The Home Of The Ghost

The home of the ghost

„My dearling, my dearling,
My love child much dear,
My joy and my smile
My pain and my tear!“

so klang das alte, liebe Tennessee-Wiegenlied in die stille Morgenluft hinaus. Es schien, als ob die Zweige der nahen Mandel- und Lorbeerbäume sich dazu im Takte neigten, und Hunderte von Kolibris zuckten wie farbige Funken um die alte Negerin, welche ganz allein am Wasser saß.

Die Sonne hatte sich soeben über den niedrigen Horizont erhoben, und ihre Strahlen strichen wie glänzende Brillantsträhne über das klare Gewässer dahin. Ein Königsgeier zog hoch oben in der Luft seine Kreise; unten am Ufer naschten mehrere Pferde wie gesättigte Feinschmecker von besonders saftigen Halmen des Delicacy-Grases, und auf der Spitze einer Cypresse saß die Drossel Mocking-bird, lauschte mit schief gehaltenem Köpfchen dem Gesange der Negerin und ahmte, als derselbe zu Ende war, die letzten Worte der Strophe mit einem laut schallenden „Mittir-mittir-mittir“ nach.

Über dem Gefieder niedriger Palmen, welche sich im Wasser spiegelten, breiteten hohe Zedern und Sykomoren ihre schützenden Wipfel, unter denen riesige, bunt schillernde Libellen nach Fliegen und anderen kleinen Insekten jagten, und hinter dem nahe am Wasser stehenden Häuschen zankte sich eine Schar von Zwergpapageien um die goldigen Körner des Maises.

Von außen konnte man nicht sehen, aus welchem Materiale das Häuschen erbaut worden war, denn sowohl seine vier Seiten als auch das Dach wurden vollständig überdeckt von dem dichten Gerank der weißen, rotfädigen Passionsblume, deren gelbe, süße, dem Hühnerei gleichende Früchte lebhaft aus der Fülle der gelappten Blätter hervorleuchteten. Das alles machte den Eindruck der Tropen. Man hätte meinen können, sich in einem Thale von Südmexiko oder des mittleren Boliviens zu befinden, und doch lag dieser kleine See mit seiner Passiflorenhütte und seiner südlichüppigen Vegetation nirgends anderswo als – – – inmitten der gefürchteten Llano estakata. Er war das geheimnisvolle Wasser, von welchem so viele gesprochen hatten, ohne es jemals gesehen zu haben.

„My heart-leaf, my heart-leaf,
My life and my star,
My hope and my delight,
My sorrow, my care!“

sang die Schwarze weiter.

„Mikkehr-mikkehr-mikkehr,“ ahmte der Spottvogel die beiden letzten Worte nach.

Aber die Sängerin achtete nicht auf ihn. Sie hatte die Augen auf eine alte Photographie gerichtet, welche sie in den beiden Händen hielt und zwischen den einzelnen Versen küssend an ihren welken Mund führte.

Viele, viele Thränen waren auf das Bild gefallen, und ebenso viele Küsse hatten es so verwischt, daß nur ein sehr scharfes Auge noch zu erkennen vermochte, wen oder was das Bild vorgestellt hatte, nämlich eine Negerin mit einem schwarzen Knäbchen im Arme. Der Kopf des letzteren fehlte ganz; er war hinweggeküßt und von den Thränen hinweggewaschen worden.

„Du sein mein gut, lieb Bob!“ sagte sie in zärtlichem Tone. „Mein Little-Bob, mein Small-Bob. Ich deine Mutter. Missus gut und freundlich gewesen, haben machen lassen ihr Bild, und als Photograph kommen, haben auch machen lassen Bild von Sanna und ihr klein Bob, dann als Missus sterben‘ Massa haben verkaufen Bob, und Mutter Sanna nur noch haben Bild von Bob. Es haben behalten, als selbst verkauft werden; es haben auch behalten, als gut Massa Bloody-Fox sie haben bringen hierher, und es werden behalten ferner, bis alt Sanna sterben und nicht wiedersehen Bob, der wohl sein worden indessen ein groß, stark Nigger und auch nicht haben vergessen sein brav, lieb Mutter Sanna. O, my dearling, my dearling, my joy and my –-.“ Sie hielt inne und erhob lauschend den Kopf, dessen schneeweißes, wolliges Haar seltsam gegen die dunkle Farbe des Gesichtes abstach. Das Geräusch eines Kommenden ließ sich hören. Sie sprang auf, steckte die Photographie in die Tasche ihres Kalikorockes und rief –

„O Jessus, Jessus, wie Sanna sich freuen! Fox kommen endlich wieder. Gut Bloody-Fox wieder da. Ihm gleich geben Fleisch und backen Kuchen von Mais!“

Sie eilte nach dem Häuschen, hatte dasselbe aber noch nicht erreicht, als der Genannte unter den Bäumen erschien. Er sah sehr blaß und angegriffen aus; sein Pferd schwitzte am ganzen Körper und hatte einen müden, stolpernden Gang. Beide mußten ungewöhnlich angegriffen sein.

Welcome, Massa!“ empfing ihn die Alte. „Sanna gleich bringen Essen; Sanna schnell machen!“

„Nein, Sanna,“ antwortete er, indem er sich aus dem Sattel schwang. „Fülle die Schläuche, alle, alle! Das ist das Notwendigste, was jetzt geschehen muß.“

„Warum Schläuche? Für wen? Warum Massa Fox nicht essen? Er doch haben müssen ein sehr groß Hunger!“

„Allerdings habe ich den; aber ich werde mir selbst nehmen, was ich brauche. Du hast keine Zeit dazu. Du mußt die Schläuche füllen, mit denen ich augenblicklich aufbrechen werde.“

„Jessus, Jessus! Schon wieder fort? Warum alt Sanna stets ganz allein lassen mitten in groß, weit Estakata?“

„Weil sonst ein ganzer Zug fremder Einwanderer verschmachten muß. Diese Leute sind von den Geiern irre geführt worden.“

„Warum haben Massa Fox sie nicht besser führen?“

„Ich konnte nicht an sie, denn sie werden von so zahlreichen Geiern umschwärmt, daß ich dem sichern Tode verfallen wäre, wenn ich es gewagt hätte, die Kette zu durchbrechen, welche sie bilden.“

„So werden töten sie die arm, gut Emigrant!“

„Nein. Es kommen kühne und starke Jäger von Norden her, auf deren Hilfe ich mit Sicherheit rechne. Aber was nützt diese Hilfe, wenn kein Wasser vorhanden ist! Die Emigranten würden verschmachten, obgleich sie von den Geiern befreit worden wären. Also Wasser, Wasser, Sanna, und zwar schnell! Ich belade sämtliche Pferde mit den Schläuchen. Nur den Rappen hier muß ich zurücklassen. Er ist zu sehr ermüdet.“

Fox ging nach dem Häuschen und trat durch die von den Passifloren eng umrahmte Thür. Das Innere bestand aus einem einzigen Raume. Die vier Wände waren aus Schilf und aus dem feinem Schlamm des kleinen Sees errichtet und mit langem, trockenem Rohr gedeckt. Über einem aus Erde gebauten Herde öffnete sich der ebenso aus Schilf und Schlamm bestehende Rauchfang, unter welchem ein eiserner Kessel hing. In jeder der drei anderen Wände gab es ein kleines Fenster, weiches von dem Blumengerank frei gehalten wurde.

Unter dem Dache hingen Stücke geräucherten Fleisches und an den Wänden alle Arten von Waffen, welche in dem Westen zu sehen und zu haben sind. Der Fußboden war mit Fellen belegt. Die zwei Bettstellen bestanden aus an Pfählen befestigten Riemen, über welche Bärenfelle gebreitet waren. Den größten Schmuck der Stube bildete die dickzottige Haut eines weißen Büffels, an welcher der Schädel gelassen worden war. Sie hing der Thür gegenüber, und zu beiden Seiten von ihr steckten wohl über zwanzig Messer in der Wand, in deren Horn- oder Holzgriffen verschiedene Zeichen eingeschnitten waren.

Ein Tisch, zwei Stühle und eine Leiter, welche bis zur Decke reichte, bildete das ganze Ameublement des Passiflorenhäuschens.

Bloody-Fox trat zu dem Felle, strich mit der Hand an demselben herab und sagte zu sich:

„Die Uniform des „Geistes“, daneben die Messer der Mörder, die von seiner Kugel fielen –– sechsundzwanzig schon. Wann aber werde ich den entdecken, der mehr als sie alle den Tod verdient? Vielleicht nie! Pshaw, noch hoffe ich, denn der Bösewicht pflegt von seinem Gewissen immer und immer wieder zur Stätte des Verbrechens zurückgetrieben zu werden. Jetzt muß ich eine Viertelstunde lang ruhen.“

Er warf sich auf das eine Lager und schloß die Augen, doch nicht, um zu schlafen. Was für Bilder mochten an der Seele dieses noch so jungen Mannes vorüberziehen!

Nach Verlauf einer halben Stunde kam die Negerin Sanna herein und meldete ihm, daß die Schläuche gefüllt seien. Er sprang vom Lager und hob eins der am Boden liegenden Felle auf. Unter demselben gab es eine kleine, verdeckte Vertiefung, aus der er ein mit Blech ausgeschlagenes Kistchen nahm. Es enthielt Munition, von welcher er den an seinem Gürtel hängenden Beutel füllte. Dann stieg er auf der Leiter zur Decke empor, um sich mit Fleisch zu versehen. Als dies geschehen war, ging er hinaus an den See, an dessen Ufer acht große, mit Wasser gefüllte Lederschläuche lagen, von denen je zwei und zwei durch einen breiten Ledergurt und mehrere Riemen verbunden waren, Mit dem Inhalte dieser Schläuche hatte Bloody-Fox schon manchen verirrten Reisenden vom Tode des Verschmachtens errettet.

Fünf Pferde waren es, welche sich am kleinen See befunden hatten. Eins von ihnen bekam den Reitsattel aufgelegt, welchen Fox dem ermüdeten Rappen abnahm; die anderen bekamen die Schläuche zu tragen, und zwar in der Weise, daß ihnen der Gurt auf den Rücken und rechts und links je ein Schlauch zu liegen kam und die Vorrichtung dann mittels der, Riemen befestigt wurde. Die Pferde wurden aneinandergehängt, das eine mit dem Zügel an den Schwanzriemen des anderen, so daß das Reitpferd als vorderstes kam; dann stieg Bloody-Fox in den Sattel.

Die Negerin hatte bei diesem Arrangement mit kundiger Hand geholfen; es war heute nicht zum erstenmal. Jetzt sagte sie:

„Massa Fox kaum da, schon gleich gehen wieder in Gefahr! Was werden aus alt, arm Sanna, wenn Massa Fox mal werden schießen tot und nicht wiederkommen?“

„Ich komme wieder, hebe Sanna,“ antwortete er. „Mein Leben steht unter einem mächtigen Schutze. Wäre das nicht der Fall, so lebte ich längst nicht mehr; das glaube mir!“

„Aber Sanna stets so ganz allein! Gar niemand haben, mit dem sie reden, als nur Pferd und Papageien und Bild von Little-Bob!“

„Nun, vielleicht bringe ich bei meiner diesmaligen Wiederkehr Gesellschaft mit. Ich treffe mit Männern zusammen, denen ich mein Home gern zeigen werde, obgleich ich es bisher geheim gehalten habe. Es ist auch ein Neger dabei, welcher Bob heißt, gerade so wie dein Dearling-Boy.“

„Nigger Bob? O Jessus, Jessus! Haben er wohl eine Mutter, welche Susanna heißen, aber Sanna genannt werden?“

„Das weiß ich nicht.“

„Sein er verkaufen aus Tennessee nach Kentucky?“

„Ich habe ihn nicht gefragt.“

„Am End es sein mein Little-Boy!“

„Was fällt dir ein! Tausend Niggers heißen Bob. Wie kannst du denken, daß gerade dieser der deinige sei! Mache dir nicht solche Gedanken! Vielleicht bringe ich ihn mit, und dann kannst du mit ihm selbst sprechen. Lebe wohl, Sanna; pflege den Rappen gut!“

„Leben wohl, Massa! O Jessus, Jessus, nun Sanna wieder allein! Bringen mit Nigger Bob, bringen mit!“

Er nickte ihr freundlich zu und setzte dann seine Tropa in Bewegung, mit welcher er schnell unter den Bäumen verschwand.

Die Cypressen, Cedern und Sykomoren am Wasser waren alte Bäume; die Mandel- und Lorbeerbäume aber hatte Bloody-Fox gepflanzt, ebenso das Wäldchen von Kastanien, Mandeln und Orangen, durch welches er jetzt ritt. Dann folgte ein Streifen dichter, schnell wachsender Sträucher, welche bestimmt waren, Wind und Sand von der kleinen Oase abzuhalten. Der junge Mann hatte vom See her schmale Gräben gezogen, um dieses Buschwerk zu bewässern, welches, wo die Feuchtigkeit des Bodens aufhörte, schnell in an der Erde hinkriechende Kaktusarten überging, bis dann die kahle, vegetationslose Sandfläche der Llano folgte.

Hier angekommen, wo er die notwendige Schnelligkeit entfalten konnte, setzte er seine Tropa in Galopp, so daß sie bald als dunkler Punkt am fernen Horizonte verschwand – – – – – – Einen halben Tagesritt im Nordwesten der Passiflorenhütte bewegte sich um die Mittagszeit desselben Tages ein ansehnlicher Reitertrupp in nordöstlicher Richtung durch die Llano estakata. Voran ritt Winnetou mit dem Häuptling der Komantschen, hinter ihnen der Bärenjäger mit Martin, seinem Sohn; dann folgten nebeneinander Ben New-Moon, Porter, Blount und Falser, und den Zug beschlossen die Krieger der Komantschen.

Sie ritten so schweigsam, als ob sie jeden Laut mit dem Leben eines der Ihrigen bezahlen müßten. Die Auge der Hinteren schweiften suchend nach links und rechts oder forschend über den vor ihnen liegenden Horizont, meist aber waren sie auf die beiden Anführer, besonders auf Winnetou gerichtet, welcher so im Sattel saß, daß er zur Seite tief vom Pferde herniederhing, und die Fährte, weicher sie folgten, genau beobachten konnte.

Das war die Spur der Brüder Cortejo, welcher sie bisher gefolgt waren, und von welcher sie sich nach der Murding-Bowl leiten lassen wollten.

Da hielt Winnetou plötzlich sein Pferd an und sprang aus dem Sattel. Dem Boden, welcher aus leichtem Sande bestand, waren weit mehr Spuren aufgedrückt als bisher. Es sah ganz so aus, als ob mehrere Reiter hier ein Ringelrennen abgehalten hätten. Es waren nicht nur Huf-, sondern auch Fußspuren zu sehen. Die Reiter, welche hier gewesen waren, hatten den Sattel verlassen, um irgend eine sichtbare Fährte genau in Augenschein zu nehmen.

Während die anderen hielten, untersuchte Winnetou jeden Schritt breit der aufgewühlten Stelle. Dann ging er langsam und vornüber gebeugt eine ganze Strecke nach rechts hin. Als er zurückkehrte, sagte er zum Häuptling der Komantschen, so daß alle es hören konnten:

„Hier sind die beiden Bleichgesichter auf eine Fährte gestoßen und abgestiegen, um dieselbe zu lesen. Die Spur stammt von fünf Pferden, welche zusammengebunden gewesen sind, eins hinter dem anderen. Hätten mehrere Reiter auf diesen Pferden gesessen, so wären dieselben nicht aneinander gefesselt gewesen; also war es eine Tropa von fünf Tieren mit nur einem Reiter, welcher auf dem vordersten saß. Dieser Reiter ist mit seinem Zuge vor drei Stunden hier vorübergekommen. Die beiden Weißen, welche sich Mexikaner nannten, sind vor zwei Stunden auf seine Spur gestoßen und ihr gefolgt. Mein Bruder der Komantschen mag die Spuren ansehen, deren Kanten teils noch scharf, teils schon eingefallen sind. Er wird auch sagen, daß sie nicht mehr und nicht weniger als mindestens zwei und höchstens drei Stunden alt sind.“

Der Komantsche stieg vom Pferde, um nun seinerseits die Fährte zu untersuchen. Als er das gethan hatte, stimmte er Winnetou vollständig bei.

Nun stieg auch Baumann, der Bärenjäger, ab. Tief zur Erde niedergebückt, bewegte er sich langsam rund um den Platz und dann auch nach rechts hin, und zwar weiter, als Winnetou gekommen war. Dort kauerte er sich nieder, als ob er eine Stelle genauer betrachten wolle. Dann gab er Winnetou einen Wink und sagte, als dieser zu ihm kam, in den Sand deutend:

„Der Häuptling der Apachen wird sehen, daß der Reiter hier abgestiegen ist. Warum mag er das gethan haben?“

Winnetou blickte der Fährte nach rechts hin nach und antwortete:

„Der Mann ist ein Bleichgesicht, wie ich an seinen Füßen sehe. Sein Alter ist das eines jungen Mannes. Er hat Wasser verloren, wie man neben der Spur der Pferde sieht. Von hier an hat dieser Verlust nicht mehr stattgefunden. Also ist er hier abgestiegen, um das Faß oder den Schlauch, den er bei sich gehabt hat und welcher ausgelaufen ist, zu verschließen.“

„Meint mein roter Bruder, daß es nur ein Faß oder Schlauch gewesen sei?“

„Nur eins war es, welches auslief, aber er hat deren acht bei sich gehabt. Zwei werden auf jedes Tier geladen; auf einem Pferde hat er gesessen, fünf aber waren es, folglich haben hinter ihm vier Pferde acht Schläuche getragen.“

„Wozu aber so viel Wasser? Für sich und sein Pferd braucht er es nicht.“

„Nein. Er muß nach einem Orte geritten sein, wo viele es brauchen. Entweder ist er ein Geier, welcher die anderen Raubtiere tränken soll, oder er ist ein ehrlicher Mann, welcher andere ehrliche Leute laben will. Er muß wissen, daß solche Leute vorhanden sind. Wer können diese sein?“

„Vielleicht der Zug der Weißen, welcher überfallen werden soll?“

„Mein Bruder hat wohl das Richtige geraten. Wir wollen uns wieder aufsetzen und den beiden Fährten, welche hier in eine zusammenlaufen, schnell folgen.“

Sie stiegen wieder auf ihre Pferde und ritten in beschleunigtem Tempo den vereinigten Spuren nach, welche nun nicht mehr nach Nordost, sondern genau nach Norden führten.

Es gab nichts als Sand und immer wieder Sand, in welchem sich die Fährte scharf aussprach. Nur hier und da gelangten die Reiter an eine Stelle, an welcher der nackte Fels zu Tage trat; meist aber machte die Llano den Eindruck, als ob sie der Boden eines vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden ausgetrockneten großen Sees sei.

Zuweilen erblickten sie links oder rechts von sich in der Ferne graubräunliche Streifen am Horizonte, welche dort liegende Kaktusstrecken markierten, durch welche niemand reiten konnte.

So ging es weiter und immer weiter.

Die Spuren, denen man folgte, wurden jünger und immer jünger, ein sicheres Zeichen, daß man denen, welchen man folgte, immer näher kam.

Als der Nachmittag fast vergangen war, erreichte die Truppe eine Stelle, an welcher die Spuren sich abermals vervielfachten, doch nicht weil neue dazu gekommen waren, sondern weil hier angehalten worden war. Winnetou stieg vom Pferde, um den Platz zu untersuchen. Er ging eine Strecke weit nach Nord und dann, als er zurückgekehrt war, ebensoweit nach Ost und sagte dann, als er wieder bei den anderen eintraf:

„Der Mann mit dem Wasser ist gerade nach Nord geritten; die beiden Mexikaner haben hier überlegt, ob sie ihm folgen Sollen, sind aber nach Sonnenaufgang geritten. Wem folgen wir?“

„Mein Bruder wird das am besten bestimmen können,“ antwortete der Anführer der Komantschen.

„So will ich meine Meinung sagen. Diejenigen, zu denen der junge Mann will, befinden sich im Norden. Er ist ein guter Mensch, da seine Spur eine andere als diejenige der Mexikaner ist. Wir könnten ihm folgen,‘ um ihn zu warnen. Da aber die Weißen so scharf von seiner Fährte abgebogen sind, muß sich die Murding-Bowl hier in der Nähe befinden. Sie sind hingeritten, um die Geier zu treffen, um sie zu benachrichtigen, daß sie die Spur des Mannes mit dem Wasser gesehen haben. Man wird ihm nacheilen, um ihn zu verhindern, denjenigen, welche er retten will, Wasser zu geben. Seine Fährte ist so jung, daß wir ihn einholen können, bevor es Abend geworden ist. Nun mögen meine Brüder wählen, was wir thun sollen. Wollen wir dem Manne mit dem Wasser folgen, um ihm beizustehen, oder wollen wir nach der Murding-Bowl, um die Geier dort festzunehmen, daß sie ihm nichts anhaben können? Im ersteren Falle werden sie von ihm ablassen, wenn sie uns bei ihm sehen, und uns also vielleicht entgehen. Im letzteren Falle aber ergreifen wir sie wahrscheinlich, und dann steht es uns immer noch frei, ihm nachzureiten und mit ihm zu den weißen Männern zu kommen, welche er aufsuchen will.“

Er hatte ihnen mit diesen Worten die Angelegenheit so klar gemacht, daß eine lange Auseinandersetzung gar nicht notwendig war. Die Komantschen verhielten sich überhaupt schweigend und zuwartend, ihr Anführer ausgenommen. Dieser besprach sich ganz kurz mit den sechs Weißen und erklärte dann dem Apachen:

„Wir werden nach der Murding-Bowl reiten und also der Fährte der beiden Mexikaner folgen. Ist das meinem roten Bruder recht?“

Winnetou nickte zustimmend und lenkte in die nach Osten führende Fährte ein. Hätte er sein Pferd und mit demselben diejenigen seiner Gefährten angestrengt, so wäre es ihm wohl gelungen, die Mexikaner schnell einzuholen; doch lag dies keineswegs in seiner Absicht. Je eher er die beiden erreichte, desto weniger durfte er hoffen, zu erfahren, wo sich die Murding-Bowl befand. Es lag ihm sehr viel daran, diesen Ort zu sehen; darum behielt er einstweilen nur diejenige Schnelligkeit bei, welche, wie aus den Spuren zu ersehen war, die beiden Verfolgten eingehalten hatten. – – – –

Etwas mehr als einen vollen Tagesritt nordöstlich von dem Passiflorenhäuschen entfernt bewegte sich eine lange Schlange, nicht in Windungen, sondern als gerade Linie durch den dort sehr tiefen Sand der Estakata. Das Wort Schlange ist hier bildlich gemeint, denn die langgestreckte Linie bestand aus wohl an die zwanzig Ochsenwagen, welche in gewissen Abständen hintereinander fuhren und von bewaffneten Reitern begleitet wurden.

Die Wagen waren stark gebaut und jeder mit sechs oder acht Ochsen bespannt, welche die schweren Lasten nur langsam vorwärts schleppten. Die Tiere waren müde und außerordentlich erschöpft. Auch den Pferden, auf welchen die Reiter saßen, sah man es an, daß sie die letzteren kaum noch zu tragen vermochten. Die Zungen hingen ihnen aus den Mäulern; ihre Weichen schlugen, und ihre Beine zitterten im Vorwärtsschreiten.

Auch die Wagenführer gingen ermattet neben den stolpernden Stieren her. Sie senkten die Köpfe und schienen kaum die Kraft zu besitzen, ihre riesigen Peitschen schwingen zu können, um die Zugtiere zu einer letzten Anstrengung anzutreiben. Menschen und Tiere machten den Eindruck einer Karawane, welche dem Verschmachten nahe ist.

Nur das Pferd des voranreitenden Führers zeigte eine Frische der Bewegungen, welche auf keine Ermattung schließen ließ. Der Reiter aber saß gerade so schwer nach vorn gebeugt wie die anderen im Sattel, als ob er ebenso wie sie unter dem entsetzlichen Wassermangel zu leiden habe; aber wenn eine der Frauen oder eins der Kinder, welche in den Wagen saßen, einen Klageruf ertönen ließ, so richtete er sich unwillkürlich kräftig auf, und um seinen lippenlosen Mund spielte ein Lächeln teuflischer Befriedigung.

Dieser Mann war kein anderer als Tobias Preisegott Burton, der fromme Missionär der Mormonen, welcher die Aufgabe übernommen hatte, die ihm Anvertrauten dem sicheren Verderben entgegenzuführen.

jetzt gab der vorderste Reiter seinem Pferde die Sporen, daß es ihn durch eine außerordentliche Anstrengung an Burtons Seite brachte.

„Sir,“ sagte er, „es kann nicht länger so fortgehen! Wir Menschen haben seit vorgestern keinen einzigen Schluck bekommen, weil wir das letzte Wasser für unsere Tiere aufheben mußten. Und das ist seit gestern früh zu Ende, da die letzten beiden Fässer ganz unbegreiflicherweise ausgelaufen sind.“

„Das macht die Hitze,“ erklärte Burton. „Die Faßdauben schlossen nicht mehr, weil sie von der Hitze gezogen wurden.“

„Nein, Sir. Ich habe die Fässer untersucht. Solange noch Wasser im Fasse ist, schließen die Dauben fest. Sie sind angebohrt worden, so daß das Wasser während der Nacht leise und unbemerkt auströpfeln konnte. Wir haben einen Menschen unter uns, welcher uns verderben will.“

„Unmöglich! Wer heimlich das Wasser laufen läßt, muß doch selbst verschmachten!“

„Das habe ich mir selbst gesagt, aber dennoch ist es so. Ich habe es für mich behalten und keinem ein Wort gesagt um die allgemeine Sorge nicht zu vergrößern. Ich habe ferner jeden einzelnen heimlich beobachtet, aber nichts gefunden, woraus ich schließen könnte, wer es gewesen ist. Die Tiere verschmachten; sie können kaum mehr vorwärts; die Frauen klagen, und die Kinder schreien nach Wasser – vergeblich, denn es ist kein einziger Tropfen mehr vorhanden. Schaut in die Höhe! Dort oben schweben die Geier, als ob sie wüßten, daß wir ihnen bald zur Beute fallen werden. Seid Ihr auch gewiß, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden?“

Burton selbst war es gewesen, welcher während der Nacht die beiden Fässer angebohrt hatte. Dabei hatte er getrunken und auch seinem Pferde zu trinken gegeben. Ferner hatte er die große Blechkapsel gefüllt, welche, vorsichtig in ein Fell gebunden, hinter seinem Sattel angeschnallt war, damit er nach hereingebrochener Dunkelheit sich und das Pferd heimlich erquicken könne.

„Natürlich!“ antwortete er, indem er auf die Stangen deutete, welche in gewisser Entfernung voneinander im Sande steckten. „Da sehen Sie ja unsere Wegweiser, auf welche wir uns mit Sicherheit verlassen können.“

„Mit Sicherheit? Wir alle haben gehört, daß diese Stangen von den Geiern der Llano zuweilen ausgezogen und in einer Richtung eingesteckt werden, welche den Reisenden zum Tode des Verschmachtens führt.“

„Ja, das ist früher vorgekommen; jetzt aber geschieht es nicht mehr, da man diesen Halunken das Handwerk gelegt hat. Übrigens kenne ich die Gegend sehr genau und weiß, daß es die richtige ist.“

„Ihr sagtet heute früh, wir befänden uns mitten im größten Schrecken der Llano. Warum hat man die Stangen gerade durch diese Gegend gesteckt? Anderwärts kämen wir wohl an eines der großen Kaktusfelder, deren Früchte so viel Feuchtigkeit enthalten, daß wir uns und unsere Tiere laben könnten.“

„Es würde das ein zu bedeutender Umweg sein. Um Euch zu beruhigen, will ich Euch die Versicherung geben, daß wir, wenn wir uns etwas mehr beeilen, am Abend ein solches Feld erreichen werden. Morgen kommen wir dann an eine Quelle, welche all unserer Not ein Ende macht.“

„Wenn wir uns mehr beeilen! Ihr seht ja, daß die Tiere unmöglich schneller vorwärts können!“

„So wollen wir halten, damit sie sich ausruhen können.“

„Nein, nein; das dürfen wir nicht. Halten wir einmal an, so sind sie dann nicht weiter zu bringen. Wenn sie sich einmal gelegt haben, stehen sie sicherlich nicht wieder auf. Wir müssen sie immer und immer antreiben, daß sie weiter wanken, bis wir den Kaktus erreichen, den Ihr erwähntet.“

„Ganz wir Ihr wollt, Sir! Ich schmachte nicht weniger als ihr, doch sehe ich zu meinem Troste, daß kurz vor uns noch andere auf demselben Wege geritten sind. Seht Euch die Spuren an, auf welche wir heute früh gestoßen sind! Das ist ein starker Reitertrupp, der sich schwerlich in diese Richtung wagen würde, wenn die Leute nicht wüßten, daß es die richtige ist. Wir haben nichts, gar nichts zu befürchten. Morgen um diese Zeit ist alles vorüber.“

Er hatte mit diesen Worten sehr recht, denn seiner Meinung nach sollte noch vor der angegebenen Zeit der beabsichtigte Angriff geschehen. Daß der erwähnte Reitertrupp aus seinen Genossen bestand, welche die Stangen in eine falsche Richtung gesteckt hatten, das sagte er freilich nicht. Er lachte heimlich in sich hinein, als der andere sich durch diese zweideutigen Worte beruhigt zeigte. –

. Zwischen dem mehrerwähnten Passiflorenhäuschen und der Murding-Bowl erstreckte sich ein mehrere Stunden langes und fast ebenso breites und undurchdringliches Kaktusfeld. Kein Pferd, kein Reiter konnte da hindurch. Das war der Grund, daß Bloody-Fox diese Richtung niemals eingeschlagen hatte und an die Bowl gekommen war. Er jagte am westlichen Rande dieses Feldes nach Norden. Wäre er dann am nördlichen Rande nach Ost gebogen, so hätte er unbedingt die Bodenvertiefung entdecken müssen, welche bereits so vielen verderblich geworden war. Aber er wußte diejenigen, welche er retten wollte, im Nordost von sich, und darum schlug er, als der Kaktus hinter ihm lag, diese Richtung ein.

Die Sonne brannte glühend hernieder. Er fühlte ihre Wärme belästigend durch seinen Anzug dringen. Seine Pferde schwitzten; aber er gönnte ihnen keine Ruhe. Unausgesetzt den Horizont musternd, ritt er weiter und immer weiter.

Jetzt tauchten da, wo im Nordost der Himmel sich mit der Erde zu vereinigen schien, eine Anzahl zerstreuter, dunkler Punkte auf.

„Das sind die Emigranten!“ rief er erfreut aus. „Ich wußte, daß sie von dorther kommen mußten. Ich treffe wohl gerade zur rechten Zeit auf sie.“

Er trieb sein Pferd durch die Sporen und die ihm folgenden Packtiere durch laute Zurufe an, daß sie im Sturme mit ihm über die Ebene flogen.

Zwar bemerkte er bereits nach kurzer Zeit, daß er nur Reiter aber keine Wagen vor sich habe, aber er glaubte, daß diese Leute den Vortrab der Auswanderer bildeten, und hielt infolgedessen gerade auf sie zu.

Erst als er ihnen ziemlich nahe gekommen war, fiel ihm nicht nur die bedeutende Anzahl dieser Reiter, sondern auch deren Verhalten auf. Sie hatten nun auch ihn bemerkt. Anstatt aber sein Nahen ruhig zu erwarten, teilten sie sich in drei Trupps. Der eine Trupp blieb halten; die beiden anderen ritten nach rechts und nach links ab, Bloody-Fox entgegen, als ob sie ihn umfassen und ihm die Rückkehr abschneiden wollten.

Das mußte ihn natürlich in seiner bisherigen guten Meinung irre machen. Er richtete sich hoch im Sattel auf und überblickte die Situation.

Heavens!“ rief er aus. „Es sind über dreißig Personen. So stark kann doch keine Vorhut von Auswanderern sein 1 Sie haben einige Lastpferde bei sich, welche mit Stangen beladen sind. All devils! Das sind die Llanogeier, denen ich gerade in die Fänge geritten bin! Sie wollen mich fassen. Mit so vielen kann ich es unmöglich aufnehmen. Ich muß also die Flucht ergreifen.“

Er wendete um und jagte zurück. Aber er konnte mit seinen aneinanderhängenden Pferden nicht die gewünschte Schnelligkeit entwickeln, zumal die Tiere bereits ziemlich ermüdet waren. Die Verfolger kamen ihm zusehends näher. Er trieb zwar sein Pferd so viel wie möglich an; es wurde aber durch die an ihm hängenden Lastpferde gehindert. Diese begannen sich zu sträuben. Sie zerrten an den Zügeln und Riemen; sie schlugen hinten und vom aus. Das gab einen Aufenthalt, welcher verhängnisvoll werden konnte, denn die vordersten der Verfolger befanden sich fast schon in Schußweite. Da riß der Schwanzriemen des Reitpferdes, an welchem der Zügel des ersten Lasttieres befestigt war, und die vier Wasser tragenden Rosse brachen seitwärts aus.

„Sie sind verloren, und das Wasser dazu!“ knirschte Fox. „Aber die Bezahlung nehme ich mir sofort.“

Er beruhigte sein Pferd und brachte es zum Stehen. Die Doppelbüchse anlegend zielte er – – ein Schuß, noch einer, und die beiden vordersten seiner Verfolger stürzten von ihren Pferden.

„So, nun vorwärts! jetzt kommen sie mir wohl nicht wieder nahe. Ich kann nun für die Schmachtenden nichts anderes thun, als daß ich Old Shatterhand zu finden suche und ihn auf ihre Fährte bringe.“

Während er diese Worte zornig ausstieß, galoppierte er in nördlicher Richtung davon. Die „Geier“ folgten ihm noch eine Strecke unter wütendem Geschrei; als sie jedoch einsahen, daß sein Pferd jetzt den ihrigen überlegen sei, kehrten sie um, nach der Stelle, an welcher die beiden Erschossenen lagen.

Und abermals ungefähr einen Tagesritt von dem Passiflorenhäuschen entfernt, aber in nördlicher Richtung von demselben, gab es endlich noch einen Reitertrupp, welcher sich nach Süd bewegte. Stark war er nicht durch die Zahl, sondern durch die Intelligenz der Männer, welche ihn bildeten, nämlich Old Shatterhand und seine Begleiter.

Sie folgten einer tief in den weichen Sand getretenen Fährte. Es war diejenige der „Geier“, welche die Richtung nach der Karawane eingeschlagen hatten, um vor derselben die Pfähle auszureißen und in der Richtung nach der Murding-Bowl wieder in den Sand zu stecken.

Old Shatterhand ritt, wie gewöhnlich, voran; er hatte Eisenherz, den jungen Komantschen, neben sich. Jim und Tim Snuffle folgten ihnen. Hinter diesen ritt der Hobble-Frank mit dem dicken Jemmy. Den Schluß bildeten die übrigen.

Old Shatterhand verhielt sich schweigend. Er ließ die Fährte und den Punkt des Horizontes, nach welchem dieselbe zeigte, kaum einen Augenblick aus dem Auge. Nur diese Beobachtung schien ihn zu beschäftigen.

Um so weniger still verhielten sich die anderen, und Frank war der Lauteste von ihnen. Das Gespräch bewegte sich um einen Gegenstand, für den er ein lebhaftes Interesse empfand und über welchen sein Nebenmann eine andere Meinung geäußert zu haben schien, denn der kleine Sachse äußerte in zornigem Tone:

„In wissenschaftlichen Angelegenheeten biste schtets off dem Holzwege oder gar off dem idealen Knüppeldamme; das is doch eene alte Weste! Hättste nich grad mich getroffen, so schtäckste noch heut bis an die schteifen Vatermörder im bornierten Sumpfe und ernährtest deine dunkle Seele mit Sauerampfer und einmarinierten Krötenschenkeln. Waste bist, das habe nur ich aus dir gemacht. Nur meine intellektuelle Buttermilch is es gewesen, durch welche dein schwacher Kopf seine gegenwärtige Geistesschtärke erhalten hat. Darum habe ich das juristikalische Recht, von dir zu verlangen, daß du meine überlegene Rosinante anerkennst. So eene Meenung, wie die deinige, is doch geradezu unerhört! Die Leuchtkugel, welche wir gesehen haben, soll aus dem Firmament gekommen sein! Als ob das Firmament nichts weiter zu thun hätte, als deine dunklen Seelenzuschtände mit glühenden Kugeln und Raketen zu beschtrahlen!“

„So sage uns doch deine Erklärung!“ forderte Jemmy ihn lachend auf.

„Fällt mir gar nich ein!“

„Warum nicht?“

„Weil ich dich dadurch abermals um eenige Grade nach Celsius gescheiter machen würde, ohne daß du es dankbar anerkennst.“

„Oder weil du selbst keine Erklärung weißt!“

„Oho! Ich kann, wie König Salomo, alle Dinge erklären, von der Ceder an bis zum Sirup herunter. Und so eene Leuchtkugel is mir erst recht schnuppe. Sie verdankt ihre Entschtehung eener schwefelhaften Vermählung zwischen dem Phosphor und denjenigen Feuerschwämmen, welche zuweilen …“

Er wurde von einem Ausrufe Old Shatterhands unterbrochen. Dieser letztere deutete mit seiner ausgestreckten Hand nach Süden und sagte:

„Dort kommt ein Reiter, ein einzelner Mann. So ganz allein hier zu reiten, dazu gehört eine große Kühnheit und eine außerordentliche Kenntnis der Llano estakata.“

„Wer mag er sein?“ fragte Tim. „Er scheint sich so schnell wie möglich von außen herum an uns heranschlängeln zu wollen.“

Old Shatterhand hielt sein Pferd an, zog sein Fernrohr aus der Satteltasche, richtete es auf den Reiter, welcher im gestreckten Galopp näher kam, ließ es dann wieder sinken und sagte im Tone der Freude:

„Es ist der Bloody-Fox, der uns so lang entschwunden war. Erwarten wir ihn hier!“

Nach kurzer Zeit erkannte Fox die einzelnen Personen der Truppe. Er schwenkte den Arm zum Gruße und rief bereits von weitem:

„Welch ein Glück, daß ich euch treffe, Mesch’schurs! Ich muß um eure schnelle Hilfe bitten.“

„Für wen?“ fragte Old Shatterhand.

„Für einen Zug von meist deutschen Auswanderern, welche höchst wahrscheinlich noch heute nacht von den Geiern überfallen werden sollen.“

Bei diesen Worten war er herangekommen, hielt sein Pferd an und reichte den Männern die Hand zum Gruße.

„Jedenfalls dieselben, welche wir suchen,“ nickte Old Shatterhand. „Wo sind sie?“

„Im Südost von hier. Sie scheinen gerade auf das große Kaktusfeld zuzuhalten.“

„Das kenne ich nicht.“

„Es ist das größte der ganzen Llano. Ich habe über dreißig Geier gezählt und zwei von ihnen erschossen. Sie haben die Stangen ausgezogen und stecken sie in der Richtung nach dem Kaktus wieder ein. Dort ist kein Hindurchkommen möglich. Daraus kann man mit Sicherheit schließen, daß die Emigranten da ausgelöscht werden sollen.“

„Wie weit haben wir zu reiten, um die Leute einzuholen?“

„Im Galopp über drei Stunden lang.“

Well, dann vorwärts! Wir wollen keine Zeit verlieren. Sprechen können wir auch während des Reitens.“

Nun jagte die kleine Schar wie im Sturme über die Ebene dahin. Bloody-Fox hielt sich an Old Shatterhands Seite und erzählte ihm sein Zusammentreffen mit den „Geiern“ und den Verlust seiner vier Pferde. Der Jäger sah ihn von der Seite an und sagte mit einem bezeichnenden Lächeln:

„Fünf Pferde habt Ihr, Fox? Hm! Hier mitten in der Llano? Ist auch dasjenige dabei, auf welchem da kürzlich der Avenging-ghost an uns vorüberritt?“

„Ja, Sir,“ nickte Fox.

„Dachte es mir!“

„Das Geheimnis ist ja doch nicht mehr festzuhalten, da Ihr auf alle Fälle nun mein Geisternest zu sehen bekommt. Auch werde ich nicht mehr nötig haben, Komödie zu spielen, da es uns nun hoffentlich gelingen wird, die ganze Bande bis auf den letzten Mann auszurotten. Es fehlt mir nur noch einer, einer, einer!“

„Welcher?“

„Der Anführer von damals, als ich allein von allen übrig blieb.“

„Wer weiß, wo seine Gebeine schon längst bleichen. Fox, Ihr seid trotz Eurer Jugend doch ein wahrer Held. Ich habe Respekt vor Euch. Später mögt Ihr uns einmal alles ausführlich erzählen. Schon jetzt aber weiß ich, was für ein Mann Ihr seid und mit welchen Gefahren Ihr siegreich gerungen habt. Aber da Ihr so viele Pferde besitzet und so nach Belieben kommen und verschwinden konntet, so müßt Ihr unbedingt inmitten der Llano estakata einen Platz haben, an welchem es Wasser, Bäume, Gras und Früchte gibt.“

„Den habe ich allerdings. Ich wohne an einem kleinen See jenseits des großen Kaktuswaldes.“

„Ah, gar ein See? So hatte also die alte Überlieferung keine Unwahrheit gesagt! Bitte, beschreibt mir doch einmal den Platz!“

Bloody-Fox that das. Niemand hörte es als Old Shatterhand, und dieser beschloß, dieses Geheimnis jetzt noch nicht preiszugeben.

Nach längerer Zeit erhielten die Pferde die Erlaubnis, langsamer gehen zu dürfen, da man sie nicht allzusehr anstrengen durfte; dann aber mußten sie wieder galoppieren.

Eben als die Sonne unterging, erreichte man die Wagenfährte, der man nun gerade nach Süden zu folgte. Das war nicht schwer, da bald die dünne Sichel des Mondes sich erhob, welche einen genügenden Schein verbreitete. Dann, als man ungefähr noch eine Stunde geritten war, hielt Old Shatterhand plötzlich sein Pferd an, deutete nach vorn und sagte:

„Da sind die Auswanderer. Man sieht ihre Wagenburg. Bleibt hier halten. Ich werde mich einmal anschleichen und euch dann Nachricht bringen.“

Er stieg vom Pferde und huschte fort. Es währte wohl eine halbe Stunde, bevor er zurückkehrte. Dann meldete er:

„Es sind zwölf große Ochsenwagen zu einem Vierecke zusammengeschoben, inmitten dessen die Leute sitzen. Sie haben weder etwas zu essen und zu trinken, noch Material zu einem Feuer. Sie sind von ihrem Führer verraten, sonst müßten sie das alles haben. Die Ochsen liegen stöhnend am Boden; sie sind dem Verschmachten nahe und können morgen früh jedenfalls nicht auf. Das wenige Wasser, welches wir bei uns haben, reicht nicht einmal für die Menschen aus. Um die Tiere zu retten, müssen wir ihnen unbedingt Regen schaffen.“

„Regen?“ fragte Hobble-Frank. „Meenen Sie etwa, daß Sie es hier mitten in der Llano regnen lassen können?“

„Jawohl!“

„Wie? Was? Wirklich? Das geht mir doch fast über die Hutschnur. Sie sind zwar een höchst obligater Mann, aber daß Sie so nach Belieben Wolken hersäuseln können, das hab‘ ich Ihnen, weeß Knöppchen, doch noch nich zugetraut. Wer is denn Ihr Wolkenschieber?“

„Die Elektrizität. Ich habe keine Zeit, Ihnen das jetzt zu erklären. Um Wasser zu machen, brauche ich Feuer, eine möglichst große, brennende Fläche. Bloody-Fox spricht von einem sehr ausgedehnten Kaktusfelde, welches nahe von hier im Süden liegt. Da darf ich hoffen, Ihnen in ganz kurzer Zeit einen gehörigen Platzregen zu fabrizieren. Jetzt aber kommen Sie!“

Er stieg wieder auf und ritt nach der Wagenburg. Die anderen folgten ihm, kopfschüttelnd über den verheißenen Regen und neugierig bezüglich der armen Menschen, zu deren Rettung sie gekommen waren.

Man hatte die Wagen so zusammengeschoben, daß kein Reiter hindurch konnte; aber das Nahen der Retter wurde gehört. Diese stiegen vor der Wagenburg von ihren Pferden. Sie hörten, daß im Innern derselben jemand rief:

„Horcht! Es kommen Menschen. Herrgott, sollten sie Hilfe bringen? Oder sind es Räuber?“

„Wir sind keine Räuber. Wir bringen euch vor allen Dingen Wasser,“ antwortete Old Shatterhand laut. „Kommt her und laßt uns ein!“

Zounds!“ rief eine andere unwillige Stimme. „Sollte etwa gar… wartet ihr anderen, ich werde nachsehen!“

Der Mann kam herbei, lehnte sich über eine Deichsel herüber und fragte:

„Wer seid ihr, Fremde?“

„Man nennt mich Old Shatterhand, und hier sind meine Gefährten, lauter ehrliche Leute.“

„Old Shat…. hole Euch der Teufel!“

Der Mann, welcher die Retter mit dieser Verwünschung empfing, anstatt ihnen entgegenzujauchzen, war kein anderer als Master Tobias Preisegott Burton.

„Ah, Ihr seid es!“ sagte Old Shatterhand, der ihn trotz der Dunkelheit erkannt hatte. „Freut mich außerordentlich, Euch hier zu treffen!“

Aber Burton war schon fort. Er erkannte, daß er keinen Augenblick länger bleiben dürfe. Darum glitt er nach der entgegengesetzten Seite, wo sein Pferd stand, zog schnell eine Deichsel aus dem Wagen, um sich einen Ausgang aus dem Wagenvierecke zu schaffen, warf sich in den Sattel und jagte davon.

Hinter sich hörte er die frohlockenden Rufe der Leute, welche er dem Verderben geweiht hatte.

„Wartet nur!“ knirschte er. „Ich kehre bald zurück, und dann sollen mit euch auch die verloren sein, welche als eure Helfer kommen. Old Shatterhand! Welch einen Fang werden wir machen!“

Er brauchte gar nicht weit zu reiten. Nach einer kleinen Viertelstunde stieß er auf seine Genossen, welche hier auf ihn warteten, damit er sie zum Massenmorde abholen sollte.

Sie zeigten sich keineswegs darüber enttäuscht, daß ein so berühmter Jäger, wie Old Shatterhand zu den Auswanderern gestoßen war. Sie freuten sich vielmehr darüber, weil dadurch die zu erwartende Beute vermehrt wurde. Daß ihr Anschlag mißlingen könne, das hielten sie gar nicht für möglich. Freilich konnten sie ihre Opfer nun nicht ohne Kampf überwältigen, aber siegen mußten sie, wenn sie die Zeit des Morgengrauens erwarteten, wo man dann den Freund vom Feinde besser unterscheiden konnte, als jetzt, während der Nacht.

Die beiden angeblichen Mexikaner befanden sich auch schon bei dieser Schar. Sie hatten in der Murding-Bowl nur einen einzelnen Posten gefunden und waren von demselben hierher geführt worden. Sie erzählten ihr Erlebnis im „singenden Thale“ und richteten damit große Freude an. Es wurde beschlossen, erst die Emigranten zu überwältigen und dann Winnetou aufzusuchen, um ihn und seine Begleiter zu überfallen, was auch eine reiche Beute ergeben mußte.

Daß der Apache schon in der Nähe sein könne, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Und doch war er da.

Er war mit seiner Truppe nach der Murding-Bowl gekommen, hatte sie aber leer gefunden. Dieses „Mordbecken“ bestand aus einer schroffen und ziemlich tiefen Bodensenkung, deren Grund stets eine trübe Wasserlache trug. Vielleicht stammte diese Feuchtigkeit von dem nicht allzuweit entfernten See im „Geisterneste“; wenn sie auch trübe war, so bildete sie doch hier inmitten der öden Llano eine große Kostbarkeit, so daß die „Geier“ diesen Ort als feste Station benutzten. So oft sie sich über die Plains zerstreuten, immer kehrten sie wieder nach hier zurück, wo stets einer von ihnen bleiben mußte, um den Nachrichtendienst zu versehen.

Heute war dieser Mann mit den Mexikanern fortgeritten, und darum hatte Winnetou den Platz leer gefunden. Sein scharfes Auge sagte ihm aber bald, wohin er sich zu wenden habe. Er folgte der Fährte dieser drei Männer und entdeckte nach Einbruch des Abends den Platz, an welchem die „Geier“ lagerten.

Seine Leute mußten halten bleiben. Er selbst legte sich auf die Erde und kroch wie eine Schlange auf die Gruppe der Räuber zu. Er sah Burton kommen und sich zu ihnen setzen. Leider durfte er sich nicht so weit an sie wagen, daß er ihre Worte hätte verstehen können; aber es gelang ihm wenigstens, sie zu zählen. Dann kehrte er zurück.

„Dreißig und fünf Geier,“ meldete er. „Morgen um diese Zeit wird ihr Fleisch von den wirklichen Geiern gefressen werden.“

„Was haben sie dort vor?“ fragte Ben New-Moon.

„Sie lauem auf Beute, und diese befindet sich im Norden von hier, denn die Mexikaner ritten nach dieser Richtung und eben jetzt kam von dorther der Bote, welcher meldete, daß der Mord beginnen kann. Meine Brüder werden jetzt mit mir nach Norden reiten, wo wir die Leute sicher treffen, welche getötet und beraubt werden sollen.“

Er stieg wieder auf und ritt zunächst einen ziemlich weiten Bogen, damit er und die Seinigen nicht bemerkt werden könnten; dann bog er wieder in die beabsichtigte Linie ein.

Nach der schon bei Burton angegebenen Zeit sahen sie die Wagenburg vor sich liegen. Jetzt standen Posten vor derselben; Old Shatterhand hatte Vorsichtsmaßregeln getroffen. Als sie von diesen Leuten angerufen wurden, antwortete Winnetou:

„Die weißen Männer dürfen keine Sorge haben. Hier ist Winnetou, der Häuptling der Apachen, welcher ihnen Hilfe, Fleisch und Wasser bringt.“

Seine sonore Stimme war deutlich zu hören. Kaum war das letzte Wort verklungen, so hörte man in dem Innern der Wagenburg den Hobble-Frank freudig ausrufen:

„Winnetou? Da sei Victoria getrommelt und gepfiffen; denn wo der Apache is, da muß ooch der Bärenjäger und sein kleiner Martin sein! Laßt mich ’naus; ich muß sie alle beede angtukah umärmeln! Nee, so eene Weihnachten! Hier mitten in der Sahara und bei fast schtockdunkler Nacht mit meinen besten Freunden zusammenzurennen, da is doch die Freede gar zu groß!“

Er kam über einen Wagen geklettert und von demselben herabgesprungen, blieb aber erstaunt stehen, als er die Schar der Komantschen erblickte.

„Alle Wetter, was is denn das?“ fragte er. „Da hält ja een ganzes Bataillon Kavallerie vor unserer Thüre! Das kommt mir merschtenteels verdächtig vor. Kommen Sie mal ‚raus, Herr Old Shatterhand, und sehen Sie sich mal die Geister an, die allhier zu Pferde nachtwandeln!“

Aber schon hing Martin Baumann an seinem Halse und zugleich schlang auch der Bärenjäger die Arme um ihn. Das gab ein herzliches Frohlocken. Auch Winnetou begrüßte den alten Bekannten erfreut und sagte dann:

„So muß mein Bruder Shatterhand hier sein. Hat er meine Stimme nicht gehört?“

„O doch! Hier bin ich!“ rief der Genannte, welcher mit Hilfe einiger anderer schnell zwei Wagen auseinander geschoben hatte und nun heraustrat, um den roten Freund an seine Brust zu drücken. Die anderen folgten nach, Jemmy, Davy, der Juggle-Fred, Jim und Tim; die ersteren, um die Freunde zu begrüßen, die letzteren, um so schnell wie möglich Winnetou zu sehen. Das gab ein reges Fragen und Antworten, ein Drücken und Schütteln der Hände, aber ohne allen Lärm, wie es die Lage mit sich brachte.

Aber ernst und traurig stand der junge Eisenherz bei seinen Komantschen, welche erstaunt waren, ihn hier zu finden, und erzählte ihnen von der Ermordung ihres Häuptlings, seines Vaters. Sie hörten ihn schweigend an und sagten kein Wort dazu; aber in ihrem Innern war den „Geiern“ der Tod geschworen.

Nachdem die Begrüßung vorüber war, entwickelte sich ein zwar stilles aber höchst geschäftiges Treiben in der Wagenburg und um dieselbe. Sie wurde erweitert, damit auch die Komantschen im Innern Platz finden könnten. Die Geier sollten nicht bereits von weitem sehen, daß sie es jetzt mit einer solchen Zahl von Gegnern zu thun hätten. Auch die Pferde wurden hineingeschafft. Die Komantschen verteilten ihr Fleisch und auch das Wasser, welches sie in ausgehöhlten Flaschenkürbissen mit sich führten, unter die Auswanderer, denn Old Shatterhand versprach, daß man bald größeren Vorrat haben werde. Dennoch reichte es nicht aus, den Durst dieser armen Leute völlig zu stillen.

Es gab noch einzelne interessante und ganz unerwartete Szenen, wie zum Beispiele diejenige, als Ben New-Moon den Juggle-Fred erkannte, welcher ihn damals von der Mörderhand des Stealing-Fox errettet hatte. Bald jedoch herrschte tiefe Stille um die Wagenburg. Zwar schlief keiner, aber diejenigen, welche einander so viel zu erzählen hatten, sprachen nur im Flüstertone, so daß außerhalb der Wagenburg kein Laut zu hören war.

Old Shatterhand hatte das Kommando übernommen. Er saß neben Bloody-Fox, um sich den Lebenslauf desselben und dann vor allen Dingen auch die Gegend, in welcher sie sich jetzt befanden, auf das genaueste beschreiben zu lassen. Es sollte womöglich keiner der „Geier“ entkommen, damit dem Treiben derselben ein für allemal ein Ende gemacht werde.

Ganz besonders interessierte es ihn, zu hören, daß neben der großen südlichen Kaktusstrecke ostwärts noch eine zweite liege, welche zwar weit schmäler aber noch viel länger als die erstere sei. Fox sagte, daß sich zwischen beiden ein ziemlich schmaler Sandstreifen südwärts ziehe, auf welchem man nach seinem „Geisterneste“ gelangen könne.

„Gut!“ sagte Old Shatterhand. „So kann kein einziger dieser Halunken entkommen. Sollten sie unsere Überzahl ja zu früh bemerken, oder sollten sie nach dem ersten Angriffe fliehen, so jagen wir sie zwischen diese beiden Kaktusstrecken hinein und brennen dieselben an. Dadurch erhalten wir zugleich auch Wasser für die Zugtiere, welche nicht verschmachten dürfen.“

„Aber da werden die Geier meinen See erreichen und von da aus entkommen!“

„Nein, Fox, denn Ihr werdet gleich jetzt mit zehn Komantschen dorthin aufbrechen, um die Kerls, welche wir getrieben bringen, dort in Empfang zu nehmen. Sie kommen zur rechten Zeit dort an, denn ich wette, daß der Angriff erst gegen Morgen erfolgt.“

Dieser Plan wurde sofort ausgeführt. Man öffnete die Wagenschanze noch einmal, um Fox mit den Komantschen hindurch zu lassen; dann herrschte wieder die tiefste Ruhe rund umher.

Die Posten standen weit außerhalb der Wagenburg und hatten den Befehl, sich beim Nahen der Feinde schnell und still, zwischen den Rädern hindurchkriechend, in das Innere zurückzuziehen. Dort standen die gesattelten Pferde zur augenblicklichen Verfolgung der Fliehenden bereit, und jeder Reiter hatte seine bestimmte Instruktion erhalten.

So verging die Nacht. Im Osten erwachte ein leiser Dämmerschein, und die Konturen der Wagen und sonstigen Gegenstände traten deutlicher hervor. Es gab keine Spur von Morgennebel. Die Dämmerung wurde heller, und nun sah man die „Geier“ zu Pferde südwärts halten, vielleicht wenig über tausend Schritte entfernt.

Sie hielten ihre Zeit für gekommen und setzten ihre Pferde in Bewegung. Im Galopp kamen sie heran. Sie waren überzeugt, daß hinter den Wagen höchstens ein einziger Wächter munter sei.

Die Posten hatten sich zurückgezogen, und alle Männer standen an der Seite der Wagenburg, von welcher der Angriff kam.

„Schießt nicht auf die Pferde, sondern auf die Reiter!“ gebot Old Shatterhand.

jetzt waren die „Geier“ nur noch hundert, noch achtzig, noch fünfzig Schritte entfernt.

„Feuer!“ rief Old Shatterhand.

Über dreißig Schüsse krachten. Die Schar der Angreifer bildete augenblicklich einen wirren Haufen. Tote und Verwundete stürzten von den Pferden; die ledig gewordenen Tiere rannten weiter. Die anderen wurden von ihren Herren, welche nicht oder nur leicht verwundet waren, zurückgerissen; ihrer waren kaum noch über zehn.

„Hurra, hurra! Old Shatterhand und Winnetou!“ schrie der Hobble-Frank.

Als die „Geier“ nun auch den letzteren Namen hörten und die Höhe ihrer so blitzschnellen Verluste sahen, kehrten sie schnell um und jagten von dannen, nach Süden zu, Master Tobias Preisegott Burton als der Erschrockenste an ihrer Spitze.

„Hinaus! Und jeder an seinen Platz!“ gebot Old Shatterhand.

Zwei Wagen wurden schnell entfernt, so daß alle hindurch konnten. Die Emigranten rannten laut der vorher erhaltenen Weisung auf die Toten und Verwundeten zu. Die anderen alle, welche sich mit den letzteren nicht aufhalten sollten, traten die Verfolgung der Flüchtigen an, mit welcher sie es aber nicht gleich allzu eilig nahmen.

Nur zwei entwickelten die ganze Schnelligkeit ihrer Pferde, indem sie gegen Südwesten sprengten, wo sie die Kaktusfläche in Brand stecken sollten. Diese beiden waren Jim und Tim Snuffie.

Zehn Komantschen ritten ostwärts, um dann nach Süden einzubiegen und den Fliehenden den Weg ostwärts zu verlegen, damit sie gezwungen seien, zwischen die beiden Kaktusfelder einzubiegen. Die anderen, Old Shatterhand und Winnetou an der Spitze, ritten im Trabe nach Süden, hinter den „Geiern“ her, welche galoppierten und ihnen also zu entkommen schienen.

Diese Menschen waren voller Wut, ihren Anschlag in dieser Weise mißglückt zu sehen. Sie jagten still dahin, ohne miteinander zu sprechen. Nur Flüche wurden ausgestoßen. Erst als sie die Murding-Bowl erreichten, hielten sie an.

„Was nun?“ fragte Burton, welcher keuchend auf dem Pferde saß. „Hier können wir nicht bleiben, denn die Hunde sind hinter uns her.“

„Natürlich!“ stimmte Carlos Cortejo bei, welcher ebenso wie sein Bruder unverwundet geblieben war. „Geradeaus durch den Kaktus können wir nicht; also rechts ab. Kommt!“

Sie schlugen die angegebene Richtung ein, sahen da aber bald von fern einen dicken Rauch aufsteigen.

All satans!“ rief Emilio. „Dort sind sie uns zuvorgekommen. Sie haben den Kaktus angebrannt. Zurück also!“

Sie jagten wieder zurück, an der Murding-Bowl vorüber und nach Osten zu. Nach kaum zehn Minuten sahen sie links von sich Old Shatterhand, welcher mit seiner Schar in der Diagonale auf sie ritt. Das erfüllte sie mit Schreck. Sie spornten ihre Pferde auf das äußerste an, um vorüber zu kommen, was ihnen auch gelingen zu wollen schien.

Dann wollten sie seitwärts ausbrechen. Bald aber erkannten sie, daß dies unmöglich sei, denn sie sahen nun auch die zehn Komantschen, welche weit draußen hielten und ihnen den Weg verlegten.

„Heut‘ ist der Teufel los!“ schrie Burton. „Ich glaube gar, dieser Winnetou ist mit dabei. Wenigstens hörte ich seinen Namen rufen. Wir müssen rechts ab, zwischen den Kaktus hinein!“

„Gibt es denn da einen Ausweg und nicht etwa eine Sackgasse?“ fragte Carlos.

„Weiß, es nicht. Bin all mein Lebtage nicht dort hinein gekommen. Es bleibt uns aber nichts anderes übrig.“

„Dann nur schnell, damit das Feuer nicht eher kommt als wir!“

Sie jagten nach rechts, südwärts, gerade dahin, wohin Old Shatterhand sie hatte haben wollen. Und nun gab auch dieser endlich seinem Pferde die Sporen. Links von ihm kamen die zehn Komantschen, rechts die beiden Snuffles, die ihre Aufgabe gelöst hatten, herbei, und nun galoppierten alle hinter den „Geiern“ drein, zwischen die Kaktusfelder hinein, dem fernen „Geisterneste“ zu.

Wohl hatte Carlos Cortejo recht gehabt, vor dem Feuer zu warnen. Es kam herbei, erst zwar langsam, dann aber immer schneller und schneller.

Jahrhundertelang hatten die papierdürren Kaktusreste da gelegen, von Zeit zu Zeit neue Pflanzen treibend. Das gab einen Stoff wie Zunder. Die Flammen leckten erst leise um sich her; dann begannen sie zu laufen, zu springen und schlugen haushoch empor. Bald stand die ganze breite, breite Fläche in hellem, lückenlosem Feuer, dessen Prasseln von weitem wie ein ferner Donner zu hören war. Die aufsteigende Hitze erzeugte einen Luftstrom, welcher immer stärker wurde und sich gar zum Winde erhob. Je mehr das Feuer um sich griff, je weiter es nach Süden schritt und da eine Fläche von verschiedenen englischen Quadratmeilen bedeckte, desto sichtlicher trat das ein, was Old Shatterhand erwartet hatte. Der Himmel verlor sein Blau, wurde erst fahlgelb, dann grau, dunkler und dunkler, und wirklich, da zogen sich schwere, dunkle Massen zusammen, welche nicht aus Rauch bestanden. Der jetzt sehr starke Wind ballte sie zu dichten Wolken, welche nach und nach den ganzen Himmel zu bedecken schienen.

Die Atmosphäre war glühend heiß; der Sand schien zu brennen. Droben begannen Blitze durch die Wolken zu zucken; einzelne Tropfen fielen, mehrere, immer mehr; jetzt, wahrhaftig, jetzt regnete es wirklich, stärker, immer stärker, bis es schließlich buchstäblich goß wie bei einem tropischen Gewitter.

Die Emigranten hatten ihre schwer verwundeten Feinde einfach erschossen, die Habseligkeiten der Toten zu sich genommen und dann die Pferde derselben zusammengetrieben. Nun sollten sie bis zur Rückkehr ihrer Freunde warten, aber – – ohne Wasser! Da sahen sie das Feuer. Sie bemerkten die Wolkenbildung. Sie fühlten die fallenden Tropfen. Sie standen endlich im erquickenden Regen, im Gewittergusse und holten alle vorhandenen Gefäße herbei, um dieselben sich füllen zu lassen. Die fast verschmachteten Stiere bekamen wieder Leben. Sie brüllten vor Freude; sie wälzten sich im Regen; sie erhielten zu saufen; sie waren gerettet, und mit ihnen ihre Herren, welche ohne diese Tiere nicht mit den Wagen weiter gekonnt hätten – – ein Werk Old Shatterhands. –

Kurz nach Anbruch des Tages war Bloody-Fox mit seinen zehn Komantschen bei der Passiflorenhütte angekommen. Sanna erschrak nicht über die Indianer. Sie freute sich, einmal Menschen zu sehen, fragte aber ihren jungen Herrn sogleich nach dem Neger Bob. Er vertröstete sie auf später und begab sich in die Hütte. Als er wieder heraustrat, hatte er das weiße Büffelfell überhängen.

„Timb-ua-ungva – der Geist der Llano!“ rief Eisenherz, welcher sich mit bei dieser Abteilung der Komantschen befand.

Auch die anderen starrten diese Lösung des oft besprochenen Rätsels an, sagten aber nichts. Bloody-Fox stieg wieder auf und ritt mit ihnen weiter, indem er die Oase wieder verließ und draußen an der südöstlichen Ecke des Kaktuswaldes Stellung nahm. Sein Auge blickte forschend nach Norden.

Jetzt erhob sich da oben eine finstere Wand, gegen welche von unten her helle Flammen zuckten.

„Jetzt bringt das Feuer die Geier getrieben,“ sagte er zu Eisenherz. „Vielleicht findet mein roter Bruder darunter einen der Mörder seines Vaters.“

Er nahm das Gewehr zur Hand. Eisenherz that dasselbe.

Die Wolkenwand näherte sich; noch vor ihr kam das Feuer. Die Luft wurde von Minute zu Minute drückender. Ganz heran konnte das Feuer nicht. Es mußte an der Kaktusgrenze stehen bleiben.

„Uff!“ rief einer der Indianer, nach Norden deutend. „Sie kommen!“

Ja, sie kamen, die Geier; aber es waren nur noch drei. Die anderen waren unterwegs von den Verfolgern ausgelöscht worden. Ihre Pferde trieften vor Schweiß; sie selbst konnten sich kaum noch im Sattel erhalten. Eine Strecke hinter ihnen sah man Old Shatterhand und Winnetou, denen die anderen alle folgten. So kam die wilde Jagd näher. Die beiden Letztgenannten strengten ihre Pferde nicht sehr an. Sie wollten die drei letzten „Geier“ für Bloody-Fox und seine Komantschen aufbewahren.

Der erste war Burton, den beiden anderen weit voran. Er sah die Bäume, ein Wunder auf der Llano, und hielt gerade auf sie zu. Fox lenkte auf ihn ein. Als der Mormone ihn erblickte, schrie er auf vor Entsetzen und schlug auf sein Tier ein, daß es seine letzte Kraft anstrengte, die Bäume zu erreichen.

Jetzt kamen die beiden übrigen. Sie mußten nahe an Eisenherz vorüber. Er erkannte sie, die bei der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen waren. Er zog das Gewehr an die Achsel – zwei Schüsse, und sie stürzten von den Pferden. Er ritt zu ihnen hin, um ihnen die Skalpe zu nehmen.

Indessen jagte Bloody-Fox den frommen Burton, den Schlimmsten von allen, vor sich her, auf die Bäume zu, zwischen denselben hin bis vor die Hütte. Vor derselben brach das Pferd zusammen, und Burton flog aus dem Sattel. Im Nu stand Fox neben ihm, riß das Messer aus dem Gürtel und bog sich nieder, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Aber er fuhr wieder empor und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Beim Sturze war Burton der Hut entfallen, und zugleich wurde sichtbar, daß er eine Perücke getragen hatte. Sie hatte sich vom Schädel gelöst und ließ die natürlichen, kurz geschorenen Haare sehen. Sein Gesicht war durch die Anstrengung des Rittes verzerrt und aufgedunsen und seine Augen blickten starr und gläsern zu dem jungen Manne auf – – er hatte den Hals gebrochen. Jetzt erkannte Bloody-Fox den Mörder seiner Eltern. Er hatte bei jenem Überfalle den Namen desselben rufen hören, und dieser Name Fox war das einzige gewesen, was von seinem Gedächtnisse festgehalten worden war. Er hatte ihn immer und immer genannt und ihn darum von Helmers als seinen eigenen bekommen.

Jetzt kamen auch die anderen herbeigestürmt. Sie alle. außer Old Shatterhand, waren ungemein erstaunt, als sie Bloody-Fox in dem weißen Büffelfell erblickten.

„Der Geist – der Geist der Llano – Bloody-Fox ist es – also er, er ist’s gewesen!“ so erschallten die Rufe durcheinander.

Fox achtete nicht darauf. Er deutete auf Burtons Leiche und sagte:

„Da ist er, der Mörder! Darum kam er mir so bekannt vor! Nun ist er tot, und ich werde nie erfahren, wer meine Eltern gewesen sind!“

Ben New-Moon sah den Toten und rief:

„Der Stealing-Fox! Endlich ist er unschädlich gemacht! Schade, daß er den Hals gebrochen hat. Nun muß ich ihm meine Kugel für immer schuldig bleiben!“

„Wohl ihm, daß er tot ist!“ sagte Old Shatterhand ernst. „Mit ihm sind alle Geier ausgelöscht, und nun wird es Ruhe in der Llano geben. Und sollten ja noch einer oder einige existieren, so wird es von hier aus leicht sein, gegen sie auf die Jagd zu gehen. Eine solche Oase konnte niemand hier vermuten.“

Bob war natürlich auch da. Er achtete aber weder auf den Toten noch auf den jetzt entdeckten Geist der Estakata. Sein Auge war auf die Negerin gefallen und das ihrige auf ihn. Sie eilte zu ihm hin und fragte hastig:

„Sein du etwa Neger Bob?“ Und als er nickte, fuhr sie fort: „Heißen deine Mutter Sanna? Haben du schon einmal sehen dieses Bild mit Sanna und ihr klein Smalling-Bob?“

Sie hielt ihm die alte Photographie entgegen. Er warf einen Blick auf dieselbe und flog mit einem Jubelrufe vom Pferde. Sie hielten sich umschlungen und vermochten längere Zeit ihrem Entzücken nur durch unartikulierte Laute Ausdruck zu verleihen.

Es ist nur weniges hinzuzufügen. Die „Geier“ waren besiegt, und eine Abteilung der Komantschen ritt fort, die Emigranten herbeizuholen; diese sollten sich hier am Passiflorensee erholen und dann durch die Llano begleitet werden. Das Feuer verlöschte, als es keine Nahrung mehr fand, und die weite Kaktusfläche lag in Asche tot.

Desto regeres Leben herrschte in und am Geisterneste. Bloody-Fox war der Held des Tages; er mußte seinen ganzen Lebenslauf ausführlich erzählen. Sein Bericht zeigte fast nur düstere Momente. Dennoch sprach er den festen Entschluß aus, für immer hier zu bleiben, um die Llano von „Geiern“ rein zu halten. Sanna und Bob erklärten, ihn nicht verlassen zu wollen.

Seine Erzählung war für die Westmänner so hochinteressant, daß selbst der sonst so sprechselige Hobble-Frank ihn nicht ein einziges Mal unterbrach. Als dann aber der kleine Sachse mit Jemmy und den beiden Snuffies einen Rundgang um den See machte, fragte ihn Tim:

„Nun, Frank, jetzt haben wir uns so schön von außen herum ins Geisterland hineingeschlängelt. Behauptest du noch immer, daß der Geist der Llano estakata ein wirkliches Gespenst sei?“

„Schweigste schtille!“ antwortete der Gefragte. „Habe ich mich hier mal geirrt, so gibt’s doch anderswo höhere Siriusregionen, und was keen Verschtand der Verschtändigen sieht, das sieht jeder Sachse, sobald’s nur geschieht.“

„Ja, Sachsen, und besonders Moritzburg, das ist das höchste der Gefühle!“ lachte Jim.

„Bleib mir mit deinen Gefühlen nur hinter der Fronte, alter Schnuffel! Du kennst mich noch lange nich; aber da wir noch eenige Monate beisammen bleiben wollen, so wirst du mich kennen und verehren lernen. Meine Persönlichkeet reißt jeden endlich doch zur Hochachtung hin. Nich wahr, Jemmy?“

„Allerdings!“ nickte dieser mit einem kleinen ironischen Lächeln.

„Da hört ihr’s beede! Und eegentlich habt ihr mir alles zu verdanken, denn wenn ich nich da droben bei Helmers Home mit Bloody-Fox zusammengetroffen wäre, so hättet ihr den Geist der Llano niemals entdeckt. Diese Anerkennung muß ich unbedingt schon jetzt verlangen. Schpäteren Geschlechtern bleibt’s dann vorbehalten, mich und den Geist in Eisen zu gießen oder in Marmor zu hauen, damit mein Name hier ebenso in goldenen Lettern schtrahlt wie droben im Nationalparke, wo hoffentlich bald die Welt mein Monument beschtaunt!“

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Wohkadeh

Wohkadeh

Nicht viel westwärts von der Gegend, in welcher die Ecken der drei nordamerikanischen Staaten Dakota, Nebraska und Wyoming zusammenstoßen, ritten zwei Männer, deren Erscheinen an einem anderen als diesem westlichen Orte ganz sicher ein sehr berechtigtes Aufsehen erregt hätte.

Sie waren von sehr verschiedener Körpergestalt. Weit über sechs Fuß hoch, war die Figur des einen fast beängstigend dürr, während der andere bedeutend kleiner, dabei aber so dick war, daß sein Leib beinahe die Gestalt einer Kugel angenommen hatte.

Dennoch befanden sich die Gesichter der beiden Jäger in gleicher Höhe, denn der Kleine ritt einen sehr hoch gebauten, starkknochigen Klepper, und der andere saß auf einem niedrigen, scheinbar schwachen Maultiere. Daher kam es, daß die Lederriemen, welche dem Dicken als Steigbügel dienten, nicht einmal die Bauchlinie des Pferdes erreichten, während der Lange gar keiner Bügel bedurfte, denn seine großen Füße hingen so weit herab, daß es von ihm nur einer kleinen, seitlichen Bewegung bedurfte, um mit dem einen oder dem anderen Fuße den Boden zu erreichen, und zwar ohne dabei aus dem Sattel zu kommen.

Freilich war von einem wirklichen Sattel bei beiden keine Rede, denn derjenige des Kleinen bestand sehr einfach aus dem Rückenstücke eines erlegten Wolfes, an welchem das Fell gelassen worden war, und der Dürre hatte eine alte Santillodecke untergelegt, welche aber so arg zerfetzt und zerrissen war, daß er eigentlich auf dem bloßen Rücken seines Maultieres saß.

Wenn schon dieser Umstand andeutete, daß die beiden einen langen und beschwerlichen Ritt hinter sich hatten, so wurde diese Vermutung durch das Aussehen ihrer Anzüge auf das unwiderleglichste bestätigt.

Der Lange trug eine Lederhose, die jedenfalls für einen viel stärkeren Mann zugeschnitten und gefertigt worden war. Sie war ihm viel, viel zu weit. Unter dem abwechselnden Einflusse von Wärme und Kälte, von Trockenheit und Regen war sie außerordentlich eingegangen und zusammengeschrumpft, leider aber nur in Beziehung auf ihre Länge, und so kam es, daß die unteren Säume der Hosenbeine dem Träger kaum bis über die Kniee reichten. Dabei zeigte die Hose einen ungemein fettigen Schimmer, was einfach darin begründet war, daß der Besitzer derselben sie bei jeder Gelegenheit als Handtuch und Serviette benutzte und alles, was er nicht an den Fingern dulden mochte, an dem Beinkleide abzuwischen pflegte.

Die nackten Füße steckten in ganz unbeschreiblichen Lederschuhen. Sie hatten ganz das Aussehen, als ob sie bereits von Methusalem getragen worden seien und als ob seitdem ein jeder Besitzer einige Lederstücke aufgeflickt habe. Ob sie je einmal Schmiere oder gar Wichse gesehen hatten, das war ganz unmöglich zu bestimmen, ja kaum zu ahnen, da sie in allen sieben Regenbogenfarben schimmerten.

Der hagere Leib des Reiters steckte in einem ledernen Jagdhemde, welches weder Knopf noch Heftel hatte und also die braune Brust unbedeckt ließ. Die Aermel reichten nur wenig bis über die Ellbogen vor, von wo aus die sehnigen, fleischlosen Vorderarme zu sehen waren. Um den langen Hals hatte der Mann ein baumwollenes Tuch geschlungen. Ob es früher einmal weiß oder schwarz, grün oder gelb, rot oder blau gewesen war, das wußte der Besitzer selbst nicht mehr.

Das Kapitalstück des Anzugs war jedenfalls der Hut, der auf dem hohen, spitzen Kopfe saß. Er war früher einmal grau gewesen und hatte diejenige Gestalt gehabt, welche von unehrerbietigen Leuten „Façon Angströhre“ genannt wird. Vielleicht hatte er vor undenkbaren Zeiten den Kopf eines englischen Lords gekrönt; dann aber war er auf der Schicksalsleiter unaufhörlich abwärts gestiegen und endlich in die Hände des Prairiejägers gekommen. Dieser besaß nun keineswegs den Geschmack eines Lords von Altengland; er hielt die Krempe für sehr überflüssig und hatte sie daher einfach abgerissen. Nur vom hatte er ein Stück gelassen, teils zur Beschattung seiner Augen und teils als Handhabe, um die Kopfbedeckung bequem abnehmen zu können. Außerdem hatte er die Meinung, daß der Kopf eines Prairiemannes auch der Luft bedürfe, und so hatte er mit seinem Bowiemesser verschiedene Stiche in den Deckel und die Seiten des Hutes gemacht, so daß nun im Inneren desselben der West- und Ost-, der Nord- und Südwind einander „guten Tag“ sagen konnten.

Als Gürtel trug der Lange einen ziemlich dicken Strick, den er einigemal um seine Taille geschlungen hatte. In demselben steckten zwei Revolver und das Bowiemesser. Außerdem hingen daran der Kugelbeutel, eine Tabaksblase, eine zusammengenähte Katzenhaut, zur Aufnahme des Mehles bestimmt, das Prairiefeuerzeug und noch verschiedene andere Gegenstände, deren Bestimmung für jeden Uneingeweihten ein Rätsel war. Auf der Brust ruhte, an einem Riemen hängend, die Tabakspfeife – aber was für eine! Sie war das eigene Kunstwerk des Jägers, und da er sie schon längst bis vor an den Kopf abgebissen hatte, so bestand sie jetzt nur noch aus dem letzteren und einem Hollunderstück, aus welchem das Mark entfernt worden war, um es hohl zu machen. Der Lange hatte nämlich als sehr leidenschaftlicher Raucher die Gewohnheit, das Rohr zu kauen, wenn ihm einmal der Tabak für längere Zeit ausgegangen war.

Zu seiner Ehrenrettung muß bemerkt werden, daß sein Anzug nicht etwa nur aus den Schuhen, der Hose, dem Jagdhemde und dem Hute bestand. O nein; er trug außerdem noch ein Stück, welches sich nicht jedermann beschaffen kann, nämlich einen Gummimantel, und zwar einen echt amerikanischen, nämlich von der Sorte, welche gleich beim ersten Regen auf die halbe ursprüngliche Länge und Weite zusammenschrumpft. Weil er ihn aus diesem höchst einfachen Grunde nicht mehr anziehen konnte, hatte er ihn wie eine Husarenjacke höchst malerisch an einer Schnur um die Schultern gehängt. Außerdem trug er ein zusammengeschlungenes Lariat (Lasso), weiches von seiner linken Achsel nach der rechten Hüfte herabhing.

Vor sich, quer über die Beine gelegt, hatte er eine Büchse in der Hand, eine jener langen Rifles, mit denen der erfahrene Jäger niemals sein Ziel verfehlt.

Wie alt dieser Mann war, das konnte man ihm unmöglich ansehen. Sein hageres Gesicht zeigte unzählige Falten und Fältchen, und doch hatte es einen beinahe jugendlichen Gesamtausdruck. Aus jedem Fältchen schien ein Schälkchen, aus jeder Falte ein Schalk herauszublicken. Das Gesicht war trotz dieser Runzeln und Runzelchen und trotz der unwirtlichen Gegend, in welcher er sich befand, vollständig glatt rasiert, denn es gibt viele, sehr viele Westmänner, welche gerade darin ihren Stolz suchen. Die großen, himmelblauen, weit geöffneten Augen hatten jenen scharfen Blick, den man bei Seeleuten und Bewohnern weiter Ebenen zu beobachten pflegt, und doch hätte man diesen Blick gern mit dem Ausdrucke „kindlich-treu“ bezeichnen mögen.

Das Maultier war, wie bereits erwähnt, nur scheinbar schwach; es trug den schweren, knochigen Reiter mit Leichtigkeit und zeigte zuweilen sogar Lust, gegen den Willen des letzteren einen kurzen Strike in Scene zu setzen, wurde dann aber allemal so kräftig zwischen die ewig langen Schenkel des Gebieters genommen, daß es den Widerstand schnell aufgab. Diese Tiere sind wegen ihres sicheren Schrittes beliebt, aber auch bekannt wegen ihrer Neigung zur störrischten Widersetzlichkeit.

Was nun den anderen Reiter betrifft, so mußte es bei der Glut, mit welcher die Sonne niederbrannte, auffallen, daß er einen Pelz trug. Freilich wenn durch irgend eine Bewegung des Dicken dieser Pelz einmal zurückgeschlagen wurde, so zeigte es sich, daß der letztere ganz bedenklich an hochgradiger Haarlosigkeit litt. Es gab nur stellenweise ein kleines, lichtes Büschel, gerade so wie in der unendlichen Wüste nur hier und da eine arme Oase anzutreffen ist. Selbst Kragen und Aufschläge waren so sehr gelichtet, daß es mehr als thalergroße nackte Stellen gab. Unter diesem Pelze blickten rechts und links riesige Aufschlagestiefeln hervor. Auf dem Kopfe trug der Mann einen breitrandigen Panamahut, der ihm viel zu weit war, so daß er ihn, um nur aus den Augen sehen zu können, weit in das Genick hinunterschieben mußte. Die Aermel des Pelzes waren so lang, daß man die Hände nicht sehen konnte. So war also das Gesicht des Reiters das einzige, was man von ihm sah; aber dieses Gesicht war es auch wert, daß man es genau betrachtete.

Es war auch glatt rasiert; keine Spur von Bart war zu sehen. Die roten Wangen waren so voll, daß das Näschen nur einen fast erfolglosen Versuch machen konnte, zwischen ihnen zur Geltung zu kommen. Ebenso erging es den kleinen, dunklen Aeuglein, die zwischen Brauen und Wangen tief versteckt lagen. Ihr Blick hatte einen gutherzig-listigen Ausdruck. Ueberhaupt stand auf dem ganzen Gesicht geschrieben: „Schau mich ‚mal an! Ich bin ein kleiner, prächtiger Kerl, und mit mir ist sehr gut auszukommen; aber brav und verständig mußt du sein, sonst hast du dich in mir verrechnet. Verstanden!“

jetzt kam ein Windstoß und trieb dem Kleinen den Pelz vorn auseinander. Da konnte man sehen, daß er unter demselben eine blauwollene Hose und eine ebensolche Bluse trug. Um seine starke Taille war ein Ledergürtel geschnallt, in welchem außer den Gegenständen, welche auch der Lange besaß, auch ein indianischer Tomahawk steckte. Den Lasso hatte er vom am Sattel hängen und dabei eine kurze, doppelläufige Kentuckybüchse, der man es ansah, daß sie schon in gar manchem Kampfe als Angriffs- oder Verteidigungswaffe gedient hatte.

Und wer waren diese beiden Männer? Nun, der Kleine hieß Jakob Pfefferkorn und der Lange führte den Namen David Kroners. Hätte man irgend einem Westmanne, einem Squatter oder Trapper diese beiden Namen genannt, so hätte er kopfschüttelnd gesagt, daß er von den zwei Jägern noch nie ein Wort gehört habe. Und doch wäre das gegen alle Wahrheit gewesen, denn sie waren gar berühmte Pfadfinder, und an manchem Lagerfeuer hatte man sich seit Jahren von ihren Thaten erzählt. Es gab keinen Ort von New York bis Frisco (San Francisco) und von den Seen im Norden bis an den mexikanischen Meerbusen, an welchem nicht das Lob dieser berühmten Savannenmänner erschollen war. Freilich, Jakob Pfefferkorn und David Kroners, diese Namen waren nur ihnen selbst geläufig. In der Prairie, im Urwalde und nun besonders bei den Rothäuten wird nicht nach dem Geburts- und Taufschein gefragt; da erhält ein jeder sehr bald einen Namen, der seinen Erlebnissen oder Eigenschaften entspricht und auch sehr bald weiter verbreitet wird.

Kroners war ein Vollblut-Yankee und wurde nicht anders als der „lange Davy“ genannt. Pfefferkorn stammte aus Deutschland und wurde nach seinem Vornamen Jakob und seiner Körperform nur der „dicke Jemmy“ genannt. Jemmy ist nämlich der englische Ausdruck für Jaköbchen.

Also Davy und Jemmy, unter diesen beiden Namen waren sie überall bekannt, und man hätte im fernen Westen wohl selten einen Menschen getroffen, der nicht imstande gewesen wäre, die eine oder andere Heldenthat von ihnen zu erzählen. Sie galten als unzertrennlich. Wenigstens gab es keinen, der sich hätte besinnen können, einen von ihnen einmal allein gesehen zu haben. Trat der Dicke an ein fremdes Lagerfeuer, so schaute man ganz unwillkürlich auch sogleich nach dem Langen aus, und kam Davy in ein Store, um sich Pulver und Tabak zu kaufen, so wurde er sicherlich gefragt, was er für Jemmy mitnehmen wolle.

Ebenso unzertrennlich fühlten sich auch die beiden Tiere dieser Westmänner. Der große Klepper hätte wohl trotz allen Durstes an keinem Bache oder Flusse getrunken, wenn nicht zugleich mit ihm das kleine Maultier den Kopf zum Wasser niedergebeugt hätte, und dieses letztere wäre selbst im schönsten, saftigsten Grase mit erhobenem Kopfe stehen geblieben, wenn nicht der erstere es vorher leise angeschnaubt hätte, als ob er flüstern wolle: „Du, sie sind abgestiegen und braten sich ihre Büffellende; nun wollen auch wir frühstücken, denn vor dem späten Abend setzt es ganz gewiß nichts mehr!“

Und nun gar sich in irgend einer Not verlassen, das fiel den beiden Tieren gar nicht ein. Ihre Herren hatten einander schon viele, viele Male das Leben gerettet. Einer stürzte sich für den anderen ohne alles Bedenken in die größte Gefahr. So hatten auch die Tiere einander oft beigestanden, wenn es galt, den Kameraden herauszubeißen, oder mit den kräftigen, scharfen Hufen gegen einen Feind zu verteidigen. Die Vier, Menschen sowohl als Tiere, gehörten eben zusammen; sie wußten es gar nicht anders.

So trabten sie jetzt fröhlich in nördlicher Richtung dahin. Am Morgen hatte es für Pferd und Maultiere Wasser und saftige Weide und für die beiden Jäger Wasser und die Keule eines Hirsches gegeben. Den Rest des Fleisches trug der Klepper, so daß an eine große Hungersnot nicht zu denken war.

Unterdessen hatte die Sonne den Zenith erreicht gehabt und war dann langsam tiefer gesunken. Es war zwar sehr heiß, aber es wehte ein erfrischender Windhauch über die Prairie, und der von Myriaden von Blumen durchwirkte Büffelgrasteppich zeigte noch lange nicht die braune, verbrannte Farbe des Herbstes, sondern sein frisches Grün erquickte das Auge, und die über die weite, weite Ebene zerstreuten, in Form von einzelnen riesigen Kegeln sich erhebenden Felsenberge wurden von den schräg herabfallenden Strahlen der Sonne in brillanter Weise beleuchtet und glänzten auf ihren westlichen Seiten in glühender Farbenpracht, welche nach Osten hin sich in immer tiefere, dunklere Töne verlief.

„Wie weit reiten wir heute noch?“ fragte der Dicke, nachdem sie stundenlang kein Wort gesprochen hatten.

„So weit wie alle Tage,“ antwortete der Lange.

Well!“ lachte der Kleine. „Also bis zum Lagerplatz.“

Ay!

Master Davy hatte nämlich die Eigentümlichkeit stets Ay anstatt Yes zu sagen.

Wieder verging eine Weile. Jemmy hütete sich sehr, durch eine weitere Frage sich abermals eine solche Antwort zu holen. Er betrachtete den Kameraden zuweilen mit seinen listigen Aeuglein und wartete die Gelegenheit zur Rache ab. Endlich wurde die Stille dem Langen doch zu drückend. Er deutete mit der Rechten hinaus in die Richtung, welcher sie folgten, und fragte:

„Kennst du diese Gegend?“

„Sehr!“

„Nun? Was ist’s?“

„Amerika!“

Der Lange zog unmutig die langen Beine empor und gab seinem Maultiere einen Hieb. Dann meinte er:

„Schlechter Kerl!“

„Wer?“

„Du!“

„Ah! Ich? Wieso?“

„Rachsüchtig!“

„Gar nicht. Ich pflege nur in dem Tone fortzufahren, in welchem man mit mir gesprochen hat. Gibst du mir dumme Antworten, so sehe ich ganz und gar nicht ein, warum ich geistreich sein soll, wenn du mich fragst.“

„Geistreich? O wehe! Du und geistreich! Du bestehst so sehr aus Fleisch, daß der Geist gar keinen Platz haben würde.“

„Oho! Hast du vergessen, was ich durchgemacht habe, drüben im alten Lande?“

„Eine Klasse des Gymnasiums? ja, das weiß ich noch. Das kann ich überhaupt niemals vergessen, denn du erinnerst mich täglich wenigstens dreißigmal daran.“

„Das ist auch notwendig. Eigentlich sollte ich es täglich vierzig- oder fünfzigmal erwähnen, da ich ein Mann bin, vor dem du gar nicht genug Hochachtung haben kannst. Uebrigens habe ich nicht nur eine Klasse absolviert!“

„Nein, drei.“

„Also!“

„Für das Weitere reichte aber der Verstand nicht aus –“

„Sei still! Das Geld wurde alle; Verstand hätte ich mehr als genug gehabt. Uebrigens weiß ich sehr wohl, was du vorhin meintest. Diese Gegend werde ich nicht vergessen. Weißt du, da drüben hinter den Höhen lernten wir uns kennen.“

Ay! Das war ein schlimmer Tag. Ich hatte all mein Pulver verschossen und wurde von den Sioux gejagt. Ich konnte schließlich nicht weiter und sie schlugen mich nieder. Am Abend aber kamst du.“

„Ja, die dummen Kerls hatten ein Feuer angebrannt, welches man droben in Kanada hätte sehen können. Ich bemerkte es und schlich mich hinan. Ich sah fünf Sioux, welche einen Weißen gefesselt hatten. Na, ich hatte mich nicht verschossen wie du. Zwei schoß ich nieder und drei entflohen, weil sie nicht ahnten, daß sie es nur mit einem einzelnen zu thun hatten; du warst frei.“

„Frei war ich freilich, aber auch grimmig zornig auf dich!“

„Darüber, daß ich die beiden Indsmen nicht erschossen sondern nur verwundet hatte, ja. Aber ein Indsman ist auch ein Mensch, und es kann mir niemals einfallen, einen Menschen zu töten, wenn es nicht partout notwendig ist. Ich bin eben ein Deutscher und kein Kannibale!“

„Aber bin ich etwa ein solcher?“

„Hm!“ brummte der Dicke. „Jetzt bist du freilich anders als früher. Da hattest du wie so viele andere die Ansicht, daß man die Roten nicht schnell genug ausrotten könne. Ich hab‘ dich geradezu zu meiner Meinung bekehren müssen.“

„Ja, ihr Deutsche seid ganz eigenartige Kerls. Mild, weich wie Butter, und nachher wenn es sein muß, so stellt ihr euren Mann wie sonst einer. Ihr möchtet alle Welt mit Handschuhen von Samt anfassen und doch schlagt ihr gleich mit dem Kolben drein, wenn ihr meint, daß ihr euch endlich wehren müßt. So seid ihr alle und so bist auch du.“

„Und ich freue mich, daß es gerade so ist und nicht anders. Aber schau, dort scheint ein Strich durch das Gras zu gehen.“

Er hielt sein Pferd an und deutete nach einem Felsen hinüber, an dessen Fuß eine lange, dunkle Linie durch das Gras vorüberführte.

Auch Davy parierte sein Pferd, beschattete die Augen mit der einen Hand und musterte die betreffende Stelle, dann sagte er:

„Du sollst mich zwingen dürfen, einen Zentner Flintenkugeln ungebraten zu essen, wenn dies nicht eine Fährte ist.“

„Auch ich halte es dafür. Wollen wir uns das Ding einmal genauer betrachten, Davy?“

„Wollen? Wer spricht vom Wollen, wenn man muß? In dieser alten Prairie ist man gezwungen, an keiner Spur leichtsinnig vorüber zu gehen. Man muß stets wissen, wen man vor oder hinter sich hat, sonst kann es leicht geschehen, daß man früh tot aufsteht, wenn man sich am Abend lebendig in das Gras gelegt hat. Vorwärts also !“

Sie ritten bis an den Felsen hin und blieben dort halten, die Fährte mit Kenneraugen musternd.

„Was sagst du dazu?“ fragte Davy.

„Eine Fährte natürlich !“ lachte der Dicke.

„Ja, ein Turmseil ist’s freilich nicht; das sehe ich auch. Aber was für eine Art von Fährte?“

„Von einem Pferde.“

„Hm! Das sieht ein jedes Kind. Oder meinst du etwa, ich sei der Ansicht, daß hier ein Walfisch vorübergeschwommen sei?“

„Nein, denn dieser Walfisch könntest nur du gewesen sein, und von dir weiß ich ja ganz genau, daß du nicht von meiner Seite gekommen bist. Uebrigens kommt mir diese Spur sehr verdächtig vor.“

„Warum?“

„Bevor ich dir antworte, will ich sie mir erst einmal genauer betrachten, denn ich habe gar keine Lust, mich vor dir alten Knaben zu blamieren.“

Er sprang vom Pferde und kniete in das Gras nieder. Sein alter Klepper hielt, als ob er Menschenverstand besitze, das Maul in das niedergetretene Gras und schnaubte leise. Auch das Maultier trat nahe herbei, wedelte mit dem Schwanze und den beiden langen Ohren und schien sich die Fährte zu betrachten.

„Nun?“ fragte Davy, welchem die Untersuchung zu lange dauerte. „Ist’s gar so wichtig?“

„Ja. Hier ist ein Indianer geritten.“

„Meinst du? Das wäre freilich auffallend, da wir uns nicht auf dem Jagd- oder Weidegrunde eines Stammes befinden. Warum vermutest du, daß es ein Indsman gewesen ist?“

„Ich sehe es an den Hufspuren, daß das Pferd auf indianische Weise geschult ist.“

„Dennoch kann es von einem Weißen geritten sein.“

„Das sage ich mir auch, aber – – aber – – –“

Er schüttelte nachdenklich den Kopf und verfolgte die Spur eine kurze Strecke weiter. Dann rief er zurück:

„Komm nach! Das Pferd war nicht beschlagen, sondern barfuß. Auch ist es sehr müde gewesen, und dennoch hat es galoppieren müssen. Der Reiter hat es also sehr eilig gehabt.“

jetzt stieg auch Davy ab. Was er gehört hatte, war wichtig genug, zu einer sorgfältigen Untersuchung zu veranlassen. Er schritt dem Dicken nach, und die beiden Tiere liefen hinter ihm her, als ob sie sich gedacht hätten, daß sich das von selbst verstehe. Bei Jemmy angekommen, ging er mit diesem noch weiter, längs der Fährte hin.

„Du,“ meinte er, „das Pferd ist wirklich übermüdet gewesen; es hat sehr oft gestrauchelt. Wer sein Tier in solcher Weise anstrengt, der muß triftige Veranlassung dazu haben. Entweder ist der Mann verfolgt worden oder er hat Grund gehabt, sein Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.“

„Das letztere ist der Fall, das erstere nicht.“

„Wieso?“

„Wie alt ist diese Fährte?“

„Zwei Stunden ungefähr.“

„Das sage ich auch. Noch gibt es keine Spur eines Verfolgers, und wer einen Vorsprung von zwei Stunden hat, der reitet sein Pferd nicht zu Tode. Uebrigens gibt es hier so viele zerstreute Felsen, daß es ihm leicht gewesen sein würde, seinen Verfolger irre zu führen, indem er unbemerkt einen Bogen geschlagen hätte oder im Kreise geritten wäre. Meinst du das nicht auch?“

„Ja. Uns beiden zum Beispiel würde ein Vorsprung von zwei Minuten genügen, um die Verfolger mit einer ganz gehörigen Nase heimzuschicken. Also stimme ich dir bei. Der Mann hat schnell an sein Ziel gewollt. Aber wo mag dasselbe liegen?“

„Jedenfalls nicht weit von hier.“

Der Lange blickte dem Dicken erstaunt in das Gesicht.

„Du scheinst heute allwissend zu sein!“ sagte er.

„Um das zu erraten, bedarf es keiner Allwissenheit, sondern nur ein wenig Nachdenkens.“

„So! Nun, ich denke ja eben auch darüber nach, und zwar ganz vergeblich.“

„Das ist bei dir gar kein Wunder.“

„Wieso?“

„Du bist zu lang. Ehe bei dir die Ueberlegung von der Fährte hier unten bis hinauf in deinen Verstand kommt, können leicht Jahrtausende vergehen. Ich sage dir, daß das Ziel dieses Reiters gar nicht weit von hier zu suchen ist, sonst hätte er sein Pferd geschont.“

„So! Den Grund höre ich; aber begreifen kann ich ihn nicht.“

„Nun, ich kalkuliere: Hätte der Mann noch einen Tagesritt zu machen gehabt, so wäre das Pferd für eine solche Strecke zu ermüdet gewesen; er hätte es also unbedingt einige Stunden lang ausruhen lassen und sodann diese kurze Versäumnis nachholen können. Weil er aber den Ort, den er erreichen will, nahe gewußt hat, so hat er geglaubt, diese Strecke trotz der Müdigkeit seines Pferdes heute noch zurücklegen zu können.“

„Höre, mein alter Jemmy, das, was du da sagst, klingt nicht so uneben. Ich gebe dir abermals recht.“

„Dieses Lob ist ganz überflüssig. Wer fast dreißig Jahre lang in der Savanne herumgestolpert ist, der kann wohl auch einmal auf einen klugen Gedanken kommen. Freilich sind wir nun fast auch nicht klüger als vorher. Welches ist der Ort, nach welchem dieser Indianer gewollt hat? Das möchten wir natürlich wissen. Der Mann ist jedenfalls ein Bote. Er hat es jedenfalls sehr notwendig gehabt; seine Angelegenheit war von großer Wichtigkeit. Ein Indsman ist aller Wahrscheinlichkeit nur der Bote zwischen Indianern, und so möchte ich fast behaupten, daß sich Rothäute hier in der Nähe befinden.“

Der lange Davy stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor und ließ seinen Blick nachdenklich rundum schweifen.

„Fatal, höchst fatal!“ brummte er. „Der Kerl kommt also von Indianern und geht zu Indianern. Wir befinden uns also zwischen ihnen und wissen nicht, wo sie stecken. Also können wir sehr leicht auf die eine Horde stoßen und unsere Skalps zum Jahrmarkt tragen.“

„Das müssen wir freilich befürchten. Es gibt aber doch ein sehr leichtes Mittel, uns Gewißheit zu verschaffen.“

„Du meinst, indem wir dieser Fährte folgen?“

„Ja.“

„Richtig! Dann wissen wir, daß sie sich vor uns befinden, und sie haben keine Ahnung von uns; wir befinden uns also im Vorteile. Es ist also meine Meinung, daß wir dem Indsman nachreiten, zumal seine Fährte gar nicht bedeutend von unserer bisherigen Richtung abweicht. Aber neugierig bin ich doch, zu welchem Stamme er gehören mag.“

„Ich ebenso. Erraten läßt es sich nicht. Da oben im nördlichen Montana gibt es die Schwarzfuß-, Pigan- und Blutindianer. Die kommen nicht herüber. Am Knie des Missouri lagern die Riccavees, welche ebensowenig hier etwas zu suchen haben. Die Sioux? Hm! Hast du etwa gehört, daß sie in neuerer Zeit den Tomahawk des Krieges ausgegraben haben?“

„Nein.“

„So wollen wir uns jetzt den Kopf nicht zerbrechen; aber vorsichtig müssen wir sein. Hinter uns haben wir den Nord-Platte, wie du von unserm letzten Streifzug dich erinnern wirst. Wir befinden uns jetzt in einer Gegend, welche uns sehr gut bekannt ist, und wenn wir nicht gradezu Dummheiten machen, so kann uns nichts geschehen. Komm!“

Sie stiegen wieder auf und folgten der Fährte, diese genau im Auge behaltend und dabei doch auch scharf nach vorn und den Seiten ausschauend, um ja irgend etwas Feindseliges sofort zu bemerken.

Es verging wohl eine Stunde, und die Sonne sank immer tiefer. Der Wind erhob sich immer mehr, und die Hitze des Tages ließ schnell nach. Bald bemerkten sie, daß der Indianer nur noch im Schritt geritten war. An einer unebenen Stelle schien sein Pferd vor Uebermüdung gestolpert und in die Kniee gesunken zu sein. Jemmy stieg sofort ab und untersuchte die Stelle.

„Ja, es ist ein Indsman,“ sagte er. „Er ist abgesprungen. Sein Mokassin ist mit Stachelschweinsborsten verziert gewesen. Hier liegt eine abgebrochene Spitze davon. Und hier -ah, der Kerl muß noch sehr jung sein.“

„Warum?“ fragte der Lange, welcher auf seinem Tiere sitzen geblieben war.

„Die Stelle ist sandig, und sein Fuß hat sich ganz genau abgezeichnet. Wenn ich nicht annehmen soll, daß es eine Squaw gewesen ist, so – – –“

„Unsinn! Eine Frau kommt nicht allein hierher.“

„So ist er ein junger Mensch, wahrscheinlich höchstens achtzehn Jahre alt.“

„So, so! Das klingt gefährlich. Es gibt Stämme, bei denen grade diese jungen Kerls als Kundschafter benutzt werden. Sehen wir uns also vor!“

Sie ritten wieder weiter. Während sie bisher durch die richtige Blumenprairie gekommen waren, tauchte jetzt hier und da ein Gebüsch auf, erst vereinzelt, dann in zusammenstehenden Gruppen. In der Ferne schien es Bäume zu geben.

Dann kamen sie an eine Stelle, an welcher der Reiter für kurze Zeit abgestiegen war, um seinem Pferde eine freilich nur kurze Ruhe zu gönnen; dann war er zu Fuße weitergeschritten, das Tier am Zügel führend.

Die vorliegenden Büsche hemmten jetzt zuweilen die Aussicht so, daß Vorsicht doppelt nötig wurde. Davy ritt voran, und Jemmy folgte. Auf einmal sagte der letztere:

„Du, Langer, es ist ein Rappen gewesen.“

„So! Woher weißt du das?“

„Hier am Busch hing ein Schwanzhaar, welches ihm ausgerissen worden ist.“

„So wissen wir schon wieder etwas mehr; aber sprich nicht so laut! Hier können wir in jedem Augenblick auf Leute stoßen, die wir erst sehen, wenn sie uns bereits erschossen haben.“

„Das fürchte ich nicht. Ich kann mich da auf mein Pferd verlassen; es schnaubt, sobald es einen Feind wittert. Also nur immer getrost weiter!“

Der lange Davy folgte wohl dieser Aufforderung, blieb aber im nächsten Augenblick bereits halten.

„Alle Teufel!“ sagte er. „Da ist etwas vorgegangen!“

Der Dicke trieb sein Pferd an und gelangte nach wenigen Schritten durch die Büsche auf einen freien Platz. Vor ihnen erhob sich einer jener kegelförmigen Felsen, deren es in dieser Prairie so viele gibt. Die Fährte führte bis zu demselben hin, hart an ihm vorüber und sprang sodann in einem scharfen Winkel nach rechts ab. Das sahen die beiden sehr deutlich, aber sie sahen noch etwas; nämlich von der anderen Seite des Felsens her zogen sich deutliche Spuren zu der genannten Fährte hinüber, um sich mit derselben zu vereinigen.

„Was meinst du dazu?“ fragte der Lange.

„Daß da hinter diesem Felsen Menschen lagerten, die den Indsman verfolgten, als sie ihn erblickten.“

„Vielleicht sind sie bereits wieder dort!“

„Oder es sind welche zurückgeblieben. Bleib hier hinter den Büschen! Ich will einmal meine Nase um die Ecke stecken.“

„Stecke sie nur nicht etwa in einen geladenen Flintenlauf, welcher im Losgehen ist!“

„Nein, denn dazu wäre die deinige geeigneter.“

Er stieg ab und gab dem Langen die Zügel seines Kleppers zu halten, dann rannte er in vollem Laufe auf den Felsen zu.

„Schlauer Fuchs!“ brummte Davy befriedigt vor sich hin –“hier würde das Anschleichen zu viel Zeit erfordern. Man sollte gar nicht glauben, daß der Dicke so springen kann!“

An der Rückseite des Felsens angekommen, schlich sich der Kleine langsam und vorsichtig nach vom und verschwand hinter einer vorspringenden Kante. Bald jedoch erschien er wieder und gab dem Langen einen Wink, indem er mit dem Arme einen Bogen beschrieb. Davy verstand genau, daß er nicht direkt nach dem Felsen reiten solle, und ritt also zwischen den Büschen hindurch einen Bogen, bis er auf die neue Fährte traf und auf derselbigen zu Jemmy an den Felsen gelangte.

„Was sagst du dazu?“ fragte der Kleine, indem er auf den Platz zeigte, der vor ihnen lag.

Es hatte sich hier ein Lager befunden. Einige eiserne Kessel lagen noch am Boden, mehrere Hacken und Schaufeln, eine Kaffeemühle, ein Mörser, verschiedene kleine und größere Pakete – eine Spur eines Lagerfeuers aber war nicht zu sehen.

„Na,“ antwortete der Gefragte kopfschüttelnd. „Diejenigen, welche sich hier so häuslich niedergelassen hatten, mögen sehr unvorsichtige Leute oder noch ganz grün im Westen sein. Hier sieht man die Spuren von wenigstens fünfzehn Pferden, aber kein einziges ist angepflockt oder auch nur angehobbelt gewesen. Wie es scheint, waren mehrere Packtiere darunter. Auch diese sind fort. Wohin? Das ist eine ganz heillose Wirtschaft! Man sollte diesen Leuten einen tüchtigen Stock auf den Rücken geben!“

„Ja, das haben sie eigentlich verdient. So wenig Erfahrung, und machen sich nach dem fernen Westen herbei! Es kann freilich nicht ein jeder auf dem Gymnasium gewesen sein – – –“

„Wie du!“ fiel der Lange schnell ein.

„Ja, wie ich; aber ein wenig Mutterwitz und Ueberlegung sollte doch ein jeder besitzen. Der Indianer ist ganz ahnungslos hier um die Ecke gekommen und hat, sobald er sie erblickte, es vorgezogen, schnell davonzureiten anstatt umzukehren; da ist ihm die ganze Rotte nach.“

„Ob sie ihn feindlich behandeln werden?“

„Natürlich, sonst hätten sie ihn doch nicht verfolgt. Und für uns kann dies verhängnisvoll werden. Den Roten ist es ganz gleich, ob ihre Rache den wirklich Schuldigen oder einen anderen trifft.“

„So müssen wir schleunigst nach, um Unheil zu verhüten.“

„Ja; weit werden wir da nicht zu reiten haben, denn weit ist der Indsman mit seinem abgematteten Pferde doch nicht gekommen.“

Sie stiegen wieder auf und folgten im Galopp der Fährte, von welcher nach rechts und links einige Hufspuren abführten, jedenfalls von den durchgegangenen Packpferden herrührend. Trotz ihrer gegenteiligen Ansicht mußten sie eine bedeutende Strecke durch coupiertes Terrain reiten, bis endlich Jemmy, welcher voranritt, sein Pferd plötzlich anhielt. Er hatte laute Stimmen gehört und lenkte rasch zur Seite in ein Gesträuch hinein, wohin Davy ihm folgte. Beide horchten. Sie hörten verschiedene Stimmen durcheinander sprechen.

„Das sind sie jedenfalls,“ meinte der Kleine. „Die Stimmen kommen nicht näher; sie scheinen sich also noch nicht auf dem Rückwege zu befinden. Wollen wir sie belauschen, Davy?“

„Ganz natürlich. Die Pferde hobbeln wir einstweilen an.“

„Nein; das könnte uns verraten, falls wir ungesehen bleiben wollen. Wir müssen sie festbinden, daß sie nicht weiter fortkönnen, als wir es erlauben.“

„Anhobbeln“ ist ein Trapperausdruck und heißt, den Pferden die Vorderbeine so zusammenbinden, daß sie nur kleine Schritte machen können. Das thut man nur, wenn man sich in Sicherheit weiß, sonst aber werden die Tiere an Bäume festgebunden oder an kurze Pfähle, die man in die Erde schlägt. Gewöhnlich führen die Jäger zu diesem Zwecke spitze Pflöcke in der holzarmen Prairie mit sich.

Also die beiden Unzertrennlichen banden ihre Tiere an den Sträuchern fest und schlichen sich dann nach der Richtung hin, aus welcher die Stimmen zu hören waren. Sie kamen bald an ein kleines Flüßchen oder vielmehr an einen Bach, welcher jetzt nicht viel Wasser hatte, dessen hohe Ufer aber zeigten, daß er im Frühjahr eine ganz ansehnliche Wassermenge mit sich führe. Er machte hier eine Krümmung, innerhalb welcher neun wild aussehende Männer teils standen teils im Grase lagen. In ihrer Mitte lag ein junger Indianer, welcher an Händen und Füßen so gefesselt war, daß er kein Glied zu rühren vermochte. Jenseits des Wassers aber, unterhalb des hohen Ufers, welches es nicht mehr zu erklimmen vermocht hatte, lag das Pferd des Roten mit schlagenden Flanken und laut schnaubend. Die Pferde der anderen standen bei ihren Herren.

Diese letzteren machten sämtlich keinen guten Eindruck. Ein echter Westmann sagte sich bei ihrem Anblicke sofort, daß er eine Probe jenes unbotmäßigen Gesindels vor sich habe, über welches im fernen Westen nur Richter Lynch die Oberhand behält.

Jemmy und Davy kauerten hinter einem Busch und betrachteten die Scene. Die Männer flüsterten leise miteinander. Sie schienen über das Schicksal des Gefangenen zu beraten.

„Wie gefallen sie dir?“ fragte der Dicke leise.

„Ganz so wie dir, nämlich gar nicht.“

„Ohrfeigengesichter. Der arme, rote junge kann mir leid thun. Zu welchem Stamme zählst du ihn?“

„Darüber bin ich noch nicht klar. Er ist nicht bemalt und trägt auch sonst kein Abzeichen einer Nation. So viel aber ist sicher, daß er sich nicht auf dem Kriegspfade befunden hat. Wollen wir ihn in unseren Schutz nehmen?“

„Das versteht sich ganz von selbst, denn ich glaube nicht, daß er ihnen Veranlassung zu ihrem feindseligen Verhalten gegeben hat. Komm, wir wollen einige Worte mit ihnen reden!“

„Und wenn sie nicht auf uns hören?“

„So haben wir die Wahl, mit Gewalt oder auch mit List unseren Willen durchzusetzen. Ich fürchte diese Kerls nicht; aber eine Kugel trifft auch dann, wenn sie von einem feigen Schurken abgeschossen wird. Wir wollen ihnen gar nicht wissen lassen, daß wir beritten sind, und besser ist’s auch, wir kommen von der anderen Seite des Wassers, damit sie nicht merken, daß wir bereits ihr Lager gesehen haben.“

Sie nahmen ihre Gewehre zu sich und schlichen sich an den Bach, aber in solcher Entfernung von den Leuten, daß sie von diesen noch nicht gesehen werden konnten. Da stiegen sie das diesseitige Ufer hinab, sprangen über das schmale Wasser und stiegen jenseits wieder hinauf. Nun schlugen sie einen kurzen Bogen und erreichten den Bach gerade an der Stelle, an welcher die Gesuchten sich am anderen Ufer befanden. Dort thaten sie ganz so, als ob sie über die Anwesenheit von Menschen ganz erstaunt seien.

„Holla!“ rief der dicke Jemmy. „Was ist denn das? Ich hab‘ gemeint, wir befinden uns ganz allein hier auf dieser gesegneten Prairie, und da treffen wir ein ganzes Meeting beisammen. Hoffentlich ist es erlaubt, teilzunehmen.“

Diejenigen, welche im Grase gelegen hatten, erhoben sich, und alle richteten ihre Augen auf die beiden Ankömmlinge. Sie mochten im ersten Augenblicke nicht sehr angenehm über die Ankunft derselben überrascht sein; aber als sie die Gestalten und Anzüge der beiden bemerkten, erhoben sie alle ein schallendes Gelächter.

Thunder-storm!“ antwortete einer, welcher ein ganzes Arsenal von Waffen an seinem Leibe trug. „Was geht hier los? Haltet ihr mitten im Hochsommer hier Fastnacht und Maskenspiel?“

Ay!“ nickte der Lange. „Es fehlen uns noch einige Narren dazu, darum kommen wir zu euch.“

„Da kommt ihr freilich an die unrechte Adresse.“

„Das glaube ich nicht.“

Bei diesen Worten machte er mit seinen ewiglangen Beinen einen einzigen Schritt über das Wasser herüber, einen zweiten das Ufer herauf und stand nun vor dem Sprecher. Der Dicke that zwei Sprünge, nach denen er neben ihm stand, und sagte:

„So, da sind wir. Good day, Mesch’schurs. Habt ihr nicht irgend einen guten Schluck zu trinken?“

„Da ist Wasser!“ lautete die Antwort des Sprechers, welcher auf das Wasser des Baches deutete.

„Fie! Meint Ihr, daß ich Lust habe, mich inwendig naß zu machen? Das fällt meines Großvaters Enkel nicht ein! Wenn ihr nichts Besseres bei euch habt, so mögt ihr ruhig nach Hause gehen, denn da ist diese gute Prairie kein passender Ort für euch!“

„Ihr scheint die Prairie für ein Frühstückslokal zu halten?“

„Freilich! Die Braten laufen einem ja vor der Nase herum. Man braucht sie nur an das Feuer zu bringen.“

„Und Euch scheint das sehr zu bekommen!“

„Will’s meinen!“ lachte Jemmy, indem er sich behaglich über den Bauch strich.

„Und was Ihr zu viel habt, das fehlt da Eurem Kameraden.“

„Weil er nur halbe Rationen bekommt. Ich darf nicht zugeben, daß seine Schönheit verdorben wird, denn ich habe ihn als Scheuche mitgenommen, damit mir kein Bär oder Indsman zu nahe kommt. Aber, mit Eurer Erlaubnis, Master -was führt euch denn eigentlich an dieses hübsche Wasser hier?“

„Niemand hat uns hergeführt. Wir haben den Weg selbst gefunden.“

Seine Gefährten lachten über diese Antwort, welche sie für eine sehr geistreiche Abfertigung hielten. Der dicke Jemmy aber meinte ganz ernsthaft:

„So? Wirklich? Das hätte ich Euch nicht zugetraut, denn Eure Physiognomie läßt gar nicht vermuten, daß Ihr imstande seid, irgend einen Weg ohne Hilfe zu finden.“

„Und die Eurige läßt vermuten, daß Ihr den Weg nicht sehen würdet, selbst wenn man Euch mit der Nase darauf legte. Seit wann seid Ihr denn eigentlich aus der Schule?“

„Ich bin noch gar nicht hineingekommen, weil ich das richtige Maß noch nicht habe, doch hoffe ich, von Euch so viel zu profitieren, daß ich wenigstens das Einmaleins des Westens leidlich aufsagen kann. Wollt Ihr mein Schoolmaster sein?“

„Habe keine Zeit dazu. Habe überhaupt Notwendigeres zu thun als anderen die Dummheit auszuklopfen.“

„So! Was sind denn das für notwendige Dinge?“

Er sah sich um, that, als ob er erst jetzt den Indianer erblicke und fuhr dann fort:

Behold! Ein Gefangener, und noch dazu gar ein roter!“

Er fuhr zurück, als ob er über den Anblick des Roten erschrocken sei. Die Männer lachten, und derjenige, welcher bisher gesprochen hatte und ihr Anführer zu sein schien, sagte:

„Fallt nicht in irgend eine Ohnmacht, Sir. Wer noch keinen solchen Kerl gesehen hat, der kann leicht einen gefährlichen Schreck davontragen. Man kann sich nur langsam an den Anblick gewöhnen. Ich vermute, daß Euch noch gar kein Indsman begegnet ist?“

„Einige zahme habe ich wohl gesehen; aber dieser hier scheint wild zu sein.“

„Ja, kommt ihm ja nicht zu nahe!“

„Ist’s so schlimm? Er ist ja gefesselt!“

Er wollte sich dem Gefangenen nähern, aber der Anführer stellte sich ihm entgegen und sagte:

„Bleibt weg von ihm! Er geht Euch gar nichts an. Uebrigens muß ich Euch nun endlich fragen, wer ihr seid und was ihr hier bei uns wollt.“

„Das könnt Ihr sofort erfahren. Mein Kamerad heißt Kroners, und mein Name ist Pfefferkorn. Wir – – –“

„Pfefferkorn?“ wurde er unterbrochen. „Ist das nicht ein deutscher Name?“

„Mit Eurer Erlaubnis, ja.“

„So hole Euch der Teufel! Ich kann Leute Eures Gelichters nicht erriechen.“

„Das liegt jedenfalls nur an Eurer Nase, welche an Feineres nicht gewöhnt ist. Und wenn Ihr von Gelichter sprecht, so meßt Ihr mich wohl mit Eurer eigenen Elle.“

Er hatte das in einem ganz anderen als dem bisherigen leichten Tone gesprochen. Der andere zog die Brauen zornig empor und fragte beinahe drohend:

„Was wollt Ihr damit sagen?“

„Die Wahrheit, weiter nichts.“

„Für was haltet Ihr uns? Heraus damit!“

Er griff nach dem Messer, welches er im Gürtel stecken hatte. Jemmy machte eine verächtliche Handbewegung und antwortete ihm:

„Laßt Euren Kneif stecken, Master; mit ihm imponiert Ihr uns nicht. Ihr seid grob gegen mich gewesen und durftet nicht erwarten, daß ich Euch mit Eau de Cologne anspritze. Ein solches Herzeleid will ich der Firma Farina zu Köln am Rhein nicht anthun. Ich kann nicht dafür, daß ich Euch nicht gefalle, und es kommt mir auch gar nicht in den Sinn, Euch zuliebe hier im fernen Westen einen Frack anzuziehen, die Schöße nach vorn, und zwölfreihige Glacéhandschuhe an die Beine. Wenn Ihr uns nach unserem Habitus beurteilt, so fahrt Ihr durch Eure eigene Schuld in einen falschen Aermel. Hier gilt nicht der Rock, sondern der Mann, und der kann vor allen Dingen Höflichkeit verlangen. Ich habe Eure Frage beantwortet und nun kann ich auch Auskunft von Euch erwarten, wenn ich erfahren will, wer ihr seid.“

Die Leute machten große Augen, als der Kleine in einem solchen Tone zu ihnen sprach. Zwar griffen noch einige andere Hände in die Gürtel, aber das resolute Auftreten des dicken Männchens hatte doch zur Folge, daß der Anführer antwortete:

„Ich heiße Walker; das genügt. Die acht anderen Namen könntet Ihr Euch doch nicht merken.“

„Merken gar wohl; aber wenn Ihr meint, daß ich sie nicht zu wissen brauche, so habt Ihr sehr recht. Der Eurige genügt vollständig, denn wer Euch ansieht, der weiß auch ganz genau, wes Geistes Kind die anderen sind.“

„Mann! Ist das eine Beleidigung?“ fuhr Walker auf. „Wollt Ihr, daß wir zu den Waffen greifen sollen?“

„Das rate ich euch nicht. Wir haben vierundzwanzig Revolverschüsse, und wenigstens die Hälfte würdet ihr bekommen, ehe es euch gelänge, eure Schießhölzer auf uns zu richten. Ihr haltet uns für Neulinge, aber diese sind wir nicht. Wollt ihr es auf eine Probe ankommen lassen, so haben wir nichts dagegen.“

Er hatte blitzschnell seine beiden Revolver gezogen, und der lange Davy hielt auch die seinigen bereits in den Händen, und als Walker nach seinem am Boden liegenden Gewehre greifen wollte, warnte Jemmy:

„Laßt die Flinte liegen! Sobald Ihr sie berührt, habt Ihr meine Kugel. Das ist das Gesetz der Prairie. Wer zuerst losdrückt, hat das Recht und ist der Sieger!“

Die Leute waren beim Erscheinen der beiden so unvorsichtig gewesen, ihre Gewehre im Grase liegen zu lassen. Jetzt wagten sie nun nicht, nach denselben zu greifen.

’sdeath!“ meinte Walker. „Ihr thut ja ganz genau so, als ob ihr uns alle verschlingen wolltet!“

„Das fällt uns nicht ein, dazu seid ihr uns nicht appetitlich genug. Wir wollen von euch weiter gar nichts wissen, als was euch dieser Indianer gethan hat.“

„Geht das euch etwas an?“

„Ja. Wenn ihr euch ohne Grund an ihm vergreift, so befindet sich dann jeder andere Weiße ohne Schuld in der Gefahr, von der Rache der Seinigen getroffen zu werden. Also, warum habt ihr ihn gefangen genommen?“

„Weil es uns so gefiel. Er ist ein roter Schurke; das ist Grund genug. Eine weitere Antwort werdet ihr nicht bekommen. Ihr seid nicht unsere Richter, und wir sind keine Knaben, welche dem ersten besten Bescheid geben.“

„Diese Antwort genügt vollständig für uns. Wir wissen nun, daß euch der Mann keinen Grund zur Feindseligkeit gegeben hat. Ganz überflüssigerweise will ich ihn auch selbst noch fragen.“

„Den, fragen?“ lachte Walker höhnisch und seine Gefährten stimmten in das Gelächter ein. „Der versteht kein Wort englisch und hat uns mit keiner Silbe geantwortet.“

„Ein Indianer antwortet seinen Feinden nicht, wenn er gefesselt ist und vielleicht habt ihr ihn so behandelt, daß er euch selbst dann, wenn ihr ihm die Banden abnehmt, kein Wort hören ließe.“

„Prügel hat er bekommen; das ist richtig.“

„Prügel?“ rief Jemmy. „Seid ihr von Sinnen! Einen Indianer prügeln! Wißt ihr nicht, daß dies eine Beleidigung ist, welche nur mit Blut gesühnt werden kann?“

„Er mag sich unser Blut holen; nur bin ich neugierig, wie er das anfangen wird.“

„Sobald er frei ist, wird er es euch zeigen.“

„Frei wird er niemals wieder sein.“

„Wollt ihr ihn töten?“

„Was wir mit ihm thun werden, das geht euch nichts an, verstanden! Die Rothäute muß man zertreten, wo man sie nur immer findet. Jetzt habt ihr unseren Bescheid. Wollt ihr, bevor ihr euch von dannen macht, mit dem Kerl einmal sprechen, so habe ich nichts dagegen. Er versteht euch nicht und ihr seht beide nicht so aus, als ob man euch für Professoren der Indianersprachen halten müsse. Ich bin also sehr begierig, der Unterhaltung beizuwohnen.“

Jemmy zuckte verächtlich die Achsel und wendete sich zu dem Indianer.

Dieser hatte mit halbgeschlossenen Augen dagelegen und mit keinem Blicke, keiner Miene verraten, ob er von dem Gespräch ein Wort verstehe. Er war noch jung, ganz so, wie der Dicke gesagt hatte, vielleicht achtzehn Jahre alt. Sein dunkles, schlichtes Haar war lang; keine Frisur zeigte an, zu welchem Stamme er gehöre. Das Gesicht war nicht bemalt, und sogar die Scheitellinie seines Kopfes war nicht mit Ocker oder Zinnober gefärbt. Er trug ein weichledernes Jagdhemd und hirschlederne Leggins, beide an den Nähten ausgefranst. Zwischen diesen Fransen war kein einziges Menschenhaar zu sehen, ein Zeichen, daß der junge Mann noch keinen Feind getötet habe. Die zierlichen Mokassins waren mit Stachelschweinsborsten geschmückt, ganz wie Jemmy vermutet hatte. In dem roten Zeugstücke, welches er als Gürtel um die Hüften geschlungen hatte, war keine Waffe zu sehen; aber drüben am jenseitigen Ufer, wo das Pferd sich jetzt wieder aufgerichtet hatte und das Wasser des Baches mit Begierde zu schlürfen begann, lag ein langes Jagdmesser und am Sattel hing ein mit Klapperschlangenhaut überzogener Köcher und ein Bogen, welcher aus den Hörnern des Bergschafes verfertigt war und vielleicht den Preis von zwei oder drei Mustangs hatte.

Diese einfache Bewaffnung war ein sicherer Beweis, daß der Indianer nicht in feindlicher Absicht in diese Gegend gekommen war. Sein Gesicht war in diesem Augenblicke ohne allen Ausdruck. Der Indsman ist zu stolz, vor Fremden oder gar Feinden seine Gefühle merken zu lassen. Seine Züge waren noch jugendlich weich. Die Backenknochen traten zwar ein klein wenig hervor, doch that dies der Physiognomie nicht den mindesten Eintrag. Als Jemmy jetzt zu ihm trat, öffnete er zum erstenmal die Augen vollständig. Sie waren schwarz wie glänzende Kohle, und ein freundlicher Blick aus ihnen traf den Jäger.

„Mein junger roter Bruder versteht die Sprache der Bleichgesichter?“ fragte der Jäger.

„Ja,“ antwortete der Gefragte. „Woher weiß dies mein älterer weißer Bruder?“

„Ich sah an dem Blicke deines Auges, daß du uns verstanden hast.“

„Ich habe gehört, daß du ein Freund der roten Männer bist. Ich bin dein Bruder.“

„Will mir mein junger Bruder sagen, ob er einen Namen hat?“

Eine solche Frage ist für einen älteren Indianer eine schwere Beleidigung, denn wer noch keinen Namen hat, der hat noch nicht durch irgend eine That seinen Mut bewiesen und wird nicht zu den Kriegern gerechnet. Bei der Jugend dieses Gefangenen aber konnte Jemmy sich diese Frage erlauben. Dennoch antwortete der Jüngling:

„Meint mein guter Bruder, daß ich feig bin?“

„Nein, doch bist du ja noch zu jung, als daß du ein Krieger sein könntest.“

„Die Bleichgesichter haben den roten Männern gelehrt, bereits jung zu sterben. Mein Bruder mag mir das Jagdhemd auf der Brust öffnen, um zu erfahren, daß ich einen Namen besitze.“

Jemmy bückte sich nieder und nestelte das Jagdhemd auf. Er zog drei rotgefärbte Federn des Kriegsadlers hervor.

„Ist’s möglich!“ rief er aus. „Ein Häuptling kannst du doch nicht sein!“

„Nein,“ lächelte der Jüngling. „Ich darf die Federn des Mah-sisch tragen, weil ich Wohkadeh heiße.“

Diese beiden Worte gehören der Mandanersprache an, das erstere heißt Kriegsadler, und das letztere ist der Name für die Haut eines weißen Büffels. Da die weißen Büffel aber höchst selten sind, so gilt das Erlegen eines solchen bei manchen Stämmen mehr als das Töten mehrerer Feinde und berechtigt sogar zum Tragen der Federn des Kriegsadlers. Der junge Indianer hatte einen solchen Büffel erlegt und infolgedessen den Namen Wohkadeh erhalten.

Das war an und für sich nichts Seltsames; nur erstaunten Davy und Jemmy darüber, daß der Name der Mandanersprache entnommen war. Die Mandans gelten für ausgestorben. Darum fragte der Kleine:

„Welchem Stamme gehört mein roter Bruder an?“

„Ich bin ein Numangkake und zugleich ein Dakota.“

Numangkake nannten sich die Mandans selbst, und Dakota ist der Sammelname aller Siouxstämme.

„So bist du von den Dakota angenommen worden?“

„So, wie mein weißer Bruder sagt. Der Bruder meiner Mutter war der große Häuptling Mah-to-toh-pah. Er trug diesen Namen, weil er vier Bären auf einmal getötet hatte. Die weißen Männer kamen und brachten uns die Blattern. Mein ganzer Stamm erlag denselben bis auf wenige, welche, um den vorangegangenen nach den ewigen Jagdgründen zu folgen, die Sioux reizten und von denselben erschlagen wurden. Mein Vater, der tapfere Wah-kih (Schild), wurde nur verwundet und später gezwungen, ein Sohn der Sioux zu werden. So bin ich ein Dakota, aber mein Herz gedenkt der Ahnen, welche der Große Geist zu sich gerufen hat.“

„Die Sioux befinden sich jetzt jenseits der Berge. Wie kommst du über dieselben herüber?“

„Ich komme nicht von den Bergen, welche mein Bruder meint, sondern vom hohen Gebirge im Westen herab und habe einem kleinen weißen Bruder eine wichtige Botschaft zu bringen.“

„Dieser weiße Bruder wohnt hier in der Nähe?“

„Ja. Woher weiß mein älterer weißer Bruder das?“

„Ich folgte deiner Spur und hab‘ gesehen, daß du dein Pferd antriebst wie einer, der sich nahe am Ziele befindet.“

„Du hast richtig gedacht. Ich wäre nun jetzt am Ziele; aber diese Bleichgesichter verfolgten mich; mein Pferd war zu abgemattet und konnte den Sprung über dieses Wasser nicht thun; es stürzte. Wohkadeh kam unter dasselbe zu liegen und verlor die Besinnung; als er erwachte, war er mit Riemen gebunden.“

Und in der Siouxsprache fügte er knirschend hinzu:

„Es sind Feiglinge. Neun Männer fesseln einen Knaben, dessen Seele von ihm gewichen ist! Hätte ich mit ihnen kämpfen können, so gehörten jetzt ihre Skalpe mir.“

„Sie haben dich sogar geschlagen!“

„Sprich nicht davon, denn jedes dieser Worte riecht nach Blut. Mein weißer Bruder wird mir die Fesseln abnehmen, und dann wird Wohkadeh als Mann an ihnen handeln.“

Er sagte das mit solcher Zuversichtlichkeit, daß der dicke Jemmy lächelnd fragte:

„Hast du nicht gehört, daß ich ihnen nichts zu befehlen habe?“

„O, mein weißer Bruder fürchtet sich vor hundert solchen Männern nicht. Ein jeder von ihnen ist Wakon kanch (ein altes Weib).“

„Meinst du? Woher kannst du wissen, daß ich mich vor ihnen nicht fürchte?“

„Wokadeh hat offene Augen. Er hörte von den beiden berühmten weißen Kriegern oft sprechen, welche Davy-hons-keh und Jemmy-petahtscheh genannt werden, und hat sie an ihren Gestalten und Worten erkannt.“

Der kleine Jäger wollte antworten, wurde aber von Walker unterbrochen:

„Halt, Mann! So haben wir nicht gewettet! Ich habe Euch zwar erlaubt, mit dem Kerl zu reden; aber das muß in englischer Sprache geschehen. Euer Kauderwelsch kann ich nicht dulden; denn ich muß da gewärtig sein, daß ihr miteinander gegen uns Pläne schmiedet. Uebrigens genügt es uns, erfahren zu haben, daß er des Englischen mächtig ist. Wir brauchen euch nun nicht mehr, und ihr könnt also dahin gehen, woher ihr gekommen seid. Und wenn das nicht schnell geschieht, so werde ich euch Beine machen!“

Jemmys Blick flog zu Davy hinüber, und dieser gab ihm mit einer Wimper einen Wink, den niemand bemerkte. Für den Dicken aber war dieses blitzschnelle Zucken des Auges verständlich genug. Der Lange hatte ihn auf die Büsche aufmerksam gemacht, welche seitwärts von ihm standen. Jemmy richtete einen kurzen, aber scharf forschenden Blick hinüber und bemerkte, daß nahe am Boden die Läufe zweier Doppelgewehre ein wenig zwischen den Zweigen hervorragten. Dort lagen also zwei Männer im Anschlage. Wer waren sie? Freunde oder Feinde? Die Sorglosigkeit, welche Davy zeigte, beruhigte ihn. Er antwortete Walker:

„Die Beine, welche Ihr mir machen wollt, möchte ich wohl sehen! Ich habe keine solche Veranlassung zum schnellen Davonlaufen wie ihr.“

„Wie wir? Wem sollten wir davonlaufen?“

„Demjenigen, dem gestern noch diese beiden Pferde gehört haben. Verstanden?“

Er deutete bei diesen Worten auf zwei braune Wallachen, welche eng nebeneinander standen, als ob sie wüßten, daß sie zusammen gehörten.

„Was?“ rief Walker. „Wofür haltet Ihr uns? Wir sind ehrliche Prospekters, welche hinüber nach Idaho wollen, wo jetzt neue Goldlager entdeckt worden sind.“

„Und weil es euch zu dieser Reise an den nötigen Pferden mangelt, so seid ihr nebenbei auch eben so ehrliche Horsepilfers. Uns täuscht ihr nicht!“

„Mann, sag noch ein Wort, so schieße ich dich nieder! Wir haben alle diese Pferde gekauft und bezahlt.“

„Wo denn, mein ehrlicher Master Walker?“

„Bereits unten in Omaha.“

„So! Und da habt ihr euch dort wohl auch gleich einen Vorrat von Hufschwärze mitgenommen? Warum sind denn die beiden Braunen so frisch, wie aus der Fenz heraus? Warum haben sie frisch geschwärzte Hufe, während eure anderen Gäule abgetrieben sind und in den verwahrlosesten Pantoffeln laufen? Ich sage euch, daß die Braunen noch gestern einen anderen Herrn gehabt haben und daß der Diebstahl von Pferden hier im fernen Westen mit dem schönen Tode durch den Strang bestraft wird.“

„Lügner! Verleumder!“ brüllte Walker, sich nach seinem Gewehre bückend.

„Nein, er hat recht!“ ertönte eine Stimme zwischen den Büschen hervor. „Ihr seid elende Pferdediebe und sollt euren Lohn haben. Schießen wir sie nieder, Martin!“

„Nicht schießen!“ rief der lange Davy. „Nehmt die Kolben! Eine Kugel sind sie nicht wert.“

Er holte mit dem umgekehrten Gewehre aus und versetzte Walker einen Hieb, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Aus den Büschen sprangen zwei Gestalten, ein kräftiger Knabe und ein älterer Mann, mit hoch erhobenen Gewehren hervor und warfen sich auf die angeblichen Prospekters.

Jemmy hatte sich niedergebückt und mit zwei schnellen Schnitten die Fesseln Wohkadehs gelöst. Dieser schnellte empor, sprang auf einen der Feinde zu, ergriff ihm beim Genick, riß ihn nieder und schleuderte ihn über das Wasser hinüber, wo sein Skalpmesser lag. Kein Mensch hätte ihm eine solche Körperstärke zugetraut. Ihm nachspringen, das Messer mit der Rechten ergreifen, auf den Feind knieen und dessen Haarschopf mit der Linken erfassen, das war das Werk eines Augenblickes.

Help – help -for God’s sake – help!“ kreischte der Mann in höchster Todesangst auf.

Wohkadeh hatte das Messer zum tödlichen Stoße erhoben. Sein blitzendes Auge fiel auf das vor Entsetzen verzerrte Gesicht des Feindes – und seine Hand sank mit dem Messer nieder.

„Hast du Angst?“ fragte er.

„Ja, o Gnade, Gnade!“

„Sag‘, daß du ein Hund bist!“

„Gern, sehr gern! Ich bin ein Hund!“

„So bleib‘ zu deiner Schande leben; ein Indianer stirbt mutig und ohne Klage, du aber wimmerst um Barmherzigkeit. Wohkadeh kann den Skalp eines Hundes nicht tragen. Du hast mich geschlagen; dafür gehörte deine Kopfhaut mir; aber ein räudiger Hund kann keinen roten Mann beleidigen. Lauf fort; es ekelt Wohkadeh vor dir l“

Er gab ihm einen Tritt mit dem Fuße. Im nächsten Augenblicke war der Mann verschwunden.

Das alles war viel, viel schneller geschehen, als man es zu erzählen vermag. Walker lag am Boden, ein anderer neben ihm; die übrigen hatten sich schleunigst aus dem Staube gemacht. Ihre Pferde waren ihnen nachgelaufen; die beiden Braunen standen noch da und rieben ihre Köpfe an den Schultern der beiden Helfer, welche sich so unerwartet eingestellt hatten.

Der Knabe mochte ungefähr das sechzehnte Jahr zurückgelegt haben, doch war sein Körper über dies Alter hinaus entwickelt. Heller Teint, blondes Haar und blaugraue Augen wiesen auf germanische Abstammung hin. Er war barhäuptig und ganz in blaues Leinen gekleidet. In seinem Gürtel steckte ein Messer, dessen Griff von seltener indianischer Arbeit war, und das Doppelgewehr, welches er in der Hand hielt, schien für ihn fast zu schwer zu sein. Seine Wangen hatten sich im Kampfe hoch gerötet, aber er stand doch so ruhig da, als ob es etwas für ihn ganz Gewöhnliches gegeben hätte. Wer ihn jetzt betrachtete, war jedenfalls geneigt, anzunehmen, daß solche Scenen, wie die eben vergangene, für ihn nichts Seltenes seien.

Einen eigentümlichen Anblick bot sein Begleiter. Dieser war ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen Gesicht von einem dichten, schwarzen Vollbarte umrahmt war. Ertrug indianische Schuhe und Lederhosen und dazu einen dunkelblauen Frack, welcher mit hohen Achselbuffen, Batten und blank geputzten Messingknöpfen versehen war. Dieses letztere Kleidungsstück stammte wohl aus dem ersten Viertel des gegenwärtigen Jahrhunderts. Damals wurde ja ein Tuch fabriziert, welches für eine Ewigkeit gemacht zu sein schien.

Freilich war der Frack außerordentlich verschossen und an den Nähten fleißig mit Tinte aufgefärbt, aber es war noch kein einziges Löchlein darin zu bemerken. Solchen alten Kleidungsstücken begegnet man im „far West“ sehr oft. Dort geniert es keinen, ein altmodisches Habit zu tragen, denn bei den dortigen Verhältnissen gilt der Mann mehr als das Kleid.

Auf dem Kopfe trug der kleine Mann einen riesigen schwarzen Amazonenhut, den eine große, gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Dieses Prachtstück hatte jedenfalls vor Jahren irgend einer Lady des Ostens gehört und war dann durch ein launenhaftes Schicksal nach dem fernen Westen verschlagen worden. Da seine außerordentlich breite Krämpe sehr gut gegen Sonne und Regen schützte, so hatte sich der jetzige Besitzer gar keine Skrupel gemacht, ihm die gegenwärtige Bestimmung zu geben.

Bewaffnet war das Männchen nur mit Büchse und Messer. Selbst der Gürtel fehlte, ein sicheres Zeichen, daß der Kleine sich jetzt nicht auf einem weiten Jagdzuge befand.

Er schritt auf der kleinen Walstatt hin und her und betrachtete sich einige Gegenstände, welche von den Besiegten in der Eile der Flucht zurückgelassen worden waren, dabei konnte man bemerken, daß er mit dem linken Fuße hinkte; Wohkadeh war der erste, welchem dieser Umstand auffiel. Er trat zu ihm, legte ihm die Hand an den Arm und fragte:

„Ist mein weißer Bruder vielleicht der Jäger, welchen die Bleichgesichter den Hobbel-Frank nennen?“

Der Kleine nickte ein wenig überrascht und antwortete bejahend in englischer Sprache. Da deutete der Indianer auf den jungen Weißen und erkundigte sich weiter:

„Und dieser hier ist Martin Baumann, der Sohn des berühmten Mato-poka?“

Mato-poka ist ein aus der Sioux- und Utahsprache zusammengetragenes Wort und bedeutet „Bärentöter“.

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„So seid ihr es, die ich suche.“

„Zu uns willst du? Willst du vielleicht etwas kaufen? Wir haben nämlich ein Store und handeln mit allem, was einem Jäger von nöten ist.“

„Nein. Ich habe eine Botschaft an euch auszurichten.“

„Von wem?“

Der Indianer dachte eine kurze Weile nach, warf einen forschenden Blick rundum und antwortete dann:

„Hier ist nicht der Ort dazu, euer Wigwam liegt nicht weit von hier an diesem Wasser?“

„Ja. In einer Stunde können wir dort sein.“

„So laßt uns dahin gehen. Wenn wir an eurem Feuer sitzen, werde ich euch mitteilen, was ich euch zu sagen habe. Kommt!“

Er sprang über das Wasser, holte sein Pferd herüber, welches ihn nun wohl die kurze Strecke noch zu tragen vermochte, stieg auf und ritt davon, ohne sich umzusehen, ob die andern ihm auch folgten.

„Der macht kurzen Prozeß!“ meinte der Kleine.

„Soll er Euch etwa eine Rede halten, welche noch dünner und länger ist, als ich bin?“ lachte der lange Davy „So ein Roter weiß sehr genau, was er thut, und ich rate Euch, ihm augenblicklich zu folgen.“

„Und ihr? Was werdet ihr thun?“

„Wir reiten mit. Wenn Euer Palast sich in so großer Nähe befindet, so wäre es ja die niederträchtigste Unhöflichkeit von Euch, wenn Ihr uns nicht auf einen Schluck und zwei Bissen einladen wolltet. Und da Ihr einen Kramladen habt, so können wir Euch vielleicht einige Dollars zu verdienen geben.“

„So! Habt ihr denn einige Dollars bei euch?“ fragte der Kleine in einem Tone, welcher hören ließ, daß er die beiden Jäger nicht gerade für Millionäre halte.

„Das geht Euch erst dann etwas an, wenn wir kaufen wollen. Verstanden?“

„Hm, ja freilich! Aber wenn wir jetzt fortgehen, was soll dann mit den Kerls werden, die uns die zwei Pferde gestohlen haben? Wollen wir nicht wenigstens ihrem Anführer, diesem Walker, ein Andenken hinterlassen, welches ihn an uns erinnert?“

„Nein. Laßt sie laufen, Mann. Sie sind feige Diebe, die vor einem Bowiemesser davonlaufen. Es macht Euch keine Ehre, wenn Ihr Euch noch länger mit ihnen beschäftigt. Die Pferde habt Ihr ja wieder. Damit basta!“

„Hättet Ihr nur besser ausgeholt, als Ihr ihn niederschlugt. Der Kerl hat nur das Bewußtsein verloren.“

„Ich habe das mit Absicht gethan. Es ist kein sehr angenehmes Gefühl, einen Menschen erschlagen zu haben, den man auf andere Weise unschädlich machen kann.“

„Na, recht mögt ihr haben. Kommt also zu euren Pferden!“

„Wie? Ihr wißt, wo unsere Pferde sind?“

„Freilich. Wir müßten sehr schlechte Westmänner sein, wenn wir nicht vorher rekognosciert hätten, bevor wir euch unsere Anwesenheit merken ließen. Als wir entdeckten, daß uns zwei Pferde gestohlen worden seien, folgten wir der Spur der Diebe. Leider machten wir diese Entdeckung so spät, daß wir die Kerls erst hier einzuholen vermochten. Die Pferde weideten im Freien, und wir pflegen uns erst am Abend um sie zu bekümmern. Kommt!“

Er stieg auf das eine der wiedererlangten Tiere. Sein junger Begleiter sprang auf das andere. Beide lenkten ihre Pferde genau nach der Stelle hin, wo Jemmy und Davy die ihrigen in den Sträuchern versteckt hatten. Die beiden Letztgenannten machten sich auch beritten, und nun folgten die Vier der Fährte des Indianers, welchen sie bald vor sich erblickten. Doch ließ er sie nicht ganz an sich herankommen, sondern er ritt immer vor ihnen her, als ob er ganz genau die Richtung wisse, welche er einzuschlagen habe, um das Ziel zu erreichen.

Der Hobbel-Frank hielt sich an der Seite des dicken Jemmy, an welchem er Wohlgefallen zu finden schien.

„Wollt Ihr mir wohl sagen, Mister, was ihr eigentlich in dieser Gegend wollt?“ meinte er.

„Wir wollten eigentlich ein wenig hinauf ins Montana, wo es eine viel bessere Jagd gibt als diesseits. Dort findet man noch verständige Waldläufer und Savannenmänner, welche die Jagd eben um der Jagd willen betreiben. Hier aber schlachtet man die Tiere förmlich ab. Die Sonntagsbüchse wütet unter den armen Büffeln, welche zum Beispiel zu Tausenden getötet werden, nur weil ihre Häute sich besser zu Treibriemen eignen als gewöhnliches Rindsleder. Es ist eine Sünde und eine Schande! Nicht?“

„Da habt Ihr sehr recht, Master. Das ist früher ganz anders gewesen. Da hieß es: Mann gegen Mann; das heißt, der Jäger stellte sich dem Wilde ehrlich gegenüber, um sich das Fleisch, welches er brauchte, mit Gefahr seines Lebens zu erkämpfen. Jetzt aber ist die Jagd fast nur ein feiges Morden aus dem Hinterhalte, und die Jäger von altem Schrot und Korn sterben nachgerade aus. Leute, wie ihr beide, sind jetzt selten. Geld traue ich euch freilich nicht viel zu, aber einen guten Klang haben eure Namen; das muß man gern gestehen!“

„Kennt Ihr denn unsere Namen?“

„Will’s meinen.“

„Woher?“

„Dieser Wohkadeh hat sie ja genannt, als ich mit dem Martin im Busche lag und euch belauschte. Eigentlich habt Ihr gar nicht so die richtige Gestalt für einen Westmann. Eure Taille ist mehr geeignet für einen deutschen Bäckermeister oder Kommunalgardehauptmann; aber – – –“

„Was?“ fiel der Dicke schnell ein. „Ihr redet da von Deutschland. Kennt Ihr es vielleicht?“

„Na, und ob! Ich bin ein Deutscher mit Haut und Haar!“

„Und ich mit Leib und Seele!“

„Ist’s wahr?“ fragte Frank, indem er sein Pferd anhielt. „Na, es ist wahr, ich konnte es mir eigentlich gleich denken. Einen Yankee von Eurem Körperumfang kann es ja gar nicht geben. Ich aber freue mich königlich, einen Landsmann getroffen zu haben. Her mit Eurer Hand, Mann! Ihr seid mir herzlich willkommen!“

Sie schlugen ein, daß beiden die Hände schmerzten. Der Dicke aber meinte:

„Treibt nur Euer Pferd wieder an. Wir brauchen ja trotzdem nicht hier halten zu bleiben. Wie lange seid Ihr denn nun bereits hier in den Staaten?“

„Einige zwanzig Jahre.“

„So habt Ihr wohl indessen Euer Deutsch verlernt?“

Beide hatten bisher englisch gesprochen. Bei der letzten Frage richtete Frank seine kleine Gestalt möglichst hoch im Sattel empor und antwortete in beleidigtem Tone:

„Ich? Meine Schprache verlernt? Da kommen Sie bei mir merschtenteels verkehrt an! Ich bin een Deutscher und bleib een Deutscher, zumal wir jetzt nu eenen Kaiser haben. Wissen Sie ungefähr, wo dazumal meine Wiege geschtanden hat?“

„Nein. Ich war ja nicht dabei.“

„Wenn ooch! Sie müssen ja gleich an meiner Ausschprache merken, daß ich aus der Provinz schtamme, in der man das reinste Deutsch spricht.“

„So! Welche wäre das?“

„Allemal nur Sachsen! Verschtehen Sie? Ich hab‘ schon noch mit anderen Deutschen geschprochen, aberst ich hab‘ so einen niemals nicht so gut verschtanden, als wenn er eben in Sachsen geboren gewest wäre. Sachsen ist das Herz von Deutschland. Dresden ist klassisch; die Elbe ist klassisch; Leipzig ist klassisch; die sächsische Schweiz ist klassisch, und der Sonnenstein ooch. Das schönste und reinste Deutsch hört man auf der Schtrecke zwischen Pirna und Meißen, und grad so ziemlich zwischen diesen beiden Schtädten hab‘ ich mein erschtes Licht der Welt erblickt. Und nachhero schpäter hab‘ ich ganz in derselbigen Gegend meine Karriere angefangen. Ich war nämlich Forschtgehilfe in Moritzburg, was een sehr berühmtes königliches Jagdschloß ist mit eener famosten Bildergalerie und großen Karpfenteichen. Sie sehen also, daß ich een wirklich angeschtellter Beamter gewest bin mit zwanzig Thaler Monatsgage. Mein bester Freund war der dortige Schulmeister, mit dem ich alle Abende Sechsundsechzig geschpielt und nachhero von den Künsten und Wissenschaften geschprochen habe. Dort hab‘ ich mir eene ganz besondre allgemeine Bildung angeeignet und auch zum erschtenmale erfahren, wo Amerika liegt. In der deutschen Schprache waren wir einander sehr überlegen, und darum weiß ich ganz genau, daß in Sachsen ohne alle Umschtände der allerschönste Syntax geschprochen wird. Oder zweifeln Sie etwa daran? Sie machen mir so een verbohrtes Gesicht!“

„Ich mag nicht darüber streiten, obgleich ich früher Gymnasiast gewesen bin.“

„Wie? Ist’s wahr? Auf dem Gymnasium haben Sie schtudiert?“

„Ja, ich hab‘ auch mensa dekliniert.“

Der Kleine warf ihm von der Seite einen pfiffigen Blick zu und sagte:

Mensa dekliniert? Da haben Sie sich wohl verschprochen?“

„Nein.“

„Na, dann ist’s mit Ihrem Gymnasium ooch nicht sehr weit her. Es heißt nicht dekliniert, sondern deklamiert, und auch nicht Mensa, sondern Pensa. Sie haben Ihre Pensa deklamiert, vielleicht des Sängers Fluch von Hufeland oder den Freischütz von Frau Maria Leineweber. Aberst deshalb keine Feindschaft nicht. Es hat eben jeder so viel gelernt, wie er kann, mehr nicht, und wenn ich eenen Deutschen sehe, so freue mich drüber, ooch wenn er nicht grad een gescheiter Kerl ist oder gar een Sachse. Also, wie schtehts? Wolln wir gute Freunde sein?“

„Das versteht sich ganz von selbst!“ lachte der Dicke. „Ich hab‘ immer gehört, daß die Sachsen die gemütlichsten Kerle sind.“

„Das sind wir, ja! Da dran beißt keine Maus keinen Faden. Das ist angeborene Intelligenz.“

„Warum aber haben Sie Ihre schöne Heimat verlassen?“

„Eben wegen der Kunst und Wissenschaft.“

„Wieso?“

„Das kam ganz plötzlich und folgendermaßen: Wir schprachen von der Politik und Weltgeschichte, abends in der Restauration. Wir waren ihrer drei am Tische, nämlich ich, der Hausknecht und der Nachtwächter. Der Schulmeister saß am anderen Tische bei den Vornehmen. Weil ich aber schtets een sehr leutseliger Mensch gewest bin, hatte ich mich zu den Zween gesetzt, die ooch ganz glücklich waren über diese Art von loyaler Herablassung. Bei der Weltgeschichte nun kamen wir ooch auf den alten Papa Wrangel zu schprechen, und daß der sich das Zeitwort merschtenteels so angewöhnt gehabt hatte, daß er es bei jeder Gelegenheit um Vorscheine brachte. Bei dieser Gelegenheit nun fingen die beiden Kerls an, sich mit mir über die richtige orthographische Konterpunktion und Ausschprache dieses Wortes zu schtreiten. Jeder hatte eene andre Ansicht von seiner Meinung. Ich sagte, es müsse geschprochen werden mehrschtenteels; der Hausknecht meinte aberst mehrschtenteils, und der Nachtwächter sagte gar meistenteels. Bei diesem Schtreite kam ich nach und nach in die Wolle, und endlich wurde es mir so wann, daß ich am allerliebsten mit allen Beinen dreingeschprungen wäre; aberst als gebildeter Beamter und Schtaatsbürger bewahrte ich mir die Kraft, meine Selbstüberwindung zu beherrschen, und wendete mich an meinen Freund, den Schulmeister. Natürlich hatte ich recht, aber er mochte schlechte Laune haben oder so een bischen Anflug von gelehrtem Uebermut, kurz und gut, er gab mir nicht recht und sagte, wir hätten alle Drei unrecht. Er behauptete, in dem Worte mehrschtentheels müßten zwei ei stehen. Weil ich nun aberst ganz gewiß weiß, daß es nur een einziges Wort mit zwei ei gibt, nämlich Reisbrei, so wurde ich unangenehm. Ich will zwar keinem anderen seinen Dialekt verderben, aberst den meinigen soll man auch respektieren, zumal wenn er der richtige ist. Aberst das wollte der Nachtwächter nicht einsehen; er sagte, ich könne auch nicht richtig schprechen, und da that ich denn, was jeder Ehrenmann gethan haben würde: ich warf ihm mein beleidigtes Ehrgefühl an den Kopf und das Bierglas dazu. Jetzt freilich gab es verschiedene Scenen ohne Kulissen, und das Ende war, daß ich wegen Schtörung der öffentlichen Unruhe und wegen Verletzung eines beabsichtigten Körpers in Anklagezuschtand versetzt wurde. Ich sollte beschtraft und abgesetzt werden. Die Beschtrafung und Absetzung hätte ich mir wohl gefallen gelassen, aberst daß ich auch meine Anschtellung verlieren sollte, das war mir zu viel; das konnte ich nicht verwinden. Als ich die Schtrafe und die Absetzung überschtanden hatte, ging ich auf und davon. Und weil ich alles, was ich einmal mache, ooch gleich ordentlich mache, so ging ich gleich nach Amerika. Also ist eigentlich nur der alte Wrangel schuld, daß Sie mich heut hier getroffen haben.“

„Ich bin ihm sehr dankbar dafür, denn Sie gefallen mir,“ versicherte der Dicke, indem er dem Kleinen freundlich zunickte.

„So? Ist das wahr? Nun, ich habe auch gleich so eine Art von heimlicher Zuneigung für Sie empfunden, und das hat natürlich seinen guten Grund. Erschtens sind Sie kein übler Kerl; zweitens bin ich auch nicht ganz ohne, und so können wir drittens recht gute Freunde werden. Beigeschtanden haben wir auch schon einander, und so ischt eigentlich das Band schon fertig, welches uns lieblich umschlingen soll. Sie werden gütigst bemerken, daß ich mich schtets in gewählten Ausdrücken bewege, und daraus können Sie schließen, daß ich mich Ihren Freundschaftsempfindungen nicht unwürdig erweisen werde. Der Sachse ist immer nobel, und wenn mich heut ein Indianer schkalpieren wollte, so würde ich höflich zu ihm sagen: Bitte, bemühen Sie sich freundlichst! Hier haben Sie meine Schkalplocke!

Da meinte Jemmy lachend:

„Wollte er dann ebenso höflich sein, so müßte er Ihnen Ihre Kopfhaut lassen. Aber, um nun auch von einem anderen zu sprechen, ist Ihr Begleiter wirklich der Sohn des bekannten Bärenjägers Baumann?“

„Ja. Baumann ist mein Compagnon, und sein Sohn, der Martin, nennt mich Onkel, obgleich ich das einzige Kind meiner Eltern gewest bin und auch nie verheiratet war. Wir trafen uns drunten in St. Louis, damals, als das Goldfieber die Diggers nach den schwarzen Hügeln zog. Wir hatten uns beide ein Sümmchen geschpart und beschlossen, hier oben ein Store anzulegen. Das war jedenfalls vorteilhafter, als mit nach Gold zu graben. Die Sache gelang recht gut. Ich übernahm den Laden, und Baumann ging auf die Jagd, um für Proviant zu sorgen. Später aber schtellte sich’s heraus, daß hier am Orte kein Gold zu finden sei. Die Diggers zogen fort, und nun wohnten wir allein da mit unseren Vorräten, die wir nicht verkauften, weil wir keine Bezahlung erhalten hätten. Nur nach und nach wurden wir sie an Jäger los, welche ganz zufällig hier vorüberkamen. Das letzte Geschäft machten wir vor zwei Wochen. Da suchte uns eine kleine Gesellschaft auf, welche meinen Compagnon engagieren wollte, sie hinauf nach dem Yellowstone zu begleiten. Dort sollen nämlich Halbedelsteine in Massen zu finden sein, und diese Leute waren Steinschleifer. Baumann ließ sich bereit finden, machte sich ein ansehnliches Honorar aus, verkaufte ihnen eine bedeutende Quantität Munition und anderes Brauchbare und ging dann mit ihnen fort. Jetzt nun bin ich mit seinem Sohne und einem alten Neger, den wir von St. Louis mitgenommen haben, ganz allein im Blockhause.“

Während dieses trockenen Berichtes hatte er sich kaum bemerkbar seines heimatlichen Dialektes bedient, was dem dicken Jemmy, welcher gewohnt war, auf alles zu achten, auffiel. Er blickte den Kleinen forschend von der Seite an und fragte:

„Kennt denn Baumann den Yellowstone-River?“

„Er ist früher eene ziemliche Schtrecke an demselben hinaufgegangen.“

„Das ist aber höchst gefährlich.“

„Jetzt wohl nicht mehr.“

„Meinen Sie? ja, seit die Wunder jener Gegend entdeckt worden sind, hat der Vereinigten-Staaten-Kongreß mehrere Expeditionen hinaufgesandt, um die Gegend zu vermessen. Das Gebiet ist zum Nationalpark erklärt worden; aber daraus machen sich die Indianer nichts. Zwischen hier und dort jagen jetzt die Schlangenindianer.“

„Sie haben das Kriegsbeil vergraben.“

„Und ich hörte, daß sie es in neuester Zeit wieder ausgegraben haben sollen. Ihr Freund befindet sich ganz gewiß in Gefahr. Dazu der Bote, welcher heute zu Ihnen kommt. Ich ahne nichts Gutes.“

„Dieser Indianer ist ein Sioux.“

„Aber er zögerte, seine Botschaft auszurichten. Das ist nie ein gutes Zeichen. Mit einer frohen Nachricht braucht man nie zurückzuhalten, und er sagte mir ja auch, daß er vom Yellowstone komme.“

„So will ich schnell zu ihm.“

Er spornte sein Pferd an, um Wohkadeh zu erreichen. Sobald dieser dies bemerkte, stieß er dem seinigen die Fersen in die Weichen und eilte voran. Wenn der Hobbel-Frank nicht ein Wettrennen unternehmen wollte, mußte er darauf verzichten, jetzt bereits mit dem Indianer zu sprechen.

Indessen hatte sich der Sohn des Bärenjägers zu dem langen Davy gehalten. Diesem letzteren lag natürlich auch daran, etwas über die Verhältnisse seines Vaters zu erfahren; er erhielt zwar Auskunft, aber nicht so ausführlich, wie es sein Wunsch gewesen war. Der Knabe war sehr zurückhaltend und einsilbig.

Endlich machte der Bach eine Krümmung um eine Anhöhe, und auf derselben erblickten die Nahenden eine Blockhütte, deren Lage sie zu einem kleinen Fort machte, welches sicheren Schutz gegen einen Indianerangriff bot.

Die Höhe fiel an drei Seiten so steil ab, daß man sie nicht erklimmen konnte. Die vierte Seite war mit einer doppelten Fenz versehen. Unten gab es ein Maisfeld und ein kleines, mit Tabak bebautes Land. In der Nähe desselben weideten zwei Pferde. Martin deutete auf dieselben und erklärte:

„Von dort weg haben uns die Männer unsere Pferde gestohlen, als wir nicht daheim waren. Wo mag Bob, unser Neger sein?“

Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Da lugte ein schwarzer Kopf hinter den hohen Maispflanzen hervor; zwischen den breit gezogenen, wulstigen Lippen waren zwei Reihen von Zähnen zu sehen, auf welche ein Jaguar hätte stolz sein können; dann trat die herkulische Gestalt des Negers hervor. Er hatte einen schweren, dicken Pfahl in der Hand und sagte unter einem grinsenden Lachen:

„Bob sich verstecken und aufpassen. Wenn Spitzbuben wiederkommen und auch noch zwei andere Pferde stehlen wollen, dann ihnen mit diesem Stock die Köpfe einschlagen.“

Er schwang den Pfahl mit einer Leichtigkeit in der Hand, als ob derselbe eine leichte Weidenrute sei.

Der Indianer bekümmerte sich gar nicht um ihn. Er ritt an ihm vorüber, die vierte, zugängliche Seite der Höhe bis zur Doppelfenz empor, sprang vorn Rücken seines Pferdes über dieselbe hinweg und verschwand dann hinter der Einzäunung.

„Was sein Redman für ein grob Kerl!“ zürnte der Neger. „Reiten an Masser Bob vorüber, ohne sagen: good day! Springen über Fenz und gar nicht warten, bis Massa Martin ihm erlauben, einzutreten. Masser Bob ihn werden höflich machen!“

Der gute Schwarze gab sich also selbst den Titel Masser Bob, also Master oder Herr Bob. Er war ein freier Neger und fühlte sich sehr beleidigt, von dem Indianer nicht begrüßt worden zu sein.

„Du wirst ihn nicht beleidigen,“ warnte Martin. „Er ist unser Freund.“

„Das sein ein ander Sachen. Wenn Redman sein Freund von Massa, so sein auch Freund von Masser Bob. Massa Pferde wieder haben? Spitzbuben tot gemacht?“

„Nein. Sie sind entflohen. Oeffne die Fenz!“

Bob stieg mit langen Schritten voran und schob oben die beiden schweren Teile des Thores auseinander, als ob sie aus Papier geschnitten seien. Dann ritten die anderen in den Raum, welcher von der Fenz umschlossen wurde.

In der Mitte stand die viereckige Blockhütte, aber eigentlich nicht Blockhütte, da sie nicht von ineinandergefügten Holzstämmen errichtet war. Das Material, welches man zu ihrer Errichtung verwendet hatte, bestand aus Steinen, Lehm und Stangen, welche aus den Büschen geschnitten worden waren. Die Schindeln zu dem Dache waren jedenfalls von weit herbeigeholt worden.

Die Thür stand offen. Als die Männer eintraten, sahen sie den Indianer in der Mitte des einen Raumes sitzen, welchen das Innere der Hütte bildete. Wo sein Pferd sich befand, das schien ihn gar nicht zu kümmern. Es war mit den anderen in die Umfriedigung herein gekommen.

jetzt nun begrüßten Martin und der Hobbel-Frank die beiden Gäste mit herzlichen Handschlägen. Die letzteren blickten sich in dem Raume um. Im hinteren Teile desselben hatte sich der Laden befunden, dessen Vorräte aber sehr auf die Neige gegangen waren. Einige auf Pfähle geschlagene Kistendeckel bildeten die Tische. Die Sessel waren aus demselben Materiale zusammengenagelt. In einer Ecke befanden sich die Lagerstätten; sie waren so kostbar, daß man die Bewohner des Blockhauses hätte um dieselben beneiden mögen, denn sie bestanden aus einer ganzen Anzahl übereinandergelegter Felle des fürchterlichen grauen Bären, welcher das gefährlichste Raubtier Amerikas ist. Richtet sich ein solcher ausgewachsener Grizzly auf den Hinterpranken empor, so ist er leicht zwei Fuß höher als ein Mann von guter Körperlänge. Einen solchen Bären erlegt zu haben, gilt bei den Indianern als größtes Heldenstück, und selbst der viel besser bewaffnete Weiße geht diesem Tiere lieber aus dem Wege, als daß er sich ohne Not in einen Kampf mit demselben einläßt.

