In der Mordschlucht

Salta, oder wie die argentinische Stadt vollständig heißt, San Miquel de Salta, liegt in einer, von mehreren Bergwässern durchflossenen Ebene des Thales von Lerma, ist ziemlich gut bevölkert und treibt einen lebhaften Speditionshandel nach Bolivia. Einer der bedeutendsten Spediteure der Stadt war Señor Rodrigo Sereno, dessen Etablissement vor dem nördlichen Thore von Salta lag und vielleicht noch heute liegt. Es bestand aus weiten Stallungen und Lagerhäusern, vor denen gerade an der Straße das langgestreckte Hauptgebäude lag, dessen eine Seite die Wohnung des Besitzers und seiner Familie bildete, während die andre Seite dem öffentlichen Verkehre und vornehmlich der Aufnahme von Reisenden und andern Gästen diente.

Es war am späten Abende. Die Stadtbesucher hatten das Lokal schon verlassen, und die fremden Gäste waren schlafen gegangen. Señor Rodrigo saß allein in der Stube und zählte das Geld, welches er heute eingenommen hatte. Da ließen sich draußen nähernde Schritte hören. Sofort warf er ein Tuch über das Geld und stand auf, um den Tisch zu verlassen, damit man nicht bemerke, wo und womit er beschäftigt gewesen war. Man kann in jenen Gegenden nicht vorsichtig genug sein. Sein Gesicht nahm einen zuwartenden, zurückhaltenden Ausdruck an. Da wurde die Thür geöffnet, und es traten zwei Männer ein, bei deren Anblick sein Gesicht sich augenblicklich wieder aufhellte.

„Buenas tardes – guten Abend!“ grüßten sie und reichten ihm die Hände, die er ihnen, ihren Gruß erwidernd, kräftig schüttelte. Es war der Gambusino und sein Gefährte Antonio Perillo.

Der erstere ließ sein Auge forschend durch die Stube schweifen, blieb mit dem Blicke an dem Tische und dem Tuche hängen, ging hin, hob dasselbe auf und fragte lachend:

„Geld gezählt und vor uns versteckt, Señor Rodrigo? Seit wann haltet Ihr mich für einen Menschen, dem man nicht trauen kann?“

„Redet nicht,“ antwortete der Wirt, „ihr wißt doch nur zu gut, daß ihr nicht gemeint seid. Als ich Schritte hörte, wußte ich nicht, wer eintreten werde. Seid willkommen; setzt euch, und befehlt, was ich euch bringen soll!“

„Zu essen, was Ihr habt, und zwei Flaschen Wein. Dann macht uns so viel Proviant zusammen, wie zwei Männer brauchen, welche über eine Woche in die Berge wollen, ohne zu wissen, ob sie sich von der Jagd ernähren können.“

Der Wirt verschwand und kehrte bald mit dem Essen und dem Weine zurück. Dann ging er wieder und brachte nach kurzer Zeit einen Korb, welcher mit allerlei haltbaren Eßwaren gefüllt war. Er schien auf die Verproviantierung solcher Leute eingerichtet zu sein. Nun setzte er sich zu ihnen, welche wortlos aßen und tranken, und sah zu, wie es ihnen schmeckte. Aber er war kein Freund von langem Schweigen; darum fragte er schon nach einer kleinen Weile:

„Woher, Señores?“

„Aus Tucuman,“ antwortete der Gambusino.

„Mit der Diligence?“

„Ja. Soeben erst angekommen.“

„Ihr werdet heut bei mir bleiben?“

„Nur die halbe Nacht, dann reiten wir weiter.“

„Seid ihr denn beritten?“

„Nein; aber wir denken, daß Ihr zwei gute Maultiere für uns haben werdet.“

„Das versteht sich. Für Señores, wie ihr seid, habe ich stets das Nötige bereit.“

„Wie teuer das Stück?“

„Ihr zahlt nicht mehr als zwanzig Bolivianos.“

Das waren achtzig Mark für ein gutes, starkes, fußsicheres und schwindelfreies Maultier, gewiß ein sehr niedriger Preis.

„Aber wenn wir nun kein Geld haben?“ lachte ihm der Gambusino in das Gesicht.

„So ist es auch nicht anders, als wenn ihr welches hättet. Ihr seid mir noch nie etwas schuldig geblieben.“

„Gut! Wir zahlen also, wenn wir wiederkommen. Sorgt für ein gutes Lager, denn die Diligence hat uns arg zusammengeschüttelt, und sagt uns vor allen Dingen noch, wo die Mojosindianer jetzt zu treffen sind!“

„Wollt ihr zu diesen? Verwegene und unternehmende Kerls! Möchte mich ihnen aber nicht anvertrauen.“

„Weil sie Euch nicht kennen; ich aber bin befreundet mit ihnen.“

„Ihr werdet sie in der Gegend des Guanacothales finden, wo sie gegenwärtig jagen.“

„Das ist mir unlieb, denn ich muß dabei Zeit versäumen, weil ich nach einer andern Richtung wollte.“

„Wohin?“

„In die Berge. Das möge Euch genügen. Ihr bekommt Euer Geld, auch ohne daß Ihr wißt, wohin wir reiten.“

„Das weiß ich. Verzeihung, Señores, ich wollte nicht zudringlich sein.“

Damit war die kurze Unterhaltung zu Ende. Die Gäste aßen ihre Portionen auf und legten sich dann in einer Ecke nieder, wo er ihnen aus Decken und weichen Fellen ein Lager bereitet hatte. Er zählte sein Geld vollends, schob es klirrend in die tiefe Tasche und verschwand dann durch die Thür, um sich auch niederzulegen. Es war dunkel in der Stube geworden. Die Schläfer schnarchten; eine halbe Stunde nach der andern verging; es wurde Mitternacht und dann ein Uhr. Da trat der Wirt wieder ein, mit dem Lichte in der Hand; er ging zu den beiden Schlafenden und weckte sie:

„Señores, erwacht! Die Zeit des Aufbruches ist gekommen.“

Sie standen auf, bekamen jeder eine kleine Kalabasse Mate zu trinken und einen warmen Brotkuchen zu essen. Dann ließen sie sich vom Wirte in den Hof führen, in welchem die beiden Maultiere standen. Sie waren trefflich aufgeschirrt und in den Satteltaschen steckte der Proviant, welchen der Gambusino bestellt hatte. Der Wirt beleuchtete die Tiere von allen Seiten und fragte dann:

„Seid ihr zufrieden, Señores? Das Geschirrzeug leihe ich euch. Ihr könnt es mir wiederbringen, sobald es euch paßt.“

„Die Tiere sind gut, Señor Rodrigo,“ antwortete der Gambusino. „Das Riemenzeug bringen wir nach einer Woche, höchstens einige Tage später zurück. Lebt wohl!“

„Lebt wohl! habt eine glückliche Reise!“

Sie ritten davon, und Sereno sah ihnen mit einer Miene nach, als ob er ein sehr gutes Geschäft gemacht habe. Er hatte dem Gambusino schon oft Pferde oder Maultiere, auch Geld und andres geborgt und den Betrag immer mit guten Zinsen zurückerhalten. Als der Hufschlag in der Stille der Nacht verhallt war, ging er wieder schlafen.

Am nächsten Abende war es fast genau so, wie am vorhergehenden, nur daß sich mehr als nur zwei Gäste einstellten. Sereno hatte eben sein Geld gezählt und eingeschlossen, so hörte er die Fußtritte vieler Menschen vor der Thür. Diese wurde geöffnet, und es traten sechsundzwanzig wohlbewaffnete Männer ein, welche alle vom Kopfe bis zu den Füßen ganz gegen Landessitte in Leder gekleidet waren und breitkrempige Hüte trugen. Nur zwei von ihnen hatten keine Hüte. Sie gingen barhäuptig und hatten ihr Haar sehr lang über dem Rücken hinabhängen. Ihren Gesichtszügen nach schienen sie Indianer zu sein. Der eine war jung; der andre aber schien ungewöhnlich alt zu sein.

Die andern waren Weiße von ausnahmslos kräftiger Gestalt. Der Wirt erinnerte sich, diesen oder jenen von ihnen schon einmal gesehen zu haben, konnte sich aber nicht besinnen, wann und wo. Der Stärkste und Längste von ihnen hatte weißes Kopf- und Barthaar und schien von den andern als Anführer respektiert zu werden. Sie machten den Eindruck von Männern, welche zu leben verstehen, Niemanden ohne Grund beleidigen, aber selbst auch für jede Beleidigung sofort einen Messerstich oder eine Kugel haben.

Trotz der großen Zahl der Gäste verursachten sie bei ihrem Eintritte und Ablegen ihrer Waffen nicht den geringsten Lärm; dann schoben sie sich zwei Tische und die dazu nötigen Stühle zusammen und setzten sich. Hierauf sagte der riesige Weiße, mehr höflich bittend als befehlend:

„Señor Rodrigo, geben Sie uns Wein, für je zwei Mann eine Flasche!“

Der Wirt verbeugte sich höflichst bei dieser Bestellung, welche ihm etwas zu verdienen gab, doch mehr aus wirklichem Respekt, den ihm der Besteller einflößte, als aus Eigennutz, und antwortete dabei:

„Sie kennen meinen Namen, Señor. Sollten wir uns vielleicht schon einmal gesehen haben?“

„Ich erinnere mich nicht, doch pflege ich mich nach dem Namen der Leute, bei denen ich einkehre, vorher zu erkundigen.“

„Dann darf ich wohl auch nach dem Ihrigen fragen, damit ich weiß, wie ich Sie zu nennen habe?“

„Ich heiße Hammer, doch verlange ich nicht, daß Sie mich bei diesem Namen nennen.“

Das war so stolz und abweisend gesagt, daß der Wirt schnell hinter der Thür verschwand, um den bestellten Wein zu bringen. Als er dann diesen und die Gläser auf den Tisch gesetzt hatte, fragte der Weiße:

„Können wir binnen einer Stunde gut gebratenen Asado con cuero bekommen?“

„So viel Sie wollen, Señor.“

„Nur so viel, wie sechsundzwanzig hungrige Männer essen können. Und dann lassen Sie Ihre Maultiere in den Hof, denn wir werden sie uns ansehen, um sechsundzwanzig Stück zu kaufen.“

Sechsundzwanzig Stück! Und zwar sofort bezahlen, ganz sicher nicht borgen! Dazu sechsundzwanzig Braten in der Haut und dreizehn Flaschen Wein. Welch ein Geschäft! Rodrigo Sereno duckte sich vor Hochachtung zusammen, daß es aussah, als ob er eine halbe Elle kleiner geworden sei. Dann fuhr er hinaus in die Küche und weckte sein ganzes Personal, damit der Braten so schnell wie möglich fertig werde und es die Maultiere so blank putze, daß nicht ein Stäubchen mehr an ihnen hafte. Dann kehrte er in die Gaststube zurück, um, in der Nähe der zusammengeschobenen Tische sitzend, der Winke seiner Gäste gewärtig zu sein.

Sie saßen nachdenklich und schweigend, und keiner sprach ein Wort. Das konnte der neugierige und mitteilsame Rodrigo auf die Länge der Zeit nicht aushalten. Er fuhr in immer wachsender Ungeduld auf seinem Stuhle hin und her und fragte endlich, freilich in höflichstem Tone, dessen seine Stimmwerkzeuge fähig waren:

„Señores, es ist sicher, daß Sie hier in Salta fremd sind, denn sonst müßte ich Sie kennen. Darf ich vielleicht erfahren, woher Sie heute kommen?“

„Von Tucuman,“ antwortete der Weiße kurz.

„Aber doch nicht mit der Diligence?“

„Nein,“ antwortete der Weiße noch kürzer.

Es war ihm anzusehen und anzuhören, daß er keine weitere Frage hören wollte; aber der Wirt mochte um keinen Preis das nun einmal begonnene Gespräch fallen lassen. Er wünschte etwas, wenn auch nicht viel, über diese Señores zu erfahren; darum machte er, ja keine Frage mehr aussprechend, die Bemerkung:

„Ja, der Ankunftstag der Diligence ist gestern gewesen. Es kehrten bei mir zwei Señores ein, welche mit ihr gefahren waren, zwei bekannte und sehr berühmte Señores. Sie würden sich wundern, wenn Sie ihre Namen hörten.“

Die andern schwiegen, aber der lustige Picaro, welcher nicht gern eine Gelegenheit zu einer Schalkhaftigkeit vorübergehen ließ, antwortete:

„Wir würden uns nicht über ihre Namen wundern, sondern nur darüber, dieselben von Ihnen zu hören; denn Sie scheinen der schweigsamste Mann der ganzen argentinischen Staaten zu sein.“

„O, gar so schlimm steht es nun nicht mit meiner Zurückhaltung. Ich spreche zwar sehr wenig, aber solchen Señores gegenüber würde Schweigsamkeit zur Grobheit werden. Darum will ich Ihnen sagen, daß einer der Señores der berühmte Stierkämpfer Antonio Perillo war.“

Nur allein mit seiner Mitteilung beschäftigt, bemerkte er gar nicht, welchen Eindruck dieselbe auf seine Gäste machte. Sie sahen einander an, blickten sich Schweigen zu, und dann meinte der Weiße in gleichgültigem Tone:

„Wenn sie diesen Perillo einen berühmten Mann nennen, so mögen Sie dies auf Ihre Rechnung hin thun. Ich habe noch berühmtere Leute gekannt, als er ist.“

„Ihr Wort in Ehren, Señor; ich will Ihnen ja nicht widersprechen, aber ich weiß nur zwei Männer, welche noch berühmter als Perillo sind.“

„Wer ist das?“

„Der Vater Jaguar und der Gambusino, der eigentlich Benito Pajaro heißt.“

„Kennen Sie denn diese Señores?“

„Den Vater Jaguar habe ich leider noch nicht gesehen; aber der Gambusino war oft bei mir. Er war es ja, welcher mit dem Stierkämpfer bei mir einkehrte.“

„So? Wirklich? Woher kamen sie?“

„Von Tucuman mit der Diligence. Es war die gegenwärtige Zeit. Sie kauften zwei Maultiere nebst Proviant für eine Woche, und ich weckte sie eine Stunde nach Mitternacht, weil sie da abreisen wollten.“

„Wohin?“

„Zu den Mojosindianern, welche sich jetzt in der Gegend des Guanacothales aufhalten.“

„Jedenfalls haben Sie sich geirrt, Señor. Es ist nicht der Gambusino gewesen.“

„Er war es. Ich kann es beschwören. Ich habe den beiden die Zeche, den Proviant und auch die Maultiere borgen müssen, weil sie kein Geld bei sich trugen, was übrigens nicht viel zu sagen hat. Da muß ich sie doch kennen.,

„Hatten sie denn Eile?“

„Ja. denn sonst hätten sie sich nicht schon um ein Uhr wecken lassen.“

jetzt wurde der Wirt in die Küche gerufen, und das gab den Gästen Zeit, ihre Meinungen ungehört von ihm auszutauschen. Der Weiße war natürlich kein andrer, als der Vater Jaguar. Er sagte, zwar in unterdrücktem Tone, aber daß es alle hörten:

„Sollte man es glauben! Ich wollte es bezweifeln, aber dieser schwatzhafte Wirt ist seiner Sache sicher. Was meinst du dazu Geronimo?“

„Der Gambusino und Antonio Perillo müssen sehr schnell zu Pferden gekommen sein,“ antwortete der Gefragte. „Das ist die einzige Lösung dieses Rätsels.“

„Das sage ich auch. Wie gut, daß wir hier eingekehrt sind, und wie gut, daß wir nicht auf die nächsten Diligencewagen warteten, sondern Relaispferde nahmen! Der Gambusino ist uns einen vollen Tag voraus; aber wir werden dennoch eher an Ort und Stelle ankommen, weil er erst zu den Mojos will und also einen Umweg machen wird. Und zugleich ist es ein großer Vorteil für uns, zu wissen, aus welcher Richtung er kommen wird. Wir haben ihn vom Guanacothale her zu erwarten.“

„Was mag er bei den Mojosindianern wollen?“ fragte einer.

„Seltsame Frage!“ antwortete Hammer. „Was er dort will, ist sehr leicht zu erraten. Er will mit Antonio Perillo in der Mordschlucht nach einem Schatze suchen. Dazu gehörte Zeit, viel Zeit, während welcher der Proviant leicht ausgehen kann. Dieser muß durch die Jagd erneuert werden, und dazu sind die Mojos engagiert. Ferner gehört dazu ein genügender Schutz, das Fernhalten jeder Störung, jeder Begegnung mit einem Reisenden, Jäger oder andern Menschen, welcher die beiden überraschen und ihre Absicht erraten könnte. Darum werden sie Mojosposten ausstellen, welche alle Störung abhalten müssen.“

„Aber da können doch diese Posten selbst leicht erraten, was die beiden beabsichtigen.“

„Mögen sie das, es schadet nichts, wenn der Gambusino nur seinen Zweck erreicht. Er schießt die Mojos, die ihn beschützen mußten, einfach nieder und verschwindet dann mit dem Schatze auf Nimmerwiedersehen, um nicht der Rache ihrer Anverwandten zu verfallen.“

„Das wäre eine Niederträchtigkeit, die ihres gleichen sucht! Er ist ein gewissenloser Mensch; aber so etwas sollte man ihm doch nicht zutrauen.“

„Nicht?“ fragte der Vater Jaguar. „Ich habe es bisher verschwiegen, aber nun will ich es euch sagen. Er hat an meinem Bruder genau ebenso gehandelt. Mein Bruder war Gambusino oder Prospektor, wie die Goldsucher in den Vereinigten Staaten genannt werden. Er hatte einen ungewöhnlich reichen Fund gemacht. Da kam dieser Gambusino, ermordete ihn auf eine entsetzliche, unmenschliche Weise und verschwand mit dem Golde. Das hat mein dunkles Haar gebleicht. Ich folgte der Fährte dieses Menschen, welche nach Argentinien führte, konnte ihn aber nicht zu sehen bekommen. Erst jüngst ist er mir in die Arme gelaufen, ich habe ihn und er hat mich erkannt, und nun sind die Stunden eines von uns beiden gezählt, entweder die meinigen oder die seinigen.“

„Die seinigen, die seinigen!“ rief es im Kreise, und die Fäuste fielen dröhnend auf die Tische nieder.

„Still!“ gebot der Vater Jaguar. „Keinen Lärm! Niemand braucht zu hören, wovon wir reden. Er hat das Gold meines Bruders verpraßt und sucht nun nach neuen Schätzen, die ihm nicht gehören. Er soll das, was er findet, aus meiner Hand bekommen!“

jetzt trat der Wirt wieder ein, und ihm folgten einige Bedienstete, welche auf Platten den duftenden Asado con cuero brachten. Die Gäste aßen und tranken schweigend und zeigten dabei so ernste Gesichter, daß dem Wirte der Mut entfiel, ein neues Gespräch anzuknüpfen. Als das Mahl zu Ende und auch der Wein getrunken war, begaben sich die Männer in den Hof, um sich die Maultiere zeigen zu lassen. Sie hatten in Tucuman die hier in den Bergen unbrauchbaren Pferde verkauft und mußten sich nun von neuem beritten machen. Tiere und Sattelzeug gab es bei Rodrigo Sereno mehr als genug.

Bei dem Scheine brennender Lichter und Laternen wurde die Auswahl getroffen. Dann fragte der Vater Jaguar nach dem durchschnittlichen Preise.

„Vierzig Bolivianos das Stück, Señor,“ antwortete der Wirt. „Sie werden zugeben, daß dies der niedrigste Preis ist, zu welchem man ein Maultier hier haben kann.“

„Können Sie auch Proviant für uns auf acht Tage schaffen?“

„Ja.“

„So besorgen Sie das, und kommen Sie dann in die Stube!“

Der Wirt nahm das Schweigen als Einwilligung und freute sich im stillen, heut für ein Maultier doppelt so viel als gestern zu erhalten. Das bedeutete einen Aufschlag von über zweitausend Mark. Die Sättel wurden auch in die Stube geschafft, weil die Taschen dort mit Proviant gefüllt werden sollten. Dies war nach Verlauf von einer Stunde geschehen, und dann forderte der Vater Jaguar den Wirt auf, ihm die Rechnung niederzuschreiben. Rodrigo Sereno holte ein Stück Kreide und schrieb die einzelnen Posten auf den Tisch. Sein Gesicht glänzte vor Wonne, als er die Summe zog. Da aber fragte der Weiße:

„Wieviel hat der Gambusino gestern für ein Maultier angerechnet bekommen?“

„Auch vierzig Bolivianos, Señor.“

„So ist er entweder sehr dumm gewesen, oder Sie halten mich für dumm genug, dies zu glauben. Ich bezahle die Hälfte, zwanzig Bolivianos, und zwar in blanken Goldstücken sofort auf den Tisch. Ist Ihnen dies zu wenig, so werden wir noch in dieser Nacht bei einem andern billiger kaufen.“

„Señor, es ist mir unmöglich, Ihnen die Tiere zu einem solchen Preise zu lassen,“ beteuerte der Wirt mit wie zum Schwure erhobener Hand. „Ich würde über zehn Bolivianos am Stück verlieren.“

„Schweigen Sie doch!“ fuhr ihn der Weiße an. „Sie halten uns für fremd im Lande. Sie wollten aber wissen, wer ich bin, und so will ich es Ihnen sagen: ich bin der Vater Jaguar!“

Da fuhr der Wirt um zwei Schritt rückwärts und rief mit stammelndem Munde:

„Qué maravilla! Der – Va-ter – Ja-gu-ar – – –!“

Er starrte den Genannten mit weit geöffneten Augen an und schien alle Bewegungsfähigkeit verloren zu haben.

„Nun, gilt’s? Zwanzig Bolivianos für das Maultier?“ drang Hammer in ihn.

