Einleitung Coopers

Einleitung Coopers

Der Plan zu dieser Erzählung bot sich dem Autor schon vor Jahren dar, obgleich die Einzelheiten insgesamt von neuer Erfindung sind. Ich teilte einem Verleger die Idee mit, Seeleute und Wilde unter Verhältnissen, die den großen Seen eigentümlich wären, miteinander in Verbindung zu bringen, und übernahm somit gewissermaßen die Verpflichtung, irgendwann das Gemälde auszuführen: eine Verpflichtung, deren ich mich nun hiermit – freilich spät und unvollständig – entledige.

In dem Hauptcharakter dieses Romans wird der Leser einen alten Freund unter neuen Umständen finden. Sollte es sich erweisen, daß die Wiedereinführung dieses alten Bekannten ihn unter den veränderten Verhältnissen in der Gunst der Lesewelt nicht sinken läßt, so wird dies dem Verfasser ein um so größeres Vergnügen gewähren, als er an der fraglichen Person warmen Anteil nimmt – so als hätte sie einmal unter den Lebenden gewandelt. Es ist jedoch kein leichtes Unternehmen, denselben Charakter mit Beibehaltung der bezeichnenden Eigentümlichkeit in mehreren Werken durchzuführen, ohne Gefahr zu laufen, den Leser durch Gleichförmigkeit zu ermüden, und der gegenwärtige Versuch ist ebensosehr infolge derartiger Besorgnisse wie aus irgendeinem andern Grund so lange verzögert worden. Freilich, in diesem wie in jedem andern Unternehmen muß das Ende das Werk krönen.

Der indianische Charakter bietet so wenig Mannigfaltigkeit dar, daß ich es bei der gegenwärtigen Gelegenheit vermied, allzulange dabei zu verweilen; auch fürchte ich, seine Verbindung mit dem des Seemanns wird mehr neu als interessant erscheinen.

Dem Neuling mag es vielleicht als ein Anachronismus auffallen, daß ich schon in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Schiffe auf den Ontario versetze. In dieser Beziehung aber werden Tatsachen die poetische Lizenz hinreichend rechtfertigen. Zwar haben sich die in diesen Blättern erwähnten Fahrzeuge niemals weder auf dem Ontario noch auf einem andern Gewässer befunden; aber ganz ähnliche befuhren dieses Binnenmeer in einer noch viel früheren Zeit, und dies mag als hinreichende Berechtigung gelten, jene in ein Werk der Poesie einzuführen. Man erinnert sich vielleicht nicht allgemein des bekannten Umstands, daß es längs der Linie der großen Seen vereinzelte Stellen gibt, die ebensolange wie viele der ältesten amerikanischen Städte bewohnt sind und die lange, noch ehe der größere Teil selbst der ältern Staaten der Wildnis entrissen wurden, einen gewissen Grad von Zivilisation aufzuweisen vermochten.

Der Ontario ist in unsern Tagen der Schauplatz wichtiger nautischer Entwicklungen gewesen. Wo sich vor einem halben Jahrhundert nur eine öde Wasserfläche zeigte, haben Flotten manövriert, und der Tag ist nicht fern, wo diese Kette von Seen als der Sitz einer Macht und mit allem befrachtet erscheinen wird, dessen die menschliche Gesellschaft bedarf. Ein Rückblick auf das, was diese weiten Räume ehedem waren, und wäre es auch nur durch die farbigen Gläser der Dichtkunst, mag vielleicht einen Beitrag zu der Vervollständigung des Wissens geben, das uns allein zu einer richtigen Würdigung der wunderbaren Mittel führen kann, deren sich die Vorsehung bedient, um dem Fortschritt der Zivilisation über das ganze amerikanische Festland Bahn zu brechen.

Im Dezember 1839.

Neunzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Mabel wartete am Ufer, und der Kahn war bald auf dem Wasser. Pfadfinder brachte seine Begleitung mit derselben Geschicklichkeit über die Brandung, wie er sie hergeführt hatte; und obgleich die Aufregung Mabels Wangen rötete und das Herz ihr oft wieder auf die Zunge zu hüpfen drohte, so erreichten sie doch die Seite des Scud, ohne auch nur im mindesten von dem Gischt benetzt worden zu sein.

Der Ontario gleicht einem Manne von feurigem Temperament, der plötzlich aufbraust, sich aber auch schnell wieder besänftigen läßt. Die Wellen hatten sich gelegt, und obgleich sich die Brandungen, soweit das Auge reichte, am Ufer brachen, so erschienen sie doch dem Auge nur als glänzende Streifen, die kamen und gingen, wie die einzelnen Wellenringe, die ein Steinwurf auf ruhigem Wasser hervorbringt. Die Kabel des Scud war kaum über dem Wasser sichtbar, und Jasper hatte bereits seine Segel gehißt, um abfahren zu können, sobald der erwartete Wind vom Ufer her wehte.

Die Sonne ging eben unter, als das Hauptsegel klappte und der Vordersteven das Wasser zu trennen begann. Der Wind kam leicht aus Süden, und der Schnabel des Schiffes wurde in der Richtung gegen das südliche Ufer gehalten, da man die Absicht hatte, so schnell wie möglich ostwärts zu kommen. Die nun folgende Nacht war ruhig, und man konnte sich eines tiefen, ungestörten Schlafes erfreuen.

Es erhoben sich nur einige Schwierigkeiten wegen des Kommandos des Schiffes, die jedoch zuletzt durch freundliche Übereinkunft ausgeglichen wurden. Da das Mißtrauen gegen Jasper noch lange nicht beseitigt war, so erhielt Cap die Oberaufsicht, während es dem jungen Manne verstattet wurde, das Fahrzeug zu handhaben, wobei er jedoch immer der Kontrolle und der Einrede des alten Seemanns unterworfen war. Jasper ließ sich dies gefallen, damit Mabel nicht länger den Gefahren ihrer gegenwärtigen Lage ausgesetzt bliebe: Denn da der Kampf der Elemente nachgelassen hatte, so wußte er wohl, daß sie von dem Montcalm aufgesucht werden würden. Er war jedoch vorsichtig genug, seine Besorgnisse über diesen Punkt nicht laut werden zu lassen, da zufällig gerade die Mittel, die ihm für das Entrinnen die geeignetsten schienen, in den Augen derer, die die Macht hatten, seine Absichten zu vereiteln, neue Zweifel gegen die Ehrlichkeit seiner Gesinnungen zu wecken imstande sein mochten. Mit anderen Worten – Jasper glaubte, der höfliche, junge Franzose, der das feindliche Schiff befehligte, würde seinen Ankerplatz unter dem Fort am Niagara verlassen und, sobald sich der Wind gelegt hatte, wieder in See stechen, um sich über das Schicksal des Scud Gewißheit zu verschaffen, wobei er sich wahrscheinlich in der Mitte zwischen beiden Ufern hielt, um eine weitere Aussicht zu gewinnen. Es schien daher Jasper am zweckmäßigsten, sich an eine oder die andere Küste anzuschließen, nicht nur um ein Zusammentreffen zu vermeiden, sondern auch um unbemerkt weiterzukommen, da sich seine Segel und Spieren vor der Landschaft im Hintergrund undeutlicher ausnehmen mußten. Er zog das südliche Ufer vor, weil es auf der Luvseite lag und weil er glaubte, daß ihn der Feind hier am wenigsten erwarten werde, da es in die Nähe der französischen Ansiedlungen und zu einem der stärksten Posten führte, den Frankreich in diesem Teil Amerikas besaß.

Von alledem wußte jedoch Cap glücklicherweise nichts, und des Sergeanten Geist war zu sehr mit den Einzelheiten seines Auftrags beschäftigt, als daß er in solche Spitzfindigkeiten eingegangen wäre, die eigentlich außer seinem Bereich lagen. Es wurde daher nichts dagegen eingewendet, und ehe noch der Morgen anbrach, hatte sich Jasper augenscheinlich in aller Ruhe wieder sein früheres Ansehen verschafft und erließ, als ob nichts vorgefallen sei, seine Befehle, denen auch ohne Zögern und Ränke Folge geleistet wurde.

Das Aufdämmern des Tages brachte wieder alles auf das Verdeck, und nun untersuchte man, wie es bei Reisenden auf dem Wasser gewöhnlich ist, neugierig den sich erschließenden Horizont, wie die Bilder aus der Dunkelheit hervortraten und das werdende Licht das herrliche Rundgemälde mit immer helleren Farben übergoß. Gegen Osten, Westen und Norden war nichts als Wasser sichtbar, das unter den Strahlen der aufgehenden Sonne glitzerte; aber im Süden dehnte sich ein endloser Waldgürtel aus, der damals den Ontario mit seinem dunklen Grün umfaßt hielt. Da zeigten sich plötzlich vorn eine Öffnung und dann die festen Mauern eines schloßartigen Gebäudes mit Außenwerken, Basteien, Blockhäusern und Palisaden, das von einem Vorgebirge herabblickte, das die Mündung eines breiten Stromes begrenzte. Eben als das Fort sichtbar wurde, erhob sich darüber eine leichte Wolke, und man sah die weiße Flagge von Frankreich an einem hohen Wimpelstock flattern.

Cap stieß einen Schrei aus, als er diesen unerfreulichen Anblick gewahrte, und warf schnell seinem Schwager einen argwöhnischen Blick zu.

»Da hängt das schmutzige Tischtuch in der Luft, so wahr ich Charles Cap heiße«, brummte Cap, »und wir halten uns an dieses verdammte Ufer, als harrten dort unsere Weiber und Kinder auf die Rückkehr von einer Indienfahrt. Hört, Jasper! sucht Ihr eine Ladung Frösche, daß Ihr diesem Neu-Frankreich so nahe segelt?«

»Ich halte mich ans Land, Herr, weil ich hoffe, so an dem feindlichen Schiff unentdeckt vorbeizukommen, denn ich glaube, es muß dort unten irgendwo in unserem Lee sein.«

»Schön, schön, das klingt nicht übel, und ich hoffe, es wird auf das ‚rauskommen, was Ihr sagt. Es wird doch hier kein Unterschlepper sein?«

»Wir sind jetzt nicht am Luvufer«, sagte Jasper lächelnd, »und ich denke, Ihr werdet zugeben, Meister Cap, daß ein starker Unterschlepper ein gutes Kabel ist. Wir alle haben diesem Unterschlepper des Sees unser Leben zu verdanken.«

»Französisches Gewäsch!« brummte Cap, ohne daß er sich darum kümmerte, ob er von Jasper gehört werde oder nicht. »Gebt mir einen guten, ehrlichen englisch-yankee-amerikanischen Schlepper über Bord und über das Wasser obendrein, wenn ich ja einen Schlepper haben muß, aber nichts von Eurer kriechenden Abtrift unter der Oberfläche, wo man weder was sehen noch fühlen kann. Ich darf sagen, daß, wenn man die Sache im rechten Licht betrachten wollte, unser gestriges Entkommen nichts als ein Pfiff war.«

»Wir haben jetzt wenigstens eine gute Gelegenheit, den feindlichen Posten am Niagara zu rekognoszieren, Bruder; denn dafür muß ich das Fort halten«, warf der Sergeant ein. »Laßt uns beim Vorübersegeln ganz Auge sein und nicht vergessen, daß wir fast im Angesicht des Feindes sind.«

Dieser Rat des Sergeanten bedurfte keiner weiteren Bekräftigung, denn das Interesse und die Neuheit eines von menschlichen Wesen bewohnten Platzes hatte für die Vorbeifahrenden einen hinlänglichen Reiz, um ihre gespannteste Aufmerksamkeit auf dieses Schauspiel einer weiten, aber einsamen Natur zu lenken. Der Wind war jetzt stark genug, um den Scud mit beträchtlicher Schnelle durch das Wasser zu treiben, und Jasper lüpfte das Steuer, als das Fahrzeug durch die Strömung des Flusses fuhr, und luvte fast in der Mündung dieser großartigen Wasserstraße. Ein fernes dumpfes, schweres Donnern kam zwischen den Gestaden herab und verbreitete sich in den Strömungen der Luft wie die tieferen Töne einer ungeheuren Orgel, daß hin und wieder selbst die Erde zu erbeben schien.

»Das tönt wie die Brandung einer langen, ununterbrochenen Küste«, rief Cap, als ein ungewöhnlich tiefer Ton sein Ohr erreichte.

»Ja, das ist so eine Brandung, wie wir sie in dieser Weltgegend haben«, antwortete Pfadfinder. »Da ist kein Unterschlepper, Meister Cap, denn alles Wasser, das dort an die Felsen schlägt, geht nicht wieder zurück. Es ist der alte Niagara, den Ihr hört, oder dieser edle Strom hier, der über ein Gebirge ‚runterstürzt.«

»Es wird doch niemand die Unverschämtheit haben, behaupten zu wollen, daß dieser schöne, breite Fluß über jene Hügel hinabstürze?«

»Ja, das tut er, Meister Cap, das tut er, und aus keinem anderen Grunde, als weil er keine Stiegen oder keinen Weg hat, um anders hinunterzukommen. Das ist eine Natur, wie wir sie hier herum haben, obschon ich nicht sagen will, daß Ihr uns mit Eurem Meer nicht die Spitze bieten könnt. Ach, Mabel! was für eine glückliche Stunde war‘ es, wenn wir an diesem Strom so zehn oder fünfzehn Meilen hinaufgehen und alle die Herrlichkeiten betrachten könnten, die Gott hier geschaffen hat.«

»Ihr habt demnach diese berühmten Fälle gesehen, Pfadfinder?« fragte Mabel lebhaft.

»Ja, Mabel, ich hab‘ sie gesehen und war zu gleicher Zeit der Zeuge eines entsetzlichen Schauspiels. Schlange und ich lagen auf Kundschaft in der Nähe der dortigen Garnison, und er erzählte mir, daß die Überlieferungen seines Volkes von einem mächtigen Wasserfall in der Nachbarschaft berichteten, wobei er mich aufforderte, von der Marschlinie ein wenig abzuweichen, um dieses Weltwunder zu betrachten. Ich hatte wohl schon manches Wunderbare darüber von den Soldaten des sechzigsten Regiments gehört – denn dies ist mein eigentliches Korps und nicht das fünfundfünfzigste, zu dem ich mich später so lange gehalten habe –, aber im ganzen Regiment waren so viel arge Aufschneider, daß ich kaum die Hälfte von dem, was sie sagten, glaubte. Nun schön – wir gingen also, und obgleich wir erwarteten, durch unser Gehör geleitet zu werden, und etwas von dem Donner zu hören hofften, den wir heute vernahmen, so wurden wir doch getäuscht, denn die Natur sprach damals nicht in den gewaltigen Tönen dieses Morgens. So geht es in den Wäldern, Meister Cap; es gibt dort Augenblicke, wo Gott in seiner ganzen Macht einherzugehen scheint, und dann ist wieder alles so still, als ob sich sein Geist in Ruhe über der Erde gelagert hätte. Nun also wir kamen plötzlich an den Strom, nicht weit überm Fall, und ein junger Delaware, der in unserer Gesellschaft war, fand einen Rindenkahn, den er in die Strömung bringen wollte, um eine Insel zu erreichen, die grade im Mittelpunkt des Getümmels und der Verwirrung liegt. Wir suchten ihm seine Torheit auszureden und stellten ihm die Vermessenheit vor, die Vorsehung zu versuchen und sich in eine Gefahr zu stürzen, die zu gar keinem Ziel führte. Aber die jungen Leute unter den Delawaren sind wie die unter den Soldaten – waghalsig und großtuerisch. Er beharrte trotz unserer Einsprache auf seinem Sinn, und so mußten wir den Burschen gehen lassen. Es scheint mir, Mabel, als ob alles wirklich Große und Gewaltige eine gewisse ruhige Majestät an sich habe, die nichts mit der schaumigen und aufsprudelnden Weise kleinerer Dinge gemein hat, und so war es auch mit den dortigen Stromschnellen. Sobald sie den Kahn erfaßt hatten, ging’s abwärts, als ob er durch die Luft herabflöge, und keine Geschicklichkeit des jungen Delawaren vermochte der Strömung zu widerstehen. Er wehrte sich noch männlich um sein Leben und brauchte das Ruder bis zum letzten Augenblick wie der Hirsch, der im Schwimmen die Hunde von sich wirft. Zuerst schoß er so schnell quer durch die Strömung, daß wir dachten, er werde den Sieg davontragen; aber er hatte sich in der Entfernung verrechnet, und als ihm die schreckliche Wahrheit klar wurde, kehrte er den Schnabel stromaufwärts und kämpfte auf eine Weise, die furchtbar anzusehen war. Ich hätte Mitleid mit ihm haben müssen, auch wenn er ein Mingo gewesen wäre. Einige Augenblicke waren seine Anstrengungen so wütend, daß er wirklich der Gewalt des Wassers erfolgreich widerstand; aber die Natur hat ihre Grenzen, und ein unsicherer Ruderschlag warf ihn zurück; er verlor dann Fuß um Fuß, Zoll um Zoll sein Feld, bis er an die Stelle kam, wo der Strom grün und glatt aussieht und sich wie in Millionen Wasserfäden über einen ungeheuren Felsen beugt. Da flog er wie ein Pfeil hinab und verschwand, wobei der Bug des Kahns gerade noch soweit auftauchte, daß wir sehen konnten, was aus ihm geworden war. Ich traf einige Jahre nachher einen Mohawk, der unten vom Bett des Stromes aus die ganze Szene mit angesehen hatte, und er sagte mir, daß der Delaware mit Rudern in der Luft fortgemacht habe, bis er ihm in dem Wasserstaub der Fälle aus dem Gesicht entschwunden sei.«

»Und was wurde aus dem armen Unglücklichen?« fragte Mabel, die an der kunstlosen Beredsamkeit des Sprechers warmen Anteil genommen hatte.

»Er ging ohne Zweifel in die glücklichen Jagdgründe seines Volkes; denn obgleich er sich hier als ein Wagehals und Großtuer erwies, so war er doch auch gerecht und tapfer. Ja, er starb in der Torheit dahin, aber der Manito der Rothäute hat Mitleid mit seinen Geschöpfen, so gut wie der Gott der Christen.«

In diesem Augenblick wurde eine Kanone von dem Blockhaus in der Nähe des Forts abgefeuert, und die Kugel, die gerade keine von den schweren war, pfiff über den Mast des Kutters hin – eine Mahnung, sich nicht näher heranzuwagen. Jasper stand am Steuer und hielt zu gleicher Zeit lächelnd ab, als ob ihn die Roheit dieser Begrüßung wenig kümmere. Der Scud war nun in der Strömung, und eine Drehung nach außen brachte ihn bald genug soweit leewärts, daß von einer Wiederholung des Schusses keine Gefahr zu befürchten stand, worauf er dann ruhig seinen Kurs längs des Ufers fortsetzte. Als der Strom offen vor ihren Augen lag, überzeugte sich Jasper, daß sich der Montcalm nicht darin vor Anker befand, und ein Mann, der nach dem Topp hinaufgeschickt wurde, kam mit der Nachricht zurück, daß sich am ganzen Horizont kein Segel blicken lasse. Man hatte nun gute Hoffnung, daß Jaspers Kunstgriff geglückt sei und daß sie der französische Befehlshaber verfehlt habe, als er bei seinem Vorwärtssteuern auf die Mitte des Sees abhielt.

Den ganzen Tag hing der Wind gegen Süden hin, und der Kutter setzte seinen Kurs ungefähr eine Stunde vom Lande in vollkommen glattem Wasser fort, wobei er sechs oder acht Knoten in der Stunde segelte.

Obgleich die Gegend ziemlich einförmig war und nur aus einem ununterbrochenen Wäldersaum an dem Wasser bestand, so gewährte sie doch einiges Vergnügen. Man kam an vielen Vorgebirgen vorbei, wobei der Kutter durch Buchten segelte, die sich so tief ins Land hineinstreckten, daß man sie wohl Golfe nennen konnte; aber nirgends traf das Auge die Spuren der Zivilisation. Hin und wieder gaben Flüsse, deren Zug man meilenweit in das Land hinein nach den Umrissen der Bäume verfolgen konnte, ihren Zoll an das große Becken des Sees ab, und selbst die weiten Buchten, die von Wäldern umzogen waren und mit dem Ontario nur durch schmale Straßen in Verbindung standen, kamen und verschwanden, ohne nur eine Spur menschlicher Ansiedlung zu zeigen.

Unter allen am Bord blickte Pfadfinder mit dem ungeteiltesten Vergnügen auf dieses Schauspiel. Seine Augen hafteten an der endlosen Linie von Wäldern, und obwohl er sich in Mabels Nähe so wohl fühlte, wenn er dem Klang ihrer lieblichen Stimme zuhörte und ihr heiteres Lachen in seiner Seele widertönen ließ, sehnte sich sein Herz doch mehr als einmal an diesem Tage, unter jenen hohen Bogen der Ahornbäume, der Eichen und Linden zu wandern, wo er seinen früheren Gewohnheiten gemäß allein ein dauerndes und wahres Vergnügen hoffen konnte. Cap betrachtete diesen Anblick mit anderen Augen. Mehr als einmal drückte er sein Unbehagen aus, daß man hier keine Leuchttürme, Kirchtürme, Feuerwarten oder Reeden mit ihren Schiffen zu Gesicht bekomme. Er versicherte, daß auf der ganzen Welt keine derartige Küste mehr zu finden sei, und beteuerte alles Ernstes gegen den Sergeanten, den er beiseite nahm, daß aus dieser Gegend nie was werden könne, weil die Häfen vernachlässigt seien, die Flüsse verlassen und nutzlos aussehen, und selbst der Wind einen Waldgeruch mit sich führe, der nicht zugunsten seiner Eigenschaften spreche.

Aber die Launen der verschiedenen Passagiere hielten den Scud nicht in seinem Lauf auf. Als die Sonne sank, war er bereits hundert Meilen auf dem Wege nach dem Oswego, wo der Sergeant sich verpflichtet hielt, einzulaufen, um etwaige weitere Mitteilung von Major Duncan einzuholen. Infolgedessen fuhr Jasper fort, sich die ganze Nacht über am Ufer zu halten, und obgleich der Wind gegen Morgen nachzulassen begann, so hielt er doch noch so lange an, daß man den Kutter an einen Punkt bringen konnte, der, wie sie wußten, nur ein paar Stunden von dem Fort entfernt war. Hier blies der Wind leicht aus Norden, und der Scud wurde ein wenig vom Lande gehalten, um genug offene See zu gewinnen, wenn der Wind stärker blasen oder nach Osten umspringen sollte.

Mit der Morgendämmerung hatte der Kutter die Mündung des Oswego in der Entfernung von etwa zwei Meilen gut unter seinem Lee, und als eben vom Fort aus die Morgensalve abgefeuert wurde, gab Jasper Befehl, die Schoten abzuschacken und sich dem Hafen zu nähern. In diesem Augenblick lenkte ein Schrei von der Back aus aller Augen auf einen Punkt an der Ostseite des Ausflusses, und dort, gerade außer der Schußweite des leichten Geschützes auf den Werken, lag mit so weit eingezogenen Segeln, um sich an der Stelle zu halten, der Montcalm, augenscheinlich ihre Ankunft erwartend.

Es war unmöglich, daran vorbeizukommen, denn mit gefüllten Segeln konnte das französische Schiff den Scud in wenigen Minuten einholen, und die Umstände forderten einen schnellen Entschluß. Nach einer kurzen Beratung änderte der Sergeant wieder seinen Plan und beschloß nun, so schnell wie möglich gegen die Station steuern zu lassen, wohin der Scud ursprünglich bestimmt war, wobei er hoffte, sein schnelles Fahrzeug werde den Feind so weit im Rücken lassen, daß er über ihre Bewegungen keinen Aufschluß bekäme.

Der Kutter wurde also ohne Verzug windwärts gehalten, und alles beigesetzt, was zur Beschleunigung seines Laufes dienen konnte. Auf dem Fort wurden Kanonen gelöst, Flaggen ausgesteckt, und die Wälle wimmelten wieder von Menschen – Lundie konnte jedoch seiner Partei statt aller Unterstützung nur seine Teilnahme bieten. Auch der Montcalm feuerte höhnend vier bis fünf Kanonen ab, zog einige französische Flaggen auf und begann bald unter einer Wolke von Segeln seine Jagd.

Einige Stunden drängten sich die beiden Fahrzeuge so schnell wie möglich durch das Wasser und machten gegen den Wind kurze Streckungen, augenscheinlich in der Absicht, den Hafen unter dem Lee zu behalten, das eine, um womöglich in ihn einzulaufen, das andere, um den Feind bei diesem Versuch abzufangen.

Um Mittag befand sich der Rumpf des französischen Schiffes tot leewärts, denn die Ungleichheit des Segelns im Winde war sehr groß; auch lagen einige Inseln in der Nähe, hinter denen nach Jaspers Aussage der Kutter seine weiteren Bewegungen wahrscheinlich verbergen konnte. Obgleich Cap, der Sergeant und insbesondere Leutnant Muir, ihren Reden zufolge, noch einen starken Verdacht gegen den jungen Mann fühlten und Frontenac nicht fern war, so wurde doch sein Rat angenommen, denn die Zeit drängte, und der Quartiermeister bemerkte klugerweise, daß Jasper seinen Verrat nicht vollführen könne, ohne offen in den feindlichen Hafen einzulaufen, ein Schritt, dem sie jederzeit zuvorkommen könnten, zumal der einzige bedeutende Kreuzer der Franzosen im gegenwärtigen Augenblick unter ihrem Lee liege und nicht in der Lage sei, ihnen einen unmittelbaren Nachteil zuzufügen.

Da nun Jasper sich selbst überlassen war, zeigte er bald, was er wirklich zu leisten vermochte. Er segelte luvwärts um die Inseln, ging an ihnen vorbei und hielt, als er wieder herauskam, breit ab, so daß hinter ihrem Kielwasser und in ihrem Lee nichts die Aussicht hinderte. Beim Niedergang der Sonne war der Kutter wieder vor der ersten der Inseln, die am Ausgangspunkt des Sees liegen, und ehe es dunkel wurde, segelte er durch die schmalen Kanäle, die zu der langgesuchten Station führten. Um neun Uhr verlangte jedoch Cap, daß man Anker werfe, denn die Irrgänge der Inseln wurden so verwickelt und undeutlich, daß er bei jeder Öffnung fürchtete, die Gesellschaft möchte, ehe sie sich’s versehe, unter den Kanonen eines französischen Forts liegen. Jasper gab gerne seine Einwilligung, da es teilweise zu seiner Dienstvorschrift gehörte, der Station sich nur unter Umständen zu nähern, die verhinderten, daß die Mannschaft eine genaue Kenntnis von ihrer Lage erhielt, damit nicht etwa ein Deserteur die kleine Garnison dem Feind verraten möchte.

Der Scud wurde in eine kleine, etwas abgelegene Bai gebracht, wo er selbst am Tage nur schwer aufzufinden gewesen wäre und also die Nacht über vollständig gesichert war, obschon sich alles zur Ruhe begab mit Ausnahme einer einzelnen Schildwache auf dem Verdeck. Cap war durch die Anstrengung der letzten achtundvierzig Stunden so abgemattet, daß er in einen langen und tiefen Schlaf fiel und erst mit dem Grauen des Tages wieder erwachte. Er hatte jedoch seine Augen kaum geöffnet, als ihm sein seemännischer Instinkt zu erkennen gab, daß das Fahrzeug sich wieder durch die Inseln wand, ohne daß jemand anders als Jasper und der Pilot auf dem Verdeck war, die Schildwache ausgenommen, die nicht das Mindeste gegen diese Bewegungen einzuwenden hatte, da sie allen Grund zu haben glaubte, sie für ebenso regelmäßig wie notwendig zu halten.

»Was soll das, Meister Western?« fragte Cap mit Heftigkeit, »Wollt Ihr uns endlich nach Frontenac hinüberbringen, während wir alle unten schlafen wie andere Seeleute, die auf den Ruf der Schildwache warten?«

»Mein Befehl lautet so, Meister Cap. Major Duncan hat befohlen, ich solle mich der Station nie anders nähern, als wenn die Mannschaft im unteren Raum ist, denn er wünscht nicht, daß es mehr Lotsen in diesem Wasser gebe, als der König braucht.«

»Hu – hu –! ein sauberes Geschäft, wenn ich da unter diesen Büschen und Felsen mit nur einem Mann auf dem Verdeck hätte hinunterfahren sollen. Der beste Yorker Matrose wüßte nichts aus einem solchen Kanal zu machen.«

»Ich hab‘ immer gedacht, Herr«, sagte Jasper lächelnd, »Ihr hättet besser getan, den Kutter so lange meinen Händen zu überlassen, bis er glücklich an den Ort seiner Bestimmung gelangt wäre.«

»Wir würden es getan haben, Jasper, wenn nicht ein Indiz eingetreten wäre. Solche Indizien oder Umstände sind gar ernsthafter Natur, und kein vernünftiger Mann wird darüber wegsehen.«

»Nun, Herr! ich hoffe, es hat jetzt ein Ende damit. Wir haben nicht ganz mehr eine Stunde zu fahren, wenn der Wind so fortmacht, und dann werdet Ihr gegen alle nur erdenklichen Umstände gesichert sein.«

»Hm!«

Cap mußte sich beruhigen, und da alles um ihn her das Ansehen hatte, als ob es Jasper ehrlich meine, so gab er sich um so leichter darein. Es wäre auch für den empfindlichsten Indizienwitterer schwer gewesen, sich einzubilden, daß der Scud sich in der Nachbarschaft eines so lange bestehenden und an der Grenze so wohlbekannten Hafens wie Frontenac befinde. Die Inseln waren wohl nicht gerade buchstäblich tausend an der Zahl, aber immerhin doch so viele und unbedeutende, unter denen sich freilich hin und wieder eine von größerem Umfang befand, daß man nicht an ein Zählen denken durfte. Jasper hatte den sogenannten Hauptkanal verlassen und wand sich unter einem guten, steifen Wind und günstiger Strömung durch die Pässe, die bisweilen so eng wurden, daß der Raum kaum hinreichte, um die Spieren des Scud klar vor den Bäumen vorbeizubringen, während er ein andermal durch kleine Buchten schoß und sich dann wieder zwischen Felsen, Wäldern und Büschen verlor. Das Wasser war so durchsichtig, daß man keines Senkbleis bedurfte, und da es so ziemlich eine gleiche Tiefe hatte, so konnte man ohne besondere Gefahr durchzukommen, obgleich der an das Meer gewöhnte Cap wegen des Anstoßens beständig in Fieberangst lag.

»Ich geb’s auf, ich geb’s auf, Pfadfinder!« rief der alte Seemann endlich, als das kleine Fahrzeug aus dem zwanzigsten dieser schmalen Durchlässe glücklich auftauchte, durch die es mit so viel Kühnheit geführt worden war. »Das heißt der Natur der Seemannskunst Trotz bieten, und alle ihre Gesetze und Regeln zum Teufel schicken.«

»Nein, nein, Salzwasser! Das ist die Vollendung der Kunst. Ihr seht, daß Jasper nie strauchelt, sondern wie ein Hund mit guter Nase, den Kopf aufrecht, dahinschießt, als ob er alles durch den Geruch erkenne. Ich setze mein Leben zum Pfand, daß uns der Junge zuletzt an den rechten Ort bringt, wie er’s auch schon von Anfang an getan haben würde, wenn man ihn hätte machen lassen.«

»Kein Lotse, kein Senkblei, keine Baken, keine Bojen, keine Leuchttürme, keine –«

»Fährte«, unterbrach ihn Pfadfinder; »denn das ist für mich das Wunderbarste bei der ganzen Sache, und doch geht Jasper hier so kühn vorwärts, als hätte er die Abdrücke der Mokassins auf den Blättern so deutlich vor Augen, wie wir die Sonne am Himmel sehen können.«

»Gott verdamm mich, wenn ich glaube, daß überhaupt nur ein Kompaß da ist.«

»Legt bei, um den Klüver niederzuhalten«, rief Jasper, der zu den Bemerkungen seines Kunstverwandten nur lächelte. »Halt nieder – das Steuer an Backbord – hart Backbord – so – recht so – langsam dahinten mit dem Steuer – leicht angedrückt – jetzt schnell ans Land, Junge – nein, aufwärts; da sind einige von unseren Leuten, die es aufnehmen können.«

Alles dies ging mit einer Geschwindigkeit vor sich, daß die Zuschauer kaum Zeit hatten, die verschiedenen Schwenkungen zu bemerken, bis der Scud in den Wind geworfen war und das große Segel killte; dann fiel er unter Beihilfe des Ruders ein wenig ab und legte sich der Länge nach an eine natürliche Felsenkaje, wo er alsbald durch gute, ans Ufer laufende Taue befestigt wurde. Mit einem Wort, die Station war erreicht, und die Soldaten des Fünfundfünfzigsten wurden von den auf sie harrenden Kameraden mit der Freude begrüßt, die eine Ablösung gewöhnlich mit sich bringt.

Mabel sprang mit einem Entzücken, dem sie unbekümmert den Lauf ließ, ans Ufer, und ihr Vater hieß seine Leute mit einer Freudigkeit folgen, die deutlich zeigte, wie müde er des Kutters geworden war. Die Station, denn so wurde dieser Ort gewöhnlich von den Soldaten des fünfundfünfzigsten Regiments genannt, war auch wirklich geeignet, freudige Hoffnungen bei Leuten zu erregen, die so lange in einem Fahrzeug von dem Umfang des Scud eingesperrt gewesen waren. Keine der Inseln war hoch, obgleich alle weit genug aus dem Wasser hervorragten, um vollkommen gesund und sicher zu sein. Jede hatte mehr oder weniger Bäume, die größere Zahl war aber in jenen Zeiten noch mit Urwald bedeckt. Die von den Truppen für ihren Zweck ausgewählte war klein (sie umfaßte ungefähr zwanzig Morgen Land), und durch irgendeinen Zufall der Wildnis vielleicht schon Jahrhunderte vor dem Zeitraum unserer Erzählung teilweise ihrer Bäume beraubt worden, so daß beinahe die Hälfte der Insel aus Grasgrund bestand. Nach der Vermutung des Offiziers, der diese Stelle für einen militärischen Posten ausgesucht, hatte eine sprudelnde Quelle in der Nähe früher die Aufmerksamkeit der Indianer auf sich gezogen, die bei Gelegenheit ihrer Jagden und des Lachsfanges die Insel häufig besuchten, ein Umstand, durch den der Nachwuchs niedergehalten und den Gräsern Zeit gelassen wurde, sich einzuwurzeln und die Herrschaft über den Boden zu gewinnen. Mochte übrigens die Ursache sein, welche sie wollte, die Wirkung war, daß diese Insel ein weit schöneres Aussehen als die meisten benachbarten hatte und gewissermaßen ein Gepräge von Zivilisation trug, das man damals in diesen ausgedehnten Gegenden so sehr vermißte.

Die Ufer der Stationsinsel waren ganz von Gebüsch umfaßt, und man hatte Sorge getragen, es zu erhalten, da es dem Zwecke einer Deckung entsprach, die Personen und Gegenstände im Inneren verbarg. Durch diesen Schutz sowohl als auch durch mehrere Baumdickichte und verschiedenes Unterholz begünstigt, hatte man sechs oder acht niedrige Hütten errichtet, die dem Offizier und seiner Mannschaft als Wohnungen dienten und zur Aufbewahrung der Küchen-, Spital- und anderen Vorräte benützt wurden. Diese Hütten waren wie gewöhnlich aus Baumstämmen gebaut und mit Rinde bedeckt, wozu das Material von abgelegeneren Orten beigeführt worden war, damit die Spuren menschlicher Arbeit nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten; und da sie nur einige Monate bewohnt gewesen, waren sie so behaglich, wie derartige Wohnungen nur immer sein konnten.

Am östlichen Ende der Insel befand sich eine dichtbewaldete Halbinsel mit so verwachsenem Unterholz, daß man, solange die Blätter an den Zweigen waren, nicht durchzusehen vermochte. In der Nähe des schmalen Streifens, der dieses Gehölz mit der übrigen Insel verband, lag ein kleines Blockhaus, das einigermaßen in wehrhaften Zustand versetzt worden war. Die Stämme waren schußfest, vierkantig und mit einer Sorgfalt zusammengefügt, daß kein Punkt unbeschützt blieb. Die Fenster hatten die Gestalt von Schießscharten; die Tür war klein und schwer, und das Dach wie der übrige Teil des Gebäudes aus behauenem Stammholz, das man mit Rinde bedeckt hatte, um den Regen abzuhalten. Der untere Raum enthielt wie gewöhnlich die Vorräte und Lebensmittel, von denen die Mannschaft den Abgang ihres Bedarfs ersetzte; der zweite Stock diente zugleich als Wohnung und Zitadelle, und das niedrige oberste Gelaß war in Dachkämmerchen abgeteilt, in denen für zehn oder fünfzehn Personen Lager aufgeschlagen werden konnten. Alle diese Einrichtungen waren außerordentlich einfach; aber sie reichten hin, die Soldaten gegen die Wirkungen eines unerwarteten Überfalls zu schützen. Da das ganze Gebäude noch lange nicht die Höhe von vierzig Fuß hatte, so war es bis zum Giebel durch die Wipfel der Bäume bedeckt und konnte nur vom Inneren der Insel aus gesehen werden; ebenso bot sich in dieser Richtung von den oberen Schießscharten eine freie Aussicht dar, obgleich auch hier mehr oder weniger Gebüsch vorhanden war, das die unteren Teile des hölzernen Turmes verbarg.

Da man bei Errichtung dieses Blockhauses nur die Verteidigung im Auge gehabt hatte, war dafür gesorgt worden, daß es nahe genug bei einer Aushöhlung des Tuffgesteins erbaut wurde, das die obere feste Schicht der Insel ausmachte, damit man sich aus dieser Zisterne für den Fall einer Belagerung das Wasser als wesentlichstes Bedürfnis durch Herablassen von Schöpfeimern verschaffen konnte. Um dieses Geschäft zu erleichtern und die Basis des Gebäudes von oben bestreichen zu können, sprangen die oberen Stockwerke, wie es bei Blockhäusern gewöhnlich ist, um mehrere Fuß über die unteren vor, wobei in die hervorragenden Balkenlagen Öffnungen gehauen waren, die die Dienste von Schießlöchern und Falltüren verrichten konnten, gewöhnlich aber mit Holzstücken bedeckt wurden. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Stockwerken wurde durch Leitern vermittelt. Natürlich diente auch dies Blockhaus, wie alle in den Garnisonen und Ansiedlungen, für den Fall eines Angriffs als Zitadelle, in die man sich zurückziehen konnte.

Den größten Vorteil für eine militärische Besatzung gewährte jedoch die Lage der Insel. Es war nicht leicht, sie mitten aus zwanzig anderen herauszufinden, zumal Fahrzeuge ganz nahe vorbeikommen konnten, ohne daß man die Insel nach den Blicken, die die offenen Stellen zuließen, für etwas mehr als für ein Stück von einer anderen gehalten hätte. Und wirklich waren auch die Kanäle zwischen den benachbarten Inseln so schmal, daß es, selbst wenn man zur genauen Ermittlung der Wahrheit einen Standort im Mittelpunkt derselben gewählt hätte, schwer gewesen wäre zu sagen, welche Teile des Landes verbunden und welche getrennt seien. Besonders war die kleine Bucht, deren sich Jasper als eines Hafens bediente, so von Gebüsch überwölbt und von Inseln eingeschlossen, daß selbst das Schiffsvolk des Kutters, als einmal gelegentlich seine Segel niedergelassen waren, nach der Rückkehr von einem kurzen Fischzug den Scud in den benachbarten Kanälen vier Stunden lang suchen mußte. Kurz, der Ort war wunderbar geeignet für seine gegenwärtigen Zwecke, wobei noch die natürlichen Vorteile mit so viel Scharfsinn verbessert worden waren, wie Sparsamkeit und die beschränkten Mittel eines Grenzpostens nur immer gestatten mochten.

Die Stunde, die der Ankunft des Scud folgte, war voll heftiger Aufregung. Die Mannschaft, die bisher im Besitz des Postens war, hatte nichts Bemerkenswertes ausgerichtet und sehnte sich, ihrer Abgeschlossenheit müde, nach Oswego zurück. Der Sergeant und der abzulösende Offizier waren kaum mit den unbedeutenden Förmlichkeiten der Übergabe zu Ende, als letzterer mit seiner ganzen Mannschaft an den Bord des Scud eilte, worauf Jasper, der wohl gerne einen Tag auf dieser Insel zugebracht hätte, die Weisung erhielt, unter Segel zu gehen, da der Wind eine rasche Fahrt stromaufwärts und über den See in Aussicht stellte. Vor der Abreise hielten jedoch Leutnant Muir, Cap und der Sergeant mit dem abgelösten Fähnrich eine geheime Besprechung, in der dem letzteren der Verdacht mitgeteilt wurde, der sich gegen die Treue des jungen Schiffers erhoben hatte. Der Offizier versprach gehörige Vorsicht, schiffte sich ein, und in weniger als drei Stunden nach seiner Ankunft war der Kutter wieder in Bewegung.

Mabel hatte von einer der Hütten Besitz genommen und traf mit weiblicher Gewandtheit und Fertigkeit nicht nur für ihre eigene, sondern auch für ihres Vaters Bequemlichkeit die Anordnungen, die die Umstände zuließen. Zur Erleichterung der Mühe wurde in einer benachbarten Hütte eigens ein Speisetisch für die ganze Mannschaft errichtet, den die Soldatenfrau beschickte. Die Wohnung des Sergeanten, die beste auf der ganzen Insel, blieb also von den gewöhnlichen Obliegenheiten der Haushaltung befreit, und Mabel konnte daher so sehr ihrem eigenen Geschmack die Zügel lassen, daß sie das erste Mal seit ihrer Ankunft an der Grenze mit einem gewissen Stolz auf ihre häusliche Einrichtung blickte. Sobald sie sich dieser wichtigen Pflichten entledigt hatte, streifte sie auf der Insel umher und schlug einen Pfad ein, der durch einen schönen Baumgang zu der einzigen Stelle führte, die nicht mit Gebüsch bedeckt war. Hier stand sie, den Blick auf das durchsichtige Wasser gerichtet, das mit einer fast unbewegten Fläche zu ihren Füßen lag, und sann über die Neuheit der Lage nach, in die sie versetzt war. Eine freudige und tiefe Erregung überflog ihre Seele, als sie sich der Szenen erinnerte, die sie erst jüngst durchlebt hatte, und sich in Vermutungen über jene erging, die noch im Schoß der Zukunft schlummerten.

»Sie sind ein schönes Geschöpf an einer schönen Stelle, Miss Mabel«, sagte David Muir, der plötzlich an ihrer Seite erschien, »und ich möchte nicht darauf wetten, daß Sie nicht das Anmutigste von beiden sind.«

»Ich will nicht sagen, Herr Muir, daß Komplimente, die mir gelten, so ganz unwillkommen seien, denn man würde mir vielleicht doch keinen Glauben schenken«, antwortete Mabel; »aber ich möchte Ihnen –«

»Ach Ihr Geist, schöne Mabel, ist so blank wie der Lauf einer Soldatenmuskete, und Ihre Unterhaltung ist nur zu klug und weise für einen armen Teufel, der seit vier Jahren hier oben an den Grenzen Birkenzweige kaut. – Aber ich denke, es tut Ihnen nicht leid, mein Fräulein, daß Sie Ihren schönen Fuß wieder mal auf festen Boden setzen können?«

»Es scheint mir so, seit zwei Stunden, Herr Muir; aber der Scud sieht, wie er da durch diese Öffnungen der Bäume segelt, so hübsch aus, daß ich beinahe bedauern möchte, nicht mehr zu seinen Passagieren zu gehören.«

Mabel hörte auf zu sprechen und schwenkte ihr Taschentuch, um den Gruß Jaspers zu erwidern, der mit unverwandten Augen nach ihr zurückblickte, bis die weißen Segel des Kutters um eine Spitze bogen, in deren grünem Blättersaum sie sich beinahe ganz verloren.

»Da gehen sie hin, und ich will nicht sagen, Freude möge sie geleiten; aber möchten sie doch glücklich wieder zurückkommen, denn ohne sie wären wir in Gefahr, den Winter auf dieser Insel zubringen zu müssen, wenn uns statt dessen nicht ein Aufenthalt im Schloß zu Quebec blüht. Jener Jasper Eau-douce ist eine Art Landstreicher, und es gehen in der Garnison Gerüchte über ihn, die ich nicht ohne Herzeleid hören kann. Ihr würdiger Vater und Ihr fast ebenso würdiger Onkel haben nicht die beste Meinung von ihm.«

»Es tut mir leid, so was zu hören, Herr Muir; doch zweifle ich nicht, daß die Zeit alles Mißtrauen beseitigen wird.«

»Wenn die Zeit nur das meinige beseitigen würde«, erwiderte der Quartiermeister mit einschmeichelndem Ton, »so wollt‘ ich keinen General beneiden. Ich glaube, wenn ich in der Lage wäre, mich vom Dienst zurückziehen zu können, so würde der Sergeant in meine Schuhe treten.«

»Wenn mein Vater würdig ist, in Ihre Schuhe zu treten, Herr Muir«, erwiderte das Mädchen mit boshaftem Mutwillen, »so bin ich überzeugt, daß die Befähigungen umgekehrt und Sie in jeder Hinsicht würdig sind, in die seinigen zu treten.«

»Der Teufel steckt in dem Mädchen! – Sie wollen mich doch nicht zu dem Rang eines Unteroffiziers degradieren, Mabel?«

»Gewiß nicht, Herr! denn ich habe gar nicht an die Armee gedacht, als Sie von Ihrem Rückzug sprachen. Meine Gedanken waren selbstsüchtiger, und es schwebte mir gerade vor, wie sehr Sie mich durch Ihre Erfahrung und Ihre Klugheit an meinen lieben Vater erinnern und wie sehr Sie geeignet wären, seinen Platz in einer Familie einzunehmen.«

»Als ein Bräutigam, schöne Mabel, aber nicht als Vater oder natürliches Haupt. Ich sehe, wie es mit Ihnen steht, und liebe Ihre schnellen und witzsprühenden Erwiderungen. Ich liebe den Geist bei jungen Frauenzimmern, wenn es nur nicht der Geist des Zankes ist. – Dieser Pfadfinder ist ein außerordentlicher Mann, Mabel, wenn man die Wahrheit von ihm sagen will.«

»Man muß die Wahrheit oder gar nichts von ihm sagen. Pfadfinder ist mein Freund – ein mir sehr werter Freund, Herr Muir, und man darf ihm in meiner Gegenwart nie etwas Übles nachreden, ohne daß ich widerspreche.«

»Ich versichere Ihnen, Mabel, daß ich ihm nichts Übles nachreden will; aber zu gleicher Zeit muß ich doch bezweifeln, ob sich viel Gutes zu seinen Gunsten sagen läßt.«

»Er weiß wenigstens mit der Büchse gut umzugehen«, erwiderte Mabel lächelnd; »das werden Sie doch nicht in Abrede stellen?«

»Was seine Taten in dieser Beziehung anbetrifft, so mögen Sie ihn so hoch stellen, wie Ihnen beliebt; aber er ist so ungebildet wie ein Mohawk.«

»Er versteht vielleicht nichts von dem Lateinischen; aber die Sprache der Irokesen kennt er besser als die meisten Weißen, und diese ist jedenfalls in unserem Erdwinkel die nützlichere von beiden.«

»Wenn Lundie selbst mich aufforderte, ihm zu sagen, ob ich Ihre Person oder Ihren Witz mehr bewundere, meine schöne, spöttische Mabel, so wüßt‘ ich nicht, was ich antworten sollte. Meine Bewunderung ist so sehr zwischen beiden geteilt, daß ich bald der einen, bald dem anderen die Palme zuerkennen muß. Ach, die verstorbene Mistress Muir war auch ein solches Musterbild.«

»Sie sprechen von der zuletzt verstorbenen Mistress Muir, Herr?« fragte Mabel mit einem unschuldigen Blick auf ihren Gefährten.

»Ach, das ist eine von Pfadfinders Lästerungen. Gewiß hat der Bursch es versucht, Sie zu überzeugen, daß ich schon mehr als einmal verheiratet gewesen sei?«

»In diesem Fall wäre seine Mühe vergebens gewesen, Herr; denn jedermann weiß, daß Sie das Unglück hatten, schon vier Frauen zu verlieren.«

»Nur drei, so wahr mein Name David Muir ist. Die vierte ist reiner Skandal oder vielmehr noch in petto, wie man in Rom sagt, schöne Mabel.«

»Nun, ich bin froh, daß ich nicht diese vierte Person in petto bin, denn es wäre mir nicht angenehm, ein Skandal zu sein.«

»Haben Sie deshalb keine Furcht, meine bezaubernde Mabel, denn wenn Sie die vierte sind, werden alle anderen vergessen sein, und Ihre wundervollen Reize und Verdienste würden Sie auf einmal zur ersten erheben. Sie dürfen nicht fürchten, in irgend etwas die vierte zu sein.«

»Es liegt ein Trost in dieser Versicherung, Herr Muir«, sagte Mabel lachend, »was es auch sonst mit den anderen Versicherungen für eine Bewandtnis haben mag; denn ich gestehe, daß ich lieber eine Schönheit des vierten Ranges, als die vierte Frau eines Mannes sein möchte.«

Mit diesen Worten entfernte sie sich und überließ es dem Quartiermeister, über seinen Erfolg nachzudenken.

Mabel war zu einer so freimütigen Benützung ihrer weiblichen Verteidigungsmittel veranlaßt worden – erstens, weil sich ihr Verehrer in der letzten Zeit auf eine Weise benommen hatte, daß sie die Notwendigkeit einer runden und ernstlichen Abfertigung fühlte, und dann durch seine Sticheleien gegen Jasper und den Pfadfinder. Obgleich raschen Geistes, war sie von Natur nicht vorlaut, und nur bei der gegenwärtigen Gelegenheit hielt sie sich durch die Umstände zu einer mehr als gewöhnlichen Entschiedenheit aufgefordert. Als sie daher ihren Gesellschafter verlassen hatte, hoffte sie, endlich der Aufmerksamkeiten enthoben zu sein, die ihr ebenso übel angebracht schienen, wie sie ihr unangenehm waren.

David Muir aber dachte anders. An Körbe gewöhnt und in der Tugend der Beharrlichkeit geübt, sah er keinen Grund, zu verzweifeln, obgleich die halbdrohende, halbzufriedene Weise, mit der er bei dem Rückzug des Mädchens mit dem Kopfe nickte, ebenso unheilvolle wie entschiedene Entwürfe verraten mochte. Während er so mit sich selbst zu Rate ging, näherte sich der Pfadfinder und kam unbemerkt bis auf einige Fuß auf ihn zu.

»’s wird nicht gelingen, Quartiermeister, ’s wird nicht gelingen«, begann letzterer mit seinem tonlosen Lachen; »sie ist jung und lebhaft, und nur ein rascher Fuß kann sie einholen. Man sagt mir, Sie seien ihr Anbeter, obgleich Sie ihr nicht nachgehen.«

»Und ich höre dasselbe von Euch, Mann, obgleich die Anmaßung so stark wäre, daß ich sie kaum für wahr halten kann.«

»Ich fürchte, Sie haben recht; ja, ja – ich fürchte, Sie haben recht: Wenn ich überlege, was ich bin, wie wenig ich weiß und wie rauh mein Leben gewesen ist, so hab‘ ich ein geringes Vertrauen auf meine Ansprüche, nur einen Augenblick an ein so gut erzogenes, heiteres und zartes Mädchen denken zu dürfen.«

»Ihr vergeßt das ›schön‹«, unterbrach ihn Muir auf eine etwas barsche Weise.

