Gerechte Strafe
Es war zwei Tage später. Da, wo der Chelly-Arm sich in den Rio San Juan ergießt, welcher auch den Namen Rio del Navajos führt, gab es auf der Landzunge zwischen diesen beiden Flüssen ein ganz bedeutendes Indianerlager. Es mochten da wohl an die sechshundert Navajos versammelt sein, und zwar nicht zur Jagd, weil man da Zelte mitgebracht haben würde, die jetzt aber fehlten, sondern es handelte sich um einen Kriegszug, denn alle Gesichter waren mit den Kriegsfarben bemalt.
Die Stelle war außerordentlich gut zum Lager geeignet. Sie bildete ein Dreieck, welches an zwei Seiten von den beiden Flüssen eingefaßt und beschützt wurde und also nur von der dritten Seite angegriffen werden konnte. Gras gab es mehr als genug, Bäume und Sträucher auch, und an Wasser war nun vollends gar kein Mangel.
An langen Riemen, welche von Baum zu Baum gezogen worden waren, hingen lange, dünn geschnittene Fleischstücke zum Trocknen, der notwendige Proviant für den beabsichtigten Kriegszug. Die Roten lagen entweder unbeschäftigt im Grase oder sie badeten in einem der Flüsse. Andre dressierten ihre Pferde und noch andre übten sich im Gebrauche ihrer Waffen.
In der Mitte des Lagers stand eine Hütte, welche aus Strauchwerk errichtet worden war. Eine lange Lanze, welche neben der Thür in der Erde steckte, war mit drei Adlerfedern geschmückt; die Hütte war also die Wohnung von Nitsas-Ini, dem obersten Häuptlinge des Navajovolkes. Er befand sich nicht im Innern, sondern saß vor derselben. Er war wohl noch nicht ganz fünfzig Jahre alt, von kräftiger, ebenmäßiger Gestalt und hatte, was wohl auffallen mußte, sein Gesicht nicht mit Farbe bestrichen. Daher waren die Züge desselben deutlich zu sehen. Man konnte das Resultat einer Betrachtung dieser Züge in das eine Wort zusammenfassen: edel. In seinem Blicke lag eine ungewöhnliche Intelligenz, eine Ruhe und Klarheit, welche man an Indianern sonst nicht zu beobachten pflegt, Er machte keineswegs den Eindruck eines wilden oder auch nur halbwilden Menschen. Wenn man nach der Ursache davon suchte, so brauchte man nur auf die Person zu blicken, welche an seiner Seite saß und sich mit ihm unterhielt – – eine Squaw.
Das war unerhört! Eine Squaw im Kriegslager, und noch dazu an der Seite des Häuptlings! Man weiß ja, daß selbst die geliebteste Indianerfrau es nicht wagen darf, öffentlich an der Seite ihres Mannes zu sitzen, falls derselbe eine nur einigermaßen hervorragende Stellung einnimmt. Und hier handelte es sich um den obersten Häuptling eines Stammes, welcher noch heutigen Tages im stande ist, fünftausend Krieger zusammenzubringen. Aber diese Frau war keine indianische Squaw, sondern eine Weiße, ja sogar eine Weiße von deutscher Abstammung; sie war – kurz sei es gesagt, Schi-Sos Mutter, welche den Häuptling der Navajos zum Manne genommen und einen so glücklichen, bildenden Einfluß über ihn gewonnen hatte, wie schon früher einmal erwähnt worden ist.
Vor diesen beiden stand, an den Sattel seines Pferdes gelehnt, ein langer, hagerer, aber sehr kräftig aussehender Mann, dessen Vollbart eine glänzend eisgraue Farbe angenommen hatte. Man mußte es ihm auf den ersten Blick ansehen, daß er nie gewohnt gewesen war, die Hände in den Schoß zu legen, und wohl mehr erfahren und erlebt hatte als tausend andre. Diese drei Personen sprachen miteinander, und zwar in deutscher Sprache. Auch der Häuptling bediente sich derselben, was sich freilich nur dadurch erklären ließ, daß seine Frau eine Deutsche war.
„Ich beginne nun auch, Sorge zu haben,“ sagte soeben der Eisgraue. „Unsre Kundschafter sind so lange fort, daß wir nun endlich eine Nachricht von ihnen haben müßten.“
„Es muß ihnen ein Unglück begegnet sein,“ nickte die Frau.
„Das befürchte ich nicht,“ meinte der Häuptling. „Khasti-tine ist der beste Kundschafter des ganzen Stammes und hat neun erfahrene Späher mitbekommen; da kann mir nicht bange um sie sein. Wahrscheinlich sind sie nicht auf Nijoras gestoßen und müssen nun lange suchen, um Spuren von ihnen zu finden. Dabei haben sie sich zu teilen, um verschiedene Richtungen abzustreifen und dann ist es nicht leicht, sich wieder zusammenzufinden; wenigstens vergeht eine längere Zeit dabei.“
„Wollen hoffen, daß es so ist! Also ich reite jetzt und darf mir einige Krieger mitnehmen?“
„Soviel wie du willst. Wer die Antilope jagen will, darf nicht allein reiten, sondern muß genug Leute haben, um sie müde zu treiben.“
„So lebe wohl, Nitsas-Ini!“
„Lebe wohl, Maitso!“
Der Eisgraue bestieg sein Pferd und forderte im langsamen Fortreiten einige Indianer auf, mit ihm zu kommen. Sie waren gern bereit dazu, denn die Antilopenjagd ist ein Vergnügen, welches die Indianer jener Gegenden mit Leidenschaft betreiben. Er war von dem Häuptlinge Maitso genannt worden. Dieses Wort bedeutet in der Navajosprache so viel wie Wolf, woraus sich auch schließen ließ, daß dies der ursprüngliche deutsche Name dieses Mannes war. Denkt man daran, daß der junge Freund und Kamerad Schi-Sos Adolf Wolf hieß, so wird man leicht zu der Ahnung kommen, daß dieser Maitso der Onkel war, den Adolf aufsuchen wollte.
Der Graue ritt mit seinen indianischen Begleitern weit in die Ebene hinein, und es gelang ihnen, einige Antilopen zu erlegen. Auf dem Heimwege bemerkten sie, noch lange bevor sie das Lager erreicht hatten, drei Reiter, welche langsam aus östlicher Richtung geritten kamen; die Pferde derselben mußten einen langen und anstrengenden Weg zurückgelegt haben, denn man sah ihnen schon von weitem an, daß sie außerordentlich ermüdet waren.
Diese drei Reiter hielten, als sie den Trupp erblickten, ihre Pferde an, um zu beraten, ob es geraten sei, demselben zu trauen; dann kamen sie vollends herbei. Diese Leute waren Poller, Buttler und der Ölprinz.
„Guten Abend, Sir!“ grüßte der letztere, da die Sonne schon tief im Versinken war. „Ihr seid ein Weißer, und darum kalkuliere ich, daß Ihr uns eine wahrheitstreue Auskunft geben werdet. Zu welchem Stamme gehören die Roten, welche da bei euch sind?“
„Zu den Navajos,“ antwortete Wolf, indem er die ihm Unbekannten mit nicht eben günstiger Miene musterte.
„Wer führt sie an?“
„Nitsas-Ini, der oberste Häuptling.“
„Und Ihr? Wer seid Ihr? Ihr könnt doch unmöglich zu den Navajos gehören!“
„Warum nicht?“
„Weil Ihr ein Weißer seid.“
„Pshaw! Es kann auch weiße Navajos geben. Ich wohne schon lange Jahre in ihrer Nähe und rechne mich auch zu ihnen.“
„Wo sind sie jetzt?“
„Hm? Warum fragt Ihr so?“
„Weil wir es wissen müssen.“
„Müssen? Das heißt, ich muß es Euch sagen? Kein Mensch muß, und ich muß erst recht nicht.“
„Und dennoch werdet Ihr mir Auskunft geben. Wir wollen Nitsas-Ini aufsuchen, um ihm eine sehr wichtige Nachricht zu bringen.“
„Von wem?“
„Von seinen Kundschaftern.“
Wenn er geglaubt hatte, den Alten damit sofort zu ködern, so hatte er sich geirrt. Dieser sah ihn vielmehr noch mißtrauischer als vorher an und sagte:
„Kundschafter? Wüßte nicht, wo wir Kundschafter hätten!“
„Verstellt Euch nicht! Ihr dürft Vertrauen zu uns haben. Wir bringen wirklich eine sehr wichtige Botschaft von ihnen.“
„Das von der Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich setze den Fall, wir hätten wirklich einige Späher zu irgend einem Zwecke ausgesandt und diese hätten uns etwas zu berichten, meint Ihr, daß sie da auf den außerordentlichen Gedanken kommen würden, uns dies durch drei Bleichgesichter sagen zu lassen? Die würden uns wohl einen von sich schicken.“
„Ja, wenn sie könnten!“
„Warum sollten sie nicht können?“
„Weil sie gefangen sind.“
„Gefangen? Alle Teufel! Bei wem?“
„Bei den Nijoras.“
„Hole Euch der Kuckuck! Leute, wie unsre Späher sind, nimmt man nicht so leicht gefangen.“
„Sie sind es aber doch!“
„Wo?“
„Zwei Tagesritte von hier, aufwärts im Chellythale.“
„Wie viele sind’s?“
„Acht Mann.“
„Stimmt leider nicht, stimmt wirklich nicht!“
„Donner und Doria, seid doch nicht so ungläubig! Ich weiß wohl, daß es zehn gewesen sind; aber es fehlen zwei, die von den Nijoras ausgelöscht worden sind.“
„Ausgelöscht? Hört, Master, seht Euch vor! Keiner von euch dreien hat ein Gesicht, welches mir gefallen könnte. Wenn Ihr uns etwas sagt, so sorgt ja dafür, daß es wahr ist, sonst kann es Euch schlimm ergehen!“
„Ganz wie Ihr wollt! Wir sind gar nicht so sehr darauf erpicht, Euch einen solchen Dienst zu erweisen und dafür Grobheiten und Beleidigungen einzuernten!“
„Begehrt nicht so auf! Ihr habt keine Waffen und seid also ohne jede Hilfe. Es gehört gar keine übergroße Phantasie dazu, euch für Vagabunden zu halten.“
„Weil wir Flüchtlinge sind!“
„Ach so! Woher kommt ihr denn?“
„Von den Nijoras, bei denen wir gefangen waren.“
„Hm! Mitgefangene unsrer Kundschafter also?“
„Ja. Zuckt immerhin mit der Achsel! Ihr werdet es uns doch noch Dank wissen, daß wir zu Euch gestoßen sind. Ist Euch vielleicht das Gloomy-water jenseits des Chelly bekannt?“
„Ja.“
„Nun, gar nicht weit davon ist Euer Khasti-tine von Mokaschi mit noch einem Kundschafter erschossen worden, und die acht übrigen wurden am Gloomy-water gefangen genommen und nach dem Chelly geschleppt. Dort gelang es uns dreien, die wir auch in die Hände der Nijoras geraten waren, zu entkommen. Nun glaubt mir oder glaubt mir nicht; es ist mir sehr egal!“
Jetzt, da Wolf den Namen Khasti-tine hörte, konnte er nicht länger zweifeln; er rief erschrocken aus:
„Khasti-tine erschossen? Ist das wahr? Und die andern Gefangenen? Alle Wetter, da steht es schlimm um sie!“
„O, es gibt noch andre, um die es ebenso schlimm steht!“
„Noch andre? Wen denn?“
„Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkens und noch andre Westmänner; dazu eine ganze Gesellschaft deutscher Auswanderer.“
„Seid Ihr toll!“ stieß Wolf hervor. „Old Shatterhand und Winnetou auch gefangen?“
Da nahm sich auch Poller des Gespräches an, indem er antwortete:
„Noch mehr, viel mehr! Schi-So ist auch dabei; er kommt aus Deutschland mit einem andern jungen Manne, welcher Adolf Wolf heißt.“
Da brüllte der Alte förmlich heraus:
„Adolf Wolf? Ein Deutscher? Wißt Ihr das genau?“
„Natürlich weiß ich es. Ich bin ja der Führer der ganzen Gesellschaft gewesen; ich kann deutsch sprechen und habe mir ihr Vertrauen erworben.“
„Mein Himmel! Da muß ich Euch sagen, daß ich der Oheim dieses Adolf Wolf bin. Er will zu mir. Also er gefangen, und Schi-So auch? Schnell, schnell, kommt zum Häuptling! Ihr müßt uns alles erzählen, und dann brechen wir sofort auf, um Hilfe zu bringen.“
Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, dem Lager zu. Die drei Weißen folgten ihm, indem sie verstohlen befriedigte Blicke unter sich wechselten. Den Schluß bildeten die Indianer. Es lag Poller, Buttler und dem Ölprinzen nur daran, sich hier bei den Navajos Waffen und Munition zu holen und dann schleunigst weiter zu reiten. Sie sagten sich natürlich, daß sie verfolgt würden, und hegten keineswegs die Absicht, sich ergreifen zu lassen. Da hatten sie nur mit zwei Möglichkeiten zu rechnen. Entweder gelang es ihnen, den Navajos bald, nachdem sie von diesen ausgerüstet worden waren, wieder zu entwischen, das war das Wünschenswerteste, oder man ließ sie nicht fort, sondern zwang sie, wieder umzukehren und mit gegen die Nijoras zu ziehen. In diesem Falle galt es vor allen Dingen, Zeit zu gewinnen, um eine passende Gelegenheit zur Flucht abzuwarten. Dies konnte aber nur dadurch geschehen, daß das Zusammentreffen der Navajos mit Old Shatterhand und seinen Leuten verhindert wurde. Wie dies anzufangen war, darüber dachte der Ölprinz jetzt während des Rittes nach dem Lager nach. Erst wollte ihm nichts einfallen, schließlich aber kam ihm doch ein passender Gedanke: Old Shatterhand und Winnetou befanden sich mit ihren Begleitern auf der linken Seite des Chellyflusses; wenn man die Navajos veranlaßte, auf dem rechten Ufer zu bleiben, so wurde das Zusammentreffen jedenfalls um mehrere Tage hinausgeschoben, und es stand zu erwarten, daß sich während dieser Zeit eine Gelegenheit zum Entrinnen finden werde. Darum instruierte der Ölprinz seine beiden Freunde mit gedämpfter Stimme, so daß der voranreitende „Wolf“ es nicht hören konnte:
„Laßt mich reden, wenn wir gefragt werden, und merkt euch vor allen Dingen das eine: Wir haben uns nicht am linken, sondern am rechten Ufer des Flusses befunden, und auf derselben Seite befindet sich auch Old Shatterhand mit seinen Leuten.“
„Warum das?“ erkundigte sich Buttler.
„Werde es dir später erklären; jetzt ist keine Zeit dazu.“
Er hatte recht, denn die Reiter näherten sich eben jetzt dem Lager. Die in demselben befindlichen Indianer blickten verwundert auf die drei fremden Weißen, denn sie hatten in dieser abgelegenen Gegend und jetzt, wo das Kriegsbeil ausgegraben worden war, keine Bleichgesichter vermuten können. Wolf ritt mit diesen bis an das Zelt des Häuptlings, welcher wie vorher vor dem Eingange saß, stieg da von seinem Pferde und meldete:
„Ich habe diese weißen Männer getroffen und zu dir gebracht, weil sie eine sehr wichtige Botschaft für dich haben.“
Nitsas-Ini, der „Große Donner“, betrachtete die drei Ankömmlinge, welche auch aus ihren Sätteln sprangen, und fragte dann den Wolf:
„Hast du sie als Freunde begrüßt?“
„Ja.“
Da zog der Häuptling seine Stirn in Falten und meinte:
„Ein geübtes Auge sieht es schon dem Baume an seiner Rinde an, wenn er innerlich faul ist. Du hast deine Augen nicht offen gehabt.“
Die drei Weißen hatten also keinen guten Eindruck auf ihn gemacht; sie hätten taub sein müssen, um dies seinen Worten nicht anzuhören. Der Ölprinz trat nahe zu ihm heran und sagte in halb höflichem und halb vorwurfsvollem Tone:
„Es gibt Bäume, welche innerlich gesund sind, obgleich ihre Rinde krank zu sein scheint. Der Große Donner mag erst dann über uns urteilen, wenn er uns kennen gelernt hat!“
Die Falten in der Stirn des Häuptlings vertieften sich, und seine Stimme klang streng abweisend, als er antwortete:
„Es sind mehrere hundert Sommer vergangen, seit die Bleichgesichter in unser Land gekommen sind; wir haben also Zeit genug gehabt, sie kennen zu lernen. Es gab nur wenige unter ihnen, welche Freunde der roten Männer genannt werden konnten.“
„Zu diesen gehören wir; das werden wir Euch beweisen.“
„Wenn ihr dies könnt, so wird es zu eurem Glücke sein!“
„Zu unserm Glücke? Ich denke, wir haben hier bei Euch nichts zu befürchten, weil Mr. Wolf uns freundlich aufgenommen hat!“
„Was er gethan und gesprochen hat, bindet die roten Männer nicht. Ich bin der oberste Häuptling der Navajos, bei denen ihr euch befindet, und euer Schicksal hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von dem, was ich über euch bestimme.“
Bei diesen Worten wurde es den drei Männern bange; der Ölprinz ließ sich dies aber nicht merken, sondern fuhr in zuversichtlichem Tone fort:
„Ich habe gehört, daß der Große Donner ein gerechter und weiser Anführer ist; er wird Krieger, welche zu ihm gekommen sind, um ihn und seine Leute zu retten, nicht feindlich behandeln.“
„Ihr uns retten?“ fragte der Häuptling, indem er sein Auge abermals geringschätzig über ihre Gestalten gleiten ließ. „Wer gerettet werden soll, muß sich in einer Gefahr befinden.“
„Dies ist freilich der Fall.“
„So sagt, was für eine Gefahr es ist, aus welcher ihr uns erlösen wollt!“
„Die Gefahr vor den Nijoras.“
„Pshaw!“ rief er unter einer wegwerfenden Handbewegung aus. „Die Nijoras sind Männer, welche wir zertreten werden!“
„Das denkest du, aber sie sind euch an Zahl weit überlegen.“
„Und wenn sie zehnmal hundert zählten, wir würden sie doch vernichten, denn ein Navajo ist so viel wie zehn Nijoras zusammen. Und ihr wollt uns helfen, ihr, die ihr keine Waffen habt? Nur ein Feigling kann sich sein Gewehr nehmen lassen.“
Das war eine Beleidigung. Hätte der Ölprinz sich dieselbe gefallen lassen, so wäre er allerdings feig gewesen, das sah er gar wohl ein, und darum antwortete er in zornigem Tone:
„Wir sind gekommen, euch Gutes zu erweisen, und du vergiltst uns diese Absicht mit beleidigenden Worten? Wir werden euch augenblicklich verlassen.“
Er trat zu seinem Pferde und gab sich den Anschein, als ob er wieder in den Sattel steigen wolle. Da aber sprang der Häuptling auf, streckte seine Hand gebieterisch aus und rief:
„Herbei, ihr Navajo-Krieger; laßt diese Bleichgesichter nicht von der Stelle!“
Diesem Rufe wurde augenblicklich Folge geleistet; als die drei Weißen von den Roten ringsum eingeschlossen waren, fuhr er fort:
„Meint ihr, daß man zu uns kommen und von uns gehen darf wie ein Prairiehase von und zu seinem Baue? Ihr befindet euch in unsrer Gewalt und verlaßt diesen Ort nicht eher, als bis ich es euch erlaube. Beim ersten Schritte, den ihr gegen meinen Willen thut, treffen euch die Kugeln meiner Leute!“
Das klang drohend und sah nicht weniger bedrohlich aus, denn eine Menge Gewehre waren auf die drei gerichtet. Doch auch jetzt ließ der Ölprinz seine Besorgnis nicht erkennen; er nahm den Fuß wieder aus dem Bügel und die Hand vom Sattel weg und sagte in möglichst ruhigem Tone:
„Ganz, wie du willst! Wir sehen ein, daß wir in eure Hände gegeben sind, und müssen uns fügen; aber alle eure Gewehre sollen uns nicht zwingen, euch die Botschaft mitzuteilen, welche wir euch bringen wollten.“
„Die Botschaft? Ich kenne sie.“
„Nein!“
„Pshaw! Ihr wolltet mir sagen, daß die Hunde von Nijoras das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“
„Nein. Das brauchen wir dir nicht zu sagen, denn das weißt du schon.“
„So wolltet ihr mir melden, daß sie schon aus ihren Hütten aufgebrochen sind. Aber dazu brauche ich euch nicht, denn ich habe Kundschafter ausgesandt, welche mich zur rechten Zeit benachrichtigen werden.“
„Da irrst du dich. Deine Kundschafter können dir keine Nachricht bringen.“
„Warum?“
„Weil sie gefangen sind.“
„Gefangen? Bei wem?“
„Eben bei den Nijoras.“
„Das ist eine Lüge! Ich habe die erfahrensten, die klügsten Männer ausgewählt, denen es nicht einfallen wird, sich ergreifen zu lassen. Ich durchschaue dich; ich errate alle deine Gedanken!“
„So? Wärst du wirklich so klug, dahin blicken zu können, wo meine Gedanken wohnen?“
„Ja. Du weißt, daß man Kundschafter aussendet, und kannst dir denken, daß wir dies auch gethan haben. Darum redest du von unsern Spähern, ohne aber etwas von ihnen zu wissen.“
„Meinst du? Es wäre allerdings besser für euch, wenn das, was ich weiß, nicht geschehen wäre. Ich will dir zeigen, in welchem Irrtum du dich befindest. Du hast zehn Späher ausgeschickt, deren Anführer Khasti-tine war. Ist es so oder nicht?“
„Uff! Es ist so,“ gestand der Häuptling erstaunt.
„So höre weiter! Khasti-tine wurde mit noch einem Krieger erschossen – – –“
„Uff, uff! Von wem?“
„Von Mokaschi, dem Häuptling der Nijoras, eigenhändig; die andern acht wurden gefangen genommen, gerade so wie wir.“
„Gerade so wie ihr? Auch ihr seid in die Hände der Nijoras gefallen gewesen?“
„Ja, Es gelang uns, zu entfliehen, doch ohne Waffen, die man uns abgenommen hatte. Darum sind wir unbewaffnet hier angekommen. Du hältst uns aus diesem Grunde für Feiglinge. Wie nennst du da deine Kundschafter, die ihre Waffen auch hergeben mußten und nicht die Klugheit und Thatkraft besaßen, sich einen Weg zur Flucht zu öffnen?“
„uff, uff, uff!“ rief der Häuptling. „Meine Späher gefangen und Khasti-tine erschossen! Das erfordert Rache! Wir müssen sofort aufbrechen, um diese Hunde von Nijoras zu überfallen. Wir – –“
Er war außerordentlich aufgeregt, ganz gegen die sonstige Indianerruhe, und wollte in sein Zelt, um seine Waffen zu holen. Da ergriff Wolf, welcher bisher geschwiegen hatte, ihn beim Arm und sagte:
„Halt, warte noch! Du mußt doch erfahren, wo die Nijoras sich befinden, wenn du sie überfallen willst. Das werden dir diese Männer sagen. Sie wissen auch noch andre Dinge, welche sogar noch viel, viel wichtiger sind.“
„Noch wichtiger?“ fragte der Häuptling, indem er sich wieder umwendete. „Was kann wichtiger sein, als daß Khasti-tine tot ist und unsre Kundschafter gefangen genommen worden sind?“
„Schi-So ist auch gefangen!“
„Schi – – – Schi-Schi- – –“
Er wollte den Namen seines Sohnes vollständig aussprechen, brachte aber nur die erste Hälfte desselben über die Lippen. Dann stand er steif, als ob er zu Stein geworden sei, und nur seine rollenden Augen zeigten, daß Leben in ihm war. Seine Krieger drängten sich näher herbei, doch ließ keiner einen Laut hören. Der Ölprinz sah ein, daß er den jetzigen Augenblick für sich ausnützen müsse, und sagte also mit weithin hörbarer Stimme:
„Ja, so ist es; Schi-So ist auch gefangen. Er soll am Marterpfahle sterben.“
„Und mein Neffe Adolf, welcher mit ihm aus Deutschland gekommen ist, befindet sich auch in der Gewalt der Nijoras.“ fügte Wolf hinzu.
Da kehrte dem Häuptling die Fassung zurück. Er besann sich, daß es doch unter seiner Würde sei, merken zu lassen, wie sehr die Nachricht ihn getroffen hatte; darum zwang er sich zu äußerlicher Ruhe und fragte:
„Schi-So gefangen? Wißt Ihr das genau?“
„Sehr genau,“ antwortete der Ölprinz. „Wir haben nicht nur in seiner Nähe gefesselt gelegen, sondern sogar mit ihm und allen seinen Begleitern gesprochen.“
„Wer befand sich bei ihm?“
„Ein junger Freund von ihm, welcher Wolf heißt, mehrere deutsche Familien, welche von drüben ausgewandert sind, und sodann eine ganze Schar berühmter Westmänner, von denen Ihr gewiß nicht denken werdet, daß sie sich so leicht gefangen nehmen lassen.“
„Wer sind diese Männer?“
„Old Shatterhand – – –“
„Old Shat – – – uff, uff!“
„Ferner Winnetou.“
„Der größte Häuptling der Apachen? Uff, uff, uff!“
„Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, der Hobble-Frank, gewiß lauter Leute, welche du nicht zu den Feiglingen zählen wirst.“
Es erklangen rundum laute Rufe des Erstaunens, ja des Schreckens; dadurch fand der Häuptling Zeit, sich zu fassen, denn die Selbstbeherrschung hatte ihm abermals vergehen wollen. Er schob die ihm im Wege Stehenden auseinander und eilte in sein Zelt. Man hörte seine Stimme und diejenige seiner weißen Frau; dann kamen beide heraus, und die letztere rief, sich an die drei Bleichgesichter wendend:
„Ist es möglich, ist es wahr? Mein Sohn befindet sich in den Händen der feindlichen Nijoras?“
„Ja,“ antwortete der Ölprinz.
„So muß er Schnell, schnell gerettet werden! Erzählt, was Ihr davon wißt, und sagt, wo sich die Feinde befinden! Wir müssen eilen. Also macht, redet, sprecht!“
Sie als Frau konnte ihre Aufregung natürlich viel weniger beherrschen, als der Häuptling. Sie hatte Grinleys Arm ergriffen und schüttelte denselben, als ob sie die gewünschte Auskunft dadurch beschleunigen könne; der Ölprinz aber antwortete in einem ruhigen Tone:
„Ja, wir sind allerdings gekommen, um Euch von dem, was geschehen ist, zu benachrichtigen; aber der Häuptling hat uns wie Feinde empfangen, und so wollen wir das, was wir wissen, doch lieber für uns behalten.“
„Hund!“ fuhr ihn da der „Große Donner“ an. „Du willst nicht sprechen? Es gibt Mittel, dir den Mund zu öffnen!“
„Nein,“ behauptete der Ölprinz mit einem siegesgewissen Lächeln.
„Wir braten euch am Feuer!“
„Pshaw!“
„Wir binden euch an den Marterpfahl!“
„Pshaw! Wir sind tapfere Männer und wissen zu sterben.“
Da legte die Frau die Hände auf Schulter und Arme ihres roten Mannes und bat ihn in dringendem Tone:
„Sei freundlich mit ihnen! Sie haben uns benachrichtigen wollen und also nicht verdient, daß du sie als Feinde behandelst.“
„Ihre Gesichter sind nicht die Gesichter guter Männer; ich traue ihnen nicht,“ antwortete er finster.
Die Frau des roten Mannes aber fuhr fort zu bitten, und Wolf vereinigte seine Vorstellungen mit den ihrigen, weil ihm um seinen Neffen bange war. Auch ihm gefielen diese drei Weißen desto weniger, je öfter er sie anschaute; aber sie hatten ihm nichts Böses gethan, und er konnte auf Grund ihrer Aussage seinen Verwandten retten; das war für ihn Grund genug, auch Fürbitte einzulegen. Der Häuptling, welcher allerdings viel lieber Strenge angewendet hätte, konnte diesem doppelten Drängen nicht widerstehen und erklärte schließlich.
„Es soll so sein, wie Ihr wünscht; die Bleichgesichter mögen in Frieden sagen, was sie uns mitzuteilen haben. Also redet!“
Diese Aufforderung war an den Ölprinzen gerichtet. Wenn der Häuptling glaubte, daß dieser ihr sofort nachkommen werde, so irrte er sich, denn Grinley antwortete:
„Ehe ich deinen Wunsch erfülle, muß ich erst wissen, ob ihr unsre Wünsche erfüllen werdet.“
„Welche Wünsche habt ihr?“
„Wir brauchen Waffen. Werdet ihr uns welche geben, wenn wir euch den Dienst leisten, den ihr von uns verlangt?“
„Ja,“
„Jedem ein Gewehr und ein Messer?“
„Ja.“
„Auch Munition?“
„Ja.“
„Auch einen Vorrat von Fleisch, da wir nicht wissen, ob wir bald auf ein Wild treffen werden?“
„Auch das, obgleich es nicht notwendig ist, denn so lange ihr bei uns seid, werdet ihr nicht Not leiden.“
„Davon sind wir ja fest überzeugt; aber wir können leider doch nicht lange bleiben.“
„Wann wollt ihr fort?“
„Nachher, sobald wir euch erzählt haben, was geschehen ist.“
„Das ist unmöglich.“
„Warum?“
„Ihr müßt bei uns bleiben, bis wir uns überzeugt haben, daß alles, was ihr uns erzählt habt, die Wahrheit ist.“
„Das ist ein Mißtrauen, welches uns beleidigen muß. Was für einen Grund hätten wir, euch zu täuschen?“
„Das weiß ich nicht. Es kann da viele Gründe geben.“
„Keinen einzigen. Es gibt zwei Möglichkeiten, Entweder sind wir eure Freunde oder eure Feinde. Im ersteren Falle kann es uns nicht einfallen, euch zu belügen, und im letzteren würden wir es niemals gewagt haben, euer Lager aufzusuchen.“
„Das klingt freilich so, als ob ich euch trauen dürfte; aber die Bleichgesichter haben doppelte Zungen; mit der einen reden sie so und mit der andern anders.“
„Das ist bei uns nicht der Fall. Wir waren Gefangene der Nijoras; sie wollten uns töten, und wir sind ihnen mit vieler Mühe und unter großen Gefahren entkommen. Du mußt uns glauben, wenn ich dir sage, daß wir uns an ihnen rächen wollen. Wir können dies aber nicht, weil wir zu schwach dazu sind. Darum sind wir zu euch gekommen.“
Der Häuptling wollte noch immer Widerspruch erheben; seine weiße Squaw aber bat ihn im dringenden Tone:
„Glaube ihnen, glaube ihnen doch, sonst vergeht die kostbare Zeit und wir kommen zur Rettung unsres Sohnes zu spät.“
Da Wolf sich dieser Bitte anschloß, so antwortete der „Große Donner“.-
„Der Wind will nach seiner Richtung gehen, aber wenn er durch hohe Berge aufgehalten wird, muß er sich in eine andre Richtung wenden. Der Wind ist mein Wille und ihr seid die Berge; es soll so sein, wie ihr wollt.“
„Also wir dürfen fort, wann es uns beliebt?“ fragte der Ölprinz.
„Ja.“
„Ihr legt uns kein Hindernis in den Weg?“
„Keins.“
„So ist unser Übereinkommen getroffen und wir wollen die Pfeife des Friedens darüber rauchen.“
Da verfinsterte sich das Gesicht des Häuptlings plötzlich wieder und er rief aus:
„Glaubt ihr mir nicht? Haltet ihr mich für einen Lügner?“
„Nein. Aber in der Zeit des Krieges braucht man kein Versprechen zu halten, welches ohne den Rauch des Kalummets gegeben wurde. Ihr könnt die Friedenspfeife getrost anbrennen, denn wir meinen es ehrlich. Wir reden die Wahrheit und können es euch beweisen, wenn ihr es verlangt.“
„Beweisen? Womit?“
„Schon durch unsern Bericht an sich selbst. Sobald ihr ihn vernommen habt, werdet ihr überzeugt sein müssen, daß jedes Wort die Wahrheit enthält. Dann aber kann ich euch auch sogar ein Papier zeigen, dessen Inhalt alles bestätigen wird.“
„Ein Papier? Ich mag nichts vom Papiere wissen, denn es kann mehr Lügen enthalten, als ein Mund auszusprechen vermag. Auch habe ich nicht gelernt, mit den Zeichen zu sprechen, welche auf euren Papieren stehen.“
„So kann Mr. Wolf jedenfalls lesen; er wird dir sagen, daß wir ehrlich und offen sind. Willst du nun die Pfeife des Friedens mit uns rauchen?“
„Ja,“ antwortete der Häuptling, als er den bittenden Blick seiner Frau bemerkte.
„Für dich und alle die Deinen?“
„Ja, für mich und für sie.“
„Dann nimm dein Kalummet, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Er hatte die Friedenspfeife an seinem Halse hängen, nahm sie herab, füllte den schön geschnittenen Kopf mit Tabak und brannte denselben an. Nachdem er die vorgeschriebenen sechs Züge gethan hatte, reichte er sie dem Ölprinzen, von dem sie an Buttler und dann an Poller überging. Als dies geschehen war, glaubte der Ölprinz sicher zu sein. Er dachte nicht daran, daß Wolf das Kalummet nicht erhalten hatte und also nicht an den Vertrag gebunden war.
Jetzt setzten sich alle auf den Boden nieder und Grinley begann zu erzählen. Er berichtete von dem Petroleumfunde, aber ohne den Ort zu nennen, von dem Verkaufen an den Bankier und von seiner Reise in die Berge. Natürlich verschwieg er die Wahrheit. Er sagte, er sei schon auf Forners Rancho mit Buttler und Poller und den Auswanderern zusammengetroffen, auch mit Winnetou, Old Shatterhand und den andern Jägern; dann seien sie alle den Nijoras in die Hände gefallen, und bei diesen hätten sie die gefangenen Navajokundschafter vorgefunden und von diesen gehört, daß Khasti-tine von Mokaschi erschossen worden sei.
Die Navajos hatten bis jetzt schweigend zugehört, doch läßt sich denken, daß sowohl der Häuptling als auch seine Squaw innerlich nicht so ruhig waren, wie sie sich äußerlich zeigten; sie wußten ja ihren Sohn in großer Gefahr. Auch Wolf hing mit gespannter Aufmerksamkeit an den Lippen des Erzählers. Sie ahnten nicht, daß die Gefangenen sich befreit hatten und daß der Ölprinz um seines Vorteiles willen so arg log. Jetzt machte er eine Pause und der Häuptling benutzte dieselbe, zu fragen:
„Wie ist es euch denn gelungen, zu entfliehen?“
„Mit Hilfe eines kleinen Federmessers, welches die Nijoras nicht bemerkt hatten. Unsre Hände waren zwar gebunden, trotzdem aber konnte einer meiner beiden Gefährten mir in die Tasche greifen und das Messerchen herausnehmen und öffnen, und als er mir meine Fesseln zerschnitten hatte, konnte ich dies dann auch mit den ihrigen thun.“
Der „Große Donner“ blickte eine Weile vor sich nieder; dann hob er rasch den Kopf und fragte:
„Und dann?“
„Dann sind wir schnell aufgesprungen und zu den Pferden gerannt; wir bestiegen die drei ersten besten und jagten davon.“
„Wurdet ihr verfolgt?“
„Ja, aber nicht eingeholt.“
„Warum machtet ihr nur euch frei und nicht auch die andern?“
Das war eine verfängliche Frage, bei welcher er sein Auge scharf auf den Ölprinzen richtete. Dieser sah ein, daß er sich jetzt zusammennehmen müsse und antwortete:
„Weil wir keine Zeit dazu fanden. Einer der Wächter sah, daß wir uns bewegten; er kam herbei; da konnten wir natürlich nichts anders thun als davoneilen.“
Er glaubte eine genügende Erklärung gegeben zu haben und betrachtete es darum gar nicht als Hinterlist, als sich der Häuptling weiter erkundigte:
„Du hast das kleine Messer noch?“
„Ja.“
„Ihr habt neben den andern Gefangenen gelegen?“
„Ja.“
Er hätte jetzt viel lieber „nein“ gesagt, das war aber nun nicht mehr möglich, da er vorhin das Gegenteil behauptet hatte. Er begann, die Absicht zu ahnen, welche der „Große Donner“ verfolgte, und wirklich meinte dieser nun in einem sehr strengen Ton:
„Hätte ich nicht die Pfeife des Friedens mit euch geraucht, so würde ich euch jetzt in Fesseln legen lassen!“
„Warum?“ fragte Grinley erschrocken.
„Weil ihr entweder Lügner oder feige Schurken seid.“
„Wir sind keins von beiden!“
„Schweig! Entweder belügt ihr jetzt uns, oder ihr habt euch gegen eure Mitgefangenen wie Schufte benommen!“
„Wir konnten sie nicht retten!“
„O doch! Und wenn nichts andres möglich war, so konntest du dem Nächsten, der bei euch lag, das kleine Messer geben.“
„Dazu war die Zeit zu kurz.“
„Lüge nicht! Und wenn du recht hättest, so mußtet ihr die Nijoras überlisten. Während sie euch verfolgten, mußtet ihr heimlich zurückkehren und die Gefangenen befreien.“
„Das war uns unmöglich. Wenn uns nun auch zwanzig oder dreißig folgten, die übrigen zweihundertsiebzig waren doch zurückgeblieben.“
Kaum hatte er dieses Wort gesagt, so bereute er es. Es zeigte sich auch gleich, daß er einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte, denn der Häuptling fragte:
„Also waren es dreihundert?“
„Ja.“
„Du siehst, daß wir viel mehr sind, und doch sagtest du vorhin, daß sie uns weit überlegen seien. Du hast zwei Zungen, hüte dich!“
„Ich hatte euch nicht genau gezählt,“ entschuldigte sich Grinley.
„So öffne deine Augen besser! Wenn du bei Nacht siehst, wie groß die Zahl der Nijoras ist, mußt du jetzt am Tage doch viel besser wissen, wie viele Krieger hier beisammen sind. An welchem Ufer lagerten die Nijoras?“
„Am rechten.“
„Wann wollten sie aufbrechen?“
„Erst nach einigen Tagen,“ log der Ölprinz, „weil sie noch weitere Krieger erwarteten.“
„Beschreib uns die Stelle genau!“
Er that es, so gut er konnte und fügte dann hinzu:
„Jetzt habe ich alles gesagt, was ich sagen konnte, und ich hoffe, daß du dein Wort halten wirst. Gebt uns Waffen und laßt uns weiter ziehen!“
Der „Große Donner“ wiegte seinen Kopf bedenklich hin und her und antwortete nach einer Weile:
„Ich bin Nitsas-Ini, der oberste Häuptling der Navajos, und habe noch nie mein Wort gebrochen. Aber habt ihr denn auch bewiesen, daß eure Worte die Wahrheit enthalten?“
„Du mußt doch zugeben, daß alles stimmt, was ich gesagt habe!“
„Es stimmt, aber du kannst trotzdem ein Schurke sein.“
„So will ich euch den unumstößlichen Beweis liefern, welcher euer Mißtrauen vollständig zerstreuen wird.“
Er bemerkte oder beachtete nicht die warnenden Blicke, welche Buttler und Poller auf ihn richteten. Er griff in die Tasche und zog die Anweisung auf San Franzisko hervor, welche er von dem Bankier erhalten hatte. Indem er sie dem „Wolf“ hingab, sagte er:
„Hier, werft einmal einen Blick auf dieses Wertpapier! Eine solche Summe wird, zumal unter solchen Umständen, doch nur einem ehrlichen Menschen angewiesen. Meint Ihr nicht?“
Wolf überflog das Dokument mit prüfendem Blicke und las es dann dem Häuptlinge vor. Dieser blickte, wie vorher schon einige Male, sinnend zu Boden und sagte dann:
„So ist also dein Name Grinley?“
„Ja.“
„Wie heißen diese deine beiden Gefährten?“
„Dieser hier Buttler und dieser andre Poller.“
Wolf wollte jetzt dem Ölprinzen die Anweisung zurückgeben, da aber nahm der Häuptling sie ihm schnell aus der Hand, legte sie in ihre Falten zusammen, schob sie sich in den Gürtel und fuhr in einem Tone, als ob er da gar nichts Besonderes gethan hätte, fort:
„Ich habe von einem Bleichgesichte gehört, welches Grinley heißt und der Ölprinz genannt wird. Kennst du den?“
„Der bin ich,“ antwortete Grinley.
