das läßt sich eher hören. Ich gebe mein Leben hin, sie wieder frei zu machen!“

„Das ist hoffentlich gar nicht notwendig. Jetzt freut es mich, daß du mich geweckt hast, um den Kantor zu suchen. Wäre dies nicht geschehen, so lägen wir auch mit bei den Gefährten, an Händen und Füßen gebunden. So aber sind wir frei, und wie ich den alten Sam Hawkens kenne, wird er nicht eher ruhen, als bis sie wieder losgekommen sind, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!“

Der Hobble war noch nicht überzeugt. Er befand sich in großer Aufregung und stand, nach dem Lager hinhorchend, mit vorgebeugtem Oberkörper da, wie bereit, augenblicklich fortzurennen. Darum hielt Hawkens ihn noch immer fest und redete auf ihn ein, bis Frank sich endlich beruhigte. Sam zog ihn dann mit sich fort. Am Walde angekommen, schlichen sie im Dunkel desselben längs des Randes hin; aber sie waren noch nicht weit gekommen, so blieben sie stehen, denn es erscholl ein sehr lauter Ruf.

„Ustah arku etente – kommt herauf, ihr Männer!“

„Halt, wir müssen stehen bleiben,“ flüsterte Hawkens. „Die Leute, welche der Häuptling ruft, werden da am Abhang heraufkommen, und wir stoßen mit ihnen zusammen, wenn wir weitergehen. Horch!“

Die Stimme des Anführers war bis hinab in das Thal gedrungen. Bald hörte man das Rollen von Steinen, das Brechen und Knacken von Zweigen und das Geräusch von vielen kletternden Fußtritten. Die so plötzlich Überfallenen und Überwundenen sollten hinab in das Thal geschafft werden, wozu mehr Indianer erforderlich waren, als sich oben befanden. Um solche Leute, wie hier gefangen genommen worden waren, zu transportieren, genügten fünfzig oder sechzig Krieger nicht. Es mußten doch auch alle ihnen abgenommenen Sachen und ihre Pferde hinabgeschafft werden.

Nun gab es ein Gewirr von befehlenden, fragenden, antwortenden Stimmen; dann hörten die beiden Lauscher Huftritte und Menschenschritte näherkommen. Sie sahen einen langen Zug von Menschen und Pferden vorübergehen; da er vom Monde beleuchtet wurde, konnten sie die einzelnen Gestalten deutlich unterscheiden. Ihre Freunde waren alle an den Händen und Füßen gefesselt, an den letzteren so, daß sie kurze Schritte machen konnten; keiner außer dem Kantor fehlte. Winnetou ging ebenso wie Old Shatterhand zwischen vier stämmigen Indianern.

Als dieser Zug vorüber war, drohte der Hobble mit der Faust hinter ihm her und knirschte:

„Wenn ich nur könnte, wie ich wollte, da riß ich diese roten Halunken in Schtücke, daß sie wie Sägeschpähne durch alle Lüfte flögen! Aber ich werde ihnen schon noch een Licht darüber offschtecken, was der Hobble-Frank zu bedeuten hat, wenn sein Grimm zornig und sein Zorn grimmig geworden is! Da sind sie hin, und wir schtehen hier wie zwee zerbrochene Regenschirme oder als ob uns die Filzschuhe an die Beene gewachsen wären! Wollen wir ihnen denn nich nach?“

„Nein.“

„Warum denn nich?“

„Weil das ein Umweg wäre. Sie mußten sich zum Transporte der Gefangenen den bequemsten Weg auswählen, sind darum längs der Höhe hin und werden dann an einer geeigneten Stelle hinuntergehen. Wir aber schleichen uns den Abhang hier hinab, da, wo sie heraufgekommen sind.“

„Und nachher?“

„Nachher werden wir ja sehen, was wir thun können.“

„Schön, also vorwärts, Sam! Es juckt mich in allen Fingern, die Kerls bei der Parabel festzunehmen.“

Sie stiegen langsam und vorsichtig geraden Weges in das Thal hinab. Als sie unten angekommen waren, wurde ihnen das Anschleichen durch die brennenden Feuer erleichtert, nach denen sie sich richten konnten. Sie bewegten sich ein wenig oberhalb des Indianerlagers hin, bis sie an eine Stelle kamen, wo zwei hohe, flache und dünne Felsenstücke so gegeneinander lagen, daß sie eine Art Feldhütte oder ein Dach bildeten, unter welchem leidlich Platz für zwei Personen war. Vorn standen einige kleine Koniferen, deren niedrige Zweige den Eingang fast ganz verdeckten. Sie krochen hinein und legten sich so, daß sie sich mit den Köpfen unter den Bäumchen befanden und zwischen den Stämmen derselben hervorblicken konnten.

Als sie es sich so bequem wie möglich gemacht hatten, stieß Frank seinen Gefährten an und flüsterte ihm zu:

„Siehst du, daß sich meine große Komprimationsgabe nich geirrt hat! Dort sitzt der Pflaumentoffel am Feuer. Er is es also wirklich gewesen, der uns verraten hat, dieser zwölfaktige Emeritikus!“

„Ja, du hast recht gehabt; er ist es wirklich gewesen.“

„Aber er scheint nich gefangen zu sein. Warum haben sie ihn nich gefesselt?“

„Das ist auch mir unbegreiflich.“

„Siehst du, wer dort liegt?“

„Ah, der Ölprinz! Und die beeden andern werden Buttler und Poller sein.“

Außerdem konnten die beiden etwa hundertfünfzig Indianer zählen; also waren ebensoviele nach oben gestiegen, um die Weißen festzunehmen und dann herabzuschaffen. Am Flusse schliefen oder grasten die Pferde; sie waren abgezäumt, und man hatte die Sättel in mehrere Haufen zusammengelegt. Jetzt waren die lagernden Roten aufgesprungen; sie blickten erwartungsvoll thalaufwärts. Von dorther erscholl ein Jubelgeheul, und sie beantworteten es. Der oben erwähnte Zug näherte sich dem Lager.

Erst erschien ein kleiner Trupp von Roten; dann kamen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren acht Wächtern. Diesen beiden Männern sah man es nicht an, daß sie sich gefangen oder gar gedemütigt fühlen müßten. Ihre Haltung war stolz und aufrecht, und mit freien, offenen Blicken musterten sie den Platz und die Personen, welche an den Feuern standen öder lagen. Auch den andern Westmännern sah man keine Niedergeschlagenheit an; die deutschen Auswanderer jedoch blickten ängstlich um sich her, und noch niedergedrückter sahen ihre Frauen aus, welche alle Mühe hatten, das Weinen der Kinder zu unterdrücken. Eine Ausnahme machte Frau Rosalie Ebersbach, welche auch gebunden war, aber in ihren Fesseln stolz einherschritt und mit geradezu herausfordernder Miene um sich blickte.

Dem Kantor mochte jetzt doch endlich ein Licht über den Fehler aufgehen, den er begangen hatte; sobald er die Situation einigermaßen übersah, trat er auf Old Shatterhand zu und sagte –

„Herr Franke klagte über Durst; darum kletterte ich hier herunter, um ihm heimlich eine Freude – – –“

„Schweigen Sie!“ herrschte ihn der Jäger an und wendete sich von ihm ab.

Einige Indianer nahmen den Emeritus zwischen sich, denn er sollte nicht mit seinen Reisegefährten sprechen. Die Nijoras bildeten einen Kreis um die Gefangenen; ihr Häuptling stand mit den bedeutendsten Kriegern in demselben und ergriff nun das Wort, indem er sich an Winnetou wendete:

„Winnetou, der Häuptling der Apachen, ist gekommen, uns zu töten; er wird dafür am Marterpfahle sterben müssen.“

Pshaw!“

Nur dieses eine Wort antwortete der Apache; dann setzte er sich nieder. Er war zu stolz, sich zu verteidigen. Der Häuptling zog die Brauen zornig zusammen und richtete sein Wort nun an Old Shatterhand:

„Die weißen Männer werden alle mit dem Apachen sterben müssen; das Kriegsbeil ist ausgegraben und sie haben uns töten wollen.“

„Wer hat das gesagt?“ fragte Old Shatterhand.

„Dieser Mann.“

Dabei zeigte er auf den Kantor.

„Er spricht eine Sprache, welche du nicht verstehst; wie hast du da mit ihm reden können?“

Der Häuptling deutete auf Poller und antwortete:

„Durch diesen, welcher den Dolmetscher gemacht hat.“

„So ist der Dolmetscher ein Lügner und Fälscher gewesen. Du weißt, wer ich bin. Darf jemand Old Shatterhand einen Feind der roten Männer nennen?“

. „Nein; aber jetzt ist der Kampf ausgebrochen, und ein jedes Bleichgesicht ist unser Feind.“

„Auch ohne euch beleidigt zu haben?“

„Ja.“

„Gut, so wissen wir, woran wir sind! Schau diese drei Bleichgesichter, welche du vor uns gefangen hast; sie sind Lügner, Betrüger, Diebe und Mörder. Nur um sie zu ergreifen, sind wir in diese Gegend gekommen, nicht um euch zu belästigen oder gar zu bekämpfen. Gib sie heraus, so ziehen wir weiter, ohne uns in eure Angelegenheiten zu mischen!“

„Uff! Ist Old Shatterhand plötzlich ein Kind geworden, daß es ihm in den Sinn kommt, ein solches Verlangen an uns zu stellen? Diese Bleichgesichter sollen wir ihm ausliefern? Sie gehören uns, sollen unsern Siegeszug schmücken und dann am Marterpfahle sterben. Dasselbe soll mit Old Shatterhand geschehen und allen, die jetzt mit ihm von uns ergriffen worden sind. Welcher Häuptling der roten Männer gibt solche Gefangenen heraus! Und wenn ich es thun wollte, würde Old Shatterhand noch viel mehr von uns verlangen.“

„Was?“

„Wir haben eure Pferde erbeutet und alles, was ihr bei euch hattet. Das gehört nun uns. Das köstlichste aber, was wir erhalten haben, ist Winnetous Silberbüchse, dein berühmter Bärentöter und das Zaubergewehr, mit welchem du, ohne laden zu brauchen, so viele Male schießen kannst, wie du willst. Würdest du nicht das alles von uns fordern, wenn wir euch ziehen ließen?“

„Allerdings.“

„So siehst du, daß ich recht hatte. Wir geben die Beute nicht heraus und werden auch euch festhalten, denn euer Tod am Marterpfahle wird unsern Stamm berühmter machen, als jemals ein Stamm der roten Männer gewesen ist, und wir werden nach unserm Tode in den ewigen Jagdgründen zu den obersten der Seligen gehören, weil eure abgeschiedenen Seelen uns dort bedienen müssen.“

Old Shatterhand machte trotz seiner enggefesselten Hände eine geradezu unnachahmlich stolze Armbewegung und fragte:

Pshaw! Ist dies dein fester Entschluß?“

„Ja.“

„Aber wir sind nicht eure Feinde!“

„Wir halten euch dafür, folglich seid ihr es!“

„So hast du gesprochen, und ich werde auch mein letztes Wort sagen. Höre es: Ihr könnt uns nicht festhalten und werdet auch die Beute herausgeben. Unsre Seelen werden die eurigen nicht bedienen, denn wenn es uns beliebt, senden wir euch jetzt, in diesem Augenblicke, in die ewigen Jagdgründe, wo ihr dann uns bedienen müßt, anstatt wir euch. Ich habe gesprochen.“

Er wollte sich abwenden; da trat der Häuptling ihm um einige Schritte rasch näher und herrschte ihn an:

„Wagst du, so mit mir, dem obersten Häuptlinge der Nijoras zu reden! Seid ihr unsre Gefangenen oder sind wir die eurigen? Zähle deine Leute; sie sind gefesselt und nur wenige Männer; wir aber sind frei, bewaffnet und zählen über dreimal zehn mal zehn tapfere Krieger!“

Pshaw! Old Shatterhand und Winnetou sind nicht gewöhnt, ihre Feinde zu zählen, und ob wir gefesselt sind oder nicht, das ist uns gleich. Wir haben nicht eure Feinde sein, sondern friedlich von euch ziehen wollen; du aber hast uns die Feindschaft aufgezwungen. Wohlan, wir nehmen sie an. Das Kriegsbeil mag ausgegraben sein zwischen mir und dir, zwischen uns und euch. Nicht die Zahl der Köpfe oder die gefesselten Hände werden entscheiden, sondern die Vortrefflichkeit der Waffen und die Macht des Geistes!“

Er warf einen kurzen Blick auf Winnetou und dieser neigte zustimmend, doch kaum bemerkbar, das Haupt. Die beiden verstanden sich ohne Worte. Der Häuptling der Nijoras beachtete dies in seinem Zorne nicht; er rief mit vor Wut bebender Stimme.

„Wo sind eure Waffen und wo ist der Geist, von dem du sprichst? Eure drei berühmten Gewehre hängen hier an meiner Schulter, und – – –“

„Der Geist, von dem ich sprach, wird sie dir nehmen!“ fiel Old Shatterhand ihm in die Rede.

In diesem Augenblicke stand er bei ihm, erhob die gefesselten Hände und schmetterte ihn mit einem Hiebe der beiden Fäuste besinnungslos zu Boden. Schon stand auch Winnetou bei ihm, riß dem Leblosen das Messer aus dem Gürtel und schnitt mit demselben die Armriemen Old Shatterhands durch, worauf dieser ihm die seinigen zerschnitt. Nun hatten sie die Hände frei. Noch etwa zwei Schnitte und auch ihre Fußriemen fielen. Das war so schnell geschehen, daß die Roten gar keine Zeit gefunden hatten, eine Bewegung zu machen, es zu verhindern; sie standen vielmehr ganz starr vor Staunen darüber, daß zwei Männer es wagten, mitten zwischen dreihundert Feinden in dieser Weise aufzutreten. Es galt, den Augenblick zu benutzen und sie abzuhalten, von allen Seiten heranzudringen. Darum riß Old Shatterhand ihren Häuptling mit der linken Hand von der Erde zu sich empor, zückte mit der Rechten das Messer und rief:

„Weicht zurück! Wenn ein einziger Nijora es wagt, nur einen Fuß gegen uns zu bewegen, so wird mein Messer augenblicklich in das Herz eures Häuptlings fahren! Und seht Winnetou, den Häuptling der Apachen, an! Soll er euch die Kugeln meines Zaubergewehres in die Köpfe geben?“

Winnetou hatte nämlich den Henrystutzen ergriffen und hielt ihn schußbereit in den Händen. Die Macht solcher Persönlichkeiten ist eine außerordentliche, zumal auf wilde, abergläubische Menschen. Dennoch war es ein höchst gefährlicher Augenblick. Wenn nur ein einziger Nijora den Mut besaß, zum Angriffe zu schreiten, so mußte er erschossen werden, und dann war die Rache sicherlich entfesselt und es mußte ein Niedermetzeln der Gefangenen folgen. Noch waren aller Mienen starr vor außerordentlicher Betroffenheit, und noch wollte keiner eine Bewegung wagen; aber schon in der nächsten Sekunde konnte dieser Zauber seine Macht verlieren; da erschien eine Hilfe, die der kühne Jäger wohl kaum für möglich gehalten hätte, denn unter den Bäumen des Waldes heraus erscholl eine laute Stimme:

„Zurück, ihr Nijoras! hier stehen auch noch Bleichgesichter. Weicht ihr nicht sofort, so fressen euch unsre Kugeln. Um euch zu warnen, holen wir uns zunächst die Feder des Unterhäuptlings! Dann aber treffen wir die Köpfe. Also Feuer!“

Der Unteranführer, welcher gemeint war, stand in der Nähe von Old Shatterhand; er trug als Zeichen seiner Würde in seinem Schopfe eine Adlerfeder; die finstern, kampfeslustigen Blicke, welche er auf die beiden kühnen Männer warf, sagten mehr als deutlich, daß er nicht willens war, sich einschüchtern zu lassen. Aber da krachte in dem Dunkel des Waldes, da, wo die beiden erwähnten Steine lagen, der Schuß, und die Kugel riß ihm die Feder vorn Kopfe. Das wirkte augenblicklich. Die Drohung, welche er gehört hatte, konnte in der nächsten Sekunde in Erfüllung gehen: jetzt war es nur auf seine Feder abgesehen gewesen; nun aber galt es seinem Leben. Er ahnte nicht, daß es nur zwei Personen waren, welche dort im Dunkel steckten; es mußten vielmehr, da sie so keck auftraten, ihrer viele sein. Darum stieß er einen Schrei des Schreckens aus und sprang vom Feuer weg. Die andern Nijoras folgten seinem Beispiele, indem sie sich ebenso rasch entfernten.

„Gott sei Dank!“ raunte Old Shatterhand dem Apachen zu. „Wir haben gewonnen. Das war Sam Hawkens, den wir hörten. Der Hobble-Frank wird bei ihm sein. Ziele du auf den Häuptling; ich brauche das Messer, um die andern von den Fesseln zu befreien.“

Er ließ den Häuptling, auf welchen Winnetou die Mündung des Gewehres richtete, zur Erde fallen und wendete sich zu seinen Gefährten, um ihnen die Riemen zu durchschneiden. Das geschah außerordentlich schnell, so daß die Indianer gar keine Zeit zu dem Gedanken fanden, ihn daran zu hindern. Sie hatten alles, was den Gefangenen abgenommen worden war, mit heruntergebracht, also auch die Waffen, und hier beim Feuer auf einen Haufen geworfen; die Weißen brauchten sich also nur zu bücken, um in den Besitz ihrer Messer und Gewehre zu kommen. Sie standen nun frei und bewaffnet da, noch ehe zwei Minuten seit dem Beginne der gefährlichen Scene vergangen waren.

„Jetzt die Pferde, und dann mir nach in den Wald!“ gebot Old Shatterhand.

Er selbst nahm sein und Winnetous Pferd beim Zügel, während der Apache den Häuptling der Nijoras aufhob, um mit ihm in das Dunkel zu verschwinden, dahin, von wo sie Sam Hawkens Stimme vernommen hatten. Der Platz am Feuer war leer; die Roten starrten auf denselben hin, kaum im stande, sich selbst zu begreifen, daß sie sich so hatten überraschen lassen.

Die beiden Helden dieser befreienden That hatten nicht Zeit gefunden, auf ein Vorkommnis zu achten, dessen Folgen ihnen später sehr ärgerlich werden sollten. Dem Kantor emeritus war nämlich plötzlich eingefallen, daß er in der oberen Westentasche, welche ihm nicht geleert worden war, sein Federmesser stecken hatte. Er wollte den Fehler, den er begangen hatte, wieder gut machen und ging, während alle andern nur für Old Shatterhand und Winnetou Augen hatten, zu Poller hin, setzte sich neben denselben nieder und sagte:

„Eben denke ich daran, daß ich ein Federmesser habe. Sie wollen meinen Kameraden mit helfen. Hier ist es.“

„Schön, schön!“ antwortete Poller ganz entzückt. „Legen Sie sich lang neben mich her, und schneiden Sie mir die Riemen an den Händen entzwei, doch so, daß niemand es sieht. Wenn Sie mir dann das Messer geben, besorge ich das weitere selbst.“

„Aber Sie müssen dann auch meine Gefährten von ihren Fesseln befreien!“

„Natürlich, natürlich! Also machen Sie nur schnell, schnell!“

Der Kantor kam dieser Aufforderung nach und gab Poller das Messer in dem Augenblicke, in welchem Old Shatterhand das Durchschneiden der Riemen, mit denen die Weißen gefesselt waren, selbst in die Hand nahm. Darum sagte er:

„Sehen Sie dorthin! Nun ist Ihre Hilfe nicht nötig. Shatterhand wird Sie auch frei machen. Sie können mir mein Messer wieder geben.“

„Fällt mir nicht ein!“ antwortete Poller. „Machen Sie sich schnell wieder zu Ihren Leuten hin; wir drei kommen dann gleich nach!“

Der Kantor stand also auf und sprang, als er sah, was die andern auf Old Shatterhands Befehl machten, zu seinem Pferde, um dasselbe auch schnell fortzuziehen.

Jetzt nun war die Situation so, daß nur Buttler, Poller und der Ölprinz am Feuer lagen; die Indianer hatten sich, um ihren Feinden keine sicheren Ziele zu bieten, gegen den Fluß hin in das Dunkel zurückgezogen, während die Weißen am Fuße der Thalwand unter den Bäumen steckten. Aus diesem Verstecke heraus rief Old Shatterhand den Roten zu:

„Die Krieger der Nijoras mögen sich ja ruhig verhalten. Beim geringsten Zeichen der Feindseligkeit oder wenn auch nur einer von ihnen es wagen wollte, zu uns herüberzuspähen, werden wir ihren Häuptling töten. Wenn es Tag geworden ist, soll über denselben verhandelt werden. Wir sind Freunde aller roten Männer und werden uns nur dann an ihm vergreifen, wenn wir gezwungen werden, uns zu verteidigen.“

Die Indianer nahmen als ganz natürlich an, daß er Wort halten würde, obgleich es ihm selbst dann, wenn sie angegriffen hätten, nicht eingefallen wäre, einen Mord zu begehen. Und für einen Mord hielt er es selbst in diesem Falle, einem wehrlosen Gefangenen das Leben zu nehmen, denn wehrlos war jetzt der Häuptling, weil man ihn an den Händen und Füßen gefesselt hatte.

Sam Hawkens und der Hobble-Frank waren unter den Steinen hervorgekrochen. Der erstere sagte in seiner eigentümlichen Weise:

„Das haben die roten Gentlemen wohl nicht gedacht! Dreihundert solche Kerle lassen sich von zwei Männern in das Bockshorn jagen. So etwas ist noch gar nicht dagewesen! Aber selbst dann, wenn es nicht gelungen wäre, hätte es dasselbe Ende genommen, nur ein wenig später, denn wir lagen hier, um euch zu befreien, hihihihi!“

„Ja,“ stimmte der Hobble bei, „wir hätten euch herausgeholt, das schtand bei uns bombenfest. Ob es zehn oder dreihundert Indianer waren, das hielten wir ganz ebenso für Wurscht als wie für Schnuppe.“

„Ja, ihr seid zwei außerordentliche Helden,“ meinte Old Shatterhand, halb zornig und halb belustigt. „Wo habt ihr denn gesteckt? Mir scheint, ihr seid spazieren gegangen, während ihr schlafen solltet?“

„Schpazieren gerade nich. Ich hatte eenen Troom, der meine physikalische Seele in innere Offregung versetzte; ich wachte darum off und bemerkte zu meinem Erschtaunen, daß der Herr Kantor fort war. Da weckte ich meinen Busenfreund Sam, und wir gingen, den abwesenden Herrn in die Anwesenheet zurückzuführen, Inzwischen geschah der Überfall, den wir nich verhindern konnten. Wir verschteckten uns und sahen, daß ihr an uns vorübergeschafft wurdet. Da schtiegen wir ins Thal herunter und verschteckten uns, um euch im Momente des geeigneten Oogenblickes aus der Gefangenschaft zu befreien. Es war een Glück für uns, daß der Herr Emeritus sich entfernt hatte, denn wäre dies nich der Fall gewesen, so hätten wir ihn nich gesucht und wären doch mit gefangen genommen worden.“

„Das wird wohl ein Irrtum sein,“ entgegnete Old Shatterhand. „Ich bin überzeugt, daß der Überfall gar nicht hätte stattfinden können, wenn dieser Unglücksmann ruhig liegen geblieben wäre. Wo steckt er denn jetzt? Ich bemerke ihn nicht.“

„Hier bin ich,“ antwortete der Kantor hinter einem Baum hervor.

„Schön! Sagen Sie mir doch um aller Welt willen, wie es Ihnen einfallen konnte, sich von unserm Lagerplatze zu entfernen!“

„Ich wollte Wasser holen, Herr Shatterhand.“

„Wasser! Hier unten vom Flusse?“

„Ja.“

„Sollte man so etwas für möglich halten! War denn Ihr Durst gar so groß, daß Sie ihn nicht bis morgen früh bezwingen konnten?“

„Aber nicht für mich.“

„Für wen denn?“

„Für meinen guten Freund Herrn Hobble-Frank. Er klagte über Durst, und ich hatte mich mit ihm im Streite überworfen; das wollte ich wieder gut machen, indem ich ihm behilflich war, seinen Durst zu löschen.“

„Welch ein Unsinn! Eines ganz und gar albernen Zankes wegen haben Sie unser aller Leben in Gefahr gebracht! Wahrlich, wenn wir uns nicht hier mitten in der Wildnis befänden, würde ich Sie auf der Stelle fortjagen. Das kann ich aber leider nicht, weil Sie da unbedingt zu Grunde gehen würden.“

„Ich? Glauben Sie das ja nicht! Wer eine so hohe, künstlerische Mission zu erfüllen hat, wie die meinige ist, welche zwölf volle Akte betragen wird, der kann nicht zu Grunde gehen.“

„Lassen Sie sich doch nicht auslachen! Ich werde Sie in Zukunft des Abends anbinden müssen, damit Sie keine ferneren Dummheiten machen können. Und an dem ersten zivilisierten Ort, den wir erreichen, lasse ich Sie sitzen. Dann dürfen Sie meinetwegen nach Stoff für Ihre berühmte Oper suchen, bei wem und so viel Sie wollen. Ist es Ihnen denn gelungen, den Fluß hier unten zu erreichen?“

Der Emeritus verneinte und berichtete seine Festnahme, wie es ihm ergangen, bis zu dem Umstande, daß er Poller sein Messer geliehen habe.

„Alle Wetter!“ rief Old Shatterhand, „ist dieser Mann ein Unglücksrabe, da müssen wir schnell dafür sorgen, daß sie uns nicht entkommen. Ich werde es wagen, an das Feuer zu gehen, um sie wieder zu binden. Ich will dabei nur hoffen, daß es den Nijoras nicht einfällt, mich – – –“

Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen, welches die Nijoras in diesem Augenblicke erhoben. Als er nach dem Feuer blickte, sah er die Ursache desselben. Nämlich Poller, Buttler und der Ölprinz hatten sich plötzlich von ihren Plätzen erhoben und rannten fort, dorthin, wo sich die Pferde der Indianer befanden.

„Sie reißen aus; sie reißen aus!“ schrie der Hobble-Frank. „Rasch off die Pferde und ihnen nach, sonst – – –“

Er vollendete seinen Satz nicht, in der Eile, seinen Worten die That folgen zu lassen, doch Old Shatterhand hielt ihn fest und gebot:

„Hierbleiben! Und still! Horcht!“

Man sah und hörte, daß die Indianer nach ihren Pferden rannten; aber die drei Flüchtlinge waren rascher als sie, denn man vernahm trotz des Wutgeheules ganz deutlich den Hufschlag der Pferde, deren sie sich bemächtigt hatten und auf denen sie davongaloppierten.

„Da sind sie fort, futsch, für uns verloren in alle Ewigkeit!“ lamentierte Frank. „Ich wollte ihnen nach. Warum sollte ich denn nich?“

„Weil es nichts genützt hätte und auch sehr gefährlich war,“ antwortete Old Shatterhand.

„Gefährlich? Meenen Sie etwa, daß ich mich vor diesen drei Halunken fürchte? Da kennen Sie mich, wie es scheint, noch immer nich!“

„Ich meine die Roten, Wir haben noch nicht mit ihnen verhandelt und müssen also sehr vorsichtig sein. Wollten wir die Fliehenden jetzt verfolgen, so fielen wir wahrscheinlich den Nijoras in die Hände. Wir müssen hier verborgen bleiben, bis wir uns mit ihnen auseinandergesetzt haben.“

„Und die drei Schurken entkommen lassen?“

„Würde es uns gelingen, sie jetzt, in der Nacht, zu ergreifen? Wenn die Möglichkeit dazu vorhanden ist, so können wir dies den Roten überlassen. Hört! Sie reiten den Entkommenen nach. Wir brauchen uns also nicht zu bemühen.“

„Ach was! Selber is der Mann! Diese Indianer werden sich keine große Mühe geben.“

„Damit würden sie nur beweisen, daß sie klug sind. Wenn wir warten, bis es Tag geworden ist, können wir die Spuren sehen und ihnen folgen.“

„Aber der Vorschprung, den die Kerls dann haben!“

„Den holen wir wohl ein. Es ist dann ganz leicht, sie festzunehmen, weil sie sich nicht verteidigen können; sie haben nur das Federmesser, welches unser sehr pfiffiger Herr Kantor ihnen geborgt hat, und das ist doch wohl nicht als eine sehr furchtbare und gefährliche Waffe zu betrachten.“

Alle sahen ein, daß er recht hatte, und auch Frank gestand dies zu. Nach einiger Zeit hörte man wieder den Hufschlag von Pferden; dann war es still. Die Indianer kamen resultatlos von der Verfolgung zurück, denn wenn sie die Flüchtlinge ergriffen gehabt hätten, wären sie jedenfalls sehr laut gewesen.

Da es voraussichtlich morgen einen anstrengenden Tag gab, mußte sich die Gesellschaft wieder schlafen legen; Winnetou und Old Shatterhand aber blieben wach, um die Nijoras zu beobachten, da ein Versuch ihrerseits, ihren gefangenen Häuptling zu befreien, doch immerhin möglich war. Aber sie blieben während der ganzen Nacht ruhig und als es Morgen wurde und die Schläfer erwachten, sah man sie drüben am Ufer des Flusses sitzen; sie waren wahrscheinlich alle munter geblieben.

Bis jetzt hatte niemand ein Wort mit Mokaschi gesprochen, und auch er hatte den Mund nicht geöffnet; ja, er hatte so still und unbeweglich gelegen, als ob Old Shatterhands Hieb ihn getötet habe. Aber er lebte und blickte mit sehr scharfen Augen um sich her; es war Zeit, ihm zu sagen, was man von ihm verlangte. Darum wollte Old Shatterhand das Wort nehmen. Winnetou erriet dies, bat ihn durch einen Wink zu schweigen, und wendete sich, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, selbst an den Häuptling Mokaschi.-

„Der Häuptling der Nijoras ist ein starker Mann, ein großer Jäger und ein sehr tapferer Krieger; er hat die stärksten Büffel mit einem einzigen Pfeile getötet; darum wird er Mokaschi genannt. Ich möchte gern als sein Freund und Bruder zu ihm sprechen und bitte ihn, mir zu sagen, wer ich bin!“

Das war scheinbar eine sonderbare Aufforderung, doch hatte sie ihren guten Grund und Zweck; das mochte Mokaschi denken, und darum antwortete er bereitwillig:

„Du bist Winnetou, der Häuptling der Apachen.“

„Du hast ganz richtig gesprochen. Warum hast du nicht einen besondern Stamm der Apachen genannt, zu dem ich gehöre?“

„Weil alle Stämme dieses großen Volkes dich als Häuptling anerkennen.“

„So ist es. Weißt du, zu welchem Volke der Stamm der Navajos gehört?“

„Sie sind Apachen.“

„Und was sind die Nijoras, die dich ihren Häuptling nennen?“

„Auch Apachen.“

„Dein Mund sagt die Wahrheit. Wenn aber diese ebenso wie jene zu dem großen Volke der Apachen gehören, so sind sie Brüder. Hat ein Vater mehrere Kinder, so sollen sie sich lieben und einander beistehen in jeder Sorge, Not und Gefahr, aber sich nicht zanken oder gar bekämpfen. Da unten im Südosten wohnen die Komanchen, die Todfeinde der Apachen; ihre Krieger ziehen alljährlich aus, die Apachen zu bekämpfen; darum sollten unsre Stämme fest zusammenhalten gegen diese Diebe und Mörder. Aber sie thun dies nicht; vielmehr entzweien sie sich untereinander, reiben sich gegenseitig auf und sind dann zu schwach, wenn es gilt, den gemeinschaftlichen Feind zurückzuweisen. Wenn meine Seele daran denkt, wird mir mein Herz schwer von Sorgen wie ein Fels, der nicht von dannen zu wälzen ist. Die Nijoras und die Navajos nennen mich einen Häuptling der Apachen; sie sind auch Apachen; darum sollten ihre Ohren auf die Worte meines Mundes hören. Du hast mich und meine weißen Brüder gefangen genommen, obgleich wir euch nichts gethan haben und obwohl ich eines Stammes oder Volkes mit dir bin. Kannst du mir einen Grund angeben, den ich anerkennen muß?“

„Ja.“

„Welchen?“

„Dein Herz hängt mehr an den Navajos als an meinem Stamm.“

„Du irrst. Ich bin euer aller Bruder.“

„Aber deine Seele gehört den Bleichgesichtern, welche unsre Feinde sind.“

„Auch das ist ein Irrtum. Ich liebe alle Menschen, gleichviel ob sie eine rote oder eine bleiche Farbe haben, wenn sie das Gute thun. Und ich bin der Feind aller bösen Menschen, ohne zu fragen, ob sie Indianer oder Weiße sind. Das Beil des Krieges ist ausgegraben und nun zieht der Bruder gegen den Bruder, um sein Blut zu vergießen; das ist nicht gut, sondern bös, und darum bin ich heute nicht euer Freund. Doch dürft ihr auch nicht meinen, daß ich euer Feind sei. Ich helfe weder euch noch den Navajos, sondern ich möchte euch mahnen, den Tomahawk des Krieges wieder zu vergraben und Frieden walten zu lassen.“

„Das ist nicht möglich, Das Beil, welches die Hand des Kriegers einmal ergriffen hat, darf nicht eher zur Ruhe kommen, als bis es Blut gekostet hat, Wir hören auf keinen Mund, welcher vom Frieden redet.“

„Auch auf den meinigen nicht?“

„Nein.“

„So sehe und höre ich, daß jedes meiner Worte vergeblich sein würde; Winnetou aber pflegt nicht unnütz zu reden; ich will also schweigen. Fechtet euren Streit mit den Navajos aus; aber hütet euch, mich und meine weißen Brüder mit hineinzuziehen! Du hast uns als Feinde behandelt; das wollen wir vergessen. Nun befindest du dich in unsern Händen; dein Leben ist in unsre Gewalt gegeben. Soll man in den Zelten eurer Feinde erzählen: Old Shatterhand und Winnetou, diese beiden Männer, haben Mokaschi gefangen genommen, obgleich er dreihundert Krieger bei sich hatte? Sollst du mit deinen Kriegern an allen Lagerfeuern verlacht und verspottet werden? Willst du, daß man von dir sage: Er hat sogar die weißen Squaws und Kinder, welche sich in seiner Gewalt befanden, wieder hergeben müssen?“

Winnetou sprach diese Fragen mit sehr gutem Grunde aus. Es war für Mokaschi unbedingt eine große Schande, unter solchen Verhältnissen und trotz seiner großen Kriegerschar festgenommen worden zu sein. Er sollte seine vorherigen Gefangenen ungehindert ziehen lassen und dafür selbst freigegeben werden. Ging er nicht darauf ein, so mußte dann das Versprechen, daß seine Schande verschwiegen bleiben solle, ihn doch noch willfährig machen. Er sah jetzt finster vor sich hin und antwortete nicht. Darum fuhr Winnetou fort:

„Deine Krieger haben vernommen, daß du sofort getötet wirst, wenn sie uns angreifen. Hast du es auch gehört, als mein Bruder Shatterhand es ihnen hinüberrief?“

Mokaschi nickte.

„So weißt du also, was du zu erwarten hast. Du sollst aber dein Leben behalten und deine Freiheit zurückbekommen. Dafür verlangen wir freien Abzug von hier und alle Sachen zurück, welche uns genommen worden sind und die wir noch nicht wieder haben.“

„Die gehören nun uns!“

„Nein. Wir werden nicht eine einzige Nadel in euren Händen lassen.“

„So mag es zum Kampfe kommen!“

„Aber du wirst zuerst sterben!“

„Ich bin ein Krieger und fürchte den Tod nicht. Meine Leute werden mich rächen!“

„Du irrst. Wir befinden uns hier unter dem Schutze der Felsen und Bäume; auch haben wir nie die Zahl unsrer Feinde gezählt; ob ihr dreihundert seid oder weniger, das ist uns gleich, und deine Krieger wissen, was für Gewehre wir besitzen. Ich sage dir, daß wir ganz gewiß nicht unterliegen werden.“

„So mögen meine Leute mit mir sterben. Sie tragen ja ebenso wie ich die Schande, von welcher du vorhin gesprochen hast.“

„Wenn du klug bist und sie dir gehorchen, wird diese Schande nicht auf euch liegen bleiben. Wir versprechen dir, nicht davon zu sprechen.“

Da leuchteten die Augen Mokaschis freudig auf, und er rief:

„Das versprichst du mir?“

„Ja.“

„Und wirst Wort halten?“

„Hat Winnetou sein Wort jemals gebrochen?“

„Nein. Aber sage mir, wie ihr euch dann gegen uns verhalten werdet, wenn wir euch ziehen lassen!“

„So, wie ihr euch gegen uns verhaltet. Folgt ihr uns, um uns von neuem zu bekämpfen, so werden wir uns wehren.“

„Wohin werdet ihr euch wenden?“

„Das wissen wir noch nicht.“

„Etwa zu den Navajos?“

„Wir müssen den drei entflohenen Gefangenen folgen. Wo diese hingeritten sind, dahin reiten wir auch. Sind sie zu den Navajos, so suchen auch wir diese auf.“

„Und steht ihnen gegen uns bei?“

„Wir werden sie zum Frieden ermahnen, so wie ich es bei dir gethan habe. Ich sagte dir ja schon, daß wir nicht eure Feinde sind, aber auch nicht die ihrigen. Entscheide dich schnell! Wir müssen bald aufbrechen, sonst bekommen die drei Bleichgesichter einen zu großen Vorsprung.“

Mokaschi schloß die Augen, um alles für und wider zu überlegen; dann schlug er sie wieder auf und erklärte:

„Ihr sollt alles zurückbekommen, was euch gehört, und dann fortreiten können.“

„Ohne daß ihr uns verfolgt?“

„Wir werden nicht mehr an euch denken; dafür aber werdet ihr nicht davon reden, wie ich hier in eure Hände geraten bin!“

„Einverstanden! Ist mein Bruder Mokaschi bereit, mit uns hierüber die Pfeife des Friedens zu rauchen?“

„Ja.“

„Halt!“ fiel da Old Shatterhand ein. „Mein Bruder Winnetou hat etwas Wichtiges vergessen. Er hat nicht an die acht Navajos gedacht, welche sich in den Händen der Nijoras befinden.“

„Ich habe an sie gedacht,“ antwortete der Apache.

„Wir müssen auch ihre Freiheit verlangen.“

Da fuhr Mokaschi zornig auf:

„Was gehen diese euch an? Sind sie eure Gefährten? Haben wir sie in eurer Gesellschaft gefangen? Ihr sagt, daß ihr weder ihre noch unsre Feinde seid, und ich habe das geglaubt. Soll ich nun daran irre werden? Ich habe euch den Willen gethan, soweit es eure Personen und eure Sachen betrifft. Diese Navajos aber, unsre Feinde, sind euch fremd: sie gehen euch nichts an, und ihr habt sie nicht von uns zu fordern. Wenn ihr dies dennoch thut, so nehme ich mein Versprechen zurück, und der Kampf zwischen uns und euch mag beginnen, obgleich ihr mir gedroht habt, daß ich der erste sein werde, welcher sterben muß.“

Die Menschlichkeit trieb Old Shatterhand, dennoch auf seinem Verlangen zu beharren; Winnetou aber glaubte, auf eine andre Weise zu demselben Ziele kommen zu können; er gab ihm daher einen heimlichen Wink und sagte zu dem Nijora:

„Mein Bruder Mokaschi hat recht; wir dürfen diese Navajos nicht von euch verlangen, denn sie sind nicht unsre Gefährten gewesen; aber du weißt, daß ich sie ebenso wie euch als meine Brüder betrachte, und darum werde ich eine Bitte für sie aussprechen.“

„Winnetou mag reden, und ich werde hören.“

„Was beabsichtigt ihr, mit diesen Gefangenen zu thun?“

„Sie werden am Marterpfahle sterben, gerade so wie alle andern Navajos, die noch in unsre Hände fallen.“

„So bitte ich dich, sie nicht schon jetzt sterben zu lassen.“

„Wann?“

„Wenn der Kampf beendet und das Kriegsbeil wieder vergraben worden ist.“

„Das würde auch geschehen, ohne daß du es erbittest. Du bist der berühmteste Krieger der Apachen und mußt also den Gebrauch aller Stämme kennen. Kein Gefangener wird während des Kriegszuges gemartert, sondern erst dann, wenn die Sieger in ihre Dörfer heimgekehrt sind. So wird es auch bei uns geschehen.“

„Ich wußte es, Wir sind nun einig und werden die Pfeife des Friedens und der Besiegelung darüber rauchen.“

„So bindet mich los und kommt mit mir unter den Bäumen hervor und in das Freie hinaus, damit meine Krieger sehen, daß wir das Calumet rauchen. Da werden sie wissen, daß sie für mich nichts zu fürchten haben und daß der Friede zwischen uns und euch geschlossen worden ist.“

Sein Wunsch wurde sogleich erfüllt. Man löste ihm die Fesseln und dann setzten sich alle hinaus ins Freie, wo gestern die Feuer gebrannt hatten. Dort stopfte Winnetou seine Friedenspfeife, zündete sie an und ließ Mokaschi die ersten Züge aus derselben thun. Dann ging sie von Hand zu Hand weiter. Sogar die Frauen und die Kinder mußten sie wenigstens in den Mund nehmen, sonst hätte sich nach indianischen Begriffen der Vergleich nicht mit auf sie erstreckt und sie hätten überfallen oder gar getötet werden können, ohne daß man das Recht gehabt hätte, deshalb auf die Roten den Vorwurf der Treulosigkeit zu schleudern.

Als diese Zeremonie vorüber war, reichte Mokaschi allen, selbst auch den Kindern, die Hand und ging dann zu seinen Leuten hinüber, um ihnen das Übereinkommen mitzuteilen.

„Ich hätte die acht Navajos zu gern frei gehabt,“ sagte Old Shatterhand. „Nun müssen wir sie in den Händen der Nijoras lassen!“

„Mein Bruder mag sich nicht um sie sorgen; es wird ihnen nichts geschehen,“ versicherte Winnetou.

„Das ist nicht so sicher, wie du zu denken scheinst.“

„Es ist sicher. Die Nijoras werden gezwungen sein, auch diese Gefangenen frei zu geben.“

„Wer soll sie zwingen? Die Navajos?“

„Ja.“

„Wieso denn?“

„Wir werden sie dazu auffordern.“

„So denkst du, daß wir uns nun direkt zu den Navajos wenden werden?“

„Wir werden das thun müssen, weil der Ölprinz zu ihnen ist.“

„Hm! Es gibt allerdings Gründe, dies anzunehmen. Die drei Kerls haben keine Waffen; sie können kein Wild erlegen; Feuerzeug fehlt ihnen auch; sie werden hungern müssen und also gezwungen sein, Menschen aufzusuchen; andre Menschen als die Navajos gibt es aber da, wohin sie kommen, nicht. Freilich fragt es sich, wie sie von diesen aufgenommen werden.“

„Gut.“

„Das ist zu bezweifeln und doch auch möglich. Wenn sie sagen, daß sie Feinde der Nijoras, bei diesen gefangen gewesen, ihnen aber entflohen sind, so wird der Empfang ein leidlicher sein.“

„Mein Bruder mag berücksichtigen, daß sie auch noch andres sagen können. Sie werden von den Navajokundschaftern sprechen und vielleicht erzählen, daß Khasti-tine, der Anführer derselben, von den Nijoras ermordet worden ist. Sie werden dich und mich erwähnen und alles versuchen, um sich bei den Navajos einzuschmeicheln.“

„Und von ihnen Hilfe zu erlangen, nämlich Waffen und alles, was sie sonst noch brauchen. Denkst du, daß sie das bekommen werden?“

„Es kommt darauf an, was sie erzählen werden. Nitsas-Ini aber, der große Häuptling der Navajos, ist ein sehr kluger Mann; er wird jedes Wort, was er von ihnen hört, prüfen, ehe er es glaubt. Doch, schau hinüber zu den Nijoras! Sie besteigen ihre Pferde.“

Es war so, wie er sagte. Mokaschi hatte seinen Leuten gesagt, daß Friede geschlossen sei. Sie waren zwar nicht sehr damit einverstanden, mußten sich aber fügen, weil das Calumet darüber geraucht worden war. Aus Ärger über diesen für sie gar nicht glänzenden Abschluß des Abenteuers wollten sie am liebsten jetzt gar nichts mehr sehen; sie stiegen also auf ihre Pferde und ritten davon. Einige aber waren zurückgeblieben und brachten alle Gegenstände, welche die Weißen noch zu verlangen hatten. Es fehlten zwar einige Kleinigkeiten, doch hatten dieselben einen so geringen Wert, daß gar kein Wort darüber verloren wurde. Warum solche Nichtigkeiten erwähnen, wo es sich vorher um ganz andre Dinge, sogar um Tod und Leben gehandelt hatte!

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Die Gigantochelonia

Die Gigantochelonia

Es war ungefähr vierzehn Tage später, als ein aus Rozario kommender Dampfer an der Landestelle von Santa Fe anlegte. Die Gehbretter wurden ausgeworfen, und die Passagiere beeilten sich, an das Land zu kommen. Am Ufer gingen mehrere Offiziere auf und ab, denen bei der Leblosigkeit der innern Stadt die Landung der Fremden ein willkommenes Schauspiel bot.

Die letzten beiden an das Land Gehenden waren zwei kleine Gestalten, als Gauchos ganz in Rot gekleidet und zwar so ähnlich, daß man sie in Beziehung auf ihre Anzüge sehr leicht hätte verwechseln können. Sie trugen beide auch genau dieselben Waffen, nämlich jeder ein Gewehr, zwei Revolver, deren Griffe aus dem Gürtel blickten, und ein Messer. Als die Offiziere diese zwei Männer erblickten, schienen sie sehr überrascht zu sein. Einer von ihnen, ein Kapitän, sagte zu den andern:

„Was ist das? Da kommt Coronel (Oberst) Glotino, und zwar verkleidet! Will er unerkannt bleiben, oder machen wir ihm die Honneurs?“

„Warten wir ab, ob er uns beachtet,“ meinte ein Oberlieutenant.

Die beiden Roten kamen langsam näher und zwar gerade auf die Offiziere zu. Diese schlugen also die Füße sporenklirrend zusammen und erhoben die Hände zum Salut.

Buenos mañanas – guten Morgen!“ dankte der kleine Gelehrte, denn dieser war es, indem er Zeig- und Mittelfinger seiner rechten Hand an die Hutkrempe legte. Sein Begleiter, Fritz Kiesewetter aus Stralau, that dasselbe. „Schönes Wetter heute, Señores. Nicht?“

„Allerdings, mein Oberst,“ antwortete der Hauptmann. „Euer Gnaden haben eine gute Fahrt gehabt. Werden der Herr Oberst heute hier bleiben?“

„Vielleicht.“

„Befehlen Euer Gnaden die Dienstwohnung?“

„Ich befehle nichts.“

„Ich verstehe,“ nickte der Hauptmann verständnisinnig. „Aber die Wohnung steht trotzdem zur augenblicklichen Verfügung.“

„Schön! Ich nehme sie gern an.“

„Erlauben der Herr Oberst, Sie zu begleiten?“

„Ich erlaube es gern, bin aber nicht Oberst.“

„Zu Befehl! Wir begreifen! Diplomatische Sendung oder vielleicht auch gar private militärische Inspektion. Welchen Charakter dürfen wir Euer Gnaden erteilen?“

„Sie meinen, welchen Namen? Ich bin Zoolog und heiße Doktor Morgenstern aus Jüterbogk.“

„Ganz recht! Je fremder und unaussprechlicher die Namen, desto tiefer und undurchdringlicher ist das Inkognito. Und dieser Señor neben Euer Gnaden?“

„Ist Fritz Kiesewetter, mein Diener, aus Stralau am Rummelsburger See.“

„Das ist noch unaussprechlicher, also noch undurchdringlicher. Gestatten Euer Gnaden, nach dem Cuartel!“

Die Gruppe setzte sich in Schritt, voran der Gelehrte, zu seiner Linken, respektvoll einen Schritt zurück, der Hauptmann, hinter ihnen Fritz Kiesewetter mit den andern Offizieren zu beiden Seiten.

Das Cuartel von Santa Fé war ein noch aus der alten spanischen Zeit stammendes, mehrstöckiges Gebäude mit Turm. Die Fenster und selbst die Balkone waren mit starken Eisengittern versehen. Vor der Fassade dieses Gebäudes standen einige Kanonen; Soldaten standen oder saßen vor den Thüren, und zahlreiche Arrestanten schauten durch die vergitterten Fenster.

„Sapperlot!“ meinte der Gelehrte in deutscher Sprache zu seinem Diener. „Das ist ja ein Gefängnis. Hält man uns etwa für Räuber und Diebe, was der Lateiner einen Expilator und Vulturius nennt?“

„Det jloobe ick nicht,“ antwortete Fritz. „Nach sonne freundliche und höfliche Empfänglichkeit werden sie uns doch nich insperren! Ick bin vielmehr von diejenigte Ansicht, dat man mit uns die nobelsten Absichten kultiviert. Jehen wir also man rin! Raus werden wir schon wiederkommen, und wenn’s jeschmissen anstatt jejangen ist.“

Die anwesenden Soldaten salutierten nach Vorschrift, und die Herren traten ein. Die beiden Deutschen wurden über einen Innenhof und eine Treppe nach einigen ganz komfortabel eingerichteten Zimmern geführt, an deren Eingang sich die Offiziere verabschiedeten. Dabei bemerkte der Hauptmann:

„Ein Imbiß wird unverzüglich besorgt und ebenso eine Ordonnanz kommandiert werden. Bin heute Kommandant, da der Herr Major nach Parana mußte. Haben der Herr Oberst – Pardon, wollte sagen der Herr Zoolog einen Befehl?“

„Keinen Befehl, sondern eine Bitte. Lassen Sie doch schnell nachfragen, ob ein Yerbatero, der zugleich Sendador ist und schlechthin Vater Jaguar genannt wird, vorgestern oder gestern hier in Santa F& ankam. Ich muß wissen, wo er logiert.“

„Kam er mit dem Schiff, Euer Gnaden?“

„Ja, aus Buenos Ayres.“

„Dann hoffe ich binnen einer halben Stunde rapportieren zu können.“

Er trat ab, und kurze Zeit später meldete sich ein Unteroffizier zum persönlichen Dienst und servierte zugleich Fleisch, Brot, Früchte und Bordeauxwein, welcher am La Plata viel getrunken wird.

„Dat muß man sagen,“ meinte Fritz, „dat Militär hat doch immer Lebensart. Ick ärgere mir noch heut, daß ick nicht assentiert worden bin. Bei meine moralische Veranlagung hätte ick mir jewiß bald weit in die Höhe afanziert und könnte heut auch mit dem Schleppsäbel und Portepee rasseln. Jreifen wir zu, Herr Doktor; ick werde injießen.“

Er füllte die Gläser. Die beiden aßen und tranken, gemütlich nebeneinander sitzend, woraus der Unteroffizier natürlich schloß, daß Fritze Kiesewetter nicht ein Diener, sondern auch ein höherer Offizier sei. Fritze genoß das Gebotene mit heiterem Mute, dem Doktor aber kam die Sache doch nicht ganz geheuer vor; er meinte in bedenklichem Tone:

„Man nannte mich Coronel, also Oberst. Ich bin ein Jünger der friedlichen Wissenschaft und kein argentinischer Partisan. Wie also komme ich zu diesem militärischen Grade?“

„Jedenfalls wie der Pudel zur sauren Jurke, indem er sie für eine Wurst jehalten hat. Machen Sie sich nur keine Jedanken! Mir können sie meinetwejen Jeneral nennen, ick bleibe, wat ick bin und esse mit Vergnüjen, was uns die Ordonnanz aufjetafelt hat.“

„Aber, Fritze, scheint es nicht, daß ich mit einem Offizier verwechselt werde?“

„Dat ist die Möglichkeit, aber noch kein Fehler, solange Sie sich nicht selbst mit sich verwechseln.“

„Aber dieser Irrtum, lateinisch Error genannt, kann uns sehr leicht in Verlegenheit bringen.“

„Zunächst hat er uns zu dieses Jabelfrühstück jebracht, wat ick keinen Irrtum nennen möchte. Man hat sich im Jegenteile in mich jar nicht jeirrt, sondern ick jreife zu, so lange wat zu haben ist.“

„Aber die Folgen! Fritze, Fritze, du scheinst ein wenig von der Eigenschaft zu besitzen, welche der Lateiner mit dem Worte Levitas bezeichnet.“

„Wie wird dieses Wort ins Deutsche überjesetzt?“

„Leichtsinn.“

„Dat kann nicht stimmen, Herr Doktor. Haben die Römer jehungert, wenn sie wat zu essen bekamen?“

„Ich glaube nicht.“

„So kann mir auch kein Römer Levitas nennen, wenn ick mir dahin setze, wo ick jespeist werden soll.“

Da erschien der Hauptmann und meldete in strammer Haltung:

„Der Vater Jaguar ist gestern nachmittag hier angekommen und heute früh mit dreiundzwanzig Erwachsenen und einem Knaben nach der Laguna Porongos aufgebrochen.“

„Zu Pferde?“

„Ja. Zwanzig seiner Begleiter haben einige Tage lang hier auf ihn gewartet.“

„Ich muß ihm nach. Können Sie uns Pferde verschaffen?“

„Ganz zu Befehl! Wie viele, Euer Gnaden?“

„Zwei als Reserve, also vier Stück.“

„Auf Requisition oder vom Regimente?“

„Vom Regimente nicht, da ich nicht soldatenmäßig zu reiten verstehe.“

„Also auf Requisition,“ meinte der Offizier mit einem feinen Lächeln, da der angebliche Oberst sagte, daß er nicht reiten könne. „Wann befehlen Euer Gnaden, daß die Pferde gesattelt bereitstehen?“

„In einer Stunde.“

Der Hauptmann entfernte sich salutierend. Als kurz darauf die Ordonnanz erschien, um Zigaretten zu bringen und die Speisereste abzuräumen, fragte Morgenstern:

„Könnte ich nicht meine Sachen bekommen, mein Lieber? Da das Schiff erst am Nachmittag von hier abgeht und ich nicht wußte, wo ich bleiben würde, haben wir unser Gepäck einstweilen an Bord gelassen. Es ist ein Bündel, lateinisch Sarcina genannt, in welchem sich Werkzeuge befinden, und ein Paket, mit Leder umwickelt, Fascis geheißen, welches Bücher enthält.“

„Wird sofort geholt, Señor Coronel!“ Mit diesen Worten eilte der Unteroffizier hinaus.

Nach einer Viertelstunde kehrte der Hauptmann zurück und meldete, daß die Pferde bereit ständen.

„Was kosten sie?“ fragte Morgenstern.

„Natürlich nichts, Euer Gnaden,“ lächelte der Offizier.

„Aber ich will sie ja bezahlen!“

„Ein Zoolog braucht nicht zu zahlen.“

„Warum nicht?“

„Es ist die Sitte dieses Landes, Señor.“

„Sonderbar! Dieses Land wurde doch von den Spaniern zivilisiert, welche ihre Sprache und Sitten von den Römern bekamen; ich habe aber nirgends gelesen, daß bei diesen letzteren die Gelehrten resp. Zoologen die Pferde gratis erhielten. Ich werde später eifrig darüber nachschlagen, da es sich dabei um ein kulturhistorisches Moment von bedeutendem Werte handelt. Es scheint, Argentinien ist das einzige Land, welches diesen schönen Gebrauch beibehalten hat. Es ist auch in andrer Beziehung höchst konservativ. Bewahrt es uns doch in seinen Pampas die Zeugen und Beweise eines längst untergegangenen Lebens auf! Ich will nicht vom Mastodon und Megatherium sprechen, aber fragen muß ich Sie doch, Señor, ob auch Sie schon so glücklich gewesen sind, hier einen tertiären Menschen zu sehen?“

„Tertiär?“ antwortete der Hauptmann verlegen. „Wollen Euer Gnaden befehlen, was für eine Person ich mir unter einem tertiären Menschen vorstellen soll?“

„Ich befehle nicht, sondern ich bitte bloß. Man hat schon in den älteren Pliocänschichten Feuerspuren und Steinwerkzeuge gefunden. Später entdeckte man da gar drei menschliche Skelette. Es hat also in den Pampas schon zur mittleren Tertiärzeit Menschen gegeben, welche sonderbarerweise ein durchbohrtes Brustbein und dreizehn Rückenwirbel anstatt zwölf besaßen. Möglich, daß wir nach Jahrtausenden deren nur noch elf oder zehn oder auch noch weniger besitzen, was mich gar nicht wundern würde.“

„Woraus zu schließen ist,“ fiel Fritze sehr ernst in spanischer Sprache ein, „daß der noch spätere Mensch gar keine Knochen haben wird.“

„Möglich,“ nickte der Doktor. „Die Umbildung der Lebewesen nimmt ihren ununterbrochenen Gang; wenn wir uns die kommenden Formen auch nicht vorzustellen vermögen. Nehmen wir, um von einem interessanten Beispiel zu sprechen, den Zahn eines Höhlenbären an. Haben Sie schon einen solchen gesehen, Señor Kapitän?“

„Nein,“ schüttelte der Gefragte, der jetzt allerdings nicht wußte, was er von dem „Oberst“ halten solle.

„Dieser Zahn, nämlich der Backzahn, ist in der Weise – – –“

Er wurde unterbrochen. Es traten mehrere Soldaten herein, welche das Gepäck brachten und auf den Boden niederlegten, um sich dann zu entfernen. Das eine Bündel enthielt, wie man sah, zwei Hacken, zwei Spaten und zwei Schaufeln; das andre war aufgeplatzt, so daß ihm einige Bücher entfielen. Der Hauptmann bückte sich dienstbereit, um sie aufzuheben und auf den Tisch zu legen. Dabei fiel, da sich eins derselben öffnete, sein Blick auf den Titel desselben. Da stand gedruckt „Nuestros predecesores de los Pampas“ – die Vorwelt in den Pampas. Und drüben auf der Innenseite des Einbandes war der Name Dr. Morgenstern, Jüterbogk zu lesen. Schnell öffnete der Offizier das zweite, dritte und vierte Buch; sie waren alle mit demselben Namen gezeichnet. Da fragte er in hastiger Weise:

„Wie nannten Sie sich vorhin, Señor – – Zoolog?“ „Doktor Morgenstern aus Jüterbogk.“ „Ist das etwa Ihr wirklicher Name?“ „Allerdings.“ „Können Sie das beweisen?“ „Sehr leicht.“ „Womit?“ „Mit meinem Paß.“ „Her damit!“

Das klang befehlend, zornig. Der Gelehrte zog seine Brieftasche mit dem Passe hervor und gab den letzteren dem Offizier. Kaum hatte dieser einen Blick hineingeworfen, so rief er aus:

Que yerro y que desvergüenza! Mas aun que semejanza! Sois bribones, sois embusteros – welcher Irrtum und welche Frechheit! Aber auch welche Ähnlichkeit! Ihr seid Schurken, seid Betrüger!“

„Schurken? Und Betrüger? Wir?“ fragte Morgenstern. „Señor, wollen Sie gefälligst uns sagen, wie Sie zu einem Urteile gelangen, welches völlig unbegründet ist, inaniter würde der Lateiner sagen.“

„Lassen Sie mich mit Ihrem Lateiner in Ruhe! Was werfen Sie überhaupt mit dem Latein um sich, da Sie, wie ich aus Ihrem Passe ersehe, ein Deutscher sind! Wie können Sie uns belügen und sich für den Obersten Glotino, den Schwager unsres Generals Mitre ausgeben?“

„Habe ich das?“ fuhr Morgenstern nun seinerseits scharf auf. „Wie können Sie es wagen, mich, einen deutschen Unterthan, einen Lügner zu nennen? Haben Sie mich für irgend wen gehalten, so ist das Ihre, aber nicht meine Sache!“

„Schweigen Sie! Wissen Sie, daß ich Sie sofort einsperren kann?“

„Das können Sie; aber sich dann rechtfertigen, das können Sie nicht. Und ein Deutscher läßt sich nicht einsperren, ohne den Betreffenden dann zur Verantwortung ziehen zu lassen!“

„Es sind Ihnen Honneurs erwiesen worden; ich habe Ihnen zu essen und zu trinken gegeben, und meine Soldaten haben sich mit den Gauchos herumgestritten, um Ihnen Pferde zu verschaffen. Und nun stellt es sich heraus, daß Sie ein Gringo (verächtliche Bezeichnung für Ausländer), ein deutscher Bücherwurm sind!“

Morgenstern trat kräftiger auf, als von ihm zu erwarten gewesen war. Fritze hatte bis jetzt geschwiegen, nun aber antwortete auch er, und zwar nicht in höflichem Tone:

„Mäßigen Sie sich, Señor, sonst können Sie in Erfahrung bringen, daß ein deutscher Gelehrter, den Sie Gringo und Bücherwurm schimpfen, kein so unbedeutender Mensch ist, wie Sie zu denken scheinen. Es läuft vielleicht mancher hier herum, mit dem zu tauschen uns gar nicht einfallen würde.“

„Meinen Sie etwa mich?“ fragte der Hauptmann scharf.

„Wen ich meine, brauche ich nicht zu sagen. Wollen Sie meine Worte auf irgendwen beziehen, so habe ich gar nichts dagegen. Ich wundere mich über die Vorwürfe, welche Sie uns machen. Sie haben uns eingeladen, weil Sie uns verkannten; uns aber ist es nicht eingefallen, Sie zu täuschen. Was wir genossen haben, werden wir bezahlen. In Beziehung auf die uns erwiesenen Honneurs sind wir quitt, denn wir haben auch gegrüßt. Und was die Pferde betrifft, so können Sie dieselben ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückstellen, denn wir kaufen uns andre. Was kostet das Essen, und was kostet der Wein, dem man es anschmeckt, daß er kein echter Bordeaux ist, sondern aus einer hiesigen Fabrik stammt?“

Er zog den Beutel, um zu bezahlen. Da aber fuhr der Kapitän zornig auf:

„Was? Ich soll von einem Bedienten Geld annehmen? Bist du toll, Kerl!“

Da trat Fritze einen Schritt auf ihn zu und drohte:

„Kerl? Ich ein Kerl? Ich heiße Friedrich Kiesewetter und bin ein Preuße. Verstanden? Und wer mich du nennt, der macht mit mir Bruderschaft und wird von mir auch geduzt.“

„Welch ein frecher Patron! Mensch, ich stecke dich unter meine Soldaten und werde dafür sorgen, daß dein Rücken für ein ganzes Jahr die schönste blaue Farbe annimmt!“

„Versuche es! Ich bin ein Unterthan des Königs von Preußen, dessen Arm gar wohl so weit reicht, dich zu fassen und zu bestrafen, wenn du es wagst, dich an mir zu vergreifen!“

Diese Worte entflammten den Zorn des Offiziers auf das höchste. Er sagte sich zwar, daß er nicht wagen dürfe, seine Drohung auszuführen, wollte aber das Verhalten des Preußen nicht unbestraft lassen; darum eilte er zur Thür, hinter welcher die Ordonnanz stehen mußte, öffnete sie und rief hinaus:

„Herein! Werft mir schnell diesen Menschen hinaus, bis vor das Thor, und greift so fest wie möglich zu! je mehr blaue Flecke er bekommt, desto besser ist es.“

Es standen auch noch diejenigen Soldaten draußen, welche die Pakete gebracht hatten. Sie waren durch die lauten Stimmen, welche sie gehört hatten, zurückgehalten worden und kamen schnell herein, um den Befehl auszuführen. Es war ein Gaudium für sie, einen Fremden hinauszuwerfen, und es kam bei ihnen gar nicht in Betracht, daß sie ihn noch vor wenigen Minuten für einen Offizier gehalten hatten.

Fritze griff nach seinem Gewehre, um sich zu verteidigen, war aber klug genug, diese Absicht wieder aufzugeben. Er warf es am Riemen über den Rücken und sagte:

„Rührt mich nicht an; ich gehe selbst! Kommen Sie, Señor Doktor!“

Indem er diese Worte sprach, hob er das Bündel mit den Werkzeugen auf, hob es auf die Achsel und schritt der Thür zu. Man hätte dem kleinen Kerlchen gar nicht zugetraut, daß es ihm gelingen werde, das schwere Paket mit solcher Leichtigkeit zu bewältigen. Seine drohende Haltung imponierte den Soldaten; sie wichen vor ihm zurück und ließen ihn zur Thür hinaus. Da aber herrschte sie der Kapitän an:

„Nennt ihr das Hinauswerfen, ihr Halunken? Sofort ihm nach, sonst setzt es Arrest!“

Sie gehorchten diesem Befehle; der Hauptmann aber wendete sich an den Gelehrten:

„Sie sehen, Señor, wie weit man kommt, wenn man einem Offizier nicht diejenige Höflichkeit erweist, welche er unbedingt zu fordern hat. Was werden Sie thun, wenn ich Sie einsperren lasse?“

„Mich mit Hilfe des Vertreters meines Monarchen an Ihren Präsidenten wenden,“ antwortete Morgenstern ruhig. „Dann würden Sie ebenso eingesperrt, um zu erfahren, wie weit man kommt, wenn man einem deutschen Unterthan diejenige Rücksicht versagt, welche er unbedingt zu fordern hat.“

„Ich finde, daß Sie sehr hochtrabend sprechen.“

„Ich spreche stets so, wie die Umstände es erfordern.“

„Dann sollten Sie weniger zuversichtlich sein. Die Lage, in welcher Sie sich gegenwärtig befinden, ist keineswegs eine ehrenvolle.“

„Die Ihrige noch weniger. Wer einen Señor, den er einsperren will, vorher Oberst genannt und Euer Gnaden tituliert hat, muß befürchten, schwer blamiert zu werden. Ich hoffe, wir sind miteinander fertig. Die Bücher, welche hier liegen, werde ich durch einen Boten holen lassen. Leben Sie wohl, Señor.“

Er wendete sich nach der Thür und ging, ohne daß der Kapitän Miene machte, ihn zurückzuhalten, hinaus. Als er die Treppe hinabstieg, hörte er auf dem Hofe einen Lärm, und als er diesen erreichte, sah er ein dichtes Knäuel von Soldaten, in welchem Fritze steckte. Sie hatten die Fäuste erhoben und wollten ihn schlagen, wagten dies aber nicht, da er den Revolver gezogen hatte und drohte, auf jeden zu schießen, der es wagen würde, sich an ihm zu vergreifen. So räsonnierten sie nur und schoben hinter ihm her, auf welche Weise sie ihn im Trab bis vor das Thor brachten, wo er stolperte und mit seinem Bündel niederfiel. Da packten sie ihn, rissen ihm den Revolver aus der Hand und gaben ihm ihre Fäuste zu fühlen. Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen sie und schlug und stieß wacker um sich, bis Morgenstern kam und einige von ihnen mit dem Kolben seines Gewehres zurückstieß.

„Zurück, ihr Halunken!“ gebot er. „Habt ihr vergessen, daß ich Offizier bin! Euer Kapitän ist verrückt geworden, daß er es wagt, euch auf den Begleiter eines Coronel zu hetzen. Lauft schnell zum Medico militar (Militärarzt)! Ich befehle ihm, den Kapitän sofort zu untersuchen und in Behandlung zu nehmen.“

Diese List wirkte sofort. Sie zogen sich verblüfft zurück, und einige von ihnen liefen wirklich fort, um nach dem Arzte zu suchen. Fritze sprang auf, teilte schnell noch einige kräftige Rippenstöße aus, nahm dann sein Bündel wieder auf die Achsel und folgte dem Doktor, welcher sich mit ziemlich raschen Schritten entfernte. Er ging wieder nach der Stadt zurück und that dies so eilig, um möglichst schnell aus der Nähe der Soldaten zu kommen. Als Fritze ihn eingeholt hatte, schimpfte er:

„Sonne Rotte Korah ist mich auch noch nicht vorjekommen! Dat will Soldat sind? Schönes Heldentum! Dreißig gejen einen einzigen, der noch dazu den Pack tragen muß! Sie wollten mir verhauen!“

„Haben sie dir wehe gethan?“ fragte sein Herr besorgt.

„Dat weiß ick nicht. Ick muß es erst untersuchen. Fühlen thu ick jetzt noch nichts. Hoffentlich kommt dat Zartjefühl nicht noch hinterher. Es ist also doch so jekommen, wie ick sagte: Jehen wir herein, heraus kommen wir allemal wieder; ist es nicht jegangen, so ist es jeschmissen. Und herausjeschmissen haben sie mir, dat kann ick Ihnen schwarz auf weiß bestätigen.“

„Gott sei Dank, daß es nicht noch schlimmer geworden ist! Es war wirklich leichtsinnig von uns, in eine solche Gefahr, lateinisch Dimicatio, sich zu begeben. Was thun wir nun? Was schlägst du vor?“

„Wir jehen in ein Hotel.“

„Gibt es hier Hotels?“

„Höchst wahrscheinlich; aber sie werden auch danach sind, so was Sie antediluvianisch zu nennen pflegen. Vielleicht jraben wir eins aus.“

Sie gingen suchend durch einige Straßen und kamen an ein Haus, über dessen Thür auf einem Schild zu lesen war: „Posada por pasageros, Gasthaus für Fremde.“ Diese Posada sah freilich gar nicht einladend aus. Das Gebäude bestand aus gestampfter Erde und hatte nur ein Erdgeschoß mit einer breiten, niedrigen Thür und zwei Öffnungen, in denen keine Fenster waren. Nebenan gab es einen von einer Mauer umgebenen Hof, in welchem man Pferde stampfen und wiehern hörte.

„Da hinein?“ fragte der Doktor, indem er ein bedenkliches Gesicht zog.

„Ja,“ antwortete Fritze.

„Es sieht aber genau wie eine Spelunke aus!“

„Det schadet nichts, wenn wir nur nicht wieder herausjeworfen werden, hier ist alles Spelunke. Also man wieder rin ins Vergnüjen!“

Als sie eingetreten waren, sahen sie, daß das Innere dieses Gasthauses aus nur einem Zimmer bestand. Tische und Stühle gab es nicht, dafür aber mehrere Hängematten und niedrige Schemel. Auf einem derselben saß der Wirt, ein hagerer, schmutziger Mensch, welcher sich erhob und unter tiefen Verneigungen nach den Wünschen der Señores fragte. Fritze warf sein Bündel auf den Boden, der aus gestampftem Lehm bestand, und antwortete an Stelle seines Herrn:

„Können Sie uns vier Pferde, zwei Reit- und zwei Packsättel verschaffen?“

„Mieten?“

„Nein, kaufen.“

„Wohin wollen Sie?“

„Nach dem Gran Chaco, nach Tucuman, vielleicht noch weiter.“

„Ich habe sehr feine Pferde zum Verkauf. Bemühen sich Euer Gnaden mit in den Hof!“

Er öffnete eine Seitenthür, welche in den Hof führte. Die beiden folgten ihm hinaus. In einer der Hängematten hatte ein Mann gelegen, den sie gar nicht beachteten. Als dieser von dem Pferdehandel hörte, sprang er aus der Matte und folgte ihnen. Draußen standen zwölf abgetriebene und halb verhungerte Gäule, deren Aussehen ein so verkümmertes war, daß selbst der Doktor, obgleich er nichts von Pferden verstand, kopfschüttelnd meinte:

„Das sollen Pferde sein? Ich würde so ein Tier viel eher für das halten, was der Lateiner Caper oder Hircus nennt.“

„Was ist das, Señor?“ fragte der Wirt.

„Ein Ziegenbock.“

„So sind wir fertig. Meine Pferde sind keine Ziegenböcke.“

Er wendete sich stolz ab, um in die Stube zurückzukehren. Da stand der Gast, welcher in der Hängematte gelegen hatte. Dieser betrachtete die beiden Kleinen mit neugierigen Augen, während sie ihn mit derselben Neugierde ansahen. Er war ebenso rot gekleidet wie sie und trug aber lange Stiefel, deren Schäfte seine Oberschenkel bedeckten. Sein Gesicht war so bärtig, daß man von demselben nur die Nase und die Augen sah. Sein Haar hing unter dem Hute, welcher auf dem schon beschriebenen Kopftuche saß, lang bis auf den Rücken herab. Dennoch machte er den Eindruck eines Menschen, vor dem man sich nicht zu hüten brauchte. Er verbeugte sich und sagte:

„Señores, ich höre, daß Euer Gnaden nach dem Gran Chaco wollen, und kann Ihnen vielleicht mit meinem Rate dienen. Wo kommen Sie her?“

„Von Buenos Ayres.“

„Wohnen Sie dort?“

„Nein. Ich bin fremd im Lande.“

„Ein Fremder? Wo haben Sie Ihre Heimat?“

„In Deutschland.“

„Also ein Deutscher! Und was sind Sie? Nehmen Sie mir meine Fragen nicht übel! Ich habe eine gute Absicht dabei.“

„Ich bin ein Privatgelehrter, ein Zoolog, und will nach dem Gran Chaco, um dort vorweltliche Tiere auszugraben.“

„Ah! Vielleicht ein Mastodon?“

„Hoffentlich!“

„Oder ein Megatherium?“

„Sie kennen die Namen dieser Tiere?“

„Natürlich! Ich bin ein Kollege von Ihnen.“

„Was? Auch ein Gelehrter?“ fragte Morgenstern verwundert, denn dieser Mann sah wie ein echter Gaucho, nicht aber wie ein Gelehrter aus.

„Allerdings bin ich einer,“ antwortete er stolz, indem er sich in die Brust schlug.

„Wohl auch Zoolog?“

„Auch, denn ich habe alles studiert. Eigentlich aber bin ich Ciruiano (Chirurg), wenn Euer Gnaden gestatten.“

„Also ein Arzt!“

„Ja. Ich erlaube mir, mich Euer Gnaden vorzustellen. Man kennt mich überall, und Sie werden nur deshalb, weil Sie fremd sind, meinen berühmten Namen noch nicht gehört haben. Ich bin nämlich Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante.“

„Danke! Ich heiße Doktor Morgenstern, und der Name meines Dieners ist Kiesewetter.“

„Zwei schöne Namen, doch darf ich wohl behaupten, daß der meinige wohlklingender ist und sich auch viel leichter aussprechen läßt. Ich bin einer altkastilianischen Adelsfamilie entsprossen. Was sagen Sie zu einer Amputation des ganzen Beines, und zwar in der Weise, daß man erst die Weichteile abschneidet und dann den Kopf des Oberschenkelknochens sehr einfach aus dem Pfannengelenk des Beckens nimmt?“

„Oberschenkelknochen, Os femoris genannt? Und Becken, Pelvis geheißen? Ich verstehe Sie nicht, Señor. Warum soll denn dem unglücklichen Manne das Bein amputiert werden? Ist er verwundet? Hat er schon den Brand darin?“

„Keineswegs. Das Bein ist kerngesund.“

„Aber weshalb soll es ihm da abgeschnitten werden?“

„Weshalb? Cielo! Welche Frage! Der Mann ist ja ganz munter und wohl; es fehlt ihm nichts, gar nichts. Ich denke überhaupt gar nicht an einen bestimmten Menschen, sondern ich setze nur den Fall, verstehen Sie wohl, den Fall, daß ich ein Bein abzunehmen hätte. Würden Sie mir die nötige Geschicklichkeit zutrauen?“

„Ganz gern, ganz gern, Señor. Aber dennoch bin ich herzensfroh, daß Sie nur den Fall setzen. Ich glaubte schon, ich sollte Ihnen helfen und das Bein des Unglücklichen halten.“

„Das ist gar nicht notwendig, denn ich bedarf keiner Hilfe. Ich verfahre mit solchem Geschick und solcher Schnelligkeit, daß der Patient gar nichts davon empfindet. Erst dann, wenn er geheilt das Lager verläßt, bemerkt er, daß er nur noch ein Bein hat. Und das thue ich nicht nur beim Beine, sondern bei allen Gliedern. Ich sage Ihnen, Señor, ich säble alles, alles herunter!“

Er machte dabei so energische Armbewegungen, daß der Doktor erschrocken ausrief:

„Mein Himmel! Ich bin gesund, vollständig gesund!. Mir brauchen Sie nichts zu amputieren!“

„Leider, leider! Es ist wirklich jammerschade, daß Sie nicht verwundet sind oder einen hübschen Knochenfraß haben. Sie würden sich königlich über die Kunst freuen, mit welcher ich Ihren Körper von dem betreffenden Gliede befreie. Ich habe meine Werkzeuge stets bei mir. Was meinen Sie wohl zum Beispiel vom Heraussägen des Ellenbogengelenkes? Haben Sie diese wunderbare Operation schon einmal gesehen?“

„Nein. Und ich versichere Sie, daß sich meine beiden Ellbogen in vollster Ordnung befinden.“

„O, was das betrifft, so würde es gar nichts schaden, wenn sie durch Schüsse zerschmettert worden oder durch eine komplizierte und veraltete Verrenkung unbrauchbar geworden wären. Ich sägte sie Ihnen zu Ihrem eigenen Entzücken heraus, und dann könnten Sie sich Ihrer Arme ganz leidlich wieder bedienen.“

„Das will ich nicht bezweifeln, Señor; aber dennoch ist es mir lieber, gar nicht in die Lage zu kommen, sie mir heraussägen lassen zu müssen.“

„So sind Sie zwar ein gelehrter Mann, besitzen aber nicht den Mut, der Wissenschaft ein Opfer zu bringen. Und das ist jammerschade, denn ich säble wirklich alles, alles herunter.“

„Ich bewundere Ihre Geschicklichkeit, Señor, habe aber leider keine Zeit, mich weiter über dieses interessante Thema zu verbreiten. Ich suche Pferde für meine Reise, und da ich hier keine passenden gefunden habe, so muß ich jetzt weiter, um –“

„Machen Sie sich keine Sorge,“ unterbrach ihn der Chirurg. „Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung.“

„Sie? Wissen Sie vielleicht, wo vier kräftige und ausdauernde Tiere zu haben sind?“

„Ich weiß es nicht nur, sondern ich stehe selbst auch im Begriff, mir eins zu kaufen.“

„Wo ist das?“

„Auf einer kleinen Estancia, welche eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt.“

„Wie kommt man da hinaus? Hier geht kein Mensch so weit zu Fuße.“

„Wir borgen uns Pferde von dem Wirte, bei dem wir uns jetzt befinden. Diese kurze Strecke vermögen sie uns zu tragen. Er gibt uns einen Peon mit, welcher sie ihm zurückbringt.“

„So lassen Sie uns aufbrechen, Señor!“

„Bitte, das hat keine solche Eile. Wir können den Handel erst morgen früh machen. Ich habe mich erkundigt und da erfahren, daß der Estanciero verreist ist und erst heute abend wiederkommt.“

„So muß ich mich nach einer andern Stelle umsehen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.“

„Warum? Die vorsündflutlichen Skelette laufen Ihnen doch nicht fort.“

„Nein; aber ich will eine Gesellschaft von Männern einholen, welche nach der Laguna Porongos vorausgeritten sind.“

Der Chirurg horchte auf und erkundigte sich dann:

„Wer ist das? Meinen Sie etwa den Vater Jaguar mit seinen Leuten?“

„Ja, den meine ich. Kennen Sie ihn vielleicht?“

„So genau wie mich selbst. Ich gehöre ja zu ihm. Wir hatten uns hier zu versammeln; ich wurde aber droben in Puerto Antonio unvermutet aufgehalten, so daß ich zu spät kam. Sie sind schon fort. Ich konnte mir freilich hier sofort ein Pferd kaufen, um ihnen nachzureiten; aber in dieser Stadt findet man kein brauchbares Tier. Darum warte ich lieber bis morgen früh, wo ich ein gutes bekomme und nicht Gefahr laufe, es unter mir zusammenbrechen zu sehen.“

Doktor Morgenstern hatte ein gelindes Grauen vor diesem Manne gefühlt, der „alles, alles heruntersäbelte“; jetzt aber freute er sich, ihn getroffen zu haben. Darum fragte er:

„Sie glauben, daß Sie den Vater Jaguar noch einholen werden?“

„Natürlich! Ich kenne die Route, welche er einschlägt, ganz genau.“

„Das freut mich außerordentlich. Würden Sie uns die Erlaubnis, lateinisch Concessio, erteilen, uns Ihnen anzuschließen?“

„Herzlich gern, Señor, da wir beide Jünger der Wissenschaft, also Kollegen sind und ich mich darauf freue, doch vielleicht eine Gelegenheit zu finden, Ihnen zeigen zu können, daß ich mich selbst vor der schwierigsten Amputation nicht fürchte. Hoffentlich stoßen wir mit feindlichen Indianern zusammen; ich nehme natürlich mit Bestimmtheit an, daß dabei einigen von uns mehrere Glieder zerschmettert werden; dann sollen Sie sehen, wie ich meines Amtes walten werde. Das wird nur so fliegen, denn ich säble wirklich alles, alles herunter!“

Er fuhr dabei mit beiden Armen und in einer eigenartigen Weise durch die Luft, um anzudeuten, daß die Knochen und Fleischfetzen „nur so fliegen“ würden. Dieser Mann schien dem blutigen Teile seines Berufes mit außerordentlicher Leidenschaft anzuhängen. Trotzdem fühlte sich Morgenstern jetzt nicht mehr dadurch zurückgestoßen oder gar, wie vorher, eingeschüchtert. Er begann zu ahnen, daß er es hier mit einer zwar krankhaften, doch ganz ungefährlichen Idee zu thun habe. Darum antwortete er lächelnd:

„So bin ich bereit, mit Ihnen bis morgen zu warten. Aber was thun wir bis dahin? Und wo halten wir uns auf?“

„Wir reiten nach der Estancia, wo man uns gastfreundlich aufnehmen wird. Dort essen, trinken, rauchen und schlafen wir. Das ist mehr Beschäftigung, als wir brauchen, um uns zu langweilen. Sie rauchen doch auch, Señor?“

„Nein.“

„Welch ein Wunder! Hier raucht alles, Mann und Weib, Kind und Kegel. Warum Sie nicht?“

„Weil ich eine Nikotinvergiftung befürchte. Hat doch die Wissenschaft nachgewiesen, daß man vom vielen Rauchen den schwarzen Star, Amaurosis genannt, bekommen kann.“

„Da müßte man die Zigaretten nicht rauchen, sondern scheffelweise hinunterschlingen. Und selbst da kämen sie doch nur in den Magen, nicht aber in die Augen. Ich könnte ohne das Rauchen nicht existieren. Es regt die Nerven an, erhöht die Lebenskraft, begeistert den Menschen für alles Gute und Schöne und gibt eine so sichere Hand, daß man selbst die schwerste und komplizierteste Amputation mit Leichtigkeit auszuführen vermag. Haben Sie hier in Santa Fé noch viel zu schaffen, oder können wir bald aufbrechen?“

Morgenstern erzählte ihm in kurzen Worten das hier erlebte Abenteuer und sagte ihm, daß er nur noch seiner Bücher bedürfe, um reisefertig zu sein.

„Die werde ich Ihnen sofort holen, Señor,“ meinte „Doktor“ Parmesan.

„Sie? Damit darf ich Sie doch unmöglich belästigen, Señor.“

„Warum nicht? Zahlen Sie mir zwei Papierthaler, so thue ich es gern. Übrigens bin ich den Soldaten und Offizieren bekannt. Man wird keinem andern Ihre Bücher so gewiß übergeben wie mir.“

Also dieser Mann mit dem langen und wohlklingenden altkastilianischen Namen, der sich „Doktor“ nannte, war bereit, für zwei Papierthaler, also für zweiunddreißig deutsche Pfennige, Gepäckträgerdienste zu leisten! Als er von Morgenstern diesen Betrag erhalten hatte, ging er fort und brachte schon nach kurzer Zeit die Bücher getragen. Dann entfernte er sich abermals, um Papier und Tabak zu Zigaretten einzukaufen. Er nahm zu diesem Zwecke einen Ledersack mit, den er gefüllt zurückbrachte. Er hatte ganz richtig gesagt, daß hier jeder rauche. Man wird in der Pampa selten einen Menschen sehen, der nicht eine selbstgedrehte Zigarette im Munde hat.

Der Wirt war gern bereit, gegen geringe Bezahlung Pferde und einen Peon herzuleihen. Eins dieser Tiere bekam Morgensterns Pakete zu tragen; dann stiegen die Männer auf, um nach der Estancia zu reiten. Als sie langsam durch die erste Gasse kamen, standen einige Kinder da beisammen; sie sahen den Chirurgen und rannten augenblicklich in das nächste Haus, indem sie schrieen:

El carnicero, el carnicero! Huid, huid, de la contrario os amputa – der Fleischhacker, der Fleischhacker! Flieht, flieht, sonst amputiert er euch!“

Er schien also nicht nur überhaupt, sondern den Kindern sogar als abschreckender Popanz bekannt zu sein. Das ärgerte ihn aber keineswegs, sondern er sagte in stolzem Tone:

„Hören Sie es, Señor? O, man kennt mich und meine Fertigkeiten sehr genau. Mein Ruhm ist über sämtliche La Plata-Staaten verbreitet!“

Der Ritt ging an dem Cuartel vorüber, in welchem Morgenstern vorhin die so kurze Rolle eines Obersten gespielt hatte, dann an dem Kirchhofe und mehreren kleinen Ranchos, bis man endlich das Stadtgebiet hinter sich hatte. Zur Linken sahen die Reiter den seeartig ausgedehnten Rio Salado fließen, und vor ihnen lag ein ausgedehntes, hügelig unebenes Heideland. Auf demselben stand, rechts nach dem See hinüber, welchen der Rio Saladillo hier bildet, die Hacienda, von welcher der „Fleischhacker“ gesprochen hatte. Sie war nicht sehr groß, dennoch gab es da nicht unbeträchtliche Herden. Man sah wohl an die tausend Schafe weiden; auf der andern Seite grasten, von einigen Gauchos bewacht, mehrere hundert Stück Rinder, und in den Corrals gab es Pferde genug, eine ganze Schwadron Kavallerie beritten zu machen.

Wer über die Pampa oder den Campo, das Feld, reitet, bekommt dreierlei Ansiedelungen zu sehen. Die erste Art derselben sind die Ranchos (sprich Rantschos), kleine Hütten, welche meist aus gestampfter Erde hergestellt sind und Stroh- oder Schilfdächer haben. Oft stehen sie nicht zu ebener Erde, sondern sind mehrere Fuß tief in den ausgegrabenen Boden eingelassen. Von Möbeln nach unsrem Sinne ist keine Rede. Eine Hängematte gilt als Luxusartikel. Das Mahl wird auf einem Feuerherde bereitet, welcher auch aus Lehm hergestellt ist, denn Steine gibt es in den Pampas nicht. Ein Schornstein ist nicht vorhanden; der Rauch zieht durch die Öffnungen ab, welche als Thür und Fenster bezeichnet werden, doch ist die Thür nicht verschließbar, und in den Fensteröffnungen gibt es weder Glas noch Rahmen. Höchstens vertritt ein Stück geöltes Papier die Stelle der Scheiben.

In diesen Ranchos wohnen die armen Leute, welche auf den Haciendas und Estancien bedienstet sind – die Gauchos.

Dieses letztere Wort ist der Indianersprache entlehnt; die beiden Buchstaben a u bilden keinen Diphthong, sondern werden getrennt ausgesprochen; man muß also Ga-utscho sagen. Der Ga-utschos gehören meist der Klasse der Mestizen an; sie betrachten sich zwar als Weiße und sind auf diese Bezeichnung ungemein Stolz, stammen aber von Indianerinnen und den früher eingewanderten Spaniern ab. Es gibt verschiedene Ansichten über dieselben; der eine lobt und der andre tadelt sie. Das Richtige ist, daß man sie nach den verschiedenen Gegenden, in denen sie leben, auch verschieden beurteilt.

Die Ga-utschos besitzen alle den Stolz des Spaniers und, infolge ihres eigenartigen Lebens, eine ungemeine Freiheitsliebe. Jeder hält sich für einen Caballero und ist sehr höflich gegen andre, um selbst höflich behandelt zu werden. Der ärmste Teufel, ja selbst der Bettler wird „Euer Gnaden“ genannt. Derjenige Fremde, welcher glaubt, er dürfe auf einen Gaucho von oben herabblicken, weil er reicher oder gebildeter als dieser ist, wird bald so zurechtgewiesen werden, daß ihm der Hochmut vergeht. Herablassung beantwortet der Gaucho mit der ausgesuchtesten Grobheit oder, falls dies nichts fruchtet, gar mit dem Messer. Behandelt man ihn aber höflich, läßt man ihn als einen menschlich vollständig Gleichberechtigten gelten, so wird man bald einen treuen und aufopfernden Freund an ihm haben. Zu rühmen ist vor allen Dingen seine Ehrlichkeit. So wie er seine Hütte nie verschließt, so wird er selbst auch niemals stehlen. Findet er etwas, so gibt er es, falls die Möglichkeit vorhanden ist, dem Verlustträger ganz gewiß zurück. Ein Gaucho zum Beispiel, welcher so arm war, daß er nicht einmal einen Schemel besaß und das Gerippe eines Pferdekopfes als Stuhl benutzte, fand auf offener Pampa eine Uhr, welche einem ausländischen Reisenden aus der Tasche geglitten war. Er jagte einen Tag lang Von einem Nachbar zum andern, um zu erfahren, wem die Uhr wohl gehören könne, und als er von dem Fremden hörte und nun vermuten mußte, daß dieser sie verloren habe, ritt er ihm zwei Tage lang nach, um sie ihm zu bringen. Als ihm der Reisende eine Geldbelohnung geben wollte, warf er sie ihm verächtlich vor die Füße und kehrte, ohne ein Wort zu sagen, um.

Von Jugend auf an das Pferd gewöhnt, sind die Gauchos ebenso kühne wie unermüdliche Reiter. Sie gleichen darin den Westmännern und Indianern Nordamerikas. Eine Strecke von hundert Schritten zu gehen, fällt dem Gaucho gar nicht ein. Sobald er seinen Rancho verläßt, sitzt er zu Pferde. Zweijährige Kinder sprengen auf halbwilden Pferden jubelnd in die Pampa hinein. Auch die Frauen reiten, und zwar nach Männerart, nicht die Beine auf einer Seite des Pferdes. Oftmals sieht man Mann und Weib zusammen auf einem Pferde sitzen, die Frau dann stets verkehrt auf dem Hinterteile des Pferdes, ohne allen Halt, ihren Rücken an denjenigen des Mannes lehnend. Und doch fällt sie selbst im schnellsten Galopp nicht herab.

Eine Untugend, und zwar eine große, besitzt der Gaucho. Er ist nämlich vollständig gefühllos gegen sein Pferd. Er schnallt den Sattel auf den wunden, eiternden Rücken seines Tieres und gräbt demselben mit den großen, scharfen Sporen tiefe Löcher in die Weichen, ohne daran zu denken, welche Schmerzen er dem armen Geschöpf bereitet. Darum fürchten die Pferde ihren Herrn und gebärden sich wie toll, wenn er sie zusammentreibt, um sich für den Ritt eins mit dem Lasso aus der Herde zu fangen. Bricht es unter ihm zusammen, so läßt er es, noch lebend, für die Geier liegen und holt sich ein andres. Bei den ungezählten Herden, die es im Lande gibt, ist ein Pferd so billig, daß man sich zum Tode eines solchen Tieres vollständig gleichgültig verhält. Daher die zahllosen Pferdegerippe, denen man allüberall begegnet. Man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß die weiten, endlosen Pampas mit Pferdeknochen geradezu gedüngt sind.

Das eigenartige Leben, welches der Gaucho führt, der vollständige Mangel aller Schulen und sonstigen Bildungsmittel und der fortwährende Umgang mit halbwilden Tieren, das sind die Ursachen davon, daß der Gaucho zarteren Regungen vollständig unzugänglich ist. Dazu kommen die traurigen politischen Zustände des Landes. Ein Geschichtsschreiber hat gesagt, daß in den La Plata-Staaten es kein Jahr ohne wenigstens eine kleine Empörung gebe, und es ist wahr, daß seit Menschengedenken dort eine Revolution der andern folgte. Das verroht den Menschen. Der Gaucho, dem ruhigen Leben abgeneigt und durch seinen Beruf abgehärtet, ist jederzeit bereit, sich einem Pronunciamiento – das ist der Ausdruck für Revolte – anzuschließen. Je öfters dies geschieht, desto tiefer drückt die Unbotmäßigkeit sich seinem Wesen ein, und die Folge davon ist, daß die Bewohner derjenigen Distrikte, welche sich öfters gegen die öffentliche Gewalt auflehnen, in Beziehung auf gute Eigenschaften weit hinter den andern zurückstehen. Daher die Verschiedenheit, mit welcher die Bewohner der Pampas beurteilt werden.

Die zweite Art der Niederlassung wird Hacienda genannt. Ein Haciendero betreibt Feld- und Viehwirtschaft zugleich, wird also selten große Herden besitzen. Die dritte Art wird Estancia genannt. Der Estanciero gibt sich nicht mit Ackerbau ab; er züchtet nur Vieh, um dasselbe in die Schlachthäuser zu liefern. Es gibt Estancieros, welche mehrere hunderttausend Stück besitzen.

Diese Tiere befinden sich sowohl im Sommer als auch im Winter stets im Freien. Obgleich sie von reitenden Gauchos beaufsichtigt werden, kommt es häufig vor, daß sie über die Grenze laufen und unter die Herden des nächsten, ja des zweiten und dritten Nachbars gelangen. Um dadurch verursachten Verlusten vorzubeugen, brennt jeder Besitzer seinen Tieren einen Stempel ein, welcher bei der Behörde für ihn registriert worden ist. So kennt jeder sein Eigentum und liefert von Zeit zu Zeit den zugelaufenen Bestand den rechtmäßigen Eigentümern zurück. Beim Verkaufe eines Pferdes oder Rindes wird das Zeichen dadurch ungültig gemacht, daß man es nochmals, und zwar verkehrt, auf das vorherige einbrennt, eine schmerzhafte Manipulation, welcher sich die Tiere natürlich mit aller Anstrengung widersetzen.

Eine solche Zeichnung der noch nicht mit einem Stempel versehenen jungen Rinder war eben im Gange, als die Reiter die Estancia erreichten. Eine Anzahl berittener Gauchos war beschäftigt, die Tiere draußen auf dem Campo zusammen und dann in den dazu bestimmten Corral zu treiben. Unter Corral ist hier ein freier Platz zu verstehen, welcher von hohen, stachelichten Kaktushecken umgeben ist.

Die Rinder wissen ganz genau, daß stets etwas Ungewöhnliches bevorsteht, wenn man sie nach dem Corral bringen will, und weigern sich infolgedessen, ihren Hirten zu gehorchen. So auch hier. Sie versuchten, auszubrechen, stets aber waren die kühnen Reiter da, sie mit hochgeschwungenem Lasso oder kreisender Bola daran zu hindern.

Die Bola ist ein Wurfgeschoß, welches aus drei Blei- oder Eisenkugeln besteht. Jede dieser Kugeln hängt an einem starken, unzerreißbaren Riemen; die Enden dieser Riemen sind zusammengebunden. Der Gaucho nimmt eine der Kugeln in die Hand, schwingt die beiden andern einigemal zielend um den Kopf und schleudert dann die Bola nach dem Tiere, welches er fangen will. Er verfährt dabei mit einer solchen Geschicklichkeit, daß die Bola sich um die Hinterbeine des Pferdes oder Rindes schlingt, und dieses zum Falle bringt.

Die Tiere kennen diese Schleuderkugeln sehr genau und fürchten sie ebensosehr, wie sie den Lasso scheuen. So oft sie ausbrechen wollten, trieb die Angst vor diesen Waffen sie wieder zurück. So kamen sie, zu beiden Seiten und hinter sich die schreienden Gauchos, mit donnerndem Gestampfe herangebraust. Am offenen Corral angekommen, stutzten sie; als aber ein alter, erfahrener Bulle, welcher wohl wußte, daß er für sich nichts zu befürchten hatte, hineinrannte, folgten die andern hinter ihm drein, und die Umzäunung wurde sofort geschlossen.

Da sahen die Gauchos die vier Reiter halten. Sie kamen herbeigeritten. Der vorderste rief, als er den Chirurg erblickte, fröhlich lachend:

Cielo, beim Himmel, das ist el Carnicero, der Fleischhauer! Willkommen, Señor! Wollen Sie bei uns vielleicht etwas heruntersäbeln? Wir sind alle gesund und munter. Lassen Sie also Ihre Instrumente stecken!“

Dieser Empfang schien den Doktor Parmesan zu verdrießen, denn er antwortete:

„Lassen Sie solche Scherze, wenn Sie mit einem Caballero sprechen! Wie können Sie mich Carnicero nennen! Ich verbitte mir das! Meine Ahnen wohnten auf altkastilianischen Burgen und Schlössern und haben siegreich gegen die Mauren gekämpft, als von Ihren Vorfahren noch keine Rede war. Für Sie bin ich Don Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante. Das merken Sie sich, Euer Gnaden!“

„Schön, Don Parmesan, ich merke es mir. Übrigens wollte ich Sie keineswegs beleidigen. Sie wissen ja, welche Wertschätzung wir Ihnen widmen, und werden es mir also verzeihen, wenn ich in der Freude über Ihre Ankunft den rechten Ausdruck verfehlte!“

„Das lasse ich mir eher gefallen. Die Reue findet bei mir stets ein versöhnliches Herz. Ich verzeihe Ihnen, zumal ich allerdings weiß, daß Sie meine chirurgische Geschicklichkeit anerkannt haben. Ich mache Sie bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß man bei einer Trepanation der Hirnschale jetzt nicht mehr mit dem zirkelförmigen Trepanum, sondern mit dem Meißel arbeitet. Und was die Heilung des Krebses betrifft, so darf man nicht zu lange bei Umschlägen von Cicuta, rotem Fingerhut und Belladonna verweilen, sondern soll sobald wie möglich zur Exstirpation schreiten. Heraus mit dem Krebs! Man muß das Messer nehmen und schnell – –“

„Bitte, davon später!“ unterbrach ihn der Gaucho. „Sie wissen, Don Parmesan, daß wir uns sehr gern von Ihnen belehren lassen, denn es gibt keinen, der ein solches Messer führt wie Sie; aber Sie haben da Señores bei sich, gegen welche wir unhöflich sein würden, wollten wir vom Krebse weiter sprechen oder ihnen gar Löcher in den Schädel meißeln. Darf ich Euer Gnaden um ihre Namen bitten?“

„Die Señores sind neue Bekannte von mir, welche nach dem Gran Chaco wollen, gelehrte, hochstudierte Leute, infolgedessen ihre Namen so schwer auszusprechen sind, daß es mir unmöglich ist, sie Ihnen zu sagen.“

„Ich heiße Morgenstern und mein Begleiter Kiesewetter,“ erklärte der Privatgelehrte. „Wir sind gekommen, um einige Pferde zu kaufen. Hoffentlich sind welche übrig, was der Lateiner supersum oder nach Umständen auch reliquus nennt.“

„Nun, Reliquien sind unsre Pferde nicht; aber der Estanciero wird Ihnen doch gern einige verkaufen. Leider kommt er erst heute abend heim. Sie werden bis dahin unsre Gäste sein und können, wenn Sie sich unterhalten wollen, an der Zeichnung unsrer Rinder teilnehmen.“

„Außerordentlich gern! Ich habe so etwas noch nicht gesehen.“

„So kommen Sie! Ich werde Sie dem Majordomus vorstellen.“

Er ritt ihnen voran nach dem Wohngebäude und rief den Majordomus heraus, welcher die Herren willkommen hieß und in das Zimmer führte. Der Peon aus Santa Fe wurde abgelohnt und kehrte mit den Pferden nach der Stadt zurück.

Der Besitzer der Estancia war gewiß ein wohlhabender Mann, dennoch konnte die Einrichtung seiner Wohnung nicht einmal mit derjenigen eines einfachen deutschen Arbeiters verglichen werden. Die vier Lehmwände waren nackt und leer. Es gab einen alten Tisch, zwei noch ältere Stühle und mehrere niedrige Schemel. Eine Guitarre hing in der Ecke. Das war alles. Der Majordomus lud zum Sitzen ein und begab sich nach der Küche, um den üblichen Mate zu holen, welcher jedem Gaste sofort vorgesetzt wird.

Mate ist Paraguay-Thee; er wird aus den Blättern und Stengeln von Ilex paraguyensis gewonnen und hat die Form eines groben Pulvers. Man thut eine Prise desselben in einen kleinen, ausgehöhlten Flaschenkürbis und gießt kochendes Wasser darauf. Der Thee wird nicht getrunken, sondern mittels einer dünnen, metallenen Röhre, Bombilla genannt, die man in den Mund nimmt, aus dem Kürbis gesogen. Da die Bombilla sehr heiß wird, verbrennen sich Ausländer, welche diese Art des Trinkens nicht gewöhnt sind, gewöhnlich Lippen und Zunge, bis sie gelernt haben, vorsichtig zu sein.

Solchen Mate bekamen die drei Gäste. Der Chirurg sog das Getränk mit Vorsicht in den Mund, Fritze war lange genug im Lande gewesen, um zu wissen, daß er sich in acht zu nehmen habe; der Doktor aber brachte dem Mate sofort den Tribut, welchen in der Regel jeder Ausländer ihm bringt. Die Bombilla war heiß, und er sog zu kräftig, infolgedessen er zu viel des wohl achtzig Grad nach Reaumur haltenden Thees in den Mund bekam. Er verbrannte sich, und da er es für unanständig hielt, den Mate auszuspucken, schluckte er ihn hinab –Natürlich verbrannte er sich auch den Schlund und rief, indem er sein Gesicht schmerzlich verzog:

„O weh, meine Lippen, mein Gaumen, mein Schlund, lateinisch Labia, Palatum und Gluttus genannt! Das ist ja der reine Teufelstrank, ganz geeignet, die Verdammten in der Hölle innerlich zu martern! Ich danke ganz ergebenst für dieses Ilex-Wasser!“

„Dat habe ick bei die ersten Versuche ooch Jesagt,“ meinte Fritze. „Bei zu kräftige Anziehungskraft verfeuerwerkert man sich die Jeschmacksorgane, doch dauert’s nicht lange, bis man sich injerichtet und den richtigen Manometerdruck anjewöhnt hat. Trinken Sie man weiter, Herr Doktor!“

„Fällt mir gar nicht ein! Ich glaube, mein Schlund ist eine einzige Brandblase!“

Er war durch kein Zureden zu bewegen, noch einen Zug zu thun. Die beiden andern aber hatten ihre Calabazas (Flaschenkürbisse) bald ausgeleert, und dann wurden sie von dem Majordomus aufgefordert, sich mit nach dem Corral zu begeben, um dem hochinteressanten Zeichnen der Rinder beizuwohnen. Don Parmesan legte seinen roten Poncho, sein Kopftuch und die Chiripa ab, welche beide von derselben Farbe waren. Von Morgenstern nach dem Grunde befragt, antwortete er:

„Wissen Euer Gnaden noch nicht, daß die rote Farbe diese halbwilden Rinder reizt? Wer rot gekleidet ist, soll sich hüten, einem Toro nahe zu kommen.“

„Meinen Sie? Meines Wissens ist es nur vom Puter wissenschaftlich festgestellt, daß er gegen diese schöne Farbe idiosynkrasiert. Aber daß auch das Rind, Bos auf lateinisch, denselben Widerwillen besitzt, ist wohl hie und da geäußert, aber noch von keinem Zoologen mit unumstößlichen Beispielen belegt worden. Da ich nun Zoolog bin und hier eine so vortreffliche Gelegenheit finde, mir hier den Stoff zu einer gelehrten Abhandlung über dieses Thema zu sammeln, so würde es eine Sünde gegen die Wissenschaft sein, wenn ich meine roten Kleidungsstücke ablegen wollte.“

„Aber Sie begeben sich in Gefahr, Señor!“

„Der echte Jünger der Wissenschaft darf, wenn es gilt, ein Problem zu lösen, nicht fragen, ob eine Gefahr damit verbunden ist. Ich bleibe also angekleidet, wie ich bin.“

„Ick ooch,“ stimmte Fritze bei. „Da ich der Diener eines Zoologen bin, darf mir selbst der größte Ochse nichts andres als nur ein Gegenstand dieser edlen Wissenschaft sein.“

Der Majordomus hatte jedenfalls seine eigenen Gedanken, hielt es aber nicht für nötig, auch seinerseits eine Warnung auszusprechen, die doch auch ohne Erfolg gewesen wäre. Man ging hinaus. Der Haupteingang des Corrals war zu, doch gab es neben demselben eine kleine, schmale Öffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte; diese benutzten die drei Gäste, um in den Corral zu kommen. Der Majordomus blieb außerhalb desselben.

Der Rodeo, wie man das Zusammentreiben einer Herde in die Corrals nennt, war im vollsten Gange. Die Masse der Rinder hielt eingeschüchtert im hintern Teile des umzäunten Platzes; das Jungvieh aber, welches gezeichnet werden sollte, jagte, von den Gauchos verfolgt, auf dem freien Raume umher. Jedes Rind, welchem die Marke aufgebrannt werden sollte, mußte eingefangen und so gefesselt werden, daß es keinen Widerstand zu leisten vermochte. Dazu gehörten, wie es hier auf dieser Estancia gehandhabt wurde, fünf Gauchos. Andre waren beschäftigt, ein Feuer zu unterhalten, in welchem die Stempel glühend gemacht wurden.

Der ganze Vorgang ging folgendermaßen vor sich: Das betreffende Rind wurde zunächst von den übrigen geschieden. Während es dann über den Platz rannte, jagte ihm ein Gaucho nach, um ihm den Lasso über den Kopf zu werfen. Die Schlinge zog sich stets mit unfehlbarer Sicherheit um den Hals zusammen, benahm dem Tiere den Atem und riß es nieder. Sofort waren die vier andern Gauchos bei der Hand, um ihre Schlingen um die Beine zu werfen. Die Pferde, auf denen diese fünf Reiter saßen, und an deren Sattelknöpfe die Enden der Lassos befestigt waren, kannten das, was sie zu thun hatten, sehr genau; sie zogen, jedes in der betreffenden Richtung, die Lassos straff an, wodurch die Beine des Rindes scharf ausgestreckt wurden, und in diesem Augenblicke sprang ein sechster Gaucho mit dem glühenden Stempel herbei, um ihn dem Tiere auf den linken Oberschenkel zu drücken. War dies geschehen, so ließ man es frei; es sprang auf, rannte, vor Schmerz und Aufregung brüllend, einige Male hin und her und kehrte dann zur Herde zurück, um sich in derselben zu verstecken.

Diese Prozedur lief nicht immer glatt ab. Zuweilen saß ein Lasso nicht an der gewünschten Stelle fest; das Tier konnte sich also bewegen und sich wehren. Dann war Hilfe oder doppelte Anstrengung notwendig, und das ging nicht ohne Rufen und Schreien, ohne Scenen ab, bei denen es einem Europäer hätte angst und bange werden mögen. Das gequälte Rind sträubte sich brüllend; die andern stimmten ein und stoben schnaubend auseinander, um auf dem Platze umherzujagen, bis sie von den Gauchos mit hochgeschwungenen Lassos und Bolas wieder zusammengetrieben wurden. Da kam es vor, daß ein widerspenstiger Ochse sich zur Wehr setzte und der angegriffene Reiter sich nur durch Aufbietung aller seiner Geschicklichkeit zu retten vermochte.

„Dat ist allerdings hochinteressant,“ sagte Fritze nach einer solchen Scene zu seinem Herrn. „Ick habe doch auch schon zu Pferde jesessen, aber sonne Jelenkigkeit, wie hier erforderlich ist, kann ick nicht aufweisen. Ick bin überzogen, daß dat erste beste Rind mir über den Haufen rennen würde, Ihnen nicht auch, Herr Doktor?“

„Mit mathematischer Gewißheit kann ich diese Frage nicht beantworten,“ meinte bedachtsam der Doktor. „Ich habe noch keine Erfahrungen darüber, und man soll, wie die Wissenschaft lehrt, nur das behaupten, was man beweisen kann. Übrigens liegt mir an dem Beweise, daß ich umgerannt würde, bedeutend weniger als an demjenigen, daß der Wiederkäuer, welchen wir mit dem Worte Rind bezeichnen, wirklich einen so großen Widerwillen gegen die rote Farbe hat, wie vorhin behauptet wurde. Ich hoffe, du wirst mir behilflich sein, einen darauf bezüglichen Versuch anzustellen.“

„Sehr jerne, wenn es nämlich ohne zerbrochene Gliedmaßen jeschehen kann.“

„Ohne allen Zweifel!“

„So? Denken Sie doch an den Büffel beim Stierjefecht!“

„Das war ein Bison americanus, während wir es hier mit einfachen argentinischen Rindern zu thun haben. Ich beabsichtige eine Probe zu machen, und zwar eine Doppelprobe. Wir sind beide rot gekleidet; ich nähere mich einem Ochsen, und du bemühst dich, an eine Kuh zu kommen. Auf diese Weise erfahren wir nicht nur, ob das Rind im allgemeinen die betreffende Abneigung besitzt, sondern es wird zugleich auch die besondere und sehr wichtige Frage beantwortet, bei welchem Genus diese Aversion bedeutender ist, ob beim Genus masculinum oder bei dem Genus femininum.“

„Jut, aber wenn ick nun jrad an den bösern Genus jerate!“

„Das steht nicht zu erwarten, da ich den Ochsen auf mich nehmen werde und jede Eigenschaft, also voraussichtlich auch dieser Widerwille, beim männlichen Geschlechte schärfer ausgeprägt ist, als beim weiblichen, welches ja bekanntermaßen stets die schwächere Hälfte bildet. Also, bist du bereit?“

„Ja, ick will mir Ihnen zu Jefallen für diese zoologische Frage interessieren.“

„Es ist nicht eigentlich eine allgemein zoologische, sondern eine besonders zoopsychologische.“

„Dat ist eins und dasselbe. Ob ick zoologisch oder zoopsychologisch niederjerannt werde, bleibt sich gleich. Beides ist gleich unanjenehm, soll aber für Ihnen jewagt werden.“

„So nimm du die Kuh, welche eben jetzt gebrannt wird.“

Er zeigte auf das Tier, welches eben jetzt gefesselt an der Erde lag, um die Marke zu erhalten. Die beiden Deutschen hatten bisher an der Umzäunung und hinter den Gauchos gestanden, welche das Feuer unterhalten mußten, und dies war wohl der Grund, weshalb den Tieren die rote Farbe ihrer Kleidung noch nicht aufgefallen war. Fritze folgte der Aufforderung seines Herrn und ging schnell nach der Stelle, wo die Kuh soeben von ihren Fesseln befreit wurde. Als die Gauchos dies sahen, riefen sie ihm von mehreren Seiten zu:

Arredro, arredro! Que demencia, que locura – zurück, zurück! Welch ein Wahnsinn, welch eine Verrücktheit!“

Er ließ sich nicht aufhalten und ging weiter. Eben löste sich der letzte Lasso und zwar vom Halse der Kuh. Sie sprang auf und wendete sich zur Flucht. Da fiel ihr Auge auf den unvorsichtigen Deutschen. Durch die rote Farbe seines Anzuges gereizt, senkte sie den Kopf zum Angriffe; aber die Behandlung, welche sie vor wenigen Augenblicken erfahren hatte, übte doch noch eine einschüchternde Wirkung; das Tier stand einige Augenblicke mit gesenkten Hörnern, warf dann den Kopf empor und rannte davon.

„Welch ein Glück!“ ertönte es von den Lippen der Gauchos. „Eilen Sie zurück, eilen Sie, Señor! Bleiben Sie dort am Zaune! Wissen Sie denn nicht, daß die rote Farbe diesen Tieren zuwider ist?“

„Ich wußte es nicht genau und wollte deshalb versuchen, ob es wahr ist,“ antwortete er, indem er langsam zurückkehrte.

„Versuchen Sie es nicht noch einmal; es könnte Ihnen nicht wieder so glücken, wie das jetzt der Fall war!“

Aus ihren Worten sprach nicht nur die Besorgnis um ihn, sondern auch der Unwille darüber, daß er es ohne ihre Erlaubnis gewagt hatte, sich der Kuh zu nähern, um sie zu reizen. Er wäre von ihnen wohl weiter zurechtgewiesen worden, wenn sie Zeit gehabt hätten, sich länger mit ihm zu beschäftigen. Er aber trat siegesfroh zu Morgenstern und sagte:

„Nun, sind Sie mit mich zufrieden? Die Probe ist, denke ich, jenügend ausjefallen.“

„Allerdings,“ nickte der Doktor. „Die Kuh wollte auf Sie losgehen, besann sich aber eines andern. Es ist daraus mit Sicherheit zu schließen, daß ihr die rote Farbe unangenehm war, doch nicht in einem Grade, der sie zum wirklichen Angriffe, lateinisch Aggressio geheißen, veranlaßt hätte. Wir haben es also bei diesem Genus femininum mit einer Abneigung geringen Grades zu thun, und ich werde mir nun ein Masculinum suchen, um einen vergleichenden Beweis erbringen zu können.“

Während dieser kurzen Unterhaltung waren einige Gauchos in die Herde eingedrungen, um wieder ein Stück zwischen ihre Lassos zu nehmen. Die Färse, auf welche sie es abgesehen hatten, hielt ganz in der Nähe des alten Bullen, welcher als erster in den Corral gegangen war. Er hatte sich bisher ruhig verhalten; als aber jetzt die Riemen so nahe bei ihm geschwungen wurden, glaubte er, es sei auf ihn abgesehen, brach mit Gewalt aus dem Rebaño (Herde) und galoppierte brüllend über den freien Platz gerade auf das Feuer zu. Die dort befindlichen Gauchos warfen die Arme in die Luft und schrieen ihm entgegen, um ihn dadurch zur Umkehr zu bewegen. Er blieb auch wirklich kurz vor ihnen halten und glotzte sie mit stieren Augen an. Einer riß einen Brand aus dem Feuer und warf ihm denselben an den Kopf; da drehte sich der Stier um, jedenfalls um zurückzukehren, hielt aber schon bei halber Wendung inne und ließ ein zorniges Brummen hören.

Die Ursache dazu hatte ihm Morgenstern gegeben, welcher ihm entgegengetreten war und jetzt kaum vier Schritte entfernt vor ihm stand.

Lugar, lugar – auf die Seite, auf die Seite!“ schrieen die Gauchos.

Der Bulle drang nämlich mit einem ganz plötzlichen Sprunge auf den kleinen Gelehrten ein, und es war für diesen ein Glück, daß er den Warnungsrufen augenblicklich Folge leistete und eine schnelle Wendung nach rechts machte, denn nur dadurch entging er den Hörnern des Tieres, welches an seiner linken Seite vorüberschoß, sich aber rasch umwendete, um ihn wieder anzunehmen.

Lugar, lugar!“ riefen die Gauchos von neuem. Dabei sprengten die Reiter heran, um die Aufmerksamkeit des Angreifers von dem Deutschen ab, und auf sich zu lenken.

Morgenstern wich abermals glücklich aus, doch ging die ihn bedrohende Hornspitze nicht weiter als drei Zoll an ihm vorüber. Erst jetzt blitzte in ihm die Einsicht auf, daß er sich in eine große Gefahr begeben habe, und die Sorge um sein Leben gab ihm einen ebenso plötzlichen wie eigenartigen Gedanken ein. Er konnte sich nur retten, wenn es ihm gelang, den gefährlichen Hörnern auszuweichen; der Ochse hatte die Hörner vorn, und so war also nur hinter ihm Sicherheit zu finden. Dieser Gedanke wurde von dem kleinen Männchen ebenso schnell ausgeführt, wie er gekommen war: Morgenstern sprang hinter dem Ochsen drein. Dieser wendete sich wieder um und sah seinen Gegner nicht mehr stehen, wo er gestanden hatte, bemerkte ihn aber hinter sich. Sich abermals umdrehend, suchte er ihn zu erreichen; aber der Gelehrte war behend und machte die Schwenkung mit, um hinter dem Feinde zu bleiben. Dies wiederholte sich mehrere Male, und zwar so schnell, daß die Gauchos ihre Bolas und Lassos nicht anwenden konnten, ohne den Deutschen zu gefährden. Aber diese Schnelligkeit verschlimmerte seine Lage; er fühlte, daß er derselben nicht gewachsen sei und bald ermüden werde. Gab es denn gar keine Rettung, keinen Halt? Gewiß gab es einen Halt, ganz nahe da vor ihm! Er griff mit beiden Händen zu und hielt sich an dem Schwanz des Ochsen fest. Solange er da hängen blieb, konnten ihn die Hörner nicht erreichen.

Als der Stier sich da ergriffen fühlte, wo ihn noch niemals eine solche Realinjurie getroffen hatte, blieb er zunächst einige Sekunden lang in sprachlosem Erstaunen stehen; dann sprang er mit beiden Hinterbeinen zur Seite, um das Anhängsel abzuschleudern, was ihm aber nicht gelang, da Morgenstern auf Tod und Leben festhielt. Hierdurch an allen seinen Einsichten, Kenntnissen und Erfahrungen erst recht irre geworden, hielt der verblüffte Bulle es für das klügste, die Partie vollständig aufzugeben, selbst wenn der Schwanz dabei verloren gehen sollte. Er ließ ein klägliches Brüllen hören und rannte spornstreichs seiner Herde zu.

Hatten die Gauchos erst gebrüllt, was die Lungen nur hergaben, um das Tier von dem Gelehrten abzuhalten, so lachten sie jetzt ebensosehr über den Anblick, der sich ihnen bot. Der Stier schien vor Entsetzen ganz außer sich zu sein; er machte die tollsten, bockbeinigsten Sprünge, bald nach rechts und bald nach links den Hinterkörper werfend. Man hörte seinem Gebrüll die Angst, welche er empfand, ganz deutlich an. In dieser Weise hatte noch kein Gaucho einen Ochsen brüllen hören. Morgenstern hielt fest. Er konnte nicht so schnell laufen wie sein Vordermann, verlor infolgedessen die Erde unter den Füßen und wurde fortgeschleift, bis seine Kräfte nachließen und er den Schwanz losließ, was einen Purzelbaum zur Folge hatte, wie er ihn so ungeheuer wohl noch nie im Leben geschlagen hatte.

Da erreichte das Gelächter der Gauchos eine Stärke, daß man hätte meinen mögen, es sei eine ganze Armee in Lachkrampf gefallen, wodurch die Angst des Bullen derart vergrößert wurde, daß er wie ein Pfeil zwischen seinesgleichen hinein- und hindurchfuhr, bis er die hinterste Ecke erreichte, wo er schnaubend stehen blieb und da jedenfalls das stille Gelübde that, niemals wieder mit einem Zoologen aus Jüterbogk anzubinden.

Morgenstern war ganz ohne alle Verletzung davongekommen. Er erhob sich vom Boden, befühlte einige seiner Gliedmaßen und kehrte dann langsam dahin zurück, wo er vorhin gestanden hatte. Die Gauchos kamen, noch immer lachend, herbei, um ihm zu gratulieren. Derjenige aber von ihnen, der die Reisenden bei ihrer Ankunft angeredet und nach dem Wohnhause geführt hatte – er mochte wohl der Oberpeon sein – sagte sehr ernst:

„Sie sind im höchsten Grade unvorsichtig gewesen, Señores, und scheinen selbst jetzt noch nicht zu wissen, daß Sie Ihr Leben auf das Spiel gesetzt haben. Wie kommen Sie, und zwar beide, denn eigentlich dazu, sich in dieser Weise an die Rinder zu wagen?“

„Infolge eines zoopsychologischen Problems,“ antwortete Morgenstern.

„Diese Worte verstehe ich nicht.“

„Ich wollte erfahren, ob die rote Farbe wirklich im stande ist, diese Familie der Wiederkäuer so in Zorn zu bringen.“

„Ah! Und deshalb wagten Sie Ihr Leben? Das konnten Sie billiger haben. Hätten Sie uns gefragt, so wären wir gern bereit gewesen, Ihnen alle Auskunft zu erteilen.“

„Sind Sie Zoolog?“

„Nein; ich bin Gaucho.“

„So hätte Ihre Aussage mir nicht genügen können. Hier gelten nur anerkannte Autoritäten.“

„Señor, wenn ich auch nicht zu den Autoritäten zähle, so bin ich doch jedenfalls ein Caballero!“ meinte der Mann beleidigt. „Glauben Sie, daß ich Sie belügen würde?“

„Nein. Sie würden mir sagen, was Sie für wahr halten; aber das kann doch kein Grund sein, Ihre Ansicht als eine wissenschaftliche Wahrheit einzuführen. Eine solche Wahrheit kann nur von Fachmännern festgestellt werden.“

„Ich bin kein Gelehrter und will nicht annehmen, daß Sie mich beleidigen wollen, denn Sie sind unser Gast. Sie sind jedenfalls Fachmann, und es freut mich, daß Sie nun auf Grund eigener Erfahrung eine Wahrheit, die wir längst kannten, feststellen können. Aber Ihre Unvorsichtigkeit hat auch uns in Gefahr gebracht. Das sehen Sie wohl ein?“

„Wieso Sie in Gefahr?“

„So wissen Sie wohl gar nicht, was eine Estampeda ist?“

„Nein.“

„Eine Estampeda ist eine durchbrechende, durchgehende, aufgeregte, fliehende Pferde- oder Rinderherde. Infolge Ihrer Unvorsichtigkeit konnten wir alle sehr leicht unter die Hufe gestampft werden. Hoffentlich geben Sie mir wenigstens in dieser Beziehung recht und haben die Güte, dafür zu sorgen, daß weder Sie selbst noch wir durch Ihre roten Anzüge wieder in Verlegenheit gebracht werden.“

Er wendete sich ab, und die andern Gauchos folgten diesem Beispiele. Sie fühlten sich beleidigt, daß ihr Anführer nicht als „Autorität“ anerkannt worden war. Die beiden Deutschen verstanden den ihnen gegebenen Wink und entfernten sich durch die Lücke aus dem Corral. Draußen vor der Umzäunung meinte Fritze:

„Dat jing jrad wie im Cuartel von Santa Fe. Nicht?“

„Wieso?“

„Wir sind herausjeworfen worden, hier moralisch und dort auf unmoralische Weise. Ick muß sagen, daß unser Ritt sehr jut anfängt. Wir haben noch nicht mal Pferde und sind gleich am ersten Tage zweimal ex jeliefert worden. Wenn dat in diese Weise fortjeht, so werden wir aus dem Gran Chaco jeworfen, aus Peru jestoßen, aus Amerika jeschmissen und sitzen dann im jroßen Ozean, wat man dat Stille Weltmeer nennt, und warten dort, bis wir durch eine neue Sündflut als vorjeschichtliche Walfische herausjebuddelt werden. Man hat unsre Ambition beschädigt; wir aber besitzen wenigstens den Trost, daß die wissenschaftliche Wahrheit festjestellt worden ist: Der Puter ärjert sich nicht alleine über die rote Farbe.“

„Ja,“ nickte der Doktor. „Ich werde der Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung über diesen Gegenstand einsenden. Es ist nun heutigestags unwiderleglich bewiesen, daß die Rinder einen Widerwillen gegen die rote Farbe haben.“

„Und zwar beide Jeschlechter.“

„Allerdings, aber doch in verschiedenem Grade. Das Masculinum war empfindlicher als das Femininum. Du wurdest nicht angegriffen, während der Stier mich in eine beinahe unkomfortable Lage brachte.“

„Aber woher denn diese Aversion gejen diese Farbe, welche jrade meine Lieblingsfarbe ist?“

„Das läßt sich jetzt nicht sagen. Die Thatsache ist festgestellt; den Gründen muß man noch nachspüren. Ob es vielleicht darin liegt, daß die roten Farbenstrahlen im Sonnenspektrum durch das Prisma am schwächsten gebrochen werden? Die roten Strahlen schwingen in einer Sekunde nur fünfhundert Billionen mal.“

„Sollte dat dem Bullen aufjefallen sind?“

„Von dieser Zahl hat er höchst wahrscheinlich keine Vorstellung. Aber wenn z. B. das Violett in der Sekunde achthundert Billionen Schwingungen macht, so ergibt das einen Unterschied von dreihundert Billionen, welcher so groß ist, daß er selbst auch dem Auge eines Wiederkäuers wohl aufzufallen vermag. Doch bedarf das jedenfalls noch der Aufklärung. Ich habe meinen nächsten Zweck erreicht und dabei zugleich eine Entdeckung gemacht, über welche jeder Menageriebesitzer in Entzücken geraten wird, wenn ich sie veröffentliche.“

„So? Welche denn?“

„Wie selbst das wildeste Tier sofort zu bändigen ist. Man hängt sich einfach an den Schwanz desselben. Die Situation ist zwar nicht übermäßig bequem, doch wird das einen Tierbändiger nicht hindern, meinem Beispiele zu folgen; ich bin überzeugt, daß es jeder wenigstens einmal versuchen wird.“

„Hm! Dat ist nun sonne Sache! Ick möchte mir zum Beispiel nicht an den Schwanz eines Löwen oder einer Riesenschlange hängen.“

„Es kommt auf den Versuch an, und ich bin der Wissenschaft zuliebe jederzeit bereit, ihn zu machen. Das Sprichwort sagt so wahr: Probieren geht über studieren.“

„Wat mir betrifft, so möchte ick diese Anjelejenheit doch weit lieber in einem Buch studieren, als mit so ’nem indischen Königstiger.“

Sie waren während dieses gelehrten Gespräches langsam weitergegangen und hatten nicht bemerkt, daß der Chirurg ihnen gefolgt war. Jetzt holte er sie ein und sagte:

„Señores, die Gauchos sind sehr erzürnt auf Sie. Ich warnte, doch Sie achteten meiner Worte nicht und kamen in Gefahr. Leider aber ließ der Bulle sich ins Bockshorn jagen.“

„Leider?“ fragte Morgenstern verwundert.

„Ja, leider! Denn wenn er nicht so erschrocken wäre, hätte ich Gelegenheit gehabt, Ihnen meine Kunst zu zeigen.“

„Wieso?“

„Er hätte Sie entweder aufgespießt oder Ihnen einige Knochen zerbrochen. Wie glücklich hätte es mich gemacht, Euer Gnaden beweisen zu können, daß ich ein Meister in der Behandlung jeder Art von Wunden und Knochenbrüchen bin. Ich ziehe den längsten Splitter heraus, ohne daß die Blutung sich vergrößert. Ich bin in jedem Augenblicke zur subtilsten Operation bereit. Was sagen Sie zum Beispiel zur Exstirpation der Nasenknochen?“

„Der Nasenknochen?“ fragte Fritze, indem er unwillkürlich und schnell an seine Nase griff. „Hoffentlich haben Sie es nicht auf mein Gesicht abgesehen. Exstirpieren Sie wen und was und wo und wann Sie wollen, aber mich lassen Sie in Ruhe! Sie sind ja ein ganz gefährlicher Mensch! Uns, die wir Ihre Freunde sind oder wenigstens werden sollen, wünschen Sie zerstoßene Leiber und zerbrochene Knochen! Ist so etwas erhört? Das ist eine Unhöflichkeit, welche Ihnen nicht zur Ehre gereicht, Señor.“

„Was das betrifft, Señor Federico (Friedrich), so haben Sie mir keine Vorwürfe zu machen, denn auch Sie sind unhöflich gewesen, nämlich gegen die Gauchos. Man sagt keinem Caballero, daß er nicht Fachmann sei. Das hat die Caballeros so beleidigt, daß Sie von ihnen kein Entgegenkommen zu erwarten haben. Sie werden das bemerken; doch sprechen wir nicht weiter über diesen Gegenstand; gehen wir lieber nach dem Corral der Pferde, um zu sehen, welche Art von Tieren wir da zu kaufen bekommen werden.“

Der Corral war leer. Um die Pferde zu sehen, mußten sie hinaus auf den Camp gehen, wo dieselben weideten. Die Estancia gehörte, wie bereits gesagt, nicht zu den größeren, und dennoch war es erstaunlich, welch eine Menge des Weideviehes es hier gab.

Das Hauptprodukt der La Plata-Staaten ist das Vieh; die Estancieros züchten Pferde, Rinder und Schafe. Das europäische Pferd wurde 1536 durch Mendoza, das Schaf 1550 aus Peru und das Rind 1553 von Brasilien her eingeführt. Nur selten reitet man eine Stunde lang durch das Land, ohne ganze Majados (Herden) dieser Tiere zu erblicken. Man rechnet, daß eine Quadratlegua 20000 Schafe oder 300 Stück Hornvieh, welch letzteres sich in guten Jahren um bis 800 Stück vermehrt, zu ernähren vermöge.

Den Schafen wird, der Wolle wegen, das bessere Weideland überlassen; ihnen widmet man einige Sorgfalt. Um die Pferde und Rinder kümmert man sich weniger. Sie stehen unter der Aufsicht von Gauchos und Hunden, und der Besitzer nimmt nur dann Notiz von ihnen, wenn sie entweder gezeichnet oder verkauft werden sollen. Für eine Stute zahlt man höchstens 16, für ein gutes Reitpferd nicht mehr als 6o Mark. Ein Stück Hornvieh, welches nach dem Saladero verkauft wird, kostet meist weniger als 50 Mark. Saladeros sind große Schlachthäuser, in denen die Rinder in Massen getötet werden. Das Wort leitet sich von dem spanischen salar, einsalzen, ab. In diesen Etablissements werden die Häute eingesalzen und ungeheuere Talgmengen gewonnen. Einer der berühmtesten Saladeros ist derjenige zu Fray Bentos, wo Liebigscher Fleischextrakt gewonnen wird. Man schlachtet da täglich bis 900 Stück Rinder und zerkleinert die Muskeln mit Maschinen, von denen jede in der Stunde das Fleisch von 200 Ochsen zerschneidet. Das gesamte Fleisch eines Ochsen liefert nur drei Kilogramm Extrakt.

Als die drei Männer sich überzeugt hatten, daß es hier bessere Pferde gab als im Gasthofe zu Santa Fé, kehrten sie nach der Estancia zurück. Dort war man indessen mit dem Zeichnen der Rinder fertig geworden; der Corral wurde geöffnet und die Tiere stürmten, froh, der Gefangenschaft entronnen zu sein, in das Freie. Zwei hatte man zurückgehalten, um sie zu schlachten. Die Reisenden näherten sich, um zuzusehen, in welcher Weise dies geschah.

Der Anblick, welcher sich ihnen bot, war ein höchst widerwärtiger. Die Kühe ahnten, was ihnen bevorstand und brüllten vor Angst. Sie wurden, um ihr Blut zu erhitzen, weil nach der Meinung der Gauchos das Fleisch dann besser schmeckt, eine Zeitlang im Corral umhergehetzt und dann ganz in der oben beschriebenen Weise, als ob sie gezeichnet werden sollten, mit Hilfe der Lassos niedergerissen. Nachdem ihnen einfach die Gurgel durchschnitten worden war, warfen sich die rohen Menschen auf die noch lebenden und vor Schmerz sich bäumenden und mit den Beinen um sich arbeitenden Tiere und schnitten ihnen ganze, lange Stücke rauchenden und zuckenden Fleisches mitsamt der Haut aus den Leibern. Das Todesröcheln, welches sich aus den offenen Gurgeln drängte, war, verbunden mit den gierigen Zurufen der Gauchos, für ein zivilisiertes Ohr nicht anzuhören. Morgenstern ging mit Fritz davon. Der Chirurg aber blieb und zog sein Messer, um sich auch eine Portion zu nehmen. Das unmenschliche Schauspiel war ihm etwas Gewohntes.

Der Gaucho spießt dieses Fleisch an Hölzer oder gleich an sein Messer und hält es über das Feuer, um die angebratene Seite in den Mund zu stecken, den Bissen unter der Nase abzuschneiden und es dann weiter zu braten. Asado nennt er dieses noch im Blute geröstete Fleisch. Sitzt aber gar noch die Haut (cuero) daran, so bildet der Braten seine allergrößte Delikatesse und wird Asado con cuero, Asado mit der Haut genannt.

Bald brannten die Feuer, an denen die Gauchos und andern Bediensteten saßen, um ihr Lieblingsgericht zu verzehren. Um die beiden Deutschen kümmerten sie sich nicht, ganz so, wie der Chirurg gesagt hatte. Dieser aber leistete ihnen bei ihrem Mahle und bei ihrer Unterhaltung Gesellschaft, obgleich sie ihn nicht etwa mit großer Hochachtung behandelten. Seine Versessenheit auf die Chirurgie hinderte ihn, zu bemerken, daß sie mehr ironisch, als ernsthaft mit ihm verkehrten.

Doktor Morgenstern wäre ganz verlassen gewesen, wenn der Majordomus es nicht für seine Pflicht gehalten hätte, sich seiner anzunehmen. Er widmete ihm einige freie Viertelstunden und sorgte dafür, daß es nicht an Speise und Trank gebrach.

So verging der Tag, und der Abend kam, mit ihm der Estanziero, der sich sofort bereit erklärte, fünf Pferde zu dem landläufigen Preise zu verkaufen. Er war erfreut, Europäer bei sich zu finden, von denen wenigstens der eine so kurze Zeit im Lande weilte, daß er über die jüngsten Ereignisse von drüben zu berichten vermochte. Die Gauchos saßen draußen bei ihren Feuern, aßen immer noch oder wenigstens schon wieder, denn so ein Mensch vermag ungeheuere Mengen Fleisch zu verzehren, und füllten die Pausen mit kräftigen Scherzen, leidenschaftlichen Erzählungen und patriotischen Liedern, welche sie mit ihren Guitarren begleiteten. Es gibt selten einen Gaucho, der nicht eine Guitarre besitzt.