»Ja, schön ist sie auch, fürcht‘ ich«, erwiderte der bescheidene und anspruchslose Kundschafter. »Ich hätte die Schönheit bei ihren übrigen Eigenschaften mit berühren sollen; denn das junge Reh, das eben erst hüpfen lernt, hat in den Augen eines Jägers nicht mehr Anmut, als Mabel in den meinigen. Ich fürchte, bei Gott! daß alle Gedanken an sie, die ich hege, eitel und anmaßend sind.«

»Wenn Ihr vielleicht aus natürlicher Bescheidenheit das von Euch selbst glaubt, mein Freund, so halt‘ ich es für meine Pflicht, um unserer alten Kameradschaft willen Euch zu sagen –«

»Quartiermeister«, unterbrach ihn der andere mit einem durchdringenden Blick, »Sie und ich haben lange miteinander hinter den Wällen des Forts gelebt, aber sehr wenig draußen in den Wäldern oder im Angesichte des Feindes.«

»Garnison oder Zelt – beides gilt, wie Ihr wißt, Pfadfinder, für einen Teil des Feldzuges. Zudem fordert mein Beruf, daß ich mich mehr in der Nähe der Magazine aufhalte, obschon dies ganz gegen meine Neigung ist, wie Ihr wohl denken könnt, da Ihr selber die Glut des Kampfes in Euern Adern fühlt. Aber wenn Ihr gehört hättet, was Mabel eben von Euch sagte, so würdet Ihr keinen Augenblick mehr daran denken, Euch dieser über jeden Vergleich vorlauten und widerspenstigen Dirne angenehm machen zu wollen.«

Pfadfinder blickte den Leutnant mit Ernst an, denn es war unmöglich, daß er nicht ein Interesse an Mabels Äußerungen hätte fühlen sollen; aber er hatte zuviel angeborene Zartheit und wahren Takt, um zu fragen, was andere von ihm sagten. Muir war jedoch durch diese Selbstverleugnung und Selbstachtung nicht zu überwältigen, denn da er es mit einem Mann von großer Wahrheitsliebe und Einfalt zu tun zu haben glaubte, so beschloß er, auf seine Leichtgläubigkeit einzuwirken und auf diese Weise sich von seinem Nebenbuhler zu befreien. Er verfolgte daher den Gegenstand, sobald er merkte, daß die Selbstverleugnung seines Gefährten stärker sei als seine Neugier.

»Ihr müßt ihre Ansicht erfahren, Pfadfinder«, fuhr er fort, »und ich glaube, jedermann sollte hören, was seine Freunde und Bekannten von ihm sagen. Ich will’s Euch daher, um Euch meine Achtung gegen Euren Charakter und Eure Gefühle zu beweisen, in ein paar Worten mitteilen. Ihr wißt, daß Mabel mit ihren Augen ein schlimmes und boshaftes Spiel treibt, wenn sie im Sinne hat, die Gefühle eines Mannes zu reizen.«

»Mir schienen ihre Augen immer gewinnend und sanft, Leutnant Muir, obgleich ich zugeben will, daß sie bisweilen lachen. Ja, ich hab‘ sie lachen sehen, und zwar recht herzlich und mit aufrichtigem Wohlwollen.«

»Schön, das war es aber gerade. Ihre Augen lachten, sozusagen aus aller Macht, und mitten in ihrem Mutwillen brach sie in einen Ausruf aus – ich hoffe, es wird doch Eure Empfindlichkeit nicht verletzen, Pfadfinder?«

»Ich will das nicht sagen, Quartiermeister; ich kann das nicht versprechen. Es liegt mir viel an Mabels Meinung von mir.«

»Dann werd‘ ich Euch nichts sagen, sondern die Sache für mich behalten. Und warum sollte auch jemand einem anderen erzählen, was seine Freunde über ihn sagen, zumal wenn was zu sagen ist, was nicht angenehm zu hören ist. Ich werde dem, was ich bereits mitteilte, kein Wort mehr hinzufügen.«

»Ich kann Sie nicht zum Reden zwingen, wenn Sie es nicht gern tun wollen, Quartiermeister, und vielleicht ist es besser für mich, Mabels Äußerungen nicht zu kennen, da Sie zu glauben scheinen, daß sie nicht zu meinen Gunsten seien. Ach! wenn wir sein könnten, was wir gern möchten, statt daß wir nur sind, was wir sind, so würde wohl ein großer Unterschied vorhanden sein in unseren Charakteren, unserem Wissen und in unserem äußeren Erscheinen. Wir können immer rauh, plump, unwissend und doch glücklich sein, wenn wir’s nur nicht wissen; aber es ist hart, unsere Gebrechen im stärksten Lichte sehen zu müssen, wenn wir gerade am wenigsten von ihnen hören möchten.«

»Das ist eben das Rationale an der Sache, wie die Franzosen sagen, und das sagte ich auch Mabel, als sie weglief und mich allein ließ. Ihr habt wohl gesehen, wie sie auf und davon ging, als Ihr Euch nähertet?«

»Das war leicht bemerklich«, sagte Pfadfinder mit einem schweren Atemzug und umfaßte seinen Büchsenlauf, als ob er seinen Finger in das Eisen graben wollte.

»Es war mehr als bemerklich – es war auffällig; das ist das rechte Wort, und man würde nach stundenlangem Suchen kein besseres im Wörterbuch finden. Ja, Ihr sollt es erfahren, Pfadfinder, denn ich kann Euch vernünftigerweise die Gunst nicht verweigern, es Euch wissen zu lassen. So hört denn – das ungezogene Ding hüpfte lieber auf diese Weise davon, als daß sie angehört hätte, was ich zu Eurer Rechtfertigung sagen wollte.«

»Und was hätten Sie über mich sagen können, Quartiermeister?«

»Ei, Ihr müßt mich verstehen, mein Freund; es hing von den Umständen ab, und ich konnte mich nicht unklugerweise in Allgemeinheiten einlassen, aber ich bereitete mich vor, dem Einzelnen sozusagen durch Einzelheiten zu begegnen. Wenn sie Euch für einen wilden Menschen, einen halben Indianer, für so eine Art Grenzgeschöpf hielt, so könnt‘ ich ihr, wie Ihr wißt, sagen, daß dies von dem wilden und halbindianischen Grenzleben herkomme, das Ihr führt, wodurch denn alle ihre Einwürfe auf einmal zum Schweigen gebracht worden wären, oder es hätte so eine Art Mißverständnis mit der Vorsehung stattfinden müssen.«

»Uhr Ihr habt ihr das wirklich gesagt, Quartiermeister?«

»Ich kann nicht gerade auf die Worte schwören, aber die Idee war vorherrschend in meiner Seele, wie Ihr Euch denken könnt. Das Mädchen war ungeduldig und wollte nicht die Hälfte von dem hören, was ich zu sagen hatte, sondern sprang fort, wie Ihr mit Euren eigenen Augen gesehen habt, Pfadfinder, als ob sie mit ihren Ansichten vollkommen im reinen sei und nichts mehr zu hören brauche. Ich fürchte, sie ist zu einem bestimmten Entschluß gekommen.«

»Ich fürchte das auch, Quartiermeister; und allem nach ist ihr Vater irriger Meinung. Ja, ja, der Sergeant ist in einem traurigen Irrtum befangen.«

»Nun, Mann! – was braucht Ihr da zu jammern und den guten Ruf, den Ihr Euch durch so viele mühevolle Jahre erworben habt, zuschanden zu machen. Nehmt Eure Büchse, die Ihr so gut zu brauchen wißt, auf die Schulter, und fort mit Euch in die Wälder; denn es lebt kein weibliches Geschöpf, das auch nur das Herzeleid einer Minute wert wäre, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Ich geb‘ Euch das Wort eines Mannes, der dieses Geschlecht kennt und zwei Weiber gehabt hat, daß die Weiber überhaupt eine Art Geschöpfe sind, die wir uns ganz anders vorstellen, als sie in der Tat sind. Nun, wenn Ihr Mabel demütigen wollt, so habt Ihr hier eine so herrliche Gelegenheit, wie sie ein zurückgewiesener Liebhaber nur immer wünschen kann.«

»Es wäre mein letzter Wunsch, Leutnant, Mabel zu demütigen.«

»Nun, Ihr werdet am Ende doch noch soweit kommen; denn es liegt in der menschlichen Natur, denen Unlust zu bereiten, die uns Unlust bereitet haben. Aber eine bessere Gelegenheit hat sich noch nie dargeboten, die Liebe Eurer Freunde zu gewinnen, als in dem gegenwärtigen Augenblick, und dies ist das sicherste Mittel, die Feinde so weit zu bringen, daß sie uns beneiden.«

»Quartiermeister, Mabel ist nicht meine Feindin, und wenn sie’s auch wäre, so würde ich doch zuletzt wünschen, ihr einen unangenehmen Augenblick zu verursachen.«

»Ihr sagt so, Pfadfinder, Ihr sagt so – und ich glaube auch, daß Ihr so denkt; aber Vernunft und Natur sind gegen Euch, wie Ihr zuletzt selbst noch finden werdet. Ihr kennt ja das Sprichwort: ›Liebst du mich, so liebst du auch all das Meinige‹, und das bedeutet rückwärts gelesen: ›Liebst du das Meinige nicht, so liebst du auch mich nicht.‹ Nun hört, was Ihr tun könnt. Ihr wißt, daß wir hier auf einem äußerst unsicheren Posten und sozusagen fast in dem Rachen des Löwen sind?«

»Sie verstehen unter dem Löwen die Franzosen und unter seinem Radien die Insel, Leutnant?«

»Nur bildlich, mein Freund; denn die Franzosen sind keine Löwen und dieses Eiland kein Rachen, wenn es sich uns nicht etwa als das Rachenbein oder der Kinnbacken eines Esels erweisen sollte, was ich sehr befürchte.«

Hier überließ sich der Quartiermeister einem höhnischen Lachen, das nicht gerade eine besondere Achtung und Bewunderung gegen die Klugheit seines Freundes Lundie ausdrückte, der diesen Ort für seine Operationen ausgewählt hatte.

»Der Ort ist so gut gewählt wie nur irgendeiner, auf den ich meinen Fuß gesetzt habe«, sagte Pfadfinder und blickte um sich, wie man ein Gemälde zu betrachten pflegt.

»Ich will das nicht in Abrede stellen. Lundie ist ein großer Krieger in einer kleinen Weise, und sein Vater war auf dieselbe Art ein großer Laird. Ich bin auf seinen Gütern geboren und folgte dem Major so lange, daß ich alles verehre, was er spricht und tut; das ist eben meine schwache Seite, wie Ihr wohl wißt, Pfadfinder. Nun schön, mögen die Leute diesen Posten für den eines Esels oder den eines Salomon halten, jedenfalls ist seine Lage eine sehr bedenkliche, wie man aus Lundies Vorsichtsmaßregeln und Einschärfungen deutlich erkennen kann. Es liegen auf diesen Tausendinseln und in den Wäldern Wilde, die nach dem Ort unseres Aufenthaltes spähen, wie Lundie aus sicheren Mitteilungen wohl weiß, und es wäre der größte Dienst, den Ihr dem Fünfundfünfzigsten zu leisten vermöchtet, wenn Ihr ihre Fährte auffinden und ihnen eine falsche Witterung beibringen könntet. Unglückseligerweise bildet sich Sergeant Dunham ein, daß die Gefahr stromaufwärts zu befürchten sei, weil Frontenac über uns liegt, indes uns doch die Erfahrung lehrt, daß die Indianer stets von einer Seite kommen, die am meisten mit einer vernünftigen Berechnung im Widerspruch steht, so daß wir sie also eher von unten herauf erwarten dürfen. Nehmt daher Euern Kahn und fahrt stromabwärts durch diese Inseln, damit wir doch Kunde erhalten, wenn sich uns von dieser Seite irgendeine Gefahr nähert. Wenn Ihr Euch dann auf einige Meilen in dem See umsehen würdet, zumal auf der Yorker Seite, so würden Eure Berichte wohl die genauesten und deshalb auch die wertvollsten sein.«

»Chingachgook liegt in dieser Richtung auf der Lauer, und da er die Station genau kennt, so wird er uns ohne Zweifel zeitig genug Nachricht geben, wenn man uns von dieser Seite aus zu umgehen wünscht.«

»Er ist aber im Grunde doch nur ein Indianer, Pfadfinder, und diese Angelegenheit erfordert Kenntnis eines weißen Mannes. Lundie wird dem Mann ewig dankbar sein, der dazu beiträgt, daß man sich aus dieser kleinen Unternehmung mit fliegenden Fahnen herauswickeln kann. Um Euch die Wahrheit zu sagen, mein Freund, er fühlt es, daß er die Sache nie hätte versuchen sollen; aber er hat zuviel von des alten Lairds Starrköpfigkeit an sich, um seinen Irrtum einzugestehen, obschon dieser so augenfällig ist wie der Morgenstern.«

Der Quartiermeister fuhr fort, seinem Gefährten zuzureden, um ihn zu einem unverzüglichen Aufbruch von den Inseln zu veranlassen, wobei er sich solcher Gründe bediente, wie sie ihm der Augenblick darbot; gelegentlich widersprach er sich auch und brachte nicht selten ein Motiv zum Vorschein, dem er im nächsten Augenblick gerade das entgegengesetzte folgen ließ. So einfach auch der Pfadfinder war, so entgingen ihm doch diese Brüche in des Leutnants Philosophie nicht, obgleich er nicht entfernt vermutete, daß sie in dem Wunsch ihren Grund hatten, die Küste von einem Nebenbuhler in Mabels Gunst zu säubern. Er setzte schlechten Gründen gute entgegen, widerstand jeder Versuchung, die er nicht mit seinem Pflichtgefühl in Einklang bringen konnte, und war so taub wie gewöhnlich gegen jede lockende Einflüsterung, die vor seinem Rechtlichkeitssinn nicht zu bestehen vermochte. Er hatte allerdings von Muirs geheimen Beweggründen keine Ahnung, war aber auch ebensoweit entfernt, sich durch dessen Sophistereien blenden zu lassen, und das Ergebnis lief darauf hinaus, daß sich beide nach einer langen Zwiesprache unüberzeugt und mit gegenseitigem Mißtrauen trennten, obschon der Argwohn des Kundschafters, wie alles, was mit diesem Mann in Verbindung stand, das Gepräge seines aufrichtigen und reinen Charakters trug.

Eine Besprechung, die später zwischen dem Sergeanten Dunham und dem Leutnant stattfand, war erfolgreicher. Nach ihrer Beendigung erhielt die Mannschaft geheime Befehle; das Blockhaus und die Hütten wurden besetzt, und wer an die Bewegungen der Soldaten gewöhnt war, konnte leicht entdecken, daß ein Ausflug geplant war.

Wirklich kam auch der Sergeant, als die Sonne eben unterging, von dem sogenannten Hafen, wo er beschäftigt gewesen war, mit Cap und Pfadfinder in seine Hütte, und als er an dem Tisch saß, den Mabel für ihn beschickt und bereitet hatte, begann er den Vorrat seines Wissens auszukramen.

»Du wirst wahrscheinlich hier von einigem Nutzen sein, mein Kind«, fing der alte Soldat an, »wie dieses gut und rechtzeitig angerichtete Nachtessen bezeugen kann, und ich glaube, daß du dich im geeigneten Augenblick als Abkömmling derer beweisen wirst, die wissen, wie man den Feind ins Auge fassen muß.«

»Ihr erwartet doch nicht, lieber Vater, daß ich die Johanna d’Arc spielen und die Mannschaft ins Treffen führen soll?«

»Wen spielen, Kind? Habt Ihr je was von der Person gehört, von der Mabel spricht, Pfadfinder?«

»Nein, Sergeant, wie sollte ich das? Ich bin unwissend und ohne Erziehung, und es ist mir schon ein großes Vergnügen, bloß auf ihre Stimme zu horchen.«

»Ich kenne sie«, sagte Cap, »sie segelte im letzten Krieg mit Kaperbriefen von Morlaix aus und war ein guter Kreuzer.«

Mabel errötete, daß sie unachtsam eine Anspielung gemacht hatte, die über ihres Vaters Belesenheit ging, und vielleicht auch, von ihres Onkels Überklugheit gar nicht zu sprechen, ein bißchen über Pfadfinders schlichten und doch sinnreichen Ernst, obgleich sie nicht umhin konnte, über den letzteren zu lächeln.

»Nun, Vater, ich hoffe nicht, daß man mich zu der schlagfertigen Mannschaft rechnet und daß ich die Insel verteidigen helfen soll?«

»Und doch haben in diesem Weltteil die Weiber oft solche Dinge getan, Mädchen, wie dir unser Freund hier, der Pfadfinder, erzählen kann. Damit es dich aber nicht überrascht, wenn du uns bei deinem morgigen Erwachen nicht mehr siehst, so muß ich dir noch sagen, daß wir diese Nacht noch abzuziehen gedenken.«

»Wir, Vater? Und Ihr wollt mich und Jennie allein auf dieser Insel lassen?«

»Nicht doch, meine Tochter! Wir handeln nicht so militärisch. Wir werden den Leutnant Muir, Bruder Cap, Korporal M’Nab und drei Soldaten hier lassen, aus denen in unserer Abwesenheit die Garnison bestehen wird. Jennie wird bei dir in dieser Hütte wohnen und Bruder Cap meine Stelle einnehmen.«

»Und Herr Muir?« fragte Mabel, ohne selber zu wissen, was sie sagte, obgleich sie voraussah, daß diese Anordnung sie wieder neuen Zudringlichkeiten aussetzen werde.

»Ei, er kann dir den Hof machen, wenn du das gern hast, Mädel, denn er ist ein verliebter Bursche, und da er schon vier Weiber geliefert hat, so kann er’s nicht erwarten, durch die Wahl einer fünften zu zeigen, wie er ihr Andenken ehrt.«

»Der Quartiermeister sagte mir«, versetzte Pfadfinder unschuldig, »daß das Gemüt eines Mannes, wenn es durch so viele Verluste durchgeeggt sei, auf keine zweckmäßigere Weise besänftigt werde, als wenn man den Boden aufs neue aufpflüge, damit keine Spur der Vergangenheit mehr zurückbleibe.«

»Ja, das ist gerade der Unterschied zwischen Pflügen und Eggen«, erwiderte der Sergeant mit höhnischem Lächeln. »Doch er mag gegen Mabel sein Herz ausleeren, und dann wird seine Freierei ein Ende haben. Ich weiß recht wohl, daß meine Tochter nie die Frau des Leutnant Muir werden wird.«

Er sagte dies in einer Weise, die mit der Erklärung gleichbedeutend war, daß die fragliche Person nie der Mann seiner Tochter werden solle. Mabel errötete, zitterte, und ein halbes Lachen vermochte das Unbehaglichkeitsgefühl, das sie ergriff, nicht zu verhehlen. Als sie sich jedoch wieder gefaßt hatte, sprach sie mit einer heiteren Stimme, die ihren inneren Kampf vollständig verbarg:

»Aber Vater, wir würden wohl besser tun zu warten, bis sich Herr Muir erklärt, ob ihn Eure Tochter haben wolle, oder vielmehr, daß er Eure Tochter haben wolle, damit man uns nicht, wie in der Fabel, die sauren Trauben verwerfe.«

»Was ist das für eine Fabel, Mabel?« fragte hastig der Pfadfinder, der von dem Unterricht, der den Weißen gewöhnlich erteilt wird, nicht besonders viel genossen hatte; »erzählen Sie uns das in Ihrer angenehmen Weise, denn sicherlich hat es der Sergeant noch nie gehört.«

Mabel erzählte die bekannte Fabel, und zwar, wie ihr Verehrer gewünscht hatte, in ihrer eigenen angenehmen Weise, wobei dieser seine Augen unverwandt auf ihr Antlitz heftete, während ein Lächeln seine ehrlichen Züge überflog.

»Das sieht dem Fuchs gleich«, rief Pfadfinder, als sie zu Ende war; »ja, und auch einem Mingo – schlau und grausam, das ist die Weise dieser beiden schleichenden Tiere. Was die Trauben angeht, so sind sie sauer genug in dieser Gegend, selbst für den, der sie kriegen kann, obgleich ich sagen darf, daß es Zeiten und Orte gibt, wo sie für den, der keine bekommt, noch saurer sind. So möchte ich glauben, daß mein Skalp in den Augen eines Mingo sehr sauer ist.«

»Die sauren Trauben werden an einem anderen Weg wachsen, Kind, und wahrscheinlich wird sich Herr Muir darüber zu beschweren haben. Du möchtest wohl diesen Mann nie heiraten, Mabel?«

»Gewiß nicht« – fiel Cap ein –, »so einen Burschen, der im Grunde doch nur ein halber Soldat ist. Die Geschichte mit diesen Trauben da ist in der Tat ein Umstand.«

»Ich denke überhaupt gar nicht ans Heiraten, lieber Vater und lieber Onkel, und wenn es euch beliebt, so wollen wir lieber weniger davon reden. Wenn ich aber überhaupt ans Heiraten dächte, so glaub‘ ich kaum, daß meine Wahl auf einen Mann fallen würde, der es bereits mit drei oder vier Weibern versucht hat.«

Der Sergeant nickte dem Kundschafter zu, als wolle er sagen: Du siehst, wie die Sachen stehen – und wechselte dann aus Rücksicht für die Gefühle seiner Tochter den Gegenstand der Unterhaltung.

»Weder du, Bruder Cap, noch Mabel«, fing er an, »keines von beiden, darf eine gesetzliche Autorität ausüben über die kleine Garnison, die ich auf der Insel zurücklasse, obschon ihr zu einem Rat oder einem sonstigen Einfluß berechtigt seid. Streng genommen wird Korporal M’Nab der kommandierende Offizier sein, und ich hab‘ mir Mühe gegeben, ihm die Würde und Wichtigkeit seines Amtes begreiflich zu machen, damit er dem Einfluß des höher gestellten Leutnants Muir nicht zuviel Spielraum lasse; denn weil der ein Freiwilliger ist, hat er kein Recht, sich in den Dienst zu mischen. Du kannst aber den Korporal unterstützen, Bruder Cap, denn wenn der Quartiermeister erst mal die Dienstregeln dieser Expedition verletzt hat, so möchte er ebensogut mir wie dem M’Nab befehlen wollen.«

»Besonders, wenn ihn in deiner Abwesenheit Mabel triftig kappt. Es versteht sich von selbst, Sergeant, daß du alles, was flott ist, meiner Sorge überläßt. Aus Mißverständnissen zwischen den Befehlshabern auf dem Wasser und dem Land sind oft die verhenkertsten Verwirrungen hervorgegangen.«

»In einer Beziehung ja, Bruder, obgleich im allgemeinen der Korporal Oberbefehlshaber ist. Die Erfahrung lehrt uns, daß eine Trennung des Kommandos zu Schwierigkeiten führt, und ich möchte die Gefahr vermeiden. Der Korporal muß den Befehl führen; aber du kannst ihm freiwillig deinen Rat mitteilen, besonders in allen Angelegenheiten, die auf die Boote Bezug haben, von denen ich Euch eins zurücklassen werde, um für den Notfall Euern Rückzug zu sichern. Ich kenne den Korporal, er ist ein tapferer Mann und ein guter Soldat, auf den man sich verlassen kann. Aber er ist ein Schotte und wird dem Einfluß des Quartiermeisters nachgeben, gegen den ihr beide, du und Mabel, auf der Hut sein müßt.«

»Aber warum laßt Ihr uns zurück, lieber Vater? Ich bin so weit mit Euch gereist, um für Eure Bequemlichkeit zu sorgen; warum sollt‘ ich nicht noch weiter mit Euch gehen?«

»Du bist ein gutes Mädel und schlägst ganz in die Art der Dunhams. Aber du mußt hierbleiben. Wir werden morgen noch vor Tag die Insel verlassen, um nicht von Späheraugen entdeckt zu werden, wenn wir aus unserem Versteck hervorkommen, und nehmen die zwei größten Boote mit uns. Es bleibt Euch also noch das dritte und ein Rindenkahn. Wir sind im Begriff, uns in dem Kanal umzusehen, dessen sich die Franzosen bedienen, und wollen uns etwa eine Woche lang auf Lauer legen, um die Vorratsboote auf ihrem Weg nach Frontenac abzufangen, die vielleicht durchfahren und hauptsächlich mit wertvollen indianischen Gütern beladen sind.«

»Hast du auch deine Papiere genau angesehen, Bruder?« fragte Cap ängstlich. »Es ist dir doch bekannt, daß das Wegnehmen eines Schiffes auf offener See als Seeräuberei angesehen wird, wenn dein Boot sich nicht durch einen regelmäßigen Kaperbrief als ein auf Staats- oder Privatkosten bewaffneter Kreuzer ausweisen kann.«

»Ich habe die Ehre, von meinem Obersten zum Sergeanten des Fünfundfünfzigsten ernannt worden zu sein«, versetzte der andere und richtete sich mit Würde auf, »und das muß selbst dem König von Frankreich genug sein. Wo nicht, so hab‘ ich Major Duncans schriftliche Befehle.«

»Keine Papiere also für einen konzessionierten Kaperzug?«

»Diese müssen hinreichen, Bruder, da ich keine andern habe. Es ist für Seiner Majestät Interessen in diesem Teil der Welt von der größten Wichtigkeit, daß die in Frage stehenden Boote weggenommen und nach Oswego geführt werden. Sie enthalten die Bettücher, Büchsen, Schmucksachen, Geräte, die Munition, kurz alle jene Gegenstände, mit denen die Franzosen ihre verwünschten wilden Verbündeten bestechen, ihre Heillosigkeiten auszuführen und unsre heilige Religion mit ihren Vorschriften, die Gesetze der Humanität und alles zu verhöhnen, was dem Menschen teuer ist. Wenn wir ihnen diese Hilfsmittel abschneiden, so werden wir ihre Pläne durchkreuzen und Zeit gewinnen; denn sie können in diesem Herbst nicht wieder neue Zufuhr über das Meer her erhalten.«

»Aber Vater, bedient sich Seine Majestät nicht auch der Indianer?« fragte Mabel mit einiger Neugierde.

»Gewiß, Mädchen, und König Georg hat ein Recht, sich ihrer zu bedienen – Gott segne ihn! Es ist etwas ganz anders, ob ein Engländer oder ein Franzose einen Wilden benützt, wie jedermann einsehen kann.«

»Das ist klar genug, Bruder Dunham; aber was die Schiffspapiere betrifft, so will mir das doch nicht recht einleuchten.«

»Meine Ernennung zum Sergeanten durch einen englischen Obersten muß jedem Franzosen als Vollmacht gelten; und was noch mehr ist, sie wird’s auch.«

»Aber ich sehe nicht ein, Vater, warum sich die Franzosen nicht ebensogut der Wilden im Krieg bedienen sollten wie die Engländer?«

»Tausend alle Welt! Mabel – doch du bist vielleicht nicht fähig, das zu begreifen. Erstens ist ein Engländer von Natur menschlich und bedächtig, während der Franzose von Natur wild und furchtsam ist.«

»Und du kannst hinzusetzen, Bruder, daß er vom Morgen bis in die Nacht tanzt, wenn man’s zuläßt.«

»Sehr wahr«, erwiderte der Sergeant ernsthaft.

»Aber Vater, ich seh‘ nicht ein, daß all dies die Sache ändert. Wenn’s an einem Franzosen verwerflich ist, daß er die Wilden durch Bestechung zum Kampf gegen seine Feinde veranlaßt, so muß das, wie ich meine, bei einem Engländer ebenso unrecht sein. Ihr werdet mir beistimmen, Pfadfinder?«

»Vernünftigerweise allerdings; und ich bin nie unter denen gewesen, die ein Geschrei gegen die Franzosen erhoben, weil sie das nämliche tun, was wir selbst auch tun. Aber es ist schlimmer, sich mit einem Mingo einzulassen, als sich mit einem Delawaren zu verbünden. Wären von diesem gerechten Stamme noch Indianer übrig, so würd‘ ich’s für keine Sünde halten, sie gegen den Feind zu schicken.«

»Und doch skalpieren und töten sie jung und alt, Weiber und Kinder.«

»Sie haben ihre Gaben, Mabel, und sind nicht zu tadeln, wenn sie ihnen folgen. Natur ist Natur, obgleich sie die verschiedenen Stämme in verschiedener Weise kundgeben. Ich für meinen Teil bin ein Weißer und bestrebe mich, die Gefühle eines Weißen festzuhalten.«

»Ich kann dies alles nicht verstehen«, versetzte Mabel. »Was für König Georg recht ist, sollte, wie es mir scheint, auch bei König Louis recht sein.«

»Des Königs von Frankreich wirklicher Name ist Caput«, bemerkte Cap, wobei er den Mund voll Wildbret hatte. »Ich führte einmal einen großen Gelehrten als Passagier auf dem Schiff – der erzählte mir, daß diese dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Louis lauter Aufschneider wären, und eigentlich Caput hießen, was im Französischen Kopf bedeutet; er wollte damit sagen, daß man sie an den Fuß der Leiter stellen sollte, bis sie bereit wären, an dem Strick des Henkers in die Höhe zu steigen.«

»Nun, der sieht ganz so aus, als sei die Skalplust auch eine von seinen natürlichen Gaben«, bemerkte der Pfadfinder mit jenem Ausdruck von Überraschung, mit dem man einen neuen Gedanken aufnimmt, »und ich werde um so weniger Gewissensbisse haben, wenn ich gegen die Heiden kämpfe, obgleich ich nicht sagen kann, daß ich je in dieser Beziehung etwas Namhaftes empfunden habe.« Als das Nachtessen zu Ende war, entließ der Sergeant seine Gäste und hielt dann noch ein langes und vertrauliches Gespräch mit seiner Tochter. Er war wenig geeignet, zarteren Regungen Raum zu geben; aber die Neuheit seiner gegenwärtigen Lage erweckte Gefühle in seiner Seele, von denen er früher nichts erfahren hatte. Der Soldat oder der Seemann denkt, solange er unter der unmittelbaren Aufsicht seines Vorgesetzten handelt, wenig an die Gefahren, denen er sich aussetzen muß; sobald er aber die Verantwortlichkeit eines Befehlshabers fühlt, beginnen alle Zufälligkeiten seines Unternehmens sich mit den Wechselfällen des Erfolgs und des Fehlschlagens in seinem Geist zu verbinden.

Nie zuvor war ihm Mabel so schön vorgekommen wie in dieser Nacht. Möglich, daß sie früher nie vor ihrem Vater soviel gewinnende Eigenschaften entwickelt hatte; denn Sorge um seinetwillen beengte ihr das Herz. Dadurch wurde ihr Gespräch vertraulicher als gewöhnlich, bis endlich das Mädchen zu ihrer großen Freude bemerkte, daß es allmählich mehr den Ausdruck einer Herzlichkeit annahm, nach der sie sich seit ihrer Ankunft mehrmals gesehnt hatte.

»Die Mutter war also ungefähr von meiner Größe?« fragte Mabel, als sie ihres Vaters Hände in den ihrigen hielt und ihm mit tränenfeuchten Augen ins Gesicht blickte. »Ich glaubte, sie wäre größer gewesen?«

»Das geht wohl den meisten Kindern so! Deine Mutter, Mabel, war dir an Größe so ähnlich, wie nur ein Mensch dem andern sein kann.«

»Und ihre Augen, Vater?«

»Ihre Augen waren auch wie deine, Kind – blau, sanft, freundlich, vielleicht nicht ganz so lachend.«

»Die meinen werden nie wieder lachen, Vater, wenn Ihr bei diesem Ausflug nicht recht vorsichtig seid.«

»Ich danke dir, Kind; aber ich muß meiner Pflicht nachkommen. Ich hätte dich wohl gern anständig verheiratet sehen mögen, ehe wir Oswego verließen; es würde mir viel leichter ums Herz sein.«

»Verheiratet? – an wen, Vater?«

»Du kennst den Mann, den ich dir wünsche. Du kannst zwar lustigere und schöner gekleidete Männer treffen, aber keine mit einem treueren Herzen und einer edleren Seele.«

»Keinen, Vater?«

»Ich kenne keinen. In dieser Hinsicht wenigstens hat Pfadfinder nicht viel seinesgleichen.«

»Aber ich brauch‘ überhaupt nicht zu heiraten. Ihr seid ein einzelner Mann, und ich kann bei Euch bleiben und für Eure Bedürfnisse sorgen.«

»Du gutes Kind! Ich weiß, du würdest das gern tun, und ich will nicht sagen, daß du unrecht hast. Es ist mir aber doch, als ob was anderes noch besser wäre.«

»Was kann es besseres geben, als seinen Vater zu lieben?«

»Es ist ebensogut, einen Mann zu lieben, mein liebes Kind.«

»Aber ich habe keinen, Vater.«

»Dann nimm einen, so bald wie möglich. Ich kann nicht immer leben, und wenn mich nicht die Schicksale des Krieges wegraffen, so macht in kurzem die Natur ihr Recht geltend. Du bist jung und kannst noch lange leben; daher bedarfst du eines männlichen Beschützers, der dich sicher durchs Leben geleiten und im Alter für dich Sorge tragen kann, wie du es nun für mich tun willst.«

»Und glaubt Ihr«, sagte Mabel, indem sie die sehnigen Finger ihres Vaters mit ihren kleinen Händen umfaßte und auf sie niederblickte, als wären sie Gegenstände von äußerster Wichtigkeit, obgleich sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen, als ihnen die Worte entglitten. – »Und glaubt Ihr, Vater, daß der Pfadfinder hierzu geeignet wäre? Ist er nicht in zehn bis zwölf Jahren so alt wie Ihr jetzt seid?«

»Was liegt daran? Er hat ein Leben voll Mäßigkeit und Tätigkeit gelebt, und man muß mehr die Gesundheit als die Jahre in Anschlag bringen, Mädchen. Kennst du einen, der geeigneter wäre, dein Beschützer zu sein?«

Mabel kannte keinen – wenigstens keinen, der das Verlangen ausgedrückt hätte, ihr wirklich so etwas zu werden, was sonst auch immer ihre Hoffnungen und Wünsche sein mochten.

»Nein, Vater, wir sprechen nur von dem Pfadfinder«, antwortete sie ausweichend. »Wenn er jünger wäre, so käm’s mir natürlicher vor, ihn als meinen Gatten zu denken.«

»Ich sage dir, Kind, das alles hängt von der Gesundheit ab; Pfadfinder ist jünger als die Hälfte unserer Subalternoffiziere.«

»Gewiß ist er jünger als einer – als der Leutnant Muir.«

Mabels Lachen war heiter und frohsinnig, weil sie in diesem Augenblick keine Sorge fühlte.

»Das ist er – jugendlich genug, um sein Enkel zu sein und auch jünger an Jahren; Gott verhüte, daß du je eine Offiziersfrau werden solltest, wenigstens nicht, bevor du eines Offiziers Tochter bist.«

»Das wird kaum zu befürchten sein, wenn ich Pfadfinder heirate«, entgegnete das Mädchen und blickte dem Sergeanten wieder schelmisch ins Gesicht.

»Vielleicht nicht durch des Königs Bestallung, obgleich der Mann jetzt schon der Freund und Gefährte von Generalen ist. Ich denke, ich könnte glücklich sterben, wenn du sein Weib wärst.«

»Vater!«

»Es ist traurig, in den Kampf zu gehen, wenn das Bewußtsein, eine Tochter schutzlos zurückzulassen, auf dem Herzen lastet.«

»Ich wollte die ganze Welt darum geben, Euch von dieser Last zu befreien, lieber Vater.«

»Du könntest es tun«, versetzte der Sergeant, mit einem zärtlichen Blick auf sein Kind, »obgleich ich dir dadurch keine Last aufbürden möchte.«

Seine Stimme klang tief und bebte etwas, und Mabel hatte nie vorher einen solchen innigen Ausdruck der Liebe an ihrem Vater bemerkt, so daß sie sich sehnte, das Gemüt des Vaters zu beruhigen.

»Vater, sprecht deutlich!« rief sie.

»Nein, Mabel, es möchte nicht recht sein; deine Wünsche könnten mit den meinen in Widerspruch kommen.«

»Ich hab‘ keine Wünsche – weiß nicht, was Ihr meint. Wollt Ihr von meiner künftigen Heirat sprechen?«

»Wenn ich dich mit dem Pfadfinder verbunden sehen könnte – wenn ich wüßte, daß du gelobt hättest, sein Weib zu werden, so würd‘ ich glauben, daß ich glücklich stürbe, möchte mein Schicksal sein, welches es wollte. Aber ich will dir keine Verpflichtung auferlegen, Kind, und dich nicht zu was drängen, was dich gereuen könnte. Küsse mich, Mabel, und geh‘ schlafen.«

Hätte Sergeant Dunham von Mabel das Versprechen, nach dem er wirklich so sehr verlangte, gefordert, so würde er wahrscheinlich einen Widerstand getroffen haben, den er schwer zu überwinden vermocht hätte; da er aber der Natur ihren Gang ließ, so gewann er einen mächtigen Verbündeten, und das warmherzige Mädchen war bereit, der kindlichen Zärtlichkeit mehr zuzugestehen, als durch Drohungen von ihr erlangt worden wäre. In diesem Augenblick dachte sie nur an ihren Vater, der im Begriff war, sie vielleicht auf immer zu verlassen, und die ganze Liebe für ihn, die vielleicht ebensosehr durch die Einbildungskraft als durch etwas anderes genährt, aber durch den abgemessenen Verkehr der letzten vierzehn Tage ein wenig zurückgedrängt worden war, kehrte mit einer Kraft wieder, die durch ihr reines und tiefes Gefühl noch erhöht wurde.

»Vater«, sagte sie gefaßt, »Gott segnet eine gehorsame Tochter.«

»Ja, das tut er, Mabel; das Gute Buch ist uns Bürge dafür.«

»Ich will den Mann heiraten, den Ihr mir bestimmt.«

»Nein, nein, Mabel! du mußt selbst wählen.«

»Ich hab‘ keine Wahl – das heißt, niemand hat mich zu einer Wahl aufgefordert, als Pfadfinder und Herr Muir. Nein, Vater, ich will den nehmen, den Ihr wählt.«

»Du kennst bereits meine Wahl, liebes Kind; niemand kann dich so glücklich machen wie der brave, edle Pfadfinder.«

»Gut also; – wenn er es wünscht, wenn er mich wieder fragt – denn Ihr werdet doch nicht wünschen, daß ich mich selbst antrage oder daß es jemand in meinem Namen tun soll?« Das Blut stahl sich während des Sprechens wieder über Mabels bleiche Wangen – »nein, niemand darf ihm was davon sagen; aber wenn er mich wieder aufsucht, wenn ich ihm dann alles sage, was ein ehrliches Mädchen dem Manne, der sie heiraten will, sagen muß, und er mich dann noch zu seiner Frau nehmen will, so will ich die Seine werden.«

»Segen über dich, Mabel, er möge dich belohnen, wie eine fromme Tochter belohnt zu werden verdient.«

»Ja, Vater, beruhigt Euch; geht mit leichtem Herzen und vertraut auf Gott. Für mich dürft Ihr keine weitere Sorge mehr haben. Nächsten Frühling – ich muß ein wenig Zeit haben, Vater – nächsten Frühling will ich Pfadfinder heiraten, wenn mich dieser wackere Jäger dann noch begehrt.«

»Mabel, er liebt dich, wie ich deine Mutter liebte. Ich hab‘ ihn wie ein Kind weinen sehen, wenn er mit mir von seinen Gefühlen gegen dich sprach.«

»Ja, ich glaub‘ es; ich hab‘ genug gesehen, um überzeugt zu sein, daß er besser von mir denkt als ich verdiene. Und gewiß, es lebt kein Mann, gegen den ich eine größere Verehrung hege als gegen Pfadfinder – Euch selbst nicht ausgenommen, lieber Vater.«

»So muß es sein, liebes Kind, und deine Verbindung wird glücklich werden. Darf ich’s Pfadfinder nicht mitteilen?«

»Es war‘ besser, Ihr tätet’s nicht, Vater. Er soll von selbst kommen; er soll ganz natürlich kommen, denn der Mann muß das Weib suchen und nicht das Weib den Mann.«

»Das ist hinreichend, Mabel! – Nun küsse mich. Gott segne und beschütze dich, Mädchen! Du bist eine gute Tochter.«

Mabel warf sich in ihres Vaters Arme und schluchzte fast wie ein Kind. Das Herz des ernsten Soldaten schmolz, aber Sergeant Dunham riß sich bald aus seiner Rührung, als schäme er sich, drängte seine Tochter sanft zurück, bot ihr gute Nacht und suchte sein Lager auf. Mabel ging schluchzend davon, und in wenigen Minuten wurde die Ruhe der Hütte nur noch durch die schweren Atemzüge des Veteranen unterbrochen.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Es war bereits heller Tag, als Mabel erwachte. Sie hatte ruhig geschlafen, da sie sich mit ruhigem Gewissen zu Bett gelegt und die Ermüdung ihren Schlummer versüßt hatte. Sie sprang auf, kleidete sich rasch an, und bald atmete das Mädchen den Duft des Morgens in der freien Luft. Das erstemal traten ihr die eigentümlichen Reize und die tiefe Abgeschiedenheit ihrer gegenwärtigen Lage recht lebhaft vor Augen. Es war einer der herrlichen Herbsttage, die in diesem mehr geschmähten als gehörig gewürdigten Klima so gewöhnlich sind, und ihr Einfluß war in jeder Beziehung anregend.

Die Insel schien gänzlich verlassen. In der vorhergehenden Nacht hatte ihr die lärmvolle Ankunft einen Anstrich von Leben gegeben, der nun wieder völlig gewichen war. Mabel ließ ihren Blick fast über jeden sichtbaren Gegenstand umherstreifen, ehe sie ein menschliches Wesen zu Gesicht bekam, um das Gefühl gänzlicher Einsamkeit zu verscheuchen. Endlich erblickte sie alle Zurückgebliebenen um ein Feuer gruppiert, was das Bild eines Lagers vervollständigte. Die Gestalt ihres Onkels, an den sie am meisten gewöhnt war, nahm ihr jedoch alle Furcht, und mit einer ihrer Lage natürlichen Neugier betrachtete sie sich die übrigen näher. Außer Cap und dem Quartiermeister waren noch der Korporal und die drei Soldaten dort mit der Frau, die das Frühstück bereitete. Die Hütten waren ruhig und leer, und der niedrige, turmartige Giebel des Blockhauses hob sich mit malerischer Schönheit, zum Teil versteckt, über das Gebüsch. Die Sonne überstrahlte gerade die freieren Plätze zwischen den Bäumen, und das Gewölbe über ihrem Haupt prangte in dem sanftesten Blau. Kein Wölkchen war sichtbar, und alles schien auf Frieden und Sicherheit hinzudeuten.

Da Mabel bemerkte, daß alle mit dem Frühstück beschäftigt waren, ging sie unbeachtet gegen ein Ende der Insel, wo Bäume und Gebüsche sie vor aller Augen verbargen. Hier gewann sie, indem sie die niedrigen Zweige auf die Seite drängte, einen Standort am Rande des Wassers und lauschte dem kaum bemerklichen Zu- und Abfluß der kleinen Wellen, die das Ufer wuschen –, eine Art natürlichen Widerhalls zu der Bewegung, die fünfzig Meilen weiter oben auf dem See herrschte. Sie betrachtete die verschiedenen Aussichten, die ihr die Öffnungen zwischen den Inseln boten, und gab sich dem Gedanken hin, daß sie nie etwas Lieblicheres gesehen habe.

Während Mabel so beschäftigt war, wurde sie plötzlich durch die Vermutung aufgeschreckt, sie hätte etwas wie eine menschliche Gestalt unter den Gebüschen erblickt, die das Ufer der vor ihr liegenden Insel säumten. Die Entfernung über das Wasser betrug kaum hundert Ellen, und obgleich sie vielleicht im Irrtum war und ihre Phantasie in dem Augenblick, wo ihr die Erscheinung auftauchte, überall umherschweifte, so hielt sie es doch kaum für möglich, daß sie sich getäuscht haben könnte. Sie wußte wohl, daß sie ihr Geschlecht nicht gegen eine Büchsenkugel schützen würde, wenn sie ein Irokese zu Gesicht bekommen sollte, und zog sich daher instinktartig zurück, wobei sie Sorge trug, sich so gut wie möglich unter den Blättern zu verbergen, während sie fortwährend ihre Blicke auf das gegenüberliegende Ufer heftete, in der geraume Zeit fruchtlosen Erwartung, dem fremden Gegenstand wieder zu begegnen. Sie war eben im Begriff, das Gebüsch zu verlassen und zu ihrem Onkel zu eilen, um ihm ihren Verdacht mitzuteilen, als sie auf der anderen Insel hinter dem Saum des Gebüsches einen Erlenzweig winken sah, der bedeutungsvoll und, wie es ihr vorkam, als Zeichen der Freundschaft auf- und abgeschwungen wurde. Dies war ein atemloser, drückender Augenblick für jemand, der so wenig in den Grenzkriegen erfahren war wie Mabel; und doch fühlte sie die Notwendigkeit, ihre Fassung zu bewahren und mit Festigkeit und Umsicht zu handeln.

Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der gefahrvollen Lage, der die amerikanischen Grenzbewohner ausgesetzt waren, daß sich die moralischen Eigenschaften der Frauen in einem Grade steigerten, dessen diese sich unter andern Umständen selbst nicht für fähig gehalten hätten, und Mabel wußte wohl, daß die Grenzleute in ihren Erzählungen gern bei der Geistesgegenwart, dem Mut und der Tapferkeit verweilen, die ihre Frauen und Schwestern unter den gefährlichsten Umständen entfaltet hatten. Solche Erzählungen feuerten sie zur Nachahmung an, und es fiel ihr plötzlich ein, jetzt sei gewiß der Augenblick gekommen, wo sie sich als Sergeant Dunhams wahres Kind beweisen könne. Die Bewegung des Zweiges schien ihr auf eine freundliche Absicht hinzudeuten, und nach dem Zögern eines Augenblicks brach sie gleichfalls einen Zweig ab, befestigte ihn an einen Stock, erhob ihn über eine Lücke im Gebüsch und erwiderte die Begrüßung, wobei sie genau die Bewegungen des andern nachahmte.

Diese stumme Zwiesprache dauerte auf beiden Seiten zwei oder drei Minuten, als Mabel bemerkte, daß das entgegengesetzte Gebüsch vorsichtig beiseite gedrückt wurde und in der Öffnung ein menschliches Antlitz zum Vorschein kam. Ein zweiter, genauerer Blick überzeugte sie, daß es das Gesiebt von Junitau, dem Weibe Pfeilspitzes war. Solange Mabel in der Gesellschaft dieses Geschöpfes war, hatte sie es wegen seines sanften Benehmens, der demütigen Einfalt und der mit Furcht vermischten Liebe gegen seinen Gatten liebgewonnen. Ein- oder zweimal war es ihr während des Laufes ihrer Reise vorgekommen, als ob der Tuscarora gegen sie selbst einen unerfreulichen Grad von Aufmerksamkeit an den Tag lege; und bei solchen Gelegenheiten war es ihr aufgefallen, daß sein Weib Schmerz und Bekümmernis verriet. Da jedoch Mabel ihre Gefährtin für die Kränkung, die sie ihr in dieser Hinsicht unabsichtlich veranlaßte, durch Güte und Aufmerksamkeit mehr als entschädigte, so bewies ihr die Indianerin so viel Zuneigung, daß Mabel bei ihrer Trennung überzeugt war, sie hätte in Junitau eine Freundin verloren.

Man würde vergeblich den Versuch machen, alle Wege zu erforschen, auf denen das Vertrauen in das menschliche Herz einzieht. Das junge Tuscaroraweib hatte jedoch ein derartiges Gefühl in Mabels Seele erweckt, und diese fühlte sich zu einem genaueren Verkehr geneigt, da sie überzeugt war, daß diese ungewöhnliche Erscheinung ihr Bestes beabsichtige. Sie zögerte nicht länger, aus dem Gebüsch herauszutreten, und freute sich zu sehen, daß ihr Vertrauen Nachahmung fand, indem Junitau furchtlos aus ihrem Versteck herauskam. Die zwei Mädchen – denn obgleich verheiratet, war die Tuscarora doch jünger als Mabel – tauschten nun offen die Zeichen der Freundschaft aus, und Mabel bat ihre Freundin, näher zu kommen, obgleich es ihr selbst nicht deutlich war, wie dieses ausgeführt werden könne. Aber Junitau säumte nicht zu zeigen, daß es in ihrer Macht stehe; denn nachdem sie auf einen Augenblick verschwunden war, erschien sie wieder an dem Ende eines Rindenkahns, dessen Bug sie in den Saum des Gebüsches gezogen hatte und dessen Rumpf in einer Art versteckten Schlupfhafens lag. Mabel wollte sie eben einladen herüberzukommen, als ihr Name von der Stentorstimme ihres Onkels gerufen wurde. Sie gab dem Tuscaroramädchen einen raschen Wink, sich zu verbergen, eilte vom Gebüsch weg dem freien Platz zu, woher die Stimme gekommen war, und bemerkte, wie sich die ganze Gesellschaft eben zum Frühstück niedergelassen hatte, wobei Cap seinen Appetit kaum so weit zügelte, um sie aufzufordern, am Mahl teilzunehmen. Mabel begriff schnell, daß dies der günstigste Augenblick zu einer Besprechung sein müsse, entschuldigte sich, daß sie noch nicht zum Essen vorbereitet sei, eilte nach dem Dickicht zurück und erneuerte bald wieder ihren Verkehr mit der Indianerin. Junitau begriff schnell, und nach einem halben Dutzend lautloser Ruderschläge lag ihr Kahn in dem Versteck des Gebüsches der Stationsinsel. Eine Minute später hielt Mabel ihre Hand und führte sie durch den Schattengang zu ihrer eigenen Hütte. Zum Glück war diese so gelegen, daß sie vom Feuer aus nicht gesehen werden konnte, und so langten beide Freundinnen dort unbemerkt an. Mabel erklärte ihrem Gast in der Geschwindigkeit so gut sie konnte, daß sie die Indianerin auf eine kurze Zeit verlassen müsse, führte Junitau in ihr eigenes Zimmer mit der festen Überzeugung, daß sie es nicht verlassen würde, begab sich dann zu dem Feuer und nahm ihren Platz unter den übrigen ein.