„Ja – ja –“ antwortete er, wie abwesend; „sogar für – fünfzehn sollen Sie – – es haben – – da Sie der – Vater Jaguar sind.“

„Nein, nicht fünfzehn; ich gebe zwanzig, hier ist die Summe, welche Sie zu bekommen haben.“

Ergriff in den Gürtel, zog eine Handvoll Goldstücke hervor und zählte ihm die schuldige Summe auf den Tisch. Rodrigo Sereno bedankte sich, als ob er träume, und steckte das Geld auch wie im Traume in die Tasche. Nachdem jeder einen Sattel genommen hatte, begaben sich die Gäste wieder in den Hof. Der Wirt folgte ihnen und rief heimlich alle seine Leute herbei. Da standen sie und sahen, wie die Fremden sich auf die Maultiere schwangen und dann in die Nacht hinausjagten. Nun erst bekam die Stimme Serenos ihren ursprünglichen Klang zurück. Er warf sich in die Brust und rief den Seinen zu:

„Heut ist meinem Hause eine große Ehre widerfahren. Wißt ihr, wer der weißhaarige Señor war, welcher trotz seines Alters nicht in den Sattel stieg, sondern aus freier Hand in denselben sprang? Der Vater Jaguar ist’s gewesen, der Vater Jaguar! Bei Gott, wenn er darauf eingegangen wäre, hätte ich ihm die Maultiere alle zu nur zehn Bolivianos das Stück verkauft. Der Vater Jaguar! Merkt es euch, und erzählt es morgen allen, die euch in der Stadt begegnen!“

Er brauchte diesen Befehl eigentlich gar nicht auszusprechen, denn die guten Leute wären am liebsten gleich jetzt, mitten in der Nacht, mit der Kunde fortgeeilt, daß der weitberühmte Mann mit fünfundzwanzig Begleitern bei ihrem Herrn eingekehrt sei und eine große Summe in lauter vollwichtigen Goldstücken bezahlt habe. So aber mußten sie leider schlafen gehen.

Und schon am nächsten Morgen, als man kaum aufgestanden war, gab es auch wieder fremde Gäste. Rodrigo Sereno war eben erst von seinem Lager aufgestanden und schlürfte gemächlich seinen Mate aus der silbernen Röhre, da traten zwei kleine, überaus rot gekleidete Menschen ein, welche bis an die Zähne bewaffnet waren. Der eine fragte sofort, als er die Thür geschlossen hatte:

„Sind Sie der Wirt Rodrigo Sereno, Señor?“

„Ja, Señores,“ antwortete der Gefragte.

„So sind wir in das richtige Haus, lateinisch Domus oder auch Aedificium genannt, gekommen; haben Sie Maultiere zu verkaufen?“

„Gern, so viele Sie brauchen.“

„Und außerdem kann man bei Ihnen zu essen und zu trinken bekommen?“

„Alles, was die Señores wünschen. Setzen Sie sich nieder und teilen Sie mir Ihre Befehle mit!“

Er rückte ihnen zwei Stühle am Tische bequem und forderte sie durch eine Handbewegung auf, sich auf denselben niederzulassen. Seine Worte hatten einen Ton, welcher ein klein wenig ironisch klang. Er schien die kleinen Männer trotz der Waffen, welche sie trugen, nicht für voll anzusehen. Sie schienen dies entweder gar nicht zu bemerken oder wenigstens nicht zu beachten, verlangten heißen Mate und ein Gebäck dazu und machten es sich dann auf den Stühlen bequem, welche er seinen Gästen hinstellte.

Als er ihnen das Verlangte gebracht und vorgesetzt hatte, nahm er bei ihnen in der Weise Platz, wie man es bei Leuten thut, die man nicht ganz für seinesgleichen hält, musterte sie mit einem von oben herab gerichteten Blicke und sagte:

„Darf man vielleicht erfahren, ob die Señores sich hier in Salta aufzuhalten gedenken?“

„Wir kaufen Maultiere, also wollen wir fort,“ antwortete Fritze Kiesewetter.

„Wo kommen Sie her?“

„Aus Tucuman.“

„Auch aus Tacuman? Und natürlich auch nicht mit der Diligence?“

„Nein. Wir haben Postpferde geritten. Aus Ihrer Frage geht hervor, daß noch andre von dorther gekommen sind, und zwar auch nicht mit der Diligence?“

„Ja. Gestern abend kam eine ganze Gesellschaft hier an, und vorgestern trafen auch schon zwei Männer ein. Wo wollen Sie hin, Señores?“

„Zunächst hinauf nach der Salina del Condor. Aber wir kennen den Weg nicht. Ist es wohl möglich, hier einen Führer zu bekommen, auf den man sich verlassen kann?“

„Warum nicht? Wenn Sie ihn gut bezahlen, will ich Ihnen sofort einen besorgen. Ich habe einen Knecht, welcher früher einigemal da oben gewesen ist und sich wohl bestimmen lassen wird, Ihr Führer zu sein. Sie werden ihn bei den Maultieren finden, die Sie sich ansehen können, sobald es Ihnen beliebt.“

Der Peon, von welchem er sprach, war jedenfalls kein zuverlässiger Knecht, sonst hätte er ihn nicht so bereitwillig hergegeben. Als die beiden Reisenden dann mit diesem Manne sprachen, erklärte er, daß er gern mit ihnen reiten werde, und stellte auch so günstige Bedingungen, daß sie ohne Handel auf dieselben eingingen. Desto teurer aber waren die Maultiere, welche sie kauften. Sie mußten für das Stück fünfzig Bolivianos bezahlen, also über noch einmal so viel, als der Wirt gestern und vorgestern erhalten hatte. Dazu kamen die Sättel und die Proviantvorräte, welche sie sich mitnahmen. Während die letzteren im Zimmer eingepackt wurden, fragte Doktor Morgenstern den Wirt im Laufe des Gespräches:

„Señor, Sie sprachen von Leuten, welche gestern und vorgestern aus Tucuman hier angekommen seien. Kannten Sie dieselben vielleicht?“

„Allerdings. Es waren Männer von sehr berühmten Namen.“

„Darf ich diese Namen erfahren?“

„Warum nicht? Ich bin sogar stolz darauf, Ihnen mitteilen zu können, daß solche Señores bei mir verkehren. Am vorgestrigen Abend hatte ich den weitbekannten Gambusino Benito Pajaro mit noch einem Herrn als Gäste bei mir.“

„Den Gambusino? So sind wir also auf der richtigen Spur, lateinisch Semita oder auch Vestigium genannt. Der andre ist jedenfalls Antonio Perillo gewesen?“

„Ja, er war es. Kennen Sie denn diese Señores?“

„Besser, als Sie vielleicht denken. Und wer waren die Herren, welche gestern hier einkehrten?“

Der Wirt betrachtete die beiden jetzt abermals mit einem forschenden Blicke, wobei sein Gesicht einen weniger geringschätzenden Ausdruck annahm. Wer den Gambusino so gut kannte, der konnte nach seiner Ansicht denn doch kein so ganz gewöhnlicher Mensch sein. Dann antwortete er fragend:

„Sie sprachen von einer Spur. Wollen Sie vielleicht dem Gambusino nach?“

„Ja.“

„Und wissen Sie, wohin er ist?“

„Sehr genau.“

„So müssen Sie sich sputen, denn er schien große Eile zu haben. Noch weit größere Eile aber hatten die gestrigen Señores. Das waren über zwanzig Personen, welche von dem berühmten Vater Jaguar angeführt wurden. Den werden Sie wohl schwerlich kennen.“

„Warum nicht? Wir gehören ja zu seiner Gesellschaft und wollen ihr nach.“

„Was? Sie gehören zu ihm und wollen doch auch dem Gambusino folgen? Daraus ist zu schließen, daß der Vater Jaguar mit dem Gambusino zusammentreffen will?“

„Sie erraten es. Es handelt sich nämlich um eine sehr interessante Angelegenheit, lateinisch Negotium genannt, welche für uns von großer Wichtigkeit ist. Nämlich – – –“

Der kleine Mann stand im Begriff, dem Wirte eine voreilige Mitteilung zu machen. Fritze, welcher weit vorsichtiger war, fiel ihm schnell in die Rede:

„Es betrifft nämlich eine Silberader, welche droben in den Bergen aufgefunden worden sein soll, und alle die genannten Señores, auch wir beide, reiten hinauf, um dieselbe, falls etwas Wahres daran ist, oft und manchmal auszubeuten.“

„Da gratuliere ich Ihnen,“ meinte der Wirt, und zwar jetzt im Tone der Hochachtung. „Ein Unternehmen, an welchem sich der Vater Jaguar und der Gambusino beteiligen, muß auf alle Fälle ein rentables werden. Ich hoffe, daß Sie, so oft Sie hier vorüberkommen, sich meiner erinnern und bei mir einkehren. Empfehlen Sie mich dem Vater Jaguar. Ich achte und bewundere ihn, wie ich Ihnen gleich beweisen werde. Nämlich, da Sie zu ihm gehören, will ich Ihnen die Maultiere billiger lassen, als Sie dieselben bezahlt haben; das Stück soll nicht fünfzig, sondern dreißig Bolivianos kosten; ich zahle Ihnen den Überschuß heraus.“

Die beiden waren nicht wenig über dieses Verfahren verwundert und der Doktor steckte das Geld, welches der Wirt zurückgab, nur zögernd wieder in die Tasche. Aber Rodrigo Sereno handelte mit guter Berechnung. Er sagte sich, daß diese beiden Männer dem Vater Jaguar mitteilen würden, wieviel sie bezahlt hatten, und dann war anzunehmen, daß keiner von der ganzen Gesellschaft wieder hier einkehren werde. Der Schaden des Wirtes mußte sich dann weit höher belaufen, als die Summe, welche er jetzt wiedergab. Die beiden Deutschen gaben ihm das Versprechen, seiner zu gedenken und ihn auch der vorausgegangenen Gesellschaft bestens zu empfehlen. Dann, als ihre Vorbereitungen alle beendet waren, bestiegen sie die erkauften Maultiere und ritten mit dem Peon, welcher sie in die Berge führen sollte, zum Thore hinaus.

Wer von Osten aus die Anden ersteigt, um westwärts nach Chile oder Peru zu kommen, hat verschiedene Gebirgsstufen zu erklimmen, die sich infolge der Verschiedenheit ihrer Höhe auch durch eine Unähnlichkeit ihres Klimas unterscheiden.

Die erste Stufe besteht aus den Yungas, welche bis 1600 Meter ansteigen. Hier herrscht die ganze Üppigkeit der Tropenregion mit ihren weiten, undurchdringlichen Urwäldern, welche zuweilen von saftigen Grasfluren, die man Pajonales nennt, unterbrochen werden. Die Medio Yungas erreichen als zweite Stufe eine Höhe von durchschnittlich 2900 Meter. Hier herrscht noch das Klima der gemäßigten Zone, und man kommt durch ungeheure Wälder, welche besonders reich an Cinchona-Arten sind. Darauf folgen die Cabezeras de los valles bis 3300 Meter Höhe. Sie sind gegen die Stürme des oberen Gebirges geschützt und infolge dessen auch noch reich an den verschiedensten Vegetationsformen. Bis hierher erstreckt sich der geschlossene Baumwuchs, also der Wald, während auf der nächsten Stufe Bäume nur vereinzelt und zwar nur in besonders geschützter Lage anzutreffen sind. Diese nächste Stufe, welche Puna genannt wird, steigt bis zu 3900 Meter Höhe empor. Man trifft auf derselben außer den vereinzelten Bäumen nur Kräuter und Gräser (Gentiana, Valeriana, Yareta u. s. w.) an, welche den Tieren als Weidefutter dienen. Es herrscht hier eine große Trockenheit, welche nur in der Regenzeit unterbrochen wird. Die nun folgende Stufe wird Puna brava genannt und umfaßt bis zu den höchsten Bergesspitzen alles, was über 3900 Meter liegt. Diese Höhen sind reich an wertvollen Erzen; hier führen die Pässe zwischen den Bergesriesen über das Gebirge. In dieser Region verwandelt sich selbst im hohen Sommer der Regen sehr oft in Schnee und Hagel; im Winter aber herrschen wütende Schneestürme, welche denjenigen Reisenden, die so kühn sind, in dieser Jahreszeit den Übergang über die Anden zu wagen, meist das sichere Verderben bringen.

Da, wo jenseits der argentinischen Grenze auf bolivianischem Gebiete die Puna an die obere Cabezera grenzt, zieht sich ein ziemlich dichter Wald von Cinchona Calisaya-Bäumen an den östlichen Berghängen hinab. Auf den freien Stellen, welche dieser Wald umschließt, befinden sich die Wohnstätten der Mojosindianer. Etwas höher, jenseits der Punagrenze, liegt das Guanacothal, welches eine Abteilung dieser Indianer jetzt zur Jagd aufgesucht hatte. Und noch weiter oben, beinahe in der Puna brava gelegen, breitet auf einem kleinen Hochplateau die Salina del Condor ihre salzigen Wasser aus, höher noch liegt die Mordschlucht. Nahe an ihr führt ein Pfad vorüber, welcher über einen Paß von Chile herüberkommt, hinab zur Salina del Condor steigt und dann über die argentinische Grenze hinab nach Salta leitet. In der Nähe der genannten Grenze vereinigt sich mit diesem Pfade ein zweiter, welcher weiter nördlich her von Peru herüberkommt. Der Ausdruck Pfad ist hier eigentlich falsch angewendet, denn von dem, was wir unter Pfad und Weg oder gar Straße verstehen, ist hier keine Rede. Das Saumtier schreitet über Felsen und Steingetrümmer, durch Thäler und Schluchten, ohne eine Spur, aus welcher ein wirklich ausgetretener Weg entstehen könnte, zu hinterlassen. Nur der erfahrene Jäger oder Führer kennt die Gegend; der unerfahrene Reisende aber verliert sehr leicht die Richtung und kann dann tage- und wochenlang zwischen den Bergen umherirren, ohne den Weg, den Paß zu finden, der ihn zum Ziele bringen sollte. Selbst der Kenner kann, wenn er nicht scharf aufpaßt, die Stelle, an welcher die beiden erwähnten Saumpfade zusammenstoßen, leicht übersehen und infolgedessen den falschen einschlagen.

In diesem Falle befand sich der Peon aus Salta, welcher die beiden Deutschen nach der Salina del Condor bringen sollte. Er war wohl in Gesellschaft hier oben gewesen, hatte sich aber nicht so sehr um die Einzelheiten der Gegend bekümmert, wie es erforderlich gewesen wäre zur Erlangung der Kenntnisse, welche ein zuverlässiger Führer besitzen muß.

Es war mittag, und schon seit dem frühen Morgen hatte er sich auf eine ganz eigentümliche Weise verhalten. Er war von der heute eingeschlagenen Richtung oft abgewichen und nach rechts oder links eingebogen, um dann wieder nach links oder rechts umzubiegen. Er beobachtete die Gegend mit verlegenem Blicke und gab sich dabei Mühe, diese Verlegenheit nicht bemerken zu lassen. Gab es einmal eine sichtbare Spur, daß ein Mensch hier geritten sei, so nahm sein Gesicht einen zuversichtlicheren Ausdruck an, um denselben aber bald wieder zu verlieren, wenn er einsehen mußte, daß er sich in dieser Gegend doch noch nicht befunden habe.

Dem Doktor fiel dieses Verhalten nicht auf; Fritze aber war scharfsinniger und hatte es gar wohl bemerkt. Darum sagte er jetzt, natürlich in deutscher Sprache, zu seinem Herrn:

„Dieser Mensch scheint seiner Sache nicht jewiß zu sind. Haben Sie ihm dat nicht auch schon anjesehen?“

„Nein.“

„Dann passen Sie doch mal auf! Er wird immer unsicherer. Sie müssen doch bemerkt haben, daß wir oft nach der Seite abgewichen sind?“

„Das habe ich gesehen; aber wir sind ja immer wieder zurückgekehrt.“

„Eben dieses hat mir aufmerksam jemacht. Wenn er nach rechts reitet und nachher wieder nach links, so muß eins von beiden falsch sind. Der alte Onkel hat sich wahrscheinlich verirrt.“

„Das wäre höchst unangenehm, inamoenus, wie der Lateiner sagt. Wenn dieser Peon unser Führer sein will, muß er doch den Weg kennen.“

„Eigentlich ja; aber es wird wohl uneigentlich sind. Sehen Sie ihn mal an! Wild jenug sieht er freilich aus, jescheit aber nicht.“

Damit hatte er sehr recht. Der Peon hatte das Aussehen eines Banditen; aber von Intelligenz war in seinem Gesichte keine Spur zu entdecken.

Die drei Reiter befanden sich jetzt an einer Stelle, wo sich zwei schmale Thäler vor ihnen öffneten; das eine führte nach links und das andre geradeaus. Der Peon blieb halten, um sich zu besinnen. Er schaute bald nach links und bald vor sich hin und wußte sichtlich nicht, wohin er sich wenden solle. Da verlor Fritze endlich die Geduld und sagte:

„Warum halten Sie an, Señor? Es scheint, Sie haben den Weg verloren?“

„Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?“ antwortete der Führer in beleidigtem Tone. „Meinen Sie, ich wüßte nicht, wo ich bin?“

„Das meine ich nicht. Sie wissen jedenfalls ganz genau, daß Sie sich in den Anden befinden; aber auf welchem Punkte derselben, das zu wissen, ist wohl schwieriger.“

„Ich kenne den Weg so genau, wie mich selbst, und habe mich überhaupt im Leben noch nie verirrt.“

„So wissen Sie also noch nicht, wie es einem Verirrten zu Mute ist? Ich denke, daß Sie das jetzt erfahren werden.“

„Wollen Sie mich beleidigen, Señor? In diesem Falle lasse ich Sie hier halten und reite zurück!“ bemerkte er in drohendem Tone.

„Zurückreiten? Das würden Sie wohl nicht fertig bringen,“ antwortete Fritze gleichmütig.

„Warum nicht?“

„Weil das Maultier, auf welchem Sie sitzen, uns gehört. Sie würden also nur zurücklaufen können.“

„Und wenn ich es nicht hergebe?“

„Reden Sie nicht solch dummes Zeug! Sie sehen, daß wir bewaffnet sind. In dieser Gegend pflegt man auf Diebe zu schießen, ohne zu fragen, ob ihnen das oft und manchmal angenehm ist. Sobald Sie wenden, um zurückzureiten, bekommen Sie meine Kugel. Das merken Sie sich! Und nun vorwärts, wenn Sie den Weg wirklich so genau kennen, wie Sie behaupten!“

Der Peon hatte keineswegs das Aussehen eines furchtsamen Menschen, ließ sich aber doch durch das energische Verhalten des kleinen Deutschen einschüchtern und bog in das Thal ein, welches nach links führte. Die andern folgten ihm.

Dieses Thal hatte viele Schlangenwindungen; es führte bald in der einen und bald nach der andern Richtung; dabei schien es endlos zu sein und verengte sich mehr und mehr, bis es zur tiefen, schmalen Schlucht wurde, welche man mit einem nordamerikanischen Cañon vergleichen konnte.

Der Peon ritt jetzt langsamer und immer langsamer voran. Er sah ein, daß er noch niemals hier gewesen sei, denn eine so lange Schlangenschlucht war ihm noch nie vorgekommen. Er ging mit sich zu Rate und kam schließlich doch zu der Einsicht, daß es jedenfalls besser sei, seinen Irrtum jetzt und freiwillig einzugestehen, als desselben später mit Heftigkeit überführt zu werden. Darum hielt er endlich an und sagte:

„Sie haben mich vorhin irre gemacht. Ich hätte nicht nach links einbiegen, sondern geradeaus reiten sollen. Das war der richtige Weg. Kehren wir also um, Señores!“

„Habe es gedacht!“ brummte Fritze unmutig. „Nun müssen wir den weiten Weg zurück! Aber wissen Sie denn auch genau, daß dieser der falsche und jener dann der richtige ist?“

„Ja. Wenden Sie getrost um! Wir sind zu weit nach links gekommen und müssen also mehr nach rechts hinunter.“

„Wenn es richtig ist, will ich es loben, denn ich denke mir, daß – – –“

Er hielt mitten im Satze inne und lauschte.

„Was gibt’s?“ fragte der Doktor. „Hörst du etwas?“

„Ja. Es war mir, als ob da vor uns ein Jeräusch jewesen wäre. Horch!“

Er hatte sich nicht geirrt, denn das Geräusch wiederholte sich und kam näher. Es klang wie Hufschlag.

„Sollte ich mich dennoch auf dem richtigen Wege befunden haben?“ fragte der Peon, indem sein besorgtes Gesicht sich aufheiterte.

„Wenn dies wäre, so hätten Sie es jedenfalls nur dem Zufalle zu verdanken,“ antwortete Fritze. „Ich aber möchte behaupten, daß alle Ihre beiden Wege falsch sind, obgleich Sie nur diesen für falsch, den andern aber für richtig gehalten haben. Sie wissen offenbar schon seit heute früh nicht, woran Sie sind. Nun aber werden wir hoffentlich erfahren, in welcher Gegend der Neuen Welt wir uns befinden.“

Die Schlucht machte vor ihnen abermals eine Biegung. Um die Ecke, welche dadurch gebildet wurde, kamen drei Reiter. Dem vordersten sah man es an, daß er ein Maultiertreiber, ein Arriero war. Hinter ihm kam ein hoch beladenes Packtier, welchem ein Reiter folgte, welcher der Besitzer des Gepäckes zu sein schien. Er war in die Tracht des Landes gekleidet, von hoher Gestalt und sehr gut bewaffnet. Sein Haar und Bart waren blond, und die Augen, welche er überrascht auf die drei Reiter vor sich richtete, hatten die helle Farbe der Nordländeraugen. Hinter ihm ritt der dritte, welcher jedenfalls auch ein Arriero war. Der mittlere Herr kam jedenfalls über das Gebirge und hatte die beiden andern als Treiber und Führer gemietet.