Der Estanziero hatte bei seiner Ankunft von ihnen erfahren, was im Corral geschehen war, und schon da den Kopf dazu geschüttelt, daß ein Mensch es wagen könne, mit einem Bullen anzubinden, um sich zu überzeugen, ob derselbe zur roten Farbe gleichgültig sei oder nicht. Nun erkannte er im Laufe der Unterhaltung mehr und mehr, daß Morgenstern ein Original und zugleich ein seelenguter Mensch sei, der nur an sein besonderes Fach denke, von dem gewöhnlichen Leben und dessen Anforderungen wenig oder gar nichts verstehe und überall eher hinpasse, als in die Pampas oder gar in den Gran Chaco, wo der Reisende während des Tages und der Nacht von vielfältigen Gefahren umgeben ist. Darum sagte er endlich, nachdem alle seine teilnehmenden Fragen beantwortet worden waren:

„Aber, liebster Señor, meinen Sie denn wirklich, daß Sie Ihre Zwecke erreichen, ohne in der Wildnis umzukommen? Sie haben keine Ahnung dessen, was Sie im Gran Chaco und in den Cordilleras erwartet.“

„Was das betrifft, so weiß ich sehr wohl, woran ich bin,“ antwortete der Gelehrte. „Ich habe ja das Buch Excursion au Rio Salado et dans le Chaco, par Amédée Jacques gelesen.“

„Ich kenne dieses Buch nicht und brauche es nicht zu kennen, denn ich weiß, daß das Lesen eines Buches einen Menschen, selbst den gelehrtesten, noch lange nicht befähigt, die Entbehrungen und Gefahren zu bestehen, welche Ihrer warten. Oder meinen Sie, daß Sie sich auf diesen sogenannten Don Parmesan verlassen können?“

„Warum nicht? Er ist doch ein gelehrter Mann.“

„Ein Narr ist er, weiter nichts!“

„Aber doch ein bedeutender Chirurg?“

„Fällt ihm nicht ein. Die Chirurgie ist sein fixer Gedanke. Dieser Señor hat noch keinem Menschen ein Haar oder einen Fingernagel gekürzt, obgleich er einen Sack voll chirurgischer Instrumente im Lande herumschleppt.“

„Also nur eine fixe Idee? Sollte man so etwas denken!“

„Warum nicht. Es gibt viele Menschen, welche an einer solchen Monomanie laborieren, ohne, wie es scheint, eine Ahnung davon zu haben, daß sie krank sind. Ich habe da zum Beispiel einen kennen gelernt, der sich mit der fixen Idee herumträgt, nach Knochen von Tieren zu suchen, welche vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Hätte Noah geglaubt, daß diese Kreaturen etwas wert seien, so hätte er sie ganz gewiß mit in seine Arche aufgenommen.“

„Señor, das ist keine fixe Idee, sondern der Mann ist jedenfalls ein sehr kluger Kopf, ein Zoopaläontolog, gerade wie ich!“ rief Morgenstern begeistert. „Lebt der Mann hier?“

„Jetzt, ja.“

„Wo denn, wo? Karin ich ihn vielleicht kennen lernen?“

„Kennen lernen? Das ist gar nicht nötig. Sie kennen ihn längst, denn Sie sind es selbst.“

„Ich? Ah! Oh!“ dehnte der Gelehrte, indem er den Mund weit offen ließ. „Mich meinen Sie, mich? So leide ich nach Ihrer Ansicht also an einer fixen, an einer krankhaften Idee?“

„Allerdings. Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor; aber es ist so, es ist wirklich so. Was können Ihnen die vorweltlichen Eidechsen nützen?“

„Was sie mir nützen können? Oh, eine einzige solche Eidechse, lateinisch Lacerta genannt, kann mich zum berühmten Manne machen.“

„Das verstehe ich nicht, will es aber glauben. Doch was hilft Ihnen eine Berühmtheit, welche Sie gar nicht erreichen können, weil Sie unterwegs umkommen werden?“

„Umkommen? Halten Sie denn das für so gewiß und sicher, indubitatus, wie der Lateiner sagen würde?“

„Ja, denn Sie sorgen sich um diese vorweltlichen Geschöpfe, aber nicht um Ihr Wohlergehen. Wie ich vernehme, sind Sie zu einer solchen Reise, wie die ist, welche Sie jetzt beabsichtigen, ja gar nicht ausgerüstet.“

„O doch! Ich besitze Waffen, Bücher, Hacken und Schaufeln. Und die Pferde, welche mir nötig sind, werden Sie mir verkaufen. Außerdem ist Señor Parmesan bei mir, der den Chaco kennt.“

„Ich sage Ihnen, daß er ihn nicht kennt, daß er höchstens einmal bis an die Grenze desselben gekommen ist.“

„Aber er gehört doch zur Gesellschaft des Vaters Jaguar!“

„Das glaube ich nicht. Der Vater Jaguar braucht keine Narren.“

„Welchen Grund hätte er denn, es zu behaupten, wenn es nicht wahr wäre?“

„Das will ich Ihnen sagen, Señor. Der Mensch schwärmt bei Tage und träumt des Nachts nur von seiner Chirurgie; aus welchem Grunde, das weiß ich nicht; vielleicht sagt er es Ihnen einmal. Er rennt von einem Orte zum andern, um Knochenbrüche und andre Verletzungen zu finden. Sie haben ihm gesagt, daß Sie nach dem Gran Chaco wollen; da ist er denn sofort überzeugt gewesen, daß es Brüche, Stiche, Kugeln und Wunden geben wird, und hat sich Ihnen zur Begleitung angeboten. Der rettet Sie nicht, wenn Sie in Gefahr kommen.“

Der Estanziero meinte es aufrichtig gut. Morgenstern blickte still und nachdenklich vor sich nieder. Da sagte Fritze, der bei ihnen saß:

„Señor, machen Sie uns nicht bange! Wir sind Preußen, und ein Preuße kommt überall durch. Ich bin schon oben in Tucuman gewesen und denke, daß wir auch jetzt ganz gut hinaufkommen werden. Unsre Ideen sind nicht fix und krankhaft, sondern sehr gesund; darauf können Sie sich verlassen!“

Er sprach in dieser Weise, um die Besorgnis seines Herrn zu zerstreuen, nicht um den Estanziero zu beleidigen. Dieser aber mochte die zuversichtlichen Worte doch nicht recht am Platze finden, verzichtete darauf, guten Rat zu erteilen, und antwortete,

„Ganz wie Sie denken! Sie tragen nicht meine, sondern Ihre Haut zu Markte; es thut mir also nicht weh, wenn sie Ihnen abgezogen wird. Ich wünsche Ihnen aber alles Gute.“

Er stand auf und fragte, ob er ihnen ihre Lagerplätze anweisen dürfe. Man geht in jenen Gegenden gewöhnlich sehr früh schlafen, um zeitig aufzustehen. Die beiden Gäste wurden auf weiche Fellunterlagen gebettet und schliefen bei den Klängen der draußen noch ertönenden Lieder ein.

Als sie erwachten, ging eben die Sonne auf. Die Gauchos waren alle schon munter, obgleich sie sich viel später zur Ruhe niedergelegt hatten. Der Chirurg hatte in einem ihrer kleinen Ranchos geschlafen. Auch der Estanziero war aufgestanden. Über dem Herde brodelte in einem Kessel der Puchero, ein Gemisch von Kochfleisch, Maiskolben, Mandioca, Speck, Kohl und Rüben. Dazu gab es Mate zu trinken, von dem der Doktor aber, um sich nicht wieder zu verbrennen, nichts genoß.

Nach dem Essen ging man nach dem Kamp zu den Pferden. Der Estanziero war trotz der von Fritze erhaltenen Zurechtweisung so uneigennützig, vier seiner besten Pferde selbst auszusuchen und sie Morgenstern zum Gesamtpreise von zweihundert Mark nach deutschem Gelde zu überlassen. Gegen den Chirurgen war er nicht so zuvorkommend; er schien ihm nicht hold zu sein. Dieser mußte selbst wählen und auch mehr bezahlen, obgleich seine Wahl keine für ihn günstige zu nennen war. Für das, was genossen worden war, eine Bezahlung anzubieten, wäre eine Beleidigung gewesen. Don Parmesan kaufte sich von einem Gaucho einen alten Sattel. Den beiden Deutschen ließ der Wirt zwei Pack- und zwei Reitsättel ab. Die letzteren waren von derjenigen Art, welche man Recado nennt und aus mehreren zusammenhängenden Teilen bestehen, die man des Nachts auseinanderschlagen und zur Herstellung des Lagers benutzen kann.

Als dies alles geschehen war, brachen die drei Reisenden auf.

La enhora buena de la vuelta – Glück auf der Reise!“ rief ihnen der Estanziero nach. „Nehmen Sie sich vor den Indianern des Gran Chaco in acht, welche mit vergifteten Pfeilen schießen. Die sind weit gefährlicher als Flintenkugeln!“

Diese sehr gut gemeinte Warnung war nicht unbegründet. Die Indianer Südamerikas bedienen sich noch heut kleiner, spitzer Pfeile, welche sie aus langen Blaserohren schießen. Das dazu nötige Gift bereiten sie aus dem Safte des Strychnosbaumes und einer Lianenart, welche sie Maracuri nennen. Zu diesem Safte kommen noch Pfeffer, Zwiebeln, Kockelskörner und andre, uns unbekannte Pflanzenstoffe. Er wird dick eingekocht und behält seine verderbliche Wirkung jahrelang, obgleich er frisch am schnellsten wirkt. Die kleinste Verwundung mit einem dadurch vergifteten Pfeile führt den unabänderlichen und sichern Tod von Mensch und Tier herbei, doch ist das Curare nur dann schädlich, wenn es direkt in das Blut kommt, gerade wie das Schlangengift. Die Indianer erlegen damit alle jagdbaren Tiere und verzehren dieselben, ohne Schaden davon zu haben. Der eigentlich wirksame Stoff dieses Giftes ist das Curarin, ein in der Rinde der genannten Pflanzen enthaltenes Alkaloid, welches dadurch tötet, daß es die Brustmuskeln lähmt und den Blutumlauf ins Stocken bringt. Wie stark es ist, wird dadurch bewiesen, daß ein Jaguar, von einem solchen winzigen Pfeile so leicht in die Haut getroffen, daß er es gar nicht fühlt, schon nach zwei Minuten tot zusammenbricht.

Der Weg führte, wie gestern, zunächst gerade nach Norden, zwischen dem Rio Salado und dem Rio Saladillo hin, hinter denen dichte Waldungen lagen. Nach nicht ganz einer Stunde führte eine hölzerne Brücke über den erstgenannten Fluß und dann erreichten die Reiter die meist von Deutschen bewohnte Kolonie Esperanza. Da sie den Vater Jaguar einholen wollten und also keine Zeit zu verlieren hatten, hielten sie hier gar nicht an, sondern jagten auf der Straße nach Cordova weiter.

Jagten! Ja, ein Jagen war es allerdings zu nennen, denn der Chirurg ritt in der hier zu Lande gebräuchlichen Schnelligkeit voran, und die beiden andern mußten folgen. In Argentinien legt man im Postwagen in der Stunde durchschnittlich zwanzig Kilometer zurück; ein Reiter aber macht wenigstens fünf Kilometer mehr. Wie lange das Pferd aushält, wird nicht gefragt. Dem Chirurgen fiel es auch nicht ein, sich diese Frage vorzulegen. Er bedachte nicht, daß er einer Gegend entgegenritt, in welcher es keine Estanzien gab, wo man Gelegenheit hat, ein abgetriebenes Pferd gegen Nachzahlung mit einem frischen zu vertauschen. Seine Sporen wühlten förmlich im Fleische seines armen Tieres, und wenn die Deutschen ihn baten, doch weniger grausam zu sein, lachte er gefühllos auf und trieb es nur noch ärger. Er war übrigens ein guter und, wie es schien, auch ausdauernder Reiter.

Fritze Kiesewetter saß auch nicht übel zu Pferde. Er hatte hier im Lande Gelegenheit gehabt, sich an den Sattel zu gewöhnen. Leider aber war dies bei dem kleinen Zoologen nicht der Fall. Zwar hatte er keine Angst vor dem Sattel verraten, jetzt aber zog er ein Gesicht, als ob sein Gaul mit ihm durch alle Wolken fliege. Er gab sich alle Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben, und das gelang ihm auch recht leidlich, doch zeigten seine fest zusammengekniffenen Lippen, daß es ihm nicht allzu wohl dabei sei. Hätte er auf einem englischen Sattel gesessen, wäre es ihm wohl viel schwerer geworden, sich zu halten. Übrigens hatte sein Pferd einen weichen, gleichmäßigen Gang, und da man meist in Carriere ritt, wurde derselbe auf das Beste zur Geltung gebracht. Dennoch war der gelehrte Paläontolog nach einem Stundenritte hinter Esperanza schon so ermüdet, daß er sein Pferd anhielt und den beiden andern zurief:

„Halt! Mein Pferd kann nicht weiter. Die Beine thun ihm weh! Es muß Ruhe haben, was der Lateiner Tranquillitas nennt.“

„Schön!“ meinte Fritze, indem er halten blieb. „Ik bin’s sehr zufrieden, wenn wir eine Viertelstunde Ferien machen. Wenn wir in sonne Weise weiterjagen, kommen wir bis gegen Abend drüben in China an, und so weit wollen wir doch jar nicht.“

Der Chirurg aber wollte von einem Aufenthalte nichts wissen. Er gab als Grund an:

„Wir müssen heut noch bis Fort Tio kommen, und das sind wohl noch hundert Kilometer. Nur in diesem Falle können wir die Laguna Porongos bis morgen abend erreichen. Ich reite weiter!“

„In Gottes Namen!“ antwortete Morgenstern, indem er abstieg und sich ins weiche Camposgras setzte. „Wenn Sie Ihr Pferd zu Tode hetzen wollen, so thun Sie es. Wo nehmen Sie dann ein andres her? Ein Pferd ist auch ein Geschöpf Gottes. Sehen Sie nur, wie Sie es in diesen zwei Stunden zugerichtet haben! Es blutet an beiden Seiten. Sie sind von einer fürchterlichen Grausamkeit, lateinisch Atravitas oder Crudelitas, auch Duritas oder Immanitas, sogar Saevitia genannt.“

„Was ich mit meinem Pferde thue, das ist meine Sache, denn ich bin es, der es bezahlt hat, Señor.“

„Was das betrifft, so werden wir Ihnen nicht widersprechen,“ meinte Fritze, „obgleich wir behaupten könnten, daß der Umstand, daß Sie es bezahlten, Ihnen noch nicht das Recht gibt, es zu martern. Wir quälen unsre Pferde nicht, sondern gönnen ihnen und uns die nötige Ruhe. Wir können Sie, wenn Sie partout weiter wollen, nicht halten.“

Er setzte sich neben seinen Herrn nieder. Der Chirurg brummte einige unwillige Bemerkungen in den Bart, hielt es aber doch für besser, sich zu fügen anstatt weiter zu reiten. Schon nach einer halben Stunde aber drängte er wieder zum Aufbruche, und die beiden andern thaten nach seinem Willen, nachdem sie vorher den ihrigen durchgesetzt gehabt hatten.

Der weite Campo, durch den sie ritten, war vollständig eben und nur mit Gras bewachsen. Nirgends zeigte sich ein Strauch oder gar ein Baum; Wälder und Buschwerk findet man nur da, wo es Wasser gibt. Als sie eine Weile geritten waren, vernahmen sie einen wüsten Lärm hinter sich. Sich nach demselben umdrehend, gewahrten sie, daß die Diligence, welcher die Post- und Passagierverbindung zwischen Santa Fé und Cordova oblag, ihnen folgte.

Eine solche Diligencereise ist etwas ganz andres als eine Fahrt mit einer ehrbaren deutschen Postkutsche. Der Unterschied zwischen beiden ist dem Kontraste zwischen einem linden Mailüftchen und einem rasenden Pamperosturm zu vergleichen.

Man spricht oder sprach zwar auch in den La Platastaaten von Straßen; aber bei diesem Worte darf man nicht etwa an chaussierte Wege, welche von Baumreihen eingesäumt werden, denken. Landstraßen oder gut und regelmäßig unterhaltene Wege gibt es dort nicht, da das Material zum Bau derselben vollständig mangelt. Holz ist selten, und Stein findet man gar nirgends. Ein jeder reitet oder fährt in der Richtung, welche ihn zum Ziele bringt, ganz gleich, ob dabei einen oder einige Kilometer weit nach rechts oder nach links abgewichen wird.

Das, was man Straße nennt, besteht aus einer mehr oder weniger breiten Reihe von Spuren und Geleisen, welche in beliebiger Art und Weise über die Pampas führen. Bald hat man einem Bodeneinschnitte zu folgen, bald einen Sumpftümpel zu umgehen oder einen jener kleinen aber steiluferigen Flüsse zu durchqueren, welche hie oder da vorkommen, um ohne alle Verbindung mit einem größeren Strome oder Flusse in der Pampa nach und nach zu verlaufen.

Genau so mangelhaft wie diese Straßen sind auch die Stationen, an denen die Pferde gewechselt werden, meist armselige Ranchos, in welchen der Reisende nicht eine Spur von jenen Bequemlichkeiten findet, auf welche bei uns jeder Passagier Anspruch machen zu müssen glaubt.

Und die Postwagen erst! Diese Fahrzeuge scheinen aus einer Zeit zu stammen, in welcher der Mensch mit dem Höhlenbären auf du und du verkehrte. Sie sind so roh gearbeitet und von so unbehilflicher Form, daß ihr Anblick einem zivilisierten Reisenden, der gezwungen ist, sich ihrer zu bedienen, Grauen einflößt. Das Innere derselben faßt gewöhnlich acht Menschen, während nach unsern Begriffen nur vier Platz hätten. Und dazu müssen diese acht all ihr Reisegepäck bei sich haben. Draußen, hinter dem Kutscher oder Mayoral, gibt es noch zwei Plätze. Das Verdeck wird mit Poststücken und andern Dingen so hoch beladen, daß man glaubt, die Diligence könne unmöglich im Gleichgewichte bleiben und müsse schon bei den ersten Schritten der Pferde umstürzen. Und doch kommt es vor, daß überzählige Reisende noch da oben auf diesem Turmbaue Platz nehmen.

Zu dieser Kutsche gehören acht Pferde. Vier sind vor den Wagen nebeneinander gespannt, vor ihnen zwei und vor diesen eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Auf dem achten „Rößli“ sitzt ein Peon, welcher nebenher reitet und die Aufgabe hat, die Pferde anzutreiben und etwa herab- oder herausfallende Gegenstände aufzulesen.

Die Geschirre sind im höchsten Grade primitiv. Jedes Zugpferd bekommt einen Ledergurt um den Leib geschnallt, an welchem ein Lasso befestigt ist, mit dem es an dem Wagen hängt.

Der Mayoral hat einen spitzen Stock, mit dem er die hintern Pferde anstachelt und eine lange Peitsche, mit welcher er die vordern Tiere erreichen kann. Auch der Vorreiter und der Peon sind im Besitze von je einer Peitsche, so daß also an Mitteln, den Pferden „gütlich“ zuzureden, kein Mangel ist. Oft sitzt auf einem der beiden Mittelpferde noch ein Gaucho, welcher natürlich auch mit einer Peitsche versehen ist.

Diese vier Bediensteten der Diligence haben, mit unsern Postillonen verglichen, das Aussehen von Räubern, denen man sein Eigentum und Leben für keinen Augenblick anvertrauen möchte, sind aber brave und ehrliche Leute, die ihr Fach verstehen und ihren Verpflichtungen in einer Weise nachkommen, daß einem Hören und Sehen vergehen möchte.

Nehmen wir an, die Kutsche ist beladen und die Passagiere sind eingestiegen. Sie haben sich nach Möglichkeit zurechtgesetzt und sind überzeugt, daß die Fahrt nun beginnen werde. Sie beginnt auch, denn der Mayoral stößt ein tigerartiges Gebrüll aus und stößt den hintern Pferden die Spitze seines Stockes in die offenen Wunden, welche von früher zurückgeblieben sind, und handhabt zu gleicher Zeit die Peitsche, als ob er die vordern Pferde erschlagen wolle. Der Mittelreiter, der Vorreiter und der Peon brüllen ebenso und hauen mit ihren Peitschen auf die Tiere ein. Diese springen an; der schwerfällige Wagen thut einen Ruck nach vorn, neigt sich nach rechts, nach links und wird dann von den gepeitschten Pferden vorwärts gerissen. Die Passagiere stoßen bei dem gewaltigen Rucke die Köpfe zusammen und verlieren ihre Hüte; ihr Gepäck rollt ihnen auf den Schoß oder zwischen die Beine; sie strecken die Arme aus, um sich gegenseitig aneinander festzuhalten; der eine erfaßt den andern beim Barte und dieser ihn an der Uhrkette.

„Was wollen Sie mit meinem Barte, Señor?“ fragt dieser.

„Und was haben Sie mit meiner Kette?“ fragt jener.

„Es geschah ohne Absicht. Entschuldigen Euer Gnaden!“

„Bitte ebenso um Verzeihung, Señor. Ich hatte wirklich keine Absicht auf Ihren Bart.“

Die Diligence fliegt aus der Station hinaus. Da thut es hinten einen Krach.

„Anhalten, anhalten!“ schreit der Peon. „Bei San Jago, Mayoral, wir müssen halten!“

Dieser zügelt die Pferde und brüllt:

„Was geht mich dein San Jago an! Ich habe zu fahren, nicht aber zu beten. Was störst du mich?“

„Es ist eine Kiste heruntergefallen. Da hinten liegt sie.“

„So hole sie und wirf sie wieder hinauf!“

„Sie scheint zerbrochen zu sein.“

„Kann ich dafür? Warum nimmt man kein stärkeres Holz zu diesen Kisten. Was ist denn drin?“

„Werde nachsehen.“

Er steigt ab und bringt die Kiste herbei. Der Deckel ist losgesprungen. Auf demselben ist die Adresse eines Professors an der Universität von Cordova zu lesen. Die Kiste enthält Flaschen, von denen einige zerbrochen sind. Eine rote Flüssigkeit tropft heraus und duftet angenehm in die Nase des Peons.

„Bei meiner Seligkeit, es ist Rotwein!“ ruft er aus. „Vier Flaschen sind zerbrochen, glücklicherweise nur oben an den Hälsen.“

„Nimm sie heraus! jedem von uns eine. Man wird dieses Labsal doch nicht zur Erde laufen lassen.“

Die leeren Flaschen werden ausgetrunken, worauf man die Kiste mit einem Riemen zuschnürt und oben auf dem Verdeck anbindet. Dann geht die Fahrt weiter, wobei die Passagiere wieder aneinander geraten.

„Entschuldigen Euer Gnaden! Das ist mein Bein!“ sagt einer derselben, der an seinem Beine gezerrt wird.

„O Verzeihung, Señor! Ich hielt es für das meinige, welches ich zwischen diesen Paketen hervorziehen wollte. Wo haben Sie Ihren Hut?“

„Auf Ihrem Kopfe. Euer Gnaden haben ihn soeben aufgesetzt. Der Ihrige ist aus dem Fenster gefallen.“

„Himmel! Zum Fenster hinaus? So ist er verloren. Woher bekomme ich einen andern! Schreckliche Geschichte, so eine Fahrt mit der Diligence!“

Glücklicherweise ist der Hut nicht verloren. Der Peon hat ihn fliegen sehen, ist umgekehrt, hat ihn, ohne abzusteigen, aufgehoben und bringt ihn jetzt zurück. Indem er ihn zum offenen Fenster hereinwirft, ruft er:

„Hüte festhalten oder anbinden, Señores! Wir haben fast dreißig Kilometer in der Stunde zurückzulegen und können auf Ihre Hüte keine Rücksicht nehmen.“

Dann reitet er wieder vor, um die Zugpferde mit Gebrüll und Peitschenhieben anzutreiben. Gelangt man zufälligerweise an einen ausgetrockneten Bach oder kleinen Fluß, so geht es in Carriere hüben hinab, hindurch und drüben wieder hinauf. Der Peon aber springt vom Pferde, um im Bette des Flusses nach Rollkieseln, den einzigen Steinen, welche es in den Pampas gibt, zu suchen. Er füllt seine Taschen damit und sprengt der Diligence nach, um, wenn die Hiebe nicht genug fruchten, die Pferde dadurch anzutreiben, daß er sie mit Kieseln bombardiert.

Dieser Peon ist ein Meister im Reiten, wird aber von dem Vorreiter womöglich noch übertroffen. Dem letzteren liegt es ob, die Richtung anzugeben. Er hat das Gelände zu überschauen, um mit sicherem Blicke die zu vermeidenden Stellen zu entdecken. Dazu gehört, da man stets in Carriere fährt, eine große Übung. Oft muß er, um eine gefährliche Stelle zu umgehen, eine ganz plötzliche Wendung machen. Dann schreit er wie verrückt; der Mayoral brüllt und haut und sticht auf die Pferde ein, und der Mittelreiter und der nebenher jagende Peon heulen ebenso laut. Die Passagiere, denen himmelangst wird, lassen ihre Stimmen auch hören. Das Gefährt wird in die betreffende Richtung gerissen, um dann gleich wieder auf die andre Seite gezerrt zu werden, was sich besonders dadurch so gefährlich ausnimmt, daß der Vorreiter jede Abweichung von der geraden Linie übertreiben muß.

Will er, daß der Wagen in einem Winkel von zehn Grad abweiche, so reitet er selbst in einem Winkel von dreißig Grad nach der betreffenden Seite. Kommt dann eine ebenso große und ebenso rasche Biegung nach der andern Seite vor, so hat er sein Pferd auf einer Strecke von nur wenigen Metern in einem Winkel von sechzig Graden hin und her gerissen, wobei dem angstvoll zuschauenden Passagiere sich die Haare auf dem Kopfe sträuben möchten.

Man legt, wie bereits erwähnt, auf diese Weise wohl fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück, doch nur mit frischen Pferden, welche durch das unsinnige Jagen bald so ermatten, daß dieses Resultat nach und nach ein geringeres wird.

Nähert man sich einer Station, auf welcher Pferdewechsel stattfindet, so jagt der Peon voraus, um die Leute dort zu benachrichtigen. Die Diligencegesellschaften haben nämlich mit denjenigen Estancieros, Hacienderos und Rancheros, deren Besitzungen in der Nähe des Weges liegen, Kontrakte abgeschlossen. Sobald der Peon kommt, werden die Pferde in den Corral getrieben, um da gefangen zu werden. Man hält sie fest und legt ihnen den Gurt an. Die Tiere wissen, welche Anstrengungen und Mißhandlungen ihnen bevorstehen, und wehren sich aus Leibeskräften. Das führt dann wieder zu Scenen, von denen der gebildete Mann sich mit Unwillen abwendet. Die gebrauchten Pferde werden frei gelassen und rennen, vor Freude wiehernd, davon; die frischen werden, indem sie sich bäumen und schnaubend um sich schlagen, an den Wagen gehängt, und dann geht die tolle Fahrt von neuem an.

In den Jahreszeiten des fetten Graswuchses sind die Pferde besser genährt und vermögen solche Anstrengungen leidlich auszuhalten. Ist aber die Weide mangelhaft, oder liegen die Pampas gar dürr, so sind die armen Tiere ausgehungert und vermögen den schweren Wagen kaum zu schleppen. Sollen sie dann noch in rasender Carriere laufen, so können sie es nicht aushalten und brechen schließlich mitten im Rennen zusammen. Das thut aber nichts. Man hat Reservepferde mitgenommen. Man schnallt dem Gurt einem derselben um und läßt das gestürzte Pferd einfach liegen. Es lebt noch, ist aber so abgehetzt und ermattet, daß es nicht aufstehen kann. Seine Flanken schlagen; seine Extremitäten zucken krampfhaft; seine Augen sind mit Blut unterlaufen, und die Zunge hängt ihm weit aus dem geöffneten Maule. Die Geier, welche in Menge auf den Pampas vorhanden sind, und denen niemand etwas thut, weil sie die Gesundheitspolizei bilden, nähern sich und reißen dem armen Tiere das Fleisch fetzenweise vom Leibe. Nach wenigen Stunden ist von dem Pferde nur das vollständig fleischlose Gerippe noch vorhanden. Daher kommt es, daß man fast bei jedem Schritte gebleichten Knochen begegnet. Das Leben eines Pferdes hat eben für den Gaucho keinen Wert. Und wollte man ihn auf die moralische Seite dieser Behandlung eines Geschöpfes Gottes aufmerksam machen, so würde er erstaunt auflachen, weil er nicht das mindeste Verständnis dafür besitzt.

Eine solche Diligence kam jetzt hinter den drei Reitern her. Sie fuhr schneller, als diese ritten und hatte sie also sehr bald eingeholt. Im Vorüberjagen rief der Peon fragend:

„Wohin, Señores?“

„Nach Fort Tio, Euer Gnaden,“ antwortete der Chirurg.

„Wir kommen dort vorüber. Soll ich für Euer Gnaden Quartier bestellen?“

„Ja, ich bitte Sie darum, Señor!“

Die wilde Jagd ging weiter und war sehr bald am Horizonte verschwunden.

„Ist so etwas erhört?“ meinte Fritze kopfschüttelnd. „Bei uns zu Hause würde diesen Leuten sehr bald dat Handwerk jelegt werden. Und da soll man sie noch mit Euer Gnaden titulieren! Wat sagen Sie zu sonne Tierquälerei, Herr Doktor?“

„Gar nichts, als daß man diese Menschen einmal so behandeln sollte, wie sie ihre Pferde behandeln. Dann würden sie vielleicht zur Einsicht kommen, was der Lateiner Intelligentia oder auch Perspicientia nennt.“

Morgenstern hatte die Ruhepause nur wegen sich selbst, nicht aber seines Pferdes wegen gehalten. Dieses war noch gar nicht ermüdet gewesen, und so ging es jetzt im fröhlichen Galopp weiter. Er freilich machte kein sehr fröhliches Gesicht dazu, denn das Reiten strengte ihn an. Er gab sich alle Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch mußte am Nachmittage noch ein längerer Halt gemacht werden, und so war es beinahe Abend geworden, als sie das Fort vor sich liegen sahen. Es war ihnen leicht gewesen, den Weg zu demselben zu finden. Das Geleise der Diligence war ein zuverlässiger Führer gewesen.

Unter einem Fort an der argentinischen Indianergrenze darf man sich nicht das denken, was man hier bei uns unter einem Fort versteht. Fort Tio bestand aus einer von dichten, stachelichten Kaktushecken eingefriedigten Fläche, welche von einem Graben umgeben war. Auf dieser Fläche standen einige Ranchos, in denen jetzt wohl zwanzig Soldaten lagen, deren Kommandeur ein Lieutenant war. Der Eingang stand weit offen. Als die drei Männer hineinritten, kam ihnen dieser Lieutenant entgegen.

„Willkommen!“ rief er ihnen zu. „Wir freuen uns, Señores, Sie bei uns zu – – –“

Er hielt inne. Sein Auge war auf den Chirurgen gefallen. Da lachte er fröhlich auf und fuhr fort:

El Carnicero! Ah, sehen wir uns einmal wieder? Welche Operationen haben Sie ausgeführt, seit wir uns in Rosario zum letztenmal sahen?“

Dies war in einem einigermaßen spöttischen Tone gesprochen. „Don“ Parmesan fühlte sich beleidigt und antwortete spitz:

„Ich liebe es, daß sich für meine Operationen nur diejenigen Leute interessieren, welche ich operiert habe oder operieren soll. Soll ich Ihnen oder einem Ihrer Untergebenen ein Bein oder einen Arm abnehmen?“

„Nein, Señor, wir sind glücklicherweise alle sehr gesund und wohl.“

„So lassen Sie uns nicht von solchen Sachen sprechen, obgleich ich Sie wohl fragen könnte, was Sie zum Beispiel zu einer Entfernung der untern Kinnlade sagen. Würde der Patient auch ohne dieselbe leben können?“

„Das vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, daß ich ohne die meinige nicht leben möchte. Was für Señores darf ich neben Ihnen begrüßen?“

„Zwei deutsche Gelehrte, von denen der eine der Diener des andern ist. Ihre Namen mögen sie selbst sagen; meine Zunge ist nicht im stande, sie auszusprechen. Ich will lieber einem Elefanten alle beide Zähne ziehen, als mich an diesen beiden Namen vergreifen, welche mit Mor – Mor – und –Kies – Kies – anfangen und sodann mit Silben enden, welche mir höchst unbegreiflich sind.“

Morgenstern nannte seinen und Fritzens Namen und wurde mit diesem nach dem Rancho geführt, welchen der Lieutenant bewohnte. Der letztere hatte schon einige Male nach ihnen ausgeschaut, da der Peon sein Versprechen wirklich gehalten und sie angemeldet hatte.

Die Soldaten besaßen Pferde und Rinder, welche sie am Tage im Freien weiden ließen und abends in das Innere des Forts trieben. Die Rinder gehörten mit zur Verproviantierung des Ortes. Fleisch gab es also genug. Es wurde den Gästen so viel vorgelegt, daß diese es gar nicht zu bewältigen vermochten.

Im Laufe der Unterhaltung bemerkte der Offizier gar bald, wes Geistes Kinder er vor sich hatte. Ein Mensch, der in die Pampas oder gar in den Gran Chaco ritt, um Knochen auszugraben, mußte seiner Ansicht nach wenn nicht ganz, so doch wenigstens halb wahnsinnig sein. Er sah ein, daß gegen diese Idee nichts zu machen sei; aber in Beziehung auf die Ausführung derselben wollte er denn doch einige Bemerkungen machen, welche er für notwendig hielt. Er sah, in welch unvollkommener Weise diese drei Männer ihre Vorbereitungen zu einer so beschwerlichen und gefährlichen Reise getroffen hatten, und fragte deshalb in wirklich neugierigem Tone Morgenstern:

„Sie verweilen jedenfalls einige Zeit hier, um Gefährten oder Diener zu erwarten, welche noch zu Ihnen stoßen werden, Señor?“

„Nein. Ich habe nur einen Gefährten; das ist Señor Parmesan, und auch nur einen Diener; das ist Fritze Kiesewetter, den Sie hier vor sich sehen.“

Parmesan hielt sich nämlich nicht beim Lieutenant, sondern bei dessen Soldaten auf.

„Wie?“ meinte der Offizier verwundert. „So kommt niemand, der Ihnen diejenigen Gegenstände nachbringt, die Ihnen im Gran Chaco unentbehrlich sind?“

„Niemand. Was ich brauche, das habe ich bereits.“

„Sie irren, Señor. Wovon wollen Sie dann leben? Haben Sie Mehl?“

„Nein.“

„Dürrfleisch, Fett und Speck?“

„Nein.“

„Kaffee und Thee? Kakao und Tabak?“

„Nein.“

„Pulver, Zündhölzer und alle diejenigen Kleinigkeiten, welche ein gebildeter Mann nicht entbehren kann? Kleider, Schuhzeug, Scheren und andres Handwerkszeug?“

„Meine Kleider habe ich an. Pulver habe ich einen ganzen Lederbeutel voll.“

„Das ist nicht genug. Und das andre alles fehlt Ihnen auch. Was wollen Sie trinken und essen? Haben Sie Geschirr zum Kochen?“

„Das brauche ich nicht, da ich nicht kochen werde. Trinken werde ich Wasser, und essen werde ich Fleisch.“

„Aber das finden Sie nicht überall.“

„O doch. Wasser gibt’s an allen Orten, und Fleisch werde ich mir schießen.“

„Sind Sie ein guter Schütze?“

„Fritze schießt ausgezeichnet.“

„So will ich Ihnen sagen, daß es Wasser nicht überall gibt. Jenseits des Rio Salado kommen Sie in Montes impenetrabiles sin agua, in die undurchdringlichen und wasserlosen Waldungen. Da können Sie wochenlang dürsten, ohne einen Schluck Wasser zu finden. Und Fleisch? Wenn Sie kein guter Jäger sind, müssen Sie verhungern.“

„Schwerlich! Ich habe gelesen, daß Hunderte von Trappern und Fallenstellern in Nordamerika von dem Fleische wilder Tiere leben. Hunger, was der Lateiner Fames nennt, werden wir nicht leiden.“

„Südamerika ist nicht Nordamerika. Dann die Indianer!“

„Die werden mir nichts thun, weil ich ihnen nichts thue.“

„Sie irren. Wir müssen ihnen zu bestimmten Zeiten einen Tribut – wir nennen es freilich Geschenk – an Pferden, Rindern und Schafen geben, damit sie unsre Herden nicht lichten und uns unsre Tiere nicht stehlen. Dennoch kommen sie häufig über die Grenze, und treiben uns das Vieh zu Hunderten von Stücken weg. Dabei nehmen sie auch Menschen gefangen und schaffen sie nach dem Chaco, um sie nur gegen Geld freizugeben. Sie kommen dann ganz offen in unsre Städte und zu unsern Behörden, um das Lösegeld zu fordern.“

„So gebt es ihnen nicht, sondern bestraft sie!“

„Das geht nicht, Señor. Würden wir einen solchen Boten von ihnen züchtigen, so wären die weißen Gefangenen, um welche es sich handelt, verloren. Wie nun, wenn Sie auch von ihnen festgenommen werden?“

„Mich bekommen sie nicht. Ich bin außerordentlich schlau und vorsichtig, was der Lateiner astutus und catus oder prudens nennt.“

„Mag sein. Ich will das nicht untersuchen. Aber Ihre Kleidung! Wie lange wird sie bleiben, wie sie ist? In der Wildnis geht sie bald in Stücke.“

„Ich nehme sie in acht.“

„Und die Stiefel. Sie haben ja Gauchostiefel ohne Sohlen an. Meinen Sie, daß Ihre Füße über die Dornen und Stacheln des Gran Chaco auch kommen werden?“

„Ich reite ja!“

„Ihr Pferd kann krepieren!“

„So haben wir Reservepferde. O, ich habe an alles gedacht. Übrigens sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen. Wir werden Freunde finden.“

„Wer ist das?“

„Die Truppe des Vaters Jaguar.“

„Ah! Kennen Sie diesen?“

„Ja. Wir haben uns in Buenos Ayres getroffen. Er ist uns vorangeritten, und wir werden ihn einholen.“

„Wenn das der Fall ist, so werden Sie sich allerdings in sehr guten Händen befinden. Er war hier; er wollte nach der Laguna Porongos, um dort zwei Tage zu bleiben.“

„Dann treffen wir ihn gewiß, denn wenn wir morgen zeitig aufbrechen, kommen wir gegen Abend bei der Laguna an.“

„Weiß er denn, daß Sie vorweltliche Tiere ausgraben wollen?“

„Ja. Er hat mir versichert, daß im Chaco welche zu finden sind.“

„Und hat Sie aufgefordert, dorthin ihm nachzukommen?“ fragte der Offizier ungläubig.

„Das nicht. Ich bat ihn, mich mitzunehmen; er aber verweigerte es mir.“

„Das konnte ich mir denken. Er hat andres zu thun, als mit Ihnen nach alten Knochen zu suchen. Und so sind Sie ihm also heimlich gefolgt, ohne daß er es weiß?“

„Ja, heimlich, was der Lateiner clanculum oder clandestinus, auch furtinus und latito nennt.“

„Ich befürchte, Sie sind des Lateinischen sicherer, als einer freundlichen Aufnahme von seiten dieses berühmten Mannes. Kehren Sie um! Graben Sie auf der Pampa nach alten Resten! Das ist nicht so gefährlich, wie eine Reise durch den Chaco, wo hinter jedem Baume ein Jaguar oder Indianer lauern kann!“

„Daß ich mich vor den Indianern nicht fürchte, habe ich Ihnen bereits gesagt, und sollte mir ein Jaguar begegnen, so würde ich mich nur darüber freuen.“

„Freuen? Warum? Eine solche Begegnung kommt nicht jedermann erfreulich vor.“

„Aber mir als Zoopsychologen würde es außerordentlich lieb sein, einmal einem solchen Tiere zu begegnen. Ich möchte nämlich gern ein schönes Experiment mit demselben probieren. Ich habe ein sehr probates Mittel entdeckt, jedes wilde Tier, also auch jeden Jaguar, sofort in die Flucht zu schlagen.“

„Ein solches Mittel gibt es nicht.“

„O doch, Señor.“

„Dann möchte ich es kennen lernen!“

„Nun, es ist zwar noch Geheimnis, aber da Sie uns so freundlich aufgenommen haben, will ich es Ihnen mitteilen. Werden Sie von einem wilden Tiere angefallen, so hängen Sie sich an den Schwanz desselben, bei den Lateinern Cauda genannt. Selbst die blutdürstigste Bestie wird auf der Stelle die Flucht ergreifen.“

Der Lieutenant öffnete den Mund, brachte aber keine Silbe hervor, sondern sah dem Sprecher wortlos in das Gesicht.

„Sie staunen?“ fragte dieser lächelnd. „Nicht wahr, das hatten Sie nicht erwartet?“

„Nein, wahrhaftig nicht!“ antwortete der Offizier, indem er in ein lautes Gelächter ausbrach.

„Lachen Sie nicht, es ist wahr.“

„Einen Jaguar beim Schwanz fassen! Welch ein Gedanke!“

„Ein sehr pfiffiger, ein sehr schlauer Gedanke! Und doch so einfach, daß man bei demselben an das Ei des Kolumbus erinnert wird. Wenn ich ein Tier hinten habe, kann es mich doch nicht vorn beißen.“

„Aber der Jaguar wird sich blitzschnell herumdrehen und Sie zerfleischen!“

„Fällt ihm ganz und gar nicht ein. Er wird vor Angst brüllen und schleunigst ausreißen. Ich weiß es sehr genau.“

„Das ist ein geradezu wahnsinniger Gedanke! Unterlassen Sie es um Gottes willen, diesen Versuch zu machen! Er würde Ihnen das Leben kosten.“

„Nein, nein! Ich bin meiner Sache sicher und weiß, daß so eine Bestie viel ungefährlicher ist, als mancher Mensch, zum Beispiel dieser Hauptmann in Santa Fé, welcher uns einsperren oder unters Militär stecken lassen wollte.“

Der Lieutenant horchte auf und fragte:

„Ein Kapitän in Santa Fé? Wann war das?“

„Gestern.“

„Zu dieser Zeit gibt es dort nur einen Kapitän, nämlich den Kapitän Pellejo. Der hat Sie einsperren lassen wollen?“

„Allerdings.“

„Weshalb?“

„Eines Mißverständnisses wegen, an welchem wir nicht die mindeste Schuld gehabt haben. Soll ich es Ihnen vielleicht erzählen?“

„Ich bitte Sie sehr darum!“ antwortete der Gefragte, indem sein Gesicht den Ausdruck großer Spannung annahm.

Der unvorsichtige Gelehrte, welcher das unangenehme Abenteuer gar nicht hätte erwähnen sollen, erzählte dasselbe. Im Laufe seines Berichtes nahm das Gesicht des Offiziers einen immer ernsteren Ausdruck an, und als derselbe zu Ende war, sagte er in einem viel weniger freundlichen Tone als bisher:

„Das thut mir leid, Señor. Kapitän Pellejo ist mein nächster Vorgesetzter, und ich muß Ihnen sagen, daß er sich heut in Fort Uchales befindet und morgen hierher kommen wird. Glücklicherweise werden Sie uns bei seinem Eintreffen schon verlassen haben. Er hat, wie ich genau weiß, heute mit dem Frühesten eine Reise angetreten, um die Befestigungen, welche längs der Indianergrenze liegen, zu inspizieren. Hüten Sie sich, ihm zu begegnen!“

„Haben Sie keine Sorge um mich! Ich fürchte ihn nicht.“

„Ob Sie Veranlassung haben, ihn zu scheuen oder nicht, muß mir gleichgültig sein. Ich bin ihm als sein Untergebener für alles, was ich thue, verantwortlich, und wenn er erfährt, daß ich Sie hier aufgenommen habe, wird mich sein Zorn treffen. Es fällt mir natürlich nicht ein, Ihnen das Obdach zu verweigern, aber in einem und demselben Raume darf ich nicht mit Ihnen wohnen. Sie sollten hier bei mir schlafen; nun aber bin ich gezwungen, Ihnen einen andern Rancho anzuweisen.“

Er stand auf und ging hinaus. Nach kurzer Zeit kam an seiner Stelle der Chirurg und meldete, daß er den Señores ihre Schlafplätze anzuweisen habe.

„Kommt der Lieutenant denn nicht wieder?“ fragte Morgenstern.

„Nicht eher wohl, als bis Sie sich entfernt haben, Señor. Er war plötzlich ganz anders geworden und schien zornig auf Sie zu sein. Haben Sie sich mit ihm gezankt?“

„Nein; aber meine Erzählung, Commemoratio oder Oratio genannt, schien ihm nicht zu gefallen. Legen wir uns schlafen, um morgen mit dem Frühesten aufzubrechen!“

Der Chirurg führte sie nach einem andern Rancho, welchen der Bewohner verlassen hatte, um ihnen Platz zu machen. Kein Mensch bekümmerte sich um sie. Ein Talglicht, in einen kleinen Kürbis gesteckt, erleuchtete die aus aufeinander gelegten Rasenstücken gebildete Hütte. Dürres Gras war das Lager, doch schliefen die drei während der ganzen Nacht so gut, als ob sie auf Daunen lägen. Beim Morgengrauen waren sie schon wach. Die Soldaten schliefen noch. Sie fingen ihre Pferde ein, sattelten sie, öffneten den während der Nacht verschlossen gewesenen Eingang und ritten davon, ohne die Besatzung des Forts zu wecken, um von ihr Abschied zu nehmen.

Fritze kannte die Richtung genau, in welcher die Laguna Porongos von Fort Tio liegt, und der Chirurg war auch schon dort gewesen. Darum stand nicht zu befürchten, daß man sich verirren werde.

Das Reiten kam dem kleinen Gelehrten heute viel leichter vor als gestern. Er hielt es aus bis Mittag; dann aber mußte man ausruhen, nicht nur der Menschen, sondern auch der Pferde wegen, welche man grasen ließ. Wasser gab es nicht; aber das Gras war so frisch und grün, daß die Pferde nicht zu trinken brauchten.

Nun hatten die Herren Hunger bekommen, und es stellte sich heraus, daß die Warnungen des Lieutenants gestern Abend doch nicht aus der Luft gegriffen waren. Man hatte während des ganzen Vormittages außer einigen Geiern kein Tier, am allerwenigsten aber ein jagd- und eßbares gesehen. Glücklicherweise besaß der Chirurg ein großes Stück Fleisch, welches er gestern klugerweise von einem der Soldaten eingehandelt hatte. Er war so rücksichtsvoll, dasselbe in drei gleich große Teile zu zerschneiden und zwei davon seinen Reisegenossen abzulassen, allerdings nur gegen bare Bezahlung, ein Umstand, welcher ihnen sagte, was für einen Kameraden sie an ihm haben würden.

Man brannte von vertrocknetem Grase ein Feuerchen an, um das Fleisch zu braten. Es reichte gerade aus, um die Männer zu sättigen. Nachdem man dann wieder aufgebrochen war, hielt man die Augen ungemein offen, um aufzupassen, ob sich nicht ein Wild sehen lasse. Fritze und der Chirurg hielten ihre Gewehre schußbereit. Die Sorge um die Nahrung hatte begonnen, und man wollte sich heute doch nicht hungrig schlafen legen.

Der Nachmittag verging, und es wollte Abend werden, ohne daß man eine Jagdbeute erlangt hatte. Der Hunger stellte sich wieder ein. Da rief plötzlich der Chirurg erfreut aus:

„Ich hab’s, ich hab’s gesehen! Wir werden zu essen bekommen.“

„Was denn? Was haben Sie gesehen?“ fragte der Gelehrte.

„Ein Vizcacha, ein Pampaskaninchen. Wir graben es aus.“

„Wo?“

„Da drüben links. Es kam aus seinem Bau, verschwand aber sogleich wieder, als es uns erblickte.“

Das Vizcacha ist größer als unser wildes Kaninchen und demselben zwar ähnlich, weshalb es eben Pampaskaninchen genannt wird, gehört aber nicht zu den Hasen, sondern zu den Wollmäusen. Man ißt es nur in dem Falle, daß man hungert und nichts andres hat. Der Bau dieses Tieres ist ein flach gewölbter, in der Mitte geöffneter Hügel, welcher sich stets nur in lehmiger Gegend befindet. Es wohnen meist mehrere Familien bei einander, weshalb der Bau außer dem Haupteingange noch mehrere Schlupflöcher hat.

So war es auch hier. Es gab vier Löcher, welche sorgfältig verstopft wurden. Während die Pferde sich im Grase gütlich thaten, gruben Morgenstern und der Chirurg den Hügel auf, und Fritze stand mit angelegtem Gewehre bereit, sofort zu schießen, falls eins der Vizcachas sich durch ein verschlossenes Loch die Flucht erzwingen wolle. Das war grundfalsch. Ein erfahrener Jäger hätte es ganz anders angefangen. Dennoch aber hatte es Erfolg. Kaum waren fünf Minuten vergangen und die Spaten waren einige Fuß tief in den Boden eingedrungen, so schoß Fritz nicht nur ein-, sondern zweimal hintereinander und stieß dann einen Freudenruf aus. Die beiden andern blickten von ihrer Arbeit auf und sahen, daß er zwei Vizcachas erschossen hatte. Das war genug. Die Spaten wurden den Packpferden wieder aufgeladen, die Kaninchen, welche sehr groß und fett waren, dazu, und dann ritt man weiter.

Bald wurde das Gras saftiger und der Boden weicher als bisher. Im Norden zeigten sich einzelne Bäume, ein sicheres Zeichen, daß man sich an der Laguna Porongos befand. Dieser Name bedeutet soviel wie See oder Sumpf der wilden Zitronenbäume, und solche Bäume waren es, welche man jetzt vor sich hatte. Die Sonne stieg eben hinter dem Horizonte hinab, als die drei Reiter das Wasser der Laguna vor sich glänzen sahen.

Sie waren zuletzt einer Fährte von so zahlreichen Reitern gefolgt, daß sie annehmen mußten, die Spur der Truppe des Vaters Jaguar vor sich zu haben. Gern wären sie weiter geritten; aber es wurde schnell dunkel, und so hielten sie es für geraten, anzuhalten und Lager zu machen.

Sie stiegen also ab und entsattelten ihre Pferde. Sie banden ihnen mit den Lassos die Vorderbeine in der Weise zusammen, daß die Tiere zwar weiden aber nur kleine Schritte machen konnten, um sich nicht weit zu entfernen. Die Pampaspferde leben in Herden und bleiben stets beisammen; daher stand nicht zu befürchten, daß man sie früh nach verschiedenen Richtungen zu suchen habe.

Dann wurde dürres Holz zum Feuer gesammelt. Die wilden Zitronenbäume lieferten genug davon. Als die Flamme lustig flackerte, wurden die beiden Vizcachas abgezogen und ausgeschlachtet. Sie gaben genug Fleisch für heute abend und für morgen früh. Wasser war freilich nicht vorhanden, da das salzhaltige der Laguna nicht zu genießen war.

Nach dem Essen wickelten die drei sich in ihre Ponchos und legten sich am Feuer zum Schlafen nieder. Man hatte heute wieder über hundert Kilometer zurückgelegt, und war also so ermüdet, daß keiner trotz der scharfen Luft, welche während der Nacht wehte, erwachte.

Am Morgen fand es sich, daß die Pferde ganz in der Nähe geblieben waren. Der Rest des Fleisches wurde gebraten und verzehrt; dann brach man wieder auf.

Die Reiter befanden sich auf der östlichen Seite der Laguna, in welche von Osten her der Rio Dulce fließt. Dieser Name wurde dem Flusse gegeben, weil er ein wohlschmeckendes, süßes Wasser führt. Nachdem er aber durch die Salzwüste geflossen ist, hat er so viel Salz angenommen, daß sein Wasser im untern Teile seines Laufes ungenießbar geworden ist.

Die gestrige Spur führte an der Lagune hin und dann ein Stück von derselben ab. Dort hatte man Halt und jedenfalls auch Lager gemacht, denn der Boden war zerstampft; es gab mehrere ausgekohlte Feuerstätten und das Gras war in einem weiten Umkreise von den weidenden Pferden niedergetreten. Aber wann man hier ausgeruht hatte, das zu erraten oder gar zu bestimmen, dazu waren die drei nicht erfahren genug. Wald- oder Prairieläufer war keiner von ihnen.

Von dieser Stelle aus führte die Fährte in nordöstlicher Richtung weiter. Der Chirurg blieb halten und sagte in bedenklichem Tone:

„Señores, meinen Sie wirklich, daß diese Spuren von den Leuten des Vaters Jaguar herrühren?“

„Ja,“ antwortete Fritze Kiesewetter. „Er hat vierundzwanzig Mann bei sich, und ungefähr so viele sind es gewesen, welche hier geritten sind.“

„Das ist wahr; aber der Vater Jaguar will nach dem Gran Chaco, welcher von hier aus im Norden und Nordwesten liegt, und diese Spur zeigt nach Nordosten.“

„So wird er wohl einen triftigen Grund gehabt haben, von der geraden Richtung abzuweichen. So etwas kann oft und manchmal vorkommen.“

„Hm! Euer Gnaden schlagen also vor, daß wir dieser Fährte folgen?“

„Ja. Ich denke nicht, daß ich mich irre. Der Vater Jaguar ist sicherlich nach dieser Laguna geritten. Wir haben die einzige Spur vor uns, welche es hier gibt, folglich ist sie die seinige. O, ich verstehe mich darauf, denn ich habe früher einmal eine Indianergeschichte gelesen, in welcher sehr viel von Stapfen, Spuren und Fährten die Rede war.“

Sie ritten also auch nach Nordost. Der Weg führte über einen ebenen Kamp, auf welchem nichts als Himmel und Gras zu sehen war. Die Spuren waren ganz deutlich zu sehen. Gegen Mittag fanden sie eine klare Quelle, an welcher der Trupp, den sie für denjenigen des Vaters Jaguar hielten, gelagert hatte. Sie stiegen auch ab, um endlich einmal sich satt zu trinken und dann auch ihre Pferde Wasser nehmen und ruhen zu lassen. Nach einer guten Stunde wurde wieder aufgebrochen.

Doktor Morgenstern hatte einen kleinen, aber guten Kompaß an seiner Uhrkette hängen. Diesen zu Rate ziehend, sah er, daß die Fährte eine immer mehr örtliche Richtung nahm. Sie lief nicht mehr nach Nordost, sondern schon nach Ostnordost. Das fiel dem Chirurgen noch mehr auf. Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Wenn wir in dieser Weise weiterreiten, kommen wir im ganzen Leben nicht nach dem Chaco. Wenn ich mich nicht irre, so reiten wir auf diejenige Gegend des Rio Salado los, in welcher Paso de las Cañas oder gar Paso Quebracho liegt. Sollten wir den Vater Jaguar wirklich vor uns haben? Ich habe große Lust, umzukehren oder mich nach links zu wenden.“

„Und ich reite dorthin, wo die Spur hinzeigt,“ antwortete Morgenstern. „Wo Spuren sind, da findet man Menschen; und wo Menschen sind, da gibt es etwas zu essen.“

Dieses Argument machte einen guten Eindruck auf Don Parmesan, denn er meinte, indem er zustimmend mit dem Kopfe nickte:

„Das ist freilich wahr. Wir werden heute vielleicht hungern müssen, denn es hat sich noch kein einziges Tier sehen lassen, diese Geier ausgenommen, die überall sind und leider nicht verzehrt werden können. Reiten wir also der Fährte nach!“

Wieder ging es weiter. Der Hunger stellte sich ein, denn das Reiten und die Luft erzeugen Appetit. Es war um die Mitte des Nachmittages, da zeigte der Chirurg mit der Hand geradeaus und sagte in leisem Tone, als ob er befürchte, gehört zu werden:

Un avestruz, un avestruz, – ein Strauß, ein Strauß!“

Die beiden andern blickten in die angegebene Richtung und sahen wirklich einen Strauß, welcher, allerdings eine bedeutende Strecke entfernt, den Boden eifrig mit dem Schnabel bearbeitete und die Reiter nicht bemerkte, da er ihnen den Rücken zukehrte.

„Das gibt Fleisch, das gibt Fleisch!“ fuhr Don Parmesan fort. „Wir werden unsern Hunger stillen.“

„Aber erst dann, wenn wir den Vogel haben,“ meinte Fritze. „Ich habe gehört, daß der Strauß sehr schwer zu jagen ist.“

„Da hat man Euer Gnaden allerdings recht berichtet. Er wird uns entgehen.“

Da legte der Doktor den Finger auf die Nase und sagte in gewichtigem Tone:

„Señores, ich hab’s, ich hab’s! Die Wissenschaft ist’s, welche dem Menschen in jeder Verlegenheit zu Hilfe kommt. Ich bin ein Jünger der Wissenschaft, speciell der Zoologie, zu welcher ja auch der Strauß gehört, und werde Ihnen ein Mittel sagen, wie wir ihn fangen können.“

„Nun? Sagen Sie es schnell!“ forderte Parmesan ihn begierig auf.

„Die Wissenschaft lehrt, daß der Strauß den Kopf in die Erde steckt.“

„Davon habe ich auch gehört.“

„Auch? Nun, so kennen Sie mein Mittel.“

„Wieso?“

„Veranlassen Sie ihn, den Kopf in die Erde zu stecken, so sieht er uns nicht, und wir können über ihn kommen wie David über die Philister.“

„Señor, wollen Sie sich über mich lustig machen?“

„Fällt mir nicht ein! Ich spreche im vollen Ernste.“

„So reiten Sie doch hin, und bitten Sie ihn, den Kopf zu verstecken!“

„Das würde voraussichtlicherweise den entgegengesetzten Erfolg haben.“

„Das denke ich auch. Wie soll man ihn veranlassen, den Kopf zu verbergen?“

„Das ist Ihre Sache, Señor. Ich habe Ihnen mein Mittel gesagt. Wenn Sie kein Mittel kennen, es auszuführen, so ist das nicht meine Sache, obgleich ich es tief beklage, da wir nun doch noch Hunger leiden werden.“

Er hatte wirklich im vollsten Ernste gesprochen. Parmesan wollte eine noch derbere Antwort geben, aber Fritze kam ihm zuvor:

„Streiten Sie sich nicht, Señores! Ich glaube, einen guten Gedanken zu haben. Glauben Sie, Señor Parmesan, daß – –“

„Don Parmesan, bitte!“ unterbrach ihn der andre stolz.

„Gut! Also, Don Parmesan, glauben Sie, daß der Strauß vor einem Pferde flieht?“

„Nein. Es kommt im Gegenteile vor, daß man grasende Strauße mitten unter weidenden Pferde- oder Rinderherden findet.“

„Gut! Ich steige ab und lege mich mit meiner Flinte hier in das Gras. Sie reiten von hier aus in einem weiten Bogen nach rechts und links, über den Strauß hinaus und versuchen, ihn mir zuzutreiben. Ist das Glück uns günstig, so ist es möglich, daß ich den Vogel vielleicht doch erlege.“

Dieser Vorschlag fand Anklang und wurde sofort ausgeführt. Morgenstern ritt rechts- und Parmesan linksab, in einem Bogen in den Campo hinaus, um dann den Vogel zu veranlassen, seine Flucht auf Fritze zuzunehmen.

Der amerikanische Strauß oder Nandu wird mit der Bola, welche man ihm um die Beine wirft, gefangen. Zu schießen ist er nicht leicht, weil der Jäger, um schießen zu können, sein Pferd anhalten muß und der schnelle Vogel, bis das Pferd ruhig steht, gewöhnlich schon außer Schußweite gekommen ist. Wenn der Vorschlag des pfiffigen Preußen zum Ziele führte, war es jedenfalls nur dem Zufalle zuzuschreiben.

Um keine Zeit zu verlieren und dem Vogel den Weg möglichst bald abzuschneiden, trieben die beiden Reiter ihre Tiere zur größten Eile an. Der Nandu schien für nichts außer seiner Beschäftigung Augen zu haben. Er hackte mit dem Schnabel und scharrte mit den kräftigen, dreizehigen Füßen den Boden und drehte sich dabei jetzt immerwährend um seine eigene Achse, ohne auf die beiden Reiter draußen oder das hier ruhig weidende ledige Pferd achtzugeben.

„Ick jlaube jar, er will Eier lejen und baut sich sein Nest dazu!“ brummte der im Grase liegende Fritze vergnügt vor sich hin. „Wenn ick dat jewiß jewußt hätte, so hätte ick ihm Zeit jelassen, um sonne Dutzender viere Eier von sich zu jeben. Wat für eine Omelette wäre dat jewesen!“

Jetzt waren die Reiter hinter dem Nandu angelangt und wendeten ihm ihre Pferde zu. Er war so beschäftigt, daß er sie erst bemerkte, als sie höchstens noch zweihundert Ellen von ihm entfernt waren. Da machte er einen weiten Satz und rannte fort, gerade vor ihnen her und auf die Stelle zu, an welcher Fritze lag. Nun sah er das Pferd, stutzte, setzte aber dann seine Flucht in der einmal eingeschlagenen Richtung fort. Das Pferd schien ihm nicht gefährlich zu sein.

Fritze fühlte, daß ihm das Herz vor Freude höher schlug. Er stemmte den linken Ellbogen fest auf die Erde, um einen guten Halt für sein Gewehr zu haben, legte an und zielte. Als der Vogel noch ungefähr sechzig Sprünge entfernt war, drückte er ab. Der Schuß krachte; der Nandu that einen Sprung kerzengerade in die Höhe, taumelte dann einige Male hin und her und fiel darauf nieder.

Fritze sprang jubelnd auf, nahm sein Pferd beim Zügel und führte es zu der Stelle hin, an welcher er mit den beiden andern zu gleicher Zeit anlangte.

„Es ist gelungen, vortrefflich gelungen!“ rief Don Parmesan, indem er vom Pferde sprang und zu dem Vogel trat, um sich bei demselben niederzubücken.

Aber der Nandu war noch nicht ganz tot. Er nahm seine letzte Kraft zusammen und versetzte dem Chirurgen einen so kräftigen Schnabelhieb, daß er ihm den Poncho zerriß und ein Stück Fleisch aus dem Oberarme hackte.

„O Himmel, o Hölle!“ schrie der Verwundete, indem er auf und weit zurück sprang. „Dieser Teufel lebt ja noch! Er hat mir eine Wunde beigefügt, an welcher ich höchst wahrscheinlich sterben werde!“

„Sie sind selbst schuld, Señor,“ antwortete Fritze. „Man nähert sich einem so kräftigen Tiere nicht eher, als bis man genau weiß, daß es tot ist.“

Er hielt dem Nandu den zweiten, noch nicht abgeschossenen Lauf nahe an den Kopf und jagte ihm die Ladung in denselben. Dann wendete er sich zu dem Chirurgen, um zu sehen, ob dieser leicht oder schwer verwundet sei. Der Biß war nicht gefährlich. Der Muskel blutete zwar heftig, doch fehlte nicht mehr als ein walnußgroßes Stückchen Fleisch, welches der Vogel noch im Schnabel hatte. Fritze nahm es heraus, hielt es dem „Don“ hin und sagte:

„Hier haben Sie, was Ihnen fehlt, Señor. Euer Gnaden sind ein so berühmter und geschickter Chirurg, daß es Ihnen nicht schwer werden kann, dieses Stück Rindfleisch wieder anwachsen zu lassen.“

„Rindfleisch?“ fuhr der Angeredete auf, emsig beschäftigt, die Blutung zu stillen. „Ich hoffe, daß Sie dieses Wort zurücknehmen, sonst müßte ich mich mit Euer Gnaden auf Leben und Tod schießen.“

„Gut, ich nehme es zurück und bitte um Entschuldigung. Wird das Stück wieder anwachsen?“

„Es wäre mir eine Leichtigkeit, es einzusetzen, so daß es haften bleibt; aber dazu bedarf ich meiner beiden Hände, und ich habe nur die eine. Wollen Sie mir helfen?“

„Gern.“

„So drücken Sie das Stückchen Fleisch fest in die Wunde, aber so, wie es vorher im Muskel gelegen hat, und schlingen Sie mir dann meine Schärpe so fest wie möglich um den Arm!“

Morgenstern half auch mit, und so war die kleine Wunde sehr bald verbunden. Nun hatte man Zeit, den Vogel zu betrachten. Es war eine Henne, wohl anderthalb Meter lang und gegen sechzig Pfund schwer. Sie wurde auf das eine Packpferd geladen, und dann stiegen die glücklichen Jäger wieder auf, um den unterbrochenen Ritt fortzusetzen. Als sie an der Stelle, wo der Nandu zuerst gesehen worden war, vorüberkamen, sahen sie, daß er wirklich im Begriff gestanden hatte, den Boden rund und schüsselförmig auszuhöhlen, jedenfalls um Eier zu legen, gar nicht weit entfernt von einer so sichtbaren Menschenfährte, kein gutes Zeugnis für die Intelligenz der straußartigen Vögel!

Nach einem kurzen Ritte wurden die drei Reiter von der Spur wieder mehr nordöstlich, und bald darauf gerade nördlich geführt.

„Nun, sind Euer Gnaden jetzt zufrieden?“ fragte Fritze den Chirurgen. „Wir befinden uns nun in der Richtung, welche gerade nach dem Chaco führt.“

„Hier ist’s schlimmer als vorher,“ antwortete der Gefragte mißmutig, da sein Arm ihn schmerzte. „Auf diese Weise kommen wir nach dem Monte de los palos Negros, und von dieser Waldung habe ich gehört, daß sie fast undurchdringlich ist. Hätten wir uns vorher mehr links gehalten, so würden wir bis zum Rio Salado und noch darüber hinaus stets freies, offenes Land haben.“

„Sind Sie denn wirklich schon über denselben hinausgekommen?“

„Zweifeln Sie etwa daran?“

Diese Frage sollte unwillig und zurechtweisend klingen, hatte aber einen so unsichern Ton, daß man meinen sollte, er hätte lieber mit einem aufrichtigen Nein geantwortet.

Bald darauf gab es einen Anblick, welcher ganz geeignet war, die drei hungrigen Reiter zu elektrisieren. Sie sahen vor sich, doch rechts von der eingeschlagenen Richtung, ein Rudel der kleinen Pampashirsche sich äsen. Ohne daß einer den andern dazu aufgefordert hätte, nahmen sie ihre Pferde nach rechts herüber und jagten auf das Wild zu, ohne sich zu sagen, daß es ganz unmöglich sei, eins der windesschnellen Tiere zum Schusse zu bekommen.

Der Hirsch sah die Gefahr und eilte mit seinem Gefolge fort, nicht allzu rasch, da er wohl wußte, daß ein Pferd ihn nicht erreichen könne. Eine Zeitlang ließ er die gleiche Entfernung zwischen sich und den Verfolgern liegen; aber als diese ihre Pferde zur schnellsten Carriere antrieben, griff auch er weiter aus, und seine Familie folgte ihm mit graziöser Leichtigkeit, die Jäger immer weiter und weiter hinter sich zurücklassend.

Dennoch setzten diese die Verfolgung fort, bis ein dunkler Streifen Waldes am Horizont auftauchte, dem der Hirsch zujagte. Bald darauf verschwand das Rudel zwischen den Bäumen. Die Reiter hielten in einiger Entfernung von dem Walde an. Am Rande desselben glänzte ein Wasser.

„Der Braten ist uns entgangen,“ seufzte Don Parmesan. „Ein Hirschrücken ist etwas Besseres als ein Stück zähes Straußenfleisch. Haben die Señores schon einmal welches gegessen?“

„Ich nicht,“ antwortete der Doktor. „Wie schmeckt es?“

„Wie Stiefelsohle. Man kann es nicht beißen und muß es ganz verschlingen. Nur der Hunger treibt es hinein.“

„Bringt man es denn nicht weich, indem man es in Butter, lateinisch Butyrum, schmort?“

„Das habe ich noch nicht versucht, Señor. Jedenfalls wäre es um die Butter schade. Aber haben wir denn etwa welche?“

„Nein. Wir müssen den Vogel also in seinem eigenen Fette braten.“

„Fett? Straußenfett? Meinen Sie wirklich, daß ein Strauß auch nur eine Spur von Fett hat?“

„Ja, das meine ich. Die Wissenschaft beweist, daß in jedem tierischen Körper Fett, Adeps genannt, vorhanden ist. Da nun der Strauß einen solchen Körper besitzt, so bezweifle ich es nicht, daß wir bei einiger Aufmerksamkeit wenigstens eine bemerkbare Spur dessen finden, was ich soeben mit Adeps bezeichnet habe.“

„Und wenn Sie den schweren Vogel in dieser „Spur“ von Fett braten, wird er dennoch trocken bleiben wie die Rückenlehne eines Strohsessels. Lassen wir das! Wir haben andres zu bedenken. Was thun wir jetzt? Wir sind von unsrer Fährte abgekommen. Suchen wir sie wieder auf?“

„Dazu ist’s zu spät,“ antwortete Fritze. „Es wird gleich Abend sein. Hier haben wir Gras für die Pferde und dort am Waldesrande Wasser für Mensch und Tier. Es wird wohl geraten sein, hier zu bleiben und die Fährte morgen früh wieder aufzusuchen.“

Der gute, kleine Mann bedachte nicht, daß das niedergetretene Gras sich während der Nacht aufrichten und die Spur dann am Morgen nicht mehr zu sehen sein werde.

Sie ritten vollends bis zum Walde hin, wo sie von den Pferden stiegen und diese von dem Sattel- und Zaumzeuge befreiten. Der Wald war sehr dicht. Er bestand hier an dieser Stelle aus Quebrachos, hohem Kaktus, Mistol, Chañars, Vinals und andern Leguminosen. Zwischen den ersten Bäumen drang ein Quell aus dem Boden und floß vielleicht zehn Ellen weit in eine Vertiefung, wo er einen kleinen, hellen Weiher bildete. An diesem lagerten sich die Reisenden. Holz zu einem Feuer war genug vorhanden. Bald loderte es hoch auf und nun machten sich die drei an die Zubereitung des heutigen Bratens. Es wäre unmöglich gewesen, den Strauß zu rupfen wie einen kleinern Vogel. Man zog ihm das Fell mitsamt den Federn ab wie einem behaarten Tiere. Dann wurde er aufgebrochen. Der Magen enthielt Pflanzenüberreste, Sand, Steine, einen hörnenen Messergriff und einen eisernen Reitsporen mit thalergroßem Rade. Der Strauß verschlingt eben alles, was ihm in die Augen sticht. Das Fleisch sah gar nicht übel aus und ließ sich auch ganz leidlich schneiden. Bei der weitern Zerlegung stellte es sich heraus, daß der Vogel allerdings nötig gehabt hatte, ein Nest zu formen; es waren Eier vorhanden, eins immer kleiner als das andre, von der Größe einer Erbse bis zu derjenigen einer Männerfaust. Die größeren wurden in heiße Asche gelegt, um zu rösten und schmeckten dann gar nicht übel. Dann versuchte man, das Brustfleisch, als das zarteste, wie Asado vom Rind zu behandeln. Als Fritze das erste Stück in den Mund nahm und es zwischen den Zähnen probiert hatte, spuckte er es wieder heraus und sagte zu seinem Herrn:

„Pfui! Dat ist wirklich die reine Stiebelsohle, ohne Kraft und Jeschmack und nicht zu kauen. Versuchen Sie’s doch mal!“

Dem Gelehrten ging es nicht anders. Das Fleisch war so zähe, daß man es trotz allen Hungers nicht genießen konnte.

„Klopfen wir es!“ meinte Fritze.

Er legte ein Stück auf den Boden und bearbeitete es mit dem Gewehrkolben, um es mürbe zu machen. Es fühlte sich jetzt weicher an, wurde aber im Feuer härter als das vorige Stück.

„Dat ist auch sonne falsche Berechnung in die Natur!“ räsonnierte er. „Rebhühner und Krammetsvögel, welche so delikat sind, wachsen klein, und diejenigen Vögel, welche die jewünschte Jröße besitzen, sind nicht zu jenießen. Mir dauert mein Pulver, welches ick verschossen habe. Hätte ick die harte Natur dieses Straußes jekannt, so hätte ick mich seinen Tod nicht auf mein Jewissen jeladen. Wat essen wir nun?“

Die Antwort folgte ganz unvermutet und auf der Stelle. Es raschelte hinter dem Sprecher. Er drehte sich um und sah ein langes, eidechsenartiges Tier am Stamme des nächsten Baumes.

„Still!“ flüsterte er. „Rührt euch nicht. Wenn es glückt, gibt es doch noch einen Braten.“

Er hatte sein Gewehr wieder geladen. Es enthielt einen Schrot- und einen Kugelschuß. Er nahm es, hinter sich greifend, in die Hand und zog es langsam nach vorn und an sich. Das Feuer war für das Tier eine ungewöhnliche Erscheinung. Es saß am Stamme des Baumes, langgestreckt wie eine Schlange, sich mit den Füßen festhaltend, und starrte mit hellen Augen in die Flamme. Da riß Fritz sein Gewehr mit einem plötzlichen Rucke in den Anschlag empor, zielte kurz und drückte ab. Der Schuß krachte; das Tier war weg.

„Was war’s? Was gab’s?“ fragte Morgenstern, welcher ebenso wie der Chirurg mit dem Rücken gegen den Baum gesessen hatte.

„Einen Iguan,“ antwortete Fritz.

„Iguan?“ rief Don Parmesan, indem er aufsprang. „Einen Iguan! Das ist ja die größte Delikatesse, welche es auf Erden gibt! Haben Sie ihn getroffen, Señor? Ich hoffe, ja?“

„Weiß es nicht. Wollen sehen.“

Er stand auf, um nach dem Baume zu gehen.

„Nehmen Sie sich in acht!“ warnte der Chirurg. „Die Iguans sind fürchterlich bissig. Wenn er noch nicht tot ist, dürfen Sie ihn ja nicht anfassen.“

Als Fritz zum Baume kam, ließ er einen Ruf der Freude hören. Das Tier war doch getroffen worden. Es lag unten auf dem Boden und bewegte sich nicht. Dennoch war der Deutsche so vorsichtig, es nicht eher anzugreifen, als bis er ihm einige kräftige Kolbenhiebe auf den Kopf gegeben hatte. Don Parmesan kam dann auch herbei, um den Iguan nach dem Feuer bringen zu helfen.

Der Iguan, auch Leguan genannt, ist eine große südamerikanische Baumeidechse mit einem breiten Kopfe, an den Rändern gezähnelten Zähnen, großem Stachelkamme auf dem Rücken und einem sehr langen Schwanze. Die Beine sind ungemein kräftig und haben sehr lange Zehen; unter der Kehle hängt ein häutiger Sack. Die Iguana schwimmen ausgezeichnet und klettern ungemein behend auf Bäumen und nähren sich von Vogeleiern, Insekten, jungen Baumsprossen und saftigen Blättern und Blüten. Sie sind bei Gegenwehr mutig und außerordentlich bissig. Der gemeine Leguan wird anderthalb Meter lang, wovon allerdings ein Meter allein auf den Schwanz zu rechnen ist. Man stellt ihm sehr eifrig nach, da er ein besonders wohlschmeckendes, zartes und leicht verdauliches Fleisch besitzt.

Das Tier hat ein höchst häßliches Aussehen, darum rief Morgenstern, als er es erblickte, aus:

„Ja, das ist ein Iguan; ich sehe es. Aber wollen Sie dieses Viehzeug wirklich essen?“

„Natürlich!“ antwortete Don Parmesan. „Es gibt nichts Feineres als Iguanfleisch, gleich in der Haut, in den Schuppen gebraten. Wissen Sie das noch nicht?“

„Welch eine Frage? Sie an mich, einen Zoologen zu richten! Die Wissenschaft lehrt, daß der Iguan Fleisch besitzt, und die Erfahrung fügt hinzu, daß es gegessen wird. Mir aber kommen Sie ja nicht mit einem solchen Braten! Ich will doch lieber mit den Chinesen geschmorte Regenwürmer, Trepang und Holothurien verzehren als meine Zähne an einer solchen Echse versuchen.“

„Euer Gnaden lassen es sicher nicht liegen. Ich werde mir sofort ein Stück abschneiden.“

Er zog das Messer, um zu thun, was er gesagt hatte. Da aber hielt ihm Fritze die Hand abwehrend entgegen und sagte:

„Halt, Señor! Wer hat den Iguan geschossen?“

„Sie natürlich.“

„Ich; das ist sehr richtig, und also ist er mein Eigentum. Wer ein Stück haben will, muß es mir abkaufen.“

„Abkaufen? Wie kommen Euer Gnaden zu dieser lächerlichen Ansicht?“

„Ganz so, wie Euer Gnaden auf den Gedanken kamen, sich Ihr Rindfleisch von uns bezahlen zu lassen.“

„Aber das hatte ich doch auch bezahlen müssen!“

„Ob bezahlt oder geschossen, das ist gleich. Sie kamen durch das Bezahlen zu Ihrem Eigentum und ich durch das Schießen zu dem meinigen. Sie ließen sich Ihr Eigentum bezahlen; warum soll ich das meinige verschenken, zumal mein Iguan weit delikater ist als Ihr Rindfleisch. Bei mir kostet das Pfund Iguan heute Abend fünfzig Papierthaler.“

„Aber Señor, Sie scherzen!“

„Es ist mein Ernst. Wer unter Kameraden verkauft, darf nicht erwarten, daß man freigebiger ist als er.“

Er schnitt sich ein tüchtiges Stück herab, spießte es an einen zugespitzten Zweig und hielt es an das Feuer. Sofort war ein äußerst feiner und zarter Bratenduft zu bemerken.

„Hm! Nicht übel!“ meinte Morgenstern. „Wenn diese Echse so schmeckt, wie sie riecht, so könnte man wirklich beinahe und einigermaßen Appetit bekommen.“

Fritz antwortete nicht und briet weiter. Er hatte schon Iguan gegessen und wußte, was geschehen würde. Als sein Stück gar war, erfüllte es den ganzen Umkreis des Weihers mit seinem Dufte. Nun schnitt er es in Stücke und begann zu essen. Das schlaue, schadenfrohe Kerlchen machte dabei ein äußerst wonnevolles Gesicht. Da konnte sich Don Parmesan nicht länger halten. Er fragte –

„Señor, wollen Euer Gnaden wirklich kein Stück verschenken?“

„Nein.“

„Auch kein kleines Stückchen?“

„Nein.“

„Ganz dünn und nur so groß wie das Innere meiner Hand?“

„Nein.“

„Was kostet ein Stück, an welchem man sich satt essen kann?“

„Sie sind ein starker Esser, also hundert Papierthaler.“

Que ca-restia! Und was fordern Sie für ein Stück, aus welchem man etwa zehn Bissen schneiden kann?“

„Sie machen sehr große Bissen. Zehn Bissen werden ein Pfund sein, also fünfzig Papierthaler.“

Cuanto costa eso – wie teuer ist das! Bedenken Sie doch, daß ich ein armer Verwundeter bin!“

„Auch das bedenke ich. Ein Verwundeter soll Diät halten und einige Tage gar nicht essen.“

„Das ist vollständig unmöglich, wenn man gebratenen Iguan riecht. Señor, denken Euer Gnaden an das Vorbild so vieler frommer und erleuchteter Männer! Ich will Ihnen Ihr Geld zurückgeben.“

Er zog den Beutel aus der Tasche.

„Lassen Sie!“ wehrte Fritze ab. „Ich nehme nichts zurück. Sie werden jetzt aber einsehen, wie falsch es ist, sich von Kameraden, mit denen man Sorgen, Entbehrungen, Gefahren und vielleicht gar den Tod zu teilen hat, ein Stückchen Fleisch bezahlen zu lassen. Zu dieser Einsicht wollte ich Sie oft und manchmal bringen. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich es nicht machen werde wie Sie. Was einer von uns hat, gehört auch den andern. Der Iguan ist unser gemeinschaftliches Eigentum. Schneiden Sie sich also so viel herab, wie Sie essen wollen!“

Das ließ Don Parmesan sich nicht zweimal sagen. Er rückte schnell herbei, steckte den Beutel wieder ein und nahm Fleisch von der Stelle, von welcher er wußte, daß es da am besten sei. Auch Fritz nahm sich noch ein Stück. Der Gelehrte sah ihnen noch eine kleine Weile zu, dann fragte er:

„Fritz, schmeckt es denn wirklich gar so ausgezeichnet?“

„Hochfein, sage ick Ihnen!“

„So möchte ich es wirklich einmal kosten. Es ist nur, daß man sagen kann, man habe einmal Iguan gegessen.“

„Dat müssen Sie allerdings sagen können. Wat soll man in Jüterbogk von Sie denken, wenn Sie in Südamerika jewesen sind und von keiner Eidechse jekostet haben! Soll ick Sie einen kleinen Happen zurecht machen?“

„Ja, thue es!“

Fritz spießte einen Bissen an, ließ ihn braten und reichte ihm denselben dann hin. Morgenstern kostete erst zaghaft, kaute dann bedächtig und die Augenbrauen emporziehend, schluckte ihn hinab, rückte heran, zog das Messer, schnitt sich ein derbes Stück ab und sagte:

„Wer hätte das gedacht! So eine Eidechse verdient es eigentlich, in eine viel höhere Tierklasse versetzt zu werden. Es gibt weder einen Fisch noch einen Vogel oder ein Säugetier, dessen Fleisch von einer solchen Zartheit ist. Ich werde das in meinem spätern Werke ganz besonders hervorheben und mit fetter Schrift drucken lassen, daß die Iguana ganz außerordentlich wohlschmeckend, lateinisch sapidus, sind.“

So schmausten die drei noch eine ganze Weile. Sie hatten heute beides gekostet, das härteste und das weichste und zarteste Fleisch, Strauß und Iguan, und als sie endlich aufhörten, war noch der ganze Strauß, vom Iguan aber nur der Schwanz übrig, den sie sich für morgen früh aufheben wollten. Dann fesselten sie die Pferde so wie gestern und hüllten sich in ihre Decken, um zu schlafen.

Als Fritz früh erwachte, schlief Morgenstern noch; der „Don“ aber hatte schon ein Feuer angezündet und machte sich mit dem Iguanschwanze zu schaffen.

„Halt!“ meinte der kleine Deutsche. „Lassen Sie mich teilen, Señor! Wir haben gleiche Rechte.“

Durch diese Worte wurde der Privatgelehrte aufgeweckt, und er zögerte nicht, seinen Anteil von dem Eidechsenschwanze sofort in das Feuer zu halten. Nun sahen sie, daß es in dem Weiher auch Fische gab, Fische, und zwar wie viele und wie große! Aber wie dieselben fangen? Man hatte weder Netze noch Angelzeug.

„Ick weiß, wat wir machen,“ sagte Fritz. „Wir jagen sie mit unsern Ponchos aus dem Wasser. Wollen Sie mich helfen, Herr Doktor?“

Der Gefragte erklärte sich sofort bereit dazu. Sie stiegen in das Wasser und nahmen einen Poncho in die Hand. Der eine hielt denselben an dem einen, und der andre an dem andern Ende. Der Weiher war nicht tief. Sie tauchten die Decke bis auf den Boden nieder und trieben, indem sie vorwärts schritten, die Fische nach dem Ufer zu. Es gelang ihnen gleich beim ersten Male, einige an das Land zu schnellen. Als sie dieses Experiment wiederholt hatten, besaßen sie so viel Fleisch, daß sie für zwei Tage auszureichen vermochten.

Während sie dann beschäftigt waren, die Fische erst auszunehmen und in grüne Blätter zu wickeln, fiel das Auge Morgensterns auf eine gar nicht weit von dem Weiher entfernte Stelle des Grases, wo dieses äußerst klein und spärlich wuchs; auch hatte es eine gelbe anstatt eine gr ‚ üne Farbe. Zog schon dieser Umstand das Auge auf sich, so war es noch viel auffälliger, daß diese Stelle genau zirkelrund war, und daß es an der Peripherie dieses Kreises einen Punkt gab, wo Sand lag und gar nichts wuchs, kein einziger Halm. Auch diese kleine, sandige Stelle in dem Lehmboden mußte auffallen.

Morgenstern stand von seinem Platz auf und näherte sich diesem eigentümlichen Kreise, um denselben genauer in Augenschein zu nehmen. Da sah er zunächst, daß derselbe konvex wie eine umgestürzte Schale war.

„Konvex und zirkelrund,“ sagte er sich. „Das ist höchst sonderbar. Warum gedeiht das Gras hier nicht? Der Boden besteht ebenso aus Lehm, wie derjenige der Umgebung. Sollten Steine oder ein andrer steriler Grund darunter liegen, so daß die Wurzeln des Grases nicht tief einzudringen vermögen und also nicht genug Nahrung erlangen können?“

Um das zu untersuchen, zog er sein Messer und stach dasselbe in die Erde. Die Klinge drang höchstens fünf Zoll tief ein und traf dann auf einen harten Gegenstand. Er probierte an andern Stellen und zwar mit genau demselben Erfolge. Der eigentümliche Kreis hatte eine sehr harte Unterlage, auf welcher eine überall fünf Zoll hohe Lehmschicht lag, welche dem Grase nicht genug Nahrung gewährte, so daß dieses nur spärlich stand, nicht hoch wurde und eine krankhafte, gelbe Farbe besaß. Diese Regelmäßigkeiten mußten eine Ursache und zwar eine ganz eigenartige und ungewöhnliche Ursache haben.

Und woher der schmale Sandfleck an der einen Stelle des Kreisumfanges? Es gab, so weit das Auge reichte, keinen Sand. Er bückte sich wieder nieder und begann, mit dem Messer in den Sand zu bohren und denselben aufzuwerfen. Die beiden andern hatten ihm verwundert über sein sonderbares Gebaren zugeschaut. Jetzt kam Fritze herbei und fragte:

„Wat jibt es hier, Herr Doktor? Wat haben Sie mit dat Messer? Wollen Sie unsre jute Mutter Erde totstechen?“

Wenn er mit dem Doktor allein und nicht auch mit dem Chirurgen redete, bediente er sich stets der deutschen Sprache.

„Mach keine dummen Witze!“ antwortete Morgenstern. „Es handelt sich hier um eine ernste und vielleicht hochwichtige Angelegenheit. Hast du vielleicht einmal von sogenannten Hexenringen gehört?“

„Sehr oft. Dat sind kreisrunde Stellen auf Wiesen, auf denen in der Walpurgisnacht die Hexen hippelschottisch jetanzt haben.“

„Unsinn! Diese Kreise verdanken ihre Entstehung verschiedenen Arten von Hutpilzen, deren Mycelium sich zentrifugal vermehrt. Vertilgt man diese Pilze, so hören auch die Ringe auf.“

„Ick verstehe! Hier haben Sie auch so ’nen Hexenring jefunden.“

„Ja; aber er ist ganz eigentümlicher Art. Während die bekannten Hexenringe von einem üppig grünenden Kreise umschlossen werden, ist dies hier nicht der Fall. Auch wächst hier Gras, während dort das Innere der Ringe vollständig kahl liegt. Das fällt mir auf. Und nun woher dieser Sand? Es ist sonst nirgends welcher zu sehen.“

„Den haben die Hexen herjetragen.“

„Rede keinen Blödsinn! An Hexen glaubst du doch ja selber nicht.“

„Nein. Seit man ihnen verbrannt hat, jibt es keine mehr. Aber diese Stelle kommt mich auch sehr sonderbar vor. Sollte hier ein Schatz verjraben liejen? Dat wäre mich lieber, als wenn wir ein urweltliches Riesenjeschöpf herausbuddelten.“

„Vorweltliches Riesengeschöpf!“ rief Morgenstern aus, indem er den Sprecher mit freudiger Überraschung anblickte. „Fritze, vielleicht hast du das Richtige getroffen!“

„Mit dem Jeschöpf oder mit dem Schatz?“

„Mit beiden, denn wenn ich hier ein Mastodon oder so etwas finde, so ist das ein Schatz für mich, und du würdest auch nicht leer ausgehen.“

„Dat läßt sich hören, sagte der Taube, als er eine Ohrfeige bekam. Aber im Ernste jesprochen, hier mitten in der Urwildnis so ’ne Stelle, dat muß doch einen Jrund haben. Und, nur man Jeduld, ick denke, wir finden diesen Jrund, wenn wir nur erst mal da den Sand fortschaffen.“

„Ganz dasselbe dachte auch ich. Hole die Spaten, die Hacken und die Schaufeln! Wir müssen schleunigst nachgraben.“

Fritze folgte dieser Aufforderung. Als die beiden den Sand aufzugraben begannen, kam Don Parmesan herbei und drang zum Aufbruche, da man heute doch den Vater Jaguar einholen müsse. Morgenstern gab ihm eine Erklärung der Gründe, welche ihn veranlaßten, noch hier zu bleiben, doch wollte der Chirurg nichts davon hören. Er machte aber sofort ein andres, viel freundlicheres Gesicht, als der Doktor ihm sagte:

„Wenn wir ein Megatherium hier finden oder ein ähnliches Riesentier und Sie helfen mit, so schenke ich Ihnen tausend Papierthaler.“

Da fragte er rasch:

„Sind Sie denn so reich, Señor?“

„Ich bin wohlhabend und kann es geben.“

„So helfe ich mit, und wenn es eine ganze Woche dauert!“

Er ergriff sofort einen Spaten und begann mitzuarbeiten, denn tausend Papierthaler, so viel wie hundertsechzig deutsche Reichsmark, waren für ihn eine sehr wünschenswerte Summe.

Während er mit Fritze in der sandigen Stelle in den Boden eindrang, nahm Morgenstern eine Schaufel, um einen Punkt der harten Unterlage von der darauf liegenden dünnen Lehmschicht und dem in derselben wachsenden Grase zu befreien. Er kratzte diese Schicht ab und schob sie zur Seite; da kam eine undurchdringliche, glatte und schildpattähnliche Masse zum Vorschein, welche, als er darauf schlug, einen dumpfen, hohlen Ton erzeugte. Da that er vor Freude einen Luftsprung trotz des geschicktesten Harlekins und rief jauchzend aus:

„Heureka, heureka! Ich hab’s, ich hab’s gefunden! Diese glasharte und panzerartige Masse! Ich hab’s, ich hab’s!“

„Wat haben Sie denn?“ fragte Fritze, indem er von seiner Arbeit aufsah.

„Das Tier, das Riesentier. Es ist ein Glyptodon, ganz gewiß ein Glyptodon!“

„Wer soll dat Wort verstehen! Wie würde man es in Stralau oder Jüterbogk titulieren?“

„Riesenarmadill, oder noch deutscher, Riesenpanzertier!“

„Also ein Tier mit riesige Armatur! Wird es sich jegen unsre Annäherung wehren?“

„Was fällt dir ein! Es ist ja tot; es ist ein vorsündflutliches Geschöpf!“

„Also in der Sündflut umjekommen und schmählich ertrunken? Da kann mich dat arme Beest wirklich leid thun. Ist es jroß?“

„Wie ein Tapir oder Nashorn, anderthalb Meter lang.“

„Also nicht auf den Arm oder in die hohle Hand zu nehmen. Na, dat schadet nichts; wir holen ihm dennoch heraus!“

„Natürlich muß es heraus! Aber nehmt euch in acht, daß ihr es nicht beschädigt! jede, auch die kleinste Beschädigung, lateinisch Laesio genannt, vermindert den Wert dieses kostbaren Fundes!“

„Jut! Werden ihm so sanft wie möglich zu Leibe jehen, wat mich aber von wejen seine Riesenarmatur jar nicht als so notwendig erscheint.“

Er grub mit dem Chirurgen weiter. Auch der Doktor arbeitete mit dem größten Eifer, mit der Schaufel die obere Lehmkruste von dem Panzer des vorweltlichen Tieres abzukratzen. Seine Augen strahlten; seine Wangen glühten, und seine Hände zitterten; er befand sich wie im Fieber. Dabei hielt er seinen beiden Gefährten einen Vortrag über die Urzeiten und die Wesen, welche in denselben existierten. Fritze und Don Parmesan warfen den Sand nach rechts und links heraus und drangen immer tiefer ein. Da gab der Sand plötzlich nach; Fritze stieß einen Schrei aus und verschwand in der Erde. Sein Gefährte sprang schnell aus dem Loche, sonst wäre er ihm nachgestürzt.

„Um des Himmels willen, was ist geschehen!“ rief Morgenstern. „Hoffentlich kein Unglück, lateinisch Infortunium geheißen!“

„Er ist verschwunden, vollständig verschwunden,“ antwortete Parmesan. „Die Erde wich unter ihm, und da war er fort.“

Der Doktor trat vorsichtig an das Loch und rief hinab:

„Fritze, lieber Fritze, lebst du noch?“

„Ja, ick lebe und bin verjnügt in meine Seele,“ erklang es von unten herauf.

„Wie ist das gekommen, und wohin bist du geraten?“

Ick habe mit die Balance dat neunzehnte Jahrhundert verloren und bin herunter ins Diluvium jerutscht.“

„Bist du verletzt?“

„Nein. Dat Panzervieh verhält sich sehr jebildet. Es ist janz still und hat mir nicht beschädigt.“

„So komm schnell herauf! Es könnten gefährliche Gase vorhanden sein.“

„Im Jejenteil! Es ist hier vor der Sündflutszeit janz mollig. Kommen Sie herunter! Ick habe jrad noch zwei schöne Sitzplätze zu vermieten, zwei Plätze in der Urwelt. Immer rrrrunter, meine Herren!“

Dieses lustige Gebaren des kleinen Dieners verscheuchte alle Besorgnisse des Doktors. Es konnte da unten doch wohl keine Gefahr vorhanden sein. Und da seine Wißbegierde so groß war, daß er sie kaum beherrschen konnte, folgte er der Aufforderung Fritzes und stieg vorsichtig in das Loch. Dieses führte zunächst gegen vier Fuß senkrecht hinab und ging dann in einem stumpfen Winkel schief nach innen weiter. Der Diener war also nicht senkrecht hinuntergestürzt, sondern in geneigter Richtung vorwärts gerutscht. Jetzt rief er von innen heraus:

„Da sind Sie ja! Ick sehe Ihre Beine. Sie befinden sich jrad vor dem Bauch des Riesentieres. Setzen Sie sich nieder, so ziehe ich Ihnen an die Füße herein zu mich.“

„Ist’s etwa gefährlich?“ erkundigte sich der vorsichtige Gelehrte.

„Keineswegs. Die Passage ist so bequem wie möglich. Warten Sie, ick werde Ihnen unterstützen.“

In diesem Augenblicke fühlte Morgenstern sich bei den Füßen ergriffen und fortgezogen; er kam in ein sanftes Gleiten und saß dann zu seinem Erstaunen neben Fritzen in einer kleinen niedrigen Höhle, welche infolge des Loches, durch welches er soeben gekommen war, so viel Helligkeit besaß, daß man sich darin umsehen konnte. Sie war länglichrund, ungefähr zwei Ellen hoch und so groß, daß drei Personen bequem nebeneinander sitzen konnten. Die Decke war gewölbt, nicht sehr, sondern ungefähr wie das Innere eines Tellers, und von dunkelmelierter, matt glänzender Farbe. Der Boden der Höhle war eben und von dem hereingebrochenen Sande teilweise bedeckt. An den unbedeckten Stellen sah man, daß er aus hartem Lehm bestand.

Als Fritze seinen Herrn neben sich hatte, lachte er auf und sagte in fröhlichem Tone:

„Da sitzen Sie neben mich, jrade wie Frau Lanziette, jeborene Huhn! So kann man aus die Ober- in die Unterwelt und aus die Jejenwart in die Verjangenheit jeraten. Wat sagen Sie zu diese schöne Mammuthöhle?“

„Von einem Mammut ist hier keine Rede. Wir befinden uns höchst wahrscheinlich im Leibe eines Glyptodon, also desjenigen Tieres, welches ich vorhin Riesenarmadill nannte.“

„Haben diese Tiere Leiber aus Lehm jehabt?“

„Natürlich nein. Du kannst dir doch denken, daß der Leib mitsamt den Knochen nach und nach verwest ist und daß nur der unzerstörbare Panzer übrig geblieben ist. Im Innern desselben sitzen wir jetzt.“

„Also mitten in der Armatur?“

„Ja. Man hat diesen Panzer auch wohl, aber irrtümlicherweise, für die Bedeckung des Megatherium gehalten, weil auch Knochen dieses letzteren Tieres in der Nähe solcher Fundorte angetroffen wurden. Das Glyptodon ist aber für den Kenner unmöglich mit dem Megatherium zu verwechseln, lateinisch permuto, obgleich es ebenso wie dieses einen runden, abgestutzten Kopf und am Jochbeine einen absteigenden Fortsatz hatte. Der Panzer, welcher das Tier vom Halse bis zum Schwanze umschloß und nur am Bauche offen war, bildete keine Ringe, sondern bestand aus einzelnen, sechseckigen Knochenstücken, welche eine einzige starke und zusammenhängende Decke bildeten. Der Schwanz steckte in einer besondern Panzerröhre, die wir jedenfalls auch finden werden. Wir müssen den Panzer zunächst freilegen; wenn sich dann ergibt, welches der hintere und welches der vordere Teil desselben ist, läßt sich leicht sagen, wo die Schwanzröhre liegt.“

Er betastete und beklopfte die Decke der Höhle und fand seine Vermutung, daß dieselbe der Panzer eines fossilen Riesentieres sei, vollkommen bestätigt. Fritze aber schüttelte den Kopf und sagte:

„Wenn dat janze Tier im Panzer jesteckt hat, so daß nur der Bauch unbedeckt war, so muß derselbe doch eine unten offene Höhlung bilden; die Seiten sind auch bepanzert jewesen, hier haben wir nur oben Panzer und an den beiden Seiten Lehm.“

„Der ist durch den Druck eingedrungen. Wenn wir ihn entfernen, werden die Seiten des Panzers zum Vorschein kommen. Ich werde dir den Chirurgen herabschicken. Ihr beide schafft diesen Lehm hinaus, während ich von oben graben werde, um das Glyptodon von außen bloßzulegen. So arbeiten wir uns in die Hände und werden jedenfalls noch vor der Abenddämmerung, lateinisch Crepusculum genannt, fertig sein.“

Er stieg aus der Höhle empor und schickte Don Parmesan mit Hacke und Schaufel hinab. Während die beiden nun unten fleißig arbeiteten, drang er selbst oben mit der Hacke in die Erde ein, um die Erde rund um den Panzer aufzugraben und denselben bloßzulegen.

Er strengte sich so an, daß ihm der Schweiß über das Gesicht lief. Er war ganz begeistert für seine Arbeit. Er dachte an den Ruhm, den es ihm bringen würde, wenn es ihm gelänge, ein fossiles Riesenarmadill in seiner heimatlichen Wohnung aufzustellen. Denn daß es sich hier um ein Glyptodon handelte, davon war er vollständig überzeugt, bis er gegen Mittag die Entdeckung machte, daß der Panzer nicht eine Röhre, sondern eine Schale bilde, welche wie eine plattgewölbte Decke auf der unter ihr befindlichen Höhle lag; sie wurde von den Lehmwänden der letzteren getragen. Fritze und Don Parmesan drangen mit ihren Werkzeugen durch diese Wände, und da der Gelehrte ihnen von außen mit seiner Hacke entgegenkam, dauerte es gar nicht lange, so war die eine Seite der Panzerdecke, welche einer umgestürzten Schale glich, freigelegt, und Fritze kam mit dem Chirurgen herausgekrochen.

„Sehen Sie, daß Sie sich jeirrt haben,“ sagte der erstere zu Morgenstern. „Es ist kein Jürteltier, denn die Seiten dieses Jeschöpfes sind oft und manchmal unbepanzert jewesen; es hat nur oben auf dem Rücken einen Schild jehabt.“

Der Gelehrte war einigermaßen enttäuscht. Er blickte nachdenklich vor sich nieder. Dann aber erhellte sich sein Gesicht plötzlich wieder; er stieß einen Jubelruf aus und antwortete dann:

„Fritze, du machst mir das Herz wieder leicht. Schon glaubte ich, daß unsre Arbeit eine vergebliche gewesen sei. Deine Worte aber überzeugen mich vom Gegenteile. Du hast das Richtige getroffen. Es hat oben auf dem Rücken einen Schild gehabt, Schild, Schild, ein runder Schild, lateinisch Clypeus genannt. Kannst du mir ein Tier, ein berühmtes Tier nennen, dessen Namen mit Schild- beginnt?“

„Ja.“

„Nun?“

„Ein Schildbürjer.“

„Unsinn! Ich meine natürlich die Schildkröte, lateinisch Testudo geheißen. Dieses Tier ist kein Armadill, sondern eine Schildkröte, und zwar eine Riesenschildkröte von ganz außerordentlichen Dimensionen gewesen. Hast du einmal von einer fossilen Riesenschildkröte gehört oder gar eine solche gesehen?“

„Nein.“

„Ich auch nicht. Hier nun finde ich ein solches Tier. Welch ein Glück, welch eine Wonne! Welch ein Ruhm wartet meiner, wenn die Kunde durch die gelehrten Kreise aller Länder geht, daß ich eine fossile Riesenschildkröte ausgegraben habe!“

„Wenn es wirklich eine ist!“

„Jedenfalls. Ich werde es gleich untersuchen.“

Er holte in seinem Hute Wasser herbei und wusch mit Hilfe eines Graswisches eine Stelle des Panzers rein.

„Siehst du,“ rief er dann aus, „daß ich recht habe. Diese Masse ist nichts andres als Horn, starkes, dickes Horn. Diese konvexe Platte ist nicht der Panzer eines Gürteltieres, sondern das Rückenschild einer Riesenschildkröte, lateinisch Chelonia Midas genannt.“

„Soll mir aufrichtig freuen, wenn nicht etwa wieder ein Irrtum vorliegt, so daß dat einstige Jürteltier und jetzige Schildkröte nachher der Abwechslung wejen für einen vorweltlichen Laubfrosch jehalten wird.“

„Laubfrosch, Hyla genannt! Du bist nicht bei Sinnen! Ich bin bereit, es mit einem Eide zu belegen, daß wir es mit den Überresten einer Riesenschildkröte zu thun haben.“

„Aber haben die Schildkröten nicht zwei Schilde?“

„Ja, einen Rücken- und einen Bauchschild.“

„Dieses Tier hat aber doch nur eins jehabt!“

„Wer behauptet das?“

„Sollte sie dat andre verloren oder in der Lotterie verspielt haben?“

„Keinen dummen Witz, Fritze! Der Brustschild muß auch da sein. Das Fleisch, welches zwischen beiden gelegen hat, ist verwest. Dadurch entstand die Höhle, welche wir hier vor uns sehen. Der Boden derselben wird jedenfalls von dem Bauchschilde gebildet. Wir werden es sofort finden, wenn wir den Lehm, welcher eingedrungen ist, wegräumen.“

„Dat leuchtet mich eher ein. Und wissen Sie, als wir da drin hockten, habe ich jehört, daß der Boden hohl klang.“

„Hoh!? Wirklich? Siehst du, Fritze, daß ich ganz richtig vermute! Du hast auf dem Bauchschilde gestanden, und das klingt hohl, cavus auf lateinisch. Wir werden ihn ausgraben.“

„Aber nicht jetzt, sondern nach dem Essen. Es ist Mittag jeworden, und wir müssen etwas jenießen. Wir haben ja Fische, welche wir uns backen oder braten können.“

Die beiden andern stimmten ein, der kleine Gelehrte freilich nur ungern. Er war so entzückt über seinen Fund, daß er keinen Hunger fühlte und von dieser Arbeitspause abgesehen hätte. Es fiel ihm auch gar nicht ein, sich an der Zubereitung der Fische zu beteiligen; er scharrte und kratzte vielmehr an der Schildkrötenschale herum, klopfte sie an, um zu hören, was für einen Ton sie hatte, prüfte, ob der Boden unter ihr wirklich hohl klang, was allerdings der Fall war, und kam erst dann zu den beiden andern, als die Fische zum Essen fertig waren. Während sie tüchtig zulangten, nahm er sich nur ein kleines Stück, sprang, als er dieses gegessen hatte, wieder auf und sagte –

„Ich kann nicht essen; es läßt mir keine Ruhe, bis ich auch den Bauchschild gefunden habe. Der Magen, Ventriculus oder Stomachus geheißen, ist mir wie zugeschnürt. Ich kann nicht schlingen.“

„Dat ist nicht jesund,“ bemerkte Fritze. „Der Mensch muß essen können. Wenn ick mir über was freue, esse ick doppelt. Wenn Ihr Magen so zujeschnürt bleibt, werden Sie durch diese Schildkröte Ihr schönes, junges Leben verlieren. Man darf nicht so aufjeregt sein.“

„Ist’s denn ein Wunder? Ein solcher Fund ist gradezu großartig und steht ganz einzig da. Man freut sich, daß man sich kaum zu lassen weiß, und hat doch schwere Sorge, lateinisch Cura genannt, dabei.“

„Dat bejreife ick nicht. Mir hat noch keine Kröte Sorje jemacht. Um wat sorjen Sie sich denn?“

„Um Verschiedenes. Vor allen Dingen um den Namen, den ich ihr geben muß.“

„Den hat sie ja schon. Sie wird ja Schildkröte jenannt. Oder ist dat nicht ihr rechtmäßiger Name?“

„Es ist der deutsche Name. Ich muß ihr aber doch auch einen wissenschaftlichen, einen lateinischen Namen geben!“

„Und dat macht Ihnen Sorje? Wie ist dat möglich? Sie verstehen ja Lateinisch.“

„Allerdings; aber es ist doch schwierig, den passenden Ausdruck zu finden.“

„So werde ick Ihnen helfen. Dieser wissenschaftliche Name soll sofort jefunden werden. Wie heißt Schildkröte auf lateinisch?“

Testudo. Aber es gibt Arten, welche wissenschaftlich mit Cistudo, Emys, Chelydra, Trionychida, Sphargis und Chelonia bezeichnet werden. Chelonia Midas zum Beispiel ist die Riesenschildkröte.“

„So haben Sie ja den jesuchten Namen. Eine Riesenschildkröte ist’s ja, die wir jefunden haben.“

„Richtig! Aber ich darf sie doch nicht so nennen, da mit Chelonia Midas die jetzt noch lebenden gemeint sind; unsre aber ist eine vorsündflutliche und viel, viel größer als die heute noch existierenden.“

„Dat ist wahr. Sie ist ein wahrer Goliath, ein richtiger Gigant, und – –“

„Halt, halt!“ unterbrach ihn der Gelehrte. „Ich hab’s, ich hab’s! Du hast es eben gesagt. Du bist ein ganz tüchtiger Kerl, Fritze, Gigant! Das gibt eine ganz ausgezeichnete Zusammensetzung. Denke an Gigantomachie, an Gigantologie oder an Gigantosteologie! Gigant und Chelonia, das läßt sich ganz ausgezeichnet verbinden und gibt einen Namen, der gar nicht vortrefflicher gewählt werden könnte. Ich werde dieses riesige Tier Gigantochelonia nennen. Ja, Gigantochelonia, welch ein prachtvoller Name! Vielleicht fügt man später, um mich als den Entdecker zu feiern, noch meinen Namen bei, was ich der gebotenen Bescheidenheit wegen heute nicht thun will. Ja, ja, der Name ist fertig. Diese fossile Riesenschildkröte wird Gigantochelonia genannt. Ich werde diesen Namen sofort notieren und dazu den wichtigen Tag, an welchem ich diesen unvergleichlichen Fund gemacht habe.“

Er zog sein Notizbuch hervor und trug den Namen ein. Fritze aber meinte kopfschüttelnd:

„Diese jelehrten Herren sind doch sonderbare Individuummers! Objleich der schönste deutsche Name vorhanden ist, muß doch ein lateinischer jesucht werden. Dieses Tier ist jedenfalls zu Noahs Zeit ins Diluvium jeraten; darum würde ick sie einfach Riesen-Noah-Kröte nennen. Dat würde für jedermann sofort verständlich sein. Schade nur, daß dat Fleisch nicht mehr vorhanden ist! Wieviel Turtlesuppen könnte man da machen!“

„Ja, bedenkt man, wie weit die beiden Schilder voneinander liegen, so kann man sich einen Begriff davon machen, wie stark und dick das Tier gewesen ist. Es muß eine wahre Unmasse von Fleisch, lateinisch Caro genannt, gehabt haben. Aber ihr seid nun endlich fertig mit essen. Beeilt euch nun! Wir müssen den Bauchschild ausgraben. Ihr hackt also den Boden auf, während ich fortfahren werde, die obere Schale los zu machen.“

Fritze stieg mit Don Parmesan wieder in die Höhle, um der Anweisung seines Herrn nachzukommen, während dieser oben die begonnene Arbeit fortsetzte. Er war mit einem solchen Eifer bei derselben, daß er für nichts andres Auge hatte und also auch nicht bemerkte, daß er der Gegenstand einer Beobachtung war, welche für ihn und seine Genossen leicht schlimme Folgen haben konnte.

Im Osten von der Stelle, an welcher die drei mit so großem Fleiße beschäftigt waren, erschien nämlich ein Trupp von vielleicht fünfzig Reitern, deren Ziel allem Anscheine nach das Wasser war, in dessen Nähe sich der Fundort der berühmten Gigantochelonia befand. Und zugleich erschienen im Süden fünf andre Reiter, welche aber noch so entfernt waren, daß man sie nur als kleine, bewegliche Punkte zu erkennen vermochte.

Der erstere Trupp befand sich in größerer Nähe. Er bestand aus Indianern, bei denen sich zwei Weiße befanden. Die Roten waren mit Pfeil und Bogen, langen Lanzen und Blasrohren bewaffnet; ein einziger von ihnen, welcher ihr Anführer zu sein schien, hatte eine Flinte. Die beiden Weißen waren wie Gauchos gekleidet und in rot und blau gestreifte Ponchos gehüllt. Als Waffen führten sie Messer, Revolver und Doppelflinten bei sich. Der eine von ihnen war Antonio Perillo, der Stierkämpfer aus Buenos Ayres, der andre aber der ältere Mann, welcher mit Perillo am Abende nach dem Stierkampfe an der Quinta des Bankiers den Vater Jaguar beobachtet hatte.

Sie kamen im Trabe längs des Waldrandes dahergeritten. Nahe genug herangekommen, erblickten sie den kleinen Gelehrten, welcher, ihnen den Rücken zukehrend, ganz in seine Arbeit vertieft war. Die beiden Weißen ritten mit dem Häuptlinge an der Spitze. Der ältere von ihnen hob die Hand, um das Zeichen zum Halten zu geben, parierte sein Pferd und sagte, sich an den Häuptling wendend:

„Was ist das! Wir sind nicht allein! Dort am Wasser ist ein Mann! Siehst du ihn? Er hackt die Erde auf.“

Der Rote blickte in die angedeutete Richtung und antwortete in zwar gebrochenem aber doch geläufigem Spanisch:

Holá, ein Weißer bei unsrer Quelle, bei unserm Escondite (Versteck)! Er hat es entdeckt und gräbt es auf. Vaya! Auf, und hin zu ihm!“

Er wollte sein Pferd antreiben; der Weiße aber ergriff seinen Arm und sagte:

„Halt, nicht so eilig! Laß uns ihn vorher beobachten. Er kann uns nicht entgehen. Er ist ja allein, ein einzelner.“

„Ob er allein ist oder ob sich viele bei ihm befinden, das ist mir gleich. Ihr nennt mich el Brazo valiente (der „tapfere Arm“); ich bin der Kriegshäuptling der Abipones und fürchte mich vor keinem Feinde.“

„Ich weiß es. Meine Worte enthielten keine Zweifel über deine Tapferkeit. Wer mag dieser Mensch sein, welcher Werkzeuge zum Graben bei sich führt, und durch welchen Verrat hat er Euer Almacen de polvora (Pulvermagazin) entdeckt? Er ist übrigens nicht allein hier; er hat Gesellschaft bei sich, denn ich zähle fünf Pferde, welche dort am Wasser weiden.“

„Quedo – still!“ rief da Antonio Perillo. „Er ist von kleiner Gestalt und ganz rot gekleidet. Sollte es möglich sein? Wenn mich meine Augen nicht trügen, so machen wir einen höchst wichtigen Fang. Es ist der Oberst, der sich in Buenos Ayres für einen deutschen Gelehrten ausgab!“

Demonio! Ist’s wahr?“ fragte der ältere von Perillos Begleitern.

„Ich möchte es beschwören. Jetzt haben wir den Beweis, daß ich mich nicht irrte, daß es sich nicht um eine Ähnlichkeit, sondern um die vollste Identität handelt. Wie käme ein harmloser deutscher Bücherwurm an die geheime Pulverkammer, welche wir für unsre roten Verbündeten anlegten, damit sie im Augenblicke des Losschlagens die nötige Munition besitzen? Es ist der Oberst Glotino, dieser Schurke, der sich über alle unsere Wege schleicht. In Buenos Ayres traf ihn unsre Kugel nicht; hier aber soll sie ihn nicht fehlen!“

Er zog den Revolver drohend aus dem Gürtel.

„Still!“ beruhigte ihn sein älterer Gefährte. „Keine Übereilung! Wir dürfen ihn nicht töten; er muß uns sagen, was er in dieser Gegend will und wie er zur Kenntnis unsres Versteckes gelangt ist. Schießen wir ihn nieder, so sind wir ihn los, ja; aber behalten wir ihn lebend in unsern Händen, so haben wir in ihm einen Geisel, welcher uns vom größten Vorteile werden kann. Und wer kommt da drüben? Sind das nicht Reiter?“

Er deutete nach Süden, wo die fünf Punkte indessen größer und deutlicher geworden waren. Die Blicke der andern richteten sich dorthin. Antonio Perillo antwortete:

„Das kann kein andrer als der Hauptmann Pellejo sein, mit dem wir hier zusammentreffen wollen. Unsre List ist also gelungen. Er hat den Auftrag erhalten, die Grenze zu inspizieren, er, unser Kumpan! Man bestellt den Bock zum Gärtner. Wir bekommen dadurch die Grenze und alle Niederlassungen am Flusse in die Hand. Dadurch sind unsern roten Verbündeten, wenn der Augenblick des Handelns kommt, sämtliche Einfallspforten geöffnet. Er ist’s gewiß, ganz gewiß. Ich denke, wir überlassen es nicht ihm, den Kerl dort zu fangen, sondern thun das selbst, noch ehe er herangekommen ist. Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin! Das ist der beste Augenblick. Wir umzingeln die Stelle. Vorwärts! Einige setzen sich augenblicklich in den Besitz der Pferde; dann gibt es kein Entrinnen für den Schurken.“

Der Trupp setzte sich in rasche Bewegung gegen das Pulvermagazin, welches Doktor Morgenstern für den Einbettungsort eines vorweltlichen Tieres gehalten.

Fritze hatte mit dem Chirurgen den Lehm, welcher den Boden der Höhle bildete, aufgegraben. Jeder Hieb oder Stoß, den die beiden thaten, war von einem dumpfen Tone begleitet, ein Beweis, daß es unter diesem Boden einen zweiten hohlen Raum gab. Als sie ungefähr einen Fuß tief gekommen waren, stießen sie zu ihrem Erstaunen auf starke Hölzer, aus abgeschnittenen Ästen gebildet, welche nebeneinander gelegt waren und die Träger des Lehmbodens bildeten. Sie zogen mehrere derselben heraus, und so entstand eine große Öffnung, durch welche sie hinabblicken konnten. Sie sahen da unter sich eine weit größere Höhle als die obere gewesen war. Da standen oder lagen viele kleine, sorgfältig in geharztes Leder gehüllte Fässer und längliche, ebenso gegen die Feuchtigkeit geschützte Pakete. Fritze kniete nieder, um eins der letzteren herauszulangen; es war schwer, so daß der Chirurg ihm helfen mußte. Als sie es oben hatten, zerschnitt Fritze die Riemen, mit denen es zusammengebunden war; es enthielt – Gewehre, sehr wohlerhaltene Gewehre.

„Welche Überraschung!“ rief er aus. „Das sind ja Flinten! So steht zu erwarten, daß die Fässer Pulver und Blei enthalten!“ Und in deutscher Sprache fortfahrend, rief er dem draußen hastig arbeitenden Privatgelehrten zu:

„Herr Doktor, kommen Sie doch mal herein! Wir haben etwas sehr Kurioses jefunden.“

„Etwas Kurioses?“ fragte der Angerufene. „Der Bauchschild einer Gigantochelonia ist etwas sehr Wichtiges, sehr Interessantes, aber doch nichts Kurioses. Habt Ihr ihn?“

„Den Schild leider nicht, sondern eine janz andre Art von Armatur. Haben Sie doch die Jewogenheit, verehrter Herr Doktor, uns mit Ihren jütigen Besuche zu bejlücken!“

Morgenstern legte die Hacke weg und folgte der Aufforderung. Das war der Augenblick, in welchem Antonio Perillo sagte: „Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin!“

„Schauen Sie her!“ meinte Fritze. „Es hat vor der Sündflut auch schon Pulver und Flinten jegeben. Diese Entdeckung jeht doch wohl noch über Ihre Gijantochelonia. Haben Sie schon mal mit einem Herrn jesprochen, der Flinten im Diluvium jefunden hat?“

Der kleine Gelehrte machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Sein Mund stand offen; seine Augen öffneten sich, so weit es möglich war, und seine Brauen stiegen hoch empor.

„Flinten? Flinten?“ stotterte er. „Ja wahrhaftig, Flinten!

Das ist freilich ein Fall, welcher mir noch nicht vorgekommen ist, der sich aber jedenfalls erklären lassen muß. Es ist gewiß, daß es weder im Silurium oder gar vorher, noch in der nächstfolgenden Zeit Schießgewehre gegeben hat. Wenn diese Waffen sich hier unter dem Rückenschilde meiner Gigantochelonia vorfinden, so sind sie von menschlichen Individuen, welche höchst wahrscheinlich der geschichtlichen Zeit angehören, hergebracht worden. Diese Menschen haben keine zoopaläontologischen Kenntnisse gehabt, sonst hätten sie erkennen müssen, daß sie ihre nachsündflutlichen Waffen an einen vorsündflutlichen Ort brachten, dessen Bedeutung für die Verhältnisse urweltlicher –“

Er kam nicht weiter. Nahendes, starkes Pferdegetrappel brachte ihn aus der Urwelt in die Gegenwart zurück. Laute Stimmen ertönten, und als er den Kopf aus dem Loche steckte, um zu sehen, was draußen vorgehe, sah er, daß mehrere Indianer die Pferde ergriffen und andre die Waffen, welche er und seine beiden Begleiter abgelegt hatten, an sich nahmen. Zwei Weiße hielten ihm ihre Revolver entgegen, und einer von ihnen rief ihm in gebieterischem Tone zu:

„Kommen Sie mit Ihren Genossen heraus, Señor! Wir haben ein Wörtchen mit Ihnen zu reden. Aber versuchen Sie nicht etwa, sich zu wehren; das würde Ihren augenblicklichen Tod nach sich ziehen.“

„Antonio Perillo!“ rief der Gelehrte aus, der den Sprechenden erkannte.

„Ja, ich bin es. Gehorchen Sie, und kommen Sie schnell, sonst zwingen Sie uns, Gewalt anzuwenden.“

„Der Gewalt bedarf es nicht. Ich habe ein gutes Gewissen und kann mich vor jedem Menschen sehen lassen.“

Er kam herausgestiegen und seine beiden Gefährten folgten ihm. Als Perillo den Chirurgen erblickte, rief er erstaunt aus:

„Der Camicero! Señor, was thun Sie denn hier in dieser Gesellschaft?“

„Ich führe die Herren nach dem Gran Chaco,“ antwortete der Gefragte.

„Zu welchem Zwecke?“

„Um Tiere auszugraben.“

„Tiere? Ausgraben? Was denn für welche?“

„Vorsündflutliche Urtiere.“

„Das lassen Sie sich weiß machen? Señor Parmesan, ich habe Sie bisher als einen Menschen gekannt, der zwar seine Schrullen hat, sonst aber ungefährlich ist und ganz besonders sich niemals mit Politik befaßt. Heut aber lerne ich anders von Ihnen denken!“

„Politik? Was geht mich diese an! Ich bin Chirurg und habe vollständig genug an meiner Wissenschaft. Sie wissen ja, es ist mir keine Operation und kein Schnitt zu schwierig; ich säble alles herunter.“

„Diesmal aber scheinen Sie unter Säbel nicht Ihr Operiermesser, sondern einen wirklichen Degen zu verstehen. Sie wissen doch, daß Ihre Begleiter politisch höchst verdächtige, ja sogar gefährliche Menschen sind?“

„Gefährliche Menschen? Davon habe ich keine Ahnung;‘ das ist nicht wahr. Diese Señores sind gelehrte Leute aus Deutschland; sie wollen Riesentiere ausgraben; mit der Politik aber haben sie nichts zu thun.“

„Wenn das wirklich Ihre Überzeugung ist, so sind Sie von ihnen getäuscht worden. Wir aber wissen besser, woran wir mit ihnen sind. Sie haben eine Rolle übernommen, welche ihnen leicht das Leben kosten kann. Glücklicherweise für uns ist sie jetzt ausgespielt, da wir diese so ehrenwerten Señores hier bei dem Diebstahle ertappt haben.“

„Diebstahl?“ fuhr da Fritze auf. „Wir sind keine Diebe, wohl aber können wir Sie eines Verbrechens zeihen, welches noch schlimmer als Diebstahl ist.“

„So?“ lachte Perillo höhnisch auf. „Welches Verbrechen meinen Sie denn?“

„Den Mord. Sie haben in Buenos Ayres meinen Herrn zu erschießen versucht!“

„So? Es dürfte Ihnen schwer werden, dies zu beweisen; wohl aber werden wir Ihnen den Beweis führen, daß Sie sich in Dinge eingelassen haben, durch welche Ihr Kopf in die größte Gefahr gebracht wird. Ich erkläre Ihnen beiden, daß Sie unsre Gefangenen sind.“

„Dazu haben Sie kein Recht. Oder gehören Sie etwa oft und manchmal zur Polizei?“

„Das geht Sie nichts an! Übrigens gehört Ihre Angelegenheit nicht vor das Zivil- sondern vor das Kriegsgericht. Man wird Sie standrechtlich erschießen. Hier kommt der Offizier, welcher Sie ins Verhör nehmen wird.“

Er deutete auf die fünf Reiter, welche jetzt von Süden her am Platze angekommen waren, vier Kavalleristen, angeführt von dem Hauptmann, welcher Morgenstern und Fritze in Santa Fe erst bewirtet und dann fortgewiesen hatte. Dieser sprang vom Pferde, nickte den Indianern zu, reichte dem Stierkämpfer wie einem alten Freunde die Hand und gab sie dann auch dem Begleiter dieses letzteren, indem er sich sehr höflich verbeugte und in beinahe ehrerbietigem Tone sagte:

„Viel Ehre für mich, Señor Benito, den berühmtesten Gambusino (Goldsucher) des Landes wiederzusehen! Sie bemerken, daß ich Wort gehalten und mich zur rechten Zeit eingestellt habe. Aber welche Menschen finde ich bei Ihnen? Da ist ja der famose Deutsche, den ich wegen seiner großen Ähnlichkeit für den Obersten Glotino hielt und dann –“

„Hielt? Nur hielt?“ unterbrach ihn der Angeredete, welcher bis jetzt noch nicht gesprochen hatte. „Lassen Sie sich durch die Verkleidung nicht irre machen! Er ist es wirklich. Wo haben Sie ihn gesehen?“

Kapitän Pellejo erzählte kurz die Begegnung in Santa FÉ, worauf der als Gambusino bezeichnete achselzuckend meinte: „Da haben Sie ja den Beweis, daß wir es mit dem richtigen Glotino zu thun haben. In Buenos Ayres logierte er bei dem Bankier Salido, welcher als Anhänger des Generales Mitre bekannt ist; in Santa Fe geht er nach dem Cuartel, um die Besatzung desselben zu kontrollieren, und dann reitet er direkt hierher, um unser Magazin auszunehmen. Er wird uns zu sagen haben, wer ihm die Lage desselben verraten hat.“

„Mir hat niemand etwas verraten,“ bemerkte da der kleine, rote Gelehrte. „Ich heiße Morgenstern und bin aus Deutschland. Wir wollen nach dem Gran Chaco, um vorweltliche Tiere auszugraben, und hier, wo wir Lager machten, entdeckte ich zufällig, lateinisch fortuito, die obere Schale einer vorsündflutlichen Riesenschildkröte, welcher ich den Namen Gigantochelonia gegeben habe.“

„Die Schale einer Schildkröte? Wo ist sie denn?“

„Hier doch,“ antwortete der Kleine, indem er auf den vermeintlichen Panzer zeigte. „Sie werden doch zugeben, daß wir es hier mit dem Rückenschilde einer Riesenschildkröte zu thun haben!“

„Herr, halten Sie uns nicht für verrückt!“ fuhr der Gambusino auf. „Sie wissen sehr genau, in welcher Weise man derartige heimliche Magazine anlegt und daß man die Waffen und das Pulver dadurch vor der Feuchtigkeit schützt, daß man dem Verstecke eine mit Harz durchdrängte Lehmdecke gibt. Halten Sie uns etwa für so dumm, zu glauben, daß Sie eine solche Decke für den Panzer einer Schildkröte angesehen haben?“

„Aber, Señor, das ist ja wirklich der Fall! Die Annahme, daß dies eine durchharzte Lehmdecke sei, beruht auf einem gewaltigen Irrtume. Ich bin Kenner und gebe Ihnen die Versicherung, daß wir es mit den Überresten einer ganz einzig dastehenden zoopaläontologischen Existenz zu thun haben. Darauf können Sie sich verlassen, lateinisch durch fidus ausgedrückt.“

„Verstellen Sie sich doch nicht auf eine so lächerliche Weise! Wir werden Ihnen ein Latein vorsagen, welches Sie wohl schwerlich nachsprechen können. – Señor Capitan, bemächtigen Sie sich dieser beiden sogenannten Deutschen! Der Carnicero ist ungefährlich; ihn wollen wir laufen lassen, da er, wenn wir ihn bei uns behielten, uns nur hinderlich sein würde. Er mag sein Pferd und seine Waffen nehmen und reiten, wohin es ihm beliebt.“

Nichts konnte dem Chirurgen lieber sein als diese Entscheidung. Er sattelte schnell sein Pferd, nahm seine Flinte und stieg auf, um davonzureiten. Aber wohin? Als er der Truppe aus den Augen war, hielt er an, um zu überlegen.

„Eine tolle Geschichte!“ brummte er in den Bart. „Dieser deutsche Knochensucher soll der Oberst Glotino sein. Fällt ihm gar nicht ein! Er hat das Waffenversteck wirklich für das Lager eines uralten Tieres gehalten. Diese Kerls, welche uns überraschten, wollen sich mit den Indianern verbinden, um sich gegen die Regierung zu empören. Sie sind Halunken. Sie sprachen davon, den Deutschen töten zu wollen. Er ist ein guter Mensch, und ich möchte ihn retten. Aber wie?“

Er dachte nach, fuhr dann plötzlich aus seinem Sinnen auf und meinte zu sich selbst:

„Ich hab’s! Ich brauche ja nur dem Vater Jaguar nachzueilen und ihm zu erzählen, was geschehen ist. Seine Spur wird nicht mehr zu sehen sein, aber ich weiß ja die Richtung, die er eingeschlagen hat. Also schnell vorwärts!“

Er jagte mit seinem Pferde von dannen.

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Eine Urwaldschlacht

Eine Urwaldschlacht

Nach dem nächtlichen Unwetter war ein heiterer Morgen angebrochen. Die Regenwasser hatten sich verlaufen; der Hochwald dampfte, und im Thale unten wogte zwischen dem Gesträuch das saftige Gras hoch wie ein Ährenfeld. Die Pferde wurden aus den Gebäuden gelassen, um sich an diesem Grün zu laben, denn von einem Aufbruche konnte jetzt noch keine Rede sein, da die Tiere sich nach dem nächtlichen Parforceritte ausruhen mußten und man jetzt auch noch gar nicht wußte, wohin man sich zu wenden hatte. Dieses letztere mußte erst noch besprochen werden.

Die Männer nahmen von den mitgebrachten Vorräten ein Frühstück, um sich nach demselben zur notwendigen Beratung zusammenzusetzen. Dabei war zu bemerken, daß Lieutenant Verano dem alten Anciano eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit schenkte. Seine Blicke kehrten wieder und immer wieder zu diesem zurück, so daß der Indianer, welcher dies gar wohl bemerkte, endlich fragte:

„Sie betrachten mich fortwährend, Señor. Hat dies einen besondern Grund?“

„Ja,“ antwortete der Offizier.

„Darf ich erfahren, welchen? Komme ich Ihnen vielleicht bekannt vor? Hätten Sie mich schon einmal gesehen?“

„Sie wohl nicht. Meine Aufmerksamkeit gilt nur Ihrem langen, weißen Haare, welches mich an einen Skalp erinnert, den ich einmal gesehen habe.“

„Skalp? Was ist das?“

„Die Indianer Nordamerikas haben die Gewohnheit, ihren getöteten Feinden die Kopfhaut abzuziehen und als Zeichen des Sieges und der Tapferkeit aufzubewahren. Eine solche Haut wird Skalp genannt. Es ist ganz dasselbe, was wir spanisch sprechenden Leute mit Piel del cráneo bezeichnen.“

An welcher Beziehung stehe denn ich mit dieser Kopfhaut?“

„Es ist eine Ähnlichkeit. Der Skalp, von welchem ich spreche, hatte ein ebenso langes und dichtes weißes Haar, wie Sie tragen.“

Anciano horchte auf. Seine Züge nahmen den Ausdruck der Spannung an, als er fragte:

„Ein ebensolches Haar? Das wäre doch höchst merkwürdig! Ich glaube nicht, daß ein Weißer sein Haar in meiner Weise trägt.“

„Ich habe das allerdings auch noch nie gesehen. Übrigens hatte die Kopfhaut einem Indianer angehört.“

„Wohl einem nordamerikanischen?“

„Nein, sondern einem hiesigen.“

„Von welchem Stamme war er?“

„Das weiß ich nicht. Ich fragte zwar danach, doch gab mir der Besitzer des Skalpes keine genügende Antwort.“

„Wo sahen Sie die Haut?“

„In Buenos Ayres.“

„Bei wem?“

„Bei dem Stierkämpfer Antonio Perillo. Ich war einmal mit einem Freunde bei ihm. Er hatte sein Zimmer mit allerlei Trophäen ausgeschmückt, unter denen sich diese Haut befand.“

„Antonio Perillo, der Espada! Er ist es ja, mit dem wir wahrscheinlich zusammenstoßen werden! Man sagt, daß er wiederholt im Westen gewesen sei. Hat er Ihnen mitgeteilt, auf welche Weise er zu dieser Haut gekommen ist?“

„Ja. Er hat mit einem Indianer auf Leben und Tod gekämpft und ihn besiegt. Als Andenken an diesen schweren, lebensgefährlichen Kampf hat er den Skalp seines Feindes mitgenommen.“

„Wo hat dieser Kampf stattgefunden? Sagen Sie schnell, wo!“ bat Anciano im Tone außerordentlicher Erregung.

„In der südlichen Pampa. Das war alles, was ich erfahren konnte.“

„Da unten? Da ist es freilich anders, als ich dachte.“

Er atmete bei diesen Worten hörbar und wie erleichtert auf. Sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck der Gleichgültigkeit an, veränderte sich aber sofort wieder, als der Lieutenant bemerkte:

„Das Haar war wirklich prächtig, schöner noch als das Ihrige. Es wurde von einer Spange zusammengehalten, und der, welcher es getragen hat, muß ein sehr alter und wohl auch armer Mann gewesen sein.“

„Von einer Spange?“ rief Anciano aus, indem er eine Bewegung der Überraschung machte. „Wie sah diese Spange aus? Und warum glauben Sie, daß der Mann arm gewesen ist?“

„Weil sie von Eisen war, während ein wohlhabender Mann doch, wenn er sich solcher Zieraten bedient, solche von wertvollerem Metalle wählt. Die Spange hatte an ihrer vorderen Seite die Form einer Sonne mit zwölf Strahlen.“

„Zwölf Strahlen!“ schrie Anciano förmlich, indem er aufsprang. „Señor, diese Spange war nicht aus Eisen, sondern vom reinsten Golde. Der Besitzer hatte sie aber künstlich geschwärzt, um nicht die Habsucht andrer zu erwecken.“

„Woher wissen Sie das? Haben Sie den Mann gekannt, welchem dieser Schmuck gehörte?“

„Ob ich ihn gekannt habe! Er war mein Gebieter, ein Herrscher über – –“

Er war im höchsten Grade erregt. Seine Augen blitzten; er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und machte mit demselben Bewegungen, als ob er einen vor ihm stehenden Feind erstechen wolle. Er hätte noch mehr gesagt, vielleicht sein ganzes Geheimnis verraten; aber Haukaropora war auch aufgesprungen, legte ihm die Hand auf den Arm und unterbrach ihn in warnendem Tone:

„Still, mein Vater! Der Mann war ein Indianer, weiter nichts; aber dennoch müssen wir erfahren, ob er in rechtlichem Kampfe getötet worden ist. Wenn nicht, dann wehe seinem Mörder! Er war trotz seines Alters so stark und tapfer, daß er niemals überwunden wurde. Soll ich da glauben, daß er von diesem Antonio Perillo besiegt worden ist? Nein und abermals nein! Er ist ermordet worden.“

„Ganz gewiß, ganz gewiß!“ stimmte der Alte bei. „Wir brauchen nach dem Mörder nicht zu forschen; Perillo hat zugegeben, daß er selbst ihn getötet hat. Wir wissen, daß er hinter uns herkommt; er wird in meine Hände fallen, und dann soll er uns Rede und Antwort geben!“

„Ja, reden soll er, und die Antwort gebe ich ihm mit diesem da!“

Der Inka schwang seinen Streitkolben, auf den sich seine Worte bezogen, um den Kopf. Er war fast noch mehr erregt, als sein Anciano, beherrschte sich aber schnell, als er sah, daß die Anwesenden ihn erstaunt anblickten, nahm eine gleichgültige Miene an, setzte sich wieder nieder und legte den Kolben neben sich hin.

Aber nicht nur diese beiden waren von der Mitteilung des Lieutenants so tief berührt worden; es gab einen dritten, welcher ihr eine ebenso große, wenn auch ruhigere Aufmerksamkeit schenkte. Dieser dritte war der Vater Jaguar. Von da an, wo der Skalp erwähnt wurde, bis zum letzten Augenblicke hatte er die Reden mit der größten Spannung verfolgt. Er saß neben dem Inka und griff jetzt nach dem Streitkolben, um denselben zu betrachten. Die Waffe war schwarz, wie von einem dunkeln Firnis überzogen. Er besah sie sehr genau, legte sie dann wieder hin, ohne eine Miene zu verziehen, und sagte:

„Ich halte es nicht für notwendig, sich jetzt über den Skalp zu ereifern. Noch wißt Ihr nicht, ob es wirklich die Kopfhaut Eures Bekannten ist. Wir werden es erst später genau erfahren.“

„Nein, ich weiß es sicher,“ antwortete Anciano; „die Spange ist der Beweis, daß ich mich nicht irre.“

„Dennoch haben wir jetzt Notwendigeres zu besprechen,“ entgegnete Hammer, indem er dem Alten einen verstohlenen Wink gab, zu schweigen. „Es gilt, zu beraten, wohin wir uns von hier aus wenden sollen.“

„Doch jedenfalls nach dem Palmensee,“ antwortete der Lieutenant Verano. „Das war ja schon vorher Ihr Ziel und muß es nun erst recht bleiben, da die Verschwörer dort zusammen kommen wollen.“

„Ich glaube zwar nicht, daß schon jemand von ihnen dort ist, möchte diesen See aber dennoch vermeiden. Man könnte später durch einen Zufall entdecken, daß wir dort gewesen sind, und das könnte zum Mißlingen meines Planes führen.“

„Hast du denn schon einen Plan?“ fragte Geronimo.