»Wer spät kommt, wird spät bedient, Mabel«, sagte ihr Onkel zwischen zwei Mundladungen voll gebratenen Fisches; denn obgleich die Kochkunst an dieser entfernten Grenze sehr ungekünstelt sein mochte, so waren doch die Speisen im allgemeinen köstlich. »Wer spät kommt, wird spät bedient: Das ist eine gute Regel und macht die Schlafmützen munter.«

»Ich bin keine Schlafmütze, Onkel; denn ich bin schon eine ganze Stunde auf und habe mich auf unserer Insel umgesehen.«

»Sie werden wenig daraus machen können, Miss Mabel«, versetzte Muir, »denn es ist von Natur nicht viel an ihr. Lundie oder, wie man ihn in solcher Gesellschaft besser nennen könnte, Major Duncan« – es wurde dies wegen des Korporals und der gemeinen Soldaten gesagt, obgleich diese ihr Mahl etwas abgesondert einnahmen –, »Major Duncan hat die Staaten Seiner Majestät durch kein Reich vermehrt, als er von dieser Insel Besitz nahm, denn die gleicht ganz der des berühmten Sancho an Einkünften und Ertrag. Ihr kennt doch ohne Zweifel diesen Sancho, Meister Cap, und werdet oft in Euren Mußestunden, zumal bei einer Windstille oder in Augenblicken der Untätigkeit, von ihm gelesen haben?«

»Ich kenne den Ort, den Sie meinen, Quartiermeister; Sanchos Insel – Korallenfels, von neuer Formation und so schlechter Aufduning bei Nacht und stürmischem Wetter, daß sich jeder Sünder davon klarzuhalten wünscht, ’s ist ein bekannter Platz wegen der Kokosnüsse und des bittern Wassers, diese Sanchos Insel.«

»Es soll dort nicht gut Mittag halten sein«, erwiderte Muir und unterdrückte aus Achtung vor Mabel das Lächeln, das auf seinen Lippen zuckte; »auch glaub‘ ich nicht, daß einem zwischen ihren Einkünften und denen unseres gegenwärtigen Aufenthalts die Wahl besonders schwer werden dürfte. Nach meinem Urteil, Meister Cap, ist unsere Stellung sehr unmilitärisch, und ich sehe voraus, daß uns früher oder später eine Kalamität zustoßen wird.«

»Es wär‘ zu wünschen, daß es nicht eher geschieht, als bis unser Dienst hier zu Ende ist«, bemerkte Mabel. »Ich trage kein Verlangen danach, Französisch zu lernen.«

»Wir dürften uns glücklich schätzen, wenn es nur das und nicht etwa das Irokesische wäre. Ich hab‘ dem Major Duncan Vorstellungen wegen der Besetzung dieses Postens gemacht, aber einen eigensinnigen Mann muß man seinen Weg gehen lassen. Mein Hauptgrund, warum ich mich dem Zug anschloß, war die Absicht, mich Eurer schönen Nichte nützlich und angenehm zu machen, Meister Cap; dann wollte ich auch einen Überschlag über die Vorräte machen, die ja eigentlich in meinen Geschäftskreis gehören, damit keine Einreden über die Art ihrer Verwendung stattfinden können, wenn der Feind Mittel finden sollte, sie wegzunehmen.«

»Betrachten Sie die Sache so ernst?« fragte Cap, indem er vor lauter Anteil an der Antwort mit dem Kauen eines Wildbretbissens innehielt; denn er ging wechselweise wie ein Feinschmecker von Fisch zu Fleisch und vom Fleisch wieder zum Fisch über. »Ist die Gefahr so drängend?«

»Ich will das nicht grad sagen, möchte aber auch nicht das Gegenteil behaupten. Im Krieg ist immer Gefahr vorhanden und auf vorgeschobenem Posten mehr als im Hauptquartier. Es darf daher keinen Augenblick überraschen, wenn wir einen Besuch von den Franzosen bekommen.«

»Und was, zum Teufel, war‘ in solchem Fall zu tun? Sechs Mann und zwei Weiber würden sich bei der Verteidigung eines Platzes wie diesem erbärmlich genug ausnehmen, wenn die Franzosen einen Überfall machen sollten; denn ohne Zweifel würden sie – so echt französisch – in tüchtigen Massen anrücken.

»Darauf kann man sich verlassen – aufs mindeste mit einer furchtbaren Macht. Ohne Zweifel wäre es zweckmäßig, nach den Regeln der Kriegskunst Anstalten zur Verteidigung der Insel zu treffen, obgleich es uns wahrscheinlich an der nötigen Mannschaft fehlen wird, diesen Plan auf eine erfolgversprechende Weise auszuführen. Erstens sollte eine Abteilung am Ufer aufgestellt werden, um den Feind beim Landen zu beunruhigen; eine starke Besatzung sollte augenblicklich in das Blockhaus gelegt werden, da es die Zitadelle ist, nach der sich natürlich die verschiedenen Abteilungen zurückziehen würden, wenn sie bei dem Vorrücken der Franzosen Unterstützung brauchten. Dann sollte um den festen Platz ein mit Gräben versehenes Lager gelegt werden, da es in der Tat sehr unmilitärisch wäre, den Feind nahe genug zu dem Fuß der Mauern kommen zu lassen, um sie zu unterminieren. Spanische Reiter sollten die Kavallerie im Schach halten, und was die Artillerie anbelangt, so sollten unter dem Versteck jener Wälder Redouten aufgeworfen werden. Starke Plänklerabteilungen würden außerdem zu Verzögerung des feindlichen Marsches außerordentlich gute Dienste leisten, und diese zerstreuten Hütten könnten, gehörig mit Piketten versehen und von Gräben umzogen, treffliche Positionen zu diesem Zweck abgeben.«

»Ha – ha – ha –! Quartiermeister. Und wer, zum Teufel, soll alle die Mannschaft aufbringen, um einen solchen Plan auszuführen?«

»Der König, ohne allen Zweifel, Meister Cap. Es ist seine Sache und daher billig, daß er auch die Bürde trage.«

»Und wir sind nur unserer sechs! Das ist mir ein sauberes Geschwätz, zum Henker! Da könnte man Sie ans Ufer hinunterschicken, um den Feind vom Landen abzuhalten – Mabel müßte plänkeln, wenigstens mit der Zunge – das Soldatenweib könnte die spanischen Reiter spielen, um die Kavallerie in Verwirrung zu bringen – der Korporal hätte das verschanzte Lager zu kommandieren seine drei Mann müßten die Hütten besetzen, und mir bliebe dann das Blockhaus. – Sie zeichnen gut, Leutnant, und hätten Maler statt Soldat werden sollen.«

»Nun, ich hab‘ meine Disposition in dieser Sache wissenschaftlich und ehrlich gemacht. Daß keine größere Macht da ist, den Plan auszuführen, ist die Schuld von Seiner Majestät Ministern und nicht meine.«

»Aber wenn der Feind wirklich erschiene«, fragte Mabel mit mehr Anteil, als sie gezeigt haben würde, wenn sie sich nicht ihres Gastes in der Hütte erinnert hätte, »welchen Weg müßten wir dann einschlagen?«

»Mein Rat, schöne Mabel, wär‘ ein Versuch zur Ausführung dessen, was Xenophon mit Recht so berühmt machte.«

»Ich glaube, Sie meinen einen Rückzug, obgleich ich ihre Anspielung halb erraten muß.«

»Ihrem hellen, natürlichen Verstand ist meine Meinung nicht entgangen, mein Fräulein. Ich habe bemerkt, daß Ihr würdiger Vater dem Korporal gewisse Methoden angegeben hat, mit denen er diese Insel zu halten hofft, falls die Franzosen ihre Lage auffinden sollten. Aber obgleich der ausgezeichnete Sergeant Ihr Vater und im Dienst so gut wie irgendein Unteroffizier ist, so ist er doch nicht der große Lord Stair oder gar der Herzog von Marlborough. Ich will die Verdienste des Sergeanten in seiner Sphäre nicht in Abrede stellen, aber ich kann seine Eigenschaften, mögen sie auch noch so ausgezeichnet sein, nicht höher schätzen als die von Leuten, die, wenn auch nur in geringem Grade, seine Vorgesetzten sind. Der Sergeant hat sich mit seinem Herzen und nicht mit seinem Kopf beraten, als er solche Befehle erließ; aber wenn das Fort fällt, so wird der Vorwurf auf dem liegen, der es zu besetzen befahl, und nicht auf dem, dem die Verteidigung obliegt. Was aber auch immer der Ausgang der letzteren sein mag, wenn die Franzosen mit ihren Verbündeten landen sollten, so wird doch ein guter General nie die nötigen Vorbereitungen für den Fall eines Rückzuges vernachlässigen, und ich möchte Meister Cap, als dem Admiral unserer Flotte, raten, ein Boot in Bereitschaft zu halten, um die Insel räumen zu können, wenn Not am Mann ist. Das größte Boot, das wir noch haben, führt ein weites Segel, und wenn man es hier herumholt und unter diesen Büschen vor Anker legt, so werden wir da einen ganz geeigneten Platz zu schleuniger Einschiffung kriegen! Und dann werden Sie auch bemerken, schöne Mabel, daß wir kaum fünfzig Ellen zu einem Kanal haben, der zwischen zwei andern Inseln und so versteckt liegt, daß wir recht wohl gegen eine Entdeckung von denen geschützt sind, die sich auf diesem Eiland befinden mögen.«

»Was Sie da sagen, ist alles ganz richtig, Herr Muir; aber könnten die Franzosen nicht grad von dieser Gegend herkommen? Wenn sie so gut für einen Rückzug ist, so ist sie wohl ebensogut für den Angriff.«

»Sie werden nicht Einsicht genug für einen so klugen Gedanken haben«, erwiderte Muir, wobei er verstohlen und ein wenig unbehaglich umhersah. »Es wird Ihnen an der gehörigen Klugheit mangeln. Diese Franzosen sind ein übereiltes Volk und rücken gewöhnlich aufs Geratewohl an; wir können also darauf zählen, daß sie, wenn sie überhaupt kommen, auf der anderen Seite der Insel landen werden.«

Die Unterhaltung schweifte nun verschiedentlich ab, wobei jedoch immer die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls und die geeignetsten Mittel, ihm zu begegnen, die Hauptpunkte blieben.

Mabel zollte dem meisten davon nur geringe Aufmerksamkeit, obgleich sie sich einigermaßen überrascht fühlte, daß Leutnant Muir, ein Offizier, der wegen seines Mutes in gutem Ruf stand, so offen das Aufgeben einer Sache empfahl, deren Verteidigung ihr eine doppelte Pflicht schien, weil die Ehre ihres Vaters dabei im Spiele war. Ihr Geist war jedoch so sehr mit ihrem Gast beschäftigt, daß sie bei der ersten günstigen Gelegenheit die Gesellschaft verließ und wieder in ihre Hütte eilte. Sie schloß die Tür sorgfältig, und als sie sah, daß der einfache Vorhang an dem einzigen kleinen Fenster vorgeschoben war, führte sie Junitau oder June, wie sie vertraulich von denen genannt wurde, die Englisch mit ihr sprachen, unter Zeichen der Liebe und des Vertrauens in das äußere Zimmer.

»Es freut mich, dich zu sehen, June«, sagte Mabel mit ihrer gewinnenden Stimme und freundlichem Lächeln. »Was hat dich hierhergebracht, und wie entdecktest du diese Insel?«

»Sprechen langsam«, sagte June, indem sie das Lächeln erwiderte und die kleine Hand ihrer Freundin mit der ihrigen, die kaum größer, aber durch die Arbeit abgehärtet war, drückte:

»Mehr langsam – zu schnell.«

Mabel wiederholte ihre Fragen, wobei sie sich bemühte, den Sturm ihrer Gefühle zu unterdrücken, und es gelang ihr, sich so deutlich auszusprechen, daß sie verstanden wurde.

»June, Freund«, erwiderte das Indianerweib.

»Ich glaube dir, June – von ganzem Herzen glaub‘ ich dir. Aber was hat das mit deinem Besuch zu schaffen?«

»Freund kommen, zu sehen Freund«, antwortete June mit einem offenen Lächeln gegen Mabel.

»Es muß noch ein anderer Grund da sein, June, sonst würdest du dich nicht in diese Gefahr begeben haben, und noch dazu allein. Du bist doch allein, June?«

»June bei dir, niemand anders. June kommen allein, Kahn rudern.

»Ich hoffe es, ich glaube es – nein, ich weiß es. Du würdest mich nicht verraten, June?«

»Verraten? was?«

»Du könntest mich nicht betrügen, mich nicht den Franzosen, den Irokesen oder Pfeilspitze überliefern?« – June schüttelte ernst ihr Haupt – »du könntest nicht meinen Skalp verkaufen?«

Hier legte June ihren Arm zärtlich um Mabels schlanken Leib und drückte sie mit Innigkeit und Liebe an sich, so daß es kaum mehr möglich war, die Aufrichtigkeit eines jungen, offenen Geschöpfs in Zweifel zu ziehen. Mabel erwiderte ihre Umarmung, blickte ihr dann fest ins Gesicht und fuhr mit ihren Fragen fort.

»Wenn June ihrer Freundin was zu sagen hat, so mag sie freimütig sprechen. Meine Ohren sind offen.«

»June fürchten, Pfeilspitze sie töten.«

»Aber Pfeilspitze wird es nie erfahren«, Mabels Blut stieg ihr gegen die Schläfe, denn sie fühlte, daß sie das Weib zum Verrat gegen ihren Gatten veranlaßte. »Das heißt, Mabel wird’s ihm nicht sagen.«

»Er begraben Tomahawk in Junes Kopf.«

»Das darf nie geschehen, liebe June; sage lieber nichts mehr, als daß du dich dieser Gefahr aussetztest.«

»Blockhaus guter Platz zum Schlafen, guter Platz zum Bleiben.«

»Meinst du, daß ich mein Leben retten könnte, wenn ich mich im Blockhaus aufhielte, June? Sicherlich, sicherlich – Pfeilspitze wird dir kein Leid zufügen, wenn du mir das sagst. Pfeilspitze kann nicht wünschen, daß mir ein Unglück zustoße, denn ich habe ihn nie beleidigt.«

»Pfeilspitze nicht kränken wollen schöne Bleichgesicht«, erwiderte June mit abgewandtem Antlitz, und ihr Ton, obgleich sie immer in der sanften Stimme eines Indianermädchens sprach, wurde tiefer, so daß er den Ausdruck der Melancholie und der Furcht trug; »Pfeilspitze Bleichgesichtmädchen lieben.«

Mabel errötete unwillkürlich und unterdrückte aus natürlichem Zartgefühl einen Augenblick ihre Fragen; aber sie mußte mehr erfahren, und da sich ihre Besorgnisse steigerten, nahm sie ihre Nachforschungen wieder auf.

»Pfeilspitze kann keinen Grund haben, mich zu lieben oder zu hassen«, sagte sie. »Ist er in der Nähe?«

»Mann immer nahe bei Weib – hier«, sagte June, indem sie ihre Hand auf ihr Herz legte.

»Du gutes Geschöpf! Aber sag mir, June, soll ich heute – diesen Morgen – jetzt – im Blockhaus sein?«

»Blockhaus sehr gut; gut für Weiber. Blockhaus kriegen nicht Skalp.«

»Ich fürchte, ich verstehe dich nur zu gut, June. Wünschest du meinen Vater zu sehen?«

»Nicht hier – fortgegangen.«

»Du kannst das nicht wissen, June; du siehst, die Insel ist voll von seinen Soldaten.«

»Nicht voll, fortgegangen.« – Hier hielt June vier Finger in die Höhe. – »So viel Rotröcke.«

»Und Pfadfinder? Möchtest du nicht gerne den Pfadfinder sehen? Er kann mit dir reden in der Zunge der Irokesen.«

»Zunge mit ihm gegangen«, sagte June lachend; »behalten Zunge in sein Mund.«

Es lag etwas so Hübsches und Ansteckendes in dem kindlichen Lachen des Indianermädchens, daß sich Mabel nicht enthalten konnte, darin einzustimmen, so sehr auch ihre Furcht durch alles, was vorgegangen war, erregt war.

»Du scheinst zu wissen oder glaubst alles zu wissen, was sich bei uns zuträgt, June. Aber wenn Pfadfinder gegangen ist, Eau-douce kann auch Französisch sprechen.«

»Eau-douce auch gegangen – nur nicht Herz – das hier.« Als June dies sagte, lachte sie wieder, blickte nach verschiedenen Richtungen, als ob sie Mabel nicht in Verwirrung bringen wollte, und legte ihre Hand auf den Busen ihrer Freundin.

Mabel hatte zwar oft von dem wunderbaren Scharfsinn der Indianer, mit dem sie alles auffassen, während sie doch auf nichts zu achten scheinen, gehört; aber auf diese eigentümliche Wendung ihres Gesprächs war sie nicht vorbereitet. Sie wünschte auf einen andern Gegenstand zu kommen, und da sie zugleich ängstlich besorgt war, zu erfahren, wie groß die Gefahr wirklich sein möchte, die ihr bevorstand, erhob sie sich von dem Feldstuhl, auf dem sie gesessen, und nahm eine Haltung an, die weniger zärtliches Vertrauen ausdrückte, wodurch sie mehr von dem zu erfahren hoffte, was sie zu wissen wünschte, und Anspielungen, die sie in Verlegenheit setzen könnten, zu vermeiden beabsichtigte.

»Du weißt, wie viel oder wie wenig du mir mitteilen darfst, June«, sagte sie; »und ich hoffe, du liebst mich genug, um mich von dem zu unterrichten, was mir zu hören nötig ist. Auch mein lieber Onkel ist auf der Insel, und du bist seine Freundin, oder solltest es sein, so gut wie die meinige; und wir beide werden dein Benehmen nicht vergessen, wenn wir wieder nach Oswego zurückgekehrt sind.«

»Mag sein, nie kehren zurück – wer wissen?« Sie sprach das im Ton des Zweifels, wie jemand, der eine Vermutung ausspricht, keineswegs aber mit Hohn oder in der Absicht, Mabel zu beunruhigen.

»Nur Gott weiß, was geschehen wird. Unser Leben ist in seiner Hand. Doch ich glaube, du bist sein Werkzeug zu unserer Rettung.«

Das ging über Junes Begriffsvermögen, und ihr Blick drückte Unwissenheit aus; doch war es augenscheinlich, daß sie nützlich zu werden wünschte.

»Blockhaus sehr gut!« wiederholte sie, als sich der Zug der Unsicherheit aus ihrem Gesicht verloren hatte, und legte einen starken Nachdruck auf die zwei letzten Worte.

»Gut, ich verstehe das, June, und will heute nacht darin schlafen. Natürlich darf ich aber meinem Onkel mitteilen, was du mir gesagt hast?«

Junitau war bestürzt und ließ eine große Unbehaglichkeit bei dieser Frage blicken.

»Nein, nein, nein!« antwortete sie mit einer Hast und einer Heftigkeit, die den Franzosen Kanadas nachgeahmt waren, »nicht gut, zu sagen Salzwasser. Er viel reden und lange Zunge. Denkt Wälder lauter Wasser, und nichts wissen. Sagen Pfeilspitze und June sterben.«

»Du tust meinem lieben Onkel unrecht, denn es war‘ ihm so wenig möglich, dich wie jemand anders zu verraten.«

»Nichts verstehen. Salzwasser haben Zunge, aber nicht Augen, nicht Ohren, nicht Nase – nichts als Zunge, Zunge, Zunge!«

Obgleich Mabel dieser Ansicht nicht ganz beistimmen konnte, sah sie doch, daß Cap nicht das Vertrauen der Indianerin besaß und daß es vergeblich sei zu hoffen, man könne ihn zu der gegenwärtigen Besprechung herbeiholen.

»Du scheinst zu glauben, daß du unsere Lage ziemlich genau kennst, June«, fuhr Mabel fort; »bist du schon früher auf dieser Insel gewesen?«

»Eben gekommen.«

»Wie kannst du denn wissen, daß das, was du sagst, wahr ist? Mein Vater, der Pfadfinder und Eau-douce, alle können hier in dem Bereich meiner Stimme sein, wenn ich sie rufen will.«

»Alle gegangen«, sagte June mit Bestimmtheit, zugleich aber mit gutmütigem Lächeln.

»Nein, das ist mehr, als du mit Gewißheit sagen kannst, da du die Insel nicht durchsucht hast.«

»Haben gute Augen; sehen Boot mit Männern weggehen – sehen Schiff mit Eau-douce.«

»Dann hast du schon einige Zeit auf uns achtgegeben. Ich denke jedoch, du hast die nicht gezählt, die zurückblieben?«

June lachte, hielt ihre vier Finger wieder in die Höhe, und zeigte dann auf ihre zwei Daumen; indem sie mit einem Finger über die ersteren fuhr, wiederholte sie das Wort »Rotröcke«, und während sie die letzteren berührte, setzte sie hinzu »Salzwasser«, »Quartiermeister«. Alles dieses traf genau zu, und in Mabel stiegen nun ernstliche Zweifel auf, ob es geeignet sei, ihren Besuch ziehen zu lassen, ehe sie weitere Aufklärung erhalten hatte. Es stand aber so sehr im Widerspruch mit ihren Gefühlen, das Vertrauen dieses sanften und liebevollen Geschöpfes zu mißbrauchen, daß Mabel den Gedanken, ihren Onkel herbeizurufen, als ihrer selbst unwürdig und gegen ihre Freundin ungerecht, wieder aufgab. Dieser Entschluß wurde noch dadurch unterstützt, daß man mit Sicherheit darauf zählen konnte, June werde nichts Weiteres enthüllen, sondern ihre Zuflucht zu einem hartnäckigen Schweigen nehmen, wenn man es versuchen würde, sie zu zwingen.

»Du glaubst also, June«, fuhr Mabel fort, »daß es besser wäre, im Blockhaus zu bleiben?«

»Guter Platz für Weib. Blockhaus nicht kriegen Skalp. Balken dick.«

»Du sprichst so zuversichtlich, als ob du drin gewesen bist und seine Wände gemessen hast.«

June lachte und gab sich das Ansehen einer Wissenden, ohne jedoch etwas Weiteres zu sagen.

»Weiß jemand außer dir diese Insel aufzufinden? Hat sie einer der Irokesen gesehen?«

Junes Miene wurde düster; sie warf ihre Augen vorsichtig um sich, als ob sie irgendeinen Horcher befürchte.

»Tuscarora überall – Oswego, hier, Frontenac, Mohawk – überall. Wenn er sieht June, sie töten.«

»Aber wir glaubten, daß niemand was von dieser Insel wisse und daß wir keinen Grund hätten, unsere Feinde zu fürchten, solange wir uns hier befinden.«

»Viel Auge, Irokesen.«

»Augen können nicht alles ausrichten, June. – Diese Insel fällt dem Blick nicht leicht auf, und selbst von unseren Leuten wissen nur wenige sie aufzufinden.«

»Ein Mann reden kann; einige Yengeese französisch sprechen.«

Mabeln überlief es kalt. Der ganze Verdacht gegen Jasper, den sie bisher zu nähren verschmäht hatte, trat auf einmal mit aller Macht vor ihre Seele, und die dadurch erregten Gefühle lasteten schwer auf ihr. Sie faßte sich jedoch wieder, und eingedenk des ihrem Vater gegebenen Versprechens erhob sie sich, ging einige Male in der Hütte auf und nieder und suchte sich zu bereden, das Jaspers Vergehen sie nichts angingen, obgleich sie im innersten Herzen wünschte, ihn unschuldig zu wissen.

»Ich versteh‘, was du sagen willst, June«, begann sie wieder; »du willst mir kundtun, daß irgend jemand verräterischerweise deinen Leuten gesagt hat, wo und wie die Insel zu finden sei?«

June lachte, denn in ihren Augen war Kriegslist mehr ein Verdienst als ein Verbrechen. Sie war jedoch ihrem Stamme zu treu, um mehr zu sagen, als die Umstände gerade erforderten. Ihre Absicht war, Mabel zu retten, aber auch nur Mabel; und sie sah keinen hinreichenden Grund, warum sie mehr tun sollte.

»Bleichgesicht wissen nun«, setzte sie bei, »Blockhaus gut für Mädchen. Nichts mir machen aus Männer und Krieger.«

»Aber ich mache mir viel daraus, June; denn einer von diesen Männern ist mein Onkel, den ich liebe, und die andern sind meine Landsleute und Freunde. Ich muß ihnen sagen, was vorgegangen ist.«

»Dann June werden getötet«, erwiderte die junge Indianerin ruhig, obgleich augenscheinlich etwas bekümmert.

»Nein, sie sollen nicht erfahren, daß du hier gewesen bist. Aber sie müssen auf ihrer Hut sein, und wir können alle in das Blockhaus gehen.«

»Pfeilspitze wissen, sehen jedes Ding, und June werden töten, June kommen, zu sagen jungem Bleichgesicht Freund, und nicht zu sagen Männer. Jeder Krieger bewachen sein eigen Skalp. June Weib und sagen Weib; nicht sagen Männer.«

Mabel wurde durch diese Erklärung ihrer indianischen Freundin in die äußerste Not versetzt, denn es war nun augenscheinlich, daß die junge Wilde einsah, ihre Mitteilungen dürften nicht weitergehen. Es war ihr unbekannt, wie sehr es dieses Volk für einen Ehrenpunkt hält, ein Geheimnis zu bewahren, und noch weniger war sie imstande zu beurteilen, wie weit eine Unklugheit von ihrer Seite June bloßstellen und ihr Leben gefährden könne. Alle diese Betrachtungen blitzten durch ihre Seele und wurden durch reiflichere Erwägung nur noch schmerzlicher. Auch June betrachtete die Sache augenscheinlich ernst, denn sie fing an, sich zum Aufbruch anzuschicken. Der Versuch, sie aufzuhalten, kam Mabel nicht in den Sinn, und von ihr zu scheiden, nachdem sie so viel gewagt hatte, um ihr zu dienen, widerstrebte dem Billigkeitsgefühl und dem liebevollen Charakter Mabels.

»June!« sagte sie lebhaft, indem sie ihren Arm um die Schulter der Indianerin legte, »wir sind Freundinnen. Von mir hast du nichts zu befürchten, denn niemand soll etwas von deinem Besuch erfahren. Könntest du mir aber nicht ein Zeichen geben, wenn die Gefahr heranrückt, ein Zeichen, aus dem ich erkennen kann, wann ich in das Blockhaus gehen soll und wie ich für mich Sorge tragen kann?«

June hielt an, denn sie hatte sich bereits ernstlich zum Fortgehen angeschickt; dann sagte sie ruhig: »Bring June Taube.«

»Eine Taube? Wo werde ich eine Taube finden, die ich dir bringen könnte?«

»Nächste Hütte; bring eine alte, June gehen zu Kahn.«

»Ich glaube, ich versteh‘ dich, June; wär’s aber nicht besser, ich ginge mit dir nach dem Gebüsch zurück, damit du nicht mit irgendeinem von den Männern zusammentriffst?«

»Gehen aus zuerst; zählen Männer eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs« – hier hielt June ihre Finger in die Höhe und lachte – »alle aus dem Weg – gut. Wenn nur einer, rufen ihn auf Seite. Dann singen und holen Taube.«

Mabel lächelte über die Besonnenheit und den Scharfsinn des Mädchens und schickte sich an, ihren Wünschen zu entsprechen. An der Tür hielt sie jedoch und blickte bittend auf das indianische Weib zurück.

»Darf ich nicht hoffen, daß du mir mehr sagest, June?« fragte sie. »Alles jetzt wissen; Blockhaus gut, Taube sagen, Pfeilspitze töten.«

Die letzten Worte genügten, denn Mabel konnte nicht auf weitere Mitteilungen dringen, da ihre Gefährtin selbst sagte, daß die Strafe ihrer Enthüllungen wahrscheinlich der Tod von der Hand ihres Gatten sein werde. Sie öffnete die Tür, winkte June ein Lebewohl zu und verließ die Hütte. Mabel griff zu dem einfachen, von der Indianerin angegebenen Mittel, um sich über die Orte, wo sich die verschiedenen Personen befanden, Gewißheit zu verschaffen, und begnügte sich mit dem Zählen, statt sie genauer ins Auge zu fassen, um sie aus dem Gesicht und dem Anzug zu erkennen. Sie fand, daß drei noch bei dem Feuer saßen, während zwei andere, unter ihnen Herr Muir, gegen das Boot hin gegangen waren. Der sechste war ihr Onkel, der sich in der Nähe des Feuers mit der Zurichtung von Angelgerätschaften beschäftigte. Die Soldatenfrau ging eben in ihre Hütte, und somit war sie mit der ganzen Gesellschaft im klaren. Mabel gab sich das Ansehen, als ob sie etwas vergessen habe, kehrte in die Nähe der Hütte zurück, trillerte ein Liedchen, bückte sich, als ob sie etwas von dem Boden aufläse, und eilte nun der von June angegebenen Hütte zu. Diese war ein verfallenes Gebäude und von den Soldaten der abgelösten Abteilung zu einem Aufbewahrungsort für ihr zahmes Vieh umgewandelt worden. Unter anderem enthielt es einige Dutzend Tauben, die sich auf einem Haufen Weizen gütlich taten, der von einer der geplünderten Ansiedlungen auf dem Kanadaufer mitgebracht worden war. Es wurde Mabel nicht schwer, eine von den Tauben zu haschen, obgleich diese mit einem trommelähnlichen Geräusch um die Hütte flatterten, und als sie das Tierchen unter ihren Kleidern verborgen hatte, stahl sie sich mit ihrem Fang wieder nach ihrer Hütte zurück. Ein Blick durch die Tür überzeugte sie, daß ihr Gast nicht mehr da sei, und nun eilte das Mädchen hastig dem Ufer zu, ohne daß es ihr dabei schwer wurde, der Beobachtung zu entgehen, da sie die Bäume und Büsche vollkommen verbargen. Bei dem Kahn fand sie June, die die Taube nahm, sie in ein von ihr selbst verfertigtes Körbchen setzte, und mit den Worten: »Blockhaus gut«, so geräuschlos wie sie gekommen war aus dem Gebüsch und über die schmale Wasserstraße glitt. Mabel wartete noch eine Weile auf ein Zeichen des Abschieds oder der Zuneigung von ihrer landenden Freundin, aber vergebens. Die benachbarten Inseln, ohne Ausnahme, waren so still, als ob hier nie die erhabene Ruhe der Natur gestört worden sei, und nirgends ließ sich ein Zeichen oder eine Spur entdecken, die Mabel hätten Aufschluß über die Nähe der Gefahr erteilen können, von der Junitau Nachricht gegeben hatte.

Als Mabel vom Ufer zurückkehrte, fiel ihr ein kleiner Umstand auf, der unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum ihre Aufmerksamkeit angezogen hätte, jetzt aber, da ihr Argwohn geweckt war, von ihrem unruhigen Blick nicht unbeachtet blieb.

Ein kleines Stück roten Beuteltuchs, wie man sich dessen zur Verfertigung von Schiffsflaggen bedient, flatterte von dem unteren Ast eines kleinen Baumes, an dem es ganz so befestigt war, daß es wie ein Schiffswimpel sich senken oder vom Winde hinausgeblasen werden konnte.

Da Mabels Furcht einmal rege war, so hätte selbst June sich nicht mit größerer Schnelligkeit Tatsachen klarzumachen vermocht, die, wie zu vermuten stand, auf die Sicherheit der Gesellschaft Bezug hatten. Ein Blick genügte ihr für die Überzeugung, daß dieser Tuchstreifen von der anliegenden Insel aus bemerkt werden konnte, daß er der Linie zwischen ihrer Hütte und dem Kahne so nahe lag, um es außer Zweifel zu sehen, daß June nahe daran, wenn nicht unter ihm habe vorbeikommen müssen, und daß es vielleicht ein Signal sei, um denen, die wahrscheinlich in der Nachbarschaft im Hinterhalt lagen, irgendeine wichtige Tatsache mitzuteilen, die mit der Art des Angriffs in Verbindung stand. Mabel nahm den Tuchstreifen von dem Baum und eilte fort, kaum wissend, was ihr nun zunächst obliege. June konnte falsch gegen sie gewesen sein; aber ihr Benehmen, ihre Blicke, ihre Liebe und Anhänglichkeit, die Mabel schon während ihrer Reise kennengelernt hatte, ließen diesen Gedanken nicht aufkommen. Dann gedachte sie der Anspielung auf Pfeilspitzes Bewunderung der Bleichgesichtsschönheit, erinnerte sich, wenn auch dunkel, der Blicke des Tuscarora, und es wurde ihr schmerzlich klar, daß wenige Weiber mit Zuneigung auf die blicken können, die ihnen die Liebe ihrer Männer entfremdet haben. Zwar waren diese Bilder weder bestimmt noch deutlich, sondern durchflogen eher die Seele Mabels in einem gewissen Helldunkel, als daß sie festen Halt darin gewonnen hätten; trotzdem aber beschleunigten sie die Pulse und die Schritte des Mädchens, ohne in ihr die raschen und klaren Entschlüsse hervorzubringen, die gewöhnlich ihren Erwägungen folgten. Sie eilte geradenwegs nach der von der Soldatenfrau bewohnten Hütte, in der Absicht, sich schnell mit ihr nach dem Blockhaus zu begeben, da sie niemand anders veranlassen konnte, ihr zu folgen, als ihr ungeduldiger Schritt plötzlich durch Muirs Stimme unterbrochen wurde.

»Wohin so schnell, schöne Mabel«, rief er, »und warum so einsam? Der würdige Sergeant wird sich über meine gute Lebensart lustig machen, wenn er hört, daß seine Tochter die Morgenstunden allein und ohne Begleitung zubringen muß, während er doch weiß, wie glühend mein Wunsch ist, Ihr Gesellschafter und Sklave zu sein, vom Anfang des Jahres an bis zu dessen Ende.«

»Sicherlich, Herr Muir, müssen Sie hier einiges Ansehen haben«, sagte Mabel, indem sie plötzlich ihre Schritte anhielt. »Auf einen Mann von Ihrem Rang muß wenigstens ein Korporal hören.«

»Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht«, unterbrach sie Muir, mit einer Ungeduld und einem Ausdruck von Beunruhigung, die in einem anderen Augenblick Mabels Aufmerksamkeit erregt haben würden. »Kommando ist Kommando, Disziplin ist Disziplin, und Ansehen ist Ansehen. Ihr guter Vater würde es höchst empfindlich aufnehmen, wenn ich ihm ins Gehege ginge und die Lorbeeren, die er zu gewinnen im Begriff ist, besudeln oder für mich davontragen wollte. Ich kann dem Korporal nicht befehlen, ohne zugleich auch dem Sergeanten zu befehlen. Es wird daher für mich das klügste sein, bei dieser Unternehmung in der Dunkelheit des Privatmannes zu bleiben, und so verstehen auch alle von Lundie abwärts die Verhaltungsbefehle.«

»Ich weiß das, und es mag wohl gut sein; denn ich möchte meinem Vater keinen Anlaß zur Unzufriedenheit geben. Aber Ihr Ansehen könnte zu des Korporals eigenem Besten dienen.«

»Ich will das nicht sagen«, erwiderte Muir in seiner schlauen schottischen Weise; »es würde viel eher angehen, einen Einfluß zu seinem Schaden auf ihn geltend zu machen. Der Mensch hat seine Besonderheiten, schöne Mabel, und auf ein Mitgeschöpf zu seinem Besten einwirken zu wollen, ist eine der schwierigsten Aufgaben der menschlichen Natur, während das Gegenteil gerade die allerleichteste ist. Sie werden das nicht vergessen, meine Teure, sondern es sich zu Ihrer Erbauung und Belehrung ein wenig zu Gemüt führen; aber was ist das, was Sie da um Ihren schlanken Finger wickeln, als ob es einer Ihrer brünstigen Verehrer wäre?«

»Es ist nichts als ein Stückchen Tuch – eine Art Flagge – eine Kleinigkeit, die kaum Ihrer Aufmerksamkeit würdig ist in einem so ernsten Augenblick. – Wenn –«

»Eine Kleinigkeit? Es ist nicht so geringfügig, wie Sie sich vorstellen mögen, Miss Mabel!« Er nahm ihr das Stückchen Tuch ab und dehnte es mit beiden Armen der Länge nach aus, während sein Gesicht ernst und sein Auge wachsam wurde. »Sie werden das doch nicht im Frühstück gefunden haben, Mabel Dunham?«

Mabel teilte ihm einfach mit, wo und wie sie diesen Streifen gefunden habe. Während sie sprach, war das Auge des Quartiermeisters keinen Augenblick ruhig und flog von dem Flaggentuch zu Mabels Gesicht und von da wieder zu dem Flaggentuch zurück. Es war leicht zu bemerken, daß sein Verdacht erregt war, und er ließ Mabel nicht lange im ungewissen darüber.

»Wir sind nicht in einem Teil der Welt, wo unsere Flaggen draußen in dem Winde flattern dürfen, Mabel Dunham!« sagte er mit einem bedeutungsvollen Kopfschütteln.

»Das dachte ich auch, Herr Muir, und nahm deshalb den kleinen Wimpel weg, damit er nicht ein Mittel werde, dem Feind unsere Anwesenheit zu verraten, selbst wenn durch das Entfalten gar nichts beabsichtigt wurde. Sollte man nicht meinen Onkel von diesem Umstand in Kenntnis setzen?«

»Ich sehe hierfür keine Notwendigkeit, schöne Mabel; denn Sie bezeichnen es ganz richtig als einen Umstand, und Umstände stoßen bisweilen dem würdigen Seemann schwer auf. Aber diese Flagge, wenn man es eine solche nennen kann, gehört zu dem Fahrzeug eines Schiffers. Sie werden bemerken, daß sie aus sogenanntem Beuteltuch gemacht ist, das bloß zu derartigen Zwecken benützt wird; denn Sie wissen selbst, daß unsere Fahnen aus Seide oder farbiger Leinwand verfertigt sind. Sie hat auf eine überraschende Weise die Länge des Scudwimpels; – und ich erinnere mich nun, daß ein Stück von eben jener Flagge abgeschnitten war.«

Mabel fühlte ihr Herz erstarren, aber sie hatte genug Selbstbeherrschung, um keine Erwiderung zu versuchen.

»Man darf die Sache nicht so hingehen lassen«, fuhr Muir fort, »und es wird im Grunde doch gut sein, eine kurze Rücksprache mit Meister Cap zu halten; denn ein loyalerer Untertan lebt nicht im britischen Reich.«

»Ich hab‘ mir diesen Wink so ernst betrachtet«, versetzte Mabel, »daß ich im Begriff bin, mich in das Blockhaus zu begeben und die Soldatenfrau mit mir zu nehmen.«

»Ich seh‘ nicht ein, zu was das gut sein wird, Mabel. Das Blockhaus wird zuerst angegriffen werden, wenn wirklich ein Überfall stattfindet. Wenn ich Ihnen in einer so zarten Angelegenheit raten dürfte, so möcht‘ ich Ihnen empfehlen, Ihre Zuflucht zu dem Boot zu nehmen, das, wie Sie bemerken können, am günstigsten liegt, um sich in jenen entgegengesetzten Kanal zu flüchten, wo alles, was darin ist, in einer oder zwei Minuten zwischen den Inseln verborgen wäre. Wasser hinterläßt keine Fährte, wie Pfadfinder sagt, und es scheint, es seien so viele verschiedene Durchgänge in dieser Gegend, daß ein Entkommen mehr als wahrscheinlich ist. Ich bin immer der Ansicht gewesen, Lundie habe zuviel gewagt, als er einen so weit vorgeschobenen und so sehr gefährdeten Posten, wie dieser ist, besetzen ließ.

»Es ist nun zu spät, es zu bereuen, Herr Muir, und wir haben jetzt nur für unsere Sicherheit zu sorgen.«

»Und für die Ehre des Königs, schöne Mabel. Ja, Seiner Majestät Waffen und sein ruhmvoller Name dürfen bei keiner Gelegenheit außer acht gelassen werden.«

»Dann, meine ich, dürfte es doch am geeignetsten sein, wenn wir unsere Augen lieber nach dem Ort richteten, der zu ihrer Aufrechterhaltung gebaut worden ist, als nach dem Boot«, sagte Mabel lächelnd; »und so bin ich, Herr Muir, für das Blockhaus, wo ich die Rückkehr meines Vaters und seiner Leute abwarten möchte. Es müßte ihn wohl sehr betrüben, wenn er siegreich zurückkäme und voll Zuversicht, daß wir unseren Pflichten nicht weniger treu nachgekommen seien wie er der seinigen, und fände, daß wir geflohen sind.«

»Nein, nein, um’s Himmels willen, mißverstehen Sie mich nicht, Mabel«, unterbrach sie Muir etwas beunruhigt; »ich bin weit entfernt, jemand anders als den Frauen den Rat zu geben, zum Boot die Zuflucht zu nehmen. Die Obliegenheit der Männer ist ohne allen Zweifel klar genug, und mein Entschluß war von Anfang an, mit dem Blockhaus zu stehen oder zu fallen.«

»Und glaubten Sie, Herr Muir, daß zwei Frauen dieses schwere Boot auf eine Weise zu führen wüßten, um dem Rindenkahn eines Indianers zu entkommen?«

»Ach, meine schöne Mabel, die Liebe versteht sich selten auf die Logik, und die Besorgnisse sind wohl geeignet, den Verstand ein wenig in Verwirrung zu bringen. Ich sah nur Ihre süße Gestalt in dem Besitz des Rettungsmittels und dachte nicht, daß es Ihnen an der Fähigkeit gebricht, sich dessen zu bedienen. Aber Sie werden nicht so grausam sein, holdes Wesen, mir die lebhafte Besorgnis um Sie als Fehler anzurechnen?«

Mabel hatte genug gehört. Ihr Geist war zu sehr mit den Ereignissen dieses Morgens und mit ihren Befürchtungen beschäftigt, als daß sie länger bei einem Liebesgespräch zu verweilen gewünscht hätte, das ihr auch in den sorgenfreiesten und heitersten Augenblicken zuwider gewesen wäre. Sie nahm daher hastig Abschied von ihrem Gefährten und beabsichtigte, sich in die Hütte der Soldatenfrau zu begeben, als sie Muir anhielt, indem er mit seiner Hand ihren Arm faßte.

»Ein Wort noch, Mabel«, sagte er, »ehe Sie mich verlassen. Diese kleine Flagge hat entweder eine besondere Bedeutung oder nicht. Hat sie eine, so dürfte es, da wir sehen, daß sie bereits ausgesteckt worden ist, wohl besser sein, sie wieder an ihren Ort zu hängen, während wir sorgsam darauf achten, ob nicht eine Antwort erfolgt, die uns der Verschwörung auf die Sprünge kommen helfe; und hat sie nichts zu bedeuten – ei, so wird auch nichts darauf folgen.«

»Sie mögen wohl recht haben, Herr Muir, obgleich, wenn das Ganze bloß zufällig ist, die Flagge Anlaß zur Entdeckung des Postens geben könnte.«

Mabel stand ihm nicht weiter Rede und war ihm bald aus den Augen, indem sie der Hütte zueilte, nach der sie schon vorhin getrachtet hatte.

Der Quartiermeister blieb ungefähr eine Minute auf demselben Platze und in derselben Stellung, in der ihn das Mädchen verlassen hatte, und blickte zuerst auf die forthüpfende Gestalt, dann aber auf das Stückchen Tuch, das er in der Hand hielt, indes sich Unschlüssigkeit in seinen Zügen ausdrückte. Sein Schwanken dauerte jedoch nicht länger als diese Minute, denn er befand sich bald unter dem Baum, wo er die Flagge wieder an einen Ast befestigte, obgleich er sie, da er die Stelle nicht kannte, von der sie Mabel abgenommen hatte, von einem Eichenzweige herabflattern ließ, der mehr den Blicken solcher ausgesetzt war, die sich auf dem Strom befanden, während sie von der Insel aus weniger gesehen werden konnte.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Es war bereits heller Tag, als Mabel erwachte. Sie hatte ruhig geschlafen, da sie sich mit ruhigem Gewissen zu Bett gelegt und die Ermüdung ihren Schlummer versüßt hatte. Sie sprang auf, kleidete sich rasch an, und bald atmete das Mädchen den Duft des Morgens in der freien Luft. Das erstemal traten ihr die eigentümlichen Reize und die tiefe Abgeschiedenheit ihrer gegenwärtigen Lage recht lebhaft vor Augen. Es war einer der herrlichen Herbsttage, die in diesem mehr geschmähten als gehörig gewürdigten Klima so gewöhnlich sind, und ihr Einfluß war in jeder Beziehung anregend.

Die Insel schien gänzlich verlassen. In der vorhergehenden Nacht hatte ihr die lärmvolle Ankunft einen Anstrich von Leben gegeben, der nun wieder völlig gewichen war. Mabel ließ ihren Blick fast über jeden sichtbaren Gegenstand umherstreifen, ehe sie ein menschliches Wesen zu Gesicht bekam, um das Gefühl gänzlicher Einsamkeit zu verscheuchen. Endlich erblickte sie alle Zurückgebliebenen um ein Feuer gruppiert, was das Bild eines Lagers vervollständigte. Die Gestalt ihres Onkels, an den sie am meisten gewöhnt war, nahm ihr jedoch alle Furcht, und mit einer ihrer Lage natürlichen Neugier betrachtete sie sich die übrigen näher. Außer Cap und dem Quartiermeister waren noch der Korporal und die drei Soldaten dort mit der Frau, die das Frühstück bereitete. Die Hütten waren ruhig und leer, und der niedrige, turmartige Giebel des Blockhauses hob sich mit malerischer Schönheit, zum Teil versteckt, über das Gebüsch. Die Sonne überstrahlte gerade die freieren Plätze zwischen den Bäumen, und das Gewölbe über ihrem Haupt prangte in dem sanftesten Blau. Kein Wölkchen war sichtbar, und alles schien auf Frieden und Sicherheit hinzudeuten.

Da Mabel bemerkte, daß alle mit dem Frühstück beschäftigt waren, ging sie unbeachtet gegen ein Ende der Insel, wo Bäume und Gebüsche sie vor aller Augen verbargen. Hier gewann sie, indem sie die niedrigen Zweige auf die Seite drängte, einen Standort am Rande des Wassers und lauschte dem kaum bemerklichen Zu- und Abfluß der kleinen Wellen, die das Ufer wuschen –, eine Art natürlichen Widerhalls zu der Bewegung, die fünfzig Meilen weiter oben auf dem See herrschte. Sie betrachtete die verschiedenen Aussichten, die ihr die Öffnungen zwischen den Inseln boten, und gab sich dem Gedanken hin, daß sie nie etwas Lieblicheres gesehen habe.

Während Mabel so beschäftigt war, wurde sie plötzlich durch die Vermutung aufgeschreckt, sie hätte etwas wie eine menschliche Gestalt unter den Gebüschen erblickt, die das Ufer der vor ihr liegenden Insel säumten. Die Entfernung über das Wasser betrug kaum hundert Ellen, und obgleich sie vielleicht im Irrtum war und ihre Phantasie in dem Augenblick, wo ihr die Erscheinung auftauchte, überall umherschweifte, so hielt sie es doch kaum für möglich, daß sie sich getäuscht haben könnte. Sie wußte wohl, daß sie ihr Geschlecht nicht gegen eine Büchsenkugel schützen würde, wenn sie ein Irokese zu Gesicht bekommen sollte, und zog sich daher instinktartig zurück, wobei sie Sorge trug, sich so gut wie möglich unter den Blättern zu verbergen, während sie fortwährend ihre Blicke auf das gegenüberliegende Ufer heftete, in der geraume Zeit fruchtlosen Erwartung, dem fremden Gegenstand wieder zu begegnen. Sie war eben im Begriff, das Gebüsch zu verlassen und zu ihrem Onkel zu eilen, um ihm ihren Verdacht mitzuteilen, als sie auf der anderen Insel hinter dem Saum des Gebüsches einen Erlenzweig winken sah, der bedeutungsvoll und, wie es ihr vorkam, als Zeichen der Freundschaft auf- und abgeschwungen wurde. Dies war ein atemloser, drückender Augenblick für jemand, der so wenig in den Grenzkriegen erfahren war wie Mabel; und doch fühlte sie die Notwendigkeit, ihre Fassung zu bewahren und mit Festigkeit und Umsicht zu handeln.

Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der gefahrvollen Lage, der die amerikanischen Grenzbewohner ausgesetzt waren, daß sich die moralischen Eigenschaften der Frauen in einem Grade steigerten, dessen diese sich unter andern Umständen selbst nicht für fähig gehalten hätten, und Mabel wußte wohl, daß die Grenzleute in ihren Erzählungen gern bei der Geistesgegenwart, dem Mut und der Tapferkeit verweilen, die ihre Frauen und Schwestern unter den gefährlichsten Umständen entfaltet hatten. Solche Erzählungen feuerten sie zur Nachahmung an, und es fiel ihr plötzlich ein, jetzt sei gewiß der Augenblick gekommen, wo sie sich als Sergeant Dunhams wahres Kind beweisen könne. Die Bewegung des Zweiges schien ihr auf eine freundliche Absicht hinzudeuten, und nach dem Zögern eines Augenblicks brach sie gleichfalls einen Zweig ab, befestigte ihn an einen Stock, erhob ihn über eine Lücke im Gebüsch und erwiderte die Begrüßung, wobei sie genau die Bewegungen des andern nachahmte.

Diese stumme Zwiesprache dauerte auf beiden Seiten zwei oder drei Minuten, als Mabel bemerkte, daß das entgegengesetzte Gebüsch vorsichtig beiseite gedrückt wurde und in der Öffnung ein menschliches Antlitz zum Vorschein kam. Ein zweiter, genauerer Blick überzeugte sie, daß es das Gesiebt von Junitau, dem Weibe Pfeilspitzes war. Solange Mabel in der Gesellschaft dieses Geschöpfes war, hatte sie es wegen seines sanften Benehmens, der demütigen Einfalt und der mit Furcht vermischten Liebe gegen seinen Gatten liebgewonnen. Ein- oder zweimal war es ihr während des Laufes ihrer Reise vorgekommen, als ob der Tuscarora gegen sie selbst einen unerfreulichen Grad von Aufmerksamkeit an den Tag lege; und bei solchen Gelegenheiten war es ihr aufgefallen, daß sein Weib Schmerz und Bekümmernis verriet. Da jedoch Mabel ihre Gefährtin für die Kränkung, die sie ihr in dieser Hinsicht unabsichtlich veranlaßte, durch Güte und Aufmerksamkeit mehr als entschädigte, so bewies ihr die Indianerin so viel Zuneigung, daß Mabel bei ihrer Trennung überzeugt war, sie hätte in Junitau eine Freundin verloren.

Man würde vergeblich den Versuch machen, alle Wege zu erforschen, auf denen das Vertrauen in das menschliche Herz einzieht. Das junge Tuscaroraweib hatte jedoch ein derartiges Gefühl in Mabels Seele erweckt, und diese fühlte sich zu einem genaueren Verkehr geneigt, da sie überzeugt war, daß diese ungewöhnliche Erscheinung ihr Bestes beabsichtige. Sie zögerte nicht länger, aus dem Gebüsch herauszutreten, und freute sich zu sehen, daß ihr Vertrauen Nachahmung fand, indem Junitau furchtlos aus ihrem Versteck herauskam. Die zwei Mädchen – denn obgleich verheiratet, war die Tuscarora doch jünger als Mabel – tauschten nun offen die Zeichen der Freundschaft aus, und Mabel bat ihre Freundin, näher zu kommen, obgleich es ihr selbst nicht deutlich war, wie dieses ausgeführt werden könne. Aber Junitau säumte nicht zu zeigen, daß es in ihrer Macht stehe; denn nachdem sie auf einen Augenblick verschwunden war, erschien sie wieder an dem Ende eines Rindenkahns, dessen Bug sie in den Saum des Gebüsches gezogen hatte und dessen Rumpf in einer Art versteckten Schlupfhafens lag. Mabel wollte sie eben einladen herüberzukommen, als ihr Name von der Stentorstimme ihres Onkels gerufen wurde. Sie gab dem Tuscaroramädchen einen raschen Wink, sich zu verbergen, eilte vom Gebüsch weg dem freien Platz zu, woher die Stimme gekommen war, und bemerkte, wie sich die ganze Gesellschaft eben zum Frühstück niedergelassen hatte, wobei Cap seinen Appetit kaum so weit zügelte, um sie aufzufordern, am Mahl teilzunehmen. Mabel begriff schnell, daß dies der günstigste Augenblick zu einer Besprechung sein müsse, entschuldigte sich, daß sie noch nicht zum Essen vorbereitet sei, eilte nach dem Dickicht zurück und erneuerte bald wieder ihren Verkehr mit der Indianerin. Junitau begriff schnell, und nach einem halben Dutzend lautloser Ruderschläge lag ihr Kahn in dem Versteck des Gebüsches der Stationsinsel. Eine Minute später hielt Mabel ihre Hand und führte sie durch den Schattengang zu ihrer eigenen Hütte. Zum Glück war diese so gelegen, daß sie vom Feuer aus nicht gesehen werden konnte, und so langten beide Freundinnen dort unbemerkt an. Mabel erklärte ihrem Gast in der Geschwindigkeit so gut sie konnte, daß sie die Indianerin auf eine kurze Zeit verlassen müsse, führte Junitau in ihr eigenes Zimmer mit der festen Überzeugung, daß sie es nicht verlassen würde, begab sich dann zu dem Feuer und nahm ihren Platz unter den übrigen ein.