Sie hielten an, und beide Parteien musterten sich einige Sekunden lang, ohne ein Wort zu sagen. Dann rief der hintere Reiter, indem er seine Worte an den Peon richtete:

„Ist’s möglich, oder irre ich mich? Ist das nicht Malzeso, der Peon von Rodrigo Sereno in Salta?“

„Der bin ich allerdings,“ antwortete der Angeredete. „Kennen Sie mich?“

„Ja.“

„Von woher?“

„Von Salta her. Ich pflege bei Ihrem Herrn einzukehren und habe Sie da gesehen. Sind Sie etwa der Führer der Señores, welche sich da bei Ihnen befinden?“

„Der bin ich allerdings.“

„Cielo! Wie kommen Sie dazu, fremden Reisenden den Weg über das Gebirge zeigen zu wollen! Das zu thun, ist doch nur ein erfahrener Arriero im stande!“

„Ich kenne das Gebirge besser, als Sie meinen,“ antwortete der Peon gekränkt. „Überdies wollen wir keineswegs über dasselbe hinüber.“

„So bleiben Sie auf dieser Seite? Das ist etwas andres. Aber Sie haben doch die Grenze der Puna bereits überschritten, und dieser Weg führt nach der Puna brava, nicht aber nach einem bewohnten Orte. Darf ich fragen, wohin Sie wollen?“

„Dahin, woher Sie jedenfalls kommen, nämlich nach der Salina del Condor hinauf.“

„Nach der Salina? Dios! Sie meinen, daß wir von dort herunterkommen?“

„Jedenfalls.“

„Da irren Sie sich gewaltig, Señor. Wir kommen von Peru herüber und wollen nach Salta. Sie befinden sich also auf einem falschen Wege.“

„Können Sie dies als gewiß behaupten?“

„Natürlich! Es gibt hier nur zwei Wege. Der eine ist der, auf welchem wir uns befinden, und der andre kommt von Chile herüber, geht an der Sahna del Condor vorbei und trifft mit dem ersteren auf einem Punkte zusammen, welcher über eine halbe Tagereise hinter Ihnen liegt.“

„Das stimmt allerdings; das weiß ich auch!“

„Und doch scheinen Sie nicht zu wissen, daß Sie irre geritten sind! Wie früh sind Sie heute aufgebrochen?“

„Mit Sonnenaufgang.“

„So hatten Sie erst die richtige Richtung und haben dann aber die Stelle übersehen, an welcher die beiden Wege zusammentreffen. Anstatt sich nach links zu wenden, sind Sie immer weiter geritten.“

„Das ist’s, was ich dachte!“ rief Fritze jetzt dem Peon zu. „Wir mußten nach links, und doch haben Sie bis jetzt behauptet, daß wir uns mehr nach rechts halten müßten. Infolgedessen haben wir einen Umweg gemacht, den wir gar nicht wieder einholen können. Ich glaube, daß wir drei Viertel eines Tages verloren haben.“

„Nein, so viel nicht, Señor,“ wendete sich der Arriero höflich an ihn. „Der Weg, welchen Sie hätten einschlagen sollen, zieht sich westlich von hier in die Berge hinauf. Wenn Sie gerade nach Sonnenuntergang reiten, werden Sie ihn in drei Stunden erreichen.“

„Hm!“ brummte Fritze nachdenklich. „Es ist ein Glück für uns, daß wir Ihnen begegnet sind. Wenn es auf diesen unsern Führer angekommen wäre, so hätten wir leicht unsern Untergang finden können, denn er wollte hier umkehren und sich dann noch weiter nach rechts wenden. Auch klingt es sehr tröstlich, wenn Sie sagen, daß wir binnen drei Stunden den richtigen Weg erreichen können, aber ob wir den Weg zu diesem Wege finden, das ist die Frage. Wie ich sah, gibt es da hinauf einen Wechsel zwischen Bergen und Höhen, Thälern und Schluchten, die wohl nicht alle zu passieren sind.“

„Das ist wahr. Es kommt nur einer, der die Gegend kennt, hinauf.“

„Das befürchtete ich. Wir beide sind hier fremd, und unser Führer ist, wie Sie gesehen haben, nicht klüger als wir. Und selbst wenn wir den dreistündigen Ritt glücklich vollbrächten, so fragt es sich, ob wir den Weg, den wir suchen, finden würden. Hier gibt es keine Straßen, und was man einen Weg nennt, das ist etwas ganz andres als ein Weg. Ich wette, daß wir ihn gar nicht sehen würden.“

„Das ist sehr wahrscheinlich,“ lachte der Arriero. „Es wird Ihnen nichts andres übrigbleiben, als umzukehren und mit uns bis dahin zurückzureiten, wo die beiden Wege sich vereinigen. Dann werde ich Ihnen genau beschreiben, wie Sie reiten müssen.“

„Kennen Sie denn den Pfad hinauf nach der Salina del Condor?“

„So genau, daß ich ihn in der finstersten Nacht finden würde.“

„Das ist sehr gut, hilft uns aber nichts. Wir haben drei Viertel des Tages verloren, und wenn wir umkehren, verlieren wir noch viel, viel mehr!“

„Haben Sie es denn so notwendig? Ist Ihre Zeit so kurz bemessen?“

„Freilich. Wir wollen an der Salina del Condor mit Leuten zusammentreffen, von denen Sie vielleicht auch einige kennen, wenigstens den Namen nach. Wir gehören nämlich zu einer Truppe, deren Anführer der Vater Jaguar ist.“

„Der Vater Jaguar? Den kenne ich nur zu gut. Er ist der berühmteste Mann des Gebirges, und ich bin einigemal mit ihm zusammengetroffen. Der ist also da oben in der Salina?“

„Ja.“

„Zur Jagd?“

„Ja, zur Jagd,“ antwortete Fritze. Und langsam fügte er hinzu: „aber nicht zur Jagd auf Tiere, sondern auf Menschen.“

„Qué cosa! Auf Menschen? Will er etwa einen Bösewicht bestrafen?“

„Ja.“

„Wen?“

„Sie erlauben, daß ich diese Frage unbeantwortet lasse. Der Vater Jaguar wünscht nicht, daß von derselben vorher gesprochen wird.“

„Ich nehme es Ihnen nicht übel. Also um ein solches Abenteuer handelt es sich! Und da sollen Sie auch dabei sein?“

„Ja.“

„Und wenn Sie umkehren, gelangen Sie nicht zur rechten Zeit nach der Salina? Das ist freilich höchst fatal für Sie. Wenn es sich um den Vater Jaguar handelt, ist jeder ehrliche Mann zu jedem Dienste bereit; aber ich kann Ihnen leider nicht helfen. Ich könnte Sie zwar bis Sonnenuntergang auf den rechten Weg bringen, aber wir sind von diesem Señor engagiert worden, ihn bis Salta zu begleiten, und so wiederhole ich, was ich vorhin sagte: Es ist am besten, Sie kehren mit uns um.“

Der blonde Fremde hatte aufmerksam zugehört und dabei den Doktor und dessen Diener mit prüfendem Blicke betrachtet. Jetzt zog er seine Uhr hervor, sah nach der Zeit und fragte dann den Arriero, welcher bisher gesprochen hatte:

„Sie kennen also die Gegend so genau, daß Sie diese Señores von hier aus auf den richtigen Weg bringen könnten?“

„Ja.“

„Und das würde bis zur Dämmerung geschehen sein?“

„Ja.“

„Der Weg da oben trifft nach Salta zu mit unsrem gegenwärtigen zusammen?“

„Ja.“

„Nun, so können wir ja diesen Señores helfen, ohne daß Sie mich zu verlassen brauchen. Sie machen ihren Führer und ich reite mit. Es ist mir gleich, ob ich von hier aus oder von einer andern Stelle aus nach Salta komme. Die Zeit, welche ich dadurch versäume, beträgt nur drei Stunden, welche wir morgen wieder einbringen können; diese Herren aber würden mehr als einen Tag versäumen. Haben wir sie beim Einbruch des Abends auf den richtigen Weg gebracht, so werden sie uns vielleicht erlauben, die nächste Nacht mit ihnen zu lagern; morgen früh reitet dann jeder seines Weges weiter.“

Dieses mehr als freundliche Anerbieten war den Verirrten so willkommen, daß der Doktor sein Tier an dasjenige des Fremden trieb, ihm die Hand entgegenstreckte und voller Freude ausrief:

„Señor, was Sie uns da so freiwillig anbieten, würden wir nie zu erbitten wagen. Auch würden wir Ihre Offerte zurückweisen, wenn wir uns nicht in einer Lage befänden, welche uns dringend gebietet, dieselbe anzunehmen. Halten Sie uns nicht für rücksichtslos, wenn wir Ihre Freundlichkeit nicht von uns weisen! Daß dieselbe keine vielleicht Unwürdigen trifft, mag Ihnen mein Stand und Name sagen. Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen! Ich bin – – –“

Da hob der Fremde abwehrend die Hand und unterbrach ihn in freundlichem Tone: –

„Bitte, das will ich jetzt nicht wissen. Unwürdigen würde ich nicht gefällig sein; Sie hören also, wie ich über Sie denke. Und wenn man einem Menschen einen kleinen Dienst erweist, so ist das noch lange kein Grund, daß derselbe seine sämtlichen Verhältnisse zu enthüllen hat. Sagen wir uns morgen, wenn wir scheiden, wer und was wir sind; es ist nicht nötig, dies schon heute zu wissen.“

Er schüttelte die Hand des Doktors und wendete sich dann an den Arriero, ihn fragend:

„Reiten wir weiter vorwärts, oder müssen wir umkehren?“

„Wir müssen zurück,“ antwortete der Gefragte. „Die Schlucht ist vor uns noch außerordentlich lang; es würde ein großer Umweg sein.“

„Dann also zurück! Gibt es da oben einen Ort, an welchem man bis morgen lagern kann?“

„Ich kenne eine passende Stelle und denke, daß wir unterwegs auch Holz genug zu einem Feuer finden werden.“

Der Fremde kehrte also mit seinen beiden Arrieros und dem Packtiere um, und die Verirrten ritten hinter ihnen her. Den Zug beschloß der Peon, welcher kein weiteres Wort zu sagen gewagt hatte und jetzt eine wahre Armesündermiene zeigte.

Noch war keine Viertelstunde vergangen, so hatte man das obere Ende der Schlucht erreicht. Sie mündete auf eine kleine Ebene, von wo aus ein freier Blick auf die westlich sich erhebenden Berge gewonnen wurde. Der Arriero blieb halten, um sich zunächst zu orientieren. Er betrachtete die Gestalt jeder einzelnen Höhe, jedes einzelnen Berges, prüfte die Thaleinschnitte zwischen denselben und sagte dann zu dem blonden Fremden:

„Ich sehe, wie wir reiten müssen. Der Weg wird gar nicht so beschwerlich sein, wie ich vorher dachte, und ich bin auch überzeugt, daß wir noch vor Einbruch der Dunkelheit einen Ort erreichen, wo wir bequem lagern und schlafen können.“

Nach dieser Versicherung, welche allen willkommen war, setzte er sein Maultier wieder in Bewegung. Die Ebene sank in ein schmales Thal hinab, welches sich nach und nach verbreiterte und zwischen hohe, schroff aufgebaute Berge hineinzog. Die Spitzen dieser Berge waren kahl; an den Hängen gab es hier und da eine grüne Stelle, noch von der Regenzeit her; Wasser aber war nirgends zu sehen. Da und dort stand ein Busch, bei welchem die Arrieros und der Peon anhielten, um dürres Gezweig zu sammeln.

Der Doktor hätte sehr gern mit dem so außerordentlich gefälligen Fremden ein Gespräch begonnen, und dem kleinen Fritze Kiesewetter drückte es fast das Herz ab, mit einem Herrn reiten zu müssen, ohne erfahren zu haben, wer und was er sei, woher er komme und wohin er wolle; aber dieser Mann schien leider der Ansicht zu sein, daß es verdienstlicher sei, Unbekannten Hilfe zu erweisen. Er ritt vor ihnen her und schien nur Augen für das großartige Gebirgspanorama, das sich vor ihnen ausbreitete, zu haben. Da er von ihnen für einen Südamerikaner gehalten wurde, sagte Fritze in deutscher Sprache:

„Hatte ik’s nicht jesagt, daß wir in die Irre jeritten seien! Wenn diese jefälligen Leute nicht jekommen wären, so hätte dieser Peonenonkel uns wohl jar nach Lappland und an den Nordpol jeführt.“

Da der Sprecher nicht weit hinter dem Fremden ritt, so hörte dieser Fritzens Worte. Er hatte bei den ersten derselben aufgehorcht; jetzt drehte er sich um und sagte im reinsten Hochdeutsch:

„Gar so weit nach Norden wäre Ihre Reise wohl nicht gegangen; aber Sie hätten in dieser Einsamkeit wohl schwerlich bald einen Menschen gefunden, welcher Sie hätte zurechtweisen können. Daß ich Ihnen begegnet bin, freute mich schon bisher; nun ich aber höre, daß Sie Deutsche sind, freut es mich doppelt.“

Er hatte während dieser Worte sein Tier so gelenkt, daß er nun neben ihnen ritt. Das Gesicht Morgensterns glänzte vor Freude, als er darauf antwortete.

„Ja, wir sind Deutsche, Señor. Sie beherrschen unsre Muttersprache in einer Weise, daß ich Ihnen mein Kompliment machen muß. Diejenigen, von denen Sie sie lernten, sind jedenfalls auch geborene Deutsche gewesen?“

„Allerdings,“ nickte der Fremde lächelnd. „Ich lernte sie von meinem Vater und meiner Mutter.“

„Also sind Sie ein Deutscher?“

„Ich bin stolz darauf, es zu sein.“

„Drüben oder hüben geboren?“

„Drüben im Vaterlande.“

„Ich auch, ich auch! Sie wollten vorhin nicht hören, wer ich bin; nun Sie aber wissen, daß wir Landsleute sind, werden Sie mir doch wohl erlauben, mich Ihnen vorzustellen. Ich heiße Morgenstern, Doktor Morgenstern aus Jüterbogk und bin nach Argentinien gekommen, um paläontologische Studien zu treiben.“

„Und ik,“ fiel Fritze ein, „ik heiße Fritze Kiesewetter aus Stralau am Rummelsburger See und befinde mir hier, um mir an diese Studien zu beteiligen. Wir haben es schon zu einer Gigantochelonia und nachher jar zu einem Megatherium jebracht.“

„Von diesen Dingen verstehe ich nichts,“ gestand der Blonde. „Was meinen Namen betrifft, so heiße ich Engelhardt, und mein Stand – – eigentlich besitze ich keinen mehr; ich habe ihn vor kurzem aufgegeben. Ich bin, was man so Rentier nennt.“

„Sie leben also von Ihrem Jelde? Dat kann ik noch nicht. Wollte ik von meine Ersparnisse leben, so könnte ik mir nach drei Tagen als wandelndes Skelett sehen lassen. Dürfen wir fragen, ob Sie in dieses schöne Arjentinien wohnen?“

„Ich wohnte bisher in Lima, also in Peru, habe mein Geschäft verkauft und will nun nach Deutschland hinüber.“

„Haben Sie Ihr Jeschäft jut bezahlt bekommen?“

„Leidlich gut, den jetzigen Verhältnissen angemessen,“ antwortete Engelhardt, verwundert über die Frage, welche eigentlich eine sehr zudringliche war.

„Dat freut mir außerordentlich. Für mein Jeschäft hat mich noch kein Mensch wat jeboten, und so kann ich es mich deutlich vorstellen, wie schön es sein muß, wenn man wat Ordentliches dafor bekommt.“

„Was sind Sie denn eigentlich?“

„Noch immer jeborener Stralauer, weiter nichts. Ik beschäftige mir mit allem, wat mich in die Hände kommt. Gejenwärtig bin ik der Famulus des Herrn Doktors und ziehe mit ihm in den Kampf gejen die beiden jrößten Schurken, welche die Erde trägt.“

„Wer ist das?“

„Dat ist ein Kerl, den man den Jambusino nennt, und dat ist ferner ein Stierfechter, welcher Antonio Perillo heißt.“

„Diesen letzteren Namen habe ich schon gehört und auch gelesen. Der Mann ist in Lima aufgetreten; da ich aber den Zirkus nicht besuchte, habe ich ihn nicht gesehen. Warum nennen Sie diese Männer die größten Schurken?“

„Um Ihnen dat zu erklären, müßte ik eine Erzählung leisten, welche von jetzt an bis morjen abend währen würde. Dieser Perillo kennt uns nicht, und wir haben ihm niemals wat zujefügt, und dennoch trachtet er uns schon seit längere Zeit nach dat Leben.“

„Ist’s möglich! Vielleicht irren Sie sich?“

„Wir uns irren? Kein Jedanke! Der Herr Doktor war kaum ans Land jestiegen und zu Salido jekommen, so machte Perillo einen Mordversuch auf ihm.“

„Salido, sagen Sie? Wo war das? In welcher Stadt?“

An Buenos Ayres.“

„Meinen Sie etwa den Bankier?“

„Ja, denselbigen.“

„So kennen Sie ihn also?“

„Ja, wir kennen ihn sehr gut,“ fiel jetzt der Doktor ein. „Ich war ihm empfohlen und genoß seine Gastfreundschaft, indem ich bis zu meiner Abreise von Buenos Ayres bei ihm wohnte.“

„Ist das schon lange her?“

„Nur kurze Zeit, einige Wochen.“

„Wurde da bei Salido mein Name nicht genannt?“

„Engelhardt sprach diese Frage mit sichtlicher Spannung aus. Der Doktor antwortete nachdenklich:

„Als Sie vorhin sagten, daß Sie Engelhardt heißen, war es mir ganz so, als ob ich diesen Namen schon einmal gehört haben müsse; aber wo – – hm – – hm!“

„Wohl drüben im Vaterlande. Da gibt es ja der Engelhardts genug.“

„Nein, sondern hier in Argentinien; aber es fällt mir schwer, mich auf den Ort zu besinnen. Fritze, weißt denn du nicht, wo wir einem Engelhardt begegnet sind?“

„Einem Engel – – Engel – –“ sann der Stralauer nach; dann richtete er seinen Oberkörper straff auf, sah den Blonden mit einem Blicke, in welchem sich die größte Spannung aussprach, an und rief: „Ik hab’s, ik hab’s! lk glaube nicht, dat ik mir irre! Sie wohnten in Lima und haben Ihr Geschäft verkauft. War dat nicht oft und manchmal ein Bankierjeschäft?“

„Nicht nur oft und manchmal, sondern stets.“

„Sie haben eine Frau, oder, wollte ik lieber sagen, eine Jemahlin?“

„Ja.“

„Und zwei Jungens, wat man höflicherweise Söhne nennt?“

„Auch das stimmt.“

„Der eine war bei Salido auf Besuch?“

„Ja.“

„So ist’s janz so, wie ik mir dachte! Wir haben ihn nicht Herr Engelhardt, sondern stets nur Anton jenannt. Herr Doktor, darum konnten Sie Ihnen nicht auf den Namen besinnen. Bejreifen Sie denn nicht, daß dieser Herr Engelhardt der männliche Teil von die Eltern unsres Antons ist?“

Der Doktor öffnete den Mund, sah erst Fritze und dann Engelhardt fragend an, ließ sein Auge wieder und wieder von dem einen auf den andern schweifen und antwortete dann, indem er mit dem Kopfe schüttelte –

„Du irrst dich, Fritze. Was du sagst, ist ganz unmöglich.

Der Vater unsres Anton ist zwar auch Bankier und mag vielleicht auch Engelhardt heißen, kann aber nicht mit diesem Herrn hier identisch sein.“

„Warum nicht?“

„Weil der Vater Antons sein Geschäft noch besitzt und auch jetzt nicht über die Anden kommen würde. Das siehst du doch wohl ein.“

„Nein, dat kann ik nicht einsehen.“

„Würde der Vater von Peru über die Anden nach Argentinien gehen, wenn er weiß, daß sein Sohn, lateinisch puer oder filius geheißen, zu derselben Zeit unterwegs hinüber nach Peru ist?“

„Wie?“ fragte da Engelhardt hastig. „Anton soll unterwegs sein?“

„Ja.“

„Mein Sohn? Das muß ein andrer Anton, ein andrer Engelhardt sein. Sprechen Sie von dem Knaben, welcher bei Salido auf Besuch war?“

„Ja, denn einen andern Anton Engelhardt kennen wir nicht. Er ist ein Verwandter von Salido.“

„Natürlich, denn Salido ist sein Onkel, und ich bin sein Vater.“

„Wirklich?“ fragte da Fritze. „Sie sind der Vater vom richtigen Anton, den wir meinen?“

„Ja, ja und dreimal ja!“

„Aber warum laufen Sie denn da von Lima fort? Warum bleiben Sie nicht zu Hause, wohin Sie jehören? Sie haben doch jewußt, daß Ihr Sohn von Buenos Ayres aufjebrochen ist, um über die Anden heimzukommen!“

„Ich habe gewußt, daß es geschehen sollte, nicht aber, daß es geschehen ist. Ich habe Salido telegraphiert, daß er Anton nicht fortlassen, sondern noch bei sich behalten solle, weil ich selbst kommen wolle, ihn abzuholen!“

„So sind wir rascher jewesen, als die Depesche, welche zu spät jekommen ist. Dat Telejramm ist einjetroffen, als wir schon fort jewesen sind. Aber dann bejreife ik nicht, warum Ihnen Salido nicht schnell zurücktelejraphiert hat!“

„Das begreifen sie nicht? Sie wissen doch jedenfalls, daß zwischen Peru und Chile ein Krieg ausgebrochen ist?“

„Kein Wort!“

„So haben Sie wohl außerhalb der Welt gelebt?“

„Nein, sondern jrad mitten drin, mitten im Gran Chaco, wo wir von dem, wat außerhalb jeschehen ist, kein Wort erfahren haben.“

„Peru ist durch Chile von aller Verbindung mit Argentinien abgeschnitten. Mein Telegramm war, wie ich nun erfahre, eins der letzten, welche befördert wurden; die Antwort Salidos aber ist nicht nach Lima gekommen. So bin ich bis heut der festen Überzeugung gewesen, daß Anton sich noch bei ihm befindet.“

Die drei Deutschen waren, während die andern weiter ritten, halten geblieben. Der Gegenstand ihres erregten Gespräches nahm sie so gefangen, daß sie für nichts andres Gedanken hatten. Der Doktor warf nur zuweilen eine Bemerkung, einen Satz dazwischen; zwischen Engelhardt und Fritze aber flogen die Fragen und Antworten mit größter Schnelligkeit und ohne die Pause auch nur eines Augenblickes hin und her.