„Beinahe. Wir wissen, daß die Abipones gegen die Cambas wollen, und könnten dieses Vorhaben vielleicht schon im Keime zunichte machen. Ich sage mit Absicht: vielleicht, denn ich befürchte, daß wir zu schwach dazu sind. Die Abipones können sich schon jetzt auf dem Kriegsfuße befinden, und in diesem Falle dürfen wir bei unsrer Minderheit nicht wagen, es mit ihnen aufzunehmen.“

„Das meine ich auch. Die Burschen sind zwar furchtsam und scheuen einen offenen Angriff; zu einem nächtlichen Überfalle aber sind sie stets bereit, und da habe ich vor ihren vergifteten Pfeilen den größten Respekt. Wir müssen uns verstärken, und das kann nur mit Hilfe der Cambas geschehen.“

„Allerdings. Es fragt sich, ob sie ahnen, was ihnen bevorsteht.“

Da antwortete der „harte Kopf“:

„Unsre Leute wissen nichts davon, daß sie überfallen werden sollen. Wir leben in Feindschaft mit den Abipones, aber daß sie jetzt einen Kriegszug gegen uns vorhaben, das war uns ganz unbekannt. Wir müssen sobald wie möglich aufbrechen, um ihnen die Nachricht zu bringen und sie vorzubereiten. Der Zug wird gegen unser größtes und reichstes Dorf gerichtet sein.“

„Woher weißt du das?“

„Die Abipones, welche uns gestern fingen, sprachen ganz offen davon. Da wir heute früh ersäuft werden sollten, so glaubten sie, ganz sicher zu sein, daß wir nichts verraten könnten.“

„Wo liegt dieses Dorf und wie weit ist es von hier entfernt?“

„Es liegt an dem Wasser, welches die Weißen den Arroyo claro nennen, und wenn wir gut reiten, können wir nach drei Tagemärschen dort sein.“

„Wie ist die Gegend beschaffen, durch welche wir müssen? Ist sie unbewohnt?“

„ES gibt Wald, offenes Feld und auch mehrere Dörfer der Abipones, welche wir aber vermeiden können, wenn wir den Ritt von hier aus unternehmen. Wollten wir aber erst den Palmensee aufsuchen, so würden wir von dort aus längere Zeit durch feindliches Gebiet zu reiten haben.“

„Hm!“ brummte der Vater Jaguar nachdenklich in den Bart. Er blickte eine Weile vor sich nieder und fuhr dann fort: „Und dennoch halte ich es für besser, erst nach dem Palmensee zu gehen. Vorhin wollte ich das vermeiden; nun ich aber genau erfahren, wohin die Gegner wollen, muß mir daran hegen, den Weg, welchen sie einzuschlagen haben, kennen zu lernen. Hältst du es denn gar nicht für möglich, vom Palmensee aus nach dem klaren Bache zu gelangen, ohne von den Abipones gesehen zu werden?“

„Ihre Dörfer könnten wir umreiten, Señor, aber daß wir einzelnen von ihnen begegneten, das wäre wohl nicht zu vermeiden.“

„Einzelne sind nicht zu scheuen. Wir würden sie ergreifen und gefangen mit uns nehmen, so daß sie den Ihrigen keine Nachricht von uns gehen können. Ich habe auch noch einen andern Grund. Unser Fleischvorrat geht zu Ende, und uns drei Tage lang vom Ertrage der Jagd zu ernähren, dazu haben wir keine Zeit. Durch den dabei entstehenden Aufenthalt könnten aus den drei leicht fünf oder sechs Tage werden. Die Abipones aber besitzen, wie ich weiß, Rinder, von denen wir eins oder gar einige heimlich wegfangen können. Da kommen wir ohne Mühe und Zeitverlust zu Fleisch. Wie weit ist es von hier bis zu dem Palmensee?“

„Einen halben Tagesritt.“

„Gut, dann brechen wir um die Mittagszeit von hier auf, so daß wir am Abend dort ankommen. Es ist ja nicht notwendig, daß wir ganz bis zum See reiten. Meine Absicht geht ja nur dahin, in die Gegend desselben zu kommen. Kennst du denn den geraden Weg nach dem klaren Bache?“

„Ich kenne jeden Baum und Strauch, an dem wir vorüberkommen werden.“

„So können wir uns also auf dich verlassen. Es bleibt dabei: zu Mittag geht’s von hier fort.“

Es hatte keiner etwas dagegen einzuwenden, doch meinte Doktor Morgenstern Grund zu der Bemerkung zu haben:

„Ihre Absicht und Ihren Plan in allen Ehren, aber ich habe doch auch Absichten und Pläne, an die ich Sie erinnern muß. In welcher Richtung liegt denn der klare Bach, zu welchem Sie wollen?“

„Nach Nordwesten,“ antwortete der Häuptling.

„Ist die dortige Gegend eben oder bergig?“

„Es gibt Berge.“

„Dann erhebe ich Einspruch, Señores! Sie wissen, daß ich nicht wegen der Cambas, sondern um Ausgrabungen vorzunehmen, in dieses Land gekommen bin. Die Tiere, deren Überreste ich suche, haben nicht auf den Bergen, sondern in der Ebene gelebt. Je weiter ich mich von der letzteren entferne, desto mehr schwindet mir die Hoffnung, etwas zu finden. Ich erhebe also Widerspruch, lateinisch Contradktio oder auch Repugnantia genannt.“

„Ihr Widerspruch wird leider ohne Erfolg sein,“ antwortete der Vater Jaguar. „Wir können doch nicht Ihrer Ausgrabungen wegen die Cambas berauben oder gar ermorden lassen!“

„Ebensowenig kann ich dieser Leute wegen auf mein Mastodon oder Megatherium verzichten, welches ich finden möchte. Ich beantrage, daß die Wissenschaft berücksichtigt werde. Ist dies nicht der Fall, so thue ich – – –“

Er hielt inne.

„Nun, was wollen Sie thun?“ fragte Hammer.

„Hm! Ich bleibe zurück, um meine Nachforschungen auf eigene Faust vorzunehmen.“

„Ich rate Ihnen, davon abzusehen. Sie würden sehr bald in die Hände der Indianer fallen. Oder haben Sie vergessen, daß Sie sich schon einmal in Gefangenschaft befanden?“

„Ja, das ist freilich wahr; aber wenn ich nichts wage, so gewinne ich nichts. Ich habe mir nun einmal vorgenommen, ein vorweltliches Tier nach Hause zu bringen. Die Reise, lateinisch Profectio oder auch Peregyinatio genannt, hat Geld gekostet, und das will ich doch nicht umsonst ausgegeben haben.“

Der „harte Kopf“ hatte aufmerksam zugehört. Es war ihm nicht klar, was der kleine Mann meinte, aber er ahnte es und erkundigte sich jetzt:

„Dieser Señor spricht von Tieren und vom Ausgraben. Gehört er vielleicht zu den sonderbaren weißen Leuten, welche in der Pampa nach Knochen graben, um dieselben in die großen Städte zu bringen und dort zusammenzustellen?“

„Ja, er gehört zu ihnen,“ antwortete Hammer lächelnd.

„So braucht er nicht hier zu bleiben und sich in die Gefahr zu bringen, von den Abipones gefangen genommen oder gar getötet zu werden. Ich weiß, wo solche Knochen zu finden sind.“

„Wo denn, wo?“ fragte der kleine Gelehrte schnell.

„Ich kenne mehrere Orte. An einem derselben werden wir vorüberkommen. Es ist der Pantano de los Huesos. Dieser Name sagt Ihnen, daß das Gewünschte dort zu finden ist.“

„Wirklich, wirklich? Ein Knochensumpf?“ erkundigte sich Morgenstern mit großem Eifer. „Welchem Tiere gehören denn die Knochen an?“

„Das weiß ich nicht. Und dann kenne ich auch nicht – –“. Er stockte für einige Augenblicke, fuhr dann aber fort: „Die Señores sind gekommen, uns gegen unsre Feinde beizustehen, und aus Dankbarkeit dafür will ich sagen, daß ich einen Ort kenne, wo ein Tier in der Erde steckt‘ welches so groß gewesen sein muß, wie es jetzt keins mehr gibt. Wir haben es zufällig gefunden und wollten es an einen der Weißen, welche solche Knochen suchen, gegen Geld verhandeln. Da Sie uns aber gegen die Abipones helfen wollen, werde ich es Ihnen schenken.“

„Was? Wie? Ein so großes Tier, wie es jetzt keins mehr gibt?“ fragte Morgenstern schnell. „Was ist es für eins? Vielleicht ein Glyptodon?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich habe diesen Namen noch nie gehört.“

„Wie groß ist es denn? Wie lang und wie hoch?“

„Auch das weiß ich nicht, denn wir haben es nicht ganz

gesehen.“

„Nicht ganz? O wehe! Dann sind vielleicht nur einzelne Knochen vorhanden!“

„Nein; es ist ganz. Wir haben gegraben, bis die sämtlichen Rückenknochen zu sehen waren.“

„Und dann? Dann habt ihr sie wohl durcheinander geworfen?“

„Nein, wir hatten erfahren, daß ein zerbrochenes Tier nicht so viel wert ist, wie ein unverletztes. Darum ließen wir es, wie es war, und deckten es sorgfältig mit Erde zu.“

„Bravo, bravo! Das war sehr klug, sehr gescheit gehandelt! Ich ersehe daraus, daß ihr Indianer doch nicht so dumm seid, wie man euch uns geschildert hat. Ich muß dieses Tier haben! Wo steckt es? Wo ist der Ort? Wann werden wir hinkommen? Doch sobald wie möglich?“

„Die Stelle befindet sich einen ganzen Tagesritt hinter unsrem Dorfe.“

„Das ist mir gar nicht lieb, ganz und gar nicht! Ich beantrage, sofort aufzubrechen, Señores! Ich sehe wirklich nicht ein, weshalb wir so lange hier sitzen bleiben wollen!“

„Nur langsam, langsam!“ lachte der Vater Jaguar. „Erst wollten Sie hierbleiben, und nun können Sie nicht schnell genug fortkommen. Wir haben noch so viel zu thun, daß wir vor Mittag nicht aufbrechen können.“

„Zu thun? Was denn? Ich wüßte nicht, was wir noch zu arbeiten hätten!“

„Denken Sie an die vielen Pferde, welche wir jetzt haben, und an unser Gepäck. Wir müssen das letztere den ersteren zu tragen geben, haben also Packsättel anzufertigen.“

„Packsättel? Wir haben ja weder Leder noch sonstiges Material dazu?“

„Material ist genug vorhanden. Man muß sich nach den Umständen richten. Aus Zweigen, Laubwerk, Schilf und Gras lassen sich Sättel anfertigen, welche länger als drei Tage zu gebrauchen sind. Aus Schlingpflanzen, welche hier in Hülle und Fülle zu haben sind, drehen wir Seile, womit die Sättel befestigt und die Pferde aneinander gebunden werden. Haben wir auf diese Weise eine zusammenhängende Tropa gebildet, so geht der Ritt viel leichter und schneller von statten. Wir werden sofort an die Arbeit gehen.“

Der erfahrene Mann ließ junges Gezweig, Gras und Schilf sammeln, und bald waren alle Hände unter seiner Anleitung beschäftigt, die Pferde mit weichen Tragunterlagen und Halftern aus Schlinggewächsen zu versehen. Als die Tiere sich ausgeruht hatten, wurden sie beladen und so aneinander gebunden, daß sie eine zusammenhängende Tropa bildeten. Dann konnte der Aufbruch vor sich gehen. Es war gerade zur Mittagszeit, als man den Ort verließ, welcher einen so schlimmen Namen besaß und doch so vielen Schutz vor dem verderblichen Unwetter geboten hatte.

Das heutige Ziel war also der Palmensee, welcher in südwestlicher Richtung von der Ansiedelung der Niedermetzelung lag. Der „harte Schädel“ ritt mit seinen vier Cambas als Führer voran; dann folgten die Pferde in einer langen Reihe, welche von den Reitern zu beiden Seiten in Ordnung gehalten wurden. Die Höhen, an denen man während der Nacht vorübergekommen war, blieben links liegen; die Gegend, durch welche man kam, konnte, obgleich man sich mitten im Chaco befand, als Campo bezeichnet werden. Sie war eben und offen. Nur hier oder da wurde der weiche Rasen von einer sandigen Stelle unterbrochen, bis man am Nachmittage wüstes Land betrat, welches, wie der Häuptling sagte, erst am Palmensee ein Ende nahm.

Der Vater Jaguar ritt heute hinter dem Zuge. Er hatte Anciano und dem Inka einen Wink gegeben, sich zu ihm zu halten. Als sie dann zu seinen beiden Seiten ritten, sagte er zu ersterem:

„Dein Mund wäre heut früh beinahe mitteilsamer geworden, als in deiner Absicht lag. Fast hättest du dein Geheimnis verraten.“

„Du meinst, daß ich ein Geheimnis habe? Welches könnte das sein?“ fragte Anciano.

„Ich kenne es nicht, aber ich errate es. Haukaropora ist nicht dein Sohn und auch nicht ein Enkel von dir.“

„Wie kommen Sie auf diesen Gedanken, Señor? Sie haben ihn doch stets als meinen Enkel gekannt!“

„Du hast ihn als solchen bezeichnet; ich aber ahnte längst, daß euer Verhältnis ein andres sei. Du teiltest uns in deiner Aufregung mit, daß die Spange, von welcher der Lieutenant sprach, nicht von Eisen, sondern aus purem Golde sei. Es gibt noch andre Gegenstände, welche aus Eisen zu sein scheinen und doch aus Gold gefertigt sind.“

„Welche, Señor?“

„Zum Beispiel der Streitkolben, den Hauka hier an seiner Seite trägt.“

„Der soll aus Gold sein, Señor? Dann wären wir ja reiche Leute!“

„Pah! Verstelle dich nicht! Ich bin dein Freund, und ihr wißt, daß ihr von mir nichts zu befürchten habt. Ich mag nicht aufdringlich erscheinen; aber wenn ihr euer Geheimnis wahren wollt, so müßt ihr vorsichtiger sein. Hauka hat gestern den feindlichen Indianer mit dem Streitkolben niedergeschlagen. Die Waffe muß auf etwas Hartes oder Scharfes oder Spitziges getroffen sein, wodurch der dunkle, harzige Überzug beschädigt wurde. Die kleine Stelle glänzt goldig gelb. Seht einmal nach!“

Haukaropora nahm den Kolben zur Hand, betrachtete ihn und hing ihn dann errötend wieder an seine Stelle.

„Nun?“ fragte der Vater Jaguar lächelnd. „Nicht wahr, er ist von Gold?“

Keiner von beiden antwortete. Sie wollten nicht ja sagen, aber auch nicht den Freund belügen. Dieser fuhr fort:

„Wißt ihr, wer ganz allein das Recht hatte, einen goldenen Streitkolben oder Humantschuay zu tragen? Ihr wißt es ebensogut wie ich; dennoch will ich es sagen: der Herrscher von Peru war es. Und dieser Streitkolben verrät mir, daß Hauka ein Abkömmling der Inkas ist.“

„Señor, Sie irren!“ entfuhr es dem alten Anciano.

„Ich irre mich nicht. Gib dir keine Mühe, mich zu täuschen! Das Geheimnis ist bei mir ebenso sicher wie in deiner eigenen Brust bewahrt. Überhaupt habt ihr ja gar nicht nötig, ein Geheimnis aus der Abstammung dieses jungen Mannes zu machen.“

„O doch!“

„Warum?“

„Denken Sie an die Verfolgungen, welche wir erlitten haben!“

„Ihr? Davon weiß ich nichts. Euern Vorfahren stellte man nach mit Feuer, Schwert und Gift; das ist wahr. Seitdem haben sich die Zeiten geändert, und kein Mensch wird euch eurer Abstammung wegen nach dem Leben trachten.“

„Das denken wohl Sie; wir aber sind vom Gegenteil überzeugt.“

„So hast du einen besonderen Grund zur Vorsicht und Verschwiegenheit. Der Umstand, daß Hauka ein Kind des Inka ist, bringt ihn in keine Gefahr; aber gefährlich könnte ihm etwas andres werden.“

„Was wäre das, Señor?“

„Wenn ihr infolge seiner Abstammung gewisse Hoffnungen hegtet, welche niemals in Erfüllung gehen können.“

„Nie? Wirklich nie?“

„Niemals, sage ich euch! Ihr lebt in euern Erinnerungen und wißt nichts von der übrigen Welt, von dem Leben. Ihr träumt. Laßt diesen Traum einen Traum bleiben, da er nie zur Wirklichkeit werden kann! Das ist es, was ich euch sagen will. Weiter in euch zu dringen, habe ich weder die Absicht, noch das Recht. Ich wollte etwas andres erfahren. Was ist es mit der Spange? Ich bin überzeugt, daß du richtig geraten hast, daß der Tote, dessen Skalp Antonio Perillo besitzt, dein Bekannter war. Wer ist dieser Mann gewesen?“

Anciano zögerte zu antworten, darum fügte der Vater Jaguar hinzu:

„Ich frage in einer bestimmten Absicht und nicht etwa aus müßiger Neugierde. Eine Antwort würde für dich wahrscheinlich von Vorteil sein.“

„Wollte ich antworten, so müßte ich Ihnen eben unser Geheimnis mitteilen.“

„Es würde euch nichts schaden, wenn du das thätest; doch wenn du das Schweigen für besser hältst, so habe ich nichts dagegen. Sage mir wenigstens, wo der Betreffende den Tod gefunden hat.“

„Ich kenne den Ort nicht genau.“

„Auch nicht die Gegend im allgemeinen?“

„Die weiß ich allerdings; sie wird Ihnen aber unbekannt sein.“

„Was das betrifft, so bin ich weiter herumgekommen, als du denkst.“

„So sagen Sie, ist Ihnen ein Ort bekannt, welchen man die Barranca del Homicidio nennt?“

„Nicht nur bekannt, sondern ich bin zweimal dort gewesen. Ich stieg von der Salina del Condor hinauf.“

„Ja, von der Salina del Condor. Sie liegt nicht weit davon, und ich war viele, viele Male dort.“

„Und du bist überzeugt, daß dein Bekannter seinen Tod dort gefunden hat?“

„Ja.“

„Welchen Grund hast du dazu?“

„Ich begleitete ihn bis in die Nähe und mußte zurückbleiben, um auf ihn zu warten; er wollte das so; er befahl es mir.“

„Ah, er befahl es dir? Wer befiehlt, ist der Herr, und wer gehorcht, ist der Untergebene, der Diener. Du wartetest wohl vergeblich auf seine Wiederkehr?“

„Ja. Ich wartete zwei volle Tage lang. Dann wurde es mir angst um ihn. Ich ging ihm nach bis an den Ort, den er hatte aufsuchen wollen. Ich sah ihn nicht und fand ihn nicht. Ich suchte in allen Thälern und Schluchten, auf allen Bergen und Höhen. Ich ging heim und holte meine Freunde, damit sie mir helfen sollten, nachzuforschen; es war alles vergeblich. Wir suchten wochenlang und mondenlang, ohne das kleinste Zeichen von ihm zu entdecken. Er mußte verunglückt sein. Heute früh habe ich die erste Spur gefunden. Er soll im Kampfe gefallen sein; aber ich bin überzeugt, daß er ermordet worden ist.“

„Glaubst du nur deshalb an einen Mord, weil du ihn für unüberwindlich gehalten hast? Oder wüßtest du noch einen weiteren Grund?“

„Ja, ich habe einen.“

„Welchen?“

„Er hatte Gegenstände bei sich, welche geeignet waren, die Habsucht anzulocken.“

„Welcher Art Gegenstände waren das?“

„Das darf ich nicht sagen.“

„Du hast es nicht nötig, denn ich weiß es doch. Es war Gold.“

„Señor!“ fuhr Anciano auf. „Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?“

„Es ist keine Vermutung, sondern die festeste Überzeugung. Der Mann trug Gegenstände bei sich, welche aus der Zeit der Inkas stammten und aus Gold oder Silber gefertigt waren.“

„Wie könnten Sie das wissen?“

„Das will ich dir sagen. Ich will aufrichtiger mit dir sein, als du gegen mich bist.“

Er wollte weiter sprechen, da aber bemerkte Haukaropora, welcher bis jetzt geschwiegen hatte, in eifriger Weise:

„Anciano, du beleidigst den Señor. Er ist unser Freund und verdient es nicht, daß wir ihm Mißtrauen zeigen. Wenn wir ihm alles sagen, wird er keinem Menschen etwas davon mitteilen.“

„Du hast recht. Von mir wird niemand etwas erfahren,“ antwortete Hammer. „Aber was ihr mir mitteilen könntet, das habe ich schon beinahe erraten. Ich will euch etwas zeigen.“

Er öffnete sein Lederkoller und zog einen kleinen, goldglänzenden Gegenstand hervor, den er an einer Schnur am Halse hängen hatte. Er band ihn los und reichte ihn Anciano hin. Es war eine kleine, außerordentlich kunstvoll gearbeitete Schale, welche einen Durchmesser von höchstens drei Zoll besaß.

„Ein Taubecher!“ rief Anciano betroffen aus. „In dieser Schale wurde der Morgentau aus den Kelchen der Tempelblumen gesammelt und der Sonne, damit sie ihn trinken möge, zum Opfer gebracht.“

„Das wußte ich nicht. Der Zweck dieser Schale war mir unbekannt,“ antwortete der Vater Jaguar.

„Señor, es ist ein heiliges, ein sehr heiliges Gefäß l“

„Das weißt du so bestimmt? Damit beweisest du, daß deine Vorfahren Peruaner waren.“

„Ja, das waren sie,“ gestand der Alte.

„Die meinigen waren die Herrscher des Volkes,“ fügte Haukaropora hinzu. „Ich bin der einzige Nachkomme von ihnen, und nur sehr wenige treue Menschen wissen davon.“

„Ich dachte es. Du besitzest die verborgenen Schätze deiner Ahnen?“

„Warum fragen Sie so?“

„Diese Opferschale sagt es mir.“

„Woher haben Sie dieselbe?“ fragte Anciano. „Wie sind Sie in den Besitz derselben gelangt?“

„Ich habe sie gefunden.“

„Wo?“

„Zwischen der Salina del Condor und der Barranca del Homicidio.“

„Dort, also dort! Welch eine Entdeckung! Wann ist das gewesen?“

„Vor fünf Jahren.“

„In welcher Mondeszeit? Können Sie sich darauf besinnen?“

„Ganz genau. Es war am Tage nach dem Vollmonde.“

„Das ist richtig, wie es gar nicht richtiger sein kann. Nur in der Nacht des Vollmondes pflegte dein Vater in die Schlucht hinabzusteigen.“

Diese letzteren Worte waren an den Inka gerichtet. Dieser hatte sich die Schale geben lassen, betrachtete sie, küßte sie und sagte dann, indem sein Auge in feuchtem Glanze schimmerte:

„Also diese Schale hat mein Vater, der vorletzte Inka, in den letzten Stunden seines Lebens bei sich getragen! Señor, Sie bekommen sie nicht wieder; Sie müssen sie mir lassen. Ich werde Ihnen etwas viel Größeres und Wertvolleres dafür geben!“

„Behalte sie! Ich mag nichts dafür, denn sie hat in dir ihren rechtmäßigen Eigentümer gefunden.“

„Ich danke Ihnen! Aber haben Sie nur diese Schale gefunden? Nichts weiter, gar nichts weiter?“

„Noch viel, viel mehr! Aber es war nichts Erfreuliches, sondern im Gegenteile etwas Schreckliches.“

„Was?“

„Soll ich es wirklich sagen, so mache dich auch darauf gefaßt, Schlimmes zu hören!“

„Sprechen Sie, Señor! Ich bin stark und immer gewöhnt, an den Tod meines Vaters zu denken. War es noch etwas von ihm, was Sie fanden?“

„Nein, sondern er selbst war es.“

„Er selbst? Also seine Leiche?“

„Ja.“

Der Inka sah lange Zeit vor sich nieder auf den Sattel. Keine Muskel seines Gesichtes bewegte sich; aber er war bleich, sehr bleich geworden. Der alte Anciano fuhr sich mit den Händen einigemal über die Augen und schwieg auch. So ritten die drei eine ganze Weile nebeneinander hin, bis der Alte endlich das Schweigen brach und den Vater Jaguar mit bebender Stimme fragte:

„War er tot? Gab es keine Spur von Leben mehr in ihm?“

„Er war tot!“

„Und wie war er gestorben? Konnten Sie das sehen? Konnten Sie entscheiden, ob ein Mord vorlag oder ob ein ehrlicher Kampf stattgefunden hatte?“

„Es hatte keinen Kampf gegeben, weder einen ehrlichen noch einen unehrlichen. Ich hätte die Spuren desselben auch am Boden sehen müssen, da dieser von den Füßen zerstampft und aufgewühlt gewesen wäre. Es lag ein Mord vor, ein heimtückischer Meuchelmord. Der Tote hatte von hinten eine Kugel in die Brust bekommen.“

„und das Haar, das Haar, sein schönes, herrliches Haar, welches viel länger war als das meinige?“

„Es war weg, war fort. Der Ermordete war skalpiert worden.“

Keiner von beiden, weder der Inka noch Anciano, sprach eine Klage aus. Sie schwiegen jetzt wie vorhin, um Herr ihrer Gefühle zu werden. Dann begann der Alte wieder:

„Erzählen Sie uns, wie das gekommen ist! Wir müssen alles, alles erfahren, selbst die geringste Kleinigkeit!“

„Es ist da nicht viel zu erzählen. Weshalb ich in jene Gegend kam, und was ich da wollte, das wird euch gleichgültig sein. Ich kam nach der Salina del Condor, um mich und mein Maultier da auszuruhen, denn ich war fast die ganze helle Vollmondsnacht hindurch geritten. Während mein Maultier von dem spärlichen Grase naschte und ich, an der Erde sitzend, ein Stück Fleisch verzehrte, hörte ich Hufschlag hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen Reiter, welcher, von der Höhe herabkommend, um eine Felsenecke bog. Als er mich erblickte, stutzte er für einen Augenblick; dann gab er seinem Tiere die Sporen und jagte weiter, an mir vorüber.“

„Er hielt gar nicht an?“

„Keinen Augenblick.“

„Und sagte auch kein Wort, keinen Gruß?“

„Keine Silbe sagte er, und auch ich hielt es nicht für nötig, ihn anzurufen. Es fiel mir auf, daß er im Vorüberreiten das Gesicht von mir abwendete, gerade so, als ob ich es nicht sehen solle.“

„Und Sie haben es auch nicht gesehen?“

„Nur zwei oder drei Sekunden lang, als er um die Ecke kam. Dann wendete er es, wie schon gesagt, von mir ab. Ich sah, daß er die gewöhnliche, landläufige Kleidung trug und mit einem Gewehre bewaffnet war. Er hatte eine Decke hinter sich aufs Pferd geschnallt; dieses Bündel war so dick, daß ich annehmen mußte, es bestehe nicht aus der Decke allein. Es schien noch andre Gegenstände zu enthalten. Welche, das konnte ich natürlich nicht wissen.“

„Kam er nahe an Ihnen vorüber?“

„Nein. Es waren wohl an die fünfzig Pferdelängen.“

„Hätten Sie ihn doch angehalten!“

„Das war bei dieser Entfernung nicht möglich. Übrigens machte er einen so unheimlichen Eindruck auf mich, daß ich froh war, als ich ihn nicht mehr sah. Man muß bei fremden Begegnungen vorsichtig sein. Gegen Mittag, als mein Maultier sich erholt hatte, ritt ich weiter, nach der Barranca del Homicidio hinauf. Ich mochte ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als ich auf die Leiche stieß. Sie lag in einer Blutlache und machte mit dem skalpierten Schädel einen gräßlichen Eindruck. Ich untersuchte sie und war natürlich sofort der festen Überzeugung, daß der Mensch, den ich gesehen hatte, der Mörder sei.“

„Wie war der Tote gekleidet?“

„Ganz in Leder, so wie jetzt du es bist und wie ich es bin.“

„Das stimmt. Wir trugen stets solche Anzüge, weil leichtere im dichten Walde schnell zerreißen. Was hatte er sonst noch bei sich?“

„Nichts, gar nichts. Er war vollständig ausgeraubt worden. Aber als ich, um ihn zu untersuchen, seinen Körper hin und her wendete, sah ich etwas blinken, was unter ihm im Blute gelegen hatte. Es war diese Opferschale, welche ich seitdem stets bei mir getragen habe.“

„Nun eine Hauptsache: Was haben Sie mit der Leiche gemacht?“

„Ich konnte sie nicht liegen lassen; sie wäre eine Beute der Raubtiere geworden. Ich schaffte sie in eine nahe Felsenspalte und verschloß dieselbe mit Steinen. Das Blut löschte ich mit Sand aus. Dann aber machte ich mich auf, um den Mörder zu verfolgen.“

„Verfolgt haben Sie ihn, Señor? Schon wollte ich Ihnen den Vorwurf machen, dies unterlassen zu haben! Hatten Sie Glück dabei?“

„Nein, wie du doch schon längst gemerkt haben mußt. Als ich den Mann sah, war es am frühen Vormittage. Zu Mittag ritt ich von der Salina fort, und mehrere Stunden später fand ich die Leiche. Ich konnte beim besten Willen und bei der größten Eile an diesem Tage nur bis zur Salina zurück und eine kurze Strecke weiter kommen. Ich sah die Spur des Reiters und folgte ihr, so lange es noch Tageslicht gab; beim Mondenscheine aber war es unmöglich, die Fährte zu erkennen, denn es gab kein Gras, sondern nur Sand, Stein und Geröll. Als der Tag graute, ging es weiter. Ich brannte darauf, den Menschen einzuholen, mußte aber sehr bald einsehen, daß dies unmöglich war. Er hatte sich wohl gesagt, daß ich die Leiche finden würde, und war die ganze Nacht geritten, um einen möglichst großen Vorsprung zu bekommen. Dabei hatte er den Weg über felsiges Terrain genommen, um keine Spur zurückzulassen. Es gehörte meine ganze Übung und Aufmerksamkeit dazu, sie festzuhalten. Das erforderte aber Zeit. Hundertmal mußte ich absteigen, um das Gestein zu untersuchen, und zehnmal kehrte ich wieder um, weil ich eine falsche Richtung eingeschlagen hatte. Am Abend dieses Tages fand ich, daß noch kein halber Tag hinter mir lag. Während der darauffolgenden Nacht mußten die spärlichen Spuren vollends unsichtbar werden. Ich sah ein, daß ich ihn nicht einholen könne und gab also die Verfolgung, wenn auch im höchsten Grade ungern, auf.“

„Schade, jammerschade, Señor! Was hätten Sie mit ihm gemacht, wenn Sie ihn erreicht hätten?“

„Das wäre auf die Umstände angekommen. Die Todesstrafe wäre ihm aber auf keinen Fall erspart geblieben.“

„Wären Sie mit ihm nach der Salina zurückgekommen, so hätten Sie mich dort gefunden, und wir hätten zu Gericht über ihn gesessen. Sie hatten alle Spuren der That verwischt und so konnte ich nichts entdecken. Halten Sie es für möglich, die Spalte zu finden, in welcher Sie die Leiche begraben haben?“

„Ja. Es ist, als ob ich sie jetzt ganz deutlich vor meinen Augen hätte.“

„Ich höre, Sie wollen hinauf und über das Gebirge. Welchen Weg schlagen Sie ein?“

„Eigentlich wollte ich weiter nördlich; aber bei einem solchen Falle darf es auf einen kleinen Umweg nicht ankommen. Wenn ihr wollt, werde ich euch zu der Stelle führen.“

„Natürlich wollen wir! Der Tote darf nicht in dieser Weise liegen bleiben; er muß nach der Art und den Gebräuchen seiner Ahnen bestattet werden.“

„Du gibst also zu, daß er ein Inka, ein Nachkomme der Herrscher war?“

„Ja. Nun würde es die größte Undankbarkeit sein, es Ihnen zu verschweigen.“

„Und einen verborgenen Schatz hat er gehabt?“

„Ja. Als sein Ahne mit dem meinigen und einigen Getreuen vor den Spaniern floh, gelang es ihnen, viele Kostbarkeiten mit sich zu nehmen. Diese wurden in der Barranca del Homicidio versteckt. Die Flüchtlinge und ihre Nachkommen lebten einsam in den Bergen, und zuweilen ging der Inka nach dem Versteck, um einiges Gold zu holen, welches verkauft wurde, weil sonst er und die Seinigen nicht genug zu leben gehabt hätten. Das geschah stets in einer Vollmondsnacht. Mein Herr ist von seinem letzten Gange nicht wiedergekommen.“

„Kennst du das Versteck?“

„Ja.“

„Bist du seitdem dort gewesen?“

„Ich war dort, habe es aber nicht geöffnet, denn ich besitze kein Recht dazu.“

„Aber Hauka besitzt dieses Recht?“

„Noch nicht. Erst wenn die Erde achtzehnmal ihren Lauf um die Sonne vollendet hat, darf er sein Erbe antreten. Dies wird nach zwei Wochen der Fall sein.“

„Aber wie kommt er da zu der kostbaren Streitaxt, welche er besitzt?“

„Er hat sie von seinem Vater überkommen, welcher sie damals daheimließ, als er zum letztenmal nach der Barranka ging. Wir hatten noch einige andre, kleinere Gegenstände, welche wir verkauften, um die Reise machen zu können, von welcher wir jetzt heimkehren. Daß wir auf derselben den Mörder entdecken würden, hätte ich nicht gedacht. Señor, haben Sie eine Abrechnung mit diesem Antonio Perillo?“

„Nein.“

„Oder ein andrer von Ihren Begleitern?“

„Höchstens Señor Morgenstern, dem er nach dem Leben getrachtet hat.“

„Dieses kleine Männlein wird nicht nach seinem Blute dürsten. Darum bitte ich, den Mörder uns zu überlassen, wenn er in unsre Hände fällt!“

„Ich habe nichts dagegen, vorausgesetzt, daß wir uns nicht irren und er es wirklich gewesen ist.“

„Wenn er das Kopfhaar meines Herrn besitzt, so war er es. Und dieser Lieutenant Verano wird uns wohl nicht belogen haben.“

„Gewiß nicht. Übrigens war ich, schon ehe ich von dem Skalpe hörte, überzeugt, daß Perillo der Mörder ist. Ich habe ihn da droben an der Salina nur für einige Sekunden gesehen und es sind seitdem Jahre vergangen; aber als ihn mir der Zufall kürzlich in Buenos Ayres vor die Augen führte, erkannte ich ihn sofort wieder.“

„Haben Sie etwas zu ihm gesagt?“

„Ich habe ihn an die Sahna del Condor erinnert; das genügte, um sein böses Gewissen, falls es bisher geschlafen haben sollte, aufzuwecken. Er ist jetzt unterwegs nach dem Palmensee und wird uns, wenn wir nicht ganz unverzeihliche Fehler begehen, sicher in die Hände fallen. Was du dann mit ihm thun wirst, das ist deine Sache.“

Damit hatte dieses so wichtige und inhaltsreiche Gespräch sein Ende erreicht. Der Vater Jaguar ritt zu dem Führer vor, um den Inka mit seinem Anciano allein zu lassen, damit diese beiden Zeit fänden, die innere und äußere Ruhe, welche sie verloren hatten, wiederzuerlangen.

Man war sehr scharf geritten. Daher kam es, daß der „Harte Schädel“ schon zwei Stunden vor Abend meldete, daß man, wenn man weiter reite, den Palmensee sehr bald zu Gesicht bekommen werde.

„Wir reiten nicht ganz hin,“ entschied der Vater Jaguar. „Es könnten doch Abipones dort sein, und ich will nicht, daß wir gesehen werden. Wir müssen ganz unerwartet über unsre Feinde kommen. Sie dürfen keine Ahnung davon haben, daß wir uns auf ihren Empfang vorbereiten. Es genügt mir, mich in der Nähe des Ortes zu befinden, von welchem aus sie ihren Kriegszug unternehmen werden. Reiten wir von hier aus in möglichst gerader Richtung nach dem klaren Bache, so lerne ich die Linie kennen, auf welcher sie sich während ihres Zuges bewegen werden, und das ist es, was ich für jetzt beabsichtige. Wie weit ist das erste Dorf der Abipones von hier entfernt?“

„Wenn wir so schnell reiten, wie bisher,“ antwortete der Häuptling, „werden wir es bald nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.“

„Das ist ganz vortrefflich. Wir reiten im Finstern vorüber und machen dann, wenn sie uns nicht mehr wahrnehmen können, Lager.“

Der Ritt wurde also fortgesetzt, doch nicht in der bisherigen Richtung, welche eine südwestliche gewesen war; man bog nach Nordwesten um. Es ging wohl noch eine Stunde lang über sandige Wüste, dann gelangte man wieder über Rasen, welcher nach und nach immer dichter und kräftiger wurde. Später sah man zu beiden Seiten hochbäumige Waldung liegen. Der Führer fand mit rühmenswerter Sicherheit die von der Natur hergestellten Durchgänge, und selbst, als es Nacht geworden war, wußte er die richtigen Wege einzuschlagen.

Es war heute sternenhell, was den Marsch sehr erleichterte. Bei völliger Dunkelheit wäre es wohl schwer gewesen, die vielen Pferde in Ordnung zu halten. Vielleicht drei Viertelstunden nach Sonnenuntergang hörte man eigentümliche Töne, welche der Wind von rechts herüberbrachte. Es klang wie Katzengeschrei, untermischt mit Schlägen, als ob Teppiche ausgeklopft würden.

„Wat mag dat sein?“ fragte Fritze seinen Herrn. „Dat sind keine menschlichen Stimmen.“

„Von lebenden Wesen kommen diese Töne jedenfalls,“ antwortete Morgenstern bedächtig. „Nun entsteht die Frage, zu welcher Klasse und Ordnung diese Wesen gehören. Wenn ich die Höhe und Tiefe dieser Stimmen und ihren Farbenklang richtig beurteile, so kann ich nicht umhin, mich der Ansicht zuzuneigen, daß sie menschlichen Kehlen allerdings wohl kaum zu entstammen scheinen.“

„Diese Ansicht ist falsch,“ belehrte ihn der Vater Jaguar, welcher jetzt in der Nähe der beiden ritt. „Die Abipones haben mobil gemacht.“

„Mobil?“ fragte Fritze. „Soll dat heißen, dat sie sich im Kriegszustande befinden?“

„Ja. Was wir hören, sind ihre Kriegsgesänge.“

„Und die Hiebe, die es bei diese Jelejenheit zu setzen scheint?“

„Das sind die Kriegspauken, welche geschlagen werden.“

„Na, sonne Pauke möchte ik mich mal betrachten.“

„Es sind die einfachsten Instrumente, die man sich denken kann: ausgehöhlte Kürbisse, über deren Öffnung ein Fell gespannt ist. Wir wissen nun, daß sie zum Angriffe rüsten und also von dem Kommen der Weißen schon unterrichtet sind. Das ist wertvoll für uns. Wollen doch einmal nachforschen, wie viele Krieger ungefähr sich in diesem Dorfe befinden.“

Er ließ den Zug halten und schickte zwei Kundschafter ab, Geronimo, seinen Liebling, auf den er sich verlassen konnte, und EI Picaro, den Schalksnarren, welcher auch sehr gut für solche Dienste geeignet war. Links dehnte sich die dunkle Linie des Waldes hin; rechts lag offenes Land mit Strauchwerk, zwischen dem man den Schein von fern brennenden Feuern bemerken konnte. Die beiden Kundschafter blieben fast eine Stunde lang fort, und schon wollte Hammer Sorge um sie tragen; da aber kehrten sie zurück, und zwar nicht allein, sondern in Begleitung. Diese Begleitung bestand in zwei Rindern, von denen jeder eins hinter sich herzog. Sie hatten nicht nur gekundschaftet, sondern auch für Proviant gesorgt. Das Dorf war nicht groß; es konnte höchstens hundert Einwohner haben, die Frauen und Kinder mitgerechnet, und doch hatten die beiden Lauscher wenigstens hundert bewaffnete Krieger gezählt. Man schien sich also von benachbarten Dörfern hier zu versammeln.

„Schön!“ meinte der Vater Jaguar befriedigt. „Das beweist, daß wir uns auf der richtigen Route befinden. Die beiden Rinder sind uns sehr willkommen. Daß wir sie nicht bezahlt haben, macht mir keine Schmerzen, denn die Abipones haben auch nichts dafür gegeben. Sie werden nachher geschlachtet. Jetzt weiter!“

Er hatte in Beziehung auf diese Tiere recht. Die argentinische Regierung pflegt den Indianern, um sie von Raubzügen fernzuhalten, von Zeit zu Zeit Pferde und Rinder zu senden, als ein Geschenk natürlich, da man es nicht mit dem undiplomatischen Worte Tribut bezeichnen mag; dadurch lassen sich die Roten aber durchaus nicht abhalten, je nach Bedarf über die Grenze zu gehen, um mit gestohlenen Herden wieder über dieselbe zurückzukehren. Wenn man sich hier zweier Rinder bemächtigt hatte, so war das nur eine Wegnahme gestohlenen Gutes zu nennen.

Als man noch eine halbe Stunde geritten war, wurde angehalten und hinter einem Vorsprunge des Waldes Lager gemacht. Da konnte man Feuer anbrennen, ohne befürchten zu müssen, daß dieselben gesehen würden.

Die beiden Rinder wurden geschlachtet und zerlegt, um verteilt zu werden. Es erhielt ein jeder so viel, daß er mehrere Tage davon zehren konnte. Natürlich begann eine allgemeine Braterei und Schmauserei, an welcher sich nur zwei nicht beteiligten, nämlich der junge Inka und sein treuer Anciano. Sie dachten seit des Gespräches mit dem Vater Jaguar weder an Hunger und Durst, noch an etwas andres, als nur allein an den ermordeten Inka.

Die Pferde wurden freigelassen. Obgleich die Glocke der Madrina sie zusammenhielt, versäumte Hammer es nicht, ihnen zwei Wächter zu geben. Später, als man sich gesättigt hatte, wurden die Feuer ausgelöscht, und man legte sich zur Ruhe. Drei schliefen fast gar nicht, nämlich wieder der Inka und der Anciano, und der dritte war der kleine Gelehrte, dem das versprochene Riesentier so im Kopfe spukte, daß er, obgleich oft schon halb entschlummert, immer wieder aufwachte.

Sobald der Tag zu grauen begann, wurde aufgebrochen. Von jetzt an zeigte sich das Land sehr abwechslungsreich, aber die Abwechslung war stets dieselbe: dichter Wald mit einzelnen offenen Durchbrüchen und dann wieder größere oder kleinere grasige Flächen, an deren Rändern die Dörfer lagen.

Diese letzteren bestanden durchweg aus mit Schilf und ähnlichem Materiale gedeckten Erdhütten, deren Inneres einen einzigen Raum bildete. Dabei gab es kleine Felder, auf denen Mais, Hirse, Mandioca, Bohnen, Quinoa, Tomaten, Erdnüsse, Bataten, Melonen und Kürbisse gebaut wurden.

Man hielt sich selbstverständlich von diesen Dörfern fern. Das Glück war den Weißen insofern günstig, daß ihnen weder heute noch am nächsten Tage auch nur ein einziger Abipone begegnete; er wäre freilich sofort gefangen und mitgenommen worden. Einige der Dörfer, an denen man vorüberkam, schienen leer zu stehen. Die Bewohnerschaft hatte sich des geplanten Kriegszuges wegen an besondern Orten zusammengezogen.

Am Abende des zweiten Tages war das Gebiet der Abipones zurückgelegt und am nächsten Morgen erreichte man das erste kleine Cambasdorf. Die Bewohner desselben wurden von der ihnen drohenden Gefahr benachrichtigt. Der Häuptling sandte die jungen Männer nach den verschiedensten Richtungen aus, um die waffenfähigen Leute der andern Ortschaften schleunigst nach dem großen Dorfe am „klaren Bache“ zu beordern. Die fernliegenden Dörfer hatten von den Feinden nichts zu befürchten; anders aber stand es mit denjenigen Orten, welche in der Nähe der voraussichtlichen Marschroute der Abipones lagen. Diese mußten verlassen werden, und die Bewohner zogen sich mit den Kriegern nach dem „klaren Bache“ hin, wobei sie selbstverständlich nicht versäumten, ihr ganzes Eigentum mitzunehmen, was freilich nicht viel sagen will.

Am Vormittage dieses dritten Tages gelangte der Reiterzug an ein großes, aber seichtes Wasser, dessen Ufer sehr morastig waren. Wo es eine festere Stelle gab, hatten sich Bäume und Sträucher entwickelt, sonst aber sah man nur dichtes Schilf und Rohr, welches eine Höhe von fünf Meter erreichte. Der Häuptling wendete sich an Doktor Morgenstern und sagte, indem er nach dem Wasser deutete:

„Das ist El Pantano de los Huesos, der Sumpf der Knochen, von dem ich Ihnen gesagt habe, Señor!“

„Das ist er?“ antwortete der Kleine, von den Worten des Roten wie elektrisiert. „Kann man die Knochen sehen?“

„Viele sind vermodert; diejenigen aber, welche zuletzt gefunden worden sind, werden noch daliegen.“

„So muß ich hin, sie zu betrachten. Wir müssen halten. Hören Sie, Señores, halten, halten!“

Er hielt sein Pferd an und rief die letzten Worte so laut, daß sie vom Anfang bis zum Ende des Zuges zu hören waren.

„Das geht nicht,“antwortete der Vater Jaguar.“Wir können Ihrer alten Knochen wegen nicht unsre kostbare Zeit verlieren.“

„O, die Knochen sind weit kostbarer als die Zeit, von der Sie sprechen. Wenn Sie nicht warten wollen, so komme ich nach; aber sehen muß ich die Knochen; eher zieht mich kein Elefant von hier fort!“

Hammer sah ein, daß es besser sei, eine kleine Rücksicht zu hegen, und antwortete darum.

„Gut, so bleiben Sie, aber ja nicht länger als höchstens eine halbe Stunde; dann müssen Sie doppelt schnell reiten, um uns einzuholen. Der Häuptling mag Ihnen einen seiner Leute als Führer geben.“

jetzt gab sich der Kleine zufrieden. Er bekam einen der vier Cambas, welcher den Sumpf kannte und den Ort wußte, an welchem die Knochen zu sehen waren. Selbstverständlich blieb Fritze auch mit zurück; er wäre ohne seinen lieben Herrn keinen einzigen Schritt weitergeritten. Der Zug entfernte sich und die drei waren nun allein.

Der Camba ritt auf das Wasser zu und wußte dabei alle trügerischen Stellen wohl zu vermeiden. Dort stieg er ab und band sein Pferd an einen Strauch. Dabei sagte er etwas, was jedenfalls eine Aufforderung an die beiden andern sein sollte, das gleiche zu thun, doch verstanden sie ihn nicht, da er sich seiner Sprache bediente, deren sie nicht mächtig waren. Es stellte sich nun heraus, daß dieser Mann zwar den „Sumpf der Knochen“ genau kannte, dafür aber nur sehr wenige Worte spanisch verstand.

„Dat kann jut werden,“ meinte Fritze, indem er sich vom Pferde schwang, um es anzubinden und dann seinem Herrn zu helfen, auch aus dem Sattel zu kommen. „Jetzt verstehen wir kein Chinesisch, und dieser Herr Jevatter ist nicht aufs Türkische einjeübt. lk bin bejierig, wat dat for ein inniges Verständnis ergeben wird.“

„Wir werden uns durch Pantomimen verständigen,“ tröstete ihn der Doktor. „Mit Pantomimen kommt man durch die ganze Welt. Diese Erfahrung, lateinisch Peritia geheißen, habe ich schon oft gemacht.“

„Aber wenn ik nun die richtige Pantomime am falschen Orte, oder die falsche Pantomime am richtigen Orte anwende?“

„Du scheinst in Beziehung auf Zeichen und Gestikulationen freilich noch ziemlich unerfahren zu sein. Achte nur auf mich, dann braucht dieser gute Mann nicht unsre und wir brauchen nicht seine Sprache zu verstehen.“

Als der Rote sah, daß die beiden ihre Pferde angebunden hatten, winkte er ihnen, ihm zu folgen, und schritt in das Schilf hinein, wo, wie man deutlich sah, vor ihm schon andre gegangen waren. Dabei deutete er nach rechts und links in die Schilfdichtung und sagte:

„Precaucion – Cocodrilos – Vorsicht – Krokodile!“

„Wat? Hier sollen Krokodile sind?“ meinte Fritze. „Da müßte man doch wat von sie sehen. Mir soll er nicht bange machen.“

Aber kaum hatte er diese Worte gesagt, so sprang er mit einem Schreckensrufe zur Seite, denn ganz nahe neben ihm kam der Kopf eines solchen Tieres aus dem Schilfe zum Vorscheine. Es glotzte ihn aus den kleinen Augen an, und schlug die offenen Kiefer zusammen, daß es einen Ton gab, als ob zwei Bretter zusammengeklappt wurden.

„Er hat wirklich recht,“ fuhr er fort, als er sich in Sicherheit befand. „Wenn wir nur nicht für die vorsündflutlichen Knochen unsre eijenen herjeben müssen!“

„Fürchte dich nicht,“ meinte sein Herr, welcher, sobald es sich um sein Lieblingsobjekt handelte, allerdings keine Furcht kannte. „Diese Tiere sind viel zu träge, als daß sie uns belästigen könnten. Sie riechen schlecht; das ist das einzige an ihnen, was unangenehm ist.“

„Na, der Rachen mit die Zähne ist auch nicht anjenehm. lk meinesteils will sonne Kreatur lieber riechen, als von ihr jefressen werden.“

Sie gelangten durch das Schilf auf eine Art spitze Halbinsel, welche in das Wasser hineinragte. Sie schien aus festem Lande zu bestehen, denn sie trug Bäume und Sträucher, und bildete ein scharf geschnittenes und nicht sumpfiges Ufer. Unter den Bäumen war die Erde an einigen Stellen aufgewühlt, und da lagen sie denn, die der kleine Gelehrte suchte – Knochen von allen Gestalten und Größen, teils ganz, teils zerbrochen, teilweise noch hart und fest, teilweise auch schon angefault und vom Moder angegriffen.

„Heureka!“ schrie der Kleine auf, indem er sich förmlich auf die Knochen stürzte. „Da sind sie; da liegen sie! Fritze, komm und sieh die Zeugen und Überreste einer Periode, in welcher an dich noch nicht zu denken war!“

„Dat finde ik sehr vernünftig,“ antwortete der Stralauer gelassen; „denn wenn damals an mir zu denken jewesen wäre, so könnten Sie mir heutigen Tags nun auch einsammeln und als verflossene Gigantochelonia aus die einzelnen Gliedmaßen ins Janze zusammensetzen.“

„Sei kein Thor und schwätze nicht solchen Unsinn!“ sagte Morgenstern, indem er ganz entzückt einen Knochen nach dem andern aufnahm, um ihn zu betrachten und zu betasten. „Hier öffnet sich ein großartiger Blick auf die Entwickelungsstufen der bis jetzt bestandenen und noch bestehenden Daseinsformen. Schau einmal diesen Schädelteil! Ich wette, es ist das Os occipitis eines Megatheriums. Wir werden alle diese Knochen einpacken und mitnehmen, damit ich sie, wenn wir am klaren Bache angekommen sind, noch heute untersuchen und bestimmen kann. Lieber Freund, hat man diese Knochen hier an dieser Stelle gefunden oder sind sie von einem andern Orte hergeschafft worden?“

Diese Frage war an den Indianer gerichtet, welcher aber nicht mehr zu sehen war; dafür hörte man seine rufende Stimme.

„Er will uns bei sich haben. Kommen Sie!“ meinte Fritze.

„Nein, noch nicht,“ antwortete sein Herr. „Ich habe hier noch nicht alles gesehen.“

„So werde ik mal zu ihm jehen, um zu sehen, wat er zu rufen hat. Verstehen kann man ihm ja nicht.“

Er entfernte sich in der Richtung, aus welcher die Rufe des Camba zu hören waren. Der Doktor sah sich gar nicht nach ihm um. Er war mit seinen Schätzen so beschäftigt, daß er für gar nichts andres Augen hatte. Er wühlte in den Überresten und sortierte herüber und hinüber, bis er hinter sich die Stimme Fritzens hörte:

„Lassen Sie die Knöchelchens hier liejen! Da drüben jibt’s eine janz andre Sorte. Dat sind die richtigen Eisbeine mit Meerrettich und Sauerkohl. Da habe ik eine Probe mitjebracht; schauen Sie sich die mal an!“

Als Morgenstern zu ihm aufblickte, sah er in seinen Händen ein wirklich riesiges und sehr gut erhaltenes Schenkelbein. Er sprang mit einem Jubelrufe auf, riß es an sich, betrachtete es mit weit geöffneten Augen erst sprachlos und schrie dann entzückt:

„Fritze, weißt du, was das ist? Weißt du es?“

„Ja; natürlich ist mich dieser Jegenstand bewußt. Wenn ik mir nicht irre, wird’s wohl ein Knochen sind.“

„Du bist ein Idiot, ein reiner Idiot! Nur immer von Knochen und wieder von Knochen zu sprechen! ja, es ist ein Knochen, aber was für einer! Denke dir, Fritze, wir haben hier das Os femoris von einem Glyptodon vor uns! Welch eine Entdeckung! Dieses eine Bein ist allerdings viel, viel wertvoller als alle Knochen, welche hier beisammenliegen.“

„So? Dann will ik jratulieren, denn da drüben jibt’s noch mehrere solche Beine.“

„Wirklich? Wo, wo?“

„Da drüben, wo ik eben war.“

Fritze deutete mit der Hand in die Richtung, welche er meinte; sein Herr eilte in derselben fort, indem er sagte:

„Da muß ich hin, sogleich, augenblicklich!“

„Halt!“ rief ihm der Stralauer nach. „Nicht jerade aus; Sie müssen nach links umbiegen I“

Aber der kleine, begeisterte Mann wollte keine Sekunde verlieren, sondern möglichst schnell an Ort und Stelle gelangen; darum drang er in gerader Richtung in das dichte Schilf ein. Einige Augenblicke später gab es ein nicht mißzuverstehendes Geräusch, und dann hörte man den Kleinen um Hilfe rufen. Auch Fritze war zurückgegangen, aber auf dem sichern Wege; er sah den Indianer jenseits stehen und eifrig abwinken; darauf erscholl der Hilferuf. Der treue Diener dachte nicht an die eigene Gefahr, sondern drang schnell in das Schilf ein. Als er fünf oder sechs Schritte zurückgelegt hatte, bot sich ihm ein Anblick, welcher ihn hätte vor Schreck erstarren lassen können. Das Wasser hatte eine schmale Bucht eingefressen, welche durch Rohr, Schilf und Binsen so verdeckt worden war, daß Morgenstern sie nicht bemerkt hatte. Er war hineingestürzt und steckte nun bis an den Hals im Wasser und im Schlamme. Das war nicht schlimm; gefährlicher, viel gefährlicher war ein andrer Umstand. Nämlich es arbeitete sich, von dem Geräusch des Falles herbeigerufen, ein Krokodil in die Bucht, welche glücklicherweise nur einem schmalen Graben zu vergleichen war. Dieser Mangel an der nötigen Breite hatte zur Folge, daß das Tier sich seiner Beute nur langsam nähern konnte; doch arbeitete und schob es sich mit gefräßigem Eifer weiter und weiter heran, so daß es, als Fritze kam, mit der Spitze seines Rachens nur noch drei Fuß von Morgenstern entfernt war. Dieser arbeitete zwar auch, wobei er immerfort schrie, mit den Armen und den Beinen, um der schrecklichen Gefahr zu entgehen, sank aber desto tiefer in den Schlamm ein, welcher ihn nicht loslassen wollte. Fritze verlor keinen Augenblick die Geistesgegenwart. Er hatte zum Glück sein Gewehr umhängen, während Morgenstern das seinige bei den Pferden gelassen hatte; er riß es vor, brach sich schnell bis zur Unglücksstätte Bahn, hielt die Mündung der Bestie gerade vor das Auge und drückte ab. Der Schuß krachte, das Tier schnellte vorn empor, kam um einen Fuß weiter vorwärts und blieb dann aber liegen. Fritze gab ihm auch noch den Inhalt des zweiten Laufes in das ausgeschossene Auge und rief dann, indem er tief aufatmete, aus:

„Jelungen, vollständig jelungen! Dat war jerade noch der letzte Augenblick vons vierte Rejiment! Der Walfisch sitzt fest; nun wollen wir den Jonas herausangeln. Fassen Sie mein Jewehr, und jreifen Sie fest zu! Ik ziehe Ihnen aus dat Stillverjnügen heraus.“

Morgenstern hielt den ihm zugereichten Kolben des Gewehres krampfhaft fest, und Fritze zog aus allen Kräften an dem Laufe; aber der tückische Schlamm wollte sein Opfer nicht so schnell hergeben. Da kam der Indianer und half mit. Den vereinigten Kräften gelang es nun, den verunglückten Gelehrten zu befreien.

Aber wie sah er aus, als er nun triefend und duftend vor Fritze stand! Dieser, immer resolut, nahm ihm den vorher so schön roten Poncho von den Schultern, um ihn aus- und abzuschütteln, und raisonnierte dabei in seiner drastischen und doch zugleich liebevoll besorgten Weise:

„Wat ist Sie denn einjefallen, da rinzuspringen? Dat hätte noch lange Zeit jehabt. Man muß nicht sogleich jede Jelegenheit sofort benützen! lk habe Ihnen doch zujerufen, nicht jeradeaus, sondern nach links zu jehen!“

„Aber der Indianer winkte mir doch!“ entschuldigte sich der Paläontolog, indem er beide Arme und Hände mit den ausgespreizten zehn Fingern weit von sich streckte.

„Abjewinkt hat er, aber doch nicht zujewunken! Sie dachten mit den Pantomimen durch die janze Welt zu kommen, und wohin sind Sie jeraten? In den Milchreis, ja, aber in wat vor welchen! Nun kann ik Ihnen waschen und spülen und ausringen und an die Sonne hängen und mit Ohdekarnallje einspritzen, um Ihnen zur frühern Sauberkeit und zum alten, menschenwürdigen Odör zu verhelfen! Wissen Sie, wat ik Ihnen vorschlagen werde?“

„Was denn, mein lieber Fritze?“ fragte der Doktor kleinlaut.

„Wir haben gleiche Anzüge und sind auch von derselbigen Jestalt. Sie werden mir Ihr Habit verehren, wofür ik Ihnen dat meinige offeriere.“

„Das geht nicht, Fritze. Das meinige ist ja naß und schmutzig, lateinisch mit udus und limosus ausgedrückt.“

„So! Und wenn der Herr naß ist, so soll der Diener trocken sind? Dat wäre mich eine schöne Dienstboten- und Jesindewirtschaft! Wat dem Herrn recht ist, dat muß dem Diener billig sein. Ik dulde da keinen Widerspruch ins akustische Kabinet. Da hinten, wo wir vorhin waren, jibt’s helles, reines Wasser. Da will ik den Schlamm schon herunterbekommen. Ik habe Ihnen bisher jehorcht; nun können Sie auch mich einmal parieren.“

Er zog ihn mit sich nach der Landzunge, wo der Umtausch der Anzüge vor sich gehen sollte. Der Indianer blieb zurück und untersuchte das Krokodil. Es war tot. Fritze hätte keinen Augenblick später erscheinen dürfen, um der Retter seines Herrn zu sein.

Als er nach einiger Zeit mit ihm wiederkam, hatte er den zwar gereinigten, aber noch nassen Anzug an, während Morgenstern den trockenen trug. Dieser letztere hatte erst jetzt Zeit und Ruhe, das Krokodil genau zu betrachten; er schüttelte dem Stralauer die Hand und sagte:

„Ich verdanke dir mein Leben, Fritze; das werde ich dir nicht vergessen. Hoffentlich kann ich es dir vergelten!“

„Darauf war’s nicht anjefangen. Wenn ik auch mal in den Schlamm jerate, angeln Sie mir wieder heraus; dann sind wir quitt. Wat aber wird nun mit die großen Knochens, wegen denen Sie in die Versenkung jingen?“

„Die – die – werde ich mir natürlich ansehen müssen, selbst wenn ich sie dann für einstweilen liegen lasse.“

Dieser Zusatz und der Ton, in welchem er diese Worte sprach, ließen vermuten, daß seine Begeisterung um viele Grade gesunken sei. Die Nähe des Krokodilrachens war nicht ohne Einfluß geblieben. Fritze führte ihn nach dem betreffenden Orte, wo sich ihm allerdings ein Anblick bot, welchem seine augenblickliche Niedergeschlagenheit nicht zu widerstehen vermochte. Dennoch fragte er in ungewöhnlich ruhigem Tone:

„Meinst du, daß es jetzt hier Leute gibt, welche sich heute oder morgen dieser Knochen bemächtigen könnten?“

„Nein. Hier jibt’s nur Indianer, und wat wollten die mit die Knochens machen? Auch weiß der Häuptling, daß Sie solche Jerippe suchen, und wird jewiß nicht dulden, daß sich seine Leute an sie verjreifen.“

„So werde ich darauf verzichten, sie heute mitzunehmen. Auf alle Fälle aber kehre ich zurück, doch nicht allein, sondern in Begleitung mehrerer Leute, welche graben müssen und zugleich dafür sorgen können, daß ich nicht wieder von einer solchen Gefahr überrascht werde. Die halbe Stunde, welche uns erlaubt wurde, ist längst vorüber. Wir wollen weiterreiten.“

Sie kehrten mit dem Indianer zu den Pferden zurück und trieben dieselben sodann zu solcher Eile an, daß sie die Vorangerittenen nach zwei Stunden einholten. Morgenstern sprach nicht von seinem Unfalle, und dem treuen Diener fiel es auch nicht ein, seinen Herrn durch die Erzählung desselben zu kränken.

Es war um die Mittagszeit, als die Bodenformation eine andre wurde. Es gab niedrige, aber lange, wellenförmige Erhebungen, welche die Ebene nach verschiedenen Richtungen durchschnitten und derselben das Ansehen gaben, als ob hier eine Unzahl kleiner Seen oder Teiche gelegen hätten, nach deren Austrocknung nun die frühern Dämme als Erhöhungen zu sehen seien. Diese Dämme waren meist mit Büschen bestanden, während in den tiefer liegenden einstigen Wasserbetten Gras wuchs. Hinter dieser eigenartigen Szenerie breitete sich ein endlos scheinender Streifen Waldes aus, welcher gerade an dem Punkte, auf welchen der Führer zuritt, eine Öffnung hatte. Rechts und links, so weit man zu sehen vermochte, lief dieser Wald in ebenes Land hinaus; gerade vom aber stieg er hoch empor; er schien da einen Berg zu bedecken, in dessen Inneres die erwähnte Öffnung führte. Als der Vater Jaguar dies sah, fragte er den Häuptling:

„Warum bleiben wir nicht im ebenen Lande? Können wir durch den Berg kommen?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte. „Der Berg ist rund und hohl. Er birgt in seinem Innern ein Thal, welches Valle del Lago desecado genannt wird. Da können wir hindurch, während der Wald aber so dicht ist und die Bäume desselben so durch Schlingpflanzen verbunden sind, daß kein Reiter, geschweige denn eine ganze Schar, hindurch kann. Selbst ein Fußgänger müßte sich den Weg mit dem Beile oder dem Messer bahnen und würde in einem Tage höchstens so weit kommen, daß er diesen Weg in einer Viertelstunde zurücklegen könnte.“

„Kann man den Wald nicht umreiten?“

„Ja; aber er ist nach beiden Seiten so lang, daß wir einen Umweg machen müßten, welcher gewiß einen ganzen Tagesritt beträgt. Durch das Thal aber reiten wir nicht eine halbe Stunde lang, und dann kommen wir noch einmal so lang durch die Breite des Waldes, hinter welchem wieder der Campo beginnt.“

„Und wie weit ist’s nachher bis zu deinem Dorfe?“

„Wir werden dort sein, noch ehe es dunkel geworden ist.“

„Wer von hier aus nach dem Dorfe will, muß also, um keinen Umweg zu machen, durch dieses Thal des ausgetrockneten Sees gehen?“

„Ja.“

„Das ist gut, sehr gut!“

„Warum?“

„Davon nachher, wenn ich das Thal gesehen habe. Ich vermute, daß wir die Lage und Beschaffenheit desselben ganz vortrefflich gegen unsre Feinde ausnutzen können.“

Von weitem hatte es geschienen, als ob diese Öffnung eine Art Tunnel sei, denn die zu beiden Seiten derselben stehenden Bäume schickten sich ihre Äste zu und bildeten mit ihren Wipfeln ein geschlossenes Dach über diesem Eingange zum Thale. Aber als man näher kam, war zu sehen, daß man es mit einer Lücke zu thun hatte, welche in einen länglichen Kessel führte, den das Innere des Berges bildete.

Als die Reiter in demselben anlangten, hielt der Vater Jaguar sein Pferd an und schaute sich um. Es war allerdings sehr wahrscheinlich, daß sich hier einst ein See befunden hatte. Es gab noch heute einen kleinen Bach, welcher durch das einstige hintere Ufer kam und einen Weiher speiste, dessen helle Fläche in der Mitte des Thales lag. Die Wasser des Sees hatten das Ufer da, wo die Reiter jetzt hereingekommen waren, durchfressen und sich hinaus in die Ebene ergossen; dann war der Wald, welcher ihn umsäumt hatte, von der Höhe herabgestiegen und bedeckte nun die Seiten des Thales vollständig und so dicht, daß man nur mit Mühe zwischen den Bäumen einzudringen vermochte.

Der Vater Jaguar gebot den andern, zu warten, und umritt das ganze Thal, um den Rand desselben genau in Augenschein zu nehmen. Als er zurückkam, sagte er im Tone der Befriedigung:

„Für uns kann nichts vortrefflicher liegen als dieser Ort. Wir werden hier zu einem leichten Siege kommen.“

„Wieso, Señor?“ fragte Lieutenant Verano. „Meinen Sie etwa, daß wir die Feinde hier erwarten sollen?“

„Ja.“

„Das würde die größte Dumm – wollte sagen, der größte Fehler sein, den wir begehen könnten.“

Der Lieutenant mußte zwar anerkennen, daß der Vater Jaguar ein seltener Mensch und Charakter sei, aber es widerstrebte ihm, sich demselben unterzuordnen. Er hielt sich als Offizier als viel höher stehend als diesen Mann; er sagte sich im stillen, daß eigentlich ihm das Kommando gehöre. Er hatte zwar versprochen, sich zu fügen, allein seine gewaltthätige, eigenmächtige Natur kam bei vielen Gelegenheiten, so auch wieder hier, zum Vorscheine.

„Freut mich, daß Sie das Wort nicht ausgesprochen haben, Señor,“ sagte Vater Jaguar in ernstem Tone. „Ich bin nicht gewöhnt, mich in dieser Weise kritisieren zu lassen. Ich habe meine Meinung geäußert und bin nicht dagegen, daß Sie uns die Ihrige auch kundgeben. Warum halten Sie das, was ich meine, für einen Fehler?“

„Weil wir hier aufgerieben würden.“

„Wieso?“

„Das fragen Sie? Señor, ich bin allerdings Offizier, was Sie freilich nicht sind. Man kann bei einem Laien nicht militärische Kenntnisse voraussetzen; aber das, wonach Sie fragen, ist eine so einfache und selbstverständliche Sache, daß ich sehr verwundert bin, Sie noch fragen zu hören.“

Vielleicht hatte er die Absicht, mit diesen Worten den Vater Jaguar in der Achtung der andern herabzusetzen; dieser aber antwortete ihm, indem er ein kleines, ironisches Lächeln sehen ließ:

„Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich allerdings nicht begreife, wie wir hier aufgerieben werden könnten. Gehören wirklich so bedeutende militärische Kenntnisse dazu, dies zu wissen?“

„Eben ganz und gar nicht. Der gewöhnlichste Mensch muß es einsehen.“

„So habe ich vielleicht den großen Fehler, kein gewöhnlicher Mensch zu sein. Haben Sie also die Güte, meinem mangelhaften Begriffsvermögen zu Hilfe zu kommen!“

Der Lieutenant, welcher die Ironie nicht übersah, meinte in halb zorniger und halb überlegener Weise:

„Wenn wir uns hier im Thale aufstellen, sind wir von den ringsum liegenden Höhen eingeengt und werden, wenn der Feind hereindringt, erliegen müssen.“

„So! Das begreife ich noch immer nicht. Wir müssen erliegen, wenn der Feind hereindringt. Wenn! Merken Sie wohl: Wenn! Kann er denn herein? Der Zugang zum Thale ist, wie Sie sehen, nur so breit, daß ihn höchstens sechs oder sieben Menschen nebeneinander passieren können. Außerdem stehen da Bäume, hinter welche wir uns stecken können, um nicht von den feindlichen Kugeln oder Pfeilen getroffen zu werden. Wenn wir nur fünfzig wackere Kerls da stehen haben, so kann kein Feind herein, und wenn er tausend Mann stark sein sollte. Sehen Sie das nicht ein?“

Der Offizier antwortete nicht. Darum fuhr der Vater Jaguar fort:

„Sie sagen, wir seien von den Höhen eingeengt. Diese Höhen treten wohl auseinander, wenn der Feind hereinkommt? Oder ist es nicht so, daß er ebenso eingeengt sein würde wie wir? Dazu käme, daß stets derjenige im Vorteile ist, welcher den Posten zuerst besetzt hat. Sind Sie noch immer der Meinung, daß man Taktik und Strategie studiert haben muß?“

Verano zuckte nur die Achsel, da er doch nicht zugeben wollte, daß er unrecht gehabt hatte.

„Übrigens,“ fügte der Vaterjaguar hinzu, „ist es gar nicht meine Absicht, dem Feinde den Eintritt in dieses Thal streitig zu machen. Ich will es vielmehr haben, daß er hereinkommt.“

„Aber warum denn nur!“ fuhr der Offizier ungeduldig auf. „Das würde doch heißen, uns ihm in die Hände zu liefern.“

„Nein, sondern ihn in die unsrigen. Jetzt scheinen Sie es zu sein, welcher der Laie ist. Haben Sie wohl eine Ahnung, wann die Abipones ungefähr in dieser Gegend eintreffen werden?“

„Das kann niemand wissen.“

„Warum nicht? Es ist leicht zu erraten. Die Weißen, mit denen wir schon zusammengetroffen sind, haben Soldaten nach dem Palmensee bestellt. Sie werden nicht viel früher und nicht viel später dort eintreffen als diese. Das liegt in der Natur der Sache. Sie sind, um ihre Spur für uns unsichtbar zu machen, über den Rio Salado zurückgegangen. Diese Absicht zu erreichen, brauchen sie zwei Tage. Wenn sie dann ebenso rasch reiten, wie wir geritten sind, haben wir zwei Tage Vorsprung. Nehmen wir an, daß sie einen Tag brauchen, um sich auszuruhen, die mobilen Indianer zu sammeln und Beratung zu halten, so ergibt sich noch ein dritter Tag. Wir haben drei Tage bis hierher gebraucht, weil wir gut beritten sind und Pferde im Überflusse haben. Den Abipones aber fehlen die Pferde. Ihre Mannschaften werden aus Kavallerie und Fußtruppen bestehen; darum brauchen sie wenigstens vier Tage bis hierher. Wir haben also den Feind frühestens in vier Tagen, von heute an gerechnet, zu erwarten. Das ist Zeit genug, um unsre Vorbereitungen in einer Weise zu treffen, welche uns den Kampf erleichtert und den Sieg sichert.“

„Aber es ist keine Erleichterung des Kampfes und keine Sicherung des Sieges, sondern das gerade Gegenteil, wenn wir den Feind hier zu uns hereinlassen!“

„Aber, Señor, sehen Sie denn nicht ein, daß dies eine Falle sein soll?“

„Eine Falle?“ fragte Verano erstaunt. „Dann wird es eine, in welcher wir uns selbst fangen.“

Der Vater Jaguar wollte antworten, da aber fiel ihm der Doktor Morgenstern in die Rede:

„Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor Verano! Sie sind Offizier und begreifen dennoch nicht, was der Vater Jaguar meint? Das könnte scheinen, als ob Sie im Begriffe ständen, sich der Absicht zuzuneigen, diejenige Thätigkeit Ihres Geistes, welche man berechtigt ist, das Denken zu nennen, etwas weniger anzustrengen, als es nach den gegenwärtigen Verhältnissen als geboten erscheint. Die Falle oder der Fallstrick, um den es sich handelt, lateinisch Lagneus genannt, ist sehr leicht zu begreifen.“

„So! Begreifen Sie ihn etwa?“ fragte der Offizier zornig.

„Allerdings.“

„So haben Sie doch die Güte, ihn mir zu erklären.“

„Sehr gern, Señor. Ich setze den Fall, wir verstecken uns da rundum im Walde, hinter den Bäumen, lassen den Feind herein und besetzen dann den Ein- und Ausgang des Thales, so befindet er sich in unsrer Mitte und ist verloren, da er uns, die wir geschützt stehen, nicht anzugreifen vermag, während er, der keine Deckung hat, allen unsern Kugeln ausgesetzt ist. Ich hoffe, das ist Ihnen nun deutlich, lateinisch perspicuus, geworden.“

Der Lieutenant war wütend. Daß der kleine, deutsche, lächerliche Kerl es wagte, ihn zu belehren, das war viel schlimmer als alles Vorhergehende. Er rief entrüstet aus:

„Was reden Sie zu mir? Habe ich Sie um Rat gefragt?“

„Allerdings. Sie haben mich aufgefordert, es Ihnen zu erklären.“

„Das habe ich ganz anders gemeint. Bleiben Sie mir in Zukunft mit Ihren Erklärungen vom Leibe. Ich weiß genau, was ich zu thun habe!“

„Nein, das scheinen Sie nicht zu wissen,“ nahm der Vater Jaguar jetzt wieder das Wort. „Ich habe keine Lust, mich mit jemand zu streiten, und da es nicht notwendig ist, uns über den Gegenstand unsres Gespräches gleich jetzt weiter und erschöpfend zu äußern, so schlage ich vor, weiterzureiten. Wir haben vor allen Dingen danach zu trachten, noch vor Einbruch der Nacht unser Ziel, den klaren Bach, zu erreichen.“

Diesen Worten zufolge wurde aufgebrochen. Der Lieutenant hielt sich schmollend hinterher. Es ärgerte ihn gewaltig, daß er, der Beauftragte des Generals Mitre, eine solche Schlappe erlitten hatte.

Der Berg, welcher, von vorn gesehen, die Gestalt eines Kegels zu haben geschienen hatte, besaß nach rückwärts eine längere Ausdehnung. Er hatte die Form eines Komma, dessen in einen langen Schwanz auslaufender Teil von dem schon erwähnten Bache durchflossen wurde. Dieser Bach entsprang auf der höchsten Stelle. Dann senkte sich das Terrain wieder abwärts und ging endlich in die Ebene über.

Man hatte bisher zu beiden Seiten immer Wald gehabt, welcher auch jetzt noch nicht aufhörte, sondern sich weit in die Ebene hinein erstreckte. Er stand aber nicht mehr so dicht wie vorher, so daß man zwischen den Bäumen hindurchreiten konnte, während vorher die Ufer des Baches den Weg gebildet hatten. Das dann folgende Feld war grasig. Hier konnten die Pferde mehr ausgreifen als bisher, und so flogen sie jetzt im Galopp über den Campo hin.

War dem kleinen Gelehrten früher das Reiten schwer geworden, so hatte er sich jetzt ganz hübsch eingerichtet und saß sehr fest im Sattel. Er ritt neben Fritze Kiesewetter, seinem treuen Diener, welcher sich wo möglich stets an seiner Seite hielt.

„Wie steht es mit dem Anzuge?“ fragte er ihn. „Er ist jedenfalls noch naß, und du kannst dir leicht eine Erkältung zuziehen.“

„Dat ist nicht!“ antwortete Fritze. „Es ist allens schon vollständig trocken, und von eine Verkältung kann keine Rede sind. Als Sie den Lieutenant so schön trocken stellten, ist das Habit vor Freude auch gleich mit trocken jeworden.“

„Aber ich hatte doch recht!“

„Natürlich! Der Mensch scheint von seinem Fache oft und manchmal nichts zu verstehen!“

„Aber er wird nun zornig auf mich sein!“

„Dat ist er allerdings; ik habe es jesehen, aber wir machen uns nichts draus. Jroße Jeister, die sich nur mit Riesentieren abjeben, bekümmern sich nicht um so kleine Menschen.“

Der Doktor blickte nachdenklich vor sich nieder und sagte dann:

„Fritze, ich werde doch wohl einen Fehler gemacht haben!“

„Mit dem Lieutenant?“

„Nein, sondern mit dem Riesentiere, mit den Knochen, welche wir da hinten an dem Sumpfe gefunden haben.“

„Wieso?“

„Ich hätte sie nicht liegen lassen, sondern mitnehmen sollen.“

„Warum?“

„Weil sie mir in Verlust geraten werden. Du hast gehört, daß die Abipones hinter uns herkommen. Sie halten jedenfalls auch an dem Sumpfe an, und dann ist’s jedenfalls um die schönen Knochen geschehen.“

„Dat ist mich unwahrscheinlich. Wat wollen die Abipones mit die Knochen machen?“

„Diese nicht, aber die Weißen, welche bei ihnen sind.“

„Hm! Meinen Sie?“

„Ja. Die Soldaten wissen, daß solche Knochen für die Wissenschaft einen großen Wert besitzen, und werden sie mitnehmen.“

„Nein, dat werden sie nicht; da kann ik Ihnen trösten. Selbst wenn sie die Absicht hätten, sie mitzunehmen, würden sie sie doch einstweilen liejen lassen, um sie dann erst auf dem Rückwege aufzuklauben.“

„Das ist ganz dasselbe.“

„Nein, denn wir besiegen ihnen ja!“

„Ob sie als Sieger oder als Besiegte zurückkehren, das ist gleich; sie werden sie mitnehmen. Ich bin überzeugt davon.“

„Wenn Sie so sagen, dann muß ik Ihnen allerdings recht jeben. Aber es ist nicht zu ändern.“

„O doch.“

„Wie?“

„Wenn wir beide zurückritten, um die Knochen zu holen.“

„Dat jeht nicht.“

„Warum?“

„Weil wir den Feinden in die Hände fallen würden.“

„Gewiß nicht! Der Vater Jaguar sagte ja, daß sie nicht eher als in vier Tagen hier sein würden. So lange hätten wir also Zeit.“

„Jut; aber es jeht doch nicht, denn der Vater Jaguar würde es nicht erlauben.“

„Das ist gar nicht nötig. Ich werde mich hüten, ihn um die Erlaubnis zu fragen.“

„Also nicht? ja, dat wäre eine andre Sache.“

„Fritze, würdest du mitreiten?“

„Hm! Es kommt mich doch ein wenig unheimlich vor.“

„Ich denke, du bist mir treu!“

„Herr, treu bin ik; darauf können Sie Ihnen verlassen!“

„Aber keinen Mut hast du?“

„Keinen Mut? Wat? lk als Stralauer Kind am Rummelsburger See soll keinen Mut haben? Dat hat noch kein Mensch mich zu sagen jewagt!“

„Warum ist es dir da mit einemmal so unheimlich geworden?“

„Nicht aus Furcht, sondern von wejen des bösen Jewissens. Es kommt mich wie ein Unrecht vor, so etwas zu unternehmen, ohne vorher den Vater Jaguar zu fragen.“

„Sind wir an ihn gebunden? Ist er unser Vorgesetzter?“

„Nein. Aber unter die jejenwärtige Verhältnisse halte ik es für sehr richtig, nichts ohne sein Vorwissen zu unternehmen.“

„Auch wenn ich darum bitte?“

„Bitte? Herr Doktor, wenn Sie mich befehlen, so jehorche ich; wenn Sie mir aber bitten, so muß ik Ihnen erst recht den Willen thun. Es würde mich jeradezu unmöglich sein, Ihnen eine Bitte abzuschlagen.“

„So ist’s recht! Das nenne ich Treue, lateinisch Fidelitas geheißen! Also ich kann mich auf dich verlassen?“

„Ja. lk jehöre zu Sie und weiche nicht von Ihre Seite. Aber ist’s denn wirklich jewiß, daß Sie zurück wollen?“

„Noch nicht ganz. Ich muß erst abwarten, ob die Verhältnisse meinem Vorhaben günstig sind.“

„So sagen Sie mich wenigstens, wie wir die Knochens fortbringen wollen?“

„Wie soll ich das wissen? Ich möchte mich da auf deinen Scharfsinn verlassen.“

„Ja, wenn mein Scharfsinn ein Roll- oder Frachtwagen wäre, so könnten wir sie darauf verladen. Hier jibt’s überhaupt keine Wagens. Man kann sich höchstens der Lastpferde bedienen.“

„Und da haben wir leider keine!“

„Nicht? Wat, wir hätten keine? Haben wir nicht über achtzig Pferde erbeutet?“

„Aber die gehören uns doch nicht!“

„Nicht? Wer hat dat behauptet? Wir waren dabei, als sie erbeutet worden sind. Sie sind eijentlich Jemeingut und müssen verteilt werden. Da kämen wenigstens vier Stück auf uns beide. Ik mache mich jar kein Jewissen, einige Pferde wegzunehmen. Dat ist kein Diebstahl, denn wir bringen sie doch wieder. Und Packsattels sind auch vorhanden. Wir haben also allens, wat wir brauchen.“

„Und würdest du den richtigen Weg finden, damit wir uns nicht etwa verirren?“

„Glauben Sie nicht, daß ich mir verirren würde. Wo ik einmal jewesen bin, da bin ik zu Hause wie in meine Tasche. Dat ist der jeringste Kummer, den Sie Ihnen zu machen brauchen, Wenn ik ein Bedenken habe, so ist’s ein janz andres.“

„Welches?“

„Von wejen die Krokodilers. Wenn es sich um Knochen handelt, so jehen Sie zu forsch ins Zeug, und da können Sie leicht wieder an sonne Bestie jeraten, ohne daß ik Ihnen dann so schnell helfen kann.“

„Ich nehme mich in acht. Ich verspreche es dir.“

„Jut! Dann ist die Sache abjemacht. Sagen Sie es mir nur, wenn es losjehen soll! lk bin dabei.“

Während dieses Gespräches war man eine tüchtige Strecke weiter gekommen. Der Campo wurde zuweilen von kleinen Wäldchen unterbrochen, denen man es ansah, daß sie von Menschenhänden angelegt worden seien. In der Ferne bemerkte man Ackerland, hinter dem einzelne Hütten erschienen. Man ritt zwischen kleineren Ansiedelungen der Cambas hindurch. Gegen Abend kam man dann durch einen lichten Wald, welcher nicht sehr groß war. Als man ihn zurückgelegt hatte, sah man eine Lagune glänzen, an welcher mehrere langgestreckte Reihen von Hütten lagen. Sie waren zu beiden Seiten eines Baches erbaut, welcher aus dem Walde kam. Dieser Bach war der Arroyo claro, und man befand sich dem Ziele, dem Hauptdorfe der Cambas gegenüber.

Auf der Lagune bewegten sich einige Boote, deren Insassen mit Fischen beschäftigt waren. Hinter den Hütten sah man Gärten und Felder, in denen Frauen, Männer und auch Kinder arbeiteten. Vor den Hütten saßen oder standen andre, welche ihre Arbeit gethan hatten. Dieses friedliche Bild aber veränderte sich sofort, als das erste Auge die Ankömmlinge erblickte. Kaum war dies geschehen, so stieß der Betreffende einen schrillen Ruf aus, welcher von Mund zu Mund ging, und von allen wiederholt wurde. Die Fischer schossen mit ihren Booten an das Ufer. Die auf den Feldern und in den Gärten Beschäftigten flogen nach dem Dorfe, wo alle in den Hütten verschwanden, um nach wenigen Augenblicken bewaffnet wieder zu erscheinen.

Da stieß der Häuptling einen ähnlichen Ruf aus. Sie kannten denselben und wußten nun, wer der Ankömmling war, noch ehe sie seine Züge deutlich erkennen konnten. Sie jubelten laut und kamen, ihre Waffen schwingend, dem Zuge entgegengesprungen und entgegengetanzt, um die Gäste zu begrüßen.

Diese mußten, der dortigen Sitte gehorchend, anhalten, um die Ceremonie des Bewillkommnens über sich ergehen zu lassen. Diese konnte nicht sofort beginnen, denn es waren noch nicht alle Bewohner des Dorfes versammelt. Viele derselben befanden sich im Walde und mußten herbeigerufen werden. Dies geschah mit Hilfe eines Signalinstrumentes, das aus einem starken Bambusstücke bestand, in welches als Mundstück ein dünnerer hohler Zweig befestigt war. Der Mann, der in dieses Instrument blies, brachte einen grauenhaften, dumpfen Ton hervor, der aber in große Ferne zu dringen schien, denn man hörte viele Schreie, welche die Antwort bildeten, in einer Weise erschallen, der man es anhörte, daß sich die Betreffenden nicht in der Nähe befanden. Bald sah man sie aus dem Walde kommen, einzeln oder in kleinen Gruppen. Sie liefen so schnell wie nur möglich, woraus zu schließen war, daß dieses Signal nur dann gegeben wurde, wenn große Eile nötig erschien.

Nach einiger Zeit waren wohl an dreihundert Männer versammelt, welche vor den Ankömmlingen eine Doppelreihe bildeten. Hinter dieser stellten sich die Frauen auf, während die Kinder im Hintergrunde die Zuschauer bildeten.

Nun begann zunächst ein Tanz der Männer, welcher in Bewegungen der Hände und Köpfe bestand, ohne daß die Füße sich von der Stelle bewegten. Der zweite Teil bestand in einem Vor- und Rückwärtsschreiten, an welchem sich auch die Frauen beteiligten. Im dritten Teile wurden die Lanzen, Blasrohre und Messer geschwungen, wozu die Frauen ein unbeschreibliches Geschrei in der Fistellage anstimmten. Dann schien der Tanz zu Ende zu sein. Da aber deutete der Häuptling auf Hammer und rief nur den einen Namen: „Der Vater Jaguar!“ laut aus. Einen kurzen Augenblick war alles still, jedenfalls vor Überraschung, diesen berühmten Mann hier zu haben. Dann aber brach ein Jubilieren los, daß man sich hätte die Ohren verstopfen mögen. Die Männer und Frauen sprangen wie besessen hin und her, und die Kinder folgten diesem Beispiele. Viele kamen herbei, um dem Genannten die Hand zu geben, oder ihn auch nur zu betasten. Er war noch nie hier am „klaren Bache“ gewesen, doch wußte man recht wohl, daß er andern Cambasstämmen gegen die Abipones siegreich beigestanden hatte. Als die Aufregung vorüber war, ordneten sich die Indianer, um mit ihren Gästen im Dorfe einzuziehen. Die Männer gingen zu dreien voran; dann kamen die Kinder, und darauf folgten die Ankömmlinge. Der Häuptling hatte sich an die Spitze gestellt.

Das Dorf bestand aus vielleicht achtzig Hütten, welche durchweg aus gestampfter Erde bestanden und mit Schilfdächern versehen waren. In den Gärten gab es Blumen, und auf den Feldern wuchsen neben Getreide allerlei Gemüse, von denen sich diese Leute, welche wenig Fleisch essen, meist ernähren. Hinter den Feldern gab es bis nach dem Walde hin einen ziemlich großen Plan, auf welchem Rinder und Pferde weideten. Von den ersteren konnte man vielleicht sechzig Stück, von den letzteren kaum dreißig, den ganzen Reichtum des Dorfes, zählen.

Man stieg von den Pferden. Dann hielt der Häuptling eine Rede, in welcher er seinen Untergebenen erzählte, was er erlebt hatte und daß die feindlichen Abipones im Anzuge seien. Als er geendet hatte, erhob der Vater Jaguar seine Stimme, um zu sagen, daß er beabsichtige, die mitgebrachten Pferde und Gewehre als Geschenke unter sie zu verteilen. Natürlich rief das einen allgemeinen Jubel hervor. Der Lieutenant Verano machte dann zwar eine Bemerkung darüber, daß niemand ein Recht besitze, die erbeuteten Pferde, an denen er eigentlich auch einen Anteil habe, oder gar die Gewehre zu verteilen; Hammer achtete aber gar nicht darauf.

jetzt begann es dunkel zu werden. Man entlastete die Pferde, ließ sie im „klaren Bache“ trinken und trieb sie dann nach dem Weideplane, wo sie sich erholen sollten. Von dort brachte man einige Rinder mit, welche den Gästen zu Ehren geschlachtet und verschmaust werden sollten. Feuer wurden angezündet, und beim Scheine derselben entwickelte sich ein eigenartiges Leben, welches selbst denen, die dergleichen schon oft erlebt hatten, von großem Interesse war.

Die Cambas schienen zunächst gar nicht an die Gefahr, welche ihnen von den Abipones drohte, zu denken. Sie hatten gehört, daß dieselben noch fern waren, und wußten den Vater Jaguar bei sich. Die Anwesenheit dieses Mannes ließ keine Sorge bei ihnen aufkommen.

Das Fleisch wurde ganz wie bei den Gauchos bereitet und verzehrt. Man trank dazu ein gegorenes Getränk, welches aus den Früchten des Chafiar bereitet wird. Dazu genoß man Kuchen, welchen die Frauen aus Mais- und anderm Mehl in der heißen Asche buken.

Nach diesem Essen wurde eine Beratung gehalten, an welcher alle Weißen und auch der Häuptling teilnahmen. Wohl nur den Lieutenant Verano ausgenommen, hielten alle es für ganz selbstverständlich, daß dem Vater Jaguar die erste Stimme und auch die Entscheidung zustehe. Er wurde aufgefordert und gab seinen Plan bekannt.

Morgen früh sollten die Gewehre verteilt und die Cambas im Gebrauche derselben unterwiesen werden. Zur geeigneten Zeit sollte man nach dem Thale des ausgetrockneten Sees ziehen, hundert Cambas sollten durch den Eingang desselben marschieren, um sich dann seitwärts im Walde zu verstecken. Diese Leute mußten natürlich die Abipones kommen sehen; sie hatten zu warten, bis diese vorüber und im Thale verschwunden sein würden. Dann sollten sie aus ihrem Verstecke hervorkommen und den Eingang besetzen, damit die Abipones nicht zurück könnten.

Die andern Cambas sollten sich im Thale selbst verstecken, und zwar hinter den Bäumen, um im gegebenen Augenblicke aus dieser sichern Deckung heraus den Kampf zu beginnen. Die Einzelnheiten konnten natürlich nicht genau vorherbestimmt werden. Darum sollten die Cambas so nahe beieinander stehen, daß der eine dem andern die von dem Vaterjaguar ausgehenden Befehle leise zurufen könne. Nach diesen sollte dann ganz genau gehandelt werden.

Alle waren mit diesem Plane einverstanden, nur der Lieutenant nicht. Er hatte geschwiegen, bis alle ihre Zustimmung erteilten; dann aber sagte er, gegen den Vater Jaguar gewendet:

„Ihr Plan, Señor, ist ganz gut, nämlich wenn er gelingt. Nur zweifle ich, daß dies der Fall sein wird.“

„Das muß abgewartet werden,“ antwortete Hammer in gleichmütigem Tone.

„Warum abwarten! Die Force eines tüchtigen Soldaten besteht im Angriffe, nicht aber im Zaudern. Der Angreifer ist stets im Vorteile, was Sie aber nicht zu wissen scheinen.“

„Ich weiß es wenigstens ebenso gut wie Sie, Señor!“

„Nun, warum wollen Sie denn da nicht angreifen?“

„Ich will es ja; aber freilich erst dann, wenn ich den Feind in der Falle habe.“

„Das ist falsch. Sie dürfen ihn gar nicht so weit heranlassen. Sie müssen ihm entgegengehen, um ihn zu schlagen, wo Sie ihn treffen. Oder getrauen Sie sich das nicht? Dann brauchen Sie nur mir die Führung zu übergeben; ich weiß, wie man solche Siege erkämpft.“

„Mit Blut natürlich, mit sehr viel Blut! Das kann ich auch, Señor, den Abipones entgegengehen und sie schlagen.“

„Auch wenn sie Ihnen an Zahl überlegen sind?“

„Auch dann. Aber es würden ihrer viele untergehen, und auch auf unserer Seite würde viel Blut fließen, und das ist es, was ich vermeiden will.“

„Was! Sie wollen sie schonen?“

„Ja, sie und uns.“

„Das ist falsch, grundfalsch. Das kann ich nicht zugeben; dagegen protestiere ich. Diese Hunde müssen niedergeworfen werden, vom ersten bis zum letzten. Es dürfen ihrer so wenig wie möglich entkommen!“

„Warum, Señor?“

„Das fragen Sie noch? Sind sie nicht gegen uns? Bestehlen sie uns nicht?“

„Was thun denn Sie? Gehört Ihnen ein Fußbreit von dem Lande, in welchem Sie sich befinden? Haben Sie oder Ihre Vorfahren den Indianern ehrlich bezahlt, was Sie ihnen genommen haben? Doch, streiten wir uns nicht darüber! Wollte ich auch die Abipones nicht schonen, so würden bei einem Kampfe, wie Sie ihn wollen, viele von uns zu Grunde gehen. Wenn es aber so kommt, wie ich es wünsche, so fließt kein Tropfen Blutes.“

„Nur auf unsrer Seite natürlich!“

„Wie wäre das möglich? Ein einziger Blick oder auch nur eine kurze Überlegung wird den Feinden sagen, daß sie verloren sind, falls sie zur Gegenwehr greifen. Ich werde zu ihnen sprechen und ihnen menschliche Bedingungen stellen.

Daraufhin werden wir einen ehrlichen Frieden mit ihnen schließen.“

„Einen Frieden? Sie sind des Teufels, geradezu des Teufels, Señor! Es darf kein Friede geschlossen werden. Man muß diese Kerls niederschießen. Je mehr von ihnen zu Grunde gehen, desto besser ist es für uns.“

„Ich weiß allerdings, daß dies Ihre Meinung ist; ich aber denke anders. Sie machen es gerade so, wie diejenigen es machen, mit denen wir es zu thun haben, nämlich Antonio Perillo und Konsorten. Es ist entsetzlich, den Roten auf den Roten zu hetzen, um dabei im Trüben fischen zu können. Solange ich da bin, wird dies verhütet werden.“

„Werden Sie es verantworten können?“

„Ich möchte den sehen, der es unternehmen wollte, mich darüber zur Verantwortung zu ziehen.“

„Der General, der Präsident!“

„Pah! Wir befinden uns nicht in Buenos Ayres, sondern im Gran Chaco. Die Stelle, an welcher Sie sitzen, gehört dem Volke der Cambas; da hat der Präsident nichts zu sagen. Übrigens können die Cambas aus Ihren Worten ersehen, was sie von den Weißen zu erwarten haben.“

„Sie mögen Frieden halten, dann geschieht ihnen nichts.“

„Wer kann solchen Freunden gegenüber Frieden halten! Ihr wißt es schon so einzurichten, daß es möglichst bald zum Bruche kommt.“

„Sprechen wir nicht darüber. Sagen Sie mir lieber, ob es wirklich Ihr Ernst ist, die Roten zu schonen.“

„Es ist mein vollster Ernst. Warum sollte ich scherzen?“

„Nun, so mögen Sie wissen, daß ich mich dagegen sträuben werde.“

„Versuchen Sie es.“

„Ich werde es nicht nur versuchen, sondern wirklich thun.“

„Das heißt, Sie werden unter Umständen gegen meinen Willen, gegen meine Anordnungen handeln?“

„Ja. Ich kenne hier keinen, dessen Anordnungen ich zu befolgen habe.“

„So vergessen Sie, daß Sie durch uns von dem schmählichen Tode des Ersäufens errettet worden sind, und ich will Ihnen folgendes sagen. Hören Sie wohl darauf! Was ich verspreche oder drohe, das führe ich auch aus. Wenn durch Sie ein einziger Tropfen Blutes gegen meinen Willen vergossen wird, gebe ich Ihnen eine Kugel in den Kopf.“

„Sie sprechen wie toll, Señor!“ fuhr der Offizier auf. „Wissen Sie, wer und was ich bin?“

„Ein einfacher Lieutenant sind Sie, weiter nichts, und nebenbei ein gewaltthätiger und blutdürstiger Mensch. Ich aber bin der Vater Jaguar, dem ein braver Indianer mehr gilt als ein gewissenloser Weißer. Was ich gesagt habe, das gilt. Wollen Sie partout Blut sehen, nun, so wird das Ihrige fließen; das schwöre ich Ihnen zu!“

Er stand von seinem Platze auf und entfernte sich, um den Zorn zu bekämpfen, welcher ihn ergriffen hatte. Der Lieutenant stieß hinter ihm her noch einige großsprecherische Worte aus; da aber zog Geronimo, der Liebling des Anführers, sein Messer und sagte zu ihm:

„Señor, schweigen Sie! Höre ich noch ein einziges unehrerbietiges Wort gegen unsern Freund, so stoße ich Ihnen diese Klinge in den Leib, daß Ihnen das Reden sofort vergeht! Wenn Sie etwa stolz darauf sind, daß Sie sich Lieutenant nennen dürfen, so gehen Sie in das Vaterland des Vater Jaguar, und lernen Sie dort erkennen, daß allerdings ein dortiger Lieutenant zehnmal mehr wert ist, als bei Ihnen ein General! Mit Ihrer Charge imponieren Sie ihm nicht!“

Damit hatte die Beratung ein ganz andres Ende gefunden, als man hatte vermuten können.

Hammer war zwischen zwei Hütten hindurch und an mehreren Gärtchen entlang gegangen. Er machte diesen Spaziergang nur, um sich zu beruhigen. Der Neumond war seit einigen Tagen vorüber, und am Horizonte stand die dünne Mondsichel, um ein halbes, ungewisses Licht über den Weideplatz zu werfen, den der Vater Jaguar nun erreicht hatte. Er sah die Pferde und die Rinder, und da fiel ihm die Stellung auf, welche diese Tiere einnahmen. Die Pferde standen in Gruppen zusammen, und zwar mit den Hinterbeinen nach außen. Die Rinder bildeten ihre Kreise in der entgegengesetzten Weise, nämlich mit den Köpfen nach außen. Dies erklärt sich dadurch, daß die ersteren sich mit den Hinterhufen, die letzteren aber mit den Hörnern verteidigen. Es mußte ein Raubtier in der Nähe sein und zwar ein größeres. Da er kein Gewehr bei sich hatte, so rief er mit lauter Stimme in das Dorf zurück:

„Cuidado, Señores! Bringt die Gewehre; es ist ein Jaguar da!“

Er stieß diesen Ruf nicht aus Furcht aus. Daß er sich auch ohne Gewehr nicht fürchtete, bewies er dadurch, daß er ruhig weiterging. Nur hatte er das Dolchmesser gezogen, um im geeigneten Augenblicke die Klinge bereit zu haben. Seine laute, weithin schallende Stimme war nicht nur in das Dorf zurück-, sondern auch über den ganzen großen Weideplatz gedrungen und da an die Ohren von zwei Personen, denen das sonderbare Verhalten der Tiere noch gar nicht aufgefallen war.

Diese beiden Personen waren Anton Engelhardt und der Inka. Die Freundschaft der beiden Jünglinge war während der letzten Tage womöglich noch inniger geworden, als sie vorher gewesen war. Sie hielten, wie auch schon früher, stets zu einander. Da mußte Anton von seiner Heimat erzählen, nicht von Peru, sondern von Deutschland, woher seine Eltern stammten, von andern Ländern, von deren Bewohnern und ihren Verhältnissen. Er hatte einen sehr guten Unterricht genossen und viel gelernt; darum konnte er dem Freunde sehr wohl die gewünschte Auskunft geben. Sie hatten von den Religionen der verschiedenen Völker gesprochen, von ihren Regierungsformen, ihren Herrschern und deren Machtbefugnissen, von den Streitkräften und den Verheerungen, welche die gegenwärtigen Waffen anzurichten im stande sind. Je mehr der junge Inka gehört hatte, desto einsilbiger und nachdenklicher war er geworden. Er begann mehr und mehr einzusehen, daß der Traum, den er bisher geträumt hatte, eben nur ein Traum sei und ein solcher bleiben werde.

Es fiel ihm nicht ein, seinem alten Anciano etwas davon zu sagen. Er wollte den treuen Beschützer nicht kränken.

Heute, als die Beratung begann, hatten sie geglaubt, zu jung zu sein, um an derselben teilzunehmen. Es hätte ihnen niemand verwehrt, bei den Alten zu sitzen, um zuzuhören und auch wohl ein Wort zu sagen, dennoch hielten sie es in ihrer berechtigten Bescheidenheit für geraten, fern zu bleiben, und so hatten sie, sich Hand in Hand führend, einen Spaziergang unternommen. Sie kamen nach der Weide hinaus und gingen in nicht allzu großer Ferne vom Walde parallel mit dem Rande desselben hin. Es war ihnen nicht eingefallen, ein Gewehr mitzunehmen. Anton hatte das Messer und den Revolver mit; der Inka trug auch ein Messer im Gürtel, und dazu hing ihm sein Streitkolben, von dem er sich nie zu trennen pflegte, an der linken Seite nieder. Der erstere erzählte wie gewöhnlich, der letztere hörte still zu und warf zuweilen eine wißbegierige Frage dazwischen. Da vernahmen sie von drüben herüber eine donnernde Stimme:

„Cuidado, Señores! Bringt die Gewehre; es ist ein Jaguar da!“

„Das war der Vater Jaguar,“ sagte Anton, indem er stehen blieb und unwillkürlich seinen Revolver zog. „Sollte eine Onze, ein Tiger, in das Dorf gedrungen sein?“

„Nein,“ antwortete Haukaropora. „Die Stimme kam nicht aus dem Dorfe, sondern von der andern Seite der Weide her. Wir haben uns zu weit entfernt. Laß uns zurückkehren!“

Sie entfernten sich vom Walde, um sich dem Dorfe zu nähern, und kamen dabei an einer Rindergruppe vorüber. Als der Inka die Haltung dieser Tiere sah, sagte er:

„Wir müssen uns beeilen. Diese Ochsen stehen zur Verteidigung bereit, und da sie die Hörner tief senken, so ist der Jaguar nicht nur da, sondern er muß sich hier in der Nähe befinden.“

Sie eilten mit raschen Schritten vorwärts, dorthin, wo sechs oder sieben Pferde, die Kruppen nach auswärts gerichtet, mit zusammengesteckten Köpfen einen Verteidigungskreis bildeten. Die Tiere schnaubten und standen mit den Hinterhufen keinen Augenblick still. Haukaropora ging links, Anton aber rechts vorüber, weil er da glaubte, näher zu kommen. Eben war er um die Pferdegruppe gebogen, als er seitwärts von derselben und vor sich etwas Dunkles im Grase liegen sah. Was es war, konnte er nicht erkennen, da die Sichel des Mondes nicht hell genug schien. Er hielt den Gegenstand oder das Tier für ein junges, an der Erde liegendes Kalb oder Füllen und wollte an demselben vorüber. Da erhob es sich und nun sah er allerdings, wen er vor sich hatte: es war der Jaguar, welcher zwar aufgesprungen war, sich aber zum Sprunge sofort wieder niederduckte. Flucht wäre da das Schlimmste gewesen. Anton blieb also stehen, spannte den Revolver und zog mit der linken Hand sein Messer. Was er in diesem Augenblicke fühlte, das war eigentlich nicht Furcht, sondern eine Empfindung, für die es keine Bezeichnung gibt.

„Hauka,“ rief Anton, „der Jaguar!“

Eben kam der Inka um die andre Seite der Pferdegruppe. In demselben Augenblicke that der Jaguar den Sprung auf Anton zu. Dieser jagte ihm eine Kugel entgegen, wurde aber von dem Tiere niedergerissen. Er fühlte die schwere Last der Bestie auf sich liegen und roch den stinkenden Hauch derselben. Er war sicher, nun von den Krallen zerfleischt, von den Zähnen zermalmt zu werden; da aber hörte er über sich einen Krach, wie wenn man mit einer Axt auf den Hackstock schlägt; der Jaguar richtete sich halb auf und rollte dann, ohne einen Laut auszustoßen oder nur zu röcheln, zur Seite. Anton fühlte sich von der Last frei; es war ihm aber, als ob er es noch gar nicht glauben dürfe; darum blieb er noch liegen. Da beugte sich der Inka über ihn und fragte in liebevollem Tone:

„Bist du verletzt, Antonio? Hat dich seine Kralle oder sein Rachen getroffen?“

„Ich glaube nicht,“ antwortete der Gefragte. „Es thut mir nichts weh. Da liegt das Tier. Was ist mit ihm?“

„Es ist tot; ich habe es mit meinem Humantschuay erschlagen. Eben als du mich gerufen, sprang er auf dich ein. Du gabst ihm eine Kugel und ich sprang hinter ihm her, um ihm mit dem Kolben den Schädel einzuschlagen. Steh auf, daß wir sehen, ob du Schaden erlitten hast!“

Anton erhob sich. Es war ihm nichts geschehen. Selbst sein Anzug war vollständig unverletzt. Ob der Schuß das Tier so konsterniert hatte, daß es seine scharfen Waffen nicht sofort gebraucht hatte?

Der Gerettete drückte seinen Retter innig an sich und sagte:

„Ohne dich lebte ich jetzt nicht mehr; ich wäre zerfleischt. Wie kann ich dir danken?“

„Dadurch, daß du mich immer so liebst, wie du mir jetzt gewogen bist. Das ist mir lieber als alles. Doch laß uns nun zu den Unsrigen zurückkehren.“

„Und was geschieht mit dem Tiger?“

„Den lassen wir einstweilen liegen; die Cambas mögen ihn holen.“

Sie kamen aber noch nicht von der Stelle fort, eben jetzt kam der Vater Jaguar. Er hatte den Ruf Antons und den Revolverschuß gehört und war dem Bedrängten zugeeilt. Als er den Fall übersah, bückte er sich zu dem Raubtiere nieder, untersuchte dasselbe und sagte dann:

„Ein Weibchen, ein gewiß fünfjähriges Weibchen. So einen großen Jaguar habe ich noch selten gesehen. Hauka, du bist wirklich ein junger Held, vor dem ich alle Achtung habe. Und welch ein gewaltiger Hieb! Du hast ihm den Schädel eingeschlagen. Hier nimm meine Hand! Ich muß dir die deinige drücken und schütteln, denn ich bin überzeugt, daß du einst ein tüchtiger Mann sein wirst.“

Dieser Händedruck war dem jungen Inka sehr viel wert. Eine Anerkennung von diesem Manne galt ihm höher, als das Lob vieler andrer.

Die drei kehrten nach dem Dorfe zurück. Als die in demselben Befindlichen das Abenteuer erfuhren, brachen sie alle, Männer, Weiber und Kinder, auf, um den Jaguar im Triumphzuge heimzuholen. Er wurde sofort aus der Haut geschält. Das Fell gehörte natürlich dem Inka, da dieser das Tier erlegt hatte; er nahm es aber nicht an, sondern schenkte es Anton als Andenken an die Gefahr, aus welcher er von dem Freunde gerettet worden war. Haukaropora hatte schon bisher die Teilnahme der ganzen Gesellschaft genossen; von heute an bemerkte man noch viel deutlicher, daß sie ihn wirklich achteten und einem erwachsenen Manne für gleichwert hielten.

Die Bewohner des Dorfes räumten mehrere Häuser, damit ihre Gäste einmal unter Dach schlafen konnten. Die Folge davon, daß der Häuptling Boten ausgesandt hatte, war noch vor morgens zu bemerken, denn es stellten sich schon während der Nacht viele Krieger aus den näher liegenden Dörfern ein. Im Laufe des Vormittags kamen noch viel mehr und dann auch mit Sack und Pack diejenigen Familien, welche vor den Abipones hatten weichen müssen, weil ihre Wohnungen auf der Route derselben lagen.

Es wurden diejenigen Krieger ausgesucht, welche die meiste Intelligenz besaßen; diese erhielten Schießgewehre. Gewehre bekamen natürlich auch alle Häuptlinge, welche mitgekommen waren, und deren gab es nicht wenige, weil jedes Dorf einen Häuptling hat. Sie werden Kaziken genannt. Diese Leute zeigten sich sehr anstellig, so daß der Vater Jaguar am Abende des zweiten Tages sagen konnte, er sei überzeugt, daß ein jeder seine Schuldigkeit thun werde. Um diese Zeit befanden sich über sechshundert junge, rüstige Cambaskrieger in dem Dorfe. Da gab es natürlich zu backen und zu braten die Hülle und die Fülle. Die armen Leute mußten fast alles hergeben, was sie an Nahrungsmitteln im Vorrate besaßen. Mußten doch die Krieger, wenn sie auszogen, sich für mehrere Tage mit Proviant versehen, da man die Ereignisse nicht vorherzusehen vermochte. Der Vater Jaguar tröstete sie aber mit der Versicherung, daß der Besiegte gezwungen sein werde, alle Kriegskosten zu bezahlen und vielleicht auch noch mehr zu erstatten. Waren die Verbündeten doch schon jetzt in den Besitz guter Gewehre und außerdem von achtzig sehr brauchbaren Pferden gekommen.

Am nächsten Morgen verließ der Vater Jaguar mit dem Inka und dem alten Anciano das Dorf, um dem Feinde als Kundschafter entgegenzureiten. Es galt nämlich nicht nur, möglichst genau die Zeit der Ankunft der Abipones zu erfahren, sondern es war ja auch möglich, daß sie nicht den erwarteten Weg eingeschlagen hatten. In diesem Falle mußten ganz andre Dispositionen getroffen werden, und da war es höchst notwendig, die Richtung, aus welcher sie kommen würden, auszuspähen. Er nahm gerade Hauka und Anciano mit, weil er wußte, daß diese im Kundschaften Vortreffliches leisteten. Am folgenden Morgen sollten die Krieger der Cambas dann nach dem Thale des ausgetrockneten Sees ziehen, um dort diejenige Aufstellung zu nehmen, welche er ihnen ebenso deutlich und bestimmt wie ausführlich vorgeschrieben hatte. Angeführt sollten diese Leute während seiner Abwesenheit von dem treuen und geschickten Geronimo werden, ein Umstand, welcher den Ärger des Lieutenants Verano von neuem auflodern ließ.

Als der Anführer mit seinen beiden Begleitern fortgeritten war, sagte Doktor Morgenstern zu seinem Fritze:

„Jetzt ist er nicht mehr da. In seiner Anwesenheit konnte ich unmöglich wagen, meinen Plan auszuführen. Er hat die Augen überall und hätte unser Verschwinden sofort bemerkt. Dann wäre er uns nachgeeilt, um uns zurückzuholen.“

„Und dat wäre eine Blamage jewesen, die mir tüchtig jeärgert hätte,“ bemerkte Fritze. „Also Sie denken noch oft und manchmal daran, Ihren Plan auszuführen?“

„Ja. Je länger ich es mir überlegte, desto mehr habe ich eingesehen, daß ich sonst um diese herrlichen Knochen komme. Wirst du mich im Stiche lassen?“

„Fällt mich nicht im Traume ein! Lieber lasse ich mir selbst im Stiche, als Ihnen; dat wissen Sie ja.“

„Nun gut, so wird es ausgeführt.“

„Aber wann?“

„Wann denkst denn du? Am Tage wird es wohl nicht möglich sein?“

„Nein, denn dieser Jeronimo, mit die jroße Habichtsnase, würde uns nicht fortlassen. Wir können also nur des Nachts ausrücken. Da wird es auch nicht bemerkt, wenn wir die Pferde beiseite führen und auch die Sattels unbemerkt mitjehen heißen.“

„Wieviel Pferde nehmen wir?“

„Zwei Reit- und drei Packpferde. Mehr brauchen wir nicht. Riemen zum Festbinden der Knochen werde ik mich auch verschaffen. Lassen Sie dat allens nur mich über. Sie wissen, daß Sie sich auf mir verjiften können.“

Der schlaue Patron beschäftigte sich den ganzen Tag mit den Vorbereitungen, welche die Ausführung dieses unvorsichtigen Vorhabens nötig machte. Am Abende ging man sehr zeitig schlafen, da morgen früh ausmarschiert werden sollte, und so kam es, daß er um Mitternacht seinem Herrn sagen konnte, daß alles bereit und fertig sei. Er hatte im Laufe des Abends drei Packsättel und zwei Reitsättel nach dem Walde geschafft und dann auch die Pferde heimlich hingeführt und angebunden. Jetzt nahmen sie ihre Waffen an sich und huschten davon. Als sie bei den Pferden ankamen, sattelten sie dieselben, hingen die Packpferde aneinander, um sie nebenher zu führen, stiegen dann auf und ritten davon, natürlich in derselben Richtung, aus welcher sie drei Tage vorher gekommen waren. Als sie das Dorf weit genug hinter sich hatten, lachte Fritze vergnügt auf und sagte:

„Wat für ein Schreck wird dat früh sein, wenn sie sehen, daß wir verschwunden sind! Ik bin bejierig, zu erfahren, wat sie dann machen werden, um sich wieder mit unsre hochzuverehrende Gejenwart zu beglücken.“

„Sie werden sich keine große Mühe geben. Übrigens ist mir das höchst gleichgültig, wenn ich nur zu meinen Knochen komme. Hoffentlich liegen sie noch an demselben Orte.“

„Wer soll sie wegjenommen haben? Es hat nicht jeder sonne Passion darauf, wie wir. Die Knochen sind noch da!“

„Aber ob wir sie finden!“

„Janz sicher.“

„Der Mond ist so dünn wie ein Messerrücken und man sieht kaum, wohin man reitet!“

„Ik verlasse mir nicht auf den Mond, sondern auf mein Jedächtnis. Ik weiß die Richtung so jenau, als ob ik hier zwanzig Jahre lang Briefträger jewesen wäre.“

Ja, die Richtung kannte er und hielt sie auch ein, aber als sie dann den Wald vor sich hatten, bildete dieser eine dunkle, zusammenhängende Masse, und es war ihnen ganz unmöglich, die Stelle zu finden, an welcher sie vor drei Tagen unter seinen Bäumen heraus und auf die freie Ebene gekommen waren. Sie mußten also absteigen und dann warten, bis die Sonne aufgegangen war. Selbst dann suchten sie längere Zeit, hielten verschiedene Stellen für die richtige und mußten mehrmals umkehren. Es war wohl schon zwei Stunden lang Tag, als sie ganz zufällig auf die Fährte des Vater Jaguar trafen, die ihnen nun als Richtschnur dienen konnte. Diese Fährte war nach so langer Zeit noch erhalten, weil hier das Gras hoch und dicht stand und die Reiter es nicht für nötig gehalten hatten, vorsichtig zu sein. Indem die beiden derselben von jetzt an folgten, kamen sie glücklich durch den Wald bis an den kleinen Bach und, dann diesen zum Führer nehmend, hinab in das Thal des ausgetrockneten Sees.

Hier ließen sie ihre Pferde trinken und ein wenig verschnaufen, und dann setzten sie ihren Weg fort. Sie sahen auch jetzt noch sehr deutlich die Spur des Vater Jaguar und seiner beiden Begleiter. Als sie das Thal hinter sich hatten, blieb Fritze nachdenklich halten, sah vom Pferde herab auf diese Spur nieder und sagte:

„Wenn ik mir nicht irre, so hat der Vater Jaguar sich jeirrt, und wenn er recht jehabt hat, so muß ik mir wejen meines Irrtums schämen.“

„Wieso? Was meinst du damit?“ fragte der Doktor.

„Er ist zu weit nach links jeritten. Der richtije Weg jeht mehr da nach rechts hinüber.“

„Du wirst dich täuschen. Der Vater Jaguar ist nicht der Mann, sich im Wege, lateinisch Via oder Trames genannt, zu irren.“

„Aber ik kann alle meine fünf Jedanken zusammennehmen, so komme ik doch auf keine andre Ahnung. Ob er sich vielleicht ein andres Ziel gesetzt hat?“

„Nein. Er nimmt an, daß die Feinde genau daher kommen, woher wir auch gekommen sind, und so versteht es sich von selbst, daß er ihnen nach dem Sumpfe der Knochen und noch weiter entgegengeritten ist.“

„Wenn dat richtig ist, so ist mich das Augenmaß vollständig verloren jegangen. Als wir hierher kamen, sind wir schnurjerade auf dieses Thal zujeritten, wir hatten es jerade der Nase nach vor uns liegen. Und wenn ik mir jetzt auf diese Spur stelle, so liegt es von mich aus zu viel nach links. Der Vater Jaguar muß also abgewichen sein.“

„Gewiß nicht. So ein Mann macht keinen solchen Fehler.“

„Dat scheint auch mich richtig zu sind. Ik denke, daß ich mir eher irre als er. Wie reiten wir also?“

„Gerade so wie er. Dann kommen wir ganz sicher nach dem Sumpfe der Knochen.“

„Jut, ik will Ihnen jehorchen. Hoffentlich kommen wir nicht nach Connewitz, anstatt nach Stötteritz.“

Sie folgten der Spur also auch noch fernerhin. Es vergingen einige Stunden, und doch kamen sie nicht an eine einzige Stelle, von welcher sie mit Bestimmtheit sagen konnten, daß sie auf ihrem Herwege an derselben gewesen seien. Dann gab es sandigen Boden und die Fährte war nicht mehr zu sehen. Sie hielten die bisherige Richtung genau fest, obgleich die Gegend ihnen vollständig unbekannt vorkam. Wieder verging eine längere Zeit; da parierte Fritze die Pferde und sagte:

„Ik habe mir doch nicht jeirrt; wir sind falsch jeritten. Wir müßten nun längst an dem Sumpfe sein.“

„Das ist wahr. Aber der Vater Jaguar kann sich doch nicht im Wege täuschen!“

„So hat er eine Absicht jehabt, einen Jrund, den Sumpf zu vermeiden.“

„Und wir haben eine kostbare Zeit verloren. Was ist zu thun, lieber Fritze? Müssen wir umkehren und etwa wieder nach dem Thale des ausgetrockneten Sees zurück?“

„Dat thue ik nicht, auf keinen Fall. Wir sind zu weit links, also brauchen wir nur nach rechts zu reiten, so kommen wir dahin, wo der Dichter oft und manchmal singt: „An der Quelle saß der Knabe.“ Und weil wir zu weit vorgekommen sind, müssen wir uns jetzt zurückhalten, in Summa also rückwärts nach rechts. Wenn wir auch dann nicht an den Sumpf kommen, so lasse ik mir in Butter braten und esse mir selbst als Kalbskotelette auf.“

Diese Berechnung war allerdings sehr richtig, und da sie derselben folgten, kamen sie nach längerer Zeit auf bekanntes Terrain, bogen auf demselben um und sahen dann die Uferbäume des Knochensumpfes vor sich liegen. Leider aber war nun der Tag fast verstrichen, und die Sonne befand sich schon im letzten Achtel ihres Tagebogens. Später erfuhren sie, warum der Vater Jaguar nach links abgewichen war.

An dem Sumpfe angekommen, stiegen sie ab und führten die Pferde, um sie dort anzubinden, vorsichtig in die Nähe der Stelle, wo sie die Knochen liegen gelassen hatten.

„Nun heißt’s schnell machen,“ meinte Fritze. „In einer Stunde wird es Nacht. Bis dahin müssen wir die Fracht im Sattel haben. Dann wieder fort.“

„Nicht hier bleiben?“

„Nein. Es ist ja heute der letzte Tag, und da könnten die Abipones kommen. Dat wäre ein Jaudium for ihnen, wenn sie mir und Ihnen erwischten!“

„Ehe die kommen können, kommt der Vater Jaguar vorüber. Sobald er sie erblickt, wird er schnell wieder umkehren.“

„Dat sollte man denken; aber ik kann mir nicht darauf verlassen, da er schon einmal nicht so jeritten ist, wie wir jedacht hatten. Jehen wir an die Arbeit; aber nehmen Sie Ihnen vor die Krokodile in acht! Heute sehe ik erst, wie massenhaft sie hier vorhanden sind.“

Diese Worte Fritzes waren sehr wohl berechtigt, denn wenn man aufmerksam über die Wasserfläche, ganz besonders in der Nähe der Ufer, blickte, konnte man wohl hunderte von diesen Eidechsen sehen. Die Knochen lagen noch so da, wie sie verlassen worden waren. Die beiden Männer machten sich daran, sie in Bündel zusammenzuschnüren. Das ging aber nicht so rasch, wie Fritze es wünschte, denn sein Herr hatte ihm allerlei zu zeigen, zu erklären und hundertmal zu bitten, doch ja die größte Behutsamkeit anzuwenden, damit nichts beschädigt werde. Da gab es bald hier eine Kleinigkeit abzukratzen, bald mußte eine Stelle mit einer Handvoll Wasser gereinigt werden. Die Zeit verging und die beiden achteten nicht auf das, was in der Nähe des Sumpfes geschah. Da hörten sie plötzlich eine laute Stimme sprechen. Sie hatten im Schilfe gekauert und fuhren empor, um zu sehen, wer so unerwartet hier anwesend sein könne. Sie befanden sich hinter einem Buschwerke, welches sie verdeckte, konnten aber zwischen den Zweigen desselben hindurchsehen. Was sie da erblickten, war ganz geeignet, sie im höchsten Grade besorgt zu machen.

Da draußen kam nämlich ein ganzes Heer von Reitern und Fußgängern angezogen. Man sah, daß diese Leute in einiger Entfernung vom Sumpf Halt machen wollten. Jedenfalls beabsichtigte man die Nacht da zuzubringen, und in der Nähe des Sumpfes zu lagern. Einige Reiter, vielleicht zwölf oder vierzehn, waren ganz herangekommen, denn sie hatten von weitem die fünf Pferde gesehen, bei denen sie jetzt hielten. Einer von ihnen war ein Indianer; die andern gehörten der weißen Rasse an. Sie stiegen von ihren Pferden und begannen nach rechts und links im Schilfe nach Spuren zu suchen. Da sie höchstens vierzig Schritte entfernt waren, konnte man ihre Gesichtszüge deutlich erkennen.

„O Jerum, ist dat eine Weihnachtsbescherung!“ raunte Fritze seinem Herrn zu. „Warum haben Sie doch so lange geplaudert und gezaudert! Wir konnten längst über alle Berge sind und sitzen nun im schönsten Pfannkuchen drin. Ik habe mich’s doch fast jedacht! Kennen Sie diese Kerls?“

„Leider ja,“ antwortete der Doktor, welchem es höchst ungemütlich zu werden begann. „Wenn ich mich nicht irre, so sehe ich dort jenen Antonio Perillo, der auf mich geschossen hat, und auch den Kapitän Pellejo, der uns bei der Gigantochelonia überraschte.“

„Und auch den langen, starken Menschen, welchen sie den jrößten Jambusino nannten! Herr Doktor, schauen Sie hinaus ins Land! Dat sind doch wenigstens achthundert bewaffnete Menschen. Und wer sind sie? Die Abipones! Dat ist eine Suppe, welche uns sehr jesalzen vorkommen wird. Sehen Sie, daß diese Menschen nach uns suchen! Sie denken, wo Pferde sind, müssen auch Reiters sind.“

„Können wir nicht fliehen, mein lieber Fritze?“

„Wohin denn? Hinaus zu die Kerls oder hinein in dat Wasser? Dort fangen uns die Roten, und hier fressen uns die Krokodile.“

„So bleiben wir hier hinter den Büschen stecken. Vielleicht finden sie uns nicht. Ist es dann dunkel, was der Lateiner caliginosus oder obscurus nennt, so fliehen wir.“

„Dat bilden Sie Ihnen ja nicht ein, denn ehe fünf Minuten in die Ewigkeit jeflossen sind, haben sie uns beim Zopfe und beim Schopfe.“

„Darin wird’s wohl gefährlich? Nicht?“

„Jemütlich auf keinen Fall.“

„Was sagen wir, wenn sie uns fragen, was wir hier wollen?“

„Jut, daß Sie diese Frage aussprechen. Sie antworten jar nichts. Dat Reden wird meine Aufjabe sind. Am allerwenigsten aber dürfen diese Leute wissen, daß der Vater Jaguar hier ist und daß die Cambas von dem Überfalle wissen. Wir sind janz allein hierher jeritten. Dabei bleiben wir, selbst wenn sie uns erst pfählen, dann spießen, nachher aufhängen, endlich verjiften und schließlich zuletzt jar ermorden wollen. Verraten wir unsre Freunde, so sind wir verloren, denn nur durch diese können wir jerettet werden. Selbst wenn wir uns verteidigen wollten, würde dat unmöglich sind, weil wir die Waffen dort bei die Pferde haben. Passen Sie auf! Jetzt haben sie unsre Spur. Alle juten Jeister! jetzt jeht der Vorhang in die Höhe! Wie wird’s sein, wenn er wieder niederfällt!“

Die Suchenden waren jetzt endlich soweit gekommen, die alten Spuren von den neuen zu unterscheiden; indem sie den letzteren folgten, näherten sie sich rasch und kamen hinter den Busch. Der Gambusino schritt ihnen voran. Als er die beiden kleinen Roten erblickte, machte er eine Gebärde der Überraschung und rief dann aus:

„Ay maravilla – o Wunder! Wen treffen wir hier? Das sind ja alte, liebe Bekannte! Willkommen, Señores! Was treiben Sie denn hier? Haben Sie etwa wieder eine Riesenschildkröte gefunden? Wahrhaftig, sie haben es mit alten Knochen zu thun! Nun, die Ihrigen werden bald ebenso aussehen, wie diese hier!“

Er stieß ein höhnisches Gelächter aus, in welches die andern einstimmten. Die beiden wurden angepackt und bis hin zu ihren Pferden gezogen, wo der Boden fest und trocken, also sicherer und zuverlässiger war, als dort am Wasser. Man bildete zunächst einen Kreis um sie; dann suchte man ihre Taschen aus. Alles, was dieselben enthielten, wurde genommen. Man raubte sie jetzt also zum zweitenmal aus. Hierauf erzählte der Gambusino denen von seinen Leuten, welche damals an der Fischquelle nicht mit dabeigewesen waren, unter welchen Umständen die zwei Deutschen seine Gefangenen geworden und ihm dann wieder entkommen waren.

„Vielleicht hätten wir ihnen dort das Leben geschenkt,“ fuhr er fort, „denn ich begann wirklich zu glauben, daß dieser dumme Kerl unmöglich Oberst Glotino sein könne. Nun ich ihn aber hier auf dem Gebiete der Cambas finde, gibt es keinen Zweifel mehr darüber, daß wir in ihm den richtigen Mann vor uns haben. So eine Verstellung ist mir wahrlich noch nicht vorgekommen. Sie soll ihm aber nichts nützen, und heut wird ihm auch nicht wieder ein Zufall den Vater Jaguar herbeiführen, der ihn befreit. Señores, werden Sie ihn mir überlassen?“

„Ja, ja, ja,“ ertönte es im Kreise.

„Gut! Vorher aber soll er mir einige Auskunft geben. Ich möchte doch gern wissen, was mit dem Vater Jaguar geworden ist.“

„Der ist hinter Ihrer Fährte her,“ antwortete Fritze schnell, damit die Fragen an ihn gerichtet werden möchten.

„Was hast du zu reden, vorlauter Bursche! Aber ich will es gestatten, denn vielleicht bist du aufrichtiger als dein Herr, welcher schon damals zu keinem Geständnis zu bringen war. Auch du hast dein Leben verwirkt, kannst es aber retten, indem du uns die Wahrheit sagst. Wußtet ihr damals vorher, daß der Vater Jaguar euch befreien würde?“

„Nein,“ lautete Fritzes Antwort.

„Ist er uns am andern Morgen wirklich nachgeritten?“

„Ja.“

„Wie weit?“

„Das wissen wir nicht, weil er uns nicht mitnahm.“

„Warum that er das nicht?“

„Er sagte, er könne uns nicht gebrauchen.“

„Was wollte er denn eigentlich im Gran Chaco?“

„Er wollte mit seinen Yerbateros Thee holen.“

„In welcher Gegend?“

„Das weiß ich nicht. Er war überhaupt sehr verschwiegen gegen uns, und wir erfuhren nur das eine, daß er Ihnen schnell nach wollte, um zu erfahren, wohin Sie gehen würden.“

„Wieviel Leute hatte er bei sich?“

„Vielleicht zwanzig Mann.“

„Wie kommt ihr aber zu diesen Pferden und Waffen? Wir hatten euch doch alles genommen.“

„Er gab sie uns, weil er meinte, daß der Bankier Salido ihn dafür bezahlen würde.“

„Dachte es mir! Und wie kommt ihr nun in diese Gegend?“

„Wir wissen von früher her, daß im Gran Chaco Reste von alten Tieren gefunden werden, und sind aufs Geratewohl hineingeritten. Hier haben wir auch gefunden, was wir suchten.“

„Wo habt ihr Cambas getroffen?“

„Nirgends. Als wir gestern durch einige Dörfer kamen, waren sie leer.“

„Warum?“ „Wie kann ich das wissen, Señor!“

Da legte ihm der riesige Gambusino die Faust schwer auf die Achsel und sagte in grimmigem Tone:

„Höre, Mensch, du bist entweder der größte Dummkopf, den es gibt, oder ein höchst verschmitzter Mensch. In beiden Fällen aber ist es nicht schade, wenn du das Schicksal deines Herrn teilst. Wir wissen nun durch dich, daß wir den Vater Jaguar hinter uns haben und nicht vor uns, wie wir bereits glauben wollten. Das ist genug. Schnürt die Kerls fest an zwei Bäume! Dann werde ich mitteilen, welchen Spaß ich euch mit ihnen mache.“

Diese letzten Worte waren an seine Umgebung gerichtet. Die beiden Deutschen wurden so, wie er es befohlen hatte, angebunden, und dann sprach er leise mit dem Gefolge, welches einen Kreis um ihn gebildet hatte. Das häßliche Gelächter, mit welchem man ihm zustimmte, ließ erraten, daß sein Entschluß ein für die Gefangenen möglichst schlimmer sei. Er trat wieder zu ihnen und sagte:

„Damit es für euch ja keine Möglichkeit gibt, uns abermals zu entkommen, habe ich euch ein zweifaches Todesurteil gesprochen. Ihr sollt gehängt und zu gleicher Zeit von den Krokodilen gefressen werden. Nur der Teufel allein kann euch da noch Hoffnung machen.“

Der Doktor wollte antworten, jedenfalls, um etwas zu seiner Verteidigung zu sagen, Fritze aber ließ ihn nicht dazu kommen, indem er schnell, und zwar in deutscher Sprache, bemerkte:

„Schweigen Sie, Herr! Es würde jedes Wort verjeblich sind.“

„Aber wenn ich diesen Menschen nicht erkläre, daß sie sich in mir irren, sind sie wirklich im stande, uns aufzuhängen!“

„Man wird auf Ihre Worte jar nicht hören.“

„Dann sind wir freilich verloren, lieber Fritze!“

„Denken Sie dat nicht! Wenn Sie uns nicht in diesem Augenblick ermorden, werden wir jerettet werden.“

„Von wem?“

„Vom Vater Jaguar.“

„Unmöglich! Er ist ja nicht da.“

„Ik habe wat jesehen.“

„Was?“

„Ihn selbst. Jrad als dieser Jambusino endete, blickte ik zufälligerweise da über den kleinen Wasserarm hinüber, und da fuhr eine Jestalt aus dem Schilfe empor, welche mich winkte und dann schnell wieder verschwand.“

„Und du meinst, daß es der Vater Jaguar gewesen ist?“

„Er war es; ik habe ihn erkannt.“

„Wahrscheinlich hast du dich geirrt. Die Sonne, lateinisch Sol genannt, ist schon untergegangen, und die Dämmerung tritt ein.“

„Dennoch habe ik mir nicht jeirrt. Es war seine hohe breite Jestalt und auch der lederne Anzug, den er trägt.“

„Vielleicht ist einer der Weißen, die sich bei den Abipones hier befinden, auch so gekleidet.“

„Es war keiner von ihnen. Er winkte mich heimlich zu und versteckte sich rasch wieder. Wenn er zu den Abipones jehörte, brauchte er dat nicht zu thun.“

„Das ist wahr. Du meinst also, daß wir noch Grund zur Hoffnung haben?“

„Ja. Ik bin überzeugt, daß wir noch oft und manchmal jerettet werden.“

Sie hatten sich in dieser Weise so ungestört aussprechen können, weil ihre Widersacher für kurze Zeit fortgegangen waren, um den Abipones zu sagen, wen man gefangen habe und welcher interessanten Scene man sich bald zu erfreuen haben werde. Die Roten hielten infolgedessen in ihren Vorbereitungen zum Lagern inne und kamen herbei, die beiden zu betrachten und zu verhöhnen. Benito Pajaro, der Gambusino, ließ sie erst einige Zeit gewähren und trieb sie dann zurück, indem er sagte:

„Gebt jetzt Raum, damit wir beginnen können. Brennt dort unter dem Alisobaume ein Feuer an! Dann könnt ihr sehen, wie diese beiden Halunken zappeln werden.“

Der Aliso stand so nahe am Wasser, daß die Hälfte seiner Krone sich über demselben befand. Seine untern Äste waren so stark, daß sie das Gewicht eines erwachsenen Mannes leicht zu tragen vermochten. Man gehorchte der Aufforderung und zündete in der Nähe des Stammes ein Feuer an, durch welches die Krokodile vertrieben wurden, die ganz nahe am Ufer im Wasser gelegen hatten.

„Sie werden bald wiederkommen,“ rief der Gambusino dem Doktor in höhnisch tröstendem Tone zu. „Habt also keine Sorge! Ihr werdet ihre Bekanntschaft baldigst machen. Was denkt ihr wohl, was wir mit euch beginnen werden?“

Die Gefragten verschmähten es, ihm auf diese Frage eine Antwort zu geben, und so fuhr er fort:

„Wir hängen euch an den Ästen auf, welche da über das Wasser ragen, und machen die Riemen so lang, daß die Krokodile euch mit den Zähnen erreichen können. Auf diese Weise werdet ihr gehängt und gefressen zu gleicher Zeit.“

Die beiden Deutschen überlief ein Schauder, und doch war diese Todesart einem ihrer Feinde nicht schrecklich genug, nämlich Antonio Perillo, dem Stierkämpfer. Dieser stand neben dem Gambusino und sagte:

„Das ist nichts, gar nichts für diese Halunken! Dieser Mensch, welcher vorgibt, ein Deutscher zu sein, ist meiner Kugel entgangen; dann gelang es ihm, aus unsrer Gefangenschaft zu entrinnen. Er hat uns also schon zweimal um das Schauspiel, ihn sterben zu sehen, betrogen, und dafür soff er uns heute entschädigen. Wenn wir ihn wirklich und regelrecht hängen, so ist er in einigen Augenblicken tot. Was nützt es da, wenn ihn dann die Krokodile fressen? Die Kerls müssen viel, viel länger in Todesangst schweben!“

„Was willst du denn da vorschlagen?“ fragte der Gambusino.