»Wer spät kommt, wird spät bedient, Mabel«, sagte ihr Onkel zwischen zwei Mundladungen voll gebratenen Fisches; denn obgleich die Kochkunst an dieser entfernten Grenze sehr ungekünstelt sein mochte, so waren doch die Speisen im allgemeinen köstlich. »Wer spät kommt, wird spät bedient: Das ist eine gute Regel und macht die Schlafmützen munter.«

»Ich bin keine Schlafmütze, Onkel; denn ich bin schon eine ganze Stunde auf und habe mich auf unserer Insel umgesehen.«

»Sie werden wenig daraus machen können, Miss Mabel«, versetzte Muir, »denn es ist von Natur nicht viel an ihr. Lundie oder, wie man ihn in solcher Gesellschaft besser nennen könnte, Major Duncan« – es wurde dies wegen des Korporals und der gemeinen Soldaten gesagt, obgleich diese ihr Mahl etwas abgesondert einnahmen –, »Major Duncan hat die Staaten Seiner Majestät durch kein Reich vermehrt, als er von dieser Insel Besitz nahm, denn die gleicht ganz der des berühmten Sancho an Einkünften und Ertrag. Ihr kennt doch ohne Zweifel diesen Sancho, Meister Cap, und werdet oft in Euren Mußestunden, zumal bei einer Windstille oder in Augenblicken der Untätigkeit, von ihm gelesen haben?«

»Ich kenne den Ort, den Sie meinen, Quartiermeister; Sanchos Insel – Korallenfels, von neuer Formation und so schlechter Aufduning bei Nacht und stürmischem Wetter, daß sich jeder Sünder davon klarzuhalten wünscht, ’s ist ein bekannter Platz wegen der Kokosnüsse und des bittern Wassers, diese Sanchos Insel.«

»Es soll dort nicht gut Mittag halten sein«, erwiderte Muir und unterdrückte aus Achtung vor Mabel das Lächeln, das auf seinen Lippen zuckte; »auch glaub‘ ich nicht, daß einem zwischen ihren Einkünften und denen unseres gegenwärtigen Aufenthalts die Wahl besonders schwer werden dürfte. Nach meinem Urteil, Meister Cap, ist unsere Stellung sehr unmilitärisch, und ich sehe voraus, daß uns früher oder später eine Kalamität zustoßen wird.«

»Es wär‘ zu wünschen, daß es nicht eher geschieht, als bis unser Dienst hier zu Ende ist«, bemerkte Mabel. »Ich trage kein Verlangen danach, Französisch zu lernen.«

»Wir dürften uns glücklich schätzen, wenn es nur das und nicht etwa das Irokesische wäre. Ich hab‘ dem Major Duncan Vorstellungen wegen der Besetzung dieses Postens gemacht, aber einen eigensinnigen Mann muß man seinen Weg gehen lassen. Mein Hauptgrund, warum ich mich dem Zug anschloß, war die Absicht, mich Eurer schönen Nichte nützlich und angenehm zu machen, Meister Cap; dann wollte ich auch einen Überschlag über die Vorräte machen, die ja eigentlich in meinen Geschäftskreis gehören, damit keine Einreden über die Art ihrer Verwendung stattfinden können, wenn der Feind Mittel finden sollte, sie wegzunehmen.«

»Betrachten Sie die Sache so ernst?« fragte Cap, indem er vor lauter Anteil an der Antwort mit dem Kauen eines Wildbretbissens innehielt; denn er ging wechselweise wie ein Feinschmecker von Fisch zu Fleisch und vom Fleisch wieder zum Fisch über. »Ist die Gefahr so drängend?«

»Ich will das nicht grad sagen, möchte aber auch nicht das Gegenteil behaupten. Im Krieg ist immer Gefahr vorhanden und auf vorgeschobenem Posten mehr als im Hauptquartier. Es darf daher keinen Augenblick überraschen, wenn wir einen Besuch von den Franzosen bekommen.«

»Und was, zum Teufel, war‘ in solchem Fall zu tun? Sechs Mann und zwei Weiber würden sich bei der Verteidigung eines Platzes wie diesem erbärmlich genug ausnehmen, wenn die Franzosen einen Überfall machen sollten; denn ohne Zweifel würden sie – so echt französisch – in tüchtigen Massen anrücken.

»Darauf kann man sich verlassen – aufs mindeste mit einer furchtbaren Macht. Ohne Zweifel wäre es zweckmäßig, nach den Regeln der Kriegskunst Anstalten zur Verteidigung der Insel zu treffen, obgleich es uns wahrscheinlich an der nötigen Mannschaft fehlen wird, diesen Plan auf eine erfolgversprechende Weise auszuführen. Erstens sollte eine Abteilung am Ufer aufgestellt werden, um den Feind beim Landen zu beunruhigen; eine starke Besatzung sollte augenblicklich in das Blockhaus gelegt werden, da es die Zitadelle ist, nach der sich natürlich die verschiedenen Abteilungen zurückziehen würden, wenn sie bei dem Vorrücken der Franzosen Unterstützung brauchten. Dann sollte um den festen Platz ein mit Gräben versehenes Lager gelegt werden, da es in der Tat sehr unmilitärisch wäre, den Feind nahe genug zu dem Fuß der Mauern kommen zu lassen, um sie zu unterminieren. Spanische Reiter sollten die Kavallerie im Schach halten, und was die Artillerie anbelangt, so sollten unter dem Versteck jener Wälder Redouten aufgeworfen werden. Starke Plänklerabteilungen würden außerdem zu Verzögerung des feindlichen Marsches außerordentlich gute Dienste leisten, und diese zerstreuten Hütten könnten, gehörig mit Piketten versehen und von Gräben umzogen, treffliche Positionen zu diesem Zweck abgeben.«

»Ha – ha – ha –! Quartiermeister. Und wer, zum Teufel, soll alle die Mannschaft aufbringen, um einen solchen Plan auszuführen?«

»Der König, ohne allen Zweifel, Meister Cap. Es ist seine Sache und daher billig, daß er auch die Bürde trage.«

»Und wir sind nur unserer sechs! Das ist mir ein sauberes Geschwätz, zum Henker! Da könnte man Sie ans Ufer hinunterschicken, um den Feind vom Landen abzuhalten – Mabel müßte plänkeln, wenigstens mit der Zunge – das Soldatenweib könnte die spanischen Reiter spielen, um die Kavallerie in Verwirrung zu bringen – der Korporal hätte das verschanzte Lager zu kommandieren seine drei Mann müßten die Hütten besetzen, und mir bliebe dann das Blockhaus. – Sie zeichnen gut, Leutnant, und hätten Maler statt Soldat werden sollen.«

»Nun, ich hab‘ meine Disposition in dieser Sache wissenschaftlich und ehrlich gemacht. Daß keine größere Macht da ist, den Plan auszuführen, ist die Schuld von Seiner Majestät Ministern und nicht meine.«

»Aber wenn der Feind wirklich erschiene«, fragte Mabel mit mehr Anteil, als sie gezeigt haben würde, wenn sie sich nicht ihres Gastes in der Hütte erinnert hätte, »welchen Weg müßten wir dann einschlagen?«

»Mein Rat, schöne Mabel, wär‘ ein Versuch zur Ausführung dessen, was Xenophon mit Recht so berühmt machte.«

»Ich glaube, Sie meinen einen Rückzug, obgleich ich ihre Anspielung halb erraten muß.«

»Ihrem hellen, natürlichen Verstand ist meine Meinung nicht entgangen, mein Fräulein. Ich habe bemerkt, daß Ihr würdiger Vater dem Korporal gewisse Methoden angegeben hat, mit denen er diese Insel zu halten hofft, falls die Franzosen ihre Lage auffinden sollten. Aber obgleich der ausgezeichnete Sergeant Ihr Vater und im Dienst so gut wie irgendein Unteroffizier ist, so ist er doch nicht der große Lord Stair oder gar der Herzog von Marlborough. Ich will die Verdienste des Sergeanten in seiner Sphäre nicht in Abrede stellen, aber ich kann seine Eigenschaften, mögen sie auch noch so ausgezeichnet sein, nicht höher schätzen als die von Leuten, die, wenn auch nur in geringem Grade, seine Vorgesetzten sind. Der Sergeant hat sich mit seinem Herzen und nicht mit seinem Kopf beraten, als er solche Befehle erließ; aber wenn das Fort fällt, so wird der Vorwurf auf dem liegen, der es zu besetzen befahl, und nicht auf dem, dem die Verteidigung obliegt. Was aber auch immer der Ausgang der letzteren sein mag, wenn die Franzosen mit ihren Verbündeten landen sollten, so wird doch ein guter General nie die nötigen Vorbereitungen für den Fall eines Rückzuges vernachlässigen, und ich möchte Meister Cap, als dem Admiral unserer Flotte, raten, ein Boot in Bereitschaft zu halten, um die Insel räumen zu können, wenn Not am Mann ist. Das größte Boot, das wir noch haben, führt ein weites Segel, und wenn man es hier herumholt und unter diesen Büschen vor Anker legt, so werden wir da einen ganz geeigneten Platz zu schleuniger Einschiffung kriegen! Und dann werden Sie auch bemerken, schöne Mabel, daß wir kaum fünfzig Ellen zu einem Kanal haben, der zwischen zwei andern Inseln und so versteckt liegt, daß wir recht wohl gegen eine Entdeckung von denen geschützt sind, die sich auf diesem Eiland befinden mögen.«

»Was Sie da sagen, ist alles ganz richtig, Herr Muir; aber könnten die Franzosen nicht grad von dieser Gegend herkommen? Wenn sie so gut für einen Rückzug ist, so ist sie wohl ebensogut für den Angriff.«

»Sie werden nicht Einsicht genug für einen so klugen Gedanken haben«, erwiderte Muir, wobei er verstohlen und ein wenig unbehaglich umhersah. »Es wird Ihnen an der gehörigen Klugheit mangeln. Diese Franzosen sind ein übereiltes Volk und rücken gewöhnlich aufs Geratewohl an; wir können also darauf zählen, daß sie, wenn sie überhaupt kommen, auf der anderen Seite der Insel landen werden.«

Die Unterhaltung schweifte nun verschiedentlich ab, wobei jedoch immer die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls und die geeignetsten Mittel, ihm zu begegnen, die Hauptpunkte blieben.

Mabel zollte dem meisten davon nur geringe Aufmerksamkeit, obgleich sie sich einigermaßen überrascht fühlte, daß Leutnant Muir, ein Offizier, der wegen seines Mutes in gutem Ruf stand, so offen das Aufgeben einer Sache empfahl, deren Verteidigung ihr eine doppelte Pflicht schien, weil die Ehre ihres Vaters dabei im Spiele war. Ihr Geist war jedoch so sehr mit ihrem Gast beschäftigt, daß sie bei der ersten günstigen Gelegenheit die Gesellschaft verließ und wieder in ihre Hütte eilte. Sie schloß die Tür sorgfältig, und als sie sah, daß der einfache Vorhang an dem einzigen kleinen Fenster vorgeschoben war, führte sie Junitau oder June, wie sie vertraulich von denen genannt wurde, die Englisch mit ihr sprachen, unter Zeichen der Liebe und des Vertrauens in das äußere Zimmer.

»Es freut mich, dich zu sehen, June«, sagte Mabel mit ihrer gewinnenden Stimme und freundlichem Lächeln. »Was hat dich hierhergebracht, und wie entdecktest du diese Insel?«

»Sprechen langsam«, sagte June, indem sie das Lächeln erwiderte und die kleine Hand ihrer Freundin mit der ihrigen, die kaum größer, aber durch die Arbeit abgehärtet war, drückte:

»Mehr langsam – zu schnell.«

Mabel wiederholte ihre Fragen, wobei sie sich bemühte, den Sturm ihrer Gefühle zu unterdrücken, und es gelang ihr, sich so deutlich auszusprechen, daß sie verstanden wurde.

»June, Freund«, erwiderte das Indianerweib.

»Ich glaube dir, June – von ganzem Herzen glaub‘ ich dir. Aber was hat das mit deinem Besuch zu schaffen?«

»Freund kommen, zu sehen Freund«, antwortete June mit einem offenen Lächeln gegen Mabel.

»Es muß noch ein anderer Grund da sein, June, sonst würdest du dich nicht in diese Gefahr begeben haben, und noch dazu allein. Du bist doch allein, June?«

»June bei dir, niemand anders. June kommen allein, Kahn rudern.

»Ich hoffe es, ich glaube es – nein, ich weiß es. Du würdest mich nicht verraten, June?«

»Verraten? was?«

»Du könntest mich nicht betrügen, mich nicht den Franzosen, den Irokesen oder Pfeilspitze überliefern?« – June schüttelte ernst ihr Haupt – »du könntest nicht meinen Skalp verkaufen?«

Hier legte June ihren Arm zärtlich um Mabels schlanken Leib und drückte sie mit Innigkeit und Liebe an sich, so daß es kaum mehr möglich war, die Aufrichtigkeit eines jungen, offenen Geschöpfs in Zweifel zu ziehen. Mabel erwiderte ihre Umarmung, blickte ihr dann fest ins Gesicht und fuhr mit ihren Fragen fort.

»Wenn June ihrer Freundin was zu sagen hat, so mag sie freimütig sprechen. Meine Ohren sind offen.«

»June fürchten, Pfeilspitze sie töten.«

»Aber Pfeilspitze wird es nie erfahren«, Mabels Blut stieg ihr gegen die Schläfe, denn sie fühlte, daß sie das Weib zum Verrat gegen ihren Gatten veranlaßte. »Das heißt, Mabel wird’s ihm nicht sagen.«

»Er begraben Tomahawk in Junes Kopf.«

»Das darf nie geschehen, liebe June; sage lieber nichts mehr, als daß du dich dieser Gefahr aussetztest.«

»Blockhaus guter Platz zum Schlafen, guter Platz zum Bleiben.«

»Meinst du, daß ich mein Leben retten könnte, wenn ich mich im Blockhaus aufhielte, June? Sicherlich, sicherlich – Pfeilspitze wird dir kein Leid zufügen, wenn du mir das sagst. Pfeilspitze kann nicht wünschen, daß mir ein Unglück zustoße, denn ich habe ihn nie beleidigt.«

»Pfeilspitze nicht kränken wollen schöne Bleichgesicht«, erwiderte June mit abgewandtem Antlitz, und ihr Ton, obgleich sie immer in der sanften Stimme eines Indianermädchens sprach, wurde tiefer, so daß er den Ausdruck der Melancholie und der Furcht trug; »Pfeilspitze Bleichgesichtmädchen lieben.«

Mabel errötete unwillkürlich und unterdrückte aus natürlichem Zartgefühl einen Augenblick ihre Fragen; aber sie mußte mehr erfahren, und da sich ihre Besorgnisse steigerten, nahm sie ihre Nachforschungen wieder auf.

»Pfeilspitze kann keinen Grund haben, mich zu lieben oder zu hassen«, sagte sie. »Ist er in der Nähe?«

»Mann immer nahe bei Weib – hier«, sagte June, indem sie ihre Hand auf ihr Herz legte.

»Du gutes Geschöpf! Aber sag mir, June, soll ich heute – diesen Morgen – jetzt – im Blockhaus sein?«

»Blockhaus sehr gut; gut für Weiber. Blockhaus kriegen nicht Skalp.«

»Ich fürchte, ich verstehe dich nur zu gut, June. Wünschest du meinen Vater zu sehen?«

»Nicht hier – fortgegangen.«

»Du kannst das nicht wissen, June; du siehst, die Insel ist voll von seinen Soldaten.«

»Nicht voll, fortgegangen.« – Hier hielt June vier Finger in die Höhe. – »So viel Rotröcke.«

»Und Pfadfinder? Möchtest du nicht gerne den Pfadfinder sehen? Er kann mit dir reden in der Zunge der Irokesen.«

»Zunge mit ihm gegangen«, sagte June lachend; »behalten Zunge in sein Mund.«

Es lag etwas so Hübsches und Ansteckendes in dem kindlichen Lachen des Indianermädchens, daß sich Mabel nicht enthalten konnte, darin einzustimmen, so sehr auch ihre Furcht durch alles, was vorgegangen war, erregt war.

»Du scheinst zu wissen oder glaubst alles zu wissen, was sich bei uns zuträgt, June. Aber wenn Pfadfinder gegangen ist, Eau-douce kann auch Französisch sprechen.«

»Eau-douce auch gegangen – nur nicht Herz – das hier.« Als June dies sagte, lachte sie wieder, blickte nach verschiedenen Richtungen, als ob sie Mabel nicht in Verwirrung bringen wollte, und legte ihre Hand auf den Busen ihrer Freundin.

Mabel hatte zwar oft von dem wunderbaren Scharfsinn der Indianer, mit dem sie alles auffassen, während sie doch auf nichts zu achten scheinen, gehört; aber auf diese eigentümliche Wendung ihres Gesprächs war sie nicht vorbereitet. Sie wünschte auf einen andern Gegenstand zu kommen, und da sie zugleich ängstlich besorgt war, zu erfahren, wie groß die Gefahr wirklich sein möchte, die ihr bevorstand, erhob sie sich von dem Feldstuhl, auf dem sie gesessen, und nahm eine Haltung an, die weniger zärtliches Vertrauen ausdrückte, wodurch sie mehr von dem zu erfahren hoffte, was sie zu wissen wünschte, und Anspielungen, die sie in Verlegenheit setzen könnten, zu vermeiden beabsichtigte.

»Du weißt, wie viel oder wie wenig du mir mitteilen darfst, June«, sagte sie; »und ich hoffe, du liebst mich genug, um mich von dem zu unterrichten, was mir zu hören nötig ist. Auch mein lieber Onkel ist auf der Insel, und du bist seine Freundin, oder solltest es sein, so gut wie die meinige; und wir beide werden dein Benehmen nicht vergessen, wenn wir wieder nach Oswego zurückgekehrt sind.«

»Mag sein, nie kehren zurück – wer wissen?« Sie sprach das im Ton des Zweifels, wie jemand, der eine Vermutung ausspricht, keineswegs aber mit Hohn oder in der Absicht, Mabel zu beunruhigen.

»Nur Gott weiß, was geschehen wird. Unser Leben ist in seiner Hand. Doch ich glaube, du bist sein Werkzeug zu unserer Rettung.«

Das ging über Junes Begriffsvermögen, und ihr Blick drückte Unwissenheit aus; doch war es augenscheinlich, daß sie nützlich zu werden wünschte.

»Blockhaus sehr gut!« wiederholte sie, als sich der Zug der Unsicherheit aus ihrem Gesicht verloren hatte, und legte einen starken Nachdruck auf die zwei letzten Worte.

»Gut, ich verstehe das, June, und will heute nacht darin schlafen. Natürlich darf ich aber meinem Onkel mitteilen, was du mir gesagt hast?«

Junitau war bestürzt und ließ eine große Unbehaglichkeit bei dieser Frage blicken.

»Nein, nein, nein!« antwortete sie mit einer Hast und einer Heftigkeit, die den Franzosen Kanadas nachgeahmt waren, »nicht gut, zu sagen Salzwasser. Er viel reden und lange Zunge. Denkt Wälder lauter Wasser, und nichts wissen. Sagen Pfeilspitze und June sterben.«

»Du tust meinem lieben Onkel unrecht, denn es war‘ ihm so wenig möglich, dich wie jemand anders zu verraten.«

»Nichts verstehen. Salzwasser haben Zunge, aber nicht Augen, nicht Ohren, nicht Nase – nichts als Zunge, Zunge, Zunge!«

Obgleich Mabel dieser Ansicht nicht ganz beistimmen konnte, sah sie doch, daß Cap nicht das Vertrauen der Indianerin besaß und daß es vergeblich sei zu hoffen, man könne ihn zu der gegenwärtigen Besprechung herbeiholen.

»Du scheinst zu glauben, daß du unsere Lage ziemlich genau kennst, June«, fuhr Mabel fort; »bist du schon früher auf dieser Insel gewesen?«

»Eben gekommen.«

»Wie kannst du denn wissen, daß das, was du sagst, wahr ist? Mein Vater, der Pfadfinder und Eau-douce, alle können hier in dem Bereich meiner Stimme sein, wenn ich sie rufen will.«

»Alle gegangen«, sagte June mit Bestimmtheit, zugleich aber mit gutmütigem Lächeln.

»Nein, das ist mehr, als du mit Gewißheit sagen kannst, da du die Insel nicht durchsucht hast.«

»Haben gute Augen; sehen Boot mit Männern weggehen – sehen Schiff mit Eau-douce.«

»Dann hast du schon einige Zeit auf uns achtgegeben. Ich denke jedoch, du hast die nicht gezählt, die zurückblieben?«

June lachte, hielt ihre vier Finger wieder in die Höhe, und zeigte dann auf ihre zwei Daumen; indem sie mit einem Finger über die ersteren fuhr, wiederholte sie das Wort »Rotröcke«, und während sie die letzteren berührte, setzte sie hinzu »Salzwasser«, »Quartiermeister«. Alles dieses traf genau zu, und in Mabel stiegen nun ernstliche Zweifel auf, ob es geeignet sei, ihren Besuch ziehen zu lassen, ehe sie weitere Aufklärung erhalten hatte. Es stand aber so sehr im Widerspruch mit ihren Gefühlen, das Vertrauen dieses sanften und liebevollen Geschöpfes zu mißbrauchen, daß Mabel den Gedanken, ihren Onkel herbeizurufen, als ihrer selbst unwürdig und gegen ihre Freundin ungerecht, wieder aufgab. Dieser Entschluß wurde noch dadurch unterstützt, daß man mit Sicherheit darauf zählen konnte, June werde nichts Weiteres enthüllen, sondern ihre Zuflucht zu einem hartnäckigen Schweigen nehmen, wenn man es versuchen würde, sie zu zwingen.

»Du glaubst also, June«, fuhr Mabel fort, »daß es besser wäre, im Blockhaus zu bleiben?«

»Guter Platz für Weib. Blockhaus nicht kriegen Skalp. Balken dick.«

»Du sprichst so zuversichtlich, als ob du drin gewesen bist und seine Wände gemessen hast.«

June lachte und gab sich das Ansehen einer Wissenden, ohne jedoch etwas Weiteres zu sagen.

»Weiß jemand außer dir diese Insel aufzufinden? Hat sie einer der Irokesen gesehen?«

Junes Miene wurde düster; sie warf ihre Augen vorsichtig um sich, als ob sie irgendeinen Horcher befürchte.

»Tuscarora überall – Oswego, hier, Frontenac, Mohawk – überall. Wenn er sieht June, sie töten.«

»Aber wir glaubten, daß niemand was von dieser Insel wisse und daß wir keinen Grund hätten, unsere Feinde zu fürchten, solange wir uns hier befinden.«

»Viel Auge, Irokesen.«

»Augen können nicht alles ausrichten, June. – Diese Insel fällt dem Blick nicht leicht auf, und selbst von unseren Leuten wissen nur wenige sie aufzufinden.«

»Ein Mann reden kann; einige Yengeese französisch sprechen.«

Mabeln überlief es kalt. Der ganze Verdacht gegen Jasper, den sie bisher zu nähren verschmäht hatte, trat auf einmal mit aller Macht vor ihre Seele, und die dadurch erregten Gefühle lasteten schwer auf ihr. Sie faßte sich jedoch wieder, und eingedenk des ihrem Vater gegebenen Versprechens erhob sie sich, ging einige Male in der Hütte auf und nieder und suchte sich zu bereden, das Jaspers Vergehen sie nichts angingen, obgleich sie im innersten Herzen wünschte, ihn unschuldig zu wissen.

»Ich versteh‘, was du sagen willst, June«, begann sie wieder; »du willst mir kundtun, daß irgend jemand verräterischerweise deinen Leuten gesagt hat, wo und wie die Insel zu finden sei?«

June lachte, denn in ihren Augen war Kriegslist mehr ein Verdienst als ein Verbrechen. Sie war jedoch ihrem Stamme zu treu, um mehr zu sagen, als die Umstände gerade erforderten. Ihre Absicht war, Mabel zu retten, aber auch nur Mabel; und sie sah keinen hinreichenden Grund, warum sie mehr tun sollte.

»Bleichgesicht wissen nun«, setzte sie bei, »Blockhaus gut für Mädchen. Nichts mir machen aus Männer und Krieger.«

»Aber ich mache mir viel daraus, June; denn einer von diesen Männern ist mein Onkel, den ich liebe, und die andern sind meine Landsleute und Freunde. Ich muß ihnen sagen, was vorgegangen ist.«

»Dann June werden getötet«, erwiderte die junge Indianerin ruhig, obgleich augenscheinlich etwas bekümmert.

»Nein, sie sollen nicht erfahren, daß du hier gewesen bist. Aber sie müssen auf ihrer Hut sein, und wir können alle in das Blockhaus gehen.«

»Pfeilspitze wissen, sehen jedes Ding, und June werden töten, June kommen, zu sagen jungem Bleichgesicht Freund, und nicht zu sagen Männer. Jeder Krieger bewachen sein eigen Skalp. June Weib und sagen Weib; nicht sagen Männer.«

Mabel wurde durch diese Erklärung ihrer indianischen Freundin in die äußerste Not versetzt, denn es war nun augenscheinlich, daß die junge Wilde einsah, ihre Mitteilungen dürften nicht weitergehen. Es war ihr unbekannt, wie sehr es dieses Volk für einen Ehrenpunkt hält, ein Geheimnis zu bewahren, und noch weniger war sie imstande zu beurteilen, wie weit eine Unklugheit von ihrer Seite June bloßstellen und ihr Leben gefährden könne. Alle diese Betrachtungen blitzten durch ihre Seele und wurden durch reiflichere Erwägung nur noch schmerzlicher. Auch June betrachtete die Sache augenscheinlich ernst, denn sie fing an, sich zum Aufbruch anzuschicken. Der Versuch, sie aufzuhalten, kam Mabel nicht in den Sinn, und von ihr zu scheiden, nachdem sie so viel gewagt hatte, um ihr zu dienen, widerstrebte dem Billigkeitsgefühl und dem liebevollen Charakter Mabels.

»June!« sagte sie lebhaft, indem sie ihren Arm um die Schulter der Indianerin legte, »wir sind Freundinnen. Von mir hast du nichts zu befürchten, denn niemand soll etwas von deinem Besuch erfahren. Könntest du mir aber nicht ein Zeichen geben, wenn die Gefahr heranrückt, ein Zeichen, aus dem ich erkennen kann, wann ich in das Blockhaus gehen soll und wie ich für mich Sorge tragen kann?«

June hielt an, denn sie hatte sich bereits ernstlich zum Fortgehen angeschickt; dann sagte sie ruhig: »Bring June Taube.«

»Eine Taube? Wo werde ich eine Taube finden, die ich dir bringen könnte?«

»Nächste Hütte; bring eine alte, June gehen zu Kahn.«

»Ich glaube, ich versteh‘ dich, June; wär’s aber nicht besser, ich ginge mit dir nach dem Gebüsch zurück, damit du nicht mit irgendeinem von den Männern zusammentriffst?«

»Gehen aus zuerst; zählen Männer eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs« – hier hielt June ihre Finger in die Höhe und lachte – »alle aus dem Weg – gut. Wenn nur einer, rufen ihn auf Seite. Dann singen und holen Taube.«

Mabel lächelte über die Besonnenheit und den Scharfsinn des Mädchens und schickte sich an, ihren Wünschen zu entsprechen. An der Tür hielt sie jedoch und blickte bittend auf das indianische Weib zurück.

»Darf ich nicht hoffen, daß du mir mehr sagest, June?« fragte sie. »Alles jetzt wissen; Blockhaus gut, Taube sagen, Pfeilspitze töten.«

Die letzten Worte genügten, denn Mabel konnte nicht auf weitere Mitteilungen dringen, da ihre Gefährtin selbst sagte, daß die Strafe ihrer Enthüllungen wahrscheinlich der Tod von der Hand ihres Gatten sein werde. Sie öffnete die Tür, winkte June ein Lebewohl zu und verließ die Hütte. Mabel griff zu dem einfachen, von der Indianerin angegebenen Mittel, um sich über die Orte, wo sich die verschiedenen Personen befanden, Gewißheit zu verschaffen, und begnügte sich mit dem Zählen, statt sie genauer ins Auge zu fassen, um sie aus dem Gesicht und dem Anzug zu erkennen. Sie fand, daß drei noch bei dem Feuer saßen, während zwei andere, unter ihnen Herr Muir, gegen das Boot hin gegangen waren. Der sechste war ihr Onkel, der sich in der Nähe des Feuers mit der Zurichtung von Angelgerätschaften beschäftigte. Die Soldatenfrau ging eben in ihre Hütte, und somit war sie mit der ganzen Gesellschaft im klaren. Mabel gab sich das Ansehen, als ob sie etwas vergessen habe, kehrte in die Nähe der Hütte zurück, trillerte ein Liedchen, bückte sich, als ob sie etwas von dem Boden aufläse, und eilte nun der von June angegebenen Hütte zu. Diese war ein verfallenes Gebäude und von den Soldaten der abgelösten Abteilung zu einem Aufbewahrungsort für ihr zahmes Vieh umgewandelt worden. Unter anderem enthielt es einige Dutzend Tauben, die sich auf einem Haufen Weizen gütlich taten, der von einer der geplünderten Ansiedlungen auf dem Kanadaufer mitgebracht worden war. Es wurde Mabel nicht schwer, eine von den Tauben zu haschen, obgleich diese mit einem trommelähnlichen Geräusch um die Hütte flatterten, und als sie das Tierchen unter ihren Kleidern verborgen hatte, stahl sie sich mit ihrem Fang wieder nach ihrer Hütte zurück. Ein Blick durch die Tür überzeugte sie, daß ihr Gast nicht mehr da sei, und nun eilte das Mädchen hastig dem Ufer zu, ohne daß es ihr dabei schwer wurde, der Beobachtung zu entgehen, da sie die Bäume und Büsche vollkommen verbargen. Bei dem Kahn fand sie June, die die Taube nahm, sie in ein von ihr selbst verfertigtes Körbchen setzte, und mit den Worten: »Blockhaus gut«, so geräuschlos wie sie gekommen war aus dem Gebüsch und über die schmale Wasserstraße glitt. Mabel wartete noch eine Weile auf ein Zeichen des Abschieds oder der Zuneigung von ihrer landenden Freundin, aber vergebens. Die benachbarten Inseln, ohne Ausnahme, waren so still, als ob hier nie die erhabene Ruhe der Natur gestört worden sei, und nirgends ließ sich ein Zeichen oder eine Spur entdecken, die Mabel hätten Aufschluß über die Nähe der Gefahr erteilen können, von der Junitau Nachricht gegeben hatte.

Als Mabel vom Ufer zurückkehrte, fiel ihr ein kleiner Umstand auf, der unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum ihre Aufmerksamkeit angezogen hätte, jetzt aber, da ihr Argwohn geweckt war, von ihrem unruhigen Blick nicht unbeachtet blieb.

Ein kleines Stück roten Beuteltuchs, wie man sich dessen zur Verfertigung von Schiffsflaggen bedient, flatterte von dem unteren Ast eines kleinen Baumes, an dem es ganz so befestigt war, daß es wie ein Schiffswimpel sich senken oder vom Winde hinausgeblasen werden konnte.

Da Mabels Furcht einmal rege war, so hätte selbst June sich nicht mit größerer Schnelligkeit Tatsachen klarzumachen vermocht, die, wie zu vermuten stand, auf die Sicherheit der Gesellschaft Bezug hatten. Ein Blick genügte ihr für die Überzeugung, daß dieser Tuchstreifen von der anliegenden Insel aus bemerkt werden konnte, daß er der Linie zwischen ihrer Hütte und dem Kahne so nahe lag, um es außer Zweifel zu sehen, daß June nahe daran, wenn nicht unter ihm habe vorbeikommen müssen, und daß es vielleicht ein Signal sei, um denen, die wahrscheinlich in der Nachbarschaft im Hinterhalt lagen, irgendeine wichtige Tatsache mitzuteilen, die mit der Art des Angriffs in Verbindung stand. Mabel nahm den Tuchstreifen von dem Baum und eilte fort, kaum wissend, was ihr nun zunächst obliege. June konnte falsch gegen sie gewesen sein; aber ihr Benehmen, ihre Blicke, ihre Liebe und Anhänglichkeit, die Mabel schon während ihrer Reise kennengelernt hatte, ließen diesen Gedanken nicht aufkommen. Dann gedachte sie der Anspielung auf Pfeilspitzes Bewunderung der Bleichgesichtsschönheit, erinnerte sich, wenn auch dunkel, der Blicke des Tuscarora, und es wurde ihr schmerzlich klar, daß wenige Weiber mit Zuneigung auf die blicken können, die ihnen die Liebe ihrer Männer entfremdet haben. Zwar waren diese Bilder weder bestimmt noch deutlich, sondern durchflogen eher die Seele Mabels in einem gewissen Helldunkel, als daß sie festen Halt darin gewonnen hätten; trotzdem aber beschleunigten sie die Pulse und die Schritte des Mädchens, ohne in ihr die raschen und klaren Entschlüsse hervorzubringen, die gewöhnlich ihren Erwägungen folgten. Sie eilte geradenwegs nach der von der Soldatenfrau bewohnten Hütte, in der Absicht, sich schnell mit ihr nach dem Blockhaus zu begeben, da sie niemand anders veranlassen konnte, ihr zu folgen, als ihr ungeduldiger Schritt plötzlich durch Muirs Stimme unterbrochen wurde.

»Wohin so schnell, schöne Mabel«, rief er, »und warum so einsam? Der würdige Sergeant wird sich über meine gute Lebensart lustig machen, wenn er hört, daß seine Tochter die Morgenstunden allein und ohne Begleitung zubringen muß, während er doch weiß, wie glühend mein Wunsch ist, Ihr Gesellschafter und Sklave zu sein, vom Anfang des Jahres an bis zu dessen Ende.«

»Sicherlich, Herr Muir, müssen Sie hier einiges Ansehen haben«, sagte Mabel, indem sie plötzlich ihre Schritte anhielt. »Auf einen Mann von Ihrem Rang muß wenigstens ein Korporal hören.«

»Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht«, unterbrach sie Muir, mit einer Ungeduld und einem Ausdruck von Beunruhigung, die in einem anderen Augenblick Mabels Aufmerksamkeit erregt haben würden. »Kommando ist Kommando, Disziplin ist Disziplin, und Ansehen ist Ansehen. Ihr guter Vater würde es höchst empfindlich aufnehmen, wenn ich ihm ins Gehege ginge und die Lorbeeren, die er zu gewinnen im Begriff ist, besudeln oder für mich davontragen wollte. Ich kann dem Korporal nicht befehlen, ohne zugleich auch dem Sergeanten zu befehlen. Es wird daher für mich das klügste sein, bei dieser Unternehmung in der Dunkelheit des Privatmannes zu bleiben, und so verstehen auch alle von Lundie abwärts die Verhaltungsbefehle.«

»Ich weiß das, und es mag wohl gut sein; denn ich möchte meinem Vater keinen Anlaß zur Unzufriedenheit geben. Aber Ihr Ansehen könnte zu des Korporals eigenem Besten dienen.«

»Ich will das nicht sagen«, erwiderte Muir in seiner schlauen schottischen Weise; »es würde viel eher angehen, einen Einfluß zu seinem Schaden auf ihn geltend zu machen. Der Mensch hat seine Besonderheiten, schöne Mabel, und auf ein Mitgeschöpf zu seinem Besten einwirken zu wollen, ist eine der schwierigsten Aufgaben der menschlichen Natur, während das Gegenteil gerade die allerleichteste ist. Sie werden das nicht vergessen, meine Teure, sondern es sich zu Ihrer Erbauung und Belehrung ein wenig zu Gemüt führen; aber was ist das, was Sie da um Ihren schlanken Finger wickeln, als ob es einer Ihrer brünstigen Verehrer wäre?«

»Es ist nichts als ein Stückchen Tuch – eine Art Flagge – eine Kleinigkeit, die kaum Ihrer Aufmerksamkeit würdig ist in einem so ernsten Augenblick. – Wenn –«

»Eine Kleinigkeit? Es ist nicht so geringfügig, wie Sie sich vorstellen mögen, Miss Mabel!« Er nahm ihr das Stückchen Tuch ab und dehnte es mit beiden Armen der Länge nach aus, während sein Gesicht ernst und sein Auge wachsam wurde. »Sie werden das doch nicht im Frühstück gefunden haben, Mabel Dunham?«

Mabel teilte ihm einfach mit, wo und wie sie diesen Streifen gefunden habe. Während sie sprach, war das Auge des Quartiermeisters keinen Augenblick ruhig und flog von dem Flaggentuch zu Mabels Gesicht und von da wieder zu dem Flaggentuch zurück. Es war leicht zu bemerken, daß sein Verdacht erregt war, und er ließ Mabel nicht lange im ungewissen darüber.

»Wir sind nicht in einem Teil der Welt, wo unsere Flaggen draußen in dem Winde flattern dürfen, Mabel Dunham!« sagte er mit einem bedeutungsvollen Kopfschütteln.

»Das dachte ich auch, Herr Muir, und nahm deshalb den kleinen Wimpel weg, damit er nicht ein Mittel werde, dem Feind unsere Anwesenheit zu verraten, selbst wenn durch das Entfalten gar nichts beabsichtigt wurde. Sollte man nicht meinen Onkel von diesem Umstand in Kenntnis setzen?«

»Ich sehe hierfür keine Notwendigkeit, schöne Mabel; denn Sie bezeichnen es ganz richtig als einen Umstand, und Umstände stoßen bisweilen dem würdigen Seemann schwer auf. Aber diese Flagge, wenn man es eine solche nennen kann, gehört zu dem Fahrzeug eines Schiffers. Sie werden bemerken, daß sie aus sogenanntem Beuteltuch gemacht ist, das bloß zu derartigen Zwecken benützt wird; denn Sie wissen selbst, daß unsere Fahnen aus Seide oder farbiger Leinwand verfertigt sind. Sie hat auf eine überraschende Weise die Länge des Scudwimpels; – und ich erinnere mich nun, daß ein Stück von eben jener Flagge abgeschnitten war.«

Mabel fühlte ihr Herz erstarren, aber sie hatte genug Selbstbeherrschung, um keine Erwiderung zu versuchen.

»Man darf die Sache nicht so hingehen lassen«, fuhr Muir fort, »und es wird im Grunde doch gut sein, eine kurze Rücksprache mit Meister Cap zu halten; denn ein loyalerer Untertan lebt nicht im britischen Reich.«

»Ich hab‘ mir diesen Wink so ernst betrachtet«, versetzte Mabel, »daß ich im Begriff bin, mich in das Blockhaus zu begeben und die Soldatenfrau mit mir zu nehmen.«

»Ich seh‘ nicht ein, zu was das gut sein wird, Mabel. Das Blockhaus wird zuerst angegriffen werden, wenn wirklich ein Überfall stattfindet. Wenn ich Ihnen in einer so zarten Angelegenheit raten dürfte, so möcht‘ ich Ihnen empfehlen, Ihre Zuflucht zu dem Boot zu nehmen, das, wie Sie bemerken können, am günstigsten liegt, um sich in jenen entgegengesetzten Kanal zu flüchten, wo alles, was darin ist, in einer oder zwei Minuten zwischen den Inseln verborgen wäre. Wasser hinterläßt keine Fährte, wie Pfadfinder sagt, und es scheint, es seien so viele verschiedene Durchgänge in dieser Gegend, daß ein Entkommen mehr als wahrscheinlich ist. Ich bin immer der Ansicht gewesen, Lundie habe zuviel gewagt, als er einen so weit vorgeschobenen und so sehr gefährdeten Posten, wie dieser ist, besetzen ließ.

»Es ist nun zu spät, es zu bereuen, Herr Muir, und wir haben jetzt nur für unsere Sicherheit zu sorgen.«

»Und für die Ehre des Königs, schöne Mabel. Ja, Seiner Majestät Waffen und sein ruhmvoller Name dürfen bei keiner Gelegenheit außer acht gelassen werden.«

»Dann, meine ich, dürfte es doch am geeignetsten sein, wenn wir unsere Augen lieber nach dem Ort richteten, der zu ihrer Aufrechterhaltung gebaut worden ist, als nach dem Boot«, sagte Mabel lächelnd; »und so bin ich, Herr Muir, für das Blockhaus, wo ich die Rückkehr meines Vaters und seiner Leute abwarten möchte. Es müßte ihn wohl sehr betrüben, wenn er siegreich zurückkäme und voll Zuversicht, daß wir unseren Pflichten nicht weniger treu nachgekommen seien wie er der seinigen, und fände, daß wir geflohen sind.«

»Nein, nein, um’s Himmels willen, mißverstehen Sie mich nicht, Mabel«, unterbrach sie Muir etwas beunruhigt; »ich bin weit entfernt, jemand anders als den Frauen den Rat zu geben, zum Boot die Zuflucht zu nehmen. Die Obliegenheit der Männer ist ohne allen Zweifel klar genug, und mein Entschluß war von Anfang an, mit dem Blockhaus zu stehen oder zu fallen.«

»Und glaubten Sie, Herr Muir, daß zwei Frauen dieses schwere Boot auf eine Weise zu führen wüßten, um dem Rindenkahn eines Indianers zu entkommen?«

»Ach, meine schöne Mabel, die Liebe versteht sich selten auf die Logik, und die Besorgnisse sind wohl geeignet, den Verstand ein wenig in Verwirrung zu bringen. Ich sah nur Ihre süße Gestalt in dem Besitz des Rettungsmittels und dachte nicht, daß es Ihnen an der Fähigkeit gebricht, sich dessen zu bedienen. Aber Sie werden nicht so grausam sein, holdes Wesen, mir die lebhafte Besorgnis um Sie als Fehler anzurechnen?«

Mabel hatte genug gehört. Ihr Geist war zu sehr mit den Ereignissen dieses Morgens und mit ihren Befürchtungen beschäftigt, als daß sie länger bei einem Liebesgespräch zu verweilen gewünscht hätte, das ihr auch in den sorgenfreiesten und heitersten Augenblicken zuwider gewesen wäre. Sie nahm daher hastig Abschied von ihrem Gefährten und beabsichtigte, sich in die Hütte der Soldatenfrau zu begeben, als sie Muir anhielt, indem er mit seiner Hand ihren Arm faßte.

»Ein Wort noch, Mabel«, sagte er, »ehe Sie mich verlassen. Diese kleine Flagge hat entweder eine besondere Bedeutung oder nicht. Hat sie eine, so dürfte es, da wir sehen, daß sie bereits ausgesteckt worden ist, wohl besser sein, sie wieder an ihren Ort zu hängen, während wir sorgsam darauf achten, ob nicht eine Antwort erfolgt, die uns der Verschwörung auf die Sprünge kommen helfe; und hat sie nichts zu bedeuten – ei, so wird auch nichts darauf folgen.«

»Sie mögen wohl recht haben, Herr Muir, obgleich, wenn das Ganze bloß zufällig ist, die Flagge Anlaß zur Entdeckung des Postens geben könnte.«

Mabel stand ihm nicht weiter Rede und war ihm bald aus den Augen, indem sie der Hütte zueilte, nach der sie schon vorhin getrachtet hatte.

Der Quartiermeister blieb ungefähr eine Minute auf demselben Platze und in derselben Stellung, in der ihn das Mädchen verlassen hatte, und blickte zuerst auf die forthüpfende Gestalt, dann aber auf das Stückchen Tuch, das er in der Hand hielt, indes sich Unschlüssigkeit in seinen Zügen ausdrückte. Sein Schwanken dauerte jedoch nicht länger als diese Minute, denn er befand sich bald unter dem Baum, wo er die Flagge wieder an einen Ast befestigte, obgleich er sie, da er die Stelle nicht kannte, von der sie Mabel abgenommen hatte, von einem Eichenzweige herabflattern ließ, der mehr den Blicken solcher ausgesetzt war, die sich auf dem Strom befanden, während sie von der Insel aus weniger gesehen werden konnte.

Elftes Kapitel

Elftes Kapitel

Selten wird die Hoffnung durch einen so vollkommenen Genuß belohnt wie der war, der den jungen Leuten der Garnison am folgenden Tage durch die günstige Witterung bereitet wurde. Es gehört vielleicht mit zu der gewöhnlichen Verkehrtheit des Menschen, daß die Amerikaner gerne auf Dinge ihren Stolz setzen, denen das Urteil einsichtsvoller Personen in Wirklichkeit nur eine untergeordnete Stelle angewiesen haben würde, indes sie Vorteile, die sie in eine gleiche Höhe mit den meisten ihrer Mitgeschöpfe, wo nicht gar über sie, stellen, übersehen oder unter ihrem Wert anschlagen. Unter diese letztere gehört das Klima, das zwar im ganzen kein vollkommenes, aber doch unendlich angenehmer und ebenso gesund ist wie das der meisten Gegenden, die sich hierin am lautesten rühmen.

Die Hitze des Sommers wurde in der jetzigen Zeit am Oswego wenig gefühlt, denn die Schatten des Urwaldes verminderten in Verbindung mit der erfrischenden Seeluft den Einfluß der Sonne so weit, daß die Nächte immer kühl und die Tage selten drückend waren.

Es war im September, wo die starken Küstenwinde oft durch das Land hin bis zu den großen Seen dringen, so daß der Binnenschiffer bisweilen den eigentümlichen Einfluß, der die Winde des Meeres charakterisiert, in der höheren Kraft seines Körpers, der größeren Frische des Geistes und der Steigerung seiner moralischen Kräfte fühlt. Ein solcher Tag war’s, als sich die Garnison versammelte, um Zeuge des von ihrem Kommandanten scherzweise so betitelten »Waffenganges« zu sein. Lundie war ein Gelehrter, wenigstens in militärischen Dingen, und tat sich etwas darauf zugute, die Lektüre und die Gedanken der unter seinem Befehl stehenden jungen Leute auf die mehr intellektuellen Teile ihres Berufes hinzuleiten. Seine Bibliothek war für einen Mann in seiner Lage gut und umfassend und stand jedem, der von den Büchern Gebrauch zu machen wünschte, offen. Unter die anderen seltsamen Einfälle, die durch solche Hilfsmittel ihren Weg zu der Garnison gefunden hatten, gehörte auch der Geschmack an einer Art von Unterhaltung, der man sich heute hinzugeben anschickte. Dabei hatten einige Chroniken aus den Zeiten des Rittertums Anlaß gegeben, der Belustigung einen Anstrich des Paradeartigen und Romantischen zu verleihen, was gerade nicht ungeeignet für den Charakter und die Gewohnheiten von Soldaten war oder für den wilden und isolierten Posten, den diese Garnison besetzt hielt.

Während man jedoch so ernstlich auf das Vergnügen bedacht war, vernachlässigten die Diensthabenden die Sicherheit der Garnison nicht. Wer an den Bollwerken des Forts stand und auf die ungeheure, fast den ganzen nördlichen Horizont begrenzende Wassermasse und von da aus auf den schlummernden, scheinbar endlosen Wald blickte, der die andere Hälfte des Panoramas ausfüllte, der hätte allerdings denken mögen, daß dieser Ort der wahre Aufenthalt des Friedens und der Sicherheit sei. Aber Duncan of Lundie wußte zu wohl, daß diese Wälder im Augenblick Hunderte auszuschicken vermochten, deren einziger Sinn die Zerstörung des Forts und seines ganzes Inhalts war, und daß gerade der trügerische See einen offenen Weg darbot, auf dem seine zwar mehr zivilisierten, aber kaum weniger hinterlistigen Feinde, die Franzosen, leicht nahe kommen und ihn in einem unwillkommenen und unbewachten Moment überfallen konnten. Es wurden Patrouillen unter alten wachsamen Offiziere ausgeschickt, die sich wenig um die Spiele des Tages kümmerten, um durch den Wald zu streifen, und in dem Fort blieb eine ganze Kompagnie stets unter Waffen, mit dem Befehl ebensosehr auf der Hut zu sein als ob gemeldet worden wäre, daß ein übermächtiger Feind im Anzug sei. Unter diesen Vorsichtsmaßregeln überließ sich der Rest der Offiziere und der Mannschaft ohne Besorgnis der Beschäftigung des Morgens.

Die für die Belustigung ausersehene Stelle war ein freier Platz, etwas westlich vom Fort und unmittelbar an dem Damm des Sees. Man hatte ihn von Bäumen und Strauchwerk gelichtet, um sich seiner als eines Exerzierplatzes zu bedienen, da er den Vorteil hatte, im Hintergrund von dem Wasser und auf einer Seite durch die Festungswerke gedeckt zu sein. Es war daher nur von zwei Seiten ein Angriff möglich, und da sich der freie Raum weit nach Westen und Süden hinzog, so mußten die Angreifer das Versteck in den Wäldern verlassen, wenn sie nahe genug kommen wollten, um wirklich gefährlich zu werden.

Obgleich die gewöhnliche Waffe des Regimentes die Muskete war, brachte man bei dieser Gelegenheit doch etliche und fünfzig Büchsen zum Vorschein. Jeder Offizier hatte eine als einen Teil seiner Privatprovision und zu seinem Vergnügen; viele gehörten den Kundschaftern und befreundeten Indianern, deren sich stets mehr oder weniger um das Fort aufhielten; und einige waren das Eigentum des Bataillons, zum Gebrauch derer bestimmt, die zu Ergänzung des Mundvorrates der Jagd oblagen. Unter denen, die eine eigene Waffe führten, waren etwa fünf oder sechs, die in besonderem Ruf standen und sich durch ihre Geschicklichkeit eine Berühmtheit an der Grenze erworben hatten; zweimal soviel mochten für etwas mehr als gewöhnliche Schützen gelten. Dann gab es aber noch manche, die man für gewandt in fast jeder Lage hätte halten mögen, nur nicht gerade in der, in der sie sich eben jetzt hervortun sollten.

Die Zielweite betrug hundert Ellen; ein Auflegen des Gewehrs war nicht üblich. Das Ziel bestand aus einer mit den gewöhnlichen Kreisen versehenen weißgemalten Scheibe, die im Mittelpunkt das Ochsenauge hatte. Die ersten Geschicklichkeitsversuche begannen mit Herausforderungen unter der unedleren Klasse der Bewerber, um ihre Sicherheit und Gewandtheit in einem unbelohnten Wetteifer zu zeigen. Es nahmen jedoch nur die gemeinen Soldaten an diesem Spiel teil, das für die Zuschauer, unter denen noch kein Offizier erschienen war, wenig Interesse hatte.

Die meisten Soldaten waren Schotten. Das Regiment war vor einer Reihe von Jahren in Stirling und dessen Nachbarschaft ausgehoben worden, und nachdem es in den Kolonien angekommen war, hatten sich mit ihm, wie dies auch mit Sergeant Dunham der Fall war, viele Amerikaner vereinigt. Im allgemeinen waren die aus den Provinzen die erfahrensten Schützen, und nach den Proben einer halben Stunde mußte der Ruhm der größten Geschicklichkeit einem in der Kolonie von New York geborenen Jüngling von holländischer Abkunft zugestanden werden, der den wohlklingenden Namen van Valtenburg trug, gewöhnlich aber Follock genannt wurde. Gerade als man sich über diese Ansicht entschieden hatte, erschien der älteste Kapitän, begleitet von den meisten Herren und Damen, in festlichem Aufzug. Ein Schweif von etlichen zwanzig Frauen und Mädchen geringeren Standes folgte, unter denen auch die gewandte Gestalt, das ausdrucksvolle, blühende, lebhafte Gesicht und der zierliche Anzug Mabel Dunhams zu sehen war.