Verschiedene Waffen, Kriegs- und Jagdtrophäen hingen an den Wänden, und in der Nähe des Kamins waren mächtige Stücke Rauchfleisches an hölzernen Pflöcken befestigt.

Der Nachmittag hatte sich zur Rüste geneigt, und da das Dämmerlicht nur spärlich durch die kleinen, nicht mit Fenstern, sondern nur mit Läden versehenen Maueröffnungen einzudringen vermochte, so war es in der Hütte ziemlich dunkel.

„Masser Bob Feuer anbrennen,“ sagte daher der Neger.

Er brachte eine Lage trockenen Buschholzes herbeigeschleppt und machte mittelst seines „Punks“ (Prairiefeuerzeug) ein Feuer auf dem Herde an. Der Zunder zu diesem Feuerzeuge besteht aus dem trockenen, sehr leicht glimmenden Moder, welcher aus der Höhlung verfaulter Bäume gewonnen wird.

Die riesige Gestalt des Negers wurde während der erwähnten Beschäftigung von der Flamme grell beleuchtet. Er trug einen weiten Anzug aus dem einfachsten Kaliko und war nicht mit einer Kopfbedeckung versehen. Das hatte seinen Grund. Der gute Bob war nämlich ein wenig eitel; er wollte nicht als reiner Afrikaner gelten. Leider aber war sein Kopf mit einem dichten Walde kurzer, krauser Locken versehen, und da grad diese Wolle seine Abstammung auf das überzeugendste verriet, so hatte er sich alle Mühe gegeben, glauben zu machen, daß er keine Wolle, sondern schlichtes Haar besitze. Er hatte darum den Kopf sehr fett mit Hirschtalg eingerieben und das kurze, unbändige Wollgewirr in unzählige dünne Zöpfchen geflochten, welche wie die Stacheln eines Igels nach allen Richtungen von seinem Kopfe abstanden. Das gab bei der Beleuchtung durch das Herdfeuer einen wirklich grotesken Anblick.

Bis jetzt waren nur wenige Worte gewechselt worden. Nun aber meinte der Hobbel-Frank in englischer Sprache zu dem Indianer:

„Mein roter Bruder befindet sich in unserem Hause. Er ist uns willkommen und mag seine Botschaft ausrichten.“

Der Rote warf einen forschenden Blick rund umher und antwortete:

„Wie kann Wohkadeh sprechen, wenn er noch nicht den Rauch des Friedens hat schmecken dürfen?“

Da nahm Martin, der Sohn des Bärenjägers, ein indianisches Calummet von der Wand und stopfte Tabak in den Kopf desselben. Als die anderen sich nun in die Nähe des Roten gesetzt hatten, steckte er den Tabak in Brand, that sechs Züge, blies den Rauch nach oben, nach unten und nach den vier Hauptrichtungen des Himmels und sagte dann:

„Wohkadeh ist unser Freund, und wir sind seine Brüder. Er mag mit uns die Pfeife des Friedens rauchen und uns nachher seine Botschaft sagen.“

Darauf reichte er dem Indianer die Pfeife. Dieser nahm sie in Empfang, erhob sich, that ganz dieselben sechs Züge und antwortete sodann:

„Wohkadeh hat die Bleichgesichter und den Schwarzen noch nie gesehen. Er wurde zu ihnen gesandt und sie erretteten ihn aus der Gefangenschaft. Ihre Feinde sind auch seine Feinde, und seine Freunde mögen auch die ihrigen sein. Hau!“

Dieses Hau heißt bei den Indianern so viel wie: ja, jawohl, ganz gewiß. Es wird als Zeichen der Bekräftigung oder der Zustimmung gebraucht, besonders in den Pausen oder am Schlusse einer Rede.

Er gab die Pfeife weiter. Während dieselbe nun weiter die Runde machte, setzte er sich wieder nieder und wartete, bis Bob als der letzte die Brüderschaft durch den Rauch des Tabakes bestätigt hatte. Er benahm sich bei dieser Begrüßung wie ein alter, erfahrener Häuptling, und auch Martin, der noch ein halber Knabe war, zeigte einen Ernst, welcher seine Ueberzeugung, daß er in Abwesenheit seines Vaters der eigentliche Wirt dieses Hauses sei, erkennen ließ.

Als nun Bob die Pfeife weggelegt hatte, begann Wohkadeh:

„Kennen meine weißen Brüder das große Bleichgesicht, welches von den Sioux Nou-pay-klama genannt wird?“

„Du meinst Old Shatterhand?“ antwortete der lange Davy; „Gesehen habe ich ihn noch nicht, aber gehört hat wohl ein jeder von ihm. Was ist’s mit ihm?“

„Er liebt die roten Männer, trotzdem er ein Bleichgesicht ist. Er ist der berühmteste Pfadfinder; seine Kugel geht nie fehl, und mit der unbewaffneten Faust fällt er den stärksten Feind. Darum wird er Old Shatterhand genannt. Er schont das Blut und das Leben seiner Feinde; er verwundet sie bloß, um sie kampfunfähig zu machen, und nur, wenn es sein eigenes Leben gilt, tötet er den Gegner. Er hat vor mehreren Wintern droben am Yellowstone gejagt als das erste Bleichgesicht, welches jene Gegend betrat. Da wurde er von den Sioux-Ogallalla überfallen und hat mit ihnen gekämpft, er allein gegen viele. Er stand auf einem Felsen. Sie konnten ihn mit ihren Kugeln nicht erreichen; er aber schoß nicht auf sie, weil er meinte, daß alle Menschen Brüder seien. Zwei Tage und zwei Nächte lang belagerten sie ihn. Da trat er hervor und erbot sich, mit dreien von ihnen zu kämpfen, sie mit dem Tomahawk und er ohne Waffe. Er hat sie alle drei mit der Faust erschlagen, obgleich Oihtka-petay, der niemals besiegte Häuptling, und Schi-tscha-pah-tah, der stärkste Mann des Stammes, sich dabei befanden. Da erhob sich ein großes Wehegeheul in den Bergen und ein Kagen in den Wigwams der Ogallalla. Es ist bis heute noch nicht verstummt, sondern es erhebt sich am Todestage der drei Krieger stets von neuem. Jetzt ist ein Shakoh vorüber, und die tapfersten Krieger des Stammes sind aufgebrochen nach dem Yellowstone, um an den Gräbern der drei Erschlagenen ihre Todesgesänge ertönen zu lassen. Der Weiße, welcher ihnen während dieses Zuges begegnet, ist verloren; er wird auf den Gräbern der von Shatterhand Getöteten an den Marterpfahl gebunden und muß unter langsamen Qualen sterben, damit seine Seele die Geister der drei Toten in den ewigen Jagdgründen bediene.“

Er machte jetzt eine Pause. Martin sprang von seinem Sitze auf und rief:

„Bob, sattle schleunigst die Pferde! Frank, du magst schnell Munition und Proviant einpacken, und ich will indessen die Gewehre ölen und die Messer schleifen!“

„Warum?“ fragte der kleine Sachse überrascht.

„Hast du Wohkadeh nicht verstanden? Mein Vater ist von den Sioux Ogallalla gefangengenommen worden und soll am Marterpfahle elendiglich hingeschlachtet werden. Wir müssen ihn retten. In spätestens einer Stunde brechen wir nach dem Yellowstone auf!“

„Alle Teufel!“ rief da Frank, auch rasch aufspringend. „Das soll den Roten schlecht bekommen!“

Auch der Neger erhob sich, raffte den Pfahl, welchen er vorhin mit hereingenommen hatte, auf und sagte:

„Masser Bob mitgehen! Masser Bob totschlagen all rot Hunde von Ogallalla!“

Da erhob der Indianer die Hand und sagte:

„Sind meine weißen Brüder Mücken, welche zornig umherfliegen, wenn sie gereizt werden? Oder sind sie Männer, welche wissen, daß die ruhige Beratung der That vorangehen muß? Wohkadeh hat noch nicht ausgesprochen.“

„Sage vor allen Dingen: Befindet mein Vater sich in Gefahr oder nicht?“ drängte Martin.

„Du wirst es hören.“

„Ich verlange, daß du es sagst, sofort, sofort!“ brauste der Jüngling auf.

Da warnte Jemmy, der Dicke:

„Beruhigt Euch, mein junger Freund! Eile soll Weile haben. Vorerst laßt Wohkadeh erzählen; nachher können wir beraten, und sodann werden wir handeln.“

„Handeln? Ihr auch mit?“

„Das versteht sich ganz von selbst. Wir haben das Calummet geraucht und sind also Freunde und Brüder. Der lange Davy und der dicke Jemmy haben noch keinen im Stich gelassen, der ihrer Hilfe bedürftig war. Ob wir beide nach Montana reiten, um dort Büffel zu jagen, oder ob wir vorher einen Abstecher nach dem Yellowstone machen, um mit den Sioux-Ogallalla einen Walzer zu tanzen, das ist uns sehr einerlei. Aber es muß alles in der gehörigen Ordnung vor sich gehen, sonst macht es so alten Jägern, wie wir beide sind, keinen rechten Spaß. Setzt euch also wieder nieder und bleibt ruhig, wie es sich schickt und geziemt. Unser roter Freund hat recht: Wir sind Männer. Verstanden!“

„Das ist richtig!“ stimmte der kleine Sachse bei. „Aufregung thut in keiner Lage gut. Wir müssen überlegsam sein.“

Nachdem die Drei sich wieder gesetzt hatten, fuhr der junge Indianer fort:

„Wohkadeh wurde von den Sioux-Ponca erzogen, welche Freunde der Bleichgesichter sind. Später wurde er gezwungen, ein Ogallalla zu sein; aber er wartete nur auf die Gelegenheit, die Ogallalla zu verlassen. Jetzt mußte er mit ihren Kriegern nach dem Yellowstone ziehen. Er war dabei, als sie den Bärentöter und seine Begleiter des Nachts im Schlafe überfielen. Die Ogallalla müssen während dieses Rittes vorsichtig sein, denn dort in den Bergen wohnen die Schoschonen, welche ihre Feinde sind. Wohkadeh wurde als Kundschafter ausgesandt, um die Wigwams der Schoschonen zu erspähen; aber er that dies nicht, sondern er ritt in größerer Eile nach dem Osten zur Hütte des Bärentöters, um dessen Sohn und Freund zu benachrichtigen, daß er gefangen ist.“

„Das ist brav, das werde ich dir niemals vergessen!“ rief Martin. „Aber weiß mein Vater davon?“

„Wohkadeh hat es ihm gesagt und sich den Weg beschreiben lassen. Er hat so heimlich mit dem Bärentöter gesprochen, daß keiner der Sioux es bemerken konnte.“

„Aber sie werden es ahnen, wenn du nicht zu ihnen zurückkehrst!“

„Nein, sondern sie werden glauben, daß Wohkadeh von den Schoschonen getötet worden ist.“

„Hat mein Vater dir bestimmte Weisungen für uns mitgegeben?“

„Nein, Wohkadeh soll euch sagen, daß er mit seinen Begleitern gefangen ist. Nun wird mein junger, weißer Bruder selbst wissen, was er zu thun hat.“

„Natürlich weiß ich es! Aufbrechen werde ich, und zwar sofort, um ihn zu befreien.“

Er wollte abermals aufspringen; aber Jemmy ergriff ihn am Arme und hielt ihn zurück.

Stop, my boy! Wollt Ihr etwa durch die Lüfte reiten, um noch heute abend bei den Indsmen zu sein und von ihnen auch ergriffen und gebraten zu werden? Wartet noch ein kleines Weilchen, junger Mann! Der dicke Jemmy hilft Euch gern, aber er hat keine Lust, mit seinem Kopfe durch eure Wand zu rennen. Wir haben ja noch nicht alles erfahren. Wohkadeh mag uns sagen, an welcher Stelle Euer Vater überfallen worden ist.“

Der Indianer antwortete:

„Das Wasser, welches die Bleichgesichter den Pulverfluß nennen, entsteht aus vier Armen. An dem westlichen derselben ist der Ueberfall geschehen.“

„Gut! Das wäre also jenseits des Camp Mac Kinney und südlich von Murphys Ranch. Diese Gegend ist mir nicht ganz unbekannt. Aber wie kann ein so berühmter Bärenjäger so unvorsichtig sein, sich überfallen zu lassen?“

„Der Jäger schlief, und der Mann, welcher die Wache hatte, war kein Mann des Westens.“

„Nur so allein ist es erklärlich. Welche Richtung haben sodann die Ogallalla eingeschlagen?“

„Nach den Bergen, welche von den Weißen das dicke Horn genannt werden.“

„Also nach dem Big-Horn-Gebirge. Und weiter?“

„Sie zogen an dem Kopfe des bösen Geistes vorüber – –“

„Ah, an Devils Head!“

„Nach dem Wasser, welches dort entspringt und in den Fluß des dicken Hornes läuft. Dort hörten wir von den feindlichen Schoschonen, und Wohkadeh wurde ausgesandt, dieselben zu erkundschaften. Er weiß also nicht, wie die Ogallalla weiter geritten sind.“

„Das ist auch nicht nötig. Wir haben Augen und werden ihre Fährte finden. Wann geschah der Ueberfall?“

„Es sind vier Tage vergangen.“

„O weh! Wann soll die große Leichenfeier stattfinden?“

„Zum Tage des vollen Mondes. An demselben Tage sind die Drei getötet worden.“

Jemmy rechnete in Gedanken nach und sagte dann:

„Wenn dies der Fall ist, so haben wir noch Zeit genug, die Roten zu erreichen. Wir haben noch volle zwölf Tage bis zum Vollmond. Aber wie stark sind die Ogallalla?“

„Als ich sie verließ, zählten sie fünf mal zehn und noch sechs.“

„Also sechsundfünfzig Krieger. Wie viele Gefangene haben sie?“

„Mit dem Bärentöter sind es sechs.“

„So wissen wir vorerst genug und können uns nun mitteilen, was wir zu thun gedenken. Lange uns zu beraten, das brauchen wir nicht. Martin Baumann, was gedenkt Ihr zu thun?“

Der junge Mann stand von seinem Sitze auf, hob die Rechte wie zum Schwure empor und antwortete:

„Ich gelobe hiermit, meinen Vater zu retten oder seinen Tod zu rächen, selbst wenn ich ganz allein die Sioux verfolgen und mit ihnen kämpfen müßte. Ich werde wohl sterben, aber meinen Schwur nicht brechen.“

„Nein, allein sollst du nicht ziehen,“ sagte der kleine Hobbel-Frank. „Ich werde natürlich mit dir reiten und dich auf keinen Fall verlassen.“

„Und Masser Bob auch mitgehen,“ erklärte der Neger, „um alt Massa Baumann befreien und Sioux Ogallalla totprügeln. Sie alle müssen in Hölle!“

Er machte dabei ein so grimmiges Gesicht und knirschte so laut mit den Zähnen, daß es zum Fürchten war.

„Und auch ich reite mit!“ sprach Jemmy, der Dicke. „Es soll mir eine Freude sein, den Roten ihre Gefangenen zu entreißen. Und du, Davy?“

„Red‘ nicht so dumm!“ antwortete der Lange gleichmütig. „Meinst du, ich bleibe hier und flicke meine Schuhe oder mahle Kaffee, während ihr euch so einen famosen Jux machen könnt? Ich dächte, du kenntest da deinen alten Kumpan zur Genüge!“

„Gut, alter Waschbär. Endlich gibt es wieder einmal etwas Ernsthaftes. Das Schießen auf Tiere wird mit der Zeit höchst langweilig. Aber Wohkadeh, was wird unser roter Bruder thun?“

Der Indianer antwortete.

„Wohkadeh ist ein Mandane, höchstens ein Pflegling der Ponca-Sioux, aber niemals ein Ogallalla. Wenn seine weißen Brüder ihm ein Gewehr geben mit Pulver und Blei, so wird er sie begleiten und mit ihnen sterben oder die Feinde besiegen.“

„Braver Kerl!“ meinte der kleine Sachse. „Eine Büchse sollst du haben und alles andere auch, sogar ein frisches Pferd, denn wir haben ja vier Stück, also eins überzählig. Das deinige ist ermüdet und kann nebenher laufen, bis es sich erholt hat. Wann aber brechen wir auf, ihr Leute?“

„Sofort natürlich!“ antwortete Martin.

„Allerdings dürfen wir keine Zeit versäumen,“ stimmte der Dicke bei; „aber uns zu übereilen, ist auch nicht ratsam. Wir kommen durch wasser- und wildarme Gegenden und müssen uns mit Proviant versehen. Daß wir möglichst viel Munition mitnehmen, versteht sich ganz von selbst. Ueberhaupt bereitet man eine solche Expedition mit aller Umsicht vor, um nichts zu versäumen oder zu vergessen. Wir sind, wie wir hier stehen, sechs Mann gegen sechsundfünfzig Ogallalla. Das will viel heißen. Auch wissen wir nicht, ob die neun Pferdediebe, denen wir heute das Einmaleins vorgebetet haben, nicht noch Böses gegen uns im Schilde führen. Wir müssen uns unbedingt überzeugen, ob sie die Gegend verlassen haben oder verlassen werden. Und wie steht es mit diesem Hause? Wollt Ihr es unbeschützt zurücklassen?“

„Ja,“ antwortete Martin.

„So kann es leicht sein, daß Ihr es bei der Rückkehr eingeäschert oder wenigstens ausgeräumt findet.“

„Gegen das letztere können wir sorgen.“

Der Jüngling nahm eine Hacke und hackte den festgestampften Lehmboden im Vierecke auf. Da zeigte es sich, daß es hier eine mit Lehm verkleidete, also unsichtbar gewesene Fallthür gab, unter welcher sich eine sehr geräumige Vertiefung befand, in welcher man alles, was nicht mitzunehmen war, verbergen konnte. War dann der Lehm wieder über der geschlossenen Thür festgestampft, so konnte kein Unberufener das Dasein dieses Versteckes erraten. Und selbst, wenn das Gebäude in Brand gesteckt werden sollte, so stand zu erwarten, daß der Lehm des Bodens die versteckten Gegenstände gegen das Verderben schützen werde.

Die Männer machten sich jetzt an die Arbeit, den ganzen Inhalt des Raumes, soweit er nicht zu ihrer Ausrüstung zu gebrauchen war, in die Vertiefung zu schaffen. Auch mit den Bärenfellen wurde das gethan. Es befand sich eins von ganz besonderer Größe und Schönheit dabei. Als Jemmy es bewundernd betrachtete, nahm Martin es aus seiner Hand und warf es in das Loch hinab.

„Fort damit!“ sagte er. „Ich kann diesen Pelz nicht sehen, ohne an die schrecklichsten Stunden meines Lebens zu denken.“

„Das klingt ja ganz so, als hättet Ihr bereits ein sehr langes Leben oder eine ganze Reihe von so schrecklichen Ereignissen hinter Euch, mein Junge.“

„Vielleicht habe ich auch wirklich bereits mehr erlebt als mancher alte Trapper.“

„Oho! Nicht aufschneiden!“

Martins Augen richteten sich mit beinahe zornigem Blicke auf den Dicken. Er fragte:

„Meint Ihr, daß der Sohn eines Bärenjägers keine Gelegenheit zu Erlebnissen habe?“

„Das bestreite ich freilich nicht.“

„So sage ich Euch, daß ich bereits als vierjähriger Bube mit dem Kerl gekämpft habe, welcher in dem Pelze lebte, den Ihr soeben bewundert habt.“

„Ein vierjähriges Kind mit einem Grizzly von dieser Mächtigkeit? Ich weiß, daß die Kinder des Westens von ganz anderem Holze geschnitzt sind als die Buben, welche da vorn in den Städten die Beinchen an ihrer Väter Wärmflaschen stemmen. Ich habe manch einen Jungen gesehen, der in New York ein Abcschütz wäre, aber doch seine Rifle zu gebrauchen wußte wie ein Alter. Aber – hm! wie ist es damals mit dem Bären zugegangen?“

„Das war da unten in den Bergen von Colorado. Ich hatte die Mutter noch und dazu ein allerliebstes Schwesterchen von drei Jahren, also ein Jahr jünger noch als ich. Der Vater war fortgegangen, um Fleisch zu schießen; die Mutter war draußen vor der Hütte, um Holz zum Feuer klar zu hacken, denn es war Winter und sehr kalt in den Bergen. Ich befand mich mit der kleinen Luddy ganz allein in der Stube. Sie saß zwischen der Thür und dem Tische am Boden und spielte mit der Puppy, die ich ihr aus einem Holzscheite geschnitzt hatte, und ich stand auf dem Tische, um mit dem großen Holzmesser ein M und ein L in den dicken Balken zu schneiden, welcher unter dem spitzen Dache von der einen Blockwand nach der gegenüberliegenden lief. Das waren die Anfangsbuchstaben meines Vornamens und desjenigen der lieben Luddy. Ich wollte nach Bubenart uns beide so verewigen. In diese schwere Arbeit vertieft, beachtete ich kaum einen lauten Schrei, welchen meine Mutter draußen ausstieß. Da er sich nicht wiederholte, arbeitete ich unbesorgt und vor Anstrengung schwitzend an der Verewigung weiter. Dann hörte ich, daß die Thür mit Gewalt aus dem Riegel gestoßen wurde. In der Meinung, daß die Mutter so geräuschvoll eingetreten sei, weil sie Holz auf den Armen habe, drehte ich mich gar nicht um, sondern sagte nur: M’a, das ist für Luddy und mich. Dann kommst auch du mit P’a [Fußnote] daran.

„Anstatt ihrer Antwort hörte ich ein tiefes, tiefes Brummen. Ich drehte mich um. Nun müßt Ihr wissen, Mesch’schurs, daß es noch nicht Tag war, aber draußen leuchtete der Schnee, und auf dem großen Herde brannte ein Holzklotz, dessen Flamme die Stube erleuchtete. Was ich beim Scheine derselben erblickte, war allerdings gräßlich. Grad vor der armen Luddy, welche vor Entsetzen keinen Laut hervorbrachte, stand ein riesiger grauer Bär. Sein Fell war mit Eis bezottelt, und sein Atem dampfte. Das sprachlose Schwesterchen hielt ihm bittend die hölzerne Puppy entgegen, als wolle es sagen: Da nimm meine Puppe, aber thu nur mir nichts, du böser, lieber Bär! Aber der Grizzly hatte kein Erbarmen. Mit einem Tatzenschlag warf er Luddy nieder, und dann zermalmte er ihr mit einem einzigen Bisse das kleine, süße, blonde Köpfchen. Ihr müßt nämlich wissen, Mesch’schurs, daß der erste Biß des Bären stets nach dem Kopfe seines Opfers geht, denn das Gehirn ist sein größter Leckerbissen. Noch heute höre ich das Malmen und Krachen – heavens, ich kann es nicht vergessen, nie, nie – – – !“ Er hielt in seiner Erzählung inne. Keiner unterbrach die eingetretene Stille, bis er fortfuhr:

„Auch ich konnte mich vor Entsetzen nicht bewegen. Ich wollte um Hilfe rufen, brachte aber keinen Laut hervor. Ich sah die Glieder des Schwesterchens im Rachen des Untieres verschwinden, bis nichts mehr übrig war als die hölzerne Puppy, welche zu Boden gefallen war. Ich hatte das lange Messer krampfhaft in der Hand; ich wollte vom Tische herabspringen, um mit dem Bären um das Leben Luddys zu kämpfen; aber ich war ja vom Schreck gelähmt. Nun jetzt kam er auf mich zu und richtete sich mit den Vorderpranken an dem Tische empor. Gott sei Dank! In diesem Augenblicke erhielt ich den Gebrauch meiner Glieder wieder. Sein schrecklicher, penetranter Atem stank mir bereits in das Gesicht, da nahm ich das Messer zwischen die Zähne, umfaßte den Balken mit den Armen und schwang mich auf denselben hinauf. Er wollte mir nach und riß dabei den Tisch um. Das war meine Rettung – – – – – – – – – – – – jetzt nun rief ich freilich auch um Hilfe, doch vergebens; die Mütter kam nicht, obgleich sie meine Stimme hören mußte, denn die Thüre stand offen und ein kalter Luftstrom drang herein. Der Grizzly richtete sich in seiner ganzen Länge auf, um mich vom Balken herabzuholen. Ihr habt seinen Pelz gesehen und müßt es mir also glauben, wenn ich euch sage, daß er mich mit seinen Vordertatzen ganz gut erlangen konnte. Aber ich hatte das Messer in der Hand, hielt mich mit der Linken fest an und stach mit der Rechten nach der Pranke, welche er nach mir ausstreckte – – – – – – – – – – – – Was soll ich euch den Kampf beschreiben, meinen Jammer und meine Angst! Wie lange ich mich verteidigt habe, weiß ich nicht; in einer solchen Lage wird eine Viertelstunde zur Ewigkeit; aber meine Kräfte schwanden, und beide Vordertatzen des Bären waren vielfach zerstochen und zerschnitten, als ich trotz seines Brummens und Heulens das Bellen unseres Hundes hörte, den der Vater mitgenommen hatte. Draußen vor der Hütte erhob er seine Stimme, wie ich noch niemals die Stimme eines Hundes gehört habe; dann kam er hereingestürzt und warf sich augenblicklich auf das riesige Raubtier. Ein jeder von euch ist wohl einmal Zeuge eines Kampfes mehrerer Hunde gegen einen Bären gewesen. Aber ein einzelner Hund gegen einen solchen Grizzly, ohne daß sein Herr mit der Büchse und dem Messer dabei anwesend ist, das solltet ihr sehen und auch hören. Ihr wißt, daß die wild gewordenen Hunde in den Staaten eine wahre Landplage geworden sind. Sie dezimieren die Schafherden. In Ohio allein rechnet man, daß jährlich gegen sechzigtausend Schafe durch diese gefräßigen, herrenlosen Tiere zu Grunde gehen, in den Vereinigten Staaten überhaupt aber jährlich eine halbe Million. Diese Hunde zeichnen sich durch eine ungeheure Kühnheit aus; sie gehen selbst dem Bären zu Leibe. Einen solchen hatten wir an uns gewöhnt und gezähmt. Er war ein häßlicher Köder, aber ungemein stark und uns treu ergeben. Als er sich jetzt auf den Bären warf, heulte er nicht, sondern er brüllte förmlich auf wie ein Raubtier. Er faßte ihn bei der Kehle, um sie ihm zu zerreißen; der Bär aber zerfleischte ihn mit seinen gewaltigen Tatzen. Nach der Zeit von einer Minute war der Hund tot -in Stücke zerrissen, und der wütende Grizzly wendete sich nun wieder gegen mich.“

„Aber Euer Vater?“ fragte Davy, welcher selbst wie die anderen mit größter Spannung zugehört hatte. „Wo der Hund ist, da kann der Mann nicht gar ferne sein.“

„Allerdings, denn eben richtete sich der Grizzly wieder unter dem Balken auf, um nach mir zu langen, den Rücken nach der Thüre gekehrt, so erschien der Vater unter derselben, im Gesichte bleich wie der leibhaftige Tod.

„Vater, Hilfe!“ schrie ich auf, einen Stoß nach dem Bären führend.

Er antwortete nicht. Auch ihm war die Kehle wie zugeschnürt. Er erhob das geladene Gewehr – jetzt wird er schießen! Doch nein, er senkte es wieder. Er war so aufgeregt, daß der Lauf in seinen Händen wankte. Er warf das Gewehr weg, riß den Bowiekneif aus dem Gürtel und sprang von hinten auf das Tier ein. Es mit der linken Hand beim Pelze fassend, trat er seitwärts vor und stieß ihm die lange Klinge bis an das Heft zwischen die bekannten beiden Rippen. Aber augenblicklich sprang er auch wieder zurück, um von dem Bären im Todeskampfe nicht gefaßt zu werden. Das gewaltige Tier stand unbeweglich, röchelte und stöhnte in ganz unbeschreiblicher Weise auf, griff dann mit den Vorderpranken in die Luft und brach tot zusammen. Wie sich später herausstellte, war ihm die Klinge gerade in das Herz gedrungen.“

„Gott sei Dank!“ meinte Jemmy, indem er tief und laut aufatmete. „Das war Hilfe in der größten Not. Aber Eure Mutter, mein junger Sir?“

„Die – – oh, ich habe sie nicht wieder gesehen.“

Er wendete sich ab, als ob er sich schäme, und wischte sich mit einer raschen Handbewegung zwei Thränen aus den Augen.

„Nicht wiedergesehen? Wieso?“

„Als der Vater mich vom Balken herabgeholt hatte, er zitternd und ich an allen Gliedern bebend, fragte er nach der kleinen Luddy. Laut aufschluchzend erzählte ich ihm, was geschehen war. Ich habe noch niemals wieder ein Menschenangesicht gesehen wie dasjenige, welches der Vater dabei zeigte. Es war aschfahl und wie von Stein. Einen Schrei stieß er aus, einen einzigen, aber was für einen! Gebe Gott, daß ich niemals wieder etwas Aehnliches zu hören bekomme! Dann war er still. Er setzte sich auf die Bank und legte das Gesicht in die Hände. Auf meine liebkosenden Worte antwortete er nicht; als ich ihn nach der Mutter fragte, schüttelte er mit dem Kopfe; aber als ich dann hinausgehen wollte, um nach ihr zu suchen, faßte er mich beim Arme, daß ich vor Schmerz laut aufschrie.

„Bleib!“ gebot er mir. „Das ist nichts für dich!“

Dann setzte er sich wieder nieder und saß da eine lange, lange Zeit, bis das Feuer niedergebrannt war. Dann schloß er mich ein und begann hinter der Hütte zu arbeiten. Ich versuchte, das Moos, welches zwischen die einzelnen Blocks gestopft war, an einer Stelle zu entfernen. Es gelang. Als ich nun hinausblickte, sah ich, daß er eine tiefe Grube anfertigte – der Bär hatte, bevor er in die Hütte kam, meine Mutter überfallen und zerrissen. Ich hab‘ nicht einmal gesehen, wie Vater sie zur Ruhe gebettet hat, denn er überraschte mich beim Lauschen und sorgte dafür, daß ich nicht wieder an die Wand gelangen konnte.“

„Schrecklich, schrecklich!“ sagte Jemmy, indem er sich mit dem Aermel seines Pelzes die Augen wischte.

„Ja freilich war es schrecklich! Der Vater ist eine sehr lange Zeit krank gewesen, und der nächste Nachbar schickte einen Mann herüber, ihn zu pflegen und für mich zu sorgen. Dann aber, als er wieder gesund geworden war, haben wir jene Gegend verlassen und – sind Bärenjäger geworden. Wenn Vater hört, daß irgendwo sich ein Bär hat sehen lassen, so läßt es ihm keine Ruhe, bis er demselben eine Kugel oder die Klinge gegeben hat. Und ich – nun, ich kann euch sagen, daß ich auch bereits das meinige gethan habe, meine arme, kleine Luddy zu rächen. Erst wollte mir freilich das Herz laut schlagen, als ich den Lauf auf einen Bären hielt; aber ich besitze einen Talisman, welcher mich beschützt, so daß ich dem Grizzly gegenüber ebenso ruhig bin, als ob ich einen Waschbären schießen wollte.“

„Talisman?“ fragte Davy. „Pah! giebt’s nicht! junger Mann, glaubt nicht an solchen Unsinn. Das ist Sünde gegen das erste Gebot!“

„Nein, denn der Talisman, den ich meine, ist von anderer Art, als Ihr denkt. Seht ihn Euch an! Dort hängt er unter der Bibel.“

Er deutete nach der Wand, wo auf einem Brettchen eine große, alte Bibel lag. Unter derselben hing an einem Pflocke ein Stück Holz, anderthalb Finger lang und einen Finger dick. Man sah deutlich, daß der obere Teil desselben einen Kopf vorstellen solle.

„Hm!“ brummte Davy, welcher wie alle Yankees streng auf seinen Glauben hielt. „Ich will nicht befürchten, daß dieses Ding ein Götzenbild vorstellen soll.“

„Nein; ich bin kein Heide sondern ein guter Christ. Ihr seht hier die hölzerne Puppy, welche ich damals dem Schwesterchen zum Spielen geschnitzt hatte. Ich habe dieses Andenken an jene schrecklichen Augenblicke aufbewahrt und hänge es stets um den Hals, wenn ich den Vater auf Bären begleiten muß. Erscheint mir ja einmal die Gefahr zu groß, so greife ich nach der Puppy und – der Bär ist verloren; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

Da legte Jemmy ihm in tiefer Rührung die Hand auf die Schulter und sagte:

„Martin, Ihr seid ein braver Boy. Nehmt an, daß ich Euer Freund bin, und Ihr werdet Euch nicht täuschen. So dick wie ich selber bin, so dick ist auch das Vertrauen, welches Ihr auf mich setzen könnt. Ich werde es Euch beweisen!“

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Nach Dem Rocky Ground

Nach dem Rocky-Ground

Lieber Leser, hast du einmal von dem „weißen Mustang“ gehört? Berufene und nicht berufene Schriftsteller haben über ihn geschrieben; Leute, welche den wilden Westen genau kennen gelernt hatten, und Leute, deren Füße niemals die amerikanische Erde betraten, erzählten von ihm. Ich selbst habe wie oft mit weißen Jägern und roten Männern beisammengesessen, welche behaupteten und darauf schworen, den „weißen Mustang“ gesehen zu haben, und es ist mir nicht eingefallen, dieser Versicherung einen Zweifel entgegenzusetzen, denn sie hatten ihn gesehen und doch auch wieder – – nicht gesehen; der „weiße Mustang“ war eine Sage, ein Märchen, ein Phantom, ein Gebild der Phantasie, welchem allerdings wirklich Gesehenes zu Grunde lag.

Zur Zeit, als noch Büffel- und Pferdeherden zu tausend und abertausend Stück die weiten Prairien bevölkerten und während des Frühlings nord-, zur Herbstzeit aber südwärts zogen, konnte es einem vorsichtigen Jäger glücken, den „weißen Mustang“ zu Gesicht zu bekommen, aber nur einem vorsichtigen, der sich anzuschleichen verstand, und auch da nur von weitem, aus der Ferne. Denn der „weiße Mustang“ war der erfahrenste und klügste unter allen Leithengsten, die jemals an der Spitze einer wilden Pferdeherde gestanden haben. Sein Auge durchdrang den dichtesten Busch; sein Ohr hörte das leise Schleichen des Wolfes Tausende von Schritten weit, und seine tiefroten Nüstern erfaßten den Geruch des Menschen aus noch viel größeren Entfernungen. Aus einer von dem „weißen Mustang“ angeführten und bewachten Herde hat sich nie ein Jäger ein gesundes Pferd mit dem Lasso herausholen können; wenn ihm je eines zur Beute fiel, so war es krank und für ihn unbrauchbar. Nie hat man den „weißen Mustang“ grasen sehen. Er hatte keine Zeit dazu.

Stets und stets und ohne Unterlaß flog er in graziösen und doch so kräftigen Sprüngen rund um seine ruhig weidende Herde, um beim geringsten Anzeichen der Gefahr jenes schrille, trompetenartige Wiehern hören zu lassen, auf welches augenblicklich alles wie im Sturme von dannen stob.

Einigemal soll es gelungen sein, ihn von der Herde abzuschneiden; man wollte ihn fangen, nur ihn allein. Er entwich nur im Galopp; die Verfolger ritten in Carriere, konnten ihn aber trotzdem nicht einholen, und als er dann endlich, sich lang streckend, wie ein Pfeil entflog und fern am Horizonte verschwand, sahen sie ein, daß er sie nur geäfft hatte, um sie von seiner Herde fortzulocken. Ein kühner Vaquero, ein Meister im Reiten, wollte ihn einmal allein getroffen und auf einen tiefen Cañon zugejagt haben; der „weiße Mustang“ soll ohne Bedenken in die mehrere hundert Fuß tiefe Schlucht hinabgesprungen und unten ruhig weitergetrabt sein. Der Vaquero beteuerte es bei allen ihm geläufigen Schwüren und Flüchen, und alle, die es hörten, glaubten es. In einer Gesellschaft sehr ernster und erfahrener Westmänner erzählte ein Haziendero aus der Sierra, er habe einmal das ungeheure Glück gehabt, den „weißen Mustang“ mit einer ganzen Tropa wilder Pferde in einen Corral zu locken, aber der wunderbare Schimmel sei wie ein Vogel über die zwanzig Fuß hohe Umzäunung hinweg- und hinausgeflogen, niemand zweifelte daran.

So erzählten die Alten, und so erzählten die jungen; der „weiße Mustang“ schien nicht nur unverletzlich, sondern sogar unsterblich zu sein, bis er schließlich mit der letzten Pferdeherde, die man beisammen sah, von der Savanne verschwand. Die unerbittliche „Kultur“ hat die Büffel und die Mustangs hingemordet, doch noch heut taucht hier oder da irgend ein alter Westmann auf, um zu behaupten, daß der nie erreichbare Schimmel keine Erfindung sei, denn er selbst habe ihn auch gesehen.

Ja, er war keine Erfindung, und dennoch ein Produkt der Einbildungskraft; es hat ihn nie gegeben, und doch ist er vorhanden gewesen; die ihn gesehen haben, haben sich nicht getäuscht, aber doch geirrt, denn der „weiße Mustang“ ist nicht ein Pferd, sondern mehrere, viele Pferde gewesen.

Jede wilde Mustangherde hatte einen Anführer, der stets ein Hengst, und zwar der kräftigste und klügste von allen war, denn er mußte diese Stelle mit Gewalt und List erkämpfen und sich erhalten. Hatte er alle seine Mitbewerber aus dem Felde geschlagen, so gehorchte ihm die ganze Truppe bis zum jüngsten Fohlen herab. Wenn man nun schon bei uns behauptet, daß die Schimmel die härtesten Pferde seien, so galt das in der Prairie erst recht. Dazu kam, daß die hellen Mustangs von den Jägern geschont wurden; es fiel keinem Menschen ein, sich einen Schimmel zum Reiten zu fangen, weil ein solches Tier weithin sichtbar ist und den Reiter in Gefahr bringt. Diese Pferde konnten sich also zur vollen Kraft auswachsen. Ferner liegt oder lag es im Instinkte jedes heller gefärbten Pferdes, vorsichtiger zu sein als ein dunkleres. Sodann braucht eine Herde einen Anführer, der sich durch seine Färbung unterscheidet und mit dem Auge leicht zu finden ist. Je höher der Offizier steht, desto glänzender die Abzeichen seiner Würde. Was der Mensch durch Kunst erreicht, das bietet dem Tiere die Natur. Aus diesen und andern Gründen und Ursachen mag es gekommen sein, daß, wie jeder Westmann weiß, fast jede größere wilde Pferdeherde von einem Schimmel angeführt wurde.

Wenn nun diese hellen Leithengste die kräftigsten, schnellsten, ausdauerndsten und bissigsten Tiere waren, so mußte es ihnen leichter als jedem andern Pferde werden, einer etwaigen Nachstellung zu entgehen. Jeder Westmann hatte einen solchen Schimmel gesehen und seine Schnelligkeit und Klugheit bewundert; er erzählte davon und hörte andre dasselbe erzählen; das Leben auf der unendlichen Savanne erregt die Phantasie; es waren viele Schimmel gewesen, aber nach und nach schuf die Einbildungskraft aus ihnen einen einzigen, den – – „weißen Mustang“, der allüberall gesehen worden, aber nie zu fangen gewesen war. Dieser „eine“ lebte nur in der Einbildung; die „einzelnen“ aber hatte es wirklich gegeben.

Zur Zeit Winnetous und Old Shatterhands gab es auch einen „schwarzen Mustang“, mit dem es fast dieselbe und doch auch wieder eine andre Bewandtnis hatte. Es war kein wildes, sondern ein geschultes, ein sogar außerordentlich gut dressiertes Pferd, welches sich im Besitze des Häuptlings der Naiini-Komantschen befand. Auch von ihm erzählte man sich die wunderbarsten Dinge. Es besaß alle guten Eigenschaften in bisher noch nie dagewesenem Maße; es war noch in keinem Kampfe verwundet worden, noch nie gestolpert oder gar gefallen, noch nie von einem Verfolger eingeholt worden und – man verzeihe den Trapperausdruck! – noch nie gestorben. Das Pferd hatte schon zur Zeit der Ahnen gelebt; es war mit dem Großvater aus allen Kämpfen unverletzt hervorgegangen; es hatte dann den Vater heil durch Not und Tod getragen, und bewährte sich nun bei dem jetzigen Häuptling in so vorzüglicher Weise, daß er, um sich und das Tier zugleich zu ehren, den Namen desselben, Tokvi Kava, der „schwarze Mustang“, angenommen hatte.

Wie die Indsmen fest überzeugt waren, daß der Henrystutzen Old Shatterhands eine Zauberflinte sei, so fest behaupteten sie auch, natürlich die Angehörigen des Naiinistammes ausgenommen, die es besser wußten, daß der „schwarze Mustang“ ein Medizinpferd sei, das Wort Medizin als Zauber, als Bezeichnung von etwas Übersinnlichem, Unbegreiflichem genommen. Dieser Glaube nun brachte dem Besitzer des Pferdes Ansehen und Vorteile. Man hütete sich, mit ihm persönlich oder mit seinem Stamme anzubinden, denn man hielt ihn für ebenso unverletzlich, wie sein Pferd; er war nicht zu besiegen. Er war ein kluger Mann und nützte das in schlauer Weise aus; die Erfolge stellten sich ein und machten ihn dadurch immer zuversichtlicher. Sein Stolz und seine Rücksichtslosigkeit wuchsen; er wurde der grausamste Feind aller Weißen und gegnerischen Roten und glaubte schließlich selbst daran, daß es keinen Menschen gebe, der sich mit ihm messen könne.

Natürlich hatte man sich unter diesem „schwarzen Mustang“ auch nicht ein, sondern mehrere Pferde zu denken; sie waren Abkömmlinge voneinander, gleich gezeichnet und von gleicher Vortrefflichkeit. Das letztere, nämlich die Vortrefflichkeit, konnte nicht geleugnet werden, und so war es begreiflich, daß der Häuptling, als er im Firwood-Camp die beiden Rappen Old Shatterhands und Winnetous stahl, so stolz behauptete: „Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum andern sein.“ Er meinte damit den Atlantischen und den Stillen Ozean, also nach seiner Ausdrucksweise ganz Nordamerika. Ob er damit recht hatte, das sollten die spätern Ereignisse zeigen; aber schon heut abend mußte er einsehen, daß er sich wenigstens in einer Beziehung in den beiden Hengsten getäuscht hatte. Sie waren nicht so leicht zu stehlen, wie er dachte.

Im Camp wurde an diesem Abende nicht so zeitig wie sonst schlafen gegangen. Die Anwesenheit solcher Gäste, wie jetzt da waren, hielt die Leute auch nach dem Essen wach. Der Engineer saß mit Winnetou, Old Shatterhand und den beiden Timpes an dem einen Tische, wo Erzählung auf Erzählung folgte. An dem andern saßen der Aufseher und der Verwalter, meist still zuhörend und nur zuweilen ein Wort mit in die Unterhaltung werfend. Zu ihnen hatte sich der Mestize wieder gefunden, der sich vollständig stumm verhielt, doch um so schärfer auf alles lauschte, was gesprochen wurde. Winnetou und Old Shatterhand schienen von seiner Anwesenheit nicht die geringste Notiz zu nehmen; er bemerkte keinen einzigen Blick, den sie zu ihm herübersendeten, und doch hatten sie ihn so scharf im Auge, daß ihnen keine seiner Bewegungen und Mienen entgehen konnte.

Eben erzählte Kas eines seiner Abenteuer, als Winnetou ihn plötzlich mit der Hand aufforderte, zu schweigen.

„Was ist’s?“ fragte er. „Warum soll ich nicht weiter erzählen?“

„Still!“ antwortete der Häuptling der Apatschen. „Es kommen Reiter.“

Sie lauschten und hörten wirklich schnelle Hufschläge näher kommen, die ganz vernehmlich den tiefen Schlamm hoch spritzten und dann draußen vor der Thür anhielten. Ein eigentümliches, freudiges Schnauben erklang.

„Uff!“ rief Winnetou, indem er rasch aufstand. „Das sind keine fremden Pferde.“

Old Shatterhand erhob sich ebenso schnell von seinem Sitze und stimmte bei.

„Nein, keine fremden, das sind unsre Pferde. Wie kommen sie hierher? Habt Ihr nicht eine Wache zu ihnen gethan, Mister Engineer?“

„Noch nicht.“

„Warum nicht? Ich habe Euch doch darum gebeten! Wenn ich mich nicht irre, so habt Ihr, als wir von dem Schuppen fortgingen, die Thür desselben selbst verriegelt?“

„Ja, das habe ich gethan, und darum glaubte ich, daß es mit dem Posten nicht so eilig sei.“

„Wir befinden uns im Westen, wo es keinen Grund gibt, irgend eine Vorsicht aufzuschieben!“

„Es muß jemand, irgend ein Arbeiter, die Thür geöffnet haben; da sind die Pferde entwichen.“

„Entwichen? Sie waren fest angebunden, Sir! Dieser Jemand hat nicht nur die Thür geöffnet, sondern auch die Tiere losgebunden, und das ist jedenfalls ein Verhalten, welches mir sonderbar vorkommen muß. Erlaubt, Sir, daß ich mir einmal dieses Windlicht nehme.“

Diese Worte waren an den Shopman gerichtet, der an seinem Ladentische hockte. Über ihm hing eine gläserne Windlaterne, welche Old Shatterhand vom Nagel nahm und anbrannte, um dann mit Winnetou hinauszugehen. Die andern folgten neugierig, auch der Mestize, der freilich nichts davon wußte, daß sein roter Großvater vorhin die beiden Hengste gestohlen hatte.

Diese standen wirklich draußen und bewillkommten ihre Herren mit den Zeichen großer Aufregung. Sie schnaubten, wehten mit den Schwänzen, ließen die Ohren spielen, gingen mit den Vorderbeinen hoch, grad wie Hunde, die ihren Besitzer freudig begrüßen. Old Shatterhand leuchtete sie an und rief dann betroffen aus:

„Alle Wetter! Was ist das? Die Pferde kommen nicht aus dem Schuppen! Seht doch den Schmutz und Schlamm, der hier sogar dick auf dem Rücken liegt! Sie sind galoppiert; sie sind weit fortgewesen! Aber wo und mit wem?“

„Mit wem?“ fragte der Engineer. „Mit niemandem, natürlich. Wem sollte es einfallen, in solchem Wetter und solcher Finsternis mit fremden Pferden spazieren zu reiten?“

„Reiten? Möchte wissen, wer es fertig brächte, sich auf eines dieser Pferde zu setzen! Es hat niemand darauf gesessen, denn seht, die Sitze sind mit Koth bespritzt.“

„Also habe ich ja recht! Es hat jemand den Schuppen aufgemacht; da rissen sich die Pferde los und echappierten. Sie sind ein Stück herumgerannt und nun wiedergekommen; das ist alles. Ich werde aber untersuchen, wer hieran die Schuld trägt. Es hat des Nachts kein Mensch im Schuppen etwas zu suchen.“

„Unsre Pferde reißen sich nicht los, wenn wir sie angebunden haben, und ebensowenig rennen sie ohne unsre Erlaubnis spazieren!“

Da sagte Winnetou in seiner ruhigen Weise, indem er auf den Zügel seines Pferdes, den er in die Hand genommen hatte, zeigte:

„Mein weißer Bruder hat recht; aber dennoch haben sie sich losgerissen, doch nicht im Schuppen dort, sondern unterwegs.“

An dem Zügel hing ein fest angeknoteter Riemen, der wahrscheinlich eine Schleife gebildet hatte, nun aber zerrissen war. Old Shatterhand untersuchte ihn, warf einen bedeutungsvollen Blick auf den Apatschen und sagte dann zu dem Engineer:

„Ihr habt recht, Sir, und Winnetou irrt sich, was bei ihm freilich selten ist. Die Pferde haben sich im Schuppen losgerissen. Kommt mit! Wir müssen sie fester anbinden. Die andern Gentlemen brauchen sich nicht weiter zu bemühen. Es ist gut!“

Er sagte das in einem solchen Tone der Ruhe und Überzeugung, daß die damit beabsichtigte Wirkung nicht ausblieb. Der Aufseher und der Verwalter kehrten mit dem Mestizen an ihre Plätze in den Shop zurück. Kas und Has wollten ihnen folgen; da flüsterte ihnen Old Shatterhand zu:

„Fangt mit dem Halbblut ein Gespräch an, und laßt ihn nicht eher heraus, als bis wir wiedergekommen sind!“

„Warum, Mister Shatterhand?“ fragte Kas.

„Das werdet Ihr später erfahren. Nur haltet ihn fest; aber seid freundlich und zutraulich mit ihm!“

„Aber wenn er partout heraus will? Sollen wir da Gewalt anwenden?“

„Nein. Das soll vermieden werden. Aber es kann Euch doch nicht schwer fallen, ihn durch eine interessante Geschichte festzuhalten!“

„Denke es auch. Werde einige famose Sachen erzählen und dabei gute Witze machen, genau so, wie bei Timpes Erben. Komm, alter Has!“

Sie gingen hinein. Winnetou nahm die Pferde bei den Zügeln, um sie zu führen. Old Shatterhand leuchtete voran; der Engineer ging neben ihm und sagte, indem er mit dem Kopfe schüttelte:

„Ich verstehe Euch nicht, Sir. Erst thut Ihr plötzlich so ruhig und gebt mir recht, und dann erteilt Ihr diesen beiden Gentlemen Aufträge, als ob man Yato Inda gar nicht trauen dürfe.“

„Ich habe mich verstellt, denn es gilt, vorsichtig zu sein. Die Pferde sind gestohlen und fortgeschafft worden, haben sich aber unterwegs losgerissen.“

„Unmöglich!“

„Es ist so; ich versichere es Euch!“

„Und wenn es so wäre, könnte der Yato Inda der Dieb gewesen sein?“

„Nein; aber er ist sein Helfershelfer.“

„Ich behaupte, daß er ehrlich ist!“

„Und ich behaupte, daß er nicht Yato Inda, sondern Ik Senanda heißt und der Enkel des schwarzen Mustangs ist. Kommt nur erst nach dem Schuppen, da werden wir erfahren, wer den Diebstahl ausgeführt hat!“

„Wie wollt Ihr das erfahren?“

„Der weiche Erdboden wird es mir sagen. Selbst wenn ein Geist der Dieb gewesen wäre, müßte man da die Spuren sehen.“

„Ich nicht, denn ich verstehe von diesen Dingen nichts. Ihr habt da freilich mehr Übung; dennoch denke ich, daß Ihr einsehet, wie unrecht Ihr meinem Mestizen thut.“

„Wartet es ab, Sir!“

Sie waren während dieses Wortwechsels in die Nähe des Schuppens gekommen. Der Engineer wollte schnell vollends hin. Old Shatterhand hielt ihn am Arme zurück und warnte:

„Nicht so rasch! Ihr könnt uns sonst alles verderben.“

„Was?“

„Die Spuren, die ich sehen will. Wenn Ihr hineintretet, sind sie nicht deutlich zu erkennen.“

„Ganz wie Ihr wollt. Wir haben ja Zeit.“

Old Shatterhand machte einen Bogen, um nicht direkt, sondern von rückwärts an die Thür zu kommen und dadurch die mutmaßlichen Spuren zu schonen. Dann ging er bis zur Thür und leuchtete nieder. Winnetou ließ die Pferde stehen, kam zu ihm hin und bückte sich mit nieder.

„Uff!“ rief er aus. „Das sind indianische Mokassins gewesen!“

„Dachte es mir!“ nickte Old Shatterhand. „Es waren Rote hier. Aber wie viele?“

„Das wird mein Bruder sehen, wenn wir die Fährte von dem Schuppen weg verfolgen. Hier sind die Menschen- mit den Pferdespuren vermischt.“

„Jetzt noch nicht fort. Wollen noch hier bleiben! Die Hufstapfen zeigen deutlich, daß die Pferde langsam gegangen sind. Das hätten sie nicht gethan, wenn sie entflohen wären, nachdem sie sich losgerissen hatten. Sie sind sehr vorsichtig aus dem Schuppen geführt worden.“

„Er ist verriegelt,“ bemerkte Winnetou, indem er auf die Thür zeigte.

„Ein weiterer Beweis, daß ein Diebstahl vorliegt. Pferde können keine Thür verriegeln.“

„Aber Menschen!“ fiel der Engineer ein. „Und ein Mensch, natürlich ein Arbeiter, ist es gewesen, der sich im Schuppen heimlich etwas zu schaffen gemacht hat. Dabei haben sich die Pferde losgerissen.“

„Da wäre der Mann erschrocken zu uns gerannt gekommen, um es uns zu melden!“

„Nein. Er hat das freilich nicht gethan, weil er die Vorwürfe fürchtete.“

Pshaw! Die Fährte wird uns ja sagen, wer recht hat, Ihr oder ich. Wieviel weiße Arbeiter habt Ihr, Sir?“

„So viele, wie Ihr im Shop gesehen habt.“

„Sie waren alle da?“

„Alle.“

„Schön! Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß keiner von diesen Weißen den Shop verlassen hat. War wirklich ein Arbeiter hier, so muß es ein Chinese gewesen sein.“

„Das meine ich auch.“

„Was haben diese Himmelssöhne für Schuhwerk an den Füßen?“

„Schwere chinesische Schlappen mit dicken Sohlen.“

Well! Das gibt einen so ausgeprägten, eigenartigen Stapfen, daß man sich gar nicht irren kann. Werden nachher sehen. Jetzt treten wir zunächst hier ein.“

Sie öffneten die Thür und gingen hinein. Es war nichts zu sehen. Die Diebe hatten keine Spur zurückgelassen. Darum wurden nun die Pferde hineingeschafft und wieder angebunden, worauf die drei Männer die Untersuchung draußen fortsetzten, indem sie die Fährte vom Schuppen weg verfolgten. Nach wenigen Schritten schon teilten sie sich. Nach rechts führten Menschen- und Tierschritte, von links her gab es nur Menschenspuren.

„Da sind sie gekommen,“ sagte Old Shatterhand. „Sieht mein Bruder Winnetou, wie viele es gewesen sind?“

Der Apatsche betrachtete die Eindrücke genau und antwortete dann:

„Diese roten Männer waren so unvorsichtig, nicht hintereinander zu gehen, darum ist ganz deutlich zu sehen, daß es vier Männer waren. Gehen wir noch weiter! Die Fährte geht nach der hinteren Seite des Shop.“

Nach kurzer Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die beiden Chinesen mit den Indianern zusammengetroffen waren. Sie war bereits ausgetreten und wurde von Old Shatterhand sorgfältig beleuchtet.

„Uff !“ rief Winnetou. „Hier haben die roten Männer einige Zeit gestanden und mit zwei gelben Männern gesprochen. Man sieht die Spur der dicken, geraden Sohlen ganz genau.“

„Sagte ich es nicht!“ meinte da der Engineer. „Es sind Arbeiter im Schuppen gewesen!“

„Unsinn!“ widersprach Old Shatterhand, ziemlich unwillig darüber, daß der Beamte noch immer nicht von seinen falschen Gedanken abzubringen war. „Im Schuppen waren sie nicht, denn ihre Spuren führen nicht bis hin. Ihr seht ja, daß sie bloß hierher und dann wieder zurückgehen. Ich bitte Euch sehr, Eure irrige Ansicht aufzugeben! Es sind Indianer hier gewesen, Komantschen jedenfalls. Das ist keine Kleinigkeit für Euch!“

Pshaw! Jedenfalls arme Teufel, die vielleicht Eßwaren stehlen wollten und unglücklicherweise an eure Pferde geraten sind.“

„Wenn es so wäre, wollte ich es loben. Ich fürchte aber, daß es noch ganz anders kommen wird. Diese Roten scheinen mit Euren Chinesen im geheimen Einverständnisse zu stehen.“

„Oho!“

„Ja! Ihr seht ja, daß sie hier miteinander gesprochen haben. Wenn kein Einverständnis zwischen ihnen vorläge, würden die Indianer die Chinesen ausgelöscht haben.“

„Meint Ihr, Sir?“

„Gewiß! Und seht: erst haben nur drei Rote hier gestanden, der vierte ist aus der Richtung des Shop zu ihnen gekommen. Erratet Ihr, welcher das war?“

„Etwa dieser Juwaruwa, den Ihr nicht fortlassen wolltet?“

„Ja, der war es.“

„So möchte ich nur wissen, welche von meinen Chinesen diese beiden hier gewesen sind!“

„Fragt Eure Langzöpfe, ob Ihr etwas erfahren werdet! Ganz gewiß nicht!“

„Die Betreffenden werden sich freilich hüten, es einzugestehen.“

„Wir werden es trotzdem erfahren.“

„Meint Ihr?“

„Ja.“

„Aus den Spuren?“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht; dann aber jedenfalls auf eine andre Weise. Einstweilen wollen wir von ihnen absehen und uns nur mit den Roten beschäftigen. Kommt!“

Sie folgten der jetzt nicht mehr vier- sondern nur noch dreifachen Fährte, bis sie an den Ort kamen, an welchem Tokvi Kava mit dem Mestizen zuletzt gesprochen hatte und von dem aus dieser nach dem Shop zurückgegangen war. Dann wurden sie von der Spur nach der vorderen Seite des Shop geleitet, dorthin, wo die Komantschen auf den Mestizen gewartet hatten. Als auch diese Stelle einer Untersuchung unterworfen worden war, sagte Old Shatterhand:

„Jetzt ist mir alles klar. Es kamen vier Komantschen hierher. Drei warteten, und der vierte ging in den Shop, um dem Mestizen ein Zeichen zu geben, daß er herauskommen solle. Dieser Mensch ging hierher; da sie sich aber hier nicht sicher fühlten, wendeten sie sich nach der Hinterseite des Shop. Darum hat mein Bruder Winnetou hier vergeblich gesucht und nichts gefunden. Der Mestize besprach sich mit den drei Roten und kehrte dann zu uns zurück; sie aber gingen nach der Stelle, wo sie Juwaruwa erwarteten. Dieser kam, und als sie sich nun ganz entfernen wollten, stießen sie auf die beiden Chinesen.“

„Was die aber dort zu suchen hatten?“ fragte der Engineer.

„Das werden sie uns sagen,“ antwortete Old Shatterhand zuversichtlich.

„Wir wissen aber doch gar nicht, welche zwei von meinen vielen chinesischen Arbeitern es waren!“

„Wir werden es erfahren. Verlaßt Euch darauf!“

„Wollen wir ihre Spur nicht auch untersuchen?“

„Jetzt noch nicht. Wir müssen vorher zu dem Mestizen. Er soll fliehen.“

„Fliehen?“ fragte der Engineer, im höchsten Grade erstaunt. „Welch ein Gedanke!“

„Wieso?“

„Entweder ist er der bravste Mensch, für den ich ihn halte, und da braucht er nicht zu fliehen, oder er ist ein Schurke, der uns an die Indianer verraten will, und da darf ich ihn nicht entkommen lassen.“

„So denkt Ihr, ich aber denke anders. Er ist der Enkel des Komantschenhäuptlings Tokvi Kava und hat sich unter ehrlicher Maske bei Euch eingeschmeichelt, um Euch seinem roten Großvater zu überliefern. Dieser hat heut vier Boten zu ihm geschickt oder ist vielleicht gar selbst mit hier gewesen, um die Zeit und Art des Überfalles zu bestimmen. Ich möchte behaupten, daß Tokvi Kava mit hier gewesen ist. Was sagt mein Bruder Winnetou dazu?“

„Der schwarze Mustang war da,“ antwortete der Apatsche mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er ihn gesehen hätte.

„Gewiß! Denn nur so ein Krieger wie er konnte auf den Gedanken kommen, unsre Pferde zu stehlen. Er hat gehört, daß wir hier sind, und wird den Überfall des Camp einstweilen aufgeben, bis wir dieses verlassen haben. Zu Eurer Sicherheit aber ist unbedingt erforderlich, zu erfahren, was gegen Euch im Werke liegt, und wann es ausgeführt werden soll. Das könnt Ihr aber nicht hören, wenn der Mestize hier bleibt.“

„Sir,“ antwortete der Engineer ungläubig, „ich weiß, wer Ihr seid, und was ich von Euch zu halten habe, aber Ihr redet für mich in Rätseln. Ich muß Euch zu meinem großen Schrecken glauben, daß die Roten etwas gegen uns vorhaben, denn sonst hätten sie keine Kundschafter hergeschickt; aber was ich darüber wissen muß, kann ich doch am besten und am sichersten von dem Mestizen erfahren, wenn er wirklich, wie Ihr behauptet, der Verbündete der Roten ist.“

„Ihr denkt, er sagt es Euch?“

„Ich zwinge ihn dazu!“

Pshaw! Ich wüßte nicht, wie Ihr das anfangen wolltet!“

„Ihr werdet mir dabei helfen, Sir!“

„Das kann ich nicht, denn er würde mir eben so wenig sagen wie Euch. Es gibt nur das eine sichere Mittel, alles zu erfahren: wir müssen ihm Angst einjagen, daß er sich aus dem Staube macht.“

„Aber, wenn er fort ist, erfahren wir erst recht nichts, Mister Shatterhand!“

„Im Gegenteil. Habt Ihr nicht gehört, daß wir morgen nach dem Alder-Spring wollen?“

„Ja.“

„Der Mestize hat es auch gehört und wird es den Roten mitgeteilt haben. Ich bin überzeugt, daß sie hinreiten, um uns aufzulauern und zu fangen. Wir werden uns aber nicht erwischen lassen, sondern im Gegenteil sie belauschen.“

„Sir, das ist unendlich gefährlich!“

„Für uns nicht, und für Euch hat es den Zweck, daß Ihr dann wißt, woran Ihr seid.“

„Wie werde ich es denn erfahren? Wollt Ihr etwa wiederkommen?“

„Wenn wir erfahren, daß Ihr Euch in Gefahr befindet, kommen wir ganz gewiß zurück, um Euch beizustehen. Nur müßt Ihr heut den Mestizen laufen lassen.“

„Und wenn er nicht läuft?“

„Er läuft! Wo pflegt er zu schlafen? Etwa bei den Arbeitern?“

„Nein. Er hat sich da hinten an dem Gebüsch ein halbindianisches Wigwam errichtet.“

„Um nicht beobachtet zu werden. Ganz richtig! Er hat ein Pferd?“

„Ja. Es ist stets in der Nähe dieses Wigwams angepflockt.“

„Gut! Mein Bruder Winnetou wird sich jetzt dorthin begeben und sich verstecken, um ihn zu beobachten, damit wir wirklich wissen, ob er fort ist oder nicht. Ich aber gehe in den Shop, um ihm die nötige Angst einzujagen. Macht aber ja keinen Fehler, Sir! Er soll denken, wir wissen nicht, daß die Pferde von Indianern gestohlen worden sind, sondern vielmehr glauben, wir nehmen an, daß sie sich im Schuppen losgerissen haben.“

„Well. Darf ich mit Euch gehen?“

„Ja. Vorher aber beschreibt Ihr Winnetou genau, wo das Wigwam liegt.“

Winnetou hatte zu der ganzen Unterhaltung nur wenige Worte beigetragen; er hörte jetzt die Beschreibung des Platzes auch ganz ruhig an und ging dann fort. Das war so seine Art und Weise und für Old Shatterhand der Beweis, daß er mit allem, was dieser gesagt und geplant hatte, einverstanden war. Als er sich entfernt hatte, gingen die beiden nach dem Shop. Sie fanden den Mestizen in reger Unterhaltung mit den beiden Timpes, denen es gelungen war, ihn vollständig zu fesseln. Er warf einen heimlich sein sollenden, mißtrauisch forschenden Blick auf den weißen Jäger, und dieser that so, als ob er ihn nicht bemerkt hätte. Der gute Kas hielt in der Erzählung, die er eben vortrug, inne und erkundigte sich:

„Nun, Mister Shatterhand, wie habt Ihr es im Schuppen gefunden? Wer hatte recht, Ihr oder Winnetou?“

„Ich. Von einem Pferdediebstahl war keine Rede. Wir hatten vergessen, die Thür zu verriegeln, und da muß irgend ein Tier hineingeraten sein und die Hengste ängstlich gemacht haben. Sie haben sich losgerissen und das Weite gesucht, sich aber glücklicherweise wieder hierhergefunden. Darüber können wir also beruhigt sein, umsoweniger aber über einen andern Umstand.“

„Über welchen?“

„Es sind Rote hier gewesen.“

„Einer doch wohl nur? Ich meine diesen sogenannten Juwaruwa, der da im Shop war.“

„Er war nicht allein. Es gehörten noch drei andre Rote zu ihm, die draußen auf ihn warteten.“

„Alle Wetter!“ rief Kas, indem er seinen Strohhut weit aus der Stirn schob. „Noch drei andre! So ist dieser elende Halunke also wohl doch noch ein Spion gewesen?“

„Ich bin überzeugt davon und behaupte, daß sich hier im Camp ein Verbündeter von den Roten befindet.“

All devils! Wenn das wahr wäre! Wer könnte das sein?“

„Ich weiß es; aber fragt einmal Yato Inda danach, der da neben Euch sitzt; der weiß es ebenso gut wie ich.“

Da drehte sich der Mestize langsam nach Old Shatterhand um, blitzte ihn mit zornig funkelnden Augen an und fragte in feindseligem Tone:

„Was soll ich wissen, Sir?“

„Was ich diesem Gentleman hier gesagt habe.“

„Ich weiß gar nichts.“

„So kommt, Mesch’schurs; ich will euch etwas zeigen. Yato Inda mag auch mitgehen!“

„Wo ist Mr. Winnetou?“ fragte Kas, indem er mit den andern aufstand.

„Im Schuppen bei den Pferden, um zu wachen, daß sie nicht wieder aufgeregt werden.“

Sie gingen alle hinaus, auch die weißen Arbeiter mit; der Mestize aber blieb sitzen. Da wendete Old Shatterhand unter der Thür sich nach ihm um und sagte:

„Ich habe alle aufgefordert, mitzugehen. Wer zurückbleibt, der bekommt es mit mir zu thun. Ich scherze nicht.“

Old Shatterhands drohendes Auge sagte noch mehr, als diese Worte enthielten. Der Mestize stand auf und kam hinterher. Old Shatterhand trug die Laterne wieder und führte die Männer zu der Fährte, welche der Mestize gemacht hatte, als er aus dem Shop zu den auf ihn wartenden Komantschen gegangen war. Er leuchtete auf dieselben nieder und sagte:

„Seht euch diese Stapfen genau an, Mesch’schurs! Es sind die Spuren eines Halunken, der euch alle ins Verderben führen will. Ich werde euch nachher die Füße zeigen, die ganz genau in diese Eindrücke passen. Den Kerl lynchen wir!“

„Ins Verderben führen?“ fragte der Aufseher erschrocken. „Wieso?“

„Er verkehrt mit feindlichen Indianern, die wahrscheinlich das Camp überfallen wollen, und hat sich unter einem falschen Namen bei euch eingeschmuggelt, um ihnen die Sache leicht zu machen.“

„Indianer? Ist das möglich?“

„Ja, der Rote, welcher vorhin hier war, war ein Spion von ihnen, der ihn hinausschicken sollte. Wir sahen, daß sie Zeichen miteinander auswechselten.“

„Wer ist der Schuft? Sagt es, Sir, sagt es!“

„Später! Erst will ich euch Beweise geben. Ihr seht, daß ich seinen Stapfen folge, und werdet bald erfahren, wohin sie führen.“

Old Shatterhand ging auf der Spur weiter, und sie folgten ihm, bis er stehen blieb, auf den Boden leuchtete und sagte:

„Seht her! Hier haben drei Indianer gestanden und auf ihn gewartet, während der vierte, der sich Juwaruwa nannte, sich bei uns im Shop befand und ihm heimlich zuwinkte. Überzeugt euch genau, daß diese Eindrücke von Indianern strammen!“

Da sagte Has, indem er seinen langen, schwarzen Schnurrbart grimmig auseinanderzog:

„Das bedarf gar keiner besonderen Überzeugung, Sir. Man sieht es doch gleich mit dem ersten Blick, daß es sich um Rote handelt. Alle Wetter! Das Camp steht in Gefahr. Zeigt uns den Burschen, damit wir ihn ein wenig aufhängen! Es gibt hier Bäume genug, die hübsche, starke Äste haben.“

„Wartet nur noch ein kleines Weilchen! Wir müssen der Spur noch weiter folgen. Ihr sollt ganz genau sehen, wie er gegangen ist.“

Der Mestize stand dabei und hörte natürlich alles, was gesprochen wurde. Old Shatterhand ließ den Schein der Laterne zuweilen über sein Gesicht gleiten und sah dabei den irren, ängstlichen Blick, mit dem das dunkle Auge um sich sah.

Es ging weiter, hinter den Shop herum, wo Old Shatterhand wieder stehen blieb und erklärte:

„Dann sind sie hierher gegangen und lange hier stehen geblieben, wie ihr aus den Spuren erseht. Denn dort, auf der Vorderseite fühlten sie sich nicht sicher, weil Winnetou und ich hier waren. Sie glaubten, wir würden sie beschleichen. Hier haben sie von uns und von dem Überfalle gesprochen, den sie planen. Dann sind die drei Roten ein Stück weiter gegangen, um auf Juwaruwa zu warten, der da zu ihnen stieß. Der Verräter aber ist von hier nach dem Shop zurückgekehrt. Ich bin kein Freund von solchen Schauspielen, hier aber haben wir es mit einem Schurken zu thun, der unbedingt gelyncht werden muß.“

„Wer ist es, wer, wer, wer?“ wurde rund im Kreise gefragt. Nur der Mestize war still.

„Sogleich, sogleich werdet ihr es erfahren! Nur wollen wir der Fährte noch ein Stückchen folgen, bis sie so deutlich wird, daß ich euch zeigen kann, wie genau sein Fuß hineinpaßt. Kommt, Mesch’schurs.“

Indem er die Männer wieder nach der vorderen Seite des Shop führte, paßte er mit scharfem Blicke auf den Mestizen auf. Dieser folgte langsam nur noch einige Schritte und that dann einige schnelle Sprünge auf die Seite; er war nicht mehr zu sehen. Nun war es Zeit. Der Mischling durfte nicht zu Atem und noch viel weniger auf den Gedanken kommen, hier zu bleiben und sich zu verstecken, um zu belauschen, was die Bewohner des Camps vornehmen würden. Darum blieb Old Shatterhand schon nach kurzer Zeit stehen und sagte:

„Hier ist die Stelle, wo ihr es erfahren sollt. Yato Inda mag her zu mir kommen und – ah,“ unterbrach er sich, „wo ist der Mestize?“

„Der Mestize?“ wurde gefragt. „Ist er es etwa? Ist er es?“

„Natürlich der! Ich glaubte, ihr würdet es erraten. Er heißt nicht Yato Inda, sondern Ik Senanda und ist ein Enkel des schwarzen Mustang. Dieser will das Camp überfallen und hat ihn hergeschickt, um die beste Gelegenheit dazu auszuspähen.“

Da erhob sich ein Schreien, Brüllen und Rufen nach dem Entflohenen, welches weithin durch das Thal erschallte. Old Shatterhand aber überrief sie noch mit seiner mächtigen Stimme:

„Wozu dieser unnütze Lärm! Er ist nach seinem Wigwam gelaufen, um sein Pferd zu holen und zu fliehen. Eilt ihm nach, damit er nicht entkommt!“

„Nach seinem Wigwam?“ rief einer immer lauter als der andre. „Ja, nach seinem Wigwam! Ihm nach, dorthin, dorthin, daß wir ihn fangen!“

Sie rannten fort und Old Shatterhand blieb mit dem Engineer allein zurück.

„Nun, was sagt Ihr dazu?“ fragte lächelnd der erstere den letzteren. „Ist es nicht gelungen?“

„Ja, wenn Ihr Euch in dem Mestizen nicht dennoch irrt. Es wird mir wirklich schwer, ihn für einen so schlechten Menschen zu halten.“

„Würde er geflohen sein, wenn er es nicht wäre?“

„Das ist freilich wahr. Aber dann müssen wir Gott heilig danken, daß er Euch zu uns geführt hat. Was wäre aus uns geworden! Die Roten hätten uns alles, alles abgenommen, sogar das Leben, denke ich!“

„Das Leben und die Skalpe, wohl auch die Vorräte und alles andre außer dem Gelde; das hat der Mestize jedenfalls für sich ausbedungen. Ich kenne das und habe es wiederholt erlebt. Doch horcht! Hört Ihr nichts, Sir?“

„Ja, dort drüben rennt ein Pferd.“

„Es ist das seinige; er reitet fort, getrieben von der Angst vor dem Richter Lynch. Es wird ihm nicht einfallen, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen. Wir sind ihn los.“

„Aber für wie lange! Er wird zu den Komantschen reiten und mit ihnen wiederkommen.“

„Dann reiten wir ihm nach und sind noch vor ihm wieder hier. Ihr braucht keine Sorge zu haben. Hört Ihr das Brüllen Eurer Leute? Sie suchen noch nach ihm und finden ihn nicht. Ah, nun lassen sie ihren Ärger an seinem Wigwam aus!“

Sie sahen drüben am Gebüsch eine erst kleine Flamme aufzüngeln, welche aber trotz der vom Regen zurückgebliebenen Nässe bald größer und größer wurde. Die Arbeiter hatten das Wigwam angebrannt. Beim Scheine des Feuers sahen die beiden Winnetou auf sich zukommen. Als er sie erreichte, blieb er stehen und sagte:

„Winnetou lag auf der Lauer und hörte den Mestizen gelaufen kommen und in sein Wigwam treten. Da erschallte das Rachegeschrei der Männer, und das Halbblut stürzte vor Angst wieder hinaus, rannte zu seinem Pferde, stieg auf und ritt davon.“

„Wird er weit reiten oder heimlich doch hier bleiben?“ fragte Old Shatterhand, um zu hören, was Winnetou über diesen Punkt dachte.

„Er wird weit, weit reiten und nicht eher anhalten, als bis er von uns heut nicht mehr erreicht werden kann. Ich habe das Sausen seines Atems gehört und daraus vernommen, daß seine Angst eine so große war, daß es ihm gewiß nicht einfällt, hier zu bleiben.“

„Das denke ich auch. Wir können also unsre unterbrochene Forschung wieder aufnehmen, ohne befürchten zu müssen, dabei heimlich von ihm beobachtet zu werden.“

„Welche Forschung?“

„Nach den Spuren der beiden Chinesen, die wir noch nicht ausgekundschaftet haben.,

„Dürfen die andern dabei sein?“

„Höchstens die beiden Timpe. Wenn mehr mitgehen, können sie nur die Fährte leicht verderben.“

Die Arbeiter kehrten jetzt von der ergebnislosen Verfolgung des Mestizen zurück. Sie wollten von Old Shatterhand Auskunft über seinen Verdacht und was mit diesem zusammenhing, haben; er forderte sie auf, in den Shop zu gehen und dort eine kurze Zeit zu warten; er werde bald nachkommen und ihnen alles erklären. Dann wendete er sich mit Winnetou, dem Engineer und den beiden Timpes wieder nach der Hinterseite des Shop, wo er vorhin die Spuren der zwei Chinesen gesehen hatte, ohne ihnen zu folgen. Sie fanden sie beim Scheine der Laterne leicht wieder und gingen ihnen nach.

Sie hatten angenommen, daß diese Fährte um zwei Ecken des Gebäudes nach dem Eingange zum Shop führen werde, sahen aber bald, daß dies nicht der Fall war, denn sie ging weiter bis zur Wohnung des Engineers, und zwar nach der hinteren Seite derselben. Dort lehnte eine Leiter, die bis zum Dache ging, an der Mauer.

„Uff!“ rief der Apatsche dem Engineer zu. „Lehnt diese Leiter immer hier?“

„Nein,“ antwortete der Gefragte, indem er bedenklich mit dem Kopfe schüttelte.

„Lehnte sie aber vielleicht schon da, als wir vorhin im Innern dieses Hauses waren?“

„Ich weiß nichts davon. Die Sache kommt mir außerordentlich verdächtig vor. Wer mag das gewesen sein?“

„Die Chinesen natürlich!“ antwortete Old Shatterhand. „Ihr seid wahrscheinlich bestohlen worden, Sir, und wir mit!“

„Uff, uff!“ stimmte der Apatsche bei. „Unsre Gewehre sind verschwunden.“

„Seid Ihr, – nehmt es mir nicht übel, Mister Winnetou, aber seid Ihr nicht recht gescheidt?“ rief der Engineer erschrocken.

„Sie sind fort,“ wiederholte der Häuptling.

„Ja, das sage ich auch,“ erklärte Old Shatterhand ohne alle Aufregung.

„Und das sagt Ihr in einem so ruhigen Tone, als ob es sich nur um einige Zündhölzer anstatt um die drei kostbarsten Gewehre des wilden Westens handelte!“

„Was könnte die Aufregung nützen? Sie würde nur schaden. Je ruhiger wir die Sache hinnehmen, desto eher und sicherer bekommen wir unsre Gewehre wieder.“

„Ich kann es mir nicht denken, aber wenn es wirklich so ist, dann müssen die Spitzbuben die Gewehre sofort herausgeben, und ich jage sie fort, nachdem ich sie habe halb oder dreiviertel tot prügeln lassen!“

„Sie können sie nicht herausgeben.“

„Nicht? Warum?“

„Weil sie sie nicht mehr haben.“

„Wer denn?“

„Die Komantschen.“

„Zum Kuckuck! Das wäre schlimm, sehr schlimm für Euch! Wie kommt Ihr denn auf diesen unglückseligen Gedanken?“

„Auf die einfachste Weise. Die Spuren der beiden Chinesen stoßen mit denen der Komantschen zusammen und gehen dann gleich wieder zurück. Die Roten haben die Gewehre erhalten.“

„So denkt Ihr, daß die Flinten extra für die Indianer gestohlen worden sind?“

„Nein! Vorhin freilich, als ich die Fährten zum erstenmal beisammen sah, war ich geneigt, anzunehmen, daß die Indsmen mit diesen zwei Chinesen im geheimen Einverständnisse seien, jetzt aber bin ich überzeugt, daß dem nicht so ist. Die Chinesen haben den Diebstahl für sich ausgeführt; als sie dann fortgingen, um die Gewehre zu verstecken, sind sie auf die Indianer gestoßen und von diesen gezwungen worden, die Waffen herzugeben.“

„Das ist freilich möglich, aber wir haben ja noch gar keine Sicherheit. Wir können noch gar nicht behaupten, daß es sich wirklich um eure Gewehre handelt. Kommt, wir wollen hineingehen und nachsehen! Hoffentlich habt Ihr Euch getäuscht.“

„Wir täuschen uns nicht. Haben Eure Chinesen Gewehre?“

„Nein.“

„Also! Seht hier diese drei Eindrücke im schlammigen Boden! Sie können nur von Gewehrkolben herrühren. Die Diebe haben, als sie von der Leiter kamen, sich die Hände auf einen Augenblick frei gemacht und die Büchsen an die Mauer gelehnt. Drei Stück, ein großer, ein mittlerer und ein kleinerer Eindruck; das ist der Bärentöter, die Silberbüchse und der Henrystutzen. Weitere Beweise brauchen wir nicht.“

„Es ist wahr; es ist wirklich wahr!“ rief der Engineer aus, als er die drei Löcher im Schlamm angesehen hatte. „Wahrhaftig, das sind Chinesen gewesen! Ich lasse sie zu Tode peitschen! Welche zwei aber mögen es unter so vielen gewesen sein?“

„Wir werden sie entdecken. Wir haben hier ihre Spuren, was freilich nicht viel sagen will. Vielleicht finden wir drin im Hause einen Anhaltspunkt. Und wenn das nicht sein sollte, so gibt es im Kopfe eines guten Westmannes noch andre Haken, an denen man dergleichen Spitzbuben aufhängen kann.“

„Wollen es hoffen, Sir! Donner und Doria! Es ist eigentlich eine ganz und gar armselige Blamage für mich und unser Camp. Erst diese Freude und Ehre, so berühmte Westmänner bei uns zu sehen, und nun stellt es sich heraus, daß Ihr auf eine so raffinierte und freche Weise bestohlen worden seid! Ich möchte nur wissen, wie die Halunken auf diesen Gedanken gekommen sind: sie brauchen diese Waffen doch gar nicht; sie können gar nicht mit ihnen umgehen. Welchen Zweck hatten sie eigentlich dabei?“

„Das ist mir freilich auch ein Rätsel, welches sich aber schon noch lösen lassen wird.“

Da sagte Kas, der Blonde:

„Ich weiß nicht, ob es ein guter oder ein alberner Gedanke von mir ist, Sir, aber mir ist soeben eine Art von Erklärung eingefallen.“

„Welche?“

„Ehe Ihr kamt, war die Rede von Euch. Wir sprachen da natürlich auch von Euren Gewehren, und daß sie von einem so hohen Werte sind, daß man ihn eigentlich gar nicht bestimmen kann. Sollten einige von diesen gelben Zopfmännern das gehört haben und dadurch auf den Gedanken geraten sein, die kostbaren Waffen zu stehlen, um sie später zu einem hohen Preise zu verkaufen?“

„Hm! Dieser Gedanke ist gar nicht dumm, Mister Timpe. Vielleicht habt Ihr das Richtige getroffen. Die beiden Abteilungen des Shops sind nur durch einen dünnen Verschlag voneinander getrennt, durch welchen das, was gesprochen worden ist, leicht gehört werden konnte. Und wenn ich mich nicht irre, saßen zwei Chinesen ganz nahe an diesem Verschlage auf einer Bank allein.“

„Das ist richtig,“ stimmte der Engineer bei. „Das waren die beiden Firsthands, deren wir uns als Vermittler bedienen.“

„Muß man da nicht annehmen, daß sie ehrliche Leute sind?“ fragte Old Shatterhand.

„Das nicht, Sir! Diese Burschen sind alle Halunken, vom ersten bis zum letzten. Sie stehlen nur dann nicht, wenn es nichts zu stehlen gibt, und ihr Hauptgrundsatz ist der, daß es keine Sünde und Schande, sondern vielmehr ein gutes Werk und eine Ehre ist, den Weißen so viel wie möglich zu übervorteilen. Daß ein Chinese es bis zum Firsthand gebracht hat, ist gar kein Grund, darauf zu schließen, daß er ehrlicher als die andern sei, sondern grad im Gegenteile: er ist intelligenter, und also darf man ihm noch weniger trauen. Wollen wir uns die beiden einmal gründlich vornehmen?“

„Ja. Zunächst aber treten wir hier in das Haus, damit Ihr Euch überzeugen könnt, daß die Gewehre verschwunden sind.“

Der Engineer schloß die Thür auf und brannte drinnen ein Licht an. Bei dem Scheine desselben sah man nicht nur, daß die Gewehre fehlten, sondern erkannte auch die Art und Weise, in der sie gestohlen worden waren, denn in der Decke war ein Loch, durch welches die Diebe Zugang gefunden hatten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß den beiden Geschädigten der Verlust ihrer unvergleichlichen Waffen nicht gleichgültig war; aber ihre Gewöhnung, sich in allen Lagen zu beherrschen, hatte zur Folge, daß sie kein klagendes Wort darüber äußerten. Der Engineer aber zeigte sich wütend und versicherte, daß er die Thäter totprügeln lassen werde.

„Erst müssen wir sie entdecken,“ meinte Old Shatterhand ruhig. „Und selbst dann, wenn wir sie haben, werde ich gegen eine so unmenschliche Bestrafung sein.“

„Sollen sie etwa gar straflos ausgehen, Sir?“ fragte der Beamte.

„Nein; aber wir können Justiz üben, ohne grausam zu sein.“

„Bedenkt, daß wir uns im wilden Westen befinden! Im Osten würde man die Diebe auf einige Zeit einsperren; hier aber gilt das Gesetz der Prairie. Nach diesem wird ein Pferdedieb mit dem Tode bestraft, und ich denke, daß die gestohlenen Waffen mehr wert sind, als ein Pferd. Nicht?“

„Allerdings. Dennoch bitte ich Euch, es lieber uns zu überlassen, die Strafe zu bestimmen; sie wird groß genug, aber nicht ungerecht sein. Jetzt wollen wir nach dem Shop gehen, um die Chinesen vorzunehmen.“

Die Arbeiter waren alle noch munter. Selbst diejenigen, die sich vorher niedergelegt gehabt hatten, saßen wieder an den Tischen, um sich über das, was passiert war, zu unterhalten. Die beiden Firsthands hatten ihre vorigen Plätze eingenommen; sie fühlten sich nicht sicher und betrachteten die Eintretenden mit ängstlich forschenden Blicken. Old Shatterhand forderte sie kurz und in bestimmtem Tone auf:

„Kommt einmal mit uns herein in die andre Abteilung!“

Sie standen auf und folgten. Dabei raunte der eine dem andern zu:

Schuet put tek!“

Dem scharfen Ohre Old Shatterhands entgingen diese Worte nicht; als er sie hörte, breitete sich ein leises befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Der Sprecher hatte sich seiner heimatlichen, also der chinesischen Sprache bedient und dabei sehr leise gesprochen; er war also vollständig davon überzeugt, nicht verstanden worden zu sein, denn selbst falls seine Worte an irgend ein Ohr gedrungen sein sollten, gab es doch hier, so weit von China entfernt und mitten in der Wildnis, gewiß keinen Menschen, welcher der chinesischen Sprache mächtig war. Er ahnte nicht, daß Old Shatterhand sich während seiner langen und weiten Reisen auch in China aufgehalten hatte, und nie ein Land besuchte, ohne vorher die Sprache desselben kennen zu lernen.

Als sie dann drin in der kleinen Abteilung vor ihm standen, ließ er seinen durchdringenden Blick scharf über sie gleiten und sagte, indem er seinen Revolver aus dem Gürtel zog und den Hahn desselben drohend knacken ließ:

„Ihr befindet euch in einem fremden Lande. Kennt ihr die Gesetze desselben?“

Sie hoben ihre Augen frech zu ihm auf, und der eine antwortete:

„Dieses Land hat sehr viele Gesetze, welche davon meint Ihr, Sir?“

„Die, welche sich auf den Diebstahl beziehen.“

„Die kennen wir.“

„So sag einmal, womit der Diebstahl bestraft wird!“

„Mit Gefängnis.“

„Ja, aber nicht hier in dieser Gegend. Wer hier im wilden Westen Waffen oder Pferde stiehlt, der wird entweder erschossen oder aufgehängt. Wißt ihr das?“

„Wir haben davon gehört; aber es geht uns nichts an, denn wir werden uns nie an einem fremden Gut vergreifen.“

„Lüge nicht!“

„Was sprecht Ihr, Sir? Ich habe nicht gelogen! Wir haben vernommen, daß Ihr ein großer und ein berühmter Mann seid; aber auch wir sind keine gewöhnlichen Leute, sondern Firsthands hier, die sich nicht beleidigen lassen!“

„Pshaw! Dein Ton soll bald ein andrer werden, Bursche! Wenn ihr aufrichtig gesteht, werden wir glimpflich mit euch verfahren; leugnet ihr aber, so habt ihr keine Nachsicht zu erwarten. Ihr habt unsre drei Gewehre gestohlen?“

Der Mann zeigte eine möglichst unbefangene Miene, schüttelte verwundert den Kopf und antwortete:

„Gewehre gestohlen? Wir? Wie kommt Ihr auf diese Idee, die uns ganz unbegreiflich ist? Sind Euch Eure Gewehre abhanden gekommen?“

Er sagte das in einem so kindlich aufrichtigen und unschuldigen Tone, daß Old Shatterhand ausholte und ihm eine solche Ohrfeige verabreichte, daß der Getroffene zwischen den Tischen hindurch bis an den fernen Schenktisch flog, wo er Mühe hatte, sich langsam aufzuraffen. Der Jäger würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern wendete sich an den andern:

„Du hast jetzt gesehen, wie ich die Lüge und die Frechheit beantwortete. Sage also die reine Wahrheit! Ihr habt unsre Gewehre gestohlen!“

„Nein!“ behauptete trotzdem der Gefragte.

„Ihr seid in das Haus des Engineers eingestiegen?“

„Nein!“

„Als ihr dann die Gewehre verstecken wolltet, sind sie euch von Indianern abgenommen worden?“

„Nein!“ behauptete der Chinese zum drittenmal, aber weit weniger zuversichtlich als bisher.

„Mensch, ich warne dich! Dein Kumpan hat dich zwar aufgefordert zu leugnen, aber es ist weit besser für dich, aufrichtig zu sein.“

„Wann soll er mich aufgefordert haben, Sir?“

„Vorhin, als ihr von euren Plätzen aufstandet.“

„Ich weiß nichts, Sir!“

„Du weißt es, denn du hast gehört, daß er leise zu dir schuet put tek sagte!“

„Ja, das hat er gesagt.“

„Nun, was bedeuten diese chinesischen Worte?“

„Sie heißen: Komm, wir gehen mit! Er sagte das, weil wir mit Euch gehen sollten.“

„Höre, du bist ein Pfiffikus; aber mich täuschest du nicht. Kommen heißt lai, und gehen heißt k’iu; schuet put tek aber heißt: es darf nichts gestanden werden. Willst du das etwa auch leugnen?“

Der noch am Schenktische stehende Chinese hatte sich bis jetzt die schmerzende Wange gehalten; nun aber schlug er erschrocken die Hände zusammen; der andre war zwei, drei Schritte zurückgefahren, starrte den Jäger mit weit geöffneten Augen an und fragte stockend und entsetzt:

„Wie? Ihr – – Ihr – – könnt – – könnt – – chinesisch sprechen?“

Old Shatterhand benutzte dieses Entsetzen, den Burschen zu überrumpeln, indem er schnell fragte:

„Wer war der Indianer, der euch die Gewehre abgezwungen hat?“

Der Chinese ging gedankenlos in die Falle, denn er antwortete ohne Überlegung:

„Er nannte sich den schwarzen Mustang, den Häuptling der Komantschen.“

Put yen put jii, put yen put jii!“ schrie der erste Chinese vom Schenktische her.

Dieser ängstliche Zuruf heißt so viel wie: „Kein Wort reden, kein Wort reden!“

Tien na, agai yn – mein Himmel, o wehe, wehe!“ rief sein Kumpan, der jetzt einsah, was für einen Fehler er begangen hatte.

„Schweigt!“ lachte Old Shatterhand. „Ihr habt ja gehört, daß euer Chinesisch euch nichts nützt! Ihr seid jetzt überführt und werdet unbedingt noch heut abend erschossen oder aufgehängt, wenn ihr noch weiter leugnet. Erzählt ihr uns aber genau, wie es geschehen ist, so werden wir euch das Leben schenken.“

„Das Leben schenken?“ fragte der zweite Chinese, der weniger hartköpfig als der erste war. „Was wird aber dann unsre Strafe sein?“

„Das richtet sich ganz nach eurer Aufrichtigkeit. Wenn ihr nichts, aber auch gar nichts verschweigt, so kommt ihr jedenfalls besser weg, als ihr es selbst verlangen könnt.“

„So werde ich es sagen; ja, ich erzähle es!“

Der Chinese warf einen fragenden Blick zu seinem Mitdiebe hinüber, der ihm bejahend zuwinkte, denn er sah nun auch ein, daß es geraten sei, den in den Schmutz geratenen Karren nicht weiter hineinzuschieben. Er wagte sich, die brennende Wange wieder haltend, näher heran, und nun erzählten beide, halb freiwillig und halb sich ausfragen lassend, wie sich die Sache ereignet hatte. Als sie alles gestanden hatten, wendete sich der aufrichtigere von ihnen an Old Shatterhand:

„Nun wißt Ihr alles, Sir; wir haben Euch nichts mehr zu sagen und sind deshalb überzeugt, daß Ihr uns die Strafe ganz erlassen werdet.“

Da fuhr der Engineer ihn an:

„Was fällt dir ein, du Dieb? Die Strafe ganz erlassen? Keinesfalls! Weißt du, was es heißt, einem Westmann seine Waffen zu stehlen? Das heißt, ihn in den sichern Tod jagen! Und nun gar solche Gewehre! Ich wollte euch totprügeln lassen; aber da Mister Shatterhand nicht damit einverstanden war und ihr euch auch zu einem Geständnisse herbeigelassen habt, will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und euch nur hundert Hiebe zudiktieren.“

Infolge dieser Drohung erhoben beide ein lautes Wehegeschrei. Winnetou ließ ein verächtliches „Uff!“ hören und wurde von Old Shatterhand gefragt:

„Welche Strafe hat mein roter Bruder diesen Dieben zugedacht?“

Der Apatsche blickte einige Augenblicke lang vor sich nieder; dann ging ein eigentümliches Halblächeln über seine bronzenen Züge.

„Diese,“ antwortete er, indem er mit beiden Händen die Bewegung des Skalpierens machte.

Die Weißen wußten, was er meinte und zeigten sehr ernste Gesichter; die Chinesen hatten die Gesten nicht verstanden und sahen Old Shatterhand fragend an.

„Kniet hier vor mir nieder, eng nebeneinander!“ befahl er ihnen.

Sie gehorchten.

„Nehmt eure Mützen ab!“

Sie zogen ihre niedrigen, schirmlosen Mützen von den Köpfen. Im nächsten Augenblicke blitzte sein Messer; die anwesenden Arbeiter und Beamten schrien erschrocken auf, denn sie glaubten, daß er Ernst mache. Zwei schnelle Griffe mit der linken Hand nach ihren Köpfen und zwei ebenso rasche Schnitte mit der rechten Hand, und er hatte ihnen – – nicht die Köpfe, sondern die Zöpfe abgeschnitten.

Die Zuschauer atmeten erleichtert auf; die Chinesen aber waren zunächst ganz starr vor Schreck. Für einen „Sohn des Himmels“ ist es nämlich die größte Schande, seinen Zopf einzubüßen; er gibt unter Umständen lieber das Leben her. Darum waren diese beiden im ersten Momente geradezu bewegungslos; dann stülpten sie plötzlich die Mützen auf die kahlen Köpfe, sprangen auf und rannten laut jammernd fort. Ein allgemeines Gelächter folgte ihnen.

Nur Old Shatterhand und Winnetou lachten nicht; der erstere erklärte vielmehr in sehr ernstem Tone:

„Die Scene mag euch lächerlich erscheinen; sie ist es aber nicht, Mesch’schurs. Die Chinamänner sind nach ihren Begriffen viel strenger bestraft, als wenn sie von irgend einer Jury zu mehrjährigem Gefängnisse verurteilt worden wären.“

„Was? Ist das möglich?“ fragte der Engineer. „Und wenn es so wäre, so gelten hier nicht chinesische Begriffe, sondern unsre Gesetze. Für einen so infamen Diebstahl nur die Haare zu verlieren, das kann ich unmöglich gelten lassen!“

„Nicht nur die Haare, sondern auch die Ehre, Sir!“ warf Old Shatterhand ein.

Pshaw, Ehre! Diese Diebe haben bewiesen, daß sie keine Ehre besaßen, und was man nicht hat, das kann man nicht verlieren. Ihr habt sie in Eurer Weise bestraft; ich werde dieser Strafe noch einen Nachtrag folgen lassen.“

„Welchen?“

„Ich jage sie fort; ich kann in meinem Dienste keine Spitzbuben brauchen.“

„Ihr werdet gar nicht in die Lage kommen, sie fortzuschicken.“

„Nicht? Wieso?“

„Weil sie dadurch, daß sie keine Zöpfe mehr haben, hier unmöglich geworden sind; sie dürfen sich nicht mehr sehen lassen und werden in dieser Nacht gewiß verschwinden.“

„Wenn das so ist, well, da will ich mich zufrieden geben, aber auch aufpassen, damit nicht mit ihnen noch Verschiedenes verschwindet. Diese beiden Zöpfe aber werde ich an mich nehmen, um ein Andenken an diesen hochinteressanten Abend zu besitzen.“

Er bückte sich, um sie aufzuheben. Old Shatterhand aber nahm sie ihm aus der Hand und sagte:

„Erlaubt, Sir! Diese Zöpfe wird ein ganz andrer bekommen.“

„So? Wer?“

„Tokvi Kava, der große und berühmte Häuptling der Komantschen.“

„Der? Warum?“

„Um ihn zu blamieren und zu ärgern.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Und es ist doch sehr leicht zu verstehen. Winnetou hatte einen ganz besondern Grund, als er vorhin durch das Zeichen des Skalpierens diese beiden Zöpfe verlangte. Ihr seid doch wohl jetzt überzeugt, daß der schwarze Mustang Euer Camp überfallen will?“

„Ja.“

„Worauf wird er es da wohl abgesehen haben? Etwa auf Euer Geld?“

„Schwerlich; das wird sich wohl dieser Yato Inda für seine Verräterei ausbedungen haben; die Roten brauchen keine Dollars; es wird wohl mehr auf unsre Waffen und Munition gerichtet sein.“

„Das allerdings, aber auch auf die Chinesenzöpfe.“

„Meint Ihr?“

„Ja. Wer diese Indsmen so kennt, wie wir sie kennen, der weiß ganz genau, wie sie denken und was sie wollen. Eine so große Anzahl ellenlanger Skalps! Welch eine Beute, und weich eine Ehre! Das soll ihnen aber nicht gelingen, und weil ich niemals ein Unmensch gewesen bin und mit jedem meiner Brüder fühle, gleichviel, ob er von weißer oder roter Farbe ist, so werde ich dem schwarzen Mustang als Entschädigung diese beiden Zöpfe feierlichst überreichen.“

„Hallo, ist das ein Wort! Welch ein Ärger muß das für den Mustang sein! So etwas kann sich nur ein Old Shatterhand ausdenken!“

„Da irrt Ihr Euch. Ich habe es mir gar nicht ausgedacht.“

„Wer denn?“

„Winnetou.“

„Winnetou? Habe ja kein Wort davon gehört!“

„Aber seinen Wink habt Ihr gesehen.“

„Sollte er dabei wirklich an den schwarzen Mustang gedacht haben?“

„Gewiß! Wir beide pflegen uns nämlich auch ohne Worte zu verstehen. Gibt mir mein roter Bruder recht?“

Er wickelte, indem er diese Frage an Winnetou richtete, die Zöpfe zusammen und steckte sie ein. Der Apatsche antwortete:

„Mein Bruder Shatterhand hat mich genau verstanden. Es wird die größte Demütigung für den Häuptling der Komantschen sein, diese Zöpfe ohne Häute von uns zu erhalten.“

„Das mag ja sein,“ gab der Engineer in gedehntem Tone zu; „aber so leicht, wie es gesagt ist, kann es nicht gemacht werden. Ehe man den Mustang mit den Zöpfen ärgern kann, muß erst sein Angriff hier abgeschlagen worden und er in unsre Gefangenschaft geraten sein. Ihr thut, als ob dies so einfach wie für einen Professor das Buchstabieren sei; mir aber wird himmelangst, wenn ich nur daran denke. Wollen uns niedersetzen und einen Kriegsrat halten, Mesch’schurs!“

Er schob mehrere Tische zusammen, so daß auch die weißen Arbeiter mit Platz hatten, und lud sie ein, herbeizukommen. Man setzte sich also nieder; auch Winnetou und Old Shatterhand thaten das, doch war ihnen anzusehen, daß der zu erwartende Kriegsrat für sie nicht diejenige Wichtigkeit hatte, wie für den Engineer. Auch Kas machte eine sorglose Miene und sagte, indem er sich an die Versammlung wendete:

„Wenn die Stare nicht wissen, was sie machen sollen, so pflegen sie sich auf irgend einer schönen, grünen Wiese zusammenzusetzen und zu schwatzen, grad so wie damals bei Timpes Erben.“

„Ihr scheint diese schwierige Sache nicht sehr ernst zu nehmen, Sir!“ antwortete der Engineer in halb beleidigtem Tone. „Wir sind keine Stare, sondern Männer.“

„Wer hat denn gesagt, daß ihr Stare seid?“

„Ihr spracht doch von dieser Art von Tieren!“

„Von Staren und von einer schönen, grünen Wiese, ja. Sitzen wir hier etwa auf einer Wiese!“

Pshaw!“

„Schön! Da hier keine Wiese ist, kann ich euch mit den Staren nicht gemeint haben, Sir. Es muß doch jedem vernünftigen Menschen erlaubt sein, zuweilen auch in schönen Bildern und treffenden Beispielen zu sprechen!“

Well! Und da Ihr mit diesem vernünftigen Menschen doch wohl Euch selbst bezeichnet, so dürfen wir von Euch jedenfalls auch sehr vernünftige Vorschläge erwarten!“

„Das will ich meinen, obgleich ich anstatt mehrerer nur einen einzigen Vorschlag habe, der alles andre in sich begreift.“

„So laßt ihn hören, Sir!“

„Sehr gern und sofort! Ich stelle also den Antrag, daß wir keinen großen Kriegsrat halten, sondern einfach Mister Winnetou und Mister Shatterhand fragen, was gemacht werden soll. Das ist das einfachste, denn etwas Besseres, als diese beiden Gentlemen, können wir uns doch nicht aussinnen.“

„Das gebe ich ja zu; aber es ist doch gar so viel zu überlegen. Wann wird der Überfall stattfinden? Wieviel Rote werden kommen? In welcher Weise werden sie angreifen? Ich kann mich nur auf meine weißen Arbeiter verlassen, und ihr seht ja hier, wie wenige das sind. Die Chinesen haben keine Gewehre, und wenn sie welche hätten, so würden sie sie doch wegwerfen und ausreißen. Ja, wenn ich so viel Weiße hätte, wie mein Kollege in Rocky-ground! Der hat weit über achtzig Mann, alle wohl bewaffnet; bei den dortigen Sprengarbeiten sind Chinesen nicht zu brauchen.“

„Rocky-ground?“ fragte Old Shatterhand. „Hieß dieser Ort schon früher so?“

„Nein; er wurde von uns so genannt.“

„Ist er weit von hier entfernt?“

„Nein. Mit der Maschine ist man in anderthalb Stunden dort.“

„Hm! Die hiesige Gegend ist mir leidlich bekannt, und Winnetou kennt sie noch besser. Freilich bin ich, seit Ihr hier arbeitet, nicht dagewesen und habe also keine Ahnung, wie Eure Strecke läuft. Könnt Ihr mir nicht den frühem Namen der dortigen Gegend sagen? Es genügt der Name eines Thales, eines Berges oder Flusses.“

„Der Rocky-ground schneidet durch den Fuß eines Berges, welcher keinen englischen Namen hatte; von den Roten wird er Ua-pesch genannt. Was das heißen soll, weiß ich nicht.“

„Uff! Ua-pesch!“ rief Winnetou, als ob dieser Name sehr wichtig sei und ihn auf einen guten Gedanken bringe. Als infolgedessen alle ihn ansahen, machte er mit der Hand eine abwehrende Bewegung und fügte hinzu: „Mein Bruder Shatterhand mag an meiner Stelle sprechen. Er weiß es ebenso genau wie ich.“

Die Blicke richteten sich auf den Bezeichneten. Dieser nickte, befriedigt lächelnd, vor sich hin und sagte zum Engineer:

„Ihr wißt nicht, was Ua-pesch bedeutet? Genau dasselbe, wie der Name, den Ihr der Sache gegeben habt, natürlich Steinthal oder Felsenthal. Ihr wißt, daß wir nach dem Alder-Spring wollen. Habt Ihr eine Ahnung, wo diese Stelle liegt?“

„Nein. Ich weiß nur, daß Ihr morgen abend dort eintreffen wollt; es muß also wohl ein Tagesritt von hier sein.“

„Allerdings ein Tagesritt, weil man durch Thäler und Schluchten sehr viele Windungen zu machen hat. Eure Bahn aber scheint in gerader Richtung durchzuschneiden, wie ich höre, denn man braucht ungefähr drei Stunden, um zu Pferde von Eurem Rocky-ground nach dem Alder-Spring zu kommen. Und dieses letztere ist es, was mich und Winnetou so sehr erfreut.“

„Warum erfreut, Sir?“

„Weil es alle Sorgen, die wir ja haben könnten, von uns nimmt und uns gegen die Komantschen eine Karte in die Hand gibt, die sie gewiß nicht übertrumpfen können.“

„Das würde mich riesig freuen. Wollt Ihr es uns nicht erklären?“

„Sagt vorher, in welcher Verbindung Ihr mit Rocky-ground steht!“

„In einer immerwährenden. Wir haben zunächst telegraphische Verbindung, so daß ich in jedem Augenblicke depeschieren kann.“

„Schön! Und die Bahn? Geht der Schienenweg bis hin?“

„Ja, schon seit zwei Wochen. Wir befinden uns hier am Ende des provisorischen Schienenstranges.“

„Welcher Art sind die Wagen?“

„Natürlich noch nicht Personen-, sondern nur Bau- und Materialwagen.“

„Werden auch genügen. Habt Ihr solche Wagen hier?“

„Ein ganzes Dutzend.“

„Und eine Maschine?“

„Nein; die ging gegen Abend nach Rocky-ground zurück.“

„Befindet sich also dort?“

„Ja.“

„Gewiß?“

„Ganz gewiß.“

„So habt die Güte, zu gehen und, ehe wir weitersprechen, nach dieser Lokomotive zu telegraphieren!“

„Was? Wie? Telegraphieren?“ fragte der Engineer.

„Nach der Maschine? Telegraphieren? Weshalb? Brauchen wir sie hier?“ ertönten rundum die Fragen der andern Anwesenden.

Da sagte Winnetou in seinem ruhigen und doch so bestimmten Tone:

„Mister Engineer mag sofort telegraphieren, ohne lange zu fragen! Mein Bruder Shatterhand weiß ganz genau, was er will.“

Der Beamte widersprach ihm nicht und ging; als er nach einigen Minuten zurückkehrte, sagte er:

„Die Depesche ist fort. Ich habe da eine gewisse Verantwortlichkeit übernommen, hoffe aber, daß ich ihr genügen kann.“

„Habt keine Sorge, Sir; es wird Euch kein Vorwurf treffen!“ beruhigte ihn Old Shatterhand.

„Ihr hättet mir aber doch wohl vorher sagen können, was die Maschine hier soll!“

„Ich wollte keine Zeit verlieren, denn sie muß wahrscheinlich erst wieder geheizt werden, ehe sie von dort abgehen kann.“

„Das ist richtig; es wurde mir das sofort zurückgeantwortet. Wer soll denn fahren?“

„Winnetou, ich und unsre zwei neuen Gefährten mit unsern Pferden.“

„Niemand von uns mit?“

„Nein.“

„Aber, Mister Shatterhand, das kann ich nicht verantworten. Für Privatextrazüge sind unsre Maschinen und Wagen nicht da.“

„Es handelt sich gar nicht um eine private Angelegenheit, sondern um Hilfe für Euch, gegen die Komantschen. Ich will Euch in kurzem sagen, wie die Sache stand, ehe wir heut hier ankamen, und wie sie nun jetzt steht. Es handelt sich dabei nicht etwa um Vermutungen, sondern um unumstößliche Gewißheiten. Wir täuschen uns nicht, sondern wir kennen die Absichten der Feinde so genau, als ob wir an ihren Beratungen teilgenommen hätten. Der schwarze Mustang wollte das Camp überfallen und sandte seinen Enkel, den Mestizen, unter falschem Namen her, um die Gelegenheit auszuspionieren. Heut abend kamen sie heimlich hier zusammen, um den Tag des Angriffes zu bestimmen. Dieser wäre wahrscheinlich kein naher gewesen, wenn wir uns nicht hier befunden hätten, und der Mestize nicht entlarvt worden wäre; die Roten hätten sich Zeit genommen. Jetzt aber wissen sie, daß wir sie durchschauen, und werden den Streich ausführen, ehe Ihr ihn durch Anlegung von Befestigungen und sonstigen Maßregeln unmöglich machen könnt. Ich bin sogar überzeugt, daß der Überfall gleich heut geschehen würde, wenn es da nicht ganz bedeutende Hindernisse gäbe.“

„Hindernisse?“ fiel da der Engineer ein. „Ich denke, grad die gibt’s heut am allerwenigsten.“

„Wieso?“

„Welch eine Frage! Wenn die Roten in diesem Augenblicke kommen, sind wir verloren!“

„Ja, wenn! Sie können aber nicht kommen, denn sie sind nicht da! Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß der schwarze Mustang nur mit zwei oder drei Kriegern hier gewesen ist; sein Lager befindet sich weit, sehr weit von hier. Dazu kommt, daß er uns hier weiß. Der Mestize ist ihm nach und wird ihm sagen, was geschehen ist. Der Häuptling ist also überzeugt, daß wir in dieser Nacht auf der Hut sein werden. Er hat erfahren, daß ich mit Winnetou morgen nach dem Alder-Spring will. Der Besitz unsrer Personen ist ihm mehr, viel mehr wert als alle Beute, die er hier machen könnte. Er wird also schleunigst dorthin reiten, um uns gefangen zu nehmen. Er denkt sich das sehr leicht, weil er sich in dem Besitze unsrer gefürchteten Waffen weiß. Noch leichter wird es ihm dünken, dann, wenn wir in seine Hände gefallen sind, schleunigst hierher zurückzukehren und sich die langen Chinesenskalpe zu holen. Aufschieben darf er das nicht, denn sonst richtet Ihr Euch zur Verteidigung ein. Es gilt nun, ihm zuvorzukommen. Ich muß mit Winnetou eher als er am Alder-Spring sein. Wir müssen ihn beschleichen, seine Krieger zählen, ihn belauschen, um zu erfahren, in welcher Weise er handeln will.“

„Aber, Sir,“ fiel da der Engineer ein, „das ist ja ungeheuer gefährlich! Wenn er Euch ertappt, so seid Ihr verloren!“

„Er wird uns nicht ertappen; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ein Westmann kann nur von einer unbekannten Gefahr überrascht werden, nicht von einer, die er kennt. Ein höchst glücklicher Umstand ist der, daß euer Rocky-ground so nahe am Alder-Spring liegt. Wir fahren, sobald die Maschine hier angekommen ist, dorthin, und von da aus reiten wir nach dem Spring, den wir schon früh erreichen. Dort richten wir uns so ein, daß wir alles beobachten können, ohne selbst bemerkt zu werden. Was dann geschieht, hängt von dem ab, was wir erfahren.“

„Werdet Ihr dort wieder zu Euren Gewehren kommen?“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Aber es scheint doch, daß es Eure erste Sorge sein muß, sie wieder zu erhalten!“

„Unsre allererste Sorge ist die, Euch zu helfen. Gelingt uns das, so nehmen wir den schwarzen Mustang gefangen. Mit ihm gelangen die Gewehre am einfachsten und sichersten wieder in unsern Besitz. Ich bin überzeugt, daß es uns gelingt, ihn zu belauschen. Hören wir, daß Euch Gefahr droht, so reiten wir schnell nach Rocky-ground und bringen die sämtlichen dortigen Arbeiter per Bahn hierher, um die Komantschen in Empfang zu nehmen.“

Bei diesen Worten fuhr der Engineer von seinem Sitze auf und rief in frohem Tone:

„Alle Wetter, ist das ein köstlicher Gedanke! Die Weißen von dort zur Hilfe hierher! Da kann es uns ja gar nicht fehlen; da brauchen wir gar keine Sorge zu haben, denn wir schießen die roten Halunken vom ersten bis zum letzten Manne nieder!“

„Ihr stimmt mir also bei?“

„Natürlich! Ihr habt recht, vollständig recht, Mister Shatterhand. Es ist ganz so, wie ich Euch bereits gesagt habe: Wir werden Euch und Mister Winnetou unsre Rettung zu verdanken haben.“

„So macht Ihr Euch also keine Gedanken mehr darüber, daß ich Euch veranlaßt habe, eine Maschine zu requirieren?“

„Gar nicht, gar nicht, Sir. Ich bin Euch vielmehr außerordentlich dankbar dafür und werde Sorge tragen, daß ihr in Rocky-ground nach Verdienst empfangen werdet.“

„Hm! Was beabsichtigt Ihr da?“

„Ich werde, sobald ihr abfahrt, telegraphieren, daß Old Shatterhand und Winnetou, die zwei berühmtesten Männer des Westens, kommen.“

„Das werdet Ihr nicht thun!“

„Nicht? Warum nicht?“

„Erstens, weil wir nicht mehr und nicht besser sind, als andre Leute auch, und zweitens, weil Ihr damit unsern ganzen Plan gefährden würdet.“

„Meint Ihr?“

„Ja. Es braucht niemand zu wissen, wer wir sind und was wir wollen; es könnte den Komantschen verraten werden.“

„Unmöglich!“

„Sehr leicht möglich sogar l“

„Nein. Wem könnte es einfallen, den Roten eine solche Botschaft zuzutragen!“

„Denkt doch an den Mestizen, der Euer ganzes Vertrauen besaß! Man kann nie vorsichtig genug sein, zumal wenn es sich wie hier um so viele Menschenleben handelt.“

„Well! Aber telegraphieren muß ich; ich werde ganz einfach melden, daß vier Passagiere kommen; dazu bin ich gezwungen. Aber es wäre ein ganz verteufeltes Unheil, wenn Ihr Euch in Beziehung auf die heutige Nacht irrtet!“

„Was wollt Ihr damit sagen?“

„Ich meine: wenn die Komantschen doch heut kämen, und Ihr wäret fort!“

„Sie kommen nicht!“

„Das denkt Ihr, Sir! Ich will ja gern zugeben, daß Ihr in solchen Angelegenheiten tausendmal klüger seid, als ich bin; aber Ihr habt vorhin selbst gesagt, daß man nie vorsichtig genug sein kann.“

„Ich widerspreche Euch nicht; thut also immerhin, was Ihr für Eure Pflicht haltet!“

„Ja, was ist denn da meine Pflicht?“

„Laßt an verschiedenen Seiten des Camp mehrere Feuer anbrennen, und setzt Wachen dazu. Sollten sich die Komantschen je in der Nähe befinden, was ich aber entschieden in Abrede stelle, so werden sie sehen, daß wir auf der Hut sind, und sich nicht heranwagen.“

„Ja, das ist das beste; das werde ich thun.“

Er entfernte sich, um die nötigen Befehle zu erteilen, und bald brannten trotz der herrschenden Nässe sechs mächtige Feuer, welche das ganze Camp erhellten. Er hatte auch in seine Wohnung eine Wache gesetzt, welche ihm das Klingeln des dort befindlichen Telegraphenapparates melden sollte. Vom Schlafe war natürlich keine Rede. Die Vorbereitungen zur Bahnfahrt wurden zeitig getroffen. Für die vier Passagiere und ihre Pferde genügte ein sehr geräumiger Werkzeugwagen, in welchem einige bequeme Sitze hergestellt wurden.

Als das Signal ertönte und die Meldung kam, daß die Maschine in Rocky-ground abgegangen sei, wurden die Pferde in den Wagen gebracht und für die Besitzer derselben noch ein steifer Grog als Abschiedstrunk gebraut. Nach Verlauf von anderthalb Stunden kam die Lokomotive angedampft; der Wagen wurde angehängt; die Reisenden nahmen Abschied und stiegen ein, und der Engineer sandte ihnen die Meldung voraus, daß man in Rocky-ground vier Passagiere zu erwarten habe.

Obgleich das Geleise nur ein provisorisches war und eine beträchtliche Dunkelheit herrschte, flog der kurze Zug mit der Geschwindigkeit eines Eiltrains dahin; das war so amerikanische Weise und Sorglosigkeit. Es tauchte während der ganzen Fahrt kein einziges Licht auf, weil es keinen Haltepunkt gab. Berge, Thäler, Prairien und Wälder waren nicht voneinander zu unterscheiden; es schien, als ob der Zug ohne Unterlaß durch einen endlosen Tunnel brause, und so waren die vier Männer froh, als endlich die Maschine ihre schrille Stimme hören ließ und auch die Lichter des Zieles vorn auftauchten.

Es brannten auch hier mehrere Feuer, bei deren Scheine man zunächst ein langgestrecktes, niedriges Gebäude erkannte, welches einen sehr breiten Eingang hatte. Das Innere schien mehrere Abteilungen zu besitzen, deren eine erleuchtet war. Am Pfosten der Thür lehnte eine schmale, nicht hohe Gestalt, welche in das lederne Habit eines Westmannes gekleidet war. Eine zweite Person stand näher am Geleise, trat, als der Zug hielt, an den Wagen heran, schob die halb offene Thür desselben vollends zurück und sagte:

„Rocky-ground! Steigt aus, Mesch’schurs! Bin doch neugierig, wegen welcher Art von Menschen der Kollege in Firwood-Camp eine nächtliche Extrafahrt veranstalten läßt.“

„Werdet es gleich sehen und erfahren, Sir,“ antwortete Old Shatterhand. „Ich vermute natürlich, daß Ihr hier beamtet seid?“

„Bin der Engineer, Sir. Und Ihr?“

„Ihr werdet unsre Namen hören, wenn wir drin beim Lichte sind. Habt Ihr einen Platz, vier Pferde gut unterzustellen?“

„Werden sehen. Kommt nur erst selbst heraus.“

Er sah, als sie ausstiegen, einem nach dem andern ins Gesicht und brummte dann enttäuscht:

„Hm! Lauter Unbekannte! Sogar ein Roter dabei! Habe etwas andres gedacht!“

„Habt in uns wohl Vorgesetzte oder so etwas Ähnliches erwartet?“ lachte Old Shatterhand. „Millionenaktionäre, was? Nehmt es nicht übel, daß wir sehr einfache Menschen Eure Nachtruhe stören! Wir werden gleich weiterreiten; dann könnt Ihr wieder schlafen.“

„Weiterreiten? Dann seid Ihr wohl nur so etwas wie Jäger oder Fallensteller?“

„Allerdings.“

„Und da mutet mir mein Kollege zu, mitten in der Nacht mich eines – – –“

Er wurde unterbrochen. Der schmächtige Mann an der Thür war näher getreten und sagte:

„Bin selbst auch neugierig, was für Mannskinder so mitten in der Nacht per Extrazug im wilden Westen herumkutschieren. Wenn man so in einer Weise – – –“

Er hielt inne. Old Shatterhand hatte ihm den Rücken zugekehrt, drehte sich aber bei dem Klange dieser bekannten Stimme schnell um. Der Kleine erblickte sein Gesicht, unterbrach sich mitten in der Rede und schrie:

„Old Shatterhand! Old Shatterhand!“

„Der Hobble-Frank, der Hobble-Frank!“ antwortete dieser, grad ebenso erstaunt.

„Und Winnetou! Winnetou!“ rief Frank weiter, als er nun auch den Apatschen erkannte.

„Uff!“ antwortete dieser.

Er sagte nur dieses eine Wort, aber es lag in dem Tone desselben alles, was er bei dieser so unerwarteten Begegnung empfand.

„Wahrhaftig, sie sind es! Old Shatterhand und Winnetou!“ wiederholte der Kleine, vor Freude beinahe außer sich.

„Kommt in meine Arme; kommt an mein Herz, Mesch’schurs! Ich kann es nicht lassen, ich muß euch drücken und quetschen, ganz egal, ob ihr es übel nehmt oder nicht!“

Er schlang seine Arme bald um den einen, bald um den andern und rief dabei dem Beamten zu:

„Seht, Mister Engineer, das sind die beiden hochberühmten Westmänner, von denen ich Euch während des ganzen heutigen Abends erzählt habe. Wie hätte ich ahnen können, daß ich sie so schnell danach hier treffen würde!“

Der Engineer hatte eine ganz andre Haltung angenommen; sie war eine fast devote zu nennen; er antwortete:

„Dieser Eurer Erzählung hätte es gar nicht bedurft, Mister Frank. Ich kenne diese beiden Gentlemen schon seit langer Zeit, allerdings nur ihrem Rufe nach, der durch die ganzen Staaten geht. Hätte ich gewußt, daß sie es sind, die mir die Lokomotive brachte, der Empfang wäre ein ganz andrer gewesen. Ich eile, alle meine Leute zu wecken und – – –“

„Halt!“ unterbrach ihn da Old Shatterhand. „Wir wünschen unerkannt zu bleiben. Die Gründe dazu werdet Ihr bald erfahren. Wir wollten nicht lange hier bleiben; da wir aber unsern guten Frank so unerwartet getroffen haben, wird es wohl ein Stündchen oder auch noch länger dauern, bis wir fortreiten. Also sagt, habt Ihr einen Ort, wo wir unsre Pferde sicher einstellen können?“

„O, Mister Shatterhand, ich werde Eure Pferde grad wie Menschen behandeln, denn ich weiß, was für edle Tiere Ihr und Winnetou reitet. Wir nehmen sie mit herein in die Halle, wo ihr, wenn ich Euch darum bitten darf, die Güte haben werdet, meine Gäste zu sein.“

Was er „Halle“ nannte, war das schon erwähnte langgestreckte Gebäude. Der erleuchtete Teil desselben bildete den Restaurationsraum für die dermaligen Bewohner von Rocky-ground. Daneben gab es ein Gelaß zur Aufbewahrung besserer Güter; es war jetzt leer, und hier wurden die Pferde untergebracht. Man hatte sie also fast unter den Augen und konnte ihrer sicher sein.

Als sie hierauf in die Restauration traten, erhob sich der Boardkeeper verschlafen hinter seinem Tische. Er war nicht zu Bette gegangen, weil er geglaubt hatte, von den erwarteten Gästen etwas zu verdienen. Man hatte wegen des Extrazuges angenommen, daß es vornehme Herren, vielleicht gar Revisoren der Strecke seien. Und nun sah er zu seiner Enttäuschung, daß es einfache Westläufer waren. Er bekam aber schnell einen andern Begriff von ihnen, als der Engineer ihm die zwei berühmten Namen und eine hierauf folgende Bestellung zuraunte.

Noch ehe man sich setzte, hielt es Old Shatterhand für angezeigt, Kas und Has mit dem Hobble-Frank bekannt zu machen. Er sagte also zu dem letzteren in deutscher Sprache:

„Lieber Frank, es ist mir vergönnt, Ihnen eine Freude zu machen. Ich stelle Ihnen nämlich hiermit – –“

„Halt! Still geschwiegen!“ unterbrach ihn da der Kleine. „Sie kennen mich, verehrtester Herr Shatterhand. Mich?“

„Natürlich!“ lächelte der Gefragte, welcher wußte, daß Frank jetzt eine seiner Eigentümlichkeiten loslassen werde. Bekanntlich war dem Kleinen, so lange er sich der englischen Sprache bediente, seine Originalität nicht anzumerken; sobald er aber deutsch zu reden begann, konnte man sicher sein, sich irgend einer Seltsamkeit erfreuen zu können.

Bon! Sie, Herr Shatterhand, kennen Ihren Hobble-Frank und wissen also, daß ich ein Mensch bin, der sich seiner abnormen Geistesrechte sehr wohl bewußt is und deshalb seiner Ehre niemals nischt vergibt. Dem Verdienste seine schwedischen Kronenthaler! Die verlange ich für alle Fälle ooch für mich und sehe also schtets darauf, daß ich von meiner devoten Umgebung richtig antituliert werde. Für eenen Mann, wie ich bin, gehört sich das ehrfurchtsvolle Sie, das französische Wuh oder das englische Juh; aber aus Ihrem Munde thut es meinem gefühlvollen Herzen wehe. Ich bin mit Ihnen durch dick und dünn geritten und geloofen; ich habe mit Ihnen gehungert und gekummert; wir haben mit eenander nich nur in Todes-, sondern sogar ooch in Lebensgefahr geschtanden; ich bin, so zu sagen, Ihr geistiges Kind und Ihr leiblicher Vater geworden; unsre Seelen sind sich so innig verschwägert, verschwistert und verwandt, daß ich von Ihnen das Wuh, das Juh und das Sie nich hören mag. Thun Sie mir also den Gefallen, und nennen Sie mich ergebenst nich andersch als nur Du! Wollen Sie?“

Old Shatterhand wiegte den Kopf bedenklich hin und her und ließ ein leises „hm!“ als Antwort hören.

„Hm?“ fragte der Kleine. „Hier wird gar nischt gehummt und gebrummt! Meine Bitte kommt vom Herzen und is gar nich so schwer zu erfüllen. Werden doch sogar große Herren Du genannt, warum also von Ihnen nich ooch ich!“

„Es ist also wohl Brüderschaft gemeint, lieber Frank?“

„Brüderschaft? Fällt mir nich im Troome ein! Brüderschaft machen nur Menschen, die sich nich höher zu benehmen wissen und ihr orthopädisches Rangdewuh verloren haben. Ich thue das nie, denn ich weeß, was ich meinem intellektuellen Territorium schuldig bin. Da müßte ich Sie doch ooch Du nennen, und zu eener solchen Gütergemeenschaft der unpersönlichen Fürwörter könnte ich mich off keenen Fall entschließen. Sie schtehen hier zwischen zwee Schtühlen. Setzen Sie sich, off welchen Sie wollen! Heeßen Sie mich Sie, so nenne ich Sie Du; verehren Sie mir aber das obligate Du, was mir gebührt, so schteht es in den Schternen bombenfest angeschrieben, daß ich Ihnen Ihr trauliches Sie nicht vorenthalten werde. Also machen Sie es kurz! Wie soll es sein?“

Well, ich gehe auf deinen Wunsch ein.“

„Sie nennen mich Du?“

„Ja, denn ich weiß, wie du es meinst.“

„Ganz richtig! Wir sind also een Leib und eene Seele, eene Drossel und eene Philomele! Und nun sprechen Sie ergebenst weiter! Sie wollten mir vorhin eene Freede machen.“

„Ja, und zwar dadurch, daß ich dir in diesen beiden Herren zwei Landsleute vorstelle.“

„Was, wirklich? Also Deutsche?“

„Sogar Sachsen!“

„Is es die Möglichkeet! Sachsen? Woher denn?“

„Hier Herr Hasael Benjamin Timpe aus Plauen.“

„Plauen im Voigtlande?“

„Ja.“

„Das freut mich ungeheuer, ja wirklich ungeheuer. Plauen is mir nämlich sehr ans Herz gewachsen, denn dort habe ich bei Anders im Glassalon mein schönstes Bier getrunken und meine besten Schweinsknöcheln à la omelette gegessen; voigtländische Klöße, so grüngenüffte, waren, gloobe ich, ooch dabei. Und der andre Herr?“

„Ist Herr Kasimir Obadja Timpe, ein Vetter von ihm aus Hof.“

„Aus Hof? Hm! So so! Das gehört doch eegentlich nach Bayern; es liegt also eegentlich eene geographisch-ornithologische Landkartenverwechslung vor. Aber in diesem Falle macht es keenen Schaden, weil die Eisenbahnlinie von Plauen nach Hof ganz sächsisch is. Ich kann also Herrn Kasimir Obadja immerhin als Landsmann gelten lassen. Welcher von den beeden is denn eegentlich der wirkliche Vetter, der eene oder der andre?“

„Beide, lieber Frank, natürlich beide.“

„Alle beede also? Hm, ja! Es wird wohl schon so sein; ich war een bißchen irre, denn bei diesem schönen Namen Timpe kann es eenem ganz timpelich zu Mute werden. Hoffentlich gibt es nich noch mehr Leute, welche ooch Timpe heeßen!“

Die beiden Vettern hatten schon von dem Hobble-Frank gehört, ihn sich aber doch nicht so originell gedacht, wie sie ihn jetzt sahen und hörten. Er war ihnen aber gleich so sympathisch, daß Kas schnell antwortete:

„O, Timpes gibt’s noch mehr. Nämlich Rehabeam Zacharias Timpe, Petrus Micha Timpe, Markus Absalom Timpe, David Makkabäus Timpe, Tobias Holofernes Timpe, Nahum Samuel Timpe, Joseph Habakuk Tim – – –“

„Halt ein, halt ein, halt ein!“ schrie der Hobble-Frank, indem er sich beide Ohre zuhielt. „Wenn das so fortgeht, bekomme ich entweder den Wadenkrampf, oder ich schpringe ins erste, beste Wasser! Um eene solche Völkerzählung anhören zu können, muß man ja Nerven wie Telegraphenkabel und Ohrläppchen wie een Elefant besitzen! Timpe, Timpe, Timpe und immer wieder Timpe! Und nun diese Vornamen dazu! Sagen Sie, was haben Sie denn eegentlich für Onkels, für Tanten und für Paten gehabt, daß sie Ihnen solche Namen anhefteten?“

„Die hießen alle auch Timpe.“

„Alle guten Geister! jetzt hört es auf! Wenn Sie nur noch een eenziges Mal Timpe sagen, schieße ich Sie gradewegs über den Haufen; ich muß mein Leben retten! Thun Sie mir den Gefallen, und schreiben Sie an das sächsische Ministerium, um sich eenen andern Namen herüberschicken zu lassen, sonst kann ich unmöglich mit Ihnen verkehren!“

„Das können wir uns leichter machen. Wir lassen uns nämlich von guten Freunden bei den abgekürzten Vornamen nennen, also Kas und Has anstatt Kasimir und Hasael. Wollen Sie?“

„Ja, das lasse ich mir eher gefallen; so eenen guten Freund sollen Sie gern an mir haben. Setzen wir uns jetzt, und – – ah, was is denn das?“

Diese Frage galt den vollen Tellern und Flaschen, welche der Keeper jetzt auf den Tisch stellte; er winkte nach dem Engineer hin, und dieser erklärte, daß er es für eine hochgeschätzte Ehre halten würde, wenn die Gentlemen seine Gäste sein wollten. Nach amerikanischer Ansicht wäre es eine große Beleidigung gewesen, diese Einladung zurückzuweisen; darum wurde sie angenommen. Hobble-Frank und die Timpes sprachen den Gaben wacker zu; Old Shatterhand aß wenig und nahm nur ein Gläschen Wein; Winnetou verzichtete ganz auf den Trank. Er hatte wohl alle Arten von Spirituosen einmal gekostet, sie dann aber nie wieder getrunken; er wußte gar wohl, daß das „Feuerwasser“ der größte Feind des roten Mannes ist, und, fügen wir hinzu, des weißen Mannes auch!

Während des Mahles wogte die Unterhaltung erregt hin und her. Old Shatterhand wollte vor allen Dingen wissen, welchem Umstande er sein heutiges Zusammentreffen mit Frank zu verdanken habe. Dieser antwortete:

„Wir sehen uns hier wieder, weil es mir grad wie Ihnen und der Wachtel geht.“

„Sonderbare Zusammenstellung!“

„Gar nich sonderbar! Wenn’s der Wachtel in Deutschland nicht mehr gefällt, wird sie unruhig und fliegt übersch Meer; Sie halten’s ooch nich lang derheme aus. Wenn man mal an Ihre Thüre klopft, um Sie zu besuchen, sind Sie gewöhnlich ausgeflogen. Man muß Ihnen also nachfliegen, wenn man partuh mit Ihnen schprechen will. Ich hatte verschiedene kleene Anliegen an Sie und setzte mich also offs Elbschiff, um zu Ihnen zu fahren. Als ich ankam, waren Sie fort, und man sagte mir, daß Sie herüber seien, um mit Winnetou zusammenzutreffen. Aber wo, das wußte man nich. Da packte mich das Savannenfieber; ich schloß meine Villa Bärenfett zu und dampfte Ihnen nach. Ich wußte ja, daß ich bei den Mescalero-Apatschen gewiß erfahren würde, in welcher Gegend Sie zu finden sind. Wir fuhren, so weit, wie es ging, den Arkansas hinauf, und nahmen dann Pferde, um über Santa F8 nach dem Rio Pecos zu reiten.“

„Wir? Du bist also nicht allein?“

„Nee. Mein Vetter Droll war natürlich mit.“

„Die gute Tante Droll? Wo steckt er denn? Wo hast du ihn gelassen?“

„Ich habe ihn gar nich gelassen. Und wo er schteckt? Im Bette!“

„Hier?“

„Ja, hier.“

„Aber, Frank, warum weckst du ihn denn nicht?“

„Weil dem lieben Kerl das bißchen Schlaf zu gönnen is. Er is nämlich krank.“

„Krank? Da muß ich ihn ja sehen! Hier im wilden Westen krank, das ist etwas ganz andres als daheim! Ist’s gefährlich?“

„Gefährlich nich, aber sehr schmerzhaft, wie es scheint.“

„Was ist’s denn für ein Leiden?“

„Een ganz sonderbares. Ich habe noch nie davon gehört und wollte es erst gar nich glooben. Er hat nämlich die Insel Ischia in den Beenen.“

„Die – – Insel – – Ischia?“ fragte Old Shatterhand gedehnt. Er hätte am liebsten laut aufgelacht, that dies aber nicht, sondern blieb ernst, weil er die Eigenheiten des Hobble kannte; wer sich seine lustigen Verwechslungen nicht gefallen ließ, der durfte sich auf Grobheiten gefaßt machen.

„Ja, die Insel Ischia,“ nickte Frank ernst.

„Weißt du, wo diese Insel liegt?“

„Natürlich! Sie liegt zwischen dem Wendekreis des Krebses und Hohenzollern-Sigmaringen.“

„Oho!“ lachte da Kas, der nicht wußte, daß er den Kleinen damit ungeheuer beleidigte. „Ich bin kein großer Geograph; aber wo diese Insel liegt, das weiß ich zufälligerweise ganz genau. Ich las einmal von den schrecklichen Erdbeben, die dort vorgekommen sind, und habe mich nach ihr erkundigt.“

0 weh! Der gute Kas ahnte nicht, daß er jetzt selbst auch ein großes Erdbeben zu erwarten hatte; Frank legte nämlich Gabel und Messer weg, wendete sich ihm langsam zu, sah ihn hoheitsvoll von oben bis herunter an und fragte in seinem kältesten und zugleich verächtlichsten Tone:

„So, Sie wissen das ganz genau? Sagen Sie doch mal, wie heeßen Sie?“

„Timpe.“

„Tim – – Tim – – Timpe! Damit ist eegentlich alles gesagt! Timpe und Ischia! Das klingt grad so wunderbar, wie zum Beischpiel Schtiefelbürschte und Ophelia, oder wie Igelmaul und Morgenröte! Wo soll die Insel Ischia denn wohl nach Ihrer Meenung liegen?“

„Im Meerbusen von Neapel.“

„So!“ Er dehnte dieses So eine halbe Ewigkeit lang und fügte dann mit blitzenden Augen die Frage hinzu: „Is das etwa nich zwischen dem Wendekreis des Krebses und Hohenzollern-Sigmaringen?“

„Hm! Das weiß ich nicht; ich habe mich nie um diesen Kreis bekümmert.“

„So schweigen Sie in Zukunft ganz ergebenst, wenn wissenschaftliche symbolische Autoritäten Ihnen die Ehre anthun, Sie mit dem Abglanze ihres Schpektrums anzuleuchten! Sie haben soeben selbst eingeschtanden, daß Sie keen Geograph sind. Wenn Luna lächelt, muß die Tangente schweigen; das merken Sie sich!“

Kas hatte keinen Begriff von der Ungeheuerlichkeit einer Zusammenstellung von Luna mit der Tangente; er meinte in entschuldigendem Tone:

„Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Herr Frank; aber Sie werden doch zugeben, daß kein Kranker die Insel Ischia mit ihren fünfundzwanzigtausend Einwohnern in den Beinen haben kann!“

„Bleiben Sie mir doch mit Ihren Einwohnern vom Leibe! Wer hat denn von diesen gesprochen? Wir sind wegen den Schmerzen, die Droll auszustehen hatte, mit Ach und Krach bis Fort Manners gekommen, wo es zufälligerweise zwee Ärzte gab, die ihn untersuchen mußten. Der eene, der mir gar nichwissenschaftlich komponierte, erklärte die Krankheit für Pain in the hip; der andre aber, welcher der gebildetere Poseidon war, traf das Richtige, indem er sie Ischia nannte. Daß das eene Insel is, weeß jedermann, ooch wenn er nich zu den höheren Leviten zählt, wie Figura beweist. Und das mit dem Erdbeben stimmt ganz genau, denn die Schmerzen treten ganz genau in derselben Weise off ; Droll bebt am ganzen Leibe, wenn sie kommen.“

Kas schwieg, weil er nicht weiter zu antworten wußte. Old Shatterhand verlor über die Verwechslung von Ischias mit der Insel Ischia kein Wort und fragte, um Frank von seinem unschuldigen Gegner abzulenken:

„Man hat doch früher bei Droll von dieser Krankheit nichts gespürt; sie ist also neu bei ihm?“

„Ja; er hat sie jetzt zum erschtenmal.“

„Haben die Ärzte die Ursache herausgefunden?“

„Die? Das hatten sie gar nicht nötig, denn ich habe sie ihnen gesagt.“

„Du?“

„Ja, ich! Oder meenen Sie etwa, daß ich so etwas, was klar off allen Fingern liegt, nich sehen kann? Da müßte ich doch mit ägyptologischer Blindheit geschlagen sein!“

„Nun, worin besteht diese Ursache?“

„Sie beschteht in eenem Pferde, welches sich das Schtolpern nich abgewöhnen kann.“

„Wieso?“ fragte Old Shatterhand ernsthaft, obgleich er das Lachen verbeißen mußte.

„Ich habe bereits gesagt, daß wir von Arkansas aus zu Pferde waren. Mein Gaul war nich übel, und ich habe ihn heute noch; mit Drolls Schimmel aber waren wir betrogen worden; er war een Stolperer, wie er im Buche schteht. Geschtolpert mußte nämlich sein, und wenn es keenen Graben, keenen Schteen und keene Wurzel gab, der oder die im Wege lag, da schtolperte das Vieh wenigstens über seine eegenen Beene weg.“

„Wer kauft aber auch so ein Tier! Noch dazu einen Schimmel! Du weißt doch, daß kein erfahrener Westmann einen Schimmel reitet, weil die helle Farbe des Pferdes ihn dem Feinde schon von weitem verrät.“

„Das weeß ich wohl; aber wenn man Pferde partuh haben muß und nur Schimmel zu haben sind, was macht man da? Soll man das Tier mit Tinte anmalen, daß beim nächsten Regen aus dem Rappen dann doch een Schimmel wird?“

„Hm, sonderbar! Ich habe doch fast nie eine Anzahl von Schimmels zum Verkaufe stehen sehen; sie kommen ja gar nicht auf, weil niemand sie kauft.“

„Das sagte ich mir nachher ooch; aber da war es zu schpät. Es schtellte sich nämlich heraus, daß der Händler ooch dunkle Pferde hatte, die aber vor uns verschteckt worden waren.“

„So seid Ihr einfach betrogen!“

„Bitte sehr, Herr Shatterhand! Der Hobble-Frank läßt sich nicht betrügen; dazu besitzt er een viel zu durchsichtiges Tellurium; aber wie wollen Sie das Dasein eenes Pferdes berechnen, wenn seine irdische Existenz zwischen den Wänden eenes zugeschlossenen Schtalles schwebt? Können Sie das verschleierte Bild zu Sais in een brauchbares schwarzes oder braunes Reitpferd verwandeln, welches nich die süße Angewohnheit hat, über alle seine vier eegenen Beene zu schtolpern? Und schtolpern that die Bestie, das is nich abzuleugnen.“

„Aber es will mir noch immer nicht gelingen, dieses Stolpern mit der Insel Ischia in Verbindung zu bringen. Hoffentlich ist der Schimmel nicht über die Insel hinweggestolpert!“

Frank schien in diesen Worten doch eine kleine Ironie zu vermuten, denn er sah den Sprecher forschend an; als er aber in dem Gesichte desselben auch nicht die geringste verdächtige Spur bemerkte, antwortete er:

„Nee, das nich; die Insel is nämlich nur een Boomstumpf gewesen.“

„Erzähle es!“

„Das is eene ganz dumme Geschichte, und sie kam ganz plötzlich wie vom blauen Himmel herunter. Wir ritten zwischen Büschen im hohen Grase, ganz fröhlich und wohlgemut, und ahnten nich, daß das verderbliche Schicksal in der Geschtalt eenes im Grase verborgenen Boomschtumpfes über unsern Häuptern schwebte. Da schtolpert der Schimmel mit den Vorderbeenen und thut vor Schreck eenen gewaltigen Satz zur Seite. Droll, der ohne jede blasse Idee ganz leicht und locker im Sattel sitzt, wird abgeworfen, und zwar so, daß er off den Schtumpf grad und genau so wie off eenen Schtuhl zu sitzen kommt. Dabei gab’s zweeerlee zu hören, nämlich eenen lauten Schrei und eenen gewaltigen Krach. Den Schrei hat Droll ausgestoßen; aber wer so gewaltig gekracht hat, ob Droll oder ob der Boomstummel, das is ungewiß. Ich gloobe aber, Droll is es ooch gewesen, denn seine Glieder scheinen selbst heute noch nich ganz richtig an Ort und Schtelle zu sein. Er konnte nich offschtehen; ich war ihm zwar behilflich, sich aus dem niedrigen Parterre in eene höhere Etage zu erheben, aber er sank immer wieder in sein eegenes, schmerzliches Selbst zusammen. Er quoll von Seufzern über, so daß der Wunsch, an seiner Schtelle zu sein, in meinem ooch gefühlvollen Innern tief verschlossen blieb. An alledem war der vermaledeite Schimmel schuld.“

Der gute Frank erzählte dies nicht etwa deshalb, um seine Zuhörer zu unterhalten, in so drastischer Weise, sondern es lag das so in seiner drastischen Eigenheit. Er war von Mitleid mit seinem Vetter Droll druchdrungen und ahnte nicht, daß seine Darstellung geeignet war, eher Lachen als Mitleid zu erregen. Die beiden Timpe hingen mit ihren Blicken an seinem Munde, und es war ihnen deutlich anzusehen, daß er ihnen ganz außerordentlich gefiel.

„Sehen Sie nun ein, wie der Schimmel und der Boomstumpf mit der Insel Ischia zusammenhängen?“ fragte er Old Shatterhand.

„Ich beginne, es zu begreifen,“ antwortete dieser. „Erzähle weiter!“

„Was nun folgt, is noch schmerzlicher als das Bisherige: Ich habe mir alle mögliche Mühe gegeben, meinen Droll wieder in das richtige Geschick zu bringen; ich habe an seinen Beenen gezerrt und gezogen; ich habe sie geschüttelt und gerieben; ich habe ihn hinten geschoben und gestoßen, bis er endlich aufgesprungen is, aber vor Schmerzen, sagte er, und nicht etwa deshalb, weil es besser geworden war. Dann habe ich ihm mühsam off das Pferd geholfen, off das meinige nämlich und nich off das seinige, denn er hat von Stund an das Schtolpern nich mehr vertragen können. Sein bleiches Gesicht is zusammengefallen; seine Oogen sind in ihre Höhlen zurückgetreten, und seine Geschtalt hat in zwee Tagen gewiß fünf oder sechs Pfund verloren. Zwee ganze Tage; nun denken Sie sich! Solange haben wir zugebracht, bis wir in Fort Manners ankamen. Diese zwee Tage vergesse ich in meinem ganzen Leben nich! Dieses Ach und Weh! Dieses Seufzen und Klagen! Dieses Wimmern und Leiern! Mir wollte das Herz in Schtücke zerbrechen, doch schtolperte ich off meinem Schimmel immer mutig und ergeben nebenher. Die Schmerzen schteigerten sich in der Weise, daß ich meinem Schöpfer dankte, als wir das Fort endlich in Sicht bekamen. Dort machten sich die Ärzte über ihn her, mit Schröpfköpfen, Senfteigen und spanischen Fliegen, die von der Insel Ischia zu schtammen scheinen. Der arme Teufel hat sogarTerpentilöl trinken müssen, was een vernünftiger Mensch selbst dann nicht thut, wenn er die Krankheit nich besitzt.“

„Ist es besser geworden?“ fragte Old Shatterhand.

„So nach und nach. Als eene Woche vergangen war, hatten wir ihn so weit, daß an eenen langsamen Weiterritt zu denken war. Er hat es ausgehalten, bis hierher, fühlte aber, als wir hier ankamen, daß er sich wenige Tage Ruhe gönnen müsse.“

„Wie lange seid ihr nun hier?“

„Seit vorgestern. Morgen wollten wir wieder fort.“

„Wohin?“

„Nach Santa F& hinauf.“

„Das sagtest du schon; ich meine aber, wohin ihr zunächst von hier aus wolltet.“

„Über den Alder-Spring nach der Roofside hinauf.“

„Das wäre unter andern Umständen ganz gut, denn ich weiß, daß grad dieser Weg euch bekannt ist, weil ihr ihn früher mit mir geritten seid; diesmal aber hätte er euch leicht verderblich werden können, grad morgen verderblich im höchsten Grade.“

„Warum?“

„Weil der schwarze Mustang mit einer bedeutenden Komantschenschar morgen dort sein wird. Ihr wäret ihm wahrscheinlich in die Hände geritten.“

„Der schwarze Mustang, der Jägerschinder?“ fragte der Engineer erschrocken. „Was hat er am Alder-Spring zu suchen, so nahe bei uns? Sollte das vielleicht uns hier gelten, Mister Shatterhand?“

„Nein, nicht Euch, sondern mir und Winnetou.“

„Wieso euch beiden?“

„Er weiß, daß wir dorthin kommen wollen, und will uns abfassen.“

All devils! Welch ein Glück, daß Ihr das erfahren habt! Nun werdet Ihr Euch natürlich hüten, hinzureiten?“

„Im Gegenteile: wir reiten nun grad erst recht hin.“

„Seid Ihr bei Trost, Sir? Ihr rennt ja dem Bären geradezu in den Rachen!“

„Er mag ihn aufsperren, wir lassen uns nicht beißen.“

„Aber es ist das eine Verwegenheit, zu der Ihr nicht gezwungen seid!“

„Wer sagt Euch das? Wir müssen hin, und es ist sehr leicht möglich, daß auch Ihr hinkommt.“

„Ich? Na, wenn ich aufrichtig sein soll, so will ich Euch sagen, daß ich mich sehr darüber freuen würde, wenn ich Gelegenheit fände, diesen Halunken einige Pfund Pulver auf die roten Häute zu knallen, aber es an den Haaren herbeiziehen, das würde ich doch nicht.“

„Ist auch gar nicht nötig, denn es kommt ganz von selbst. Es handelt sich nämlich um Euren Kollegen und seine Leute im Firwood-Camp.“

„Um den? Wieso?“

„Er soll von den Komantschen überfallen werden.“

„Was? Ist das Euer Ernst?“

„Gewiß. Das ist der Grund, weshalb wir per Extrazug zu Euch gekommen sind. Wir wollen uns Eure Hilfe erbitten.“

„Die sollt Ihr haben, voll und gern. Darum also, darum! ja, dieser gute Kollege ist zwar ein ganz tüchtiger Engineer, aber in Indianersachen weder erfahren noch ein Held. Er kann sich aber auf mich und meine Leute verlassen.“

„Wieviel Arbeiter habt Ihr hier?“

„Gegen neunzig, lauter Weiße, die gut dreinschlagen können und mit ihren Gewehren umzugehen verstehen. Aber wollt Ihr mir nicht sagen, wie die Sache gekommen ist und wie sie steht?“

„Natürlich müßt Ihr das erfahren; hört also zu! Wenn Ihr dann noch bereit seid, Hilfe zu leisten, kann ich Euch sagen, daß wir wahrscheinlich ohne Blutvergießen, wenigstens unsrerseits, ans Ziel gelangen werden.“

„Weiß es, weiß es, Sir! Habe oft davon gehört, daß Ihr mit List und heiler Haut Dinge fertig zu bringen versteht, die andre mit blutigen Opfern nicht erreichen würden. Bin neugierig, sehr neugierig, was Ihr erzählen werdet.“

Der Engineer war thatkräftiger und mutiger als sein Kollege im Firwood-Camp, und Old Shatterhand hegte die Überzeugung, in ihm einen tüchtigen Helfer zu finden. Der letztere beschrieb die Ereignisse des vergangenen Abends, zog seine Schlüsse daraus und erklärte die Absichten, die er nun verfolgte. Als er geendet hatte, sprang der Engineer auf, streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

„Topp, Sir, schlagt ein! Ihr sollt mich und meine Leute haben, alle, alle, jetzt gleich oder später, ganz so, wie Ihr wollt.“

Und der Hobble-Frank ließ sich in seiner deutschen Muttersprache also vernehmen:

„Gott sei Dank, daß wir hier mit eenander zusammengetroffen sind, denn wenn es in eener späteren chronologischen Zeitperiode geschehen wäre, so hätte ich es versäumt, diesem dunkelschwarzen Mustang zu zeigen, daß der Herr Prairiejäger Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, genannt der Hobble-Frank, sich noch immer an der äußerschten Schpitze der energisch-successiven Halunkenvertilgung befindet! Diesem Anführer der Komantschen soll sein letztes Brot gebacken sein. Wenn ich eenmal grimmig bin, da bin ich richtig grimmig. Bei mir gilt die alte, bewährte Kalenderregel veni, vidi, mardi midi, oder für diejenigen, die nich Griechisch verschtehen: Ich kam und sah und siegte Dienstags um die Mittagszeit! Jetzt gehe ich, um noch eenen brauchbaren Helden unsers imporösen neunzehnten Jahrhunderts zu holen, der dabei nich fehlen darf.“

Er stand auf und verschwand durch den Ausgang. Als er ,nach kurzer Zeit zurückkam, brachte er Droll mit. Man sah es diesem an, daß er in der letzten Zeit gelitten hatte, doch waren seine Augen munter und seine Bewegungen ließen nicht darauf schließen, daß er gegenwärtig Schmerzen leide. Er freute sich außerordentlich über das ebenso unerwartete wie wunderbare Zusammenfinden und erklärte, unbedingt mit nach dem Alder-Spring reiten zu wollen, sein Zustand möge es gestatten oder nicht.

Dies gab Winnetou, welcher bis jetzt kein Wort gesprochen hatte, Gelegenheit, eine Reihe von Fragen an ihn zu richten, welche bewiesen, daß der Apatsche bedeutende Kenntnisse über den Bau und die Krankheiten des menschlichen Körpers besaß. Es stellte sich heraus, daß es sich bei Droll wirklich um Ischias handelte, und zwar infolge des Falles vom Pferde. Winnetou stand auf, zog seine kleine Ledertasche heraus, in welcher er allerlei Verbandzeug mit sich zu führen pflegte, sah den Inhalt durch und sagte dann in seiner ruhigen Weise:

„Mein Bruder Droll mag mich zu seinem Lager führen; sein Leiden wird ihn schon nach einer Stunde nicht mehr belästigen.“

Er nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm fort. Schon nach kurzer Zeit hörten die Anwesenden einen schrillen, durchdringenden Schrei.

„Das war Droll!“ rief der Hobble-Frank aus. „Was hat Winnetou mit ihm vor? Wahrscheinlich will er ihm die Insel aus den Beenen schaffen; aber das sollte er doch in eener weniger schmerzhaft-graziösen Weise thun! Ich muß hin zu meiner Tante Droll, denn so een Schrei, der schneidet mir grad wie een Sägwerk durch die Seele.“

Er sprang auf und wollte fort; Old Shatterhand aber hielt ihn fest und sagte:

„Bleib hier, lieber Frank! Winnetou weiß ganz wohl, was er thut, und grad für derartige Leiden gibt es bei den Indianern Mittel, von denen selbst unsre besten Ärzte keine Ahnung haben!“

Gleich darauf trat, wie um diese Worte zu bestätigen, Winnetou wieder ein und sagte:

„Unser Bruder Droll mußte einen sehr starken aber auch sehr kurzen Schmerz erleiden, um schnell geheilt zu werden. Jetzt ruht er von ihm aus, aber schon nach einer Stunde wird er so gesund sein, wie er gewesen ist, ehe er die berühmte Insel unsers Hobble-Frank in die Beine bekam.“

Diese Worte enthielten eine kleine, unschuldige Ironie gegen Frank, welcher dies sehr wohl herausfühlte und, obgleich den ernsten Zügen des Apatschen gar nichts anzumerken war, doch schnell antwortete:

„Wenn Winnetou etwa die Intervention besitzt, mich foppen zu wollen, so mag er doch die gehorsamste Güte haben, nach dem Wendekreise des Krebses zu gehen; er wird finden, daß die Insel zwischen dort und Hohenzollern-Sigmaringen liegt. Was ich eenmal gesagt habe, das habe ich gesagt, und ich hoffe, daß meine Prioritäten off jedem Entoutcas zu finden sind. Zweifeln kann jeder, der es nich verschteht; aber wenn schon, denn schon; ich pflege mich nich gern zu schtreiten und hülle mich, wenn ich von adjustierten Seelen angegriffen werde, in die Schtrahlenaureole meines populär-wissenschaftlichen Schweigens. Vere Angelica-Tinctur, quoniam ud angelus loquitur; dieses Wort paßt off keenen Menschen so gut als wie off mich! Howgh!“

Da er vergeblich auf eine Entgegnung wartete, sah er sich in der Lage, sich schweigend in seine Angelikatinktur zu versenken. Nach Verlauf der angegebenen Stunde stellte es sich heraus, daß Winnetou recht gehabt hatte. Droll kam und erklärte in seiner Altenburger Mundart:

„Is das nich großartig, meine Herre? Ich fühle mich, als ob ich neugebore wäre. Was Winnetou gemacht hat, das weeß ich nich; aber ob er die Nerve nur ausgedehnt oder ganz zerrisse hat, das is egal; ich bin gesund wie een Fisch im Wasser. Nu kann ich wieder reite, und der schwarze Mustang soll erfahren, daß die Tante Droll noch derb an ihrem Platze is!“

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Die Bonanza Of Hoaka

Die Bonanza of Hoaka

Da, wo die Sierra Moro mit den Ausläufern des Ratongebirges einen beinahe rechten Winkel bildet, lagen zwei Indianer an dem Wasser eines Baches. Der eine von ihnen war seinem Aussehen nach gewiß über sechzig Jahre alt und hatte, als ob da etwas zu verbergen sei, einen Lederfetzen um den Kopf gewickelt. Sein eingefallenes Gesicht zeigte den Ausdruck ungewöhnlicher Verbissenheit; neben ihm lag eine Flinte. Der andre war nicht so alt, hatte sein spärliches, aber langes Haar in einen Schopf gewunden und trug den Stempel der List und der Verschlagenheit in seinen ebenfalls eingefallenen Zügen. In dem breiten Riemen, der seinen Gürtel bildete, steckte ein Messer. Diese beiden Rothäute hatten sonderbarerweise keine Waffen außer der Flinte des Alten und dem Messer des jüngeren. Ihr Aussehen war dasjenige von Leuten, welche längere Zeit ungewöhnliche Entbehrungen, vielleicht gar Hunger und Durst erlitten haben und dabei keine Gelegenheit fanden, die Defekte ihrer Kleidung auszubessern, denn ihre Anzüge waren zerrissen und die Mokassins hingen beinahe in Fetzen an ihren Füßen.

Das Gras war, so weit man auf- und abwärts sehen konnte, an beiden Seiten des Baches niedergetreten, und kräftigere Lagerspuren zeigten, daß die Roten sich hie und da niedergelegt hatten, um mit den Händen in das Wasser zu langen. Die weggeworfenen Schalen eines wilden Kürbisses verrieten, in welcher Weise sie gezwungen gewesen waren, ihren Hunger zu stillen. Wenn ein Indianer wilden Kürbis verzehrt, grün, so wie er ihn am Wasser findet, so muß es schlimm, sehr schlimm mit ihm stehen!

Der Alte legte sich wieder nieder und sah, den Kopf nicht ganz vorschiebend, in das Wasser. Das dauerte eine ganze Weile; dann richtete er sich wieder auf und sagte:

„Uff! Fische sind da, aber mit den Händen kann man sie nicht greifen, und wir haben keinen Haken, um Angeln zu machen. Mein Magen schmerzt; er wird krank von dem halben Kürbis, den ich habe schlingen müssen.“

„Und ich könnte ein ganzes Büffelkalb aufessen, wenn ich es hätte,“ murrte der andre.

„Der große Geist hat uns ganz verlassen!“ knirschte der Alte. „Tokvi-Kava, der größte Häuptling der Komantschen, muß Hunger leiden! Niemand wird es glauben wollen!“

„Wer trägt daran die Schuld? Winnetou und Old Shatterhand, denen ich das nie und nimmer vergessen werde!“

Der Alte war also der schwarze Mustang und der Indianer, welcher bei ihm saß, einer seiner Unglücksgefährten. Es war ein diabolischer, unbeschreiblich häßlicher Ausdruck, der über das Gesicht des Häuptlings ging, als er hierauf antwortete:

„Er muß uns in die Hände fallen, denn wir wissen, wohin er will, und werden ihm den Weg verlegen, diesem weißen Schakal, der sich Old Shatterhand nennt und der noch mehr Schuld an unserm Unglück trägt als Winnetou, der Schakal der Apatschen. Wehe ihnen, wenn wir sie dann haben!“

„Hältst du es wirklich für so gewiß, daß wir sie fangen werden?“

„Ja.“

„Du wirst mir erlauben müssen, daran zu zweifeln.“

„Warum?“

„Wir mußten gehen; sie aber besitzen schnelle Pferde.“

„Aber unser Weg führte so gerade über die Berge wie ein ausgespannter Lasso, während sie ihrer Pferde wegen viele Bogen reiten und lange Umwege machen müssen. Der schwarze Mustang kennt alle Berge und Thäler dieser Gegend; er hat genau den Weg berechnet, den er mit seinen Komantschen machen mußte und auch den, auf welchem die Feinde kommen werden. Wir haben einen Vorsprung vor ihnen, und wenn Ik Senanda zurückkehrt und alles mitbringt, was wir brauchen, müssen der Apatsche und die fünf weißen Koyoten, auf welche wir warten, in unsre Hände fallen.“

„Ob er aber alles bringen wird?“

„Ja.“

„Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch?“

„Er wird!“

„Wenn sie im Lager erfahren, was geschehen ist, werden sie ihm nicht nur nichts geben, sondern uns ausstoßen.“

„Uff! Glaubst du, daß er so dumm sein wird, etwas zu sagen? Obgleich dies gar nicht nötig war, habe ich es ihm verboten, etwas zu erzählen. Er weiß, wo wir in diesen Tagen lagern, und da er gestern nicht eingetroffen ist, muß er heute kommen.“

„Der große Geist gebe, daß er kommt und Fleisch mitbringt! Ik Senanda hat uns seine Flinte und sein Messer zurückgelassen, die einzigen Waffen, welche wir haben, über hundert Krieger, welche essen wollen!“

„Darf ein Krieger über Hunger klagen?“ verwies ihm der Häuptling seine Worte.

„Niemand hört es als nur du, und du hungerst auch. Ich fürchte keinen roten oder weißen Feind, keinen wilden Büffel und keinen Bär, aber der Hunger ist ein Feind, der im Leibe steckt; mit ihm kann man nicht kämpfen; gegen ihn hilft weder List noch Tapferkeit, er raubt dem Mutigsten das Leben, ohne daß man es ihm verhindern kann. Darum ist es keine Schande, von ihm zu sprechen und über ihn zu klagen.“

„Du hast recht,“ stimmte der Häuptling bei. „Er wohnt auch in meinem Leibe und zerfrißt mir die Eingeweide. Du sagtest, daß du dich vor keinem Feinde fürchtest; auch ich habe bis vor kurzem jeden Gegner besiegt, da aber kam ein Feind, der mich überwand, und darum müssen wir Hunger leiden.“

„Wer ist es?“

„Er wohnt, wie der Hunger, auch in meinem Innern; es ist der Zorn, den ich gegen Old Shatterhand hegte und nicht besiegen konnte.“

„Uff, uff !“ stimmte der andre bei. Er fügte kein Wort hinzu, aber in dem Tone, in welchem er diesen Ausruf zweimal hören ließ, lag alles, was er sagen wollte.

„Ja, dieser Zorn war der Feind, der mich überwand,“ fuhr der Häuptling fort. Bei dem ungeheuern Stolze, den er sonst besaß, war es nur dem Hunger möglich, ihn zu dieser Selbstanklage zu bringen. „Hätte ich Old Shatterhand nicht verhöhnt, hätte ich geschwiegen und still die spätere Rache erwartet, so hätte uns dieses Bleichgesicht die Pferde und die Waffen und auch die Medizinen gelassen; wir hätten heimlich in der Nähe von Firwood-Camp bleiben, auf die Feinde warten können; sie befänden sich jetzt schon in unsern Händen!“

„Da hast du die Wahrheit gesagt. So aber sitzen wir hier und hungern. Wir sind aus dem Lager gegangen, um Fleisch zu holen, haben aber nichts geschossen oder gefangen und nur einen Kürbis gefunden, den wir gegessen haben. Wenn die andern im Schlingenlegen auch so unglücklich gewesen sind wie wir, so wird uns der Hunger bald verzehren. Wie viel Pulver hast du noch?“

„Für höchstens zehn Schüsse.“

„So mag Ik Senanda ja heut kommen, sonst sterben wir an dem Feinde, der in unserm Innern wohnt, denn es ist – uff!“

Er unterbrach sich selbst und ließ diesen Ausruf nicht laut, sondern mit unterdrückter Stimme hören.

„Was ist’s?“ fragte Tokvi-Kava.

„Schau dorthin!“ antwortete sein Gefährte mit dem Ausdrucke der Freude im Gesichte und indem er bachaufwärts deutete.

Der Häuptling wendete den Blick nach der angedeuteten Richtung und machte sofort auch ein andres, froheres Gesicht.

„Büffel!“ flüsterte er.

„Ja, sechs Stück! Eine Bulle, drei Kühe und zwei Kälber!“

„Wir bekommen Fleisch!“

Bei diesen Worten griff er nach dem Gewehre; aber seine Hand zitterte, entweder vor Kraftlosigkeit oder vor Aufregung.

„Du zitterst!“ warnte ihn der andre. „Wenn dein Schuß nicht sicher ist, geht uns das Fleisch verloren!“

„Schweig! Es war der Hunger; aber ich werde sicher treffen!“

„Die Büffel gehen dem Wasser nach; sie werden hierherkommen, denn sie bringen den Wind.“

„Ja, die Luft kommt mit ihnen, und wir brauchen also nur hier hinter dem Busche liegen zu bleiben.“

Sie duckten sich nieder und beobachteten mit fast fieberhafter Erregung die Tiere, welche in gar nicht langsamem Tempo näher kamen, denn sie schienen sich auf der Wanderung zu befinden und bogen die Köpfe nur zuweilen nieder, um ein Maul voll Gras zu nehmen.

Der Bulle war ein altes, mächtiges und sehr häßliches, weil fast haarloses Tier. Sein hartes, zähes Fleisch konnte kaum genossen werden, und doch mußte grade er geschossen werden, denn hätte Tokvi-Kava nach der Güte des Fleisches sich richten und eine Kuh schießen wollen, so wäre er und sein Gefährte von dem rachsüchtigen und wütenden Büffel auf die Hörner genommen und zerstoßen und zertreten worden. Das Gewehr hatte allerdings zwei Läufe, aber es war ein Schrotlauf dabei.

Die Tiere kamen nahe am Wasser herunter, der Bulle voran, die Kühe mit den Kälbern hinterher. Sie waren noch hundert, dann fünfzig, endlich nur noch dreißig Schritte entfernt, ohne etwas zu merken. Die Kühe verließen sich auf ihren Führer, und dieser schien die Empfindlichkeit der Nase verloren zu haben. .