„Wir hängen sie auf, ja; aber nicht am Halse, sondern unter den Armen, und lassen sie so tief herab, daß sie von den Krokodilen beinahe erreicht werden, nicht ganz, sondern beinahe. Welche Lust, wie sie zappeln werden, wenn die Bestien nach ihnen schnappen!“

„Aber wenn sie dabei noch zu hoch hängen, werden sie doch nicht zerrissen!“

„Einstweilen, einstweilen nur,“ lachte der Stierkämpfer. „Erst stehen sie die Angst des Todes aus, und dann, wenn wir ein Ende machen wollen, lassen wir sie an den Riemen tiefer herunter.“

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und man schickte sich an, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

„Gräßlich!“ flüsterte der Doktor seinem Diener zu. „Sind das Menschen? Da wollte ich doch lieber, sie würfen uns den Krokodilen sofort vor!“

„Nein,“ antwortete Fritze, „denn da wäre es sogleich um uns jeschehen; so aber jewinnen wir Zeit. Nur Mut, Herr Doktor, nur Mut! Ik bin überzeugt, daß der Vater Jaguar uns nicht im Stiche lassen wird. Jrad diese ausjesuchte Jrausamkeit wird unsre Rettung sind. Darauf können Sie Ihnen verlassen!“

Es war mittlerweile dunkel geworden, und das lodernde Feuer warf flackernde Schatten auf die Büsche und das Geschilf und blutrote Lichter auf die Fläche des sumpfigen Wassers, aus welchem man die Köpfe oder Schnauzen der Krokodile hervorragen sah. Man holte vier Lassos, von denen je zwei fest zusammengebunden wurden. Dann kletterten zwei Indianer auf den Baum, jeder auf einen andern starken Ast, um die Lassos da so anzubringen, daß sie sich in einer Astgabel wie auf einer laufenden Rolle bewegten. Dann kamen sie, die Enden der Lassos festhaltend, wieder herunter.

Hierauf wurden die Gefangenen von den Bäumen, an die man sie gefesselt hatte, losgemacht. Man band ihnen die Hände auf den Rücken und zog ihnen dann das eine, äußere Ende des Lassos unter den Armen durch, um es ihnen auf dem Rücken festzuknebeln. Dann wurden die andern Enden von mehreren kräftigen Männern angezogen und, als die Gefangenen in der Luft schwebten, an dem Stamme des Baumes festgeschlungen.

Da die beiden Äste über das Wasser ragten, so hingen die beiden Gefangenen natürlich auch über demselben. Sie schwangen an den Lassos hin und her, und dadurch wurden die in der Nähe befindlichen Krokodile herbeigelockt, um mit lautem Zusammenschlagen der Kinnladen nach ihnen zu schnappen.

Man hatte, dem Vorschlage des Stierfechters gemäß, die Lassos soweit angezogen, daß die Tiere die Füße der Gefangenen nicht ganz erreichen‘ konnten; dennoch warfen die letzteren, so oft sich ein Rachen unter ihnen öffnete, die Beine krampfhaft empor, so daß sie nicht still hingen, sondern sich an den Riemen immer in schleudernder Bewegung befanden. Es konnte sich eins der Tiere doch einmal so hoch emporschnellen, daß es mit den Zähnen sein Ziel erreichte. Falls ein Lasso riß, so war der an demselben Hängende verloren; es war ihm gewiß, augenblicklich zerfleischt zu werden.

Die Stimmung, in welcher sich die beiden Deutschen, wenn in einer solchen Lage überhaupt von einer Stimmung die Rede sein kann, befanden, läßt sich natürlich nicht beschreiben. Ob sie still waren oder schrieen, das konnte man nicht sagen, denn die Indianer stießen ein Freudengeheul aus, welches jeden andern Ton oder Laut unhörbar machte, und die Weißen stimmten in dasselbe ein. Wollte dieses Heulen je einmal aufhören, so fing es, wenn ein Krokodil zuschnappte, immer wieder von neuem an. Das währte wohl über eine halbe Stunde lang, bis die Kehlen doch ermüdeten und nun einige verlangten, daß ein Ende gemacht werden solle. Dagegen aber stimmte der Stierfechter, indem er rief:

„Nein, jetzt noch nicht, noch lange nicht! Sie müssen die Todesangst noch stundenlang empfinden.“

„Aber wir haben keine Zeit, uns hierher zu stellen,“ warf ein andrer ein. „Wir müssen das Lager bereiten und essen.“

„Wer verlangt denn, daß wir uns hierherstellen? Diese Kerls hängen gut. Thun wir also unsre Arbeit. Wenn wir dann zurückkehren, kann das Theater von neuem beginnen.“

Man stimmte ihm bei. Nachdem noch einmal nachgesehen worden war, ob die Lassos auch wirklich fest am Stamme des Baumes hielten, entfernten sie sich alle, um ihren anderweiten Obliegenheiten einstweilen nachzukommen. Keiner blieb am Wasser. Dieser letztere Umstand war es, dem die so fürchterlich Gequälten ihre Rettung zu verdanken haben sollten.

Fritze hatte sich nämlich nicht geirrt, als er der Meinung gewesen war, den Vater Jaguar gesehen zu haben. Dieser war, wie schon erzählt, mit dem Inka und dem Anciano von dem Arroyo claro fortgeritten, um die nahenden Abipones zu erkundschaften. Sein Weg hatte ihn nach dem Thale des ausgetrockneten Sees geführt. Er war überzeugt, daß der Marsch der Feinde nach diesem Orte gerichtet sein werde. Ritt er ihnen in gerader Richtung entgegen, so begab er sich in die Gefahr, auf dem ebenen und meist offenen Terrain von ihnen gesehen zu werden. Darum wich er von dieser Richtung nach links ab, um den Anzug der Abipones von dieser Seite her zu beobachten. Doktor Morgenstern war mit Fritze dieser abweichenden Spur gefolgt, infolgedessen beide den bereits erwähnten Umweg gemacht hatten.

Der Vater Jaguar war bis über die Grenze, welche das Gebiet der Cambas von demjenigen der Abipones trennte, zurückgekehrt und dann auf einen weiten, baum- und strauchlosen Campo gekommen, auf welchem er glaubte anhalten zu müssen.

„Wir dürfen nicht weiter,“ sagte er zu seinen Begleitern. „Wenn meine Berechnung richtig ist, sind wir schon über den Punkt hinaus, an welchem die Abipones sich rechts von uns befinden müssen. Biegen wir jetzt nach dorthin ein, so steht zu erwarten, daß wir hinter sie gelangen und aus ihren Spuren zu ersehen vermögen, mit welcher Anzahl von Gegnern wir es zu thun haben.“

„Sie haben recht, Señor,“ stimmte Anciano bei. „Biegen wir rechts ein! Die Gegend paßt sehr gut dazu, da wir hier etwaige Feinde sehen werden, sobald sie am Horizonte auftauchen.“

Man ritt also jetzt nach Süden, nicht allzu schnell, sondern in leichtem Trabe, um Zeit zur scharfen Beobachtung des Horizontes zu haben. Es war wohl zwei Stunden lang weder ein Mensch, noch die Spur von einem solchen zu sehen. Dann aber kamen die drei Reiter an eine ungemein breite Fährte, welche rechtwinklig quer über ihre Richtung lief.

„Das ist jedenfalls, was wir suchen,“ sagte der Vaterjaguar, indem er sein Pferd anhielt und aus dem Sattel sprang. „Wollen diese Spur doch einmal genau betrachten.“

Anciano und der Inka folgten seinem Beispiele. Man sah, daß sowohl Reiter als auch Fußgänger hier vorübergekommen waren, aber wieviel es gewesen waren, das konnte höchstens geschätzt, nicht aber genau bestimmt werden, da die hintern die Eindrücke der vordersten ausgetreten hatten.

„Es sind die Abipones,“ meinte Anciano. „Sie müssen sich sehr sicher fühlen, da sie so breit marschiert sind und eine so sehr unvorsichtige Fährte zurückgelassen haben. Ihre Zahl kann ich nicht sagen.“

„Und doch möchte ich dieselbe sehr gern wissen,“ sagte der Vater Jaguar. „Wenn wir ihnen nachreiten, so finden wir vielleicht einige Zeichen, welche uns als Anhalt dienen können.“

„Um ihnen folgen zu können, müßten wir wissen, wie weit wir sie vor uns haben.“

„Das ist doch nicht schwer zu sagen. Ich sehe am Grase, daß wir sie wenigstens vier Reitstunden vor uns haben. Ihre Schnelligkeit kann die unsrige zwar nicht erreichen, aber wir müssen uns trotzdem sputen, da wir gezwungen sind, vor ihnen im Thale des ausgetrockneten Sees anzukommen.“

Einige Zeit später gelangten die drei an eine Stelle, an welcher die Abipones gelagert hatten. Die Pferde waren seitwärts auf die Weide gelassen worden, und nun konnten die einzelnen Eindrücke besser auseinander gehalten werden. Der junge Inka gab sich Mühe, den Platz zu untersuchen. Der Vater Jaguar wollte ihm Gelegenheit bieten, seinen Scharfsinn zu zeigen, und fragte ihn darum:

„Nun, Hauka, wieviele Feinde werden wir vor uns haben?“

„Vielleicht fünfzig Reiter und fünfzehnmal mehr Männer, welche keine Pferde haben,“ antwortete der Jüngling mit großer Bestimmtheit.

„Deine Schätzung hat das Richtige getroffen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Um einige Männer oder Pferde kann man sich irren; es kommt nicht darauf an.“

„Was thun wir nun?“ fragte Anciano. „Reiten wir noch weiter hinter ihnen her?“

„Nein, denn erstens gibt es keinen Grund dazu, und zweitens würde es eine Unvorsichtigkeit von uns sein. Wir wissen jetzt, woran wir sind; wir haben unsern Zweck erreicht und kehren zu unsern Cambas zurück.“

„Auf welchem Wege?“

„Auf dem wir hierhergekommen sind. Wir halten uns wieder nach Norden und reiten, sobald wir unsre Fährte erreichen, auf derselben zurück.“

Diese Absicht wurde ausgeführt, so daß die drei dann also nördlich von der Linie, und zwar parallel mit derselben, ritten, auf welcher die Abipones marschierten. Stunden vergingen und wieder Stunden. Der Weg hatte fast zwei Tage in Anspruch genommen, denn die drei waren gestern früh ausgeritten, und jetzt war der Mittag längst vorüber.

„Wir kommen noch sehr zu rechter Zeit,“ sagte Anciano nach einem längeren Schweigen. „Die Feinde erreichen heute das Thal des ausgetrockneten Sees auf keinen Fall.“

„Nein,“ stimmte Hammer bei. „Ich vermute, daß sie am Sumpfe der Knochen Nachtlager machen werden, welcher jetzt zwei Stunden südlich von uns liegt.“

„Darüber wird der Señor Doktor keine Freude haben.“

„Warum?“

„Weil sie ihm wahrscheinlich die Knochen nehmen werden, welche er sich später holen will.“

„Die werden sie ihm gern liegen lassen.“

„Nein, denn sie werden Feuer brennen, und da sind Knochen besser als Schilf, welches schnell verlodert.“

„Es fragt sich, ob sie sie finden. Sie werden wegen der Stechfliegen, von denen sie am Wasser geplagt würden, nicht in der Nähe desselben lagern. Aber halt! Was ist denn das? Sehe ich recht?“

Er hielt sein Pferd an und sah überrascht zur Erde nieder. Die drei befanden sich jetzt an der Stelle, an welcher Morgenstern und sein Diener zu der Einsicht gekommen waren, daß sie falsch geritten seien.

„Sonderbar!“ antwortete Anciano. „Da sind Reiter hinter uns hergekommen und nach Süden abgebogen!“

„Vom Thale des ausgetrockneten Sees her,“ ergänzte der Vater Jaguar.

„Wer mag das sein?“

„Es sind jedenfalls Freunde von uns, da es dort noch keine Abipones geben kann. Sie sind nach dem Sumpfe der Knochen hinüber. Was hat das zu bedeuten? Ich habe doch ganz genaue Weisungen gegeben, wie man sich verhalten soll. Welch eine Unvorsichtigkeit von diesen Cambas! Wenn sie da drüben von den Abipones bemerkt werden, so ändern diese sehr wahrscheinlich ihren Plan, und dann muß der meinige erfolglos sein.“

Haukaropora war der Spur eine kleine Strecke gefolgt. Indem er zurückkehrte, hörte er diese Worte und sagte:

„Es sind keine Cambas, welche diese Unvorsichtigkeit begangen haben.“

„Wie kommst du zu dieser Behauptung? Sollen es Weiße gewesen sein? Meine Kameraden werden es sich niemals einfallen lassen, einen solchen Fehler zu begehen.“

„Señor, es sind außer ihnen noch andre Weiße da. Ich sollte nicht sprechen, weil ich ein Knabe bin, aber wenn mich nicht alles trügt, so ist der kleine, gelehrte Mann mit seinem Diener hier geritten.“

„Doktor Morgenstern? Das wären nur zwei Personen; ich sehe aber die Spuren von fünf Pferden im Grase.“

„Sie haben die Fährte noch nicht genau betrachtet. Wenn Sie das thun, so werden Sie bemerken, daß zwei Reiter drei ledige Pferde neben sich geführt haben.“

Als der Vater Jaguar hierauf aus dem Sattel stieg, überzeugte er sich sehr leicht, daß der junge Inka sich nicht geirrt hatte.

„Zwei Reiter mit drei ledigen Pferden, also wohl mit Packpferden!“ sagte er. „Da möchte ich allerdings auch behaupten, daß es nur diese beiden kleinen Kerle sein können, deren Unerfahrenheit und Ungeschick uns immerfort zu schaffen macht. Es ist dem Doktor wirklich zuzutrauen, daß er nicht an die Gefahr, sondern nur an diese alten Knochen denkt!“

„Ist diese unsre Vermutung richtig, so befindet er sich in großer Gefahr,“ sagte Anciano. „Es steht sehr zu befürchten, daß die Abipones ihn überraschen werden. Wir müssen hin, um ihm beizustehen.“

Hammers Stirn legte sich in zornige Falten; er bückte sich, strich mit der Hand über das von den Pferden niedergetretene Gras und zürnte dann:

„Es ist so. Diese Menschen sind vor zwei Stunden hier gewesen. Sie werden jetzt drüben angekommen sein, und wenn wir ihnen zu ihrer Rettung folgen, so kann es sehr leicht geschehen, daß wir zu spät kommen und mit den Abipones zusammengeraten.“

„So meinen Sie, daß wir sie ohne Beistand lassen?“

„Nein. Das mag ich denn doch nicht auf mein Gewissen nehmen. Ist es der Doktor, so muß ihm geholfen werden. Und es kann kein andrer sein. Er hat seinen Diener beschwatzt, mit ihm zu kommen, und dieser Fritze ist im stande, aus Liebe zu seinem Herrn die unmöglichsten Albernheiten zu begehen. Sie haben Packpferde mitgenommen, um ihnen die Knochen aufzuladen.“

„So wundert es mich nur, daß Señor Geronimo ihnen erlaubt hat, sich zu entfernen. Er ist doch sonst ein höchst umsichtiger und auch strenger Mann.“

„Der? Es ihnen erlaubt? Würde ihm nie einfallen! Sie haben sich heimlich entfernt, bei Nacht und Nebel, ohne daß es jemand bemerkt hat. Darum sind sie erst vor so kurzem hier gewesen. Es bleibt uns wirklich nichts andres zu thun, als nach dem Sumpfe zu reiten, um zu sehen, ob wir die Gefahr von den Unvorsichtigen abwenden können. Aber höchst vorsichtig müssen wir sein. Wir dürfen nicht gesehen werden.“

Sie stiegen wieder auf und folgten nun der Spur der beiden Missethäter. Es war notwendig, Galopp zu reiten, denn der Sumpf lag zwei Reitstunden entfernt, und gerade so lange hatte man noch bis zum Anbruch der Finsternis Zeit.

Während sie so über die Ebene flogen, hielten sie die Augen scharf nach der Gegend gerichtet, aus welcher die Feinde zu erwarten waren. Es verging eine Stunde und noch eine halbe; der Sumpf konnte nicht mehr weit entfernt sein. Da deutete der Inka, welcher die jüngsten Augen besaß, nach Osten und sagte:

„Dort kommen Reiter. Sie bilden einen großen Punkt; darum sehe ich sie; sie aber bemerken uns noch nicht, da wir nur drei Personen sind.“

„Wir sind gezwungen, einen Bogen zu schlagen, um ihnen aus der Sehweite zu kommen,“ riet Hammer. „Wenn wir nun den Sumpf zwischen sie und uns bringen, werden sie uns wahrscheinlich nicht entdecken.“

„Aber Ihre beiden Landsleute, Señor?“ fragte Anciano. „Wo finden wir diese?“

„Das ist schwer zu sagen. Wir kennen leider die Stelle des Ufers nicht, an welcher sie sich befinden. Sie kann aber unmöglich entfernt von derjenigen liegen, an welcher der Doktor bei unsrer Ankunft hier zurückblieb, um sich die Knochen zeigen zu lassen.“

Nach einigen Sekunden schon war der Punkt, welchen Haukaropora gesehen hatte und für eine Schar von Reitern hielt, verschwunden. Die drei schlugen einen weiten, nach Westen gerichteten Bogen und verlängerten denselben zu einem Halbkreise, welcher sie wieder östlich führte. Da sahen sie in der Ferne Bäume stehen, dann auch die niedrigeren Sträucher, und hielten nach wenigen Minuten am westlichen Ende des Sumpfes, so, daß dieser sich zwischen ihnen und den heranziehenden Abipones befand.

Sie stiegen ab und banden ihre Pferde an. Der Vater Jaguar nahm sein Fernrohr aus der Tasche und kletterte auf einen Baum, da er von da oben aus weiter sehen konnte. Ja, da hinten kamen sie, die Abipones, voran eine Reiterschar, welche aus lauter Weißen zu bestehen schien, und hinter derselben die Indianer zu Fuße. Hammer suchte mit seinem Rohre das Schilf des Ufers ab, konnte aber niemand entdecken, da Morgenstern und Fritze in gebückter Haltung an ihrem wertvollen Funde arbeiteten.

Die Sonne verschwand hinter dem Horizonte. Der Vater Jaguar freute sich darüber, denn das, was es hier wahrscheinlich zu thun gab, ließ sich bei Nacht viel leichter als am Tage ausführen. Der junge Inka hatte auch einen Baum bestiegen. Er konnte von seinem Sitze aus mehr sehen als Hammer und rief diesem schon nach wenigen Augenblicken zu:

„Fünf Pferde, Señor! Ich sehe sie.“

„Wo?“

„Da drüben an den Bäumen hinter dem Gebüsch. Von Ihrer Stelle aus kann man sie nicht sehen.“

„Da müssen sie doch von den Abipones bemerkt werden?“

„Ja. Die Reiter galoppieren gerade auf sie los. Jetzt steigen sie bei ihnen ab.“

„O wehe! Man wird die Unglücklichen sogleich entdecken.“

Die beiden Lauscher sahen von ihren Standorten oder vielmehr Sitzen aus, daß die abgestiegenen Reiter zu suchen begannen. Ebenso sahen sie, daß die andern Ankömmlinge nicht ganz bis zum Sumpfe marschierten, sondern in gewisser Entfernung von demselben anhielten.

Leider dämmerte es jetzt so rasch, daß die fernere Beobachtung resultatlos blieb. Der Vater Jaguar stieg also, ebenso wie der Inka, vom Baume herab und sagte, unten angekommen:

„Da, wo die fünf Pferde angebunden sind, müssen sich auch die Besitzer derselben befinden. Ich werde mich hinüberschleichen.“

„Das ist gefährlich,“ warnte Anciano.

„Ich fürchte die Abipones nicht!“

„Ich meinte nicht diese, sondern die Krokodile, welche im Schilfe versteckt sind.“

„Jetzt ist es noch hell genug, diese Tiere zu sehen. Horch!“

Man hörte laute Stimmen von drüben herüberschallen.

„Die Unvorsichtigen sind erwischt worden,“ fuhr Hammer fort. „Ich muß erfahren, was mit ihnen geschieht.“

„So gehe ich mit!“ sagte Anciano.

„Und ich auch!“ stimmte Hauka ein.

„Einer muß hier bei den Pferden bleiben. Anciano mag mit mir gehen.“

Der Inka wagte es nicht, gegen diese Entscheidung Einspruch zu erheben; die beiden andern entfernten sich, um in geduckter Haltung durch das Schilf zu schleichen. So lange es Sträucher gab, hinter denen sie Deckung fanden, war dies nicht schwer; bald aber waren sie gezwungen, sich niederzulegen. Sie mußten sich dabei in acht nehmen, das Schilf nicht zu bewegen; die scharfen Halme desselben schnitten ihnen in die Hände, was sie jedoch nicht beachteten. Oft mußten sie, um das Terrain gut auszunutzen, durch eine übelriechende Lache kriechen, deren Jauche ihnen bis an die Ellbogen reichte; sie thaten das ohne Zögern, da es sehr wahrscheinlich ein oder gar zwei Menschenleben galt. So kamen sie näher und näher und befanden sich höchstens noch sechzig Schritte von der Stelle entfernt, an welcher Hauka die fünf Pferde angebunden gesehen hatte.

Bis jetzt waren sie so vorsichtig gewesen, die Köpfe nicht über die Spitzen des Schilfes zu erheben; nun aber galt es, den letzten Rest des Tageslichtes zu benutzen. Der Vater Jaguar hatte seinen Hut längst abgenommen und zwischen den Zähnen getragen; jetzt riß er ein Bündel Schilf aus, hielt es wie einen Fächer in die Höhe und erhob dann hinter demselben den Kopf so weit, daß er beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Da stand der Doktor mit seinem Diener bei den Weißen, welche mit den Abipones gekommen waren, und etwas weiter zurück waren die Roten in verschiedenen Gruppen zu sehen. Fritze hielt sein Gesicht gerade nach der Stelle gerichtet, an welcher sich die beiden Lauscher befanden, während die andern alle in andre Richtung blickten, nämlich auf die beiden Gefangenen. Diesen Umstand benutzte der Vater Jaguar zu einem Wagnisse, welches leicht schlimme Folgen haben konnte, aber, wenn es gelang, den Bedrängten sagte, daß Hilfe in der Nähe sei. Er erhob sich nämlich zu seiner vollen Höhe, aber nur für einen einzigen Augenblick, gab Fritze einen Wink und ließ sich darauf schnell wieder nieder.

„Was wagen Sie, Señor!“ flüsterte ihm Anciano zu. „Diese Bewegung kann uns das Leben kosten.“

„Nun nicht, denn man hat sie nicht bemerkt; aber Fritze hat mich gesehen und wird seinem Herrn sagen, daß er hoffen darf.“

„Was werden sie mit den beiden unbedachtsamen Menschen machen?“

„Das werden wir bald sehen, denn es scheint, daß sie Beratung halten. Ziehe Schilf aus dem Boden und stecke es vor dich hin! Dann kannst du bequem beobachten, was geschieht.“

Anciano befolgte diesen Rat. Die beiden sahen, daß der Gambusino auf seine Gefährten einsprach; aber sie konnten die Gesichter schon nicht mehr deutlich erkennen. Dann hörten sie laute, zustimmende Rufe, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können. Es wurde dunkel, und man brannte unter einem Alisobaum ein Feuer an. Die beiden Gefangenen wurden in die Nähe desselben geschafft. Die Flamme warf ihren Schein auf die Gestalten und auf die Gesichter. Da entfuhr dem Vater Jaguar ein Schrei, den seine Feinde jedenfalls gehört hätten, wenn ihre eigenen Stimmen weniger laut gewesen wären.

„Was ist’s? Was gibt’s?“ fragte Anciano.

Hammer antwortete nicht. Sein Auge war mit einem wie glühenden Blicke auf die Männergruppe gerichtet, welche dort am Feuer stand.

„Warum riefen Sie?“ fuhr der Alte fort. „Wenn man Sie gehört hätte! Was haben Sie gesehen?“

Er hörte, daß der Vater Jaguar schwer, fast röchelnd, atmete, und wiederholte seine letzten Worte. Da endlich antwortete der Gefragte:

„Siehst du den langen, starken Menschen, der wie ein Riese unter den andern steht? Er spricht eben jetzt auf die Gefangenen ein.“

„Natürlich sehe ich ihn, denn er ist ja groß genug, Señor.“

„Aber du siehst ihn jetzt wohl zum erstenmal?“

„Nein!“

„Was? Wie? Wirklich?“ stieß er schnell hervor. „Du kennst ihn also?“

„Ja. Jeder kennt diesen Mann.“

„Wer ist er?“

„Benito Pajaro, den sie den Gambusino nennen.“

„Ah! Oh! Der – der – – der! Alle Welt kennt ihn; jeder hat ihn gesehen! Nur mir allein ist er noch nicht vor die Augen gekommen, obgleich ich ihn jahrelang gesucht, ja förmlich nach ihm geschmachtet habe!“

Er hatte bei diesen Worten seine Stimme so erhoben, daß Anciano schnell einfiel:

„Nicht so laut, Señor, nicht so laut! Sie verraten uns ja! Was ist mit Ihnen? Sie, der vorsichtigste Mann, den ich kenne, bringen uns in eine solche Gefahr! Haben Sie etwas mit dem Gambusino?“

„Ob ich etwas mit ihm habe!“

Er sprach nur diese Worte; sie kamen dumpf zwischen seinen Lippen hervor, und dann hörte der Alte ihn mit den Zähnen knirschen. Darauf blieb er still. Das warum die Zeit, in welcher die Lassos aneinander geknüpft wurden; dann stiegen, wie schon erwähnt, die beiden Indianer auf den Baum. Als Anciano dies sah, fragte er mehr sich selbst als seinen Gefährten: „Was haben sie vor? Wozu schaffen sie die Riemen auf die Äste?“

„Ich vermute es,“ antwortete der Vater Jaguar, jetzt wieder in der ruhigen Weise, welche ihm so eigentümlich war.

„Will man die Gefangenen etwa aufhängen?“

„Ja.“

„So können wir sie nicht retten!“

„Vielleicht doch.“

„Dann wäre keine Zeit zu verlieren. Was aber vermögen wir zwei gegen so viele!“

„Wir haben Zeit. Man will die Gefangenen nicht in der gewöhnlichen Weise hängen, nämlich nicht am Halse. Wollte man das thun, so hätte man es bequemer und brauchte nicht die Äste zu wählen, welche über das Wasser ragen. Paß auf!“

Es folgte die schon beschriebene Scene. Als die beiden Gefangenen an den Ästen hingen und die Krokodile herbeigeschossen kamen, langte der Vater Jaguar unwillkürlich nach seinem Rücken, auf welchem er sein Gewehr hängen hatte, zog die Hand aber wieder zurück und flüsterte in hörbar erleichtertem Tone:

„Gott sei Dank! Ich brauche nicht zu schießen. Man will sie einstweilen noch quälen. Man hat sie so hoch gehängt, daß sie von den Bestien nicht gefaßt werden können.“

„Welche Grausamkeit, Señor! Sehen Sie nur, wie die Tiere nach ihnen schnappen! Was raten Sie uns zu thun?“

„Jetzt noch nichts. Wir müssen noch warten.“

„Bis die Armen tot sind?!“

„Wir können unmöglich schon jetzt handeln. Warten wir, was noch geschieht! Die Lage der armen Teufel ist zwar schrecklich, aber keineswegs schon lebensgefährlich. Die um die Brust gelegten Riemen drücken ein wenig; das ist auszuhalten.“

„Ich möchte am liebsten mitten unter die Halunken hineinspringen!“

„Das würde nichts helfen, sondern nur uns mit denen verderben, welche wir retten wollen. Also Geduld!“

Sie machten sich diese Mitteilungen in ziemlich lautem Tone, da die Abipones ein Geheul wie die Teufel erhoben hatten. Dies verstummte nach und nach; eine kleine Weile verging, und dann sahen die beiden, daß die Abipones mit ihren weißen Verbündeten den Platz verließen und sich um die am Baume Hängenden nicht mehr zu kümmern schienen.

„Jetzt hin, Señor!“ flüsterte Anciano dem Vater Jaguar zu. „Die Zeit zum Handeln ist da!“

Er wollte auf. Hammer drückte ihn nieder und antwortete in befehlendem Tone:

„Bleib! Willst du alles verderben?“

„Verderben? Es ist ja niemand mehr dort!“

„Siehst du denn, wo unsre Feinde sich befinden?“

„Nein; es ist ja dunkel; aber fort sind sie doch!“

„Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich; aber wenn wir uns übereilen, können wir alles verderben. Sie lassen die Gefangenen hängen, um sie so lange wie möglich zu quälen und erst später den Krokodilen zu überlassen. Jetzt werden sie Material zusammentragen, um da draußen, wo sie lagern wollen, Feuer anzuzünden; sie sind also noch in der Nähe. Dann, wenn ihre Feuer brennen, können wir sie sehen, und dann ist die Gefahr für uns nicht so groß wie jetzt.“

„Sie werden Wächter bei dem Baume lassen!“

„Denen geben wir unsre Messer. Gerade ihre Grausamkeit, die Todesqual der Gefangenen zu verlängern, läßt vermuten, daß sie sich ganz sicher fühlen. Wir haben Zeit, das versichere ich dir.“

„Und ich möchte das Gegenteil behaupten, Señor. Sie müssen sich doch sagen, daß da, wo die Gefangenen sind, auch wir uns befinden!“

„Wäre dies der Fall, so hätten sie mit ihnen kurzen Prozeß gemacht. Wer weiß, was dieser Fritze ihnen gesagt hat. Wenn es sich um einen Wunsch seines Herrn handelt, kann er die größte Dummheit begehen; sonst aber ist er ein sehr pfiffiger Bursche, und ich glaube nicht, daß, als sie ihn ausfragten, es ihm eingefallen ist, ihnen die Wahrheit zu sagen.“

jetzt sah man draußen auf der Ebene ein Feuer nach dem andern aufleuchten. Das Lager wurde in ziemlicher Entfernung von dem Sumpfe aufgeschlagen, und der Vater Jaguar sah zu seiner Genugthuung, daß der Baum, an dem die Gefangenen hingen, gegen das Lager hin durch ein Gesträuch gedeckt war, welches die Rettung der mit dem Tode Bedrohten außerordentlich begünstigte.

Noch immer liefen Indianer hin und her, um Schilf und Holz nach den Feuern zu tragen. Dies mußte man vorüberlassen. Noch so lange zu warten, diese Aufgabe ging fast über die Kräfte des alten Anciano. Er gestand:

„Señor, wenn es nicht bald losgeht, so werde ich auch Dummheiten machen! Ich möchte diese Hunde alle erwürgen!“

„Sei still! In mir kocht es noch weit ärger als in dir. Du hast keine Ahnung von dem, was ich seit einer Viertelstunde empfinde. Ich muß mich noch viel mehr zwingen, als du, ruhig zu sein.“

„Aber wir könnten längst fertig sein! Es bedarf nur einiger Sprünge, so sind wir dort, machen die Gefangenen los und laufen mit ihnen in die Nacht hinein. Wer will uns da finden!“

„So! Das würde allerdings die Dummheit sein, von welcher du gesprochen hast! Wie willst du die beiden losmachen?“

„Losschneiden!“

„Kannst du sie mit dem Arme, mit dem Messer erlangen, da sie über dem Wasser, über den Krokodilen hängen?“

„Das ist wahr! Leider nein! Daran dachte ich nicht. Wir müssen auf den Baum, um sie emporzuziehen!“

„Da werden wir gesehen, oder die Äste brechen unter der doppelten Last, und wir stürzen unter die Krokodile, ganz abgesehen davon, daß es selbst für einen starken Mann nicht leicht ist, einen Menschen aus freier Hand so hoch emporzuziehen. Wir müssen sie in ganz andrer Weise losmachen, nämlich mit dem Lasso, und das geht nicht so schnell, wie du denkst. Und dann habe ich einen sehr triftigen Grund, diesen Gambusino nicht wissen zu lassen, daß die Gefangenen befreit worden sind; er soll vielmehr denken, daß sie von den Krokodilen heruntergerissen und verschlungen wurden.“

„Warum, Señor?“

„Davon später, denn ich glaube, daß wir nicht mehr lange zu warten brauchen. Wie ich sehe, wird Fleisch verteilt. Das zieht die Leute an und hält sie jedenfalls so lange von hier fern, bis wir fertig sind.“

Man sah, daß die Abipones sich alle an einem Punkte des Berges versammelten; auch diejenigen, welche noch mit Zutragen des Feuerungsmateriales beschäftigt waren, eilten dorthin. Der Rand des Sumpfes war von Beobachtern frei. Das Feuer, welches unter dem Baume brannte, hatte keine Nahrung erhalten und brannte nicht mehr hell genug, die Umgebung so zu erleuchten, daß sie vom Lager aus deutlich gesehen werden konnte. Der Vater Jaguar sprang auf und rannte auf den Baum zu; der alte Anciano folgte ihm augenblicklich. Die schon erwähnten Büsche standen zwischen ihnen und dem Lager. Nun galt es, schnell, aber auch besonnen zu handeln.

Der Vater Jaguar schlang sich seinen Lasso vom Gürtel, rollte ihn wurffertig zusammen und rief dabei den an dem Baume Hängenden mit gedämpfter Stimme zu:

„Die Hilfe ist da. Macht euch steif und unbeweglich, bis ihr den festen Boden erreicht!“

Er warf den Lasso, und zwar so geschickt, daß dasjenige Ende desselben, welches sich nicht in seiner Hand befand, sich um den Leib des Doktors schlang. Dann gebot er Anciano:

„Binde den Riemen los, an welchem er hängt, und halte ihn aber fest! Du lässest ihn in der Weise über den Ast laufen, in welcher ich den Doktor an meinem Lasso herüberziehe!“

Anciano that, wie ihm befohlen worden war. Er band den Lasso von dem Stamme los, hielt ihn aber fest, damit der Doktor nicht in das Wasser fiel; dann ließ er ihn laufen, während Hammer den zwischen Himmel und Erde Schwebenden aus der Luft und herüber an das Ufer zog. Ein Schnitt mit dem Messer, und die Arme des Geretteten waren frei. Er wollte sprechen und sich dabei den Lasso von der Brust entfernen; da aber gebot der Vater Jaguar:

„Stehen Sie still und sprechen Sie jetzt nicht. Der Lasso bleibt jetzt an Ihrem Leibe!“

Er meinte damit nicht den seinigen, den er schon losgebunden hatte, sondern denjenigen, an welchem der Doktor gehangen hatte. Jetzt wieder eine Schlinge legend, warf er sie dem Diener um den Leib, worauf Fritze in ganz derselben Weise herunter- und herübergeholt wurde. Darauf sagte er.

„Man muß denken, daß ihr von den Krokodilen herabgerissen und verzehrt worden seid; darum darf ich euch nicht losbinden und auch nicht losschneiden, sondern ich muß die Lassos so entzwei machen, daß es scheint, als ob sie abgerissen worden seien.“

Er sägte nahe an den Körpern der Geretteten die Riemen in der Weise auseinander, daß er sie mit der Messerschneide aufschabte und dann vollends zerriß. Dann wurden sie wieder an den Baumstamm befestigt, wie sie vorher an denselben gebunden gewesen waren. Die abgerissenen Enden hingen nun ganz in der Weise von den Ästen über dem Wasser herab, daß es genau so aussah, als ob diejenigen, welche daran gehangen hatten, von den Krokodilen herabgezerrt worden seien.

Dies war weit schneller geschehen, als man es beschreiben kann, und während es geschah, hatte der Vater Jaguar auch ein sehr scharfes Auge mit auf das Lager gehabt. Dort fiel es jetzt keinem Menschen ein, sich um die Gefangenen zu bekümmern. Man war mit dem Essen beschäftigt, und erst als dies vorüber war, bemerkte man zufällig, daß das Feuer unter dem Baume nicht mehr brannte. Der Gambusino schickte einen Mann hin, um es von neuem anzuzünden; kaum aber hatte dieser den ihm gewordenen Befehl erfüllt, so kam er eiligst herbeigelaufen und meldete:

„Señores, denken Sie sich, was geschehen ist! Die Krokodile haben unsre Gefangenen gefressen!“

Niemand wollte dieses glauben und als der Mann es wiederholte, sprangen alle auf, um, die Weißen natürlich voran, sich zu überzeugen, ob es wahr sei. An Ort und Stelle angekommen, sah man bei dem Scheine des wieder brennenden Feuers die beide Lassoenden von den Ästen hängen. Darunter lagen die Krokodile und glotzten mit stieren Blicken nach dem Ufer hin.

„Wahrhaftig, sie sind weg, sind fort!“ rief Antonio Perillo, der Stierkämpfer. „Wer hätte das gedacht? Wie kann das geschehen sein?“

„Die Krokodile sind doch jedenfalls hoch genug gesprungen, um sie fassen zu können,“ antwortete der Kapitän Pellejo.

„Schwerlich!“ meinte der Gambusino. „So hoch, wie diese Kerls hingen, kann sich kein Krokodil in die Höhe schnellen. Sollte sich jemand hier befunden haben, der sie abgeschnitten hat?“

„Abschneiden? Wer konnte so weit hinüberlangen?“

„Hm! Das ist wahr. Zieht doch einmal die Lassos von den Ästen herunter! Wir werden gleich sehen, ob es mit dem Messer geschehen ist.“

Man holte die Enden herab und unterwarf sie einer sehr genauen Untersuchung. Der Vater Jaguar hatte seine Sache ausgezeichnet gemacht, denn die Ansicht aller ohne Ausnahme ging dahin, daß die Lassos zerrissen worden seien.

„So sind diese Tiere doch so hoch gesprungen!“ meinte der Gambusino. „Sie müssen großen Hunger gehabt haben. Und geschmeckt hat es ihnen jedenfalls ausgezeichnet, denn sie liegen da, als ob sie noch mehr haben wollten. Nun, so oder so, wir sind die Feinde los; sie haben ihren Lohn!“

„Was das betrifft,“ sagte Perillo ärgerlich, „so freue ich mich keineswegs darüber, daß das gar so schnell gegangen ist. Sie sollten länger hängen, viel länger! Und ich wollte dabei sein, wenn sie zerrissen wurden! Wäre das Feuer nicht ausgegangen, so hätten sich die Bestien mehr gescheut und wären nicht so zudringlich geworden. Das hätte ich bedenken sollen!“

Dieser gewissenlose Mensch ging wirklich ganz enttäuscht von dannen, und die andern folgten ihm in der festen Überzeugung, daß die beiden Gefangenen in Wirklichkeit von den Krokodilen zerfleischt und verschlungen worden seien.

Diese letzteren waren indessen von ihren beiden Befreiern nicht durch das Schilf, denn das war jetzt bei der Dunkelheit gar nicht nötig, sondern im Gegenteile sehr gefährlich, sondern um den Sumpf herum nach der Stelle geführt worden, an welcher der Inka auf sie wartete. Als dieser sie kommen sah, sagte er:

„Endlich, Señores! Da ich so lange Zeit warten mußte, befürchtete ich schon, daß es sehr schlimm stehe. Nun freut es mich doppelt, zu sehen, daß die Rettung gelungen ist.“

Die Befreiten hatten bis jetzt geschwiegen; nun aber meinte der Doktor, indem er tief Atem holte, in deutscher Sprache zu dem Vater Jaguar:

„Sie haben uns vorhin das Sprechen verboten; jetzt werden wir wohl reden können. Das war schrecklich! Nein, das war mehr als schrecklich; das war ganz unbeschreiblich entsetzlich! Mir zittert jedes Glied meines Leibes noch im gegenwärtigen Augenblicke!“

„Und mich auch!“ stimmte Fritze bei. „Erst war ik ziemlich juten Mutes; aber als ik am Baume hing und unter mich die Krokodilers so schadenfroh lächeln sah, da jab ik mir verloren.“

„Hatten Sie mich gesehen?“ fragte der Vater Jaguar.

„Ja,“ entgegnete Fritze, „ik sah Sie einen Augenblick; dann waren Sie wieder verschwunden; aber ik hatte Ihnen doch erkannt und dachte bei mich selbst, daß Sie uns nicht verlassen würden.“

„Sie sehen, daß Ihr Vertrauen gerechtfertigt worden ist. Jetzt sagen Sie mir vor allen Dingen, ob Sie darüber, wie Sie an den Sumpf gekommen sind, ausgefragt wurden!“

„Natürlich hat man uns kriminalisiert; ik habe aber nichts jestanden.“

„Fragte man nach mir?“

„Janz besonders. Man wollte partout wissen, wo Sie Ihnen befinden; ik habe die hochgeehrten Herren so irre jeführt, daß sie denken müssen, Sie kommen erst noch hinterdrein.“

Er berichtete über das Verhör, welches man mit ihm angestellt hatte. Darauf sagte Hammer, welcher bisher in zornigem Ton gesprochen hatte, in etwas milderer Weise:

„So haben Sie glücklicherweise doch nicht lauter Fehler gemacht. Wie aber sind Sie denn auf die unglückselige Idee gekommen, nach dem Sumpfe zurückzukehren?“

„Daran bin ich schuld,“ antwortete der kleine Gelehrte. „Ich konnte die Knochen nicht vergessen. Sie lagen mir im Kopfe; ich wollte und mußte sie haben, und so ruhte ich nicht eher, als bis Fritze einwilligte, mit nach dem Sumpfe, lateinisch Palus genannt, zurückzukehren.“

„Dachten Sie denn nicht an die Gefahr? Sie wußten doch, daß die Abipones kommen würden.“

„Wir glaubten, noch vor ihrer Ankunft fertig zu sein.“

„Welche Unvorsichtigkeit! Sie werden mir unterwegs erzählen, wie das alles geschehen ist. Jetzt habe ich zunächst an noch andres zu denken. Wir müssen aufbrechen. Sie haben keine Pferde mehr. Da Sie jedenfalls sehr angegriffen sind, werden Sie reiten müssen. Ich gehe mit Anciano zu Fuße nebenher.“

„Nein, ich laufe, Señor,“ bemerkte der Inka. „Ich bin jung und nur ein Knabe; Sie aber und mein Anciano haben – – –“

„Laß es gut sein!“ unterbrach ihn Hammer. „Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Ich habe meine Gründe dazu.“

Erst jetzt band er dem Doktor und dessen Diener die Lassoenden unter den Armen los. Er warf sie nicht weg, sondern steckte sie ein, damit sie nicht etwa von den Abipones gefunden würden, denn dann hätten diese erkannt, daß ihre Gefangenen nicht zerrissen, sondern befreit worden seien.

Es war anzunehmen, daß die Feinde in gerader Linie nach dem Thale des ausgetrockneten Sees reiten würden. Damit sie nicht seine Spur bemerken möchten, hielt der Vater Jaguar es für geraten, sich in gehöriger Entfernung, aber doch immer parallel mit dieser Linie zu halten. Es wurde aufgebrochen, die beiden Deutschen und der Inka zu Pferde; der Vater Jaguar ging mit Anciano mit langen, ausgiebigen Schritten voran, um den andern den Weg anzugeben.

Als nach einiger Zeit die Mondessichel erschien, wurde es heller, als es vorher gewesen war, und so bemerkte der alte Anciano, in welch gebückter und nachdenklicher Haltung der Vater Jaguar jetzt an seiner Seite dahinschritt. Den sonst so rüstigen, kräftigen Mann schien irgend etwas schwer und tief niederzudrücken. Viertelstunde um Viertelstunde verging, ohne daß er ein Wort sagte, und nur zuweilen war ein eigentümlicher, knirschender Ton zu vernehmen, als ob seine Zähne hart aufeinander getroffen hätten. Darum unterbrach der Alte endlich das Schweigen, indem er in mildem Tone fragte:

„Sie haben einen Gedanken, der Ihnen viel zu schaffen macht. Wollen Sie ihn mir mitteilen, Señor?“

„Ja, du sollst ihn erfahren, Anciano,“ antwortete der Deutsche. „Ich denke, daß er morgen so öffentlich sein wird, daß alle ihn wissen werden. Ich habe diesen Gambusino während einer ganzen Reihe von Jahren mit Schmerzen gesucht, ohne ihn ein einziges Mal getroffen zu haben.“

„Das ist sonderbar! Hätten Sie mir diesen Wunsch mitgeteilt, so wäre er Ihnen schon längst in Erfüllung gegangen.“

„Eine solche Mitteilung hätte nichts gefruchtet, denn ich wußte nicht, daß der Gambusino derjenige ist, den ich suche.“

„Aber jetzt wissen Sie es?“

„Ja. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich habe ihn nicht nur heute mit dem Auge, sondern schon vorher mit dem Ohre erkannt. Ich kenne nicht nur seine Gestalt, sondern auch seine Stimme. Als wir uns zuerst da unten am Rio Salado trafen und eine Stunde später die beiden, die wir heute vom Tode errettet haben, aus der Hand der Abipones befreiten, da hörte ich eine laute, befehlende Stimme. Ihr Klang machte, daß ich mitten in der größten Eile halten blieb; aber wir hatten Wald zur Rechten und zur Linken, wodurch die Stimme eine andre Klangfarbe erhielt. Dennoch war es mir dann immer, als ob derjenige, dem sie gehörte, der Mann sei, den ich so lange vergeblich gesucht habe. Es war der Gambusino, und heute, da ich ihn gesehen habe, weiß ich genau, daß mein damaliger Gedanke begründet war.“

„Er ist ein Feind von Ihnen?“

„Mein größter Feind, aber ich bin auch der seinige. Ich habe eine Rechnung mit ihm auszugleichen, und die Quittung wird mit Blut geschrieben – – morgen schon, wie ich hoffe!“

„Es ist also Blut gegen Blut?“

„Ja. Er hat meinen Bruder ermordet droben im Norden. Wie das geschehen ist, das will ich jetzt nicht erzählen. Es war entsetzlich, so entsetzlich, daß mir das Haar darüber weiß geworden ist. Ich verfolgte ihn; ich erfuhr, daß er sich nach Südamerika gewendet hatte. Argentinien war seine Heimat. Ich kam hierher, um ihn zu suchen. Ich durchritt das Land; ich befuhr alle Flüsse; ich überkletterte alle Berge, ohne ihn zu treffen, heute aber habe ich ihn und nun soll er mir nicht wieder aus dem Auge kommen, als bis ich fertig mit ihm geworden bin.“

„So nehmen Sie den einen und ich nehme den andern!“

„Wen?“

„Den Stierkämpfer. Ich werde ihn nach dem Skalpe fragen, den er dem Lieutenant Verano gezeigt hat. Meinen Sie, Señor, daß die beiden morgen in unsre Hände geraten?“

„Ich bin überzeugt davon. Laß mir jetzt meine Gedanken! Wenn man an solche vergangene Stunden denkt, läßt man sich nicht gern von der Gegenwart stören.“

Sonderbarerweise waren jetzt, zu derselben Stunde, die beiden, von denen hier gesprochen wurde, mit ihren Gedanken bei demjenigen, der soeben in seinem Innern das Todesurteil über den Gambusino gefällt hatte. Dort am Sumpfe waren die Feuer ausgegangen; die Roten und die Weißen schliefen, weil morgen mit dem Frühesten aufgebrochen werden sollte. Ein Wächter stand bei den Pferden; aber er war es doch nicht allein, welcher wachte, sondern es gab außer ihm noch drei, welche von dem Schlafe nichts wissen wollten, nämlich der Gambusino, der Stierfechter und der Kapitän Pellejo.

Dieser letztere stand zu den beiden andern in ganz demselben Verhältnisse, in welchem sich der Lieutenant Verano dem Vater Jaguar gegenüber fühlte: er war Offizier; die beiden andern waren nicht Militärs, und so glaubte er höher zu stehen als sie, wenigstens in Beziehung auf die Angelegenheit, in welcher sie sich jetzt im Gran Chaco befanden. Er war während der letzten Zeit oft mit ihnen in Streit geraten und hatte immer nachgeben müssen, weil der Einfluß des Gambusino auf die Abipones größer als der seinige war. Das hatte ihn tief verdrossen und mißtrauisch gemacht. Er begann, die beiden, welche nachgerade Gehorsam von ihm verlangten, zu beobachten, und da bemerkte er denn verschiedenes, was ihm auffiel. Er verglich dieses mit jenem, eins ihrer Worte mit dem andern und kam schließlich zu dem Verdachte, daß sie es nicht ehrlich mit dem gegenwärtigen Unternehmen meinten. Er zog sich von ihnen zurück; sie bemerkten das und vergalten ihm seinen Verdacht mit dem ihrigen. Sie hörten auf, ihn bei ihren Beratungen zu fragen; sie wichen seinen Ansichten und Vorschlägen aus und hatten immer miteinander heimlich zu thun, wobei er bemerkte, daß ihre Augen auf ihm ruhten. Darum begann er sich unsicher zu fühlen und beschloß endlich, ein klares, offenes Wort mit ihnen zu reden.

Heute, als die beiden Gefangenen von dem Baume verschwunden waren, und man den Lagerplatz wieder aufgesucht hatte, saß er bei den Soldaten, welche sich am Palmensee zusammengefunden hatten und für deren Anführer er sich hielt. Sie waren alle beritten. Da trat der Gambusino mit Perillo zu ihnen und sagte:

„Señor Kapitän, wir werden morgen das große Dorf der Cambas erreichen und sofort angreifen; ich werde Ihnen jetzt Ihre Instruktion erteilen.“

„Meine Instruktion?“ fragte Pellejo verwundert. „Eine Instruktion hat man doch nur von dem Vorgesetzten entgegenzunehmen!“

„Sie meinen nicht, daß ich der Ihrige bin?“

„Nein.“

„Wer hat da wohl den Befehl über die Krieger, welche wir bei uns haben, zu führen?“

„Eigentlich ich, da ich unter den Anwesenden den höchsten militärischen Rang bekleide.“

„Ich wußte, daß dies Ihre Ansicht ist, und habe bis jetzt geschwiegen. Nun es aber morgen zum Kampfe kommt, muß ich Sie aufklären. Ich bitte Sie, zu lesen!“

Er zog eine kleine Blechkapsel aus der Tasche, öffnete sie, nahm ein zusammengefaltetes Papier aus derselben, schlug es auseinander und gab es dem Kapitän. Dieser las es beim Scheine des Feuers, an welchem er saß, wurde bleich im Gesicht und gab es ihm wieder zurück.

„Nun,“ fragte der Gambusino, „wer ist der Kommandierende?“

„Ich habe mich überzeugt, daß ich Ihnen zu gehorchen habe.“

„Nicht nur Sie allein, sondern auch alle Ihre Untergebenen. Sagen Sie es ihnen! Nachdem Sie mich anerkannt haben, werde ich von meiner Autorität den ersten Gebrauch machen, indem ich Sie für einstweilen Ihrer Verpflichtungen enthebe. Sie begleiten uns weiter, werden sich aber, bis ich etwas andres befehle, in allem vollständig passiv verhalten.“

„Señor!“ fuhr der Kapitän auf. „Von wem ist Ihnen ein solches Verhalten vorgeschrieben?“

„Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Sie haben zu gehorchen. Thun Sie das nicht, so wissen Sie, was geschieht. Wir befinden uns auf dem Kriegsfuße!“

„Schön, Señor! Ich werde kein Wort verlieren, sondern gehorchen,“ rief der Hauptmann, indem er aufstand und, kaum im stande, seinen Zorn zu beherrschen, das Feuer verließ.

Er schritt ein Stück in die Nacht hinein und überlegte. Woher so plötzlich dieses Verhalten des Gambusino? Hatte es einen allgemeinen oder heute einen besondern Grund? So fragte er sich, ohne daß er im stande war, sich eine Antwort zu erteilen. Als er später zurückkehrte, war das Feuer erloschen. Dennoch bemerkte er, daß der Gambusino und der Stierkämpfer sich nicht an ihren Plätzen befanden. Er legte sich neben seinem Korporal nieder und fragte diesen, als er bemerkte, daß er noch nicht eingeschlafen war, leise:

„Wo ist der neue Oberst oder gar General?“

„Er ging nach dem Sumpfe und wird dort mit Perillo sitzen, um ungestört Pläne machen zu können.“

„Was geschah, als ich fort war?“

„Nichts weiter, als daß er auch uns seine Vollmacht zeigte.“

„Sie ist echt.“

„Ja, sie ist vom Vizepräsidenten der Konföderation unterschrieben und besiegelt. Wir müssen ihm gehorchen.“

„Und ich habe euch nichts mehr zu befehlen?“

„Señor Kapitän, ich sagte, daß wir gehorchen müssen. Wir sind Soldaten, und der Ungehorsam würde uns den Kopf kosten.“

„Das ist Treue! Wer hätte gedacht, daß es so komme!“

Er hüllte sich in seine Decke und versuchte zu schlafen. Er hatte ganz vergessen, daß er jetzt selbst Empörer, Aufrührer war und also gar kein Recht besaß, auf seinen Untergebenen zornig zu sein. Er hatte hier eine Rolle spielen wollen, um später schnell zu avancieren, und war nun so plötzlich kalt gestellt worden. Das ließ ihn nicht ruhen. Er dachte an den Gambusino und an Perillo. Diese beiden hatten jedenfalls etwas gegen ihn vor. Ob es möglich war, dies zu erfahren? Warum nicht? Vielleicht zeigte sich der Zufall günstig. Er hob den Kopf, um zu lauschen. Alle schliefen; auch sein Nachbar, der Korporal, war jetzt eingeschlafen. Er wickelte sich aus der Decke und kroch fort, langsam und unhörbar, nach dem Sumpfe hin. Es dauerte lange, ehe er die Bäume des Ufers im Mondenscheine stehen sah. Er erreichte sie, ohne die Gesuchten zu bemerken, und kroch auf gut Glück weiter, am Rande hin, immer möglichst im Schutze der Sträucher und des Schilfes. Nach einiger Zeit hörte er leise Stimmen. Noch einige Ellen weiter, und er sah sie sitzen, eng nebeneinander, auf einem trockenen Grasplätzchen. Ein Wisch hohen Schilfes erhob sich ganz in ihrer Nähe. Er wagte es, hinzukriechen und sich dort auf den Boden niederzustrecken. Wenn die beiden zufällig aufstanden, mußten sie ihn sehen. Sie sprachen leise, aber doch so, daß er sie‘, wenn er scharf aufmerkte, wohl verstehen konnte. Eben sagte der Gambusino:

„Es ist mir immer, als ob ich es nicht glauben solle. Die Lassos waren zwar abgerissen, aber so ein fünfzehnfach zusammengeflochtener Riemen hält doch viel, sehr viel aus. Ein Krokodil kann dem, den es packt, das Bein abbeißen; aber einen Lasso zu zerreißen, das erscheint mir als unmöglich.“

„Ich nehme es, wie es gekommen ist, und mache mir keine Gedanken darüber,“ antwortete Perillo. „Wer könnte die beiden befreit haben! Der es gethan hat, müßte ein ebenso kühner wie schlauer Mensch sein.“

„Es gibt einen solchen!“

„Du meinst den Vater Jaguar?“

„Ja.“

„Er ist ja doch nicht hier! Der Kleine hat es ja gesagt.“

„Glaube ich nicht an den Tod dieses Kleinen, so glaube ich auch seinen Worten nicht. Ist er der Oberst oder nicht? Wir halten ihn für Glotino. Wenn er dieser ist, so besitzt er jedenfalls Klugheit genug, uns zu täuschen. Er sagte, der Vater Jaguar sei uns nachgeritten. Wenn dies nun eine Lüge ist? Wenn er uns nun vorangeritten wäre? Er kannte ja unser Ziel.“

„Höre, das wäre eine verteufelte Sache! Wir müßten da gewärtig sein, daß wir, anstatt anzugreifen, überfallen werden. Dieser Vater Jaguar hat den Cambas schon einmal gegen die Abipones beigestanden, wenn auch in einer andern Gegend. Die Kerls, welche er bei sich hat, fürchten den Teufel nicht.“

„Wir müssen vorsichtig sein. Ist er schon hier, so stellt er uns sicherlich eine Falle.“

„Wir hätten aber doch eine Spur von ihm finden müssen.“

„Eigentlich haben wir eine.“

„Welche denn? Ich weiß nichts von ihr.“

„Und doch ist sie so deutlich, daß sie gar nicht deutlicher sein kann. Ich meine nämlich die leeren Dörfer und Hütten, welche wir auf unserm jetzigen Zuge getroffen haben.“

„Das nennst du eine Spur?“

„Natürlich! Die Bewohner sind geflohen. Warum? Aus Furcht vor uns. Sie müssen also gewußt haben, daß wir kommen. Wer aber hat ihnen das gesagt?“

„Das weiß ich freilich nicht.“

„Der Vater Jaguar ist es gewesen. Ich weiß das freilich nicht genau, sondern ich vermute es nur, aber ich möchte behaupten, daß diese Vermutung eine sehr begründete ist.“

„Hast du diesen Gedanken erst jetzt bekommen? Du hast ihn vorher doch nicht ausgesprochen.“

„Es kam mir verschiedenes verdächtig vor. Vor allen Dingen war es doch auffallend, daß alle unsre Waffenverstecke ausgeleert waren; da sie aber auch ganz zufälligerweise von Indianern entdeckt worden sein konnten, brachte ich diesen Umstand nicht in Beziehung zu dem Vaterjaguar. Heute nun kann ich, wenn ich näher darüber nachdenke, nicht glauben, daß unsre beiden Gefangenen durch die Krokodile von den Lassos gerissen worden sind, und was ich bisher nur vermutete, ist mir zur Gewißheit geworden: der Vater Jaguar ist da!“

„Wie aber hat er es angestellt, diese beiden loszubekommen? Die Riemen hingen doch noch am Baume.“

„Das begreife ich auch nicht; dieser Mensch aber bringt Sachen fertig, welche für andre Leute geradezu unmöglich sind. Ich kenne ihn. Er wurde von den Indianern Blitzende Hand genannt; das hatte Bezug auf seine erstaunliche Fertigkeit im Schießen; er ist aber in andern Dingen ebenso gewandt.“

„Wenn deine Berechnung richtig ist, so befinden wir uns in der größten Gefahr. Wir müssen gewärtig sein, daß er die Cambas schon gegen uns zusammengerufen hat und nun mit ihnen irgendwo steckt, um uns plötzlich zu überfallen.“

„Das möchte ich nicht behaupten, da er dazu keine Zeit gehabt hat. Desto sicherer aber ist es, daß er sich mit seinen Leuten, die stets bei ihm sind, in der Nähe befindet und uns beobachtet. Ja, es ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß er hier irgendwo am Sumpfe steckt. Ist dies der Fall, so wird er unser Lager umschleichen, um unsre Stärke kennen zu lernen, und dann noch während der Nacht fortreiten, um die Cambas zu benachrichtigen. Wir müssen uns auf alle Fälle beeilen. Wenn wir mit dem Anbruche des Morgens aufbrechen, so kommen wir am Abende am klaren Bache an und können das Dorf noch während der Nacht überfallen.“

„Aber wenn die Cambas gerüstet sind?“

„Dann ist unser Kriegszug vergeblich gewesen, und die Hoffnungen, welche wir an denselben geknüpft haben, werden sich nicht erfüllen.“

„Damnacion! Er hat uns so viele Mühe und auch all unser Geld gekostet1Wirwürden als arme Leute zurückkehren, und statt durch den Putsch, welchen wir beabsichtigen, mit einem Schlage reich zu werden, müßten wir uns Bettler nennen.“

„Wir spielen Va banque. Verlieren wir, so bleibt uns nichts übrig, als von vorn anzufangen. Ich gehe wieder in die Berge, um eine Gold- oder Silberader zu entdecken, und du mußt wieder zu deinem früheren Geschäft als Stierkämpfer greifen.“

„Dann wirst du eines schönen Tages im Gebirge umkommen, und mich erwartet dasselbe Schicksal in der Arena. Ich habe es jetzt in Buenos Ayres gemerkt, daß ich nicht mehr der Alte bin. Meine Knochen sind weich und meine Gelenke steif geworden. Nein, es fällt mir nicht ein, wieder zum alten Metier zu greifen.“

„Was aber wolltest du sonst anfangen? Etwa mit mir auf Abenteuer gehen?“

„Damit man eines schönen Tages mein Gerippe in den Cordilleren findet? Nein, ich weiß etwas andres, etwas viel, viel besseres.“

„Was?“

Der Gefragte zögerte eine ganze Weile; dann antwortete er in geheimnisvollem Tone:

„Ich habe zu keinem Menschen davon gesprochen, und es sollte nie jemand davon erfahren; da die gegenwärtigen Verhältnisse aber so stehen, sollst du es hören. Auch ganz abgesehen von dem Vater Jaguar, kommt es jedenfalls zum Kampfe mit den Cambas, und keiner von uns weiß, ob er aus demselben entkommen wird. Ich kann verwundet und sogar getötet werden. In diesem Falle wäre es jammerschade, wenn mein Geheimnis mit mir sterben sollte. Du bist mein bester Kamerad, und so will ich es dir mitteilen.“

„Du machst mich im höchsten Grade neugierig. Der feierliche Ton, in welchem du sprichst, läßt erraten, daß es sich um etwas ganz Ungewöhnliches handelt.“

„Das ist es auch! Ich spreche nämlich von Reichtümern, von einem Schatze, welcher ungeheuer groß zu sein scheint.“

„Von einem Schatze? Höre, fast möchte ich denken, daß du im Traume redest!“

„Ich träume nicht, sondern was ich dir sage, ist die volle, reine Wirklichkeit. Ich kann es dir durch einen Gegenstand beweisen, welchen du sehr genau kennst.“

„Welcher ist das?“

„Der lange, weiße Haarschopf, den du bei mir gesehen hast.“

„Ach, der Skalp des Indianers, welcher dich überfallen wollte, aber von dir getötet wurde?“

„Derselbe. Doch ist die Geschichte anders, als ich sie bisher erzählte. Dir kann ich die Wahrheit sagen, da du schon oft ähnliches gethan hast. Nämlich nicht ich wurde von dem Indianer überfallen, sondern er von mir.“

„Qué diablos! Ist die Sache so! Da will ich dir denn aufrichtig sagen, daß ich deine Erzählung nicht etwa geglaubt habe. Du hattest damals gar nichts bei dir, was die Habsucht eines Indianers anlocken konnte. Ich dachte mir immer, daß die Begebenheit sich anders, als du sie erzähltest, abgespielt habe. Also du hast ihn überfallen, und sein Haar steht im Zusammenhange mit dem Schatze, von welchem du sprichst? Soll ich etwa annehmen, daß jener Indianer der Besitzer dieses Schatzes gewesen ist?“

„Ja.“

„Demonio! Erkläre dich deutlicher! Du kannst ihm den Schatz unmöglich abgenommen haben, da du nicht reich bist. Warum hast du es nicht gethan?“

„Weil er ihn nicht bei sich hatte. Es waren nur einige Gegenstände, welche zu dem Schatze gehörten, die ich bei ihm fand.“

„Hat er dir denn gesagt, wo sich das übrige befindet?“

„Nein.“

„So weißt du also gar nicht, wo dieser dein berühmter Schatz zu suchen ist?“

„Ja und nein, ich weiß es und weiß es doch auch nicht.“

„Sprich nicht in Rätseln!“

„Ich meine, daß ich zwar die Gegend kenne, aber die betreffende Stelle nicht.“

„So brauchst du dir auf den Schatz ganz und gar nichts einzubilden. Was nützt mir ein Schatz, den ich nicht finden kann? Vielleicht existiert er gar nur in deiner Phantasie.“

„Er existiert in Wirklichkeit; ich kann es beschwören.“

„Wo denn?“

„Droben in den Bergen und zwar jedenfalls in einer Schlucht, welche man die Barranca del Homicidio nennt.“

„Die kenne ich genau. Es geht von ihr die Sage, daß dort die letzten Inkas ermordet worden sind.“

„So ist es. Und ich nehme an, daß diese Inkas vor ihrem gewaltsamen Ende ihre Schätze dort versteckt haben.“

„Hm! Ich habe oft gehört, wie reich die Inkas gewesen sind. Alles, was die Herrscher berührten, hat von reinem Golde sein müssen. Die Spanier sollen damals ganze Schiffsladungen von Gold und Silber heimgeschafft haben. Doch was hilft das unnütze Reden! Erzähle!“

„Schwöre mir vorher, daß du keinem andern ein Wort davon sprechen willst!“

„Von solchen Sachen spricht man nicht; aber wenn ich dich damit beruhigen kann, so soll es mir auf einen Schwur nicht ankommen. Also ich schwöre, gegen jedermann über diese Angelegenheit zu schweigen!“

„So sollst du alles hören. Ich kam damals von Chile herüber, wo ich bei mehreren Stiergefechten mitgewirkt und mir einige Prämien erworben hatte; aber wie gewonnen, so zerronnen; du weißt ja, wie ich bin. Ich aß gut, trank noch besser, spielte viel und hatte kein Glück; ich verlor alles, und als ich die Rückreise antrat, mußte ich, um nur herüberzukommen, mich an einen Kaufmann, welcher nach Mendoza wollte, als Diener vermieten. Ich sage dir, daß er nie dort angekommen ist; warum, das kannst du dir ja denken.“

Er stieß ein hämisches Lachen aus. Er hatte natürlich diesen Kaufmann ermordet, um zu dem Eigentum desselben zu kommen. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

„Ich war also ganz allein, als ich die diesseitigen Hänge des Gebirges erreichte. Es war des Abends, als ich an der Barranca del Homicidio ankam. Da du auch dort gewesen bist, so weißt du, daß es eine höchst unwirtliche Gegend ist. Gern wäre ich noch bis zur Salina del Condor weitergeritten, aber es war denn doch zu weit, und der Weg da hinunter ist so schlecht, daß man selbst beim hellsten Mondenschein verunglücken oder wenigstens ihn verfehlen kann. Ich suchte mir also einen Felsen, um hinter ihm Schutz gegen den rauhen Nachtwind zu finden, band mein Maultier an einen Stein fest und legte mich zum Schlafen nieder.“

„Konntest du denn schlafen?“ fragte der Gambusino mit eigenartiger Betonung.

„Warum sollte ich das nicht?“

„Des Kaufmanns wegen, welcher nie in Mendoza angekommen ist.“

„Du meinst, daß er mir verwundet und blutig im Traum erschienen sei? Ich bin kein Kind oder altes Weib. Wer tot ist, kommt nicht wieder. Dennoch wollte an jenem Abende der Schlaf nicht gleich kommen; dafür aber kam ein andrer.,

„Ah, ich vermute! Der Indianer, oder nicht?“

„Ja. Der Vollmond stand am Himmel, und kein Wölkchen war zu sehen. Ich hörte Schritte und lauschte. Ein Mann kam, ohne mich und mein Maultier zu sehen, ganz nahe an dem Felsblocke vorüber, hinter dem ich lag. Er blieb stehen und schaute nach dem Monde. Dabei bekam ich sein Gesicht zu sehen. Er war ein Greis, aber ein sehr rüstiger und sehr schöner Greis. Er trug einen langen Bogen und einen Köcher auf der Schulter, und ein Messer stak in seinem Gürtel; andre Waffen hatte er nicht und schien überhaupt gar nichts andres bei sich zu haben. Auffallend war sein langes, weißes und sehr dichtes Haar, welches ihm hinten bis an die Oberschenkel vom Kopfe hing und, wie ich später bemerkte, durch eine Spange zusammengehalten wurde. Er stand lange da, ohne sich zu bewegen, starrte den Mond an und flüsterte dabei leise Worte, als ob er betete. Es schien, als ob er warten wolle, bis der Mond den höchsten Punkt seines Bogens erreicht habe; dann ging er weiter.“

„Und du folgtest ihm heimlich?“ fragte der Gambusino.

„Ich wollte es thun, brachte es aber nicht fertig. Der scharfe Rand der Barranca befand sich nämlich gar nicht fern von mir. Der Mann ging auf denselben zu und war dann verschwunden. Ich kroch leise bis hin zur Schlucht und blickte hinab. Ich sage dir, daß mir bei dem, was ich sah, ein Grauen ankam. Die Felswand stieg beinahe senkrecht hinab; sie schien nicht die kleinste Stelle zu haben, an welcher ein menschlicher Fuß festen Halt fassen könne, und doch glitt der weißhaarige Mann mit einer Sicherheit da hinab, als ob eine bequeme Treppe hinunterführe. Sein Haar glänzte im Monde, bis ich es nicht mehr sehen konnte, so groß war die Tiefe, in welche er hinunterstieg. Wer war der Mann? Seinen Zügen nach jedenfalls ein Indianer. Was wollte er hier? Warum wartete er, um den gefährlichen Weg anzutreten, nicht bis es Tag geworden war? Wo hatte er sein Maultier? Oder war er so arm, daß er keins besaß? Du kannst dir denken, daß ich diese und andre Fragen gern beantwortet haben wollte; darum blieb ich am Rande der Schlucht auf der Lauer liegen, um auf seine Rückkehr zu warten. Ich lag die ganze Nacht; er kam nicht wieder; aber am Morgen, eben als die Sonne im westlichen Tieflande aufstieg, sah ich ihn jenseits langsam emporklettern. Er hatte jetzt ein Paket auf dem Rücken hängen. Als er oben angekommen war, breitete er die Arme gegen die Sonne aus, als ob er sie begrüßen wolle, und ging dann weiter. Ich beobachtete ihn, ohne daß er mich sehen konnte. Von der Höhe, auf welcher er sich ebenso wie ich mich befand, ging eine felsige Lehne allmählich abwärts; er schritt dieselbe hinunter und bog dann um den Fuß einer zweiten Höhe, worauf er mir aus den Augen verschwand.“

„Du bist ihm natürlich sofort nach?“ fragte der Gambusino.

„Ja. Ich mußte unbedingt wissen, wer der Mann war, und was er nächtlicherweile aus der Barranca geholt hatte, denn das Paket, welches er jetzt trug, hatte er am Abende nicht gehabt. Ich band mein Maultier los, stieg auf und ritt ihm nach. Ich brauchte dabei keinen Umweg zu machen, denn die Richtung, welche er eingeschlagen hatte, führte nach der Salina del Condor, wohin auch ich wollte. Ich war sehr schnell die Lehne hinab und bog dann um die Stelle, hinter welcher er verschwunden war. Von da lief ein ziemlich steiler Abhang in ein schmales Thal hinunter. Der Indianer war schon unten. Er schien es eilig zu haben, denn er ging schneller, als mein Maultier bis jetzt gegangen war. Ich spornte es also an. So folgte ich ihm in das Thal, durch dasselbe auf eine Ebene, dann wieder über einen felsigen Abhang in ein zweites Thal, in welchem ich ihm so nahe kam, daß er den Hufschlag Meines Tieres hörte. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich umzublicken. Als er mich sah, eilte er viel schneller weiter, als er bisher gegangen war. Er wollte mir ausweichen. Ich gab meinem Tiere die Sporen, daß es zu galoppieren begann. Er hörte das und blickte nach rechts und nach links, um einen Ausweg zu entdecken, aber die Seitenwände des Thales waren gerade hier so senkrecht eingeschnitten, daß er nicht hinauf konnte. Jedoch da öffnete sich das Thal, noch ehe ich ihn ganz erreicht hatte, und er wollte sich seitwärts wenden. Ich rief ihm zu: Bleib stehen, sonst schieße ich!

„Er hörte nicht; darum schickte ich die Kugel des einen Laufes hinter ihm her. Ich traf ihn nicht, wollte ihn überhaupt nicht treffen; er hörte die Kugel neben sich auf den Felsen schlagen und mochte nun doch denken, daß es geraten sei, meinem Befehle zu gehorchen. Er blieb also stehen und drehte sich nach mir herum. Das Doppelgewehr noch in der Hand, kam ich an ihn heran. Da fragte er mich: Señor, was habe ich Ihnen gethan, daß Sie auf mich schießen?

Warum läufst du davon, wenn ich dir Halt gebiete? antwortete ich.

„Da richtete er sich hoch auf, schüttelte sein langes, weißes Haar wie der Löwe seine Mähne und entgegnete in einem Tone, als ob er ein König sei: Wer hat hier zu gebieten? Sie etwa?

„Dabei funkelten mich seine Augen nur so an; aber sie waren es nicht allein, welche funkelten, denn das Paket, welches er auf dem Rücken trug, bestand aus einem Bastnetze, zwischen dessen Maschen es wie reines, pures Gold hervorschimmerte. Und bei der Bewegung, welche er gemacht hatte, gab die glänzende Bürde einen leisen Ton von sich, wie er nur vom Golde hervorgebracht wird. Wie es so schnell kam, das weiß ich auch jetzt selbst noch nicht; kurz und gut, ich richtete mit einer blitzschnellen Bewegung den zweiten Lauf auf ihn und drückte ab. Der Schuß krachte, und der Mann stürzte zu Boden.“

„Vorn durch die Brust geschossen?“ fragte der Gambusino.

„Nein, sondern von hinten in das Herz getroffen. Als ich den Lauf auf ihn richtete, machte er nach der Seite hin eine schnelle Drehung um sich selbst, damit ich ihn nicht treffen solle; aber mein Auge war schneller als er; ich folgte seiner Bewegung und schoß ihn von hinten nieder. Das Netz glitt von seinem Rücken und fiel neben ihm hin, wobei es sich öffnete; einige Stücke des Inhaltes rollten heraus. Es waren kleine, goldene Gefäße und andre Gegenstände, deren Zweck ich nicht zu erraten vermochte. Der Indianer war tot, und diese Sachen gehörten mir. Ich wickelte sie in die Decke, welche ich hinter mir an den Sattel zu schnallen pflegte – –“

„Und bist natürlich nach der Barranca zurückgeritten?“ fiel der Gambusino ihm ins Wort.

„Nein. Ich hatte seit fast zwei Tagen kein Wasser gehabt, und mein Maultier mußte trinken, wenn es nicht liegen bleiben sollte. Daher mußte ich zunächst nach der Salina del Condor, in deren Nähe, wie du weißt, einige Quellen sind; dann erst wollte ich wieder nach der Barranca zurück, um den Ort zu suchen, von welchem der Indianer die Kostbarkeiten geholt hatte.“

„Vorher aber nahmst du ihm seinen Skalp?“

„Ja. Wie ich auf den Gedanken kam, dies zu thun, kann ich freilich nicht sagen. Ich hatte daheim eine Sammlung von allerlei Kleinigkeiten, Andenken an meine früheren Reisen und Erlebnisse, und als ich so vor dem Toten stand und sein Haar betrachtete, fielen mir die Indianerskalpe ein, welche man in so vielen Sammlungen findet, und ich dachte, daß dieser Schopf es wohl wert sei, mitgenommen zu werden. Ich schnitt die Kopfhaut also vom Schädel los und wickelte sie mit in die Decke.“

„Hm! Also auf diese Weise bist du zu der Haut gekommen!“ sagte der Gambusino langsam und in nachdenklichem Tone. „Ich hätte sie wohl nicht mitgenommen.“

„Warum nicht?“

„Weil sie zur Verräterin an dir werden kann.“

„Möchte wissen, wie!“

„Eben durch ihre Seltenheit. Hast du etwa schon viele Personen gesehen, welche ihr Haar in dieser Weise tragen? Und nun noch dazu eine solche Fülle schönen, langen, grauen Haares! Dieser Indianer hat Verwandte und Bekannte, welche ihn vermißt und nach ihm geforscht haben. Wenn nun einer derselben erfährt, daß du dich im Besitze dieses Skalpes befindest? Vielleicht gibt es Mitwisser des Geheimnisses von dem Schatze. Ich würde zu keinem Menschen von der Kopfhaut sprechen und sie noch viel weniger jemand zeigen.“

„Pah! Es sind seit jenem Ereignisse Jahre vergangen; ich habe nichts mehr zu befürchten.“

„Dennoch fordere ich dich zur Vorsicht auf. Ich denke da an einen alten Indianer, welcher sein Haar ganz ähnlich trägt und einsam droben in den Bergen haust. Diese Ähnlichkeit der Haartracht läßt ganz wohl den Gedanken aufkommen, daß er zu jenem Toten in irgend welcher Beziehung gestanden hat. Dieser Mann zum Beispiel dürfte durch Zufall von deinem Skalpe hören, und dann wäre es, falls er den Toten gekannt hat, um dich geschehen.“

„Wie heißt der Mann?“

„Er ist über hundert Jahre alt und wird darum allgemein der alte Anciano genannt. Er ist trotz dieses Alters noch so rüstig und gewandt wie ein Vierziger und hat sich durch seine Kühnheit und Verschlagenheit berühmt gemacht.“

„Ich kenne ihn nicht, und er geht mich nichts an. Ist er arm oder reich?“

„Arm.“

„So weiß er von dem Schatze nichts, und deine Warnung ist überflüssig.“

„Mag sein. Es war eben nur so ein Gedanke von mir. Erzähle jetzt weiter! Ich bin begierig, zu erfahren, wie dein Abenteuer sich weiter entwickelt hat.“

„Es kam leider ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich wollte an der Salina mein Maultier tränken, selbst auch trinken und dann nach der Barranca zurückkehren. Aber als ich bei der Salina anlangte und um die Ecke bog, sah ich einen Menschen dasitzen, welcher mich verwundert anstarrte. Jedenfalls war er von unten gekommen und wollte hinauf in die Berge; dies machte mein ganzes Vorhaben zunichte. Zurück durfte ich nicht, denn er wäre mir gewiß gefolgt und hätte den Toten gesehen. Mich zu ihm setzen, fiel mir noch viel weniger ein, da er mich nicht genau sehen durfte, um mich später nicht verraten zu können. Ich ritt also an ihm vorüber.“

„Dumme Sache! Warum hast du ihn nicht niedergeschossen?“

„Dieser Gedanke kam mir auch; aber er hatte, als er mich sah, schnell zum Gewehre gegriffen, und seine Kugel wäre jedenfalls schneller als die meinige gewesen.“

„Hat er dich deutlich sehen können?“

„Nein; wenigstens denke ich das. Ich stutzte nur einen Augenblick und wendete mein Gesicht dann schnell von ihm ab. Im Galopp durch die Salina jagend, kam ich eine halbe Stunde später unterhalb derselben auf einem Platze an, wo es auch ein Wasser gibt. Da hielt ich für kurze Zeit an und ritt dann weiter. Eine Ahnung sagte mir, daß der Mann mich verfolgen werde.“

„Woher diese Ahnung? Du hattest ja gar nicht mit ihm gesprochen.“

„Eben das mußte ihm auffallen. Wenn er dann die Leiche fand, mußte er mich für den Mörder halten.“

„Wie sah er aus? Du hast ihn natürlich scharf betrachtet?“

„Nein, denn da hätte ich ihm mein Gesicht länger zukehren müssen, was ich aus gutem Grunde vermeiden wollte. Seine Züge konnte ich nicht erkennen, doch sah ich so viel, daß er nicht mehr jung war, denn sein Haar war grau.“

„Und seine Gestalt?“

„Er saß an der Erde; darum konnte ich mir kein Urteil über seine Figur bilden; er schien mir aber nicht klein zu sein.“

„Ha! Du bist unvorsichtig gewesen. Dieser Mann kann in jedem Augenblicke auftauchen und dich zur Rechenschaft ziehen. Du hättest dich zu ihm setzen sollen, um ihn dann in einem geeigneten Augenblicke niederzuschießen.“

„Das habe ich mir später auch gesagt, und heute bereue ich sehr, es nicht gethan zu haben, denn es hat den Anschein, daß der Kerl mich genauer angesehen hat, als ich dachte.“

„Wieso? Bist du ihm etwa später wieder begegnet?“

„Es scheint so. Es wurde mir eine Drohung ins Gesicht geworfen, welche sich nur auf dieses Ereignis beziehen konnte.“

„Von wem?“

„Vom Vater Jaguar.“

„Valgame Dios! Von dem? Hat dieser Mensch etwa seine Hand auch hier im Spiele?“

Perillo erzählte von jenem Zusammentreffen in der Restauration in Buenos Ayres, wo Der Vater Jaguar ihn an die Salina del Condor erinnert hatte, worauf der Gambusino so laut, daß die Schläfer beinahe aufwachten, ausrief:

„Er ist’s gewesen; jedenfalls war er’s! Nimm dich vor ihm in acht! Wie war der Mann, den du auf der Salina getroffen, gekleidet?“

„Ganz in Leder. Dazu hatte er einen breitrandigen Hut auf dem Kopfe.“

„Es stimmt; es stimmt! Genau so geht der Vater Jaguar, wenn er sich nicht in einer Stadt befindet. Jetzt haben wir einen Grund mehr, ihn baldigst wegzuräumen. Ich bin überzeugt, daß er, nachdem er den Indianer gefunden hat, hinter dir drein geritten ist. Erzähle weiter!“

„Ich bin damals einen Tag und eine Nacht geritten, ohne länger als einige Minuten anzuhalten, und habe mir alle Mühe gegeben, meine Spur unsichtbar zu machen. Der Erfolg zeigt, daß mir dies gelungen ist. Natürlich war ich ganz begierig darauf, die Barranca nach Gold zu untersuchen, mußte dies aber unter diesen Umständen auf einige Wochen verschieben. Diese Zeit brachte ich in Chiccana zu, wo ich so glücklich war, einen Althändler zu finden, welcher mir die goldene Beute abkaufte und leidlich bezahlte, ohne viel danach zu fragen, wie ich zu diesen Gegenständen gekommen war. Die Summe, welche ich erhielt, verlockte mich, nach Salta zu gehen. Dort fand ich Gelegenheit zum Spiele und verlor so viel, daß mir kaum das verblieb, was ich brauchte, um mich für den Ritt nach der Barranca auszurüsten.“

„Er war aber ohne Erfolg?“

„Leider! Als ich an die Stelle kam, wo ich den Indianer erschossen hatte, war keine Spur mehr von ihm zu sehen. Die Kondors hatten sogar seine Knochen verschleppt. Dann in der Barranca angekommen, habe ich sie Fuß für Fuß, Zoll für Zoll durchsucht, ohne das geringste zu finden. Auch so oft ich später wieder hingekommen bin, ist mein Nachforschen vergeblich gewesen. Und doch bin ich überzeugt, daß dort Kostbarkeiten verborgen liegen, welche einst den Herrschern von Peru gehört haben.“

„Das ist allerdings leicht möglich. Du hast deine Nachforschungen jedenfalls nicht sorgfältig genug angestellt. Zu so etwas gehört ein Scharfsinn, welcher eine weit längere Übung und Schulung durchgemacht hat, als die deinige ist.“

„Das habe ich mir auch schon gesagt, und darum denke ich, in dir den rechten Mann gefunden zu haben. Du würdest also bereit sein, mit hinauf nach der Schlucht zu gehen?“

„Ja. Und je eher wir dies thun können, desto besser wird es sein. Man soll nicht zaudern, wenn es sich um so wertvolle Sachen handelt. Der Zufall könnte gar zu leicht einen andern hinführen, welcher das entdeckt, was du trotz aller Mühe nicht gesehen hast. Sollte unser Zug gegen die Cambas aus irgend einem Grunde eine andre Wendung nehmen, als wir erwarten, so sind wir arme Leute geworden und können nichts besseres thun, als schleunigst nach den Bergen zu reiten, um uns die Schätze deines toten Indianers anzueignen.“

„Meinst du denn, daß wir sie finden werden?“

„Ich halte es mehr für wahrscheinlich als für unwahrscheinlich. Deutliche Spuren, nach denen wir uns richten könnten, werden wir freilich nicht finden, aber es gibt doch einen oder gar einige Anhaltepunkte, welche uns von Nutzen sein werden.“

„Welche sind das?“

„Durch diese Frage lieferst du eben den Beweis, daß du nicht erfahren und scharfsinnig genug bist. Man muß scharf nachzudenken verstehen. Jener Indianer stieg auf der einen Seite in die Schlucht hinab und kam auf der andern wieder empor. Warum das? Warum kam er nicht auf der ersteren zurück?“

„Jedenfalls deshalb, weil auf der andern Seite der Weg leichter war.“

„Keineswegs. Wer in der Nacht einen so halsbrecherischen Abstieg wagt, der frägt am allerwenigsten dann am Tage nach der Schwierigkeit des Terrains. Nein; er ist jenseits emporgestiegen, weil er dort gearbeitet hat. Dort unten liegt der Ort, den wir suchen. Als er fertig war, hat er es nicht für nötig gefunden, dadurch, daß er zurückkehrte, einen Umweg zu machen, sondern ist von der Stelle, an welcher der Schatz liegt, stracks bergan geklettert. Das ist das eine, und wenn wir erst dort sind und ich die Örtlichkeit genau in Augenschein nehme, so werden sich auch noch andre Fingerzeige ergeben.

Nur fragt es sich natürlich, welche Ansprüche du machst, und welche du dann mir zu machen erlaubst.“

„Du meinst, welche Teile auf mich und dich kommen sollen?“

„Ja.“

„Ich habe die Sache entdeckt und darf also mehr fordern. Zwei Drittel für mich und eins für dich!“

„Ja, du bist der Entdecker, hast aber nichts gefunden und wirst ohne meine Hilfe auch niemals etwas finden. Warum da doppelt so viel, wie ich erhalten soll, für dich? Teilen wir! Das ist das einfachste und gerechteste.“

„Darüber läßt sich noch sprechen. Wir haben ja Zeit.“

„Ja, wir haben Zeit, wie es scheint; aber es wird sich schon morgen entscheiden, ob wir gegen die Cambas glücklich sind oder nicht. Im letzteren Falle geht es sofort in die Berge, und dann möchte ich bald wissen, woran ich bin. Jetzt möchte ich einen Rundgang machen, um mich zu überzeugen, ob wir hier sicher liegen. Ich kann mich je länger desto weniger nicht von dem Gedanken losmachen, daß dieser Vater Jaguar sich doch hier in der Nähe befindet und uns umschleicht.“

Als der Lauscher diese Worte hörte, hielt er es, um nicht entdeckt zu werden, für geraten, sich schleunigst zurückzuziehen. Er verließ also den Ort, an welchem er lag, genau auf dem Wege, auf welchem er gekommen war, kroch an dem Schilfe hin und schlich sich dann nach seiner Lagerstelle. Da alle fest schliefen, kam er dort an, ohne daß seine Abwesenheit bemerkt wurde.

Hätte er nicht so viel Sorge vor der Entdeckung gehabt, so wäre er Zeuge einiger weiterer Äußerungen geworden, welche sich auch mit auf ihn selbst bezogen. Nämlich als der Gambusino sich bei seinen letzten Worten erheben wollte, um seinen Rundgang zu beginnen, hielt ihn Antonio Perillo noch zurück und sagte:

„Warte noch einen Augenblick! Gesetzt den Fall, daß der Vater Jaguar wirklich hier ist und morgen unser Vorhaben zu schanden macht, so willst du sofort nach den Bergen. Wen aber nehmen wir mit?“

„Welch eine Frage!“ fuhr der Gambusino auf. „Wen wir mitnehmen wollen! Keinen Menschen natürlich.“

„So meinst du, daß wir allein reiten?“

„Ja.“

„Ich halte es aber für besser, einige Begleiter mitzunehmen.“

„Warum?“

„Wegen der Gefährlichkeit der Gegend.“

„Du bist doch früher auch allein dort gewesen!“

„Daß ich niemand bei mir hatte, war Zufall. Zudem wissen wir nicht, was uns bevorsteht. Vielleicht erfordert die Hebung des Schatzes so viel Arbeit, daß wir sie gar nicht allein zu verrichten vermögen.“

„Jener Indianer aber hat sie ganz allein verrichtet!“

„Weil es seine Absicht war, nur. einzelne Gegenstände, nicht aber den ganzen Schatz mitzunehmen. Wir brauchen also höchst wahrscheinlich Arbeitskräfte.“

„Mit denen wir teilen müßten !“

„Nein.“

„Wie? Nicht? Kein Mensch würde uns helfen, ohne seinen Anteil zu verlangen.“

„Das ist wohl richtig; aber es würde niemand etwas bekommen.“

„Wie meinst du das?“

„Das errätst du nicht? ja, ein jeder würde nach gethaner Arbeit etwas erhalten, nämlich eine Kugel oder einen Messerstich.“

„Ah, denkst du so! Das ist freilich etwas andres. Damit wäre ich sofort einverstanden.“

„Schön! Also gehen wir nicht allein?“

„Nein. Wenn du so willst, so können wir Hilfskräfte mitnehmen, ohne sie bezahlen zu müssen.“

„So ist es geraten, gleich jetzt diejenigen zu bestimmen, welche wir auffordern werden, uns zu begleiten. Etwa die Soldaten, welche sich bei uns befinden?“

„Fällt mir nicht ein!“

„Oder einige Abipones?“

„Auch nicht.“

„Wen sonst?“

„Warum denn überhaupt von denen, die jetzt bei uns sind, welche auswählen? Der Weg nach der Mordschlucht ist weit, und wir legen ihn viel leichter und schneller zurück, wenn wir ganz allein reiten. Die Weißen will ich übrigens schon deshalb nicht mitnehmen, weil ich sie dann nicht gern erschießen mag. Müssen einige Indianer ins Gras beißen, so nehme ich mir das viel weniger zu Herzen. Und die Abipones können wir aus dem Grunde nicht brauchen, weil wir durch Gegenden kommen werden, in denen Indianerstämme hausen, die ihnen feindlich gesinnt sind. Wir würden dadurch uns selbst in Gefahr begeben. Wir reiten allein bis über die Grenze der weißen Bevölkerung und engagieren uns dann eine Schar Roter, mag der Stamm, zu welchem sie gehören, heißen, wie er will. Brauchen wir sie dann nicht mehr, nun, so genügen einige Schüsse, uns von ihnen zu befreien. Man kann diesen Zweck übrigens auch auf noch andre Arten und Weisen erreichen.“

„Ganz richtig; aber es fragt sich nur, ob es uns gelingen wird, von unsern jetzigen Begleitern loszukommen.“

„Warum sollte das nicht gelingen? Wir sprechen jetzt überhaupt nur von dem Falle, daß wir von den Cambas geschlagen werden. Je mehr von unsern Leuten da fallen, desto lieber kann es uns sein. Die übrigen werden nach allen Richtungen davonlaufen und sich sehr wahrscheinlich gar nicht um uns kümmern.“

„Ich denke aber doch, daß wenigstens die Soldaten sich zu dem Anführer halten werden, und der bist du, wie du ihnen heute abend gesagt hast. Wie werden wir sie los? Nehmen wir den Fall, daß dieser Kapitän Pellejo, welcher sich vorhin so beleidigt fühlte, sich an uns klammert.“

„Dann bekommt der Kerl eine Kugel. Es ist eigentlich lächerlich, mit solcher – fast möchte ich es Sicherheit nennen, anzunehmen, daß unser jetziger Zug verunglücken wird. Das rätselhafte Verschwinden unsrer Gefangenen hat uns besorgt gemacht und auf dumme Gedanken gebracht. Wir haben eine Maus in einen Elefanten verwandelt. Warten wir ganz ruhig ab, was morgen geschieht. Was darauf folgt, das wird sich finden.“

Er erhob sich jetzt von seinem Platze, um die Umgebung zu durchforschen, konnte aber nichts bemerken, woraus er auf die Anwesenheit eines Feindes hätte schließen müssen. Darum legte er sich befriedigt und beruhigt nieder.

Kaum graute der nächste Tag, so wurden die Schläfer geweckt, da sehr zeitig aufgebrochen werden sollte. Diejenigen Abipones, welche als Führer dienten, weil sie die Gegend kannten, wußten genau, in welcher Richtung das Thal des ausgetrockneten Sees zu suchen war. Sie schlugen dieselbe ein. Sie befanden sich an der Spitze des Zuges, und der Gambusino hielt sich mit Antonio Perillo zu ihnen, um etwaige Spuren sofort zu entdecken. Er ritt bald nach rechts, bald nach links von der geraden Linie ab, konnte aber nichts Befremdendes entdecken, weil der Vater Jaguar so vorsichtig gewesen war, sich mit seinen Begleitern weiter südlich zu halten.

Da von achthundert Kriegern nur fünfzig beritten waren, kam beinahe der Mittag heran, bevor in der Ferne der undurchdringliche Wald erschien, welcher das Thal des ausgetrockneten Sees nach beiden Seiten flankierte. Als der Gambusino die dunkle Linie desselben erblickte, winkte er den „tapfern Arm“, den Häuptling der Abipones zu sich heran und fragte:

„Ist das der Wald, in welchem das Thal liegt, durch welches wir müssen?“

„Ja, Señor,“ antwortete der Rote.

„Und wir können nicht zur Seite ausweichen?“

„Wir können es, wenn wir den Wald ganz umgehen; aber das würde viele, viele Zeit erfordern.“

„Die haben wir nicht übrig, denn wir müssen heute abend beim Dorfe der Cambas ankommen, um in der Nacht über dasselbe herfallen zu können. Indiesem Thale gibt es Wasser?“

„Fließendes Wasser, welches sich in einen kleinen See ergießt.“

„So machen wir da Halt, um uns auszuruhen.“

Diese Worte hörte auch der Hauptmann Pellejo, welcher jetzt an die Spitze des Zuges gekommen war und mit nachdenklichem Blicke den Wald musterte. Als Militär fühlte er sich zu der Bemerkung veranlaßt:

„Señor, das vor uns liegende Terrain fordert uns zur Vorsicht auf. Wir können weder nach rechts noch nach links weichen und müssen durch ein Thal, dessen Wände wohl nicht niedrig sind. Wie nun, wenn der Feind uns in demselben erwartet?“

„So würde ich mich außerordentlich über diese seine Unvorsichtigkeit freuen,“ antwortete der Gambusino in wegwerfendem Tone. „Wir würden in das Thal dringen und ihn, der nicht entkommen könnte, einfach niederrennen.“

„Das ist leichter gesagt als gethan, und ich möchte raten, in diesem –“

„Ich habe noch keinen Menschen um Rat gefragt, auch Sie nicht!“ fiel ihm der andre barsch in die Rede. „Behalten Sie Ihre Meinung gefälligst so lange für sich, bis ich Sie auffordere, mir dieselbe mitzuteilen!“

Der Hauptmann wendete sich entrüstet ab, ohne aber ein Wort zu entgegnen, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Nach einiger Zeit sah man eine Fährte, welche von links herkam und gerade nach dem Thale führte. Es war diejenige des Vater Jaguar, welcher natürlich nach dem Thale gemußt hatte, ohne eine Möglichkeit zu haben, seine Spur unkenntlich zu machen. Der Gambusino stieg vom Pferde, untersuchte sie und sagte.

„Es hat hier einige Pferde und auch einen oder zwei Fußgänger gegeben, doch ist dies kein Grund, uns bedenklich zu machen. Diese Leute kommen von Süden her, während wir von Osten kommen; sie können also gar nichts von uns wissen.“

Infolge dieser Ansicht ritt und marschierte man getrost weiter, ohne, was doch geboten gewesen wäre, Kundschafter voranzusenden. Hauptmann Pellejo erkannte das als einen großen Fehler, doch schwieg er zunächst; aber als man sich dem Walde so weit genähert hatte, daß man den Eingang zum Thale sich öffnen sah, konnte er doch nicht umhin, warnend zu bemerken:

„Ich würde doch einige Leute voransenden, um nachsehen zu lassen, ob das Thal für uns sicher ist.“

„Und ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nur wünsche, daß es voller Cambas wäre,“ antwortete der Gambusino. „Wenn Sie sich fürchten, so bleiben Sie zurück.“

„Ja, wer sich fürchtet, mag umkehren,“ stimmte Antonio Perillo ein. „Wir brauchen keine Feiglinge bei uns.“

„Señor, meinen Sie damit mich?“ fuhr der Offizier auf.

„Denken Sie, was Sie wollen!“

„Gut, dann denke ich mir nur das eine, daß es feig ist, ahnungslose Menschen niederzuschießen, um ihnen ihre alten Inka-Kostbarkeiten abzunehmen und dann vor dem ersten Manne, den man an der Salina del Condor sitzen sieht, feig davonzujagen.“

Diese zornigen Worte waren ihm kaum entfahren, so bereute er, sie ausgesprochen zu haben; doch waren sie nun nicht wieder zurückzunehmen. Der Gambusino und Antonio Perillo starrten ihn betroffen an. Der erstere faßte sich am schnellsten und antwortete lachend:

„Sie sprechen wohl im Traume? Was wollen Sie mit einer so unverständlichen Rede?“

„Das werden Sie später jedenfalls erfahren,“ erwiderte der Hauptmann, indem er sein Pferd ab und auf die Seite wendete. „Von mir werden Sie keinen Rat mehr hören.“

Er sah die beiden nicht wieder an; sie aber warfen sich im Weiterreiten bedeutsame Blicke zu, und der Gambusino flüsterte Perillo zu:

„Dieser Schurke hat uns gestern abend belauscht. Es ist gar nicht anders möglich. Was meinst du, was wir thun?“

„Ihn schweigsam machen, und zwar sobald wie möglich, bevor er Gelegenheit findet, das, was er gehört hat, auszuplaudern.“

„Richtig! Er lebt heut seinen letzten Tag! Im Grunde genommen hatte er mit seiner Mahnung zur Vorsicht gar nicht unrecht; aber soll ich das dadurch zugeben, daß ich seinen Rat befolge? Meine Person werde ich auf keinen Fall in Gefahr bringen. Wir bleiben am Eingange des Thales halten und lassen unsre Leute hineinmarschieren. Dann wird es sich ergeben, ob es von den Cambas besetzt ist.“

Diese Absicht wurde ausgeführt. Er ritt mit Perillo und dem „tapfern Arme“ voran, bis sie den Eingang erreichten, und blieb dann halten, um die andern an sich vorüber zu lassen. Der „tapfere Arm“ aber gab der Schar, indem er sich rückwärts wendete und den Arm hoch emporhob, ein Zeichen, noch zu warten, und galoppierte dann zwischen den Thalwänden hinein. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, meldete er:

„Es ist kein Mensch im Thale. Wir können getrost weiter.“

„Dann vorwärts!“ kommandierte der Gambusino, indem er sein Pferd auf die Seite drängte, um, mit Perillo dort wie ein Feldherr haltend, den Kriegszug an sich vorüber zu lassen. Der Häuptling ritt voran; ihm folgten seine Abipones, hinter denen die weißen Soldaten kommen sollten. – – –

Der „tapfere Arm“ hatte sich außerordentlich geirrt, als er das Thal für unbesetzt hielt, und sollte seinen Irrtum nur zu bald erkennen.

Wie bereits erwähnt, hatte der Vater Jaguar, als er das Cambasdorf verließ, um auf Kundschaft zu reiten, seinem Geronimo den Befehl übergeben und diesem die nötigen Bestimmungen zurückgelassen. Geronimo war zur bestimmten Zeit mit den sechshundert Cambas aufgebrochen und bis an das Thal des ausgetrockneten Sees marschiert, ohne aber, wie es vorher beabsichtigt gewesen war, in dasselbe einzudringen. Der um- und vorsichtige Mann sagte sich, daß wenn er die Rückkehr der Kundschafter im Thale selbst erwarte, dies dort Spuren geben müsse, welche die heranrückenden Abipones unmöglich übersehen konnten. Dazu kam das Verschwinden Morgensterns und seines Dieners. Die Spuren dieser beiden in Verbindung mit dem bisher Erlebten sagten ihm, daß sie nach dem Sumpfe zurückgekehrt seien, um die vorweltlichen Knochen zu holen. Wie leicht konnten diese beiden mit den Abipones zusammentreffen und von ihnen gezwungen werden, alles zu verraten. Darum hielt Geronimo es für geboten, das Thal vor der Rückkehr des Vater Jaguar nicht zu betreten. Er lagerte sich mit seinen Cambas so gut es ging draußen vor demselben längs des Baches, da nur dort der dazu nötige Raum vorhanden war. Natürlich aber stellte er einen Posten an den Ausgang des Thales, welches dieser, hinter einem Felsen stehend, vollständig überblicken konnte.

Heute früh nun, als die Sonne noch nicht lang aufgegangen war, meldete dieser Wächter das Nahen dreier Reiter und zweier Fußgänger. Geronimo ging nach dem erwähnten Felsen und sah diese fünf, welche vorn durch den Eingang gekommen waren und sich nach hinten, gerade auf den Ausgang zu, bewegten. Er vermochte sie noch nicht genau zu unterscheiden; dann aber, als sie sich genugsam genähert hatten, verkündigte er mit lauter, froher Stimme:

„Es ist der Vater Jaguar mit Hauka und seinem Anciano. Sie bringen die beiden Deutschen mit.“

Diese Kunde wurde mit allgemeiner Freude aufgenommen, denn es hatte doch in der Möglichkeit gestanden, die Feinde eher als den Vater Jaguar zu sehen. Dieser letztere sah sich, indem er das Thal passierte, nach beiden Seiten scharf um und bemerkte gar wohl, daß die Thalränder noch nicht besetzt waren. Er hätte das für einen Ungehorsam nehmen können, doch kannte er seinen Geronimo so genau, daß er sich sagte, es müsse ein triftiger Grund zu dieser Unterlassung vorhanden sein. Als er am Ende des Thales angekommen war, sah er ihn hinter dem Felsen stehen und rief ihm schon von weitem zu:

„Ich will doch hoffen, daß die Krieger alle da sind?“

„Alle,“ antwortete Geronimo.

„Wo?“

„Da, hinter mir am Bache.“

„Warum vermeidet ihr das Thal?“

„Weil diese deine beiden gelehrten Landsleute uns ausgerissen sind. Ich befürchtete, sie würden von den Abipones ergriffen werden und gegen dieselben plaudern. Darum hielt ich es für besser, deine Rückkehr zu erwarten. Ist das richtig oder falsch gewesen?“

„Richtig. Ich muß dich loben.“

Er war jetzt bei ihm angekommen und reichte ihm die Hand. Die Weißen drängten sich herbei, ihren zurückgekehrten Anführer zu begrüßen. Morgenstern und Fritze schlichen sich kleinlaut zur Seite. Es wäre ihnen lieb gewesen, für jetzt verschwinden zu können, um nicht durch Fragen belästigt zu werden; aber es gab einen, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als sofort an sie heranzutreten und ihnen lachend zuzurufen:

„Aber, Señores, was ist Ihnen denn eingefallen, daß Sie uns so ohne allen Abschied verlassen haben! Wir machten uns viel Sorge um Sie. Wie leicht konnten auch Sie von einer Riesenschildkröte verschlungen werden! Sie scheinen mit solchen uralten Tieren nun einmal kein Glück zu haben!“

Doktor Parmesan, der Chirurg, war es, der sie auf diese Weise empfing. Morgenstern zog es vor, zu schweigen; Fritze aber antwortete:

„Selbst wenn wir verschlungen worden wären, hätten wir keine Angst gehabt. Sie wären doch jedenfalls gekommen, um uns dem Tiere aus dem Leibe zu schneiden.“

„Ja, das hätte ich sicher gethan, vorausgesetzt, daß ich zu rechter Zeit von Ihnen benachrichtigt worden wäre. Sie wissen ja, mir ist kein Schnitt und keine Operation zu schwer; ich säble alles herunter! Natürlich sind Sie am Sumpfe der Knochen gewesen, Señor?“

„Ja. Eigentlich wollten wir hinauf in den Mond reiten, da aber sein erstes Viertel noch nicht voll. ist, hätte es uns am nötigen Platze gemangelt.“

„Da Sie sich in so fröhlicher Stimmung befinden, muß es Ihnen unterwegs sehr gut gegangen sein. Und wir befürchteten schon, daß Sie in die Hände der Abipones gefallen seien. Aber ein kleiner dunkler Punkt scheint doch dabei vorhanden zu sein: Wo sind denn nun eigentlich die Pferde, welche Sie mitgenommen haben?“

„Die sind von der Riesenschildkröte gefressen worden, von welcher Sie glaubten, daß sie uns verspeist habe. Wollen Sie Ihre berühmte Operation noch ausführen, so können Sie die armen Tiere vielleicht noch retten.“

Mit diesen Worten wendete er sich schnell ab und folgte seinem Herrn, welcher sich unter einem Baume, wo niemand sich befand, niedergesetzt hatte. Er nahm neben ihm Platz und sagte, jetzt natürlich in deutscher Sprache:

„So jeht es in der Welt: Wer den Schaden hat, braucht nicht für den Spott zu sorjen. Dieser Chirurjius wollte mir wahrscheinlich ärjern; aber es fällt mich jar nicht ein, mir in Harnisch bringen zu lassen. Freilich, daß wir die Pferde verloren haben, dat kann mir leid thun. Wat mir wundert ist, daß der Vater Jaguar uns eijentlich noch jar nicht richtig ausjezankt hat. Ist Ihnen dat nicht aufjefallen?“

„Warte nur! Er wird es schon nachholen, sobald er Zeit dazu findet.“

„Leider wird dat wohl richtig sind. Aber grämen Sie Ihnen nicht! Ik werde allens auf mir nehmen. Ik werde sagen, dat ik es bin, der die Jeschichte anjestiftet hat. Mir haben die Riesenknochen im Kopfe jelegen, und ik habe nicht jeruht, bis Sie mit mich davonjeritten sind.“

„Das geht nicht, Fritze. Ein solches Opfer kann ich von dir nicht annehmen.“

„Warum nicht?“

„Es ist gegen meine Ehre, lateinisch Honor genannt. Ich könnte mich nicht mehr selbst achten.“

„Wat? Wie? Wer verlangt es, daß Sie Ihnen selbst achten? Kein Mensch! Die Hauptsache ist, daß ik Ihnen achte und daß Sie auch von andern jeachtet werden. Wat aber Sie selbst von sich denken, dat ist von die allerjrößte Gleichjültigkeit. Ja, Sie haben überhaupt jar nichts von Ihnen zu denken! Ik bin Ihr Diener und Sie bezahlen mir. Und dafür soll ik nichts thun und sagen dürfen?“

„Laß es gut sein, lieber Fritze! Man würde deinen Worten doch keinen Glauben schenken. Freilich, wenn ich gewußt hätte, wie es kommen würde, so wäre es nicht geschehen. Es war eine Dummheit, die wir wohl schwerlich wieder gut machen können.“

„Nicht? Dat fragt sich sehr. Wir sind auch noch da. Ik weiß jenau, wie wir unsre Ehre wieder herstellen können.“

„Nun, wie?“

„Durch Tapferkeit.“

„in dem Kampfe, welcher zu erwarten ist?“

„Ja.“

„Du meinst, daß wir an demselben teilnehmen sollen?“

„Natürlich! Oder wollen Sie tapfer sein, wenn er vorüber ist?“

„Das würde nicht gut möglich sein. Ich bin nicht furchtsam; aber ein tapfrer Mensch ist zugleich ein blutiger Mensch, und Blut, lateinisch Sanguis genannt, möchte ich doch nicht gern vergießen.“

„So? Sie wollen die Menschen schonen, welche uns über den Zähnen der Krokodile aufjehängt haben? Es ist keine Sünde, sondern jeradezu eine Pflicht, solche Subjekte von der Erde zu vertiljen. Ik jebe Sie mein Wort, daß ik so viele von ihnen erstechen werde, wie mir vor die Hände kommen!“

„Ja, wenn dabei nur dieses entsetzliche Blutvergießen zu vermeiden wäre!“

„Nichts ist leichter als das. Schlagen Sie die Kerls tot! Erwürjen Sie ihnen! Dabei wird kein Blut verjossen.“

„Das ist wahr. Ich bin nicht zum Kriegshelden geboren; aber wenn ich daran denke, was dieser Gambusino, dieser Antonio Perillo und die andern schon mit mir beabsichtigten, so zuckt es mir freilich im Pugnus, wie lateinisch die Faust genannt wird.“

„So ist’s recht; so muß es sind! In die Faust muß es zucken. Seien sie jescheit und foljen Sie mich; ik werde mit einem juten Beispiele vorangehen. Auch ik erinnre mir nicht, jemals ein Menschenfresser jewesen zu sind; aber solche Halunken müssen aus dieses Leben in dat jenseitije verschwinden!“

Während Fritze sich in dieser Weise Mühe gab, die Kampflust seines Herrn anzuregen, saßen die Weißen mit den hervorragenden Häuptlingen der Cambas beisammen, um zu erfahren, was Der Vater Jaguar erkundschaftet hatte. Als sie von ihm darüber aufgeklärt worden waren, fügte er hinzu:

„Ich bin überzeugt, daß sie uns in die Hände laufen werden. Wir brauchen uns keineswegs zu beeilen, denn nach meiner Ansicht können sie vor Mittag nicht hier eintreffen. Es bleibt dabei, daß hundert Mann von uns durch das Thal gehen und draußen vor demselben sich am Waldesrande verstecken. Geronimo wird diese Leute anführen. Im Thale selbst befehlige ich. Ich werde in der Mitte des Randes Stellung nehmen. Jedenfalls lagern sie sich, um auszuruhen. Dann komme ich hervor und gehe zu ihnen, um die Anführer aufzufordern, sich zu ergeben.“

„Das darfst du nicht, Karlos, das darfst du nicht!“ entgegnete Geronimo schnell. „Das wäre mehr als verwegen; das würde tollkühn sein!“

„Nicht im mindesten! Ich weiß genau, was ich thue.“

„Das denkst du jetzt; später aber kommt es anders!“

„Nein, gewiß nicht. Es sind Militärs dabei, welche gewiß Ehrgefühl haben und solchen Halunken, wie die beiden Anführer sind, sicher nicht gehorchen.“

„Welche Anführer meinst du?“

„Benito Pajaro, den Gambusino, und Antonio Perillo. Ich habe die Entdeckung gemacht, daß der Gambusino der größte Schurke ist, den es geben kann, und werde es euch später ausführlich mitteilen. Wenn die Weißen, die er jetzt kommandiert, dies erfahren, werden sie sich augenblicklich von ihm lossagen. Deshalb muß ich mit ihnen sprechen. Hören sie mich an, so hoffe ich, daß es gar nicht zum Kampfe kommt.“

„Wenn sie dich aber nicht hören wollen oder dir nicht glauben?“

„So mag geschehen, was geschehen soll, ich habe dann meine Pflicht gethan.“

„Sie werden dich natürlich nicht fortlassen, sondern dich festnehmen!“

„Pah! Man nimmt mich nicht so leicht gefangen! In diesem Falle würde ich den Gambusino und Antonio Perillo augenblicklich niederschießen, und diese Schüsse werden für euch das Zeichen sein, loszubrechen.“

„Und dabei stehst du mitten unter ihnen! Nein, es ist zu kühn, zu verwegen!“

„Nicht nur zu kühn und zu verwegen, sondern noch etwas Schlimmeres,“ fiel Lieutenant Verano ein. „Ich habe dem Señor Jaguar meine Meinung bereits gesagt, bin aber von ihm zurückgewiesen worden. Wozu diese Kerls schonen, noch dazu, wenn sich einer von uns dabei in die offenbarste Lebensgefahr begeben muß! Das sind sie alle nicht wert. Schießt sie nieder, wie sie kommen, und laßt keinen von ihnen am Leben! Das sind sie wert, Schonung aber nicht. Ich halte es, wenn nicht für eine Dummheit, so doch für eine große Unklugheit, sie als Menschen zu behandeln. Die Abipones sind wilde Tiere, und die Weißen, welche sich bei ihnen befinden, sind Schufte, und gegen Schufte und reißende Tiere darf man keine Nachsicht haben, sonst sticht und schneidet man sich in das eigene Fleisch. Was mich betrifft, so werde ich schießen, so bald die Kerls kommen.“

„Nein, sondern das werden Sie bleiben lassen, weil ich es Ihnen verboten habe und jetzt wieder verbiete,“ antwortete der Vater Jaguar in strengem Tone. „Sie haben meine Meinung bereits gehört. Ich hoffe, daß es mir glückt, die beiden bisher feindlichen roten Stämme mit einander zu versöhnen; außerdem möchte ich den Gambusino und Antonio Perillo lebendig fangen, würde aber sehr wahrscheinlich beides nicht erreichen, wenn geschossen wird, bevor ich es befohlen habe.“

„Und wenn ich dennoch schieße?“

Hammer zog die Brauen finster zusammen und antwortete:

„So kommt das dann fließende Blut über Sie, und ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es mir in diesem Falle gar nicht darauf ankommt, Ihnen eine Kugel in den Kopf zu geben.“

„Das heißt, mich zu ermorden?“

„Nein, sondern zu bestrafen. Handeln Sie gegen meinen Willen, so sind Sie ein Mörder, und ich brauche mir kein Gewissen daraus zu machen, Sie niederzustrecken. Übrigens braucht es ja gar nicht so weit zu kommen; es gibt noch andre Mittel, meinem Willen Geltung zu verschaffen.“

„Welche?“

„Ich lasse Sie einfach binden und so weit fortschaffen, daß Sie weder durch Schüsse noch durch voreilige Rufe uns zu schaden vermögen.“

„Das werden Sie wohl unterlassen, Señor, denn ich bin Offizier!“

„Hier nicht! Wir haben Ihnen das Leben gerettet. Sie sind ein Mensch, der uns Dankbarkeit schuldet; weiter können Sie für uns nichts sein. Und wenn Sie in der bisherigen Weise fortfahren, mich vermuten zu lassen, daß Sie meinen Plan in Frage stellen werden, so zwingen Sie mich, das zu thun, was ich Ihnen angedroht habe.“

„Dann schweige ich, Señor. Ich habe keine Lust, mich wie einen Verbrecher binden und forttransportieren zu lassen.“

Bei diesen Worten wendete er sich ab und schritt unmutig von dannen. Als er außer Hörweite gekommen war, ballte er die Faust und murmelte zornig vor sich hin:

„Einem solchen Menschen gehorchen zu müssen! Alle die Kerls vergöttern ihn, und er gebärdet sich mir gegenüber wie ein General, der einen Rekruten vor sich hat. Die Indianer schonen zu wollen, welch ein Blödsinn! Aber ich werde dennoch thun, was ich will. Niedergeschossen müssen sie werden. Ist’s vorüber, dann können sie es nicht ändern, diese menschenfreundlichen Schwachköpfe. Also der erste Schuß soll das erste Zeichen zum Beginne des Kampfes sein. Dieser erste Schuß wird aus meinem Gewehre kommen.“

Der Vater Jaguar erläuterte nun seinen Plan in eingehender Weise und ging, als er damit fertig war und ein jeder nun wußte, was er zu thun hatte, zu dem Baume, unter welchem Doktor Morgenstern und Fritze noch immer saßen. Sie hatten es vorgezogen, entfernt zu bleiben, um nicht nach ihrem Abenteuer gefragt zu werden.

„Es ist die Zeit gekommen, unsre Stellungen einzunehmen,“ sagte er zu dem kleinen Gelehrten. „Ich werde Ihnen die Ihrige anweisen.“

„Dat ist schön!“ antwortete Fritze an Stelle seines Herrn. „Und wissen Sie, wohin wir so jern postiert sein wollen?“

„Nun?“

„Dorthin, wo es am jefährlichsten ist.“

„Warum? Woher diese plötzliche Kühnheit?“

„Plötzlich? Jott bewahre. Ik bin niemals plötzlich kühn, sondern ik bin stets tapfer. Und heut wollen wir die Scharte auswetzen, welche in uns hineinjesprungen ist. Uns mang die Krokodile aufzuhängen! Dat muß jerächt und jerochen werden. Ik werde unter ihnen hineinfahren, wie die Katze unter die Sperlinge, und der Herr Doktor will mich dabei hilfreich beistehen.“

„Unter die Feinde hineinfahren? Das werden Sie nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil Sie keine Gelegenheit dazu haben werden. Meinen Sie, daß ich Sie zu denjenigen Personen beordern werde, welche an dem etwaigen Kampfe teilzunehmen haben?“

„Natürlich!“

„Das kann mir nicht einfallen. So lange Sie sich bei uns befinden, haben Sie nichts als Dummheiten gemacht, und ich müßte gewärtig sein, daß Sie auch heute nichts Gescheites zu wege bringen.“

„Herr Hammer, wollen Sie mir an meiner Ehre beschädigen? Ik will Rache haben!“

„Die sollen Sie haben, aber nicht durch die direkte Teilnahme am Kampfe. Ich gebe Ihnen einen Posten, an welchem Sie höchst wahrscheinlich keinen Schaden anrichten können. Ich sage höchst wahrscheinlich, denn gewiß ist es keinenfalls, daß Sie nicht auch da etwas Unmögliches aushecken.“

„So! Wo soll sich dieser Posten denn befinden?“

„Bei den Pferden, welche wir nicht mit in das Thal nehmen können. Sie müssen hier zurückbleiben, und sollen dieselben bewachen.“

„Bei die Pferde!“ rief Fritze ganz enttäuscht aus. „Hirten sollen wir sind, aber keine Helden! Wat sagen Sie dazu, Herr Doktor?“

„Daß ich mich nur ungern füge,“ antwortete der Genannte. „Wir wollten kämpfen und wären gewiß so tapfer gewesen wie jeder andre.“

„Möglich,“ meinte der Vater Jaguar gleichmütig; „aber nach allem, was ich bisher von Ihnen gesehen und erfahren habe, könnte Ihre Tapferkeit den Freunden gefährlicher werden als den Feinden. Gerade darum trage ich Ihnen ein so friedliches Geschäft auf.“

„Und meinen Sie, daß wir zwei eine so große Anzahl von Rossen zusammenhalten können? Ich weiß nicht, ob ich behaupten darf, das Talent dazu zu besitzen.“

„Sie werden nicht allein sein, denn ich erteile fünf oder sechs Cambas den gleichen Auftrag. Hoffentlich kann ich mich, wenigstens dieses Mal, auf Sie verlassen, Herr Doktor?“

„Jawohl. Obgleich wir viel lieber als Krieger jekämpft hätten, werden wir, da Sie es so gern wollen, diese unsre Pflicht, lateinisch Officium genannt, erfüllen.“

„Gut! Sie haben nichts weiter zu thun, als darauf zu achten, daß keins der Pferde nach dem Thale läuft. Schwer kann Ihnen das nicht werden, da Sie auf die Unterstützung der Cambas rechnen können.“

Er ging. Es war aber klar, daß er nur die Absicht hegte, sie von dem Schauplatze des Zusammenstoßes fernzuhalten. Er traute ihnen nicht, sondern befürchtete, daß sie leicht wieder auf einen Schwabenstreich geraten könnten. Das fühlte Fritze sehr wohl, und er ärgerte sich so darüber, daß er seinem Herzen unbedingt Luft machen mußte.

„Sie haben doch studiert, Herr Doktor?“ fragte er.

„Ja.“

„Und. sind auf einer Universität jewesen?“

„Auf dreien sogar.“

„Und jetzt sollen Sie die Pferde hüten! Lassen Sie dat Ihnen jefallen?“

„Was soll ich dagegen thun?“

„Welche Frage! Fühlen Sie denn nicht, daß Sie beleidigt sind? Während der dümmste Indianer mit der Flinte oder dem Messer in der Hand jejen den Feind jeht, wird ein studierter Mann und Zoolog zu die Pferde jeschickt!“

Die Erinnerung an den Zoologen war ein diplomatischer Kniff, welcher sofort die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte. Der Doktor runzelte die Stirn und antwortete:

„Von dieser Seite habe ich diese Angelegenheit freilich noch nicht betrachtet. Es will allerdings den Anschein haben, als ob eine kleine Berechtigung zu dem Gedanken vorläge, daß ich nicht im vollsten Maße dasjenige besitze, was man mit dem Worte Mut bezeichnet.“

„Es hat nicht nur den Anschein, sondern es ist wirklich so!“

„Das wäre beinahe eine Beleidigung!“

„Beinahe? Es ist wirklich eine, und zwar die jrößte, die es für einen Mann jibt.“

„Dann müßte ich um Satisfaktion bitten!“

„Natürlich! Sie müssen sich mit diesem Beleidiger schießen oder schlagen. Ik wäre sehr jern bereit, mir Ihnen oft und manchmal als Sekundanten anzubieten, wenn ik nur überzeugt sein könnte, daß die Sache auch wirklich zu stande kommt.“

„Warum sollte sie nicht?“

„Warum? Darum! Der Vater Jaguar würde uns auslachen, Ihnen sowohl wie auch mir. Und wat könnten wir denn thun? Nichts, jar nichts! Aber es jibt einen andern Weg, uns Jenugthuung zu verschaffen und den Vater Jaguar zu zwingen, Abbitte zu leisten.“

„Welchen?“

„Wir thun so, als ob er uns jar nichts jesagt hätte. Wir lassen die Pferde Pferde sind und jehen mit in den Kampf.“

„Das wird er bemerken!“

„Nein, denn wir werden so klug sind, es heimlich zu thun.“

„Aber wir haben keine Waffen!“

„Ist auch jar nicht nötig. Sie wollen ja doch kein Blut verjießen. Wenn wir uns im Walde einen tüchtijen Knüppel abbrechen, haben wir Waffen jenug. Damit stellen wir uns nicht etwa hinten an, sondern vor, wo es tüchtig zu hauen jibt. Wenn der Vater Jaguar nachher sieht, wat wir jeschafft haben, so ist er moralischerweise jezwungen, Ihnen um Verzeihung zu bitten. Jefällt Ihnen dieser Plan?“

„Er scheint nicht übel zu sein. Beleidigt bin ich wirklich in hohem Grade, und meine gekränkte Ehre bedarf der Wiederherstellung, lateinisch Instauratio genannt.“

„Ja! Und diese Instauratio finden Sie bei den Pferden nicht. Machen Sie also mit?“

„Ich würde gern, sehr gern mitthun; aber ich habe dem Vater Jaguar doch versprochen, bei den Pferden zu bleiben.“

„Dat war ja nur Vorwand von ihm. Um die Pferde handelt es sich jar nicht, denn für die sind die Cambas da. Wir sollen nur vom Kampfe fernjehalten werden. Wat for eine Blamage! Wat müssen die Roten von Sie und von mich denken!“

„Alle Teufel, das ist wahr!“ meinte Morgenstern mit bedeutend mehr Feuer als bisher. „Die Indianer müssen uns wirklich für alte Weiber halten. Fritze, ich billige deinen Plan; ich mache mit!“

„Jut! Wir werden wie die Löwen fechten und, wenn es sein muß, wie die Tiger unterjehen. Wehe dem, welcher an meinem Mute zweifelt; sein letzter Lebenstag hat ausjeschlagen!“

Somit war also die kleine Verschwörung gegen den Befehl des Vater Jaguar zu stande gebracht.

Ungefähr eine Stunde vor Mittag wurde Aufstellung genommen. Die Weißen setzten sich mit achtzig Cambas zunächst in Bewegung, um unter Geronimos Anführung draußen vor dem Thale sich zu verstecken. Die grasige Mitte des Thalkessels durfte nicht betreten werden, damit die Abipones keine Spur sehen möchten. Die Krieger bewegten sich, einer hinter dem andern, an dem Rande des Kessels unter den Bäumen hin und blieben auch, als sie das Thal verließen und sich rechts nach dem Walde wendeten, stets so hinter den Büschen, daß man von außen ihre Spuren nicht sehen konnte. Erst als der letzte von ihnen sich wohl zweihundert Schritte weit von dem Eingange entfernt hatte, blieben sie stehen, um die Ankunft der Feinde zu erwarten und dann ihre Pflicht zu thun. Sie sollten im Falle eines friedlichen Ausgleiches durch einen Boten abgeholt werden, sonst aber, sobald sie im Thale einen Schuß hörten, schnell hervorbrechen, um den Eingang desselben zu verschließen und mit Gewalt zu bewachen und zu verteidigen.

Die übrigen, lauter Rote, zählten über fünfhundert Mann. Sie hatten den Rand des Thales rundum zu besetzen, die eine Hälfte rechts und die andre links. Darum mußten sie zwei Abteilungen baden, deren eine nach rechts, die andre nach links abbog. Der Vater Jaguar befand sich auf der rechten Seite; darum gesellten Morgenstern und Fritze sich zu denen, welche die linke Seite offenbar zu besetzen hatten.

Die beiden kleinen Ungehorsamen drängten sich in ihrem Eifer so weit vor, daß sie, als die lange Linie sich nach einiger Zeit entwickelte und ein jeder seine Stellung genommen hatte, sich an der Spitze derselben befanden. Sie standen also ganz vorn, nahe dem Eingange des Thales, ohne daß der Vater Jaguar ihre Anwesenheit ahnte.

Außer ihnen gab es noch einen Weißen, welcher nicht mit Geronimo hinausmarschiert war, nämlich den Lieutenant Verano. Als man sich allgemein in Bewegung gesetzt hatte, war der Vater Jaguar zu ihm gekommen, um ihn zu fragen:

„Sie wissen, Señor, was ich Ihnen gesagt habe. Wollen Sie sich dennoch an unsrer Aufstellung beteiligen?“

„Ja.“

„So ersuche ich Sie, von jetzt an an meiner Seite zu bleiben.“

„Warum das?“

„Weil Sie Offizier sind und Ihr militärischer Rat mir von Nutzen werden kann.“

„Sie haben sich doch vorher nicht um meinen Rat gekümmert!“

„Weil es keine Gelegenheit gab, mir denselben zu nutze zu machen.“

„Ach so! Ich verstehe, Señor. Nicht mein Rat ist es, den Sie in Beschlag nehmen wollen, sondern es gilt meiner Person, welche unter Ihrer Aufsicht stehen soll, weil Sie mir nicht trauen. Nun, ich will nicht widerstreben und gehe mit Ihnen.“

Er hielt sich neben dem Vater Jaguar und blieb, als dieser die Mitte der rechten Stellung erreicht hatte, bei ihm stehen. Sein Gesicht hatte einen so gleichgültigen Ausdruck, daß es sehr leicht täuschen konnte, doch war er fest entschlossen, im passenden Augenblicke den verhängnisvollen Schuß zu thun.

Fritze drüben auf der andern Seite ließ sich von einem der Cambas ein Messer geben und schnitt zwei starke Knüppel aus einem Strauche, von denen er einen seinem Herrn gab.

„So,“ sagte er mit vergnügtem Lächeln, „wer mit diesem Ausrufe- und Erinnerungszeichen einen Hieb auf den Kopf bekommt, der findet sicher keine Zeit, sich extra dafür zu bedanken.“

Die Roten wußten nicht, welche Aufgabe die beiden erhalten hatten, und waren ihnen darum nicht hinderlich gewesen, mit ihnen zu gehen. Fritze brannte vor Begierde, seine hölzerne Waffe in Anwendung zu bringen, und auch der Doktor wünschte sehr, bald beweisen zu können, daß es ihm keineswegs an Mut gebreche. Darum kamen ihnen die Minuten, welche sie warten mußten, fast wie Stunden vor, und Fritze meinte schließlich, indem er die dichten Büsche betrachtete, welche sich hinter ihm zur Höhe zogen:

„Mich wird die Zeit zu lang und die Jeduld zu kurz. Wat meinen Sie? Könnten die Abipones nicht ein wenig rascher laufen?“

„Allerdings. Diese gespannte Erwartung ist unangenehm.“

„Wenn wir wüßten, ob sie bald kommen! Gleich neben uns ist der Einjang zum Thale. Könnten wir da auf die Höhe steigen, so müßten wir die Feinde kommen sehen.“

„Das ist wahr. Aber die Büsche scheinen zu dicht zu stehen.“

„Wollen’s doch mal versuchen. Wir sind kleine Kerls und kommen wohl leichter durch als andre, welche wie Ihre Gigantochelonia jebaut sind.“

„Sprich nicht wieder von diesem Tiere; ich mag nichts von demselben hören!“

Fritze kroch voran, um Bahn zu brechen, und sein Herr folgte ihm. Es war sehr schwer, durch das feste Dickicht zu kommen, aber doch nicht unmöglich. Nach längerer Anstrengung erreichten die beiden, freilich mit ziemlich zerfetzten Anzügen, die Höhe des Felsens, welcher die eine Seite des Einganges bildete. Oben standen auch Bäume und Sträucher; aber die auswärts nach der Ebene gerichtete Seite des Felsens war ziemlich kahl. Kaum oben angelangt und die Blicke nach Osten gerichtet, sahen sie die Erwarteten kommen, langsam, so wie Fußgänger marschieren, welche sich nicht übermäßig ermüden wollen.

„Da sind sie! Jott sei Dank, da sind sie endlich!“ rief Fritze aus, indem er vor Freude seine Hände wie ein Kind zusammenschlug. „Wat sagen Sie dazu, Herr Doktor?“

„Mir ist’s lieb, daß sie kommen. Das Warten hat mir nicht gefallen.“

„Mich auch nicht. Sie jehen ihrem Verderben entjejen. Wehe, wenn ick losjelassen! sagt Schiller im Liede von die Glocke, wat sich freilich auf dat Feuer bezieht; aber ick bin ebenso fürchterlich, wenn ick einmal losjelassen werde. Zweimal haben sie uns ermorden wollen; dat letztemal sojar doppelt, mit die Lassos und mit die Krokodile. Heut jeben wir ihnen dafür die Verdienstmedaille mit Brillanten auf die Köpfe. Sie kommen immer näher und bald werden wir ihre lieben Gesichter sehen können.“

Von da oben aus, wo die beiden Lauscher hinter den Sträuchern lagen, konnte man nicht nur weit hinaus in die Ebene blicken, sondern auch nach innen das ganze Thal übersehen. Dieses letztere lag so still, ruhig und unbelebt da, als ob sich kein einziges menschliches Wesen in der Nähe befinde. Draußen kamen die Abipones immer näher, voran die fünfzig Reiter. Schon konnte man die einzelnen Gesichter unterscheiden.

„Können Sie die Leute sehen?“ fragte Fritze. „Sehen Sie, wer an der Spitze reitet? Kennen Sie ihn, den obersten aller Halunken?“

„Ja; es ist der Gambusino.“

„Und rechts neben ihm?“

„Antonio Perillo, der Stierkämpfer, welcher schon in Buenos Ayres nach mir geschossen hat.“

„Dafür wird heut ein wenig nach ihm jeschossen werden, wat ihm wohl weniger jut bekommen dürfte. Und neben ihm links?“

„Der Häuptling der Abipones.“

„Auch so ein Halunke, der nur Freude hat, wenn er ehrliche Leute am Lasso hängen sieht. Vielleicht hänge ick ihn nachher auch ein wenig auf. Aber wir müssen leiser reden, sonst hören sie uns, wenn sie da unten anjekommen sind.“

Diese Mahnung war ganz am rechten Platze, denn die Felsen, welche das Thor zum Thale bildeten und auf deren einem sich die beiden befanden, waren höchstens zwanzig Ellen hoch. Wie bereits erwähnt, hielt der Zug am Thore an und der Häuptling ritt ein Stück in das Thal hinein, um zu untersuchen, ob dasselbe leer sei. Seine Untersuchung war eine höchst oberflächliche. Da er keinen Menschen sah, so nahm er an, daß überhaupt keiner vorhanden sei und kehrte zurück, um dies zu melden. Dann setzte er sich an die Spitze seiner Roten, um sie in den Kessel des ausgetrockneten Sees einzuführen.

Sie folgten ihm bis an den kleinen See, welcher in der Mitte lag, und breiteten sich an dem Ufer desselben aus. Keiner von ihnen ahnte, daß er sich in einer Falle befand, aus welcher es kein Entrinnen gab. Als der letzte der Roten durch den Eingang geschritten war, folgten die Reiter.

„Der Gambusino will den letzten machen,“ flüsterte Fritze dem Doktor zu. „Schade, daß wir zu hoch hier liejen! Ick möchte ihm jar zu jerne einen Klapps auf die Nase jeben!“

Er schwang seinen Knüppel und Morgenstern machte mit dem seinigen auch eine Bewegung, als ob er zuschlagen wolle. Der Busch, hinter welchem sie lagen, hatte seine Wurzeln jahrelang tief in den Boden eingeschlagen; davon und durch den Einfluß des Wetters war der Boden rissig und brüchig geworden. Gerade unter ihnen hielt der Gambusino auf seinem Pferde; jetzt drängte sich dasselbe näher an den Felsen; der Reiter war nicht mehr zu sehen; darum schob sich Morgenstern neugierig noch weiter vor, wobei er leise fragte:

„Ob er schon durch den Eingang ist?“

Die Antwort auf diese Frage sollte ihm ganz anders werden, als er gedacht hatte und ihm lieb sein konnte. Er hatte sich nämlich zu weit vorgeschoben und dem lockern Boden zu viel Vertrauen geschenkt; dieser letztere kam ins Rutschen und zwar so schnell, daß von einem rechtzeitigen Zurückweichen gar keine Rede mehr sein konnte; der Doktor rutschte mit.

„Halt, Halt! Um Jottes willen!“ rief Fritze vor Angst so laut, daß man es weithin hörte. „Wohin soll die Reise jehen? Doch nicht etwa da hinunter! Dat jebe ick nicht zu!“

Er faßte seinen Herrn an den beiden Beinen, um ihn zu halten; da aber die Erde nun auch unter ihm nachgab, kam auch er ins Rutschen, und so glitten, rollten und kugelten sie, ohne daß sie losließen, bald hier an einen Busch bald dort an einen Baumstamm stoßend, den Felsen, welcher auf dieser Seite glücklicherweise nicht steil war, hinab und blieben gerade vor dem Pferde des Gambusino liegen.

Dieser war mit Antonio Perillo und dem Hauptmann Pellejo noch allein zurück, da die andern Weißen schon innerhalb des Einganges verschwunden waren. Er hörte den Angstruf des Dieners über sich, blickte empor und sah die beiden verunglückten Lauscher von oben heruntergeflogen kommen. Sie blieben, wie bereits gesagt, gerade vor ihm liegen und vergaßen infolge der kräftigen Stöße, welche sie erlitten hatten, für kurze Zeit das Aufstehen.

„Wer ist denn das?“ fragte er erstaunt. „Wo kommen die her? In ganz roter Kleidung! Die sollte ich doch kennen!“

„Qué sorpresa!“ antwortete Antonio Perillo. „Ich will des Teufels sein, wenn das nicht unsre Gefangenen sind, welche wir gestern vergeblich aufgehängt haben.“

„Du hast recht; sie sind es. Sonderbare Menschen! Gestern verschwanden sie, ohne eine Spur zu hinterlassen, und heut fallen sie gerade vom Himmel herunter. Heda, ihr Halunken, seid ihr tot oder lebt ihr noch?“

Er stieß sie vom Pferde herab mit seinem Gewehrkolben so derb an, daß sie aus ihrer augenblicklichen Betäubung erwachten. Fritze nahm sich am schnellsten zusammen; er befühlte seine Glieder und hob, als er dieselben unzerbrochen fand, seinen Herrn auf.