Von Frauen, die offiziell als zur Klasse der Damen von Stand gehörig betrachtet werden mußten, waren nur drei in dem Fort. Diese waren Offiziersfrauen, gesetzte ältere Damen, in deren Benehmen sich die Einfachheit des mittleren Alters zum Teil mit ihren Begriffen von dem Übergewicht ihres Standes, den Rechten und Pflichten der Kaste und der Etikette des Ranges mischte. Die anderen Frauen waren Frauen von Unteroffizieren und Gemeinen, und Mabel war im eigentlichen Sinne, wie bereits der Quartiermeister bemerkt hatte, die einzige sich für den Ehestand eignende Person unter ihrem Geschlecht. Allerdings waren auch noch ein Dutzend anderer Mädchen da; sie gehörten aber noch unter die Kinder, und es war keine darunter, die schon so alt gewesen wäre, um einen geeigneten Gegenstand der Bewunderung abzugeben.

Um die Frauen auf eine passende Weise zu empfangen, war eine niedrige Art Tribüne unmittelbar am Damm des Sees aufgeschlagen worden. In der Nähe waren die Preise an einem Pfahl aufgehängt. Man ließ den Vordersitz des Gerüstes von den drei Ladys mit ihren Kindern einnehmen, indes Mabel und die Frauen der Unteroffiziere den zweiten Platz besetzten. Die Frauen und Töchter der Gemeinen bildeten eine bunte Reihe; einige standen, andere saßen, wie sie eben Platz finden konnten. Mabel, die bereits in einer Art von Gesellschafterin Zutritt in den Zirkel einiger Offiziersfrauen gefunden hatte, wurde von den Damen auf dem Vordersitz, die eine bescheidene Selbstachtung und höfliche, feine Sitte zu schätzen wußten, sehr beachtet, obgleich sie alle den Wert des Ranges, zumal in einer Garnison, hoch anschlugen.

Sobald dieser wichtige Teil des schaulustigen Publikums seinen Platz eingenommen hatte, gab Lundie den Befehl zur Eröffnung der Belustigung in der Weise, wie er es vorher angeordnet hatte. Acht oder zehn der besten Schützen der Garnison nahmen Besitz von dem Stand und begannen nach der Reihe zu feuern. Sie bestanden aus Offizieren und anderen Leuten ohne Unterschied, da auch die Gelegenheitsbesucher auf dem Fort von der Mitbewerbung nicht ausgeschlossen waren. Man konnte von Leuten, deren Belustigung und behaglicher Unterhalt allein von der Geschicklichkeit in Führung des Gewehrs abhing, erwarten, daß sie alle hinreichend geübt waren, das Ochsenauge oder den weißen Fleck im Zentrum des Zieles zu treffen. Dann folgten andere, die weniger sicher waren und mit ihren Kugeln nur in den verschiedenen Kreisen um das Zentrum blieben, ohne es selbst zu berühren.

Nach den Regeln des Tages konnte keiner einen zweiten Schuß tun, wenn er das erstemal gefehlt hatte, und der Platzadjutant, der den Zeremonienmeister oder Marschall des Tages machte, rief die glücklicheren Bewerber bei ihren Namen auf, sich für einen weiteren Versuch bereit zu halten, indem er zugleich ankündigte, daß alle die das Ochsenauge gefehlt hätten, von aller weiteren Mitbewerbung ausgeschlossen sein sollten. Gerade in diesem Augenblick erschienen Lundie, der Quartiermeister und Jasper Eau-douce unter der Gruppe bei dem Stand, indes der Pfadfinder gemächlich über den Platz schritt, ohne seine beliebte Büchse bei sich zu führen. Dies war ein zu ungewöhnlicher Umstand, als daß nicht alle Anwesenden darauf hätten entnehmen sollen, es geschehe nur deshalb, weil er sich nicht als Mitbewerber um die Ehren des Tages betrachte. Alles machte dem Major Duncan Platz, der sich in gutgelaunter Weise dem Stand näherte, seine Stellung einnahm, sein Gewehr sorglos erhob und Feuer gab. Die Kugel fehlte das erforderliche Ziel um mehrere Zoll.

»Major Duncan ist von den ferneren Versuchen ausgeschlossen!« proklamierte der Adjutant mit einer so starken und zuversichtlichen Stimme, daß alle älteren Offiziere und Sergeanten wohl erkannten, wie dieser Fehlschuß vorher verabredet war, indes sich die jüngeren Herren und die Gemeinen durch die augenscheinliche Unparteilichkeit, mit der die Gesetze des Spiels gehandhabt wurden, aufs neue ermutigt fühlten; denn nichts ist für schlichte Menschen so anziehend wie die Verheißung strenger Gerechtigkeit, und nichts ist so selten wie ihre wirkliche Ausübung.

»Nun kommt die Reihe an Euch, Meister Eau-douce«, sagte Muir, »und wenn Ihr den Major nicht überbietet, so werd‘ ich sagen, daß Eure Hand besser mit dem Ruder als mit der Büchse umzugehen weiß.«

Jaspers hübsches Gesicht errötete. Er schritt gegen den Stand zu, warf einen hastigen Blick auf Mabel, deren zierliche Gestalt, wie er sich überzeugte, sich rasch vorwärts beugte, als ob sie auf das Resultat begierig sei – ließ den Lauf seiner Flinte anscheinend mit geringer Sorgfalt auf die Fläche seiner Linken fallen, erhob die Mündung einen Augenblick mit außerordentlicher Fertigkeit und feuerte. Die Kugel drang genau durch das Zentrum des Ochsenauges – der beste Schuß dieses Morgens, da die anderen das Bild nur berührt hatten.

»Brav gemacht, Meister Jasper«, sagte Muir, sobald das Resultat bekannt gemacht war, »und ein Schuß, der einem älteren Kopf und einem erfahreneren Auge Ehre gemacht haben würde. Doch ich denke, es war etwas dummes Glück dabei, denn Ihr wart nicht besonders genau im Zielnehmen. Ihr mögt wohl schnell in der Bewegung sein, Eau-douce, aber Ihr seid nicht wissenschaftlich genug in der Handhabung Eures Gewehrs. Nun, Sergeant Dunham, ich werd‘ es Euch Dank wissen, wenn Ihr die Damen ersucht, etwas mehr als gewöhnlich acht zu haben; denn ich will jetzt einen Gebrauch von der Büchse machen, den man einen intellektuellen nennen kann. Ich geb‘ zu, Jasper würde einen getötet haben; es hätte aber beim Empfang eines solchen Schusses nicht halb so viel Befriedigung stattgefunden, als beim Empfang einer wissenschaftlich abgefeuerten Ladung.«

Diese ganze Zeit über bereitete sich der Quartiermeister auf seinen wissenschaftlichen Versuch vor. Er verschob es jedoch zu zielen, bis er sah, daß sich das Auge Mabels, ebenso wie die Blicke der übrigen weiblichen Zuschauer, neugierig auf ihn richteten. Da ihm die anderen aus Achtung vor seinem Rang Raum ließen und nur der Kommandant in seiner Nähe stand, so sagte er zu diesem in seiner familiären Weise:

»Sie sehen, Lundie, daß etwas zu gewinnen ist, wenn man die weibliche Neugier aufregt, ’s ist ein lebhaftes Gefühl um die Neugier; und zweckmäßig geleitet mag sie am Ende zu etwas besserem führen.«

»Sehr wahr, David; aber Sie lassen uns mit ihren Vorbereitungen nicht zu lange warten, und da kommt Pfadfinder, der etwas aus Ihrer größeren Erfahrung lernen möchte.«

»Wohl, Pfadfinder, Ihr könnt dabei auch einen Begriff von der Philosophie des Schießens bekommen. Ich hab‘ nicht die Absicht, mein Licht unter den Scheffel zu stellen, und Ihr seid immer willkommen, wenn Ihr was von mir lernen wollt. Habt Ihr nicht auch die Absicht, einen Schuß zu versuchen, Mann?«

»Warum sollt‘ ich, Quartiermeister? Ich brauche keinen von den Preisen, und was die Ehre anbelangt, so hab‘ ich deren genug gehabt, wenn’s überhaupt ’ne Ehre ist, besser zu schießen als Sie. Ich bin kein Weib, um einen Kopfputz zu tragen.«

»Sehr wahr; aber Ihr könntet ein Weib finden, das in Euren Augen kostbar genug ist, ihn von Euch zu tragen, wie –«

»Vorwärts, David«, unterbrach ihn der Major, »wir möchten den Schuß oder Ihren Abzug sehen. Der Adjutant wird ungeduldig.«

»Des Quartiermeisters Geschäftskreis und der des Adjutanten vertragen sich selten miteinander, Lundie. Aber ich bin bereit. Geht ein bißchen auf die Seite, Pfadfinder, und nehmt den Damen nicht die Aussicht.«

Leutnant Muir nahm nun seine Stellung mit einem guten Teil studierter Eleganz ein, erhob seine Büchse langsam, senkte sie, erhob sie aufs neue, wiederholte dieses Manöver nochmals und gab Feuer.

»Gefehlt, die ganze Scheibe«, rief der Mann, der die Treffer zu bezeichnen hatte, und wenig Geschmack an des Quartiermeisters lästiger Wissenschaftlichkeit fand. »Die Scheibe verfehlt.«

»Es kann nicht sein«, schrie Muir, und sein Gesicht glühte ebensosehr vor Entrüstung wie vor Scham. »Es kann nicht sein, Adjutant; denn nie begegnete mir in meinem Leben eine solche Ungeschicklichkeit. Ich appelliere an die Damen um ein gerechtes Urteil!«

»Die Damen schlossen ihre Augen, als Sie feuerten«, riefen die Spötter im Regimente. »Ihre Vorbereitungen erschreckten sie.«

»Ich kann solche Schmähung von den Damen nicht glauben und meine Geschicklichkeit nicht auf solche Weise verunglimpfen lassen«, erwiderte der Quartiermeister, der mehr und mehr in sein Schottisch verfiel, je wärmer seine Gefühle wurden, »’s ist ’ne Verschwörung, um einem verdienten Mann das zu rauben, was ihm gebührt.«

»Es ist eben ein Fehlschuß, Muir«, sagte der Major lachend, »und Sie müssen sich in die Laune des Glücks fügen.«

»Nein, nein, Major«, bemerkte endlich Pfadfinder, »der Quartiermeister ist, seine Langsamkeit ausgenommen, auf eine gemessene Entfernung ein guter Schütze, obgleich nichts Außerordentliches für den wirklichen Dienst. Seine Kugel hat die von Jasper bedeckt, wie man bald sehen kann, wenn sich einer die Mühe nehmen will, die Scheibe zu untersuchen.«

Die Achtung vor Pfadfinders Geschicklichkeit und vor der Schnelligkeit und Sicherheit seines Auges war so groß und allgemein, daß in dem Augenblick, als er diese Erklärung gab, die Zuschauer ihren eigenen Meinungen zu mißtrauen anfingen und ein Dutzend davon gegen die Scheibe stürzten, um sich über die Tatsache Gewißheit zu verschaffen. Man fand auch wirklich, daß des Quartiermeisters Kugel durch das von Jasper gemachte Loch, und zwar mit einer Genauigkeit gegangen war, daß es einer sehr scharfen Untersuchung bedurfte, um den Tatbestand außer Zweifel zu stellen; doch lag es am Tage, als man eine Kugel über der anderen in dem Pfahle fand, an dem die Scheibe befestigt war.

»Ich sagt‘ es ja, meine Damen, daß Sie Zeugen des Einflusses der Wissenschaft auf die Kunst zu schießen sein würden«, sprach der Quartiermeister, indem er auf die Tribüne zuging. »Major Duncan verlacht die Idee, daß sich die Mathematik auf das Scheibenschießen anwenden lasse; aber ich sag’s ihm, Philosophie färbt, vergrößert, verbessert, erweitert und breitet alles aus, was zum menschlichen Leben gehört, sei’s nun ein Wettschießen oder eine Predigt. Mit einem Wort, Philosophie ist Philosophie, und das ist alles, was man über diesen Gegenstand zu sagen nötig hat.«

»Ich denke, Sie schließen die Liebe von diesem Katalog aus«, bemerkte die Frau eines Hauptmanns, die die Geschichte von des Quartiermeisters Heiraten kannte und einen weiblichen Widerwillen gegen diesen Monopolisten ihres Geschlechtes hatte – »mir scheint, daß Philosophie wenig gemein hat mit der Liebe.«

»Sie würden das nicht sagen, Madame, wenn Ihr Herz viele Versuchungen erfahren hätte. Ein Mann oder eine Frau, die viele Gelegenheit gehabt haben, ihre Sympathien auszubilden, können am besten über solche Gegenstände sprechen; und, glauben Sie mir, von aller Liebe ist die philosophische die beste, da sie die vernünftigste ist.«

»So empfehlen Sie wohl die Erfahrung zur Veredelung der Liebe?«

»Ihr schneller Geist hat diese Idee mit einem Blick erfaßt. Die glücklichsten Heiraten sind die, wo Jugend, Schönheit und Vertrauen auf der einen Seite sich auf den Scharfsinn, die Mäßigung und die Klugheit der Jahre verläßt, des mittleren Alters, meine ich, Madame; denn ich will nicht in Abrede stellen, daß es auch so ein Ding von Ehemann geben kann, das zu alt für eine Frau ist. Hier ist Sergeant Dunhams bezaubernde Tochter, die sicherlich solchen Gefühlen Beifall zollen wird, denn die Besonnenheit ihres Charakters ist in der Garnison bereits vollkommen anerkannt, so kurz auch ihr Aufenthalt unter uns sein mag.«

»Sergeant Dunhams Tochter ist kaum eine geeignete Sprecherin bei einer Unterhaltung zwischen Ihnen und mir, Leutnant Muir«, erwiderte die Kapitänsfrau, die ihrer Würde nichts vergeben wollte; »doch, damit wir auf einen anderen Gegenstand kommen – dort schickt sich Pfadfinder an, sein Glück zu versuchen.«

»Ich protestiere, Major Duncan, ich protestiere!« – schrie Muir, indem er mit erhobenen Armen, um seinen Worten Nachdruck zu leihen, gegen den Stand zurückeilte. – »Ich protestiere in strengster Form, meine Herren, daß Pfadfinder bei dieser Unterhaltung mit seinem Wildtod zugelassen wird, denn, abgesehen von seiner langjährigen Fertigkeit, ist dies ein Gewehr, das bei einem Geschicklichkeitsversuch außer allem Verhältnis mit den Büchsen des Gouvernements steht.«

»Der Wildtod schläft zu Hause, Quartiermeister«, erwiderte Pfadfinder, »und niemand denkt hier dran, ihn zu stören. Ich dachte selbst nicht, heute den Drücker zu berühren; aber Sergeant Dunham überzeugte mich, daß ich seiner schönen Tochter, die unter meinem Schutz hierher kam, keine besondere Ehre erweise, wenn ich bei solcher Gelegenheit zurückbleibe. Ich benütze daher Jaspers Büchse, Quartiermeister, wie Sie sehen, und die ist nicht besser als Ihre.«

Leutnant Muir mußte sich zufriedengeben, und jedes Auge richtete sich auf den Pfadfinder, als er die erforderliche Stellung einnahm. Die Haltung dieses gefeierten Kundschafters und Jägers war äußerst straff, als er seine kühne Gestalt erhob und das Gewehr zurechtsetzte, wobei er eine vollkommene Selbstbeherrschung und eine genaue Kenntnis des menschlichen Körpers sowohl als der Waffe entwickelte. Sein Zielen geschah mit der Schnelle des Gedankens, und als der Rauch über seinem Haupt schwebte, erblickte man schon den Schaft der Büchse auf der Erde, die Hand an den Lauf gelehnt, und sein ehrliches Gesicht leuchtend von seinem stillen herzlichen Lachen.

»Wenn man bei solcher Gelegenheit eine Anspielung machen darf«, rief Major Duncan, »so möcht‘ ich sagen, daß der Pfadfinder auch die Scheibe verfehlt hat!«

»Nein, nein Major«, erwiderte Pfadfinder mit Zuversicht, »das würde eine gewagte Behauptung sein. Ich hab‘ das Gewehr nicht geladen und kann nicht sagen, was darin war; wenn es aber geladen war, so werden Sie finden, daß die Kugel die des Quartiermeisters und Jaspers tiefer hineingetrieben hat.«

Ein Ruf von der Scheibe her verkündete die Wahrheit dieser Versicherung.

»Das ist nicht alles, das ist nicht alles, Jungens«, rief Pfadfinder aus, der nun langsam auf die Tribüne der Damen zuging, »wenn ihr die Scheibe nur im mindesten berührt findet, so will ich verloren haben. Der Quartiermeister hat das Holz gestreift, ihr werdet aber nicht finden, daß es die letzte Kugel angegriffen hätte.«

»Sehr wahr, Pfadfinder, sehr wahr«, antwortete Muir, der sich in Mabels Nähe gemacht hatte, obschon er sich scheute, sie in Gegenwart der Offiziersfrauen anzureden. »Der Quartiermeister hat das Holz ausgeschnitten und hierdurch einen Weg für Eure Kugel geöffnet, die durch das Loch durchgegangen ist, das er gemacht hat.«

»Wohl, Quartiermeister; doch jetzt kommt’s an den Nagel, und wir wollen sehen, wer ihn tiefer hineintreiben kann, Sie oder ich, denn obgleich ich heut‘ nicht zeigen wollte, was eine Büchse leisten kann, so will ich doch, da sie mal in meiner Hand ist, keinen, der Königs Georgs Bestallung hat, den Rücken kehren. Chingachgook ist draußen, sonst könnte mich der zu einigen Feinheiten der Kunst veranlassen; aber was Sie anbelangt, Quartiermeister – wenn Sie der Nagel nicht so zufriedenstellt, so wird’s die Kartoffel tun.«

»Ihr tut diesen Morgen gewaltig dick, Pfadfinder; aber Ihr sollt finden, daß Ihr’s nicht mit einem grünen Burschen, frisch von den Ansiedlungen und Städten weg, zu tun habt; das versichere ich Euch.«

»Ich weiß das wohl, Quartiermeister, und will Ihrer Erfahrung nicht zu nah treten. Sie haben schon viele Jahre an der Grenze gelebt, und ich hab‘ von Ihnen in den Kolonien und selbst unter den Indianern schon vor einem ganzen Menschenalter sprechen hören.«

»Na, na«, unterbrach ihn Muir in seinem breitesten Schottisch; »das ist ’ne Ungerechtigkeit, Mann. Ich bin noch nicht so gar alt, nein.«

»Ich will Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch wenn Sie das beste in dem Kartoffelversuch wegkriegen sollten. Sie haben für einen Soldaten ein gutes Menschenalter an Orten verlebt, wo die Büchse täglich gebraucht wird, und ich weiß, Sie sind ein geachteter und scharfblickender Schütze; aber doch sind Sie kein rechter Büchsenschütze. Was das Prahlen anbelangt, so hoff‘ ich, daß ich nicht als ein eitler Auskrämer meiner eigenen Taten bekannt bin; aber die Gaben eines Menschen sind seine Gaben, und es hieße der Vorsehung Trotz bieten, wenn man sie verleugnen wollte. Des Sergeanten Tochter hier soll zwischen uns Richter sein, wenn Sie Lust haben, sich einem so artigen Richter zu unterwerfen.«

Der Pfadfinder hatte Mabel zur Schiedsrichterin gewählt, weil er sie bewunderte und weil der Rang in seinen Augen wenig oder keinen Wert hatte. Aber Leutnant Muir schrak vor einer solchen Berufung in Gegenwart der Offiziersfrauen zurück. Er hätte wohl gern sein Bild beständig vor den Augen und der Seele des Gegenstandes seiner Hoffnungen gewünscht; aber er war doch zu sehr unter dem Einfluß alter Vorurteile und vielleicht zu schlau, um öffentlich als ihr Verehrer aufzutreten, wenn er nicht auf einen sicheren Erfolg hoffen durfte. Zu der Verschwiegenheit des Majors Duncan hatte er volles Vertrauen und fürchtete von dieser Seite aus keinen Verrat. Er mußte aber sehr vorsichtig zu Werk gehen; denn wenn es ruchbar wurde, daß er von der Tochter eines Unteroffiziers zurückgewiesen worden sei, so mochte er bei der Bewerbung um eine andere Frau von Stand – und auf eine solche durfte er vernünftigerweise doch Anspruch machen – wohl große Schwierigkeiten finden. Aber Mabel erschien so hübsch, errötete so niedlich, lächelte so hold und war ein so gewinnendes Bild von Jugend, Bescheidenheit und Schönheit, daß er es, ungeachtet seiner Zweifel und Besorgnisse, für äußerst verführerisch fand, seine Person in ihrer ganzen Erhabenheit von der Phantasie des Mädchens Besitz nehmen zu lassen, weshalb er es über sich gewann, sein Wort frei an sie zu richten.

»Es soll geschehen nach Euerm Wunsch, Pfadfinder«, erwiderte er, sobald er mit seinen Zweifeln ins reine gekommen war; »laßt des Sergeanten reizende Tochter Schiedsrichterin sein, und ihr wollen wir beiden den Preis widmen, den einer oder der andere sicher gewinnen muß. Pfadfinder muß, wie Sie bemerken, meine Damen, eigen gelaunt sein, sonst würden wir ohne Zweifel die Ehre gehabt haben, uns dem Urteil einer Dame aus Ihrer bezaubernden Gesellschaft zu unterwerfen.«

Ein Aufruf an die Bewerber führte nun den Quartiermeister und seinen Gegner hinweg, und in wenigen Minuten begann der zweite Versuch. Ein gewöhnlicher Werknagel, dessen Kopf gefärbt war, wurde leicht in die Scheibe getrieben, und die Schützen mußten ihn treffen, wenn sie nicht ihren Schuß bei den weiteren Proben verlieren wollten. Niemand von denen, die früher das Ochsenauge gefehlt hatten, wurde zugelassen.

Es waren ungefähr ein halbes Dutzend Bewerber um die Ehre dieses Probestückes. Einer oder zwei, die bei dem ersten Schießen den gemalten Fleck nur notdürftig berührt hatten, zogen es vor, ihren Ruf nicht auf Spiel zu setzen, denn sie fühlten, daß bei der schwereren Aufgabe, um die es sich jetzt handelte, nichts für sie zu holen sei. Die drei ersten Schützen fehlten, obschon sie der Marke sehr nahe kamen, ohne sie jedoch zu berühren. Der vierte in der Reihe war der Quartiermeister, der, nachdem er seine gewöhnlichen Stellungen durchgemacht hatte, insoweit glücklich schoß, als seine Kugel ein kleines Stück von dem Kopf des Nagels trennte und an der Seite des Punktes einschlug. Dies wurde als kein außerordentlicher Schuß betrachtet, obgleich er den Bewerber wieder auf die Liste brachte.

»Sie haben Ihre Haut gerettet, Quartiermeister, wie man in den Ansiedlungen von den Kreaturen sagt«, rief Pfadfinder lachend; »aber es würde lang‘ dauern, ein Haus mit einem Hammer zu bauen, der nicht besser als der Ihrige ist. Jasper hier wird Ihnen zeigen, wie man einen Nagel treffen muß, oder der Junge hat was von der Festigkeit seiner Hand und der Sicherheit seines Auges verloren. Sie würden besser getan haben, Leutnant, wenn Sie Ihre Stellungen weniger soldatisch gehalten hätten. Schießen ist eine natürliche Gabe und muß auf natürliche Weise geübt werden.« »Wir werden sehen, Pfadfinder; ich nenne das einen recht artigen Schuß, und ich zweifle, ob das Fünfundfünfzigste einen andern Hammer hat, wie Ihr es nennt, der wieder gerade dahin zu treffen vermag.«

»Jasper ist nicht im Fünfundfünfzigsten, aber da geht sein Schlag hin.«

Als der Pfadfinder sprach, traf Eau-douces Kugel das Viereck des Nagels und trieb den Kopf ungefähr einen Zoll tief in die Scheibe.

»Nietet ihn aus, Jungens«, schrie der Pfadfinder, indem er in die Fußtapfen seines Freundes in dem Augenblick trat, als sie frei wurden. »Laßt es gut sein mit dem neuen Nagel. Ich kann ihn sehen, obgleich die Farbe weggegangen ist, und was ich sehen kann, kann ich auch auf hundert Ellen treffen, und wär’s nur das Auge eines Moskitos. Habt ihr ihn ausgenietet?«

Die Flinte krachte; die Kugel flog ihren Weg, und der Kopf des Nagels wurde in dem Holz begraben, bedeckt von einem Stück plattgedrückten Bleis.

»Nun, Jasper, Junge«, fuhr der Pfadfinder fort, indem er den. Schaft seines Gewehrs zur Erde sinken ließ und das Gespräch wieder aufnahm, als ob er gar nicht an seinen eigenen Schuß dächte. »Ihr verbessert Euch täglich. Noch einige Züge am Land in meiner Gesellschaft, und der beste Schütze an der Grenze wird sich zusammennehmen müssen, wenn er seinen Stand nach Euch nimmt. Der Quartiermeister ist respektabel; aber er wird’s nicht weiter bringen. Dagegen habt Ihr, Jasper, die Gabe, und könnt’s eines Tags mit jedem Schützen aufnehmen.«

»Ho, ho!« rief Muir, »Ihr nennt das Streifen eines Nagelkopfs nur respektabel, da es doch die Vollkommenheit der Kunst ist? Jeder, der nun ein etwas verfeinertes und gebildetes Gefühl hat, weiß, daß die leichten Berührungen den Meister bekunden. Dagegen kommen Eure Schmiedhammerschläge nur aus dem Rohen und Ungebildeten. Wenn’s beim Schießen heißt: Um ein Haar gefehlt ist so gut wie um eine Meile gefehlt, so muß dies doch noch mehr bei einem Treffer gelten, Pfadfinder, ob er nun verwundet oder tötet.«

»Der sicherste Weg, diese Nebenbuhlerschaft zu beruhigen, wird wohl ein anderer Versuch sein«, bemerkte Lundie, »und das soll durch die Kartoffel geschehen. Sie sind ein Schotte, Herr Muir, und möchten vielleicht besser fahren, wenn es ein Kuchen oder eine Distel wäre, aber der Grenzbrauch hat sich für die amerikanische Frucht, die Kartoffel, erklärt.«

Da Major Duncan in seiner Weise einige Ungeduld kundgab, so hatte Muir zuviel Takt, den Fortgang der Belustigung noch länger durch seine Bemerkungen zu unterbrechen, sondern bereitete sich klugerweise für den nächsten Aufruf vor. Der Quartiermeister hatte zwar in der Tat wenig oder kein Vertrauen, daß er den nun folgenden Versuch glücklich bestehen werde, und würde es wohl nicht gewagt haben, sich unter die Bewerber zu mischen, wenn er vorausgesehen hätte, daß er wirklich stattfinden würde. Aber Major Duncan, der etwas humoristisch in seiner ruhigen, schottischen Weise war, hatte – ausdrücklich um ihn zu wählen – insgeheim bereits die nötigen Vorbereitungen treffen lassen; denn da er selbst ein Laird war, so konnte er dem Gedanken keinen Geschmack abgewinnen, daß ein Mann, der als ein Edelmann betrachtet werden wollte, seiner Kaste durch Eingehung einer ungleichen Verbindung Unehre zu machen gedachte. Sobald alles eingeleitet war, wurde Muir aufgefordert, seinen Stand zu nehmen, und die Kartoffel zum Wurf in Bereitschaft gehalten. Bei dem Ruf »auf«, den der Schütze gab, wurde das Gewächs mit einem sanften Stoß in die Luft geworfen, und es war nun des Quartiermeisters Aufgabe, eine Kugel durchzuschießen, ehe es den Boden wieder erreichte. Der Schuß fiel; aber das fliegende Ziel blieb unberührt.

»Rechts um – durchgefallen, Quartiermeister«, sagte Lundie mit einem Lächeln über diesen Erfolg, »die Ehre des seidenen Kopfputzes wird zwischen Jasper Eau-douce und Pfadfinder liegen.«

»Und wie soll der Versuch enden, Major«, fragte dieser. »Soll der mit den zwei Kartoffeln noch dazukommen, oder ist es mit Zentrum und Haut abgetan?«

»Mit Zentrum und Haut, wenn ein bemerklicher Unterschied stattfindet; im andern Fall muß der Doppelschuß folgen.«

»Das ist für mich ein entsetzlicher Augenblick, Pfadfinder«, bemerkte Jasper, und die Gewalt seiner Gefühle trieb alle Farbe aus seinem Gesicht, als er sich gegen den Stand hinbewegte.

Pfadfinder blickte ernst auf den jungen Mann; dann bat er den Major, einen Augenblick Geduld zuhaben, und führte seinen Freund etwas beiseite, so daß sie die nahe Stehenden nicht hören konnten.

»Ihr scheint Euch diese Sache zu Herzen zu nehmen, Jasper?« bemerkte der Jäger, indem er dem Jüngling mit festen Blicken ins Auge sah.

»Ich muß zugeben, Pfadfinder, daß sich meine Gefühle nie vorher so sehr an den Erfolg knüpften.«

»Und verlangt Ihr so sehr, mich auszustechen, einen alten geprüften Freund? – und das, sozusagen, auf meinem eigenen Wege? Schießen ist meine Gabe, Junge, und keine gewöhnliche Hand kann sich mit der meinigen messen.«

»Ich weiß es, ich weiß es, Pfadfinder, aber doch –«

»Aber was, Jasper, Junge? – Sprecht frei, Ihr sprecht mit einem Freund.«

Der junge Mann biß sich in die Lippen, fuhr mit der Hand über das Auge und errötete und erblaßte wechselweise wie ein Mädchen, das seine Liebe gesteht. Dann drückte er des andern Hand und sagte ruhig, und mit einer Männlichkeit, die alle andern Gefühle überwältigte:

»Ich wollte einen Arm drum geben, Pfadfinder, wenn ich diesen Kopfputz Mabel Dunham anbieten könnte.«

Der Jäger ließ seine Augen zur Erde sinken, und als er langsam gegen den Stand zurückging, schien er das, was er eben gehört hatte, tief zu erwägen.

»Es kann Euch nie bei dem Doppelversuch glücken, Jasper!« bemerkte er plötzlich.

»Des bin ich nur zu gewiß, und eben das quält mich.«

»Was für ein Geschöpf ist doch der sterbliche Mensch! Er sehnt sich schmerzlich nach Dingen, die nicht zu seinen Gaben gehören, und behandelt die Wohltaten, die ihm durch die Vorsehung zugewiesen werden, mit Leichtfertigkeit. Macht nichts – macht nichts! Stellt Euch auf, Jasper, denn der Major wartet – und hört, Junge – ich muß die Haut berühren, denn ich könnte mit weniger als so viel mein Gesicht nicht mehr in der Garnison zeigen.«

»Ich glaube, ich muß mich meinem Schicksal unterwerfen«, erwiderte Jasper, wie früher bald errötend, bald erbleichend – »aber ich will mir Mühe geben, als ob’s mein Leben gälte.«

Die Kartoffel wurde geworfen, Jasper feuerte, und das darauf folgende Geschrei leitete die Ankündigung ein, die Kugel sei in das Zentrum oder ihm doch so nahe eingedrungen, daß der Schuß wohl als Zentrumsschuß gelten könne.

»Das ist ein Mitbewerber, der Eurer würdig ist, Pfadfinder«, rief Major Duncan vergnügt, als der erstere seinen Stand einnahm, »und wir werden noch einige schöne Schüsse bei dem Doppelversuch zu sehen bekommen.«

»Was für ein Ding ist der sterbliche Mensch!« wiederholte der Jäger, der so sehr in seine eigenen Betrachtungen vertieft war, daß er kaum auf das, was um ihn vorging, zu achten schien, »Auf!«

Die Kartoffel flog, und die Flinte krachte gerade, als der kleine, schwarze Ball in der Luft zu stehen schien; denn der Schütze nahm augenscheinlich ungewöhnliche Sorgfalt auf sein Ziel. Dann folgte ein Blick der getäuschten Erwartung und Verwunderung unter denen, die das fallende Ziel aufgefangen hatten.

»Zwei Löcher auf einer Seite?« rief der Major aus.

»Die Haut, die Haut«, war die Antwort, »nur die Haut!«

»Was ist das, Pfadfinder? Soll Jasper Eau-douce die Ehre des Sieges davontragen?«

»Der Gewinn ist sein«, erwiderte der andere mit Kopfschütteln und verließ ruhig den Stand.

Da der Pfadfinder seine Kugel nicht durch die Mitte der Kartoffel geschickt, sondern nur die Haut durchschnitten hatte, so wurde der Preis Jasper zugesprochen. Der Kopfputz war in seinen Händen, als der Quartiermeister herzutrat und mit einem glatten Schein von Herzlichkeit seinem glücklicheren Nebenbuhler Glück zu dem Sieg wünschte.

»Aber nun habt Ihr den Putz gewonnen, Junge, der Euch zu nichts nütze ist«, fügte er bei. »Ihr könnte weder ein Segel noch eine Flagge daraus machen. Ich denke, Eau-douce, daß es Euch nicht leid täte, seinen Wert in gutem königlichem Silber in Eurer Tasche zu sehen?«

»Er ist für kein Geld feil, Leutnant«, erwiderte Jasper, dessen Auge von dem ganzen Feuer des Glückes und der Freude strahlte. »Dieser gewonnene Kopfputz ist mir lieber als fünfzig neue vollständige Segel für den Scud!«

»Ho, ho! Junge! Ihr werdet mir so toll wie all die andern. Ich hab’s eben wagen wollen, Euch eine halbe Guinea für diese Kleinigkeit anzubieten, ’s wär‘ doch besser, als wenn er in der Kajüte Eures Kutters unter den Füßen umherfährt oder am Ende ein Kopfputz für eine Squaw wird.«

Obgleich Jasper nicht wußte, daß der schlaue Quartiermeister ihm nicht die Hälfte des wirklichen Wertes seiner Prämie angeboten hatte, hörte er doch seinen Vorschlag mit Gleichgültigkeit an. Er schüttelte verneinend den Kopf und ging auf die Tribüne zu, wo seine Annäherung eine kleine Bewegung veranlaßte, da sich die Offiziersfrauen samt und sonders entschlossen hatten, wenn Galanterie den jungen Schiffer veranlassen sollte, mit seinem Gewinst ein Geschenk machen zu wollen, es anzunehmen. Aber Jaspers Schüchternheit nicht weniger als seine Bewunderung für eine andere würde ihn gehindert haben, nach der Ehre eines Komplimentes an die, die er so hoch über sich dachte, zu streben.

»Mabel«, sagte er, »dieser Preis ist für Sie, wenn nicht –«

»Wenn nicht was, Jasper?« antwortete das Mädchen, die bei dem natürlichen und großmütigen Wunsch, ihn seiner Verlegenheit zu entheben, ihre eigene Schüchternheit verlor, obgleich beide in einer Weise erröteten, die tiefere Gefühle verriet.

»Wenn Sie ihn nicht für zu unbedeutend halten, da er von einem angeboten wird, der kein Recht haben mag, zu glauben, daß seine Gabe angenommen werde.«

»Ich nehme sie an, Jasper; sie soll mir ein Erinnerungszeichen der Gefahr sein, die ich in Eurer Gesellschaft durchgemacht habe, und der Dankbarkeit, die ich für Eure Sorgfalt um mich fühle für Eure und des Pfadfinders Sorgfalt.«

»Laßt’s gut sein; laßt’s gut sein«, rief der letztere. »Dies ist Jaspers Glück und Jaspers Gabe. Geben Sie ihm vollen Kredit für beides. Die Reihe kann an einem andern Tag an mich kommen, an mich und den Quartiermeister, der wegen des Kopfputzes dem Jungen zu grollen scheint, obgleich ich nicht einsehe, zu was er ihn braucht, da er kein Weib hat.«

»Und hat Jasper Eau-douce ein Weib? oder habt Ihr selbst ein Weib, Pfadfinder? Ich kann ihn brauchen, daß er mir ein Weib kriegen helfe, oder als ein Erinnerungszeichen, daß ich ein Weib hatte, oder als einen Beweis, wie sehr ich dieses Geschlecht bewundere, oder weil er ein Frauenschmuck ist, oder aus irgendeinem anderen gleich achtbaren Grund. Die Nichtreflektierenden sind nicht die Geachtetsten bei den Gedankenvollen, und es gibt, laßt’s euch allen gesagt sein, kein besseres Zeichen, daß ein Mann ein guter Gatte seiner ersten Gefährtin war, als wenn er sich eilig nach einer geeigneten Nachfolgerin umsieht. Die Liebe ist eine schöne Gabe der Vorsehung, und wer wahrhaft geliebt hat, beweist, wie reichlich er diese Wohltat genossen, wenn er sobald wie möglich wieder eine andere liebt.«

»Es mag so sein. Ich bin kein Praktiker in solchen Dingen; aber Mabel hier, des Sergeanten Tochter, wird Ihre Worte voll zu würdigen wissen. Kommt, Jasper! obschon wir nichts dabei zu tun haben, so wollen wir doch sehen, was die andern Jungens mit ihren Büchsen ausrichten.«

Pfadfinder und seine Gefährten zogen sich zurück, denn die Belustigung nahm nun wieder ihren Fortgang. Die Damen jedoch waren nicht so sehr von dem Schießen in Anspruch genommen, um den Kopfputz darüber zu vernachlässigen. Er ging von Hand zu Hand; man befühlte die Seide, krittelte an der Fasson und untersuchte die Arbeit. Dann wagte man auch verschiedene Meinungen zu äußern, ob es auch passend sei, daß ein so schöner Putz in den Besitz einer Unteroffizierstochter gekommen.

»Ihr werdet vielleicht geneigt sein, den Kopfputz zu verkaufen, Mabel, wenn Ihr ihn eine kurze Zeit besessen habt?« fragte die Kapitänsfrau, »denn tragen könnt Ihr ihn doch nie, sollte ich denken.«

»Ich will ihn nicht tragen«, erwiderte unsere Heldin bescheiden, »doch möchte ich mich auch nicht von ihm trennen.«

»Sergeant Dunham versetzt Euch freilich nicht in die Notwendigkeit, Eure Kleider zu verkaufen, mein Kind, es ist aber immer weggeworfenes Geld, einen Putzartikel zu behalten, den Ihr doch nie tragen könnt.«

»Ich würde mich ungerne von der Gabe eines Freundes trennen.«

»Aber der junge Mann wird um so besser von Eurer Klugheit denken, wenn der Triumph dieses Tages vergessen ist. Es ist ein artiger und anständiger Schmuck und sollte nicht weggeworfen werden.«

»Es ist nicht meine Absicht, ihn wegzuwerfen, Madame, und wenn Sie erlauben, will ich ihn lieber behalten.«

»Wie Ihr wollt, Kind; Mädchen in Eurem Alter übersehen oft ihren wahren Vorteil. Doch erinnert Euch, daß er bestellt ist, wenn Ihr Euch entschließt, über ihn zu verfügen, und daß ich ihn nicht nehmen werde, wenn Ihr ihn je einmal selbst aufgesetzt hättet.«

»Ja, Madame«, sagte Mabel mit möglichst demütiger Stimme, obgleich ihre Augen glänzten und ihre Wangen sich röteten, als sie den verbotenen Schmuck eine Minute lang über ihre wohlgeformten Schultern legte, als ob sie versuchen wolle, wie er ihr passe, und ihn dann ruhig wieder abnahm.

Der Rest der Belustigung bot wenig Interesse. Man schoß wohl gut, aber in keinem Vergleich mit den eben erzählten Leistungen, und die Bewerber wurden bald sich selbst überlassen. Die Damen und die meisten Offiziere zogen sich zurück, und die übrigen Frauen folgten ihrem Beispiel. Mabel kehrte über die niedrigen Felsenplatten, die das Ufer des Sees bedeckten, heim und ließ den zierlichen Kopfputz auf ihrem noch zierlicheren Finger flattern, als der Pfadfinder zu ihr trat. Er führte die Büchse bei sich, deren er sich an diesem Tage bedient hatte; aber sein Benehmen zeigte weniger von der freien Leichtigkeit des Jägers als gewöhnlich, und sein Auge schien unstet und düster. Nach einigen nichtssagenden Worten über die vor ihnen liegende großartige Wasserfläche wandte er sich mit dem Ausdruck eines großen Anliegens in seinem Gesicht gegen das Mädchen und sprach:

»Jasper erntete diesen Putz für Sie, Mabel, ohne seine Gaben sehr anzustrengen.«

»Er hat sich gut gehalten, Pfadfinder.«

»Kein Zweifel. Die Kugel ging hübsch durch die Kartoffel, und niemand hätte mehr tun können, obgleich andere hätten ebensoviel leisten mögen.«

»Aber keiner leistete ebensoviel«, rief Mabel mit einer Lebhaftigkeit, die sie im Augenblick bereute; denn sie sah aus dem schmerzlichen Blick des Pfadfinders, wie sehr er durch diese Bemerkung sowohl als durch das Gefühl, mit dem sie sprach, gekränkt wurde.

»Es ist wahr – es ist wahr, Mabel, keiner leistete ebensoviel; aber – doch ich sehe keinen Grund, warum ich meine Gaben, die von der Vorsehung kommen, verleugnen sollte – ja, ja; keiner leistete dort so viel, aber Sie sollen sehen, was hier getan werden kann. Sehen Sie die Möwen, die über unsern Köpfen fliegen?«

»Gewiß, Pfadfinder; es sind zu viele, um der Beobachtung zu entgehen.«

»Hier, wo sie quer übereinander hinfliegen«, setzte er hinzu, indem er den Hahn spannte und die Büchse erhob; »die zwei – die zwei: Nun sehen Sie!«

Das Gewehr wurde mit Gedankenschnelle angelegt, als gerade zwei Vögel in eine Linie kamen, obgleich ihre Entfernung voneinander viele Ellen betragen mochte; der Schuß fiel und die Kugel drang durch die Körper der beiden Opfer. Die Möwen waren kaum in den See gefallen, als der Pfadfinder seinen Büchsenschaft fallen ließ und in seiner eigentümlichen Weise auflachte. Jeder Schatten von Unzufriedenheit und gekränktem Stolz hatte sein ehrliches Gesicht verlassen.

»Das ist was, Mabel – das ist was; obgleich ich Ihnen keinen Siegespreis zu geben habe. Aber fragen Sie Jasper selbst; ich will alles Jasper überlassen, denn eine wahrere Zunge und ein treueres Herz ist nicht in Amerika.«

»Es war also nicht Jaspers Verdienst, daß er den Preis gewonnen hat?«

»Nicht doch! Er tat sein Bestes und traf gut. Für einen, der bessere Wassergaben als Landgaben hat, ist Jasper ungemein erfahren, und man kann sich weder auf dem Wasser noch auf dem Land einen bessern Rückhalt wünschen. Aber es war mein Werk, Mabel, daß er gewonnen hat, obgleich es gerade keinen Unterschied macht – es macht keinen Unterschied, denn das Ding ist an die rechte Person gekommen.«

»Ich glaube, ich verstehe Euch, Pfadfinder«, sagte Mabel mit unwillkürlichem Erröten; »und ich betrachte nun den Putz als die vereinte Gabe von Euch und Jasper.«

»Da würden Sie dem Jungen unrecht tun. Er gewann das Kleidungsstück und hatte ein Recht, es wegzugeben. Ich wünsche nur, Mabel, Sie möchten glauben, daß, wenn ich es gewonnen hätte, es an dieselbe Person gekommen wäre.«

»Ich will’s nicht vergessen, Pfadfinder, und Sorge tragen, daß auch andere Eure Geschicklichkeit erfahren, die Ihr in meiner Gegenwart an den armen Möwen erprobt habt.«

»Gott segne Sie, Mabel; aber jedermann weiß, was ich in dieser Beziehung leisten kann, und Ihre Worte wären ebenso verloren wie das Französische bei einem amerikanischen Bären.«

»Ihr denkt wohl, Jasper wisse, daß Ihr ihm den Vorteil verschafft habt, den er auf eine so unschöne Weise benutzt hat?« sagte Mabel, indem die Farbe, die ihren Augen soviel Glanz verliehen hatte, allmählich ihr Gesicht verließ, das nun den Ausdruck eines gedankenvollen Ernstes annahm.

»Ich bin weit entfernt, das zu sagen. Wir alle vergessen Dinge, die wir gewußt haben, wenn wir auf unsere Wünsche sehr erpicht sind. Jasper weiß wohl, daß ich eine Kugel ebensogut durch zwei Kartoffeln schicken kann, wie ich’s eben bei diesen Möwen getan habe, und er weiß, daß dies kein anderer Mann an der Grenze vermag. Aber mit dem Kopfputz von seinen Augen und der Hoffnung, ihn Ihnen zu geben, war der Junge vielleicht gerade in diesem Augenblicke geneigt, besser von sich selbst zu denken, als er hätte tun sollen. Nein, nein; es ist nichts Niedriges oder Verdächtiges an Jasper Eau-douce, denn es ist eine natürliche Gabe aller jungen Leute, sich vor den Augen schöner, junger Frauen auszeichnen zu wollen.«

»Ich will versuchen, alles zu vergessen, mit Ausnahme der Güte, die ihr beide gegen ein armes, mutterloses Mädchen gezeigt habt«, sagte Mabel, indem sie sich bemühte, Bewegungen zu unterdrücken, von denen sie kaum einen Grund anzugeben wußte. »Glaubt mir, Pfadfinder, ich werde es nie vergessen, was Ihr schon alles für mich getan habt – Ihr und Jasper; und dieser neue Beweis Eurer Achtung soll nicht verloren sein. Hier, hier ist eine silberne Busennadel, und ich biete sie Euch an als ein Wahrzeichen, daß ich Euch mein Leben oder meine Freiheit verdanke.«

»Was soll ich damit tun, Mabel?« fragte der Jäger verlegen, als er den einfachen Zierat in seiner Hand hielt. »Ich hab‘ weder Schnalle noch Knopf an mir, denn ich trage nichts als lederne Schnüre, und zwar aus guten Hirschhäuten. Es fällt hübsch ins Auge, aber es ist weit schöner an der Stelle, von der es kam, als an mir.«

»Nein, steckt sie in Euer Jagdhemd; sie wird Euch gut stehen. Erinnert Euch, daß es ein Zeichen unserer Freundschaft ist und ein Merkmal, daß ich Euch und Eure Dienste nie vergessen kann.«

Mabel grüßte lächelnd zum Abschied, und an dem Damm hinhüpfend verlor sich ihre Gestalt bald hinter dem Wall des Forts.

Zwölftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Einige Stunden später stand Mabel in tiefen Gedanken auf dem Bollwerk, von dem aus man den Fluß und den See überblicken konnte. Der Abend war ruhig und sanft, und es hatte sich die Frage aufgeworfen, ob die Mannschaft wegen der gänzlichen Windstille diese Nacht abfahren könne oder nicht. Die Waffen und Mundvorräte waren bereits eingeschifft und auch Mabels Effekten an Bord; aber die kleine Anzahl Leute, die mitsegeln sollte, war noch am Ufer, und es hatte nicht das Aussehen, als ob sich der Kutter auf den Weg machen werde. Da Jasper den Scud aus der Bai stromaufwärts gewunden hatte, um nach Belieben die Mündung des Flusses passieren zu können, so blieb das Fahrzeug dort ruhig vor einem einzelnen Anker liegen, indes die Mannschaft müßig am Ufer der Bai hin und her ging, ohne zu wissen, ob es überhaupt zur Abfahrt kommen werde.

Die Belustigungen des Morgens hatte eine Ruhe in der Garnison zurückgelassen, die mit der Schönheit des gegenwärtigen Schauspiels im Einklang war, und Mabel fühlte diesen Einfluß, obgleich sie wahrscheinlich zu wenig gewöhnt war, über solche Empfindungen nachzusinnen, um den Grund zu bemerken. Alles in der Nähe schien lieblich und mild, während die feierliche Größe der schweigenden Wälder und die sanfte Fläche des Sees das Gepräge einer Erhaben heit trugen, die man bei andern Szenen wohl vergebens gesucht haben würde. Das erstemal fühlte Mabel den Einfluß merklich geschwächt, den die Städte und die Zivilisation auf ihre Gewohnheiten geübt hatten, und ihr warmes Herz fing an zu glauben, daß ein Leben unter den sie umgebenden Verhältnissen wohl ein glückliches sein könnte. Wie weit jedoch die Erfahrung der letzten zehn Tage dieser ruhigen und heiligen Abendstunde zu Hilfe kam und zur Bildung die jungen Überzeugung beitrug, dessen war sie sich nicht bewußt.