„Und ich hörte ferner von einem Bleichgesichte, welches Buttler heißt und der Anführer der Finders war. Kennst du den Mann?“
„Nein.“
„Dieser hier ist es nicht?“
„Nein.“
„Wo liegt die Ölquelle, welche du verkauft hast?“
„Am Chelly.“
„Das ist nicht wahr, dort gibt es keinen Tropfen Öl.“
„Das ist richtig; ich wollte sagen in der Nähe des Chelly.“
„Aber wo?“
„Am Gloomy-water“
„Ist auch nicht wahr.“
„O doch!“
„Sprich nicht dagegen. Es gibt keine Stelle, so groß wie meine Hand, die ich nicht betreten hätte. Es gibt kein Öl in dieser Gegend. Du bist ein Betrüger!“
„Donner und Wetter!“ fuhr da der Ölprinz auf. „Soll ich mir – – –“
„Schweig!“ fiel der Häuptling ihm in die Rede. „Ich habe es euch gleich angesehen, daß ihr keine ehrlichen Männer seid, und habe nur darum das Kalummet geraucht, weil ich dazu gedrängt wurde.“
„So willst du wohl eine Ausrede machen, um dein Wort brechen zu können?“
Der „Große Donner“ machte eine unnachahmlich stolze Handbewegung und antwortete, indem ein höchst geringschätzendes Lächeln über sein Gesicht glitt:
„Solcher Menschen wegen, wir ihr seid, soll mir kein Mann nachsagen, daß ich mein Wort nicht gehalten habe.“
„So gebt uns Waffen, Munition und Fleisch, und laßt uns ziehen! Und gib mir mein Papier zurück! Warum hast du es eingesteckt?“
„Ich habe es nicht dir zurückzugeben, sondern dem, von welchem ich es genommen habe. Du hast das Bleichgesicht, welches die Ölquelle kaufte, in der kein Öl vorhanden ist, um dieses Geld betrogen. Der Wolf wird wissen, was er zu thun hat.“
Er zog das Papier aus dem Gürtel und gab es Wolf mit einem bezeichnenden Winke zurück. Dieser schob es schnell in seine Tasche.
„Halt!“ rief Grinley, indem seine Augen zornig blitzten. „Das Papier gehört mir!“
„Ja,“ nickte Wolf, indem er ein sehr behagliches Lächeln zeigte.
„Also her damit!“
„Nein,“ antwortete Wolf mit demselben behaglichen Lächeln.
„Warum nicht? Wollt Ihr an mir zum Diebe werden?“
„Nein.“
„Dann heraus damit!“
„Nein.“
„So seid Ihr ja ein Dieb, und ich – – –“
Da fiel Wolf ihm in einem ganz andern Tone in die Rede:
„Mäßigt Euch, Mr. Grinley! Wenn Ihr mich beleidigt, ist’s um Euch geschehen. Ich bin kein Dieb.“
„Warum behaltet Ihr denn diese Anweisung, welche mir gehört?“
„Weil uns manches in eurer Erzählung nicht einleuchten will und weil ihr gar so rasch von hier fort wollt. Leute, welche mit genauer Not der Gefangenschaft und dem Tode entronnen sind, bedürfen der Ruhe und der Pflege. Dies könntet ihr hier haben; ihr wollt aber fort. Sodann würde jeder andre an eurer Stelle sich uns auf unserm Zuge gegen die Nijoras anschließen, um sich zu rächen; auch das wollt ihr nicht. Ihr wollt nur fort, nur fort, und zwar sehr schnell. Das sieht natürlich ganz so aus, als ob ihr vor jemand, der hinter euch her kommt, eine gewaltige Angst hättet.“
„Was wir denken und wollen, das geht Euch nichts an,“ antwortete der Ölprinz protzig. „Ich habe mit dem Häuptling und durch ihn mit allen den Seinen die Pfeife des Friedens geraucht; er muß seine Versprechungen erfüllen, und es darf mir nichts genommen werden.“
„Ganz richtig, Sir! Der Große Donner wird sein Wort ganz gewiß halten.“
„So gebt das Papier heraus!“
„Ich? Fällt mir nicht ein! Ich will es keineswegs stehlen, sondern nur aufheben.“
„Hölle und Teufel! Für wen?“
„Für diejenigen, welche nach euch kommen.“ Und als der Ölprinz zornig aufbrausen wollte, schnitt er ihm das Wort mit dem sehr energischen Zurufe ab. „Haltet den Mund! Glaubt ja nicht, daß Ihr der Mann seid, von dem ich mich einschüchtern lasse! Wenn ihr ehrliche Leute seid, so könnt ihr ruhig bei uns bleiben. Ob ihr euch das Geld drei oder vier Tage früher oder später auszahlen laßt, das kann euch nicht an den Bettelstab bringen. Ich will euch sagen, was ich denke. Im ersten Augenblicke habe ich euch für Gentlemen gehalten; damit ist es aber vorüber, seit ich eure famose Erzählung gehört habe.“
„Sie ist wahr!“
„Unsinn! Ihr sagt, Old Shatterhand, Winnetou, Sam Hawkens und andre seien mit euch gefangen gewesen? Und ihr seid allein entkommen! Mr. Grinley, das ist außerordentlich auffällig. Ihr habt da Männer genannt, welche weit eher entkommen würden, als ihr. Vielleicht habt ihr sie in die Hände der Nijoras gespielt. Das mag nun freilich sein, wie es will; Winnetou und Old Shatterhand sind Leute, die für sich selber sorgen werden. Für mich ist die Hauptsache jetzt diese Anweisung. Wir werden die Gefangenen befreien und also mit ihnen zusammen kommen; oder sie befreien sich selbst und kommen hinter euch her; auch in diesem Falle treffen wir auf sie. Da werden wir natürlich diesen Bankier Mr. Rollins sehen und ihm die Anweisung zeigen. Ist Eure Sache eine ehrliche, so könnt Ihr getrost bei uns bleiben; seid Ihr aber ein Betrüger, so habt Ihr Euch dieses Mal umsonst bemüht.“
Da sprang der Ölprinz vom Boden auf und schrie:
„Das wollt Ihr thun? Das sagt Ihr mir? So wollt Ihr an mir handeln? Was geht es Euch an, daß ich schnell weiter muß! Habe ich nötig, Euch meine Gründe zu sagen? Ich bleibe dabei: die Friedenspfeife ist geraucht worden und niemand darf mich hier festhalten!“
„Das wird auch kein Mensch thun!“ antwortete Wolf ruhig.
„Und ich muß bekommen, was man mir versprochen hat!“
„Waffen, Pulver, Blei und Fleisch? Ja, das werdet Ihr erhalten.“
„Und mein Papier zurück! Es ist mein Eigentum!“
„Wenn dies erwiesen ist, erhaltet Ihr es allerdings zurück.“
„Nein, jetzt, sofort! Es darf uns nichts genommen werden, denn der Häuptling hat mit uns für sich und all die Seinen das Kalummet geraucht.“
„Das stimmt. Aber, Mr. Grinley, haltet Ihr mich etwa auch für einen Indianer, für einen Navajo?“
„Fragt nicht solchen Unsinn!“
„Schön! Ich gehöre also nicht zu dem Großen Donner und den Seinen. Oder habe ich mit Euch das Kalummet geraucht?“
Grinley starrte ihm ins Gesicht und fand keine Antwort.
„Ja, so ist es,“ nickte Wolf mit einem überlegenen Lächeln. „Ihr mögt sonst ein schlauer Fuchs sein; heute aber seid Ihr das Gegenteil gewesen. Man läuft hier im wilden Westen nicht mit Hunderttausenden in der Tasche herum und wenn man es dennoch thut, so behält man sie drin stecken und zeigt -sie nicht vor. Nun habt Ihr gehört, was ich Euch zu sagen hatte: wir sind fertig.“
Er stand auf und wollte sich entfernen. Da packte ihn der Ölprinz am Arme und schrie ihn an:
„Das Papier heraus, oder ich erwürge Euch!“
Wolf schleuderte ihn mit einem kräftigen Rucke von sich ab, zog seinen Revolver, hielt ihm denselben entgegen und antwortete drohend:
„Wagt Euch noch einen einzigen Schritt an mich heran und meine Kugel fährt Euch in den Schädel! Bleibt bei uns, oder macht Euch fort, mir ist es ganz gleich; aber dieses Papier gebe ich nicht eher wieder her, als bis ich meinen Neffen befreit und mit dem Bankier gesprochen habe. Jetzt ist’s genug!“
Er ging nun wirklich fort. Der Ölprinz mußte dies zähneknirschend sehen, ohne ihn halten zu können. Er wendete sich wutschnaubend an den Häuptling; dieser hörte ihn lächelnd an und antwortete dann in größter Seelenruhe:
„Der Wolf ist ein freier Mann, er kann thun, was ihm beliebt. Wenn du bei uns bleibst, so bekommst du dein Papier wieder.“
„Ich muß aber fort!“
„So mag es dir der Bankier nachsenden. Du hast uns eine Botschaft gebracht, und ich gebe dir Waffen, Munition und Fleisch dafür, obgleich sie wohl nicht wahr ist. Verlange nicht mehr von mir. Willst du bei uns bleiben?“
„Nein.“
„So sollst du jetzt gleich erhalten, was ausbedungen ist; dann könnt ihr weiter reiten.“
Er ging, um die nötigen Befehle zu erteilen, und auch seine Navajos zogen sich von den drei Weißen zurück wie Tauben, die auf dem Felde vor den Krähen weichen. Die Betrüger standen allein. Niemand hörte auf sie; darum konnten sie gegenseitig ihren Gefühlen ganz ungeniert Luft machen.
„Verfluchter Kerl, dieser Wolf!“ knirschte Grinley. „Er gibt die Anweisung wirklich nicht heraus!“
„So etwas habe ich mir gleich gedacht, als ich sah, daß du sie vorzeigen wolltest,“ antwortete Buttler. „Bist ein Dummkopf gewesen, wie es keinen zweiten gibt!“
„Schweig, Esel! Ich konnte nicht anders. Sie wollten mir nicht glauben, und da mußte ich mich legitimieren.“
„Legitimieren! Mit einer erschwindelten Anweisung! Hat man jemals so etwas gehört! Nun siehst du, wie schön dir diese Legitimation gelungen ist!“
„Das konnte ich nicht vorher wissen!“
„Aber ich hab’s gewußt! Wo ist nun der Lohn für alle Mühe, die wir uns gegeben, für alle Gefahren, die wir durchgemacht haben? Ein einziger Augenblick hat uns um alles gebracht!“
So ging es eine ganze Weile fort, aber als Poller auch anfing, Vorwürfe zu machen, brachte Grinley ihn durch einige Grobheiten zum Schweigen und fuhr dann fort:
„Ich mag unvorsichtig gewesen sein, doch ist noch lange nicht alles verloren. Wir werden die Anweisung wiederbekommen.“
„Von diesem Wolf?“ fragte Buttler mit einem Lachen des Zweifels.
„Ja.“
„Willst du etwa hierbleiben und warten, bis die Nijoras kommen oder gar Old Shatterhand und Winnetou?“
„Fällt mir nicht ein! Wir reiten fort.“
„Aber da geben wir doch das Papier auf!“
„Nein. Ich sage, wir reiten fort, aber nicht eher, als bis wir Wolf gezwungen haben, es herauszugeben.“
„Wie willst du ihn zwingen?“
„Denke daran, daß wir Waffen erhalten.“
„Also mit ihm kämpfen?“
„Ja, wenn er uns dazu zwingt.“
„Und die Roten? Wie werden die sich dazu verhalten?“
„Sie werden sich nicht einmischen. Wir haben die Friedenspfeife mit ihnen geraucht, und solange wir ihr Lager nicht verlassen, dürfen sie nicht Partei gegen uns und für ihn nehmen. Er hat ja erklärt, daß er nicht zu ihnen gehört. Etwas andres wäre es, wenn wir das Lager verließen und dann vielleicht zurückkehrten; dann hätte das Kalummet seine Kraft verloren. Seht, da bringt man uns das Fleisch! Die Gewehre und Messer werden bald folgen, und dann suche ich diesen Wolf auf. Ihr haltet doch zu mir?“
„Natürlich! Für eine solche Summe kann man schon etwas wagen. Wir können ja probieren, wie es geht. Wenn es gefährlich für uns werden will, ist es doch noch Zeit, von dem Kampfe abzusehen. Dort steigen mehrere Rote zu Pferde. Wohin mögen sie wollen?“
„Kann uns gleichgültig sein. Uns geht es wohl nichts an.“
Buttler irrte sich, als er dies dachte, Der Häuptling näherte sich mit einem Roten, welcher lange, dünne Stücke getrockneten Fleisches trug.
„Wann wollen die Bleichgesichter uns verlassen?“ fragte er.
„Sobald wir bekommen haben, was uns versprochen worden ist.“
„Und wohin werdet ihr die Schritte eurer Pferde lenken?“
„Hier zum Bette des Rio Navajos hinab. Wir wollen den Colorado hinunter.“
„So könnt ihr sofort aufbrechen. Hier ist Fleisch.“
„Und das andre?“
„Werdet ihr auch erhalten. Seht ihr die Reiter dort?“
„Ja.“
„Sie haben drei Gewehre, drei Messer und Pulver und Blei für euch. Sie werden eine Stunde lang mit euch reiten und dann, wenn sie euch diese Sachen gegeben haben, wieder zu uns zurückkehren.“
Die drei sahen sich enttäuscht an. Der Häuptling bemerkte dies sehr wohl, that aber so, als ob es ihm entgangen sei.
„Warum bekommen wir das denn nicht jetzt?“ fragte Buttler.
Da ging ein ganz eigentümliches Lächeln über das Gesicht des „Großen Donners“, und er antwortete:
„Ich habe vernommen, daß die Bleichgesichter die Gewohnheit haben, lieben Gästen das Ehrengeleite zu geben. Dies soll hier mit euch geschehen.“
„Wir nehmen es dankbar an; aber die Waffen können wir ja doch selber tragen.“
„Warum sollt ihr euch diese Mühe geben? Ihr braucht sie doch jetzt nicht. Seht, meine Leute brechen auf! Sie pflegen schnell zu reiten. Macht, daß ihr ihnen nachkommt, sonst erreichen sie vor euch die Stelle, an welcher sie euch die Waffen übergeben sollen, und wenn ihr dann nicht da seid, bekommt ihr sie nicht.“
Er machte mit der Hand die Bewegung des Abschiedes und wendete sich davon, indem sein Gesicht vor Schadenfreude förmlich glänzte. Er hatte sein Versprechen erfüllt und zugleich das Vorhaben der Weißen verhindert.
„Schlauer Fuchs, diese Rothaut!“ stieß Grinley hervor. „Er scheint geahnt zu haben, was wir uns vorgenommen hatten.“
„Ja,“ stimmte Buttler bei. „Dieser rote Spitzbube ist eben auch ein Freund von Old Shatterhand und Winnetou, und wenn man es mit einem solchen Kerl zu thun hat, kann man gewiß sein und darauf schwören, daß man übertölpelt und betrogen wird. Nun ist für uns nichts mehr zu hoffen.“
„Pshaw! Ich gebe die Hoffnung noch lange nicht auf.“
„Wirklich? Denkst du, daß es möglich ist, noch etwas zu erreichen?“
„Ja.“
„Auf welche Weise?“
„Wir warten, bis die sechs Kerls fort sind und kehren dann um.“
„Um mit Wolf anzubinden?“
„Ja.“
„Das wäre wieder dumm, denn die Roten würden ihm alle helfen. Du hast ja selbst gesagt, daß wenn wir das Lager verlassen haben, das Kalummet keine Kraft mehr besitzt.“
„Ja, das wäre freilich eine Dummheit, wenn wir ihn offen anpacken wollten.“
„Also heimlich?“
„Ja. Ihr könnt euch denken, daß sie baldigst aufbrechen werden, um die vermeintlichen Gefangenen zu befreien, und wir wissen, daß sie am rechten Ufer aufwärts ziehen werden. Wir reiten ihnen nach, bis wir den Platz erreichen, wo sie für die Nacht lagern. Da belauschen wir sie, und es sollte mich wundern, wenn wir keine Gelegenheit fänden, uns an diesen Wolf zu machen.“
„Das mag richtig sein. Das ist ein Gedanke, welcher mir wieder Leben gibt. Hoffentlich hat der Kerl die Anweisung bei sich!“
„Wo sollte er sie sonst haben? Hier im Westen gibt es keine feuerfesten Tresors, in denen man das Geld, welches man nicht besitzt, aufbewahren kann.“
Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten ohne Abschied davon. Wem hätten sie ade sagen können? Es schien sich kein Mensch um sie zu bekümmern; aber es schien auch nur so, denn in Wirklichkeit waren alle Augen heimlich auf sie gerichtet.
Als der Ölprinz und seine beiden Genossen hinter der Böschung des Ufers verschwunden waren, kam Wolf wieder zum Vorschein. Er hatte sich hinter eine Baumgruppe zurückgezogen gehabt und schritt jetzt auf das Häuptlingszelt zu, vor welchem der „Große Donner“ die hervorragendsten seiner Krieger zur Beratung zusammenkommen ließ. Die weiße Squaw befand sich in großer Sorge um ihren Sohn und trieb ihren Mann zum schleunigen Aufbruche, um die Nijoras zu überfallen. Er tröstete sie damit, daß Schi-So sich in Gesellschaft so berühmter, tapferer und erfahrener Krieger befände.
„Und,“ fügte Wolf zur Beruhigung hinzu, „die Gefangenen werden erst nach beendetem Kriege, nach der Heimkehr in die Dörfer getötet; der Krieg hat aber noch gar nicht begonnen, und so braucht es Euch um Euren Sohn nicht angst zu sein, wie auch ich für meinen Neffen noch lange nicht die größeste Besorgnis hege. Vor allen Dingen müssen wir an das Nächste denken. Es muß ein Lauscher hinunter an den Fluß gelegt werden.“
„Wozu?“ fragte der Häuptling.
„Wenn mich meine Vermutung nicht trügt, so kehren die drei Weißen, nachdem sie die Waffen bekommen haben, wieder um und folgen uns nach. Eine so hohe Summe gibt man nicht auf, ohne geradezu alles zu versuchen, sie wieder zu erhalten.“
„Du meinst, daß sie dich zwingen wollen, das Papier herauszugeben?“ fragte der Häuptling.
„Ja.“
„Sie mögen kommen! Sie haben unser Lagerverlassen, und der Rauch des Kalummets kann sie also nicht mehr schützen. Sie würden unsre Kugeln schmecken.“
„Wenn wir sie sähen, ja. Sie werden sich aber hüten, sich sehen zu lassen, sondern uns im Verborgenen nachschleichen, um mich zu überfallen, wenn sich eine passende Gelegenheit dazu ergibt. Ich muß aus diesem Grunde zu meiner Sicherheit wissen, ob sie überhaupt umkehren. Darum bitte ich dich, einen berittenen Späher hinunter an den Fluß zu postieren.“
„Warum beritten?“
„Weil wir doch bald von hier aufbrechen und er uns ohne Pferd nicht leicht einholen könnte.“
Der Häuptling folgte diesem Rate, und dann konnte die Besprechung über den durch die Not so beschleunigten Zug gegen die Nijoras beginnen.
Eigentlich gab es gar nicht viel zu verhandeln. Es war zwar anzunehmen, daß Grinley, Buttler und Poller nicht die Wahrheit gesagt hatten in Beziehung dessen, was ihre Personen, ihre Absichten und Thaten betraf, aber daß sie gefangen gewesen waren, mußte geglaubt werden, weil sie keine Waffen gehabt hatten. Auch daß die Kundschafter der Navajos, Old Shatterhand und Winnetou nebst ihren Begleitern in die Hände der Nijoras geraten waren, durfte als wahr angenommen werden. Jedenfalls hatten die Nijoras auch Kundschafter ausgeschickt, und diese hatten das Lager der Navajos sicher erspäht, da sie von den Gegenkundschaftern nicht daran verhindert worden waren. Auf alle Fälle hatten die Nijoras beschlossen, zum Angriffe überzugehen, und diese Absicht war bestärkt worden durch die Flucht der drei Bleichgesichter, von denen die Nijoras sich sagen konnten, daß sie jedenfalls die Navajos aufgesucht hatten, um bei diesen Schutz zu suchen und sie zu benachrichtigen. Dies konnte nur durch einen schnellen Angriff wett gemacht werden, und so waren die Nijoras jedenfalls sofort gegen die Navajos aufgebrochen. Diese letzteren glaubten hinwiederum, den Angriff nicht abwarten zu sollen, sondern ihm zuvor- oder wenigstens entgegenzukommen. Darum rüsteten sie sich zum Aufbruche, welcher gerade in dem Augenblicke geschah, als die sechs Reiter zurückkehrten, welche Grinley, Buttler und Poller fortgeschafft hatten. Als sie befragt wurden, wie dieselben sich verhalten hätten, erklärten sie, daß die drei Weißen nach Empfang der Waffen und der Munition ruhig weiter geritten wären, ohne durch irgend etwas zu verraten, daß sie die Absicht hegten, umzukehren. Dennoch blieb der Späher unten am Flusse stehen und erhielt die Weisung, falls die Bleichgesichter zurückkehrten, sie erst vorüber zu lassen, eine Weile zu beobachten und sie dann in einem weiten Bogen zu umreiten, um seinen Kameraden nachzufolgen.
Der Zug ging natürlich am rechten Flußufer aufwärts, denn man hatte der Aussage des Ölprinzen, daß die Nijoras sich an diesem befänden, Glauben geschenkt; in Wirklichkeit kamen sie aber am linken herunter. Als der Tag sich zu Ende neigte, kam der Späher nach und meldete, daß die drei Weißen in der That umgekehrt seien und den Navajos auf deren Fährte folgten. Da man dies nun wußte, waren sie nicht zu fürchten.
Es wurde den ganzen Abend weiter geritten und erst gegen Mitternacht angehalten, da man nun, wie man fälschlicherweise annahm, jeden Augenblick auf die Nijoras treffen konnte. Man lagerte sich, brannte aber keine Feuer an, da diese zur Entdeckung führen konnten.
Eigentlich beabsichtigte man, nach rückwärts einige Posten auszustellen, um die drei Weißen abzuhalten; aber Wolf, auf den allein es diese doch abgesehen hatten, riet davon ab, da es nicht notwendig sei. Es stand mit Gewißheit zu erwarten, daß Buttler, Poller und Grinley nicht kommen würden, da es ihnen unmöglich gewesen war, in der Dunkelheit der Spur der Navajos zu folgen; der Mond war erst später aufgegangen.
Nach vorwärts aber wurden Wachen ausgestellt, denn das erforderte die allgemeine Sicherheit. Das Zelt des Häuptlings war aufgeschlagen worden, damit seine weiße Squaw in demselben schlafen könne. Sie hatte sich wohl auf die Decke hingestreckt, konnte aber aus Sorge für ihren Sohn keine Ruhe finden. Die Luft wurde ihr so schwül im Innern, daß sie nach einiger Zeit wieder aufstand und hinaus in das Freie ging.
Der Mond stand über den Uferbäumen und belächelte sein Bild, welches ihm aus dem hier schmalen, aber ziemlich tiefen Wasser des Flusses entgegenglänzte. Tiefe Stille herrschte ringsumher; nur zuweilen schnaubte eines der Pferde oder schlug mit dem Schwanze nach den Stechmücken, die es hier am Flusse gab; weiter war nichts zu hören. Wirklich weiter nichts? O doch, denn plötzlich klang es im Sechsachteltakte vom andern Ufer herüber:
„Fitifitifiti, fititi, fititi, fititi, fititi, fitifitifiti, fititi, fititi, ti!“
Die Indianer fuhren aus dem Schlafe empor und lauschten erstaunt. War das eine menschliche Stimme oder ein Instrument gewesen? Der Häuptling trat leise zu seiner Frau und fragte:
„Hast du es gehört? So etwas habe ich noch nie vernommen. Was mag es gewesen sein?“
„Es hat jemand die Violine nachgeahmt und einen Walzer geträllert,“ antwortete sie.
„Violine? Walzer? Was ist das? Ich weiß es nicht.“
Sie wollte Auskunft geben, kam aber nicht dazu, denn es tönte von drüben herüber:
„Clililililili, lilili, lilili, Clililililili, lilili, lilili, lilili, li!“
„Das ist ja wieder anders!“ flüsterte der Häuptling.
„Das war die Klarinette, welche nachgeahmt wurde.“
„Klarinette? Kenne ich nicht. Ich denke, daß da drüben – –“
„Trärärä tä – t–tä– trärärä tä – tä – tä –!“ wurde er drüben unterbrochen.
„Das war die Trompete,“ erklärte die Squaw, welche auch nicht wußte, was sie denken sollte. Und ehe noch der Häuptling antworten konnte, erklang es weiter:
„Tschingtschingtschingtschingbumbum, tschingbumbum, tschingbumbum, tschingtschingtsching tschingbumbum, tschingbumbum bum –!“
„Das war die große Trommel mit dem Messingbecken,“ sagte die Squaw, deren Erstaunen von Minute zu Minute gewachsen war.
„Trompete, Trommel, Becken?“ fragte der „Große Donner“. „Das sind lauter Worte, welche ich nicht verstehe. Ist vielleicht ein böser Geist da drüben?“
„Nein, es ist kein Geist, sondern ein Mensch.“
„Weißt du das gewiß?“
„Ja. Er ahmt den Klang verschiedener Musikinstrumente mit der Stimme nach.“
„Aber das ist doch nicht Musik der roten Männer!“
„Nein, sondern der Bleichgesichter.“
„Sollte es ein Bleichgesicht sein?“
„Möglich.“
„Aber die sind doch gefangen! Ich werde einige Späher hinübersenden, welche dieses sonderbare Wesen beschleichen sollen.“
Eine Minute später schwammen weiter unten, wo sie von dem sonderbaren Instrumentisten nicht bemerkt werden konnten, vier Navajos über den Strom, stiegen drüben an das Ufer und schlichen sich dann flußaufwärts. Nach kurzer Zeit ertönte ein unterdrückter Schrei und hierauf kamen die Vier, einen menschlichen Körper halb über Wasser haltend, wieder herübergeschwommen. Als sie den Körper auf die Beine gestellt hatten, meldete einer von ihnen dem Häuptlinge:
„Dieses Bleichgesicht ist es gewesen; es lehnte an einem Baume und trommelte sich mit den Fingern auf den Bauch.“
Der „Große Donner“ trat an die fremde Gestalt heran, betrachtete sie und fragte:
„Was treibst du hier mitten in der Nacht? Was bist du, und wer sind die, zu denen du gehörst?“
Er hatte halb englisch und halb indianisch gesprochen; der Gefragte verstand ihn nicht, ahnte aber, was man wissen wollte, und antwortete in deutscher Sprache:
„Guten Abend, meine Herren! Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden, was ein berühmter Sommerluftkurort ist. Es liegt an der Dresden-Zittauer und Dresden-Königsbrücker Eisenbahn und hat eine Restauration, in welcher es während der großen Sommersaison jede Woche einen Vortragsabend gibt. Warum haben Sie mich denn in meinem Studium gestört? Ich bin wahrhaftig ganz pudelnaß geworden!“
Die Roten verstanden kein Wort; aber man kann sich das freudige Erstaunen der weißen Squaw denken, als sie die bekannten Laute ihrer Muttersprache hörte. Sie trat eiligst auf den Emeritus zu und rief aus:
„Sie sprechen deutsch? Sie sind ein Deutscher, ein Kantor aus der Dresdener Gegend? Wie in aller Welt kommen Sie denn hierher an den Chellyfluß?“
Nun war das Erstaunen auf der Seite des Herrn Kantors. Er trat einige Schritte zurück und rief aus, indem er die Hände zusammenschlug:
„Die Laute meiner Muttersprache aus diesem Munde! Eine Indianerin, eine echte Indianerin, welche deutsch redet!“
„Sie irren sich; ich bin zwar jetzt die Frau eines Indianers, nämlich des Häuptlings der Navajos, aber von Geburt eine Deutsche.“
„Und Sie haben einen Indianer zum Manne genommen? Wie heißt denn Ihr Herr Gemahl?“
„Nitsas-Ini, der Große Donner.“
„Großer Donner? Zu dem wollen wir ja!“
„Wirklich? Sie sagen wir; also sind Sie nicht allein?“
„Bewahre! Wir sind eine ganze Gesellschaft tüchtiger Westmänner und Helden beisammen, Winnetou, Old Shatterhand, Sam …“
„Kann ich erfahren, wo ihre Gefährten sich jetzt befinden?“
„Sie sind den Nijoras nach.“
„Die wollen uns doch überfallen.“
„Ja, wenn ich mich nicht täusche, glaube ich, dies gehört zu haben.“
„Sie sagen mir da etwas für uns ganz außerordentlich Wichtiges. Wir sind nämlich den Nijoras entgegengezogen, um ihrem Überfalle zuvorzukommen.“
„Wie? Ihnen entgegen? Ich glaube, daß Sie sich da auf dem falschen Wege befinden, verehrteste Frau Häuptling.“
„Wieso?“
„Wieso? Weil die sich drüben am linken Ufer befinden.“
„Nicht hier am rechten?“
„Nein.“
„Wirklich nicht? Wissen Sie das auch gewiß? Es kommt uns nämlich sehr viel darauf an, daß Sie sich nicht etwa in einem Irrtum befinden.“
„Ein Irrtum ist gar nicht möglich. Wenn wir jünger der Kunst einmal etwas wissen, so wissen wir es auch ordentlich und richtig. Wir sind ja eben von den Nijoras überfallen worden.“
„Das weiß ich. Drei von Ihnen haben sich gerettet.“
„Drei? Da denken Sie höchst wahrscheinlich an Buttler, Poller und den Ölprinzen. Die sind uns leider durchgebrannt.“
„Durchgebrannt? Also entflohen? Etwa Ihnen?“
„Ja.“
„Aber sie wollen doch Ihre Gefährten gewesen sein. Wie ist es da möglich, daß sie Ihnen entflohen sein können?“
„Es ist so. Glauben Sie es mir.“
„Das werden Sie mir noch deutlicher erklären müssen. Diese drei Männer erzählten, daß Old Shatterhand mit seiner Gesellschaft noch gefangen gewesen sei, als es ihnen gelang, sich zu retten.“
„Das ist entweder eine Lüge oder ein Irrtum in der Zeitrechnung. Als sie sich davonmachten, waren wir schon längst wieder frei. Haben Sie denn diese drei Personen gesehen?“
„Sogar gesprochen haben wir mit ihnen.“
„Da will ich hoffen, daß Sie sich in acht genommen haben!“
„Warum?“
„Weil das Menschen zu sein scheinen, denen man nicht weiter trauen darf, als man sie sieht. Die haben den Schalk im Nacken, ja ja, den Schalk im Nacken. Es ist ihnen sogar gelungen, mich zu täuschen, mich, der ich ein Sohn der Musen bin. Das will doch gewiß viel heißen, sehr viel! Ich werde Ihnen das schon noch erzählen, Frau Häuptling.“
„Ja, später. Für jetzt möchte ich zunächst wissen, wo Old Shatterhand und Winnetou sich befinden.“
„Das weiß ich nicht.“
„Nicht? Aus Ihren früheren Worten schien aber doch hervorzugehen, daß Sie es wissen müssen!“
„Das mag sein. Aber einesteils bekümmere ich mich nicht eingehend um solche Sachen, weil meine Heldenoper alle meine Gedanken in Anspruch nimmt, und andernteils verhalten sich meine Gefährten nicht so mitteilsam gegen mich, wie Sie anzunehmen scheinen. Es ist dies eine sehr zarte Rücksichtnahme von ihnen, für welche ich ihnen wirklich dankbar sein muß. Sie wollen mich nicht mit diesen profanen Sachen belästigen, da ich weit Höheres zu schaffen habe. Ich weiß also nicht, wo Old Shatterhand und Winnetou sich in diesem Augenblicke befinden; ich kann nur sagen, daß sie hinter den Nijoras her sind. Wenn sie mich mitgenommen hätten, könnte ich Ihnen den Ort, wo man sie jetzt zu suchen hat, genau sagen.“
„Wann sind sie denn von Ihnen fort?“
„Noch vor Mittag heut. Sie haben niemand als nur Schi-So mitgenommen.“
„Schi-So? Was? Meinen Sohn?“
„Ihren Sohn? Wie? Er ist Ihr Sohn?“
„Ja. Wußten Sie das nicht?“
„Nein. Ich wußte nur, daß er der Sohn von Nitsas-Ini sei, ob aber auch der Ihrige, das war mir bis zum gegenwärtigen Augenblicke unbekannt.“
„Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Frau des Häuptlings bin!“
„Das stimmt; aber wissen Sie, es ist für einen jünger der Kunst nicht so leicht, sich in die Verhältnisse einer Familie hineinzudenken, bei der die Mutter weiß, der Vater aber von kupferner Farbe ist. Ich werde es mir aber sehr genau überlegen, und dann ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie in meiner Oper einen Platz bekommen, etwa als rote Heldenmutter, denn eine weiße habe ich schon in der Person von Frau Rosalie Ebersbach.“
Der Kantor kam ihr etwas sonderbar vor. Sie schüttelte leise den Kopf und erkundigte sich dann:
„Was thaten Sie denn eigentlich vorhin da drüben, wo Sie sich befanden?“
„Ich komponierte.“
„Das heißt, Sie arbeiteten an Ihrer Oper?“
„Ja. Ich komponierte den Heldeneinzugsmarsch.“
„Aber so laut!“
„Das muß so sein; das geht nicht anders. Ich muß doch hören, wie die einzelnen Instrumente klingen.“
„Aber das kann Ihnen doch sehr leicht das Leben kosten l“
„Fällt ihm nicht ein!“
„O doch! Wie nun, wenn Feinde in der Nähe gewesen wären?“
„Es waren keine da.“
„Wußten Sie das?“
„Ja.“
„Woher?“
„Sam Hawkens hat es gesagt. Darum paßte er auch nicht sehr auf mich auf, und so gelang es mir, mich zu entfernen, ohne daß man acht darauf hatte. Ich ging so weit fort, daß sie mich nicht hören konnten, und probierte da die einzelnen Stimmen des Orchesters durch. Da wurde ich leider plötzlich unterbrochen. Man packte mich von hinten, schnürte mir die Kehle zu, so daß es mit dem Komponieren rein alle war, und transportierte mich hierher. Ich hoffe, daß man mich wieder hinüberschafft!“
„Das wird geschehen. Ist es weit bis zu Ihrem Lager?“
„Nun, eine tüchtige Viertelstunde wird man zu gehen haben, da ich mich so weit entfernen mußte, um nicht gehört zu werden.“
„Und wer befehligt dort?“
„Sam Hawkens hat den Oberbefehl. Old Shatterhand hat nur die Weisung gegeben, daß wir ihnen möglichst schnell auf ihrer Fährte nachfolgen sollten. Bei Anbruch des Abends mußten wir natürlich Lager machen, weil in der Dunkelheit die Fährte nicht zu sehen war.“
„So ist es gut für einstweilen; ich werde jetzt mit meinem Manne sprechen.“
Sie wollte sich nach diesen Worten von ihm abwenden; da hielt er sie am Arme zurück und bat:
„Vergessen Sie nicht, ihm zu sagen, daß ich ein jünger der Kunst und ein Sohn der Musen bin! Man soll mich ja nicht wieder so durch das Wasser schleppen, wie es vorhin geschehen ist!“
Da trat Wolf, der von fern gestanden und zugehört hatte, zu ihm heran und sagte in barschem Tone:
„Da hätten Sie hübsch daheim bleiben sollen. Musensöhne gehören nicht hierher nach dem wilden Westen!“
„Warum?“ fragte der Kantor.
„Weil sie, wenn sie Ihnen nur einigermaßen ähneln, ganz konfuse und verrückte Menschen sind.“
„Oho! Da muß ich denn doch bitten, in einem andern Tone mit mir – –“
„Schweigen Sie! Was Sie gethan haben, ist eine ganz unverzeihliche Unvorsichtigkeit. Wenn Sam Hawkens geglaubt hat, daß keine Feinde hier sein können, so ist das ein Irrtum gewesen. Daß Sie sich aber aus dem Lager entfernt haben, ohne um Erlaubnis zu fragen, das konnte Ihnen allen leicht das Leben kosten. Wie nun, wenn an unsrer Stelle sich die Nijoras hier befunden hätten?“
„Die sind drüben am linken Ufer!“
„Sie könnten auch herübergegangen sein. Dann wären Sie verloren gewesen. Übrigens können wir Ihre Aussagen gar nicht als maßgebend betrachten. Wir sind gezwungen, einige Kundschafter fortzuschicken, um zu erfahren, was von Ihren Darlegungen falsch und was richtig ist.“
„Es ist alles richtig! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.“
„Ihr Wort gilt gar nichts. Sie kommen mir so verworren vor, daß ich diejenigen nicht beneide, welche sich mit Ihnen zu befassen haben. Wer weiß, was für Unheil schon von Ihnen angerichtet worden ist!“
„Nicht das geringste! Von der Kunst kann überhaupt nur Heil und Segen kommen.“
„Aber von ihren Jüngern nicht, wenn sie Ihnen gleichen.“
„Das ist eine Beleidigung, Herr! Wer sind Sie denn eigentlich? Sie reden deutsch. Sind Sie etwa ein Landsmann von mir?“
„Ja.“
„So sollten Sie höflicher sein. Wenn sich Landsleute so fern von der Heimat treffen, so sollten sie sich freuen, aber nicht einander ärgern!“
„Da haben Sie recht. Aber wer sich über so einen Konfusionsrat, wie Sie sind, nicht ärgert, der muß ein Engel sein. Sie bringen nicht nur die Sicherheit, sondern das Leben Ihrer Gefährten in Gefahr, und das geht mich auch etwas an, denn, wenn ich mich nicht irre, befindet sich bei Ihnen eine Person, welche meinem Herzen sehr nahe steht.“
„Wer könnte das sein? Etwa Frau Rosalie Ebersbach?“
„Unsinn! Ist nicht ein junger Deutscher bei Ihnen, welcher Wolf heißt?“
„Jawohl, Adolf Wolf.“
„Nun, ich heiße auch Wolf.“
„Ah, da sind Sie vielleicht gar der Onkel?“
„Woher vermuten Sie das?“
„Weil ich weiß, daß er zu seinem Onkel will. Sie heißen auch Wolf und sagen, daß er Ihrem Herzen nahe steht; da denke ich natürlich, daß er der Neffe ist.“
„So ist es auch. Da haben Sie gezeigt, daß Sie doch auch einmal logisch denken können, und das soll mich mit Ihnen aussöhnen. Setzen Sie sich nieder! Sie werden hier warten müssen, bis die Kundschafter zurück sind. Ich gehe selbst mit ihnen.“
Nun verdolmetschte er den Indianern, was er von dem Kantor erfahren hatte, und es wurde dann beschlossen, daß er mit noch zwei Roten über den Fluß schwimmen sollte, um das Lager der Weißen aufzusuchen.
Die drei waren gute Schwimmer; sie kamen leicht und schnell hinüber und wendeten sich dann links, um leise am Wasser hinschleichend, sich dem Lager zu nähern. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, so hörten sie Schritte, welche sich ihnen näherten. Schnell versteckten sie sich hinter einige Büsche. Die Personen, welche kamen, sprachen miteinander, doch nicht laut. Wolf sah, als sie herangekommen waren, daß es zwei waren; sie blieben halten und lauschten.
„Das is doch wirklich een schrecklicher Mensch,“ sagte der eine. „Der hat wahrhaftig gar keen bißchen Sitzefleesch; sobald wir Lager machen, schleicht er sich off und davon. Nu müssen wir uns in alle Richtungen komprimieren, um ihn zu finden, und dürfen doch nich laut nach ihm rufen, weil een Ohr da herum schtecken könnte, was keene angenehmen Gesinnungen für uns im Busen trägt. Wenn wir ihn gefunden haben, so hängen wir ihn an. Meenste nich ooch, alter Droll?“
„Ja,“ stimmte der andre bei. „Die Oper, die er mache will, is verrückt, und er selber is noch viel verrückter. Der kann uns noch in großen Schaden bringe. Es wird wirklich nich anders; wir müssen ihn anhänge!“
Wolf hörte, daß er es mit Deutschen zu thun hatte, und grüßte hinter seinem Busche hervor:
„Guten Abend, meine Herren, es freut mich sehr, Landsleute hier zu treffen.“
Aber er sah die beiden schon nicht mehr, er hörte nur das Knacken ihrer Gewehrhähne. Sie waren gleich beim ersten Worte, welches er gesprochen hatte, wie in den Erdboden hinein verschwunden.