„Wie ist’s abgelaufen?“ fragte er ihn, die Todfeinde gar nicht beachtend. „Hat Ihr Körper jut zusammenjehalten, oder sind ein paar Gelenke zerrissen?“

Der Doktor befühlte sich auch und antwortete dann:

„Es scheint nichts zerbrochen zu sein, aber der Kopf brummt mir wie eine Pauke, lateinisch Tympanum genannt.“

„Dat jibt sich wieder. Wie sind Sie nur ins Rollen jekommen?“

„Ganz so wie du, der du doch auch –“

„Schweigt!“ fuhr sie der Gambusino an. „Jetzt habe nur ich mit euch zu sprechen, und zwar ein sehr ernstes Wort. Wo seid ihr denn gestern abend hingekommen?“

„Hierher,“ antwortete Fritze.

„Das sehe ich! Aber wer hat euch losgebunden?“

„Niemand.“

„Lüge nicht! Von selbst konntet ihr nicht loskommen.“

„O doch, sehr leicht!“

„Auf welche Weise?“

„Wir haben uns losgebissen.“

„Mensch, wenn du so gute Laune hast, daß es dir beikommt, Scherz mit mir zu treiben, so will ich dich bald in eine andre Stimmung bringen! Ich will wissen, wer euch befreit hat!“

„Und ich kann nichts anders antworten, als was ich schon gesagt habe. Wir haben uns selbst losgemacht.“

„Auf welche Weise?“

„Fällt mir nicht ein, dies zu verraten!“

„Wenn du nicht reden willst, werde ich dir den Mund öffnen!“

„Auch dann sage ich nichts. Wenn ich es erklärte, und ihr hängt uns wieder auf, könnten wir dann nicht herunter, denn ihr würdet euch besser vorsehen.“

„Ist das etwa wieder Hohn? Ich weiß, wer euch befreit hat. Ist’s nicht der Vater Jaguar gewesen?“

„Seid jetzt nicht so neugierig! Später werden wir es euch erzählen.“

Er nahm seinen Herrn bei der Hand und eilte mit ihm fort, zum Felsenthor hinein. Antonio Perillo zog seine Pistole und wollte ihnen nach, um sie zum Stehenbleiben zu zwingen, aber der Gambusino meinte, indem er höhnisch auflachte:

„Laß sie nur! Sie entgehen uns nicht. Sie scheinen nicht zu wissen, daß sich die Krieger schon hier befinden und werden arg erschrecken, wenn sie dieselben sehen.“

„Mir fällt ein Stein vom Herzen!“ fiel Perillo in das Gelächter ein. „Jetzt werden wir bald erfahren, was wir über ihr rätselhaftes Verschwinden zu denken haben und es wird uns das Vergnügen, sie noch einmal aufhängen zu können. Reiten wir ihnen nach!“

Sie folgten den Vorangeflohenen. Der Hauptmann Pellejo machte den Letzten. Als sie das Thor hinter sich hatten, sahen sie den Doktor und seinen Diener eben rechts hinter den nächsten Büschen verschwinden. Zu gleicher Zeit aber sahen sie noch etwas oder vielmehr noch jemand, das heißt, einen Menschen, welcher nicht verschwand, sondern erschien. Er trat soeben am linken Rande des Thales unter den Bäumen hervor. Wer ihn einmal gesehen hatte, der mußte ihn stets und überall wieder erkennen.

„Todos los diablos!“ rief der Gambusino. „Das ist der Vater Jaguar!“

Er hielt unwillkürlich sein Pferd an, und die andern beiden thaten mit den ihrigen dasselbe. Da sahen sie hinter dem Vater Jaguar ein leichtes Rauchwölkchen erscheinen, und im nächsten Augenblicke krachte ein Schuß. Was nun geschah, kann unmöglich im zehnten, ja nicht im fünfzigsten Teile der Zeit erzählt werden, in welcher es sich abspielte.

Der Vater Jaguar war von allen, welche auf das Nahen der Feinde warteten, der ruhigste gewesen. Er wußte, woran er war. Und dann, als der Häuptling der Abipones im Thale erschien und allen Cambas das Herz klopfte, bewahrte er dieselbe Ruhe. Er lehnte am Stamme eines Baumes und beobachtete durch das Gebüsch, welches er vor sich hatte, den Anmarsch der Feinde. Aber eben dieses Gebüsch, welches so dicht sein mußte, daß es ihn verbarg, verhinderte ihn, genau zu sehen. Er konnte die Gesichtszüge der einzelnen, oft sogar selbst ihre Gestalten, nicht erkennen. Er sah erst die Roten kommen, dann die weißen Reiter, und als hierauf der Zuzug stockte, weil der Gambusino, Perillo und Pellejo draußen geblieben waren, glaubte er, daß nun alle im Thale versammelt seien. Darum sagte er zu dem Lieutenant Verano:

„Bleiben Sie stehen, bis ich wiederkomme. Sollte ich aber schießen, so können Sie mit Ihren Kugeln so viele Abipones niederstrecken, wie Ihnen beliebt.“

Er trat aus dem Gesträuch hervor, um sich nach dem Mittelpunkte der Feinde zu begeben. Zwar sah er in diesem Augenblicke erst den Gambusino mit seinen beiden Begleitern erscheinen; aber er konnte unmöglich wieder zurück. Verano aber hielt seine Zeit für gekommen. Er hob sein Gewehr, legte es an, zielte auf den Häuptling der Abipones und drückte ab. Der Schuß krachte und der Häuptling stürzte, durch den Kopf getroffen, am Wasser nieder. Eine halbminutenlange Pause des Entsetzens folgte; dann erhoben die Abipones ein Geheul, welches von den Wänden des Thales widerhallte. Der Vater Jaguar wendete sich, als der Schuß hinter ihm krachte, blitzschnell um. Er sah den Lieutenant mit noch erhobenem Gewehre stehen und stand nach einigen raschen Sprüngen neben ihm.

„Schurke, Verräter, Mörder!“ donnerte er ihn an. „Ist das der Gehorsam, den ich von dir forderte!“

„Ich habe keinem Menschen zu gehorchen,“ antwortete der Mann trotzig.

„Auch Gott nicht, welcher den Mord verboten hat? Und du bist nicht ein einfacher, sondern ein Massenmörder!“

„Ich habe nur den Häuptling erschossen!“

„Nein, denn dein Schuß ist das Signal zu sechshundert andern. Horch!“

Von beiden Seiten des Thales krachten die Schüsse der Cambas unter den Bäumen hervor. Man sah die Abipones in Masse niederstürzen, und vom am Eingange rief eine laute, donnernde Stimme:

„Flieht, rettet euch! Ihr seid von allen Seiten umzingelt!“

Es war der Gambusino, welcher diese Worte mit solcher Stimme rief, daß sie über das ganze Thal hin schallten. Dann warf er sein Pferd herum und jagte hinaus. Antonio Perillo und der Kapitän Pellejo folgten ihm. Dies geschah, während der Vater Jaguar seine letzten Worte zu dem Lieutenant gesprochen hatte; darum fuhr er ergrimmt fort:

„Schon sind wenigstens hundert tot, und dort entkommen diejenigen, die ich haben wollte und haben muß. Ich habe dir gesagt, wie ich einen solchen Mord bestrafen würde; du aber hast nicht auf meine Warnung gehört. Hier, nimm deinen Lohn!“

Er riß den Revolver hervor, hielt ihn dem Lieutenant blitzschnell an die Schläfe und drückte ab. Der Ungehorsame brach augenblicklich tot zusammen. Dann warf der gewaltige Mann einen schnellen Blick über das Thal. Eben krachte eine neue Salve der Cambas, welche zehnfach gefährlich waren, weil sie von den Abipones nicht gesehen werden konnten und die letzteren stürzten zu zehn und zwanzig zusammen. Was sollte er thun? Den Gambusino und Antonio Perillo, auf welche es hier ankam, entkommen lassen oder hier bleiben, um dem Morden Einhalt zu thun? Da eben kam Geronimo mit den Seinen durch den Eingang gestürmt; das brachte ihn schnell zur Entscheidung. Er rannte auf eins der Abiponespferde zu, welche, von den Schüssen erschreckt, scheu im Thale herumrannten, und sprang auf. Zu gleicher Zeit mit ihm kam der alte Anciano mit geschwungenem Gewehre gesprungen, warf sich auf ein zweites und rief ihm dabei zu:

„Señor, Antonio Perillo, der Mörder meines Inka, entkommt. Ich muß ihm nach, muß ihn haben!“

„Ich reite mit,“ antwortete er. „Halte dich zu mir!“

Sie jagten nebeneinander nach dem Eingange zu. Dort hielt der Vater Jaguar sein Pferd für einen Augenblick an und rief seinem Geronimo zu:

„Hast du die drei fliehenden Reiter gesehen?“

„Ja. Wir konnten sie nicht halten, da wir keine Pferde hatten.“

„Nach welcher Seite haben sie sich gewendet?“

„Nach links, vom Thale aus.“

„Thu schnell dem Blutvergießen Einhalt! Der Kampf mag ruhen, wenigstens bis ich wiederkomme!“

Dann schoß er mit dem alten Anciano zwischen den beiden Felsen hindurch und riß sein Pferd nach links herum, wo er die Spuren der Flüchtigen im Grase sah.

Von dem Augenblicke an, wo der Gambusino seine Warnung ausgerufen und das Thal verlassen hatte, bis zum gegenwärtigen Moment waren höchstens zwei Minuten vergangen und doch waren die Gestalten der drei Reiter schon fast am nördlichen Horizonte zu sehen. So sehr beeilten sie sich und so groß war ihre Furcht vor dem Vater Jaguar!

„Wir holen sie nicht ein, denn wir haben fremde Pferde, welche nichts taugen,“ knirschte der Anciano.

„Wir holen sie ein, denn wir müssen sie haben. Gib deinem Gaul das Messer! Mag er immer sterben, wenn er dich nur bis zu ihnen trägt!“

Die beiden standen, um ihre Last zu verringern, mit vorgebeugten Oberkörpern hoch in den Bügeln und trieben ihre Pferde durch Schläge und Sporen an. Der Zwischenraum verringerte sich, aber nicht rasch genug. Da zog der Vater Jaguar sein Messer und stach seinem Pferde die Spitze desselben in das Fleisch. Er, der Tierfreund, welcher sich sogar hütete, einem Wurme Schmerzen zu bereiten, quälte jetzt das Pferd, um seinen Todfeind zu erreichen, den er so lange Jahre vergeblich gesucht hatte und nun wieder aus den Augen verlieren sollte. Anciano bediente sich desselben Mittels, und die armen Tiere strengten ihre Kräfte auf das äußerste an. Sie flogen nur so über den ebenen, grasigen Plan, parallel mit dem Rande des Waldes, welcher sich von dem Thale des ausgetrockneten Sees aus nach Norden erstreckte. Der Zwischenraum verringerte sich mehr und mehr und die Fliehenden verloren zusehends den Vorsprung, den sie gehabt hatten.

„Wenn man ihnen ihre Pferde unter den Beinen wegschießen könnte!“ seufzte Anciano.

„Leichtigkeit!“ antwortete der Vater Jaguar.

„Leichtigkeit? Ich halte es für unmöglich.“

„So hast du mich noch nicht schießen sehen.“

„Dann bitte ich dich dringend, es doch zu thun!“

„Fällt mir nicht ein!“

„Warum?“

„Weil es die größte Dummheit wäre, welcher ich mich schuldig machen könnte.“

„Das begreife ich nicht. Wir könnten sie doch sofort festnehmen!“

„Nein, sondern sie würden uns gerade im Gegenteile entkommen. Sie würden sich zu Fuße in den Wald retten und dieser ist so dicht, daß wir die Verfolgung sogleich aufgeben müßten. Ich begreife überhaupt nicht, warum sie nicht schon längst die Pferde preisgegeben und sich in den Wald gerettet haben. So lange sie im Sattel bleiben, bin ich sicher, sie einzuholen. Wir müssen also versuchen, sie vom Walde abzubringen und in den offenen Campo hinauszutreiben.“

Er hielt sein Pferd mehr nach links, bis er dicht am Waldesrande dahinjagte, und Anciano folgte diesem Beispiele. Da ereignete sich vor ihnen etwas, was nur wenige Augenblicke in Anspruch nahm und sie dennoch mit Grauen erfüllte.

Die drei Verfolgten ritten nämlich nicht neben, sondern in verschiedenen Abständen hinter einander. Der Hauptmann Pellejo war voran, denn er hatte das beste Pferd; dann kam Antonio Perillo, und endlich folgte der Gambusino, dessen Pferd am ermüdetsten war, weil es einen so schweren Reiter zu tragen hatte. Bei jedem mal, daß er sich umsah, bemerkte er, daß die Verfolger ihm wieder näher gekommen waren. Wenn das nur noch fünf Minuten so fortging, so hatten sie ihn eingeholt, denn er sah nicht nur, sondern er fühlte auch, daß ihn sein Pferd nur noch eine kurze Strecke zu tragen vermochte. Sollte er sich verloren geben? Nein! Lieber ein Menschenleben opfern! Er zog also sein Messer und stieß die Klinge desselben dem Pferde bis an das Heft in den Leib. Das verwundete Tier nahm seine letzte Kraft zusammen und jagte mit verdoppelter Geschwindigkeit weiter. Der Gambusino jagte infolgedessen an Antonio Perillo vorüber und holte dann den Hauptmann ein.

„Señor, Euer Pferd!“ herrschte er diesen an. „Springt herab; ich muß es haben!“

„Was fällt Ihnen ein!“ antwortete der Offizier. „Soll ich mich etwa fangen lassen?“

„Ich habe keine Zeit, mit dir zu verhandeln. Fahre hin, du Schwachkopf!“

Er hatte das Gewehr zu diesem Zwecke schon in der Hand gehalten und schoß Pellejo, ehe dieser sich zu wehren vermochte, eine Kugel in die Seite. Der Getroffene wankte, griff aufschreiend mit beiden Händen in die Luft, wollte sich vergeblich halten und stürzte vom Pferde. Der Gambusino hatte dasselbe im Nu beim Zügel, hielt an, schwang sich hinüber und jagte dann weiter.

„Haben Sie es gesehen?“ rief Anciano dem Vater Jaguar zu. „Er hat seinen Gefährten erschossen!“

„Um zu dessen Pferd zu kommen. Es soll ihn aber nichts nützen, daß er einen Mord mehr auf sein Gewissen geladen hat.“

Sie erreichten jetzt die Stelle, an welcher Pellejo lag. Er war nicht tot und rief ihnen zu:

„Ich kann Sie aufklären. Erbarmen Sie sich meiner!“

Sie verstanden im Vorüberjagen diese Worte, konnten sie aber nicht beachten, da ihnen an Pellejo weniger lag als an den beiden andern. Der Gambusino hatte jetzt das bessere Pferd; da er aber viel schwerer war als der bisherige Reiter, so blieb er nicht im Vorsprung, sondern die beiden Pferde jagten Kopf an Kopf nebeneinander hin. Jetzt sah er sich wieder um und erschrak.

„Cascaras!“ schimpfte er grimmig. „Die Schufte sind uns auf den Fersen und wollen uns vom Walde abbringen. Ich habe den Kapitän vergeblich getötet, denn wir müssen in den Wald, sonst sind wir verloren. Stecke alles, was du in den Satteltaschen hast, zu dir und dann herab von den Pferden und ins Gesträuch hinein!“

Perillo sagte kein Wort, denn er wußte, daß der andre recht hatte. Sie leerten die Satteltaschen, lenkten ihre Pferde schräg dem Walde zu, sprangen, als sie diesen erreicht hatten, ab und jagten in das Dickicht hinein. Perillo wollte rasch tiefer eindringen; der Gambusino aber hielt ihn am Arme zurück und gebot:

„Bleib! Hier sind wir so sicher wie in Abrahams Schoß. Meinst Du, daß dieser Vater Jaguar sich heranwagt und unsern Kugeln aussetzt? Dazu ist er viel zu schlau. Nur ein unerfahrener Knabe könnte das thun.“

Sie standen also hinter dem vorderen Gebüsch, hielten ihre Gewehre schußbereit und lauschten angestrengt zurück, ob sie die Nahenden sehen oder hören würden. Sie bekamen aber nichts zu sehen und es blieb draußen so still und ruhig, als ob kein Mensch da vorhanden sei.

„Siehst du, daß ich recht habe,“ meinte der Gambusino. „Sie hüten sich sehr, heranzukommen.“

„Dann scheinen wir gerettet zu sein. Ich begreife überhaupt nicht, warum wir uns so einschüchtern ließen; wir waren drei Personen und sie nur zwei. Sie konnten sich auch draußen nicht an uns wagen, denn wenn sie in Schußweite herangekommen wären, hätten wir sie von den Pferden schießen können.“

„Das sagst du, weil du diesen Vater Jaguar nicht kennst. Er besitzt nicht nur so außerordentliche Körperkräfte, daß selbst ich im Ringkampf mit ihm unterliegen würde, sondern ist auch der beste Schütze, den ich kenne. Man hat nie gehört, daß er einen Fehlschuß gethan hat und damals, als ich ihn kennen lernte, war seine Büchse als die weittragendste bekannt. Er hat sie jedenfalls noch. Hätten wir ihn draußen erwartet, so wären wir von seinen Kugeln viel eher erreicht worden, als er von den unsrigen. Das ist so sicher, daß ich es beschwören kann. Es gab für uns nur den einen Rettungsweg, den wir auch eingeschlagen haben, nämlich uns hier in den Wald zu flüchten, in welchen er uns nicht folgen kann, da wir da vollständige Deckung haben und jeden Feind, welcher seine Annäherung durch das dabei unvermeidliche Geräusch verraten müßte, niederschießen würden.“

„Du magst recht haben. Wir können hier ruhig abwarten, bis die beiden Kerls sich entfernt haben, und reiten dann weiter.“

„Weiterreiten? Darauf müssen wir verzichten.“

„Wieso?“

„Weil wir keine Pferde haben werden.“

„Sie stehen doch draußen! Wir sehen sie von hier. Sie sind, als wir absprangen, nur eine kleine Strecke weiter gelaufen.“

„Das weiß ich wohl, denn ich sehe sie ebenso gut wie du. Aber denke ja nicht, daß der Vater Jaguar so dumm sein wird, sie uns zu lassen. Wir werden den größten Teil des weiten Weges nach der Barranca del Homicidio zu Fuße zurücklegen müssen. Horch! Da siehst du, daß ich recht gehabt habe.“

Es waren nämlich draußen soeben zwei Schüsse gefallen, worauf die beiden Pferde, von den Kugeln Hammers getroffen, tot niederstürzten. Der Gambusino hatte den Vater Jaguar ganz richtig beurteilt. Dieser letztere wußte ganz genau, wie er unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu handeln hatte. Als die beiden Flüchtlinge von ihren Pferden sprangen und im Walde verschwanden, hatte der alte Anciano fröhlich ausgerufen:

„Sie sehen ein, daß wir sie einholen werden und verstecken sich in den Büschen. Jetzt haben wir sie. Wir müssen ihnen nach, schnell hinter ihnen her!“

Er wollte sein Pferd zu möglichst noch größerer Eile antreiben, um die Stelle, an welcher die beiden verschwunden waren, schnell zu erreichen; aber Hammer, welcher eng neben ihm ritt, griff ihm in die Zügel, und es gelang ihm, die Pferde nach einigen Sätzen anzuhalten.

„Was fällt dir ein!“ sagte er. „Willst du direkt in den Tod reiten? Wir müssen anhalten.“

„Anhalten?“ fragte der Alte erstaunt. „Dann entgehen sie uns ja! Sie werden trotz der Dichtheit des Waldes so tief in denselben eindringen, daß es uns unmöglich ist, sie zu finden.“

„Nein, das werden sie nicht. Ich wette, sie sind am Rande des Gebüsches stehen geblieben, um uns, mit den Gewehren in den Händen, zu erwarten. Wenn wir uns ihnen nähern, bekommen wir ihre Kugeln.“

„Das ist wahr, Señor; daran dachte ich nicht. Aber sollen wir diese Halunken entkommen lassen?“

Der Vater Jaguar antwortete nicht sofort. Sein Gesicht nahm den Ausdruck grimmiger Entsagung an. Er blickte eine Weile finster vor sich nieder und sagte dann, indem das zornige Knirschen seiner Zähne zu hören war:

„Es bleibt uns wohl nichts andres übrig, als unverrichteter Sache zurückzureiten.“

„Aber ich will und muß diesen Antonio Perillo, diesen Mörder haben!“

„Und ich will und muß den Gambusino erreichen; aber wenn wir uns zur Unvorsichtigkeit hinreißen lassen, werden sie uns bekommen, anstatt wir sie.“

„Gibt es denn kein Mittel, keinen Weg, Señor? Sie sind so erfahren, so listig. Sie sind niemals um eine Auskunft verlegen. Sollten Sie gerade jetzt, wo es sich um alles handelt, wo wir schon so nahe am Ziele waren, von Ihrem Scharfsinne verlassen werden?“

„Nein, doch nicht so ganz, wie du denkst,“ antwortete Hammer, indem sein Gesicht sich wieder aufzuheitern begann. „Wir müssen sie laufen lassen, aber doch nur einstweilen. Wir kennen den Ort, an welchem sie sich jetzt befinden, und werden ihrer Fährte folgen.“

„Aber dies können wir doch nicht jetzt, sondern erst später thun!“

„Allerdings. Jetzt müssen wir nach dem Thale zurückkehren, wo meine Anwesenheit zunächst notwendiger sein wird als hier.“

„Dann kommen die beiden Schurken hervor, setzen sich auf ihre Pferde und reiten davon, sie erhalten dadurch einen Vorsprung, welchen wir nicht einholen können.“

„Sie werden nicht reiten können, sondern gehen müssen. Dafür sorge ich jetzt.“

Er legte sein Doppelgewehr an und richtete es nach der Stelle, an welcher die Pferde der Flüchtlinge standen. Die beiden Kugeln trafen so genau, daß die Tiere sofort niederstürzten. Dann fuhr er fort, indem er gleich wieder lud:

„Übrigens ist es vielleicht gar nicht nötig, daß wir ihren Spuren mühsam folgen. Hast du gehört, was Hauptmann Pellejo uns zurief, als wir an ihm vorüberjagten?“

„Ja.“

„Er scheint in die Pläne seiner Kumpane eingeweiht zu sein und wird sich rächen wollen, indem er sie uns verrät. Vielleicht ist er nicht zu Tode getroffen. Wenn er noch lebt, werden wir vielleicht Wichtiges von ihm hören. Laß uns also umkehren.“

Er wendete sein Pferd um, ohne noch einmal zurückzublicken. Anciano aber folgte ihm nicht eher, als bis er die Faust drohend gegen die Stelle geschüttelt hatte, an welcher die entkommenen Feinde zu vermuten waren. Er, der sonst so ruhige und bedächtige Greis, zitterte fast vor Grimm darüber, daß die erst so viel versprechende Verfolgung ein solches Ende genommen hatte.

Als sie sich im Galoppe der Stelle näherten, wo Pellejo vom Pferde gestürzt war, sahen sie, daß er seinen Oberkörper mühsam erhob und ihnen zuwinkte. Er lebte also noch. Sie hielten bei ihm an und stiegen von ihren Pferden. Er lag in einer Blutlache und hielt die Hand auf die Wunde, als ob er dadurch das entfliehende Leben zurückhalten könne. Der Vater Jaguar sah es seinem todesbleichen Gesichte und den schon starr werdenden Augen an, daß jede Hilfe hier vergeblich sei; dennoch kniete er bei dem Verwundeten nieder und schnitt die Kleidung desselben auf, um die Wunde zu untersuchen.

„Geben Sie sich keine Mühe, Señor,“ sagte Pellejo mit schwacher Stimme. „Ich fühle, daß die Kugel im Leben sitzt. Haben Sie gesehen, daß ich von dem Gambusino meuchlerisch vom Pferde geschossen wurde?“

„Ja. Er, der Ihr Verbündeter war, ist zum Mörder an Ihnen geworden. Ich sehe, daß es keine Rettung für Sie gibt. Sie haben nur noch wenige Minuten zu leben. Wollen Sie Ihr Gewissen erleichtern? Haben Sie einen Wunsch, den ich Ihnen vielleicht erfüllen kann?“

„Einen Wunsch – –? ja!“ antwortete der Gefragte, indem sein Auge für einige Sekunden neues Leben bekam.

„So teilen Sie ihn mir mit!“

„Rache!“

„An dem Gambusino?“

„Ja. Rächen Sie meinen Tod, Señor!“

„Ich will es thun. Auch ich habe eine schwere Rechnung mit dem Gambusino und werde den an Ihnen begangenen Mord dazu addieren. Aber unterstützen Sie mich. Kennen Sie die Pläne dieser beiden Männer?“

„Ja,“ antwortete Pellejo, indem er die Hand wieder auf die Wunde drückte, um das Blut aufzuhalten und so einige Minuten länger leben zu können. „Meine Augenblicke sind gezählt, aber sie werden ausreichen, Ihnen mitzuteilen, was ich erlauscht habe. Der Gambusino und Perillo wollten durch den jetzigen Kriegszug und das darauf folgende Pronunciamiento reich werden. Sie hofften, reiche Beute zu machen. Darauf müssen sie nun verzichten. Dafür aber wollen sie sich den gewünschten Reichtum nun aus den Bergen holen.“

„Ach! Kennen Sie den Ort?“

„Ja. Er liegt in der Nähe der Salina del Condor.“

„Kennen Sie den Namen?“

„Ich kenne ihn; aber ich bin schon so schwach, daß – daß ich mich erst noch besinnen muß.“

„War es vielleicht die Barranka del Homicidio?“

„Ja, ja, die war es!“ antwortete der Sterbende lebhafter als bisher.

„Soll es denn dort Schätze geben?“

„Große Reichtümer aus der Inkazeit!“

„Woher weiß das der Gambusino?“

„Antonio Perillo erzählte es ihm. Dieser hat einen Indianer belauscht, der in einer Vollmondnacht in die Barranka stieg und am nächsten Morgen mit Kostbarkeiten beladen wieder herauf kam.“

„Wann ist das gewesen?“

„Das weiß ich nicht, denn es wurde nicht mit erwähnt.“

„Hat Perillo denn die Kostbarkeiten gesehen?“

„Nicht nur gesehen. Er ist dem Indianer nach und hat ihn ermordet, um ihn zu berauben. Sogar seine Kopfhaut hat er mitgenommen.“

Der alte Anciano hatte geschwiegen; jetzt ließ er einige dumpfe, unverständliche Worte hören. Der Vater Jaguar fragte weiter:

„Ist Perillo später wieder in der Barranka gewesen?“

„Ja. Er hat nach den Schätzen gesucht, aber nichts gefunden. Nun will er jetzt mit dem Gambusino hinauf, weil dieser erfahrener und scharfsinniger ist.“

„Sie wissen das genau?“

„Ganz genau. Ich hörte es von ihnen selbst. Ich belauschte sie gestern, ohne daß sie es ahnten und – – –“ ‚

Er hatte nur in kurzen Absätzen gesprochen und die Worte oft einzeln und mühsam hervorgestoßen; seine Stimme war dabei immer schwächer geworden. Jetzt riß es ihm mitten in der Rede die Hand von der Wunde weg; er bäumte sich mit einem gurgelnden Schrei empor und sank dann wieder nieder. Seine Augen schlossen sich; er röchelte leise und immer leiser; seine Glieder streckten sich in krampfhaften Zuckungen aus – – er war tot.

„Vorüber!“ sagte der Vater Jaguar indem er sich aufrichtete. „Er war ein Empörer, ein Verräter und hat hier den gerechten Lohn gefunden. Seine letzten Worte sind von der größten Wichtigkeit für uns.“

„Ja,“ nickte Anciano ernst. „Sie bestätigen, daß Antonio Perillo der Mörder meines Herrschers ist. Wäre bisher ein Irrtum möglich gewesen, so könnte nun jetzt keine Rede mehr von einem solchen sein. Der Thäter ist mir heute entkommen; aber ich werde mich wie ein Hund auf seine Fährte legen und weder am Tage noch des Nachtsruhen, bis ich ihn ergriffen habe.“

„Was seine Fährte betrifft, so werden wir dieselbe nicht berücksichtigen. Es würde vielmehr ein großer Fehler von uns sein, wenn wir uns auf eine so langwierige und mühsame Suche begeben wollten, während wir doch nun ganz genau wissen, wohin sich die beiden wenden werden. Da wir erfahren haben, daß die Barranca del Homicidio das Ziel ihrer Wanderung ist, brauchen wir ja nur dorthin zu reiten, um sie dort zu erwarten.“

„Aber wenn sie eher dort ankommen als wir?“

„Das steht nicht zu erwarten, weil sie keine Pferde haben.“

„Sie können aber durch irgend einen Zufall zu zwei Tieren kommen!“

„Wenn wir uns mit allen möglichen Zufällen abgeben wollten, so wäre es am besten, wir ließen sie gleich laufen und bekümmerten uns gar nicht mehr um sie. Unter hundert ist auf neunundneunzig zu wetten, daß wir eher dort ankommen als sie, und danach handeln wir. Sollte aber keiner der neunundneunzig Fälle, sondern nur gerade der hundertste eintreten, so trifft uns keine Schuld, wir haben unsre Pflicht gethan und es ist selbst dann noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß wir dennoch unsern Zweck erreichen. Brechen wir also nach dem Thale auf!“

„Was thun wir mit dieser Leiche?“

„Unter andern Umständen würde ich sie hier an Ort und Stelle begraben; jetzt aber habe ich keine Zeit dazu. Wir wissen nicht, was während unsrer Abwesenheit geschehen ist, und haben also keine Zeit zu verlieren. Das Pferd nehmen wir natürlich mit.“

Das Pferd, welches der Gambusino geritten und dann aufgegeben hatte, war vor Überanstrengung gestürzt und eine Weile wie tot hegen geblieben. Nun aber hatte es sich wieder aufgerafft und fraß von dem Grase, welches hier ziemlich üppig stand. Der Vater Jaguar fing es leicht ein und untersuchte es. Er erkannte, daß es sich bei einiger Ruhe und Schonung sehr wahrscheinlich wieder erholen würde, und band daher die Zügel desselben mit denen des seinigen zusammen.

Indessen hatte der alte Anciano sich an der Leiche des Hauptmannes zu schaffen gemacht. Dieser hatte Waffen und verschiedene andre brauchbare Gegenstände bei sich getragen, von denen vorauszusetzen war, daß der Gambusino und Perillo sich ihrer bemächtigen würden. Darum nahm der Alte sie lieber zu sich. Darauf bestiegen sie ihre Pferde wieder und kehrten nach dem Thale des ausgetrockneten Sees zurück.

Als sie dort ankamen, wurden sie von einer Cambasschar empfangen, welche den Eingang des Thales zu beaufsichtigen hatte. Der „harte Schädel“ befehligte sie. Von dem Vater Jaguar befragt, wie es im Thale stehe, antwortete dieser:

„Es steht gerade so, wie wir erwartet haben, Señor Wir sind Sieger geblieben.“

„Das versteht sich ganz von selbst, denn uns zu besiegen, war für die Abipones gar keine Möglichkeit vorhanden. Wenn ich fragte, so geschah es um dieser letzteren willen. Ihr habt nach meiner Entfernung doch nicht wieder geschossen?“

„Noch einigemal, Señor.“

„Warum?“ fuhr Hammer auf. „Das ist der reine Mord!“

„Sie waren und sind unsere Feinde und hätten uns, wenn sie Sieger geblieben wären, bis auf den letzten Mann getötet.“

„So müßt ihr sie ja fast alle erschossen haben! Ich befahl doch Geronimo, dem Morden Einhalt zu thun. Komm, Anciano, wir wollen sehen!“

Die beiden ritten durch den Eingang in das Thal. Was sie da sahen, war für einen christlichen Sinn weit mehr als nur betrübend. Die Cambas, welche vorher unter den Bäumen verborgen gewesen waren, hatten ihre Verstecke verlassen, um ihren Gegnern sich und ihre Übermacht zu zeigen. Sie hatten, jetzt vor den Bäumen sitzend und ihre Waffen noch immer bereit haltend, den ganzen Rand des Thales rundum eingenommen. Rechts, wo vorher der Vater Jaguar postiert gewesen war, befand sich jetzt Geronimo mit seinen weißen Gefährten. Doktor Morgenstern und sein Fritze waren auch dabei.

Die Abipones befanden sich noch am Ufer des kleinen Sees; sie wagten es nicht, einen Vorstoß zu unternehmen, und hatten ihre Toten und Verwundeten zusammengetragen. Der Augenschein lehrte, daß wohl mehr als die Hälfte von ihnen gefallen waren. Das erregte den Zorn des Vaterjaguar. Er galoppierte zu Geronimo hin, schwang sich aus dem Sattel und fragte in scharfem Tone:

„Wie kommt es, daß ich so viele Leichen sehe, von den Verwundeten gar nicht zu sprechen? Ich hatte dir doch gesagt, daß bis zu meiner Rückkehr nicht mehr geschossen werden sollte!“

„Ich trage nicht die Schuld, daß es anders gekommen ist,“ antwortete Geronimo. „Man gehorchte mir nicht, und ich habe geradezu drohen müssen, ehe man Einhalt that.“

„Dann wollen wir den Übriggebliebenen wenigstens nicht die härtesten Bedingungen stellen. Leider hat Lieutenant Verano den Oberhäuptling der Abipones erschossen; wir werden also mit den Unterhäuptlingen zu verhandeln haben. Sende einen Boten an sie! Sie mögen zu mir kommen. Ich sichere ihnen freies Geleit zu. Aber ohne Waffen müssen sie sein.“

Während der Bote abging, wendete sich Hammer, natürlich in deutscher Sprache, an Morgenstern:

„Ich hatte Ihnen doch angedeutet, draußen vor dem Thale bei den Pferden zu bleiben. Wie sind Sie denn eigentlich auf die entgegengesetzte Seite des Thales und noch dazu in die Hände der Feinde gekommen?“

Der Kleine antwortete:

„Infolge unsrer Tapferkeit, lateinisch Fortitudo oder auch Strenuitas genannt.“

„Also Ungehorsam! Es ist doch sonderbar, daß Ihre Tapferkeit stets Ihre Gefangennahme zur Folge hat! Es muß sich also bei Ihnen beiden um eine ganz unglückliche Art von Fortitudo oder Strenuitas handeln.“

„Janz jewißlich nicht,“ fiel da Fritze schnell ein. „Es ist die richtige Tapferkeit jewesen. Erinnern Sie Ihnen doch einmal jenau! Sind wir heut jefangen jewesen?“

„Allerdings.“

„Ja, wo denn?“

„Der Gambusino brachte Sie getrieben!“

„Wie? Er hätte uns jetrieben jebracht? Dat is falsch! Wir haben ihn vielmehr anjelockt und hinter uns herjebracht. Wir haben ihm in die Falle jeführt.“

„Verteidigen Sie sich nicht auf eine so lächerliche Weise! Er ist ja wieder aus der Falle entkommen, und daran sind nur Sie beide schuld. Ich werde aber in Zukunft dafür sorgen, daß Sie uns einen solchen Schaden nicht wieder bereiten können.“

Er wäre vielleicht noch schärfer mit ihnen verfahren, aber es kamen jetzt die Unterhäuptlinge der Abipones herbei, und vom Eingange her näherte sich der „harte Schädel“, und so war es Zeit, die Verhandlung zu beginnen, zumal der Nachmittag sich zur Rüste zu neigen begann.

An dieser Verhandlung nahmen nur die Weißen und die Häuptlinge teil. Der Vaterjaguar hielt einige begütigende Reden, in denen er die Forderungen der Cambas zu mäßigen suchte und den Abipones bewies, daß ihre Freundschaft mit dem Gambusino und seinem Anhange ihnen nur Unglück gebracht habe und daß es für sie am geratensten sei, mit ihren roten Brüdern in Eintracht und Frieden zu leben. Seine Worte brachten nach beiden Seiten den beabsichtigten Eindruck hervor und dann begann eine Art Handel in Beziehung der Kriegsentschädigung, welche die Abipones den Cambas zu zahlen hatten. Es ging dabei sehr erregt her, doch brachte der Vater Jaguar nach einiger Zeit die beabsichtigte Einigung zu stande.

Die Cambas hatten heute keinen Mann verloren, Grund genug, ihre Forderungen nicht zu übertreiben. Die Abipones waren durch die große Zahl ihrer Toten und Verwundeten hart bestraft. Sie mußten alle ihre Waffen abgeben und dann Frieden schwören. Es war dem Vater Jaguar gelungen, eine Straflieferung von Pferden und Rindern zu hintertreiben, da die Abipones diese Tiere doch, um sie den Cambas bringen zu können, den weißen Ansiedlern vorher hätten rauben müssen.

So war der Krieg zum Nutzen der Cambas beendet. Diese jubelten und fanden kaum Worte, dem Vater Jaguar ihre Dankbarkeit zu bezeigen. Die Abipones aber waren selbstverständlich im höchsten Grade niedergeschlagen. Sie saßen klagend bei ihren Leichen und kühlten mit Wasser die Wunden ihrer Blessierten. Heute blieben alle, Sieger und Besiegte, im Thale. Morgen sollten die letzteren waffenlos abziehen, natürlich nur die Gesunden und Leichtverwundeten, während die Schwerverwundeten von den Cambas gepflegt würden und dann nachkommen sollten.

Kein Mensch freute sich darüber, daß so viel Blut geflossen war, in der Weise, wie Don Parmesan Rui el Iberio, denn er glaubte, nun das Licht seiner chirurgischen Kenntnisse und Geschicklichkeiten leuchten lassen zu können. Er wendete sich an die Häuptlinge der Abipones, um die Erlaubnis zu erhalten, ihre Kranken behandeln zu dürfen, wurde aber kalt und ohne Dank abgewiesen, da diese Roten sich auf die Behandlung der Wunden weit besser als mancher weiße Arzt verstehen. Er kehrte darum ganz erbost von ihnen zurück und sagte zu Morgenstern, dem er sich am liebsten mitzuteilen pflegte:

„Sind diese Kerls nicht Prügel wert, Señor? Sie weisen mich ab, obgleich ich ihnen meine Hilfe angeboten. Sie meinen doch auch, daß ich viele ihrer Blessierten gerettet hätte?“

„Ich bin überzeugt davon,“ antwortete der Gefragte in höflicher Weise.

„Ja, viele, viele hätte ich gerettet! Ich sah sie liegen, blutend und mit zerschossenen Gliedern. Diese Glieder müssen herunter, sonst kommt der Brand dazu. Und wer kann sie kunstgerechter herunterbringen als ich? Sie sind doch vollständig überzeugt, Señor, daß ich alles, alles heruntersäble?“

„Ich bezweifle es nicht im mindesten.“

„Dann wollte ich, daß Sie einen Schuß in den Arm, in das Bein oder in den Leib bekommen hätten. Sie sollten staunen, mit welcher Virtuosität ich Ihnen die Kugel und alle Knochensplitter aus der Wunde ziehen und nötigenfalls das verletzte Glied abschneiden würde. Es ist wirklich jammerschade, daß niemals ein verständnisinniger Mann einen Schuß bekommt!“

Morgenstern entfernte sich schnell, da es ihm in der Nähe dieses Mannes nicht ganz geheuer war. Der Abend brach herein und mit ihm kamen Gäste, nämlich die Frauen und größeren Kinder der Cambas. Sie wußten, für welche Zeit man den Kampf vermutet hatte, und kamen nun, den Ausgang desselben zu erfahren, erst einzeln und verzagt, dann aber in hellen Haufen. Auf den versprochenen Sieg rechnend, hatten sie reichlich Speise und Trank mitgebracht, um denselben zu feiern, und da doch Friede geschlossen war, so durften auch die Besiegten an dem Mahle teilnehmen. Es brannten viele Feuer, an denen Freunde und Feinde in den verschiedensten Gruppierungen lagerten oder sich bewegten.

Obgleich von einer Gefahr keine Rede mehr sein konnte, hatte der Vater Jaguar doch einen Doppelposten an den Eingang des Thales postiert. Es war das mehr eine Folge der Gewohnheit. Das mochten die beiden Indianer, denen dieser Auftrag geworden war, auch denken, denn als sie einige Zeit allein gestanden hatten, wurde ihnen die Zeit lang und sie kehrten, ohne daß der Vater Jaguar dies bemerkte, an ihr Feuer zurück. Dieser Ungehorsam, den man geneigt sein könnte, eine bloße, kleine Nachlässigkeit zu nennen, sollte von schweren Folgen sein.

Der Gambusino hatte nämlich mit Antonio Perillo wohl eine Stunde lang im Gebüsch gelegen, ehe er es wagte, den Kopf aus demselben zu stecken, um sich umzusehen.

„Ich sehe niemand,“ sagte er.

„So sind sie fort,“ meinte sein Genosse.

„Das möchte ich doch nicht als so gewiß annehmen. Wie nun, wenn sie in der Nähe in den Büschen stecken, um zu warten, bis wir hervorkommen!“

„Dann müßten wir doch die Pferde sehen.“

„Nein. Der Wald ist zwar sehr dicht, aber der Rand desselben hat doch hie und da eine dünnere Stelle, wo man zwei Pferde verstecken kann.“

„Wenn du so übermäßig vorsichtig sein willst, können wir bis zum jüngsten Tage hier stecken bleiben!“

„Gar so lange doch nicht ganz. Jetzt möchte ich nicht hinaus auf den freien Campo treten; ich könnte sogleich eine Kugel bekommen. Aber wenn es finster geworden ist, gibt es kein Wagnis dabei. Es ist dann sogar möglich, daß wir nach dem Thale des ausgetrockneten Sees zurückkehren.“

„Bist du toll!“

„Gar nicht!“

„Sollen wir uns ergreifen lassen?“

„Fällt mir gar nicht ein. Es ist mir nur ein Gedanke gekommen, den ich für einen sehr glücklichen halte.“

„Welcher?“

„Wir haben keine Pferde und können auch auf viele Tagereisen weit keins bekommen. Im Thale aber gibt es welche.“

„Die du dir holen willst?“

„Nicht alle, sondern nur zwei.“

„Das wäre Tollkühnheit!“

„Wenn ich finde, daß es zu verwegen ist, werden wir es lassen. Ich hoffe aber, daß es viel, viel leichter sein wird, als du denkst.“

„Schwerlich!“

„Pah! Wir wissen genau, daß die Cambas Sieger sind, und ich befürchte, daß sie unsere Verbündeten bis auf den letzten Mann aufgerieben haben. Nach einem solchen Erfolge sind die Roten wie betrunkene Kinder. Sie werden schreien und jubeln, essen und trinken und an nichts anders denken, als daß sie uns überwunden haben. Da vergißt man es vielleicht, den Eingang zum Thale zu bewachen. Und stellt man ja einen Wächter hin, so läuft er entweder fort, um mitzujubeln, oder er wird von mir und dir sehr leicht unschädlich gemacht, worauf es sehr schlimm zugehen müßte, wenn wir nicht zu zwei Pferden kämen.“

„Und wenn dieselben nicht gesattelt sind?“

„Dummkopf! Schau da hinaus! Siehst Du denn nicht, daß der Vater Jaguar unsre Pferde zwar erschossen, aber ihnen nicht das Sattel- und Zaumzeug genommen hat? Finden wir zwei ungesattelte Pferde, so reiten wir hierher, um das zu finden, was wir brauchen.“

Perillo brachte noch einige Einwendungen vor. Er wollte sich nicht wieder in eine so große Gefahr wie die heut überstandene begeben; aber der Gambusino widerlegte ihm alles, was er vorbrachte. Darüber wurde es Abend und die beiden verließen vorsichtig ihr Versteck. Sie wendeten sich nicht am Waldesrande zurück, da sie da leicht auf den befürchteten Hinterhalt stoßen konnten, sondern schlichen sich eine Strecke weit in den Campo hinein und bogen erst dann, als sie den Wald nicht mehr sehen konnten, nach rechts ab, in welcher Richtung das Thal des ausgetrockneten Sees vor ihnen lag.

Um dasselbe zu erreichen, brauchten sie jetzt viermal so viel Zeit, als am Nachmittage, da sie es zu Pferde als Flüchtlinge verlassen hatten. Sie konnten es nicht verfehlen, weil sie sich dem Walde nach und nach wieder näherten und endlich an demselben hinschritten. Noch ehe sie in der Finsternis den Eingang sehen konnten, hörten sie den Lärm, welcher durch denselben aus dem Thale drang.

„Horch!“ sagte der Gambusino, indem er lauschend stehen blieb. „Ich habe mich nicht geirrt. Man bejubelt den Sieg. Daß es so kommen mußte! Meine Ahnung, daß der Vater Jaguar uns voraus sei, war also doch ganz richtig.“

„So hättest du dich danach richten sollen. Pellejo hatte doch recht, als er uns zu größerer Vorsicht aufforderte.“

„Schweig und sprich mir nicht von diesem Menschen! Er wollte kommandieren. Es hat so sollen sein und ist nun nicht zu ändern. Bleib jetzt einmal hier stehen! Ich will voranschleichen, um zu rekognoscieren.“

Er huschte fort. Als er nach ungefähr zehn Minuten zurückkehrte, berichtete er in freudigem Tone:

„Es ist so, wie ich dachte. Kein Mensch steht Wache. Wir können hinein, ohne bemerkt zu werden. Komm!“

Er nahm den andern bei der Hand und zog ihn mit sich fort. Als sie das Felsenthor des Thales erreichten, glänzte ihnen der Schein von vielen Feuern entgegen, so daß sie sich ganz zur Seite im Schatten des Felsens halten mußten. Der Gambusino deutete auf den letzteren und sagte:

„Hier war es, wo uns die beiden kleinen roten Kerls von oben herab vor die Füße flogen. Ich ließ sie leider laufen, weil ich glaubte, daß sie uns sicher seien. Nun sind sie uns wieder entkommen!“

„Schadet nichts. Ich freue mich jetzt, daß wir sie nicht getötet haben.“

„Warum?“

„Weil sie doch vielleicht das sind, wofür sie sich ausgeben. So oft wir sie trafen, haben sie sich so kindisch albern benommen, daß es mir heute unmöglich ist, noch zu glauben, daß der eine Oberst Glotino sein soll.“

„Je länger ich mir den Kerl und seine Streiche vergegenwärtige, desto mehr kommt es auch mir so vor, als ob wir uns geirrt hätten. Wir haben uns durch eine Ähnlichkeit täuschen lassen. Glotino würde niemals und aus keinem Grunde selbst nach dem Chaco gehen, sondern einen tüchtigen Offizier schicken. Wenn mir diese beiden Roten wieder über den Weg laufen sollten, so wird es mir gar nicht einfallen, sie als voll zu behandeln. Ich bedrohe keineswegs mehr ihr Leben. Was sie von mir zu befürchten haben, das sind einige derbe Ohrfeigen, die ich ihnen dafür geben werde, daß sie es wagen, mir wieder und immer wieder wie Ungeziefer über den Weg zu laufen. Dann werden sie sich wohl fern von mir halten. Jetzt aber haben wir keine Zeit, von diesen Knirpsen zu sprechen. Da schau einmal, wie gut wir es getroffen haben!“

Er deutete nach dem Innern des Thales, wo beim Scheine der Feuer alle dort befindlichen Personen leidlich zu erkennen waren.

„Schau da nach links hinüber! Kennst du ihn?“ fuhr er fort.

„Der Vater Jaguar!“

„Ja. Wenn ich diesem Hunde eine Kugel geben könnte!“

Er hob sein Gewehr empor, als ob er es anlegen wolle. Der andre fiel ihm in den Arm und warnte heftig:

„Schieße nicht, schieße nicht; du würdest uns verraten!“

Der Gambusino ließ das Gewehr wieder sinken und antwortete:

„Hattest du wirklich Angst, daß ich schießen würde? Fällt mir nicht ein! Meine Kugel würde ihn nicht einmal erreichen, und wir müßten augenblicklich fliehen, während wir uns doch zwei Pferde holen wollen. Sie laufen ja in Masse hier herum.“

Dieses letztere war allerdings richtig. Wie bereits erwähnt hatten die Cambas ihre Pferde unter der Aufsicht einiger Männer am Bache draußen vor dem Thale gelassen. Jetzt war es da draußen dunkel, und da der Kampf vorüber war, hatte man die Pferde in das Thal gelassen, wo sie sich nach allen Richtungen frei herumtrieben. Der Vater Jaguar hatte das gestattet, weil er überzeugt war, daß vorn am Eingange ein Doppelposten stehe. Hätte er geahnt, wer an Stelle desselben jetzt dort anwesend war!

Während die beiden Lauscher ihre Augen auf die Pferde richteten, welche in ihrer Nähe weideten, meinte Antonio Perillo:

„Wir haben doch schießen hören, und doch hat es allen Anschein, als ob gar kein Kampf stattgefunden habe.“

„Wieso? Es ist sogar ein furchtbares Feuer gewesen, welches man auf die Abipones eröffnet hat. Siehst du denn nicht die Menge von Leichen, welche dort am See liegen?“

„Aber wo sind die andern Abipones hin?“

„Entflohen natürlich.“

„Unmöglich! Der Vater Jaguar hatte doch da draußen einen Hinterhalt gestellt, welcher wohl an die hundert Mann zählte. Es gelang uns nur mit Not, diesen Leuten zu entgehen. Sie haben den Eingang besetzt. Wie konnten da die Abipones entkommen?“

„Hm! Was du da vorbringst, hat guten Grund. Sollten sie wirklich alle aufgerieben worden sein? Dann müßte man doch viel mehr Leichen sehen.“

„Man wird sie in das Wasser geworfen haben.“

„Denke das ja nicht! Es wird den Cambas nicht im Traume einfallen, sich dadurch dieses kostbare Wasser zu verderben, denn – – –“

Er hielt inne, beschattete seine Augen mit der Hand, blickte scharf nach einem der Feuer und fuhr dann in heftigem Tone fort:

„Demonio! Ich habe mir bis jetzt noch keine Mühe gegeben, die Gesichtszüge zu erkennen. Jetzt aber sehe ich, daß Abipones mit den Cambas zusammen an den Feuern sitzen.“

„Ist das möglich?“

„Nicht möglich, sondern wirklich. Sieh nur scharf hin.“

Antonio Perillo überzeugte sich, daß der Gambusino recht hatte, und fragte:

„Wie kann so etwas geschehen? Man sollte es nicht glauben!“

„Es ist leicht zu begreifen. Die Abipones waren umzingelt. Sie hätten selbst den letzten Mann verloren. Um ihr Leben zu retten, haben sie um Gnade flehen müssen.“

„Gnade? Das sieht keinesweges so aus. Sie sind ja nicht gefesselt; sie essen mit und bewegen sich wie freie Leute.“

„Tempesta! Das ist wahr! Daran ist dieser Schurke, der Vater Jaguar, schuld. Er hat Frieden zwischen den Abipones und den Cambas geschlossen.“

„Den aber die Abipones jedenfalls teuer bezahlen müssen!“

„Glaube dies ja nicht! Dieser Mensch ist klug. Durch eine schwere Kontribution würde er die Rachgier erwecken und die Feindschaft vergrößern. Ich wette, daß den Abipones alles geschenkt und vergeben worden ist. Man wird ihnen gesagt haben, daß sie durch ihre Verluste hart genug gestraft worden seien.“

„Eine solche Milde kann ich mir nicht als möglich denken.“

„Aber ich, da ich die Schlauheit dieses Vater Jaguar kenne. Er will dadurch die Todfeinde zu Verbündeten machen, und ich glaube es nicht nur, sondern ich sehe es hier mit diesen meinen eigenen Augen, daß ihm dies gelungen ist. Die Abipones sind gewonnen und werden als Freunde behandelt. Wir können von heute an nicht mehr im Trüben fischen. Mit dem geplanten Pronunciamiento ist’s vorüber, und es ist nur gut, daß wir beide ein neues Ziel und einen neuen Zweck haben. Wir wollen auch sofort darauf hin arbeiten, indem wir uns mit Pferden versorgen und dann die Gegend verlassen, welche für mich so unglückbringend geworden ist, wie kaum eine zweite. Da haben wir zwei Tiere ganz nahe; sie scheinen nicht schlecht zu sein. Nehmen wir sie, ich das rechts und du das links; aber vorsichtig! Bücke dich zum Boden nieder!“

Sie legten sich in das Gras und krochen auf die beiden Pferde zu, welche zwar keine Sättel, aber doch die Zäume trugen. Bei ihnen angekommen, richteten sie sich auf, zogen die festgeknüpften Zügel aus den Backenriemen, nahmen die Enden derselben in die Hände, bückten sich wieder nieder und krochen zurück, die Pferde langsam hinter sich herziehend. Draußen vor dem Felsenthore angekommen, sagte der Gambusino, indem er froh aufatmete:

„Siehst du nun, daß es sehr leicht gegangen ist! Dadurch, daß wir uns beritten gemacht haben, ersparen wir eine Fußwanderung von vielen Tagen. Jetzt holen wir uns die Sättel; dann umreiten wir diesen undurchdringlichen Wald, der uns so außerordentlich unbequem liegt, und hernach, wenn wir ihn hinter uns haben, geht’s hinüber nach Tucuman, wo wir mit der Diligence bis Salta fahren. Das geht schneller als im Sattel, weil an jeder Station die Pferde gewechselt werden.“

„Und von Salta aus?“

„Nehmen wir Maultiere, da in den Bergen wegen der dünnen Luft nicht mit Pferden auszukommen ist.“

„Das weiß ich gar wohl; aber woher nehmen wir das Geld für die Maultiere? Bei dem Zwecke, welchen wir verfolgen, können wir uns keine mieten, sondern müssen welche kaufen, und ich sage dir, daß ich nicht genug bei mir habe, einen alten Ziegenbock, geschweige denn ein gutes Maultier zu kaufen.“

„Da laß dir ja nicht bange sein. Ich bin zwar auch nicht bei vollen Taschen, aber ich habe in Salta einen Freund, welcher mich sehr gern mit allem Nötigen versehen wird.“

„Wer ist das? Vielleicht kenne ich ihn auch.“

„Er heißt Rodrigo Sereno.“

„Meinst du etwa den Spediteur draußen vor der Stadt, an der Straße, welche nach Injuy führt?“

„Ja. Er hat zugleich ein großes Gasthaus, verleiht Pferde und Maultiere und treibt noch zehn oder zwanzig andre Geschäfte.“

„Den kenne ich allerdings. Wenn er dein Freund ist, brauchen wir freilich nicht bange zu sein.“

„Ich sage ja, er wird mir geben, was ich brauche. Jetzt laß uns aufsteigen. Wir haben in dieser Nacht einen weiten Ritt.“

Sie schwangen sich auf die Pferde und galoppierten fort, in der Richtung nach ihren erschossenen Pferden, um sich die Sättel derselben zu holen.

Später kamen zwei Cambas nach dem Eingange, um den Doppelposten abzulösen. Als sie die beiden untreuen Wächter nicht sahen, nahmen sie zwar deren Stelle ein, kamen aber nicht auf den Gedanken, dem Vater Jaguar zu melden, daß das Felsenthor eine ganze Zeit lang unbeaufsichtigt gewesen sei. Als er dann später kam, den Posten zu inspizieren, fand er alles in Ordnung und ahnte nicht, daß etwas geschehen war, wodurch seine ganze Berechnung zu nichte gemacht werden mußte. Man entdeckte nicht einmal, daß zwei Pferde fehlten, da dieselben den Abipones gehört hatten und also von den Cambas nicht vermißt wurden.

Die letzteren blieben bis weit über Mitternacht munter. Die Freude, einem so grauenhaften Überfalle entgangen zu sein, ließ sie nicht schlafen. Und die Weißen, denen sie ihre Rettung zu verdanken hatten, mußten mit ihnen munter bleiben.

Von den letzteren war niemand so grämlicher Laune als Doktor Morgenstern und sein Fritze. Sie saßen abseits im Dunkeln und sprachen, nur mit ihrem Ärger beschäftigt, nur selten ein Wort miteinander. Warum? Das konnte man eben jetzt hören, als Fritze seinem Herrn zuraunte:

„Inwiefern könnte es denn eine so jroße Dummheit jewesen sind?“

„Weiß ich’s?“ antwortete Morgenstern. „In Jüterbogk im Gesangvereine werde ich anders anerkannt.“

„Dat mag die Möglichkeit sind; aber hier im Gran Chaco wird mehr verlangt als nur eine jute, wohljefällige Baritonstimme. Da muß man vor allem Haare auf die Zähne haben und ein jehörijes Quantum Tapferkeit besitzen.“

„Sind wir denn nicht tapfer gewesen?“

„Nein.“

„Nicht? Wir haben uns doch nicht nur in die vorderste Reihe gestellt, sondern sind sogar auf den Felsen gestiegen, um den Feind aus erster Hand zu haben. Ist das nicht tapfer?“

„Hm! Soll ik aufrichtig sind?“

„Natürlich!“

„Jut! lk denke foljendermaßen: Ik mag mich’s nach rechts oder nach links überlejen, so kommt es mich jetzt vor, als ob wir nicht tapfer, sondern voreilig gewesen wären.“

„Voreilig, lateinisch praeproperus genannt? Wieso denn, mein Lieber?“

„Weil wir so rasch nach vorn jeeilt sind; dat ist doch voreilig, zumal wir keine Erlaubnis dazu hatten.“

„Erlaubnis brauche ich nicht. Ich bin ein freier Mann!“

„Ik auch. Dennoch aber habe ik mir herbeijelassen, Ihr Diener zu sind und Ihre Befehle zu erfüllen. Es kommt auf jewisse Verhältnisse an. Im Gran Chaco muß man sich anders benehmen als in Stralau am Rummelsburjer See. Dort bin ik dem Vater Jaguar über; hier aber ist er mich über, und darum finde ik es jeraten, mir nach seine Weisung zu verhalten.“

„Aber du bist es ja doch gewesen, welcher den Vorschlag gemacht hat, von den Pferden fort und in das Thal zu gehen!“

„Es fällt mir jar nicht ein, dies fälschlicherweise zu leugnen. Meine Absichten sind die besten und tapfersten jewesen. Ik wollte mir hervorthun und auch Sie Jelegenheit jeben, Ihnen Ruhm und Ehre zu erwerben. Aber konnte ik wissen, daß der Felsen hier so locker und so mürbe ist wie ein Eierkuchen? Konnte ik ahnen, daß er mir so verräterisch hinunterschicken würde, bis jerade vor die Fußzehen dieses Jambusino? Wäre dat nicht jewesen, so wäre er nicht aufmerksam jeworden, sondern in dat Thal jekommen, und jefangen jenommen worden. Da muß ik dem Vater Jaguar vollständig recht jeben.“

„Wenn du die Sache so darstellst, kann ich dir nicht widersprechen. Wir sind wirklich blamiert!“

„Ja, wir sind blamiert, trotz die schönen Knüppels, welche wir uns abjeschnitten hatten. Sie sind eben liejen jeblieben, während wir hinunterjekollert sind. Umjekehrt wärs besser jewesen. Wir konnten oben bleiben und die Prügel hinunterschicken. Aber da es jeschehen, ist’s nicht mehr zu ändern.“

„Zu ändern freilich nicht. Aber es geht mir doch zu Herzen. Könnten wir die Blamage nicht von uns abwaschen? Könnten wir es nicht wieder gut oder wett machen? Könnten wir nicht eine tapfere That begehen, welche unsre befleckte Ehre, lateinisch Dignitas oder Honor geheißen, wieder zu reinigen vermag? Ich schäme mich beinahe vor den andern.“

„Und ik schäme mir vor mir selber, die andern jehen mir nichts an. Also Ihre Ehre wollen Sie reinigen? Womit? Mit eine tapfere That? Wollen Sie eine Prüjelei mit dem Monde anfangen?“

„Scherze nicht in dieser Weise! Es ist mir vollständig ernst. Man hat ein Vorurteil gegen die Gelehrten. Man behauptet, sie seien zwar in ihren Büchern, aber nicht im Leben zu Hause. Durch mein Pech habe ich Veranlassung gegeben, zu glauben, daß dieses Vor- ein richtiges und begründetes Urteil sei. Darum möchte ich beweisen, daß ich gar wohl in das Leben und sogar in den gefährlichen Gran Chaco passe. Nenne mir eine kühne That, Fritze, und ich führe sie sofort aus!“

„Und ik helfe Sie dabei. Aber es wäre unnötig, darüber nachzudenken; wir würden doch nichts Passendes finden. Hier in diese Jejend fliejen die Thaten in der Luft herum; sie kommen von selbst. Nehmen wir die erste beste, die wir treffen, fest, um sie aus- und durchzuführen! Dann wird man wieder Respekt vor uns haben.“

„Gut, ich bin dabei. Also die erste kühne That, welche uns in den Weg kommt, wird ausgeführt. Hier ist meine Hand. Schlage ein, Fritze!“

„Ja, ik schlage ein; sie wird ausjeführt und sollten wir dabei eine Gigantochelonia versäumen.“

„Nein,“ fiel Morgenstern schnell ein. „So weit würde ich mich von meiner Tapferkeit doch nicht hinreißen lassen. Ein vorweltliches Riesentier geht mir über alles.“

„Selbst über die heutige Blamage?“

„Ja, selbst über diese. Übrigens werden wir bald zu einem solchen freudigen Ziele gelangen. Du weißt doch, daß der Häuptling mir ein Riesentier versprochen hat.“

„Ob er es halten wird?“

„Jedenfalls. Wo nicht, so würde ich ihn zum Kampfe auf Leben und Tod herausfordern, und dies würde zugleich die tapfere That sein, mit welcher ich meine verwundete Ehre herstellen könnte.“

„Wenn ik an Ihre Stelle wäre, würde ik den Häuptling noch einmal fragen, zumal er soeben hier vorüberjehen wird.“

Es paßte wirklich so, daß der „harte Schädel“ jetzt auf die beiden zugeschritten kam. Sie standen auf, und Morgenstern fragte ihn, ob er sich seines Versprechens noch erinnere.

„Ja,“ antwortete er. „Ich habe noch nie einem Freunde eine Lüge gesagt.“

„So gibt es also wirklich ein solches Riesentier?“

„Ja. Es liegt einen Tagesritt hinter dem Dorfe des klaren Baches. Ich schwöre es Ihnen zu.“

„Und Sie wollen es mir verkaufen?“

„Nicht verkaufen, sondern schenken, Señor. Ihre Kameraden haben uns einen großen Dienst erwiesen und vielen von uns das Leben und das Eigentum gerettet. Wie könnte ich da Bezahlung für die Knochen verlangen. Der Transport derselben wird Ihnen so schon ein großes und vieles Geld kosten.“

„Und wann werden Sie mir das Tier zeigen, Señor?“

„Morgen noch nicht, weil es da noch viel zu ordnen gibt; aber übermorgen bin ich gern bereit, mit Ihnen nach der Stelle zu reiten.“

„Was ist’s für ein Tier? Ein Glyptodon, ein Megatherium oder vielleicht ein Mastodon?“

„Darauf kann ich nicht antworten, denn ich habe diese Namen noch nie vernommen. Sie werden es sehen und dann wissen, wie Sie es zu nennen haben.“

Nach diesen Worten entfernte er sich, um sich bei dem Vater Jaguar niederzusetzen. Dieser fragte ihn, was er mit dem kleinen Manne verhandelt habe, und als er es erfuhr, sagte er, indem ein unternehmendes Lächeln über sein Gesicht glitt:

„Dieser Doktor lebt und stirbt für seine Riesentiere. Er ist ein guter Mensch, und obgleich er mir schon manchen schlimmen Dienst erwiesen hat, möchte ich ihm eine frohe Überraschung bereiten. Wie weit habt ihr das Tier ausgegraben?“

„So weit, daß man den Kopf und die Knochen des Rückens bis zu denen des Schwanzes sah. Dann deckten wir es wieder

ZU.“

„Sehr fest, so daß es nur schwer auszugraben ist?“

„Nein, sondern leicht, weil wir es verkaufen wollten.“

„Wie lange würde man zubringen, um das Gerippe vollständig freizulegen?“

„Wenn acht oder zehn Männer daran arbeiten, ist es in einigen Stunden geschehen, obgleich das Tier im harten Kalkboden steckt.“

„Habt ihr Werkzeuge dazu?“

„Ja, Werkzeuge nach unsrer, wenn auch nicht nach eurer Art; aber sie sind fast ebenso gut, wie die eurigen.“

„Und übermorgen willst du ihn an die betreffende Stelle führen?“

„Ja.“

„Gut! Willst du mir morgen zehn Männer mit den nötigen Werkzeugen mitgeben? Ich möchte hinreiten und dafür sorgen, daß er das Tier ganz ausgegraben findet. Aber er darf vorher nichts davon wissen. Es soll eben eine Überraschung für ihn werden.“

„Sie sollen haben, was Sie brauchen. Auch einen Führer, der die Stellen genau kennt, ebenso Riemen, um die einzelnen Knochen zusammenzubinden. Stützen, um das Gerippe an Ort und Stelle aufzurichten, können Sie sich dort abschneiden. Es wächst da Bambus und hohes Gebüsch in Menge.“

Das Versprechen, daß er übermorgen das Riesentier zu sehen bekommen solle, ließ den Doktor nicht schlafen. Er war übrigens nicht der einzige, welcher wachte. Die Abipones schliefen auch nicht, teils aus Aufregung über die erlittene Niederlage, teils wegen den Schmerzen, welche ihre Wunden ihnen bereiteten. Es starben während der Nacht noch mehrere von ihnen.

Am andern Morgen erteilte der Vater Jaguar seinem Geronimo die nötigen Verhaltungsmaßregeln und ritt dann mit zehn Cambas fort, ohne zu sagen, wohin er zu gehen beabsichtige und wann er wiederkehren werde. Er glaubte sich im Thale entbehrlich, da er in Geronimo einen zuverlässigen Vertreter hatte.

Zunächst war über die Frage zu entscheiden, wo und wie die Leichen beerdigt werden sollten. Es waren ihrer so viele, daß zum Vergraben derselben außerordentlich viele Arbeitskräfte und auch eine lange Zeit gehörte. Darum kam man auf Geronimos Vorschlag darin überein, daß sie draußen vor dem Thale verbrannt werden sollten. Man schaffte die Toten hinaus und errichtete aus ihren Körpern und dürrem Holze hohe Scheiterhaufen, welche in Brand gesteckt wurden. Als das vorüber war, war der Mittag vergangen, und die gesunden und leichtverwundeten Abipones mußten abziehen. Sie wären zwar gern noch bei ihren Schwerverwundeten zurückgeblieben, aber man traute ihnen denn doch nicht so recht, obgleich sie entwaffnet worden waren. Sie erhielten das Versprechen, daß man ihre Zurückgelassenen gut verpflegen werde, und marschierten dann ab, denn ihre Pferde waren ganz selbstverständlich als Beute zurückbehalten worden. Ihre Messer hatte man ihnen mitgegeben, da sie dieselben unterwegs unmöglich entbehren konnten.

Nun wollten die Cambas nach vollendetem Kriegszuge nach ihren verschiedenen Dörfern und Wohnsitzen zurückkehren. Dabei mußte man der verwundeten Abipones gedenken, welche nicht transportabel waren. Es wurde beschlossen, daß eine Anzahl von Cambas aus dem Hauptdorfe mit ihnen im Thale des ausgetrockneten Sees bleiben sollten, um sie da zu pflegen, bis sie stark genug seien, das Thal zu verlassen. Zu diesem Zwecke sollten Hütten aus Laub und Zweigen errichtet werden. Mit all diesen Auseinandersetzungen und Vorbereitungen war man nach Verlauf der ersten Nachmittagsstunden fertig. Dann wurde zum allgemeinen Aufbruche geschritten, an welchem sich nur die Kranken und deren Wärter nicht beteiligten. Die Folge dieses späten Aufbruches war, daß der Zug erst nach angebrochener Dunkelheit das Cambasdorf am klaren Bache erreichte. Die Krieger zogen dort als Sieger ein und wurden als solche empfangen und gefeiert. Es verstand sich ganz von selbst, daß man vor allen Dingen die Weißen ehrte, denen man ja doch die Rettung aus so großer Gefahr zu verdanken hatte.

Die Feier des Sieges bestand auch hier wieder in einem Schmause, welcher bis tief in die Nacht hinein währte. Am nächsten Morgen forderte der Häuptling den Doktor zu dem versprochenen Ritte auf. Die Weißen beteiligten sich ohne Ausnahme an demselben, und auch mehrere Cambas ritten mit. Natürlich nahm Morgenstern seine Werkzeuge an sich, und der Häuptling verhinderte ihn nicht daran, weil er ihm doch nicht sagen konnte, daß dieselben unnütz seien.

Der Weg führte nach Norden, durch Wälder und Wüsten, bis man gegen Abend einen Salzsee erreichte, welcher in einer thonigen Ebene lag, und von Wald und Gebüsch umgeben war.

„Ist es hier?“ fragte Morgenstern, welcher vor Aufregung beinahe fieberte, den Häuptling.

„Ja, in der Nähe,“ antwortete dieser.

„So führen Sie mich hin, schnell, schnell!“

„Haben Sie Geduld! Es ist für heute zu spät. Die Sonne ist schon hinter den Bäumen verschwunden, und in wenigen Minuten wird es dunkel sein. Da können Sie doch nicht graben. Wir müssen bis morgen warten.“

„Ist dies der Fall, so vergehe ich vor Aufregung. Wissen Sie, daß ich eigentlich das Recht habe, heute, gerade heute die betreffende Stelle zu sehen, wenn ich auch keine Zeit zum Nachgraben finde?“

„Warum?“

„Weil heute mein Geburtstag ist, lateinisch Natalis genannt.“

„Ihr Geburtstag? Wer hat das gewußt! Doch, da es so steht, Señor, will ich ein übriges thun und Ihnen die Stelle zeigen. Aber nicht jetzt sogleich, denn wir brauchen alle Hände, um noch vor der Dunkelheit genug Holz zum Feuer zu sammeln. Dann, wenn wir für alles gesorgt haben, sollen Sie den Ort beim Scheine einer Fackel sehen, damit ich Ihnen eine Geburtstagsfreude bereite.“

Man begann Holz zu sammeln, und zwar sehr langsam, denn man war heute eingeweiht in das, was geschehen solle. Der Häuptling hatte es allen außer Morgenstern und Fritze gesagt. Es galt, die völlige Dunkelheit abzuwarten, um die Überraschung vorzunehmen.

Morgenstern suchte mit allem Eifer nach dürrem Holze, damit der ersehnte Augenblick baldigst eintrete. Dabei bemerkte er nicht, daß es in der Umgebung des Lagerplatzes Huf- und Fußspuren gab, welche unmöglich von ihm und seinen Gefährten herrühren konnten. Ebensowenig beobachtete er, daß der Häuptling mit Geronimo auf längere Zeit verschwunden war. Sie hatten sich zum Vaterjaguar begeben, um diesem mitzuteilen, daß heute ganz zufälligerweise der Geburtstag des kleinen Vorsündflutlers sei, eine Kunde, welche gar nicht besser zu ihrem Vorhaben passen konnte.

Endlich war Holz genug vorhanden und es wurde ein Feuer angezündet. Erst jetzt bemerkte Morgenstern, daß die beiden Personen fehlten.

„Es ist doch grad, als ob man sich gegen mich verschworen hätte,“ klagte er gegen seinen Diener. „Nun, da alles in Ordnung ist, fehlt der Häuptling, und doch weiß er, daß ich unmöglich länger warten kann.“

„Fassen Sie Ihnen in Jeduld!“ tröstete Fritz. „Wat lange währt, wird jut. Dat heißt mit andern Worten: je länger Sie warten, desto jrößer wird dat Tier, welches aus der Unterwelt vor Ihre Augen kommen soll. Sehen Sie, da kommen die beiden und die Besichtijung wird losjehen. Ik werde mir übrijens an derselben nicht beteiligen.“

„Warum nicht?“

„Weil die Kreatur erst morjen ausjegraben wird. Wat ist da heut zu sehen? Ein Stück Erdboden und so ’ne Rarität habe ik schon oft jesehen.“

Der Häuptling kam allerdings mit Geronimo zurück, aber die Neu- oder Wißbegierde des Kleinen wurde trotzdem noch nicht befriedigt, da die beiden behaupteten, daß man vorher erst essen müsse, eine Zumutung, welche Morgenstern mit Entsetzen erfüllte. Er ahnte nicht, daß seines Geburtstages wegen noch erst eine Vorbereitung zu treffen sei. Man aß; er aber brachte keinen Bissen über die Lippen. Da krachte aus nicht zu großer Entfernung ein Schuß. Morgenstern sprang erschrocken auf und rief:

„Was war das? Wer schießt da? Sollten etwa wieder Abipones in der Nähe sein?“

„Nein, Señor,“ antwortete Geronimo. „Dieser Schuß ist das Zeichen, daß die Zeit gekommen ist, in welcher Sie die Stelle sehen sollen, welche Sie zu betrachten wünschen. Geben Sie mir Ihren Arm! Ich werde Sie führen.“

Er ergriff ihn beim Arme und ging mit ihm voran; die andern folgten paarweise. Den Arm Fritzens hatte der Häuptling in den seinigen genommen. So ging es mit würdevollen, ja feierlichen Schritten zwischen mehreren Buschgruppen hindurch, bis man sich vor einem Dunkel befand, wo Geronimo stehen blieb und mit lauter Stimme sagte:

„Señor, heute an Ihrem Geburtstage befinden Sie sich an einem Orte, an welchem Ihr Liebling sich vor vielen tausend Jahren an seinem Sterbetage niederlegte, um in Ihren zärtlichen Armen zu neuem Leben zu erwachen. La enhora buena, la enhora buena!“

„La enhora buena – wir gratulieren!“ stimmten alle andern ein.

Zu gleicher Zeit sah man vorn ein kleines Flämmchen leuchten. Es huschte hin und her und auf und nieder; andre Flämmchen erschienen, bei deren Schein man ein breites und wohl vier Ellen hohes Bambusgestell bemerkte, an welchem die aus dürren Bambusstücken gefertigten Buchstaben und Worte befestigt waren: „Zum Geburtstage!“ Die Buchstaben wurden entzündet und brannten einige Minuten, so daß man die Worte deutlich lesen konnte.

„Welche Überraschung, Fritze!“ rief der Doktor aus, indem er sich zu seinem Diener umwendete. „Hier im Gran Chaco bereitet man mir zum Geburtstage ein Feuerwerk. Aber das Riesentier wäre mir doch noch lieber.“

„Hm!“ brummte Fritze mißtrauisch. „Wenn dat nur kein Ulk ist, der damit ein Ende nimmt, daß man Sie Ihre eigene werte Persönlichkeit als Riesentier bezeichnet. Ik habe sonen Animus. Ach, wat ist dat?“

Die Buchstaben waren verbrannt und der Bambusrahmen verschwand. Dann leuchteten rechts und links wieder kleine Lichtpünktchen auf, welche sich schnell vergrößerten und zu hohen Flammen anwuchsen. Es brannten ungefähr sechzehn Schritt voneinander zwei riesige Feuer und zwischen denselben sah man das weiße, vollständige Gerippe eines riesigen Tieres stehen, welches von starken Bambusschößlingen gestützt wurde. Seitwärts stand lächelnd der Vater Jaguar mit den zehn Cambas, welche ihm geholfen hatten, dieses Werk zu vollenden. Morgenstern aber sah weder diesen noch jene; sein Auge hing starr an dem Skelette; seine Brust rang nach Atem; er streckte beide Arme aus; er wollte sprechen, rufen, brachte aber kein Wort hervor, bis er endlich mit Aufbietung aller seiner Kräfte in gellendem Tone und silbenweise schrie:

„Ein Me-ga-the-ri-um! – Ein-Rie-sen-faul-tier!“ –

Die beiden Worte waren heraus und nun schien der Bann, welcher auf ihm lastete, gebrochen zu sein. Er sprang auf das Gerippe zu, umarmte die starken Schenkel und küßte die andern Knochen; er streichelte den Schädel wie den Kopf eines lieben Kindes und bückte sich zur Erde nieder, um die an den Zehen befindlichen, ungeheuren Sichelkrallen zu liebkosen und rief und schwatzte dabei allerhand Zeug durcheinander, daß man hätte glauben mögen, er sei verrückt geworden. Die andern ließen ihn ruhig gewähren; Fritze aber bekam Angst, trat zu ihm hin, schüttelte ihn am Arme und rief ihm zu:

„Besinnen Sie Ihnen l Nehmen Sie Ihnen zusammen! Wegen so eines Riesentheriums braucht man den Verstand noch nicht zu verlieren!“

Da schlug der Doktor die Arme um ihn, drückte ihn an sich und antwortete:

„Mein lieber, lieber Fritze, ich bin wahrhaftig nicht verrückt, sondern glücklich, und endlich glücklich. Du hast keine Ahnung, was so ein Faultier zu bedeuten hat!“

„Na, wat dat betrifft, so kann es mich grad als Faultier nicht sehr imponieren, weil ik mein Lebtag für Faulheit nicht sehr einjenommen jewesen bin.“

„Sieh nur diesen schönen, runden Schädel!“ rief der Doktor entzückt, ohne auf das unfreundliche Urteil seines Untergebenen zu achten.

„Ja, rund und dick ist er, aber viel zu klein für die andre Jestalt. Dat ist ein Kindskopf auf dem Leibe eines Riesen.“

„Die schönen, zylindrischen Backzähne!“

„Es sind ihrer zu wenig. Da habe ik ja mehr!“

„Ein Megatherium darf nur so wenige haben. Es hat auch keine Eck- und Schneidezähne.“

„Da hat man zu jener Zeit wohl janz anders jekocht als heutzutage? Bei unsrer Küche könnte dat riesigste Faultier ohne diese Zähne nicht bestehen.“

„Die kurzen, breiten Füße!“

„Dat sollen Füße sind? Ziehen Sie ihm doch seidene Strümpfe an!“

„Die herrlichen, langen Sichelkrallen!“

„Ja, wenn ik mich solche wachsen ließ, würde man mir auch sehr bald als Riesenfaultier betrachten.“

„Diese Länge! Sie beträgt wenigstens vier und einen halben Meter bei einer Höhe von dritthalb Meter. Ist das nicht erstaunlich?“

„Erstaunlich ist bloß, daß Sie es bei diese Höhe und Länge dennoch ein Riesenfaultier nennen. Ein Faultier ist viel zu träge, um so lang zu wachsen.“

Diese drastischen Bemerkungen erreichten ihren Zweck: Sie ernüchterten den Paläontologen so, daß er jetzt zornig ausrief:

„Du hast nicht das mindeste Verständnis für solche Verhältnisse und Schönheiten!“

„Nein, dat besitze ik wirklich nicht. Unter Schönheit verstehe ik einen janz andern Jedanken oder Begriff. Die Schönheit hat für mir eine andre Form und Jestalt. Ik kann eine Rose für schön halten, aber ein Riesenfaultier, wenn es noch dazu bloß aus seinem eijenen Jerippe besteht, dat kann ik niemals schön nennen.“

„Vor der Sündflut war es schön, verstanden! Und denke dir, daß nicht das kleinste Knöchelchen fehlt, während kein einziges Museum bis jetzt ein vollständiges Megatherium besessen hat!“

„Auch diese Vollständigkeit kann mir nicht bejeistern, denn sie kommt auch bei andern Jeschöpfen vor. Da sehen Sie doch einmal mir jenauer an! Bei mich fehlt auch nichts; selbst dat kleinste Knöchelchen ist da, und noch dazu mit Fleisch und schöner Haut überzogen!“

„Fritze, du bist ein Idiot. Dir kann man das Herrlichste bieten, ohne daß du Geschmack daran findest. Du bist für die Wissenschaft verloren.“

„Wenn sie von weiter nichts als von Riesenfaultieren handelt, so kann sie mich allerdings oft und manchmal jestohlen werden. Wat werden Sie denn nun mit diesem toten Monstrum anfangen?“

„Welche Frage! Ich schaffe es fort.“

„Wohin?“

„Heim, nach Hause.“

„Auch jut. Wenn dat die Sündflut jewußt hätte, so konnte sie dat Jerippe gleich dazumal nach Jüterbogk schwemmen. Damit hätte sie uns viele Mühen und Kosten erspart. Wollen Sie es vor Jeld sehen lassen?“

„Nein. Ich werde es einer Universität, einem berühmten Museum schenken, wo man seinem Namen dann den meinigen hinzufügen wird.“

„Da haben Sie aber ja die Jüte, zu bitten, daß nicht etwa auch der meinige mit anjehängt wird. Mit so’nen Riesenfaultier will Fritze Kiesewetter auf keinen Fall verewigt werden. Wenn Sie dat Vieh mit heim nehmen wollen, muß dies per Schiff jeschehen. Wie aber wollen Sie es bis an die See bringen? ja, wenn es noch laufen könnte!“

„Es wird auseinander genommen und jeder Knochen sorgfältig einzeln verpackt. Dabei mußt du natürlich helfen.“

„Sehr jern. Nur wenn Sie mir auseinandernehmen wollten, würde ik mir weigern, behilflich zu sind. Wann soll diese Arbeit losjehen?“

„Am liebsten sofort, aber das ist leider unmöglich, da es vorher sehr vieles zu beschaffen gilt. Man muß das aus der nächsten Stadt besorgen.“

„Das würde Tucuman sein,“ sagte der Vater Jaguar, indem er herbeitrat. „Ich stelle mich Ihnen dabei zur Verfügung, Herr Doktor.“

„Wieso, Herr Hammer?“ fragte der Kleine.

„Wir reiten übermorgen nach Tucuman. Dort kann ich Ihnen alles Nötige besorgen. Einige Cambas, welche wir mitnehmen, können Ihnen dann die Sachen bringen.“

„Verstehen Sie sich denn auf solche Einkäufe?“

„Ich denke wohl,“ lächelte der Vater Jaguar. „Sehen Sie sich dieses Megatherium genau an! Besitzt irgend ein Teil oder auch das kleinste Teilchen eine falsche, unrichtige Lage?“

„Nein. Es ist alles so genau am Platze, als ob die Sündflut erst gestern gewesen wäre.“

„So sage ich Ihnen, daß dieses Gerippe, als wir es ausgruben, einen wirren Haufen von Knochen bildete.“

„Wie? Sie haben es ausgegraben?“

„Ausgegraben und zusammengestellt. Sie meinen doch nicht etwa, daß es seit der Sündflut hier zwischen den Büschen gestanden hat?“

„Dann – sind – Sie ja – ein ganz ausgezeichneter Geolog und Paläontolog!“ rief der Kleine aus, indem er zwischen den Wörtern Pausen des Erstaunens machte.

„Wenn auch das nicht; aber wenn ich ein Megatherium fehlerlos zusammenzusetzen verstehe, bin ich wahrscheinlich auch im stande, Ihnen in Tucuman alles einzukaufen und zu senden, was zum Präservieren und Verpacken dieser Knochen gehört.“

„Davon bin ich vollständig überzeugt. Also Sie reisen von hier ab? Schon übermorgen?“

„Ja.“

„Wohin?“

„Hinauf nach der Barranca del Homicidio.“

„Wie gern möchte ich mit! Aber Sie sehen ein, daß mir dies nun vollständig unmöglich ist. Meine Anwesenheit ist hier ungeheuer notwendig, und auch Fritze muß hier bleiben.“

„Ich begreife es und werde Sie den Cambas empfehlen, auf deren Freundschaft Sie sich verlassen können.“

Nach diesen Worten entfernte er sich und gab auch den andern einen Wink, den Gelehrten und seinen Diener jetzt bei dem Skelette allein zu lassen.

Es fiel Morgenstern gar nicht ein, sich zu bedanken oder auch nur zu fragen, wie der Vater Jaguar denn eigentlich auf den Gedanken gekommen sei, das Megatherium für ihn auszugraben. Er war so sehr mit seinem wertvollen Funde und dessen Einzelheiten beschäftigt, daß er zunächst für etwas andres gar keine Gedanken hatte. Er betrachtete und betastete die einzelnen Knochen zum zehnten- und zum hundertstenmal und sprach dabei unaufhörlich erklärend auf Fritze ein, welcher die Feuer immerfort schüren mußte, damit das Faultier ja im hellsten Lichte strahle.

Der Vater Jaguar aber sagte zu Geronimo, als sie mit den andern nach dem Lagerplatz zurückgekehrt waren und sich dort niederließen:

„Ich habe meinen Zweck erreicht. Dieser Gelehrte wird uns mit seinem Diener keinen Schaden mehr machen. Die beiden bleiben hier fest kleben. Ich glaube, sie ließen sich von zehn Pferden nicht fortziehen. Wir können also ruhig hinauf in die Berge, ohne befürchten zu müssen, daß sie uns wieder einen ihrer Eulenspiegelstreiche spielen.“

„Und du willst nicht direkt nach Salta, sondern über Tucuman?“

„Ja. Über Salta müßten wir reiten; der weite Weg würde die Pferde ermüden, wodurch wir nur langsam vorwärts kämen. In Tucuman aber verkaufen wir die Pferde und fahren mit der Diligence weiter. Das geht wie ein Wetter, weil die Pferde oft gewechselt werden. In Salta aber nehmen wir Maultiere, welche in den Bergen unvermeidlich sind.“

„Von wem?“

„Von Rodrigo Sereno, welcher stets die gutgepflegtesten Tiere hat. Auf diese Weise kommen wir mit einem solchen Vorsprunge vor dem Gambusino in die Berge, daß wir genug Zeit finden, alle unsre Vorbereitungen so zu treffen, daß weder er noch Antonio Perillo uns entgehen kann.“

„Nimmst du auch Cambas mit?“

„Fällt mir nicht ein. Aber der alte Anciano und Hauka werden dabei sein.“

„Eigentlich sollte doch die Hälfte von uns im Chaco bleiben, um da Thee zu sammeln!“

„Das können diese Leute später nachholen. Jetzt brauche ich sie, um die beiden größten Halunken, welche die Erde trägt, zu fangen.“

„Und Don Parmesan, der Chirurg?“

„Diesen Menschen können wir nicht gebrauchen. Ich werde es so einzurichten wissen, daß er hier bei Morgenstern und Fritze bleibt.“

So waren also die Rollen verteilt, und man legte sich nieder, um zu schlafen, da frühzeitig nach dem Dorfe zurückgekehrt werden sollte. Morgenstern hätte gewiß vor freudiger Aufregung nicht geschlafen; aber da er schon gestern kein Auge zugethan hatte, fand er heute doch für einige Stunden Ruhe. Die Sonne war jedoch noch nicht aufgegangen, so stand er schon wieder bei seinem Megatherium, um die einzelnen Dimensionen desselben auszumessen und sorgfältig in sein Notizbuch einzutragen.

Er erschrak förmlich, als er hörte, daß aufgebrochen werden sollte. Am liebsten wäre er hier geblieben, aber da dies denn doch nicht möglich war, mußte er sich von *seinem Schatze trennen. Aber er brachte es doch so weit, daß vorher über dem Skelette ein Schutzdach aus Bambus und Schilf errichtet wurde, damit es nicht durch Wind und Regen leiden möge. Dann begann man den Rückweg nach dem Dorfe am klaren Bache, welches am Abende erreicht wurde.

jetzt, da Morgenstern das Megatherium nicht mehr vor sich sah, war er im stande, sich auch mit andern Dingen zu beschäftigen. Er konnte nun auch daran denken, daß es ein sehr reiches Geschenk seitens der Cambas an ihn sei, und daß er dem Vater Jaguar eine sehr schöne und freudige Überraschung zu verdanken habe. Er holte also das Versäumte ein, indem er sich bei diesem und dem Häuptlinge auf das herzlichste bedankte, und erhielt von dem letzteren die Versicherung, daß die Cambas gern nach Kräften bereit sein würden, das Riesenfaultier nach einem Orte zu bringen, von welchem aus der Transport desselben nach einem Hafenorte leicht zu ermöglichen sei. Als davon gesprochen wurde, daß der Vater Jaguar mit seiner Gesellschaft morgen früh nach den Cordilleras aufbrechen werde, hatte derselbe gar nicht nötig, Don Parmesan einen Wink zu geben, daß er ihn nicht gern bei sich sehe, denn der Chirurg kam zu Morgenstern und fragte:

„Señor, Sie reiten morgen nicht mit den andern?“

„Nein.“

„Sie bleiben also hier, um mit Ihrem vorweltlichen Tiere nach gebildeten Gegenden aufzubrechen?“

„Ja.“

„Ich habe eingesehen, daß meine Kunst im Chaco und in den Bergen weit weniger geachtet wird als in den Städten und in der Pampa. Sie wissen, ich bin ein berühmter Chirurg und verstehe jeden Bruch und jede Verletzung zu heilen; ich säble alles herunter; aber wenn man sich meiner Hilfe nicht bedient, so ist alle meine Wissenschaft und Fertigkeit ohne Nutzen. Darum habe ich mich entschlossen, dem Vaterjaguar für diesmal meine Gesellschaft zu entziehen. Ich bleibe auch hier, um dann mit Ihnen nach Gegenden zurückzukehren, in denen Menschen wohnen, welche die Wissenschaft und ihre jünger zu würdigen verstehen. Sind Sie damit einverstanden?“

„Jawohl. Ihre Gesellschaft ist mir sehr angenehm, peramoenus oder pergratus, wie der Lateiner sagt.“

Don Parmesan meldete seinen Entschluß dem Vater Jaguar. Dieser sprach einige Worte des Bedauerns aus, daß er auf einen solchen Gefährten verzichten müsse, war aber innerlich froh, daß es ganz ohne sein Zuthun so gekommen war.

Als die Gesellschaft am andern Morgen aufbrach, waren alle Bewohner des Dorfes versammelt, um sich nochmals für die Rettung zu bedanken und von den Scheidenden Abschied zu nehmen. Eine Abteilung von Kriegern gab ihnen unter der Führung des Häuptlings eine Strecke weit das Ehrengeleit, und zwei Cambas ritten ganz mit bis Tucuman, um die Gegenstände zu bringen, welche der Vater Jaguar dort für Morgenstern kaufen sollte. Der letztere hatte dem ersteren alles auf einem Zettel bezeichnet und ihm auch das Geld dafür eingehändigt.

Gegen Mittag kam das Ehrengeleit zurück, und dann ritt der Häuptling nach dem Thale des ausgetrockneten Sees, um dort die verwundeten Abipones und deren Pfleger zu besuchen. Er nahm einige seiner Leute mit, und da Morgenstern nichts zu thun und also Langeweile hatte, bat er, sich mit Fritze anschließen zu dürfen, was ihnen auch sehr gern gewährt wurde. Sie fanden alles im besten Zustande; seit ihrer Abwesenheit war nichts geschehen, was die am See Zurückgebliebenen hätte beunruhigen können. Nur einen Umstand gab es, welcher das Bedenken des Cambas erregte, der den Befehl über die andern führte. Er erkundigte sich nämlich bei dem Häuptlinge, wieviel Pferde von den Abipones und den Weißen erbeutet worden seien, und sagte, als er die Zahl erfuhr:

„Da fehlen zwei. Es sind nur fünfzig Reiter gewesen, welche fünfundfünfzig Pferde gehabt haben. Diejenigen des Gambusino und von Perillo sind erschossen worden, also müßten wir dreiundfünfzig erbeutete Pferde haben; du sagst aber, daß es nur einundfünfzig seien. Wo sind die beiden fehlenden?“

„Es wird auf einem einfachen Irrtum beruhen,“ meinte der Häuptling.

„Nein, denn es sind dreiundfünfzig Sättel dagewesen. Es fehlen zwei Pferde, welche des Abends oder des Nachts abhanden gekommen sind.“

„Wohin sollten sie sein!“

„Der Gambusino hat sie geholt.“

„Sage nicht das!“ rief der harte Schädel erschrocken aus.

„Wie wäre er in das Thal gekommen, da am Eingange desselben stets ein Doppelposten gestanden hat?“

„Frage diese Posten, ob sie ihre Pflicht gethan oder etwa mit bei den Feuern gesessen haben! Mir fällt etwas auf, was ich mir nur dadurch erklären kann, daß der Gambusino die beiden Pferde heimlich entführt hat.“

„Was?“

„Da ich wußte, daß die Leiche des erschossenen Hauptmanns Pellejo draußen auf dem Campo lag, so ritt ich, als ihr fort wart, hinaus, um zu überlegen, ob ich sie unter die Erde bringen oder nur mit Zweigen überdecken solle. Ich fand sie und scharrte sie im Sande ein. Eine Strecke weiter lagen die Pferde des Gambusino und Perillos, welche der Vater Jaguar erschossen hatte. Ich sah, daß ihnen die Sättel fehlten. Ist das nicht auffällig zu nennen?“

„Nein, denn Perillo und der Gambusino haben sie ihnen jedenfalls abgeschnallt und dann mitgenommen, um sie zu brauchen, sobald sie zu neuen Pferden kommen werden.“

„Dann hätten sie doch auch das Zaumzeug mitgenommen!“

„War dies denn noch da?“

„Ja, und zwar bei beiden Pferden.“

„Das ist freilich unbegreiflich, denn wer den Sattel braucht, der braucht den Zaum noch notwendiger; ja, man kann ohne Sattel eher reiten als ohne Zügel.“

„Ich finde es nicht unbegreiflich, sondern leicht erklärlich. Die Pferde, welche wir erbeuteten, trugen die Zäume und Zügel noch. Es fehlen zwei von ihnen. Der Gambusino hat sie geholt, und weil sie Zäume hatten, so brauchte er dann den erschossenen Pferden nur die Sättel abzunehmen.“

„Wie aber kann er in das Thal gekommen sein, da der Eingang desselben von zweien unsrer Krieger besetzt war!“

„Diese Wächter haben ihren Posten verlassen gehabt. Erkundige dich nur, denn ich habe dir etwas noch wichtigeres zu sagen. Als ich nach der Leiche ritt, sah ich verschiedene Spuren im Grase. Ich fand die Fährte, welche die beiden Flüchtlinge und ihre Verfolger zurückgelassen hatten. Ich fand auch die Spur des Vater Jaguar und des alten Anciano, welche sie bei ihrer Rückkehr gemacht hatten; sie führte nahe am Walde hin. Dann aber sah ich die Fährte zweier Fußgänger, welche da begann, wo sich die Flüchtlinge versteckt hatten, eine Strecke hinaus in den Campo führte und dann nach dem Thale zeigte. Hierauf gab es noch zwei Pferdespuren, welche aus dem Thale kamen und, von den andern Fährten etwas entfernt, nach der Stelle führten, wo die toten Pferde lagen. Dort war angehalten worden und abgestiegen, worauf diese Doppelspur dann immer am Walde entlang nach Norden weiter lief. Diese Reiter haben den Wald umreiten wollen. Was sagst du dazu?“

jetzt machte der Häuptling ein sehr bedenkliches Gesicht. Er schüttelte den Kopf, sann eine Weile nach und meinte dann:

„Wenn das so ist, dann ist der Gambusino mit Antonio Perillo Im Thale gewesen, um dort die beiden Pferde zu holen.“

„Das sage ich auch. Und noch eins behaupte ich, nämlich daß der Vater Jaguar in großer Gefahr schwebt, denn der Gambusino wird ihm nun zuvorkommen. Wann ist der Jaguar fort?“

„Heute früh.“

„So hat der Gambusino einen Vorsprung von drei Tagen, ein Vorsprung, welcher gar nicht eingeholt werden kann.“

„Vielleicht doch, denn der Vater Jaguar ist nach Tucuman, um von dort aus mit der Diligence zu fahren, während der Gambusino jedenfalls durch die Wälder und Wüsten nach Salta ist.“

„O, auch er ist klug. Wie nun, wenn er auch nach Tucuman geritten ist?“

An diesem Falle schwebt der Jaguar freilich in größter Gefahr. Ich muß ihm einen Boten nachsenden. Vorher aber will ich mich erkundigen, wer die Posten gewesen sind, welche am Thaleingange Wache gestanden haben.“

Er stieg auf sein Pferd, um schnell davonzureiten; seine roten Begleiter thaten dasselbe, und Morgenstern folgte mit Fritze diesem Beispiele. Man mußte durch den Wald langsam reiten; aber dann, als er zu Ende war, wurden die Pferde angetrieben, daß sie wie Pfeile über die Ebene flogen. Wenn dem Vater Jaguar ein Bote nachgeschickt werden sollte, so hatte man keine Zeit zu verlieren.

Der Häuptling sprengte mit seinen Indianern voran; die beiden Deutschen folgten hinterdrein. Das, was sie gehört hatten, ging ihnen im Kopfe herum. Während sie eng nebeneinander dahinritten, sagte Morgenstern:

„Fritze, wie lange meinst du wohl, daß mein Megatherium unter dem Schutzdache stehen kann, bevor es Schaden leidet?“

„Jedenfalls monate-, vielleicht auch sogar jahrelang.“

„Wirklich?“

„Janz jewiß! Warum fragen Sie?“

„Weil ich einen Gedanken habe, den ich nicht wieder loswerden kann.“

„Welchen?“

„Den Gedanken an die Gelegenheit zu einer tapfern That. Weißt du, wir sprachen davon!“

„Ik entsinne mir. Sobald sich die Jelejenheit zu eine solche That zeigt, wollten wir sie ausführen, um unsre Ehre wiederherzustellen.“

„Nun, die Gelegenheit ist da.“

„Welche?“

„Der Vater Jaguar befindet sich in einer großen Gefahr, lateinisch Periculum genannt.“

„Dat habe ik jehört, aber wat haben wir damit zu thun?“

Der schlaue Fritze zeigte sich jetzt so schwerhörig, weil er sich nicht wieder sagen lassen wollte, daß er seinen Herrn verleitet habe.

„Das kannst du mich fragen!“ wunderte sich Morgenstern. „Wir haben ihm viel, sehr viel, sogar unser Leben zu verdanken, und jetzt fragst du, was wir mit der Gefahr zu thun haben, in welche er geraten wird? Ich kenne dich nicht mehr!“

„Dafür aber kenne ik mir. Meinen Sie etwa, daß wir ihn befreien?“

„Ja.“

„Da müßten wir ihm nachreiten?“

„Allerdings.“

„Aber der Häuptling will ihm doch einen Boten nachsenden. Da sind wir doch überflüssig.“

„Nein. Wie nun, wenn der Bote ihn nicht mehr in Tucuman antrifft? Er wird umkehren, weil er meint, seine Pflicht gethan zu haben.“

„Wir aber würden dem Vater Jaguar nachreisen?“

„Ganz selbstverständlich. Wir würden nicht ruhen, bis wir ihn gefunden und aus den Händen des Gambusino befreit hätten. Meinst du nicht auch?“

„Ja. Wenigstens ik würde nicht eher ruhen.“

„Ich auch nicht. Oder denkst du, daß du tapfrer und aushaltender bist als ich?“

„Nein, dat habe ik noch nie jedacht und denke es auch in diesem Momente nicht.“

„So sag, ob du einverstanden bist!“

„Hm! Ik möchte wohl, wenn nur eins nicht wäre.“

„Was?“

„Dat Megatherium.“

„Das geht dich nichts an; das ist meine Sache. Wenn ich es einstweilen stehen lasse, brauchst du dich nicht zu grämen; es bleibt uns ja gewiß.“

„Ja, fortlaufen wird es nicht. Thun Sie, wat Sie wollen. Ik richte mir janz nach Sie.“

„So ist es ausgemacht: Wir reiten nach Tucuman.“

„Wird der Häuptling uns fortlassen?“

„Kann er uns halten? Hat er uns etwas zu befehlen?“

„Nein, aber er kann leicht einen Grund haben, uns festzuhalten.“

„Das dulde ich nicht.“

„Ik auch nicht. Aber es ist iar nicht nötig, widerspenstig zu sein und Jewalt zu jebrauchen. Wir erreichen unsern Zweck mit List viel eher und leichter.“

„Wieso?“

„Wir brauchen nur zu sagen, daß Sie verjessen haben, dem Vaterjaguar verschiedenes zu sagen, wat Sie noch für dat Megatherium brauchen. Darum wollen wir mit dem Boten jern nach Tucuman reiten, um es zu holen. Dajejen kann ja kein Mensch wat haben.“

„Das ist wahr. Du bist ein Schlaukopf. Also es ist sicher: wir reiten nach Tucuman.“

„Ja, wenn es sich herausstellt, daß die Jeschichte von der Jefahr, in welcher der Jaguar schwebt, wirklich wahr ist.“

Leider stellte es sich heraus, daß der Indianer im Thale des ausgetrockneten Sees sich nicht geirrt oder verrechnet hatte. Die beiden Posten wurden ermittelt und gaben zu, daß sie den Eingang verlassen und ihre zwei Stunden am Feuer in der Gesellschaft der andern zugebracht hatten. Der Häuptling hatte keinen Grund, die beiden Deutschen von dem Ritte abzuhalten, und so jagten die drei Reiter noch vor Mitternacht zum Dorfe hinaus, der Richtung nach Tucuman zu. – – –

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El Hijo Del Inka

El Hijo del Inka

Ungefähr zwanzig Kilometer im Norden von der Stelle, an welcher sich das soeben Erzählte ereignete, liegt jenseits des Rio Salado die Laguna Tostado. Der schon erwähnte Monte impenetrabile, d. i. undurchdringliche Wald, schickt seine Ausläufer bis an das Ufer der Lagune. Er dehnt sich längs des Rio Salado in nordwestlicher Richtung aus und ist nur da zu durchqueren, wo durch irgend welche Einflüsse oder Zufälle eine natürliche Öffnung entstanden ist. Diese Öffnungen bilden die Ausfallspforten, durch welche die Indianer des Chaco ihre Raubzüge in das bewohnte Land unternehmen.

Am Nachmittage desselben Tages schritten zwei Personen langsam und wie suchend an dem Rande des Waldes hin. Die eine, welche voranschritt, war ein sehr alter Mann, dessen Gesicht so viele Falten und Fältchen hatte, daß man sie nicht zu zählen vermochte. Er schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen, doch waren seine Bewegungen so kräftig und sicher, daß man ihn für viel jünger hätte halten mögen, als er wirklich war. Seine Kleidung bestand aus einer langen Hose von weichgegerbtem Leder und einem kurzen Hemde aus demselben Stoffe. Das letztere wurde über den Hüften von einem schmalen Gürtel zusammengehalten, in welchem ein Messer steckte. Die Füße staken in niedrigen, sandalenartigen Schuhen, denen man es ansah, daß er sie wohl selbst gefertigt hatte. Ein über der Schulter hängender Riemen trug ein großes Pulverhorn, einen ledernen Bleibeutel und eine eiserne Kugelform. Den Kopf trug der Alte unbedeckt oder vielmehr nur bedeckt von dem dichten, langen, wie Silber glänzenden Haare, welches wie eine Mähne hinten bis zum Gürtel herniederhing. Von einem Barte aber war keine Spur zu sehen. Auf dem Rücken trug er eine Art Jagdtasche, welche aus dem Felle eines Silberlöwen gefertigt war, und in der Hand ein starkes, einläufiges Gewehr.

Die andere Person war ganz genau so gekleidet und bewaffnet wie dieser Mann, trug eine ganz gleiche Tasche auf dem Rücken und das Haar auch lang bis auf den Gürtel hinab, war ihm aber in andrer Beziehung um so mehr unähnlich. Dieser andre war nämlich ein Jüngling, welcher kaum achtzehn Jahre zählen mochte, nicht lang, aber stark und untersetzt gebaut und von einer auffallenden Gewandtheit in seinen Bewegungen. Sein Haar besaß die tiefste Schwärze; sein Gesicht war jugendlich frisch und vom Gehen jetzt leicht gerötet. Man mußte ihn ebenso wie den Alten für einen Indianer halten, und doch hätte man aus einigen Anzeichen schließen mögen, daß er kein solcher sei. Seine dunkeln Augen standen nicht schief gegen einander; die Backenknochen traten nicht hervor; die Lippen waren fein, und die kleine Nase hatte keineswegs die aufgeworfene Gestalt, welche den Nasen der Indianer Südamerikas eigen ist; sie besaß vielmehr eine edle Form, sie war schmal und leicht gekrümmt. Sein Gesicht war zwar jetzt von der Sonne verbrannt, hatte aber jedenfalls ursprünglich eine viel hellere als die gewöhnliche Indianerfarbe.

Beide schritten zwischen dem Wasser der Lagune und dem Waldesrande hin, um den letzteren mit scharfen Augen zu mustern. Da erhob der Jüngling die Hand, deutete vor sich hin und sagte im Kaltschakidialekte der Ketschuasprache:

„Schau, Anciano, dort scheint der Baum zu stehen. Ich weiß genau, daß es ein Ombu von dieser Größe war.“

Aus dem Umstande, daß der junge Mann sich dieser Sprache bediente, war mit Sicherheit zu schließen, daß seine Heimat nicht hier in dieser Gegend zu suchen sei. Der Ombu (Phytolacca dioeca) ist ein mächtiger Baum, dessen Blätter mit denjenigen des Maulbeerbaums große Ähnlichkeit haben. Das merkwürdigste an ihm ist sein Stamm, ein dicker Holzkörper vom Umfange einer mächtigen Eiche, der sich nach unten schnell ausdehnt und in gewaltige Wurzeläste teilt, die in Windungen eine Strecke über der Erde fortlaufen und erst dann in den Boden eindringen. Auf diese Wurzeln setzt man sich, wenn man den Schatten benutzen will, welchen die weit ausgebreitete Krone spendet. Aber dieser kolossale Stamm hat ein so lockeres Holz, daß es, wenn man hineinstößt, wie Zunder bricht. Darum ist der Ombu zu nichts zu gebrauchen, denn sein Holz ist nicht einmal zum Verbrennen tauglich. Man pflanzt ihn nur an, um einen Schattenspender zu haben.

„Du kannst recht haben, o Herr,“ antwortete der Alte in derselben Sprache. „Der Ombu, unter welchem wir unsre Sachen vergruben, ehe wir die Gegenden der Spanier besuchten, hatte ganz dieselbe Gestalt wie dieser. Laß uns nachsehen!“

Der Alte nannte den jungen „Herr“, bei Indianern ein ganz und gar unmöglicher Brauch. Diese beiden Personen schienen in einem ganz eigentümlichen Verhältnisse zu einander zu stehen. Sie schritten auf den Ombu zu, blieben unter demselben halten und legten ihre Taschen und Gewehre ab. Dann untersuchte der Alte den Boden. Auf eine Stelle deutend, an welcher das Gras im Wachsen zurückgeblieben war, sagte er:

„Du hast richtig vermutet, Herr. Wir sind an Ort und Stelle. Weil wir damals den Rasen hier aufgruben, hat dem Grase die Ernährung gefehlt. Ich werde suchen. Hoffentlich hat niemand diesen Ort entdeckt.“

Er kniete nieder und zog das Messer, um die Erde aufzugraben. Der Jüngling wollte dasselbe thun; der Alte aber bat:

„Laß es mich allein thun, o Herr! Du bist zum Herrschen geschaffen, nicht aber zu dieser Arbeit eines Untergebenen.“

„Und dennoch helfe ich dir, lieber Anciano. Du weißt ja, ich thue es gern, denn du bist alt, und ich bin jung.“

Aber Anciano schob ihn mit dem Arme sanft zurück und antwortete:

„Alt? Ich bin noch nicht alt. Ich zähle erst ein einziges über hundert Jahre; meine Vorfahren aber sind viel, viel älter geworden.“

Während der Alte emsig grub, fuhr er fort:

„Ja, weit über hundert Jahre! Mein Vater zählte hundertzehn, mein Großvater hundertelf und dessen Vater gar hundertzwanzig. Und dessen Vorgänger war es, der deinen Urahnen aus der Hand der Spanier rettete, als sie den großen Inka Atahualpa ermordeten und seine ganze Familie ausrotten wollten. Haukaropora hieß dieser dein göttlicher Vorfahre, und denselben Namen hast du auch erhalten. Er war der jüngste Sohn von Atahualpa und in der Ferne geboren, so daß Pizarro, der Mörder, nichts von seinem Dasein wußte. Unser großes Reich wurde zerstört, mit dem Schwerte und dem Feuer, durch List, Betrug und Verrat. Man meint, die Inkas seien ausgestorben, aber du lebst, der letzte der Sonnensöhne, und es wird die Zeit kommen, in welcher du die Spanier bestrafen und dein Reich zurückerobern wirst.“

Haukaropora hatte sich in das Gras gestreckt und, den Kopf in die Hand gestützt, den Worten des Alten zugehört. Sein Gesicht hatte einen tief wehmütigen, ja melancholischen Ausdruck angenommen. Er seufzte auf und sagte, als Anciano jetzt schwieg:

„Das hast du mir schon so oft gesagt, aber ich glaube es nicht. Ich glaube dir alles, alles, nur dieses nicht.“

„Wie? Du glaubst nicht, daß du ein Inka, ein Sohn der Sonne bist?“ fragte der Alte erstaunt.

„Das glaube ich, denn du hast es mir bewiesen, und ich selbst fühle in mir etwas ganz Unbeschreibliches, was mir sagt, daß ich nicht so bin wie andre. Aber, daß das Reich meiner Ahnen wieder erstehen könne, das glaube ich nicht.“

Da richtete sich der Alte aus seiner gebückten Haltung auf und antwortete in feierlichem Tone:

„Du sollst und mußt es aber glauben, denn es gibt eine Gerechtigkeit, welche jede Sünde, jede Missethat bestraft und dem Unschuldigen das wiedergibt, was ihm genommen wurde. Du wirst das Reich deiner Väter wieder aufrichten; ich sage es dir, und mein Wort ist immer wie ein Schwur. Kein Mensch ahnt, wer du bist, denn wir haben es geheim gehalten. Nur wenn wir allein sind, bedienen wir uns der Sprache unsrer Ahnen und ich nenne dich Herr. Wenn aber andre bei uns sind, bin ich ein armer Indianer, und du bist mein Enkelsohn. Es wird aber die Stunde schlagen, in welcher dieses Geheimnis gelüftet wird.“

„Aber ohne Erfolg, mein Vater! Ich hatte Lust, die Länder und Städte der Spanier kennen zu lernen, und du hast mich aus meiner Einsamkeit genommen und nach Osten geführt. Ich habe diese Städte, diese Pampas und ihre Bewohner gesehen, und nun wir zurückkehren, weiß ich, daß unsre Hoffnungen sich nie erfüllen werden.“

„Nie? Warum?“

„Weil sie zu mächtig und listig sind und wir keine Mittel besitzen, den Kampf mit ihnen siegreich aufzunehmen und auszuhalten.“

„Mächtig und listig!“ lachte der Alte rauh auf. „Sie bethätigen ihre Macht, indem sie sich unter einander zerfleischen. Und ihre List ist nichts als Heimtücke, welche den eigenen Herrn vernichtet. Steht nicht das Land in immerwährender Empörung? Warte noch eine kleine Weile, dann wird man sich nach dem Erlöser sehnen, und der wirst du sein, o Herr.“

„Woher soll ich Soldaten nehmen, um zu siegen?“

„Alle roten Männer werden mit dir sein!“

„Und woher das Geld, welches ein Heerführer haben muß? Die Völker der Roten sind alle arm.“

„Aber du bist reich, reich wie kein andrer!“

„Ich? Reich?“ fragte der Jüngling in ungläubigem Tone.,

„Ja reich, unendlich reich,“ antwortete der Alte. Und indem er mit der flachen Hand auf seine Silberlöwentasche schlug, fuhr er fort.

„Hier steckt es, das Vermächtnis des Inka, dessen rechtmäßiger und einziger Erbe du bist. Seit dem Tode deines Vaters habe ich es bei mir herumgetragen, und zu seiner Zeit wird es von mir geöffnet werden. Doch schau, o Herr, die Grube ist geöffnet, und unsre Waffen kommen zum Vorschein.“

Er hatte die Erde ausgeworfen und nahm die Gegenstände, welche das Loch enthielt, heraus. Es waren zwei lederne Köcher, mit Pfeilen gefüllt, zwei lange Lanzen und zwei Bogen, von denen der eine ganz aus durchsichtigem Horn bestand und von fremder, eigenartiger Arbeit war. Zuletzt brachte er noch einen Streitkolben heraus, welcher eine schwarze Farbe hatte und aus gefirnißtem Eisen zu sein schien. Jeder erhielt einen Speer, einen Köcher und einen Bogen; der des jungen Inka war derjenige von Horn, welcher eine Länge von beinahe drei Ellen hatte. Dazu bekam er den Streitkolben, den er sich an den Gürtel hing, und zwar an der linken Seite, an der Stelle, an welcher man den Säbel zu tragen pflegt. Die Art und Weise, wie er dabei mit dem Kolben hantierte, ließ vermuten, daß derselbe von bedeutendem Gewichte sei.

Der Alte hatte sich erhoben, nickte dem Jünglinge ernst zu und sagte:

„Dieser Bogen und der Humantschuay sind die einzigen Gegenstände, welche von den Söhnen der Sonne auf dich übergegangen sind. Halte sie lieb und wert, o Herr! Du glaubtest vorhin, du seist arm; darum will ich dir etwas sagen, was ich dir bisher verschwiegen habe. Im Heere der Sonnensöhne trug jeder Obere, auch der Inka, außer den andern Waffen auch einen schweren, zackigen Streitkolben, Humantschuay genannt. Die gewöhnlichen Kämpfer hatten Streitäxte aus Bronze; der Streitkolben der Heerführer war aus Silber, derjenige des Inka aber aus purem, reinem Golde. Dieser Humantschuay, der hier an deiner Seite hängt, war die Waffe eines Inka; er besteht aus gediegenem Golde.“

„Aus Gold?“ fragte der Jüngling erstaunt, indem er den Kolben aufnahm und betrachtete. „Er ist ja schwarz wie Eisen!“

„Weil er einen dünnen Überzug aus Lack besitzt. Eine goldflimmernde Waffe darfst du jetzt nicht sehen lassen. Später aber wird sie in deiner starken Hand deinen Kriegern voranleuchten. Sie ist bei der Flucht deines Ahnen gerettet worden. Wenn du bedenkst, wie schwer sie ist, wirst du er kennen, welchen Wert du in den Händen hast. Und ich bin überzeugt, daß noch ganz andre Reichtümer für dich verborgen liegen.“

„Mag er von Gold sein,“ meinte der Jüngling kopfschüttelnd, „dieser Streitkolben; er wird jetzt keinem Feinde mehr gefährlich. Man hat ganz andre Waffen als damals. Was sind tausend Streitkolben gegen fünfzig Flinten oder eine einzige Kanone! Seit du drüben in Montevideo diese beiden Flinten gekauft hast, weiß ich, wie schwach unsre bisherigen Waffen waren.“

„Das glaube nicht! Der Klang des Pulvers verrät dich deinem Feinde; der Pfeil aber ist verschwiegen. Du tötest mit ihm viele Feinde, bevor man erkennt, wo du dich befindest. Jetzt aber komm, o Herr, damit wir bis zum Abend ein Wasser erreichen, an welchem wir unsern Durst zu stillen vermögen!“

Sie hatten, ehe sie vor Monaten die Wildnis verließen, ihre Waffen außer den Messern hier vergraben und befanden sich nun wieder im Besitze derselben. Da sie es nicht für nötig fanden, das Loch wieder zuzufüllen, ließen sie es offen und nahmen ihre vorhin unterbrochene Wanderung wieder auf. Pferde besaßen sie nicht; sie kehrten zu Fuße in ihre ferne Heimat zurück.

Die Lagune verlassend, marschierten sie am Waldesrande hin. Sie hatten viel zu tragen, was aber auf die Schnelligkeit ihrer Schritte von gar keinem Einflusse war. Der über hundert Jahre alte Greis schritt rüstig wie ein junger, dreißigjähriger Mann neben seinem Begleiter her. Er war von diesem Anciano genannt worden, ein spanisches Wort, welches der Alte, der Hochbetagte, der Greis bedeutet. Es ist übrigens bekannt, daß man bei den Indianern der Cordilleren oft Personen findet, welche über hundert Jahre zählen.

Da, wo die beiden jetzt gingen, entfernte sich der Wald vom Flusse, so daß zwischen beiden ein ziemlich breiter Campo blieb, in dessen niedrigem Grase leicht zu gehen war. Sie suchten sich eine der erwähnten natürlichen Öffnungen im Walde, um eine andre Richtung einzuschlagen. Nach ungefähr einer Stunde gelangten sie an eine solche, welche gerade nordwärts durch den Wald zu führen schien. Sie war schmal, höchstens vierzig Schritte breit. Sie folgten ihr.

Noch aber waren sie nicht weit vorwärts gekommen, als der Inka, welcher doch schärfere Augen als der Alte hatte, diesen plötzlich am Arme faßte und ihn schnell seitwärts unter die Bäume zog.

„Was ist’s? Was gibt’s?“ fragte Anciano. „Hast du etwas gesehen? Vielleicht ein Tier, welches wir schießen können, um frisches Fleisch zu erhalten?“

„Nicht nur ein Tier, sondern viele habe ich gesehen,“ antwortete der Gefragte.

„Wo?“

„Gerade vor uns in der Lichtung.“

„Welcher Art?“

„Pferde, und auch Menschen waren dabei.“

„Pferde und Menschen? Wer könnte das sein? Was wollen die hier? Wie viele waren es?“

„Das kann ich nicht sagen, da ich sie nur einen Augenblick lang sah und dann mich hier verstecken mußte.“

„Das hast du klug gemacht, o Herr. Wir befinden uns hier im Gebiete der Abipones, welche unsre Todfeinde sind; da können wir nicht vorsichtig genug sein. Was thaten sie? Ritten sie vor uns her oder auf uns zu?“

„Sie ritten nicht, sondern sie lagerten.“

„Dann werde ich mich hinschleichen, um sie zu beobachten.“

„Laß mich das thun, lieber Anciano! Es ist zu gefährlich, und du bist so alt.“

„Ich bin nicht zu alt, du aber bist zu jung dazu. Und wie könnte ich dich, Herr, einer solchen Gefahr überantworten!“

„So gehen wir beide!“

„Nein. Einer genügt; aber zwei sind zu viel.“

Sie stritten sich noch eine kurze Zeit, da jeder die Gefahr auf sich nehmen wollte; aber der Alte setzte in aller Liebe seinen Willen durch und entfernte sich, nachdem er dem Jünglinge angedeutet hatte, den Ort auf keinen Fall zu verlassen. Es dauerte wohl eine halbe Stunde, bevor er zurückkehrte; dann kam er geschlichen und meldete:

„Es sind wirklich Abipones. Ich zählte fünfzig Pferde und ebensoviele Leute.“

„Woher mögen diese Menschen die Pferde haben?“

„Gestohlen natürlich.“

„Wie waren sie bewaffnet?“

„Mit Lanzen, Bogen, Pfeilen und Blasrohren.“

„So haben sie Giftpfeile bei sich und man muß sich in acht nehmen. Was thun wir? Können wir vorüber?“

„Nein. Die Öffnung des Waldes ist zu schmal.“

„So schleichen wir unter den Bäumen an ihnen vorbei.“

„Auch das geht nicht. Der Wald ist undurchdringlich. Die Schlingpflanzen bilden eine dichte Masse, durch welche man nicht gelangen kann. Schon jetzt war es mir unmöglich, wenigstens am Saume hin mich soweit anzuschleichen, daß ich die Leute sehen und genau zählen konnte.“

„So kommen wir also gar nicht weiter vorwärts?“

„Nein. Wir müssen zurück und uns eine andre Öffnung des Waldes suchen. Komm, o Herr!“

Sie gingen zurück, bis sie den Campo wieder erreichten, und schritten dann wieder in der vorigen Richtung am Walde hin. Dieser machte nach einiger Zeit einen Bogen nach Norden, den sie dadurch abschnitten, daß sie die dadurch entstehende halbkreisförmige Prairie geradeswegs überschritten. Die erste Hälfte des Nachmittages war vergangen, und die Sonne neigte sich stark dem westlichen Horizonte entgegen.

Indem sie über diese offene Prairie marschierten, erblickten sie plötzlich links von sich, also im Süden und dem Flusse zu, einen einzelnen Reiter, welcher in gestrecktem Galopp näher kam. Und zu gleicher Zeit bemerkten sie vor sich im Grase eine dunkle Linie, eine breite Spur, die nach Nordwest führte, und welcher dieser Reiter zu folgen schien. Sie blieben überlegend stehen.

„Was thun wir?“ fragte der Inka. „Weichen wir ihm aus?“

„Das ist unmöglich,“ meinte der Alte. „Er ist schneller als wir und würde uns einholen. Übrigens brauchen wir uns vor einem einzelnen Mann doch nicht zu fürchten.“

„Auch nicht, wenn er zu den Abipones gehört?“

„Auch dann nicht; denn ehe er sie herbeiholen könnte, wären wir schon weit fort. Übrigens glaube ich zu sehen, daß er ein Weißer ist.“

Der Reiter hatte natürlich auch sie gesehen und kam auf sie zu. Bei ihnen angekommen, hielt er sein Pferd an, grüßte und fragte in spanischer Sprache:

„Darf ich erfahren, Señores, woher Sie kommen?“

„Wir kommen vom Parana her,“ antwortete Anciano höflich in derselben Sprache.

„Und wohin wollen Sie?“

„Durch den Gran Chaco hinauf in die Berge.“

„Wer sind Sie?“

„Wir sind Indianer, die zu keiner Partei gehören und mit den Weißen in Frieden leben.“

„Das freut mich. Ich bin Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardianta.“

„Ein sehr langer und wohl auch sehr vornehmer Name, Señor, nicht?“

„Ja. Ich stamme aus Altkastilien, wo meine Ahnen auf Burgen und Schlössern wohnten. Aber da Sie durch den Chaco und nach den Bergen wollen, so fällt mir ein – – gehören Sie etwa zur Gesellschaft des Vaters Jaguar?“

„Des Vaters Jaguar? Ist dieser berühmte Mann denn hier?“

„Allerdings. Ich suche ihn. Ich glaube, die Fährte, die Sie da vor sich sehen, ist die seinige. Also Sie gehören nicht zu ihm?“

„Nein; aber wir würden uns sehr freuen, wenn wir ihn treffen könnten; denn er würde uns gewiß erlauben, uns ihm anzuschließen. Also Sie meinen, daß dies seine Spur ist?“

„Ja. Wir hatten seine Fährte schon einmal, ritten aber nicht auf derselben fort, weil wir bei einem vorweltlichen Tiere halten blieben. Dann als ich die Fährte brauchte, war sie verschwunden. Nachher aber erreichte ich eine Stelle, wo der Vater Jaguar Halt gemacht haben muß, und von da aus ist die Spur wieder zu sehen.“

„So bitten wir, derselben mit Ihnen folgen zu können!“

„Gern, wenn Sie nicht zu langsam gehen. Ich habe nämlich Eile.“

„Wir gehen schnell.

„So kommen Sie!“

Er ritt in ziemlich schnellem Schritte weiter, und sie waren so gute Läufer, daß es ihnen nicht schwer wurde, sich an seiner Seite zu halten. Dabei meinte er, sie noch genauer als bisher betrachtend:

„Sie kennen meinen Namen und meine edle Abstammung, Señores. Darf ich nun auch wissen, wie ich Sie zu nennen habe?“

„Ich heiße Anciano, und der Name meines Enkelsohnes ist Haukaropora. Wem dieser Name zu lang ist, der pflegt gewöhnlich nur Hauka zu sagen.“

„Das werde auch ich thun, denn es findet da eine Amputation der letzten drei Silben statt, und ich liebe solche Operationen. Ich bin nämlich Chirurg. Was sagen Sie zu einer operativen Entfernung der Kniescheibe? Wird der Patient dann noch gehen können?“

„Wohl schwerlich, Señor.“

„Schwerlich? Sehr leicht sogar, Señor Anciano. Man muß es nur richtig zu machen verstehen. Ein Schnitt zur rechten Zeit und in der richtigen Weise. Mir würde er sicher gelingen. Es wäre zwar eigentlich kein Schnitt, sondern eine Arbeit mit der Knochensäge; aber das schadet nichts, denn ich säble bekanntlich alles herunter!“

Der Alte strich sich das lange Haar aus der Stirn und sah den Sprecher mit einer gewissen Befangenheit an, da er nicht wußte, was er von dessen Worten denken und auf dieselben antworten solle. Der Chirurg bemerkte das und fragte:

„Sie glauben es vielleicht nicht? O, ich habe Operationen ausgeführt, bei denen es eine wahre Wonne war, die Knochensäge arbeiten zu hören! Was halten Sie vom Klumpfuße? Ist er durch eine Operation zu heilen?“

„Das kann ich leider nicht sagen, Señor.“

„Nicht Señor, sondern Don! Ein solcher Edelmann, wie ich bin, wird Don genannt. Sagen Sie also einfach Don Parmesan. Wie es scheint, kennen Euer Gnaden den Vater Jaguar?“

„Ja; ich habe ihn nicht nur schon gesehen, sondern auch mit ihm gesprochen.“

„Das ist mir lieb! Ich lerne also in Ihnen einen Bekannten von ihm kennen. Glauben Sie, daß er bereit sein wird, zwei deutsche Señores zu retten?“

„Deutsche? Was ist das?“ „Leute aus Deutschland.“ „Das kenne ich nicht.“

„Da scheint es mit Ihren geographischen Kenntnissen schlecht zu stehen, Señor Anciano. Deutschland ist ein Land, welches jenseits des Meeres liegt, westlich von Spanien, nördlich von Rußland, südlich von England und östlich von Italien. Da haben Sie seine Grenzen. Die Leute dort sind des Teufels darauf, Riesentiere auszugraben. Bei einem solchen Geschäft sind wir von den Abipones erwischt worden.“

„Von den Abipones? Wo war das?“

„Jenseits des Rio Salado, aber diesseits der Laguna Porongos.“

„Auch dort waren Abipones? Seltsam! Wie viele?“ „Vielleicht fünfzig.“ „Grad so viele, wie auch wir gesehen haben.“ „Wo?“ „Da hinter uns im Walde.“

„Das ist kein gutes Zeichen. Sollten diese Kerls etwa einen Einfall planen? Ich wünsche sehr, den Vater Jaguar zu finden, damit der lateinische Deutsche und sein Diener baldigst gerettet werden.“

Er erzählte den beiden in seiner Weise das erlebte Abenteuer. Dabei gelangten sie wieder in den Wald und wurden von der Fährte, welcher sie folgten, am Saume desselben hingeführt, bis er eine kleine Bucht bildete, vor welcher sie überrascht halten blieben, denn auf derselben grasten wohl über zwanzig Pferde, und ebensoviele Männer lagen in den verschiedensten Gruppierungen umher. Sie waren wohlbewaffnet und alle, ohne Ausnahme, ganz und gar in Leder gekleidet. Als sie die Ankömmlinge erblickten, sprangen sie auf, und einer, welcher von riesiger Gestalt war und einen dichten, grauen Bart trug, kam auf sie zu.

„Das ist der Vater Jaguar,“ flüsterte Anciano dem Chirurgen zu.

Der Genannte bildete heute eine ganz andre Figur als in Buenos Ayres. Dort hatte er einen feinen Anzug nach französischem Schnitte getragen und auch schon so einen jeden mit seiner gewaltigen Figur imponiert. Hier aber in dem Lederanzuge und in den langen Stiefeln sah er noch ganz anders aus. Es war, als ob diese Gestalt gar nicht ohne dieses Habit gesehen werden dürfe. Er nahm zunächst keine Notiz von dem Chirurgen, sondern wendete sich an dessen Begleiter und rief sichtlich erfreut, indem er ihnen die Hände entgegenstreckte:

„Anciano und Hauka! Hier unten im Chaco! Was hat denn euch bewogen, von euern Bergen herabzusteigen, und welcher Zufall führt euch grade heut an diesen Ort?“

Sie drückten ihm die Hände, und Anciano antwortete:

„Davon später, Señor. Es gibt Notwendigeres zu besprechen. Sie sollen zwei gefangene Männer retten.“

„Wie? Zwei Gefangene retten? Das klingt ja sehr nach Abenteuer! Wer sind diese Leute?“

„Don Parmesan wird es Ihnen sagen.“

Der Vater Jaguar wendete sich jetzt dem Genannten zu. Seine Augenwinkel zogen sich ein wenig mißmutig zusammen, als er zu ihm sagte:

„Don Parmesan? Diesen Namen habe ich schon gehört, und ich denke, Sie auch schon gesehen zu haben. Werden Sie nicht zuweilen El Carnicero genannt?“

„Allerdings,“ antwortete der Gefragte; „aber ich dulde es nicht, daß man mir diesen Namen gibt. Ich bin der Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Cast – – – –“

„Schon gut!“ unterbrach ihn der Vater Jaguar. „Sie wollen mir sagen, wer die Männer sind, welche meiner Hilfe bedürfen?“

„Es sind zwei deutsche Señores.“

„Deutsche? Ist’s möglich?“

„Ja. Sie wollten Ihnen nach, um im Chaco alte Tiere auszugraben.ˍ

„Alte Tiere? Meinen Sie etwa vorweltliche?“ fragte der Riese, indem er die Brauen in mißmutiger Erwartung höher zog.

„Ja, vorweltliche; das stimmt. Es war eine Gigantochelonia.“

„Diesen Namen habe ich noch nicht gehört; mein Latein sagt mir aber, daß es sich wahrscheinlich um eine Riesenschildkröte handelt.“

„Richtig, Señor! Bei der Schale der Kröte war es, wo wir erwischt wurden.“

„Wie hießen diese Deutschen?“

„Der Kukuk kann sich solche Namen merken! Einer war Doktor und der andre sein Diener.“

„Doktor Morgenstern?“

„Ja, ja, so klang es.“

„Und Fritze Kiesewetter?“

„Ganz recht, ganz recht! Kiese – – war’s, Kiese –!“

„Welche Menschen! Ich glaube, die sind mir von Buenos Ayres bis hierher nachgelaufen!“

„Das nicht; aber per Dampfer nachgefahren und dann von Santa Fé aus nachgeritten. Dieser Doktor Mor – Mor – oder wie er heißt, ist ein ganz lieber Señor, hat aber seine Schrullen. Er will nur von seinen Tierknochen hören und ist auf nichts andres zu bringen. Mit der Chirurgie zum Beispiel darf man ihm gar nicht kommen, und das ist doch das interessanteste Feld, welches es nur geben kann. Was sagen Sie wohl zu einer Operation des Zungenkrebses in Komplikation mit Nasenpolypen? Das müßte doch ein – –“

„Lassen wir den Krebs und die Polypen!“ fiel ihm der Vater Jaguar in die Rede. „Erzählen Sie mir in Kürze, was geschehen ist!“

Der Chirurg gehorchte dieser Aufforderung. Während er sprach, traten die Gefährten des Vater Jaguar herzu, um ihm zuzuhören. Es waren lauter kräftige Gestalten, denen man es ansah, daß sie schon manches erlebt hatten und wohl vor keiner Anstrengung und keiner Gefahr zurückschreckten. Die drei, welche mit ihm in Buenos Ayres gewesen waren, befanden sich auch dabei. Auch sie machten jetzt einen ganz andern Eindruck als damals, wo sie im Gesellschaftsanzuge steckten. Als Don Parmesan seinen Bericht beendet hatte, trat zunächst tiefe Stille ein. Keiner wollte reden, bevor der Anführer das Wort ergriffen hatte. Dieser sah eine kleine Weile nachdenklich vor sich nieder und fragte dann, sich direkt an einen seiner Gefährten wendend.

„Was meinst du dazu, Geronimo? Hast du dir die Sache schon zurechtgelegt?“

Dieser Geronimo war ein nicht zu hoher, aber sehr breitschulteriger Mann mit dichtem schwarzem Vollbarte und einer bedeutenden Habichtsnase. Er hätte für das Urbild eines Räuberhauptmanns genommen werden können, war aber ein sehr ehrlicher Kerl und der Liebling des Vaterjaguar, dessen Lehren und Unterweisungen er sich am meisten zu nutze gemacht hatte. Er zuckte leicht die Achsel und antwortete:

„Zunächst kommt es wohl darauf an, ob du denkst, daß wir diese unvorsichtigen Leute stecken lassen sollen oder nicht.“

„Sie müssen heraus aus der Falle, in welche sie geraten sind. Sie sind Landsleute von mir. Ich habe diesem Doktor Morgenstern wohl fünfzigmal gesagt, daß ich ihn nicht mitnehmen kann, und konnte unmöglich ahnen, daß er mir dennoch folgen werde. Eine kleine Strafe könnte ihm nichts schaden; aber befreien muß ich ihn, sonst kann ihm seine Ähnlichkeit mit dem Obersten, den ich noch nie gesehen, verhängnisvoll werden.“

„So fragt es sich, ob sich die Abipones noch dort befinden. Wäre dies der Fall, so ritten wir einfach hin.“

„Sie sind wohl nicht mehr dort,“ fiel da der alte Anciano ein. „Die Señores müssen mir verzeihen, wenn ich mir diese Bemerkung erlaube. Ich habe Gründe dazu.“

Er erzählte von den Abipones, welche er gesehen hatte, und beschrieb die Stelle, wo er an sie geschlichen war.

„Befanden sich Weiße bei ihnen?“ fragte der Vater Jaguar. „Nein.“

„Dennoch möchte ich überzeugt sein, daß die beiden Indianertrupps zusammengehören. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um ein Pronunciamiento. Die Abipones sollen aufgewiegelt werden. Man hat Verstecke angelegt, um sie genügend bewaffnen zu können. Die Schutzdecke eines solchen Magazins hat der Doktor für das Rückenschild seiner wunderbaren Gigantochelonia gehalten. Selbst wenn man sich überzeugt, daß er nicht der Oberst ist, hat er so viel gesehen und erfahren, daß man sich leicht veranlaßt sehen kann, ihn schweigsam zu machen. Hier zu Lande gilt ein Menschenleben nichts, und das eines Ausländers noch weniger als dasjenige eines Inländers. Und also Antonio Perillo war dabei? Dieser Stierkämpfer und notorische Schurke ist also auch mit in die Revolte verwickelt. Ich habe ein Wort mit ihm zu reden. Der Hauptmann Pellejo ist ein Verräter. Und der dritte? Wer war er? Wie wurde er genannt?“

„Wie er heißt, das weiß ich nicht, denn sein Name blieb verschwiegen,“ antwortete der Chirurg.

„Beschreiben Sie ihn mir.“

„Er war von langer und starker Gestalt, wenn auch nicht so sehr wie Sie, Señor Jaguar.“

„Alt oder jung?“

„Älter als die andern.“

„Welche Rolle schien er zu spielen? Diejenige eines Untergebenen?“

„Nein, ganz und gar nicht. Er schien vielmehr der Vornehmste von allen zu sein. Er sprach so, als ob er es sei, der zu befehlen habe.“

„Was er ist, ein Offizier, ein Estanziero, ein Gaucho, das konnten Sie wohl nicht erraten?“

„Nein. Er sah ganz wie einer aus, der sich stets im Freien bewegt, wie ein Yerbatero, ein Cascarillero oder ein Garnbus – – –“

Er hielt inne und besann sich wie einer, dem etwas Wichtiges einfällt.