»Ein herrlicher Sonnenuntergang, Mabel«, sagte die kräftige Stimme ihres Onkels so dicht an ihrem Ohr, daß sie erschrak – »ein herrlicher Sonnenuntergang; was das Frischwasser betrifft, obgleich wir auf dem Meer nur wenig davon halten würden.«

»Ist nicht die Natur dieselbe, am Land oder auf dem Meer, auf einem See – wie dieser – oder dem Ozean? Scheint die Sonne nicht überall gleich, lieber Onkel?«

»Das Mädel ist über einige von ihrer Mutter Büchern gekommen – obgleich ich gedacht hätte, der Sergeant würde kaum einen zweiten Marsch mit solchem Plunder unter seiner Bagage machen. Ist nicht die Natur dieselbe – in der Tat! Wie, Mabel, bildest du dir etwa ein, daß die Natur eines Soldaten dieselbe sei wie die eines Seemanns? Du hast Verwandte in diesen beiden Geschäftszweigen und mußt mir antworten können.«

»Aber, Onkel, ich meine die menschliche Natur –«

»Ja, grade die mein‘ ich, Mädel; die menschliche Natur eines Seemanns und die menschliche Natur eines dieser Burschen vom Fünfundfünfzigsten, selbst deinen eigenen Vater nicht ausgenommen. Da haben sie heut‘ ein Wettzielscheibenschießen, wie ich’s nennen möchte, gehalten, und was für ein ganz ander Ding ist das gewesen als ein Scheibenfeuer auf dem Meer. Da hätten wir unsere Breitseite springen und die Kugeln spielen lassen auf einen Gegenstand, eine halbe Meile in der größten Nähe entfernt. Und die Kartoffeln? – Wenn sich etwa eine an Bord verirrt hätte, was aber wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre, die wären wohl in des Kochs Kupferkessel geblieben. Es mag ein ehrenwerter Beruf sein, der eines Soldaten, Mabel; aber ein erfahrener Kerl sieht viele Torheiten und Schwächen in einem gewissen Fort. Was das bißchen See da anlangt, so weißt du bereits, was ich davon denke, und ich will nichts verachten. Kein rechter Seefahrer verachtet was! Aber ich will verdammt sein, wenn ich diesen Ontario da, wie sie ihn nennen, anders betrachte als so viel Wasser in einer Schiffluckenrinne. Nun sieh mal, Mabel, wenn du den Unterschied zwischen dem Ozean und einem See kennenlernen willst, so kann ich dir das auf einen einzigen Blick begreiflich machen. Dies ist, was man einen Kalm oder eine Windstille nennen könnte, denn du siehst, daß kein Wind da ist, obgleich ich, die Wahrheit zu gestehen, nicht glaube, daß diese Stille so ruhig ist, wie wir sie draußen haben –«

»Onkel, es geht ja kein Lüftchen. Die Blätter können unmöglich noch unbeweglicher sein, als sie es in diesem Augenblick durch den ganzen Forst sind.«

»Blätter! Was sind Blätter, Kind? Es gibt keine Blätter auf dem Meer. Wenn du wissen willst, ob ein toter Wind da ist oder nicht, so zünde ein gegossenes Licht an – die gezogenen flackern zuviel –, und dann kannst du sicher wissen, ob ein Wind da ist oder keiner. Wenn du in einer Breite wärst, wo die Luft so still ist, daß es dir schwer würde, sie sogar durch deine Atemzüge zu stören, so könntest du dir einen Begriff von einem Kalm machen. In den Kalmbreiten können die Leute nur ganz kurz Atem holen. Nun sieh mal wieder auf dies Wasser. Es ist wie Milch in der Pfanne, mit nicht mehr Bewegung als in einem vollen Faß, ehe der Spund gesprungen ist. Auf dem Meer ist das Wasser nie still, mag die Luft so ruhig sein wie sie will.«

»Das Wasser auf dem Meer ist nie still, Onkel Cap, nicht einmal bei Windstille?«

»Gewiß nicht, mein Kind. Das Meer atmet wie ein lebendiges Wesen, und sein Busen hebt sich immer, wie die Versemacher es nennen, wenn auch gleich nicht mehr Luft da ist, als man etwa in einem Heber finden kann. Niemand hat je das Meer so still wie diesen See gesehen; es hebt sich und senkt sich, als ob’s Lungen hätte.«

»Aber auch dieser See ist nicht ganz ruhig, denn dort bemerkt Ihr den leichten Wellenschlag am Ufer, und zeitweise könnt Ihr auch die Brandung hören, die sich an den Felsen bricht.«

»Alles verdammte Dichterei. Man kann, wenn man will, ebensogut eine Wasserblase einen Wellenschlag und eine Deckwäsche eine Brandung nennen. Nein, der Ontario-See ist gegen das Atlantische Meer nichts weiter als ein Fischerkahn gegen ein Kriegsschiff ersten Ranges. Übrigens, der Jasper da, das ist ein ordentlicher Bursche, und es fehlt ihm nichts als Unterricht, um einen Mann aus ihm zu machen.«

»Ihr haltet ihn für unwissend, Onkel«, erwiderte Mabel, indem sie ihre Locken zurechtmachte, wobei sie ihr Gesicht abwandte. »Mir scheint Jasper Eau-douce mehr zu wissen als die meisten jungen Leute seines Berufs. Er hat zwar wenig gelesen, denn Bücher sind nicht sehr häufig in dieser Gegend; aber er hat, wie mir scheint, viel gedacht für einen so jungen Menschen.«

»Er ist unwissend, er ist unwissend, wie’s alle sein müssen, die auf solchem Binnenwasser segeln. Es ist wahr, er kann einen flachen Knopf machen und einen Timmerstich, aber er hat so wenig Begriff von Schauermannsknopf und Rahbandknopf wie du vom Verkatten eines Ankers. Doch, Mabel, wir beide sind dem Jasper und dem Pfadfinder verpflichtet; und ich hab‘ dran gedacht, wie ich ihnen am besten einen Dienst erweisen kann; denn ich halte die Undankbarkeit für das Laster eines Schweins. Einige Leute sagen, sie sei das Laster eines Königs, aber ich sage, es ist das eines Schweins; denn bewirte es mit deinem eigenen Mittagsmahl, so wird es dich zum Dessert verspeisen.«

»Sehr wahr, lieber Onkel! Wir müssen auch wirklich tun, was wir können, um diesen beiden braven Männern für die geleisteten Dienste unseren Dank auszudrücken.«

»Gesprochen wie deiner Mutter Tochter, Mädel, und auf eine Art, die der Capschen Familie Ehre macht. Nun, es ist mir da ein Gegendienst eingefallen, der alle Teile zufriedenstellen wird, und sobald wir von dieser kleinen Expedition an dem See da drunten, wo die Tausendinseln sind, zurückkommen und ich mich zur Heimreise anschicke, so ist’s meine Absicht, ihn auszuführen.«

»Liebster Onkel, das ist recht und vernünftig. Darf ich fragen, was Eure Absichten sind?«

»Ich sehe keinen Grund, warum ich sie gegen dich geheimhalten soll; nur ist’s nicht gerade nötig, daß du deinem Vater was davon sagst, denn der Sergeant hat seine Vorurteile und könnte Schwierigkeiten in den Weg legen. Weder aus Jasper noch aus seinem Freund Pfadfinder kann hier herum was werden, und ich will ihnen daher den Vorschlag machen, sie mit mir an die Küste und an Bord zu nehmen. Jasper würde sich in vierzehn Tagen in die Ozeanschuhe finden, und eine Reise von zwölf Monaten würde einen ganzen Mann aus ihm machen. Der Pfadfinder würde freilich mehr Zeit brauchen oder vielleicht nie ganz tauglich werden; doch könnte man auch was aus ihm machen, einen Ausluger etwa, weil er so ungewöhnlich gute Augen hat.«

»Onkel, glaubt Ihr wohl, daß sie mit Euch gleiche Ansichten haben werden?« sagte das Mädchen lächelnd.

»Müßte ich sie nicht für Tröpfe halten? Welches vernünftige Wesen wird sein Weiterkommen vernachlässigen? Wenn Jasper diesen Weg verfolgt, kann er noch als der Herr irgendeines Schiffes mit langen Rahen absterben.«

»Und würde er darum glücklicher sein, lieber Onkel? Um wieviel ist denn der Herr eines Schiffes mit langen Rahen besser als der eines Fahrzeugs mit kurzen?«

»Pah, pah! Magnet; du bist gerade geeignet, vor irgendeiner hysterischen Gesellschaft Vorlesungen über Schiffe zu halten, denn du weißt nicht einmal, wovon du sprichst. Überlaß diese Dinge mir, und sie werden besser ausfallen. Ah! Da ist der Pfadfinder selbst. Ich möcht‘ ihm wohl so einen kleinen Wink über meine wohlwollenden Gesinnungen gegen ihn hinwerfen.«

Cap nickte mit dem Kopf und beendete seine Rede, als der Jäger näher kam. Dies geschah jedoch nicht mit seiner gewöhnlichen, freien, leichten Manier, sondern mehr in einer Weise, die andeutete, daß er etwas verwirrt, wo nicht mißtrauisch wegen der Art seines Empfanges war.

»Onkel und Nichte bilden eine Familienpartei«, sagte der Pfadfinder, als er beiden nahe stand, »und ein Fremder möchte wohl nicht der willkommenste Gesellschafter sein.«

»Ihr seid kein Fremder, Meister Pfadfinder«, erwiderte Cap, »und niemand kann willkommener sein als Ihr. Wir sprachen diesen Augenblick von Euch, und wenn Freunde von einem Abwesenden sprechen, kann er den Inhalt ihrer Worte erraten.«

»Ich frage nicht nach Geheimnissen, nein. Jeder Mensch hat seine Feinde, und ich habe die meinen, obgleich ich weder Euch, Meister Cap, noch die liebliche Mabel hier unter ihre Zahl rechne. Was die Mingos anbelangt, so will ich davon schweigen, obschon sie keine gerechte Ursache haben, mich zu hassen.«

»Dafür will ich einstehen, Pfadfinder, denn ich betrachte Euch als ein gutgesinntes und aufrichtiges Wesen. Doch gibt’s eine Methode, wie Ihr der Feindschaft gerade dieser Mingos entgehen könnt; und wenn Ihr Euch entschließen könnt, sie zu ergreifen, so würde niemand geneigter sein, sie Euch mitzuteilen als ich, ohne daß mein Rat gerade maßgebend sein soll.«

»Ich wünsche keine Feinde, Salzwasser« – denn so fing Pfadfinder an, Cap zu nennen, indem er unwillkürlich den Namen aufgegriffen hatte, der letzterem von den Indianern in und außer dem Fort gegeben wurde; – »ich wünsche keine Feinde und wäre bereit, die Axt sowohl mit den Mingos als mit den Franzosen zu vergraben; aber Ihr wißt wohl, daß es von einem Größeren, als wir sind, abhängt, die Herzen so zu lenken, daß ein Mensch ohne Feinde bleibt.«

»Wenn Ihr Euren Anker lichtet und mich an die Küsten hinab begleitet, Freund Pfadfinder, sobald wir von diesem kurzen Kreuzzug zurückkehren, so werdet Ihr Euch außer dem Bereich des Kriegsgeschreies und sicher genug vor einer indianischen Kugel befinden.«

»Und was soll ich am Salzwasser tun? Jagen in Euren Städten? Die Fährten der Leute, die auf den Markt und wieder zurückgehen, verfolgen und gegen Hunde und Hühner im Hinterhalt liegen? Ihr seid kein Freund meines Glückes, Meister Cap, wenn Ihr mich dem Schatten der Wälder entführen und in die Sonne des gelichteten Landes setzen wollt.«

»Mein Vorschlag geht nicht dahin, Euch in den Ansiedlungen zu lassen, sondern Euch aufs Meer hinauszuführen, wo man allein sagen kann, daß man frei Atem schöpft. Mabel kann mir’s bezeugen, daß das meine Absicht war, ehe ich Euch noch ein Wort über diesen Gegenstand mitteilte.«

»Und was denkt Mabel wohl, daß bei einem solchen Tausch herauskomme? Sie weiß, daß der Mensch seine Gaben hat und daß es ebenso nutzlos ist, denen eines anderen nachzustreben, wie denen zu widerstehen, die von der Vorsehung kommen. Ich bin ein Jäger und Kundschafter, Salzwasser, und es liegt nicht in mir, dem Himmel Trotz zu bieten und etwas anderes werden zu wollen. Hab‘ ich recht, Mabel, oder sind Sie so sehr Weib, daß Sie eine Natur verändert sehen möchten?«

»Ich möchte keinen Wechsel in Euch sehen, Pfadfinder«, erwiderte Mabel mit einer herzlichen Aufrichtigkeit und Freimütigkeit, die des Jägers Herz traf; »und so sehr mein Onkel das Meer bewundert und so groß auch das Gute sein mag, das wir ihm nach seiner Meinung verdanken, so wünscht‘ ich doch den besten und edelsten Jäger der Wälder nicht einmal in einen Admiral verwandelt zu sehen. Bleibt, was Ihr seid, mein wackerer Freund, und Ihr braucht nichts zu fürchten als den Zorn Gottes.«

»Hört Ihr’s, Salzwasser? Hört Ihr, was des Sergeanten Tochter sagt, und sie ist viel zu aufrichtig und gut, um anders zu denken, als sie spricht. Solang sie mit mir zufrieden ist, wie ich bin, werd‘ ich gewiß nicht den Gaben der Vorsehung Trotz bieten und was anderes werden wollen. Ich mag in der Garnison unnütz scheinen; aber wenn wir nach den Tausendinseln hinunterkommen, so gibt’s vielleicht Gelegenheit zu beweisen, daß eine sichere Büchse bisweilen eine wahre Gottesgabe ist.«

»So seid Ihr also auch von unserer Partie«, sagte Mabel, indem sie dem Pfadfinder so offen und freundlich zulächelte, daß er ihr bis ans Ende der Erde gefolgt wäre. »Ich werde mit Ausnahme einer Soldatenfrau das einzige Mädel sein und mich um so sicherer fühlen, Pfadfinder, da Ihr unter unseren Beschützern sein werdet.«

»Sie würden unter des Sergeanten Schutz sicher genug sein, auch wenn Sie nicht seine Verwandte wären. Alles wird auf Sie Bedacht nehmen. Ich denke, auch Ihr Onkel hier wird an einer derartigen Expedition Vergnügen finden, wenn es an ein Segeln geht und sich ein Blick auf das Binnenmeer werfen läßt?«

»Euer Binnenmeer ist von keinem Belang, Meister Pfadfinder, und ich erwarte nichts von ihm. Doch geb‘ ich zu, daß es mir angenehm sein würde, den Zweck dieses Kreuzzuges kennenzulernen. Man will nicht gerade müßig sein, und mein Schwager, der Sergeant, ist so verschlossen wie ein Freimaurer. Weißt du, Mabel, was das alles bedeutet?«

»Nicht im mindesten, Onkel. Ich darf meinen Vater um nichts fragen, was mit seinem Dienst in Verbindung steht, da er diesen für kein Geschäft der Weiber betrachtet. Alles, was ich sagen kann, ist, daß wir absegeln werden, sobald es der Wind zuläßt, und daß wir einen Monat ausbleiben sollen.«

»Vielleicht kann uns Meister Pfadfinder einen nützlichen Wink geben, denn eine Reise ohne Zweck ist nie besonders belustigend für einen alten Seemann.«

»Es ist kein großes Geheimnis, Salzwasser, was unsern Hafen und unsern Zweck anlangt, obgleich es verboten ist, in der Garnison viel davon zu reden. Doch ich bin kein Soldat und kann meine Zunge nach Gefallen brauchen, obgleich ich sie, wie ich hoffe, so wenig wie ein anderer zu einem eitlen Geschwätz benütze. Da wir aber so bald absegeln und wir beide von der Partie sind, so kann ich wohl sagen, wo’s hingeht. Ich setze voraus, daß Ihr wißt, es gibt solche Dinger wie die Tausendinseln, Meister Cap?«

»Ja, was man hier herum so nennt, obgleich ich’s für ausgemacht halte, daß es keine wirklichen Inseln sind, nämlich solche, wie wir sie auf dem Meer treffen, und daß man unter den Tausenden etwa zwei oder drei versteht, wie das auch bei den Getöteten und Verwundeten nach einer großen Schlacht zu geschehen pflegt.«

»Meine Augen sind gut, und doch haben sie mir oft versagt, wenn ich es versuchte, diese wirklichen Inseln zu zählen.«

»Schön, schön, ich hab‘ Leute gekannt, die nicht über eine gewisse Zahl zählen konnten. Die Sache scheint mir ganz unmöglich.«

»Ihr kennt die Seen nicht, Meister Cap, sonst würdet Ihr das nicht sagen. Ehe wir noch zu den Tausendinseln kommen, werdet Ihr andere Begriffe von dem kriegen, was die Natur in dieser Wildnis getan hat.«

»Ich hab‘ meine Zweifel, ob Ihr so ’n Ding, wie eine wirkliche Insel in dieser ganzen Gegend habt. Nach meinen Begriffen kann das frische Wasser gar keine echte und gerechte Insel machen – nicht das, was ich eine Insel nenne.«

»Wir können Euch Hunderte davon zeigen. Wenn es auch nicht gerade tausend sind, so sind es doch so viele, daß das Auge nicht alle sehen kann.«

»Und was für ’ne Art von Dingern mag das sein?«

»Land, rund umher von Wasser umgeben.«

»Gut, aber was für ’ne Art Land und was für ’ne Art Wasser? Ich wette, daß sie, wenn man die Wahrheit wüßte, zu nichts als Halbinseln oder Vorgebirgen oder Teilen des Festlandes würden, obgleich das, wie ich wohl sagen darf, Sachen sind, von denen Ihr wenig oder nichts versteht. – Aber Inseln oder nicht Inseln, was ist der Zweck des Kreuzzugs, Pfadfinder?«

»Nun, da Ihr des Sergeanten Schwager seid und die artige Mabel hier seine Tochter ist, so kann’s nichts schaden, wenn ich Euch ein bißchen einen Begriff von dem beibringe, was wir vorhaben. Da Ihr ein alter Seemann seid, Meister Cap, so habt Ihr ohne Zweifel von so einem Hafen wie Frontenac gehört?«

»Wer sollte nicht?. Ich will nicht gerade sagen, daß ich in dem Hafen selbst gewesen bin – aber doch oft auf der Höhe dieses Platzes.«

»So steht es Euch bevor, einen bekannten Boden zu betreten, obgleich ich nicht verstehe, wie Ihr vom Ozean aus dahin kommen konntet. Diese großen Seen bilden, wie Ihr wissen müßt, eine Kette, und das Wasser fließt aus dem einen in den anderen, bis es den Eriesee erreicht, der von hier aus gegen Westen liegt und ebenso groß ist wie der Ontario selbst. Aus dem Eriesee kommt nun das Wasser, bis es so eine Art niederen Bergrand erreicht, über den es weggeht –«

»Ich möchte doch wissen, wie zum Teufel das geschehen kann?«

»Leicht genug, Meister Cap«, erwiderte Pfadfinder lachend, »denn es darf nur über den Hügel hinunterfallen. Hätt‘ ich gesagt, daß es das Gebirge hinangehe, so wär’s gegen die Natur gewesen; aber wir halten’s für nichts Besonderes, daß das Wasser einen Berg runterstürzt – ich meine nämlich das frische Wasser.«

»Ja, ja; aber Ihr sprecht von Wasser, das von einem See an der Seite des Gebirges herabkommt. Das heißt ja geradezu, der Vernunft gegen den Stachel lecken, wenn die Vernunft einen Stachel hat.«

»Nun, wir wollen über diesen Punkt nicht streiten; aber was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Ob die Vernunft einen Stachel hat, kann ich nicht sagen, aber das Gewissen hat einen, und dazu einen scharfen. Wenn das Wasser aller dieser Seen in den Ontario gelangt ist, so fließt es durch einen Fluß nach dem Meer ab, und in der Enge, wo die Wassermasse weder als Fluß noch als See betrachtet werden kann, liegen die besprochenen Inseln. Frontenac ist ein über diesen Inseln gelegener Posten der Franzosen. Die haben weiter unten eine Garnison, und so können sie ihre Mund- und Waffenvorräte flußaufwärts nach Frontenac bringen und sie längs der Ufer dieses und der andern Seen weiterschaffen, um den Feind instand zu setzen, seine Teufeleien unter den Wilden zu spielen und christliche Kopfhäute zu gewinnen.«

»Und wird unsere Gegenwart einem solch schrecklichen Treiben vorbeugen können?« fragte Mabel mit Teilnahme.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht, wie es die Vorsehung will. Lundie sandte Mannschaft aus, um auf einer dieser Inseln Posto zu fassen und einige der französischen Boote abzuschneiden. Unsere Expedition ist nun die zweite Ablösung. Sie haben bis jetzt noch wenig getan, obgleich sie zwei mit indianischen Gütern beladene Kähne gekapert haben. Aber in der letzten Woche kam ein Bote und brachte solche Nachrichten, daß der Major jetzt damit umgeht, die letzte Anstrengung zu machen, die Schurken zu überlisten. Jasper kennt den Weg, und wir werden in guten Händen sein, denn der Sergeant ist klug, zumal in einem Hinterhalt; ja, er ist beides, klug und rasch.«

»Ist das alles?« sagte Cap verächtlich. »Aus den Vorbereitungen und Zurüstungen dacht‘ ich mir, wir hätten auch ein rechtes Stück Arbeit im Wind, und es sei ein ehrlicher Pfennig bei diesem Abenteuer zu gewinnen. Wahrscheinlich teilt man sich nicht in Eure Frischwasserprisengelder?«

»Wie?«

»Ich nehme es für ausgemacht an, daß alles, was durch diese Soldatenmärsche und Hinterhalte, wie Ihr’s nennt, gewonnen wird, dem König zufällt?«

»Davon weiß ich nichts, Meister Cap. Ich nehme mir meinen Anteil Pulver und Blei weg, wenn uns was in die Hände fällt, und sage dem König nichts davon. Andere mögen wohl besser dabei wegkommen, obgleich es nun auch für mich Zeit wird, an ein Haus, eine Einrichtung und eine Heimat zu denken.

Pfadfinder wagte es nicht, als er diese Anspielung auf eine Veränderung in seinem Leben machte, Mabel anzusehen, und doch hätte er eine Welt darum geben mögen, zu wissen, ob sie ihn gehört und wie dabei der Ausdruck ihres Gesichts gewesen wäre. Aber Mabel ahnte die Natur dieser Anspielung wenig, und mit völlig unbefangenem Gesicht richtete sie ihre Augen auf den Fluß, wo eine Bewegung an Bord des Scud sichtbar zu werden begann.

»Jasper bringt den Kutter hinaus«, bemerkte der Kundschafter, dessen Blick durch den Fall irgend eines schweren Körpers auf dem Verdeck nach derselben Richtung geleitet wurde. »Der Junge sieht ohne Zweifel Zeichen von Wind und wünscht bereit zu sein.«

»Nun, da werden wir wohl Gelegenheit haben, was von der Seefahrerkunst zu lernen«, erwiderte Cap mit einem höhnischen Blick. »Es liegt was Subtiles darin, wie man ein Fahrzeug unter Segel bringt, und man kann daran einen erfahrenen Seemann so gut wie an was anderem erkennen, ’s ist dabei wie mit dem Zuknöpfen eines Soldatenrocks, ob einer damit oben oder unten anfängt.«

»Ich will nicht sagen, daß man Jasper mit den Matrosen da unten vergleichen kann«, bemerkte Pfadfinder, dessen aufrichtige Seele das unwürdige Gefühl des Neides oder der Eifersucht fremd war; »aber er ist ein kühner Bursche und handhabt seinen Kutter so geschickt, wie man es nur immer verlangen kann – auf diesem See wenigstens. Ihr habt gesehen, daß er sich an den Oswegofällen nicht ungeschickt benahm, wo das frische Wasser ohne besondere Schwierigkeit über den Berg niederstürzt.«

Cap antwortete nur mit einem Ausruf der Unzufriedenheit; dann folgte allgemeines Schweigen. Alle auf der Bastei betrachteten die Bewegungen des Kutters mit großer Teilnahme. Noch war eine tote Windstille, und die Oberfläche des Sees erglänzte im eigentlichsten Sinne von den letzten Strahlen der Sonne. Der Scud war auf einen Kat-Anker gewarpt worden, der etwa hundert Ellen über der Flußmündung lag, wo der Strom den Hafen des Oswego bildete und hinreichenden Raum für die Handhabung des Fahrzeugs bot. Aber die völlige Windstille verhinderte einen solchen Versuch, und es wurde bald klar, daß das leichte Schiff nur mittels der Ruder durch die Passage gebracht werden könne. Es wurde kein Segel losgemacht, aber sobald der Anker aus dem Grund gehoben war, ließ sich der schwere Fall der Ruder vernehmen, und der Kutter begann mit stromaufwärts gerichteter Spitze gegen die Mitte der Strömung zu fahren. Als er diese erreicht hatte, ließ die Tätigkeit der Mannschaft nach, und er trieb gegen den Ausfluß hin. In dem engen Paß selbst beschleunigte sich seine Bewegung, und in weniger als fünf Minuten schwamm der Scud außerhalb der beiden niederen Kieseinschnitte, an denen sich die Wellen des Sees brachen. Da man keinen Anker auswarf, fuhr das Fahrzeug fort, sich vom Land zu entfernen, bis sein dunkler Rumpf auf der glatten Fläche des Sees, eine volle Viertelmeile jenseits des niedrigen Vorsprungs, still hielt, der die östliche Begrenzung des Raumes bildete, den man den äußersten Hafen oder den Ankerplatz hätte nennen können. Hier ließ der Einfluß der Strömung nach, und das Fahrzeug kam zur Ruhe.

»Das Schiff kommt mir sehr schön vor, Onkel«, sagte Mabel, deren Blick sich während dieser Stellungsveränderung keinen Augenblick von dem Kutter abgewendet hatte. »Ihr mögt vielleicht Fehler in seinem Aussehen und der Art seiner Führung entdecken; aber in meinen unwissenden Augen sind beide gleich vollkommen.«

»Ja, ja, es schwimmt mit der Strömung gut genug, Mädchen, und das würde ein Hobelspan auch tun. Wenn man aber auf die Feinheiten eingeht, so braucht ein alter Teer keine Brille, um Fehler dran zu finden.«

»Aber, Meister Cap«, warf Pfadfinder ein, der selten ein Vorurteil über Jasper aussprechen ließ, ohne sich zum Widerspruch geneigt zu zeigen, »ich habe gehört, wie alte und erfahrene Salzwasserschiffer zugestanden, daß der Scud ein so artiges Fahrzeug sei, wie nur eins auf dem Wasser schwimme. Ich verstehe mich nicht auf solche Dinge; man kann aber doch seine Begriffe von einem Schiff haben, wenn sie auch nicht ganz vollständig sind, und es würde mehr als Eures Zeugnisses bedürfen, mich zu überreden, daß Jasper sein Boot nicht in guter Ordnung halte.«

»Ich sage nicht, Meister Pfadfinder, daß der Kutter gar nichts tauge; aber er hat seine Fehler, und große Fehler.«

»Und was sind das für Fehler, Onkel? Wenn sie Jasper kennen würde, so würde er sie mit Vergnügen verbessern.«

»Was es für Fehler sind? Ei, es sind ihrer mehr als fünfzig, hundert sogar; sehr wesentliche und in die Augen fallende Fehler.«

»So nennt sie uns, Herr, und Pfadfinder wird sie seinem Freunde sagen.«

»Sie nennen? Es ist keine leichte Sache, die Sterne mit Namen zu nennen, aus dem einfachen Grunde, weil sie so zahlreich sind. Sie nennen! In der Tat. – Ei, meine artige Nichte, Miß Magnet, was hältst du von diesem Hauptmast da? Meinen unwissenden Augen erscheint er um wenigstens einen Fuß zu hoch getoppt, und dann ist der Wimpel falsch und – und – ja, ich will verdammt sein, wenn da nicht eine Toppsegelseisung losgetrieben ist – und, es würde mich nicht mal besonders überraschen, wenn dieses dicke Troß einen runden Schlag machen würde, ließe man in diesem Augenblick den Anker los. Fehler? – In der Tat! Kein Seemann kann’s nur einen Augenblick ansehen, ohne daß er fände, es sei so voller Fehler, wie ein Bedienter, der schon seinen Abschied in der Tasche hat.«

»Das mag sehr wahr sein, Onkel, obgleich es eine große Frage ist, ob Jasper davon weiß. Ich glaube nicht, Pfadfinder, daß er solche Übelstände dulden würde, wenn man sie ihm einmal zeigte.«

»Lassen Sie Jasper nur selber für seinen Kutter sorgen, Mabel. Seine Gabe liegt auf diesem Wege, und ich stehe dafür, daß niemand ihn lehren kann, wie er ihn den Händen der Frontenacer und ihrer teuflischen Freunde, der Mingos, zu entziehen hat. Wer kümmert sich um einen runden Schlag des Ankers und um Trosse, die zu hoch getoppt sind, Meister Cap, solang das Fahrzeug gut segelt und sich klar gegen die Franzosen hält? Ich verlasse mich trotz allen Seefahrern an den Küsten hier oben an den Seen auf Jasper, obgleich ich damit nicht sagen will, daß seine Gaben auch für das Meer passen, weil er sich da noch nie versucht hat.«

Cap lächelte herablassend, hielt es aber nicht für nötig, im Augenblick seine Kritteleien noch weiter fortzuführen. Sein Aussehen und Benehmen wurde jedoch allmählich übermütiger und hochfahrender, obgleich er bei der Behandlung von Streitpunkten, mit denen eine der Parteien gänzlich unbekannt war, als ganz gleichgültig zu erscheinen wünschte. Inzwischen hatte der Kutter angefangen, in den Strömungen des Sees hin und her zu treiben, und seine Spitze wendete sich, obgleich nur langsam und nicht in einer Weise, die besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, nach allen Richtungen. Auf einmal aber wurde der Klüver losgemacht und aufgehißt, und das Segel blähte sich gegen das Land zu, obschon auf der Oberfläche des Wassers noch keine Spuren des Windes zu entdecken waren. So gering übrigens dieser Einfluß war, so gab ihm doch der leichte Rumpf nach, und eine Minute später sah man den Scud sich quer in der Strömung des Flusses halten, mit einer so leichten und gemäßigten Bewegung, daß man sie kaum bemerken konnte. Als er die Strömung übersetzt hatte, stieß er auf einen Wirbel und schoß gegen das Land, gerade auf die Anhöhe zu, wo das Fort stand. Hier ließ Jasper den Anker fallen.

»Nicht tölpelig getan«, brummte Cap in einer Art von Selbstgespräch, »nicht besonders tölpelig, obgleich er sein Steuer an den Steuerbord, statt an den Backbord hätte setzen sollen, denn ein Fahrzeug muß immer den Stern gegen das Ufer kehren, sei es nun eine Meile vom Land oder eine Kabellänge. Es gewinnt dadurch ein achtsameres Aussehen, und das Aussehen gilt etwas auf dieser Welt.«

»Jasper ist ein gewandter Bursche«, bemerkte plötzlich Sergeant Dunham hart an seines Schwagers Seite, »und wir können uns bei unsern Ausflügen auf seine Geschicklichkeit verlassen. Aber kommt samt und sonders, wir haben nur noch eine halbe Stunde Tag, um unsere Sache zu besorgen, und die Kähne werden so schnell für uns bereit sein, wie wir es für sie sind.«

Auf diese Mitteilung trennte sich die ganze Gesellschaft, und jeder suchte noch die Kleinigkeiten zusammenzuraffen, die nicht bereits an Bord waren. Einige Trommelschläge gaben den Soldaten das nötige Signal, und in wenigen Minuten war alles in Bewegung.

Dreizehntes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Die Einschiffung des kleinen Häufleins ging schnell und ohne Verwirrung vonstatten. Die ganze unter dem Befehl des Sergeanten Dunham stehende Macht bestand nur aus zehn Gemeinen und zwei Unteroffizieren. Es war zwar bald bekannt, daß Herr Muir an der Expedition teilnehmen werde; doch wollte der Quartiermeister nur als Freiwilliger mitgehen und sich dabei, wie er es mit dem Kommandanten abgemacht hatte, des Vorwandes einiger Geschäfte, die in sein eigenes Departement gehörten, bedienen. Hierzu kamen noch der Pfadfinder und Cap mit Jasper und seinen Untergebenen, von denen einer ein Knabe war. Der männliche Teil der Gesellschaft bestand also aus nicht ganz zwanzig Personen und einem vierzehnjährigen Jungen, indes das weibliche Geschlecht durch Mabel und die Frau eines Gemeinen repräsentiert wurde.

Sergeant Dunham führte sein Kommando in einem großen Kahn über und kehrte dann zurück, um die Schlußbefehle einzuholen und nachzusehen, ob für seinen Schwager und seine Tochter Sorge getragen werde. Nachdem er Cap das Boot gezeigt hatte, dessen er und Mabel sich bedienen sollten, ging er in das Fort zurück, um seine letzte Zusammenkunft mit Lundie zu halten.

Es war schon ziemlich dunkel, als Mabel das Boot bestieg, das sie zu dem Kutter führen sollte. Die Oberfläche des Sees war so glatt, daß es nicht nötig wurde, die Kähne in den Fluß zu bringen, um ihre Fracht aufzunehmen, denn da das äußere Ufer ganz ohne Brandung und das Wasser ruhig wie in einem Teich war, konnte die Einschiffung hier geschehen. Man bemerkte, wie Cap gesagt hatte, auf dem See nichts von dem Heben und Sinken, dem Arbeiten der weiten Lungen und der Atmung eines Meeres; denn der Umfang des Ontario erlaubt es nicht, daß an einer Stelle Stürme toben, während an einer anderen Windstille herrscht, wie es auf dem Atlantischen Ozean der Fall ist. Es gehört auch zu den gewöhnlichen Bemerkungen der Seeleute, daß das Wasser auf allen den großen Seen des Westens schneller hochgeht und sich früher wieder legt als auf den verschiedenen Meeren, die sie kennen. Als daher Mabel das Land verließ, hatte sie aus keiner Bewegung des Wassers, die unter solchen Umständen so gewöhnlich ist, die Größe der Masse erkennen können. Nach einem Dutzend Ruderschlägen lag das Boot an der Seite des Kutters.

Jasper hielt sich bereit, seine Passagiere zu empfangen, und da das Verdeck des Scud nur zwei oder drei Fuß über dem Wasser lag, war es nicht schwierig, an Bord zu gelangen. Sobald dies geschehen war, zeigte der junge Mann Mabel und ihrer Gefährtin die Bequemlichkeiten, die er für ihren Empfang vorbereitet hatte, von denen sie auch ohne weiteres Besitz nahmen. Das kleine Fahrzeug hatte in seinem unteren Raum vier Kabinette, da alles zwischen den Decken ausdrücklich zum Zweck des Transports von Offizieren und Mannschaft mit ihren Weibern und Familien eingerichtet war. Das erste im Rang war die sogenannte Nebenkajüte, ein kleines Stübchen, das vier Lagerstellen enthielt und den Vorteil hatte, daß durch kleine Fenster Licht und Luft eindringen konnte. Dieses wurde gewöhnlich für die Frauen, die sich an Bord befanden, bestimmt, und da Mabel und ihre Gefährtin allein waren, so fehlte es nicht an Raum und Bequemlichkeit. Die Hauptkajüte war größer und erhielt ihr Licht von oben. Sie diente zum Gebrauch des Quartiermeisters, des Sergeanten, Caps und Jaspers, da sich der Pfadfinder, mit Ausnahme der Frauenkabine, überall herum aufhielt. Die Korporale und Gemeinen hatten ihren Platz unter der großen Luke, die zu diesem Zweck mit einem Deck verseben war, während die Ruderer wie gewöhnlich im Vorderkastell ihr Lager aufschlugen. Obgleich der Kutter nicht ganz fünfzig Tonnen führte, so war doch die Befrachtung durch die Offiziere und Mannschaft so gering, daß für alle, die an Bord waren, ein weiter Raum blieb, der im Notfall die dreifache Anzahl zu bergen imstande gewesen wäre.

Sobald Mabel von ihrem in der Tat recht anständigen und bequemen Kabinett Besitz genommen hatte, wobei sie sich nicht enthalten konnte, der angenehmen Betrachtung Raum zu geben, daß sie hierbei manches Jaspers Gunst zu verdanken habe – ging sie wieder auf das Verdeck zurück. Hier war alles in Bewegung. Die Soldaten liefen hin und her, um nach ihren Tornistern und anderen Effekten zu sehen; doch stellten Methode und Gewohnheit die Ordnung bald wieder her, und es herrschte nun an Bord eine tiefe Stille, die mit dem Gedanken an das künftige Abenteuer und an die verhängnisvolle Vorbereitung in Verbindung stand.

Die Finsternis fing an, die Gegenstände am Ufer undeutlich zu machen. Das ganze Land bildete einen gestaltlosen schwarzen Umriß an den Spitzen des Waldes und war nur von dem darüber hängenden Himmel durch das höhere Licht dieses Gewölbes zu unterscheiden. Bald begannen dort auch die Sterne nach und nach mit ihrem milden, angenehmen Licht zu schimmern und brachten das Gefühl der Ruhe mit sich, das gewöhnlich die Nacht begleitet. Es lag etwas Besänftigendes und zugleich etwas Aufregendes in dieser Szene, und Mabel, die auf der Schanze saß, fühlte sich lebhaft von diesen beiden Einflüssen ergriffen. Der Pfadfinder stand in ihrer Nähe, wie gewöhnlich an seine lange Büchse gelehnt, und es kam ihr selbst trotz der zunehmenden Dunkelheit der Stunde vor, als ob sie schärfere Linien des Nachdenkens als gewöhnlich in seinen rauhen Zügen entdeckte.

»Eine solche Fahrt kann Euch nichts Neues sein, Pfadfinder«, sagte sie, »und es überrascht mich daher, die Leute so still und in Gedanken vertieft zu sehen.«

»Wir lernen dies aus dem Krieg gegen die Indianer. Die Milizen schwatzen viel und handeln im allgemeinen wenig; aber die Soldaten, die oft mit den Mingos zusammentreffen, lernen den Wert einer klugen Zunge schätzen. Eine schweigende Armee ist in den Wäldern doppelt stark und eine lärmende doppelt schwach. Wenn Zungen Soldaten machten, so würden auf dem Schlachtfeld gewöhnlich die Weiber die Herren des Tages sein.«

»Aber wir sind weder eine Armee noch in den Wäldern! Man hat sich doch in dem Scud nicht vor den Mingos zu fürchten?«

»Fragen Sie Jasper, wie er Herr dieses Kutters geworden ist, und Sie werden sich dies selbst beantworten können. Niemand ist vor einem Mingo sicher, wenn er nicht dessen eigentliche Natur kennt, und gerade dann muß er sorgfältig seiner Kenntnis gemäß handeln. Fragen Sie nur den Jasper, wie er zu dem Kommando dieses Kutters gekommen ist.«

»Und wie kam er dazu?« fragte Mabel mit einem Ernst und einer Teilnahme, die einen angenehmen Einfluß auf ihren einfachen und treuherzigen Gefährten übten, der nie vergnügter war, als wenn er Gelegenheit hatte, zugunsten eines Freundes etwas zu sagen. »Es ist ehrenvoll für ihn, daß er bei seiner Jugend diese Stellung erreicht hat.«

»Es ist so; aber er hat sie verdient und wohl noch mehr. Eine Fregatte war‘ nicht zuviel gewesen, um seinen Geist und seine Besonnenheit zu belohnen, wenn es so ein Ding auf dem Ontario gäbe, was aber nicht der Fall ist und auch wahrscheinlich nie der Fall sein wird.«

»Aber Jasper – Ihr habt mir noch nicht erzählt, wie er zu dem Kommando dieses Schoners gekommen ist.«

»Es ist eine lange Geschichte, Mabel, die Ihnen Ihr Vater, der Sergeant, besser erzählen kann als ich; denn er war dabei und ich auf Kundschaft abwesend. Ich muß zugeben, daß Jasper kein guter Erzähler ist, und ich hab‘ ihn, wenn er um diese Sache befragt wurde, immer nur eine schlechte Erzählung geben hören, obschon jedermann weiß, daß es eine gute Sache war. Nein, nein, Jasper erzählt nicht gut; das müssen seine besten Freunde zugestehen. Der Scud war nahe daran, in die Hände der Franzosen und der Mingos zu fallen, als Jasper ihn auf eine Weise rettete, die nur ein schnell besonnener Geist und ein kühnes Herz versuchen konnte. Der Sergeant kann Ihnen die Geschichte besser mitteilen als ich, und ich wünsche, daß Sie ihn einmal fragen möchten, wenn es gerade nichts Besseres zu tun gibt. Was den Jasper anbelangt, so wird es nichts nützen, den Jungen damit zu plagen, denn er wird die Sache ganz verstümpern, weil er durchaus keine Geschichte zu geben weiß.«

Mabel entschloß sich, ihren Vater um die Mitteilung der Einzelheiten dieses Ereignisses noch in dieser Nacht anzugehen, denn für ihre jugendliche Phantasie konnte es wohl nichts Besseres zu tun geben, als auf das Lob eines Mannes zu hören, der nur ein schlechter Erzähler seiner eigenen Taten war.

»Wird der Scud bei uns bleiben, wenn wir die Inseln erreicht haben?« fragte sie nach einem leichten Zögern ob der Schicklichkeit dieser Frage; »oder werden wir dann uns selbst überlassen sein?«

»Je nachdem es kommt. Jasper läßt den Kutter nicht gern müßig sein, wenn es was zu tun gibt, und wir dürfen von seiner Seite Tätigkeit erwarten. Doch wenn’s nicht grade die Stromschnellen, die Fälle und Kähne betrifft, so mach‘ ich keinen Anspruch drauf, was von der Sache zu verstehen. Ich zweifle übrigens nicht, daß unter Jasper alles gut gehen wird, da er auf dem Ontario so gut eine Fährte finden kann, wie sie ein Delaware auf dem Land zu entdecken weiß.«

»Und unser Delaware, Pfadfinder – die Schlange – warum ist er diese Nacht nicht bei uns?«

»Ihre Frage würde natürlicher sein, wenn Sie sagten ›Warum seid Ihr hier, Pfadfinder?‹ – Der Häuptling ist an seinem Platz, während ich nicht auf dem meinigen bin. Er ist mit zweien oder dreien ausgezogen, um die Seeufer auszukundschaften, und wird unten bei den Inseln wieder zu uns stoßen, um uns seine gesammelten Nachrichten mitzuteilen. Der Sergeant ist ein zu guter Soldat, um die Nachhut zu vergessen, wenn er im Angesicht des Feindes steht. Es ist tausendschade, Mabel, daß Ihr Vater nicht als ein General geboren wurde, wie wir da so einige Engländer unter uns haben, denn ich bin fest überzeugt, daß in einer Woche kein einziger Franzose mehr in Kanada wäre, wenn er seinen eigenen Weg gehen dürfte.«

»Werden wir den Feind zu Gesicht bekommen?« fragte Mabel lächelnd und fühlte dabei zum erstenmal eine leichte Furcht wegen der Gefahren dieser Fahrt. »Werden wir wohl in ein Treffen verwickelt werden?«

»Wenn das wär‘, Mabel, so wird’s Leute genug geben, die bereit sind, sich zwischen Sie und die Gefahr zu werfen. Doch Sie sind die Tochter eines Soldaten und haben, wie wir alle wissen, den Mut eines Soldaten. Lassen Sie deshalb die Furcht vor einem Gefecht den Schlaf nicht von Ihren schönen Augen scheuchen.«

»Ich fühle mich mutiger, Pfadfinder, hier außen in den Wäldern, als ich mich je mitten in der Weichlichkeit der Städte gefunden habe, obgleich ich’s immer versuchte, mich zu erinnern, was ich meinem lieben Vater schuldig bin.«

»Nun ja, Ihre Mutter dachte vor Ihnen ebenso. – ›Ihr werdet Mabel wie ihre Mutter finden, kein kreischendes und verzärteltes Mädchen, daß ein Mann seine Not mit ihr hat, sondern sie wird ihren Gatten ermutigen und aufrichten, wenn er bei Gefahren unter der Sorge erliegen will‹, sagte der Sergeant zu mir, ehe ich noch Ihr hübsches Gesichtchen gesehen hatte; – ja, das sagte er!«

»Und warum sollte mein Vater Euch das gesagt haben, Pfadfinder?« fragte das Mädchen mit einigem Ernst. »Vielleicht glaubte er, Ihr würdet besser von mir denken, wenn Ihr mich nicht für ein einfältiges, furchtsames Geschöpf halten müßtet, wie unser Geschlecht davon soviele aufweist?«

Täuschung, wenn es nicht gerade auf Kosten seiner Feinde im Felde ging – ja selbst das Verbergen eines Gedankens war so wenig im Einklang mit dem Wesen des Pfadfinders, daß er bei dieser einfachen Frage in keine geringe Verlegenheit kam. Er fühlte aus einer Art von Instinkt, von dem er sich keine Rechenschaft zu geben vermochte, daß es nicht geeignet sei, die Wahrheit offen zu gestehen; und sie zu verbergen? – das wollte sich nicht mit seinem Rechtlichkeitsgefühl und seinen Gewohnheiten vertragen. In dieser Klemme nahm er unwillkürlich seine Zuflucht zu einem Mittelweg, der das, was er nicht zu sagen wagte, zwar nicht entschleierte, aber auch nicht geradezu verhehlte.

»Sie müssen wissen, Mabel«, sagte er, »daß der Sergeant und ich alte Freunde sind und wir in manchem harten Gefecht, an manchem blutigen Tag Seite an Seite gestanden haben. Es ist dann so die Weise von uns Scharmützlern, daß wir wenig an den Kampf denken, wenn die Büchse das ihrige getan hat; und des Nachts an unseren Feuern oder auf unseren Märschen, plaudern wir von Gegenständen, die wir lieben, wie ihr jungen Mädchen euch über eure Träumereien und Meinungen unterhaltet und miteinander über eure Einfälle lacht. Nun, da war’s natürlich, daß der Sergeant, der eine Tochter wie Sie hat, die er mehr als alles andere liebt, von ihr öfter als von irgendwas anderem sprach. Da ich nun weder Tochter noch Schwester, noch Mutter oder sonstige Verwandte und Bekannte, mit Ausnahme der Delawaren, zu lieben habe, so stimmte ich natürlich mit ein, und ich gewann Sie lieb, Mabel, ehe ich Sie noch gesehen hatte – ja das tat ich, Mabel, gerade deshalb, weil wir soviel von Ihnen sprachen.«

»Und nun, da Ihr mich gesehen habt«, entgegnete das lächelnde Mädchen, deren unverändert natürliche Weise bewies, wie wenig sie an etwas mehr als an elterliche oder brüderliche Zuneigung dachte, »fangt Ihr an, die Torheit einzusehen, Freundschaft mit Leuten zu schließen, ehe man sie näher als nur vom Hörensagen kennt.«

»Es war nicht Freundschaft – nicht Freundschaft, Mabel, was ich für Sie fühle. Ich bin der Freund der Delawaren und bin’s von meinen Knabenjahren an gewesen; aber meine Gefühle für jene oder für den Besten unter ihnen sind nicht dieselben, die mir der Sergeant gegen Sie einflößte, um so mehr, da ich Sie nun näher kennenzulernen anfange. Bisweilen fürcht‘ ich freilich, es sei nicht gut für einen Mann, der einem wahrhaft männlichen Beruf folgt – sei er nun Kundschafter oder ein Soldat – Freundschaft mit Frauen und zumal mit jungen Frauen zu schließen, da sie mir den Unternehmungsgeist zu schwächen und die Gefühle von den Gaben und natürlichen Beschäftigungen abzulenken scheint.«

»Ihr meint doch sicherlich nicht, Pfadfinder, daß Freundschaft gegen ein Mädchen wie ich Euch weniger kühn und weniger geneigt machen würde, mit den Franzosen im Kriegsfall wie früher anzubinden?«

»Nein, nicht so, nicht so. Mit Ihnen in Gefahr würd‘ ich zum Beispiel fürchten, zu tollkühn zu werden. Aber ehe wir miteinander sozusagen vertraut wurden, dachte ich gerne an meine Kundschaftszüge, meine Märsche und Auslager, meine Gefechte und andere Abenteuer. Jetzt kümmert sich mein Geist wenig mehr drum, und ich denke mehr an die Hütten, an die Abende, die man im Gespräch hinbringen kann, an Gefühle, die nichts mit Hader und Blutvergießen zu tun haben, und an junge Frauen, ihr Lachen, ihre heiteren, sanften Stimmen, ihre lieblichen Blicke und ihre gewinnenden Weisen. Ich sage dem Sergeanten bisweilen, daß er und seine Tochter noch einen der besten und erfahrensten Kundschafter an den Grenzen verderben werden.«

»Nicht doch, Pfadfinder; sie wollen es nur versuchen, das, was schon ausgezeichnet ist, vollkommen zu machen. Ihr kennt uns nicht, wenn Ihr glaubt, daß einer von uns wünsche, Euch nur im mindesten verändert zu sehen. Bleibt, was Ihr schon seid, derselbe ehrliche, aufrichtige, gewissenhafte, furchtlose, einsichtsvolle und zuverlässige Kundschafter, und weder mein lieber Vater noch ich werden je anders von Euch denken, als wir es jetzt tun.«

Es war zu dunkel für Mabel, als daß sie die Bewegungen in dem Gesicht ihres Zuhörers hätte bemerken können; aber ihre liebliche Gestalt war gegen ihn gekehrt, als sie mit ebensoviel Feuer wie Freimütigkeit diese Worte sprach, die zeigten, wie aufrichtig sie gemeint und wie wenig ihre Gedanken in Verwirrung gebracht waren. Ihr Gesicht war zwar leicht gerötet, aber es zeigte den Ausdruck des Ernstes und der Wahrheit ihrer Gefühle, ohne daß dabei ein Pulsschlag rascher flog.

Der Pfadfinder war übrigens zu unerfahren, um in derartige Unterscheidungen eingehen zu können; und seine Bescheidenheit wurde durch die Geradheit und die Kraft der Worte, die er eben gehört hatte, ermutigt. Nicht geneigt, vielleicht auch nicht fähig, weiter zu sprechen, entfernte er sich und blickte, an seine Büchse gelehnt, eine Weile in tiefem Schweigen zu den Sternen auf.

Während dieses auf dem Kutter vorging, fand die bereits erwähnte Unterredung Lundies mit dem Sergeanten auf dem Bollwerk statt.

»Sind die Tornister der Mannschaft untersucht worden?« fragte Major Duncan, nachdem er einen Blick auf den geschriebenen Rapport, der ihm von dem Sergeanten eingehändigt worden, geworfen hatte, denn es war bereits zu dunkel, um zu lesen.