„So also ist dat jekommen!“ meinte Fritze. „Krieg zwischen Peru und Chile, ein Telejramm herüber, dat andre aber nicht hinüber, infolgedessen der Anton futsch und Sie als kinderloser Waisenvater mitten in den Anden! Warum sind Sie denn nicht in Lima jeblieben? Warum haben Sie Ihr Jeschäft verkauft?“

Engelhardt war ein reicher Geschäftsmann, mit welchem Fritze sich nicht vergleichen konnte; dennoch examinierte der letztere den ersteren in der ihm eigenen Weise, und der erstere gab willig Antwort, weil sein Vaterherz ihm nicht Zeit ließ, an das Gegenteil zu denken. Er antwortete:

„Das verstehen Sie höchst wahrscheinlich nicht, aber ich will es Ihnen dennoch sagen. Die Verhältnisse lagen so, daß ich durch den Krieg mein ganzes Vermögen verlieren konnte; da sich nun glücklicherweise eine Gelegenheit bot, sehr günstig zu verkaufen, habe ich dieselbe augenblicklich benutzt. Aber nicht nur das Geschäft, sondern überhaupt alles, was ich drüben besaß, habe ich veräußert, und so wurde es mir möglich, auf das schnellste ein Land zu verlassen, dessen politische Verhältnisse einen sichern Besitz und ein ruhiges Genießen nicht gestatten. Ich telegraphierte an Salido, daß ich kommen würde, und zwar auf dem Landwege über die Anden, weil ich in Salta, Tucuman und Cordova noch geschäftliche Verwickelungen zu lösen habe. Meine Frau hat mit dem andern Sohne den Seeweg vorgezogen, wozu ich meine Einwilligung gab, weil ich ein gutes, neues Schiff fand, dessen Kapitän ein Bekannter, ja ein Freund von mir ist. In Buenos Ayres werde ich mit ihnen zusammentreffen. Dort hoffte ich natürlich, auch Anton zu treffen. Nun ist er fort! Mein Gott, wer hätte das gedacht! Wo mag der Knabe sein? Unter welchen Menschen mag er sich befinden!“

Man sah, daß er sich in großer Aufregung befand. Fritze legte ihm die Hand auf den Arm und antwortete in beruhigendem Tone:

„Denken Sie etwa, daß Salido ihn unzuverlässigen Menschen überjeben hat? Können Sie sich dat denken?“

„Was das betrifft, so ist Salido vorsichtig, und ich gebe gern zu, daß er sein möglichstes gethan haben wird; aber er ist nicht Herr der Verhältnisse. Wer weiß, was unterwegs geschieht. Und wenn mein Sohn glücklich über die Anden kommen sollte, was dann? Er findet uns nicht, denn wir sind fort. Man wird ihn zwingen, Soldat zu werden, denn er ist für sein Alter sehr gut entwickelt und – – –“

„Machen Sie Ihnen keine Sorjen!“ fiel ihm der Stralauer in die Rede. „Ihr Anton kommt jar nicht über die Jrenze. Die Leute, bei denen er sich befindet, sind schon so jescheit, ihm unter die jejenwärtigen Verhältnisse nicht hinüber zu lassen.“

„Woher wissen Sie das? Wie können Sie das behaupten?“

„Weil ik diese Leute kenne.“

„So? Sie kennen sie? Wirklich?“

„Ja, ik kenne sie sehr jenau; ik kenne sie so jut wie mir selber.“

„So sagen Sie schnell, wer diese Leute sind, und wo sie sich jetzt befinden!“

„Dat sollen Sie so rasch erfahren, wie es mich möglich ist. Sehen Sie sich einmal meinen Herrn hier an! Kennen Sie ihm?“

„Sonderbare Frage! Er hat mir ja vorhin seinen Namen genannt.“

„Jut, so sehen Sie nun auch einmal mir an! Kennen Sie mir auch?“

„Fritze Kiesewetter aus Stralau!“

„Am Rummelsburjer See, nicht zu verjessen. Und nun passen Sie auf! Wir beide sind eben diejenigen Leute, an welche Sie sich zu halten haben, wenn Sie mit Ihrem Anton reden wollen.“

„Sie? Sie? Wäre es möglich? Sie wissen, wo er ist?“

„Ja. Er jehört zu uns. Er befindet sich beim Vater Jaguar, der über zwanzig tapfre Männer bei sich hat. Sie sehen also ein, daß Sie Ihnen keine Sorje zu machen brauchen. Ihr Sohn kann jar nicht besser aufjehoben sein; dat kann ik Sie mit meinem Ehrenwort versichern.“

Der Ausdruck der Besorgnis wich aus Engelhardts Gesicht; er schlug erfreut die Hände zusammen und rief aus:

„So ist es, so? Bei dem Vater Jaguar befindet er sich? Also droben an der Salina del Condor, welche gar nicht weit von hier liegt?“

„Ja, da oben. Der Vater Jaguar sollte ihm über dat Jebirge bringen, wird ihm aber nun in Ihre Hände lejen.“

„Welch ein Zufall, oder vielmehr welch eine Schickung!“

„Es ist kein Zufall,“ nahm da der Doktor das Wort. „Ich bestätige, daß Ihr Sohn sich hier in der Nähe befindet und daß Sie ihn vielleicht schon morgen begrüßen können; das haben Sie aber nicht einem Zufalle, sondern Ihrem gütigen Herzen zu verdanken. Wären Sie an uns vorübergeritten, ohne uns aus unsrer Verlegenheit zu helfen, so würden Sie die Trennung von Ihrem Sohne länger zu beklagen haben. In Ihrem eigenen Herzen also liegt der Grund der Freude, welche Sie jetzt empfinden. Ich nehme aufrichtig an derselben teil.“

„Sie haben ihn also schon in Buenos Ayres gesehen, ihn also auch von dort aus begleitet?“

„Er reiste mit dem Vater Jaguar voraus. Wir folgten und trafen mit der Truppe am Rio Salado zusammen.“

„Und dann?“

„Dann sind wir durch den Gran Chaco geritten.“

„Durch diese wilde, gefährliche Gegend? Ist Ihnen da kein Unfall begegnet?“

„O, mehr als einer!“

„Auch meinem Sohne?“

„Diesem nicht, denn er hat unter einem vortrefflichen Schutz, lateinisch Patrocinium oder auch Tutela geheißen, gestanden. Er hat sich sogar ganz im Gegenteile durch Heldenthaten ausgezeichnet, von denen wir Ihnen gern erzählen werden.“

„So erzählen Sie, erzählen Sie gleich jetzt! Ich bin zu begierig, zu erfahren, was er unterwegs und auch schon in Buenos Ayres erlebt hat.“

Der Doktor war bereit, dieser Aufforderung nachzukommen; aber der bedächtigere Fritze legte seinen Widerspruch ein, indem er sagte:

„Nicht jetzt, nicht jetzt, meine Herren. Sehen Sie doch, wie weit wir zurückjeblieben sind! Da oben halten die andern und warten auf uns. Reiten wir also weiter! Wir können unterwegs auch sprechen, und wenn wir lagern, haben wir jenug Zeit, alles zu erzählen, wat jeschehen ist.“

Die beiden mußten ihm recht geben, und so folgten sie ihm, als er sein Maultier in rasche Bewegung setzte. Das Thal wand sich zwischen zwei Bergen empor und schien sich dann wieder abwärts zu senken. Droben hielten die beiden Arrieros mit dem Peon, um die Zurückgebliebenen zu erwarten. Als dieselben nachgekommen waren, ging es mit verdoppelter Schnelligkeit vorwärts, bald durch tiefe Senkungen und bald über Höhen, die so steil waren, daß sie von Pferden gar nicht überwunden hätten werden können. Die Sonne sank hinter den Bergen, und der Arriero, welcher den Führer machte, trieb zu noch größerer Eile an. Droben in den Lüften schwebte ein Condor. Der Arriero deutete zu ihm empor und sagte:

„Der sucht sein Nest auf; thun auch wir dasselbe, denn ehe eine halbe Stunde vergangen ist, wird es dunkel sein.“

„Ist denn der gesuchte Pfad noch nicht bald erreicht?“ fragte Engelhardt.

„In wenigen Minuten werden wir dort sein.“

„und der Ort, an welchem wir übernachten wollen?“

„Ist dann auch nicht weit. Nur liegt er leider nicht nach Süden, der Seite, nach welcher wir morgen reiten werden, sondern nach Norden, was wieder einen Zeitverlust ergibt.“

„Also nach der Salina del Condor zu?“

„Ja.“

„So werden wir keinen Zeitverlust haben, denn ich werde morgen früh nicht direkt nach Salta zu aufbrechen, sondern vorher nach der Salina reiten.“

„Warum, Señor? Bedenken Sie, welchen Umweg Sie da machen! Sie müssen einen guten Grund dazu haben, wenn ich nicht davon abraten soll.“

„Der Grund ist der stichhaltigste, den es nur geben kann. Nämlich mein Sohn, den ich in Buenos Ayres zu sehen glaubte, befindet sich hier an der Salina del Condor. Warum, das werden Sie noch erfahren.“

„So stimme ich bei, denn so eine Ursache muß ich gelten lassen.“

Nur einige Minuten später gelangte man auf einen ebenen sandigen Plan, welcher halb durchquert wurde. Dann hielt der Führer an, deutete auf den Boden nieder und sagte dann:

„Señores, sehen Sie die Spuren hier im Sande? Sie sind alt und auch schon halb verweht, kaum mehr zu erkennen. Das ist der Weg nach der Salina. Wir werden ihm noch eine Strecke folgen, aber schnell. Der Weg ist gut; treiben wir unsre Tiere an!“

Er setzte sein Maultier in Galopp, und die andern thaten mit den ihrigen dasselbe. Sie flogen rasch über den Plan und dann am Fuße eines Berges hin, dessen Seite aus tief zerklüfteten Felsen bestand. Dann parierte der Arriero sein Tier, deutete auf eine breite aber nicht sehr hohe Öffnung im Gestein und sagte:

„Hier ist der Ort, an welchem wir übernachten werden, Señores, eine Art Höhle, welche zwei Eingänge hat. Der Wind trifft hier nicht an, und wenn wir ein Feuer anzünden und uns in unsre Decken hüllen, werden wir gerade so gut und angenehm schlafen, als ob wir uns im Innern eines Rancho befänden.“

Man stieg ab, um die Höhle zu untersuchen. Sie hatte keinen Hintergrund, sondern bestand aus zwei ungefähr zwanzig Schritt voneinander in der Felsenwand befindlichen Eingängen oder Öffnungen, welche durch einen nach innen gebogenen leeren Raum verbunden waren. Sie besaß also ungefähr die Gestalt eines Halbringes, dessen Enden sich nach außen öffneten. Vor der Höhle wuchs niedriges aber dichtes Punagras, welches den Maultieren eine vortreffliche Weide bot. Man schirrte sie ab und fesselte ihnen die Beine in der Weise, daß sie zwar frei grasen, aber sich nicht weit entfernen konnten.

Die kurze Zeit des noch übrigen Tageslichtes wurde benutzt, die Höhle zum Lager einzurichten, indem man die Recadosättel aufschlug, damit sie als Bettstellen dienen sollten. Als die Decken darüber gebreitet worden waren, bildeten sie Lagerstätten, die man sich in dieser Wildnis gar nicht besser wünschen konnte. Als man dann die Satteltaschen geöffnet hatte, um zu den in denselben befindlichen Vorräten zu gelangen, war es dunkel geworden, und das Feuer wurde angebrannt. Es war unterwegs so viel Material für dasselbe gesammelt worden, daß es einige Stunden brennen konnte.

Nun wurde zunächst gegessen, und als dies vorüber war, brannten sich die Männer Cigaretten an, welche der Doktor aus Salta mitgebracht hatte und von denen auch Engelhardt noch einen kleinen Vorrat besaß. An der einen Seite des Feuers, welches natürlich in der Höhle brannte, saßen die beiden Arrieros und der Peon, welche spanisch miteinander sprachen, auf der andern die drei Deutschen, die sich ihrer Muttersprache bedienten, denn der vorsichtige Fritze hielt es für geraten, zunächst nur Engelhardt wissen zu lassen, was im Laufe der letzten Zeit geschehen war und was nun infolgedessen droben an der Salina und in der Mordschlucht geschehen sollte. Er und der Doktor erzählten dem Bankier abwechselnd, was sich seit jenem Tage in Buenos Ayres ereignet hatte, und es ist selbstverständlich, daß Engelhardt ein Zuhörer war, welcher dem Berichte das allergrößte Interesse schenkte. Einen Wächter draußen auszustellen, daran dachte keiner. Wäre der Vater Jaguar mit hier gewesen, er hätte, schon aus Gewohnheit, sicher nicht versäumt, diese Vorsichtsmaßregel zu treffen.

Leider wäre dieselbe keineswegs grund- oder zwecklos gewesen, denn während die sechs Männer, welche sich in der Höhle befanden, an keine Störung, am allerwenigsten aber an eine feindliche, dachten und drei von ihnen von den Thaten des Vater Jaguar sprachen, waren ihnen gerade die grimmigsten Feinde dieses berühmten Mannes so nahe, daß sie dieselben beinahe mit den Händen hätten greifen können.

Der Gambusino hatte sich mit Antonio Perillo, wie bereits erwähnt, nach dem Guanacothale gewendet, um einige der dort jagenden Mojosindianer für seinen Ritt nach der Mordschlucht zu engagieren. Er hatte zwar Mundvorrat in Salta mitgenommen, aber keineswegs so viel, wie unter Umständen gebraucht werden konnte. Es war seine feste Absicht, so lange in der Mordschlucht zu bleiben, bis das Versteck gefunden sei. Dies konnte aber mehrere Tage, ja wochenlang dauern, und in diesem Falle mußte der mitgebrachte Proviant ausgehen. Es waren dann Leute nötig, welche jagen mußten, um Fleisch herbeizuschaffen, und dazu sollten die Mojos dienen. Außerdem war, um nicht von zufällig Vorüberkommenden überrascht zu werden, es nötig, zwei Wächter aufzustellen, einen ober- und einen unterhalb der Mordschlucht, eine Aufgabe, deren sich die Mojos auch zu unterziehen hatten.

Selbstverständlich aber mußte es diesen Indianern verboten sein, selbst in die Schlucht zu kommen. Mit welchen Gründen sollte ihnen dies plausibel gemacht werden? Wie konnte man ihnen überhaupt die so geheimnisvolle und vielleicht lange währende Anwesenheit zweier Menschen in der Mordschlucht erklären? Der Gambusino sann darüber nach und sagte dann zu Perillo:

„Diese Halunken sind zu scharfsinnig, als daß wir ihnen mit gewöhnlichen Finten kommen dürfen. Wir müssen nach einem Grunde suchen, welcher mit der Religion zusammenhängt; das ist die einzige Art und Weise, sie sicher zu mystifizieren. Fällt dir nichts ein?“

„Warum nicht? Was sagst du zu einem Gelübde?“

„Wahrhaftig! Da triffst du gleich das allerbeste. Wir haben in großer Todesnot das Gelübde gethan, etwas Gott Wohlgefälliges, worauf wir schon noch kommen werden, in der Mordschlucht vorzunehmen, wobei wir ungestört und einsam bleiben müssen. Die Roten sind alle außerordentlich abergläubisch; sie werden so voller Scheu und Ehrfurcht sein, daß sie sicherlich nicht auf den Gedanken kommen, uns etwa zu belauschen.“

„Aber wenn wir dann finden, was wir suchen, so können wir es ihnen doch nicht verbergen, denn wer weiß, was und wieviel wir zu schleppen haben. Da werden sie erkennen, daß wir sie getäuscht haben, und uns aus Rache alles abnehmen!“

„Schwachkopf! Habe ich dir nicht schon da unten am Sumpfe der Knochen gesagt, wie wir sie unschädlich machen werden? Sind wir glücklich, so müssen sie alle sterben. Das wird uns nicht viel Arbeit machen, da es vollständig genügt, wenn wir ihrer nur sechs oder acht engagieren.“

Die beiden gewissenlosen Menschen waren von den Mojos freundlich aufgenommen worden und hatten dem Häuptlinge derselben ihren Wunsch mitgeteilt. Er war nicht nur auf denselben eingegangen, sondern sogar bereit gewesen, sich selbst an dem Ritte nach der Mordschlucht zu beteiligen. Das war ihnen freilich höchst unangenehm; da aber eine Zurückweisung für ihn eine große Beleidigung gewesen wäre und er dann gewiß auch seinen Leuten die Teilnahme versagt hätte, so waren sie wohl oder übel gezwungen, darauf einzugehen.

Sie brachen dann mit ihm und noch sieben Mojos vom Guanacothale nach der Mordschlucht auf, welche so fern lag, daß sie in einem Tage nicht erreicht werden konnte. Gegen Abend des ersten Tages waren sie bis an den Saumpfad gekommen, welcher hinauf nach der Salina del Condor führte.

Sie folgten demselben, bis es dunkel war, und dann wollte der Gambusino an der ersten besten Stelle Lager machen; da aber meinte das „spitze Messer“, der Häuptling:

„Der scharfe Nachtwind wird sich bald erheben, und dann ist es gut, wenn man sich an einem Orte befindet, wo er einen nicht treffen kann.“

„Weißt du denn einen solchen?“

„Ja. Es ist eine Höhle, welche gar nicht weit von hier liegt, eine Höhle mit zwei Eingängen.“

„So führe uns hin!“

Sie ritten also weiter, das „spitze Messer“ voran und die andern hinter ihm drein. Nach einiger Zeit blieb er plötzlich halten, flüsterte den andern zu, ja kein Geräusch zu machen und beugte sich weit vor, um, wie man sah, etwas zu beobachten.

„Was hast du? Siehst du vielleicht etwas Verdächtiges?“ fragte ihn der Gambusino mit leiser Stimme.

„Ja,“ antwortete er. „Ich sehe den Schein eines Feuers, welches in der Höhle brennt.“

„So befinden sich Menschen drin?“

„Ja, denn wo ein Feuer ist, müssen auch Menschen sein, die es angezündet haben.“

„Wer mag es sein?“

„Ich werde es sehen. Haltet mein Tier; bleibt hier und seid still!“

Er glitt aus dem Sattel und huschte weiter. Es dauerte über eine Viertelstunde, bevor er zurückkehrte; da meldete er:

„Vor und seitwärts der Höhle weiden Maultiere, und drinnen sitzen sechs Männer am Feuer.“

„Indianer?“ fragte der Gambusino.

„Es sind Weiße.“

„Wie bewaffnet?“

„Sehr gut.“

„Was treiben sie?“

„Sie sprechen miteinander. Drei reden spanisch, und die andern drei haben eine Sprache, von der ich kein Wort verstehe.“

„Das ist auffällig, höchst auffällig. Ich werde selbst nachsehen.“

Als er abstieg, meinte Antonio Perillo:

„Ich gehe mit.“

„Ist nicht nötig; einer ist genug.“

„Aber zwei sehen und hören mehr.“

Er verließ auch den Sattel, und der Gambusino hinderte ihn nicht daran. Sie schlichen vorwärts. Der Lichtschein war ihr Wegweiser, so daß sie die Höhle, obgleich sie dieselbe nicht kannten, unmöglich verfehlen konnten. Als sie in der Nähe derselben angekommen waren, legten sie sich nieder und krochen weiter, bis sie den einen Eingang fast erreicht hatten.

„Wenn einer zufällig herauskommt, wird er uns sehen?“ raunte Perillo dem Gambusino zu.

„Nein, außer er fällt über uns weg. Hier ist es dunkel, drin aber hell; das blendet beim Heraustreten. Komm noch weiter heran!“

Sie schoben sich noch ein wenig fort und lagen dann so, daß sie in die Höhle sehen konnten. Sie erblickten die beiden Arrieros und den Peon; die andern drei konnten sie nicht sehen, aber sie hörten sie sprechen. Nach einigen Augenblicken zog der Gambusino seinen Gefährten zurück, bis sie sich so weit entfernt hatten, daß sie sich wieder aufrichten durften.

„Hast du ihn erkannt?“ fragte Perillo.

„Wen?“

„Den Knecht des Wirtes in Salta.“

„Ja.“

„Aber die beiden andern kenne ich nicht.“

„Es sind Arrieros, wie du schon an ihrer Kleidung siehst. Ich habe sie schon gesehen, kenne aber ihre Namen nicht. Hast du eine Ahnung, was das für eine Sprache ist, welche die drei andern sprechen? Französisch ist es nicht, Portugiesisch und Englisch auch nicht.“

„Es klingt wie Deutsch. Ich habe in Buenos Ayres oft Deutsche miteinander sprechen gehört.“

„Demonio! Deutsch! Sollte etwa –“

„Wer? Was?“

„Still jetzt! Wir müssen sie unbedingt sehen. Die Höhle hat noch ein Loch. Wenn wir dorthin gehen, erblicken wir sie wahrscheinlich, weil sie an der andern Seite des Feuers sitzen. Komm!“

Sie schlugen einen Bogen, um nicht in den Bereich des Feuerscheins zu gelangen, und näherten sich dann von der andern Seite dem zweiten Eingange, ebenso kriechend wie vorher.

Die Vermutung des Gambusino erfüllte sich; die drei Deutschen waren zu sehen. Engelhardt saß so, daß er den Lauschern das Gesicht voll zukehrte, natürlich aber ohne sie zu bemerken; der Doktor und Fritze waren im Profil zu sehen.