„Nun, was ist’s? Warum schweigen Sie? Wollten Sie Gambusino sagen?“

„Ja, ja, Gambusino. Da fällt mir doch noch ein, daß er von dem Kapitän der größte Gambusino genannt wurde.“

„Das ist schon etwas. Also ein Namen wurde aber nicht genannt?“

„Nein. Und wurde er genannt, so habe ich nicht darauf geachtet.“

„Der größte Gambusino!“ fiel da Geronimo ein. „Sollte es etwa gar Benito Pajaro sein, der sich ja den größten Gambusino nennen läßt?“

„Möglich,“ antwortete der Vater Jaguar. „Ich bin diesem Manne sonderbarerweise noch nicht begegnet, habe aber gehört, daß er von langer und starker Gestalt ist. Nun, jedenfalls werden wir erfahren, mit wem wir es zu thun haben, denn ich bin sehr entschlossen, diesen Señores einen Strich durch ihre Rechnung zu machen. Sie wollen sich gegen Mitre empören, einen General, den ich achte und sehr wertschätze. Schon deshalb möchte ich ein Wort mit ihnen reden. Dazu kommt, daß sie sich an meinen Landsleuten vergriffen haben. Ich hoffe, ihr seid mit von der Partie und werdet mich nicht im Stiche lassen!“

„Nein, nein; das versteht sich ganz von selbst!“ rief es im Kreise.

„So will ich euch sagen, wie ich mir die Sache denke. Die beiden Trupps gehören zusammen. Die Indianer, welche die Deutschen gefangen genommen haben, werden den andern Trupp aufsuchen, und zwar höchst wahrscheinlich noch heut. Sie werden alle da lagern, wo dieser unser Señor Anciano die Roten beobachtet hat, und die Gefangenen befinden sich natürlich bei ihnen. Wir reiten jetzt hin und kommen dort an, wenn es Abend geworden ist. Die Waldesöffnung wird trotz der Dunkelheit zu finden sein, und dann werden uns die Lagerfeuer als Führer dienen. Was wir thun werden, um die Gefangenen zu befreien, weiß ich jetzt noch nicht; aber wenn ich mich an sie geschlichen und sie beobachtet habe, wird sich leicht ergeben, in welcher Weise wir zu handeln haben. Also auf, zu den Pferden! Die Sonne berührt schon den Horizont, und in einer Viertelstunde ist es dunkel.“

Die Männer sattelten ihre Pferde. Anciano und Hauka waren zu Fuße gekommen; sie mußten also hinter zwei andern Reitern aufsteigen. Anton, der Neffe des Bankiers, hatte sofort eine Zuneigung zu dem jungen, hübschen Inka gewonnen; er kam zu ihm und sagte in der höflichen spanischen Weise:

„Señor, Sie werden gezwungen sein, zu zweien zu reiten. Darf ich Ihnen einen Sitz bei mir anbieten?“

Über das ernste Gesicht des Inka, auf welchem gewöhnlich der den südlichen Indianern eigentümliche wehmütige Zug zu beobachten war, glitt ein freundliches, dankbares Lächeln, und er antwortete:

„Ich werde Ihnen beschwerlich fallen, Señor, nehme aber Ihr Anerbieten an. Vielleicht ist es mir möglich, Ihnen einen andern Dienst zu erweisen. Ich heiße Hauka; wie darf ich Sie nennen?“

„Mein Name ist Antonio. Sie werden mir nicht lästig fallen; ich freue mich im Gegenteile darauf, mit Ihnen reiten zu dürfen. Sie werden wohl besser zu Pferde sitzen als ich; darum bitte ich Sie, mir den Sattel zu überlassen.“

Er stieg auf, und Hauka sprang hinter ihm flink auf das Pferd. Anciano leistete einem der andern Reiter Gesellschaft. Dann ging der Ritt an dem Rande des Waldes hin, ganz denselben Weg zurück, den die beiden gekommen waren. Die Sonne senkte sich hinter dem Horizonte hinab, und der kurzen Dämmerung folgte der Abend.

Der alte Anciano ritt mit seinem Sattelgefährten neben dem Vater Jaguar voran. Ihnen folgten Anton Engelhardt und der junge Inka mit Geronimo, dem Lieblinge des Vater Jaguar. Man bemühte sich, alles Geräusch zu vermeiden, und da der Boden weich und grasig war, so drang der Hufschlag nicht weit, und es war nur hie oder da das Schnauben eines Pferdes zu vernehmen. So ging es weiter und weiter, bis Anciano halten blieb und den Inka in spanischer Sprache, so daß die andern es verstehen konnten, mit unterdrückter Stimme fragte:

„Ich denke, wir müssen den Einschnitt sofort erreichen. Was meinst du, mein Sohn?“

„Eben wollte ich dich auf dasselbe aufmerksam machen, mein Vater,“ antwortete der Gefragte. „Ich sehe trotz des Dunkels hier links einen hohen Laureliabaum, welcher mir auffiel, als wir aus dem Einschnitte kamen. Er ist nicht weit von dem letzteren entfernt.“

„So werden wir absteigen und die Pferde etwas zurückschaffen müssen. Ihr Schnauben könnte uns verraten, denn wir wissen nicht, ob die zweite Truppe, bei welcher sich die Gefangenen befinden, schon da ist oder erst noch ankommen wird.“

Diese Worte zeigten, daß der alte Indianer ein sehr um- und vorsichtiger Mann war, und da der Vater Jaguar keine Einwendung machte, so ritten die Männer eine kleine Strecke zurück und stiegen dann ab, um ihre Pferde an die den Waldesrand bildenden Bäume und Sträucher zu binden. Während dies geschah, hörte man die zwar leise, aber doch allen vernehmliche Stimme des Indianerknaben:

„Still, Señores! Ich höre etwas.“

Keiner bewegte sich. Der Inka lag auf der Erde, das Ohr fest auf dieselbe gelegt.

„Es kommen Reiter,“ meldete er. „Sorgen Sie dafür, daß unsre Pferde nicht schnauben!“

jeder trat zu seinem Tiere, um demselben die Nüstern mit der Hand zu bedecken. Ja, es kamen Reiter. Zunächst hörte man den im Grase dumpf klingenden Hufschlag ihrer Pferde; sodann vernahm man auch die Stimmen derer von ihnen, welche miteinander sprachen. Sie kamen von rechts, vom Flusse her und ritten dem Walde entgegen.

„Wirst du uns auch richtig führen, Brazo valiente?“ hörte man jemand fragen. „Es ist kein Vergnügen, des Nachts eine schmale Lücke des Waldes zu suchen.“

„Das war Antonio Perillo,“ flüsterte der Vater Jaguar seinem Geronimo zu. „Ich kenne seine Stimme.“

„Ich kenne jeden Pferdeschritt in dieser Gegend,“ antwortete ein zweiter in gebrochenem, aber deutlichem Spanisch. „Wir sind genau in der Richtung. Eine hohe Laurelia steht da, wo der Wald sich trennt. Wir müssen sie sofort sehen.“

jetzt waren die Reiter so nahe, daß sie, obgleich es ziemlich finster war, den Wald erkennen konnten.

„Da ist das Holz,“ rief die zweite Stimme, „und da ist die Laurelia. Sie sehen, daß ich die Richtung gerade wie eine Schnur genommen habe. Einige Schritte nach rechts, und wir werden auf den Einschnitt treffen.“

Sie lenkten nach der angedeuteten Richtung und waren dann nicht mehr zu sehen und zu hören.

„Wie gut, daß wir nicht dort bei der Laurelia halten geblieben sind!“ sagte Geronimo. „Sie hätten uns ertappt. Was thun wir jetzt?“

„Warten!“ antwortete der Vater Jaguar. „Wir können nicht eher handeln, als bis der eine Trupp zu dem andern gestoßen ist und sie sich alle gelagert haben. Kanntest du die zweite Stimme, welche wir hörten?“

„Es war mir freilich so, als ob ich sie schon einmal vernommen hätte, aber ich weiß nicht, wo und von wem.“

„So will ich es dir sagen. Der, welcher Antonio Perillo antwortete und den Weg so genau kannte, war EI Brazo valiente, der tapfere Arm, der Häuptling der Abipones.“

„Caramba! Das ist wahr; jetzt besinne ich mich. Es war der tapfere Arm. Wir haben doch schon einige Male mit ihm gesprochen. Also er ist es, der die Deutschen gefangen genommen hat! Er gibt sie nicht freiwillig heraus.“

„Nein. Früher waren wir mit ihm befreundet; da hätte er sie mir zuliebe losgelassen; jetzt aber wird es ihm nicht einfallen, dies zu thun.“

„So zwingen wir ihn!“

„Zunächst nicht zwingen, keine Gewalt anwenden. Wozu Blut vergießen, wenn uns die List viel leichter, viel sicherer und ohne alle Verluste zum Ziele zu führen vermag.“

„Ah! Also wieder eins deiner Kunststücke?“ lachte Geronimo fröhlich auf.

„Ja. Du thust doch mit?“

„Natürlich! Frage doch nicht erst! Du weißt ja, wie gern ich dabei bin. Du meinst also, daß wir sie herausholen werden?“

„Wir werden wenigstens den Versuch machen. Es kommt ganz auf die Örtlichkeit an und auf die Art und Weise, wie sie lagern.“

„Und wenn es uns gelingt? Was dann?“

„Dann reiten wir ruhig weiter.“

„So! Denkst du nicht an das Pronunciamiento, an die Revolution, welche sie planen?“

„Die geht uns eigentlich nichts an.“

„O doch! Wir sind gute und treue Unterthanen unsres Präsidenten. Wollen wir ruhig zusehen, daß er abgesetzt, vielleicht gar getötet wird?“

„Dazu kann es nicht kommen. Ich weiß zwar nicht, wer an der Spitze dieser Meuterer steht, keinesfalls aber ist es ein Bursche, der es mit Mitre aufzunehmen vermag.“

„Möglich, sogar sehr wahrscheinlich; aber selbst den Fall gesetzt, daß die Empörung niedergedrückt wird, so steht es doch fest, daß sie vielen, vielen Menschen das Leben und das Eigentum kosten wird. Haben wir das dann nicht auf unsrem Gewissen?“

„Hm!“ brummte der Vater Jaguar, welcher ganz der Meinung seines Gefährten war, diesen aber ein wenig warm werden lassen wollte. „Sollen wir, um andre zu retten, uns selbst in Gefahr begeben?“

„Natürlich! Das versteht sich ganz von selbst! Das ist unsre Pflicht und Schuldigkeit! Ich begreife dich nicht. Du fürchtest dich doch sonst vor keinem Menschen, und jetzt sprichst du von Gefahr! Als ob von einer großen, schrecklichen Gefahr die Rede sein könnte, wenn man sich zwischen diese Abipones schleicht, um ihnen in aller Stille zwei Gefangene abzunehmen. Und selbst wenn du recht hättest, verdienen diese Burschen eine Züchtigung dafür, daß sie sich ohne alles Recht an deinen Landsleuten vergriffen haben. Oder nicht?“

„Das gebe ich zu.“

„Also dürfen wir uns nicht so heimlich davonschleichen, sondern wir müssen ihnen eine scharfe Lehre geben.“

„Das kann doch nur dadurch geschehen, daß wir unsre Waffen brauchen?“

„Ja. Wir schießen einige von ihnen nieder.“

„Nein. Das thue ich nicht. Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, töte ich keinen Menschen.“

„Das ist wieder eine jener Ansichten und Meinungen, welche du aus dem Norden mitgebracht hast. Es thut dir leid um die dortigen roten Völker, welche so elendiglich umkommen müssen. In Beziehung auf sie magst du recht haben, denn es ist wirklich schade um die tapfern, kühnen Männer, von denen du uns erzählt hast. Aber unsre südlichen Indianer besitzen diese Tugenden nicht; sie sind feig, mutlos und niederträchtig. Sie brechen aus ihren Wäldern hervor, um nächtlicherweise zu stehlen und die Schläfer zu ermorden. Finden sie aber Gegenwehr, oder werden sie gar selbst angegriffen, so rennen sie davon wie geprügelte Hunde. Leute, welche mit vergifteten Pfeilen schießen, kann man weder achten noch bemitleiden. Es juckt mich wirklich in den Händen, ihnen zu zeigen, was es heißt, sich mit dem Vater Jaguar und seinen Männern zu verfeinden.“

„Laß es jucken! Heute wollen wir froh sein, wenn es uns gelingt, die beiden unschuldigen Menschen frei zu machen. Ist das geschehen, so wollen wir sehen, was weiter zu thun sein wird.“

„Wie viele Leute nimmst du mit?“

„Zunächst nur dich. Die andern bleiben hier. Je weniger wir sind, desto schwerer werden wir bemerkt.“

Obgleich diese Unterhaltung so laut geführt worden war, daß alle diese letzte Bestimmung zu hören vermochten, fiel es doch keinem ein, sich gegen dieselbe aufzulehnen. Die Gesellschaft hatte zwar kein eigentliches Oberhaupt, und ein jeder besaß dasselbe Recht wie der andre, aber die Persönlichkeit des deutschen Riesen, der nicht nur körperlich, sondern auch geistig alle überragte, brachte dennoch den Eindruck vor, daß jeder ihn schweigend als den Führer, welchem man Gehorsam schuldete, anerkannte.

Also seine Leute erklärten sich durch ihr Schweigen mit seinen Worten einverstanden; aber ein andrer sprach dagegen, nämlich der alte Anciano. Er sagte:

„Señor, warum wollen Sie allein gehen? Nehmen Sie mich und meinen Enkelsohn mit! Sie kennen uns und wissen, daß wir Ihnen keinen Schaden bereiten werden.“

Der Vater Jaguar schwieg eine Weile überlegend; dann antwortete er:

„Ja, ich kenne Euch. Ihr versteht es, das wilde Lama zu beschleichen und den Kondor fast auf seinem Neste zu fangen. Zwar habe ich noch nicht gesehen, ob Ihr es auch vermögt, Euch einem Menschen unbemerkt zu nähern, aber es ist Nacht, und diese Abipones sind nicht so scharfsinnig wie die Sioux oder Apachen und Komantschen Nordamerikas. Sodann wißt ja gerade ihr beide, wo diese Menschen lagern. Also wollen wir euch mitnehmen. Macht euch fertig!“

„Sollen wir unsre Flinten oder die Lanzen und Pfeile mitnehmen?“

„Nur die Messer. Schießen werden wir nicht, und zur Abwehr werden, falls uns einer anfällt, die Messer genügen.“

Die beiden Indianer legten ihre Waffen und auch die Silberlöwentaschen ab, um sich leichter und freier bewegen zu können.

„Und euer langes Haar?“ meinte der Vater Jaguar. „Wir werden zwischen und unter Sträuchern, Dornen und Schlingpflanzen hinkriechen müssen. Da bleibt ihr hängen.“

„Wir wissen schon, was wir thun müssen, um nicht hängen zu bleiben.“

Er nahm sein langes, graues Haar halb rechts und halb links nach vorn und band es unter dem Kinn in einen Knoten zusammen. Der Inka that mit dem seinigen ebenso, und dann brachen sie auf.

Anciano ging voran. An der Laurelia angekommen, wendete er sich nach links, wo der Einschnitt den Wald teilte. Indem sie leise durch das Dunkel schritten, flüsterte der Inka dem Vater Jaguar zu:

„Señor, Sie denken, daß es Ihnen gelingen wird, diese Männer zu befreien?“

„Ja, wenn nicht jetzt durch List, dann später mit Gewalt.“

„Dann müssen wir uns auch noch etwas andres holen.“

„Was?“

„Pferde.“

„Dachte es, daß du das bringen würdest, du kleiner, listiger Held. Wir brauchen vier Pferde.“

„Ja. Für Ihre beiden Landsleute, für Anciano und für mich.“

„Ich hatte es mir natürlich auch schon vorgenommen, denn wenn wir nicht genug Pferde haben, sind wir in allem, was wir thun, gehindert.“

„So holen Sie mit Geronimo die Menschen, und ich nehme mit Anciano die Tiere!“

„Nicht so schnell! jetzt läßt sich eine solche Einteilung noch nicht treffen. Wir müssen uns nach den Verhältnissen richten, welche wir vorfinden.“

Die beiden Weißen verstanden es, mit vollständig unhörbaren Schritten zu gehen, und was die zwei Indianer betraf, so hätte man, wenn das nicht ein sprachlicher Fehler gewesen wäre, sagen mögen, daß ihre Schritte noch unhörbarer seien.

Als sie eine Weile hintereinander hergegangen waren, tauchte Lichtschein vor ihnen auf. Sie mußten nun noch vorsichtiger als bisher sein und hielten sich so dicht am Rande des Einschnittes, daß sie im Schatten der Bäume unsichtbar blieben.

Es wurde bereits erwähnt, daß dieser Einschnitt eine nur geringe Breite besaß; aber da, woher der Lichtschein kam, buchtete er sich nach rechts aus und bildete eine Art kleiner Waldwiese, welche von sehr dicht stehenden Bäumen und Sträuchern umgeben war. Am Eingange zu dieser Wiese und im Hintergrunde rechts weideten die Pferde. Vorn links lagerten die Menschen an einigen Feuern, denn es war kühl geworden. Der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur beträgt in jenen Gegenden oft bis fünfzehn, ja sogar zuweilen achtzehn Grad nach R6aumur.

Die vier Anschleicher hatten sich auf die Erde gelegt und krochen auf Händen und Füßen näher, jetzt nicht mehr Anciano, sondern der Vater Jaguar voran. Ihre von Sonne, Wind und Wetter dunkel gegerbte Kleidung stach nicht im mindesten von ihrer Umgebung ab; nur das lange, graue Haar des Alten hätte, wenn man in Nordamerika und auf einer Streife gegen die dortigen Indianer oder weißen Jäger gewesen wäre, zum Verräter werden können; aber die Leute, mit denen man es hier zu thun hatte, besaßen nicht so scharfe Augen.

jetzt hatte man die Einbuchtung erreicht. Das nächst grasende Pferd stand kaum sechs Schritte von dem Vater Jaguar entfernt. Es mußte die Fremden sehen oder wenigstens riechen; es wedelte mit dem Schwanze und warf die Ohren hin und her, gab aber kein hörbares Zeichen der Unruhe, des Verdachtes oder gar der Warnung von sich.

„Dumme Geschöpfe!“ flüsterte der Deutsche Geronimo zu. „Ein Komantschenpferd würde so laut schnauben und so auffällig zurückweichen, daß wir sicher entdeckt wären. Dennoch aber müßten diese Kerle es sehen, daß es den Schwanz und die Ohren in einer Weise bewegt, die auf etwas Ungewöhnliches schließen läßt. Wir werden leichtes Spiel haben.“

„Denke es auch,“ antwortete der andre. „Siehst du, wie es steht?“

„Freilich! Die Feuer brennen ja so hell, daß man an jedem einen Ochsen braten könnte.“

Es war allerdings so hell, daß die kleine Lichtung wie am Tage vor den acht scharf ausschauenden Augen lag.

Die Abipones mochten gegen hundert Mann zählen. Sie waren teils mit Blasrohren, Lanzen, Bogen und Pfeilen, teils auch mit Gewehren bewaffnet. Diese letzteren stammten jedenfalls aus dem Versteck, in welchem Doktor Morgenstern seine berühmte Gigantochelonia gesucht hatte. Es gab sechs Feuer. An dem einen lagerten die Weißen und ein Indianer, an den anderen fünf die übrigen Roten. Die ersteren saßen so, daß man die Gesichter des Indianers, Antonio Perillos, des Hauptmanns Pellejo und zweier Soldaten sehen konnte. Die andern zwei Soldaten kehrten den Lauschern die Rücken zu, und der Gambusino saß nicht, sondern er hatte sich niedergelegt und den Hut tief in das Gesicht gezogen, um nicht von dem Scheine der Feuer geblendet zu werden. Diejenigen, welche zu dem schon vorher hier lagernden Trupp gehörten, mochten schon gegessen haben; die Neuangekommenen aber waren noch damit beschäftigt, das mitgebrachte harte Dürrfleisch mühsam mit den Zähnen zu verkleinern. Dabei unterhielten sie sich so laut, daß man jedes Wort hätte verstehen können, wenn nicht zu viele auf einmal gesprochen hätten.

Zufälligerweise war das Feuer, an welchem die Weißen lagerten, dasjenige, welches dem Rande der Lichtung am nächsten lag, und das hatte seinen guten Grund. An diesem Rande nämlich standen zwei halbstarke Bäume nebeneinander, und an diese hatte man Doktor Morgenstern und seinen Diener mit Hilfe zweier Lassos gebunden, so daß sie zwar aufrecht standen, aber weder Arme noch Beine bewegen konnten.

Als der Vater Jaguar diese Situation überblickt hatte, gab er seinen drei Gefährten mit der Hand ein Zeichen, sich noch tiefer ins Gezweig zu drücken, drehte sich zu ihnen um, damit sie ihn leichter verstehen könnten, und sagte –

„Es wird gehen, und zwar viel leichter, als ich dachte. Ich will nicht sagen, daß diese Menschen dümmer sind als dumm, denn sie haben keine Ahnung davon, daß wir hier sind. Sie halten es wohl überhaupt für unmöglich, daß ein menschliches Wesen sich hier in ihrer Nähe befinden könne. Es würden zwei von uns genügen, die Gefangenen zu befreien, dennoch ist es gut, daß Anciano mit Hauka sich uns angeschlossen hat. Habt ihr Feuerzeug?“

„Ja, dasjenige, welches bei uns gebräuchlich ist.“

„Das genügt nicht; es würde zu viel Zeit erfordern.“

Er zog eine kleine Schachtel Zündhölzer aus seiner Tasche und fuhr fort:

„Hier ist etwas Besseres, um Feuer zu machen – – –“

„Feuer?“ unterbrach ihn Geronimo erstaunt. „Soll Feuer angebrannt werden?“

„Ja,“ nickte der Vater Jaguar.

„Wozu? Das begreife ich nicht. Brennen diese sechs Feuer etwa nicht hell genug? Willst du ein siebentes anzünden, damit wir entdeckt werden?“

„Damit die Leute dort erschrecken, das ist meine Absicht. Du hast alles abgelegt, Anciano, zu meiner Freude aber sehe ich, daß du das Pulverhorn noch bei dir hast. Ist es leer?“

„Nein, Señor, sondern es ist bis an die Spitze gefüllt.“

„Das ist gut. Höre, was ich dir sagen werde! Ihr kehrt um und geht, wenn ihr aus dem Bereiche des Feuerscheines gelangt seid, auf die andre Seite des Waldeinschnittes und schleicht euch dann wieder nach der Lichtung hin. Dort angekommen, kriechst du, Anciano, immer am Rande derselben hin. Siehst du das abgestorbene, hohe, vorjährige Gras? Es ist so dürr, daß es wie Papier brennen wird. Bist du weit genug in dasselbe vorgedrungen, so ziehst Du dich wieder zurück und schüttest, aber höchst sorgfältig, damit die Flamme keine Unterbrechung findet und schnell weiterläuft, einen dünnen aber zusammenhängenden Streifen Pulver in dieses Gras. Ist das Pulverhorn leer, so nimmst du ein Zündholz und brennst das Gras an, worauf Du schnell zu Hauka eilst. Dieser hat indessen vier Sättel zusammengetragen, was ihm sehr leicht sein wird, da sie da drüben alle, und zwar ohne Aufsicht, liegen. Wenn du Feuer machst, mußt du deinen Rücken, den Feinden zukehren, damit – – –“

„Weiß schon, Señor,“ unterbrach ihn der Alte. „Ich werde keinen Fehler begehen. Wenn das kleine Flämmchen die Pulverschnur erreicht, werde ich schon so weit fort sein, daß sie mich nicht sehen können und also gar nicht wissen, woher das Feuer kommt, welches plötzlich viele Schritte lang hoch emporlodern wird. Sie werden hinzueilen, um es auszulöschen. Ich begreife Ihren Plan, Señor.“

„Ja. Während du das Pulver schüttest, während Hauka die Sättel holt, wird Geronimo sich um die Pferde bekümmern. Er ist ein schlauer, gewandter, aber auch vorsichtiger Patron, und ich bin überzeugt, daß im geeigneten Augenblicke vier Pferde bereitstehen werden. Indessen schleiche ich mich zu den Bäumen hin. Sobald dein Pulver Feuer fängt und das alte Gras in Brand setzt, wird man, wie du richtig sagst, hinzueilen, um es auszulöschen. Diesen Augenblick der allgemeinen Verwirrung benutze ich, die zwei Gefangenen loszuschneiden. Wir kommen hierhergesprungen; jeder nimmt einen Sattel und ein Pferd und – – –“

„Und zwei nehmen die Pakete, welche da drüben liegen,“ fiel ihm der junge Inka in die Rede.

„Welche Pakete? Wozu?“ fragte der Vater Jaguar.

„Als der Mann, den Ihr den Carnicero nennt, von der Gefangennahme seiner Gefährten erzählte, sagte er auch, daß der gelehrte kleine Mann seine Bücher und andern Sachen in zwei Paketen bei sich habe. Dort liegen nun zwei Pakete, von denen ich vermute, daß sie die seinigen sind, denn es giebt weiter kein Gepäck. Wenn wir ihn befreien, soll er auch sein Eigentum erhalten.“

„Wenn wir Zeit dazu haben, dann meinetwegen ja, obgleich ich es nicht für bequem halte, Bücher und ähnliche Dinge im Gran Chaco herumzuschleppen.“

„Wir finden sicher Zeit, Señor. Ich kann mir vorstellen, welche Aufregung entstehen wird, wenn der Platz zu brennen beginnt.“

„Gut! Es weiß also ein jeder, welche Aufgabe er zu lösen hat. Gehen wir jetzt an das Werk.“

Er drehte sich wieder um und kroch am Rande der Lichtung weiter. Es war das keine leichte Arbeit, da er dem bereits erwähnten Feuer so nahe kam, daß er, um nicht von dem Scheine desselben beleuchtet zu werden, in das Gebüsch eindringen mußte, und dies war so dicht, daß er nur höchst langsam vorwärts kam.

Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Er lag hinter den beiden Bäumen, vor denen der Doktor mit seinem Fritze angebunden standen, und konnte hören, was an dem Feuer gesprochen wurde. Was er vernahm, bezog sich auf das heutige Ereignis.

„Es war doch eigentlich ein Fehler, daß wir den Carnicero laufen ließen,“ sagte Kapitän Pellejo. „Er wird später alles erzählen.“

„Was schadet das?“ antwortete Antonio Perillo. „Erstens fragt es sich, ob man ihm glaubt, und wenn dies der Fall sein Sollte, so mache ich mir gar nichts daraus, wenn man mir nachrühmt, daß ich diesen Colonel Glotino unschädlich gemacht habe.“

„Wenn unser Vorhaben gelingt, ja, gelingt es aber nicht, so wird das, was Sie jetzt einen Ruhm nennen, eine Schande für uns werden.“

„Es muß gelingen, denken Sie, daß unser roter Freund hier, der sich den Ehrennamen Brazo Valiente erworben hat, uns mehrere tausend Abiponeskrieger verspricht.“

„Ich habe sie versprochen und werde sie bringen,“ erklärte da der Häuptling, „wenn auch Sie die Bedingungen erfüllen, welche ich Ihnen gestellt habe.“

„Wir erfüllen sie.“

„Sie zeigen mir alle Waffenverstecke, welche Sie angelegt haben, und schenken uns alles, was darinnen liegt?“

„Ja.“

„Und Sie unterstützen mich jetzt gegen unsre Todfeinde, die Cambas, indem Sie Ihre Soldaten von der Grenze holen und an dem Lago mit uns zusammentreffen?“

„Gewiß! Ich habe ja einige meiner Leute schon bis hinauf nach Fort Brancho geschickt, um alle verfügbaren Kräfte zusammen zu rufen.“

„Dann schlagen wir los, die Cambas sind die Freunde des weißen Regenten; sie wissen, daß wir seine Feinde sind, und thun uns immerwährend Schaden. Sind sie gezüchtigt, und haben wir ihnen alles abgenommen, so sind wir reich, alle andern Stämme werden zu uns eilen, und dann habe ich so viele Krieger beisammen, daß der weiße Regent vor mir erbeben wird.“

Das Gespräch stockte für kurze Zeit.

Was der Vater Jaguar da hörte, war für jeden wichtig, für ihn aber, den großen und erfahrenen Kenner aller Verhältnisse des Landes, waren diese Worte von doppelter Wichtigkeit. Gern hätte er noch mehr gehört; aber er hatte keine Zeit, länger zu lauschen, zumal er nicht wußte, wie lange die jetzige Pause dauern werde. Gern hätte er auch das Gesicht des Mannes gesehen, der da lang ausgestreckt am Feuer lag. Allem Vermuten nach war er der berühmte Goldsucher, den man kurzweg nur den Gambusino nannte. Alle Welt kannte ihn, alle Welt hatte ihn gesehen; nur er allein war ihm noch nicht begegnet. Aber er konnte nicht warten, bis dieser Mann sich aufrichtete oder doch wenigstens einmal den Hut vom Gesichte nahm. In jedem Augenblicke konnte drüben auf der anderen Seite Ancianos Feuergarbe aufleuchten, und dann war es leicht möglich, daß die beiden Gefangenen Dummheiten machten, oder wenigstens sich falsch verhielten, wenn sie nicht vorher von dem, was sie zu thun hatten, unterrichtet waren. Darum schob der Vater Jaguar sich jetzt so nahe wie möglich an die beiden Bäume hin, richtete sich an dem Strauche, welcher hinter denselben stand und ihm Deckung gab, empor und sagte in gedämpftem Tone und zwar in deutscher Sprache:

„Herr Doktor, bewegen Sie sich nicht! Es ist ein Retter hinter Ihnen.“

Der Angeredete war nicht geübt, in einer solchen Lage bewegungslos zu bleiben; er zuckte zusammen und wendete den Kopf halb zur Seite. Auch Fritze machte eine kleine Bewegung, doch nicht so weit, wie seine Fesseln ihm wohl zugelassen hätten. Er besaß mehr Selbstbeherrschung als sein Herr.

„Still, keinen Laut! Stehen Sie gerade und starr, und wenden Sie nicht den Kopf!“ fuhr der Vater Jaguar fort. „Sie haben mir nichts zu antworten als ja oder nein. Zucken Sie leise die rechte Achsel, so heißt das ja; zucken Sie die linke, so heißt es nein. Ich bin Karl Hammer, der Vater Jaguar, den Sie beim Bankier Salido in Buenos Ayres kennen gelernt haben. Verstehen Sie, was ich sage?“

Beide zuckten die rechte Achsel.

„Sind Sie so fest angebunden, daß die Riemen Ihnen Schmerzen verursachen?“

Zucken links, also nein.

„So ist Ihr Blutumlauf also nicht gestört, und Sie werden sich leicht und rasch bewegen können, falls ich Sie losschneide?“

Rechts gezuckt bedeutete ja.

„Das ist gut. Ich habe bereits das Messer in der Hand. Ein Gefährte von mir wird drüben am Saume der Lichtung ein Pulverfeuer aufleuchten lassen, welches das hohe, dichte und trocken Gras sofort in hohen Brand versetzt. Die Leute hier werden erschrocken hineilen, um das Feuer auszulöschen, und für einige Augenblicke wird man sich nicht um Sie kümmern. Verstehen Sie mich auch jetzt?“ fragte er, da am Feuer wieder laut gesprochen wurde.

Beide zuckten die rechte Achsel zum Zeichen der Bejahung.

„In der so entstehenden Verwirrung schneide ich Sie los und nehme Sie bei der Hand. Wir springen hier am Rande rechts hin bis dahin, wo Sie jetzt vier Pferde nebeneinander stehen sehen, welche, wie ich zu meiner Genugthuung bemerke, ein andrer Gefährte von mir unbemerkt zusammengelockt hat. Unweit davon sehen Sie vier Sättel liegen, von denen jeder einen nimmt und – –“

Er konnte nicht aussprechen, denn er sah da drüben, wohin er den alten Anciano geschickt hatte, ein kleines, kleines Flämmchen blitzen; dieses Flämmchen fraß sich einige Fuß weiter, bis es das Pulver erreichte; ein lauter Ffffffffft-ähnlicher Laut wurde hörbar, und in demselben Augenblicke stieg eine wohl zehn Ellen lange Feuerwand kerzengerade in die Höhe.

Zunächst gab es einen Augenblick lautlosen Schreckens. Dann sprangen alle Roten und Weißen schreiend auf, der Häuptling war der einzige, der ruhig blieb.

„Schlagt es mit den Ponchos aus!“ rief er laut.

jeder beeilte sich, dieser Weisung augenblicklich nachzukommen, aber der erwartete Erfolg war nicht so leicht zu erreichen, denn hoch über das junge, grüne Gras stand das alte verdorrte; es brannte wie Papier, und wenn man an einer Stelle die Flamme nieder hatte, stieg sie im nächsten Augenblicke wieder empor. Die Pferde wurden unruhig und schnaubten ängstlich; kein Mensch achtete auf sie. Kein Mensch achtete auch auf die Gefangenen.

Sobald der erste Schreckensruf erschollen war, war der Vater Jaguar aufgesprungen, hatte die beiden Gefangenen losgeschnitten und sie, einen rechts und einen links an die Hand nehmend, in eiligstem Laufe mit sich fortgezogen, dahin, wo die vier Pferde standen. Dort tauchte Geronimo hinter den Tieren auf und rief ihnen zu:

„Hab’s Ihnen leicht gemacht, die Pferde zusammengebunden; nehme sie alle mit. Bringen Sie die Sättel nach!“

Er sprang auf eins der Tiere und jagte mit ihnen davon. Der starke Vater Jaguar nahm zwei Sättel mit dem dazu gehörigen Riemenzeug vom Boden auf.

„Meine Bücher, meine Bücher!“ rief der Doktor, das Paket an sich reißend.

„Und die Hacken und Schaufeln!“ fügte Fritze hinzu, indem er das andre Paket sich über die Achsel warf.

„Hacken? Schaufeln?“ fragte der Vater Jaguar. „Weg damit! Warum uns mit ihnen schleppen!“

„Nein,“ antwortete der Doktor; „sie müssen mit. Ich brauche sie!“

Anciano nahm einen Sattel und der junge Inka auch einen. Als dies der Vater Jaguar sah, meinte er:

„Nun gut, so haben wir also vier; mehr sind nicht nötig. Nun fort, scharf hinter mir her!“

Er warf einen Blick auf das Lager zurück. Dort kämpfte man noch tapfer mit dem Feuer, und niemand sah, was indessen auf der andren Seite vorgegangen war. Die Fliehenden eilten fort. Noch waren sie nicht allzu weit gekommen, da klang ihnen eine mächtige Baßstimme vom Lager aus nach:

„Tormenta! Wo sind die Gefangenen? Sie sind fort!“

Beim Klange dieser Stimme blieb der Vater Jaguar wie gebannt stehen und lauschte. Die andern hielten infolge dessen auch im Laufe inne.

„Sie sind entflohen!“ ertönte dieselbe Stimme nach einigen Sekunden. „Man hat sie befreit, man hat sie losgeschnitten; ich sehe es hier an den Lassos.“

„Welch eine Stimme!“ sagte der Vater Jaguar. „Die muß ich kennen; das ist ja – –“

Was er weiter sagen wollte, blieb unausgesprochen, denn vom Lager her erklang es wieder.

„Das Feuer ist ausgelöscht. Auf, zu den Waffen! Da links hinaus können sie nicht sein; da brannte ja die Flamme. In den Wald hinein konnten sie auch nicht, denn er ist zu dicht; also sind sie nach rechts fort. Ihnen nach! Zwanzig bleiben bei den Pferden. Die andern kommen mit!“

Zurückblickend, gewahrte man ein wirres Durcheinander von Personen, in welchem die einzelne nicht zu unterscheiden war.

„Fort, fort!“ mahnte Geronimo. „Warum bleibst du stehen, Carlos?“

Der Sprecher hatte unterwegs halten bleiben müssen, weil eins der zusammengekoppelten Pferde ihm nicht gehorchen wollte.

„Diese Stimme, diese Stimme!“ antwortete der Vater Jaguar. „Ihr Klang geht mir durch das – –“

„Ach was, Stimme! Laß sie doch schreien wie sie will! Wir müssen fort, sonst holen sie uns ein.“

„Aber ich muß ihn sehen, muß –“

Der sonst so bedachtsame Mann wollte die beiden Sättel weglegen, aber Geronimo herrschte ihn, wohl zum erstenmal, seit er ihn kannte, in strengem Tone an:

„Was fällt dir ein! Bist du toll! Willst du dein Leben wagen, so thue es; aber das unsrige bringe nicht in Gefahr. Auf mich kannst du nicht rechnen!“

Er trieb seine Pferde von neuem an, und jetzt gehorchte das widerspenstige; er galoppierte weiter.

„Er hat recht!“ meinte der Vater Jaguar in einem Tone, wie einer, der aus einem tiefen Sinnen erwacht. „Ich täusche mich wohl; aber ich werde diese Sache nicht ununtersucht lassen. Eilen wir weiter!“

Er schoß jetzt förmlich in so langen Schritten davon, daß die andern die größte Mühe hatten, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, zumal ihnen jetzt, nachdem sie die Feuer gesehen, die Dunkelheit viel tiefer als vorher vorkam. Der kleine Gelehrte hatte den schwersten Pack, die Bücher, erwischt. Er keuchte unter ihrer Last atemlos dahin, bis er die Bürde niederwarf und ausrief:

„Fritze, ich kann nicht mehr. Es wird mir zu schwer. Wollen tauschen; gib mir die Werkzeuge!“

„Jut,“ antwortete dieser. „Hier haben Sie die Schlüssel zu die Vorwelt, und ik nehme mich die jedruckte Jelehrsamkeit. Aber sputen Sie Ihnen, denn da hinten kommen sie schon anjepfiffen.“

Sie eilten weiter, so schnell sie mit ihren Lasten vermochten, aber doch nicht schnell genug, denn als sie den Ausgang des Waldeinschnittes erreichten, waren die vordersten der Verfolger schon nahe hinter ihnen. Ein Schuß krachte und noch einer, glücklicherweise aber ohne zu treffen.

Die beiden hatten noch gesehen, daß Anciano und der Inka sich rechts gewendet hatten; sie folgten also dieser Richtung auch. Aber ganz nahe hinter ihnen kam einer gesprungen, der sie in tiefem Baßtone anrief:

„Halten bleiben, ihr Halunken, sonst schieße auch ich!“

„Der Gambusino!“ schrie der Doktor auf. „Ich bin verloren!“

„Nein, noch nicht!“ antwortete Fritze. „Laufen Sie fort; ik werde Ihnen retten, indem ik ihm ein Hindernis in die hohle Gasse werfe, durch welche er kommen muß.“

Bei diesen Worten blieb er stehen, ließ seinen Herrn vorüber und warf, als die hohe, breite Gestalt des Gambusino aus dem Dunkel tauchte, diesem das Bücherpaket entgegen und rannte dann weiter. Der Gambusino strauchelte über den Pack und stürzte hin; er raffte sich zwar rasch wieder auf und wollte weiter; da aber hörte er eine gebieterische Stimme vor sich:

„Halt! hier steht der Vater Jaguar mit seinen Leuten. Wer ohne meinen Willen naht, bekommt die Kugel.“

Das veranlaßte ihn, den Schritt anzuhalten. Wollte man ihn mit dem Namen des berühmten Mannes täuschen? Er duckte sich nieder und kroch mehrere Schritte vorwärts. Da sah er allerdings eine ganze Schar von Männern vor sich halten. Wenn man an einem Gegenstande empor nach dem Himmel sieht, so kann man diesen Gegenstand, obgleich er ganz im Finstern steht, selbst in dunkler Nacht erkennen. Auf diese Weise sah der Gambusino, daß diese Männer ganz in Leder gekleidet waren und breitrandige Hüte aufhatten, was in den Pampas und den angrenzenden Gegenden eine Seltenheit ist. Daran erkannte er, wen er vor sich hatte.

„Alle Wetter, ich irre mich nicht,“ sagte er sich. „Man will mich keineswegs täuschen. Es ist wirklich dieser verwünschte Vaterjaguar, den ich lieber in der Hölle als hier wissen möchte. Wenn ich weiter gehe, läßt er Feuer geben; das ist gewiß. Ich muß zurück; aber er soll mir den Streich, den er mir heut spielte, entgelten. Es ist der erste, soll aber auch der letzte sein.“

Er kroch wieder retour, erhob sich dann vom Boden und kehrte um die Waldecke zurück, als eben die vordersten seiner Leute, denen er in seinem Verfolgungseifer vorangerannt war, ihm nachkamen.

„Zurück!“ gebot er ihnen. „Es ist nichts zu machen.“

„Nichts?“ fragte Pellejo, der sich bei ihnen befand. „Warum?“

„Sie sind fort und für uns verloren, wenigstens für heut.“

„Wieso?“

„Wißt Ihr, welcher Halunke sie losgeschnitten hat?“

„Nun?“

„Der Vater Jaguar.“

„Unmöglich! Das muß ein Irrtum sein.“

„Nein. Ich habe seine Leute gesehen und auch seine Stimme gehört. Kommt rasch zurück! Wir müssen uns beraten, dabei aber alle Vorkehrungen treffen, daß wir nicht überrascht werden, denn dieser Mensch ist im stande, uns heut noch zu überfallen.“

„Schwerlich!“

„Sie glauben es nicht? Warum nicht?“

„Er hat nur die Gefangenen befreien wollen. Hätte er es auf einen Überfall abgesehen, so würde er ihn ja vorhin ausgeführt haben.“

„Mag sein; aber ich traue ihm nicht. Ich kenne ihn nicht so, wie Sie ihn kennen, sondern etwas näher und genauer. Und er – na, er kennt mich auch ein wenig – – von früher her. Ich weiß sogar, daß er meine Stimme kennt. Wenn er mich an dieser erkannt hat, so ist es gewiß und zehnfach, hundertfach gewiß, daß er sich an meine Fersen heftet.“

„Haben Sie eine Rechnung miteinander?“

„Ja, und keine gewöhnliche. Kommen Sie also! Ich weiß, daß wir keine Zeit zu verlieren haben.“

Sie und die Soldaten und Indianer, welche bei ihnen stehen geblieben waren, gingen schleunigst nach dem Lager zurück, wo der Gambusino den Befehl gab, schnell zu satteln und dann die Feuer auszulöschen, da man aufbrechen müsse.

„Fort sollen wir?“ fragte Antonio Perillo. „Ist das notwendig?“

„Ja, wir müssen fort, mindestens so weit, daß dieser Vater Jaguar uns wenigstens während der Nacht nicht finden kann.“

„Er wird es nicht wagen, sich an uns zu machen!“

„Pah! Ich sage Ihnen, daß er es zwar nicht wagen, aber doch thun wird, denn für ihn ist so etwas kein Wagnis.“

Da nahm der Häuptling, ihm beipflichtend, das Wort:

„Wenn der Jaguar es ist, der die Gefangenen befreit hat, so müssen wir fort. Ich kenne ihn. Und nur dieser Jaguar konnte es fertig bringen, diese beiden weißen Männer fortzuholen. Ich durchschaue es. Er hat noch mehr Leute bei sich gehabt und von ihnen das Feuer mit Pulver anbrennen lassen. Während wir es auslöschten und nicht auf die Gefangenen achteten, hat er sie weggenommen.‘ Er weiß, daß ich ihm den Tod geschworen habe. Wir müssen fort, da wir uns hier nicht verteidigen können. An einem besseren Ort werden wir anhalten, um uns zu beraten.“

Hierauf ließ sich nun nichts mehr sagen. Man sattelte die Pferde und bemerkte nun erst, daß vier derselben samt dem Lederzeuge und den beiden Paketen des Gefangenen fehlten. Glücklicherweise gab es einige Reservepferde, so daß man nicht doppelt zu reiten brauchte. Als die Feuer ausgelöscht worden waren, setzte sich der Zug in Bewegung, indem nach Indianerart ein Reiter immer hinter dem andern ritt.

Der Weg führte immer tiefer in den Einschnitt hinein, welcher nach und nach immer breiter wurde. Hätte derselbe eine Sackgasse gebildet, so wäre es um diese Schar geschehen gewesen, da sie dem Vater Jaguar hätte in die Hände fallen müssen. Aber der Häuptling „Tapfrer Arm“ kannte die Gegend zu genau, als daß er sich hätte irren können. Nach Verlauf von zwei Stunden wich der Wald zu beiden Seiten zurück, und man kam auf einen weiten, offenen Kamp, in welchen man eine Viertelstunde hineinritt, um dann zu einer kurzen Beratung anzuhalten. Die Reiter stiegen von den Pferden und bildeten einen Kreis, in welchem die Weißen mit dem Häuptlinge Platz nahmen.

„Selbst wenn der Jaguar uns bis an das Ende des Waldes gefolgt wäre,“ sagte der letztere, „hier würde er uns nicht finden. Es ist dunkel, und er kann nicht sehen, nach welcher Richtung wir uns gewendet haben. Die Señores mögen beraten, was geschehen soll.“

„Eine Beratung nach Eurer langen und langsamen Weise werden wir nicht halten,“ antwortete ihm der Gambusino. „Wir werden kurz sein und dann gleich wieder aufbrechen, um einen möglichst weiten Weg zwischen ihn und uns zu legen.“

„So denken Sie wirklich, daß dieser gefährliche Mann uns folgen wird?“

„Auf jeden Fall, wenn er mich nämlich an der Stimme erkannt hat.“

„Er hat Sie erkannt.“

„Woher willst du das wissen?“

„Er braucht Sie gar nicht an der Stimme erkannt zu haben, denn er hat Sie gesehen.“

„Nein.“

„Er hat Sie gesehen! Denken Sie, daß der Jaguar für sich das Leichteste wählt und seine Leute das Schwere und Gefährliche ausführen läßt?“

„Nein. Wie ich ihn kenne, ist es umgekehrt. Er wird gerade das Allerschwierigste auf sich nehmen.“

„Und was war heute das Schwerste?“

„Das Losschneiden der Gefangenen, weil er sich da trotz der hellen Feuer in unsre Nähe wagen mußte.“

„So war also er es, der dies vollbracht hat. Er ist nahe bei uns gewesen, hat uns alle gesehen und auch gehört, was wir gesprochen haben.“

„Demonio! Das ist allerdings wahrscheinlich. Er hat uns gesehen, denn jedenfalls befand er sich hinter den beiden Bäumen. Das heißt, er hat Euch erblickt, nicht aber mich, wenigstens nicht genau, denn wie ich mich besinne, hatte ich mein Gesicht mit meinem breiten Hute bedeckt.“

„Kennt er nicht Ihre Gestalt, Señor?“

„Ja; aber solche Gestalten gibt es viele, und ich bin viel anders gekleidet als damals, wo wir uns sahen. Um mich wirklich zu erkennen, mußte er mein Gesicht sehen oder meine Stimme hören.“

„Und meinen Sie, daß dieses letztere geschehen ist?“

„Ja, denn ich habe leider nur allzu laut geschrieen. Hätte ich gewußt, daß dieser Mensch sich in der Nähe befand, so hätte ich freilich geschwiegen. Ich bin überzeugt, daß er mir folgen wird.“

„Und wenn er nicht Ihnen folgt, so folgt er mir.“

„Warum habt Ihr Euch mit ihm verfeindet?“

„Wir waren bei den Cambas eingefallen, als er sich bei ihnen befand. Er kam zu uns, um Frieden anzubieten; aber wir wollten die Beute, welche wir gemacht hatten, nicht herausgeben. Ja, wir wollten noch mehr Beute machen, und so kam es, daß wir ihn fortschickten. Er ging im Zorne und einer von uns blies ihm einen Giftpfeil nach, der aber in seinem Rocke stecken blieb, denn seine Lederkleidung ist so stark, daß kein Pfeil hindurchdringt. Dann töteten wir zwei Häuptlinge der Cambas und viele ihrer Untergebenen. Wir töteten alle Alten, alle Männer, Kinder und Knaben und nahmen nur die Frauen und Töchter mit uns. Da stellte er sich an die Spitze der andern Cambasstämme und fiel über uns her.“

„Wer siegte?“

„Er, denn er ist unüberwindlich, wenn er einmal zur Waffe greift. Sein Zorn hat vielen, sehr vielen von uns das Leben gekostet, und die Cambas haben nicht nur das wiederbekommen, was wir ihnen abgenommen hatten, sondern noch mehr dazu. So sind wir Todfeinde geworden. Darum sollt ihr uns Flinten und Pulver geben, damit wir uns rächen können, denn die Krieger der Abipones sind voller Begierde, die Cambas zu züchtigen. Wenn ihr das thut, werdet ihr treue Verbündete an uns gewinnen.“

„Ihr werdet bekommen, was wir euch versprochen haben. Wir befinden uns ja auf dem Wege nach unsern heimlichen Magazinen. Wenn es so steht zwischen euch und ihm, bin ich allerdings überzeugt, daß er schnell hinter uns her sein wird.“

„Und wäre dies nicht der Fall, so würde er mich verfolgen,“ fiel Antonio Perillo ein. „Ihr wißt ja, was in Buenos Ayres geschehen ist. Er hat nicht nur mich, sondern auch die andern Espadas blamiert. Wenn ich ihn in die Hand bekomme, so hat er auf keine Nachsicht zu rechnen, zumal es bekannt ist, daß er ein Anhänger von Mitre ist.“

Da meinte Kapitän Pellejo.

„Ich habe von diesem Manne schon viel gehört, aber nie etwas mit ihm zu thun gehabt. Mir läuft er nicht nach. Soviel ich aber von Ihnen, Señores, vernehme, bin ich freilich überzeugt, daß er Lust haben wird, auf unsrer Spur zu bleiben. Ich denke aber, daß dies nichts Leichtes sein wird.“

„Warum?“ fragte der Gambusino.

„Spuren vergehen.“

„So! Hm! Sie scheinen keinen großen Begriff von der Kunst des Fährtenlesens zu haben. Ich will Ihnen sagen, und zwar im vollsten Ernste, daß dieser Vater Jaguar eines Tages eine Fährte verloren hatte und sie nicht wiederzufinden vermochte. Da blickte er in die Wolken und wußte sofort, woran er war.“

„So waren diejenigen, welche er suchte, wohl in die Wolken geritten?“ lachte der Hauptmann.

„Pah! Sie verstehen das nicht,“ antwortete der Gambusino in verächtlichem Tone. „Wissen Sie nicht, daß der Gang der Wolken die Windrichtung andeutet?“

„Das weiß ich wohl.“

„So denken Sie sich das übrige dazu! Ich habe weder Zeit noch Lust, Ihnen alte Abenteuer zu erzählen, denn ich bin der Überzeugung, daß wir bald sehr neue erleben werden. Ich wollte Ihnen nur sagen, Señor, daß ein Mann wie der Vater Jaguar jede Fährte findet, welche er sucht, und sie dann gewiß nicht wieder verliert, außer er hat es mit einem ebenso erfahrenen Gegner, zum Beispiele mit mir, zu thun. Ich bin im stande das zu thun, was keiner von Ihnen vermag, nämlich diesen Mann irre zu führen oder ihm wenigstens ein Schnippchen zu schlagen.“

„Wir werden durch die Sandwüste, durch Wälder, über Sümpfe und Flüsse reiten. Uns da überall zu folgen, ohne uns doch einmal zu verlieren, dazu gehört doch mehr, als ein Mensch vermag.“

„Dazu gehört nichts weiter als Schlauheit und Erfahrung; und diese beide besitzt der Jaguar in hohem Grade. Aber wir brauchen uns ja darüber, ob er unsere Spuren finden wird, gar nicht zu streiten. Er braucht uns gar nicht nachzuspüren, denn er weiß genau, wohin wir wollen.“

„Unmöglich! Wer sollte es ihm gesagt haben? Unter den Leitern unsres Planes gibt es keinen Verräter, und die tiefer Gestellten wissen nichts.“

„Haben Sie vorhin nicht gehört, daß er uns jedenfalls belauscht hat?“

„Ja. Aber was hat er gehört?“

„Ich habe darüber nachgedacht, und es ist mir eingefallen, worüber die Señores kurz vor dem Ausbruche des Feuers gesprochen haben. Ich selbst aber habe geschwiegen und mich an diesem verräterischen Gespräche nicht beteiligt.“

„Nun, worüber sprachen wir? Ich entsinne mich nicht, ein Wort gesprochen zu haben, welches an uns zum Verräter hätte werden können.“

„O doch! Sie sprachen von unsern Waffenverstecken.“

„Aber nicht davon, wo dieselben liegen!“

„Sodann sprachen Sie davon, daß Sie Boten an die Grenzorte gesandt hätten, um Ihre Soldaten nach dem Lago zu beordern.“

„Habe ich den Namen dieses Lago genannt?“

„Nein.“

„Nun, es gibt sehr viele Lagos; er mag sich denjenigen, den ich meinte, heraussuchen!“

„Er sucht nicht nach ihm, sondern er kennt ihn in diesem Augenblicke vielleicht schon sehr genau.“

„Wieso?“

„Sie vergessen ganz, daß unsre Gefangenen jetzt bei ihm sind. Wir waren ihrer leider so sicher, daß wir in ihrer Gegenwart mehr als genug von Dingen gesprochen haben, welche nicht für fremde Ohren, am allerwenigsten aber für das Ohr eines solchen Feindes sind.“

„Kennen sie den Namen des Lago?“

„Sehr genau, Sie selbst haben ihnen damit gedroht, daß sie in dem Wasser dieses Sees ersäuft werden sollen.“

„Teufel! Das ist freilich unangenehm! Aber wer konnte wissen, daß sie uns schon nach kurzer Zeit wieder entkommen würden! Nun wird er wohl schleunigst nach diesem Lago de los Carandayes reiten.“

„Das würde er allerdings, wenn ich nicht wäre. Ich werde ihn irre führen. Wir sind von Süden her über den Fluß gekommen, um nach dem Norden oder Nordwest zu gehen. Wir werden aber wieder umkehren, um über den Fluß zurückzugehen.“

„Welcher Einfall, welcher Umweg!“

„Kein Umweg. Wenn wir jetzt gleich aufbrechen und uns einen andern Einschnitt suchen, durch welchen wir den Wald wieder hinter uns legen können, so sind wir am Morgen am Flusse, reiten hindurch und eine Strecke in das Land hinein. Das wird ein Parforceritt bis heute abend. Da ruhen wir nur zwei oder drei Stunden aus und kehren auf einem andern Wege wieder nach hier zurück.“

„Wieder ein Tagesritt, also zwei Tage Verlust!“

„Was bedeutet dieser Verlust, wenn wir dadurch den Vater Jaguar von uns abschütteln!“

„Wird uns das gelingen?“

„Unbedingt. Ich garantiere.“

„Und ich möchte es bezweifeln.“

„Weil Sie es nicht verstehen. Der Jaguar wird erst am Morgen seine Verfolgung aufnehmen; da sind wir aber schon am Flusse, den er, da er langsam reiten muß, weil er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Fährte zu richten hat, erst am Abende erreicht. Am zweiten Abende würde er an die Stelle kommen, an welcher wir wieder umkehren wollen; aber er wird sie gar nicht finden, da die Spur inzwischen verweht oder sonst unkenntlich geworden ist.“

„Glauben Sie?“

„Ja. Der Vater Jaguar wird dann überzeugt sein, daß wir über den Fluß zurück sind, und zwar aus Angst vor ihm, und vor Stolz darüber wird er sich so aufblähen, daß ihm der Verstand zerplatzt und er alles glaubt, was wir ihm weisgemacht haben.“

„Das wäre allerdings höchst vorteilhaft für uns. Ich wollte es sehr gern gut heißen, wenn ich wüßte, daß es auch gelingen wird.“

„Es gelingt.“

„So könnten wir doch nach Fort Tio gehen, um uns frisch zu verproviantieren!“

„Ja, das können wir. Ich bin einverstanden.“

Antonio Perillo hatte nichts dagegen einzuwenden, und der Häuptling erklärte:

„Der Plan des Gambusino ist sehr scharfsinnig erdacht.

Wir werden den Jaguar irre leiten und seinen Tatzen entgehen. Wie viele Männer hat er denn eigentlich bei sich?“

„Genau kann ich das nicht sagen. Soviel ich in der Dunkelheit zu erkennen vermochte, werden es zwischen zwanzig und dreißig sein.“

„Das ist genug für ihn. Wir zählen zwar zehnmal zehn Krieger, aber seine Männer sind waffengeübter als die meinigen. Da ist es auf alle Fälle besser, wir kommen erst dann mit ihm zusammen, wenn noch andre Horden der Abipones zu uns gestoßen sind. Lassen Sie uns also aufbrechen, damit wir ihn baldigst irre leiten. Ich weiß weiter oben einen andern Durchbruch im Walde, der uns nach dem Flusse führen wird.“

Man saß wieder auf und ritt von dannen, in einem spitzen Winkel mit der zuletzt eingehaltenen Richtung dem Walde entgegen. Den armen Pferden dieser Menschen stand eine ungeheure Anstrengung bevor.

Der Mann, von welchem bei ihnen die Rede gewesen war, der Vater Jaguar, machte sich in diesem Augenblicke keineswegs so viele Sorgen um sie, wie sie geglaubt hatten, denn er – – schlief so gemütlich und ruhig, als ob er sich in einem Bette zu Buenos Ayres oder Montevideo befunden hätte.

Als der Gambusino sich zurückgezogen hatte, schritt der Vater Jaguar auf den Einschnitt zu und horchte. Er hörte ihn von weitem mit den andern sprechen, konnte aber die Worte nicht verstehen. Dann bemerkte sein scharfes Ohr, daß sie sich entfernten. Hierauf rief er drei zuverlässige Leute herbei und schickte sie hundert Schritte in den Einschnitt hinein, wo sie sich postieren sollten, einer am rechten, einer am linken Waldesrande und der dritte in der Mitte des Weges. Sie sollten scharf aufpassen und bei der geringsten gegen sie gerichteten Bewegung der Feinde ihre Gewehre abschießen.

Er glaubte, damit alles gethan zu haben, was die Klugheit und Vorsicht für geboten hielt. Es fiel ihm gar nicht ein, die Feinde anzugreifen, wenigstens heute, und noch viel weniger dachte er daran, allen seinen Leuten den Schlaf zu rauben, den sie so notwendig brauchten, um für den morgenden, vielleicht anstrengenden Tag frisch und gestärkt zu erwachen.

Darauf kehrte er zu der Stelle zurück, an welcher sie sich befanden, und setzte sich in ihre Mitte, um nun erst Doktor Morgenstern und seinen Fritze vorzunehmen. Er that das in spanischer Sprache, damit seine Gefährten das Gesprochene verstehen könnten.

„Señor, ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll,“ sagte er. „Ich bin gern höflich, besonders gegen einen Herrn von Ihrer Bildung und Ihren Kenntnissen, dennoch aber kann ich Ihnen nicht verhehlen, daß Sie weit besser gethan hätten, in Buenos Ayres zu bleiben.“

„Was sollte ich dort, Señor?“ fragte der kleine Rote.

„Alles, was Sie wollten und konnten.“

„Nein. Ich konnte nicht alles, was ich wollte. Ich wollte ein Glyptodon, ein Megatherium oder ein Mastodon haben. Sind solche Tiere in Buenos Ayres auszugraben?“

„Vielleicht, wenn man genau nachforscht.“

„Aber die Regierung würde das Nachgraben mitten in der Hauptstadt nicht erlauben.“

„So konnten Sie in die Pampas gehen.“

„Das habe ich auch gethan.“

„Nein. Oder meinen Sie, daß wir uns hier auf einer Pampa befinden?“

„Ja, auf einer Pampa zwischen Fluß und Wald, Fluvius und Silva, wie der Lateiner sagt.“

„Aber wie kommt es, daß Sie dieselbe Richtung genommen haben, welche auch ich einschlug?“

„Ich wollte Sie treffen.“

„Aber ich hatte Ihnen gesagt, daß ich Sie nicht gebrauchen kann!“

„Señor, es ist jeder Mensch zu gebrauchen!“

„Ja, aber im Gran Chaco nicht. Sie bringen nicht nur mich in Verlegenheit, sondern sind auch selbst in eine große Gefahr geraten.“

„Meinen Sie? Die Señores, welche uns gefangen nahmen, befanden sich in einem Irrtum, den sie jedenfalls sehr bald eingesehen hätten.“

„Glauben Sie das ja nicht! Ihr Leben schwebte in Gefahr.“

„Mein Leben, lateinisch Vita genannt? Das glaube ich kaum.“

„Weil Sie ein lieber, guter, harmloser Silberkarpfen sind, welcher keine Ahnung davon hat, was für Hechte es im Teiche gibt. Sie passen überall mehr und besser hin als in den Gran Chaco.“

„Und ich bin vom Gegenteile überzeugt, da Sie selbst mir angedeutet haben, daß hier die Reste vorweltlicher Tiere zu finden sind.“

„Ich bin auch jetzt noch überzeugt, daß dies der Fall ist; aber wenn Sie diese längst zu ihren Vätern versammelten Kreaturen in den Pulverkammern unsrer Parteiführer suchen, so können Sie sehr leicht einmal ein wenig in die Luft gesprengt werden. Wie Sie gefangen genommen worden sind, das habe ich von dem braven Don Parmesan gehört, dem Sie Ihre Rettung zu verdanken haben. Ich bitte Sie, mir zu erzählen, was sich dann weiter ereignet hat.“

„Ereignet? Gar nicht viel, Señor Hammer. Man schüttete das Loch, in welchem meine Gigantochelonia gesteckt hatte, wieder zu, nachdem man den Inhalt herausgenommen hatte, um ihn zu verteilen. Dann band man uns auf die Pferde und ritt mit uns davon. Ich gab herzliche gute Worte, man möge doch das Rückenschild der Gigantochelonia mitnehmen, was mir aber rundweg abgeschlagen wurde. Ich glaube sogar, wenn ich mich recht besinne, auf einigen Gesichtern eine Art von Veränderung bemerkt zu haben, welche den Menschenkenner beinahe zu der leisen Überzeugung bringen könnte, daß es sich dabei um den Anflug einer Spur jenes Muskelspiels gehandelt habe, welches einzutreten pflegt, wenn der Mensch eine heimliche Veranlassung findet, seinen Zügen die heitere Erlaubnis eines sanften, kindlichen Lächelns zu erteilen.“

„Das verstehe ich kaum. Wollen Sie damit sagen, daß Sie ausgelacht worden sind?“

„Ausgelacht?“ fuhr der Kleine erstaunt auf. „Ich deutete ein leises Lächeln an, und Sie sprechen da gleich von einer vollendeten Auslachung, lateinisch Irrisio genannt? Señor, das könnte mich kränken, wenn ich nicht bei Ihnen so gute paläontologische Kenntnisse entdeckt hätte, daß ich überzeugt bin, Sie halten es für effektiv unmöglich, daß der Entdecker einer Gigantochelonia ausgelacht werden kann.“

„Sie glauben also noch immer, daß es sich um eine Schildkröte gehandelt hat?“

„Ich bin überzeugt davon, und zwar war es eine von wirklich riesigen Dimensionen. Was aber das fernere Erlebnis betrifft, so ritten wir durch den Wald, und mittels einer seichten Furt über den Fluß wieder in den Wald, wo wir bei andern Indianern anhielten. Ich und mein Fritze erhielten jeder ein Stück Fleisch, welches wir essen durften. Dann band man uns an die Bäume, bis Sie kamen und uns heimholten. Das ist alles, was ich erzählen kann, eine höchst einfache und prosaische Geschichte.“

„Das nennen Sie einfach und prosaisch?“ lachte der Vater Jaguar nun wider Willen auf.

„Natürlich! Es war keine Spur von Poesie dabei. Ich wollte dem Gespräche wiederholt eine anheimelndere Wendung geben und begann von dem Diluvium, von dem Höhlenbären, vom Mammut und andern sympathischen Themata zu sprechen, fand aber kein Ohr dafür.“

„Das glaube ich!“

„Es fiel sogar, wenn ich mich nicht geirrt habe, einmal eine Bemerkung, welche, wenn auch in entfernter Weise, darauf schließen ließ, daß es hier zu Lande eine Redeweise gibt, welche den Anflug einer Ähnlichkeit mit einem deutschen Worte hat, bei welchem das Verbum halten statt in Beziehung zu dem Hauptworte Os in Verbindung mit dem Substantive Rictus gebracht wird.“

„Das heißt, man hat Sie gebeten, nicht nur den Mund, sondern sogar das Maul zu halten?“

„Nun, gebeten eigentlich nicht. Es wurde das vielmehr in einer Weise gesagt, welche auf etwas mehr Schärfe und Energie schließen ließ. Doch will ich gerne dem Betreffenden zu Ehren konstatieren, daß er vielleicht nicht ganz im Stande ist, zwischen Os und Rictus so genau zu unterscheiden, wie es in Hinsicht auf die zarteren Umgangsformen wohl als wünschenswert hätte erscheinen mögen.“

„Ich weiß genug, Señor, brechen wir davon ab! Lieb wäre es mir, wenn nun auch Sie genug wüßten.“

„Wovon?“

„Von dem, was ich so gern wissen möchte. Was haben diese Leute miteinander gesprochen?“

„Nichts von Bedeutung.“

„Gar nichts?“

„Ja, gar nichts, was nur einigermaßen Veranlassung hätte geben können, daß man hingehorcht hätte. Ich habe darum auch nicht darauf geachtet. Sie sprachen von Revolution, von Kavallerie und Kanonen, von Ausfällen und Überfällen der Indianer, lauter Sachen, die unsereinen doch nicht im mindesten interessieren können. Es ist nicht das kleinste, auch nicht das allerkleinste, auch nicht das allerkleinste geologische oder geognostische Wort gefallen.“

„Revolution, Artillerie, Kavallerie, Aus- und Überfälle? Und das nennen Sie bedeutungslos? Señor, das alles ist von ungeheurer Wichtigkeit gewesen!“

„Für Sie vielleicht, nicht aber für mich. Ich habe mir kein Wort gemerkt. Übrigens steckte mir noch das Rückenschild meiner Gigantochelonia im Kopfe.“

„Dann gratuliere ich Ihnen zu diesem Kopfe, den Sie getrost Gigantocaputus nennen können.“

„Danke verbindlichst, Señor. Wenn Sie etwas Eingehenderes über die Gespräche dieser Leute hören wollen, so will ich Sie an meinen Fritze adressieren. Er ist Laie und hat also für diese Kleinigkeiten mehr Aufmerksamkeit gehabt, als ich ihnen zu widmen vermochte.“

Fritze hatte bis jetzt kein Wort gesagt, jetzt aber meldete er sich schnell, und zwar in deutscher Sprache:

„Dat ist wahr, Herr Hammer; ik habe ausjezeichnet aufjepaßt und kann Sie mit allens dienen, wat Sie wissen wollen. Aber thun Sie mich den Jefallen, sich mit meine Muttersprache zu bedienen. Wenn ik gezwungen bin, mit einem Deutschen spanisch zu diskurrieren, so fällt mich allemal die Butter vom Brode, und es jiebt mich einen Messerstich ins treue deutsche Herz.“

„Wenn Sie es wünschen, ganz gern,“ lächelte der Vater Jaguar. „Wir können den Andern dann ja spanisch sagen, was wir deutsch gesprochen haben.“

„Natürlich! Und ik werde mich erlauben, Ihnen dabei oft und manchmal behülflich zu sein. Also, wat wollen Sie wissen, und wobei soll ik anfangen zu bejinnen?“

„Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob Sie erfahren haben, was diese wenigen Weißen bei den Indianern wollen.“

„Damit kann ik erjebenst aufwarten. Es kam mich nämlich der Jedanke, daß die Freundschaft zwischen Rot und Weiß doch ihren juten Jrund haben müsse und daß dieser Jrund mehr wert sein könne, als der janze Deckel von unsre Gigantochelonia. Darum hielt ik die Augen offen und die Ohren noch offener. lk stamme nämlich aus Stralau am Rummelsburjer See, und in diese Jejend pflegt man pfiffig zu sind. Die Kerls glaubten, daß wir ihnen nicht mehr schaden konnten, und redeten, nur um uns zu ärjern, janz offen über ihre jeheimnisse. Sie jehen in den Chaco, um die Abipones jejen die Rejierung aufzuwiejeln und sie zu einem Einfall zu bewejen. Der Häuptling aber, der alte Brazo valiente, ist ein Schlaukopf und hat also seine Bedingungen jestellt. Er will vorher die Cambas überfallen, die Sie, Herr Hammer, jejen ihn kommandiert haben, und dabei sollen ihm die Weißen helfen. Er verlangt Waffen und Soldaten.“

„Ach! Hat man ihm beides zugesagt?“

„Versteht sich! Die Soldaten trommelt der Kapitän Pellejo zusammen. Er täuscht dat Vertrauen seiner Vorgesetzten. Sie haben ihn an die Jrenze jeschickt, um die längs derselben angelegten Jarnisonen zu inspizieren; es fällt ihm aber jar nicht ein, hinzujehen, sondern er hat vertraute Boten hinjeschickt, welche den Befehl überbringen, daß diese Militärs sich nach dem Chaco zu bewejen haben, um an einem bestimmten Tage an einem bestimmten Orte dort zusammenzutreffen. Diese Leute sollen den Abipones jejen die Cambas helfen.“

„Welch ein Plan! Auf diese Weise werden also dem Häuptlinge die Soldaten geliefert. Wie aber wollen sie ihn in den Besitz der versprochenen Waffen setzen?“

„Halten Sie dat für schwer? O, nichts leichter als diese Schwungfeder! Die Sache ist ja schon von langer Hand her vorbereitet. Man hat schon längst zu diesem Zwecke heimliche Magazine anjelegt und mit Waffen und Munition volljestopft. Unsere Schildkrötenhöhle ist so ein Magazin jewesen. Die werden nun jeöffnet. Auf diese Weise werden die Abipones bewaffnet und jejen die Cambas jeführt. Haben sie sich an diesen jerächt, so werden sie dann, mehrere tausend Mann stark, über die Jrenze kommen und dat Pronunciamiento jemütvoll unterstützen.“

„Dieser Plan entstammt doch nicht etwa Ihrer Phantasie?“

„Nein. Meine Phantasie ist nie so planvoll jewesen. Meine Mitteilungen sind auf dem Boden der Wirklichkeit jewachsen.“

„So muß ich freilich sagen, daß dieser Plan entsetzlich ist. Tausende von Roten hereinzubringen, um Mord und Brand loszulassen, damit einige wenige aus dem Blute ihrer Mitbürger Reichtümer und Ämter fischen! Wer steht an der Spitze dieses grausigen Unternehmens?“

„Dat ist mich unbewußt. lk habe weder die Spitze jesehen noch denjenigen, der an ihr steht. Aber der Oberste von die jetzige und hiesige Jesellschaft, dat ist der Jambusino, wie mich der Augenschein bewiesen hat. Er ist der Admiral von dat janze Jeschwader, dem die anderen alle jehorchen müssen.“

„Haben Sie etwas Näheres über ihn gehört, über seinen Namen, seine Heimat, seinen eigentlichen Stand, sein früheres Leben?“

„Dat sind viele Fragen in eine einzije zusammencoquiliert. lk werde sehen, ob es mich jelingt, ihnen auseinander zu addieren. Heißen thut er Benito Pajaro, wat zu deutsch bekanntlich Benedictus Vogel heißt. Seine Heimat ist mich rätselhaft; wo sich sein eijentlicher Stand befindet, weiß ik nicht; vielleicht ist er ein Strich- oder Zugvogel, und daß er auch schon vor heut und jestern, also früher jelebt hat, darauf kann man jetrost zehn Pfund Jift nehmen, wenn nämlich dieses Jift nicht jiftig ist. Dat ist allens, wat meine Allwissenheit zu leisten vermag.“

„Wurde von mir gesprochen?“

„Und ob! Der Vater Jaguar war allemal dat zweite Wort.“

„Gutes natürlich nicht?“

„Nein, man hat es auf Ihnen abjesehen. Jeraten Sie in die Hände dieser Hallunken, so jeht es Ihnen schlecht. Nehmen Sie Ihnen also sehr in Acht!“

Die drastische Ausdrucksweise des Stralauers war nicht etwa eine Folge davon, daß er die Angelegenheit leichtsinnig nahm; o nein, er sprach sehr ernst; er erkannte die vorhandene Gefahr, aber es war nun einmal seine Weise so. Hammer sah eine Weile schweigend vor sich nieder und erkundigte sich dann weiter:

„Konnten Sie vielleicht in Erfahrung bringen, an welchem Orte sich die Soldaten zusammenfinden sollen?“

„Ja. Es war ein See, Lago de los Carandayes, also Palmensee jeheißen.“

„Wo liegt er?“

„Dat wurde nicht jesagt.“

„Auch ich kenne ihn nicht, will mich aber erkundigen.“

Er fragte seine Gefährten, auch den alten Anciano, den jungen Inka und sogar den Chirurgen; aber keiner hatte von diesem See gehört, und noch viel weniger wußte einer die Lage desselben anzugeben.

„Sollte er im Innern des Chaco, vielleicht in der Wüste liegen?“ meinte Hammer nachdenklich.

„Ja, ja, dort wird die traute Heimat seiner Lieben sein,“ antwortete Fritze schnell.

„So hat man also doch davon gesprochen?“

„Nein, aber es fällt mich etwas anderes ein. Als nämlich von die Jewehre und die Magazine die Rede war, wurde davon jesprochen, daß sie alle nach einander in die Wüste hineinjelegt worden sind, und nach dem letzten Magazin kommt man an den Palmensee.“

„Welch eine Unvorsichtigkeit von diesen Leuten, in Ihrer Gegenwart über diese Dinge zu sprechen! Und wie herrlich wäre es, wenn Sie Näheres über diese heimlichen Magazine wüßten!“

„Nur jetrost weiter! Vielleicht fragen Sie noch wat aus mich heraus. Die Namen von diese Magazine habe ik alle jehört.“

„So? Wie heißen sie?“

„Da muß ik mir erst mal besinnen. Es waren lauter Quellen, vier Stück, und daran hing allemal ein Tier, an der vierten aber ein Zwilling. Welche Thiere dat jewesen sind – – da, ik habs jefunden! Die erste war die Fuente de los pescados, die zweite die Fuente de las sanguijuelas, die dritte die Fuente de los crocodilosund die vierte die Fuente gemela.“

Da sprang der Vater Jaguar freudig überrascht vom Boden auf und rief aus:

„Prächtig, prächtig! Diese Namen kenne ich ja alle, und ich bin an jedem dieser Orte gewesen. Fritze, Ihr gutes Gedächtnis hat uns da einen ganz unbezahlbaren Dienst erwiesen!“

„Wirklich? Nun, wenn Sie’s nicht an mein Jedächtnis zahlen können, so dann doch lieber an mir selbst! Mein Jedächtnis und ik, wir stehen so jut miteinander, daß ik allens, wat ihm zukommt, inkassieren kann. Ik hab’s selbst nicht jewußt, daß ik diese Namen noch im Kopfe hatte. Soll mir freuen, wenn Sie jeschmack an dieselben finden!“

„Sie selbst kennen eine von diesen Quellen. Sie haben da, wo Sie nach der Schildkröte gruben, viel Fische gefangen. Sie waren an der Fuente de los pescados, an der Fischquelle. Die zweite liegt jenseits des Waldes in der Nähe des Lago honda; das Bassin, in welches sie fließt, ist voller Blutegel; daher ihr Name. Die dritte fließt am Ende der undurchdringlichen Waldung in eine Sumpflagune, welche voller Krokodile ist, und die vierte besteht aus zwei Einzelquellen, welche sich bald nach ihrem Austritte vereinigen, daher der Name Zwillingsquelle. Jede dieser Quellen ist von der andern anderthalb Pferdetagereisen entfernt, und sie liegen in einer schnurgeraden Linie. Wenn man diese Linie nach Nordwest verlängert, muß man unbedingt an den Palmensee kommen, den wir nicht kennen und an welchem die Soldaten zusammentreffen sollen. Wie schlau, die Verstecke an diesen Quellen anzulegen! Man kann von einer zur andern durch die Wüste gelangen, ohne daß die Reit- und Transporttiere übermäßig dursten müssen. Fritze, ich danke Ihnen! Nun ist mein Plan fertig. Wir reiten diesen Roten nach den Quellen voraus und nehmen die Nester aus, ehe sie hinkommen. Und dann geht es nach dem Palmensee, um die Soldaten festzunehmen. Dieser Ort scheint sehr gut gewählt zu sein, da dort oben die zahlreichsten und wohlhabendsten Stämme der Cambas wohnen, Der Gambusino würde also mit seinen Abipones und den weißen Soldaten eine Beute machen, wie sie noch nicht vorgekommen sein dürfte. Aber wir werden ihnen das Handwerk legen!“

„Ja, dat werden wir,“ stimmte Fritze fröhlich ein. „Wollen Sie zujeben, Herr Hammer, dat so eine Gigantochelonia auch ihre scharmanten Seiten hat? Ohne dieses Riesentier wären Sie nicht hinter dat Jeheimnis jekrochen. Sie wollten uns nicht mitnehmen; nun aber hoffe ik von Ihrer dankbaren Zärtlichkeit, daß Sie uns zwei Sitzplätze an Ihrem Herzen jönnen und uns da, wat Sie dort oben nennen, eine Stelle in der Mutter Erde zeijen, wo wir eine bessere Schildkröte finden, als diejenige war, deren Incognito in einer für uns so jrausamen Weise jelüftet worden ist!“

„Ja, Sie sollen mit, und wenn Sie nichts im Diluvium entdecken, so soll die Schuld nicht an mir liegen. Ich schaffe Ihnen den größten Riesenfrosch zur Stelle, den es zu Noahs Zeit gegeben hat, und der nur deshalb von Noah nicht gerettet werden konnte, weil die Arche, selbst wenn sie gar kein Tier aufgenommen hätte, für ihn allein zu klein gewesen wäre.“

„Dat läßt sich hören. Meine Hochachtung wächst nun auch so riesenjroß vor Ihnen, wie dieser Frosch jewachsen ist. Bauen Sie sich eine Arche dafür!“

„und ich,“ versprach der begeisterte Morgenstern, „werde nun auf das Sorgfältigste auf alle Gespräche achten, welche sich auf Revolution und Totschlag beziehen, denn ich sehe ein, daß man dadurch zu großen paläontologischen Errungenschaften gelangen kann.“

„Gut, lieber Landsmann! Nun aber rate ich Ihnen an, sich schlafen zu legen, denn Sie sind weidlich maltraitiert worden und bedürfen der Erholung. Morgen früh wird mit Tagesgrauen aufgestanden, und dann erwartet uns wohl ein Ritt, der für Sie anstrengend sein dürfte. Zur guten Nacht aber will ich Ihnen noch das offene Geständnis machen, daß ich mich freue, Ihre Werkzeuge gerettet zu haben. Wir können sie jetzt sehr gut gebrauchen, da wir die Magazine aufzugraben haben.“

Dieses Geständnis machte den Gelehrten so stolz, daß er seinem Diener freudig zuflüsterte:

„Hast du es gehört, Fritze, sie brauchen mich und meine Sachen; hast du es auch wirklich gehört? Ein Zoopaläontologe ist zu aller Zeit und an jedem Orte eine vielgesuchte Persönlichkeit. Du wirst immer mehr einsehen, daß kein Mensch ohne die Wissenschaft, lateinisch Scientia genannt, zu existieren vermag.“

Er schlief so befriedigt ein, wie seit langen Zeiten nicht. Auch die andern gaben sich der tiefsten Ruhe hin, und nur von Stunde zu Stunde wurden drei geweckt, um die schon erwähnten Wächter abzulösen.

Kaum graute der Morgen, so riefen die letzten Posten ihre Gefährten wach, denn man mußte den Umstand mit in Betracht ziehen, daß der Gambusino mit seinen Indianern noch in der Lichtung stecken und diese Stunde zu einem Überfalle für geeignet halten könne. Man nahm sich vorläufig noch nicht Zeit zu einem Imbisse, sondern der Vater Jaguar gab den Befehl, zu Pferde zu steigen und gegen die Lichtung vorzurücken. Er war zwar vollständig überzeugt, daß dieselbe während der Nacht geräumt worden sei, hielt aber doch die Vorsichtsmaßregel für angezeigt, einige Mann zu Fuß als Aufklärer vorausgehen zu lassen.

Diese schritten, immer gute Deckung suchend, dem gestrigen Lagerplatze der Indianer zu. Als sie denselben leer fanden, gaben sie ihren Kameraden ein Zeichen, herbeizukommen. Darauf setzten sich auch diese Eclaireurs zu Pferde, und dann ging es in gestrecktem Galopp in dem Einschnitte weiter fort, bis der Wald ein Ende hatte.

Hier sah man die Spuren der Indianer, welche hinaus in den Camp führten. Sie lieferten den Beweis, daß die Feinde den Wald schon gestern abend verlassen hatten. Ob diese die jetzige Richtung eingehalten hatten oder ob dieselbe nur eine Finte sei, das wußte man jetzt noch nicht; jedenfalls aber war es angezeigt, sich auf einen Ritt durch die dürre Wüste gefaßt zu machen. Man brauchte also Wasser. Glücklicherweise kannte der Vaterjaguar gar nicht weit von hier eine Stelle, wo am Waldesrande ein Wässerchen erschien, um schon einige Schritte davon wieder in den Boden einzudringen. Wer in der Wildnis lebt, der merkt sich solche Orte nur zu gut und vergißt gewiß nie einen derselben. Man trank sich satt, ließ auch die Pferde zur Genüge trinken und machte sich dann mit der Überzeugung auf den Weg, anderthalb Tagesreisen weit keinen Tropfen wieder zu sehen zu bekommen.

Man folgte natürlich den noch sichtbaren Spuren der Abipones und gelangte in kurzer Zeit an die Stelle, wo der Trupp gelagert hatte. Der Vater Jaguar ließ da anhalten, um die Stelle zu untersuchen. Auch Geronimo betrachtete das niedergelagerte Gras sehr genau und gab dann sein Urteil ab:

„Hier haben sie bis zum Anbruche des Tages gelegen. Sie sind also vor noch nicht gar langer Zeit erst fort, aber sonderbarerweise wieder nach dem Walde zurück. Welchen Grund können sie dazu gehabt haben?“

„Es gibt zwei Gründe, welche man sich denken kann,“ antwortete der Vater Jaguar. „Nämlich entweder ist ihre Rückkehr nur eine einfache List, welche den Zweck hat, uns irre zu führen und von ihrer Spur abzubringen, oder sie ist eine taktische Maßregel, welcher die Absicht zu Grunde liegt, die gestrige Schlappe auszuwetzen.“

„Inwiefern eine solche Maßregel?“

„Sie nehmen vielleicht an, daß wir uns noch da befinden, wo wir gestern abend gewesen sind, und wollen uns dadurch, daß sie den Wald an einer andern Stelle durchqueren, in den Rücken kommen, um uns plötzlich zu überfallen.“

„Das ist allerdings leicht denkbar. Sie wollen sich empören, und wenn sie noch wie vorher bei der Dummheit beharren, deinen Landsmann für den Obersten Glotino zu halten, so müssen wir freilich annehmen, daß sie alles thun werden, ihn entweder wieder in ihre Hände zu bekommen, oder auf sonst eine Art und Weise unschädlich zu machen. Es ist darum leicht möglich, daß sie einen Überfall planen. Meinst du, daß sie uns nachreiten werden, wenn sie bemerken, daß wir unsern Lagerplatz schon verlassen haben?“

„Vielleicht thun sie es, vielleicht auch nicht.“

„Sie mögen kommen! Sie sind uns nur dann gefährlich, wenn es ihnen gelingt, uns plötzlich zu überfallen, sonst aber sind wir ihnen überlegen. Es würde mich freuen, wenn sie sich an uns wagen sollten. Unsre Kugeln würden tüchtig unter ihnen aufräumen.“

„Was das betrifft, so bin ich überzeugt, daß sie uns nicht offen angreifen werden. Wir müssen zwar mit der Möglichkeit rechnen, daß sie uns jetzt suchen; ich halte es aber für wahrscheinlicher, daß sie zurückgekehrt sind, um uns von ihrer Fährte abzubringen und uns zu der Ansicht zu verleiten, daß sie es aufgegeben haben, nach dem Palmensee zu gehen.“

„Sollten sie wirklich auf diesen klugen Gedanken geraten sein?“

„Klug, sagst du? Ich nenne es keine Klugheit, mich für so dumm zu halten, daß ich mich von solchen Leuten täuschen lasse. Sie wissen, daß der Doktor und sein Diener alles gehört haben, was gesprochen worden ist; sie können es sich denken, daß diese beiden es uns mitgeteilt haben und daß ich also den Palmensee als das Ziel ihres Rittes kenne. Es erfordert gar keine große List, einzusehen, daß ich den See aufsuchen werde, und wenn sie glauben, daß sie mich durch irgend eine Finte davon abbringen können, so sind sie nicht klug, sondern dumm.“

„Du meinst also, daß wir jetzt weiter reiten und die Richtung, welche sie von hier eingeschlagen haben, gar nicht berücksichtigen?“

„Berücksichtigen muß und werde ich sie, aber nicht in der Weise, wie sie es wahrscheinlich erwarten. Ich muß erfahren, was sie vorhaben, und werde also dieser Fährte so weit nachreiten, bis ich weiß, woran ich bin. Du begleitest mich, die übrigen mögen hier bleiben, um auf uns zu warten.“

Er forderte seine Leute auf, vorsichtig zu sein und acht auf den Weg zu geben, den sie jetzt gekommen waren, da es möglich sei, daß die Gegner die Absicht hegten, ihnen auf demselben zu folgen. Dann ritt er mit Geronimo davon, indem beide in gestrecktem Galopp den Hufstapfen folgten, welche die Pferde der Abipones im Grase zurückgelassen hatten.

Die beiden Reiter erreichten den Wald und die durch denselben führende Blöße, durch welche die Gegner ihnen vorangeritten waren, und jagten über dieselbe hin, bis sie den jenseitigen Ausgang des Waldes erreichten. Da lag der offene Campo wieder vor ihnen, und man sah deutlich, daß die Spuren quer über denselben nach dem Flusse führten. Der Vater Jaguar parierte sein Pferd und sagte:

„Es ist so, wie ich dachte. Hätten sie uns verfolgen wollen, so wären sie hier links eingebogen, um am Rande des Waldes hin die Gegend zu erreichen, in welcher sie uns vermuten mußten. Daß sie das nicht gethan haben, sondern nach dem Flusse gegangen sind, läßt mich mit Sicherheit darauf schließen, daß sie die alberne Absicht hegen, uns irre zu leiten.“

„Auch ich bin jetzt dieser Ansicht, welche freilich kein großes Kompliment für uns ist. Wenn diese Kerls glauben, daß es so leicht ist, uns zu täuschen, so können sie keine große Meinung von uns haben. Uns irre leiten! Wie wäre das möglich, da wir ihre Spur doch stets vor Augen haben würden!“

„Nicht stets. Gerade weil wir dieser Fährte eine immerwährende Aufmerksamkeit widmen müssen, könnten wir nicht so schnell reiten, wie diese Leute jedenfalls geritten sind. Wir müßten am Abende anhalten, da wir in der Nacht die Spur nicht sehen können. Falls sie dann des Abends weiter ritten, würden sie einen solchen Vorsprung vor uns bekommen, daß am nächsten Tage die Fährte wohl schwerlich noch zu erkennen sein würde. Es ist nicht schwer, diese ihre Absicht zu durchschauen. Wir lassen uns freilich nicht täuschen. Wir wissen, daß sie nach dem Palmensee wollen, und wenden uns also stracks dieser Richtung zu. Kehren wir also jetzt um!“

Sie ritten zurück, und als sie bei den Ihrigen anlangten, wurde nach dem Lago de los Carandayes aufgebrochen. Das erste Ziel, die erste Station dorthin war, wie bereits erwähnt, die Fuente de las sanguijuelas, die Blutegelquelle, welche in nordwestlicher Richtung lag und mit anderthalbem Tagesritt erreicht werden konnte.

Der Boden war durchweg eben und zunächst mit dem bekannten Camposgrase bewachsen. Je weiter man sich aber von dem Flusse entfernte, desto spärlicher wurde dieses Grün, und endlich hörte es ganz auf; der Boden wurde sandig und glich später einer Wüste, in welcher keine Spur von organischem Leben vorhanden zu sein schien. Der Sand besaß angenehmerweise eine so geringe Tiefe, daß er die Schnelligkeit des Rittes nicht beeinträchtigte.

Der Vater Jaguar hatte zunächst die Besorgnis, daß Doktor Morgenstern, der kein guter Reiter sein konnte, Veranlassung zu Verzögerungen geben werde, doch erwies diese Befürchtung sich nicht als stichhaltig. Der kleine rote Gelehrte nahm sich zusammen; er saß zwar keineswegs schön zu Pferde, hielt sich aber doch ganz leidlich und begann erst gegen Abend über Müdigkeit zu klagen. Als dann zum Nachtlager mitten in der Wüste angehalten wurde, zeigte es sich, wie wacker er sich gehalten und alle Widerwärtigkeiten still und standhaft ertragen hatte. Er war nämlich so steif, daß man ihn aus dem Sattel heben mußte; er wurde, da er nicht stehen konnte, in den Sand gelegt.

Der Vater Jaguar freute sich über diesen Heroismus des kleinen Mannes und sagte in freundlichem Tone zu ihm:

„Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie sich so angegriffen fühlen? Wir hätten doch etwas langsamer reiten können.“

„Danke, Herr Hammer!“ antwortete der Kleine. „Ich habe eingesehen, daß es sich je schneller desto glatter reitet, und da ich mir einmal vorgenommen habe, Ihnen nicht beschwerlich zu fallen, so sollen Sie keine Klage von mir hören. Übrigens haben Sie versprochen, mir zu einem Riesentiere zu verhelfen, und je eher wir dahin kommen, wo es zu finden ist, um so besser ist es. Meine Beine sind zwar steif und haben alles Gefühl verloren, aber ich denke, daß schnell eine Besserung, lateinisch Emendatio genannt, eintreten wird.“

Diese Hoffnung ging bald in Erfüllung, so daß Morgenstern die Dienste, welche der Chirurg ihm anbot, zurückweisen konnte.

Leider gab es für die Pferde keine Weide; sie mußten sogar auf das Wasser verzichten. Die Reiter verzehrten jeder ein Stück Dürrfleisch und legten sich dann schlafen, da mit dem ersten Morgengrauen aufgebrochen werden sollte. Um diese Zeit ging es weiter, gerade wie gestern immer über Sand, bis gegen Mittag am Horizonte ein dunkler Streifen auftauchte. Der Vater Jaguar verkündete, indem er auf denselben deutete:

„Dort ist die Blutegelquelle. Der Name hat zwar keinen guten Klang, doch darf man nicht nach demselben auf die Beschaffenheit des Ortes schließen. Es gibt reines Trinkwasser mehr als genug, auch grüne Bäume und Sträucher, und wie ihr seht, reiten wir schon über Gras, welches bei jedem weiteren Schritte dichter steht und saftiger wird.“

Er hatte recht. Der Gran Chaco war früher als eine sterile, unfruchtbare Gegend verrufen, und es gibt allerdings bedeutende Strecken, welche der Sandwüste Afrikas gleichen; aber wo Wasser vorhanden ist, entwickelt sich eine reiche, ja üppige Vegetation. Die Flüsse treten im November aus und setzen große Flächen unter Wasser, bei ihrem Rücktritt so viel Feuchtigkeit hinterlassend, daß sich der Pflanzenwuchs entwickeln und bis weit in die trockene Jahreszeit ‚ hinein erhalten kann. An den Ufern dieser Flüsse giebt es Wälder, welche den Urwäldern Brasiliens gleichen, und selbst in der Wüste findet man zahlreiche stehende Gewässer, welche so viele Pflanzen ernähren, daß dadurch auch die Tierwelt angezogen wird.

Ein solches Gewässer war auch die Fuente de las sanguijuelas. Es gab da mitten in der Sandwüste eine Lehmoase, deren Durchmesser mehrere tausend Schritte betrug. Inmitten dieser Oase lag ein kleiner Süßwassersee, welcher durch eine ziemlich reich fließende Quelle gespeist wurde. Da diese am Rande der Oase entsprang, hatte sie bis zum See eine Strecke zurückzulegen, auf der sie einen Graben bildete, welcher sehr wenig Gefälle hatte. Dieser Graben war halb angefüllt von verwesenden Pflanzenresten, welche einen moorartigen Boden bildeten, in dem zahllose Blutegel ihre Entwickelung gefunden hatten. Daher war diese Quelle die Blutegelquelle genannt worden. Übrigens hielten sich diese Tiere nur in dem Graben und nicht in der Quelle selbst auf, infolgedessen das Wasser derselben sich trinken ließ. Auch in dem See, welcher nicht sehr tief war, gab es keine Egel, desto mehr aber Fische, welche den in dieser Gegend schweifenden Roten oder Weißen ein willkommenes Mahl bieten konnten.

Um den See und an den beiden Ufern des Grabens hin zogen sich breite Ränder von Bäumen und Sträuchern, meist Channjars und Algaroten, in deren Laub eine muntere Vogelwelt ihr Wesen trieb. Und so weit der Einfluß der durchsickernden und verdunstenden Feuchtigkeit reichte, hatte sich auch außerhalb der Oase im Sande ein Graswuchs entwickelt, welcher zwar je weiter entfernt, um so spärlicher wurde, aber in der Nähe der Bäume ein saftiges Grün bildete, welches den Pferden der Truppe mehr als reichlich Nahrung bot.

Hier hielten die Reiter an. Sie tranken sich zunächst selbst erst satt und führten dann auch ihre Pferde zu der Quelle, um ihnen die seit gestern früh entbehrte Labung zu bieten. „Don Parmesan“ hatte ebenso wie die andern dürsten müssen, aber noch entzückter als über das ersehnte Wasser war er über die Blutegel, welche er in dem Graben sah.

„Welch ein Fund!“ rief er aus, indem er sich an Doktor Morgenstern wendete. „Hier könnte man tausend fieberkranken Menschen in einer halben Stunde tausend Liter Blut abzapfen. Freuen Sie sich nicht auch über diese prächtigen, allerliebsten Geschöpfe?“

„Wenn es lauter Mammuths oder Mastodons wären, würde ich mich freuen,“ antwortete der Gefragte; „aber ein Blutegel, lateinisch Hirudo genannt, kann mich nicht in Wonne versetzen.“

„Weil Sie mehr vor als nach der Sündflut leben, Señor. Denken Sie sich irgend einen entzündeten Zustand. Welches Glück, wenn man da Blutegel bei der Hand hat. Jede Geschwulst wird dadurch gehoben, daß man einige Dutzend dieser nützlichen Geschöpfe an dieselbe legt. Ich setze den Fall, Ihre Zunge oder Ihr Zahnfleisch wäre geschwollen, so würde ich Ihnen mit Vergnügen zwanzig oder dreißig Blutegel in den Mund stecken.“

„Danke sehr, Señor – – –“

„Don, Don Parmesan, nicht Señor!“ unterbrach ihn der andre in strafendem Tone.

„Schön! Verzeihen Sie, Don Parmesan! Ich danke für das Vergnügen, einen Egel in den Mund zu nehmen! Und nun gar zwanzig! Nein, niemals!“

„Nicht? Nun, so wünsche ich von ganzem Herzen, Ihre Zunge läge Ihnen so dick wie ein Ochsenfrosch im Munde! Dann würden Sie mit Vergnügen die Egel nehmen.“

„Ich muß bemerken, daß dies kein sehr humaner Wunsch ist, Don Parmesan. Einem Freunde wünscht man keinen Ochsenfrosch in den Mund. Übrigens ist es noch gar nicht erwiesen, ob dies auch die wirklichen medizinischen Blutegel sind.“

„Sie sind es. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.“

Er brach einen Zweig ab und schlug mit demselben auf das Wasser, um einige der gleich herbeischwimmenden Blutegel mit seinem Hute herauszufischen. Als er einen derselben in die Hand nahm, formte sich derselbe sofort in Kugelgestalt.

„Sehen Sie, daß er echt ist!“ rief er aus. „Sobald sich der Egel zu einer Kugel zusammenballt, ist er brauchbar. Ich werde Ihnen das noch weiter beweisen. Bitte, stecken Sie einmal die Zunge heraus! Ich will Ihnen diese Egel an dieselbe setzen, und Sie werden sehen, daß sie sofort anbeißen.“

„Warum gerade die Zunge, Don Parmesan?“

„Weil sie der blutreichste Teil Ihres Körpers ist, den Sie augenblicklich zur Verfügung haben.“

„So ersuche ich Sie ergebenst, dieses Experiment an Ihrer eigenen Zunge, lateinisch Lingua genannt, vorzunehmen. Sie befinden sich doch ebenso wie ich in dem Besitze eines solchen Gliedes.“

Er wich vor dem Chirurgen zurück. Dieser bemerkte kopfschüttelnd dazu:

„Ich kann nicht begreifen, wie ein Naturforscher, ein Zoolog, eine solche Scheu vor diesen reinlichen Tierchen haben kann. Ich werde diese schöne Gelegenheit benutzen, mir einen Vorrat derselben zu fangen und aufzubewahren. Ich habe glücklicherweise gesehen, daß einer von unsern Leuten einige leere Weinflaschen bei sich hat. Er wollte sie hier mit Wasser füllen; aber ich hoffe, daß er sie mir um des guten Zweckes willen ablassen wird.“

Er sprach mit dem betreffenden Manne, welcher ihm seine Bitte gewährte. Dann zog er seine Stiefel aus, setzte sich an den Rand des Grabens und stellte die nackten Füße in das Wasser. Sie bedeckten sich sehr schnell mit Blutegeln, welche er ablas und in die Flaschen that.

Während er sich auf diese Weise beschäftigte, schritt der Vater Jaguar die ganze Oase ab, um das Terrain derselben sehr sorgfältig zu untersuchen. Andere halfen ihm dabei. Da, wo der Strauch- in den Graswuchs überging, fiel ihm eine Stelle auf, welche nur spärlich mit Grün überwachsen war. Als er mit dem Fuße auf dieselbe stampfte, klang sie hohl.

„Ich wette, hier ist das Versteck, welches ich suche!“ sagte er.

„lk bin derselbigen Meinung,“ antwortete Fritze, welcher daneben stand, in deutscher Sprache.

„Warum?“

„Weil diese Stelle jrad so aussieht wie diejenige, an welcher wir oft und manchmal die Gigantochelonia ausjraben wollten. Dat Jras war dort auch so dünn.“

„So graben wir nach. Holen Sie die Werkzeuge, Kiesewetter!“

Fritze brachte dieselben herbei und wollte sich sogleich bereitwillig an die Arbeit machen; aber Hammer wehrte ab, indem er sagte:

„Halt! Nicht in dieser Weise! Wir wollen uns erstens nicht zu viel Arbeit machen und müssen zweitens dieselbe so vornehmen, daß diejenigen, welche hinter uns kommen, nicht mit Sicherheit sagen können, daß wir das Nest ausgeleert haben. So, wie Sie es an der Fischquelle gemacht haben, dürfen wir es also nicht machen. Sie haben dort doch wohl die ganze Decke rund umgraben?“

„Allerdings.“

„Und dabei die Erde tief aufgewühlt?“

„Natürlich! Wir haben jedacht, wir hätten ein Riesentier herauszupuddeln. Da mußte dat Loch so jroß wie möglich sind.“

„Dies werden wir nicht thun. Nicht wahr, es gab in dem Lehmboden eine sandige Stelle?“

„Ja. Dat war der verschüttete Eingang zu dat Jeheimnis.“

„So brauchen wir doch nur den Eingang zu öffnen, um hinabzukommen. Und dies werden wir so vorsichtig thun, daß später niemand bemerken wird, daß man das Versteck geöffnet hat.“

„Aber dann, wenn sie die Jeschichte herausnehmen wollen, werden ihnen die Augen aufjehen!“

„Um so geheimnisvoller wird ihnen die Sache vorkommen, da äußerlich kein Anzeichen vorhanden gewesen ist, daß man das Nest geöffnet hat. Gehen wir ans Werk!“

Vater Jaguar bückte sich, um den Boden zu untersuchen, und fand bald die sandige Stelle, welche noch weniger Gras trug als die Umgebung derselben. Sie wurde sehr sorgfältig, zunächst mit dem Spaten umstochen und ausgehoben. Dann grub man in die Tiefe. Der Vater Jaguar ließ eine Anzahl Ponchos ausbreiten, auf welche das Erdreich geworfen wurde, damit nichts davon im Grase liegen bleibe und dann zum Verräter werden könne.

Als man einige Fuß tief gekommen war, brach der Boden des Loches ein, und der Sand fiel, ganz wie dort an der Fischquelle, nach innen. Das Loch wurde so erweitert, daß Hammer hinabsteigen konnte. Als er unten anlangte, befand er sich in einer kleinen Höhle, welche ganz genau derselben glich, bei deren Öffnen Don Parmesan, Doktor Morgenstern und Fritze so unangenehm überrascht worden waren. Jetzt galt es, den Boden derselben aufzuheben. Als dies geschehen war, erfuhr man, was dieses Versteck enthielt. Da gab es kleine Pulverfässer, welche, um die Erdfeuchtigkeit abzuhalten, in Leder eingenäht waren, Gewehre, Messer und eine Anzahl andrer eiserner Waffen und Werkzeuge.

Diese Gegenstände wurden an das Tageslicht gebracht. Man zählte hundert Gewehre und doppelt so viele Messer. Auch Speer- und Pfeilspitzen waren vorhanden.

„Das alles ist für die Abipones bestimmt, wird aber den Cambas, unsern Freunden, zu gute kommen,“ meinte der Vaterjaguar erfreut. „Schütten wir das Loch wieder zu!“

Die Erde wurde von den Ponchos so in die Öffnung geschüttet, daß kein Krümchen daneben fiel, und festgestampft. Dann legte man den ausgestochenen Rasen darauf und begoß ihn mit Wasser, damit die beschädigten Halme nicht absterben möchten. Als dies geschehen war, konnte man überzeugt sein, daß kein später auf diese Stelle fallendes Auge erraten könne, daß hier schon nachgegraben wurde. Während diese Arbeit beendet worden war, hatten einige andre im See gefischt und reiche Beute gemacht. Der Vater Jaguar hatte seine Expedition mit allem versehen, was zu einem solchen Ritte und zu einem Aufenthalte in der Wildnis nötig war; es waren also auch Angeln und Netze vorhanden, welche sich jetzt vollständig bewährten. Die Pampas sind bei weitem nicht so wildreich wie die Prairien Nordamerikas, aber überall liegen Lagunen und kleine Seen zerstreut, welche, falls sie nicht Salzseen sind, meistens Fische enthalten. Darum wird sich der Kenner stets mit allem versehen, was zum Fange der Fische nötig ist.

Zur Zubereitung derselben wurden Feuer angebrannt, aber nicht auf der Oase, sondern draußen vor derselben auf dem nackten Sande. Dort konnten die Spuren derselben leicht verwischt werden, während sie im Grase verkohlte Stellen zurückgelassen hätten. Dann begann ein Backen und Braten, daß der appetitliche Duft die ganze Oase erfüllte. Man mußte für Vorrat sorgen, denn man durfte nicht hoffen, morgen auf ein jagdbares Tier zu treffen, und an der Krokodilsquelle, bis zu welcher man wieder anderthalb Tage zu reiten hatte, war auch kein Fang zu erwarten.

Die Pferde thaten sich während des ganzen Nachmittags am Grase gütlich, und ihre Herren aßen sich mehr als satt. Dennoch zeigte es sich, da der Fischzug so reich ausgefallen war, daß man einen Vorrat von wohl fünf Mahlzeiten besaß. Die Zubereitung der Fische war eine höchst einfache. Sie wurden einzeln mit trockenem Schilfe umwickelt und dieses angezündet; war dieses verbrannt, so war der Fisch so schön durchbraten, daß das Fleisch sich leicht von den Gräten löste. Man möchte dabei an den berühmten deutschen Studentenhering denken, dessen Rezept ebenso einfach lautet: Man wickele einen Hering, wie er aus dem Fasse kommt, in Papier und stecke ihn in das Ofenfeuer. Sobald das Papier verbrannt ist, schnell heraus damit; probatum est – – est, est, est! Natürlich aber muß man ihn hernach ausnehmen.

So wurde es Abend, und man saß noch einige Zeit an den Feuern beisammen, um sich zu unterhalten. Die Deutschen hatten sich zusammen gefunden, um sich ihrer Muttersprache bedienen zu können, was ihnen die Argentinier gar nicht übel nahmen. Unter diesen letzteren zeichnete sich ein junger, lebhafter Mensch durch seine Sprachfertigkeit und die Witze aus, welche er unaufhörlich zum Besten gab. So oft er den Mund öffnete, brachte er etwas vor, worüber die andern lachen mußten. Er war der Witzbold der Gesellschaft und wurde darum nicht bei seinem eigentlichen Namen gerufen, sondern El Picaro, der Schalk, genannt.

Später legte man sich zur Ruhe. Obgleich man nicht zu befürchten brauchte, überrascht zu werden, wurden einige Wachen ausgestellt. Hammer unterließ niemals, dies zu thun. Die Pferde brauchten nicht beaufsichtigt oder gar angebunden zu werden, da man sicher sein konnte, daß sie nicht über die Oase hinaus und auf den dürren Sand gehen würden, welcher ihnen kein Futter bot. –

Am Morgen waren sie ausgeruht und von der guten Weide so gekräftigt, daß man für den Weiterritt das Beste von ihnen erwarten konnte. Es wurde zunächst ein kurzes Mahl gehalten. Den Fleischvorrat wickelte man sorgfältig in Decken. Die Beute, welche dem Verstecke entnommen worden war, ließ Hammer so verteilen, daß kein Pferd zu viel zu tragen hatte. Nachdem darauf alle Spuren auf das Sorgfältigste vertilgt worden waren, brach man auf.

Der heutige Ritt ging in derselben Richtung wie der vorherige nach Nordwesten. Es gab wieder Sandwüste, und zwar den ganzen Tag. Einige Male kam man an kleinen Lagunen vorüber, welche Salzwasser enthielten. An den Ufern standen einige kümmerliche Salzpflanzen. Man hielt sich also bei ihnen gar nicht auf. Zur Mittagszeit wurde eine Stunde gerastet und am Abende mitten in der Wüste Lager gemacht, natürlich ohne Feuer, da kein Material zu einem solchen vorhanden war. Gegen Morgen, als es noch dunkel war, brach man schon wieder auf.

Interessant war es, den Chirurgen zu beobachten, welche Aufmerksamkeit er seinen Blutegeln widmete. Daß er sie überhaupt mitgenommen hatte, dafür gab es keinen bestimmten Grund. Es waren eben offizinelle Tiere, und da er sich für einen berühmten Arzt hielt, wollte er seinen Gefährten mit ihnen imponieren. Er durfte die Flaschen, in denen sie sich befanden, nicht luftdicht verschließen, da sie sonst erstickt wären. Darum hatte er die Ecken seines Kopftuches abgerissen und diese Fetzen um die Flaschenhälse gebunden. Er war ferner der Ansicht, daß seine Schützlinge vor jeder größeren Erschütterung zu bewahren seien, und hatte infolgedessen die Flaschen in seinen Gürtel gesteckt, aus welchem sie wegen ihrer glatten Oberfläche immer unten herausrutschen wollten. Darum war er unausgesetzt damit beschäftigt, sie immer und immer wieder in die Höhe zu schieben; er hatte die Hände nie zu etwas andrem frei, und da sein Pferd nicht das beste war und er es an der Zügelführung mangeln lassen mußte, wurde er tüchtig zusammengerüttelt und war, als man die Krokodilquelle erreichte, so ermüdet, daß er sogleich aus dem Sattel sprang, die Flaschen in das Gras stellte und sich daneben niederlegte.

Diese Quelle trug ihren Namen mit vollem Rechte. Mitten in der Sandwüste lag eine große Lagune, deren Wasser außerordentlich trüb und schlammig war. Sie wurde von einem breiten Schilfrande umsäumt, welcher seinerseits wieder von Tamarinden, Breas und baumartigen Kakteen umgeben war. Dieser Gürtel wurde an verschiedenen Stellen durch grasige Lichtungen unterbrochen, welche den Pferden willkommenes Futter boten. Auf einer dieser Lichtungen drang die Quelle aus dem Boden, um ihr Wasser in nicht allzugroßer Entfernung in die Lagune zu senden, wo es sofort seine Helligkeit verlor und trüber wurde.

Dieser letztere Umstand hatte seinen Grund darin, daß das Wasser der Lagune nie still stand, sondern unausgesetzt bewegt wurde, und zwar von Krokodilen, welche Jagd auf ihres- oder andersgleichen hielten und dabei den Schlamm fortwährend aufwühlten. Es war geradezu erstaunlich, zu sehen, in welcher Menge diese häßlichen Tiere hier vorhanden waren. Als Doktor Morgenstern sie erblickte, rief er erschrocken aus:

„Ist so etwas möglich! Das ist ja entsetzlich! Da sieht man ja dreißig, vierzig, sechzig auf einmal, welche übereinander wegstürzen! Was sagst du dazu, Fritze?“

„Wat ik sage? Jar nichts. Da bleibt mich jradezu der Mund offenstehen, und ik werde ihm wohl erst dann wieder zumachen, wenn mich eins hineinjefahren ist. Die sollte man im Rummelsburger See haben! Wat für ein Stralauer Fischzug müßte dat werden! Ik möchte nur wissen, wovon sie ihren Appetit befriedigen.“

„Wenn Sie aufpassen, werden Sie es baldigst sehen,“ bemerkte der Vater Jaguar. „Wir haben uns dem Rio Salado wieder genähert und befinden uns in einer Gegend, welche von seiner jährlichen Überschwemmung erreicht wird. Das ist die beste Zeit für diese Bestien, welche dann vollauf Fraß finden. Ist die Überschwemmung vorüber, so tritt Fastenzeit für sie ein. Zunächst fressen sie Fische und andres Getier, welches aus dem Flusse in die Lagune gelangt ist. Hat das aufgehört, so treibt sie der Hunger, sich untereinander zu bekriegen. Die großen fressen die kleinen.“

„Und wenn keine kleinen mehr vorhanden sind, wat thun dann die jroßen?“

„Dann wissen sie sich nicht anders zu helfen, als daß

Da,“ unterbrach er sich, „werden Sie es gleich sehen. Passen Sie auf!“

Gar nicht weit von ihnen waren in der Nähe des Ufers zwei mächtige Krokodile in Kampf geraten. Sie warfen sich gegen- und aufeinander, daß Schlamm und Wasser hoch aufspritzten. Nach kurzem Ringen hatten sie sich gegenseitig an den scharf bewehrten Kinnladen gepackt und so ineinander verbissen, daß sie nicht auseinander zu können schienen. Da schoß ein drittes heran und riß dem einen ein Bein aus dem Leibe, worauf es mit seinem Raube im Wasser verschwand. Das verletzte Untier ließ einen ganz eigenartigen, nicht zu beschreibenden Schmerzenston hören, welcher eigentlich kein Schrei genannt werden konnte, worauf sogleich mehrere andre herbeigeschossen kamen, aber nicht etwa, um‘ ihm zu helfen, sondern um sich seiner zu bemächtigen. Es wurde förmlich in Stücke zerrissen, wobei ihm seine Rückenschilder nicht den mindesten Schutz gewährten.

„Da sehen Sie, wovon sie leben,“ sagte Hammer. „Hat eins von ihnen, und wenn es das größte und stärkste wäre, einmal eine Verwundung erhalten, so ist es verloren; es wird von den andern aufgefressen. Und dabei sind diese Tiere von einer Feigheit, welche ihresgleichen sucht. Ich will es Ihnen beweisen.“

Er nahm sein Gewehr vom Rücken und drückte ab. Als der Schuß ertönte, verschwanden sämtliche Krokodile wie mit einem Schlage; die Wasser kräuselten noch einige Augenblicke und standen dann so ruhig, als ob in ihnen niemals irgend ein Leben geherrscht habe. Von den Ufern aber erhoben sich schreiend einige Stelzvögel, welche trotz der Krokodile im Schlamm nach Beute gesucht hatten, und aus den Zweigen der Bäume flog kreischend eine Schar von Papageien auf.

Fritze riß sein Gewehr an die Wange und wollte auf die letzteren schießen, Hammer aber schob es ihm weg und fragte:

„Was wollen Sie? Etwa Ihr Pulver unnütz verschwenden?“

„Unnütz? Fällt mir jar nicht ein! lk wollte mich bloß zu unserm Fisch einen Jeflügelbraten schießen.“

„Lassen Sie das! Wenn Sie keine Krokodilzähne haben, rate ich Ihnen nicht dazu. Der Papagei wird ungeheuer alt, und selbst in jungen Jahren ist sein Fleisch so zähe, daß es nicht genossen werden kann.“

„Etwa wie der schöne Vogel Strauß, von dem wir uns auch so ’nen Braten leisten wollten, wie ik Sie erzählt habe?“

„Ja. Wir müssen uns mit unsern Fischen begnügen. Später, wenn wir wieder in Wälder und zu den mir befreundeten Cambas kommen, werden wir besser leben.“

Die Pferde wurden abgesattelt, getränkt und auf die Weide gelassen. Die Reiter nahmen ihr Mittagsmahl ein und dann wiederholte sich genau das, was sich an der Blutegelquelle zugetragen hatte: Das Waffenversteck wurde gesucht, gefunden, ausgeleert und wieder zugemacht. Während dieser Arbeit war es Abend geworden, und man brannte einige Feuer an. EI Picaro, der Schalk, machte wieder seine Witze, und die Deutschen saßen erzählend bei einander.

Der alte Anciano hatte sich diesen letzteren mit dem jungen Inka zugesellt, obgleich beide kein Wort deutsch verstanden. Der Alte hielt es der Abstammung seines Pfleglings wegen für angemessen, bei den vornehmeren Señores zu sitzen. Der Chirurg schien von ganz demselben Stolze beseelt zu sein, denn er gesellte sich auch zu ihnen, obgleich er nur dann, wenn sie spanisch redeten, ein Wort zur Unterhaltung beitragen konnte.

Später wurden die Wachen ausgestellt, und man legte sich zur Ruhe. Die ersteren hatten, da es kühl geworden war, die Aufgabe, die Feuer von Zeit zu Zeit zu schüren.

Ehe Don Parmesan sich zur Ruhe in seinen Poncho hüllte, sah er noch einmal nach seinen Blutegeln, denen er seit Mittag zweimal frisches Wasser gegeben hatte. Er stellte die Flaschen sorgsam zwischen sich und Fritze, welcher neben ihm lag, und wendete sich dann auf die Seite, um einzuschlafen.

Die Nacht verging ohne Störung, ohne daß etwas Ungewöhnliches geschah, außer man wollte das, was einer der Wachtposten gegen Morgen that, ungewöhnlich nennen. Dieser Posten war El Picaro, der Schalk. Eben hatte er wieder einmal die Feuer geschürt, da ging er nicht, wie vorher, wieder fort, sondern er schlich sich auf den Fußspitzen nach der Stelle hin, an welcher der Chirurg so tief schlief, daß man seinen Atemzügen den Ausdruck schnarchen hätte geben mögen. Er betrachtete jede einzelne Person genau, lauschte eine Weile und griff, als niemand sich regte, nach den Blutegelflaschen; es waren ihrer drei. Er öffnete sie, indem er den Baumwollenverschluß losband, und versuchte sodann, die Decke, in welche Don Parmesan sich gewickelt hatte, unten auseinanderzuschlagen. Es gelang. Der Chirurg trug, wie schon früher erwähnt, lange Stiefel, deren Schäfte er heute nicht ganz emporgezogen hatte; sie reichten ihm nur bis an die Kniee und bildeten dort trichterähnliche Öffnungen, in welche El Picaro den Inhalt zweier Flaschen schüttete; dann schlug er die Decke wieder zusammen. Mit der dritten Flasche kroch er zu Fritze Kiesewetter hin. Auch dieser hatte sich in seinen Poncho gewickelt, den El Picaro an einer Stelle auseinanderzog, um dort die Flasche zu entleeren.

Hierauf band er die drei Flaschen wieder zu, genau so, wie sie vorher verschlossen gewesen waren, und stellte sie an ihren Platz zurück. Dann kroch er leise davon, schlangengleich, wie ein Indianer. Erst als er aus dem Kreise, welchen der Schein der Feuer bildete, gekommen war, erhob er sich und ging nun weiter bis dorthin, wo er den andern Wachtposten wußte.

„Nun, ist’s gelungen?“ fragte dieser.

„Ja, vollständig,“ kicherte der lustige Bursche.

„Prächtig!“ lachte auch der andere. „Was wird er sagen, wenn er merkt, daß er die Sanguijuelas auf dem Leibe anstatt in den Flaschen hat!“

„Es giebt einen Hauptspaß, zumal ich die Flaschen wieder zugebunden habe. Dann kann er es sich nicht erklären, wie sie herausgekommen sind.“

„Hat er sie alle?“

„Alle nicht, obgleich ich die Flaschen leer gemacht habe. Es war keine leichte Arbeit, diese klebrigen Dinger, nachdem ich das Wasser abgegossen hatte, herauszuschütten. Ein andrer hat auch welche.“

„Ein andrer? Wer?“

„Federico mit dem unaussprechlichen deutschen Namen, der Diener des Gelehrten.“

„Dieser? Das hättest du nicht thun sollen. Er ist ein guter, ein braver Bursche.“

„Nicht nur ein guter und braver, sondern auch ein lustiger Bursche. Ich beabsichtigte es eigentlich nicht; aber als ich ihn so schön nebenan liegen sah, da zuckte es mir so lange in den Fingern, bis er auch sein Teil erhielt. Wenn er später erfährt, wer es gewesen ist, wird er es mir nicht übel nehmen.“

„Wie lange währt es, bis die Würmer angekrochen sind?“

„Wer kann das sagen! Ich bin kein Arzt und habe noch keinen Blutegel beobachtet. Vielleicht eine Stunde. Dann ist es Tag, und es wird so hell, daß wir die Bescherung sehen können.“

„Aber wir sollen doch noch vor Tage wecken!“

„Das thun wir eben nicht. Ich will mich lieber vom Jaguar ein wenig schelten lassen als auf so ein Vergnügen verzichten.“

Die beiden flüsterten und lachten noch eine Weile über diesen Gegenstand und gingen dann auseinander. Sie hatten die letzte Wache übernommen und waren also diejenigen, welche zu wecken hatten. Die Zeit verging, und der Tag begann zu grauen. Sie weckten noch nicht, sondern begaben sich in die Nähe der Schläfer, um, hinter zwei Bäumen versteckt, die beider Opfer ihres Scherzes zu beobachten. Es wurde so hell) daß sie dieselben genau sehen konnten.

Es handelte sich ihrer Ansicht nach nur um einen Spaß, und keiner von ihnen war, was man mit dem Worte schadenfroh bezeichnet. Dennoch mußten sie über das, was sie sahen, lachen, natürlich nicht laut, sondern in sich hinein. Die Blutegel hatten den Weg durch die Kleider gefunden und sich festgesaugt. Die von ihnen Überfallenen fühlten zwar den Angriff, der gegen verschiedene ihrer Körperteile gerichtet war, waren aber vom Schlafe noch so fest umfangen, daß sie nicht erwachten. Sie drehten sich von rechts nach links, von links nach rechts; sie griffen mit den Händen nach ihren ‚Armen und Beinen; sie kratzten sich an allen Ecken und Enden und murmelten dabei leise Worte, welche man nicht verstehen konnte. Ihre Unruhe wuchs von Minute zu Minute, so daß El Picaro nun zu seinem Kameraden sagte:

„Wir dürfen nicht länger warten und müssen wecken, sonst erwachen sie von selbst.“

Sie riefen die Schläfer wach, und diese sprangen auf. Als der Vater Jaguar sah, daß es schon heller Tag war, wollte er ihnen Vorwürfe machen, wurde aber von einem lauten Ausrufe des kleinen Gelehrten unterbrochen, welcher, seinen Diener erstaunt anblickend, diesen fragte:

„Fritze, was hast du da im Gesicht? Ich denke, wir befinden uns an der Quelle der Krokodile und nicht an derjenigen der Blutegel!“

„Freilich ist dat richtig,“ antwortete der Gefragte. „Sie werden doch wissen, wo wir heut alljejenwärtig sind! Wir haben dat Vergnüjen, uns bei die Krokodils zu befinden.“

„Aber es ist doch kein Krokodil, sondern ein Blutegel, welcher dir da an der Wange, lateinisch Gena, hängt. Und über der Nase hast du dir einen zweiten zerdrückt!“

„Fällt mich nicht im Traume ein! lk quetsche mich weder einen Blutejel, noch ein Krokodil auf die Nase fest.“

„Und doch hast du es gethan. Greif nur an die rechte Wange! Da hängt einer, und was für einer! Er hat sich vollständig dick gesaugt.“

Fritze wollte dieser Aufforderung folgen und erhob die Hand. Da fiel sein Blick auf dieselbe; er ließ sie wieder sinken, starrte sie erstaunt an und rief sodann aus:

„Wat ist denn dat? Da hängt ein fremdes Jeschöpf, welches jar nicht zu mich jehört, an meine Hand! Ist dat ein Polyp oder eine jebackene Rettichsbirne?“

Er betrachtete den Egel, welcher allerdings in Birnenform von seiner Handoberfläche herniederhing. Er schüttelte die Hand, aber das Tier hing fest.

„Ein Blutegel ist’s,“ erklärte Morgenstern. „Und der im Gesicht ist noch viel größer und dicker.“

Fritze fuhr sich in das Gesicht, fühlte das Tier, faßte es fest, riß es los und warf es von sich. Natürlich begann die Stelle sofort zu bluten.

„Blutejel sind’s, wahrhaftig, Blutejel! Fui Spinne!“ schrie er auf. „Die habe ik an der letzten Quelle aufjelesen.“

Die Argentinier lachten alle, obgleich sie seine Worte nicht verstanden. Er hatte am Halse noch einen Egel und einen andern hinter dem Ohre sitzen. Seitwärts hinter ihm stand Don Parmesan. Diesem hingen zwei Egel am Kinn. Er fühlte sie nicht. Er sah, um was es sich handelte, trat rasch vor und sagte zu Fritze, natürlich in spanischer Sprache:

„Sie haben Sanguijuelas im Gesicht, am Halse und am Ohre, Señor. Ich werde sie Ihnen abnehmen. Ich verstehe das. Halten Sie still; ich thue Ihnen nicht weh. Sie wissen, daß für mich nichts zu schwer ist. Ich nehme alles herunter.“

Er griff nach dem Egel am Halse des anderen; dieser aber gab ihm lachend zurück:

„Operieren Sie erst sich selbst, Don Parmesan! Sie haben ja auch zwei Stück am Kinn hängen.“

„Ich?“ fragte der Chirurg erstaunt. Er griff nach der bezeichneten Stelle und fühlte die Anhängsel. Da fuhr er erfreut fort: „Das ist gut! Die sind mir angelaufen, als ich mit den Füßen im Wasser saß. Ich habe sie hierher getragen, ohne es zu wissen. Ich werde sie abnehmen, ohne ihnen wehe zu thun und sie dann zu den andern in die Flasche stecken. Warten Sie, Señor! Dann befreie ich Sie auch von den Ihrigen.“

Er machte einen leisen Versuch, seine Blutsauger zu entfernen, und da sie voll und satt waren, gelang es ihm sehr leicht. Dann bückte er sich nach seinen Flaschen nieder, hob die eine empor, machte ein verblüfftes Gesicht, nahm die andre und auch die dritte auf und rief dann bestürzt aus:

„Leer! Alle drei sind leer! Wo sind meine Sanguijuelas hin?“

Ein allgemeines lautes Gelächter antwortete ihm. El Picaro hatte seinen Gefährten ein heimliches Zeichen gegeben; sie verstanden ihn und wußten sogleich, woran sie waren. Darum antwortete Geronimo dem erstaunten Chirurgen:

„Wohin sie sind? Das müssen Sie doch fühlen, Don Parmesan. Ich glaube, Sie tragen sie alle an Ihrem Leibe. Und unser lieber Señor Federico mag auch einmal nachsehen, ob diejenigen, welche wir bis jetzt an ihm sehen, die einzigen sind, die sich für ihn interessieren.“

Er trat zu dem Genannten, nahm ihm den Gürtel ab, zog die Brustschlitze des Hemdes auseinander und fuhr dann lachend fort:

„Dachte es mir! Eine ganze Kolonie von Blutegeln, einer immer neben dem andern! Señor, die lieben Tiere müssen eine ungemeine Zuneigung für Sie haben!“

„Danke für die Zuneigung!“ antwortete Fritze zornig, indem er nach seiner Brust griff, um die Egel abzureißen. Da aber fiel Don Parmesan ihm in die Arme, hielt dieselben fest und schrie entsetzt:

„Halt, halt, Señor! Meine Flaschen sind leer; das sind also meine Sanguijuelas, an denen Sie sich nicht vergreifen dürfen! Sie sind mir entschlüpft, und ich muß sie mir wieder einfangen, einzeln und behutsam, damit ich keinen verletze.“

„Ach, was geht es mich an, wem diese Raubtiere gehören!“ antwortete Kiesewetter erbost. „Ich lasse mich nicht von ihnen anfallen und auffressen. Herunter mit ihnen!“

Er wollte diesen Vorsatz ausführen, doch der Chirurg hielt ihm die Arme noch immer fest und bat in flehendem Tone:

„Nein, nein, Señor! Ich ersuche Sie inständigst, mir den Gefallen zu thun. Ich lese sie Ihnen ab, und wenn alle an Ihnen hängen sollten!“

„Alle? Das fehlte noch! Ich habe genug an diesen da, und wenn –“

Er hielt inne und machte ein Gesicht, als ob er auf etwas lausche; dann schlug er sich mit den Händen kräftig gegen die Oberarme, die Schenkel und andre Körperteile und wetterte, im höchsten Grade ergrimmt:

„Ja, ich habe sie alle, alle! ich fühle es jetzt ganz deutlich!“

„Ich auch, ich auch!“ rief Don Parmesan, von dem sich Fritze losgerissen hatte. Er fuhr sich mit der Hand unter das Gewand, um sich von der Anwesenheit der Blutegel, die er nun auch fühlte, zu überzeugen.

„Ich habe sie am ganzen Leibe sitzen!“ fuhr Fritze fort.

„Ich auch, ich auch!“

„An den Armen, an den Beinen!“

„Ich ebenso!“

„Auf dem Rücken, auf dem Leibe!“

„Ich auch, ich auch!“

„Diese Bestien, diese Vampyrs! Ich zerschlage sie, ich zerquetsche sie alle, alle!“

Wieder schlug er sich wie wütend gegen alle seine Körperteile, um die an denselben sitzenden Blutegel auf diese Weise los zu werden.

Da fiel ihm Don Parmesan abermals in die Arme und schrie:

„Halten Sie ein! halten Sie ein! Sie ermorden die Egel ja; Sie zerquetschen sie; Sie schlagen sie tot. Halten Sie still! Ich nehme sie Ihnen so säuberlich ab, daß Sie Ihre Freude daran haben werden!“

„Still halten? Fällt mir gar nicht ein,“ antwortete Fritze, sich gegen den Chirurgen wehrend. „Sterben müssen sie, elendiglich umkommen!“

„Nein, nein, und abermals nein! Haben Sie Erbarmen! Ich nehme sie alle ab. Sie wissen ja, ich säbele alles herunter! Und wenn einer oder einige nicht wollen, so lassen wir sie hängen, bis sie satt sind; dann fallen sie freiwillig und ganz von selber ab.“

„Bis sie satt sind? So lange soll ich warten? Soll ich mich verbluten, Sie Ungeheuer? Soll ich Ihrer Würmer wegen mein Leben auf das Spiel setzen? Fort mit Ihnen! Packen Sie sich! Lassen Sie los, sonst!“

„Señor, Euer Gnaden, vergessen Sie nicht, daß jede Wissenschaft ihre Opfer fordert. Haben Sie die Güte und –“

„Fort, sage ich! Opfer fordert! Sie sind toll, wahnsinnig! Ihrer Egelwissenschaft zulieb opfere ich mich noch lange nicht!“

Es gelang ihm endlich, sich loszureißen. Don Parmesan faßte ihn aber wieder. Sie zerrten hin und her; sie stolperten über die Flaschen und fielen zu Boden. Der eine wollte sich von dem andern befreien, und dieser wollte nicht loslassen; so kam es, daß sie sich überkugelten, sich hin- und herwälzten, sich einmal halb aufrichteten und doch wieder niederzerrten. Dabei schimpfte Fritze in allen Tonarten auf den Chirurgen, und dieser bat ebenso in allen Tonarten um Mitleid für die Wissenschaft und die Blutegel. Der Kampf war kein gefährlicher; er war geradezu komisch zu nennen. Die Argentinier lachten, was sie nur lachen konnten; Doktor Morgenstern hatte wohl Lust, seinem Diener beizustehen, da er aber bemerkte, daß es sich nur um ein lächerliches Zerren und Ringen handelte, sah er davon ab. Der alte Anciano und der Inka standen zwar mit ernsten Gesichtern dabei, doch sah man es ihren lachenden Augen an, daß sie nur mit Anstrengung ihre indianische Würde zu bewahren vermochten. Und was endlich den Vater Jaguar betraf, so warf er zwar diesem schlimmen EI Picaro einen strafenden Blick zu, auch wußte er, daß ein einziges Wort von ihm genüge, dem Ringen ein Ende zu machen, aber er sprach dieses Wort doch nicht aus, weil es gar zu komisch war, daß der „Don“, um seine Blutegel zu retten, einen Kampf herbeigeführt hatte, durch welchen dieselben gerade vernichtet werden mußten. Sie wurden ja alle zerquetscht und zerdrückt. Endlich aber, als die beiden gerade im Begriff standen, in das Wasser der Quelle zu kollern, griff Hammer doch zu, zog sie mit starken Armen von der Erde empor, riß sie auseinander und sagte in gebietendem Tone:

„Jetzt mag es zu Ende sein, Señores, Sie thun sich sonst wirklich noch Schaden und laufen Gefahr, aus dem Scherze Ernst zu machen.“

„Scherz?“ fragte Fritze. „Den habe ich ja gar nicht machen wollen! Es ist mein völliger Ernst gewesen, gleich von Anfang an!“

„Beherrschen Sie sich! Die Sache ist doch eher spaß- als ernsthaft zu nennen.“

„Spaßhaft? Soll ich es einen Spaß nennen, daß dieser Señor, der Alles heruntersäbelt, fünfhundert Blutegel mit sich schleppt, um sie mir bei nachtschlafender Zeit auf den Leib zu setzen?“

„Fünfhundert?“ rief Don Parmesan. „Neunzig sind es gewesen, nicht mehr als neunzig. Es waren grade nur dreißig in jeder Flasche!“

„Ist das etwa nicht genug? Neunzig, sage neunzig Blutegel sitzen mir auf der Haut. Sie nagen an meinem Leben; sie entleeren meine Adern; sie trinken den kostbaren Saft meines deutschen Blutes! Rechne ich auf jeden ein halbes Pfund, so habe ich in dieser Nacht fünfundvierzig Pfund Blut verloren!“

„Der Mensch hat ja nicht mehr als zehn Pfund Blut, lateinisch Sanguis genannt,“ fiel Morgenstern belehrend ein.

„Ja, zehn Pfund lateinisches Sanguis!“ fuhr Fritze zornig auf. „Ich aber stamme vom Rummelsburger See, und dort hat das Blut ein ganz andres Gewicht. Wer gibt mir das Quantum, welches ich verloren habe, wieder?“

„Ich, ich!“ antwortete der Chirurg sofort und in höchst zuversichtlichem Tone. „Ich gebe Ihnen alles zurück, ja nicht nur alles, sondern noch weit mehr, als Sie verloren haben.“

„So? Wie wollen Sie das machen?“

„Nichts ist leichter als das. Es ist mehr Blut, als wir dazu brauchen, vorhanden. Wir schießen einige Krokodile tot, und da können Sie so viel trinken, wie Sie wollen.“

Der Mann hatte dies im vollsten Ernste gesprochen, dennoch brachen alle in lautes Gelächter aus, nur Fritze nicht. Dieser schrie ihn vielmehr zornig an:

„Was war das, was Sie mir zumuten? Krokodilsblut soll ich trinken? Soll ich Euer Gnaden mit diesen meinen Fäusten beweisen, daß dies kein Trank für eine deutsche Kehle ist?“

Er wollte den andern wieder packen; der Vater Jaguar aber hielt ihn zurück, indem er freundlich mahnte:

„Bitte, nicht neue Thätlichkeiten. Kommen Sie beide mit mir dort hinter das Gesträuch! Dort wollen wir einmal nachsehen, welchen Schaden die Tiere angerichtet haben.“

„Gut, sehen wir nach!“ willigte Fritze ein. „Sie werden da erkennen, daß ich nicht nur angezapft, sondern geradezu verzapft worden bin, wie ein Bierfaß, welches nicht mehr läuft.“

„Ja, sehen wir nach!“ stimmte auch der Chirurg bei. „Aber sehen wir nicht nach, welchen Schaden meine Blutegel bei ihm verursacht haben, sondern welchen er unter ihnen angerichtet hat!“

Die drei entfernten sich und verschwanden hinter den Büschen. Bald waren laute Ausrufe zu hören; dann kam Fritze plötzlich mit entblößtem Oberleibe aus dem Gesträuch herbeigerannt und rief erbost:

„Señores, sehen Sie mich an! Bin ich noch ein Mensch? Oder bin ich eine Haut, welche ein Blutegelhändler als Musterkarte vorzeigen kann?“

Man hätte diese letztere Frage wohl bejahen mögen, denn so weit man seine „Haut“ zu sehen vermochte, war dieselbe von noch blutenden Saugwunden und zerquetschten Egeln bedeckt. Und der Chirurg kam ihm mit ebenso entblößtem Oberkörper nachgesprungen und schrie:

„Sie sind alle hin, alle, alle! Es ist kein einziger am Leben geblieben. Sehen Sie mich und diesen Mörder an, Señores! Ich hätte sie ihm und mir mit der größten Kunstfertigkeit abgenommen. Er brauchte ihnen nur zu erlauben, sich vollzusaugen. Er aber hat sie erschlagen und sich mit mir so lange im Grase gewälzt, bis auch der allerletzte zerdrückt und zerquetscht worden ist. Wer ersetzt mir nun meine Egel?“

„Und wer mir mein Blut?“ fragte Fritze.