„Wo sind Sie hin?“ fuhr Wolf fort. „Aus Ihrem Verhalten und Ihrer Schnelligkeit ersehe ich, daß Sie gute Westmänner sind; aber Ihre Vorsicht ist hier unnötig. Sie hören ja, daß ich auch deutsch spreche.“
„Das zieht bei uns nich,“ lautete die Antwort hinter einem Gesträuch heraus. „Es gibt mehrschtenteels Schurken, die ooch zuweilen deutsch reden können.“
„Ich bin aber ein wirklicher Deutscher!“
Als er sich dann in kurzen Worten als Adolf Wolfs Onkel legitimiert und über das Zusammentreffen mit dem Kantor berichtet hatte, rief Hobble-Frank:
„Alle Wetter, is das so! Da is es gut, daß wir eenander nich erschossen haben! Also sind Sie der Onkel von Adolf Wolf? Da krauchen Sie doch mal nich länger dort im Busch herum, sondern kommen Sie raus, Sie alter deutscher Napoleum!“
„Gern; vorher aber noch ein Wort. Es sind zwei Navajokrieger bei mir. Wie werden Sie sich zu ihnen verhalten?“
„So freundlich, als ob sie meine zwee eenzigen Patenkinder wären. Die Navajos sind doch unsre Freunde!“
„Gut, so kommen wir!“
Er trat mit den beiden Roten aus seinem Verstecke hervor und die beiden andern tauchten auch wieder wie aus der Erde auf. Der eine reichte ihm die Hand entgegen und sagte:
„Jetzt können wir off Ihren Gruß antworten. Guten Abend also und willkommen unter Freunden. Und damit Sie wissen, wer wir sind- Ich bin Herr Hehogabalus Morpheus Edeward Franke, genannt der Bärenjäger Hobble-Frank. Und hier mein Freund und Kamerad is die sogenannte Tante Droll, alias Herr Sebastian Melchior Pampel.“
„Es freut mich, zwei so tüchtige Westmänner persönlich kennen zu lernen. Wollen Sie mich nach Ihrem Lagerführen?“
„Sehr gerne. Erlauben Sie mir, Ihr Cicero zu sein, aber sagen Sie mir dabei, wo eegentlich nun unser Kantor schteckt!“
„Er befindet sich in unserm Lager,“ antwortete Wolf, „wir mußten ihn so lange festhalten, bis wir erfahren hatten, zu wem er gehörte.“
„Das kann ich Ihnen sagen: Unter die Narren gehört er. Der Mann hat uns schon sehr viel Unannehmlichkeeten und Emballagen bereitet.“
Als sie den Lagerplatz erreichten, befanden sich nur die Auswanderer mit ihren Frauen und Kindern dort; die andern waren fortgegangen, um nach dem Kantor zu suchen.
„Wie benachrichtigen wir sie nur?“ fragte Frank. „Wir können sie doch nich holen, weil wir nich wissen, wo sie schtecken.“
„Schießen Sie ein Gewehr ab,“ riet Wolf. „Da werden sie gleich kommen.“
„Aber es könnten doch feindliche Menschen sich in der Nähe befinden; die würden wir durch den Schuß anlocken.“
„Nein. Nun, da ich unser Lager und das Ihrige kenne, weiß ich sehr genau, daß wir nichts zu befürchten haben.“
Auf dieses Wort hin schoß Frank sein Gewehr ab. Dann horchten sie, ob sich das Geräusch der Nahenden bald hören lassen werde.
Die Auswanderer betrachteten die drei Ankömmlinge mit neugierigen Blicken; sie hatten vor den beiden Indianern erschrecken wollen, wurden aber durch den Umstand, daß Frank sie gebracht hatte, schnell beruhigt. Der Schuß brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Die Abwesenden kehrten in kurzer Zeit einer nach dem andern zurück. Es läßt sich denken, wie entzückt Adolf Wolf war, als sein Oheim sich ihm zu erkennen gab. Es gab eine Scene der Freude und der Rührung, an welcher auch die andern alle herzlichen Anteil nahmen. Gern hätten dann Onkel und Neffe sich von ihnen abgesondert, um über die Heimat, die Verwandten und über alles zu sprechen, was ihnen auf dem Herzen lag, doch gab es keine Zeit dazu; die Gefühle der einzelnen Personen mußten zurücktreten vor der Gefahr, in welcher sich alle befanden. Und da Wolf in diesem Augenblicke der Vertreter der Navajos war, so wurde er jetzt als solcher vor allen Dingen in Anspruch genommen.
Es waren ihm die Namen sämtlicher Anwesenden genannt worden, und er wendete sich zunächst an den Bankier:
„Wenn ich mich nicht irre, wurdet Ihr mir als Mr. Rollins aus Arkansas bezeichnet. Ist es so?“
„Ja, Sir,“ antwortete der Gefragte.
„Seid Ihr etwa der Bankier dieses Namens?“
„Ja.“
„Habt eine Ölquelle gekauft?“
„Leider ja, die aber keine Ölquelle war.“
„Dachte es mir. Seid beschwindelt worden.“
„Und wie! Leider sind uns die drei Kerle entkommen. Ich hoffe aber, daß wir sie noch einholen werden.“
„Wollt sie also nicht laufen lassen?“
„Nein. Sie haben ja meine Anweisung bei sich und wollen nach Frisco hinunter, um sie dort in Gold umzusetzen.“
„Wenn’s nur das ist, so laßt sie immer laufen!“
„So? Das ratet Ihr mir? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“
„Aus diesem Grunde hier. Wollt Ihr einmal sehen, was dies ist?“
Er zog einen Gegenstand aus der Tasche und reichte ihn Rollins hin. Als dieser einen Blick darauf geworfen hatte, rief er in froher Überraschung aus:
„Sir, was sehe ich da! Das ist ja meine Unterschrift, die Anweisung, welche ich in Grinleys Händen glaubte!“
„Wie Ihr seht, habt Ihr Euch da geirrt; er besitzt sie nicht mehr.“
„Sie ist’s; sie ist es wirklich. Nun ist alles gut; nun habe ich diesen Verlust nicht mehr zu befürchten; das, was es mich bisher gekostet hat, will ich gar nicht rechnen.“
Dann mußte Wolf erzählen, wie er in den Besitz dieser Schrift gekommen sei.
Er that dies in kurzer Weise; als er dann sagte, daß Grinley, Buttler und Poller wieder umgekehrt seien, fragte Sam Hawkens:
„Wollen die Kerle etwa hinter Euch her, Mr. Wolf?“
„Natürlich, sie wollen die Gelegenheit, wenn ich mich einmal allein von den andern entferne, abwarten und mich überfallen, um mir das Papier wieder abzunehmen.“
„So ist es; so denke ich es mir auch. Soll ihnen aber nicht nur nicht gelingen, sondern sie werden sich dadurch in unsre Hände liefern.“
„Das hoffe ich auch.“
„Und dann werden wir kurzen Prozeß mit ihnen machen. Wenigstens entlaufen sollen sie uns gewiß nicht wieder. Wo habt ihr euch heut gelagert?“
„Eine Viertelstunde abwärts von hier am jenseitigen Ufer.“
„Denkt ihr, daß sie euch nahe sind?“
„Nein. Sie haben unsrer Fährte nur so lange, als es Tag war, folgen können; dann mußten sie warten. Wir haben also einen ziemlichen Vorsprung vor ihnen.“
„Schön, so fangen wir sie morgen.“
„Oder auch nicht!“
„Warum nicht?“
„Weil wir da mit den Nijoras zu thun bekommen werden.“
„Hm, das ist wahr. Möchte wissen, was diese Halunken vornehmen werden, wenn sie euer voriges Lager erreichen und da sehen, daß die Vögel, die sie fangen wollten, ausgeflogen sind.“
„Das ist doch leicht zu denken.“
„Meint Ihr? Ich glaube es nicht.“
„Sie werden natürlich über den Fluß gehen und uns folgen.“
„Für so dumm halte ich Mokaschi nicht.“
„Dumm? Wieso würde dies eine Dummheit sein?“
„Weil ihr ihm weit überlegen seid. Er hat dreihundert Krieger bei sich und wird Kundschafter voransenden, welche euer Lager beobachten sollen. Wenn sie sehen, daß es verlassen ist, werden sie hinreiten, um das Terrain genau in Augenschein zu nehmen. Sie müßten blind sein, wenn sie da nicht sähen, daß ihr die doppelte Anzahl von Männern seid. Das melden sie dem Häuptling, und da wird er sich wohl hüten, seine Absicht, euch anzugreifen, auszuführen.“
„Und was meint Ihr, was er dann thun wird? Verzichten?“
„Nein. Er wird sich zurückziehen und eilende Boten heimsenden, welche Nachschub holen müssen. Ist dieser angekommen, dann geht er wieder angriffsweise vor.“
„Und uns soll er da die Dummheit zutrauen, so lange zu warten, bis er seine Krieger verdoppelt hat? Nein, nein, Mr. Hawkens; ich bin da ganz andrer Ansicht als Ihr.“
„So laßt sie hören! Nur wenn jeder seine Meinung sagt, kann man zur richtigen Klarheit kommen.“
„Die Sache liegt ganz anders, als Ihr annehmt. Euer Ölprinz hat uns belogen, indem er sagte, daß die Nijoras am rechten Flußufer abwärts kämen; die Absicht, die ihn dabei geleitet hat, ist leicht zu durchschauen.“
„Well. Er hat den Kampf zwischen den Navajos und Nijoras hinausschieben wollen, um Zeit zur Ausführung seines Vorhabens zu bekommen.“
„So ist es. Die Nijoras reiten am linken Flußufer hinab, um die Navajos zu überrumpeln, und diese reiten am rechten Ufer aufwärts, um jenen zuvorzukommen. Das ergibt ein Such- und Versteckensspiel, bei welchem gewiß so viel Zeit vergeht, als er braucht, um wieder zu seiner Anweisung zu kommen. Davon wissen aber die Nijoras nichts. Sie ahnen nicht, daß der Ölprinz bei uns gewesen ist und uns diese Lüge gesagt hat. Sie finden unser Lager verlassen; sie sehen unsre Fährte und werden derselben ungesäumt folgen, um plötzlich, wenn wir dies gar nicht ahnen, von hinten über uns herzufallen. Ein so ungeahnter Angriff, ein solcher Überfall vom Rücken her gleicht den Zahlenunterschied vollständig aus. Das werdet Ihr mir zugeben.“
„Kann nichts dagegen sagen; denke aber doch, daß sie sich hüten werden, das zu thun, was Ihr von ihnen annehmt.
Übrigens gibt es hier einen Umstand, den wir mehr als alles andre in Berechnung ziehen müssen.“
„Und der ist?“
„Old Shatterhand und Winnetou, welche uns mit Schi-So vorangeritten sind.“
„Daß dies geschehen ist, das habe ich erfahren; aber warum sie es gethan haben, das weiß ich noch nicht. Sie wollten wohl die Nijoras beobachten?“
„Eigentlich nicht. Einer solchen Beobachtung bedurfte es nicht, weil es als sicher anzunehmen war, daß sie direkt zu den Navajos reiten würden. Diese mußten von dem bevorstehenden Überfalle benachrichtigt werden.“
„Ah, so wollten die drei zu uns?“
„Ja.“
„Da mußten sie aber doch von den Nijoras gesehen werden, die sich zwischen uns und den dreien befanden!“
„Nein, denn Old Shatterhand beabsichtigte, einen Bogen zu reiten. Er und Winnetou haben die besten Pferde des ganzen Westens, und für Schi-So wurde von den andern Tieren das schnellste ausgewählt. Es stand also zu erwarten, daß sie die Nijoras rechtzeitig überholen würden.“
Da machte Wolf ein bedenkliches Gesicht und sagte:
„Es ist mir nicht lieb, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, dies zu thun. Es war gar nicht notwendig, uns zu benachrichtigen.“
„Aber doch gewiß! Eure Kundschafter waren ergriffen worden; sie konnten euch also keine Nachricht bringen.“
„Aber unsre Posten waren aufmerksame Leute; sie hätten den anrückenden Feind gewiß bemerkt. Nun müssen wir grad auf die beiden Männer, auf welche wir uns sonst am meisten hätten verlassen können, verzichten, auf Winnetou und auf Old Shatterhand.“
„Verzichten? Das sehe ich denn doch nicht ein.“
„Aber gewiß. Wenn es ihnen auch gelingt, die Nijoras zu umreiten und ihnen zuvorzukommen, so treffen sie uns nicht an; sie finden das Lager verlassen und wissen nicht, was sie nun thun sollen. Hinter sich haben sie die Feinde, und wir sind fort. Sie werden dastehen und sich ansehen und ganz verwundert mit den Köpfen schütteln.“
Da lachte Sam Hawkens laut auf und rief:
„Dastehen, sich angucken, die Köpfe schütteln? Hihihihi! Was fällt Euch denn ein, Mr. Wolf! Ihr behauptet, diese beiden berühmten Männer zu kennen, und kennt sie doch ganz und gar nicht. Ich sage Euch, sie werden nicht dastehen, sich auch nicht ansehen und noch viel weniger verwundert die Köpfe schütteln. Ich möchte wissen, wann oder von wem sich einer von ihnen jemals hätte verblüffen lassen! Wenn Ihr das von ihnen denkt, so könnt Ihr mir leid thun, herzlich leid!“
„Ihr nehmt das, was ich gesagt habe, viel zu scharf, Mr. Hawkens. Ja, ich kenne diese beiden Männer, das darf ich gar wohl behaupten; und ich weiß, was sie geleistet haben und noch leisten können; es kommt eben kein andrer Westmann über sie. Aber sie sind doch auch nur Menschen, und es gibt Lagen, in denen selbst ein Ausbund von Klugheit Fehler machen würde.“
„Die zwei aber nicht; das sage ich Euch. Man hätte wirklich oft denken mögen, daß sie allwissend seien. So eine Divinationsgabe, wie sie besitzen, habe ich noch nie bei einem andern Menschen bemerkt. Sie besitzen ein Ahnungsvermögen, welches fast an das Hellsehen streift. Das ist ihnen natürlich angeboren und durch viele, viele Übung vergrößert und verfeinert. Ich bin überzeugt, daß sie trotz der vielen Eindrücke, welche eure Pferde beim Verlassen des Lagers gemacht haben, doch noch die Spuren von Grinley, Poller und Buttler entdecken, Sie werden sehen, daß diese hinter euch her sind, und wer weiß, was sie dann thun. Vielleicht etwas, woran kein andrer Mensch denken würde. Doch, da fällt mir ein: wir haben noch nicht von Khasti-tine und dem andern fehlenden Kundschafter gesprochen. Wißt ihr nicht, wo sie eigentlich stecken?“
„Ja.“
„Nun?“
„Es wurden zehn Kundschafter ausgesandt; acht sind bei den Nijoras gefangen; die beiden übrigen aber wurden ermordet.“
„Von wem?“
„Von den Nijoras natürlich.“
„Das vermutet ihr?“
„Wir vermuten es nicht bloß, sondern wir wissen es.“
„Von wem?“
„Von eurem Ölprinzen.“
„Ah! Der hat es euch gesagt?“
„Ja,“
„Und ihr habt es geglaubt?“
„Gewiß. Warum sollten wir es nicht glauben? Sie sind als Späher gegen die Feinde ausgezogen und von ihnen ertappt und erschossen worden. Das ist doch sehr einfach.“
„Nicht so einfach, wie ihr denkt. Ich habe doch gehört, daß besonders Khasti-tine ein ausgezeichneter Späher gewesen sein soll?“
„Nicht nur das. Er war trotz seiner Jugend ein Meister im Kundschaften.“
„So! Und da ist es euch nicht aufgefallen, daß er jetzt, wo er sich nicht allein befand, sondern neun Gefährten bei sich hatte, so unvorsichtig gewesen sein soll, sich erwischen zu lassen?“
Wolf sah Sam forschend in das Gesicht und fragte dann:
„Was beabsichtigt Ihr denn eigentlich mit Euren Worten?“
„Euch auf die Wahrheit zu bringen. Die Nijoras haben Eure Späher nicht getötet.“
„Wer denn?“
„Der Ölprinz.“
„Der – Ölprinz?“ wiederholte Wolf im Tone des absolutesten Unglaubens.
„Ja, der Ölprinz,“ bestätigte Sam.
„Das ist ein Irrtum. Wer hat Euch das weisgemacht?“
„Hört, Mr. Wolf, Sam Hawkens läßt sich nicht so leicht etwas weismachen!“
„Mag sein; so seid Ihr erbittert gegen den Ölprinzen, und diese Erbitterung hat Euch auf eine ungerechtfertigte Vermutung, auf eine falsche Berechnung gebracht.“
„Ich habe weder etwas vermutet noch etwas berechnet, sondern meine Behauptung gründet sich auf Thatsachen.“
„Alle Donner! So redet doch! Was sind das für Thatsachen?“
„Khasti-tine hat seine Sache ganz ausgezeichnet gemacht. Er beschlich den Häuptling der Nijoras so vortrefflich, daß dieser unbedingt in seine Hände fallen mußte; da aber kam ein andrer, ein ganz Unbeteiligter dazu und schoß ihn und seinen Gefährten hinterrücks nieder.“
„Und dieser Mörder soll – soll – euer Ölprinz gewesen sein?“
„Soll es nicht gewesen sein, sondern ist es gewesen.“
„Beweist es mir; beweist es!“
„Nichts ist leichter als das. Es waren Zeugen dabei, zwei Männer, die es verhindern wollten, aber nicht verhindern konnten, weil es zu schnell geschah. Und diese Zeugen sitzen hier bei uns.“
„Hier?“ fragte Wolf, indem sein Blick suchend im Kreise herumging.
„Ja. Mr. Rollins und Mr. Baumgarten sind’s. Fragt sie nur; laßt es Euch von ihnen erzählen.“
Er wollte es doch noch nicht glauben; aber als der Bankier ihm den Vorgang genau und bis in das Einzelnste berichtet hatte, konnte er nicht länger zweifeln und rief nun um so grimmiger aus:
„Also dieser Kerl, dieser Schurke ist es wirklich gewesen! Und den haben wir bei uns gehabt! Er hat sich in meiner unmittelbaren Nähe befunden, so daß ich ihm das Messer in das Herz hätte stoßen können. Und wir haben nichts geahnt, nichts, gar nichts!“
„Ja, sogar bewaffnet habt ihr die Leute, hihihihi!“ lachte Sam in seiner sonderbaren Weise. „Habt das sehr gut gemacht, wirklich außerordentlich gut!“
„Schweigt, Mr. Hawkens! Konnte man an so etwas denken? Ist so eine Frechheit für möglich zu halten? Kann ein Mensch, der unsre Kundschafter ermordet, sich dann zu uns wagen und Unterstützung von uns verlangen?“
„Daß es möglich ist, habt Ihr soeben erfahren. Gut nur, daß Ihr die Anweisung zurückbehalten habt. Den Kerl selbst freilich habt Ihr laufen lassen, ihn mit samt seinen beiden Helfershelfern.“
„Ja, das habe ich leider; aber ich bin überzeugt, daß dies nur für einstweilen gilt. Sie werden uns, und zwar vielleicht schon morgen, wieder in die Hände laufen.“
„Hm!“ brummte Sam.
„Was brummt Ihr dazu?“
„O, ich wollte damit nur sagen, daß oft nicht alles so geschieht, wie man es wünscht.“
„Pshaw! Die Kerle sind ja hinter uns her und wir brauchen also nichts, gar nichts zu thun, als auf sie zu warten.“
„Ganz richtig! Aber wenn ihr nun nicht warten könnt? Es kann leicht etwas geschehen, was euch anderweit vollständig in Anspruch nimmt. Oder der Ölprinz kann sich besinnen und umkehren.“
„So jagen wir ihm nach und ruhen nicht eher, als bis wir ihn erwischen! Ich werde ihm morgen einige Kundschafter entgegenschicken, um darüber Gewißheit zu bekommen, ob er uns wirklich folgt oder nicht.“
„Und er sieht diese Kundschafter und macht sich aus dem Staube.“
„Das gewiß nicht, denn ich suche die besten meiner Leute aus. Also der, der ist der Mörder von Khasti-tine! Das muß der Häuptling erfahren, und zwar sofort! Er wartet überhaupt auf Nachricht. Ich muß ihn mit Euch zusammenbringen, damit wir uns wegen morgen beraten können. Wollt Ihr mitgehen?“
„Nein,“ antwortete Hawkens. „Er mag kommen.“
„Aber bedenkt, daß er ein bedeutender Häuptling ist! Er darf wohl erwarten, daß Ihr so höflich seid, ihn aufzusuchen!“
„Wie? Was? Seid Ihr so weit verindianert, daß Ihr einen Roten für höher und besser erachtet, als einen Weißen?“
„Das nicht, aber er ist Häuptling.“
„Schön! Er ist der Anführer seiner roten Männer, und ich bin heut Anführer dieser weißen Ladies und Gentlemen. Ich darf überhaupt nicht fort, selbst wenn ich wollte.“
„Warum nicht?“
„Als Old Shatterhand heut mit Winnetou und Schi-So fortritt, sagte er mir, er würde mir den Ort, wo wir des Nachts lagern sollten, durch das Umknicken von drei jungen Baumstämmchen bezeichnen. Wir sind seiner Spur gefolgt und gegen Abend auf dieses Zeichen getroffen. Da haben wir zu bleiben.“
„Aber warum?“
„Er hat gewünscht, daß wir uns in dieser Nacht hier befinden. Nach seinen Gründen habe ich ihn nicht gefragt; jedenfalls aber hat er welche, und wenn so ein Mann Gründe hat, so sind sie gewiß gut und man hat sie zu achten. Es ist vielleicht gar möglich, daß er kommt.“
„Heute nacht?“
„Ja.“
„Das kann er nicht.“
„O, der kann, was er will!“
„Aber wenn er nach unserm letzten Lager geritten ist und dabei gezwungen war, einen Bogen um die Nijoras zu schlagen, so kann er in dieser Nacht nicht hier sein.“
„Geht mich gar nichts an. Er hat seinen Grund gehabt, mir diesen Ort hier anzuweisen, sonst wäre es ja gar nicht nötig gewesen, mir eine Stelle zu bezeichnen. Wir dürfen nicht von hier fort. Schickt also nach dem Großen Donner; er mag kommen!“
„Wie Ihr wollt; ich will nicht in Euch dringen.“
Er erteilte den beiden Indianern, welche mit ihm gekommen waren, den Auftrag, ihrem Häuptlinge die betreffende Meldung zu machen, und sie huschten vom Lagerfeuer fort, um diesen Befehl auszuführen.
Die Unterhaltung war bis jetzt in englischer Sprache geführt worden und da die deutschen Auswanderer derselben nicht mächtig waren, wußten sie nicht, wovon die Rede gewesen war. Darum bat Frau Rosalie den Hobble-Frank, ihr das Nötige mitzuteilen. Er that dies in deutscher Sprache. Als Wolf dies hörte, ging er auch vom Englischen auf das Deutsche über und machte hier und da einige Bemerkungen zu Franks Erklärungen.
Der Hobble schien ihm überhaupt zu gefallen. Es flogen Fragen und Antworten zwischen ihnen hin und her; das ernste Gesicht Wolfs erheiterte sich bei den sonderbaren Ausdrücken Franks immer mehr und endlich rief er lachend aus:
„Sie sind also wirklich das Original, wie es mir beschrieben worden ist. Ich wollte es nicht glauben.“
„Beschrieben worden? Von wem denn?“ fragte der kleine Mann.
„Von Old Shatterhand.“
„Hat er sich dabei eenes mündlichen oder eenes schriftlichen Tones bedient?“
„Mündlich natürlich, mündlich.“
„Und wie hat er mich da genannt? Een Original?“
„Ja, oder wenigstens so ähnlich.“
„Ähnlich? Danke sehr vor Wurschtfett ohne Majoran! Ich bin nich ähnlich; ich bin überhaupt keenem Menschen ähnlich. Was ich bin, das bin ich ooch richtig, das bin ich ganz. Und wenn mein verehrter Old Shatterhand mich een Original genannt hat, so will ich es ooch sein, denn das is eene Ehre für mich. Es gibt unter zehn Menschen kaum drei oder viere, die man Originalersch nennen könnte, denn nich jedermann hat den Origines schtudiert.“
Da blickte Wolf verwundert auf und fragte:
„Sie bringen den mit dem Worte Original zusammen?“
„Selbstverschtändlich!“
„Das ist ein Irrtum, Herr Franke!“
„Bitte, bewegen Sie sich ja nich in tiefern Luftschichten, während ich mit meiner Wissenschaft am höchsten Firmamente hinsegle! Ich kenne den Origines ganz genau – – –“
„Origenes wollen Sie sagen,“ unterbrach ihn Wolf.
„Fällt mir nich im Troome ein!“
„Aber es heißt doch so, Origenes!“
„Das is eene ganz grundlose Vermutung Ihres irrtümlichen Gedankensystems. Origines war zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft der berühmteste Brillenfabrikant und zugleich noch das berühmteste Original. Seit jener Zeit werden alle originale Menschen nach ihm benannt, ohne daß sie gerade ooch Brillenmacher oder Optikusse zu sein brauchen.“
„Ich glaube aber behaupten zu müssen, daß Origenes ein berühmter Kirchenlehrer gewesen ist. Es gab auch noch einen andern Origenes, welcher Philosoph war.“
„So? Gab es denn nich ooch noch eenen dritten Origines, der Velocipedist gewesen ist? Es is doch höchst eegentümlich, daß, sobald zwee Deutsche sich zum erschten Male treffen, allemal die gelehrten Reibereien losgehen! Das is wirklich nur bei den Deutschen der Fall, denn es is mir noch niemals vorgekommen, daß mir een Araber oder Chinese widersprochen hat. Die haben mich schtets reden lassen!“
„Gut, so werde ich dasselbe thun,“ lachte Wolf.
„Das is sehr weise von Ihnen gehandelt, denn dadurch erschparen Sie sich wissenschaftliche Demütigungen, denen Ihr kindlicher Geist noch nich gewachsen is. Schpäter, wenn wir uns erscht ‚mal über die Schöpfung im allgemeenen und im besondern geeenigt haben werden, werde ich Ihnen een paar Bücher borgen, aus denen Sie die Anfangsgründe der diätetischen Weltanschauung kennen lernen können, wenn Sie Anlage dazu besitzen und sich die gehörige Mühe geben. Bis dahin aber wollen wir lieber von Dingen schprechen, welche nich so angreifend für Ihr sanftes Gehirn sind. Wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, so bin ich gar nich abgeneigt dazu, denn die wahre Bildung und Improvidenz beschteht darin, daß man sich mit Vergnügen zu dem geistig Schwächeren herunterläßt; aber da müssen wir een Thema suchen, wozu Ihr Nervensystem mehr heitere Minorität besitzt, als zu solchen hohen metallischen Konflikten.“
„Gut, Herr Franke,“ lächelte Wolf. „Ist es Ihnen recht, wenn wir von dem reden, was uns am nächsten liegt, also von den Indianern?“
„Da schtimme ich bei, obwohl ich ooch da überzeugt bin, daß Sie mit Ihren Ansichten in die Käse fliegen.“
„In die Käse? Wieso oder warum?“
„Weil es Ihnen jedenfalls ooch da an der ausgedehnten Erfahrung und Expansation mangelt,“
„Expansion, meinen Sie?“
„Nee, ich meene Expansation. Sie müssen sich das een für alle Male merken, daß ich es schtets so meene, wie ich es sage. Wer es anders meent, der is keen Ehrenmann, ooch in Beziehung off die Fremdwörter nich!“
„Gut! Also Sie behaupten, daß es mir in Beziehung auf die Indianer an der Erfahrung mangelt?“
„Ja.“
„Ich weiß aber, daß ich mich schon weit länger im Westen befinde, als Sie.“
„Das thut nischt. Schtecken sie heut eenen fein dressierten arabischen Hengst in eenen Eselsschtall, so wird der Esel ooch denken oder gar sagen, er is länger da. Die Zeit thut’s nich, sondern der Geist, das is die Hauptsache. Sie sind nur körperlich hier gewesen; ich aber habe meinen ganzen Geist in die indianischen Verhältnisse versenkt, und zwar so tief, daß ich ihn beinahe nich wieder herausgebracht hätte.“
„Er wollte also darin stecken bleiben?“
„Unsinn! Mein Geist bleibt niemals schtecken! Nee, er wollte durch, ganz durch, mitten durch und off der andern Seite wieder ’naus. Das wollte ich aber nich, weil ich doch nich wußte, wo ich da hingeraten würde. Ja, so is es; ich habe die Indianer förmlich schtudiert. Was für welche kennen denn Sie?“
„Alle Stämme, die hier in dieser Gegend wohnen.“
„Nur? Da reichen Sie mir mit Ihrer ganzen, langen Geschtalt nich ‚mal ‚rauf bis an meine Hosentasche. Ich bin bis hinauf zum Nationalpark gewesen, nämlich mit Old Shatterhand und Winnetou. Da haben wir ganz andre Schtudien machen können und ganz andre Indsmen kennen gelernt.“
„Ja, ich weiß es; ich habe es gehört. Sie haben es damals mit den Sioux zu thun gehabt.“
„Sogar mit den Ogallellah!“
„Die sind wohl schlimmer als die hiesigen Roten?“
„Schlimmer? Hm! Dieses Ausdruckes mag ich mich überhaupt nich bedienen. Für eenen tüchtigen Weißen is überhaupt keen Indianer schlimm; er haut sie alle in die Pfanne, wenn er nämlich wilde wird. Unsereenem gegenüber is es ganz gleich, ob’s een Apache oder een Comanche oder een Dakota is, sie sind doch alle weiter nischt als bloße Senfindianer.“
„Senfindianer? Wieso?“
„Das wissen Sie nich?“
„Nein.“
„Na, da sagen Sie nun nich mehr, daß Sie die Indianer kennen!“
„Aber, Herr Franke, von einem Senfindianer habe ich wirklich noch nichts gehört.“
„Nich? Da hört doch alles off! Es gibt nich nur eenen, sondern sogar zwee Senfindianer. Und da kennen Sie wirklich keenen davon?“
„Nein.“
„Weder den alten noch den jungen?“
„Nein. Vielleicht sind Sie so gut, mich aufzuklären.“
„Ja, ich will die Güte haben.“
„Wo leben denn diese beiden Senfindianer?“
„Das thut gar nischt zur Sache; es genügt für Sie, zu wissen, daß sie in Washington gewesen sind.“
„In Washington? So?“
„Ja, beim großen, weißen Vater. Sie wissen vielleicht, wer mit diesen Worten gemeent sein soll?“
„Ja. Die Indianer pflegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten den großen, weißen Vater zu nennen.“
„Richtig! Wie ich höre, sind Sie doch nich ohne alle Anlage zur Wissenschaft. Also diese beeden Indianer waren von ihrem Schtamme nach Washington gesandt worden, um dem großen, weißen Vater eenige Wünsche des Schtammes vorzutragen. Als Gesandtschaft mußten sie nobel und rücksichtsvoll behandelt werden, und darum wurden sie des Abends zum Supper, zum Abendessen beim Präsidenten eingeladen. Sie saßen da nebeneenander ganz unten an der Tafel, die fast zusammenbrach vor Flaschen, Schüsseln und Tellern, die darauf schtanden. Da gab’s Schpeisen, die sie im Leben noch nich gesehen, noch viel weniger aber gegessen hatten; dabei lagen die Messer, Gabeln und Löffel, und sie mußten achtgeben, wie sie sich dabei zu benehmen hatten. Da raunte der Alte dem jungen listig zu: Mein junger Bruder mag mit mir offpassen, wovon die weißen Gäste am wenigsten nehmen; das ist die teuerste und köstlichste Schpeise; da langen wir tüchtig zu.
„Sie gaben also acht und bemerkten, daß am allerwenigsten genommen wurde von einer braunen Schpeise, die auf silbernen Untersetzern in kleenen, feinen Gläsern schteckte. In jedem Gläschen gab es eenen kleenen Löffel, der aus Schildkrötenschale gemacht war. Da meente der Alte wieder zu dem Jungen: In diesen Gläsern befindet sich das teuerste und köstlichste Gericht. Mein junger Bruder kann een solches Glas mit seiner Hand erreichen; er mag sich zuerst von der Schpeise nehmen.
„Der junge Indianer zog sich das Glas herbei, nahm eenen gehäuften Löffel voll und rasch darauf noch eenen zweeten. Dabei blickte er sich um, ob man wohl bemerkt habe, daß er gleich zwee Löffel voll genommen hatte. Keen Mensch guckte her. Erscht nun begann er, die köstliche Schpeise mit der Zunge zu zerdrücken, und der Alte sah ihm dabei voller Schpannung in das Gesicht. Dieses Gesicht wurde nach und nach gelb, rot und blau, sogar grün, aber es blieb schtarr und unbewegt, denn een Indianer darf selbst bei den ärgsten Schmerzen nich mit der Wimper zucken. Die Oogen wurden schtarr und immer schtarrer und fingen an zu thränen, bis das Wasser schtromweise über die Backen runterlief. Da machte der junge Indsman eenen fürchterlichen, todesmutigen Schluck, und – hinunter war der Senf und es wurde ihm wieder besser, nur daß das Wasser noch immer in Schtrömen aus den Oogen lief. Darum fragte der alte Indsman neugierig: Warum weint denn mein junger, roter Bruder?
„Dieser hätte um alles in der Welt nich eingestanden, daß ihm die köstliche Schpeise so off die Nerven und an das Leben gegangen sei, und darum antwortete er: Ich dachte eben daran, daß mein Vater vor fünf Jahren im Mississippi ertrunken is; darum weine ich.
„Bei diesen Worten schob er dem Alten das Glas hin. Dieser hatte gesehen, wie schlau sein junger Bruder gewesen war, und machte es ebenso: er schob schnell hinter eenander zwee volle Löffel in den Mund und klappte ihn dann rasch zu. Aber dann gingen mit eenem Male die Lippen wieder auseenander und klappten auf und zu wie bei eenem Karpfen, der keene Luft bekommen kann oder wie wenn man eenen brennend heeßen Bissen in den Mund gesteckt hat und doch nich wieder herausnehmen kann. Dann zog es dem Alten die Schtirnhaut in die Höhe, und in der Gurgel quirlte es höchst verdächtig. Die Farbe seines Gesichtes veränderte sich wie bei eenem Chamäleon; der Schweeß sickerte aus allen Poren; die Oogen wurden rot und füllten sich mit eenem See von Thränen, welcher bald überlief und seine Fluten über die Backen herniedergoß. Das sah der junge und fragte ihn: Warum weint mein alter, roter Bruder?
„Da schluckte dieser mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft den Senf hinunter, holte tief und schtöhnend Atem und antwortete: Ich weine darüber, daß du damals vor fünf Jahren nich ooch gleich mit ersoffen bist!
„So, Herr Wolf, das is die berühmte Geschichte von den zwee Senfindianern, die Sie noch nich kennen. Ich hoffe, daß Sie nun überzeugt sind, daß ich Ihnen ooch in diesem Fache weit überlegen bin!“
Ein allgemeines Gelächter war die Folge, ein Gelächter, in welches er selbst sehr kräftig einstimmte und welches bei der nächtlichen Stille, die rundum herrschte, wohl eine Viertelstunde weit zu hören war. Darum durfte es kein Wunder genannt werden, als vom Wasser her eine laute Stimme erschallte, welche im indianischen Englisch rief:
„Haben die Bleichgesichter den Verstand verloren, oder sind sie Weiber geworden, daß sie sich nicht beherrschen können? jeder Baum kann einen Feind verbergen, wenn man nicht daheim in seinem Zelte ist.“
Es war Nitsas-Ini, welcher kam, gefolgt von einigen seiner besten Krieger. Auch seine weiße Squaw brachte er mit, wohl deshalb, weil die Boten gesagt hatten, daß hier auch Frauen seien. Die Lagernden erhoben sich, ihn zu begrüßen. Er blieb vor ihrem geöffneten Kreise stehen und ließ, jedem einen scharfen, musternden Blick zuwerfend, sein Auge in die Runde geben. Als er Sam Hawkens sah, nahm sein ernstes Gesicht einen milderen Ausdruck an und er sagte, ihm die Hand reichend:
„Mein weißer Bruder Sam ist dabei? Dann weiß ich, daß diese laute Lustigkeit uns keinen Schaden bringen wird, denn Sam Hawkens läßt seine Stimme nicht hören, wenn ein Feind in der Nähe ist.“
Auch Dick Stone und Will Parker bekamen eine Hand, und dann wurden ihm die Namen der übrigen genannt. Von den Frauen nahm er nicht die geringste Notiz. Als ihm Adolf Wolf genannt wurde, legte er ihm die Hand auf den Kopf und sagte:
„Du bist der Freund meines Sohnes und der Neffe meines weißen Bruders. Sei willkommen unter den Zelten der Navajos! Du wirst wie ein Kind unsres Stammes sein.“
Beim Anblicke des Hobble-Frank, dessen Name ihm auch genannt wurde, lächelte er ein wenig und sagte.
„Mein Bruder Frank kennt alle Geheimnisse des Himmels und der Erde. Wir werden sehr viel von ihm lernen können.“
„Das ist wahr,“ antwortete Frank sehr ernst. „Es freut mich, daß der große Häuptling der Navajos dies weiß und anerkennt; darum werde ich ihm meine ganze Wissenschaft zur Verfügung stellen.“
Darauf machte der Hobble der weißen Squaw eine Verbeugung und sprach, indem er sich seiner Muttersprache bediente:
„Verehrte Dame, ich preise mich sehr glücklich, Ihre ergebenste Bekanntschaft zu machen. Wenn ich wüßte, daß Sie noch nischt von mir gehört hätten, so würde ich so freundlich sein, mich Ihnen mit meinem ganzen Namen zu – – –“
„Ist nicht nötig, Herr Franke,“ unterbrach sie ihn mit einem heiteren Lächeln. „Ich kenne Sie schon sehr genau.“
„Wohl aus den Erzählungen meines Freundes Old Shatterhand?“
„Ja. Auch Winnetou hat zuweilen von Ihnen gesprochen.“
„Freut mich ungemeen; trotzdem aber gebe ich Ihnen parlamentarisch zu bedenken, daß die richtige Wirklichkeet oder die wirkliche Richtigkeet niemals von eener bloßen Erzählung oder Beschreibung erreicht werden kann. Was Sie jetzt von mir wissen, das is, sozusagen, een kleenes Laternenlicht. Lassen Sie mich aber erscht acht Tage bei Ihnen sein, so wird Ihnen in mir eene Sonne leuchten, bei deren Schtrahlen alle Fixschterne erbleichen müssen. Erlooben Sie mir gehorsamst, Sie mit den hiesigen Herrschaften bekannt zu machen! Hier is vor allen Dingen unsre wackere Frau Rosalie Eberschbach. Nachher –“
Er wollte zu einer andern Person übergehen; aber Frau Rosalie schob ihn mit den Worten fort:
„Was man eenmal macht, das muß man ooch richtig machen. Verschtehn Se mich! Ich werde die Vorschtellung selber besorgen. Dazu brauchen wir keenen Herrn, der zwar gelehrt sein will, sich aber nich ‚mal eenen vollschtändigen Namen merken kann.“
„Na“, meinte er, „wollen Sie mir etwa gar zumuten, alle Ihre Namen herunterzuleiern, die Sie von der Wiege bis zum Grabe gehabt haben? Ich habe den richtigen genannt und der wird wohl genügen!“
„Genügen? I, was Sie nich sagen! Gewöhnlich genügt er, ja; aber bei eener Vorschtellung, wo off den Eindruck des erschten Oogenblicks so viel und alles ankommt, kann man nich ausführlich genug sein.“
Und sich zu der weißen Squaw wendend, fuhr sie fort:
„Also ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern, verwittwete Leiermüllern, aus Heimberg in Sachsen, und hier is Julius, mein zweeter Gatte und Schmiedemeester—“
In dieser Weise nannte sie die Namen aller Personen der vier Auswandrerfamilien und lud dann die Frau des Häuptlings ein, sich bei ihr niederzusetzen. Die Squaw folgte bereitwillig dieser Aufforderung und bald befanden sich die Damen in einer sehr angeregten Unterhaltung, welche aber auf die Bitte der Squaw leise geführt wurde, denn bei den Indianern haben die Frauen in Gegenwart der Männer zu schweigen, selbst wenn diese nicht sprechen.