Tokvi-Kava legte an; er zitterte jetzt nicht mehr, schoß aber noch nicht, denn er hatte den Büffel grade von vorn und wollte lieber eine Wendung desselben abwarten. Der Indianer und jeder erfahrene Jäger nämlich gibt dem Büffel die Kugel am liebsten von der Seite her unterhalb der Schulter in das Herz, weil ihr Weg da nur durch Fleischteile geht.

Sie kamen gar noch zehn Schritte näher; da aber schien die eine Kuh Verdacht zu fassen; sie blieb stehen und sog die Luft so laut ein, daß der Bulle es hörte. Er drehte sich halb nach ihr um und bot dem Häuptling also die Seite und die beschriebene Stelle, auf welche es dieser abgesehen hatte. Der Schuß krachte sofort. Der Büffel bekam einen sichtbaren Ruck durch den ganzen Körper, dann stand er still und bewegungslos, bis er den Kopf tiefer und tiefer senkte; nun lief ein konvulsivisches Zittern über ihn hin und hierauf brach er zusammen, ohne einen einzigen Laut von sich gegeben zu haben. Er war in das Herz getroffen worden.

Der Häuptling hatte, sobald der Schuß losgegangen war, in größter Eile wieder geladen. Die Kühe wendeten sich, als sie den Knall hörten, zur Flucht; die eine rannte, gefolgt von ihrem Kalbe, fort; das andre Kalb aber blieb ahnungslos stehen und trottete dann sogar neugierig zu dem toten Büffel hin. Bald aber kehrte seine Mutter, von der Liebe getrieben, die selbst ein Tier besitzt, wieder um, und stieß es mit der Nase von dem Bullen fort, erhielt aber in diesem Augenblicke den zweiten Schuß des Häuptlings, und zwar auch in das Herz, so daß sie nach einigen Sekunden zusammenbrach.

Nun sprangen die beiden Indianer, laute Jubelrufe ausstoßend, auf und zu ihrer Beute hin. Das Kalb machte einige lächerliche Sätze hin und her und wurde dann mit dem Kolben niedergeschlagen.

„Uff, uff, uff l“ rief der Häuptling aus. „Mein roter Bruder sieht, daß ich nicht gezittert habe. Beide Kugeln sitzen im Herzen, und nun haben wir Fleisch für alle unsre Männer!“

„Ja, das Fleisch der Kuh ist gut,“ meinte der andre.

„Man kann auch das Fleisch eines Bullen essen, wenn man sonst nichts andres hat!“

„Brechen wir die Tiere jetzt gleich auf?“

„Nein, denn diese Arbeit dauert für zwei Männer zu lang. Wir holen einige Krieger oder alle herbei.“

„Ist es nicht besser, daß nur einer von uns gehe und der andre hier bleibe, um das Fleisch zu bewachen?“

„Ja. Ich werde gehen, und mein Bruder mag bleiben.“

„So mag Tokvi-Kava mir sein Gewehr geben!“

„Das brauche ich selbst.“

„Für mich ist es notwendiger als für dich!“

„Es befinden sich in dieser Gegend keine Feinde, gegen welche du kämpfen müßtest.“

„Gerade darum braucht auch Tokvi-Kava die Flinte nicht; der Geruch des Fleisches aber zieht Geier und Koyoten an, deren ich mich erwehren muß.“

„Da hat mein Bruder recht; er mag also das Gewehr hier behalten.“

Er gab es ihm und die Munition und entfernte sich dann, nachdem er noch einen hungrigen, lüsternen Blick auf die drei Tiere geworfen hatte, von denen der Büffel allein weit über zweitausend Pfund wiegen mochte. Wer es nicht selbst gesehen hat, der glaubt es gar nicht, welche ungeheure Menge Fleisch solch ein ausgewachsener Bison aufweist!

Sein Weg führte ihn am Bache abwärts. Er ging rasch und ohne jede Vorsicht in Anwendung zu bringen, welche im wilden Westen fast zu jeder Zeit erforderlich ist. Tokvi-Kava mußte also fest überzeugt sein, daß sich kein feindliches menschliches Wesen in der Nähe befand.

Er war mit dem Gefährten im Thale aufwärts gegangen und kehrte nun abwärts nach dem Lager zurück, welches sich im Ausgange des Thales befand. Er hatte ungefähr zwei englische Meilen zurückzulegen, und so dauerte es ziemlich lange, ehe er es erreichte.

Da lagen dieselben Komantschen, welche Firwood-Camp in so schimpflicher Weise hatten verlassen müssen und ebenso abgerissen und ausgehungert aussahen wie er selbst. So viele ihrer da waren, von doppelt so viel Augen wurde er mit verlangenden Blicken empfangen; sie hatten alle, alle Hunger. Er bemerkte auch diejenigen, welche vorhin fortgegangen waren, um nach den Schlingen zu sehen, in denen man irgend ein Wild zu fangen beabsichtigte. Er brauchte gar nicht nach dem Ergebnisse zu fragen, denn er sah, daß sie nichts mitgebracht hatten. Dagegen war der Umstand, daß er allein und ohne das Gewehr kam, für sie ein Zeichen, daß er, wenn nicht ein Unglück geschehen war, bei dem er den Gefährten und die Flinte verloren hatte, eine gute Jagd gehabt haben mußte. Sie sprangen also auf, und er hatte, ganz der indianischen Zurückhaltung entgegen, die begierige Frage zu hören:

„Hat Tokvi-Kava etwas geschossen? Hat er Fleisch gemacht?“

„Ja,“ antwortete er. „Der Hunger hat ein Ende. Ich habe einen Büffel und eine Kuh erlegt und ein Kalb dazu.“

Da wurden hundert Freudenrufe laut, und es gab eine Aufregung, welche die Roten so ganz in Anspruch nahm, daß sie den Reiter, welcher sich dem Lager von der andern Seite näherte, nicht eher sahen, als bis er sie fast erreicht hatte. Es war Ik Senanda, der Enkel des Häuptlings, welcher nach den Weidegründen der Komantschen geschickt worden war, um für die Befriedigung der vorhin aufgezählten Bedürfnisse zu ‚ sorgen, ohne aber dort ein Wort darüber verlauten zu lassen, daß der Ritt nach dem Firwood-Camp ein so klägliches und entehrendes Ende gefunden hatte.

Diese Sendung des Mestizen war der einzige Ausweg für den Häuptling gewesen, den er einschlagen konnte, den Seinen die erlittene Schande einigermaßen verbergen und sich als Anführer behaupten zu können. In seiner jetzigen Verfassung durfte er sich dort keineswegs sehen lassen; hatte er aber wieder Pferde und Waffen, so konnte er Winnetou und Old Shatterhand samt ihren Begleitern gefangen nehmen, was ihm große Ehre eintrug; unternahm er dann noch schnell einen glücklichen Zug gegen irgendwelche Feinde, mochten das nun Weiße oder die nächstlagernden Apatschen sein, um sich deren Skalpe und Medizinen zu holen, so konnte die fürchterliche Schlappe, welche er erlitten hatte, vergessen werden und alle seine jetzigen Sorgen und Befürchtungen waren gehoben. Es kam also alles auf den Erfolg an, welchen die Sendung seines Enkels hatte, und es läßt sich also denken, mit welcher Sehnsucht und Spannung er der Rückkehr desselben entgegensah.

Diese Spannung sollte nun jetzt gehoben werden; aber sie wurde das auf eine Weise, die für ihn so schlimm war, daß er es immer von sich gewiesen hatte, an ihre Möglichkeit zu denken. Falls es Ik Senanda gelang, seinen Auftrag mit Erfolg auszuführen, mußte er mit über hundert Pferden und Gewehren kommen und auch Kleidung und Munition für alle mitbringen; in diesem Falle hätte ihn natürlich eine Anzahl andrer Komantschen hierher zu begleiten gehabt, weil ein Einzelner hundert Pferde nicht zu transportieren vermag. Nun aber kam er allein, ganz allein, und führte nur ein einziges Packpferd neben sich am Zügel.

Als das Tokvi-Kava sah, entfärbte er sich so, daß seine rote, verwitterte Haut grau wie Löschpapier wurde, und die andern Komantschen vergaßen alle Freude über die erlegten Büffel und sagten kein Wort, den Ankömmling zu empfangen. Als dieser vom Pferde gestiegen war und sich dem Häuptling näherte, ging dieser eine Strecke fort, um sich bei einem Busche niederzusetzen, so entfernt von seinen Leuten, daß diese nicht hören konnten, was für eine Botschaft ihm gebracht wurde. Ik Senanda ging ihm nach, setzte sich bei ihm nieder und wartete dann, bis er angesprochen wurde. Der Häuptling sah ihm mit einem eigentümlichen, leeren Blicke ins Gesicht und fragte dann mit hohler, vor Enttäuschung rauh klingender Stimme:

„Wo sind die Pferde?“

„Man gab mir keine,“ lautete die Antwort.

„Wo sind die hundert Gewehre und Messer?“

„Ich erhielt sie nicht.“

„Was bringst du mit?“

„Nur einige Messer, Pulver und Blei und einen neuen Anzug für dich.“

„Weiter nichts?“

„Nichts!“

„So hast du dich ja anders verhalten, als ich dir befohlen habe?“

„Ich habe ganz und genau nach den Anweisungen gehandelt, welche ich von dir erhielt!“

„Du hast verraten, was in Firwood-Camp geschehen ist!“

„Ich habe nichts verraten!“

„Man hat aber meine Befehle nicht befolgt, und das kann nur den Grund haben, daß man dort unsre Schande kennt!“

„Man kennt sie.“

„So mußt du davon gesprochen haben, denn wir sind direkt von Firwood-Camp gekommen, und es kann vor dir kein Mensch bei den Komantschen eingetroffen sein und es ihnen mitgeteilt haben!“

„Und dennoch wußten sie schon alles, als ich kam.“

„Von wem? Wenn ich erfahre, wer es gewesen ist, werde ich ihm die Kopfhaut bei lebendigem Leibe vom Schädel ziehen!“

Seine Fäuste ballten sich und seine Augen blitzten vor Zorn.

„Du wirst diese Kopfhaut nicht bekommen,“ antwortete sein Enkel. „Das Feuerroß rannte hundertmal schneller, als wir gelaufen sind, und hat die Botschaft überall hingetragen.“

„Kommt das Feuerroß etwa auch zu den Naiini-Komantschen?“

„Nein, aber es läuft nicht weit von ihnen vorüber und hält dort einigemal an Orten an, welche von den Bleichgesichtern Station genannt werden. Auf einer solchen Station sind einige von unsern Kriegern gewesen und haben alles erfahren.“

„Uff! Das Feuerwasser und das Feuerroß, beide hat der böse Geist ins Land der roten Männer gesandt, um sie zu verderben. Man wird sehr bald von einem großen Wasser‘ bis zum andern wissen, daß man mir den Schopf und die Medizin genommen hat, und so wird mein Name, welcher der berühmteste war, von jetzt an sein wie der Hauch, welcher von einem Aas aufsteigt, von dem kein Geier fressen will. Aber ich werde mich rächen, rächen an allen, die mich zum Aas gemacht haben!“

„Du bist berühmt und wirst berühmt bleiben,“ tröstete ihn sein Enkel. „Wir werden Winnetou und Old Shatterhand fangen und dann die Apatschen überfallen; sie müssen uns ihre Häute und Medizinen geben, und wenn Ihr wieder Medizinen habt, so dürft Ihr nach den Jagdgründen des Stammes zurückkehren.“

„Uff ! Jetzt dürfen wir das nicht?“

„Nein.“

„Es ist also Beratung darüber abgehalten worden?“

„Ja, eine Beratung aller alten Krieger und weisen Männer.“

„Die haben uns ausgestoßen?“

„Ja.“

„Uff, uff!“

Er legte die Hand an die Augen und blieb eine lange Zeit so sitzen; dann ließ er sie wieder sinken und sagte:

„Ich bin reich. Warum hast du mir weiter nichts gebracht als ein Kleid?“

„Ich durfte nicht.“

„Ich bin ohne Pferd und besitze doch viele Pferde. Wurde es dir auch verboten, eines für mich mitzunehmen?“

„Ja.“

Da richteten sich seine Augen mit angstvollem Ausdruck auf das Gesicht seines Enkels, und er fragte, vor Angst fast stotternd, was er für eine Antwort erhalten werde:

„Aber mein schwarzer Mustang, mein Hengst, der für mich mehr bedeutet als das Leben, will man auch ihn mir vorenthalten?“

„Auch ihn.“

Da sprang er auf; die Wut trieb ihn in die Höhe; er wollte seinem Grimme in Worten Luft machen; Ik Senanda aber hob warnend den Finger und sagte in beruhigendem Tone:

„Tokvi-Kava ist ein großer Häuptling; er weiß, daß ein Krieger sich beherrschen muß; sollen die Leute, welche dort sitzen und alle auf uns sehen, denken, daß er es verlernt habe, der Herr seiner Gedanken und Gefühle zu sein?“

Da setzte sich der Alte wieder nieder, doch dauerte es einige Zeit, bis er äußerlich ruhig schien und zustimmend erwiderte:

„Der Sohn meiner Tochter hat recht. Ich will jetzt nicht an den Schmerz denken, den man mir bereitet, aber dann, wenn ich dahin zurückgekehrt bin, wohin ich jetzt nicht kommen darf, werde ich es allen denen gedenken, die ihn mir bereitet haben. Hast du außer dem, was ich jetzt von dir hörte, vielleicht eine Botschaft an mich auszurichten?“

„Nein.“

„Uff! Es nannten sich so viele alte Krieger meine Freunde, und ich habe sie wirklich für Freunde gehalten. Läßt auch keiner von ihnen mir etwas durch dich sagen?“

„Keiner!“

„So sollen sie alle erfahren, wie Tokvi-Kava solche falsche Freundschaft vergilt. Du bist mein Enkel und noch jung; aber du hast Mut und besitzest ebenso viel List wie ich. Wenn du zu mir sprechen willst, so sprich! Hast du mir einen Vorschlag zu machen?“

„Nein. Du bist derjenige, der zu befehlen hat, und ich gehorche. Was du sagst, ist gut, und was du beschließest, wird von uns ausgeführt werden.“

Der Mestize sagte das im Tone aufrichtigster Ergebenheit und senkte dabei den Kopf als Zeichen, daß er sich ihm mit seinem ganzen Denken und Thun zu eigen gebe, doch hätte ein so scharfer und unparteiischer Beobachter wie zum Beispiel Winnetou oder Old Shatterhand sehr wahrscheinlich die zwar leichten aber doch verräterischen Falten bemerkt, welche sich dabei um seine Mundwinkel legten. Er war, wie die Mischlinge fast alle, kein vertrauenswürdiger Mensch, und wenn es sich um seinen Vorteil handelte, galt ihm sein Großvater auch nicht viel mehr als jede andre Person. Dieser aber hielt ihn, die nahe Verwandtschaft ganz abgerechnet, für seinen besten Freund und schenkte ihm sein vollständiges Vertrauen. Auch jetzt lächelte er ihm voll Liebe zu, so weit bei ihm nämlich von Liebe die Rede sein konnte, und sagte:

„Ich weiß, daß du für mich dein Leben hingeben würdest und daß du jetzt bei unserem Stamme alles gethan hast, meine Ausstoßung zu verhindern. Daß dir dies nicht gelungen ist, liegt nicht in deiner Schuld. Komm, laß uns nun wieder zu den andern gehen, welche erfahren müssen, was der Stamm beschlossen hat!“

Er ahnte nicht, daß Ik Senanda nicht nur gar nichts für ihn, aber desto mehr gegen ihn gethan und gesprochen hatte, denn es war sein größter Wunsch, selbst Häuptling der Naiini zu werden. Sie kehrten also von dem Platze, an welchem sie miteinander gesprochen hatten, zu ihren Leuten zurück, welche zwar schon aus dem Verhalten des „schwarzen Mustangs“ und seines Enkels erraten hatten, was für eine Botschaft er erhalten hatte. Da er sie ihnen nun mitteilte, wurden sie durch die Nachricht in die tiefste Niedergeschlagenheit versetzt, denn sie hatten ebenso wie er gehofft, daß der Heimritt Ik Senandas ihnen das Gegenteil von dem, was er ihnen jetzt brachte, bringen werde. Obgleich ihnen, wie man sich vulgär auszudrücken pflegt, nun aller Appetit vergangen war, fühlten sie jetzt ihre schlimme Lage und mit ihr den Hunger noch deutlicher als vorher, und so war ihnen der Befehl des Häuptlings sehr willkommen, aufzubrechen und thalaufwärts bis dahin zu ziehen, wo die von ihm erlegte Jagdbeute lag.

Ehe sie dahin aufbrachen, wurden die wenigen Gewehre, welche Ik Senanda mitgebracht hatte, an die besten Schützen, die auch die dazu gehörende Munition erhielten, verteilt, so daß es nun unter ihnen wenigstens einige gab, die in Beziehung auf Verpflegung und Verteidigung mehr leisten konnten, als mit bloßen Händen möglich war.

Da der Enkel des Häuptlings auch so viel Messer wie Gewehre mitgebracht hatte, ging, als man bei den Büffeln angekommen war, das Zerlegen derselben schnell von statten, und dann, als mehrere Feuer brannten und jeder sein Fleischstück an demselben briet, wäre es für jeden ihnen nicht ganz feindlich gesinnten Menschen ein Genuß gewesen, sie, wie der für diese Art von Essen gebräuchliche Ausdruck lautet, einhauen zu sehen.

Aber der Häuptling ließ ihnen nicht etwa Zeit, sich dann, als sie vollständig gesättigt waren, in Ruhe nur mit der Verdauung zu beschäftigen, sondern es wurde das übriggebliebene Fleisch unter sie verteilt und dann sofort aufgebrochen, um nun ja erst recht nichts zu versäumen, sich an Old Shatterhand und seinen Begleitern zu rächen und dadurch die verlorene Ehre wenigstens zu einem Teile wieder herzustellen; der andre Teil hatte dann darin zu bestehen, daß sie sich neue Medizinen errangen.

Man wanderte also wieder am Bache abwärts bis an den Lagerplatz, um dann längs der Ausläufer der Sierra Moro südwärts zu ziehen.

Wandern und ziehen, also laufen, sind Ausdrücke, deren sich der Komantsche, den man außerhalb seiner Lagerplätze nur zu Pferde sieht, stets bloß mit Verachtung bedient. Wer nicht reiten kann, sondern laufen muß, der steht tief, sehr tief unter dem Punkte, bei welchem seiner Ansicht nach erst der Mensch beginnt. Und nun waren sie selbst dazu verurteilt, sich der Füße zu bedienen, wozu man sie doch erhalten hatte, nämlich zum Gehen. Ik Senanda war der einzige von ihnen, welcher ein Pferd besaß, aber auch er ritt nicht, und das hatte einen guten Grund. Er hatte bei den Naiini den stolpernden Schimmel gegen ein besseres Tier umgetauscht, doch war dieses jetzt durch den schnellen Ritt ermüdet und mußte für später geschont werden, weil man kein andres hatte, wenn es einen wichtigen und anstrengenden Reiterdienst galt.

Es war am Nachmittage, als der Zug über eine grasige Ebene marschierte, wo die Komantschen auf eine Fährte trafen, welche auf eine nicht geringe Anzahl von Reitern schließen ließ; es mußten gewiß über zwanzig und zwar Weiße gewesen sein, weil ihre Pferde alle beschlagen waren, und ihre Richtung war dieselbe, welche auch die Roten inne hatten. Aus der Beschaffenheit der Spuren war zu ersehen, daß diese Reiter vor kaum einer Stunde hier vorübergekommen waren. Die Komantschen waren über diese Spur nicht wenig erfreut, denn sie dachten da gleich an einen Überfall und also an die Gelegenheit, in den Besitz von Pferden und Waffen zu kommen und machten sich also sehr eifrig an die Verfolgung derselben.

Die Spur, die erst längere Zeit parallel mit den Bergen lief, näherte sich denselben später und führte dann gegen Abend zwischen sie hinein. Als Tokvi-Kava dies bemerkte, sagte er zu seinem Enkel:

„Diese Bleichgesichter sind keine unerfahrenen Leute, denn sie wenden sich, da es bald dunkel wird, nach den Höhen, um nicht auf der offenen Ebene, wo ihre Feuer weit zu sehen wären, übernachten zu müssen. Es wird uns also wohl nicht sehr leicht werden, sie zu überrumpeln, zumal wir so wenig Waffen haben.“

Pshaw! Unsre M ist über dreimal so groß als die ihrige, und was nicht mit Gewalt zu machen ist, werden wir durch List erreichen.“

„List ist zu allen Zeiten und für uns jetzt noch mehr wert als sonst, viel besser als Gewalt. Unsre Krieger haben durch Hunger ihre Kräfte verloren, das mußt du bedenken. Wir müssen vor allen Dingen das Lager dieser Bleichgesichter beschleichen, ehe wir bestimmen können, was wir thun.“

Die Berge hatten Wald, welcher zahlreiches Gebüsch in die Ebene vorschob. Als die Komantschen dieses Gebüsch erreichten, suchten sie sich einen zum Lagern geeigneten Platz in demselben, und als sie einen gefunden hatten, ging der Häuptling mit Ik Senanda fort, um die Weißen aufzuspüren. Die Dämmerung brach schon herein, und so durften sie annehmen, daß sie nicht weit zu gehen haben würden.

Diese Annahme stellte sich als sehr richtig heraus, denn sie waren unter Anwendung der größten Vorsicht kaum eine Viertelstunde vorwärts geschlichen, so spürten sie den Geruch von Rauch in ihren Nasen.

„Wir sind ihnen nahe,“ flüsterte der Alte seinem Enkel zu. „Nun müssen wir aber warten, bis es ganz dunkel ist.“

Als die Dämmerung in die Nacht übergegangen war, schlichen sie weiter. Sie hörten bald ein kleines Wasser murmeln, und dann leuchtete ihnen zwischen den Bäumen der Schein eines Feuers entgegen, um welches die Weißen einen Kreis gebildet hatten. In ihrer Nähe gab es einen grasigen Fleck, auf welchem sich die Pferde befanden. Dieser wurde, obgleich man sich kaum erst gelagert hatte, von zwei Männern bewacht, welche ihre Gewehre schußbereit hielten. Das war ein sicheres Zeichen, daß es die Komantschen nicht mit Neulingen oder unvorsichtigen Leuten zu thun hatten.

Für geübte Indianer war es gar nicht schwer, ganz nahe an die Weißen heranzukommen, weil die starken Baumstämme prächtige Deckung boten. Die beiden Kundschafter krochen so weit hin, wie es mit ihrer eigenen Sicherheit zu vereinbaren war, und konnten dann, jeder hinter einem Baume steckend, nicht nur die Weißen aus der Nähe deutlich sehen, sondern sogar alles hören, was gesprochen wurde.

Ein alter, verwetterter Bursche mit schneeweißem Haare und langem, hellgrauem Vollbarte schien der Anführer der Bleichgesichter zu sein; er war eine höchst charakteristische Gestalt mit scharf markierten Gesichtszügen und hatte jedenfalls schon manches Abenteuer glücklich überstanden. Seine scharfen Augen zeigten trotz seines Alters eine jugendliche Lebhaftigkeit und wenn er sprach, geschah dies so bestimmt und überlegt, als ob er stets gewohnt gewesen sei, zu befehlen. Er wurde von seinen Gefährten, wie die beiden Roten hörten, sonderbarerweise „Majestät“ genannt.

Die andern waren fast ohne Ausnahme alle Männer, denen man, sobald man sie nur ansah, zutrauen konnte, die für den Westen nötige Erfahrung zu besitzen. Der jüngste unter ihnen war ein schmal gebauter und außerordentlich in die Länge gedehnter blonder Lockenkopf, welcher das Enfant gaté der Gesellschaft zu sein schien und sich in heiteren Redewendungen gefiel; er wurde Hum, einigemal auch langer Hum genannt. Eben als die Kundschafter ihre Lauscherplätze eingenommen hatten, hörten sie ihn sagen:

„Ihr scheint Euch hier sehr sicher zu fühlen, Majestät, denn Ihr stellt keine Posten aus. Ich glaube, hier grenzt das Gebiet der Komantschen. Wünscht Ihr, von diesen ehrenwerten Gentlemen um Thron und Leben gebracht zu werden?“

„Mein Thron ist hier der Platz, auf dem ich sitze, und ich möchte wohl den Roten sehen, der es fertig brächte, ihn unter mir hinwegzuziehen! Ich befinde mich ja in der Gesellschaft von grad dreißig Unterthanen, von denen jeder ein Held und Ritter Bayard ist. Von wegen der Komantschen aber habt Ihr recht, lieber Hum. Ich wollte Euch nur Zeit zum Essen lassen; dann werden wir, wie gewöhnlich, Wachen ausstellen: sieben Stunden schlafen und stündlich abwechseln, gibt vier Posten; das ist genug, wenn sie nicht stehen bleiben, sondern die ihnen überwiesenen Viertelkreise immerfort abschreiten. So werden wir es halten, bis wir uns in den San Juan-Mountains befinden.“

„Wo wir Millionäre aus uns machen!“ fügte Hum hinzu, indem er lustig lachte.

„Ich denke allerdings, daß wir, obgleich Ihr jetzt darüber lacht, dies thun werden.“

„Da mir die Erbschaft meines reichen Onkels zu Wasser geworden ist, habe ich ganz und gar nichts dagegen, daß Ihr mir erlaubt, den noch reicheren Staat Colorado mit zu beerben.“

Well! Da Ihr wieder einmal davon sprecht, was hatte es denn eigentlich für eine Bewandtnis mit diesem Onkel? Hat er Euch enterbt? Das wäre ihm, da Ihr ein so wackerer Bursche seid, nicht in das Grab hinunter zu verzeihen!“

„Enterbt hat er mich nicht und aber doch ums Erbe gebracht. Er galt für reich, denn er verstand es, sich den Anschein dazu zu geben; mein Vater aber, obgleich ein tüchtiger Geschäftsmann, brachte es zu nichts, warum, das werdet Ihr gleich hören. Als er starb, hinterließ er mir außer Schulden nicht einen baren Cent; der Onkel, welcher keine Kinder hatte, und den ich bat, mir auf die Beine zu helfen, vertröstete mich darauf, daß ich sein Universalerbe sei. Ich plagte mich noch einige Jahre weiter, bis er auch starb; da hinterließ er mir außer seinem vollständig leeren Geldkasten sein Kassenbuch; ich steckte meine Nase hinein und bekam den Schnupfen, und zwar was für einen! Der liebe Onkel war nämlich so pfiffig gewesen, meinen gutmütigen Vater für sich arbeiten zu lassen, ohne ihm durch lange Jahre hindurch auch nur einen Dollar auszuzahlen. Mein Vater hatte geglaubt, daß sein Geld bei dem Bruder sicher stehe, und dann, als er kurz vor seinem Tode alles erfuhr, wollte er den Onkel nicht dadurch blamieren, daß er mir dessen Schlechtigkeit enthüllte. So konnte ich also den Letzteren nicht beerben und bin auch um das Geld gekommen, welches ich geerbt hätte, wenn der Vater weniger vertrauensselig gewesen wäre.“

„Schöner Onkel, das! Wie hieß er denn?“

„Geht mich nichts an; kenne den Namen nicht!“

„Was? Ihr kennt ihn nicht? Es ist ja doch auch der Eurige!“

„Allerdings.“

„Na also! Ihr werdet doch Euern eigenen Namen nicht vergessen haben! Wir nennen Euch den langen Hum. Was Hum bedeuten soll, habt Ihr uns nicht gesagt, und Euern Familiennamen verschweigt Ihr ganz und gar. Warum?“

„Warum? Darum! Weil ich ein heiterer Boy bin und mich nicht gern ärgere; über meinen Namen aber würde ich mich ärgern, so oft ich ihn zu hören bekäme.“

„Aus welchem Grunde?“

„Weil er geradezu lächerlich klingt, zumal für ein amerikanisches Ohr.“

„Hm! Wenn Ihr so ein ausgeprägtes Schönheitsgefühl für hübschklingende Worte besitzt, so können wir freilich nichts dagegen haben, aber was die in das Wasser gefallene Erbschaft betrifft, so könnt Ihr Euch trösten, denn Ihr werdet droben in den San Juan-Bergen von Colorado mehr als hundertfachen Ersatz dafür finden!“

„Wenn auch nicht gerade hundertfachen, aber etwas werden wir doch finden, Majestät, denn Ihr seid nicht der Mann, ehrliche Leute an der Nase so weit hinauf in die Rocky-Mountains zu führen.“

„Nein, so ein Mensch bin ich wirklich nicht. Ich habe den Situationsplan der Mine hier in meiner Tasche: sie wird uns reich machen, sehr reich, wenn auch nicht ganz so reich, wie wir sein würden, wenn wir das Glück hätten, hier in der Sierra Moro die geradezu großartige Bonanza of Hoaka zu entdecken.“

„Habe schon oft von ihr gehört. Ein sonderbarer Name! Bonanza ist spanisch, of ist englisch und Hoaka scheint indianisch zu sein. Nicht?“

„Ja.“

„Was bedeutet dieses Wort?“

„Das kann ich nicht sagen, denn ich habe noch keinen Menschen, auch keinen Indianer, gefunden, der es wußte und es übersetzen konnte. Aber die Bonanza ist Wirklichkeit, unwiderlegliche Wirklichkeit, und es hat schon Hunderte von Gambusinos (Goldsucher) gegeben, die nach ihr gesucht haben. Einige von ihnen sind ihr so nahe gewesen, daß sie große Goldklumpen gefunden haben, aber noch keinem ist es gelungen, den eigentlichen Platz, wo solche Klumpen massenweise liegen, zu entdecken. Wir befinden uns gerade jetzt in der betreffenden Gegend, und wenn wir morgen weiterreiten, werden wir die Punkte berühren, wo die erwähnten Funde gemacht worden sind. Es ist sogar möglich, daß wir jetzt ganz nahe bei der berühmten Bonanza lagern. Denkt euch nur, wenn wir sie durch einen glücklichen Zufall fänden!“

Durch diese Worte wurden alle Anwesenden elektrisiert; sie ließen sich in den verschiedensten Interjektionen hören, und Hum meinte lustig:

„Ich werde beim Einschlafen an sie denken; vielleicht träumt mir dann von ihr, und ich zeige euch den Weg. Da könnten wir wohl auf unsre Minen droben in Colorado verzichten? Was meint ihr dazu, Mesch’schurs?“

„Natürlich könnten wir das,“ antwortete Majestät. „Fände ich diese Bonanza of Hoaka, ich würde mich keinen Augenblick bedenken, den Situationsplan hier aus meiner Tasche zu verschenken. Ist es nicht geradezu unbegreiflich, daß es Menschen gibt, welche die Bonanza kennen und sie doch nicht ausbeuten?“

„Wer ist das? Gibt es welche? Ist dieses wahr?“ wurde rundum gefragt.

„Ja, es ist wahr; es gibt Indianer, welche den Ort kennen, ihn aber aus Haß gegen die Weißen Geheimnis bleiben lassen; nur wenn sie einmal etwas von den Bleichgesichtern kaufen und bezahlen müssen, gehen sie hin, um sich eine Handvoll kleine Nuggets zu holen; die großen Stücke aber lassen sie liegen. Man ist gerade hier in dieser Gegend auf solche stockdumme und hirnverbrannte Menschen gestoßen. Ich sprach kürzlich in Albuquerke mit einem Pater, dem ein Roter im Estrecho de cuarzo (Quarzenge) begegnet ist. Der Indianer hatte Hunger, und der Pater gab ihm Brot und Fleisch. Da zog der Rote einen Lederbeutel aus der Tasche und gab ihm ein Stück reines Naturgold, also ein Nugget, welches wenigstens fünfzig Gramm gewogen hat, und der Beutel ist ganz voll solcher Stücke gewesen, die einen ganz immensen Wert ausmachten. Was sagt ihr dazu?“

Er bekam nur Antworten der Bewunderung zu hören, und einer, der am praktischsten dachte, erkundigte sich:

„Hat denn der Pater nicht gefragt?“

„Natürlich hat er gefragt; er erhielt aber selbstverständlich keine Auskunft, sondern nur den kurzen Bescheid: lch habe es mir aus der Bonanza of Hoaka geholt, lebt wohl! Mit diesen Worten hat sich der Pater abspeisen lassen und der Bursche ist darauf rasch davongegangen.“

„Da hätte der Pater ihn festhalten und zwingen sollen, zu gestehen, wo die Bonanza liegt!“

„Ein Pater, also ein Geistlicher? Das darf er nicht, das würde gegen Amt und Lehre sein!“

„Was schert mich Amt und Lehre! Wenn ich einen solchen Roten träfe, ich würde ihn erstechen, wenn er es mir nicht sagte. Ja, ich würde mir kein Gewissen daraus machen!“

„Erstechen würde ich ihn nicht sofort, denn man muß nicht gleich ein Mörder sein, und wenn er dann tot ist, kann er erst recht keine Auskunft geben. Nein, ich würde es anders machen. Es gibt viel bessere und ganz sichere Mittel, so einen verschwiegenen Indsman zum Sprechen zu bringen. Leider aber werden wir keine Gelegenheit finden, sie in Anwendung zu bringen!“

„Wo liegt denn dieser Estrecho de cuarzo? Wißt Ihr es, Majestät? Und wie heißt die Übersetzung von diesem Namen?“

„Er ist spanisch und heißt so viel wie Enge des Quarzes, also Quarzenge, und ich kenne den Ort, denn ich will Euch aufrichtig sagen, daß ich auch zu denen gehöre, die vergeblich nach der Bonanza of Hoaka gesucht haben. Ich bin sogar in dem Estrecho gewesen, habe aber nichts entdeckt, obgleich ich hätte darauf schwören mögen, daß ich da dem Funde nahe sei. Denkt Euch nur auch den Namen! Quarz! Das ist doch gerade das Gestein, welches dem Golde als Hülle dient. Und Enge! Dieses Wort sagt ja ganz deutlich, wie die Bonanza entstanden ist! Es gab in der Enge früher einen Wasserfall, der die Körner und Klumpen aus dem Gestein wusch und in ein Loch zusammenspülte. Da liegen sie nun, im Werte von vielen, vielen Millionen, und man braucht nur hineinzugreifen und sie herauszunehmen, wenn man weiß, wo das Loch ist. Es ist ein Gedanke, der einen geradezu verrückt machen könnte! Und wenn es Euch Spaß macht, kann ich Euch morgen diesen Estrecho de cuarzo zeigen, denn der Weg führt uns nahe dabei vorüber.“

Auch diese Worte brachten eine Aufregung hervor, die sich gar nicht legen wollte. Der Anführer konnte ihr nur dadurch ein Ende machen, daß er in befehlender Weise sagte:

„Laßt es jetzt gut sein, Sennors! Ihr habt gegessen, und es müssen nun die vier Posten ausgestellt werden, denn es fällt mir gar nicht ein, den Komantschen weiter zu trauen, als ich sie mit meinen Augen erreichen kann. Ihr redet so laut, daß man es eine ganze Meile weit hören kann! Wenn ihr nicht Ruhe gebt und still seid, bekommt ihr morgen den Estrecho nicht zu sehen, darauf gebe ich euch mein Wort, und ihr wißt, daß ich mein Wort stets zu halten pflege!“

Well, Ihr sollt Ruhe haben, Majestät,“ antwortete Hum in der ihm eigenen lachenden Weise. „Haltet also die Mäuler, Gentlemen, Sennors und Mesch’schurs! Ihr habt gehört, daß ich schlafen und von der Bonanza träumen will! Wer mich im Schlafe und im Traume stört, darf sich morgen keinen Goldklumpen holen. Also gute Nacht, Majestät, gute Nacht!“

Er schob sich den Sattel als Kopfkissen zurecht, streckte sich aus, legte das geladene Gewehr griffbereit neben sich und schloß die Augen.

„Komm!“ flüsterte der „schwarze Mustang“ seinem Enkel zu.

Sie huschten vorsichtig fort, und es war die höchste Zeit, daß sie dies thaten, denn die vier Posten entfernten sich vom Feuer, und einer von ihnen kam kaum eine halbe Minute nach ihrer Entfernung da vorbei, wo sie gesteckt hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sie unbedingt sehen müssen.

Als sie den Lagerplatz der Weißen weit genug hinter sich hatten, blieb der „Mustang“ stehen und fragte seinen Begleiter:

„Hast du alles verstanden?“

„Alles,“ antwortete er.

„Ich nicht jedes Wort, aber den Sinn ihrer Reden weiß ich ganz genau. Wir werden morgen die Skalpe, die Pferde, die Waffen dieser Bleichgesichter bekommen und dazu alles, was sie sonst noch bei sich haben. Uff !“

Er sagte das so bestimmt, als ob er seiner Sache ganz und gar sicher sei. Ik Senanda war weniger überzeugt; er warnte:

„Du wirst gesehen und gehört haben, daß diese Bleichgesichter keine Greenhorns find, die sich leicht überlisten lassen!“

„Ich überliste sie doch!“

„Ich halte es für besser, sie heute noch zu überfallen.“

„Du redest wie ein junger Krieger, ich aber wie ein Weiser, der gelernt hat, alles genau abzuwägen. Es gehen vier Wachen unaufhörlich rund um den Lagerplatz, sie würden unser Kommen bemerken. Sodann schlafen diese Männer mit den Gewehren in der Hand; sie würden alle, sobald ein Posten ruft, kampfbereit aufspringen und viele von uns niederschießen; ich aber will unsre Krieger schonen, damit mir nicht noch weitere Vorwürfe werden, wenn ich zu unserm Stamme zurückkehre; es soll das Blut keines einzigen Komantschen hier vergossen werden.“

„So bin ich begierig, zu erfahren, wie du dies anfangen willst!“

„Du hast gehört, was sie von der Bonanza sprachen?“

„Ja.“

„Ich kenne diese Bonanza nicht, und es hat mir noch nie jemand ihren Namen genannt, aber ich weiß, wo sich unser Schapo-Gaska (Versteck des Goldes) befindet.“

„Uff!“ entfuhr es da dem Mestizen. „Was meinst du mit diesem Verstecke?“

„Ahnst du es nicht?“

„Nein.“

„Du kennst es ebenso wie ich. Wenn du jetzt aufbrichst, um hinzureiten, kannst du schon morgen früh beim Estrecho de cuarzo sein. Ich werde mit unsern Kriegern auch die ganze Nacht gehen, um zu derselben Zeit dort einzutreffen.“

„Willst du dort sein, wenn die Bleichgesichter kommen?“

„Noch viel eher, schon am Morgen oder Vormittag, während sie erst gegen Abend kommen können. Paß auf, was ich dir sage! Du holst aus unserm Schapo-Gaska so viel Nuggets wie dazu nötig sind, kommst nach dem Estrecho und lässest dich dort, nachdem wir dir das Pferd abgenommen haben, von den Bleichgesichtern finden. Sie müssen das Gold sehen und werden dich nach der Bonanza fragen; nach langem Weigern führst du sie in den Estrecho, wo wir sie so einschließen werden, daß sie sich gar nicht wehren und auch nicht entfliehen können.“

„Uff!“ sagte da Ik Senanda, indem er kaum ein Lächeln unterdrücken konnte. „Das hast du von Old Shatterhand gelernt!“

„Ein kluger Krieger wird sogar von seinem größten Feinde lernen! Wir machen viel Holz zum Brennen bereit; sobald die Bleichgesichter sich im Estrecho befinden, verstopfen wir mit dem Holze seinen Eingang und brennen es an. Dann sind sie genau so gefangen, wie wir es im Birch-hole waren, und müssen sich uns ganz in derselben Weise gefangen geben.“

Ik Senanda sagte nichts; er dachte nach,

„Hältst du diesen Plan für schlecht?“ fragte da sein Großvater.

„Nein, denn was von Old Shatterhand erdacht wurde, ist niemals zu tadeln; aber es gibt etwas dabei, was mir nicht gefällt.“

„Was?“

„Die Weißen werden mich töten.“

„Nein.“

„Ganz gewiß!“

„Nein! Meinst du, daß ich den Sohn meiner Tochter einer Gefahr überliefere, die ihm das Leben kostet?“

„Ich meine, daß du zwar nicht den Willen dazu hast, daß es aber dazu kommen wird. Sobald diese Leute sehen, daß sie überlistet worden sind, werden sie mich natürlich für einen Verräter halten und sich an mir rächen.“

„Sie werden sich nicht rächen können, weil du dich nicht in ihren Händen befinden, sondern ihnen entwichen sein wirst, ehe sie zu der Erkenntnis kommen, daß sie gefangen sind.“

„Kann ich ihnen denn entfliehen, wenn ich gefesselt bin?“

„Denkst du denn, daß sie dich fesseln werden?“

„Ja. Ich muß mich doch scheinbar zwingen lassen, ihnen die Bonanza zu verraten; sie müssen also annehmen, daß ich es nicht gutwillig thue, und werden sich also meiner Person versichern.“

„Aber nicht dadurch, daß sie dich binden. Du bist zu Fuß, während sie Pferde haben. Sie werden denken, daß sie dich, falls du fliehen wolltest, nach wenigen Schritten einholen würden, und dir also keine Banden anlegen. Sobald sie sich im Estrecho befinden, beobachtest du den Eingang zu demselben und kommst augenblicklich zu uns gerannt, wenn du bemerkst, daß wir mit dem Brennholze erschienen sind.“

„Wenn ich aber doch gefesselt werde? Was thue ich dann, um ihrer Rache zu entgehen?“

„Nichts. Dieser Fall ist unmöglich, wenn er aber doch eintreten sollte, so hast du dich ruhig zu verhalten und dich nur auf mich zu verlassen.“

Der Mestize schien nur halb beruhigt zu sein; sein Großvater gab sich Mühe, seine Bedenken zu zerstreuen, und dies gelang ihm schließlich auch, besonders durch die Bemerkung:

„Und wenn sie dich gefangen nehmen und binden würden, und wenn es dir nicht gelänge, ihnen zu entfliehen, so habe ich doch mit ihnen gerade so zu verhandeln, wie Old Shatterhand im Birch-hole mit mir verhandelt hat, und meine erste Bedingung, sie zu schonen, würde natürlich die sein, daß sie dich ausliefern müßten.“

„Schonen? Ich denke, du willst ihnen das Leben nehmen?“

„Das werde ich auch; aber solchen Feinden darf ich gegen deine Freiheit Gnade versprechen, ohne daß es unbedingt nötig ist, mein Wort zu halten. Sind die Bleichgesichter jemals wahr und aufrichtig gegen uns gewesen?“

„Nein.“

„Bist du nun einverstanden?“

„Ja. Ich werde thun, was du von mir verlangst, denn du kannst den Sohn deiner Tochter nicht verlassen, und alle Krieger der Komantschen werden meinen Mut preisen, daß ich meine Freiheit und mein Leben gewagt habe, um dir diese weißen Männer in die Hände zu liefern.“

„So komm!“

Sie kehrten nun nach dem Platze zurück, wo die Komantschen auf sie warteten. Dort angekommen, teilte der „schwarze Mustang“ ihnen in kurzen Worten mit, was sie gesehen und gehört hatten und was infolgedessen von ihm beschlossen worden war. Die Roten durften nun nicht ausruhen und schlafen, sie hatten vielmehr einen anstrengenden Nachtmarsch vor sich, aber trotzdem nahmen sie die Rede des Häuptlings mit Jubel auf, der allerdings nicht in laute Ausrufe ausartete. Sie bekamen da Gelegenheit, Pferde, Waffen und über dreißig Skalpe zu erbeuten, wodurch wenigstens eine Anzahl von ihnen ihre Ehre teilweise wiederherzustellen vermochte. Sie brachen schon nach wenigen Minuten nach dem Estrecho de cuarzo auf, während der Mestize nach dem Schapo-Gaska seines Großvaters ritt.

Ihr Weg war deshalb beschwerlich, weil sie einen großen Teil desselben bei Nacht zurücklegen mußten und sie gezwungen waren, Gegenden zu durchwandern, die ihrem Marsche Schwierigkeiten boten, denn die bessere und bequemere Route durften sie nicht einschlagen, da dieselbe höchst wahrscheinlich von den Weißen benutzt wurde, welche dann möglicherweise die Spuren der Komantschen entdecken konnten.

Diese letzteren marschierten also unverdrossen die ganze Nacht über Berge und durch unbequeme Thäler und Schluchten. Als es Tag wurde, machten sie einen kurzen Halt, um sich zu verschnaufen und ein Stück kaltes Büffelfleisch zu verzehren. Dann ging es wieder weiter, und zwar mit solchem Eifer, daß sie um die Mitte des Vormittags in der Nähe des Estrecho anlangten.

Die Gegend, in welcher dieser lag, war eine für ihre Zwecke sehr günstige. Es gab da einen schmalen, dicht bewaldeten Höhenzug, welcher sich von West nach Ost erstreckte. Kurz vor dem Ende desselben lag ein tiefer, von Nord nach Süd verlaufender Einschnitt, welcher durch die langsam fortfressende Thätigkeit des Wassers, aber auch durch einen plötzlichen Ausbruch vulkanischer Gewalten entstanden sein konnte und den letzten, steil und wirr abfallenden Teil der Höhe von ihr trennte. Der genannte schmale Bergzug bildete also eine in die Ebene verlaufende Zunge, von welcher die äußerste Spitze abgeschnitten worden war. Die Zunge war, wie bereits erwähnt, dicht bewaldet, die abgeschnittene Spitze aber, jedenfalls aus ganz natürlichen Gründen, vollständig kahl. Sie bestand aus harten Quarzfelsen, in deren kompakte Masse eine stellenweise kaum zehn Schritt breite Rinne ziemlich tief hineinführte, um plötzlich vor einer senkrecht aufsteigenden Felswand zu enden. Auch die Seiten dieser Rinne stiegen so glatt und steil empor, daß es keine einzige Stelle gab, welche erklettert werden konnte. Es war, als ob die Natur hier mit einer riesigen Steinsäge gearbeitet habe, um dem menschlichen Fuße auch nicht den kleinsten Anhalt finden zu lassen. Es gab auch keinen Baum, keinen Strauch, überhaupt keine Pflanze, welche für ihre Wurzeln hier Platz und Nahrung gefunden hatte.

Dieser Einschnitt war der Estrecho de cuarzo, von welchem „Majestät“ gemeint hatte, daß er von einem früher hier arbeitenden Wasserfall gebildet sein müsse.

Die Komantschen zogen sich nach ihrer Ankunft in den Wald hinein, ohne sich dem Eingange zum Estrecho zu nähern; das thaten sie, um die Entstehung von Spuren zu vermeiden. Nur ihr Häuptling ging nach der Enge, um sich zu überzeugen, daß er sich mit seinen Leuten ganz allein in dieser Gegend befand. Als er mit einem befriedigenden Resultat zu ihnen zurückkehrte, waren sie schon fleißig damit beschäftigt, für die später beabsichtigten Feuer dürres Holz zu sammeln und zu großen aber leicht tragbaren Bündeln zu vereinigen.

Nicht viel später sahen sie den Mestizen über die Ebene geritten kommen. Er konnte nicht genau wissen, wo sie sich befanden, und wurde also herbeigeholt. Als er sein fast zum Zusammenbrechen ermüdetes Pferd, welches er vor den Weißen nicht sehen lassen durfte, übergeben hatte, zeigte er dem Mustang die mitgebrachten Nuggets, bekam von diesem noch einige eingehendere Verhaltungsmaßregeln und entfernte sich dann, um seine nicht ganz ungefährliche Rolle zu spielen. Die Zurückbleibenden hatten bei ihrer großen Anzahl bald mehr Holz zusammen, als für ihre Zwecke nötig war, und konnten sich nun von der anstrengenden Wanderung, die sie hinter sich hatten, ausruhen. Sie sahen der Ankunft der Weißen mit begieriger Spannung entgegen. –

Diese, welche nicht ahnten, welch eine große Gefahr ihrer im Estrecho wartete, hatten, da sie nichts zum zeitigen Aufbruch drängte, bis in den Morgen hinein geschlafen und dann ihren Lagerplatz verlassen, ohne eine Spur der beiden Feinde zu bemerken, von denen sie beschlichen und belauscht worden waren. Sie ritten bis Mittag, wo sie, weil es sehr heiß geworden war, ihren Pferden und auch sich selbst eine Stunde Ruhe gönnten; dann ging es weiter, bis sie vielleicht noch drei englische Meilen von dem Estrecho entfernt waren. Ihr Weg führte sie jetzt in eine Thalsenkung hinab, in welcher sie einen einzelnen Baum stehen sahen. Der Anführer, welcher mit Hum, seinem Liebling, voranritt, deutete dorthin und sagte:

„Seht ihr den Baum da unten? Ich kenne ihn; er ist mein Merkzeichen, welchem ich entnehme, daß wir, wenn wir so langsam wie jetzt weiterreiten, in einer Stunde beim Estrecho ankommen werden.“

Die Männer richteten infolge dieser Worte ihre Blicke auf den Baum, und einer von ihnen, welcher sehr scharfe Augen hatte, meinte:

„Ich sehe außer dem Baum noch etwas, Majestät. Wenn ich mich nicht irre, liegt ein Tier darunter. Es kann auch ein Mensch sein.“

„Hm! Ein einzelner Mensch hier, in dieser entlegenen und doch so gefährlichen Gegend? Sollte es etwa gar ein Gambusino sein, der von der Bonanza gehört hat und hier nach Gold sucht? Den wollen wir uns ja scharf betrachten!“

Schon nach kurzer Zeit sahen sie, daß es allerdings kein Tier sondern ein Mensch war, welcher lang ausgestreckt unter dem Baume lag und zu schlafen schien. Um ihn zu überraschen, stieg der Anführer mit noch einigen seiner Begleiter von dem Pferde und ging mit ihnen leise voran, während die andern langsam nachgeritten kamen.

Der Mann unter dem Baum mußte fest schlafen, denn er hörte die sich Nähernden nicht, die ihn sogleich umringten, als sie den Baum erreichten. Ein Stück Leder, das er wie einen Beutel zusammengefaltet hatte, steckte in seinem Gürtel, aber nicht ganz; der obere Teil desselben blickte daraus hervor; er war ein wenig auseinander gegangen und ließ die Augen der Weißen auf ein mehr als haselnußgroßes Stück gediegenen Goldes fallen.

Tempestad!“ entfuhr es den Lippen des Anführers. „Der Mann hat Nuggets! Er ist ein Halbfarbiger, wahrscheinlich ein Mestize. Nuggets! Hier in der Nähe des Estrechot Sollte –?! Dem müssen wir sofort auf die Zähne fühlen!“

Jetzt kamen die Männer zu Pferde heran. Das Hufgetrappel weckte den Schläfer. Er schlug die Augen auf, sah die Weißen und sprang ganz erschrocken in die Höhe. Wie unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach dem Gürtel; er fühlte, daß der Beutel sich ein Stück hervorgeschoben hatte, und stopfte ihn so ängstlich schnell und hastig zurück, daß man Verdacht fassen mußte, auch wenn man das Gold nicht gesehen hatte. Es war natürlich kein andrer als Ik Senanda, welcher seine Rolle ausgezeichnet spielte. Er hatte hier auf die Weißen gewartet, sie schon von weitem kommen sehen und sich nur so gestellt, als ob er eingeschlafen sei. Der Beutel war mit Absicht von ihm in eine Lage gebracht worden, daß er aufklaffte. Die Aufmerksamkeit der Bleichgesichter sollte ja gleich auf den Umstand gerichtet werden, daß er Gold besaß. Sie gingen auch schnell und ohne alles Mißtrauen in das ihnen vorgehaltene Netz; ihr Führer fragte in strengem Tone:

„Darf man vielleicht fragen, wer Ihr seid, halbroter Boy?“

„Ich heiße Yato Inda,“ antwortete der Gefragte. Er gab sich also den vertrauenerweckenden Namen, den er sich schon im Firwood-Camp beigelegt hatte.

„Yato Inda? Das heißt guter Mann, wenn ich mich nicht irre. Wer war Euer Vater?“

„Ein weißer Jäger.“

„Und Eure Mutter?“

„Eine Tochter der Apatschen.“

„Da stimmt der Name. Zu welchem Zweck treibt Ihr Euch denn hier in dieser Gegend herum, die den Komantschen gehört und wo es gar keine Apatschen gibt?“

„Mein Stamm will mich nicht mehr dulden.“

„Weshalb?“

„Weil ich ein Freund der Bleichgesichter bin.“

„Hm! Ihr seid also ein Ausgestoßener? Auch das stimmt, denn Ihr habt nur ein Messer; man hat Euch also das Gewehr genommen.“

„Yato Inda wird zu den Bleichgesichtern gehen und sich dort ein Gewehr kaufen.“

„So! Daß die Roten Euch ausgestoßen haben, ist ein Umstand, der Euch uns empfiehlt; aber wenn Ihr Euch ein Gewehr kaufen wollt, müßt Ihr doch Geld haben?“

„Yato Inda braucht kein Geld.“

„Nicht? Glaubt ihr, daß man Euch ein Gewehr schenken wird?“

„Nein. Die Bleichgesichter verschenken nichts; aber sie sind auch zufrieden, wenn sie für Gewehre und Feuerwasser nicht rundes Geld, sondern goldene Nuggets bekommen.“

„Ah, Feuerwasser! Du scheinst das wohl sehr gern zu trinken?“

„Sehr!“ antwortete der Mestize in dem aufrichtigsten und unbefangensten Tone, den es geben kann.

„So habt Ihr also zwar kein rundes Geld, aber dafür goldene Nuggets?“

„Yato Inda hat keine, aber er wird so lange suchen, bis er welche findet.“

„Das klingt doch grade, als ob Ihr nach der berühmten Bonanza of Hoaka suchtet!“

Majestät glaubte, das sehr pfiffig gesagt zu haben; dennoch schlauere Mestize ließ ihn bei dieser Meinung und erwiderte, indem er ein dummstolzes Gesicht dabei zeigte:

„Hat mein weißer Bruder auch von dieser Bonanza gehört? Er scheint sie für eine Lüge, für eine Erfindung zu halten?“

„Das thue ich allerdings, denn so viel Gold, wie da beisammenliegen soll, kann es gar nicht auf einer Stelle geben.“

„Uff!“ rief der Mestize noch viel selbstbewußter aus. „Es ist keine Unwahrheit. Diese Bonanza ist wirklich vorbanden.“

„Wirklich? Kennt Ihr sie etwa?“

„Ich weiß, wo sie ist, und – – uff, uff!“ verbesserte er sich in erschrockenem Tone, „ich weiß, daß sie vorhanden ist.“

Man kann sich denken, wie groß die Spannung war, mit welcher die Weißen dieses Examen verfolgten, und wie sehr ihr Anführer innerlich triumphierte, als der Mestize sich in dieser Weise verplapperte. Dieser trat rasch einen Schritt näher an das Halbblut heran und sagte:

„Du hast dich versprochen; du hast mehr gesagt, als du wolltest. Du weißt nicht nur, daß es eine Bonanza of Hoaka gibt, sondern du weißt auch, wo sie liegt!“

Er nannte den Mestizen jetzt du, um ihn einzuschüchtern, und das schien ihm auch zu gelingen, denn der Genannte stotterte, als ob er sich in größter Verlegenheit befände:

„Ich – ich – weiß – weiß das nicht, denn ich – darf es nicht sa – –“

„Sagen, du darfst es nicht sagen! jetzt ist es heraus; jetzt habe ich dich, Bursche!“

„Nein – nein – nein! Ich – ich weiß es nicht!“

„Schweig! Du weißt es! Wo liegt die Bonanza? Wirst du es gestehen? Wirst du die Wahrheit sagen?“

„Ich – ich kann nichts gestehen, denn – denn ich weiß es nicht!“

„So! Schurke, der du bist, ich werde dir beweisen, daß du uns belügst. Paß auf!“

Er fuhr ihm mit einem schnellen Griff nach dem Gürtel und riß den Beutel heraus. Da dieser nicht zusammengenäht war, sondern nur aus einem zusammengefalteten Leder bestand, ging er dabei auseinander, und mehr als eine Handvoll Nuggets, die er enthielt, fielen auf die Erde nieder. Der Mestize stieß einen Schrei des Entsetzens aus und bückte sich schnell nieder, um die auf dem Boden zerstreuten Goldkörner eiligst zusammenzulesen; aber die Weißen waren noch rascher als er; die von ihnen nächststehenden warfen sich nieder und rissen die Nuggets an sich, ehe er eines davon zu erlangen vermochte. Die „Majestät“ packte ihn mit beiden Händen am Arme, riß ihn empor und donnerte ihn an:

„Siehst du jetzt, Halunke, daß du überführt worden bist? Wo hast du diese Nuggets her?“

Der Mestize öffnete den Mund, antwortete aber nicht; er that, als ob er vor Schreck kein Wort hervorbringen könne, und stotterte erst dann, als die Frage einige Male wiederholt worden war:

„Diese – diese Nuggets habe – habe ich gefunden.“

„Natürlich! Das wissen wir auch! Aber wo?“

„Dort – dort – da – gestern – da fand ich den Beutel im Walde.“

„Im Walde? Den Beutel? Infamer Lügner! So einen Beutel voller Nuggets wirft niemand im Walde weg. Du hast das Gold aus der Bonanza und wirst uns sofort sagen, wo sie liegt!“

„Das – das – kann ich nicht sagen!“

„So! Aber ich werde dir gleich beweisen, daß du es sagen kannst! Ich gebe dir eine einzige Minute Zeit. Wenn wir dann noch keine Antwort haben, bekommst du so viel Kugeln in den Leib, wie wir hier Flinten haben! Also entscheide dich!“

Die Weißen richteten alle ihre Gewehre auf ihn; da rief er in vortrefflich gespieltem Schreck:

„Schießt nicht; schießt nicht! Ihr habt ja gehört, daß ich ein Freund der Bleichgesichter bin! Ich habe deshalb ohne Gewehr und Pferd den Stamm verlassen müssen; soll ich deshalb nun auch noch getödtet werden?“

„Nicht deshalb, sondern deines Leugnens wegen. Wenn du wirklich ein Freund der Weißen bist, so beweise das durch deine Aufrichtigkeit!“

„Ich darf nicht! Es ist den roten Männern streng verboten, die Bonanza zu verraten.“

„Du bist kein Indianer, sondern ein Halbblut, also ist es dir nicht untersagt. Und wenn ich ein Indsman wäre und würde von meinem Stamme ausgestoßen, so würde ich mich auf alle Weise zu rächen suchen. Dazu hast du jetzt die allerbeste Gelegenheit, indem du uns sagst, wo die Bonanza of Hoaka liegt.“

„Rache? Ah – ah – uff ! Rache!“ rief er, als ob er jetzt im Begriffe stünde, sich eines Besseren zu besinnen.

„Ja, Rache, Rache für die großartige Beleidigung, die man dir angethan hat!“

Der Mestize stand noch unentschlossen da; seine Miene sagte deutlich, daß er mit sich kämpfte, und als die Weißen alle ermunternd auf ihn einsprachen, sagte er in schon bereitwilligerem Tone:

„Wenn ich – auch wollte – ich kann – kann es doch nicht sagen!“

„Warum nicht?“

„Weil – weil – weil ich eben ausgestoßen worden bin. Ich darf nie zu meinem Stamme zurückkehren; ich muß zu den Bleichgesichtern gehen und bei ihnen wohnen und leben; dazu brauche ich aber Gold, viel Gold, weil man den Weißen alles bezahlen muß. Das aber würdet Ihr mir nehmen, wenn ich Euch verriete, wo die Bonanza liegt!“

„Welch eine Dummheit! Wie groß, wie riesengroß sie ist, das wirst du sogleich erfahren. Wie viel Gold wird wohl in der Bonanza zu finden sein?“

„Uff !“ rief er, wie unbedacht triumphierend. „So viel, daß fünfzig Pferde es nicht forttragen könnten.“

„Ist es die Möglichkeit!“ schrie Majestät da förmlich auf. „Ist das wahr? Ist’s wirklich wahr?“

„Ja. Ich habe es liegen sehen.“

„Wann?“

„Schon oft, und heute Vormittag zum letztenmal.“

„Hört ihr es, ihr Männer? Habt ihr’s gehört? Nehmt euch um Gottes willen zusammen, daß euch nicht der Verstand überschnappt! So eine Masse, so eine ungeheure Masse von Gold! Das reicht ja zu, um die ganzen Vereinigten Staaten zu kaufen! Und da denkt dieser dumme Mensch, daß er alles allein nur für sich braucht, um eine Flinte und Feuerwasser bezahlen zu können! Mensch, ich sage dir, wenn du nur so viel Gold hast, wie du mit deinen Händen zu tragen vermagst, kannst du dir die größten Wünsche erfüllen und Feuerwasser trinken, so lange du lebst! Aber du sollst gar nicht so wenig davon bekommen. Wenn du uns die Bonanza zeigst, so werden wir teilen; du bekommst die eine Hälfte, und wir nehmen die andre; dann kannst du alle deine Apatschen auslachen und herrlicher leben als der Präsident, den ihr den weißen Vater nennt!“

„Herrlicher – als der – als der weiße Vater? Ist das wahr?“ fragte er so freudetrunken, als ob er sich das Leben des Präsidenten noch tausendmal wonniger vorstellte, als das Leben in den ewigen Jagdgründen.

„Ja, ja! Ich gebe dir hiermit den heiligsten Schwur darauf. Du wirst dann alles, alles bekommen, was dein Herz begehrt.“

„Auch Feuerwasser, so viel ich nur trinken will?“

„Mehr, viel mehr Feuerwasser, als selbst der Mississippi fassen könnte! Nur sage schnell, schnell, wo sich die Bonanza befindet!“

Sein Gesicht war verklärter und immer verklärter geworden; es war klar, daß er jetzt ganz nahe daran stand, das kostbare Geheimnis zu verraten, doch sprach er noch einen letzten Gedanken aus:

„Ihr seid über dreißig Krieger, und ich bin allein und ohne Waffen. Wenn ich euch die Bonanza zeige, werdet ihr alles für euch nehmen und mich fortjagen, so daß ich gar nichts bekomme!“

„Das ist Unsinn, hundertfacher, ja tausendfältiger Unsinn! Wir sind ehrliche Leute und geben dir die Hälfte. Ich habe es gesagt und werde mein Wort halten! Sagst du es uns aber nicht, so wirst du ohne Gnade und Barmherzigkeit erschossen, und zwar sofort, auf der Stelle, hier auf demselben Platze, wo du stehst. Also wähle, wähle rasch! Entweder den Tod oder so viel Feuerwasser, wie du in deinem ganzen Leben trinken kannst!“

Die Majestät war unbeschreiblich aufgeregt, und die andern Weißen waren es nicht minder. Über fünfzig Pferdelasten gediegenes Gold! Das war ja kaum auszudenken! Ihre gierigen Blicke sogen sich jetzt förmlich an die Lippen des Halbblutes fest. Bei diesem schien die abermalige. Androhung des Todes ebenso sehr den Ausschlag zu geben wie die Hoffnung auf einen ganzen Mississippi voll Feuerwasser. Er antwortete zum Entzücken all der einunddreißig Männer.

„Yato Inda will euch sein Vertrauen schenken, er will glauben, daß er sich die Hälfte des Goldes nehmen darf, und wird euch darum zeigen, wo die Bonanza of Hoaka liegt.“

Da brach ein allgemeiner Jubel aus, ein Jubel, wie ihn der Westmann mit dem Worte „shout“ zu bezeichnen pflegt. Selbst Majestät focht mit den Armen wie mit Windmühlenflügeln in der Luft herum und that einen Freudensprung nach dem andern, trotz seines Alters, seines grauen Bartes und seines schneeweißen Haupthaares. Nur ein einziger besaß Gewalt genug über sich, seine Aufregung einigermaßen zu beherrschen, nämlich der lange Hum, dessen Gesicht zwar auch vor Freude strahlte, der aber so laut in den Lärm der andern hineinrief, daß ihn alle hörten:

„Mylords und Gentlemen, Sennores und Mesch’schurs! Es steht uns eine ungeheure Freude bevor, aber unsre Rechtlichkeit soll nicht geringer, soll nicht kleiner sein. Wir haben diesem Manne die Hälfte des Goldes versprochen, und ich denke, daß wir ihm dieses Versprechen halten werden! Ehrlos der, welcher nicht dieser meiner Meinung ist!“

„Ja, ja; ja, ja!“ lachte die Majestät, und „Ja, ja; ja, ja!“ lachten auch die andern.

Dieses Lachen sagte mehr als deutlich, daß das Wort „ehrlos“ sie gar nicht abhalten werde, doch das zu thun, was sie sich im stillen vorgenommen hatten. Der Mestize that, als ob ihm dieses Lachen gar nicht auffällig sei und ihn noch viel weniger in seinem Vertrauen erschüttern könne; er erklärte vielmehr:

„Wenn ich euch jetzt nach der Bonanza führen soll, braucht ihr gar nicht weit mit mir zu reiten.“

„Nicht weit?“ fragte die Majestät. „Dachte es mir! Die Bonanza liegt im Estrecho, nicht wahr?“

„Ja.“

„So würden wir sie nun finden, auch ohne daß du sie uns zeigst!“

„Nein,“ antwortete er jetzt in zuversichtlichem Tone. „Ihr könntet trotzdem viele, viele Jahre danach suchen und würdet sie doch nicht finden.“

„So komm und geh voran! Aber versuche ja nicht, dich aus dem Staube zu machen! Du würdest sofort von einunddreißig Kugeln durchlöchert werden!“

Er that, als ob er diese Drohung gar nicht gehört hätte, und machte sich, indem er voranschritt, ohne Weigern auf den Weg; er wußte ja, daß sie ihrem sichern Untergange entgegengingen. Die Ausführung seines Planes war ihm viel, viel leichter gelungen, als er es sich vorgestellt hatte.

Es versteht sich ganz von selbst, daß die bethörten und vertrauensseligen Weißen jetzt von weiter nichts, als nur von der Bonanza sprachen. Hum war still, er ritt ganz hinterher und ging mit sich zu Rate, wie er es wohl anzufangen habe, seine Gefährten zu einem ehrlichen Verhalten zu bewegen. Nach einiger Zeit gesellte sich die Majestät zu ihm, um ihn lachenden Mundes zu fragen:

„Das, was Ihr vorhin von der Rechtlichkeit sagtet, ist doch wohl nur ein Scherz von Euch gewesen? Nicht?“

„Nein, Sir. Dieser Mann liefert uns ohne alle Gegenleistung die Hälfte seiner Schätze aus; da würden wir ja die armseligsten Schurken sein, wenn wir ihm das gegebene Versprechen nicht hielten.“

„Also war es Eure wirkliche und ernste Meinung? Pshaw! Ich bin niemals unehrenhaft gewesen und werde es auch nie sein; aber jedermann weiß, daß man den Indianern kein Versprechen zu halten braucht.“

„Das ist so schändlich gedacht, Sir, daß ich – hm! Überdies ist dieser Yato Inda kein Indsman; sein Vater war ein Weißer!“

„Das ist ja erst recht ein Grund, sich nichts, gar nichts aus ihm zu machen, denn diese Mischlinge sind noch viel schlimmer, verräterischer und treuloser als die reinblütigen Indianer. Er mag uns die Bonanza zeigen, und dann kann er gehen, wohin es ihm beliebt.“

„Ohne seine Hälfte?“

„Natürlich ohne sie! Ihm so eine schauderhafte Menge Gold zu lassen, das würde ja der reine Wahnsinn von uns sein!“

„Wahnsinn oder nicht, ich gebe es nicht zu, daß er betrogen wird!“

„Laßt Euch nicht auslachen! Was wollt Ihr gegen unser Vorhaben, gegen unsre dreißig Stimmen machen? Ihr könnt doch nichts, gar nichts gegen uns ausrichten!“

„O doch!“

„Was denn? Was habt Ihr vor?“ klang es jetzt in scharfem Tone.

„Was ich thun oder lassen werde, das wird sich ganz nach Eurer Ehrlichkeit richten.“

„Soll das etwa eine Drohung sein, Sir?“

„Wenn Ihr nicht rechtlich mit dem Mestizen verfahrt, ja, dann ist es eine Drohung!“

Winnetou nannte das Gold deadly-dust (tödlicher Staub), weil er es schon in zahlreichen Fällen erfahren hatte, welches Unglück das schnell und leicht erworbene Metall den „glücklichen“ Findern gebracht hatte. Auch hier, wo man die Bonanza noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte, zeigten sich schon die Folgen der Gier nach dem Besitze. Der Anführer, dessen Liebling Hum bisher immer gewesen war, warf alle Freundschaft hinter sich und drohte, indem sein Gesicht den Ausdruck unerbittlicher Feindschaft annahm:

„Wagt es ja nicht etwa, den Mestizen zu warnen oder sonst etwas gegen das, was wir zu thun willens sind, vorzunehmen! Wenn es sich um die Bonanza of Hoaka handelt, verstehe ich keine Spur von Spaß, und die andern denken da grade so wie ich. Ich will Euch warnen und Euch sagen: Eine Kugel würde Euch sicher sein!“

Nach dieser Drohung, die er im vollsten Ernste meinte, trieb er sein Pferd an, um wieder bei dem Halbblut an der Spitze des Zuges zu reiten, und Hum blieb als Hinterster zurück, ja, er verlangsamte die Schritte seines Pferdes noch mehr, denn die nahe vor ihm reitenden Gefährten hatten sein Gespräch mit dem Anführer gehört und wendeten sich zu ihm zurück, um ihn mit nicht weniger schweren Drohungen zu bedenken.

Er nahm sich in seinem rechtlichen Sinne trotzdem vor, keine Gefahr zu scheuen, um dem Mestizen zu dem Seinigen zu verhelfen; nur mußte er, um dies zu thun, warten, bis der Schatz gehoben war. Bis dahin hatte es keine Eile, und so kam es, daß er, der sich beleidigt und in seiner Ehrlichkeit gekränkt fühlte, immer weiter zurückblieb, bis er die Gefährten aus den Augen verlor. Er hatte nicht etwa weniger Verlangen nach dem vielen Golde als sie, aber der Ärger über den Betrug, den sie ausführen wollten, ließ ihn zögern, ihnen in gleicher Eile nach dem Estrecho zu folgen.

So kam es, daß er die Felsen, welche die Bonanza bergen sollten, später zu Gesicht bekam als sie. Als sein Auge darauf fiel, stutzte er und hielt sein Pferd an; einen Augenblick später sprang er sogar aus dem Sattel, um nicht so leicht bemerkt zu werden, denn er sah dort beim Estrecho Gestalten hin und her laufen, welche er unmöglich für seine Kameraden halten konnte. Gleich darauf zuckte eine helle Flamme empor, und es drang ein vielstimmiges Geheul zu ihm herüber, welches ihm bewies, daß er Indianer vor sich hatte.

Er erschrak, allerdings nicht wegen sich selbst. Zum Glück brach eben jetzt die Dämmerung herein, welche die Roten verhinderte ihn zu sehen, und überdies waren diese so mit dem Estrecho beschäftigt, daß sie gar keine Aufmerksamkeit mehr für die Richtung hatten, in welcher er sich von ihnen aus befand. Sie glaubten, alle Weißen in der Falle zu haben, und Ik Senanda war auch dieser Meinung, denn er hatte, an der Spitze des Zuges marschierend, fast gar nicht rückwärts geblickt und also nicht bemerkt, daß der lange Hum zurückgeblieben war.

Dieser fragte sich natürlich, was er unter den obwaltenden Umständen zu thun habe, und kam auf den ganz richtigen Gedanken, daß er, um seinen Gefährten nützlich sein zu können, vor allen Dingen sich selbst schonen müsse. Er hatte zu erfahren, in welcher Lage sie sich befanden und in welcher Weise er ihnen nützlich sein könne, mußte sich aber sehr hüten, dabei von den Indianern bemerkt zu werden. Darum wartete er, bis es vollständig dunkel geworden war, und ritt dann weiter, aber nicht etwa geradeswegs auf das jetzt noch deutlicher als vorher sichtbare Feuer zu, sondern er hielt sich mehr nach links, nach Osten, um sich in sicherer Entfernung von dem Thatorte hinter irgend einem Felsen seines Pferdes zu entledigen und dann vorsichtig anzuschleichen.

Die Flamme brannte an der westlichen Seite der Felsenspitze; er ritt der östlichen zu und fand dort einen verborgenen Winkel, in welchem er sein Pferd anpflockte, und zwar in einer solchen Entfernung von den Roten, daß er bei gutem Schritte eine Viertelstunde zu gehen hatte, um in ihre Nähe zu kommen.

Er brauchte aber längere Zeit, weil er sich mit Vorsicht bewegen mußte. In westlicher Richtung hinhuschend, gelangte er endlich an die Bodentiefung, welche die Spitze des Estrecho von dem Haupthöhenzuge abschnitt. Er legte sich nieder und kroch bis an die Ecke, von welcher aus er linker Hand von sich das Feuer in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Schritten brennen sah. Es loderte so hoch und breit empor, daß sein Schein bis an die Ecke drang und sie fast tageshell erleuchtete. Weiter durfte er sich unmöglich vorwagen, denn er sah eine ganze Anzahl von Roten, welche unaufhörlich beschäftigt waren, neue Holzbündel in die Flammen zu werfen; es wäre gar nicht anders möglich gewesen, als daß sie ihn gesehen hätten.

Das waren aber nicht die einzigen Indianer, die er sah. Die Helligkeit stieg auch an den Felsen empor, und als er seine Augen nach dort richtete, erblickte er noch viele andre Indsmen, welche aus irgend einem ihm noch unbekannten Grunde da hinaufkletterten und sich auf der Höhe zu verteilen schienen. Was wollten sie dort? Das fragte er sich lange vergeblich, bis er eine Stimme herunterschallen hörte. Der Wortwahl und dem Ausdrucke nach mußte der Sprechende ein Roter sein, denn er bediente sich jenes Gemisches von Englisch und Indianisch, in welchem nur die Indianer sich auszudrücken pflegen. Man konnte zwar nicht jedes einzelne Wort verstehen, aber doch den Sinn der Rede verfolgen, und dieser lautete, kurz zusammengefaßt:

„Legt alle eure Waffen von euch, und zieht euch in den Hintergrund des Estrecho zurück! Wer einen Schuß thut oder sich sonst gegen uns wehrt, der muß am Marterpfahle sterben; wer sich aber ohne Widerstand ergibt, dem werden wir die Freiheit und das Leben schenken!“

„Ah, jetzt weiß ich es!“ dachte Hum. „Die Weißen sind von Indianern bei der Bonanza eingeschlossen worden. Bonanza? Hm! Da geht mir nicht nur ein einziges tallow-candle (Talglicht), sondern gleich ein ganzer soap-boiler (Seifensieder) auf! Es gibt gar keine Bonanza hier, sondern dieser infame Mestize hat für diese Roten den Spion gemacht und uns mit seinen Nuggets nur deshalb bethört, um uns alle ihnen in die Hände zu treiben. Wie gut ist’s, daß ich ein ehrlicher Mensch bin, denn wenn ich das nicht wäre, so säße ich jetzt ebenso tief in der Skalpiertinte wie sie! Sie müssen heraus, unbedingt heraus, und das kann nur durch mich geschehen! Aber wie? Sie sind nur dreißig, während es mir scheint, daß die Indsmen dreimal so viel zählen.“

Er sann eine Weile über eine mögliche Weise nach, seinen Gefährten Hilfe zu bringen, und sagte sich dann:

„Es ist schwer, ungeheuer schwer, wenn nicht ganz und gar unmöglich, in diesem Falle irgend etwas zu unternehmen, aber ich bin ganz gern bereit, mein Leben daran zu wagen. Hin zum Feuer kann ich nicht, und hier an den Felsen hinauf kann ich auch nicht, weil es dort oben fast ebenso hell wie hier unten ist. Und doch muß ich hinauf, um zu sehen, wie die Ziege im Sodawasser schwimmt. Hm, was hier an der nördlichen Seite unmöglich ist, bringe ich vielleicht an der südlichen fertig. Ich werde es probieren, denn probieren ist besser als lamentieren. Also fort von hier!“

Er kehrte um und eilte am Felsen hin zurück, um die Spitze desselben zu umbiegen und so nach der andern Seite zu kommen. Er hatte aber kaum hundert Schritte zurückgelegt, als plötzlich eine kleine, schmächtige Gestalt vor ihm auftauchte und ihn, überraschenderweise in deutscher Sprache, die ihm ganz geläufig war, anrief:

„Halt, geliebter Unbekannter! Mit wem loofen Sie denn so um die Wette? Lassen Sie Ihre Beene gefälligst schtehen bleiben, sonst schieße ich Sie oogenblicklich hier mit meiner Flinte durch und durch!“

Es war ein Weißer, der zu ihm sprach, noch dazu ein Deutscher, also jedenfalls keine feindliche Person; aber Hum war in der Weise von dem Gedanken eingenommen, sehr rasch nach der andern Seite des Estrecho zu kommen, daß er weder daran dachte, wie seltsam und unerklärlich diese plötzliche Begegnung war, noch sich die Zeit nahm, der Aufforderung Folge zu leisten und stehen zu bleiben. Er antwortete nur hastig, auch in deutscher Sprache:

„Lassen Sie mich! Ich habe keine Sekunde zu versäumen!“

Indem er hierauf weitereilte, hörte er dieselbe Stimme hinter sich:

„Der hat das Loofen ooch von keener Gartenschnecke gelernt! Na, weit kommt er nich; ich seh‘ den Hieb schon sitzen!“

Hum wußte nicht, was das bedeuten sollte, erfuhr es aber nach wenigen Augenblicken, denn noch waren diese Worte kaum verklungen, so richtete sich eine zweite Gestalt vor ihm empor, hielt ihn mit einer Hand im Laufe auf und schlug ihm die andre Faust so an den Kopf, daß er lautlos zusammenbrach. Er befand sich nun, wenigstens für den Augenblick, in einer nicht bessern Lage als seine Gefährten, die er hatte retten wollen, obgleich sie sich ihm in der letzten Stunde nicht mehr so freundschaftlich wie vorher gezeigt hatten.

Sie waren, wie schon erwähnt, ihm vorausgeritten und unter der Führung des Mestizen an den hohen Quarzfelsen gekommen, in welchen der Estrecho de cuarzo schmal und tief einschnitt. Sie folgten ihm auch ohne Besinnen und mit vollem Vertrauen hinein und schöpften auch dann noch keinen Verdacht, als er stehen blieb und, sie an sich vorüberweisend, sagte:

„Wenn die Bleichgesichter alle herein sind, mögen sie absteigen und ihren Pferden die Beine zusammenhobbeln. Ich werde bis dahin die verborgene Mine schnell öffnen, um ihnen die Bonanza dann gleich zeigen zu können.“

Er kniete dabei an der Felswand nieder und begann, in dem dort am Boden angesammelten Steingrus zu wühlen, als ob er da den Eingang zur Bonanza freilegen wolle. Sie ritten auch bis zum letzten Mann an ihm vorüber, und nur Majestät, der aus dem Sattel gestiegen war, blieb bei ihm stehen und fragte begierig:

„Hier also liegt das Gold so massenhaft vergraben?“

„Ja,“ nickte der Mischling.

„So will ich dir helfen, damit es schneller geht!“

„Das Loch ist hier so eng, daß nur ein einzelner Mann graben kann.“

Er beabsichtigte, den Anführer zu beschäftigen, um dessen Aufmerksamkeit von sich abzulenken, und dieser ging in seiner Ungeduld auch ahnungslos auf diesen Gedanken ein, indem er ihm gebot:

„So tritt zur Seite! Ich will es selber machen.“

Er kauerte sich nieder und begann mit den Händen das Geröll so eifrig zu entfernen, daß er gar nicht daran dachte, auf den Mestizen acht zu geben. Dieser sah ihm nur eine ganz kurze Zeit zu, nicht einmal eine Minute lang, trat dann einige Schritte zurück, überzeugte sich mit einem schnellen Blick, daß keiner von den Weißen, die alle noch mit ihren Pferden beschäftigt waren, nach ihm sah, und huschte dann mit lautlosen Schritten nach dem Eingange zurück, wo die schnell herbeigeeilten Komantschen sich schon bemühten, ihre Holzbündel aufzuhäufen, und der Häuptling schon sein Punks (Prairiefeuerzeug) handhabte, um Feuer zu machen.

„Uff!“ sagte Tokvi-Kava in hochbefriedigtem Tone. „Sie sind in die Falle gegangen, und ich bin sehr zufrieden mit dir!“

„Uff!“ antwortete Ik Senanda. „Die Gefahr ist glücklich an mir vorübergegangen!“

„Das habe ich dir vorhergesagt. Der Zunder glimmt schon. Nun werden wir die Bleichgesichter sehr bald heulen hören!“

Die Dämmerung senkte sich nieder, und hier in der Felsenenge war es noch dunkler als draußen im Freien. Majestät scharrte in den Steinen, als ob sein Leben davon abhängig sei. Dabei sagte er zu dem vermeintlich noch neben ihm stehenden Mestizen:

„Es ist so finster hier, daß man fast gar nichts sehen kann. Wir werden einige Feuer anbrennen; Holz gibt’s ja da draußen im Walde genug.“

Als keine Antwort erfolgte, wendete er den Kopf, bemerkte aber den nicht, an welchen diese Worte gerichtet waren. Selbst jetzt schöpfte er noch nicht Verdacht, sondern er richtete sich nur auf, um den Namen Yato Inda einigemale laut zu rufen. Erst als hierauf keine Antwort erfolgte, wurde er besorgt und fragte seine Leute nach dem Mestizen. Keiner konnte Auskunft erteilen. Weiter als bis zu der Stelle, wo er in den Steinen gewühlt hatte, war er nicht in die Enge eingedrungen, und da er sich dort nicht mehr befand, konnte er nur in der Richtung nach dem Ausgange gesucht werden. Nun endlich zeigte sich der Verdacht, und zwar ebenso stark wie plötzlich.

„Zounds!“ rief der Anführer. „Der Mestize wird uns doch nicht entwichen sein!“

Er bekam keine Antwort, aber alle hatten ganz denselben Gedanken.

„Wir müssen rasch hinaus!“ fuhr er fort. „Da draußen ist es heller als hier. Vielleicht sehen wir ihn noch laufen!“

Er wendete sich dem Eingange zu, und die andern wollten ihm folgen, doch blieben alle schon nach wenigen Schritten erschrocken stehen, denn sie sahen in diesem Augenblicke da vom eine Flamme aufgehen, welche sich in einigen Sekunden so vergrößerte und verbreiterte, daß sie den schmalen Ausgang vollständig ausfüllte und unpassierbar machte.

„Himmel, was ist das!“ schrie er auf. „Ist das dieser Mestize gewesen? Wer hat – –“

Er sprach die angefangene Frage gar nicht aus; sie wurde ihm auch ohnedies beantwortet, denn draußen erhob sich hinter dem Feuer das Kriegsgeheul der Komantschen, daß es schien, als ob zu beiden Seiten die Felsen zitterten. Die Weißen standen sprachlos vor Entsetzen; es war ihnen sofort klar, in welcher Lage sie sich befanden. Die Majestät faßte sich zuerst, aber nur zu einem Fluche:

„Alle Wetter! Wir sind eingeschlossen! Dieses Halbblut hat uns an die Indianer verraten. Es sind Komantschen; ich erkenne sie an ihrem Geheul. Hier an den Wänden kann keine Eichkatze hinauf, viel weniger noch ein Mensch; wir müssen es doch da vom mit dem Feuer versuchen. Steigt auf die Pferde und nehmt die Gewehre zur Hand! Wir können vielleicht durch die Flammen setzen, ehe sie noch größer werden. Der rascheste Entschluß ist hier jedenfalls der beste. Jenseits des Feuers geben wir den roten Teufeln unsre Kugeln.“

„Wie viele sind ihrer denn?“ fragte einer.

„Das weiß ich natürlich nicht; aber in einer solchen Lage darf man die Feinde nicht zählen. Wir müssen hinaus, und wenn es ihrer tausend sind. Nehmt euch nur in acht, daß das bißchen Pulver, welches ihr habt, nicht explodiert. Ein schneller Sprung muß jeden durch die Flamme tragen. Also vorwärts jetzt, my boys!“

Die Weißen hatten alle ihre Pferde schnell wieder losgehobbelt und sich in den Sattel geschwungen. Majestät voran, ritten sie, ihre Gewehre schußbereit haltend, dem Ausgange zu. Dies hätte im Galopp geschehen sollen, wenn jeder mit einem einzigen Satze durchs Feuer kommen sollte, aber das war leider wegen der Enge und wegen einer plötzlichen scharfen, wenn auch ganz kurzen Wendung, welche der Estrecho machte, nicht möglich. Als Majestät diese Biegung hinter sich hatte, sah er das Feuer ganz nahe vor sich, ein Umstand, den er nicht in Berechnung gezogen hatte. Die Distanz war nun zu kurz, um einen Anlauf zu nehmen; dazu scheute sein Pferd und weigerte sich, weiterzugehen. Und als er versuchte, es durch Schläge vorwärts zu bringen, hörte er eine laute, befehlende Stimme, welche ihm von jenseits des Feuers zurief:

„Halt! Die Bleichgesichter mögen ja nicht weiter reiten! Ich bin Tokvi-Kava, der Häuptling der Komantschen und habe sechsmal fünfzig Krieger hier bei mir. Ihr könntet, wenn ihr so toll wäret, es zu thun, nur einzeln durch das Feuer reiten und würdet ebenso einzeln von uns niedergeschossen werden!“

„Tokvi-Kava, der Jägerschinder!“ rief Majestät aus, indem er sich zurück an seine Leute wendete. „Habt ihr gehört, was er sagte? Der Mensch hat recht: Wir sind vollständig eingeschlossen und können nicht hinaus. Er wird unsre Skalpe wollen, und wir können vom größten Glücke sagen, wenn er sich so weit bereden läßt, daß wir mit dem nackten Leben davonkommen!“

Als ob der „schwarze Mustang“ diese Worte gehört hätte, war seine Stimme jetzt wieder zu vernehmen:

„Wenn die Bleichgesichter sich wehren, sind sie verloren. Ich werde ihnen aber das Leben schenken, wenn sie sich uns ergeben.“

Da die hintersten der Weißen dieses Versprechen nicht verstanden hatten, teilte Majestät es ihnen mit. Es wurde eine kurze Beratung gehalten, deren Ergebnis war, daß mit den Roten verhandelt und durch List so viel wie möglich Zugeständnisse von ihnen erlangt werden sollten. Darum rief jetzt Majestät dem Häuptlinge zu:

„Was habt ihr gegen uns, daß ihr uns als Feinde behandelt? Wir haben euch doch nichts gethan!“

„Alle Bleichgesichter sind unsre Feinde,“ erhielt er zur Antwort. „Es gibt für euch keinen einzigen Weg zur Flucht, und ihr könnt euer Leben nur dadurch retten, daß ihr euch uns ohne alle Gegenwehr ausliefert. Werft die Waffen weg!“

Behold! So weit sind wir noch lange nicht! Es ist ja wahr, daß ihr uns eingeschlossen habt; aber versucht es doch einmal, uns hier herauszuholen! Grade unsre Gewehre werden euch da beweisen, daß es ein Unsinn ist, uns als wehrlose Gefangene zu betrachten.“

„Uff! Sieh dich in deinem Gefängnis doch erst einmal ordentlich um. Droben auf den Felsenkanten stehen über hundert Krieger der Komantschen, welche bereit sind, auf einen Wink von mir ihre Kugeln auf euch herabzusenden.“

„Fatale Lage!“ knirschte da die Majestät, freilich nicht so laut, daß die Indianer es hören konnten. „Wenn es so ist, so putzen sie uns von da oben aus weg, ohne daß wir ihnen auch nur einen von unsern Zähnen zeigen können. Es bleibt uns wahrhaftig nichts andres übrig, als durch eine schlaue Verhandlung mit dem Mustang für uns so viel wie möglich herauszuschlagen. Wollen doch einmal hören, was er uns für Bedingungen stellt!“

Und sich wieder nach dem Feuer wendend, rief er laut:

„Deine Leute mögen da oben stehen, so lange sie wollen; wir fürchten uns nicht. Aber ich habe gehört, daß Tokvi-Kava ein tapferer und gerechter Häuptling ist, der niemals Feindschaft hegt gegen Menschen, welche ihn nicht beleidigt oder gar geschädigt haben. Darum bin ich überzeugt, daß du die jetzige Feindseligkeit sofort einstellen wirst, wenn du hörst, wer wir sind, und daß wir in dieser Gegend nichts suchen, sondern sie nur rasch durchreiten wollen. Ich bin also bereit, mit dir zu sprechen.“

„So komm heraus!“

„Der stolze Häuptling der Komantschen kann nicht im Ernste verlangen, daß ich zu ihm gehe. Wir sind nur dreißig Mann, während er, wie er selber sagt, dreihundert Krieger bei sich hat. Ich würde alles auf das Spiel setzen, wenn ich mich von hier entfernte, während er hingegen gar nichts wagt, wenn er zu uns herein in den Estrecho kommt.“

„Ich bin Häuptling und habe es nicht nötig, einem Bleichgesichte nachzulaufen,“ antwortete der Mustang stolz.

Well! Aber, wenn du nicht kommst, würde es scheinen, als ob du dich fürchtest, und wir würden annehmen, daß du lange nicht so viel Krieger bei dir hast, wie du sagtest. Wenn du also wirklich ein tapferer und mutiger Mann bist und wirklich unter dem Schutze von sechsmal fünfzig Komantschen stehst, darfst du nicht verlangen, daß ich die wenigen Leute verlasse, welche bei mir sind.“

Tokvi-Kava, mußte einsehen, daß der Weiße recht hatte; er war überdies vollständig überzeugt, daß die Weißen sich ganz in seiner Gewalt befanden und ihm nicht das geringste anhaben konnten; darum antwortete er:

„Wie darfst du es wagen, an meinem Mute zu zweifeln! Ich werde dir beweisen, daß ich euch als Hunde betrachte, welche nicht beißen können, weil ihnen die Mäuler zugebunden sind. Aber die Bleichgesichter haben doppelte Zungen, und in ihren Herzen wohnt der Verrat; sie werden sich meiner Person bemächtigen wollen, wenn ich zu ihnen komme.“

„Nein. Bei uns ist der Unterhändler stets unantastbar. Du wirst also bei uns ganz ebenso sicher sein, wie in der Mitte deiner Krieger.“

„Ich kann also zurückkehren, sobald es mir beliebt?“

„Ja.“

„Auch wenn ich nicht mit dir einig werde?“

„Auch dann.“

„Ihr werdet mich nicht festzuhalten suchen?“

„Nein.“

„Spricht du die Wahrheit?“

„Ja. Ich versichere dir, daß ich keine Hintergedanken habe.“

„Wir glauben an den großen Geist, den ihr Gott nennt; was ihr bei ihm schwört, müßt ihr halten. Versprich mir also bei eurem Gott, daß ihr, wenn ich gehen will, mich nicht anrühren werdet!“

„Ich schwöre und verspreche es dir.“

„So werde ich kommen.“

Es dauerte eine kleine Weile, bis das brennende Holz ein wenig beiseite geschoben wurde, so daß zwischen der Flamme und dem Felsen eine Lücke entstand, welche der Häuptling durchsprang. Dann kam er hoch erhobenen Hauptes und stolzen Schrittes zu den Weißen, deren Anführer gegenüber er sich niedersetzte. Majestät wußte, daß nach der Ansicht der Indianer der Sieger das Gespräch zu beginnen habe; darum schwieg er und wartete, bis der Mustang nach längerer Zeit die Verhandlung durch die Frage einleitete:

„Die Bleichgesichter haben eingesehen, daß es von ihnen Wahnsinn wäre, sich gegen uns zu wehren?“

„Nein,“ antwortete der Weiße. „Das haben wir noch nicht eingesehen.“

„So seid ihr alle ohne Hirn geboren worden! Kein Mensch kann diese Felsen erklettern, und kein Pferd oder Reiter wird durch die Glut des Feuers kommen. Von da oben sehen zweihundert Augen herab, und hundert Gewehre sind bereit, euch in kurzer Zeit zu vernichten, welche ihr Bleichgesichter eine Minute nennt.“

Pshaw! Diese Gewehre fürchten wir nicht. Es gibt hier im Estrecho überhängende Stellen genug, welche uns Schutz vor euern Kugeln bieten.“

„Wie lange wird dieser Schutz währen!“ meinte der Mustang verächtlich, „Es ist gar nicht nötig, daß wir Kugeln an euch verschwenden. Wir haben draußen Wasser und Wild, so viel wir wollen, ihr aber nicht; wir brauchen also nur zu warten, bis ihr vom Hunger und vom Durste hinausgetrieben werdet.“

„Das kann lange dauern!“

„Uff ! je länger es dauert, desto mehr wird unsre Nachsicht schwinden, die wir jetzt noch mit euch haben wollen. Dann dürft ihr auf kein Erbarmen rechnen. Wenn ihr euch aber jetzt ergebt, werdet ihr erfahren, daß noch Gnade in unsern Herzen lebt.“

„Gnade? Was haben wir verbrochen, daß du von Gnade sprichst? Beweise einem meiner Leute eine einzige, wenn auch noch so kleine That, die er gegen euch begangen hat; dann will ich zugeben, daß du von Gnade reden darfst!“

Pshaw! Tokvi-Kava, der berühmte Häuptling der Komantschen, hat nichts zu beweisen. Wir haben das Beil des Krieges gegen alle Bleichgesichter ausgegraben und müßten also eigentlich alle, die in unsre Hände fallen, am Marterpfahle sterben lassen. Es ist also ein großes Erbarmen von uns, wenn wir euer Leben nicht verlangen, sondern es euch schenken wollen. Dieses Erbarmen währt aber nur ganz kurze Zeit; es wird verschwunden sein, wenn ich von hier weggegangen und zu meinen Kriegern zurückgekehrt bin. Entschließe dich also schnell! Die Söhne der Komantschen wünschen euer Blut; jetzt werden sie mir gehorchen; sobald sie aber hören, daß meine gütige Rede nicht in eure Ohren gedrungen ist, kann ich sie nicht länger abhalten, euch die Skalpe zu nehmen!“

Er sagte das in so bestimmtem Tone, daß seine Worte die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlten. Majestät sprach, um sich zu vergewissern, die Frage aus:

„Du verlangst also, daß wir uns euch ergeben, und versprichst, falls wir dies thun, unser Leben zu schonen. Hoffentlich ist mit dem Leben auch unsre Freiheit gemeint?“

„Wir schenken euch das Leben, und ihr könnt gehen, wohin ihr wollt,“ versprach der Häuptling, obgleich er gar nicht daran dachte, dieses Versprechen zu halten.

„So sag, was du unter der Forderung verstehst, daß wir uns ergeben sollen!“

„Ihr liefert uns alle eure Waffen ab.“

„Die Pferde etwa auch?“

„Nein. Die Krieger der Komantschen sind so reich an guten Pferden, daß sie die schlechten, die ihr habt, mit Verachtung von sich weisen.“

„Und unser übriges Eigentum?“

Pshaw! Alles, was ihr besitzet, ist für uns so wertlos wie die dürren Grashalme, welche der Wind von dannen trägt. Wir wollen eure Waffen, weiter nichts!“

„Aber dann können wir nicht jagen, um uns zu erhalten, und sind ganz wehrlos gegen Feinde, falls uns solche begegnen!“

„Ihr behaltet ja eure Pferde, und das nächste Fort der Bleichgesichter liegt nicht weit von hier. Ihr könnt es schnell erreichen und dann dort alles, was ihr braucht, bekommen. Jetzt habe ich alles gesagt, was ich zu sagen hatte, um euch das Leben zu erhalten. Ich darf meine Krieger nicht länger warten lassen und werde mich entfernen. Sag also schnell, was du beschlossen hast und zu thun gedenkst!“

Er stand auf und wendete sich ab, als ob er gehen wolle. Das machte die erfahrene und sonst so bedachtsame Majestät ängstlich und die andern Weißen ebenso. Der Mustang wurde aufgefordert, noch einige Augenblicke zu bleiben; der Anführer sammelte die Stimmen seiner Leute, und es ergab sich, daß sie alle ohne Ausnahme in ihrer gegenwärtigen Lage es für geraten hielten, ihr Leben und ihre Freiheit höher anzuschlagen, als den Besitz ihrer Gewehre, welche sie allerdings, wie der Häuptling gesagt hatte, schon im nächsten Fort durch andre ersetzen konnten. Sie glaubten seinen Versicherungen und dachten gar nicht daran, daß er auch nur den Gedanken hegen könne, sie ihrer Waffen nur zu berauben, um sie dann ganz ohne Gefahr hinmorden zu können. Als ihm ihr Entschluß mitgeteilt wurde, blitzte es in seinen Augen auf; er sagte aber in freundlichem Tone:

„Die Bleichgesichter haben sehr klug gewählt; sie mögen ihre Gewehre, Pistolen, Revolver und Messer samt dem Pulver und den Patronen dort in der Nähe des Feuers niederlegen. Wenn wir dann das Feuer kleiner gemacht und diese Sachen geholt haben, werden wir fortreiten, und ihr könnt bleiben oder auch fortgehen, ganz wie es euch gefällt.“

Er war überzeugt, nun gewonnenes Spiel zu haben und triumphierte in seinem Innern. Ebenso überzeugt waren die Weißen, das Beste erwählt zu haben, und sie wären unbedingt und rettungslos verloren gewesen, wenn nicht grade jetzt etwas passiert wäre, wodurch der hinterlistige Plan des Komantschen zu schanden gemacht wurde. Sie hörten nämlich das Geräusch eines herabstürzenden Gegenstandes beinahe gerade über sich, und fast in demselben Augenblicke schlug ein menschlicher Körper in ihrer unmittelbaren Nähe auf den Felsenboden nieder. Das Feuer leuchtete bis an die betreffende Stelle, und so sah man, daß es ein Indianer war.

„Uff, uff!“ rief der Häuptling erschrocken. „Dieser unvorsichtige Mann hat sich zu weit über die Kante des Estrecho gebeugt und ist herabgestürzt! Sein Körper muß –“

Er sprach nicht weiter, denn es krachte neben ihm ein zweiter Indianer zu Boden, dem gleich darauf ein dritter noch folgte. Die Weißen wichen erschrocken zurück; der Mustang aber blieb in höchster Bestürzung stehen; er konnte sich den tödlichen Absturz dieser drei Roten nicht erklären, bis er auf den Gedanken kam:

„Drei sind es, gleich drei! Einer hat das Gleichgewicht verloren und hat die andern beiden, die ihn halten wollten, mit herabgerissen. Wer von da oben herabstürzt, muß tot sein; es kann kein Leben mehr in ihm sein!“

Er bückte sich nieder, um die Verunglückten zu betrachten. Die Weißen traten wieder hinzu und drängten sich zusammen, um dasselbe zu thun. Da rief hinter ihnen eine kräftige, sonore Stimme:

„Macht Platz, Mesch’schurs, macht Platz! Ich habe die drei herabgeworfen, um den vierten, nämlich den Häuptling, zu bekommen!“

Zwei kräftige Arme brachen sich Bahn durch die eng zusammenstehenden Männer, welche den neuen Ankömmling mit dem höchsten Erstaunen betrachteten. Wo kam er her?

Durch das Feuer nicht, und am Felsen herunter wohl auch nicht. Konnte er fliegen? Er war ganz in Leder gekleidet, trug einen sehr breitrandigen Hut auf dem Kopfe und lange Stiefel an den Beinen, während zwei Gewehre über dem Rücken hingen.

Der Häuptling hatte die Worte des Fremden auch gehört, und fuhr beim Klange dieser Stimme ganz erschrocken aus seiner niedergebückten Haltung auf. Er sah ihn vor sich, wich einen Schritt zurück und rief in einem Tone, als ob er ein Gespenst vor sich sehe:

„Old Shatterhand! Uff – – uff – – uff ! Es – ist – – wirklich – – Old Shatterhand!“

„Ja, ich bin es,“ antwortete dieser. „Wie es scheint, komme ich grade zur richtigen Zeit, um einen deiner neuen Schurkenstreiche zu verhüten.“

Der Mustang war so bestürzt, daß er sich vor Angst nicht schnell genug fassen konnte; er stotterte:

„Das – – das ist – – unmöglich! Old Shatterhand – – mußte doch auf – – auf einem andern – – andern Wege nach – – nach Santa Fé – – –“

Pshaw!“ unterbrach ihn der so plötzlich und auf so unbegreifliche Weise erschienene Jäger lachend. „Zerbrich dir nicht den Kopf, alter Raubgeselle! Es ist mir natürlich nicht eingefallen, so zu reiten, wie du es wünschtest. Und wenn du nicht willst, daß ich dich immer wieder störe, so dürft ihr nicht Spuren hinterlassen, in deren Stapfen man Fischzüchtereien anlegen könnte. Ah, warte, Bursche! Darauf bin ich vorbereitet, aber mir entkommst du nicht!“

Der Häuptling hatte jedoch seine Selbstbeherrschung wieder erlangt und that einige Sprünge, um in der Richtung nach dem Feuer zu entfliehen; aber Old Shatterhand war noch rascher hinter ihm her, faßte ihn im Genick, riß ihn nieder und gab ihm zwei so kräftige Faustschläge an den Kopf, daß der Fluchtbereite besinnungslos hinkollerte. Dann wendete er sich an die noch immer in ihrem Erstaunen verharrenden Weißen:

Good evening, Gentlemen! Hoffentlich nehmt ihr es nicht übel, daß ich in die freundschaftliche Unterhaltung zwischen euch und diesem Häuptling der Komantschen so ohne alle Erlaubnis hineingeflogen bin?“

„Übel nehmen?“ antwortete der Anführer. „Fällt uns nicht im Traume ein! Ich bin noch ganz starr vor Staunen, Sir. Aber es ist richtig, Ihr seid Old Shatterhand, richtig und wirklich Old Shatterhand!“

„Es scheint also, daß ihr mich kennt?“

Yes! Habe Euch vor zwei Jahren da oben in Spotted Tail Agency gesehen, wo ein Häuptling der Crows glaubte, er könne besser reiten als Ihr; er verlor natürlich die Wette und mußte fünfzig Biberfelle zahlen, die er aber am andern Tage von Euch zurückgeschenkt bekam. Er war dann natürlich Eures Lobes voll.“

„Mit der Wette, das stimmt, und auch die Zeit ist richtig; ich erinnere mich aber nicht, euch dort gesehen zu haben.“

„Das läßt sich denken, Sir. So ein kleiner Westskipper, wie ich bin, hat nicht das Zeug dazu, die Augen eines Old Shatterhand oder Winnetou auf sich zu ziehen.“

Pshaw! Jeder Mensch hat seinen Wert. Darf ich Euren Namen hören?“

„Mein Name ist Euch jedenfalls ganz unbekannt; er kommt mir selbst so selten zu Ohren, daß ich ihn beinahe vergessen habe. Man pflegt mich nur Majestät zu nennen.“

„Ah, Majestät! Wenn Ihr das seid, so habe ich von Euch gehört. Ihr sollt ein ganz sattelfester und fährtengerechter Westmann sein, und so wundert es mich um so mehr, daß Ihr Euch von dem Mustang und seinem Enkel so ahnungslos habt hinter das Licht führen lassen.“

„Von seinem Enkel?“

„Ja.“

„Kenne ich gar nicht!“

„Ihr kennt ihn nur zu gut. Der Mestize, der Euch hierhergeführt hat, ist der Sohn eines Weißen, dessen Squaw die Tochter des Mustang war.“

Heavens! Da beginne ich allerdings die Sache zu begreifen. Aber, Sir, woher wißt Ihr, daß uns dieser Halunke hierhergeführt hat?“

„Seine Fährte und Eure Spuren haben es mir gesagt. Ihr seid von ihm und dem Häuptlinge an Eurem Lagerplatze belauscht worden.“

„Wirklich? Ist es so, ist es so! Und wir dummen Menschen haben das nicht bemerkt! Wir waren eben dabei, den Komantschen unsre Waffen auszuliefern.“

„Die Waffen? Welch großartige Thorheit von Euch!“

„Gar keine Thorheit von uns, Sir! Wir waren dazu gezwungen, wenn wir unser Leben retten wollten.“

„Euer Leben dadurch retten? Wieso?“

„Wir sollten eigentlich getötet werden; aber der Häuptling versprach uns gegen Auslieferung der Waffen nicht nur das Leben, sondern auch die Freiheit.“

„Und das habt Ihr ihm geglaubt?“

„Natürlich!“

„Natürlich, sagt Ihr? Hört, die Sache ist nicht so ganz natürlich, wie Ihr anzunehmen scheint. Er hat nicht die Absicht gehabt, sein Versprechen zu erfüllen, sondern Euch nur waffenlos machen wollen, um Euch dann in aller Gemächlichkeit töten zu können.“

Tempestad! Das glaubt Ihr?“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon. Mir scheint, daß Ihr die Hauptsache gar nicht wißt. Wie viel Komantschen glaubt Ihr wohl, hier gegen Euch zu haben?“

„Dreihundert.“

„Es sind nur hundert, und diesen haben wir die Waffen, die Pferde und die Medizinen abgenommen. Infolgedessen wurden sie aus dem Stamme gestoßen und ziehen nun herum, sich Waffen und Skalpe zu holen. Beides wollten sie Euch nehmen und Eure Pferde dazu. Diese hundert Mann haben kaum ein halbes Dutzend Flinten und Messer bei sich; Pferde haben sie gar nur zwei.“

„Alle Teufel! Da hätten wir sie ja in Grund und Boden schießen können!“

„Allerdings. Das könnt Ihr übrigens noch thun.“

„Das dürfen wir nicht. Wir haben Frieden versprochen und ferner, daß wir den Häuptling nicht anrühren werden.“

Pshaw! Haltet Euer Wort; ich will nichts dagegen haben, obgleich er Euch das seinige gewiß nicht gehalten hätte. Aber ich habe ihm nichts versprochen und darf ihn also anrühren; ich habe das auch schon zur Genüge gethan, wie Ihr seht. Er wird bald wieder zum Bewußtsein kommen, darum wollen wir ihn jetzt fesseln, damit er dann keine Dummheiten machen kann.“

„Was werdet Ihr nachher mit ihm thun, Sir?“

„Hm! Mir speziell hat er jetzt nichts gethan, und auch Euch ist noch nichts geschehen; sein Leben gehört also weder Euch noch mir; wir müssen ihn also laufen lassen; aber ohne ein Andenken sollte das nicht geschehen.“

Well! Er soll eines bekommen, an das er denken wird; nur werden wir ihn vorher ins Gebet nehmen. Ein Verhör muß nach dem Gesetze der Savanne auf alle Fälle stattfinden. Aber, Mister Shatterhand, ich bin noch immer nicht aus dem Staunen heraus, Euch hier zu sehen. Wie seid Ihr denn hierhergekommen?“

„Auf die einfachste Weise von der Welt. Wie wir mit dem Mustang zusammengetroffen sind, werdet Ihr noch erfahren; daß wir den Komantschen dabei die Waffen, die Pferde und die Skalpe abgenommen haben, wißt Ihr schon. Sie hatten erfahren, daß wir nach Santa F8 wollten; darum stand zu erwarten, daß sie uns auf diesem Weg auflauern würden, um sich zu rächen; mithin schauten wir fleißig nach ihrer Fährte aus.“

„Die konntet Ihr doch nicht sehen!“

„Warum nicht?“

„Weil sie nicht vor, sondern hinter Euch waren, denn Ihr hattet Pferde, sie aber besaßen keine mehr.“

„Ihr rechnet falsch. Grade weil sie keine Pferde hatten, konnten sie direkt über die Berge wandern, während wir zu Umwegen gezwungen waren; so kamen sie uns voraus. Wir fanden ihre Spuren an einem Wasser, wo sie einen Bisonstier, zwei Kühe und zwei Kälber erlegt hatten, und folgten ihnen.

Heute früh erreichten wir ihren gestrigen Lagerplatz und sahen da auch den Eurigen und daß Ihr beschlichen worden waret. Natürlich folgten wir ihnen wieder und kamen hier grade an, als das Feuer angebrannt wurde, welches Euch den Ausgang aus dem Estrecho verwehren sollte. Wir teilten uns, um die Bande zu umzingeln – – –“

Halloo! So habt Ihr wohl eine Gesellschaft von sehr vielen Köpfen bei Euch?“

„Nein. Wir sind nur sechs Mann.“

„Sechs Mann? Wenn Ihr nicht Old Shatterhand hießet, so würde ich Euch für verrückt halten. Sechs Mann wollen hundert Komantschen umzingeln!“

„Warum nicht? Diese hundert Mann haben fast gar keine Waffen, während ich allein in meinem Bärentöter, dem Henrystutzen und den beiden Revolvern neununddreißig Kugeln habe. Und sodann ist Einer bei uns, der mehr wert ist als hundert Komantschen.“

„Wer ist das?“

„Winnetou.“

„Was? Der Häuptling der Apatschen ist auch da? Gott sei Dank! Da haben wir nichts, aber auch gar nichts mehr zu fürchten! Ohne Euch wären wir verloren gewesen; Ihr habt uns das Leben gerettet. Das werden wir Euch nie, nie vergessen, Sir!“

„Ist nicht der Rede wert! Also wir teilten uns, die Komantschen zu umzingeln. Dabei wurde ein Gefährte von Euch von mir niedergeschlagen; er nennt sich Hum und war vor Eifer, Euch zu retten, so unvorsichtig, uns keine Auskunft geben zu wollen, weshalb ich ihn als Feind behandeln mußte.“

„Der gute Mensch! Wir haben ihn schlecht behandelt, und dafür wollte er uns retten! Er ist klüger als wir gewesen und auch besser!“

„Das ist freilich wahr. Ich habe ihn auch schnell wieder freigegeben. Dann schlichen wir uns auf den Felsen, um in den Estrecho hinabsehen zu können. Droben hatten sich Komantschen aufgestellt, die Euch aber nichts schaden konnten, weil sie keine Waffen hatten. Gegen das Feuer blickend, sah ich Euch in Unterhandlung mit dem Häuptlinge und bemerkte auch einen Felsenvorsprung, den ich benutzen konnte, zu Euch herabzukommen. Wir banden drei Lassos zusammen, welche bis zu diesem Vorsprunge reichten. Eben als ich hinabgelassen werden sollte, kamen drei Komantschen, welche sich grade da aufstellen wollten, wo wir standen. Ein Ruf von ihnen hätte uns verraten; ich töte höchst ungern einen Menschen; hier aber gab es keine Wahl; die Burschen bekamen meine Faust und stürzten da zu Euch herab; dann folgte ich an den Lassos bis zu dem Vorsprunge nach, wo ich die Riemen wieder befestigen und mich vollends herablassen konnte. So bin ich zu Euch gekommen. Ihr seid gerettet, denn meine Gefährten stehen draußen hinter und vor den Komantschen; sie befinden sich im Dunkeln, während die Roten vom Feuer beschienen sind. Ich brauche nur das verabredete Zeichen zu geben, so krachen ihre Schüsse. Ach, seht, der Häuptling regt sich! Er wird gleich wieder zu sich kommen, und dann werden wir hören, wie er über seine gegenwärtige Lage denkt.“

Der Häuptling wachte auf und wurde von Old Shatterhand ins Verhör genommen. Er gestand nicht zu, den Weißen nach dem Leben getrachtet zu haben, und da ihm nichts bewiesen werden konnte, durfte er auch nicht am Leben gestraft werden. Als er hörte, daß Winnetou mit noch fünf Mann, denn Hum war auch dabei, bereit zum Angriffe draußen stand, bekam er Angst und versprach, mit seinen Komantschen augenblicklich fortzuziehen, wenn man nicht auf sie schießen wolle. Dies wurde zugestanden. Majestät aber hatte sich vorgenommen, ihm einen Denkzettel mitzugeben, und war der Meinung, daß auch der verräterische Mestize einen verdient habe. Der Häuptling wurde also angewiesen, seinen Enkel zu rufen, angeblich damit dieser als Zeuge an dem Abschlusse des Übereinkommens Teil nehme. Er ahnte den eigentlichen Grund nicht und rief den Mestizen, der auch wirklich so schamlos war, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er wurde sofort gefesselt wie Tokvi-Kava, und dann bekamen beide das ihnen zudiktierte Andenken, welches in soviel Hieben bestand, daß sie dann, als sie losgelassen wurden, mit nur sehr langsamen Schritten zu ihren Komantschen zurückkehren konnten. Wenn man bedenkt, wie fürchterlich es für einen roten Krieger ist, geprügelt zu werden, so kann man sich denken, mit was für glühenden Rachegedanken sie sich aus dem Estrecho entfernten. Schon kurze Zeit später überzeugten sich die Weißen, daß die Indianer in einer langgezogenen Einzellinie sich von dannen machten.

Nun schürten die ersteren das von den letzteren angezündete Feuer fort, an dem sie sich niedersetzten, um das Ereignis dieses Tages gründlich durchzusprechen. Als Majestät dabei die Bonanza of Hoaka erwähnte, fragte ihn Old Shatterhand:

„So war es also nicht auf den Estrecho, sondern auf diese Bonanza abgesehen?“

Yes, Sir. Die Bonanza sollte eben hier in dem Estrecho zu finden sein.“

„So!“ lächelte der Jäger. „Kennt Ihr die Bedeutung dieses Namens?“

„Nein. Es gibt überhaupt keinen Menschen, der das weiß.“

„Es gibt doch welche. Winnetou weiß es, und auch ich kann es Euch sagen.“

„So wißt Ihr etwa gar, wo die Bonanza liegt?“ fragte er schnell und eifrig.

„Ja.“

„So sagt rasch, wo, wo?“

„Sehr gern! Hoaka ist ein Wort aus der Acomasprache und bedeutet soviel wie Himmel. Bonanza of Hoaka heißt also Bonanza des Himmels. Während die golddurstigen Bleichgesichter hier überall herumstöberten, um das gleißende Metall zu finden, und dabei meist zu Grunde gingen, predigten die alten Padres von den wahren Schätzen, die nur im Himmel zu suchen sind. Dadurch hat sich der Ausdruck Bonanza of Hoaka herausgebildet; er lebt in der Sage; er spukt in den Köpfen der Diggers und Gambusinos, und er hat sogar, wie ich höre, Besitz von Euren Köpfen ergriffen, Mesch’schurs.“

„So, also so ist die Sache!“ meinte Majestät höchst enttäuscht. „Also einer Illusion, einer alten Sage wegen haben wir uns dem Martertode nahe gebracht! Da wollte ich doch, wir hätten diesen beiden Schurken, die sich das zu nutze gemacht haben, jedem fünfzig mehr aufgezählt, als sie vorhin erhalten haben!“

„Tröstet Euch! Sie haben genug bekommen und werden es lange fühlen und gewiß niemals vergessen. Niemand würde sich so freuen wie Mister Swan, der Engineer von Rocky-ground, wenn er hörte, daß der Mestize und sogar auch der Häuptling die Strafe wohlgezählt erhalten haben, die er dem Mischling dort zugedacht hatte.“

„Das is freilich wahr, daß der große Freede haben würde,“ stimmte der Hobble Frank bei, die Gelegenheit ergreifend, das Gespräch mit seinem Senf zu würzen. „Ich schtimme zwar eegentlich nich für die Prügelschtrafe, denn erschtens berührt sie denjenigen, der een sanftes Gemüt besitzt, nich angenehm, und zweetens verletzt sie nich nur die Schtelle off welche sie offgetragen und zentralisiert wird, sondern sie tötet ooch das Ehrgefühl derjenigen Persönlichkeeten, die gar keen Ehrgefühl mehr besitzen und schtört die Säfte des Körpers und des Geistes aus ihrer tiefsten Bedürfnislosigkeit und Ruhe auf. Aber es gibt gewisse Subjektivitäten, die ohne Prügel nicht gut leben können, und wenn bei eenem Menschen, wie grade bei den Indianern, die Haut schon von Natur eene angenehme rote Farbe hat, so kann es nach meiner Überzeugung gar nischt schaden, wenn sie nach eenigen Dutzend Heben noch een bißchen röter wird. Also ich schtimme eegentlich nich dafür, aber ich reiße mir ooch den Kopp nich runter, wenn sie mal in Anwendung kommen; nur darfs bei mir nich selber sein, denn was dem eenen recht is, das kann sich der andre ooch ganz billig koofen, und es gibt grade bei der Prügelschtrafe Oogenblicke, wo mir selbst das Teuerste zu billig und das Billigste zu teuer ist; quod erat Dämon schtratus!“

Der lange Hum kannte den Kleinen und seine Eigentümlichkeiten noch nicht; er hielt es darum für angezeigt, den kuriosen Fehler des Hobble zu verbessern und sagte also:

„Verzeiht, Mr. Frank! Es heißt nicht Dämon stratus, sondern demonstrandum.“

Da blitzte ihn der Moritzburger mit zornigen Augen an und antwortete mit fauchender Stimme:

„So? So? I, was Sie da nich sagen! Heernse, mein Gutester, wissen Sie vielleicht, wie ich heeße?“

„Ja. Sie haben es mir doch gesagt. Ihr Name ist Franke.“

„Franke? Bloß Franke? Nur Franke? Da muß ich Ihnen doch den Schtaar mal schtechen! Ich bin nämlich geboren und getooft als Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, Prairiejäger aus Moritzburg. Verschtanden? Wer so eenen ambulanten Namen trägt, dem ist natürlich die ganze lateinische Kalligraphie geläufig, und wem es einfallen sollte, dies zu bezweifeln, der verdient gradezu offgehängt zu werden. Darum wäre es noch viel besser für Sie gewesen, wenn Sie Ihr demonschtrandum für sich behalten hätten, denn Sie sind damit in eene ganz unschterbliche Blamage hineingeraten. Ich wiederhole noch eenmal, wer so eenen großartigen Namen trägt, wie der meinige is, der is gegen jeden Hefenpilz geschwefelt. Nun sagen Sie mir doch eenmal den Ihrigen!“

„Ich heiße Hum.“

„Hum? Hum! Das is ja gar keen Name. Sie müssen doch anders heeßen!“

„Allerdings.“

„Na, wie denn da?“

„Ich spreche nicht gern von meinem Namen.“

„Warum?“

„Weil er, offen gestanden, mein Schönheitsgefühl beleidigt.“

„Ach, sehen Sie doch mal an! Da also schtecken die Borschdorfer Äpfel im Gänsebraten! Sie haben eenen Namen, der das Schönheitsgefühl assimiliert! Und da wagen Sie es, eenen Heliogabalus Morpheus Edeward verbessern zu wollen? Ich bin wahrhaftig im Schtande und gebe Ihnen Ihr ganzes Schulgeld zurück! Ihr Name scheint ja noch viel schrecklicher zu klingen als die Schtandesamtsnotiz von David Makkabäus Timpe!“

Beim Klange dieses Namens horchte der lange Hum auf und fragte rasch:

„Timpe? Wie kommen Sie zu diesem Namen?“

„Ich? Ich komme gar nich dazu; er is nich der meine. Ich wollte mich ooch bedanken! Wenn ich Timpe hieße, so schpräng ich da ins Meer, wo das Wasser am dicksten is!“

„Aber Sie haben vielleicht jemand gekannt, der Timpe hieß?“

„Ja; ich habe allerdings zwee solche bedauernswerte Personen gekannt; ich kenne sie sogar noch.“

„Drüben in Ihrem Vaterlande?“

„Nee. Durch den Namen Timpe wäre mir ja das ganze deutsche Vaterland verleidet und kalfatert worden. Nee, hier in Amerika habe ich sie kennen gelernt.“

„Wo?“

„In Rocky-ground.“

„Wohnen sie etwa dort?“

„Nee, sie wohnen jetzt hier am Estrecho de Cuarzo, und wenn Sie sie sehen wollen, so is es gar nich notwendig, daß Sie Ihr Fernrohr aus der Säbelscheide ziehen, wenn Sie nämlich eens haben sollten. Sie brauchen sich nur die beeden Jünglinge anzusehen, da den kastanienbraunen Has und dort den semmelblonden Kas; die sind schon seit langer Zeit ganz hoffnungslos mit dem unheilvollen Namen Timpe behaftet.“

„Wirklich? Sie, Sie heißen Timpe?“ fragte Hum, indem er sich an die beiden Vettern wendete.

„Ja,“ antwortete Kas. „Ich heiße Kasimir Obadja Timpe, und dort mein Vetter nennt sich Hasael Benjamin Timpe.“

„Wo sind Sie geboren?“

„In Plauen im sächsischen Voigtlande. Sie scheinen sich für unsern Namen zu interessieren?“

„Allerdings.“

„Weshalb? Haben Sie etwa jemand gekannt, der auch so heißt wie wir?“

„Ja.“

„Wo? Bitte, sagen Sie es uns? Es ist uns das nämlich von großer Wichtigkeit.“

„Gern, sehr gern! Aber sagen Sie mir vorher, aus welchem Grunde Sie Ihr schönes Sachsen verließen?“

„Wir haben nicht nötig, es zu verschweigen. Wir suchen hier nach einer Erbschaft, um welche wir betrogen worden sind.“

„Betrogen? Wieso? Von wem?“

Es war Hum anzusehen, daß der Gegenstand dieses Gespräches seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Kas antwortete:

„Ein Vetter ist uns damit durchgebrannt. Er hieß Nahum Samuel Timpe und soll jetzt in Santa F& stecken. Darum sind wir jetzt nach dieser Stadt unterwegs, um den Betrüger zu entlarven.“

All devils! Von wem soll denn diese Erbschaft stammen?“

„Von unserm Oheim Joseph Habakuk Timpe, welcher kinderlos in Fayette gestorben ist.“

„Meine Herren, das ist mir wirklich sehr, sehr interessant. Sagen Sie mir nur noch, woher Sie wissen, daß dieser Onkel ein Vermögen hinterlassen hat!“

„Von meinen Vettern Petrus Micha Timpe und Markus Absalom Timpe in Plauen, welche grade hunderttausend Thaler erhalten haben.“

„Und da sind Sie herüber, um sich auch Ihren Teil zu holen?“

„Ja. Erst habe ich wiederholt geschrieben, ohne aber Antwort zu erhalten, und so machte ich mich dann auf, um den Betrüger zu fassen, der mit der ganzen Summe durchgebrannt ist.“

Da ließ Hum ein schallendes Gelächter hören und rief in verschiedenen Pausen dazwischen:

„Und deshalb wollen Sie nach Santa Fé Das ist gar nicht notwendig. Sie können ihn hier fangen, hier am Estrecho, wo Sie sitzen!“

„Was? Wie? Sie scherzen! Sie machen sich lustig über uns!“ fragten Kas und Has schnell durcheinander.

„Es ist mein völliger Ernst, obgleich ich lache. Merken Sie denn noch immer nichts? Sie haben Ihre Vornamen Kasimir und Hasael in Kas und Has abgekürzt; ich sprach von meinem nicht schön klingenden Namen und werde Hum genannt. Das ist die Abkürzung von Nahum. Mein Name ist nämlich Nahum Samuel Timpe, und ich bin der betrügerische Vetter, den Sie suchen. Nun greifen Sie rasch zu!“

Has und Kas waren zunächst sprachlos vor Erstaunen; der stets redefertige Hobble-Frank aber rief begeistert aus –

„Jetzt haben wir ihn! jetzt is uns der richtige Kriminal Timpe in das Garn geloofen! Wenn er nich sofort das ganze Geld berappt, hängen wir ihn off wie eene Fledermaus, nämlich mit dem Koppe abwärts nach dem Innern der Mutter Erde gerichtet. Es is doch wahr: Der Hochmut kommt schtets vor dem Fall. Jetzt wird er von der Polizei in sein eegenes Demonschtrandum eingeschponnen!“

Nun sprangen Kas und Has auf, um mit Fragen, Vorwürfen und Drohungen auf Hum einzustürmen. Dieser hörte aber gar nicht darauf, sondern zog ein sorgfältig verwahrtes Papierpaket aus der Tasche, entnahm demselben einen Brief und reichte ihnen den letzteren, dabei immer lachend, mit den Worten hin:

„Diese jetzt wertlosen Papiere, die mich aber viel Geld gekostet haben, sind die ganze Hinterlassenschaft des Onkels Joseph Habakuk. Sie sollen sie alle sehen und prüfen; jetzt aber lesen Sie zunächst einmal dieses Schreiben, welches der verwüstliche Erblasser damals aus Plauen erhalten hat! Es kam kurz vor seinem Tode an, und ich habe es geerbt. Es ist das einzige Erbstück, welches ich nicht mit meinem Vermögen zu bezahlen gehabt habe. Sie können es behalten.“

Die Beiden fielen begierig über den Brief her; sie lasen ihn zu gleicher Zeit; aber je weiter sie darin kamen, desto länger wurden ihre Gesichter, und als sie fertig waren, ließen sie ihn fallen und sahen Hum aus tief enttäuschten Gesichtern an.

„Nun, bin ich ein Betrüger?“ fragte Hum. „Der Oheim hat mich selbst um mein ganzes Erbe betrogen, und Ihre Vettern haben sich einen Spaß mit Ihnen gemacht, weil die Timpes in Plauen mit den Timpes in Hof verfeindet waren. Die in Plauen hatten das Glück, hunderttausend Thaler in der Lotterie zu gewinnen, und machten Iren Verwandten in Hof weiß, sie hätten diese Summe von Onkel Joseph Habakuk geerbt. Sie schrieben dem Onkel kurz vor seinem Tode diesen Brief darüber, in dem sie sich über Euch lustig machten, und so lebhaft diese Sache ist, es thut mir doch herzlich leid, daß sie so weit getrieben wurde, bis sie uns hier im wilden Westen zusammenführte. Wenn Ihr mich nun noch arretieren wollt, so stehe ich Euch gern zur Verfügung!“

Obgleich der Brief den unumstößlichen Beweis der Unschuld Nahums führte, bedurfte es doch einer ganzen Weile, bis Kas und Has sich in die neue Anschauung der Sache fanden. Es wurde ihnen nicht leicht, auf die Hoffnung, doch noch zu ihrem Erbe zu gelangen, nun gänzlich zu verzichten. Da stand er endlich auf und streckte ihnen beide Hände entgegen und sagte:

„Laßt es Euch doch nicht grämen! Ihr bekommt ein nur eingebildetes Vermögen nicht; ich aber habe durch Joseph Habakuk ein wirkliches Vermögen verloren, welches mein Vater mir hinterlassen hätte, wenn er nicht von seinem Bruder betrogen worden wäre. Habe ich mich dreinfinden müssen, so wird es wohl auch Euch möglich sein, einer Hoffnung zu entsagen, die überhaupt ja doch ganz unbegründet war. Ihr habt dafür anstatt eines betrügerischen Verwandten einen ehrlichen Vetter gefunden, der sich riesig darüber freut, mit Euch hier zusammengetroffen zu sein, und gern bereit ist, alles Heil und Unheil des Lebens mit Euch zu teilen. Und das ist, denke ich, doch wohl auch etwas wert!“

Das griff dem kleinen Hobble tief in die Seele. Er, der soeben noch davon gesprochen hatte, daß Hum verkehrt aufgehängt werden solle, rief jetzt begeistert aus:

„Was schtehen Sie denn da wie zwee gebackene Pflaumen vor der Küchenthür! Dieser liebe und vortreffliche Hum hat mir ganz aus der Leber und aus der Milz geschprochen. Es gibt nischt Besseres in der Welt als ein Vetter, den man hochachten und konjugieren kann; ich habe diese Erfahrung hier an meinem Vetter Droll gemacht. So eene Verwandtschaft des Leibes und des Geistes is köstlicher als Levkojen und Narzissen; sie schtählt die Nerven und schtärkt die Knochen des blutsverwandten Seelenadels. Schperren Sie sich also nich so lange gegen den glücklichen Konsumverein der Freundschaftlichkeet, sondern schlingen Sie die Hände kräftig ineinander, und lassen Sie mich den erschten Schritt der Versöhnung thun, indem ich Ihnen aus Wielands Fridolins Gang nach der Bürgschaft zurufe:

„Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Vierte!“

Die Verwechslung, deren Frank sich schuldig machte, erregte allgemeine Heiterkeit. Kas und Has mußten in das Lachen der andern einstimmen und griffen endlich nach Hums Händen, wobei der erstere sagte: „Du hast recht, Vetter; es gibt für uns keinen Grund, dir länger zu zürnen, und das Geld hätte uns ja vielleicht auch nicht glücklich gemacht. Wir stehen ja hier an der Bonanza of Hoaka, aus deren Namen wir lernen sollen, daß es andre Schätze gibt, nach denen man zu trachten hat. Wir wollen fortan gut zusammenhalten, so gut, daß man, um eine treue Freundschaft zu bezeichnen, einst sagen wird: Grad wie bei Timpes Erben!“

„Ja, wie bei Timpes Erben!“ stimmte der Hobble bei. „Ich habe zwar diesem Namen bis jetzt keinen infulsorischen Beigeschmack abgewinnen können, aber was kein Verschtand der Verschtändigen sieht, das merkt der Rheumatiker, wenn es zieht. So sage ich denn meiner bisherigen Abneigung Lebewohl, und da Sie sich durch lauter abgekürzte Namen auszeichnen, so werde ich, als Vierter im Bunde, diesem Beispiele folgen und ooch zwee Silben schtreichen. Sagen Sie also in Zukunft nur Heliogabalus Morpheus Edeward zu mir; das Franke können Sie weglassen; der Erdkreis weeß es dennoch ganz genau, daß man den weltberühmten Frank darunter zu verschtehen hat. Ich habe geschprochen. Howgh!“ – –

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Im Firwood Camp

Im Firwood-Camp

Ein schwerer Sturm peitschte den dichtströmenden Regen gegen die sich vor ihm beugenden Tannenwipfel des Hochwaldes; fingerstarke Wasserfäden flossen an den Riesenstämmen nieder und vereinigten sich an den Wurzeln zu erst kleinen, nach und nach aber immer größer werdenden Bächen, welche in zahllosen Wasserfällen von Fels zu Fels in die Tiefe stürzten, um unten in dem engen Thale von dem hochaufgeschwollenen Flusse aufgenommen zu werden. Es war Nacht geworden; von Minute zu Minute rollte ein zürnender Donner über die Tiefe hin, doch, so hell und grell der Blitz jedesmal dabei leuchtete, fiel der Regen so „korpulent“ herab, wie der Westmann sich auszudrücken pflegt, daß man trotzdem kaum fünf Schritte weit zu sehen vermochte.

Der rasende Sturm traf oben den Hochwald und die Felsenklippen; seine Macht jedoch reichte nicht bis in die Tiefe, wo die Riesentannen im nächtlichen Dunkel unbeweglich standen, aber es war da auch nicht still, denn die Wasser des Flusses rauschten und brausten so erregt zwischen den Ufern dahin, daß nur ein ungemein scharfes Ohr es hören konnte, daß zwei einsame Reiter flußabwärts geritten kamen; zu sehen waren sie nicht.

Wäre es Tag und hell gewesen, so hätten sie gewiß den verwunderten Blick eines jeden Begegnenden auf sich gezogen, und zwar nicht etwa infolge ihrer Kleidung und Ausrüstung, sondern weil beide von einer wahrhaft angsterregenden Länge waren. Man hätte jahrzehntelang in allen Ländern der Erde suchen können, um zwei so gleichlange und gleichdürre Menschen zu finden.

Der eine war semmelblond und hatte einen bei seiner Höhe geradezu lächerlich kleinen Kopf. Mitten unter zwei gutmütigen Mäuseäuglein saß ein winziges, aufwärts gerichtetes Stumpfnäschen, welches viel besser in das Gesicht eines vierjährigen Kindes gepaßt hätte und in gar keinem Verhältnis zu dem ungeheuer breiten Munde stand, welcher sich fast von dem einen Ohre bis zu dem andern zog. Einen Bart hatte der Mann nicht, und dieser Mangel schien ein angeborener zu sein, denn über dieses frauenglatte Gesicht war gewiß noch nie ein Schermesser gegangen. Er trug ein ledernes Wams, welches ihm wie ein kurzer Mantel faltenreich von den schmalen Schultern hing, dazu enge Lederhosen, welche seine Storchbeine fest umschlossen, halbhohe Schaftstiefel und einen Strohhut, dessen Krempe traurig herabhing und den aufgefangenen Regen in ununterbrochenen Fäden rund um ihn niederströmen ließ. Auf seinem Rücken hing, die Mündung nach unten gerichtet, ein Doppelgewehr. Das Pferd, welches er ritt, war ein kräftiger, starkknochiger Klepper, der gewiß schon fünfzehn Sommer hinter sich hatte, aber alle Lust zu besitzen schien, noch weitere fünfzehn ebenso rüstig zu erleben.

Der andre Reiter hatte dunkles Haar, auf welchem eine uralte Pelzmütze saß, ein sehr schmales und sehr langes Gesicht, und ebenso sehr schmal und sehr lang waren auch die Nase, der Mund und der fadenartige Schnurrbart, dessen Spitzen fast hinter den Ohren zusammengebunden werden konnten. Seine weit über zwei Meter lange Gestalt war, umgekehrt zu seinem Gefährten, oben eng und unten weit bekleidet, denn während er eine sehr weite, faltenreiche Hose trug, deren Enden in rindsledernen Halbstiefeln steckten, umschloß seinen Oberkörper eine lange Filzjacke so eng, als ob sie ihm angegossen worden sei. Auch er hatte ein Doppelgewehr. Daß beide außerdem noch Messer und Revolver besaßen, war ganz selbstverständlich. Er saß auf einem zuverlässigen Mustang, dessen Wiegenfest sich wenigstens ebenso oft wiederholt hatte wie dasjenige des andern Pferdes.

Die beiden Reiter kümmerten sich weder um den Weg noch um den strömenden Regen. Den ersteren zu suchen und zu finden, das überließen sie ihren scharfsinnigen und erfahrenen Pferden, und aus dem letzteren machten sie sich aus dem Grunde nichts, weil er ihnen doch nicht tiefer als bis auf die Haut gehen konnte und dann unten ablaufen mußte.

Sie unterhielten sich trotz des unaufhörlichen Donnerns und Blitzens und trotz der gefährlichen Nähe des an seinen Ufern wühlenden und zerrenden Flusses so unbefangen miteinander, als ob sie im hellen Sonnenschein über eine offene Prairie ritten. Aber wer sie hätte sehen können, dem wäre wohl aufgefallen, daß sie einander trotz der Dunkelheit sehr aufmerksam beobachteten, denn sie kannten sich erst seit einer Stunde, und im wilden Westen ist ein anfängliches Mißtrauen stets an seinem Platze. Sie hatten sich kurz vor Einbruch der Nacht und dem Beginn des Gewitters oben am Flusse getroffen und da erfahren, daß sie beide heut noch nach dem Firwood-Camp wollten, und es war wohl selbstverständlich gewesen, daß sie nicht einzeln, sondern miteinander ritten.

Nach ihren Namen und Verhältnissen hatten sie sich nicht gefragt, und ihre Unterhaltung war bisher so allgemein gewesen, daß sie Persönliches nicht berührten. Jetzt ertönte ein mehrfacher, krachender Donnerschlag, und wiederholte Blitze zuckten blendend über die enge Tiefe hin. Da meinte der blonde Stumpfnäsige: „Bless my soul! Ist das ein Gewitter! Grad wie daheim bei Timpes Erben!“

Der andre hielt bei den beiden letzten Worten unwillkürlich sein Pferd an und öffnete bereits den Mund, um eine schnelle Frage auszusprechen, besann sich aber eines andern und schwieg, indem er sein Pferd weiter trieb. Er erinnerte sich daran, daß man westlich vom Mississippi nicht unvorsichtig sein dürfe.

Die Unterhaltung wurde fortgesetzt, natürlich ziemlich einsilbig, wie es die Örtlichkeit und Lage mit sich brachte. Es verging eine Viertelstunde und noch eine. Da machte der Fluß eine scharfe Biegung nach der Seite, auf welcher sich die beiden Reiter befanden; er hatte das hier erdige Ufer unterwaschen; das Pferd des Blonden konnte nicht schnell genug wenden, es geriet auf die haltlose Scholle und brach ein, glücklicherweise nicht tief; der Reiter riß es empor und herum, gab ihm die Sporen und war mit einem kühnen Satz wieder auf festem Boden.

Good god!“ rief er dann aus. „Ich bin schon naß genug vom Regen, wozu also noch ein solches Bad? Hier konnte ich ertrinken! Beinahe so wie damals bei Timpes Erben!“

Er nahm sichere Entfernung von dem Flusse und ritt dann weiter. Sein Gefährte folgte ihm eine Weile schweigend und fragte dann:

„Timpes Erben? Was ist das für ein Name, Sir?“

„Wißt Ihr das nicht?“ lautete die Antwort.

„Nein.“

„Hm! Sonderbar! Alle meine Bekannten und Freunde wissen es!“

„Ihr vergeßt, daß wir uns vor wenig über einer Stunde zum erstenmal gesehen haben.“

„Richtig! Da könnt Ihr freilich noch nicht wissen, wer Timpes Erben sind. Ihr werdet es aber vielleicht erfahren.“

„Vielleicht?“

„Ja.“

„Wann?“

„Wenn wir länger beisammen bleiben.“

„Wenn ich es nun jetzt erfahren möchte, Sir?“

„Jetzt? Warum?“

„Weil ich Timpe heiße.“

„Was? Wie? Ihr heißt Timpe? Timpe ist Euer Name?“

„Ja.“

„Wirklich? Ist das wahr?“

„Warum sollte ich mir diesen Namen beilegen, wenn er nicht der meinige wäre?“

Wonderful! Ich suche nach Timpe seit langen Jahren, überall, auf allen Bergen und in allen Thälern, im Osten und im Westen, bei Tag und bei Nacht, bei Sonnenschein und bei Regen, und nun, da ich es längst aufgegeben habe, ihn zu finden, da reitet er hier in diesem Wetter an meiner Seite und läßt mich beinahe in diesem schöne Flusse ersaufen, ohne mir zu sagen, wer er ist!“

„Ihr sucht nach mir?“ fragte sein Begleiter verwundert.

„Ja, ja, und zum drittenmal ja!“

„Weshalb?“

„Na, wegen der Erbschaft! Weshalb denn sonst?“

„Erbschaft? Hm! Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Ich bin auch ein Timpe.“

„Auch einer? Woher denn?“

„Von drüben herüber.“

„Aus Deutschland?“

„Natürlich! Das ist doch ganz selbstverständlich! Oder kann ein Timpe wo anders geboren worden sein?“

„Allerdings, denn ich zum Beispiel bin hier in den Staaten geboren.“

„Aber von deutschen Eltern!“

„Mein Vater war ein Deutscher.“

„So seid Ihr wohl der deutschen Sprache mächtig?“

„Ja.“

„Nun, so redet doch, wenn Ihr einen Deutschen vor Euch habt, deutsch, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!“

„Na, Sir, nur sachte, sachte! Ich habe doch nicht gewußt, daß Ihr ein Deutscher seid!“

„Aber nun wißt Ihr es. Ich bin ein Deutscher, ein Timpe sogar, und verlange, daß Deutsche deutsch mit mir reden.“

„Welches ist Eure Vaterstadt?“

„Ich stamme aus Hof in Bayern.“

„Da gehen wir einander nichts an, denn ich stamme aus Plauen im Voigtlande.“

„Oho! Nichts angehen? Mein Vater stammt auch aus Plauen und ist von dort nach Hof verzogen.“

Der Dunkelhaarige hielt sein Pferd an. Der Regen hatte nach einem heftigen Donnerschlage plötzlich aufgehört, und die Wolken waren vom Sturme zerteilt worden. Zwischen ihnen blickten helle, blaue Stellen des Himmels hernieder, und die beiden Männer konnten gegenseitig ihre Gesichter erkennen.

„Aus Plauen nach Hof verzogen?“ fragte er. „Da ist es freilich nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß wir Verwandte sind, denn der wohl sonderlich klingende Name Timpe ist kein so häufig vorkommender, daß die Träger desselben drüben zu Hunderttausenden herumlaufen, wie die Müllers, Schmidts, Schulzes und andre. Was ist Euer Vater gewesen?“

„Büchsenmacher, und ich bin es auch geworden.“

„Das stimmt, das stimmt! Das ist ja ein Zufall, wie es keinen zweiten geben kann! Aber wollen uns nicht hier aufhalten; das Gewitter kann leicht zurückkehren, und wir haben noch den schwierigsten Teil des Thales vor uns; da wollen wir das jetzige annehmbare Wetter benutzen. Wir können besser weiter sprechen, wenn wir an Ort und Stelle sind. Also kommt, Sir, oder Cousin, wenn Euch das besser gefällt!“

„Cousin? Warum nicht Vetter? Das ist Deutsch und wird wohl auch richtig sein. Also vorwärts!“

Sie ritten weiter. Das Thal wurde bald so eng, daß nur wenig Raum zwischen dem Flusse und der beinahe senkrecht aufsteigenden diesseitigen Felswand blieb. Und dieser Raum bestand nicht etwa aus grasigem Boden, sondern es gab da eine Menge Gesträuch, durch welches sich die Pferde oft geradezu drängen mußten. Hätte sich das Gewitter nicht verzogen gehabt, und wäre es so finster wie vorher geblieben, so dürfte es unmöglich gewesen sein, hier vorwärts zu kommen.

Das hielt eine bedeutende Strecke an, bis das Thal sich wieder verbreiterte, um nach einer halben Stunde wieder eine sehr schmale Schlucht zu bilden, die aber nicht lang war, sondern sehr bald auf den Platz mündete, welcher Firwood Camp genannt worden war, weil es hier nur Tannen gab, welche in riesiger Größe zum Himmel aufstrebten.

Es kreuzten sich hier zwei Thäler in fast grad rechtwinkeliger Richtung, nämlich das Thal des Flusses, an welchem die beiden Timpes herabgekommen waren, und ein andres, in welchem die im Bau begriffene Eisenbahn die Höhe des Gebirges zu ersteigen strebte. Camp heißt Lager, und daß es hier ein solches, und zwar ein nicht unbedeutendes gab, das sahen die beiden Reiter trotz der nächtlichen Dunkelheit sofort, als sie die Felsenenge vor sich hatten.

Es gab da eine Menge von Baumriesen, die gefällt worden waren, um aus den Stämmen Bretter und aus den starken Ästen Bahnschwellen zu bekommen; der Abfall lieferte das nötige Feuerholz. Die über den Fluß führende Brücke war beinahe fertig, und in der Nähe derselben lag die fliegende Schneidemühle, deren Sägen die Holzmassen zu bewältigen hatten. Weiterhin gähnte schwarz ein tief in den Felsen gesprengter Steinbruch, welcher die Quadern zum Unterbau zu liefern hatte, und links zogen sich mehrere aus Balken und Brettern errichtete schuppenähnliche Bauten hin, welche zur Unterbringung der Menschen, der Werkzeuge und der Vorräte dienten.

Eine dieser hier Shops genannten Buden war außerordentlich lang und tief. Die vier Feueressen, welche das Dach überragten, und die zahlreichen, jetzt erleuchteten Fenster ließen vermuten, daß die Shops den im Camp anwesenden Arbeitern Unterkunft zu gewähren hatte. Infolgedessen wendeten sich die beiden Ankömmlinge dorthin.

Schon von weitem scholl ihnen ein lautes Stimmengewirr entgegen, welches auf die Gegenwart nicht weniger Menschen schließen ließ, und als sie näher gekommen waren, machte sich mit jedem Schritte mehr eine von Branntweindunst geschwängerte Luft bemerklich. Sie stiegen ab und banden ihre Pferde an die wahrscheinlich zu diesem Zweck neben der Thür eingeschlagenen Pfähle und wollten eben eintreten, als ein Mann herauskam, welcher in das Innere zurückrief – „Der Bauzug muß gleich kommen; ich will ihn expedieren, dann bin ich wieder da. Vielleicht bringt er Neuigkeiten oder gar Zeitungen mit.“

Der Mann sah auf, erblickte die Fremden, trat zur Seite, um sie in das aus der Thür fallende Licht kommen zu lassen, und betrachtete sie.

„Good evening, Sir,“ grüßte der Blonde. „Wir sind bis auf die Haut durchnäßt. Gibt es hier einen Platz, wo man trocken werden kann?“

„Ja.“ antwortete er. „Es gibt sogar Plätze, um trocken schlafen zu können, nämlich falls ihr nicht zu derjenigen Sorte von Menschen gehört, die man lieber gar nicht eintreten läßt.“

„Keine Sorge, Sir! Wir sind ehrliche Westmänner, Gentlemen, die Euch nicht in Schaden bringen, sondern alles, was sie bekommen, bezahlen werden.“

„Wenn eure Ehrlichkeit so bedeutend wie eure Körperlänge ist, dann seid ihr freilich die größten Gentlemen unter der Sonne. Na, geht hinein, links in den kleineren Room, und sagt dem Shopman, ich, der Engineer hätte gesagt, ihr könntet bleiben. Wir sehen uns bald wieder.“

Er ging fort, und sie befolgten seine Aufforderung.

Das Innere der Bude bildete einen einzigen großen Raum, von dem links nur ein kleiner Teil durch eine bloß mannshohe Bretterwand halb abgeteilt war. Es gab da eine Menge primitiver Tische und Bänke, die in die Erde gerammt waren, und zwischen ihnen und an den Wänden hin Massenbetten, deren Füllung hauptsächlich nur aus trockenem Gras und Heu bestand. Vier Herde, auf denen hohe Feuer loderten, sorgten für eine wenig zulängliche Beleuchtung; Lampen oder Lichte gab es nicht, und so kam es, daß bei dem Flackern der Flammen alle Personen und Gegenstände in gespenstiger Unruhe und Bewegung zu sein schienen.

An den Tischen saßen und auf den Lagern hockten wohl an die zweihundert Bahnarbeiter, kleine, langzöpfige Burschen mit gelbem Teint, hervortretenden Backenknochen und schief geschlitzten Augen, die sich erstaunt auf die beiden überlangen Gestalten richteten.

„Pfui Teufel! Chinesen! Das konnten wir uns denken, denn man roch es schon von draußen!“ meinte der Dunkelhaarige. „Kommt schnell in den kleinen Room, wo die Luft vielleicht genießbarer ist!“

In dieser Abteilung gab es auch eine Anzahl von Brettertafeln, an welchen aber weiße Arbeiter rauchend und trinkend saßen, derbe, wetterharte Männer, von denen wohl mancher eine bessere Vergangenheit hinter sich hatte, mancher aber auch nur deshalb hierher gekommen war, weil er sich im zivilisierten Osten nicht mehr sehen lassen durfte. Ihre überlaute Unterhaltung verstummte sofort, als sie die beiden Gäste sahen, denen ihre erstaunten Blicke bis hin zum Schenktische folgten, hinter welchem der Shopman bei zahlreichen Flaschen und Gläsern lehnte.

„Rail-roaders?“ fragte er, indem er ihren Gruß nickend erwiderte.

„Nein, Sir,“ antwortete der Blonde. „Wir haben nicht die Absicht, den hier sitzenden Gentlemen ihren Verdienst zu schmälern. Wir sind Westmänner und suchen ein Feuer, an dem wir uns trocknen können. Der Engineer schickt uns zu Euch.“

„Könnt ihr zahlen?“ erkundigte er sich, indem er ihre langen Gestalten mit einem scharf taxierenden Blicke überflog.

„Ja.“

„Dann könnt ihr alles haben, was ihr braucht, auch später ein feines, abgesondertes Lager zum Schlafen da hinter den Kisten und Fässern. Setzt euch da an den Tisch am Herd; da gibt es Wärme genug, der andre ist für die Beamten und höhern Gentlemen.“

Well! Ihr rechnet uns also zu den niedrigen Gentlemen. Das hätte ich Euch bei unsrer Länge nicht zugetraut. Thut aber nichts. Bringt uns Gläser, heißes Wasser, Zucker und Rum! Wir wollen uns auch innerlich anwärmen.“

Sie setzten sich an den ihnen angewiesenen Tisch, welcher so nahe am Feuer stand, daß ihre nassen Anzüge bald trocknen konnten, bekamen das Verlangte und brauten sich einen Grog. Die weißen Arbeiter hatten gehört, daß sie keine Konkurrenz zu befürchten hatten; sie waren befriedigt und setzten ihr unterbrochenes Gespräch lärmend wieder fort.

An dem für Beamte und „höhere Gentlemen“ bestimmten Tische saß eine einzelne Person, ein junger, vielleicht nicht ganz dreißig Jahre zählender Mann, welcher wie ein weißer Jäger gekleidet war, aber der kaukasischen Rasse nicht angehörte, was sich aus der Farbe seiner Haut und der Bildung seines Gesichts schließen ließ. Er war jedenfalls ein Mestize, einer jener Mischlinge, welche zwar die körperlichen Vorzüge, aber dazu leider auch die moralischen Fehler ihrer verschiedenfarbigen Eltern erben. Seine Glieder waren kräftig und geschmeidig wie diejenigen eines Panthers und seine Gesichtszüge intelligent, aber seine dunkeln Augen lagen unter den tief gesenkten Lidern und Wimpern sprungbereit versteckt wie ein wildes Katzenpaar, welches eine Beute belauert. Er schien die beiden Fremden gar nicht zu beachten, ließ jedoch seine Blicke oft und verstohlen zu ihnen fliegen und neigte den Kopf zur Seite nach ihnen hin, um zu hören, wovon sie sprechen würden. Er hatte Grund zu erfahren, welche Absicht sie in diese Gegend geführt hatte und ob sie bleiben oder nicht bleiben wollten. Zu seinem Leidwesen verstand er keines ihrer Worte, obgleich sie laut genug miteinander redeten, denn sie bedienten sich einer Sprache, die er nicht kannte, der deutschen.

Als sie ihre Gläser gefüllt hatten, tranken sie sich dieselben zu und leerten sie bis auf den Boden. Der Dunkelköpfige setzte das seinige vor sich hin und sagte:

„So, das war der Willkommen, den wir einander schuldig sind, und nun wieder zur Sache! Also Sie sind eigentlich Büchsenmacher, und Ihr Vater war es auch. Das läßt übrigens, nebenbei bemerkt, darauf schließen, daß Sie ein guter Schütze sind. Nehmen wir einmal an, daß wir wirklich Verwandte seien, so will ich Ihnen offen sagen, daß ich noch nicht weiß, ob ich mich auch verwandtschaftlich zu Ihnen verhalten darf.“

„Warum sollten Sie das nicht dürfen?“

„Wegen der Erbschaft.“

„Wieso?“

„Ich bin um sie betrogen worden.“

„Ich doch auch!“

„Ach wirklich? Sie haben auch nichts bekommen?“

„Keinen Pfennig, keinen roten Heller!“

„Aber es ist doch eine so bedeutende Summe an die Erben drüben ausgezahlt worden!“

„Ja, an Timpes Erben in Plauen, jedoch nicht an mich, obwohl ich ein ebenso echter Timpe bin wie sie.“

„Erlauben Sie mir, diese Echtheit einmal zu prüfen! Wie ist Ihr vollständiger Name?“

„Kasimir Obadja Timpe.“

„Der Ihres Vaters?“

„Rehabeam Zacharias Timpe.“

„Wieviel Brüder hatte Ihr Vater?“

„Fünf. Die drei jüngsten sind nach Amerika gegangen. Sie glaubten, da schnell reich werden zu können, weil dort viele Gewehre gebraucht wurden. Die Brüder waren alle Büchsenmacher.“

„Wie hieß der zweite Bruder, der in Plauen geblieben ist?“

„Johannes Daniel. Er ist gestorben und hat zwei Söhne hinterlassen, nämlich Petrus Micha und Markus Absalom, welche die hunderttausend Thaler geerbt und aus der Stadt Fayette in Alabama geschickt bekommen haben.“

„Das stimmt; das stimmt abermals! Mit Ihrer Orts- und Personenkenntnis beweisen Sie, daß Sie wirklich mein Vetter sind.“

„O, ich kann es noch besser beweisen. Ich habe meine Papiere und Legitimationen heilig aufgehoben; ich trage sie auf meinem Herzen. Ich kann sie Ihnen sofort –“

„Jetzt nicht, jetzt nicht, vielleicht später,“ fiel ihm Hasael in die Rede. „Ich glaube Ihnen. Sie wissen doch auch, warum die fünf Brüder und ihre Söhne alle solche biblische Namen haben?“

„Ja. Es war das ein uralter Gebrauch in der Familie, von dem keiner abgewichen ist.“

„Richtig! Und dieser Gebrauch konnte in den Staaten hier leicht beibehalten werden, weil der Amerikaner solche Namen auch bevorzugt. Mein Vater war der dritte Bruder; er hieß David Makkabäus und blieb in New York. Mein Name ist Hasael Benjamin. Die zwei Jüngsten gingen weiter ins Land und setzten sich in Fayette im Staate Alabama fest. Der Allerjüngste hieß Joseph Habakuk; er starb dort kinderlos und hat das große Erbteil hinterlassen. Der vierte Bruder, Tobias Holofernes, starb in derselben Stadt; sein einziger Sohn, Nahum Samuel, ist der Betrüger.“

„Wieso?“

„Sehen Sie das nicht ein? Ich bin vollständig ahnungslos gewesen. Vater hat zwar in der ersten Zeit mit seinen zwei Brüdern in Fayette Briefe gewechselt, doch ist das nach und nach eingeschlafen, bis man einander schier vergessen hat. Die Entfernungen in den Staaten sind so groß, daß selbst Brüder sich nach und nach aus den Augen kommen. Nach Vaters Tode führte ich das Geschäft fort, schlecht und recht, ohne viel mehr als das Leben herauszuschlagen. Da traf ich in Hoboken mit einem Deutschen zusammen; er war Einwanderer und kam aus Plauen im Voigtlande. Ich erkundigte mich natürlich nach meinen dortigen Verwandten und erfuhr zu meinem Erstaunen, daß sie bare hunderttausend Thaler von dem Onkel Joseph Habakuk in Fayette geerbt hatten. Und ich nichts! Ich glaubte, der Schlag werde mich treffen! Ich hatte meinen Anteil auch zu verlangen und schrieb wohl zehn und noch mehr Briefe nach Fayette, bekam aber keine Antwort. Da verkaufte ich kurz entschlossen mein Geschäft und reiste hin.“

„Ganz recht, ganz recht, lieber Vetter! Nun, und der Erfolg?“

„War gar kein Erfolg, denn der Vogel hatte sich unsichtbar gemacht; er war ausgeflogen.“

„Welcher Vogel?“

„Sonderbare Frage! Das können Sie sich doch nun denken! Man hatte in Fayette geglaubt, der alte Joseph Habakuk sei nur in guten Verhältnissen gestorben; daß er so reich gewesen war, hatte man nicht geahnt. Wahrscheinlich hat ihn sein Geiz abgehalten, es zu zeigen. Sein Bruder Tobias Holofernes war sehr arm vor ihm gestorben, und er hatte dessen Sohn, seinen Neffen Nahum Samuel, zu sich in das Geschäft genommen. Dieser nun ist der Betrüger. Er hat zwar nicht umhin gekonnt, die hunderttausend Thaler nach Plauen zu schicken, mit dem übrigen Gelde aber hat er sich aus dem Staube gemacht, auch mit den hunderttausend Thalern, die mir zufallen mußten.“

„Und mit den meinigen wahrscheinlich auch?“

„Jedenfalls!“

„Der Schurke! Vater zog von Plauen fort, weil er sich wegen der Konkurrenz mit dem Bruder arg verfeindet hatte. Diese Feindschaft wuchs trotz der Entfernung mehr und mehr, so daß keiner mehr etwas von dem andern wissen und hören wollte. Darüber ist Vater gestorben, sein Bruder in Plauen auch. Später schrieben mir dessen Söhne, sie hätten von dem Oheim Joseph Habakuk in Amerika hunderttausend Thaler geerbt. Ich fuhr sofort nach Plauen, um mich zu erkundigen. Da ging es freilich sehr hoch her. Die beiden Vettern wurden nicht anders als Timpes Erben genannt; sie hatten ihr Geschäft aufgegeben und lebten wie die Fürsten. Ich wurde sehr gut aufgenommen und mußte einige Wochen bei ihnen bleiben. Von der alten Feindschaft wurde kein Wort gesprochen, aber ebensowenig konnte ich etwas Näheres und Sicheres über den Onkel Joseph Habakuk und seine Hinterlassenschaft erfahren. Die Vettern ließen mich ihren Reichtum kosten, aber meinen Anteil schienen sie mir nicht zu gönnen. Da machte ich es kurz entschlossen wie Sie: ich verkaufte mein Geschäft, ging nach Amerika und begab mich von New York natürlich sofort direkt nach Fayette.“

„Ah, also auch! Wie fanden Sie es dort?“

„Ganz wie Sie, nur daß man mich auslachte. Man sagte mir, daß die dortigen Timpes niemals wohlhabend gewesen seien.“

„Unsinn! Verstanden Sie damals Englisch?“

„Nein.“

„So hat man Sie dort als Deutschen an der Nase geführt. Was haben Sie dann angefangen?“

„Ich wendete mich nach St. Louis, wo ich bei Mr. Henry, dem Erfinder des berühmten fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzens, Arbeit nehmen und soviel wie möglich von seiner Kunst lernen und profitieren wollte, kam aber in der Stadt Napoleon am Arkansas und Mississippi in die Gesellschaft einiger Prairiejäger, denen ich als Büchsenmacher recht war. Sie ließen mich nicht weiter und veranlaßten mich, mit ihnen nach den Felsenbergen zu gehen. So bin ich also ein Westmann geworden.“

„Und sind Sie zufrieden mit diesem Wechsel?“

„Ja. Lieber freilich wäre es mir, wenn ich meine hunderttausend Thaler erwischt hätte und in dulci jubilo leben könnte, so wie Timpes Erben.“

„Hm! Das kann vielleicht noch werden.“

„Schwerlich! Mir ist später auch der Gedanke gekommen, daß der alte Joseph Habakuk doch so reich gewesen und sein Neffe Nahum Samuel mit dem Gelde entwichen sein könne. Ich habe nach dem letzteren gesucht, mehrere Jahre lang, doch vergebens, wie ich Ihnen schon sagte.“

„Ich auch, und ebenso vergebens, doch nur bis vor kurzer Zeit, denn nun habe ich seine Spur.“

„Sei – ne – Spur? Wie – wa – wirk – lich?“ rief Kasimir, indem er so schnell von seinem Sitze aufsprang, daß die Anwesenden alle aufmerksam wurden und ihre Blicke auf ihn richteten.

„Still, ruhig!“ warnte Hasael. „Man darf sich nicht so bald aufregen lassen. Ich habe aus einem ganz untrüglichen Munde gehört, daß ein gewisser Nahum Samuel Timpe, früher Büchsenmacher und nun ungeheuer reich, jetzt in Santa Fé wohnt.“

„In Santa Fé da drüben? Da müssen wir hin, unverzüglich hin, wir beide, Sie und ich!“

„Bin damit einverstanden, Vetter. Es war natürlich meine Absicht, ihn aufzusuchen und zur Herausgabe des Geldes nebst Zinsen zu zwingen. Daß dies schwer, sehr schwer sein wird, habe ich mir nicht verhehlt, und darum freut es mich, Sie getroffen zu haben, denn zweien muß es leichter werden. Wir treten in einer solchen Weise vor ihn hin, daß er vor Schreck seine Schandthat eingesteht und das Geld augenblicklich aufzählt. Wir sind Westmänner und drohen ihm mit dem Gesetze der Prairie. Nicht?“

„Selbstverständlich, ganz und gar selbstverständlich!“ stimmte Kasimir höchst eifrig bei. „Welch ein Glück, daß ich Sie getroffen habe, Sie – Sie – Sie? Ist es nicht eine Dummheit, Vetter, uns Sie zu nennen, da wir so nahe Verwandte und Schicksalsgenossen sind?“

„Kommt mir auch so vor.“

„Also Brüderschaft machen, du sagen, nicht wahr, du?“

„Mir recht. Hier ist meine Hand; schlag ein! Wir füllen die Gläser wieder und leeren sie auf unser Wohl und auf das Gelingen unsres Vorhabens. Da, stoß an!“

„Prosit, Vetter, oder vielmehr: Prosit, lieber Hasael!“

„Prosit! Aber Hasael? Weißt du, man ist in den Staaten möglichst kurz, besonders mit den Namen. Man sagt Jim, Tim, Ben und Bob und spricht nicht alle Silben aus, wenn eine einzige genügt. Mein Vater sagte stets Has‘ oder vielmehr Has anstatt Hasael, und ich habe mich daran gewöhnt. Mach du es ebenso!“

„Has? Hm! Dann müßtest du zu mir auch Kas‘ oder vielmehr Kas sagen anstatt Kasimir!“

„Warum nicht?“

„Klingt das nicht sehr dumm?“

„Dumm? Unsinn! Es klingt, sage ich dir; mir gefällt es, und wie es andern klingen mag, das ist mir gleichgültig. Also nochmals prosit, lieber Kas!“

„Prosit, lieber Has! Aufs Wohl von Kas und Has, den neuesten Erben Timpes!“

Sie stießen still begeistert und nur leise ihre Gläser zusammen, um nicht die Aufmerksamkeit der andern Zecher auf sich zu ziehen. Dann meinte der dunkelköpfige Has:

„Also auf nach Santa Fé! Aber das ist nicht so leicht und schnell ausgeführt, denn wir werden zu einem weiten Umwege gezwungen sein.“

„Warum?“ fragte der semmelblonde Kas.