„Niemand; dann sind Sie quitt miteinander,“ antwortete Hammer, der ihnen langsam nachgegangen kam.

„Das nennen Sie quitt?“ entgegnete Kiesewetter. „Ist nicht ein Tropfen meines Blutes tausendmal mehr wert als zehntausend solche Würmer? Und wer reinigt mich? Wer wäscht mich ab? Wer macht mich aus dieser Musterkarte wieder zu einem Menschen?“

„Don Parmesan.“

„Das will ich gelten lassen; das ist das erste gescheite Wort, welches in dieser Angelegenheit gesprochen worden ist!“

„Und wer aber säubert mich?“ fragte der Chirurg dagegen.

„Ich,“ antwortete EI Picaro freiwillig. „Ich thue es aus Mitleid um die lieben Tiere, die so mitten in ihrem schönsten Lebensgenusse haben sterben müssen.“

„Hüte dich, daß ich dich nicht auch mitten aus deinem jetzigen Genusse reiße!“ warnte ihn der Vater Jaguar. „Es scheint, daß auch du in vollster Wonne schwelgst.“

jetzt erklärten sich auch noch andre bereit, bei der Prozedur behilflich zu sein. Die beiden „An- und Abgezapften“ wurden an das Wasser gestellt und gehörig eingeweicht und abgerieben. Was sie dabei fühlten, behielten sie für sich, doch wurde es durch ihre schmerzlich bewegten Mienen genugsam verraten. Als es zu Ende war, meinte Fritze, nun endlich einmal lachend:

„Danke, Señores! Die lebhaften Empfindungen, welche Sie mir soeben bereiteten, haben mich überzeugt, daß ich wenigstens noch nicht ganz tot bin und noch Hoffnung haben darf, mich meines Daseins auch fernerhin zu erfreuen. Wer in dieser Weise zu fühlen vermag, der stirbt noch lange nicht. Don Parmesan, reichen Sie mir Ihre Hand! Wir haben miteinander gelitten und wollen uns versöhnen. Ein andres Mal aber lassen Sie Ihre Egels nur dann gegen mich los, wenn ich an einer Geschwulst oder Entzündung laboriere. Hätten Sie Ihre Flaschen besser zugebunden, so wären wir verschont geblieben.“

„Ich konnte sie nicht besser zubinden, als es geschehen ist,“ antwortete der Angeklagte, indem er ihm die Hand schüttelte. „Wie es gekommen ist, daß die Tiere heraus – –“

Er hielt inne. Er hatte bei diesen Worten den Blick zufällig auf die Flaschen gerichtet. Vorhin hatte er in der Eile nur bemerkt, daß sie keine Egel mehr enthielten; jetzt aber sah er, daß der Verschluß noch da war. Er hob sie auf, betrachtete sie und fuhr dann in erstauntem Tone fort:

„Was ist denn das? Sie sind ja genau noch so fest verschlossen, wie ich sie zugebunden habe! Oder sind etwa Löcher darin? Das Wasser ist ja auch heraus!“

Er nahm sie von allen Seiten in Augenschein und schüttelte den Kopf, als er nicht das kleinste Löchlein zu bemerken vermochte.

„Wundern Sie sich nicht, Señor,“ sagte EI Picaro. „Die Sache ist sehr einfach.“

„Einfach? Wie denn?“

„Das finden Sie nicht? Der erste Egel, welcher heraus ist, hat die Flasche aufgemacht, und der letzte hat sie, wie ganz in der Ordnung war, wieder zugebunden.“

Alle lachten. Der Chirurg sah den Sprecher nachdenklich an; dann blitzte es wie ein Erkennen über sein Gesicht, und er fragte:

„Sind vielleicht Sie dieser letzte Egel gewesen, Señor? Ihnen ist es wohl zuzutrauen, daß Sie eine Flasche gut zuzubinden verstehen! Hoffentlich erfahre ich bald mehr über diese Angelegenheit, und dann werden Sie mir Genugthuung geben müssen!“

„Sehr gern, Don Parmesan, aber nur jetzt noch nicht, denn, wie ich sehe, sattelt der Jaguar schon sein Pferd. Er will aufbrechen, und so haben wir leider zu nichts anderm Zeit.“

Es war, wie er sagte. Hammer rüstete sich zum Antritte der Weiterreise, und die andern mußten dasselbe thun. Dieser Ritt verlief genau so wie der vorhergehende. Man übernachtete des Abends in einsamer, sandiger Gegend und kam am nächsten Mittag an der Fuente gemela an.

Dieser Ort hatte, wie bereits erwähnt, seinen Namen daher, daß dort zwei Quellen nahe beieinander entsprangen, um dann bald ihr Wasser zu vereinigen; es war eine „Zwillingsquelle“, welche nach dem Zusammenfließen einen kleinen Bach bildete, der seinen Lauf nach einem See von wunderbar klarem, reinem Spiegel nahm. Dieser See war von beinahe kreisrunder Gestalt und konnte einen Durchmesser von wohl tausend Schritten haben.

Man merkte hier, daß man in nordwestlicher Richtung geritten war und sich also dem Äquator um einige Grade genähert hatte, denn die Umgebung des Sees zeigte schon eine mehr tropische Vegetation. Die Ufer waren von Tacuarasrohren umsäumt, welche eine Höhe von bis zu zehn Meter besaßen. Daran schloß sich eine Laurelenwaldung, in welcher einzelne Cribobäume eine angenehme Unterbrechung bewirkten. Sogar Caranday-Palmen waren schon zu sehen, und weiter zurück, wo der Boden weniger Feuchtigkeit besaß, konnte man die phantastischen Gestalten baumhoher Aloes erblicken. Dazwischen stand das Gras so hoch und dicht, daß es den Pferden bis an die Leiber reichte. Verschiedene Vögel, besonders Kolibris, bevölkerten die Zweige; im Grase gewahrte man die Fährten vierfüßiger Tiere, und an den See brauchte man nur zu treten, um zu sehen, daß sein Wasser reich an Fischen war.

„Hier brauchen wir nicht nur Fische zu essen,“ meinte Geronimo, indem er auf die Fährte eines Hirsches deutete. „Vielleicht gelingt es uns, einen bessern Braten zu schießen.“

„Diese Fährte sagt uns, daß die Wüste zu Ende ist,“ antwortete der Vater Jaguar, „denn der hiesige Hirsch geht nie weit über Wüstenland. Aber sie mahnt uns auch zur Vorsicht.

Wo es solches Wild gibt, da kann man auch leicht größeren Raubtieren begegnen, die wir aber“ – fügte er lächelnd hinzu – „keineswegs fürchten. Seit Buenos Ayres habe ich keinen Jaguar gesehen, und der dort in der Arena war ein feiger Bursche.“

Man entsattelte die Pferde und gab sie zum Weiden frei. Dann wurden zwei Abteilungen gebildet, deren größere dem Fischfange obliegen sollte, während die kleinere mit Hammer ging, um nach dem Waffendepot zu suchen, welches hier wahrscheinlich auch vorhanden war. Gerade die große Üppigkeit der Vegetation erleichterte die Nachforschung. Auf dem Verstecke war sie jedenfalls nicht vorhanden, und so kam es, daß dasselbe sehr bald gefunden wurde, obgleich die Oase, welche der See mit seiner grünen Umgebung in der Wüste bildete, weit größer war, als diejenigen, in denen man bisher gelagert hatte. Die heimliche Niederlage wurde in der bereits beschriebenen Weise geöffnet, ihrer Vorräte beraubt und dann wieder zugemacht.

Nun hatte man drei solche Arsenale entleert, und die Waffen und Munitionsvorräte, welche man infolgedessen jetzt besaß, konnten nur auf die unbequemste Weise noch weiter mitgeführt werden. Es mußte den Pferden schwer fallen, das alles nebst den Reitern zu tragen. Wenigstens war an einen Ritt von derselben Schnelligkeit wie bisher nicht mehr zu denken.

Der heutige Fischzug war auch ein ergiebiger, doch wurden nur die größten und besten Fische den Netzen entnommen; die andern gab man in den See zurück, da man von nun an auch auf andres Fleisch rechnen konnte. In dieser Beziehung von den andern befragt, erklärte der Vater Jaguar:

„Es fliegen hier zahlreiche Kolibris, welche gewöhnt sind, von Blüte zu Blüte zu gaukeln. Sie unternehmen zwar im Herbste und Frühlinge weitere Reisen, fliegen da aber nur durch Gegenden, in denen sie Nahrung finden. Außer diesen Vögeln gibt es hier Vierfüßler, welche selten oder nie in die Wüste gehen und sich meist in dichten Waldungen aufhalten. Aus diesem Grunde steht zu erwarten, daß wir das öde Sandland hinter uns haben. Wenn auch nicht sofort Waldland folgt, so dürfen wir wenigstens auf grasigen und wohl gar blühenden Campo rechnen. Señor Morgenstern und Kiesewetter haben von unsern Feinden gehört, daß man über die Fisch-, Blutegel-, Krokodils- und Zwillingsquelle muß, um nach dem Palmensee zu gelangen. Wir haben diesen See also jetzt vor uns, und da aus den vorhin angeführten Gründen uns Waldland nahe liegt, so ist daraus zweierlei zu schließen, nämlich erstens, daß wir nicht anderthalbe Tagereise mehr brauchen, um den Palmensee zu erreichen, und zweitens, daß derselbe sich nicht im offenen Lande, sondern im Walde befindet.“

„Dann heißt es, doppelt Achtung geben und vorsichtiger sein als bisher,“ antwortete Geronimo.

„Warum das?“ fragte EI Picaro. „Meinst du etwa, daß wir wieder Blutegel finden werden?“

„Laß den Scherz! Wir haben Veranlassung ernst zu sein. Du hast doch gehört, daß Kapitän Pellejo die Soldaten nach dem Palmensee beordert hat. Vielleicht befinden sie sich schon dort, wenn wir kommen. Entdecken wir sie aber nicht zur rechten Zeit, so können wir von ihnen ganz unversehens überfallen werden.“

„Wären sie schon dort, so hätten wir das allerdings zu befürchten,“ fiel der Vater Jaguar ein; „ich bin aber überzeugt, daß sie noch nicht angekommen sind.“

„Aus welchem Grunde?“

„Weil sie zu weit haben.“

„Das glaube ich nicht. Wenigstens haben sie nicht weiter als wir. Seit dem Zusammentreffen an der Fischquelle sind nun fünf Tage vergangen. Diese Zeit reicht sehr gut aus, um von Matara, Cachipampa oder gar Miravilla nach der Gegend zu kommen, in welcher unsrer Vermutung nach der Palmensee zu suchen ist.“

„Ganz richtig! Aber du mußt bedenken, daß dies nicht die einzigen Orte sind, von woher wir Soldaten zu erwarten haben. In Cruz grande und ganz besonders in Candelaria stehen auch welche, und diese haben einen längeren Weg zurückzulegen als derjenige ist, den wir glücklicherweise bereits hinter uns haben.“

„So kommen diese vielleicht später; die andern aber, die ich vorhin nannte, sind schon da.“

„Nein, eine solche Disposition trifft kein Offizier. Es wird dem Kapitän nicht einfallen, in einer so einsamen Gegend, welche noch dazu in der Nähe der feindlichen Grenze liegt, die einen auf die andern warten zu lassen. Er hat jedenfalls die Ausmarschbefehle so gegeben, daß die einzelnen Trupps, welche übrigens nur aus wenigen Mann bestehen können, zu gleicher Zeit am Versammlungsorte eintreffen. Aus den fernliegenden Garnisonen rückt man eher, aus den näherliegenden aber später.“

„Hm! Du triffst immer das Richtige und hast jedenfalls auch diesmal recht. Also brauchen wir noch keine Sorge zu haben.“

„O doch! Wir haben bisher nur von den Soldaten gesprochen. Die fürchte ich am wenigsten. Unter einer Garnison verstehe ich etwas ganz andres, als was man am Rio Salado darunter versteht. Du hast da Orte, deren Besatzung nicht zehn, ja oft nur fünf Köpfe zählt. Wir haben wohl kaum dreißig Mann zu erwarten, und mit diesen werden wir auf alle Fälle leicht fertig. Ich denke aber auch an die Indianer. Wer gibt uns die Gewißheit, daß diese nicht schon am Palmensee versammelt sind? Ich bin überzeugt, daß sie die Weißen erwarten, um von ihnen die versprochenen Gewehre zu bekommen. Vielleicht gehen sie ihnen sogar entgegen, um ihnen die Last, welche Pulver und Blei, Messer, Beile und Flinten bilden, noch eher abzunehmen.“

„Carlos, das ist wahr! Wir müssen gewärtig sein, heute und hier schon ihren Besuch zu empfangen.“

„Wir müssen wenigstens mit dieser Möglichkeit rechnen. Daher habe ich unser Lager hier am nördlichen Ufer des Wassers aufgeschlagen, während das südliche, wie ich weiß, dazu viel geeigneter wäre. Auch dürfen wir heute abend keine Feuer anzünden; sie könnten uns verraten. Die Fische müssen schon jetzt am Tage gebacken werden, und zwar bei kleinen Feuern, welche keinen dichten Rauch erzeugen.“

„Und doch dürfte alle diese Vorsicht vergeblich sein, denn ich meine, daß die Roten dennoch gerade hierher kommen würden.“

„Warum?“

„Sehr einfach darum, weil die Quellen sich auf dieser Seite befinden. Dem Trinkwasser geht doch jeder nach.“

„Sehr wahr; aber ich habe vergessen, zu sagen, daß drüben am andern Ufer sich eine noch viel größere Quelle befindet. Der Ort hat seinen Namen zwar von dieser Zwillingsquelle, die jenseitige aber wird öfters aufgesucht, weil sie viel bequemer liegt und sich an ihren Ufern ein Grasplatz erstreckt, an welchem bedeutend mehr Menschen lagern können als hier.“

„Zugegeben! Aber, Carlos, wir müssen alles überlegen. Hier auf unsrer Seite befindet sich der Ort, an welchem die Waffen versteckt waren; also werden die Roten unbedingt hierher kommen.“

„Nein. Die Weißen werden sich gehütet haben, ihnen vorher mitzuteilen, wo die Magazine zu suchen sind. Höchstens weiß der Häuptling davon. Und gerade damit das Versteck auch nicht durch Zufall entdeckt werde, steht zu erwarten, daß die Indianer gegebenenfalls von ihren jetzigen Verbündeten an das andre Ufer beordert worden sind.“

„Da kann ich dir nicht unrecht geben. Doch was war das jetzt? Habt ihr es gehört?“

Man hatte ein kurzes, scharfes, dreifaches Klingen gehört, und in demselben Momente war alle Anwesenden ein ganz eigentümliches Gefühl angekommen, einem leichten Schüttelfroste ähnlich, der nicht länger als eine Sekunde anhielt.

„Die Aria,“ antwortete der Vater Jaguar, indem er nach seinem Nacken griff und dabei versuchte, ob er den Hals drehen und den Kopf frei bewegen könne.

„Die Aria,“ stimmten die andern bei. Auch sie machten dieselben Bewegungen mit der Hand nach dem Nacken, mit dem Halse und dem Kopfe.

Was ist die Aria? Niemand vermag es genau zu sagen. Sie tritt meist folgendermaßen auf: Man sitzt bei einem Glase Wein oder bei einer Tasse Thee; die Flasche oder Kanne steht dabei. Da überkommt die Anwesenden jener kurze, gar nicht unangenehme Schüttelfrost; zugleich erklingen Flasche und Glas, Kanne und Tasse. Sieht man nach, so sind sie zerbrochen, ohne daß jemand sie angerührt hat. Tiere, welche vorher geschwitzt haben, werden für längere Zeit an den Gliedern steif, und auch Menschen können für mehrere Tage ein steifes Genick davontragen. Das ist die Aria, eine elektrische Erscheinung, wie manche Forscher und Reisende sagen. Wen sie trifft, der pflegt sich sofort zu überzeugen, ob er den Nacken noch zu bewegen vermag.

Woher aber war hier der scharfe, kurze Klang gekommen? Man forschte danach. Don Parmesan hatte die Flaschen, in denen die Blutegel gesteckt hatten, nicht wieder abgegeben, sondern sie in seiner Satteltasche mit sich geführt. Der Sattel lag neben ihm, und als er die Tasche öffnete und nach den Flaschen griff, zeigte es sich, daß sie mitten entzwei gebrochen waren. Das war glücklicherweise der einzige Schaden, den die Aria angerichtet hatte, denn kein Nacken war steif geworden.

Doktor Morgenstern hatte von dieser Erscheinung noch nichts gehört und erkundigte sich darum bei dem Vater Jaguar nach ihr. Dieser antwortete achselzuckend:

„Ich kann Ihnen leider mit keiner Erklärung dienen. Die Sache ist mir selbst auch unbegreiflich. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß die Aria in dieser Jahreszeit oft plötzlichen und starken Regen mit sich bringt.“

Er blickte bei diesen Worten gegen den Himmel, welcher vollständig hell und wolkenlos war und nicht im mindesten so aussah, als ob er heute noch Nässe senden wolle. Kein Lüftchen regte sich und die Oberfläche des Sees lag so ruhig und unbewegt wie festes Krystall vor den Augen da.

jetzt nun wurden alle Vorbereitungen getroffen, welche nötig waren, wenn der Abend und die Nacht ohne Feuer zugebracht werden sollte. Man aß sich tüchtig satt und streckte sich dann im Grase aus, um zu ruhen. Andre saßen in Gruppen beisammen, um sich zu unterhalten, wobei EI Picaro wie gewöhnlich die Hauptrolle spielte.

Abseits von allen andern saß Anton Engelhardt mit dem jungen Inka. Beide kannten sich nur seit wenigen Tagen, hatten einander aber doch schon herzlich lieb gewonnen. Der äußere Grund lag wohl in dem Umstande, daß Anton dem Inka so freundlich entgegengekommen war und ihm sein Pferd angeboten hatte; die innere, eigentliche Ursache aber bestand jedenfalls in der Verschiedenheit ihrer seelischen Eigenschaften, welche einander ergänzten.

Anton war warmblütig, leicht erregt, rasch und aufrichtig; auf seinem Gesichte lag immerwährend der Ausdruck herzlicher Zufriedenheit. Das Wesen des Peruaners aber war still, ernst, bedächtig, zurückhaltend, und die Schwermut, welche sich seinen jugendlich schönen Zügen aufgeprägt hatte, wich keinen Augenblick aus denselben. So waren sie also vollständig verschieden veranlagt, und die Verschiedenheit zieht bekanntlich an.

Sie waren seit dem ersten Abende stets nebeneinander geritten und hatten sich auch an den Lagerplätzen zusammengehalten. Da war natürlich viel gesprochen worden; aber die Kosten der Unterhaltung hatte zumeist Anton getragen. Er hatte von allem, was er besaß, kannte und wußte, erzählt und nach und nach sein ganzes Herz ausgeschüttet. Von Haukaropora aber hatte er noch nichts erfahren. Dieser hörte schweigend zu, ließ nur hier oder da eine kurze Frage, eine einsilbige Antwort hören; aber wer ihn beobachtete, der sah, daß aus seinem dunkeln, tiefgründigen Auge nicht selten ein freundlicher, ja warmer Blick zu seinem jungen deutschen Gefährten hinüberflog.

Wovon sie jetzt wieder miteinander sprachen, das war eigentlich das immer wiederkehrende Hauptthema aller ihrer Gespräche gewesen, nämlich der Vater Jaguar. Anton erblickte in diesem Manne einen Helden ohnegleichen und wünschte sehnlichst, ihm einst ähnlich werden zu können. Auch Hauka sprach mit der größten Hochachtung, ja Verehrung von ihm, konnte aber leider die Neugierde Antons, welcher gern etwas aus dem früheren Leben des riesenhaften Mannes erfahren hätte, nicht befriedigen.

„Aber du hast ihn ja viel eher gekannt,“ sagte der deutsche Knabe, „und mußt also von ihm erzählen können!“

Sie nannten sich nämlich seit der Krokodilsquelle Du.

„Ich kann nichts sagen,“ antwortete der Inka. „Wenn er kam, hat er mit dem Vater gesprochen und nicht mit mir. Und wenn die Alten und Erfahrenen sprechen, so müssen die jungen, Unerfahrenen von fern stehen. So ist es bei uns Gebot.“

„Bei euch? Zu welchem Volke oder Stamme gehörst du denn eigentlich?“

„Zu keinem.“

„Aber du mußt doch einer Nation angehören!“

„Mein Stamm ist untergegangen. Wir leben mit einigen armen Familien hoch oben in den Bergen, wo der Kondor schreit.“

„Da wächst kein Baum, kein Strauch. Wie könnt ihr leben?“

„Wir trinken Wasser und essen das Fleisch der wilden Tiere, welche wir mit Lebensgefahr erlegen.“

„So seid ihr Helden, mit denen ich wohl tauschen möchte. Erzähle mir von eurem Leben, euren Thaten!“

„Von dem Leben und den Thaten der Meinigen?“ Er legte die Hand an die Stirn und blickte düster vor sich nieder. Dann antwortete er weiter: „Vielleicht, doch nein, ganz gewiß erzähle ich dir einmal davon; aber nicht heute, nicht jetzt. Du kommst ja mit in unsre Berge. Dann wirst du nicht nur hören, sondern auch sehen.“

Er stand auf und entfernte sich, um unter den Bäumen zu verschwinden. Die Fragen Antons hatten ihn an seiner wunden Stelle getroffen. Er kehrte erst zurück, als es zu dunkeln begann, und streckte sich, als man sich zur Ruhe legte, wie gewöhnlich neben Anton nieder. Dieser hatte lange darüber nachgedacht, womit er den Freund betrübt haben könne, und schlief darüber ein. Wie lange er geschlafen hatte, wußte er nicht, als er von einer Hand, die ihn leise schüttelte, aufgeweckt wurde. Der Inka war es; er flüsterte ihm in das Ohr:

„Still! Sprich nicht laut! Du hast gewünscht, ein Held wie der Vater Jaguar zu sein. Ich möchte dir Gelegenheit zu einer That geben. Willst du mir folgen?“

„Wohin?“

„Davon nachher. Laß deine Waffen hier und nimm nur das Messer und die Bolas mit! Schleich tief im Grase hinter mir, damit die Wächter uns nicht sehen!“

Anton sah, daß Hauka auf allen Vieren von der Lagerstätte fortkroch, und folgte ihm in derselben Weise. In den letzten Nächten hatten die Sterne geschienen; heute aber war der Himmel dunkel. Da der Neumond kurz vorüber war, herrschte hier unten eine fast vollständige Finsternis. Man konnte kaum zehn Schritte weit sehen, und selbst der See, welcher am Tage so rein und hell geglänzt hatte, lag jetzt wie ein düsteres Geheimnis zu ihrer linken Hand. Sie schlichen langsam und unhörbar am Schilfrande hin, bis Hauka sich aufrichtete und, mit noch immer leiser Stimme, sagte:

„Jetzt sind wir über die Wachen hinaus und können richtig gehen. Ich weiß, du hast Mut und wirst dich freuen, daß ich dich geweckt habe. Schau einmal scharf über den See. Siehst du etwas?“

„Nein,“ antwortete Anton, welcher seine Augen vergeblich anstrengte.

„Oder riechst du etwas?“

„Auch nicht.“

„Anciano und ich, wir leben mit dem Kondor in den Kordilleren; darum haben wir die Sinne des Adlers erhalten. Da drüben jenseits des Wassers lagern Leute.“

„Wie kannst du das wissen?“

„Ich rieche den Rauch und sehe den Schein des Feuers. Ein Weißer sieht und riecht das nicht. Eigentlich sollte ich es den Erfahrenen melden, aber weil du wünschest, eine That zu thun, so habe ich sie nicht geweckt und es auch unterlassen, den Wächtern Meldung zu machen.“

„Und was willst du jetzt thun?“ fragte der junge deutsche Peruaner.

.“Zunächst will ich hinüber, um zu sehen, wer diese Leute sind und was sie hierhergeführt hat. Dann wird es sich zeigen, ob ich still zurückkehre oder mich von den Umständen zu irgend einer Handlung bewegen lasse.“

„Meinst du, daß dir dieses letztere erlaubt wäre? Wie leicht könntest du etwas thun, was der Vater Jaguar dann nicht billigen würde.“

Da legte ihm der Inka die Hand auf die Achsel und sagte in nachdrücklichem Tone:

„Ich bin hier im Lande geboren und kenne es genau. Du brauchst keine Sorge zu haben, daß ich etwas Unrechtes thun werde. Gehst du mit, oder willst du hier bleiben? In diesem letzteren Falle bleibe auch ich und melde dem Vater Jaguar, was ich beobachtet habe. Ich will ja nur hinüber, um dir Gelegenheit zu geben, zu beweisen, daß du ein mutiger Jüngling bist.“

„Natürlich gehe ich mit, ganz natürlich! Ich fragte nur so, weil ich glaubte, zu jung zu sein, um so selbständig handeln zu können.“

So komm und gib mir deine Hand, damit ich dich führe, denn ich glaube, daß meine Augen in der Dunkelheit schärfer als die deinigen sind.“

Er nahm ihn bei der Hand und schritt mit ihm langsam weiter. Das war nicht leicht, denn es ging zwischen Büschen und unter Bäumen hin. Dann hörte der Wald plötzlich auf, und das Ufer lag baumlos vor ihnen. Haukaropora blieb nachdenklich stehen, überlegte eine kleine Weile und sagte dann:

„Das ist eine Lücke in dem Gürtel, welcher sich als Waldstreifen um das Wasser legt. Dieser Gürtel ist schmal. Gehen wir innerhalb desselben vorwärts, so befinden wir uns stets in der Finsternis, welche unter den Bäumen herrscht, was uns sehr aufhalten muß. Darum denke ich, es ist besser, wenn wir uns weiter rechts halten, um an dem Rande dieses Gürtels hinzugehen. Da können wir viel schneller laufen und haben den freien Himmel über uns, welcher zwar auch dunkel ist, aber doch nicht so finster wie die Wipfel der Bäume.“

„Aber werden wir da den Ort finden, wo die Leute sind, welche wir suchen?“ warf Anton Engelhardt bedenklich ein.

„Ganz gewiß!“

„Ich denke, wir kommen da viel zu weit nach rechts?“

„Nicht zu sehr, da der Wald ja nicht breit ist. Übrigens ist es sicher, daß diese Leute an der Quelle lagern werden, von welcher der Vater Jaguar sprach. Wenn wir dieselbe erreichen, brauchen wir nur ihrem Wasser zu folgen, um an das Ziel zu gelangen.“

„Sie wird sich vielleicht unter den Bäumen befinden!“

„Möglich; aber die Menschen, deren Feuer ich bemerkt habe, lagern jedenfalls nicht unter Bäumen, da das zu unbequem sein würde, sondern auf einer freien Stelle. Verlaß dich auf mich. Wir verirren uns nicht.“

Sie setzten ihren Weg fort, schneller als bisher. Ihr Lager hatte sich in der Mitte des nördlichen Seeufers befunden; sie bogen bald um den obern, westlichen Teil des Sees. Dann hörte die Lichtung auf und der Wald begann wieder. Er bildete hier einen dunkeln Streifen, welcher einige hundert Schritte breit sein mochte. Sie ließen ihn linker Hand liegen und eilten an seinem äußern Rande nun in östlicher Richtung hin, denn sie befanden sich nun am südlichen Ufer. Sie waren da noch gar nicht weit gekommen, so blieb der junge Inka mit vorwärts gebeugtem Oberkörper stehen. Er hatte die Haltung eines angestrengt Lauschenden eingenommen. Es hatte sich ein ziemlich scharfer Wind erhoben, welcher ihnen gerade entgegenwehte.

„Hörst du etwas?“ fragte Anton.

„Ja,“

„Was?“

„Ich glaube, es ist eine Glocke gewesen.“

„Eine Glocke? Es gibt doch hier keine Stadt mit Kirchenglocken.“

„Diese Art meinte ich nicht. Komm noch eine kurze Strecke weiter, so wirst du es auch hören.“

Sie schritten wieder vorwärts, diesmal aber langsamer als vorher. Bald war ein vom Winde herübergewehter metallener Ton zu hören.

„Horch!“ sagte Anton. „Jetzt habe ich es gehört. Es klang beinahe wie die Glocke einer Madrina.“

Madrina ist ein dem spanischen Amerika eigentümlicher Ausdruck. Man versteht unter demselben die Stute, welche bei Herden oder auf Reisen die andern Tiere führt. Sie trägt eine Glocke am Halse, deren Ton die übrigen stets folgen.

„Ja, es kann nichts andres sein, als eine Madrina,“ stimmte der junge Inka bei.

„Sollten sich Arrieros hier im Gran Chaco befinden?“

„Nein, gewiß nicht. Durch diese Gegend ziehen keine Handelskarawanen. Es werden Indianer sein.“

„Von welchem Stamme?“

„Ich weiß es nicht, denke aber, es zu erfahren.“

„Dann sind diese Menschen sehr unvorsichtig. Die einzelnen Völker leben, wie wir gehört haben, jetzt in Feindschaft miteinander. Da hängt man doch den Tieren keine Glocken um, welche zu Verrätern werden müssen!“

„Die Leute, welche sich hier befinden, werden sich so sicher fühlen, daß sie nicht glauben, solche Vorsicht anwenden zu müssen. Auch müssen sie ihre Tiere weiden lassen und dürfen sie also nicht anbinden. Hätten sie keine Madrina dabei, so würden die Pferde nach allen Richtungen auseinander laufen.“

„Wieso? Die unsrigen bleiben doch auch beisammen.“

„Das ist etwas ganz andres. Der Indianer ist kein Pferdezüchter; er raubt und stiehlt die Tiere aus allen Gegenden zusammen. Sie kennen sich also nicht, und da sie nicht in Herden gehalten werden, so haben sie keine Anhänglichkeit zu einander. Treffen dann auf einem Kriegszuge viele Reiter zusammen, so müssen sie ihren Pferden eine Madrina geben, denn jedes Roß gehorcht der Glocke unbedingt. Das ist von großem Vorteil für uns, denn der Ton, welchen wir gehört haben, wird uns als Wegweiser dienen.“

Es war so, wie er sagte, denn je weiter sie kamen, desto deutlicher war der Ton der Halsschelle zu hören. Bald mußten sie ihre Schritte noch mehr hemmen, da der Klang nun aus großer Nähe kam. Zugleich waren links die Stämme des Waldes zu sehen, da hinter demselben mehrere Feuer brannten, in deren Schein sich die Bäume deutlich hervorhoben.

„Sieh, wie leicht wir das Lager gefunden haben,“ flüsterte Haukaropora Anton zu.

„Vor uns liegt der sich um den Wald ziehende Grasstreifen; auf ihm weiden die Pferde. Links von uns sticht er in den Wald hinein und bildet da eine offene Stelle, auf welcher sich die Quelle befindet. Wir haben also die Pferde gerade vor uns und die Reiter links hinter den Bäumen.“

„So müssen wir in dieser letzteren Richtung weiter?“

„Ja, aber nicht sogleich. Wir haben alle Ursache, vorsichtig zu sein, und so will ich erst sehen, ob sich Wächter bei den Pferden befinden. Warte hier, bis ich zurückkehre!“

Er schlich sich davon, und Anton stand allein, wohl über eine Viertelstunde lang, dennoch wurde ihm um den Inka nicht bange, denn er fühlte ein solches Vertrauen zu dessen Tüchtigkeit, daß es ihm gar nicht beikam, Angst um ihn zu haben. Nach dieser Zeit tauchte der Inka wieder aus dem Dunkel auf und meldete mit leiser Stimme:

„Es war kein einziger Wächter da. Die Pferde waren alle so zutraulich, daß sie sich von mir streicheln ließen. Sie gingen frei im Grase, und nur der Madrina sind die Vorderbeine leicht gefesselt, damit sie keine weiten Schritte machen kann.“

„Wie viele Pferde waren es?“

„Ich konnte sie natürlich nicht zählen, ich merkte aber, daß es nicht wenige sind. Ich fand sie alle mit den Köpfen nach der Madrina gerichtet und habe mich sehr darüber gefreut.“

„Warum?“

„Weil dies ein Zeichen ist, daß sie ihr unbedingt folgen werden.“

„Und darüber freust du dich?“

„Ja, denn wenn es etwa feindliche Indianer, also Abipones sind, so möchte ich ihnen ihre Pferde nehmen.“

„Ist das dein Ernst? So viele Tiere können wir zwei unmöglich fortbringen!“

„Warum nicht? Wenn wir die Madrina mit uns führen, laufen die andern alle hinterdrein.“

„Aber die Indianer würden am Klange der Glocke hören, daß die Stute sich entfernt!“

„Wenn man schläft, hört man das nicht, und du gibst doch wohl zu, daß diese Leute schlafen werden?“

„Ja; aber Wachen haben sie jedenfalls ausgestellt.“

„Allerdings; aber da sie, wie ich vermute, sich hier so sicher fühlen, werden die Wächter nicht zahlreich sein. Wir werden das gleich zu erfahren suchen. Komm, und halte dich stets hinter mir! Wir dürfen nicht mehr gehen, sondern müssen kriechen, damit wir nicht bemerkt werden.“

Sie legten sich auf die Erde nieder und bewegten sich nun mit äußerster Vorsicht von ihrer bisherigen Richtung ab nach links hinüber, um unter die erwähnten Bäume zu gelangen. Als sie dieselben erreicht hatten, befanden sie sich zugleich ganz nahe dem Rande der offenen Waldlücke, in welcher der Inka das Lager vermutet hatte. Diese Lücke war nicht breit, und die Feuer leuchteten von einem Ende derselben bis zum andern. Man sah also genau, was dort vorging. Die beiden Jünglinge lagen hinter zwei nahe beieinander stehenden Bäumen und beobachteten mit scharfen Augen, was da vor ihnen vorging.

Es war eine sehr zahlreiche Schar von Indianern, welche ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Da, wo die Lichtung sich gegen das freie Land öffnete, drang die Quelle aus dem Boden, um ihr Wasser links nach dem See zu schicken. Zu beiden Seiten dieses Wasserlaufes brannten acht Feuer, um welche sich wohl gegen achtzig Rote bewegten, denn sie waren soeben beschäftigt, sich die bequemsten Stellen zum Schlafen zu suchen. Zwischen zwei Feuern, welche diesseits des Wassers brannten, lagen sechs Gestalten, welche gefesselt zu sein schienen. Fünf von ihnen waren wie Indianer gekleidet; den Sechsten konnte man seinem Anzuge nach für einen Weißen halten. Da sie mit den Köpfen nach den zwei heimlichen Beobachtern zu lagen, war es diesen unmöglich, die Gesichter zu sehen.

Diese Schar war indianisch bewaffnet. Sie hatte an den in der Erde steckenden langen Lanzen ihre Köcher und Bogen aufgehängt. Daran lehnten die Blasrohre, deren kleine Geschosse, wenn sie vergiftet sind, so schnell tödlich wirken. Drüben stand unter einem Baume der einzige, welcher ein Gewehr besaß; er hatte es neben sich auf seinem Poncho liegen und schien der Häuptling zu sein, denn er erteilte soeben verschiedene Weisungen, denen sofort nachgekommen wurde. Er bediente sich dabei einer Sprache, welche einen singenden Tonfall hatte. Anton verstand kein Wort davon und fragte darum seinen Gefährten leise:

„Das ist nicht Ketschua und auch nichts andres, was ich verstehe. Welche Sprache redet der Mann?“

„Es ist Abiponisch; ich verstehe es ziemlich. Er ist der Anführer dieser Leute, er sagt ihnen, wie sie lagern sollen, und hat soeben befohlen, daß die Nacht in drei Wachen geteilt wird. Jede dieser Wachen betrifft nur zwei Personen, von denen die eine den Pferden und die andre den Gefangenen ihre Aufmerksamkeit zu schenken hat.“

„Also doch Gefangene! Wer mögen sie sein?“

„Warte nur! Wahrscheinlich erfahren wir es noch. Ich kenne den Häuptling nicht, habe ihn noch nie gesehen, aber seiner Sprache nach gehört er mit seinen Leuten den Abipones, also unsern Feinden an.“

„Daraus können wir schließen, daß die Gefangenen Freunde von uns sind.“

„Ja, denn wer gegen sie ist, der muß für uns sein.“

„Wenn wir sie befreien könnten! Denkst du, daß dies möglich ist?“

Der Inka wartete eine kleine Weile, ließ den Blick nachdenklich, aber scharf über die Scene gleiten und antwortete dann:

„Ich halte es für möglich und bin bereit, den Versuch zu machen. Was sagst du dazu?“

„Einverstanden!“ Er hätte fast vor Freude laut gesprochen und fügte nun desto leiser hinzu: „Aber wie wollen wir das anfangen, da wir nur zu Zweien sind? Wir haben nicht einmal unsre Gewehre mit.“

„Die würden uns schaden anstatt uns zu nützen. Du hast gehört, wie oft der Vater Jaguar gesagt hat, daß in den meisten Fällen die Klugheit der Gewalt vorzuziehen ist. Nach diesem Rate werden wir handeln.“

„Ja, handeln werden wir; ich bin bereit dazu. Aber in welcher Weise, das weiß ich noch immer nicht.“

„Warte nur! Erst müssen diese Abipones eingeschlafen sein; eher läßt sich nichts thun. Wir werden dann erfahren, ob die Wächter vorsichtig sind und ob man die Feuer verlöschen läßt oder nicht.“

jetzt kam der Häuptling über den Quell herüber, um persönlich nach den Gefangenen zu sehen. Er warf ihnen drohende und verächtliche Worte zu und stieß sie dabei mit den Füßen. Sie wollten diesen Mißhandlungen ausweichen und veränderten dabei ihre bisherige Lage. Dabei konnte man das Gesicht des einen deutlich erkennen. Er war wirklich kein Indianer, sondern ein Weißer. Dann bäumte sich ein Zweiter halb empor, um einem nach ihm gerichteten Fußtritte zu entgehen. Er wendete während dieser Bewegung sein Gesicht nur für einen Augenblick zur Seite, doch war das für das scharfe Auge des Inka genug; er hatte ihn erkannt und flüsterte Anton zu:

„Das war der Häuptling der Kambas, welchen die Weißen El Craneo duro, den harten Schädel, nennen. Hast du einmal von ihm gehört?“

„Nein.“

„Man hat ihm diesen Namen gegeben, weil er einmal acht oder zehn Kolbenhiebe auf den Kopf erhielt und doch nicht an denselben starb. Als die Feinde, welche ihn für tot hielten, sich entfernt hatten, stand er auf, rieb sich den Kopf ein wenig und ging ihnen dann heimlich nach, um sich zu rächen. Sie waren Abipones und sind von seiner Hand getötet worden.“

„So ist er ein Bekannter von dir?“

„Sogar ein Freund. Wir waren bei ihm, und er hat uns oft besucht. Welch ein Glück, daß ich da drüben in unserm Lager das Feuer sah und den Rauch gerochen habe! Ich werde das Leben wagen, um ihn zu befreien.“

„Ich das meinige auch!“ raunte ihm Anton begeistert zu. „Sage nur, wie wir es anzufangen haben. Ich werde alles thun, was du für richtig hältst.“

„Für jetzt hast du nichts zu thun, als still zu sein und dich so hinter deinem Baume zu halten, daß kein Lichtschein auf deinen Körper fällt.“

Die Abipones legten sich in Kreisen so um die Feuer, daß sie denselben ihre Füße zukehrten. Sie hüllten sich in ihre Ponchos, von denen viele zwei Stück besaßen. Der Häuptling war über den Quell zurückgekehrt und legte sich da drüben in derselben Weise nieder. Es hatten sich alle gelagert, die beiden Wächter ausgenommen, von denen der eine hinaus zu den Pferden ging, während der andre langsam auf- und abzuschreiten begann. Er hatte sich gegen den scharf wehenden Wind in seine zwei Decken gehüllt. Die eine trug er wie einen Weiberrock um die Hüften, und in die andre hatte er den Kopf in der Weise gehüllt, daß sie vorn nur die Augen frei ließ und ihm hinten lang über den Rücken herunterhing.

Die Umstände, welche von den beiden mutigen und unternehmenden Jünglingen in besondere Betracht gezogen werden mußten, waren folgende: Sie lagen natürlich nicht ganz unter den vordersten Bäumen. Um auf den Lagerplatz zu kommen, mußten sie zehn bis fünfzehn Schritte gehen. Von den äußersten Bäumen bis zu der Stelle, an welcher die Gefangenen lagen, war es ebensoweit. Der Wächter schritt an den Bäumen, also fast genau zwischen diesen beiden Punkten, hin und her, trat im Verlauf der ersten halben Stunde einige Male zu den Gefesselten, um nachzusehen, ob dieselben eingeschlafen seien. Das Lager war durch den Wald nicht vollständig vor dem Winde geschützt; er blies zuweilen so heftig in die Feuer, daß die Funken aufstoben und auf die Decken der Schläfer fielen. Um dieselben vor dem Versengtwerden oder gar Anbrennen zu bewahren, ging der Posten von Feuer zu Feuer und schob die brennenden Äste und Zweige so zusammen, daß die Flammen bedeutend kleiner und niedriger brannten. Er legte kein neues Material dazu, so daß vorauszusehen war, daß die Feuer bald erlöschen würden. Nur einem von den beiden, zwischen denen die Gefangenen lagen, gab er neue Nahrung, um sein Wächteramt treu ausführen zu können.

Es war fast eine Stunde vergangen, seit die Roten sich niedergelegt hatten. Da wurde Anton das Schweigen doch zu schwer, und er flüsterte seinem Gefährten, welcher während dieser langen Zeit nicht die geringste Bewegung gemacht hatte, zu.

„Ich glaube, sie schlafen jetzt fest, und wir dürfen nicht länger warten. Bedenke, welche Sorgen man drüben bei uns haben wird, wenn man unsre Abwesenheit bemerkt!“

„Man wird nur im ersten Augenblicke bange um uns sein,“ antwortete der Inka; „dann aber wird mein Anciano die andern beruhigen. Er kennt mich und weiß, was er in diesem Falle zu denken hat. Dennoch bin ich mit deinen Worten einverstanden, wir müssen handeln.“

„Hast du dir überlegt, was wir thun werden?“

„Das bedarf keiner Überlegung, sondern es ist ganz selbstverständlich. Ich locke den Wächter hierher.“

„Wie ist das möglich?“

„Es ist möglich.“

„Womit, wodurch?“

„Das wirst du gleich hören. Paß genau auf, ob einer der Schläfer sich bewegt, wenn ich mich vernehmen lasse! Wenn das, was ich vorhabe, vollständig gelingen soll, darf keiner von ihnen munter sein.“

Er legte seine beiden Hände an den Mund und ließ ein leises, müdes Krächzen hören, wie man es wohl von einem Papagei vernimmt, welcher im Schlafe gestört worden ist.

Keiner der Indianer regte sich; aber der Posten blieb stehen, um zu horchen, woher der Ruf kam.

„Sieh, er lauscht,“ flüsterte der Inka. „Wahrscheinlich kommt er her. Hast du etwas gesehen, daß ein Schläfer wach wurde?“

„Nein.“

„Ich auch nicht. Kriech rasch noch um zwei Bäume zurück, und lege dich platt auf die Erde, sonst sieht er dich, wenn er kommt!“

Anton gehorchte dieser Aufforderung, und der Inka ließ das Krächzen zum zweitenmal hören. Der Posten trat näher; beim drittenmal kam er unter die Bäume, und als es sich dann wiederholte, bog er sich zusammen und kam leise und höchst vorsichtig herbeigeschlichen, die Augen mit Spannung auf den Punkt gerichtet, von welchem aus die Töne erschollen waren. Dieser unbefangene Mensch glaubte also wirklich, es mit einem Papagei zu thun zu haben.

Der Inka nahm seinen schweren Streitkolben von der linken Seite und krächzte noch einmal, und als der Posten fast den Stamm erreicht hatte, hinter welchem er sich befand, sprang er blitzschnell hervor und schlug auf ihn ein – ein einziger Hieb, und der Indianer brach zusammen, um sich nicht mehr zu bewegen.

„Mein Gott, du hast ihn erschlagen!“ flüsterte Anton, indem er rasch herbeikam.

„Wahrscheinlich ist er tot; dennoch ist es möglich, daß er noch lebt. Bleib hier bei ihm. Wenn er erwacht, ehe ich zurückkehre, stößest du ihm dein Messer in das Herz. Du hast doch den Mut, dies zu thun?“

„Im Kampfe, ja; aber einem Wehrlosen – – – !“

„Wir befinden uns im Kampfe, und wenn er erwacht, ist er nicht wehrlos. Seine Stimme ist dann eine Waffe, wie es für uns gar keine gefährlichere geben kann. Ich verlange unbedingt, daß du mir gehorchest!“

Der sonst so schweigsame Inka war während ihres abenteuerlichen Ganges ungewöhnlich mitteilsam gewesen, jedenfalls um seinen jungen Gefährten zu belehren. Jetzt zeigte er sich von einer noch andern Seite. Er trat als Herr und Gebieter auf, und obgleich er nur leise sprach, geschah dies doch in einer Weise, welche keine Widerrede duldete.

jetzt nahm er eilends die beiden Ponchos, welche der Posten getragen hatte, und hüllte sich genau in derselben Weise hinein. Dann schritt er langsam und würdevoll unter den Bäumen hinaus und ging dort ebenso wie vorher der Wächter auf und ab. Wer es nicht wußte, was geschehen war, mußte ihn unbedingt für diesen halten.

Anton blieb mit gezogenem Messer bei dem gefallenen Indianer sitzen und beobachtete bald diesen und bald seinen jungen mutigen Freund, dessen jetziges Gebaren er freilich nicht sofort begreifen konnte.

Als Haukaropora eine Zeit lang den Posten nachgeahmt hatte, ging er mit leisen Schritten von einem Feuer zum andern, nicht um sie zu schüren, sondern um die Schläfer zu beobachten. Es war keiner von ihnen wach; dann begab er sich zu den Gefangenen und setzte sich bei ihnen nieder. Sie waren noch wach, denn die Lage, in der sie sich befanden, scheuchte den Schlaf von ihren Augen.

Sie hielten ihn natürlich für den Indianer, welcher sie bewachen sollte, denn er hatte den Poncho so um den Kopf und das Gesicht geschlagen, daß nur seine Augen zu sehen waren. Er kannte auch die roten Begleiter des Häuptlings, den Weißen aber, welcher ein noch ziemlich junger Mann war, hatte er noch nie gesehen. Aus Rücksicht auf diesen letzteren mußte er spanisch sprechen. Dies that er, indem er nach einer Weile den Poncho so weit lüftete, daß man sein Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme hören konnte, und sagte in halblautem Tone:

„El Craneo duro ist betrübt; bald aber wird er fröhlich sein. Wenn er mir jetzt antwortet, mag er leise sprechen!“

Der Häuptling hatte halb von ihm abgewendet gelegen; jetzt wendete er ihm das Gesicht voll zu und antwortete, wie ihm geboten war, mit leiser Stimme:

„Was sprichst du zu mir? Willst du mich verhöhnen, indem du freundlich zu uns thust?“

„Es ist nicht Hohn, sondern Aufrichtigkeit. Ihr seid Männer und werdet euch also beherrschen können. Laßt keinen Ton hören, der mich und euch verraten könnte! Ich bin da, um euch zu retten.“

„Du, der Abipone?“

„Ich bin kein Abipone, sondern ich heiße Haukaropora und bin der Sohn deines Freundes Anciano.“

„Du wärst Haukaro – – –“

Der Name blieb ihm vor Verwunderung auf der Zunge hängen.

„Ja, ich bin es,“ fuhr der Jüngling fort. „Überzeuge dich!“

Er öffnete jetzt den Poncho so, daß sein Gesicht vollständig zu sehen war. Der Weiße beobachtete die Scene, ohne sich zu regen, die Cambas erkannten den Inka, der sein Gesicht schnell wieder verdeckte. Sie hätten gern vor Freude aufgejubelt, blieben aber still; doch sagte ein nicht zu beherrschendes Zucken und Bewegen ihrer gefesselten Körper deutlich genug, wie freudig sie überrascht waren.

„Habt ihr mich erkannt?“ fragte er sie.

„Ja, ja,“ stieß der Häuptling hervor, „du bist der Sohn unsres Freundes und selbst unser Freund. Es geschehen große Wunder. Wie kommst du unter die Abipones? Ich habe dich bis jetzt noch gar nicht bemerkt.“

„Ich gehöre nicht zu ihnen und war nicht bei ihnen; ich bin erst seit kurzer Zeit hier im Walde, um diese unsre Feinde zu beobachten. Ich lagerte mit mehr als zwanzig weißen Männern drüben jenseits des Sees und bemerkte eure Feuer. Da schlich ich mich, ohne daß jemand es bemerkte, mit einem jungen Freunde herüber, um zu erfahren, von wem diese Feuer angezündet seien. Ich sah die Abipones, und ich erkannte dich. Da nahm ich mir vor, euch zu befreien.“

„Das ist kühn, außerordentlich kühn! Wo ist denn unser Wächter?“

„Er liegt erschlagen dort unter den Bäumen. Ich habe mich in seine Decken gehüllt, um für ihn gehalten zu werden.“

„Welche Klugheit, welche List! Hast du dein Messer mit?“

„Ja.“

„So schneide uns los; schnell, schnell!“

„Wer zu viel eilt, kommt zu spät an. Ehe ich euch befreie, müßt ihr wissen, was ihr zu thun habt. Ihr habt Zeit. Und wenn jetzt in diesem Augenblicke alle Abipones erwachten, es würde ihnen doch nicht gelingen, einen von euch zurückzuhalten.“

„Du sprichst nur von weißen Männern. Ist Anciano auch dabei?“

„Ja, du weißt, daß ich mich nie von ihm trenne.“

„Und wer sind die Weißen?“

„Der Vater Jaguar führt sie an.“

„Der Vater Jaguar? O, wenn der hier in der Nähe ist, so befinden wir uns nicht mehr in Gefahr.“

„Auch wenn er sich nicht hier befände, wärt ihr jetzt außer Gefahr. Ich zerschneide jetzt eure Banden; aber bleibet trotzdem genau so liegen, wie ihr jetzt liegt!“

Er zog sein Messer hervor und befreite sie in der Weise von ihren Fesseln, daß ein in diesem Augenblick erwachender Abipone doch nicht bemerkt hätte, was vorgenommen wurde. Dabei sprach er weiter:

„Die Feuer verlöschen, und nur dieses eine brennt noch. Wir sehen unsre Feinde nicht mehr genau; sie aber können uns beobachten. Darum müssen wir vorsichtig sein. Ich stehe jetzt auf und gehe wieder an den Bäumen hin und her; auch werde ich nach den Schläfern sehen. Finde ich, daß keiner von ihnen wach ist, so werde ich leise husten, und ihr kommt, einer hinter dem andern, nach der Stelle gekrochen, an welcher ich mich befinde. Unter den Bäumen dort wartet mein junger Freund Antonio. Sind wir bei diesem angelangt, so gehen wir, um die Pferde alle zu holen.“

„Ist nicht ein Wächter dort?“ fragte der Häuptling.

„Ja, einer.“

„Den fürchten wir nicht. Ich habe zwar keine Waffe, aber ich erwürge ihn.“

„Du wirst ihn mir überlassen. Hörst du? Ich will euch ganz befreien; ihr sollt nichts dazu thun. Waffen werdet ihr auch haben. Es gibt hier Lanzen, Bogen, Pfeile und Blasrohre genug.“

Da nahm der Weiße zum erstenmal das Wort:

„Was nützen mir Bogen und Pfeile! Ich möchte mein Gewehr, mein gutes Gewehr haben.“

„Wo ist es?“

„Der Häuptling dort hat es bei sich liegen. Er hat es mir abgenommen. Ich hole es mir.“

„Ich kenne dich nicht und weiß nicht, ob du vorsichtig genug sein kannst. Ich werde es selbst holen.“

Da meinte EI Craneo duro:

„Du darfst diesen Señor nicht Du nennen‘ denn er ist Offizier. Auch ist er im Leben der Wildnis erfahren, und ich versichere dich, daß er sehr wohl im stande ist, sich sein Gewehr selbst zu holen.“

„Und die Patronen dazu,“ ergänzte der Weiße, indem er mit den Zähnen knirschte. „Dieser Hund hat mir auch die Uhr und den Kompaß abgenommen. Er soll keinen Nutzen davon haben!“

„Thun Sie, was Ihnen beliebt,“ meinte der Inka; „nur wecken Sie niemand auf!“

„Wird mir nicht einfallen! Ich habe es nur mit einem zu thun, und der wird länger schlafen, als er, da er sich niederlegte, für möglich gehalten hat. Er hat es gewagt, einen Offizier mit Füßen zu treten!“

Der Inka steckte sein Messer wieder zu sich, stand auf und patrouillierte wieder hin und her. Nach einiger Zeit ging er von Feuer zu Feuer und überzeugte sich, daß alle schliefen. Auch zum Häuptling begab er sich. Dieser schnarchte. Er hatte das Gewehr nicht neben sich liegen, sondern zu sich in die Decke gewickelt.

Darauf schritt der Inka wieder nach der andern Seite, stellte sich an dem Rande der Lichtung auf und klatschte leise in die Hand. Infolge dieses Zeichens kamen sie herbeigekrochen, erst der „Harte Schädel“, dann seine vier Cambas und endlich der Offizier. Der Inka deutete auf die in der Erde steckenden Spieße und sagte zu dem Weißen, als die Cambas sich beeilten, zu den Waffen zu gelangen:

„Ihr Gewehr ist leider nicht zu erlangen. Der Häuptling hat dasselbe zu sich in die Ponchos gewickelt.“

„Unsinn! Ich werde es mir nehmen, ohne ihn darum zu bitten.“

Er eilte davon, ehe es möglich war, ihn zurückzuhalten. Ja, dieser Mann mußte, wie der Häuptling gesagt hatte, sich in der Wildnis bewegt haben! Er glitt unhörbar und doch blitzschnell über den Platz hinüber. Man sah, wie er sich auf den Häuptling warf und daß er eine Minute lang auf ihm liegen blieb. Kein Laut war zu hören. Dann erhob er sich wieder und steckte etwas ein. Hierauf kam er ebenso gewandt herüber, sein Gewehr in der Linken und ein bluttriefendes Messer in der Rechten.

„Ich habe alles wieder, was er mir abgenommen hat!“ sagte er grimmig. „Die Büchse, das Messer, die Uhr, die Munition, alles, alles; dieser Mann tritt keinem Offizier wieder mit den Füßen gegen den Leib. Aber nun weiter! Wo geht es jetzt hin?“

Der Inka schritt ihnen voran, unter die Bäume hinein bis zu Anton, welcher alles mit angesehen hatte. Der niedergeschmetterte Abipone hatte sich noch nicht geregt. Man ließ ihn natürlich liegen. Von hier aus wendete man sich den Weg zurück, den Hauka und Anton gekommen waren, bis man die Glocke der Madrina hörte. Da blieb der Inka stehen und sagte:

„Wartet hier, bis ich den andern Wächter unschädlich gemacht habe!“

„Nicht du! Das ist meine Sache,“ entgegnete der „Harte Schädel“.

„Nein, sondern die meinige!“ fiel der Offizier ein. „Diese Hunde wollten mich morgen im See ersäufen. Nun können sie die Leiche ihres Häuptlings hineinwerfen, und den Posten da bei den Pferden will ich ihnen auch noch liefern.“

Hauka wollte das nicht gelten lassen; aber der grimmige Mensch war bei dem letzten Worte auch schon fort. Die andern warteten und lauschten in die Nacht hinein. Es war nichts zu hören, aber nach höchstens zwei Minuten tauchte er wieder vor ihnen auf und berichtete:

„Es ist gut; der Bursche hat kein Wort dazu gesagt. Nun wollen wir uns Pferde nehmen, für jeden eins.“

„Nein,“ antwortete der Inka. „Wir nehmen alle.“

„Alle? Wie ist das zu machen?“

„Es ist doch eine Madrina dabei, welcher sie folgen werden.“

„Qué pensamiento! Das ist wahr! Dieser Knabe ist kein dummer Kerl; das können wir machen. Also jenseits des Sees lagert der Vater Jaguar? Werdet ihr ihn finden?“

„Ja,“ antwortete der Inka.

„So steigst du auf die Madrina, um voranzureiten, und wir andern treiben die ganze Herde hinterdrein.“

Er hatte etwas Rauhes, Befehlendes, was leicht verletzen konnte, in seiner Ausdrucksweise und seinem Tone. Hauka nahm dies schweigend hin, suchte die Madrina auf, löste ihr den Riemen von den Vorderbeinen, stieg auf und ritt langsam voran. Als die andren Pferde bemerkten, daß ihre Führerin sich in Bewegung setzte, folgten sie ihr sofort. Der Offizier und die fünf Cambas sprangen auf die letzten Tiere, um die Tropa (Herde) zu treiben; Anton aber, welcher selbstverständlich auch ein Pferd bestiegen hatte, hielt sich vorn zu dem Inka. Der Offizier wollte ihm nicht gefallen. In dieser Ordnung ging es um den halben See, und zwar nicht ganz auf demselben Wege zurück, welchen die beiden Jünglinge vorwärts eingeschlagen hatten. Diese waren erst mühsam durch den dichten Wald gegangen; er war bei dieser Finsternis für die Pferde unwegsam, darum wurde er umritten, da man auf diese Weise das Lager auch erreichen konnte.

Dort war nicht alles so still geblieben, wie Hauka und Anton es verlassen hatten. Der Vater Jaguar ließ die Posten alle Stunden ablösen und besaß die Angewohnheit, falls er einmal erwachte, einmal nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. So auch heute. Das Zerspringen der Flaschen hatte ihn auf eine jähe Veränderung des Wetters aufmerksam gemacht, und als er sich schlafen legte, war der Himmel schon bewölkt. Die Sorge weckte ihn. Er sah, daß der Himmel ganz schwarz geworden war, und fühlte, daß sich ein eigentümlich scharfer und dabei doch hohler Wind erhoben hatte. Das deutete nach seiner Erfahrung auf einen Orkan, untermischt mit jenen Regenschauern des Gran Chaco, welche so schwer herabfallen, daß sie einen Menschen zu Boden schlagen können.

Was war da zu thun? Hier unter den Bäumen, welche den Blitz anziehen und im Sturme brechen konnten, zu bleiben, war nicht geraten. Aber das Unwetter draußen im offenen Campo oder der ebenso offenen Wüste abzuwarten, das hatte Bedenklichkeiten, welche wenigstens ebenso groß waren. Er rief also die Schläfer wach, um mit ihnen zu beraten, und ließ ein großes Feuer anzünden, damit man sich dabei sehen könne. Da stellte sich denn heraus, daß Anton und der Inka fehlten.

Man rief nach ihnen; aber sie kamen nicht und antworteten nicht. Anton war dem Vater Jaguar anvertraut worden; darum verstand es sich ganz von selbst, daß dieser über das unbegreifliche Verschwinden seines Schützlings in ungewöhnliche Besorgnis geriet. Man stellte allerlei Vermutungen auf, von denen keine sich als stichhaltig erwies, bis der Vater Jaguar auf den sehr natürlichen Gedanken kam, mit Hilfe eines Feuerbrandes nach den Spuren der Vermißten zu suchen. Man wußte ja die Stelle, an welcher sie gelegen hatten.

Ein harziger Ast diente als Fackel. Bei ihrem Scheine entdeckte man, daß die beiden Knaben sich heimlich in den Wald geschlichen hatten. Die Fackel verlöschte, und der Vater Jaguar, Geronimo und Anciano, welche diese Untersuchung vorgenommen hatten, standen im Dunkeln. Sie riefen wiederholt in den Wald hinein, doch ohne eine Antwort zu bekommen.

„Welch eine Unvorsichtigkeit!“ meinte der Vater Jaguar fast zornig. „Ich habe bei unsrer Ankunft gesagt, daß es hier Jaguars geben kann. Wie nun, wenn sie einem solchen in die Klauen fallen! Sie haben ihre Gewehre zurückgelassen, können also gar nicht schießen.“

„Unvorsichtigkeit?“ meinte Anciano. „Hauka ist nicht unvorsichtig. Er weiß stets, was er thut und warum er es thut. Und daß er seine Waffen nicht mitgenommen, beweist nur, daß er sie für überflüssig oder hinderlich gehalten hat.“

„Überflüssig sind sie in einer solchen Nacht niemals,“ bemerkte Geronimo.

„Aber hinderlich,“ fiel Anciano ein. „Hinderlich sind sie beim Gehen durch den Wald, bei einem heimlichen Schleichen an den Feind, bei – –“

„Beim Schleichen an den Feind?“ unterbrach ihn der Vater Jaguar. „Das ist’s, das ist’s! Die verwegenen Knaben wollen ein Abenteuer haben, welches ihnen das Leben kosten kann. Wir müssen sofort aufbrechen, um das zu verhindern.“

„Das Leben kosten? Wieso? Vermuten Sie denn, wo sie sind?“

„Ich vermute es nicht nur, sondern ich weiß es sogar. Schaut einmal da rechts über den See hinüber! Da gibt es eine Art Dämmerschein. Da brennt ein Feuer. Das haben die Knaben gesehen, und in ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit sind sie hinüber, um einmal so zu thun, als ob sie Männer seien.“

„Ja, dort gibt’s ein Feuer,“ stimmte Anciano bei. „Es ist wirklich möglich, daß sie hinüber sind. Aber wenn dies der Fall ist, so brauchen wir uns nicht zu sorgen. Mein Hauka ist außerordentlich vorsichtig. Ich kann ihm vollständig vertrauen.“

„Das weiß ich freilich auch. Er ist erfahrener und vorsichtiger als mancher erwachsene Mann; heute aber hat er Anton mit, für dessen Wohlergehen ich zu haften habe, und – –“

Er hielt inne. Sie hatten während dieses Gedankenaustausches den Lagerplatz wieder erreicht, und soeben ließ sich unweit von demselben ein heftiges Pferdegetrappel vernehmen. Dann sah man zwei Gestalten, welche, aus dem Finstern tretend, sich dem Feuer mit raschen Schritten näherten. Es waren die beiden Vermißten.

„Sie suchen uns? Da sind wir,“ rief Anton mit lachendem Gesichte dem Vater Jaguar entgegen, während der Inka still an die Seite seines Anciano trat, als ob es ihm gar nicht einfalle, sich für die Hauptperson des letzten Ereignisses zu halten.

„Ja, da seid ihr! Gott sei Dank, das sehe ich! Aber wo seid ihr denn gewesen?“

„Drüben bei den Abipones.“

„Bei den Abi – – – ? Es sind also welche da drüben?“

„Ja.“

„Und da habt ihr es gewagt, ohne meine Erlaubnis – – –“

„Sechs Gefangene zu befreien und eine ganze Herde von Pferden zu kapern,“ fiel eine Stimme ein.

Der Vater Jaguar drehte sich um und erblickte den Sprecher, welcher jetzt auch hinzugetreten war. Er trat einen Schritt zurück und rief aus, indem er die Stirn leicht in Falten zog:

„Sie, Lieutenant Verano? Wie kommen Sie an die Zwillingsquelle?“

„Wie ich überall hinkam, wo ich gewesen bin, zu Fuße oder im Sattel, Señor.“

„Sie wissen, daß ich auf meine Frage eine andre Antwort erwartete. Ich will also jetzt lieber eine zweite Frage thun: wohin werden Sie von hieraus gehen?“

„Wieder hinüber zu den Abipones, um sie zu züchtigen. Natürlich begleiten Sie mich mit Ihren Leuten. Es darf keiner von diesen Hunden am Leben bleiben!“

„Sie finden meine Begleitung so sehr natürlich? Ich nicht.“

„Es ist ja selbstverständlich, daß Sie mir beistehen müssen.“

„Selbstverständlich? Müssen? Ich sage Ihnen, daß ich niemals muß. Aber wen haben wir denn noch da?“

Sein Gesicht heiterte sich auf. Er sah den „Harten Schädel“ kommen, welcher schnell auf ihn zutrat, ihm die Hand reichte und in ehrfurchtsvollem Tone, aber schlechtem Spanisch antwortete:

„Ich bin es, Señor. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen. Sie wissen das, ohne daß ich es Ihnen sage. Nun Sie hier sind, brauchen wir uns nicht zu fürchten.“

„Vor wem?“

„Vor den Abipones, welche sich vorbereiten, von allen Seiten auf uns einzudringen.“

„Ich habe etwas Ähnliches gehört und denke, daß es nicht so schlimm werden wird, wie es den Anschein hat. Du warst heute mit Lieutenant Verano zusammen?“

„Ja, Señor, ich und noch vier von meinen Leuten, welche sich jetzt draußen am Walde bei den Pferden befinden, die wir mitgebracht haben. Wir sechs fielen heute früh den Abipones in die Hände, welche uns nach der Zwillingsquelle schleppten, um uns morgen im See zu ersäufen. Haukaropora und der andre Knabe haben uns errettet.“

„Diese beiden? Wie ist – –“

Er hielt mitten in der Frage inne, denn er sah, daß der dunkle Himmel im Süden eine Stelle zeigte, welche eine ganz eigenartige schwefelgelbe Farbe angenommen hatte. Dann fuhr er hastig fort:

„Wie viele Abipones befinden sich da drüben?“

„Sieben- oder achtmal zehn,“ antwortete der Häuptling. „Und gerade so viel Pferde haben wir mitgebracht, denn wir nahmen ihnen alle weg, sie liefen der Madrina nach.“

„Das ist ein Abenteuer, welches ich mir sofort ausführlich erzählen lassen möchte; aber wir haben nicht die Zeit dazu. Häuptling, siehst du im Süden den gelben Strich, und weißt du, was er bedeutet?“

Der Gefragte antwortete:

„Ich habe ihn schon längst gesehen, Señor. Es naht ein Hurrican, welcher die Wälder zerbricht und das Feuer in großen Ballen vom Himmel wirft. Auch die Pferde fühlen es; sie werden unruhig und wollen nicht stehen.“

„Ja, wir befinden uns in Gefahr. Bleiben wir, so können wir von den Bäumen zerschmettert werden; gehen wir fort, so rollt uns der Orkan wie Sandkörner über den Campo. Ich kenne die Gegend nicht. In zwei Stunden wird der Sturm losbrechen. Wir müssen uns also schnell entscheiden.“

„Ich kenne die Gegend, Señor. Wir werden reiten, und wenn wir uns beeilen, werden wir uns noch vor dem Ausbruche des Hurricans in Sicherheit befinden.“

„Wo soll unser Zufluchtsort sein?“

„Im Asiento de la mortandad

„Welch ein schlimmer Name. Ich habe ihn noch nie gehört, weil ich in dieser Gegend noch nicht über die Zwillingsquelle hinausgekommen bin. Doch darüber später. Du glaubst also, daß wir diese Ansiedelung noch vor Ausbruch des Sturmes erreichen?“

„Ja.“

„Und kennst den Weg?“

„Ich war mehr als hundertmal dort, und auch meine Leute kennen ihn.“

„Ob ihr ihn aber in dieser Dunkelheit finden werdet?“

„Wir verfehlen die Richtung nicht, Señor. Sie wissen ja auch, daß es nicht mehr lange so finster bleiben wird, wie es jetzt ist. Der Himmel wird voll Feuer werden.“

„Das ist wahr. Rüsten wir also zum schleunigen Aufbruche. Nehmt besonders die Gewehre in acht, daß sie nicht leiden!“

Nach diesen Worten ließ er sich von dem „Harten Schädel“ hinaus zu den erbeuteten Pferden führen, welche von den vier Cambas kaum zusammengehalten werden konnten, da sie die Annäherung des Unwetters spürten.

So viele Pferde bekommen zu haben, war eigentlich ein Vorteil, welcher später sehr günstig in die Wagschale fallen konnte; in diesem Augenblicke aber hätte der Vater Jaguar lieber auf denselben verzichtet. Sie waren zwar aufgezäumt, aber nicht gesattelt; man konnte sie also nicht mit den Gegenständen beladen, die man mit sich schleppen mußte. Darum entschied er kurz:

„Wir nehmen sie mit, geben uns aber keine Mühe mit ihnen. Laufen sie gutwillig, kann es uns lieb sein; wo aber nicht, so mögen sie thun, was sie wollen.“

Sechs von ihnen wurden von den Cambas und dem Lieutenant Verano bestiegen, und diese Männer erklärten sich bereit, jeder noch zwei an den Zügeln nebenher zu führen. Als der letztere die Gewehre bemerkte, welche die Leute des Vaters Jaguar aufgeladen hatten, fragte er, woher dieselben seien.

„Wir haben sie ausgegraben,“ antwortete Geronimo.

„Wo?“

„Unterwegs, an verschiedenen Orten.“

„Tiempo tonitroso! So sind es die, welche ich suche! Ich konfisziere sie!“

„Aus welchem Grunde?“

„Sie gehören uns. Sie sind aus dem Zeughause gestohlen worden.“

„Wirklich? Das klingt wie ein Kindermärchen. Erzählen Sie es dem Vater Jaguar; der wird Ihnen die Antwort geben, welche ich doch lieber unausgesprochen lassen will.“

„Glauben Sie meinen Worten etwa nicht, Señor?“

„Ich glaube alles, was ich sehe. Bringen Sie mir das Zeughaus und die Spitzbuben hierher, so werde ich sehen, was ich zu denken habe. Übrigens haben wir jetzt auf andres zu achten. Horchen Sie da hinüber!“

Er deutete mit der Hand in der Richtung über den See. Dort war jetzt ein durchdringendes Geheul zu hören. Die Abipones hatten ihren Toten und den Verlust ihrer Pferde entdeckt. Der Vater Jaguar konnte nicht auf sie achten, denn die Gefahr drängte. Er ließ das Feuer auslöschen, und dann wurde der nächtliche Ritt mit den fünf Cambas an der Spitze begonnen.

Es zeigte sich im Verlaufe desselben, daß sie des Weges vollständig kundig waren. Sie hielten genau nach Norden zu, wo der Vater Jaguar eine weite, ununterbrochene Wüste zu finden gedacht hätte. Man ritt nicht Galopp, sondern in vollstem Laufe, und brauchte sich um die ledigen Pferde der Abipones gar nicht mehr zu bekümmern, denn sie kamen freiwillig mit. Ihr Instinkt sagte ihnen, daß das Wetter aus Süden drohe und die Rettung also im Norden zu suchen sei.

Als man nach einer halben Stunde, um die Pferde nicht zu sehr anzugreifen, eine etwas langsamere Gangart einhielt, war der gelbe Streifen am südlichen Himmel schon bedeutend breiter geworden; sein unterer, breiter Teil begann rot zu flammen. Die Folge davon war, daß die Dunkelheit der Nacht weniger tief war als ‚ vorher. Nach Verlauf von abermals einer halben Stunde hatte der gelbe Streifen mit seiner Basis die ganze Breite des südlichen Horizontes eingenommen und bildete mit seiner bis an den Zenith reichenden Spitze ein Dreieck, in dessen Mittelpunkte sich ein dunkler Fleck zeigte. Dieses Dreieck war so hell, daß unten eine Art von Dämmerung entstand, bei welcher man mehrere hundert Schritte weit ziemlich deutlich sehen konnte.

„Das ist das Loch, aus welchem der Sturm kommen wird,“ sagte der Vater Jaguar, indem er auf den dunklen Fleck deutete, zu Doktor Morgenstern, der mit Fritze ihm zur Seite ritt.

„Wird er gefährlich werden?“ antwortete der Genannte.

„Ob für uns, das kann ich nicht wissen; aber Schaden anrichten wird er sicherlich. So ein Orkan türmt die Wogen bergeshoch auf, reißt große Lücken in die dichtesten Wälder und wirft die festesten Häuser ein.“

„Und da wollen wir uns vor ihm in eine Ansiedelung, also in Häuser, flüchten? Daß sich Gott erbarm! Er wird sie uns über dem Kopf zusammenstürzen, und wir werden unter den Trümmern unsern unvermeidlichen Untergang, lateinisch Exitium genannt, finden.“

„Eigentlich sollte man das freilich denken; aber ich verlasse mich auf den Häuptling, welcher nicht nur die Gewalt des Orkanes, sondern auch die Verhältnisse unsres Zufluchtsortes kennt.“

„Wat können uns die Verhältnisse nützen, wenn sie vom Sturm umjeworfen werden,“ meinte Fritze. „Ik habe schon manchen Pampero mit erlebt; aber so ein Hurrican soll noch wat janz andres sind. Ik jebe in diesem Augenblick vor mein Leben keinen roten Pfifferling. Sehen Sie Ihnen doch mal dat Himmelsjewölbe an! Ist dat noch Himmel zu nennen? Nein, wie die reine Hölle sieht es aus. Allen Respekt vor ein schönes Firmament; aber wenn es sich mit Kupferrot und Schwefeljelb überzieht, so kann’s mich bange werden. lk habe auch kein Vertrauen zu die Ansiedelung. Ansiedelung von die Niedermetzelung! Wat haben wir dort zu erwarten? Wat Besseres wohl nicht!“

Es war gar kein Wunder, daß selbst Fritze ein Grauen verspürte, der komische Kauz, welcher sich sonst nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Der Himmel sah jetzt wirklich höllisch aus. Das Dreieck wuchs immer weiter nach Norden und wurde an seiner Grundfläche breiter und breiter. Dieselbe nahm, als man anderthalb Stunden geritten war, schon die Hälfte des Horizontes ein.

Bei dem jetzt herrschenden Dämmerscheine war zu sehen, daß der Ritt über eine mit kurzem Grase bewachsene Fläche ging, welche sich hier und da zu niedrigen Hügeln erhob. Diese wurden nach und nach häufiger und höher. Meist waren sie von sanft abgerundeter Gestalt, doch kam man auch an einigen vorüber, welche schroffe Felsenbildung zeigten.

„Das beruhigt mich,“ sagte der Vater Jaguar. „Den besten Schutz können wir an der Nordseite eines festen Felsens finden. Und da ein jeder, der sich hier niederläßt, mit den Verhältnissen des Landes, also auch mit den verheerenden Stürmen zu rechnen hat, so steht zu erwarten, daß die Ansiedelung, welcher wir entgegeneilen, an einer so geschützten Stelle angelegt worden ist.“

Es sollte sich bald zeigen, daß er ganz richtig vermutet hatte. Man gelangte zwischen Hügeln hindurch in ein breites Thal, welches auf der südlichen Seite von einer hohen Felsenmauer und auf der nördlichen von sanften, bewaldeten Höhen eingefaßt wurde. Auf der Sohle desselben wuchs niedriges Gebüsch und reiches Gras, und in der Nähe der Felsen standen sechs einzelne Gebäude, welche die frühere Niederlassung gebildet hatten.

Solche Ansiedelungen hat es im Gran Chaco früher viele gegeben. Man stößt noch heutigen Tages auf die Trümmer derselben. Die Weißen kamen in das Land der Roten, setzten sich in demselben fest und benahmen sich als rechtmäßige Eigentümer, ohne an die Zahlung eines Kaufpreises oder an sonst eine Entschädigung zu denken. Sie suchten sich natürlich die besten, schönsten und fruchtbarsten Stellen aus und schossen jeden Roten, der es wagen wollte, ihnen ihr angemaßtes Recht streitig zu machen, einfach nieder. Da aber der Nachschub ausblieb, so waren solche einzelnen Ansiedler doch zu schwach, sich längere Zeit oder gar für immer gegen die zahlreicheren Indianer zu halten, und so zogen sie sich entweder noch rechtzeitig zurück oder wurden, wenn sie hartnäckig auf der geraubten Scholle sitzen blieben, ausgerottet. Das angebaute Land verwilderte wieder. Der Wind wehte die Pflanzensamen in die Gebäude; die Keime entwickelten sich zu Sträuchern und Bäumen, welche die Mauern und Dächer sprengten. Schlinggewächse krallten sich an den Ziegeln und Balken fest und überzogen sie mit einer dicken, feuchten Blätterdecke, unter welcher sie vermoderten und nach und nach in Staub zerfielen.

In dieser Weise ruinenhaft lag die „Ansiedelung der Niedermetzelung“ nun freilich nicht da. Sie war von neuerem Datum und außergewöhnlich gut erhalten. Die Wände der Gebäude bestanden nicht aus dem hier gewöhnlichen Materiale, sondern aus festen Holzstämmen, welche tief in die Erde gerammt worden waren. Die Dächer waren aus dicken Schilflagen zusammengesetzt, welche von Bastseilen von bedeutender Stärke getragen wurden. Diese Seile hatten ebenso wie das Schilf der Witterung widerstanden. Infolge ihrer Elastizität gaben sie jedem Windstoße nach, so daß selbst der wildeste Orkan, welchem kein Dach widerstanden hätte, ihnen nichts anzuhaben vermocht hatte. Die Plankenwände hatten dieselbe Widerstandsfähigkeit gezeigt. Sie waren zwar auch reich mit Schlinggewächsen und andern Pflanzen überwuchert, von ihnen aber nicht zerstört, ja kaum angegriffen worden, vielmehr hatten diese eine lebendige, dicke Schutzmauer gebildet, durch welche kein Wind und Regen zu dringen vermochte. Fenster gab es nicht, und die Eingänge waren nicht mit Thüren versehen. Vor und zwischen diesen Gebäuden standen Sträucher, aus denen sich uralte Bäume erhoben. Diese hatten manchen Sturm erlebt, wie die am Boden liegenden starken Äste bewiesen, welche abgerissen worden und dann verdorrt waren.

Als die Reiter um die Felsenecke bogen und die sechs Gebäude liegen sahen, rief der Häuptling der Cambas, ihr Führer, aus:

„Wir sind an Ort und Stelle, Señores. Laßt die Pferde laufen, und dann schnell unter die Dächer; der Hurrican kann uns dort nichts anhaben!“

„Nein, nicht so!“ widersprach der Vater Jaguar. „Wer sich vor Schaden bewahren will, der höre auf mich! Haltet hier beim ersten Hause an! Ich kehre gleich zurück.“

Er galoppierte an den Gebäuden hin und dann wieder her, um mit dem Auge ihre Länge und Tiefe zu messen und daraus zu berechnen, wie viele Personen oder Pferde ein jedes aufnehmen könne. Dann fuhr er fort:

„Die Pferde dürfen wir nicht freilassen: sie würden im Orkan davonlaufen. Sie müssen mit in die Häuser. Diese aber müssen erst gereinigt werden.“

„Wovon denn?“ fragte Lieutenant Verano.

„Das können Sie sich nicht denken? Sie sollen es sogleich sehen.“

Er beorderte hinter jedes Gebäude einige seiner Leute und gab ihnen den Auftrag, dort zu schreien, zu lärmen und mehrere Schüsse abzugeben. Als dieser Befehl ausgeführt wurde, sah man, was der Vater Jaguar mit dieser Reinigung gemeint hatte. Der Dämmerschein war hell genug, um allerlei Getier erkennen zu lassen, welches durch das Lärmen und Schießen aufgeschreckt worden war und nun aus den Thüröffnungen hervorgeschossen kam; sogar ein Puma war dabei.

„Nun sind höchstens noch Schlangen darin, vor denen wir uns zu hüten haben,“ bemerkte der umsichtige Anführer. „Treibt zunächst die Pferde in die vier nächsten Gebäude! In den zwei andern finden dann wir Unterkunft. Nachher das dürre Holz gesammelt, damit wir Feuer machen können; aber schnell, denn das Unwetter scheint losbrechen zu wollen!“

Starke Windstöße begannen durch das Thal zu pfeifen; sie brachten große, schwere, jetzt noch vereinzelte Wassertropfen mit sich. Die Männer waren fieberhaft thätig; in kaum zehn Minuten waren die Befehle Hammers ausgeführt. Die Pferde, welche sogar noch abgesattelt worden waren, standen in den Räumen, und diejenigen Männer, welche bei ihnen waren, um sie zu beaufsichtigen, brannten Feuer im Innern in der Nähe der Thüren an. Feuer brannten auch in den zwei Gebäuden, welche zur Aufnahme der übrigen Personen bestimmt waren. Dort hinein war auch alles Gepäck geschafft worden, welches die Schar bei sich geführt hatte. Aber es war die höchste Zeit gewesen, daß man damit zu stande gekommen war, denn jetzt brach das Wetter, als ob es nur darauf gewartet hätte, mit einer Gewalt los, welche aller Beschreibung spottete.

Der vorher gelbhelle Himmel hatte sich mit einem Schlage schwarz gefärbt; ein Ächzen, Stöhnen, Dröhnen und Heulen wie von tausend Teufeln ging durch das Thal; der Orkan war da; die Gebäude zitterten unter seiner Gewalt; sie schienen sich zu biegen, wurden aber durch ihre Elastizität gehalten, und dann that es plötzlich einen Krach, als ob ein Berg eingestürzt sei. Das war der Regen, welcher mit einem Male, und zwar nicht in Tropfen, sondern in geschlossener Masse wie ein See herniederstürzte.

Dieser Regen ergoß sich mit dem Getöse eines großen Wasserfalles, wurde aber dennoch von der Stärke der Donnerschläge übertönt. Blitze zuckten durch die tiefdunkle Nacht oder vielmehr durch den Regensee, und auch das Wort Blitze ist nicht der richtige Ausdruck, denn es waren Feuerflammen, welche aus der Erde aufzuckten, und Feuerklumpen, welche aus den Wolken niederfielen. So ging es Schlag auf Schlag, Krach auf Krach, Feuerball auf Feuerball, eine ganze Stunde lang und auch noch eine zweite. Es war ganz unmöglich, sich zu unterhalten, denn niemand konnte sein eigenes Wort verstehen. Die Männer saßen still am Boden, welcher aus festgestampfter Erde bestand, und konnten sich nur durch Pantomimen die nötigen Mitteilungen machen.

Noch schlimmer aber waren diejenigen daran, welche sich bei den Pferden befanden. Die Tiere hatten natürlich nicht angebunden werden können; soweit die vorhandenen Riemen, Stricke und Schnuren zureichten, hatte man ihnen die Beine gefesselt; aber dies war nicht bei allen geschehen, und so gab es außer dem Schnauben und Wiehern ein Stampfen, Schütteln und Umsichschlagen, welches ganz wohl lebensgefährlich genannt werden konnte.

Jetzt gab es noch einen entsetzlichen Donnerschlag, den stärksten von allen, aber auch den letzten; Himmel und Erde schienen nicht nur in Flammen zu stehen, sondern ein einziges Feuermeer zu bilden; dann trat eine Stille ein, welche so plötzlich kam, daß sie geradezu unheimlich wirkte. Keiner wagte ein Wort zu sagen; die meisten glaubten, daß der Aufruhr der Elemente nur einen Augenblick ausgesetzt habe, um sofort wieder zu beginnen; dem war aber nicht so. Der Vater Jaguar stand von dem Platze auf, an welchem er gesessen hatte, ging an dem Feuer vorüber nach der Thür, sah hinaus, wo die Wasser wie ein einziger, thalbreiter Fluß vorüberrauschten, und meldete dann:

„Es ist vorüber. Der Himmel steht voller Sterne. Gott sei Dank!“

„Ja, Gott sei Lob und Dank!“ seufzte Doktor Morgenstern erleichtert auf, indem er sich mit beiden Händen über das todesbleiche Gesicht wischte. „So etwas habe ich doch noch nicht erlebt. Ich habe eine Angst ausgestanden, welche gar nicht zu beschreiben ist. Da war doch jeder Donnerschlag ein Gebrüll, lateinisch Rugitus oder auch Mugitus geheißen, und jeder Blitz eine Feuersbrunst, Incendium, welche alles zu verzehren drohte!“

„Ja, dat ist wahr,“ stimmte Fritze bei. „Mir wundert es nur, daß wir nicht erschlagen worden sind, da wir bei dat Wetterleuchten und die vielen Blitze auch noch sechs Feuer jebrannt haben!“

„Allerdings! Die Wissenschaft hat bewiesen, daß der Blitz vom Feuer angezogen wird. Es ist ein wahres Wunder, daß es hier nicht eingeschlagen hat.“

„Das war nicht wohl zu befürchten, da der Wald da droben ein sehr guter Blitzableiter war,“ bemerkte der Vater Jaguar. „Nun aber will ich sogleich einmal nach den Pferden sehen, ob sie sich beschädigt haben.“

Er ging hinaus und hatte bis an die Knie im Wasser zu waten, wo es vorher ganz trocken gewesen war. Die Tiere ließen zwar noch Zeichen von Unruhe sehen, standen aber still an ihren Plätzen. Nennenswerte Beschädigungen waren nicht zu bemerken. Einen so guten Ausgang hatte man kaum erhoffen dürfen.

Als er von dieser Besichtigung zurückkehrte, stand Lieutenant Verano gerade im Begriff, sein Abenteuer zu erzählen. Als dieser Hammer kommen sah, wendete er sich ihm mit den Worten zu:

„Sie kommen gerade recht, Señor, um zu hören, welche Ansprüche ich an die Gewehre habe, welche Sie sich angeeignet haben.“

„Angeeignet? Daß ich nicht wüßte! Ich habe sie in einstweilige Verwahrung genommen,“ antwortete der Deutsche in sehr zurückhaltender Weise.

„Mit welchem Rechte, wenn ich fragen darf?“

„Sie sagen ganz richtig: wenn ich fragen darf. Welches Recht haben Sie, mich zu fragen?“

„Ich bin der Beauftragte des Generals Mitre.“

„Das würde ich gelten lassen, falls Sie es beweisen könnten.“

„Welche Beweise verlangen Sie?“

„Eine schriftliche Vollmacht.“

„Welche Zumutung! Meinen Sie, daß man solche Schriftstücke mit sich im Gran Chaco herumschleppt?“

„Das ist allerdings notwendig, wenn man als Bevollmächtigter anerkannt werden will.“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Señor. Das wird doch hoffentlich genügen,“ fuhr Verano zornig auf. „Oder etwa nicht, dann – – –“

Er machte mit der Hand eine drohende Bewegung nach dem Messer.

„Lassen Sie das Ding stecken! Wer mir die Klinge zeigt, bekommt meine Faust zu fühlen. Ich erkläre Ihnen ganz gern, daß mir Ihr Ehrenwort genügt, denn Sie sind zwar ein höchst gewaltthätiger Mann, aber daß Sie sich einer ehrenrührigen Handlung schuldig gemacht hätten, das habe ich noch nicht gehört.“

„So sind wir also einig?“

„Ja und auch nein. Verstehen Sie mich nur richtig. Zu glauben, daß Sie der Bevollmächtigte des Generals sind, dazu genügt mir Ihr Ehrenwort allerdings. Welche Vollmacht aber haben Sie erhalten?“

„Nach den abhanden gekommenen Gewehren zu forschen.“

„Sind sie gestohlen worden?“

„Ja.“

„Nun, und wenn Sie den Dieb entdecken?“

„So habe ich Bericht zu erstatten.“

„Und dann?“

„Dann – –? Nun, dann wird der General das weitere verfügen.“

„Schön! jetzt sind wir freilich einig. Sie haben nach gestohlenen Gewehren zu forschen, im Entdeckungsfalle Bericht zu erstatten, und dann das weitere abzuwarten. Ich habe Gewehre gefunden; ob diese aber diejenigen sind, welche – –“

„Bitte, Señor!“, unterbrach ihn der Lieutenant, „sie sind es. Während Sie jetzt fort waren, habe ich mir eine Anzahl derselben angesehen. Es sind dieselben, welche heimlich aus dem Zeughause fortgeschafft worden sind. Der General hat selbst den Verlust entdeckt und sofort, ohne daß jemand davon erfuhr, die eingehendsten Nachforschungen anstellen lassen. Was sich ergab, mußte überraschen. Höchst wahrscheinlich hat der Zeugmeister sich bestechen lassen. Er gab mehrere hundert Gewehre nebst reichlicher Munition in die Hände von Leuten, welche einen Aufruhr planen. Wer an ihrer Spitze steht, war noch nicht zu erfahren; gewiß aber ist, daß der Stierfechter Antonio Perillo dabei die Hand im Spiele hat. Dieser Mann ist kurz nach dem Diebstahle, also vor einigen Monaten, mit Arbeitern und Werkzeugen und Waffen nebst Schießbedarf über den Rio Salado gegangen und später nur mit den Arbeitern und Werkzeugen zurückgekehrt. Er hat die Waffen nicht verkauft oder verteilt, sondern vergraben. Wozu hätte er sonst Spaten und Schaufeln mitgenommen? Man wollte und mußte erfahren, wo dies geschehen ist.

Und da ich den Chaco kenne und zugleich Offizier bin, wurde mir der Auftrag, auch über den Salado zu gehen, um nachzuforschen. Die Abipones sind gegenwärtig regierungsfeindlich gesinnt; an sie durfte ich mich also nicht wenden; ich suchte also die Cambas auf und traf den Häuptling mit vier Kriegern, von denen der eine zur angegebenen Zeit weiße Männer an der Zwillingsquelle gesehen hatte. EI Craneo duro war sofort bereit, mit mir nach diesem Orte zu reiten. Unterwegs trafen wir auf eine Schar von über achtzig Abipones, welche, wie mir der Häuptling sagte, vom Palmensee zu kommen schienen. Sie behandelten uns feindlich; ich wehrte mich und schoß einige von ihnen tot, wurde aber mit meinen Begleitern überwältigt, entwaffnet, ausgeraubt und nach der Quelle geschafft, wo wir heute früh ertränkt werden sollten. Diese beiden Knaben hier haben uns gerettet. Ich hörte, wo Sie die Waffen gefunden haben, und da dieselben unbedingt die gesuchten sind, bin ich überzeugt, daß Sie mir dieselben ausliefern werden.“

„Nein, Señor, das werde ich nun doch nicht thun. Berichten Sie an den General; was dieser dann bestimmt, das wird geschehen. Zunächst könnten Sie weder die Gewehre noch die Munition verwerten; ich aber brauche sie höchst notwendig.“

„Wozu?“

„Um die Cambas zu bewaffnen und mit ihrer Hilfe die Feinde des Generals zu schlagen. Ich weiß nämlich mehr als Sie wissen, und werde es Ihnen mitteilen.“

Er erzählte ihm das bisher Erlebte. Als er das gethan hatte, war der zwar rohe und gewaltthätige, aber höchst patriotische Offizier mit Freuden bereit, auf seine Forderung zu verzichten. Er bat, sich der Schar anschließen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde, doch unter der Bedingung, daß er sich dem Vater Jaguar unterzuordnen habe.

Als dies erledigt war, wollte Hammer die Heldenthat der beiden Jünglinge kennen lernen. Haukaropora weigerte sich in seiner Bescheidenheit, zu erzählen, folglich mußte Anton Engelhardt den Bericht erstatten. Er that dies in der Weise, daß die Klugheit, die Umsicht und die Tapferkeit des Inka vollständig zur Geltung kamen. Er wurde nicht nur belobt, sondern sogar bewundert, doch bat ihn der Vater Jaguar, ein andres Mal erst ihn um Rat zu fragen. Der Offizier aber bekam einen Verweis dafür, daß er zwei Menschen ohne Not getötet hatte. Während man die Heldenthat der beiden jungen Freunde noch besprach, zog der alte Anciano seinen Zögling auf die Seite, umarmte ihn und sagte, unbedachtsamerweise in spanischer Sprache:

„Du bist ein Held und hast gezeigt, was du bist, el Hijo del Inka!“

Hammer stand nahe dabei, hörte diese Worte und sagte im stillen zu sich:

„Ah! Also hat meine Ahnung mich nicht getäuscht. Das Dunkel wird schon heller. Er ist ein Nachkomme der alten Herrscher von Peru – – el Hijo del Inka, der Sohn des Inka!“

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In Der Mordschlucht

In der Mordschlucht

Salta, oder wie die argentinische Stadt vollständig heißt, San Miquel de Salta, liegt in einer, von mehreren Bergwässern durchflossenen Ebene des Thales von Lerma, ist ziemlich gut bevölkert und treibt einen lebhaften Speditionshandel nach Bolivia. Einer der bedeutendsten Spediteure der Stadt war Señor Rodrigo Sereno, dessen Etablissement vor dem nördlichen Thore von Salta lag und vielleicht noch heute liegt. Es bestand aus weiten Stallungen und Lagerhäusern, vor denen gerade an der Straße das langgestreckte Hauptgebäude lag, dessen eine Seite die Wohnung des Besitzers und seiner Familie bildete, während die andre Seite dem öffentlichen Verkehre und vornehmlich der Aufnahme von Reisenden und andern Gästen diente.

Es war am späten Abende. Die Stadtbesucher hatten das Lokal schon verlassen, und die fremden Gäste waren schlafen gegangen. Señor Rodrigo saß allein in der Stube und zählte das Geld, welches er heute eingenommen hatte. Da ließen sich draußen nähernde Schritte hören. Sofort warf er ein Tuch über das Geld und stand auf, um den Tisch zu verlassen, damit man nicht bemerke, wo und womit er beschäftigt gewesen war. Man kann in jenen Gegenden nicht vorsichtig genug sein. Sein Gesicht nahm einen zuwartenden, zurückhaltenden Ausdruck an. Da wurde die Thür geöffnet, und es traten zwei Männer ein, bei deren Anblick sein Gesicht sich augenblicklich wieder aufhellte.

„Buenas tardes – guten Abend!“ grüßten sie und reichten ihm die Hände, die er ihnen, ihren Gruß erwidernd, kräftig schüttelte. Es war der Gambusino und sein Gefährte Antonio Perillo.

Der erstere ließ sein Auge forschend durch die Stube schweifen, blieb mit dem Blicke an dem Tische und dem Tuche hängen, ging hin, hob dasselbe auf und fragte lachend:

„Geld gezählt und vor uns versteckt, Señor Rodrigo? Seit wann haltet Ihr mich für einen Menschen, dem man nicht trauen kann?“

„Redet nicht,“ antwortete der Wirt, „ihr wißt doch nur zu gut, daß ihr nicht gemeint seid. Als ich Schritte hörte, wußte ich nicht, wer eintreten werde. Seid willkommen; setzt euch, und befehlt, was ich euch bringen soll!“

„Zu essen, was Ihr habt, und zwei Flaschen Wein. Dann macht uns so viel Proviant zusammen, wie zwei Männer brauchen, welche über eine Woche in die Berge wollen, ohne zu wissen, ob sie sich von der Jagd ernähren können.“

Der Wirt verschwand und kehrte bald mit dem Essen und dem Weine zurück. Dann ging er wieder und brachte nach kurzer Zeit einen Korb, welcher mit allerlei haltbaren Eßwaren gefüllt war. Er schien auf die Verproviantierung solcher Leute eingerichtet zu sein. Nun setzte er sich zu ihnen, welche wortlos aßen und tranken, und sah zu, wie es ihnen schmeckte. Aber er war kein Freund von langem Schweigen; darum fragte er schon nach einer kleinen Weile:

„Woher, Señores?“

„Aus Tucuman,“ antwortete der Gambusino.

„Mit der Diligence?“

„Ja. Soeben erst angekommen.“

„Ihr werdet heut bei mir bleiben?“

„Nur die halbe Nacht, dann reiten wir weiter.“

„Seid ihr denn beritten?“

„Nein; aber wir denken, daß Ihr zwei gute Maultiere für uns haben werdet.“

„Das versteht sich. Für Señores, wie ihr seid, habe ich stets das Nötige bereit.“

„Wie teuer das Stück?“

„Ihr zahlt nicht mehr als zwanzig Bolivianos.“

Das waren achtzig Mark für ein gutes, starkes, fußsicheres und schwindelfreies Maultier, gewiß ein sehr niedriger Preis.

„Aber wenn wir nun kein Geld haben?“ lachte ihm der Gambusino in das Gesicht.

„So ist es auch nicht anders, als wenn ihr welches hättet. Ihr seid mir noch nie etwas schuldig geblieben.“

„Gut! Wir zahlen also, wenn wir wiederkommen. Sorgt für ein gutes Lager, denn die Diligence hat uns arg zusammengeschüttelt, und sagt uns vor allen Dingen noch, wo die Mojosindianer jetzt zu treffen sind!“

„Wollt ihr zu diesen? Verwegene und unternehmende Kerls! Möchte mich ihnen aber nicht anvertrauen.“

„Weil sie Euch nicht kennen; ich aber bin befreundet mit ihnen.“

„Ihr werdet sie in der Gegend des Guanacothales finden, wo sie gegenwärtig jagen.“

„Das ist mir unlieb, denn ich muß dabei Zeit versäumen, weil ich nach einer andern Richtung wollte.“

„Wohin?“

„In die Berge. Das möge Euch genügen. Ihr bekommt Euer Geld, auch ohne daß Ihr wißt, wohin wir reiten.“

„Das weiß ich. Verzeihung, Señores, ich wollte nicht zudringlich sein.“

Damit war die kurze Unterhaltung zu Ende. Die Gäste aßen ihre Portionen auf und legten sich dann in einer Ecke nieder, wo er ihnen aus Decken und weichen Fellen ein Lager bereitet hatte. Er zählte sein Geld vollends, schob es klirrend in die tiefe Tasche und verschwand dann durch die Thür, um sich auch niederzulegen. Es war dunkel in der Stube geworden. Die Schläfer schnarchten; eine halbe Stunde nach der andern verging; es wurde Mitternacht und dann ein Uhr. Da trat der Wirt wieder ein, mit dem Lichte in der Hand; er ging zu den beiden Schlafenden und weckte sie:

„Señores, erwacht! Die Zeit des Aufbruches ist gekommen.“

Sie standen auf, bekamen jeder eine kleine Kalabasse Mate zu trinken und einen warmen Brotkuchen zu essen. Dann ließen sie sich vom Wirte in den Hof führen, in welchem die beiden Maultiere standen. Sie waren trefflich aufgeschirrt und in den Satteltaschen steckte der Proviant, welchen der Gambusino bestellt hatte. Der Wirt beleuchtete die Tiere von allen Seiten und fragte dann:

„Seid ihr zufrieden, Señores? Das Geschirrzeug leihe ich euch. Ihr könnt es mir wiederbringen, sobald es euch paßt.“

„Die Tiere sind gut, Señor Rodrigo,“ antwortete der Gambusino. „Das Riemenzeug bringen wir nach einer Woche, höchstens einige Tage später zurück. Lebt wohl!“

„Lebt wohl! habt eine glückliche Reise!“

Sie ritten davon, und Sereno sah ihnen mit einer Miene nach, als ob er ein sehr gutes Geschäft gemacht habe. Er hatte dem Gambusino schon oft Pferde oder Maultiere, auch Geld und andres geborgt und den Betrag immer mit guten Zinsen zurückerhalten. Als der Hufschlag in der Stille der Nacht verhallt war, ging er wieder schlafen.

Am nächsten Abende war es fast genau so, wie am vorhergehenden, nur daß sich mehr als nur zwei Gäste einstellten. Sereno hatte eben sein Geld gezählt und eingeschlossen, so hörte er die Fußtritte vieler Menschen vor der Thür. Diese wurde geöffnet, und es traten sechsundzwanzig wohlbewaffnete Männer ein, welche alle vom Kopfe bis zu den Füßen ganz gegen Landessitte in Leder gekleidet waren und breitkrempige Hüte trugen. Nur zwei von ihnen hatten keine Hüte. Sie gingen barhäuptig und hatten ihr Haar sehr lang über dem Rücken hinabhängen. Ihren Gesichtszügen nach schienen sie Indianer zu sein. Der eine war jung; der andre aber schien ungewöhnlich alt zu sein.

Die andern waren Weiße von ausnahmslos kräftiger Gestalt. Der Wirt erinnerte sich, diesen oder jenen von ihnen schon einmal gesehen zu haben, konnte sich aber nicht besinnen, wann und wo. Der Stärkste und Längste von ihnen hatte weißes Kopf- und Barthaar und schien von den andern als Anführer respektiert zu werden. Sie machten den Eindruck von Männern, welche zu leben verstehen, Niemanden ohne Grund beleidigen, aber selbst auch für jede Beleidigung sofort einen Messerstich oder eine Kugel haben.

Trotz der großen Zahl der Gäste verursachten sie bei ihrem Eintritte und Ablegen ihrer Waffen nicht den geringsten Lärm; dann schoben sie sich zwei Tische und die dazu nötigen Stühle zusammen und setzten sich. Hierauf sagte der riesige Weiße, mehr höflich bittend als befehlend:

„Señor Rodrigo, geben Sie uns Wein, für je zwei Mann eine Flasche!“

Der Wirt verbeugte sich höflichst bei dieser Bestellung, welche ihm etwas zu verdienen gab, doch mehr aus wirklichem Respekt, den ihm der Besteller einflößte, als aus Eigennutz, und antwortete dabei:

„Sie kennen meinen Namen, Señor. Sollten wir uns vielleicht schon einmal gesehen haben?“

„Ich erinnere mich nicht, doch pflege ich mich nach dem Namen der Leute, bei denen ich einkehre, vorher zu erkundigen.“

„Dann darf ich wohl auch nach dem Ihrigen fragen, damit ich weiß, wie ich Sie zu nennen habe?“

„Ich heiße Hammer, doch verlange ich nicht, daß Sie mich bei diesem Namen nennen.“

Das war so stolz und abweisend gesagt, daß der Wirt schnell hinter der Thür verschwand, um den bestellten Wein zu bringen. Als er dann diesen und die Gläser auf den Tisch gesetzt hatte, fragte der Weiße:

„Können wir binnen einer Stunde gut gebratenen Asado con cuero bekommen?“

„So viel Sie wollen, Señor.“

„Nur so viel, wie sechsundzwanzig hungrige Männer essen können. Und dann lassen Sie Ihre Maultiere in den Hof, denn wir werden sie uns ansehen, um sechsundzwanzig Stück zu kaufen.“

Sechsundzwanzig Stück! Und zwar sofort bezahlen, ganz sicher nicht borgen! Dazu sechsundzwanzig Braten in der Haut und dreizehn Flaschen Wein. Welch ein Geschäft! Rodrigo Sereno duckte sich vor Hochachtung zusammen, daß es aussah, als ob er eine halbe Elle kleiner geworden sei. Dann fuhr er hinaus in die Küche und weckte sein ganzes Personal, damit der Braten so schnell wie möglich fertig werde und es die Maultiere so blank putze, daß nicht ein Stäubchen mehr an ihnen hafte. Dann kehrte er in die Gaststube zurück, um, in der Nähe der zusammengeschobenen Tische sitzend, der Winke seiner Gäste gewärtig zu sein.

Sie saßen nachdenklich und schweigend, und keiner sprach ein Wort. Das konnte der neugierige und mitteilsame Rodrigo auf die Länge der Zeit nicht aushalten. Er fuhr in immer wachsender Ungeduld auf seinem Stuhle hin und her und fragte endlich, freilich in höflichstem Tone, dessen seine Stimmwerkzeuge fähig waren:

„Señores, es ist sicher, daß Sie hier in Salta fremd sind, denn sonst müßte ich Sie kennen. Darf ich vielleicht erfahren, woher Sie heute kommen?“

„Von Tucuman,“ antwortete der Weiße kurz.

„Aber doch nicht mit der Diligence?“

„Nein,“ antwortete der Weiße noch kürzer.

Es war ihm anzusehen und anzuhören, daß er keine weitere Frage hören wollte; aber der Wirt mochte um keinen Preis das nun einmal begonnene Gespräch fallen lassen. Er wünschte etwas, wenn auch nicht viel, über diese Señores zu erfahren; darum machte er, ja keine Frage mehr aussprechend, die Bemerkung:

„Ja, der Ankunftstag der Diligence ist gestern gewesen. Es kehrten bei mir zwei Señores ein, welche mit ihr gefahren waren, zwei bekannte und sehr berühmte Señores. Sie würden sich wundern, wenn Sie ihre Namen hörten.“

Die andern schwiegen, aber der lustige Picaro, welcher nicht gern eine Gelegenheit zu einer Schalkhaftigkeit vorübergehen ließ, antwortete:

„Wir würden uns nicht über ihre Namen wundern, sondern nur darüber, dieselben von Ihnen zu hören; denn Sie scheinen der schweigsamste Mann der ganzen argentinischen Staaten zu sein.“

„O, gar so schlimm steht es nun nicht mit meiner Zurückhaltung. Ich spreche zwar sehr wenig, aber solchen Señores gegenüber würde Schweigsamkeit zur Grobheit werden. Darum will ich Ihnen sagen, daß einer der Señores der berühmte Stierkämpfer Antonio Perillo war.“

Nur allein mit seiner Mitteilung beschäftigt, bemerkte er gar nicht, welchen Eindruck dieselbe auf seine Gäste machte. Sie sahen einander an, blickten sich Schweigen zu, und dann meinte der Weiße in gleichgültigem Tone:

„Wenn sie diesen Perillo einen berühmten Mann nennen, so mögen Sie dies auf Ihre Rechnung hin thun. Ich habe noch berühmtere Leute gekannt, als er ist.“

„Ihr Wort in Ehren, Señor; ich will Ihnen ja nicht widersprechen, aber ich weiß nur zwei Männer, welche noch berühmter als Perillo sind.“

„Wer ist das?“

„Der Vater Jaguar und der Gambusino, der eigentlich Benito Pajaro heißt.“

„Kennen Sie denn diese Señores?“

„Den Vater Jaguar habe ich leider noch nicht gesehen; aber der Gambusino war oft bei mir. Er war es ja, welcher mit dem Stierkämpfer bei mir einkehrte.“

„So? Wirklich? Woher kamen sie?“

„Von Tucuman mit der Diligence. Es war die gegenwärtige Zeit. Sie kauften zwei Maultiere nebst Proviant für eine Woche, und ich weckte sie eine Stunde nach Mitternacht, weil sie da abreisen wollten.“

„Wohin?“

„Zu den Mojosindianern, welche sich jetzt in der Gegend des Guanacothales aufhalten.“

„Jedenfalls haben Sie sich geirrt, Señor. Es ist nicht der Gambusino gewesen.“

„Er war es. Ich kann es beschwören. Ich habe den beiden die Zeche, den Proviant und auch die Maultiere borgen müssen, weil sie kein Geld bei sich trugen, was übrigens nicht viel zu sagen hat. Da muß ich sie doch kennen.,

„Hatten sie denn Eile?“

„Ja. denn sonst hätten sie sich nicht schon um ein Uhr wecken lassen.“

jetzt wurde der Wirt in die Küche gerufen, und das gab den Gästen Zeit, ihre Meinungen ungehört von ihm auszutauschen. Der Weiße war natürlich kein andrer, als der Vater Jaguar. Er sagte, zwar in unterdrücktem Tone, aber daß es alle hörten:

„Sollte man es glauben! Ich wollte es bezweifeln, aber dieser schwatzhafte Wirt ist seiner Sache sicher. Was meinst du dazu Geronimo?“

„Der Gambusino und Antonio Perillo müssen sehr schnell zu Pferden gekommen sein,“ antwortete der Gefragte. „Das ist die einzige Lösung dieses Rätsels.“

„Das sage ich auch. Wie gut, daß wir hier eingekehrt sind, und wie gut, daß wir nicht auf die nächsten Diligencewagen warteten, sondern Relaispferde nahmen! Der Gambusino ist uns einen vollen Tag voraus; aber wir werden dennoch eher an Ort und Stelle ankommen, weil er erst zu den Mojos will und also einen Umweg machen wird. Und zugleich ist es ein großer Vorteil für uns, zu wissen, aus welcher Richtung er kommen wird. Wir haben ihn vom Guanacothale her zu erwarten.“

„Was mag er bei den Mojosindianern wollen?“ fragte einer.

„Seltsame Frage!“ antwortete Hammer. „Was er dort will, ist sehr leicht zu erraten. Er will mit Antonio Perillo in der Mordschlucht nach einem Schatze suchen. Dazu gehörte Zeit, viel Zeit, während welcher der Proviant leicht ausgehen kann. Dieser muß durch die Jagd erneuert werden, und dazu sind die Mojos engagiert. Ferner gehört dazu ein genügender Schutz, das Fernhalten jeder Störung, jeder Begegnung mit einem Reisenden, Jäger oder andern Menschen, welcher die beiden überraschen und ihre Absicht erraten könnte. Darum werden sie Mojosposten ausstellen, welche alle Störung abhalten müssen.“

„Aber da können doch diese Posten selbst leicht erraten, was die beiden beabsichtigen.“

„Mögen sie das, es schadet nichts, wenn der Gambusino nur seinen Zweck erreicht. Er schießt die Mojos, die ihn beschützen mußten, einfach nieder und verschwindet dann mit dem Schatze auf Nimmerwiedersehen, um nicht der Rache ihrer Anverwandten zu verfallen.“

„Das wäre eine Niederträchtigkeit, die ihres gleichen sucht! Er ist ein gewissenloser Mensch; aber so etwas sollte man ihm doch nicht zutrauen.“

„Nicht?“ fragte der Vater Jaguar. „Ich habe es bisher verschwiegen, aber nun will ich es euch sagen. Er hat an meinem Bruder genau ebenso gehandelt. Mein Bruder war Gambusino oder Prospektor, wie die Goldsucher in den Vereinigten Staaten genannt werden. Er hatte einen ungewöhnlich reichen Fund gemacht. Da kam dieser Gambusino, ermordete ihn auf eine entsetzliche, unmenschliche Weise und verschwand mit dem Golde. Das hat mein dunkles Haar gebleicht. Ich folgte der Fährte dieses Menschen, welche nach Argentinien führte, konnte ihn aber nicht zu sehen bekommen. Erst jüngst ist er mir in die Arme gelaufen, ich habe ihn und er hat mich erkannt, und nun sind die Stunden eines von uns beiden gezählt, entweder die meinigen oder die seinigen.“

„Die seinigen, die seinigen!“ rief es im Kreise, und die Fäuste fielen dröhnend auf die Tische nieder.

„Still!“ gebot der Vater Jaguar. „Keinen Lärm! Niemand braucht zu hören, wovon wir reden. Er hat das Gold meines Bruders verpraßt und sucht nun nach neuen Schätzen, die ihm nicht gehören. Er soll das, was er findet, aus meiner Hand bekommen!“

jetzt trat der Wirt wieder ein, und ihm folgten einige Bedienstete, welche auf Platten den duftenden Asado con cuero brachten. Die Gäste aßen und tranken schweigend und zeigten dabei so ernste Gesichter, daß dem Wirte der Mut entfiel, ein neues Gespräch anzuknüpfen. Als das Mahl zu Ende und auch der Wein getrunken war, begaben sich die Männer in den Hof, um sich die Maultiere zeigen zu lassen. Sie hatten in Tucuman die hier in den Bergen unbrauchbaren Pferde verkauft und mußten sich nun von neuem beritten machen. Tiere und Sattelzeug gab es bei Rodrigo Sereno mehr als genug.

Bei dem Scheine brennender Lichter und Laternen wurde die Auswahl getroffen. Dann fragte der Vater Jaguar nach dem durchschnittlichen Preise.

„Vierzig Bolivianos das Stück, Señor,“ antwortete der Wirt. „Sie werden zugeben, daß dies der niedrigste Preis ist, zu welchem man ein Maultier hier haben kann.“

„Können Sie auch Proviant für uns auf acht Tage schaffen?“

„Ja.“

„So besorgen Sie das, und kommen Sie dann in die Stube!“

Der Wirt nahm das Schweigen als Einwilligung und freute sich im stillen, heut für ein Maultier doppelt so viel als gestern zu erhalten. Das bedeutete einen Aufschlag von über zweitausend Mark. Die Sättel wurden auch in die Stube geschafft, weil die Taschen dort mit Proviant gefüllt werden sollten. Dies war nach Verlauf von einer Stunde geschehen, und dann forderte der Vater Jaguar den Wirt auf, ihm die Rechnung niederzuschreiben. Rodrigo Sereno holte ein Stück Kreide und schrieb die einzelnen Posten auf den Tisch. Sein Gesicht glänzte vor Wonne, als er die Summe zog. Da aber fragte der Weiße:

„Wieviel hat der Gambusino gestern für ein Maultier angerechnet bekommen?“

„Auch vierzig Bolivianos, Señor.“

„So ist er entweder sehr dumm gewesen, oder Sie halten mich für dumm genug, dies zu glauben. Ich bezahle die Hälfte, zwanzig Bolivianos, und zwar in blanken Goldstücken sofort auf den Tisch. Ist Ihnen dies zu wenig, so werden wir noch in dieser Nacht bei einem andern billiger kaufen.“

„Señor, es ist mir unmöglich, Ihnen die Tiere zu einem solchen Preise zu lassen,“ beteuerte der Wirt mit wie zum Schwure erhobener Hand. „Ich würde über zehn Bolivianos am Stück verlieren.“

„Schweigen Sie doch!“ fuhr ihn der Weiße an. „Sie halten uns für fremd im Lande. Sie wollten aber wissen, wer ich bin, und so will ich es Ihnen sagen: ich bin der Vater Jaguar!“

Da fuhr der Wirt um zwei Schritt rückwärts und rief mit stammelndem Munde:

„Qué maravilla! Der – Va-ter – Ja-gu-ar – – –!“

Er starrte den Genannten mit weit geöffneten Augen an und schien alle Bewegungsfähigkeit verloren zu haben.

„Nun, gilt’s? Zwanzig Bolivianos für das Maultier?“ drang Hammer in ihn.

„Ja – ja –“ antwortete er, wie abwesend; „sogar für – fünfzehn sollen Sie – – es haben – – da Sie der – Vater Jaguar sind.“

„Nein, nicht fünfzehn; ich gebe zwanzig, hier ist die Summe, welche Sie zu bekommen haben.“

Ergriff in den Gürtel, zog eine Handvoll Goldstücke hervor und zählte ihm die schuldige Summe auf den Tisch. Rodrigo Sereno bedankte sich, als ob er träume, und steckte das Geld auch wie im Traume in die Tasche. Nachdem jeder einen Sattel genommen hatte, begaben sich die Gäste wieder in den Hof. Der Wirt folgte ihnen und rief heimlich alle seine Leute herbei. Da standen sie und sahen, wie die Fremden sich auf die Maultiere schwangen und dann in die Nacht hinausjagten. Nun erst bekam die Stimme Serenos ihren ursprünglichen Klang zurück. Er warf sich in die Brust und rief den Seinen zu:

„Heut ist meinem Hause eine große Ehre widerfahren. Wißt ihr, wer der weißhaarige Señor war, welcher trotz seines Alters nicht in den Sattel stieg, sondern aus freier Hand in denselben sprang? Der Vater Jaguar ist’s gewesen, der Vater Jaguar! Bei Gott, wenn er darauf eingegangen wäre, hätte ich ihm die Maultiere alle zu nur zehn Bolivianos das Stück verkauft. Der Vater Jaguar! Merkt es euch, und erzählt es morgen allen, die euch in der Stadt begegnen!“

Er brauchte diesen Befehl eigentlich gar nicht auszusprechen, denn die guten Leute wären am liebsten gleich jetzt, mitten in der Nacht, mit der Kunde fortgeeilt, daß der weitberühmte Mann mit fünfundzwanzig Begleitern bei ihrem Herrn eingekehrt sei und eine große Summe in lauter vollwichtigen Goldstücken bezahlt habe. So aber mußten sie leider schlafen gehen.

Und schon am nächsten Morgen, als man kaum aufgestanden war, gab es auch wieder fremde Gäste. Rodrigo Sereno war eben erst von seinem Lager aufgestanden und schlürfte gemächlich seinen Mate aus der silbernen Röhre, da traten zwei kleine, überaus rot gekleidete Menschen ein, welche bis an die Zähne bewaffnet waren. Der eine fragte sofort, als er die Thür geschlossen hatte:

„Sind Sie der Wirt Rodrigo Sereno, Señor?“

„Ja, Señores,“ antwortete der Gefragte.

„So sind wir in das richtige Haus, lateinisch Domus oder auch Aedificium genannt, gekommen; haben Sie Maultiere zu verkaufen?“

„Gern, so viele Sie brauchen.“

„Und außerdem kann man bei Ihnen zu essen und zu trinken bekommen?“

„Alles, was die Señores wünschen. Setzen Sie sich nieder und teilen Sie mir Ihre Befehle mit!“

Er rückte ihnen zwei Stühle am Tische bequem und forderte sie durch eine Handbewegung auf, sich auf denselben niederzulassen. Seine Worte hatten einen Ton, welcher ein klein wenig ironisch klang. Er schien die kleinen Männer trotz der Waffen, welche sie trugen, nicht für voll anzusehen. Sie schienen dies entweder gar nicht zu bemerken oder wenigstens nicht zu beachten, verlangten heißen Mate und ein Gebäck dazu und machten es sich dann auf den Stühlen bequem, welche er seinen Gästen hinstellte.

Als er ihnen das Verlangte gebracht und vorgesetzt hatte, nahm er bei ihnen in der Weise Platz, wie man es bei Leuten thut, die man nicht ganz für seinesgleichen hält, musterte sie mit einem von oben herab gerichteten Blicke und sagte:

„Darf man vielleicht erfahren, ob die Señores sich hier in Salta aufzuhalten gedenken?“

„Wir kaufen Maultiere, also wollen wir fort,“ antwortete Fritze Kiesewetter.

„Wo kommen Sie her?“

„Aus Tucuman.“

„Auch aus Tacuman? Und natürlich auch nicht mit der Diligence?“

„Nein. Wir haben Postpferde geritten. Aus Ihrer Frage geht hervor, daß noch andre von dorther gekommen sind, und zwar auch nicht mit der Diligence?“

„Ja. Gestern abend kam eine ganze Gesellschaft hier an, und vorgestern trafen auch schon zwei Männer ein. Wo wollen Sie hin, Señores?“

„Zunächst hinauf nach der Salina del Condor. Aber wir kennen den Weg nicht. Ist es wohl möglich, hier einen Führer zu bekommen, auf den man sich verlassen kann?“

„Warum nicht? Wenn Sie ihn gut bezahlen, will ich Ihnen sofort einen besorgen. Ich habe einen Knecht, welcher früher einigemal da oben gewesen ist und sich wohl bestimmen lassen wird, Ihr Führer zu sein. Sie werden ihn bei den Maultieren finden, die Sie sich ansehen können, sobald es Ihnen beliebt.“

Der Peon, von welchem er sprach, war jedenfalls kein zuverlässiger Knecht, sonst hätte er ihn nicht so bereitwillig hergegeben. Als die beiden Reisenden dann mit diesem Manne sprachen, erklärte er, daß er gern mit ihnen reiten werde, und stellte auch so günstige Bedingungen, daß sie ohne Handel auf dieselben eingingen. Desto teurer aber waren die Maultiere, welche sie kauften. Sie mußten für das Stück fünfzig Bolivianos bezahlen, also über noch einmal so viel, als der Wirt gestern und vorgestern erhalten hatte. Dazu kamen die Sättel und die Proviantvorräte, welche sie sich mitnahmen. Während die letzteren im Zimmer eingepackt wurden, fragte Doktor Morgenstern den Wirt im Laufe des Gespräches:

„Señor, Sie sprachen von Leuten, welche gestern und vorgestern aus Tucuman hier angekommen seien. Kannten Sie dieselben vielleicht?“

„Allerdings. Es waren Männer von sehr berühmten Namen.“

„Darf ich diese Namen erfahren?“

„Warum nicht? Ich bin sogar stolz darauf, Ihnen mitteilen zu können, daß solche Señores bei mir verkehren. Am vorgestrigen Abend hatte ich den weitbekannten Gambusino Benito Pajaro mit noch einem Herrn als Gäste bei mir.“

„Den Gambusino? So sind wir also auf der richtigen Spur, lateinisch Semita oder auch Vestigium genannt. Der andre ist jedenfalls Antonio Perillo gewesen?“

„Ja, er war es. Kennen Sie denn diese Señores?“

„Besser, als Sie vielleicht denken. Und wer waren die Herren, welche gestern hier einkehrten?“

Der Wirt betrachtete die beiden jetzt abermals mit einem forschenden Blicke, wobei sein Gesicht einen weniger geringschätzenden Ausdruck annahm. Wer den Gambusino so gut kannte, der konnte nach seiner Ansicht denn doch kein so ganz gewöhnlicher Mensch sein. Dann antwortete er fragend:

„Sie sprachen von einer Spur. Wollen Sie vielleicht dem Gambusino nach?“

„Ja.“

„Und wissen Sie, wohin er ist?“

„Sehr genau.“

„So müssen Sie sich sputen, denn er schien große Eile zu haben. Noch weit größere Eile aber hatten die gestrigen Señores. Das waren über zwanzig Personen, welche von dem berühmten Vater Jaguar angeführt wurden. Den werden Sie wohl schwerlich kennen.“

„Warum nicht? Wir gehören ja zu seiner Gesellschaft und wollen ihr nach.“

„Was? Sie gehören zu ihm und wollen doch auch dem Gambusino folgen? Daraus ist zu schließen, daß der Vater Jaguar mit dem Gambusino zusammentreffen will?“

„Sie erraten es. Es handelt sich nämlich um eine sehr interessante Angelegenheit, lateinisch Negotium genannt, welche für uns von großer Wichtigkeit ist. Nämlich – – –“

Der kleine Mann stand im Begriff, dem Wirte eine voreilige Mitteilung zu machen. Fritze, welcher weit vorsichtiger war, fiel ihm schnell in die Rede:

„Es betrifft nämlich eine Silberader, welche droben in den Bergen aufgefunden worden sein soll, und alle die genannten Señores, auch wir beide, reiten hinauf, um dieselbe, falls etwas Wahres daran ist, oft und manchmal auszubeuten.“

„Da gratuliere ich Ihnen,“ meinte der Wirt, und zwar jetzt im Tone der Hochachtung. „Ein Unternehmen, an welchem sich der Vater Jaguar und der Gambusino beteiligen, muß auf alle Fälle ein rentables werden. Ich hoffe, daß Sie, so oft Sie hier vorüberkommen, sich meiner erinnern und bei mir einkehren. Empfehlen Sie mich dem Vater Jaguar. Ich achte und bewundere ihn, wie ich Ihnen gleich beweisen werde. Nämlich, da Sie zu ihm gehören, will ich Ihnen die Maultiere billiger lassen, als Sie dieselben bezahlt haben; das Stück soll nicht fünfzig, sondern dreißig Bolivianos kosten; ich zahle Ihnen den Überschuß heraus.“

Die beiden waren nicht wenig über dieses Verfahren verwundert und der Doktor steckte das Geld, welches der Wirt zurückgab, nur zögernd wieder in die Tasche. Aber Rodrigo Sereno handelte mit guter Berechnung. Er sagte sich, daß diese beiden Männer dem Vater Jaguar mitteilen würden, wieviel sie bezahlt hatten, und dann war anzunehmen, daß keiner von der ganzen Gesellschaft wieder hier einkehren werde. Der Schaden des Wirtes mußte sich dann weit höher belaufen, als die Summe, welche er jetzt wiedergab. Die beiden Deutschen gaben ihm das Versprechen, seiner zu gedenken und ihn auch der vorausgegangenen Gesellschaft bestens zu empfehlen. Dann, als ihre Vorbereitungen alle beendet waren, bestiegen sie die erkauften Maultiere und ritten mit dem Peon, welcher sie in die Berge führen sollte, zum Thore hinaus.

Wer von Osten aus die Anden ersteigt, um westwärts nach Chile oder Peru zu kommen, hat verschiedene Gebirgsstufen zu erklimmen, die sich infolge der Verschiedenheit ihrer Höhe auch durch eine Unähnlichkeit ihres Klimas unterscheiden.

Die erste Stufe besteht aus den Yungas, welche bis 1600 Meter ansteigen. Hier herrscht die ganze Üppigkeit der Tropenregion mit ihren weiten, undurchdringlichen Urwäldern, welche zuweilen von saftigen Grasfluren, die man Pajonales nennt, unterbrochen werden. Die Medio Yungas erreichen als zweite Stufe eine Höhe von durchschnittlich 2900 Meter. Hier herrscht noch das Klima der gemäßigten Zone, und man kommt durch ungeheure Wälder, welche besonders reich an Cinchona-Arten sind. Darauf folgen die Cabezeras de los valles bis 3300 Meter Höhe. Sie sind gegen die Stürme des oberen Gebirges geschützt und infolge dessen auch noch reich an den verschiedensten Vegetationsformen. Bis hierher erstreckt sich der geschlossene Baumwuchs, also der Wald, während auf der nächsten Stufe Bäume nur vereinzelt und zwar nur in besonders geschützter Lage anzutreffen sind. Diese nächste Stufe, welche Puna genannt wird, steigt bis zu 3900 Meter Höhe empor. Man trifft auf derselben außer den vereinzelten Bäumen nur Kräuter und Gräser (Gentiana, Valeriana, Yareta u. s. w.) an, welche den Tieren als Weidefutter dienen. Es herrscht hier eine große Trockenheit, welche nur in der Regenzeit unterbrochen wird. Die nun folgende Stufe wird Puna brava genannt und umfaßt bis zu den höchsten Bergesspitzen alles, was über 3900 Meter liegt. Diese Höhen sind reich an wertvollen Erzen; hier führen die Pässe zwischen den Bergesriesen über das Gebirge. In dieser Region verwandelt sich selbst im hohen Sommer der Regen sehr oft in Schnee und Hagel; im Winter aber herrschen wütende Schneestürme, welche denjenigen Reisenden, die so kühn sind, in dieser Jahreszeit den Übergang über die Anden zu wagen, meist das sichere Verderben bringen.

Da, wo jenseits der argentinischen Grenze auf bolivianischem Gebiete die Puna an die obere Cabezera grenzt, zieht sich ein ziemlich dichter Wald von Cinchona Calisaya-Bäumen an den östlichen Berghängen hinab. Auf den freien Stellen, welche dieser Wald umschließt, befinden sich die Wohnstätten der Mojosindianer. Etwas höher, jenseits der Punagrenze, liegt das Guanacothal, welches eine Abteilung dieser Indianer jetzt zur Jagd aufgesucht hatte. Und noch weiter oben, beinahe in der Puna brava gelegen, breitet auf einem kleinen Hochplateau die Salina del Condor ihre salzigen Wasser aus, höher noch liegt die Mordschlucht. Nahe an ihr führt ein Pfad vorüber, welcher über einen Paß von Chile herüberkommt, hinab zur Salina del Condor steigt und dann über die argentinische Grenze hinab nach Salta leitet. In der Nähe der genannten Grenze vereinigt sich mit diesem Pfade ein zweiter, welcher weiter nördlich her von Peru herüberkommt. Der Ausdruck Pfad ist hier eigentlich falsch angewendet, denn von dem, was wir unter Pfad und Weg oder gar Straße verstehen, ist hier keine Rede. Das Saumtier schreitet über Felsen und Steingetrümmer, durch Thäler und Schluchten, ohne eine Spur, aus welcher ein wirklich ausgetretener Weg entstehen könnte, zu hinterlassen. Nur der erfahrene Jäger oder Führer kennt die Gegend; der unerfahrene Reisende aber verliert sehr leicht die Richtung und kann dann tage- und wochenlang zwischen den Bergen umherirren, ohne den Weg, den Paß zu finden, der ihn zum Ziele bringen sollte. Selbst der Kenner kann, wenn er nicht scharf aufpaßt, die Stelle, an welcher die beiden erwähnten Saumpfade zusammenstoßen, leicht übersehen und infolgedessen den falschen einschlagen.

In diesem Falle befand sich der Peon aus Salta, welcher die beiden Deutschen nach der Salina del Condor bringen sollte. Er war wohl in Gesellschaft hier oben gewesen, hatte sich aber nicht so sehr um die Einzelheiten der Gegend bekümmert, wie es erforderlich gewesen wäre zur Erlangung der Kenntnisse, welche ein zuverlässiger Führer besitzen muß.

Es war mittag, und schon seit dem frühen Morgen hatte er sich auf eine ganz eigentümliche Weise verhalten. Er war von der heute eingeschlagenen Richtung oft abgewichen und nach rechts oder links eingebogen, um dann wieder nach links oder rechts umzubiegen. Er beobachtete die Gegend mit verlegenem Blicke und gab sich dabei Mühe, diese Verlegenheit nicht bemerken zu lassen. Gab es einmal eine sichtbare Spur, daß ein Mensch hier geritten sei, so nahm sein Gesicht einen zuversichtlicheren Ausdruck an, um denselben aber bald wieder zu verlieren, wenn er einsehen mußte, daß er sich in dieser Gegend doch noch nicht befunden habe.

Dem Doktor fiel dieses Verhalten nicht auf; Fritze aber war scharfsinniger und hatte es gar wohl bemerkt. Darum sagte er jetzt, natürlich in deutscher Sprache, zu seinem Herrn:

„Dieser Mensch scheint seiner Sache nicht jewiß zu sind. Haben Sie ihm dat nicht auch schon anjesehen?“

„Nein.“

„Dann passen Sie doch mal auf! Er wird immer unsicherer. Sie müssen doch bemerkt haben, daß wir oft nach der Seite abgewichen sind?“

„Das habe ich gesehen; aber wir sind ja immer wieder zurückgekehrt.“

„Eben dieses hat mir aufmerksam jemacht. Wenn er nach rechts reitet und nachher wieder nach links, so muß eins von beiden falsch sind. Der alte Onkel hat sich wahrscheinlich verirrt.“

„Das wäre höchst unangenehm, inamoenus, wie der Lateiner sagt. Wenn dieser Peon unser Führer sein will, muß er doch den Weg kennen.“

„Eigentlich ja; aber es wird wohl uneigentlich sind. Sehen Sie ihn mal an! Wild jenug sieht er freilich aus, jescheit aber nicht.“

Damit hatte er sehr recht. Der Peon hatte das Aussehen eines Banditen; aber von Intelligenz war in seinem Gesichte keine Spur zu entdecken.

Die drei Reiter befanden sich jetzt an einer Stelle, wo sich zwei schmale Thäler vor ihnen öffneten; das eine führte nach links und das andre geradeaus. Der Peon blieb halten, um sich zu besinnen. Er schaute bald nach links und bald vor sich hin und wußte sichtlich nicht, wohin er sich wenden solle. Da verlor Fritze endlich die Geduld und sagte:

„Warum halten Sie an, Señor? Es scheint, Sie haben den Weg verloren?“

„Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?“ antwortete der Führer in beleidigtem Tone. „Meinen Sie, ich wüßte nicht, wo ich bin?“

„Das meine ich nicht. Sie wissen jedenfalls ganz genau, daß Sie sich in den Anden befinden; aber auf welchem Punkte derselben, das zu wissen, ist wohl schwieriger.“

„Ich kenne den Weg so genau, wie mich selbst, und habe mich überhaupt im Leben noch nie verirrt.“

„So wissen Sie also noch nicht, wie es einem Verirrten zu Mute ist? Ich denke, daß Sie das jetzt erfahren werden.“

„Wollen Sie mich beleidigen, Señor? In diesem Falle lasse ich Sie hier halten und reite zurück!“ bemerkte er in drohendem Tone.

„Zurückreiten? Das würden Sie wohl nicht fertig bringen,“ antwortete Fritze gleichmütig.

„Warum nicht?“

„Weil das Maultier, auf welchem Sie sitzen, uns gehört. Sie würden also nur zurücklaufen können.“

„Und wenn ich es nicht hergebe?“

„Reden Sie nicht solch dummes Zeug! Sie sehen, daß wir bewaffnet sind. In dieser Gegend pflegt man auf Diebe zu schießen, ohne zu fragen, ob ihnen das oft und manchmal angenehm ist. Sobald Sie wenden, um zurückzureiten, bekommen Sie meine Kugel. Das merken Sie sich! Und nun vorwärts, wenn Sie den Weg wirklich so genau kennen, wie Sie behaupten!“

Der Peon hatte keineswegs das Aussehen eines furchtsamen Menschen, ließ sich aber doch durch das energische Verhalten des kleinen Deutschen einschüchtern und bog in das Thal ein, welches nach links führte. Die andern folgten ihm.

Dieses Thal hatte viele Schlangenwindungen; es führte bald in der einen und bald nach der andern Richtung; dabei schien es endlos zu sein und verengte sich mehr und mehr, bis es zur tiefen, schmalen Schlucht wurde, welche man mit einem nordamerikanischen Cañon vergleichen konnte.

Der Peon ritt jetzt langsamer und immer langsamer voran. Er sah ein, daß er noch niemals hier gewesen sei, denn eine so lange Schlangenschlucht war ihm noch nie vorgekommen. Er ging mit sich zu Rate und kam schließlich doch zu der Einsicht, daß es jedenfalls besser sei, seinen Irrtum jetzt und freiwillig einzugestehen, als desselben später mit Heftigkeit überführt zu werden. Darum hielt er endlich an und sagte:

„Sie haben mich vorhin irre gemacht. Ich hätte nicht nach links einbiegen, sondern geradeaus reiten sollen. Das war der richtige Weg. Kehren wir also um, Señores!“

„Habe es gedacht!“ brummte Fritze unmutig. „Nun müssen wir den weiten Weg zurück! Aber wissen Sie denn auch genau, daß dieser der falsche und jener dann der richtige ist?“

„Ja. Wenden Sie getrost um! Wir sind zu weit nach links gekommen und müssen also mehr nach rechts hinunter.“

„Wenn es richtig ist, will ich es loben, denn ich denke mir, daß – – –“

Er hielt mitten im Satze inne und lauschte.

„Was gibt’s?“ fragte der Doktor. „Hörst du etwas?“

„Ja. Es war mir, als ob da vor uns ein Jeräusch jewesen wäre. Horch!“

Er hatte sich nicht geirrt, denn das Geräusch wiederholte sich und kam näher. Es klang wie Hufschlag.

„Sollte ich mich dennoch auf dem richtigen Wege befunden haben?“ fragte der Peon, indem sein besorgtes Gesicht sich aufheiterte.

„Wenn dies wäre, so hätten Sie es jedenfalls nur dem Zufalle zu verdanken,“ antwortete Fritze. „Ich aber möchte behaupten, daß alle Ihre beiden Wege falsch sind, obgleich Sie nur diesen für falsch, den andern aber für richtig gehalten haben. Sie wissen offenbar schon seit heute früh nicht, woran Sie sind. Nun aber werden wir hoffentlich erfahren, in welcher Gegend der Neuen Welt wir uns befinden.“

Die Schlucht machte vor ihnen abermals eine Biegung. Um die Ecke, welche dadurch gebildet wurde, kamen drei Reiter. Dem vordersten sah man es an, daß er ein Maultiertreiber, ein Arriero war. Hinter ihm kam ein hoch beladenes Packtier, welchem ein Reiter folgte, welcher der Besitzer des Gepäckes zu sein schien. Er war in die Tracht des Landes gekleidet, von hoher Gestalt und sehr gut bewaffnet. Sein Haar und Bart waren blond, und die Augen, welche er überrascht auf die drei Reiter vor sich richtete, hatten die helle Farbe der Nordländeraugen. Hinter ihm ritt der dritte, welcher jedenfalls auch ein Arriero war. Der mittlere Herr kam jedenfalls über das Gebirge und hatte die beiden andern als Treiber und Führer gemietet.