Dieses letztere war hier zunächst auch der Fall. Der Häuptling hatte sich zu Sam Hawkens gesetzt und blickte lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen, finster vor sich hin. Die indianische Höflichkeit verbot den andern, sein Schweigen mit einem Worte zu brechen. Dann, nach ungefähr einer Viertelstunde, sagte er endlich:
„Mein Bruder Sam mag mir sagen, wohin Old Shatterhand mit Winnetou ist!“
„Sie sind hinter den Nijoras her, um, wenn es sich als notwendig erweisen würde, euch zu warnen.“
„So mag mir Sam erzählen, was geschehen ist!“
Hawkens kam dieser Aufforderung nach. Er unterrichtete den Häuptling von allem, ohne aber viel Worte zu machen. Als er geendet hatte, blickte Nitsas-Ini wieder eine Weile still vor sich hin und sagte dann:
„Morgen wird die Strafe kommen. Sind meine weißen Brüder bereit, uns zu helfen?“
„Ja,“ antwortete Sam. „Eure Feinde sind unsre Feinde, und unsre Freunde mögen auch die eurigen sein!“
„Sie sind es. Wir wollen das Kalummet darauf rauchen.“
Er nahm die Friedenspfeife von der Schnur, mittelst welcher sie an seinem Halse hing, öffnete den Tabaksbeutel und stopfte sie. Als er sie in Brand gesetzt hatte, erhob er sich, blies den Rauch nach dem Himmel und nach der Erde, dann nach den vier Himmelsrichtungen und sagte:
„Alle Bleichgesichter, welche hier versammelt sind, sollen unsre Brüder und Schwestern sein. Ich spreche im Namen des ganzen Stammes der Navajos. Howgh!“
Er hätte eigentlich dem Gebrauche gemäß eine lange Rede halten sollen, aber die Umstände waren heut so, daß er es für besser hielt, so kurz wie möglich zu sein. Bei dem letzten indianischen Worte Howgh, welches eine Bekräftigung wie unser Amen bedeutet, gab er die Pfeife an Sam und setzte sich wieder nieder. Dieser stand auf, that dieselben sechs Züge und sagte:
„Ich rauche und spreche im Namen meiner weißen Brüder und Schwestern, die sich hier befinden. Wir wollen wie Söhne und Töchter der Navajos sein und im Kampf und Frieden bei Euch bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!“
Er setzte sich auch wieder nieder und reichte dem Häuptlinge die Pfeife, der sie nun nicht weiter gab, sondern bis zu Ende rauchte. Als sie ausgegangen war, hing er sie wieder an die Schnur und sagte:
„Morgen, noch ehe die Sonne hoch gestiegen ist, wird das Blut des Mörders und seiner beiden Begleiter fließen.“
„Denkst du, daß sie bis zu dieser Zeit hier angekommen sein werden?“ fragte Sam.
„Sie werden hier sein.“
„Sie werden aber nicht offen geritten, sondern heimlich geschlichen kommen. Man wird gut aufpassen müssen, um sie zu sehen.“
„Ich werde ihnen zwei Männer entgegensenden, welche die Augen des Adlers haben; die werden es mir melden, wenn sie kommen und an welcher Stelle sie eintreffen.“
„Was das betrifft, so ist diese Stellung sehr leicht zu erraten.“
„Was meint mein Bruder Sam?“
„Sie werden natürlich eurer Fährte folgen und also an den Ort kommen, an welchem ihr jetzt lagert. Ihr braucht ihn nur zu verlassen und euch in der Nähe zu verstecken, so müssen sie in eure Hände fallen.“
„Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; aber dennoch werde ich ihnen die beiden Späher entgegensenden, damit sie mir ganz sicher sind und ich sie auf alle Fälle ergreife.“
„Aber wenn du nicht Zeit dazu hast?“
„Wer könnte mich hindern?“
„Die Nijoras.“
„Die werden mich nicht hindern, sondern mir im Gegenteile förderlich sein, die Mörder zu ergreifen. Sie sind nach unserm Lager; sie finden dieses verlassen und werden uns folgen. Sie haben also die Mörder vor sich, die wir hinter uns haben. Sie bringen sie uns zugetrieben.“
„Wenn du dich nicht irrst, soll es mich freuen.“
„Ich irre mich nicht, Was könnten die Nijoras anders thun, als uns folgen?“
„Old Shatterhand schien diese Ansicht nicht zu haben.“
„Und doch ist er fort, um uns zu warnen?“
„Das hat er vielleicht nur vorgeschützt, um nicht das Richtige sagen zu müssen.“
Der Häuptling schien einige Augenblicke über das Gehörte nachdenken zu müssen und fragte sodann, aber mit unterdrückter Stimme, da ihm sein Scharfsinn das Richtige beinahe ahnen ließ:
„Glaubt er vielleicht, daß die Nijoras nicht direkt nach unserm Lager sind?“
„Es schien fast so,“ antwortete Sam ebenso leise.
„Dann könnten sie es nur auf andre abgesehen haben?“
„Ja.“
„Auf euch?“
„Ich vermute es. Gesagt hat Old Shatterhand nichts.“
„Er hat geschwiegen, weil unter meinen weißen Brüdern Leute sind, welche Angst bekommen hätten.“
„Das vermute ich.“
Wolf war auch wieder mitgekommen. Er hatte, da er auch neben dem Häuptling saß, die letzten leisen Sätze gehört und gab jetzt seine entgegengesetzte Meinung zu hören:
„Was Ihr da gesagt habt, halte ich für grundfalsch. Es wird den Nijoras nicht einfallen, ihre Zeit damit zu verschwenden, daß sie euch abfassen, nachdem ihr ihnen schon vorher entkommen seid und sie sich sagen müssen, daß ihr euch in acht nehmen werdet. Das einzig Richtige, was sie thun können und auch thun werden, ist, daß sie erst uns angreifen, die wir stärker sind, als ihr seid, und erst dann, wenn sie uns besiegt haben, euch vornehmen.“
„Diese Ansicht hat ihre volle Berechtigung, wenn ich mich nicht irre,“ sagte Hawkens; „aber wir befinden uns in ihrem Rücken, und es ist eine alte, bewährte Regel, daß man sich stets und vor allen Dingen den Rücken freihalten soll.“
„Ich habe aber schon bereits gesagt, daß Old Shatterhand und Winnetou gar nicht wissen werden, woran sie sind. Sie befinden sich jenseits der Nijoras, die sie überholt haben, um uns zu warnen. Nun sind wir fort und da ist guter Rat für sie schwer.“
Er hatte, um seiner Ansicht mehr Nachdruck zu geben, lauter als vorher gesprochen, so daß alle seine Worte hören konnten. Daher kam es, daß Sams darauf folgende Entgegnung unwillkürlicher auch vernehmbarer wurde:
„Und ich wiederhole, was ich euch bereits gesagt habe: Für Winnetou und Old Shatterhand ist niemals guter Rat schwer. Sie wissen stets, was sie zu thun haben. Ich habe noch keinen von ihnen jemals im Zweifel darüber gesehen, was im nächsten Augenblicke geschehen soll.“
„Aber es gibt dennoch Augenblicke, in denen der Verstand des Klügsten nicht ausreichen will!“
„Für diese beiden nicht. Sie werden auch heute ganz genau gewußt haben, warum sie uns voranritten und warum wir hier lagern sollen.“
Da ertönte eine tiefe, männliche Stimme unter den nächsten Bäumen hervor:
„Recht so, Sam Hawkens! Man soll die Ehre und den guten Namen seiner Kameraden stets verfechten. Wir haben allerdings sehr wohl gewußt, was wir thaten und warum wir es thaten.“
Old Shatterhand war es, der diese Worte gesprochen hatte. Er kam jetzt herbei, schüttelte den Navajos allen, auch Wolf und der weißen Frau die Hände und sagte dann zu dem Häuptlinge:
„Warum haben meine Brüder keine Posten ausgestellt? Es war zwar nichts zu befürchten, weil ich mit Winnetou vorangewesen bin, aber man soll diese Vorsicht nie versäumen.“
Er that nicht im geringsten verwundert darüber, daß die Navajos sich hier anstatt in ihrem früheren Lager befanden. Und ebenso gleichgültig that Nitsas-Ini. Er wußte, daß Old Shatterhand seinen Sohn Schi-So mitgenommen hatte. Er brachte ihn aber nicht wieder. Warum? Er hätte gern gefragt. Sein Vaterherz sehnte sich nach dem Kinde; aber er durfte als Krieger und gar Häuptling sich dies nicht merken lassen.
Die weiße Squaw war, als sie Old Shatterhand sah, aufgesprungen. Sie wagte es nicht, eine Frage an ihn zu richten. Aber – wo war ihr Sohn? Mit dem Instinkte der Liebe wendete sie sich nach der Richtung, aus welcher der große Jäger gekommen war. Ihr Auge versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen; dann eilte sie mit dem lauten, jubelnden Ausrufe: „Schi-So, mein Stern!“ zwischen den nächsten Bäumen hinein.
Die Anwesenden harrten still, ohne ein Wort zu sprechen. Der Häuptling saß mit unbeweglichem Angesichte da, als ob er eine steinerne Statue sei. Da, vielleicht nach zehn Minuten, hörte man leichte Schritte aus dem Dunkel kommen. Die Squaw brachte ihren Sohn an der Hand geführt. Als sie mit ihm in den Kreis des Lichtes getreten war, ließ sie diese Hand los und setzte sich ruhig wieder an ihren Platz. Dem Herzen war Genüge geschehen, still, ohne laute Worte und Ausrufe, doch mit nicht weniger Zärtlichkeit; nun aber mußte dem indianischen Stolze auch Rechnung getragen werden.
Schi-So ging zu seinem Vater und reichte ihm die Hand entgegen. Der Häuptling sah seinen Sohn kommen; er erblickte die jugendkräftige Gestalt, das frische Gesicht, die intelligenten Züge, die gewandten Bewegungen. Einen Augenblick lang, aber auch nur einen einzigen Augenblick, leuchteten seine Augen in stolzer Freude auf; dann war sein Gesicht wieder so unbeweglich wie vorher; er ergriff nicht die dargereichte Hand des Sohnes, sondern that, als ob er ihn gar nicht sähe. Schi-So wendete sich um und setzte sich dann neben Adolf Wolf nieder. Es fiel ihm gar nicht ein, sich gekränkt zu fühlen. Er wußte, wie sehr sein Vater ihn liebte; er kannte die indianischen Anstandsregeln und bereute es, seinem Vater die Hand angeboten zu haben. Er hatte dies gethan, weil er aus Europa kam; nach der Sitte seiner Heimat war es nicht erlaubt. Er war ein Knabe und durfte in Gegenwart von Männern nichts thun, was in der gegenwärtigen Lage nicht unbedingt nötig war.
Old Shatterhand hatte diese Scene mit einem Lächeln der Befriedigung betrachtet. Er wußte, daß in dieser Familie mehr Liebe und Glück wohnte, als in mancher vornehmen, weißen, deren Glieder in Gegenwart andrer sich Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten erweisen, aber dann, wenn sie sich unbeobachtet wissen, einander wie Hund und Katze behandeln. Jetzt wurde er von dem Häuptlinge gefragt:
„Mein Bruder Old Shatterhand war in unserm früheren Lager?“
„Nein. Wäre ich dort gewesen, so könnte ich jetzt noch nicht wieder hier sein. Aber der Ölprinz war mit Buttler und Poller dort?“
„Ja.“
„Ihr habt ihnen Waffen und Munition gegeben?“
„Ja.“
„Sie haben gesagt, sie seien mit uns geritten, mit uns von den Nijoras ergriffen worden, aber so glücklich gewesen, zu entkommen?“
„So ist es. Woher weiß mein Bruder dies alles? Hat er vielleicht mit diesen drei Mördern gesprochen?“
„Nein,“ lächelte Old Shatterhand. „Was ich soeben sagte, vermutete ich. Diese Mörder brauchten Waffen; sie mußten also zu euch, denn weiter war niemand da, von dem sie welche erhalten konnten. Um euch gutwillig zu machen, mußten sie euch belügen und euch sagen, daß sie Begleiter und Beschützer von Schi-So gewesen seien. Das ist ja alles so selbstverständlich, daß ein jedes Kind es sich denken kann. Und selbst wenn ich Zeit gehabt hätte, so wäre es mir nicht eingefallen, nach eurem früheren Lagerplatze zu reiten, denn ich erfuhr gegen Abend, daß ihr ihn verlassen hattet.“
„Von wem?“
„Von meinen Augen.“
„Uff! So hast du uns gesehen?“
„Ja. Ich saß diesseits des Flusses auf einem hohen Baum, um nach den Nijoras auszuschauen, und sah euch am jenseitigen Ufer aufwärts gezogen kommen.“
„So haben die Nijoras uns vielleicht auch gesehen?“
„Nein.“
„Weißt du das genau?“
„Ja.“
„Von wem?“
„Von ihnen selbst. Sie haben es gesagt, und ich hörte es, denn ich habe sie belauscht. Schi-So war mit uns; er hielt die Pferde, während Winnetou und ich uns an die Feinde schlichen. Ich bin mit Schi-So zurückgekehrt, um meinen weißen Brüdern Nachricht zu geben und meine roten Brüder aufzusuchen; Winnetou aber blieb zurück, um die Feinde auch weiter zu beobachten. Ich bin sehr erfreut darüber, daß ich meinen Bruder Nitsas-Ini hier finde und die Krieger der Navajos nicht aufzusuchen brauche.“
„Auch ich freue mich sehr, meinen Bruder Shatterhand nach so langer Trennung wiederzusehen. Die Feinde werden morgen in unsre Hände fallen.“
„Das ist auch meine Ansicht, obgleich ich weiß, daß diejenige meines Bruders auf einer falschen Voraussetzung beruht.“
„Old Shatterhand irrt sich! Ich denke ganz dasselbe wie er.“
„Unmöglich.“
„Nein. Die Nijoras werden unsern Lagerplatz verlassen finden und unsern Spuren folgen.“
„Die Nijoras werden zunächst nicht nach euerm Lagerplatze reiten, sondern uns überfallen. Sie ahnen nicht, daß die Krieger der Navajos ihr Lager verlassen haben.“
„Uff! Meine weißen Brüder sollen überfallen werden?“
„Ja.“
„Wo?“
„Sie denken, daß wir ihnen folgen, um die Navajos aufzusuchen, und haben sich am Winterwasser festgesetzt, um uns dort ganz unerwartet einzuschließen.“
„Am Winterwasser? Dieser Plan ist sehr klug von ihnen ausgesonnen, denn es gibt keinen Platz, der sich so gut zu einem Überfalle eignet, wie dieser. Meine Brüder werden ihn vermeiden?“
„Wir werden im Gegenteile hingehen.“
„Und kämpfen?“
„Ja. Vielleicht aber ist ein Kampf gar nicht notwendig. Es ist möglich, daß sich die Nijoras ohne allen Kampf ergeben müssen.“
„Uff! Wie sollte das möglich sein?“
„Die Krieger der Navajos werden uns dabei helfen. Das denke ich doch!“
„Wenn du es wünschest, werden wir es thun. Aber wir wollten die Feinde jenseits des Flusses an unserm heutigen Lagerplatze erwarten.“
„Ich weiß nicht, wo ihr lagert; aber das Winterwasser eignet sich für unsern Zweck jedenfalls viel besser.“
„Mein Bruder hat recht. Wir werden mit ihm nach dem Winterwasser gehen. Aber wie sollen wir nun den Ölprinzen und seine beiden Mordgesellen erwischen?“
„Ihr wollt sie fangen?“ fragte Old Shatterhand, auf dessen Gesicht jetzt ein leichter Ausdruck des Erstaunens zu sehen war, eine außerordentliche Seltenheit bei diesem Manne, dessen Divinationsgabe Sam Hawkens noch vor kurzem so gerühmt hatte.
„Ja,“ antwortete der Häuptling.
„Aber ihr habt sie doch mit Gewehren und Munition ausgerüstet!“
„Weil sie uns belogen.“
„Und sie ungehindert ziehen lassen!“
„Weil ich ihnen mein Wort darauf gegeben hatte.“
„Ah, jetzt errate ich! Du wußtest ja noch nicht, daß der Ölprinz deine beiden Kundschafter ermordet hat!“
„Nein, das wußte ich nicht.“
„Hast es aber nun von meinen Gefährten erfahren?“
„Du hast es erraten.“
„Und nun willst du ihnen nach, um den Tod der Kundschafter zu rächen?“
„Rächen will und muß ich ihn, aber ich brauche sie nicht zu verfolgen, denn sie kommen uns nach.“
„Wirklich? Sonderbar! Sie sollten doch froh sein, euch und uns entkommen zu sein!“
Da fiel Wolf schnell ein, indem er ein höchst befriedigtes und selbstbewußtes Gesicht zeigte:
„Ja, wenn sie die Unterschrift, die Anweisung noch hätten!“
„Besitzen sie die nicht mehr?“
„Nein. Ich habe sie ihnen abgenommen und behalten.“
„Ah! Wie ist das zugegangen?“
Wolf erzählte es und fügte dann hinzu:
„Wir haben sie dann beobachten lassen und erfahren, daß sie uns folgen, Wir wollten sie, um ganz sicher zu gehen, morgen erwarten und ihnen zwei Späher entgegenschicken.“
„Hm! Das ist nicht ungefährlich. Sie werden ganz von selbst kommen. Durch Späher aber könnt ihr sie leicht vertreiben.“
„Das ist richtig, und ich hätte auch von den Kundschaftern abgesehen,“ sagte der Häuptling. „Aber wann denkst du, daß wir morgen nach dem Winterwasser aufbrechen müssen?“
„Wenn der Tag beginnt.“
„Da sind sie noch nicht da. Du siehst also ein, daß wir einige Leute zurücklassen müssen.“
„Leider ja. Ich würde das am liebsten selbst übernehmen, aber ich bin nicht zu entbehren. Wolf und du ganz ebenso. Es geht also nicht anders; wir müssen Späher zurücklassen. Aber suche ja die besten, listigsten und zuverlässigsten Leute dazu aus!“
„Das werde ich thun. Du brauchst keine Sorge zu haben.“
„Sag ihnen, daß sie sie lieber niederschießen als entkommen lassen sollen; ich hasse das Blutvergießen, aber diese Mörder sind wie wilde Tiere; sie werden sich an unsre Fersen heften, um, wenn sie das Papier nicht wieder bekommen, sich blutig an uns zu rächen. Aber noch eins.- Ich vermisse den Kantor. Wo ist er?“
„Bei mir im Lager. Er war von hier entflohen und eine große Strecke flußabwärts gegangen. Dort sang er und machte großen Lärm. Ich sandte einige Krieger über den Fluß, welche ihn fangen und herüberschaffen mußten.“
„Dieser unvorsichtige und unverbesserliche Mensch! Er muß wirklich angebunden werden!“
„Vergib es ihm! Durch sein Lärmen und Schreien habe ich euch gefunden.“
„Das ist keine Entschuldigung für seine Thorheit. Er hat uns schon viel Schaden gemacht.“
„Er hat den Verstand nicht am richtigen Platze.“
„Aber auch nicht am unrichtigen, denn er scheint leider gar keinen zu haben!“
„Soll ich ihn holen lassen?“
„Ja. Da er nicht mit deinen Kriegern reden kann, stellt er dort vielleicht noch größere Dummheiten an, als er bei uns hier ausführen könnte.“
Es wurde ein Roter fortgeschickt, der ihn bringen sollte. Dann erst begann Old Shatterhand, von seinem heutigen Ritte zu erzählen.
Seinen und auch Winnetous scharfen Augen war es nicht entgangen, daß die Nijoras, deren Fährte sie gefolgt waren, nach und nach ein viel langsameres Tempo eingeschlagen hatten. Welchen Grund hatten sie dazu?
Es war nicht Gepflogenheit der beiden berühmten Männer, zu etwas, was sie selbst erforschen konnten, den Rat oder die Meinung andrer einzuholen; darum hatten sie keinem ihrer Gefährten, auch Sam Hawkens nicht, etwas von dieser ihrer Beobachtung gesagt. Sie paßten nun nur schärfer auf, und erkannten, daß sie sich nicht getäuscht hatten.
„Was sagt mein Bruder Shatterhand dazu?“ fragte Winnetou.
„Daß sie keine Eile mehr zu haben scheinen, an die Navajos zu kommen,“ antwortete dieser.
„Mein Bruder denkt genau so wie ich. Sie scheinen ihren Angriff auf diese verschieben zu wollen. Da ist nur ein Gedanke möglich, auf wen sie es abgesehen haben können.“
„Auf uns natürlich.“
„Ja, doch warum? Sie können doch nichts Klügeres thun, als schleunigst über die Navajos herzufallen, die nicht genau unterrichtet sind, weil ihre Kundschafter teils gefangen genommen und teils ermordet wurden.“
„Aber mein Bruder Winnetou mag bedenken, daß wir ihnen hart im Rücken sind und einige sehr gute Pferde haben. Wir können, wenigstens einige von uns, durch einen Parforceritt um sie herum- und ihnen vorauskommen und die Navajos benachrichtigen.“
„Uff!“ nickte der Apache. „Das wird es sein.“
„Ja, das ist es wahrscheinlich. Sie wollen dies verhüten und sich überhaupt den Rücken frei machen. Ein solcher Gedanke ist Mokaschi, ihrem Häuptlinge, sehr wohl zuzutrauen. Darum reiten sie jetzt langsamer, um uns näher bei sich zu haben, und, wenn sich eine geeignete Gegend dazu findet, nicht lange auf uns warten zu müssen. Wenn diese unsre Vermutung richtig ist, brauchen wir nur darüber nachzudenken, welcher Ort von hier aus ihnen am bequemsten zu einem Überfalle gelegen ist. Mein roter Bruder kennt die Gegend ja sehr genau.“
„Mein weißer Bruder auch.“
„So laß uns nachdenken!“
„Uff!“ meinte Winnetou nach einer kleinen Weile, „es gibt einen, den sie noch heut vor Abend erreichen werden.“
„Ich denke ganz dasselbe. Du meinst das Winterwasser?“
„Ja. Du auch?“
„Ja.“
Es war wirklich überaus eigentümlich, wie sehr diese beiden Männer in all ihrem Denken und Fühlen harmonierten. Kaum hatte der eine einen Gedanken gefaßt, so stand ganz dieselbe Idee auch schon im Kopfe des andern klar da. So auch jetzt. Beide hatten zu gleicher Zeit an das Winterwasser gedacht.
„Es ist sehr möglich, daß sie uns dort erwarten,“ meinte Old Shatterhand.
„Ich behaupte es beinahe,“ stimmte der Apache ein.
„Wollen wir ihnen in die Gewehre und in die Messer laufen?“
„Nein.“
„So müssen wir Gewißheit haben.“
„Es muß jemand hin, um sie zu beobachten.“
„Aber wer?“
„Mein Bruder Shatterhand; er ist der umsichtigere und bedächtigere von uns beiden.“
„Nein, sondern mein Bruder Winnetou, dessen Blicke und Sinne viel schärfer sind als die meinigen.“
„Old Shatterhand ist stärker als ich. Er kann einer Gefahr viel besser widerstehen.“
„Und du bist gewandter. Aber warum uns gegenseitig so messen! Das Winterwasser ist ein höchst verfänglicher Ort, der einem einzelnen Kundschafter zu viel Zeit raubt und zu viel Mühe macht. Es sollten wenigstens zwei sein.“
„So reiten wir beide!“
„Ja. Wir können abkommen, denn es droht den Unsrigen während unsrer Abwesenheit keine Gefahr. Hinter sich haben sie keine Feinde, und vor ihnen, da reiten ja wir, um sie zu decken. Es wird gehen. Eigentlich aber müßten wir noch jemand mitnehmen.“
„Warum?“
„Falls sie uns überfallen wollen, genügen wir beide vollständig; aber wenn sie dies nicht beabsichtigen und doch zu den Navajos wollen, müssen wir diese benachrichtigen; dazu aber kann keiner von uns beiden abkommen.“
„Nein.“
„Wir müssen also einen Dritten mit uns nehmen.“
„Wen wird mein Bruder Shatterhand dazu auswählen?“
„Ich schlage Schi-So vor.“
„Ja. Er ist ein guter Reiter und kennt die Gegend so genau wie wir. Von den andern kennt sie keiner. Also nehmen wir ihn mit. Doch, sollen die übrigen erfahren, weshalb wir diesen Ritt unternehmen?“
„Denkt mein Bruder Winnetou, daß es besser ist, es ihnen zu verschweigen?“
„Ja. Wir haben Männer dabei, welche keine Helden sind, und Squaws und Kinder, zu denen man nicht vorher von Gefahren reden soll. Wenn sie es kurz vorher erfahren, ist’s früh genug.“
So schnell dieser Beschluß gefaßt worden war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Schon nach kurzer Zeit ritten die Drei im Galopp voran, während die andern im bisherigen langsamen Schritte folgten.
Die Gegend war eben. Links lag die flache, vegetationslose Steppe und rechter Hand der Fluß, dessen Ufer, weil es da Feuchtigkeit gab, erst von einem Wald- und Busch- und dann von einem Grasstreifen besäumt waren. Bei der außerordentlich reinen Luft, welche es dort immer gibt, konnte man, außer wenn der Fluß eine nach links gerichtete Krümmung beschrieb, sehr weit sehen. Es war also nicht zu befürchten, daß man plötzlich und unerwartet auf die absichtlich oder unabsichtlich halten gebliebenen Nijoras stoßen werde.
So ging es weiter bis zum späten Nachmittage, wobei die Fährte von Zeit zu Zeit genau abgelesen wurde. Es ergab sich, daß man den Indianern immer näher kam. Sie waren nun nicht mehr eine ganze Stunde voraus.
Da war links, von Süden her, ein ganz dunkler Streifen schnurgerade und genau rechtwinkelig auf den Fluß gezogen. In der Ferne, ganz im Süden, bestand er aus einzelnen dürren Mezquitopflanzen, die sich nachher zu Sträuchern vereinigten. Später traten die Büsche näher zusammen; sie wurden saftiger und grüner, während sie im Süden eine graue, hungrige Färbung besaßen. Je näher dem Flusse, desto dichter und üppiger zeigte sich das Gehölz, aus welchem dann sogar Bäume hervorragten, die sich mit dem Waldesstreifen des Flusses vereinigten.
Dieser Streifen von Vegetation bezeichnete den Lauf des Winterwassers, wenn da überhaupt von einem Laufe, einem Rinnen des Wassers die Rede sein konnte.
In der feuchten Jahreszeit, das heißt zur Zeit der wenigen Regentage, sammelte sich das Wasser in dieser flußbettartigen Vertiefung und gab den Pflanzen für einige Wochen ein frisches Aussehen, während sie sonst dürr, arm und traurig dastanden. je näher dem Flusse aber, desto länger währte die Lebensfreudigkeit, bis es schließlich sogar Bäumen gelang, sich für das ganze Jahr am Leben zu erhalten. Der Kopf, welcher sich den Namen Winterwasser ausgesonnen hatte, hatte jedenfalls noch weniger Feuchtigkeit besessen, als das Flüßchen selbst.
Die drei Reiter befanden sich jetzt in einer solchen Entfernung von diesem Winterwasser, daß man von dort aus nun fast bemerkt werden mußte. Um nicht gesehen zu werden, waren sie also gezwungen, sich im Schutze des Wald- und Buschsaumes weiter zu bewegen. Sie stiegen ab und suchten ein gutes Versteck für ihre Pferde, bei welchen Schi-So zurückbleiben sollte. Er bekam auch die Gewehre in Verwahrung, weil diese einen durch das Gebüsch schleichenden, oder gar am Boden kriechenden Späher nur belästigen können. Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand unter den Bäumen am Flußrande langsam weiter, die Augen scharf vorwärts gerichtet, um jeden etwa noch hier befindlichen Nijora rechtzeitig zu erspähen.
Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, blieben sie halten, und Old Shatterhand sagte:
„Wollen wir uns nicht zunächst überzeugen, ob die Nijoras am Winterwasser geblieben oder weitergeritten sind?“
„Ja. Diese Bäume sind hoch genug.“
„Und auch dicht genug belaubt, so daß wir, wenn wir sie ersteigen, von Weitem nicht gesehen werden können.“
Sie suchten sich zwei Bäume aus, welche die nötige Höhe besaßen und zugleich so nahe bei einander standen, daß zwei Menschen, die sich oben befanden, einander ohne allzu lautes Reden verstehen konnten. Beide kletterten ausgezeichnet und waren wie die Eichkätzchen im Nu oben. Sie bemerkten, daß sie eine gute Wahl getroffen hatten, denn der Rundblick, welcher sich ihnen hier oben bot, war mehr als genügend. Sie konnten, was sie auch gewollt hatten und sehr notwendig war, über die am Winterwasser stehenden Bäume hinweg auf die jenseits sich ausbreitende Ebene sehen. Diese war vollständig leer.
„Sie stecken am Winterwasser,“ sagte Old Shatterhand zu Winnetou hinüber.
„Ja, sie sind nicht weitergeritten, sonst müßten wir sie da draußen auf der Steppe sehen,“ antwortete dieser. „Mein Bruder mag sein Rohr zur Hand nehmen.“
Old Shatterhand führte auf allen seinen Streifzügen ein gutes Fernrohr bei sich; es steckte in der Satteltasche, und er hatte es vorhin, als er sein Pferd bei Schi-So zurückließ, mitgenommen. Jetzt richtete er es auf das Strauchwerk des Winterwassers und blieb eine Zeit lang in unbeweglicher Haltung auf dem Aste sitzen. Dann nahm er das Rohr vom Auge und meldete dem Apachen:
„Sie sind dort. Das Rohr zieht mir das Gebüsch bis ganz nahe vor die Augen heran. Sie lagern jenseits des Gebüsches hart am Ufer des Winterwassers. Eben bringen viele ihre Pferde aus der Tränke unten am Chellyflusse.“
„Würde man sie belauschen können?“
„Jetzt nicht, aber gewiß später, wenn es dunkel geworden ist.“
„Hat mein weißer Bruder Lust, es zu thun?“
„Natürlich! Es ist immer von Vorteil, wenn man hören kann, was die Feinde sprechen.“
„So warten wir bis zur Dunkelheit und schleichen uns dann hin.“
„Ja, aber nicht hier oben, sondern unten warten wir; da ist’s bequemer.“
Schon wollte er vom Baume steigen, als er ein verwundettes „Uff l“ des Apachen hörte.
„Hat mein Bruder etwas gesehen?“ erkundigte er sich.
„Ja.“
„Was?“
„Reiter.“
„Wo?“
„Drüben am andern Ufer. Es war wie eine lange Schlange von Reitern, welche sich nahe an den Bäumen hinzog. Mein Bruder mag warten, bis sie wieder erscheinen. Sie werden bald über die schmale Lichtung müssen, welche uns gegenüberliegt.“
Die beiden Lauscher hielten ihre Augen mit Spannung über den Fluß hinübergerichtet. Da kamen zunächst zwei einzelne Reiter; es waren Indianer. Sie ritten im Galopp über die Lichtung und begannen die Büsche jenseits derselben zu durchsuchen. Dann kam einer zurück und winkte; sie hatten nichts Verdächtiges gefunden.
„Mein Bruder mag sein Rohr nehmen; da wird er vielleicht die Gesichter erkennen,“ meinte Winnetou.
Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und richtete das Fernrohr nach der Blöße. Auf den Wink des Spähers kamen seine Leute hinter dem Gebüsch hervor, eine lange, lange Reihe von Reitern, welche mit den Kriegsfarben bemalt waren; darum konnte Old Shatterhand ihre Gesichter nicht erkennen; aber dennoch wollten ihm viele der Gestalten bekannt vorkommen. Am Schlusse des Zuges kamen zwei, von denen er sofort wußte, wer sie waren, nämlich Nitsas-Ini und seine weiße Squaw, deren Gesicht natürlich unbemalt war. Als sie alle hinter dem Gesträuch auf der andern Seite der Lichtung verschwunden waren, sagte der Apache:
„Das müssen die Krieger der Navajos gewesen sein; etwas andres ist kaum möglich. Da es zu weit bis dort hinüber ist, konnte ich sie nicht erkennen, aber es war mir, als ob sich am Ende des Zuges eine Squaw befunden habe. Mein Bruder konnte durch sein Rohr besser sehen. Hast du jemand erkannt?“
„Ja. Nitsas-Ini und seine Squaw ritten hinterdrein.“
„So sind es also die Navajos gewesen, wie ich vermutete. Sie haben jedenfalls unten an der Mündung des Flusses gelagert. Warum haben sie diesen Ort verlassen?“
„Und warum halten sie sich da drüben am rechten Ufer?“
„Ja, das ist sonderbar. Sie wissen doch, daß sie die Nijoras auf dieser Seite des Flusses zu suchen haben, da deren Gebiet auf derselben liegt.“
„Sollten sie durch irgend eine falsche Nachricht dazu veranlaßt worden sein?“
„Das ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich.“
„Dann müssen wir uns fragen, wer ihnen diese Nachricht gebracht hat.“
„Ein Kundschafter nicht, denn ihre Späher können ja nicht zu ihnen, weil sie gefangen sind.“
„Es gibt nur einen einzigen möglichen Fall.“
„Welchen?“
„Daß sie von dem Ölprinzen irre geleitet worden sind.“
„Richtig! Der ist jedenfalls zu ihnen, um sich und seine beiden Begleiter ausrüsten zu lassen, weil sie jetzt unbewaffnet waren.“
„Aber was können diese drei für Gründe haben, die Navajos da drüben heraufzuschicken?“,
„Wir wollen uns darüber nicht die Köpfe zerbrechen. jedenfalls werden wir diese Gründe erfahren. Steigen wir jetzt herab! Es will dunkel werden, und wir können nun bald an die Nijoras kommen.“
Sie stiegen von den Bäumen, da sie unten sicherer waren. Es konnte aus irgend einem Grunde ein Nijora an diese Stelle kommen und da mußte er sie, wenn sie oben saßen, weit eher entdecken, als wenn sie sich unten befanden und sich vor ihm verbergen konnten. Als sie nun wieder nebeneinander standen, sagte Old Shatterhand:
„Unsre Freunde mögen da drüben den Weg eingeschlagen haben, aus welcher Ursache es immer sei, so können sie den Zweck, welchen sie dabei verfolgen, sehr leicht verfehlen.“
„Warum?“ fragte der Apache.
„Weil es möglich ist, daß sie von den Nijoras gesehen worden sind.“
„Uff! Das ist wahr. Diese liegen hüben am Ufer und die Navajos kamen drüben am Ufer!“
„Diese Ufer sind zwar mit Büschen und Bäumen besetzt, aber unsre Freunde haben über die Lichtung gemußt, wo sie von jedem, der hüben am Wasser stand, gesehen werden mußten.“
„Die Nijoras tränkten vorhin ihre Pferde. Hoffentlich sind sie jetzt damit fertig gewesen und es hat keiner von ihnen mehr unten am Flusse gestanden. Ich will noch einmal auf den Baum klettern und die Stelle dort betrachten.“
Er kletterte wieder hinauf, hielt eine kurze Weile scharfen Ausguck, kam dann wieder herab und sagte:
„Es ist niemand am Wasser, und so denke ich, daß die Navajos nicht gesehen worden sind.“
„Das beruhigt mich. Übrigens werden wir es erfahren, wenn wir die Nijoras nachher belauschen. Wenn sie unsre Freunde gesehen haben, werden sie ganz gewiß davon sprechen.“
Die Dämmerung trat jetzt ein, und so machten sich die beiden Männer auf den Weg, welcher gar nicht ungefährlich für sie war. Man konnte noch ungefähr sechs bis acht Schritte weit sehen, doch wurde es so schnell dunkel, daß es, als sie in der Nähe des Winterwassers ankamen, so finster war, daß sie sich nicht mehr allein auf ihre Augen verlassen konnten, sondern auch den Tastsinn zu Hilfe nehmen mußten. Hierbei kam es ihnen sehr zu statten, daß sie schon öfters hier gewesen waren und also die Örtlichkeit genau kannten.
Der Chelly floß hier fast genau von Ost nach West und es ist bereits gesagt worden, daß das Winterwasser von Süd nach Nord, also rechtwinklig, auf ihn stieß. Die Ufer beider waren hier mit Wald und Busch bestanden und sehr hoch. Von der Höhe bis hinab zum Wasser des Chelly konnte man recht gut sechzig Fuß rechnen. Im Winterwasser befanden sich in der gegenwärtigen Jahreszeit nur einige Pfützen, welche dem Übergange nicht im mindesten hinderlich waren. Das Terrain war an der Mündung des Winterwassers sehr felsig und die Ufer fielen so steil ab, daß man da zu Pferde nicht hinunter konnte. Wer hinüber wollte, mußte vielmehr eine Strecke am Winterwasser hinauf bis zu einer Stelle, wo beide Ufer sich einander flacher zuneigten. Diese Stelle war aber auch die einzige, welche sich zum Übergange eignete. Ebenso geeignet war sie natürlich auch zu einem Überfalle.
Da man sonst nirgends hinüber konnte und also unbedingt gezwungen war, diesen Ort aufzusuchen, so brauchte der Feind nur hier zu warten. Man mußte ihm, wenn er es nicht ganz und gar ungeschickt anfing, unbedingt in die Hände fallen, vorausgesetzt natürlich, daß er zahlreich genug auftreten konnte.
Die Nijoras lagerten nicht an dieser Furt. Sie waren da hinüber und hatten das jenseitige linke Ufer abwärts bis zur Mündung verfolgt und dort oben ihr Lager aufgeschlagen. Dort gab es kein Wasser. Wer sein Pferd tränken oder für sich selbst Wasser holen wollte, der mußte nach der soeben beschriebenen Furt zurück und hinunter auf den Grund des jetzt trockenen Winterwasserbettes steigen und, diesem abwärts folgend, bis zur Mündung desselben gehen, wo der Chelly vorüberfloß.
Das war beschwerlich genug. Die Nijoras hätten es viel bequemer gehabt, wenn sie sich unten an der Mündung gelagert hätten; aber das war unmöglich, ohne daß Spuren entstanden, welche nicht vollständig auszulöschen waren, und dies sollte vermieden werden.
Soviel über das Terrain, welches für beide Teile so überaus wichtig war.
Da die Nijoras drüben lagerten, mußten Winnetou und Old Shatterhand natürlich auch hinüber. Als sie das hohe Ufer des Winterwassers erreicht hatten, sahen sie von drüben die Lagerfeuer zwischen den großen Felsstücken, die es dort gab, herüberleuchten.
„Wie unvorsichtig!“ sagte Winnetou.
„Ja,“ stimmte Old Shatterhand bei. „Diese Kerls müssen es für ganz sicher halten, daß wir noch zu weit zurück sind, um diese Stelle noch heut erreichen zu können.“
„Das ist noch nicht alles. Ihre Feuer leuchten doch auch drüben weit in die Ebene hinaus. Wie leicht könnten sie da von den Navajos bemerkt werden.“
„Das läßt mich eben vermuten, daß die Nijoras die Navajos vorhin gesehen haben. Sie wissen, daß diese jenseits des Flusses sind und also nicht hierherkommen können.“
„Wir werden bald Gewißheit darüber erlangen und wollen jetzt nur weitergehen.“
Sie gingen diesseits am Winterwasser hinauf, bis sie die Stelle der Furt erreichten, und stiegen da hinab und drüben wieder hinauf. Dann schlichen sie sich am linken Ufer des Winterwassers wieder abwärts, wobei sie um so vorsichtiger verfuhren, je näher sie dem Lager kamen. Von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch huschend, vermieden sie jede Stelle, auf welche ein Strahl der Lagerfeuer fiel.