„Weil wir durch das Gebiet der Komantschen müßten, wenn wir den kürzesten Weg einschlagen wollten.“

„Ich hörte doch nicht, daß diese Roten jetzt das Kriegsbeil ausgegraben haben!“

„Ich auch nicht; aber die Canaillen sind selbst im tiefsten Frieden treulos und stets den Bleichgesichtern feind. Zudem traf ich gestern mit einem Pedlar zusammen, der von ihnen kam. Du weißt, daß die Indsmen einem Pedlar niemals etwas Böses thun, weil sie ihn notwendig brauchen. Der sagte mir, daß der große Kriegshäuptling Tokvi-Kava jetzt nicht bei seinem Stamme sei, sondern sich mit einigen seiner besten Krieger entfernt habe, ohne zu sagen, wohin.“

„Tokvi-Kava, der schwarze Mustang, der Jägerschinder? Mit den besten Kriegern? Und ohne zu sagen, wohin? Das läßt allerdings sehr stark vermuten, daß er wieder auf eine seiner Grausamkeiten sinnt. Ich fürchte mich wahrlich vor keinem Roten, aber sei man noch so mutig, besser ist es immer, einem solchen Burschen gar nicht zu begegnen. Ich schlage also vor, lieber den Umweg zu machen und eine Woche später in Santa Fe anzukommen. Unser Nahum Samuel wird uns wohl nicht grad‘ jetzt zum zweitenmal davonlaufen.“

„Und wenn er lief, wir haben seine Spur und würden ihn nun ganz gewiß erwischen, denn –“

Er wurde unterbrochen, denn der Engineer kam zurück und brachte noch zwei Männer mit. Kas und Has hatten im Eifer ihres Gespräches das wiederholte Pfeifen einer Lokomotive überhört. Der Arbeitszug war angekommen; der Engineer hatte ihn expediert und wurde nun bei der Rückkehr von seinem Aufseher und dem Magazinverwalter begleitet. Er nickte den beiden Westmännern grüßend zu, und dann setzten sich die drei zu dem Mestizen an den für die „Beamten und höheren Gentlemen“ bestimmten Tisch. Sie ließen sich auch Grog geben, und dann erkundigte sich der Mischling:

„Nun, Sir, sind Zeitungen angekommen?“

„Nein,“ antwortete der Engineer, „die werden morgen erst eintreffen; aber Nachrichten habe ich erhalten.“

„Gute?“

„Leider nicht. Wir werden von jetzt an sehr wachsam sein müssen.“

„Warum?“

„Es sind in der Nähe der Rückstation Spuren von Indianern gesehen worden.“

Es war, als ob die halb unter den Lidern verborgenen Augen des Mischlings für einen Moment zornig aufleuchteten, doch klang seine Stimme ganz gelassen, als er sagte:

„Das ist doch kein Grund, ungewöhnlich wachsam zu sein!“

„Ich denke doch!“

Pshaw! Kein Stamm hat jetzt den Tomahawk des Krieges ausgegraben, und wenn es wäre, so darf man von einigen Fußstapfen nicht gleich auf Feinde schließen.“

„Freunde lassen sich sehen. Wer sich versteckt hält, der hat keine guten Absichten; das kann ich mir sagen, obgleich ich kein Scout und Westmann bin.“

„Eben weil Ihr keiner seid, sagt Ihr es Euch. Der erfahrene Westmann würde der Ansicht sein, daß die Roten an der Station vorübergegangen seien, weil sie keine Zeit hatten, sich zu zeigen.“

„Keine Zeit? Die Roten haben stets und immer Zeit, bei den Weißen herumzulungern und sie anzubetteln. Wenn sie sich verstecken, ist ihre Absicht sicher keine gute. Du bist ein tüchtiger Pfadfinder und in dieser Gegend bekannt; ich habe dich engagiert, daß du von morgen an die Umgebung scharf durchstreifst.“

Durch die geschmeidige Gestalt und über das Gesicht des Mestizen ging ein leises Zucken, als ob er zornig auffahren wollte, doch beherrschte er sich wieder und antwortete in ruhigem Tone:

„Ich werde es thun, Sir, obgleich ich weiß, daß es nicht nötig ist. Indianerspuren haben nur zur Kriegszeit böse Bedeutung. Und noch eins: die Roten sind oft bessere und treuere Menschen als die Weißen.“

„Diese Ansicht macht deiner allgemeinen Menschenliebe alle Ehre, aber ich könnte dir mit Beispielen, mit vielen Beispielen beweisen, daß du im Irrtum bist.“

„Und ich mit noch mehreren, daß ich recht habe. Ist jemals ein Mensch treuer gewesen, als Winnetou zu Old Shatterhand ist?“

„Winnetou ist eine Ausnahme. Kennst du ihn?“

„Gesehen habe ich ihn noch nicht.“

„Oder Old Shatterhand?“

„Auch noch nicht; aber alle ihre Thaten kenne ich.“

„So hast du auch von Tangua, dem Häuptling der Kiowas gehört?“

„Ja.“

„Welch ein Verräter war dieser Schurke! Er warf sich damals, als Old Shatterhand noch Surveyor war, zu seinem Beschützer auf und hat ihm doch fort und fort nach dem Leben getrachtet. Er hätte ihn sicher ausgelöscht, wenn dieser berühmte Weiße nicht ein so kluger, umsichtiger und ebenso kühner wie starker Mann gewesen wäre. Wo findest du da die Treue, von der du sprichst? Und daß die Spuren von Roten nur im Kriege Gefahr bedeuten – haben die Sioux Ogallalah nicht mitten im Frieden wiederholt Eisenbahnzüge überfallen? Haben sie nicht mitten im Frieden Männer getötet und Weiber geraubt? Sie sind dafür bestraft worden, nicht von großen Jäger- und Militärhaufen, sondern von zwei einzelnen Menschen, von Winnetou und Old Shatterhand. Keiner gleicht diesen beiden. Befände sich einer von ihnen hier, so würden mir allerdings selbst hundert Indianerspuren wenig Angst bereiten.“

„Pshaw! Ihr übertreibt, Sir! Diese beiden Männer haben Glück, sehr viel Glück gehabt; das ist alles. Es gibt noch ebensolche und auch noch bessere, als sie sind.“

„Wo?“

Der Mestize sah ihm mit stolz herausforderndem Blicke in das Gesicht und antwortete –

„Fragt nicht, sondern seht Euch um!“

„Meinst du etwa dich, dich selbst?“

„Und wenn?“ Der Engineer wollte ihm eine zurechtweisende Antwort geben, wurde derselben aber enthoben, denn Kas kam mit zwei Schritten seiner langen Beine herbei, pflanzte sich hoch vor dem Mestizen auf und sagte:

„Du bist der größte Schafskopf, den es geben kann, mein Sohn!“

Der Mischling sprang im Nu auf und riß sein Messer aus dem Gürtel; aber noch schneller hatte Kas seinen Revolver gespannt, hielt ihm denselben entgegen und warnte:

„Keine Übereilung, my boy! Es soll Menschen geben, die eine Kugel durch ihren Dummkopf nicht vertragen und auch nicht überleben können, und ich habe allen Grund, anzunehmen, daß du so einer bist.“

Der auf ihn gerichtete Lauf des Revolvers verbot dem Mestizen, sein Messer zu gebrauchen, denn eine Kugel ist schneller als die beste Klinge. Darüber wütend, zischte er dem Langen zu:

„Was habe ich mit Euch zu schaffen? Wer hat Euch erlaubt, Euch in unser Gespräch zu mischen?“

„Ich selbst, mein junge, ich selbst. Und wenn ich mir oder irgend jemand etwas erlaube, so möchte ich den sehen, der es nicht leiden will! Etwa du; he du?“

„Ihr seid ein Grobian, Sir!“

Well, diese Antwort laß ich mir gefallen, denn ich sehe, daß du Geschmack an mir findest. Sorg nur dafür, daß ich auch welchen an dir finde, sonst ergeht es dir wie damals bei Timpes Erben!“

„Timpes Erben? Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Ich bin einer, der auf Winnetou und Old Shatterhand nichts kommen läßt; mehr brauchst du nicht zu wissen. Leb wohl, my boy und steck dein Stecheisen wieder in den Gürtel, damit du dir damit nicht etwa selbst einen Schaden thust!“

Kas kehrte nach seinem Tische zurück, wo er sich behaglich wieder niederließ. Der Mestize folgte seinen Bewegungen mit sprühenden Augen, seine Sehnen spannten sich, dem Beleidiger nachzuspringen und das Messer in den Leib zu stoßen, doch brachte er es nicht fertig. Es gab in der Haltung des langen dünnen Mannes etwas, was ihm den Fuß bannte.

Er steckte das Messer ein, setzte sich wieder nieder und murmelte, um sich vor seinen Tischgenossen zu entschuldigen, vor sich hin:

„Der Kerl ist offenbar ein Narr und gar nicht im stande, einen vernünftigen Menschen zu beleidigen. Lassen wir ihn schwatzen!“

„Schwatzen?“ antwortete der Engineer. „Der Mann scheint im Gegenteil Haare auf den Zähnen zu haben. Daß er für Old Shatterhand und Winnetou gesprochen hat, freut mich von ihm, denn die Thaten und Erlebnisse dieser beiden Helden des Westens bilden mein Leib- und Lieblingsthema. Will doch einmal sehen, ob er sie auch wirklich kennt.“

Und sich an den andern Tisch wendend, fragte er:

„Ihr bezeichnet euch als Westmänner, Sir. Seid ihr jemals Winnetou oder Old Shatterhand begegnet?“

Die kleinen Mausaugen von Kas funkelten vor Vergnügen, indem er antwortete:

„Und ob! Habe beide gesehen.“

„Längere Zeit?“

„Bin zwei Wochen mit ihnen geritten.“

„Was? Du?“ rief Has verwundert aus. „Du hast dich in der Gesellschaft dieser zwei größten Westmänner befunden und mir noch nichts davon gesagt?“

„Wann hätte ich es sagen sollen? Wir haben ja noch gar keine Zeit gefunden, von unsern Erlebnissen zu sprechen.“

„O, ihr kennt euch erst seit kurzer Zeit?“ fragte der Engineer.

„Haben uns erst heute, kurz vor Abend, zum erstenmal gesehen,“ antwortete Kas.

„Sind Euch mit Winnetou und Old Shatterhand Abenteuer begegnet?“

„Das ist eine sonderbare Frage, Sir. Wer bei diesen Männern ist, erlebt immer etwas, oft an einem Tage mehr als sonst in einem Monat oder gar in einem ganzen Jahre.“

„Wetter! Wollt Ihr nicht herkommen und uns davon erzählen?“

„Nein.“

„Nicht? Warum denn nicht?“

„Weil ich kein Geschick zum Erzählen habe, Sir. Es ist mit dem Erzählen eine ganz eigene Sache; das muß angeboren sein. Ich habe es schon oft versucht, aber ich bringe es nicht fertig. Ich fange in der Regel in der Mitte oder hinten an und höre stets vorn oder gar schon in der Mitte auf. Ich kann Euch nur kurz sagen, daß wir damals eine Gesellschaft von acht Weißen waren und in die Gefangenschaft der Upsarokas gerieten, die uns für den Marterpfahl bestimmten. Das hatten Old Shatterhand und Winnetou erfahren. Sie suchten unsre Fährte, folgten ihr, beschlichen die Upsarokas und holten uns in der Nacht heraus, ganz allein, ohne alle Beihilfe, ein Meisterstück, wie es außer ihnen auch der Berühmteste nicht fertig bringt, selbst Euer Halfbreed nicht, welcher dort bei Euch sitzt und vorhin das Maul so vollgenommen hat.“

Der Mestize wollte wieder aufbrausen, doch kam ihm der Ingenieur mit der schnellen, an Kas gerichteten Frage zuvor:

„Wißt Ihr nicht, wo sich die beiden jetzt befinden, Sir?“

„Habe keine Ahnung. Es wurde einmal davon gesprochen, daß Old Shatterhand hinüber in eines der altmodischen Länder sei, Ägypten oder Persien heißt es wohl, aber bald wiederkommen werde.“

„Möchte sie doch gar zu gern einmal sehen! Sind sie denn wirklich so, wie man sie beschreibt? Hat Old Shatterhand wirklich solche Kraft in seiner Faust? Man hat mir gesagt, daß seine Hände trotzdem fast so klein wie Ladieshände seien.“

„Das ist wahr. Und dennoch kracht er mit einem Schlag den schwersten Mann zu Boden. Er ist nicht etwa übermäßig lang und breit, aber seine Muskeln sind wie Eisen und seine Sehnen wie Federstahl. So ist es auch mit Winnetou.“

„Sind sie stolz?“

„Fällt ihnen nicht ein! Die wahren Kinder! Lieb, mild und herzig gut. Dabei durch keine, auch durch die größte Gefahr nicht aus der Fassung zu bringen. Aber wenn es gilt, dann solltet Ihr sie sehen! Diese Augen! Diese Schritte und Bewegungen! Dieser Sitz im Sattel! Diese kalte Berechnung jedes Vorteils und dieses stets untrügliche Voraussehen aller, aber auch aller Folgen dessen, was sie thun! Es hat noch nie einen Menschen, rot oder weiß, und sei er noch so pfiffig und verschlagen, gegeben, dem es gelungen wäre, einen von ihnen länger als einen Augenblick zu täuschen.“

„Ihr beschreibt sie wirklich als Halbgötter, Sir. Ich gäbe sonst etwas darum, wenn ich sie einmal sehen könnte. Vielleicht aber bin ich ihnen oder einem von ihnen schon einmal begegnet, ohne es zu wissen.“

„Wird wohl nicht der Fall sein, Sir. Wer sie kennt, der weiß: Wenn einer von ihnen jetzt hereinträte, euch allen unbekannt, ihr würdet doch sofort wissen, daß es Old Shatterhand oder daß es Winnetou ist.“

„Und ihre Waffen? Sind sie wirklich so vorzüglich, wie man erzählt?“

„Will es meinen, Sir! Aus Winnetous Silberbüchse ist noch nicht ein Fehlschuß gegangen; sie hat in ihrer Art nicht ihresgleichen. Der Bärentöter Old Shatterhands ist wie ein brüllender Löwe, dem keine Beute entgehen kann, und wenn sie noch so schnell entflöhe. Und nun erst sein Henrystutzen! Ich bin Büchsenmacher gewesen und verstehe mich darauf. Henry hat, glaube ich, nur zehn oder zwölf solcher Stutzen gefertigt, aber wer hat sie und wo sind sie? Keiner von ihnen ist bekannt, als nur der Old Shatterhands. Dieser Stutzen, ursprünglich ein totes Meisterstück, ist in dieser Hand zu einem lebenden Wesen geworden, hat denken, berechnen und gehorchen gelernt. Old Shatterhand wettet zwar mit jedem fremden Gewehr nach drei Probeschüssen so hoch ihr wollt, auf Ziel; hat er aber seinen Stutzen in der Hand, so würde er Euch niederschlagen, wenn Ihr es wagtet, ihm eine Wette anzubieten. Er weiß, ja, er fühlt die Kugel schon genau im Ziele sitzen, wenn er die Patrone noch in der Tasche hat. Er und sein Stutzen haben nur eine Seele, nur einen Gedanken und nur einen Willen. Begreift Ihr das?“

„Nein.“

„Weil Ihr kein Jäger, kein passionierter Schütze seid. Diese drei Gewehre sind von unschätzbarem Werte. Man kann nicht sagen, welches den andern vorzuziehen ist; ich aber würde unbedingt den Henrystutzen wählen. Böte jemand dem Besitzer zehntausend, zwanzigtausend Dollars und noch mehr, ich bin überzeugt, Old Shatterhand würde lächelnd fortgehen. Vor seinem Tode wird kein Mensch das Gewehr bekommen oder auch nur untersuchen dürfen, denn in einer andern Hand würde der Stutzen bald seinen Wert verlieren und eine ganz gewöhnliche, tote Waffe sein, die keine Seele hat und keinen Gehorsam kennt: es wäre ein Mord an ihm geschehen.“

Lackaday! Ihr werdet geradezu poetisch, Sir! So habe ich noch niemand von einer Waffe sprechen hören. Und doch behauptetet Ihr vorhin, daß Ihr nicht erzählen könntet!“

„Kann ich auch nicht; aber ich war, wie gesagt, früher Büchsenmacher und bin jetzt Jäger. Ich behaupte, daß jedes Gewehr eine, erlaubt mir das Wort, eine Seele hat, die von dem Schützen studiert, verstanden und geliebt werden muß, dann haben beide auch nur einen Willen. Wer kein Fachmann ist und sich noch nie über nichtsnutzige Schießprügel geärgert hat, versteht das nicht und lacht darüber, Wollt Ihr auch lachen, so thut es immerhin, ich habe nichts dagegen.“

„Fällt mir nicht ein! Eure Ansicht ist zwar außergewöhnlich, aber sie gefällt mir fast ebensosehr, wie Ihr mir selbst gefallt.“

„So, ich gefalle Euch, Sir? Well, so thut mir den Gefallen, uns zu sagen, wo wir unsre Pferde unterbringen können. Ich möchte sie gern sicher unter Dach und Fach haben, weil Ihr vorhin von Indianerspuren gesprochen habt.“

„Erscheinen Euch diese Spuren auch bedenklich?“

„Natürlich! Das kluge Halfbreed dort mag denken, was er will, ich weiß, woran ich bin.“

„So biete ich Euch den Werkzeugschuppen an, der ein gutes, festes Schloß besitzt; der Verwalter hier wird Euch führen und auch für Futter und Wasser sorgen.“

Der Genannte erhob sich bereitwillig von seinem Platze, und Kas und Has folgten ihm hinaus zu ihren Pferden.

Die weißen Bahnarbeiter hatten der Unterhaltung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt; das Thema derselben war ihnen ebenso interessant gewesen wie ihrem Vorgesetzten. Dieser benutzte die Abwesenheit der beiden Jäger dazu, dem Mestizen sein Gebaren zu verweisen, was der Genannte mit scheinbarer Ruhe hinnahm, während er innerlich wütend war. Darüber verging einige Zeit, bis sich draußen wieder die Schritte von Pferden hören ließen.

„Was ist denn das?“ fragte der Engineer verwundert. „Sie bringen die Pferde zurück, und es ist doch Platz genug für sie im Schuppen.“

Er blickte nach dem Eingang und sah nicht die drei fortgegangenen Personen, sondern zwei ganz andre Männer eintreten. Es war ein Weißer und ein Indianer.

Der erstere war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, die bis über die Kniee heraufgezogen waren, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des fürchterlichen grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein, und an ihm hingen mehrere Lederbeutel, in denen wahrscheinlich die einem Westmanne nötigen kleineren Requisiten steckten. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte lag ein zusammengeschlungener, aus mehrfachen Riemen geflochtener Lasso, und um den Hals hing an einer Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren künstlerisch geschnittenen Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. Ein breiter Riemen hielt auf dem Rücken dieses Mannes ein ungewöhnlich langes und schweres Doppelgewehr fest, während in der rechten Hand ein leichteres, einläufiges ruhte, dessen Schloß kein gewöhnliches zu sein schien; das sah man, obwohl es jetzt durch ein ledernes Etui verhüllt wurde.

Der Indianer war ganz genau so gekleidet wie der Weiße, nur daß er anstatt der hohen Stiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch eine Kopfbedeckung hatte er nicht, sondern sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Grizzlykrallen, ein glänzender Beweis seiner Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Trophäen zeigen, die er sich nicht selbst erworben hat. Der Lasso fehlte ebensowenig wie der Gürtel mit den Revolvern, dem Bowiemesser und den Lederbeuteln, und in der Rechten hielt der Indsman eine doppelläufige Büchse, deren Holzteile eng mit glänzenden silbernen Nägeln beschlagen waren. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen Gesichts war fast römisch zu nennen; trotz des tiefdunklen Sammets seiner Augen glänzte in ihnen ein jetzt ruhiges, wohlthuendes Feuer; die Backenknochen standen kaum merklich vor, und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.

Diese beiden Ankömmlinge waren keine Riesen von Gestalt; sie kamen ruhiger und bescheidener herein als wohl der niedrigste Arbeiter des Camps; nichts, gar nichts an ihnen zeigte, daß sie die Absicht hätten, in irgend einer Weise Ansprüche zu erheben oder gar Aufsehen zu erwecken, und doch wirkte ihr Erscheinen grad so, als ob zwei fürstliche Personen zu ihren Unterthanen getreten wären. Das tolle Geschwätz der Chinesen verstummte im Nu; die weißen Arbeiter im kleinen Room standen unwillkürlich von ihren Sitzen auf; der Engineer, sein Aufseher und der Mischling thaten dasselbe; der Shopman versuchte sogar eine Verbeugung fertig zu bringen, welche leider sehr eckig ausfiel.

Die beiden schienen das Aufsehen, welches sie erregten, gar nicht zu bemerken; der Indsman grüßte nur mit einem leichten, aber keineswegs stolzen Neigen seines Kopfes, und der Weiße sagte in freundlichem Tone:

Good evening, Mesch’schurs! Bleibt sitzen, wir wünschen nicht zu stören.“ Und sich dann an den Wirt wendend, fuhr er fort: „Kann man bei Euch ein gutes Mittel gegen den Hunger und den Durst bekommen, Sir?“

Readily, with pleasure, Sir!“ antwortete dieser. „Zunächst welcome, Gentlemen! Es steht alles zu euren Diensten, was ich habe. Nehmt da am warmen Feuer Platz, Mesch’schurs! Es sitzen zwar schon zwei Westmänner da, die einmal hinausgegangen sind, aber wenn euch dies stört, so werden sie Platz machen.“

„Das wollen wir keineswegs. Sie waren eher da als wir und haben also ein größeres Recht. Wenn sie zurückkehren, werden wir sie fragen, ob sie uns bei sich haben wollen. Macht uns zunächst ein warmes Ingwerbier, dann werden wir sehen, was Ihr zu essen habt.“

Sie sahen an den zurückgelassenen Gewehren, wo Kas und Has gesessen hatten, und nahmen an der andern Seite des Tisches Platz.

„Prächtige Kerls!“ flüsterte der Engineer seinen beiden Nachbarn zu. „Der Rote blickt wie ein König drein und der Weiße nicht weniger.“

„Und das Gewehr des Indsman!“ antwortete ebenso leise der Aufseher. „Die vielen silbernen Nägel daran! Ob das –“

Thounderstorm! Silberbüchse! Winnetou! Seht das schwere Doppelgewehr des Weißen! Ob das der berühmte Bärentöter ist? Und das kleine, leichte Gewehr! Vielleicht gar der Henrystutzen?“

„Dann wäre es Old Shatterhand!“

„Old Shatterhand und Winnetou! Mein Wunsch, mein Herzenswunsch!“

Da hörte man draußen vor dem Eingange die Stimme Kasimirs:

All devils! Was sind das für Pferde hier? Wer ist angekommen?“

„Weiß es nicht,“ antwortete die Stimme des Verwalters, welcher mit den beiden Vettern von dem Schuppen zurückgekehrt war.

„Zwei Rapphengste mit roten Nüstern und dem Vollblutswirbel in der Mähne! Die kenne ich, die kenne ich, und auch die Reiter, denen sie gehören. Indianisch aufgeschirrt! Es stimmt, es stimmt! Welch eine Freude! Genau so wie bei Timpes Erben! Kommt herein, kommt schnell herein; Ihr werdet die zwei größten, die zwei berühmtesten Männer des Westens sehen!“

Er kam in langen Schritten, welche beinahe Sprünge genannt werden konnten, in das Innere des Gebäudes. Has und der Verwalter folgten ihm. Sein Gesicht glänzte vor freudiger Aufregung. Als er den Apatschenhäuptling und dessen weißen Freund und Blutsbruder erblickte, schoß er förmlich auf sie zu, streckte ihnen bewillkommnend beide Hände entgegen und rief:

„Ja, sie sind’s, sie sind’s; ich habe mich nicht geirrt! Was für eine Freude das für mich ist, was für eine große Freude! Gebt mir eure Hände her, Mesch’schurs, daß ich sie euch drücken kann und –“

Er hielt mitten im Satze inne, ließ die Hände sinken, trat einen Schritt zurück und fuhr weniger laut und in entschuldigendem Tone fort:

„Ich bitte um Verzeihung, Mister Shatterhand und Mister Winnetou! Die Freude hat mich konfus gemacht. Leute, wie ihr seid, schreit man nicht in dieser Weise an, sondern man wartet bescheiden, bis man sieht, daß sie sich herablassen wollen, von einem Notiz zu nehmen.“

Da hielt ihm Old Shatterhand seine Rechte hin und antwortete mit einem freundlichen Lächeln:

„Wir haben uns gar nicht herabzulassen, Mister Timpe. Hier im Westen stehen alle ehrlichen Männer einander gleich. Hier ist meine Hand. Wenn Ihr sie drücken wollt, so thut es ganz nach Belieben.“

Kas ergriff sie, schüttelte sie aus Leibeskräften und rief dabei entzückt:

„Mister Timpe, Mister Timpe nennt Ihr mich? Ihr kennt mich also noch? Ihr habt mich nicht vergessen, Sir?“

„Man vergißt nicht so leicht einen Mann, mit dem man solche Dinge erlebt hat, wie wir beide damals mit Euch und Euern Gefährten.“

„Ja, ja, das war eine ungemein dicke Tinte, in welcher wir dazumal steckten. Wir sollten ausgelöscht werden, vollständig ausgelöscht; Ihr habt uns aber herausgeholt. Das werde ich Euch nie vergessen, niemals, darauf könnt Ihr euch verlassen. Wir haben noch vorhin erst von diesem Abenteuer gesprochen. Wird auch Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, mir erlauben, ihn zu begrüßen?“

Der Gefragte gab ihm die Hand und sagte in seinem ernsten und dabei doch so milden Tone:

„Winnetou heißt seinen weißen Bruder willkommen und bittet ihn, sich mit hierher zu ihm zu setzen.“

Da stand der Engineer auf, kam herbei, verbeugte sich sehr höflich und sagte:

„Verzeiht mir die Freiheit, die ich mir nehme, Gentlemen! Ihr dürft nicht hier sitzen, sondern ich lade euch ein, mit hinüber an unsern Tisch zu kommen, der nur für Beamte und hervorragende Personen reserviert ist.“

„Beamte und hervorragende Personen?“ antwortete nun Old Shatterhand. „Wir sind weder Beamte, noch bilden wir uns ein, über andre emporzuragen. Ihr habt soeben gehört, daß hier im Westen alle ehrlichen Männer einander gleichstehen. Wir sagen Euch Dank für die Einladung, bitten aber, hier bleiben zu dürfen.“

„Ganz wie Ihr wollt, Sir. Wir hätten nur so gern die Ehre gehabt, mit so berühmten Westmännern einen guten drink thun und uns mit ihnen unterhalten zu dürfen.“

„Der Unterhaltung werden wir uns nicht entziehen. Ich vermute, daß Ihr Beamter dieser Bahnstrecke seid?“

„Ich bin der Engineer; hier seht Ihr meinen Aufseher und meinen Verwalter, und dort sitzt der Scout, den wir engagiert haben für unsre Sicherheit zu sorgen.“

Er zeigte bei diesen Worten mit der Hand auf die Personen, welche er nannte. Old Shatterhand warf einen sehr kurzen, ganz unauffälligen aber dabei doch scharf forschenden Blick auf den Mischling und fragte dann:

„Ein Scout für eure Sicherheit? Wie heißt der Mann?“

Yato Inda. Er hat einen indianischen Namen, weil er von einer roten Mutter stammt.“

Der weiße Jäger musterte den Mestizen mit einem längern, schärfern Blick und wendete sich dann mit einem so leisen „Hm!“, daß nur der Apatsche es hörte, ab. Was er dachte, das war seinem Gesichte nicht anzusehen. Der Häuptling aber schien Grund zu haben, nicht ebenso zu schweigen; er wendete sich direkt an den Scout:

„Mein Bruder mag mir erlauben, ihn anzureden! jedermann muß hier vorsichtig sein, und wenn zur Sicherheit dieses Camps ein Scout notwendig ist, so muß es Feinde geben, welche das Lager bedrohen. Wer sind diese Leute?“

Der Mestize antwortete zwar höflich, aber doch nicht so zuvorkommend, wie es einem so berühmten Manne gegenüber geboten war:

„Es scheint, daß den Komantschen nicht zu trauen ist.“

Winnetou machte mit dem Kopfe eine horchende Bewegung, als ob er jedes Wort des Sprechenden besonders abschätzen wolle. Auch nach erhaltener Antwort wartete er noch mehrere Sekunden, wie in sich hinein lauschend; dann fuhr er fort:

„Hat mein Bruder einen Grund, diesen Verdacht zu hegen?“

„Einen eigentlichen, wirklichen Grund nicht; es ist nur eine Vermutung.“

„Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt gut und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt Mann und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen, und so vermute ich, daß die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.“

Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Tone erwiderte:

„Ich habe noch nie gehört, daß der große Winnetou neugierig sei. Wie kommt es, daß er sich heut um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?“

„Weil sie deine Mutter ist,“ erklang es fest und scharf aus dem Munde des Häuptlings. „Und weil, wenn ich mich hier befinde, ich wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamme gehörte deine Mutter an?“

Bei diesem Tone und bei dem großen, offenen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete:

„Zum Stamme der Pinal-Apatschen.“

„Und von ihr hast du das Reden gelernt?“

„Natürlich, ja.“

„Ich kenne alle Sprachen und Dialekte der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.“

Da fuhr der Mestize auf:

„Willst du damit etwa sagen, daß ich der Sohn einer Komantschin sei?“

„Und wenn ich dies behauptete?“

„Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, daß ich es mit den Komantschen halte.“

„Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi-Kava, den schwarzen Mustang, welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?“

„Ich habe nur von ihm gehört.“

„Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichtes wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, welcher von dem schwarzen Mustang in größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, daß du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohre hast?“

Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus:

„Diesen Schnitt verdanke ich grade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.“

„Pshaw!“

Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Tone; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, welches der Wirt soeben brachte.

Wie gewöhnlich auf so unliebsame Scenen, folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten, und als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweise:

„Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch weit leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf welches wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!“

Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, daß dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete:

„Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, daß auch unsre Pferde eine gute und sichere Unterkunft hier finden können.“

„Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?“

„Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, an welchem man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.“

Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es nicht Interimszwecken dienen, sondern später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte, als sie eingetreten waren, ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf welcher es an Platz nicht fehlte. Die beiden Gäste drückten ihre Zufriedenheit aus und wollten gehen, um nun auch ihre Pferde unterzubringen. Da meinte der Engineer:

„Wollt ihr nicht eure Sachen gleich hier lassen? Warum die Decken und Gewehre unnötigerweise mit herumtragen?“

Es war kein Grund vorhanden, ihm unrecht zu geben. Die Mauern waren stark und die Fenster so klein, daß kein Mensch einsteigen konnte; die aus starkem Holze hergestellte Thür hatte ein gutes Schloß, und die genannten Gegenstände schienen also hier ganz sicher aufbewahrt zu sein; sie wurden also hier gelassen, und dann brachte man die Pferde nach dem Schuppen, wo schon diejenigen der beiden Timpe standen. Sie erhielten Wasser und Futter, und dann fragte Old Shatterhand, ob nicht, unvorhergesehener Fälle wegen, ein Arbeiter hier wachen könne. Die Pferde hätten hohen Wert, und ihr Verlust würde fast unersetzlich sein. Der Engineer versprach, für einen Wächter zu sorgen, und dann kehrte man nach dem Shop zurück.

Unterwegs erklärte er, daß sie auch in Beziehung auf das Nachtessen seine Gäste sein möchten und fügte dann hinzu:

„Ich werde also heut abend mit euch und nicht mit meinen Leuten speisen, zumal euch einer derselben, nämlich der Scout, nicht gefallen zu haben scheint. Sagt einmal, Mister Winnetou, habt Ihr Grund, ihm zu mißtrauen?“

„Winnetou thut und sagt niemals etwas ohne Grund,“ antwortete der Häuptling.

„Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!“

„Winnetou glaubt nicht an diese Treue. Mein Bruder wird wohl erfahren, wie lange sie währt. Er nennt sich Yato Inda, den guten Mann, sein wirklicher Name aber wird wohl lauten Ik Senanda, was in der Sprache der Komantschen soviel wie böse Schlange heißt.“

„Gibt es einen Komantschen dieses Namens?“

„Der Mischling, von welchem Winnetou vorhin sprach, heißt so, nämlich der Enkel des schwarzen Mustangs.“

„Mister Winnetou, Euern Scharfsinn und Euer Urteil in allen Ehren, aber diesmal müßt Ihr Euch irren! Der Scout hat mir so viele Beweise von Treue gegeben, daß ich ihm vertrauen muß.“

„Mein weißer Bruder kann thun, was ihm beliebt; aber wenn Old Shatterhand und Winnetou nachher so sprechen, daß der Scout es hört, so wird alles, was sie sagen, nur zum Scheine sein. Howgh!“

Mit diesem letzteren Worte deutete er an, daß er über das jetzige Thema nichts mehr hören oder sagen wolle.

Als sie wieder im Shop angekommen waren, bestellte der Engineer bei dem Wirte ein gutes Abendessen für fünf Personen, denn er betrachtete die beiden Timpe nun auch als seine Gäste und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Hier fragte Old Shatterhand den langen, blonden Kas, was ihn jetzt in diese Gegend geführt habe und wohin er von hier aus wolle. Der Genannte erzählte in kurzen Worten seine Erbschaftsgeschichte und auf welche sonderbare Weise er heute mit einem Vetter und Miterben zusammengetroffen sei.

„Nun müssen wir nach Santa Fe.“ fuhr er fort, „können aber leider nicht den nächsten und geradesten Weg einschlagen.“

„Warum nicht!“

„Der Komantschen wegen. Wir wenden uns von hier aus östlich und biegen dann nach Süden um.“

„Hm! Kennt ihr den Weg?“

„Nein; aber ein Westmann findet sich überall zurecht. Vielleicht habt Ihr die Güte, uns einen guten Rat zu erteilen.“

„Den sollt ihr haben. Und wißt Ihr, wie er lautet?“

„Nun?“

„Es sind nur die drei Worte: Nehmt uns mit!“

All devils! Wir sollen euch mitnehmen, nämlich Euch, Sir, und Winnetou?“

„Ja.“

„Ist das Euer Ernst!“

„Ja. Ich wüßte keinen Grund, Euch unsre Begleitung im Scherze anzubieten.“

„Habt Ihr denn einen Weg mit uns?“

„Sicher. Wir wollen nämlich auch nach Santa Fe, wenn auch nicht einer Erbschaft wegen.“

Da schlug Kas die Hände zusammen, daß es nur so knallte und rief vor Entzücken überlaut:

„Das ist ein Glück! Has, Has, hörst du es? Wir dürfen mit Old Shatterhand und Winnetou reiten! Nun schere ich mich den Kuckuck um das ganze Komantschengesindel. Wir brauchen keinen Umweg zu machen, sondern reiten mitten hindurch. Und dann in Santa Fe haben wir sogleich gelungenes Spiel. Es soll diesem Nahum Samuel Timpe ja nicht einfallen, uns zu betrügen oder zu entwischen! Wir haben Männer bei uns, die ihn bis in die Wolken schwippen!“

„Schreit doch nicht so!“ lächelte Old Shatterhand. „Zu solchem Jubel habt Ihr keinen Grund. Es kann auch uns nicht einfallen, mitten durch das Gebiet der Komantschen zu reiten, sondern wir waren, grad so wie Ihr, entschlossen, nach Osten auszubiegen. Ihr seid also einverstanden, daß wir zusammen reiten?“

„Ja, natürlich ja! Es kann uns ja gar nichts Besseres und Vorteilhafteres angeboten werden, als bei Euch sein zu dürfen. Wann meint Ihr, daß wir von hier aufbrechen, Sir?“

„Morgen, sobald wir ausgeschlafen haben. Da erreichen wir am Abend den Alder-Spring, an dem wir bis früh lagern werden.“

Er legte auf diesen Namen einen besonderen Ton, denn er beobachtete während dieses Gespräches den halbblütigen Scout heimlich und sah gar wohl, mit welcher Aufmerksamkeit dieser herüberhorchte, obwohl er sich den Anschein zu geben suchte, als ob er nicht den geringsten Anteil nehme. Er war nicht der einzige, welcher ein so großes und heimliches Interesse für die beiden berühmten Freunde hegte.

Nämlich ganz nahe an der Bretterwand, welche den großen, nur von Chinesen besetzten Raum von dem kleinen trennte, saßen schon vor Eintritt der beiden Timpe zwei „Söhne des Himmels“ bei einander, welche nichts zu thun zu haben schienen als zu rauchen und zu trinken. Sie mochten eine Art von Vorarbeiter vorstellen, oder im Besitz einer sonstigen kleinen Würde sein, weil keiner ihrer Landsleute sich zu ihnen setzte. Sie konnten alles, was nebenan gesprochen wurde, hören, und verstanden es auch, denn sie befanden sich schon seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten und waren in San Francisco mit der englischen Sprache vertraut geworden.

Auf die Ankunft von Has und Kas hatten sie nicht mehr geachtet als alle andern auch; als aber drin im kleinen Raum von den Gewehren Old Shatterhands und Winnetous gesprochen wurde und welchen geradezu untaxierbaren Wert dieselben besäßen, da horchten sie schärfer hin. Dann kamen so ganz unerwartet diese beiden Männer, und die Chinesen blickten erst mit Neugierde und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen von dem gemachten Gange zurückkehrte und die letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen. Endlich konnte es der eine nicht länger aushalten; er fragte leise:

„Hast du alles gehört?“

„Ja.“ antwortete der andre.

„Und gesehen?“

„Und gesehen!“

„Auch die Gewehre?“

„Auch!“

„Wie kostbar sie sind!“

„Viele, viele tausend Dollars!“

„Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten; wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsre Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!“

Es trat eine Pause ein; sie überlegten. Nach einer Weile that der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, indem er listig mit den schiefen Augen blinzelte:

„Ahnst du, wo die Gewehre liegen?“

„Ich weiß es,“ lautete die Antwort.

„Nun wo?“

„Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben, und niemand wüßte, wer sie geholt hät.“

„Und später könnten wir sie in Frisco verkaufen. Wir bekämen viel, ungeheuer viel Geld dafür, dann wären wir reiche, sehr reiche Herren und könnten nach dem Reiche der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.“

„Ja, das könnten wir; wir könnten es wirklich, wenn wir nur wollten!“

Nach einer abermaligen Pause, während welcher sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt:

„Das Haus des Engineers ist steinern, und niemand kann durch die Fenster!“

„Und die Thür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloß!“

„Aber das Dach! Weißt du nicht, daß es aus Shingles gemacht ist?“

„Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Öffnung machen und einsteigen.“

„Leitern gibt es genug!“

„Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.“

„Man müßte sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen Bastmatten mehr als genug umher.“

Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen; jetzt rückten sie noch näher zusammen, und die Art und Weise, in welcher sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andre.

Eben als dieser letztere verschwunden war, kam ein neuer Ankömmling. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemde, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, welches im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang wie bei einem Weibe auf den Rücken hinab, und am Halse trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.

Er blieb unter dem Eingange stehen, um sein Auge, aus der Finsternis kommend, an das Licht zu gewöhnen, warf hernach einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.

Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung, und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleineren Raume, in welchem die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andre Wirkung, als daß man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.

Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, daß es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als ob sie füreinander gar nicht vorhanden wären; aber hie und da flog doch unter den tief gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Da stand der Scout von seinem Tische auf und schritt dem Eingange zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er thut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.

Aber es gab zwei, denen gerade diese große und so zur Schau getragene Absichtslosigkeit auffälig vorkam: Winnetou und Old Shatterhand. Sofort richteten sie ihre Augen scheinbar von der Thür weg, aber eben nur scheinbar, denn wer das wohlgeübte Auge eines Westmannes kennt, der weiß, daß es im stande ist, auch von der Seite her soviel Strahlen aufzunehmen, um genau zu sehen, was da geschieht, wohin es nicht zu blicken scheint.

Unter der Thür angekommen, drehte sich der Scout für einige Sekunden um; er sah kein einziges Auge auf sich gerichtet und gab mit einer schnellen, kurzen Bewegung der Hand dem Roten ein Zeichen, dessen Bedeutung nur dem verständlich sein konnte, mit dem es verabredet worden war. Dann drehte er sich wieder um und trat in die dunkle Nacht hinaus.

Dieses Zeichen war ebensowohl von Winnetou wie auch von Old Shatterhand bemerkt worden; sie tauschten nur einen Blick miteinander aus und waren dann, ohne ein Wort gesprochen zu haben, darüber einig, was zu geschehen hatte. Was sie vermuteten, und was sie wollten, war folgendes: Der fremde Indianer stand im heimlichen Einvernehmen mit dem Scout, denn er hatte ein Zeichen von ihm bekommen. Heimlich war dieses Einvernehmen, weil sie darauf bedacht gewesen waren, es nicht sehen und wissen zu lassen. Aus dieser Heimlichkeit war zu schließen, daß es sich um eine böse Absicht handele, welcher unbedingt auf die Spur zu kommen war. Es mußte nun jemand dem Scout folgen, um sein Thun zu belauschen. Da nun mit Sicherheit anzunehmen war, daß es sich um Indianer handle, wollte Winnetou, der ein Indsman war, dieses Beschleichen übernehmen. Leider durfte er da nicht zur Thür hinaus, denn diese war hell beleuchtet, und der Scout stellte sich gewiß so auf, daß er jede Person, die den Schuppen verließ, sehen konnte. Glücklicherweise hatte der Apatsche vorhin bemerkt, daß es hinter den Fässern, Ballen und Kisten eine kleine Thür gab, wohl zu dem Zwecke, diese Gegenstände herein- und hinausschaffen zu können, ohne daß man erst nach dem Haupteingange mußte. Durch diese Hinterthür wollte der Häuptling hinaus. Da dies aber möglichst unbemerkt zu geschehen hatte, so mußte er warten, bis die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf Old Shatterhand gerichtet worden war, was sicherlich sofort geschah, sobald dieser mit dem Indianer zu sprechen begann.

Das war das zweite, was man thun mußte, nämlich den Indianer in das Verhör nehmen, um wo möglich etwas aus ihm herauszulocken, was einen Anhalt geben konnte, auf seine Absichten zu schließen.

Old Shatterhand zögerte auch gar nicht, seine Forschung zu beginnen, und als alle auf ihn hörten und ihre Augen auf ihn richteten, glitt Winnetou von dem Tische fort, um hinter den Fässern zu verschwinden und zu der erwähnten Thür zu gelangen.

Der Indsman war ein kräftig gebauter, in den mittleren Jahren stehender Mann. Bald zeigte es sich, daß er auch in Beziehung auf seine Intelligenz kein Schwächling war. Dies hatte Old Shatterhand freilich vorausgesehen, denn so heimliche und vielleicht auch gefährliche Aufträge pflegt nur ein kluger Krieger zu bekommen.

„Mein roter Bruder hat sich fern von uns gesetzt. Will er nichts essen oder trinken?“ so lautete die erste Frage Old Shatterhands.

Der Rote antwortete nur mit einem Kopfschütteln.

„Warum nicht? Hast du weder Durst noch Hunger?“

„Juwaruwa hat Hunger und auch Durst, aber er hat kein Geld,“ ließ sich jetzt der Rote hören.

„Juwaruwa, so ist dein Name?“

„So werde ich genannt.“

„Das heißt Elk in der Sprache der Upsarokas

„Gehörst du zu diesem Stamme?“

„Ich bin ein Krieger desselben.“

„Wo weidet er jetzt seine Pferde?“

„In Wyoming.“

„Und wie heißt der Kriegshäuptling desselben?“

„Er wird starker Büffel genannt.“

Old Shatterhand war zufälligerweise vor kurzer Zeit bei den Krähenindianern, die zum Volke der Dakotas gehören, gewesen; er kannte die Verhältnisse derselben und war also im stande, zu beurteilen, ob der Indianer ihn belog. Die Antworten enthielten die Wahrheit.

„Wenn mein Bruder nicht bezahlen kann, so mag er sich zu uns hinsetzen und auch mit uns essen,“ fuhr er fort.

Der Indianer warf einen forschenden Blick auf ihn und erklärte:

„Juwaruwa ist ein tapferer Krieger; er ißt nur mit Männern, die er kennt und die ebenso tapfer sind. Hast du einen Namen, und wie lautet er?“

„Man nennt mich Old Shatterhand.“

Old – – – Shatt – – –!“

Der Name blieb ihm im Munde stecken. Er hatte nur für einen Augenblick seine Ruhe und Selbstbeherrschung verloren, aber doch dadurch verraten, daß er erschrocken war. Er nahm sich schnell wieder zusammen und fuhr in scheinbarer Unbefangenheit fort:

„Old Shatterhand? Uff! So bist du ein sehr berühmtes Bleichgesicht.“

„Mit dem du also essen kannst. Komm her zu uns, und iß und trink!“

Anstatt dieser Aufforderung Folge zu leisten, ließ der Indsman seinen Blick umhergehen und fragte:

„Ich sehe den roten Mann nicht, der an deiner Seite saß. Wo ist er hin?“

„Er wird draußen in dem andern Raum sein.“

„Ich gewahrte nicht, daß er hinausging. Wenn du Old Shatterhand bist, so ist er wohl Winnetou, der Häuptling der Apatschen?“

„Er ist es. Wo hast du dein Pferd?“

„Ich reite nicht.“

„Wie? Ein Upsaroka, der sich so viele Tagesreisen südwärts von seinem Stamme befindet, hat kein Pferd? Hast du es unterwegs verloren?“

„Nein. Ich habe keins mitgenommen.“

„Auch keine Waffen als nur das Messer?“

„Keine.“

„Das muß ja sehr wichtige Gründe haben!“

„Ich habe einen Schwur gethan, ohne Pferd und nur mit dem Messer zu gehen.“

„Warum?“

„Weil die Komantschen auch ohne Pferde und andre Waffen waren.“

„Komantschen? Wo waren sie?“

„Oben, nahe bei unsern damaligen Weidegründen in Dakota.“

„Komantschen so weit im Norden? Sonderbar.“

Old Shatterhand glaubte dem Roten schon längst nicht mehr und ließ seinen Zweifel auch im Tone erklingen. Der Rote warf ihm einen fast höhnischen Blick zu und antwortete:

„Weiß Old Shatterhand nicht, daß jeder indianische Krieger einmal nach Dakota muß, um den heiligen Thon zur Friedenspfeife zu holen?“

„Nicht jeder braucht dies zu thun, und nicht jeder hat es gethan.“

„Die Komantschen aber thaten es. Sie begegneten mir und meinem Bruder; ihn erstachen sie, und mir gelang es, zu entkommen. Dann that ich meinen Schwur und bin ohne Pferd und nur mit dem Messer hinter ihnen her; ich werde nicht ruhen, bis ich sie getötet habe!“

„Da du mich an die heiligen Bräuche mahnst, so wirst du wissen, daß kein Indsman auf dem Wege nach diesen Steinbrüchen einen andern töten darf?“

„Die Komantschen begingen dennoch den Mord!“

„Hm! Aber warum diesen Schwur? Ohne Pferd und nur mit dem Messer! Wie willst du jagen? Wovon hast du unterwegs gelebt?“

„Habe ich dir das zu sagen?“ fragte der Indianer stolz, denn er glaubte, Old Shatterhand vollständig getäuscht zu haben.

„Nein,“ antwortete dieser ruhig. „Ich kann nur nicht begreifen, daß du während so langer Zeit und auf einem so langen Wege auf kein Pferd gekommen bist.“

„Ich that den Schwur und habe ihn gehalten.“

„Nein, sondern du hast ihn übertreten!“

„Beweise es!“

„Du hast heut im Sattel gesessen!“

„Uff, uff“

„Ja, während des Regens.“

„Uff, uff !“ wiederholte der angebliche Upsaroka; es klang halb wie Schreck und halb wie Trotz. Er war natürlich aufgestanden, als Old Shatterhand mit ihm zu sprechen begann, und stand nahe vor ihm. Der weiße Jäger bückte Sich, strich ihm mit beiden Händen an den Beinen nieder und sagte dann:

„Deine Leggins sind an den Außenseiten naß und nach einwärts trocken. Die Innenseiten, die am Leibe des Pferdes anlagen, hat der Regen nicht treffen können.“

Auf diesen scharfsinnigen Beweis war der Indianer nicht gefaßt gewesen, aber seine Schlauheit gab ihm schnell eine Ausrede ein:

„Man sagt, daß Old Shatterhand der klügste Mann der Weißgesichter sei, und doch ‚ kann er sich das nicht erklären, was so sehr leicht zu erklären ist; jedes Kind weiß, daß die Innenseiten der Hosen eher trocken werden als die äußern. Old Shatterhand hat noch viel zu lernen!“

Diese Frechheit war groß; der Jäger blieb dennoch ruhig. Er hatte sich bis jetzt der englischen Sprache bedient, deren der Rote leidlich mächtig war; jetzt aber legte er ihm eine Frage im Dialekte der Upsarokas vor und erhielt keine Antwort. Er sprach noch einige andre Fragen aus, doch mit demselben Erfolge oder Mißerfolge; dann legte er dem Indsman schwer die Hand auf die Schulter und sagte:

„Warum antwortest du mir nicht? Ist dir die Sprache deines eigenen Stammes unbekannt?“

„Ich habe den Schwur gethan, sie nicht eher zu sprechen, als bis der Tod meines Bruders gerächt worden ist.“

„So, deine Schwüre scheinen alle außerordentlich sonderbar ausgefallen zu sein! Noch viel sonderbarer aber ist die Dummheit, in der du dir einbildest, mich betrügen zu können. Grad deine Sprache ist’s, die dich verrät. Ich weiß ganz genau, wie ein Upsaroka und wie jeder andre Stamm die Sprache der Bleichgesichter redet. Du bist nicht ein Krähenindianer, sondern ein Komantsche. Hast du den Mut, dies einzugestehen?“

„Die Komantschen sind meine Feinde; das habe ich dir bereits gesagt!“

„Grad, daß du sie deine Feinde nennst, ist für mich der Beweis, daß du einer bist!“

„So machst du mich zum Lügner? Das ist die Sitte der Weißen, ihre roten Gäste zu beleidigen. Ich gehe!“ Er wollte nach der Thür.

„Du bleibst!“ gebot Old Shatterhand, indem er ihn beim Arm ergriff.

Da zog der Indianer sein Messer und rief:

„Wer hat das Recht, mich zu halten? Du? Was habe ich dir gethan? Nichts! Ich werde gehen, und jeder, der mich daran hindern will, bekommt dieses Eisen in das Herz!“

Old Shatterhand hielt ihn trotzdem mit der Linken fest, entriß ihm mit einem schnellen Griffe seiner rechten Hand das Messer und wiederholte:

„Du bleibst! Wir warten, bis Winnetou zurückkehrt; dann wird es sich entscheiden, ob du gehen darfst oder nicht. Kauere dich wieder hin, wo du vorhin gehockt hast. Ein Versuch zur Flucht bringt dir eine Kugel in den Kopf!“

Er schleuderte ihn nach der betreffenden Stelle hin; der Indsman stürzte dort nieder; er wollte sich aufraffen, besann sich aber anders und blieb kauern. Old Shatterhand setzte sich wieder zum Essen nieder und legte den gespannten Revolver neben sich, um seiner Drohung Nachdruck zu geben.

Das unterbrochene Abendmahl wurde fortgesetzt, doch kam das Gespräch dabei nicht mehr in Fluß. Nach einiger Zeit kam der Scout wieder und setzte sich an seinen Platz. Da er den Indianer in derselben Stellung fand, die er vorher eingenommen gehabt hatte, so ahnte er nicht, was inzwischen geschehen war. Der Verwalter und der Aufseher, die bei ihm saßen, erzählten es ihm; er hörte es und blieb äußerlich ruhig, obgleich er innerlich keine geringe Sorge hatte, denn wenn er auch nicht glaubte, von Winnetou bemerkt worden zu sein, war es trotzdem möglich, daß dieser ihn belauscht hatte.

Als der Apatsche vorhin durch die Hinterthür geschlichen war, hatte er sich gesagt, daß der Scout vorn zu finden sei. Er schlich also in einem weiten Bogen nach dieser Seite. Die breite, offene Thür des Shops war hell erleuchtet, und indem man sie, immer weiter gehend, unausgesetzt im Auge behielt, mußte man jeden Menschen sehen, der sich zwischen ihr und diesem Auge befand.

Winnetou schlug seinen Bogen weiter und immer weiter, vergeblich! Er blieb oft halten und lauschte in die Nacht hinaus, ebenso vergeblich. Er kehrte zurück und begann von neuem, wieder ohne Erfolg. Darüber verging die Zeit, bis er eine Gestalt von seitwärts her kommen und sich dem Shop nähern sah. Als sie die Thür erreichte und hineinging, erkannte er, wer es war.

„Uff! Das war der Scout,“ sagte er zu sich selbst. „Er scheint doch nichts Heimliches vorgehabt zu haben; darum habe ich hier umsonst nach ihm gesucht. Winnetou hat sich einmal geirrt. Old Shatterhand wird sich sehr darüber wundern.“

Er gab sich nun keine Mühe, heimlich zurückzukehren, sondern benutzte die vordere, helle Thür. Als der Scout ihn kommen sah, fühlte er seinen Puls schneller gehen. Jetzt mußte es sich zeigen, ob der Apatsche etwas erlauscht hatte oder nicht. Dieser setzte sich neben Old Shatterhand, der ihm das Ergebnis des Verhörs mitteilte und am Schlusse leise fragte:

„Hat mein roter Bruder Glück gehabt?“

„Winnetou konnte weder Glück noch Unglück haben, weil er sich im Irrtum befand. Es hat gar nichts vorgelegen.“

„Aber das Zeichen, welches der Scout dem Roten gab?“

„Das war kein Zeichen, sondern eine unwillkürliche Armbewegung.“

„So hätte auch ich mich geirrt, und das möchte ich kaum annehmen. Und dieser Indsman da ist kein Upsaroka, sondern ein Komantsche.“

„Hat er dir, oder mir, oder einem andern etwas gethan?“

„Bis jetzt freilich noch nicht.“

„So darf man ihn auch noch nicht als Feind behandeln. Mein Bruder Shatterhand mag ihn freigeben.“

„Nun wohl, weil du es willst; aber ich thue es nur ungern.“

Er sagte dem Roten, daß er sich entfernen könne. Dieser stand langsam auf und forderte sein Messer zurück. Als er es erhalten hatte, steckte er es mit den Worten in den Gürtel:

„Dieses Messer hat heut mehr Arbeit bekommen, denn ich habe bei mir einen neuen Schwur gethan. Old Shatterhand wird bald erfahren, ob dieser auch so sonderbar ist, wie vorher die andern!“

Nach dieser Drohung entfernte er sich raschen Schrittes. Das Gesicht des Scout hatte während der letzten Minute einen höchst gespannten, ja ängstlich gespannten Ausdruck angenommen; jetzt aber veränderte es sich in der Weise, daß in seinen Zügen ein offenbarer, nicht zu beherrschender Hohn zu lesen war. Old Shatterhand sah dies ebenso wie Winnetou, und letzterer flüsterte ersterem zu:

„Mein Bruder sehe den Mestizen an!“

„Ich sehe ihn.“

„Er verlacht uns!“

„Leider wird er Veranlassung dazu haben.“

„Ja. Seine Handbewegung vorhin war doch ein Zeichen für den Indianer, den du für einen Komantschen hieltest. Wir haben uns nicht geirrt.“

„Du hast ihn draußen nicht gefunden. Wer weiß, was für eine Teufelei da ausgeheckt worden ist. Desto schärfer müssen wir ihn nun von jetzt an im Auge behalten. Ich bin überzeugt, daß er ein sehr gefährlicher Mensch ist.“

Old Shatterhand hatte recht, wenn er den Mestizen einen gefährlichen Menschen nannte, und es war draußen wirklich eine Teufelei verabredet worden.

Als der Scout den Schuppen verlassen hatte, war er zunächst vorsichtig aus dem Lichtkreise gewichen, den die brennenden Feuer hinaus ins Freie warfen. Dann gerade senkrecht von dem Shop aus weitergehend, hatte er ungefähr dreihundert Schritte zurückgelegt, bis er eine leise Stimme hörte, die seinen Namen nannte; aber es war nicht der Name, den er hier im Camp trug, sondern ein ganz andrer, denn die Stimme erklang:

„Komm hierher, Ik Senanda! Hier stehen wir.“

Er war also wirklich der, für den ihn Winnetou gehalten hatte, der halbblütige Enkel des „schwarzen Mustang“, des „grimmigsten“ Häuptlings der Komantschen.

Indem er dem Rufe folgte, sah er bald drei Indianer vor sich stehen, von denen der eine sich durch eine ungemein hohe und kräftige Gestalt auszeichnete. Das war der Häuptling selbst, welcher ihn mit den Worten begrüßte –

„Willkommen, du Sohn meiner Tochter! Ich sandte Kita Homascha, den listigsten meiner Krieger, in das Haus, damit du wissen möchtest, daß ich gekommen bin und auf dich warte. Hast du mit ihm gesprochen?“

„Kein Wort. Seine bloße Ankunft war für mich genug.“

„Du hast klug gehandelt, denn man hätte vielleicht Argwohn schöpfen können. Wir haben hier einen guten Platz und können nicht überrascht werden, weil wir bei der Helle der offenen Thür einen jeden sehen, der aus dem Hause tritt. Auch haben wir es ja nur mit Leuten zu thun, welche nichts von dem Leben des wilden Westens verstehen.“

„Du irrst. Es sind Männer hier, die es besser kennen, als du und ich.“

„Das ist unmöglich. Wen könntest du damit meinen? Sage es!“

„Zuerst kamen zwei sehr lange und sehr dürre Reiter, welche bis morgen hier bleiben. Der eine nannte sich Timpe, und der andre scheint ebenso zu heißen.“

„Timpe? Pshaw! Kein tapferer Krieger hat jemals diesen oder einen ähnlichen Namen gehört.“

„Dann kamen zwei andre, über deren Namen ich erschrocken bin.“

„Uff! Ich habe bisher nicht gewußt, daß der Sohn meiner Tochter erschrecken kann. Sind diese beiden Ankömmlinge etwa keine Menschen, sondern böse Gesichter der Savanne oder des Felsengebirges?“

„Sie sind Menschen, aber was für welche! Ein Roter und ein Weißer, der berühmteste Krieger der Indianer und der berühmteste Krieger der Blaßgesichter.“

„Uff, uff ! Willst du damit sagen, es sei Winnetou mit Old Shatterhand?“

„Diese sind es allerdings.“

„Die hat der böse Manitou hierher geführt.“

„Nicht der böse, sondern der gute. Erst erschrak ich freilich; dann aber, als ich sie sprechen hörte, kam Freude über mich.“

„Du wirst mir sagen, was du gehört hast, aber nicht hier. Wir müssen fort.“

„Fort? Warum?“

„Weil ich weiß, wie Männer denken und handeln, welche so, wie die beiden Krieger sind. Haben sie mit dir gesprochen?“

„Winnetou fragte mich aus. Er glaubte nicht, daß ich Yato Inda bin und hielt mich für den Sohn deiner Tochter. Ich werde mich dafür zu rächen wissen!“

„Der Apatsche hat jedoch eine so scharfe Nase wie kein andrer. Er hat Verdacht geschöpft und wird dir jetzt folgen, um dich zu beobachten.“

„Das glaube ich nicht, er hat keinen Grund dazu.“

„Er hat stets Grund zur Vorsicht und zur Hinterlist, er, der ärgste Feind der Komantschen, den wir nie angreifen und festhalten konnten. Doch wehe ihm, wenn er endlich in unsre Hände fällt!“

„So öffne die Hände, denn er fällt jetzt hinein! Ich will dir sagen, daß – – –“

„Jetzt und hier nicht.“ unterbrach ihn der Häuptling. „Wir müssen uns eine andre Stelle suchen, denn Winnetou wird dich belauschen wollen.“

„Wir sehen ihn ja, wenn er aus der hellen Thür hervortritt.“

„Du kennst ihn nicht. Er berechnet alles und weiß, daß ein Feind, der diesen Camp beschleicht, sich grad dieser Thür gegenüber aufstellen wird, weil er da alles sehen kann. Winnetou wird also grad hierherkommen, und zwar nicht durch die erleuchtete Thür. Gibt es noch eine zweite Thür?“

„Eine kleine, die hinter dem Vorratsraume liegt.“

„Er wird diese benutzen und sich dann im dunkeln hierherschleichen. Wir müssen nach der andern Seite hinüber. Komm!“

Sie huschten in einem weiten Bogen rechts um den Shop, während Winnetou den seinigen links um denselben schlug und sie also nicht mehr vorfand. Dort blieben sie unter einem Baume stehen, und der Scout erzählte, was er gehört hatte. Der Häuptling hörte ihm mit größter Spannung zu und sagte dann, vor Freude beinahe laut werdend:

„Nach dem Alder-Spring wollen sie? Morgen abend werden sie dort sein? Wir ergreifen sie; wir ergreifen sie dort; sie können uns gar nicht entgehen! Welch einen Jubel wird es bei uns geben, wenn wir diese kostbare Beute geschleppt bringen, und sie martern, daß sie heulen wie geschundene Coyoten! Diese beiden Skalpe sind mehr, viel mehr wert, als die vielen Zöpfe, auf die es eigentlich abgesehen ist!“

Er erging sich in noch weiteren Ausdrücken der Freude, bis sein Enkel ihn unterbrach:

„Ja, wir werden sie ganz gewiß fangen und zu Tode martern; aber willst du deshalb auf die Chinesen verzichten, welche ich euch in die Hände liefern sollte?“

„Nein, du hast ja deshalb deinen Namen verändert und bist in den Dienst der Männer vom Feuerroß getreten, und wir sind heut hierher gekommen, um dich zu fragen, ob es nicht bald geschehen kann.“

„Ich bin an jedem Tage bereit, hoffe aber, daß ihr das mir gegebene Wort halten werdet!“

„Wir halten es. Oder meinst du, daß ich den Sohn meiner Tochter betrügen werde? Alles Geld und alles Gold und Silber ist dein; alles andre, die Kleider, die Werkzeuge, die Vorräte und besonders die langen Zöpfe der gelben Männer, gehört uns. Wir sind es gewöhnt, daß die Bleichgesichter uns alles rauben; wir müssen vor ihnen weichen, denn sie sind mächtiger als wir; nun aber kommen auch diese Gelbhäute und bauen Brücken und Eisenwege auf dem Boden, der uns gehört; sie werden alle ihr Leben dafür lassen müssen, und die Krieger der Komantschen werden den Ruhm haben, die ersten roten Männer zu sein, welche die neuen Skalpe der langen Zöpfe besitzen. Wir verzichten nicht darauf, und du wirst uns jetzt alle Auskunft erteilen, die zu einem Überfalle nötig ist.“

Nun folgten ausführliche Auseinandersetzungen über die Örtlichkeit und die einzelnen Teile des Camp, über die Art und Weise, in welcher der Überfall, falls er gelingen solle, vorzunehmen sei; und über die Beute, welche zu erwarten war. Dann gab der „schwarze Mustang“ seinen beiden Begleitern das Zeichen, wieder zu ihm zu stoßen, denn sie hatten sich nach den Seiten hin entfernt, um als Wächter dafür zu sorgen, daß er nicht überrascht und entdeckt werde.

Das Resultat dieser geheimen Zusammenkunft war, daß zunächst morgen abend Old Shatterhand und Winnetou mit Kas und Has am Alder-Spring gefangen genommen werden sollten; die Zeit des Angriffes der Komantschen auf Firwood-Camp werde man dann dem Scout durch einen Boten melden. Hierauf verabschiedete er sich von den drei Verbündeten und kehrte nach dem Shop zurück.

Der „schwarze Mustang“ suchte mit den beiden Komantschen eine nahe Stelle aus, wo der Verabredung gemäß die Rückkehr des nach dem Shop gesandten Boten zu erwarten war. Er stellte sich bald darauf ein und berichtete voller Ingrimm, wie von seiten Old Shatterhands mit ihm verfahren worden war. Als er hörte, daß dieser mit Winnetou überfallen werden solle, zischte er vor Freude zwischen den Zähnen hervor:

„Er soll es bereuen, daß er sich an mir vergriffen hat, denn ich werde es sein, der ihm die fürchterlichsten Qualen bereitet!“

Eben schickten sich die Roten an, die Stelle zu verlassen und zu den Pferden zu gehen, die sie versteckt hatten, da hörten sie Schritte, welche näher kamen. Augenblicklich warfen sie sich auf den Boden nieder, obgleich derselbe naß und schlammig war. Aber sie lagen den beiden Männern, die vorüber wollten, grad im Wege; der eine stürzte über den Häuptling weg und riß den andern mit sich nieder. Sie wurden im Nu ergriffen und festgehalten.

„Schreit nicht, sonst kostet es euer Leben!“ befahl der Häuptling. „Wer seid ihr?“

„Wir sind Arbeiter,“ antwortete derjenige, welcher den größten Mut besaß, der an sie ergangenen Aufforderung nachzukommen.

„Steht auf; aber thut keinen einzigen Schritt von hier fort, wenn euch euer Leben lieb ist! Warum schleicht ihr so heimlich hier herum? Wenn ihr Arbeiter seid, die zu diesem Kamp gehören, braucht ihr das doch nicht zu thun!“

„Wir sind nicht geschlichen!“

„Doch! So leise und gebückt geht kein Mensch, der sich sehen lassen will. Was habt ihr da in den Händen?“

„Gewehre.“

„Gewehre? Wozu brauchen Arbeiter Gewehre? Zeigt her; ich will sie sehen!“

Er entriß sie ihnen, betastete sie und hob dann jedes einzelne empor, um es, gegen den Himmel gerichtet, besser betrachten zu können.

„Uff, uff, uff !“ ließ er sich dann zwar leise, aber im Tone freudigen Erstaunens hören. „Diese drei Gewehre kenne nicht nur ich, sondern sie sind jedem Roten und Weißen hier im Westen wohlbekannt. Die Flinte mit den vielen Nägeln muß die Silberbüchse Winnetous, unseres Feindes sein. Und wenn das richtig ist, so gehören die beiden andern dem Bleichgesichte Old Shatterhand; es ist der Henrystutzen und der Bärentöter. Habe ich richtig vermutet?“

Die Chinesen schwiegen auf diese an sie gerichtete Frage. Sie sahen, daß sie Indianer vor sich hatten, und fürchteten sich. Sie zitterten förmlich und waren sogar zu feig, einen Fluchtversuch zu wagen.

„Redet!“ fuhr er sie an. „Gehören diese Gewehre Old Shatterhand und Winnetou?“

„Ja,“ hauchte derjenige von ihnen, der bis jetzt gesprochen hatte.

„So habt ihr sie gestohlen?“

Der Gefragte schwieg abermals.

„Ich sehe, daß ihr Wagare-Saritsches seid, denen solche Männer ihre Gewehre niemals anvertrauen würden. Wenn du es nicht gestehst, stoße ich dir das Messer augenblicklich in den Leib! Sprich!“

Da beeilte sich der Chinese, zuzugeben:

„Wir haben sie heimlich genommen.“

„Uff ! Also doch! Winnetou und Old Shatterhand müssen sich sehr sicher fühlen, daß sie sich hier von ihren Gewehren getrennt haben. Ihr seid Diebe. Wißt ihr, was ich mit euch thun werde? Ihr habt den Tod verdient!“

Da warf sich der Chinese auf die Kniee nieder, hob die Hände und flehte: „Töte uns nicht!“

„Wir sollten euch freilich das Leben nehmen; aber ihr seid gelbe, räudige Schakale, an denen tapfere Krieger ihre Messer nicht besudeln. Wir werden euch also laufen lassen, wenn ihr thut, was ich euch befehle.“

„Sage es; o, sage es! Wir werden dir gehorchen!“

„Gut! Warum habt ihr die Gewehre gestohlen? Ihr könnt sie doch nicht brauchen, denn ihr seid keine Jäger.“

„Wir wollten sie verkaufen, denn wir haben gehört, daß sie sehr, sehr viel Geld wert seien.“

„Wir kaufen sie euch ab.“

„Wirklich? Wirklich? Ist das wahr?“

„Ich bin der Häuptling der Komantschen. Mein Name lautet Tokvi Kava, was in der Sprache der Bleichgesichter schwarzer Mustang heißt. Habt ihr von mir gehört?“

Jawohl hatten sie von ihm gehört, und zwar nicht etwa etwas Gutes, sondern im Gegenteil so viel Schlimmes, daß der Chinese tief erschrocken antwortete:

„Der schwarze Mustang?! Ja, wir kennen dich!“

„So wirst du wissen, was für ein großer und berühmter Häuptling ich bin, und daß alles, was ich sage, stets die Wahrheit ist. Ich kaufe dir die Gewehre ab.“

„Wieviel gibst du uns dafür?“

„Mehr, als jeder andre euch geben würde.“

„Was?“

„Euer Leben. Ein solcher Diebstahl wird mit dem Tode bestraft; ich schenke euch aber für die Flinten das Leben.“

„Das Leben? Nur das Leben?“ fragte der Zopfträger zitternd und enttäuscht.

„Ist das nicht genug?“ zischte ihn der Rote an. „Können solche Burschen, wie ihr seid, mehr bekommen, als das Leben? Was wollt ihr noch?“

„Geld.“

„Geld! Also Metall! Wenn ihr Metall wollt, könnt ihr auch dies haben, nämlich das Eisen unsrer Messer; sie sind so scharf und spitz, daß ihr genug davon bekommen werdet.Wollt ihr es?“

„Nein, nein! Verschone uns!“ stöhnte der Chinese. „Wir wollen leben; behalte die Gewehre!“

„Das ist dein Glück, du gelbe Kröte! Und nun höre, was ich dir noch befehle! Old Shatterhand und Winnetou werden sehr bald merken, daß ihre Flinten fort sind; es wird sich ein großer Lärm erheben; sie werden suchen und fragen. Was werdet ihr da thun?“

„Wir werden schweigen.“

„Das müßt ihr. Kein Wort dürft ihr sagen, kein einziges Wort, sonst nehmen sie euch das Leben, weil ihr die Diebe seid. Aber auch von uns dürft ihr nicht sprechen, denn wenn sie erfahren, daß ihr uns getroffen und mit uns gesprochen habt, so erraten sie alles, und ihr seid doch verloren. Werdet ihr diesem meinem Befehle gehorchen?“

„Wir werden schweigen, als ob wir tot wären!“

„Das fordere ich von euch, denn wenn ihr verrietet, daß wir hier gewesen sind, würden wir kommen und Rache nehmen; ihr würdet unter tausend Qualen am Marterpfahle sterben. Und nun noch eine Frage: Sind euch die Namen Iltschi und Hatatitla bekannt?“

„Nein.“

„So heißen die Pferde von Winnetou und Old Shatterhand. Sind diese edlen Tiere mit hier?“

„Das wissen wir nicht; aber sind es vielleicht Rapphengste mit roten Nüstern und Vollblutswirbeln?“

„Ja. Du hast sie gesehen?“

„Nein. Ein Jäger sprach davon, als er sie an der Thür stehen sah.“

„Sie sind es. Wo stehen sie jetzt?“

„Im Schuppen, der dort hinter uns liegt. Wir hörten, daß sie dorthin geschafft wurden.“

„So sind wir mit euch fertig. Also schweigt von allem, was geschehen ist und was ihr gesehen und gehört habt, sonst bezahlt ihr den Verrat mit dem Tode, wie wir euch die Gewehre mit eurem Leben bezahlt haben! Jetzt könnt ihr gehen!“

Er gab jedem von ihnen einen Fußtritt, und dann verschwanden sie schleunigst im Dunkel der Nacht, froh darüber, daß ihnen zwar der Raub wieder abgenommen worden, aber doch wenigstens das Leben geblieben war.

„Uff! Glücklicher konnten wir nicht sein!“ sagte der Häuptling im Tone größter Befriedigung zu seinen Leuten. „Wir haben das Zaubergewehr, den Bärentöter und die Silberbüchse. Nun werden wir uns auch noch die Hengste holen, die außer meinem Mustang nicht ihresgleichen haben.“

„Will Tokvi Kava nach dem Schuppen gehen?“ fragte derjenige, welcher unter dem Namen Juwaruwa als Spion im Shop gewesen war.

„Meint mein Bruder, daß ich diese Pferde stehen lassen soll? Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum andern sein. Wir holen sie, denn sie sind wohl eben so viel wert, wie die Gewehre, welche wir den gelben, langzopfigen Burschen abgenommen haben.“

„Tokvi Kava mag bedenken, daß wahrscheinlich Blut dabei fließen wird.“

„Warum?“

„Winnetou und Old Shatterhand werden ihren Pferden Wächter gegeben haben.“

„Wir schleichen uns leise an und stechen sie nieder. Vielleicht sind auch keine Wächter da, weil die Tiere nicht im Freien, sondern im Schuppen stehen.“

Leider hatte er recht, denn das Versprechen, für einen Wächter zu sorgen, war zwar von dem Engineer gegeben, aber noch nicht ausgeführt worden. Die Roten schlichen sich lautlos nach dem Schuppen, dessen Thüre kein wirkliches Schloß, sondern nur einen Riegel hatte. Sie lauschten. Drinnen ließen sich vereinzelte Hufschläge vernehmen, wenn ein Pferd mit dem Beine stampfte. Es war finster im Innern. Ein Wächter wäre gewiß nicht in den vollständig dunkeln Raum eingeschlossen worden; es war also keiner da. Der Häuptling schob den Riegel zurück, öffnete die Thür ein wenig, stellte sich so, daß er von innen nicht gesehen werden konnte und rief einigemal in englischer Sprache hinein, als ob er ein Bekannter des etwa doch anwesenden Postens sei. Es erfolgte keine Antwort. Nun traten die vier Indianer ein.

Die Pferde der beiden Timpes waren ganz nach hinten geschafft worden; die Rapphengste standen fast ganz vorn. Der Häuptling merkte trotz der Dunkelheit sehr bald, welches die von ihm gewünschten Tiere waren.

„Sie stehen hier,“ sagte er. „Nehmt euch in acht! Reiten dürfen wir sie nicht, denn sie kennen uns nicht; wir müssen sie führen, und da werden wir draußen sehr bald mit ihnen zu thun bekommen, sobald sie merken, daß es fortgehen soll, und ihre Herren nicht dabei sind.“

Die Rapphengste wurden vorsichtig losgebunden und langsam hinausgeführt. Sie folgten den Komantschen zwar ohne sich zu widersetzen, aber doch in einer Weise, welche zeigte, daß sie Verdacht geschöpft hätten. Die Thür wurde wieder verriegelt, und dann entfernten sich die Indsmen mit ihrem kostbaren Raube. Der tiefe, weiche Schlamm, den der Regen gebildet hatte, ließ die Schritte der Menschen und der Tiere nicht hörbar werden.

Tokvi Kava fühlte sich außerordentlich befriedigt von dem Streiche, den er den beiden berühmten, von ihm aber so sehr gehaßten Männern heut spielen durfte. Er war seiner Sache vollständig sicher und hegte die Überzeugung, daß er am heutigen Abend ganz fehlerlos schlau gehandelt habe, und doch irrte er sich. Er hatte in seiner Rechnung vergessen, grad die Hauptfaktoren gehörig in Erwägung zu ziehen, nämlich den Scharfsinn der beiden Bestohlenen und die vorzüglichen Eigenschaften sowie die ebensogute Dressur der Pferde, die nicht gewohnt waren, ohne Erlaubnis ihrer Herren fremden Personen zu gehorchen.

Der größte Fehler aber, der von ihm begangen worden war, bestand darin, daß er den Chinesen gesagt hatte, wer er war. Er nahm zwar mit Sicherheit an, daß sie nichts verraten würden, aber einem Winnetou und seinem weißen Freunde gegenüber war das eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit.

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Der Überfall

Der Überfall

Der Ua-pesch, an dessen Fuße die Station Rocky-ground lag, war bis zu seiner Höhe mit dichtem Walde bestanden. Die Wasser dieses Berges sammelten sich unten zu einem ziemlich breiten Bache, welcher südöstlich floß und später nach Norden bog. An dieser Biegung vereinigte sich mit ihm ein kleinerer Bach, der am Fuße eines andern Berges entsprang, welcher schon damals Corner-top hieß und auch heut noch diesen Namen führt.

Die erwähnte Bezeichnung hatte ihren guten Grund. Sowohl der Ua-pesch wie auch der Corner-top bildeten Ecken; sie waren die Endberge zweier langgestreckter Höhenzüge, die zwischen sich ein breites und sehr langes Thal einschlossen, dessen Krümmungen so zahlreich waren, daß die Eisenbahningenieure es vorgezogen hatten, nicht ihm zu folgen, sondern zwischen Firwood-Camp und Rocky-ground einen kürzeren Weg durch die Felsen zu sprengen. Denn Firwood-Camp lag unweit des Anfanges dieses Thales, von demselben nur durch eine Querberglagerung getrennt.

Von da oben herunter, also dieses vielgewundene Thal entlang, mußten die Komantschen kommen, denn es gab für sie keinen andern Weg nach dem Alder-Spring. Diese Quelle lag, von hohen Erlen umgeben, am Fuße des Corner-top und bildete später den vorhin erwähnten kleinen Bach, der sich mit dem größeren an der Biegung desselben vereinigte. Hatte das Thal die beiden Endberge hinter sich, so bildete es eine weite, ebene Prairie, durch welche die vereinigten beiden Wasserläufe flossen. Aus dem saftigen Grase derselben erhoben sich Büsche, welche wie Coulissen vor- und hintereinander geschoben erschienen und das Anschleichen oder Verbergen selbst größerer Trupps ungemein begünstigten.

Vergegenwärtigte man sich, was im Firwood-Camp geschehen war, und was für Absichten die Beteiligten hegten, so war es nicht schwer, vorauszusehen, was der heutige Tag zu bringen hatte.

Die Komantschen waren überzeugt, daß Old Shatterhand und Winnetou nach dem Alder-Spring reiten würden, und hatten sich vorangemacht, sie dort zu erwarten und gefangen zu nehmen. Um dies zu erreichen, mußten die Roten bei Männern, wie die beiden Genannten waren, außerordentlich vorsichtig sein. Diese letzteren durften nicht ahnen, daß die Komantschen sich an der Erlenquelle befanden, und auch bei ihrer Ankunft durfte kein Umstand verraten, daß der „schwarze Mustang“ mit seiner Schar anwesend sei. Darum verstand es sich von selbst, daß die Indsmen sich nicht direkt nach der Quelle begaben, sondern sich in der Nähe derselben verbergen würden; aber wo, das war die wichtige Frage.

Für Winnetou und Old Shatterhand war es nicht schwer, sich in die Gedanken und Berechnungen ihrer Gegner zu versetzen. Weil der Alder-Spring auf der rechten Seite des Thales lag, verstand es sich ganz von selbst, daß sich die Indianer nach der linken halten und eine Strecke hinaus in die Prairie reiten würden, um dann umzukehren und von der entgegengesetzten Seite zu kommen. Auf diese Weise wurde es vermieden, durch verräterische Spuren Verdacht zu erregen. Von der Prairie her in der Nähe der Quelle angekommen, würden sich die Komantschen verstecken, um diejenigen, auf die sie es abgesehen hatten, zu erwarten, zu beschleichen, zu umzingeln und dann zu überfallen. Wer den Indsmen zuvorkommen und sie selbst beobachten wollte, mußte also noch weiter als sie in die Prairie hinausreiten und einen noch bedeutenderen Bogen schlagen. Das war es, was Old Shatterhand und Winnetou sich sagten, und aus diesem Grunde geschah es, daß sie nach ihrem Aufbruche vom Rocky-ground nicht dem Ua-pesch entlang ritten, sondern, sobald es Tag geworden war, weit nach links abschwenkten und hinaus in die Savanne den Weg nahmen.

Es war nach dem gestrigen Gewitter heut ein wunderschöner Morgen angebrochen. Die Sonnenstrahlen verwandelten jeden Tropfen, der an den Halmen oder Blättern hing, in einen Brillanten; die Luft war kräftig, frisch und rein, und die Natur lag rundum in jungfräulicher Schönheit schweigend ausgebreitet. Ein Ritt durch solch eine Gegend und solch einen Morgen mußte ein Hochgenuß für jeden Menschen sein – – nur nicht für einen Westmann, welcher die Absicht hatte, feindliche Indianer zu beschleichen. Das zeitweilige Schnauben und Stampfen der Pferde wurde von der heutigen Luft weit fortgetragen, und das feuchte, schwere Gras hatte eine Fährte zur Folge, welche vielleicht noch am Abend deutlich zu lesen war. Das sind Umstände, die einem Savannenmanne sehr gefährlich werden können, und ihm ist, wie jedem andern Menschen ja wohl auch, sein Leben lieber, als alle Schönheiten der Natur. Darum war es leicht begreiflich, daß Kas das Schweigen, welches bisher geherrscht hatte, mit der Bemerkung unterbrach:

„Wundervoller Morgen heut, grad so wundervoll wie damals bei Timpes Erben! Wollte aber doch, es läge ein tüchtiger Nebel, anstatt dieses Sonnenglanzes auf der Prairie!“

Die sechs Männer ritten paarweise nebeneinander, voran Old Shatterhand mit Winnetou, dann der Hobble-Frank mit der Tante Droll und am Ende Kas mit seinem Vetter Has. Der kleine Hobble hatte dem guten Kas die Bemerkung über die Insel Ischia noch nicht vergessen; sie wurmte ihn noch jetzt in diesem Augenblicke, und darum ergriff er die Gelegenheit, ihm einen kleinen Hieb zu versetzen.

„Sie scheinen een großer Freund von allerhand Nebels zu sein. Ob es wohl off der Insel Ischia ooch welche gibt?“

Kas antwortete ruhig:

„Da müssen Sie nicht mich sondern Droll fragen, der weiß es ganz gewiß, denn er hat die Insel ja in den Beinen gehabt.“

„Aber die Nebel nich, verschtanden? Sie schtammen aus Hof an der bayerischen Grenze; da sind die Nebel derheeme, bei uns in Moritzburg aber is das Wetter schtets so helle wie een geputzter Lampencylinder.“

„Moritzburg? Das berühmte Jagdschloß bei Dresden? Ist dort Ihre Heimat?“

„Heimat? Sonderbare Frage! Een Mann meiner satinierten Bildung und naturgeschichtlichen Bedeutung hat seine Heimat in der ganzen Welt, doch will ich keineswegs in Abrede schtellen, was Moritzburg mir dadurch zu verdanken hat, daß ich dort das erschte Licht der Welt erblickt habe. Es gibt eben Orte, an denen nur große Menschen geboren werden, und man erkennt sie merschtenteels daran, daß sie durch hübsche Jagdschlösser ausgezeichnet sind.“

„Hmm!“ brummte Kas dazu.

„Hmmm? Was knuchzen Sie denn so? Leuchtet Ihnen etwa das Jagdschloß nich recht ein?“

„O doch!“

„Na, womit sind Sie denn nicht einverschtanden?“

„Daß in Moritzburg nur große Männer geboren werden.“

„So! Sind Sie etwa dort geboren worden?“

„Nein.“

„Also! Grad das ist doch ooch schon wieder een unwiderleglicher Beweis, daß nur Größen von dort kommen. In Moritzburg sind Kurfürschten, Prinzen und Könige geboren worden, ooch ich habe meinen Lebenswandel dort begonnen, aber es is mir vollschtändig ignorant und unbekannt, daß dort jemals een gewisser Timpe seinen erschten Schritt offs irdische Weltall gethan haben soll; er wäre ja gleich beim zweeten Schritte abgerutscht und in die philharmonische Vergeßlichkeit gesunken. So, nu habe ich meinem Herzen Luft gemacht, und wenn Sie mich zum Freunde haben wollen, so reiben Sie sich ja nich wieder an den schön gerundeten Kanten meiner systematischen Persönlichkeet!“

Jetzt hatte er seinem versteckten Grolle Raum gegeben, und er war wieder der gemütliche Mensch wie immer, vorausgesetzt natürlich, daß man sich hütete, ihm abermals Widerspruch zu leisten. Droll drehte sich im Sattel um und warf den beiden Timpes einen bittenden Blick zu; sie verstanden ihn und schwiegen.

Die sechs Reiter hatten den Ua-pesch jetzt so weit hinter sich, daß anzunehmen war, die Komantschen würden nicht eine so bedeutende Strecke in die Prairie hineinreiten; darum bogen sie jetzt in der Absicht, sich dem Corner-top zu nähern, nach Süden um. Der Alder-Spring lag an der Westseite dieses Berges; Winnetou und Old Shatterhand ritten so, daß sie ihn von Osten erreichen mußten; auf diese Weise verhinderten sie, daß ihre Spuren später von den Roten gesehen werden konnten. Der Corner-top war auf seiner Höhe nicht voll und ganz bewaldet, es gab da Stellen, von denen aus man weithin Umschau halten konnte, und so war es also gar nicht schwer, die Ankunft der Komantschen zu bemerken.

Endlich war der Bogen quer durch die Prairie geschlagen und der Berg an seinem östlichen Fuße erreicht. Es wurde ein gutes Versteck gesucht und gefunden, wo die vier andern mit den Pferden sich verbergen konnten, während Winnetou und Old Shatterhand nach oben Stiegen, um von dort aus das Thal zu überwachen.

Vier Sachsen miteinander im wilden Westen, in einem Dickicht des Corner-top! Gewiß ein seltener Zufall! Der Hobble machte darüber die Bemerkung:

„Es is grad, als hätten die wilden Tauben uns extra zusammengelesen.“

„Warum die wilden und nicht die zahmen?“ erkundigte sich Has.

„Weil es hier im Westen keene zahmen gibt. Sehen Sie das nich ein?“

Well! Sie haben recht, lieber Frank.“

„Das will ich meenen. Ich habe nämlich immer recht. In dieser Beziehung werden Sie mich bald durchschauen, während ich in jeder andern Beziehung merschtenteels undurchdringlich bin. Es is nämlich eene der größten Weisheiten unsres subkutanen Lebens, daß man seine Gaben nur für sich behält; da kann man nie verkannt und höchstens nur eemal für dumm gehalten werden. Darum halte ich meine Geistesblitze für gewöhnlich in ihrer Kapsel eingeschlossen, und nur Menschen, die ich sehr bevorzuge, können es erleben, daß ich ihnen das Chlornatrium erweise, sie in die Tiefen meines Verschtandes eindringen und die dortigen Schätze wie off den Fittichen eenes Paternosterwerkes herausholen zu lassen. So eene bevorzugte und weihevolle Schtunde is in diesem Oogenblick für euch gekommen. Ihr werdet nämlich gern wissen wollen, off welche Weise wir heut mit den Komantschen fertig zu werden gedenken. Ich bin gern bereit, euch die nötigen Offschlüsse angedeihen zu lassen und erteile euch die Erlaubnis, euch mit euren Fragen vertrauensvoll an mich zu wenden. Schprich du zuerscht, lieber Vetter Droll.“

Droll wollte nicht widersprechen, kannte aber auch den Wert der Aufschlüsse, welche zu erwarten waren, darum schüttelte er den Kopf und sagte:

„Warum denn ich zuerscht, lieber Frank? Ich kenne dich ja schon lange und bin gern bereit, den Vorrang diesen beeden andern zu überlassen. Der Mensch soll höflich sein.“

„Da haste recht! Ich habe eenen Professor der Zoologie gekannt, der sagte immer: Die Höflichkeit ist diejenigte Angewohnheit, die mer sich nich abgewöhnen soll. Und was so een Fachmann sagt, das hat schtets guten Grund und Boden. Also mag nun Kas mal sagen, was er von mir wissen will.“

„Ich?“ fragte der Genannte. „Was ich von Ihnen wissen will?“

„Ja doch, ja!“

„Nichts will ich wissen, gar nichts.“

„Was? Nischt, gar nischt? Is das möglich?“ fragte Frank in höchster Verwunderung.

„Gar nichts,“ nickte Kas.

„Und Sie, Has?“

„Auch nichts,“ antwortete dieser.

„Ooch nischt? Schprechen Sie etwa im Ernste?“

„Im vollen Ernste.“

Da machte Frank zunächst ein Gesicht, als ob etwas ihm vollständig Unbegreifliches geschehen sei; dann nahmen seine Züge den Ausdruck des Bedenkens und hierauf des Zornes an und er rief erbost aus:

„ls so etwas die Möglichkeet? Hat jemals schon een Mensch so was erlebt? Nischt wollen sie von mir wissen, gar nischt! Das is doch unerhört l Kann es denn wirklich existierende Menschen geben, die der unbegreiflichen Ansicht sind, daß sie von dem Prairie- und Bärenjäger Heliogabalus Morpheus Edeward Franke nischt hören und nischt zu lernen brauchen? Da liegen wir im Hinterhalte, um die Indianer zu belauschen; wir haben die Absicht, sie zu überlisten und zu besiegen, diese Absicht kann nur durch die gegenwärtige Individualität meiner erfahrenen Persönlichkeit in die unschätzbarste Erfüllung gehen, und da leben menschliche Wesen off der Erde, die der Ansicht sind, daß sie nischt von mir zu hören brauchen! Das geht mir gegen allen Strich; das schtürzt meine ganze Nächstenliebe über den Haufen, da verhülle ich mein Haupt mit der römischen Sammetmantilla und laß Kaffee kochen, wer Kaffee kochen will. Aber wenn die Feinde kommen, die Komantschen, wenn es dann heeßt: Hannibal ad Boardinghouses! wenn die Angst über sie kommt und die Not am höchsten geschtiegen is, nachher werden sie kommen und mich um Hilfe bitten; aber dann werde ich mich auch bedanken für die sauer gewordene Leberwurscht und vor ihrem Jammer meine Ohren verschließen, wie man die Hausthür verriegelt, wenn man abends zu Bette geht!“

Kas schüttelte staunend den Kopf und sagte:

„Was war das? Was sagten Sie: Hannibal ad Boardinghouses?“

„Ja, grad so und nich anders habe ich gesagt,“ antwortete Frank mit den Augen und der Miene eines Panthers, der bereit ist, sich auf seine Beute zu stürzen.

„Das ist doch falsch,“ sagte der lange Kas, „so grundfalsch, wie man sich etwas Falscheres gar nicht denken kann!“

Droll winkte ihm Schweigen zu, was aber leider nicht beachtet wurde, denn Kas kannte den Kleinen noch nicht genau. Dieser war schon vorher zornig gewesen; der jetzige Widerspruch reizte ihn noch mehr, und so fuhr er den Unvorsichtigen grimmig an:

„Was – wie? Grundfalsch? Sind Sie etwa nich recht bei Troste? Der weltberühmte Hobble-Frank soll etwas gesagt haben, was nich wahr is, was sogar grundfalsch sein soll, was nich mit der höheren Temperatur der Wissenschaften schtimmt! Hat die Menschheet je so etwas impertinent Kunterbuntes zu hören bekommen! Mich natürlich kann so een unorthographischer Zweifel an meiner unwiderleglichen Kapillarität nich im geringsten aus meiner olymphatischen Ruhe bringen, und so frage ich Sie denn in der sanftesten H-moll-Tonart meiner bakteriologischen Schtimme: Inwiefern is denn das, was ich gesagt habe, falsch gewesen, he?“

„Es muß heißen: Hannibal ad portas.“

„So? Inwiefern denn wohl?“

„Hannibal ist vor den Thoren! Das war damals der Schreckensruf der Römer.“

„I, wie Sie das nur so hübsch sagen können! Wer hat Ihnen denn diesen Blödsinn weisgemacht?“

„Von Weismachen kann keine Rede sein. Wir haben das in der Geschichtsstunde gehört.“

„Ach so! Und wer war denn eigentlich der gute Mann, der Ihnen solche Geschichten erzählt hat?“

„Unser Geschichtslehrer natürlich.“

„Also een Deutscher wohl, aus Plauen im Voigtlande, een Angehöriger des neunzehnten Säkulariums?“

„Selbstverständlich!“

„Dieser geistreiche Lehrer der Weltgeschichte is also keen alter Römer gewesen?“

„Nein.“

„Na, da hat man‘ s ja, da hört man‘ s ja! So een Gimpel, dem noch die grünen Walnußschalen der neuesten Jahrzehnte hinter den Ohren hängen, will wissen, wie die alten Römer gesprochen haben! Portas! Das is ja gar keen römisch-irisches Wort, sondern jeder nur ganz sachte angebildete Mensch weeß, daß es anschtatt Portas Portière heeßen muß, und welchem alten Römer könnte es wohl eingefallen sein, zu rufen, daß Hannibal an der Portiere hänge! So eenen Unsinn hat sich niemals keen Römer nich zu Schulden kommen lassen. Als Peter der Große seinen Admiral Hannibal gegen die Römer ausgerüstet hatte, dampfte dieser schleunigst um das Kap der guten Hoffnung herum, überschtieg mitten im Winter das Kjölengebirge, wobei seine Kamele die Kanonen schleppen mußten, schlug zunächst bei Ligny die Scharen der Thessalonicher und Kolosser und hatte dann das ganze römische Reich zu seinen Füßen liegen. Zwar schickte ihm der Kaiser Herodot den Reitergeneral Holofernes entgegen, doch wurde dieser nicht weit vom Schipkapaß so in die Pfanne gehauen, daß er vor Todesangst die sizilianische Vesper singen ließ und in der nächsten Bartholomäusnacht an seinen Wunden schtarb. Nu gab es für die Römer nur een eenziges Mittel, sich zu retten: sie mußten dafür sorgen, daß dem Hannibal für seine Truppen die Nahrungsmittel fehlten. Sie brannten also Moskau hinter sich ab, verwüsteten die pontinischen Sümpfe und blieben dann beim Berge Ararat halten, um die Folgen der Zerschtörung abzuwarten. Aber sie mußten nur zu bald erkennen, daß sie sich in Hannibal verrechnet hatten. Er war nämlich so pfiffig gewesen, ooch für diesen Fall zu sorgen und hatte eene solche Menge von Proviant mitgenommen, daß an eene Hungersnot gar nich zu denken war. In Anbetracht der winterlichen Kälte hatte er sogar seinem Generalquartiermeister Phidias den Befehl erteilt, transportable Häuser aus Wellenblech und amerikanische Öfen mitzunehmen; die wurden offgeschlagen und teils als Wohn-, teils Wirtshäuser und Restaurationen eingerichtet. Das Heer des Hannibal lebte da herrlich und in Freuden; die Römer aber, als sie das hörten, sahen ein, daß sie verloren waren, und riefen erschrocken aus: Hannibal hat Boardinghäuser! Denn daß dieses ad das germanische hat sein soll, das sieht jeder Deutsche ein, wenn er nich gerade off den sorbenwendischen Namen Timpe getooft worden is. So, jetzt wissen Sie, woran Sie sind, Herr Kasimir Obadja Timpe junior! Und wenn ich ja ‚mal schterben sollte, sorgen Sie gefälligst dafür, daß ich nich etwa neben Ihrem seligen Professor der Geschichte begraben werde, denn zu dem langte ich hinüber und schüttelte ihn so lange bei den Ohren, bis er zu der Erkenntnis käme, daß Portieren noch lange keine Boardinghäuser sind!“

Frank hatte in seinem komischen Eifer so schnell gesprochen, daß er tief Atem holen mußte. Kas und Has sahen einander ganz verwundert an; sie wußten nicht, was sie sagen und ob sie lachen oder weinen sollten; glücklicherweise aber bemerkten sie noch zur rechten Zeit die energische Geste der Tante Droll, welche ihnen Schweigen gebot, und sie brachten es fertig. Dies beruhigte den kleinen Eiferer einigermaßen, und er fuhr in gemäßigterem Tone fort:

„Ich dachte, ihr würdet es abermals wagen, mir zu widerschprechen; da mir aber euer unterthäniges Schweigen den Beweis erteilt, daß ihr eure Menage meiner höheren Weisheit unterordnet, fühle ich mich nich ganz abgeneigt, euch mit den Ausschtrahlungen meiner Fiat justitia zu begnadigen, und ersuche euch nur inschtändigst, tief in euch zu gehen und zu erkennen, daß es keen Schpaß is, wenn jemand Heliogabalus Morpheus heeßt, den Edeward und Franke gar nich mitgerechnet. Thut also Buße im Sack und in der Asche und vergeßt mir ja niemals wieder, daß es off der Erde unvergleichliche Intelligenzen und Geisteskräfte gibt, die selbst derjenige nich begreift, der sie besitzt. Keen Mensch is zu etwas geboren, außer wenn er dazu geboren is, und jeder Vorzug eenes Menschen vor dem andern is nur dann een wirklicher Vorzug, wenn er ohne Nachteile mit sich selbst verbunden werden kann. Een Mensch kann jeder sein, jeder, aber fragt mich nur nich, was for eener – und dann, een ganz groß angelegter und bedeutender Mensch zu sein, das vermag nur derjenige, der entweder sagen kann och ich bin in Arkadien und Moritzburg gewesen, oder dessen Schtaubgefäße sich in der Linnéschen Ordnung unterbringen lassen. Es is der Wille der Schöpfung gewesen, daß Verschiedenheet herrschen soll; darum is sich een jeder gleich, und wer andersch is, der kann’s nich ändern, aber wer das Glück hat wie ich, in der Philosophie des Eminenten eene hervorragende Schtelle einzunehmen, vielleicht gar erschten Rang Amphitheater, Nummer eens, oder wenigstens erschtes Parkett, Vorderreihe mittelster Platz, grad vor dem Vorhange der Unsterblichkeet, der darf trotz aller Bescheidenheit mit Schtolz sich von der Vor- und Mitwelt trennen, um der Nachwelt zu beweisen, daß sie erschtens ooch der Welt mit angehört, und daß sie zweetens schpäter ooch mal schterben muß! An dieser Weisheet is nimmermehr zu rütteln und zu wackeln; sie is so fest gefügt und unerschütterlich, daß schon Schiller, der berühmte Dichter von Uhlands Lenore fuhr ins Morgenrot, in seinem Götz von Berlichingen gesagt hat: Die Vorwelt flicht der Nachwelt keene Kränze, jedoch der Frühling duftet schon im Lenze!“

Während diese eigenartige Unterhaltung unten im Verstecke geführt wurde, hatten Old Shatterhand und Winnetou den Gipfel des Corner-top erreicht, Dort gab es, wie bereits erwähnt, mehrere lichte Stellen, von denen aus man eine weite Fernsicht hatte. Eine dieser Lichtungen, welche nach Westen lag, war außerordentlich geeignet für den Zweck der beiden Freunde. Man konnte von hier oben aus das Thal, in welchem die Komantschen herabkommen mußten, bis zu seiner nächsten Krümmung, welche weit über eine englische Meile entfernt war, vollständig überblicken. Winnetou setzte sich da nieder, und Old Shatterhand nahm an seiner Seite Platz. Das thaten sie, ohne ein Wort zu sagen. Zwischen diesen beiden waren weder Aufforderungen noch lange Erklärungen nötig, sie kannten einander so genau und hatten sich gegenseitig so innig ineinander hineingelebt, daß jeder die Gedanken und Entschlüsse des andern wußte oder erriet, noch ehe sie den mündlichen Ausdruck gefunden hatten. Es war bei ihnen oft schon vorgekommen, daß sie einen ganzen Tag miteinander geritten waren und dabei ganz Wichtiges erlebt hatten, ohne daß ein einziges Wort zwischen ihnen gefallen war.

So auch jetzt. Sie saßen wortlos nebeneinander, eine Stunde, zwei, ja drei Stunden lang, und keiner hielt es für nötig, auch nur eine Silbe hören zu lassen, obgleich sie einem Ereignis entgegensahen, bei welchem es sich um Tod und Leben handelte. Hätte es jemand gegeben, der sie unbemerkt beobachtete, der wäre sicher der Ansicht gewesen, daß sie von keiner andern Absicht hierhergeführt worden seien als von derjenigen, sich da niederzulegen und auszuruhen. Keine Bewegung ihrer Gesichter, kein Blick ihrer Augen verriet, daß ihre ganze Aufmerksamkeit scharf nach Westen gerichtet war, und daß auf der ganzen Strecke, so weit das Thal überblickt werden konnte, nichts ihren scharfen Sinnen zu entgehen vermochte. Es ist die große Kunst des Westmannes, selbst bei der äußersten Anspannung aller seiner Fähigkeiten und Gefühle äußerlich vollständig teilnahmlos zu erscheinen. Es gibt oder gab manchen berühmten Savannenläufer, der seine schönsten Erfolge und seine Errettung aus den größten Gefahren nur allein dem Umstande zu verdanken hatte, daß er sein ganzes Äußere, jedes Glied seines Körpers so in der Gewalt hatte, daß man ihm das, was er dachte oder empfand, was er erstrebte oder zu leisten vermochte, unmöglich zutrauen konnte. Old Shatterhand zum Beispiele hat viele, viele Male nur dadurch über seine Gegner oder über feindselige Verhältnisse triumphiert, daß er es wie selten ein andrer verstand, seinem Gesichte selbst dann einen gleichgültigen, ja indolenten Ausdruck zu geben, wenn ein andrer vor Aufregung hätte närrisch werden mögen.

Jetzt lag er mit Winnetou im moosigen Grase; beide hatten sie die Lider tief gesenkt, und weil sie keines ihrer Glieder bewegten, hatte es den Anschein, als ob sie schliefen; trotzdem aber war es sicher, daß sie ganz genau die Drossel hörten, welche hinter ihnen, wohl zwanzig Schritte entfernt, einen Wurm aus der Erde zog, und daß sie ebenso deutlich den Aasgeier sahen, welcher jetzt wie ein halb handgroßer Punkt am westlichen Himmel erschien.

„Uff !“ sagte Winnetou einfach.

Well!“ nickte Old Shatterhand ebenso einfach, „sie kommen.“

Trotz dieser Worte war kein lebendes Wesen in dem Thale zu sehen, welches noch grad so leer und öde lag wie vorher; aber die Art und Weise, wie der Geier sich in der Luft bewegte, verriet dem Kenner, daß sich unter ihm irgendwelche Wesen befinden mußten, von denen er Beute erwartete. Er schwebte noch etwas links über der Thalkrümmung, kam derselben aber schnell näher. Als er sie erreicht hatte und sich gerade über ihr befand, bog ein Reiter unter ihm um die Ecke, welcher einen Augenblick halten blieb, um das Thal zu überblicken, und dann, als er nichts Verdächtiges bemerkte, ruhig weiterritt; ihm folgten zwei, fünf, zehn, zwanzig, vierzig, achtzig und noch mehr Reiter, welche deutlich zu erkennen waren, obgleich der Entfernung wegen ihre Pferde nur die scheinbare Größe von kleinen Hunden hatten. Wie außerordentlich scharfe Augen Winnetou besaß, bewies er dadurch, daß er trotz dieser Kleinheit sagte:

„Sie sind es wirklich, die Komantschen.“

„Ja,“ stimmte Old Shatterhand bei. „Tokvi-Kava reitet an ihrer Spitze.“

„Dieser Häuptling der Komantschen bildet sich ein, ein außerordentlich schlauer Krieger zu sein, und begeht doch einen Fehler, den weder ich noch mein Bruder Shatterhand begreifen kann.“

„Well. Er hat einmal behauptet, daß in Beziehung auf Klugheit und Tapferkeit sich niemand mit ihm vergleichen könne. Ich weiß, was Winnetou, mein roter Bruder meint. Er kommt vom Firwood-Camp und ist der Überzeugung, daß auch wir heut früh dort aufgebrochen sind und hinter ihm kommen werden. Dabei denkt er nicht daran, daß wir die Spuren, welche seine Krieger in dem feuchtschweren und hohen Grase zurücklassen, bemerken müssen. Nur ein Blinder könnte sie nicht sehen; sie sind aber so deutlich, daß er sie fühlen müßte. Lächerlich!“

Auch über das sonst so ernste und unbewegte Gesicht des Apatschen glitt ein leises, halb verächtliches und halb mitleidiges Lächeln, als er hinzufügte: „Und dabei will er Old Shatterhand und Winnetou fangen! Uff !“

„Du hättest als kleiner Knabe einen so schweren Fehler nicht begangen.“

„Und du auch nicht, als du noch Greenhorn und ein Anfänger warst. Schau, sie thun genau so, wie wir dachten: Sie wenden sich nach der andern Seite des Thales, damit wir, wenn wir nach ihnen kommen, nicht denken sollen, daß sie eigentlich herüber an den Corner-top und nach dem Alder-Spring wollen, um uns da abzufangen.“

Die Komantschen ritten an der jenseitigen Thalwand hin, bis sie den äußersten Fußpunkt des Ua-pesch erreichten; aber auch da änderten sie ihre Richtung nicht, sondern sie zogen in die Prairie hinaus, als ob sie nach einem entfernten Ziele ganz über dieselbe hinaus wollten.

„Sie werden nach einiger Zeit den von uns vermuteten Bogen schlagen und hierherkommen. Einer von uns beiden muß hinab, um aufzupassen, wo sie dann lagern und sich verstecken werden, der andre hat noch hier oben zu bleiben.“

Er sagte nicht, warum der andre noch bleiben sollte; aber Winnetou erriet es sofort, denn er neigte zustimmend seinen Kopf ein wenig und sagte:

„Um auf Ik Senanda aufzupassen, welcher die weißen Männer von der Bahn des Feuerrosses betrügen und verraten wollte. Er ist gestern abend den Komantschen nach und hat sie wegen der Finsternis nicht finden können, doch weil er den Weg kennt, wird er heut, als es hell geworden war, auf ihre Spur gestoßen sein und bald nach ihnen hier eintreffen. Mein weißer Bruder mag hier warten, um ihn kommen zu sehen; ich steige hinab, um zu erfahren, welches Versteck die Komantschen wählen.“

Er ging, und Old Shatterhand blieb allein zurück. Er dachte nicht im mindesten an die Gefahr, in welcher er sich mit seinen Gefährten befand, denn wer sich fast täglich in Gefahr befindet, dem wird sie schließlich so vertraut, daß sie ihm nicht mehr als Gefahr erscheint; es kann sogar sein, daß er sich nicht wohl fühlt, wenn sie ihm fehlt, sie und die mit ihr verbundene oder durch sie bedingte Anstrengung aller geistigen und körperlichen Kräfte und Fertigkeiten.

Es verging wieder eine Stunde und abermals eine, ohne daß der Erwartete erschien. Er hätte eigentlich nun da sein müssen, doch verlor Old Shatterhand nicht die Geduld, denn es waren zehn und hundert verschiedene Veranlassungen möglich, welche geeignet waren, den verräterischen Halbindianer unterwegs aufzuhalten. Nach abermals einer halben Stunde endlich sah er ihn kommen und der Fährte der Komantschen nach der gegenüberliegenden Seite des Thales folgen. Da der Scout auf dieser Spur ritt, mußte er den ganzen Umweg der Komantschen hinaus in die Prairie machen; er konnte also kaum eher als in einer Stunde unten am Corner-top eintreffen. Old Shatterhand konnte nun seinen Posten verlassen und stieg so rasch wie möglich zu seinen Gefährten hinab. Er fand sie da, wo er sie verlassen hatte, und Winnetou war bei ihnen. Als er berichtete, daß er das Halbblut habe kommen sehen, bemerkte der Apatsche:

„Er hat sich sehr verspätet. Ahnt mein Bruder, was ihn aufgehalten hat?“

„Es gibt viele Gründe, welche seinen Ritt verlangsamt haben können,“ antwortete Old Shatterhand.

„Vielleicht ist er nicht gezwungen worden, sondern hat sich freiwillig verweilt.“

„Das würde mir das liebste sein, nämlich wenn er nach seiner eiligen Flucht vom Camp sich eines andern besonnen und wieder umgekehrt wäre, um uns zu belauschen.“

„Was sagen Sie da?“ fragte der Hobble-Frank, als er diese Worte hörte. „Es würde Ihnen lieb sein, wenn er uns belauscht hätte?“

„Ja.“

„Von eenem Feinde beobachtet zu werden, is aber doch schtets eene Sache, für die man sich bedanken muß?“

„Nein, wenigstens in diesem Falle nicht.“

„Das is mir so unverschtändlich, daß ich es nich begreifen kann, obgleich ich sonst een sehr offenes Gemüt und eene noch viel öffentlichere Fassungsgabe besitze. Wenn er uns belauscht hat, so weeß er doch zum Beispiel, daß wir gar nich das Thal heruntergeritten kommen, weil wir mit der Eisenbahn gefahren sind.“

„Wenn er das wüßte, grad dieses wäre mir lieb.“

„Hören Sie, Herr Shatterhand, haben Sie doch die Güte, und braten Sie mir eenen Storch! Unsre Eisenbahnfahrt is doch von allergrößter Wichtigkeet, und wenn so was Wichtiges verraten wird, da kann es keene guten Folgen haben!“

„Mache dir keine Gedanken, lieber Frank! Ich hoffe, daß du mich nicht für unvorsichtig oder gar für leichtsinnig hältst?“

„Das beileibe nich! So een horribler Gedanke kann sich unmöglich in meine leidenschaftliche Gegenliebe schtehlen. Sie wissen, daß Sie mein Vorbild, mein Beispiel, meine Richtschnur, mein Ideal und meine Musterkarte in jeder Beziehung sind; Sie leuchten mir voran off meinem Lebenswege wie die Kummetlaterne am Sattelpferde eenes Niederlausitzer Botenfuhrmannswagens; Sie sind mein Leitschtern, dem ich folge, wie die Hammelherde dem geliebten Schäfersmann; denken Sie sich doch nur, was für een ungeheures Vertrauen das meinerseits voraussetzt? Und da soll es möglich sein, daß ich Sie für leichtsinnig halte? Das würde ja die allergrößte Majestätsbeleidigung sein, freilich viel weniger an Ihrer als vielmehr an meiner Majestät!“

„So halte also diese deine Majestät bei allen ihren vier Zipfeln fest, indem du mir vertraust! Du wirst wahrscheinlich bald erfahren, daß ich recht gehabt habe. Ich werde mich mit Winnetou entfernen, um die Komantschen zu behorchen. Bleibt hier zurück, verhaltet euch still, und verlaßt diesen Ort auf keinen Fall eher, als bis wir zurückgekommen sind!“

„Aber wenn Sie nu aber nich zurückkommen?“

„Wir kommen, wenigstens einer von uns; darauf könnt ihr euch verlassen.“

Und sich an Winnetou wendend, fragte er diesen: „Weiß mein roter Bruder, wo die Feinde sich gelagert haben?“

„Ich weiß es,“ antwortete der Häuptling der Apatschen.

„Ist es weit von hier?“

„Nein.“

„Sind sie schwer zu beschleichen?“

„Für andre würde es schwierig sein, für Old Shatterhand und mich aber ist es leicht. Mein Bruder mag mir folgen!“

Sie legten ihre Gewehre ab, weil diese ihnen beim Anschleichen hinderlich gewesen wären, und gingen. Sie hatten sich natürlich an Stelle ihrer gestohlenen vom Engineer zwei andre Gewehre einstweilen ausgeborgt. Winnetou führte seinen weißen Freund zunächst wohl zehn Minuten lang, ohne sonderliche Vorsicht anzuwenden, durch den Wald; dann erreichten sie eine Stelle, an welcher die stehenden Bäume aufhörten, desto mehr aber sahen sie liegende vor ihren Blicken. Die Riesen des Waldes lagen aus der Erde gewuchtet, mit gewaltigen Wurzelballen und viel zerschmetterten Kronen neben- und wirr durch- und übereinander. Es war ein Windbruch, einer jener Hurrikane, die man, im wilden Westen, besonders in den südlichen Gegenden desselben, häufig findet. Hurrikan ist der plötzlich ausbrechende Orkan, welcher einen verhältnismäßig schmalen und scharf begrenzten Strich durcheilt und alles vor sich niederreißt, und Hurrikan nennt man auch den Verwüstungsbereich dieses Sturmes, der in Mittelamerika von noch viel verheerenderer Wirkung ist.

Zwischen den niedergeschmetterten und erstorbenen Stämmen war eine neue, junge Vegetation sehr dicht und ziemlich hoch schon aufgeschossen, so dicht, daß es selbst für ein Wild unmöglich schien, da durchzukommen.

„Hier hindurch?“ sagte Old Shatterhand.

Winnetou nickte bejahend und fügte leise hinzu:

„Links hier ist der Felsen; da können wir nicht hinauf; rechts draußen liegt die Prairie, auf welcher die Pferde der Feinde grasen, da würden uns die Wächter sehen; jenseits des Hurrikan, der hier nicht über zweihundert Schritte breit ist, lagern die Krieger; wir müssen also durch.“

„Ist mein roter Bruder schon drüben gewesen?“

„Ja. Mein weißer Bruder wird sehr bald den tief versteckten Weg sehen, den ich mir habe bahnen müssen.“

„Weißt du, wo sich der Häuptling befindet?“

„Ich weiß es. Vielleicht kommen wir soweit an ihn, daß wir hören können, was er spricht.“

Er huschte einige Schritte am Rande des Windbruches hin, legte sich dann auf die Erde nieder und schob sich in das dichte Zweig- und Blätterwerk hinein. Old Shatterhand zögerte nicht, ihm nachzukriechen. Da zeigte sich denn wieder einmal, welch ein unvergleichlicher Mann der Häuptling der Apatschen war. Er hatte mit dem Messer einen zwei Fuß breiten Weg gebahnt, die hindernden Äste, Zweige und Schößlinge abgeschnitten und auf den Boden niedergedrückt und dabei soviel Laubwerk stehen lassen, daß es ein Dach über dem Schleichpfade bildete und ihn vollständig unsichtbar machte. Es war unmöglich gewesen, diesen Weg geradeaus zu führen; er bog bald nach dieser und bald nach jener Seite um die gestürzten Bäume herum, ging bald nach rechts und bald nach links, je nach den Schwierigkeiten, welche das Terrain und der Pflanzenwirrwarr dem Apatschen entgegengesetzt hatten, und war nur durch eine Kraftanstrengung zu bahnen gewesen, die selbst Old Shatterhand in hohes Staunen versetzte. Dieses in so kurzer Zeit vollendete Werk war ein Meisterstück, welches nur unter den Händen eines Winnetou hatte entstehen können.

Da er so unvergleichlich vorgearbeitet hatte, brauchten sie ihre Messer jetzt nicht viel in Anwendung zu bringen und hatten vorzugsweise darauf acht zu geben, daß sich das Gesträuch nicht über ihnen bewegte und dadurch zum Verräter wurde. Sie fanden zwei Schlangen im Wege, zwei giftige; die erste floh, und die zweite wurde durch einen schnellen, wohlgezielten Messerhieb des Apatschen getötet. Dieser hielt nach längerer Zeit inne, wendete den Kopf zu seinem Gefährten und deutete auf seine Nase. Old Shatterhand verstand diese stille Aufforderung und sog die Luft langsam und prüfend ein. Er roch den Rauch eines Lagerfeuers und gab dies dem Apatschen durch ein zustimmendes Nicken zu erkennen. Sie näherten sich dem Platze, an welchem sich die Komantschen befanden.

Nun ging es eine Strecke weiter bis zu einer Stelle, an welcher Winnetou dem heimlichen Pfade eine doppelte Breite gegeben hatte. Er winkte den Gefährten zu sich heran und flüsterte, als dieser sich an seiner Seite befand, ihm zu:

„Hört mein Bruder, daß wir uns ganz nahe beim Feinde befinden?“

„Nein,“ lautete die ebenso leise Antwort.

„Wir brauchen nur die wenigen Schößlinge vor uns auseinander zu biegen, so sehen wir die Komantschen grade vor uns.“

„Aber es ist nicht das geringste Geräusch zu vernehmen; man hört nicht einen einzigen sprechen. Sollten sie schlafen?“

„Ja. Sie ruhen aus, weil sie die ganze Nacht hindurch geritten sind.“

„Das ist freilich wahr. Und der Häuptling muß ganz besonders ermüdet sein, weil er schon gestern abend nach dem Firwood-Camp und zurück auf dem Weg gewesen ist.“

Well. Mein Bruder mag sehen, wie nahe wir ihm sind, so nahe, daß wir ihn fast greifen können!“

Er bog die Schößlinge ein wenig auseinander und ließ Old Shatterhand durch die so entstandene Lücke blicken. Wie erstaunte dieser, als er Tokvi-Kava nicht weiter als fünf Schritte vor sich liegen sah! Die beiden Lauscher befanden sich am Rande des Windbruches und damit zugleich am Rande einer kleinen Einbuchtung der Prairie. Ein starker, abgestorbener Baumstamm ragte, am Boden liegend, zu ihrer Linken aus dem Wirrwarr des Hurrikans hinaus, und das unter ihm hervor- und neben ihm emporschießende Gras bildete ein weiches Lager, auf welchem sich der Häuptling lang ausgestreckt hatte; er schlief. Weiter hin sah man seine Krieger liegen, welche auch schliefen; sie waren ermüdet und fühlten sich sicher unter dem Schutz der Wachen, welche sie nach der Prairie hin ausgestellt hatten. Der Häuptling hatte nach der Gewohnheit aller Weißen und Roten im wilden Westen sein Gewehr griffbereit neben sich liegen. Am Baumstamme lehnte ein langer, schmaler Pack, dessen Hülle in der Decke Tokvi-Kavas bestand, welche sorgfältig mit seinem Lasso umschlungen war. Old Shatterhands Augen blitzten, als er dieses Paket erblickte, und Winnetou fragte leise, indem er nach demselben winkte:

„Weiß mein Bruder, was in der Decke dort steckt?“

„Unsre Gewehre natürlich!“

„Er schläft, und alle andern schlafen; wir können sie uns holen.“

„Fällt uns nicht ein!“

„Hugh! Mein Bruder trifft doch stets das Richtige! Wir dürfen sie nicht holen, sondern müssen sie jetzt noch liegen lassen.“

„Leider! Die Komantschen dürfen nicht ahnen, daß ihr Aufenthalt entdeckt worden ist; das Verschwinden der Gewehre würde ihnen aber verraten, daß diese Entdeckung auch stattgefunden hat.“

„Es ist nur für kurze Zeit, dann werden wir hoffentlich die Gewehre wieder erlangt haben.“

„Sicher und gewiß! Dennoch wird es mir nicht leicht, mich in die Notwendigkeit zu fügen. Diese Waffen sind nicht nur kostbar, sondern geradezu unersetzlich für uns, und es widerstrebt mir gewaltig, sie auch nur für Stunden in den Händen dieses Menschen zu lassen. Wie leicht ist etwas mit ihnen geschehen, was nicht wieder hergestellt werden kann! Es wird mir wirklich schwer, sehr schwer, aber wir müssen dem Gebot der Klugheit folgen. Horch! War das nicht ein Ruf?“

„Die Stimme eines Wächters,“ nickte Winnetou. „Der Scout wird bei den Posten draußen angekommen sein.“

Der Ruf, den Old Shatterhand und Winnetou gehört hatten, wurde von mehreren Stimmen wiederholt. Die Schläfer erwachten und sprangen in die Höhe; auch der Häuptling richtete sich auf. Es war so, wie Winnetou gesagt hatte; der Halbindianer kam geritten. Als er den Häuptling sitzen sah, lenkte er sein Pferd zu ihm hin und stieg bei ihm ab. Tokvi-Kava sagte im Tone der Verwunderung:

„Du bist es, der Sohn meiner Tochter! Habe ich dir erlaubt, uns nachzueilen?“

Als nicht gleich eine Antwort erfolgte, weil sich sein Enkel zunächst zu ihm niedersetzen wollte, fuhr er fort:

„Habe ich dir nicht befohlen, die Bleichgesichter zu beobachten und bei ihnen auszuharren, bis wir kommen oder ich dir einen Boten sende?“

„Das hast du,“ antwortete der Gefragte gelassen.

„Und doch bist du von deinem Posten gewichen!“

„Weil ich mußte. Der Vater meiner roten Mutter wird einsehen, daß ich nicht anders konnte.“

„Wenn ich es nicht einsähe, würde es nicht zu deinem Vorteile sein! Es müssen sich wichtige Dinge ereignet haben, daß du es wagst, vom Firwood-Camp, hierher zu kommen!“

„Wichtig sind sie allerdings.“

„Und sehr schnell nach unsrer Entfernung müssen sie geschehen sein, denn du bist kurz nach uns auch aufgebrochen. Sprich! Ich werde hören, was du zu deiner Entschuldigung sagst.“

„Du bist der Vater meiner Mutter und kennst mich seit dem Augenblicke meiner Geburt. Habe ich dir jemals Grund zum strengen Tadeln gegeben? Warum empfängst du mich mit Vorwürfen, ohne vorher zu wissen, warum ich komme?“

„Weil es sich um den wichtigsten Fang, den wir jemals machen können, handelt und um die größten Feinde unsres Stammes, nämlich um den Häuptling der Apatschen, und um das verhaßte Bleichgesicht, das sich Old Shatterhand nennt.“

„Du wirst sie nicht fangen,“ antwortete sein Enkel so gelassen wie vorher.

„Nicht?“ fuhr der Häuptling auf. „Warum?“

„Weil sie fort sind.“

„Schon fort? Natürlich müssen sie jetzt vom Firwood-Camp fort sein, denn sie wollten heut früh aufbrechen und am Abend hier ankommen.“

„Du vergissest, daß ich schon gestern abend das Camp verlassen haben muß. Wenn ich sage, daß sie fort seien, meine ich also nicht heut früh, sondern gestern schon.“

„Uff! Sie haben schon gestern das Camp verlassen?“

„Ja.“

„Aber nach uns erst!“

„Ja.“

„Uff, uff, so müssen wir uns darauf vorbereiten, denn sie können jeden Augenblick hier eintreffen!“

„Sie treffen nicht ein; sie kommen gar nicht hierher.“

„Nicht – hier – her?“ dehnte der Häuptling betroffen. „Wohin wollen sie denn?“

„Das weiß ich nicht, jedenfalls aber sehr weit fort von hier, denn sie sind mit dem Wagen des Feuerrosses gefahren. Das thun die weißen Jäger aber nur dann, wenn ihr Weg ein sehr, sehr langer ist, sonst reiten sie.“

„Mit dem Feuerrosse? Weißt du das gewiß?“

„Ja, denn ich habe es gesehen.“

„Und dich nicht getäuscht?“

„Nein. Ich sah sie in den Wagen steigen und sah darauf, daß das Feuerroß mit dem Wagen, in welchem sie sich befanden, in größter Eile davonrannte.“

„Uff, uff, uff! Sie wollten doch hierher nach dem Alder-Spring! Was mag sie so plötzlich fortgetrieben haben?“

„Die Angst.“

„Schweig! Winnetou und Old Shatterhand sind mir verhaßt im höchsten Grade, aber Angst und Furcht, die kennen sie nicht.“

„Ja, sie nicht, aber du mußt bedenken, daß zwei andre Blaßgesichter bei ihnen sind, die nicht so mutig sind wie sie; diesen zuliebe sind sie so schnell aufgebrochen.“

„Du sprichst von Angst, vergissest aber zu sagen, wer es ist, vor dem sie sich so sehr gefürchtet haben.“

„Du bist es, und unsre Krieger.“

„Wir, wir sollen es sein? Sie wissen ja nichts von uns l“

„Von euch nicht, oder nicht genau, aber daß das Camp von roten Kriegern überfallen werden soll, das wissen sie.“

„Uff, uff! Wie sollen sie es erfahren haben? Wer hat es ihnen verraten? Solltest du selbst so unvorsichtig gewesen –“

Da gab der Enkel zum erstenmal seinen Gleichmut auf und fiel ihm zornig in die Rede –

„Sprich nicht von mir! Hast du mich jemals unvorsichtig gesehen? Deine eigene Unvorsichtigkeit war es, die alles verraten und uns um den großen Fang gebracht hat!“

Da legte der Alte die Hand an das Messer in seinem Gürtel und rief:

„Vergiß nicht, mit wem du redest, Knabe, sonst wird mein Messer dich die Ehrfurcht lehren, welche du dem Vater deiner Mutter und dem berühmtesten Kriegshäuptling der Komantschen schuldig bist! Wie darfst du dich unterstehen, mir, dem schwarzen Mustang, eine Unvorsichtigkeit vorzuwerfen!“

„Weil du mich wegen eines Fehlers tadelst, den du selbst begangen hast!“

„Beweise es!“

„Sag, hätten wir Old Shatterhand und Winnetou heut abend gefangen, wenn sie hierher gekommen wären?“

„Ja, so sicher, wie ich dich hier neben mir habe.“

„Dann wäre alles, was ihnen gehörte, unsre Beute gewesen?“

„Ja.“

„Auch die Pferde?“

„Auch die.“

„Warum hast du da nicht gewartet bis heut abend? Warum hast du dich da schon gestern an diesen Pferden vergriffen?“

„Ver-grif-fen,“ wiederholte der Häuptling langsam das Wort, um sich den Vorwurf, den er hörte, zurechtzulegen. „Was weißt du davon?“

„Ich weiß alles. Was ich nicht gleich wußte, das erfuhr ich später, als die Feinde glaubten, daß ich entflohen sei. Es war alles wohl und gut abgelaufen, und wenn ihr euch entfernt hättet, ohne nach dem Schuppen zu den Pferden zu gehen, so befänden sich die größten und berühmtesten Feinde unsres Stammes jetzt unterwegs, um uns geradezu in die Arme zu laufen. Welch ein Jubel wäre überall erklungen, so weit die Krieger der Komantschen streifen! Zwar hatte Kita Homascha, den du zu mir in den Shop schicktest, einen kleinen Verdacht erregt, aber es gelang mir schnell, das Mißtrauen zu zerstreuen, denn die Bleichgesichter konnten uns nichts beweisen. Da aber schnaubten plötzlich die Pferde Winnetous und Old Shatterhands draußen vor der Thür und erregten ein Aufsehen ohnegleichen. Zwar waren die Bleichgesichter klug genug, so zu thun, als ob sie glaubten, die Pferde hätten sich losgerissen, mich aber vermochten sie nicht zu täuschen, denn der Schuppen war verriegelt; die Zügel, mit denen man sie festgebunden hatte und von welchen sie sich losgerissen haben sollten, waren nicht zerrissen, aber an ihnen hing ein Riemen, ein fremder Riemen, mit dem sie angekoppelt gewesen waren, den hatten sie zerrissen. Die Pferde waren also nicht selbst entwichen, sondern gestohlen worden. Von wem? Willst du es etwa leugnen?“

Der Häuptling verzog keine Miene; er sagte weder ja noch nein. Sein Enkel fuhr fort:

„Dein Schweigen gibt mir recht. Natürlich suchten nun die Bleichgesichter nach den Dieben.“

„Die waren doch längst fort!“ fiel der Alte ein.

„Waren auch die Spuren fort? Oder meinst du, daß Old Shatterhand und Winnetou nicht gelernt haben, aus deiner Fährte mehr, viel mehr zu lesen, als du selbst ihnen gestehen würdest? Sie fanden eure Spur, sie fanden meine Spur, und sie fanden auch Kita Homaschas Spur. Sie errieten sofort unser Einvernehmen und unsre Absichten; sie wollten mich ergreifen und auf der Stelle lynchen, aber es gelang mir glücklicherweise noch, ihnen zu entspringen. Ich eilte zu meinem Pferde und jagte davon.“

„Uff, uff ! War diese Flucht notwendig?“

„Ja.“

„Sie konnten dir nichts beweisen!“

„Die Spuren waren Beweis genug! Auch brannten sie meine Wohnung nieder. Hätten sie das gethan, wenn sie nicht überzeugt gewesen wären? Du kennst die Strenge, mit welcher die Bleichgesichter ihre Prairiegerichte handhaben. Nur die Flucht konnte mich retten. Wäre ich geblieben, so hätten sie mich aufgehängt. Ich war schon weit fort, da kam mir der Gedanke, heimlich zurückzukehren, um zu erlauschen, ob Winnetou und Old Shatterhand vielleicht nun ihren Plan, nach dem Alder-Spring zu reiten, aufgegeben hätten. Dies zu erfahren, war von größter Wichtigkeit für uns. Es war sehr gut, daß ich dies that, denn ich sah sie mit ihren Pferden in den Wagen des Feuerrosses steigen und fortfahren. Sie kommen also nicht nach dem Alder-Spring. Als sie fort waren, verließ auch ich nun Firwood-Camp und ritt hierher, um dir zu sagen, was geschehen ist. Jetzt bin ich da, nun tadle mich, wenn du mich tadeln kannst! Soll eine Strafe sein, so treffe sie nicht mich, sondern den, der durch den Pferdediebstahl den schönen Plan der Komantschen zunichte gemacht hat! Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er hatte seinen Bericht beendet und wartete nun auf das, was sein Großvater sagen würde. Dieser hielt den Kopf eine ganze Weile gesenkt; dann hob er ihn mit einer schnellen, energischen Bewegung wieder empor und warf einen forschenden Blick um sich. Das, was er sagte, konnte von keinem Unberufenen gehört werden, denn die Ankunft des Halbbluts hatte den anwesenden Kriegern zwar gesagt, daß etwas entweder geschehen oder im Werke sein müsse, aber keiner von ihnen hatte es gewagt, sich dem so sehr respektierten Häuptlinge ohne besondere Aufforderung zu nähern. Es hatte also auch niemand die Vorwürfe vernommen, welche von dem Enkel und Untergebenen gegen seinen Ahnen und Vorgesetzten ausgesprochen worden waren. Dieser letztere begann mit unterdrückter Stimme:

„Ja, ich habe die Pferde aus dem Schuppen geholt. Iltschi und Hatatitla sind so berühmte Pferde, daß die Weisheit meines Alters sich in die Thorheit der Jugend verwandelte. Ich wollte und mußte sie sofort haben, ohne daran zu denken, daß sie heut mit den Gefangenen doch mein Eigentum sein würden. In deinen Adern fließt mein Blut, und darum wirst du unsern Kriegern nicht mitteilen, welche Folgen diese schnelle That nach sich gezogen hat!“

„Ich werde schweigen,“ erklärte der junge.

„Wissen Old Shatterhand und Winnetou,“ fuhr der Alte fort, „wie viel Personen wir gestern im Firwood-Camp waren?“

„Ja.“

„Wissen sie aber auch, wer es war?“

„Nein. Sie wissen nur, daß es feindliche rote Männer waren.“

„Wußten sie von unsrer Absicht, das Camp zu überfallen?“

„Sie vermuten es.“

„Für solche Männer ist eine Vermutung so gut wie eine Gewißheit.“

„Ahnen sie die Zeit des Überfalles?“

„Nein. Aber ich muß dir sagen, daß sie mir meinen Namen Ik Senanda ins Gesicht warfen; sie glaubten nicht, daß ich Yato Inda heiße.“

„So halten sie dich für einen Verräter?“

„Ja.“

„Dann sind sie überzeugt, daß du mein Enkel bist und daß ich es bin, der das Camp überfallen will. Was sagten sie zu dem Verluste von ihren drei Gewehren?“

„Ihre Gewehre?“ fragte das Halbblut erstaunt. „Haben sie diese verloren?“

„Ja.“

„Uff, uff, uff! Wo?“

„Im Firwood-Camp. Ich habe sie gefunden.“

„Du – hast – sie – gefunden – du – du – du? Die Gewehre von Old Shatterhand und Winnetou?“ stieß der Mestize in höchster Überraschung hervor.

„Ich!“ nickte Tokvi-Kava, indem seine Augen vor Freude funkelten.

„Die Silberbüchse Winnetous?“

„Ja.“

„Das kleine Zaubergewehr Old Shatterhands?“

„Ja.“

„Und den großen Bärentöter?“

„Ja.“

„Wo, wo, wo sind diese kostbaren Waffen? Sage es schnell!“

„Hier,“ antwortete der Häuptling, indem er auf das Paket deutete.

„Uff, uff, uff ! Heut blickt der große Manitou mit strahlendem Angesicht auf die Krieger der Komantschen herab! Das ist eine Beute, um welche uns alle Stämme der roten Nation beneiden werden! Wie sind diese unvergleichlichen Waffen in deine Hände gekommen?“

„Durch Diebe, welche sie gestohlen hatten und die sie mir geben mußten.“

Er erzählte den Vorgang und brach dann, als er kaum geendet hatte, in den Ausruf aus:

„Uff, uff! Daran habe ich nicht gedacht. Old Shatterhand und Winnetou sind fort, obgleich ihnen diese Gewehre gestohlen worden sind. Ist das nicht auffällig? Steckt vielleicht eine große List dahinter? Diese beiden werden ihre Waffen nicht freiwillig lassen, sondern alles wagen, um sie wieder zu erlangen!“

Sein Enkel schüttelte den Kopf und behauptete:

„Sie werden nichts, gar nichts wagen.“

„Weshalb denkst du das?“

„Wer ein gesundes Hirn hat, muß ganz dasselbe denken. Wodurch sind diese Schakale so berühmt geworden? Nur durch ihre Gewehre. Womit haben sie ihre Thaten verrichtet? Mit ihren Gewehren. Durch diese Gewehre wurden sie Helden, aber ohne sie sind sie nichts. Man hat ihnen diese Waffen gestohlen, da fühlen sie, daß sie nichts mehr vermögen, daß sie bei dem Ueberfalle des Camps nicht widerstehen können, sondern untergehen müssen; darum sind sie so schnell entflohen. Nun weiß ich, warum sie es aufgegeben haben, nach dem Alder-Spring zu reiten, und weshalb sie Firwood-Camp so plötzlich verließen. Sie wissen, daß mit den Gewehren ihre ganze Macht von ihnen gewichen ist und daß sie im Kampfe mit uns verloren sind. Die Angst hat sie fortgetrieben, so weit wie möglich, die Angst vor uns und die Furcht vor dem sicheren Untergange!“

Die Überzeugung und Begeisterung des jungen riß den Alten mit sich fort; er stimmte bei:

„Uff, uff, du hast wahr gesprochen! Es ist die Angst vor uns und vor dem Überfalle. Sie sind heulend davongeeilt wie Hunde, welche Schläge bekommen sollen. Ihre Personen sind uns entgangen, aber ihre Waffen haben wir. Nun müssen wir uns die Skalpe der vielen gelben Männer holen. Man wird davon sprechen, daß wir das Camp überfallen wollen, man wird nach Hilfe senden. Wir müssen uns also beeilen, nach dem Camp zurückzukehren, noch ehe Hilfe kommt. Wir haben nicht Zeit, heut hier zu rasten. Da Old Shatterhand und Winnetou nicht kommen, haben wir hier nichts zu suchen, sondern werden sogleich aufbrechen. Unsre Pferde und wir auch sind zwar ermüdet, aber wenn wir so reiten, daß wir nach Anbruch des Abends die Stelle erreichen, welche die Bleichgesichter Birch-hole nennen, so werden die Tiere nicht unter uns zusammenbrechen.“

„Also willst du doch, wie ich dir geraten habe, im Birch-hole auf den Augenblick des Ueberfalles warten?“

„Ja, denn kein Ort eignet sich so gut dazu wie dieser. Ich führe meine Krieger dorthin, und während sie da warten, beschleiche ich das Camp, um zu erfahren, zu welcher Zeit wir es am leichtesten umzingeln können, so daß uns kein einziges Bleich- und Gelbgesicht entkommen kann.“

„Dieses Auskundschaften wirst nicht du thun, sondern ich werde es übernehmen, denn ich kenne den Ort und seine Bewohner besser als du.“

„Nein, du wirst gar nicht mitreiten.“

„Nicht mitreiten?“ fragte der Mestize erstaunt.

„Ja.“

„Warum?“

„Eben weil du dort so bekannt bist, was uns leicht verraten könnte. Und noch einen andern Grund gibt es, der für mich noch viel wichtiger ist, nämlich die drei Gewehre hier.“

„Wieso diese Gewehre?“

„Wir kommen auf dem Rückweg wieder hierher. Soll ich sie erst nach dem Camp und dann wieder mit zurückschleppen? Dazu sind sie zu kostbar. Es ist möglich, daß wir kämpfen müssen. Kann ich da nicht in die Gefahr kommen, die Gewehre zu verlieren, oder können sie dabei nicht beschädigt werden? Ich sage dir, daß diese drei Waffen mir lieber sind als alle Skalpe, welche wir in Firwood-Camp erbeuten können. Darum will ich sie keiner Gefahr aussetzen und lasse sie hier, bis wir morgen wiederkommen. Du sollst als Wächter dabei bleiben, denn einen sicherern gibt es nicht.“

Der Mestize fühlte sich durch dieses Vertrauen sichtlich sehr geschmeichelt, dennoch brachte er den Einwand vor:

„Dennoch möchte ich mitziehen, denn ich will den Teil der Beute haben, den du mir versprochen hast.“

„Den wirst du erhalten. Ich habe es gesagt, und was ich dir verspreche, ist wie ein Schwur.“

„Alles Gold und Geld?“

„Ja. Ich verspreche es dir noch einmal. Du bist der Sohn meiner Tochter und mein einziger Erbe. Ein kluger Mann muß an alles denken. Der Überfall wird wahrscheinlich ungefährlich sein; aber es kann mich trotzdem eine Kugel oder eine Klinge treffen; dann sollst du der Besitzer dieser Gewehre sein, welche leicht in andre Hände kommen könnten, wenn ich dich nicht hier bei ihnen zurückließe. Ich habe es gesagt und so soll es geschehen. Howgh!“

Als der Mestize dieses hörte, zögerte er nicht länger, seine Einwilligung zu geben. Der Häuptling hielt mit einigen hervorragenden Kriegern, bei denen sich auch Kita Homascha befand, der sich im Camp den Namen Juwaruwa beigelegt hatte, einen kurzen Kriegsrat ab, und dann ritt er mit seinen Komantschen davon, wieder in das Thal hinein, aus welchem sie herabgekommen waren. Ik Senanda, sein Enkel, blieb mit den drei gestohlenen Gewehren allein zurück.

Kaum war nach Entfernung seiner Genossen eine kleine Weile vergangen, welche er dazu benutzte, sein Pferd abzusatteln und anzukoppeln, so konnte er seine Neugierde nicht länger zügeln; er wand den Lasso von dem Paket, öffnete es und nahm die Gewehre vor, um sich an ihrem Anblick zu weiden. Mit welcher Wonne Winnetou und Old Shatterhand, welche natürlich noch immer ganz nahe hinter den Schößlingen steckten, ihm zusahen, läßt sich leicht denken. Eine glücklichere Wendung, als die gegenwärtige für sie war, hätten die Verhältnisse gar nicht für sie nehmen können. Sie beobachteten, mit welcher Begierde der Mestize die Waffen betrachtete, wie seine Augen dabei funkelten, und hörten mit Vergnügen die abgerissenen Ausrufe des Entzückens, welche zurückzuhalten ihm nicht für geboten erschien, weil er glaubte, sich in dieser abgelegenen Gegend ganz dein und ohne beobachtende Zeugen zu befinden. Die drei besten und berühmtesten Gewehre des wilden Westens in seinen Händen zu halten, das erfüllte ihn mit einem Entzücken, wie er sich gar kein größeres denken konnte.

Freilich sollte er dieses Entzücken nicht gar lange genießen, sondern sehr bald auf eine für ihn ganz unerwartete Weise aus demselben gerissen werden. Winnetou bog nämlich die Schößlinge leise, leise auseinander, und schob sich unhörbar zwischen ihnen hindurch. Old Shatterhand folgte ihm mit derselben Vorsicht. Dann richteten sie sich auf. Einige Schritte, welche selbst sein so außerordentlich scharfes Ohr nicht zu hören vermochte, und sie standen hinter ihm. Eben rief er, indem sein Gesicht vor Freude strahlte, aus:

„Ja, das ist die prächtige Silberbüchse des Apatschen; das ist der schwere Bärentöter, der so viel wiegt, wie drei andre Gewehre zusammengenommen, und das ist der unvergleichliche Henrystutzen der weißen „Schmetterhand“, von welchem die abergläubischen Indianer fabeln, daß er eine Zauberflinte sei. Ich weiß es freilich besser, viel besser. Der Zauber besteht nur in zweierlei, nämlich in dem, was die Bleichgesichter die Konstruktion nennen, und in der großartigen Sicherheit, mit welcher Old Shatterhand seine Kugeln zu versenden pflegt. Ich werde dieses Gewehr nicht wieder aus den Händen geben; selbst Tokvi-Kava wird es nicht zurückerhalten, obgleich er der Vater meiner Mutter ist. Ich werde mich so lange üben, bis ich mit dieser Zauberflinte ebenso sicher schieße wie Old Shatterhand, und dann wird mein Ruhm noch weiter, viel weiter erschallen als der seinige!“

Da hörte er hinter sich die Stimme des weißen Jägers:

„Träume ja nicht von Ruhm, elender Mischling! Du wirst niemals lernen, mit diesem Gewehre umzugehen!“

Er wendete sich aufs höchste erschrocken um und sah den Sprecher und Winnetou neben sich stehen. Sein Entsetzen bei ihrem Anblick war so groß, daß er kein Wort hervorbrachte und für den Augenblick nicht der geringsten Bewegung fähig war.

„Ja,“ nickte Old Shatterhand ihm, von oben herunter lächelnd, zu, „du wirst niemals mit ihm schießen lernen, denn erstens wüßtest du nicht, wie die dazu gehörigen Patronen angefertigt werden, und zweitens bin ich ja hier, mir mein Gewehr wieder zu holen.“

Als der Mestize den Weißen noch immer wortlos anstarrte, fuhr dieser fort:

„Du sagst, du würdest das Gewehr nicht wieder aus den Händen geben. Bildest du, der ein Nichts in unsern Augen ist, dir denn wirklich ein, daß Winnetou und Old Shatterhand sich ihre Waffen stehlen lassen, ohne sie sich wieder zu holen? Hast du, der elende Wurm, denn wirklich den verwegenen Gedanken haben können, daß wir aus reiner Angst vor euch mit dem Feuerrosse davongefahren seien? Dann war dieser Gedanke eine so unendlich große Albernheit von dir, daß kein Mensch die richtigen Worte zu finden vermag, dir zu sagen, wie dumm, wie unbeschreiblich dumm du bist!“

Jetzt endlich kam wieder Bewegung in die Gestalt des Spions; aber er sprang nicht etwa auf, um einen Versuch der Flucht zu machen, o nein, dazu hielt ihn der große Schreck noch zu sehr und zu fest gefangen, sondern er stand langsam, sehr langsam auf, wie einer, dessen Glieder an einer schmerzhaften Lähmung leiden, und stieß abgerissen und silbenweise die Worte hervor:

„Old – Shat – ter – hand und Win – ne – tou! Wahr – haf – tig – wahrhaftig – sie sind es – sie sind es wirklich!“

„Ja, wir sind es wirklich,“ lächelte ihm der Jäger stolz in das vor Angst verzerrte Gesicht. „Aus deinen Zügen starrt der bleiche Schreck uns an. Du hast uns fangen wollen und stehst doch da vor uns wie ein Stümper, der vor Entsetzen nicht einmal die wenigen Worte richtig sprechen kann. Du schlotterst vor Angst! Schäme dich!“

Die Verachtung, welche aus dieser Rede sprach, gab dem Mischling seine Selbstbeherrschung wieder. Er trat, die drei Gewehre noch immer in den Händen, einen Schritt zurück und antwortete:

„Was bildest du dir ein? Ich soll Angst und Entsetzen vor euch fühlen? Mir kann weder Winnetou noch Old Shatterhand Furcht einflößen. Und eure Gewehre wollt ihr wieder haben? Uff! Versucht doch einmal, ob ihr sie bekommt!“

Noch während er diese Worte sprach, wendete er sich zur blitzesschnellen Flucht. Er konnte diese nicht zu Pferde ergreifen, weil sein Tier angekoppelt war und es zu viel Zeit erfordert hätte, es loszubinden; er war also gezwungen, dasselbe im Stiche zu lassen und zu Fuß zu entweichen; das sah er gar wohl ein. Aber war’s schade um das Pferd, wenn es ihm gelang, sich mit den köstlichen Gewehren zu retten?! Er sprang also in raschen, weiten Sätzen eine Strecke am Rande des Hurrican hin, um dann in das Gewirr desselben einzudringen. Aber er hatte seine Rechnung ohne die Voraussicht seiner beiden Gegner gemacht. Diese waren zu klug und zu erfahren, als daß sie nicht schon im voraus erraten hätten, was er thun werde; er hatte kaum erst den vierten oder fünften Sprung gethan, so war er von Old Shatterhand eingeholt, von Winnetou sogar überholt und wurde von beiden gepackt und festgehalten. Der weiße Jäger zog den Revolver, hielt ihm denselben auf die Brust und sagte:

„Halt! Du kommst wieder mit zurück und setzest dich nieder. Beim geringsten weiteren Fluchtversuch jage ich dir eine Kugel zwischen die Rippen! Du wärst der richtige Bursche dazu, uns zu entwischen! Lächerlich! Also setze die Beine voran, sonst helfen wir nach!“

Sie brachten ihn wieder nach der Stelle, wo er vorher gesessen hatte und wo seine Flinte noch lag, nahmen ihm ihre Gewehre und sein Messer ab und drückten ihn auf den Boden nieder. Er bebte vor Wut, sah aber ein, daß jeder Widerstand ihm jetzt nur schaden müsse, und daß es am besten sei, sich jetzt zu fügen und auf sich ihm später vielleicht bietende Vorteile zu warten.

Old Shatterhand legte zwei Finger zwischen die Lippen, ließ einen schrillen, weithin hörbaren Pfiff ertönen und setzte sich dann mit Winnetou zu dem Gefangenen. Ohne zunächst ein Wort mit demselben zu sprechen, warteten sie auf die Herbeikunft ihrer Kameraden, denen der Pfiff gegolten hatte. Der Hobble-Frank und Droll wußten von früher her, welche Bedeutung dieses Zeichen Old Shatterhands für sie hatte, und es dauerte auch gar nicht lange, so kamen sie mit den zwei Timpes um den Windbruch herumgeritten. Sie überschauten die Situation mit schnellen Blicken, und während sie ihre Pferde anhielten und abstiegen, sagte frank:

„Potz Sapperlot, hat das eene grandiose Wendung hier genommen! Die Roten sind fort, und dafür hat sich dieser Himbeerfritze bei uns zu Gaste geladen! Wo sind sie denn hin, und wer is der sanfte Urian, meine Herren, dem es an Ihrer Seite so außerordentlich gut zu gefallen scheint?“

„Das ist ja der Scout, der die Bewohner von Firwood-Camp den Komantschen an das Messer liefern wollte!“ rief Kas aus.

„Der? Hm, den will ich mir doch eenmal aus der nähern sixtinischen Vogelperschpektive betrachten!“ Und rund um den Gefangenen herumgehend und ihn musternd, fuhr er fort: „Also das is der Kerl, der die französischen Karnickel für ostindische Matjesheringe gehalten hat? Bong! Er hat die Chinesen abschlachten wollen; dafür soll er nu selber zu Wellfleesch und zu Nürnberger Würschteln verarbeitet werden. Setzt euch nieder, ihr Kameraden, und macht die Ohren off! Herr Shatterhand wird wohl die Freundlichkeit haben, uns zu sagen, wieso, warum, weshalb und ooch noch außerdem.“

Sie ließen sich nieder, und der Genannte erklärte ihnen in kurzen Worten, was hier geschehen und wie der Scout ergriffen worden war.

„Een allerliebster Jüngling is dieser Mensch, das muß man sagen,“ meinte dann der Hobble-Frank. „Wenn. er so mir nischt, dir nischt die Gewehre erben wollte, so mußte er doch warten, bis die seligen Besitzer den irdischen Schtoob von ihren jenseitigen Füßen geschüttelt hatten und mit dem persischen Mirza pro defunctis süß hinüberverblichen waren! Ich schlage vor, wir reiben ihm seine Erbanschprüche so mit Senfteig ein, daß er wie jener römische Kaiser schreit ‚ : Varus, Varus, es schneit aus allen Regionen nieder! Verdient hat ersch ja mehr als genug. Was sagen Sie dazu, Herr Shatterhand?“

Der Gefragte antwortete, ohne über das Citat des Kleinen eine Miene zu verziehen:

„Er wird seiner Strafe nicht entgehen, lieber Frank. Warte es nur ab!“

„Ja, so schprechen Sie schtets! Ihre ganzen Herzvorkammern sind so mit Menschenliebe vollgestopft und vollgepfropft, daß Sie selbst Ihrem ärgsten Tod- und Busenfeind Schinken in Burgunder mit ellenlangen Maccaroninudeln vorsetzen möchten. Aber damit kommt man heutzutage nich mehr weit. Ich will Gerechtigkeet; ich bin der zartbesaitete Engel der Vergeltung; bei mir heeßt‘ s schtets: Wie die That, so der Lohn, wie der Milchtopf, so der Deckel, und wie die Dose, so der Schnupftabak. Ich verlange Schtrafe für den Verbrecher, denn es schteht schon seit uralten Zeiten in den Fix- und Wandelschternen een Gesetz geschrieben, welches deutlich sagt: Wer nich hören will, der muß fühlen, und wer keen Pianoforte hat, der kann nich schpielen. Howgh! Der Hobble-Frank hat geschprochen!“

Seine Rede wurde trotz der Würde, mit welcher sie vorgebracht worden war, nicht beachtet, sondern Old Shatterhand wendete sich an den Gefangenen:

„Gib uns zunächst einmal deinen richtigen Namen an!“

Der Mestize antwortete zornig in dem Englisch, welches diese Leute zu sprechen pflegen:

„Bin ich etwa eine Rothaut, Sir, daß Ihr glaubt, mich du nennen zu dürfen?!“

„Deine Haut ist noch viel schlimmer als rot, Bursche! Man weiß ja ganz genau, daß ihr halbblütigen Menschen nur die schlimmen Eigenschaften eurer Eltern erbt, und du bist der beste Beweis dafür, daß dies kein Irrtum ist.“

„Schimpft, wie Ihr wollt, ich bin ja Euer Gefangener und kann mich nicht wehren; aber ich sage Euch das eine: wer mich du nennt, den nenne ich ebenso. Richtet euch danach!“

Well! Ich werde mich danach richten und sage dir also auch das eine: wenn ein Lump, wie du bist, es wagen sollte, mich du zu nennen, so lasse ich ihm die Jacke ausziehen und den Rücken so ausgiebig mit dem Lasso bearbeiten, daß er den Unterschied zwischen mir und ihm mit Leichtigkeit erkennen lernt. Richte auch dich danach! Und nun sag deinen wirklichen Namen! Ich bin es nicht gewohnt, zweimal zu fragen.“

Old Shatterhand hätte trotz seiner bekannten Humanität seine Drohung ausgeführt; das schien der Mestize wohl zu fühlen, denn er antwortete, ohne das angekündigte Du zu wagen:

„Meinen richtigen Namen habt Ihr gehört. Ich heiße Yato Inda, und meine Mutter gehörte dem Stamme der Pinal-Apatschen an.“

„Das ist Lüge. Du bist Ik Senanda, der Enkel des schwarzen Mustangs.“

„Beweist es doch!“

„Diese Aufforderung enthält eine Frechheit, durch welche du deine Lage nicht verbesserst.“

„Was Ihr da Frechheit nennt, ist nichts weiter als mein gutes Recht. Warum behandelt Ihr mich als Feind? Ihr seid mir nach den Gesetzen der Savanne Gründe schuldig. Oder ist Old Shatterhand, den man den Gerechtesten unter allen Bleichgesichtern nennt, unter die Räuber und Mörder gegangen?“

Als der brave Kas diese Worte hörte, rief er zornig aus:

„Soll ich diesem Halunken eins hinter die Ohren geben? So eine Unverschämtheit ist mir noch nicht vorgekommen. Das ist ja schlimmer als damals bei Timpes Erben!“

Old Shatterhand winkte ihm Schweigen zu und erklärte dem Gefangenen im ruhigsten Tone.

„Es hat allerdings jeder Angeklagte seine Rechte, und ich bin am allerwenigsten derjenige, der sie ihm verkürzt. Darum will ich deine Frechheit nicht beachten und dich nur sachgemäß fragen: Hast du als Wächter des Firwood-Camp es ehrlich mit dessen Bewohnern gemeint?“

„Ja.“

„Warum verkehrtest du da heimlich mit den Komantschen?“

„Beweist mir, daß ich dies gethan habe!“

Pshaw! Warum bist du da geflohen, als du bemerktest, daß wir die Spuren des schwarzen Mustangs richtig lasen?“

„Ich bin nicht geflohen.“

„Was sonst?“

„Mein Ritt war keine Flucht aus Angst vor euch, sondern er wurde in der besten Absicht unternommen.“

„Da bin ich wirklich neugierig, diese gute Absicht kennen zu lernen!“

„Warum sagt sie dir dein Scharfsinn nicht, den man ja an dir rühmt? Ich sah die fremden Spuren grad so, wie ihr sie sahet; ich hörte euern Verdacht. Ihr waret nur die Gäste des Camp und hattet keine Verpflichtungen; ich aber hatte die Bewohner zu beschützen; dazu war ich da, und darum folgte ich augenblicklich dem Verdachte, indem ich fortritt, um die Feinde auszuspähen.“

„Ach, das hast du nicht ganz schlecht gemacht; diese Ausrede ließe sich wirklich hören, wenn ich nicht fragen müßte, warum du ebenso rasch zurückgekehrt bist; um auszukundschaften, was wir im Camp machen würden.“

„Ich bin nicht zurückgekehrt. Wer Euch das weismachte, hat gelogen.“

„So bist du selbst der Lügner.“

„Ich? Wieso?“

„Weil du selbst von dieser deiner Rückkehr gesprochen hast.“

„Wann? Wo?“

„Davon später! Du bist also fortgeritten, um zu erkunden, wo sich die Komantschen befanden. Wie war es möglich, sie in der Finsternis der Nacht zu entdecken?“

„Wer so fragt, der kann kein Westmann sein!“

Well! Du sprichst in einem sehr stolzen Tone. Wahrscheinlich bist du geschickter, als wir hier alle sind. Ich erkenne diese fast übermenschliche Geschicklichkeit auch an, indem ich vor Bewunderung darüber überfließe, daß du den Feinden bis hierher hast folgen und dann gar mit ihnen sprechen können, ohne daß sie dich getötet oder wenigstens festgenommen haben.“

„Darüber braucht ihr gar nicht so zu staunen, es ist vielmehr sehr leicht zu erklären. Die Komantschen wissen nämlich gar nicht, daß ich mütterlicherseits von ihren Feinden, den Pinal-Apatschen abstamme; ich habe mich auch stets mit ihnen auf scheinbar guten Fuß gestellt; sie halten mich also für ihren Freund und haben mich auch heute ohne alle Feindseligkeit bei sich empfangen.“

„Schön! Wie aber kamen unsre Gewehre in deine Hände?“

Diese Frage brachte den Mestizen sichtlich in Verlegenheit, doch suchte er dies zu verbergen und antwortete schnell:

„Grad das ist ein Punkt, der euch von meiner Ehrlichkeit und Freundschaft überzeugen muß. Gestern abend sah ich eure Waffen, die ich noch nicht kannte; heut erblickte ich sie wieder bei den Komantschen, und der schwarze Mustang rühmte sich, daß er sie euch gestohlen habe. Um euch zu eurem Eigentum zu verhelfen, stahl ich sie ihm wieder, und er ist von hier fortgeritten, ohne es zu bemerken.“

„Dann muß ich bekennen, daß dies ein Meisterstück von dir ist, welches nachzuahmen wohl keinem andern Menschen gelingen würde. Du scheinst ein Ausbund von Klugheit zu sein, während der schwarze Mustang, der sich diese Gewehre abnehmen läßt, ohne es zu gewahren, jedenfalls ein Ausbund von Dummheit ist. Du wolltest sie uns also wiederbringen?“

„Ja.“

„Wie willst du es dann aber erklären, daß du mit ihnen zu entfliehen versuchtest, als du uns vorhin hier erblicktest?“

„Das war nur vor Schreck über euer plötzliches Erscheinen, denn ich hatte euch nicht sofort erkannt.“

„Nicht erkannt? Und doch nanntest du unsre Namen!“

Ein Wort hierauf zu sagen, war dem Halbblut freilich ganz unmöglich. Er blickte finster vor sich nieder und rief dann in gut gespieltem Zorne aus:

„Fragt nicht nach Dingen, die ihr nicht zu verstehen scheint! Wenn man sich ganz allein und sicher hier in der Wildnis glaubt und plötzlich von Personen überrumpelt wird, von denen man annehmen muß, daß sie sich weit von hier befinden, so ist es doch sehr leicht zu erklären, daß man in der ersten Überraschung anders handelt, als man bei ruhiger Überlegung handeln würde. Wenn ihr das nicht einseht, so ist es für mich unnütz, noch ein Wort zu verlieren!“

„Ja, ich bitte dich allerdings, kein weiteres Wort zu verlieren, obgleich wir nicht nur dies, sondern noch vieles andre einsehen. Du scheinst anzunehmen, daß wir uns dir sofort nach unsrer Ankunft hier gezeigt haben, befindest dich da aber im Irrtum. Wir steckten schon hier, noch ehe du geritten kamst. Wir haben schon vorher den schwarzen Mustang beobachtet und dann jedes Wort gehört, welches du mit ihm gesprochen hast. Er nannte dich den Sohn seiner Tochter; er übergab dir unsre Gewehre, die du ihm gestohlen haben willst, und als er fort war und wir hinter dir standen, warst du so entzückt darüber, diese Waffen zu besitzen, daß du dir vornahmst, sie ihm, dem Vater deiner Mutter, nicht wiederzugeben; du wolltest dich üben, sogar noch besser zu schießen als ich. Was sagst du dazu, Ik Senanda? Welchen Wert können deine Ausreden nun noch haben? Glaubst du noch immer, uns durch feige Lügen zu täuschen? Denn eine Feigheit, eine ganz verächtliche Feigheit ist es, wenn jemand sich vor Angst nicht getraut, seinen Namen anzugeben. Wir sind gewöhnt, den Mut zu achten. Hättest du offen gesagt, wer du bist, hättest du mutig eingestanden, daß es deine Absicht war, die Bewohner von Firwood-Camp den Komantschen auszuliefern, so wäre das deiner Abkunft von dem schwarzen Mustang würdig gewesen und wir würden dich zwar als unsern Feind, aber als einen stolzen, achtbaren Feind behandeln; dein feiges Leugnen aber kann uns nur mit Verachtung erfüllen. Du gleichst nicht dem starken Büffel, der ein ganzes Rudel von Wölfen offen mit den Hörnern nimmt, sondern dem niederträchtigen Koyoten, der seine Beute nur von hinten überfällt und lieber stinkendes Aas verzehrt, als daß er es wagt, sein räudiges Fell der geringsten Gefahr auszusetzen. Nun sag, gestehst du, daß du Ik Senanda, der Enkel des schwarzen Mustang bist?“

Es ist sonst nicht die Gepflogenheit eines Westmannes, an unwürdige Subjekte so viel Worte zu verschwenden, aber es lag in der Humanität Old Shatterhands, das Ehrgefühl des Mestizen, wenn er je eine Spur davon besaß, wachzurufen, denn es thut geradezu weh, von einem Menschen zu bemerken, daß er vom Guten gar nichts mehr sein Eigen nennt; dieses Bestreben hatte jedoch nicht den beabsichtigten Erfolg, denn die Feigheit des Scout hielt ihn beim Leugnen fest, er antwortete:

„Ich sage es wieder und kann es gar nicht anders sagen: ich bin nicht Ik Senanda, sondern Yato Inda; ihr habt eure Gewehre wieder, und nun verlange ich, sofort von euch freigelassen zu werden!“

„Gemach, gemach, my boy! Da du noch immer leugnest, können wir dich erst recht nicht freigeben, sondern wir werden dich deinem lieben Großvater vor die Augen stellen, um zu erfahren, ob auch er so feig und niederträchtig ist, sein eigenes Fleisch und Blut zu verleugnen.“

Da blitzte das Auge des Mestizen heimtückisch auf, und er fragte:

„Ihr wollt mich zum schwarzen Mustang bringen?“

„Ja.“

Well! Versucht doch, ob ihr das fertig bringt!“

„Wir bringen es fertig, darauf kannst du dich verlassen! Aber es wird freilich in etwas andrer Weise geschehen, als du es wünschest. Der Kamm scheint dir jetzt plötzlich wieder hoch zu stehen. Verrechne dich nicht! Du hoffst, durch den Mustang aus unsern Händen befreit zu werden; dein zärtlicher Grand-father aber wird mit sich selbst genug zu thun haben, denn er wird ebenso sicher unser Gefangener werden, wie du es geworden bist.“

Da beging das Halbblut den Fehler, zornig auszurufen:

„Das wird er nicht! Kein Old Shatterhand und kein Winnetou wird es jemals fertig bringen, den schwarzen Mustang zu ergreifen, dessen Ruhm weit über alle Thäler und über alle Berge geht!“

„Ah, jetzt fällst du aus der Rolle! Doch ereifere dich nicht! Wir haben noch ganz andre Kerls ergriffen, als dieser alte Mustang ist, von dem du ganz richtig sagst, daß sein Ruhm über alle Thäler und Berge gehe; er scheint aber wie die Luft darüber hin zu gehen, denn man bemerkt hier unten nichts davon.“

„Wie könntet ihr ihn fangen? Ihr wißt ja gar nicht, wohin er sich gewendet hat!“

„Ich habe dir ja gesagt, daß wir ihn belauscht haben. Er ist wieder zurück nach Firwood-Camp.“

„Und dorthin wollt ihr ihm folgen?“

„Ja.“

„Ihr sechs Männer? Und habt doch die große Schar der Komantschen gesehen, die er bei sich hat!“

Pshaw! Wir sind nicht so feig, wie du bist. Und diese Komantschen zu zählen, das fällt uns schon gar nicht ein, denn es ist uns ganz gleichgültig, ob es zehn oder ob es hundert sind.“

„Brüstet euch nicht. Es sind Naini-Komantschen, also die tapfersten Krieger dieses großen Volkes. Und selbst wenn ihr sie nicht fürchtet und wirklich so wahnsinnig sein wolltet, ihnen nachzureiten, um mit ihnen zu kämpfen, ihr würdet sie doch nicht einholen, denn sie haben einen großen Vorsprung, und ehe ihr es ermöglichen könnt, sie zu erreichen, ist Firwood-Camp ein Raub der Flammen geworden!“

„Schau, jetzt zeigst du so ungefähr dein richtiges Gesicht. Ich will dir auch das meinige zeigen, indem ich dir ganz offen und ehrlich sage, daß wir viel eher in Firwood-Camp sein werden als die Komantschen.“

„Das ist unmöglich!“

„Wir werden dir sehr leicht beweisen, daß es möglich ist.“

„Können eure Pferde fliegen?“

„Ja; wir Weißen haben allerdings Pferde, welche fliegen können.“

Da schlug der Scout ein höhnisches Gelächter auf. Old Shatterhand ließ sich dadurch keineswegs zum Zorn bewegen; er legte ihm nur schwer die Hand auf die Schulter und sagte lächelnd:

„Lach jetzt immerhin, Mannikin; es wird nur zu bald die Zeit kommen, da dir das Lachen ganz vergeht! Zunächst werden wir diesen schönen Ort verlassen, an welchem du auf deinen Großvater warten solltest; du wirst ihn wahrscheinlich schon viel eher wiedersehen. Jetzt binden wir dich auf dein Pferd, und ich rate dir, dich ohne Widerstreben drein zu fügen, denn es gibt für uns der Mittel viele, dich zum Gehorsam zu zwingen!“

Der Mestize besaß gar nicht den Mut, Widerstand zu leisten. Wenn es für ihn ein Mittel gab, aus der Gefangenschaft zu entkommen, so sah er es nur in der Verschlagenheit, und da er eine ganz ansehnliche Portion von dieser Eigenschaft besaß und dabei überzeugt war, daß die sechs Männer, in deren Händen er sich befand, gegen den „schwarzen Mustang“ nichts auszurichten vermöchten, so hoffte er mit ziemlicher Bestimmtheit, daß seine gegenwärtige Lage von keiner langen Dauer sein werde.