Sie hielten an, und beide Parteien musterten sich einige Sekunden lang, ohne ein Wort zu sagen. Dann rief der hintere Reiter, indem er seine Worte an den Peon richtete:

„Ist’s möglich, oder irre ich mich? Ist das nicht Malzeso, der Peon von Rodrigo Sereno in Salta?“

„Der bin ich allerdings,“ antwortete der Angeredete. „Kennen Sie mich?“

„Ja.“

„Von woher?“

„Von Salta her. Ich pflege bei Ihrem Herrn einzukehren und habe Sie da gesehen. Sind Sie etwa der Führer der Señores, welche sich da bei Ihnen befinden?“

„Der bin ich allerdings.“

„Cielo! Wie kommen Sie dazu, fremden Reisenden den Weg über das Gebirge zeigen zu wollen! Das zu thun, ist doch nur ein erfahrener Arriero im stande!“

„Ich kenne das Gebirge besser, als Sie meinen,“ antwortete der Peon gekränkt. „Überdies wollen wir keineswegs über dasselbe hinüber.“

„So bleiben Sie auf dieser Seite? Das ist etwas andres. Aber Sie haben doch die Grenze der Puna bereits überschritten, und dieser Weg führt nach der Puna brava, nicht aber nach einem bewohnten Orte. Darf ich fragen, wohin Sie wollen?“

„Dahin, woher Sie jedenfalls kommen, nämlich nach der Salina del Condor hinauf.“

„Nach der Salina? Dios! Sie meinen, daß wir von dort herunterkommen?“

„Jedenfalls.“

„Da irren Sie sich gewaltig, Señor. Wir kommen von Peru herüber und wollen nach Salta. Sie befinden sich also auf einem falschen Wege.“

„Können Sie dies als gewiß behaupten?“

„Natürlich! Es gibt hier nur zwei Wege. Der eine ist der, auf welchem wir uns befinden, und der andre kommt von Chile herüber, geht an der Sahna del Condor vorbei und trifft mit dem ersteren auf einem Punkte zusammen, welcher über eine halbe Tagereise hinter Ihnen liegt.“

„Das stimmt allerdings; das weiß ich auch!“

„Und doch scheinen Sie nicht zu wissen, daß Sie irre geritten sind! Wie früh sind Sie heute aufgebrochen?“

„Mit Sonnenaufgang.“

„So hatten Sie erst die richtige Richtung und haben dann aber die Stelle übersehen, an welcher die beiden Wege zusammentreffen. Anstatt sich nach links zu wenden, sind Sie immer weiter geritten.“

„Das ist’s, was ich dachte!“ rief Fritze jetzt dem Peon zu. „Wir mußten nach links, und doch haben Sie bis jetzt behauptet, daß wir uns mehr nach rechts halten müßten. Infolgedessen haben wir einen Umweg gemacht, den wir gar nicht wieder einholen können. Ich glaube, daß wir drei Viertel eines Tages verloren haben.“

„Nein, so viel nicht, Señor,“ wendete sich der Arriero höflich an ihn. „Der Weg, welchen Sie hätten einschlagen sollen, zieht sich westlich von hier in die Berge hinauf. Wenn Sie gerade nach Sonnenuntergang reiten, werden Sie ihn in drei Stunden erreichen.“

„Hm!“ brummte Fritze nachdenklich. „Es ist ein Glück für uns, daß wir Ihnen begegnet sind. Wenn es auf diesen unsern Führer angekommen wäre, so hätten wir leicht unsern Untergang finden können, denn er wollte hier umkehren und sich dann noch weiter nach rechts wenden. Auch klingt es sehr tröstlich, wenn Sie sagen, daß wir binnen drei Stunden den richtigen Weg erreichen können, aber ob wir den Weg zu diesem Wege finden, das ist die Frage. Wie ich sah, gibt es da hinauf einen Wechsel zwischen Bergen und Höhen, Thälern und Schluchten, die wohl nicht alle zu passieren sind.“

„Das ist wahr. Es kommt nur einer, der die Gegend kennt, hinauf.“

„Das befürchtete ich. Wir beide sind hier fremd, und unser Führer ist, wie Sie gesehen haben, nicht klüger als wir. Und selbst wenn wir den dreistündigen Ritt glücklich vollbrächten, so fragt es sich, ob wir den Weg, den wir suchen, finden würden. Hier gibt es keine Straßen, und was man einen Weg nennt, das ist etwas ganz andres als ein Weg. Ich wette, daß wir ihn gar nicht sehen würden.“

„Das ist sehr wahrscheinlich,“ lachte der Arriero. „Es wird Ihnen nichts andres übrigbleiben, als umzukehren und mit uns bis dahin zurückzureiten, wo die beiden Wege sich vereinigen. Dann werde ich Ihnen genau beschreiben, wie Sie reiten müssen.“

„Kennen Sie denn den Pfad hinauf nach der Salina del Condor?“

„So genau, daß ich ihn in der finstersten Nacht finden würde.“

„Das ist sehr gut, hilft uns aber nichts. Wir haben drei Viertel des Tages verloren, und wenn wir umkehren, verlieren wir noch viel, viel mehr!“

„Haben Sie es denn so notwendig? Ist Ihre Zeit so kurz bemessen?“

„Freilich. Wir wollen an der Salina del Condor mit Leuten zusammentreffen, von denen Sie vielleicht auch einige kennen, wenigstens den Namen nach. Wir gehören nämlich zu einer Truppe, deren Anführer der Vater Jaguar ist.“

„Der Vater Jaguar? Den kenne ich nur zu gut. Er ist der berühmteste Mann des Gebirges, und ich bin einigemal mit ihm zusammengetroffen. Der ist also da oben in der Salina?“

„Ja.“

„Zur Jagd?“

„Ja, zur Jagd,“ antwortete Fritze. Und langsam fügte er hinzu: „aber nicht zur Jagd auf Tiere, sondern auf Menschen.“

„Qué cosa! Auf Menschen? Will er etwa einen Bösewicht bestrafen?“

„Ja.“

„Wen?“

„Sie erlauben, daß ich diese Frage unbeantwortet lasse. Der Vater Jaguar wünscht nicht, daß von derselben vorher gesprochen wird.“

„Ich nehme es Ihnen nicht übel. Also um ein solches Abenteuer handelt es sich! Und da sollen Sie auch dabei sein?“

„Ja.“

„Und wenn Sie umkehren, gelangen Sie nicht zur rechten Zeit nach der Salina? Das ist freilich höchst fatal für Sie. Wenn es sich um den Vater Jaguar handelt, ist jeder ehrliche Mann zu jedem Dienste bereit; aber ich kann Ihnen leider nicht helfen. Ich könnte Sie zwar bis Sonnenuntergang auf den rechten Weg bringen, aber wir sind von diesem Señor engagiert worden, ihn bis Salta zu begleiten, und so wiederhole ich, was ich vorhin sagte: Es ist am besten, Sie kehren mit uns um.“

Der blonde Fremde hatte aufmerksam zugehört und dabei den Doktor und dessen Diener mit prüfendem Blicke betrachtet. Jetzt zog er seine Uhr hervor, sah nach der Zeit und fragte dann den Arriero, welcher bisher gesprochen hatte:

„Sie kennen also die Gegend so genau, daß Sie diese Señores von hier aus auf den richtigen Weg bringen könnten?“

„Ja.“

„Und das würde bis zur Dämmerung geschehen sein?“

„Ja.“

„Der Weg da oben trifft nach Salta zu mit unsrem gegenwärtigen zusammen?“

„Ja.“

„Nun, so können wir ja diesen Señores helfen, ohne daß Sie mich zu verlassen brauchen. Sie machen ihren Führer und ich reite mit. Es ist mir gleich, ob ich von hier aus oder von einer andern Stelle aus nach Salta komme. Die Zeit, welche ich dadurch versäume, beträgt nur drei Stunden, welche wir morgen wieder einbringen können; diese Herren aber würden mehr als einen Tag versäumen. Haben wir sie beim Einbruch des Abends auf den richtigen Weg gebracht, so werden sie uns vielleicht erlauben, die nächste Nacht mit ihnen zu lagern; morgen früh reitet dann jeder seines Weges weiter.“

Dieses mehr als freundliche Anerbieten war den Verirrten so willkommen, daß der Doktor sein Tier an dasjenige des Fremden trieb, ihm die Hand entgegenstreckte und voller Freude ausrief:

„Señor, was Sie uns da so freiwillig anbieten, würden wir nie zu erbitten wagen. Auch würden wir Ihre Offerte zurückweisen, wenn wir uns nicht in einer Lage befänden, welche uns dringend gebietet, dieselbe anzunehmen. Halten Sie uns nicht für rücksichtslos, wenn wir Ihre Freundlichkeit nicht von uns weisen! Daß dieselbe keine vielleicht Unwürdigen trifft, mag Ihnen mein Stand und Name sagen. Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen! Ich bin – – –“

Da hob der Fremde abwehrend die Hand und unterbrach ihn in freundlichem Tone: –

„Bitte, das will ich jetzt nicht wissen. Unwürdigen würde ich nicht gefällig sein; Sie hören also, wie ich über Sie denke. Und wenn man einem Menschen einen kleinen Dienst erweist, so ist das noch lange kein Grund, daß derselbe seine sämtlichen Verhältnisse zu enthüllen hat. Sagen wir uns morgen, wenn wir scheiden, wer und was wir sind; es ist nicht nötig, dies schon heute zu wissen.“

Er schüttelte die Hand des Doktors und wendete sich dann an den Arriero, ihn fragend:

„Reiten wir weiter vorwärts, oder müssen wir umkehren?“

„Wir müssen zurück,“ antwortete der Gefragte. „Die Schlucht ist vor uns noch außerordentlich lang; es würde ein großer Umweg sein.“

„Dann also zurück! Gibt es da oben einen Ort, an welchem man bis morgen lagern kann?“

„Ich kenne eine passende Stelle und denke, daß wir unterwegs auch Holz genug zu einem Feuer finden werden.“

Der Fremde kehrte also mit seinen beiden Arrieros und dem Packtiere um, und die Verirrten ritten hinter ihnen her. Den Zug beschloß der Peon, welcher kein weiteres Wort zu sagen gewagt hatte und jetzt eine wahre Armesündermiene zeigte.

Noch war keine Viertelstunde vergangen, so hatte man das obere Ende der Schlucht erreicht. Sie mündete auf eine kleine Ebene, von wo aus ein freier Blick auf die westlich sich erhebenden Berge gewonnen wurde. Der Arriero blieb halten, um sich zunächst zu orientieren. Er betrachtete die Gestalt jeder einzelnen Höhe, jedes einzelnen Berges, prüfte die Thaleinschnitte zwischen denselben und sagte dann zu dem blonden Fremden:

„Ich sehe, wie wir reiten müssen. Der Weg wird gar nicht so beschwerlich sein, wie ich vorher dachte, und ich bin auch überzeugt, daß wir noch vor Einbruch der Dunkelheit einen Ort erreichen, wo wir bequem lagern und schlafen können.“

Nach dieser Versicherung, welche allen willkommen war, setzte er sein Maultier wieder in Bewegung. Die Ebene sank in ein schmales Thal hinab, welches sich nach und nach verbreiterte und zwischen hohe, schroff aufgebaute Berge hineinzog. Die Spitzen dieser Berge waren kahl; an den Hängen gab es hier und da eine grüne Stelle, noch von der Regenzeit her; Wasser aber war nirgends zu sehen. Da und dort stand ein Busch, bei welchem die Arrieros und der Peon anhielten, um dürres Gezweig zu sammeln.

Der Doktor hätte sehr gern mit dem so außerordentlich gefälligen Fremden ein Gespräch begonnen, und dem kleinen Fritze Kiesewetter drückte es fast das Herz ab, mit einem Herrn reiten zu müssen, ohne erfahren zu haben, wer und was er sei, woher er komme und wohin er wolle; aber dieser Mann schien leider der Ansicht zu sein, daß es verdienstlicher sei, Unbekannten Hilfe zu erweisen. Er ritt vor ihnen her und schien nur Augen für das großartige Gebirgspanorama, das sich vor ihnen ausbreitete, zu haben. Da er von ihnen für einen Südamerikaner gehalten wurde, sagte Fritze in deutscher Sprache:

„Hatte ik’s nicht jesagt, daß wir in die Irre jeritten seien! Wenn diese jefälligen Leute nicht jekommen wären, so hätte dieser Peonenonkel uns wohl jar nach Lappland und an den Nordpol jeführt.“

Da der Sprecher nicht weit hinter dem Fremden ritt, so hörte dieser Fritzens Worte. Er hatte bei den ersten derselben aufgehorcht; jetzt drehte er sich um und sagte im reinsten Hochdeutsch:

„Gar so weit nach Norden wäre Ihre Reise wohl nicht gegangen; aber Sie hätten in dieser Einsamkeit wohl schwerlich bald einen Menschen gefunden, welcher Sie hätte zurechtweisen können. Daß ich Ihnen begegnet bin, freute mich schon bisher; nun ich aber höre, daß Sie Deutsche sind, freut es mich doppelt.“

Er hatte während dieser Worte sein Tier so gelenkt, daß er nun neben ihnen ritt. Das Gesicht Morgensterns glänzte vor Freude, als er darauf antwortete.

„Ja, wir sind Deutsche, Señor. Sie beherrschen unsre Muttersprache in einer Weise, daß ich Ihnen mein Kompliment machen muß. Diejenigen, von denen Sie sie lernten, sind jedenfalls auch geborene Deutsche gewesen?“

„Allerdings,“ nickte der Fremde lächelnd. „Ich lernte sie von meinem Vater und meiner Mutter.“

„Also sind Sie ein Deutscher?“

„Ich bin stolz darauf, es zu sein.“

„Drüben oder hüben geboren?“

„Drüben im Vaterlande.“

„Ich auch, ich auch! Sie wollten vorhin nicht hören, wer ich bin; nun Sie aber wissen, daß wir Landsleute sind, werden Sie mir doch wohl erlauben, mich Ihnen vorzustellen. Ich heiße Morgenstern, Doktor Morgenstern aus Jüterbogk und bin nach Argentinien gekommen, um paläontologische Studien zu treiben.“

„Und ik,“ fiel Fritze ein, „ik heiße Fritze Kiesewetter aus Stralau am Rummelsburger See und befinde mir hier, um mir an diese Studien zu beteiligen. Wir haben es schon zu einer Gigantochelonia und nachher jar zu einem Megatherium jebracht.“

„Von diesen Dingen verstehe ich nichts,“ gestand der Blonde. „Was meinen Namen betrifft, so heiße ich Engelhardt, und mein Stand – – eigentlich besitze ich keinen mehr; ich habe ihn vor kurzem aufgegeben. Ich bin, was man so Rentier nennt.“

„Sie leben also von Ihrem Jelde? Dat kann ik noch nicht. Wollte ik von meine Ersparnisse leben, so könnte ik mir nach drei Tagen als wandelndes Skelett sehen lassen. Dürfen wir fragen, ob Sie in dieses schöne Arjentinien wohnen?“

„Ich wohnte bisher in Lima, also in Peru, habe mein Geschäft verkauft und will nun nach Deutschland hinüber.“

„Haben Sie Ihr Jeschäft jut bezahlt bekommen?“

„Leidlich gut, den jetzigen Verhältnissen angemessen,“ antwortete Engelhardt, verwundert über die Frage, welche eigentlich eine sehr zudringliche war.

„Dat freut mir außerordentlich. Für mein Jeschäft hat mich noch kein Mensch wat jeboten, und so kann ich es mich deutlich vorstellen, wie schön es sein muß, wenn man wat Ordentliches dafor bekommt.“

„Was sind Sie denn eigentlich?“

„Noch immer jeborener Stralauer, weiter nichts. Ik beschäftige mir mit allem, wat mich in die Hände kommt. Gejenwärtig bin ik der Famulus des Herrn Doktors und ziehe mit ihm in den Kampf gejen die beiden jrößten Schurken, welche die Erde trägt.“

„Wer ist das?“

„Dat ist ein Kerl, den man den Jambusino nennt, und dat ist ferner ein Stierfechter, welcher Antonio Perillo heißt.“

„Diesen letzteren Namen habe ich schon gehört und auch gelesen. Der Mann ist in Lima aufgetreten; da ich aber den Zirkus nicht besuchte, habe ich ihn nicht gesehen. Warum nennen Sie diese Männer die größten Schurken?“

„Um Ihnen dat zu erklären, müßte ik eine Erzählung leisten, welche von jetzt an bis morjen abend währen würde. Dieser Perillo kennt uns nicht, und wir haben ihm niemals wat zujefügt, und dennoch trachtet er uns schon seit längere Zeit nach dat Leben.“

„Ist’s möglich! Vielleicht irren Sie sich?“

„Wir uns irren? Kein Jedanke! Der Herr Doktor war kaum ans Land jestiegen und zu Salido jekommen, so machte Perillo einen Mordversuch auf ihm.“

„Salido, sagen Sie? Wo war das? In welcher Stadt?“

An Buenos Ayres.“

„Meinen Sie etwa den Bankier?“

„Ja, denselbigen.“

„So kennen Sie ihn also?“

„Ja, wir kennen ihn sehr gut,“ fiel jetzt der Doktor ein. „Ich war ihm empfohlen und genoß seine Gastfreundschaft, indem ich bis zu meiner Abreise von Buenos Ayres bei ihm wohnte.“

„Ist das schon lange her?“

„Nur kurze Zeit, einige Wochen.“

„Wurde da bei Salido mein Name nicht genannt?“

„Engelhardt sprach diese Frage mit sichtlicher Spannung aus. Der Doktor antwortete nachdenklich:

„Als Sie vorhin sagten, daß Sie Engelhardt heißen, war es mir ganz so, als ob ich diesen Namen schon einmal gehört haben müsse; aber wo – – hm – – hm!“

„Wohl drüben im Vaterlande. Da gibt es ja der Engelhardts genug.“

„Nein, sondern hier in Argentinien; aber es fällt mir schwer, mich auf den Ort zu besinnen. Fritze, weißt denn du nicht, wo wir einem Engelhardt begegnet sind?“

„Einem Engel – – Engel – –“ sann der Stralauer nach; dann richtete er seinen Oberkörper straff auf, sah den Blonden mit einem Blicke, in welchem sich die größte Spannung aussprach, an und rief: „Ik hab’s, ik hab’s! lk glaube nicht, dat ik mir irre! Sie wohnten in Lima und haben Ihr Geschäft verkauft. War dat nicht oft und manchmal ein Bankierjeschäft?“

„Nicht nur oft und manchmal, sondern stets.“

„Sie haben eine Frau, oder, wollte ik lieber sagen, eine Jemahlin?“

„Ja.“

„Und zwei Jungens, wat man höflicherweise Söhne nennt?“

„Auch das stimmt.“

„Der eine war bei Salido auf Besuch?“

„Ja.“

„So ist’s janz so, wie ik mir dachte! Wir haben ihn nicht Herr Engelhardt, sondern stets nur Anton jenannt. Herr Doktor, darum konnten Sie Ihnen nicht auf den Namen besinnen. Bejreifen Sie denn nicht, daß dieser Herr Engelhardt der männliche Teil von die Eltern unsres Antons ist?“

Der Doktor öffnete den Mund, sah erst Fritze und dann Engelhardt fragend an, ließ sein Auge wieder und wieder von dem einen auf den andern schweifen und antwortete dann, indem er mit dem Kopfe schüttelte –

„Du irrst dich, Fritze. Was du sagst, ist ganz unmöglich.

Der Vater unsres Anton ist zwar auch Bankier und mag vielleicht auch Engelhardt heißen, kann aber nicht mit diesem Herrn hier identisch sein.“

„Warum nicht?“

„Weil der Vater Antons sein Geschäft noch besitzt und auch jetzt nicht über die Anden kommen würde. Das siehst du doch wohl ein.“

„Nein, dat kann ik nicht einsehen.“

„Würde der Vater von Peru über die Anden nach Argentinien gehen, wenn er weiß, daß sein Sohn, lateinisch puer oder filius geheißen, zu derselben Zeit unterwegs hinüber nach Peru ist?“

„Wie?“ fragte da Engelhardt hastig. „Anton soll unterwegs sein?“

„Ja.“

„Mein Sohn? Das muß ein andrer Anton, ein andrer Engelhardt sein. Sprechen Sie von dem Knaben, welcher bei Salido auf Besuch war?“

„Ja, denn einen andern Anton Engelhardt kennen wir nicht. Er ist ein Verwandter von Salido.“

„Natürlich, denn Salido ist sein Onkel, und ich bin sein Vater.“

„Wirklich?“ fragte da Fritze. „Sie sind der Vater vom richtigen Anton, den wir meinen?“

„Ja, ja und dreimal ja!“

„Aber warum laufen Sie denn da von Lima fort? Warum bleiben Sie nicht zu Hause, wohin Sie jehören? Sie haben doch jewußt, daß Ihr Sohn von Buenos Ayres aufjebrochen ist, um über die Anden heimzukommen!“

„Ich habe gewußt, daß es geschehen sollte, nicht aber, daß es geschehen ist. Ich habe Salido telegraphiert, daß er Anton nicht fortlassen, sondern noch bei sich behalten solle, weil ich selbst kommen wolle, ihn abzuholen!“

„So sind wir rascher jewesen, als die Depesche, welche zu spät jekommen ist. Dat Telejramm ist einjetroffen, als wir schon fort jewesen sind. Aber dann bejreife ik nicht, warum Ihnen Salido nicht schnell zurücktelejraphiert hat!“

„Das begreifen sie nicht? Sie wissen doch jedenfalls, daß zwischen Peru und Chile ein Krieg ausgebrochen ist?“

„Kein Wort!“

„So haben Sie wohl außerhalb der Welt gelebt?“

„Nein, sondern jrad mitten drin, mitten im Gran Chaco, wo wir von dem, wat außerhalb jeschehen ist, kein Wort erfahren haben.“

„Peru ist durch Chile von aller Verbindung mit Argentinien abgeschnitten. Mein Telegramm war, wie ich nun erfahre, eins der letzten, welche befördert wurden; die Antwort Salidos aber ist nicht nach Lima gekommen. So bin ich bis heut der festen Überzeugung gewesen, daß Anton sich noch bei ihm befindet.“

Die drei Deutschen waren, während die andern weiter ritten, halten geblieben. Der Gegenstand ihres erregten Gespräches nahm sie so gefangen, daß sie für nichts andres Gedanken hatten. Der Doktor warf nur zuweilen eine Bemerkung, einen Satz dazwischen; zwischen Engelhardt und Fritze aber flogen die Fragen und Antworten mit größter Schnelligkeit und ohne die Pause auch nur eines Augenblickes hin und her.

„So also ist dat jekommen!“ meinte Fritze. „Krieg zwischen Peru und Chile, ein Telejramm herüber, dat andre aber nicht hinüber, infolgedessen der Anton futsch und Sie als kinderloser Waisenvater mitten in den Anden! Warum sind Sie denn nicht in Lima jeblieben? Warum haben Sie Ihr Jeschäft verkauft?“

Engelhardt war ein reicher Geschäftsmann, mit welchem Fritze sich nicht vergleichen konnte; dennoch examinierte der letztere den ersteren in der ihm eigenen Weise, und der erstere gab willig Antwort, weil sein Vaterherz ihm nicht Zeit ließ, an das Gegenteil zu denken. Er antwortete:

„Das verstehen Sie höchst wahrscheinlich nicht, aber ich will es Ihnen dennoch sagen. Die Verhältnisse lagen so, daß ich durch den Krieg mein ganzes Vermögen verlieren konnte; da sich nun glücklicherweise eine Gelegenheit bot, sehr günstig zu verkaufen, habe ich dieselbe augenblicklich benutzt. Aber nicht nur das Geschäft, sondern überhaupt alles, was ich drüben besaß, habe ich veräußert, und so wurde es mir möglich, auf das schnellste ein Land zu verlassen, dessen politische Verhältnisse einen sichern Besitz und ein ruhiges Genießen nicht gestatten. Ich telegraphierte an Salido, daß ich kommen würde, und zwar auf dem Landwege über die Anden, weil ich in Salta, Tucuman und Cordova noch geschäftliche Verwickelungen zu lösen habe. Meine Frau hat mit dem andern Sohne den Seeweg vorgezogen, wozu ich meine Einwilligung gab, weil ich ein gutes, neues Schiff fand, dessen Kapitän ein Bekannter, ja ein Freund von mir ist. In Buenos Ayres werde ich mit ihnen zusammentreffen. Dort hoffte ich natürlich, auch Anton zu treffen. Nun ist er fort! Mein Gott, wer hätte das gedacht! Wo mag der Knabe sein? Unter welchen Menschen mag er sich befinden!“

Man sah, daß er sich in großer Aufregung befand. Fritze legte ihm die Hand auf den Arm und antwortete in beruhigendem Tone:

„Denken Sie etwa, daß Salido ihn unzuverlässigen Menschen überjeben hat? Können Sie sich dat denken?“

„Was das betrifft, so ist Salido vorsichtig, und ich gebe gern zu, daß er sein möglichstes gethan haben wird; aber er ist nicht Herr der Verhältnisse. Wer weiß, was unterwegs geschieht. Und wenn mein Sohn glücklich über die Anden kommen sollte, was dann? Er findet uns nicht, denn wir sind fort. Man wird ihn zwingen, Soldat zu werden, denn er ist für sein Alter sehr gut entwickelt und – – –“

„Machen Sie Ihnen keine Sorjen!“ fiel ihm der Stralauer in die Rede. „Ihr Anton kommt jar nicht über die Jrenze. Die Leute, bei denen er sich befindet, sind schon so jescheit, ihm unter die jejenwärtigen Verhältnisse nicht hinüber zu lassen.“

„Woher wissen Sie das? Wie können Sie das behaupten?“

„Weil ik diese Leute kenne.“

„So? Sie kennen sie? Wirklich?“

„Ja, ik kenne sie sehr jenau; ik kenne sie so jut wie mir selber.“

„So sagen Sie schnell, wer diese Leute sind, und wo sie sich jetzt befinden!“

„Dat sollen Sie so rasch erfahren, wie es mich möglich ist. Sehen Sie sich einmal meinen Herrn hier an! Kennen Sie ihm?“

„Sonderbare Frage! Er hat mir ja vorhin seinen Namen genannt.“

„Jut, so sehen Sie nun auch einmal mir an! Kennen Sie mir auch?“

„Fritze Kiesewetter aus Stralau!“

„Am Rummelsburjer See, nicht zu verjessen. Und nun passen Sie auf! Wir beide sind eben diejenigen Leute, an welche Sie sich zu halten haben, wenn Sie mit Ihrem Anton reden wollen.“

„Sie? Sie? Wäre es möglich? Sie wissen, wo er ist?“

„Ja. Er jehört zu uns. Er befindet sich beim Vater Jaguar, der über zwanzig tapfre Männer bei sich hat. Sie sehen also ein, daß Sie Ihnen keine Sorje zu machen brauchen. Ihr Sohn kann jar nicht besser aufjehoben sein; dat kann ik Sie mit meinem Ehrenwort versichern.“

Der Ausdruck der Besorgnis wich aus Engelhardts Gesicht; er schlug erfreut die Hände zusammen und rief aus:

„So ist es, so? Bei dem Vater Jaguar befindet er sich? Also droben an der Salina del Condor, welche gar nicht weit von hier liegt?“

„Ja, da oben. Der Vater Jaguar sollte ihm über dat Jebirge bringen, wird ihm aber nun in Ihre Hände lejen.“

„Welch ein Zufall, oder vielmehr welch eine Schickung!“

„Es ist kein Zufall,“ nahm da der Doktor das Wort. „Ich bestätige, daß Ihr Sohn sich hier in der Nähe befindet und daß Sie ihn vielleicht schon morgen begrüßen können; das haben Sie aber nicht einem Zufalle, sondern Ihrem gütigen Herzen zu verdanken. Wären Sie an uns vorübergeritten, ohne uns aus unsrer Verlegenheit zu helfen, so würden Sie die Trennung von Ihrem Sohne länger zu beklagen haben. In Ihrem eigenen Herzen also liegt der Grund der Freude, welche Sie jetzt empfinden. Ich nehme aufrichtig an derselben teil.“

„Sie haben ihn also schon in Buenos Ayres gesehen, ihn also auch von dort aus begleitet?“

„Er reiste mit dem Vater Jaguar voraus. Wir folgten und trafen mit der Truppe am Rio Salado zusammen.“

„Und dann?“

„Dann sind wir durch den Gran Chaco geritten.“

„Durch diese wilde, gefährliche Gegend? Ist Ihnen da kein Unfall begegnet?“

„O, mehr als einer!“

„Auch meinem Sohne?“

„Diesem nicht, denn er hat unter einem vortrefflichen Schutz, lateinisch Patrocinium oder auch Tutela geheißen, gestanden. Er hat sich sogar ganz im Gegenteile durch Heldenthaten ausgezeichnet, von denen wir Ihnen gern erzählen werden.“

„So erzählen Sie, erzählen Sie gleich jetzt! Ich bin zu begierig, zu erfahren, was er unterwegs und auch schon in Buenos Ayres erlebt hat.“

Der Doktor war bereit, dieser Aufforderung nachzukommen; aber der bedächtigere Fritze legte seinen Widerspruch ein, indem er sagte:

„Nicht jetzt, nicht jetzt, meine Herren. Sehen Sie doch, wie weit wir zurückjeblieben sind! Da oben halten die andern und warten auf uns. Reiten wir also weiter! Wir können unterwegs auch sprechen, und wenn wir lagern, haben wir jenug Zeit, alles zu erzählen, wat jeschehen ist.“

Die beiden mußten ihm recht geben, und so folgten sie ihm, als er sein Maultier in rasche Bewegung setzte. Das Thal wand sich zwischen zwei Bergen empor und schien sich dann wieder abwärts zu senken. Droben hielten die beiden Arrieros mit dem Peon, um die Zurückgebliebenen zu erwarten. Als dieselben nachgekommen waren, ging es mit verdoppelter Schnelligkeit vorwärts, bald durch tiefe Senkungen und bald über Höhen, die so steil waren, daß sie von Pferden gar nicht überwunden hätten werden können. Die Sonne sank hinter den Bergen, und der Arriero, welcher den Führer machte, trieb zu noch größerer Eile an. Droben in den Lüften schwebte ein Condor. Der Arriero deutete zu ihm empor und sagte:

„Der sucht sein Nest auf; thun auch wir dasselbe, denn ehe eine halbe Stunde vergangen ist, wird es dunkel sein.“

„Ist denn der gesuchte Pfad noch nicht bald erreicht?“ fragte Engelhardt.

„In wenigen Minuten werden wir dort sein.“

„und der Ort, an welchem wir übernachten wollen?“

„Ist dann auch nicht weit. Nur liegt er leider nicht nach Süden, der Seite, nach welcher wir morgen reiten werden, sondern nach Norden, was wieder einen Zeitverlust ergibt.“

„Also nach der Salina del Condor zu?“

„Ja.“

„So werden wir keinen Zeitverlust haben, denn ich werde morgen früh nicht direkt nach Salta zu aufbrechen, sondern vorher nach der Salina reiten.“

„Warum, Señor? Bedenken Sie, welchen Umweg Sie da machen! Sie müssen einen guten Grund dazu haben, wenn ich nicht davon abraten soll.“

„Der Grund ist der stichhaltigste, den es nur geben kann. Nämlich mein Sohn, den ich in Buenos Ayres zu sehen glaubte, befindet sich hier an der Salina del Condor. Warum, das werden Sie noch erfahren.“

„So stimme ich bei, denn so eine Ursache muß ich gelten lassen.“

Nur einige Minuten später gelangte man auf einen ebenen sandigen Plan, welcher halb durchquert wurde. Dann hielt der Führer an, deutete auf den Boden nieder und sagte dann:

„Señores, sehen Sie die Spuren hier im Sande? Sie sind alt und auch schon halb verweht, kaum mehr zu erkennen. Das ist der Weg nach der Salina. Wir werden ihm noch eine Strecke folgen, aber schnell. Der Weg ist gut; treiben wir unsre Tiere an!“

Er setzte sein Maultier in Galopp, und die andern thaten mit den ihrigen dasselbe. Sie flogen rasch über den Plan und dann am Fuße eines Berges hin, dessen Seite aus tief zerklüfteten Felsen bestand. Dann parierte der Arriero sein Tier, deutete auf eine breite aber nicht sehr hohe Öffnung im Gestein und sagte:

„Hier ist der Ort, an welchem wir übernachten werden, Señores, eine Art Höhle, welche zwei Eingänge hat. Der Wind trifft hier nicht an, und wenn wir ein Feuer anzünden und uns in unsre Decken hüllen, werden wir gerade so gut und angenehm schlafen, als ob wir uns im Innern eines Rancho befänden.“

Man stieg ab, um die Höhle zu untersuchen. Sie hatte keinen Hintergrund, sondern bestand aus zwei ungefähr zwanzig Schritt voneinander in der Felsenwand befindlichen Eingängen oder Öffnungen, welche durch einen nach innen gebogenen leeren Raum verbunden waren. Sie besaß also ungefähr die Gestalt eines Halbringes, dessen Enden sich nach außen öffneten. Vor der Höhle wuchs niedriges aber dichtes Punagras, welches den Maultieren eine vortreffliche Weide bot. Man schirrte sie ab und fesselte ihnen die Beine in der Weise, daß sie zwar frei grasen, aber sich nicht weit entfernen konnten.

Die kurze Zeit des noch übrigen Tageslichtes wurde benutzt, die Höhle zum Lager einzurichten, indem man die Recadosättel aufschlug, damit sie als Bettstellen dienen sollten. Als die Decken darüber gebreitet worden waren, bildeten sie Lagerstätten, die man sich in dieser Wildnis gar nicht besser wünschen konnte. Als man dann die Satteltaschen geöffnet hatte, um zu den in denselben befindlichen Vorräten zu gelangen, war es dunkel geworden, und das Feuer wurde angebrannt. Es war unterwegs so viel Material für dasselbe gesammelt worden, daß es einige Stunden brennen konnte.

Nun wurde zunächst gegessen, und als dies vorüber war, brannten sich die Männer Cigaretten an, welche der Doktor aus Salta mitgebracht hatte und von denen auch Engelhardt noch einen kleinen Vorrat besaß. An der einen Seite des Feuers, welches natürlich in der Höhle brannte, saßen die beiden Arrieros und der Peon, welche spanisch miteinander sprachen, auf der andern die drei Deutschen, die sich ihrer Muttersprache bedienten, denn der vorsichtige Fritze hielt es für geraten, zunächst nur Engelhardt wissen zu lassen, was im Laufe der letzten Zeit geschehen war und was nun infolgedessen droben an der Salina und in der Mordschlucht geschehen sollte. Er und der Doktor erzählten dem Bankier abwechselnd, was sich seit jenem Tage in Buenos Ayres ereignet hatte, und es ist selbstverständlich, daß Engelhardt ein Zuhörer war, welcher dem Berichte das allergrößte Interesse schenkte. Einen Wächter draußen auszustellen, daran dachte keiner. Wäre der Vater Jaguar mit hier gewesen, er hätte, schon aus Gewohnheit, sicher nicht versäumt, diese Vorsichtsmaßregel zu treffen.

Leider wäre dieselbe keineswegs grund- oder zwecklos gewesen, denn während die sechs Männer, welche sich in der Höhle befanden, an keine Störung, am allerwenigsten aber an eine feindliche, dachten und drei von ihnen von den Thaten des Vater Jaguar sprachen, waren ihnen gerade die grimmigsten Feinde dieses berühmten Mannes so nahe, daß sie dieselben beinahe mit den Händen hätten greifen können.

Der Gambusino hatte sich mit Antonio Perillo, wie bereits erwähnt, nach dem Guanacothale gewendet, um einige der dort jagenden Mojosindianer für seinen Ritt nach der Mordschlucht zu engagieren. Er hatte zwar Mundvorrat in Salta mitgenommen, aber keineswegs so viel, wie unter Umständen gebraucht werden konnte. Es war seine feste Absicht, so lange in der Mordschlucht zu bleiben, bis das Versteck gefunden sei. Dies konnte aber mehrere Tage, ja wochenlang dauern, und in diesem Falle mußte der mitgebrachte Proviant ausgehen. Es waren dann Leute nötig, welche jagen mußten, um Fleisch herbeizuschaffen, und dazu sollten die Mojos dienen. Außerdem war, um nicht von zufällig Vorüberkommenden überrascht zu werden, es nötig, zwei Wächter aufzustellen, einen ober- und einen unterhalb der Mordschlucht, eine Aufgabe, deren sich die Mojos auch zu unterziehen hatten.

Selbstverständlich aber mußte es diesen Indianern verboten sein, selbst in die Schlucht zu kommen. Mit welchen Gründen sollte ihnen dies plausibel gemacht werden? Wie konnte man ihnen überhaupt die so geheimnisvolle und vielleicht lange währende Anwesenheit zweier Menschen in der Mordschlucht erklären? Der Gambusino sann darüber nach und sagte dann zu Perillo:

„Diese Halunken sind zu scharfsinnig, als daß wir ihnen mit gewöhnlichen Finten kommen dürfen. Wir müssen nach einem Grunde suchen, welcher mit der Religion zusammenhängt; das ist die einzige Art und Weise, sie sicher zu mystifizieren. Fällt dir nichts ein?“

„Warum nicht? Was sagst du zu einem Gelübde?“

„Wahrhaftig! Da triffst du gleich das allerbeste. Wir haben in großer Todesnot das Gelübde gethan, etwas Gott Wohlgefälliges, worauf wir schon noch kommen werden, in der Mordschlucht vorzunehmen, wobei wir ungestört und einsam bleiben müssen. Die Roten sind alle außerordentlich abergläubisch; sie werden so voller Scheu und Ehrfurcht sein, daß sie sicherlich nicht auf den Gedanken kommen, uns etwa zu belauschen.“

„Aber wenn wir dann finden, was wir suchen, so können wir es ihnen doch nicht verbergen, denn wer weiß, was und wieviel wir zu schleppen haben. Da werden sie erkennen, daß wir sie getäuscht haben, und uns aus Rache alles abnehmen!“

„Schwachkopf! Habe ich dir nicht schon da unten am Sumpfe der Knochen gesagt, wie wir sie unschädlich machen werden? Sind wir glücklich, so müssen sie alle sterben. Das wird uns nicht viel Arbeit machen, da es vollständig genügt, wenn wir ihrer nur sechs oder acht engagieren.“

Die beiden gewissenlosen Menschen waren von den Mojos freundlich aufgenommen worden und hatten dem Häuptlinge derselben ihren Wunsch mitgeteilt. Er war nicht nur auf denselben eingegangen, sondern sogar bereit gewesen, sich selbst an dem Ritte nach der Mordschlucht zu beteiligen. Das war ihnen freilich höchst unangenehm; da aber eine Zurückweisung für ihn eine große Beleidigung gewesen wäre und er dann gewiß auch seinen Leuten die Teilnahme versagt hätte, so waren sie wohl oder übel gezwungen, darauf einzugehen.

Sie brachen dann mit ihm und noch sieben Mojos vom Guanacothale nach der Mordschlucht auf, welche so fern lag, daß sie in einem Tage nicht erreicht werden konnte. Gegen Abend des ersten Tages waren sie bis an den Saumpfad gekommen, welcher hinauf nach der Salina del Condor führte.

Sie folgten demselben, bis es dunkel war, und dann wollte der Gambusino an der ersten besten Stelle Lager machen; da aber meinte das „spitze Messer“, der Häuptling:

„Der scharfe Nachtwind wird sich bald erheben, und dann ist es gut, wenn man sich an einem Orte befindet, wo er einen nicht treffen kann.“

„Weißt du denn einen solchen?“

„Ja. Es ist eine Höhle, welche gar nicht weit von hier liegt, eine Höhle mit zwei Eingängen.“

„So führe uns hin!“

Sie ritten also weiter, das „spitze Messer“ voran und die andern hinter ihm drein. Nach einiger Zeit blieb er plötzlich halten, flüsterte den andern zu, ja kein Geräusch zu machen und beugte sich weit vor, um, wie man sah, etwas zu beobachten.

„Was hast du? Siehst du vielleicht etwas Verdächtiges?“ fragte ihn der Gambusino mit leiser Stimme.

„Ja,“ antwortete er. „Ich sehe den Schein eines Feuers, welches in der Höhle brennt.“

„So befinden sich Menschen drin?“

„Ja, denn wo ein Feuer ist, müssen auch Menschen sein, die es angezündet haben.“

„Wer mag es sein?“

„Ich werde es sehen. Haltet mein Tier; bleibt hier und seid still!“

Er glitt aus dem Sattel und huschte weiter. Es dauerte über eine Viertelstunde, bevor er zurückkehrte; da meldete er:

„Vor und seitwärts der Höhle weiden Maultiere, und drinnen sitzen sechs Männer am Feuer.“

„Indianer?“ fragte der Gambusino.

„Es sind Weiße.“

„Wie bewaffnet?“

„Sehr gut.“

„Was treiben sie?“

„Sie sprechen miteinander. Drei reden spanisch, und die andern drei haben eine Sprache, von der ich kein Wort verstehe.“

„Das ist auffällig, höchst auffällig. Ich werde selbst nachsehen.“

Als er abstieg, meinte Antonio Perillo:

„Ich gehe mit.“

„Ist nicht nötig; einer ist genug.“

„Aber zwei sehen und hören mehr.“

Er verließ auch den Sattel, und der Gambusino hinderte ihn nicht daran. Sie schlichen vorwärts. Der Lichtschein war ihr Wegweiser, so daß sie die Höhle, obgleich sie dieselbe nicht kannten, unmöglich verfehlen konnten. Als sie in der Nähe derselben angekommen waren, legten sie sich nieder und krochen weiter, bis sie den einen Eingang fast erreicht hatten.

„Wenn einer zufällig herauskommt, wird er uns sehen?“ raunte Perillo dem Gambusino zu.

„Nein, außer er fällt über uns weg. Hier ist es dunkel, drin aber hell; das blendet beim Heraustreten. Komm noch weiter heran!“

Sie schoben sich noch ein wenig fort und lagen dann so, daß sie in die Höhle sehen konnten. Sie erblickten die beiden Arrieros und den Peon; die andern drei konnten sie nicht sehen, aber sie hörten sie sprechen. Nach einigen Augenblicken zog der Gambusino seinen Gefährten zurück, bis sie sich so weit entfernt hatten, daß sie sich wieder aufrichten durften.

„Hast du ihn erkannt?“ fragte Perillo.

„Wen?“

„Den Knecht des Wirtes in Salta.“

„Ja.“

„Aber die beiden andern kenne ich nicht.“

„Es sind Arrieros, wie du schon an ihrer Kleidung siehst. Ich habe sie schon gesehen, kenne aber ihre Namen nicht. Hast du eine Ahnung, was das für eine Sprache ist, welche die drei andern sprechen? Französisch ist es nicht, Portugiesisch und Englisch auch nicht.“

„Es klingt wie Deutsch. Ich habe in Buenos Ayres oft Deutsche miteinander sprechen gehört.“

„Demonio! Deutsch! Sollte etwa –“

„Wer? Was?“

„Still jetzt! Wir müssen sie unbedingt sehen. Die Höhle hat noch ein Loch. Wenn wir dorthin gehen, erblicken wir sie wahrscheinlich, weil sie an der andern Seite des Feuers sitzen. Komm!“

Sie schlugen einen Bogen, um nicht in den Bereich des Feuerscheins zu gelangen, und näherten sich dann von der andern Seite dem zweiten Eingange, ebenso kriechend wie vorher.

Die Vermutung des Gambusino erfüllte sich; die drei Deutschen waren zu sehen. Engelhardt saß so, daß er den Lauschern das Gesicht voll zukehrte, natürlich aber ohne sie zu bemerken; der Doktor und Fritze waren im Profil zu sehen.

Der Gambusino griff nach dem Arme Perillos und drückte denselben in seiner Aufregung so, daß der Stierkämpfer hätte laut aufschreien mögen. Sein Atem ging hörbar, fast röchelnd; doch beherrschte er sich und gab Perillo einen Wink, sich mit zu entfernen. Als sie in Sicherheit gelangt waren, schimpfte er, indem er mit den Zähnen knirschte:

„Verwünscht seien diese beiden Kerle! Hast du sie erkannt?“

„Natürlich! Ich hatte also recht, als ich sagte, daß es die deutsche Sprache sei.“

„Wie kommen diese Menschen hierher in diese Höhle?“

„Der Teufel ist ihr Führer gewesen!“

„Das muß so sein! Er führt sie uns immer in den Weg. Wir haben uns zwar geirrt, als wir den einen für Glotino hielten, aber sie sind uns doch gefährlich, denn sie laufen uns grad dann, wenn wir etwas Wichtiges vorhaben, allemal in den Weg.“

„O, das ist noch lange nicht das Gefährlichste!“

„Was denn?“

„Am bedenklichsten ist jedenfalls der Umstand, daß stets da, wo sie sind, sich auch der Vater Jaguar befindet.“

„Das ist wahr. Ich will doch nicht hoffen, daß der Teufel auch ihn herbeigeführt hat!“

„Was das betrifft, so ist dem Teufel und diesem Vaterjaguar alles zuzutrauen. Hast du die Sättel gezählt, welche in der Höhle lagen?“

„Ja. Es waren sechs Reitsättel. Daraus ist mit Sicherheit zu schließen, daß sich nur diese sechs Personen hier befinden. Den Vater Jaguar haben wir also wenigstens jetzt noch nicht zu befürchten.“

„Was thun wir? Reiten wir etwa weiter? Ich möchte wenigstens diesen beiden kleinen Deutschen endlich einmal einen Denkzettel anhängen.“

Der Gambusino blickte eine Weile sinnend vor sich nieder und antwortete dann:

„Ich habe einen Gedanken – –“

„Wohl den, sie wieder laufen zu lassen?“

„Kann mir nicht einfallen. Sie sind uns eigentlich ungefährlich, und wenn ich auch nicht so dumm bin, mir eines Menschenlebens wegen schwere Gedanken zu machen, so halte ich es doch für überflüssig, sie zu töten, wenn es nicht grad notwendig ist. Wenn wir sie festnehmen, so besitzen wir in ihnen zwei Geiseln gegen den Vaterjaguar, wenn er sich wirklich hier befinden sollte.“

„So meinst du, daß wir uns mit ihnen herumschleppen sollen?“

„Hm! Unbequem würde es sein; aber ich habe einen Grund, es dennoch zu thun.“

„Welchen?“

„Sie sind reich.“

„Meinst du?“

„Ja. Wer solche Reisen macht, muß reich sein. Aber es gibt noch einen zweiten Grund. Kennst du den dritten, den blonden Deutschen, welcher bei ihnen sitzt?“

„Nein.“

„Und bist doch in Peru drüben, in Lima gewesen!“

„Ist er von dort?“

„Ja. Ich kenne ihn. Ich habe ihn wiederholt gesehen; er aber kennt mich jedenfalls nicht. Hast du einmal den Namen Engelhardt gehört?“

„Meinst du etwa den steinreichen Bankier in Lima, den Millionär?“

„Ja.“

„Ist der es etwa?“

„Ja, er ist’s. Es gibt gar keinen Zweifel, denn ich kenne ihn genau. Denke, welch ein Lösegeld!“

„Hei, das ist ein herrlicher Gedanke! Falls aus unsrem Schatze nichts wird, könnten wir uns durch diesen Engelhardt entschädigen. Er müßte zahlen, sein halbes Vermögen hergeben, um wieder frei zu sein.“

„Wieder frei? Damit er uns dann verraten kann? Dummheit! Erst zahlt er, und dann – – verschwindet er. Bist du dabei? Selbst wenn wir deinen Schatz finden, können wir das Lösegeld dieses Burschen noch mitnehmen.“

„Du hast recht, vollkommen recht. Also wir nehmen ihn und die beiden Kleinen?“

„Ja.“

„Und was wird mit den andern?“

„Weggeputzt.“

„Und die Indianer? Was werden die dazu sagen? Wie werden sie sich verhalten?“

„Denen stopfen wir den Mund mit den beiden Kleinen.“

„Wieso?“

„Wir nehmen den Bankier für uns, ohne ihnen aber zu sagen, was für ein fetter Bissen er ist, und versprechen ihnen als ihren Anteil die Kleinen, von denen wir sagen, daß sie ungeheuer reich seien.“

„Das geht. Später können wir ja immer noch thun, was wir wollen.“

„Ja, später nehmen wir natürlich alles für uns, und sie bekommen nichts.“

„Aber die Arrieros und der Peon? Wenn wir sie festhalten, sind sie uns beschwerlich, ohne daß wir etwas bekommen, und lassen wir sie laufen, so verraten sie alles.“

„Wir nehmen sie nicht fest und lassen sie auch nicht laufen.“

„Was denn sonst?“

„Drei Kugeln oder Messerstiche.“

„Diablillo! Du machst kurzen Prozeß; aber es ist ganz richtig so. Es fragt sich nur, ob die Indianer mitmachen werden.“

„Ich bin überzeugt davon und werde mit ihnen reden. Warte hier, bis ich wiederkomme!“

Er entfernte sich vorsichtig, während Perillo sich niederlegte und an die Erde schmiegte, um nicht gesehen zu werden, indem er ihn erwartete. Als der Gambusino zurückkehrte, kam er nicht allein, sondern brachte den Häuptling und sechs Indianer mit; der siebente war bei den Tieren geblieben, um dieselben zu bewachen.

„Sie sind einverstanden,“ flüsterte er Perillo zu. „Der Bankier für uns und die Kleinen für sie. Aber töten wollen sie niemand. Wir müssen also die Arrieros und den Peon auf uns nehmen; darum habe ich dir dein Gewehr mitgebracht.“

„Gib her! Von wessen Kugeln die Kerls fallen, ob von den unsrigen oder von denen der Roten, das bleibt sich gleich. Wann soll es losgehen?“

„Sofort.“

„Und wie?“

„Wir beide schleichen uns hinüber auf die Seite, wo die Arrieros sitzen, und die Indianer huschen an die diesseitige Öffnung der Höhle. Sobald unsre Schüsse fallen, dringen sie in dieselbe ein und werfen sich auf die Deutschen, welche sofort entwaffnet und gebunden werden. Es ist alles verabredet und muß gelingen. Du brauchst dich nicht zu sorgen. Komm!“

Sie begaben sich nach der andern Seite und näherten sich dem Eingange so weit, daß sie ihre Opfer sitzen sehen konnten.

„Ich nehme die beiden Arrieros und du den Peon,“ flüsterte der Gambusino seinem Mordgenossen zu. „Wir schießen sie durch die Köpfe; das ist das Allersicherste. Wenn ich drei sage, drückst du ab. Bist du bereit?“

„Ja,“ antwortete Perillo, indem er sein Gewehr anlegte.

„So ziel gut! Also – eins – zwei – drei!“

Er rief das letzte Wort mit lauter Stimme und drückte dann schnell hintereinander seine beiden Läufe ab. Die drei armen, nichts ahnenden Menschen stürzten, durch die Köpfe getroffen, nieder. Zu gleicher Zeit erhoben die Indianer ein markdurchdringendes Geheul und drangen in die Höhle ein. Das geschah alles in der Zeit von einigen Augenblicken, so daß die Deutschen niedergerissen und gebunden waren, ehe sie nur den Gedanken an eine Gegenwehr zu fassen vermochten. Dann machten sich die Roten über die Erschossenen her, um ihnen alles abzunehmen, was bei ihnen zu finden war. Darauf schafften sie die vollständig entkleideten Leichen hinaus ins Freie, um selbst auch dort zu bleiben und zu warten, welche Befehle der Gambusino ferner noch erteilen werde. Auch der Häuptling begab sich wieder hinaus, wohl ohne dazu einen andern, besonderen Grund zu haben als den Respekt, den er vor dem Gambusino hegte.

Dieser schürte das Feuer heller und stellte sich dann mit Perillo so vor die Gefangenen, daß diese, die sich von ihrem Schrecken noch nicht erholt hatten, ihre Feinde deutlich sehen konnten.

„Willkommen hier oben in den Bergen, Señores!“ redete er sie in höhnischem Tone an. „Ich bin ganz entzückt, Sie hier zu sehen. Es scheint mir beschieden zu sein, mich immer wieder an Ihrem Anblicke erquicken zu dürfen. Wie geht es Ihnen?“

„Sehr gut, Señor,“ antwortete Fritze, der sich zuerst gefaßt hatte, und nun in dieser Weise antwortete, um dem Gambusino die Freude zu verderben, ihn kleinlaut und erschreckt zu sehen.

„Gut? Sogar sehr gut? Sie befinden sich also wohl?“

„Ja. Wenn es Ihnen so ums Herz wäre, wie mir, könnte man Sie beneiden.“

„Ihr Herz geht mich weniger an als Ihr Geldbeutel. Wie steht es mit diesem? Sind Sie reich?“

„Sehr.“

„So können Sie ein Lösegeld zahlen?“

„Ja.“

„Aber Sie haben kein Geld mit?“

„Leider ist es so. Es liegt bei meinem Bankier.“

„Das thut nichts. Sie werden mir eine Anweisung geben. Wie steht es mit Ihrem Gefährten?“

Damit war Doktor Morgenstern gemeint, welchem vor Schreck die Sprache abhanden gekommen zu sein schien. Er schwieg; aber Fritze antwortete für ihn:

„Der arme Teufel hat weiter nichts, als was in seiner Tasche steckt, eine Handvoll Bolivianos; das ist alles.“

„So muß er sterben. Ich könnte ihn nur gegen ein Lösegeld freigeben.“

„Fällt ihm nicht ein, zu sterben, da er weiß, daß ich oft und manchmal für ihn bezahle.“

„Auch dieses Mal?“

„Ja. Wie hoch soll die Summe sein?“

„Zehntausend Bolivianos für beide; das ist die geringste Summe, die ich fordern darf.“

„Schön! Sollen sie haben! Geben Sie mir Tinte, Feder und gutes, weißes Papier, so soll die Anweisung sofort geschrieben werden!“

„Nur langsam! Es hat keine so große Eile. Ich muß doch auch mit diesem Señor sprechen.“

Er pflanzte sich breitspurig vor Engelhardt auf und fragte ihn:

„Kennen Sie mich vielleicht, Señor Engelhardt?“

„Nein,“ antwortete der Gefragte, welcher sein Herz erleichtert fühlte, da es sich nicht um sein Leben, sondern nur um ein Lösegeld zu handeln schien.

„Nicht? Nun, das schadet nichts, denn Sie werden mich kennen lernen, und wenn Sie sich so bereitwillig zeigen, wie dieser kleine Señor, welcher keinen einzigen von den zehntausend Bolivianos abgehandelt hat, so wird unsre Bekanntschaft eine für beide Teile sehr angenehme sein.“

„Wieviel verlangen Sie für meine Freiheit?“

„Das wird sich finden, nachdem ich erfahren habe, wie hoch sich Ihr Besitz beläuft. Ich pflege nämlich nach Prozenten desselben zu rechnen und – –“

Er wurde unterbrochen, und zwar von dem Häuptlinge, welcher hastig hereintrat und ihm einen Wink gab, auf die Seite zu kommen. Als er diesem Winke gefolgt war, flüsterte ihm das „spitze Messer“ zu:

„Wir sind nicht sicher; wir werden belauscht. Einer meiner Leute hat eine Gestalt gesehen, welche an der Erde herbeigekrochen kam.“

„Vielleicht irgend ein Tier!“

„Nein, Señor; es war ein Mensch, denn als er sah, daß er bemerkt worden war, sprang er auf und lief davon.“

„Habt ihr ihn nicht verfolgt?“

„Wer kann das in der Finsternis, welche draußen herrscht? Der Mann ist in einem einzigen Augenblicke verschwunden gewesen.“

„Qué disgusto! So müssen wir augenblicklich fort. Wer weiß, wer sich hier herumtreibt.“

„Gewiß der Vater Jaguar,“ antwortete Antonio Perillo, welcher so nahe stand, daß er die Meldung des Häuptlings gehört hatte.

„Nein, dieser sicher nicht, denn wenn er es wäre, so würde er nicht zögern, über uns herzufallen, um die Gefangenen zu befreien. Aber mag es sein, wer es will; er soll uns nichts anhaben; wir führen ihn irre.“

Er trat das Feuer aus, damit es nicht zum Verräter werden möge, und erteilte noch einige leise Befehle. Einige Indianer holten die Maultiere der Gefangenen und Erschossenen zusammen, und andre nahmen die gefesselten Deutschen auf und trugen sie nach der Stelle, wo der Indianer die Tiere bewachte. Dort gab es ein kurzes Durcheinander, und dann hörte man, daß sich der Trupp entfernte, aber nicht in der Richtung der Salina del Condor, sondern in die entgegengesetzte. Der vorher so belebte Platz lag wieder still und lautlos da.

Wirklich lautlos? Doch nicht ganz, denn gar nicht weit von der Höhle, wo sie hart an die Felswand geschmiegt gelegen hatten, erhoben sich zwei Gestalten, eine sehr lange und eine kürzere, denen das lose Haar weit über den Rücken hinabhing, und der Lange sagte mit unterdrückter Stimme zu dem Kleineren:

„Sie haben dich gesehen; darum sind sie fort. Wie leicht konnten sie dich ergreifen, o Herrscher!“

„Mich niemals, lieber Anciano,“ antwortete Haukaropora, der Sohn des Inka. „Sie haben eine falsche Richtung eingeschlagen, um uns irre zu leiten; aber wir lassen uns nicht täuschen. Unsre Füße sind schneller, als die Hufe ihrer Pferde. Sie reiten sicher nach der Salina. Laß uns ihnen dorthin voraneilen, um dem Vater Jaguar ihr Nahen zu verkünden!“

Die beiden Nachkommen der alten Peruaner verschwanden im Dunkel der Nacht. Aus ihren Worten ging hervor, daß sie von dem Vater Jaguar als Kundschafter ausgesandt worden waren, um ihm die Annäherung des Gambusino zu melden. Dieser letztere war eher als der erstere in Salta gewesen; er hatte einen Vorsprung von einem Tage gehabt; da er aber erst zu den Mojosindianern geritten war, während der Vater Jaguar mit seinen Leuten das Ziel direkt hatte aufsuchen können, so war dieser weit eher als der Gambusino an demselben angekommen. Hammer hatte sich das sehr wohl berechnet; er wußte genau, daß die Erwarteten erst später kommen konnten, und so ließ er, als er an der Mordschlucht ankam, seine Schar am Rande derselben lagern, ohne diejenigen Vorsichtsmaßregeln zu treffen, von denen er sonst gewiß nicht abgesehen hätte.

Der Name Barranca del Homicidio, also Mordschlucht, war ein unheimlicher, und die Umgebung dieses Ortes, die ganze Gegend, stand im Einklange mit dem Eindrucke, welchen diese Bezeichnung machte. Die Vormittagssonne verschwendete ihre Wärme an ein Bild trostloser Einsamkeit. Leblos und kahl erhoben sich im Westen die Riesen des Gebirges; öde standen rings die Felsenhöhen in der Nähe und weder an ihren Hängen noch in den Thälern war eine Spur von Vegetation zu bemerken.

Was die Schlucht selbst betraf, so fiel sie so steil in die Tiefe hinab, daß nur Fußgänger aber nicht Reiter, und selbst erstere nicht leicht, hinabkommen konnten. Auch hier gab es, weder an den Seiten noch auf dem Grunde der Schlucht, irgend eine Art von Pflanzenwuchs, und nur am Rande derselben, da wo die Reiter abgestiegen waren, sah man einige halb aus der Erde gerissene Wurzeln, deren Stengel von früher Dagewesenen als Feuerungsmaterial benutzt worden waren. Hier oben gab es nur glatten Fels, auf welchem selbst die Hufe der Maultiere kaum eine Spur zurücklassen konnten; die Tiefe aber war angefüllt von Gesteinstrümmern, welche sich im Laufe der Zeit von den Wänden abgelöst hatten und hinuntergestürzt waren. Nicht weit von den Lagernden, vielleicht fünfzig Schritt von der Schlucht entfernt, lag ein großer Felsblock, welcher auf der der Schlucht abgewendeten Seite überhing und so einen Raum zum Unterschlüpfen bildete, in welchem eine Person bequem Schutz gegen Wind und Wetter finden konnte. Der Vater Jaguar sagte zu seinem Geronimo, indem er auf diesen Fels deutete –

„Unter diesem Steine hat Antonio Perillo gelegen, als er den Inka belauschte, ehe er ihn dann am folgenden Morgen weiter unten ermordete. Als mir der sterbende Pellejo erzählte, was er am Sumpfe der Knochen heimlich gehört hatte, sprach er von diesem Felsen. Perillo hatte unter demselben übernachten wollen, als der Inka vorüberkam.“

„Ja,“ antwortete Geronimo, indem er mit der Hand in die Tiefe deutete, „da drüben am jenseitigen Rande ist der Inka am andern Morgen erschienen und emporgestiegen; dort muß also der Schatz aufbewahrt sein.“

Die beiden sprachen jetzt offen, so daß die andern alle es hörten, von dem Schatze und bedienten sich dabei des Wortes Inka, denn der alte Anciano und Haukaropora hatten während der letzten Tage zu ihnen offen von ihrem Geheimnisse, welches bis dahin nur der Vater Jaguar außer ihnen gekannt hatte, gesprochen. Anciano hörte, welche Vermutung Geronimo aussprach, und sagte infolgedessen:

„Sie haben ganz richtig vermutet, Señor. Dort drüben, wo man nur mit Anstrengung aufwärts steigen, von oben nach unten aber mit Gefahr für seine Glieder gelangen kann, ist die Stelle, nach welcher der Gambusino und Perillo suchen wollen.“

„Du kennst sie natürlich?“ fragte Hammer.

„Ja.“

„Auch Hauka?“

„Nein. Für ihn ist sie bisher ein Geheimnis gewesen, da er erst seit kurzer Zeit das Alter erreicht hat, in welchem er nach dem Willen seines Vaters das Geheimnis vollständig erfahren soll.“

„Er erfährt es von dir?“

„Ja.“

„So bist du ganz in dasselbe eingeweiht?“

„Nur soweit es notwendig ist, um Hauka den Weg zu zeigen.“

„Liegt der Schatz vergraben in der Erde? Ich meine, ob man ein Loch gegraben und dann wieder zugeschüttet hat?“

„Nein; er befindet sich in einer Höhle, in einem alten Stollen, welchen unsre Vorfahren gegraben haben, um nach Gold oder Silber zu suchen. Sie haben aber nichts gefunden, und als sie dann gar einen breiten, unterirdischen Querspalt erreichten, welcher so tief war, daß man keinen hinuntergeworfenen Stein den Boden desselben erreichen hörte, gaben sie das Graben auf und schütteten den Eingang des Stollens zu. Die Lage desselben blieb aber bekannt, und als der Vorfahre Haukaroporas floh, wendete er sich mit den Treuen, die bei ihm waren, hierher und verbarg alles, was er von seinen Schätzen gerettet hatte, in dem Stollen. Die Feinde folgten ihnen später und überfielen sie. Alle wurden getötet, außer zweien, welche entkamen; der eine war der Inka und der andre mein Ahne. Das Geheimnis erbte sich auf die Nachkommen dieser beiden, bis auf Haukaropora und mich, fort. Ich weiß, wo die Höhle liegt, bin aber noch nie im Innern derselben gewesen, da nur mein Herr, der Vater Haukaroporas, das Recht hatte, dieselbe zu betreten. Heute werde ich ihm den Eingang zeigen, und wenn er es mir erlaubt, darf ich dabei zum erstenmal sehen, welche Gegenstände die Höhle birgt.“

„Natürlich erlaube ich es dir, mein alter, treuer Anciano,“ fiel da Haukaropora ein. „Du bist mein zweiter Vater, und was mir gehört, das ist auch dein Eigentum.“

„Ich danke dir,“ antwortete der Alte erfreut. „Ich bedarf nichts und wünsche mir nichts als die Fortdauer deiner Liebe. Dennoch habe ich einen großen Wunsch, um dessen Erfüllung ich dich bitte.“

„Welchen? Sage ihn!“

„Du sollst die Höhle nur nach der Erreichung eines gewissen Alters betreten, eines Alters, in welchem die Unvorsichtigkeit der ersten Jugend überwunden ist. Das hat einen sehr triftigen Grund. Der Stollen ist nämlich nicht ohne Gefahr zu betreten. Worin diese Gefahr besteht, das weiß ich nicht. Dein Vater, mein früherer Herr, wollte es mir noch mitteilen; da er aber ermordet worden ist, hat er keine Zeit gefunden, dies zu thun.“

„So hast du gar keine Ahnung davon?“

„Eine Ahnung allerdings, aber keine Gewißheit. Du weißt, daß unsre Vorfahren ein Feuer herzustellen verstanden, welches jahrhundertelang verborgen sein und ruhen kann, dann aber, wenn es flüssig gemacht wird, mit unwiderstehlicher Gewalt alles zerstört, was es ergreift. Vielleicht gleicht es dem jetzigen Schießpulver, von welchem unser Volk nichts wußte, bis es dasselbe bei den Spaniern sah. Aus einigen Andeutungen deines Vaters vermute ich, daß die Höhle von einem solchen Feuer bewacht wird, welches jeden Unberechtigten, der den Stollen betritt, vernichten soll.“

„Dann ist es allerdings gefährlich, sich dem Schatze zu nahen!“

„Ja. Und darum möchte ich dich bitten, auch den Vater Jaguar mitzunehmen. Seine Augen sind die schärfsten und erfahrensten von allen, so daß er dieses verborgene Feuer jedenfalls eher entdecken wird als wir.“

„Er soll mitgehen. Ich hätte ihn auch ohnedies darum gebeten. Und auch mein lieber Freund Antonio mag bei uns sein, damit er zu den ersten gehört, welche den Schatz sehen. Oder fürchtest du dich vor der Gefahr des verborgenen Feuers?“

Diese Frage war an Anton Engelhardt gerichtet, welcher sogleich antwortete:

„Ich fürchte mich nicht. Wie das Pulver, so wird auch euer Feuer erst dann gefährlich sein, wenn es angezündet wird, also wenn man es mit andrem Feuer in Berührung bringt, und dies zu thun, werden wir uns doch hüten.“

„Wenn wir vorsichtig sind, haben wir jedenfalls nichts zu befürchten,“ stimmte der Vater Jaguar bei. „Ihr wollt die Höhle also schon heut aufsuchen?“

„Ja,“ nickte Anciano.

„Noch vor der Ankunft unsrer Feinde?“

„Noch vor derselben.“

„Ich möchte raten, zu warten. Wir würden Spuren zurücklassen, durch welche wir leicht unsre Anwesenheit verraten könnten.“

„Haben wir denn nicht Zeit, diese Spuren so zu vertilgen, daß sie nicht zu bemerken sind, Señor? Der Gambusino kann vor morgen nicht da sein, und jetzt haben wir erst Vormittag.“

„Und doch ist es besser, zu warten. Wir wissen nicht, welchen Fund wir machen. Er kann leicht ein derartiger sein, daß die Ausführung unsrer jetzigen Vorsätze nicht möglich ist.“

„Sie mögen recht haben; aber wir wissen nicht, wieviel Indianer der Gambusino mitbringt. Einige Häuptlinge der Mojos sind meine Freunde, während ich mit andern verfeindet bin. Es steht eher zu erwarten, daß es zwischen uns und ihnen zum Kampfe kommt, als nicht. Wenn ich dabei getötet würde, so könnte ich meinem jungen Herrn den Ort dann nicht zeigen und die ganze Erbschaft würde verloren gehen.“

„Du brauchst dich nur am Kampfe nicht zu beteiligen!“

„Señor, was trauen Sie mir zu!“ rief da der Alte aus. „Wir wollen den Mörder meines ermordeten Herrn ergreifen, und ich sollte dabei meine Arme und meine Waffen ruhen lassen? Verlangen Sie von mir alles, aber nur dieses nicht!“

„Gut! Ich kann begreifen, was du denkst und fühlst. Du magst also deinen Willen haben. Aber ehe wir nach dem Stollen suchen, müssen wir an andres und notwendigeres denken. Wir sind gezwungen, vielleicht länger als einen oder einige Tage hier zu bleiben. Für uns ist Proviant genug vorhanden, aber wir müssen auch für unsre Maultiere sorgen. Wasser und Gras gibt es nur unten an der Salina del Condor für sie; leider dürfen wir dort nicht lagern, weil unsre Gegner über die Sahna kommen werden. Wir müssen also nach einem andern Orte suchen, und wenn er noch so sehr entlegen von hier wäre, wo unsre Tiere trinken und weiden können. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, dürften wir nicht hier an der Mordschlucht bleiben. Wir müssen uns verbergen.“

„Was das betrifft, da brauchen Sie sich keine Sorge zu machen, Señor. Eine Reitstunde von hier liegt ein tiefes Loch, in welchem es immerfort Wasser gibt, an dessen Rande Gras wächst. Ich und Haukaropora sind wohl die einzigen Menschen, welche diesen Ort kennen. Ich werde Sie hinführen.“

„Ein tiefes Bergloch? Können denn da unsre Tiere hinab?“

„Für Pferde würde der Abstieg unmöglich sein; unsre Maultiere aber kommen gewiß hinunter. Wir wissen freilich nicht, ob wir sie zur etwaigen Verfolgung unsrer Feinde hier in der Nähe bedürfen.“

„Dies abzuwarten, haben wir genugsam Zeit. Es gilt zunächst, zu erfahren, ob die Mojosindianer, welche mit dem Gambusino kommen werden, mit dir verfeindet oder befreundet sind. Im ersteren Falle wird es wohl nicht ohne Kampf abgehen; sind sie aber im guten bekannt mit dir, so hoffe ich, daß du sie bewegen kannst, zu uns überzugehen. Erst dann, wenn das entschieden ist, können wir uns einen bestimmten Plan bilden. Fürs erste kannst du, wenn wir uns ein wenig ausgeruht haben, die andern nach dem Bergloche führen; ich bleibe mit Haukaropora und Anton, die mit in die Höhle sollen, hier, um deine Rückkehr zu erwarten.“

Es läßt sich denken, daß auch die andern Mitglieder der Gesellschaft sich außerordentlich gern an der Aufsuchung des Schatzes beteiligt hätten, doch sprachen sie diesen Wunsch nicht aus, sondern fügten sich in die getroffene Anordnung und ritten nach einer Weile unter der Anführung des alten Anciano fort, um den verborgenen Wasser- und Weideplatz aufzusuchen. Der Vater Jaguar sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren und wendete sich dann an Haukaropora, welcher mit Anton Engelhardt am Rande der Schlucht saß und nachdenklich in dieselbe hinabblickte:

„Getraust du dir, den Stollen zu finden, ohne daß Anciano dir die Stelle zeigt?“

„Nein,“ antwortete der Sohn des Inka. „Mein Vater hat den Eingang jedenfalls so unkenntlich gemacht, daß ihn kein Mensch entdecken kann.“

„Wollen einmal sehen. Nun ich weiß, daß in der Schlucht etwas verborgen ist, halte ich es nicht für unmöglich, die Stelle zu finden. Ich werde es versuchen und jetzt hinabsteigen. Bleibt indessen hier! Es steht zwar nicht zu erwarten, daß jemand kommen wird, aber ihr dürft doch immerhin die Augen offen halten. Ihr könnt von hier aus die Gegend übersehen. Solltet ihr die Annäherung eines Menschen bemerken, so ruft ihr mich; ich werde eure Stimme hören.“

Er stieg mit gewandten Schritten die steile Felsenböschung hinab. Sie folgten ihm mit ihren Blicken, bis er unten angekommen war, und dann meinte Hauka, indem er verneinend den Kopf schüttelte:

„Er findet den Ort nicht. Er ist ein berühmter Mann, berühmter als alle, die ich kenne, aber die Stelle wird selbst für ihn unkenntlich sein.“

„Hast du nicht sein Lächeln gesehen, als du dies behauptetest?“ fragte Anton. „Er scheint überzeugt zu sein, daß er die Höhle entdeckt, und ich glaube, daß dies wirklich geschieht. Heute wirst du reich werden, sehr reich, jedenfalls noch viel reicher, wie ich bin oder vielmehr wie mein Vater ist. Haben deine Vorfahren denn wirklich so viel Gold und Silber gehabt, wie erzählt wird und wie man in den Büchern liest?“

„Nicht nur so viel, sondern noch viel, viel mehr. Damals, als die Inkas von den Spaniern überfallen und ausgeraubt wurden, haben viele, viele Reiche des Landes ihre Kostbarkeiten vergraben oder in andrer Weise versteckt, und nach ihrem Tode hat niemand gewußt, wo es verborgen ist. So liegen nun Millionen und aber Millionen in der Erde versteckt, welche keinem Menschen – – Schaden bringen können.“

„Schaden? Wolltest du nicht Nutzen sagen?“

„Nein, sondern Schaden. Die großen Reichtümer meines Volkes sind schuld, daß es untergegangen ist. Wäre es arm gewesen, so hätten die Spanier, als sie nach Peru kamen, sich entfernt, ohne wiederzukommen. Weißt du, wie der unglücklichste aller meiner Ahnen betrogen worden ist?“

„Nein.“

„Als er gefangen war, wurde er in einen großen, weiten Saal gebracht, und Pizarro, der Eroberer, zog mit der Spitze seines Schwertes, so hoch er reichen konnte, einen Strich um die vier Wände hin und versprach ihm die Freiheit, wenn er den Saal bis an den Strich hinauf mit Gold und Silber füllen werde. Der Inka kam dieser Forderung nach, aber der Spanier hielt nicht Wort. Der Saal wurde zum zweitenmal bis an den Strich gefüllt, und auch da hielt der Lügner sein Versprechen nicht. Er war ein Christ, der dann die Lehre von der Wahrheit und von der Liebe gewaltsam im Lande verbreiten ließ. Du siehst, daß der Reichtum mein Volk ins Verderben gebracht hat.“

„Ja, zwei große Säle voller Gold und Silber! Sollte man dies für möglich halten !“

„Du wunderst dich? Dann weißt du nichts von den Schätzen, welche in den beiden Sonnentempeln zu Kuzko und Tschukitu, in den Tempeln von Huanakauri, Katscha, Vilikanota und an den vielen andern heiligen Orten, welche Huakas genannt wurden, zu finden waren. Im Sonnentempel zu Kuzko gab es über viertausend Priester und Diener. Alle Thüren hatten massiv goldene Pfosten, und die Fensteröffnungen waren mit Smaragden und andern Edelsteinen ausgekleidet. Alle Wände waren mit Goldplatten getäfelt. Da standen die Bildsäulen der Götter und Göttinnen aus purem Golde und diejenigen der Inkas aus reinem Silber. Es gab da unzählige Gefäße und Gerätschaften, alle aus denselben edlen Metallen gefertigt. Aus den fünf Quellen der umliegenden Berge führten goldene Röhren das Wasser in goldene oder silberne Becken, zum Trinken, zum Reinigen der Gefäße und zum Baden der Opfertiere. Soll ich dir noch mehr erzählen? Hast du eine Zahl, ein Maß für den Wert solcher Reichtümer?“

„Nein, nein! halt ein; es wird mir angst dabei! Wenn du von solchen Gebäuden, Bildsäulen und Gefäßen redest, muß es bei euch große Künstler gegeben haben.“

„Es hat sie gegeben, obgleich unsre Kunst eine andre als die eurige war.“

„Und die Wissenschaft?“

„Ich bin ein Knabe, in der Einsamkeit der Berge aufgewachsen, und kann nicht von dem sprechen, was ihr Wissenschaft nennt. Aber gelehrte Leute hatten auch wir. Denke nur an die Kippu-Kamayoks, von denen du wohl gehört haben wirst.“

„Ja, das waren eure Schriftgelehrten; aber eure Schrift bestand nicht aus Buchstaben und Wörtern wie die unsrige, sondern aus Schnüren, in welche Knoten geknüpft wurden. Wie ist es möglich, solche Schnüre so zu lesen, wie wir unsre Bücher, Zeitungen und andern Schriften lesen!“

„Das war freilich eine nicht leichte Kunst, und nicht jeder konnte wie bei euch das Lesen und Schreiben erlernen. Ein solcher Kippu konnte nur von einem Schriftgelehrten, welcher Kamayok genannt wurde, geknüpft oder gelesen werden. Es wurden nur die zuverlässigsten Leute zu Kippu-Kamayoks gewählt, und in jedem Dorfe fanden sich Kippuverwalter, welche ihre Kunst nur auf ihre Nachkommen vererbten. Mein alter Anciano stammt aus einer solchen Familie und würde heut noch jeden Kippu, den er fände, lesen und entziffern können.“

„Kannst du das auch?“

„Ja, denn ich bin der Nachkomme der Herrscher, welche vor allen Dingen diese Kunst verstehen mußten. Bring mir ein Schnurbündel, und ich lese es dir so vor, wie du die Worte eines Briefes vom Papiere liesest. Mein Vater hat mich in allem unterrichtet, was ein Inka wissen muß, denn er glaubte, unser Reich könne wieder erstehen und ich würde –“

Er hielt inne und blickte still vor sich nieder. Seine sonst so ernsten Züge nahmen jetzt den Ausdruck tiefer Trauer an. Dann holte er tief Atem und fuhr fort:

„Er glaubte es vordem, später aber nicht mehr, wie mir Anciano jetzt erst mitgeteilt hat. Auch ich habe stets die Hoffnung gehegt, daß das Tote wieder lebendig werden könne, nun aber, seit ich dich kenne, habe ich diese Hoffnung aufgegeben.“

„Seit du mich kennst?“ fragte Anton betroffen. „So meinst du, ich sei schuld daran?“

„Ja, doch ohne daß du es beabsichtigt hast. Ich kannte nur meine Berge und die Wildnis der Wälder; ich hatte immer nur von meinem Volke, nicht aber von andern Völkern gehört. Da lernte ich dich kennen, und du erzähltest mir von vielen Nationen und Reichen; ich weiß erst jetzt, wie groß die Erde ist, und wie klein dagegen ein Mensch, ein einsamer Knabe, obgleich seine Ahnen einst mächtige Sonnensöhne waren. Ich habe geträumt und bin erwacht und würde, selbst wenn ich heute alle Reichtümer der Erde da unten in der Schlucht vorfände, nie wieder in den trügerischen Traum zurückverfallen. Die Geschichte meines Volkes ist zu Ende; die Vergangenheit geht mich nichts mehr an, und ich will nun nur noch vorwärts blicken. Ich möchte lernen, was du gelernt hast; ich möchte ein Mann werden, wie diejenigen waren oder sind, von denen du mir erzähltest. Darum werde ich meine Berge verlassen und dahin gehen, wo dieser Wunsch Erfüllung findet. Der Vater Jaguar soll mir raten, und was er sagt, das werde ich thun. Das könnte ich nicht, wenn ich arm wäre; darum freut es mich, jetzt das Vermögen und das Vermächtnis meines Vaters vor mir zu haben. Hätte es nicht diesen Zweck, so würde ich alles Gold und Silber, welches meiner wartet, verachten, denn es wäre leicht möglich, daß es auch mir das brächte, was es meinen Ahnen gebracht hat, das Verderben, den Tod, den Untergang.“

Er hatte sehr langsam und in verschiedenen Absätzen gesprochen. Jetzt stand er auf und entfernte sich, als ob er in der Einsamkeit über das Gesagte weiter nachdenken wolle. Anton folgte ihm nicht; er fühlte trotz seiner Jugend, daß der Freund an einem bedeutsamen Wendepunkte stehe und seine Entschlüsse aus seinem eigenen Innern schöpfen müsse. Darum blieb er sitzen und wartete ruhig, bis er wiederkommen würde.

Als dies nach einiger Zeit geschah, hatte das Gesicht des Inka einen beinahe heiteren Ausdruck angenommen. Er reichte dem jungen, weißen Freunde die Hand und sagte:

„Du willst jetzt nach Lima und dann in das Land deiner Väter nach Deutschland hinüber, um noch mehr zu lernen. Ich weiß von dir, welch ein Land dies ist und welch ein Volk da wohnt. Würdest du mich mit hinübernehmen?“

„Gern, gar zu gern!“ antwortete Anton, indem er überrascht aufsprang. „Hast du diese Worte im Ernste gesprochen?“

„Ja; aber ich will vorher mit dem Vater Jaguar und mit Anciano reden. Ohne den treuen Alten ginge ich nicht fort von hier.“

„Er geht mit; er geht mit. Er betrachtet dich als seinen Gebieter und wird thun, was du bestimmst.“

„Aber er ist so alt und versteht die Sprache deines Vaterlandes ebensowenig, wie ich sie verstehe.“

„Er ist so rüstig wie ein junger Mann, und während der langen Reise auf dem Schiffe werdet ihr von mir so viel Deutsch lernen, als ihr für die erste Zeit dort nötig habt.“

In diesem Augenblicke kam der Vater Jaguar aus der Schlucht gestiegen, und zu gleicher Zeit hörten sie das Getrabe eines Maultieres. Anciano kam um die nächste Berghalde gebogen und hielt dann vor ihnen an. Von seinem Tiere springend, sagte er:

„Ich habe sie alle gut untergebracht, und nun wollen wir hinabsteigen, um die Höhle zu öffnen.“

„Der Vater Jaguar war bereits unten, um zu versuchen, ob er sie auch ohne dich fände,“ benachrichtigte ihn Hauka.

„Wirklich?“ fragte der Alte, indem er sich an Hammer wandte. „Sie haben nachgeforscht? Höchst wahrscheinlich aber ohne Erfolg?“

„Bist du denn deiner Sache gar so sicher?“

„Ja, Señor.“

„Nun, so wollen wir sehen, ob ich mich irre. Ich glaube nämlich, den Eingang zum Stollen gefunden zu haben.“

„Wo?“

„Hinten im Hintergrunde der Schlucht.“

„Das können Sie leicht sagen, da Sie erfahren haben, daß sich das Versteck dort befindet.“

„Pah! Steigen wir hinab! Dann will ich euch die Stelle zeigen.“

Sie fesselten ihren Maultieren die Füße und machten sich dann an den Abstieg. War dieser beschwerlich, so zeigte sich, als sie unten angelangt waren, das Gehen nicht weniger unbequem. Es war, als ob hier ein Berg zusammen- und in lauter kleine Stücke zerbrochen sei, so wirr und tief oder hoch lagen die verschieden großen Trümmer auf- und übereinander.

Der Vater Jaguar schritt voran, über Stock und Stein, wie man sich auszudrücken pflegt, ohne nach rechts oder nach links zu blicken, bis beinahe an die hintere Wand der Schlucht. Da gab es eine Stelle, wo die rechte Seitenwand derselben einige Meter weit vortrat. Dadurch entstand eine Spitze, welche mit der Felsenwand zwei stumpfe Winkel bildete. Hammer schritt nach dem hintern Winkel, zeigte mit der Hand dort auf den Boden nieder und sagte im Tone der größten Sicherheit:

„Hier ist die Stelle. Habe ich recht, Anciano, oder nicht?“

Der Alte machte ein Gesicht, in welchem sich das größte Erstaunen aussprach, und antwortete:

„Ja, hier ist’s, Señor. Aber wie können Sie das wissen? Wie konnten Sie das entdecken? Sind Sie allwissend geworden?“

„Dazu gehört keine Allwissenheit.“

„Nicht? So begreife ich wenigstens Ihre Feinde, wenn dieselben behaupten, daß Sie ein außerordentlich gefährlicher Mensch sind. Wie nun, wenn Sie früher, ohne daß wir eine Ahnung hatten, das Versteck entdeckt und ausgeräumt hätten!“

„Das war auf keinen Fall zu befürchten. Ich hätte hier stundenlang stehen oder sitzen können, ohne zu bemerken, um was es sich handelt. Daß ich den Ort gefunden habe, verdanke ich ganz allein dem Umstande, daß ich gewußt habe, daß sich in der Schlucht ein Schacht, ein Stollen befindet.“

„Aber wie konnten Sie die Stelle desselben finden? Haben Sie sich denn auch überzeugt, daß Sie sich nicht irren?“

„Nein, denn das ist nicht nötig, weil du mir jetzt beweisen wirst, daß ich recht habe. Die Höhle konnte sich natürlich nicht in der Mitte, also auf der Sohle der Schlucht, sondern sie mußte sich an einer Seite, und zwar im Hintergrunde derselben befinden. Der Stollen mußte in den Felsen gehauen sein. Er war verschüttet und maskiert worden, nicht durch die Natur, sondern durch die Hand eines Menschen, also künstlich. Ich brauchte also nur nach einer Stelle zu suchen, an welcher im Gegensatze zur Unregelmäßigkeit dieses Steinwirrwarrs eine Spur von Regelmäßigkeit auf eine Arbeit von Menschenhänden schließen ließ. Und das war hier der Fall.“

„Wieso?“

Der Vater Jaguar deutete auf mehrere Steine, welche nahe an der Felsenwand lagen, und antwortete:

„Bilden diese vier Steine nicht die Ecken eines ganz regelmäßigen Quadrates?“

„Allerdings.“

„Sind sie nicht von ganz gleicher Größe und Schwere, nicht zu schwer für einen kräftigen Mann, aber auch nicht so leicht, daß sie durch irgend einen Zufall verschoben oder gar ganz entfernt werden könnten?“

„Auch das ist richtig, Señor.“

„Warum liegen in dem Vierecke, welches sie bilden, nur leichte Steine, keiner größer als eine Männerfaust?“

„Wissen Sie das denn?“

„Ja. Wenn diese kleinen Steine größer und schwerer wären, würden sie die Decke des Schachtes eindrücken, welche von den vier großen Steinen an den Ecken gehalten wird.“

Der alte Anciano schüttelte staunend den Kopf und meinte:

„Es ist so, genau so, wie Sie sagen, Señor!“

„Ich wußte es. Die Sache wird durch das einfachste Nachdenken erklärt. Das Loch mußte zugedeckt werden. Ein großes Felsstück war dazu nicht zu brauchen, weil ein einzelner Mensch es nicht hätte entfernen können, um den Stollen zu öffnen. Bretter oder dergleichen gab und gibt es hier nicht; man hat also irgend eine Decke oder ein Fell genommen, über das Loch gebreitet und auf die vier Ecken vier Steine gelegt, welche von einem Manne fortgerollt werden können, aber doch schwer genug sind, das Fell zu halten und auch die kleinen Steine, welche man auf dasselbe gelegt hat, um das Menschenwerk zu verbergen, und dem Orte ein natürliches Aussehen zu geben.“

„Sehr richtig, sehr richtig, Señor! Auch das mit dem Fell stimmt ganz genau. Das Loch ist in frühern Zeiten unter den oben liegenden Steinen mit einzelnen Holzstangen zugedeckt gewesen; diese sind aber morsch geworden, und als mein Herr kam, um den Stollen zu besuchen, fand er die Bedeckung desselben eingestürzt. Um einen neuen Verschluß zu haben, blieb ihm, da er nichts andres hatte, nichts übrig, als sein Maultier zu erschießen und die Haut desselben mit Hilfe dieser vier Steine über das Loch auszuspannen. Er schüttete dann kleine, leichte Steine darauf, und diese Decke hat sich lange Jahre und, wie Sie sehen, bis heute bewährt. Es kann sich sogar ein Mann darauf stellen, ohne daß sie auch nur im mindesten nachgibt. Ihr Scharfsinn ist wirklich außerordentlich! Wollen wir jetzt öffnen?“

„Ja, denn es gibt nichts, was uns davon abhalten könnte.“

Die vier Personen kauerten sich nieder, um die Lage kleiner Steine zu entfernen. Diese war nicht hoch und bald kam unter ihr das Fell zum Vorscheine, welches die Härte und Steifheit eines Eisenbleches angenommen hatte. Es wurde von den erwähnten vier Steinen ausgespannt und festgehalten. Als dieselben fortgeschoben waren, konnte man die Haut wegnehmen, und da kam ein Loch zum Vorscheine, welches so groß war, daß ein starker Mann hineinkriechen konnte. Es führte senkrecht hinab. Darum meinte der Vater Jaguar:

„Das ist doch kein Stollen, sondern ein Schacht!“

„Nur der Eingang geht gerade hinab,“ antwortete Anciano, indem er einen kleinen Stein hinunterwarf.

„Hören Sie, daß er nicht tief fällt? Das Loch ist gerade so tief, wie ein Mann hoch ist; dann macht es einen Winkel und führt ein wenig abwärts wagerecht in den Felsen hinein. Ich werde hinuntersteigen.“

„Wie steht es mit der Beleuchtung?“

„Für diese hat mein Herr gesorgt. Es liegen Kerzen unten, welche wir selbst aus Talg gegossen haben.“

Er ließ sich langsam in das Loch hinab. Als er mit den Füßen den Boden desselben erreicht hatte, konnte er mit den ausgestreckten Händen den obern Rand erfassen. Hammer reichte ihm einige Zündhölzer hinab, worauf man bald die Kerzenflamme unten erscheinen sah. Haukaropora stieg, von oben und unten unterstützt, da er kleiner war, nach; ihm folgte Anton Engelhardt, worauf der Vater Jaguar den vierten machte.

Dieser letztere mußte sich bücken, um in den wagerechten Stollen zu gelangen, doch wurde derselbe bald höher, so daß man aufrecht stehen konnte. Nach wenigen Schritten verbreitete er sich und bildete eine Art kleines Gemach, in welchem die vier Personen gerade Platz fanden. Sie sahen sich in demselben um, fanden aber nichts als einen kleinen Holzpflock, welcher in eine Ritze eingetrieben war. An demselben hing eine vielleicht 30cm lange, stricknadelstarke Schnur. Sie war dreifarbig und hatte mehrere Knoten; mehrere viel kürzere und dünnere Schnüre waren an ihr festgeknüpft; auch diese zeigten verschieden entfernte Knoten.

„Ein Kippu!“ rief Anciano, indem er das kleine Schnurbündel vom Pflocke nahm und, es mit dem Lichte beleuchtend, aufmerksam betrachtete. Die Farben waren ziemlich verblichen, aber doch noch zu erkennen.

„Kannst du es entziffern?“ fragte der Vater Jaguar,

„Ja, Señor. Dieser Kippu ermahnt uns, keine andre Kerze anzubrennen, als bis wir den zweiten Kippu gelesen haben. Es ist also noch einer da, wohl weiter hinten. Gehen wir!“

Auch Haukaropora untersuchte den Kippu und bestätigte die Lösung des Alten. Sie schritten weiter vor, die beiden Männer jetzt tief gebückt, weil der Stollen niedriger wurde. Er war sehr trocken; nur drückte die Luft ein wenig auf die Lungen. Nach ungefähr fünfzig Schritten wurde er nicht nur wieder höher, sondern auch viel breiter als vorher und bildete einen stubenartigen Raum, welcher vier Ellen hoch, sieben Ellen breit und ebenso tief sein mochte. Den Hintergrund bildete nicht die Felsenwand, sondern eine dunkel gähnende Kluft, welche senkrecht in eine unbekannte Tiefe fiel. Aber nicht diese breite Felsenspalte war es, auf welche man zunächst achtete, sondern die Aufmerksamkeit der vier Personen wurde von den Gegenständen, welche sich in diesem Raum befanden, aufs mächtigste angezogen.

Es glänzte rechts und links wie pures Gold und Silber. Da standen und lagen auf Unterlagen, weiche bankartig aus Steinen hergestellt worden waren, allerlei Gegenstände, deren Metall- und Kunstwert jedes Auge blenden mußte. Da gab es Götterfiguren, in Kindergröße aus blinkendem Golde hergestellt, Herrscherstatuen, in derselben Größe aus massivem Silber gearbeitet, Gefäße in den verschiedensten Formen und Größen, Waffen aller Art, Schmucksachen, Sonnen, Monde und Sterne. Ja, das war ein Reichtum, welcher nur von einem Inka oder einem königlichen Prinzen abstammen konnte, denn im alten Peru gehörte alles Gold dem Herrscher. Ohne seine Erlaubnis durfte kein andrer Gold oder Silber verwenden.

Diese Metalle auszuführen, war bei Todesstrafe verboten. Alles Silber und Gold mußte nach der Hauptstadt geliefert und dem Könige zu Füßen gelegt werden. Da gab es Jahre, in denen sichern Angaben nach über zwölftausend Zentner Silber und über viertausend Zentner Gold in der Schatzkammer des Inka zusammenliefen, denn das edelste der Metalle wuchs in zahlreichen Adern des Gebirges und fand sich in erstaunlicher Menge im Sande der Flüsse und wurde durch billige oder gar nichts kostende Fronarbeit gewonnen.

Anton Engelhardt war wie geblendet; Anciano und Haukaropora standen in staunender Andacht da, halb die hier befindlichen Reichtümer bewundernd und halb durchschauert von einem Gefühle ehrfurchtsvoller Pietät für die einstigen Götter und Herrscher ihres Volkes. Der Vater Jaguar war am wenigsten befangen. Die Sorge um seine Sicherheit überwog bei ihm den Eindruck dieser Schätze. Er hatte dem Alten das Licht aus der Hand genommen, um an dunkeln Stellen nach dem Sitze der schon erwähnten Gefahr zu suchen. Seine Nachforschung hatte Erfolg.

Nämlich unten, in der Nähe des Bodens liefen an den Steinbänken schmale, thönerne Rinnen hin, welche mit einer weißgelben, wachsartigen Masse gefüllt waren; aus dieser ragten in gewisser Entfernung dochtartige Fäden hervor, welche in Gestalt von kurzen Lichtstümpfen mit derselben Masse umgeben waren.

„Das muß das gefährliche Feuer sein,“ sagte er zu Anciano, indem er auf diese Rinnen deutete, „von denen dein toter Gebieter gesprochen hat. Und diese mit Dochten versehenen Spitzen sind die Lichte, von denen wir keins anbrennen sollen, bevor wir den zweiten Kippu gelesen haben. Wo aber mag dieser Kippu sein? Wir müssen ihn suchen.“

Sie brauchten gar nicht lange zu forschen, denn er hing gleich vorn am Eingange an der Wand. Er hatte nicht die einfache Gestalt des ersten Schnurbündels, sondern bestand aus einem sehr kunstvoll gearbeiteten Geflechte, welches als Handgriff diente, und an dessen Seiten mehrere Reihen von Schnüren fransenartig herabhingen. Diese Schnüre hatten verschiedene Farben; sie waren von verschiedener Länge und in viel hundert Knoten von verschiedener Größe geknüpft. Der Alte griff schnell zu, um dieses Kunstwerk der Schriftknüpferei zu betrachten. Er that dies eine ziemlich lange Zeit und erklärte dann:

„Dieser Kippu ist ein sehr langer und ausführlicher Brief, den ich aber hier nicht lesen kann, weil die Farben gelitten haben und das Licht der Kerze nicht hinreichend ist.“

„Aber draußen im Lichte der Sonne könntest du ihn lesen?“ fragte der Vater Jaguar.

„Ich denke es.“

„So müssen wir hinaus.“

„Schon fort von diesen Schätzen, welche wir so gern noch bewundern wollen?“

„Ja. Ihr dürft nicht eher einen dieser Gegenstände anrühren, als bis wir den Inhalt dieses Kippu kennen. Die Gefahr, mit welcher die Hebung dieser Schätze verbunden ist, ist uns noch unbekannt. Jede falsche Bewegung, jeder falsche Griff kann uns den Tod bringen. Ich warne euch also. Wollt ihr bleiben, so bleibt; ich aber entferne mich und steige nicht eher wieder herab, als bis ich den Inhalt dieses Briefes genau kennen gelernt habe.“

Der alte Anciano schien, geblendet von dem Golde und Silber, dennoch bleiben zu wollen; da nahm Hauka ihm den Kippu aus der Hand, untersuchte ihn, soweit es hier unten möglich war, und erklärte dann:

„Dieser Kippu enthält das Vermächtnis meines Vaters, des ermordeten Inka. Er ist mir teurer als alles, was sich außer ihm hier befindet, und darum mag das Gold und Silber hier liegen bleiben, bis ich ihn gelesen habe. Ich gehe an das Tageslicht.“

. Das entschied. Die vier Personen verließen den unterirdischen Raum und begaben sich durch den Stollen nach dem Eingange zurück, um in das Freie zu gelangen. Auf dem Boden des Schachtes, da, wo derselbe in den Stollen überging, lagen mehrere Talglichte, welche Haukas Vater zum jeweiligen Gebrauche da niedergelegt hatte. Anciano löschte sein halb abgebranntes Licht aus und gab es wieder mit hinzu, ehe er sich hinausschwang.

Draußen setzten sich die vier auf die Steine, und Anciano und der junge Inka nahmen die Schnüre vor, um dieselben zu entziffern. Das ging freilich nicht so schnell wie bei dem ersten und so einfachen Kippu. Es waren der Farben und Knoten, der Nebenschnüre so viele, und die ersteren waren so verblichen, daß, wenn zwei von ihnen einander ähnlich gewesen waren, sie jetzt kaum voneinander unterschieden werden konnten. Es verging eine Viertelstunde nach der andern; aus der halben wurde dann eine ganze Stunde; nachher verlief noch eine halbe, und doch waren die beiden Dechiffrierer über die Bedeutung einzelner Knoten und Schnüre noch nicht im Klaren oder miteinander einig. Der Vater Jaguar war vielleicht um elf Uhr mit seinem Trupp an der Schlucht angekommen; dann hatte es zwei Stunden gedauert, bis Anciano von dem neuen Lagerplatze zurückgekehrt war; jetzt zeigte die Uhr schon über drei am Nachmittage; darum sagte Hammer:

„Es wird jetzt gefährlich, länger hier zu. bleiben. Kommt zufälligerweise jemand da oben am Rande der Schlucht vorüber, so sieht er uns hier unten am offenen Schachte sitzen, und unser Geheimnis ist verraten. Wir wollen also das Loch lieber verschließen und dann hinaufgehen. Dort könnt ihr eure Arbeit fortsetzen, und wir werden nicht überrascht, weil wir jede Annäherung schon von weitem bemerken müssen.“

Man konnte nicht anders, als ihm beistimmen. Darum wurde die Haut wieder über den Eingang gebreitet und mit den vier schweren Steinen belegt und befestigt; als man sie dann mit kleinerem Gestein und Grus bedeckt hatte, war anzunehmen, daß kein Fremder, selbst wenn er hierher kommen sollte, das darunter befindliche Loch entdecken könne. Hierauf stiegen wir wieder hinauf zu ihren Maultieren, wo Hauka und der Inka sogleich ihre Arbeit fortzusetzen begannen.

Es war, als ob ihr Scharfsinn hier oben findiger sei, als unten in der düsteren Schlucht, denn noch war keine halbe Stunde vergangen, so erklärten beide, daß sie jetzt über die Bedeutung jedes Knotens einig und im klaren seien.

„Darf ich vielleicht den Inhalt erfahren?“ fragte der Vater Jaguar.

„Ja, Señor,“ antwortete Hauka. „Es ist, wie ich schon sagte, das Vermächtnis meines Vaters, lautet aber anders, als Sie gedacht haben werden, und auch ich gedacht habe. Anciano, lies es vor!“

Der Alte gehorchte. Er kniete aus Ehrerbietung vor dem letzten Willen seines einstigen Herrn nieder, ließ Knoten nach Knoten, Schnur nach Schnur durch die Finger gleiten und entzifferte dabei langsam und in abgerissenen Sätzen folgendes:

„Haukaropora, meinem Schrie, dem letzten Inka. – – – Siehst du diesen Kippu, so bin ich tot. – – – Auch Völker sterben. – – – Das unserige ist tot, wie ich gestorben bin. – – –Hoffe nicht, daß es wieder aufleben wird. – – – Du wirst niemals Herrscher sein. – – – Es starb an seinem Golde und Silber. Willst du an dem deinigen sterben? – – – Wäre es arm gewesen, so lebte und wirkte es noch. Sei du arm, so wirst du leben und wirken. – – – Sei nicht reich an Metallen, sondern werde reich am Geiste und im Herzen, so wirst du glücklicher sein, als alle deine Ahnen. – – – Ich bitte dich; ich befehle dir nicht. Dieses Gold gehört dir; nimm es, oder nimm es nicht. – – – Nimmst du es, so wirst du sein Sklave; verschmähst du es, so wirst du frei. – – – Du hast den goldenen Streitkolben der Inkas. Verkaufe ihn, so hast du genug, um zu lernen und ein Mann zu werden, den Arbeit ehrt; Genuß im Nichtsthun aber schändet. – – – Willst du das Gold, so nimm es; doch hüte dich dabei vor dem Feuer in den Rinnen! – – –Willst du Ehre und wahres Glück, so gib das Metall der Erde wieder, der es geraubt worden ist; dann wirst du den wahren Reichtum erlangen. Brenne da die erste Kerze des schlafenden Feuers an und eile aus der Höhle! – – Nun wähle, aber wähle gut! Du besitzest das Blut der Herrscher; beherrsche also dich selbst; es wird dir gelingen. – – Ich bin bei dir und ich bleibe bei dir. Mach, daß meine Seele sich über dich freut. – – – Dann schaut mein Geist wonnig auf dich nieder, bis du mir folgest dahin, wo weder Gold noch Silber gilt, sondern nur die Schätze des Herzens gewogen werden. – – –Handle als mein Sohn, denn ich bin dein Vater!“

Der alte Anciano hatte so gelesen, daß die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen immer länger geworden waren. Jetzt blickte er, auf den Knieen liegen bleibend, erwartungsvoll zu seinem jungen Herrn auf. Dasselbe that Anton, den der Inhalt des Vermächtnisses tief ergriffen hatte. Der Vater Jaguar war voller Bewunderung für die Anschauung, zu welcher sich der Tote emporgeschwungen gehabt hatte; aber seiner praktischen Natur sagte das Opfer nicht zu, welches dieser von seinem Sohne erwartete. Haukaropora stand hoch aufgerichtet da und blickte in die Sonne. Seine Ahnen hatten sie verehrt, zu ihr gebetet. Jetzt wollte sie hinter den Gipfeln der Berge verschwinden. So war auch der Glanz des Inkareiches verschwunden und dieses selbst untergegangen. Der letzte Rest dieses Glanzes strahlte unten in der Felsenkammer, wo die Statuen der Götter und Herrscher standen, beim Scheine einer armseligen Kerze. Sollte dieser letzte Schimmer auch erlöschen? In dem ernst-schönen Angesichte des Jünglings regte sich kein Zug. Er blickte in die Sonne, ohne daß die Augen ihm schmerzten, bis das höchste Bergeshaupt sie deckte; dann wendete er sich zu Anciano, nahm ihm den Kippu aus der Hand, verbarg denselben unter das lederne Jagdhemd auf der Brust und sagte:

„Stehe auf, mein Vater! Es gibt keinen Inka mehr. Die Söhne der Sonne gingen dahin mit ihrem Reiche, und ich gehorche dem Geiste meines Vaters, welcher geglaubt hat, ich sei stark genug, das Richtige zu wählen. Ich gebe das Gold der Erde zurück, denn es bringt nur als Lohn der Arbeit Segen, und meine Arbeit soll erst noch beginnen.“

Da sprang der Alte auf, ergriff seine beiden Hände und rief im Tone inniger Rührung und Liebe aus:

„Sei gepriesen für diesen Entschluß, mein Sohn, ich habe von dir nichts andres erwartet. Du bedarfst keiner schillernden Schätze, denn der größte Schatz, den es gibt, ruht in deiner Brust.“

Der Vater Jaguar aber fragte:

„Wie? Du willst dem Inhalte des Stollens da unten entsagen? Das war es doch, was du meintest?“

„Ja.“

„Das kann nur das Ergebnis einer vorübergehenden Stimmung sein. Bedenke, was du von dir wirfst, und welch ein Leben vor dir liegt, wenn du die Erbschaft deines Vaters antrittst!“

„Sein Vermächtnis liegt nicht da unten in der Höhle, sondern hier auf meinem Herzen.“

Er deutete nach der Stelle, an welcher er den Kippu verborgen hatte.

„So willst du in Wirklichkeit das verzehrende Feuer dort unten anbrennen und die Reichtümer zerstören?“

„Ja.“

„Das ist Wahnsinn! Wenn du sie nicht willst, so muß ich dich darauf aufmerksam machen, wie Gutes du mit ihnen thun, wie viele Menschen du mit ihnen glücklich machen kannst. Dich selbst magst du berauben, andere aber nicht!“

„Das Erbe gehört nicht ihnen, sondern mir; ich thue mit ihm, was ich will. Ich vernichte es, weil ich wünsche, meinen Nebenmenschen andre und bessere Gaben zu bringen.“

„Überschwenglichkeit! Ich werde mich einem solchen Beginnen widersetzen!“

Er sagte das im drohenden Tone. Da nahm Haukaropora seinen goldenen Streitkolben von der Erde, wo er gelegen hatte, auf, richtete sich stolz empor und antwortete:

„Señor, ich achte und ich liebe Sie, aber in dieser Sache gibt es nur einen Willen, und das ist der meinige. Diesen Kolben werde ich nach dem Wunsche meines Vaters verkaufen, um leben und lernen zu können; wollten Sie sich mir wirklich widersetzen, so würden Sie mich zwingen, ihn vorher im Kampfe mit Ihnen zu erproben!“

Hammer warf den Kopf stolz zurück. Er wollte eine scharfe, vielleicht ironische Antwort geben, that dies aber doch nicht, sondern erwiderte in milderem Tone:

„So war es nicht gemeint, mein junger Inka. Dein Entschluß ist heroisch und bewundernswert, wenn du den Wert des Geldes kennst. Ich bezweifle aber, daß dies der Fall ist. Übrigens ist das, was du sagst, noch nicht gethan.“

„Ich werde es aber sofort thun! Ich steige jetzt hinab in den Stollen und zünde das Feuer an.“

„Um uns zu verraten und den Mörder deines Vaters entkommen zu lassen? Ich kenne euer Feuer nicht, befürchte aber, daß es eine Explosion hervorbringt. Das Gestein wird auseinander fliegen. Wenn dann der Gambusino mit Perillo kommt, so werden sie, wenn sie die Spuren sehen, sich augenblicklich davonmachen.“

Hauka sah ihm eine Weile forschend ins Gesicht und antwortete dann –

„Sie haben recht, Señor; ich muß noch warten. Zwar könnten wir diese Männer auf eine andre Weise und an einem andern Orte fangen; aber da die Mordschlucht die beste Falle für sie ist, so darf ich Ihrem Plane nicht entgegen handeln.“

„Das meine ich auch,“ nickte Hammer befriedigt. „Ich habe sogar die Absicht, dir Gelegenheit zu geben, uns nicht nur durch diese Unterlassung, sondern durch eine sofortige Thätigkeit nützlich zu sein. Es ist nämlich nötig, vorher genau zu erfahren, wann die Feinde kommen; wir brauchen also einen tüchtigen Kundschafter. Willst du diesen Posten übernehmen?“

„Ja, sehr gern,“ antwortete Hauka, der sich geschmeichelt fühlte, einen so wichtigen Auftrag zu bekommen. Er ahnte nicht, daß der Vaterjaguar zugleich die Absicht verfolgte, ihn von hier zu entfernen, damit er ja keine Zeit und Gelegenheit fände, seinen, wie er meinte, übereilten Vorsatz auszuführen. Darum fuhr Hammer fort:

„Du mußt aber sofort aufbrechen, weil du nicht reiten darfst und der Weg zu Fuß sehr weit ist. Reitend würdest du Gefahr laufen, entdeckt zu werden; zu Fuß aber kannst du leicht nach allen Richtungen gelangen.“

„Ich bin bereit, Señor. Sagen Sie mir nur, wie weit ich gehen soll!“

„Zunächst zurück bis zur Salina del Condor, an welcher der Gambusino vielleicht heute abend schon ankommen und lagern wird.“

„Und wenn er nicht kommt?“

„So steht zu erwarten, daß er in einer Doppelhöhle lagert, welche von der Salina rückwärts in der Richtung nach dem Guanacothale liegt, von woher die Mojosindianer kommen müssen.“

„Ich kenne diese Höhle und werde mitgehen,“ fiel da der alte Anciano ein. „Erlauben Sie das, Señor?“

„Sehr gern, ich habe nichts dagegen einzuwenden, denn vier Augen sehen mehr als zwei.“

„Und wo werden wir Sie bei unsrer Rückkehr treffen?“

„Da Eure Ankunft erst morgen früh zu erwarten ist, so werde ich diese Nacht bei den Gefährten zubringen, am Morgen aber wieder hier sein, um Euern Bericht zu hören. Nach ihm haben wir uns dann zu richten.“

Er erhielt von Anciano eine Beschreibung des Weges nach dem Bergloche und ritt dann mit Anton Engelhardt und den beiden Maultieren der Peruaner davon. Diese letzteren aber stiegen zu Thale, indem sie die Richtung nach der Salina del Condor einschlugen.

Sie kamen dort nach Einbruch der Dunkelheit an und gingen dann, da sie niemand fanden, weiter, um die Höhle aufzusuchen. Als sie dieselbe zu später Abendstunde erreichten, wurden sie, wie bereits erwähnt, Zeugen der Ermordung des Peon und der beiden Arrieros, worauf sie nach der Salina zurückeilten. Dort warteten sie und fanden nach einer Weile ihre Vermutung bestätigt, denn der Gambusino langte mit den Indianern dort an. Da er aber wegen Mangel an Holz kein Lagerfeuer machen konnte, so vermochten sie nichts zu sehen. Auch zu lauschen gab es nichts, da die Feinde sich sehr still verhielten, und darum blieben sie nur so lange, als geraten war, wenn sie mit Tagesanbruch wieder bei der Mordschlucht sein wollten.

Dort trafen sie den Vater Jaguar bereits ihrer wartend und berichteten ihm das Ergebnis ihres Kundschafterganges. Das war viel und doch nicht viel. Sie wußten, daß drei Männer erschossen worden und drei leben geblieben waren. Sie wußten auch, daß sich bei den letzteren die zwei kleinen, rot gekleideten Deutschen befanden, was Hammer sehr in Harnisch brachte; aber wer der dritte war, das wußten sie nicht. Da sie vor allen Dingen sehen sollten, ob die heranziehenden Indianer mit ihnen befreundet seien oder nicht, so mußten sie sich hinter einem nahen, felsigen Hügel postieren, um dieselben bei ihrer Ankunft zu beobachten, während Hammer zurückritt, um die Gefährten näher heranzuholen und ihnen die ganz unerwartete Mitteilung zu machen, daß der unvermeidliche deutsche Gelehrte mit seinem Diener ihnen wieder nachgefolgt und dabei abermals in die Hände des Gambusino gefallen sei.

Dieser letztere kam am frühen Vormittage mit Antonio Perillo, den acht Indianern und seinen drei Gefangenen angeritten und machte an dem Rande der Schlucht Halt. Er führte, sobald die Maultiere entlastet waren, sofort die Arrangements aus, welche er für nötig hielt. Die Habgier trieb ihn, sofort eine Untersuchung der Schlucht vorzunehmen, und da die Gefangenen doch auch Wert für ihn hatten und er sie den Indianern nicht anvertrauen wollte, so mußten sie mit in die Schlucht genommen werden. Man gab ihnen also die Füße frei, daß sie hinabklettern konnten. Unten aber, und zwar im Hintergrunde angekommen, wurden ihnen die Füße wieder gefesselt; man band sie an Steine, damit sie sich auch nicht einmal durch Wälzen von der Stelle bewegen konnten. Dann entfernten sich der Gambusino und Perillo, allerdings nicht weit, um ihre Nachforschung zu beginnen. Die Indianer waren oben zurückgeblieben, da ihnen verboten worden war, die Schlucht zu betreten.

Zufälligerweise waren die Gefangenen gerade nach der vorspringenden Felsenspitze, in deren hinterem Winkel der Eingang zum Stollen lag, gebracht und an drei von den vier erwähnten großen Steinen gebunden worden. Sie lagen natürlich an der Erde, Doktor Morgenstern genau auf dem Steingries, welcher die verborgene Maultierhaut bedeckte. Als sie ihre Peiniger so weit entfernt sahen, daß sie von ihnen nicht gehört werden konnten, sagte Fritze Kiesewetter:

„Da sind wir nun bei unsrem Ziele anjelangt, aber als Jefangene. Wenn der Vater Jaguar schon da ist, werden wir uns bald wieder auf unsre freien Füße befinden.“

„Das gebe Gott!“ seufzte Engelhardt. „Es handelt sich um unser Leben, denn ich bin überzeugt, daß diese Schufte uns ermorden werden, sobald sie das Lösegeld empfangen haben.“

Er riß vor Grimm an seinen Fesseln und zerrte an dem Steine, an welchem er hing. Dabei zog er denselben nach und nach von der Stelle, an welcher er lag.

„Das glaube ich nicht,“ antwortete der Doktor. „Sie haben uns schon einigemal gefangen genommen, ohne einen Mord, lateinisch Homicidium genannt, an uns zu begehen.“

„Weil uns der Vater Jaguar immer rasch herausjeholt hat,“ erklärte Fritze. „Läßt er uns diesmal sitzen, so ist’s oft und manchmal um uns jeschehen.“

„Gefangen zu sein, während ich meinen Sohn in der Nähe weiß!“ knirschte der Bankier. „An Händen und Füßen gefesselt und an einen Stein gebunden, wie ein wildes Tier!“

Er zog wieder an dem Steine, welcher auf einer Ecke der Haut lag, und jetzt weiter verrückt wurde, so daß dieselbe nachgab. Sie begann sich langsam unter Doktor Morgenstern zu senken. Darum meinte dieser:

„Ich scheine weich zu liegen, obgleich meine Unterlage aus Steinen besteht, denn sie gibt nach. Ich sinke tiefer.“

„Und, ich wollte, ich könnte auch sinken, tief in die Erde hinein!“ fuhr Engelhardt grimmig fort. „Hätte ich nur eine Hand frei, ich wollte mich bald meiner Fesseln entledigen, und dann wehe den Halunken!“

Er zog, zerrte und riß, daß der Stein immer weiter rutschte.

„Jeben Sie sich keine Hoffnung hin!“ antwortete Fritze. „Wen dieser Jambusino fesselt, der kommt nicht los; ik kenne das. Nicht wahr, Herr Doktor, wir haben das erlebt?“

„Leider ja,“ antwortete der Gefragte. „Wir sind sogar noch schlimmer daran gewesen als jetzt. Wir haben schon am Baume gehangen und – – Herr-Himmel-Jemineh – –!“

Er schrie vor Schreck laut auf, denn Engelhardts Stein war jetzt vom Felle heruntergerutscht; dieses gab nach, und der kleine Gelehrte fuhr mit den Beinen und dem Oberleibe in das Loch.

„Wat ist denn los? Wohin wollen Sie verreisen?“ fragte Fritze. „Soll dat etwa eine Abfahrt in die Unter- oder Urwelt sein?“

„Scherze nicht!“ jammerte der Kleine. „Ich stecke in einem fürchterlichen Loche, lateinisch Puteus genannt; ich schwebe über einer entsetzlichen Tiefe, lateinisch Vorago oder Barathrum geheißen, und wenn der Strick zerreißt, so bin ich verloren!“

Der kleine Gelehrte wog wohl nicht mehr als neunzig Pfund, und da der Stein, an welchem er mit dem Stricke befestigt war, weit über die Schwere eines Zentners hatte, so wurde er von diesem festgehalten. Dennoch zeterte er so laut, daß der Gambusino und Perillo es hörten. Sie kamen herbei und waren nicht wenig erstaunt, ihren Gefangenen halb in der Erde verschwunden zu sehen. Sie zogen ihn heraus, und dabei kam ein Teil der Haut zum Vorscheine.

„Was ist das?“ fragte Perillo. „Ein Leder, mit welchem dieses Loch bedeckt ist! Am Ende haben wir – – –“

„Schweig!“ raunte ihm der Gambusino zu. „Wir sind am Ziele. Das haben wir dem Zufalle zu verdanken. Die Gefangenen brauchen nicht zu sehen, was wir hier treiben. Schaffen wir sie fort!“

Sie schleppten die drei Gefesselten eine genügende Strecke fort, um unbeobachtet zu sein, und kehrten dann wieder nach dem Loche zurück, um seine und desselben Umgebung zu untersuchen. Sie fanden das ganze Fell und entfernten es. Sie warfen Steine in das Loch und hörten, daß dasselbe nicht tief war. Darum ließ sich der Gambusino hinab. Schon nach einigen Augenblicken rief er herauf:

„Wir sind am rechten Orte! Es ist gelungen! Hier liegen Talglichte. Komm schnell herab, während ich eins anbrenne.“

Als Perillo unten ankam, war das Licht schon in Brand gesteckt. Sie achteten des Umstandes nicht, daß auch ein halbes dalag, welchem man es leicht ansehen konnte, daß es erst vor kurzem im Gebrauch gewesen war, und drangen langsam in den horizontalen Stollen ein. Indem sie vorsichtig weiterschritten, teilten sie sich ihre Bemerkungen und Hoffnungen mit. Sie befanden sich in einer fieberhaften Aufregung, welche sich fast bis zum Wahnsinn steigerte, als sie endlich die hintere Kammer erreichten und den Inhalt derselben erblickten. Sie standen zunächst wie sprachlos da und ließen ihre wonneglänzenden Augen über alle diese Gegenstände schweifen. Dann rief der Gambusino:

„Entdeckt, entdeckt! Hier liegen Millionen. Das hast du mir zu danken.“

„Nein, sondern du mir, mir, mir!“ entgegnete Perillo. „Laß uns abschätzen. Hier stecken viele Lichter in diesen Rinnen, jedenfalls, damit man bei ihrem Glanze diese ungeahnten Reichtümer besser funkeln sehen kann. Soll ich sie anbrennen?“

„Ja, denn bei diesem einen Talgstummel ist gar nichts, gar nichts zu sehen.“

Perillo riß dem Gambusino das Licht aus der Hand und hielt es an einen der bereits beschriebenen Dochte, welcher zunächst wie ein ganz gewöhnlicher Docht anbrannte. Das kleine Flämmchen hatte zunächst einen ruhigen, hellen Schein; dann begann es zu flackern, wobei es eine blaue Farbe annahm; hierauf sprühte es plötzlich nach allen Seiten Funken, an denen sich die andern Dochte entzündeten, und schoß alsdann gar zu einer bis an die Decke reichenden Feuergarbe auf. Ein scharfer, unausstehlicher Geruch oder vielmehr Gestank verbreitete sich in dem Raume. Schon brannten zehn, fünfzehn, zwanzig und noch mehr Lichter in den Rinnen. Sie flackerten, glühten, sprühten, pufften und lärmten.

„Was ist das?“ fragte Perillo ganz betroffen. „Wer hat schon einmal solche Lichter gesehen?“

„Was es ist?“ antwortete der Gambusino. „Unser Verderben ist es, wenn wir nicht augenblicklich fliehen, Diese Lichter sind für unberufene Eindringlinge angebracht. Also müssen –“

Er wurde von einem Knalle unterbrochen, nach welchem den Lichtern feurige Schlangen entfuhren, welche wie zuckende Blitze in der Kammer umherfuhren und die Kleider der beiden Männer sogleich in Brand setzten.

„Fort, augenblicklich fort!“ schrie er und eilte in den Stollen hinein, um so schnell wie möglich das Freie zu erreichen. Perillo folgte ihm. Ihre Anzüge brannten. Sie nahmen sich aber nicht Zeit, sie zu löschen, stießen rechts und links mit den Köpfen oben in dem Stollen an. Noch hatten sie den Schacht nicht erreicht, so gab es einen lauten Knall, unter welchem die Erde erbebte.

„Ich brenne, ich verbrenne!“ schrie Perillo.

„Ich auch,“ antwortete der Gambusino, indem er vorwärts stürmte.

„Rette mich! Lösche meine Flammen!“

„Habe keine Zeit. Fort, fort, der Felsen explodiert!“

Er stürmte vorwärts, erreichte den Schacht und schwang sich hinaus ins Freie. Perillo folgte ihm auf dem Fuße. Unten im Gange hatten ihre Anzüge mehr geglimmt als gebrannt; jetzt aber in der freien Luft entstanden helle Flammen, welche sofort über ihnen zusammenschlugen. Vor Entsetzen brüllend warfen sie sich nieder und wälzten sich auf dem Boden herum, um die Flammen zu ersticken. Da that es im Innern einen zweiten Knall, einen dritten, vierten, fünften und sechsten, einer immer stärker als der andre. Die Schlucht schien förmlich hin und her zu schaukeln; es war, als ob alle ihre Felswände zusammenbrechen wollten. Dann schoß ein schwerer, dicker, dunkler Rauch aus dem Schachtloche hervor, begleitet von einem Zischen wie von hundert Lokomotiven, worauf ein dumpfes Poltern folgte, wie von unter der Erde dahinpolternden Kegelkugeln. Hierauf wurde es still, aber der Rauch schoß noch fort aus dem Loche und hüllte das ganze hintere Thal in stinkende Wolken, welche keine Gestalt, keinen Gegenstand erkennen ließen. Desto deutlicher aber hörte man das Schmerzgebrüll der beiden noch immer sich am Boden windenden und wälzenden Menschen,

Und der Vater Jaguar mit seinen Leuten?

Er hatte mit ihnen, sie herbeiführend, eine Stelle erreicht, welche nur noch zehn Minuten von der Schlucht entfernt war, als ihm Anciano und der Inka entgegenkamen. Ersterer meldete:

„Señor, es ist das Spitze Messer, der Häuptling der Mojos, mit sieben Mann, ein sehr guter Freund von mir. Soll ich mit ihm reden?“

„Ja; aber natürlich nur auf eine Weise, daß der Gambusino es nicht bemerkt.“

„Der kann es weder sehen noch hören, denn er ist nach seiner Ankunft mit Perillo und den drei Gefangenen sofort in die Schlucht hinab.“

„Meinst du, daß das Spitze Messer mit sich reden lassen wird?“

„Ja. Ich bin überzeugt, daß er sofort zu uns übergeht, wenn er mich sieht und zudem erfährt, daß Sie bei mir sind.“

So lauf voran; wir kommen langsamer nach, damit du einige Worte mit ihm reden kannst, ehe er uns sieht.“

Anciano eilte fort, und die andern folgten ihm, fest überzeugt, heute gewiß zum Ziele zu gelangen. Noch ehe sie die Schlucht erreichten, kam ihnen der Alte wieder entgegen. Er führte den Häuptling der Mojos an der Hand und rief dem Vater Jaguar zu:

„Hier ist er, Señor, hier ist er. Er freut sich, den berühmten Vater Jaguar, den er noch nie gesehen hat, kennen zu lernen, und will sich gern auf unsre Seite schlagen.“

„Hast du nur die sieben Mann bei dir?“ fragte Hammer den Häuptling.

„Ja, Señor.“

„Die zwei kleinen Gefangenen kennen wir. Wer ist der dritte?“

„Ein reicher Señor aus Lima, welcher Engelhardt heißt und Bankier ist.“

„Mein Vater, mein Vater!“ schrie da Anton auf, indem er von seinem Maultiere sprang. „Aber es ist nicht möglich. Warum könnte er herübergekommen sein?“

„Um seinen Sohn in Buenos Ayres zu sehen.“

„So ist er’s doch; er ist’s! Hinab, hinab, ihn zu erretten!

Sein Gewehr schwingend, eilte er der Schlucht zu und war gleich darauf am Rande derselben verschwunden. Die andern wollten ihm nach, doch der Vater Jaguar gebot:

„Halt! Nicht alle hier hinab. Sechs Mann reiten um die Schlucht und stellen sich jenseits auf, damit da drüben niemand entkommen kann.“

Daraufhin galoppierten sechs Reiter fort. Die übrigen ließen sich aber nun nicht länger halten; sie sprangen aus den Sätteln und kletterten, Hammer und die Indianer mit ihnen, so schnell wie möglich in die Schlucht hinab. Noch waren sie nicht unten, so sahen sie zwei brennende Gestalten aus der Stollenöffnung kommen; sie hörten deren Gebrüll und darauf mehrere Explosionen.

„Die Hunde haben den Schatz entdeckt und das Feuer angezündet,“ rief der Vater Jaguar ergrimmt. „Jetzt ist der Schatz verloren!“

Alle rannten, so schnell sie konnten, nach dem von Rauch erfüllten hinteren Teile der Schlucht, ihnen voran Anton und der Inka, der ihm am schnellsten gefolgt war. Die beiden Knaben sahen die Gefangenen liegen und sprangen zu ihnen hin.

„Mein Vater, mein Vater!“ rief Anton, indem er sich neben seinem Vater niederwarf, um ihn zu umarmen und zu küssen, und dann seine Fesseln zu durchschneiden.

Niemand hatte ein Auge für diese Begrüßungsscene, denn die Blicke aller waren auf die hintere Felsenwand gerichtet, an welcher zwei Gestalten mühsam und unter vor Schmerz zuckenden Bewegungen emporklimmten. Der Gambusino und Perillo waren es. Sie hatten die Nahenden bemerkt und trotz ihrer halb verbrannten Leiber an die Flucht gedacht, welche nur nach dieser Richtung möglich zu sein schien. Aber da erschienen jetzt die sechs Reiter oben, und der Vater Jaguar rief befriedigt:

„Haltet ein! Laßt die Schurken immer steigen! Sie werden oben in Empfang genommen.“

Er wendete sich zu den Gefangenen, um zunächst Engelhardt zu begrüßen, und dann die beiden Kleinen im Tone des Zornes zu fragen:

„Welcher Teufel hat Sie uns denn abermals nachgeschickt? Konnten Sie es denn selbst bei Ihrem Riesentiere nicht aushalten?“

„Nein,“ antwortete der allezeit fertige Fritze. „Der Riesenspitzbube, den wir fangen wollten, war noch viel jrößer.“

„Aber er hat euch wieder gefangen, anstatt ihr ihn!“

„Dat war nur Verstellung von uns. Wir thaten nur so, um ihm hierher und in dat Loch zu bringen, wo er oft und manchmal in Brand jeraten ist.“

„Flunkere nicht, Bursche!“

„Herr, ik bin aus Stralau am Rummelsburger See, wo nie jeflunkert wird. Fragen Sie meinen Herrn! Der hat ihm voran in dat Loch jesteckt.“

„Jawohl!“ bestätigte der Privatgelehrte. „Die Erde that sich unter mir auf, und ich verlor den Grund und Boden, lateinisch Solum genannt – – –“

„Sie sind ein unverbesserlicher Faselhans,“ unterbrach ihn Hammer, „und fassen jedes Ding, lateinisch Res genannt, beim falschen Ende an. Meine Geduld mit Ihnen, lateinisch Placabilitas, Clementia und auch Mansuetudo geheißen, ist nun zu Ende. Ich mag von Ihnen nichts mehr wissen!“

Morgenstern stand mit offenem Munde da, als er unerwartet lateinische Brocken an den Kopf geworfen bekam. Hammer aber hatte seine Worte zuletzt nicht mehr ernst gemeint und wendete sich, innerlich lachend, von dem Verblüfften ab.

Der Gambusino und Perillo hatten jetzt die Höhe erstiegen und sahen da zu ihrem Entsetzen die sechs Männer stehen, von denen sie wieder zurück- und hinabgetrieben wurden. Unten angekommen, wurden sie zu dem Vater Jaguar gebracht. Sie widerstrebten nicht, denn der fürchterliche Schmerz, den ihre entsetzlichen Brandwunden verursachten, machte jeden Widerstand völlig unmöglich. Ihr Anblick war grauenhaft. Alle ihre Kleidungsstücke waren ihnen bis auf einige Zunderfetzen vom Leibe gebrannt, und schwere, unheilbare Wunden bedeckten alle ihre Glieder. Es gehörte gar nicht das Auge eines erfahrenen Arztes dazu, um einzusehen, daß diese Verletzungen tödlich seien.

„Benito Pajaro, kennst du mich noch?“ fragte Hammer den Gambusino.

„Ja,“ antwortete dieser, von Qualen gefoltert. „Ich bin der Mörder deines Bruders. Töte mich, aber so rasch wie möglich!“

„Das wäre eine Wohlthat für dich. Wieviel Menschen hast du auf deinem Gewissen? Erst gestern abend wieder drei! Gott hat gerichtet; ich bin gerächt und greife ihm nicht vor. Du bist frei und kannst gehen, wohin du willst.“

„Töte mich, töte mich!“ forderte der Gefangene im dringendsten Tone, denn auch er sah ein, daß ein schneller Tod eine Gnade für ihn sei.

„Nein!“ antwortete Hammer fest.

„So fahre selbst auch zum Teufel, und sei verflucht!“

Indem er diese grausigen Worte aussprach, entriß er dem unvorsichtig neben ihm stehenden Anton Engelhardt das geladene Doppelgewehr, legte blitzschnell auf den Vater Jaguar an, drückte ab und jagte dann sich selbst, ehe man es verhindem konnte, die zweite Kugel durch den Kopf. Zum Tod getroffen, brach er zusammen; er hatte als beispielloser Bösewicht gelebt und als solcher geendet, aber doch seine letzte Absicht nicht erreicht, denn Hammer war ebenso schnell, wie auf ihn gezielt worden war, zur Seite gesprungen und der Kugel entgangen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, deutete er auf Antonio Perillo und sagte zu Haukaropora:

„Hier steht der Mörder deines Vaters. Er ist dein.“

„Er gehört auch mir!“ fiel da der kleine Gelehrte ein. „Er hat in Buenos Ayres auch meine Ermordung, lateinisch Truddatio, geplant.“

Niemand hörte auf ihn. Der Inka sah dem Stierkämpfer finster in das angst- und schmerzverzerrte Gesicht und sagte dann:

„Ich will nicht hart, sondern gnädig sein. Er soll nicht lange Qualen erleiden, sondern rasch sterben.“

Er legte sein Gewehr auf den Mörder an. Da sank dieser vor ihm in die Kniee und flehte ihn an:

„Nicht töten, nicht töten! Laß mich leben!“

„Gut, so lebe noch, um nach zwei oder drei Tagen wie ein Hund zu sterben,“ antwortete Hauka, indem er sein Gewehr senkte und sich verächtlich von ihm wendete.

Kein Mensch bekümmerte sich um den Feigling, welcher zwischen den Steinen zusammenbrach und da wimmernd liegen blieb. Man wollte gern erfahren, welche Vernichtung das Feuer in der unterirdischen Kammer angerichtet hatte. Es hatte die Decke derselben zersprengt und da einen Riß in den Felsen getrieben, durch welchen noch jetzt der Rauch ausströmte. Dadurch war eine Art Ventilation entstanden, welche den Stollen von schädlichen Gasen reinigte, und es ermöglichte, daß man schon nach einer Stunde denselben betreten konnte. In die Schatzkammer aber vermochte niemand den Fuß zu setzen; der Boden derselben war verschwunden und durch die Gewalt der Explosionen mit allen Schätzen, welche sich da befunden hatten, in den gähnenden Schlund des erwähnten Felsenspaltes gedrückt und geschleudert worden. Alle sprachen ihr lebhaftestes Bedauern über diesen großartigen und, wenigstens für lange Zeit, unersetzlichen Verlust aus; Haukaropora aber sagte ruhig lächelnd zum Vaterjaguar:

„Sie sehen, Señor, daß die Vorsehung mir recht gegeben hat. Das Erbe ist fort; das Vermächtnis meines Vaters, des Inka, aber trage ich wohlverwahrt hier auf der Brust. Sein letzter Wunsch und Wille wird in Erfüllung gehen.“

Der Schacht wurde mit Steinen verschüttet; dann stiegen die Männer nach oben, um da zu lagern und das Geschehene zu besprechen. Am meisten hatten sich Anton und sein Vater zu erzählen, da sie so lange getrennt gewesen waren. Als der letztere hörte, welchen Plan der Inka in Beziehung auf seine Zukunft gefaßt hatte, erbot er sich, ihm den massiv goldenen Streitkolben abzukaufen und nach deutschem Gelde für das Pfund 1400 Mark zu zahlen, was bei der Schwere der Waffe eine Summe ergab, durch deren Benutzung sich der Abkömmling der Sonnensöhne eine sichre Zukunft zu gründen vermochte.

Man blieb bis zum andern Morgen oben lagern. Während der ganzen Nacht war das Wimmern und Stöhnen Antonio Perillos zu hören; nach Tagesanbruch fand man ihn zusammengekrümmt und tot zwischen den Steinen liegen. Die Leichen der beiden Mörder wurden unter dem Geröll begraben; dann brachen die Reiter auf, um über Salta und Tucuman zu den befreundeten Cambas zurückzukehren. Engelhardt und sein Sohn hatten eigentlich von Tucuman aus einen andern Weg, schlossen sich aber gern den Freunden an, welche bei den Cambas natürlich einen sehr freundlichen Empfang fanden.

Dort hatte der Doktor Parmesan Rui el Iberio auf sie gewartet. Als er erfuhr, was geschehen war, rief er bedauernd aus –

„Wie schade, daß ich nicht mit den beiden deutschen Gelehrten nachgekommen bin! Die beiden verbrannten Mörder wären am Leben geblieben, denn ich hätte die große und einzig dastehende Operation gemacht, ihnen die versengte Haut vom Körper zu schneiden und dadurch der unterbrochenen Transsudation Luft zu machen. Sie wissen ja, ich säble alles herunter.“

Der Aufenthalt bei den Cambas wurde benutzt, dem Doktor Morgenstern beim Zerlegen und Verpacken seines Riesentieres beizustehen. Die einzelnen Teile sollten auf Packpferden transportiert werden. Dann zog die Hälfte der Truppe des Vater Jaguar in die Wälder, um Paraguaythee zu sammeln, während die andern unter Anführung Hammers, Engelhardt, seinen Sohn, Morgenstern und Fritze nach Buenos Ayres begleiteten. Der Inka war mit seinem Anciano auch dabei, da der letztere seine Bereitwilligkeit erklärt hatte, die Seereise mit ihm zu unternehmen.

Jahre sind seitdem vergangen. Leider soll der Name der deutschen Stadt nicht genannt werden, in welcher Doktor Morgenstern seinen Studien lebt. Er ist durch sein Megatherium berühmt geworden und unternimmt mit seinem treuen Fritze zuweilen eine Reise in ferne Gegenden, um das Skelett eines Urmenschen zu entdecken. Nächstens wird er zu diesem Zwecke nach Sibirien gehen. Der Inka hat Tharandt besucht und ist Jäger geworden, in welchem Berufe ihn der nun uralte Anciano noch immer rüstig unterstützt. Engelhardt lebt als Rentier am schönen grünen Rhein, wo Anton mit seinem Bruder eine bedeutende Weinhandlung gegründet hat.

Alle diese Personen korrespondieren lebhaft und freundschaftlich mit einander, und keiner dieser Briefe wird geschrieben und gelesen, ohne daß wenigstens ein Teil seines Inhaltes sich auf die gemeinschaftlichen Erlebnisse bezieht, denn das Haupt- und Lieblingsthema ist und bleibt bei ihnen für alle Zeit

„Das Vermächtnis des Inka.“

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