Als sie soweit herangekommen waren, daß sie die einzelnen Gestalten unterscheiden konnten, sagte Winnetou, natürlich leise:
„Mein Bruder mag hier stehen bleiben. Ich will aus diesem Holze hinaus und das Lager auf der freien Seite umschleichen, um zu sehen, wo die Pferde sind und ob man Posten ausgestellt hat.“
Er huschte fort, und es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis er wiederkam und meldete:
„Die Pferde befinden sich jenseits des Lagers und werden uns also nicht durch ihr Schnauben verraten können. Nach der freien Ebene hinaus sind Posten ausgestellt. Das kann nur gegen die Navajos sein, und darum ist es gewiß, daß die Nijoras nicht wissen, wo diese sich befinden.“
„Mein roter Bruder hat das Lager von draußen her überblicken können. Hat er vielleicht gesehen, wo der Häuptling Mokaschi sitzt?“
„Ja. Er sitzt mit noch drei alten Kriegern an einem breiten Felsenstücke.“
„Wenn wir das erreichen könnten!“
„Wir können es, wenn wir recht vorsichtig sind. Es liegt dort am Uferrande und es können sich also keine Nijoras dahinter befinden. Ich will voran und mein Bruder mag mir folgen!“
Das konnte nicht, wie bisher, in aufrechter Stellung geschehen, denn dies wäre nun sehr gefährlich gewesen. Sie legten sich also nieder und krochen auf dem Bauche weiter, wobei sie jeden Baum und Strauch und jede andre Pflanze, jeden Stein, der ihnen Deckung bot, mit ebenso großer Klugheit wie Geschicklichkeit benutzten.
Ihr Ziel war das Felsstück, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Es war lang und nicht sehr breit und hatte beinahe doppelte Manneshöhe. Da es oben mit Moos bewachsen war, hatte das lange Jahre hindurch darauf gefallene Laub festen Halt gehabt und sich, ohne vom Winde fortgeweht zu werden, in Humuserde verwandeln können. Diese lag nun in einer ziemlich dicken Schicht auf dem Steine und noch höher in den Rissen und Ritzen desselben. Darum hatten sich auf diesem Felsenstücke einige Sträucher entwickeln können, welche ihre Zweige über den Rand desselben herunter neigten.
Zwischen diesem Steine und dem steil abwärts fallenden Ufer gab es einen nur schmalen Raum, doch genügte er vollständig dem Zwecke, welchen die beiden Lauscher verfolgten. Es gelang ihnen, den Stein unbemerkt zu erreichen und hinter denselben zu kommen. Der erwähnte Raum, auf welchem sie nun lagen, hatte nur Mannesbreite, so daß sie sich nun ganz hart an der Kante des Ufers befanden. Wenn diese Stelle aus lockerer Erde bestand und sich unter dem Gewichte der beiden Männer loslöste, so mußten sie in die Tiefe stürzen. Sie untersuchten daher vor allen Dingen den Boden und fanden zu ihrer Beruhigung, daß er aus hartem, festem Fels bestand. Nun richteten sie sich auf, um den Stein zu besteigen. Wenn sie dann oben lagen, hatten sie den Häuptling auf der andern Seite gerade unter sich sitzen.
Es gab eine Stelle, wo man mit den Händen festfassen konnte. Old Shatterhand griff da fest zu, stieg auf den Rücken des Apachen und schwang sich dann hinauf. Das war ein höchst gefährliches Wagestück, da er bei dem geringsten falschen Griffe oder Fehltritte in die Tiefe gestürzt wäre. Auch durfte der Aufschwung nur sehr vorsichtig und nicht zu hoch geschehen, weil Old Shatterhand sonst von den Nijoras jenseits des Steines gesehen worden wäre. Oben angelangt, legte er sich platt nieder und hielt dem Apachen den in Schlingen gelegten Lasso herunter, um ihn mit demselben hinaufzuziehen. Auch das gelang sehr gut.
Nun lagen sie oben. Aber wehe ihnen, wenn sie bemerkt wurden! In diesem Falle waren sie trotz aller ihrer Stärke, List und Geschicklichkeit verloren. Hinter sich den Abgrund und vor sich das von dreihundert Kriegern besetzte Lager, wäre ihnen in diesem Falle nichts andres übrig geblieben, als auf alle Gegenwehr zu verzichten und sich zu ergeben.
Dicht auf dem Felsblocke liegend, schoben sie sich vorsichtig bis zu dem erwähnten Gesträuch vor und konnten nun, durch dasselbe blickend, das ganze Lager übersehen.
Es brannten nicht weniger als acht Feuer, an welchen sich die Nijoras soeben ihr Abendessen bereiteten. Unter ihnen, an den Felsen gelehnt, saß Mokaschi mit den drei ältern Indianern abgesondert von den gewöhnlichen Kriegern. Sie sprachen miteinander, doch nicht eifrig, sondern in abgebrochenen Sätzen, zwischen denen es längere oder kürzere Pausen gab. Wie die beiden Späher bald hörten, waren diese vier Roten nicht ganz einig untereinander. Einer von ihnen, ein alter, aber noch sehr rüstiger Mann mit grauem Haar sagte:
„Mokaschi wird es bereuen, nach seiner heutigen Ansicht gehandelt zu haben. Wir hätten uns beeilen und die Hunde der Navajos schnell aufsuchen sollen, um sie zu töten.“
„Das werden wir ja auch,“ antwortete der Häuptling.
„Aber nicht schnell genug! Die Navajos werden nicht so lange warten.“
„Mein alter Bruder läßt außer Betracht, daß der Unterschied nur einen Tag beträgt. Wenn wir morgen die Bleichgesichter ergriffen haben, werden wir sofort gegen die Navajos aufbrechen.“
„Der Unterschied beträgt über einen Tag, denn wir sind, um diese Bleichgesichter näher an uns heranzulassen, langsamer geritten.“
„Das schadet nichts. Die Schakale der Navajos werden nicht eher aus ihren Höhlen gehen, als bis wir kommen. Sie können ihr Lager nicht eher verlassen, als bis die Kundschafter, welche sie ausgesandt haben, zurückgekehrt sind, sonst würden sie doch von diesen nicht gefunden werden. Das muß mein alter Bruder gar wohl bedenken!“
„Ich bedenke es; aber das Jahr besitzt einen Sommer und einen Winter, und alle Dinge auf Erden haben zwei Seiten. So ist’s auch hier. Mokaschi meint, daß die Navajos warten werden, weil sie Kundschafter ausgesandt haben, und ich denke, daß sie nicht warten werden.“
„Warum?“
„Gerade dieser Kundschafter wegen. Da diese schon so lange fort sind und nicht zurückkehren, muß ihnen ein Unfall zugestoßen sein. Das werden sich die Navajos sagen und also wohl nicht länger warten.“
„Der Gedanke meines Bruders ist nur halb richtig. Wenn die Feinde wirklich Verdacht schöpfen, werden sie sich doch hüten, mit allen ihren Kriegern auszuziehen, ohne zu wissen, wo wir zu finden sind. Sie werden vielmehr neue Späher aussenden.“
„Das ist nicht besser als das andre, denn diese neuen Kundschafter werden uns entdecken und dies dem Häuptlinge melden. Dann wird man uns überfallen, ohne daß wir darauf vorbereitet sind.“
„Wir würden vorbereitet sein, da wir stets Posten ausstellen.“
„Aber das ist doch nicht so gut, als wenn Mokaschi auf seinen neuen Plan verzichtet hätte. Anstatt daß wir die Navajos überraschen, werden sie uns angreifen!“
Er sprach in einem etwas scharfen Tone, wie es einem Häuptling gegenüber nicht gebräuchlich ist. Darum antwortete Mokaschi nun:
„Mein Bruder trägt den Schnee des Alters auf seinem Haupte. Er hat mehr Winter gesehen als ich und viel erlebt. Darum darf er es ohne Scheu sagen, wenn er einmal anders denkt als ich. Aber nicht er ist der Anführer, sondern ich bin es. Wenn ich auch die Meinungen der erfahrenen Männer anhöre, so habe ich doch darüber zu entscheiden und alle müssen sich fügen!“
Der Alte senkte seinen Kopf und sagte:
„Du hast recht. Dein Wille mag geschehen!“
„Ja, er geschieht, und du wirst einsehen, daß er der beste war. Oder hast du etwa geglaubt, daß es uns glücken werde, die Navajos zu überraschen?“
„Ja.“
„Nein, das wäre nicht geschehen. Sie stellen jedenfalls ebenso Vorposten aus wie wir. Wir müssen den Ort, an welchem sie sich befinden, durch unsre Späher erst entdecken. Wie leicht können diese gesehen, ergriffen oder gar getötet werden, gerade so wie wir die Kundschafter der Navajos gefangen genommen haben. Und das ist noch nicht das Wichtigste. Es gibt etwas, woran mein alter Bruder gar nicht gedacht zu haben scheint. Nämlich die Navajos wissen bereits, daß wir kommen.“
„Uff!“ rief der Alte. „Wer soll es ihnen gesagt haben?“
„Die drei Bleichgesichter, welche uns entflohen sind.“
„Uff, uff! Das ist wahr! Wenn sie wirklich zu den Navajos geritten sind!“
„Sie sind ganz gewiß zu ihnen. Vielleicht haben sie sie schon heut gefunden und sie über uns benachrichtigt. Da werden die Navajos sofort aufbrechen, um uns entgegenzuziehen und plötzlich anzugreifen. Das aber ist es, worauf ich warte.“
„Wie? Mokaschi wartet darauf, von den Feinden eher überfallen zu werden, als wir sie angreifen können?“
„Ja.“
„Aber mein Bruder Mokaschi kennt doch die alte Kriegerregel, daß derjenige leichter siegt, der eher kommt!“
„Ich kenne sie; sie ist sehr gut, aber sie paßt nicht auf alle Fälle.“
„Auf den jetzigen auch nicht?“
„Nein. Die Navajos haben ihr Lager ganz gewiß an einem Orte, der sich leicht verteidigen läßt. Der Sieg würde also schwer für uns werden und uns wohl viel Blut kosten. Warum wollen wir es nicht ebenso machen wie sie? Sie sollen kommen und uns angreifen, aber an einem Orte, der ihnen verderblich werden muß.“
„Wo liegt dieser Ort?“
„Hier.“
„Am Winterwasser?“
„Ja.“
„So will Mokaschi den Feind also hier erwarten?“
„Ja.“
„Das lag aber doch nicht in dem ursprünglichen Plane!“
„Nein. Ich wollte die Navajos überraschen; das ist -nun aber nicht mehr möglich, weil sie von den drei entflohenen Bleichgesichtern benachrichtigt worden sind. Es war also nötig, meinen Plan zu ändern. Wir werden uns hier am Winterwasser verstecken. Wenn die Navajos kommen, lassen wir sie von dem hohen Ufer hinunter in das tiefe Flußbett kommen und fallen dann über sie her. Sie stecken dann da unten und können sich nicht verteidigen, weil sie, von uns zwischen den Felsen zusammengedrängt, keinen Raum dazu haben.“
„Uff, uff!“ rief der Alte, indem sein Gesicht sich erheiterte.
„Stimmt mein alter Bruder mir nun bei?“ fragte der Häuptling.
„Ja. Mokaschis neuer Plan ist gut, und ich denke, daß er gelingen wird, wenn kein Hindernis dazwischen kommt.“
„Es gibt nur ein einziges Hindernis, welches möglich ist, und dieses wollen wir eben morgen beseitigen.“
„Jetzt verstehe ich es. Du meinst die Bleichgesichter hinter uns?“
„Ja. Sie folgen uns; sie wollen die Navajos aufsuchen. Wenn wir sie vorüberziehen ließen, würden sie es den Feinden verraten, daß wir hier auf sie warten. Das darf nicht geschehen. Wir werden also Winnetou und Old Shatterhand mit allen ihren Leuten festnehmen.“
„Sollen sie getötet werden?“
„Ja, wenn sie sich wehren.“
„Und wenn sie sich aber nicht wehren?“
„So nehmen wir sie nur gefangen und führen sie, wenn wir siegreich heimkehren, unsern Frauen, Greisen und Kindern zu, welche über solche Gefangene in lauten Jubel ausbrechen werden. Wer Old Shatterhand und Winnetou und die andern berühmten Leute, welche bei ihnen sind, zur Siegesbeute macht, dessen Ruhm wird an jedem Lagerfeuer verkündet.“
„Und was soll dann mit diesen vornehmen Gefangenen geschehen?“
„Das kann ich heut nicht sagen. Die Beratung wird darüber entscheiden. Jedenfalls würden wir, wenn wir sie nicht am Marterpfahle sterben ließen, ihnen das Leben nicht umsonst schenken, sondern sie müßten um dasselbe kämpfen.“
„Uff, uff! Winnetou und Old Shatterhand mit unsern Kriegern auf Tod und Leben kämpfend! Das würde ein Schauspiel sein, wie es die Krieger der Nijoras noch nie erlebt haben!“
Die Augen des Alten leuchteten förmlich vor Wonne; die beiden andern brachen auch in begeisterte „Uffs!“ aus, und Mokaschi, darüber froh, eine solche Zustimmung erhalten zu haben, fuhr in seiner Darlegung fort:
„Das Winterwasser ist wie kein zweiter Ort dazu geeignet, den Feinden aufzulauern und sie ohne große Mühe oder gar Gefahr zu ergreifen oder zu vernichten. Meine Brüder werden morgen sehen, wie leicht wir die Bleichgesichter in unsre Hände bekommen, obgleich sie von den berühmtesten Männern des Westens angeführt werden.“
Da machte der Alte doch wieder ein bedenkliches Gesicht und sagte:
„Hofft Mokaschi wirklich so zuversichtlich auf das Gelingen?“
„Ja.“
„Aber gerade weil diese berühmten Männer dabei sind, kann es leicht fehlschlagen.“
„Nein.“
„Old Shatterhand und Winnetou haben Gedanken, welche ihnen vorauszugehen pflegen. Sie pflegen alles zu erraten, das muß Mokaschi wissen.“
„Ich weiß, daß sie sehr kluge Leute sind und in die Gedanken andrer Menschen zu schauen vermögen. Unsern Plan aber werden sie nicht erraten. Sie denken, daß wir gegen die Navajos ziehen und uns also um sie gar nicht bekümmern. Sie werden nicht ahnen, daß wir hier auf sie warten, sondern überzeugt sein, daß wir uns schon weit von hier befinden.“
„Ich wünsche sehr, daß dies richtig sein möge; aber ich denke daran, was wir in der letzten Zeit erfahren haben. Kein Adler hat so scharfe Augen, kein Mustang so leise Ohren und kein Fuchs so große List wie Old Shatterhand und Winnetou. Hatten wir sie nicht bereits in unsrer Gewalt? Waren sie nicht sogar gefesselt? Und doch haben wir sie freigeben müssen! Und wer hat uns dazu gezwungen? Nur diese beiden Männer allein, welche gefesselt und unbewaffnet waren, während wir freie Hände und unsre Waffen hatten und dreimal zehn mal zehn Krieger zählten. Wenn wir sie morgen wirklich ergreifen und dann auch festhalten wollen, so dürfen wir es nicht so machen wie das letztemal.“
„Wir werden klüger sein. Wir haben doch schon heut alles gethan, was uns die Klugheit gebietet. Wir haben unser Lager sogar hier oben aufgeschlagen, anstatt unten am Wasser, wo wir Spuren hätten zurücklassen müssen. Wenn die Bleichgesichter morgen kommen, werden sie keine einzige Spur da unten sehen und also ahnungslos von da drüben hinunter in die Tiefe reiten, während wir hier versteckt liegen und auf sie warten. Sie werden an das Wasser des Chelly gehen, um ihre Pferde zu tränken, und da fallen wir über sie her.“
„Du meinst, daß sie nicht stracks über die Furt reiten, sondern eine Weile dableiben?“
„Ja. Es gibt auf eine lange, lange Strecke hier die einzige Stelle, wo man von dem hohen Ufer so leicht hinab zum Wasser kommt. Das wissen sie, und darum werden sie sich diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen.“
„Mein Bruder wird recht haben, denn es sind ja Squaws und Kinder bei ihnen, auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Und denkt Mokaschi wirklich, daß sie ohne Kampf in unsre Hände geraten werden?“
„Ja.“
„Aber wenn sie sich doch verteidigen?“
„Da schießen wir sie nieder. Aber es wird ihnen nicht einfallen, Gebrauch von ihren Waffen zu machen, wenn wir nur keinen Fehler begehen. Sobald sie unten am Wasser sind, eilen wir hinab ––“
„Zu Fuße?“
„Ja. Es würde die größte Thorheit sein, hinunter zu reiten.“
„So müssen wir einige Krieger hier oben bei den Pferden lassen.“
„Nein. Wir binden die Tiere an. Es darf von uns kein Mann fehlen; darauf beruht mein Plan. Wenn die Weißen unsre große Zahl sehen, werden sie auf alle Gegenwehr verzichten; darum müssen wir alle beisammen sein, und es soll kein einziger von uns zurückbleiben. Mein alter Bruder mag sich doch einmal überlegen, in welcher Lage sie sich dann befinden! Sie haben rechts und links die senkrechten Felsen des Flußbettes, welche nicht zu ersteigen sind, vor sich das Wasser des Chelly und hinter sich plötzlich dreihundert feindliche Krieger. Sie würden wahnsinnig sein, wenn sie da auf den Gedanken kämen, sich zu verteidigen.“
„Ich traue ihnen aber diesen Gedanken dennoch zu!“
„Möglich, denn sie sind nicht nur listig, sondern auch kühn und sogar verwegen; aber sie haben Rücksicht auf ihre Squaws und Kinder zu nehmen, deren Leben sie schonen müssen. Hierin wird mir mein alter Bruder zustimmen.“
„Das thue ich. Aber wie dann, wenn sie die Flucht wagen?“
„Die ist unmöglich!“
„O nein.“
„Doch! Wohin sollten sie sich wenden?“
„Nach dem Chelly.“
„Ins Wasser? Das fällt ihnen nicht ein. Sie wissen gerade so gut wie wir, wie leicht ein Schwimmer zu erschießen ist. Und selbst, wenn dies nicht der Fall wäre, so würden gerade wieder ihre Squaws und Kinder es sein, die sie davon abhalten, die Flucht zu ergreifen. Solche Helden wie Winnetou und Old Shatterhand verlassen selbst in der größten Gefahr keinen Menschen, der sich in ihren Schutz begeben hat. Und welche Schande wäre es für sie, wenn von ihnen erzählt werden könnte, daß sie Weiber und Kinder verlassen hätten, deren Sicherheit ihnen anvertraut gewesen war!“
„Mokaschi hat recht. Seine Rede hat alle meine Bedenken zerstreut. Wir können die Bleichgesichter mit Zuversicht erwarten, denn sie werden gezwungen sein, sich uns ohne Kampf zu ergeben. Und dann machen wir es mit den Hunden der Navajos ebenso!“
„Ja, wir locken sie hinunter in das tiefe Felsenbett des Winterwassers und lassen sie nicht wieder herauf.“
„Uff! Das wird eine Wonne sein, denn wir werden hinter den Felsen, Bäumen und Sträuchern stecken und sie von hier oben aus erschießen können, einen nach dem andern, ohne daß uns eine ihrer Kugeln treffen wird.“
„Ja, wir werden sie alle töten, denn wir werden Waffen besitzen, mit denen man selbst den stärksten Feind besiegen kann.“
„Waffen?“ fragte der Alte, welcher nicht erriet, was Mokaschi meinte.
„Ja. Denkt mein Bruder denn nicht an die Silberbüchse des Apachen?“
„Uff! Und an das Zaubergewehr Old Shatterhands! Du hast recht. Diese Bleichgesichter werden uns ihre Waffen geben müssen.“
„Dann können wir mit dem Zaubergewehre alle Navajos niederschießen. Wir -werden gar keine andre Flinte dazu brauchen. Uff, Uff, uff!“
Die vier Indianer waren bei diesen Worten ganz entzückt. Wenn sie geahnt hätten, wer, fast mit den Händen zu ergreifen, da über ihnen lag und alle ihre Worte hörte! Winnetou schob sich ein wenig zurück und zog dann Old Shatterhand am Arme.
„Wollen wir fort?“ fragte dieser ihn leise.
„Ja. Wir haben genug gehört, und mehr brauchen wir nicht zu wissen. Mein Bruder mag kommen.“
Sie krochen nach der hintern Seite des Felsens, wo Old Shatterhand den Apachen wieder am Lasso hinunterließ. Das Nachfolgen war für ihn wieder lebensgefährlich, gelang aber mit Winnetous Hilfe gut.
Nun galt es, den Ort ebenso unbemerkt zu verlassen, wie sie ihn erreicht hatten. Tief am Boden hinkriechend, schlugen sie genau denselben Weg ein, auf welchem sie herbeigekommen waren, und gelangten auch glücklich in eine solche Entfernung vom Lager, daß sie nicht mehr zu kriechen brauchten. Sie erhoben sich also und setzten ihren Rückzug in bequemerer Stellung fort, gingen dann nach der Furt und befanden sich, als sie dieselbe hinter sich hatten, wieder drüben am jenseitigen Ufer in vollständiger Sicherheit. Dort blieben sie stehen und Winnetou meinte:
„Sie haben vor, uns eine Falle zu stellen und glauben wirklich, uns zu fangen.“
„Ja, die Falle ist gut, so gut, daß wir in dieselbe gehen werden.“
„Mein Bruder denkt so wie ich. Wir gehen hinein.“
„Dann mögen sie sehen, ob sie uns fangen werden! Wir holen natürlich die Navajos her, welche wir heute gesehen haben. Die werden die offene Falle hinter uns so verschließen, daß die Nijoras selbst darinnen stecken bleiben. Aber nun laß uns zu Schi-So zurückkehren! Es ist nun nicht nötig, daß wir diesen jungen, wackeren Krieger zu seinen Navajos senden, denn wir werden sie selbst aufsuchen.“
Er wollte fort. Da legte Old Shatterhand ihm die Hand auf den Arm und sagte:
„Mein Bruder mag noch einen Augenblick warten! Wenn wir morgen in die uns gestellte Falle gehen wollen, ohne daß es uns schadet, so müssen wir vorher wissen, daß es auch wirklich und ganz genau dieselbe Falle ist, von der wir jetzt gehört haben.“
„Mein Bruder meint, daß die Nijoras sich doch vielleicht noch eines andern besinnen könnten?“
„Ja. Dann würden wir in die Schlinge gehen, ohne sie öffnen zu können.“
„So muß einer von uns beiden hierbleiben.“
„Gewiß. Einer bleibt da, um die Nijoras scharf zu beobachten. Soll ich das sein?“
„Nein, ich bleibe hier. Mein Bruder Old Shatterhand versteht es besser als ich, mit seinen weißen Männern und Frauen umzugehen. Darum mag er fortreiten und sie benachrichtigen.“
„Gut! Aber es ist nicht nötig, daß du während der ganzen Nacht hier am Winterwasser bleibst, sondern es genügt, wenn du morgen früh wieder hergehst.“
„Ja, ich muß doch auch zu meinem Pferde, bei dem ich während der Nacht lagern werde.“
„So komm!“
Sie wendeten sich nun der Richtung zu, aus welcher sie gekommen waren. Jetzt brauchten sie sich nicht zu verbergen, denn sie konnten ja, weil es dunkel war, nicht gesehen werden. Sie hielten sich vielmehr auf der offenen Steppe und kamen auf diese Weise sehr schnell vorwärts. Dabei berieten sie sich über die Art und Weise, in der ihr Plan morgen ausgeführt werden sollte.
„Ich nehme natürlich an, daß ich die Navajos in der Nacht auffinde,“ sagte Old Shatterhand. „Sie werden augenblicklich bereit sein, auf meine Vorschläge einzugehen.“
„Sie werden nicht nur bereit sein, sondern sich außerordentlich darüber freuen. Wann wird mein Bruder Old Shatterhand hier eintreffen?“
„Das kann ich nicht genau sagen, da ich nicht weiß, wann ich die Navajos treffen werde. Kann ich es aber ermöglichen, so breche ich mit dem Tagesgrauen von der Stelle auf, an welcher unsre Gesellschaft jetzt lagert.“
Es ist bereits erwähnt worden, daß er während des Herweges eine dazu passende Stelle gefunden und den nachfolgenden Gefährten genau bezeichnet hatte.
„So mag mein Bruder,“ sagte der Apache, „wenn er kommt, da halten bleiben, wo wir Schi-So vorhin zurückgelassen haben. Ich werde mich in der Nähe befinden und dir dann sagen, wie die Nijoras sich verhalten haben.“
„Ja. Und dann werden wir ja wissen, ob wir unsern jetzigen Gedanken ausführen können. Ich wünsche sehr, daß es geschehen kann, denn dann ist es möglich, den Konflikt, welcher zwischen den beiden Stämmen entstanden ist, ohne Blutvergießen auszugleichen.“
„Wie denkt sich denn Old Shatterhand die Ausführung unsers Planes? Wir werden mit den weißen Leuten also nach dem Winterwasser reiten?“
„Ja.“
„Und so in die Furt hinabsteigen, als ob wir nichts ahnten?“
„Ja.“
„Und auch die Squaws und die Kinder mitnehmen?“
„Natürlich!“
„Aber sie werden sich fürchten und uns also sehr hinderlich sein!“
„Wir dürfen sie trotzdem nicht zurücklassen, weil ihr Fehlen den Nijoras auffallen müßte und sie vielleicht mißtrauisch machen würde.“
„Das ist richtig. Sie dürfen also nicht zurückbleiben, doch mag mein Bruder sie sehr ermahnen, ja nichts zu thun, was uns schaden kann. Aber, wenn wir uns dann unten zwischen dem Wasser und den Felsen befinden und die Nijoras kommen, dann dürfen die Navajos keinen Augenblick zögern!“
„Nicht eine Sekunde! Sie werden da sein.“
„Ohne von den Nijoras bemerkt zu werden?“
„Ja.“
„Aber diese roten Männer werden uns beobachten, wenn wir kommen. Wie will Old Shatterhand es anfangen, daß sie die Navajos nicht sehen?“
„Sehr einfach. Die Navajos dürfen natürlich nicht hinter uns herkommen, denn da würden sie bemerkt. Sie müssen vielmehr schon an Ort und Stelle, also in der Nähe der Furt des Winterwassers sein, wenn wir dort ankommen. Zunächst werden wir zusammenreiten, unsre Weißen und die Navajos. Wenn wir aber so weit gekommen sind, daß wir von den Nijoras fast gesehen werden können, halten wir an. Das wird also da sein, wo ich dich treffen will. Dort erfahre ich von dir, wie die Angelegenheit steht. Steht sie gut, so warten die Weißen, bis ich wiederkomme, und ich führe die Navajos in einem weiten Bogen nach Süden, dahin, wo das Gesträuch des Winterwassers beginnt. Während wir diesen Bogen reiten, halten wir uns so weit von den Nijoras entfernt, daß sie uns nicht sehen können. Wenn wir dann im Süden am Winterwasser angekommen sind, führe ich die Roten auf dem trockenen Grunde desselben abwärts bis in die Nähe der Furt, wo sie auf uns warten müssen. Dann kehre ich zu euch zurück und wir brechen mit der weißen Gesellschaft auf.“
-Das ist richtig. So habe ich es auch gedacht. Wir führen die Weißen nach der Furt, reiten hinab, aber nicht drüben wieder hinauf, sondern wenden uns nach rechts dem Wasser des Chelly zu.“
„Ganz recht! Dort steigen wir von den Pferden und thun so, als ob wir hier ausruhen wollten. Zugleich aber müssen wir dafür sorgen, daß uns die Nijoras nicht etwa beim ersten Anpralle fassen können. Es gibt da unten Felsen genug, hinter welche wir sofort springen können, wenn die Roten kommen. Deine Silberbüchse und mein Henrystutzen werden die ersten Worte mit ihnen reden, und dann sind ihnen die Navajos schon im Rücken.“
„Werden wir schießen müssen?“
„Wenn es nicht anders geht, ja; wir wollen aber möglichst ihr Leben schonen. Doch, ich glaube, daß wir nun beinahe an Ort und Stelle sind.“
Sein scharfes Auge hatte sich trotz der Dunkelheit zurechtgefunden. Die beiden näherten sich dem Saume des Ufers und riefen Schi-So’s Namen; er antwortete und kam mit den Pferden aus den Büschen, zwischen denen er gesteckt hatte, heraus.
„Gute Nacht!“ sagte Winnetou, indem er sein Pferd beim Zügel nahm und es in das Buschwerk zurückführte.
„Gute Nacht!“ antwortete Old Shatterhand, indem er das seinige bestieg, um fortzureiten.
Beide hatten natürlich mit den Pferden auch ihre Gewehre von Schi-So zurückgenommen. Dieser mochte über die kurze Art und Weise dieser Verabschiedung erstaunt sein; er wagte es aber nicht, ein Wort darüber zu bemerken oder eine Frage auszusprechen; dies gab der Respekt nicht zu, den er für diese beiden berühmten Männer hegte. Er stieg auch auf sein Pferd und folgte Old Shatterhand.
Dieser hatte zunächst einen kurzen Trab eingeschlagen und verhielt sich einige Zeit lang still. Dann fragte er den Jüngling in seiner leutseligen Art und Weise:
„Schi-So wird gar nicht wissen, woran er mit uns ist?“
„Ich werde es erfahren,“ antwortete der Angeredete höflich.
„Ja, du wirst es erfahren. Wenn ich es dir jetzt sagen wollte, müßte ich es zweimal erzählen, und das möchte ich vermeiden. Aber eins will ich doch bemerken, worüber du dich freuen wirst: Ich habe deine Eltern gesehen.“
„Wirklich, wirklich? Wo?“ fragte Schi-So, freudig überrascht.
„Am jenseitigen Ufer. Sie ritten mit einer großen Kriegerschar aufwärts.“
„Jedenfalls um nach den Nijoras zu suchen?“
„Ja.“
„Da werden sie des Nachts lagern! Wenn ich sie aufsuchen dürfte!“
„Du darfst. Ich muß sie nämlich suchen, und da sollst du mich begleiten. Ich denke, daß du noch in dieser Nacht deinen Vater und deine Mutter begrüßen kannst. Wir haben Eile. Laß uns Galopp reiten!“
Ein kurzes Wort von ihm genügte, sein Pferd zum schnelleren Laufe anzutreiben, und Schi-So folgte ihm, in stiller Wonne an das Wiedersehen mit seinen Eltern, besonders mit seiner Mutter denkend.
Diesmal gehörte kein großer Scharfsinn dazu, den Ort, nach welchem sie wollten, zu entdecken. Als sie sich demselben näherten, sahen sie den Schein des Feuers zwischen den Bäumen hervorschimmern. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sagte:
„Wie unvorsichtig, so ein Feuer zu brennen! Ich bin zwar überzeugt, daß diese Stelle hier jetzt ganz gefahrlos ist, aber man zündet doch nicht ein Feuer an, an welchem man einen Büffel braten könnte! Sam Hawkens muß sehr genau wissen, daß er sich hier in vollster Sicherheit befindet. Steigen wir ab und schleichen wir uns heimlich hin! Wollen sehen, was sie thun und reden. Man kann ja schon hier ihre lauten Stimmen hören.“
Sie stiegen ab und führten ihre Pferde leise nach dem Rande des Buschwerkes, wo, wie sie bemerkten, die Gesellschaft die ihrigen stehen hatte. Dann schlichen sie sich näher. Da sahen sie zu ihrem Erstaunen den Häuptling der Navajos mit seiner weißen Squaw.
„Deine Eltern sind da,“ flüsterte Old Shatterhand seinem jungen Begleiter zu. „Siehst du sie?“
„Ja,“ antwortete der Gefragte.
Er sagte nur dieses eine Wort, doch das scharfe Ohr des Jägers hörte es, daß seine Stimme dabei vor freudiger Erregung zitterte.
„Wie mögen sie sich hierher gefunden haben? Und welche Freude, als sie hörten, daß du bei uns bist! Natürlich haben sie erfahren, daß ich dich mitgenommen habe. Ich denke, daß du sie sehr freudig begrüßen möchtest; aber das geht nicht; sie sind nicht allein gekommen, und du mußt auf die andern Navajos Rücksicht nehmen; bleib hier stehen! Ich will zunächst allein zu ihnen.“
Old Shatterhand schlich sich noch weiter hinan und hörte, was gesprochen wurde. Dann folgte die Scene, welche bereits beschrieben worden ist.
Dann, als dieselbe vorüber war, setzte er sich zu Nitsas-Ini, um mit ihm über das, was morgen vorgenommen werden sollte, zu beraten. Er erklärte ihm den Plan, den er mit Winnetou entworfen hatte, und der Häuptling war mit demselben vollständig einverstanden.
Nachher wurde der emeritierte Kantor gebracht, und der Empfang, den er fand, war kein allzu freundlicher, denn Old Shatterhand sagte ihm tüchtig die Meinung, ohne ihn allerdings von seiner Thorheit zu überzeugen.
Dann riet Old Shatterhand den Anwesenden, sich zur Ruhe zu legen, weil morgen ein anstrengender Tag zu erwarten sei.
Der Häuptling der Navajos kehrte mit seiner weißen Squaw nicht nach seinem Lager zurück, sondern erklärte, daß er hierbleiben wolle. Dafür schickte er seine Roten zurück, welche seine Befehle nach dem Lager bringen sollten.
Es wurde eine Wache ausgestellt; man ließ das Feuer erlöschen, und dann wurde es ruhig. Schi-So lag neben seiner Mutter; sie hatten ihre Hände ineinander vereinigt.
Es war spät geworden und die kurze Zeit, welche bis zum Morgen übrig geblieben war, verging sehr schnell. Eben graute der Tag, als Old Shatterhand die Schläfer weckte. Als diese an den Fluß traten, um sich zu waschen, sahen sie die Krieger der Navajos, welche in einer langen Reihe am jenseitigen Ufer aufwärts geritten kamen und, als sie gerade gegenüber anlangten, ihre Pferde in das Wasser trieben, um das diesseitige Ufer zu erreichen.
Die Weißen machten sich nun auch schnell zum Aufbruche fertig; dann setzte sich der Zug flußabwärts in Bewegung, Old Shatterhand und Nitsas-Ini ritten an der Spitze. Dieser letztere hatte den Boten, welche von ihm in sein Lager geschickt worden waren, die Namen zweier Indianer genannt, welche nicht mitkommen, sondern als Späher dem Ölprinzen entgegenreiten und ihn und seine Begleiter beobachten sollten. Er glaubte, diese Aufgabe in die besten Hände gelegt zu haben, da sie zu den gewandtesten und verschlagensten Leuten seines Stammes gehörten.
Diese beiden Indianer blieben also zurück. Sie hatten den Ölprinzen, Buttler und Poller zu beobachten und ihnen heimlich zu folgen. Sie sollten sie nicht aus den Augen lassen. Falls sie bemerken sollten, daß die Drei entwischen wollten, hatten sie den Befehl, sie lieber zu töten, als sie entkommen zu lassen.
Als es hell genug geworden war, ritten sie denen, die sie erwarteten, entgegen, denn das hatte der Häuptling befohlen. Es war anzunehmen, daß die drei Weißen auf der Fährte der Navajos kommen würden. Da, wo die letzteren gelagert hatten, konnte man ihre Annäherung nicht vorher bemerken, und so ritten die zwei Indianer lieber zurück, um sich an einer Stelle zu verstecken, an welcher sie die drei Weißen schon von weitern kommen sehen konnten.
Nach vielleicht schon einer halben Stunde sahen sie, daß das Buschwerk des Ufers in einer langen, schmalen Spitze hinaus in die offene Steppe trat. Nach dieser Spitze ritten sie nun, führten ihre Pferde in das Gebüsch, banden sie dort an und versteckten sich auch selbst in der Nähe. Nämlich jenseits dieser Spitze lag die Ebene auch weit offen da, und so konnten sie von hier aus den Ölprinzen und seine Begleiter schon sehen, wenn diese noch über eine englische Meile entfernt waren. Darum glaubten sie, eine sehr gute Wahl getroffen zu haben und ihrer Sache ganz sicher sein zu dürfen.
Dem war aber leider gar nicht so!
Grinley, Poller und Buttler hatten, wie schon früher bemerkt, den Navajos nicht bis zu deren Lager folgen können, weil die Nacht inzwischen angebrochen war und sie in der Dunkelheit die Fährte nicht sehen konnten. Sie waren da, wo sie sich gerade befanden, von den Pferden gestiegen, um den Morgen zu erwarten. Ehe sie einschliefen, unterhielten sie sich über die Ereignisse der letzten Tage, die ihnen so wenig Gutes gebracht hatten, und natürlich auch über die ihrer Ansicht nach schändliche Art und Weise, in welcher sie um die Anweisung gekommen waren. Sie waren wütend darüber und beschlossen, alles daran zu setzen, das Papier wieder in ihre Hände zu bekommen, und dabei keinen Menschen zu schonen, er sei, wer er wolle.
Dabei galt es, alle Vorsicht zu entwickeln. Sie überlegten alles, was zu thun war, ganz genau und gingen auch das Geschehene noch einmal mit großer Sorgfalt durch. Dabei kamen sie auch auf den Umstand, daß sie heute die Spur eines einzelnen Reiters gesehen hatten, welche von links her auf die Gesamtfährte der Navajos gestoßen war. Sie hatten ihr keine Bedeutung beigemessen; aber jetzt, wo sie nach reiflicher Überlegung zu dem Resultate gekommen waren, daß alle List, Sorgfalt und Vorsicht anzuwenden sei, wollte ihnen diese Fährte doch wichtiger erscheinen.
Sie beschlossen, vorsichtig zu sein und wenn die Navajos ihnen einen Hinterhalt legten, sie entweder zu täuschen oder gar kalt zu machen.
Kaum dämmerte der nächste Morgen heran, so saßen sie schon wieder auf ihren Pferden und ritten weiter. Bei offenem Terrain hielten sie sich auf der Spur der Navajos; gab es aber Büsche, so machten sie einen Umweg über dieselben herum. Bald kamen sie so weit, daß sie die erwähnte Buschspitze vor sich liegen sahen.
Buttler hielt sein Pferd an und musterte die Spitze mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen. Dann sagte er.
„Auf dieser Seite liegt eine weite Fläche und wenn ich recht vermute, auf der andern auch. Keine Örtlichkeit eignet sich also so vortrefflich dazu, uns schon von weitem kommen zu sehen, und wenn es wahr ist, daß man uns einen Hinterhalt gelegt hat, so stecken die Kerls dort und nirgends anders. Wir werden uns also sehr hüten, uns diesem Gebüsch von außen zu nähern oder um dasselbe herumzureiten. Nein, wir schleichen uns heimlich hin, und wehe den Hunden, die sich dort von uns finden lassen! Kommt!“
Er stieg ab und führte sein Pferd dem Flusse zu; die andern folgten ihm in derselben Weise. Unter den Bäumen des Flusses angekommen, gingen sie aufwärts, dem Wasser entgegen, immer durch die Sträucher gedeckt, so daß man sie von der Spitze aus nicht sehen konnte. Das ging natürlich sehr langsam, und es dauerte lange Zeit, ehe sie diejenige Stelle des Flußufers erreichten, von welcher aus sich die Buschwerksspitze in die freie Ebene hinauszog. Da banden sie die Pferde an und bogen vom Wasser in einem rechten Winkel ab, um, der Spitze folgend, dieselbe nach vorhandenen Indianern zu durchsuchen. Das war wenige Minuten, bevor die beiden Navajo-Indianer von der andern Seite herkamen.
Sie verfuhren mit aller nötigen und möglichen Vorsicht, ohne ein menschliches Wesen oder die Spur eines solchen zu entdecken. Fast hatten sie schon die äußerste Spitze erreicht, und eben wollte der Ölprinz den Vorschlag machen, zu den Pferden zurückzukehren und weiter zu reiten, da zeigte Buttler zwischen die Büsche hinaus und sagte:
„Hallo, dort kommen zwei Rote! Wahrscheinlich sind es die, welche wir suchen. Wollen wir sie unbelästigt vorüberlassen?“
„Vorüber?“ antwortete Poller. „Sie wollen wohl nicht vorüber. Wie mir scheint, halten sie gerade auf uns zu.“
„Allerdings. Kommt zurück! Wir müssen sie beobachten.“
Sie retirierten eine kleine Strecke und versteckten sich dann so gut, wie die Örtlichkeit es erlaubte. Die beiden Navajos kamen heran, zogen ihre Pferde, nachdem sie abgestiegen waren, in das Gesträuch herein und versteckten sich dann auch in dasselbe. Die beiden Parteien waren nicht mehr als etwa zehn Schritte von einander entfernt, Die Indianer waren überzeugt, allein zu sein, und hielten es infolge dessen nicht für nötig, leise miteinander zu sprechen, ihre Worte wurden von den Weißen daher deutlich gehört.
„Ob die Bleichgesichter kommen werden?“ meinte der eine.