Der Gambusino griff nach dem Arme Perillos und drückte denselben in seiner Aufregung so, daß der Stierkämpfer hätte laut aufschreien mögen. Sein Atem ging hörbar, fast röchelnd; doch beherrschte er sich und gab Perillo einen Wink, sich mit zu entfernen. Als sie in Sicherheit gelangt waren, schimpfte er, indem er mit den Zähnen knirschte:

„Verwünscht seien diese beiden Kerle! Hast du sie erkannt?“

„Natürlich! Ich hatte also recht, als ich sagte, daß es die deutsche Sprache sei.“

„Wie kommen diese Menschen hierher in diese Höhle?“

„Der Teufel ist ihr Führer gewesen!“

„Das muß so sein! Er führt sie uns immer in den Weg. Wir haben uns zwar geirrt, als wir den einen für Glotino hielten, aber sie sind uns doch gefährlich, denn sie laufen uns grad dann, wenn wir etwas Wichtiges vorhaben, allemal in den Weg.“

„O, das ist noch lange nicht das Gefährlichste!“

„Was denn?“

„Am bedenklichsten ist jedenfalls der Umstand, daß stets da, wo sie sind, sich auch der Vater Jaguar befindet.“

„Das ist wahr. Ich will doch nicht hoffen, daß der Teufel auch ihn herbeigeführt hat!“

„Was das betrifft, so ist dem Teufel und diesem Vaterjaguar alles zuzutrauen. Hast du die Sättel gezählt, welche in der Höhle lagen?“

„Ja. Es waren sechs Reitsättel. Daraus ist mit Sicherheit zu schließen, daß sich nur diese sechs Personen hier befinden. Den Vater Jaguar haben wir also wenigstens jetzt noch nicht zu befürchten.“

„Was thun wir? Reiten wir etwa weiter? Ich möchte wenigstens diesen beiden kleinen Deutschen endlich einmal einen Denkzettel anhängen.“

Der Gambusino blickte eine Weile sinnend vor sich nieder und antwortete dann:

„Ich habe einen Gedanken – –“

„Wohl den, sie wieder laufen zu lassen?“

„Kann mir nicht einfallen. Sie sind uns eigentlich ungefährlich, und wenn ich auch nicht so dumm bin, mir eines Menschenlebens wegen schwere Gedanken zu machen, so halte ich es doch für überflüssig, sie zu töten, wenn es nicht grad notwendig ist. Wenn wir sie festnehmen, so besitzen wir in ihnen zwei Geiseln gegen den Vaterjaguar, wenn er sich wirklich hier befinden sollte.“

„So meinst du, daß wir uns mit ihnen herumschleppen sollen?“

„Hm! Unbequem würde es sein; aber ich habe einen Grund, es dennoch zu thun.“

„Welchen?“

„Sie sind reich.“

„Meinst du?“

„Ja. Wer solche Reisen macht, muß reich sein. Aber es gibt noch einen zweiten Grund. Kennst du den dritten, den blonden Deutschen, welcher bei ihnen sitzt?“

„Nein.“

„Und bist doch in Peru drüben, in Lima gewesen!“

„Ist er von dort?“

„Ja. Ich kenne ihn. Ich habe ihn wiederholt gesehen; er aber kennt mich jedenfalls nicht. Hast du einmal den Namen Engelhardt gehört?“

„Meinst du etwa den steinreichen Bankier in Lima, den Millionär?“

„Ja.“

„Ist der es etwa?“

„Ja, er ist’s. Es gibt gar keinen Zweifel, denn ich kenne ihn genau. Denke, welch ein Lösegeld!“

„Hei, das ist ein herrlicher Gedanke! Falls aus unsrem Schatze nichts wird, könnten wir uns durch diesen Engelhardt entschädigen. Er müßte zahlen, sein halbes Vermögen hergeben, um wieder frei zu sein.“

„Wieder frei? Damit er uns dann verraten kann? Dummheit! Erst zahlt er, und dann – – verschwindet er. Bist du dabei? Selbst wenn wir deinen Schatz finden, können wir das Lösegeld dieses Burschen noch mitnehmen.“

„Du hast recht, vollkommen recht. Also wir nehmen ihn und die beiden Kleinen?“

„Ja.“

„Und was wird mit den andern?“

„Weggeputzt.“

„Und die Indianer? Was werden die dazu sagen? Wie werden sie sich verhalten?“

„Denen stopfen wir den Mund mit den beiden Kleinen.“

„Wieso?“

„Wir nehmen den Bankier für uns, ohne ihnen aber zu sagen, was für ein fetter Bissen er ist, und versprechen ihnen als ihren Anteil die Kleinen, von denen wir sagen, daß sie ungeheuer reich seien.“

„Das geht. Später können wir ja immer noch thun, was wir wollen.“

„Ja, später nehmen wir natürlich alles für uns, und sie bekommen nichts.“

„Aber die Arrieros und der Peon? Wenn wir sie festhalten, sind sie uns beschwerlich, ohne daß wir etwas bekommen, und lassen wir sie laufen, so verraten sie alles.“

„Wir nehmen sie nicht fest und lassen sie auch nicht laufen.“

„Was denn sonst?“

„Drei Kugeln oder Messerstiche.“

„Diablillo! Du machst kurzen Prozeß; aber es ist ganz richtig so. Es fragt sich nur, ob die Indianer mitmachen werden.“

„Ich bin überzeugt davon und werde mit ihnen reden. Warte hier, bis ich wiederkomme!“

Er entfernte sich vorsichtig, während Perillo sich niederlegte und an die Erde schmiegte, um nicht gesehen zu werden, indem er ihn erwartete. Als der Gambusino zurückkehrte, kam er nicht allein, sondern brachte den Häuptling und sechs Indianer mit; der siebente war bei den Tieren geblieben, um dieselben zu bewachen.

„Sie sind einverstanden,“ flüsterte er Perillo zu. „Der Bankier für uns und die Kleinen für sie. Aber töten wollen sie niemand. Wir müssen also die Arrieros und den Peon auf uns nehmen; darum habe ich dir dein Gewehr mitgebracht.“

„Gib her! Von wessen Kugeln die Kerls fallen, ob von den unsrigen oder von denen der Roten, das bleibt sich gleich. Wann soll es losgehen?“

„Sofort.“

„Und wie?“

„Wir beide schleichen uns hinüber auf die Seite, wo die Arrieros sitzen, und die Indianer huschen an die diesseitige Öffnung der Höhle. Sobald unsre Schüsse fallen, dringen sie in dieselbe ein und werfen sich auf die Deutschen, welche sofort entwaffnet und gebunden werden. Es ist alles verabredet und muß gelingen. Du brauchst dich nicht zu sorgen. Komm!“

Sie begaben sich nach der andern Seite und näherten sich dem Eingange so weit, daß sie ihre Opfer sitzen sehen konnten.

„Ich nehme die beiden Arrieros und du den Peon,“ flüsterte der Gambusino seinem Mordgenossen zu. „Wir schießen sie durch die Köpfe; das ist das Allersicherste. Wenn ich drei sage, drückst du ab. Bist du bereit?“

„Ja,“ antwortete Perillo, indem er sein Gewehr anlegte.

„So ziel gut! Also – eins – zwei – drei!“

Er rief das letzte Wort mit lauter Stimme und drückte dann schnell hintereinander seine beiden Läufe ab. Die drei armen, nichts ahnenden Menschen stürzten, durch die Köpfe getroffen, nieder. Zu gleicher Zeit erhoben die Indianer ein markdurchdringendes Geheul und drangen in die Höhle ein. Das geschah alles in der Zeit von einigen Augenblicken, so daß die Deutschen niedergerissen und gebunden waren, ehe sie nur den Gedanken an eine Gegenwehr zu fassen vermochten. Dann machten sich die Roten über die Erschossenen her, um ihnen alles abzunehmen, was bei ihnen zu finden war. Darauf schafften sie die vollständig entkleideten Leichen hinaus ins Freie, um selbst auch dort zu bleiben und zu warten, welche Befehle der Gambusino ferner noch erteilen werde. Auch der Häuptling begab sich wieder hinaus, wohl ohne dazu einen andern, besonderen Grund zu haben als den Respekt, den er vor dem Gambusino hegte.

Dieser schürte das Feuer heller und stellte sich dann mit Perillo so vor die Gefangenen, daß diese, die sich von ihrem Schrecken noch nicht erholt hatten, ihre Feinde deutlich sehen konnten.

„Willkommen hier oben in den Bergen, Señores!“ redete er sie in höhnischem Tone an. „Ich bin ganz entzückt, Sie hier zu sehen. Es scheint mir beschieden zu sein, mich immer wieder an Ihrem Anblicke erquicken zu dürfen. Wie geht es Ihnen?“

„Sehr gut, Señor,“ antwortete Fritze, der sich zuerst gefaßt hatte, und nun in dieser Weise antwortete, um dem Gambusino die Freude zu verderben, ihn kleinlaut und erschreckt zu sehen.

„Gut? Sogar sehr gut? Sie befinden sich also wohl?“

„Ja. Wenn es Ihnen so ums Herz wäre, wie mir, könnte man Sie beneiden.“

„Ihr Herz geht mich weniger an als Ihr Geldbeutel. Wie steht es mit diesem? Sind Sie reich?“

„Sehr.“

„So können Sie ein Lösegeld zahlen?“

„Ja.“

„Aber Sie haben kein Geld mit?“

„Leider ist es so. Es liegt bei meinem Bankier.“

„Das thut nichts. Sie werden mir eine Anweisung geben. Wie steht es mit Ihrem Gefährten?“

Damit war Doktor Morgenstern gemeint, welchem vor Schreck die Sprache abhanden gekommen zu sein schien. Er schwieg; aber Fritze antwortete für ihn:

„Der arme Teufel hat weiter nichts, als was in seiner Tasche steckt, eine Handvoll Bolivianos; das ist alles.“

„So muß er sterben. Ich könnte ihn nur gegen ein Lösegeld freigeben.“

„Fällt ihm nicht ein, zu sterben, da er weiß, daß ich oft und manchmal für ihn bezahle.“

„Auch dieses Mal?“

„Ja. Wie hoch soll die Summe sein?“

„Zehntausend Bolivianos für beide; das ist die geringste Summe, die ich fordern darf.“

„Schön! Sollen sie haben! Geben Sie mir Tinte, Feder und gutes, weißes Papier, so soll die Anweisung sofort geschrieben werden!“

„Nur langsam! Es hat keine so große Eile. Ich muß doch auch mit diesem Señor sprechen.“

Er pflanzte sich breitspurig vor Engelhardt auf und fragte ihn:

„Kennen Sie mich vielleicht, Señor Engelhardt?“

„Nein,“ antwortete der Gefragte, welcher sein Herz erleichtert fühlte, da es sich nicht um sein Leben, sondern nur um ein Lösegeld zu handeln schien.

„Nicht? Nun, das schadet nichts, denn Sie werden mich kennen lernen, und wenn Sie sich so bereitwillig zeigen, wie dieser kleine Señor, welcher keinen einzigen von den zehntausend Bolivianos abgehandelt hat, so wird unsre Bekanntschaft eine für beide Teile sehr angenehme sein.“

„Wieviel verlangen Sie für meine Freiheit?“

„Das wird sich finden, nachdem ich erfahren habe, wie hoch sich Ihr Besitz beläuft. Ich pflege nämlich nach Prozenten desselben zu rechnen und – –“

Er wurde unterbrochen, und zwar von dem Häuptlinge, welcher hastig hereintrat und ihm einen Wink gab, auf die Seite zu kommen. Als er diesem Winke gefolgt war, flüsterte ihm das „spitze Messer“ zu:

„Wir sind nicht sicher; wir werden belauscht. Einer meiner Leute hat eine Gestalt gesehen, welche an der Erde herbeigekrochen kam.“

„Vielleicht irgend ein Tier!“

„Nein, Señor; es war ein Mensch, denn als er sah, daß er bemerkt worden war, sprang er auf und lief davon.“

„Habt ihr ihn nicht verfolgt?“

„Wer kann das in der Finsternis, welche draußen herrscht? Der Mann ist in einem einzigen Augenblicke verschwunden gewesen.“

„Qué disgusto! So müssen wir augenblicklich fort. Wer weiß, wer sich hier herumtreibt.“

„Gewiß der Vater Jaguar,“ antwortete Antonio Perillo, welcher so nahe stand, daß er die Meldung des Häuptlings gehört hatte.

„Nein, dieser sicher nicht, denn wenn er es wäre, so würde er nicht zögern, über uns herzufallen, um die Gefangenen zu befreien. Aber mag es sein, wer es will; er soll uns nichts anhaben; wir führen ihn irre.“

Er trat das Feuer aus, damit es nicht zum Verräter werden möge, und erteilte noch einige leise Befehle. Einige Indianer holten die Maultiere der Gefangenen und Erschossenen zusammen, und andre nahmen die gefesselten Deutschen auf und trugen sie nach der Stelle, wo der Indianer die Tiere bewachte. Dort gab es ein kurzes Durcheinander, und dann hörte man, daß sich der Trupp entfernte, aber nicht in der Richtung der Salina del Condor, sondern in die entgegengesetzte. Der vorher so belebte Platz lag wieder still und lautlos da.

Wirklich lautlos? Doch nicht ganz, denn gar nicht weit von der Höhle, wo sie hart an die Felswand geschmiegt gelegen hatten, erhoben sich zwei Gestalten, eine sehr lange und eine kürzere, denen das lose Haar weit über den Rücken hinabhing, und der Lange sagte mit unterdrückter Stimme zu dem Kleineren:

„Sie haben dich gesehen; darum sind sie fort. Wie leicht konnten sie dich ergreifen, o Herrscher!“

„Mich niemals, lieber Anciano,“ antwortete Haukaropora, der Sohn des Inka. „Sie haben eine falsche Richtung eingeschlagen, um uns irre zu leiten; aber wir lassen uns nicht täuschen. Unsre Füße sind schneller, als die Hufe ihrer Pferde. Sie reiten sicher nach der Salina. Laß uns ihnen dorthin voraneilen, um dem Vater Jaguar ihr Nahen zu verkünden!“

Die beiden Nachkommen der alten Peruaner verschwanden im Dunkel der Nacht. Aus ihren Worten ging hervor, daß sie von dem Vater Jaguar als Kundschafter ausgesandt worden waren, um ihm die Annäherung des Gambusino zu melden. Dieser letztere war eher als der erstere in Salta gewesen; er hatte einen Vorsprung von einem Tage gehabt; da er aber erst zu den Mojosindianern geritten war, während der Vater Jaguar mit seinen Leuten das Ziel direkt hatte aufsuchen können, so war dieser weit eher als der Gambusino an demselben angekommen. Hammer hatte sich das sehr wohl berechnet; er wußte genau, daß die Erwarteten erst später kommen konnten, und so ließ er, als er an der Mordschlucht ankam, seine Schar am Rande derselben lagern, ohne diejenigen Vorsichtsmaßregeln zu treffen, von denen er sonst gewiß nicht abgesehen hätte.

Der Name Barranca del Homicidio, also Mordschlucht, war ein unheimlicher, und die Umgebung dieses Ortes, die ganze Gegend, stand im Einklange mit dem Eindrucke, welchen diese Bezeichnung machte. Die Vormittagssonne verschwendete ihre Wärme an ein Bild trostloser Einsamkeit. Leblos und kahl erhoben sich im Westen die Riesen des Gebirges; öde standen rings die Felsenhöhen in der Nähe und weder an ihren Hängen noch in den Thälern war eine Spur von Vegetation zu bemerken.

Was die Schlucht selbst betraf, so fiel sie so steil in die Tiefe hinab, daß nur Fußgänger aber nicht Reiter, und selbst erstere nicht leicht, hinabkommen konnten. Auch hier gab es, weder an den Seiten noch auf dem Grunde der Schlucht, irgend eine Art von Pflanzenwuchs, und nur am Rande derselben, da wo die Reiter abgestiegen waren, sah man einige halb aus der Erde gerissene Wurzeln, deren Stengel von früher Dagewesenen als Feuerungsmaterial benutzt worden waren. Hier oben gab es nur glatten Fels, auf welchem selbst die Hufe der Maultiere kaum eine Spur zurücklassen konnten; die Tiefe aber war angefüllt von Gesteinstrümmern, welche sich im Laufe der Zeit von den Wänden abgelöst hatten und hinuntergestürzt waren. Nicht weit von den Lagernden, vielleicht fünfzig Schritt von der Schlucht entfernt, lag ein großer Felsblock, welcher auf der der Schlucht abgewendeten Seite überhing und so einen Raum zum Unterschlüpfen bildete, in welchem eine Person bequem Schutz gegen Wind und Wetter finden konnte. Der Vater Jaguar sagte zu seinem Geronimo, indem er auf diesen Fels deutete –

„Unter diesem Steine hat Antonio Perillo gelegen, als er den Inka belauschte, ehe er ihn dann am folgenden Morgen weiter unten ermordete. Als mir der sterbende Pellejo erzählte, was er am Sumpfe der Knochen heimlich gehört hatte, sprach er von diesem Felsen. Perillo hatte unter demselben übernachten wollen, als der Inka vorüberkam.“

„Ja,“ antwortete Geronimo, indem er mit der Hand in die Tiefe deutete, „da drüben am jenseitigen Rande ist der Inka am andern Morgen erschienen und emporgestiegen; dort muß also der Schatz aufbewahrt sein.“

Die beiden sprachen jetzt offen, so daß die andern alle es hörten, von dem Schatze und bedienten sich dabei des Wortes Inka, denn der alte Anciano und Haukaropora hatten während der letzten Tage zu ihnen offen von ihrem Geheimnisse, welches bis dahin nur der Vater Jaguar außer ihnen gekannt hatte, gesprochen. Anciano hörte, welche Vermutung Geronimo aussprach, und sagte infolgedessen:

„Sie haben ganz richtig vermutet, Señor. Dort drüben, wo man nur mit Anstrengung aufwärts steigen, von oben nach unten aber mit Gefahr für seine Glieder gelangen kann, ist die Stelle, nach welcher der Gambusino und Perillo suchen wollen.“

„Du kennst sie natürlich?“ fragte Hammer.

„Ja.“

„Auch Hauka?“

„Nein. Für ihn ist sie bisher ein Geheimnis gewesen, da er erst seit kurzer Zeit das Alter erreicht hat, in welchem er nach dem Willen seines Vaters das Geheimnis vollständig erfahren soll.“

„Er erfährt es von dir?“

„Ja.“

„So bist du ganz in dasselbe eingeweiht?“

„Nur soweit es notwendig ist, um Hauka den Weg zu zeigen.“

„Liegt der Schatz vergraben in der Erde? Ich meine, ob man ein Loch gegraben und dann wieder zugeschüttet hat?“

„Nein; er befindet sich in einer Höhle, in einem alten Stollen, welchen unsre Vorfahren gegraben haben, um nach Gold oder Silber zu suchen. Sie haben aber nichts gefunden, und als sie dann gar einen breiten, unterirdischen Querspalt erreichten, welcher so tief war, daß man keinen hinuntergeworfenen Stein den Boden desselben erreichen hörte, gaben sie das Graben auf und schütteten den Eingang des Stollens zu. Die Lage desselben blieb aber bekannt, und als der Vorfahre Haukaroporas floh, wendete er sich mit den Treuen, die bei ihm waren, hierher und verbarg alles, was er von seinen Schätzen gerettet hatte, in dem Stollen. Die Feinde folgten ihnen später und überfielen sie. Alle wurden getötet, außer zweien, welche entkamen; der eine war der Inka und der andre mein Ahne. Das Geheimnis erbte sich auf die Nachkommen dieser beiden, bis auf Haukaropora und mich, fort. Ich weiß, wo die Höhle liegt, bin aber noch nie im Innern derselben gewesen, da nur mein Herr, der Vater Haukaroporas, das Recht hatte, dieselbe zu betreten. Heute werde ich ihm den Eingang zeigen, und wenn er es mir erlaubt, darf ich dabei zum erstenmal sehen, welche Gegenstände die Höhle birgt.“

„Natürlich erlaube ich es dir, mein alter, treuer Anciano,“ fiel da Haukaropora ein. „Du bist mein zweiter Vater, und was mir gehört, das ist auch dein Eigentum.“

„Ich danke dir,“ antwortete der Alte erfreut. „Ich bedarf nichts und wünsche mir nichts als die Fortdauer deiner Liebe. Dennoch habe ich einen großen Wunsch, um dessen Erfüllung ich dich bitte.“

„Welchen? Sage ihn!“

„Du sollst die Höhle nur nach der Erreichung eines gewissen Alters betreten, eines Alters, in welchem die Unvorsichtigkeit der ersten Jugend überwunden ist. Das hat einen sehr triftigen Grund. Der Stollen ist nämlich nicht ohne Gefahr zu betreten. Worin diese Gefahr besteht, das weiß ich nicht. Dein Vater, mein früherer Herr, wollte es mir noch mitteilen; da er aber ermordet worden ist, hat er keine Zeit gefunden, dies zu thun.“

„So hast du gar keine Ahnung davon?“

„Eine Ahnung allerdings, aber keine Gewißheit. Du weißt, daß unsre Vorfahren ein Feuer herzustellen verstanden, welches jahrhundertelang verborgen sein und ruhen kann, dann aber, wenn es flüssig gemacht wird, mit unwiderstehlicher Gewalt alles zerstört, was es ergreift. Vielleicht gleicht es dem jetzigen Schießpulver, von welchem unser Volk nichts wußte, bis es dasselbe bei den Spaniern sah. Aus einigen Andeutungen deines Vaters vermute ich, daß die Höhle von einem solchen Feuer bewacht wird, welches jeden Unberechtigten, der den Stollen betritt, vernichten soll.“

„Dann ist es allerdings gefährlich, sich dem Schatze zu nahen!“

„Ja. Und darum möchte ich dich bitten, auch den Vater Jaguar mitzunehmen. Seine Augen sind die schärfsten und erfahrensten von allen, so daß er dieses verborgene Feuer jedenfalls eher entdecken wird als wir.“

„Er soll mitgehen. Ich hätte ihn auch ohnedies darum gebeten. Und auch mein lieber Freund Antonio mag bei uns sein, damit er zu den ersten gehört, welche den Schatz sehen. Oder fürchtest du dich vor der Gefahr des verborgenen Feuers?“

Diese Frage war an Anton Engelhardt gerichtet, welcher sogleich antwortete:

„Ich fürchte mich nicht. Wie das Pulver, so wird auch euer Feuer erst dann gefährlich sein, wenn es angezündet wird, also wenn man es mit andrem Feuer in Berührung bringt, und dies zu thun, werden wir uns doch hüten.“

„Wenn wir vorsichtig sind, haben wir jedenfalls nichts zu befürchten,“ stimmte der Vater Jaguar bei. „Ihr wollt die Höhle also schon heut aufsuchen?“

„Ja,“ nickte Anciano.