Er war überzeugt, daß man mit ihm der Fährte der Komantschen folgen und also in das mehrerwähnte Thal einbiegen werde, und war daher sehr erstaunt, als er nach dem Aufbruche sah, daß Winnetou und Old Shatterhand, welche voranritten, eine beinahe entgegengesetzte Richtung einschlugen, indem sie nicht um den Corner-top bogen, sondern sich nach dem Ua-pesch wendeten. Er konnte sich den Grund, einen so bedeutenden Umweg einzuschlagen, gar nicht denken, zumal fast nur im Galopp geritten wurde, was doch auf große Eile schließen ließ. Später freilich sah er das Bahngeleise aus der offenen Prairie herüberkommen; es bog nach dem Felsenthale ein, und als die Reiter ihm folgten, begann eine Ahnung in ihm aufzudämmern, welche ihn mit nicht geringer Besorgnis erfüllte. Da er nicht daran dachte, sich zu beherrschen, nahm sein Gesicht einen bedenklichen Ausdruck an. Der Hobble-Frank bemerkte das, weil der Gefangene zwischen ihm und Droll ritt, und sagte in seiner heimatlichen Mundart, von welcher der Scout natürlich kein Wort verstand:

„ls das Gesicht, was der Kerl jetzt macht, nicht ein wahres Gaudeamus abbreviatur für uns, lieber Droll? Es gibt mir heemlich solchen Schpaß, daß es mir schwer fällt, mein lautes Lachen leise zu unterdrücken. Du nich ooch?“

„Ja,“ antwortete sein altenburgischer Vetter. „Er wird wohl itzt so nach und nach zur Einsicht komme, was für een Pferd unser Old Shatterhand eegentlich gemeent habe wird.“

„Welches Pferd?“

„Na, das Pferd, was fliege kann. Hast’s denn nich gehört?“

„Freilich hab‘ ich’s ooch gehört. Es war die Lokomotive gemeent, mit der wir nu bald nach Firwood-Camp fliegen werden. Denkst du ooch, daß wir eher hinkommen als der schwarze Mustang? Es wäre ganz schauderhaft, wenn es uns nich gelänge, das Camp noch vor den roten Halunken zu erreichen!“

„Ja, denn alle Menschen würden dort verlore sein; aber ich bin fest überzeugt, daß wir noch zur rechten Zeit eintreffe werde. Old Shatterhand und Winnetou habe sich die Zeit ganz gewiß so genau berechnet, daß wir gar keene Sorge nich zu habe brauche. Wir reite doch schon itzt, als ob der Teufel hinter uns her wäre. Ich bin seit langer Zeit nich so gejagt wie heut.“

„Ich ooch nich; aber es gefällt mir sehr. Es is een elegantes Hochgefühl, so off dem mittelsten Rücken unsrer Pegasusse über die Räume des irdischen Nordamerika dahinzufliegen. Man fühlt sich schon mehr als een Mensch in vogelartiger Geschtalt, und ich habe zwischen meinen Schulterblättern eene poetische Empfindung, als ob die oberflächliche Haut dort offgeplatzt wäre, um flügelähnlichen Fittichen Platz zu machen, das heeßt, entweder nur zwee Flügel, wie die Vögel haben, oder gar vier Schtück, wie’s bei den Tagesschmetterlingen und nächtlichen Zwieselsfaltern gebräuchlich is. So een Ritt wie der jetzige, is geradezu een wahrer Kunst- und Hochgenuß. Aber für dich, du armer Teufel, wird es freilich eene ganz bedeutende horoskopische Anschtrengung sein.“

„Für mich? Warum? Denkste etwa, daß ich nich grad so reite kann wie du?“

„Nee, das denke ich nich; aber es schwebt mir deine Krankheet, deine Insel Ischia vor den unsichtbaren Oogen. Du mußt doch große Schmerzen haben!“

„O, nich im geringsten! Die Insel is fort, ohne die geringste Schpur zurückzulasse; ich fühle sie weder hinten im Kreuz noch unten in den Beenen mehr.“

„Das is ja wunderschön! Wenn sie nur nich etwa in eener andern Körpergegend wieder zum Vorschein und zur Auferschtehung kommt! Solche Krankheeten ziehen manchmal so heemtückischer Weise und anonym, was man bei fürschtlichen Personen in Cognaco nennt, im lebendigen Körper herum, und man hat nich eher eene Ahnung von ihrem gegenwärtigen Thatbeschtande, als bis sie ganz plötzlich an eener Schtelle zum Vorschein kommen, wo eegentlich gar keene dazu passende Schtelle mehr vorhanden is.“

„Das gloobe ich nu nich von mir. Ich habe das Gefühl, als ob Winnetou mir fürs ganze Lebe geholfe hätte. Deine Insel denkt nich dran, sich wieder bei mir einzuquartiere. Und das is mir grad recht, denn für solche Schmerze, wie ich ausgeschtande habe, muß ich danke! Überhaupt, die Tante Droll und krank, das war, so lange ich leb, noch gar nich dagewese!“

Der liebenswürdige und komische Altenburger wurde bekanntlich deshalb Tante Droll genannt, weil der Anzug, den er im Westen zu tragen pflegte, mehr dem einer alten Frau als demjenigen eines Mannes glich. Er war an diesen Namen so gewöhnt, daß er ihn selbst in Anwendung brachte, wenn er von sich sprach.

Wie aus dem Gespräch der beiden Vettern zu ersehen, war der Ritt fast ein Parforceritt zu nennen. Man ließ die Pferde nur von Zeit zu Zeit im Schritt gehen, und so wurde der Rückweg in viel kürzerer Frist zurückgelegt, als man zum Hinwege gebraucht hatte.

Als man die Haltestelle in Rocky-ground erreichte, war Mr. Swan, der wackere und thatkräftige Engineer, der erste, welcher die Reiter empfing.

Halloo!“ rief er ihnen entgegen. „Schon wieder zurück?

Und glücklich gewesen, wie ich sehe? Wie ist es denn gegangen? Habt ihr die Komantschen ge–“

Er hielt mitten in der Rede inne, als er den gefesselten Scout erblickte, fuhr dann aber, sichtlich erfreut, schnell fort:

All devils, das ist ja Mr. Yato Inda, der halbgefärbte Gentleman! Und gebunden? Ist er Euer Gefangener, Sir?“

„Ja,“ nickte Old Shatterhand, an den diese Frage gerichtet war. „Habt Ihr vielleicht einen Ort, wo wir ihn unterbringen können, ohne daß er Lust bekommt, spazieren zu gehen?“

„Habe einen solchen Ort, einen ganz vortrefflichen, Sir. Wen ich dahin einquartiere, der kann an keinen unerlaubten Ausflug denken. Will Euch die Stelle zeigen.“

Die Stelle, welche er meinte, war ein Brunnen, welcher sich in Arbeit befand. Obgleich schon ziemlich tief, hatte er noch kein Wasser. Als der Mestize hörte, daß er da hinabgelassen werden sollte, erhob er ein großes Lamento, was ihm aber nichts nützte. An den Rand des Brunnens geführt, um gebunden und dann hinabgelassen zu werden, stellte er sich gar zur Wehr. Da meinte der Engineer zu Old Shatterhand:

„Sollen wir etwa ein so gefährliches Geschöpf, wie dieser Kerl ist, mit Sammet und Seide anfassen? Er ist zwar Euer Gefangener; seine Schandthat galt aber uns Leuten von der Eisenbahn. Erlaubt mir, Sir, ihn zu Verstand zu bringen!“

„Macht mit ihm, was Ihr für gut und richtig haltet,“ antwortete der Gefragte. „Ich habe ihn Euch übergeben und mag nichts mehr mit ihm zu schaffen haben, denn seine Absichten waren nicht gegen uns, wenigstens nicht ursprünglich, sondern gegen Euch gerichtet. Er gehört also jetzt Euch; nur sorgt dafür, daß es ihm unmöglich ist, uns heut noch Schaden zu machen!“

„Was das betrifft, Mister Shatterhand, so könnt Ihr Euch heilig darauf verlassen, daß er nicht aus diesem Brunnen kommt, als bis ich ausdrücklich die Erlaubnis dazu gebe. Also zieht ihm den Strick unter den Armen hindurch, und dann hinab mit ihm!“

Als hierauf der Scout wieder mit den gebundenen Händen und Füßen um sich stieß, wurde er an eine Eisenbahnschwelle befestigt und dann nicht eher mit derselben in den Brunnen hinabgelassen, als bis er unter einer tüchtigen Tracht von Stockschlägen still geworden war. Der Engineer war weit weniger Philanthrop als Old Shatterhand.

Er hatte übrigens in der Zeit vom Morgen an bis jetzt an alles gedacht. Seine Arbeiter hatten ihre Gewehre nachgesehen; eine Maschine war geheizt worden, und es standen Wagen zur vielleicht notwendigen Fahrt nach Firwood-Camp bereit.

Die sechs Westmänner erhielten, während ihre Pferde abgerieben, gefüttert und getränkt wurden, ein so ausgezeichnetes Mittagsmahl, wie es unter den hiesigen Verhältnissen möglich war, und erzählten dabei dem Engineer, was sie seit heute früh erlebt hatten.

„Das ist besser, viel besser gegangen, als ich glaubte,“ sagte er dann. „Es freut mich ungeheuer, daß wir diesen halbblütigen Schurken in unsre Hände bekommen haben; er soll nicht so bald wieder Gelegenheit finden, solche Streiche zu planen oder gar auszuführen! Und die Roten sind wirklich nach dem Camp zurück, um es zu überfallen? Wir werden ihnen dabei behilflich sein. Freue mich riesig darauf, wirklich riesig!“

„Ich habe allerdings auf Euch und Eure Leute gerechnet,“ bemerkte Old Shatterhand, „denn auf den dortigen Engineer ist grad so viel wie auf gar niemand zu rechnen.“

„Etwas Richtigeres könnt Ihr gar nicht sagen, Sir. Er ist zwar ein Kollege von mir, und von Kollegen soll man eben kollegialisch sprechen, aber er heißt zufälligerweise Leveret und ist in Beziehung auf seinen Mut genau das, was sein Name sagt. Von den Chinesen wollen wir gar nicht reden, denn die rennen beim Erscheinen des ersten Indianers in alle Winde hinaus. Ein solcher Zopfmann spielt, wenn man ihm eine Flinte in die Hand gibt, keine andre Rolle als ein Karpfen, dem man zumutet, eine Luftballonfahrt zu unternehmen. Und was die paar Weißen dort betrifft, so sind sie gar nicht der Rede wert.“

„Das ist freilich schlimm, denn unter solchen Umständen können uns diese Leute nur Schaden, aber keinen Nutzen bringen. Am allerbesten wäre es da, wenn wir die Sache auf uns allein nehmen könnten und sie nicht eher etwas zu erfahren brauchten, als bis wir mit den Roten fertig sind.“

„Warum sollte das nicht gehen? Wir werden über neunzig Männer sein, und ich denke, daß wir keinen Grund haben, uns vor den Roten zu fürchten.“

„Einen solchen Grund gibt es freilich nicht; ich möchte sogar behaupten, daß die Sache abzumachen ist, ohne daß von unsrer Seite ein Tropfen Blut vergossen wird; aber wie wollen wir neunzig Mann hoch nach Firwood-Camp kommen, ohne daß die Bewohner dieses Ortes etwas davon bemerken? Es müßte Euch erlaubt sein, den Zug schon vor der Station dort halten zu lassen.“

„Das können wir ja. Wer will es mir verwehren?“

„Gut! Aber müßt Ihr den Abgang des Zuges nicht von hier aus nach dort melden?“

„Eigentlich, ja; aber wenn ich es heut einmal unterlasse, wird der Himmel auch nicht gleich einfallen.“

„Ist euch das Birch-hole bekannt, wohin der schwarze Mustang seine Leute führen will?“

„Grad so bekannt, wie meine eigene Tasche, Sir. Es ist eine tiefe Felsenschlucht, welche hinter dem Camp in den Berg einschneidet. Das Gestein steigt auf allen Seiten fast senkrecht in die Höhe, und es gibt nur den einen, schmalen Eingang, an welchem eine alte, sehr hohe Birke steht, von welcher die Schlucht ihren Namen hat.“

„Hm! Dann ist es nicht sehr pfiffig von dem schwarzen Mustang, seine Leute grad dort unterzubringen.“

„Warum? Es gibt kein besseres Versteck für sie, und er ahnt doch nicht, daß wir diese seine Absicht kennen. Mir scheint also, er hat ganz gut gewählt.“

„Mir nicht. Kann man die Seiten der Schlucht erklettern?“

„Bloß an einer Stelle, aber auch nur am Tage. Bei Nacht möchte ich es keinem raten, dem sein ganzer Hals noch einen Vierteldollar wert ist.“

„Gut! Und ist es möglich, von außen her auf die Ränder der Schlucht zu gelangen?“

Da hob der Engineer schnell den Kopf, warf einen forschenden Blick in Old Shatterhands Gesicht und antwortete:

„Ah, Sir, ich glaube, den Plan zu erraten, den Ihr hegt!“

„Nun, welchen?“

„Ihr wollt uns auf die Ränder der Schlucht postieren und, wenn die Roten heimlich in dieselbe eingedrungen sind, auch den Eingang besetzen. Wie?“

„Und wenn es so wäre?“

„So hättet Ihr das Beste erdacht, was sich erdenken läßt, denn wenn wir das thun, so stecken die Indsmen in dem Birch-hole wie die Frösche in einer Reuße und müssen sich, grad wie diese, einzeln herauslangen und die Hälse abdrehen lassen, wenn wir wollen.“

„Das habe ich allerdings auch gedacht. Also, können Eure Leute hinauf?“

Yes und abermals yes. Aber ist Mister Winnetou mit diesem Plane einverstanden?“

Der schweigsame Häuptling der Apatschen hatte bis jetzt kein Wort gesprochen. Er pflegte, wenn das Reden überhaupt nötig war, Old Shatterhand für sich sprechen zu lassen und dann um so kräftiger handelnd einzutreten. Jetzt nun, da er aufgefordert wurde, seine Meinung mitzuteilen, antwortete er,

„Old Shatterhand und Winnetou haben stets die gleichen Gedanken. Der Plan meines weißen Bruders ist gut und soll auch so ausgeführt werden, wie gesagt worden ist. Howgh!“

Well!“ nickte der Engineer. „Ich bin natürlich voll und ganz damit einverstanden. Wir kommen zeitig genug hin, um noch bei Tage und ehe die Indsmen eintreffen können, auf die Felsen zu steigen. Aber dann, wenn es dunkel geworden ist, müssen wir auch wissen, woran wir sind. Wäre es da nicht gut, für Beleuchtung zu sorgen?“

„Das ist freilich wünschenswert,“ antwortete Old Shatterhand. „Welche Mittel oder Werkzeuge stehen Euch denn zur Verfügung, Mister Swan? Wir müßten sie freilich von hier mitnehmen, denn wir können nichts in Firwood-Camp requirieren, weil man dort nicht wissen soll, was geschieht.“

„Wird alles in schönster Ordnung sein, Mister Shatterhand. Als es galt, die hiesige Strecke schnell fertig zu bringen, haben wir häufig des Nachts bei Fackellicht arbeiten müssen, und von daher sind so viele Fackeln übrig, daß wir mehr als genug besitzen. Wir haben auch Petroleumfässer von verschiedener Größe.“

„Fässer zu transportieren, würde zu beschwerlich sein, und doch wäre es außerordentlich vorteilhaft für uns, wenn wir grad am Eingange zur Schlucht ein solches Faß in Brand stecken könnten. Über eine solche Flammenfackel könnten sich die Komantschen ganz unmöglich herauswagen.“

Well, so wird Rat geschafft. Wir haben ja Tragen, Stricke und sonst alles, was dazu gehört, ein oder mehrere Fässer leicht zu transportieren.“

„Gut! Aber bedenkt dabei, daß kein Geräusch verursacht und keine in die Augen fallende Spur hervorgebracht werden darf!“

„Keine Sorge! Ich habe da Männer, auf die ich mich verlassen kann. Wir werden auch schnell eine Anzahl von Zündern anfertigen. Ich bitte Euch, mich selbst als Oberfeuerwerker und Beleuchtungsinspektor anzustellen. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß Ihr mit mir zufrieden sein werdet. Seid Ihr einverstanden?“

„Ja. Macht alles fertig, und sorgt dafür, daß wir zeitig an dem Birch-hole ankommen. Eingehendere Bestimmungen sind ja erst dann zu treffen, wenn wir das Terrain in Augenschein genommen haben.“

Bei der großen Ein- und Umsicht des Engineers waren die Vorbereitungen schnell getroffen. Die Pferde blieben unter sicherer Aufsicht zurück, und an den Brunnen, in welchem der Scout steckte, wurde auch ein Wächter gestellt. Dann dampfte der vollbesetzte Zug ab, ohne daß dies nach Firwood-Camp telegraphiert worden war. Die Bahnarbeiter beteiligten sich alle mit Freuden an dem Unternehmen, und als der Train an dem vorherbestimmten Punkte ankam und sie dort ausstiegen, gab es keinen, der um den Ausgang des willkommenen Abenteuers oder um sich selbst besorgt gewesen wäre. Die Stelle, von welcher aus der Zug wieder zurückfuhr, lag so weit von dem Camp entfernt, daß man von dort aus nicht bemerkt werden konnte. Die Bahn beschrieb hier eine Kurve um die Höhe, in welche die Birkenschlucht eingeschnitten war; die Männer befanden sich hinter dieser Höhe, während das Camp vor derselben lag, und der Eingang zur Schlucht war an der Seite des Camp. Wenn man von dem Orte aus, an welchem der Zug gehalten hatte, emporstieg, kam man, von dem Walde gedeckt, an den Rand der Schlucht hinauf, was gar keine Schwierigkeit bot, weil es jetzt noch hell am Tage war. Schwerer war es, die zwei Petroleumfässer, welche der Engineer mitgenommen hatte, unbemerkt und ohne Spuren zu hinterlassen, nach dem Schluchteingange zu schaffen und dort so zu verstecken, daß sie später den Späheraugen und auch den – – Nasen der Indianer entgehen mußten.

Zur Ausführung dieses heimlichen Planes erbot sich Winnetou, welcher, wie alle wußten, derjenige war, der sich am allerbesten dazu eignete, diese Aufgabe zu lösen, von deren Gelingen so viel, vielleicht alles abhing. Old Shatterhand übernahm es, die kampfeslustigen Männer zur Höhe zu geleiten, sie dort aufzustellen und ihnen die notwendigen Verhaltungsmaßregeln zu erteilen.

Oben angekommen, befand man sich unter dicht stehenden Bäumen. Deckung war also mehr als genug vorhanden. Es erfüllte Old Shatterhand mit Genugthuung, zu sehen, wie steil die Felswände in die Schlucht abfielen. Waren die Komantschen einmal da unten und drin, so gab es für sie kein Entkommen. Er verteilte die Leute rund um die vielleicht fünfhundert Schritte lange und durchschnittlich fünfzig Schritte breite Schlucht und gab jeder Gruppe von ihnen diejenigen Weisungen, die ihrer Stellung angemessen waren. Vor allem mahnte er zur größten Ruhe und Vorsicht und machte sie mit den verschiedenen Zeichen und Signalen bekannt, die später in der Nacht notwendig sein könnten und deren Bedeutung sie genau wissen mußten. Dann stieg er vom, an der nach dem Camp zu gelegenen Seite hinab, um den Apatschen zu suchen.

Dieser lag, auf ihn wartend, nicht weit von dem Eingange hinter einem ziemlich dichtgewachsenen Busche und winkte ihn zu sich heran.

„Mein roter Bruder liegt ruhend hier; er scheint also mit seiner Arbeit schon fertig zu sein?“ fragte er.

„Winnetou hat seine Arbeit gethan,“ lautete die Antwort. „Die Männer, welche der Engineer mitnahm, sind starke und anstellige Leute. Die Fässer liegen ganz nahe hier und so gut versteckt, daß mein weißer Bruder sehr scharf blicken müßte, um sie zu finden.“

„Und der Engineer selbst?“

„Er steckt mit den Trägern der Fässer dort unter dem Tannendickicht. Du kannst leicht hin zu ihm, wenn du ihm während meiner Abwesenheit Befehle zu erteilen hast.“

„Während deiner Abwesenheit? Du willst also fort?“

„Mein Bruder wird erraten, wohin!“

„Den Komantschen entgegen, um mir zu melden, wenn sie kommen.“

„Ja. Sie werden sich so leise heranschleichen, daß es gut ist, sie schon vorher beobachtet zu haben.“

„Auch handelt es sich um den Häuptling, welcher gesagt hat, daß er selbst es sein will, der das Camp beschleicht. Seiner müssen wir uns vor allen Dingen bemächtigen.“

„Winnetou hat genug Riemen, ihn zu binden, von Rocky-ground mitgebracht. Ich will jetzt gehen, denn es wird bald dunkel werden. Old Shatterhand mag an dieser Stelle auf meine Rückkehr warten.“

Er huschte fort und verschwand unter den nächsten Bäumen, ohne im weichen Moose eine Spur seines Fußes zurückzulassen. Old Shatterhand legte sich, von den Zweigen vollständig bedeckt, nieder; er konnte jetzt nichts weiter thun, als ruhig warten.

Es lag tiefe Stille rundumher; nur von dem nicht sehr fernen Camp klang zuweilen irgend ein Geräusch herüber. Die Dämmerung brach herein, und Winnetou war noch nicht viel über eine Viertelstunde fort, so gehörte das scharfe, wohlgeübte Auge Old Shatterhands dazu, von dem Orte aus, an dem er lag, den Eingang zu der Schlucht noch zu erkennen. Erst von jetzt an war die Ankunft der Komantschen zu erwarten, denn es mußte als selbstverständlich angenommen werden, daß sie sich hüten würden, ihre Annäherung schon oder noch beim Tageslichte zu bewerkstelligen. Sie hätten sich da der größten Gefahr ausgesetzt, von einem auswärts herumstreifenden Bewohner des Camp gesehen und entdeckt zu werden, wodurch das Gelingen ihres Unternehmens sehr in Frage gestellt worden wäre.

Es wurde schließlich so dunkel, daß Old Shatterhand nur noch einige Schritte weit sehen konnte. Desto weiter reichte sein Gehör, denn je weniger der eine Sinn beschäftigt ist, desto schärfer empfindet der andre. Da vernahm er etwas wie das Streichen eines langen Halmes über niedrige Gräser. Tausend und abertausend andre Menschen hätten dies nicht gehört; er aber horchte mit doppelter Spannung auf.

„Das kann nur Winnetou sein,“ dachte er, und wirklich, da erhob sich vier Schritte von ihm die Gestalt des Apatschen aus dem hohen Moose. Er kam vollends herbei, kroch unter den Busch und sagte leise:

„Sie kommen.“

„Weißt du, wo sie die Pferde gelassen haben?“

„Sie haben sie mit.“

„Welch eine Unvorsichtigkeit von ihnen! Sie verdienen Prügel dafür! Die Pferde läßt man doch unter der Aufsicht von Wächtern viel weiter zurück, als die Entfernung von hier nach dem Camp beträgt. Ein einziges Wiehern oder nur Schnauben kann alles verraten.“

„Diese Söhne der Komantschen nennen sich zwar Krieger, sind aber keine.“ Obgleich Winnetou diese Worte leise sprach, war ihm doch der Ton der Geringschätzung deutlich anzuhören. „So viele Pferde nach einer so kleinen und so engen Schlucht zu bringen, darüber würde der jüngste Knabe der Apatschen lachen.“

„Uns kann es nur lieb sein, denn die Pferde werden die Verwirrung, welche wir anrichten, verdoppeln. Horch, jetzt schnaubte eines!“

Es näherte sich ein erst unbestimmtes und nach und nach immer deutlicher werdendes Geräusch; es war das dumpfe Stampfen von Hufen im weichen Moose oder Grase. Die Komantschen kamen nach Indianersitte einer hinter dem andern, und jeder führte sein Pferd nach sich am Zügel, wie die beiden Lauscher bemerkten. Am Eingange zur Schlucht blieben sie halten. Es schienen einige hineinzugehen, um die Sicherheit derselben zu erkunden. Nicht lange Zeit nachher ließen sich unterdrückte Rufe der Aufforderung hören, worauf sich die Gänsemarschkolonne wieder in Bewegung setzte. Sie drang in die Schlucht ein, wegen der Dunkelheit so langsam, daß es über eine Viertelstunde dauerte, ehe der letzte Mann vorüber war.

Old Shatterhand und Winnetou huschten unter dem Busche hervor und krochen näher nach der Felsenkante, welche die eine Seite des Thores bildete. Sie hatten kaum fünf Minuten dort gelegen, so vernahmen sie Schritte, welche wieder zurückkamen. Es erschienen drei Männer, welche so nahe bei ihnen stehen blieben, daß sie den einen von ihnen genau erkannten; es war Tokvi-Kava, der Häuptling, welcher den beiden andern den Befehl erteilte:

„Ihr bleibt hier, um die Thür zu dieser Felsenschlucht zu bewachen, und stecht jeden Menschen, der sich naht, augenblicklich mit dem Messer nieder. Unsere Krieger müssen wegen der Pferde mehrere Feuer anzünden, und wenn jemand den Schein derselben auch nur von weitem sähe, wären wir verraten. Die Zeit des Überfalles ist noch nicht gekommen, denn die Bleichgesichter werden noch nicht alle unter dem Dache, wo sie Feuerwasser trinken, beisammen sein, dennoch gehe ich jetzt, ihre Wohnungen zu beschleichen. Achtet nicht darauf, wenn ich lange fortbleibe, denn ich komme erst dann wieder, wenn der Augenblick gekommen ist, an dem sie alle sterben müssen.

Hugh!“

Nach diesen Worten entfernte er sich mit langsamen, fast unhörbaren Schritten. Er glaubte natürlich, ganz unbeobachtet zu sein, war aber doch nicht allein, denn ihm folgten Winnetou und Old Shatterhand, möglichst tief gebückt und dabei so leise auftretend, daß er ihre Schritte unmöglich hören konnte.

Dies war nicht etwa leicht. Man konnte höchstens fünf Schritte weit sehen; sie durften ihn garnicht aus den Augen lassen und hatten sich also so nahe hinter ihm zu halten, daß er jeden andern Belauscher sicherlich gehört haben würde. Blieb er stehen, so hielten auch sie an und duckten sich bis tief auf die Erde nieder; ging er dann wieder weiter, so setzten auch sie ihre Schritte fort. So unhörbar wie sie, kann selbst der Panther nicht auftreten, und solche Leichtigkeit und Gewandtheit der Bewegungen hat nur die Schlange aufzuweisen. Und das war notwendig, denn das Rollen eines kleinen Steines oder das Knicken des dünnsten Zweigleins konnte alles verderben.

So ging es fort, bis sie ganz sicher waren, aus der Hörweite der beiden Wächter gekommen zu sein. Dabei hatten sie sich dem Camp bereits so weit genähert, daß sie die Helligkeit, welche aus der offenen Thür des Logier- und Restaurationsgebäudes drang, von weitem sehen konnten. Jetzt war es an der Zeit; noch länger zu warten, hätte unvorsichtig genannt werden müssen.

„Jetzt!“ raunte Old Shatterhand dem Apatschen zu.

„Uff!“ stimmte dieser ebenso leise bei.

Es folgten zwei weite Sprünge vorwärts, die der Komantsche hören mußte; er drehte sich um, bekam aber in demselben Augenblicke schon den bekannten Faustschlag Old Shatterhands an die Schläfe, so daß er wie ein lebloser Klotz steif und schwer zu Boden fiel. Er hatte einen Schrei ausstoßen wollen, brachte es aber nur zu einem kurzen, zwar scharf und rasch verklingenden Hauch, der, wenn er je gehört wurde, viel eher für den Flügelschlag eines schlafmüden Vogels als für den unterdrückten Todesschrei eines Menschen gehalten werden konnte. Zu gleicher Zeit kniete Winnetou auf ihm, um ihm die Beine zusammen und die Arme auf den Rücken fest zu binden. Old Shatterhand riß eine Handvoll Gras ab, schob es dem Bewußtlosen in den Mund, band einen Fetzen, den er ihm vom Jagdrocke lang herunterriß, darüber, so daß er später den Grasknebel mit der Zunge nicht aus dem Munde stoßen und dadurch Raum zum Schreien bekommen konnte, und sagte dann:

„Den Häuptling haben wir; seine Leute werden wir wohl ebenso leicht bekommen. Tragen wir ihn fort! Du nicht mit, Winnetou; ich nehme ihn allein!“

Er warf sich den langen, knochigen, schweren Mann über die Schulter und schritt mit ihm, gefolgt von dem Apatschen, davon, nach der Schlucht zurück.

Natürlich wendeten sie sich nicht direkt dem Eingange derselben zu, sondern sie hielten sich mehr nach links, so daß sie nach dem Tannendickicht kamen, unter welchem der Engineer mit seiner Abteilung lag. Dieser war zwar ein kluger und umsichtiger Herr, aber doch kein Westmann und hätte, als er die beiden Gestalten so unerwartet ganz nahe bei sich auftauchen sah, wahrscheinlich eine Unvorsichtigkeit begangen, wenn ihm nicht Old Shatterhand mit unterdrückter Stimme bedeutet hätte:

„Still! Wir sind es. Macht keinen Lärm, Mister Swan!“

„Ah, Ihr! Wen bringt Ihr denn da geschleppt?“

„Den schwarzen Mustang,“ antwortete der Gefragte, indem er seinen Gefangenen von der Schulter herab- und auf den Boden niedergleiten ließ.

„Den Häuptling dieser roten Halunken? Thunderstorm! Das ist so echt Old Shatterhand und Winnetou! Aber er bewegt sich nicht. Ist er etwa tot?“

„Nein. Meine Hand ist ihm etwas unzart an den Kopf geraten, und da hat er das Bewußtsein verloren.“

„Ach, Euer berühmter Jagdhieb, Sir! Was thun wir mit dem Häuptling?“

„Wir legen ihn lang auf die Erde hin und binden ihn da an den Stämmen fest.“

„Aber wenn er erwacht, wird er schreien!“

„Das kann er nicht, denn ich habe ihm einen hübschen Sucking bag zwischen die Zähne gesteckt. Also, bindet ihn recht fest, und gebt gut auf ihn acht! Wir müssen wieder fort.“

„Wohin?“

„Noch zwei Rote holen, welche dort am Eingange Wache halten. Solange die dort sitzen, sind sie uns im Wege.“

Er legte sich mit Winnetou auf den Boden nieder und schob sich mit ihm nach der Stelle hin, wo sie vorhin gelegen hatten, als der „schwarze Mustang“ aus der Schlucht getreten war. Als sie diesen Ort erreichten, sahen sie die Wächter fast zum Greifen nahe vor sich sitzen. Die beiden Komantschen unterhielten sich miteinander über Dinge, welche die Lauscher nicht interessierten; etwas Wichtiges war es jedenfalls nicht. Darum verschwendeten die beiden auch keine Zeit damit, sie zu belauschen, sondern warfen sich sofort über sie her, um sie unschädlich zu machen, was ihnen mit Hilfe der Überraschung sehr leicht gelang. Als sie sie dann dem Engineer brachten, sagte dieser:

„Schon fertig mit ihnen? Hört einmal, Mesch’schurs, euch möchte ich nicht als Feinde haben, denn wem ihr nicht geneigt seid, mit dem macht ihr verteufelt wenig Federlesens! Gibt es vielleicht noch mehr Rote, die ihr mir auf diese Weise bringen wollt?“

„Nein,“ antwortete Old Shatterhand. „Wir arbeiten von jetzt an nicht mehr so en détail, indem wir Euch nur ein oder zwei Stück bringen, sondern en gros, wie es gut situierten Geschäftsleuten geziemt; das heißt: wir werden die andern gleich auf einmal fangen.“

„Die Zeit dazu ist da?“

„Ja.“

„Gott sei Dank! Ich bin weder Squatter noch Trapper und darum nicht gewöhnt, so lange hier im Grünen zu liegen. Sagt also, was ich zunächst zu thun habe!“

„Laßt eins der Petroleumfässer nach dem Eingang schaffen und dort anbrennen. Diese Fackel wird die Komantschen so erleuchten, daß sie schnell erkennen werden, wie es mit dem beabsichtigten Überfalle steht.“

Well! Soll gleich geschehen. Wollen nur schnell diese beiden Roten auch anbinden.“

Als dies geschehen war, brachte er mit seinen Leuten das Faß zwischen dem Gebüsch hervorgerollt; es wurde nach dem Eingange geschafft und angezündet. Natürlich erfolgte eine Explosion, welche den obersten Boden zersprengte; die Dauben aber hielten zusammen, so daß nur ein Teil des Öles auf die Erde floß und, sich dort verbreitend, weiterbrannte. Die Flamme füllte rasch die ganze Öffnung zwischen den Felsen aus und leuchtete nicht nur bis in den hintersten Teil der Schlucht hinein, sondern mußte auch nach der andern Seite hin im Camp gesehen werden, wo jedenfalls auch die Explosion gehört worden war.

Diese war mit einem kanonenschußähnlichen Knall erfolgt und hatte die Komantschen aus ihrer Ruhe und Sicherheit gewaltsam aufgeschreckt. Noch fragten sie sich, was für ein Krach das gewesen sei, als sie gleich darauf die Flamme hoch emporlodern sahen. Die Schlucht wurde tageshell erleuchtet, und die Indsmen befanden sich in der Lage eines im Dunkeln arbeitenden Einbrechers, den plötzlich das Strahlenmeer eines elektrischen Lichtes umflutet. Zunächst waren sie stumm vor Schreck, dann brachen sie in ein Heulen aus, von dem man nicht sagen konnte, ob es ein Kriegs- oder ein Angstgeheul sei. Sie drängten nach dem Feuer hin, wo der einzige Ausgang aus dem Thale lag; aber schon füllte ihn die Glut von einer Seite bis zur andern. Zugleich krachten Schüsse herein, die zwar, von Old Shatterhand abgefeuert, absichtlich niemand treffen sollten, aber um so deutlicher sagten, daß der einzige Weg zur Flucht nicht nur vom Feuer verwehrt, sondern auch von bewaffneten Feinden besetzt worden sei.

Die Roten wichen also wieder zurück, nach dem hintern Teil der Schlucht, und richteten ihre Augen nach den Seitenwänden derselben empor, um zu sehen, ob man vielleicht dort hinauf entweichen könne. Da aber bemerkten sie etwas, was ganz und gar nicht geeignet war, sie zu beruhigen und ihren Mut zu erhöhen. Old Shatterhand hatte nämlich den Befehl gegeben, die mitgebrachten Fackeln anzuzünden, sobald man das Petroleumfaß brennen sähe. Dieser Weisung war Folge geleistet worden, und nun sahen die Indianer den Rand der Felsen rundum mit flammenden Lichtern besetzt und hörten drohende Stimmen von oben herunterschallen, welche jedenfalls nicht freundlich gesinnten Menschen angehörten. Eine dieser Stimmen übertönte alle andern:

„Hurra, hurra, das Faß da unten brennt! jetzt is der Oogenblick gekommen, wo der Rummel losgehen kann. Schteckt die Fackeln an, schteckt sie alle an! Helle muß es werden, helle wie zu Pfingsten Montags früh halb elfe! Laßt ihnen een Licht offgehen, daß es unter ihren Schkalpen endlich an zu dämmern fängt, daß sie den Herrn Heliogabalus Morpheus Edeward Franke vor sich haben, mit dem sie keene Kirschen essen können. Droll, siehste, wie sie loofen und rennen? Hörschte, wie sie heulen und duten? Droll, Droll, wo biste denn mit deiner Anwesenheet hingekommen? Ich vermisse deine Allgegenwart. Wo schteckste denn eegentlich, heh?“

Da antwortete der Angerufene von der andern Seite herüber:

„Hier bin ich, hier, Vetter Frank! Hier sieht mer alles besser, als da drüben. Wennste eenen Überblick haben willst, so komm rasch herüber!“

„Nee, ich bleibe, wo ich bin. Mach nur Radau, tüchtigen Radau, daß die Pferde da unten wilde werden und ihren Herren zwischen die Fußzehen schtrampeln. Schießen sollen wir leider nich, aber wirf Schteene nunter, Schteene, das wird die Rothäute rasch mürbe machen!“

Zum Glück für die Komantschen bestand der Boden da oben aus festen Felsplatten. Hätte es Steingrus oder Geröll gegeben, so wäre es ihnen übel ergangen. Dennoch fand sich hie und da ein einzelner Stein, welcher herabgeworfen wurde und nicht ohne Wirkung blieb. Es wurden Menschen und Pferde getroffen; die ersteren heulten vor Schmerz, und die letzteren schlugen mit den Hufen um sich, rissen sich los und galoppierten hin und her, die schon bestehende Verwirrung noch vergrößernd.

Kaum waren zwei oder drei Minuten nach der Inbrandsteckung des Fasses vergangen, so waren alle Indianerpferde scheu und es gab in der Schlucht eine Scene wildester Verwirrung, die gar nicht zu beschreiben ist. Und da kamen nun auch die Bewohner des Camp herbeigerannt, um zu erfahren, auf welche Weise das nächtliche und unbegreifliche Feuer entstanden sei. Einer der ersten von ihnen war Mr. Leveret, der Engineer. Er erblickte zu seinem Erstaunen Old Shatterhand und Winnetou, bei denen nebst andern sein Kollege aus dem Rocky-ground stand.

„Ihr hier Mesch’schurs, ihr?“ fragte er ganz atemlos. „Und da brennt ein Petroleumfaß! Was hat das zu bedeuten?“

„Das bedeutet, daß wir die Roten räuchern wollen, Mister Leveret,“ antwortete Swan.

„Die Roten? Welche Roten, Sir?“

„Die Komantschen, welche Euch überfallen und ermorden wollten.“

Heavens! Sollte das etwa heute schon geschehen?“

„Natürlich, heute schon. Nun aber stecken sie drin in der Schlucht, deren Ränder von meinen Arbeitern besetzt sind, und hier macht ihnen das Feuer den Ausweg zur Unmöglichkeit.“

„Wie aber sind sie da in die Schlucht geraten, und wie seid Ihr mit Euren Leuten hierhergekommen, Mister Swan?“

„Auf die einfachste Weise von der Welt: Sie sind hergeritten, und wir sind hergefahren, mit einem Zuge natürlich, den ich extra dazu rangieren ließ.“

„Und davon – hab‘ ich – kein Wort – kein einziges –Wort gewußt!“ stotterte der furchtsame Mann, dessen Schreck nachträglich noch zu wachsen begann. „Warum habt Ihr mir denn nichts gesagt?“

„Weil ich keine Zeit dazu hatte.“

„Ihr konntet mir doch telegraphieren!“

„Das habe ich unterlassen, weil ich glaubte, wir würden Euch gar nicht brauchen, um die Absicht der Komantschen zu vereiteln.“

„Das – das will ich – gelten lassen, Sir! Braucht Ihr etwa jetzt noch unsre Hilfe?“

„Nein, wir danken. Wenn Ihr zusehen wollt, so könnt Ihr bleiben; aber verhaltet Euch hübsch ruhig, und hütet Euch, Verwirrung anzurichten!“

„Das fällt mir gar nicht ein! Wenn es Euch so hübsch gelungen ist, die roten Feinde in diese Falle zu locken, so will ich Euch den Ruhm nicht schmälern, sie auch nun noch gefangen zu nehmen.“

„O, was den Ruhm betrifft, so gilt er nicht mir, sondern Winnetou und Old Shatterhand. Wendet Euch also an diese beiden Gentlemen, wenn Euch Eure Kampfbegierde treiben sollte, Eure bewährten Fäuste die Indianer fühlen zu lassen.“

„Danke, Sir, danke wirklich sehr! Ich bin Engineer, aber nicht Westmann und Indianertöter. Warum soll ich Menschen umbringen, und wenn es auch nur Rote sind, die mir bis jetzt noch nichts gethan haben! Ich bin noch ganz außer mir vor Schreck.“

„Aber Euch ist dieser Platz hier anvertraut, Mister Leveret; eigentlich müßtet Ihr mit zu den Waffen greifen!“

„Eigentlich, ja! Und ich würde es auch ganz gern thun, wenn es notwendig wäre. Da aber diese berühmten Gentlemen hier sind und Ihr mit Euren Arbeitern auch anwesend seid, kann ich nicht einsehen, warum ich Euch Eure Verdienste partout schmälern soll. Ich werde mit meinen Leuten reden. Wer von ihnen mit den Roten kämpfen will, dem gebe ich gern die Erlaubnis, sich Euch anzuschließen; mich aber bitte ich aus dem Spiele zu lassen!“

Well, so geht! Eure Leute aber brauchen wir nun auch nicht erst, und mit den chinesischen Zopfträgern dürft Ihr uns schon gar nicht kommen.“

„Schon recht, Sir, schon recht! Werde es ihnen gleich sagen und ihnen streng befehlen, Euch ja nicht zu stören und zu belästigen!“

Er zog sich froh zurück, so leichten Kaufes davongekommen zu sein. Gestern hatte er sich so begeistert über das Heldentum Old Shatterhands und Winnetous gezeigt, man hätte denken sollen, daß das auf einen thatkräftigen, mutigen Charakter schließen lasse, doch zeigte es sich jetzt, daß grade das Gegenteil der Fall war. Man macht im Leben häufig die Erfahrung, daß die Bewunderer andrer Menschen nicht eine Spur von den Eigenschaften derselben besitzen, sondern sich vielmehr durch die entgegengesetzten auszeichnen. So war es auch hier. Sein Kollege hielt es nicht für der Mühe wert, ihm auch nur einen Blick nachzusenden, und meinte, indem er die Achsel zuckte:

„Ganz so, wie ich euch sagte, Mesch’schurs: Er heißt Häschen und ist ein Häschen oder vielmehr ein ganz gewaltiger Hase. Solche Leute hält man in Zeiten der Gefahr am besten so weit wie möglich entfernt von sich. Doch hört, was geht dort los?“

Es entstand nämlich unter den Chinesen eine stürmische Bewegung, deren Zweck und Richtung nicht gleich zu erkennen war. Sie schrieen in ihrer Muttersprache wirr durcheinander, schoben sich hin und her und drängten schließlich bergan, um die Höhe zu ersteigen. Dabei rissen sie Knüppel aus den Büschen und hoben Steine auf, sie mit hinaufzunehmen. Es war ein großes Glück für die Indianer, daß Old Shatterhand Chinesisch verstand. Diese Abkommen aus dem Reiche der Mitte hatten erfahren, daß sie von den Roten hatten überfallen und skalpiert werden sollen. Bei einem offenen Angriff wären sie gewiß alle wie Spreu auseinandergestoben; hier aber sahen sie ihre Feinde eingeschlossen und unfähig, Gegenwehr zu leisten; das verlieh ihnen einen Mut, von dem sie sonst keine Spur besaßen. Die Feigheit verwandelt sich sehr leicht in Blutdurst, wenn sie sich außer Gefahr befindet, und Gefahr gab es hier nicht im geringsten. Man konnte die Indsmen aus ganz sicherer Entfernung von oben herab durch Würfe töten. Darum drängten die Chinesen nach der Höhe, um sie wie im Sturme zu ersteigen.

„Mein Bruder mag schnell mit mir kommen!“ forderte Old Shatterhand den Apatschen auf.

„Diese gelbe Schar wird vor uns zurückweichen, sobald wir ihnen nur in die schiefen Augen sehen,“ antwortete Winnetou, welcher die Absicht seines weißen Freundes sofort erkannte.

Sie eilten miteinander an dem Feuer vorbei und schwangen sich von Stein zu Stein so rasch an der steilen Felsenwand empor, daß sie die Chinesen schnell überholten, weil diese einen Umweg über die bequemere Lehne des Berges eingeschlagen hatten. Der Engineer Swan aber war mit seiner ganzen Arbeiterabteilung unten stehen geblieben, folgte ihnen aber mit den Blicken und sagte, sich an seine Leute wendend:

„Die Gelben wollen die Roten lynchen, wie es scheint, und die beiden Jäger stellen sich ihnen entgegen, um dies zu verhindern.“

„Die zwei gegen so viele!“ meinte einer der Arbeiter. „Die Chinesen sind wenigstens ihrer sechzig!“

„Meint ihr, daß ein Shatterhand oder ein Winnetou es für nötig hielt, diese Burschen zu zählen? Ob es nur einer ist oder ob es sechzig sind, es ist doch eine und dieselbe Feigheit, die vor jedem Mutigen die Flucht ergreift. Paßt auf, jetzt stoßen sie zusammen!“

Das Feuer leuchtete bis zum Bergeshang hinauf, wo die zwei Westmänner jetzt den Chinesen entgegentraten. Unten in der Schlucht und oben auf der Höhe war tiefe Stille eingetreten, denn alle erkannten, um was es sich handelte, und waren auf den Ausgang dieses Intermezzos höchst neugierig.

Man hörte die gebieterische Stimme Old Shatterhands erschallen; die Chinesen hörten nicht auf ihn, sie drängten vorwärts. Seine Stimme erklang abermals, mit demselben Mißerfolge. Da zogen er und Winnetou die Revolver aus den Gürteln, das wirkte für kurze Zeit; die Schar der Chinesen kam zum Stehen, aber nicht lange, so drängten die Hintersten auf die Vordersten ein, welche fortgeschoben wurden. Das war ein kritischer Moment. Wirklich schießen wollten die beiden doch nicht, sie hatten die Waffen gezogen, nur um mit ihnen zu drohen; aber ihren Befehlen Respekt verschaffen, das mußten sie doch auch, wenn es nicht zu dem beabsichtigten Massacre kommen sollte. Man sah, daß sie die Revolver wieder einsteckten; was sie dann thaten, konnte man nicht deutlich und im einzelnen erkennen, aber man hörte deutlich ihre Stimmen; man hörte ferner die Chinesen schreien, man sah einen dichten Haufen durcheinander stoßender oder gestoßener Menschen, bemerkte einzelne der vordersten Chinesen durch die Luft fliegen und in den Haufen der Ihrigen fallen; es schoß bald rechts, bald links einer wie eine Bombe aus diesem Haufen heraus und kollerte den Berg hinunter; diesen einzelnen folgten mehrere; schon flogen sie zu zweien und zu dreien bergab, sich aneinander haltend und doch miteinander hinunterreißend, manche wurden wie von einer Feder kerzengerade emporgeschleudert, um dann wieder niederzufallen und weiter fortzukugeln. Das anfängliche Wutgeschrei verwandelte sich nach und nach in ein Klagegeheul; Schmerzensrufe und Jammertöne erschollen, der Haufen wurde kleiner, weil seine Bestandteile noch ohne Aufhören auseinanderflogen und den Hang hinunterrollten, es war als ob es in seiner Mitte einen unsichtbaren aber auch unwiderstehlichen Sprengstoff gebe, dessen chemische Zusammensetzung ganz darauf berechnet sei, mit Chinesenleibern Ball zu spielen; die Zahl der bergab Kugelnden vergrößerte sich um so mehr, je kleiner diejenige der Zurückbleibenden wurde, und endlich nahm der erwähnte Sprengstoff die Gestalt Old Shatterhands und Winnetous an, die nun wieder sichtbar wurden und eine letzte Gewaltanstrengung machten, deren Wirkung zwar für die Betreffenden keine angenehme, dafür aber für die Zuschauer eine desto erfreulichere und ergötzlichere war.

Es schien ganz so, als ob ein riesiger Quirl mitten in die Chinesen geraten sei und sich in verhängnisvoller Thätigkeit befinde, natürlich verhängnisvoll für sie, denn sie wurden in einer Weise bald durch-, bald auseinandergetrieben, daß ihnen Hören und Sehen vergehen mußte; es hatte den Anschein, als ob die Erde unter ihren Füßen nicht mehr haltbar sei, denn es gingen mehr und immer mehr Standpunkte verloren; man sah Beine seitwärts, Beine oben, Köpfe seitwärts, Köpfe unten, bis schließlich alles, aber auch alles ins Gleiten, Rutschen, Wanken, Fallen, Kollern und Kugeln kam, so daß man ganz der Wahrheit gemäß behaupten und sogar beweisen konnte, daß eine ganze Chinesenlawine thalabwärts gehe. Sie fuhr hernieder, erst langsam, dann schneller und immer schneller, und als sie unten angekommen war, gab es ein gewaltiges Wimmern und Klagen im Nanking- und Kantondialekte, und es gerieten und verwickelten sich so viel menschliche Gliedmaßen ineinander, daß es für jeden einzelnen Sohn der Mitte ganz bedeutender Selbstkenntnis und anatomischer Geschicklichkeit bedurfte, um die abseits geratenen Teile seines lieben Ichs wieder zusammenzubringen.

Alles, alles, was einen Zopf trug, war mehr oder weniger schnell und prompt da unten angelangt; oben aber standen noch die beiden, welche den unwiderstehlichen Sprengstoff gebildet hatten, Winnetou und Old Shatterhand. So viel Weiße es hier gab, aus so viel Kehlen wurde ihnen Bravo zugerufen. Dann stiegen sie leicht herab, als ob die Arbeit, die sie bewältigt hatten, gar keine Anstrengung für sie gewesen sei, und als sie unten anlangten, war kein einziger Chinese mehr zu sehen; sie hatten alle Angst bekommen, daß die Quirlerei hier unten fortgesetzt werden könne, und waren fortgelaufen. Die beiden siegreichen Schöpfer der Lawine aber gingen einfach und bescheiden, als ob gar nichts Ungewöhnliches geschehen sei, zu dem Engineer hinüber. Als dieser sie mit einer Lobpreisung empfangen wollte, fiel ihm Old Shatterhand in die Rede:

„Diese Gefahr für die Roten ist vorüber, aber es gibt noch eine zweite für sie, die ihnen nicht von den Gelben, sondern von den Weißen droht, welche sich ganz oben auf der Höhe befinden. Sie werfen Steine herab, was wir nicht länger dulden dürfen.“

„Aber, Sir, diese Komantschen sind doch Mörder! Thut es Euch denn wehe, wenn den einen oder andern dieser Burschen ein Steinchen trifft?“

„Nein; aber jeder Verbrecher ist, zumalvor seiner Verurteilung, als Mensch zu behandeln. Wer Tiere quält, taugt nichts; wer aber Menschen unnütz wehe thut, der ist noch viel weniger wert; das ist so meine Meinung, nach welcher ich zu handeln pflege, und ich denke, daß Ihr diesem Beispiele wenigstens so lange folgt, wie ich hier bei Euch bin. Schickt also zwei Männer hinauf, den einen rechts, den andern links, welche diese Ungebühr abstellen. Es soll sich jeder ruhig verhalten, und nicht eher etwas Feindseliges unternehmen, als bis ich das Zeichen dazu gebe!“

Well! Werden dann aber auch die Roten Ruhe geben?“

„Sie werden sich hüten, vor Tagesanbruch etwas zu unternehmen, zumal sich ihr Häuptling in unsrer Gewalt befindet.“

„Das wissen sie noch nicht!“

„Wir binden die beiden gefangenen Posten los und schicken sie zu ihnen in die Schlucht. Es ist auch an der Zeit, nun mit dem schwarzen Mustang zu sprechen. Laßt ihn und die zwei andern hierher holen, wo es hell ist und wir ihn leichter und auch schärfer beobachten können als dort im Dunkeln.“

„Sollen den Gefangenen die Fesseln ganz abgenommen werden?“

„Nein, jetzt noch nicht, sondern nur von den Bäumen losbinden mag man sie. Sagt ihnen keinen Namen, und legt sie hier so nieder, daß ihre Gesichter vom Feuer beschienen werden! Ich möchte sie deutlich sehen, wenn sie uns erkennen.“

„Darf ich ihnen antworten, wenn sie auf mich sprechen, zumal dem Häuptling?“

„Ja, aber nur Unwichtiges und Allgemeines. Wir werden uns ein Stück entfernen und dann unbemerkt von hinten herantreten, um zu hören, in welcher Weise er mit Euch spricht und wie er über seine Lage denkt.“

Der Engineer begab sich nach dem Tannendickicht, und Old Shatterhand ging mit Winnetou eine kleine Strecke fort, um von dem „schwarzen Mustang“ nicht sogleich gesehen zu werden. Es dauerte nicht lange, so wurde dieser nach der angegebenen Stelle gebracht und dort mit den beiden Posten in der vorhin angedeuteten Weise niedergelegt. Sie lagen mit den Köpfen so, daß Winnetou und Old Shatterhand hinter ihnen standen und also von ihnen nicht gesehen werden konnten. Diese beiden näherten sich ihnen langsamen und leisen Schrittes so weit, daß sie deutlich hören konnten, was gesprochen wurde.

Der Engineer stand vor den drei Gefangenen, blickte sie still forschend an und sagte nichts. Der Häuptling ärgerte sich über diesen Blick; eigentlich hätte er nach Indianerart auch schweigen sollen, zumal er nicht geringen Stolz besaß und sich für den berühmtesten Krieger der Komantschen hielt; aber die Verachtung, welche aus dem Gesichte des Beamten zu ihm sprach, empörte ihn so sehr, daß er seiner Würde nicht gedachte, sondern ihn zornig anfuhr:

„Was schaust du uns so an? Kannst du nicht reden, oder klebt dir aus Angst vor uns der Mund so zusammen, daß du kein Wort über deine Lippen zu bringen vermagst?“

„Angst vor euch?“ lachte der Gefragte. „Ihr seht ganz und gar nicht wie Leute aus, vor denen man sich zu fürchten hätte!“

„Deine Rede klingt sehr stolz; aber das Entsetzen würde dich ergreifen, wenn du hörtest, wer ich bin!“

„Bilde dir nichts ein! Magst du sein, wer du willst; du bist ein ganz gemeiner Dieb und Räuber, den wir nachher mit einem recht guten und dauerhaften Stricke aufhängen werden.“

„Du weißt nicht, was du redest! Es gibt keinen Menschen, der es wagen würde, nur daran zu denken, mich aufzuhängen.“

Pshaw! Verbrecher hängt man auf; das ist so bei uns Gebrauch, und du bist ein Verbrecher!“

„Schweig! Ich bin Tokvi-Kava, der oberste Häuptling der Naiini-Komantschen.“

„Das ist wohl möglich, kann mir aber nicht imponieren und ändert an der Sache nichts. Wenn du der Oberste dieser Schurken bist, so wird dein Rang zwar gern von uns berücksichtigt werden, doch nur in der Weise, daß wir dich ein Stück höher hängen als deine Leute.“

„Wenn du nicht vor Angst so redest, so ist’s der Wahnsinn, der aus dir spricht. Wenn man einen Menschen aufhängen will, so muß man ihn doch erst gefangen genommen haben!“

„Meinst du etwa, daß du nicht unser Gefangener bist?“

„Ich bin es; aber ihr werdet mich sofort wieder freigeben müssen.“

„Sofort? Ah!“

„Ja, sofort, denn ihr könnt keinen Grund angeben, weshalb ihr mich ergriffen und gebunden habt.“

„Du irrst. Wir haben mehr Gründe, als wir eigentlich brauchen.“

„So gebt sie an! Ich werde euch beweisen, daß diese Gründe nichts taugen. Und selbst wenn ihr gute Gründe hattet, müßtet ihr mich gehen lassen; denn wenn ihr dies nicht thätet, so würden meine Krieger mich holen und euch dadurch bestrafen, daß sie Firwood-Camp verbrennen, alle seine Bewohner töten und die Schienen des Feuerrosses aus der Erde reißen. Ich habe Macht über euch alle, und ihr dürft nur dann auf Gnade rechnen, wenn ihr mich sofort losbindet und mir die Freiheit gebt.“

„Willst du, daß ich dich vor diesen deinen zwei Kriegern verlache? Du wagst es, mir zu drohen, obgleich du vor mir liegst wie eine Schlange, welcher die Giftzähne genommen worden sind! Es fällt mir gar nicht ein, dir die Freiheit wiederzugeben. Und selbst wenn ich es wollte, dürfte ich es nicht thun.“

„Warum nicht?“

„Weil es zwei berühmte Krieger gibt, die dies nicht zugeben würden.“

„Welche Krieger?“

„Old Shatterhand und Winnetou.“

Da lachte der Häuptling laut und höhnisch auf und sagte: „Jetzt weiß ich es gewiß, daß es doch nur die Angst ist, welche aus dir redet. Du nennst diese Namen, um mir bange zu machen; ich aber weiß, daß sich diese beiden Krieger gar nicht hier befinden.“

„Du weißt nichts!“

„Ich weiß es und werde es dir beweisen. Ja, sie sind gestern abend hier gewesen, aber aus Angst vor mir haben sie das Camp sofort wieder verlassen.“

Ridiculous! Wieder aus Angst vor dir! Es gibt keinen Menschen, der im stande wäre, Old Shatterhand und Winnetou Furcht einzujagen.“

„Warum. haben sie da das Camp so schnell verlassen?“

„Bist du so fest davon überzeugt, daß sie sich nicht hier befinden?“

„Sie sind nicht hier; ich habe es gesagt, und Tokvi-Kava weiß stets ganz genau, was er sagt. Sie hatten Angst vor mir und sind mit dein Wagen des Feuerrosses davongeeilt. Howgh!“

Da ertönte hinter ihm die Stimme Old Shatterhands.

„Howgh! Dieses Wort gilt für jeden Krieger als eine Beteurung, als ein Schwur. Indem Tokvi-Kava es ausgesprochen hat, hat er eine Unwahrheit beschworen und wird von nun an unter die Lügner gezählt.“

Während er das sagte, umschritt er die Gefangenen, so daß er nun vor ihnen stand.

„Uff, uff !“ rief da der Häuptling erschrocken. „Das ist Old Shatterhand!“

„Ja, das bin ich. Und wer ist der, den du hier neben mir siehst?“

Winnetou war ihm nachgekommen und stellte sich an seine Seite. Als der Komantsche diesen erblickte, entfuhr ihm der Ausruf des vermehrten Schreckes:

„Und. Winnetou, der Häuptling der Apatschen! Wo kommen diese beiden Männer her?“

Da nickte ihm Old Shatterhand mit seiner freundlichsten Miene zu und antwortete:

„Du wirst dich außerordentlich freuen, zu hören, daß wir grad von daher kommen, woher auch du gekommen bist, nämlich vom Alder-Spring!“

„Ich war nicht am Alder-Spring!“

„Aber ganz in der Nähe desselben, nämlich beim Hurricane am Corner-top, um uns heut abend am Alder-Spring zu fangen.“

Der Häuptling war über diese Antwort so betroffen, daß es ihm Mühe kostete, sich zu beherrschen, und daß eine Weile verging, ehe er die Behauptung hervorbrachte:

„Das ist nicht wahr. Ich war nicht am Corner-top und kenne keine Absicht, Euch zu fangen. Wer kann mir denn beweisen, daß ich eine Feindseligkeit gegen Euch beabsichtigt habe? Es gibt unter den Bleichgesichtern keines, welches so streng auf dem Pfade der Gerechtigkeit wandelt wie Old Shatterhand; ich bin überzeugt, daß er auch gegen mich gerecht sein wird!“

„Du hast das Richtige gesagt. Ich bin stets bestrebt gewesen, gerecht gegen meine weißen und roten Brüder zu sein; aber wehe dir, dreimal wehe dir, wenn es wirklich dein Ernst ist, jetzt nur Gerechtigkeit von mir zu fordern!“

„Ich habe sie gefordert und fordere sie noch jetzt!“

„Thue es nicht! Wenn du nicht verloren sein willst, so verlaß dich lieber auf meine Gnade als auf meine Gerechtigkeit!“

„Auf deine Gnade? Uff! Tokvi-Kava hat noch nie um Gnade gebettelt und wird dies auch jetzt nicht thun. Deine Gnade und Barmherzigkeit verachte ich, denn ich habe dir nichts gethan und brauche nur ein Zeichen zu geben, so brechen meine Krieger hier aus der Schlucht hervor und zeigen euch den blutigen Weg, der in die ewigen Jagdgründe führt!“

„Armer Narr! Versuche es doch einmal, dieses Zeichen zu geben!“

„Uff ! Ich kann nicht, weil mir die Hände gebunden sind.“

„Ah, du kannst nicht! Fast möchte ich dich bedauern. Aber tröste dich! Selbst wenn du dieses Zeichen geben könntest, würde es dir gar nichts nützen. Deine Krieger können nicht kommen, denn sie sind grad ebenso gefangen, wie du gefangen bist.“

„Uff ! Das ist eine Lüge!“

„Lüge? Hüte dich, uns zu beleidigen! Lässest du uns noch einmal dieses oder ein ähnliches Wort hören, so lasse ich dich peitschen, wie du, der berüchtigte Jägerschinder, deine unschuldigen Gefangenen hast peitschen, ja zu Tode peitschen lassen! Old Shatterhand und Winnetou lügen nicht; das merke dir! Wir haben über deine Dummheit lachen müssen, als wir hörten, daß du uns fangen wolltest. Ein noch viel höherer, ja ein geradezu unbegreiflicher Grad von Dummheit aber war es, daß du deine Leute hier in das Birch-Hole führtest, um das Camp überfallen zu lassen. Du hast sie da in eine Falle geführt, die wir nur zuzumachen brauchten, um alle deine Krieger so fest zu haben, wie man Vögel in einem Netze fängt!“

Jetzt begann dem Komantschen endlich so nach und nach die Erkenntnis zu dämmern, daß seine Lage eine viel schlimmere sei, als er bisher angenommen hatte. Zwar gab es eine Stimme in ihm, sich dieser Erkenntnis noch zu verschließen; aber die stolze Sicherheit, mit welcher Old Shatterhand vor ihm stand und zu ihm sprach, ließ keinen Zweifel darüber zu, daß das Spiel, welches die Komantschen so leicht zu gewinnen gehofft hatten, für sie verloren sei. Er war gebunden, also vollständig machtlos; er sah das Feuer hoch und breit lodern, welches seinen Leuten den Ausgang aus der Falle verwehrte; aber er kannte den Umstand noch nicht, daß die Höhen der Schlucht rundum besetzt waren, und noch viel weniger wußte er, daß ihm bewiesen werden konnte, welche Absichten er verfolgt hatte, und so hielt er es trotz seiner schlimmen Lage noch immer für möglich, der Strafe entgehen und den, wenn auch vollständig beutelosen Rückzug antreten zu können. Freilich, dumm genannt zu werden, das war für jeden Indianer, um wieviel mehr für ihn, eine Beleidigung, die nur mit Blut abgewaschen werden konnte. Der Grimm, den er darüber empfand, war viel größer als die Sorge, welche ihn zur Vorsicht mahnte, und so knirschte er wütend hervor, indem er an seinen Fesseln zerrte:

„Du nennst Tokvi-Kava dumm! Wäre ich nicht gebunden, ich würde dich zermalmen, wie der Grizzlybär den Koyoten, der ihn ankläfft, mit einem einzigen Schlage seiner Tatze zu Brei zerschlägt!“

Pshaw! Vergleiche dich ja nicht mit dem grauen Bären! Auch das ist eine Dummheit, wie man sie sich gar nicht lächerlicher denken kann!“

„Schweig! Vergiß ja nicht, mit wem du redest! Ich verlange, freigelassen zu werden! Oder vermagst du, die Behauptungen zu beweisen, welche du ausgesprochen hast?“

„Hast du jemals gehört, daß Old Shatterhand etwas behauptet habe, was er nicht beweisen konnte?“

„So sprich!“

„Höre, Halunke, bemühe dich eines andern Tones, wenn du nicht willst, daß dein Rücken sich unter den Hieben krümmt, die ich dir für solche Frechheit geben lasse! Du hast hier keine Befehle zu erteilen. Nicht ich habe mich vor dir, sondern du hast dich vor uns zu verantworten, und wenn du dies nicht höflich thust, so stehen uns genug Mittel zur Verfügung, dich höflich zu machen. Glaube nicht, uns betrügen zu können! Lügen haben keine Wirkung. Übrigens, wenn du dich so stolz den obersten Häuptling der Naiini-Komantschen nennst, so denke ich, daß du auch viel zu stolz sein wirst, die Unwahrheit zu sagen. Ihr seid hierhergekommen, um das Camp zu überfallen?“

„Nein!“

„Du hattest Ik Senanda, deinen Enkel, hierhergeschickt, diesen Überfall vorzubereiten?“

„Nein!“

„Du warst gestern abend hier und hast mit ihm gesprochen?“

„Nein!“

Dieses dreimal Nein hatte einen so bestimmten, abweisenden, stolzen Klang, daß der Engineer zornig ausrief:

„Diese Unverschämtheit! Er muß uns doch geradezu für dumme Jungens halten! Ich habe große Lust, ihm seine alte Jacke ausziehen zu lassen, damit seine rote Haut Bekanntschaft mit einem guten Stocke machen kann!“

Old Shatterhand fuhr, noch immer zu dem Häuptling gewendet, fort:

„Ich gebe diesem weißen Gentleman sehr recht. Es ist eine Feigheit sondergleichen, in einer solchen Lage so bestimmt zu leugnen. Ich würde alles gestehen und dadurch selbst den Feind zwingen, mich zu achten.“

„Was Tokvi-Kava nicht gethan hat, das kann er nicht gestehen,“ antwortete der Komantsche.

„So bist du also gestern abend wirklich nicht hier gewesen?“

„Nein!“

„Hast nicht mit zwei Chinesen gesprochen?“

„Nein!“

„Und ihnen unsre drei Gewehre abgenommen?“

„Nein!“

Auch nicht mit unsern drei Pferden fortgeritten?“

„Nein!“

„Aber leugnen wirst du wohl nicht, deinen Enkel Ik Senanda zu kennen?“

„Den kenne ich.“

„Er hat sich hier Yato Inda genannt?“

„Das ist ganz unmöglich, denn mein Enkel war noch niemals hier.“

„Wo befindet er sich jetzt?“

„Daheim, auf den Weideplätzen unsres Stammes.“

„Du irrst. Du weißt nämlich gar nicht, an welchem Orte er jetzt steckt.“

„Ich weiß es; er ist daheim.“

„Nein. Du hast ihn heut am Vormittage ganz allein am Corner-top zurückgelassen.“

Der Häuptling schloß für einen Augenblick die Augen, als müsse er einen plötzlichen Schreck verbergen; dann antwortete er höhnisch:

„Old Shatterhand scheint träumen zu können, ohne daß er schläft!“

Pshaw! Du hast ihn dort gelassen, um unsre gestohlenen Gewehre zu bewachen.“

„Uff, uff!“ fuhr da der Komantsche trotz seiner Fesseln halb empor.

„Gibst du das zu?“

„Nein!“

„Tokvi-Kava, ich verachte dich! Dieses Leugnen beweist uns, daß du keine Spur von Mut und Ehre mehr besitzest. Du bist feiger als ein junger Hund, der vor dem Schatten eines Vogels flieht. Hättest du nur so viel Hirn, wie durch das Zündloch einer Büchse geht, so müßtest du einsehen, daß alles verraten ist, daß wir alles wissen und daß du nur durch die Wahrheit die Spur von Ansehen retten konntest, welches du bei uns noch besaßest. Ich werde dir etwas zeigen, was dir sagen wird, daß euer Ritt nach dem Firwood-Camp nicht nur ein vergeblicher gewesen ist, sondern sogar ein für euch unglückliches Ende nehmen muß. Da schau her! Das hattest du wohl nicht erwartet?“

Old Shatterhand hatte nämlich, ehe er sich vorhin sehen ließ, seine Gewehre hinter dem Gefangenen niedergelegt, und Winnetou war mit seiner Silberbüchse diesem Beispiele gefolgt. Jetzt holte der erstere diese Waffen von der Stelle, an welcher sie lagen, und zeigte sie dem Häuptling der Komantschen. Dieser vergaß vor Schreck, daß er gefesselt war; er stieß einen Schrei aus und wollte aufspringen.

Well, das scheint zu helfen!“ lachte der Jäger.

„Die – die – – die Zauberbüchse, – – der – der Bärentöter und – – die – – die Silberflinte!“ stammelte Tokvi-Kava. „Wo – wo – wo ist Ik Senanda, der Sohn meiner Tochter?“

„Er ist unser Gefangener.“

„Ihr – – ihr – – habt ihn ergriffen?“

„Ja.“

„Am Corner-top?“

„Ja.“

„Wie – wie – habt ihr ihn dort gefunden? Wie – wie – seid ihr dorthin gekommen?“

„O, wir waren schon dort, ehe er kam!“

„Das – das – kann nicht sein! Ihr seid doch mit dem Wagen des Feuerrosses gefahren!“

„Armer Teufel! Du hast wirklich, wirklich gar kein Hirn im Kopfe! Und so ein Mensch will mich und Winnetou fangen! Wir fanden gestern deine Spur und wußten natürlich sofort, woran wir waren. Du hattest unsre Pferde gestohlen und den Chinesen unsre Waffen abgenommen; die Pferde kamen wieder; unsre Gewehre mußten wir holen. Und grad das, was dich so verblüfft macht, das thaten wir, um dich zu täuschen und um eher als du nach dem Alder-Spring zu kommen: Wir fuhren mit der Eisenbahn.“

„Uff – uff –!“ entfuhr es dem Komantschen, dessen Augen vor Erstaunen weit offen standen. „Wer hat euch denn gesagt, daß ich nach dem Alder-Spring wollte?“

„Lächerliche Frage! Wir haben dich verführt, dorthin zu reiten.“

„Ver – führt? Durch – wen?“

„Durch deinen Enkel, den Verräter und Spion. Wir machten ihm weis, daß wir heut abend dort sein wollten, und es geschah ganz so, wie wir gedacht hatten: Er sagte es dir, und du führtest deine Krieger hin, um uns zu fangen. Wir waren aber schon eher dort als du. Wir sahen alles, was ihr thatet, und hörten alles, was gesprochen wurde, denn ich lag mit Winnetou nur vier Schritte weit von dem Baumstamme, an dem du dich ausgestreckt hattest, in dem Dickicht des Windbruches.“

„Uff, uff, uff!“

„Ja, uff, uff, uff ! Du hast nicht einmal Selbstbeherrschung genug, dein Erstaunen und deinen Schreck zu verbergen! Als ihr dann fortgeritten waret, um wieder nach dem Firwood-Camp zurückzukehren, nahmen wir deinen Enkel gefangen. Er mußte uns natürlich unsre Gewehre wiedergeben und dann sofort mit uns reiten.“

„Wo befindet er sich jetzt?“

„An einem so hübschen Orte, daß ich es dir gönnen würde, auch dorthin geschafft zu werden.“

„Wo?“

„Das brauchst du jetzt noch nicht zu wissen. Willst du nun noch immer bei deinem unsinnigen Leugnen beharren?“

Der Komantsche bückte still und finster vor sich nieder, bis ihm der scheinbar rettende Gedanke an seine Leute kam. Da sagte er:

„Tokvi-Kava kennt keine Furcht; er hat nicht aus Angst geleugnet.“

„Du gibst also zu, uns bestohlen zu haben?“

„Ja.“

„Du gestehst, daß du Firwood-Camp überfallen wolltest?“

„Ja.“

„Was hättest du mit den Bewohnern dieses Ortes gemacht?“

„Wir hätten sie getötet und skalpiert.“

„Alle?“

„Alle!“

Zounds!“ rief da der Engineer aus. „Mich auch?“

Für den Komantschen war es jetzt ganz gleich, ob er einen mehr oder einen weniger hatte umbringen wollen; er antwortete in gleichgültig stolzem Tone:

„Ich habe dich noch nicht gesehen und weiß nicht, wer du bist, aber hätten wir dich mit ergriffen, so wärest du auch mit skalpiert worden.“

„Danke sehr, danke wirklich herzlich, mein lieber, roter Sir! Für dieses liebenswürdige Geständnis werde ich mich noch ganz besonders bei Euch bedanken. Sagt doch, Mr. Shatterhand, was wir jetzt mit diesem ehrenwerten Gentleman und seinen Leuten thun werden!“

„Wir werden ihm zunächst Gelegenheit geben, seine und die Lage seiner Leute kennen zu lernen,“ antwortete der Gefragte.

„Auf welche Weise?“

„Wir führen ihn nach dem Rande der Schlucht hinauf, von wo aus er die Situation überblicken kann.“

„Und dann?“

„Dann wird er, wenn er nicht gradezu irrsinnig ist, seinen Leuten den Befehl erteilen, sich zu ergeben.“

„Hm! Wenn sie nun losbrechen, ehe er ihnen diese Weisung geben kann?“

„Ich werde dafür sorgen, daß sie das nicht thun.“

„An welcher Weise, Sir?“

„Das habe ich Euch bereits gesagt.“

Er wendete sich nach den beiden gefangenen Posten zur Seite und fragte:

„Ist euch die Sprache der Bleichgesichter bekannt?“

Er mußte diese Frage zweimal wiederholen, ehe einer von ihnen antwortete:

„Wir haben verstanden, was gesprochen worden ist.“

Well! Ihr sollt jetzt in die Schlucht gehen, um den Kriegern der Komantschen zu sagen, daß wir ihren Häuptling ergriffen haben, und daß wir sie alle, wenn sie sich wehren, niederschießen werden. Ich führe den Häuptling auf die Höhe, damit er sich überzeugen kann, daß jeder Widerstand euer Verderben herbeiführen muß. Er mag dann entscheiden, was für ihn und euch das beste ist. Mag er sich ergeben wollen oder nicht, ich rate euch, nicht eher an einen etwaigen Widerstand zu denken, als bis ihr erfahren habt, was er thun will.“

„Von wem werden wir das erfahren? Wenn ein Bleichgesicht es uns sagt, werden wir es nicht glauben.“

„Ich werde ihm erlauben, es euch selbst zu sagen. Er mag von der Höhe herabsprechen, so daß alle seine Krieger es hören können. Seid ihr damit einverstanden?“

„Ja.“

„So werde ich euch jetzt eure Fesseln abnehmen lassen. Aber glaubt ja nicht, daß ihr diese Gelegenheit benutzen könnt, uns zu entspringen. Ich erlaube euch nur, die wenigen Schritte in die Schlucht hinein zu thun, und werde mein Zaubergewehr auf euch gerichtet halten. Wer nur einen einzigen Schritt zur Seite weicht, der bekommt eine Kugel in den Kopf!“

„Wir können doch nicht durch das Feuer gehen!“

„Doch! Die Flamme ist hier an dieser Seite des Einganges nicht so hoch und breit, daß sie euch gefährlich werden könnte; ihr kommt mit einem einzigen Sprung hindurch.“

„Sollen wir zurückkehren und wieder gefesselt werden?“

„Nein, ihr könnt in der Schlucht bleiben. Sagt euren Kriegern, was ihr gehört und gesehen habt! Wenn ihr das thut, werden sie einsehen, daß es für sie gar nichts andres geben kann, als abzuwarten, wofür ihr Häuptling sich entscheidet.“

Während ihnen die Fesseln abgenommen wurden, stellten Winnetou und Old Shatterhand sich mit angelegten Gewehren so, daß ein Entrinnen gar nicht möglich war. Der eine von ihnen nahm einen Anlauf und sprang an derjenigen Stelle durch das Feuer in die Schlucht, wo es am wenigsten breit war, und der andre folgte ihm sogleich. Hierauf zog Old Shatterhand noch einige Eisenbahner mehr herbei, um den Eingang während seiner Abwesenheit unter scharfer und hinreichender Bewachung zu wissen, und dann wurden dem Häuptling der Komantschen die Füße von den Banden befreit, um ihm zu ermöglichen, mit auf den Berg zu steigen. Die Hände blieben ihm natürlich auf dem Rücken festgebunden; dazu nahmen Winnetou und Old Shatterhand je einen gespannten Revolver in die Hand und drohten, ihn bei dem geringsten Fluchtversuche niederzuschießen. Der Engineer mußte als Anführer der Wachen unten am Feuer bleiben.

So stiegen Shatterhand und Winnetou mit Tokvi-Kava in der Mitte den Berg hinauf. Sie waren überzeugt, daß er ihnen keine Gelegenheit geben werde, ihre Waffen in Anwendung zu bringen. Er hätte durch den Versuch, zu entspringen, nicht nur sein Leben, sondern auch seine eingeschlossenen Krieger in die größte Gefahr gebracht; das sagte er ihnen zwar nicht, aber doch sich selbst, und folgte also ohne Widerstreben bis hinauf zu einer Stelle, von welcher aus die ganze Schlucht mit einem Blicke zu überschauen war. Das war derselbe Ort, an welchem sich der Hobble-Frank befand. Als er die drei Männer kommen sah und Tokvi-Kava an seinem Federschmucke erkannte, that er einen Freudensprung und rief aus:

„Hurra, da bringen sie eenen gebracht, der, wenn mich meine angebotene Intelligenz nich ganz im Schtiche läßt, der Häuptling dieser roten Kriegspfadbrüder is! Habe ich’s erraten, Herr Shatterhand?“

„Ja, er ist’s,“ antwortete der Gefragte.

„Freut mich, freut mich ungeheuer! Denn sobald wir den Hauptgimpel gefangen haben, gehen uns die andern Sperlinge ganz von selber off den Leim. Off welche Weise haben Sie ihn denn bei der Schkalplocke erwischt?“

„Nachgeschlichen und niedergeschlagen, lieber Frank.“

„Nachgeschlichen und niedergeschlagen! Das klingt so eenfach und selbstverschtändlich, als wenn die Köchin im Hotel Bellevue von der Katze sagt: Erscht abgeschtochen, dann braungebraten und nachher als Hase offgefressen! Wünsch guten Appetit, meine Herren! Nu soll er wohl die schöne Aussicht hier oben genießen und nachher mit der Drahtseilbahn im Wagen erschter Klasse wieder ’nunterrutschen?“

„So ähnlich haben wir es allerdings mit ihm vor.“

„Wirklich? Na, verehrtester Herr Shatterhand, da könnten Sie mir bei dieser festlichen Gelegenheet eenen großen Gefallen thun!“

„Welchen?“

„Lassen Sie mich mit ’nunterfahren! Aber nur als Schaffner, wenn ich bitten darf!“

„Warum das?“

„Weil es mich in allen Gliedern juckt, ihm den Fahrschein zu coupieren.“

„Ohne Coupierzange?“ lächelte Old Shatterhand.

„Lassen Sie mich nur machen; ich bring’s ooch ohne Zange fertig, nämlich erschter, zweeter, dritter und ooch vierter Klasse. Ich kenne mich da sehr gut aus und mach das nach der alten, guten Regel:

Knipps, o knipps in diesen Schein,
Knipps een kleenes Loch hinein!
Knipps in diesen blauen Schein
Een Loch für fünfzehn Pfenn’ge ein!
Knipps in diesen grünen Schein
Een Loch für zwanzig Pfenn’ge ein!
Knipps in diesen roten Schein
Een Loch für dreißig Pfenn’ge ein!
Knipps in diesen gelben Schein
Een Loch für vierzig Pfenn’ge ein!
Knipps, o knipps in jeden Schein,
Knipps een kleenes Loch hinein!

und Sie können sich ganz off mich verlassen, wenn ich Ihnen sage, daß ich ihn von hier oben bis hinunter so anhaltend knippsen werde, daß er, wenn er unten angekommen is, von jedermann für een abgeloofenes Rundreesebilletbuch gehalten werden soll! Hoffentlich sind Sie einverschtanden?“

„Nicht ganz. Wenn du so gern knippsen willst, so laß dich, wenn du wieder in der Heimat bist, als Pferdebahnschaffner engagieren; hier aber wird nicht geknippst!“

„So habe ich wieder ‚mal den schönsten Beruf und höchsten Lebenszweck verfehlt! Es is wirklich traurig, wenn es dem irdischen Menschen niemals erlaubt is, seiner in die Schterne geschriebenen Begabung schpärlich nachzuwandeln! Was wollen Sie denn aber mit dem Burschen hier oben machen? Soll er etwa von dieser Tribüne aus für seine Leute eene Rede reden?“

„Vielleicht.“

„Das is gar nich nötig, denn ich bin ganz gern bereit, ihm das Konzept dazu so deutlich off den Rücken zu schreiben, daß sie es alle mit der größten Gemütlichkeet von Anfang bis zum Ende runterlesen können! Ich bin sogar bereit, das in allen möglichen Arten von Schrift zu thun; je größer und je dicker desto lieber! Da schteht er nu und schtaunt grad wie die Kapelle von Schiller in das Thal von Uhland hinab! Wie mir scheint, kommt ihm unsre schöne Illumination und Gasbeleuchtung sehr bedenklich vor!“

Der kleine Konfusionsrat hatte nicht unrecht. Wenn Tokvi-Kava bis jetzt auf die Hilfe der Seinen gerechnet hatte, so mußte er jetzt einsehen, daß diese Rechnung ein ganz andres als das von ihm gewünschte Facit ergab. Sie hockten, mit ihren Pferden auf das ärgste eingeengt, da unten in der Schlucht, und der einzige Weg zur Freiheit wurde ihnen durch das noch immer hochlodernde Feuer verschlossen.

Dieses Feuer konnte bis zum frühen Morgen und noch länger unterhalten werden; das wußte er, denn er hatte gesehen, daß noch ein großes, volles Petroleumfaß unten lag. Und wenn es das nicht gegeben hätte, so war Erdöl genug im Camp vorhanden, und außerdem lieferte der Wald ja so viel Brennmaterial, daß an den Umstand, daß das Feuer werde ausgehen müssen, gar nicht zu denken war.

Und wenn er die Wände der Schlucht betrachtete, so sah er zwar eine Stelle, an welcher man heraufklettern konnte; ja, ein einzelner Mann, für den oben kein Feind stand; aber eine so große Anzahl von Indsmen – an die Pferde dabei gar nicht zu denken! Und oben brannten Feuer und Fackeln, so daß alles tageshell beleuchtet war, und da zählte er eine Menge Bleichgesichter, welche alle wohlbewaffnet waren und jeden Versuch, die Wand zu ersteigen, mit größter Leichtigkeit zurückweisen konnten! Er sann hin und sann her; er suchte in seinen Gedanken nach irgend einer Möglichkeit; es gab keine. Freilich dachte er einen Augenblick daran, daß seine Indianer ihre Pferde besteigen und im Galopp den Ausgang durch das Feuer erzwingen könnten; aber er mußte auch diesen Gedanken fallen lassen. Erstens hatte er die Wachen gesehen, welche draußen vor dem Feuer standen, und zweitens konnten alle die Bleichgesichter, welche er hier oben sah, mit ihren Kugeln die ganze Schlucht bis hin zum Feuer bestreichen; es wäre keinem einzigen Roten gelungen, zu entkommen, denn es hätte nur einer einzigen Salve bedurft, um den Ausweg mit den Leichen von Indianern und Pferden zu verstopfen.

Dieses niederdrückende Ergebnis seines Nachdenkens nahm ihn so in Anspruch, daß er nicht daran dachte, seine Züge zu beherrschen, und darum stand ihm die Enttäuschung so deutlich auf dem Gesichte geschrieben, daß zwar Winnetou und Old Shatterhand darüber schwiegen, dafür aber der kleine Hobble-Frank nicht umhin konnte, in ironischer Weise zu bemerken:

„Jetzt macht er een Gesicht, grad so wie der Frau von Zappelheimern ihre Gans; als die nämlich fortfliegen wollte, da bemerkte sie, daß sie gar keene wirkliche Gans, sondern een Briefbeschwerer war.“

Frank sah, daß Old Shatterhand ein Lächeln über diesen Vergleich nicht ganz unterdrücken konnte, und fuhr darum fort:

„Das is ja leider schtets das Los des Erhabenen, daß es zwar zwee Beene aber keene Flügel hat. Es geht mir ebenso und dem Häuptling ooch. Er möchte gern een Adler sein und hockt als Ochsenfrosch am Boden. Sein Geist schtrebt zwar nach der jenseitigen Parallele, aber seine körperliche Zusammensetzung wird von der diesseitigen Parallaxe festgehalten und ganz folgerichtig wie een Eiszapfen von der Sonne offgetaut. Er mag’s anfangen, wie er will, er kann doch keene Rettung finden. Sein Lebenswandel schteigt abwärts in den Souterrain, und sein zukünftiges Geschick schläft wie der Apollo vom Belvedere im Sauerkraut. Machen wir es kurz mit ihm, Herr Shatterhand! Knipps, o knipps in diesen Schein, knipps een kleenes – – –“

„Sei still, Frank, ich bitte dich!“ fiel ihm der Genannte in die Rede. „Laß mich mit deiner Coupierzange in Ruhe!“

„So? Also ooch von Ihnen werde ich verkannt! Schtill soll ich sein, während alle meine innern Drahtsaiten klingen! Meine Seele ertönt wie Gustav Memnon seine Wassersäule, und mein Herz hält Zwiegeschpräch mit der übermächtigen Möglichkeet, daß dieser Häuptling der Komantschen off die Idee kommt, sich – – –“

Wer weiß, was er wieder für ein Ungetüm der Logik hervorgebracht hätte, wenn er nicht unterbrochen worden wäre.

„Uff, uff!“ ließ sich nämlich grad jetzt der Häuptling hören, und zwar viel lauter, als er es jedenfalls beabsichtigt hatte. Er erwachte aus seinem Brüten wie aus einem Schlafe und fuhr über seinen eigenen Ausruf zusammen. Er hatte ja eigentlich gar nichts sagen wollen.

Winnetou beabsichtigte überhaupt nicht, zu sprechen, und Old Shatterhand hatte zunächst schweigen und den Häuptling seinen eigenen Gedanken überlassen wollen; jetzt nun, da dieser sich hatte hören lassen, fragte er ihn:

„Nun, hat Tokvi-Kava darüber nachgesonnen, ob es für ihn und seine Komantschen einen Weg zur Freiheit gibt?“

„Ja,“ antwortete der Indsman.

„Es gibt keinen solchen Weg.“

„Es gibt einen!“

„Ah! Welchen?“

„Deine Gerechtigkeit.“

„Berufe dich ja nicht wieder auf sie!“

„Ich muß dich doch an sie erinnern!“

„Wenn ich nur auf sie höre, bin ich gezwungen, euch zu verurteilen!“

„Nein! Was haben wir gethan? Haben wir euer Blut vergossen?“

„Nein; aber ihr wolltet es vergießen.“

„Kann man Blut rächen, welches nicht geflossen ist?“

„Nein; aber habe ich denn davon gesprochen, unvergossenes Blut rächen zu wollen?“

„Du hast es nicht gesagt; aber wenn du zugibst, daß Blut, welches nicht geflossen ist, auch nicht gerächt werden kann, so müßt ihr uns freilassen!“

„Du irrst. Welche Strafe ruht nach dem Gesetze der Savanne auf dem Pferdediebstahl?“

Der Gefragte antwortete nach einigem Zögern:

„Der Tod; aber eure Pferde sind wieder zu euch zurückgekehrt!“

„Und welche Strafe ruht auf dem Diebstahle von Waffen?“

„Auch der Tod; aber ihr habt euch eure Gewehre wieder geholt!“

„Daß wir die Pferde und die Waffen wieder haben, ändert nichts an deiner Schuld. Der Diebstahl wurde nicht nur versucht, sondern wirklich ausgeführt. Dein Leben ist verwirkt!“

„So wollt ihr mich töten?“ fuhr der Häuptling zornig auf.

„Wir sind keine Mörder. Wir töten nicht, sondern wir bestrafen, denn du hast Strafe gewollt und verlangt.“

„Uff ! Wann hätte ich sie verlangt?“

„Als du Gerechtigkeit fordertest. Auf unsre Gnade und Barmherzigkeit hast du ja ausdrücklich und höhnisch verzichtet.“

Der Komantsche ließ den Kopf wieder sinken und schwieg. Er wußte, daß er nicht umsonst die Milde dieser beiden menschenfreundlichen Männer anrufen würde; aber sein Stolz sträubte sich dagegen, es zu thun. Nach einer Zeit unnützen Nachdenkens fragte er:

„Haben wir das Camp überfallen?“

„Nein.“

„So können uns die Bleichgesichter, welche da wohnen, nichts thun!“

„Irre dich nicht!“

„Irre ich mich?“

„Ja.“

„So sag, wieso?“

„Was wirst du thun, wenn der Grizzly auf dich zukommt, um dich zu fressen?“

„Ich werde ihn töten.“

„Das ist ungerecht. Wie darfst du ihn töten, da er dich noch nicht gefressen hat!“

„Er würde es aber thun, wenn ich ihm nicht das Leben nähme!“

„Das mußt du abwarten!“

„Uff! Der Bär ist Ein Tier, aber nicht ein Mensch!“

„Es ist der Wille des großen Manitou, daß der Bär vom Raube und vom Blute lebe, der Mensch aber nicht; also ist ein Mensch, der Blut vergießen will, viel ärger als ein Raubtier, und es ist ganz nach deinen eigenen Worten, daß man einen Menschen, welcher Blut vergießen will, sofort tötet, ohne etwa abzuwarten, bis er es vergossen hat. Du selbst hast euer eigenes Urteil gesprochen!“

„Uff, uff!“

Nach diesem unwilligen Ausrufe des Eingeständnisses trat wieder eine Pause ein. Old Shatterhand hütete sich, sie zu unterbrechen. Der Komantsche mußte selbst wieder beginnen. Dieser ließ eine Weile vergehen, ehe er fragte:

„Wo ist Ik Senanda, den du gefangen hast?“

„An einem sichern Orte, wo er auf sein Urteil wartet.“

„Wie wird dieses Urteil lauten?“

„Der Tod.“

„Wie? Ihr wollt auch ihn töten, der sich gar nicht an dem Ritte nach Firwood-Camp beteiligt hat?“

„Ja. Er hat sich mehr als nur beteiligt, denn er ist der Spion, der Verräter, welcher den Überfall vorbereitet hat. Du weißt, daß man Spione henkt, und daß es nie vorkommt, daß einer Gnade findet.“

„So werden wir kämpfen!“ drohte er.

„Thut es! Schau da hinab! Kann eine einzige von euern Kugeln treffen? Dagegen bedarf es nur eines einzigen Rufes von mir, so krachen alle unsre Gewehre. Wenn jedes Bleichgesicht nur zweimal schießt, lebt keine einzige Rothaut mehr. Das weißt du auch, ohne daß ich es dir erst zu sagen brauche.“

„Uff! Seit wann ist Old Shatterhand ein so blutdürstiger Mensch geworden?“

„Seit du Gerechtigkeit von mir gefordert hast; denn die Gerechtigkeit verlangt euer Blut, nichts andres und geringeres.“

„Man sagt, du seist stolz darauf ein Christ, ein guter Mensch zu sein?“

„Gut soll jeder Mensch sein; ein Grund zum Stolze aber ist das nicht.“

„Ist es gut, nach Rache zu lechzen?“

„Ich lechze nicht. Versuche es nicht, mich mit solchen Worten zu gewinnen. Was hatten euch die Bewohner dieses Camp gethan, daß ihr sie morden und skalpieren wolltet? Nichts! Du verlangst, daß euch trotzdem nichts geschehe. Seid ihr etwa ebenso unschuldig, wie sie waren? Euch wird nur die Gerechtigkeit, welche du gefordert hast. Gnade willst du ja nicht!“

Wieder sank der Häuptling ratlos in sich zusammen. Er befand sich in einer für ihn fürchterlichen Lage. Er konnte sich und seine Leute weder mit List noch durch Gewalt retten; das sah er ein; aber durfte er, der stolze Häuptling, der sich für den berühmtesten, tapfersten und gefürchtetsten Komantschen hielt, grad diese beiden Männer, die als ihre gehaßtesten Gegner galten, um Gnade und Schonung bitten? Alles, alles, was in ihm lebte, sträubte sich dagegen, und doch sah er keine andre Möglichkeit, dem Tode zu entgehen. Er fürchtete den Tod zwar nicht, nämlich den Tod an sich; aber er fürchtete die Todesart, die ihm hier drohte, denn nach seinem Glauben kann die Seele eines Menschen, der durch Hinrichtung stirbt, nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen. Dieser Gedanke flößte ihm eine Angst ein, welche er nicht zu überwinden vermochte. Dabei wallte in ihm ein Zorn empor, ein Haß gegen Winnetou und Old Shatterhand, der ihm den heißen Wunsch eingab, leben zu bleiben, um sich an diesen beiden Menschen rächen, aber ganz fürchterlich, ganz entsetzlich rächen zu können. Und dieser Haß, dieser Wunsch war es, welcher ihn veranlaßte, seinen Stolz zu überwinden und etwas zu thun, was er sonst auf keinen Fall gethan hätte. Er hob langsam den Kopf und fragte mit unsicherer Stimme:

„Was versteht Old Shatterhand unter Gnade?“

„Die Erteilung einer milderen oder gar den Erlaß der ganzen Strafe.“

„Würdet ihr uns die Strafe ganz erlassen?“

„Nein; das ist unmöglich.“

„Aber das Leben könnten wir erhalten?“

„Vielleicht. Winnetou und ich, wir trachten nicht nach eurem Leben. Wir sind Freunde aller weißen und aller roten Männer und vergießen nur dann das Blut eines Menschen, wenn er selbst uns zwingt, dies zu thun.“

„So würdet ihr uns das Leben schenken?“

„Ja.“

„Uff ! Wenn ihr das thut, die ihr die größten, die berühmtesten unter diesen Bleichgesichtern seid, so werden die andern eurem Beispiele folgen müssen!“

„Müssen? Davon kann keine Rede sein. Die andern Bleichgesichter sind freie Männer, grad wie wir; sie kennen die Gesetze, nach denen im wilden Westen gerichtet wird, und wir haben ihnen nichts zu befehlen.“

„Du hieltest es aber doch für eine Möglichkeit, daß auch sie unser Leben schonen!“

„Allerdings, Winnetou und ich, wir werden uns Mühe geben, sie dazu zu bewegen. Es wird nicht leicht sein, ihre Rache in Nachsicht zu verwandeln; aber wir hoffen doch, es zu erreichen, wenn du das Deinige nicht versäumst, ihren Zorn zu besänftigen.“

„Was sollen wir thun?“

„Euch ergeben.“

„Ergeben?“ fuhr er auf. „Bist du toll!“

„Ist es toll von mir, wenn ich euch retten will? Gut! Ich pflege keine Tollheiten zu begehen; schweigen wir also davon! Ich habe dich hierher geführt, um dir zu beweisen, daß euer Widerstand uns keinen Tropfen Blutes kosten wird, euch aber augenblicklich ins Verderben führt. Diesen Zweck habe ich erreicht. Wenn ich das Zeichen gebe, gehen alle unsre Gewehre los; wir werden euch die Skalpe nehmen, und eure Seelen werden dann in den ewigen Jagdgründen verurteilt sein, als verächtliche Diener und Sklaven unsern Geistern um die Füße zu kriechen. Du hast es nicht anders gewollt. Komm!“

„Wo willst du hin?“

„Wieder hinab.“

„Und was wird dann geschehen?“

„Du wirst, sobald wir hinunterkommen, an einem Baume aufgehängt, und dann geben wir das Zeichen, auf welches der Tod aller deiner Krieger folgt. Also komm!“

Er faßte ihn am Arme, scheinbar um ihn mit sich fortzuziehen; aber Tokvi-Kava riß sich los, wich einen Schritt zurück und fragte, indem seine dunkeln Augen förmlich aufglühten:

„Du kannst uns nur dadurch retten, daß wir uns ergeben?“

„Ja.“

„Wir dürfen leben bleiben?“

„Ich hoffe es.“

„Und zu unserm Stamm zurückkehren?“

„Wenn euch das Leben geschenkt wird, ja. Du glaubst doch nicht, daß man Lust haben wird, euch hier zu behalten.“

„Und wenn wir frei fortziehen dürfen, fürchtest du da nicht unsre Rache?“

Pshaw! Wer wird sich vor euch fürchten! Du sprichst von Rache? Wenn wir euch das Leben retten, seid ihr uns da nicht vielmehr Dankbarkeit statt Rache schuldig?“

„Rette uns; dann wirst du sehen, was wir thun!“

„So entschließe dich schnell! Ich gebe dir nur so viel Zeit, wie wir Weißen fünf Minuten nennen; dann muß es entschieden sein.“

„Brauche die Zeit nicht, denn ich sage gleich jetzt, daß wir uns ergeben werden. Wie forderst du, daß wir das thun sollen?“

„Siehst du, daß man da rechts am Felsen heraufsteigen kann?“

„Ja.“

„Der Pfad ist so schmal, daß nicht zwei nebeneinander kommen können. Sag deinen Kriegern, daß einer nach dem andern hier heraufkommen soll, doch ohne Waffen. Sie werden natürlich alle zunächst gefesselt werden, bis wir über sie beraten haben. Dann soll –“

„Gefesselt?“ unterbrach ihn der Häuptling, zornig auffahrend.

„Ja. Wenn dir das nicht paßt, so mögen sie sterben. Du bist ja auch gefesselt!“

„Uff! Old Shatterhand ist ein schrecklicher Mensch. Er spricht so sanft und ruhig, aber sein Wille ist ein Stein, der nicht erweicht und sich nicht biegen läßt!“

„Sehr gut, daß du dies einsiehst! Verhalte dich danach! Also, bist du einverstanden, daß sie gefesselt werden?“

Der Gefragte zögerte einige Augenblicke; dann reckte er sich stolz und hoch empor und antwortete, vor Grimm sehr laut, fast schreiend:

„Ja!“

Well! Aber sag ihnen, daß wir jeden, der nicht alles unten ablegt und die geringste Waffe mit heraufbringt, sofort töten werden!“

Man sah es deutlich, daß der Häuptling vor Wut zitterte. Er erkundigte sich noch:

„Wenn ich thue, was du willst, wird da der Sohn meiner Tochter auch leben bleiben und die Freiheit erhalten?“

„Ja.“

„Schwöre es mir zu!“

„Old Shatterhand schwört nie. Ich gebe dir mein Wort und werde es halten!“

„Ich glaube es! Du hast den Stämmen der Komantschen schon oft Unheil gebracht, aber gelogen hast du nie.“

„Die Söhne der Komantschen sind an dem Unglück, welches sie mit Winnetou und mit mir hatten, stets selbst schuld gewesen. Wir wollen gern ihre Freunde und Brüder sein; sie aber hassen uns und zwingen uns zur Verteidigung; wenn sie dabei den kürzeren ziehen, haben sie es sich selbst zuzuschreiben. Liegt nicht auch heut die Schuld an euch allein? Wir hatten euch nichts gethan. Warum bestahlst du uns und trachtetest uns nach dem Leben? Und dabei wagt ihr es, uns eure Feinde zu nennen! Pshaw!“

„Schweig jetzt hiervon! Es kommt die Zeit, in welcher wir über diese eure Freundschaft weiter sprechen werden! jetzt gibt es andres zu thun. Laß mir die Fesseln abnehmen, daß ich hinunter zu meinen Kriegern steigen kann!“

„Ah, du willst selbst hinab?“

„Du hast es gehört.“

„Und ohne Banden?“

„Ja.“

„Warum?“

„Es genügt nicht, daß ich einige Befehle von hier hinabrufe. Wenn sie sich ohne Waffen euch ausliefern sollen, muß ich ihnen meine Gründe sagen.“

Well,“ antwortete Old Shatterhand, indem er ihn lächelnd musterte. „Magst du eine Hinterlist dabei verfolgen, mir gleich. Ich erteile dir die Erlaubnis, hinabzusteigen; aber von dem Augenblicke an, an welchem du den Grund erreichst, werden die Läufe von neunmal zehn Gewehren auf euch gerichtet sein, und wenn ich nach fünf Minuten rufe und du kommst nicht als erster wieder herauf, geht jeder dieser Läufe zweimal los. Ich hab’s gesagt, und so geschieht’s. Jetzt geh!“

Er band ihm selbst die Hände los. Winnetou hatte sich mit keinem Worte an der Unterhandlung beteiligt; jetzt, als der Komantsche Miene machte, hinabzusteigen, legte er diesem die Hand an den Arm und sagte: „Was Old Shatterhand gesagt hat, ist wie ein Schwur, den auch ich halten werde. Wenn er dich ruft und du nicht sofort kommst, ist es meine Kugel, die dich trifft! Ich habe es gesagt. Howgh!“

Der Komantsche drehte sich, ohne zu antworten, von ihm ab und begann den Abstieg, der ihn zu den Seinen führte. Während sie seine Schritte beobachteten, wie auch die Augen aller Komantschen von unten herauf an ihm hingen, fragte Old Shatterhand: „Ist mein Bruder Winnetou mit allem, was ich gesprochen und bestimmt habe, einverstanden?“

„Mit allem,“ nickte der Apatsche. „Mein weißer Bruder hat sehr klug gehandelt. Der Häuptling der Komantschen hat es gar nicht so bemerkt, mit welcher List du ihm die Möglichkeiten und die Waffen, die er noch hätte haben können, aus den Händen gerungen hast.“

„Glaubst du wie ich, daß er wiederkommen wird?“

„Ja. Er wird nicht zögern, denn er glaubt, daß es sonst keinen Weg zur Rettung gibt, und seine Krieger werden ihm gehorchen.“

Als der Komantsche unten angekommen war und die ersten Worte zu seinen Leuten gesprochen hatte, erhob sich ein lautes Geheul. Das war ihre Antwort auf seine Mitteilung, daß sie sich zu ergeben hätten. Um ihn gegen ihren etwaigen Widerspruch zu unterstützen, gab Old Shatterhand mit weithin schallender Stimme einige kurze Befehle. Da kamen alle Weißen, welche sich auf der andern Seite befanden, auf die seinige herüber, um die einzeln heraufkommenden Komantschen dann zu empfangen und gleich zu fesseln, und alle richteten ihre Gewehre nach unten, um auf Old Shatterhands Befehl sofort Feuer zu geben. Auch die unten beim Feuer unter dem Kommando des Engineers befindlichen Weißen richteten ihre Gewehre nach der Schlucht herein. Zu ihnen waren die weißen Arbeiter von Firwood-Camp gestoßen, die sich doch geschämt hatten, ihren Kollegen vom Rocky-ground die Arbeit allein thun zu lassen. Nur Leveret, ihr Engineer, ließ sich nicht sehen, denn er fühlte sich um so sicherer, je weiter er sich vom Kampfplatze befand. Was die Chinesen betraf, so waren sie zwar auf den Ausgang des Abenteuers unendlich neugierig, aber ihre Haut zu Markte zu tragen, das fiel ihnen gar nicht ein. Sie hatten sich in der Ferne niedergelagert, bereit, beim geringsten Zeichen von Gefahr aufzuspringen und auszureißen, und nicht nur die Komantschen waren es, die ihnen diese Furcht einjagten, sondern sie konnten noch immer den weißen Jäger und den roten Apatschen nicht vergessen, welche nur durch die Kraft ihrer Arme ihren dichten Haufen in eine abwärts rollende Lawine verwandelt hatten.

Tante Droll war auch mit von der andern Seite herübergekommen. Er hatte sich neben seinen Vetter Frank niedergestreckt, hielt wie dieser die Mündung seines Gewehres über den Rand der Schlucht hinab und erkundigte sich:

„Hast du, Vetter Frank, alles gehört, was hier gesproche worde is?“

„Wie kannste nur so fehlerhaft und chorographisch fragen!“ antwortete der Kleine. „Ich bin doch dabei geschtanden und habe meine Ohren. Warum sollte ich denn da nischt gehört haben?“

„Daßte Ohre hast, das is mer nich ganz unbekannt; aber mancher hat zwee Ohre, ohne daß er höre will, was er höre soll. Is das nich der Häuptling der Komantsche gewese?“

„Ja.“

„Und es is mit ihm verhandelt worde?“

„Ja.“

„Off was hat er sich denn einlasse müsse?“

„Die Komantschen müssen sich ergeben. Sie kommen eenzeln da am Felsen roffgeschtiegen und werden sogleich gefesselt, wenn sie hier oben aus der Beichaise geschtiegen sind.“

„Du, das is wieder mal sehr pfiffig von unserm Old Shatterhand! Hätte se roffschteige könne, wie se wolle, gleich viele so hinter’nander, so hätte das für uns gefährlich werde könne; da se aber so eenzeln und eelitzig komme müsse, könne se uns keen Schade mache. Ich will nur hoffe, daß alles gut von schtatten geht. Schtricke und Rieme sind genug da, um die Burschen zu fesseln. Es ist doch gleich was ganz andersch, wenn mer in de richtige Gesellschaft kommt! Seit mer gestern Old Shatterhand und Winnetou getroffe habe, werde mer nu wieder was erlebe könne.“

„So? Und mit mir kannste wohl nischt erleben? Höre mal, ich bitte mir diejenige reschpektvolle Hochachtung aus, off welche een Mann von meinen acht Matadoren Anspruch erheben kann! Übrigens haben wir sie nich schon gestern, sondern erscht heute früh getroffen. Wenn dir in deiner Zeitrechnung der falsche Multiplikator abhanden gekommen is, da bilde dir nur ja nich ein, daß ich dir mit meinen altassyrischen Dezimalbrüchen aushelfen werde. Wer da denkt, daß er nischt mit mir erleben kann, der kann grad sehr viel mit mir erleben. Das merke dir in Zukunft ganz ergebenst! Habe ich dir etwa deshalb geschtattet, als mein Vetter und leibhaftiger Cousin geboren zu werden, daß ich mir die gute Laune durch deine falsche Zeitrechnung verderben lassen soll? Behauptet dieser Mensch, bei mir nischt erleben zu können, und dabei kann er nich eenmal. das Addieren vom Zusammenzählen unterscheiden!“

„Na, sei nur gut!“ bat Droll. „Ich hab’s ja gar nich so gemeent! Wer wird nu gleich bei jedem Wort so wie ’ne Bombe platze!“

„Schweig, alter Generalschtabsgimpel! Wie kannste es nur wagen, mich mit der Bombe in dieselbe Perschpektive zu versammeln!“

„Weilste grad so schnell platzest wie sie.“

„Platzen! Was für een Ausdruck für so eene bedeutende Wissenschaftlichkeet. Weeste denn nich, du Grünschnabel, daß die Bombe nich platzt, sondern exportiert?“

„Du willst wohl sage, explodiert?“

„Explodiert? Wie meenste das, lieber Droll?“ fragte Frank in seinem freundlichsten Tone.

Aber wer ihn kannte, der wußte, daß grad diese scheinbare Freundlichkeit eine sichere Explosion in Aussicht stellte.

„Na,“ antwortete Droll unbefangen und noch ganz ahnungslos: „Explodiere is doch, wenn was knalle thut; Export aber wird mit Ausfuhr übersetzt. Nich?“

„Ja, das is sehr richtig, lieber Droll, sehr richtig.“

„Schön! Freut mich sehr, daßte mer recht gegebe hast!“

„Recht gegeben?“ brach nun der Kleine zornig los. „Bildest du dir das wirklich ein? Ich, und jemanden recht geben, der nich mal so viel Grütze hat, sich in die hochinteressanten Eegenschaften der Haupt- und Vorsilbe ex hineinzudenken! Denkt der Mensch wirklich, daß ich den mineralogischen Unterschied zwischen explodieren und exportieren nich weeß! ja, das war ganz richtig: explodieren heeßt knallen; also das Sodawasser explodiert, die Peitsche explodiert, und die Maulschelle explodiert, weil es eenen Knall dabei gibt. Und das war ooch richtig, daß Export so viel wie Ausfuhr heeßt. Nu sag eenmal, kommt nich das Dominium Ausfuhr von dem Feminium ausfahren her?“

„Das is mir zu gelehrt, aber es wird schon seine Richtigkeit habe.“

„Und wenn man ausfährt, muß man doch wo‘ rausfahren?“

„Ja freilich.“

„Zum Beischpiel aus der Haut?“

„Aus – – der – – – Haut?“ wiederholte Droll ganz verblüfft.

„Natürlich! Oder haste noch nie den Ausdruck gehört, daß jemand aus der Haut gefahren is?“

„Gehört, ja; aber gesehe hab‘ ich’s noch nich.“

„So haste also ooch noch keene Bombe gesehen?“

„Nee.“

„Na, die fährt eben aus der Haut, wenn sie platzt, und weil Ausfuhr so viel wie Export heeßt, so sagen wir Gelehrten, wenn wir unter vier Oogen sind, daß die Bombe exportiert. Hast du das kampiert?“

„Kampiert? Das is ooch wieder so een fremdes Wort. Nimm mirsch nich übel, lieber Frank; aber soll es nich vielleicht heeßen kapiert? Kampieren heeßt doch Lager mache?“

„Ganz richtig! Und etwas kampieren heeßt, es so fest in den Kopp offnehmen, daß es dort lagern bleibt. Verschtanden?“

Droll kratzte sich hinter dem Ohre und antwortete verlegen:

„Hm, ich hab’s weder verschtande noch kampiert, du weeßt ja, daßte mer nich mit solche fremde Dinge kommen darfst. Ich schtamme nu eenmal aus dem Altenburgischen und bin nich in Moritzburg gebore.“

„Leider, leider ja! Die liebe Schöpfung hat uns mit so ganz verschiedenen Geistesgaben ausgeschtattet, und darum is, obgleich du mein wirklicher Vetter bist, unsre Verwandtschaft doch nur eene hinterpommersche Mesalliance zu nennen. Ich bin dir in allen Schtücken über und kann eegentlich gar nich begreifen, wie unsre beederseitigen Eltern off den komischen Gedanken haben kommen können, grad uns zwee beede durch so eene nahe Verwandschaftlichkeet zu verbinden. Es sollte doch wohl jedem halbwegs gebildeten Menschen freischtehen, sich seine Vettern und Tanten selber auszulesen! Wenn man das dürfte, da wäre es gar nich möglich, daß sich die Natur so viele Mißgriffe in der Vetterschaft zu schulden kommen lassen könnte.“

„So? Da willste also nischt mehr von mir wisse?“

„Sei doch so gut und frag nich so konschterniert und deponiert! Ich habe dich ja gerade deshalb so lieb, weil du dümmer bist als ich. Wo wollte ich denn mit sämtlichen Schtrahlen meiner Weisheet hin, wenn ich niemand hätte, den ich damit erleuchten und obskurieren könnte? Es macht mich doch gerade das so glücklich, daß alle meine Worte wie een Regen sind, der mit seinen Tropfen die geistig Armen erfrischt und die eenzelnen Wissenschaften in das große Meer des philosophischen Oceanos schwemmt. Jene Henne sagte, als sie Eier legte: „Jedem een Ei, aber dem hochschtudierten Schweppermann drei! Du kannst doch nischt dafür, daß ich dieser Schweppermann bin und zwee Eier mehr bekommen habe als du. Aber habe nur keene Sorge nich! Ich weeß, was ich dir als Cousin und Vetter schuldig bin, und werde dir zuweilen von meinem Überflusse eene Portion Rührei mit Schtaudensalat zukommen lassen. Dein schpezieller Schaden soll es nich grad sein, daß die gütige Natur mich zu ihrem Liebling und Geschwisterkind erkoren hat. Mein Wahlspruch ist ja schtets gewesen: Singe, wem Gesang gegeben, in dem deutschen Dichterwald, und wer lebt, laß wieder leben, denn im Winter is es kalt! Aber paß off ! Old Shatterhand scheint jetzt rufen zu wollen.“

Die gegebene Frist war vorüber, und der Erwähnte bog sich jetzt über die Felsenkante vor, legte die Hand an den Mund und rief in die Schlucht hinab:

„Tokvi-Kava, eta haueh!“

Der Häuptling hörte den Ruf, gab, wie man sah, seinen Leuten noch einen letzten Befehl und wendete sich dann von ihnen, um der Aufforderung Old Shatterhands nachzukommen. Er stieg an derselben Stelle herauf, an welcher er hinabgeklettert war, und während er dies that, sah man, daß seine Leute alle ihre Waffen auf einen Haufen zusammenlegten. Er schien ihnen gesagt zu haben, in welchen Intervallen sie ihm folgen sollten, denn sie standen unten bereit, und erst als er oben angekommen war, folgte ihm langsam der Nächste. Ob es vom Steigen war oder von der Aufregung, welche ihm der Widerspruch seiner Krieger verursacht hatte, man sah es ihm an, daß seine Pulse klopften, als er, die Hände auf dem Rücken zusammenlegend, mit heiserer Stimme sagte:

„Tokvi-Kava hat sein Wort gehalten; hier, fesselt mich wieder! Aber nehmt Euch in acht, daß wir Euch nicht auch einmal Riemen an die Hände legen! Wenn das geschieht, dürft Ihr sicher sein, daß Ihr unter der Sonne nichts mehr zu suchen habt!“

Er wurde gebunden und ein Stück fortgeführt. Der ihm folgte, wurde auch gefesselt und dann Rücken an Rücken mit ihm zusammengebunden. Indem man die Gefangenen auf diese Weise zu zweien aneinander befestigte, wurde man ihrer doppelt sicher.

Es blieb so, wie man gleich zuerst beobachtet hatte: Es folgte jeder Komantsche dem Vorangestiegenen erst dann, wenn dieser die Höhe erreicht hatte, und so gewann man Zeit, die Taschen jedes einzelnen genau zu durchsuchen und ihn mit einem Kameraden zusammen zu binden. Natürlich hatte Tokvi-Kava diese Anordnung mit Absicht getroffen. Weshalb? Um den Feinden die Festnahme seiner Krieger zu erleichtern? Wohl kaum! Oder um sie durch diese Fügsamkeit zu veranlassen, ihm die Freiheit unter annehmbaren Bedingungen zu geben? Vielleicht! Es war auch anzunehmen, daß er es nur gethan hatte, um ihnen zu zeigen, daß ihm jetzt außer der erwarteten Freiheit alles andre gleichgültig sei, und daß er überzeugt war, daß er denen, die ihm jetzt Gehorsam abzwangen, später alles werde heimzahlen können.

Als endlich alle abgefertigt worden waren, lagen weit über fünfzig zusammengebundene Indianerpaare an der Erde. Tokvi-Kava rief Old Shatterhand zu sich und sagte:

„Es ist mir schwer geworden, meine Krieger zum Gehorsam zu bewegen. Wirst du dir nun auch Mühe geben, den Bleichgesichtern unser Leben abzuringen?“

„Ich werde sogar mehr halten, als ich dir versprochen habe,“ antwortete der Jäger. „Ich sagte dir, daß ich meinen Einfluß geltend machen wolle. Jetzt, da du uns so gehorsam gewesen bist, gebe ich dir das feste Versprechen, daß euch euer Leben und eure Freiheit sicher ist.“

Da stieß der Komantsche ein schrilles Gelächter aus und rief, indem ein Blitz unendlichen Hasses aus seinem Auge über Old Shatterhand hinschoß:

„Gehorsam? Ich euch? Ist der Löwe dem Hunde oder der Büffel dem Stinktiere gehorsam? Was denkst du, wer du bist? Eine eiterige Beule, die ich aus dem Leibe der bleichen Rasse herausschneiden werde, um sie in dem einsamsten Winkel der Savanne verfaulen zu lassen! Und was ist Winnetou? Der verachtetste und feigste unter den Apatschen. Ein Gift, welches ich voll Ekel ausspucken und mit dem Fuße in die Erde scharren werde! Hast du im Eise des vergangenen Winters den letzten Rest deines Gehirns erfroren, daß du zu behaupten wagst, der schwarze Mustang sei dir gehorsam gewesen? Ich schwöre dir beim großen Manitou und bei den Geistern aller unsrer Häuptlinge, denen wir in die ewigen Jagdgründe folgen werden, daß die Zeit kommen wird, in welcher ihr erfahren werdet, wer zu befehlen und wer zu gehorchen hat! jetzt aber blase ich dich von mir fort, wie man die Schmeißfliege von dem Fleische bläst. Geh fort von mir! Es wird mir übel, wenn ich dich nur sehe!“

Die einzige, ruhige Erwiderung Old Shatterhands war die Frage:

„Willst du dich vielleicht um das Leben reden? Noch bist du unser Gefangener und nicht frei!“

Pshaw!“ lachte er verächtlich. „Tokvi-Kava läßt sich von dir nicht bange machen! Old Shatterhand hat gesagt, daß uns unser Leben und unsre Freiheit sicher sei!“

„Ach! So fest verlässest du dich auf mein Wort? Weißt du, welche Ehre du mir damit erweisest? Du hast dich nicht getäuscht. Schütte deinen ganzen Grimm über mich aus, ich halte doch, was ich versprochen habe.“

„Doch nur aus Angst vor uns, aus Angst, denn jeder Tropfen Blutes, den ihr uns nehmen könntet, würde von unserm Stamme von euch gefordert werden, und ihr müßtet am Marterpfahle eines Todes sterben, den noch kein Bleichgesicht gestorben ist. Nur Furcht ist’s, pure Furcht, warum ihr es nicht wagt, unsre Haut auch nur zu ritzen!“

„Du darfst uns, ungestraft am Leben, lästern, weil ich dir mein Wort gegeben habe. Weil du weißt, daß Old Shatterhand keine Unwahrheit sagt, bist du überzeugt, frech gegen mich sein zu dürfen. So wie jetzt du, bellt der Hund, dem man die Zähne ausgebrochen hat, daß er nicht beißen kann!“

„Und dieser Hund bist du!“ schrie der Komantsche wütend. „Sieh hier meinen Fuß! Er wird dir bald den Tritt versetzen, der dich vor Schmerz zum Heulen bringt!“

„Du darfst viel, sehr viel wagen, weil du mein Versprechen hast,“ mahnte ihn Old Shatterhand ruhig lächelnd. „Doch treib es nicht zu weit! Wenn du dich nicht zu beherrschen weißt, werdet ihr es zu bereuen haben.“

„Zu bereuen? Auch dieses Wort gibt dir die Angst nur ein. Sag, was du willst, ich verlache deine Drohung!“

Da wurde das Gesicht des weißen Jägers ernst, und seine Stimme klang voll und schwer, als er sagte:

Well, ganz wie du willst! Ich werde allerdings halten, was ich versprochen habe, aber kein Wort, keine einzige Silbe mehr. Wie ich das meine, wirst du bald erfahren. Ich hatte mir vorgenommen, noch milder zu verfahren, als ich durch mein Versprechen verpflichtet war; das ist jetzt nun vorbei, und meine Mahnung wird sich bald erfüllen; die Reue wird schnell kommen!“

Da zog der Komantsche den Kopf zwischen die Schultern und schnellte sich trotz der Fesseln ein Stück empor, um Old Shatterhand anzuspucken, was ihm auch gelang. Da ballte Winnetou, der sonst so ruhige, überlegene Mann, den nichts aus der Fassung bringen konnte, die Faust und rief zornig:

Scharlih, er hat dich mit seinem Geifer besudelt. Wer soll ihn dafür züchtigen, du oder ich?“

„Nicht du, sondern ich, aber anders, als du denkst,“ antwortete sein weißer Freund. „Er ist nicht wert, daß ihn deine Hand berührt.“

Auch andre waren tief empört über die unglaubliche Frechheit des Komantschen, der jetzt, da er seines Lebens sicher war, den nur mit Mühe so lange verschlossenen Grimm hervorbrechen ließ. Eine Menge Stimmen der Weißen ließen sich, schnelle Vergeltung fordernd, hören. Kas, der lange Blonde, ließ seinen kleinen Kopf von einer Seite auf die andre gehen; sein Stumpfnäschen schien noch einmal so groß geworden zu sein; seine sonst so gutmütigen Mausäuglein blitzten, und unternehmend zog er die Schaftstiefel an seinen Storchbeinen empor, wobei er sich mit lauter Stimme erbot:

„Mister Shatterhand, das ist zu stark; das könnt Ihr ganz unmöglich dulden! Ich bin bereit, ihm das große Maul zu stopfen.“

„Womit?“

„Mit einem Riemen, den ich ihm um den Hals lege; dann bringen wir ihn hoch, dort an den Baum, der einige so schöne Äste hat, die jedenfalls nur zu dieser Prozedur so hübsch gewachsen sind. Wenn ihm dann der Atem ausgeht, kann ich nicht dafür. Hätte er ihn für was Besseres aufgespart! Wer nicht hören will, der muß fühlen; das ist ein altes, gutes Wort, und das gab es damals schon bei Timpes Erben!“

„Danke! Wenn er geboren worden ist, um aufgehängt zu werden, so wird er schon noch eine dazu passende Schlinge finden, ohne daß grad wir es sein müssen, die sie ihm um den Hals legen.“

„Was?“ rief der Hobble-Frank. „Er soll Sie in dieser Weise beleidigt und mit faulen Erdäpfelschälern beworfen haben, ohne daß er seinen philharmonischen Lohn dafür bekommt? Das kann ich nich dulden, das geht mir gegen den Schtrich, wie dem Pudel, wenn er von hinten nach vorn gebürschtet wird! Es gibt am südlichen Firmamente eene helle Schtelle, von welcher das Gesetz der Wiedervergeltung tief herunterhängt. Viele können die Buchschtaben desselben lesen, viele aber ooch nich. Zu denen, die es lesen können, gehöre natürlich in erschter Linie ich, und so halte ich es für meine größte und inkompetente Pflicht –“

„Hier kann nur von meiner Pflicht die Rede sein, nicht von der deinigen, lieber Frank,“ unterbrach Old Shatterhand den Redefluß des kleinen Mannes. „Laß es also mir über, diesem roten Patron auf seine Frechheiten zu antworten!“

„Das thu‘ ich aber nich; das thu‘ ich wirklich nich, denn wenn ich Ihnen die Macht und Gewalt des renitenten Oberschtaatsanwaltes überlasse, so weeß ich schon im voraus, daß die Rothaut den delikatesten Milchreis mit Austernsauce anschtatt tüchtige Prügel kriegt.“

„Keine Sorge, Frank! Dieses Mal denke ich nicht daran, Nachsicht zu üben.“

„So? Also werden Sie endlich ooch eemal gescheit? Zwar sehr schpät, aber doch! Demnach haben Sie ihm wirklich eene Schtrafe zuverdefendiert?“

„Ja.“

„Da bitte ich Sie um die große Diagnose und Gefälligkeet, mich dabei als den erschten Tragödien- und Soubrettensänger mitwirken zu lassen! Die Rolle brauch‘ ich gar nich erscht auswendig zu lernen, denn ich drehe dem Alten das Inwendige so nach außen, daß wir ihm mit der größten Splendidität und Leichtigkeet alle beeden Seiten ausklopfen und sympathisieren können. Befehlen Sie also gütigst, Herr Inschpektor und Direktor, wenn der Vorhang offschteigen soll! Das verehrte Publikum trampelt schon mit allen Beenen, und das ganze Haus is ausverkooft!“

„Gut, dein Wunsch soll erfüllt werden. Ist dein Bowiemesser noch scharf?“

„Scharf und schpitz wie een gut eingeölter Blitz, Herr Shatterhand.“

Well! So mögen Kas und Has den Häuptling so fest halten, daß er den Kopf nicht bewegen kann, und du schneidest ihm den ganzen dicken Haarschopf herunter, lässest aber eine Strähne stehen, an die wir diese schönen ostasiatischen Zierden festbinden können.“

Er zog bei diesen Worten die Zöpfe der zwei chinesischen Gewehrdiebe aus der Tasche.

„Hurra, die beeden Kang-Keng-King-Kongzöpfe! Die hatte ich beinahe ganz vergessen! Hurra, hurra, is das een großartiger schtylistischer Gedanke! Ich bin so erfreut und so entzückt, als ob heute mein diatonischer und kynologischer Geburtstag wäre! Dem Manne kann sofort geholfen werden, nämlich von dem Schopfe und zu den Zöpfen! Kommen Sie her, Herr Timpe Nummer eens und Timpe Nummer zwee! Ihr Name hat für mich zwar gar keenen schönen Karbol- und Klarinettenklang, aber bei so eener famosen Operation kann er mich doch nich schtören. Passen Sie off, Mesch’schurs und meine Herren, das große Werk kann beginnen. Der Vorhang geht in die Höhe, aber die Haare müssen runter! Ich schpiele den Barbier von Sevilla ohne Borschtenpinsel und Seefenschaum, und der Komantsche wird den geschundenen Raubritter geben. Beim erschten Offzug singe ich ihn an: Reich mir die Hand, mein Leben! und hierauf trägt er die Gnadenarie aus Robert und Bertram vor. Dann beginnt der Chor der Rachebrüder: Schab, Hobble, schab, der Schopf der muß herab! Sodann fällt er ein: Leise, leise, lieber Frank, sonst wird meine Kopfhaut krank! aus dem Freischütz, wenn ich mich nich irre oder wenn sich Weber nich geirrt hat. Am Schluß des erschten Aktes das Terzett: Mond, ich grüß dich tausendmal, der Komantsche is nu kahl! Wenn kurze Zeit schpäter der Vorhang wieder in die Sofitten oder in die Lafetten gezogen wird, schtimme ich mit Harmoniumbegleitung an: Weint mit ihm des Schmerzes Thräne, fadendünne ist die Strähne! worauf er ganz alleene mit dem Doppelquartett antwortet: Weil ich sonsten ohne Hut mich nich sehen lassen kann, lieber Hobble, sei so gut, bind mir die Chinesen dran! Das thu‘ ich natürlich ooch, weil meine Rolle es so mit sich bringt, und wenn es geschehen is, fallen sämtliche Mitschpieler und Zuschauer mit dem ganzen Orschester in den Lobgesang ein: „Jubelt laut, ihr roten Brüder, denn die Zöpfe bammeln nieder! Euer Häuptling is entzückt, daß sein Schädel ward geschmückt; führt ihn im Triumph nach Haus, die Komödie is nu aus! worauf das Publikum offschteht und der Vorhang aber niedergeht. In dieser Weise denke ich mir das Festprogramm, und nu, meine Herrschaften und übrigen Gentlemen, mag das Schtück beginnen. Wer am besten schpielt, kriegt ooch keene Gage!“

Der kleine, lustige Kerl war ganz begeistert von der Aufgabe, die ihm zugeteilt worden war. Er hatte seinen launigen Vortrag zwar in deutscher Sprache gehalten und konnte also nur von den Deutschen vollständig verstanden werden, doch waren seine Gestikulationen und sein Mienenspiel so bezeichnend gewesen, daß auch die andern Weißen sich denken konnten, was er meinte; die Roten aber hatten keine Ahnung davon.

Der Häuptling allerdings sah die Blicke, welche sich auf ihn richteten; er sah das Bowiemesser in der Hand des Hobble-Frank, und er sah die chinesischen Zöpfe, welche dieser von Old Shatterhand erhalten hatte. Er mußte schließen, daß es mit diesen Gegenständen auf ihn abgesehen sei, aber was man vorhatte, das konnte er sich doch nicht denken. Etwas Gutes war es jedenfalls nicht, das sagte er sich, indem er an die Art und Weise dachte, in welcher er Old Shatterhand beleidigt hatte. Es wurde ihm bange, und diese Bangigkeit steigerte sich, als Kas und Has rechts und links von ihm niederknieten und ihn ganz unheimlich verheißungsvoll mit ihren Blicken maßen.

„Was wollt ihr hier? Was soll mit mir geschehen?“ fragte er sie.

An ihrer Stelle antwortete Old Shatterhand:

„Du sollst ein Geschenk von mir erhalten, weil du so freundlich und so höflich zu mir gewesen bist.“

„Welches Geschenk?“

„Ihr seid hierher gekommen, um euch die Skalpe der gelben Männer zu holen, habt sie aber leider nicht bekommen können, weil die Chinesen sie selbst behalten wollten. Da du denken kannst, wie sehr ich dir gewogen bin, wirst du einsehen, wie leid es mir thut, daß auch du als Häuptling auf den Besitz eines solchen Skalpes verzichten sollst. Mein gutes Herz hat es darum möglich gemacht, dich nicht nur mit einem Zopfe, sondern sogar mit diesen zwei Zöpfen überraschen zu können. Ich hoffe, daß du diese Gaben dankbar von mir entgegennimmst!“

Tokvi-Kava ließ ein zweifelhaft klingendes „Uff!“ hören, da er keine andre Antwort geben konnte, weil er nicht wußte, welche Absicht sich hinter den freundlichen Worten des Sprechers verbarg. Dieser fuhr fort:

„Zöpfe gehören natürlich an den Kopf, und so denke ich, daß es dir lieb ist, wenn ich sie da anbinden lasse, wo du sie zum Andenken an mich tragen wirst.“

„Uff, uff!“ antwortete er da, zornig werdend. „Skalpe hängt man nicht an den Kopf, sondern an den Gürtel. Und das sind gar nicht Skalpe, sondern nur Haare der feigen Gelbhäute ohne Haut daran. Der Krieger, welcher solche Haare trüge, würde von den Kindern und von den alten Weibern verlacht und verspottet werden!“

„Du wirst sie aber dennoch tragen, denn ich schenke sie dir und bin gewohnt, daß meine Gaben geachtet werden.“

„Behalte sie; ich mag sie nicht!“

„Ob du sie magst oder nicht, danach frage ich nicht. Sie sind für dich bestimmt, und ich werde sie dir jetzt anheften lassen.“

„Wage es, dies zu thun!“ schrie der Rote auf. „Vergiß nicht, daß ich ein Häuptling bin!“

Pshaw! Du weißt ganz genau, daß auch ich ein Häuptling bin, ein Häuptling der weißen Jäger und zugleich ein Häuptling der Apatschen, die mich mit derselben Macht wie Winnetou bekleidet haben. Und wie hast du vorhin gewagt, mit mir zu sprechen! Meinst du, Wurm, daß ich in dir den Häuptling achten müsse, den du in mir verspottet hast? Du bist seit vorhin in meinen Augen nichts, als eine rote Fratze, an welche ich die Zöpfe der Chinesen hängen werde, zur ernst gemeinten Mahnung an deine Krieger, daß ja nicht wieder irgend einer von ihnen sich erdreiste, zu denken, Winnetou und Old Shatterhand seien Knaben, mit denen man machen könne, was man will!“

Die Augen Tokvi-Kavas wurden stier; er biß die Zähne zusammen und zischte zwischen denselben hervor:

„Ich warne dich. Wage es ja nicht, den Kopf eines Kriegshäuptlings mit diesem Abfall gelber Hunde zu beleidigen!“

„Du sprichst von einem Wagnis und wagst es doch selbst, mich zu warnen? Ich habe dich vorhin auch gewarnt. Hast du auf mich gehört? jetzt kommen die Folgen, da du mir nicht glaubtest, daß du deine Beleidigungen bereuen würdest. Du wirst diesen Abfall gelber Hunde tragen, und ich will dir das so bequem wie möglich machen. Du bist nicht bloß mit der Skalplocke, sondern mit dem vollen Haar geschmückt; dieses Haar und dazu die Zöpfe, das würde zu viel sein für deinen Kopf; darum werde ich dir jetzt den Schopf abschneiden lassen, um Platz für die Haare der Chinesen zu bekommen.“

Wäre ein Blitzstrahl neben Tokvi-Kava in den Boden gefahren, er hätte nicht tödlicher erschrecken können. Seine Augen wollten zwischen den Lidern hervorquellen; seine Züge nahmen den Ausdruck eines wilden Tieres an; er richtete sich trotz der Fesseln halb empor, und mit vor unsagbarem Grimme bebender Stimme schrie er laut auf:

„Meinen Schopf willst du abschneiden lassen? Meinen Schopf, die Zierde meines Hauptes, den Ausdruck der Kraft und den Sitz der Adlerfedern, welche meine Würde verkünden und von meinem Ruhme sprechen! Der, der soll abgeschnitten werden?“

„Ja, und zwar sofort.“

„Wage es, wage es doch, wenn du dafür eines Todes sterben willst, welcher soviel Martern hat, wie die Schmerzen von tausend zu Tode gequälten Menschen!“

Pshaw! Diese deine Drohung macht mich lachen. Sie hält mich keinen Augenblick auf, das zu thun, was ich mir vorgenommen habe. Legt ihn nieder und haltet ihn fest!“

Diese Weisung galt den beiden Timpes, welche ihr sofort folgten. Sie zogen den aufgerichteten Oberkörper des Komantschen auf den Boden nieder und hielten ihn da, ohne sich anstrengen zu müssen. Er leistete in diesem Augenblick keinen Widerstand, er verhielt sich so, wie es der kleine Käfer macht, der sich tot stellt, wenn er angegriffen wird. Er lag lang ausgestreckt, hatte die Augen geschlossen und murmelte halblaut vor sich hin:

„Nein, er wird es nicht wagen; er kann es nicht wagen; er darf es nicht thun. Einem Häuptling den Schopf abschneiden, das ist noch nicht geschehen, so lange es rote Krieger und so lange es weiße Menschen gibt!“

„Wenn es wirklich noch nicht geschehen sein sollte, so wird es jetzt geschehen,“ beharrte Old Shatterhand auf seinem Willen. „Fang an, Frank! Wir wollen nicht die Zeit unnütz versäumen.“

„Ganz recht,“ antwortete der Kleine, indem er die Zöpfe einstweilen weglegte und mit dem Messer in der Hand zum Häuptling trat. Dieser hörte die Schritte, öffnete die Augen und sah ihn kommen. Nun erkannte er, daß das für unmöglich Gehaltene doch geschehen sollte, und diese Erkenntnis gab ihm Riesenkraft. Er warf, obwohl ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren, mit einer Doppelbewegung seines Oberkörpers die beiden Timpes von sich ab. Sie faßten ihn freilich sofort wieder und strengten alle ihre Kräfte an, ihn nieder zu halten, doch war er ihnen durch die gewaltige Aufregung, in der er sich befand, für den Augenblick so überlegen, daß noch zwei andre Männer auf ihn knieen mußten, ehe sein Kopf so festgehalten wurde, daß der Hobble-Frank sein Werk beginnen konnte. Kaum war dies geschehen, und der Kleine hielt die erste abgeschnittene Strähne in der Hand, so hörte der Widerstand auf und der Körper des Komantschen streckte sich als wie im Tode. Es kam nach der übermäßigen Anstrengung das Gefühl völliger Ohnmacht über ihn, und er ergab sich in sein Schicksal, ohne sich ein einziges Mal zu regen. Er ließ sogar ohne Widerstreben seinen Kopf, wie der Hobble-Frank es brauchte, bald nach rechts, bald nach links wenden, so daß man, wenn es nicht im wilden Westen gewesen wäre, hätte glauben können, daß er chloroformiert worden sei. So wurde ihm der ganze, sehr dichte und lange Schopf mit Ausnahme eines dünnen Restes heruntergeschnitten. Als dies geschehen war, hob Frank die beiden Zöpfe in die Höhe und rief:

„So, jetzt is die Zobelperücke herunter und nu kommen die Schmachtlocken dran. Passen Sie off, meine Herrschaften, wie ich ihn jetzt zum Kurfürschten und abgesetzten Kaiser von China krönen werde! Es gibt in jeder Lebenslage eene gewisse Lage, in welcher der offrecht schtehende Mensch zum Liegen kommt. In dieser Lage befindet sich hier der Häuptling der Komantschen, denn er liegt vor mir, sanft und schtill, wie anderthalb Liter ausgegossene Buttermilch. Er hat unsrer zarten Zuschprache Folge geleistet und sich mit erhabener Geduld in sein hohes Schicksal ergeben. Das is een Verdienst von ihm, welches belohnt werden muß, und darum binde ich ihm denn die Krone off sein teures Haupt und frage Sie, Herr Shatterhand, welchen Titel er fortan führen soll, denn mit den chinesischen Schwänzen im Nacken kann er doch nicht mehr Tokvi-Kava, der schwarze Mustang sein!“

Old Shatterhand ging auf diese Frage ein, indem er antwortete:

„Du hast recht, lieber Frank: wir nehmen ihm seinen bisherigen Namen und geben ihm einen andern. Er ist jetzt unter die Chinesen gegangen, welche er gelbe Hunde nannte, und so soll er von jetzt an nicht mehr Tokvi-Kava sondern Mungwi Ekknan Makik heißen.“

Diese drei Worte bedeuten, in das Deutsche übersetzt, soviel wie „Häuptling der gelben Hunde“. Der Hobble-Frank hatte Deutsch, gesprochen und Old Shatterhand ihm in derselben Sprache geantwortet. Der letztere rief nun laut, damit auch alle andern es verstehen sollten, erst in englischer und dann in der Sprache der Komantschen:

„Hört, was geschehen ist! Weil der Häuptling der Komantschen sich seines bisherigen Namens nicht würdig gezeigt hat und vorhin, als wir ihn verhörten, so feig war, seine Absichten zu leugnen, wird er von den weißen Männern aus den Reihen der tapferen und mutigen roten Krieger gestrichen. Er ist unwürdig geworden, seine Medizin weiter zu tragen. Wir nehmen sie ihm und hängen ihm dafür eine andre, nämlich die Haare der gelben Hunde an den Kopf, und dieser neuen Medizin zu Ehren soll er von heute an nicht anders als Mungwi Ekknan Makik genannt werden. Old Shatterhand hat gesprochen!“

Es gibt im Leben eines Indianers Vorkommnisse und Gegenstände, welche von außerordentlicher, tief einschneidender Wichtigkeit für ihn sind. Das wichtigste Vorkommnis ist die Namengebung, der wichtigste Gegenstand die Medizin. Bei den Indianern gibt es weder Familien- noch Vornamen; es hat sich jeder seinen Namen zu erwerben, zu verdienen, und das geschieht durch hervorragende Thaten oder Eigenschaften. Verliert er diese Eigenschaften, oder gibt er Veranlassung, diese Thaten zu vergessen, so nimmt man ihm den betreffenden Namen und er hat, wenn er nicht gar wegen Ehrlosigkeit vom Stamme ausgestoßen wird, sich unter großen Gefahren und Entbehrungen einen neuen zu erwerben. Ein ehrenvoller Name ist also jedem roten Krieger ebensoviel wert wie sein Leben.

Ähnlich ist es mit der Medizin, deren mühevolle Erwerbung überhaupt sehr häufig mit der Namengebung zusammenhängt. Das Wort Medizin hat dabei nicht etwa die Bedeutung, welche die Weißen ihm beilegen. Als die ersten Weißen zu den Indianern kamen, waren die Heilmittel der ersteren den letzteren vollständig unbekannt; die Wirkung derselben war den Roten unerklärlich, sie hielten sie für Zauberei, für etwas vom guten oder vom bösen Geist Ausgehendes, und gewöhnten sich in der Folge, alles, was ihnen unbegreiflich oder heilig war, alles, was sie mit dem göttlichen Einflusse in Verbindung brachten, Medizin zu nennen.

Die Zeiten sind jetzt ganz andre geworden. Die Horden der wilden Büffel und Mustangs sind verschwunden und mit ihnen die sehnigen, kräftigen und kühnen Gestalten der roten Krieger und weißen Westmänner. Leute wie Old Firehand, Old Surehand, Sam Hawkens und viele andre, deren Ruhm in aller Munde lebte, sind fast zur Sage geworden, und wenn man erfährt, daß Old Shatterhand noch zu den Lebenden gehört, so fühlt man, falls man ihn nicht selbst gesehen hat, sich geneigt, auch dies für eine Mythe zu halten. Aber damals, als die Savannen und Felsenberge, die tief eingeschnittenen Cañons und Schluchten des wilden Westens noch die Schauplätze von Heldenthaten waren, welche man getrost mit den Thaten der homerschen Helden vergleichen kann, damals, als es überhaupt noch einen „wilden Westen“ gab, damals war der Indianer noch nicht der gott- und menschverlassene, heruntergekommene oder vielmehr heruntergedrückte Mensch, der er jetzt geworden ist; damals kannte er hohe Pflichten, damals wußte er, was Ehre ist, damals gab es für ihn noch Ideale, noch Begriffe, die ihm viel, viel höher standen als sein irdisches Wohlergehen, und er besaß einen sichtbaren Gegenstand, an welchen er diese Begriffe und dieses Streben nach Idealen knüpfte. Dieser Gegenstand war „die Medizin“.

Was man unter der „Medizin“ eines Indianers zu verstehen hat, wird jeder Leser wissen; es kennt jeder auch die Voraussetzungen und Zeremonien, unter denen sie zu erlangen war, und die hohe Wichtigkeit, die sie für das ganze Leben hatte. Medizin konnte jeder Gegenstand sein; aber so verschieden die tausendfältigen Medizinen der Krieger auch nur eines Stammes waren, ihre Bedeutung war doch nur eine, eine einzige: sie war das Symbol alles Erhabenen, alles Heiligen; an ihrem Besitze hing der gute Name, die Ehre, die ganze Zukunft, ja, die Seligkeit des Besitzers, und wehe dem, der sie durch Unachtsamkeit verlor oder dem sie gar durch einen siegreichen Feind entrissen wurde! Er war geschändet, unter Umständen für sein ganzes Leben, wenigstens aber so lange, bis er sich eine andre, eine neue errungen oder die entrissene wieder zurückerobert hatte. Ohne Medizin war er ein im Stamm ganz unmöglich gewordener Mann; sogar seine Verwandten mieden ihn, und er mußte die Glieder seiner Familie fliehen, denn jeder, der mit ihm in Berührung kam oder gar mit ihm verkehrte, wurde dadurch ebenso ehrlos wie er selbst.

Man kann also denken, welche Strafe, welch ein ungeheurer Verlust es für den schwarzen Mustang war, wenn ihm seine Medizin genommen wurde! Die Schande, welche er dadurch erlitt, wurde überdies durch den Umstand nicht nur verdoppelt, sondern geradezu verhundertfacht, daß er an Stelle der Medizin die Zöpfe der Chinesen erhalten sollte. Es war dies nicht nur dasselbe, sondern noch viel, viel schlimmer, als wenn zum Beispiel bei uns einem hohen Offizier, einem General, die Epauletten heruntergerissen und an deren Stelle Hasenohren oder Hundeschwänze angeheftet würden. Dieser Offizier würde nur für die Zeit dieses Lebens blamiert sein, während der schwarze Mustang das Recht verlor, in die ewigen Jagdgründe einzugehen. Darum wurde, als Old Shatterhand seine Verkündigung ausgesprochen hatte keine Antwort gehört, sondern es herrschte die tiefe Stille gespanntester Erwartung, ob er wirklich ernst machen und dem Häuptling die Medizin nehmen werde. Aller Augen richteten sich auf ihn.

Er winkte dem Hobble-Frank zu, die Zöpfe an die stehengebliebene Strähne zu befestigen, und trat, als dies geschehen war, zu dem Häuptling heran, dessen Medizinbeutel ihm an einer um den Hals geschlungenen Schnur auf der Brust hing. Er schnitt die Schnur entzwei und band sich selbst die Medizin um den Hals, indem er so laut, daß alle es hören konnten, sagte:

„So, indem ich diesen Beutel mir um den Hals hänge, ist Tokvi-Kava, der Häuptling der Komantschen, aufgehängt worden und hat nicht nur sein Leben, sondern auch seine Seele verloren, denn hier zu meinen Füßen liegt nicht mehr der schwarze Mustang, sondern Mungwi Ekknan Makik, der gelbe Hund mit den zwei Chinesenzöpfen. Ihr habt es alle gesehen und gehört. Howgh!“

Was nun folgte, spottet jeder Beschreibung. Die Weißen erhoben ein Jubelgeschrei, welches gar nicht enden wollte; die Roten aber brüllten und heulten in Tönen, welche unbegreiflich waren, weil menschliche Kehlen derselben eigentlich gar nicht fähig waren. Sie zerrten und rissen an ihren Banden, sie schnellten sich empor, um sie zu zersprengen, sie wälzten sich hin und her, obgleich sie zu zweien zusammengebunden waren. Dazu brachen sie gegen ihre Sieger in Verwünschungen und Flüche aus, welche das Schlimmste und Fürchterlichste enthielten, was man einem Feinde anthun kann. Old Shatterhand und Winnetou wurden in Ausdrücken beleidigt und verhöhnt, welche von ihnen, obgleich sie ja schon oft mit Feinden zu thun gehabt hatten, noch nie gehört worden waren. Die Weißen hatten vollauf zu thun, die trotz ihrer Fesseln wie Fische hin und her schnellenden Indianer am Boden festzuhalten. Der schwarze Mustang gebärdete sich geradezu wie ein Tobsüchtiger. Seine körperliche und geistige Ermattung hatte sich in das gerade Gegenteil verwandelt. Er schien die Kräfte von zehn Menschen in sich zu vereinigen, denn fast so viele Bahnarbeiter gehörten dazu, ihn festzuhalten, und den Geifer von hundert Schlangen zu besitzen, denn die giftigen Beschimpfungen, welche er gegen die beiden Genannten ausspritzte, wollten gar kein Ende nehmen; sie waren so arg, daß sie selbst dem sonst so kalten und unberührbaren Winnetou zu viel wurden. Er befahl den beiden Timpes, dem Widerwärtigen einen Knebel in den Mund zu stecken, und sie führten diese Weisung auf der Stelle aus. Als dann den Roten nach und nach der Atem auszugehen anfing, sagte der Apatsche mit einer Stimme, die an jedes Ohr drang, obgleich sie nicht erhoben war:

„Winnetou hat geglaubt, daß die Söhne der Komantschen auch Menschen seien; ihr Toben und Zischen aber hat ihm bewiesen, daß er sich im Irrtum befand. Er wollte sie als gefangene Krieger behandeln, welche gegen die Bleichgesichter zogen, weil es ihnen befohlen worden war; nun sie aber den Saft giftiger Kröten gegen ihn ausspritzten, wird er sie als Kröten behandeln und dafür sorgen, daß ihnen dieser Saft genommen wird, damit sie sich keinem Manne wieder nähern, um ihn anzuspritzen; sie werden bald erfahren, in welcher Weise dies geschehen wird. Schleift sie den Berg hinab und schafft sie in die Schlucht, wo wir sie noch sicherer haben als hier! Dort soll beraten werden, was mit ihnen zu geschehen hat.“

Als das der „schwarze Mustang“ hörte, schrie er:

„Ihr habt nichts zu beraten! Old Shatterhand hat uns das Leben versprochen!“

„Das Leben!“ antwortete Winnetou in seinem verächtlichsten Tone. „Wenn dem Häuptling der Apatschen geschehen wäre, was dir geschehen ist, so möchte er gar nicht mehr leben; er würde sich sein eigenes Messer in das Herz stoßen. Du aber wimmerst nach der Fortdauer deiner Schande, und sie sei dir gewährt!“

„Hund!“ brüllte der Komantsche laut auf, „ich wimmere nicht. Ich will nur leben, um mich an euch rächen zu können, wie sich noch nie ein roter Krieger gerächt hat!“

Pshaw! Thue es! Wie sehr wir deinen Zorn verachten und wie wenig wir deine Rache fürchten, zeigen wir euch dadurch, daß wir euch das Leben schenken.“

Er wendete sich mit einer so demütigenden Kopfbewegung, wie sie nur ihm eigen war, ab und ergriff die Hand Old Shatterhands, um mit ihm den Abhang hinabzusteigen. Beide waren zu stolz, einen Blick zurückzuwenden, um zu sehen, in welcher Weise Winnetous Befehl, die Gefangenen hinabzuschleifen, ausgeführt wurde.

Es läßt sich denken, daß dies nicht in der zartesten Weise geschah, obgleich man sich hütete, sie dabei zu verletzen, weil man wohl wußte, daß dies nicht in der Absicht des Apatschen lag. Unten wurde das Feuer auf einer Seite so eingedämmt, daß zwischen ihm und dem Felsen Raum blieb, die Gefangenen hindurchzuschaffen; diese wurden paarweise nebeneinander niedergelegt, und dann wollten sich die Bahnarbeiter über die Waffen derselben hermachen. Old Shatterhand aber wehrte ab, indem er ihnen befahl:

„Halt! Es bleibt jetzt noch alles liegen. Noch wißt ihr nicht, was über diese Sachen beschlossen wird!“

Sie gehorchten. Es waren wohl viele unter ihnen, die sich nicht gewöhnt hatten, ihren Gelüsten eines andern wegen Zügel anzulegen; aber Männern wie Winnetou und Old Shatterhand gegenüber getrauten sie sich doch nicht, widerspenstig zu sein.

Eigentlich waren es vier Personen, welche über das Schicksal der Komantschen zu entscheiden hatten, nämlich die beiden soeben Genannten und die beiden Engineers von Rocky-ground und Firwood-Camp; aber da der letztere seine Haut in Sicherheit gebracht und dafür gesorgt hatte, daß er nicht wieder zu sehen gewesen war, verstand es sich ganz von selbst, daß er ausgeschlossen wurde. Also setzten sich die drei zusammen nieder, um sich zu besprechen. Swan, der Engineer, hatte niemals einer solchen Beratung beigewohnt. Er legte sich die Frage gar nicht vor, wem die Ehre, das Wort zuerst zu ergreifen, zu überlassen war; sein gar schnelles Naturell ließ ihn nicht darauf warten, welcher von den beiden andern beginnen werde, sondern er fing, kaum daß er sich niedergesetzt hatte, in dem Tone seiner vollsten Überzeugung an: „Es ist doch ganz selbstverständlich ein Faktum, daß diese Burschen sterben müssen, und da schlage ich, weil Pulver und Blei doch Geld kosten und Riemen hier umsonst zu haben sind, vor, daß wir sie alle hübsch nebeneinander an die Bäume hängen. Ich bin überzeugt, Mesch’schurs, daß ihr ganz derselben Meinung seid.“

Über das ernste Gesicht des Apatschen glitt ein leises Lächeln, doch antwortete er nicht, weil er gewohnt war, bei solchen Gelegenheiten Old Shatterhand das Wort zu lassen. Dieser nickte, auch lächelnd, dem Engineer zu und sagte:

Well, Sir! Es freut mich sehr, daß Ihr uns so richtig taxiert habt. Wir sind natürlich auch vollständig überzeugt, daß sie sterben müssen, weil wir Menschen nun –“

„Schön, schön!“ unterbrach ihn der Beamte. „Erschießen, würde für solche Halunken ja auch viel zu ehrenvoll sein; also hängen, hängen, das ist es, was ich –“

Der Beamte hielt mitten in der Rede inne, weil er von einer so gebieterischen Handbewegung Old Shatterhands unterbrochen wurde, daß ihm das Wort im Munde stecken blieb. Doch seiner Würde als Beisitzer des Prairiegerichtes sich bewußt, fragte er gleich darauf:

„Was ist’s? Warum unterbrecht Ihr mich?“

„Um Euch überhaupt zu zeigen, wie es ist, wenn man unterbrochen wird.“

„Wieso?“

„Ihr seid mir vorhin in die Rede gefallen. Ein Savannengericht ist eine ernste Sache, Sir. Da platzt man nicht so schnell mit einer Meinung heraus, ohne vorher diejenigen zu fragen, welche den Westen besser kennen und deren Ansichten also wohl von größerer Wichtigkeit sein dürften.“

Well! Aber Ihr habt doch gesagt, daß Ihr auch meint, die Gefangenen müßten sterben! Nicht?“

„Ja. Doch wenn Ihr mich hättet ausreden lassen, wäre Euch mein Grund nicht entgangen, warum sie sterben müssen. Ich wollte nämlich sagen: Wir sind natürlich auch vollständig überzeugt, daß sie sterben müssen, weil wir Menschen nun einmal alle sterblich sind.“

„Ah, bloß deshalb?“

„Ja.“

„Also sie sollen sterben, weil sie überhaupt sterblich sind, und nicht, weil sie uns an das Leben wollten?“

„Ganz richtig!“

„Hm! Wie meint Ihr das, Mister Shatterhand?“

„Sie müssen sterben, früher oder später, weil sie eben sterbliche Menschen sind; wir aber haben kein Recht, ihren Tod herbeizuführen. Oder noch besser gesagt: Ihr habt dieses Recht nicht.“

„Wieso?“

„Haben sie Euch etwas gethan, was nach den Gesetzen der Prairie mit dem Tode bestraft wird?“

„Das – hm – das allerdings nicht,“ antwortete er gedehnt.

„So habt Ihr also auch kein Recht, vom Aufhängen zu sprechen, Mister Swan. Wir, nämlich Winnetou und ich, könnten Tokvi-Kava töten, weil er uns die Pferde und die Gewehre gestohlen hat; wir haben ihm aber trotzdem versprochen, daß weder er noch einer von seinen Leuten getötet werden soll.“

„Habt Ihr dieses Versprechen nicht etwas vorschnell gegeben, Sir?“

„Ich frage dagegen: Habt Ihr jemals gehört, daß Winnetou und Old Shatterhand vorschnell, also voreilig gehandelt haben?“

„Nein, ich bitte um Verzeihung!“

„Also! Wir haben gar nicht nötig, eine lange Beratung zu halten, denn bei uns beiden steht es schon fest, was mit den Komantschen geschehen soll, und ich denke, daß Euch das, was wir für richtig halten, auch annehmbar erscheinen wird.“

„So laßt hören, Mister Shatterhand!“

„Also an das Leben würde es ihnen nicht gehen, selbst wenn wir Grund hätten, sie mit dem Tode zu bestrafen; wir sind doch Christen und also keine Massenmörder!“

Well! Einverstanden! Also weiter!“

„Strafe haben sie natürlich verdient, weil sie das Camp überfallen wollten. Die beste und gerechteste Strafe ist stets diejenige, welche es dem Verbrecher unmöglich macht, seine That zu wiederholen. Wir müssen also den Komantschen die Gelegenheit oder die Macht nehmen, so bald wieder an einen Überfall zu denken. Dies geschieht dadurch, daß sie den beabsichtigten Einbruch in das Camp mit ihren Waffen und Pferden bezahlen müssen.“

Egad! Das ist nicht übel; das leuchtet mir ein! Wer aber soll diese Sachen bekommen?“

„Ihr und Eure Arbeiter. Ich betrachte das als Straf- und Gerichtskosten, welche als Belohnung für euren Beistand unter euch verteilt werden.“

„Sehr gut! Und die Leute von Firwood-Camp?“

„Von denen bekommen nur diejenigen etwas, die sich uns schließlich noch angeschlossen haben.“

„Das sind so wenige, daß wir das, was sie bekommen, gern abgeben können. Und weiter?“

„Wir haben dem schwarzen Mustang die Medizin genommen, weil er so dummfrech oder frechdumm war, uns zu beleidigen, obgleich er sich in unsrer Gewalt befand; das Ehrgefühl seiner Leute sollte geschont werden. Aber weil sie seinem Beispiel gefolgt sind und uns dann in eben derselben Weise verhöhnt haben, sollen sie auch dieselbe Strafe erleiden: wir nehmen ihnen die Medizinen.“

„Ganz recht, Sir! Was diese Roten als Medizin bezeichnen, ist doch nur ein Firlefanz, über den man lachen muß.“

„Da irrt Ihr Euch sehr. Es handelt sich hier nicht um Firlefanzereien, sondern um religiöse Überzeugungen, um die heiligsten und tiefsten Gefühle, welche in ihren Herzen wohnen. Ihr versteht das nicht. Wenn wir ihnen die Medizinen nehmen, rauben wir ihnen nicht bloß ihre kostbarsten irdischen Güter, sondern nach ihrer Ansicht auch beinahe die Möglichkeit, selig zu werden.“

Pshaw! Ewige Jagdgründe! Lächerlich!“

„Das ist keineswegs lächerlich. Wir Christen sprechen vom Himmel, Muhamed redet von sieben Himmeln, die Brahmanen haben ihr Nirwana, die Lappländer ihre ewigen Renntierwiesen, die Eskimos ihre himmlischen Seehund- und Walfischseen und die Indianer ihre ewigen Jagdgründe. Wie das Stammeln des Kindes den Eltern heilig ist, so wird auch unserm Herrgott das Stammeln eines Menschen, der noch nicht gelernt hat, wie ein Christ zu sprechen und zu beten, wohlgefällig sein. Es ist eine fürchterliche Strafe, welche wir den Komantschen zugedacht haben, und ich würde sie ihnen nicht diktieren, wenn wir nicht in dieser Weise von ihnen verhöhnt worden wären und wenn nicht Winnetou, der selbst ein roter Mann ist, sie ihnen vorhin angedroht hätte, als er sagte, daß er ihnen ihr Gift nehmen werde. Es handelt sich hierbei auch um das erziehliche Motiv und um das Nützlichkeitsprinzip. Sie sollen erkennen, daß mit der Größe des Fehlers auch die Strenge der Strafe steigt und daß man Männer, wie wir sind, nicht ungeahndet in dieser Weise beleidigen darf. Was hier geschieht, wird sich schnell bei allen Roten herumsprechen und uns bei ihnen in Achtung bringen. Ist Winnetou mit mir einverstanden?“

„Mein weißer Bruder hat mir aus der Seele gesprochen,“ antwortete der Apatsche. „Was er thut, ist ganz dasselbe, als ob ich es selbst bestimmt hätte. Wir nehmen ihnen die Medizinen.“

„Aber sie werden sich fürchterlich rächen! Oder nicht?“ fragte der Engineer.

„Natürlich werden sie an Rache denken, aber nicht an Euch, sondern an uns,“ antwortete Old Shatterhand. „Grad dadurch, daß wir ihnen die Medizinen nehmen, lenken wir ihre Rache von Euch weg auf uns. Sie müssen diese Gegend schimpflich verlassen, zu Fuß; sie müssen sich während der Rückkehr nach ihren Weidegründen höchst armselig behelfen, weil sie keine Waffen haben; sie können nicht jagen, sondern höchstens Schlingen legen; sie werden sich meist von Wurzeln, Beeren und wilden Früchten zu ernähren haben; das hält sie lange unterwegs. Und wenn sie heimkommen, werden sie von den Ihrigen gemieden, weil sie keine Medizinen haben. Um wieder als Krieger zu gelten und geachtet zu werden, müssen sie sich neue Medizinen verschaffen, was jahrelang dauern kann. Hierher, nach dem Schauplatze ihres beispiellosen Verlustes, kommen sie also nicht so bald zurück. Dafür aber wehe, dreifach wehe mir und Winnetou, wenn wir jemals das Unglück haben sollten, ihnen in die Hände zu fallen!“

„Habt Ihr denn keine Angst?“

„Angst? Fällt uns gar nicht ein! Wenn man sich im wilden Westen vor allem, was geschehen kann, ängstigen wollte, käme man aus der Angst gar nicht heraus und würde vor lauter Furcht und Sorge unfähig, auch nur eine Woche länger hier zu bleiben. Also wir sind einverstanden. Habt Ihr, Mr. Swan, unserm Beschlusse noch irgend etwas beizufügen?“

„Werde mich wohl hüten!“ lachte dieser. „Ihr habt mir vorhin die Lust, An- und Absichten zu haben, ganz gehörig versalzen. Was aber soll mit dem Scout geschehen, der bei uns im Brunnen steckt? Glaubt auch der an Medizinen?“

„Nein. Haut ihn tüchtig durch und laßt ihn dann laufen!“

„Soll besorgt werden, Sir, ganz gehörig besorgt! Meine Leute werden sich über die Beute freuen, die sie bekommen. Die Pferde brauchen sie wohl kaum; aber wenn wir sie mit der Bahn einige Stationen zurücktransportieren, können wir sie verkaufen und ganz hübsche Preise erzielen.“

„Da muß ich bemerken, daß wir, nämlich ich und meine Gefährten, von der Beute nichts beanspruchen als nur zwei Pferde, welche ich für Frank und Droll aussuchen werde, weil diese beiden schlecht beritten sind.“

Well! Sucht die besten aus! Sie sind euch wohl zu gönnen, denn daß wir die Roten so hübsch festgenommen haben, ist doch nicht unser, sondern nur euer Verdienst. Ich nehme an, daß die Beratung nun zu Ende ist.“

„Ja. Ich will dem Häuptling das Resultat derselben mitteilen. Wir werden fürchterliche Wutausbrüche zu hören bekommen, machen uns aber nichts daraus.“

Er stand auf und begab sich mit Winnetou und dem Engineer nach der Stelle, wo Tokvi-Kava lag, zu dessen beiden Seiten sich Frank und Droll niedergesetzt hatten, um ihn im Auge zu haben. Der neugierige Hobble wartete nicht, bis er etwas zu hören bekam, sondern fragte:

„Die Herren Schtadträte kommen vom Rathause, also is die Plenar- und Kommissionssitzung zu Ende. Was hat denn nu der Reichstag,“ dabei deutete er auf Winnetou und Old Shatterhand, „und das Unterhaus,“ dabei deutete er auf den Engineer, „für eenen juristisch-aeronautischen Beschluß gefaßt?“

„Wirst es gleich hören,“ antwortete Old Shatterhand kurz. Und sich an den Häuptling wendend, fuhr er fort, indem er ihm nicht seinen bisherigen, sondern den neuen, verächtlichen Namen gab: „Mungwi Ekknan Makik mag hören, was über ihn und seine Komantschen beschlossen worden ist!“

Der Häuptling wendete den Kopf zur Seite und schloß die Augen, um zu sagen, daß alles, was er hören werde, ihm ebenso lächerlich wie gleichgültig sei. Old Shatterhand beachtete das natürlich nicht und verkündete laut, um von den Roten gehört zu werden –

„Die Söhne der Komantschen haben den Tod verdient, weil sie die Leute von Firwood-Camp ermorden und skalpieren wollten; aber wir haben ihnen ihr Leben versprochen und werden unser Wort halten.“

Da warf schon jetzt der Häuptling die geheuchelte Gleichgültigkeit von sich und rief:

„Uff, uff! So nimm uns die Fesseln ab, und gib uns frei, damit wir fortreiten können!“

„Wer kein Pferd hat, kann nicht reiten,“ lautete die ebenso ruhige wie einfache Entgegnung.

„Wir haben welche!“ antwortete der Häuptling halb selbstbewußt und halb unsicher.

„Ihr habt keine mehr, denn eure Pferde und auch alle eure Waffen werden uns gehören.“

„Unsre Pferde und Waffen?“ schrie der Rote. „Du willst uns bestehlen?“

„Schweig!“ donnerte ihn da der Jäger an. „Ihr seid Raubmörder, und wir haben euch besiegt. Trotzdem wollte ich nicht streng mit euch verfahren; aber ihr habt uns, trotz meiner Warnung, wiederholt verhöhnt und beleidigt; du glaubtest nicht, daß darauf die Strafe folgen werde und höhntest weiter. Willst du nun, da sie da ist, mich einen Dieb nennen, du, der von jetzt an nicht anders als Mungwi Ekknan Makik heißen wird!“

„Hund l“ brüllte der Indianer. „Sprich diesen Namen nicht mehr aus!“

Pshaw! Ich spreche ihn aus, und Tausende werden dich so nennen. Und wenn ich noch so ein Wort wie Hund aus deinem Munde höre, so lasse ich dich blutig peitschen. Die Medizin hast du schon verloren, so ist dir nur noch die Peitsche nötig, um den verächtlichsten aller Würmer aus dir zu machen.“

„Ich werde mich rächen, fürchterlich rächen!“

„Wie denn? Sprich deinen Stamm um Hilfe an! Du darfst dich dort gar nicht sehen lassen!“

„Ich habe hier Boten genug, welche hingehen können, um den ganzen Stamm gegen euch aufzubieten!“

„Es wird keiner von ihnen sich dorthin nähern dürfen, wo ehrliche Krieger sich befinden, denn wir werden auch ihnen allen die Medizinen nehmen.“

Der Häuptling öffnete zwar den Mund, um zu antworten, aber das, was er hörte, war für ihn so ungeheuerlich, daß er kein Wort hervorbrachte. Old Shatterhand fuhr fort:

„Sie hätten sich entfernen dürfen, ohne ihre Heiligtümer zu verlieren; aber da sie so toll gewesen sind, unsern Zorn herauszufordern, so werden wir sie dadurch bestrafen, daß wir ihnen die Medizinen nehmen und dort in das Feuer werfen. Wenn dann der Tag angebrochen ist, könnt ihr gehen. Das Leben, welches ich euch versprochen habe, nehmt ihr mit; alles andre aber laßt ihr hier, auch eure ehrlichen Namen und die Achtung und Ehrfurcht, welche euch nun selbst eure kleinen Kinder und alten Weiber verweigern werden. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Hierauf folgte nun, grad so wie auf dem Berge, ein unbeschreiblicher Wutausbruch, der sich noch bedeutend steigerte, als den Roten ihre Medizinen wirklich abgenommen und sodann in das Feuer geworfen wurden. Diese Art der Vernichtung war eine kluge Berechnung von Old Shatterhand. Wenn nämlich der Indianer um seine Medizin kommt, so thut er alles, sie wieder zu erhalten, ehe er sich um eine neue bemüht. Hätten die Bahnarbeiter die Medizinen behalten, so wären die Komantschen auf alle Fälle heimlich hier in dieser Gegend geblieben, um sich unter Mord und Totschlag wieder in den Besitz derselben zu setzen! Bei der völligen Vernichtung derselben aber hatte dieses Bleiben keinen Zweck. So gingen die Beutel alle in den Flammen auf, und es blieb nur einer übrig, derjenige des Häuptlings, welchen Old Shatterhand als Andenken für sich behielt, obgleich er wußte, daß der schwarze Mustang, alles daran setzen werde, wieder in den Besitz desselben zu gelangen.