„Sie kommen,“ sagte der andre. „Sie wollen das Papier holen und werden also nicht zurückbleiben.“
„So gehen sie in den Tod. Folgen sie unsern Kriegern, so werden sie gefangen und gemartert, und folgen sie ihnen nicht, weil sie Verdacht fassen, so erschießen wir sie.“
„Hört ihr es?“ flüsterte der Ölprinz Buttler und Poller zu. „Wir brauchen gar nichts weiter zu hören.“
„Nein; wir wissen genug,“ stimmte Buttler bei. „Wie steht’s?“
An die Hölle mit ihnen!“
„Well, bin dabei. Nehmt die Gewehre und zielt auf die Köpfe!“
Er legte sein Gewehr auch an und zählte:
„Eins – zwei – drei!“
Die drei Schüsse krachten. Die Büsche, in denen die Roten steckten, raschelten; es gab ein kurzes Röcheln und Stöhnen; dann war es still. Die Weißen verließen ihr Versteck und gingen hinüber; die Roten lagen, beide durch die Köpfe geschossen, tot in dem Gesträuch.
„So!“ lachte der Ölprinz. „Die folgen uns nun nicht nach und schießen uns auch nicht nieder. Sie mögen hier für die Geier und Wölfe liegen bleiben.“
Poller nickte zustimmend und auch Buttler hatte nichts einzuwenden. Sie wandten sich, um zu ihren Pferden zurückzukehren, da blieb Buttler aber plötzlich stehen und meinte:
„Wartet noch, was wir von ihren Sachen brauchen können, wollen wir doch mitnehmen.“
Die drei Banditen plünderten die Toten aus, deren Gewehre und Munition ihnen besonders willkommen war. Natürlich nahmen sie die Indianerpferde auch mit, die ihnen große Erleichterung bieten konnten. Wenn man als Flüchtling die Pferde wechseln kann, kommt man schneller vorwärts als mit nur einem Gaule. Zu ihrer Freude fanden sie in den Satteltaschen einen beträchtlichen Vorrat von Dörrfleisch. Die Roten hatten sich damit versehen, weil sie auf eine längere Abwesenheit von den Ihrigen mußten gefaßt sein.
Nun setzten die drei Mörder, jetzt mit fünf Pferden, ihren Weg fort. Sie brauchten nicht mehr so vorsichtig zu sein, denn jetzt war kein Hinterhalt mehr zu erwarten, und so ließen sie ihre Tiere tüchtig ausgreifen, bis sie den Ort am Ufer erreichten, wo die Navajos während der Nacht gelagert hatten. Sie stiegen ab, um denselben zu untersuchen, fanden aber nichts, was sie besonders interessieren konnte, als nur die Spuren davon, daß die Roten heute früh am diesseitigen Ufer weiter aufwärts geritten seien.
Sie folgten dieser Fährte und erreichten nach einer Viertelstunde die Stelle, an welcher die Navajos über den Fluß gesetzt waren. Sie thaten dasselbe und fanden drüben die deutlichen Eindrücke des Lagers der Weißen. Da stiegen sie wieder von den Pferden, um diesem Platze ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Sie waren alle drei im Leben und in den Vorkommnissen des Westens erfahren, und so kam es, daß sie sich in Beziehung auf das, was hier stattgefunden hatte, nicht täuschten, wenn sie auch die näheren Umstände unmöglich wissen konnten.
„Hier hat es auch ein Lager gegeben,“ sagte der Ölprinz. „Wißt ihr, wer dagewesen ist?“
„Natürlich Old Shatterhand mit seinen Leuten,“ antwortete Buttler. „Es kann gar niemand anders gewesen sein. Schaut da zu den Büschen hinaus! Ihre Fährte geht am hohen Ufer hin nach Westen,“
„Ja; die Navajos sind über den Fluß herübergekommen und zu ihnen gestoßen. Sie haben sich mit ihnen vereinigt und sind nun alle hinter den Nijoras her. Das gibt –“
Er hielt in seiner Rede inne. Man sah es ihm an, daß er erschrocken war.
„Was ist’s?“ fragte Buttler.
„Alle tausend Teufel!“
„Was denn?“
„Da kommt mir ein Gedanke, ein armseliger, miserabler Gedanke!“
„Welcher?“
„Wenn es so ist, wie ich denke, so können wir uns nur gleich aufmachen und fortreiten wie alte Hunde, welche Prügel und nichts zu fressen bekommen haben!“
„Warum denn? So rede doch!“
„Reden? Was ist da zu reden! Das mußt du dir doch selber sagen, wenn du nur eine kleine Spur von Verstand besitzest!“
„So habe ich freilich meinen Verstand verloren, denn ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“
„Das ist unbegreiflich! Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Mit dem Gelde ist es nämlich aus, vollständig aus. Wir werden nicht einen Dollar, nicht einen Cent bekommen!“
„Alle Donner! Warum nicht?“
„Weil die Anweisung zum Teufel ist!“
„Inwiefern soll sie denn zum Teufel sein? Ich verstehe noch immer nicht, was du redest!“
„So ist dir wirklich dein ganzes bißchen Denkkraft abhanden gekommen. Du weißt doch, daß Old Shatterhand und Winnetou ganz dicke Freunde der Navajos sind?“
„Das weiß ich allerdings.“
„Die Roten werden ihm also, sobald sie mit ihm hier zusammentrafen, nichts verschwiegen haben.“
„Ja. Wahrscheinlich haben sie ihm gesagt, daß wir bei ihnen gewesen sind und sie so schön genasführt haben.“
„Darauf bilde dir ja nichts ein, denn jetzt sind wir die Genasführten. Wer hatte die Anweisung?“
„Wolf, der Deutsche.“
„Schön! Er ist mit hier gewesen und hat natürlich den Bankier gesehen und mit ihm gesprochen. Was versteht sich nun da von selbst?“
„Daß er – – Satan! Jetzt weiß ich, was du meinst! Es ist alles erzählt worden, und da – – da hat dieser Wolf dem Bankier die Anweisung ausgehändigt. Ist dies das, was du meintest?“
„Ja.“
„So ist es bei uns freilich mit jeder Hoffnung aus. Es ist alles, alles vergeblich gewesen, und du mußt nun endlich einsehen und zugeben, was für ein Knaben- oder Jungenstreich es von dir war, diesem Wolf die Anweisung zu zeigen!“
Der Ölprinz wollte diesen Fehler beschönigen, und so entstand ein Wortwechsel, welcher so hitzig wurde, daß die beiden nahe daran waren, sich aneinander zu vergreifen. Da schob Poller sie auseinander und sagte:
„Ihr werdet euch doch nicht die Hälse brechen wollen! Damit macht ihr die Sache nicht anders. Ich sehe nicht ein, warum wir gleich das Allerschlimmste annehmen und jede Hoffnung aufgeben sollen. Es ist ja noch gar nichts verloren.“
„Nicht?“ rief der Ölprinz ärgerlich aus.
„Nein, noch gar nichts.“
„So bin nun ich es, der nichts versteht und nichts begreift. Die Anweisung ist doch weg. Oder nicht?“
„Nein, sie ist nicht weg. Erst hatte sie Wolf, und nun hat sie Rollins. Was ist das für ein Unterschied? Es ist ganz gleich, wer sie hat, wenn sie nur noch da ist.“
„Das weiß ich auch; das braucht mir niemand zu sagen. Aber sie ist eben nicht mehr da.“
„Wer sagt das?“
„Ich sage es, denn es versteht sich doch ganz von Selbst, daß Rollins sie sofort vernichtet hat!“
„Vernichtet? Das nehme ich erst dann an, wenn es bewiesen ist. Vernichtet, das heißt doch wohl zerrissen. Was man zerreißt, steckt man nicht ein, um es sorgfältig aufzuheben, sondern man wirft es weg. Wo aber ist hier auch nur das kleinste Stückchen Papier zu sehen? Es ist seit gestern abend bis jetzt vollständig windstill gewesen; es hat keinen Lufthauch gegeben, welcher die Papierfetzen hätte mit fortnehmen können; sie müßten also noch daliegen. Wollen einmal suchen, ganz sorgfältig suchen, nicht bloß hier, sondern auch in der Umgebung des Lagers.“
Sie thaten dies auf das eifrigste, fanden aber nichts. Da sagte der Ölprinz, indem er tief Atem holte und sein Gesicht sich wieder aufklärte:
„Da bekomme ich wirklich neuen Mut. Was Poller vorbringt, ist ganz richtig. Ein zerrissenes Papier steckt man nicht ein, sondern wirft es weg; der Bankier hat die Anweisung also nicht zerrissen, sondern aufgehoben.“
„So ist es,“ nickte Poller. „Vielleicht gar hat er sie nur deshalb nicht vernichtet, um in ihr ein Andenken an seine Erlebnisse im wilden Westen zu haben.“
„Ja, das ist auch möglich. Ich habe wieder Hoffnung. Es ist mir sogar lieber, daß er sie jetzt hat, als wenn Wolf sie noch hätte. Aus Wolfs Tasche wäre sie nur mit Lebensgefahr und durch einen Mord zu bekommen gewesen, während der Bankier ein unerfahrener Kerl ist, der nicht einmal den Mut besitzen würde, sich ernstlich zu verteidigen. Ja, wenn das Papier wirklich nicht vernichtet sein sollte, sondern noch vorhanden ist, so glaube ich fest, daß wir es leichter als vorher bekommen können. Nicht?“
„Allerdings,“ stimmte Buttler ein. „Mit diesem Rollins wird kein Federlesen gemacht. Mit ihm werden wir viel eher fertig, als mit jedem andern. Also, einen Entschluß gefaßt! Was thun wir jetzt?“
„Warten wir hier? Oder reiten wir weiter, den vereinigten Weißen und Roten nach?“
„Wir folgen ihnen.“
„Aber mit doppelter Vorsicht!“
„Das wird gar nicht sehr nötig sein. Sie haben uns Späher entgegengeschickt und ahnen nicht, daß wir diese Kerls erschossen haben. Sie wissen uns also unter Aufsicht und werden denken, daß sie von den Kundschaftern Nachricht erhalten, ehe wir kommen. Wir können also frisch weiterreiten, ohne uns viel umzusehen.“
Sie stiegen wieder auf, nahmen die beiden erbeuteten Pferde am Leitzügel und ritten weiter, den Spuren der Navajos und der Weißen nach.
Es kam so, wie sie es sich gedacht hatten: ihr Ritt ging glatt von statten und niemand stellte sich ihnen in den Weg. Es ging immer auf dem hohen Ufer des Flusses in der Nähe des Baum- und Strauchsaumes hin, und die Fährte, welcher sie folgten, blieb sich immer gleich, bis sie an eine Stelle kamen, an welcher sie bedeutend breiter und viel ausgetretener war. Das mußte einen Grund haben. Sie hielten also an und stiegen ab, um die Spuren hier zu untersuchen. Sie befanden sich an dem Orte, an welchem Schi-So im Gebüsch gestern abend mit den Pferden auf Old Shatterhand und Winnetou gewartet hatte und wo der Apache heut früh die vereinigten Weißen und Roten hatte empfangen wollen.
„Hier haben die Kerle längere Zeit gehalten,“ sagte Buttler. „Das sieht man ganz genau. Die Pferde sind nicht über den Boden fortgelaufen, sondern sie haben dagestanden und ihn zerstampft und sogar mit den Hufen aufgescharrt.“
„Welche Ursache mag da vorgelegen haben?“ meinte der Ölprinz.
„Wer weiß das! Wahrscheinlich erfahren wir es später.“
„Ich möchte es aber schon jetzt wissen. Seht, da führen Spuren von hier grad ins Gebüsch! Wollen einmal sehen, was es da drin gegeben hat!“
Sie ließen ihre Pferde stehen und gingen auf das Gesträuch zu. Da hörten sie eine Stimme in deutscher Sprache rufen:
„Zu Hilfe, zu Hilfe! Kommt her, kommt hier herein!“
Sie blieben stehen und horchten.
„Das war nicht englisch,“ sagte der Ölprinz.
„Es schien deutsch zu sein; ich verstehe es aber nicht,“ meinte Buttler.
„Aber ich verstehe es,“ erklärte Poller, der einstige Führer der Auswanderer. „Es ruft jemand um Hilfe und bittet uns, zu ihm hineinzukommen.“
„Das können wir thun, denn wenn jemand unsre Hilfe braucht, da haben wir nichts zu befürchten.“
„Aber wenn es eine Finte ist, wenn wir in eine Falle gelockt werden sollen!“
„Das glaube ich nicht. Kommt nur immer mit!“
Sie folgten den Fuß- und Hufstapfen, die in das Gebüsch führten, und sahen bald zwei gesattelte Pferde, welche im Gesträuche angebunden waren. Sie schienen dem um Hilfe Bittenden so nahe gekommen zu sein, daß er sie sehen konnte, denn er rief jetzt:
„Hierher, hierher, Herr Poller! Haben Sie die Güte und schneiden Sie mich los!“
„Er ruft mich; er kennt mich!“ sagte Poller.
„Kommen Sie doch, Herr Poller, kommen Sie schnell!“ rief es wieder.
„Alle Teufel! Wenn ich mich da nicht irre, so ist das die Stimme des verrückten Kantors, der eine Oper von zwölf Akten komponieren will und dabei allerlei Dummheiten macht! Kommt! Da brauchen wir uns freilich nicht zu fürchten.“
„Aber,“ meinte der Ölprinz vorsichtig, „er gehört jetzt zu Old Shatterhand und Winnetou, und wer weiß, ob das nicht eine Schlinge ist, in welche wir die Köpfe stecken sollen.“
„Schwerlich, schwerlich! Ich bin vielmehr überzeugt, daß er abermals infolge eines dummen Streiches hier stecken- und zurückgeblieben ist. Kommt nur getrost mit mir weiter!“
Er drang tiefer in das Gebüsch ein, und sie folgten ihm. Da bewahrheitete sich die Vermutung Pollers allerdings, denn sie sahen den Kantor, dem die Hände auf den Rücken und dann an den Stamm eines Baumes festgebunden waren. Man hatte das allerdings in einer Weise gethan, daß er sich dabei in einer völlig schmerzlosen und ganz bequemen Lage befand, denn er saß in dem weichen Grase des ebenso weichen Bodens und lehnte mit dem Rücken an dem Baum.
„Sie, Herr Kantor?“ fragte Poller. „Das ist doch sonderbar!“
„Kantor emeritus, wenn ich Sie bitten darf! Es ist sowohl der Vollständigkeit, als auch der Unterscheidung wegen, denn ein Emeritus ist nicht mehr aktiv, Herr Poller.“
„Ihre Lage scheint allerdings eine mehr passive als aktive zu sein. Wie sind Sie denn in diese Passivität geraten?“
„Man hat mich hier angebunden.“
„Das sehe ich. Aber wer?“
„Stone und Parker.“
„Aber die können das doch nicht aus eigenem Antriebe gethan haben!“
„Nein. Old Shatterhand war es, der es ihnen befohlen hat.“
„Warum?“
„Das – – das weiß – – das weiß ich eigentlich gar nicht,“ sagte er, weil er sich doch genierte, den Grund mitzuteilen.
„Aber Old Shatterhand thut doch nie etwas ohne Ursache!“
„Nein; er wird wohl auch hier eine gehabt haben; aber ich kenne sie wirklich nicht. Fragen Sie mich also nicht darnach, sondern schneiden Sie mich lieber los!“
„Das kann nicht so leicht und schnell geschehen, wie Sie denken.“
„Warum?“
„Ich möchte wohl, aber – – – aber ich muß auch wissen, daß es angebracht ist und keinen Schaden macht.“
„Was sollte es denn für Schaden bringen!“
„Das weiß ich nicht; aber Old Shatterhand wird es wissen. Er hat Sie jedenfalls hier anbinden lassen, um Sie an der Ausführung irgend einer Dummheit zu verhindern. Dennoch aber finde ich es sehr unrecht von ihm, Sie hier festknüpfen und in der Wildnis so allein und ohne Schutz zu lassen.“
„Allein? Ich bin nicht allein.“
„Nicht?“
„Nein. Es ist noch jemand da.“
„Wer?“
„Herr Rollins, der Bankier.“
„Der?“ fragte Poller, indem es wie Befriedigung über sein Gesicht ging. „Nur dieser oder noch jemand?“
„Er allein.“
„Auch angebunden?“
„Nein, sondern um mich zu bewachen. Er hat sich selbst dazu angeboten. Ich habe ihn ohne Unterlaß himmelhoch gebeten, mich loszumachen; aber er hat mir meinen Wunsch nicht erfüllt. Er ist ein gefühlloser, grausamer Mensch.“
Diese Ansicht des Kantors war Poller höchst willkommen; darum sagte er, ihn in derselben bestärkend.
„Ja, das war allerdings grausam von ihm und verdient eine sehr nachdrückliche Strafe. Man sollte eigentlich Sie losmachen und ihn dafür anbinden!“
„Ja, das wäre ihm sehr recht! Ich würde mich sehr darüber freuen und ihn auch nicht losbinden, und wenn er mich noch so sehr darum bäte. Ich ließe ihn hängen und ginge fort, um seine Klagen oder Vorwürfe gar nicht zu hören.“
„Wohin würden Sie da gehen?“
„Den andern nach, hinunter nach dem Winterwasser.“
„Ah, die andern sind am Winterwasser?“
„Ja.“
„Was wollen sie dort?“
„Die Nijoras angreifen und gefangen nehmen, die dort auf uns gelauert haben.“
„Ob ihnen das gelingen wird!“
„Gewiß! Old Shatterhand war ganz überzeugt davon und Winnetou auch. Dieser ist während der ganzen Nacht hier gewesen, um die Nijoras zu belauschen. Ich durfte nicht mit, weil sie glaubten, daß ich – daß ich – – hm; darum banden sie mich fest, und der Bankier erbot sich, bei mir zu bleiben, da sonst niemand sich dazu meldete. Er wollte lieber hier sein, als sich in die Gefahr begeben, während des Kampfes von den Wilden entweder blessiert oder gar ermordet zu werden.“
„Das war sehr, sehr klug von ihm. Können Sie vielleicht sagen, ob er mit dem Wolf gesprochen hat?“
„Mit dem Deutschen, der zu den Navajos gehört?“
„Ja,“
„Gewiß hat er mit ihm gesprochen.“
„Was?“
„Verschiedenes. Ich habe nicht aufgemerkt, weil ich meine Gedanken bei meiner Heldenoper haben muß.“
„Wenn Sie das nicht wissen, so haben Sie doch vielleicht erfahren, ob er ihm etwas gegeben hat?“
„Gegeben? Allerdings.“
„Was?“
„Die Anweisung, welche er Ihnen abgenommen hat.“
„So! Wissen Sie das genau?“
„Nein; ich war nicht dabei; aber ich habe es gehört, als sie davon sprachen.“
„Das ist mir lieb. Da befindet sich das Papier nun endlich einmal in den richtigen Händen.“
„Ja. Er wird es sich nicht wieder nehmen lassen.“
„So hat er es wohl vernichtet?“
„O nein. Er will es als Andenken aufbewahren.“
„Das glaube ich, Es wird ein gutes Erinnerungszeichen an die Abenteuer sein, welche er erlebt hat. Er hat es natürlich zu den andern Papieren in die Brieftasche gesteckt?“
„Nein, das hat er nicht gethan, denn er meinte, so eine Anweisung sei ein gefährliches Ding für ihn. Wenn es in falsche Hände gerät und in San Francisco präsentiert wird, so erhält der Betreffende das Geld und Rollins muß es dann einbüßen. Darum hat er das Papier sehr gut versteckt.“
„Versteckt? Hm, was heißt versteckt! Man glaubt zuweilen etwas sehr gut, ganz vorzüglich aufgehoben zu haben, und verliert es doch.“
„Dieser nicht. Er hat es zwischen das Futter seines Rockkragens geschoben. Dort sucht es niemand.“
„Das hat er allerdings schlau angefangen. Aber ich sehe ihn doch nicht. Wo ist er denn?“
„Fort. Er saß drüben am Rande des Gebüsches und sah Sie kommen. Da bekam er Angst und versteckte sich.“
„Erkannte er uns denn?“
„Nein. Sie waren zu weit entfernt. Aber da Sie von dieser Seite kamen und also nicht zu unsern Freunden gehören konnten, hielt er Sie für Feinde, denen man nicht trauen darf. Er wollte sich lieber gar nicht sehen lassen.“
„So ist er also fort und Ihnen ist sein Versteck unbekannt?“
„O, ich kenne es!“
„So sagen Sie es uns, damit wir ihn holen und ihm beweisen können, daß -wir es gut mit ihm und Ihnen meinen!“
„Gut meinen?“ antwortete der Kantor mit dem Bestreben, seinem Gesicht einen pfiffigen, besserwissenden Ausdruck zu geben. „Da denken Sie wohl gar, daß ich Ihren Worten glaube, verehrter Herr Poller?“
„Natürlich.“
„Fällt mir gar nicht ein. Uns Jüngern der Wissenschaft macht man nicht so leicht etwas weiß.“
„Das ist gar nicht meine Absicht. Was ich sage, das ist wahr, ich meine es gut mit ihm und mit Ihnen.“
„Vielleicht mit mir, aber nicht mit ihm!“
„Warum?“
„Weil Sie schlecht an ihm gehandelt haben.“
„Das bildet er sich nur ein.“
„Nein. Das mit der Petroleumquelle ist nicht wahr gewesen. Sie haben ihn um das viele Geld bringen wollen.“
„Unsinn! Wenn er den See genau untersucht, so wird er finden, daß die Quelle wirklich vorhanden ist. Er versteht aber nichts davon und hat sich von andern Leuten gegen uns einnehmen lassen. Wie ehrlich wir sind, können Sie daraus ersehen, daß wir dem Wolf die Quittung gegeben haben, als wir bei den Navajos waren.“
„Hat er sie Ihnen denn nicht abgenommen?“
„Nein. Ein so wertvolles Papier läßt man sich nicht abnehmen. Er hat doch gar nicht gewußt, daß wir es hatten, also müssen wir es ihm doch gesagt haben.“
„Das stimmt allerdings.“
„Darum möchten wir jetzt gern einmal mit ihm sprechen und ihm sagen, was er zu thun hat, wenn er sich je noch in den Besitz der Quelle setzen und ein reicher Mann werden will. Also, wo steckt er?“
„Hm, ich weiß noch nicht recht, ob ich es sagen soll.“
„So behalten Sie es für sich! Uns kann es ja gleich sein. Aber ich dachte, es würde Ihnen Spaß machen, wenn wir ihn an Ihrer Stelle anbänden.“
„Ja, das würde mir Spaß machen, ungeheuren Spaß! Er hätte es verdient, weil er für meine Bitten nur taube Ohren hatte.“
„Und Sie würden dann aus Ihrer Lage befreit!“
„Sonst nicht?“
„Nein.“
„Aber ich habe Sie doch auch befreit, als ich Ihnen mein Federmesser gab! Es würde höchst undankbar von Ihnen sein, wenn Sie mich hier hängen ließen.“
„Das sind zwei sehr verschiedene Fälle. Bei uns handelte es sich um das Loben. Wir waren von den Feinden gefesselt worden. Bei Ihnen aber handelt es sich nur um eine jedenfalls sehr begründete Vorsichtsmaßregel, und Sie sind von Ihren Freunden hier angebunden worden. Wenn ich Sie dadurch von Feinden befreien und vom Tode erretten könnte, würde ich Sie sofort abbinden, so aber werde ich mich hüten, etwas gegen den Willen Old Shatterhands zu thun. Höchstens thäte ich es, um den Bankier an Ihre Stelle zu setzen und ihn also für die Grausamkeit zu bestrafen, welche er Ihnen gegenüber gezeigt hat.“
„Ja, grausam war es, außerordentlich grausam!“
„Und bedenken Sie, welche Scene das für Ihre Oper ergeben würde! Der, welchen Sie vergeblich angefleht haben, muß dann Sie bitten, ihn loszumachen! Das ist die alles bestrafende Gerechtigkeit, auf welche es bei jedem Theaterstücke doch am meisten ankommt.“
„Ja, ja, da haben Sie recht!“ rief der Kantor wie elektrisiert. „Eine Scene für meine Oper, eine prächtige, eine herrliche Scene! Erst flehe ich ihn an; das gibt eine Gnadenarie für Bariton. Er verweigert mir die Erfüllung meiner Bitte im zweiten Baß. Dann wird der Bariton frei und der zweite Baß wird angebunden. Das gibt wieder eine Gnadenarie, auf welche dann ein großes Duett für zweiten Baß und Bariton folgt. Das macht Effekt; das macht Effekt, ungeheuren Effekt! Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie mich hierauf aufmerksam gemacht haben.“
„Soll ich also den Bankier holen und an Ihrer Stelle anbinden?“
„Ja, holen Sie ihn!“
„Wo ist er aber?“
„Er sagte, es gebe hier hinter uns einen schmalen Riß im Felsen des Ufers, der mit Gesträuch überwachsen sei. Dort hinein wollte er sich verstecken.“
„Gut, wir werden den Riß leicht finden; nur muß ich vorher hier meinen Gefährten sagen, um was es sich handelt, und sie fragen, ob sie damit einverstanden sind.“
Er übersetzte ihnen den Inhalt des Gespräches. Sie hätten gar zu gern den Kantor auslachen mögen, hatten aber keine Zeit dazu vor Freude darüber, daß es ihnen so unerwartet gelingen solle, wieder zu der Anweisung zu kommen. Sie hatten auch ganz und gar nichts dagegen, daß der Bankier an des Kantors Stelle angebunden werden solle, denn dem letzteren mußten sie dankbar sein, während sie dem ersteren gern alles Böse gönnten.
Die drei entfernten sich also für kurze Zeit, um nach dem Risse zu suchen; sie fanden ihn unschwer in nicht zu großer Entfernung von dem Baume, an welchem der Kantor hing. Als sie das Gezweig, welches ihn bedeckte, zur Seite schoben, sahen sie Rollins, der mit eng zusammengeschmiegtem Körper in der Spalte steckte. Sie hatten ihre Messer in den Händen, und der Ölprinz sagte in höhnischem Tone:
„Hallo, Mr. Rollins, was thut Ihr in dieser Felsenöffnung? Sucht Ihr vielleicht eine Petroleumquelle da?“
Der Bankier erschrak, als er die drei erkannte. Daß sie die drei Reiter seien, die er gesehen hatte, das hatte er nicht gedacht. Er mußte sich natürlich sagen, daß von diesen Leuten für ihn nichts Gutes zu erwarten sei. Er war kein Held, hätte sich aber gegen einen doch verteidigt; hier standen drei vor ihm, mit Messern in den Händen; er sah ein, daß eine Gegenwehr da seine Lage nur verschlimmern könne.
„Seid doch so gut und kommt heraus!“ forderte ihn der Ölprinz auf. Ihr versäumt ja ganz und gar die Pflicht, zu der Ihr berufen worden seid!“
„Pflicht?“ antwortete er, indem er sich ängstlich und verlegen aus der Spalte hervormachte.
„Ja, Sir. Ihr sollt doch Euern guten Freund, den Kantor, bewachen. Warum seid Ihr davongelaufen?“
„Ich sah drei Reiter kommen, wußte aber nicht, daß ihr es waret.“
„So! Ihr wäret also, wenn Ihr uns erkannt hättet, nicht geflohen?“
„Nein.“
„Freut mich, daß Ihr so große Freundschaft für uns und so großes Vertrauen zu uns hegt! Da Ihr nun wißt, daß wir es sind, so werdet Ihr wohl mit uns zu dem Kantor zurückkehren. Also kommt!“
Sie nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn zu dem Baume. Dort nahm ihm der Ölprinz die beiden Revolver und die Munition ab und sagte:
„Ihr steht unter einem mächtigen Schutze und braucht keine Waffen, während wir verteufelt schlecht bewaffnet sind. Ihr werdet uns also gewiß gern aushelfen. Und nun muß ich Euch etwas recht Lustiges sagen. Ihr habt dem Kantor auf all sein Bitten nicht den Gefallen gethan, ihn loszubinden – – –“
„Das ist mir verboten worden!“ fiel er rasch ein.
„Geht uns nichts an! Er ist natürlich sehr aufgebracht darüber und wünscht, Euch einmal fühlen zu lassen, wie es ist, wenn man an einem Baume hängt. Wir sind gutmütiger als Ihr und werden ihm diesen sehr bescheidenen Wunsch erfüllen.“
„Was meint ihr?“ stotterte er ängstlich hervor. „Was soll das heißen? Wollt ihr etwa – – –?!“
„Euch anbinden? Ja.“
„Hört, das dulde ich nicht, Mesch’schurs!“
Er richtete sich möglichst stramm auf und gab sich Mühe, martialisch auszusehen. Da klopfte der Ölprinz ihm auf die Achsel und sagte lachend:
„Blast Euch nicht unnötig auf, Sir! Wir kennen Euch doch genau! Wir werden Euch anbinden. Wehrt Ihr Euch dagegen, so brauchen wir Gewalt, und Ihr kennt uns gut genug, um zu wissen, daß Ihr dann nicht wohl mit heiler Haut davonkommen werdet. Laßt Ihr es Euch aber gefallen, so reiten wir dann weiter, ohne uns ferner um Euch zu kümmern. Wir wollen dem Kantor den Willen thun, weiter nichts. Wenn wir dann fort sind, kann er Euch wieder losmachen. Also, was sagt Ihr zu der Sache?“
Er nahm eine drohende Haltung an und spielte mit seinem Messer. Buttler und Poller folgten diesem seinem Beispiele. Dem Bankier wurde es himmelangst. Daß er von diesen Leuten keine Schonung zu erwarten habe, das wußte er. Sein Stolz fühlte sich beleidigt; er, der Bankier, der Gentleman, sollte sich vor diesen Mördern und Betrügern demütigen; das ging ihm gegen den Strich, doch dachte er mit keinem Gedanken daran, sich zu weigern und ihnen Widerstand zu leisten. Am besten war es, klug zu sein und ihnen den Willen zu thun. Sie wollten ihn ja nur anbinden und dann fortgehen. Waren sie fort, so konnte der Kantor ihn sofort wieder freimachen. Darum zwang er seinen Grimm hinunter und sagte in einem Tone, als ob es ihm gar nicht schwer falle, auf den Scherz einzugehen:
„Was ich dazu sage? Nichts. Ob ich da an diesem Baume sitze oder anderswo, das ist mir gleich. Wenn es euch Spaß macht, diesem verrückten Menschen seinen noch verrückteren Wunsch zu erfüllen, so thut es. Mir fällt es nicht ein, mich deshalb mit euch herumzubalgen.“
„Das ist sehr verständig, höchst verständig von Euch,“ grinste ihn der Ölprinz an. „Es ist allerdings eine ganz und gar verrückte Idee von ihm. Er hat sich über Euch geärgert und will Euch zur Strafe dafür am Baume sehen; das ist die Sache. Wir haben versprochen, ihm den Willen zu thun, und wenn wir es thun, so geschieht es nur der Form wegen und für ganz kurze Zeit. Mag also jetzt der Spaß beginnen!“
Er band den Kantor los. Rollins trat an den Baum, hielt seine Hände hin und sagte:
„Da, macht euch das billige Vergnügen, Mesch’schurs!“
Er hatte natürlich geglaubt, daß man ihn ebenso leicht binden werde, wie der Kantor gebunden gewesen war; aber er sollte sofort einsehen, wie groß sein Irrtum gewesen war. Poller ergriff ihn beim rechten und Buttler beim linken Arme. Sie rissen ihn mit einem so rücksichtslosen Ruck mit dem Rücken an den Baum, daß er laut aufschrie, und legten seine Arme rückwärts an den Stamm. Während sie sie da festhielten, band ihm der Ölprinz die Hände zusammen und antwortete:
„Ja, Mr. Rollins, das billige Vergnügen beginnt; aber Euch kann es leicht sehr teuer zu stehen kommen.“
„Thunderstorm!“ fluchte der Bankier. „Was fällt euch denn ein? So haben wir nicht gewettet!“
„Ihr nicht, aber wir!“
„Ihr renkt mir ja alle Glieder aus!“
„Kann Euch gar nichts schaden; aber es wird gar nicht lange dauern. Wartet nur einen Augenblick und haltet den Kopf still, sonst schneide ich Euch die Ohren mit herunter!“
Er trennte ihm, der sich nun nicht zu wehren vermochte, auch wenn er es gewollt hätte, mit zwei, drei raschen Messerschnitten den Kragen vom Rocke.
„Sir, was thut Ihr da hinter mir?“ fuhr Rollins auf. „Ich glaube gar, Ihr schneidet da an mir herum!“
„Ja, das thue ich allerdings,“ lachte der Ölprinz; „aber es geht Euch nicht an das Leben, sondern nur einstweilen an den Kragen.“
Er trat vor ihn hin und hielt ihm den abgeschnittenen Teil des Rockes vor das Gesicht.
„Mein – – mein – – mein Kragen!“ schrie der Bankier auf, indem ihm alles Blut aus dem Gesichte wich.
„Kragen? O nein! Ihr haltet das für einen Rockkragen? Das ist ein großer Irrtum von Euch. Ich sage Euch, daß ich hier eine ganz neumodische Tasche für Wertpapiere in meinen Händen halte.“
„Tasche – –Wertpapiere – – –“ stammelte der Getäuschte. „Was – was – – was meint Ihr damit?“
„Werde es Euch augenblicklich zeigen.“
Er griff zwischen das Futter des Kragens, zog ein Papier hervor, faltete es auseinander, warf einen Blick darauf, hielt es dann dem Bankier vor das Gesicht und fuhr in triumphierendem Tone fort:
„Hier ist der Inhalt dieser prächtigen Tasche. Hoffentlich kennt Ihr das Papier. Es sollte für Euch ein Andenken sein, aber ich denke, daß ich es weit besser in Ehren zu halten verstehe als Ihr. So eine Schrift steckt man doch nicht in den Rockkragen, sondern man schafft sie hinunter nach Frisco, um sie dort mit gutem, klingendem Golde zu vertauschen.“
„Ihr seid ein Schurke, ein Räuber, ein – ein – ein – –“
Die Wut erstickte seine Stimme, so daß er kein Wort weiter hervorbrachte. Seine Lippen färbten sich blau und seine Augen wollten aus ihren Höhlen treten. Er wollte sich von dem Baume losreißen; dabei schnitt ihm aber der Riemen so in das Fleisch, daß er einen gellenden Schmerzensschrei ausstieß.
„Seid still; beruhigt Euch l“ hohnlachte der Ölprinz. „Ich nehme mir nur zurück, was man mir unrechtmäßigerweise vorenthalten hat. Ihr seid überlistet, Sir. Gebt Euch keine Mühe, ohne Hilfe vom Baume loszukommen; Ihr verursacht Euch dadurch nur Schmerzen.“
Rollins konnte nur mit einem ohnmächtigen Zähneknirschen antworten. Der Kantor war bis jetzt ein stiller Zeuge des Vorganges gewesen; jetzt hielt er es für geraten, sich ins Mittel zu legen. Er sagte in seinem höflichsten Tone:
„Meine verehrtesten Herren, ich muß Sie unbedingt bitten, mir zu sagen, warum Sie diesem Herrn den Kragen vom Rocke geschnitten haben!“
„Weil er nicht an den Rock gehört,“ antwortete Poller lachend.
„Oho! Dieser Kragen ist Herrn Rollins Eigentum; er kann ihn also da tragen, wo es ihm beliebt, sogar am Rocke!“
„Es ist ja gar kein Kragen, sondern ein Portefeuille für Wertsachen!“
„So? Und wo pflegt man denn so ein Ding hinzustecken?“
An die Tasche.“
„Gut, so stecken Sie es ihm in die Rocktasche.“
„Diesen Gefallen will ich Ihnen sehr gern erweisen.“
Er nahm dem Ölprinzen den ausgeplünderten Kragen aus der Hand und schob ihn dem Bankier in die erwähnte Tasche.
„Auch das Papier mit!“ befahl der Kantor.
„Nein, das werde ich freilich nicht thun. Dieses Papier gehört Mr. Grinley; er wird es also behalten.“
„Es gehört ihm nicht. Sie haben mir ja vorhin gesagt, daß Sie es bei den Navajos freiwillig herausgegeben haben!“
„Ja. Und nun nehmen wir es ebenso freiwillig wieder.“
„Da sind Sie doch Spitzbuben!“
„Ja, das sind wir allerdings, Herr Kantor.“
„Bitte, Herr Kantor emeritus. Es ist das eine ganz notwendige Bezeichnung, auf welcher ich bestehen muß, Sie wollen das Papier also wirklich entwenden?“
„Ja.“
„Dann sind Sie gar nicht wert, daß ein jünger der Kunst, wie ich bin, noch ein Wort mit Ihnen spricht. Machen Sie also, daß Sie fortkommen!“
„Diesen Wunsch werden wir Ihnen sogleich erfüllen, mein lieber Herr Kantor emeritus.“
„So ist’s recht! Man muß die Leute nur immer auf die richtige Ausdrucksweise aufmerksam machen, dann merken sie sich’s endlich doch einmal.“
„Das ist wahr, und ich will nur wünschen, daß Sie für die beiden Gnadenarien und das Duett, welches Sie komponieren wollen, die richtige Ausdrucksweise ebenso finden mögen.“
„O, was das betrifft, so ist das über allem Zweifel erhaben.“
„So sind wir alle außer dem Bankier zufriedengestellt. Leben Sie wohl!“
„Leben Sie wohl, meine Herren!“
Er machte eine Verbeugung. Die drei Räuber gingen hinaus zu ihren Pferden, stiegen auf und ritten davon, sehr zufrieden mit dem Erfolge dieser letzten halben Stunde.
Der Kantor setzte sich nun dem Bankier gegenüber und musterte ihn mit sehr zufriedenen Blicken. Es war ja sein Wunsch erfüllt: er war frei und der andre hing an dem Baume.
Rollins konnte ein solches Verhalten nicht begreifen; es erfüllte ihn mit Wut, und darum schrie er zornig auf ihn ein, indem er ihn in den drohendsten Ausdrücken aufforderte, ihn augenblicklich loszumachen. Dies that er in englischer Sprache, welche der Kantor leider nicht verstand. Vorher hatte dieser letztere, als er noch am Baume hing, dieselbe Bitte mit ganz demselben Mißerfolge wohl hundertmal ausgesprochen, aber in deutscher Sprache, welche dem Bankier unverständlich war. Dieser hatte geglaubt, der Kantor räsonniere auf Old Shatterhand und die beiden Personen, die ihn angebunden hatten. Es war verboten worden, ihn loszubinden, und darum hatte Rollins nicht angenommen, daß er los wolle; der Emeritus aber hatte geglaubt, der andre wolle ihn nicht aus seiner Lage befreien; daher vorhin sein Ärger über ihn und daher jetzt die Ruhe, mit welcher er das Geschrei anhörte und die Anstrengungen ansah, welche Rollins machte, um vom Baume loszukommen.
Während dieser alle möglichen englischen Schimpfwörter herwetterte, saß der Komponist ihm gegenüber, um ihn zu studieren, und pfiff dabei eine Melodie durch die Zähne, aus welcher sich eine Gnadenarie entwickeln sollte. Der Bankier schäumte fast vor Wut über sein Gegenüber und verwünschte es tausendmal, daß er sich angeboten hatte, bei ihm zu bleiben. Dann, als sein Grimm den höchsten Grad erreicht hatte, trat auf diese Aufregung eine plötzliche große Abspannung ein. Die Folge derselben war, daß er ruhiger zu überlegen vermochte. Er hatte von seinem Buchhalter Baumgarten einige deutsche Brocken profitiert, und der Kantor hatte sich, wie er wußte, auch einige englische Ausdrücke gemerkt. Sollte es denn nicht möglich sein, auf Grund dieser freilich geringen Kenntnisse zu einer Verständigung zu kommen? Er versuchte es und begann:
„Mr. Kantor, to unbind, unbind!“
„Kantor emeritus, bitte!“ war die Antwort.
„Unbind, unbind!“
„Umbinden?“ fragte der Kantor. „Sie wollen etwas umgebunden haben? Was denn?“
Er wußte nicht, daß unbind so viel wie losbinden bedeutet. So ging es wohl eine Viertelstunde lang zwischen ihnen herüber und hinüber. Erstens verstand der Kantor den Bankier nicht und zweitens sah er nicht ein, warum derjenige, der ihn am Baum hatte hängen lassen, nicht auch ein wenig an demselben hängen solle. Dann siegte aber seine Gutmütigkeit. Er ging, als Rollins seine schmerzhaften Bestrebungen, sich loszureißen, erneuerte, zu ihm hin und löste mit größter Mühe die absichtlich sehr fest geschlungenen Knoten auf. Er glaubte, nun ein freundliches Wort des Dankes zu hören, hatte sich da aber sehr geirrt. Rollins streckte seine Glieder und versetzte dann dem Emeritus einen Faustschlag gegen den Kopf, daß der Getroffene taumelte und dann in ein Gebüsch stürzte; dann band er sein Pferd los, setzte sich auf und ritt davon, nach Westen zu, wo er die Gefährten wußte.