„Noch vor der Ankunft unsrer Feinde?“

„Noch vor derselben.“

„Ich möchte raten, zu warten. Wir würden Spuren zurücklassen, durch welche wir leicht unsre Anwesenheit verraten könnten.“

„Haben wir denn nicht Zeit, diese Spuren so zu vertilgen, daß sie nicht zu bemerken sind, Señor? Der Gambusino kann vor morgen nicht da sein, und jetzt haben wir erst Vormittag.“

„Und doch ist es besser, zu warten. Wir wissen nicht, welchen Fund wir machen. Er kann leicht ein derartiger sein, daß die Ausführung unsrer jetzigen Vorsätze nicht möglich ist.“

„Sie mögen recht haben; aber wir wissen nicht, wieviel Indianer der Gambusino mitbringt. Einige Häuptlinge der Mojos sind meine Freunde, während ich mit andern verfeindet bin. Es steht eher zu erwarten, daß es zwischen uns und ihnen zum Kampfe kommt, als nicht. Wenn ich dabei getötet würde, so könnte ich meinem jungen Herrn den Ort dann nicht zeigen und die ganze Erbschaft würde verloren gehen.“

„Du brauchst dich nur am Kampfe nicht zu beteiligen!“

„Señor, was trauen Sie mir zu!“ rief da der Alte aus. „Wir wollen den Mörder meines ermordeten Herrn ergreifen, und ich sollte dabei meine Arme und meine Waffen ruhen lassen? Verlangen Sie von mir alles, aber nur dieses nicht!“

„Gut! Ich kann begreifen, was du denkst und fühlst. Du magst also deinen Willen haben. Aber ehe wir nach dem Stollen suchen, müssen wir an andres und notwendigeres denken. Wir sind gezwungen, vielleicht länger als einen oder einige Tage hier zu bleiben. Für uns ist Proviant genug vorhanden, aber wir müssen auch für unsre Maultiere sorgen. Wasser und Gras gibt es nur unten an der Salina del Condor für sie; leider dürfen wir dort nicht lagern, weil unsre Gegner über die Sahna kommen werden. Wir müssen also nach einem andern Orte suchen, und wenn er noch so sehr entlegen von hier wäre, wo unsre Tiere trinken und weiden können. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, dürften wir nicht hier an der Mordschlucht bleiben. Wir müssen uns verbergen.“

„Was das betrifft, da brauchen Sie sich keine Sorge zu machen, Señor. Eine Reitstunde von hier liegt ein tiefes Loch, in welchem es immerfort Wasser gibt, an dessen Rande Gras wächst. Ich und Haukaropora sind wohl die einzigen Menschen, welche diesen Ort kennen. Ich werde Sie hinführen.“

„Ein tiefes Bergloch? Können denn da unsre Tiere hinab?“

„Für Pferde würde der Abstieg unmöglich sein; unsre Maultiere aber kommen gewiß hinunter. Wir wissen freilich nicht, ob wir sie zur etwaigen Verfolgung unsrer Feinde hier in der Nähe bedürfen.“

„Dies abzuwarten, haben wir genugsam Zeit. Es gilt zunächst, zu erfahren, ob die Mojosindianer, welche mit dem Gambusino kommen werden, mit dir verfeindet oder befreundet sind. Im ersteren Falle wird es wohl nicht ohne Kampf abgehen; sind sie aber im guten bekannt mit dir, so hoffe ich, daß du sie bewegen kannst, zu uns überzugehen. Erst dann, wenn das entschieden ist, können wir uns einen bestimmten Plan bilden. Fürs erste kannst du, wenn wir uns ein wenig ausgeruht haben, die andern nach dem Bergloche führen; ich bleibe mit Haukaropora und Anton, die mit in die Höhle sollen, hier, um deine Rückkehr zu erwarten.“

Es läßt sich denken, daß auch die andern Mitglieder der Gesellschaft sich außerordentlich gern an der Aufsuchung des Schatzes beteiligt hätten, doch sprachen sie diesen Wunsch nicht aus, sondern fügten sich in die getroffene Anordnung und ritten nach einer Weile unter der Anführung des alten Anciano fort, um den verborgenen Wasser- und Weideplatz aufzusuchen. Der Vater Jaguar sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren und wendete sich dann an Haukaropora, welcher mit Anton Engelhardt am Rande der Schlucht saß und nachdenklich in dieselbe hinabblickte:

„Getraust du dir, den Stollen zu finden, ohne daß Anciano dir die Stelle zeigt?“

„Nein,“ antwortete der Sohn des Inka. „Mein Vater hat den Eingang jedenfalls so unkenntlich gemacht, daß ihn kein Mensch entdecken kann.“

„Wollen einmal sehen. Nun ich weiß, daß in der Schlucht etwas verborgen ist, halte ich es nicht für unmöglich, die Stelle zu finden. Ich werde es versuchen und jetzt hinabsteigen. Bleibt indessen hier! Es steht zwar nicht zu erwarten, daß jemand kommen wird, aber ihr dürft doch immerhin die Augen offen halten. Ihr könnt von hier aus die Gegend übersehen. Solltet ihr die Annäherung eines Menschen bemerken, so ruft ihr mich; ich werde eure Stimme hören.“

Er stieg mit gewandten Schritten die steile Felsenböschung hinab. Sie folgten ihm mit ihren Blicken, bis er unten angekommen war, und dann meinte Hauka, indem er verneinend den Kopf schüttelte:

„Er findet den Ort nicht. Er ist ein berühmter Mann, berühmter als alle, die ich kenne, aber die Stelle wird selbst für ihn unkenntlich sein.“

„Hast du nicht sein Lächeln gesehen, als du dies behauptetest?“ fragte Anton. „Er scheint überzeugt zu sein, daß er die Höhle entdeckt, und ich glaube, daß dies wirklich geschieht. Heute wirst du reich werden, sehr reich, jedenfalls noch viel reicher, wie ich bin oder vielmehr wie mein Vater ist. Haben deine Vorfahren denn wirklich so viel Gold und Silber gehabt, wie erzählt wird und wie man in den Büchern liest?“

„Nicht nur so viel, sondern noch viel, viel mehr. Damals, als die Inkas von den Spaniern überfallen und ausgeraubt wurden, haben viele, viele Reiche des Landes ihre Kostbarkeiten vergraben oder in andrer Weise versteckt, und nach ihrem Tode hat niemand gewußt, wo es verborgen ist. So liegen nun Millionen und aber Millionen in der Erde versteckt, welche keinem Menschen – – Schaden bringen können.“

„Schaden? Wolltest du nicht Nutzen sagen?“

„Nein, sondern Schaden. Die großen Reichtümer meines Volkes sind schuld, daß es untergegangen ist. Wäre es arm gewesen, so hätten die Spanier, als sie nach Peru kamen, sich entfernt, ohne wiederzukommen. Weißt du, wie der unglücklichste aller meiner Ahnen betrogen worden ist?“

„Nein.“

„Als er gefangen war, wurde er in einen großen, weiten Saal gebracht, und Pizarro, der Eroberer, zog mit der Spitze seines Schwertes, so hoch er reichen konnte, einen Strich um die vier Wände hin und versprach ihm die Freiheit, wenn er den Saal bis an den Strich hinauf mit Gold und Silber füllen werde. Der Inka kam dieser Forderung nach, aber der Spanier hielt nicht Wort. Der Saal wurde zum zweitenmal bis an den Strich gefüllt, und auch da hielt der Lügner sein Versprechen nicht. Er war ein Christ, der dann die Lehre von der Wahrheit und von der Liebe gewaltsam im Lande verbreiten ließ. Du siehst, daß der Reichtum mein Volk ins Verderben gebracht hat.“

„Ja, zwei große Säle voller Gold und Silber! Sollte man dies für möglich halten !“

„Du wunderst dich? Dann weißt du nichts von den Schätzen, welche in den beiden Sonnentempeln zu Kuzko und Tschukitu, in den Tempeln von Huanakauri, Katscha, Vilikanota und an den vielen andern heiligen Orten, welche Huakas genannt wurden, zu finden waren. Im Sonnentempel zu Kuzko gab es über viertausend Priester und Diener. Alle Thüren hatten massiv goldene Pfosten, und die Fensteröffnungen waren mit Smaragden und andern Edelsteinen ausgekleidet. Alle Wände waren mit Goldplatten getäfelt. Da standen die Bildsäulen der Götter und Göttinnen aus purem Golde und diejenigen der Inkas aus reinem Silber. Es gab da unzählige Gefäße und Gerätschaften, alle aus denselben edlen Metallen gefertigt. Aus den fünf Quellen der umliegenden Berge führten goldene Röhren das Wasser in goldene oder silberne Becken, zum Trinken, zum Reinigen der Gefäße und zum Baden der Opfertiere. Soll ich dir noch mehr erzählen? Hast du eine Zahl, ein Maß für den Wert solcher Reichtümer?“

„Nein, nein! halt ein; es wird mir angst dabei! Wenn du von solchen Gebäuden, Bildsäulen und Gefäßen redest, muß es bei euch große Künstler gegeben haben.“

„Es hat sie gegeben, obgleich unsre Kunst eine andre als die eurige war.“

„Und die Wissenschaft?“

„Ich bin ein Knabe, in der Einsamkeit der Berge aufgewachsen, und kann nicht von dem sprechen, was ihr Wissenschaft nennt. Aber gelehrte Leute hatten auch wir. Denke nur an die Kippu-Kamayoks, von denen du wohl gehört haben wirst.“

„Ja, das waren eure Schriftgelehrten; aber eure Schrift bestand nicht aus Buchstaben und Wörtern wie die unsrige, sondern aus Schnüren, in welche Knoten geknüpft wurden. Wie ist es möglich, solche Schnüre so zu lesen, wie wir unsre Bücher, Zeitungen und andern Schriften lesen!“

„Das war freilich eine nicht leichte Kunst, und nicht jeder konnte wie bei euch das Lesen und Schreiben erlernen. Ein solcher Kippu konnte nur von einem Schriftgelehrten, welcher Kamayok genannt wurde, geknüpft oder gelesen werden. Es wurden nur die zuverlässigsten Leute zu Kippu-Kamayoks gewählt, und in jedem Dorfe fanden sich Kippuverwalter, welche ihre Kunst nur auf ihre Nachkommen vererbten. Mein alter Anciano stammt aus einer solchen Familie und würde heut noch jeden Kippu, den er fände, lesen und entziffern können.“

„Kannst du das auch?“

„Ja, denn ich bin der Nachkomme der Herrscher, welche vor allen Dingen diese Kunst verstehen mußten. Bring mir ein Schnurbündel, und ich lese es dir so vor, wie du die Worte eines Briefes vom Papiere liesest. Mein Vater hat mich in allem unterrichtet, was ein Inka wissen muß, denn er glaubte, unser Reich könne wieder erstehen und ich würde –“

Er hielt inne und blickte still vor sich nieder. Seine sonst so ernsten Züge nahmen jetzt den Ausdruck tiefer Trauer an. Dann holte er tief Atem und fuhr fort:

„Er glaubte es vordem, später aber nicht mehr, wie mir Anciano jetzt erst mitgeteilt hat. Auch ich habe stets die Hoffnung gehegt, daß das Tote wieder lebendig werden könne, nun aber, seit ich dich kenne, habe ich diese Hoffnung aufgegeben.“

„Seit du mich kennst?“ fragte Anton betroffen. „So meinst du, ich sei schuld daran?“

„Ja, doch ohne daß du es beabsichtigt hast. Ich kannte nur meine Berge und die Wildnis der Wälder; ich hatte immer nur von meinem Volke, nicht aber von andern Völkern gehört. Da lernte ich dich kennen, und du erzähltest mir von vielen Nationen und Reichen; ich weiß erst jetzt, wie groß die Erde ist, und wie klein dagegen ein Mensch, ein einsamer Knabe, obgleich seine Ahnen einst mächtige Sonnensöhne waren. Ich habe geträumt und bin erwacht und würde, selbst wenn ich heute alle Reichtümer der Erde da unten in der Schlucht vorfände, nie wieder in den trügerischen Traum zurückverfallen. Die Geschichte meines Volkes ist zu Ende; die Vergangenheit geht mich nichts mehr an, und ich will nun nur noch vorwärts blicken. Ich möchte lernen, was du gelernt hast; ich möchte ein Mann werden, wie diejenigen waren oder sind, von denen du mir erzähltest. Darum werde ich meine Berge verlassen und dahin gehen, wo dieser Wunsch Erfüllung findet. Der Vater Jaguar soll mir raten, und was er sagt, das werde ich thun. Das könnte ich nicht, wenn ich arm wäre; darum freut es mich, jetzt das Vermögen und das Vermächtnis meines Vaters vor mir zu haben. Hätte es nicht diesen Zweck, so würde ich alles Gold und Silber, welches meiner wartet, verachten, denn es wäre leicht möglich, daß es auch mir das brächte, was es meinen Ahnen gebracht hat, das Verderben, den Tod, den Untergang.“

Er hatte sehr langsam und in verschiedenen Absätzen gesprochen. Jetzt stand er auf und entfernte sich, als ob er in der Einsamkeit über das Gesagte weiter nachdenken wolle. Anton folgte ihm nicht; er fühlte trotz seiner Jugend, daß der Freund an einem bedeutsamen Wendepunkte stehe und seine Entschlüsse aus seinem eigenen Innern schöpfen müsse. Darum blieb er sitzen und wartete ruhig, bis er wiederkommen würde.

Als dies nach einiger Zeit geschah, hatte das Gesicht des Inka einen beinahe heiteren Ausdruck angenommen. Er reichte dem jungen, weißen Freunde die Hand und sagte:

„Du willst jetzt nach Lima und dann in das Land deiner Väter nach Deutschland hinüber, um noch mehr zu lernen. Ich weiß von dir, welch ein Land dies ist und welch ein Volk da wohnt. Würdest du mich mit hinübernehmen?“

„Gern, gar zu gern!“ antwortete Anton, indem er überrascht aufsprang. „Hast du diese Worte im Ernste gesprochen?“

„Ja; aber ich will vorher mit dem Vater Jaguar und mit Anciano reden. Ohne den treuen Alten ginge ich nicht fort von hier.“

„Er geht mit; er geht mit. Er betrachtet dich als seinen Gebieter und wird thun, was du bestimmst.“

„Aber er ist so alt und versteht die Sprache deines Vaterlandes ebensowenig, wie ich sie verstehe.“

„Er ist so rüstig wie ein junger Mann, und während der langen Reise auf dem Schiffe werdet ihr von mir so viel Deutsch lernen, als ihr für die erste Zeit dort nötig habt.“

In diesem Augenblicke kam der Vater Jaguar aus der Schlucht gestiegen, und zu gleicher Zeit hörten sie das Getrabe eines Maultieres. Anciano kam um die nächste Berghalde gebogen und hielt dann vor ihnen an. Von seinem Tiere springend, sagte er:

„Ich habe sie alle gut untergebracht, und nun wollen wir hinabsteigen, um die Höhle zu öffnen.“

„Der Vater Jaguar war bereits unten, um zu versuchen, ob er sie auch ohne dich fände,“ benachrichtigte ihn Hauka.

„Wirklich?“ fragte der Alte, indem er sich an Hammer wandte. „Sie haben nachgeforscht? Höchst wahrscheinlich aber ohne Erfolg?“

„Bist du denn deiner Sache gar so sicher?“

„Ja, Señor.“

„Nun, so wollen wir sehen, ob ich mich irre. Ich glaube nämlich, den Eingang zum Stollen gefunden zu haben.“

„Wo?“

„Hinten im Hintergrunde der Schlucht.“

„Das können Sie leicht sagen, da Sie erfahren haben, daß sich das Versteck dort befindet.“

„Pah! Steigen wir hinab! Dann will ich euch die Stelle zeigen.“

Sie fesselten ihren Maultieren die Füße und machten sich dann an den Abstieg. War dieser beschwerlich, so zeigte sich, als sie unten angelangt waren, das Gehen nicht weniger unbequem. Es war, als ob hier ein Berg zusammen- und in lauter kleine Stücke zerbrochen sei, so wirr und tief oder hoch lagen die verschieden großen Trümmer auf- und übereinander.

Der Vater Jaguar schritt voran, über Stock und Stein, wie man sich auszudrücken pflegt, ohne nach rechts oder nach links zu blicken, bis beinahe an die hintere Wand der Schlucht. Da gab es eine Stelle, wo die rechte Seitenwand derselben einige Meter weit vortrat. Dadurch entstand eine Spitze, welche mit der Felsenwand zwei stumpfe Winkel bildete. Hammer schritt nach dem hintern Winkel, zeigte mit der Hand dort auf den Boden nieder und sagte im Tone der größten Sicherheit:

„Hier ist die Stelle. Habe ich recht, Anciano, oder nicht?“

Der Alte machte ein Gesicht, in welchem sich das größte Erstaunen aussprach, und antwortete:

„Ja, hier ist’s, Señor. Aber wie können Sie das wissen? Wie konnten Sie das entdecken? Sind Sie allwissend geworden?“

„Dazu gehört keine Allwissenheit.“

„Nicht? So begreife ich wenigstens Ihre Feinde, wenn dieselben behaupten, daß Sie ein außerordentlich gefährlicher Mensch sind. Wie nun, wenn Sie früher, ohne daß wir eine Ahnung hatten, das Versteck entdeckt und ausgeräumt hätten!“

„Das war auf keinen Fall zu befürchten. Ich hätte hier stundenlang stehen oder sitzen können, ohne zu bemerken, um was es sich handelt. Daß ich den Ort gefunden habe, verdanke ich ganz allein dem Umstande, daß ich gewußt habe, daß sich in der Schlucht ein Schacht, ein Stollen befindet.“

„Aber wie konnten Sie die Stelle desselben finden? Haben Sie sich denn auch überzeugt, daß Sie sich nicht irren?“

„Nein, denn das ist nicht nötig, weil du mir jetzt beweisen wirst, daß ich recht habe. Die Höhle konnte sich natürlich nicht in der Mitte, also auf der Sohle der Schlucht, sondern sie mußte sich an einer Seite, und zwar im Hintergrunde derselben befinden. Der Stollen mußte in den Felsen gehauen sein. Er war verschüttet und maskiert worden, nicht durch die Natur, sondern durch die Hand eines Menschen, also künstlich. Ich brauchte also nur nach einer Stelle zu suchen, an welcher im Gegensatze zur Unregelmäßigkeit dieses Steinwirrwarrs eine Spur von Regelmäßigkeit auf eine Arbeit von Menschenhänden schließen ließ. Und das war hier der Fall.“

„Wieso?“

Der Vater Jaguar deutete auf mehrere Steine, welche nahe an der Felsenwand lagen, und antwortete:

„Bilden diese vier Steine nicht die Ecken eines ganz regelmäßigen Quadrates?“

„Allerdings.“

„Sind sie nicht von ganz gleicher Größe und Schwere, nicht zu schwer für einen kräftigen Mann, aber auch nicht so leicht, daß sie durch irgend einen Zufall verschoben oder gar ganz entfernt werden könnten?“

„Auch das ist richtig, Señor.“

„Warum liegen in dem Vierecke, welches sie bilden, nur leichte Steine, keiner größer als eine Männerfaust?“

„Wissen Sie das denn?“

„Ja. Wenn diese kleinen Steine größer und schwerer wären, würden sie die Decke des Schachtes eindrücken, welche von den vier großen Steinen an den Ecken gehalten wird.“

Der alte Anciano schüttelte staunend den Kopf und meinte:

„Es ist so, genau so, wie Sie sagen, Señor!“

„Ich wußte es. Die Sache wird durch das einfachste Nachdenken erklärt. Das Loch mußte zugedeckt werden. Ein großes Felsstück war dazu nicht zu brauchen, weil ein einzelner Mensch es nicht hätte entfernen können, um den Stollen zu öffnen. Bretter oder dergleichen gab und gibt es hier nicht; man hat also irgend eine Decke oder ein Fell genommen, über das Loch gebreitet und auf die vier Ecken vier Steine gelegt, welche von einem Manne fortgerollt werden können, aber doch schwer genug sind, das Fell zu halten und auch die kleinen Steine, welche man auf dasselbe gelegt hat, um das Menschenwerk zu verbergen, und dem Orte ein natürliches Aussehen zu geben.“

„Sehr richtig, sehr richtig, Señor! Auch das mit dem Fell stimmt ganz genau. Das Loch ist in frühern Zeiten unter den oben liegenden Steinen mit einzelnen Holzstangen zugedeckt gewesen; diese sind aber morsch geworden, und als mein Herr kam, um den Stollen zu besuchen, fand er die Bedeckung desselben eingestürzt. Um einen neuen Verschluß zu haben, blieb ihm, da er nichts andres hatte, nichts übrig, als sein Maultier zu erschießen und die Haut desselben mit Hilfe dieser vier Steine über das Loch auszuspannen. Er schüttete dann kleine, leichte Steine darauf, und diese Decke hat sich lange Jahre und, wie Sie sehen, bis heute bewährt. Es kann sich sogar ein Mann darauf stellen, ohne daß sie auch nur im mindesten nachgibt. Ihr Scharfsinn ist wirklich außerordentlich! Wollen wir jetzt öffnen?“

„Ja, denn es gibt nichts, was uns davon abhalten könnte.“

Die vier Personen kauerten sich nieder, um die Lage kleiner Steine zu entfernen. Diese war nicht hoch und bald kam unter ihr das Fell zum Vorscheine, welches die Härte und Steifheit eines Eisenbleches angenommen hatte. Es wurde von den erwähnten vier Steinen ausgespannt und festgehalten. Als dieselben fortgeschoben waren, konnte man die Haut wegnehmen, und da kam ein Loch zum Vorscheine, welches so groß war, daß ein starker Mann hineinkriechen konnte. Es führte senkrecht hinab. Darum meinte der Vater Jaguar:

„Das ist doch kein Stollen, sondern ein Schacht!“

„Nur der Eingang geht gerade hinab,“ antwortete Anciano, indem er einen kleinen Stein hinunterwarf.

„Hören Sie, daß er nicht tief fällt? Das Loch ist gerade so tief, wie ein Mann hoch ist; dann macht es einen Winkel und führt ein wenig abwärts wagerecht in den Felsen hinein. Ich werde hinuntersteigen.“

„Wie steht es mit der Beleuchtung?“

„Für diese hat mein Herr gesorgt. Es liegen Kerzen unten, welche wir selbst aus Talg gegossen haben.“

Er ließ sich langsam in das Loch hinab. Als er mit den Füßen den Boden desselben erreicht hatte, konnte er mit den ausgestreckten Händen den obern Rand erfassen. Hammer reichte ihm einige Zündhölzer hinab, worauf man bald die Kerzenflamme unten erscheinen sah. Haukaropora stieg, von oben und unten unterstützt, da er kleiner war, nach; ihm folgte Anton Engelhardt, worauf der Vater Jaguar den vierten machte.

Dieser letztere mußte sich bücken, um in den wagerechten Stollen zu gelangen, doch wurde derselbe bald höher, so daß man aufrecht stehen konnte. Nach wenigen Schritten verbreitete er sich und bildete eine Art kleines Gemach, in welchem die vier Personen gerade Platz fanden. Sie sahen sich in demselben um, fanden aber nichts als einen kleinen Holzpflock, welcher in eine Ritze eingetrieben war. An demselben hing eine vielleicht 30cm lange, stricknadelstarke Schnur. Sie war dreifarbig und hatte mehrere Knoten; mehrere viel kürzere und dünnere Schnüre waren an ihr festgeknüpft; auch diese zeigten verschieden entfernte Knoten.

„Ein Kippu!“ rief Anciano, indem er das kleine Schnurbündel vom Pflocke nahm und, es mit dem Lichte beleuchtend, aufmerksam betrachtete. Die Farben waren ziemlich verblichen, aber doch noch zu erkennen.