»Alle, Euer Gnaden, und alle sind in Ordnung.«

»Waffen und Kriegsbedarf?«

»Alles in Richtigkeit, Major Duncan, und für den Dienst bereit.«

»Ihr habt die von mir vorgezeichneten Leute genommen, Dunham?«

»Ohne Ausnahme, Sir. Bessere Leute können nicht in dem Regiment gefunden werden.«

»Ihr braucht auch die Besten von unserer Mannschaft, Sergeant. Dies ist nun der dritte Versuch, und er wurde immer unter einem von den Fähnrichen gemacht, auf die ich das größte Vertrauen setzte, und doch sind mir alle früheren fehlgeschlagen. Nach soviel Vorbereitungen und Kosten wollt‘ ich das Projekt doch nicht ganz aufgeben, aber dies soll die letzte Bemühung sein. Das Resultat wird hauptsächlich von Euch und dem Pfadfinder abhängen.«

»Auf uns beide können Sie zählen, Major Duncan. Der Auftrag, den Sie uns gegeben haben, geht nicht über unsere Kräfte und unsere Erfahrung, und ich denke, er soll gut ausgerichtet werden. Ich weiß, daß es der Pfadfinder nicht fehlen lassen wird.«

»Darauf wird man sich freilich sicher verlassen können. Er ist ein außerordentlicher Mann, Dunham – ein Mann, der mich lange in Verlegenheit gesetzt hat, der aber, da ich ihn nun kenne, so sehr über meine Achtung zu gebieten hat wie irgendein General in Seiner Majestät Diensten.«

»Ich hoffe, Sir, daß Sie die projektierte Heirat mit Mabel als einen Umstand betrachten würden, den ich wünschen und beschleunigen sollte.«

»Was das anbelangt, Sergeant, so wird’s die Zeit lehren«, erwiderte Lundie lächelnd; »ein Weib ist bisweilen schwieriger zu leiten als ein ganzes Regiment Soldaten. Zudem wißt Ihr auch, daß Euer Möchte-gern-Schwiegersohn, der Quartiermeister, mit von der Partie sein wird, und ich versehe mir’s von Euch, daß Ihr ihm wenigstens ein gleiches Feld einräumen werdet für den Versuch, Eurer Tochter ein Lächeln abzugewinnen.«

»Ich habe Achtung vor seinem Rang, Sir, und wenn mich auch dieser nicht schon dazu veranlaßte, so würde der Wunsch Euer Gnaden genügen.«

»Ich danke Euch, Sergeant. Wir haben lange miteinander gedient und müssen uns gegenseitig in unseren Stellungen schätzen. Doch, versteht mich wohl; ich verlange für David Muir nichts weiter als freies Feld, keine Begünstigung. In der Liebe wie im Krieg muß jeder sich selbst den Sieg erringen. – Seid Ihr gewiß, daß die Rationen gehörig berechnet sind?«

»Dafür steh‘ ich, Major Duncan; aber wenn’s auch nicht war‘, so brauchten wir nicht Not zu leiden mit zwei solchen Jägern in unserer Gesellschaft, wie der Pfadfinder und Chingachgook.«

»Das geht nicht, Dunham«, unterbrach ihn Lundie scharf; »das kommt von Eurer amerikanischen Geburt und Erziehung. Kein rechter Soldat verläßt sich auf was anderes als auf seinen Proviantkommissär, und ich muß bitten, daß kein Angehöriger meines Regiments zuerst ein Beispiel von dem Gegenteil gibt.«

»Sie haben zu befehlen, Major Duncan, und es wird gehorcht werden; und doch, wenn ich voraussetzen dürfte, Sir –«

»Sprecht frei. Sergeant; Ihr redet mit einem Freund.«

»Ich wollte nur sagen, daß, wie ich finde, die Schotten Wildbret und Vögel ebensosehr lieben wie Schweinefleisch, wenn sie schwer zu bekommen sind.«

»Das mag wohl wahr sein; aber Lieben oder Nichtlieben hat nichts mit dem System zu schaffen. Eine Armee kann sich auf nichts verlassen als auf ihre Kommissäre. Die Unregelmäßigkeit der Provinzler hat zu oft Teufeleien in des Königs Dienst gebracht, um da länger die Augen zu schließen.«

»General Braddoek, Euer Gnaden, hätte sich von dem Oberst Washington sollen raten lassen.«

»Weg mit Eurem Washington! Ihr seid alle miteinander Provinzler, Mann, und jeder hält den anderen, als ob Ihr von einer geschworenen Verbindung wäret.«

»Ich glaube, Seine Majestät hat keine loyaleren Untertanen als die Amerikaner, Euer Gnaden.«

»Was das anbelangt, so habt Ihr recht, glaube ich, und ich bin vielleicht ein bißchen zu warm geworden. Ich betrachte Euch nicht als einen Provinzler, Sergeant, denn obgleich Ihr in Amerika geboren seid, so hat doch nie ein besserer Soldat eine Muskete geschultert.«

»Und Oberst Washington, Euer Gnaden?«

»Nu ja – Oberst Washington mag auch ein brauchbarer Untertan sein. Er ist das Wundertier der Amerikaner, und ich denke, ich kann ihm wohl all die Ehre widerfahren lassen, die Ihr verlangt. Ihr zweifelt nicht an der Geschicklichkeit dieses Jasper Eau-douce?«

»Der Junge ist erprobt und allem gewachsen, was man von ihm verlangen kann.«

»Er führt einen französischen Namen und hat seine Kindheit meistens in den französischen Kolonien zugebracht: Hat er französisches Blut in seinen Adern, Sergeant?«

»Nicht einen Tropfen, Euer Gnaden. Jaspers Vater war ein alter Kamerad von mir, und seine Mutter ist aus einer ehrbaren und loyalen Familie in unserer Provinz.«

»Wie kam er denn soviel unter die Franzosen, und woher hat er seinen französischen Namen? Er spricht auch die Sprache der Kanadier, wie ich finde.«

»Das ist leicht auseinandergesetzt, Major Duncan. Der Knabe blieb unter der Obhut eines unserer Seeleute aus dem alten Heer, und so kam er zu Wasser wie eine Ente. Euer Gnaden weiß, daß wir an dem Ontario keine Häfen haben, die diesen Namen verdienen, und so brachte er natürlich den größten Teil seiner Zeit auf der anderen Seite des Sees zu, wo die Franzosen seit fünfzig Jahren mehrere Schiffe haben. Er lernte da gelegentlich ihre Sprache und erhielt seinen Namen von den Indianern und Kanadiern, die wahrscheinlich die Leute gerne nach ihren Eigenschaften nennen.«

»Demungeachtet ist aber ein französischer Meister nur ein schlechter Lehrer für einen britischen Schiffer.«

»Ich bin‘ um Verzeihung, Sir; Jasper Eau-douce ist von einem wirklichen englischen Seemann erzogen worden, von einem Mann, der unter des Königs Flagge segelte und ein Befahrener genannt werden kann; er ist in den Kolonien geboren, aber deshalb, wie ich hoffe, Major Duncan, keiner der schlechtesten von seinem Gewerbe«

»Vielleicht nicht, Sergeant, vielleicht nicht; aber auch nicht besser. Außerdem hat sich dieser Jasper brav gehalten, als ich ihm das Kommando des Scud übergab. Kein Bursche hätt‘ sich loyaler oder besser betragen können.«

»Oder tapferer, Major Duncan. Es bekümmert mich, sehen zu müssen, Sir, daß Sie Zweifel in Jaspers Treue setzen.«

»Es ist die Pflicht eines Soldaten, dem die Obhut über einen so entfernten und wichtigen Posten wie diesen anvertraut ist, nie in seiner Wachsamkeit zu erschlaffen, Dunham. Wir haben mit zweien der listigsten Feinde, die je die Welt hervorgebracht hat, in ihrer verschiedenen Weise zu kämpfen – mit den Indianern und den Franzosen; und es darf nichts übersehen werden, was uns in Nachteil bringen könnte.«

»Ich hoffe, Euer Gnaden halten mich für den Mann, dem man irgendeinen besonderen Grund, der einen Zweifel an Jasper rechtfertigte, anvertrauen kann, da Sie mich für geeignet halten, mir dieses Kommando zu übertragen?«

»Es ist nicht der Zweifel an Euch, Dunham, der mich veranlaßt, die Enthüllung dessen, was mir zur Kunde gekommen ist, zu verzögern, sondern der Widerwille, eine üble Nachricht über einen Mann, auf den ich bisher was gehalten habe, in Umlauf zu bringen. Ihr müßt wohl gut von dem Pfadfinder denken, sonst würdet Ihr nicht wünschen, ihm Eure Tochter zu geben?«

»Für des Pfadfinders Ehrlichkeit steh‘ ich mit meinem Leben, Sir«, erwiderte der Sergeant mit Festigkeit und nicht ohne eine Würde in seinem Benehmen, die auf den Vorgesetzten Eindruck machte. »Solch ein Mann weiß gar nicht, was falsch sein heißt.«

»Ich glaube, Ihr habt recht, Dunham; und doch hat diese letzte Mitteilung all meine alten Meinungen zum Wanken gebracht. Ich hab‘ ein anonymes Schreiben erhalten, Sergeant, das mich anweist, gegen Jasper Western oder Jasper Eau-douce, wie man ihn nennt, auf der Hut zu sein. Es wird darin behauptet, daß er vom Feinde erkauft sei, und man gibt mir Hoffnung, daß mir eine weitere und genauere Mitteilung bald zugehen werde.«

»Briefe ohne Unterschriften verdienen im Krieg kaum beachtet zu werden.«

»Im Frieden, Dunham. Niemand kann unter gewöhnlichen Umständen von dem Schreiber eines anonymen Briefes eine geringere Meinung haben als ich selbst. Diese Handlung verrät Feigheit und Gemeinheit und ist gewöhnlich ein Beweis der Falschheit sowohl als auch anderer Laster. Aber im Krieg ist es nicht derselbe Fall. Außerdem sind mir mehrere verdächtige Umstände namhaft gemacht worden.«

»Sind sie von der Art, daß eine Ordonnanz sie hören darf, Euer Gnaden?«

»Gewiß, wenn es eine ist, der ich so vertraue, wie Euch, Dunham. Es wurde zum Beispiel gesagt, daß die Irokesen Eure Tochter und ihre Gesellschaft nur deshalb entrinnen ließen, um Jasper bei mir in Kredit zu bringen. Es heißt dabei, daß den Herren zu Frontenac mehr daran gelegen sei, den Scud mit dem Sergeanten Dunham und seiner Mannschaft wegzunehmen und unseren Lieblingsplan zunichte zu machen, als ein Mädchen und den Skalp ihres Onkels zu erbeuten.«

»Ich verstehe den Wink, Sir, aber ich schenke ihm keinen Glauben. Jasper kann freilich nicht treu sein, wenn Pfadfinder falsch ist; aber was den letzteren anlangt, so möcht‘ ich ebensogut Euer Gnaden mißtrauen wie ihm.«

»Es würde so scheinen, Sergeant; es würde in der Tat so scheinen. Aber Jasper ist jedenfalls nicht Pfadfinder, und – ich muß gestehen, Dunham, ich würde mehr Vertrauen in den Burschen setzen, wenn er nicht Französisch spräche.«

»Ich versicher‘ Euer Gnaden, ’s ist auch keine Empfehlung in meinen Augen, aber der Junge hat’s durch Zwang gelernt, und da ’s mal so ist, so soll man ihn, mit Eurer Gnaden Erlaubnis, um dieses Umstandes willen nicht zu schnell verdammen. Wenn er Französisch spricht, so ist’s deshalb, weil er’s nicht wohl los werden kann.«

»Es ist ein verdammtes Gewelsch, und nie hat’s einem gut getan, wenigstens keinen britischen Untertanen, denn die Franzosen selbst müssen doch in irgendeiner Sprache miteinander sprechen! – Ich würde mehr Vertrauen in diesen Jasper setzen, wenn er nichts von ihrer Sprache verstände. Dieser Brief hat mich ganz konfus gemacht. Wenn nur noch ein anderer da wäre, dem ich den Kutter anvertrauen könnte, so wollt‘ ich wohl meine Maßregeln treffen, um ihn hier zurückzubehalten. Ich hab‘ schon wegen Eures Schwagers, der von der Partie ist, mit Euch gesprochen, Sergeant. Nicht wahr, er ist ein Schiffer?«

»Er ist ein wirklicher Seefahrer, Euer Gnaden, und etwas von Vorurteilen befangen gegen das frische Wasser. Ich zweifle, ob er veranlaßt werden könnte, seinen Charakter an eine Fahrt auf dem See wegzuwerfen, und ich bin überzeugt, daß er den Posten nie finden würde.«

»Das letztere hat wahrscheinlich seine Richtigkeit, und dann kennt der Mann diesen trügerischen See nicht genug, um einem solchen Auftrag gewachsen zu sein. Ihr müßt daher doppelt wachsam sein, Dunham. Ich geb‘ Euch unbeschränkte Vollmacht, und solltet Ihr an diesem Jasper irgendeine Verräterei entdecken, so laßt ihn als Opfer der beleidigten Gerechtigkeit fallen.«

»Da er im Dienst der Krone ist, Euer Gnaden, so steht er unter dem Kriegsgericht –«

»Sehr wahr; dann legt ihn in Eisen vom Kopf bis zu den Füßen und sendet ihn hierher in seinem eigenen Kutter. Euer Schwager muß doch imstande sein, den Weg wieder zurückzufinden, wenn er ihn einmal gemacht hat?«

»Ich zweifle nicht, Major Duncan, daß wir imstande sein werden, alles zu tun, was nötig ist, wenn Jasper entfernt werden müßte, wie Sie zum voraus anzunehmen scheinen – obgleich ich denke, ich könnte mein Leben an seine Treue setzen.«

»Eure Zuversicht gefällt mir – sie spricht für den Burschen; – aber der verwünschte Brief! Er hat so das Aussehen der Wahrheit an sich; nein, es ist so viel Wahres darin, was auf andere Gegenstände Bezug hat.«

»Ich glaube, Euer Gnaden sagten, es fehle die Unterschrift des Namens; ein großes Versehen, wenn man da auf einen Ehrenmann schließen soll.«

»Ganz recht, Dunham, und nur ein Schurke, und obendrein ein feiger Schurke kann in Privatangelegenheiten einen anonymen Brief schreiben. Doch das ist im Kriege anders. Da werden Nachrichten fingiert, und List ist immer zu rechtfertigen.«

»Eine männliche Kriegslist, Sir, wenn Sie so wollen, Hinterhalte, Überraschungen, fingierte Angriffe und auch noch Spione; aber nie hab‘ ich gehört, daß ein rechter Soldat den Charakter eines ehrenhaften jungen Mannes durch derartige Mittel zu untergraben beabsichtigt hätte.«

»Ich hab‘ im Laufe meiner Erfahrung manches ungewöhnliche Ereignis erlebt und manchen auf dem faulen Pferde erwischt. Doch, lebt wohl, Sergeant; ich darf Euch nicht länger aufhalten. Ihr seid nun gewarnt, und ich empfehle Euch unermüdete Wachsamkeit. Ich glaube, Muir beabsichtigt, sich bald zurückzuziehen, und wenn Ihr mit dieser Unternehmung gut zustande kommt, so will ich meinen ganzen Einfluß aufbieten, Euch an seine Stelle zu bringen, auf die Ihr so manche Ansprüche habt.«

»Ich danke Euer Gnaden untertänig«, erwiderte der Sergeant ruhig, der schon seit zwanzig Jahren immer auf diese Weise ermutigt worden war, »und ich hoffe, ich werde meiner Stellung nie Unehre machen, welche sie auch immer sein mag. Ich bin, was die Natur und Vorsehung aus mir gemacht hat, und ich hoffe zu Gott, daß ich mich nie über meinen Posten beklagt habe.«

»Ihr habt doch die Haubitze nicht vergessen?«

»Jasper nahm sie diesen Morgen an Bord, Sir.«

»Seid vorsichtig und traut diesem Manne nicht ohne Not. Macht dem Pfadfinder zu Eurem Vertrauten, er mag zur Entdeckung einer Verräterei, die allenfalls am Werke sein könnte, beitragen. Seine ehrliche Einfalt wird seinen Beobachtungen Vorschub leisten, wenn er sie gehörig zu verbergen weiß. Er muß treu sein.«

»Für ihn, Sir, steh‘ ich mit meinem Kopf oder mit meinem Rang im Regiment. Ich hab‘ ihn zu oft geprüft, um an ihm zu zweifeln.«

»Von allen peinigenden Gefühlen, Dunham, ist Mißtrauen da, wo man zum Vertrauen genötigt ist, das peinlichste. Ihr habt doch darauf gedacht, daß es Euch nicht an überzähligen Flintensteinen fehlt?«

»Ein Sergeant ist ein sicherer Besorger aller derartigen Einzelheiten, Euer Gnaden.«

»Wohl! Nun, so gebt mir Eure Hand, Dunham. Gott segne Euch und laß es Euch wohl gelingen! Muir beabsichtigt sich zurückzuziehen – doch, da wir gerade auf den kommen, laßt ihm gleiches Feld bei Eurer Tochter, denn dies kann eine künftige Bewerkstelligung Eures Vorrückens erleichtern. Man wird sich mit einer Gefährtin wie Mabel lieber zurückziehen, als im freudlosen Witwenstand, wo man nichts als sein Ich zu lieben hat und noch dazu solch ein Ich, wie das Davids!«

»Ich hoffe, Sir, mein Kind wird eine kluge Wahl treffen, und denke, sie hat sich schon so ziemlich für den Pfadfinder entschieden. Doch sie soll freies Spiel haben, obgleich Ungehorsam ein Verbrechen ist, das der Meuterei am nächsten steht.«

»Untersucht und prüft den Kriegsbedarf sorgfältig, sobald Ihr ankommt; die Ausdünstung des Sees könnte ihm schaden. Und noch einmal, lebt wohl, Sergeant. Gebt auf diesen Jasper acht, und in irgendeiner Schwierigkeit zieht den Muir zu Rat. Ich erwarte, daß Ihr heute über einen Monat siegreich zurückkehrt.«

»Gott segne Euer Gnaden! Wenn mir etwas zustoßen sollte, so verlaß ich mich auf Sie, Major Duncan, daß Sie Sorge tragen werden für die Ehre eines alten Soldaten.«

»Verlaßt Euch auf mich, Dunham – Ihr verlaßt Euch auf einen Freund. Seid wachsam, erinnert Euch, daß Ihr in dem Rachen des Löwen sein werdet – doch nein, nicht einmal in dem Rachen des Löwen, sondern in dem eines verräterischen Tigers, in seinem wahren Rachen und außer dem Bereich einer Unterstützung. Habt Ihr diesen Morgen die Flintensteine gezählt und untersucht? – Und nun lebt wohl, Dunham, lebt wohl!«

Der Sergeant nahm die dargebotene Hand seines Vorgesetzten mit dem gehörigen Respekt, und endlich trennten sie sich, Ludie eilte in seine Wohnung, während der andere das Fort verließ, ans Ufer hinabging und ein Boot bestieg.

Der Anker des Scud wurde gelichtet, sobald man das Boot mit dem Sergeanten, der die letzterwartete Person war, vom Ufer abstoßen sah, und man richtete das Vorderteil des Kutters gegen Osten. Einige kräftige Schläge brachten das leichte Fahrzeug in gleiche Linie mit der nachwirkenden Strömung des Flusses, und so kam es wieder weiter vom Lande ab. Es war jetzt gänzliche Windstille, da der leichte Luftzug, der den Untergang der Sonne begleitete, wieder nachgelassen hatte.

Die ganze Zeit über herrschte eine ungewöhnliche Ruhe auf dem Kutter. Es schien, als fühlten die an Bord befindlichen Personen, daß sie in der Dunkelheit der Nacht auf ein ungewisses Unternehmen ausgehen sollten: Und die Wichtigkeit ihres Auftrags, die Stunde und die Art der Abfahrt verlieh ihren Bewegungen eine gewisse Feierlichkeit. Diese Gefühle wurden noch durch die Vorschriften der Disziplin unterstützt. Die meisten schwiegen, und wer sprach, tat es selten und mit gedämpfter Stimme. In dieser Weise bewegte sich der Kutter langsam in den See hinaus, bis er dahin gelangte, wo die Strömung des Flusses aufhörte, und blieb dort in der Erwartung des gewöhnlichen Landwindes stehen. Eine halbe Stunde lang lag der Scud nun so bewegungslos wie ein auf dem Wasser schimmernder Stamm. Obschon während der geringen Veränderungen, die in der Lage des Schiffes vorgingen, eine allgemeine Ruhe herrschte, so blieb doch nicht alle Mitteilung unterdrückt; denn der Sergeant führte, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sich seine Tochter und ihre Gefährtin auf der Schanze befanden, den Pfadfinder zu der Nebenkajüte, versicherte sich, daß kein Horcher in der Nähe sei, schloß die Tür mit großer Vorsicht und begann mit folgenden Worten: »Es ist nun schon so manches Jahr, mein Freund, seit Ihr angefangen habt, die Beschwerlichkeiten und Gefahren der Wälder in meiner Gesellschaft zu versuchen.«

»Es ist so, Sergeant. Ich fürchte bisweilen, ich sei zu alt für Mabel, die noch nicht geboren war, als wir schon als Kameraden miteinander gegen die Franzosen fochten.«

»Seid deshalb ohne Furcht, Pfadfinder. Ich war fast so alt wie Ihr, als ich mein Auge auf ihre Mutter warf, und Mabel ist ein festes und verständiges Mädchen, die mehr den Charakter als etwas anderes beachtet. Ein Bursche, wie Jasper Eau-douce zum Beispiel, würde kein Glück bei ihr machen, obgleich er jung und hübsch ist.«

»Denkt Jasper ans Heiraten?« fragte der Pfadfinder mit ernster Einfalt.

»Ich hoffe nicht – wenigstens nicht, bis er jeden überzeugt hat, daß er wirklich geeignet sei, ein Weib zu besitzen.«

»Jasper ist ein braver Junge und hat für sein Fach große Gaben. Er möchte wohl so gut wie ein anderer auf ein Weib Anspruch machen können.«

»Ich will offen gegen Euch sein, Pfadfinder; ich hab‘ Euch hierhergebracht, um gerade wegen dieses jungen Burschen ein Wörtchen mit Euch zu sprechen. Major Duncan hat eine Mitteilung erhalten, die ihm den Verdacht beibrachte, daß Jasper falsch Sei und im Solde des Feindes stehe. Ich wünsche Eure Meinung über diesen Gegenstand zu hören.«

»Wie?«

»Ich sage, der Major argwöhnt, Jasper sei ein Verräter, ein französischer Spion oder was noch schlimmer ist, erkauft, um uns auszuliefern. Er hat über diesen Umstand einen Brief erhalten und mich beauftragt, ein wachsames Auge auf alle Bewegungen des Jungen zu haben. Er fürchtet, daß wir mit den Feinden zusammentreffen werden, wenn wir’s am wenigsten vermuten, und zwar durch seine Schuld.«

»Duncan of Lundie hat Euch dies gesagt, Sergeant Dunham?«

»Ja, Pfadfinder; und obgleich ich nicht geneigt war, von Jasper so was Schlimmes zu glauben, so regt sich in mir doch ein Gefühl, das mir sagt, ich dürfe ihm nicht zu sehr trauen. Glaubt Ihr an Ahnungen, Freund?«

»An was, Sergeant?«

»An Ahnungen, eine Art geheimen Vorgefühls zukünftiger Ereignisse. Die Schotten in unserem Regiment sind große Verfechter solcher Dinge, und meine Meinung von Jasper ist so entschieden verändert, daß ich zu fürchten anfange, es sei was Wahres in ihren Behauptungen.«

»Aber Ihr habt mit Duncan of Lundie über Jasper gesprochen, und seine Worte haben in Euch Zweifel erregt.«

»Das ist’s nicht, nicht im mindesten; denn während ich mit dem Major sprach, dachte ich ganz anders, und ich gab mir alle Mühe, ihm zu beweisen, daß er dem Jungen unrecht tue. Aber ich finde, es hilft nichts, sich gegen eine Ahnung zu sträuben, und ich fürchte, daß doch etwas an dem Verdacht ist.«

»Ich weiß nichts von Ahnungen, Sergeant; aber ich habe Jasper von seinen Knabenjahren an gekannt und hege ein so großes Vertrauen zu seiner Ehrlichkeit wie zu meiner eigenen oder selbst der Chingachgooks.«

»Aber, Chingachgook, Pfadfinder, hat seine Kniffe und Hinterhalte im Krieg so gut wie ein anderer.«

»Ja, sie sind seine natürlichen Gaben und sind so, wie die seines Volkes. Aber Chingagook ist nicht der Mann, gegen den man eine Ahnung haben kann.«

»Ich glaube das, und ich würde noch diesen Morgen nicht übel von Jasper gedacht haben. Aber es scheint mir, Pfadfinder, seit diese Ahnung in mir aufgestiegen ist, als ob sich der Junge auf seinem Verdeck nicht mehr so natürlich rühre, wie er es sonst gewohnt ist. Er ist still, schwermütig und gedankenvoll, wie ein Mann, der was auf seinem Gewissen hat.«

»Jasper ist nie laut, und er sagt mir, daß geräuschvolle Schiffe im allgemeinen übel geführte Schiffe seien. Auch Meister Cap gibt dies zu. Nein, nein, ich will nichts gegen Jasper glauben, bis ich’s sehe. Schickt nach Eurem Schwager, Sergeant, und laßt uns ihn über die Sache befragen; denn mit dem Verdacht gegen einen Freund im Herzen zu schlafen, ist ein Schlaf mit Blei auf dem Herzen. Ich hab‘ keinen Glauben an Eure Ahnungen.«

Da der Sergeant hiergegen kaum etwas einwerfen konnte, so fügte er sich darein, und Cap wurde aufgefordert, sich ihrer Beratung anzuschließen. Pfadfinder war gesammelter als sein Gefährte, und in der vollen Überzeugung von der Treue des angeschuldigten Teiles übernahm er das Geschäft des Sprechers.

»Wir haben Euch gebeten, zu uns herunterzukommen, Meister Cap«, fing er an, »um Euch zu fragen, ob Ihr diesen Abend nicht was Ungewöhnliches in den Bewegungen des Eau-douce bemerkt habt?«

»Seine Bewegungen sind gewöhnlich genug für das frische Wasser, Meister Pfadfinder, obgleich wir das meiste von seinem Verfahren unten an der Küste für unregelmäßig halten würden.«

»Ja, ja, wir wissen, daß Ihr nie mit dem Burschen über die Art, wie ein Kutter zu handhaben ist, einig werden könnt. Aber es ist was anderes, worüber wir Eure Meinung hören möchten.«

Der Pfadfinder setzte nun Cap von dem Verdacht in Kenntnis, den der Sergeant gegen Jasper hegte, und gab ihm die Veranlassung dazu an, soweit sich Major Duncan darüber ausgesprochen hatte. »Wie? – der Junge spricht Französisch?« sagte Cap.

»Man sagt, er spreche es besser, als es gewöhnlich gesprochen wird«, erwiderte der Sergeant mit Ernst, »Pfadfinder weiß, daß dies wahr ist.«

»Ich kann nichts dagegen sagen«, antwortete der Wegweiser; »wenigstens erzählt man sich so. Aber dieses würde nichts gegen einen Mississagua, geschweige gegen einen Menschen wie Jasper, beweisen. Ich spreche auch die Sprache der Mingos, die ich gelernt habe, als ich ein Gefangener unter diesem Gewürm war; wer wird mich aber deshalb für ihren Freund halten? Nicht, daß ich nach indianischen Begriffen ihr Feind wäre, obgleich ich zugebe, daß ich in den Augen der Christen ihr Feind bin.«

»Wohl, Pfadfinder; – aber Jasper hat sein Französisch nicht als Gefangener gelernt, er lernte es in seiner Kindheit, wo der Geist am empfänglichsten ist und leicht bleibende Eindrücke aufnimmt wo die Natur ein Vorgefühl von dem Weg hat, den der Charakter wahrscheinlich später einschlagen wird.«

»Eine sehr wahre Bemerkung«, fügte Cap bei, »denn das ist die Lebenszeit, wo wir alle den Katechismus und andere moralische Lehren lernen. Die Bemerkung des Sergeanten zeigt, daß er die menschliche Natur kennt, und ich bin vollkommen seiner Ansicht. Es ist eine Heillosigkeit, daß so’n junger Bursche auf diesem bißchen Frischwasser da oben Französisch kann. Wenn’s noch unten auf dem Atlantischen Meer wär‘, wo ein Seemann bisweilen Gelegenheit hat, mit einem Lotsen oder Sprachgelehrten in dieser Sprache zu reden, so würd‘ ich mir nicht soviel draus machen, obschon wir immer – selbst da – einen Schiffsmat mit Argwohn betrachten, wenn er zuviel davon versteht. Aber hier oben, auf dem Ontario, halt‘ ich’s für einen äußerst verdächtigen Umstand.«

»Aber Jasper muß mit den Leuten am anderen Ufer Französisch sprechen«, sagte Pfadfinder, »oder ganz schweigen, da man dort nur diese Sprache kennt.«

»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, Pfadfinder, daß dort drüben auf der entgegengesetzten Küste Frankreich liegt?« rief Cap, indem er mit seinem Daumen über die Schulter weg gegen Kanada hinwies. »Wie, soll auf der einen Seite dieses Frischwasserstreifens York und auf der anderen Frankreich liegen?«

»Ich will Euch nur sagen, daß hier York und dort Oberkanada ist und daß man hier Englisch, Holländisch und Indianisch und drüben Französisch und Indianisch spricht. Selbst die Mingos haben manche französische Worte in ihren Dialekt aufgenommen, wodurch er gerade nicht besser geworden ist.«

»Sehr wahr; aber was für ’ne Art Leute sind diese Mingos, mein Freund?« fragte der Sergeant, indem er Pfadfinders Schulter berührte, um seiner Bemerkung mehr Nachdruck zu geben: »Niemand kennt sie besser als Ihr, und ich frag‘ Euch, was ist’s für ein Menschenschlag?«

»Jasper ist kein Mingo, Sergeant.«

»Er spricht Französisch und könnte deshalb ebensogut einer sein. Bruder Cap, kannst du dich nicht auf irgendeine Bewegung in der Führung seines Berufes besinnen, die auf eine Verräterei hindeuten könnte?«

»Nicht bestimmt, Sergeant, obgleich er die halbe Zeit über das Hinterste zuvorderst angegriffen hat. Es ist wahr, daß einer seiner Handlanger ein Tau gegen die Sonne aufgeschlagen hat, was er, als ich ihn um den Grund fragte, ein Tauquerlen nannte; aber ich weiß nicht, was er damit meinte, obgleich ich sagen darf, daß die Franzosen die Hälfte ihres laufenden Tauwerks unrecht aufschlagen, und es deshalb vielleicht auch Querlen nennen. Dann splißte Jasper selbst das Ende der Klüverfallen mit den Fußstöcken des Tauwerks, anstatt sie an dem Mast anzubringen, wohin sie, wenigstens nach dem Urteil britischer Seeleute, gehören.«

»Es ist wohl möglich, daß Jasper, der sich so viel auf der anderen Seite des Sees aufgehalten, bei Behandlung seines Fahrzeugs einige von den kanadischen Kunstgriffen angenommen hat«, warf Pfadfinder ein; »aber das Aufgreifen eines Gedankens oder eines Wortes ist weder Verräterei noch Treulosigkeit. Ich habe bisweilen selbst von den Mingos eine Idee aufgefangen, und doch war mein Herz immer bei den Delawaren. Nein, nein, Jasper ist treu, und der König könnte ihm seine Krone anvertrauen, ebensogut wie seinem ältesten Sohn, der gewiß der letzte sein wird, der sie ihm stehlen möchte, da er sie eines Tages tragen soll.«

»Schöne Reden, schöne Reden!« sagte Cap, der sich erhob, um durch das Kajütenfenster zu spucken, wie es bei Leuten gewöhnlich ist, wenn sie die ganze Macht ihrer moralischen Überlegenheit fühlen und dabei zufällig Tabak kauen. »Nichts als schöne Reden, aber verdammt wenig Logik. Einmal kann des Königs Majestät seine Krone nicht herleihen, da dies gegen die Gesetze des Reichs ist, denen zufolge er sie immer tragen muß, damit man seine geheiligte Person erkenne, wie auch der Scherif auf der See stets das silberne Ruder bei sich führen muß. Dann ist es nach den Gesetzen Hochverrat, wenn Seiner Majestät ältester Sohn nach der Krone trachtet oder ein Kind erzeugt, es sei denn in einer gesetzlichen Ehe, da dadurch die Nachfolge in Unordnung kommen würde. Ihr könnt also daraus sehen, Freund Pfadfinder, daß man, wenn man richtig räsonieren will, die richtigen Segel beisetzen muß. Gesetz ist Vernunft, und Vernunft ist Philosophie, und Philosophie ist ein beständiges Vor-Anker-Treiben; woraus denn folgt, daß die Kronen durch Gesetz, Vernunft und Philosophie geregelt werden.«

»Ich verstehe wenig von alledem, Meister Cap; aber nichts soll mich veranlassen, Jasper Western für einen Verräter zu halten, bis ich mich durch meine eigenen Augen und Ohren überzeugt habe.«

»Da habt Ihr wieder unrecht, Pfadfinder, denn es gibt einen Weg, eine Sache viel folgerichtiger zu prüfen, als durch Sehen und Hören, oder beides zusammen, und das ist der Indizienbeweis.«

»So mag’s in den Ansiedlungen sein, aber nicht hier an der Grenze.«

»Es liegt in der Natur, und diese herrscht überall gleich. So ist Euren Sinnen zufolge Jasper Eau-douce in diesem Augenblicke auf dem Verdeck, und jeder, der da hinaufgeht, kann sich durch seine Augen und seine Ohren davon überzeugen. Sollte sich’s aber nachher herausstellen, daß in diesem nämlichen Augenblicke den Franzosen eine Mitteilung gemacht wurde, die nur von Jasper ausgehen konnte, warum sollten wir uns nicht zu der Annahme verpflichtet fühlen, daß das Indiz wahr ist und daß uns unsere Sinne getäuscht haben? Jeder Rechtsgelehrte wird Euch dasselbe sagen.«

»Das ist kaum richtig«, sagte Pfadfinder; »auch ist es nicht möglich, da es aller Wirklichkeit widerspricht.«

»Es ist noch viel mehr als möglich, mein würdiger Pfadfinder; es ist Gesetz, ein unbedingtes Gesetz des Königreiches, und als solches verlangt es Achtung und Gehorsam. Ich würde meinen eigenen Bruder auf ein solches Zeugnis hin hängen, ohne weitere Rücksicht auf die Familie zu nehmen, Sergeant.«

»Gott weiß, wie weit dies alles auf Jasper anwendbar ist, Pfadfinder, obgleich ich glaube, daß Meister Cap, was das Gesetz anbelangt, recht hat; denn bei solchen Gelegenheiten haben Indizien eine weit größere Bedeutung als die Sinne. Wir müssen sehr auf unserer Hut sein und dürfen nichts Verdächtiges übersehen.«

»Ich erinnere mich nun«, fuhr Cap fort, indem er sich wieder des Fensters bediente, »daß, gerade als wir diesen Abend an Bord kamen, ein Indiz stattfand, das äußerst verdächtig ist, und recht wohl einen neuen Punkt gegen diesen jungen Menschen abgeben mag. Jasper befestigte des Königs Flagge mit eigenen Händen, und während er sich das Ansehen gab, als blicke er auf Mabel und das Soldatenweib, und die Anweisung erteilte, sie da herunterzuführen und ihnen alles zu zeigen, zog er die Flagge der Union nieder.«

»Das kann ein Zufall gewesen sein«, erwiderte der Sergeant, »denn etwas Derartiges ist mir selbst schon begegnet; zudem führen die Fallen zu einem Flaschenzug, und die Flagge muß recht oder unrecht kommen, je nachdem sie der Junge aufgehißt hatte.«

»Ein Flaschenzug?« rief Cap mit Unwillen, »ich wünschte, Sergeant, ich könnte dich dahin bringen, dich der geeigneten Ausdrücke zu bedienen. Ein Flaggenfallblock ist ebensowenig ein Flaschenzug wie deine Hellebarde ein Enterhaken. Es ist zwar wahr, wenn man an dem einen Teil zieht, so muß der andere in die Höhe gehen, aber da Ihr mir mal Euren Verdacht mitgeteilt habt, so betracht‘ ich die Geschichte mit der Flagge als ein Indiz, das ich nicht außer acht lassen will. Ich denke übrigens, daß das Abendessen nicht vergessen worden ist, und wenn der ganze Raum voll Verräter wäre.«

»Es wird dafür gehörige Sorge getragen sein, Bruder Cap; aber ich rechne auf deinen Beistand bezüglich der Führung des Scuds, wenn was vorfallen sollte, was zu Jaspers Verhaftung Anlaß gäbe.«

»Ich werde dich nicht verlassen, Sergeant; und in diesem Falle kannst du wahrscheinlich lernen, was der Kutter wirklich zu leisten vermag, denn bis jetzt, meine ich, müßte man das mehr erraten.«

»Wohl, was mich anbelangt«, sagte Pfadfinder mit einem tiefen Seufzer, »so will ich die Hoffnung auf Jaspers Unschuld festhalten und empfehle ein offenes Verfahren, indem man den Jungen ohne weiteren Verzug selbst fragt, ob er ein Verräter sei oder nicht. Ich setze auf Jasper mein Vertrauen, trotz allen Ahnungen und Indizien in der Kolonie.«

»Das geht nicht«, erwiderte der Sergeant. »Die Verantwortlichkeit dieses Geschäftes liegt auf mir, und ich bitte und befehle, daß gegen niemanden ohne mein Vorwissen irgendwas verlaute. Wir wollen alle ein wachsames Auge haben und auf die Indizien geeignete Rücksicht nehmen.«

»Ja, ja! die Indizien sind im Grund die Hauptsache«, erwiderte Cap. »Ein einziges Indiz gilt für fünfzig Tatsachen. Dies ist, so viel ich weiß, das Gesetz des Königreichs. Mancher ist schon auf Indizien hin gehenkt worden.«

Die Besprechung war nun zu Ende, und nach einem kurzen Zögern kehrten sie auf das Verdeck zurück, wobei jeder in der Absicht, das Betragen des verdächtigen Jasper zu beobachten, der seinen Gewohnheiten und seinem Charakter angemessenen Weise folgte.

Vierzehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Inzwischen ging alles auf dem Schiff seinen gewohnten Gang, Jasper schien mit seinem Fahrzeug auf den Landwind zu warten, indes die Soldaten, die an ein frühes Aufstehen gewöhnt waren, bis auf den letzten Mann ihre Schlafstätten in dem Hauptraum aufgesucht hatten. Nur die Schiffsleute, Muir und die beiden Frauen waren noch auf dem Verdeck. Der Quartiermeister bemühte sich, bei Mabel den Angenehmen zu spielen, während diese wenig auf seine Bemühungen achtete, die sie teilweise der soldatischen Galanterie, teilweise vielleicht auch ihrem hübschen Gesicht zuschrieb, und sich an den Eigentümlichkeiten eines Schauspiels und einer Lage erfreute, die ihr so viele Reize der Neuheit darboten.

Die Segel waren gehißt, aber noch regte sich kein Lüftchen, und der See war so ruhig und eben, daß an dem Kutter nicht die mindeste Bewegung zu erkennen war. Die Flußströmung hatte ihn nicht ganz auf eine Viertelmeile vom Lande abgetrieben, und da lag er nun wie festgenagelt in der ganzen Schönheit seiner Form und seines Ebenmaßes. Der junge Jasper war auf der Schanze und stand nah genug, um gelegentlich die stattfindende Unterhaltung zu vernehmen; doch wagte er es nicht, sich darein zu mischen, teils weil er seinen eigenen Ansprüchen zu sehr mißtraute, teils weil er von den Obliegenheiten seines Dienstes in Anspruch genommen war. Mabels schöne blaue Augen folgten seinen Bewegungen in neugieriger Erwartung und betrachteten die kleinen Begebnisse auf dem Fahrzeug mit einer solchen Aufmerksamkeit, daß sie die Artigkeiten des Quartiermeisters, die er mehr als einmal an sie richten mußte, bis sie gehört wurden, nur mit Gleichgültigkeit hinnahm. Endlich schwieg selbst Muir, und eine tiefe Stille herrschte auf dem Wasser. Da fiel plötzlich unter dem Fort eine Ruderschaufel in ein Boot, und der Ton war auf dem Kutter so vernehmlich, als ob er von seinem eigenen Verdeck ausgegangen sei. Dann kam ein Gemurmel, wie ein Seufzen der Nacht: das Flattern eines Segels, das Knarren des Mastes und das Schlagen des Klüvers. Diesen wohlbekannten Tönen folgte eine leichte Hielung des Kutters und das Blähen aller Segel.

»Da kommt der Wind, Anderson«, rief Jasper dem ältesten seiner Schiffsleute zu. »Nimm das Steuer.«

Dieser kurzen Anweisung wurde gehorcht, das Steuer gehoben, und die Buge fielen ab. Nach einigen Minuten hörte man das Murmeln des Wassers unter dem Schnabel, und der Scud schoß in den See mit der Geschwindigkeit von fünf Meilen in einer Stunde. Alles dieses geschah mit tiefem Schweigen, als Jasper aufs neue den Befehl gab:

»Fiert die Schoten ein wenig und haltet längs dem Lande hin.«

In diesem Augenblick erschienen die drei Männer aus der Nebenkajüte wieder auf der Schanze.

»Ihr habt wohl nicht die Absicht, Junge, unseren Nachbarn, den Franzosen, allzu nahe zu kommen«, bemerkte Muir, der die Gelegenheit ergriff, ein Gespräch anzufangen. »Na, gut! Ich ziehe Eure Klugheit nicht im mindesten in Zweifel, denn ich liebe die Kanadier so wenig, wie Ihr sie wahrscheinlich liebt.«

»Ich halte am Ufer wegen des Windes, Herr Muir. Der Landwind ist immer in der Nähe des Strandes am frischesten, vorausgesetzt, daß man nicht nahe genug kommt, um die Bäume im Lee zu haben. Wir haben die Mexikobai zu kreuzen, und diese wird uns bei dem gegenwärtigen Kurs grade genug offene See geben.«

»Es ist mir recht lieb, daß es nicht die Bai von Mexiko ist«, warf Cap ein, »denn diese ist ein Teil der Welt, den ich in einem von Euren Binnenschiffen lieber nicht besuchen möchte. Hat Euer Kutter ein Luvsteuer, Meister Eau-douce?«

»Er geht leicht nach dem Steuer, Meister Cap, aber er sieht so gern wie ein anderes Fahrzeug nach dem Wind, wenn er erst mal in lebhafter Bewegung ist.«

»Ich hoffe, Ihr habt doch solche Dinger, die man Reffe heißt, obgleich Ihr kaum eine Gelegenheit haben könnt, sie zu benützen?«

Mabels leuchtende Augen entdeckten das Lächeln, das einen Augenblick Jaspers Gesicht überflog, obschon niemand anders diesen vorübergehenden Ausdruck der Überraschung und Verachtung bemerkte.

»Wir haben Reffe, und es gibt oft Gelegenheit, sie zu benützen«, erwiderte der junge Mann mit Ruhe. »Ehe wir einlaufen, wird sich’s machen, Euch die Art, wie wir sie gebrauchen, zu zeigen; denn im Osten braut das Wetter etwas, und selbst auf dem Meer kann der Wind nicht schneller umspringen, als er auf dem Ontariosee seinen Kehrum macht.«

»Nun, Ihr sprecht wie einer, der’s nicht besser versteht. Ich hab‘ den Wind auf dem Atlantischen Meer sich wie ein Kutschenrad drehen sehen, in einer Weise, daß die Segel stundenlang bebten und das Schiff vollkommen bewegungslos stand, weil es nicht wußte, wohin es sich drehen solle.«

»Wir haben hier freilich keine so plötzlichen Wechsel«, erwiderte Jasper ruhig, »obgleich wir glauben, daß wir manchen unerwarteten Veränderungen des Windes ausgesetzt sind. Ich hoffe übrigens, daß wir diesen Landwind bis zu den ersten Inseln behalten werden, und dann wird die Gefahr, von einem Frontenacschen Lugausboot gesehen und verfolgt zu werden, weniger groß sein.«

»Meint Ihr, die Franzosen halten Spione hier außen auf dem See, Jasper?« fragte der Pfadfinder.

»Wir wissen, daß es so ist. Letzte Montagnacht war sogar einer vor Oswego. Ein Rindenkahn kam bis an die östliche Spitze und setzte einen Indianer und einen Offizier ans Land. Wenn Ihr damals, wie gewöhnlich, außen gewesen wärt, so hätten wir, wenn nicht beide, doch gewiß einen aufgreifen können.«

Es war zu dunkel, um die Röte zu bemerken, die die Farbe auf den sonnverbrannten Zügen des Pfadfinders vertiefte, denn er war sich bewußt, daß er sich damals in dem Fort aufgehalten hatte, um auf Mabels süße Stimme zu hören, als sie ihrem Vater Balladen vorsang, und ihr in das Auge zu schauen, das für ihn Zauberstrahlen schoß. Rechtschaffenheit im Denken und Handeln war eine charakteristische Eigenschaft in der Seele dieses außerordentlichen Mannes, und obgleich er fühlte, daß eine Art von Schmach seiner bei dieser Gelegenheit bewiesenen Trägheit anklebe, so wäre ihm doch der Versuch, seine Nachlässigkeit zu bemänteln oder in Abrede zu ziehen, am allerletzten eingefallen.

»Ich geb’s zu, Jasper, ich geb’s zu«, sagte er bescheiden. »Wär‘ ich in jener Nacht außen gewesen – und ich kann mich keines zureichenden Grundes erinnern, warum ich’s nicht war – so möcht’s wirklich so gegangen sein, wie Ihr sagt.«

»Das war an jenem Abend, Pfadfinder, den Ihr bei uns zubrachtet«, bemerkte Mabel unschuldig; »und gewiß ist ein Mann, der so viel Zeit in den Wäldern und im Angesicht des Feindes verlebt, zu entschuldigen, wenn er einige Stunden einem alten Freund und seiner Tochter widmet.«

»Nein, nein, ich bin, seit ich in das Fort zurückgekommen, fast nichts als müßig gewesen«, erwiderte der andere mit einem Seufzer, »und es ist gut, daß der Junge davon spricht. Der Müßige bedarf das Tadels, ja er bedarf des Tadels.«

»Tadel, Pfadfinder? Ich hab‘ nie im Traum daran gedacht, Euch was Unangenehmes zu sagen, und am wenigsten fällt mir’s ein, Euch zu tadeln, weil uns ein Spion und ein oder zwei Indianer entwischt sind. Überhaupt halt‘ ich, da ich nun weiß, wo Ihr wart, Eure Abwesenheit für die natürlichste Sache von der Welt.«

»Tut nichts, Jasper, tut nichts, daß Ihr mir’s gesagt habt, denn ich hab’s verdient. Wir sind alle Menschen und tun alle unrecht.«

»Das ist unfreundlich, Pfadfinder.«

»Gebt mir Eure Hand, Junge. Nicht Ihr habt mir diese Lehre gegeben, sondern mein Gewissen.«

»Gut, gut!« unterbrach Cap. »Dieser letztere Gegenstand ist nun zur Zufriedenheit aller Teile beigelegt. Ihr werdet uns aber vielleicht sagen, wie es zuging, daß man Kunde von Spionen erhielt, die erst kürzlich in unserer Nähe waren. Dies sieht einem Indiz zum Erstaunen ähnlich.«

Als der Seemann diese letzte Äußerung laut werden ließ, drückte er seinen Fuß leicht auf den des Sergeanten, stieß Pfadfinder mit dem Ellenbogen an und blinzelte zu gleicher Zeit mit den Augen, obgleich dieses Zeichen in der Dunkelheit verlorenging.

»Es wurde bekannt, weil Schlange am anderen Tag ihre Fährte fand, die aus der Spur eines Soldatenstiefels und der eines Mokassins bestand. Zudem hat einer unserer Jäger am anderen Morgen den Kahn gegen Frontenac rudern sehen.«

»Führte die Spur in die Nähe der Garnison, Jasper?« fragte Pfadfinder in dem sanften und demütigen Ton eines getadelten Schulknaben.

»Wir glaubten das nicht zu finden, obgleich sie natürlicherweise auch nicht übern Fluß führte. Man verfolgte sie bis zur östlichen Spitze an der Mündung des Flusses hinab, wo man sehen konnte, was im Hafen geschah. Soviel wir aber entdecken konnten, kreuzte sie den Fluß nicht.«

»Und warum begabt Ihr Euch nicht auf den Weg, Meister Jasper«, fragte Cap, »um auf sie Jagd zu machen? Wir hatten am Dienstagmorgen guten Wind, bei dem der Kutter wohl hätte neun Knoten ablaufen können.«

»Das mag auf dem Ozean angehen, Meister Cap«, warf Pfadfinder ein, »aber hier ließ sich das nicht machen. Das Wasser hinterläßt keine Fährte, und einen Indianer oder einen Franzosen mag der Teufel verfolgen.«

»Was braucht’s einer Fährte, wenn man den Gegenstand der Jagd vom Verdeck aus sehen kann, wie dies nach Jaspers Äußerung mit dem Kahn der Fall war? Bei einem guten britischen Kiel in seinem Fahrwasser hätt’s nichts zu sagen, wenn es ihrer zwanzig von Euren Mingos und Franzosen wären. Ich wette, Meister Eaudouce, daß wir, wenn Ihr mir an jenem Dienstagmorgen was von der Sache gesagt hättet, diese Blaustrümpfe überholt hätten.«

»Ich glaube wohl, Meister Cap, daß der Rat eines alten Seemanns, wie Ihr seid, einem so jungen Schiffer, wie ich bin, nicht hätte schaden mögen, aber die Jagd auf einen Rindenkahn ist eine lange und hoffnungslose.«

»Ihr hättet ihm nur hart zusetzen und ihn ans Ufer treiben dürfen.«

»Ans Ufer, Meister Cap? Ihr kennt die Schiffahrt auf unserem See nicht im mindesten, wenn Ihr’s für eine Kleinigkeit haltet, einen Rindenkahn ans Ufer zu treiben. Wenn sich diese Wasserblasen gedrängt fühlen, so rudern sie recht in des Windes Auge, und ehe Ihr’s Euch verseht, so befindet Ihr Euch eine Meile oder zwei tot unter ihrem Lee.«

»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, Meister Jasper, daß sich irgend jemand so unbesonnen der Gefahr des Ertrinkens aussetzt, um in einer dieser Eierschalen in den See hineinzufahren, wenn Wind da ist?«

»Ich hab‘ oft bei ziemlich hoher See in einem Rindenkahn über den Ontario gesetzt. Gut gehandhabt sind sie die erprobtesten Fahrzeuge, die wir kennen.«

Cap nahm darauf seinen Schwager und den Pfadfinder beiseite und versicherte, daß Jaspers Zugeständnis bezüglich der Spione »ein Indiz«, und zwar »ein gewichtiges Indiz« sei, das wohl eine weitere Überlegung und Nachforschung verdiene, indes seine Erzählung im Betreff der Kähne so unwahrscheinlich klinge, daß sie das Aussehen habe, als wolle er sich nur über seine Zuhörer lustig machen. Jasper hatte zuversichtlich von dem Charakter der zwei gelandeten Personen gesprochen, und dies schien Cap ein ziemlich bündiger Beweis, daß jener mehr von ihnen wisse, als sich aus einer bloßen Fährte erkennen lasse. Von den Mokassins sagte er, daß sie in diesem Teile der Welt von den Weißen sowohl als von den Indianern getragen würden; er hätte selbst ein Paar gekauft, und Stiefel machten bekanntermaßen nicht den Soldaten. Obgleich vieles von dieser Logik dem Sergeanten gegenüber verlorenging, so hatte sie doch einigen Erfolg. Es kam ihm ein wenig sonderbar vor, daß in der Nähe des Forts Spione entdeckt sein sollten, ohne daß er etwas davon wußte. Auch glaubte er, daß dies eine Art von Kenntnis sei, die nicht gerade in Jaspers Sphäre einschlage. Allerdings war der Scud ein- und zweimal über See geschickt worden, um Mannschaft ans Land zu setzen oder weiterzuschaffen; aber damals spielte Jasper, wie er wohl wußte, eine sehr untergeordnete Rolle, und der Führer des Kutters kannte von dem Auftrag der Leute, die er ab- und zuführte, so wenig wie ein anderer. Auch sah er nicht ein, warum Eau-douce allein von allen Anwesenden etwas von dem letzten Besuch wissen sollte. Pfadfinder betrachtete übrigens die Sache von einem ganz anderen Standpunkt. Mit seinem gewohnten Mißtrauen tadelte er sich selbst wegen Vernachlässigung seiner Pflicht, und jene Kenntnis, deren Mangel ihm bei einem Mann, der sie besitzen sollte, als ein Fehler erschien, rechnete er dem jungen Mann als Verdienst an. Er sah nichts Außerordentliches in der Bekanntschaft Jaspers mit den von ihm mitgeteilten Tatsachen, während er fühlte, daß es ungewöhnlich, wo nicht gar entehrend für ihn selbst sei, jetzt zum erstenmal davon zu hören.

»Was die Mokassins angeht, Meister Cap«, sagte er, als ihn eine kurze Pause zum Sprechen veranlaßte, »so mögen sie allerdings von Bleichgesichtern so gut wie von Rothäuten getragen werden, doch lassen sie nie dieselben Fußspuren zurück. Wer an die Wälder gewöhnt ist, weiß wohl die Fußstapfen eines Indianers von denen eines weißen Mannes zu unterscheiden, mögen sie nun von einem Stiefel oder einem Mokassin stammen. Man muß mir mit besseren Gründen kommen, wenn man mich glauben machen will, daß Jasper falsch sei.«

»Ihr werdet doch zugeben, Pfadfinder, daß es Leute auf der Welt gibt, die man Verräter nennt?« warf Cap mit einer hochweisen Miene ein.

»Ich hab‘ nie einen ehrlich gesinnten Mingo gekannt, das heißt, einen dem man vertrauen konnte, wenn sich ihm eine Versuchung zum Betrug darbot. Arglist freilich scheint ihre Gabe zu sein, und es kommt mir bisweilen vor, als ob man sie deshalb mehr bedauern als verfolgen sollte.«

»Warum dann aber nicht glauben, daß Jasper die nämliche Schwäche haben könnte? Mensch ist Mensch, und die menschliche Natur ist bisweilen nur ein armes Ding, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ja ich kann sagen, recht gut aus eigener Erfahrung weiß – wenigstens, soweit ich von meiner eigenen menschlichen Natur spreche.«

Dies gab die Einleitung zu einer langen und wechselnden Unterhaltung, in der für und wider die Wahrscheinlichkeit von Jaspers Schuld oder Unschuld gesprochen wurde, bis sich der Sergeant und sein Schwager fast ganz in die volle Überzeugung von der Schuld Jaspers hineinräsoniert hatten, indes ihr Gefährte in seiner Verteidigung des Angeklagten immer derber und standhafter wurde, und sich in der Meinung, daß man Jasper mit Unrecht Verräterei zur Last lege, nur noch mehr befestigte. Das war nun freilich ganz der gewöhnliche Lauf der Dinge; denn es gibt keinen sicheren Weg, sich irgendeine besondere Ansicht zu eigen zu machen, als wenn man ihre Verteidigung unternimmt, und zu unseren hartnäckigsten Meinungen mögen die gerechnet werden, die aus Erörterungen fließen, in denen wir die Erforschung der Wahrheit zum Vorwand nehmen, während sie in Wirklichkeit nur zur Kräftigung unserer Vorurteile dienen. Mittlerweile war der Sergeant in eine Gemütsstimmung geraten, die ihn geneigt machte, jede Handlung des jungen Schiffers mit Mißtrauen zu betrachten, und bald kam er mit seinem Verwandten über die Ansicht in Einklang, daß das, was Jasper von den Spionen wußte, nicht in den Kreis seiner regelmäßigen Pflichten gehöre und demnach »ein Indiz« sei.