Der Kantor raffte sich langsam auf, befühlte die getroffene Stelle seines Kopfes und sagte:
„Dankbarkeit ist eine seltene Tugend; das weiß ich freilich wohl; aber daß man für seinen guten Willen und für einen solchen Dienst eine solche Kopfnuß erhält, das geht doch eigentlich über die Schnur. Der Mann ist Bankier, will also jedenfalls als gebildeter Mann gelten; aber ich sehe hier wieder einmal ein, daß die wahre und echte Bildung doch nur bei den Jüngern der Kunst zu finden ist. Mein Kopf brummt mir, als wenn zehn Gnadenarien, von lauter zweiten Bässen gesungen, auf einmal drin ertönten! Nun ist er fort. Was soll ich hier allein? Soll ich etwa warten, bis noch andre Spitzbuben kommen, die nachher auch noch mich bestehlen? Nein; da reite ich ihm lieber nach.“
Er holte sein Pferd auch aus dem Gebüsch, kletterte hinauf und ritt davon, gen Westen, wohin die Fährte der Weißen und der Navajos führte.
Wie war es aber denn eigentlich gekommen, daß der gute Kantor zurückgelassen und sogar angebunden worden war?
Zunächst war es wohl kein Wunder, wenn er von allen seinen Gefährten als sogenanntes Schreckenskind betrachtet wurde. Er machte alles verkehrt, brachte Wirrnis in die größte Ordnung und hatte nicht nur der Gesellschaft schon oft die größten Verlegenheiten bereitet, sondern für sie sogar Gefahren heraufbeschworen, denen man nur mit Mühe und Not entkommen war. Sein gestriger Streich, als er des Nachts am Flusse die Stimmen des Orchesters erklingen ließ, hatte glücklicherweise keine üblen Folgen gehabt; aber Old Shatterhand war willens, so etwas nicht wieder vorkommen zu lassen, und hatte ihm darum mit Anbinden gedroht. Diese Strafe war schon früher einmal, und zwar durch Sam Hawkens, über den Emeritus verhängt worden. Man hatte ihn samt seinem Pferde hinten an einen Wagen angebunden.
Heut früh nun hatte er sich kurz nach dem Aufbruche an den Hobble-Frank gemacht und ihn gefragt:
„Herr Franke, Sie wissen wohl genau, wohin wir reiten?“
„Ja,“ antwortete dieser.
„Ich nicht. Wissen Sie, ich mußte so lange bei den Indianern bleiben, und als ich nachher in unser Lager kam, war die Beratung eigentlich schon vorüber, und auf das, was gesprochen wurde, habe ich in meinem Zorne nicht geachtet. Wenn Sie bedenken, wie man mir mitgespielt hat, werden Sie einsehen, daß ich sehr viel Veranlassung zum Zorne hatte.“
„Nee, das sehe ich nich ein.“
„Nicht? Ich habe Sie doch immer für einen verständigen und ernstlich denkenden Menschen gehalten!“
„Das bin ich ooch, und ich wollte es niemand raten, etwa das Gegenteel zu denken!“
„Aber da müssen Sie doch einsehen, daß ich gar nichts Unrechtes gethan habe!“
„Nischt Unrechtes? Na, der Ausdruck is eegentlich noch viel zu zahm für das, was Sie gethan haben.“
„Wie, zu zahm? So geben also auch Sie mir unrecht?“
„Natürlich! Man schtellt sich doch nich des Nachts, wo alle Schtimmen schweigen, mitten in den wilden Westen hinein, um mit allen möglichen musikalischen und fraktionellen Inschtrumenten zu trillern und zu piepen, daß man es schtundenweit hören kann. Das hätte uns alle möglichen Feinde auf den Hals bringen können.“
„Es waren aber doch keine da!“
„Das wußten Sie nich. Und die Nijoras, zu denen wir jetzt wollen, konnten ebensogut in unsrer Nähe liegen, wie die Navajos, von denen wir glücklicherweise nichts zu fürchten hatten.“
„Also gegen die Nijoras geht es jetzt? Das war es, was ich jetzt von Ihnen wissen wollte. Wie es den Anschein hat, sollen sie von uns überfallen werden?“
„Ja.“
„Das freut mich sehr; das freut mich ungemein!“
„Warum?“
„Darnach brauchen Sie doch gar nicht erst zu fragen. Sie wissen doch wohl, daß ich eine zwölfaktige Heldenoper komponieren will!“
„Ja; es is mir ganz so, als ob Sie schon eenmal von so etwas geschprochen hätten.“
„Jedenfalls habe ich es Ihnen schon gesagt. Ich habe hier nun die Helden gefunden, die ich dazu brauche; aber in ihrer Thätigkeit habe ich sie eigentlich noch nicht gesehen.“
„Nich? Na, ich dächte doch, daß bisher schon genug geleistet worden is, was andre Leute nich gleich fertig bringen würden. Wir sind ja gradezu immer aus dem eenen Abenteuer in das andre geflogen!“
„Das gebe ich ja ganz gern zu; aber das, wobei das Heldenturn sich in seiner vollsten Glorie zeigen kann, hat es noch nicht gegeben.“
„Was wäre das?“
„Eine Schlacht, ein allgemeiner Kampf, wo Mann gegen Mann zu stehen hat und der Held einen Feind nach dem andern niederschlägt, wissen Sie, so ungefähr wie Roland bei Roncesvalles.“
„Roland? Da irren Sie sich sehr wahrscheinlich.“
„Inwiefern?“
„Das is doch nich Roland, sondern Iffland gewesen.“
„Iffland? Nein, liebster Herr Frank, das ist unmöglich, vollständig unmöglich.“
„Vollschtändig unmöglich? Warum denn, he?“
„Erstens weil Iffland damals noch nicht gelebt hat.“
„So, so! Sehn Sie doch mal an, was Sie da nich alles wissen! Also das war erschtens. Und zweetens?“
„Zweitens ist, so viel ich mich erinnere, Iffland gar kein Held, sondern ein Schauspieler und Theaterdichter gewesen. Wie kann er da zur Zeit Karls des Großen im Thale von Roncesvalles gekämpft haben!“
Da machte Frank sein grimmigstes Gesicht und fragte:
„Wollen Sie etwa das, was ich gesagt habe, dekonfektionieren? Da kommen Sie bei mir an den Falschen. Ihren großen Karl kenne ich viel besser als Sie. Er is der erschte Kaiser von Deutschland gewesen und hat eene runde Tafel voll lauter Ritter gehabt. Iffland war der berühmteste davon und is dort im Thale von Roncesvalles mitten im Kampfe an den Masern geschtorben. Allerdings hatte Karl der Große ooch eenen Theaterdichter; der hat aber nich Iffland, sondern Uhland geheeßen und außer andern schönen Sachen ooch den berühmten Löwenritt von Freiligrath gedichtet. Haben Sie das begriffen?“
Der Kantor sah den Kleinen erstaunt an; er öffnete den Mund, um zu antworten, brachte ihn aber nicht wieder zu.
„Ja, sehn Sie, da schperren Sie den Mund auf über meine Gelehrsamkeet! Machen Sie ihn nur wieder zu und schweigen Sie! Es scheint gar, nach Ihrem Gesichte zu urteelen, als ob Sie mir widerschprechen wollten. Das lassen Sie aber ja bleiben, denn Widerschpruch vertrage ich partuhmang nich. Reden wir also von was andrem! Sie wollten, wie es scheint, gern eener Schlacht beiwohnen?“
Der Kantor hätte sich gern noch weiter über Roland, Iffland und Uhland mit ihm gestritten; aber er wollte Frank bei guter Laune erhalten; darum ließ er dieses Thema fallen und antwortete:
„Ja, ich möchte einen wirklichen, blutigen Kampf erleben.“
„Warum denn das? So etwas is gefährlich und man soll es sich also gar nich wünschen.“
„Aber ich brauche es für meine Oper. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß es in einer Heldenoper nicht ohne Kampf abgehen kann!“
„Das is doch nur off der Bühne, und Sie brauchen sich doch nich derohalben eenen wirklichen Kampf, een wirkliches Blutvergießen zu wünschen.“
„O doch! Wenn man so etwas wirklich gesehen und miterlebt hat, kann man es viel besser komponieren. Das Getöse des Kampfes, das Schreien und Heulen, das Knattern der Gewehre, das Krachen der Schüsse, das alles läßt sich nur dann richtig durch Töne wiedergeben, wenn man es selbst gehört hat.“
„Aber es kann Ihnen Ihr Leben kosten und dann is ooch Ihre ganze schöne Oper futsch!“
„Glauben Sie das ja nicht! Wir Komponisten stehen unter dem ganz besondern Schutze der Musen; uns kann nichts passieren. Oder haben Sie einmal gehört, daß ein berühmter Komponist von den Indianern erstochen oder erschossen worden sei?“
„Nee, das nich.“
„Also! Ich befinde mich nicht in der geringsten Gefahr, wenn sich mein Wunsch erfüllt; darauf können Sie sich verlassen. Denken Sie, daß es heute zu einem Kampfe kommen wird?“
„Hm! Wenn alles so klappt, wie Old Shatterhand und Winnetou beschprochen haben, so loofen uns die Feinde in die Hände, ohne daß een Schuß dabei zu fallen braucht. Wenn es aber andersch wird, da freilich kann es sehr schlimm ausfallen.“
„Wie denn anders?“
„Ja. da können verschiedene Fälle eintreten. Man weeß ja im voraus nie, was alles geschehen kann. So zum Beischpiel brauchen die Nijoras nur zu merken, daß die Navajos in dem Hinterhalte liegen, so geht der Krawall los.“
„Wie sollten sie das merken?“
„Off irgend eene Weise. Een Dummer fragt doch immer mehr, als was een Gescheiter beantworten kann! Ich sage ja, daß man vorher nicht wissen kann, was geschieht. So darf zum Beischpiel Ihr Pferd, wenn wir an die Furt kommen, es sich nur in den Kopf setzen, nach links anstatt nach rechts zu loofen, so is schon alles verraten.“
Der Hobble-Frank hatte es halb ironisch und halb scherzhaft gemeint; aber über das Gesicht des Kantors ging ein Zug hoher Befriedigung und er fragte:
„Also nach links anstatt nach rechts? Habe ich das richtig verstanden? ja?“
Er nickte vergnügt vor sich hin, und der Hobble ahnte nicht, auf was für einen gefährlichen Gedanken er den kampfbegierigen Kantor gebracht hatte. Dieser war nämlich entschlossen, dem ihm so unabsichtlich erteilten Winke zu folgen und in der Furt nach links abzubiegen. Er dachte zwar ein wenig an die Verantwortlichkeit, die er dadurch auf sich lud, doch mehr noch an die Vorteile, die er in künstlerischer Beziehung aus einem Kampfe ziehen zu können glaubte. Dabei sagte er sich bei aller Unvorsichtigkeit, daß ihm die denkbar größten Vorwürfe gemacht werden würden, und da kam er auf den Gedanken, es so einzurichten, daß sie ihn nicht allein treffen könnten. Er mußte einen Mitschuldigen oder eine Mitschuldige haben und ersah sich dazu Frau Rosalie aus, weil er hoffte, daß diese energische Frau sich und ihn schon herausbeißen werde. Darum lenkte er während des Rittes sein Pferd neben das ihrige und sagte:
„Haben Sie keine Angst vor dem, was nun bald geschehen wird, Frau Ebersbach?“
„Angst?“ antwortete sie. „Vor wem sollte ich denn Angst haben?“
„Vor den Nijoras.“
„I was Sie nich denken! Ich habe mein Lebtage vor keener Mannsperson Angst gehabt, und vor diesen roten Affen, da fällt es mir erscht recht nich ein.“
„Aber es wird höchst wahrscheinlich zum Kampfe kommen!“
„Das gloobe ich nich; Old Shatterhand hat gesagt, daß es heute ohne Blutvergießen abloofen wird, und wenn der was sagt, da beißt keene Maus keenen Faden davon ab!“
„Aber die Nijoras werden sich hüten, so gutwillig in die Falle zu gehen, welche ihnen gestellt werden soll. Sie wehren sich ganz gewiß, und dann ist es sicher, daß die Kugeln pfeifen werden.“
„So pfeife ich ooch mit. Es is manchmal gar nich übel, wenn so een bißchen gepfiffen wird.“
„Ich warne Sie, Frau Ebersbach, die Gefahr, der wir entgegengehen, nicht leicht zu nehmen. Seien Sie klug und machen Sie es so, wie ich es machen werde!“
„So? Und wie werden Sie es denn machen?“
„Ich werde abseits gehen.“
„Ah! Sie wollen sich off die grüne Seite schwenken?“
„Ja.“
„Wann denn und wo denn?“
„Wenn wir an das Winterwasser kommen werden. Da reite ich links ab.“
„Aber Sie haben doch gehört, daß wir rechts hinunter nach dem Flusse reiten wollen!“
„Das ist richtig; ich lenke aber nach links, wo die Navajos halten werden. Da bin ich in Sicherheit.“
„In Sicherheet! Sie wollen also Ihren unschterblichen Leichnam in Sicherheet bringen?“
„Ja! Wollen Sie nun mitmachen?“
„Nee, das thue ich nich. Und Sie werden es ooch bleiben lassen!“
„Nein, ich thue es.“
„Das is aber doch ganz gegen den Willen Old Shatterhands!“
„Mag es! Ich bin ein freier Mann und kann machen, was ich will.“
„Nee, das können Sie nich! Sie sind keen freier Mann. Solange Sie sich bei uns befinden, haben Sie sich nach uns zu richten.“
„Ich werde es dennoch thun!“ sagte er in sehr bestimmtem Tone, weil er sich über die resolute Weise der Frau Rosalie ärgerte. „Nun grad erst recht!“
„Nee, nun grad erscht recht werden Sie es nich thun.“
„Glauben Sie wirklich, daß Sie mir irgend etwas verbieten können, Frau Ebersbach?“
„Ja, das gloobe ich, das gloobe ich sogar sehr!“
„Fällt keinem Menschen ein!“
„Es fällt mir ein und das ist vollschtändig genug. Ich will nich, daß Sie Ihren Vorsatz ausführen, und nach diesem meinen Willen haben Sie sich zu richten.“
„Oho!“ rief er zornig.
„Oho? Hier wird gar nischt oho! Wenn Sie nich wollen, wie ich will, so werde ich meinen Worten Nachdruck geben! Was Sie vorhaben, kann uns sehr leicht in Schaden bringen.“
„Möchte wissen, auf welche Weise! Ich habe mir vorgenommen, links zu reiten, und werde meinen Willen durchsetzen.“
„I, was Se nich sagen! Erschtens dürfen Sie überhaupt keenen Willen haben, und zweetens dürfen Sie ihn nachher, wenn Sie ihn nich haben, ooch nich durchsetzen. Wissen Sie, ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern und weeß, was ich zu thun .habe. Ich lasse mir Ihretwegen nich von den feindlichen Indianern off den Kopp herumtrommeln. Sie werden gleich erfahren, daß und wie ich mich zu benehmen weeß!“
Der Zug hielt in diesem Augenblicke an, denn Winnetou war aus dem Gesträuch getreten. Er kam auf Old Shatterhand und den Häuptling der Navajos zu und meldete:
„Die Nijoras sind bei ihrem Plane geblieben und haben ihre Stellung nicht verändert. Meine Brüder können also das ausführen, was ich gestern mit Old Shatterhand besprochen habe. Es ist nur eine kleine Änderung, welche ich für nötig halte.“
„Welche?“ fragte Old Shatterhand.
„Wir haben uns entschlossen, hinab in die ausgetrocknete Furt zu reiten; die Krieger der Navajos haben sich dann uns zur linken Hand versteckt, und wir wenden uns in dem trockenen Winterwasserbette nach rechts, bis wir den Fluß erreichen. Dann kommen die Nijoras herab, um uns zu überfallen, und da sollen sie von den Navajos im Rücken angegriffen werden. Meine weißen Brüder und Schwestern werden sich nicht fürchten, und ich zweifle auch ganz und gar nicht daran, daß alles so gehen wird, wie wir gedacht haben; aber es ist dennoch nötig, an alles zu denken und keine Vorsicht zu versäumen. Es soll kein Blut fließen; aber wenn die Nijoras nur uns vor sich sehen, ist es möglich, daß sie glauben, uns überwältigen zu können. Wir sind nur wenige Männer und werden trotzdem den ersten Stoß aushalten; aber wenn die Nijoras schießen, werden sie doch einige von uns verwunden oder gar töten. Darum ist es nötig, zu verhüten, daß sie überhaupt von ihren Gewehren Gebrauch machen. Mein Bruder Old Shatterhand wird wissen, wie wir das am besten und sichersten erreichen können.“
„Dadurch, daß wir ihnen gleich im ersten Augenblicke zeigen, daß sie verloren wären, wenn sie es zum Kampfe kommen lassen,“ antwortete der Genannte.
„Und wie zeigen wir ihnen das? Sie sehen nicht die vielen Navajos hinter sich, sondern nur die weißen Männer und Frauen vor sich.“
„Wir müßten vom bei uns auch Navajos haben.“
„Das ist es, was ich meine,“ nickte der Häuptling der Apachen.
„Aber wir dürfen sie nicht mitbringen; sie dürfen nicht mit uns kommen!“
„Nein.“
„Sondern sie müssen schon vorher am Platze sein, ohne aber von den Nijoras gesehen zu werden.“
„Mein weißer Bruder hat ganz meine Gedanken.“
„Es ist sehr leicht zu erraten, was mein roter Bruder meint. Die Nijoras zählen dreihundert Krieger, während wir sechshundert haben. Es genügt, wenn wir ihnen fünfhundert in den Rücken schicken; die übrigen hundert müssen hier vom hohen Ufer hinab zum Flusse steigen und sich da unten abwärts schleichen, bis sie in die Nähe der Mündung des Winterwassers gekommen sind. Dort verbergen sie sich im Gesträuch und warten, bis wir kommen. Sobald wir anlangen und die Nijoras sich auf uns werfen wollen, treten diese hundert Krieger aus ihrem Verstecke hervor und gesellen sich uns zu. Das wird die beabsichtigte Wirkung haben, denn die Feinde werden stutzen, und dadurch bekommt unser Hinterhalt von fünfhundert Mann Zeit, ihnen in den Rücken zu kommen.“
„So ist es. Ich stimme ganz den Worten Old Shatterhands bei. Nitsas-Ini, der tapfere Häuptling der Navajos, mag die Hundert von seinen Kriegern auswählen, damit sie sich jetzt entfernen, um die Mündung des Winterwassers heimlich zu erreichen. Dann reiten die Fünfhundert auch fort, und sobald wir annehmen können, daß sie sich in ihrem Hinterhalte befinden, brechen wir auch von hier auf.“
So geschah es. Es wurden hundert Navajos abgezählt, welche in das Ufergebüsch eindrangen, um zum Flusse hinabzusteigen. Dabei konnten sie natürlich ihre Pferde nicht mitnehmen; diese mußten vielmehr von den andern mitgeführt werden. Als sie fort waren, machten sich auch die Fünfhundert auf den Weg.
Als auf diese Weise die Navajos alle fort waren, erklärte Old Shatterhand den deutschen Auswanderern den Plan noch einmal in ihrer Muttersprache, weil vorhin englisch gesprochen worden war. Er bat sie, keine Sorge zu haben, da alles gutgehen werde, und ermahnte sie dringend, ja recht vorsichtig zu sein und nichts zu thun, was das Gelingen des Planes in Frage stellen könne. Da sagte Frau Rosalie zu ihm:
„Wir andern werden ganz gewiß keenen Fehler machen; aber ich weeß eenen, der sich fest vorgenommen hat, eene große Dummheet zu begehen.“
„Wer ist das?“
„Wer das is? Da fragen Sie ooch noch darnach? Wenn von Dummheeten die Rede is, so können Sie es sich doch gleich denken, wen ich meene, den Kantor natürlich. Er hat mich zu derselben Dummheit überreden wollen; er will nämlich, wenn wir nach dem Winterwasser kommen, links abschwenken.“
„Alle Donner! Das könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen! Das ist wirklich sein Plan?“
„Eben hat er es mir gesagt. Ich habe ihn gewarnt; aber er schnauzte mich grob an und meinte, es hätte ihm keen Mensch was zu befehlen. Er is ganz des Teufels droff, seinen Willen durchzusetzen.“
„Das müssen wir uns doch sehr streng verbitten! Ist das wahr, was Frau Ebersbach jetzt von Ihnen gesagt hat?“
Diese Frage war an den Kantor gerichtet.
„Ja,“ antwortete er, da er es doch nicht leugnen konnte.
„Sie wollen also, ohne mich zu fragen, eine andre Richtung einschlagen?“
„Ja.“
„Weshalb?“
Der Kantor schwieg.
„Reden Sie!“
Diese Aufforderung war im allerstrengsten Tone gesprochen. Der Kantor ärgerte sich darüber und antwortete wieder nicht. Da fuhr ihn Old Shatterhand zornig an:
„Wenn Sie nicht reden wollen, werde ich ihnen den Mund öffnen. Es handelt sich hier um unser Leben. Also, was ist der Grund Ihrer Absicht?“
„Meine Oper,“ stieß der Gefragte hervor.
„Ihre Oper! Wir sollen also abermals nur Ihres verrückten Hirngespinstes wegen in Gefahr gebracht werden! Inwiefern ist denn diese berühmte Oper der Grund zu dem, was Sie thun wollen?“
Wieder wollte der Kantor nicht mit der Sprache heraus. Da legte sich der Hobble-Frank ins Mittel, indem er sagte:
„Ich weeß es, was für eene vorhandene Absicht im Grund- und Hypothekenbuche seines Vorhabens verzeichnet is.“
„Nun, welche?“
„Ich habe vorhin mit ihm geschprochen und ziehe aus dem, was er gesagt hat, die Divisionsklausel, daß er für seine Oper eene Kampfesscene braucht.“
„Ah so! Und da will er gerade das herbeiführen, was wir vermeiden wollen?“
„So is es. Er will nach links, damit die Nijoras unsern Hinterhalt sehen sollen.“
„Sollte man so etwas für möglich halten! Das ist nicht eine Verrücktheit, sondern gradezu ein Verbrechen! Was thut man nur mit einem solchen Manne? Wollen Sie mir sofort versprechen, von Ihrem Vorhaben abzuweichen, Sie unbegreifliches Menschenkind!“
Der Kantor brauchte nur mit ja zu antworten, so war alles gut. Aber er hatte zu Frau Rosalie behauptet, daß er seinen Willen durchsetzen werde, und wollte sich nun ihr gegenüber nicht blamieren. Darum beantwortete er die Aufforderung Old Shatterhands wieder mit einem Schweigen. Dieser fuhr also in erhobenem Tone fort:
„Ich frage Sie, ob Sie mir jetzt versprechen wollen, Ihre Absicht aufzugeben!“
Abermals keine Antwort.
„Gut!“ meinte Old Shatterhand. „So werde ich dafür sorgen, daß Sie uns nicht schaden können. Sie dürfen nicht mit; Sie bleiben hier an dieser Stelle.“
Das empörte den Zukunftskomponisten außerordentlich. Er bekam die Sprache wieder und antwortete:
„Das lass’ich mir nicht gefallen, Herr Shatterhand. Ich bin kein Soldat oder Rekrut, der sich andonnern lassen und gehorchen muß!“
„Sie werden gehorchen. Sie bleiben hier und ich lass‘ jemand bei Ihnen, der Sie beaufsichtigen muß.“
„Dem gehe ich durch!“
„Schön! So werde ich also die Drohung wahr machen, welche ich Ihnen schon ausgesprochen habe. Ich binde Sie an. Steigen Sie vom Pferde!“
Old Shatterhand stieg selbst aus dem Sattel und faßte, als der Kantor sich weigerte, dies auch zu thun, ihn beim Leibe und zog ihn herab. Er wurde nach dem Gebüsch geschafft und dort an den Baum gebunden. Sein Widerstand fruchtete nichts. Nun handelte es sich darum, wer bei ihm bleiben sollte. Der Bankier bot sich an, denn der Gedanke, von den Nijoras überfallen zu -werden, hatte für ihn nichts Behagliches. Old Shatterhand war damit einverstanden, schärfte ihm aber ein, den Kantor nicht etwa, falls er gute Worte geben sollte, loszubinden; es solle später ein Bote geschickt werden, um die beiden nachzuholen.
Bis jetzt hatte man die fünfhundert Navajos, welche nach Süden geritten waren, noch reiten sehen; nun aber verschwanden sie am Horizonte und es war anzunehmen, daß sie nach kurzer Zeit ihr Ziel erreichen würden. Darum gab Old Shatterhand den Befehl, nun den unterbrochenen Ritt fortzusetzen.
Es war wirklich ein großes Vertrauen, weiches ihm und Winnetou von den Deutschen geschenkt wurde. Diese letzteren gingen einer Schar wilder, feindlicher Indianer entgegen, ohne um sich, um ihre Frauen und Kinder besorgt zu sein. Das war natürlich nur die Folge des Eindruckes oder Einflusses, welchen diese beiden Männer auf sie ausübten. In der Nähe des Apachen und seines weißen Bruders konnte eben keine Furcht aufkommen.
Old Shatterhand ermahnte alle, sich ein möglichst unbefangenes Aussehen zu geben und ja nicht etwa forschende oder gar ängstliche Blicke nach der Gegend zu werfen, von welcher man wußte, daß die Feinde dort versteckt seien, und sie gaben sich Mühe, sich streng nach dieser Instruktion zu richten.
Indem man parallel mit dem Flusse ritt, näherte man sich dem Winterwasser auf einer rechtwinkelig auf dasselbe stoßenden Linie. Sam Hawkens machte allerlei Späße; er lachte laut und hielt die andern an, in sein Lachen einzustimmen. Er verfolgte dabei die Absicht, die Nijoras sicher zu machen. Sie sollten denken, daß die Ankömmlinge nicht im mindesten an das Vorhandensein einer Gefahr glaubten.
An der Stelle angekommen, wo sich unten die Furt befand, ritt man langsam vom Ufer in das ausgetrocknete Bett hinab. Winnetou und Old Shatterhand waren voran. Ihren scharfen Augen konnte nichts entgehen, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie auf gar nichts aufmerksam seien.
Links von ihnen lagen einige Felsblöcke, welche zur Zeit des Hochwassers von diesem überflutet wurden. Hinter einem derselben lugte ein Kopf hervor, nämlich derjenige von Nitsas-Ini. Er hatte sich so weit nach vom gewagt, um die weißen Freunde zu benachrichtigen, daß er mit seinen Leuten an Ort und Stelle sei.
„Altso-ti – wir sind hier,“ raunte er ihnen in seiner Sprache zu, und dann war sein Kopf wieder verschwunden.
Die Gesellschaft bog rechts ab und ritt im Bette des Winterwassers nach der Mündung desselben, wo es auf den Chellyfluß stieß. Rechts und links gab es hohe, steile Felsen und vorn an der Mündung floß das Wasser des Chelly vorüber. An seinem Ufer befand sich ein schmaler, aber sehr dicht mit Bäumen und Büschen besetzter Streifen; dort wurde angehalten.
Old Shatterhand untersuchte das Buschwerk mit scharfem Blicke. Da raschelte es in demselben und der Arm eines Roten streckte sich für einen kurzen Augenblick hervor. Das war das Zeichen, daß die hundert Navajos sich auch schon da befanden. Es war also gelungen, dem Feinde zwei Hinterhalte zu legen.
Der Uferfelsen trat auf der linken Seite etwas hervor und bildete eine Ecke. Nach derselben deutend, sagte Old Shatterhand:
„Die Frauen und Kinder mögen sich hinter diese Ecke zurückziehen; dann sind sie vollständig sicher vor jeder Gefahr.“
Die Betreffenden gehorchten dieser Aufforderung. Nur eine machte eine Ausnahme, nämlich Frau Rosalie.
„Was? Ich soll mich verschtecken?“ rief sie aus. „Was sollen da diese Indianersch von mir denken!“ Dabei nahm sie ihrem Manne das Gewehr aus der Hand, faßte es beim Laufe und schwang den Kolben drohend über ihrem Kopfe.
„Pst! Nicht so; fort mit dem Gewehre!“ warnte Old Shatterhand. „Die Nijoras beobachten uns und könnten aus dieser Bewegung schließen, was geschehen soll. Sie werden heulend und schreiend gerannt kommen. Dann legt jeder sein Gewehr auf sie an, doch ohne zu schießen. Nur wenn sie sich dadurch nicht zurückhalten lassen, müssen wir uns wehren. Dann werde ich Feuer kommandieren, bitte aber, ihr Leben zu schonen und sie nur in die Beine zu schießen. jetzt setzt euch nieder und thut ganz so, als ob ihr von ihrer Nähe keine Ahnung hättet!“
Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Die Leute setzten sich alle so, daß sie dem Wasser des Chelly den Rücken, dem trockenen Bette des Winterwassers aber das Gesicht zukehrten. So mußten sie die Nijoras kommen sehen.
Old Shatterhand und Winnetou standen beieinander und unterhielten sich in höchst unbefangener Weise. Sie hatten scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit für die Richtung, aus welcher die Feinde erwartet wurden, sahen aber trotzdem alles sehr genau. Das Winterwasser hatte, wenn es stark angeschwollen war, viele Felsstücke mit sich fortgeführt und an der Mündung oder in der Nähe derselben abgesetzt. Hinter diesen Steinen konnte man Deckung finden, und es stand zu erwarten, daß der Vortrab der Nijoras im Schutze derselben heimlich herangekrochen kommen werde.
Dem war auch wirklich so, denn Winnetou bemerkte hinter einem dieser Steine eine Bewegung, blickte für einen kurzen Moment schärfer hin und sagte dann zu Old Shatterhand:
„Hinter dem großen dreieckigen Blocke steckt ein Feind. Hat mein Bruder ihn gesehen?“
„Ja. Ich sah ihn von dem dahinter liegenden Felsen gekrochen kommen. Ich weiß auch, wer es ist.“
„Mokaschi, der Häuptling wohl?“
„Ja.“
„So ist der Augenblick da. Hält mein Bruder es nicht für besser, daß wir gar nicht warten, bis sie auf uns eindringen?“
„Ja, sie werden um so bestürzter sein. Willst du mit ihm reden?“
„Nein. Mein Bruder mag es thun. Du hast den Stutzen, den sie für ein Zaubergewehr halten. Deine Stimme wird also besser wirken als die meinige.“
„Gut, so mag es beginnen l“
Er rief einige halblaute Worte nach dem Gebüsche hin, in welchem die hundert Navajos steckten, und sagte zu den Weißen:
„Die Nijoras sind da. Steht auf, und legt die Gewehre an!“
Frau Rosalie hatte ihrem Manne sein Gewehr wiedergeben müssen, aber an Stelle desselben eine Reserveflinte ergriffen. Als die Männer jetzt aufsprangen und ihre Gewehre erhoben, legte sie ihre Flinte auch an. Old Shatterhand trat einige Schritte vor, den Stutzen schußbereit in der Hand und rief dann nach dem erwähnten Felsenstücke hin:
„Warum versteckt sich Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, wenn er uns besuchen will? Er mag offen zu uns kommen. Wir wissen, daß er sich mit seinen dreihundert Kriegern hier befindet.“
„Uff, uff!“ erscholl es da hinter dem Steine hervor und Mokaschi richtete sich auf. „Die weißen Hunde wissen es, daß wir hier sind? Und dennoch sind sie gekommen? Hat der große Geist ihr Gehirn verbrannt, daß sie, die wenigen, es wagen wollen, hier mit uns zu kämpfen?“
„Wir wagen nichts, denn der Häuptling der Nijoras ist in einem großen Irrtume befangen. Sieht er nicht meine Leute dastehen, um den Feind mit ihren Büchsen zu empfangen? Und sieht er nicht das Zaubergewehr in meiner Hand? Wer kann ihm widerstehen!“
„Wir werden so schnell über Old Shatterhand kommen, daß er nur zwei- oder dreimal schießen kann; dann wird er von der Menge meiner Krieger niedergerissen. Soll ich ihm zeigen, wie viele ihrer sind?“
„Ich weiß es schon; dreihundert.“
„Und die sind nicht fern von hier, sondern nahebei. Die Bleichgesichter haben nur die Wahl, sich zu ergeben oder in das Wasser getrieben und getötet zu werden. Sie mögen sehen, daß sie eingeschlossen sind.“
Er hob die Hand hoch empor und auf dieses Zeichen tauchten hinter allen Steinen Nijoras auf. Andre, die da nicht Platz gefunden hatten und deshalb zurückgeblieben waren, kamen herbeigesprungen und erhoben ein markerschütterndes Kriegsgeheul. Sie griffen aber nicht an, sondern blieben hinter ihrem Häuptlinge stehen, weil dieser auch nicht vorwärts ging. Er erhob den Arm wieder; das Geheul verstummte augenblicklich und er rief Old Shatterhand zu:
„Die Bleichgesichter sehen, daß sie verloren sind, wenn sie kämpfen. Wenn sie klug sein wollen, so ergeben sie sich uns.“
„Ja, man kann von Mokaschi Klugheit lernen, denn er ist ein großer Pfiffikus. Er weiß und sieht recht gut, wie es steht. Es sind über zwanzig Gewehre auf ihn und seine Krieger gerichtet; das gibt aus diesen Doppelläufen vierzig Schüsse. Dazu kommen die vielen Kugeln meines Zaubergewehres. Ehe die Nijoras an uns kommen, sind sechzig und noch mehr von ihnen gefallen, und dann beginnt noch der Kampf mit den Messern und den Kolben. Das weiß er recht gut. Er weiß, daß, wenn wir je besiegt werden könnten, er weit über hundert Krieger verlieren würde und daß er der allererste wäre, den meine Kugel niederstreckte. Darum fordert er uns auf, uns zu ergeben. So klug wie er aber, sind wir auch.“
„Old Shatterhand verrechnet sich. Ehe nur zehn von uns gefallen oder verwundet sind, befinden sich die Bleichgesichter in unsrer Gewalt. Ja, Old Shatterhand ist ein berühmter Jäger und ein sehr kluger Krieger; aber wenn er sich uns nicht ergibt, so handelt er nicht wie ein kluger Mann.“
„Ich danke dem Häuptlinge der Nijoras für die schönen Worte, welche er mir gesagt hat; aber er hat noch lange nicht genug gesagt, denn ich bin noch viel, viel klüger, als er denkt. Wir wenigen Bleichgesichter fürchten uns nicht vor dreihundert Nijoras; aber dennoch sind wir nicht allein gekommen. Als Mokaschi die Hand erhob, ließen sich seine Krieger sehen. Auch ich will einmal meine Hand erheben, um zu zeigen, daß ich ganz dasselbe kann.“
Er reckte den Arm empor; sofort sprangen die hundert Navajos aus den Büschen, bildeten blitzschnell eine Doppelreihe und richteten ihre Gewehre auf die Nijoras. Diese stießen ein Geheul der Überraschung aus. Keiner von ihnen hatte gewagt, sein Gewehr auf einen der Weißen zu richten, denn diese hatten ihre Gewehre zuerst erhoben und befanden sich also im Vorteile. Wer dem Feinde darin zuvorkommt, schießt ihn nieder, sobald er eine drohende Bewegung macht. Old Shatterhand gab ein Zeichen, daß er weitersprechen wolle und das Geheul verstummte.
„Mokaschi wird jetzt einsehen, daß ich vorhin noch zu wenig gesagt habe. Wir würden nicht hundert, sondern zweihundert Nijoras töten, noch ehe sie an uns kommen könnten. Der Häuptling der Nijoras hat vorhin gemeint, daß mein Gehirn krank sei. Wie steht es denn mit dem seinigen? Kann er nicht mehr denken, nicht sehen und nicht hören? Warum starrt er nur vorwärts, zu uns herüber? Er mag doch einmal hinter sich sehen!“
Mokaschi drehte sich um, und seine Krieger thaten dasselbe. Sie hatten ihre ganze Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet und nicht auf das geachtet, was hinter ihnen vorgegangen war. Sie hatten es ja überhaupt für unmöglich gehalten, daß dort etwas geschehen könne. Da sahen sie, kaum zwanzig Schritte von sich entfernt, die fünfhundert Navajos halten, welche die ganze Breite des trockenen Winterwasserbettes ausfüllten und dabei in acht bis zehn Gliedern hintereinanderstanden. Vor ihrer Front hielt ihr Häuptling und rief Mokaschi zu:
„Hier stehen fünfhundert Krieger der Navajos und vor euch auch hundert neben den Bleichgesichtern, welche unüberwindlich sind. Wünscht der Häuptling der Nijoras, daß wir den Kampf beginnen?“
Die Nijoras heulten vor Schreck wie wilde Tiere. Die ihnen doppelt überlegenen Navajos überschrien sie noch, aber bei ihnen war es ein Freudengeheul. Da gab Old Shatterhand das Zeichen der Ruhe, und es wurde augenblicklich still. Er sprach mit erhobener Stimme:
„Ich frage Mokaschi ganz so, wie Nitsas-Ini ihn gefragt hat, nämlich ob wir den Kampf beginnen sollen. Über sechshundert Kugeln werden in den zusammengedrängten Haufen der Nijoras fahren. Wie viele von ihnen werden da übrig bleiben? Kein einziger.“
Mokaschi antwortete nicht sofort; er blickte finster vor sich nieder, und dann sagte er knirschend:
„Wir werden sterben; aber jeder von uns wird wenigstens einen Navajo vorher töten.“
„Das sagst du, aber du glaubst es selber nicht, denn sobald nur einer von euch sein Gewehr erhebt, schießen wir alle. Ich wiederhole jetzt die Worte, welche du vorhin zu mir gesprochen hast: hat der große Geist euer Gehirn verbrannt, daß ihr hierher gekommen seid, mit uns zu kämpfen, die wir euch doch überlegen sind? Ist euer Hirn ausgetrocknet und alle geworden, daß ihr euch in ganz dieselbe Falle locken laßt, in welche wir gehen sollten? Seid ihr blind und taub geworden, daß ihr weder gehört noch gesehen habt, daß Winnetou mit mir gestern in eurem Lager war, um euch zu belauschen? Du saßest mit den alten Kriegern an einem Felsen, der nahe am hohen Rande des Ufers liegt, und wir lagen oben auf diesem Felsen. Da haben wir alles gehört, was ihr gesprochen habt. Wißt ihr nicht, wie vorsichtig man sein muß, wenn man das Kriegsbeil ausgegraben hat.“
„Uff! uff!“ rief Mokaschi betroffen aus. „Old Shatterhand und Winnetou haben auf dem Steine gelegen, an welchem wir saßen?“
„Ja. Wir hörten zu, als ihr berietet, wie ihr uns hier überfallen wolltet. Warum macht ihr euch Männer zu Feinden, von denen ihr wißt, daß sie sich vor allen Kriegern eures ganzen Stammes nicht fürchten?“
Da legte Mokaschi sein Gewehr auf die Erde nieder und sagte:
„Der große Manitou ist gegen uns gewesen; er hat nicht gewollt, daß wir siegen sollen. Old Shatterhand oder Winnetou mag her zu mir kommen, um mit mir zu kämpfen. Welcher von uns beiden den andern tötet, dessen Stamm soll als Sieger gelten.“
„Was für Worte höre ich da aus deinem Munde! Willst du ein Spottgelächter zur Antwort haben? Soll es heißen, daß Mokaschis Worte wie die Rede eines Kindes oder wie das Geplapper eines alten Weibes klingen? Glaubst du, Winnetou oder mich besiegen zu können? Hast du jemals vernommen, daß einer von uns beiden einmal einem Feinde unterlegen sei? Dein Vorschlag kann an eurem Schicksale, an eurem Untergange nichts ändern. Du würdest unbedingt besiegt und mit dir wären alle deine Krieger verloren.“
„So sterben sie mit mir!“
„Das kann ebenso gut ohne einen Zweikampf zwischen dir und mir geschehen,“ antwortete Old Shatterhand auf Mokaschis Äußerung. „Ihr seid von allen Seiten eingeschlossen. Ihr seid verloren, sobald der Kampf beginnt. Wie kannst du es da einem von uns zumuten, mit dir zu kämpfen und das Schicksal zweier Stämme von dem Ausgange dieses Kampfes abhängig zu machen! Was einmal mir gehört, brauche ich mir doch nicht erst noch zu erwerben. Der Sieg gehört uns; wozu soll ich mir ihn erst noch extra erkämpfen?“
„So willst du nicht mit mir ringen?“
„Nein, denn ich müßte dich töten, und das will ich nicht.“
„Ich werde doch ohnedies und trotzdem sterben, denn du hast selbst gesagt, daß deine erste Kugel mir gelten werde.“
„Ja, falls es zum Kampfe kommt; ich meine aber, daß es weit besser sei, ihn zu vermeiden.“
„Wie soll er vermieden werden? Etwa dadurch, daß wir uns euch auf Gnade ‚oder Ungnade ergeben?“
„Nein, denn so ergeben sich tapfere Männer nicht, und die Nijoras sind ja tapfere Krieger. Kennst du Old Shatterhand und Winnetou so wenig, daß du uns ein solches Verlangen zutraust, dessen Erfüllung euch und allen euren Nachkommen immerwährende Schande bereiten müßte?“
Da holte Mokaschi tief und erleichtert Atem und fragte.