Welche Mühe die Weißen dabei hatten, die Roten gehörig im Zaume zu halten, und welche Zornesausbrüche sie dabei anhören mußten, das läßt sich denken. Endlich war dies vorüber, und nun suchte Old Shatterhand die zwei besten Pferde für den Hobble-Frank und Droll aus. Als er dabei einmal an dem Häuptling vorüberkam, fauchte ihn dieser grimmig wie eine Wildkatze an:

„Wie würdest du lachen, wenn ich auf meinem schwarzen Mustang hierhergekommen wäre! Obgleich deine Hand nicht wert ist, nur seinen Geifer zu berühren, wäre er doch dein Eigentum geworden. So aber mußt du auf das beste Pferd, welches es von einem Ende bis zum andern gibt, verzichten. Ich verlache dich l“

„Und ich lache noch mehr über dich,“ antwortete der weiße Jäger. „Du hast ja deutlich gesagt, was dein Rappe wert ist. Ein Pferd, welches geifert, taugt nichts. Und wenn es mir geschenkt werden sollte, ich würde es nicht nehmen; es wäre das vielmehr eine Beleidigung für mich, die ich nicht verzeihen könnte. Du magst also deinen Tschatlo behalten!“

Der Komantsche hatte Old Shatterhand ärgern und seinen Neid wecken wollen. Nun mußte er, anstatt dies zu erreichen, eine solche Antwort hören. Tschatlo heißt Frosch. Welche Beleidigung, seinen berühmten Mustang einen Frosch zu nennen! Grad ebenso grimmig wie da, als ihm seine Medizin genommen worden war, fuhr er auf:

„Du selbst hast Geifer im Munde! Der böse Manitou hat dich nur gemacht und gesandt, um alles zu verschimpfen und in Unrat zu verwandeln. Meinst du, daß dein Hengst und der Rappe Winnetous berühmt seien? Sie sind gegen meinen Mustang wie zwei Finger eines Grabindianers, der nur von Kammas, Schmutz und Wurzeln lebt, gegen die siegreiche Lanze eines Komantschenkriegers!“

Old Shatterhand verzichtete auf eine abermalige Entgegnung und entfernte sich. Hierauf wurden erst die Pferde und dann auch die Indianerwaffen nach dem Lose verteilt, damit keiner sagen könne, er sei übervorteilt worden. Während dies geschah, saß Hobble-Frank mit Droll und den beiden Timpes beisammen; sie hatten von der Verteilung nichts mehr zu erwarten und unterhielten sich teils über das Geschehene, teils über ihre ferneren Pläne. Da Old Shatterhand und Winnetou mit den Timpes reiten wollten und Droll und Frank also auch von dieser Partie waren, erging sich der letztere ganz selbstverständlich in Versicherung der großen Thaten, die er im Interesse von Kas und Has ausführen wollte.

„Ich bin Heliogabalus Morpheus Edeward Franke,“ sagte er, „und ihr werdet mich kennen lernen. Meine Wohnung am Schtrande der Elbe derheeme heeßt Villa Bärenfett, denn es is keen eenziger Bär in ganz Amerika dick und fett geworden, ohne daß ich ihm nich mit meiner Büchse den Totenschein ausgeschtellt habe. Alle diese Bären sind mit Leichenwagen Nummer eens so nach und nach in meinem Magen begraben worden, und –“

„Mit Haut und Haar?“ unterbrach ihn Kas.

„Schprechen Sie doch nich solche Unsinnigkeeten, Sie ausgewanderter Baron Timpe von Timpelsdorf! Mutet mir der Mensch zu, die Bären mit den Fellen gefressen zu haben! Denken Sie etwa, daß mein Magen een Kürschnerladen is oder een Magazin für Reisepelze, Pelzschtiefeln, Boas und Bisamkragen? Mich machen Sie nich blau; das merken Sie sich. Haben Sie denn eegentlich schon eenen Bären gesehen?“

„Natürlich!“

„Ja, natürlich! Nämlich in dem ABC-Buche und in der Bilderfibel. Ich aber habe sie geschossen!“

„Auch in der Fibel?“

„Schweigen Sie gehorsamst schtill, wenn Leute schprechen, deren Worte Sie mit ehrfurchtsvoller Andacht anzuhören und zu bewundern haben! Sie sind gar nich mal über Ihre Fibel hinausgekommen, ich aber bin schon X-mal in Amerika gewesen.“

„Ich doch auch!“

„Wann denn, he?“

„Jetzt; ich sitze doch hier bei Ihnen!“

„Sie? Bei mir? Hm, ja, es is wahr; jetzt sehe ich Sie erscht! Ich habe nich die geringste Ahnung gehabt, daß Sie sich hier bei mir befinden. Daraus können Sie ganz deutlich erkennen, daß Sie mir Warscht und Schnuppe sind – die reenste Luft mitsamt Ihrer Fibel! Aber weil das liebenswürdige Schicksal Ihnen so gnädig gewesen is, Sie in meinem Vaterlande, also als meinen Landsmann, geboren werden zu lassen, fühle ich een königlich sächsisches Rühren in meinem edlen Herzen und will mich in Freundlichkeet und mütterlicher Geduld Ihrer Person annehmen. Ohne meine gütige Mitwirkung werden Sie Ihre Erbschaft nie bekommen; darauf können Sie sich so sicher verlassen, wie dreimal sechs grade soviel is wie neunmal sieben mal pi – ah, wissen Sie überhaupt, was pi is?“

„Nein.“

„Sehen Sie, da haben Sie wieder Ihre geistige Zwerghaftigkeet, wie sie klar zu Tage tritt! Pi is die Vor- und Einleitungssilbe zu allem, was geschossen, geblasen oder mit den Fingern geschpielt wird. Geschossen wird mit der Pistole; geblasen wird mit dem Pistong, und geschpielt wird off dem Pianino. Geschtehen Sie ein, daß alle diese Worte een pi vorne haben? Also, ich werde mich Ihrer Persönlichkeet und Ihrer Erbschaft annehmen, grad so, wie sich der eene Zwilling – das bin ich – des andern Drillings – das sind Sie – anzunehmen hat. Verhalten Sie sich nach den Vorschriften, die mir angeboren sind, da werden Sie es zu etwas bringen und als een geachteter Mensch und angesehener Timpe in Ihre Heimat zurückkehren können. Verkennen Sie aber mich und die schönen Gaben, welche das Mädchen aus der Fremde bringt, so können Sie nur gleich wieder einpacken, denn da gibt es keenen eenzigen Menschen off dem Jahrmarkt, der Ihnen Ihren Pfefferkuchen abkoofen wird. Es is ja möglich, daß Sie zu Ihrem Glücke nach Amerika gekommen sind, aber sicher und gewiß nur in dem eenzigen Falle, daß Sie Ihr Haupt unter meiner Würde beugen, welche schon seit langen Jahrhunderten und durch alle möglichen Generationen off mich und meine Intelligenz vererbt worden is.“

Seine Rede wäre sehr wahrscheinlich in dieser Weise fortgesetzt worden, wenn nicht Winnetou, der in der Nähe stand, jetzt plötzlich mit einer schnellen Bewegung seine Silberbüchse nach oben angelegt und abgedrückt hätte. Der Schuß krachte. Old Shatterhand war noch mit der Verlosung der Waffen beschäftigt. Er drehte sich rasch um, sah den Apatschen mit dem Gewehre stehen und fragte, den Blick sofort auch nach oben richtend:

„Warum hast du geschossen?“

„Es sah jemand von der Felsenkante herab,“ antwortete Winnetou.

„Hast du getroffen?“

„Nein; der Kopf verschwand, als ich den Finger anlegte.“

„Hast du ihn deutlich gesehen?“

„Ja.“

„Was hast du sonst noch bemerkt?“

„Es war kein weißer Mann.“

„Also ein Indianer?“

„Winnetou weiß es nicht genau. Der Kopf war nur so lange zu sehen, als ich meine Büchse heben konnte; dann verschwand er wieder.“

„Hm! Es ist niemand mehr oben, der zu uns gehört. Mein roter Bruder mag mit mir hinaufgehen. Der Mann, der es gewesen ist, wird zwar nicht warten, bis wir hinaufkommen, aber es ist doch geraten, einige Posten aufzustellen, denn man kann mit größter Leichtigkeit von da oben aus einen von uns niederschießen.“

Sie stiegen hinauf und nahmen die beiden Timpes mit, um ihnen Posten anzuweisen. Als sie dann nach einiger Zeit wieder herunterkamen und Frank sie fragte, erfuhr er, daß sie niemand gefunden hatten. Oben war es jetzt dunkel, und nach Spuren zu suchen, hätte, selbst wenn es hell gewesen wäre, doch zu nichts geführt, weil die Eisenbahner alles niedergetreten hatten und also, wenigstens in der Nähe der Schlucht, eine Einzelfährte nicht unterschieden werden konnte.

Das war gegen Morgen, und bald darauf begann der Tag zu grauen. Man konnte nicht die Absicht haben, sich lange und unnütz mit den Indianern zu befassen; so ganz in der Nähe des Camp wollte man ihnen die Freiheit denn doch nicht geben; sie waren zwar nun waffenlos, aber bei ihrer großen Zahl und bei der Feigheit der Bewohner dieses Ortes konnten sie, wenn sie einen Massenangriff versuchten, ihnen doch gefährlich werden. Darum wurde beschlossen, sie eine tüchtige Strecke in die Prairie hinauszutransportieren und dann nach und nach in einzelnen Abteilungen freizugeben. Dort war das Terrain offen, und man konnte sie weit sehen und beobachten. Sie mußten sogar annehmen, daß man ihnen heimlich folgen werde, und so stand zu erwarten, daß ihnen schon die Vorsicht verbieten werde, aus Rachsucht nach dem Camp zurückzukehren.

Während also Swan, der Engineer, sich nach dem Camp begab, um nach Rocky-ground zu telegraphieren, daß man den Zug wieder senden solle, gaben Winnetou und Old Shatterhand den Eisenbahnern die Anweisungen, welche für diese nötig waren, die Gefangenen fortzuschaffen. Man band die Indianer auseinander und gab ihnen die Füße frei, sorgte aber dafür, daß ihnen die Hände um so fester auf dem Rücken gefesselt waren, worauf jeder an den Bügel eines Pferdes gebunden wurde; dann stiegen die Bahnarbeiter auf und ritten mit ihren Gefangenen davon. Die andern, nämlich Old Shatterhand und seine Gefährten, gaben ihnen eine halbe Stunde lang das Geleite, bis sie den Wald hinter sich hatten, und kehrten dann zurück, um den Zug zu erwarten.

Jetzt endlich kam Leveret, der Engineer, wieder zum Vorscheine. Als er erfuhr, wie die Komantschen bestraft worden waren, erklärte er es für eine Dummheit, daß sie nicht aufgehängt worden waren, und für eine Ungerechtigkeit, daß man nicht einen Teil der Beute auch für ihn bestimmt hatte; aber Swan, sein mutigerer Kollege, gab ihm eine so deutliche und kräftige Antwort, wie sie ihm gebührte, und so trollte er sich wieder von dannen, ohne Ruhm oder Beute mitzunehmen.

Als später der Zug kam, wurde eingestiegen. Natürlich nahm man auch die beiden Pferde mit, welche jetzt dem Hobble-Frank und Droll gehörten, die ganz und gar nicht unglücklich darüber waren, daß sie auf eine solche Weise Besitzer von zwei so guten Tieren hatten werden dürfen; bessere konnte es für sie ja gar nicht geben!

Es war nur noch die Bestrafung des Mestizen zu erwarten. In Beziehung hierauf, wendete sich, während der Zug dahinrollte, der Hobble-Frank an Old Shatterhand:

„Jetzt habe ich eene Bitte, die Sie mir beileibe ja nich abschlagen dürfen.“

„Welche?“

„Sagten Sie nich, daß dieser Ik Senanda, der sich Yato Inda nannte, Haue bekommen und nachher freigelassen werden soll?“

„Ja.“

„Hören Sie, das is doch eegentlich gar keene hinreichende Schtrafe für so eenen erbärmlichen Tellurius! Prügel kriegt mal jeder Schuljunge, ohne daß er een Mestize is; Prügel haben hoffentlich ooch Sie von Ihrem Vater gekriegt, obgleich Sie damals nich die Absicht hatten, den Komantschen so een Schock Chinesen auszuliefern, und ich, so großartig und diminuendo ich schon damals mit meinen Naturgaben veranlagt und ausgezeichnet war, so habe ich doch wirklich ooch die heraldische Erfahrung machen müssen, daß es sorgsame Väter und sogar freundliche Mütter gibt, welche die Rute da abschneiden, wo sie angewachsen is und damit unverantwortlicherweise dorthin hauen, wo sie ihr Lebtage gar nich anwachsen kann; von dieser Wahrheet bin ich sehr häufig höchst schmerzlich in meinem Innern und off meinem Äußern berührt worden, obwohl es mir niemals in den Sinn gekommen is, mich off Firwood-Camp als Scout und Verräter engagieren zu lassen. Also, was ich sagen wollte, dem besten Menschen bleibt es nich erschpart, mit dem birkenen Hans aus Schlesien Bekanntschaft zu machen, und da soll dieser Halunke, der eene ganz andre Schtrafe verdient hat, ooch noch wie een ungekochtes Ei behandelt werden und nischt andres als nur eene Tracht Prügel kriegen? Ich bitte Sie, verehrtester Herr Shatterhand, wenn Sie nur halbwegs noch een bißchen Sinn für Gerechtigkeet und Reorganisation im Herzen haben, da müssen Sie einsehen, daß das viel zu wenig is. Ich gebe mir darum die herablassende Ehre, Ihnen eenen Vorschlag zu machen, welcher mir tief im Gemüte liegt und den ich loslassen muß, wenn mein gefühlvolles Herz nich dran erschticken und zu Grunde gehen soll wie een Kanarienvogel, der mit Paprika und Zwiebelsamen gefüttert wird.“

Alle, außer Winnetou, lachten über die Art und Weise, in welcher der Kleine sich auszudrücken beliebte, und Old Shatterhand fragte:

„Welchen Vorschlag willst du hören lassen?“

„Das können Sie sich eegentlich selber denken, zumal ich weeß, daß Ihre Kenntnisse ooch nich ganz von Pappe sind. Jeder schtudierte Jurisprudente und Schtaatsanwalt kennt außer den Paragraphen über die Milderungsgründe ooch den über die sogenannten Verdickungsgründe. Man kann nämlich, zumal bei dem Prügeln, die Schtrafe dünner und ooch dicker offtragen; ich schtimme hier nich für das Dünne, sonder für das Dicke.“

„Du meinst also einen stärkeren Stock?“

„Das meene ich weniger. Ich kann aus meiner eegenen Erfahrung und Sensitivität bezeugen, daß een dünner Hans aus Schlesien viel weher thut als een dicker, weil er nämlich besser schwippt, wissen Sie, meine Herren, een dicker wirkt bekanntlich nur off diejenige Höhenlage, welche man Epidermis nennt, een dünner aber geht durch und durch, so ähnlich, wie das Licht beim Photographieren durch die ganze Linse geht und dann das schönste Bild zu schtande bringt. Nee, ich meene vielmehr etwas andres. Zur Prügelschtrafe muß noch eene andre kommen, oder wir geben ihr eene Dauer und Konschtabilität, welche dem Verbrechen angemessen is. Der Kerl schteckt doch im Brunnen. Wir gießen so viel Wasser hinein, daß es ihm bis an die Lippen geht und er nur immer nach Luft zu schnappen hat. Das is doch wenigstens eene ehrliche Todesangst, obgleich er nich dran schterben wird. Wenn er die so eenige Schtunden ausgeschtanden hat und durch und durch naß geworden is, dann ziehen wir ihn heraus und halten mit den Hieben nich eher, aber ja nich eher off, als bis er wieder trocken is. Off diese Weise erkältet er sich nich und hat ooch schpäter keenen Grund, uns vorzuwerfen, daß wir das, was sein Vater früher an ihm versäumt hat, nich tüchtig nachgeholt haben. Verdient hat er das mehr als genug; quod erat demimonschtrum!“

Als hierauf wieder alle lachten, fragte er, schnell zornig werdend:

„Was gibt’s denn da zu lachen? Ich habe im heiligen Eifer für die Dezimalwage der Gerechtigkeet geschprochen; das is doch nischt so Lustiges! Das Schtrafgesetzbuch is nur für ehrliche Leute geschrieben, die es ernsthaft nehmen und es sich zum Beischpiel und Exempel dienen lassen. Wenn Ihnen aber meine offrichtig gemeente Schtrafprozeßordnung nur Schpaß anschtatt der beabsichtigten Abschreckung bereitet, so wasche ich, wie der Rigi sagte, meine Hände in Unschuld mit Karbol- und Mandelseefe und denke, daß – –“

Er hielt inne, denn es brach jetzt ein solches Gelächter aus, daß er seine eigenen Worte nicht mehr hören konnte. Er wartete, darüber ergrimmt, bis es sich gelegt hatte, und rief dann aus:

„Nee, so eene Zucht und Pudelschererei hat man noch nich erlebt! Das wird ja mit der heutigen Menschheet immer schlimmer! Sagen Sie mir doch nur eenen eenzigen Grund, warum ich bei aller meiner schtaatlichen Würde dazu verurteelt bin, so een höllisches Hohngelächter anhören und erdulden zu müssen? Habe ich denn irgend eenen technischen Vorzug an mir, über den Sie sich so lustig machen können?“

Droll kannte ihn sehr genau; er wußte, daß eine Explosion im Anzuge war, und antwortete also nicht. Auch Kas und Has waren durch Schaden vorsichtig genug geworden, um zu schweigen; darum übernahm es Old Shatterhand, an den er sich nicht in der Weise wie an andre wagte, ihm die Antwort zu geben:

„Wir lachen nicht über dich, sondern über den Rigi, lieber Frank.“

„Über den Rigi? Wieso?“

„Ich wasche meine Hände in Unschuld, das hat Pilatus gesagt.“

„Nein, der Rigi hat’s gesagt!“

„O, bitte! Es hat niemals ein Mensch den Namen Rigi geführt, sondern so heißt ein Berg am Vierwaldstättersee; ein andrer, nicht weit von ihm an demselben See gelegener Berg wird der Pilatus genannt; das hast du gehört oder gelesen; das schwebt dir vor, und so wurde die Verwechslung des Landpflegers Pilatus mit dem Berge Rigi möglich.“

„So – also so –!“ dehnte der Kleine, indem seine Augen funkelten. Er getraute sich aber nicht loszubrechen, weil Old Shatterhand es war, der es sagte. „Also eene Verwechslung soll es sein? Wissen Sie das genau?“

„Ja.“

„Sind Sie denn schon mal dort gewesen an diesem See?“

„Ja, und auch auf beiden Bergen, gestiegen und gefahren. Es führen Zahnradbahnen hinauf.“

„Ach so, Zahnradbahnen! Das muß ooch een schöner Landpfleger von Palästina sein, der sich mit Zahnrädern im Gesicht herumkratzen läßt! Ihr Wort in allen Ehren, Herr Shatterhand, aber da muß ich erscht selber mal hin und mir die Geschichte richtig bevierwaldschtättern, ehe ich es gloobe, daß man sich off solchen Bahnen in Unschuld waschen kann! Bis dahin aber nehme ich meinen Vetoantrag zurück und setze mich dort hinten in die Ecke. Mit Leuten, die mich und meine Metropolitarität bezweifeln, werde ich in Zukunft etwas vorsichtiger sein. Es is nich jeder Mensch dazu geschaffen, seine Lustschpiele in Trauerschpiele verwandelt und aus den herrlichsten Gedanken und Okulationen seines Herzens saure Gurken und gebackene Pflaumen gemacht zu sehen. Wem das Edle nich mehr imprimiert, der is ooch für das Ordinäre ganz total verloren. Ich habe geschprochen. Howgh!“

Er schob sich in die hinterste Ecke des Wagens, um zürnend, wie einst Achilleus, der den Feinden furchtbare Peleione, dort denen zu schmollen, die nicht hoch oder tief genug gebildet waren, seine Überlegenheit ohne alle Widerrede anzuerkennen. Old Shatterhand, dessen Gutmütigkeit nicht die geringste seiner Eigenschaften war, konnte die Betrübnis des Kleinen, obgleich sie eigentlich komisch war, nicht lange mit ansehen und fragte nach einer Weile: „Hast du deinen Vorschlag ganz aufgegeben, lieber Frank?“

Der Moritzburger warf ihm einen noch halb zornigen, halb aber schon versöhnlichen Blick zu und antwortete.

„Haben Sie nur keene Sorge! Ich werde gar niemals wieder eenen Vorschlag machen!“

„Das sollte mir leid thun. Du weißt doch, daß ich viel auf deine Ansichten gebe.“

Da nahm die Freundlichkeit im Auge des Hobble noch mehr zu, und es klang unter einem erlösenden Seufzer:

„Das sagen Sie doch jedenfalls nur deshalb, um mich wieder gut zu machen; im Grunde und aus der Perschpektive betrachtet, is es aber doch ganz andersch. Sie wissen, daß Sie meine Brust mit unversöhnlichem Zorn erfüllt haben und wollen nun een Weiermüller-Universalpflaster off meine Entrüstung legen; das kostet nich viel, in jeder Droguenhandlung nur zehn Pfennige für die Schachtel. Spitzbuben, wie der Mestize eener is, möchten Sie das Gesicht mit seidenen Handschuhen schtreicheln, aber mich, der ich doch Ihr größter Freund und Gönner bin, versenken Sie bei jeder passenden Gelegenheet in die tiefste Betrübnis und Konzentration. Wer so zart besaitet is, wie ich es bin, dem darf man nich mit eenem Violonbaß-Fidelbogen kommen, sondern der muß sanft angeklimpert werden wie zum Beischpiel eene Guitarre oder eene Aprikosen-Mandoline. Jedermann sollte bedenken, daß es Menschen gibt, deren Herz sehr leicht gebrochen werden kann, und es gibt zwar Porzellan- und Eisenkitt, aber daß man ooch Herzenskitt zu koofen kriegt, um die Schprünge der geschwollenen Mandeln wieder off das richtige Gleis zu bringen, davon habe ich noch nischt gehört.“

Die andern hatten wieder mit ihrer Lachlust zu kämpfen; Old Shatterhand zeigte sein ernsthaftestes Gesicht, indem er fragte:

„Rechnest du auch mich zu diesen Menschen?“

„Wer sich getroffen fühlt, der braucht nich erscht zu fragen. Und ob ich rechne? Ich rechne gar nich mehr, fällt mir nich ein! Wem gleich zwee Vierwaldstätter Zahnradbahnen um den Kopp geworfen werden, der hat keene Lust zum Rechnen mehr. Und wem man gar zumutet, den Landpfleger Rigi oben off dem Pilatus zu suchen und ihm dort die Hände mit Unschuld zu waschen, mit dem is es erscht recht ganz aus. Ich bleibe also hier in meiner Ecke und lass‘ mich von keenem Mississippi und Amazonenschtrom herausschwemmen. Ein gebildeter Mensch, der Charakter hat, der soll ooch welchen haben!“

„Das ist sehr richtig! Und weil du nicht nur überhaupt Charakter, sondern sogar einen sehr guten hast, so denke ich, daß du nicht lange mehr dort hinten sitzen bleiben wirst.“

Durch dieses Lob geschmeichelt, rückte der Kleine schon ein wenig näher und sagte, viel freundlicher als vorher:

„Is das Ihre successive Überzeugung wirklich, verehrtester Herr Shatterhand? Sollte mich freuen, wirklich freuen, wenn es so wäre. Ich sage Ihnen, es würde nicht nur für die andern, sondern ooch für Sie sehr gut sein, wenn Sie erkennen und einsehen lernten, daß ich nich so ganz ohne bin.“

„Das sehe ich nicht nur ein, sondern ich weiß es schon seit langer Zeit!“

„So?“ flötete der Kleine, indem er wieder näherrückte. „Am Ende is es doch vielleicht nur een anonymer Irrtum, wenn ich denke, daß ich ooch von Ihnen verkannt werde. Da will ich es doch noch eenmal versuchen, ob in Ihrem Verhalten die von mir gewünschte Besserung zu schpüren is!“

Er rückte abermals näher, so daß er nur noch einen Schritt von Old Shatterhand zu sitzen kam, und fuhr dann eifrig und ganz freundlich fort:

„Also, was meinen Vorschlag betrifft, wie soll es da werden? Sind Sie geneigt, ihn mir in der gewünschten Kongestion zu erfüllen?“

„Ja, lieber Frank.“

Da gab sich der vollständig versöhnte Hobble einen solchen Ruck, daß er eng an Old Shatterhand zu sitzen kam, und rief, indem sein Gesicht vor Freude und Genugthuung strahlte, aus:

„So is es recht; so wollte ich es haben! Es is doch keen Bär een solcher Tolpatsch, daß er nich wenigstens eenmal etwas Gescheites thut! Ich kann Ihnen jetzt das Zeugnisduplikat geben, daß Ihre Ehre vollschtändig wiederhergeschtellt is. Also es bleibt bei dem, was ich vorgeschlagen habe?“

„Wahrscheinlich. Natürlich kommt es dabei mit darauf an, wie er sich gegen uns verhält!“

„Ganz richtig! Und weil ich weeß, daß sein Verhalten nich mehr als alles zu wünschen übrig lassen wird, so wollen wir diesen ärgerlichen Vierwaldschtättersee in der tiefsten Tiefe unsrer Herzen begraben und off die Zahnradbahnen unsre gegenseitige Verzeihung und Versöhnung schütten. Es soll nischt mehr geben, was unsre Geister und Gemüter trennt, und wenn Ihre Worte ja eenmal von eenem unverschtändigen Menschen angezweifelt oder gar verlacht werden sollten, wie es vorhin in diesem Wagen geschehen is, so wenden Sie sich nur getrost an mich! Ich bin der Mann, der es verschteht, Ihnen diejenige Achtung zu verschaffen, off welche Sie als mein treuer Freund und Gefährte Anschpruch und Konterdampf erheben können!“

Es war bei der Urkomik seines Verhaltens und seiner Worte beinahe rührend, zu beobachten, welche Mühe sich die andern gaben, den Ernst zu behaupten, welcher unbedingt nötig war, wenn ein Rückfall in seinen Zorn verhütet werden sollte. Sie brachten es auch glücklich fertig, und so verlief die weitere Fahrt, ohne daß er wieder Veranlassung fand, sich über die Fehler und geistigen Gebrechen der Menschheit insgesamt und im einzelnen auszusprechen. Rocky-ground wurde in bester Stimmung erreicht, und wenn es irgend eine Schwierigkeit gab, war es nur die, die beiden Indianerpferde unverletzt aus dem Wagen zu schaffen. Sie waren diese Art des Transportes nicht gewöhnt, und es hatte in Firwood-Camp einen großen Aufwand von Mühe gemacht, sie hineinzubringen.

Die Leute, welche man hier zurückgelassen hatte, waren dabei behilflich, ohne zunächst eine Meldung zu machen, und erst als die Pferde glücklich auf dem Erdboden gelandet waren und der Engineer nun die Frage aussprach, ob sich etwas Ungewöhnliches ereignet habe, antwortete einer, indem er sich verlegen in den Haaren kraute:

Well! Da Ihr danach fragt, Sir, so muß ich nun wohl heraus damit: Es ist ein Pferd gestohlen worden.“

„Welches?“ wurde da sofort von sechs Personen fast unisono gefragt.

Es versteht sich ganz von selbst, daß seine Meldung Schreck hervorbrachte. Da die Eisenbahner keine Pferde besessen hatten, konnte das betreffende nur eines der sechs Jäger sein. Wie schlimm, wenn es einer der beiden Rapphengste war, welche Winnetou und Old Shatterhand gehörten! Es gab einen Augenblick der größten Spannung, bis er antwortete:

„Es war ein Schimmel, Mesch’schurs.“

Man konnte jetzt einen mehrfachen Hauch der Erleichterung hören, und Frank erkundigte sich, natürlich in englischer Sprache:

„Meint Ihr den Schimmel, der den schwarzen Flecken rechts am Halse hat?“

Yes, Sir

„Gott sei Dank!“ rief er aus, jetzt nun in deutscher Sprache. „Vetter Droll, das is dein Stolperfritze, dem du die Insel Ischia zu verdanken hattest. Der mag immerhin geschtohlen sein. Du hast ja een hundertmal besseres dafür!“

„Nur langsam mit dem Urteil, Frank!“ mahnte da Old Shatterhand. „Es handelt sich hier weniger um das Pferd als um den Dieb. Ich möchte ahnen, wer er ist. War es etwa der gefangene Mischling, den wir in den Brunnen hineingesteckt haben?“

„Ja, Sir,“ antwortete der Mann verlegen, an den diese Frage gerichtet war.

„Wie kommt der aus dem Brunnen heraus? Das kann nur die Folge einer ungeheuren Nachlässigkeit von Euch sein!“

„Die ich streng bestrafen werde!“ fügte der Engineer hinzu. „Ich hatte doch einen Wächter an den Brunnen gestellt! Wo ist dieser? Er steht nicht mehr dort, und ich sehe ihn auch sonst nirgends.“

„Er hat sich aus Angst einstweilen aus dem Staub gemacht, bis, wie er sagte, die erste Hitze bei Euch vorüber sei, Mister Engineer.“

„Da kann er lange warten. Ich lasse ihn, wenn er wiederkommt, prügeln, daß er daran denken wird! Nun ist der Scout über alle Berge und wir haben das Nachsehen! Hoffentlich ist er noch nicht sehr weit, und wir können ihn noch einholen. Macht Euch schnell fertig, und – –“

„Gemach, Sir, gemach!“ unterbrach ihn Old Shatterhand. „Überstürzung kann hier zu gar nichts führen. Wenn meine Ahnung mich nicht trügt, so ist er jetzt schon so weit fort, daß alle Verfolgung Eurerseits vergeblich ist. Ich denke, er ist von hier nach dem Firwood-Camp geritten.“

„Uns grad in die Hände? Unmöglich! Er müßte nicht bei Sinnen gewesen sein!“

Pshaw! Er wußte die Komantschen in Gefahr und ritt hin, sie heimlich zu warnen, ist aber glücklicherweise zu spät gekommen. Er war es jedenfalls, der von oben herunterblickte und nach dem Winnetou geschossen hat, ohne ihn zu treffen.“

„So ist’s,“ stimmte der Häuptling der Apatschen bei. „Es war nur ein Moment, daß ich ihn erblickte; ich hob zwar schnell das Gewehr, aber er sah ebenso rasch, daß ich es auf ihn richtete, und grad als ich abdrückte, zog er den Kopf zurück, sonst hätte ich ihn getroffen.“

„Ja, deine Kugel ist sicher und verfehlt nie ihr Ziel; aber ein einziger Augenblick ist eine gar zu kurze Zeit für einen Schuß, der treffen soll. Ich denke übrigens, daß dieser Bursche uns schon wieder vor die Läufe kommen wird. Lassen wir ihn einstweilen fort sein! Er wird beobachtet haben, daß seine Komantschen freigelassen werden, und ihnen nachreiten, um sich mit ihnen zu vereinigen. Wenn mir daran läge, ihn zu fangen, wollte ich ihn sehr bald haben; aber wir hatten uns ja doch vorgenommen, ihm die Freiheit zu geben, und so mag er sie auch ohne vorherige Prügel genießen.“

„Aber es thut doch meinem Herzen wehe,“ bemerkte Frank, „daß wir ihn nicht einweichen und dann ausklopfen konnten!“

„Er wird später zu dieser Klopferei zu finden sein; tröste also dein betrübtes Herz, lieber Frank! jetzt verlangt es mich vor allen Dingen, wie es ihm möglich gewesen ist, aus dem Brunnen zu entkommen und dann gar auch das Pferd zu stehlen. Hoffentlich seid Ihr im stande, es uns zu erzählen, Mann!“

Der Eisenbahner fuhr unter dem scharfen, strengen Blicke Old Shatterhands zusammen, als ob er sich in sich selbst verbergen wolle, doch antwortete er:

„Ich bin nicht schuld daran, Sir; das könnt Ihr mir getrost glauben. Der Clifton war’s, der den Brunnen bewachen sollte und sich von den Chinesen übertölpeln ließ.“

„Chinesen? Sind Chinesen dagewesen?“

Yes, Mister Shatterhand, zwei Stück waren es, zwei ganze Stück.“

„Ah, das sind höchst wahrscheinlich unsre Gewehrdiebe gewesen. Hatten sie ihre Zöpfe hinten herunterhängen?“

„Habe keinen Zopf zu sehen bekommen; dafür aber hatten sie Geld, schöne Dollars, Halb- und Vierteldollars. Damit gingen sie in den Room zum Keeper und ließen sich geben, was ihr Herz begehrte oder was vorhanden war.“

„Und Ihr seid natürlich so freundlich und so vorsichtig gewesen, tüchtig mit ihnen zu zechen, nicht?“

„Ich nicht, aber der Clifton, Sir. Ihr müßt nämlich wissen, daß er sie gut kannte, denn er hat in Firwood-Camp gearbeitet, ehe er hier von Mister Swan engagiert wurde. Es wird am besten sein, wenn ich Euch alles so der Reihe nach erzähle, wie es geschehen ist.“

„Ja, thut das! Ich bin sehr gespannt darauf, ob Ihr etwas zur Entschuldigung dafür vorbringen könnt, daß Ihr nicht besser an Eure Pflichten gedacht habt. Also sagt der Wahrheit gemäß, wie es gekommen ist!“

„Ich kann es nicht anders erzählen, als wie es geschehen ist, Sir. Es war gegen Abend und wollte grad dunkel werden. Wir hatten unsre Arbeit gethan und machten Feierabend, da kamen die Chinesen, die der Teufel reiten möge, daß sie uns diesen Streich gespielt haben. Clifton saß als Wächter am Brunnen und hatte das Ende des Strickes, an welchem der Mischling unten angebunden war, um den nächsten Baum geschlungen. Sie sahen ihn, und weil sie ihn von Firwood-Camp her gut kannten, gingen sie zu ihm hin, um ihn zu begrüßen. Wir andern folgten ihnen, denn wir waren doch neugierig, was die Chinesen hier bei uns in Rocky-ground wollten. Wir erfuhren, daß sie des geringen Lohnes und der schlechten Behandlung wegen ihre Stellung in Firwood-Camp aufgegeben hätten und sich nun eine neue suchen wollten.“

„Und das habt Ihr geglaubt?“ fragte Old Shatterhand.

„Wir hatten keinen Grund, anzunehmen, daß es eine Lüge sei.“

„Ihr hattet Grund! Sie waren doch die Vormänner der chinesischen Arbeiter; das habt Ihr gewußt!“

„Ja.“

„Nun, als Vormänner standen sie sich natürlich besser als die andern und hatten also gar keine Veranlassung, so plötzlich aus der Arbeit zu gehen, zumal des geringen Lohnes wegen. Und sodann hättet Ihr Euch sagen müssen, daß, wenn sie wirklich ihre Entlassung selbst genommen hätten, die andern Chinesen, welche jedenfalls nicht soviel verdienten und unter der schlechten Behandlung gewiß noch mehr als ihre Vormänner zu leiden gehabt hätten, jedenfalls nicht geblieben, sondern mit ihnen aus der Arbeit gelaufen wären.“

„Das ist richtig, Sir; aber es hat keiner von uns daran gedacht.“

„Damit stellt ihr euch kein gutes Zeugnis aus!“

„Mag sein! Wir sind einfache Werkleute und haben nicht studiert. Von uns kann man nicht verlangen, daß wir uns jeden Kniff und Pfiff so schnell zurechtlegen, daß wir augenblicklich hinter die Gründe kommen. Clifton sagte ihnen, daß sie wahrscheinlich hier bei uns Stellung bekommen könnten; aber sie wollten nicht hier bleiben, sondern mit dem nächsten zurückfahrenden Bauzuge ein gutes Stück weiter nach dem Osten hinein.“

„Das glaube ich sehr gern, Sie haben ihre Zöpfe verloren, sind also geschändet und müssen sich nach einer Gegend wenden, wo keine Chinesen sind. Weiter!“

„Sie blieben natürlich da, um den Bauzug zu erwarten, und gingen nach dem Trinkraum, wo sie sich beim Keeper zwei Schlafstellen ausmachten. Sie hatten, wie ich schon sagte, Geld mit und ließen sich nicht lumpen. Wir mußten mit ihnen trinken; da kamen wir ins Sprechen und erzählten ihnen, daß ihr hier gewesen und dann fortgefahren wäret, um Firwood-Camp gegen die Komantschen zu schützen. Sie horchten nicht wenig auf; aber, Sir, von Euch und Winnetou schienen sie nichts wissen zu wollen; das hörten wir aus verschiedenen Äußerungen, die sie thaten.“

„Das glaube ich wohl. Sie haben uns bestohlen und ihre Strafe dafür bekommen; deshalb sind sie ja fort vom Camp. Ich durchschaue sie. Sie haben gehört, daß wir beide es waren, die den Mestizen gefangen nahmen; da ist ihnen der Gedanke gekommen, sich dadurch an uns zu rächen, daß sie ihn befreien.“

„Möglich, daß sie diesen Streich nicht uns, sondern euch haben spielen wollen. Vielleicht ist es noch dazu auch aus einer Art von Freundschaft geschehen, denn sie schienen in Firwood-Camp mit ihm auf gutem Fuße gestanden zu haben. Kurz und gut, sie trugen auch Clifton Schnaps hinaus, eine tüchtige Flasche voll und dann noch eine. Später suchten sie ihn noch einmal auf, und es dauerte eine geraume Weile, ehe sie wieder hereinkamen. Da setzten sie sich, was uns später aufgefallen ist, nicht wieder auf ihre früheren Plätze, sondern so, daß wir, um Raum zu gewinnen, die Thür zumachen mußten und nicht mehr hinaussehen konnten, wo die Pferde standen. Nach einiger Zeit hörten wir ein auffälliges Wiehern, Schnauben und Stampfen. Es mußte mit den Pferden etwas los sein und wir gingen hinaus, obgleich die Chinesen uns davon abhalten wollten. Da waren die beiden schwarzen Hengste losgebunden, und es fehlte der Schimmel mit dem schwarzen Fleck am Halse. Losgerissen hatte er sich nicht, das sahen wir; er war also nicht selbst entwischt, sondern fortgeführt worden. Aber von wem? Wir waren ja alle beisammen, außer Clifton, welcher beim Brunnen wachte. Wir gingen zu ihm, ohne auf die Chinesen zu achten; da lag er total betrunken und fast besinnungslos am Boden und bei ihm der Strick, an dem der Mestize gehangen hatte; wir sahen auch die Riemen da liegen, mit denen ihm die Hände und die Füße zusammengebunden gewesen waren. Natürlich erschraken wir gewaltig und suchten von Clifton zu erfahren, was geschehen war; aber wir konnten nichts aus ihm herausbringen, da er nur unverständliches Zeug lallte. Um ganz sicher zu gehen und uns zu überzeugen, wurde ich an dem Stricke in den Brunnen hinabgelassen, und da fand ich es freilich ganz so, wie ich es befürchtet hatte: der Mestize war fort.“

„Dachte es mir!“ sagte Old Shatterhand. „Die Chinesen haben ihn, als Clifton vollständig betrunken war, herausgezogen und von den Fesseln befreit. Dann sind sie wieder in den Trinkraum gegangen und haben schlauer Weise dafür gesorgt, daß die Thür zugemacht werden mußte, damit der Mestize sich eins von den Pferden stehlen könne. Gab es dort Licht?“

„Ja, es brannte eine Laterne bei den Tieren.“

„Da hat er natürlich sehen können, welche Pferde die besten waren und sich, wie sein Großvater, an unsre Rappen gemacht, ist aber dabei auch nicht glücklicher gewesen als dieser; sie haben sich zwar losbinden lassen, sich aber dann gewehrt, und dadurch ist ein Lärm entstanden, der ihn zur höchsten Eile getrieben hat, wenn er sich nicht wollte erwischen lassen. Er hat also dann dasjenige Pferd genommen, welches ihm am bequemsten stand, und das ist der Schimmel gewesen.“

„Das ist richtig, Sir; denn dieses Pferd stand der Thür am nächsten.“

„So hat er gerade das schlechteste erwischt; aber er ist jedenfalls ein guter Reiter und kennt die Gegend zwischen hier und Firwood-Camp genau, sonst hätte er sich ja nicht als Scout engagieren lassen können. Dadurch ist es ihm möglich geworden, trotz der Dunkelheit nach dem Birch-hole zu kommen, freilich viel zu spät für die Absichten, welche er dabei verfolgte. Was sagten denn nachher die Chinesen zu seiner Flucht?“

„Nichts sagten sie, oder, um mich anders auszudrücken, was sie zu einander gesagt haben, die Halunken, das konnten wir nicht hören, denn als wir uns von der Flucht des Gefangenen überzeugt hatten und uns nach ihnen umsahen, waren sie fort.“

„Wohin?“ fragte jetzt der Engineer.

„Das konnten wir nicht wissen, denn es war ja finstere Nacht.“

„Alle Wetter! Ob man nicht vielleicht ihre Spuren finden kann? Wir müssen versuchen, diese Schurken einzufangen!“

„Laßt sie laufen, Mister Swan!“ riet ihm Old Shatterhand. „Sie sind der Mühe gar nicht wert, die wir uns geben müßten, wenn wir sie fassen wollten. Unser Werk ist ja über alles Erwarten gut gelungen; wir haben Firwood-Camp errettet, ohne daß nur einem von uns dabei die Haut geritzt worden ist; alles andre, und zumal die Personen der beiden Chinesen, ist von so geringer Bedeutung, daß es lächerlich wäre, unsre Zeit dadurch zu versäumen, daß wir ihnen nachlaufen.“

„Hm! Es juckt mich zwar in allen zehn Fingern nach ihnen, aber ich sehe ein, daß Ihr nicht unrecht habt, Mister Shatterhand. Mögen sie also laufen! Aber diesen Clifton werde ich mir vornehmen. Wo ist er denn hin? Wißt Ihr das?“

„Nein,“ antwortete der Eisenbahner. „Als er einige Stunden geschlafen hatte und auf einmal aufwachte, sagten wir ihm, wie er sich von den Chinesen hatte betölpeln lassen. Da wich der Rausch von ihm, und er wurde vor Schreck sofort nüchtern. Natürlich schimpfte er auf sie, was er nur schimpfen konnte, aber dadurch brachte er weder sie noch den Mestizen zurück; da trat die Angst bei ihm ein. Er sagte, daß er sich nicht eher wieder sehen lassen wolle, als bis bei Euch der erste Zorn vorüber sei, band seine Siebensachen zusammen und ging fort.“

„Ihr hättet ihn nicht gehen lassen sollen!“

„Mit welchem Rechte hätten wir ihn festhalten können, Sir? Etwa Gewalt anwenden? Er war ja kein Verbrecher, und wir sind keine Polizisten.“

„Ganz richtig!“ stimmte Old Shatterhand ihm bei. „Höchst wahrscheinlich wird auch er nicht wiederkommen, und es hat auch keiner von uns allen einen Grund, sich nach ihm zu sehnen. Und wenn er je zurückkehren sollte, so gebt ihm einen tüchtigen Verweis, Mister Swan, und laßt es dabei bewenden! jetzt wollen wir hineingehen, um zunächst nach unsern Pferden zu sehen; dann essen wir und schlafen tüchtig aus, weil wir die ganze Nacht durchwachen mußten. Morgen früh werden wir Euch Lebewohl sagen.“

„Schon?“ fragte der Engineer. „Ihr könnt Euch doch wohl denken, daß ich Euch gern länger, viel länger hier bei uns haben möchte!“

„Davon sind wir überzeugt. Wir werden Euch stets in gutem Andenken behalten, Sir; für jetzt aber gibt es nichts, was uns hier halten könnte, und wenn wir auch nicht mit der Zeit zu geizen brauchen, so ist es doch nie unsre Art und Weise gewesen, an einem Orte länger zu verweilen, als es nötig ist.“

„Da stimme ich bei,“ nickte Kas. „Wir müssen nach Santa Fé hinauf. Unser Vetter Nahum Samuel Timpe, den wir dort zwingen wollen, uns die Erbschaft, um welche er uns betrogen hat, herauszugeben, scheint kein Mann zu sein, der längere Zeit an einem Orte bleibt; das böse Gewissen treibt ihn hin und her, und wenn wir an andern Orten unnütz unsre Zeit verschwenden, so müssen wir gewärtig sein, daß er schon wieder fort ist, wenn wir hinkommen. Ist das nicht auch deine Meinung, Cousin?“

„Natürlich ist sie es,“ antwortete Has auf die an ihn gerichtete Frage. „Je eher wir zu unserm Gelde kommen, desto besser ist’s für uns. Glücklicherweise haben Mister Shatterhand und Winnetou sich unser und unsrer Sache angenommen; das macht mir mehr Hoffnung, als ich vorher hatte, sie glücklich zu Ende zu bringen.“

Während die beiden Timpes dies zu einander sagten, standen Frank und Droll noch bei ihnen. Die andern waren inzwischen in das Gebäude getreten. Dieser Umstand nämlich, daß Winnetou und Old Shatterhand seine Worte nicht hören konnten, veranlaßten den Hobble, der Ansicht, welche Has soeben ausgesprochen hatte, eine seiner berühmten Bemerkungen folgen zu lassen. Er sagte nämlich, und zwar in deutscher Sprache, weil ihn nur Deutsche hörten:

„Ich weeß gar nich, warum Sie nur immer von andern Leuten reden! Die Familie Timpe scheint an eener großartiginterimistischen Erbkrankheit zu leiden, die gar nich kuriert werden kann, nämlich an eener kolossalen Eenseitigkeet, die geradezu ihresgleichen sucht!“

„Wieso Einseitigkeit?“ fragte Kas.

„Ich meene die Seite, welche schtets off Old Shatterhand und Winnetou gerichtet is. Sie haben nur immer davon zu reden, daß Sie von diesen beeden Herren in hervorragendster und penetrantester Weise unterschtützt zu werden hoffen. Ich gebe zwar ooch ganz gerne zu, daß Sie mit dieser Ansicht keene Mücken fangen und nich in die Käse fliegen werden, aber ich will Sie dennoch eenmal ersuchen, sich doch ergebenst ooch off die andre Seite zu wenden, nämlich off die Seite, wo ich schtehe und wo ich zu finden bin, ich, der allgemein verehrte Hobble-Frank aus Moritzburg! Sagen Sie mal, trauen Sie mir denn ganz und gar nischt zu?“

„O doch, Mister Frank,“ antwortete Has.

„Das scheint mir aber gar nich so, ganz unterthänigster Herr Hasael Benjamin Timpe! Ich habe mich schon gestern von oben herunter aus der Höhe herabgelassen und Ihnen, weil Sie ohne meine Hilfe nischt fertig bringen können, versichert, daß ich mich Ihrer annehmen und erbarmen will, wie sich een kinderloser Waisenvater der Eltern seiner Pfleglinge annimmt; ich habe Ihnen ferner gesagt, daß ich Sie wie off Adlersflügeln und Schwalbenschwänzen Ihrem Ziele entgegentragen werde; ich habe Ihnen endlich überzeugend und naturgetreu bewiesen, daß mir Ihre Erbschaft höher schteht als meine eegenen und persönlichen Chronometer, und nu muß ich, schon nach so wenigen Schtunden, plötzlich mit anhören, daß Sie alle Ihre Hoffnungen und Gestikulationen immer wieder off andre Leute und Persönlichkeeten setzen! Wenn Sie in dieser Weise fortfahren, mich und mein Profil geringzuschätzen, so wird mir trotz meiner angeschtammten Geduld und Langmütigkeet schließlich doch nischt andres übrig bleiben, als mich Ihnen angeleegentlich zu empfehlen und mich mit meiner Krause- und Pfefferminze an sachverschtändigere Leute und einsichtsvollere Potentaten zu wenden!“

Die beiden Vettern hatten soviel Gewalt über sich, nicht zu lachen; sie zeigten die ernstesten Gesichter, und Kas antwortete, indem er dem Kleinen die Hand beruhigend auf die Schulter legte:

„Aber, bester Herr Franke, Sie ereifern sich da ganz unnötigerweise. Wir kennen Sie ja und wissen also ganz genau, wie groß die Vorteile sind, welche wir von Ihrer Hilfe zu erwarten haben.“

„So? Das wissen Sie also? Warum schprechen Sie denn da immer von Old Shatterhand und Winnetou, aber nich von mir?“

„Weil man über das, was man für selbstverständlich hält, nicht viel zu reden pflegt. Und Ihre Vorzüge sind doch alle so unendlich selbstverständlich! Nicht?“

Da begann das Gesicht des Hobble vor Wonne zu strahlen; er machte eine so majestätische Handbewegung, wie sie ihm nur möglich war, und sagte:

„O bitte, bitte, Herr Timpe ! Sie thun mir zuviel Ehre an! Meine schprüchwörtliche Bescheidenheit kann nur mit Widerschtreben von diesem wohlverdienten Lobe Besitz ergreifen. Wenn Sie in Ihrer Anerkennung fortfahren wollen, so widerschtrebt es meiner bekannten Verschwiegenheet, Ihnen die Gelegenheit dazu abzuschneiden. Also schprechen Sie weiter, immer weiter! Reden Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen is! Man handelt schtets vernünftig, wenn man die hohen Eigenschaften edlerer Menschen anerkennt; wenn Sie also einsehen, daß ich Ihnen über bin, so ehren Sie sich damit nur selber, und ich werde mich bewogen fühlen, meine Fittiche mit liebevoller Nachsicht um Sie herumzuschlagen. Es is heute in Ihrem Leben und in Ihrem Schicksale een großer Wende- und Kontrapunkt eingetreten. Sie glichen den Schafen, die keenen Hirten haben; Sie liefen nur immer so grade in die Nacht hinein, ohne eenen Halbmond oder Schtern zu haben, der Ihren Gebirgspfad erleuchtete und Ihre Schritte empor zur Milchschtraße lenkte. Nun Sie sich aber unter meinen Schutz und Schirm begeben haben, wird sich das Glück vom an Ihre Füße und hinten an Ihre Absätze heften; es kann keene Gefahr mehr geben, die ich nich für Sie besiegen werde, und die Erbschaft, nach welcher Sie ohne mich bisher vergeblich mit aller Sehnsucht dekliniert und refusiert haben, wird Ihnen nun unter meinem Beischtande wie eene gebratene Taube in den Mund fliegen. Das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, is een Wort, off welches Sie sich verlassen können, wie ich mich off mich selber, und so fordere ich Sie hier mit off, mir mit der Offrichtigkeet eenes verantwortlichen Ministeriums zu erklären, ob Sie damit einverschtanden sind, daß ich der Schtrahl des Neumondes bin, der von heute an alle Ihre Schritte lenken soll!“

„Ja, wir sind einverstanden,“ antwortete Kas.

„Gut, so schließe ich hiermit unsern Drei- und Freundschaftsbund. Hängen Sie sich an meine Arme, denn Sie sind meine Küchlein, und ich bin die Henne! Folgen Sie mir schpäter durchs ganze Leben und jetzt in das Schpeisezimmer hinein, denn ich vermute, daß das Essen schon losgegangen is. Also kommen Sie, Herr Timpe Hasael und Herr Timpe Kasimir!“

Er, der Kleine, stellte sich zwischen sie, und sie, die zwei Meter langen Menschen, mußten bei ihm einhängen und sich von ihm nach der Restauration führen lassen, was einen überaus komischen Anblick bot. –

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Zwölftes Kapitel

Auf Tod und Leben.

Die Roten schienen es recht eilig zu haben; sie ritten meist im Trabe und nahmen nicht die mindeste Rücksicht auf die beiden gefesselten Gefangenen, deren einer sogar lebensgefährlich verwundet war. Das Abziehen der Kopfhaut ist eine sehr schlimme Verletzung. Man trifft zwar hie und da einen Weißen, welcher skalpiert worden und entkommen ist, aber das sind äußerst seltene Ausnahmen, denn es gehört, abgesehen von allem andern, eine höchst robuste Konstitution dazu, eine solche Verwundung zu überleben.

Die Berge rückten immer näher, und gegen Abend wurden die ersten Ausläufer derselben erreicht. Die Roten lenkten in ein langes, schmales Querthal ein, dessen Seiten mit Wald bestanden waren. Später ging es durch mehrere Seitenthäler, immer bergan, und die Indianer fanden trotz der eingebrochenen Dunkelheit ihren Weg so leicht, als ob es heller Tag sei. Später ging der Mond auf und beleuchtete die dicht mit Bäumen bewachsenen Felsenhänge, zwischen denen die Reiter sich still und stetig fortbewegten. Erst gegen Mitternacht schien man sich in der Nähe des Zieles zu befinden, denn der Häuptling gab einigen seiner Leute den Befehl, vorauszureiten, um die Ankunft der Krieger zu melden. Schweigend ritten diese Boten davon, den Befehl auszuführen.

Dann kam man an einen ziemlich breiten Wasserlauf, dessen hohe Ufer, als man ihnen folgte, immer weiter auseinander traten, bis man sie trotz des hellen Mondenscheines nicht mehr zu erkennen vermochte. Der Wald, welcher erst zu beiden Seiten fast bis an das Wasser reichte, wich später zurück und öffnete eine grasige Savanne, auf welcher man in der Ferne die Feuer brennen sah.

„Uff!“ ließ der Häuptling jetzt zum erstenmal während des Rittes seine Stimme hören. „Dort liegen die Zelte meines Stammes und da wird euer Schicksal entschieden werden.“

„Noch heute?“ erkundigte sich Old Shatterhand.

„Nein. Meine Krieger bedürfen der Ruhe, und euer Todeskampf wird länger währen und uns größere Freude machen, wenn ihr euch vorher durch den Schlaf gekräftigt habt.“

„Das ist nicht übel!“ meinte der dicke Jemmy in deutscher Sprache, um von den Roten nicht verstanden zu werden. „Unser Todeskampf! Er thut genau so, als ob wir dem Marterpfahle gar nicht entgehen könnten. Was sagst du dazu, alter Frank?“

„Zunächst noch gar keen Wort,“ antwortete der kleine Sachse. „Reden werde ich erscht schspäter, wenn die kongressive Zeit dazu gekommen is. Niemand schtirbt vor seinem Tode und ich habe wirklich keene Lust, Ausnahme von dieser weltgeschichtlichen Regel zu machen. Nur will ich bemerken, daß es mir noch gar nich wie schterben zu Mute is. Warten wir also die Sache ab. Aber wenn ich etwa mit brutaler Gewalt so vorzeitig zu meinen Großvätern versammelt werden soll, so wehre ich mich meiner Haut, und ich weeß genau, daß an meinem schpätern Leichenschteene viele Witwen und Waisen derer klagen werden, die ich vorher in die Elise expediere.“

„Ins Elysium meinst Du wohl?“ fragte der Dicke.

„Rede nich so albern! Wir reden jetzt doch deutsch und Elise is echt germanisch. Ich bin een guter Christ und mag also mit dem alten römischen Elysium nischt zu thun haben. Daß nun gerade immer diejenigen Menschen am klügsten thun, welche den kleensten Verschtand besitzen! Es is aber immer so gewesen, daß die größten Kartoffeln am seefigsten sind!“

Er hätte seinem Ärger über die erfahrene Verbesserung wohl noch ferner Luft gemacht, wenn er die Zeit dazu gehabt hätte. Die gab es aber nicht, denn der Augenblick des Empfanges war gekommen. Die Bewohner des Dorfes hatten sich aufgemacht, die zurückkehrenden Krieger zu begrüßen. Sie kamen ihnen in hellen Haufen entgegen, voran die Männer und Knaben, hinter diesen die Frauen und Mädchen, alle aus Leibeskräften schreiend und brüllend, daß es klang, als ob die Schar aus lauter wilden Tieren bestehe.

Old Shatterhand hatte erwartet, ein gewöhnliches Zeltdorf zu finden, mußte aber zu seiner Enttäuschung erkennen, daß er in einem Irrtum befangen gewesen war. Die große Anzahl der Feuer bewies, daß viel, viel mehr Krieger vorhanden waren, als die Zelte zu fassen vermochten. Es hatten sich die Bewohner vieler andrer Utahdörfer hier versammelt, um den Rachezug gegen die Weißen zu beraten. Die vorausgesandten Boten hatten erzählt, daß der Häuptling sechs Bleichgesichter mitbringe, und die Roten gaben jetzt ihrem Entzücken über diese Botschaft einen Ausdruck, dessen eben nur wilde Völkerschaften fähig sind. Sie schwangen ihre Waffen und schrieen aus Leibeskräften, indem sie die entsetzlichsten Drohungen ausstießen.

Als das Lager erreicht worden war, sah Old Shatterhand, daß dasselbe aus Büffelhautzelten und aus mittels Zweigen schnell errichteter Hütten bestand, welche einen weiten Kreis bildeten, in dessen Innerem der Zug halten blieb. Hier wurden die beiden Gefesselten von den Pferden losgebunden und auf die Erde geworfen. Das gräßliche Stöhnen des verwundeten Knox wurde von dem Geheul der Roten völlig verschlungen. Dann führte man die andern vier zu diesen beiden. Die Krieger bildeten einen weiten Kreis um sie, und dann traten die Frauen und Mädchen vor, um die Weißen kreischend zu umtanzen.

Das war eine der größten Beleidigungen, welche es gab. Es ist eine Mut- und Ehrlosigkeitserklärung, Gefangene von den Weibern umtanzen zu lassen. Wer sich das widerstandslos gefallen läßt, wird für tiefer stehend als ein Hund gehalten. Man hatte den vier Jägern bis jetzt die Waffen gelassen. Old Shatterhand rief seinen Gefährten einige Worte zu, worauf dieselben niederknieten und ihre Gewehre anlegten. Er selbst schoß den Bärentöter ab, dessen Knall das Geheul übertönte, und legte dann den Stutzen an die Wange. Sofort trat tiefes Schweigen ein.

„Was ist das?“ rief er so laut, daß alle es hörten. „Sind wir gezwungen worden, mit euch zu reiten, oder haben wir es freiwillig gethan? Wie können die roten Männer uns als Gefangene behandeln? Ich habe mit dem „großen Wolfe“ die Pfeife der Beratung geraucht und bin einverstanden gewesen, daß die Krieger der Utahs sich miteinander besprechen, ob wir als Feinde oder Freunde behandelt werden sollen. Diese Besprechung hat noch nicht stattgefunden. Selbst wenn die Utahs uns als Feinde betrachten wollten, sind wir doch nicht ihre Gefangenen. Und selbst wenn wir gefangen wären, würden wir nicht dulden, daß man die Frauen und Mädchen um uns wie um feige Coyoten tanzen läßt. Wir sind nur vier Krieger, und die Männer der Utahs zählen nach Hunderten; dennoch frage ich, welcher von euch es wagen will, Old Shatterhand zu beleidigen. Er mag vortreten und mit mir kämpfen, wenn ich ihn nicht für einen Feigling halten soll! Nehmt euch in acht! Ihr habt mein Gewehr gesehen und wißt, wie es schießt. Sobald es den Frauen einfällt, den Tanz der Beleidigung wieder zu beginnen, werden wir unsre Flinten sprechen lassen, und dieser Platz wird von dem Blute derer gerötet werden, welche so treulos sind, die Pfeife der Beratung, welche allen tapfern roten Kriegern heilig ist, nicht zu achten!“

Der Eindruck dieser Worte war ein großer. Daß der berühmte Jäger es wagte, einer solchen Übermacht gegenüber Drohungen auszusprechen, erschien den Roten ganz und gar nicht als ein wahnsinniges Beginnen; es imponierte ihnen. Sie wußten, daß seine Worte nicht leere Reden seien, sondern daß er sie zur Wahrheit machen werde. Die Frauen und Mädchen zogen sich, ohne einen Befehl dazu erhalten zu haben, zurück. Die Männer flüsterten einander halblaute Bemerkungen zu, wobei am deutlichsten die Worte „Old Shatterhand“ und „das Gewehr des Todes“ zu hören waren. Es traten einige mit Federn geschmückte Krieger zu dem „großen Wolfe“ und sprachen mit ihm; dann näherte sich dieser der noch immer im Anschlage sich befindenden Gruppe der vier Jäger und sagte in der Sprache der Utahs, deren sich Old Shatterhand auch bedient hatte: „Der Häuptling der Yampa-Utahs ist nicht treulos; er achtet das Calumet der Beratung und weiß, was er versprochen hat. Morgen, wenn es Tag geworden ist, wird über das Schicksal der vier Bleichgesichter entschieden werden, und bis dahin sollen sie in dem Zelte bleiben, welches ich ihnen jetzt anweisen werde. Die beiden andern aber sind Mörder und haben mit meinem Versprechen nichts zu thun; sie werden sterben, wie sie gelebt haben – triefend vom Blute. Howgh! Ist Old Shatterhand mit diesen meinen Worten einverstanden?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte. „Doch verlange ich, daß unsre Pferde in der Nähe unsres Zeltes bleiben.“

„Auch das will ich erlauben, obgleich ich nicht einsehe, aus welchem Grunde Old Shatterhand diesen Wunsch ausspricht. Denkt er etwa, entfliehen zu können? Ich sage ihm, daß ein vielfacher Ring von Kriegern sein Zelt umgeben wird, so daß er unmöglich entkommen kann.“

„Ich habe versprochen, das Ergebnis eurer Beratung abzuwarten; du brauchst uns also keine Wächter zu stellen. Wenn du es dennoch thun willst, so habe ich nichts dagegen.“

„So kommt!“

Als die vier dem Häuptlinge nun folgten, bildeten die Indianer eine Gasse und betrachteten, als Old Shatterhand durch dieselbe schritt, ihn mit scheuen, ehrfurchtsvollen Blicken. Das Zelt, welches den Weißen angewiesen wurde, war der größten eines. Mehrere Lanzen steckten zu beiden Seiten des Einganges in der Erde, und die drei Adlerfedern, welche die Spitzen schmückten, ließen vermuten, daß es eigentlich die Wohnung des „großen Wolfes“ sei.

Die Thür wurde durch eine breite Matte gebildet, welche jetzt zurückgeschlagen war. Kaum fünf Schritte von ihr entfernt brannte ein Feuer, welches das Innere erleuchtete. Die Jäger traten hinein, legten ihre Gewehre ab und setzten sich nieder. Der Häuptling entfernte sich, doch schon nach kurzer Zeit kamen mehrere Rote, welche sich in angemessener Entfernung so um das Zelt niederließen, daß keine Seite desselben ohne scharfe Beobachtung blieb.

Nach wenigen Minuten trat eine junge Frau herein, welche zwei Gefäße vor den Weißen niedersetzte und sich dann wortlos entfernte. Das eine war ein alter Topf mit Wasser und das andre eine große, eiserne Pfanne, in welcher mehrere Fleischstücke lagen.

„Oho!“ schmunzelte der Hobble-Frank. „Das wird wohl unser Suppeh sein sollen. Een Wassertopp, das is nobel! Die Kerle schneiden off. Wir sollen vor Erschtaunen über ihre zivilisatorischen Küchengerätschaften die Hände über dem Koppe zusammenschlagen. Und Büffelfleesch, wenigstens acht Pfund! Sie werden’s doch nich etwa gar mit Rattengift eingerieben haben?“

„Rattengift!“ lachte der Dicke. „Woher sollten die Utahs solches Zeug bekommen? Übrigens ist das Fleisch von einem Elke und nicht von einem Büffel.“

„Weeßt du’s schon wieder besser als ich? Ich kann doch machen und sagen, was ich will, so kommst du mir derquere. Das hat niemals keene Besserung nich. Ich will mich aber heute nich mit dir schtreiten, sondern dir hiermit nur eenen extemporierten Blick zuwerfen, aus welchem du ersehen kannst, wie unendlich ich meine Persönlichkeit über deiner Pigmentgeschtalt erhaben fühle.“

„Pygmäengestalt,“ verbesserte Jemmy.

„Wirst du wohl gleich zwölf Sechsachtelakte schweigen!“ gebot der Kleine. „Bringe meine Galle nich in pneumatische Anschwellung, sondern widme mir die Hochachtung, welche ich infolge meines außerordentlichen Lebenslaufes mit vollem Rechte zu beanschpruchen habe! Denn nur unter dieser Bedingung kann ich mich so populär machen, diesem Braten den Segen meiner unleugbaren Kochkunstfertigkeet angedeihen zu lassen.“

„Ja, brate nur,“ nickte Old Shatterhand, um den Ärger des Kleinen abzulenken.

„Das is freilich bald gesagt. Wo aber nehme ich die Zwiebeln und die Lorbeerblätter her. Übrigens weeß ich noch nich, ob ich mit der Pfanne hinaus an das Feuer darf.“

„Versuche es.“

„Ja, versuchen! Wenn die Kerle es nich leiden wollen und mir eene Kugel in die Magengegend schicken, so is es für mich ganz egal, ob das Fleesch unter der Haut eenes Elkes oder Büffels gewachsen is. Aber Furcht gibt’s nich, solange man sich bei der richtigen Herzhaftigkeet befindet; feni, fidi, fidschi – ich gehe ’naus!“

Er trug die Pfanne mit dem Fleische an das Feuer und machte sich an demselben als Koch zu schaffen, ohne von den Wächtern gestört zu werden. Die andern blieben im Zelte sitzen und beobachteten durch die offene Thür das rege Thun und Treiben der Indianer.

Der Mond verbreitete jetzt fast Tageshelle. Sein Licht fiel auf einen nahen, dunkel bewaldeten Bergstock, von welchem sich ein breites, glitzerndes Silberband herniederschlängelte, ein Flüßchen oder starker Bach, welcher sich unten in ein ziemlich großes, fast seeartiges Wasserbecken ergoß. Der Abfluß dieses letzteren bildete den Wasserlauf, an dessen Ufer man in das Lager gekommen war. Büsche oder Bäume schien es in der Nähe nicht zu geben; die Umgebung des Sees war flach und offen.

An jedem Feuer saßen Indianer, welche ihren mit dem Braten des Fleisches beschäftigten Frauen zusahen. Zuweilen erhob sich einer oder der andre, um, langsam an dem Zelte vorübergehend, einen Blick auf die Weißen zu werfen. Von Knox und Hilton war nichts zu sehen und zu hören, doch durfte man vermuten, daß ihre Lage keineswegs eine für den Augenblick so befriedigende sei, wie diejenige Old Shatterhands und seiner Gefährten. Nach Verlauf einer Stunde kam Hobble-Frank mit der dampfenden Pfanne in das Zelt zurück; er setzte sie den Gefährten hin und sagte in sehr selbstbewußtem Tone: „Hier habt ihr eure Herrlichkeet. Ich bin neugierig, was ihr für Oogen machen werdet. Zwar fehlt das Gewürze, aber meine angeborene Talenthaftigkeet hat leicht darüber hinwegzukommen gewußt.“

„Auf welche Weise denn?“ fragte Jemmy, indem er sein kleines Näschen über die Pfanne hielt. Das Fleisch brodelte nicht nur, sondern es rauchte, und zwar nicht wenig; das Zelt war in Zeit von einigen Augenblicken von einem scharfen, brenzlichen Geruche erfüllt.

„Off eene so eenfache Weise, daß der Erfolg een wahres Wunder is,“ antwortete der Kleine. „Ich habe mal gelesen, daß Holzkohle nich nur das Salz ersetzt, welches uns hier fehlt, sondern sogar ooch solchem Fleesche, welches eene ziemliche Anrüchigkeet besitzt, den Hohguhgeruch benimmt. Unser Braten war mit eener sehr dissidenten Müffigkeet begabt und so habe ich denn zu dem erwähnten Mittel gegriffen und ihn in hölzerne Asche geschmort, was sehr leicht war, da wir ja Holzfeuer haben. Das Feuer is mir zwar dabei een bißchen mit in die Pfanne hineingeraten, aber gerade das wird, wie mir mein genialer Küchenverschtand mitteelt, von derjenigen knusperigen Wirkung sein, welche eenen gefühlvollen und wohlschmeckenden Menschen bei Tische in Exstasibilität versetzt.“

„O weh! Elkbraten in Holzasche! Bist du denn gescheit!“

„Rede doch keenen Äpfelsalat! Ich bin schtets gescheit. Das mußt du doch nu endlich wissen. Die Asche is een chemischer Gegner aller alchimistischen Unreenlichkeet. Genieße also diesen Elk mit dem dazu gehörigen Menschenverschtand; so wird er dir sehr gut bekommen und deiner Konschtitution diejenigen körperlichen und geistigen Kräfte verleihen, ohne welche der Mensch vom schnöden Unorganismus vollschtändig verschlungen wird.“

„Aber,“ meinte Jemmy kopfschüttelnd, „du sagst ja selbst, daß dir das Feuer in die Pfanne geraten ist. Das Fleisch hat gebrannt; es ist verdorben.“

„Rede nich, sondern kaue!“ fuhr Frank auf. „Es is höchst ungesund, beim Essen zu singen oder zu schprechen, weil dabei die unrechte Kehle offgeklappt wird und die Schpeise in die Milz anschtatt in den Magen kommt.“

„Ja, kauen, wer soll das Zeug kauen! Da, schau her! Ist das noch Fleisch?“

Er spießte mit dem Messer ein Stück an, hob es empor und hielt es dem Kleinen an die Nase. Das Fleisch war schwarz gebrannt und von einer dunkeln, fettigen Aschenlage umgeben.

„Natürlich is es Fleesch. Was soll es denn sonst sein!“ antwortete Frank.

„Aber schwarz, wie chinesische Tusche!“

„So beiß doch nur zu! Da wirscht du sofort dein Wunder schmecken!“

„Das glaube ich gern. Und diese Asche!“

„Die wird abgeputzt und abgewischt.“

„Das mache mir erst einmal vor!“

„Mit königlicher Leichtigkeet!“

Er langte sich ein Stück heraus und rieb es so lange an der ledernen Zeltwand hin und her, bis die Asche an derselben kleben geblieben war. „So muß man’s machen,“ fuhr er dann fort. „Dir aber fehlt’s schtets an der nötigen Fingerfertigkeet und Geistesgegenwart. Und nun sollst du sehen, wie delikat das schmeckt, wenn ich jetzt so een Endchen abbeiße und zwischen der Zunge zerdrücke. Das – –“

Er hielt plötzlich inne. Er hatte in das Fleisch gebissen, nahm die Zähne weit auseinander, behielt den Mund offen und sah seine drei Gefährten einen nach dem andern betroffen an.

„Nun,“ erinnerte Jemmy, „so beiße doch!“

„Beißen – – wie? Weeß der Kuckuck, das schnorpst und prasselt gerade wie – wie – wie, na, wie gebratene Scheuerbürschte. Sollte man das für menschenmöglich halten!“

„Das war vorauszusehen. Ich glaube, die alte Pfanne ist weicher als das Fleisch. Jetzt kannst du die Schöpfung deines Geistes selbst verzehren!“

„Oho! Es soll nich von mir gesagt werden, daß ihr meinetwegen hungern müßt. Wie wärsch denn, wenn mir’s klopften?“

„Versuche es!“ lachte Old Shatterhand. „Ich aber will sehen, ob wirklich alles verdorben ist.“

„Na, vielleicht is een Schtück da, welches noch nich ganz zu gar so großer Charakterfestigkeet gediehen is. Lassen Sie mich nur suchen; ich wisch die Asche ab!“

Es gab glücklicherweise einige Stücke, welche noch leidlich genießbar waren und für die vier Personen ausreichten; aber Frank war sehr kleinlaut geworden; er zog sich an eine dunkle Stelle zurück und that, als ob er schliefe. Doch hörte er alles, was gesprochen wurde und sah auch, was draußen im Lager vorging.

Morgen sollten Knox und Hilton am Marterpfahle sterben und die andern Weißen vielleicht ein gleiches Schicksal erfahren. Das gab für die Roten ein großes Fest, zu welchem sie zeitig gerüstet sein mußten. Darum legten sie sich nach dem späten Essen zur Ruhe; die Feuer verlöschten bis auf zwei, nämlich dasjenige an dem Zelte, in welchem sich Old Shatterhand mit seinen drei Gefährten befand, und dasjenige, an welchem Knox und Hilton mit ihren Wächtern lagen. Um das erstere hatte sich ein dreifacher Kreis von Roten gelagert und draußen vor dem Dorfe standen zahlreiche Posten. Ein Entkommen wäre, wenn nicht unmöglich, so doch schwer und sehr gefährlich gewesen.

Old Shatterhand hatte, um nicht während der ganzen Nacht die Augen der Roten auf sich zu haben, die Matte am Eingange herabgelassen. Nun lagen die Weißen im Dunkeln und gaben sich vergeblich Mühe, einzuschlafen.

„Wie wird es morgen um diese Zeit mit uns stehen!“ meinte Davy.

„Vielleicht haben uns da die Roten in die ewigen Jagdgründe befördert.“

„Wenigstens einen oder zwei oder drei von uns,“ antwortete Jemmy.

„Warum das?“ fragte Old Shatterhand.

„Ich denke, sie werden sich nicht an Sie wagen.“

„Also nur an euch? Hm! Was denkst du da von mir! Wir gehören zusammen und keiner von uns darf denken, sich von dem Schicksale der andern ausschließen zu können. Solltet ihr für den Tod bestimmt werden, so kann es mir nicht einfallen, mir das Leben bieten zu lassen. Wir würden in diesem Falle kämpfen bis auf den letzten Mann.“

„Aber Ihr habt ja versprochen, Euch nicht zu wehren.“

„Allerdings, und dieses Versprechen halte ich wörtlich. Aber ich habe nicht versprochen, nicht zu fliehen. Zu diesem letzteren würden wir wenigstens den Versuch machen und wer sich uns da in den Weg stellt, der trägt dann selbst die Schuld daran, daß er weggeräumt wird. Übrigens sind meine Sorgen ganz andrer Art, denn ich vermute, daß die Roten nicht direkt unsern Tod beschließen werden.“

„Sondern, daß sie uns freigeben?“

„Auch das nicht. Ihre Erbitterung gegen die Weißen ist so groß und, wie ich eingestehen muß, so gerecht, daß sie keinem gefangenen Bleichgesichte so mir nichts dir nichts die Freiheit schenken werden. Aber unsre Namen haben einen guten Klang bei ihnen, und außerdem haben sie Angst vor meinem Stutzen, den sie so fürchten, daß sie sich nicht einmal getrauen, ihn anzugreifen. Ich halte es also nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich, daß sie eine Ausnahme mit uns machen werden. Das heißt, sie werden uns nicht Leben und Freiheit schenken, sondern uns um dieselben kämpfen lassen.“

„Alle Teufel! Das wäre ja wunderbar schön. Das wäre ganz genau so, als ob sie uns direkt ermordeten, denn sie würden die Bedingungen so stellen, daß wir untergehen müßten.“

„Allerdings. Aber wir brauchen den Mut dennoch nicht zu verlieren. Der Weiße ist bei dem Roten in die Schule gegangen; er besitzt ebensoviel List und Gewandtheit wie dieser, und in Beziehung auf die Ausdauer ist er ihm überlegen. Diese Erfahrung haben wir alle gemacht, und sie wird uns nicht täuschen. Soll ich die Summa ziehen, so muß ich sagen, daß im offenen Nahekampf es drei Weiße mit vier Indianern aufnehmen, wenn nämlich die Waffen gleich sind und auch die Kräfte gleich stehen. Der kriegerische Stolz der Roten aber wird sie verhindern, uns eine zu große Überzahl gegenüber zu stellen. Thäten sie dies dennoch, so würden wir sie durch Spott veranlassen, es zurückzunehmen.“

„Aber,“ meinte Hobble-Frank, welcher bisher geschwiegen hatte, „die Perschpektive, die Sie uns da zeigen, is off keenen Fall beglückend. Diese Kerle werden uns die Geschichte natürlich so sauer wie möglich machen. Ja, Sie mit Ihrer Körperkraft und Elefantenschtärke haben gut lachen; Sie hauen, schlagen und schtoßen sich durch; aber wir andern drei unglücklichen Schwammerlinge, wir werden heute die letzten Freuden des Daseins genossen haben.“

„Wohl in Gestalt deines Elkbratens?“ fragte Jemmy.

„Fängste schon wieder an! Ich dächte, unsre Lage wäre eene derartige, daß du es unterlassen kannst, deinen besten Freund und Kampfgenossen noch so kurz vor seiner letzten Himmelfahrt zu Tode zu ärgern. Zersplittere mir mein Denkvermögen nich! Ich habe alle meine Gedanken scharf off unsre Rettung zu richten. Oder meenst du etwa, daß es ungeheuer edel- und ooch heldenmütig is, eenen dem hippologischen Gesichte geweihten Menschen vier Schtunden vor seinem komplimentären Tode durch schpottsüchtige Redensarten langsam abzumurxen?“

„Hippokratisch, nicht hippologisch, heißt das Gesicht,“ bemerkte Jemmy. Er brachte es nicht fertig, diese Verbesserung zu unterlassen, und der Kleine geriet darüber in einen solchen Zorn, daß er die Worte hervorstieß: „Höre, das is zu schtark; nu wird mirsch zu toll. Ich kann dich nur mit den Worten niederschmettern, welche Heinrich Heine in „Des Sängers Fluch“ bringt, nämlich:

„Du Wütrich teuflischer Natur,
Frech gegen Gott und Mensch und Tier,
Das Ach und Weh der Kreatur
Und deine Missethat an ihr
Hat polizeilich dich beordert
Und vor das Amtsgericht gefordert.“

„Da – nu weeßt du meine Meenung. Nimm sie dir zu Herzen, und drehe sie so lange in deinem Gemüte rum und num, bis du zur reuevollen Einsicht gelangst!“

„Aber, alter Frank, ich meine es ja gar nicht bös; ich muß dich als Freund doch aufmerksam machen, wenn du dich irrst. Ich will nicht haben, daß du dich blamierst.“

„So? Kann ich – ich – ich, nämlich ich, der Hobble-Frank aus Moritzburg, mich etwa wirklich irren und blamieren?“

„Ebenso wie jeder andre Mensch. Gerade auch der Reim, den du jetzt gebraucht hast, ist ein Beweis dafür. Erstens ist im Originale weder von der Polizei, noch von einem Amtsgerichte die Rede; zweitens ist das Gedicht nicht von Heine, sondern von Bürger, und drittens lautet seine Überschrift nicht „Des Sängers Fluch“, sondern „Der wilde Jäger“.“

„So so, i der Tausend! Was du nich alles weeßt oder wissen willst! Wenn du dich in dieser Weise an mich wagst, so kann ich dir nur sagen, daß meine Litteraturgeschichte nich von Blech is, sondern über jeder andern erhaben schteht. Durch deine Verdrehungen der wahrhaftigen Thatsachen und Unwahrscheinlichkeeten willst du mich selber zum wilden Jäger machen; aber das soll dir nich gelingen. Rede von jetzt an, was du willst, ich schpreche keen Wort mehr mit dir, sondern hülle mich dir gegenüber in die tiefste Verächtlichkeet. Wer Heine und Bürger verwechseln kann, noch dazu hier im indianischen Wigwam, dem sind alle Schterne untergegangen. Ich brachte dir schtets mein ganzes, reiches und exponiertes Seelenleben entgegen; aber ich habe mich schrecklich in dir geirrt. Deine Falschheet dreht mir das Zwergfell um; aber ich bin christlich geboren und akademisch erzogen und will es dir verzeihen. Aber unsre Freundschaft ist perdüh, und dein kaltes Temperament wird sich niemals wieder in den Schtrahlen meines Geistes sonnen dürfen. Ade, Jemmy, für immerdar! In diesem Oogenblicke verschwindet dein Planet in Nacht und Grauen. Requiriescat in panem!“

Er legte sich nieder und schloß die Augen. Auf der andern Seite ließ sich etwas hören, was wie ein leises, unterdrücktes Lachen klang; er beachtete es nicht. Die andern setzten das Gespräch nicht fort; es trat tiefe Ruhe ein, deren Stille nur zuweilen von dem Knistern des Feuers unterbrochen wurde.

Der Schlaf senkte sich nach und nach doch auf die müden Augenlider, welche sich erst dann wieder öffneten, als draußen laute Rufe erschollen und dann die Thürmatte geöffnet wurde. Ein Roter blickte herein und sagte: „Die Bleichgesichter mögen sich erheben und mit mir kommen.“

Sie standen auf, nahmen ihre Waffen und folgten ihm. Das Feuer war verlöscht, und die Sonne erhob sich über dem östlichen Horizonte. Sie warf ihre jungen Strahlen gegen den erwähnten Bergstock, daß das von demselben niederfließende Wasser wie flüssiges Gold funkelte und die Oberfläche des Sees wie eine polierte Metallscheibe erglänzte. Jetzt reichte der Blick weiter als am vorigen Abend. Die Ebene, in deren westlichen Teile der See lag, war ungefähr zwei englische Meilen lang und halb so breit und wurde rundum von Wald begrenzt. Im südlichen Teile befand sich das Lager, welches aus gegen hundert Zelten und Hütten bestand. Am Ufer des Sees weideten die Pferde; diejenigen der vier Jäger befanden sich in der Nähe ihres Zeltes; man hatte also die darauf bezügliche Forderung Old Shatterhands berücksichtigt.

Vor und zwischen den Hütten und Zelten standen oder bewegten sich rote Gestalten, welche all ihren kriegerischen Schmuck angelegt hatten, natürlich zur Feier des Todes der beiden gefangenen Mörder. Sie traten, als die vier Weißen vorübergeführt wurden, höflich zurück und hefteten auf die Gestalten derselben ihre Blicke mit einem Ausdrucke, welcher mehr prüfend und taxierend als feindselig genannt werden konnte.

„Was haben diese Kerle?“ fragte Frank. „Sie gucken mich ja an, ungefähr so wie man een Pferd betrachtet, welches man koofen will.“

„Sie prüfen unsern Körperbau,“ antwortete Old Shatterhand. „Das ist ein Zeichen, daß ich richtig vermutet habe. Unser wahrscheinliches Schicksal ist ihnen bereits bekannt. Wir werden um unser Leben kämpfen müssen.“

„Schön! Das meinige soll ihnen nich billig zu schtehen kommen. Jemmy, hast du Angst?“

Sein Zorn gegen den Dicken war verflogen; man hörte es seiner Frage an, daß er mehr an diesen als an sich selbst dachte.

„Angst habe ich nicht, aber besorgt bin ich, wie sich ganz von selbst versteht. Furcht würde uns nur schaden. Es gilt jetzt, so gefaßt und ruhig wie möglich zu sein.“

Außerhalb des Lagers waren zwei Pfähle in die Erde getrieben; in der Nähe standen fünf mit Federn geschmückte Krieger, der „große Wolf“ unter ihnen. Er trat den Weißen einige Schritte entgegen und erklärte: „Ich habe die Bleichgesichter holen lassen, damit sie Zeuge seien, wie die roten Krieger ihre Feinde bestrafen. Man wird sogleich die Mörder bringen, um sie am Pfahle sterben zu lassen.“

„Wir begehren das nicht zu sehen,“ antwortete Old Shatterhand.

„Seid ihr Feiglinge, daß ihr euch vor dem fließenden Blute entsetzt? Dann müssen wir euch als solche behandeln und brauchen euch mein Versprechen nicht zu halten.“

„Wir sind Christen. Wir töten unsre Feinde, wenn wir gezwungen sind, schnell; aber wir martern sie nicht.“

„Jetzt seid ihr bei uns und habt euch unsern Gebräuchen zu fügen. Wollt ihr das nicht thun, so beleidigt ihr uns und werdet dafür mit dem Tode bestraft.“

Old Shatterhand wußte, daß der Häuptling im Ernste sprach, und daß er sich mit seinen Gefährten in die größte Gefahr begab, wenn er sich weigerte, der Hinrichtung beizuwohnen. Darum erklärte er gezwungenermaßen: „Nun gut, wir werden bleiben.“

„So laßt euch bei uns nieder! Wenn ihr euch fügt, wird euch ein ehrenvoller Tod beschieden sein.“

Er setzte sich in das Gras, das Gesicht den Pfählen zugewendet. Die andern Häuptlinge thaten dasselbe, und die Weißen mußten sich fügen; dann ließ der „große Wolf“ einen weithin schallenden Ruf hören, welcher mit einem allgemeinen Triumphgeheul beantwortet wurde. Es war das Zeichen, daß das gräßliche Schauspiel beginnen solle.

Die Krieger kamen herbei und bildeten um die Pfähle einen Halbkreis, in dessen Innern die Häuptlinge mit den Weißen saßen. Dann näherten sich die Weiber und Kinder, welche sich den Männern gegenüber in einem Bogen aufstellten, so daß der Kreis geschlossen wurde.

Nun brachte man Knox und Hilton, welche so scharf gefesselt waren, daß sie nicht gehen konnten, sondern streckenweise getragen werden mußten. Die Riemen schnitten ihnen so tief in das Fleisch, daß Hilton stöhnte. Knox war still; er lag im Wundfieber und hatte soeben aufgehört zu phantasieren. Sein Anblick war schrecklich. Beide wurden in aufrechter Stellung an die Pfähle gebunden, und zwar mit nassen Riemen, welche sich beim Trocknen so zusammenziehen mußten, daß sie den Opfern einer grausamen Gerechtigkeit die ärgsten Schmerzen bereiteten.

Knoxens Augen waren geschlossen, und sein Kopf hing schwer auf die Brust herab; er hatte das Bewußtsein verloren und wußte nicht, was mit ihm vorging. Hilton ließ seine angsterfüllten Blicke umherschweifen. Als er die vier Jäger sah, rief er ihnen zu: „Rettet mich, rettet mich, Mesch’schurs. Ihr seid doch keine Heiden. Seid ihr denn gekommen, um uns eines so entsetzlichen Todes sterben zu sehen und euch an unsern Qualen zu weiden?“

„Nein,“ antwortete Old Shatterhand. „Wir befinden uns gezwungen hier, können auch nichts für euch thun.“

„Ihr könnt, ihr könnt, wenn ihr nur wollt. Die Roten werden auf euch hören.“

„Nein. Ihr seid allein schuld an eurem Schicksale. Wer den Mut zu sündigen hat, der muß auch den Mut haben, die Strafe auf sich zu nehmen.“

„Ich bin unschuldig. Ich habe keinen Indianer erschossen. Knox hat es gethan.“

„Lügt nicht! Es ist eine freche Feigheit, die Schuld auf ihn allein wälzen zu wollen. Bereut lieber Eure , damit ihr jenseits Vergebung findet!“

„Ich will aber nicht sterben; ich mag nicht sterben! Hilfe, Hilfe, Hilfe!“

Er brüllte so laut, daß es über die weite Ebene hinschallte, und zerrte dabei so an seinen Fesseln, daß ihm das Blut aus dem Fleische spritzte. Da stand der „große Wolf“ auf und gab mit der Hand ein Zeichen, daß er sprechen wolle. Aller Augen richteten sich auf ihn. Er erzählte in der kurzen, kräftigen und doch schwunghaften Weise eines indianischen Redekünstlers, was geschehen war, und schilderte das verräterische Gebaren der Bleichgesichter, mit denen man im Frieden gelebt hatte, und welche nicht beleidigt worden waren, mit Worten, welche einen so tiefen Eindruck auf die Roten machten, daß diese mit den Waffen zu rasseln und zu klirren begannen. Dann erklärte er, daß die beiden Mörder zum Tode am Marterpfahle verurteilt seien und die Hinrichtung nun beginnen werde. Als er geendet und sich niedergesetzt hatte, erhob Hilton nochmals seine Stimme, um Old Shatterhand zur Fürbitte zu bewegen.

„Nun gut, ich will es versuchen,“ antwortete dieser. „Kann ich nicht den Tod abwenden, so erreiche ich doch so viel, daß derselbe ein schneller und nicht so qualvoller wird.“

Er wendete sich an die Häuptlinge, hatte aber noch nicht den Mund zum Sprechen geöffnet, als der „große Wolf“ ihn zornig anfuhr: „Du weißt, daß ich die Sprache der Bleichgesichter spreche und also verstanden habe, was du diesem Hunde dort versprochen hast. Habe ich nicht genug gethan, indem ich dir so günstige Bedingungen stellte? Willst du gegen unser Urteil sprechen und meine Krieger dadurch so erzürnen, daß ich dich nicht gegen sie zu beschützen vermag? Schweig also, und sage kein Wort! Du hast genug an dich selbst zu denken und solltest dich nicht um andre bekümmern. Wenn du die Partei dieser Mörder ergreifst, so stellst du dich ihnen gleich und wirst dasselbe Schicksal erleiden.“

„Meine Religion gebietet mir, eine Fürbitte zu thun,“ war die einzige Entschuldigung, welche der Weiße vorbringen durfte.

„Nach welcher Religion haben wir uns zu richten, nach der deinigen oder nach der unsrigen? Hat eure Religion es diesen Hunden geboten, uns im tiefsten Frieden zu überfallen, unsre Pferde zu rauben und unsre Krieger zu töten? Nein! Also soll eure Religion auch keinen Einfluß auf die Bestrafung der Thäter haben.“

Er wendete sich ab und gab mit der Hand ein Zeichen, worauf wohl ein Dutzend Krieger hervortraten. Dann drehte er sich wieder zu Old Shatterhand um und erklärte diesem: „Hier stehen die Anverwandten derer, welche ermordet wurden. Sie haben das Recht, die Strafe zu beginnen.“

„Worin soll dieselbe bestehen?“ erkundigte sich der Jäger.

„Aus verschiedenen Qualen. Zuerst wird man mit Messern nach ihnen werfen.“

Wenn bei den Roten ein Feind am Marterpfahle zu sterben hat, so suchen sie die Qualen möglichst zu verlängern. Die ihm beigebrachten Wunden sind erst nur sehr leicht und werden nach und nach schwerer. Gewöhnlich beginnt man mit dem Messerwerfen, welches in der Weise vorgenommen wird, daß hintereinander die verschiedenen Glieder und Körperstellen angegeben werden, welche von den Messern getroffen werden oder in denen dieselben stecken bleiben sollen. Man wählt diese Ziele so aus, daß nicht viel Blut vergossen wird, damit der Gemarterte nicht vorzeitig an Blutverlust stirbt.

„Der rechte Daumen!“ gebot der „große Wolf“.

Die Arme der Gefangenen waren in der Weise angebunden, daß die Hände frei hingen. Die hervorgetretenen Roten sonderten sich in zwei Abteilungen, die eine für Hilton und die andre für Knox. Sie nahmen einen Abstand von zwölf Schritten und standen hintereinander. Der Voranstehende nahm sein Messer in die erhobene Rechte, zwischen die ersten drei Finger, zielte, warf und traf den Daumen. Hilton stieß einen Schmerzensschrei aus. Knox wurde auch getroffen, doch war seine Ohnmacht so tief, daß er nicht erwachte.

„Den Zeigefinger“, befahl der Häuptling.

In dieser Weise gab er der Reihe nach die Finger an, welche getroffen werden sollten und auch wirklich mit erstaunlicher Genauigkeit getroffen wurden. Hatte Hilton erst einen einzelnen Schrei ausgestoßen, so brüllte er jetzt unausgesetzt. Knox erwachte erst, als seine linke Hand zum Ziele genommen wurde. Er stierte wie abwesend um sich, schloß dann die blutunterlaufenen Augen wieder und ließ ein ganz unmenschliches Geheul hören. Er hatte gesehen, was man mit ihm begann; das Fieber ergriff ihn wieder, und beides, Delirium und Todesangst, entrissen ihm Laute, für welche man eine menschliche Stimme gar nicht geeignet halten sollte.

Unter dem unausgesetzten Gebrülle beider wurde die Exekution fortgesetzt. Die Messer trafen die Handrücken, Handgelenke, die Muskeln des Unter- und des Oberarmes, und dieselbe Reihenfolge wurde in Beziehung auf die Beine eingehalten. Das währte ungefähr eine Viertelstunde und war der leichte Beginn der Quälung, welche stundenlang dauern sollte. Old Shatterhand und seine drei Gefährten hatten sich abgewendet. Es war ihnen unmöglich, die Scene mit den Augen zu verfolgen. Das Schreien mußten sie über sich ergehen lassen.

Ein Indianer wird von frühester Kindheit an in dem Ertragen körperlicher Schmerzen geübt. Er gelangt dadurch so weit, daß er die größten Qualen ertragen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Vielleicht sind die Nerven des Roten auch weniger empfindlich als diejenigen des Weißen. Wenn der Indianer gefangen wird und am Marterpfahle stirbt, so erträgt er die ihm zugefügten Schmerzen mit lächelndem Munde, singt mit lauter Stimme sein Todeslied und unterbricht dasselbe nur hie und da, um seine Peiniger zu schmähen und zu verlachen. Ein jammernder Mann am Marterpfahle ist bei den Roten eine Unmöglichkeit. Wer über Schmerzen klagt, wird verachtet, und je lauter die Klagen werden, desto größer wird die Verachtung. Es ist vorgekommen, daß gemarterte Weiße, welche sterben sollten, ihre Freiheit erhielten, weil sie durch ihre unmännlichen Klagen zeigten, daß sie Memmen seien, welche man nicht zu fürchten brauche und deren Tötung für jeden Krieger eine Schande sei.

Man kann sich da denken, welchen Eindruck das Gejammer Knoxens und Hiltons machte. Die Roten wendeten sich ab und ließen Rufe der Entrüstung und Verachtung hören. Als den Verwandten der ermordeten Utahs Genüge geschehen war und nun andre aufgefordert wurden, vorzutreten, und die Peinigung durch ein neues Mittel fortzusetzen, fand sich kein einziger Krieger bereit dazu. Solche „Hunde, Coyoten und Kröten“ wollte niemand berühren. Da erhob sich einer der Häuptlinge und sagte: „Diese Menschen sind nicht wert, daß ein tapferer Krieger Hand an sie legt; das sehen meine roten Brüder doch wohl ein. Wir wollen sie den Weibern überlassen. Wer von der Hand eines Weibes stirbt, dessen Seele nimmt in den ewigen Jagdgründen die Gestalt einer Frau an und muß arbeiten in alle Ewigkeit. Ich habe gesprochen.“

Dieser Vorschlag wurde nach kurzer Beratung angenommen. Die Frauen und Mütter der Ermordeten wurden aufgerufen; sie bekamen Messer, um den beiden dem Tode Geweihten leichte Schnitte zu versetzen, auch in der Reihenfolge, welche der „große Wolf“ anzugeben hatte.

Einem gesitteten Europäer wird es schwer, zu glauben, daß ein Weib sich zu solchen Grausamkeiten herbeilassen könne. Aber die Roten sind eben nicht zivilisiert, und hier bannte die Rache für den vielfachen Mord jede mildere Regung. Die Frauen, meist alte Weiber, begannen ihr Werk, und das Heulen und Jammern der beiden Weißen erhob sich von neuem, und zwar in einer Weise, daß es selbst den Ohren der Roten unerträglich wurde. Der „große Wolf“ gebot Einhalt und sagte: „Diese Memmen sind es auch nicht wert, nach dem Tode Frauen zu sein. Kein roter Mann wird raten, ihnen die Freiheit zu geben, denn ihre Schuld ist zu groß; sie müssen sterben; aber sie sollen die ewigen Jagdgründe als Coyoten betreten, welche ohne Aufhören gehetzt und verfolgt werden. Man übergebe sie den Hunden. Ich habe gesprochen.“

Es begann eine Beratung, deren Ergebnis Old Shatterhand voraussah und mit Grauen erwartete. Er war so kühn, eine Fürbitte zu wagen, wurde aber in einer Weise abgewiesen, daß er froh war, nicht noch Schlimmeres davongetragen zu haben. Der Beschluß wurde ganz nach dem Antrage des „großen Wolfes“ gefaßt. Einige Rote entfernten sich, um die Hunde zu holen. Der Häuptling wendete sich zu den vier Weißen: „Die Hunde der Utahs sind auf die Bleichgesichter dressiert; sie thun ihnen nichts; sie werfen sich erst dann auf sie, wenn sie gehetzt werden; dann aber zerreißen sie jeden Weißen, welcher sich in der Nähe befindet. Ich werde euch also fortbringen und in einem Zelte bewachen lassen, bis die Tiere wieder angebunden sind.“

Auf seinen Befehl wurden die vier in ein nahes Zelt gebracht und dort von mehreren Indianern bewacht. Es war ihnen gerade so zu Mute, als ob sie selbst für die Gebisse der Bestien bestimmt seien. Die beiden Mörder hatten den Tod verdient; aber von Hunden zerrissen werden, das war ein gräßliches Ende.

Draußen herrschte wohl zehn Minuten lang eine Stille, welche nur zuweilen von dem Jammer Hiltons, der sein Schicksal noch nicht kannte, unterbrochen wurde. Dann hörte man lautes, hastiges Bellen, welches in ein blutdürstiges Geheul überging; zwei menschliche Stimmen kreischten in fürchterlicher Todesangst auf; dann wurde es wieder still.

„Horch!“ sagte Jemmy. „Ich höre Knochen krachen. Ich glaube gar, man läßt die beiden von den Hunden fressen.“

„Möglich, aber ich glaube es nicht,“ antwortete Old Shatterhand. Das Krachen lebt nur in deiner Einbildung. Auch die meinige ist ungewöhnlich aufgeregt. Wohl uns, daß wir nicht gezwungen waren, die Scene mit anzusehen!“

Jetzt wurden sie wieder aus dem Zelte gelassen, um nach dem Richtplatze zurückgeführt zu werden. Weiter drin, im Innern des Lagers, sah man vier oder fünf Rote gehen, welche die Hunde an starken Riemen zurückzubringen hatten. Ob die Tiere die Spuren der Weißen gewittert hatten – – einer der Hunde war kaum fortzuzerren; er sah sich um und erblickte die vier Jäger; mit einem gewaltigen Rucke riß er sich los und kam herbeigestürzt. Ein allgemeiner Schreckensschrei erscholl; der Hund war so groß und stark, daß es für einen Menschen ganz unmöglich schien, es mit ihm aufzunehmen. Und doch wollte keiner der Indianer auf ihn schießen, da das Tier ein sehr wertvolles war. Jemmy legte sein Gewehr an und zielte.

„Halt, nicht schießen,“ gebot Old Shatterhand. „Die Roten könnten uns den Tod dieses prächtigen Hundes übelnehmen, und ich will ihnen zugleich zeigen, was die Faust eines weißen Jägers vermag.“

Diese Worte waren hastig hervorgestoßen. Es geschah überhaupt alles weit schneller, als es erzählt oder beschrieben werden kann, denn der Hund hatte die ganze Strecke in wahrhaft pantherähnlichen Sprüngen in nicht mehr als zehn oder zwölf Sekunden zurückgelegt. Old Shatterhand trat ihm mit einer schnellen Bewegung entgegen, die Hände niederhaltend.

„Du bist verloren!“ schrie ihm der „große Wolf“ zu.

„Warte es ab!“ antwortete der Jäger.

Jetzt war der Hund da. Er hatte den zähnebewehrten Rachen weit geöffnet und warf sich mit raubtierartigem Schnaufen auf den Gegner. Dieser hielt die Augen fest auf diejenigen des Tieres gerichtet; als dasselbe zum Sprunge ansetzte, und sich bereits in der Luft befand, warf er sich ihm mit schnell ausgespreizten Armen entgegen – ein gewaltiger Zusammenprall von Hund und Mensch – Old Shatterhand schlug die Arme über dem Nacken des Tieres, welches nach seiner Gurgel gezielt hatte, zusammen und drückte den Kopf des Hundes so fest gegen sich, daß dieser nicht zu beißen vermochte. Ein noch festerer Druck, und dem Hunde ging der Atem aus; seine kratzenden Beine fielen schlaff nach unten. Mit einer schnellen Bewegung riß der Jäger den Kopf der Bestie mit der linken Hand von sich ab – ein Schlag mit der rechten Faust auf die Schnauze, dann schleuderte er ihn von sich.

„Da liegt er,“ rief er, sich umdrehend, dem Häuptling zu. „Laßt ihn anbinden, damit er, wenn er erwacht, nicht Unheil anrichtet.“

„Uff, ugh, ugh, uff!“ erscholl es von den Lippen der erstaunten Roten. Das hätte keiner von ihnen gewagt; das hätten sie nicht für möglich gehalten. Der „große Wolf“ gab den Befehl, das Tier fortzuschaffen, trat zu Old Shatterhand und sagte in aufrichtig bewunderndem Tone: „Mein weißer Bruder ist ein Held. Anstatt sich von dem Bluthunde niederreißen und zerfleischen zu lassen, hat er ihn zu Boden geschlagen. Die Füße keines Roten hätten so fest gestanden, und die Brust keines andern Menschen hätten diesen Zusammenprall ausgehalten; ihm wären die Rippen eingedrückt worden. Warum ließ Old Shatterhand nicht schießen?“

„Weil ich euch nicht um dieses prächtige Tier bringen wollte.“

„Welche Unvorsichtigkeit! Wenn es dich nun zerrissen hätte!“

„Pshaw! Old Shatterhand wird von keinem Hunde zerrissen! Was gedenken die Krieger der Utahs nun zu thun?“

„Sie werden über euch beraten, denn die Zeit dazu ist gekommen. Wollen die Bleichgesichter nicht um Mitleid bitten?“

„Mitleid? Bist du toll? Frage mich doch lieber, ob ich geneigt bin, Mitleid mit euch zu haben!“

Der Häuptling führte ihn mit einem Blicke, in welchem ebensowohl Erstaunen als Bewunderung lag, zur Seite, wo die vier Weißen sich außerhalb des Kreises der Roten niedersetzen sollten, um die Beratung nicht belauschen zu können. Dann verfügte er sich nach dem Platze, welchen er schon vorher eingenommen gehabt hatte.

Die Augen der Jäger richteten sich natürlich nach den beiden Pfählen. Dort hingen die zerfleischten Körper und Glieder der Mörder an den von den Hunden vielfach zerrissenen Riemen nieder, ein wirklich grauenhafter Anblick.

Nun begann die entscheidende Sitzung, welche ganz in indianischer Weise abgehalten wurde. Erst sprach der „große Wolf“ eine lange Zeit; dann folgten die Häuptlinge einer nach dem andern; der Wolf begann wieder, die andern auch; gewöhnliche Krieger durften nicht sprechen; sie standen ehrfurchtsvoll lauschend im Kreise. Der Indianer ist wortkarg; aber bei Beratungen spricht er gern und viel. Es gibt Rote, welche als Redner eine ganz bedeutende Berühmtheit erlangt haben.

Die Beratung nahm wohl zwei Stunden in Anspruch, eine lange Zeit für diejenigen, deren Schicksal von dem Erfolge derselben abhängig war; dann kündete ein allgemein und laut gerufenes „Howgh!“ den Schluß der Sitzung an. Die Weißen wurden geholt; sie mußten in das Innere des Kreises treten, um dort ihr Schicksal zu vernehmen. Der „große Wolf“ erhob sich von der Erde, um ihnen dasselbe zu verkündigen: „Die vier Bleichgesichter haben bereits gehört, weshalb wir die Kriegsbeile ausgegraben haben; ich will es ihnen nicht wiederholen. Wir haben geschworen, alle Weißen, welche in unsre Hände geraten, zu töten, und ich dürfte mit euch keine Ausnahme machen. Ihr seid mir hierher gefolgt, damit über euch beraten werde, und habt mir versprochen, keine Gegenwehr zu leisten. Wir wissen, daß ihr die Freunde der roten Männer seid, und darum sollt ihr nicht das Schicksal der andern Bleichgesichter, welche wir fangen werden, teilen. Diese kommen sofort an den Marterpfahl; ihr aber sollt um euer Leben kämpfen dürfen.“

Er machte eine Pause, welche Old Shatterhand zu der Frage benutzte: „Mit wem? Wir vier Personen gegen euch alle? Gut, ich bin einverstanden. Meine Todesflinte wird viele von euch in die ewigen Jagdgründe senden!“

Er erhob den Stutzen. Der Häuptling vermochte nicht ganz seinen Schreck zu verbergen; er machte eine schnelle, abwehrende Bewegung und antwortete: „Old Shatterhand irrt sich, jeder von euch soll einen Gegner haben, mit welchem er kämpft, und der Sieger hat das Recht, den Besiegten zu töten.“

„Damit bin ich einverstanden. Wer aber hat das Recht, unsre Gegner zu wählen, wir oder ihr?“

„Wir. Ich werde eine Aufforderung ergehen lassen, auf welche sich Freiwillige melden.“

„Und wie oder mit welchen Waffen soll gekämpft werden?“

„So, wie derjenige von uns, welcher sich meldet, bestimmt.“

„Ach! Nach unsern Wünschen werdet ihr euch also da nicht richten?“

„Nein.“

„Das ist ungerecht.“

„Nein, das ist gerecht. Du mußt bedenken, daß wir im Vorteile vor euch sind und also auch einen Vorteil zu verlangen haben.“

„Im Vorteile? Wieso?“

„So viele gegen vier.“

„Pshaw! Was sind alle eure Waffen gegen meine Todesflinte! Nur derjenige, welcher sich fürchtet, verlangt einen Vorteil vor dem andern.“

„Sich fürchtet?“ fragte der Wolf mit blitzenden Augen. „Willst du mich beleidigen? Willst du etwa behaupten, daß wir uns fürchten?“

„Ich sprach nicht von euch, sondern im allgemeinen. Wenn ein schlechter Läufer mit einem bessern um die Wette läuft, so pflegt er eine Vorgabe zu begehren. Indem du uns in das Nachteil versetzest, gibst du mir das Recht zu der Ansicht, daß du uns für bessere Krieger hältst, als ihr seid. Und das würde ich als Häuptling der Utahs nicht thun.“

Der „große Wolf“ blickte eine ganze Weile vor sich nieder. Er konnte dem Jäger nicht unrecht geben, mußte sich aber hüten, ihm beizupflichten; darum sagte er endlich: „Wir haben euch schon so viel Nachsicht erwiesen, daß ihr keine weitere verlangen dürft. Ob wir uns vor euch fürchten, werdet ihr beim Kampfe erfahren.“

„Gut; aber ich fordere ehrliche Bedingungen.“

„Wie meinst du das?“

„Du sagst, daß der Sieger das Recht habe, den Besiegten zu töten. Wie nun, wenn ich einen deiner Krieger besiege und töte, kann ich dann frei und sicher diesen Ort verlassen?“

„Ja.“

„Es wird mir niemand etwas thun?“

„Nein, denn du wirst nicht siegen. Es wird überhaupt keiner von euch siegen.“

„Ich verstehe dich. Ihr werdet eure Auswahl unter den Kriegern so treffen und die Art des Kampfes so bestimmen, daß wir unterliegen? Irre dich nicht! Es kann leicht anders kommen, als du denkst.“

„Wie es kommen wird, das weiß ich so genau, daß ich sogar noch eine Bedingung stelle, nämlich die, daß der Sieger alles Eigentum des Besiegten erhält.“

„Diese Bedingung ist sehr nötig, da sich sonst wohl niemand melden würde, der mit uns kämpfen wollte.“

„Hüte dich!“ fuhr der Häuptling auf; „du hast einfach nur zu sagen, ob ihr einverstanden seid oder nicht.“

„Und wenn wir es nicht sind?“

„So brecht ihr euer Versprechen, denn du hast gesagt, daß ihr keine Gegenwehr leisten wollt.“

„Ich halte mein Versprechen, aber ich will euer Wort, daß derjenige von uns, welcher aus dem Kampfe als Sieger hervorgeht, von euch als Freund betrachtet werden soll.“

„Ich verspreche es dir.“

„Rauchen wir die Pfeife des Friedens darüber!“

„Glaubst du mir nicht?“ rief der Wolf.

Old Shatterhand sah ein, daß er nicht so schroff auftreten dürfe, wenn er nicht auf die bisher errungenen Vorteile verzichten wolle; darum erklärte er: „Wohlan, ich glaube dir. Frage deine Krieger, wer sich melden will!“

Jetzt gab es eine große Bewegung unter den Indianern; sie gingen und wogten fragend und schreiend durcheinander. Old Shatterhand sagte zu seinen Gefährten: „Leider durfte ich die Saite nicht allzu straff anspannen, sonst wäre sie zerrissen. Ich bin mit den erhaltenen Bedingungen keineswegs zufrieden.“

„Wir müssen eben zufrieden sein, da wir keine bessern bekommen können,“ sagte der lange Davy.

„Ja, was mich betrifft, da habe ich keine Sorge. Die Roten haben eine solche Scheu vor mir, daß ich neugierig bin, ob sich ein Gegner für mich finden wird.“

„Ganz gewiß.“

„Wer?“

„Der „große Wolf“ selbst. Da kein andrer sich melden wird, muß er die Ehre seines Stammes retten. Er ist ein riesiger Kerl, ein wahrer Elefant.“

„Pah! Ich fürchte ihn nicht. Aber ihr! Man wird euch die gefährlichsten Gegner wählen und für jeden von uns eine Kampfesart bestimmen, von welcher man annimmt, daß er in derselben nicht bewandert ist. Zum Beispiel mit mir wird sich mein Gegner nicht in einen Faustkampf einlassen.“

„Warten wir es ab,“ meinte Jemmy.

„Jetzt ist alle Sorge und Angst vergeblich. Halten wir die Muskeln fest und die Augen offen!“

„Und den Verschtand helle und klar,“ fügte der Hobble-Frank hinzu. „Was mich betrifft, so bin ich so ruhig wie een Meilenzeiger im Schtraßengraben. Ich weeß gar nich, wie das kommt, aber es is wirklich wahr, daß mir nich im geringsten bange is. Diese Utahs sollen heut eenen sächsischen Moritzburger kennen lernen. Ich werde kämpfen, daß die Funken bis nach Grönland fliegen.“

Jetzt stellte sich die Ordnung unter den Roten wieder her. Der Kreis wurde wieder gebildet, und der „große Wolf“ brachte drei Krieger herbei, welche er als diejenigen vorstellte, die sich freiwillig gemeldet hatten.

„So bezeichne jetzt die Paare,“ bat Old Shatterhand.

Der Häuptling schob den ersten zu dem langen Davy hin und sagte: „Hier steht Pagu-angare, welcher mit diesem Bleichgesichte um sein Leben schwimmen will.“

Die Wahl war für die Roten gut getroffen. Dem langen, klapperdürren Davy war es anzusehen, daß er vom Wasser nicht leicht getragen wurde. Der Rote hingegen war ein Kerl mit runden Hüften, breiter, fleischiger Brust und starken Arm- und Beinmuskeln. Jedenfalls war er der beste Schwimmer des Stammes. Hätte sein Name dies nicht erraten lassen, so wäre es aus dem verächtlichen Blicke, den er auf Davy warf, zu ersehen gewesen.

Dann stellte der Häuptling einen hohen, sehr breitschulterigen Menschen, dessen Muskeln wie Wülste hervortraten, dem kleinen, dicken Jemmy gegenüber und sagte: „Dieser hier ist Namboh-avaht, welcher mit dem dicken Bleichgesichte ringen wird. Sie werden mit den Rücken gegeneinander zusammengebunden werden. Jeder erhält ein Messer in die rechte Hand, und wer den andern zuerst unter sich bringt, darf ihn erstechen.“

Der „große Fuß“ trug seinen Namen mit vollem Recht. Er hatte ungeheure Füße, auf welchen er wohl so fest stand, daß der kleine, dicke Jemmy vor Angst hätte davonrennen mögen.

Nun stand noch der dritte da, ein knochiger Kerl, fast vier Ellen lang, schmal, aber mit hochgewölbter Brust und ewig langen Armen und Beinen. Der Häuptling stellte ihn vor den Hobble-Frank hin und meinte dabei: „Und hier steht To-ok-tey, welcher bereit ist, mit diesem Bleichgesichte um das Leben zu laufen.“

Armer Hobble-Frank! Während dieser „springende Hirsch“ mit seinen Siebenmeilenbeinen zwei Schritte machte, mußte der Kleine zehn machen! Ja, die Roten waren außerordentlich auf ihren Vorteil bedacht gewesen. „Und wer kämpft mit mir?“ fragte Old Shatterhand.

„Ich,“ antwortete der „große Wolf“ in stolzem Tone, indem er seine Hünengestalt hoch aufrichtete. „Du glaubtest, wir fürchten uns; ich will dir zeigen, daß du dich irrtest.“

„Das ist mir lieb,“ antwortete der Weiße freundlich. „Ich habe meine Gegner bisher stets unter den Häuptlingen gesucht.“

„Du wirst unterliegen!“

„Old Shatterhand wird nicht besiegt!“

„Und Ovuts-avaht auch nicht! Wer könnte erzählen, daß er mich besiegt habe!“

„Ich werde es schon heute erzählen!“

„Und ich werde Herr deines Lebens sein!“

„Kämpfen wir nicht mit Redensarten, sondern mit der Flinte!“

Old Shatterhand sagte das in leicht ironischem Tone; er wußte, daß der Häuptling nicht darauf eingehen werde. Und wirklich antwortete dieser schnell: „Ich habe nichts mit deinem Todesgewehre zu schaffen. Zwischen uns soll das Messer und der Tomahawk entscheiden.“

„Ich bin auch dies zufrieden.“

„So wirst du in kurzem eine Leiche und ich werde im Besitze all deines Eigentums, auch des Pferdes, sein!“

„Ich glaube, daß mein Pferd deine Wünsche erregt; aber die Zauberflinte ist noch wertvoller. Was wirst du mit ihr beginnen?“

„Ich mag sie nicht, und auch kein andrer trägt Verlangen nach ihr. Sie ist zu gefährlich, denn wer sie berührt, der trifft seine besten Freunde. Wir werden sie tief in der Erde vergraben, wo sie verrosten und verfaulen mag.“

„So mag derjenige, welcher sie dabei berührt, sehr vorsichtig sein, sonst wird er böses Unheil über den ganzen Stamm der Yampa-Utahs bringen. Und nun sag, wann und in welcher Reihenfolge die Einzelkämpfe vor sich gehen sollen.“

„Erst soll geschwommen werden. Aber ich weiß, daß die Christen gern vor ihrem Tode geheimnisvolle Gebräuche befolgen. Ich will euch dazu diejenige Zeit geben, welche ihr Bleichgesichter eine Stunde nennt.“

Die Roten hatten den Kreis um die Weißen wohl nur deshalb wieder geschlossen, um alle deutlich sehen zu können, wie erschrocken die Bleichgesichter über die ihnen zuerteilten Gegner sein würden. Aber sie hatten nichts derartiges gesehen und gingen nun wieder auseinander. Man schien sich jetzt gar nicht um die Jäger zu bekümmern; aber diese wußten gar wohl, daß sie sehr scharf beobachtet wurden. Sie saßen bei einander und sprachen über die Chancen, welche ihnen bevorstanden. Dem langen Davy war die Gefahr am nächsten getreten, da er der erste war, welcher zu kämpfen hatte. Er machte zwar kein verzweifeltes, aber doch ein sehr ernstes Gesicht.

„Der „rote Fisch“!“ brummte er. „Natürlich hat dieser Halunke seinen Namen nur aus dem Grunde erhalten, weil er ein vorzüglicher Schwimmer ist.“

„Und aber du?“ fragte Old Shatterhand. „Ich habe dich zwar schwimmen sehen, aber nur beim Baden und bei Flußübergängen. Wie steht es mit deiner Fertigkeit?“

„Nicht allzugut.“

„O weh!“

„Ja, o weh! Ich kann nicht dafür, daß mein Korpus nur aus schweren Knochen besteht. Und ich glaube, meine Knochen haben ein noch viel größeres Gewicht als diejenigen eines jeden andern Menschenkindes.“

„Also mit der Schnelligkeit ist’s nichts. Hältst du denn aber aus?“

„Aushalten? Pah! So lange wie Ihr wollt. Kräfte habe ich ja genug; aber mit dem Vorwärtskommen hapert es. Ich werde meinen Skalp wohl hergeben müssen.“

„Das ist noch nicht so bestimmt zu sagen. Noch verliere ich nicht die Hoffnung. Hast du vielleicht auch schon auf dem Rücken geschwommen?“

„Ja, und da scheint es leichter zu gehen.“

„Allerdings macht man die Erfahrung, daß hagere und ungeübte Leute hinten besser schwimmen als vorn. Lege dich also auf den Rücken; nimm den Kopf recht tief und die Beine hoch; stoße recht regelmäßig und ausgiebig mit den Füßen aus, und hole stets nur dann Atem, wenn du die Hände unter den Rücken schlägst.“

„Well! Aber das kann nichts nützen, denn dieser „rote Fisch“ wird mich trotzdem ausstechen.“

„Vielleicht doch nicht, wenn mir meine List gelingt.“

„Welche?“

„Du mußt mit der Strömung schwimmen und er gegen dieselbe.“

„Ach, wäre das zu machen? Ist denn eine Strömung vorhanden?“

„Ich vermute es. Wenn sie fehlte, wärst du freilich verloren.“

„Wir wissen ja noch gar nicht, wo geschwommen werden soll.“

„Natürlich drüben auf dem See, welcher eigentlich nur ein Teich ist. Er ist länglichrund, fünfhundert Schritte lang und dreihundert breit, ungefähr, wie man von hier aus zu schätzen vermag. Das Berggewässer stürzt sich mit großem Gefälle hinein, und zwar, wie es scheint, nach dem linken Ufer hin. Das ergibt also eine Strömung, welche an diesem Ufer hingeht, drei Viertel um den See bis an den Ausfluß desselben. Laß mich nur machen. Wenn es menschenmöglich ist, werde ich es dahin bringen, daß du mit dieser Strömung den Gegner schlägst.“

„Das sollte ein Gaudium sein, Sir! Und ich setze den Fall, es gelänge mir, soll ich da den Kerl erstechen?“

„Hast du Lust dazu?“

„Er würde mich jedenfalls nicht schonen, schon um meines bißchen Hab und Gutes willen.“

„Das ist richtig. Aber auch ganz abgesehen davon, daß wir Christen sind, liegt es in unserm eigenen Vorteile, Milde walten zu lassen.“

„Schön! Aber was werdet Ihr thun, wenn er mich besiegt und mit dem Messer auf mich loskommt? Ich darf mich doch nicht wehren!“

„In diesem Falle werde ich es zu erzwingen wissen, daß mit dem Töten so lange gewartet wird, bis alle Einzelkämpfe zu Ende geführt sind.

„Well, das ist ein Trost selbst für den schlimmsten Fall, und ich bin nun beruhigt. Aber, Jemmy, wie steht es mit dir?“

„Nicht besser als mit dir,“ antwortete der Dicke. „Mein Gegner heißt „großer Fuß“. Weißt du, was das zu bedeuten hat?“

„Nun?“

„Er steht so fest auf den Füßen, daß ihn niemand niederbringt. Und ich, der ich um zwei Köpfe kleiner bin als er, soll das vermögen? Und Muskeln hat dieser Mensch wie ein Nilpferd. Was ist da mein Fett dagegen!“

„Nicht bange machen lassen, lieber Jemmy,“ tröstete Old Shatterhand. „Ich bin ja ganz in derselben Lage. Der Häuptling ist bedeutend höher und breiter als ich. aber an der Gewandtheit wird es ihm wohl mangeln. und ich möchte behaupten, daß ich auch mehr Muskelkraft besitze, als er.“

„Ja, Ihre Muskelkraft ist ein Phänomen, eine Ausnahme. Aber ich gegen diesen „Großfuß“! Ich werde mich wehren, solange ich es vermag, aber unterliegen werde ich dennoch. Ja, wenn es hier auch so eine Strömung, so eine List gäbe!“

„Die is ja da!“ fiel der Hobble-Frank ein. „Wenn ich’s mit diesem Florian zu thun hätte, so wär‘ mirsch gar nich angst.“

„Du? Du bist doch noch schwächer als ich!“

„Am Leibe, ja, aber nich am Geiste. Und mit dem Geiste muß man siegen. Verschtehste mich?“

„Was thu‘ ich mit dem Geiste gegen einen solchen Muskelmenschen!“

„Siehste, so biste! Alles und ooch schtets, alles weeßte besser als ich; aber wenn sich’s ums Leben und Schkalpieren handelt, so sitzest du da wie die Fliege in der Buttermilch. Du zappelst mit Händen und Füßen und kommst doch nich raus.“

„So schieße los, wenn du einen guten Einfall hast!“

„Einfall! Was das nu schon wieder für eene Rede is! Ich brauch‘ keenen Einfall, ich bin ooch ohne Einfälle schtets geistreich. Denke dich nur mal richtig in deine Lage hinein! Ihr zwee beede schtellt euch mit dem Rücken gegenenander, und man bindet euch über dem Bauche zusammen, grad wie das schöne Schternbild der siamesischen Zwillinge von der Milchschtraße herunter. Jeder kriegt een Messer in die Hand, und dann geht das Reitergefecht los. Wer den andern unter sich bringt, is Sieger. Wie aber kann man in eener solchen Schtellung den Gegner unter sich bringen? Doch nur dadurch, daß man ihm den Halt aus den Füßen nimmt, was dadurch geschehen kann, daß man ihn von hinten mächtig an die Waden tritt oder den Fuß um den seinen schlingt und diesen wegzureißen sucht. Habe ich recht oder nich?“

„Ja. Nur weiter.“

„Nur sachte! Das muß alles mit Bedacht geschehen und hat keene Eile. Gelingt das Experiment, so purzelt der Gegner off die Nase und man kommt off ihn zu liegen, aber nämlich leider mit dem Rücken off seinen Rücken, wobei man das europäische Gleichgewicht sehr leicht selber verlieren kann. Eegentlich müßtet ihr so zusammengebunden werden, daß ihr mit den Gesichtern gegenenander schteht. Ob die Roten mit dem umgekehrten Schtaatsverhältnisse irgend eene List verbinden, das kann ich jetzt noch nich durchschauen; aber so viel weeß ich genau, daß ihre Hinterlist dir nur Nutzen bringen wird.“

„Auf welche Weise denn? So rede doch nur endlich!“ drängte Jemmy.

„Herrjemerschneeh, ich rede doch schon eene ganze Viertelschtunde lang! So höre nur! Der Rote wird dich von hinten mit den Füßen treten, um dir das Been auszuheben und dich aus dem Gleichgewichte zu bringen. Das schadet dir gar nischt, denn bei der konfessabeln Schtärke deiner Waden fühlst du seine Tritte erscht vierzehn Monate hinterher. Jetzt wartest du eenen Oogenblick ab, an welchem er wieder schtößt und also nur off eenem Beene schteht. Da beugst du dich mit aller Gewalt nach vorne nieder, hebst ihn also off deinen Rücken, schneidest rasch den Schtrick oder Riemen entzwee, mit dem ihr zusammengebunden seid, und wippst ihn mit eenem schnellen Schwipps über deinen Kopf weg off die Erde runter. Dann aber oogenblicklich droff, den Kerl bei der Gurgel gepackt und ihm das Messer offs Herz gesetzt. Haste mich begriffen, alter Schneesieber?“

Old Shatterhand hielt dem Kleinen die Hand hin und sagte: „Frank, du bist kein übler Kerl. Das hätte ich wirklich nicht besser aussinnen können. Diese Anweisung ist ausgezeichnet und muß zum Ziele führen.“

Franks ehrliches Gesicht glänzte vor Entzücken, als er die ihm dargebotene Hand schüttelte und dabei sagte: „Schon gut, schon gut, liebster Obermeester! Off so etwas ganz und gar Selbstverschtändliches kann ich mir nich viel einbilden. Meine Meriten und Astern blühen wo ganz anders. Aber es is eben wieder mal een Beweis dafür, daß der Diamant von unvernünftigen Menschen oft für eenen Ziegelschteen gehalten wird. Darum denke – –“

„Kieselstein, nicht Ziegelstein,“ unterbrach ihn Jemmy. „Himmel, wäre das ein Diamant, welcher die Größe eines Ziegelsteines hätte!“

„Schweigste wohl gleich schtille, du alter, unverbesserlicher Krakehler! Ich rette dir mit meiner Geistesüberlegenheet das Leben, und du wirfst mir als Dank dafür meinen ungeschliffenen Ziegelschteen an den Kopp! Een schöner Kerl, wer solche Mucken hat! Haste denn mal eenen Diamanten gefunden?“

„Nein.“

„So rede doch nich von solchen Dingen!“

„Hast denn du einen gefunden?“

„Ja. Der Moritzburger Glaser hatte den seinigen verloren, und ich hob ihn von der Gasse off. Ich war damals een junger Mensch und bekam für meine Ehrlichkeet een Geschenk, welches ungeheuern Wert hatte. Der Glaser war nämlich zugleich Krämer und schenkte mir eene thönerne Tabakspfeife für zwee Pfennige und een halbes Päckchen Kraustabak für eenen Dreier. Das is mir unvergeßlich geblieben, und du siehst also, daß ich gar wohl von Diamanten schprechen kann. Wenn du nich endlich mal offhörst, dich so an mir zu reiben, so kann es leicht so weit kommen, daß ich dir meine Freundschaft offsage, und dann wirschte ja sehen, ob du ohne mich durch die Welt zu kommen vermagst. Hier is doch weder die Zeit noch der Ort zu Zank und Schtreit. Wir schtehn alle vor unserm letzten Lebenslichte und haben die heilige Verpflichtung, eener dem andern mit Rat und That beizuschtehen anschtatt uns zu ärgern. Wenn wir in eener Schtunde abgemurxt werden sollen, warum wollen wir uns da jetzt noch die kostbare Gesundheet schädigen und uns durch Grobheeten das Leben verkürzen? Ich dächte, es wäre nu endlich gerade Zeit, Verschtand anzunehmen.“

„Das ist vollständig richtig,“ stimmte Old Shatterhand bei. „Denken wir jetzt nur an die Kämpfe, welche uns bevorstehen. Jemmy wird wohl seine Sache machen; ich sehe es ihm an, daß ihm das Herz leicht geworden ist. Was aber wirst du anfangen, lieber Frank?“

„Lieber Frank!“ wiederholte der Kleine. „Wie schön akustisch das klingt! Es is doch wirklich was ganz andres, wenn man mit gebildeten Gentlemännern verkehrt! Was ich anfangen werde? Nu, loofen werde ich, was denn andres?“

„Das weiß ich wohl, aber du wirst zurückbleiben!“

„Das weeß ich wohl!“

„Du brauchst drei Schritte, wenn er einen macht!“

„Leider Gottes!“

„Es fragt sich aber, welche Strecke ihr zu durchlaufen habt, und ob du aushältst. Wie steht es mit dem Atmen?“

„Ganz vorzüglich. Ich habe eene Lunge wie eene Hummel; ich summe und brumme den ganzen Tag, ohne daß mir die Luft ausgeht. Loofen kann ich schon. Das habe ich als königlich sächsischer Forschtgehilfe lernen müssen.“

„Aber mit so einem langbeinigen Indianer kannst du es nicht aufnehmen!“

„Hm! Das fragt sich noch!“

„Er heißt der „springende Hirsch“; also ist Schnelligkeit seine Haupteigenschaft.“

„Wie er heeßt, das is mir Wurscht, wenn ich nur eher als er ans Ziel gelange.“

„Das aber wirst du eben nicht.“

„Oho! Warum nich?“

„Ich sagte es ja schon, und du gabst es zu. Vergleiche deine Beine mit den seinigen!“

„Ach so, die Beene! Sie denken also, es kommt off die Beene an?“

„Natürlich! Auf was soll es denn bei einem Wettlaufe, bei welchem es sich gar um Tod und Leben handelt, ankommen?“

„Off die Beene, ja, ooch mit, aber die sind noch lange nich die Hauptsache. Merschtenteels hat’s der Kopp zu entscheiden.“

„Der läuft doch nicht mit!“

„Freilich leeft er mit. Oder soll ich etwa meine Beene ganz alleene fortschpringen lassen und mit dem übrigen Korpus warten, bis sie wiederkommen? Das wäre eene gefährliche Geschichte. Wenn sie mich nich wiederfänden, könnte ich sitzen bleiben, bis mir neue gewachsen wären, und das soll nur bei den Krebsen geschehen. Nee, der Kopp muß mit, denn der hat die Hauptarbeit.“

„Ich begreife dich nicht!“ rief Old Shatterhand aus, ganz erstaunt über die Ruhe des Kleinen.

„Ich ooch nich, wenigstens jetzt noch nich. In diesem Momente weeß ich nur, daß een eenziger guter Gedanke besser is als een ganzes Hundert Schritte oder Schprünge, die am Ziele vorüberführen.“

„So hast du einen Gedanken?“

„Noch nich. Aber ich denke, wenn ich dem Jemmy eenen guten Rat habe geben können, so werde ich mich doch nich selber im Schtiche lassen. Jetzt weeß ich doch noch gar nich, wo geloofen werden soll. Wenn das entschieden is, dann werde ich wohl sehen, wo und wie das Häkchen anzunageln is. Lassen Sie sich’s nur um mich nicht bange werden! Es sagt mir eene innere Tenorschtimme, daß ich der Welt hier noch nich den Rücken kehre. Ich bin noch zu Großem geboren, und weltgeschichtliche Persönlichkeeten schterben niemals vor der Erfüllung ihrer Aufgabe und so abseits von den sanften Genüssen der Zivilisation.“

Jetzt kam der „große Wolf“ wieder mit den andern Häuptlingen herbei, um die Weißen aufzufordern, sich mit an den See zu begeben. Dort wimmelte es bereits von Menschen jeden Alters und Geschlechts, denn es sollte da der Schwimmkampf entschieden werden.

Als sie am Ufer anlangten, sah Old Shatterhand, daß er nicht falsch vermutet hatte; es gab eine bedeutende Strömung. Der See hatte beinahe die Gestalt einer Ellipse. Oben, an der einen Schmalseite, trat das Bergwasser ein und strömte erst der linken Lang-, dann der unteren Schmalseite entlang dem Ausflusse zu, welcher sich auf der rechten Langseite und gar nicht weit von dem Einflusse befand. Diese Strömung folgte also fast zu drei Vierteilen der Uferstrecke. Wenn sie für Davy benutzt werden konnte, war dieser vielleicht gerettet.

Die Frauen, Mädchen und Knaben verbreiteten sich weit am Ufer hin. Die Krieger ließen sich an der unteren Schmalseite nieder, denn dort sollte der Kampf beginnen. Aller Augen waren auf die beiden Interessenten gerichtet. Der „rote Fisch“ blickte stolz und selbstbewußt über das Wasser hin wie einer, welcher seiner Sache vollständig sicher ist. Auch Davy schien ruhig zu sein, aber er schluckte oft; sein Kehlkopf war in steter Bewegung. Wer ihn kannte, dem war das ein Zeichen innerer Erregung. Endlich wendete sich der „große Wolf“ zu Old Shatterhand: „Denkst du, daß wir beginnen sollen?“

„Ja, aber wir kennen die näheren Bedingungen noch nicht,“ antwortete der Gefragte.

„Die sollt ihr hören. Gerad hier vor mir steigen beide in das Wasser. Wenn ich mit einem Klatschen der Hände das Zeichen gebe, stoßen sie ab. Es wird einmal um den ganzen See geschwommen und die Schwimmer haben sich stets genau eine Manneslänge vom Ufer zu halten. Wer einbiegt, um den Weg zu kürzen, ist besiegt. Der, welcher zuerst hier ankommt, stößt den andern mit dem Messer nieder.“

„Gut! Aber nach welcher Seite schwimmen sie ab? Nach rechts oder links?“

„Links. Sie kehren dann von rechts her zurück.“

„Sollen sie nebeneinander schwimmen?“

„Natürlich!“

„Also mein Gefährte zur rechten und der „rote Fisch“ zur linken Hand?“

„Nein, umgekehrt.“

„Warum?“

„Weil derjenige, welcher links schwimmt, dem Ufer näher ist und also den weitesten Weg zurückzulegen hat.“

„So ist es falsch und ungerecht, sie beide nach derselben Richtung gehen zu lassen. Du liebst nicht den Betrug und wirst zugeben, daß es richtiger ist, wenn sie nach verschiedenen Seiten abgehen. Der eine schwimmt von hier aus am rechten, der andre am linken Ufer hin; oben begegnen sie sich, und dann kehrt jeder am gegenseitigen Ufer zurück.“

„Du hast recht,“ erklärte der Häuptling. „Aber welcher soll rechts, und welcher links?“

„Um auch hier gerecht zu sein, mag das Los entscheiden. Siehe, ich nehme hier zwei Grashalme auf, und die beiden Schwimmer wählen. Wer den längeren erhält, schwimmt nach links, wer den kürzeren, nach rechts.“

„Gut, so soll es sein. Howgh.“

Dieses letztere Wort wurde zu Davys Glück gesprochen, denn es zeigte an, daß an diesem Beschlusse nichts zu ändern sei. Old Shatterhand hatte zwei Halme gepflückt, aber so, daß sie von genau gleicher Länge waren. Er trat zuerst zu dem „roten Fisch“ und ließ diesen wählen; dann gab er Davy seinen Halm, knipp aber einen Augenblick vorher ein kleines Stückchen davon ab. Die Halme wurden verglichen; Davy hatte den kürzeren und mußte also nach rechts. Sein Gegner zeigte sich darüber nicht im mindesten zornig; er schien jetzt noch gar keine Ahnung von dem Nachteile zu haben, in welchem er sich befand. Aber desto heller war Davys Gesicht geworden. Er musterte die Wasserfläche und raunte Old Shatterhand zu: „Ich weiß nicht, wie ich zu dem kleinen Halm gekommen bin; aber er rettet mich, denn ich hoffe, daß ich eher anlange. Die Strömung ist stark und wird ihm zu schaffen machen.“

Er warf seine Kleider ab und stellte sich in das hier seichte Wasser. Der „rote Fisch“ that ebenso. Jetzt klatschte der Häuptling in die Hände – ein Sprung, beide befanden sich auf tieferer Stelle und ruderten auseinander, der Rote nach links und der Weiße längs des Ufers hin nach rechts. „Davy, halte dich schtramm!“ rief der Hobble-Frank dem Freunde nach.

Zunächst war kein großer Unterschied zwischen beiden zu bemerken. Der Indianer strich langsam aber weit und kraftvoll aus wie einer, welcher im Wasser zu Hause ist. Er blickte nur vor sich hin und hütete sich, sich nach dem Weißen umzusehen, weil er damit, wenn auch nur einen einzigen Augenblick, Zeit verloren hätte. Davy schwamm unruhiger, unregelmäßiger. Er war kein geübter Schwimmer und mußte erst in den richtigen, taktmäßigen Ausstrich kommen. Als sich dieser nicht bald einstellen wollte, legte er sich auf den Rücken, und nun ging es besser. Die Strömung war hier nicht mehr bedeutend, aber sie half ihm doch so vorwärts, daß er gegen den Roten nicht zurückblieb. Sie befanden sich jetzt beide auf den Langseiten des Sees.

Nun aber begann der Indianer einzusehen, daß der schwierigere Teil ihm zugefallen sei. Er hatte die ganze Seite des Sees bis hinauf an die Mündung des Bergbaches zu durchschwimmen, und bei jedem Striche, den er vorwärts that, fühlte er, daß die Strömung stärker wurde. Noch nahm er seine Kräfte zu Rate, bald aber sah man, daß er sich anstrengen mußte. Er stieß so kräftig aus, daß er bei jedem Stoße bis zur halben Brust aus dem Wasser kam.

Drüben bei Davy wurde die Strömung immer schwächer, aber sie hatte eine ihm günstige Richtung. Dazu kam, daß er sich mehr und mehr in die notwendigen Bewegungen fand. Er arbeitete regelmäßiger und bedächtiger. Er beobachtete den Erfolg jedes Stoßes und lernte schnell die falschen Bewegungen kennen. Darum verdoppelte sich seine Schnelligkeit, und bald war er dem Roten voraus, was diesen veranlaßte, seine Kräfte noch mehr anzustrengen, anstatt dieselben für die Überwindung der späteren, größeren Schwierigkeiten aufzusparen.

Jetzt näherte sich Davy dem Ausflusse. Die Strömung wurde stärker; sie wollte ihn ergreifen und mit sich fort aus der Bahn, aus dem See reißen. Er kämpfte schwer und kam gegen den Roten wieder zurück. Das war der Augenblick, auf welchen alles ankam.

Seine Gefährten standen am Ufer und sahen ihm in größter Spannung zu. „Der Rote holt ihn wieder ein,“ sagte Jemmy in ängstlichem Tone. „Er wird verlieren.“

„Wenn er sich nur noch drei Ellen weiter arbeitet,“ antwortete Old Shatterhand, „so hat er die Abströmung überwunden und ist gerettet.“

„Ja, ja,“ stimmte Frank bei. „Er scheint das einzusehen. Wie er schtößt und schtampft! Da, recht so, er kommt vorwärts; er is drüber weg. Halleluja, vivat hoch!“

Es war dem Langen gelungen, den Widerstand zu besiegen, und er kam nun in ruhiges Wasser. Bald hatte er die rechte Langseite hinter sich, während der Rote seine linke noch nicht zurückgelegt hatte, und bog nun auf der Schmalseite nach dem Bacheinflusse ein.

Der Rote sah das und arbeitete wie wahnsinnig, um sein Leben zu retten; aber jeder, auch der kräftigste Stoß, brachte ihn kaum eine Elle vorwärts, während Davy das doppelte Resultat erzielte. Jetzt erreichte der letztere die Einflußstelle. Die Wasser des Baches faßten ihn und rissen ihn mit sich fort. Er hatte noch das dritte Drittel seines Weges zurückzulegen, während der Indianer noch kaum sein erstes überwunden hatte. Beide schossen aneinander vorüber.

„Hurra!“ konnte Davy sich nicht enthalten zu schreien. Der Rote antwortete durch ein weithin hörbares wütendes Gebrüll.

Jetzt war es für Davy keine Anstrengung mehr, sondern eine Lust, zu schwimmen. Er brauchte nur leise zu rudern, um sich in der vorgeschriebenen Richtung zu halten. Nach und nach, je schwächer die Strömung wurde, mußte er wieder mehr Kraft anwenden, aber es ging so leicht, und es war ihm, als ob er all sein Leben lang nur immer geschwommen habe. Er erreichte die bestimmte Stelle des Ufers und stieg an das Land. Als er sich umdrehte, sah er, daß der Rote soeben den Ausfluß erreicht hatte und dort abermals mit der Strömung rang.

Ein kurzes, aber markerschütterndes Geheul der Roten erscholl; sie sagten damit, daß der „rote Fisch“ verloren habe und dem Tode geweiht sei. Davy aber fuhr eiligst zunächst in seine Kleider und dann auf seine Gefährten los, um sie, wie zu einem zurückgeschenkten Leben erwacht, zu begrüßen. „Wer hätte das gedacht!“ sagte er, indem er Old Shatterhand die Hände schüttelte. „Ich habe den besten Schwimmer der Utahs besiegt!“

„Durch einen Grashalm!“ antwortete der Jäger lächelnd.

„Wie haben Sie es angefangen?“

„Später davon. Es war eine kleine Künstelei, die aber kein Betrug zu nennen ist, da es die Rettung deines Lebens galt, ohne daß die Roten einen Schaden davon haben.“

„So is es!“ stimmte Frank bei, welcher unendlich glücklich über den Sieg seines Freundes war. „Dein Leben hat nich mal an eenem Schtroh-, sondern gar nur an eenem Grashalme gehangen. So is es ooch beim Wettloofen. Die Beene alleene thun es noch lange nich. Wer weeß, welcher Halm mir meine Rettung bringt. Ja, in den Beenen muß man’s ooch en bißchen haben, aber im Koppe noch viel mehr. Da schaut, hier kommt der Unglücksfisch!“

Der Indianer kam jetzt von rechts herbei, über fünf Minuten nach dem Weißen. Er stieg an das Land und setzte sich dort nieder, das Gesicht nach dem Wasser gewendet. Keiner der Roten blickte zu ihm hin; keiner bewegte sich; sie warteten, daß Davy dem Besiegten den Todesstoß gebe.

Da kam eine Squaw herbei, an jeder Hand ein Kind führend. Sie trat zu ihm. Er zog das eine Kind rechts, das andre links an sich, schob sie dann leise von sich, gab seinem Weibe die Hand und winkte ihr, sich zu entfernen. Dann suchte er mit dem Auge nach Davy und rief ihm zu: „Nani witsch, ne pokai – dein Messer, töte mich!“

Dem braven Langen traten fast die Thränen in die Augen. Er nahm das Weib mit den Kindern, schob sie ihm wieder zu und sagte halb englisch und halb im Utah, welches er nicht beherrschte: „No witsch – not pokai!“

Dann wendete er sich ab und trat zu den Gefährten zurück. Die Utahs hatten das gesehen und gehört. Der Häuptling fragte: „Warum tötest du ihn nicht?“

„Weil ich ein Christ bin. Ich schenke ihm das Leben.“

„Aber wenn er gesiegt hätte, wärest du von ihm erstochen worden!“

„Er hat nicht gesiegt und es also nicht thun können. Er mag leben.“

„Aber sein Eigentum nimmst du? Seine Waffen, seine Pferde, seine Frau und auch seine Kinder?“

„Fällt mir nicht ein! Ich bin kein Räuber. Er mag behalten, was er hat.“

„Uff, ich begreife dich nicht! Er hätte klüger gehandelt.“

Auch die andern Roten schienen ihn nicht zu begreifen. Die Blicke, welche sie auf ihn richteten, sagten deutlich, wie erstaunt sie über sein Verhalten waren. Keiner von ihnen hätte auf sein Recht verzichtet, und wenn hundert Menschenleben der Gegenstand desselben gewesen wären. Der „rote Fisch“ schlich davon. Auch er konnte nicht begreifen, warum der Weiße ihn nicht erstach und skalpierte. Er schämte sich, besiegt zu sein, und hielt es für das beste, sich unsichtbar zu machen.

Aber einen Dank gab es doch. Die Frau trat zu dem Langen und reichte ihm die Hand; sie hob auch die Hände der Kinder zu ihm empor und stammelte einige halblaute Worte, deren Sinn Davy zwar nicht verstand, sich aber leicht denken konnte.

Jetzt näherte sich „Namboh-avaht“, der „große Fuß“, dem Häuptlinge und fragte, ob er nun mit seinem Bleichgesichte beginnen könne. Der „große Wolf“ nickte und befahl, nach der dazu bestimmten Stelle aufzubrechen. Diese lag in der Nähe der beiden Marterpfähle. Dort wurde, wie gewöhnlich, ein weiter Kreis gebildet, in dessen Mitte der Häuptling den „großen Fuß“ führte. Old Shatterhand begleitete den dicken Jemmy hin. Er that dies aus dem Grunde, darüber zu wachen, daß keine Hinterlist gegen den Dicken in Anwendung komme.

Die beiden Kämpfer entblößten den Oberleib und stellten sich dann mit dem Rücken gegeneinander. Jemmys Kopf reichte nicht ganz bis an des Roten Schulter. Der Häuptling hatte einen Lasso in der Hand, mit dem er die beiden zusammenband. Der Riemen ging dem Roten über die Hüfte, dem Weißen aber über die Brust. Zufälligerweise und zum Vorteile des letzteren reichten die Enden des Lassos gerade so weit, daß der Häuptling die Schleife auf der Brust des Dicken machen mußte.

„Nun brauchst du den Riemen nicht zu zerschneiden, sondern bloß die Schleife aufzuziehen,“ sagte Old Shatterhand ihm in deutscher Sprache.

Jetzt bekam jeder sein Messer in die rechte Hand, und der Akt konnte beginnen. Da der Häuptling zurücktrat, so folgte Old Shatterhand seinem Beispiele.

„Schteh feste, Jemmy, und laß dich ja nich werfen!“ rief der Hobble-Frank.

„Du weeßt, wenn er dich erschticht, so bin ich für immerdar verwitwet und verwaist, und das wirscht du mir doch nich anthun wollen. Laß dich nur schtoßen, und schwipp ihn nachher tüchtig über!“

Auch der Rote bekam von verschiedenen Seiten aufmunternde Zurufe zu hören. Er antwortete: „Ich heiße nicht der „rote Fisch“, der sich besiegen läßt. Ich werde diese kleine, breite Kröte, welche mir am Rücken hängt, in wenigen Augenblicken erdrücken und zermalmen.“

Jemmy sagte gar nichts. Er schaute still und ernsthaft drein, bildete aber eigentlich hinter der Gestalt des Roten eine possierliche Figur.

Vorsichtigerweise hielt er das Gesicht seitwärts zurückgewendet, um die Fußbewegungen des Roten sehen zu können. Es lag nicht in seiner Absicht und auch nicht in seinem Interesse, den Kampf zu beginnen; er wollte das vielmehr dem Indianer überlassen.

Dieser stand lange Zeit still und unbeweglich; er wollte seinen Gegner mit einem plötzlichen Angriffe überrumpeln; aber das gelang ihm nicht. Als er vermeintlich ganz unvorhergesehen seinen Fuß nach hinten schob, um Jemmy ein Bein zu stellen, versetzte ihm dieser einen solchen Tritt gegen das andre, feststehende Bein, daß der Getroffene beinahe zu Fall gekommen wäre.

Nun aber folgte Angriff auf Angriff. Der Rote war stärker, aber der Weiße vorsichtiger und bedachtsamer. Der erstere geriet nach und nach in Wut über die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen; aber je mehr er tobte und mit den Füßen nach hinten stieß, desto ruhiger wurde der letztere. Der Kampf schien sich in die Länge zu ziehen; er verlor an Interesse, da auch nicht der kleinste Vorteil des einen oder des andern zu bemerken war. Aber desto schneller sollte das Ende kommen, nämlich durch eine verabredete Hinterlist des Indianers.

Dieser hatte durch sein bisheriges Verhalten nur bezweckt, seinen Gegner sicher zu machen. Der Weiße sollte denken, daß gar keine andre Art des Angriffes erfolgen könne und werde. Jetzt aber griff der Indianer in den Lasso, zog ihn scharf an, so daß er vorn Raum zu einer Wendung bekam, und drehte sich um – – doch nicht ganz.

Wäre ihm seine Absicht gelungen, so hätte er dem Weißen dann seine Vorderseite zugekehrt und ihn einfach niederpressen können; aber Jemmy war ein schlauer Patron und sehr auf seiner Hut. Auch der Hobble-Frank hatte die heimtückische Absicht des Roten sofort bemerkt und rief dem Dicken schnell zu: „Wirf ihn ab; er dreht sich um!“

„Weiß schon!“ antwortete Jemmy.

In demselben Augenblicke, in welchem er diese Worte sprach und an dem der Rote seine Umdrehung erst halb bewerkstelligt hatte und also keinen festen Halt besaß, bückte er sich schnell nieder, riß dadurch seinen Gegner empor und zog die Schleife auf. Der Lasso gab nach. Der Rote griff mit den Händen in die Luft und machte über Jemmys Kopf einen ganz regelrechten Purzelbaum auf die Erde nieder, wobei ihm sein Messer entfiel. Wie der Blitz so schnell kniete der Dicke auf ihm, faßte ihn mit der Linken bei der Kehle und setzte ihm mit der Rechten das Messer auf die Herzgegend. Vielleicht hatte der „große Fuß“ die Absicht gehegt, sich um keinen Preis zu ergeben, sondern sich in jedem Falle zu wehren, aber der Purzelbaum hatte ihn so verblüfft, und die Augen des Dicken funkelten so nahe und drohend vor seinem Gesichte, daß er es für das beste hielt, bewegungslos liegen zu bleiben. Da richtete Jemmy seinen Blick auf den Häuptling und fragte: „Gibst du zu, daß er verloren ist?“

„Nein,“ antwortete der Gefragte, indem er herbeitrat.

„Warum nicht?“ erkundigte sich sofort Old Shatterhand, indem er auch herbeikam.

„Er ist nicht besiegt.“

„Ich behaupte das Gegenteil: Er ist besiegt.“

„Das ist nicht wahr, denn der Lasso ist geöffnet.“

„Daran ist der „große Fuß“ selbst schuld, denn er hat sich umgedreht und dabei den Riemen aufgesprengt.“

„Das hat niemand gesehen. Laß ihn los! Er ist unbesiegt, und der Kampf hat von neuem zu beginnen.“

„Nein, Jemmy, laß ihn nicht los!“ gebot der Jäger. „Sobald ich es dir befehle, erstichst du ihn, oder sobald er es wagt, sich zu bewegen!“

Da richtete sich der Häuptling stolz auf und fragte: „Wer hat hier zu befehlen, du oder ich?“

„Du und ich, wir beide.“

„Wer sagt das?“

„Ich sage es. Du bist der Häuptling der Deinen, und ich bin der Anführer der Meinen. Du und ich, wir beide, sind einen Vertrag über die Bedingungen des Kampfes eingegangen. Wer diese Bedingungen nicht achtet, der hat den Vertrag gebrochen und ist ein Lügner und Betrüger.“

„Du – du wagst so zu mir zu sprechen, vor diesen vielen roten Kriegern?“

„Das ist kein Wagnis. Ich sage die Wahrheit und verlange Treue und Ehrlichkeit. Wenn ich nicht mehr sprechen darf, nun wohl, so wird das Gewehr des Todes reden.“

Er hatte den Kolben seines Stutzens an der Erde gehabt; jetzt nahm er ihn in sehr demonstrativer Weise empor.

„So sag, was wünschest du denn?“ fragte der Häuptling, bedeutend kleinlauter.

„Du gibst zu, daß diese beiden kämpfen sollten, mit dem Rücken gegeneinander stehend?“

„Ja.“

„Der „große Fuß“ aber hat den Lasso gelüftet und sich umgedreht. Ist das richtig? Du mußt es gesehen haben!“

„Ja,“ gestand der Häuptling zögernd.

„Ferner sollte derjenige sterben, den der andre unter sich zu liegen bekommen würde. Erinnerst du dich der Bedingung?“

„Ich kenne sie.“

„Nun, wer liegt unten?“

„Der „große Fuß“.“

„Wer ist also der Besiegte?“

„Er – – – „antwortete der Häuptling gezwungenermaßen, da Old Shatterhand den Stutzen so hielt, daß ihm die Mündung des Laufes fast die Brust berührte.

„Hast du etwas dagegen zu bemerken?“

Bei diesen Worten traf aus dem Auge des berühmten Jägers den Häuptling ein so großer, überwältigender Blick, daß er trotz seiner Riesengestalt sich klein fühlte und die erwartete Antwort gab: „Nein; der Besiegte gehört dem Sieger. Sage diesem, daß er ihn erstechen kann.“

„Das brauche ich ihm nicht erst zu sagen, denn er weiß es schon; aber er wird es nicht thun.“

„Will er ihm etwa auch das Leben schenken?“

„Darüber werden wir später entscheiden. Bis dahin mag der „große Fuß“ mit demselben Lasso gebunden werden, von welchem er sich losmachen wollte.“

„Warum ihn binden? Er wird euch nicht entfliehen.“

„Haftest du mir dafür?“

„Ja.“

„Womit?“

„Mit meinem ganzen Eigentum.“

„Das genügt. Er mag gehen, wohin er will, soll aber am Schlusse der noch bevorstehenden zwei Einzelkämpfe zu seinem Sieger zurückkehren.“

Jetzt stand Jemmy auf und legte seine Kleider wieder an. Auch der „große Fuß“ sprang empor und machte sich durch den Kreis der Roten Bahn, welche nicht wußten, ob sie ihm Verachtung zeigen sollten oder nicht.

Diese Utahs hatten überhaupt wohl noch nie erlebt, daß ein sich nicht einmal im Besitze der vollen Freiheit befindlicher Weißer in der Art wie dieser Old Shatterhand mit ihnen und ihrem Häuptling umgesprungen war. Er befand sich in ihrer Gewalt und doch getrauten sie sich nicht, ihm die Erfüllung dessen, was er begehrte, zu versagen. Das war die Macht seiner Persönlichkeit und die Wirkung des Nimbus, mit welchem die Geschichte und Sage ihn umgeben hatte.

Der Häuptling war jedenfalls darüber ergrimmt, daß bereits zwei seiner besten Krieger besiegt waren, und zwar von Gegnern, denen sie weit, weit überlegen geschienen hatten. Jetzt fiel sein Blick auf den Hobble-Frank und seine Stimmung wurde sofort eine bessere. Dieser kleine Kerl war ganz unmöglich im stande, den „springenden Hirsch“ einzuholen. Hier wenigstens war den Roten der Sieg gewiß.

Er winkte den „springenden Hirsch“ herbei, führte ihn zu Old Shatterhand und sagte: „Dieser Krieger besitzt die Schnelligkeit des Windes und ist noch von keinem andern Läufer übertroffen worden. Willst du deinem Gefährten nicht raten, daß er sich lieber ohne Kampf ergeben soll?“

„Nein.“

„Er würde schnell sterben, ohne Schande auf sich geladen zu haben.“

„Ist es nicht die allergrößte Schande, sich ohne Kampf zu ergeben? Hast du den „roten Fisch“ nicht auch für unüberwindlich gehalten, und sagte der „große Fuß“ nicht, daß er seinen Gegner, Kröte, in wenigen Minuten erdrücken und zermalmen werde? Meinst du, der „springende Hirsch“ werde glücklicher sein als sie, welche so stolz begannen und so still und bescheiden endeten und sich davonschlichen?“

„Uff!“ rief der „springende Hirsch“. „Ich laufe mit dem Reh um die Wette!“

Old Shatterhand betrachtete ihn jetzt genauer. Ja, er hatte den Bau eines guten Läufers, und seine Beine waren gewiß geeignet, ohne zu ermüden, große Strecken zurückzulegen. Aber die Menge seines Gehirnes schien nicht mit der Länge der Beine im Einklang zu stehen. Er hatte ein wahres Affengesicht, aber ohne daß von der Klugheit dieser Tiere ein Zeichen auf demselben zu entdecken gewesen wäre.

Der Hobble-Frank hatte sich auch genähert und den Hirsch betrachtet.

„Was hältst du von ihm?“ fragte ihn Old Shatterhand.

„Das is der leibhaftige dumme Junge von Meißen, wie er vor den Fettoogen schteht und die Brühe nich finden kann,“ antwortete der Kleine.

„Denkst du es mit ihm aufnehmen zu können?“

„Hm! Was seine Beene betrifft, so is er mir dreimal über; aber was den Kopp betrifft, so hoffe ich, ihm wenigstens nich unter zu sein. Wollen erscht zu erfahren suchen, off welcher Schtrecke wir loofen sollen. Vielleicht loofe ich mit dem Koppe besser und schneller, als er mit den Beenen.“

Old Shatterhand wendete sich also wieder zu dem Häuptlinge: „Ist es schon beschlossen, wo der Lauf um das Leben stattzufinden hat?“

„Ja. Komm, ich werde es dir zeigen.“

Old Shatterhand und der Hobble-Frank folgten ihm aus dem Kreise der Indianer hinaus; der „springende Hirsch“ blieb zurück; ihm war das Ziel bereits genannt worden. Der Häuptling zeigte nach Süden und sagte: „Siehst du den Baum, welcher auf dem halben Wege zwischen hier und dem Walde steht?“

„Ja.“

„Bis zu ihm soll gelaufen werden. Wer dreimal um ihn herumgeht und dann zuerst zurückkehrt, ist der Sieger.“

Der Hobble-Frank maß die Entfernung mit den Augen und auch das ganze fernere südwärts gelegene Terrain, und meinte dann in englischer Sprache, welche er bekanntlich weit reiner sprach als das Deutsche: „Aber ich hoffe, daß Ehrlichkeit zwischen beiden Teilen vorhanden ist!“

„Willst du sagen, daß du uns Unehrlichkeit zutraust?“ fragte der Häuptling scharf.

„Ja.“

„Soll ich dich niederschlagen?“

„Versuche es! Die Kugel meines Revolvers würde schneller sein als deine Hand. Hat sich vorhin nicht der „große Fuß“ umgedreht, obgleich es verboten war? Ist das ehrlich gehandelt?“

„Es war nicht unehrlich, sondern listig.“

„Ah! Und solche Listen sollen erlaubt sein?“

Der Häuptling besann sich. Sagte er ja, so war damit das Verhalten des „großen Fußes“ verteidigt, und vielleicht gab es jetzt für den „springenden Hirsch“ auch eine Veranlassung, zur List zu greifen. Diese Weißen leisteten weit mehr, als was man ihnen zugetraut hatte. Vielleicht war der kleine Kerl hier auch ein guter Läufer; da erschien es wohl geraten, seinem roten Gegner eine Zuflucht offen zu halten. Darum antwortete er: „List ist kein Betrug. Warum soll sie verboten sein?“

„Kann sie denn auch von der Erfüllung der Bedingungen entbinden?“

„Nein, denn diesen muß genau nachgekommen werden.“

„Dann erkläre ich mich einverstanden und bin bereit, den Lauf zu beginnen. Von welchem Punkte aus?“

„Ich werde eine Lanze in die Erde stoßen, wo sich der Anfangs- und auch der Endpunkt des Laufes befinden soll.“

Er entfernte sich für kurze Zeit, so daß die Weißen allein standen.

„Dir ist wohl ein Gedanke gekommen?“ fragte Old Shatterhand.

„Ja. Sehen Sie mir es an?“

„Allerdings, denn du lachst so still vergnügt vor dich hin.“

„Es is ooch ganz zum Lachen. Dieser Häuptling hat mir mit seiner List schaden wollen und mir ganz im Gegenteele den größten Dienst erwiesen.“

„Wieso?“

„Das sollen Sie gleich hören. Was für een Boom is das wohl, um den wir dreimal herumtanzen sollen?“

„Es scheint eine Buche zu sein.“

„Und sehen Sie ‚mal weiter nach links; da schteht ooch een Boom, aber fast zweemal so weit. Was is das für eener?“

„Eine Fichte.“

„Schön. Wohin also sollen wir loofen?“

„Nach der Buche.“

„Ich werde aber gerade nach der Fichte rennen.“

„Bist du toll!“

„Nee. Ich loofe eben mit dem Kopfe nach der Buche, mit den Füßen aber nach der Fichte, obgleich es dorthin doppelt so weit is.“

„Aber zu welchem Zwecke denn?“

„Das werden Sie dann sehen und sich darüber freuen. Ich gloobe, daß ich mich in meinen Erwartungen nich täusche. Wenn ich diesem „schpringenden Hirsche“ in die vordere Garnitur schaue, so scheint mir een Irrtum gar nicht möglich zu sein.“

„Sei vorsichtig, Frank! Es handelt sich um das Leben.“

„Na, wenn sich’s nur bloß ums Leben handelte, so brauchte ich mich gar nich anzuschtrengen. Wenn ich besiegt würde, so blieb ich dennoch leben. Der „große Fuß“ hat zu schterben, und den Häuptling werden Sie ooch zu Boden bringen; gegen diese beede könnte ich ja ausgelöst werden. Also um mein Leben ist es mir gar nich bange; aber es handelt sich um die Ehre und Reputation. Soll denn schpäter in der Geschichte des vierten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts zu lesen sein, daß ich, der Hobble-Frank aus Moritzburg, von so eenem indianischen Merinogesichte überschprungen worden bin? Das lasse ich mir nich nachsagen.“

„Aber, so erkläre mir wenigstens deine Absicht. Vielleicht kann ich dir einen guten Rat erteilen!“

„Danke ergebenst! Den Rat habe ich mir schon selbst gegeben und will meine Erfindungen ooch selber ausbeuten. Nur sagen Sie mir eens: Wie heeßt Fichte in der Utahsprache?“

„Ovomb.“

„Ovomb? Sonderbarer Name! Und wie würde der kurze Satz heeßen: nach jener Fichte?“

„Intsch ovomb.“

„Das is noch kürzer, zwee Worte bloß. Die werde ich nich vergessen.“

„Was hat denn dieses Intsch ovomb mit deinem Plane zu thun?“

„Es is der Leuchtschtern für meinen Dauerloof. Aber schtille jetzt; der Häuptling kommt!“

Der „große Wolf“ kam wieder. Er steckte eine Lanze in den weichen Grasboden und erklärte, daß der Todeslauf jetzt beginnen werde.

„In welcher Kleidung?“ fragte ihn der Hobble-Frank.

„Wie es euch beliebt.“

Frank entledigte sich aller Kleidungsstücke bis auf die Hosen; der „springende Hirsch“ trug jetzt nur einen Lederschurz. Er blickte auf seinen Gegner mit einem Gesichte, welches Verachtung ausdrücken sollte, aber das Ebenbild der göttlichsten Borniertheit war.

„Frank, gib dir Mühe!“ mahnte Jemmy. „Denke daran, daß Davy und ich gesiegt haben!“

„Weine nur nich!“ tröstete der Kleine. „Wennste noch nich wissen solltest, ob ich Beene habe oder nich, so wirst du sie jetzt protuberanzieren sehen.“

Da klatschte der Häuptling in die Hände. Einen schrillen Schrei ausstoßend, flog der „springende Hirsch“ davon, der kleine Frank hinter ihm her. Die Bewohner des ganzen Lagers waren wieder versammelt, um den Wettlauf anzusehen. Ihrer Ansicht nach war es schon jetzt, nach drei, vier Sekunden, gewiß, wer der Sieger sein werde. Der Hirsch war seinem Gegner schon weit voraus und gewann mit jedem weiteren Schritte größeren Vorsprung. Die Roten jubelten. Es wäre Wahnsinn gewesen, zu behaupten, daß der Weiße den Roten noch ein- oder gar überholen könne.

Geradezu wunderbar war’s, wie der Kleine seine Beinchen warf. Man sah sie fast nicht, so schnell bewegten sie sich, und doch hatte es, wenigstens für den genauen Beobachter, den Anschein, als ob er noch nicht alles leiste, sondern noch rascher laufen könne, wenn er wolle.

Da wurden die Indianer unruhig; sie ließen einzelne Ausrufe des Hohnes, der Schadenfreude hören; sie lachten und glaubten wirklich, alle Veranlassung dazu zu haben. Der Grund war folgender: Die Buche stand in schnurgerader Richtung von dem Lager aus mitten in der Prairie, wohl nicht ganz dreitausend Fuß entfernt. Links von ihr, aber wenigstens zweitausend Fuß weiter, stand die erwähnte Fichte, und jetzt, da die beiden Läufer sich in dazu genügender Entfernung befanden, sah man deutlich, daß der Kleine sich nicht die Buche, sondern die Fichte zum Ziele genommen hatte. Er rannte, was die Beinchen nur hergeben wollten, auf sie zu. Das war freilich so lächerlich, daß den Indianern ihre Heiterkeit verziehen werden konnte.

„Dein Gefährte hat mich falsch verstanden,“ rief der Häuptling Old Shatterhand zu.

„Nein.“

„Aber er rennt ja nach der Fichte!“

„Allerdings.“

„So wird der „springende Hirsch“ mit doppelter Schnelligkeit siegen!“

„Nein.“

„Nein?“ fragte der „große Wolf“ erstaunt.