„Kannst du es entziffern?“ fragte der Vater Jaguar,

„Ja, Señor. Dieser Kippu ermahnt uns, keine andre Kerze anzubrennen, als bis wir den zweiten Kippu gelesen haben. Es ist also noch einer da, wohl weiter hinten. Gehen wir!“

Auch Haukaropora untersuchte den Kippu und bestätigte die Lösung des Alten. Sie schritten weiter vor, die beiden Männer jetzt tief gebückt, weil der Stollen niedriger wurde. Er war sehr trocken; nur drückte die Luft ein wenig auf die Lungen. Nach ungefähr fünfzig Schritten wurde er nicht nur wieder höher, sondern auch viel breiter als vorher und bildete einen stubenartigen Raum, welcher vier Ellen hoch, sieben Ellen breit und ebenso tief sein mochte. Den Hintergrund bildete nicht die Felsenwand, sondern eine dunkel gähnende Kluft, welche senkrecht in eine unbekannte Tiefe fiel. Aber nicht diese breite Felsenspalte war es, auf welche man zunächst achtete, sondern die Aufmerksamkeit der vier Personen wurde von den Gegenständen, welche sich in diesem Raum befanden, aufs mächtigste angezogen.

Es glänzte rechts und links wie pures Gold und Silber. Da standen und lagen auf Unterlagen, weiche bankartig aus Steinen hergestellt worden waren, allerlei Gegenstände, deren Metall- und Kunstwert jedes Auge blenden mußte. Da gab es Götterfiguren, in Kindergröße aus blinkendem Golde hergestellt, Herrscherstatuen, in derselben Größe aus massivem Silber gearbeitet, Gefäße in den verschiedensten Formen und Größen, Waffen aller Art, Schmucksachen, Sonnen, Monde und Sterne. Ja, das war ein Reichtum, welcher nur von einem Inka oder einem königlichen Prinzen abstammen konnte, denn im alten Peru gehörte alles Gold dem Herrscher. Ohne seine Erlaubnis durfte kein andrer Gold oder Silber verwenden.

Diese Metalle auszuführen, war bei Todesstrafe verboten. Alles Silber und Gold mußte nach der Hauptstadt geliefert und dem Könige zu Füßen gelegt werden. Da gab es Jahre, in denen sichern Angaben nach über zwölftausend Zentner Silber und über viertausend Zentner Gold in der Schatzkammer des Inka zusammenliefen, denn das edelste der Metalle wuchs in zahlreichen Adern des Gebirges und fand sich in erstaunlicher Menge im Sande der Flüsse und wurde durch billige oder gar nichts kostende Fronarbeit gewonnen.

Anton Engelhardt war wie geblendet; Anciano und Haukaropora standen in staunender Andacht da, halb die hier befindlichen Reichtümer bewundernd und halb durchschauert von einem Gefühle ehrfurchtsvoller Pietät für die einstigen Götter und Herrscher ihres Volkes. Der Vater Jaguar war am wenigsten befangen. Die Sorge um seine Sicherheit überwog bei ihm den Eindruck dieser Schätze. Er hatte dem Alten das Licht aus der Hand genommen, um an dunkeln Stellen nach dem Sitze der schon erwähnten Gefahr zu suchen. Seine Nachforschung hatte Erfolg.

Nämlich unten, in der Nähe des Bodens liefen an den Steinbänken schmale, thönerne Rinnen hin, welche mit einer weißgelben, wachsartigen Masse gefüllt waren; aus dieser ragten in gewisser Entfernung dochtartige Fäden hervor, welche in Gestalt von kurzen Lichtstümpfen mit derselben Masse umgeben waren.

„Das muß das gefährliche Feuer sein,“ sagte er zu Anciano, indem er auf diese Rinnen deutete, „von denen dein toter Gebieter gesprochen hat. Und diese mit Dochten versehenen Spitzen sind die Lichte, von denen wir keins anbrennen sollen, bevor wir den zweiten Kippu gelesen haben. Wo aber mag dieser Kippu sein? Wir müssen ihn suchen.“

Sie brauchten gar nicht lange zu forschen, denn er hing gleich vorn am Eingange an der Wand. Er hatte nicht die einfache Gestalt des ersten Schnurbündels, sondern bestand aus einem sehr kunstvoll gearbeiteten Geflechte, welches als Handgriff diente, und an dessen Seiten mehrere Reihen von Schnüren fransenartig herabhingen. Diese Schnüre hatten verschiedene Farben; sie waren von verschiedener Länge und in viel hundert Knoten von verschiedener Größe geknüpft. Der Alte griff schnell zu, um dieses Kunstwerk der Schriftknüpferei zu betrachten. Er that dies eine ziemlich lange Zeit und erklärte dann:

„Dieser Kippu ist ein sehr langer und ausführlicher Brief, den ich aber hier nicht lesen kann, weil die Farben gelitten haben und das Licht der Kerze nicht hinreichend ist.“

„Aber draußen im Lichte der Sonne könntest du ihn lesen?“ fragte der Vater Jaguar.

„Ich denke es.“

„So müssen wir hinaus.“

„Schon fort von diesen Schätzen, welche wir so gern noch bewundern wollen?“

„Ja. Ihr dürft nicht eher einen dieser Gegenstände anrühren, als bis wir den Inhalt dieses Kippu kennen. Die Gefahr, mit welcher die Hebung dieser Schätze verbunden ist, ist uns noch unbekannt. Jede falsche Bewegung, jeder falsche Griff kann uns den Tod bringen. Ich warne euch also. Wollt ihr bleiben, so bleibt; ich aber entferne mich und steige nicht eher wieder herab, als bis ich den Inhalt dieses Briefes genau kennen gelernt habe.“

Der alte Anciano schien, geblendet von dem Golde und Silber, dennoch bleiben zu wollen; da nahm Hauka ihm den Kippu aus der Hand, untersuchte ihn, soweit es hier unten möglich war, und erklärte dann:

„Dieser Kippu enthält das Vermächtnis meines Vaters, des ermordeten Inka. Er ist mir teurer als alles, was sich außer ihm hier befindet, und darum mag das Gold und Silber hier liegen bleiben, bis ich ihn gelesen habe. Ich gehe an das Tageslicht.“

. Das entschied. Die vier Personen verließen den unterirdischen Raum und begaben sich durch den Stollen nach dem Eingange zurück, um in das Freie zu gelangen. Auf dem Boden des Schachtes, da, wo derselbe in den Stollen überging, lagen mehrere Talglichte, welche Haukas Vater zum jeweiligen Gebrauche da niedergelegt hatte. Anciano löschte sein halb abgebranntes Licht aus und gab es wieder mit hinzu, ehe er sich hinausschwang.

Draußen setzten sich die vier auf die Steine, und Anciano und der junge Inka nahmen die Schnüre vor, um dieselben zu entziffern. Das ging freilich nicht so schnell wie bei dem ersten und so einfachen Kippu. Es waren der Farben und Knoten, der Nebenschnüre so viele, und die ersteren waren so verblichen, daß, wenn zwei von ihnen einander ähnlich gewesen waren, sie jetzt kaum voneinander unterschieden werden konnten. Es verging eine Viertelstunde nach der andern; aus der halben wurde dann eine ganze Stunde; nachher verlief noch eine halbe, und doch waren die beiden Dechiffrierer über die Bedeutung einzelner Knoten und Schnüre noch nicht im Klaren oder miteinander einig. Der Vater Jaguar war vielleicht um elf Uhr mit seinem Trupp an der Schlucht angekommen; dann hatte es zwei Stunden gedauert, bis Anciano von dem neuen Lagerplatze zurückgekehrt war; jetzt zeigte die Uhr schon über drei am Nachmittage; darum sagte Hammer:

„Es wird jetzt gefährlich, länger hier zu. bleiben. Kommt zufälligerweise jemand da oben am Rande der Schlucht vorüber, so sieht er uns hier unten am offenen Schachte sitzen, und unser Geheimnis ist verraten. Wir wollen also das Loch lieber verschließen und dann hinaufgehen. Dort könnt ihr eure Arbeit fortsetzen, und wir werden nicht überrascht, weil wir jede Annäherung schon von weitem bemerken müssen.“

Man konnte nicht anders, als ihm beistimmen. Darum wurde die Haut wieder über den Eingang gebreitet und mit den vier schweren Steinen belegt und befestigt; als man sie dann mit kleinerem Gestein und Grus bedeckt hatte, war anzunehmen, daß kein Fremder, selbst wenn er hierher kommen sollte, das darunter befindliche Loch entdecken könne. Hierauf stiegen wir wieder hinauf zu ihren Maultieren, wo Hauka und der Inka sogleich ihre Arbeit fortzusetzen begannen.

Es war, als ob ihr Scharfsinn hier oben findiger sei, als unten in der düsteren Schlucht, denn noch war keine halbe Stunde vergangen, so erklärten beide, daß sie jetzt über die Bedeutung jedes Knotens einig und im klaren seien.

„Darf ich vielleicht den Inhalt erfahren?“ fragte der Vater Jaguar.

„Ja, Señor,“ antwortete Hauka. „Es ist, wie ich schon sagte, das Vermächtnis meines Vaters, lautet aber anders, als Sie gedacht haben werden, und auch ich gedacht habe. Anciano, lies es vor!“

Der Alte gehorchte. Er kniete aus Ehrerbietung vor dem letzten Willen seines einstigen Herrn nieder, ließ Knoten nach Knoten, Schnur nach Schnur durch die Finger gleiten und entzifferte dabei langsam und in abgerissenen Sätzen folgendes:

„Haukaropora, meinem Schrie, dem letzten Inka. – – – Siehst du diesen Kippu, so bin ich tot. – – – Auch Völker sterben. – – – Das unserige ist tot, wie ich gestorben bin. – – –Hoffe nicht, daß es wieder aufleben wird. – – – Du wirst niemals Herrscher sein. – – – Es starb an seinem Golde und Silber. Willst du an dem deinigen sterben? – – – Wäre es arm gewesen, so lebte und wirkte es noch. Sei du arm, so wirst du leben und wirken. – – – Sei nicht reich an Metallen, sondern werde reich am Geiste und im Herzen, so wirst du glücklicher sein, als alle deine Ahnen. – – – Ich bitte dich; ich befehle dir nicht. Dieses Gold gehört dir; nimm es, oder nimm es nicht. – – – Nimmst du es, so wirst du sein Sklave; verschmähst du es, so wirst du frei. – – – Du hast den goldenen Streitkolben der Inkas. Verkaufe ihn, so hast du genug, um zu lernen und ein Mann zu werden, den Arbeit ehrt; Genuß im Nichtsthun aber schändet. – – – Willst du das Gold, so nimm es; doch hüte dich dabei vor dem Feuer in den Rinnen! – – –Willst du Ehre und wahres Glück, so gib das Metall der Erde wieder, der es geraubt worden ist; dann wirst du den wahren Reichtum erlangen. Brenne da die erste Kerze des schlafenden Feuers an und eile aus der Höhle! – – Nun wähle, aber wähle gut! Du besitzest das Blut der Herrscher; beherrsche also dich selbst; es wird dir gelingen. – – Ich bin bei dir und ich bleibe bei dir. Mach, daß meine Seele sich über dich freut. – – – Dann schaut mein Geist wonnig auf dich nieder, bis du mir folgest dahin, wo weder Gold noch Silber gilt, sondern nur die Schätze des Herzens gewogen werden. – – –Handle als mein Sohn, denn ich bin dein Vater!“

Der alte Anciano hatte so gelesen, daß die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen immer länger geworden waren. Jetzt blickte er, auf den Knieen liegen bleibend, erwartungsvoll zu seinem jungen Herrn auf. Dasselbe that Anton, den der Inhalt des Vermächtnisses tief ergriffen hatte. Der Vater Jaguar war voller Bewunderung für die Anschauung, zu welcher sich der Tote emporgeschwungen gehabt hatte; aber seiner praktischen Natur sagte das Opfer nicht zu, welches dieser von seinem Sohne erwartete. Haukaropora stand hoch aufgerichtet da und blickte in die Sonne. Seine Ahnen hatten sie verehrt, zu ihr gebetet. Jetzt wollte sie hinter den Gipfeln der Berge verschwinden. So war auch der Glanz des Inkareiches verschwunden und dieses selbst untergegangen. Der letzte Rest dieses Glanzes strahlte unten in der Felsenkammer, wo die Statuen der Götter und Herrscher standen, beim Scheine einer armseligen Kerze. Sollte dieser letzte Schimmer auch erlöschen? In dem ernst-schönen Angesichte des Jünglings regte sich kein Zug. Er blickte in die Sonne, ohne daß die Augen ihm schmerzten, bis das höchste Bergeshaupt sie deckte; dann wendete er sich zu Anciano, nahm ihm den Kippu aus der Hand, verbarg denselben unter das lederne Jagdhemd auf der Brust und sagte:

„Stehe auf, mein Vater! Es gibt keinen Inka mehr. Die Söhne der Sonne gingen dahin mit ihrem Reiche, und ich gehorche dem Geiste meines Vaters, welcher geglaubt hat, ich sei stark genug, das Richtige zu wählen. Ich gebe das Gold der Erde zurück, denn es bringt nur als Lohn der Arbeit Segen, und meine Arbeit soll erst noch beginnen.“

Da sprang der Alte auf, ergriff seine beiden Hände und rief im Tone inniger Rührung und Liebe aus:

„Sei gepriesen für diesen Entschluß, mein Sohn, ich habe von dir nichts andres erwartet. Du bedarfst keiner schillernden Schätze, denn der größte Schatz, den es gibt, ruht in deiner Brust.“

Der Vater Jaguar aber fragte:

„Wie? Du willst dem Inhalte des Stollens da unten entsagen? Das war es doch, was du meintest?“

„Ja.“

„Das kann nur das Ergebnis einer vorübergehenden Stimmung sein. Bedenke, was du von dir wirfst, und welch ein Leben vor dir liegt, wenn du die Erbschaft deines Vaters antrittst!“

„Sein Vermächtnis liegt nicht da unten in der Höhle, sondern hier auf meinem Herzen.“

Er deutete nach der Stelle, an welcher er den Kippu verborgen hatte.

„So willst du in Wirklichkeit das verzehrende Feuer dort unten anbrennen und die Reichtümer zerstören?“

„Ja.“

„Das ist Wahnsinn! Wenn du sie nicht willst, so muß ich dich darauf aufmerksam machen, wie Gutes du mit ihnen thun, wie viele Menschen du mit ihnen glücklich machen kannst. Dich selbst magst du berauben, andere aber nicht!“

„Das Erbe gehört nicht ihnen, sondern mir; ich thue mit ihm, was ich will. Ich vernichte es, weil ich wünsche, meinen Nebenmenschen andre und bessere Gaben zu bringen.“

„Überschwenglichkeit! Ich werde mich einem solchen Beginnen widersetzen!“

Er sagte das im drohenden Tone. Da nahm Haukaropora seinen goldenen Streitkolben von der Erde, wo er gelegen hatte, auf, richtete sich stolz empor und antwortete:

„Señor, ich achte und ich liebe Sie, aber in dieser Sache gibt es nur einen Willen, und das ist der meinige. Diesen Kolben werde ich nach dem Wunsche meines Vaters verkaufen, um leben und lernen zu können; wollten Sie sich mir wirklich widersetzen, so würden Sie mich zwingen, ihn vorher im Kampfe mit Ihnen zu erproben!“

Hammer warf den Kopf stolz zurück. Er wollte eine scharfe, vielleicht ironische Antwort geben, that dies aber doch nicht, sondern erwiderte in milderem Tone:

„So war es nicht gemeint, mein junger Inka. Dein Entschluß ist heroisch und bewundernswert, wenn du den Wert des Geldes kennst. Ich bezweifle aber, daß dies der Fall ist. Übrigens ist das, was du sagst, noch nicht gethan.“

„Ich werde es aber sofort thun! Ich steige jetzt hinab in den Stollen und zünde das Feuer an.“

„Um uns zu verraten und den Mörder deines Vaters entkommen zu lassen? Ich kenne euer Feuer nicht, befürchte aber, daß es eine Explosion hervorbringt. Das Gestein wird auseinander fliegen. Wenn dann der Gambusino mit Perillo kommt, so werden sie, wenn sie die Spuren sehen, sich augenblicklich davonmachen.“

Hauka sah ihm eine Weile forschend ins Gesicht und antwortete dann –

„Sie haben recht, Señor; ich muß noch warten. Zwar könnten wir diese Männer auf eine andre Weise und an einem andern Orte fangen; aber da die Mordschlucht die beste Falle für sie ist, so darf ich Ihrem Plane nicht entgegen handeln.“

„Das meine ich auch,“ nickte Hammer befriedigt. „Ich habe sogar die Absicht, dir Gelegenheit zu geben, uns nicht nur durch diese Unterlassung, sondern durch eine sofortige Thätigkeit nützlich zu sein. Es ist nämlich nötig, vorher genau zu erfahren, wann die Feinde kommen; wir brauchen also einen tüchtigen Kundschafter. Willst du diesen Posten übernehmen?“

„Ja, sehr gern,“ antwortete Hauka, der sich geschmeichelt fühlte, einen so wichtigen Auftrag zu bekommen. Er ahnte nicht, daß der Vaterjaguar zugleich die Absicht verfolgte, ihn von hier zu entfernen, damit er ja keine Zeit und Gelegenheit fände, seinen, wie er meinte, übereilten Vorsatz auszuführen. Darum fuhr Hammer fort:

„Du mußt aber sofort aufbrechen, weil du nicht reiten darfst und der Weg zu Fuß sehr weit ist. Reitend würdest du Gefahr laufen, entdeckt zu werden; zu Fuß aber kannst du leicht nach allen Richtungen gelangen.“

„Ich bin bereit, Señor. Sagen Sie mir nur, wie weit ich gehen soll!“

„Zunächst zurück bis zur Salina del Condor, an welcher der Gambusino vielleicht heute abend schon ankommen und lagern wird.“

„Und wenn er nicht kommt?“

„So steht zu erwarten, daß er in einer Doppelhöhle lagert, welche von der Salina rückwärts in der Richtung nach dem Guanacothale liegt, von woher die Mojosindianer kommen müssen.“

„Ich kenne diese Höhle und werde mitgehen,“ fiel da der alte Anciano ein. „Erlauben Sie das, Señor?“

„Sehr gern, ich habe nichts dagegen einzuwenden, denn vier Augen sehen mehr als zwei.“

„Und wo werden wir Sie bei unsrer Rückkehr treffen?“

„Da Eure Ankunft erst morgen früh zu erwarten ist, so werde ich diese Nacht bei den Gefährten zubringen, am Morgen aber wieder hier sein, um Euern Bericht zu hören. Nach ihm haben wir uns dann zu richten.“

Er erhielt von Anciano eine Beschreibung des Weges nach dem Bergloche und ritt dann mit Anton Engelhardt und den beiden Maultieren der Peruaner davon. Diese letzteren aber stiegen zu Thale, indem sie die Richtung nach der Salina del Condor einschlugen.

Sie kamen dort nach Einbruch der Dunkelheit an und gingen dann, da sie niemand fanden, weiter, um die Höhle aufzusuchen. Als sie dieselbe zu später Abendstunde erreichten, wurden sie, wie bereits erwähnt, Zeugen der Ermordung des Peon und der beiden Arrieros, worauf sie nach der Salina zurückeilten. Dort warteten sie und fanden nach einer Weile ihre Vermutung bestätigt, denn der Gambusino langte mit den Indianern dort an. Da er aber wegen Mangel an Holz kein Lagerfeuer machen konnte, so vermochten sie nichts zu sehen. Auch zu lauschen gab es nichts, da die Feinde sich sehr still verhielten, und darum blieben sie nur so lange, als geraten war, wenn sie mit Tagesanbruch wieder bei der Mordschlucht sein wollten.

Dort trafen sie den Vater Jaguar bereits ihrer wartend und berichteten ihm das Ergebnis ihres Kundschafterganges. Das war viel und doch nicht viel. Sie wußten, daß drei Männer erschossen worden und drei leben geblieben waren. Sie wußten auch, daß sich bei den letzteren die zwei kleinen, rot gekleideten Deutschen befanden, was Hammer sehr in Harnisch brachte; aber wer der dritte war, das wußten sie nicht. Da sie vor allen Dingen sehen sollten, ob die heranziehenden Indianer mit ihnen befreundet seien oder nicht, so mußten sie sich hinter einem nahen, felsigen Hügel postieren, um dieselben bei ihrer Ankunft zu beobachten, während Hammer zurückritt, um die Gefährten näher heranzuholen und ihnen die ganz unerwartete Mitteilung zu machen, daß der unvermeidliche deutsche Gelehrte mit seinem Diener ihnen wieder nachgefolgt und dabei abermals in die Hände des Gambusino gefallen sei.

Dieser letztere kam am frühen Vormittage mit Antonio Perillo, den acht Indianern und seinen drei Gefangenen angeritten und machte an dem Rande der Schlucht Halt. Er führte, sobald die Maultiere entlastet waren, sofort die Arrangements aus, welche er für nötig hielt. Die Habgier trieb ihn, sofort eine Untersuchung der Schlucht vorzunehmen, und da die Gefangenen doch auch Wert für ihn hatten und er sie den Indianern nicht anvertrauen wollte, so mußten sie mit in die Schlucht genommen werden. Man gab ihnen also die Füße frei, daß sie hinabklettern konnten. Unten aber, und zwar im Hintergrunde angekommen, wurden ihnen die Füße wieder gefesselt; man band sie an Steine, damit sie sich auch nicht einmal durch Wälzen von der Stelle bewegen konnten. Dann entfernten sich der Gambusino und Perillo, allerdings nicht weit, um ihre Nachforschung zu beginnen. Die Indianer waren oben zurückgeblieben, da ihnen verboten worden war, die Schlucht zu betreten.

Zufälligerweise waren die Gefangenen gerade nach der vorspringenden Felsenspitze, in deren hinterem Winkel der Eingang zum Stollen lag, gebracht und an drei von den vier erwähnten großen Steinen gebunden worden. Sie lagen natürlich an der Erde, Doktor Morgenstern genau auf dem Steingries, welcher die verborgene Maultierhaut bedeckte. Als sie ihre Peiniger so weit entfernt sahen, daß sie von ihnen nicht gehört werden konnten, sagte Fritze Kiesewetter:

„Da sind wir nun bei unsrem Ziele anjelangt, aber als Jefangene. Wenn der Vater Jaguar schon da ist, werden wir uns bald wieder auf unsre freien Füße befinden.“

„Das gebe Gott!“ seufzte Engelhardt. „Es handelt sich um unser Leben, denn ich bin überzeugt, daß diese Schufte uns ermorden werden, sobald sie das Lösegeld empfangen haben.“

Er riß vor Grimm an seinen Fesseln und zerrte an dem Steine, an welchem er hing. Dabei zog er denselben nach und nach von der Stelle, an welcher er lag.