„Wie soll es denn sonst möglich sein, den Kampf zu vermeiden, ohne daß unsre Weiber und Kinder mit Fingern auf uns zeigen und uns verhöhnen?“
„Das wollen wir beraten. Mokaschi und Nitsas-Ini mögen hierher zu mir und Winnetou kommen. Mokaschi mag seine Waffen mitbringen, denn er hat sich noch nicht ergeben und muß als freier Mann gelten. Aber eure und unsre Krieger behalten genau ihre jetzigen Stellungen bei, bis unsre Beratung zu Ende ist.“
„Kann diese Beratung nicht hier bei mir abgehalten werden?“
„Das könnte sie wohl; aber du wirst zugeben, daß wir uns im Vorteile befinden und es also für richtiger halten, daß du zu uns kommst.“
„Als freier Mann und Krieger?“
„Ja.“
„So werde ich kommen.“
Er nahm sein Gewehr wieder von der Erde auf und kam auf Old Shatterhand zugeschritten; bei ihm angekommen, setzte er sich mit der würdevollen Haltung eines Häuptlings nieder. Der weiße Jäger nahm neben ihm Platz, Winnetou ebenso. Nitsas-Inikam auch. Er mußte durch die Nijoras hindurch. Sie machten ihm Platz. Er bekam da manchen finstern Blick, aber keiner wagte es, ihn feindlich zu berühren oder auch nur ein unfreundliches Wort zu sagen. Als er sich zu den andern gesetzt hatte, wurde auch noch Wolf herbeigewinkt, der bei den Navajos im Ansehen eines Häuptlings stand.
Nun hätte die Beratung beginnen können, denn diejenigen, auf welche es ankam, waren beisammen. Aber sie saßen nach Indianerart wohl eine Viertelstunde da, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Old Shatterhand und Winnetou richteten ihre Augen forschend auf die drei andern, als ob sie ihre geheimsten Gedanken erraten wollten; dann tauschten sie einen kurzen Blick miteinander aus. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Dann war Winnetou der erste, welcher sprach, doch nur indem er die kurze Frage aufwarf:
„Hier sitzen fünf Krieger zur Beratung. Welcher von ihnen soll reden?“
Wieder eine Zeitlang tiefes Schweigen; dann antwortete Nitsas-Ini:
„Unser Bruder Old Shatterhand hat kein Blut gewollt; er mag sprechen!“
„Howgh!“ sagten die andern, um ihre Zustimmung auszudrücken.
Old Shatterhand wartete, damit seine Worte dann größeres Gewicht haben möchten, auch eine kleine Weile; dann begann er:
„Meine Brüder wissen, daß ich ein Freund der roten Männer bin. Dem Indsman gehörte das ganze Land von einem Meere bis zum andern; da kam der Weiße und nahm ihm alles und gab ihm dafür seine Krankheiten. Der Indianer ist ein armer, kranker Mann geworden, welcher sehr bald sterben wird. Der Weiße ist sein Feind und hat ihn am meisten dadurch besiegt, daß er Unfrieden unter die roten Völker warf und einen Stamm gegen den andern aufhetzte. Die roten Männer waren so unklug, dies geschehen zu lassen, und sind selbst bis auf den heutigen Tag nicht klüger geworden. Sie reiben sich untereinander auf und könnten doch heut noch Großes erreichen, wenn sie den gegenseitigen Haß fallen ließen und unter sich das wären, was sie sein sollen und wozu sie geboren sind, nämlich Brüder. Habe ich recht?“
„Howgh!“ ertönte es rundum.
„Ja, ich habe recht, denn daß es so ist, wie ich sage, beweisen auch die zwei Stämme, welche sich feindlich hier gegenüberstehen. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, zu welchem großen Volke der Stamm der Navajos gehört!“
„Zum Volke der Apachen,“ antwortete der Genannte.
„Und auch Mokaschi mag mir sagen, zu welchem Volke die Nijoras gehören!“
„Auch zu den Apachen,“ antwortete der dazu Aufgeforderte.
„Da sehen meine Brüder, wie wahr ich gesprochen habe. Die Nijoras und die Navajos gehören nicht nur zur Rasse der roten Männer, sondern sind sogar Kinder eines einzelnen Volkes derselben. Sie sollten sich lieb haben, sich unterstützen und Seite an Seite miteinander gegen ihre gemeinschaftlichen weißen Feinde kämpfen. Statt dessen aber befehden sie sich gegenseitig und arbeiten ihrem Feinde in die Hände. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, weshalb er gegen die Nijoras ausgezogen ist!“
„Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“
„Gut. So mag mir nun auch Mokaschi sagen, weshalb er seine Krieger gegen die Navajos geführt hat!“
„Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“
„Merkt ihr da nicht, was ich sagen will? Ich wollte die Gründe eures Streites hören, und ihr habt keinen nennen können, sondern nur die Thatsache angegeben, daß die Kriegsbeile gegenseitig ausgegraben worden sind. Ist das nicht genau wie bei kleinen Kindern, welche einander bei den Haaren raufen, ohne daß sie eine triftige Veranlassung dazu haben? Wollt ihr als Kinder gelten? Soll man über euch wie über Kinder lächeln, über euch, die ihr geachtet und gefürchtet wäret, wenn ihr fest und treu zusammenhieltet? Ihr seid gegeneinander gezogen, um euch zu bekämpfen, euch zu vernichten, und es ist gut, daß eure besten Freunde, nämlich Winnetou und ich, dazugekommen sind, um euch zu sagen, was ihr eigentlich von selbst wissen solltet.“
Er ließ eine Pause eintreten, um seine Worte wirken zu lassen, und fuhr dann fort:
„Mein roter Bruder Nitsas-Ini ist nicht nur ein berühmter, tapferer Krieger, sondern auch ein umsichtiger und kluger Beherrscher seines Stammes. Er hat eingesehen, daß der rote Mann sterben muß, wenn er so bleibt, wie er jetzt ist. Darum hat er weise Entschlüsse gefaßt und sie auch ausgeführt. Er hat eine weiße Squaw genommen, die er liebt und der er vieles, sehr vieles verdankt, was er sonst nicht kennen und nicht haben würde. Er hat seinen Sohn über das Meer gesandt, damit dieser dort lernen möge, wie man aus einer Wüste ein fruchtbares Land macht. Er weiß, daß der Krieg nur Unheil bringt und das Glück nur im Frieden zu erlangen ist. Sollte er sich plötzlich geändert haben? Sollte er heut das Blut seiner roten Mitbrüder wünschen?“
„Uff, uff! Ich will es nicht!“ rief der Navajo aus.
„Das habe ich gewußt und gedacht. Wenn es anders wäre, so möchte ich nicht länger dein Freund und Bruder sein. Wie aber steht es mit Mokaschi, dem Häuptlinge der Nijoras? Er ist ausgezogen zum Kampfe, ohne einen rechten Grund dazu zu haben, und hat keinen einzigen Vorteil über seine Feinde errungen. Er muß sogar, wenn er seinen Mund die Wahrheit sprechen läßt, zugeben, daß er sich in diesem Augenblicke in einer sehr gefährlichen Lage befindet. Wird er mir das eingestehen?“
„Howgh!“ nickte Mokaschi, welcher einzusehen begann, welche außerordentlich friedlichen Absichten Old Shatterhand verfolgte.
„Und wird ein kluger Mann, wenn er mitten in solchen Gefahren steckt, noch immer den Tod seiner Gegner wünschen, die doch sein Leben in ihren Händen haben?“
„Nein.“
„Wohlan, so sind wir ja ganz gleicher Meinung. Weder Nitsas-Ini noch Mokaschi wünschen die Fortsetzung der Feindseligkeit. Es handelt sich also nur noch darum, welches Blut bisher geflossen ist und welche Rache dafür genommen werden soll. Hat Mokaschi einen Mann von seinen Kriegern verloren?“
„Nein.“
„Hat er also Rache an den Navajos zu nehmen?“
„Nein.“
„So frage ich nun dasselbe auch meinen Bruder Nitsas-Ini.“
„Khasti-tine und sein Begleiter, einer der beiden Kundschafter, sind getötet worden,“ meinte dieser ernst.
„Von den Nijoras?“
„Nein, sondern von dem Bleichgesichte, welches sich Ölprinz nennt.“
„Hast du den Tod dieser beiden Krieger also an den Nijoras zu rächen?“
„Nein.“
„Also auch hierin steht ihr euch gegenseitig gleich. Die Ungleichheit besteht nur darin, daß die Nijoras jetzt so eingeschlossen sind, daß ihr Blut fließen würde, falls es zum Kampfe käme; Nitsas-Ini hat aber erklärt, daß er kein Blut vergießen will. Eine weitere Ungleichheit besteht darin, daß Mokaschi acht Krieger der Navajos gefangen hat. Soll das nicht gegenseitig ausgeglichen werden? Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und die Navajos lösen die Umschlingung, in welcher sich die Nijoras befinden. Dann werden die Schlachtbeile eingegraben. Ich hoffe, daß meine Brüder auf diesen Vorschlag eingehen; darum thue ich das, was ihr jetzt sehen werdet.“
Er nahm den Tabaksbeutel vom Gürtel und die Friedenspfeife von der Schnur, an welcher sie an seinem Halse hing, stopfte sie und legte sie vor sich hin. Dann fragte er Mokaschi:
„Ist der Häuptling der Nijoras mit meinem Vorschlage einverstanden?“
„Ja,“ antwortete dieser, innerlich sehr froh, auf so billige Weise aus der Gefahr, ja vom beinahe sicheren Untergange errettet zu werden.
„Und was sagt der Häuptling der Navajos dazu?“
Dieser stimmte nicht sofort ein, sondern meinte:
„Mein Bruder Old Shatterhand hat mehr für die Nijoras, als für die Navajos gesprochen.“
„Wieso?“
„Sie befinden sich in unsrer Gewalt, und es ist kein Vorteil für sie, daß sie acht Gefangene gemacht haben, denn diese Gefangenen sind schon jetzt so gut wie wieder in unsern Händen. Ich brauche nur einige meiner Krieger hinauf in das Lager der Nijoras zu senden, um diese Gefangenen loszubinden. Sag also, ob du gerecht gegen uns gesprochen hast!“
„Ja, denn ich frage dich, wem du die gute Lage, in welcher ihr euch befindet, zu verdanken hast?“
„Dir und Winnetou,“ antwortete Nitsas-Ini aufrichtig und der Wahrheit gemäß. Er war ein ehrlicher Mann.
„Ja, uns verdankst du sie. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, sondern um dich zu bewegen, billig gegen die Nijoras zu sein. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Friedensvorschlage?“
„Es ist so, als ob ich selbst deine Worte gesprochen hätte,“ antwortete der Apache.
„Und Mai-tso, der Wolf?“
„Ich bin ganz der Meinung Winnetous,“ stimmte dieser bei.
„So hat nur Nitsas-Ini noch sein Wort zu sagen.“
Der Genannte überflog die Aufstellung seiner Leute und diejenige der Feinde mit einem langen Blicke. Es that ihm wohl leid, auf den großen Vorteil, in welchem er sich befand, so ohne weiteres verzichten zu müssen; aber der Einfluß, welchen seine weiße Squaw nach und nach über ihn gewonnen hatte, machte sich auch jetzt geltend; er war aus einem wilden Indianer ein friedliebender und einsichtsvoller Häuptling seines Stammes geworden. Er zögerte zwar noch einige Augenblicke, erklärte dann aber doch:
„Mein Bruder Old Shatterhand mag recht behalten. Die Nijoras sollen nicht länger umzingelt sein.“
„Und du bist bereit, das Calumet mit Mokaschi zu rauchen?“
„Ja.“
Da stand Old Shatterhand auf, wendete sich gegen die Indianer und rief mit lauter Stimme:
„Die Krieger der Navajos und Nijoras mögen ihre Augen hierher richten, um zu sehen, was ihre Häuptlinge beschlossen haben.“
Er versetzte den Tabak in Brand und gab Nitsas-Ini die Pfeife. Dieser erhob sich, that sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und rief mit lauter Stimme, so daß alle Anwesenden es hören mußten:
„Die Kriegsbeile werden eingegraben; wir rauchen die Pfeife des Friedens. Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und sind dann unsre Brüder. Dieses rauche und sage ich für alle meine Krieger. Es ist so gut, als ob sie selbst es gesagt und das Calumet dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!“
Die Navajos waren höchst wahrscheinlich nicht sehr erbaut über diesen Ausgang der Verhandlung. Sie befanden sich so im Vorteile, daß es ihnen wohl schwer wurde, dasselbe so leichthin aufzugeben; aber die Disziplin verhinderte sie, widerspenstig zu sein, zumal ihnen der Gebrauch des Calumetrauchens so heilig war, daß sie es nicht gewagt hätten, an dem Beschlusse ihres Häuptlings zu rütteln.
Dieser gab die Friedenspfeife an Mokaschi, welcher sich auch erhob, die gleichen sechs Züge that und dann ebenso laut wie Nitsas-Ini verkündete:
„Hört, ihr Krieger der Navajos und Nijoras, der Tomahawk des Krieges ist wieder in die Erde versenkt. Die Männer der Navajos öffnen den Kreis, mit dem sie uns umschlossen haben, und sind dann unsre Brüder. Ich habe das mit dem Calumet bestätigt und es ist ganz so, als ob meine Krieger es gesagt und die Pfeife dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!“
Niemand war froher als die Nijoras, die einen so glücklichen Ausgang der für sie so gefährlichen Angelegenheit kaum für möglich gehalten hatten. Old Shatterhand, Winnetou und Wolf mußten als Zeugen des Vertrages auch die sechs Züge aus der Pfeife thun, brauchten aber keine Rede dazu zu halten.
Jetzt war die Sitzung beendet und die vorher so feindliche Situation verwandelte sich in eine friedliche. Die Navajos ließen die Nijoras aus ihrer Umschlingung frei, und da es hier am Flusse an Raum mangelte, so begaben sich Freund und Feind hinauf zum Lager der Nijoras, um dort das Friedensfest zu feiern und vor allen Dingen die Gefangenen zu befreien. Winnetou, Old Shatterhand und Wolf gingen auch nach oben, wo ihre Anwesenheit zunächst notwendig war; die andern Weißen aber blieben noch unten. Sie waren alle froh, daß die Feindseligkeit ein solches Ende genommen hatte.
Bald waren sie alle in lebhafter Unterhaltung über das eben Erlebte, besonders Frank und Frau Rosalie kamen in ein eifriges Zwiegespräch, an dem auch Adolf Wolf kurze Zeit teilnahm, doch bald trennte er sich wieder von den beiden, um seinen Onkel aufzusuchen, der sich oben auf dem hohen Ufer im Lager befand. Als er an die Furt kam, begegnete er den Navajos, welche ihre Pferde aus den Verstecken geholt hatten und sie auch hinaufschaffen wollten. Ihr Häuptling leitete diese Arbeit und Winnetou und Old Shatterhand standen bei ihm. Da erschien ein Reiter oben am Rande der Furt; er sah die Genannten stehen und rief herab:
„Mr. Shatterhand, gut, daß ich Euch sehe! Darf ich da hinab?“
„Mr. Rollins!“ antwortete der Gefragte. „Ihr hier? Ihr solltet doch bei dem Kantor bleiben, bis ich einen Boten sende. Warum habt Ihr Euch davongemacht?“
„Werde es Euch gleich sagen. Also, darf ich hinunter zu Euch?“
„Ja.“
Er kam langsam herabgeritten, sprang dann von seinem Pferde und rief in erregtem Tone:
„Wäre ich doch nicht dort geblieben, sondern mit Euch geritten! Wenn Ihr wüßtet, was ich erlebt habe!“
„Was habt Ihr denn erlebt? Was ist geschehen? Ihr seht ja außerordentlich echauffiert aus.“
„Ist auch kein Wunder. Bin an den Baum gebunden gewesen.“
„Ihr? Das war doch der Kantor!“
„Ja, erst; dann aber kam er los und ich wurde angebunden.“
„Von wem denn?“ fragte Old Shatterhand verwundert.
„Von dem Ölprinzen. Dieser Halunke hat mir meine Anweisung wieder abgenommen.“
„Der Ölprinz? Alle Wetter! Wie ist das geschehen? Erzählt es doch, schnell!“
Der Bankier berichtete, was geschehen war.
„Mann,“ rief dann Old Shatterhand aus, „das habt Ihr schlau, sehr schlau angefangen! Warum habt Ihr denn den Wisch nicht vernichtet!“
„Jawohl, Ihr habt recht; jetzt bereue ich es bitter. Verschafft mir den Zettel wieder, Sir; ich bitte Euch inständigst darum!“
„Ja, erst macht Ihr die Fehler, und dann soll ich sie ausbessern! Die Kerls mögen meinetwegen reiten, wohin sie wollen. Hättet Ihr die Dummheit nicht gemacht!“
Da fiel Nitsas-Ini ein:
„Sie werden nicht reiten, wohin sie wollen. Der Ölprinz hat meine beiden Kundschafter ermordet; ich muß ihn haben. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir nicht dabei helfen?“
Winnetou nickte und Old Shatterhand sagte:
„Ich habe im Unmute gesprochen. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir die Kerls haben müssen. Habt Ihr denn gesehen, wohin sie ritten?“
„Ja.“
„Nun, nach welcher Richtung?“
„Stromaufwärts, dahin, woher sie gekommen waren und woher auch wir gekommen sind.“
„Also ist es doch so! Sie sind den Spuren der Navajos gefolgt, um Wolf zu überfallen und ihm die Schrift abzunehmen. Durch Zufall sind sie aber viel leichter dazu gekommen. Wie lange ist das her?“
„Sehr lange. Dieser Kantor sollte mich losmachen, that es aber nicht.“
„So müssen wir uns schleunigst auf den Weg machen.“
„Stromaufwärts?“ fragte der Häuptling,
„Ja, denn wir dürfen ihre Fährte keinesfalls vernachlässigen; sie sind aber jedenfalls stromabwärts geritten.“
„Aber dieser Mann behauptet doch das Gegenteil!“
„Rollins hat auch recht; die Banditen sind aufwärts, aber nur eine Strecke.“
„Und dann wieder abwärts?“
„So hätten sie ja hier vorüber gemußt!“
„Nein. Sie sind hinüber nach dem andern Ufer.“
„Uff! Hat mein Bruder Grund, dies zu denken?“
„Ja. Sie haben das Papier und wollen nach San Francisco. Da müssen sie nach dem Colorado hinunter, ganz denselben Weg, den sie ritten, als sie in euerm Lager waren. Hier konnten sie nicht vorbei, weil sie von dem Kantor erfahren haben, daß wir hier sind. Sie sind also aufwärts zurück bis dahin, wo wir gestern lagerten, und dann über den Fluß hinüber. Mein roter Bruder mag mit einer Schar seiner Leute schnell abwärts reiten, bis er eine Stelle findet, an welcher er über den Fluß hinüber kann. Ist er drüben, so wird er nach ihrer Fährte suchen und dabei sehen, ob sie aus dieser Gegend schon fort sind.“
„Sie werden unbedingt fort sein!“
„Nein. Es steht zu vermuten, daß sie irgendwo da drüben stecken, um zu sehen, wie der Überfall hier abläuft. Mein Bruder muß ihnen so breit wie möglich den Weg verlegen, daß sie ja nicht vorüber können.“
„Und was wird Old Shatterhand thun?“
„Ich werde mit Winnetou aufwärts reiten, um ihrer Spur zu folgen. Da diese mit der unsrigen zusammenfällt, so ist sie außerordentlich schwer zu lesen; daher müssen wir diesen Weg selber machen; wir können uns auf keinen andern verlassen. Natürlich aber reiten wir nicht allein, sondern wir nehmen auch Begleiter mit.“
„Ich habe diesen Hunden doch Späher entgegengesandt! Sie müssen von ihnen nicht bemerkt worden sein.“
„Es ist auch noch andres möglich. Entweder haben sie sie getäuscht oder sie gar getötet.“
„Wenn dies der Fall ist, dann müssen sie am Marterpfahle sterben!“
„Erst wollen wir sie fangen, und erst dann können wir über ihren Tod sprechen. Mein roter Bruder mag sofort aufbrechen und ja nichts versäumen!“
Da erschien wieder ein Reiter oben an der Furt. Er sah die Personen auch und fragte ebenso wie vorhin der Bankier, ob er herunterkommen dürfe.
„Ja, kommen Sie!“ antwortete Old Shatterhand, indem es in seinen Augen wenig verheißungsvoll flimmerte.
Der Kantor kam herab.
„Da bin ich wieder,“ sagte er ahnungslos. „Wo sind die andern Deutschen?“
„Da, wohin Sie nicht kommen werden, damit Sie nicht wieder Unheil anrichten können, Sie Verräter!“
„Verräter? Wieso?“
„Sie haben dem Ölprinz gesagt, wo Mr. Rollins das Papier hat.“
„Ja, das habe ich. Sie fragten mich und da konnte ich sie doch nicht belügen.“
„Man kann klug sein, ohne zu lügen, Sie Dummkopf und Faselhans! Ich diktiere Ihnen Ihre Strafe: Sie werden wieder angebunden!“
„Das werde ich nicht; ich dulde das nicht. Sie haben keine Gewalt über mich!“
„Sogar sehr. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.“
Er sagte zu einigen Navajos ein paar Worte, welche der Kantor nicht verstand; da nahmen sie ihn und sein Pferd zwischen sich und schafften ihn hinauf ins Lager, wo er trotz alles Sträubens wirklich angebunden wurde. Nach kurzer Zeit jagte Nitsas-Ini mit zwanzig seiner Krieger stromabwärts; Mokaschi, sein nunmehriger Freund, hatte sich ihm mit auch zwanzig Nijoras angeschlossen. Winnetou und Old Shatterhand dagegen ritten stromaufwärts. Bei ihnen befanden sich Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und zehn Navajokrieger. Frank und Droll hatten auch mitgewollt, waren aber von Old Shatterhand vermocht worden, zurückzubleiben, um mit Wolf darauf zu achten, daß im Lager nichts vorkomme, was später gerügt werden müsse.
Die Frauen saßen noch unten am Wasser beisammen; die weiße Squaw war bei ihnen, ihre Männer natürlich auch. Sie sprachen von ihrer Zukunft, von ihren früheren Plänen und was durch die Ereignisse der letzten Zeit an diesen geändert worden war. Da kam Wolf von oben herab, um nach ihnen zu sehen. Die Squaw, welche, wenn sie deutsch mit ihm sprach, ihn Sie nannte, aber du zu ihm sagte, wenn sie indianisch mit ihm redete, winkte ihn näher zu sich hin und sagte:
„Wir sprechen von dem Vorhaben dieser unsrer Landsleute. Sie sind herübergekommen, um sich eine Heimat hier zu gründen. Mittel besitzen sie nicht; nur Ebersbachs haben Geld und wollen die andern damit unterstützen. Was sagen Sie dazu? Ich werde mit meinem Manne darüber sprechen, sobald er Zeit dazu hat.“
„Das ist nicht nötig,“ lächelte er.
„Warum?“
„Weil ich es schon gethan habe.“
„Sie haben mit ihm davon gesprochen?“
„Ja.“
„Und was hat er gesagt?“
„Er will Ihnen eine Freude bereiten dadurch, daß er diese Deutschen in seinem Gebiete behält.“
„Das ist schön! Das freut mich herzlich! Ich weiß, daß er mir meinen Wunsch jedenfalls erfüllt hätte; aber daß er meine Bitte nicht erst abgewartet hat, das ist mir doppelt lieb. Wie haben Sie sich denn nun die Sache gedacht?“
„Sehr einfach. Diese Leute bekommen Land geschenkt, so viel sie brauchen; es ist ja mehr als genug davon da, Waldland, Ackerland, Weideland, ganz wie sie es wünschen; sie können es sich aussuchen. Dann veranstalten wir einen Ritt nach Guayolote oder La Tinajo hinüber, wo wir Ackergeräte und alle nötigen Werkzeuge bekommen werden. Für Pferde, Kühe und andre Weidetiere werden wir auch sorgen, und beim Bau ihrer Wohnungen werden ihnen alle unsre Männer und Squaws gern helfen, so daß sie sehr bald eingerichtet sein können. Nur hat die Sache freilich einen Haken.“
„Einen Haken? Wirklich?“ fragte sie, ein wenig beunruhigt.
„Ja, einen bösen, schlimmen Haken,“ lächelte er wieder.
„Was wäre das wohl?“
„Eine Frage, auf deren Beantwortung alles ankommt.“
„Welche Frage ist es denn? So reden Sie doch nur!“
„Es ist die Frage, ob sie auch wollen.“
„Ah!“ seufzte sie erleichtert auf. „Ich wollte schon ängstlich werden.“
„Was nützt es, wenn Sie von uns alles bekommen sollen, aber nichts haben wollen! Wie steht es denn in dieser Beziehung?“
Diese Frage war an die Deutschen gerichtet; diese antworteten natürlich mit einem freudigen Ja. Besser konnten sie es ja gar nicht wünschen. Daß sie Land und alles, was sie brauchten, geschenkt bekommen würden, das hätten sie, wenn es ihnen früher gesagt worden wäre, nicht für möglich gehalten und also nicht geglaubt. Frau Rosalie, welche gern für die andern sprach, drückte die weiße Squaw an sich, reichte Wolf die Hand und rief aus:
„Jetzt soll mir jemand sagen, daß die Wilden nich viel besser sind, als die gebildeten Leute bei uns derheeme! Keen Mensch bei uns drüben is so human, eenem armen Teufel een solches Geschenk zu machen und noch dazu een so großes. Drüben würde uns niemand ooch nur das kleenste Feld- oder Gartenbeet anbieten und hier bekommen wir gleich so viel, daß wir een Rittergut droffsetzen können, und das Vieh und Haus und Hof mit den Gerätschaften dazu! Ich halte es von jetzt an mit den Indianern und nich mehr mit den Weißen. Hoffentlich wird der Kantor nich ooch mit dableiben wollen! Da könnte uns das ganze Glück in den Brunnen fallen.“
„Nein, den bringen wir fort,“ versicherte Wolf. „Dieser Pechvogel würde uns nur Unglück bringen. Es wird Ihnen bei uns gefallen. Wir haben große Kulturpläne und da kommen Sie uns eben recht; nun wird Ihnen unsre Freigebigkeit erklärlich sein. Schi-So und mein Neffe sollen das Werk, welches wir begonnen haben, später zu Ende führen. Wir werden beweisen, daß der rote Mann dem Weißen gleichgestellt werden darf. Doch halt! Was war das da drüben jenseits des Flusses? War das nicht ein Schrei? Das klang genau wie der Todesschrei eines Menschen. Sollte der Ölprinz mit seinen beiden Kerls da drüben stecken und schon mit unsern Leuten in Kampf geraten sein? Das ist doch aber nicht möglich!“
Da kam der Hobble-Frank gelaufen. Er hatte den Schrei auch gehört und wollte fragen, ob Wolf ihn vernommen habe. Nach kurzer Zeit kam Adolf Wolf in ganz derselben Absicht.
„Onkel, da drüben schrie jemand. Hast du es gehört?“
„Wir alle haben es gehört,“ antwortete ihm der Hobble. „Es war een anthropologisch menschlicher Schrei, keen animalisch zoologisch tierischer. Wallen und wandeln Sie mit mir hinauf ins Lager. Die Roten haben Feuer angebrannt und braten daran ihr Fleesch, daß das ganze Flußthal davon duftet. Wahrscheinlich sind sie so reserviert, daß sie uns ooch een Schtück davon karambolieren.“
Er nahm Adolfs Arm in den seinen und zog ihn mit sich fort.
Was den Schrei betrifft, welcher für den Todesschrei eines Menschen gehalten worden war, so hatte es mit demselben seine Richtigkeit. Der Ölprinz war mit seinen beiden Begleitern ganz so, wie Old Shatterhand es vermutet hatte, am Flusse aufwärts bis zum letzten Lagerplatze der Navajos geritten und dort an das andre Ufer gegangen. Ihre Absicht war, da drüben abwärts zu reiten, um nach dem Colorado zu kommen; aber dann fiel es ihnen ein, daß es doch vielleicht geraten sei, zu wissen, welcher von den beiden Stämmen über den andern den Sieg erringen werde. Sie blieben also in der Nähe des Ufers und suchten sich, als sie der Mündung des Winterwassers gegenüber angekommen waren, einen Platz, von welchem aus sie die Vorgänge da drüben beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden.
Aber sie hatten einen weiten Umweg machen müssen, bei welchem so viel Zeit vergangen war, daß sie schon zu spät kamen. Die Entscheidung, das heißt die Versöhnung der beiden Stämme war schon vorüber; die Roten hatten sich nach dem Lager oben zurückgezogen, wo sie von drüben aus nicht gesehen werden konnten, und so bemerkten die drei Banditen nur die weißen Frauen und Männer, welche plaudernd am Wasser saßen und die ebenfalls weißen Personen, welche da ab- und zugingen. Sie wurden dadurch der Meinung, daß die Entscheidung noch nicht gefallen sei, und blieben länger liegen, als mit ihrer Sicherheit zu vereinbaren war. Sie ahnten nicht, daß Old Shatterhand schon hinter ihnen war und Nitsas-Ini ihnen mit seinen vierzig Roten den Weg verlegt hatte.
Wie schon längst erwähnt, hatten der Ölprinz und Buttler sich Pollers nur zu ihren Zwecken bedient und wollten sich dann später seiner entledigen. Daß dies nur durch einen Mord geschehen könne, wenn sie sich nicht für später gefährden wollten, das stand bei ihnen fest. jetzt glaubten sie die Zeit gekommen und zogen sich von ihm zurück, um sich darüber zu besprechen. Aber Poller war kein schlechter Beobachter und hatte aus ihren Blicken und Mienen geschlossen, daß sie ihm nicht wohlgesinnt seien; er empfand das Gefühl, daß für ihn eine Gefahr in der Luft liege, und beobachtete sie nun schärfer. Da fiel es ihm auf, daß sie sich jetzt beide zugleich von ihm entfernten. Er kroch unter den Büschen ihnen nach und sah sie nahe beisammenstehen und leise miteinander sprechen. Es gelang ihm, so weit an sie heranzukommen, daß er nur zwei Schritte von ihnen entfernt war, konnte aber ihre Worte nicht verstehen, bis der Ölprinz etwas lauter sagte.
„Jetzt ist die beste Gelegenheit. Er bekommt ganz unerwartet das Messer und bleibt hier liegen. Finden ihn dann die Weißen, so denken sie, daß er von den feindlichen Roten erstochen worden ist.“
Er merkte wohl, daß nur er gemeint sein könne, und war so entrüstet darüber, daß er vergaß, vorsichtig zu sein, und sich plötzlich vor ihnen aufrichtete.
„Was, ihr wollt mich erstechen, ihr elenden Halunken!“ herrschte er sie an. „Ist das der Dank für das, was –“
Er konnte nicht weiter sprechen. Sie hörten, daß ihre Absicht verraten war; nun nur nicht weiter zögern. Sie verständigten sich durch einen einzigen kurzen Blick, dann hatte ihn Buttler mit einem schnellen Griffe gepackt und Grinley stieß ihm das Messer in die Brust. Die Klinge traf so gut, daß er nur den erwähnten Todesschrei ausstoßen konnte und dann leblos zusammenbrach. Sie raubten ihn aus und ließen ihn liegen, um dann wohl noch eine Stunde lang die Mündung des Winterwassers zu beobachten.
Als da drüben noch immer nichts geschah, fiel ihnen ein, daß ihre Zeit doch zu kostbar sei, als daß sie hier noch länger liegen könnten. Sie stiegen auf, nahmen Pollers Pferd am Zügel, wendeten sich hinaus auf die freie Ebene und ritten davon.
Nur fünf Minuten später kam Old Shatterhand mit Winnetou und den andern. Diese scharfsinnigen Leute hatten alle Schwierigkeit überwunden und die Fährte, obgleich dieselbe mit der alten Spur zusammenfiel, bis hierher verfolgt. Sie sahen die Eindrücke und auch die Leiche.
„Mein Gott, das ist Poller!“ rief Old Shatterhand entsetzt aus, indem er ihn sogleich untersuchte. „Sie haben ihn ermordet, um ihn loszuwerden. Er ist tot und hat nun seinen Lohn dahin! Hier haben sie gelegen, um uns drüben zu beobachten und – – –“
„Mein Bruder mag sich nicht verweilen,“ unterbrach ihn Winnetou. „Sie sind vor kaum fünf Minuten fort. Hier geht ihre Spur hinaus ins Freie. Schnell ihnen nach!“
Sie zogen die Pferde hinter sich her und stiegen dann, als sie das Gebüsch hinter sich hatten, auf, um den beiden Mördern im Galopp zu folgen. Nach zehn Minuten sahen sie sie vor sich auf der freien Ebene. Zufälligerweise blickte Buttler sich um und bemerkte die Verfolger.
„Um Gotteswillen, Old Shatterhand und Winnetou mit Weißen und Roten!“ rief er aus. „Fort, fort, im Galopp!“
Sie spornten ihre Pferde an, aber die Verfolger kamen schnell näher.
„So ist es nichts; sie holen uns ein,“ schrie der Ölprinz. „Hier im Freien entkommen wir nicht. Wir müssen ins Gebüsch!“
Sie lenkten nach links einer Buschspitze zu, welche sich als grüne Zunge in die Ebene zog. Es war dasselbe Gesträuch, in welchem sie die Navajospäher ermordet hatten.
Inzwischen war von Nitsas-Ini die ganze Ebene mit seinen Roten besetzt worden. Da die Verfolgten auch in der Nähe des Flusses unter den Bäumen herabkommen konnten, drang er mit einigen Kriegern dort ein und ging mit ihnen langsam aufwärts; die Pferde hatten sie als hinderlich zurückgelassen. Sie kamen auch nach der Buschspitze und fanden die noch bemerkbaren Spuren. Denselben nachgehend, trafen sie die Leichen ihrer beiden Späher.
Ein fürchterlicher Grimm bemächtigte sich des Häuptlings. Er öffnete bereits den Mund, um demselben Worte zu geben, da hörten sie Hufschlag. Sie eilten nach dem Rande des Gebüsches und sahen die Flüchtlinge, hinter sich die Verfolger, herangesprengt kommen. Der Häuptling hatte ihnen den Marterpfahl angedroht; aber die Wut, welche ihn ergriffen hatte, ließ ihn nicht daran denken – zum Glücke für sie, denn ein plötzlicher Tod war für sie besser.
„Sie kommen, die Hunde!“ rief er aus. „Gebt ihnen eure Kugeln!“
Er sprang aus dem Gebüsch heraus; seine Leute folgten ihm. Sie legten ihre Gewehre an. Der Ölprinz und Buttler sahen die roten Gestalten vor sich auftauchen.
„Alle Teufel!“ knirschte der erstere. „Vor uns Feinde und hinter uns Feinde! Ist das nicht der Busch, in welchem wir die zwei Navajos kalt machten?“
„Ja,“ antwortete Buttler. „Was thun? Rechts seitwärts ausbrechen?“
Sie hielten ihre Pferde für einen kurzen Augenblick an; das war genug; es gab ein festes Zielen. Die Schüsse der Navajos krachten; die Pferde der beiden Mörder bäumten sich und schossen dann mit ihren zu Tode getroffenen Reitern vorwärts, den Büschen zu und zwischen dieselben hinein, bis sie mit den losen Zügeln hängen blieben; da fielen die Erschossenen herab, gerade neben ihre Opfer hin.
Nur einige Augenblicke später kam Old Shatterhands Trupp. Sie stiegen vor dem Gebüsch ab und drangen in dasselbe ein. Da sahen sie den Häuptling mit seinen Leuten bei den vier Leichen stehen. Sie begriffen sofort, was jetzt und vorher hier geschehen war.
„Welch ein Gericht!“ sagte Old Shatterhand, den es schauderte. „Gerade hier, an derselben Stelle, wo sie mordeten, hat sie die Strafe ereilt. Gott ist gerecht.“
„Und ich war zu schnell,“ fügte der Häuptling hinzu. „Sie sollten zu Tode gemartert werden. Diese schnelltötenden Kugeln sind keine Strafe für sie. Nehmt die Leichen unsrer ermordeten Brüder und bindet sie auf die Pferde. Sie sollen oben, wo wir lagern, als tapfere Söhne der Navajos begraben werden. Diese weißen Hunde aber mögen hier liegen bleiben, um von den Aasgeiern zerrissen zu werden!“
Da flüsterte Sam Hawkens Old Shatterhand zu:
„Wir gehen heimlich her und begraben sie, wenn ich mich nicht irre. Sie waren Verbrecher, aber doch auch Menschen.“
Ein stilles, zustimmendes Nicken zeigte, daß der Jäger damit einverstanden war.
Die andern Roten wurden alle herbeigeholt; dann setzte sich der Trupp mit den beiden Leichen in Bewegung, an einer passenden Stelle über den Fluß hinüber und dann dem Lager zu. Dort verwandelte der Anblick der Toten das Freuden- und Versöhnungsfest in eine Trauerfeier. Dumpfe Klagetöne erschollen, bis am Abende zwei hohe Steinhügel sich über den von ihnen eingeschlossenen Ermordeten erhoben.
Die Stämme der Navajos und Nijoras blieben noch zwei Tage beisammen; dann trennten sie sich. Die Weißen zogen natürlich mit den ersteren fort, hinauf nach dem Rio de Chaco, wo der Stamm seine Hütten und Zelte hatte. Dort wurden die berühmten Westmänner mit Freuden und die deutschen Auswanderer mit großer Gastfreundlichkeit aufgenommen.
Und was dann geschah? Darüber könnte man noch Bücher schreiben. Nitsas-Ini hielt Wort. Die vier Familien erhielten alles, was Wolf ihnen an der Mündung des Winterwassers versprochen hatte, und es kam so, wie Frau Rosalie Ebersbach gesagt hatte: Sie hätten auf die ihnen geschenkten Ländereien Rittergüter setzen können. Nie wurde ihr gutes Einvernehmen mit den Navajos getrübt, denn der alte Nitsas-Ini hatte eine weiße, deutsche Frau und der junge Häuptling Schi-So war fast eher ein Deutscher als ein Indianer zu nennen.
Die Westmänner blieben längere Zeit da, um den vier Haushaltungen so eingehend wie möglich mit Rat und That beizustehen, und nahmen dann, allerdings nicht für immer, Abschied von den weißen und roten Freunden. Sie gingen hinüber nach Kalifornien und erlebten während dieses Rittes gar mancherlei seltsame Abenteuer. In San Francisco trennten sich die andern von der Tante Droll und dem Hobble-Frank, denn diese beiden glaubten, den unerfahrenen und faseligen Kantor nach Hause begleiten zu müssen. Beim Abschied fragte Sam Hawkens:
„Wann wird man euch denn einmal wiedersehen, ihr beiden größten Helden des wilden Westens, hihihihi?“
„Wenn du dich gebessert hast, alter pränumerander Schäker du,“ antwortete der Hobble. „Schreib mir ‚mal eenen Brief nach meiner Villa Bärenfett. Es würde mich sehr protegieren, zu hören, daß du dich hier im Westen gut soufflierst!“
Und die zwölfaktige Heldenoper? Wenn die ersten drei Takte davon fertig sind, werde ich es sofort melden.