„Es ist eine List, und du hast sie ihm selbst erlaubt.“

„Uff, uff! Jawohl, und uff, uff!“ riefen auch die andern Roten, als der Häuptling ihnen die Worte Old Shatterhands erklärte. Ihr Gelächter verstummte, und ihre Spannung verdoppelte, nein, verzehnfachte sich. In kurzer Zeit hatte der Hirsch die Buche erreicht. Er mußte sie dreimal umkreisen. Schon beim erstenmal sah er, zurückblickend, seinen Gegner in ganz andrer Richtung, wenn auch nur dreihundert Schritte entfernt. Er blieb ganz betroffen stehen und starrte den Moritzburger erstaunt an.

Da sah man vom Lager aus, daß der Kleine den Arm nach der noch so fernen Fichte ausstreckte; aber man konnte nicht hören, was er dabei sagte.

„Intsch ovomb, intsch ovomb – nach jener Fichte, nach jener Fichte!“ rief er nämlich dem Roten zu.

Dieser besann sich, ob er richtig gehört habe. Seine Gedanken reichten nicht weiter als zu der Erklärung, daß er den Häuptling falsch verstanden habe, und daß nicht die Buche, sondern die Fichte das Halbziel des Wettlaufes sei. Schon war der Kleine weiter, viel weiter fort; da galt kein Bedenken und kein Zögern; es ging ja ums Leben! Der Rote verließ die Buche und eilte weiter, auf die Fichte zu. In wenigen Augenblicken schoß er von weitem an dem Gegner vorüber und flog, ohne sich einmal umzusehen, seinem zweiten Ziele entgegen.

Das verursachte eine gewaltige Aufregung unter den Roten. Sie heulten und lärmten, als ob das Leben aller auf dem Spiele stehe. Desto größer war die Freude der Weißgesichter, und namentlich des dicken Jemmy, welche den Geniestreich ihres Kameraden so vortrefflich glücken sahen.

Dieser wendete, sobald der „springende Hirsch“ an ihm vorüber war, um und rannte auf die Buche zu. Dort angekommen, ging er drei-, vier-, fünfmal um den Stamm herum und trat dann in größter Eile den Rückweg an. Vier Fünfteile desselben legte er in scharfem Trabe zurück, dann blieb er halten, um sich nach der Fichte umzublicken. Dort stand der „springende Hirsch“ ganz unbeweglich. Natürlich konnte man weder die Hände und Arme oder gar das Gesicht desselben erkennen, aber es war deutlich zu sehen, daß er starr wie eine Bildsäule dastand. Er wußte nicht, woran er war, und sein Geist war nicht scharf genug, zu erraten, wie glorreich er genasführt worden.

Der Hobble-Frank fühlte sich im höchsten Grade befriedigt und legte die übrige Strecke seines Weges in gemütlichem Gange zurück. Die Indianer empfingen ihn mit finstern Blicken; er aber machte sich nichts daraus, trat zu dem Häuptlinge, schlug ihm auf die Schulter und fragte:

„Nun, altes Haus, wer hat gesiegt?“

„Wer die Bedingungen erfüllt hat,“ antwortete der Rote grimmig.

„Das bin ich!“

„Du?“

„Ja, bin ich nicht an der Buche gewesen?“

„Ich sah es.“

„Und zuerst wieder hier?“

„Ja.“

„Bin ich nicht fünfmal anstatt nur dreimal um den Baum gegangen?“

„Warum zweimal mehr?“

„Aus reiner Liebe zu dem „springenden Hirsche“. Als er einmal herum war, rannte er fort, und ich habe für ihn das Fehlende nachgeholt, damit die Buche sich nicht über ihn beklagen kann.“

„Warum verließ er sie, um nach der Fichte zu gehen?“

„Ich wollte ihn fragen; aber er rannte so schnell an mir vorüber, daß ich gar keine Zeit dazu fand. Wenn er kommt, wird er es dir vielleicht sagen.“

„Warum ranntest auch du erst nach der Fichte?“

„Weil ich glaubte, es sei eine Tanne. Old Shatterhand hatte den Baum eine Fichte genannt, und so wollte ich wissen, wer recht hatte.“

„Warum bist du umgekehrt und nicht vollends hingegangen?“

„Weil der „springende Hirsch“ hinging. Von ihm kann ich es hinterher ebensogut erfahren, wer sich geirrt hat, ob ich oder ob Old Shatterhand.“

Er sagte das alles im ruhigsten und unbefangensten Tone, den es geben kann. Im Innern des Häuptlings kochte es. Seine Worte kamen fast zischend über die Lippen, als er fragte: „Hast du etwa den „springenden Hirsch“ betrogen?“

„Betrogen? Soll ich dich niederschlagen?“ fuhr der Kleine scheinbar zornig auf, indem er sich der eigenen, früheren Worte des Häuptlings bediente.

„Oder hast du eine List angewendet?“

„List? Wozu hätte die dienen sollen?“

„Um den Hirsch nach der Fichte zu senden.“

„Das wäre eine schlechte List, deren ich mich schämen müßte. Ein Mensch, welcher um sein Leben läuft, läßt sich nicht vom Ziele aus noch so viel weiter schicken. Wenn er das thäte, so hätte er kein Gehirn, und diejenigen, zu denen er gehört, müßten sich schämen, ihn nicht besser geübt und erzogen zu haben. Nur ein Thor würde einen solchen Menschen mit einem Weißen um das Leben kämpfen lassen. Ich kann dich und deine Vermutungen nicht begreifen, da du durch dieselben deine eigene Ehre beleidigst.“

Die Hand des Häuptlings fuhr in den Gürtel und krampfte sich um den Messergriff. Am liebsten hätte er den ebenso mutigen wie listigen und vorsichtigen Kleinen augenblicklich erstochen; aber die Worte desselben gaben keine wirkliche Handhabe zur Beschönigung einer solchen That, und er mußte also seinen Grimm hinunterschlucken.

Der Hobble-Frank trat nun zu seinen Gefährten, von denen er mit stiller, aber desto herzlicherer Freude beglückwünscht wurde.

„Hab‘ ooch gesiegt, bist du mit mir zufrieden?“ fragte er Jemmy in Bezug auf die Ermahnung, welche dieser ihm mit auf den Weg gegeben hatte.

„Natürlich! Das hast du wirklich schlau angefangen. Es ist geradezu ein Meisterstück.“

„Wirklich? So nimm’s treulich in dein Gedächtnis auf, pagena hundertsechsunddreißig, und schlag dieses Blatt immer dann off, wenn dir die Alimentation kommt, an meiner Überlegenheet zu zweifeln! Da kommt der „schpringende Hirsch“, aber nich geschprungen, sondern geschlichen. Er scheint een böses Gewissen zu haben und drückt sich off die Seite, als ob er Prügel bekommen sollte. Seht nur sein Gesicht! Und mit diesem Confusius habe ich mich messen sollen! Ja, ja, die Beene thun’s nich, selbst beim Wettloofen nich, sondern merschtenteels der Kopp!“

Der Hirsch schien sich verschwinden lassen zu wollen; aber der Häuptling rief ihn zu sich und fuhr ihn an: „Wer hat gesiegt?“

„Das Bleichgesicht,“ lautete die furchtsame Antwort.

„Warum bist du nach der Fichte gelaufen?“

„Das Bleichgesicht log mich an. Es sagte, bei der Fichte sei das Ziel.“

„Und du glaubtest es? Ich hatte dir das Ziel genannt!“

Old Shatterhand übersetzte dem Hobble-Frank, daß er ein Lügner genannt worden sei. Darum verteidigte sich der verschmitzte Kleine, indem er sich an den Häuptling wendete: „Ich soll gelogen haben? Ich soll dem Hirsch gesagt haben, die Fichte sei sein Ziel? Das ist nicht wahr. Ich sah ihn an der Buche stehen; er betrachtete mich erstaunt und schien vor Angst und Sorge, was ich im Schilde führe, vergehen zu wollen. Da fühlte ich Mitleid mit dem Armen und rief ihm zu „Intsch ovomb!“ Ich sagte ihm also, daß ich nach der Fichte wolle. Warum er dann an meiner Stelle hingelaufen ist, das vermag ich nicht zu enträtseln; vielleicht weiß er es selber nicht. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Old Shatterhand mußte innerlich lachen, daß der kleine ironische Tausendsasa sich der indianischen Ausdrucksweise bediente. Den Häuptling aber brachte das in noch größeren Zorn, er rief: „Ja, du hast gesprochen und bist fertig; aber ich bin noch nicht fertig und werde mit dir sprechen, wenn nachher die Zeit gekommen ist. Wort halten aber muß ich. Das Leben, der Skalp und das Eigentum des „springenden Hirsches“ gehören dir.“

„Nein, nein!“ wehrte der Kleine ab. „Ich mag nichts haben. Behaltet ihn hier bei euch; ihr könnt ihn wohl gebrauchen, besonders wenn es einen Wettlauf mit einem Bleichgesichte um das Leben gilt.“

Unter den Roten ging ein leises, zorniges Murmeln um, und der Häuptling knirschte ihm zu: „Jetzt magst du noch giftige Reden speien; später wirst du um Gnade wimmern, daß es bis zum Himmel schallt. Jedes einzelne Glied deines Körpers soll besonders sterben, und deine Seele soll stückweise aus dir fahren, daß dein Sterben viele Monde währt.“

„Was könnt ihr mir thun? Ich habe gesiegt und bin also frei.“

„Noch ist einer da, der noch nicht gesiegt hat, Old Shatterhand. Warte einige Augenblicke, so wird er vor mir im Staube liegen und um sein Leben flehen. Ich werde es ihm gegen das deinige schenken, und dann bist du mein Eigentum.“

„Irre dich nicht!“ warnte Old Shatterhand ernst. „Noch liege ich nicht vor dir. Und wenn dir gelänge, was noch keinem gelungen ist, nämlich mich zu besiegen, so würde ich nicht mein Leben um dasjenige eines andern eintauschen.“

„Warte bis nachher! Jetzt bist du unverletzt; aber unter den Qualen, welche deiner warten, wird dein Stolz sich beugen und dein Sinn sich ändern, so daß du mir tausend Leben für das deinige bieten würdest, wenn du sie hättest! Kommt alle mit mir; es geht zum letzten, größten und entscheidendsten Kampfe!“

Die Roten folgten dem Häuptling in wirrem Haufen; die Weißen schritten langsam hinterdrein.

„Habe ich etwa zu viel gesagt?“ fragte der Hobble-Frank besorgt.

„Nein,“ antwortete Old Shatterhand. „Es ist ganz gut, daß ihr Kriegerstolz sich einmal selbst vor so einem kleinen Kerl beugen muß. Freilich, wenn der Häuptling mich tötete, so wäret auch ihr verloren, denn man würde sofort über euch herfallen. Aber es ist ihnen auch in dem höchst wahrscheinlichen Falle, daß ich Sieger werde, nicht zu trauen. Ich bin, ohne ganz bestimmte Gründe dazu zu haben, der Überzeugung, daß die Roten uns auf keinen Fall friedlich ziehen lassen werden. Sie entschlossen sich für den Einzelkampf, weil sie fest glaubten, daß wir alle fallen würden. Nun das vergeblich gewesen ist, werden sie auf andres sinnen. Die Hauptsache ist, daß wir ihnen imponieren. Das hat sie bis jetzt im Zaum gehalten und wird uns auch ferner nützlich sein. Und darum freue ich mich, daß du so furchtlos zu dem „großen Wolf“ gesprochen hast, du, der Knirps zum Goliath. Er ist darüber zwar in Grimm geraten, aber er hat nun erfahren, daß selbst der Kleinste unter uns keine Spur von Furcht empfindet. Nun gilt es, ihn selbst vor seinen Leuten klein zu machen. Das werde ich besorgen, indem ich mich jetzt mit ihm messe. Mir scheint, sie wollen uns als Geiseln hier behalten, eine Absicht, welche wir ihnen durchkreuzen müssen, weil wir keinen Augenblick unsres Lebens sicher wären.“

Während dieser Erklärungen des Jägers waren sie an den Kreis gelangt, welcher von den Zelten und Hütten gebildet wurde. Im Mittelpunkte desselben wurden die Vorbereitungen zu dem bevorstehenden, hochinteressanten Zweikampfe getroffen.

Dort ragte aus einem Haufen zentnerschwerer, zusammengetragener Steine ein starker Pfahl empor, an welchem zwei Lassos befestigt wurden. Um diesen Platz standen alle männlichen und weiblichen Bewohner des Lagers, um Zeuge des Schauspieles zu sein. Old Shatterhand richtete sein Augenmerk darauf, daß die roten Krieger alle vollständig bewaffnet waren, ein Umstand, welcher auf seine Befürchtungen nicht beruhigend zu wirken vermochte. Er beschloß, dem entgegenzuarbeiten, und trat in die Mitte des Kreises, wo der Häuptling sich bereits befand. Dieser zeigte eine sehr siegesgewisse Haltung. Er deutete auf die beiden Lassos und. sagte: „Du siehst diese Riemen. Weißt du, wozu sie bestimmt sind?“

„Ich kann es mir denken,“ antwortete der Jäger. „Wir sollen während des Kampfes angebunden sein.“

„Du hast richtig geraten. Das eine Ende des Lassos hängt an dem Pfahle; das andre bekommen wir um den Leib gebunden.“

„Warum?“

„Damit wir uns nur in diesem engen Kreise bewegen und einander nicht entfliehen können.“

„Was mich betrifft, so ist diese Maßregel überflüssig, denn es wird mir nicht einfallen, vor dir davonzulaufen. Ich kenne den eigentlichen Grund. Du traust mir mehr Schnelligkeit und Gewandtheit als Stärke zu, und willst mich durch diese Fessel verhindern, diese Überlegenheit in Anwendung zu bringen. Sei es; es ist mir sehr gleichgültig! Mit welchen Waffen kämpfen wir?“

„Es bekommt jeder ein Messer in die linke und einen Tomahawk in die rechte Hand. Damit wird gekämpft, bis einer von uns beiden tot ist.“

Es war klar, daß der Häuptling diese Kampfesweise gewählt hatte, weil er glaubte, dem Weißen in derselben überlegen zu sein. Doch erklärte dieser sehr ruhig: „Ich bin einverstanden.“

„Einverstanden? Mit deinem Tode? Es ist gewiß, daß ich dich besiege.“

„Warten wir es ab!“

„Prüfe erst einmal deine Kraft, und versuche, ob du mir das nachmachen kannst!“

Er trat zu einem der schweren Steine und hob ihn empor. Er besaß eine ungeheure Körperkraft, und es war sicher, daß keiner seiner Roten es ihm hätte nachmachen können. Old Shatterhand bückte sich nieder, um denselben Stein aufzuheben, brachte ihn aber trotz aller scheinbaren Anstrengung nicht drei Zoll hoch empor. Ein befriedigtes „Uff!“ erklang im Kreise der Indianer. Der kleine Sachse aber sagte zu dem dicken Jemmy: „Er verschtellt sich nur, um den Häuptling sicher zu machen. Ich weeß ganz genau, daß er diesen Schteen bis über den Kopf heben und ooch noch zehn Schritte weit fortschleudern kann. Warten wir es nur ab, bis es zur Perplexion kommt. Da wird der Rote sein blaues Wunder sehen.“

Dieser letztere hegte aber die entgegengesetzte Ansicht. Er hatte den Weißen mit seiner Kraftprobe mutlos machen wollen und war überzeugt, daß ihm dies gelungen sei. Darum sagte er im Tone der Nachsicht: „Du siehst, was du zu erwarten hast. Die Bleichgesichter pflegen zu beten, wenn sie vor dem sicheren Tode stehen. Ich erlaube dir, zu deinem Manitou zu sprechen, bevor der Kampf beginnt.“

„Das ist nicht nötig,“ antwortete Old Shatterhand. „Ich werde erst dann mit ihm sprechen, wenn meine Seele zu ihm kommt. Du bist ein starker Mann, und ich hoffe, daß du dich in diesem Kampfe nur auf dich allein verlässest!“

„Das werde ich thun. Wer sollte mir helfen?“

„Deine Krieger. Wie es scheint, halten sie es doch für möglich, daß du von mir besiegt wirst. Warum haben sie sich bewaffnet, als ob es in den Streit gehen solle?“

„Sind etwa deine Gefährten unbewaffnet?“

„Nein. Aber wir werden alle unsre Waffen nach unserm Zelte schaffen. Das ist bei den Bleichgesichtern so Gebrauch. Der Stolz eines tapfern weißen Kriegers duldet es nicht, daß durch irgend einen Umstand der Anschein der Hinterlist erregt wird. Soll ich glauben, daß auch du ein Tapferer bist?“

„Willst du mich beleidigen?“ rief der Rote zornig. „Ich brauche nicht den Beistand eines andern. Meine Krieger sollen alle ihre Waffen in die Zelte tragen, wenn die deinigen dies ebenso thun.“

„Gut! Du wirst sehen. daß wir es sogleich thun. Ich werde nur mein Messer behalten.“

Er übergab seine Gewehre dem Hobble-Frank, und Jemmy und Davy thaten desgleichen. Dabei sagte er dem Kleinen in deutscher Sprache: „Du trägst das alles scheinbar in das Zelt, schiebst es aber, wenn niemand dich beobachtet, unter der hintern Seite desselben ins Freie hinaus. Du kehrst nicht zurück. Man wird nur Aufmerksamkeit für den Kampf haben und gar nicht auf dich achten. Du kriechst hinten aus dem Zelte und machst unsre Tiere, welche sich dort befinden, reisefertig.“

„Was hast du mit diesem Manne zu sprechen?“ fuhr ihn der Häuptling an. „Warum redest du mit ihm in einer Sprache, welche wir nicht verstehen?“

„Weil das die einzige Sprache ist, in welcher er bewandert ist.“

„Was hast du ihm gesagt?“

„Daß er diese Gegenstände in unser Zelt tragen und dort bewachen soll.“

„Warum bewachen? Meinst du, daß wir euch bestehlen werden?“

„Nein; aber ich kann mein Zaubergewehr nicht allein lassen, da sonst sehr leicht ein Unglück geschehen könnte. Du weißt ja, daß es losgeht und die roten Männer trifft, sobald ein andrer es berührt.“

„Ja, das habe ich gesehen. Laß es also jetzt noch bewachen. Wenn ich dich getötet habe, werde ich es tief vergraben oder in den See werfen lassen, um es unschädlich zu machen.“

Auf das Geheiß des Häuptlings legten alle Indianer ihre Waffen ab und übergaben sie den Frauen, welche sie in die Zelte bringen sollten. Auch der Hobble-Frank entfernte sich. Der Häuptling legte seine Oberkleider ab, um nicht durch dieselben gehindert zu sein. Old Shatterhand folgte diesem Beispiele nicht. Falls er siegte, hätte das Ankleiden eine Zeitversäumnis zur Folge gehabt, welche sehr leicht verhängnisvoll werden konnte. Die Frauen kehrten sehr eilig zurück, um sich ja nichts entgehen zu lassen. Aller Augen waren nach dem Innern des Kreises gerichtet, und niemand dachte an den kleinen Sachsen.

„Jetzt hast du deinen Willen gehabt,“ sagte der „große Wolf“. „Soll es beginnen?“

„Vorher noch eine Frage. Was wird mit meinen Gefährten werden, wenn Du mich tötest?“

„Sie werden unsre Gefangenen sein.“

„Aber sie haben sich doch frei gekämpft und können also gehen, wohin es ihnen beliebt.“

„Das werden sie. Vorher aber sollen sie als Geiseln bei uns bleiben.“

„Das ist gegen die Verabredung; aber ich halte es für unnötig, ein Wort darüber zu verlieren. Und was geschieht ferner in dem Falle, daß ich dich töte?“

„Dieser Fall tritt nicht ein!“ rief der Rote stolz.

„Wir müssen ihn aber doch als eine Möglichkeit setzen.“

„Nun gut! Besiegst du mich, so seid ihr frei.“

„Und niemand wird uns zurückhalten?“

„Kein Mensch!“

„So bin ich befriedigt, und wir können anfangen.“

„Ja, beginnen wir. Lassen wir uns anbinden. Hier hast du einen Tomahawk.“

Es waren zwei Kriegsbeile zurückbehalten worden. Der Häuptling, welcher natürlich auch mit seinem Messer versehen war, nahm eins dieser Beile und überreichte es Old Shatterhand. Dieser nahm und betrachtete es und schleuderte es dann in einem hohen, weiten Bogen über den Kreis hinaus.

„Was thust du?“ fragte der Häuptling erstaunt.

„Ich werfe den Tomahawk weg, weil er nichts taugt. Der deinige ist, wie ich sehe, von vorzüglicher Arbeit; der andre aber wäre mir gleich beim ersten Hiebe in der Hand zersprungen.“

„Meinst du, daß ich ihn dir aus Hinterlist gegeben habe?“

„Ich meine, daß er mir mehr geschadet als genützt hätte, weiter nichts!“

Er wußte freilich recht gut, daß man ihm in voller Absicht eine so schlechte Waffe gegeben hatte. Man sah trotz der dicken Farbe, welche das Gesicht des Häuptlings bedeckte, daß er dasselbe in höhnische Falten zog, als er nun bemerkte: „Es war dir erlaubt, das Beil wegzuwerfen; aber du wirst kein andres dafür erhalten.“

„Ist auch nicht nötig. Ich werde nur mit meinem Messer kämpfen, von welchem ich weiß, daß ich mich auf dasselbe verlassen kann.“

„Uff! Bist du bei Sinnen! Der erste Hieb meines Tomahawk wird dich töten. Ich habe ihn und mein Messer, und du bist nicht so stark wie ich.“

„So hast du vorhin meinen Scherz für Ernst genommen. Ich wollte dich nicht einschüchtern. Nun aber magst du beurteilen, wer von uns beiden der stärkere ist.“

Er bückte sich zu einem Steine nieder, welcher weit schwerer war als derjenige, den der „große Wolf“ gehoben hatte, zog ihn erst bis zur Höhe des Gürtels auf, schwang ihn dann über den Kopf empor, hielt ihn dort eine Weile still und schleuderte ihn nachher von sich, so daß er in einer Entfernung von neun oder zehn Schritten liegen blieb.

„Mach es nach!“ rief er dem Roten zu.

„Uff, uff, uff!“ ertönte es im Kreise. Der Häuptling antwortete nicht sogleich. Er blickte von dem Jäger auf den Stein und von diesem wieder zu dem ersteren zurück; er war mehr als überrascht und ließ erst nach einer Weile seine Stimme hören: „Meinst du, daß du mich zum Fürchten bringst? Denke das ja nicht! Ich werde dich töten und dir den Skalp nehmen, und wenn der Kampf bis zum heutigen Abende währen sollte!“

„Er wird nicht so lange dauern, sondern in wenigen Minuten beendet sein,“ antwortete Old Shatterhand lächelnd. „Also meinen Skalp willst du mir nehmen?“

„Ja, denn die Kopfhaut des Besiegten gehört dem Sieger. Bindet uns an!“

Dieser Befehl wurde an zwei bereit stehende Rote gerichtet, welche dem Häuptlinge und Old Shatterhand die Lassos um die Hüften banden und dann zurücktraten. Auf diese Weise an den Pfahl befestigt, konnten sich die beiden nun nur innerhalb eines Kreises bewegen, dessen Halbmesser die Länge des noch freien Lassoteiles betrug. Sie standen so, daß die beiden Lassos eine gerade Linie, also den Durchmesser bildeten, der eine mit dem Gesichte dem Rücken des andern zugekehrt. Der Rote hatte den Tomahawk in der rechten und das Messer in der linken, Old Shatterhand nur das Messer in der rechten Faust.

Der „große Wolf“ hatte sich den Kampf wohl in der Weise gedacht, daß einer den andern im Kreise herumtreiben und so nahe an ihn zu kommen versuchen werde, daß die Möglichkeit eines sichern Hiebes oder Stiches gegeben sei. Er hatte wohl einsehen müssen, daß er seinem Gegner an Stärke nicht überlegen sei; aber die Waffen waren ungleich, und er hegte die vollständige Überzeugung, daß er siegen werde, zumal nach seiner Ansicht der Weiße das Messer ganz falsch gefaßt hielt. Old Shatterhand hatte das Messer nämlich so in der Hand, daß die Klinge nicht ab-, sondern aufwärts gerichtet war; es war ihm also unmöglich, einen Stich von oben herab auszuführen. Der Rote lachte im stillen darüber und nahm seinen Gegner scharf in das Auge, damit ihm keine Bewegung desselben entgehen könne. Auch der Weiße hielt den Blick fest auf ihn gerichtet. Er hatte keineswegs die Absicht, sich im Kreise umherjagen zu lassen; er wollte nicht angreifen, sondern den Angriff erwarten, und dieser Zusammenstoß sollte sofort entscheiden. Es kam ganz nur darauf an, in welcher Weise der „große Wolf“ sich seines Tomahawks bedienen werde; gebrauchte er ihn in fester Hand, so war nichts zu befürchten; wendete er ihn aber schleudernd, also im Wurfe an, so galt es, die größte Aufmerksamkeit und Vorsicht zu entwickeln. Die beiden standen nicht so weit entfernt voneinander, daß es leicht war, einem solchen Wurfe auszuweichen.

Glücklicherweise dachte der Häuptling gar nicht daran, das Beil zu werfen. Wenn er nicht traf, so war es aus seiner Hand, und er konnte es nicht wieder bekommen.

So standen sie fünf Minuten, zehn Minuten, und keiner bewegte sich vorwärts. Schon ließen die roten Zuschauer Ausrufe der Anfeuerung oder gar Mißbilligung hören. Der „rote Wolf“ forderte seinen Gegner höhnisch auf, zu beginnen; er rief ihm Beleidigungen zu. Old Shatterhand sagte nichts; seine Antwort bestand darin, daß er sich niedersetzte und eine so ruhige und unbefangene Haltung annahm, als ob er sich in der friedlichsten Gesellschaft befinde. Aber seine Muskeln und Sehnen waren bereit, sofort in die schnellste und kräftigste Aktion zu treten.

Der Häuptling nahm dieses Verhalten als einen Ausdruck der Geringschätzung, also als Beleidigung auf, während es doch nichts als eine Kriegslist war, welche ihn zur Unvorsichtigkeit reizen sollte. Sie erreichte diesen Zweck vollständig. Er glaubte, mit einem sitzenden Feind leichter fertig werden zu können und diesen Umstand schnell benutzen zu müssen. Einen lauten Kriegsruf ausstoßend, sprang er auf Old Shatterhand ein, den Tomahawk zum tödlichen Hiebe erhoben. Schon glaubten die Roten, diesen Hieb sitzen zu sehen; schon öffneten sich viele Lippen zum Jubelgeschrei, da schnellte der Weiße seitwärts empor – das mit Absicht verkehrt gehaltene Messer that seine Schuldigkeit; der Hieb ging fehl; die niedersausende Faust fuhr in die blitzschnell emporgehaltene Klinge, so daß sie das Kriegsbeil fallen ließ; ein rascher Hieb Old Shatterhands gegen den linken Arm des Roten, und diesem flog auch das Messer aus der Hand, und dann schlug der Weiße seinem Gegner mit einem fast unsichtbar schnellen Hiebe den harten Griff des Bowiemessers mit solcher Kraft auf die Gegend des Herzens, daß der Rote wie ein Sack zur Erde flog und dort liegen blieb. Old Shatterhand erhob das Messer und rief: „Wer ist der Sieger?“

Keine Stimme antwortete. Selbst diejenigen, welche es für möglich gehalten hatten, daß ihr Häuptling unterliegen könne, hatten nicht geglaubt, daß es so schnell und in dieser Weise geschehen könne. Die Leute standen wie erstarrt.

„Er selbst hat gesagt, daß der Skalp des Besiegten dem Sieger gehöre,“ fuhr Old Shatterhand fort. „Sein Schopf ist also mein Eigentum; aber ich will ihn nicht haben. Ich bin ein Christ und ein Freund der roten Männer und schenke ihm das Leben. Vielleicht habe ich ihm eine Rippe eingeschlagen; aber tot ist er nicht. Meine roten Brüder mögen ihn untersuchen; ich aber gehe nach meinem Zelte.“

Er band sich los und ging. Niemand hinderte ihn daran, und niemand hinderte auch Davy und Jemmy, ihm zu folgen. Jeder wollte sich zunächst überzeugen, wie es mit dem „großen Wolfe“ stehe, und darum drängten alle zu ihm hin. Infolgedessen erreichten die Jäger ganz unbeachtet ihr Zelt. Hinter demselben lagen ihre Waffen, und da stand auch der Hobble-Frank mit den Pferden.

„Schnell aufsteigen und fort!“ sagte Old Shatterhand. „Reden können wir später.“

Sie schwangen sich auf und ritten davon, erst langsam und hinter den Zelten und Hütten Deckung suchend. Dann aber wurden sie von den Wachen bemerkt, welche auch jetzt am Tage außerhalb des Lagers Wache standen. Diese stießen das Kriegsgeheul aus und schossen nach ihnen. Darum gaben die Weißen ihren Pferden die Sporen, um sie in Galopp zu setzen. Sich umschauend, sahen sie, daß das Rufen und Schießen der Wächter die andern aufmerksam gemacht hatte. Die Roten quollen förmlich zwischen den Zelten hervor und sandten den Entkommenen ein satanisches Geheul nach, welches von dem Echo der Berge vielfach zurückgeworfen wurde.

Die Jäger galoppierten in gerader Richtung über die Ebene nach der Stelle zu, in welcher sich das Bergwasser in den See stürzte. Old Shatterhand kannte die Gegend gut genug, um zu wissen, daß das Thal dieses Baches das schnellste Entkommen biete. Er war überzeugt, daß die Utahs sofort zur Verfolgung aufbrechen würden, und mußte sich also einer Gegend zuwenden, in welcher es den Roten möglichst schwer wurde, sich auf der Fährte zu halten. –

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Sechstes Kapitel

Ein Parforceritt im Finstern.

Sobald sich, wie im vorigen Kapitel geschildert, vorhin bei den Pferden das Geschrei erhoben hatte, war es für Bill, den Uncle und den Engländer an der Zeit gewesen, sich in Sicherheit zu bringen. Sie waren, so schnell es die Finsternis gestattete, durch den Wald und zu ihren Pferden geeilt. Daß die letzteren nicht verfehlt wurden, war nur dem Scharfsinn der beiden Jäger zu verdanken. Der Lord hätte sich wohl nicht so leicht zurecht gefunden, da ein Wellenberg und Wellenthal bei Nacht noch viel mehr als am Tage dem andern glich. Sie machten die Pferde los, stiegen auf und nahmen die ledigen an der Koppel fest.

Kaum war das geschehen, so hörten sie die Indianer kommen. Der Häuptling hatte sich in der Finsternis ebenso leicht wie am hellen Tage an Ort und Stelle gefunden.

„Diese Tramps waren blind und taub,“ sagte er. „Wir konnten weiter keinen von ihnen töten, denn wenn wir unsre Pferde haben wollten, durften wir uns nicht bei den Menschen verweilen; aber es werden ihrer viele in die ewigen Jagdgründe wandern, um die Geister der Osagen zu bedienen.“

„Du willst dich rächen?“ fragte Bill.

„Warum spricht mein weißer Bruder solche Worte aus? Sind nicht heute acht Osagen gefallen, deren Tod gerächt werden muß? Sollten nicht die vier übrigen gemartert und gemordet werden? Wir werden nach den Wigwams der Osagen reiten, um viele Krieger zu holen. Dann folgen wir der Fährte dieser Bleichgesichter, um ihrer so viele auszulöschen, wie Manitou in unsre Hände gibt.“

„In welcher Richtung weiden jetzt die Herden der Osagen?

„Gegen Westen.“

„So müßt ihr an Butlers Farm vorüber?“

„Ja.“

„Und wie lange reitest du von dort aus, um die Deinigen zu erreichen?“

„Die ersten Herden sind schon nach einem halben Tage zu treffen, wenn man ein gutes Pferd besitzt und sich beeilt.“

„Das ist sehr gut. Wir werden uns beeilen müssen, um Butlers Farm zu retten.“

„Was sagt mein Bruder? Butler ist der Freund und Beschützer der Osagen. Droht ihm ein Unglück?“

„Ja. Doch sprechen wir nicht jetzt und hier davon. Wir müssen zunächst fort, um aus der Nähe der Tramps zu kommen. Diese wollen morgen die Farm überfallen, und wir müssen hin, um den Besitzer zu warnen.“

„Uff! Meine roten Brüder mögen die ledigen Pferde führen, damit die weißen Brüder mir leichter folgen können!“

Seine Leute gehorchten, indem sie zu den ihrigen auch noch die erbeuteten ledigen Pferde nahmen; dann ging es im Galopp zwischen die niedrigen Hügel hinein, nicht auf der Spur zurück, welche sie selbst geritten waren, denn das wäre ein Umweg nach Norden gewesen, sondern auf der Fährte, die der Häuptling und seine Verfolger heute am Nachmittage gemacht hatten. Diese führte in schnurgerader Richtung der Gegend zu, in welcher Butlers Farm lag, die der Osage hatte aufsuchen wollen.

Im Galopp! Und zwar in dieser Finsternis! Und doch war es so. Schon am Tage war es nur dem Kundigen möglich, sich ohne Irrung in dieser Rolling- Prairie zurecht zu finden; aber bei Nacht sich nicht zu verirren, das konnte fast als ein Wunder gelten. Als der Engländer dem kleinen Bill, neben welchem er ritt, eine darauf bezügliche Bemerkung machte, antwortete dieser: „Ja, Sir, ich habe zwar schon bemerkt, daß auch Ihr nicht auf den Kopf gefallen seid; aber Ihr werdet hier noch manches sehen, hören und auch selbst erleben, was Ihr vorher nicht für möglich hieltet.“

„So würdet auch Ihr Euch hier nicht verirren?“

„Ich! Hm! Wenn ich aufrichtig sein will, so muß ich Euch sagen, daß es mir nicht einfallen würde, so zwischen diese welligen Hügel hineinzustürmen. Ich würde hübsch langsam reiten und die Krümmung jedes einzelnen Thales, dem ich folgen muß, genau prüfen. Dennoch aber würde ich morgen früh an einer ganz andern Stelle als derjenigen sein, an welche ich gelangen will.“

„So kann das dem Häuptling doch auch passieren.“

„Nein. So ein Roter riecht die Richtung und den Weg förmlich. Und, was die Hauptsache ist, jetzt hat er sein eigenes Pferd wieder. Dieses Tier weicht sicher keinen Schritt von der Fährte ab, welche sein Herr heute gelaufen ist. Darauf könnt Ihr Euch verlassen. Der Himmel ist so schwarz wie ein Sack voll Ruß, und von der Erde sehe ich nicht so viel, wie ich auf einen Fingernagel legen könnte, dennoch galoppieren wir wie am hellen Tage und auf ebener Straße, und ich wette, daß wir, ehe sechs Stunden vorüber sind, unsre Pferde gerade vor der Thüre von Butlers Farm anhalten werden.“

„Wie? Was?“ rief der Engländer erfreut. „Ihr wollt wetten? Das ist ja herrlich! Also Ihr behauptet das? So behaupte ich das Gegenteil und setze fünf Dollar, oder auch zehn. Oder wollt Ihr höher wetten? Ich bin sofort dabei!“

„Danke, Mylord! Das von der Wette war nichts als eine Redensart. Ich wiederhole, daß ich niemals wette. Behaltet Euer Geld! Ihr braucht es anderwärts. Denkt, was Ihr mir und dem Uncle nur schon für heute zu zahlen habt!“

„Hundert Dollar. Fünfzig für die vier erschossenen Tramps und fünfzig für die befreiten Osagen.“

„Und bald wird es noch mehr sein.“

„Allerdings, denn der Überfall der Farm, den wir abschlagen werden, ist wieder ein Abenteuer, welches fünfzig kostet.“

„Ob uns das Abweisen des Überfalles glückt, ist noch unbestimmt; es ist auch im Gegenfalle ein Abenteuer, welches Euch fünfzig Dollar kostet, nämlich wenn wir leben bleiben. Aber wie war es denn eigentlich mit Old Shatterhand, Winnetou und Old Firehand? Wieviel wollt Ihr zahlen, falls Euch einer dieser drei Männer zu Gesicht kommt?“

„Hundert Dollar, wenn es Euch recht ist.“

„Sehr recht sogar, denn es ist wahrscheinlich, daß wir morgen oder übermorgen Old Firehand begegnen.“

„Wirklich? Wirklich?“

„Ja. Er will nämlich auch nach Butlers Farm kommen.“

Der voranreitende Häuptling hatte diese Worte gehört. Er drehte, ohne den Lauf seines Pferdes zu mäßigen, sich um und fragte: „Old Firehand, dieses berühmte Bleichgesicht, will kommen?“

„Ja. Der rote Cornel sagte es.“

„Der rothaarige Mann, welcher die lange Rede hielt? Woher weiß er es? Hat er den großen Jäger gesehen oder gar gesprochen?“

Bill erzählte im Vorwärtsjagen, was er gehört hatte.

„Uff!“ rief der Häuptling. „Dann ist die Farm gerettet, denn der Kopf dieses Bleichgesichts ist mehr wert als die Waffen von tausend Tramps. Wie freue ich mich, ihn sehen zu können!“

„Kennst du ihn schon?“

„Alle Häuptlinge des Westens haben ihn gesehen und mit ihm das Calumet geraucht. Warum soll ich allein ihn nicht kennen? Fühlst du, daß es zu regnen beginnt? Das ist gut, denn der Regen gibt dem niedergetretenen Grase die Kraft, sich bald wieder aufzurichten. Die Tramps werden also morgen früh unsre Fährte nicht wahrnehmen können.“

Jetzt hörte die Unterhaltung auf. Die Schnelligkeit des Rittes und die Aufmerksamkeit, welche dabei zu verwenden war, erschwerten das Sprechen, und außerdem macht ja der Regen stets weniger mitteilsam.

Der Weg an und für sich bot keine Schwierigkeiten; kein Stein, kein Graben, kein ähnliches Hindernis hemmte den Schritt, und die Wellenthäler waren so breit, daß stets mehrere Pferde ganz bequem nebeneinander gehen konnten. Der Boden bestand ganz ausschließlich aus weichem Graslande. Nur die Dunkelheit war zu überwinden.

Zuweilen ließen die Reiter ihre Pferde, um dieselben nicht allzusehr zu ermüden, im Schritte gehen; dann wurde wieder im Trab oder gar Galopp geritten. Als einige Stunden vergangen waren, schien die vorherige Zuversicht Bills doch ein wenig nachzulassen, denn er fragte den Häuptling: „Ist mein Bruder überzeugt, daß wir uns in der beabsichtigten Richtung befinden?“

„Mein weißer Bruder sorge nicht,“ antwortete der Gefragte. „Wir haben uns sehr beeilt und werden sehr bald die Stelle erreichen, an welcher ich dich und den Uncle heute getroffen habe.“

War das Übung oder angeborener Instinkt, daß dieser Indianer diese Behauptung so bestimmt auszusprechen vermochte? Bill wollte gar nicht glauben, daß man eine so bedeutende Strecke zurückgelegt habe. Aber mit dem Regen hatte sich ein scharfer Luftzug erhoben, welcher die Reiter von hinten traf und den Pferden das Laufen wesentlich erleichterte.

Schon kurze Zeit nach der erwähnten Frage und Antwort fiel das Pferd des Häuptlings plötzlich aus dem Galopp in einen langsamen Schritt, blieb dann sogar, ohne von dem Reiter angehalten worden zu sein, stehen und stieß ein leises Schnauben aus.

„Uff!“ sagte der Rote in gedämpftem Tone. „Es müssen Menschen vor uns sein. Meine Brüder mögen lauschen, sich nicht bewegen und die Lust scharf durch die Nase atmen.“

Der Trupp hielt stille und man hörte, daß der Häuptling den Geruch der Luft prüfte.

„Ein Feuer!“ flüsterte er.

„Man sieht ja keine Spur davon!“ meinte Bill.

„Ich rieche aber Rauch, welcher um den nächsten Hügel zu kommen scheint. Mein Bruder mag absteigen und den Hügel mit mir erklimmen, damit wir sehen, was sich hinter demselben befindet.“

Die beiden verließen ihre Pferde und huschten nebeneinander nach dem Wellenberge hin. Noch waren sie aber nicht zehn Schritte weit gekommen, so legten sich zwei Hände mit gewaltigem Drucke um den Hals des Indianers, welcher zur Erde niedergedrückt wurde und mit Armen und Beinen um sich schlug, ohne daß es ihm möglich war, einen Laut von sich zu geben. Zu gleicher Zeit ergriffen zwei andre Hände den Buckeligen bei der Kehle und zogen ihn ebenso zum Boden nieder.

„Haben Sie ihn fest?“ fragte derjenige, welcher den Indianer gepackt hielt, den andern ganz leise und zwar in deutscher Sprache.

„Ja, ich habe ihn so fest ergriffe, daß er gar nich rede kann,“ lautete die ebenso leise gegebene Antwort.

„Dann schnell fort, hinter den Hügel! Wir müssen wissen, wen wir vor uns haben. Oder wird er Ihnen zu schwer?“

„Kann mir gar nich einfalle! Der Kerl is ja leichter wie eene Fliege, die drei Woche lang nischt gegesse und getrunke hat. Herrje, er scheint hinten eenen Buckel zu habe, was mer so ee schiefes Rückgrat nennt! Es wird doch nich etwa – – –“

„Was?“

„Nich etwa mein guter Freund Humply-Bill sein!“

„Das werden wir am Feuer erfahren. Für den Augenblick sind wir sicher, daß uns niemand folgen wird. Ich möchte den Trupp auf wenigstens ein Dutzend Männer schätzen, die sich aber nicht von der Stelle bewegen werden, weil sie auf die Rückkehr dieser beiden zu warten haben.“

Das war alles so blitzschnell und geräuschlos vor sich gegangen, daß die Begleiter der beiden Ergriffenen trotz der großen Nähe, in der es von ihnen geschah, keine Ahnung davon hatten. Old Firehand – denn dieser war es – nahm seinen Gefangenen auf die Arme, und Droll zog den seinigen auf dem Rasen hinter sich her, um den Hügel. Jenseits desselben lagen müde Pferde, ein kleines Feuer brannte, und bei dem Scheine desselben konnte man über zwanzig Gestalten sehen, welche mit angelegten Gewehren bereit standen, einen etwaigen Feind mit ebenso vielen Kugeln zu begrüßen.

Als die beiden Männer ihre Gefangenen an das Feuer brachten, entfuhr jedem von ihnen ein Ruf der Verwunderung.

„Alle Wetter!“ meinte Old Firehand. „Das ist ja Menaka schecha, der Häuptling der Osagen. Von dem haben wir nichts zu befürchten.“

„Sapperlot!“ stimmte Droll ein. „Es is wirklich Bill, der Humply-Bill! Kerl, Freund, geliebtes Menschenkind, konnste mer denn das nich sage, als ich der an de Gurgel ging! Nu liegste da und kannst weder schnaufe noch rede! Schteh off, und fall mer in de Arme, Bruderherz! Ach so, der verschteht ja gar nich deutsch. Er wird mer doch nich etwa schterbe! Schpring doch endlich off, Herzensschatz! Ich hab‘ dich wirklich nich erwürge wolle, wenn’s halbwegs möglich is!“

Der brave Altenburger stand in diesem Augenblicke fast mehr Angst aus als der Gewürgte, welcher mit geschlossenen Augen da lag, begierig nach Luft schnappte, dann endlich die Lider öffnete, einen langen, immer bewußter werdenden Blick auf den über ihn gebeugten Droll warf und nun mit heiserer Stimme fragte: „Ist’s möglich! Tante Droll!“

„Gott sei Dank, ich habe dich nicht umgebracht!“ antwortete der Gefragte jauchzend, nun in englischer Sprache. „Natürlich bin ich es. Warum hast du mir nicht gesagt, daß du es bist?“

„Konnte ich sprechen? Ich wurde so schnell gepackt, ohne jemand gesehen zu haben, daß ich – – Himmel, Old Firehand!“

Er sah den Jäger stehen und der Anblick desselben gab ihm seine Bewegungsfähigkeit zurück. Der Druck von Firehands Fäusten war weit kräftiger gewesen als derjenige von Tante Droll. Der Häuptling lag mit geschlossenen Augen und bewegungslos am Boden.

„Ist er tot?“ fragte Bill.

„Nein,“ antwortete der Riese, indem er dem Kleinen die Hand reichte. „Er ist nur bewußtlos und wird bald zu sich kommen. Willkommen, Bill! Das ist eine freudige Überraschung. Wie kommt Ihr zu dem Häuptling der Osagen?“

„Ich kenne ihn schon seit Jahren.“

„So? Wer ist bei Euch? Vermutlich Indianer vom Stamme des Häuptlings?“

„Ja, vier Mann.“

„Nur? So habt Ihr ledige Pferde bei Euch?“

„Allerdings. Außerdem befinden sich der Gunstick-Uncle, den Ihr wohl auch kennt, und ein englischer Lord bei uns.“

„Ein Lord? Vornehme Begegnung also. Holt diese Leute herbei. Sie haben von uns und wir von ihnen nichts zu befürchten.“

Bill lief fort, doch legte er nur die Hälfte der Entfernung zurück und rief dann freudig: „Uncle, reitet immer vorwärts! Wir sind bei Freunden. Old Firehand und die Tante Droll sind da.“

Der Angerufene gehorchte diesen Worten. Die im Anschlage liegenden Rafters erhoben sich aus dem Grase, um die Ankömmlinge zu bewillkommnen. Wie erstaunten diese letzteren, als sie den Häuptling bewußtlos sahen und erfuhren, was geschehen war! Die Osagen standen, als sie von ihren Pferden gestiegen waren, von fern und betrachteten den berühmten Jäger mit ehrfurchtsvollen Blicken. Der Lord machte große Augen und näherte sich der Riesengestalt desselben mit langsamen Schritten; dabei machte er ein so dummes Gesicht, daß man über dasselbe hätte lachen können. Old Firehand sah dasselbe und die auf der einen Seite so dick angeschwollene Nase. Er reichte ihm die Hand und sagte: „Willkommen, Mylord! Ihr seid in der Türkei, in Indien, vielleicht auch in Afrika gewesen?“

„Woher wißt Ihr das, Sir?“ fragte der Englishman.

„Ich vermute es, da Ihr noch jetzt den Rest des Bouton d’Alep an Eurer Nase tragt. Wer solche Reisen gemacht hat, wird sich wohl auch hier zurecht finden, obgleich – – –“

Er hielt inne und warf einen lächelnden Blick auf die Ausrüstung des Engländers, besonders auf den Bratapparat, welcher auf den Tornister desselben geschnallt war. In diesem Augenblicke kam der Häuptling zu sich. Die Augen öffnen, tief Atem holen, aufspringen und das Messer ziehen war bei ihm eins. Da aber fiel sein Blick auf den Jäger; er senkte die Hand mit dem Messer und rief: „Old Firehand! Warst du es, der mich ergriff?“

„Ja. Es war so dunkel, daß ich meinen roten Bruder nicht erkennen konnte.“

„So bin ich froh. Von Old Firehand besiegt zu sein, ist keine Schande. Wäre es aber ein andrer gewesen, so hätte die Schmach so lange auf meinem Haupte gelegen, bis ich ihn getötet hätte. Mein weißer Bruder will nach Butlers Farm?“

„Ja. Woher weißt du es?“

„Bleichgesichter sagten es.“

„Nach der Farm will ich später. Jetzt liegt mein Ziel am Osage-nook.“

„Wen sucht mein berühmter Bruder dort?“

„Einen Weißen, der sich Cornel Brinkley nennt, und seine Genossen, lauter Tramps.“

„So kann mein Bruder getrost nach der Farm mit uns reiten, denn der Rote kommt morgen hin, um sie zu überfallen.“

„Woher weißt du das?

„Er selbst hat es gesagt, und Bill hörte es. Die Tramps haben heute mich und meine Osagen überfallen, acht von ihnen getötet und mich mit den übrigen gefangen genommen. Ich entkam und holte Bill und den Uncle, welche mir mit diesem weißen Engländer halfen, meine roten Brüder zu befreien.“

„Du wurdest von fünf Tramps bis hierher verfolgt?“

„Ja.“

„Bill und der Uncle lagerten hier?“

„So ist es.“

„Und der Engländer war kurz vorher auf diese beiden getroffen?“

„Du sagst es; aber woher weißt du das?“

„Wir sind am schwarzen Bärenflusse aufwärts geritten und haben ihn heute früh verlassen, um an den Osage-nook zu kommen. Wir fanden hier die Leichen von fünf Tramps und – – –“

„Sir,“ unterbrach ihn der Humply-Bill, „woher wißt Ihr, daß diese Männer Tramps gewesen sind? Niemand kann es Euch gesagt haben?“

„Dieses Stück Papier hat es mir verraten,“ antwortete er. „Ihr habt diese Kerls ausgesucht, das Papier aber in der Tasche des einen stecken lassen.“

Er zog ein Stück Zeitung hervor, hielt es gegen das Feuer und las: „Ein Vergessen oder Versehen, welches man nicht für möglich halten sollte, ist jetzt durch den Kommissar des Landbureaus der Vereinigten Staaten an das Tageslicht gezogen worden. Dieser Beamte lenkte die Aufmerksamkeit der Regierung auf die erstaunliche Thatsache, daß es innerhalb der Vereinigten Staaten einen Landstrich gibt, größer als mancher Staat, der sich der Auszeichnung erfreut, ganz und gar nicht regiert und verwaltet zu werden. Dieses merkwürdige Stück Land ist ein ungeheures Viereck von 40 Meilen Breite und 150 Meilen Länge und enthält beinahe 4 Millionen Acres Land. Es liegt zwischen dem Indianerterritorium und New Mexiko, nördlich von Texas und südlich von Kansas und Colorado. Wie sich jetzt herausgestellt hat, ist dieses Land bei der öffentlichen Vermessung übersehen worden und verdankt den erwähnten Vorzug einem Fehler in der Bestimmung der Grenzlinien der benachbarten Territorien. Es ist infolgedessen keinem Staate und keinem Territorium zugeteilt, ohne Regierung irgend welcher Form, und also auch der Jurisdiktion keines Gerichtes unterworfen. Gesetz, Recht und Steuern sind dort unbekannte Dinge. In dem Berichte des Kommissars wird dieses Land als eine der schönsten und fruchtbarsten Gegenden des ganzen Westens angegeben, vortrefflich für Viehzucht und Ackerbau geeignet. Die wenigen Tausend freie Amerikaner, welche es bewohnen, sind aber nicht friedliche Ackerbauer oder Hirten, sondern sie bilden Banden von zusammengelaufenem Gesindel, Strolchen, Pferdedieben, Desperados und flüchtigen Verbrechern, welche sich aus allen Himmelsgegenden da zusammengefunden haben. Sie sind der Schrecken der benachbarten Territorien, in denen namentlich die Viehzüchter durch die Räubereien dieser Menschen viel zu leiden haben. Von diesen geplagten Nachbarn wird dringend verlangt, daß diesem freien Räuberstaate ein Ende gemacht werde, damit durch Einführung einer Regierungsoberhoheit dieses gesetzlose Treiben aufhören müsse.“

Die Roten, welche diese Worte gehört hatten, blieben gleichgültig, die Weißen aber blickten sich erstaunt an.

„Ist das wahr? Ist das möglich?“ fragte der Lord.

„Ich halte es für wahr,“ antwortete Old Firehand. „Ob dieser Bericht lügt oder nicht, ist übrigens hier Nebensache. Hauptsache ist, daß nur ein Tramp so ein Blatt so lange und so weit mit sich herumschleppen kann. Dieses Papier ist der Grund, weshalb ich die fünf Männer für Tramps gehalten habe. Als wir hier ankamen und die Leichen sahen, wußten wir natürlich, daß ein Kampf stattgefunden habe. Wir untersuchten die Leichen und alle vorhandenen Spuren und stellten uns als Ergebnis folgende Thatsachen zusammen: Zwei Weiße kampierten hier, ein langer und ein kleiner. Dann kam ein dritter Weißer, der sich zu ihnen gesellte und den Rest ihres Mahles verspeiste. Es wurde ein Probeschießen abgehalten, bei welchem man zwei Geier tötete. Der dritte Weiße bewies, daß er ein guter Schütze sei und wurde in die Gesellschaft der beiden andern aufgenommen. Dann näherte sich ihnen ein Indianer in eiligem Laufe. Er befand sich auf der Flucht, vom Osage-nook her, und wurde von fünf Tramps verfolgt. Es stellte sich heraus, daß er ein Freund der Weißen sei; diese standen ihm bei und erschossen die fünf Verfolger. Dann stiegen die drei Bleichgesichter und der Indianer zu Pferde, um sich auf einem Umwege nach dem Osage-nook zu schleichen; sie wollten also die Tramps überfallen. Ich beschloß, ihnen zu helfen. Da es aber mittlerweile Nacht geworden war, so mußte ich bis zum Anbruche des Tages warten, da ich des Nachts den Spuren nicht zu folgen vermochte.“

„Warum überfiel uns mein weißer Bruder?“ fragte der Häuptling.

„Weil ich euch für Tramps halten mußte.“

„Aus welchem Grunde?“

„Ich wußte, daß sich am Osage-nook viele Tramps befinden. Fünf von ihnen waren fortgeritten, um einen Indianer zu verfolgen. Sie wurden hier erschossen, kehrten also nicht zurück. Das mußte die Besorgnis der übrigen erwecken, und es lag sehr im Bereiche der Möglichkeit, daß man ihnen Hilfe nachsenden werde. Ich stellte darum Wachen aus, welche mir vorhin meldeten, daß sich ein Trupp von Reitern nähere. Da der Wind vom Osage-nook her wehte, so konnten wir eure Annäherung sehr früh bemerken. Ich ließ meine Leute zu den Waffen greifen und schlich mit Droll euch entgegen. Zwei stiegen ab, um uns zu beschleichen, und wir nahmen sie gefangen, um am Feuer ihre Gesichter anzusehen. Das übrige wißt ihr.“

„Mein Bruder hat wieder bewiesen, daß er der berühmteste Jäger unter den Bleichgesichtern ist. Was gedenkt er zu thun? Sind die Tramps seine persönlichen Feinde?“

„Ja. Ich verfolge den Roten, um mich seiner zu bemächtigen. Doch, was ich zu thun beschließen werde, das kann ich erst dann wissen, wenn ich erfahren habe, wie es am Osage-nook steht und was dort geschehen ist. Wollt Ihr es mir erzählen, Bill?“

Der Humply-Bill gehorchte dieser Aufforderung und stattete einen ausführlichen Bericht ab. Am Schlusse desselben fügte er hinzu: „Ihr seht also ein, Sir, daß wir schnell handeln müssen. Ihr werdet wohl gern aufsitzen, um mit uns sofort nach der Farm zu reiten.“

„Nein. Das werde ich nicht thun.“

„Warum? Wollt Ihr etwa unterwegs einen Kampf mit den Tramps aufnehmen?“

„Kann mir nicht einfallen. Aber ich bleibe hier, obgleich ich weiß, daß die Gefahr noch viel größer ist, als Ihr denkt.“

„Größer? Wieso?“

„Ihr meint, daß diese Kerls erst nachmittags aufbrechen?“

„Ja.“

„Und ich sage Euch, daß sie den Ritt schon am frühen Morgen beginnen werden!“

„Der Cornel hat es aber doch gesagt!“

„Er hat sich inzwischen anders besonnen, Bill.“

„Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken, Sir?“

„Wo waren die gefangenen Osagen angebunden?“

„In der Nähe des Feuers, an welchem der Rote saß.“

„Haben sie gehört, was gesprochen wurde?“

„Ja.“

„Auch daß Butlers Farm überfallen werden soll?“

„Auch das.“

„Nun, und jetzt sind sie entflohen. Muß da der Cornel nicht ganz notwendig auf den Gedanken kommen, daß sie zu Butler eilen werden, um ihn zu benachrichtigen?“

„Teufel, das ist richtig! Das versteht sich ja von selbst!“

„Allerdings. Um den Schaden, den ihnen das machen kann, möglichst zu verringern, werden sie also zeitiger aufbrechen. Ich wette, daß sie schon jetzt entschlossen sind, mit Tagesgrauen zu Pferde zu steigen.“

„Wetten?“ rief der Lord. „Well, Ihr seid mein Mann, Sir! Ihr wettet, daß sie so früh aufbrechen? Gut, so behaupte ich, daß sie erst morgen abend den Osage-nook verlassen. Ich setze zehn Dollar, auch zwanzig und dreißig. Oder sind Euch fünfzig lieber?“

Er zog die eine Tasche nach vorn und öffnete sie, um Geld herauszunehmen.

Ein leiser, von dem Engländer unbemerkter Wink des Humply-Bill genügte für Old Firehand, zu wissen, daß er einen passionierten Wetter vor sich habe. Darum antwortete er: „Macht Eure Tasche getrost wieder zu, Sir; es kann mir nicht einfallen, das Wort vom Wetten wirklich im Ernste zu nehmen. So wichtige Sachen sind überhaupt zum Wetten nicht geeignet.“

„Aber ich wette nun einmal gern!“ behauptete der Lord.

„Ich aber nicht!“

„Das ist schade, jammerschade! Ich habe so sehr viel Gutes und schönes über Euch gehört. Jeder wahrhaftige Gentleman wettet. Daß Ihr das nicht thut, zwingt mich beinahe, meine gute Meinung über Euch zu ändern.“

„Thut daß immerhin, wenn es Euch beliebt! Es kommt dann wohl rasch die Zeit, in welcher Ihr wieder zur früheren Ansicht zurückkehrt. Jetzt haben wir andres und Besseres zu thun, als Wetten einzugehen. Es steht das Eigentum und Leben vieler Menschen auf dem Spiele, und es ist unsre Pflicht, dieses Unheil abzuwenden. Das thut man nicht durch Wetten.“

„Ganz recht, Sir. Ich wette auch nur so nebenbei. Wenn es zu Thaten kommt, so werdet Ihr mich sicher auf meinem Platze finden, vielleicht ebenso fest und ruhig, wie Ihr auf dem Eurigen steht. Die körperliche Stärke thut es nicht allein. Merkt Euch das einmal!“

Er war in Zorn geraten und ließ einen beinahe beleidigenden Blick an der herkulischen Gestalt des Jägers herniederlaufen. Dieser schien einen Moment lang nicht zu wissen, woran er mit dem Engländer sei; sein Gesicht wollte sich verfinstern, hellte sich aber schnell wieder auf, denn er erriet die Gedanken des Lords. Darum antwortete er demselben: „Nur gemach, Sir. Bevor wir uns nicht kennen gelernt haben, wollen wir uns wenigstens keine Grobheiten sagen. Ihr seid noch neu zu Lande.“

Das Wort „neu“ verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht, denn der Lord rief noch zorniger als vorher: „Wer sagt Euch das? Sehe ich etwa wie neu aus? Ich bin mindestens so ausgerüstet, wie die Prairie es erfordert; Ihr aber sitzt da, als ob Ihr soeben aus einem Klub oder gar aus einer Ladiesgesellschaft kämet!“

Also richtig, das war es! Old Firehand trug nämlich noch denselben eleganten Reiseanzug wie auf dem Dampfer. Er hatte ihn noch nicht ablegen können, da seine Jägerausrüstung auf Butlers Farm bereit lag. Dieser Anzug war zwar durch den Ritt zu den Rafters und dann hierher sehr mitgenommen worden, schien aber bei dem Scheine des kleinen, vom Regen niedergedrückten Feuers noch ganz neu zu sein. Der berühmte Mann wurde von dem Engländer nicht für voll angesehen. Er nickte lächelnd und sagte: „Kann Euch nicht ganz unrecht geben, Sir; aber vielleicht richte ich mich noch hier im alten Westen ein; auf alle Fälle aber wollen wir Freunde bleiben.“

„Wenn das Euer Ernst ist, so räsonniert nicht wieder über das Wetten, denn an dem Einsatze erkennt man den echten, richtigen Gentleman. Übrigens begreife ich nicht, warum Ihr hier bleiben und nicht mit sofort nach der Farm reiten wollt. Das hat mich zuerst irre an Euch gemacht.“

„Habe meinen guten Grund dazu.“

„Will mein weißer Bruder mir wohl diesen Grund nennen?“ fragte der Osage.

„Ja. Es genügt, wenn du nach der Farm reitest und Butler benachrichtigst. Er ist ganz der Mann, die richtigen Vorbereitungen zu treffen. Ich bleibe mit meinen Rafters hier und halte die Tramps so in Schach, daß sie nur langsam vorwärts kommen und gewiß nicht eher bei der Farm anlangen, als bis man dort zu ihrem Empfange bereit ist.“

„Mein Bruder hat stets den besten Gedanken; das würde auch dieses Mal der Fall sein, aber Butler ist nicht in seinem Wigwam.“

„Nicht?“ fragte Firehand überrascht.

„Nein. Als ich nach dem Osage-nook ritt, kam ich an der Farm vorüber und kehrte ein, um ein Calumet mit meinem weißen Bruder Butler zu rauchen. Ich traf ihn nicht daheim. Er hatte den Besuch seines fernen Bruders und dessen Tochter erhalten und war mit ihnen beiden nach Fort Dodge geritten, um Kleider für die weiße Tochter einzukaufen.“

„So ist der Bruder also schon angekommen! Weißt du, wie lange Butler in Fort Dodge bleiben will?“

„Noch einige Tage.“

„Und wann warst du auf der Farm?“

„Vorgestern des Morgens.“

„So muß ich hin, unbedingt hin,“ rief Old Firehand, indem er aufsprang.

„Wie lange währt es, bis du deine Osagen zur Hilfe bringen könntest?“

„Wenn ich jetzt sofort reite, so sind wir um nächste Mitternacht an der Farm.“

„Das ist viel, viel zu spät. Sind die Osagen jetzt mit den Sheyennes und Arapahoes befreundet?“

„Ja. Wir haben die Beile des Krieges in die Erde gegraben.“

„Diese beiden Stämme wohnen jenseits des Flusses und sind von hier aus in vier Stunden zu erreichen. Will mein Bruder in diesem Augenblicke aufbrechen, um ihnen eine Botschaft von mir zu überbringen?“

Der Häuptling sagte kein Wort; er trat zu seinem Pferde und stieg in den Sattel.

„Reite hin,“ fuhr Old Firehand fort, „und sage den beiden Häuptlingen, daß ich sie bitte, so schnell wie möglich mit je hundert Mann nach Butlers Farm zu kommen!“

„Ist das die ganze Botschaft?“

„Ja.“

Der Osage schnalzte mit der Zunge, gab seinem Pferde die Fersen und war einen Augenblick später im Dunkel der Nacht verschwunden. Der Lord schaute höchst verwundert drein. Gehorchte so ein Krieger wirklich so unbedingt und fraglos dem Manne mit dem Salonrocke? Aber dieser letztere saß auch bereits im Sattel.

„Mesch’schurs, wir dürfen keine Minute verlieren,“ sagte er. „Unsre Pferde sind zwar ermüdet, aber bis zur Farm müssen sie es noch aushalten. Vorwärts!“

Im Nu bildete sich der Zug. Voran Old Firehand mit seinen näheren Bekannten und Jägern, dann die Rafters und endlich die wenigen Osagen mit den Pferden. Das Feuer wurde verlöscht, und dann setzten sich die Reiter in Bewegung.

Erst ritt man langsam, dann im Trab, und als die Augen sich von dem Lagerfeuer weg an die Dunkelheit gewöhnt hatten, im Galopp. Der Lord machte sich an Bill und fragte. „Wird sich Old Firehand nicht etwa verirren?“

„O, noch viel weniger als der Osagenhäuptling. Man behauptet sogar, er könne des Nachts sehen wie eine Katze.“

„Und hat einen Gesellschaftsanzug an. Sonderbarer Heiliger!“

„Wartet nur, bis Ihr ihn im ledernen Büffelrock seht! Da bildet er eine ganz andre Figur.“

„Nun, Figur hat er auch so schon genug. Aber wer ist denn eigentlich die Frau, welche sich an Euch vergriffen hatte?“

„Frau? O, diese Lady ist ein Mann.“

„Wer es glaubt!“

„Glaubt es nur immerhin!“

„Sie wurde doch Tante genannt!“

„Zum Scherze nur, weil er eine so hohe Fistelstimme hat und sich so eigenartig kleidet. Er heißt Droll und ist ein sehr tüchtiger Jäger. Als Fallensteller besitzt er sogar einen ganz außerordentlichen Ruf. Die Biber und Ottern drängen sich geradezu in seine Fallen. Er scheint da ein Geheimnis zu besitzen, eine Lockung, welche kein andrer hat. Doch lassen wir jetzt das Reden. Wie wir jetzt reiten, hat man seine Portion Verstand zusammenzunehmen.“

Er hatte recht. Old Firehand ritt wie ein Teufel voran, und die andern hetzten wohl oder übel mit gleicher Schnelligkeit hinter ihm drein. Der Lord war ein leidenschaftlicher Parforcereiter und hatte schon oft seinen Hals gewagt; ein Ritt aber wie der gegenwärtige war ihm noch nicht vorgekommen. Man befand sich in dichter Finsternis, gerade wie in einem unerleuchteten Tunnel; kein Hügel war zu erkennen, auch nicht die Erde, welche die Hufe der Pferde berührten. Es war, als ob die Tiere sich in einem unendlichen, lichtlosen Schlunde bewegten, und doch kein Fehltritt und kein Straucheln! Ein Pferd folgte genau dem andern und alles kam bloß auf Old Firehand an. Sein Pferd war noch nie in dieser Gegend gewesen und noch dazu ein ganz gewöhnlicher Klepper, den er hatte nehmen müssen, weil kein andrer zu bekommen gewesen war. Der Lord begann wieder Respekt vor diesem Manne zu fühlen.

So ging es fort, eine halbe Stunde, eine ganze und noch eine ganze, mit nur kurzen Unterbrechungen, während denen sich die Pferde verschnaufen durften. Der Regen fiel noch immer hernieder, doch so dünn und leicht, daß er diese abgehärteten Männer nicht im geringsten zu genieren vermochte. Dann hörte man Old Firehand vorn rufen: „Aufgepaßt, Mesch’schurs! Es geht abwärts und dann durch eine Furt. Doch reicht das Wasser den Pferden nur bis an den Leib.“

Es wurde langsamer geritten. Man hörte das Rauschen eines Flusses und man sah trotz der ägyptischen Finsternis die phosphoreszierende Oberfläche des Wassers. Die Füße der Reiter badeten sich in der Flut, dann erreichte man das jenseitige Ufer. Noch ein kurzer Ritt von einer Minute; dann wurde angehalten und der Lord vernahm das scharfe Läuten einer Glocke. Vor seinen Augen war es gerade noch so finster wie vorher.

„Was ist das? Wer läutet, und wo sind wir?“ fragte er den Humply-Bill.

„An dem Thore von Butlers Farm,“ antwortete dieser.

„Seht Ihr denn etwas von dieser Farm?“

„Nein. Aber reitet einige Schritte näher, so werdet Ihr die Mauer fühlen.“

Hunde bellten. Aus ihren tiefen, rauhen Stimmen ließ sich auf ihre Größe schließen. Dann ertönte eine fragende Stimme: „Wer läutet, wer will herein?“

„Ist Master Butler schon zurück?“ fragte der Jäger.

„Nein.“

„So holt den Schlüssel von der Lady und sagt, daß Old Firehand hier ist!“

„Old Firehand? Well, Sir, soll schnell besorgt werden. Die Ma’am schläft nicht, und auch jedes andre Auge ist offen. Der Osage war im Vorüberreiten hier und hat gemeldet, daß Ihr kommen werdet.“

„Was für Menschen gibt es hier!“ dachte der Lord. „Der Häuptling ist also noch viel, viel schneller geritten als wir!“

Nach einiger Zeit hörte man Befehle, durch welche die Hunde zurückgescheucht wurden; dann klirrte ein Schlüssel im Schlosse, hölzerne Riegel schrieen, Angeln kreischten, und nun endlich sah der Lord mehrere Laternen, deren Lichter aber die Finsternis eines grenzenlos scheinenden Hofes nur noch undurchdringlicher machte. Herbeieilende Knechte nahmen den Reitern die Pferde ab, und dann wurden die Gäste in ein hohes, finster erscheinendes Haus geführt. Eine Magd bat Old Firehand, nach oben zur Ma’am zu kommen. Für die andern wurde im Parterre ein großes, rauchgeschwärztes Gemach geöffnet, von dessen Decke eine schwere Petroleumlampe herniederhing. Da standen einige Tafeln und Tische mit Bänken und Stühlen, auf denen die Männer Platz zu nehmen hatten. Auf den Tischen standen allerlei Eßwaren, Flaschen und Gläser, eine Folge davon, daß der Trupp von dem Häuptlinge angemeldet worden war.

Die Rafters ließen sich mit den Osagen an zwei langen Tafeln nieder und griffen sofort wacker zu. Der Westmann gibt und nimmt nicht gern unnötige Komplimente. Dabei hatte es sich wie ganz von selbst gemacht, daß die Elite der Gesellschaft an einen entfernten Tisch zu sitzen gekommen war. Dort hatte zuerst der Lord Platz genommen und den Humply-Bill und den Gunstick-Uncle neben sich gewinkt; dann war Tante Droll mit Fred Engel und dem schwarzen Tom zu ihnen gekommen, und endlich hatte sich auch Blenter, der alte Missourier, zu ihnen gemacht.

Nun ging es ans Essen und Trinken, daß es eine Art hatte. Der Lord schien der Ansicht zu sein, daß er, wenn er sich unter Wölfen befand, mit denselben heulen müsse, denn er hatte alle seine Standeswürde abgelegt und benahm sich nicht besser und nicht schlimmer als die Nachbarn, welche bei ihm saßen.

Später kam Old Firehand mit der Dame des Hauses, welche ihre Gäste auf das freundlichste willkommen hieß, herein. Sie erklärte dem Englishman, daß ein besonderes Zimmer für ihn bereit stehe, er aber verzichtete auf dasselbe und auf jeden Vorzug vor seinen Kameraden, da er jetzt nichts andres als ein Westmann sei. Dieses Verhalten erfreute die andern so, daß sie ihm ihre laute und aufrichtig gemeinte Anerkennung zuriefen. Old Firehand teilte dann mit, daß die Kameraden für heute nacht nicht in Anspruch genommen werden, sondern sich ausruhen sollten, um morgen frisch auf dem Platze sein zu können; es seien Knechte und Hirten genug da, mit deren Hilfe er die nötigen Vorbereitungen treffen werde.

Der Lord konnte den Blick nicht von ihm wenden, denn der berühmte Jäger hatte in kurzer Zeit seinen „zivilisierten“ Anzug ab- und sein Jägerkostüm angelegt. Er trug ausgefranste, nur bis an die Knie reichende und an den beiden Seiten reich gestickte Leggins, deren Säume in den weit heraufgezogenen Aufschlagestiefeln steckten, eine Weste von weichem, weißgegerbtem Rehleder, eine kurze hirschlederne Jagdjacke und darüber einen starken Rock von Büffelbauch. Um die kräftigen Lenden hatte er einen breiten Ledergürtel geschnallt, in welchem die kurzen Waffen steckten, und auf dem Kopfe saß ein Biberhut mit sehr breiten Krempen und hinten herabhängendem Biberschwanz, welcher wohl weniger dazu bestimmt war, dem riesigen Manne ein abenteuerliches Aussehen zu geben, als vielmehr dazu, seinen Nacken gegen den Hieb eines hinterlistigen Feindes zu schützen. Um seinen Hals hing eine lange Kette, welche aus den Zähnen des grauen Bären bestand, und an ihr die Friedenspfeife mit einem meisterhaft geschnittenen Kopfe aus dem heiligen Thone. Sämtliche Nähte des Rockes waren mit Grislykrallen verbrämt, und da ein Mann wie Old Firehand sicherlich nicht fremde Beute trug, so konnte man aus diesem Schmucke und der Pfeifenkette ersehen, wie viele dieser furchtbaren Tiere seiner sichern Kugel und seiner starken Faust zum Opfer gefallen waren. Als er sich dann mit der Dame entfernt hatte, meinte der Englishman zu den andern: „Nun glaube ich gern alles, was man von ihm erzählt. Dieser Mann ist ja der richtige Gigant!“

„Pshaw!“ antwortete Droll. „Nicht nach der Gestalt allein will ein Westmann beurteilt sein; der Geist hat weit höhern Wert. Es ist höchst selten, daß solche Riesen Mut besitzen. Bei ihm ist freilich beides beisammen. Old Shatterhand ist nicht so lang und breit, und Winnetou, der Apache, ist noch weit schmächtiger; aber beide stehen ihm in jeder Beziehung gleich.“

„Auch in Betreff der Körperstärke?“

„Ja. Ich habe gesehen, daß Old Shatterhand mit einem Arme einen Mustang dreimal auf und nieder riß. Wer weiß, ob Old Firehand ihm das nachzumachen versteht. Die Muskeln des Westmannes werden nach und nach wie Eisen und die Flechsen wie Stahl, auch wenn er nicht die Gestalt eines Riesen besitzt.“

„So seid wohl auch Ihr von Stahl und Eisen, Master Droll?“

Es klang etwas wie Hohn in seinem Tone, doch der Kleine antwortete freundlich lächelnd: „Wollt Ihr das wissen, Sir?“

„Yes, sehr gern.“

„Es scheint aber, Ihr zweifelt daran?“

„Allerdings! Eine Tante, und stählerne Muskeln und Flechsen! Wollen wir wetten?“

„Was und wie?“

„Wer stärker ist, ich oder Ihr.“

„Warum nicht?“

Jetzt endlich hatte der Englishman einen gefunden, der ihn nicht zurückwies. Er sprang erfreut auf und rief: „Aber, Tante Droll, ich habe manchen geworfen, der sich bücken mußte, um Euch nur zu sehen! Wollt Ihr’s wirklich wagen?“

„Versteht sich!“

„Um fünf Dollar?“

„Well!“

„Ich werde sie Euch borgen.“

„Danke! Droll borgt nie.“

„So habt Ihr Geld?“

„Für das, was Ihr gewinnen könnt, reicht es gewißlich aus, Sir.“

„Auch zehn Dollar?“

„Auch das.“

„Oder zwanzig?“

„Warum nicht!“

„Vielleicht sogar fünfzig?“ rief der Lord in seiner Herzensfreude. „Einverstanden! Aber nicht mehr, denn ich will Euch nicht um Euer Geld bringen, Sir.“

„Wie? Was? Den Lord Castlepool um sein Geld bringen! Seid Ihr wahnsinnig, Tante? Heraus mit dem Gelde! Hier sind fünfzig Dollar.“

Er zog die an dem starken Hüftriemen hängende eine Tasche nach vorn, entnahm derselben zehn Fünfdollarnoten und legte sie auf den Tisch. Droll fuhr mit der Hand in das herabhängende Ärmelende seines Sleeping-gown und brachte einen Beutel zum Vorscheine. Als er denselben geöffnet hatte, zeigte es sich, daß er mit lauter haselnußgroßen Nuggets gefüllt war. Er legte fünf derselben auf den Tisch, steckte den Beutel wieder ein und sagte: „Ihr habt Papier, Mylord? Fie! Die Tante Droll macht nur in echtem Gold. Diese Nuggets sind mehr als fünfzig Dollar wert. Und nun kann’s losgehen, aber wie?“

„Macht mir’s vor, und ich mach’s nach; dann umgekehrt.“

„Nein. Ich bin nur eine Tante; Ihr aber seid ein Lord. Ihr habt also den Vortritt.“

„Gut! Steht also fest, und wehrt Euch; ich hebe Euch da auf den Tisch!“

„Versucht’s einmal!“

Droll spreizte die Beine auseinander, und der Lord packte ihn bei den Hüften, um ihn zu heben; aber die Füße der Tante verließen den Boden um keines Zolles Höhe. Es war, als ob Droll von Blei sei. Der Engländer mühte sich vergeblich ab und mußte endlich eingestehen, daß er außer stande sei, sein Vorhaben auszuführen, doch tröstete er sich selbst mit den lauten Worten: „Brachte ich Euch nicht hinauf, dann bringt Ihr’s mit mir erst recht nicht zuwege.“

„Wollen sehen,“ lachte Droll, indem er den Blick zur Decke hob, an welcher gerade über dem Tische ein starker Eisenhaken zum Aufhängen einer zweiten Lampe angebracht war. Die andern, welche diesen sahen und die drollige Tante, welche wirklich eine sehr ungewöhnliche Körperstärke besaß, kannten, stießen sich heimlich an.

„Nun, vorwärts!“ drängte der Lord.

„Also bloß bis auf den Tisch?“ fragte Droll.

„Wollt Ihr mich vielleicht noch höher bringen?“

„So hoch, wie es hier möglich ist. Paßt auf, Sir!“

Er stand trotz der Unbeholfenheit seiner Kleidung mit einem einzigen Sprunge auf dem Tische und ergriff den Lord bei den Achseln. Dieser flog so schnell, daß er gar nicht bemerken konnte, in welcher Weise es geschah, empor, hoch über den Tisch hinauf und hing einen Augenblick später mit dem bereits erwähnten Hüftriemen an dem Haken. Droll aber sprang herab und fragte lachend: „Nun, seid Ihr oben, Sir?“

Der Englishman schlug mit Armen und Beinen um sich und rief: „Himmel, wo bin ich! Woe to me, an der Decke! Nehmt mich herab, nehmt mich herab! Wenn der Haken nachgibt, breche ich den Hals!“

„Sagt erst, wer gewonnen hat!“

„Ihr natürlich, Ihr.“

„Und der zweite Teil der Wette, den nun ich Euch vormachen soll?“

„Den erlasse ich Euch. Nehmt mich nun herab! Schnell, schnell!“

Droll stieg wieder auf den Tisch, von welchem natürlich das Speisegeschirr entfernt worden war, ergriff den Engländer mit beiden Händen an den Hüften, hob ihn empor, daß der Riemen aus dem Haken kam, und schwenkte ihn erst neben sich auf dem Tisch und dann hinab auf den Fußboden. Als er nachgesprungen war, legte er ihm die Hand auf die Schulter und fragte: „Nun, Sir, wie gefällt Euch die Tante?“

„Much, how much, too much – sehr, wie sehr, allzusehr!“ antwortete der Gefragte, indem sein Blick noch immer dort hing, wo er selbst gehangen hatte.

„Dann also in den Sack mit dem alten Papiere!“

Er steckte die Noten und Nuggets in den Beutel und fuhr dann schmunzelnd fort: „Und bitte, Mylord, wenn Ihr wieder einmal wetten wollt, so wendet Euch getrost an mich! Ich mache immer mit.“

Er stellte die Teller, Flaschen und Gläser wieder auf den Tisch, wobei ihm von allen Seiten anerkennend zugenickt wurde. Der Lord aber setzte sich wieder nieder, betastete seine Arme, Beine und Hüften, um zu sehen, ob da vielleicht eine Schraube locker geworden sei, und als er sich überzeugt hatte, daß er sich ganz wohl befinde, gab er der Tante die Hand und sagte, indem er vergnügt lächelte: „Herrliche Wette. Nicht wahr? Sind doch prächtige Kerls, diese Westmänner? Man muß sie nur richtig behandeln!“

„Nun, ich denke, daß ganz im Gegenteile ich es bin, der Euch behandelt hat, Sir.“

„Auch richtig. Ihr seid wirklich stark. Das hat aber seinen guten Grund, denn Ihr stammt jedenfalls aus Oldengland?“

„O nein, Sir. Ich bin ein Deutscher,“ antwortete die Tante bescheiden.

„Ein Deutscher? Dann aber doch sicher aus Pommern?“

„Falsch geraten! Dort wachsen die Pflanzen höher und breiter als ich bin. Ich stamme aus Altenburg.“

„Hm! Kleines Nest!“

„Deutsches Herzogtum, Sir! Dort kommen die besten Ziegenkäse her.“

„Kenne ich nicht.“

„Das ist jammerschade!“

„Rührt mich aber nicht zu Thränen. Ihr seid ein tüchtiger Kerl, Tante. Interessiere mich für Euch. Ihr seid doch nicht immer Westmann gewesen? Oder gibt es in Altenburg auch Trappers?“

„Zu meiner Zeit noch nicht. Es müßten sich vielleicht jetzt welche eingenistet haben.“

„Was war Euer Vater, und warum seid Ihr nach den Vereinigten Staaten gegangen?“

„Mein Vater war kein Lord, aber viel, viel mehr.“

„Pshaw, ist nicht möglich!“

„Sehr! Ihr seid nur Lord, wahrscheinlich weiter nichts. Mein Vater aber war vielerlei.“

„Nun, was denn?“ drängte der Lord, welcher erwartete, eine sehr interessante Lebensgeschichte zu hören.

„Er war Hochzeits-, Kindtaufs- und Leichenbitter, Glöckner, Kirchner, Kellner und Totengräber, Sensenschleifer, Obsthüter und zugleich Bürgergardenfeldwebel. Ist das nicht genug?“

„Well, mehr als genug!“

„Richtig, denn wenn ich es kürzer fassen will, so war er ein braver Mann.“

„Er ist tot?“

„Schon längst. Ich besitze keine Verwandten mehr.“

„Und da seid Ihr aus Gram über das große Wasser gegangen?“

„Nicht aus Gram. Mein Dialekt hat mich herübergetrieben.“

„Euer Dialekt? Wie ist das möglich?“

„Um das zu verstehen, müßtet Ihr ein Deutscher sein, oder wenigstens deutsch sprechen können. Man sagt, daß ein jeder Mensch unsichtbar einen Engel und einen Teufel neben sich habe; nun, mein Teufel ist der Altenburger Dialekt gewesen. Er hat mich daheim, aus einem Hause in das andre, aus einer Straße in die andre, aus einem Orte in den andern und endlich gar über das Meer getrieben. Dann endlich ist mir dieser Satanas, da hier englisch gesprochen wird, abhanden gekommen. Ich sehne mich nach meinem Vaterlande, ich hätte auch die Mittel, mich da drüben dauernd zur Ruhe zu setzen, aber ich kann leider nicht hinüber, denn in Hamburg oder Bremerhaven steht dieser Teufel schon seit Jahren, um sich mir sofort nach der Landung wieder beizugesellen.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Aber ich verstehe es,“ fiel der schwarze Tom ein. „Droll spricht nämlich ein so schauderhaftes Deutsch, daß er sich drüben gar nicht hören lassen kann.“

„So muß er es besser lernen!“

„Geht nicht! Es ist von allen Seiten an ihm herumgepaukt worden, doch nur mit dem einzigen Erfolge, daß er immer konfuser geworden ist. Reden wir von andern Dingen; er liebt dieses Thema nicht.“

Jetzt kam Old Firehand wieder, um die Leute darauf aufmerksam zu machen, daß es geraten sei, jetzt zur Ruhe zu gehen, da man sehr früh schon wieder wach sein müsse. Die Männer gehorchten dieser Aufforderung mit löblicher Bereitwilligkeit und begaben sich in einen Raum, in welchem auf Holzrahmen gespannte Häute hingen, die den Bediensteten der Farm sowohl als Hängematten, wie auch als Schlafstellen dienten. Für Bequemlichkeit war durch weiche Unterlagen und Decken gesorgt. In diesen echt westlichen Bettstellen schliefen die Männer auf das prächtigste.

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Sechzehntes Kapitel

Am Silbersee.

Es war eine gewaltige Scenerie, welche sich den Augen der Weißen bot, als sie nach einigen Tagen sich dem Ziele ihres beschwerlichen Rittes näherten. Sie ritten in einem langsam aufsteigenden Canon, an dessen beiden Seiten mächtig hohe Felsenmassen aufstarrten, und zwar in einem Farbenglanze, welcher die Augen beinahe blendete. Kolossale Sandsteinpyramiden, eine neben der andern stehend, oder sich coulissenartig vor- und hintereinander schiebend, strebten in einzelnen, verschieden gefärbten Lagerungen und Stockwerken zum Himmel empor. Bald bildeten diese Pyramiden gradlinige senkrechte Wände; bald waren sie mit ihren vielen Pfeilern und vorspringenden Ecken, Spitzen und Kanten mit steinernen Schlössern oder phantastischen Citadellen zu vergleichen. Die Sonne stand hoch, schräg über diesen großartigen Formationen und ließ dieselben in einer geradzu unbeschreiblichen Farbenpracht erglänzen. Gewisse Felsen schillerten im hellsten Blau, andre tief goldigrot; zwischen ihnen lagen gelbe, olivengrüne und im feurigsten Kupfer funkelnde Lagerungen, während in den Furchen ein gesättigt blauer Schatten ruhte. Aber dieses Gepränge, bei welchem dem Beschauer die Augen übergehen wollten, war ein totes; es fehlte ihm das Leben, die Bewegung. Es floß kein Wassertropfen zwischen diesen Felsen; kein Halm fand Nahrung auf dem tiefen Grunde, und an den starren Mauern war kein grünender Zweig, kein einziges Blatt, dessen Grün dem Auge wohlgethan hätte, zu bemerken. Aber daß es zu Zeiten hier Wasser gab, und zwar in gewaltiger Menge, das bewiesen die Spuren, welche zu beiden Seiten deutlich am Gestein zu erkennen waren. In diesen Zeiten bildete der jetzt trockene Canon das Bett eines Stromes, welcher seine reißenden Fluten tief und breit in den Colorado ergoß. Dann war die Schlucht wochenlang für jeden menschlichen Fuß gesperrt, und wohl schwerlich konnte ein kühner Westmann oder Indianer es wagen, sich den Wogen auf schwankem, gebrechlichem Canoe anzuvertrauen. Die Sohle des Canon bestand dementsprechend aus einer tiefen Lage rundgescheuerter Steine, deren Zwischenräume mit Sand ausgefüllt waren. Das gab eine sehr beschwerliche Bahn, denn die runden Steine wichen bei jedem Schritte unter den Hufen der Pferde und ermüdeten die Tiere so, daß man von Zeit zu Zeit Halt machen mußte, um sie ausruhen zu lassen. Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou ritten voran. Der erstere widmete der Umgebung eine auffällige Aufmerksamkeit. Man sah ihm an, daß er nach einer Stelle suchte, welche ihm jedenfalls von Wichtigkeit war.

Da, wo zwei gewaltige Felsenpfeiler sich in der Höhe aneinander lehnten und unten einen Zwischenraum ließen, welcher kaum zehn Fuß breit war und sich nach innen noch zu verengern schien, hielt er sein Pferd an, betrachtete die Stelle mit prüfendem Blicke und sagte: „Hier muß es sein, wo ich damals herauskam, nachdem ich die Ader gefunden hatte. Ich glaube nicht, daß ich mich irre.“

„Und da willst du hinein?“ fragte Old Shatterhand.

„Ja. Und ihr sollt mit.“

„Führt der Spalt denn weiter? Es scheint doch, daß er bald zu Ende geht.“

„Wollen sehen. Es ist doch möglich, daß ich mich irre.“

Er wollte vom Pferde steigen, um nachzuforschen; aber der Apache lenkte sein Tier nach der Felsenenge und sagte in seiner ruhigen, sicheren Weise: „Meine Brüder mögen mir folgen, denn hier beginnt ein Weg, auf welchem wir eine große Strecke abschneiden werden. Auch ist er für die Pferde viel bequemer als der Geröllboden des Canons.“

„Du kennst diese Spalte?“ fragte Old Firehand überrascht.

„Winnetou kennt alle Berge, Thäler, Schluchten und Risse genau; du weißt, daß er sich niemals irrt.“

„Das ist wahr. Aber daß du gerade diese Stelle kennst, und daß du von ihr behauptest, der Anfang eines Weges zu sein, das ist sonderbar. Kennst du die Gegend, in welche er führt?“

„Ja. Diese Spalte wird erst noch enger; dann verbreitert sie sich sehr, nicht zu einer schmalen Schlucht, sondern zu einer glatten Felsenfläche, welche wie eine riesige Tafel allmählich in die Höhe steigt.“

„Das stimmt, das stimmt! Ich bin also an der richtigen Stelle. Diese Tafel führt mehrere hundert Fuß nach oben. Und was kommt dann? Weißt du es?“

„Die obere Kante dieser Tafel fällt dann jenseits jäh in die Tiefe, in einen großen, runden Kessel, aus welchem eine schmale, viel gewundene Felsenenge hinauf in das weite, schöne Thal des Silbersees führt.“

„Auch das ist richtig. Bist du in diesem Kessel gewesen?“

„Ja.

„Hast du da vielleicht etwas Merkwürdiges gefunden?“

„Nein. Es ist nichts, gar nichts da zu finden, kein Wasser, kein Gras, kein Tier. Kein Käfer, keine Ameise kriecht über das ewig trockene Gestein.“

„So will ich dir beweisen, daß man doch etwas findet, etwas, was viel kostbarer ist, als Wasser und Gras.“

„Meinst du die Silberader, welche du entdeckt hast?“

„Ja. Es gibt da nicht nur Silber, sondern auch Gold. Dieser Felsenkessel ist es, wegen dessen ich den weiten Ritt unternommen habe. Vorwärts, biegen wir hier ab!“

Sie ritten in den Spalt hinein, einzeln hintereinander, denn es gab nicht Platz genug für zwei. Bald aber traten die Felsenwände weiter und immer weiter auseinander; die gigantischen Pfeiler öffneten sich, und nun lag, mit dem untersten Winkel an die Spalte stoßend, vor den Reitern ein mächtiges, glattes Felsendreieck, welches sich langsam und dachförmig zwischen rechts und links zurückweichenden Wänden erhob und oben gegen den hellen Himmel eine scharfe, schnurgerade Grundlinie bildete.

Da hinauf ging nun der Ritt. Es war, als ob die Pferde ein ungeheures Dach zu erklimmen hätten, doch war die Steigung desselben nicht so bedeutend, daß sie allzu große Schwierigkeiten bot. Es dauerte wohl eine Stunde, ehe der Zug oben ankam, und nun dehnte sich vor den Reitern eine meilenweite Felsenebene nach Westen hin, in deren Vordergrund der tiefe Kessel, von welchem Old Firehand und Winnetou gesprochen hatten, eingesenkt war. Aus diesem sah man von oben aus einen dunkeln Strich links ab nach Süden gehen. Das war die erwähnte Felsenenge, durch welche man aus dem Kessel nach dem Silbersee gelangte.

Nun ging es in die Tiefe hinab. Die Senkung war so bedeutend, daß man vom Pferde steigen mußte. Es gab sogar Stellen, an welchen die Passage fast gefährlich wurde. Man hatte die Gefangenen natürlich von den Pferden gebunden und ihnen die Beine freigegeben, damit sie hinabsteigen konnten. Der junge Navajo hielt sich hart hinter ihnen und ließ sie nicht aus dem Auge. Unten angekommen, mußten sie wieder aufsteigen, um festgebunden zu werden.

Nun wollte Old Firehand den Gefährten seinen Fund zeigen, aber die Utahs durften nichts von demselben wissen. Darum wurden sie, ein Stück in die Felsenenge hineingebracht, und einige Rafters blieben mit dem Navajo bei ihnen, um sie zu bewachen. Die andern waren gar nicht wieder in den Sattel gestiegen. Die Kunde, daß man sich an dem langersehnten Fundorte befinde, versetzte sie in die größte Aufregung. Der Kessel hatte einen Durchmesser von wenigstens einer englischen Meile. Sein Boden bestand aus tiefem Sande, untermischt mit abgescheuerten Steinen bis zur Größe einer Männerfaust. Zwei Männer waren hier von großer Bedeutung, nämlich Old Firehand, welcher die Ader anzugeben hatte, und Butler, der Ingenieur, welcher den Fund und die Möglichkeit der Ausbeutung technisch begutachten sollte. Dieser letztere ließ seinen prüfenden Blick rund umherschweifen und meinte dann: „Es ist möglich, daß wir hier auf eine reiche Bonanza stoßen. Gibt es wirklich edles Metall hier, so steht allerdings zu erwarten, daß es gleich in bedeutenden Mengen vorhanden ist. Diese ungeheure Vertiefung wurde im Laufe der Jahrhunderte ausgewaschen. Das Wasser strömte durch die Felsenenge von Süden herbei und bildete, da es nicht weiter konnte, einen Strudel, welcher das Gestein ablöste und zu Gries und Sand zerrieb. Der Boden, auf welchem wir stehen, wurde durch den allmählichen Niederschlag gebildet und muß die ausgewaschenen Metalle enthalten, welche infolge ihrer Schwere am tiefsten sanken und also unter dem Sande liegen. Wenn wir einige Ellen tief nachgraben, wird es sich zeigen, ob unsre Reise erfolgreich oder vergeblich war.“

„Wir brauchen nicht nachzugraben. Es genügt doch, nachzuweisen, daß die Ufer dieses einstigen Wasserloches das gesuchte Metall enthalten?“ antwortete Old Firehand.

„Allerdings. Gibt es in diesen Wänden Gold oder Silber, so ist ganz bestimmt auch der Boden des Kessels mit diesen Metallen geschwängert.“

„So kommt! Ich will euch den Beweis liefern.“

Er schritt in gerader Richtung nach einer Stelle, welche er genau zu kennen schien. Die andern folgten ihm in größter Spannung.

„Vetter, mir schuckert das Herz,“ gestand der Hobble-Frank dem Altenburger. „Wenn wir hier Silber finden oder gar Gold, so raffe ich mir alle Taschen voll und fahre nachher heeme, nach Sachsen. Dort baue ich mir am lieblichen Schtrande der Elbe eene sogenannte Villa und recke von früh bis abends den Kopp zum Fenster ‚raus, um den Leuten zu zeigen, was für een vornehmer und großartiger Kerl ich geworden bin.“

„Und ich,“ antwortete Droll, „koof mer ee Bauergut mit zwanzig Pferden und achtzig Kühen und mache weiter nischt als Quark und Ziegenkäse. Dadroff kommt’s nämlich im Altenburgischen hauptsächlich an.“

„Und wenn wir aber nischt finden?“

„Ja, wenn nischt gefunde wird, so könne mer ooch nischt mache. Aber ich denk, daß mer schon Glück habe werde, denn es verschteht sich ganz von selber, daß es in der Nähe des Silbersees ooch Silber gebe muß.“

Seine Zuversicht sollte nicht zu Schanden werden. Old Firehand war an der Felswand angelangt, welche sich hier unterwaschen und zerbröckelt zeigte. Er zog einen lockern Stein heraus, noch einen und noch mehrere. Es entstand ein Riß, welcher mit diesen Steinen verschlossen worden war. Dieser Riß war durch natürlichen Einfluß entstanden und, wie man deutlich sah, künstlich erweitert worden. Old Firehand langte mit der Hand hinein und sagte dabei: „Von dem, was ich hier fand, habe ich mir eine Probe mitgenommen und untersuchen lassen. Jetzt will ich sehen, ob das Gutachten Butlers dasselbe ist.“

Als er nun die Hand zurückzog, hielt er in derselben ein weißes, bräunlich angelaufenes und drahtähnliches Gebilde, welches er dem Ingenieur hinreichte. Kaum hatte dieser es genommen und einen Blick darauf geworfen, so rief er laut: „Himmel! das ist ja reines gediegenes Silber! Und das hat ursprünglich hier in diesem Spalt gesteckt?“

„Ja, der ganze Spalt war damit ausgefüllt. Er scheint sich tief in das Gestein hineinzuziehen und sehr reich an Metall zu sein.“

„So kann ich garantieren, daß wir hier eine außerordentlich reiche Ausbeute machen werden. Jedenfalls gibt es noch mehr solche Klüfte und Sprünge, welche Gediegenes enthalten.“

„Und auch feste Gänge mit Erz, wie ich gleich zeigen werde,“ lächelte Old Firehand.

Er holte einen zweiten noch viel größeren Gegenstand heraus und gab ihn dem Ingenieur. Es war ein mehr als zwei Faust großes Erzstück, welches Butler aufmerksam betrachtete, um dann auszurufen: „Die chemische Untersuchung ist freilich viel sicherer; aber ich möchte darauf schwören, daß wir es hier mit Chlorsilber, also Silberhornerz, Kerargyrit zu thun haben!“

„Das stimmt. Die chemische Analyse hat Chlorsilber ergeben.“

„Mit wie viel Prozent?“

„Fünfundsiebzig Prozent reines Silber.“

„Welch ein Fund! Allerdings findet man in Utah vorzugsweise Silberhornerz. Wo ist die betreffende Ader?“

„Weiter dahinten an der andern Seite des Kessels. Ich habe sie hoch mit Geröll bedeckt, werde sie euch aber zeigen. Und nun, was ist das?“

Er brachte aus der Spalte mehrere Körner von der Größe einer Haselnuß.

„Nuggets, Gold!“ schrie der Ingenieur. „Auch von hier?“

„Ja. Wir hatten uns damals hier versteckt und konnten nicht fort, weil die Roten auf uns lauerten. Es fehlte uns an Wasser, und ich grub den Sand auf, um zu versuchen, ob der Boden Feuchtigkeit enthalte. Wasser gab es nicht, aber solche Nuggets fand ich mehrere.“

„So gibt es auch Goldgänge hier, ganz wie ich vorhin gesagt habe! Old Firehand, hier liegen Millionen, und der Entdecker ist ein reicher, steinreicher Mann!“

„Nur der Entdecker? Ihr alle sollt teilhaben. Ich bin der Entdecker, Butler ist der Ingenieur, und die andern helfen ausbeuten. Zu diesem Zwecke habe ich euch mitgenommen. Die Bedingungen, unter denen wir zusammen arbeiten, und der Anteil, den jeder einzelne bekommt, das werden wir noch bestimmen.“

Die Worte riefen einen allgemeinen Jubel hervor, einen Jubel, welcher gar nicht nachlassen wollte. Old Firehand zeigte nun den Gang des Silbererzes, welcher ein ganz bedeutender war. Es stand zu erwarten, daß dies nicht der einzige sei. Die meisten zeigten Lust, gleich auf der Stelle nachzuforschen, doch Old Shatterhand that dem Einhalt, indem er warnte: „Nicht so eilig, Mesch’schurs! Wir haben zunächst an noch andres zu denken. Wir befinden uns ja nicht allein hier oben.“

„Aber wir sind den Roten zuvorgekommen,“ bemerkte der Lord, welcher zwar keinen Anspruch auf den Metallfund machte, aber sich wenigstens ebenso sehr wie die andern über denselben freute.

„Zuvorgekommen, ja, aber nicht weit. Der Navajo, welcher sich bei uns befindet, kennt die Rückzugslinie der Seinen ganz genau. Er hat berechnet, daß sie kaum einige Stunden später als wir am See eintreffen werden, und hinter ihnen folgen jedenfalls sofort die Utahs. Wir haben also keine Zeit zu verlieren, uns darauf vorzubereiten.“

„Das ist wahr,“ stimmte Old Firehand bei. „Aber wissen möchte ich doch, ob die Ausbeutung hier auf große Schwierigkeiten stoßen wird. Uns das zu sagen, wird Master Butler wohl nur einiger Minuten bedürfen. Also Butler, gebt Antwort!“

Master Butler prüfte mit einem langen Blicke die Umgebung und sagte dann: „Wasser ist’s, vor allen Dingen Wasser, dessen wir bedürfen. Welches ist die nächste Stelle, an welcher dasselbe vorhanden ist?“

„Eben der Silbersee.“

„Wie weit liegt er von hier?“

„In zwei Stunden sind wir dort.“

„Liegt er höher als diese Stelle?“

„Bedeutend.“

„So wäre also das nötige Gefälle vorhanden. Nur fragt es sich, ob die Möglichkeit da ist, es hierher zu leiten.“

„Die Felsenenge, welche den einzigen Zugang zu diesem Kessel bildet, führt ja hinauf und mündet in der Nähe des Sees.“

„Das ist wichtig, denn da kann ich annehmen, daß die Zuleitung auf keine unüberwindlichen Schwierigkeiten stoßen wird. Aber Röhren brauchen wir, wenn auch später von Eisen, so zunächst nur von Holz. Und gibt es solches hier?“

„Massenhaft. Der Silbersee ist ganz von Wald umgeben.“

„Das ist prächtig! Vielleicht brauchen wir nicht die ganze Strecke mit Röhren zu belegen. Wir können ja etwas aufwärts von hier ein Reservoir anlegen. Vom See bis in dieses Reservoir kann das Wasser offen fließen. Von da aus aber muß es in Röhren genommen werden, damit wir den nötigen Druck bekommen.“

„Ach, wegen der Spritzen?“

„Ja. Wir werden uns natürlich hüten, das Gestein mit Hacke und Schaufel zu bearbeiten. Es wird mit Wasser gesprengt und nur da, wo die Spritze nicht greift, nehmen wir Pulver. Auch hier der metallhaltige Boden wird mit Wasser behandelt.“

„Aber dann muß dasselbe einen Abfluß haben, sonst füllt sich der Kessel und wir können nicht arbeiten.“

„Ja, der Abfluß! Es gibt hier keinen, und doch muß er geschafft werden. Ich denke, zunächst wird ein Pump- oder Paternosterwerk genügen, mit welchem wir das Wasser da zur Höhe heben, über welche wir gekommen sind. Von da läuft es von selbst hinab und durch die Spalte in den Canon. Während wir jetzt hinauf zum See reiten, werde ich sehen, ob und in welcher Weise sich die Sache machen läßt. Freilich sind uns Maschinen nötig, welche wir nicht haben; aber das macht keine Schwierigkeit. In Zeit von einem Monat kann alles Nötige beisammen sein. Zwei Punkte nur sind es, welche mir Bedenken machen.“

„Welche?“

„Erstens die Indianer. Wollen wir uns von ihnen nach und nach abschlachten lassen?“

„Das haben wir nicht zu besorgen. Old Shatterhand, Winnetou und ich, wir sind mit den betreffenden Stämmen so gut befreundet, daß wir leicht ein gutes Abkommen mit ihnen treffen werden.“

„Gut! Aber der Grund und Boden? Wem gehört der?“

„Den Timbabatschen. Der Einfluß Winnetous wird sie bestimmen, ihn uns zu verkaufen.“

„Und wird die Regierung diesen Kauf anerkennen?“

„Ich möchte den Mann sehen, der mir dann meine Rechte streitig machen wollte! Dieser Punkt macht mir gar keine Schmerzen.“

„So bin ich befriedigt. Die Hauptsache ist die Möglichkeit, das Wasser des Sees nach hier zu leiten, und darüber werde ich mich während unsers jetzigen Rittes instruieren. Wir wollen fort!“

Der kleine Spalt, welchen Old Firehand geöffnet hatte, wurde geschlossen und auch der Erzgang wieder zugeworfen; dann stieg die Gesellschaft wieder zu Pferde, um den unterbrochenen Ritt fortzusetzen. Es war eine Art Hohlweg, in welchem die gefangenen Roten mit ihren Wächtern gewartet hatten, eine durch das Wasser früher in den Stein gefressene, vielfach gewundene Rinne von wenigstens zehn und höchstens zwanzig Fuß Breite, welche den Weg nach aufwärts bildete. Auch sie war vollständig pflanzenleer. Der frühere Wasserlauf war vollständig vertrocknet und führte vielleicht nur zur Frühjahrszeit ein wenig Feuchtigkeit, welche nicht im stande war, vegetabilisches Leben hervorzurufen.

Die zwei Stunden waren fast vergangen, als das einstige Flußbett plötzlich breiter wurde, um einen von Felsen eingefaßten Plan zu bilden, welcher ein stehendes Gewässer enthielt. Hier gab es Gras, zum erstenmal nach einem langen Ritte. Die Pferde hatten infolge der Hitze, des Wassermangels und des schlechten Weges sehr gelitten. Sie wollten dem Zügel nicht mehr gehorchen, sondern fressen. Darum stiegen die Reiter ab, um ihnen den Willen zu thun. Sie setzten sich in einzelne Gruppen zusammen und unterhielten sich über die Reichtümer, welche sie in der Zukunft zu besitzen hofften. Feindliche Indianer waren hier nicht zu befürchten; man wollte nur eine ganz kurze Zeit rasten und darum dachte man nicht daran, Wachen auszustellen.

Der Ingenieur hatte dem zurückgelegten Wege seine ganze Aufmerksamkeit zugewendet; jetzt äußerte er sich über das Ergebnis. „Bis hierher bin ich außerordentlich befriedigt. Der Hohlweg gibt Raum nicht nur zur Wasserleitung, sondern auch zum Transport jedes Gegenstandes, dessen wir bedürfen. Wenn unsre Ansprüche noch weiter so befriedigt werden, so muß ich sagen, daß die Natur uns in höchst freundlicher Weise entgegenkommt.“

„Du,“ meinte der Hobble-Frank, indem er dem Altenburger einen Rippenstoß versetzte, „hörscht du’s? Es wird mehrschtenteels etwas aus meiner Villa.“

„Und ebenso aus meinem Bauerngut! Na, freu‘ dich, Altenburg, wenn der berühmteste deiner Söhne angefahre kommt mit eenem Geldsacke, zwanzig Elle lang! Vetter, komm her, ich muß dich küsse!“

„Itzt noch nich!“ wehrte Frank ab. „Noch liegt der Reichtum im Zeitenschoße der konfernalen Zukunftsform verborgen, und wir müssen als vorsichtige Leute gewärtig sein, daß meine Villa und dein Bauerngut in een substantielles Nichts verfliegen. Als geborener Sachse und gelernter Pfiffikus zweifle ich zwar gar nich, daß meine Hoffnungen sich in die schönste Erfüllung absolvieren, aber zum Küssen is es denn doch noch nich. Ich bin – – –“

Er wurde unterbrochen, denn der Ingenieur rief in besorgtem Tone: „Ellen! Wo ist Ellen? Ich sehe sie nicht!“

Das Mädchen hatte hier seit zwei Tagen nicht nur das erste Gras, sondern auch einige Blumen gesehen und sich beeilt, dieselben zu pflücken, um sie dem Vater zu bringen. Die Feuchtigkeit des nahen Sees durchdrang die Erde bis hierher; darum begann hier eine Vegetation, welche aufwärts immer kräftiger wurde und sogar den nach dem See führenden Hohlweg bekleidete. Ellen war sorglos in denselben eingedrungen. Sie ging pflückend weiter und weiter, bis sie an eine Biegung kam. Da fiel ihr ein, daß sie sich nicht so weit entfernen dürfe. Eben wollte sie umkehren, als drei Männer um die Krümmung des Weges traten, drei bewaffnete Indianer. Das Mädchen war starr vor Schreck, wollte um Hilfe rufen, brachte aber keinen Laut hervor. Der Indianer ist durch Erziehung geistesgegenwärtig; er handelt in jeder Lage schnell und mit Entschlossenheit. Kaum erblickten die drei das Mädchen, so warfen sich zwei von ihnen auf sie, um sie zu ergreifen. Der eine preßte ihr die Hand auf den Mund; der andre hielt ihr das Messer entgegen und drohte in gebrochenem Englisch: „Still, sonst tot!“

Der dritte huschte vorwärts, um nachzusehen, zu wem die Weiße gehöre, denn es verstand sich von selbst, daß sie nicht allein sei. Er kehrte nach kaum zwei Minuten zurück und raunte seinen Gefährten einige Worte zu, welche Ellen nicht verstand, dann wurde sie fortgerissen, ohne daß sie es wagte, einen Ton hören zu lassen.

Nach kurzer Zeit war der Hohlweg zu Ende; er mündete auf eine nicht hohe Berglehne, deren unterer Saum mit Büschen besetzt war, welche nach oben in Wald übergingen. Ellen wurde zwischen die Büsche hinein- und dann nach den Bäumen gezerrt, wo eine Anzahl Indianer saßen. Sie hatten ihre Waffen neben sich liegen, ergriffen sie aber sofort und sprangen auf, als sie ihre Kameraden mit dem Mädchen kommen sahen.

Ellen verstand kein Wort von dem, was gesprochen wurde; aber sie sah die Blicke aller drohend auf sich gerichtet und glaubte sich infolgedessen in der größten Gefahr. Da fiel ihr das Totem ein, welches der „kleine Bär“ ihr auf dem Schiffe gegeben hatte. Er hatte ihr gesagt, daß diese Schrift sie vor jeder Feindschaft schützen werde. „Sein Schatten ist mein Schatten, und sein Blut ist mein Blut; er ist mein älterer Bruder,“ so lautete der Inhalt. Sie zog die Schnur hervor, an welcher sie das Totem hängen hatte, machte es los und gab es demjenigen Indianer, den sie seines grimmigen Aussehens wegen für den gefährlichsten hielt.

„Nintropan-homosch,“ sagte sie dabei, denn sie hatte wiederholt gehört, daß der „kleine Bär“ in seiner Sprache so heiße.

Der Rote faltete das Leder auseinander, betrachtete die Figuren, stieß einen Ruf der Überraschung aus und gab das Totem dem nächsten. Es ging von Hand zu Hand. Die Gesichter wurden freundlicher, und derjenige, welcher schon vorhin Ellen angesprochen hatte, fragte sie: „Wer – geben – dir?“

„Nintropan-homosch,“ antwortete sie.

„Jung Häuptling?“

„Ja,“ nickte sie.

„Wo?“

„Auf dem Schiffe.“

„Groß Feuerkanot?“

„Ja.“

„Auf Arkansas?“

„Ja.

„Richtig sein. Nintropan-homosch auf Arkansas gewesen. Wer – Männer – dort?“

Er zeigte nach dem Hohlweg zurück.

„Winnetou, Old Firehand, Old Shatterhand.“

„Uff!“ rief er aus, und „Uff!“ riefen auch die andern. Er wollte weiter fragen; aber da rauschte es in den Büschen, und, die drei Genannten an der Spitze, brachen die Weißen hervor, um augenblicklich einen Kreis um die Roten zu bilden. Winnetou hatte ihre Spuren entdeckt, und man war ihnen augenblicklich gefolgt. Sie machten keinen Versuch, sich zu wehren, denn sie wußten, daß man ihnen nichts thun werde. Der Späher hatte vorhin Winnetou nicht bemerkt; früher hatte er ihn gesehen, und jetzt erkannte er ihn wieder.

„Der große Häuptling der Apachen!“ rief er aus. „Dieses weiße Mädchen besitzt das Totem des „kleinen Bären“ und ist also unsre Freundin. Wir nahmen sie mit, weil wir nicht wußten, ob die Männer, zu denen sie gehört, unsre Freunde oder Feinde seien.“

Die Roten trugen blaue und gelbe Farben im Gesicht; das veranlaßte Winnetou zu der Frage: „Ihr seid Krieger der Timbabatschen?“

„Ja.“

„Welcher Häuptling führt euch an?“

„Tschia-nitsas.“

Dieser Name heißt zu deutsch „langes Ohr“. Jedenfalls war dieser Mann wegen seines scharfen Gehöres berühmt.

„Wo ist er?“ fragte Winnetou weiter.

„Am See.“

„Wieviel Krieger seid ihr hier?“

„Hundert.“

„Sind auch andre Stämme da versammelt?“

„Nein. Es kommen aber noch zweihundert Krieger der Navajos, um gegen die Utahs zu kämpfen. Mit diesen wollen wir nach Norden ziehen, um uns auch die Skalpe der Utahs zu holen.“

„Nehmt euch in acht, daß sie euch nicht die eurigen nehmen. Habt ihr Wachen ausgestellt?“

„Wozu? Wir haben keine Feinde zu erwarten.“

„Es kommen ihrer mehr, als euch lieb sein wird. Ist der „große Bär“ am See?“

„Ja, und ebenso der „kleine Bär“.“

„Führt uns zu ihnen!“

Eben kamen einige Rafters mit den Pferden und Gefangenen aus dem Hohlwege, denn die andern Weißen waren natürlich zu Fuße Ellen gefolgt. Man stieg auf und die Timbabatschen stellten sich als Führer an die Spitze. Kein Mensch war froher über diesen Verlauf des Abenteuers als der Ingenieur, welcher die größte Angst um seine Tochter ausgestanden hatte.

Es ging die Berglehne vollends hinan und dann unter Bäumen eine Strecke auf derselben hin. Dann senkte sich jenseits der Boden abwärts und bald sah man Wasser schimmern.

„Der Silbersee,“ sagte Old Shatterhand, indem er sich zu den Gefährten zurückwendete. „Da sind wir nun endlich am Ziele.“

„Aber Ruhe werden wir wohl nicht finden,“ bemerkte Firehand. „Wahrscheinlich bekommen wir noch viel Pulver zu riechen.“

Nur noch kurze Zeit, so war die ganze Scenerie zu überblicken, und sie war wirklich großartig zu nennen.

Turmhohe Felsenbastionen, in allen Farben schillernd wie diejenigen im Canon, schlossen ein Thal ein, welches vielleicht zwei Stunden lang und halb so breit sein mochte. Hinter diesen Bastionen stiegen neue und immer wieder neue Bergesriesen auf, der eine immer das Haupt über den andern erhebend. Aber diese Berge und Felsen waren nicht kahl. In den zahlreichen Klüften, welche sie durchrissen, wuchsen Bäume und Sträucher; je tiefer herab, desto dichter wurde der Wald, welcher rundum bis nahe an den See trat und zwischen sich und dem Wasser nur einen schmalen Grasstreifen blicken ließ.

In der Mitte des Sees lag eine grüne Insel mit einem seltsamen Luftziegelbau. Er schien aus der Zeit zu stammen, in welcher die jetzigen Indianer noch die Urbewohner nicht verdrängt hatten. Auf dem Grasstreifen standen mehrere Hütten, in deren Nähe einige Kanoes am Ufer angebunden waren. Die Insel war kreisrund und mochte einen Durchmesser von hundert Schritten haben. Das alte Bauwerk war ganz mit blühenden Schlingpflanzen überzogen; der übrige Raum war wie ein Garten bearbeitet und mit Blumen und Stauden bepflanzt.

Der Wald spiegelte seine Wipfel im Wasser des Sees, und die Bergeshäupter warfen ihre Schatten über die Flut. Dennoch war dieselbe weder grün noch blau oder überhaupt dunkel gefärbt; sie glänzte vielmehr silbergrau. Kein Lufthauch kräuselte das Wasser. Wenn so etwas möglich wäre, hätte man meinen können, ein mit Quecksilber gefülltes Becken vor sich zu haben.

In und bei den erwähnten Hütten lagen Indianer, jene hundert Timbabatschen. Sie gerieten in eine kleine Aufregung, als sie den Zug der Weißen kommen sahen; da aber ihre Gefährten sich an der Spitze desselben befanden, so beruhigten sie sich schnell.

Noch hatten die Weißen die Hütten nicht ganz erreicht, so traten drüben auf der Insel zwei männliche Gestalten aus der Hütte. Der Apache hielt die Hand an den Mund und rief hinüber: „Nintropan-hauey! Winnetou ist gekommen!“

Ein antwortender Ruf scholl herüber; dann sah man die beiden in ein an der Insel hängendes Kanoe steigen, um nach dem Ufer zu rudern. Es waren die beiden „Bären“, Vater und Sohn. Ihr Erstaunen, als sie die bekannten Gesichter sahen, war jedenfalls groß, wurde aber durch keine Miene verraten. Als der „große Bär“ ausgestiegen war, gab er Winnetou die Hand und sagte. „Der große Häuptling der Apachen ist überall, und wohin er kommt, erfreut er die Herzen. Ich begrüße auch Old Shatterhand, den ich kenne, und Old Firehand, der mit mir auf dem Schiffe war!“

Als er die Tante Droll erblickte, flog doch ein Lächeln über sein Gesicht; er erinnerte sich der ersten Begegnung mit diesem possierlichen Kerlchen und sagte, indem er ihm die Hand reichte: „Mein weißer Bruder ist ein tapferer Mann; er hat den Tiger getötet und ich heiße ihn willkommen.“

So ging er von Mann zu Mann, um jedem die Hand zu geben. Sein Sohn war zu jung; er durfte sich den berühmten Kriegern und Jägern noch nicht gleichrechnen, aber mit Ellen zu reden, das war kein Verstoß. Als er das Kanoe angebunden hatte, näherte er sich ihr, die aus der Sänfte gestiegen war. Er mochte während seiner Reise gesehen haben, in welcher Weise Damen und Herren sich begrüßen, und hielt es für geeignet, zu zeigen, daß er es noch nicht vergessen habe. Darum nahm er seinen Hut vom Kopfe, schwenkte ihn ein wenig, verbeugte sich und sagte in gebrochenem Englisch: „Der „kleine Bär“ hat es nicht für möglich gehalten, die weiße Miß wiederzusehen. Was ist das Ziel ihrer Reise?“

„Wir wollen nicht weiter als nach dem Silbersee,“ antwortete sie.

Die Röte der Freude ging über sein Gesicht, obgleich er einen Ausdruck des Erstaunens nicht zu unterdrücken vermochte.

„So wird die Miß einige Zeit hier verweilen?“ fragte er.

„Längere Zeit sogar,“ antwortete sie.

„Dann bitte ich, stets bei ihr sein zu dürfen. Sie soll alle Bäume, Pflanzen und Blumen kennen lernen. Wir werden auf dem See fischen und im Walde jagen; aber ich muß stets in ihrer Nähe sein, denn es gibt wilde Tiere und feindselige Menschen. Wird sie mir das erlauben?“

„Sehr gern. Ich werde mich bei dir viel sicherer fühlen, als wenn ich allein bin, und freue mich sehr, daß du hier bist.“

Sie streckte ihm die Hand entgegen, und er, wahrhaftig, er zog dieselbe an die Lippen und machte dabei eine Verbeugung, wie ein richtiger Gentleman! Die Pferde der Neuangekommenen wurden von den Timbabatschen in den Wald geführt, in welchem sich auch die ihrigen befanden. Ihr Häuptling hatte bisher stolz in seiner Hütte gesessen und kam nun langsam hervor, ziemlich verdrossen darüber, daß man von ihm nicht mehr Notiz nehmen wollte. Er war ein finsterer Gesell mit langen Beinen und Armen, welche ihm etwas Orang- Utang-Ähnliches gaben. Er war nicht weniger erstaunt als die andern gewesen über die plötzliche Ankunft so vieler Weißer, hielt es aber für seiner Würde angemessen dies nicht merken zu lassen, sondern ihre Anwesenheit als etwas ganz Selbstverständliches hinzunehmen. Darum blieb er von fern stehen und blickte über sie hinweg nach den Bergen hinüber, als ob er mit ihnen nicht das mindeste zu schaffen habe. Aber er hatte sich verrechnet, denn die Tante Droll kam zu ihm und sagte: „Warum tritt das „lange Ohr“ nicht näher? Will er die berühmten Krieger der Bleichgesichter nicht begrüßen?“

Der Häuptling brummte etwas Unverständliches in seiner Sprache vor sich hin, kam aber da bei Droll an den Falschen, denn dieser klopfte ihm wie einem alten, guten Bekannten auf die Achsel und rief: „Rede englisch, alter Boy! Ich habe deinen Dialekt nicht gelernt.“

Der Rote murmelte wieder einiges Kauderwelsch, und so fuhr Droll fort: „Verstelle dich nicht! Ich weiß, daß du ein ganz leidliches Englisch sprichst.“

„No!“ leugnete der Häuptling.

„Nicht? Kennst du mich?“

„No!“

„Hast du mich also noch nicht gesehen?“

„No!“

„Hm! Besinne dich! Du mußt dich meiner erinnern.“

„No!“

„Wir haben einander unten in Fort Defience gesehen!“

„No!“

„Schweige mit deinem „No“! Ich kann dir beweisen, daß ich recht habe. Wir waren da drei Weiße und elf Rote. Wir haben ein wenig Karte gespielt und ein wenig getrunken. Die Roten aber tranken noch mehr als die Weißen und wußten endlich nicht mehr, wie sie hießen und wo sie waren. Sie schliefen dann den ganzen Nachmittag und auch die ganze Nacht. Kannst du dich nun besinnen, Alter?“

„No!“

„Schön! Aber antworten thust du mir doch; das ist ein Beweis, daß du mich verstehst, und darum will ich weiter sprechen. Wir Weißen legten uns auch nieder unter dem Bretterschuppen bei den Indianern, denn es gab sonst keinen Platz. Als wir erwachten, waren die Roten fort. Weißt du, wohin?“

„No!“

„Aber mit ihnen war auch mein Gewehr fort und meine Kugeltasche. Ich hatte ein T. D., Tante Droll, in den Lauf gravieren lassen. Sonderbarerweise befinden sich diese Buchstaben hier auf dem Laufe des deinigen. Weißt du vielleicht, wie sie dorthin gekommen sind?“

„No!“

„Und meine Kugeltasche war mit Perlen gestickt und auch mit einem T. D. versehen. Ich trug sie an meinem Gürtel, grad so wie du die deinige. Und wie ich zu meiner innigen Freude bemerke, hat diese auch dieselben Buchstaben. Weißt du, wie meine Buchstaben an deine Tasche gekommen sind?“

„No!“

„So weiß ich desto besser, wie mein Gewehr in deine Hand und mein Kugelbeutel an deinen Gürtel gekommen ist. Ein Häuptling trägt nur die Sachen, welche er erbeutet hat; gestohlene Gegenstände aber verachtet er. Ich will dich von ihnen befreien.“

Im Nu hatte er dem Roten das Gewehr aus der Hand und den Beutel vom Gürtel gerissen und wendete sich dann von ihm ab. Aber blitzschnell war ihm der Rote nach und gebot ihm in ziemlich gutem Englisch: „Gib her!“

„No!“ antwortete jetzt Droll.

„Diese Flinte ist mein!“

„No!“

„Und dieser Beutel auch!“

„No!“

„Du bist ein Dieb!“

„No!“

„Her damit, oder ich zwinge dich!“

„No!“

Da zog der Rote das Messer. Schon glaubten die, welche Droll nicht genau kannten, daß es zum Kampfe kommen werde; aber dieser schlug ein lustiges Gelächter auf und rief: „Jetzt soll ich der Spitzbube an meinen eigenen Sachen sein! Hält man so etwas für möglich? Doch streiten wir uns nicht. Du bist das „lange Ohr“; ich kenne dich. Bei dir ist das Ohr nicht das einzige Glied, welches eine ungewöhnliche Länge besitzt. Gib der Wahrheit die Ehre, und du sollst behalten können, was du hast; ich habe ja den Verlust schon längst ersetzt. Also aufrichtig: Kennst du mich?“

„Yes! antwortete der Rote wider alles Erwarten.

„Du warst mit mir in Fort Defience?“

„Yes!“

„Warst du betrunken?“

„Yes!“

„Und bist dann mit meinem Gewehre und meinem Beutel verschwunden?“

„Yes!“

„Gut, so sollst du beides haben; hier. Da ist auch meine Hand. Wollen Freunde sein; aber englisch reden mußt du, und mausen darfst du nicht. Verstanden!“

Er ergriff die Hand des Roten, schüttelte sie ihm und gab ihm die gestohlenen Gegenstände wieder. Der Rote nahm sie, verzog keine Miene, sagte aber im freundlichsten Tone: „Mein weißer Bruder ist mein Freund. Er weiß, was recht und billig ist, denn er hat die Sachen bei mir gefunden und gibt sie mir wieder. Er ist ein Freund der roten Männer, und ich liebe ihn!“

„Ja, Freundchen, ich liebe auch dich. Das wirst du bald erkennen; denn wenn wir nicht gekommen wären, so würdet ihr höchst wahrscheinlich eure Skalpe verlieren.“

„Unsre Skalpe? Wer sollte sie uns nehmen?“

„Die Utahs.“

„O, die kommen nicht; die sind von den Navajos geschlagen worden, und wir werden diesen bald folgen, um uns auch viele Kopfhäute der Utahs zu holen.“

„Da irrst du dich!“

„Aber wir sehen doch Häuptlinge und Krieger der Utahs hier als Gefangene bei euch. Also müssen sie doch besiegt worden sein!“

„Die haben wir auf unsre eigene Rechnung gefangen genommen. Die Navajos aber sind schmählich geschlagen worden und entflohen; die Utahs reiten hinter ihnen her und werden vielleicht heute noch hier am Silbersee erscheinen.“

„Uff!“ rief das „lange Ohr“, indem ihm vor Erstaunen der Mund offen stehen blieb.

Auch seine Untergebenen ließen laute Ausrufe des Betroffenseins hören. „Ist’s möglich?“ fragte der „große Bär“. „Redet diese weiße Tante die Wahrheit?“

„Ja,“ antwortete Winnetou, welcher als derjenige, dem die Umgegend des Silbersees am besten bekannt war, das Wort ergriff. „Wir werden euch alles ausführlich erzählen, aber erst nachdem wir uns vergewissert haben, daß wir nicht von den Feinden überrascht werden können. Ihr Erscheinen ist alle Augenblicke zu erwarten. Es mögen fünfzig Krieger der Timbabatschen sofort hinab in den Canon reiten; der Humply-Bill und der Gunstick-Uncle gehen mit ihnen.“

„Ich auch mit!“ bat der Hobble-Frank.

„Ich auch!“ schloß sich ihm Droll an.

„Gut,“ meinte Winnetou, „ihr sollt auch mit reiten. Ihr geht hinab bis an die Stelle, an welcher der Canon schmal zu werden beginnt, und setzt euch da hinter den Felsen fest. Es gibt dort Vorsprünge und Vertiefungen genug, welche euch Schutz gewähren. Die Utahs werden die Navajos kräftig drängen, um mit ihnen zugleich den Silbersee zu erreichen. Ihr sollt den Freunden Hilfe leisten und uns, sobald ihr die Feinde nahen seht, einen Boten senden, damit wir auch kommen. Laßt eure Pferde vorher saufen; trinkt auch selbst, denn da unten gibt es kein Wasser, und der „große Bär“ wird euch zu essen mitgeben.“

Fleisch war genug vorhanden. Es hing, um zu trocknen, an Riemen, welche an den Bäumen ausgespannt waren. Trinkwasser gab es im Überfluß. Von den Bergen flossen mehrere Bäche herab, welche den See speisten. An einen dieser Bäche hatten sich die Pferde gemacht, um ihren Durst zu stillen. Bald waren die fünfzig Mann mit den vier Weißen zum Aufbruche bereit. Der „kleine Bär“ bat seinen Vater, mitreiten zu dürfen, was ihm sofort gewährt wurde. Er kannte besser als die Timbabatschen den See und den Canon; seine Anwesenheit konnte ihnen von großem Vorteile sein.

Das Gebirgsthal des Silbersees zog sich von Nord nach Süd, war an seiner Ost- und Westseite vollständig unzugänglich und konnte im Norden nur durch den Canon und die Felsenenge, aus welcher die Weißen gekommen waren, erreicht werden, während nach Süden hin der See sein Wasser in eine Schlucht ergoß, welche nach dorthin den Ausgang bildete.

Von Süden her war kein Feind zu erwarten; von dorther sollten vielmehr die befreundeten Navajos kommen. Nach dorthin brauchte man also keine Vorsichtsmaßregeln anzuwenden; diese waren nur gegen Norden hin am Platze. Wer nach dieser Richtung die Umgebung des Silbersees untersuchte, dem mußte bald die Ansicht kommen, daß derselbe früher seinen Abfluß nicht nach Süden, sondern nach Norden gehabt hatte. Jedenfalls ergoß der See seine überschüssigen Wasser in den Canon. Jetzt aber lag zwischen diesem und jenem eine ziemlich breite, dammartige Erhöhung, welche es früher nicht gegeben hatte. Von selbst war sie nicht entstanden, also lag die Vermutung nahe, daß sie eine künstlich aufgeworfene sei. Aber die Hände, welche diese Arbeit vollendet hatten, waren längst in Staub zerfallen, denn der Damm trug Bäume, deren Alter gewiß nicht unter hundertundfünfzig Jahre war. Zu welchem Zwecke hatte man diesen Damm errichtet? Gab es jetzt noch einen Menschen, welcher im stande war, diese Frage zu beantworten?

Das von Winnetou abgesandte Detachement ritt über den Damm hinweg, hinter welchem der Canon begann. Er war hier kaum zehn Ellen breit, erst flach und schnitt sich nur nach und nach tiefer in den Boden ein. Je größer dann seine Tiefe wurde, desto mehr nahm er auch an Breite zu. Vegetation schien es, wenigstens nach dieser Seite hin, nur in der Nähe des Sees zu geben. Kurz hinter dem Damme hörten die Bäume und Sträucher auf, und bald war selbst kein Grashalm mehr zu sehen.

Kaum war die Truppe zehn Minuten geritten, so besaßen die Wände des Canons bereits eine Höhe von über hundert Fuß; noch eine Viertelstunde, und sie schienen bis an den Himmel zu reichen. Hier gab es bereits das rund gescheuerte Steingeröll, welches das Reiten so sehr erschwerte. Nach der dritten Viertelstunde wurde der Canon plötzlich breiter, doppelt so breit, als er bisher gewesen. Seine Wände waren nicht nur in der Höhe, sondern auch unten vielfach zerklüftet. Es sah fast aus, als ob die Felsen auf Säulen ständen, welche Laubengänge bildeten, in denen man sich verstecken konnte.

„Hier sollen wir halten,“ sagte der „kleine Bär“, welcher mit den Weißen voranritt. „Es gibt da Löcher und Höhlen genug, in denen wir uns verstecken können.“

„Und die Pferde schaffen wir eine Strecke weit zurück,“ meinte Droll, „daß sie von hier aus, wo es leicht zum Kampfe kommen kann, nicht gesehen werden.“

Diese Maßregel war vorteilhaft und wurde also befolgt. Die fünfundfünfzig Mann versteckten sich zu beiden Seiten in die Vertiefungen. Die Weißen behielten den „kleinen Bären“ bei sich, weil dieser ihnen alle etwa erforderliche Auskunft geben konnte. Er erkundigte sich so verständig und ernst wie ein erwachsener Krieger nach den Ereignissen der letzten Tage und wollte es gar nicht glauben, daß die Utahs zurückgeschlagen worden. Desto größer aber war die Anerkennung, welche er den Bleichgesichtern zollte.

„Meine weißen Brüder haben gehandelt als mutige und doch bedächtige Männer,“ sagte er; „die Navajos aber sind blind und taub gewesen. Sie mußten siegen denn sie wurden von den Utahs noch nicht erwartet. Wenn sie sich still in das Thal geschlichen hätten und über die Utahs hergefallen wären, so konnten sie diese vollständig vernichten; sie haben aber vor der Zeit geschrieen und geschossen und mußten darum ihre Skalpe hergeben. Nun sind ihnen die Utahs überlegen, und wenn der Kampf sich bis in die Nähe des Sees heraufzieht, so – – –“

„So werden wir ein Wörtchen mitsprechen,“ fiel Droll ein.

„Ja, wir sprechen mit,“ meinte auch Frank. „Es sollte mir lieb sein, wenn ich das Gewehr, welches mir der Lord gab, zum erstenmal gegen diese Kerls probieren könnte. Wie steht es denn, hat der Canon hier etwa Zugänge?“

„Nein. Es gibt nur einen, nämlich die Spalte, durch die ihr nach den Kessel gekommen seid, und die kennen die Utahs nicht.“

„Aber die Navajos?“

„Nur wenige von ihnen, und diesen wird es nicht einfallen, sie zu benutzen, denn der Weg ist – – –“

Er unterbrach sich, um zu horchen. Sein scharfes Ohr hatte ein Geräusch vernommen. Auch die andern hörten es. Es klang wie das Stolpern eines ermüdeten Pferdes im Geröll. Nach kurzer Zeit erschien ein einzelner Reiter, ein Navajo, dessen Pferd kaum mehr zu laufen vermochte. Der Mann schien verwundet zu sein, denn sein Anzug war mit Blut befleckt und er arbeitete trotzdem unausgesetzt mit Händen und Füßen, um seinen Gaul zu erneuter Anstrengung anzutreiben.

Der „junge Bär“ verließ sein Versteck und trat hinaus. Sobald der Navajo ihn erblickte, hielt er sein Pferd an und rief erfreut: „Uff! Mein junger Bruder! Sind die erwarteten Krieger der Navajos schon angekommen?“

„Noch nicht.“

„So sind wir verloren!“

„Wie kann ein Krieger der Navajos sich verloren geben!“

„Der große Geist hat uns verlassen und sich zu den Hunden der Utahs gewendet. Wir haben sie im Thale der Hirsche überfallen, um sie zu erwürgen; aber unsre Häuptlinge hatten den Verstand verloren, und wir wurden geschlagen. Wir flohen, und die Utahs folgten uns; sie waren stärker als wir; dennoch hätten wir uns gehalten; aber heute früh ist ein großer neuer Trupp zu ihnen gestoßen; sie sind nun viermal so stark wie wir und drängten gar mächtig hinter uns her.“

„Uff! So seid ihr vernichtet?“

„Fast. Zehn Flintenschüsse abwärts von hier wogt der Kampf. Ich wurde abgesandt, um vom See aus Hilfe zu holen, denn wir dachten, die erwarteten Krieger seien bereits angekommen. Nun sind unsre Leute verloren.“

„Noch nicht. Steig ab, und ruhe dich hier aus! Es wird Hilfe kommen.“

Wie erstaunte der Mann, als er jetzt fünfzig Timbabatschen und vier Weiße erscheinen sah! Diese letzteren hatten den Bericht des Navajo nicht verstanden, da sie der Sprache desselben nicht mächtig waren; sie ließen ihn sich von dem „kleinen Bären“ verdolmetschen. Als sie hörten, wie es stand, sagte Droll: „Wenn es so steht, so müssen sich die Navajos augenblicklich zurückziehen. Es mag schnell jemand zu ihnen hinabreiten, um ihnen zu sagen, daß wir sie hier aufnehmen werden. Und ein Zweiter muß an den See, um unsre Gefährten und die übrigen Timbabatschen zu holen.“

„Was fällt dir ein!“ widersprach der Hobble-Frank. „Nach diesem Plane sind die Navajos verloren.“

„Wieso?“ fragte Droll erstaunt. „Meinst du, daß ich kein Westmann bin?“

„Der beste Westmann kann einmal einen schlechten Gedanken haben. Die Navajos stehen gegen eine solche Übermacht, daß sie vernichtet werden, sobald sie sich zur Flucht wenden, denn die Utahs reiten sie dann einfach nieder. Sie müssen unbedingt bleiben; sie müssen sich halten, bis das Gefecht zum Stehen kommt. Und daß dies geschieht, dafür werden wir sorgen.“

„Brav, Frank, du hast recht!“ stimmte der Humply-Bill bei.

Und der Gunstick-Uncle meinte auch: „Ja, ja, sie müssen unten bleiben – bis wir die Utahs dort vertreiben!“

„Gut!“ nickte der Hobble, höchst stolz auf den Beifall, welchen er fand.

„Ein Krieger der Timbabatschen reitet schnell nach dem See, um Hilfe zu holen; drei bleiben hier bei den Pferden, damit diese keine Dummheiten machen, und wir übrigen laufen, was wir können, den Navajos zu Hilfe. Vorwärts!“

Dieser Vorschlag wurde sofort ausgeführt. Die vier Weißen, mit dem wackern „kleinen Bären“ voran, und die Timbabatschen rannten, so schnell der schlechte Weg es erlaubte, vorwärts. Noch waren sie nicht sehr weit gekommen, so hörten sie einen Schuß fallen, bald noch einen. Da Freund wie Feind vorzugsweise mit Pfeil und Bogen bewaffnet war, so konnte es keine Gewehrsalven geben. Aber in kurzem vernahmen sie das Geschrei der Kämpfenden, und dann sahen sie dieselben.

Ja, es stand schlecht mit den Navajos. Ihre Pferde waren meist erschossen; sie fanden hinter den Kadavern derselben die einzige Deckung, welche es gab, denn die Seitenwände des Canon waren hier glatt und winkellos, so daß sie kein Versteck gewährten. Ihre Pfeile schienen ihnen auszugehen, denn sie schossen nicht leichtsinnig und nur dann, wenn sie ihres Zieles sicher waren. Einige der Kühnsten von ihnen rannten umher, um die Pfeile der Utahs aufzulesen und denselben zurückzusenden. Diese letzteren waren so zahlreich, daß sie in mehreren Reihen hintereinander die ganze Breite des Canons ausfüllten. Sie kämpften zu Fuß und hatten ihre Pferde zurückgelassen, damit sie ihnen nicht erschossen würden. Das war ein großes Glück für die Navajos. Wären die Utahs aufgestiegen und auf sie losgestürmt, es wäre kein einziger von ihnen am Leben geblieben.

Jetzt verstummte das Kampfgeheul für kurze Zeit. Man sah die Hilfe kommen. Die vier Weißen blieben, als sie die Utahs im Bereiche ihrer Kugeln wußten, ganz offen in der Mitte des Canons stehen, legten die Gewehre an, zielten und drückten ab. Ein Geheul von seiten der Utahs bewies, daß die Kugeln getroffen hatten. Noch vier Schüsse, ein erneutes Heulen. Die Timbabatschen duckten sich nieder und krochen vorwärts, um auch zum Schuß zu kommen.

Der Humply-Bill war der Ansicht, daß die vier Weißen nicht zugleich schießen dürften, weil in diesem Falle während des Ladens eine zu lange Pause entstehe. Zwei laden und zwei schießen, so sollte es gehalten werden, und die andern stimmten bei.

Es zeigte sich nur zu bald, was vier tüchtige Männer mit guten Gewehren vermögen. Jeder Schuß traf seinen Mann. Diejenigen Utahs, welche Gewehre besaßen, zielten jetzt nicht mehr auf die Navajos, sondern auf die Weißen. Dadurch bekamen die ersteren Luft.

Seitwärts von den Jägern hatte sich der „kleine Bär“ auf das Knie niedergelassen und gebrauchte sein Gewehr, daß es eine wahre Freude war. Schuß auf Schuß saß bei ihm. Die Utahs wichen zurück. Nur diejenigen von ihnen, welche Gewehre besaßen, blieben stehen; aber ihre Kugeln flogen zu kurz, und näher wagten sie sich nicht heran. Da rief der Hobble-Frank dem „kleinen Bären“ zu: „Wir fünf bleiben halten. Die Navajos mögen sich hinter uns zurückziehen. Sage es ihnen!“

Der Sohn des Häuptlings gehorchte dieser Aufforderung, und die Roten sprangen auf und rannten zurück, um sich hinter den Weißen festzunisten. Es war ein trauriger Anblick. Erst jetzt sah man, wie sehr die Navajos gelitten hatten. Sie zählten höchstens noch sechzig Mann, und nicht die Hälfte von ihnen hatten ihre Pferde noch. Glücklicherweise konnten sie sich ungehindert zurückziehen, denn die Timbabatschen blieben liegen und hielten die Utahs im Schach. Es war eine Schande für die letzteren, daß sie nicht ein allgemeines, schnelles Vordringen wagten; aber dann wären eine Anzahl von ihnen gefallen, und das vermeidet der Indianer stets. Er greift am liebsten nur dann an, wenn er für sich nichts zu befürchten hat.

So kam es, daß auch die Navajos rückwärts rannten und dann die Weißen mit dem „kleinen Bär“ eine Strecke retirierten, ohne daran gehindert zu werden. Die Utahs rückten ganz einfach nach. Sie sparten ihre Pfeile und setzten nur mit ihren wenigen Gewehren das Gefecht fort. So zogen sich die einen von Strecke zu Strecke zurück, und die andern folgten nach, bis die ersteren in die Nähe der Stelle gekommen waren, an welcher sie sich vorher versteckt gehabt hatten. Die Weißen rieten, nun schnell die Höhlen und Vertiefungen aufzusuchen; der „kleine Bär“ machte den Dolmetscher – – ein plötzlicher, allgemeiner Rückzug, und die bisher so hart Bedrängten waren verschwunden. Sie befanden sich in Sicherheit, denn hier gab es Deckung gegen jedes Geschoß, während die Utahs sich nicht verstecken konnten. Wenn nun bald die erwartete Hilfe kam, so konnte man getrost dem weitern Verlaufe des Kampfes entgegensehen.

Und diese Hilfe war schon unterwegs. Winnetou hatte dem „großen Bären“ in kurzen Worten erzählt, was geschehen war. Der letztere machte ein höchst bedenkliches Gesicht und meinte: „Ich habe die Navajos gewarnt. Ich riet ihnen, zu warten, bis alle ihre Krieger beisammen seien. Aber sie glaubten, daß die Utahs sich auch noch nicht vereinigt hätten, und wollten die einzelnen Haufen derselben einen nach dem andern vernichten. Nun haben sie das Schicksal erlitten, welches sie den Feinden bereiten wollten.“

„Doch nicht!“ sagte Old Shatterhand. „Sie sind doch nicht vernichtet worden.“

„Meinst du. Ich denke anders. Ich kenne die Versammlungsorte der Utahs. Wenn die Navajos vom Thal der Hirsche rückwärts fliehen, müssen sie an mehreren solchen Orten vorüber und können leicht von allen Seiten eingeschlossen werden. Und selbst wenn es ihnen gelingt, in die Berge zu entkommen, so wird die Zahl der Utahs von Ort zu Ort größer werden, und es kann leicht geschehen, daß wir tausend ihrer Krieger hier am Silbersee zu sehen bekommen. Ob die Navajos diesen unter solchen Umständen erreichen, das ist sehr zweifelhaft.“

„Wie steht es dann mit dir? Werden die Utahs dich als Feind behandeln?“

„Ja.“

„So befindest du dich in der größten Gefahr.“

„Nein.“

„Wohl weil du die Timbabatschen hier hast und auch noch einige Navajos erwartest?“

„Nein; ich verlasse mich weder auf die einen noch auf die andern, sondern ganz allein auf mich selbst.“

„So begreife ich dich nicht.“

„Ich fürchte mich vor tausend Utahs nicht.“

„Und ich verstehe das nicht.“

„Ich brauche nur die Hand aufzuheben, so sind sie verloren. Ein einziger kurzer Augenblick tötet sie alle.“

„Hm! Alle?“

„Du glaubst es nicht? Ja, du kannst so etwas nicht begreifen. Ihr Bleichgesichter seid sehr kluge Männer, aber auf einen solchen Gedanken würde keiner von euch kommen.“

Er sagte das in stolzem Tone. Der Blick Old Shatterhands schweifte rund über den See, an den Bergen hin, und dann antwortete er, indem ein leises Lächeln um seine Lippen zuckte: „Du bist es aber auch nicht, welcher auf diesen Gedanken gekommen ist.“

„Nein. Wer sagt dir das?“

„Ich selbst. Wir Weißen können keinen solchen Gedanken hegen, weil wir Christen sind und den Massenmord scheuen; aber klug genug sind wir dennoch, euch in eure Seelen zu blicken.“

„Du meinst zu wissen, warum ich mich vor tausend Feinden nicht fürchte?“

„Ja.“

„Sage es!“

„Soll ich dadurch dein Geheimnis verraten?“

„Du verrätst es nicht, denn du kannst unmöglich das Richtige treffen. Es ist ein Geheimnis, welches jetzt nur noch zwei Personen kennen, ich und mein Sohn.“

„Und ich!“

„Nein! Beweise es!“

„Gut! Du tötest tausend Utahs in wenigen Augenblicken?“

„Ja.“

„Wenn sie sich im Canon befinden?“

„Ja.“

„Das kann weder durch Messer, Gewehre oder sonstige Waffen geschehen.“

„Nein. Und eben das, wodurch und wie es geschieht, vermagst du dir gar nicht zu denken.“

„Gar wohl! Nämlich durch eine Naturkraft. Durch die Luft, also Sturm? Nein. Durch Feuer? Auch nicht. Also durch das Wasser!“

„Deine Gedanken sind gut und klug; aber weiter kommst du nicht!“

„Wollen sehen! Wo hast du genug Wasser, um so viele Menschen zu töten? Im See. Werden diese Leute in den See gehen? Nein. Also muß der See zu den Leuten gehen; er muß seine Fluten plötzlich in den Canon ergießen. Wie ist das möglich? Es liegt doch ein hoher, starker Damm dazwischen! Nun, dieser Damm ist vor alter Zeit nicht gewesen; er ist gebaut worden, und dabei hat man ihm eine Einrichtung gegeben, durch welche er plötzlich geöffnet werden kann, so daß der trockene Canon sich augenblicklich in einen reißenden Strom verwandelt. Habe ich es erraten?“

Trotz der Ruhe, welche ein Indianer, und besonders ein Häuptling, in allen Lagen zu bewahren hat, sprang der „große Bär“ auf und rief: „Herr, bist du allwissend?“

„Nein, aber ich denke nach.“

„Du hast es erraten; wirklich, du hast es erraten! Aber wie bin ich zu diesem Geheimnisse gekommen?“

„Durch Erbschaft.“

„Und wie wird der Damm geöffnet?“

„Wenn du mir erlaubst, nachzuforschen, so werde ich dir diese Frage sehr bald beantworten.“

„Nein, das darf ich dir nicht erlauben. Aber kannst du auch erraten, weshalb dieser Damm errichtet worden ist?“

„Ja.“

„Nun?“

„Aus zwei Gründen. Erstens zur Verteidigung. Die Eroberer der südlichen Gegenden kamen alle von Norden. Dieser große Canon war ein beliebter Weg der Eroberer. Man baute den Damm, um ihn zu sperren und das Wasser plötzlich loslassen zu können.“

„Und der zweite Grund?“

„Der Schatz.“

„Der Schatz?“ fragte der Häuptling, indem er einen Schritt zurücktrat.

„Was weißt du von ihm?“

„Nichts; aber ich errate viel. Ich sehe den See, seine Ufer, seine Umgebung und denke nach. Bevor es den Damm gab, war kein See vorhanden, sondern ein tiefes Thal, durch welches die Bäche, die es heute hier noch gibt, in den Canon flossen, den sie sich gegraben hatten. Eine reiche Nation wohnte hier; sie kämpfte lange Zeit gegen die andringenden Eroberer; sie erkannte, daß sie nachgeben, fliehen müsse, vielleicht einstweilen nur. Sie vergrub ihre Kostbarkeiten, ihre heiligen Gefäße, hier in dem Thale und errichtete den Damm, damit ein großer See entstehe, dessen Flut der unbesiegbare, stumme Wächter dieses Schatzes sei.“

„Schweig, schweig, sonst enthüllst du alles, alles!“ rief der „große Bär“ erschrocken. „Sprechen wir nicht von dem Schatze, sondern nur von dem Damme. Ja, ich kann ihn öffnen; ich kann tausend und noch mehr Utahs ersäufen, wenn sie sich im Canon befinden. Soll ich es thun, wenn sie kommen?“

„Um Gotteswillen, nein! Es gibt noch andre Mittel, sie zu bezwingen.“

„Welche? Die Waffen?“

„Ja, und sodann die Geiseln, welche dort im Grase liegen. Es sind die berühmtesten Häuptlinge der Utahs. Diese werden, um ihre Anführer zu retten, auf manche Bedingung, die wir machen können, eingehen. Deshalb haben wir sie ergriffen und mitgebracht.“

„Dann müssen wir diese Gefangenen in Sicherheit bringen.“

„Hast du einen passenden Ort?“

„Ja; sie mögen erst essen und trinken; dann werden wir sie nach demselben schaffen.“

Die Gefangenen bekamen die Hände frei; sie erhielten Fleisch und Wasser und wurden dann wieder gefesselt. Nachher wurden sie mit Hilfe einiger Timbabatschen in den am Ufer liegenden Kanoes nach der Insel gebracht. Old Firehand, Shatterhand und Winnetou begaben sich auch hinüber. Sie waren wißbegierig, das Innere des Bauwerkes zu sehen.

Dieses bestand oberhalb nur aus einem Erdgeschoß, welches durch eine Mauer in zwei Abteilungen getrennt wurde. In der einen befand sich der Herd, und die andre bildete den Wohnraum. Dieser war außerordentlich dürftig ausgestattet. Eine Hängematte und ein primitives Lager, das war alles. „Und hier sollen die Gefangenen bleiben?“ fragte Old Shatterhand. „Nein, denn hier hätten wir sie nicht sicher genug. Es gibt einen noch viel bessern Ort.“

Er schob das Lager auf die Seite. Dieses bestand aus einer Unterlage von Querhölzern mit darüber gebreiteten Schilfmatten und Decken. Unter dem Lager wurde eine viereckige Öffnung frei, durch welche ein eingekerbter Baumstamm als Leiter nach unten führte. Der Häuptling stieg hinab; Old Shatterhand folgte ihm, und die andern sollten nun die Gefangenen einzeln hinablassen.

Durch die Öffnung fiel so viel Licht in diesen kellerartigen Raum, daß Old Shatterhand sich leicht zu orientieren vermochte. Er war größer als die Wohnstube; die Vergrößerung lag nach der Gartenseite zu. Die entgegengesetzte Seite wurde durch eine Luftziegelmauer abgeschlossen, in welcher es weder Thür noch sonstige Öffnung gab. Als der Jäger an dieselbe klopfte, klang sie dünn und hohl. Es befand sich also hinter ihr ein zweiter Keller, welcher unter dem Herdraume lag. Und doch war in dem letzteren kein Zugang nach unten zu sehen gewesen.

Die Utahs wurden herabgereicht und nebeneinander gelegt. Old Shatterhand befürchtete, daß es ihnen an Luft mangeln werde. Als er eine darauf bezügliche Bemerkung machte, antwortete der „große Bär“: „Sie können genugsam atmen. Hier von der Decke aus gehen Löcher durch die Mauer des Hauses; es sind Hohlziegel eingesetzt. Die alten Bewohner dieser Gegend wußten gar wohl, was sie thaten.“

Old Shatterhand trat wie unwillkürlich, aber mit Absicht, einigemal sehr fest auf. Der Boden des Kellers klang auch hohl. Jedenfalls war die Insel, ehe man den See entstehen ließ, als hohles Gebäude aufgemauert und dann mit einem festen, für das Wasser undurchdringlichen Erd- und Steinmantel umgeben worden. Sollte da unten, auf dem Grunde der Insel, der Schatz aufbewahrt liegen?

Zu weiteren auffälligen Untersuchungen gab es keine Zeit, denn der letzte Gefangene war plaziert, und der Häuptling stieg wieder nach oben. Old Shatterhand mußte ihm folgen. Unter dem Dache des Gebäudes hingen an Stangen große Stücke getrockneten und auch geräucherten Fleisches. Davon wurde in die Kanoes getragen, um mit an das Ufer genommen und dort verzehrt zu werden. Eben als man drüben anlangte, erschien auf schäumendem Pferde der Bote, welcher um Hilfe abgeschickt worden war. So nahe hatten die Timbabatschen und auch der „große Bär“ die Feinde doch nicht geglaubt. Alles griff zu den Waffen und eilte zu den Pferden.

Ellen mußte natürlich zurückbleiben, doch nicht ohne Schutz. Es gab aber keinen, welcher sich gern von dem Ritte ausschließen wollte, und so war es schließlich ihr Vater, welcher bei ihr blieb. Er erhielt von dem „großen Bär“ den Rat, sie hinüber nach der Insel zu rudern und dort bei ihr zu bleiben, da man dort am sichersten sei. Es blieb nämlich niemand weiter am See zurück. Zwar war wohl nichts zu befürchten, aber Vorsicht ist in solchen Fällen stets geraten. Er stieg also mit ihr in ein Kanoe, nahm seine Waffen mit und stieß vom Lande, als die andern fortritten. Diese strengten ihre Pferde weit mehr als die erste Abteilung an. Es ging im Galopp über Stock und Stein, und in Zeit von einer Viertelstunde war der Weg zurückgelegt, zu welchem die ersten fünfzig drei Viertelstunden gebraucht hatten. Da stießen sie auf deren Pferde. Vor ihnen fielen Schüsse. Sie stiegen ab, ließen ihre Tiere ebenfalls hier zurück, teilten sich so schnell als möglich nach rechts und links und gelangten, ohne von den Utahs bemerkt zu werden, in die zerklüfteten Felsenpartieen, welche ihren Freunden zum Versteck dienten.

Natürlich freuten sich diese über die so schnelle Ankunft der Hilfe. Der Humply-Bill erzählte, was geschehen war, und der Hobble-Frank war nicht wenig stolz auf das Lob, welches ihm infolgedessen erteilt wurde.

Die Utahs glaubten, es immer nur noch mit denen, welche sie gesehen hatten, zu thun zu haben. Sie schienen einzusehen, daß sie durch ein rasches Vorgehen dem Kampfe längst ein Ende hätten machen können, und wollten das nun nachholen. Diejenigen Verteidiger des Canon, welche vorn in den Verstecken lagen, sahen, daß die Utahs sich sammelten, und teilten das ihren Kameraden mit. Man machte sich also auf den Empfang bereit. Plötzlich erscholl ein Geheul, als ob das wilde Heer losgelassen worden sei, und die Utahs drangen vor. Ein kaum zwei Minuten fortgesetztes Krachen von beiden Seiten, und sie wichen zurück, indem sie eine Menge Tote und Verwundete liegen ließen. Old Shatterhand hatte hinter einem der Felsenpfeiler gestanden und mehrere Schüsse abgegeben, dabei aber so gezielt, daß er die Getroffenen nicht tötete, sondern nur verwundete und kampfunfähig machte. Jetzt sah er, daß die Timbabatschen sich hinausstürzten, um die Gefallenen zu skalpieren; ihr Häuptling war bei ihnen.

„Halt!“ rief er mit donnernder Stimme. „Laßt diese Leute liegen.“

„Warum? Ihre Skalpe gehören uns!“ antwortete das „lange Ohr“.

Dabei zog er sein Messer und bückte sich nieder, um einem Verwundeten die Kopfhaut zu nehmen. Im nächsten Augenblicke stand Old Shatterhand bei ihm, hielt ihm den Revolver vor den Kopf und drohte: „Thu einen Schnitt, so schieße ich dich nieder.“

Das „lange Ohr“ hatte wohl das Herz, ein Gewehr und einen Kugelbeutel zu stehlen, aber sich erschießen zu lassen, dazu fehlte ihm der Mut. Er richtete sich auf und sagte im Tone freundlicher Vorstellung: „Was kannst du dagegen haben? Die Utahs würden uns auch skalpieren.

„Wenn ich bei ihnen wäre, würden sie es bleiben lassen. Ich dulde es nicht, wenigstens bei den noch lebenden nicht.“

„So mögen sie ihre Skalpe behalten; aber den Toten werde ich sie nehmen.“

„Mit welchem Rechte?“

„Ich begreife dich nicht!“ meinte der Rote betroffen. „Ein erlegter Feind muß doch skalpiert werden!“

„Hier liegen viele. Hast du sie denn alle besiegt?“

„Nein. Einen habe ich getroffen.“

„Welchen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ist er tot?“

„Auch das weiß ich nicht. Er lief weiter.“

„So zeige mir denjenigen Toten, in welchem die Kugel deines Gewehres steckt; dann sollst du ihn skalpieren dürfen; eher aber nicht!“

Der Häuptling zog sich brummend in sein Versteck zurück, und seine Leute folgten diesem Beispiele. Da erhob sich unten, wo die zurückgeschlagenen Utahs sich wieder gesammelt hatten, ein Geschrei. Da der Jäger zwischen Timbabatschen stand, hatten sie ihn nicht genau sehen können; nun er sich noch allein im Freien befand, erkannten sie ihn, und man hörte sie rufen: „Old Shatterhand! die Zauberflinte, das Zaubergewehr!“

Daß dieser Mann sich hier befinden könne, war ihnen unbegreiflich. Seine Anwesenheit machte einen wahrhaft entmutigenden Eindruck auf sie. Desto mehr Courage zeigte er. Er schritt langsam weiter, auf sie zu und rief, als er in gute Hörweite von ihnen gekommen war: „Holt eure Toten und Verwundeten! Wir schenken sie euch.“

Einer der Anführer trat vor und antwortete: „Ihr werdet auf uns schießen!“

„Nein.“

„Redest du die Wahrheit?“

„Old Shatterhand lügt nie.“

Dabei drehte er sich um und kehrte in sein Versteck zurück.

So treulos diese Roten waren, diesem Jäger, diesem Bleichgesichte trauten sie keine Untreue, keinen Verrat zu. Dazu kam, daß es der Indianer für eine große Schande hält, seine Toten oder gar Verwundeten im Stiche zu lassen. Darum schickten die Utahs jetzt, zunächst wenigstens versuchsweise, zwei ihrer Leute ab, welche sich langsam näherten, einen Verwundeten aufhoben und ihn forttrugen. Sie kehrten wieder und schafften einen zweiten fort. Als auch jetzt nichts Feindseliges unternommen wurde, gewannen sie volles Vertrauen, und es kamen ihrer mehrere. Old Shatterhand trat wieder heraus; sie erschraken und wollten davonlaufen. Er aber rief ihnen zu: „Bleibt! Es geschieht euch nichts.“

Sie blieben zaghaft stehen; er näherte sich ihnen vollends und fragte: „Wie viele Häuptlinge sind jetzt bei euch?“

„Vier.“

„Welcher ist der vornehmste von ihnen?“

Nanap varrenton.“

„Sagt ihm, daß ich mit ihm sprechen will! Er mag die Hälfte des Weges machen und ich die andre Hälfte; so treffen wir uns in der Mitte. Die Waffen lassen wir zurück.“

Sie richteten diese Botschaft aus und brachten den Bescheid: „Er wird kommen und die andern drei Häuptlinge mitbringen.“

„Ich bringe nur zwei Gefährten mit, die er vielleicht kennen wird. Sobald ihr hier fertig seid, mögen die Häuptlinge kommen.“

Bald näherten sich diese vier von der einen und Old Shatterhand mit Firehand und Winnetou von der andern Seite. In der Mitte trafen sie zusammen, begrüßten sich mit ernstem Neigen des Kopfes und setzten sich einander gegenüber auf die Erde. Der Stolz verbot den Roten, sofort zu sprechen. Ihre Züge konnte man wegen der dick aufgetragenen Farbe nicht erkennen, aber ihren Blicken sah man die Verwunderung an, neben Old Shatterhand die beiden andern berühmten Männer zu bemerken. So ruhten die Augen der beiden Parteien eine ganze Weile aufeinander, bis endlich der älteste der Roten, eben der „alte Donner“, die Geduld verlor und zu reden beschloß. Er erhob sich, reckte sich in würdevolle Haltung und begann: „Als die weite Erde noch den Söhnen des großen Manitou gehörte, und es bei uns keine Bleichgesichter gab, da – – –“

„Da konntet ihr die Reden halten, so lang es euch beliebte,“ fiel Old Shatterhand ein. „Die Bleichgesichter aber lieben es, sich kurz zu fassen, und dies wollen wir jetzt thun.“

Wenn der Rote ein Palaver hält, so findet er kein Ende. Die jetzige Unterredung hätte vielleicht Stunden in Anspruch genommen, wenn Old Shatterhand nicht schon die Einleitung abgeschnitten hätte. Der Rote warf ihm einen halb verwunderten, halb zornigen Blick zu, setzte sich wieder nieder und sagte: „Der „alte Donner“ ist ein berühmter Häuptling. Er zählt viel mehr Jahre als Old Shatterhand und ist nicht gewohnt, sich von jungen Männern unterbrechen zu lassen. Wenn die Bleichgesichter mich beleidigen wollen, so brauchten sie mich nicht kommen zu lassen. Ich habe gesprochen. Howgh!“

„Ich habe nicht die Absicht gehabt, dich zu kränken. Ein Mann kann viele Jahre zählen und doch weniger erfahren haben als ein jüngerer. Du wolltest von den Zeiten reden, in denen es noch keine Bleichgesichter gab; wir aber haben die Absicht, von dem heutigen Tage zu sprechen. Und wenn ich es bin, der dich rufen ließ, so werde ich auch derjenige sein müssen, welcher zuerst spricht, um dir zu sagen, was ich von dir will. Auch ich habe gesprochen. Howgh!“

Das war scharf zurechtgewiesen. Er deutete den Roten dadurch an, daß er es sei, der hier zu sprechen und zu fordern habe. Sie schwiegen, und darum fuhr er fort: „Du hast meinen Namen genannt und kennst mich also. Kennst du auch die beiden Krieger, welche hier neben mir sitzen?“

„Ja. Es ist Old Firehand und Winnetou, der Häuptling der Apachen.“

„So wirst du wissen, daß wir stets die Freunde der roten Männer gewesen sind. Kein Indianer kann sagen, daß wir ihm unbeleidigt entgegengetreten sind; ja, wir haben oft auf unsre gerechte Rache verzichtet und verziehen, wo wir hätten strafen sollen. Warum verfolgt ihr uns?“

„Weil ihr die Freunde unsrer Feinde seid.“

„Das ist nicht wahr. Der „große Wolf“ hat uns gefangen genommen, ohne daß wir ihm geringste Feindseligkeit erwiesen hatten. Er trachtete uns wiederholt nach dem Leben und brach mehreremal sein Wort. Um unser Leben zu retten, mußten wir uns gegen die Utahs wehren.“

„Habt ihr nicht im Walde des Wassers den alten Häuptling niedergeschlagen und andre Häuptlinge und Krieger mitgenommen?“

„Wieder nur, um uns zu retten.“

„Und jetzt befindet ihr euch bei den Navajos und Timbabatschen, welche unsre Feinde sind!“

„Aus Zufall. Wir wollten nach dem Silbersee und trafen hier auf sie. Wir hörten, daß es zum Kampfe zwischen euch und ihnen kommen werde, und beeilen uns, Frieden zu stiften.“

„Wir wollen Rache, aber keinen Frieden, und aus euren Händen am allerwenigsten.“

„Ob ihr ihn annehmt, das ist eure Sache; wir halten es für unsre Pflicht, ihn euch anzubieten.“

„Wir sind Sieger!“

„Bis vorhin, aber nun nicht mehr. Ihr seid schwer gekränkt worden; das wissen wir; aber es ist ungerecht von euch, euch an Unschuldigen zu rächen. Unser Leben hat wiederholt auf dem Spiele gestanden. Wäre es auf euch angekommen, so wären wir längst am Marterpfahle gestorben, wie die andern Bleichgesichter im Thale der Hirsche.“

„Was wißt ihr davon?“

„Alles. Wir haben ihre Leiber begraben.“

„So warst du dort?“

„Ja. Wir waren mitten unter euch. Wir haben gehört, was die Utahs sprachen, und gesehen, was sie thaten. Wir standen unter den Bäumen, als die Navajos kamen, und sahen, daß ihr sie von dannen getrieben habt.“

„Das ist unmöglich; das ist nicht wahr.“

„Du weißt, daß ich nicht lüge. Fragt die Häuptlinge der Utahs, welche dabei gewesen sind.“

„Wo sollen wir sie fragen? Sie sind verschwunden.“

„Wohin?“

„Wissen wir es?“

„Sind sie von den Navajos getötet worden?“

„Nein. Wir glaubten es, aber wir fanden ihre Leiber nicht. Dann glaubten wir, sie seien gefangen; aber wir haben die Navajos hart verfolgt und keinen einzigen Gefangenen bei ihnen gesehen, während viele von ihnen in unsre Hände geraten sind. Die Häuptlinge der Utahs befinden sich nicht bei den Navajos.“

„Aber verschwunden können sie doch nicht sein!“

„Der große Geist hat sie zu sich genommen.“

„Nein. Der große Geist mag von so treulosen und verräterischen Männern nichts wissen. Er hat sie in unsre Hände gegeben.“

„In eure Hände?“

„Ja, in die Gewalt der Bleichgesichter, welche ihr verderben wolltet.“

„Deine Zunge ist falsch; sie spricht solche Worte, um uns den Frieden abzuzwingen.“

„Ja, ich will und werde euch den Frieden abzwingen, ich sage die Wahrheit. Als wir des Abends im Thale der Hirsche bei euch waren, haben wir die drei Häuptlinge gefangen genommen.“

„Ohne daß ihre Krieger es merkten?“

„Niemand konnte es sehen oder hören. Wir haben sie niedergeschlagen, ohne daß sie ein Wort zu sprechen vermochten. Nennt man mich nicht Old Shatterhand?“

„Es ist nicht wahr. Man hätte euch sehen müssen.“

„Es gibt im Thale der Hirsche ein Versteck, welches wir kennen, aber nicht ihr. Ich will dir beweisen, daß ich die Wahrheit spreche. Was ist das?“

Er zog einen schmalen Riemen aus der Tasche, welcher mit walzenförmig geschnittenen Knöpfen aus der Schale der Venusmuschel besetzt war, und hielt ihm denselben vor das Gesicht.