„Das glaube ich nicht,“ antwortete der Doktor. „Sie haben uns schon einigemal gefangen genommen, ohne einen Mord, lateinisch Homicidium genannt, an uns zu begehen.“

„Weil uns der Vater Jaguar immer rasch herausjeholt hat,“ erklärte Fritze. „Läßt er uns diesmal sitzen, so ist’s oft und manchmal um uns jeschehen.“

„Gefangen zu sein, während ich meinen Sohn in der Nähe weiß!“ knirschte der Bankier. „An Händen und Füßen gefesselt und an einen Stein gebunden, wie ein wildes Tier!“

Er zog wieder an dem Steine, welcher auf einer Ecke der Haut lag, und jetzt weiter verrückt wurde, so daß dieselbe nachgab. Sie begann sich langsam unter Doktor Morgenstern zu senken. Darum meinte dieser:

„Ich scheine weich zu liegen, obgleich meine Unterlage aus Steinen besteht, denn sie gibt nach. Ich sinke tiefer.“

„Und, ich wollte, ich könnte auch sinken, tief in die Erde hinein!“ fuhr Engelhardt grimmig fort. „Hätte ich nur eine Hand frei, ich wollte mich bald meiner Fesseln entledigen, und dann wehe den Halunken!“

Er zog, zerrte und riß, daß der Stein immer weiter rutschte.

„Jeben Sie sich keine Hoffnung hin!“ antwortete Fritze. „Wen dieser Jambusino fesselt, der kommt nicht los; ik kenne das. Nicht wahr, Herr Doktor, wir haben das erlebt?“

„Leider ja,“ antwortete der Gefragte. „Wir sind sogar noch schlimmer daran gewesen als jetzt. Wir haben schon am Baume gehangen und – – Herr-Himmel-Jemineh – –!“

Er schrie vor Schreck laut auf, denn Engelhardts Stein war jetzt vom Felle heruntergerutscht; dieses gab nach, und der kleine Gelehrte fuhr mit den Beinen und dem Oberleibe in das Loch.

„Wat ist denn los? Wohin wollen Sie verreisen?“ fragte Fritze. „Soll dat etwa eine Abfahrt in die Unter- oder Urwelt sein?“

„Scherze nicht!“ jammerte der Kleine. „Ich stecke in einem fürchterlichen Loche, lateinisch Puteus genannt; ich schwebe über einer entsetzlichen Tiefe, lateinisch Vorago oder Barathrum geheißen, und wenn der Strick zerreißt, so bin ich verloren!“

Der kleine Gelehrte wog wohl nicht mehr als neunzig Pfund, und da der Stein, an welchem er mit dem Stricke befestigt war, weit über die Schwere eines Zentners hatte, so wurde er von diesem festgehalten. Dennoch zeterte er so laut, daß der Gambusino und Perillo es hörten. Sie kamen herbei und waren nicht wenig erstaunt, ihren Gefangenen halb in der Erde verschwunden zu sehen. Sie zogen ihn heraus, und dabei kam ein Teil der Haut zum Vorscheine.

„Was ist das?“ fragte Perillo. „Ein Leder, mit welchem dieses Loch bedeckt ist! Am Ende haben wir – – –“

„Schweig!“ raunte ihm der Gambusino zu. „Wir sind am Ziele. Das haben wir dem Zufalle zu verdanken. Die Gefangenen brauchen nicht zu sehen, was wir hier treiben. Schaffen wir sie fort!“

Sie schleppten die drei Gefesselten eine genügende Strecke fort, um unbeobachtet zu sein, und kehrten dann wieder nach dem Loche zurück, um seine und desselben Umgebung zu untersuchen. Sie fanden das ganze Fell und entfernten es. Sie warfen Steine in das Loch und hörten, daß dasselbe nicht tief war. Darum ließ sich der Gambusino hinab. Schon nach einigen Augenblicken rief er herauf:

„Wir sind am rechten Orte! Es ist gelungen! Hier liegen Talglichte. Komm schnell herab, während ich eins anbrenne.“

Als Perillo unten ankam, war das Licht schon in Brand gesteckt. Sie achteten des Umstandes nicht, daß auch ein halbes dalag, welchem man es leicht ansehen konnte, daß es erst vor kurzem im Gebrauch gewesen war, und drangen langsam in den horizontalen Stollen ein. Indem sie vorsichtig weiterschritten, teilten sie sich ihre Bemerkungen und Hoffnungen mit. Sie befanden sich in einer fieberhaften Aufregung, welche sich fast bis zum Wahnsinn steigerte, als sie endlich die hintere Kammer erreichten und den Inhalt derselben erblickten. Sie standen zunächst wie sprachlos da und ließen ihre wonneglänzenden Augen über alle diese Gegenstände schweifen. Dann rief der Gambusino:

„Entdeckt, entdeckt! Hier liegen Millionen. Das hast du mir zu danken.“

„Nein, sondern du mir, mir, mir!“ entgegnete Perillo. „Laß uns abschätzen. Hier stecken viele Lichter in diesen Rinnen, jedenfalls, damit man bei ihrem Glanze diese ungeahnten Reichtümer besser funkeln sehen kann. Soll ich sie anbrennen?“

„Ja, denn bei diesem einen Talgstummel ist gar nichts, gar nichts zu sehen.“

Perillo riß dem Gambusino das Licht aus der Hand und hielt es an einen der bereits beschriebenen Dochte, welcher zunächst wie ein ganz gewöhnlicher Docht anbrannte. Das kleine Flämmchen hatte zunächst einen ruhigen, hellen Schein; dann begann es zu flackern, wobei es eine blaue Farbe annahm; hierauf sprühte es plötzlich nach allen Seiten Funken, an denen sich die andern Dochte entzündeten, und schoß alsdann gar zu einer bis an die Decke reichenden Feuergarbe auf. Ein scharfer, unausstehlicher Geruch oder vielmehr Gestank verbreitete sich in dem Raume. Schon brannten zehn, fünfzehn, zwanzig und noch mehr Lichter in den Rinnen. Sie flackerten, glühten, sprühten, pufften und lärmten.

„Was ist das?“ fragte Perillo ganz betroffen. „Wer hat schon einmal solche Lichter gesehen?“

„Was es ist?“ antwortete der Gambusino. „Unser Verderben ist es, wenn wir nicht augenblicklich fliehen, Diese Lichter sind für unberufene Eindringlinge angebracht. Also müssen –“

Er wurde von einem Knalle unterbrochen, nach welchem den Lichtern feurige Schlangen entfuhren, welche wie zuckende Blitze in der Kammer umherfuhren und die Kleider der beiden Männer sogleich in Brand setzten.

„Fort, augenblicklich fort!“ schrie er und eilte in den Stollen hinein, um so schnell wie möglich das Freie zu erreichen. Perillo folgte ihm. Ihre Anzüge brannten. Sie nahmen sich aber nicht Zeit, sie zu löschen, stießen rechts und links mit den Köpfen oben in dem Stollen an. Noch hatten sie den Schacht nicht erreicht, so gab es einen lauten Knall, unter welchem die Erde erbebte.

„Ich brenne, ich verbrenne!“ schrie Perillo.

„Ich auch,“ antwortete der Gambusino, indem er vorwärts stürmte.

„Rette mich! Lösche meine Flammen!“

„Habe keine Zeit. Fort, fort, der Felsen explodiert!“

Er stürmte vorwärts, erreichte den Schacht und schwang sich hinaus ins Freie. Perillo folgte ihm auf dem Fuße. Unten im Gange hatten ihre Anzüge mehr geglimmt als gebrannt; jetzt aber in der freien Luft entstanden helle Flammen, welche sofort über ihnen zusammenschlugen. Vor Entsetzen brüllend warfen sie sich nieder und wälzten sich auf dem Boden herum, um die Flammen zu ersticken. Da that es im Innern einen zweiten Knall, einen dritten, vierten, fünften und sechsten, einer immer stärker als der andre. Die Schlucht schien förmlich hin und her zu schaukeln; es war, als ob alle ihre Felswände zusammenbrechen wollten. Dann schoß ein schwerer, dicker, dunkler Rauch aus dem Schachtloche hervor, begleitet von einem Zischen wie von hundert Lokomotiven, worauf ein dumpfes Poltern folgte, wie von unter der Erde dahinpolternden Kegelkugeln. Hierauf wurde es still, aber der Rauch schoß noch fort aus dem Loche und hüllte das ganze hintere Thal in stinkende Wolken, welche keine Gestalt, keinen Gegenstand erkennen ließen. Desto deutlicher aber hörte man das Schmerzgebrüll der beiden noch immer sich am Boden windenden und wälzenden Menschen,

Und der Vater Jaguar mit seinen Leuten?

Er hatte mit ihnen, sie herbeiführend, eine Stelle erreicht, welche nur noch zehn Minuten von der Schlucht entfernt war, als ihm Anciano und der Inka entgegenkamen. Ersterer meldete:

„Señor, es ist das Spitze Messer, der Häuptling der Mojos, mit sieben Mann, ein sehr guter Freund von mir. Soll ich mit ihm reden?“

„Ja; aber natürlich nur auf eine Weise, daß der Gambusino es nicht bemerkt.“

„Der kann es weder sehen noch hören, denn er ist nach seiner Ankunft mit Perillo und den drei Gefangenen sofort in die Schlucht hinab.“

„Meinst du, daß das Spitze Messer mit sich reden lassen wird?“

„Ja. Ich bin überzeugt, daß er sofort zu uns übergeht, wenn er mich sieht und zudem erfährt, daß Sie bei mir sind.“

So lauf voran; wir kommen langsamer nach, damit du einige Worte mit ihm reden kannst, ehe er uns sieht.“

Anciano eilte fort, und die andern folgten ihm, fest überzeugt, heute gewiß zum Ziele zu gelangen. Noch ehe sie die Schlucht erreichten, kam ihnen der Alte wieder entgegen. Er führte den Häuptling der Mojos an der Hand und rief dem Vater Jaguar zu:

„Hier ist er, Señor, hier ist er. Er freut sich, den berühmten Vater Jaguar, den er noch nie gesehen hat, kennen zu lernen, und will sich gern auf unsre Seite schlagen.“

„Hast du nur die sieben Mann bei dir?“ fragte Hammer den Häuptling.

„Ja, Señor.“

„Die zwei kleinen Gefangenen kennen wir. Wer ist der dritte?“

„Ein reicher Señor aus Lima, welcher Engelhardt heißt und Bankier ist.“

„Mein Vater, mein Vater!“ schrie da Anton auf, indem er von seinem Maultiere sprang. „Aber es ist nicht möglich. Warum könnte er herübergekommen sein?“

„Um seinen Sohn in Buenos Ayres zu sehen.“

„So ist er’s doch; er ist’s! Hinab, hinab, ihn zu erretten!

Sein Gewehr schwingend, eilte er der Schlucht zu und war gleich darauf am Rande derselben verschwunden. Die andern wollten ihm nach, doch der Vater Jaguar gebot:

„Halt! Nicht alle hier hinab. Sechs Mann reiten um die Schlucht und stellen sich jenseits auf, damit da drüben niemand entkommen kann.“

Daraufhin galoppierten sechs Reiter fort. Die übrigen ließen sich aber nun nicht länger halten; sie sprangen aus den Sätteln und kletterten, Hammer und die Indianer mit ihnen, so schnell wie möglich in die Schlucht hinab. Noch waren sie nicht unten, so sahen sie zwei brennende Gestalten aus der Stollenöffnung kommen; sie hörten deren Gebrüll und darauf mehrere Explosionen.

„Die Hunde haben den Schatz entdeckt und das Feuer angezündet,“ rief der Vater Jaguar ergrimmt. „Jetzt ist der Schatz verloren!“

Alle rannten, so schnell sie konnten, nach dem von Rauch erfüllten hinteren Teile der Schlucht, ihnen voran Anton und der Inka, der ihm am schnellsten gefolgt war. Die beiden Knaben sahen die Gefangenen liegen und sprangen zu ihnen hin.

„Mein Vater, mein Vater!“ rief Anton, indem er sich neben seinem Vater niederwarf, um ihn zu umarmen und zu küssen, und dann seine Fesseln zu durchschneiden.

Niemand hatte ein Auge für diese Begrüßungsscene, denn die Blicke aller waren auf die hintere Felsenwand gerichtet, an welcher zwei Gestalten mühsam und unter vor Schmerz zuckenden Bewegungen emporklimmten. Der Gambusino und Perillo waren es. Sie hatten die Nahenden bemerkt und trotz ihrer halb verbrannten Leiber an die Flucht gedacht, welche nur nach dieser Richtung möglich zu sein schien. Aber da erschienen jetzt die sechs Reiter oben, und der Vater Jaguar rief befriedigt:

„Haltet ein! Laßt die Schurken immer steigen! Sie werden oben in Empfang genommen.“

Er wendete sich zu den Gefangenen, um zunächst Engelhardt zu begrüßen, und dann die beiden Kleinen im Tone des Zornes zu fragen:

„Welcher Teufel hat Sie uns denn abermals nachgeschickt? Konnten Sie es denn selbst bei Ihrem Riesentiere nicht aushalten?“

„Nein,“ antwortete der allezeit fertige Fritze. „Der Riesenspitzbube, den wir fangen wollten, war noch viel jrößer.“

„Aber er hat euch wieder gefangen, anstatt ihr ihn!“

„Dat war nur Verstellung von uns. Wir thaten nur so, um ihm hierher und in dat Loch zu bringen, wo er oft und manchmal in Brand jeraten ist.“

„Flunkere nicht, Bursche!“

„Herr, ik bin aus Stralau am Rummelsburger See, wo nie jeflunkert wird. Fragen Sie meinen Herrn! Der hat ihm voran in dat Loch jesteckt.“

„Jawohl!“ bestätigte der Privatgelehrte. „Die Erde that sich unter mir auf, und ich verlor den Grund und Boden, lateinisch Solum genannt – – –“

„Sie sind ein unverbesserlicher Faselhans,“ unterbrach ihn Hammer, „und fassen jedes Ding, lateinisch Res genannt, beim falschen Ende an. Meine Geduld mit Ihnen, lateinisch Placabilitas, Clementia und auch Mansuetudo geheißen, ist nun zu Ende. Ich mag von Ihnen nichts mehr wissen!“

Morgenstern stand mit offenem Munde da, als er unerwartet lateinische Brocken an den Kopf geworfen bekam. Hammer aber hatte seine Worte zuletzt nicht mehr ernst gemeint und wendete sich, innerlich lachend, von dem Verblüfften ab.

Der Gambusino und Perillo hatten jetzt die Höhe erstiegen und sahen da zu ihrem Entsetzen die sechs Männer stehen, von denen sie wieder zurück- und hinabgetrieben wurden. Unten angekommen, wurden sie zu dem Vater Jaguar gebracht. Sie widerstrebten nicht, denn der fürchterliche Schmerz, den ihre entsetzlichen Brandwunden verursachten, machte jeden Widerstand völlig unmöglich. Ihr Anblick war grauenhaft. Alle ihre Kleidungsstücke waren ihnen bis auf einige Zunderfetzen vom Leibe gebrannt, und schwere, unheilbare Wunden bedeckten alle ihre Glieder. Es gehörte gar nicht das Auge eines erfahrenen Arztes dazu, um einzusehen, daß diese Verletzungen tödlich seien.

„Benito Pajaro, kennst du mich noch?“ fragte Hammer den Gambusino.

„Ja,“ antwortete dieser, von Qualen gefoltert. „Ich bin der Mörder deines Bruders. Töte mich, aber so rasch wie möglich!“

„Das wäre eine Wohlthat für dich. Wieviel Menschen hast du auf deinem Gewissen? Erst gestern abend wieder drei! Gott hat gerichtet; ich bin gerächt und greife ihm nicht vor. Du bist frei und kannst gehen, wohin du willst.“

„Töte mich, töte mich!“ forderte der Gefangene im dringendsten Tone, denn auch er sah ein, daß ein schneller Tod eine Gnade für ihn sei.

„Nein!“ antwortete Hammer fest.

„So fahre selbst auch zum Teufel, und sei verflucht!“

Indem er diese grausigen Worte aussprach, entriß er dem unvorsichtig neben ihm stehenden Anton Engelhardt das geladene Doppelgewehr, legte blitzschnell auf den Vater Jaguar an, drückte ab und jagte dann sich selbst, ehe man es verhindem konnte, die zweite Kugel durch den Kopf. Zum Tod getroffen, brach er zusammen; er hatte als beispielloser Bösewicht gelebt und als solcher geendet, aber doch seine letzte Absicht nicht erreicht, denn Hammer war ebenso schnell, wie auf ihn gezielt worden war, zur Seite gesprungen und der Kugel entgangen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, deutete er auf Antonio Perillo und sagte zu Haukaropora:

„Hier steht der Mörder deines Vaters. Er ist dein.“

„Er gehört auch mir!“ fiel da der kleine Gelehrte ein. „Er hat in Buenos Ayres auch meine Ermordung, lateinisch Truddatio, geplant.“

Niemand hörte auf ihn. Der Inka sah dem Stierkämpfer finster in das angst- und schmerzverzerrte Gesicht und sagte dann:

„Ich will nicht hart, sondern gnädig sein. Er soll nicht lange Qualen erleiden, sondern rasch sterben.“

Er legte sein Gewehr auf den Mörder an. Da sank dieser vor ihm in die Kniee und flehte ihn an:

„Nicht töten, nicht töten! Laß mich leben!“

„Gut, so lebe noch, um nach zwei oder drei Tagen wie ein Hund zu sterben,“ antwortete Hauka, indem er sein Gewehr senkte und sich verächtlich von ihm wendete.

Kein Mensch bekümmerte sich um den Feigling, welcher zwischen den Steinen zusammenbrach und da wimmernd liegen blieb. Man wollte gern erfahren, welche Vernichtung das Feuer in der unterirdischen Kammer angerichtet hatte. Es hatte die Decke derselben zersprengt und da einen Riß in den Felsen getrieben, durch welchen noch jetzt der Rauch ausströmte. Dadurch war eine Art Ventilation entstanden, welche den Stollen von schädlichen Gasen reinigte, und es ermöglichte, daß man schon nach einer Stunde denselben betreten konnte. In die Schatzkammer aber vermochte niemand den Fuß zu setzen; der Boden derselben war verschwunden und durch die Gewalt der Explosionen mit allen Schätzen, welche sich da befunden hatten, in den gähnenden Schlund des erwähnten Felsenspaltes gedrückt und geschleudert worden. Alle sprachen ihr lebhaftestes Bedauern über diesen großartigen und, wenigstens für lange Zeit, unersetzlichen Verlust aus; Haukaropora aber sagte ruhig lächelnd zum Vaterjaguar:

„Sie sehen, Señor, daß die Vorsehung mir recht gegeben hat. Das Erbe ist fort; das Vermächtnis meines Vaters, des Inka, aber trage ich wohlverwahrt hier auf der Brust. Sein letzter Wunsch und Wille wird in Erfüllung gehen.“

Der Schacht wurde mit Steinen verschüttet; dann stiegen die Männer nach oben, um da zu lagern und das Geschehene zu besprechen. Am meisten hatten sich Anton und sein Vater zu erzählen, da sie so lange getrennt gewesen waren. Als der letztere hörte, welchen Plan der Inka in Beziehung auf seine Zukunft gefaßt hatte, erbot er sich, ihm den massiv goldenen Streitkolben abzukaufen und nach deutschem Gelde für das Pfund 1400 Mark zu zahlen, was bei der Schwere der Waffe eine Summe ergab, durch deren Benutzung sich der Abkömmling der Sonnensöhne eine sichre Zukunft zu gründen vermochte.

Man blieb bis zum andern Morgen oben lagern. Während der ganzen Nacht war das Wimmern und Stöhnen Antonio Perillos zu hören; nach Tagesanbruch fand man ihn zusammengekrümmt und tot zwischen den Steinen liegen. Die Leichen der beiden Mörder wurden unter dem Geröll begraben; dann brachen die Reiter auf, um über Salta und Tucuman zu den befreundeten Cambas zurückzukehren. Engelhardt und sein Sohn hatten eigentlich von Tucuman aus einen andern Weg, schlossen sich aber gern den Freunden an, welche bei den Cambas natürlich einen sehr freundlichen Empfang fanden.

Dort hatte der Doktor Parmesan Rui el Iberio auf sie gewartet. Als er erfuhr, was geschehen war, rief er bedauernd aus –

„Wie schade, daß ich nicht mit den beiden deutschen Gelehrten nachgekommen bin! Die beiden verbrannten Mörder wären am Leben geblieben, denn ich hätte die große und einzig dastehende Operation gemacht, ihnen die versengte Haut vom Körper zu schneiden und dadurch der unterbrochenen Transsudation Luft zu machen. Sie wissen ja, ich säble alles herunter.“

Der Aufenthalt bei den Cambas wurde benutzt, dem Doktor Morgenstern beim Zerlegen und Verpacken seines Riesentieres beizustehen. Die einzelnen Teile sollten auf Packpferden transportiert werden. Dann zog die Hälfte der Truppe des Vater Jaguar in die Wälder, um Paraguaythee zu sammeln, während die andern unter Anführung Hammers, Engelhardt, seinen Sohn, Morgenstern und Fritze nach Buenos Ayres begleiteten. Der Inka war mit seinem Anciano auch dabei, da der letztere seine Bereitwilligkeit erklärt hatte, die Seereise mit ihm zu unternehmen.

Jahre sind seitdem vergangen. Leider soll der Name der deutschen Stadt nicht genannt werden, in welcher Doktor Morgenstern seinen Studien lebt. Er ist durch sein Megatherium berühmt geworden und unternimmt mit seinem treuen Fritze zuweilen eine Reise in ferne Gegenden, um das Skelett eines Urmenschen zu entdecken. Nächstens wird er zu diesem Zwecke nach Sibirien gehen. Der Inka hat Tharandt besucht und ist Jäger geworden, in welchem Berufe ihn der nun uralte Anciano noch immer rüstig unterstützt. Engelhardt lebt als Rentier am schönen grünen Rhein, wo Anton mit seinem Bruder eine bedeutende Weinhandlung gegründet hat.

Alle diese Personen korrespondieren lebhaft und freundschaftlich mit einander, und keiner dieser Briefe wird geschrieben und gelesen, ohne daß wenigstens ein Teil seines Inhaltes sich auf die gemeinschaftlichen Erlebnisse bezieht, denn das Haupt- und Lieblingsthema ist und bleibt bei ihnen für alle Zeit

„Das Vermächtnis des Inka.“

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