„Uff!“ rief der „alte Donner“ erschrocken. „Der Wampun der „gelben Sonne“! Ich kenne ihn genau.“

„Und dieser hier?“

Er brachte einen zweiten Riemen hervor.

„Der Wampun des Häuptlings „vier Büffel“! Auch den kenne ich.“

„Und dieser dritte Wampun?“

Als er auch noch einen dritten Riemen zeigte, wollte dem Alten das Wort im Munde stocken. Er machte eine Bewegung des Entsetzens und stieß in abgerissenen Sätzen hervor: „Kein Krieger gibt sein Wampun her; er ist ihm heilig über alles. Wer den Wampun eines andern besitzt, hat denselben getötet oder gefangen genommen. Leben die drei Häuptlinge noch?“

„Ja.“

„Wo sind sie?“

„In unsrer Gewalt, gut aufgehoben.“

„Am Silbersee?“

„Du fragst zu viel. Bedenke, wer sich außer ihnen noch bei uns befindet! Es sind lauter Häuptlinge und tapfere Krieger, welche später ganz gewiß Häuptlinge werden.“

„Was wollt ihr mit ihnen thun?“

„Leben gegen Leben, Blut gegen Blut! Macht Frieden mit den Navajos und Timbabatschen, so geben wir die Gefangenen heraus!“

„Auch wir haben Gefangene gemacht. Tauschen wir sie um, Mann für Mann.“

„Hältst du mich für einen Knaben, daß du meinst, ich wisse nicht, daß man einen Häuptling für wenigstens dreißig Krieger austauscht? Überlege dir meinen Vorschlag, und denke, daß es besser ist, die Freiheit dieser Anführer zu erhalten, als noch hundert oder zweihundert Feinde umzubringen.“

„Und die Beute rechnest du nicht?“

„Beute? Pshaw! Von Beute ist keine Rede, denn ihr werdet keine machen, weil ihr nicht wieder siegen werdet. Jetzt stehen wir euch gegenüber, fünfzig weiße Jäger. Wir sind die Gefangenen der Utahs gewesen und haben ihrer doch gelacht; sie mußten uns gehen lassen und uns sogar ihre Häuptlinge mitgeben. Das thaten wir, als wir gefesselt und in Banden lagen. Was werden wir vermögen, wenn wir frei und ungehindert sind! Ich sage dir, wenn du nicht deinen Frieden mit uns machst, so werden die wenigsten von euch ihre heimatlichen Wigwams wiedersehen!“

Man sah es dem „alten Donner“ an, daß diese Vorstellung nicht verfehlte, Eindruck auf ihn zu machen. Er blickte finster zur Erde nieder. Old Shatterhand fuhr fort, um die Wirkung seiner Worte zu erhöhen: „Eure Häuptlinge trachteten uns nach dem Leben; sie gerieten in unsre Hände und wir hatten nicht nur das Recht, sondern sogar, um sie unschädlich zu machen, die Pflicht, sie zu töten. Wir haben es nicht gethan, weil wir es gut mit ihnen und euch meinen, Wenn wir euch jetzt zum Frieden raten, so ist das ebenso gut mit euch gemeint, denn wir wissen genau, daß wir euch schlagen werden. Entschließe dich, ehe es zu spät ist.“

Da stand Old Firehand auf, reckte und streckte gelangweilt seine gigantische Gestalt und sagte: „Pshaw! Wozu die Worte, wenn wir Waffen haben! Der „alte Donner“ mag uns schnell sagen, ob er Krieg oder Frieden will. Dann wissen wir, woran wir sind, und werden ihm geben, was ihm gehört: Leben oder Tod!“

Das wirkte schnell, wenigstens kam sofort eine Antwort: „So schnell können wir uns nicht entscheiden.“

„Warum nicht? Seid ihr Männer oder Squaws?“

„Wir sind keine Weiber, sondern Krieger. Aber wir müssen erst mit unsern Leuten reden.“

„Wenn ihr wirklich Häuptlinge seid, so ist das gar nicht nötig. Ich sehe, ihr wollt Zeit gewinnen, um euch irgend eine Hinterlist auszusinnen, wie das so eure Gepflogenheit ist: aber keine Klugheit wird euch gegen unsre Fäuste helfen.“

„Old Firehand mag ruhig sprechen, wie wir ihm ruhig antworten. Dem Manne ziemt nicht, wallendes Blut zu haben. Wir werden gehen und überlegen, was zu thun sein wird.“

„So bedenkt, daß es in einer halben Stunde Nacht sein wird!“

„Wir können euch auch des Nachts sagen, was wir beschlossen haben. Wer sprechen will, ihr oder wir, mag einen Schuß abfeuern und dann laut rufen. Man wird ihm antworten. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er stand auf, neigte leise den Kopf und entfernte sich; die andern folgten seinem Beispiele.

„Nun sind wir grad so klug wie vorher!“ zürnte Old Firehand.

„Mein Bruder hat zu zornig gesprochen,“ sagte Winnetou in seiner milden Ruhe. „Er hätte Old Shatterhand weiter reden lassen sollen. Der „alte Donner“ war nachdenklich geworden und stand schon im Begriff, zur Einsicht zu kommen.“

Firehand schien die Wahrheit dieses Vorwurfes einzusehen, denn er entgegnete nichts. Als sie bei den andern ankamen, wurden sie von dem „langen Ohr“ mit der Frage empfangen: „Es waren vier Utahs. Warum gingt ihr nur zu dreien?“

„Weil wir genug Männer waren,“ antwortete Old Firehand unwirsch.

„Es gab noch andre Männer. Auch ich bin Häuptling; ich gehörte zur Beratung, grad so gut wie ihr.“

„Es ist genug unnütz gesprochen worden; wir brauchten nicht noch einen vierten.“

Das „lange Ohr“ schwieg; aber wäre sein Gesicht nicht mit Farbe beschmiert gewesen, so hätte man ihm angesehen, wie er sich ärgerte. Er befand sich überhaupt in schlechter Laune. Er war von Droll blamiert worden, ohne seinen Groll darüber laut werden zu lassen. Und sodann hatte auch Old Shatterhand ihn durch die Verhinderung des Skalpierens vor seinen Leuten schwer beleidigt. Der Häuptling war ein Feigling, welcher nicht den Mut besaß, offen zu widerstreben; aber der Zorn, den er nicht sehen ließ, saß in seinem Innern um so fester.

Es begann zu dämmern und wurde dann Nacht. Zwar war nicht anzunehmen, daß die Utahs einen Angriff wagen würden, aber es mußten dennoch Maßregeln getroffen werden, einen etwaigen Überfall zu vereiteln. Man mußte Wachen ausstellen. Das „lange Ohr“ erbot sich freiwillig, das mit einigen seiner Leute zu übernehmen, und es konnte ihm nicht abgeschlagen werden. Aber um nichts zu versäumen, wies Old Shatterhand ihm und den betreffenden Timbabatschen ihre Plätze an und schärfte ihnen ein, ja nicht weiter vorzudringen.

Es waren mit dem Häuptlinge fünf Mann, welche eine Linie quer über den Canon bildeten. Das „lange Ohr“ befand sich auf dem äußersten rechten Flügel. Old Shatterhand legte sich auf die Erde und kroch vorwärts, um vielleicht die Utahs zu belauschen. Es gelang ihm in kurzer Zeit und vollständig, obgleich sie drei Posten ausgestellt hatten, von denen er aber nicht bemerkt wurde. Er wagte es sogar, zwischen ihnen hindurchzukriechen und sah dann, daß die Feinde sich da, wo der Canon plötzlich breiter wurde, dicht neben- und hintereinander quer über denselben gelagert hatten. Er kehrte befriedigt zurück.

Das „lange Ohr“ hatte gesehen, daß der Jäger rekognoszierte. Es ärgerte ihn, daß man ihm das nicht anvertraut hatte. Er, der Häuptling eines roten Stammes, verstand es jedenfalls viel besser, als so ein Bleichgesicht. Der Groll in ihm nagte weiter und weiter. Er wünschte, diesen Weißen zeigen zu können, daß er eine wichtige Person sei, welche man nicht umgehen dürfe. Wie nun, wenn die Roten etwas im Schilde führten und es ihm gelänge, dies zu erlauschen! Dieser Gedanke ließ ihm keine Ruhe, und endlich beschloß er, ihn auszuführen. Er kroch vorwärts, weiter und weiter. Aber es war nicht so leicht, wie er sich vorgestellt hatte, denn das Steingeröll lag nicht fest; es bewegte sich unter seinen langen Gliedern. Darum mußte er seine Aufmerksamkeit mehr unter sich als vor sich richten. Wieder kollerte unter ihm ein Stein – neben ihm tauchte etwas Dunkles auf, vor ihm auch; zwei kräftige Hände legten sich ihm wie Eisenklammern um den Hals; zwei andre Hände hielten seine Arme an den Leib; sein Atem stockte, und er verlor die Besinnung.

Als er wieder zu sich kam, lag er zwischen zwei Männern, welche ihm die Spitzen ihrer Messer auf die entblößte Brust hielten. Seine Glieder waren gefesselt, und in seinem Munde steckte ein Knebel. Er machte eine Bewegung, welche von einem dritten, der ihm zu Häupten saß, bemerkt wurde. Dieser sagte mit leiser Stimme, indem er ihm die Hand auf den Kopf legte: „Wir haben das „lange Ohr“ erkannt. Ich bin der „alte Donner“. Wenn das „lange Ohr“ klug ist, wird ihm nichts geschehen; ist er aber unklug, so wird er die Messer kosten, welche er auf seiner Brust fühlt. Er mag mir durch ein Nicken mit dem Kopfe zu erkennen geben, ob er meine Worte hört!“

Der gefangene Häuptling gab das gewünschte Zeichen. Er lag hier zwischen Leben und Tod, und es verstand sich ganz von selbst, daß er das Leben wählte. Es überkam ihn eine große Genugthuung bei dem Gedanken, daß es ihm jetzt möglich sei, sich an den stolzen, eingebildeten Weißen für die ihm widerfahrene Zurücksetzung und Beleidigung zu rächen.

„Das „lange Ohr“ mag mir ferner zu verstehen geben, ob er nur leise sprechen will, wenn ich ihm den Knebel aus dem Munde nehme,“ fuhr der andre fort.

Der Aufgeforderte nickte wieder, und sofort wurde der Knebel entfernt, doch warnte der „alte Donner“: „Wenn du ein lautes Wort sprichst, wirst du sterben. Willst du dich aber mit mir verbinden, so soll dir alles verziehen sein, und du wirst teil an unsrer Beute haben. Antworte mir!“

Beute! Bei diesem Worte kam dem Timbabatsch ein Gedanke, ein großer, ein kostbarer Gedanke. Er hatte ein Gespräch zwischen dem großen und dem kleinen Bären belauscht, ein Gespräch, welches ihm noch jetzt Wort für Wort im Ohre klang. Beute! Ja, Beute sollte es geben, Beute, wie sie noch nie nach einem Kampfe ausgeteilt worden war! Von diesem Augenblicke an war er der Sache der Utahs mit Leib und Seele ergeben.

„Ich hasse und verachte diese Weißen,“ antwortete er. „Wenn du mir hilfst, so werden wir sie vernichten.“

„Und den „Bären“ auch?“

„Ja. Doch meine Krieger sollen leben bleiben!“

„Das verspreche ich dir. Warum aber warst du vorher mein Feind?“

„Weil ich das noch nicht wußte, was ich heut weiß. Die Bleichgesichter haben mich so beleidigt, daß ich ihr Blut haben muß.“

„Diese Rache soll dir werden. Ich werde bald sehen, ob du es ehrlich mit mir meinst oder mich betrügen willst.“

„Ich bin dir treu und werde es dir beweisen, besser und vollkommener, als du jetzt ahnen kannst.“

„So sage mir zunächst, ob es wahr ist, daß die Bleichgesichter unsre Häuptlinge als Gefangene bei sich haben!“

„Es ist wahr. Ich habe sie gesehen.“

„So sind diese Hunde mit dem bösen Geiste im Bunde, sonst wäre ihnen nicht gelungen, was jedem andern Menschen unmöglich ist! Wo befinden sich die Häuptlinge der Utahs?“

„In dem Hause auf der Insel des Sees.“

„Von wem werden sie bewacht?“

„Von einem einzigen Bleichgesichte und einem Mädchen, welches seine Tochter ist.“

„Ist das wahr? Ein einziger Mann und ein Mädchen halten so viele tapfere und berühmte Krieger fest! Du lügst!“

„Ich sage die Wahrheit. Du mußt bedenken, daß die Gefangenen gefesselt sind.“

„So will ich es glauben. Das ist auf der Insel. Wie viele Krieger aber befinden sich am Ufer?“

„Keiner.“

„Mensch, wo ist dein Verstand!“

„Keiner! Die Weißen und meine Timbabatschen waren da, sonst niemand. Und diese alle waren nach dem Canon geritten, um gegen euch zu kämpfen.“

„Welche Unvorsichtigkeit! Und das soll ich für Wahrheit halten?“

„Es ist keine Unvorsichtigkeit, denn diese Hunde halten dich für unschädlich, weil es ihnen unmöglich erscheint, daß du ohne ihr Wissen nach dem See kommen kannst.“

„Ist das denn möglich?“

„Ja. Grad dadurch kann ich dir beweisen, daß ich es ehrlich mit dir meine.“

„Uff! Der Weg in diesem Canon hinauf ist nicht der einzige? Es gibt noch einen andern?“

„Ja. Wenn du willst, werde ich dich führen.“

„Wo ist dieser Pfad?“

„Eine Strecke abwärts von hier liegt zwischen zwei Felsensäulen eine Spalte, durch welche man über eine Höhe in einen tiefen Felsenkessel gelangt, aus dem ein Hohlweg nach dem See führt. Ich bin diesen Weg mit dem „großen Bär“ geritten.“

„Und am See sind wirklich keine Krieger?“

„Nein, wenn nicht die zweihundert Navajos indessen gekommen sind, welche noch erwartet werden.“

„Sie sind noch nicht da, denn sonst wären sie sofort hierher in den Canon geeilt, um gegen uns zu kämpfen. Wie lange braucht man, um von hier aus auf diesem andern Wege nach dem See zu gelangen?“

„Drei Stunden.“

„Das ist viel, sehr viel!“

„Aber der Lohn ist groß; es fallen alle Feinde in deine Hände; du befreist deine Häuptlinge und Krieger und – – –“

Er stockte.

„Und – – sprich weiter!“

„Und außerdem findest du eine Beute, wie es noch niemals eine gegeben hat.“

„Eine Beute? Bei den Navajos? Du meinst ihre Pferde und Waffen? Denn weiter ist bei ihnen nichts zu finden.“

„Ich spreche nicht von den Navajos, sondern von den beiden Bären und ihrem Silbersee, auf dessen Grunde ungeheure Reichtümer aufbewahrt liegen, Gold, Silber und edle Steine in großer Menge.“

„Wer hat dir das weisgemacht?“

„Niemand. Ich habe es von den beiden selbst gehört. Ich lag des Abends im Dunkel unter den Bäumen. Sie kamen und blieben ganz in meiner Nähe stehen, ohne zu wissen, daß ich mich dort befand. Da sprachen sie von diesen ungeheuren Schätzen.“

„Wie sind dieselben in den See gekommen?“

„Ein Volk, welches vor langer Zeit hier wohnte und unterjocht wurde, hat sie dort aufbewahrt.“

„So sind sie wohl längst verdorben. Und wie könnte man sie heraufbekommen, wenn sie auf dem Grunde des Meeres liegen? Man müßte ihn ausschöpfen.“

„Nein. Da, wo jetzt der See ist, hat früher ein trockenes Thal gelegen. Jenes Volk hat einen Turm gebaut, dessen Spitze jetzt die Insel ist. Von diesem Turme aus wurde ein fester hohler Gang gebaut, welcher über das Thal hinlief und da endete, wo jetzt der Canon beginnt. Dann errichtete man einen starken, breiten Damm, damit das Wasser nicht mehr nach Norden ablaufen könne. Das Thal füllte sich mit Wasser und wurde zum See, aus welchem nun die Spitze des Turmes als Insel ragt. Als er voll war, lief sein Wasser nach Süden ab. Das Ende des Ganges aber wurde durch Steine verdeckt.“

„Das alles soll wahr sein?“

„Vollständig wahr. Ich habe mich überzeugt, die Steine heimlich entfernt und den Gang gefunden. Da, wo er beginnt, liegen Fackeln, welche notwendig sind, um den Gang zu erleuchten. Dieser führt auf dem Grunde des Sees hin nach der Insel, dem Turme, in dessen unterstem Stockwerke die Schätze liegen. Dieser Gang ist zugleich da, um das Wasser abzulassen und etwaige Feinde zu verderben, welche sich im Canon befinden. Man öffnet eine Stelle des Ganges; das Wasser dringt ein und ergießt sich in den Canon, und alles, was in demselben ist, muß ersaufen.“

„Uff! Das wäre etwas für uns. Wenn wir die Bleichgesichter ersaufen lassen könnten!“

„Das darf ich nicht zugeben, weil meine Timbabatschen mit ertrinken würden.“

„Das ist wahr. Aber wenn alles sich wirklich so verhält, wie du sagst, so sind die Weißen ohnedies verloren. Es wird sich finden, ob du es aufrichtig meinst. Willst du uns jetzt nach dem See führen?“

„Ja, ich bin sehr gern bereit dazu. Aber welchen Teil der Reichtümer werde ich bekommen?“

„Das werde ich bestimmen, sobald ich mich überzeugt habe, daß du mir die Wahrheit gesagt hast. Ich werde dich jetzt losbinden und dir ein Pferd geben lassen. Aber beim geringsten Versuch zur Flucht bist du verloren.“

Der Häuptling gab seine Befehle mit leiser Stimme. Bald saßen alle Utahs im Sattel und ritten den Canon zurück, erst natürlich mit der größten Vorsicht, um kein Geräusch zu verursachen. Sie erreichten die Stelle, an welcher die Weißen aus dem Canon nach dem Felsenkessel abgebogen waren, und folgten derselben Richtung.

Der Ritt war jetzt, des Nachts, noch viel beschwerlicher als am Tage; aber die Roten hatten wahre Katzenaugen, und auch ihre Pferde fanden sich leicht zurecht. Es ging die schiefe Ebene hinauf, drüben in den Kessel hinab und dann in die Felsenenge hinein, genau auf demselben Wege, den die Weißen geritten waren. Die letzte Hälfte des Rittes wurde dadurch erleichtert, daß der Mond aufgegangen war. Der Weg lag nicht tief und wurde ziemlich hell beschienen.

Genau nach der Schätzung des „langen Ohres“ waren drei Stunden vergangen, als die Utahs da ankamen, wo die Bäume begannen. Sie hielten an und schickten einige Kundschafter vor, welche erforschen sollten, ob man weiter könne. Sie hatten sich ungefähr fünf Minuten entfernt, als ein Schuß und gleich darauf noch einer fiel. Nach kurzer Zeit kehrten sie zurück, indem sie einen von ihnen getragen brachten. Er war tot.

„Die Bleichgesichter sind nicht mehr im Canon,“ wurde gemeldet. „Sie stecken am Eingange zum See und haben auf uns geschossen. Unserem Bruder ist die Kugel in das Herz gedrungen. Er war so unvorsichtig, sich im Mondscheine aufzurichten.“

Diese Nachricht rief das Mißtrauen des „alten Donners“ wach. Er glaubte, von dem „langen Ohre“ betrogen worden zu sein; er dachte, dieser stehe mit den Weißen im Bunde und habe von ihnen den Auftrag erhalten, sich absichtlich ergreifen zu lassen, um ihnen die Utahs vor die Gewehre zu liefern. Dem „langen Ohr“ gelang es aber, dieses Mißtrauen zu zerstreuen. Er bewies, daß er diese Absicht gar nicht hegen könne, und fügte hinzu: „Die Bleichgesichter haben sich, da sie viel schwächer sind als ihr, in der Dunkelheit des Canons nicht für sicher gehalten und sind nach dem See gegangen, wo sie glaubten, daß ihr sie nicht überfallen könnt. Der Eingang zu dem Thale ist so schmal, daß sie ihn gegen euch leicht verteidigen können; es ist euch also, vollends jetzt bei Nacht, nicht möglich, ihn zu erzwingen. aber ihr werdet ihnen in den Rücken kommen.

„Wie ist das möglich?“

„Durch den Gang, von welchem ich gesprochen habe. Er mündet nur wenige Schritte von hier. Wir öffnen ihn, indem wir die Steine fortnehmen und steigen hinein. Wenn wir die Fackeln anzünden, können wir ihm leicht folgen; so gelangen wir in den Turm und steigen im Innern desselben empor, um auf die Insel zu kommen. Dort gibt es stets einige Kanoes, in denen wir an das Ufer rudern. Dann befinden wir uns im Rücken der Feinde und werden sie leicht überwältigen, zumal meine Timbabatschen, sobald ich es ihnen befehle, sich auf eure Seite stellen werden.“

„Gut! Die Hälfte der Utahs bleibt hier, und die andre Hälfte folgt uns in den Gang. Zeige ihn uns!“

Die Utahs waren von ihren Pferden gestiegen. Das „lange Ohr“ führte sie zur Seite bis zu der Stelle, an welcher der Canon begann. Dort lehnte ein Steinhaufen am Felsen.

„Diese Steine müssen fort,“ sagte der Timbabatsche, „dann werdet ihr die Öffnung sehen.“

Der Haufen wurde entfernt, und es zeigte sich ein dunkles Loch, fünf Ellen breit und drei Ellen hoch. Die Häuptlinge traten hinein und fanden, als sie um sich tasteten, einen ganzen Vorrat von Fackeln, welche aus Hirsch- oder Büffeltalg gefertigt waren. Mit Hilfe der „Punks“ wurde Licht gemacht. Man verteilte die Fackeln und steckte sie in Brand. Dann drang man in den Gang ein.

Es herrschte eine dumpfe Luft in demselben, aber feucht war es nicht. Er mußte außerordentlich stark gemauert und dann sehr dick und hoch mit Erde bestampft worden sein, daß er so lange Zeit dem Wasser des Sees Widerstand geleistet hatte.

Um nicht allzulange Zeit dieser Luft, welche durch den Qualm der Fackeln noch verschlechtert wurde, ausgesetzt zu sein, ging man so schnell wie möglich vorwärts, bis man nach unendlich scheinender Zeit in eine weite Halle gelangte, an deren Wänden viele in Matten gehüllte Pakete aufgestapelt lagen.

„Das muß das unterste Geschoß des Turmes, also der Insel sein,“ sagte das „lange Ohr“. „Vielleicht befinden sich in diesen Päcken die Schätze, von denen ich euch gesagt habe. Wollen wir nachsehen?“

„Ja,“ antwortete der „alte Donner“. „Aber lange halten wir uns dabei nicht auf, da wir uns beeilen müssen, nach der Insel zu kommen. Später haben wir mehr Zeit dazu.“

Als man von einem, der Pakete die Hülle entfernt hatte, sah man im Scheine der Fackeln eine Götzenfigur goldig erglänzen. Diese eine Figur repräsentierte für sich allein ein Vermögen. Ein civilisierter Mensch hätte vor Entzücken betrunken werden können; diese Roten blieben kalt. Man breitete die Matte wieder über den Götzen und schickte sich zum Aufstiege an.

Es waren, wenn auch nicht ganz in Gestalt unsrer Treppen, schmale Stufen gemauert, welche nach oben führten; sie boten nur für eine Person Platz; darum mußten die Roten im Gänsemarsch sich hintereinander halten. Das „lange Ohr“ stieg, mit einer Fackel in der Hand, voran. Noch hatte er die oberste Stufe dieses Geschosses nicht erreicht, so hörte er unter sich einen Schrei, welchem die Angstrufe von vielen Lippen folgten. Er blieb stehen und sah zurück. Was er erblickte, war ganz geeignet, ihn mit Entsetzen zu erfüllen. Aus dem Gange, in welchem sich noch viele, viele Utahs befanden, drang, so breit und hoch er war, das Wasser herein. Die Fackeln warfen ihre Lichtstreifen auf die dunkle, gurgelnde Flut, welche schon halb manneshoch stand und mit entsetzlicher Schnelligkeit nach oben stieg. Diejenigen, welche sich noch im Gange befunden hatten, waren verloren; das Wasser hatte sie sofort erstickt. Und die, welche noch auf den Stufen standen, waren ebenso verloren. Sie drängten vorwärts; jeder wollte sich nach oben retten; einer riß den andern fort. Man warf die Fackeln von sich, um sich mit beiden Händen verteidigen zu können. So kam es, daß es keinem gelang, auf den Stufen Fuß zu fassen. Dabei wuchs die Flut so schnell, daß sie eine Minute, nachdem der erste Schrei erschollen war, den Roten schon bis an die Hälse reichte. Sie wurden von ihr gehoben; sie schwammen; sie kämpften gegen den Tod und gegeneinander – vergeblich. Nur fünf oder sechs waren es, welche sich bereits so hoch befunden hatten, daß ihnen das Entkommen möglich war. Der „alte Donner“ befand sich unter ihnen; sie hatten nur eine einzige Fackel, welche der voransteigende Timbabatsche trug. Eine schmale Öffnung führte durch die Decke in das nächste Gestock, von wo aus eben solche Stufen weiterführten. „Gib mir das Licht, und laß mich voran!“ gebot der Utahhäuptling dem Timbabatschen.

Er griff nach der Fackel, doch das „lange Ohr“ weigerte sich, sie ihm zu geben. Es entspann sich ein kurzer Streit, welcher aber dennoch lange genug währte, das Wasser herankommen zu lassen. Es drang schon durch die Öffnung in dieses Stockwerk. Dasselbe war eng, viel, viel enger, als das untere. Darum stieg die Flut mit zehnfacher Schnelligkeit an den Wänden empor.

Das „lange Ohr“ war jünger und stärker als der „alte Donner“. Er riß sich von ihm los und warf ihn mit einem kräftigen Stoße zu Boden. Nun aber drangen die andern Utahs auf ihn ein. Er besaß keine Waffe und hatte nur eine Hand frei, sich ihrer zu erwehren. Schon legte einer das Gewehr auf ihn an, um ihn zu erschießen; da rief er: „Halt, sonst werfe ich das Licht in das Wasser, und dann seid ihr verloren! Ihr könnt nicht sehen, wohin ihr zu steigen habt, und das Wasser holt euch ein.“ Das half. Sie sahen ein, daß sie sich nur dann retten konnten, wenn sie Licht behielten. Schon stand ihnen das Wasser bis an den Hüften.

„So behalte die Fackel, und steig voran, du Hund!“ antwortete der „alte Donner“. „Aber später wirst du es büßen!“

Der Timbabatsche stand schon auf den Stufen und eilte weiter. Wieder gelangte er durch eine schmale Öffnung in das nächste Stockwerk. Die Drohung des Alten war ernst gemeint. Das „lange Ohr“ wußte es. Er dachte, daß er nur dann nichts zu befürchten habe, wenn die Utahs in der Flut umkamen. Darum blieb er, als er durch die Öffnung gestiegen war, stehen und blickte zurück. Hinter ihm erschien der Kopf des „alten Donners“. „Du hast mich einen Hund genannt und willst dich an mir rächen,“ rief er ihm zu. „Du bist selbst ein Hund und sollst wie ein Hund sterben. Fahre zurück in das Wasser!“

Er versetzte ihm einen Fußtritt in das Gesicht, so daß der Alte zurückstürzte und in der Öffnung verschwand. Einen Augenblick später erschien der Kopf des nächsten Utah; auch dieser erhielt einen Fußtritt und fiel zurück. So erging es dem dritten; weiter kam keiner, denn das Wasser hatte die andern erreicht und von den Stufen geschwemmt; es trat jetzt schon durch die Öffnung; der Timbabatsche befand sich allein; nur er war übrig geblieben.

Er stieg weiter und weiter, noch einige Stockwerke höher, und das Wasser folgte ihm mit derselben Schnelligkeit. Da fühlte er, daß die Luft besser wurde. Der Aufstieg war nun so eng geworden und es gab keine Stufen mehr, sondern ein eingekerbtes Holz war als Leiter der Mauer gelegt. Schon setzte er die Fußspitzen in die Kerben, um nach oben zu klimmen, da hörte er über sich eine Stimme: „Halt, bleib unten, sonst erschieße ich dich! Die Utahs haben uns vernichten wollen; nun sind sie selbst alle verloren, und du sollst als der letzte von ihnen sterben!“

Es war die Stimme des „großen Bären“. Der Timbabatsche erkannte sie.

„Ich bin ja kein Utah. Schieß nicht!“ antwortete er voller Angst.

„Wer bist du denn?“

„Dein Freund, der Häuptling der Timbabatschen.“

„Ach, das „lange Ohr“! So hast du erst recht den Tod verdient, denn du bist ein Abtrünniger, ein Verräter.“

„Nein, nein! Du irrst!“

„Ich irre nicht. Du hast dich auf irgend eine Weise in mein Geheimnis geschlichen und es den Utahs mitgeteilt. Nun magst du so ertrinken, wie sie ertrunken sind.“

„Ich habe nichts verraten!“ beteuerte der Rote voller Angst, denn das Wasser stieg ihm schon bis an die Knie.

„Lüge nicht!“

„Laß mich hinauf! Bedenke, daß ich stets dein Freund gewesen bin!“

„Nein, du bleibst unten!“

Da ließ sich eine andre Stimme hören, nämlich diejenige Old Firehands: „Laß ihn herauf! Es ist des Fürchterlichen genug geschehen. Er wird seine Sünde eingestehen.“

„Ja, ich gestehe es; ich werde euch alles, alles sagen!“ versicherte das „lange Ohr“, denn das Wasser reichte ihm schon fast bis an die Hüfte.

„Gut, ich will dir das Leben schenken und hoffe, daß du mir dafür dankbar sein wirst.“

„Meine Dankbarkeit wird ohne Grenzen sein. Sage mir, was du willst, und ich werde es thun!“

„Ich halte dich beim Wort. Nun komm herauf!“

Der Rote warf, um mit beiden Händen klettern zu können, die Fackel in das Wasser und stieg hinauf. Als er oben anlangte, sah er sich in demjenigen Raume des Inselgebäudes, in welchem sich der Herd befand. Vor der offenen Thür brannte ein Feuer, und bei dem hereinfallenden Scheine desselben sah er den großen Bären, Old Firehand und Old Shatterhand. Er sank vor Müdigkeit und infolge der ausgestandenen Angst nieder, raffte sich aber schnell wieder auf, um hinaus zu springen und rief: „Fort, fort, hinaus, sonst kommt das Wasser, ehe wir uns retten können!“

„Bleib hier!“ antwortete der „große Bär“. „Du hast von dem Wasser nichts mehr zu befürchten, denn es kann im Innern der Insel nicht höher steigen, als es draußen steht. Du bist gerettet und wirst uns nun erzählen, wie du von deinem Posten weg- und hierhergekommen bist.“

Als Old Shatterhand im Canon seine kühne Rekognition beendet hatte, war er zu den Gefährten zurückgekehrt. Sie und die Timbabatschen lagen schweigsam in ihren Verstecken, denn die Aufmerksamkeit aller mußte nach draußen gerichtet sein, da den Utahs sehr wohl ein heimliches Herbeischleichen zuzutrauen war.

Es mochte ungefähr eine Stunde vergangen sein, als Old Shatterhand der Gedanke kam, wieder nach den Posten zu sehen. Er schlich sich hinaus und zunächst nach der Stelle, an welcher er das „lange Ohr“ gelassen hatte; sie war leer. Er begab sich zu dem nächstpostierten Timbabatschen, um ihn zu fragen, und erfuhr von demselben, daß sein Häuptling fortgeschlichen sei.

„Wohin?“

„Zu den Utahs. Er ist noch nicht wieder zurück.“

„Seit wann ist er fort?“

„Seit einer Stunde fast.“

„Dann muß ihm ein Unfall widerfahren sein; ich werde nachsehen.“

Der Jäger legte sich nieder und kroch dahin, wo er vorher die feindlichen Wächter gesehen hatte; sie waren fort. Er kroch weiter. Da, wo die Utahs den ganzen Canon quer ausgefüllt hatten, war kein einziger von ihnen zu sehen. Old Shatterhand forschte mit äußerster Vorsicht weiter nach. Er sah und fand keinen Utah, aber auch den Häuptling nicht. Das war mehr als besorgniserweckend. Er kehrte zurück, um Winnetou und Old Firehand zu holen, damit diese sich an dem Nachforschen beteiligen sollten. Alle ihre Mühe war vergeblich. Die drei Männer drangen eine bedeutende Strecke in dem Canon vor, ohne auf einen Feind zu stoßen, und kehrten mit dem Resultate zurück, daß die Utahs verschwunden seien. Das wäre an sich gar nichts Unbegreifliches oder gar Entsetzliches gewesen, wenn nicht das „lange Ohr“ mit ihnen verschwunden gewesen wäre.

„Sie haben ihn erwischt,“ sagte der „große Bär“; „er hat zu viel gewagt. Nun ist’s um ihn geschehen.“

„Und wohl auch um uns,“ meinte Old Shatterhand.

„Wieso um uns?“

„Mir fällt auf, daß sie sich entfernt haben. Das muß einen ganz besonderen Grund haben. Der Umstand, daß der Häuptling in ihre Hand geraten ist, kann an und für sich nicht die Ursache ihres unerwarteten Rückzuges sein; es muß vielmehr ein ganz andrer Grund vorhanden sein, der aber mit dem Häuptlinge in Beziehung steht.“

„Welcher Grund könnte das sein?“

„Hm! Ich traue dem „langen Ohr“ nicht. Er hat mir nie gefallen.“

„Ich wüßte nicht, weshalb wir ihm mißtrauen sollten. Er hat sich niemals feindlich gegen mich verhalten.“

„Das mag sein; dennoch ist er nicht der Mann, auf den ich mich verlassen möchte. Kennt er die hiesige Örtlichkeit genau?“

„Ja.“

„Kennt er auch den Weg, welcher über den Felsenkessel nach dem See führt?“

„Er kennt ihn, denn er ist mit mir dort gewesen.“

„So weiß ich genug. Wir müssen sofort aufbrechen, um nach dem See zu gehen.“

„Warum?“

„Weil er den Utahs diesen Weg verraten hat.“

„Das traue ich ihm nicht zu!“

„Aber ich hatte ihn dessen für fähig. Mag ich mich da irren oder nicht; mag er freiwillig oder gezwungen geplaudert haben, darauf kommt es nicht an; ich bin überzeugt, daß die Utahs seit einer Stunde fort sind und in zwei Stunden am See erscheinen werden.“

„Das denke auch ich,“ stimmte Old Firehand bei.

„Das „lange Ohr“ hat kein gutes Gesicht,“ meinte Winnetou. „Meine Brüder mögen schnell nach dem See kommen, sonst sind die Utahs eher dort als wir und nehmen Butler und seine Tochter gefangen.“

Da diese drei Männer derselben Ansicht waren, verlor der „große Bär“ etwas von seinem Vertrauen und sprach nicht gegen den sofortigen Aufbruch. Man stieg zu Pferde und ritt den Canon hinauf, so gut es in der Finsternis gehen mochte.

Es dauerte wohl eine Stunde, ehe man den Eingang des Seethales erreichte. Dieser wurde besetzt, und zwar von Weißen, weil nun, da ihr Häuptling abhanden gekommen war, den Timbabatschen nicht mehr ein unbedingtes Vertrauen geschenkt werden konnte.

Butler befand sich nicht mehr auf der Insel. Er hatte mit seiner Tochter in dem Gebäude gesessen; unter ihnen lagen die Gefangenen, welche miteinander sprachen. Ihre Stimmen drangen dumpf noch oben; es klang so geisterhaft, daß Ellen sich zu fürchten begann, und sie bat ihren Vater, die Insel zu verlassen und mit ihr hinüber an das Ufer zu gehen. Er erfüllte ihre Bitte und ruderte sie hinüber. Als es Nacht geworden war, brannte er ein Feuer an, war aber so vorsichtig, sich nicht an dasselbe zu setzen, vielmehr zog er sich mit Ellen in den Schatten zurück, wo beide den erleuchteten Platz übersehen konnten, ohne selbst bemerkt zu werden. Es war für sie unheimlich, so allein an diesem einsamen und gefährlichen Orte zu sein; darum freuten sie sich, als die Weißen jetzt mit den Timbabatschen zurückkehrten.

Da die Utahs erst in einer Stunde erwartet werden konnten, genügte es, daß die Hälfte der Rafters vorn am Eingange postiert waren. Die andern Weißen lagerten sich um das Feuer; die Timbabatschen brannten sich ein zweites an, bei welchem sie Platz nahmen, um sich über das Verschwinden ihres Häuptlings zu unterhalten. Sie waren überzeugt, daß er ganz gegen seinen Willen in die Hände der Utahs geraten sei. Daß die Weißen ihn im Verdacht der Verräterei hatten, war ihnen wohlweislich verschwiegen worden.

Seit der Ankunft am See hatte Watson, der frühere Schichtmeister, keine Gelegenheit gehabt, mit dem „großen Bären“ zu sprechen, und dieser hatte gar nicht darauf geachtet. Jetzt aber, als sie nahe bei einander am Feuer saßen, meinte der Weiße zu dem Roten: „Mein roter Bruder hat noch nicht mit mir gesprochen. Er mag mich einmal betrachten und mir dann sagen, ob er sich nicht erinnert, mich bereits einmal gesehen zu haben.“

Der Bär warf einen forschenden Blick auf ihn und antwortete dann: „Mein weißer Bruder trägt jetzt einen längeren Bart als früher; aber ich erkenne ihn doch wieder.“

„Nun, wer bin ich?“

„Einer von den beiden Bleichgesichtern, welche hier oben einen ganzen Winter zubrachten. Damals lebte Ikhatschi-tatli noch, der große Vater, welcher krank war, und von ihnen gepflegt wurde, bis er starb.“

„Ja, wir pflegten ihn, und er war uns dankbar dafür. Er gab uns ein Geschenk, dessen sich der „große Bär“ vielleicht erinnern wird.“

„Ich weiß es,“ nickte der Rote, aber in einer Weise, als ob er sich nur ungern an diesen Umstand erinnern lasse.

„Es war ein Geheimnis, welches er uns anvertraute, ein Geheimnis von einem Schatze, welcher hier verborgen liegt.“

„Ja; aber der große Vater hatte sehr unrecht, als er von diesem Geheimnisse sprach. Er war alt und schwach geworden, und die Dankbarkeit verhinderte ihn, sich zu erinnern, daß er ewiges Schweigen gelobt hatte. Er durfte von diesem Geheimnisse, welches sich auf die Nachkommen zu vererben hat, nur zu seinem Sohne und Enkel sprechen. Die Gegenstände, um welche es sich handelt, waren nicht sein Eigentum; er durfte nicht das Geringste verschenken. Ganz besonders aber war es seine Pflicht, gegen Bleichgesichter zu schweigen.“

„So meinst du, daß ich nicht das Recht habe, von dieser Sache zu sprechen?“

„Ich kann es dir nicht verbieten.“

„Wir hatten eine Zeichnung darüber.“

„Die nützt dir nichts, denn wenn du dich nach derselben richtest, wirst du nichts finden. Ich habe den aufbewahrten Gegenständen einen andern Platz gegeben.

„Und den darf ich nicht erfahren?“

„Nein.“

„So bist du weniger dankbar als dein Vater!“

„Ich thue meine Pflicht, werde es dir aber nicht vergessen, daß du bei seinem Tode zugegen gewesen bist. Auf die Ausnutzung des Geheimnisses mußt du verzichten; jeden andern Wunsch aber werde ich dir mit Freuden erfüllen.“

„Ist das dein Ernst?“ fragte da Old Firehand schnell.

„Ja. Meine Worte sind stets so gemeint, wie ich sie spreche.“

„So werde ich an Stelle dieses unsres Gefährten einen Wunsch aussprechen.“

„Thu es! Liegt es in meiner Macht, so werde ich denselben gern erfüllen.“

„Wem gehört das Land, auf welchem wir uns hier befinden?“

„Mir. Ich habe es von den Timbabatschen erworben und werde es einst meinem Sohn, dem „kleinen Bären“ hinterlassen.“

„Kannst du dein Recht darauf beweisen?“

„Ja. Bei den roten Männern gilt das Wort; die weißen Männer aber verlangen ein Papier mit schwarzen Buchstaben. Ich habe ein solches anfertigen und von den weißen Häuptlingen unterschreiben lassen. Es ist auch ein großes Siegel darauf. Das Land am Silbersee, so weit es rundum von den Bergen eingefaßt wird, ist mein Eigentum. Ich kann mit demselben thun, was mir beliebt.“

„Und wem gehört der Felsenkessel, durch den wir heut gekommen sind?“

„Den Timbabatschen. Die weißen Häuptlinge haben die ganze Gegend ausgemessen und abgezeichnet; dann hat der weiße Vater in Washington sich unterschrieben, daß sie Eigentum der Timbabatschen ist.“

„Diese können also davon verkaufen, verpachten oder verschenken, ganz wie es ihnen gefällt.“

„Ja, und niemand darf etwas dagegen haben.“

„So will ich dir sagen, daß ich den Felsenkessel von ihnen kaufen will.“

„Thue es!“

„Du bist einverstanden?“

„Ja. Ich kann es ihnen nicht verbieten, zu verkaufen, und dir nicht, zu kaufen.“

„Darum handelt es sich nicht, sondern darum, ob es dir lieb oder unlieb ist, uns in deine Nachbarschaft zu bekommen.“

„Euch? Nicht bloß dich? So wollt ihr alle im Kessel wohnen?“

„Allerdings. Ich will auch die Strecke bis an deine Grenzen kaufen, in welcher die Felsenenge liegt.“

Das Gesicht des „großen Bären“ nahm einen pfiffigen Ausdruck an, als er fragte: „Warum wollt ihr grad an einer Stelle wohnen, an welcher es kein Wasser gibt, und wo kein einziger Grashalm wächst? Der Weiße kauft nur solches Land, welches ihm großen Nutzen bringt. Ich errate eure Gedanken. Es ist der Stein, der Felsen, welcher Wert für euch hat.“

„Das ist richtig. Aber er gewinnt erst dann an Wert, wenn wir Wasser bekommen können.“

„Nehmt es euch aus dem See!“

„Das ist es, was ich mir von dir erbitten wollte.“

„Du sollst so viel haben, wie du brauchst.“

„Darf ich eine Leitung anlegen?“

„Ja.“

„Du verkaufst mir das Recht dazu, und ich bezahle es dir?“

„Wenn der Kauf notwendig ist, so habe ich nichts dagegen. Du magst einen Preis bestimmen, aber ich schenke ihn dir. Ihr habt mir einen großen Dienst geleistet; ohne euch wären wir in die Hände der Utahs gefallen; ich werde alle deine Wünsche erfüllen. Dieser Mann, welcher vorhin mit mir sprach, wollte die Schätze des Geheimnisses haben; das darf ich nicht zugeben; dafür werde ich euch aber behilflich sein, die Schätze des Felsenkessels auszubeuten. Du hörst, daß ich errate, um was es sich handelt. Es soll mich freuen, wenn eure Hoffnungen nicht zu Schanden werden.“

„Das laß ich mir gefallen,“ flüsterte der Hobble-Frank seinem Vetter zu.

„Das Wasser haben wir also mehrschtenteels schon; wenn dann das Gold ooch so bereitwillig fließt, so können wir bald Crassussens schpielen.“

„Meenste vielleicht Krösussens? Krösus is doch wohl derjenige König gewese, der so schteenreich gewese is?“

„Fang mir nich etwa ooch so an wie der dicke Jemmy, der immer in die falsche Konterpunktion gerät! Crassus is die richtige Modulation. Wennste mein Freund und Vetter bleiben willst, so – – – horch!“

Vor dem Eingange ließ sich ein Pfiff hören. Das war das mit den Rafters verabredete Zeichen. Die Weißen sprangen auf und eilten nach dem Eingange des Thales. Die Roten blieben sitzen. Vorn angekommen, erfuhren sie, daß man aus der Gegend der Felsenenge ein Geräusch wie Huftritte gehört habe. Es wurden schnell die nötigen Maßregeln getroffen. Die Weißen lagen unter und hinter den Bäumen versteckt und warteten mit Spannung auf das, was nun kommen werde.

Vor ihnen lagen die bereits erwähnten Büsche. Die Zwischenräume derselben wurden vom Monde hinreichend beleuchtet. Hobble-Frank und Droll lagen nebeneinander. Sie hatten einen ziemlich freien Raum vor sich, den sie mit scharfen Blicken überwachten.

„Du,“ flüsterte Frank, „bewegt sich nich etwas dort links am Busche?“

„Ja. Ich sah drei dunkle Punkte. Das müsse Indianersch sein.“

„Gut! Die sollen gleich schpüren, daß ich jetzt Besitzer eenes feinen Gewehrs bin.“

Er legte an. Da erhob sich einer der Indianer, um den freien Raum schnell zu überspringen. Er war im Lichte des Mondes deutlich zu erkennen. Der Schuß Franks krachte, und der Indianer fiel, in die Brust getroffen, nieder. Seine beiden Kameraden sprangen zu ihm hin, um ihn in Sicherheit zu bringen; ein Rafter schoß auf sie, traf aber nicht; sie verschwanden mit dem Toten.

Es verging einige Zeit, ohne daß man ferner etwas hörte oder sah. Das war auffällig. Darum kroch Winnetou vorwärts, um den vorn liegenden Raum vorsichtig abzusuchen. Nach ungefähr einer Viertelstunde kehrte er nach der Stelle zurück, an welcher er sich mit Old Firehand, Shatterhand und dem „großen Bären“ befunden hatte, und meldete: „Die Krieger der Utahs haben sich geteilt. Die eine Hälfte von ihnen hält mit allen Pferden dort links, wo der Weg aus dem Felsenkessel mündet; die andern sind rechts am Beginn des Canons; dort haben sie ein Loch geöffnet, in welchem sie verschwinden.“

„Ein Loch?“ fragte der „Bär“ erschrocken. „So kennen sie den unterirdischen Gang, und mein Geheimnis ist verraten. Das kann kein andrer als das „lange Ohr“ gethan haben. Wie hat er das erfahren können? Kommt mit mir! Ich muß sehen, ob es wahr ist.“

Er eilte fort, auf der Höhe des Dammes hin, und die drei folgten ihm. Bald sahen sie, unter den Bäumen versteckt, den Anfang des Canons hell unter sich liegen. Der Steinhaufen war entfernt, und beim Scheine des Mondes erkannte man die Utahs, welche in den Gang eindrangen.

„Ja, sie kennen mein Geheimnis,“ meinte der „große Bär“. „Sie wollen nach der Insel, um uns in den Rücken zu kommen, und sie wollen meine Schätze haben. Aber das soll ihnen nicht gelingen. Ich muß rasch auf die Insel. Old Firehand und Old Shatterhand mögen mich begleiten; Winnetou aber mag hier bleiben; ich muß ihm etwas zeigen.“

Er führte den Apachen einige Schritte vorwärts nach einer Stelle, an welcher der Damm senkrecht in den See fiel. Dort lag ein großes, viele Zentner schweres Felsstück auf einer Unterlage von kleineren Steinen, welche eigentümlich geordnet waren. Der „große Bär“ deutete auf einen dieser Steine und sagte: „Sobald Winnetou von hier aus sieht, daß ich auf der Insel ein Feuer anbrenne, mag er an diesen Stein stoßen, worauf dieser Felsen hinab in das Wasser rollen wird. Mein roter Bruder mag aber schnell zurückspringen und nicht erschrecken, wenn er ein großes Krachen hört.“

„Warum soll der Felsen in das Wasser?“ fragte Winnetou.

„Das wirst du später sehen. Jetzt ist keine Zeit zum Erklären; ich muß fort. Schnell!“

Er rannte davon, und die beiden Jäger folgten ihm. An dem Feuer angekommen, riß er einen Brand aus demselben und stieg in eins der Boote.

Während er sich bemühen mußte, die Flamme zu erhalten, nahmen Firehand und Shatterhand das Ruder; sie stießen ab und hielten auf die Insel zu. Drüben sprang der „große Bär“ schnell heraus und eilte in das Gebäude. Auf dem Herde lag dürres Holzwerk; er schaffte es heraus und steckte es in Brand. „Meine Brüder mögen horchen!“ sagte er dann, mit der Hand nach der Gegend deutend, in welcher Winnetou zurückgeblieben war.

Da drüben war ein kurzes, hohles Rollen zu hören, dann das Zischen des unter dem stürzenden Felsen aufbrausenden Wassers, und nun erfolgte ein Krachen, ein Getöse, als ob ein Haus einstürze.

„Es ist gelungen!“ rief der „große Bär“, tief aufatmend. „Die Utahs sind verloren. Kommt mit herein!“

Er ging wieder in das Gebäude, in die Abteilung, in welcher sich der Herd befand. Dieser stand, wie die beiden Jäger jetzt sahen, auf einer beweglichen Unterlage, denn der Rote schob ihn ohne alle Anstrengungen zur Seite. Es wurde eine Öffnung sichtbar, in welche der „Bär“ hinablauschte.

„Sie sind drin; sie sind unten; ich höre sie kommen,“ sagte er. „Nun aber schnell das Wasser hinein!“

Er sprang hinaus, hinter das Gebäude, was er dort machte, konnten die beiden nicht sehen; aber als er zurückkehrte, deutete er auf eine nahe Stelle des Sees und erklärte: „Seht ihr, daß sich dort das Wasser bewegt? Es bildet einen Strudel, einen Trichter; es wird nach unten gezogen, denn es fließt in den Gang, den ich geöffnet habe.“

„Mein Himmel! So müssen die Utahs ja elend ertrinken!“ rief Shatterhand.

„Ja, alle, alle! Kein einziger entkommt.“

„Gräßlich! War das nicht zu umgehen?“

„Nein. Es soll keiner entkommen, um zu erzählen, was er da unten gesehen hat.“

„Aber du hast deinen eigenen Bau zerstört!“

„Ja, er ist zerstört und kann nie wieder hergestellt werden. Die Schätze sind für die Menschen verloren; kein Sterblicher wird sie nun zu heben vermögen, denn die Insel wird sich bis obenan mit Wasser füllen. Kommt herein!“

Es überlief die beiden Weißen ein kaltes Grauen. Das unten aufsteigende Wasser trieb die dumpfige Luft nach oben; man fühlte es aus der Bodenöffnung kommen. Das bedeutete den Tod von weit, weit über hundert Menschen.

„Aber unsre Gefangenen, die sich hier nebenan befinden!“ sagte Old Shatterhand. „Die ertrinken doch auch!“

„Nein. Die Mauer widersteht für einige Zeit. Dann freilich müssen wir sie herausholen. Horcht!“

Man hörte da unten ein Geräusch, und dann sah man einen Roten mit einer Fackel auftauchen. Es war das „lange Ohr“. Der „große Bär“ wollte ihn auch ertrinken lassen, aber auf Old Firehands Zureden sah er von dieser Grausamkeit ab. Kaum befand sich der Timbabatsche in Sicherheit, so stand im Innern der Insel das Wasser genau so hoch wie draußen, und der vorhin sichtbare trichterförmige Wirbel war verschwunden.

Das „lange Ohr“ hatte sich am Feuer niedergesetzt; es war ihm jetzt unmöglich, zu stehen. Der „große Bär“ setzte sich ihm gegenüber, zog einen Revolver aus dem Gürtel und sagte in drohendem Tone: „Jetzt mag der Häuptling der Timbabatschen erzählen, wie er mit den Utahs in den Gang gekommen ist. Wenn er mich belügt, werde ich ihm eine Kugel in den Kopf schießen. Er hat das Geheimnis der Insel gekannt?“

„Ja,“ gestand der Gefragte.

„Wer hat es dir verraten?“

„Du selbst.“

„Das ist nicht wahr!“

„Es ist wahr. Ich saß drüben unter der alten Lebenseiche, als du mit deinem Sohne kamst. Ihr bliebt in meiner Nähe stehen und spracht von der Insel, von ihren Schätzen und von dem Gange, aus welchem man das Wasser in den Canon laufen lassen kann. Erinnerst du dich?“

„Ja, es ist wahr. Wir haben dort gestanden und davon gesprochen. Wir glaubten, allein zu sein.“

„Ich ersah aus euren Worten, daß der Gang da beginne, wo der Steinhaufen lag. Am andern Morgen jagtet ihr einen Hirsch, und ich benutzte das, um den Steinhaufen zu entfernen. Ich trat in den Gang und sah die Fackeln. Da wußte ich genug und brachte die Steine wieder an ihre Stelle.“

„Und heut gingst du zu den Utahs, um das Geheimnis zu verraten!“

„Nein. Ich wollte sie belauschen, wurde aber ergriffen. Nur um mich zu retten, sprach ich von diesem Gange und auch von der Insel.“

„Das war feig. Hätte Old Shatterhand nicht bemerkt, daß du fehltest, so wäre der Verrat gelungen, und unsre Seelen befänden sich schon morgen in den ewigen Jagdgründen. Habt ihr gesehen, was unten in der Insel lag?“

„Ja.“

„Und habt ihr die Pakete geöffnet?“

„Nur ein einziges.“

„Was befand sich darin?“

„Ein Gott, aus purem Golde gefertigt.“

„Kein menschliches Auge wird ihn wiedersehen, auch das deinige nicht. Was meinst du wohl, daß du verdient hast?“

Der Timbabatsche schwieg.

„Den Tod, den zehnfachen Tod! Aber du warst mein Freund und Kamerad, und diese Bleichgesichter wünschen nicht, daß ich dich töte. Du sollst also leben bleiben, doch nur, wenn du das thust, was ich von dir verlange.“

„Was forderst du?“

„Ich werde dir einen Schwur, einen schweren Schwur abnehmen, einen Schwur, daß du niemals und niemanden von der Insel und dem, was sie enthält, etwas sagen willst.“

„Ich bin bereit, zu schwören.“

„Jetzt nicht, sondern später. Und sodann fordre ich von dir, daß du das thust, was Old Firehand von dir verlangen wird. Er will in dem Felsenkessel wohnen und ihn euch abkaufen. Du wirst ihm den Platz verkaufen und dazu den Weg, welcher von dort nach dem Silbersee führt.“

„Wir brauchen den Kessel nicht, denn er ist unnütz; kein Pferd findet Weide dort.“

„Was forderst du dafür?“

„Da muß ich erst mit den andern Timbabatschen sprechen.“

„Sie werden dich fragen, was sie verlangen sollen, und du mußt den Preis bestimmen. Da will ich dir jetzt sagen, welche Forderung du machen darfst. Old Firehand wird dir geben zwanzig Gewehre und zwanzig Pfund Pulver, zehn Decken, fünfzig Messer und dreißig Pfund Tabak. Das ist nicht zu wenig. Wirst du darauf eingehen?“

„Ich stimme bei und werde mich so verhalten, daß auch die andern darauf eingehen.“

„Du wirst mit Old Firehand und einigen Zeugen zum nächsten Häuptlinge der Bleichgesichter gehen müssen; damit der Kauf dort seine Gültigkeit erhalte. Dafür wirst du noch ein besonderes Geschenk erhalten, groß oder klein, viel oder wenig, wie du es verdient oder wie es Old Firehand beliebt. Du siehst, ich sehe auf deinen Nutzen; aber ich hoffe, daß du mich den Verrat vergessen lässest. Jetzt rufe einige deiner Leute herüber, welche die gefangenen Utahs hinüberschaffen sollen, damit sie nicht auch ertrinken!“

Das „lange Ohr“ gehorchte dieser Aufforderung, und es war hohe Zeit, daß die Gefangenen in Sicherheit gebracht wurden. Als der letzte von ihnen draußen vor dem Gebäude niedergelegt worden war, hörte man ein Prasseln und Gurgeln; das Wasser hatte die dünne Mauer eingedrückt und war nun auch drüben im Keller eingedrungen. Nur zehn Minuten später, und die Utahs hätten ertrinken müssen.

Sie wurden in den Kanoes hinüber an das Ufer geschafft und den Timbabatschen zur Bewahrung anvertraut. Deren Häuptling wurde nicht bei ihnen gelassen, weil man ihm doch noch nicht wieder trauen konnte. Er mußte mit vor nach dem Eingange, wo die Weißen noch scharf auf Posten lagen, da die Utahs ihnen gegenüberstanden und sich noch nicht zurückgezogen hatten.

Diese Leute wußten nicht, woran sie waren. Die meisten derer, welche nach der Insel hatten gehen sollen, waren schon in den Gang eingedrungen gewesen, als derselbe plötzlich durch eine mächtige Stein- und Erdmasse von oben eingedrückt worden war. Diese Masse hatte viele der Eindringlinge erdrückt und den Gang so vollständig und fest verschüttet und verstopft, daß das Wasser des Sees nicht hinauszudringen vermochte. Und das hatte in der Absicht des „großen Bären“ gelegen. Das Wasser sollte nicht nach außen in den Canon abfließen, sondern in das Innere der Insel dringen.

Die hintersten Utahs, welche nicht mit verschüttet wurden, waren erschrocken zurückgewichen und zu der andern Abteilung geeilt, um dort zu erzählen, was geschehen war. Man wußte nicht, ob alle, die sich in dem Gange befunden hatten, verloren seien, oder ob es denen, die nicht direkt verschüttet worden waren, gelungen sei, nach der Insel zu gelangen. War das letztere der Fall, so mußten diese Krieger die Weißen im Rücken angreifen. Man wartete von Minute zu Minute, daß dies geschehen werde, aber die Zeit verging, ohne daß sich diese Hoffnung erfüllte. Nun stand es fest, daß alle ein Opfer der Katastrophe geworden seien.

Es wurde Tag, und noch hielten die Utahs mit ihren Pferden an derselben Stelle. Sie hatten, um nicht von den Bleichgesichtern überrumpelt zu werden, einige Posten vorgeschoben. Da sahen sie Old Shatterhand unter den Bäumen erscheinen. Er rief ihnen zu, daß er mit ihrem Anführer zu sprechen wünsche. Dieser war überzeugt, daß der Jäger keinen Verrat beabsichtige, und ging ihm entgegen. Als sie zusammentrafen, sagte Old Shatterhand: „Du weißt, daß sich mehrere eurer Häuptlinge und Krieger als Geiseln bei uns befinden?“

„Ich weiß es. Es sind die berühmtesten unsrer Männer,“ antwortete der Gefragte finster.

„Und weißt du, was mit euren Kriegern, welche den Gang betreten haben, geschehen ist?“

„Nein.“

„Der Gang stürzte zusammen, und das Wasser trat in denselben; sie sind alle ertrunken. Nur das „lange Ohr“ ist entkommen. Soeben sind die erwarteten zweihundert Navajos angelangt. Wir sind euch weit überlegen, aber wir wünschen nicht euer Blut, sondern wir wollen euch Frieden geben. Die Geiseln glauben uns nicht, daß so viele eurer Leute im See umgekommen sind. Einer von euch soll es ihnen sagen, um sie zu überzeugen. Schließen sie nicht Frieden, so müssen sie binnen einer Stunde sterben, und euch werden wir jagen und hetzen, bis ihr zusammenbrecht. Sei klug, und gehe jetzt mit mir! Ich führe dich zu den Häuptlingen. Sprich mit ihnen, und dann kannst du wieder hierher zurückkehren.“

Der Mann blickte eine Weile vor sich nieder und sagte dann: „Old Shatterhand kennt keine Hinterlist. Du wirst Wort halten und mich zurückkehren lassen. Ich traue dir und gehe mit.“

Er unterrichtete seine Leute von seinem Vorhaben, legte die Waffen ab und folgte dann dem Jäger nach dem See. Dort herrschte reges Leben, denn die Navajos waren wirklich angekommen. Sie brannten vor Begierde, die Niederlage der Ihrigen an den Utahs zu rächen, und es hatte mehr als die gewöhnliche Überredungsgabe erfordert, sie dem Frieden geneigt zu machen. Die Geiseln waren von ihren Fesseln befreit worden; sie saßen unter hinreichender Bewachung bei einander, als Old Shatterhand ihren Kameraden brachte. Er ließ sich bei ihnen nieder, und dann wurde das „lange Ohr“ zu ihnen geschickt, um ihnen den Hergang der Katastrophe zu berichten. Sonst mischte sich weiter niemand in ihre Beratung; sie mußten ja nun endlich selbst einsehen, daß sie von außen keine Hilfe zu erwarten hatten.

Ihre Unterhaltung währte lange; dann meldete das „lange Ohr“, daß sie den Entschluß gefaßt hätten, auf den Friedensvorschlag einzugehen.

Infolgedessen gab es eine feierliche Sitzung, an welcher die hervorragenden Weißen und Roten sich beteiligten; sie dauerte mehrere Stunden, und es wurden viele Reden gehalten, bis endlich die Friedenspfeife die Runde machte.

Das Resultat war ein „ewiger“ Friede zwischen allen Parteien; Sühne war von keiner Seite zu leisten; die Gefangenen wurden freigegeben, und alle, Utahs, Navajos und Timbabatschen, verpflichteten sich, den Bleichgesichtern, welche im Felsenkessel wohnen und arbeiten wollten, Freundschaft zu erweisen und allen Vorschub zu leisten.

Hierauf folgte eine große Jagd, welche bis zum Abend währte und reiche Beute brachte, und darauf, wie ganz selbstverständlich, ein Wildbretessen, bei welchem die Roten schier das Unmögliche leisteten. Die Festlichkeit währte bis zum frühen Morgen. Die aufgehende Sonne sah zu, als die Helden des Friedensschlusses sich in ihre Decken wickelten, um einzuschlafen. Was die Zeichnung betrifft, welche der rote Cornel gehabt hatte, so war sie verschwunden, sie wäre nun auch gegenstandslos gewesen.

Eine schwierige Aufgabe für die Weißen war es, den „großen Wolf“ nun freundlich zu behandeln. Er war es, der am meisten gegen sie gesündigt hatte; er trug die Schuld an allem, was geschehen war; aber auch ihm wurde vergeben.

Es verstand sich ganz von selbst, daß der ganze nächste Tag verschlafen wurde. Am nächsten Morgen schlug die Trennungsstunde. Die Utahs zogen nord- und die Navajos südwärts. Auch die Timbabatschen kehrten in ihre Wigwams heim. Das „lange Ohr“ versprach, wegen des Verkaufes des Felsenkessels Beratung zu halten und dann das Resultat derselben mitzuteilen. Er kehrte schon am dritten Tage zurück und berichtete, daß die Versammlung darauf eingegangen sei und sich mit dem vom „großen Bär“ festgesetzten Preise einverstanden erklärt habe. Es galt nun nur noch, den Kauf an zuständiger Stelle abzuschließen und beglaubigen zu lassen.

Der Digging-Platz war also gegeben, und es hieß nun nur, ihn in Arbeit zu nehmen. Das sollte möglichst bald geschehen. Das gab ein Schwärmen und ein Hoffen, mit welchem nur ein einziger nicht einverstanden war – der Lord. Er hatte den Humply-Bill und den Gunstick-Uncle engagiert, ihn nach Frisco zu bringen; diesen beiden aber fiel es gar nicht ein, unter den jetzigen Verhältnissen Wort zu halten. Sie hatten schon hübsche Summen im Buche stehen, und falls sie mit dem Engländer gingen, stand zu erwarten, daß sie bis San Francisco das Honorar für noch manches Abenteuer erhalten würden, weit mehr aber mußten sie sich von dem Placer versprechen, welches zu erwerben Old Firehand im Begriffe stand. Darum wollten sie bleiben, und der Lord war verständig genug, ihnen das nicht übel zu nehmen. Übrigens konnte die Arbeit im Felsenkessel noch lange nicht begonnen werden. Der Lord hatte also noch genugsam Zeit, sich mit seinen beiden Führern nach Abenteuern in den Bergen umherzutreiben.

Zunächst ritt Old Firehand mit dem „großen Bären“ und dem „langen Ohre“ nach Fillmore City, wo der Kauf in Ordnung gebracht wurde. Das war zugleich der passende Ort, die nötigen Maschinen und Werkzeuge zu bestellen. Die Tante Droll war mitgeritten, um durch Zeugen vor dem Notar erhärten zu lassen, daß der rote Cornel tot sei. Dadurch beabsichtigte er, in den Besitz der Prämie zu gelangen, auf welche er es abgesehen hatte.

Ein schönes, geschwisterliches Verhältnis entwickelte sich zwischen Ellen und dem „kleinen Bären“. Er war den ganzen Tag um ihr kleines Persönchen, und wenn er eimal auf sich warten ließ, so fehlte er ihr an allen Ecken und Enden.

Endlich, nach fast anderthalb Monaten, kam die Botschaft, daß die Maschinen abgeholt werden könnten. Man brach auf, um dies zu thun, und der Lord benutzte diese gute Gelegenheit, in Gesellschaft nach bewohnten Orten zu gelangen, wo er leicht andre Führer finden konnte.

Als die Gesellschaft in Filmore City ankam, erregte sie Aufsehen. Man ahnte, daß es sich um ein großes Miner-Unternehmen handle, und gab sich alle Mühe, das Nähere zu erfahren. Aber die Interessenten bewahrten die größte Verschwiegenheit, da es nicht in ihrer Absicht liegen konnte, allerlei abenteuerliches Gesindel in ihrer Nähe zu haben.

Dann, als man alles oben am See bei einander hatte, begann der Ingenieur seine Thätigkeit zu entwickeln. Die Wasserleitung wurde angelegt und dann zunächst der Bodensand des Kessels in Angriff genommen.

Was die Ernährung betraf, so hatte man Mehl und ähnliche Vorräte in genügender Menge mitgebracht. Für Fleisch sorgten, Tag um Tag abwechselnd, drei Personen, welche zu jagen hatten, während die andern im Placer arbeiteten. Für die Zubereitung der Speisen sorgte Ellen, deren Anwesenheit eine wahre Wohlthat für die rauhen Männer war.

Die Hoffnung, welche man in den Ort gesetzt hatte, bewährte sich. Der Sand war reich an Gold und ließ eine ebenso reiche Ausbeute des festen Gesteins erwarten. Der Goldstaub und die Nuggets mehrten sich von Tag zu Tag; jeden Abend wurde neu gewogen und taxiert, und wenn das Resultat, wie stets, ein erfreuliches war, so flüsterte Droll vergnügt seinem Vetter zu: „Wenn’s so fortgeht, werde ich das Bauerngut bald koofe könne. Das Geschäft geht brillant.“

Und der Hobble-Frank antwortete regelmäßig: „Und meine Villa is mehrschtendeels schon fertig, wenigstens im Koppe. Das wird een komposanter Bau am schönen Schtrand der Elbe, und der Name, den ich ihm gebe, wird noch viel komposanter werden. Ich habe geschprochen. Howgh!“

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Siebentes Kapitel

Im Kampf um Butlers Farm

In früher Morgenstunde wurden die Verteidiger der Farm wieder geweckt. Der Tag schien ein warmer, ja heißer Sonnentag werden zu wollen und im freundlichen Morgenlichte nahm sich das gestern so düstere Gebäude heute ganz anders aus. Es war für viele Bewohner eingerichtet, aus Backsteinen gebaut, sehr lang und tief, und bestand aus dem Parterre und einem oberen Stockwerke mit plattem Dache. Die Fenster waren sehr hoch, doch so schmal, daß ein Mensch nicht hindurchkriechen konnte. Diese Vorsichtsmaßregel war in einer Gegend, welche oft von räuberischen Indianern durchzogen wird, sehr geboten. In jenen Gegenden kommt, oder wenigstens kam es oft vor, daß ein einsames Haus, eine Farm, mehrere Tage lang von den Bewohnern gegen solches Gesindel verteidigt werden mußte.

Ebenso praktisch für diesen Zweck erwies sich auch der große, weite Hofraum, welcher von einer hohen, mit Schießscharten versehenen Adobesmauer umgeben war. Zwischen den Schießscharten waren breite Mauerbänke angebracht, auf welche man steigen konnte, wenn über die Mauer hinweggeschossen werden sollte.

Unweit des Hauses rauschte der Fluß vorüber, durch dessen Furt man gestern gekommen war. Sie konnte von der Mauer aus sehr bequem mit Büchsenkugeln bestrichen werden, und war während der Nacht auf Befehl Old Firehands durch Verhaue unzugänglich gemacht worden. Als zweite und sehr notwendige Vorsichtsmaßregel hatte der Genannte die Herden Butlers nach den Weideplätzen des nächsten Nachbars treiben lassen, auch schon während der Nacht. Und sodann war ein Bote in die Gegend von Fort Dodge gesandt worden, um die beiden Brüder Butler zu warnen, falls diese sich etwa bereits auf dem Heimwege befinden sollten; sie durften nicht in die Hände der Tramps fallen.

Old Firehand führte die Gefährten auf das Dach des Hauses, von welchem aus man eine sehr weite Aussicht hatte, gegen Osten und Norden auf die wellige Grasprairie, gegen Süden und Westen auf umfangreiche und wohl angebaute Mais- und andre Felder.

„Wann werden die erwarteten Indianer kommen?“ fragte Droll.

„Nach der Berechnung, welche der Häuptling gestern machte, könnten sie nun bald eintreffen,“ antwortete Firehand.

„Darauf rechne ich nicht. Diese Roten müssen erst, vielleicht von weither, zusammengeholt werden, und treten einen Kriegszug niemals an, bevor ihren alten Gebräuchen genügt worden ist. Wir wollen froh sein, wenn sie zur Mittagszeit hier eintreffen. Dann aber können sich die Tramps auch schon in der Nähe befinden. Ich traue diesen Sheyennes und Arapahoes nicht viel zu.“

„Ich auch nicht,“ stimmte Bill bei. „Beide Stämme sind sehr klein und haben seit langer, langer Zeit kein Kriegsbeil in den Händen gehabt. Wir können uns nicht auf sie verlassen; starke Nachbarn gibt es auch nicht, und so können wir uns auf eine lange Belagerung gefaßt machen.“

„Die ist nicht zu fürchten, denn die Keller bergen große Vorräte,“ berichtete Old Firehand.

„Aber Wasser, was doch die Hauptsache ist!“ meinte Droll. „Wenn die Tramps draußen stehen, können wir doch nicht nach dem Flusse, um zu schöpfen!“

„Ist auch nicht nötig. In einem der Keller ist ein Brunnenloch, welches gutes Trinkwasser für die Menschen liefert, und für die Tiere ist durch den Kanal gesorgt.“

„Gibt es denn einen Kanal?“

„Ja. Es ist hier eben alles für den Kriegsfall angelegt und eingerichtet. Hinter dem Hause könnt Ihr eine hölzerne Fallthür bemerken. Öffnet man diese, so sieht man Treppenstufen, welche zum überwölbten Kanal führen, der draußen mit dem Flusse in Verbindung steht.“

„Ist er tief?“

„Mannestief. Das Wasser reicht einem fast bis an die Brust.“

„Und seine Mündung in den Fluß ist offen?“

„O nein. Der Feind darf sie nicht bemerken; darum ist die betreffende Stelle des Ufers dicht mit Büschen und Schlinggewächsen bepflanzt worden.“

Es war keine eigentlich klar bewußte Absicht, welche Droll veranlaßte, sich so genau nach dem Kanale zu erkundigen, aber später kam ihm diese Kenntnis außerordentlich zu statten.

Die Dame des Hauses war noch nicht zu sprechen; sie hatte mit Old Firehand die ganze Nacht in Sorgen durchwacht, und sich erst mit Tagesanbruch in ihr Gemach zurückgezogen; dennoch hatten die Gäste über keine Vernachlässigung zu klagen, da für Erfüllung aller ihrer Wünsche gesorgt worden war. Die Tafeln, Tische, Stühle und Bänke, an denen gestern abend gegessen worden war, wurden in den Hof geschafft, damit das Frühstück im Freien eingenommen werden könne. Dann wurden alle im Hause vorhandenen Waffen und Munitionsvorräte zusammengebracht, um auf ihre Brauchbarkeit untersucht zu werden.

Später saß Old Firehand mit Frau Butler auf der Plattform des Hauses und schaute sehnsüchtig nach Süden aus, woher die erwarteten Indianer kommen mußten. Endlich, der Mittag war bereits vorüber, näherte sich, eine lange, lange Reihe roter, im Gänsemarsch hintereinander herschreitender Gestalten; es waren die Erwarteten, und die „große Sonne“ befand sich zu Pferde an ihrer Spitze.

Als sie durch daß Thor einzogen, zählte Old Firehand über zweihundert Mann. Leider waren nur wenige von ihnen wirklich gut bewaffnet. Die meisten von ihnen besaßen keine Pferde und die wenigen, welche sich im Besitze solcher befanden, hatten sich geweigert, dieselben mitzunehmen, sie wollten lieber sich als ihre Pferde verwunden oder gar erschießen lassen. Übrigens waren zur Verteidigung dieses festen Platzes gar keine Reiter nötig.

Old Firehand teilte diese einst so stolzen und jetzt herabgekommenen Roten in zwei Trupps, der erste sollte auf der Farm bleiben, und der zweite sich unter der Anführung des Osagenhäuptlings an der Grenze gegen den Nachbar aufstellen, auf dessen Weiden sich die fortgetriebenen Herden befanden. Diese Leute hatten die Aufgabe, einen etwaigen Versuch der Tramps, dort einzufallen, zurückzuweisen. Um sie zur Aufmerksamkeit und Tapferkeit anzuspornen, wurde für jeden getöteten Tramp ein Preis ausgesetzt, dann bog der Häuptling mit dieser seiner Abteilung ab. Innerhalb der Mauer der Farm befanden sich nun einige über hundert Indianer, zwanzig Rafters und die sonst mit Namen genannten Jäger. Der großen Zahl der Tramps gegenüber war das gewiß nicht viel; aber ein Jäger oder Rafter wog gewiß mehrere Tramps auf und der Schutz, welchen Mauer und Haus gewährten, war gewiß auch nicht gering anzuschlagen. Besondere Befehle konnten jetzt noch nicht erteilt werden, da man noch nicht wußte, in welcher Weise die Tramps ihren Angriff ausführen würden.

Nun konnte man nichts weiter thun, als die Ankunft derselben ruhig abwarten. Ein großes Glück war es zu nennen, daß Mistreß Butler der Gefahr mit ziemlicher Ruhe entgegenblickte. Es fiel ihr nicht ein, ihre Leute durch Wehklagen zu verwirren; vielmehr ließ sie dieselben zu sich kommen und verhieß ihnen für ein treues und mutiges Verhalten eine entsprechende Belohnung. Das waren auch gegen zwanzig Knechte, welche ihre Waffen zu gebrauchen verstanden und auf die Old Firehand sicher rechnen konnte. Als alle Vorbereitungen getroffen waren, saß Old Firehand mit der Dame und dem Engländer wieder oben. Er hatte das Riesenfernrohr des letzteren in der Hand und suchte fleißig denjenigen Teil des Horizontes ab, an welchem die Tramps erscheinen mußten. Nach lange vergeblich angestrengter Aufmerksamkeit entdeckte er endlich an einer Stelle, welche mit dem unbewaffneten Auge unmöglich erreicht werden konnte, eine Menge Menschen und Pferde. Das waren gewiß die Tramps. Bald sonderten sich von ihnen drei Gestalten ab, welche sich in der Richtung der Farm weiter bewegten, nicht zu Pferde, sondern zu Fuß.

„Ah, man schickt Kundschafter voraus!“ sagte Old Firehand. „Vielleicht sind sie gar so frech, Einlaß zu begehren.“

„Das wäre eine Kühnheit, die ich diesen Menschen nicht zutraue,“ bemerkte der Lord.

„Warum nicht? Man schickt drei Kerls, welche hier niemand kennt, sie kommen unter irgend einem Vorwand herein, wer kann ihnen da etwas anhaben? Gehen wir hinab in den oberen Stock, damit sie uns nicht auf dem Dache sehen. Wir aber können sie von dem Fenster aus durch das Fernrohr beobachten.“

Die mitgebrachten Pferde befanden sich hinter dem Hause, so daß sie nicht gesehen werden konnten. Auch sämtliche Verteidiger mußten sich verstecken. Die drei Tramps sollten, falls sie auf den Hof kamen, der Ansicht werden, daß das Haus ohne hinreichende Bewachung sei.

Sie kamen langsam näher und Old Firehand bemerkte, daß einer den andern hob, damit dieser durch eine Schießscharte in den Hof blicken könne. Er erteilte schnell noch einige Befehle, welche er für nötig hielt, und begab sich dann in den Hof hinab. Es wurde an der Glocke gezogen; er ging zum Thore und fragte nach dem Begehr.

„Ist der Farmer daheim?“ fragte eine Stimme.

„Nein, er ist verreist,“ antwortete er.

„Wir wollen um Arbeit anfragen. Wird kein Hirt oder Knecht gebraucht?“

„Nein.“

„Dann möchten wir wenigstens gern um einen Imbiß bitten. Wir kommen von weit her und haben Hunger. Bitte, laßt uns ein!“

Das wurde in einem sehr kläglichen Tone gesagt. Es gibt im ganzen Westen keinen Farmer, welcher einen Hungrigen von sich weist. Bei allen Naturvölkern, und in allen Gegenden, wo es keine Hotels und Gasthäuser gibt, wird dieser Mangel durch die schöne Sitte der Gastfreundschaft ausgeglichen, so auch im fernen Westen. Es wäre nicht nur grausam gegen den Bedürftigen sondern auf der andern Seite auch eine Schande für die Farm, vielmehr für den Besitzer, einen Fremden, welcher um Aufnahme bittet, dieselbe zu verweigern.

Die Leute wurden also eingelassen, und nachdem das Thor wieder verriegelt worden war, zu den Sitzen gewiesen, welche sich an der Seite des Hauses befanden. Dieses letztere schien aber nicht nach ihrer Absicht zu sein. Sie gaben sich zwar den Anschein der Unbefangenheit, doch konnte es nicht entgehen, daß sie das Haus und dessen Umgebung mit scharf forschenden Blicken betrachteten, und sich dann gegenseitig in bezeichnender Weise anschauten. Der eine von ihnen sagte: „Wir sind arme, geringe Leute, die nicht inkommodieren wollen. Erlaubt, daß wir hier am Thore bleiben, wo wir überdies auch mehr Schatten haben als dort. Wir werden uns einen Tisch holen.“

Dieser Wunsch wurde ihnen erfüllt, obgleich er ein heimtückischer war, denn sie wollten am Thore bleiben, um dasselbe ihren Genossen zu öffnen. Sie trugen sich den Tisch und einige Sitze herbei, und dann wurde ihnen von einer Magd ein reichlicher Imbiß vorgesetzt. Nun war auf dieser Seite des Hofes kein Mensch zu sehen, da alle, selbst die Magd, sich zurückgezogen hatten.

Die angeblichen Arbeiter waren über diesen Umstand sehr befriedigt, wie Old Firehand scharfes Auge aus ihren Mienen und Gesten, mit denen sie ihr leises Gespräch begleiteten, erkannte. Sie hatten die Überzeugung erlangt, daß das Farmhaus so wenig Verteidiger beherberge, daß dieselben gar nicht in Betracht zu ziehen seien. Nach einiger Zeit stand der eine von ihnen auf und ging anscheinend harmlos zu der nächsten Schießscharte, durch welche er hinausblickte. Dies wiederholte sich einigemal und war ein sicheres Zeichen, daß diese Kerls die Ankunft der Tramps bald erwarteten. Old Firehand stand wieder oben am Fenster und beobachtete durch das Fernrohr die Gegend, aus welcher dieselben kommen mußten. Sie hatten sich vorhin nach Absendung der Boten wieder zurückgezogen, so daß man sie nicht mehr sehen konnte; jetzt aber kamen sie endlich abermals zum Vorscheine und zwar im Galopp, um die Strecke, auf welcher sie von der Farm aus gesehen werden konnten, so schnell wie möglich zurückzulegen.

Man sah, daß sich unter ihnen welche befanden, die die Örtlichkeit kannten, denn sie nahmen ihre Richtung schnurgerade auf die Furt zu. Als sie dieselbe erreichten und durch den Verhau maskiert fanden, hielten sie an, um die Stelle zu untersuchen. Jetzt war die Zeit zum Handeln für Old Firehand gekommen. Er ging hinab zum Thore. Eben stand wieder der eine vor der Schießscharte und lugte hinaus nach seinen Kameraden. Er erschrak sichtlich, als er sich bemerkt sah, und trat rasch zurück.

„Was thust du hier? Was hast du an dem Loche zu schaffen?“ fragte ihn Old Firehand in barschem Tone.

Der Gefragte blickte verlegen an dem riesigen Manne empor und antwortete. „Ich – – ich wollte – ich wollte sehen, wo wir nun hingehen.“

„Lüge nicht. Euren Weg kennt ihr bereits. Er führt hinaus an den Fluß zu den Menschen, welche sich dort befinden.“

„Welche Menschen meint Ihr, Sir?“ fragte der Mann mit erheucheltem Erstaunen. „Ich habe niemand bemerkt.“

„Wäre das wahr, so müßtest du blind sein. Du mußt die Reiter gesehen haben.“

„Keinen einzigen von ihnen! Wer sind sie?“

„Gib dir keine Mühe, dich zu verstellen, sie ist doch unnütz, Ihr gehört zu den Tramps vom Osage-nook, welche uns überfallen wollen, und seid von ihnen abgeschickt.“

Da nahm der Kerl die Miene schweren Gekränktseins an und rief im Tone der Entrüstung aus: „Was? Tramps sollen wir sein? Sir, wir sind ehrliche und fleißige Arbeiter, und haben mit Vagabunden, falls es solche hier geben sollte, nichts zu schaffen. Wir suchen Beschäftigung, und da wir bei Euch keine finden, so werden wir weitergehen, um anderwärts anzufragen. Uns zu solchem Gesindel zu zählen, ist eine Beleidigung für uns. Überlegt Euch die Sache recht! Wäre es wahr, daß Tramps Euch überfallen wollten, und daß wir zu ihnen gehörten, was hätte es für einen Zweck, daß wir vorher zu Euch kämen? Das wäre ein Wagnis, welches uns sehr schlecht bekommen könnte.“

„Es hat einen sehr bestimmten Zweck. Unsre Mauern sind hoch; darum habt ihr unter dem Vorwande, Arbeit zu suchen, zu uns gehen müssen, um euren Kumpanen das Thor von innen zu öffnen. Aus diesem Grunde habt ihr euch so nahe an dasselbe gesetzt.“

„Sir!“ brauste der Mann wie zornig auf, indem er in die Tasche griff. Aber Old Firehand hatte sofort seinen Revolver in der Hand und drohte: „Laßt eure verborgenen Waffen stecken! Sobald ich eine solche sehe, drücke ich los. Ja, euer Kommen ist ein Wagnis, denn ich könnte euch jetzt festnehmen und zur Rechenschaft ziehen; aber ihr seid mir so wenig fürchterlich, daß ich euch laufen lassen werde. Geht also hinaus und sagt dem Gesindel, daß wir jedem, welcher den Fluß überschreitet, eine Kugel geben werden. Jetzt sind wir fertig, und nun packt euch fort.“

Er öffnete das Thor. Die Leute schienen noch etwas sagen zu wollen, schwiegen jedoch angesichts des auf sie gerichteten Revolvers. Aber als sie sich draußen befanden und der Riegel wieder vorgeschoben war, lachten sie höhnisch auf, und Old Firehand hörte die Worte: „Dummkopf. Warum lässest du uns laufen wenn wir Tramps sind? Zähle nur nach, wie viele wir sind. Wir werden mit deinen paar Leuten kurzen Prozeß machen. In einer Viertelstunde seid ihr alle aufgehängt.“

„Und ihr werdet die ersten sein, die an unsre Gewehre glauben müssen.“ rief er ihnen nach. Darauf gab er das verabredete Zeichen, auf welches die bisher unsichtbaren Verteidiger hinter dem Hause hervorkamen und an den Schießscharten Posto faßten. Er selbst stellte sich an eine derselben, um die Bewegungen der Feinde zu beobachten.

Die abgewiesenen Kundschafter hatten jetzt das diesseitige Ufer des Flusses erreicht, und riefen Worte hinüber, welche man von der Mauer aus nicht verstehen konnte. Daraufhin ritten die Tramps ein kleines Stück am Wasser hin, um von dort aus schwimmend herüber zu gelangen. Sie trieben ihre Pferde in den Fluß.

„Nehmt ihr sofort die Kundschafter auf euch, wie ich es ihnen angedroht habe,“ gebot Old Firehand Droll und dem schwarzen Tom, welche in seiner Nähe hielten. „Ich ziele auf die beiden ersten, welche landen. Nach mir schießen Bill, der Uncle, Blenter, der Lord und die andern, wie sie der Reihe nach stehen. Dadurch bekommt jeder seinen bestimmten Mann, es zielen nicht zwei von uns auf denselben Tramp, und wir vermeiden alle Munitionsverschwendung.“

„Gut so!“ antwortete Humply-Bill. „Werde mich nach dieser Reihenfolge halten.“

Und sein Spezial, der Gunstick-Uncle, stimmte bei: „Sobald sie herüberkommen – werden sie aufs Korn genommen – nach der Reihe anvisiert – und zur Hölle expediert!“

Jetzt erreichte der erste Reiter das diesseitige Ufer; der zweite folgte ihm. An der Stelle, wo sie landeten, standen die angeblichen Arbeiter. Old Firehand winkte. Seine zwei Schüsse krachten fast zu gleicher Zeit mit denen Toms und Drolls; die beiden Reiter flogen von ihren Pferden, und die Kundschafter lagen an der Erde. Als die Tramps das sahen, erhoben sie ein wütendes Geheul und drängten vorwärts, um ans Ufer zu gelangen. Einer schob den andern dem Verderben entgegen, denn sobald ein Pferd landete, wurde der Reiter desselben von der Farm aus durch eine Kugel aus dem Sattel geholt. In der Zeit von kaum zwei Minuten gab es zwanzig bis dreißig ledige Pferde, welche hüben führerlos umhersprangen. Einen solchen Empfang hatten die Tramps nicht erwartet. Die ihnen von den Kundschaftern über das Wasser zugerufenen Worte waren jedenfalls des Inhalts gewesen, daß die Farm lächerlich arm an Verteidigern sei. Und nun fiel rasch Schuß auf Schuß aus den Scharten; keine von diesen Kugeln ging fehl, sondern traf genau ihren Mann. Das Wutgeheul wurde zum ängstlichen Schreien; eine befehlende Stimme ertönte, worauf alle schon und noch im Wasser befindlichen Reiter ihre Pferde wendeten, um an das jenseitige Ufer zurückzukehren.

„Abgeschlagen!“ meinte der alte Blenter. „Bin neugierig, was sie nun machen werden.“

„Darüber kann es gar keinen Zweifel geben,“ antwortete Old Firehand. „Sie werden an einer Stelle, welche außerhalb des Bereiches unsrer Kugeln liegt, herüberschwimmen.“

„Und dann?“

„Dann? Das läßt sich noch nicht sagen. Wenn sie es klug anfangen, werden wir einen schweren Stand haben.“

„Und was haltet Ihr für klug?“

„Sie dürfen nicht in Masse herankommen, sondern sie müssen sich zerstreuen. Lassen sie ihre Pferde zurück, um von allen vier Seiten zugleich nach der Mauer zu rennen und hinter derselben Deckung zu suchen, so sind wir zu schwach, sie zurückzuschlagen. Wir wären gezwungen, uns über vier Fronten zu verteilen. Ziehen die Tramps sich dann plötzlich auf einen Punkt zusammen, so ist es ihnen möglich, über die Mauer zu kommen.“

„Das ist wahr, doch würden ihrer viele weggeputzt. Wir freilich ständen ihnen auch so ziemlich ohne Deckung gegenüber.“

„Pshaw! Wir zögen uns ins Haus zurück und wären dann zahlreich genug, sie wieder über die Mauer zurückzujagen. Ein Glück, daß der Hof so groß und frei ist, und das Haus gerade in der Mitte desselben steht. Mir ist nicht angst; warten wir ab, was sie thun werden. Sie scheinen sich zu beraten.“

Die Tramps hielten in einem Haufen beisammen, von welchem sich vier derselben abgesondert hatten, wahrscheinlich die Anführer. Man konnte ihre Gesichter nicht erkennen, aber aus ihren lebhaften Gestikulationen war zu ersehen, daß sie sich über Wichtiges unterhielten. Dann setzten sich alle flußaufwärts, also nach Norden zu, in Bewegung, bis sie sich außerhalb des Schußbereiches der Farm befanden. Dort gingen sie an das andre Ufer. Als alle beisammen waren, bildeten sie einen geschlossenen Haufen, dessen Front, nach dem Thore der Mauer gerichtet war. Bis jetzt hatten die Verteidiger die Ostseite inne gehabt, nun aber rief Old Firehand mit lauter Stimme: „Schnell alle hinüber nach der Nordseite! Sie wollen das Thor forcieren.“

„Sie können es doch nicht einrennen!“ entgegnete Blenter.

„Nein, aber wenn sie es erreichen, so können sie sich vom Sattel aus so schnell, über Thor und Mauer schwingen, daß es ihnen möglich ist, uns hier im Hofe zu erdrücken.“

„Vorher aber werden viele fallen.“

„Noch mehr aber übrig bleiben. Schießt nicht eher, als bis ich es befehle, dann aber alle zu gleicher Zeit, zwei Salven aus den Doppelgewehren, mitten in den Haufen hinein!“

Die Nordseite wurde schnell besetzt. Teils hielten die Verteidiger an den Schießscharten, teils standen sie auf den zwischen diesen befindlichen Erhöhungen, von denen aus über die Mauer geschossen werden konnte. Diese letzteren duckten sich nieder, um von den Angreifenden nicht zu früh gesehen zu werden.

Nun zeigte es sich, wie richtig Old Firehand vermutet hatte. Der Trupp setzte sich in Bewegung, im Galopp gerade nach dem Thore zu. Erst als er sich höchstens noch achtzig Schritte von demselben befand, erscholl der Befehl zum Feuern; zwei Salven krachten schnell hintereinander, so genau abgegeben, daß sie wie zwei einzelne Schüsse klangen. Der Erfolg entsprach ganz den Erwartungen Old Firehands. Es war, als ob die Tramps mitten im Jagen durch ein quer vorgespanntes Seil aufgehalten worden seien. Sie bildeten einen wilden Knäuel, welcher sich nicht schnell genug zu lösen vermochte. Der Lord, welcher zwei Gewehre besaß, gab noch zwei Schüsse ab; die andern bekamen Zeit, rasch zu laden, wenn auch nur einen Lauf, und feuerten nun nicht salvenmäßig, sondern ad libitum und unaufhörlich in den Wirrwarr hinein. Das vermochten die Tramps nicht auszuhalten; sie stoben auseinander und ließen ihre Toten und Verwundeten liegen, da es höchst gefährlich für sie war, sich bei und mit denselben aufzuhalten. Die ledigen Pferde rannten instinktmäßig dem Farmhause zu, und man öffnete das Thor, um sie hereinzuholen. Als dann die Tramps doch den Versuch machten, sich ihrer Verwundeten anzunehmen, wurden sie nicht belästigt, da es einem Akt der Menschlichkeit galt. Man sah, daß sie dieselben unter eine ferne Baumgruppe schafften, um sie dort, so gut die Verhältnisse es erlaubten, zu verbinden.

Währenddessen war es Mittag geworden, und es wurde Speise und Trank unter die tapferen Verteidiger verteilt. Dann sah man, daß die Tramps sich entfernten, indem sie die Beschädigten unter den Bäumen liegen ließen; sie ritten nach Westen.

„Ob sie abziehen?“ fragte Humply-Bill. „Sie haben eine tüchtige Lehre erhalten, und es wäre nur klug von ihnen, wenn sie sich dieselbe zu Herzen nähmen.“

„Fällt ihnen gar nicht ein,“ antwortete Tante Droll. „Gäben sie wirklich ihre Absicht auf, so würden sie die Verwundeten mitnehmen. Ich meine, daß sie jetzt an die Herden denken werden, welche zur Farm gehören. Gegen diese ist ihr jetziges Vorhaben gerichtet. Da schaut hinauf auf das Haus! Droben steht Old Firehand mit dem Fernrohr in der Hand. Er beobachtet die Kerls, und ich denke, daß wir bald einen Befehl erhalten werden.“

„Welchen?“

„Den Hirten und Indianern zu Hilfe zu kommen.“

Die Vermutung der Tante erwies sich als ganz richtig. Die Tramps waren nun so weit fort, daß man sie von der Mauer aus nicht mehr sehen konnte; aber Firehand hatte sie noch im Auge; er rief plötzlich von oben herab: „Schnell die Pferde satteln! Die Kerls wenden sich südwärts, und werden nun mit der „guten Sonne“ und seinen Leuten zusammentreffen.“

In weniger als fünf Minuten standen die Pferde bereit, und alle, außer einigen Knechten, welche im Hofe zurückbleiben und nötigenfalls das Thor schnell öffnen sollten, stiegen auf. Old Firehand an ihrer Spitze, ritten sie zum Thore hinaus, und um die nächste Mauerecke, um sich dann südlich zu halten. Dort gab es zunächst einige Felder, hinter denen die Prairie begann, ein grünes Weideland, auf welchem hie und da ein Buschwerk zu sehen war.

Auch jetzt waren die Tramps nicht mit dem bloßen Auge zu erkennen; aber Old Firehand hatte das Fernrohr mit, durch welches er sie beobachtete. Dadurch wurde es möglich, ihnen stets parallel und unsichtbar zu bleiben. Nach einer Viertelstunde hielt Old Firehand an, denn die Tramps hatten auch angehalten. Sie waren an der Grenze des Nachbars angekommen und erblickten nicht nur die dort weidenden Tiere, sondern auch die bewaffneten Beschützer derselben.

Old Firehand musterte die verschiedenen Buschinseln des Graslandes, und suchte sich diejenigen aus, welche ihm Deckung gewähren konnten. Hinter ihnen verborgen, näherte er sich mit seinen Leuten der Gegend, in welcher der Zusammenstoß voraussichtlich stattzufinden hatte. Dann verließen sie die Pferde und schlichen in gebückter Stellung weiter, bis sie eine breite Strauchgruppe erreichten, zu welcher aller Voraussetzung nach die Tramps während des Kampfes kommen mußten. Hier stellten sie sich so auf, daß sie von denselben nicht gesehen werden konnten, und hielten ihre Gewehre schußbereit. Von dieser Stelle aus nun waren sowohl die Angreifer als auch diejenigen, welche angegriffen werden sollten, mit unbewaffnetem Auge zu erkennen.

Die ersteren schienen ziemlich betroffen zu sein, eine solche Anzahl von Indianern zum Schutze der Tiere vorzufinden. Wie kam es, daß rote Männer dazu engagiert worden waren, und noch dazu in solcher Anzahl? Die Tramps stutzten. Bald aber bemerkten sie, daß die Indianer nur mangelhaft, weil nicht mit Feuergewehren, bewaffnet waren, und das beruhigte sie. Die Anführer hielten eine kurze Beratung, und dann erfolgte der Befehl zum Angriff. Es war aus der Art und Weise desselben sofort zu ersehen, daß man sich nicht mit einem langen Fernkampfe aufhalten, sondern die Roten einfach niederreiten wollte. Die Reiter sprengten in geschlossenem Trupp und unter drohendem Geschrei gerade auf dieselben ein.

Jetzt zeigte es sich, daß die „gute Sonne“ ihrer Aufgabe gewachsen war. Er gab einen lauten Befehl, infolgedessen seine eng bei einander stehenden Leute sich zerstreuten, so, daß von einem Niederreiten keine Rede sein konnte. Die Tramps sahen das ein; sie machten eine Schwenkung, um an den rechten Flügel der Roten zu kommen und dieselben nach dem linken hin aufzurollen. Der Osagenhäuptling durchschaute diese Absicht. Wieder erschallte seine laute Stimme. Seine Leute schwirrten zusammen, bildeten für einen Augenblick einen scheinbar wirren Knäuel und flogen dann wieder auseinander. Sie hatten ihre Aufstellung vollständig verändert. Diese war vorher eine westöstliche gewesen, nun aber zu einer nordsüdlichen geworden. Der Osage hatte diese Veränderung getroffen, nicht weil er die Nähe seiner Verbündeten kannte, sondern um, wie ein angegriffener Bison, dem Feinde nicht die Flanke, sondern die starke, hornbewehrte Stirn zu bieten. War sie schon an und für sich ein Meisterstück, so hatte sie außerdem den von ihm freilich ungeahnten Erfolg, daß die Wegelagerer sich nun ganz plötzlich zwischen Indianern und den hinter dem Buschwerke versteckten Weißen befanden. Sie sahen ihre Absicht vereitelt und hielten an, eine Unvorsichtigkeit, welche sie augenblicklich zu büßen hatten. Sie schienen sich in der Tragweite der Indianerwaffen zu irren und sich vor denselben sicher zu fühlen. Einer ihrer Anführer sprach auf sie ein, jedenfalls, um ihnen einen andern Plan mitzuteilen. Diese Pause benutzte der Osage. Er stieß einen Ruf aus, auf welchen seine Leute schnell vorwärts sprangen, plötzlich stehen blieben, ihre Pfeile abschossen und sich dann ebenso schnell wieder zurückzogen. Die Geschosse erreichten ihr Ziel; es gab Tote und noch mehr Verwundete,. nicht nur unter den Reitern, sondern auch unter den Pferden. Die Tiere bäumten sich auf, sie wollten durchgehen und waren kaum zu bändigen. Das gab eine Verwirrung, welche Old Firehand benutzen mußte.

„Jetzt los!“ gebot er. „Aber schießt nur auf die Kerls und nicht auf die Pferde!“

Seine Leute traten hinter den Büschen hervor, sie befanden sich im Rücken der Feinde, von denen sie nicht gesehen wurden. Als ihre Schüsse krachten und ihre Kugeln in den Haufen der Tramps flogen, drehten sich die letzteren um, gerade als die zweite Salve auf sie abgegeben wurde. Sie schrieen vor Schreck auf.

„Fort!“ brüllte unter ihnen eine Stimme. „Wir sind umzingelt. Brecht durch die Linie der Roten!“

Diesem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet. Die Tramps jagten, ihre Toten und Schwerverwundeten im Stiche lassend, auf die Indianer ein, welche ihnen nur zu gern den Ausweg eröffneten und hinter ihnen ein triumphierendes Geheul erhoben.

„Da reißen sie aus!“ lachte der alte Blenter. „Die kommen nicht wieder. Wißt ihr, wer es war, der zur Flucht aufforderte?“

„Natürlich!“ antwortete der schwarze Tom. „Die Stimme kennt man genau. Der rote Cornel war’s; den scheint der Satan vor unsern Kugeln in Schutz zu nehmen. Wollen wir nicht den Halunken nach, Sir?“

Er hatte diese Frage an Old Firehand gerichtet, und dieser antwortete: „Nein. Wir sind zu schwach, um es im Handgemenge mit ihnen aufzunehmen. Übrigens erraten sie vielleicht, daß wir uns nicht ursprünglich hier befunden haben, sondern den Roten von der Farm her zu Hilfe gekommen sind. In diesem Falle ist es sehr wahrscheinlich, daß sie dorthin reiten, um während unsrer Abwesenheit einzudringen. Wir müssen also schleunigst zurück.“

„Und was geschieht mit den verwundeten Tramps und den ledig herumlaufenden Pferden?“

„Wir müssen sie den Indianern überlassen. Doch, keine Zeit verloren, schnell jetzt zu den Pferden!“

Die Männer schwenkten ihre Hüte und riefen den Roten ein donnerndes Hurra zu, welches von diesen durch ein schrilles Siegesgeschrei beantwortet wurde; dann ging es zu den Pferden, und als man diese bestiegen hatte, nach der Farm zurück. Kein Tramp war in der Nähe derselben zu sehen, natürlich die Verwundeten ausgenommen, welche bei der Baumgruppe liegen gelassen worden waren. Old Firehand begab sich sofort auf das platte Dach des Gebäudes, um Umschau zu halten.

Da oben saß Ms. Butler, welche in großer Besorgnis gewesen war, und nun zu ihrer Freude vernahm, daß der Angriff glanzvoll zurückgewiesen worden sei. „So sind wir wohl gerettet?“ fragte sie tief aufatmend. „Da die Tramps so schwere Verluste erlitten haben, darf man doch annehmen, daß ihnen der Mut zur Fortsetzung der Feindseligkeit vergangen ist.“

„Vielleicht,“ antwortete der Jäger nachdenklich.

„Nur vielleicht?“

„Leider! An die Herden werden sie sich zwar nicht wieder wagen, weil sie annehmen müssen, daß dieselben nicht nur von Indianern, sondern auch durch eine hinreichende Anzahl von Weißen bewacht werden. Anders aber steht es hier mit dem Hause. Die Kerls werden freilich eingesehen haben, daß am Tage nichts gegen dasselbe zu unternehmen ist, doch können sie das Eindringen im Dunkel der Nacht für möglich halten. Jedenfalls müssen wir auf einen nächtlichen Angriff vorbereitet sein.“

„Aber am Tage werden sie sich sicher nicht mehr sehen lassen?“

„O doch! Da draußen bei den Bäumen liegen ihre Verwundeten, deren sie sich annehmen müssen. Ich bin überzeugt, daß wir sie bald dort sehen werden. Sie sind in westlicher Richtung geflohen, und von dorther werden sie kommen.“

Er blickte in der angegebenen Richtung durch das Fernrohr und fuhr schon nach kurzer Zeit fort: „Ganz richtig, dort sind sie! Sie haben einen Bogen geschlagen und kehren nun zu den Blessierten zurück. Es ist anzunehmen, daß – – “

Er hielt inne. Noch immer durch das Rohr sehend, hatte er demselben eine nördliche Richtung gegeben.

„Was ist’s?“ fragte die Dame. „Warum sprecht Ihr nicht weiter, Sir? Warum zeigt Ihr plötzlich ein so bedenkliches Gesicht?“

Er sah noch eine Weile durch das Rohr, setzte dasselbe dann ab und antwortete: „Weil jetzt wahrscheinlich etwas geschieht, was unsre Lage nicht zu verbessern geeignet ist.“

„Was meint Ihr? Was soll geschehen?“ fragte sie in ängstlichem Tone.

Er überlegte, ob er ihr die Wahrheit sagen solle. Glücklicherweise wurde seiner Verlegenheit dadurch ein Ende gemacht, daß der Lord auf dem Dache erschien, um sich, zu erkundigen, ob die Tramps zu sehen seien. Dies benutzte Old Firehand, der Dame zu antworten: „Es ist nichts, was uns besonders Angst zu machen braucht, Mylady. Ihr könnt ohne Sorgen hinabgehen, um den Leuten, welche durstig sind, einen Trunk verabreichen zu lassen.“

Sie folgte beruhigt dieser Aufforderung, doch als sie verschwunden war, sagte der Jäger zu dem Lord, welcher sein Riesenteleskop mitgebracht hatte. „Ich hatte einen guten Grund, die Dame jetzt zu entfernen. Nehmt Euer Rohr zur Hand, Mylord, und schaut gerade westlich. Wer ist da zu sehen?“

Der Engländer folgte dieser Aufforderung und antwortete dann: „Die Tramps. Ich sehe sie deutlich. Sie kommen.“

„Kommen sie wirklich?“

„Natürlich. Was sollen sie sonst thun?“

„So scheint mein Rohr besser zu sein als das Eurige, obgleich es viel kleiner ist. Seht Ihr denn die Tramps in Bewegung?“

„Nein, sie halten.“

„Mit den Gesichtern wohin gewendet?“

„Nach Nord.“

„So folgt einmal mit dem Rohre dieser Richtung! Vielleicht seht Ihr dann, weshalb die Kerls angehalten haben.“

„Well, Sir, werde schauen!“ Und nach einigen Augenblicken fuhr er fort: „Dort kommen drei Reiter, ohne die Tramps zu bemerken.“

„Reiter? Wirklich?“

„Yes! Doch nein; es scheint eine Lady dabei zu sein. Richtig, es ist eine Dame. Ich sehe das lange Reitkleid und den wehenden Schleier.“

„Und wißt Ihr, wer diese drei sind?“

„Nein. Wie könnte ich wissen – – heighho, es werden doch nicht etwa – –?“

„Allerdings,“ nickte Old Firehand ernst. „Sie sind es; der Farmer und sein Bruder nebst dessen Tochter. Der Bote, den wir ihnen entgegenschickten, um sie zu warnen, hat sie nicht getroffen.“

Der Lord schob sein Rohr zusammen und rief: „So müssen wir schnell zu Pferde und hinaus, sonst fallen sie den Tramps in die Hände!“

Er wollte fort. Der Jäger hielt ihn beim Arme fest und sagte: „Bleibt, Sir, und macht keinen Lärm! Die Lady braucht jetzt nichts zu erfahren. Wir können weder warnen noch helfen, denn es ist bereits zu spät. Seht, seht!“

Der Lord setzte sein Rohr wieder an und sah, daß die Tramps sich in Bewegung setzten und den dreien im Galopp entgegenritten.

„All devils!“ rief er aus. „Sie werden sie umbringen!“

„Fällt ihnen gar nicht ein! Diese Kerls kennen ihren Vorteil und werden ihn gehörig auszunutzen suchen. Welchen Gewinn könnten sie von dem Tode dieser drei Personen haben? Gar keinen. Sie würden dadurch ganz im Gegenteile nur erreichen, daß unser Verhalten sich verschärfte. Lassen sie dieselben aber leben, um sie als Geiseln zu benutzen, so können sie uns Zugeständnisse erpressen, zu denen wir uns sonst nicht verstehen würden. Paßt auf. Jetzt ist’s geschehen. Die drei sind umringt. Wir konnten das nicht ändern. Erstens war die Zeit zu kurz, und zweitens sind wir im freien Felde gegen die Tramps selbst jetzt noch viel zu schwach.“

„Well, das ist richtig, Sir,“ meinte der Lord. „Aber wehe den Halunken, wenn sie die Gefangenen nicht anständig behandeln! Und – wollen wir uns wirklich irgend welche Zugeständnisse erpressen lassen? Eigentlich müßte man sich schämen, mit solchen Menschen nur in Verhandlung zu treten!“

Old Firehand zuckte auf sehr eigentümliche Weise die Achsel, und ein selbstbewußtes, fast verächtliches Lächeln spielte um seine Lippen, als er antwortete: „Laßt mich nur machen, Sir! Ich habe noch nie etwas gethan, dessen ich mich schämen müßte. Und von Tramps, selbst wenn es tausend wären, läßt Old Firehand sich keine Befehle erteilen. Wenn ich Euch sage, daß die drei Personen, welche jetzt da draußen gefangen genommen worden sind, in keinerlei Gefahr schweben, so könnt Ihr meinen Worten glauben. Dennoch aber ersuche ich Euch, Ms. Butler nicht wissen zu lassen, was geschehen ist. Ich selbst hätte es im Augenblicke der Überraschung fast verraten, und doch kann es nichts nützen, sondern nur schaden, wenn sie es erfährt.“

„Soll es auch sonst niemand wissen?“

„Denjenigen, welche uns näher stehen, wollen wir es mitteilen, damit wenigstens sie wissen, woran wir sind. Wollt Ihr das übernehmen, so geht jetzt hinab zu ihnen, doch sollen sie es nicht weiter plaudern. Ich werde hier die Vagabunden weiter beobachten, und dann nach ihrem Verhalten meine Maßregeln treffen.“

Der Lord begab sich wieder in den Hof hinab, um das Geschehene den Betreffenden bekannt zu machen. Old Firehand richtete seine Aufmerksamkeit auf die Tramps, welche ihre drei Gefangenen in die Mitte genommen hatten und nach der mehrfach erwähnten Baumgruppe ritten, um dort anzuhalten. Sie stiegen daselbst von den Pferden und lagerten sich. Der Jäger sah, daß es eine sehr bewegte Unterhaltung oder Beratung zwischen ihnen gab. Er glaubte zu wissen, welches Resultat dieselbe haben werde, und dachte darüber nach, wie er sich zu demselben verhalten solle. In diesem Sinnen wurde er durch Droll gestört, welcher hastig heraufkam und in deutscher Sprache fragte: „Is es werklich wahr, was der Lord uns sage soll? Die zwee Herrn Butlers sind gefange genomme worde und das Fräulein noch derzu?“

„Allerdings,“ nickte Old Firehand.

„Sollte mersch denke, daß so was möglich is. Nu werde de Tramps denke, daß se off’n große Pferd sitze; se werde komme und große Forderunge mache. Und wir? Was werde wir daroff antworte?“

„Nun, was raten Sie?“ fragte Old Firehand, indem er einen lustig forschenden Blick auf den Kleinen warf.

„Das könne Se noch frage!“ antwortete dieser. „Nischt, gar nischt wird zugeschtande. Oder wolle Se etwa gar een Lösegeld gebe?“

„Sind wir nicht dazu gezwungen?“

„Nee und nee, und abermals nee! Diese Halunke könne gar nischt mache. Was wolle se thue? Etwa die Gefangene erschlage? Das wird ihne nich einfalle, denn dann hätte se unsre Rache zu fürchte. Zwar werde se uns dermit drohe, wir aber gloobe es nich und lache se eenfach aus.“

„Aber wir haben, selbst wenn Ihre Vermutung richtig ist, Rücksicht auf die Gefangenen zu nehmen, deren Lage jedenfalls eine höchst unangenehme ist. Wenn man sie auch an Leib und Leben schont, so wird man ihnen doch sonst alles mögliche anthun und ihnen in der Weise mit Drohungen zusetzen, daß sie sich ganz unglücklich fühlen.“

„Das kann ihne gar nischt schade; das müsse se sich gefalle lasse. Warum sind se so unvorsichtig in den Gänseschtall gekroche! Es wird ihne in Zukunft zur Warnung diene, und übrigens wird das Elend gar nich lange dauern. Wir sind ja da, und es müßte mit dem Kuckuck zugehe, wenn wir nich Mittel und Wege fände, sie aus der Patsche herauszuhole.“

„Wie wollen wir das anfangen? Haben Sie einen Plan?“

„Nee, noch nich; is ooch gar nich nötig. Zunächst müsse mer abwarte, was weiter geschieht; dann erscht könne mer handle. Es is mer ganz und gar nich angst, wenigstens nich um mich denn ich kenne mich. Is der richtige Oogenblick da, so wird mer sicher ooch der richtige Verschtand komme. Warte mer nur de Nacht ruhig ab, und passe mer off, wo se Lager mache. Da werde ich mich so successive hineinschlängle, um de Gefangene herauszuhole.“

„Ich traue Ihnen dieses Wagnis ganz gerne zu, aber es ist höchst gefährlich!“

„Papperlapapp! Sie und ich habe schon ganz andre Dinge unternomme. Mer sind alle beede nich off de Kopp gefalle. Een altes Altenburger Sprichwort sagt: Mache könne mersch, denn habe thune mersch. So is es ooch hier. Wersch im Koppe hat, nämlich de angeborene Intelligenzigkeet, bei dem kann’s in der Ausführung gar nich fehle. Mer werde uns doch nich vor solche Heiducke fürchte, wie diese Tramps sind, die noch gar nich dahin geroche habe, wo Barthel den Most gefunde hat. Ich denke, daß – – halt!“ unterbrach er sich. „Passe Se off! Jetzt komme se. Zwee Kerls, grad offs Haus zu. Se schwenke de Tücher in de Fingersch, damit mer sehe solle, daß se als Parlamentärsch reschpektiert werde müsse. Werde Se mit ihne rede?“

„Natürlich! Um der Gefangenen willen muß ich wissen, was man von uns fordert. Kommen Sie!“

Die beiden begaben sich in den Hof, wo die Besatzung an den Schießscharten stand, um die zwei Unterhändler zu beobachten. Diese blieben außerhalb Schußweite stehen und winkten mit den Tüchern. Old Firehand öffnete das Thor, trat hinaus und gab ihnen ein Zeichen, herbei zu kommen, welcher Aufforderung sie folgten. Als sie ihn erreicht hatten, grüßten sie höflich, gaben sich aber Mühe, möglichst zuversichtliche Gesichter zu zeigen.

„Sir, wir kommen als Abgesandte,“ sagte der eine, „um unsre Forderungen zu stellen.“

„So!“ antwortete der Jäger in ironischem Tone. „Seit wann wagen es die Prairiehasen, zum Grislybären zu gehen, um ihm Befehle zu erteilen?“ Der Vergleich, dessen er sich bediente, war gar nicht so übel. Er stand vor ihnen so hoch, so breit und mächtig und aus seinen Augen schoß ein Blick auf sie, daß sie unwillkürlich einen Schritt zurückwichen.

„Wir sind keine Hasen, Sir!“ erklärte der Sprecher.

„Nicht? Nun, dann wohl feige Prairiewölfe, welche sich mit Aas begnügen? Ihr gebt euch für Parlamentäre aus. Räuber seid ihr, Diebe und Mörder, welche sich außerhalb des Gesetzes gestellt haben, und auf die jeder ehrliche Mann also nach Belieben schießen kann!“

„Sir,“ fuhr der Tramp auf, „ich muß mir solche Beleidigungen – – – “

„Schweig, Halunke!“ donnerte Old Firehand ihn an. „Spitzbuben seid ihr, weiter nichts! Es ist eigentlich eine Schande für mich, daß ich mit euch rede. Ich habe euch die Annäherung auch nur aus dem Grunde gestattet, um einmal zu sehen, wie weit solches Gelichter die Frechheit zu treiben vermag. Ihr habt zu hören, was ich sage, und nicht darüber zu mucksen. Sagt noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, und ich schlage euch sofort zu Boden. Wißt ihr, wer ich bin?“

„Nein,“ antwortete der Mann, eingeschüchtert und kleinlaut.

„Man nennt mich Old Firehand. Sagt das denen, die euch gesandt haben; sie werden vielleicht wissen, daß ich nicht der Mann bin, mit welchem sich Narretei treiben läßt; sie haben es ja heute schon fühlen und erfahren müssen. Und nun kurz, welchen Auftrag habt ihr auszurichten?“

„Wir sollen melden, daß der Farmer mit seinem Bruder und seiner Nichte in unsre Hände gefallen ist.“

„Weiß es schon!“

„Diese drei Personen müssen sterben –“

„Pshaw!“ unterbrach ihn der Jäger.

„– – wenn Ihr nicht auf unsre Bedingungen eingeht,“ fuhr der Parlamentär fort.

„Old Firehand läßt sich niemals Bedingungen machen, am allerwenigsten von Leuten eures Schlages. Überdies seid ihr die Besiegten, und hätte jemand Bedingungen zu stellen, so würde nur ich der Betreffende sein.“

„Aber, Sir, wenn Ihr mich nicht anhört, so werden die Gefangenen vor Euren Augen dort an den Bäumen aufgeknüpft!“

„Thut das immerhin! Es gibt hier auf der Farm auch für euch Stricke genug.“

Das hatte der Tramp nicht erwartet. Er wußte wohl, daß man es nicht wagen werde, seine Drohung auszuführen. Er blickte verlegen vor sich nieder und meinte dann: „Bedenkt, drei Menschenleben!“

„Das bedenke ich gar wohl – – nur drei Menschenleben, für welche wir euch alle auslöschen werden! Der Vorteil liegt ganz klar auf unsrer Seite.“

„Aber Ihr könnt den Tod Eurer Freunde so leicht verhüten!“

„Wodurch?“

„Dadurch, daß ihr abzieht und uns die Farm übergebt.“

Da legte Old Firehand dem Manne die Faust so schwer auf die Schulter, daß dieser zusammenzuckte, und antwortete: „Mensch, bist du verrückt? Hast du mir noch etwas zu sagen?“

„Nein.“

„So hebe Dich schleunigst von dannen, sonst betrachte ich Dich als einen Wahnsinnigen, den man unschädlich zu machen hat.“

„Ist das Euer Ernst, Sir?“

„Mein vollster Ernst. Hinweg mit euch, sonst ist’s um euch geschehen!“

Er zog den Revolver. Die beiden zogen sich schnell zurück, doch wagte es der eine, in gewisser Entfernung für einen Augenblick stehen zu bleiben, und zu fragen: „Dürfen wir wiederkommen, wenn wir einen andern Auftrag erhalten?“

„Nein.“

„Ihr weist also jede Verhandlung ab?“

„Ja. Nur für den roten Cornel werde ich zu sprechen sein, aber auch nicht länger als einen Augenblick.“

„Versprecht Ihr ihm freie Rückkehr zu uns?“

„Ja, im Falle er mich nicht beleidigt.“

„Wir werden es ihm sagen.“

Sie rannten so schnell fort, daß man sah, wie froh sie waren, aus der Nähe des berühmten Mannes entkommen zu sein. Dieser trat nicht wieder in den Hof zurück, sondern er schritt in der Richtung der Tramps vom Thore fort, bis er die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte. Dort setzte er sich auf einen Stein, um den roten Cornel zu erwarten, von dem er als sicher annahm, daß er kommen werde.

Wer Old Firehand nicht kannte, der hätte es für ein außerordentliches Wagnis gehalten, daß dieser sich so weit von den Seinen entfernte, ohne wenigstens ein Gewehr bei sich zu haben; er aber wußte gar wohl, was er thun durfte oder nicht.

Bald zeigte es sich, daß er sich in seiner Vermutung nicht geirrt hatte. Der Kreis der Tramps öffnete sich, und der Cornel kam langsam auf ihn zugeschritten. Er machte eine elegant sein sollende, aber sehr eckig ausfallende Verbeugung und sagte: „Good day, Sir! Ihr habt mit mir zu sprechen verlangt?“

„Davon weiß ich nichts,“ antwortete der Westmann. „Ich habe nur gesagt, daß ich außer Euch mit keinem andern reden würde; am liebsten wäre es mir gewesen, auch Ihr hättet Euch nicht sehen lassen.“

„Master, Ihr bedient Euch eines sehr stolzen Tones!“

„Habe auch Ursache dazu. Euch aber wollte ich nicht raten, denselben Ton anzunehmen.“

Sie blickten sich Auge in Auge. Der Cornel senkte das seine zuerst und antwortete in mühsam unterdrücktem Zorne: „Wir stehen wohl ganz gleichberechtigt voreinander!“

„Der Tramp vor dem ehrlichen Westmanne, der Besiegte vor dem Sieger – – nennt Ihr das gleichberechtigt?“

„Noch bin ich nicht besiegt. Wir werden Euch beweisen, daß Eure bisherigen Erfolge nur vorübergehende sind. Es liegt ja nur in unsrer Hand, den Spieß umzukehren.“

„Versucht es doch!“ lachte Old Firehand verächtlich.

Das ärgerte den Tramp und er antwortete auffahrend: „Wir brauchten ja nur Eure Unvorsichtigkeit zu benutzen.“

„Ah! Wieso? Welche Unvorsichtigkeit habe ich begangen?“

„Die, daß Ihr Euch bis hierher von der Farm entfernt habt. Wenn wir gewollt hätten, wäret Ihr in unsre Hände gefallen. Und ohne Euch, das geben wir zu, wären die dort hinter den Mauern nichts gegen uns gewesen.“

Über das Gesicht Old Firehands ging ein heiteres Lachen, demjenigen ähnlich, welches sich bei gutmütigen Erwachsenen zeigt, wenn ein Kind eine recht drastische Dummheit gesagt hat.

„Ihr glaubt Euren eigenen Worten doch wohl selbst nicht,“ antwortete er. „Ihr, und Old Firehand fangen! Warum habt Ihr es denn nicht gethan? Daß Ihr es nicht einmal versucht habt, ist der beste Beweis, daß Ihr selbst nicht an die Möglichkeit glaubtet.“

„Oho! Man weiß zwar, daß Ihr ein guter Westmann seid; aber der Unbesiegliche, für den man Euch hält, seid Ihr doch noch lange nicht. Ihr befindet Euch gerade in der Mitte zwischen uns und der Farm. Es brauchten nur einige von uns sich zu Pferde zu setzen, um Euch den Rückweg abzuschneiden, so wäret Ihr unser Gefangener geworden.“

„Meint Ihr wirklich?“

„Ja. Und wenn Ihr der beste Läufer wäret, ein Pferd ist doch noch schneller; das gebt Ihr doch wohl zu. Also wäret Ihr umzingelt gewesen, bevor Ihr das Haus erreichtet.“

„Eure Berechnung stimmt bis auf zwei Punkte. Erstens fragt es sich, ob ich mich nicht gewehrt hätte; einige von euch fürchte ich noch lange nicht. Und zweitens habt Ihr außer acht gelassen, daß diejenigen, welche mich fangen wollten, in den Kugelbereich meiner Leute hätten kommen müssen; sie wären einfach weggeputzt worden. Doch nicht das ist es, wovon wir zu sprechen haben.“

„Nein, das ist es nicht, Sir. Ich bin gekommen, um Euch Gelegenheit zu geben, das Leben unsrer drei Gefangenen zu retten.“

„Dann habt Ihr Euch unnütz bemüht, denn das Leben dieser Leute befindet sich nicht in Gefahr.“

„Nicht?“ meinte der Cornel mit einem schadenfrohen Grinsen. „Da irrt Ihr Euch gewaltig, Sir. Wenn Ihr nicht auf unsre Forderungen eingeht, Sir, werden sie aufgeknüpft.“

„Ich habe Euch schon sagen lassen, daß ihr alle dann auch aufgehängt würdet.“

„Lächerlich! Habt Ihr gezählt, wie viele Köpfe wir sind?.“

„Sehr wohl; aber wißt auch Ihr vielleicht, welche Anzahl ich euch entgegenstellen kann?“

„Sehr genau.“

„Pshaw! Ihr habt uns nicht zählen können.“

„Das ist nicht nötig. Wir wissen, wie viele Knechte auf Butlers Farm gewöhnlich vorhanden sind; mehr werden es auch jetzt nicht sein. Dazu kommen höchstens noch die Rafters, welche Ihr vom schwarzen Bärenflusse mitgebracht habt.“

Er blickte den Jäger erwartungsvoll von der Seite an, denn er befand sich wirklich im unklaren über die Leute, welche diesem zur Verfügung standen. Nun wollte er die Miene desselben beobachten, um aus derselben zu schließen, ob die ausgesprochene Vermutung richtig sei oder nicht. Old Firehand wußte das. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete: „Zählt eure Toten und Verwundeten und sagt mir dann, ob die wenigen Rafters das fertig gebracht hätten. Überdies habt Ihr meine Indianer gesehen und auch die andern Weißen, welche euch im Rücken nahmen.“

„Die andern Weißen?“ lachte der Tramp. „Es sind keine andern als eben nur die Rafters gewesen. Ich gebe zu, daß ihr uns da überlistet habt. Ihr seid den Indianern aus der Farm zu Hilfe gekommen; das habe ich mir leider zu spät überlegt. Wir hätten sofort nach der Farm reiten sollen; dann wäre dieselbe in unsre Hände gefallen. Nein, Sir, mit eurer Anzahl könnt ihr uns nicht imponieren. Wenn wir die Gefangenen töten, ist es euch ganz unmöglich, sie zu rächen.“

Wieder war es ein versteckt lauernder Blick, den der Cornel auf Old Firehand warf. Dieser zuckte geringschätzig die Achsel und meinte: „Streiten wir uns nicht. Selbst wenn wir so wenige Köpfe zählten, wie Ihr irrigerweise anzunehmen scheint, wären wir euch weit überlegen. Tramps, Tramps, was sind das für Leute? Faule Arbeiter, Vagabunden, Landstreicher! Da drinnen aber, hinter der Mauer, stehen die berühmtesten Jäger und Scouts des wilden Westens. Ein einziger von ihnen nimmt mindestens zehn Tramps auf sich. Wären wir auch nur zwanzig Westmänner beisammen, und ihr wagtet es, die Gefangenen zu töten, so würden wir wochen- und monatelang auf eurer Ferse bleiben, um euch bis auf den letzten Mann auszurotten. Das wißt ihr sehr genau, und darum werdet ihr euch hüten, diesen drei Personen auch nur ein Haar zu krümmen.“

Er hatte diese Worte in drohendem und so zuversichtlichem Tone gesprochen, daß der Cornel den Blick zu Boden senkte. Dieser letztere wußte, daß der Jäger ganz der Mann sei, seine Worte zur Thatsache zu machen. Es war schon oft dagewesen, daß ein einziger kühner Mann eine ganze Bande verfolgt hatte, um sich an derselben zu rächen, und daß nach und nach alle seiner sicheren Büchse erlegen waren. Und wenn irgend einem Menschen, so war es gerade diesem Old Firehand zuzutrauen, dieses Bravourstück nachzumachen. Doch hütete der Tramp sich gar wohl, dies zuzugeben; er hob den Blick, bohrte ihn höhnisch in das Auge des Jägers und sagte: „Warten wir es ab! Wäret Ihr Eurer Sache so sicher, so ständet Ihr nicht hier. Nur die Besorgnis kann Euch zu mir heraus getrieben haben.“

„Schwatzt nicht solches Zeug. Ich habe mich bereit finden lassen, mit Euch, gerade nur mit Euch zu sprechen, aber nicht aus Angst, sondern um mir Euer Gesicht und Eure Stimme noch einmal genau einzuprägen, um für die Zukunft meiner Sache sicher zu sein. Das ist der Grund. Jetzt seid Ihr meinem Gedächtnisse so sicher einverleibt, daß wir uns trennen können. Wir sind fertig miteinander.“

„Noch nicht, Sir! Erst muß ich wissen, welche Antwort Ihr uns gebt.“

„Ihr habt sie schon.“

„Nein, denn ich habe Euch einen neuen Vorschlag zu machen. Wir wollen nämlich von der Besetzung der Farm absehen.“

„Ach, sehr gnädig! Und was weiter?“

„Ihr gebt uns unsre Pferde, welche ihr eingefangen habt, zurück; dazu legt ihr alle eure Waffen und Munition; dann liefert ihr uns die nötigen Rinder aus, damit wir uns Proviant machen können, und endlich zahlt ihr zwanzigtausend Dollar; so viel wird auf der Farm vorhanden sein.“

„Nur das? Weiter nichts! Sehr schön! Und was bietet Ihr uns dafür?“

„Wir liefern euch die Gefangenen aus und ziehen ab, nachdem Ihr uns Euer Ehrenwort gegeben habt, daß Ihr Euch fortan gegen jeden von uns aller Feindseligkeit enthalten werdet. Jetzt wißt Ihr, was ich will, und ich bitte mir Eure Entscheidung aus. Wir haben bereits zu lange und unnötigerweise geschwatzt.“

Er sagte das in einem Tone, als ob er das größte moralische Recht zu seiner Forderung habe. Old Firehand zog seinen Revolver und antwortete, nicht zornig, sondern sehr ruhig und unter einem unbeschreiblich verächtlichen Lächeln: „Ja, geschwatzt habt Ihr genug, und lauter tolles, hirnverrücktes Zeug, auf welches ich Euch nur das eine sagen kann: Ihr trollt Euch augenblicklich von dannen, sonst erhaltet Ihr eine Kugel in den Kopf!“

„Wie? Ist das – – –“

„Fort! Augenblicklich!“ unterbrach ihn der Jäger mit erhobener Stimme, und indem er den Lauf der Waffe auf ihn richtete. „Eins – – zwei – – “

Der Tramp zog es vor, die „drei“ nicht abzuwarten; er drehte sich, einen drohenden Fluch ausstoßend, um, und schritt schnell davon. Er hatte es Old Firehand angesehen, daß dieser bei der dritten Zahl wirklich schießen werde. Der Jäger blickte ihm nach, bis er sicher war, nicht etwa hinterrücks von ihm geschossen zu werden; dann kehrte er nach der Farm zurück, von welcher aus man die Zusammenkunft mit großer Aufmerksamkeit beobachtet hatte. Von dem Erfolge derselben gefragt, erstattete er einen kurzen Bericht, welcher sehr beifällig aufgenommen wurde.

„Ihr habt sehr richtig gehandelt, Sir,“ erklärte der Lord. „Solchen Schurken darf man keinesfalls auch nur das geringste Zugeständnis machen. Sie haben Angst und werden es unterlassen, sich an den Gefangenen zu vergreifen. Was denkt Ihr, daß sie nun beginnen werden?“

„Hm!“ antwortete der Gefragte. „Die Sonne ist im Untergehen. Ich vermute, daß sie warten werden, bis es finster geworden ist, um dann doch noch den Versuch zu machen, über die Mauer zu kommen. Gelingt ihnen das nicht, nun, so bleiben ihnen immer noch die Gefangenen für einen weiteren Erpressungsversuch.“

„Sollten sie wirklich noch einen Angriff wagen?“

„Wahrscheinlich. Sie wissen, daß sie uns an Zahl noch immer vielfach überlegen sind. Wir müssen uns zur Abwehr vorbereiten. Die Vorsicht gebietet uns, sie genau zu beobachten. Sobald es dunkel ist, müssen einige von uns hinaus, um sich an sie anzuschleichen und mich von jeder ihrer Bewegungen zu benachrichtigen. Wer meldet sich freiwillig zu dieser gefährlichen Aufgabe?“

Es waren nicht weniger als alle, welche sich bereit erklärten, und Old Firehand wählte drei aus, welche ihm am geeignetsten erschienen, nämlich die Tante Droll, den Humply-Bill und den Gunstick-Uncle; diese waren herzlich erfreut, ein solches Zeichen seines Vertrauens zu erhalten. Die Sonne hatte jetzt den Horizont erreicht und ihre wie flüssiges Gold über die weite Ebene flutenden Strahlen trafen die Gruppe der Tramps in der Weise, daß man von der Farm aus jeden einzelnen deutlich zu erkennen vermochte. Sie trafen keinerlei Vorbereitungen, weder zur Abreise, noch zum Nachtlager. Daraus war zu vermuten, daß sie die Gegend nicht zu verlassen gedachten, aber auch nicht da, wo sie sich jetzt befanden, bleiben wollten.

Old Firehand ließ Holz nach den vier Ecken des Hofes schaffen, auch Kohlen, welche in Kansas massenhaft gefunden werden, und darum sehr billig sind, dazu einige Fässer mit Petroleum. Als es vollständig dunkel geworden war, wurden die Kundschafter hinausgelassen. Damit dieselben im Falle einer schleunigen Rückkehr, bei welcher sie verfolgt wurden, nicht auf das Öffnen des Thores zu warten brauchten, wobei sie von den Feinden erreicht werden konnten, wurden an einigen Stellen der Mauer starke Lassos befestigt und draußen herabgelassen, an denen sie sich schnell empor- und in den Hof schwingen konnten. Dann tauchte man Holzscheite in Petroleum, brannte sie an und warf sie durch die Schießscharten hinaus. Nachdem noch mehr Holz und dann Kohlen darauf gekommen waren, loderten an den Außenecken vier Feuer, durch welche die Mauerseiten und das vor ihnen liegende Terrain so hell erleuchtet wurden, daß man die Annäherung der Tramps, nicht nur in Haufen, sondern auch jedes einzelnen von ihnen leicht bemerken konnte. Die Flammen wurden nach Bedarf fort und fort durch die Schießscharten gespeist, weil dies diejenige Art und Weise war, bei welcher man sich nicht den Kugeln der Feinde bloßzustellen brauchte. Nun verging weit über eine Stunde, und nichts schien draußen sich zu regen. Da kam der Gunstick-Uncle über die Mauer geturnt. Er suchte Old Firehand auf und meldete in seiner originellen Weise: „Die Tramps sind von den Bäumen fort – nach einem völlig andern Ort.“

„Dachte es mir. Aber wohin?“ fragte der Jäger, über den Reim lächelnd. Der Gefragte deutete nach der Ecke, rechts vom Thore, und antwortete in unerschütterlichem Ernste: „Da draußen, im Gesträuch am Fluß – man sie von jetzt an suchen muß.“

„So nahe haben sie sich herangewagt! Aber da hätte man doch ihre Pferde hören müssen?“

„Die trieb man weislich unterdessen – auf die Prairie, um Gras zu fressen – doch kenne ich die Stelle nicht – es fehlte mir das Lampenlicht.“

„Und wo sind Bill und Droll?“

„Die wollten hinterher sich machen – um die Halunken zu bewachen!“

„Schön! Ich muß die Stelle ganz genau wissen, an welcher die Tramps liegen. Seid also so gut, Euch wieder zu den beiden zu gesellen. Sobald die Kerls sich fest gelagert haben, mag Droll kommen und es mir sagen; sie glauben wahrscheinlich, klug zu handeln, sind aber in eine Falle gegangen, welche wir nur zu schließen brauchen.“

Der Uncle entfernte sich, und der Lord, welcher die Unterredung mit angehört hatte, fragte, welche Falle Old Firehand meine. Dieser antwortete: „Der Feind befindet sich dort am Flusse. Er hat hinter sich das Wasser, und vor sich die Mauer; wenn wir die beiden andern Seiten versperren, so haben wir ihn fest.“

„Ganz richtig! Aber wie wollt Ihr diese Sperrung vornehmen?“

„Indem ich die Indianer holen lasse, welche ihn von Süden nehmen müssen; wir aber, die wir uns hier befinden, schleichen uns zum Thore hinaus und greifen ihn im Norden an.“

„So wollt Ihr die Mauer ohne Bedeckung lassen?“

„Nein, die Knechte bleiben zurück; sie werden genügen. Wir würden allerdings schlimm daran sein, wenn die Tramps auf den klugen Gedanken kämen, sich auf die Mauer zu werfen; aber ich traue ihnen die Schlauheit nicht zu, anzunehmen, daß wir so verwegen sind, gerade diesen Hauptverteidigungspunkt preiszugeben. Auch werde ich erkunden lassen, wo sich ihre Pferde befinden. Erfahren wir das, so sind die wenigen Wächter jedenfalls nicht schwer zu überwältigen. Befinden wir uns im Besitze der Pferde, so sind die Kerle verloren, denn wir können diejenigen, welche uns heute abend entkommen, am Tage verfolgen, einholen und aufreiben.“

„Well, ein zwar kühner, aber sehr vortrefflicher Plan. Es ist wahr, Sir, Ihr seid ein tüchtiger Kerl!“

Jetzt mußte der schwarze Tom mit dem alten schlauen Blenter hinaus, um nach den Pferden zu suchen. Dann wurden zwei Knechte, da dieselben die Gegend genau kannten, zu dem Osagenhäuptling geschickt, um demselben eine ausführliche Instruktion zu überbringen. Vor der Wiederkehr dieser Leute konnte nichts unternommen werden.

Es verging eine lange Zeit, ehe sich einer von ihnen sehen ließ. Endlich kamen die Knechte zurück. Sie hatten die Indianer gefunden und herbeigeführt, dieselben lagen nur einige hundert Schritte von den Tramps entfernt am Flusse und waren bereit, beim ersten Schuß, den sie hörten, auf dieselben einzudringen.

Jetzt kam auch Droll mit Bill und dem Uncle.

„Alle drei?“ fragte Old Firehand mißbilligend. „Es hätte wenigstens einer noch draußen bleiben sollen.“

„Ich wüßte nicht, weshalb, wenn’s nötig ist,“ antwortete Droll, wieder einmal in seine altgewohnte Redensart verfallend.

„Um die Tramps weiter zu beobachten natürlich.“

„Würde überflüssig sein! Ich weiß, woran ich bin, habe mich so nahe an sie herangeschlichen, daß ich genug hören konnte. Sie ärgern sich riesig über unsre Feuer, welche einen Überfall unmöglich machen, und wollen abwarten, wie lange Holz und Kohlen bei uns reichen. Sie hegen die Absicht, daß nach einigen Stunden der Vorrat zu Ende sein wird, da der Farmer jedenfalls nicht auf so große Brände eingerichtet ist. Dann wollen sie losbrechen.“

„Das ist ja sehr vorteilhaft für uns, denn so bekommen wir Zeit, die Falle zuzuklappen.“

„Welche Falle?“

Old Firehand erklärte ihm, was er vorhatte.

„Das ist herrlich, hihihihi!“ lachte Droll halblaut vor sich hin, wie er zu thun pflegte, wenn irgend etwas ihm gute Laune machte. „Das wird und muß gelingen. Die Kerle meinen nämlich, wir denken, daß sie sich noch immer da draußen unter den Bäumen befinden. Aber, Sir, es gibt dabei etwas zu bedenken, was von großer Bedeutung ist.“

„Was?“

„Die Lage der Gefangenen. Ich befürchte, daß man sie töten wird, sobald wir die Feindseligkeiten beginnen.“

„Meint Ihr, daß ich mir das nicht auch schon überlegt habe? Glücklicherweise habe ich nicht die Sorge, welche Ihr soeben ausgesprochen habt. Freilich bin ich überzeugt, daß die Gefangenen die ersten sein würden, welche fallen müßten; aber wir können das verhüten, indem wir dafür sorgen, daß ihnen nichts geschehen kann. Wir schleichen uns an, und drei von uns haben, wenn wir losbrechen, sofort ihre Hände über die beiden Butler und die junge Dame zu halten. Sind sie gefesselt?“

„Ja, aber nicht schwer.“

„Nun, so müssen sie schnell von ihren Banden befreit werden und dann – –“

„Und dann mit ihnen ins Wasser,“ fiel Droll schnell ein.

„Ins Wasser?“ fragte Old Firehand erstaunt.

„Natürlich.“

„Ihr scherzt wohl, liebe Tante?“

„Scherzen? Fällt mir gar nicht ein!“ Und als er die verwunderten Blicke sah, welche die Umstehenden auf ihn gerichtet hielten, fuhr er kichernd fort: „Ja ins Wasser mit ihnen; hihihihi, das ist der schönste Streich, den es geben kann. Was werden die Tramps für Gesichter machen! und wie werden sie sich die Köpfe zerbrechen!“

„Dazu werden sie gar keine Zeit finden, da ihnen die Schädel ja von uns zerschmettert werden.“

„Nicht sofort, nicht sofort, sondern später.“

„Später? Wieso! Sollen wir ihnen Zeit lassen, uns zu entkommen?“

„Das nicht; aber wir werden ihnen die Gefangenen noch vor dem Überfalle entführen.“

„Haltet Ihr das für möglich?“

„Nicht nur für möglich, sondern sogar für sehr notwendig. Während des Kampfes ist es schwer, für die Sicherheit der Gefangenen zu sorgen; wir müssen sie also schon vorher der Gefahr entzogen haben. Und das ist gar nicht schwer.“

„Nicht? Nun, wie denkt Ihr Euch das? Ich weiß, Ihr seid ein schlauer Fuchs. Ihr habt schon manchen sonst klugen Kerl hinters Licht geführt und Euern Kopf, der sicher verloren schien, heiler Haut aus der Schlinge gezogen. Ist Euch vielleicht auch jetzt so eine bunte Raupe angelaufen?“

„Will’s meinen!“

„Nun, so beschreibt sie uns!“

„Gehört gar keine große Klugheit dazu. Wundere mich, daß Ihr nicht schon selbst darauf gekommen seid. Denkt doch mal an den Kanal, welcher vom Hofe aus, da hinter dem Hause, nach dem Flusse geht! Er ist unterirdisch, oder richtiger gesagt, verdeckt, und die Tramps haben keine Ahnung von seinem Vorhandensein. Ich habe mich an ihnen vorüber bis an den Fluß geschlichen und erkannte trotz der Dunkelheit den Ort, an welchem der Kanal mündet, an den großen Steinen, welche man dort in das Wasser geworfen hat, um einen kleinen Damm zu bilden, durch welchen die Wellen in den Kanal geleitet werden. Und, denkt Euch, Mesch’schurs, grad bei dieser Mündung lagern die Tramps. Sie haben am Ufer einen Halbkreis gebildet, in dessen Innern sich die Gefangenen befinden. Sie glauben, dieselben auf diese Weise ganz sicher zu haben, und doch ist es gerade dieser Umstand, welcher es uns möglich macht, sie ihnen zu entführen.“

„Ah, ich beginne zu verstehen!“ meinte Old Firehand. „Ihr wollt innerhalb des Hofes in den Kanal hinab und demselben bis zum Flusse folgen?“

„Ja. Ich freilich nicht allein; es müssen noch zwei mit, daß auf jeden Gefangenen einer kommt.“

„Hm! Dieser Gedanke ist freilich vortrefflich. Wir wollen uns aber erst genau erkundigen, ob der Kanal wirklich passierbar ist.“

Old Firehand fragte einige Knechte aus und erfuhr zu seiner Freude, daß der Kanal rein vom Schlamme sei und keine schlechte Luft enthalte; man könne denselben ganz gut beschreiten und – was ein ganz besonders glücklicher Umstand war – es sei an der Mündung ein kleines Boot verborgen, welches drei Männer fassen könne; dieses Boot sei da stets versteckt, damit es nicht von Indianern oder sonstigen Fremden gestohlen werde.

Der Plan der alten listigen Tante wurde nun eingehend besprochen, und man kam darin überein, daß er von Droll, Humply-Bill und dem Gunstick-Uncle ausgeführt werden solle. Als man so weit war, kehrten Blenter und Tom zurück; sie hatten einen ziemlich weiten Umkreis abgesucht, leider aber die Pferde nicht gefunden. Die Tramps waren so klug gewesen, dieselben möglichst weit von der Farm zu entfernen.

Zunächst schwang sich Old Firehand mit dem betreffenden Knechte über die Mauer, um sich zu dem Osagenhäuptling zu begeben und sich selbst zu überzeugen, daß derselbe gut unterrichtet sei. Als das geschehen und er zurückgekehrt war, zogen Droll, Bill und der Uncle ihre Oberkleider aus und stiegen in den Kanal hinab, wo ihnen eine Laterne mitgegeben wurde. Es zeigte sich, daß das Wasser ihnen nur bis an die Brust reichte. Sie nahmen die Gewehre auf die Schulter und befestigten sich die Messer, Revolver und Munitionsbeutel an den Hals. Der lange Gunstick-Uncle ging mit der Laterne voran. Als sie im Eingange des Kanals verschwunden waren, brach Old Firehand mit seinen Leuten auf.

Er ließ das Thor leise öffnen und ließ es, als er mit seinen Begleitern dasselbe passiert hatte nur wieder anlehnen, damit er nötigenfalls, wenn er gezwungen sein sollte, sich zurückzuziehen, es gleich offen fand. Doch blieb ein Knecht zurück, um zu wachen, und es sofort zu schließen, falls die Tramps sich nähern sollten. Die andern Knechte, und auch die Mägde standen an der nach dem Flusse zu liegenden Mauer bereit, einen etwaigen Angriff nach Kräften abzuwehren.

Die Rafters, und besonders die bei ihnen sich befindenden Westmänner, waren im Anschleichen geübt. Unter Führung des berühmten Jägers schlugen sie zunächst einen Bogen nach Norden, um vom Scheine des Feuers nicht getroffen zu werden; dann, als sie den Fluß erreichten, kehrten sie kriechend am Ufer desselben nach Süden zurück, bis sie annehmen konnten, daß sie die Tramps ziemlich erreicht hatten. Old Firehand kroch allein noch weiter, bis sein scharfes Auge trotz der Dunkelheit den Halbkreis der lagernden Vagabunden bemerkt; nun wußte er, nach welchem Punkte der Angriff zu richten sei, und kehrte zu seinen Leuten zurück, um sie zu orientieren und dann auf das Zeichen zu warten, welches mit den drei Befreiern der Gefangenen verabredet worden war.

Diese hatten inzwischen den Kanal passiert, dessen Wasser nicht so kalt war, daß es ihnen hätte beschwerlich werden können. Unweit der Mündung, noch im Innern des Kanales, lag das kleine Boot, welches an einen Eisenhaken befestigt war. Zwei Ruder lagen in demselben. Der Uncle löschte die Laterne aus und hing sie an den Haken; dann gebot Droll den beiden andern, hier zu warten; er wollte zunächst allein hinaus in den Fluß, um zu rekognoszieren. Es dauerte über eine Viertelstunde, ehe er zurückkehrte.

„Nun?“ fragte Humply-Bill gespannt.

„Es war keine leichte Aufgabe,“ antwortete die Tante. „Das Wasser ist uns nicht hinderlich, da es draußen auch nicht tiefer ist, als hier; aber die Finsternis, welche zwischen den Büschen und Bäumen herrscht, machte mir zu schaffen. Es war gar nichts zu sehen, und ich mußte mich geradezu mit den Händen fortgreifen. Nun ich aber orientiert bin, ist diese Dunkelheit unsre beste Verbündete.“

„Man muß doch, wenn man gegen unsre Feuer blickt, ziemlich deutlich sehen können!“

„Nicht vom Wasser, sondern vom Ufer aus, da das erstere tiefer liegt. Also die Tramps sitzen in einem Halbkreise, dessen Durchmesser der Fluß bildet, und innerhalb desselben, gar nicht weit vom Wasser, befinden sich die Gefangenen – – “

„Welche Unvorsichtigkeit! Auf diese Art und Weise können sie bei der herrschenden Finsternis doch gar nicht genau beobachtet werden. Wie nun, wenn es ihnen gelänge, sich von den Banden zu befreien. Es wäre ihnen dann leicht, ins Wasser zu entkommen und, da jedenfalls wenigstens die beiden Männer schwimmen können, sich zu retten.“

„Unsinn! Es sitzt als besonderer Wächter einer der Tramps bei ihnen, der sie scharf beobachtet.“

„Hm! Der muß also fort. Aber wie?“

„Er wird ausgelöscht, es geht nicht anders und wird auch nicht schade sein um den Kerl.“

„So habt Ihr einen Plan?“

„Ja, die Gefangenen brauchen nicht in das Wasser zu gehen. Wir schaffen das Boot zur Stelle.“

„Das wird man sehen, da sich die Gestalt desselben von den schimmernden Wellen abhebt.“

„Hat sich sein Schimmern! Von dem gestrigen Regen ist das Wasser so getrübt, daß es, besonders unter den Bäumen am Ufer, gar nicht vom festen Erdboden zu unterscheiden ist. Also wir schaffen das Boot hin und binden es an; ihr bleibt bei demselben im Wasser stehen, und ich gehe allein an das Land, um dem Wächter das Messer zu geben und den Gefangenen die Bande zu lösen. Ich bringe sie zu euch; sie rudern sich in den Kanal, wo sie sicher sind, und wir setzen uns dann ganz gemütlich an die Stelle, wo die Gefangenen gesessen haben. Geben wir dann das Zeichen, den Geierschrei, so wird der Tanz sofort beginnen. Einverstanden?“

„Well, es kann nicht besser gemacht werden.“

„Und Ihr, Uncle?“

„Genau so, wie Ihr’s ausgedacht – wird das famose Werk vollbracht,“ antwortete der Gefragte in seiner poetischen Weise.

„Schön, also vorwärts!“

Sie banden das Boot los und schoben es aus dem Kanale in den Fluß. Droll, welcher das Terrain kannte, machte den Führer. Sich immer hart am Ufer haltend, bewegten sie sich langsam und vorsichtig weiter, bis er anhielt und die beiden andern bemerkten, daß er das Fahrzeug anband.

„Wir sind zur Stelle,“ raunte er ihnen zu, „jetzt warten, bis ich wiederkomme!“

Das Ufer war hier nicht hoch. Er kroch leise hinauf. Jenseits der Büsche brannten an den beiden Mauerecken die Feuer, gegen die sich die Gegenstände in leidlich erkennbaren Umrissen abhoben. Höchstens zehn Schritte vom Ufer entfernt saßen vier Personen, die Gefangenen mit ihrem Wächter. Weiter zurück sah der Kleine die Tramps in allen möglichen Stellungen ruhen. Er kroch, ohne das Gewehr wegzulegen, weiter, bis er sich hinter dem Wächter befand. Nun erst legte er es weg und griff zum Messer. Der Tramp mußte sterben, ohne einen Laut ausstoßen zu können. Droll zog die Knie unter dem Leib heran, schnellte sich rasch auf, ergriff den Mann mit der Linken von hinten fest bei der Kehle und stieß ihm mit der Rechten die Klinge so kunstgerecht und genau in den Rücken, daß sie das Herz durchschnitt. Sich dann rasch wieder niederlassend zog er den Tramp neben sich auf den Boden. Das war so blitzschnell gegangen, daß die Gefangenen es gar nicht bemerkt hatten. Erst nach einiger Zeit sagte das Mädchen: „Pa’a, unser Wächter ist ja fort!“

„Wirklich? Ah, ja; das wundert mich; aber bleib still sitzen; jedenfalls will er uns auf die Probe stellen.“

„Leise, leise!“ flüsterte Droll ihnen zu. „Niemand darf einen Laut hören. Der Wächter liegt erstochen hier im Grase; ich bin gekommen, euch zu retten.“

„Retten? Heavens! Unmöglich! Ihr seid der Wächter selbst!“

„Nein, Sir; ich bin Euer Freund. Ihr kennt mich vom Arkansas her. Droll, den sie die Tante nennen.“

„Mein Gott! Ist’s wahr?“

„Leiser, leiser, Sir! Old Firehand ist auch da, und der schwarze Tom und noch viele andre. Die Tramps wollten die Farm plündern; wir aber haben sie zurückgeschlagen. Wir sahen, daß sie Euch ergriffen, und ich habe mich mit zwei tüchtigen Boys hergeschlichen, um Euch zunächst herauszuholen. Und wenn Ihr mir noch nicht traut, da Ihr mein Gesicht nicht sehen könnt, so will ich Euch die Wahrheit meiner Worte beweisen, indem ich Euch losbinde. Gebt Eure Fesseln her!“

Einige Schnitte mit dem Messer, und die drei Leute befanden sich wieder im freien Gebrauche der Glieder.

„Jetzt glauben wir Euch, Sir,“ flüsterte der Farmer, welcher bis jetzt geschwiegen hatte. „Ihr sollt sehen, wie ich Euch danke. Jetzt aber wohin?“

„Leise hinunter in den Kahn. Wir sind durch den Kanal gekommen und haben das Boot mitgebracht. Ihr steigt mit der kleinen Miß hinein und retiriert nach dem Kanal, den Ihr ja kennt, um zu warten, bis der Tanz vorüber ist.“

„Der Tanz? Welcher Tanz?“

„Der eben beginnen soll. Hier auf dieser Seite haben die Tramps den Fluß und gegenüber die Mauer, zwei Hindernisse, welche sie nicht beseitigen können. Rechts von uns hält Old Firehand mit einer Anzahl von Rafters und Jägern, und links wartet der Osagenhäuptling „gute Sonne“ mit einer Schar von Roten nur auf mein Zeichen zum Angriffe. Sobald ich es gebe, wissen diese Leute, daß Ihr Euch in Sicherheit befindet, und dringen auf die Tramps ein, welche, von rechts und links angegriffen, und von dem Flusse und der Mauer eingeschlossen, wenn auch nicht vollständig aufgerieben, aber doch so große Verluste erleiden werden müssen, daß sie nicht daran denken können, die Feindseligkeiten fortzusetzen.“

„Ach, steht es so. Und da sollen wir uns im Boote in Sicherheit bringen?“

„Ja. Es stand ja zu befürchten, daß die Kerle, sobald wir sie angriffen, kurzen Prozeß mit Euch machen würden. Darum kamen wir, um vor allen Dingen erst Euch herauszuholen.“

„Das ist ebenso brav wie kühn von Euch, und Ihr habt Euch das Recht auf unsre größte Dankbarkeit erworben; aber glaubt Ihr denn wirklich, daß mein Bruder und ich solche Memmen sind, daß wir die Hände in den Schoß legen, während ihr andern für uns kämpft und euer Leben wagt? Nein, Sir, da irrt Ihr Euch!“

„Hm, schön! Ist mir lieb zu hören! Das gibt zwei Männer mehr für uns. Thut also, was Euch gefällt. Aber die kleine Miß darf nicht da bleiben, wo die Kugeln fliegen werden; die wenigstens müssen wir fortschaffen.“

„Allerdings. Habt die Güte, sie im Boote nach dem Kanale zu bringen! Wie aber steht es mit den Waffen? Man hat uns die unsrigen abgenommen. Könnt Ihr uns nicht wenigstens einen Revolver, ein Messer ablassen?“

„Ist nicht nötig, Sir. Was wir haben, brauchen wir selber; aber hier liegt der Wächter, dessen Armatur für einen von euch hinreicht. Für den andern werde ich dadurch sorgen, daß ich mich gleich an einen Tramp schleiche, um ihm – – – pst, still, da kommt einer! Jedenfalls einer der Anführer, welcher sich überzeugen will, daß Ihr gut bewacht werdet. Laßt mich nur machen!“

Gegen das Feuer blickend, sah man einen Mann kommen, welcher die Stellung der Tramps abschritt, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Er kam langsam herbei, blieb vor den Gefangenen stehen und fragte: „Nun, Collins, ist etwas vorgekommen?“

„Nein,“ antwortete Droll, den er für den Wächter hielt.

„Well! Halte die Augen offen! Es gilt deinen Kopf, wenn du nicht aufpassest. Verstanden?“

„Yes. Mein Kopf sitzt jedenfalls fester als der deinige. Nimm dich in acht!“

Er bediente sich absichtlich dieser drohenden Worte und sprach sie ebenso absichtlich mit unverstellter Stimme; er wünschte, daß der Mann sich zu ihm niederbücken möge. Sein Zweck wurde erreicht. Der Tramp trat einen Schritt näher, bog den Kopf herab und sagte: „Was fällt dir ein! Wie meinst du das? Wessen Stimme ist das? Bist du denn nicht Collins, den ich – – –“

Er konnte nicht weiter sprechen, denn Droll legte ihm beide Hände so fest wie Eisenklammern um den Hals, riß ihn vollends zu sich nieder und drückte ihm die Kehle so zusammen, daß derselben kein weiterer Laut entfahren konnte. Man hörte ein kurzes Strampeln der Beine, dann wurde es still, bis Droll leise sagte: „So, der hat euch seine Waffen gebracht; das war sehr gefällig von ihm.

„Habt Ihr ihn denn fest?“ fragte der Farmer.

„Wie könnt Ihr nur fragen! Er ist ausgelöscht. Nehmt sein Gewehr und alles, was er bei sich hat; ich werde indessen die kleine Miß zum Boote bringen.“

Droll richtete sich halb auf, nahm Ellen Butler bei der Hand und geleitete sie an das Wasser, wo er seine wartenden Gefährten von dem Stand der Dinge unterrichtete. Bill und der Uncle brachten das Mädchen nach dem Kanal, wo sie das Boot festbanden, und wateten dann zurück, um sich zu Droll und den beiden Butlers zu gesellen. Diese hatten sich inzwischen mit den Waffen der beiden Tramps bewehrt und nun meinte Tante Droll ernst: „Jetzt kann’s losgehen. Die Kerle werden natürlich sofort hierher kommen, um sich der Gefangenen zu versichern, und das könnte für uns gefährlich werden. Kriechen wir also zunächst eine Strecke fort, nach rechts hinauf, um dem zu entgehen.“

Die fünf bewegten sich vorsichtig am Ufer hin, bis sie eine geeignete Stelle fanden. Dort richteten sie sich auf, und jeder stellte sich hinter einen Baum, der ihm Deckung gewährte. Sie befanden sich im vollständigen Dunkel und hatten die Tramps deutlich genug vor sich, um genau zielen zu können. Da legte Droll die Hand an den Mund und ließ ein kurzes, müdes Krächzen hören, wie von einem Raubvogel, welcher für einen Augenblick aus dem Schlaf erwacht. Dieser in der Prairie so häufige Ton konnte den Tramps nicht auffallen; sie beachteten ihn gar nicht, selbst als er ein und noch einmal wiederholt wurde. Für wenige Augenblicke herrschte noch tiefe Stille; dann hörte man plötzlich Old Firehands weithin schallenden Befehl: „Los, Feuer!“

Von rechts her krachten die Büchsen der Rafters, welche sich so nahe herangeschlichen hatten, daß jeder seinen Mann auf das Korn nehmen konnte. Darauf ertönte links das markzerschneidende, schrille Kriegsgeheul der Indianer, welche erst einen Pfeilregen auf die Tramps sandten und dann mit den Tomahawks auf dieselben eindrangen.

„Jetzt auch wir!“ gebot Droll. „Erst die Kugeln, und dann mit den Kolben drauf!“

Es war eine echte, wilde Westlandsscene, welche sich nun entwickelte. Die Tramps hatten sich so vollständig sicher gefühlt, daß der plötzliche Angriff sie in tiefsten Schreck versetzte. Wie Hasen, über denen die Fänge des Adlers rauschen, duckten sie sich zunächst entsetzt und widerstandslos zusammen; dann, als die Angreifenden sich mitten unter ihnen befanden und mit Kolben, Tomahawks, Revolvern und Bowiemessern arbeiteten, wich die augenblickliche Erstarrung von ihnen, und sie begannen sich zu wehren. Sie waren nicht im stande, die Gegner zu zählen; die Schar derselben erschien ihnen in dem von den Feuern nur dürftig erhellten nächtlichen Dunkel als eine doppelt und dreifach größere, als sie wirklich war. Das vermehrte ihre Angst, und die Flucht erschien ihnen der einzige Rettungsweg.

„Fort, fort, zu den Pferden!“ hörte man eine Stimme rufen oder viel mehr brüllen. „Das ist der Cornel,“ schrie Droll. „Werft euch auf ihn; laßt ihn nicht entkommen!“

Er eilte nach der Gegend, aus welcher der Ruf erklungen war, und andre folgten ihm, doch vergeblich. Der rote Cornel war so schlau gewesen, sich sofort im Gebüsch zu verstecken und von demselben aus die Scene zu beobachten. Er schlich sich wie eine Schlange von Strauch zu Strauch und hielt sich dabei immer im tiefen Dunkel, so daß er nicht gesehen werden konnte. Die Sieger gaben sich alle Mühe, möglichst wenige entkommen zu lassen, aber die Zahl der Tramps war eine so große, daß ihnen, zumal sie sich endlich klugerweise eng beisammen hielten, der Durchbruch leicht gelingen mußte. Sie rannten nach Norden zu von dannen.

„Immer hinter ihnen drein!“ gebot Old Firehand. „Laßt sie nicht zu Atem kommen!“

Er wollte mit den Tramps zugleich zu ihren Pferden gelangen, aber das stellte sich bald als unmöglich heraus. Je weiter man sich von der Farm entfernte, desto geringer wurde der Schein der brennenden Feuer, und man war schließlich von einer solchen Finsternis umgeben, daß zwischen Freunden und Feinden gar nicht mehr unterschieden werden konnte. Es kam vor, daß die ersteren aneinander gerieten, und das hielt die Verfolgung auf. Old Firehand sah sich gezwungen, zum Sammeln zu rufen; es dauerte Minuten, bevor er seine Leute vereinigen konnte, und das gab den Flüchtigen einen Vorsprung, welcher, da man sie nicht sehen konnte, unmöglich auszugleichen war. Zwar drangen die Verfolger in der bisherigen Richtung weiter, aber bald hörten sie ein höhnisches Geheul der Tramps, und der Hufschlag vieler davonjagender Pferde belehrte sie, daß alle weitere Mühe vergeblich sein werde.

„Umkehren!“ befahl Old Firehand. „Es bleibt uns nur noch übrig, zu verhindern, daß die Verwundeten sich verstecken, um dann zu entkommen.“

Diese Sorge war eine überflüssige. Die Indianer hatten sich nicht an der Verfolgung beteiligt. Nach den Skalps der Weißen lüstern, waren sie zurückgeblieben und hatten den Kampfplatz und das daran stoßende Gebüsch bis an den Fluß sorgfältig abgesucht, um jeden noch lebenden Tramp zu töten und zu skalpieren.

Als dann beim Schein von Holzbränden die Leichen gezählt wurden, stellte es sich heraus, daß, die schon am Tage Gefallenen mitgerechnet, auf jeden Sieger zwei Besiegte kamen, eine schreckliche Anzahl! Trotzdem war die Zahl der Entkommenen eine so bedeutende, daß man sich über ihre Flucht beglückwünschen konnte.

Ellen Butler war selbstverständlich sofort aus ihrem Verstecke geholt worden. Das junge Mädchen hatte sich nicht gefürchtet und sich überhaupt vom Augenblicke der Gefangennahme an erstaunlich ruhig und besonnen gezeigt. Als Old Firehand dies erfuhr, erklärte er dem Vater: „Ich habe es bisher für sehr gewagt gehalten, Ellen mit nach dem Silbersee zu nehmen, nun aber habe ich nichts mehr dagegen, denn ich bin überzeugt, daß sie uns keine besondere Sorge machen wird.“

Da an eine Rückkehr der Tramps nicht zu denken war, so konnte man, wenigstens was die Indianer betraf, den Rest der Nacht der Siegesfreude widmen. Sie erhielten zwei Rinder, welche geschlachtet und verteilt wurden, und bald ging von den Feuern der kräftige Duft des Bratens aus. Später wurde die Beute verteilt. Die Waffen der Gefallenen und auch sonst alles, was dieselben bei sich gehabt hatten, waren den Roten überlassen worden, ein Umstand, welcher dieselben mit Entzücken erfüllte. Sie gaben demselben den bei ihnen gebräuchlichen Ausdruck. Lange Reden wurden gehalten, Kriegs- und andre Tänze aufgeführt; erst als der Tag anbrach, nahm der Lärm ein Ende; der Jubel verstummte, und die Roten hüllten sich in ihre Decken, um endlich einzuschlafen.

Anders die Rafters. Glücklicherweise war keiner von ihnen gefallen, doch hatten einige Verwundungen davongetragen. Old Firehand beabsichtigte, mit ihnen bei Tagesanbruch der Spur der Tramps zu folgen, um zu erfahren, wohin sich diese gewendet hatten. Darum hatten sie sich schlafen gelegt, um zur angegebenen Zeit gekräftigt und munter zu sein. Sie fanden dann, daß die Fährte zurück nach dem Osage-nook führte, und folgten ihr bis dorthin; aber als sie ankamen, war der Platz leer. Old Firehand untersuchte ihn genau. Es waren inzwischen neue Scharen von Tramps angekommen gewesen; die Flüchtigen hatten sich mit diesen vereinigt und waren dann ohne Verweilen in nördlicher Richtung davongeritten, wohl ahnend, daß man sie hier aufsuchen werde. Sie hatten also ihre Absicht auf die Farm aufgegeben und ahnten nicht, daß Old Firehand den Plan genau kannte, den sie nun jetzt verfolgen wollten. – – – – – –

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