Während dieses in der Nähe des Hakebords verhandelt wurde, saß Mabel still an der Kajütentreppe. Herr Muir war in den unteren Raum gegangen, um nach seinen eigenen Bequemlichkeiten zu sehen, und Jasper stand ein wenig luvwärts mit gekreuzten Armen, indes seine Augen von den Segeln nach den Wolken, von den Wolken zu den dunklen Umrissen des Ufers, vom Ufer zum See und vom See wieder zurück zu den Segeln wanderten. Auch unsere Heldin fing an, mit ihren Gedanken geheime Zwiesprache zu halten. Die Aufregung der letzten Reise, die Ereignisse, die mit dem Tage ihrer Ankunft im Fort verbunden waren, das Zusammentreffen mit einem Vater, der ihr eigentlich fremd war, die Neuheit ihrer Lage in der Garnison und die gegenwärtige Reise – alles dies bildete für das Auge ihres Geistes eine Perspektive, die ihr auf Monate zurückzudeuten schien. Sie konnte kaum glauben, daß sie erst vor so kurzer Zeit die Stadt mit all den Gewohnheiten des zivilisierten Lebens verlassen habe, und staunte, daß namentlich die Ereignisse, die ihr während der Fahrt auf dem Oswego begegnet waren, einen so geringen Eindruck in ihrem Gemüt zurückgelassen hätten. Da sie zu unerfahren war, um zu wissen, daß sich häufende Ereignisse die Wirkung der Zeit haben oder daß eine rasche Aufeinanderfolge neuer Zustände, die uns auf Reisen begegnen, jene fast zu der Bedeutung wichtiger Begebenheiten erhebt, so forschte ihr Gedächtnis nach Zeit und Tagen, um sich zu überzeugen, daß sie mit Jasper, dem Pfadfinder und ihrem Vater wenig mehr als seit vierzehn Tagen bekannt war. Mabel war ein Mädchen, bei der das Herz über die Einbildungskraft herrschte, obgleich ihr die letztere keineswegs fehlte; sie vermochte sich nicht leicht Rechenschaft über die Gewalt der Gefühle zu geben, die sie gegen Männer hegte, die ihr kurz vorher noch fremd waren, da sie nicht hinreichend geübt war, ihre Empfindungen zu zergliedern und daraus die Natur der erwähnten Einflüsse sich klarzumachen. Ihr reiner Sinn war jedoch bis jetzt frei von dem Gift des Mißtrauens; keine Ahnung tauchte in ihr auf von den Absichten ihrer beiden Anbeter, und der Gedanke, daß einer ein Verräter an König und Vaterland sein könne, würde wohl zuletzt ihre Zuversicht getrübt haben.

Amerika zeichnete sich zu der Zeit durch seine Anhänglichkeit an die deutsche Familie aus, die auf dem britischen Thron saß, wie man denn überhaupt in allen Provinzen findet, daß die Vorzüge und Eigenschaften, die man in der Nähe der Macht aus Klugheit und Schmeichelei preist, in solcher Entfernung bei Leichtgläubigen und Unwissenden Teile eines politischen Glaubensbekenntnisses werden. Diese Beobachtung findet man heutzutage in Beziehung auf die Matadore der Republik ebenso wahr, wie sie damals in betreff dieser entfernten Herrscher galt, deren Verdienste zu erheben die Klugheit anriet, und deren Mängel zu enthüllen als Hochverrat betrachtet wurde.

Die Franzosen bedrängten damals die britischen Kolonien durch einen Gürtel von Festungen und Ansiedlungen an den Grenzen, wodurch sie auch die Wilden in ihrem Bund erhielten: Man konnte daher kaum sagen, ob die Liebe der Amerikaner zu den Engländern größer war oder ihr Haß gegen die Franzosen, und wer zu jenen Zeiten lebte, würde wahrscheinlich das Bündnis, das etliche zwanzig Jahre später zwischen den cisatlantischen Untertanen und den alten Nebenbuhlern der britischen Krone stattfand, als ein Ereignis betrachtet haben, das außer dem Kreis der Möglichkeit liege. Mit einem Wort – die Ansichten werden in Provinzen wie die Moden übertrieben, und die Loyalität, die in London zum Teil nur eine politische Form war, steigerte sich in New York zu einem Vertrauen, das fast Berge hätte versetzen können. Man traf daher selten Unzufriedene, und Verrat zugunsten Frankreichs oder der Franzosen wäre in den Augen der Provinzbewohner am allerverhaßtesten erschienen. Mabel würde das Verbrechen, das man Jasper insgeheim zu Last legte, am wenigsten geahnt haben, und wenn andere in ihrer Nähe die Qual des Argwohns fühlten, so war wenigstens sie von der edlen Zuversicht einer weiblichen Seele erfüllt. Noch war kein Flüstern zu ihr gedrungen, um das Gefühl des Vertrauens zu stören, mit dem sie vom Anfang an auf den jungen Schiffer geblickt hatte, und ihr eigener Geist würde ihr gewiß zuletzt einen solchen Gedanken von selbst zugeführt haben.

Die Jahreszeit und die Nacht waren ganz geeignet, die Gefühle zu steigern, die Jugend, Gesundheit und Glück mit dem Reiz der Neuheit zu verbinden gewohnt ist. Das Wetter war warm, wie es selbst im Sommer in dieser Gegend nicht immer der Fall ist, während die Luft, die vom Lande her strömte, die Kühle und den Duft der Wälder mit sich führte. Man konnte den Wind bei weitem keinen steifen nennen, obwohl er kräftig genug war, den Scud lustig vor sich herzutreiben und vielleicht die Aufmerksamkeit in der Unsicherheit rege zu erhalten, die mehr oder weniger das Dunkel begleitet. Jasper schien diesen Wind mit Wohlgefallen zu betrachten.

»Wenn es so fortgeht, Eau-douce« – denn so hatte bereits Mabel den jungen Schiffer nennen gelernt – »so kann’s nicht lange anstehen, bis wir den Ort unserer Bestimmung erreichen.«

»Hat Ihr Vater Ihnen den Namen genannt, Mabel?«

»Er hat mir nichts gesagt. Mein Vater ist zu sehr Soldat und zuwenig an ein Familienleben gewöhnt, um über solche Dinge mit mir zu sprechen. Ist es verboten zu sagen, wohin wir gehen?«

»Da wir in dieser Richtung steuern, so kann’s nicht weit sein, denn mit sechzig oder siebzig Meilen kommen wir in den S. Lorenzo, den uns die Franzosen heiß genug machen dürften. Auch kann keine Reise auf diesem See besonders lange dauern.«

»So sagt mein Onkel Cap; aber mir, Jasper, scheint der Ontario und der Ozean ziemlich das gleiche zu sein.«

»Sie sind also auf dem Ozean gewesen, während ich, der ich mich für einen Schiffer ausgebe, noch nie Salzwasser gesehen habe? Sie müssen wohl einen Seemann, wie ich bin, in Ihrem Herzen recht verachten, Mabel?«

»Verachtung wohnt nicht in meinem Herzen, Jasper Eau-douce. Was hätte auch ein Mädchen ohne Erfahrung und Kenntnis für ein Recht, irgend jemanden zu verachten, geschweige einen Mann wie Euch, der das Vertrauen des Majors besitzt und ein Schiff wie dieses hier befehligt. Ich bin nie auf dem Ozean gewesen, obgleich ich ihn gesehen habe, und ich wiederhole es, daß ich keinen Unterschied zwischen diesem See und dem Atlantischen Meer gewahren kann.«

»Auch nicht zwischen denen, die auf beiden segeln? Ich fürchtete, Mabel, Ihr Onkel hätte so viel gegen uns Frischwasserschiffer gesagt, daß Sie uns für wenig mehr als für anmaßende Leute halten müssen?«

»Laßt Euch das nicht kümmern, Jasper, denn ich kenne meinen Onkel, und er sagt, wenn wir in York sind, ebensoviel gegen die die am Lande leben, wie er hier gegen die sagt, die das Frischwasser befahren. Nein, nein, weder mein Vater noch ich halten etwas von solchen Ansichten. Mein Onkel Cap möchte wohl, wenn er sich offen ausspräche, von einem Soldaten noch eine geringere Meinung kundgeben als von einem Schiffer, der nie das Meer gesehen hat.«

»Aber Ihr Vater, Mabel, hat eine bessere Meinung von einem Soldaten als von irgend jemand anderem. Er wird wohl wünschen, Sie an einen Soldaten zu verheiraten?«

»Jasper Eau-douce! – ich, einen Soldaten heiraten? – Mein Vater sollte das wünschen? – Warum sollte er das tun? Was für ein Soldat ist denn in der Garnison, den ich heiraten könnte, daß er wünschen sollte, mich zu verheiraten?«

»Man kann einen Beruf so sehr lieben, daß man sich denkt, er verdecke tausend Unvollkommenheiten.«

»Aber man kann doch wahrscheinlich seinen Beruf nicht so sehr lieben, daß man alles andere dabei übersieht. Ihr sagt, mein Vater wünsche mich an einen Soldaten zu verheiraten, und doch ist in Oswego keiner, dem er mich wahrscheinlich geben möchte. Ich bin in einer unangenehmen Lage, denn während ich nicht gut genug bin, um die Frau eines Gentleman in der Garnison zu werden, halte ich mich doch – und Ihr werdet mir beistimmen, Jasper – für zu gut, um einen gemeinen Soldaten zu heiraten.«

Als Mabel so offen sprach, errötete sie unwillkürlich, obgleich dies in der Dunkelheit von ihrem Gefährten nicht bemerkt wurde, und lächelte dabei wie jemand, der es fühlt, daß ein Gegenstand von so zarter Natur aufrichtig behandelt zu werden verdiene. Jasper jedoch schien ihre Lage von einem verschiedenen Gesichtspunkte aus zu betrachten.

»Es ist wahr, Mabel«, sagte er, »Sie sind nicht, was man im gewöhnlichen Sinne des Worts eine Dame nennt –«

»In keinem Sinne des Worts, Jasper«, unterbrach ihn das edle Mädchen mit Lebhaftigkeit, »und ich hoffe, ich bin in diesem Punkt frei von aller Eitelkeit. Die Vorsehung hat mich zu der Tochter eines Sergeanten gemacht, und ich bin zufrieden mit der Stellung, in der ich geboren bin.«

»Aber nicht alle bleiben in der Stellung, in der sie geboren sind, Mabel. Einige erheben sich darüber, und einige sinken noch tiefer. Viele Sergeanten sind Offiziere, sogar Generäle geworden, und warum sollten Sergeantentöchter nicht Offiziersfrauen werden können.«

»In dem Falle von Sergeant Dunhams Tochter weiß ich keinen besseren Grund anzugeben, als daß mich wahrscheinlich kein Offizier zu seinem Weibe machen will«, erwiderte Mabel lachend.

»Sie mögen so denken; aber es gibt einige im Fünfundfünfzigsten, die das besser wissen. Es ist gewiß ein Offizier in diesem Regiment, der Sie zu seiner Frau zu machen wünscht.«

Mit der Schnelligkeit des Blitzes eilten Mabels Gedanken über die fünf oder sechs Subalternoffiziere des Korps weg, deren Alter und Neigungen auf einen derartigen Wunsch mochten schließen lassen; und wir würden vielleicht ihren Gesinnungen unrecht tun, wenn wir es verschwiegen, daß einen Augenblick das Gefühl der Freude lebhaft in ihrem Busen aufleuchtete, als sie sich die Möglichkeit dachte, sich über eine Stellung zu erheben, von der sie trotz ihrer vorgeblichen Zufriedenheit fühlte, daß sie nicht ganz mit ihrer Erziehung im Einklang stehe. Diese Bewegung verschwand jedoch ebenso schnell, wie sie erschienen war, denn Mabels Gefühle waren viel zu rein und weiblich, um den Bund der Ehe von einem so weltlichen Gesichtspunkt aus zu betrachten, den nur die Vorteile des Standes boten.

»Ich kenne keinen Offizier des fünfundfünfzigsten oder irgendeines anderen Regiments, von dem ich eine solche Torheit vermuten könnte. Auch glaub‘ ich nicht, daß ich selbst die Torheit begehen würde, einen Offizier zu heiraten.«

»Torheit, Mabel?«

»Ja, Torheit, Jasper. Ihr wißt so gut wie ich, was die Welt von solchen Verbindungen denkt, und ich müßte wohl mit Grund befürchten, es könnte meinen Gatten einmal reuen, daß er sich durch ein Äußeres, an dem er Gefallen fand, verleiten ließ, die Tochter eines Sergeanten zu heiraten.«

»Ihr Gatte wird wahrscheinlich mehr an die Tochter als an den Vater denken.«

Das Mädchen hatte mit einem Anflug von Laune gesprochen, obgleich auch sichtlich ihre Gefühle an der Unterhaltung teilnahmen. Auf Jaspers letzte Bemerkung schwieg sie beinahe eine Minute und fuhr dann in einer Weise fort, in der ein aufmerksamer Beobachter einen leichten melancholischen Zug hätte entdecken mögen:

»Vater und Kind müssen leben, als ob sie nur ein Herz, nur eine Gefühls- und Denkweise hätten. Ein gemeinschaftliches Interesse unter allen Verhältnissen ist für Mann und Frau so gut ein Erfordernis zu ihrem Glück, wie für die übrigen Glieder einer und derselben Familie. Am allerwenigsten darf aber der Mann oder die Frau irgendeinen ungewöhnlichen Grund haben, sich unglücklich zu fühlen, da die Welt ohnehin deren so viele liefert.«

»Ich soll daraus wohl entnehmen, Mabel, daß Sie die Verheiratung mit einem Offizier nur darum ausschlagen würden, weil er ein Offizier ist?«

»Habt Ihr ein Recht, eine solche Frage zu stellen, Jasper?« sagte Mabel lächelnd.

»Kein anderes Recht, als es der eifrige Wunsch, Sie glücklich zu sehen, geben kann, und dieses mag im Grunde gering genug sein. Meine Besorgnis hatte zugenommen, als ich zufällig erfuhr, daß Ihr Vater die Absicht habe, Sie zu einer Verbindung mit dem Leutnant Muir zu bereden.«

»Mein lieber Vater kann keinen so lächerlichen, so grausamen Gedanken hegen.«

»Wär‘ es denn so grausam, wenn er Sie als die Frau eines Quartiermeisters zu sehen wünschte?«

»Ich hab‘ Euch gesagt, was ich über diesen Gegenstand denke, und kann mich darüber nicht deutlicher ausdrücken. Da ich Euch aber so freimütig geantwortet habe, Jasper, so hab‘ ich wohl ein Recht zu fragen, wie Ihr etwas von den Gedanken meines Vaters erfahren habt?«

»Daß er einen Mann für Sie ausgesucht hat, weiß ich aus seinem eigenen Munde; er erzählte mir’s bei Gelegenheit der häufigen Besprechungen, die ich mit ihm hielt, als er bei der Einschiffung der Vorräte die Aufsicht führte, und daß sich Herr Muir Ihnen antragen wird, hat mir dieser Offizier selbst mitgeteilt. Da ich nun diese beiden Umstände zusammenhielt, so kam ich natürlich zu der vorhin ausgesprochenen Meinung.«

»Kann nicht mein lieber Vater, Jasper« – Mabels Gesicht glühte wie Feuer, während sie sprach, obgleich ihr die Worte nur langsam und wie unter einer Art unwillkürlichen Antriebs von den Lippen glitten – »kann nicht mein lieber Vater an einen anderen gedacht haben? Aus dem, was Ihr mir sagtet, folgt nicht, daß er den Herrn Muir meine.«

»Ist es nicht nach allen Vorgängen sehr wahrscheinlich, Mabel? Was bringt den Quartiermeister hierher? Er hat es früher nie für nötig gefunden, die Mannschaft, die herunter geht, zu begleiten. Er wünscht, Sie zum Weibe zu haben, und Ihr Vater ist damit einverstanden. Es muß Ihnen einleuchten, Mabel, daß Herr Muir nur um Ihretwillen mitgeht.«

Mabel gab keine Antwort. Ihr weiblicher Instinkt hatte ihr allerdings bereits gesagt, daß sie ein Gegenstand von des Quartiermeisters Bewunderung sei, obgleich sie dies kaum in der Ausdehnung vermutet hatte, die Jasper der Sache gab. Auch hatte sie aus einem Gespräch mit ihrem Vater vernommen, daß er ernstlich daran denke, über ihre Hand zu verfügen; aber kein Grübeln hätte sie je auf den Gedanken gebracht, daß Herr Muir der Mann sei. Sie glaubte es auch jetzt noch nicht, obgleich sie weit entfernt war, die Wahrheit zu ahnen. In der Tat betrachtete sie die gelegentlichen Bemerkungen ihres Vaters, die ihr aufgefallen waren, mehr für die Ergüsse des Wunsches, sie überhaupt versorgt zu sehen, als für die Ergebnisse eines Planes, sie mit irgendeinem bestimmten Manne zu vereinigen. Sie hielt jedoch diese Gedanken geheim, da es die Selbstachtung und weibliche Zurückhaltung als unpassend erscheinen ließen, sie zum Gegenstand einer Besprechung mit ihrem gegenwärtigen Gesellschafter zu machen. Um daher dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, fuhr sie nach einer Pause fort, die lange genug gewesen war, um beide Teile in Verlegenheit zu setzen:

»Auf eines könnt Ihr Euch verlassen, Jasper, und dies ist auch alles, was ich Euch über den Gegenstand noch zu sagen wünsche – Leutnant Muir wird, selbst wenn er Oberst wäre, nie der Gatte von Mabel Dunham sein. Und nun erzählt mir von Eurer Reise – wann wird sie enden?«

»Das ist ungewiß. Wenn man erst mal auf dem Wasser ist, so ist man dem Wind und den Wellen preisgegeben. Pfadfinder wird Ihnen sagen, daß, wer einen Hirsch am Morgen aufjagt, nicht sagen kann, wo er des Nachts schlafen wird.«

»Aber wir sind weder auf der Hirschjagd noch ist es Morgen. Pfadfinders Vergleich hinkt also.«

»Wir sind freilich nicht auf der Hirschjagd, jagen aber hinter etwas her, was wohl ebenso schwer zu fangen ist. Ich kann Ihnen darüber nicht mehr sagen, denn es ist unsere Pflicht, den Mund zu halten, ob etwas davon abhängt oder nicht. Ich fürchte jedoch, ich werde Sie nicht lange genug auf dem Scud behalten, um Ihnen zeigen zu können, was er im Notfall zu leisten imstande ist.«

»Ich halte ein Mädchen für unklug, das je einen Seemann heiratet«, sagte Mabel abgebrochen und fast unwillkürlich.

»Das ist eine sonderbare Ansicht; warum glauben Sie das?«

»Weil eines Seemanns Weib darauf rechnen kann, an seinem Schiff eine Nebenbuhlerin zu haben. Selbst Onkel Cap sagt, daß ein Schiffer nie heiraten sollte.«

»Er meint die Salzwasserschiffer«, erwiderte Jasper mit Lachen. »Wenn er glaubt, daß die Frauen nicht genug für die Ozeanfahrer sind, so wird er gewiß denken, sie sind für die, die auf den Seen segeln, eben recht. Ich hoffe, Mabel, Sie lassen sich in Ihren Meinungen über uns Frischwassermatrosen nicht so ganz von dem bestimmen, was Meister Cap von uns sagt?«

»Segel, ho!« rief auf einmal der Mann, von dem eben die Red war, »oder Boot ho! Um der Wahrheit näher zu kommen.«

Jasper eilte vorwärts. Wirklich ließ sich auch etwa hundert Ellen vor dem Kutter nahe an seinem Leebug ein kleiner Gegenstand bemerken. Jasper erkannte in ihm auf den ersten Blick einen Rindenkahn; denn obgleich die Finsternis das Erkennen der Farben verhindert, so konnte doch ein an die Nacht gewöhntes Auge nahe liegende Gestalten unterscheiden, zumal ein Auge wie Jaspers, das zu lange mit den Ereignissen auf dem Wasser vertraut war, um die Umrisse zu verkennen, die ihn zu solcher Folgerung veranlaßten.

»Das kann ein Feind sein«, bemerkte der junge Mann, »und es ist wohl ratsam, ihn zu überholen.«

»Er rudert mit aller Macht, Junge«, erwiderte Pfadfinder, »und beabsichtigt, unseren Bug zu kreuzen und windwärts zu kommen, wo Ihr dann ebensogut einem ausgewachsenen Bock in Schneeschuhen nachjagen könntet.«

»Halt bei dem Wind!« rief Jasper dem Steuermann zu, »luv auf, solang sich das Schiff halten läßt. Nun fest und nahe gehalten.«

Der Steuermann gehorchte, und da der Scud nun die Wellen lustig auf die Seite warf, so brachten eine oder zwei Minuten den Kahn so weit leewärts, daß ein Entrinnen unausführbar war. Jasper sprang nun selbst ans Steuer, und durch eine geschickte und vorsichtige Bewegung kam er dem Gegenstand seiner Jagd so nahe, daß man sich seiner durch einen Bootshaken versichern konnte. Die zwei in dem Kahn befindlichen Personen verließen nun auf erhaltenen Befehl das Boot, und sie waren kaum auf dem Verdeck des Kutters angelangt, als man in ihnen Pfeilspitze und sein Weib erkannte.

Fünfzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Das Zusammentreffen mit dem Indianer und seinem Weib hatte für die Mehrzahl der Zeugen dieses Ereignisses nichts überraschendes. Aber Mabel und alle, die wohl wußten, wie sich dieser Häuptling von Caps Gesellschaft getrennt hatte, unterhielten gleichzeitig argwöhnische Vermutungen, die sich weit leichter fühlen als verfolgen und durch irgendeinen Schlüssel zur Gewißheit erheben ließen. Pfadfinder, der sich allein mit den Gefangenen – denn als solche konnten sie jetzt betrachtet werden – zu unterhalten vermochte, führte Pfeilspitze beiseite und besprach sich lange mit ihm über die Gründe, die ihn veranlaßt hatten, sich seinem Auftrag zu entziehen und über die Weise, wie er sich bisher beschäftigt hatte.

Der Tuscarora antwortete auf die an ihn gestellten Fragen mit der Ruhe eines Indianers. In betreff seines Entweichens waren seine Entschuldigungen einfach und schienen hinreichend annehmbar. Als er gefunden hatte, daß die Gesellschaft in ihrem Versteck entdeckt worden war, hatte er natürlich an seine eigene Sicherheit gedacht, die er am besten in den Wäldern zu finden hoffte; denn er zweifelte nicht, daß alle, denen dieses nicht glückte, auf der Stelle getötet werden würden. Mit einem Wort – er hatte Reißaus genommen, um sein Leben zu retten.

»Das ist gut«, erwiderte Pfadfinder, indem er sich das Ansehen gab, als ob er der Rechtfertigung des anderen Glauben beimesse; »mein Bruder hat sehr weise gehandelt. Aber sein Weib folgte ihm?«

»Folgen die Bleichgesichtsweiber ihren Männern nicht? Würde Pfadfinder nicht zurückgeblickt haben, um zu sehen, ob die, die er liebte, komme?«

Diese Berufung traf den Kundschafter gerade in der günstigsten Gemütsstimmung, um ihre Kraft fühlbar zu machen; denn Mabels gewinnende Eigenschaften und Entschlossenheit waren bereits zu Bildern geworden, mit denen sich seine Gedanken vertrauter gemacht hatten. Obgleich der Tuscarora den Grund nicht erraten konnte, so sah er doch, daß seine Entschuldigung angenommen wurde, und erwartete mit ruhiger Würde die weitere Untersuchung.

»Das klingt glaublich«, erwiderte Pfadfinder in englischer Sprache, denn er ging unwillkürlich von der einen in die andere über, wie es ihm gerade Gefühl und Gewohnheit geboten, »es ist natürlich und mag sich wohl so verhalten. Wahrscheinlich würde ein Weib dem Manne folgen, dem sie Treue gelobt hat, und Mann und Weib sind ein Fleisch. Mabel würde auch dem Sergeanten gefolgt sein, wenn er dabeigewesen war‘ und sich auf diese Weise zurückgezogen hätte, und ich zweifle nicht im mindesten, daß das warmherzige Mädchen mit ihrem Gatten gegangen wäre. Eure Worte sind ehrlich, Tuscarora« – er sprach dieses wieder in der Zunge des letzteren – »und annehmbar. Aber warum ist mein Bruder so lange von dem Fort weggeblieben? Seine Freunde haben oft an ihn gedacht, aber ihn nicht wieder zu Gesicht bekommen.«

»Wenn die Damgais dem Bock folgt, muß nicht der Bock der Gais folgen?« antwortete der Tuscarora lächelnd und legte dabei den Finger bedeutungsvoll auf die Schulter des Fragers. »Pfeilspitzes Weib folgte Pfeilspitze; es war daher billig, daß Pfeilspitze seinem Weibe folgte. Sie verlor den Weg, und man zwang sie, in einem fremden Wigwam zu kochen.«

»Ich versteh‘ Euch, Tuscarora. Das Weib fiel in die Hände der Mingos, und Ihr bliebt auf ihrer Fährte.«

»Pfadfinder kann einen Grund so leicht sehen, als er das Moos der Bäume sieht. Es ist so.«

»Seit wann habt Ihr das Weib wieder zurückerhalten, und wie ist dies geschehen?«

»Zwei Sonnen. Junitau ließ nicht lange auf sich warten, als ihr Gatte ihr den Pfad zuflüsterte.«

»Gut, gut, alles dies scheint mir glaublich. Aber, Tuscarora, wie erhieltet Ihr diesen Kahn, und warum rudert Ihr dem S. Lorenzo zu, statt gegen die Garnison hin?«

»Pfeilspitze weiß sein Eigentum von dem eines anderen zu unterscheiden. Der Kahn ist mein; ich fand ihn an dem Ufer, nahe dem Fort.«

»Auch das klingt glaublich; denn zu einem Kahn gehört ein Mensch, und ein Indianer gibt nicht viele Worte aus, wenn er sich etwas aneignen will. Es ist aber doch nicht in der Ordnung, daß wir von dem Burschen und seinem Weib nichts gesehen haben, da doch der Kahn den Fluß vor uns verlassen haben muß.«

Dieser Gedanke, der Pfadfinder plötzlich durch die Seele fuhr, wurde nun dem Indianer in der Form einer Frage vorgelegt.

»Pfadfinder weiß, daß ein Krieger Scham haben kann. Der Vater würde mich nach seiner Tochter gefragt haben, und ich konnte sie ihm nicht geben. Ich schickte Junitau nach dem Kahn aus, und niemand redete das Weib an. Ein Tuscaroraweib wagt es nicht, mit fremden Männern zu sprechen.«

Alles dieses war annehmbar, auch dem Charakter und den Gewohnheiten der Indianer gemäß. Wie gewöhnlich hatte Pfeilspitze die Hälfte seiner Belohnung im voraus erhalten, als er den Mohawk verließ, und es war ein Beweis von dem Bewußtsein gegenseitiger Rechte, das oft ebenso bezeichnend für die Moral der Wilden wie für die der Christen ist, daß er es nicht wagte, den Rest anzusprechen. In den Augen eines so rechtlichen Mannes, wie es der Pfadfinder war, hatte sich Pfeilspitze mit Zartheit und Schicklichkeit benommen, obgleich es mit seinem eigenen freimütigen Wesen besser im Einklang gewesen wäre, zu dem Vater zu gehen und bei der einfachen Wahrheit zu bleiben; da er jedoch an die Weise des Indianers gewöhnt war, so sah er nichts Auffallendes in dem Benehmen des anderen.

»Das geht wie Wasser, das den Berg ‚runterkommt, Pfeilspitze«, antwortete er nach einer kurzen Überlegung, »und die Wahrheit muß ich anerkennen. Es war die Gabe einer Rothaut, auf diese Weise zu handeln, obgleich ich nicht glaube, daß es die Gabe eines Bleichgesichts wäre. Ihr wolltet wohl den Gram nicht sehen, den der Vater um das Mädchen empfand?«

Pfeilspitze machte eine ruhige Verbeugung, als ob er dies zugestehen wolle.

»Mein Bruder wird mir noch eins sagen«, fuhr Pfadfinder fort, »und es wird keine Wolke mehr zwischen seinem Wigwam und dem festen Hause der Yengeese stehen. Wenn er noch dieses bißchen Nebel mit dem Hauch seines Mundes wegblasen kann, so werden seine Freunde auf ihn sehen, wie er bei seinem eigenen Feuer sitzt, und er kann auf sie sehen, wie sie ihre Waffen weglegen und vergessen, daß sie Krieger sind. Warum war die Spitze von seinem Kahn gegen den S. Lorenzo zugekehrt, wo er doch nur Feinde finden wird?«

»Warum blicken der Pfadfinder und seine Freunde auf denselben Weg?« fragte der Tuscarora ruhig. »Ein Tuscarora kann in dieselbe Richtung wie ein Yengeese schauen.«

»Warum, Pfeilspitze? Um die Wahrheit zu gestehen, wir sind aufs Kundschaften aus, wie – das zu Schiff geschehen kann – oder mit anderen Worten, wir sind im Dienste des Königs und haben ein Recht, hier zu sein, obgleich wir vielleicht kein Recht haben zu sagen, warum wir hier sind.«

»Pfeilspitze sah den großen Kahn, und er liebt es, in das Gesicht von Eau-douce zu sehen. Er ging am Abend gegen die Sonne, um seinen Wigwam zu suchen? da er aber fand, daß der junge Seemann einen anderen Weg gehen wolle, so kehrte er um, um dieselbe Richtung zu schauen. Eau-douce und Pfeilspitze waren beieinander auf der letzten Fährte.«

»Das mag alles wahr sein, Tuscarora, und Ihr seid willkommen. Ihr sollt von unserem Wildbret essen, und dann müssen wir uns trennen. Die untergehende Sonne ist hinter uns, und wir beide bewegen uns schnell. Mein Bruder wird sich zu weit von dem entfernen, was er sucht, wenn er nicht umkehrt.«

Pfadfinder kehrte nun zu den übrigen zurück und berichtete das Ergebnis seiner Untersuchung. Er schien selbst zu glauben, daß Pfeilspitzes Erzählung wahr sein könne, obgleich er zugestand, daß die Klugheit Vorsicht gegen einen Menschen fordere, der ihm mißfiel. Seine Zuhörer jedoch waren mit Ausnahme Jaspers wenig geneigt, seinen Erklärungen Glauben zu schenken.

»Dieser Kerl muß sogleich in Eisen gelegt werden, Bruder Dunham«, sagte Cap, als Pfadfinder seine Erzählung beendet hatte; »er muß dem Profos übergeben werden, wenn es solchen Beamten auf dem frischen Wasser gibt. Man muß ein Kriegsgericht über ihn halten lassen, sobald wir den Hafen erreichen.«

»Ich denke, es ist das klügste, den Burschen festzuhalten«, antwortete der Sergeant. »Aber Eisen ist unnötig, solang er auf dem Kutter bleibt. Morgen soll die Sache untersucht werden.«

Man forderte nun Pfeilspitze vor und verkündete ihm die Entscheidung. Der Indianer hörte ernst zu und machte keine Einwürfe; im Gegenteil unterwarf er sich mit der ruhigen und zurückhaltenden Würde, mit der sich die amerikanischen Ureingeborenen in ihr Schicksal zu ergeben pflegten, und blieb als ein aufmerksamer, aber ruhiger Beobachter dessen, was vorging, seitwärts stehen. Jasper ließ des Kutters Segel in den Wind, und der Scud nahm seinen Kurs wieder auf.

Es kam nun die Stunde heran, wo die Wachen ausgestellt wurden und man sich wie gewöhnlich zur Ruhe begab. Der größte Teil der Mannschaft ging nach unten und nur Cap, der Sergeant, Jasper und zwei Matrosen blieben auf dem Verdeck. Auch Pfeilspitze mit seinem Weib blieb; jener stand luvwärts in stolzer Abgemessenheit, indes Junitau in ihrer Haltung und Hingebung die demütige Unterwürfigkeit äußerte, die das Weib eines Indianers charakterisiert.

»Ihr werdet unten einen Platz für Euer Weib finden, Pfeilspitze, wo meine Tochter für ihre Bedürfnisse Sorge tragen wird«, sagte der Sergeant mit Güte, als er gerade im Begriff war, das Deck zu verlassen, »und dort ist ein Segel, auf dem Ihr selbst schlafen könnt.«

»Ich danke meinem Vater. Die Tuscaroras sind nicht arm. Das Weib wird nach meinen Decken im Kahn sehen.«

»Wie Ihr wollt, mein Freund; wir halten es für nötig, Euch zurückzuhalten, aber nicht, Euch einzusperren oder übel zu behandeln. Schickt Euer Weib nach den Decken in den Kahn, und Ihr selbst könnt ihr folgen und uns die Ruder überliefern. Da es einige schläfrige Köpfe in dem Scud geben könnte, Eau-douce«, fügte der Sergeant leise bei, »so wird’s wohl gut sein, sich der Ruder zu versichern.«

Jasper nickte, und Pfeilspitze und sein Weib, von denen man sich keines Widerstandes versah, gehorchten stillschweigend der Anweisung. Als beide in dem Kahn beschäftigt waren, hörte man einige Ausdrücke scharfen Tadels aus dem Munde des Indianers gegen sein Weib, die diese mit unterwürfiger Ruhe hinnahm und den begangenen Fehler dadurch zu verbessern suchte, daß sie die Decke, die sie ergriffen hatte, beiseite legte und nach einer anderen suchte, die mehr nach dem Sinne ihres Tyrannen war.

»Kommt, reicht mir die Hand, Pfeilspitze«, sagte der Sergeant, der auf dem Schandeck stand und die Bewegungen der beiden beobachtete, die für die Ungeduld eines schläfrigen Mannes viel zu langsam waren; »es wird spät, und wir Soldaten werden beizeiten geweckt – da heißt’s früh ins Bett und früh ‚raus.«

»Pfeilspitze kommt«, war die Antwort, als der Tuscarora vorwärts in den Bug seines Kahnes trat.

Ein Schnitt mit seinem scharfen Messer trennte das Tau, an dem das Boot lag: Der Kutter schoß vorwärts, und ließ die leichte Blase von Barke fast unbeweglich hinter sich. Dieses Manöver war mit einer solchen Schnelligkeit und Geschicklichkeit ausgeführt worden, daß der Kahn auf der Leeseite des Scud war, ehe der Sergeant die List bemerkte, und schon in dem Kielwasser schwamm, ehe er es seinen Gefährten mitteilen konnte.

»Hart am Lee!« rief Jasper und stach mit eigener Hand die Klüverschote auf, worauf der Kutter schnell gegen den Wind fuhr und alle Segel hängen ließ oder, wie die Seeleute sagen, in des Windes Auge lief, bis sich das leichte Fahrzeug hundert Fuß windwärts von seiner früheren Lage befand.

So schnell und sicher diese Bewegung ausgeführt wurde, so war sie doch nicht schneller und geschickter als die des Tuscarora. Mit einer Geschicklichkeit, die seine Vertrautheit mit Fahrzeugen bekundete, hatte er das Ruder ergriffen und flog, von seinem Weibe unterstützt, auf dem Wasser dahin. Er schlug seine Richtung nach Südwesten ein, in einer Linie also, die ihn zugleich gegen den Wind und gegen das Ufer führte, und ihn so weit von dem Kutter luvwärts brachte, daß dadurch die Gefahr des Zusammenstoßens mit dem großen Fahrzeug vermieden wurde, wenn letzteres seinen zweiten Gang ausführte. Da der Scud schnell gegen den Wind geschossen war und mit Gewalt vorangetrieben hatte, so wurde es für Jasper nötig, abzufallen, ehe das Fahrzeug seinen Weg ganz verlor, und das Steuer wurde kaum zwei Minuten niedergehalten, als das lebhafte kleine Schiff backvorwärts lag und so schnell abfiel, daß die Segel sich für den entgegengesetzten Gang füllen konnten.

»Er wird entrinnen!« sagte Jasper, als er einen Blick auf die wechselnden Stellungen und Bewegungen des Kutters und des Kahnes warf. »Der schlaue Schurke rudert windwärts tot, und der Scud kann ihn niemals überholen.«

»Ihr habt einen Kahn!« rief der Sergeant, der auf der Verfolgung mit der Heftigkeit eines Knaben beharrte, »wir wollen ihn ins Wasser lassen und die Jagd fortsetzen!«

»Es wird vergeblich sein. Wenn Pfadfinder auf dem Verdeck gewesen wär‘, so hätte es vielleicht gehen mögen; doch damit ist’s jetzt vorbei. Bis der Kahn im Wasser ist, gehen drei oder vier Minuten herum, und diese Zeit ist hinreichend für des Indianers Zweck.«

Cap und der Sergeant sahen die Wahrheit davon ein, die übrigens auch einem in derartigen Dingen ganz Unerfahrenen hätte einleuchten müssen. Das Ufer war kaum eine halbe Meile entfernt, und der Kahn schoß bereits in dessen Schatten, in einer Weise, die deutlich erkennen ließ, daß er das Land erreicht haben würde, ehe noch seine Verfolger die Hälfte dieser Entfernung zurücklegen konnten. Man hätte sich dann allerdings des Kahnes bemächtigen können; er wäre aber eine nutzlose Prise gewesen, da Pfeilspitze in den Wäldern wahrscheinlich eher das andere Ufer unentdeckt erreichen konnte, als wenn er sich mit dem Nachen wieder auf den See wagte, obgleich bei ersterem die körperliche Anstrengung größer sein mochte. Das Steuer des Scuds wurde – zwar nur ungern – wieder aufgenommen; der Kutter drehte sich auf seiner Hielung und kam bei dem anderen Gang fast instinktartig wieder in seinen Kurs. Alles dieses wurde von Jasper mit der größten Stille vollführt; seine Gehilfen wußten, was not tat, und unterstützten ihn mit einer fast mechanischen Nachahmung. Während diese Bewegungen gemacht wurden, nahm Cap den Sergeanten an einem Knopf, führte ihn gegen die Kajütentür, wo er außer dem Bereich des Horchens war, und begann seinen Gedankenvorrat abzuladen.

»Hör‘, Bruder Dunham«, sagte er mit einer geheimnisvollen Miene, »das ist ein Gegenstand, der reifliche Überlegung und viel Umsicht fordert.«

»Das Leben eines Soldaten besteht aus steter Überlegung und Umsicht, Bruder Cap. Würden wir sie an dieser Grenze außer acht lassen, so könnten uns bei dem ersten besten Nicken die Hirnhäute vom Kopf genommen werden.«

»Aber ich betrachte Pfeilspitzes Ergreifung als ein Indiz, und ich möchte hinzusetzen, sein Entweichen als ein zweites. Dieser Jasper Frischwasser mag sich in acht nehmen.«

»Beides sind in der Tat Indizien, wie du’s nennst, Schwager, aber sie führen zu verschiedenen Resultaten. Es ist ein Indiz gegen den Burschen, daß der Indianer entschlüpfte, und eins für ihn, daß er vorher festgenommen wurde.«

»Schön, schön, aber zwei Indizien heben sich gegenseitig nicht auf, wie zwei Verneinungen. Wenn du dem Rat eines alten Seemanns folgen willst, Sergeant, darfst du keinen Augenblick verlieren, um die nötigen Schritte für die Sicherheit des Schiffes und seiner Bemannung zu tun. Der Kutter gleitet nun in einer Geschwindigkeit von sechs Knoten durch das Wasser, und da die Entfernungen auf diesem Stückchen Weiher ja nur gering sind, können wir uns vor Anbruch des Morgens in einem französischen Hafen, und, ehe es Nacht wird, in einem französischen Gefängnis befinden.«

»Das war‘ wohl möglich, aber wozu rätst du mir, Schwager?«

»Nach meiner Meinung sollte man diesen Meister Frischwasser auf der Stelle in den Arrest schicken. Laß ihn in den unteren Raum bringen, gib ihm eine Wache und übertrage das Kommando des Kutters mir. Zu all diesem hast du die Vollmacht, da das Fahrzeug zu der Armee gehört und du der kommandierende Offizier der gegenwärtigen Truppen bist.«

Sergeant Dunham überlegte mehr als eine Stunde die Tunlichkeit dieses Vorschlages, denn obgleich er rasch in seinen Handlungen war, wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte, so pflegte er doch nichts zu übereilen und die Klugheit nie außer acht zu lassen.

Da er die polizeiliche Aufsicht über die Personen in der Garnison hatte, so war er mit deren Charakteren genau bekannt geworden und hatte seit langer Zeit eine gute Meinung von Jasper. Aber jenes schleichende Gift, der Argwohn, hatte Zutritt zu seiner Seele, gefunden: Die List und die Ränke der Franzosen wurden so sehr gefürchtet, daß es, zumal infolge der vorangegangenen Warnung des Kommandanten, kein Wunder war, wenn die Erinnerung an ein jahrelanges gutes Betragen durch den Einfluß eines so scharfen und gegründet scheinenden Verdachts verwischt wurde. In dieser Verlegenheit zog der Sergeant den Quartiermeister zu Rat, dessen Ansicht, da er sein Vorgesetzter war, Dunham zu respektieren hatte, obgleich er bei dem gegenwärtigen Streifzug unabhängig von dessen Befehlen war. Es ist ein unglücklicher Umstand, wenn man in zweifelhaften Fällen einen Mann zu Rate zieht, der sich bei dem Fragenden in Gunst setzen will, denn man darf fast mit Gewißheit darauf rechnen, daß der gefragte Teil versuchen wird, in die Weise einzugehen, die dem anderen am angenehmsten ist. In gegenwärtigem Fall war es ein weiterer unglücklicher Umstand für eine vorurteilsfreie Betrachtung der Sache, daß nicht der Sergeant selbst, sondern Cap die Verhältnisse auseinandersetzte; denn der eifrige alte Seemann ließ seinen Zuhörer deutlich genug merken, auf welche Seite er den Quartiermeister zu lenken wünschte. Leutnant Muir war viel zu klug, um den Onkel und den Vater des Mädchens, das er zu gewinnen hoffte und erwartete, zu beleidigen, wenn ihm der Fall auch wirklich zweifelhaft vorgekommen wäre; aber bei der Art, wie ihm die Sache vorgelegt wurde, war er ernstlich geneigt, es für zweckmäßig zu halten, die Führung des Scud einstweilen, als eine Vorsichtsmaßregel gegen Verrat, in Caps Hände zu legen. Diese Ansicht entschied über den Sergeanten, der ohne Verzug die nötigen Maßregeln treffen ließ.

Ohne in weitere Erörterungen einzugehen, gab Sergeant Dunham Jasper die einfache Erklärung, daß er es für seine Pflicht halte, ihm vorderhand das Kommando des Kutters zu entziehen und es seinem Schwager zu übertragen. Ein natürlicher unwillkürlicher Ausbruch der Überraschung, der dem jungen Manne entfuhr, wurde mit der ruhigen Erinnerung erwidert, daß der Militärdienst oft ein Geheimhalten der Gründe fordere: Das gegenwärtige Verfahren – wurde ihm weiter erklärt – gehöre unter diese Reihe, und die getroffene Anordnung sei unvermeidlich gewesen. Obgleich Jaspers Erstaunen ungemindert blieb, denn der Sergeant hatte absichtlich jede Anspielung auf seinen Verdacht umgangen – so war doch der junge Mann an militärischen Gehorsam gewöhnt; er verhielt sich ruhig und forderte noch selbst die kleine Rudermannschaft auf, für die Zukunft Caps Befehlen zu gehorchen, bis die Sache eine andere Wendung nehmen würde. Als man ihm jedoch sagte, die Verhältnisse forderten es, daß nicht nur er, sondern auch sein erster Gehilfe, der wegen seiner langen Vertrautheit mit dem See gewöhnlich der Lotse genannt wurde, in dem unteren Raum bleiben müsse, trat eine Veränderung in seinen Gesichtszügen und seinem Benehmen ein, die ein tiefes schmerzliches Gefühl bezeichnete, obgleich es Jasper so sehr zu beherrschen wußte, daß selbst der argwöhnische Cap im Zweifel blieb, was er davon denken solle. Wie natürlich blieben aber, da ein Mißtrauen einmal vorhanden war, auch die schlimmsten Deutungen über die Sache nicht aus.

Sobald Jasper und der Lotse im unteren Raum waren, erhielt die Schildwache an der Luke geheimen Befehl, auf beide sorgfältig acht zu geben, keinem zu erlauben, wieder auf das Verdeck zu kommen, ohne vorher dem dermaligen Befehlshaber des Kutters Nachricht zu geben und dann darauf zu bestehen, daß sie so bald wie möglich wieder in ihren Raum zurückkehrten. Es bedurfte jedoch dieser Vorsichtsmaßregeln nicht, da sich Jasper und sein Gehilfe ruhig auf ihre Streu warfen und sie in dieser Nacht nicht wieder verließen.

»Und nun, Sergeant«, sagte Cap, sobald er sich als den Herrn des Verdecks sah, »wirst du die Güte haben, mir die Kurse und Entfernungen anzugeben, damit ich sehe, ob der Schnabel des Schiffes in der rechten Richtung ist.«

»Ich weiß nichts von beiden, Bruder Cap«, erwiderte Dunham, den diese Frage nicht wenig in Verlegenheit setzte. »Wir müssen eben so bald wie möglich die Station auf den Tausendinseln erreichen, wo wir landen, die dortige Mannschaft ablösen und weitere Instruktionen für unsere Schritte erhalten sollen. Das steht fast Wort für Wort in dem geschriebenen Befehl.«

»Aber du kannst doch eine Karte beibringen, auf der die Höhen und Entfernungen verzeichnet sind, damit ich mich über den Weg ins klare setze?«

»Ich glaube nicht, daß Jasper etwas der Art bei sich hat.«

»Keine Karte, Sergeant Dunham?«

»Nein, nicht die Spur davon. Unsere Schiffe befahren diesen See, ohne sich je der Karten zu bedienen.«

»Den Teufel auch! – Das müssen ja wahre Yahs sein. Glaubst du denn, Sergeant Dunham, ich könne eine Insel aus Tausenden herausfinden, ohne ihren Namen und ihre Lage zu wissen? – Ja, nicht einmal den Kurs und die Entfernung?«

»Der Name, Bruder Cap, braucht dich nicht gerade anzufechten, denn keine von diesen Tausenden hat einen, und so kann in dieser Hinsicht kein Mißgriff stattfinden. Was die Lage betrifft, so kann ich von dieser nichts sagen, da ich nie dort gewesen bin; doch glaube ich, daß sie nicht von besonderem Belang ist, wenn wir nur den Ort ausfindig machen. Vielleicht kann aber einer von den Matrosen auf dem Verdeck uns den Weg angeben.«

»Halt, Sergeant – halt einen Augenblick, wenn’s gefällig ist, Sergeant Dunham. Wenn ich das Kommando über diesen Kutter führen soll, so muß dies geschehen, ohne daß man mit dem Koch oder Kajütenjungen ratschlägt. Ein Schiffsmeister ist ein Schiffsmeister und muß seiner eigenen Einsicht folgen, wenn sie auch noch so unrichtig ist. Ich denke, du kennst den Dienst gut genug, um einzusehen, daß es besser ist, wenn ein Kommandant einen unrichtigen Weg nimmt, als wenn er gar keinen geht. Jedenfalls könnte der Lord Oberadmiral nicht einmal ein Boot mit Würde kommandieren, wollte er den Bootsmann alle Augenblicke um Rat fragen, wann er ans Ufer zu gehen wünschte. Nein, Herr! Wenn ich sinke, so sink‘ ich – aber, Gott verdamm mich, wenn ich nicht nach Schiffsart und mit Würde untergehen will.«

»Aber, Bruder Cap, ich wünsche nirgends anders hinzugehen als zu der Station an den Tausendinseln, wohin uns unsere Pflicht ruft.«

»Schön, schön, Sergeant! Aber eh‘ ich bei einem Matrosen vom Vordermast oder irgendeinem anderen als bei einem Deckoffizier Rat einhole, ich meine einen direkten, unverhohlenen Rat, will ich lieber um das ganze Tausend herumgehen und eine nach der anderen untersuchen, bis wir den rechten Hafen treffen. Aber es gibt so eine Art, was herauszukriegen, ohne daß man seine Unwissenheit zutage bringt, und ich will’s schon so einleiten, daß ich aus diesen Matrosen alles rauslocke, was sie wissen, indem ich sie zugleich glauben mache, daß ich sie mit den Vorräten meiner Erfahrung überschütte. Wir müssen uns auf dem offenen Meer manchmal des Seerohrs bedienen, wenn weit und breit nichts zu sehen ist, und das Lot auswerfen, wenn wir noch lange nicht auf den Grund kommen.«

»Ich weiß, daß wir augenblicklich in der rechten Richtung steuern«, erwiderte der Sergeant, »aber nach einigen Stunden werden wir an ein Vorgebirge kommen, wo wir acht geben müssen.«

»Ich will den Mann an dem Steuer anpumpen, und du wirst sehen, daß er in wenigen Minuten trocken liegen wird.«

Cap und der Sergeant begaben sich nun zu dem Steuermann, wobei ersterer die Sicherheit und Ruhe eines Mannes zur Schau trug, der sich seiner eigenen Überlegenheit bewußt ist.

»Das ist ’ne gesunde Luft, Junge«, bemerkte Cap, als ob es nur so nebenher geschehe, und in einer Weise, wie sich die Oberen am Bord eines Schiffes bisweilen zu einem begünstigten Untergebenen herabzulassen pflegen. »Ihr habt sie wohl alle Nacht vom Lande her in dieser Weise?«

»In dieser Jahreszeit wohl, Herr!« erwiderte der Mann, indem er aus Achtung vor seinem neuen Befehlshaber und dem Verwandten des Sergeanten Dunham an den Hut griff.

»Ich denk‘, es wird bei den Tausendinseln gerad‘ so sein? Der Wind wird wohl die gleiche Richtung halten, obgleich wir dann auf jeder Seite Land haben werden?«

»Wenn wir weiter nach Osten kommen, wird der Wind wahrscheinlich umspringen, denn dort haben wir keinen eigentlichen Landwind.«

»Ja, ja, so ist’s mit Eurem Frischwasser. Es hat immer eine Tücke, die der Natur entgegen ist. Zwar da unten an den westindischen Inseln darf man ebensogut auf den Landwind wie auf den Seewind rechnen; es war‘ daher in dieser Beziehung kein Unterschied, obgleich es in der Ordnung wäre, wenn sich’s hier oben auf dem Fleckchen Frischwasser anders verhielte. Ihr kennt demnach alles um die genannten Tausendinseln herum?«

»Gott behüte Euch, Meister Cap, niemand weiß alles oder auch nur etwas über diese Inseln. Sie bringen den ältesten Schiffer auf dem See in Verwirrung, und wir machen nicht einmal einen Anspruch darauf, ihre Namen zu kennen. Ja, die meisten von ihnen haben so wenig einen Namen wie ein Kind, das vor der Taufe stirbt.«

»Seid Ihr ein römischer Katholik?« fragte Cap scharf.

»Weder das noch was anderes. Ich bin ein Generalisierer in Religionssachen und werde nie beunruhigen, was mich nicht beunruhigt.«

»Hm! ein Generalisierer; das ist ohne Zweifel eine von den neuen Sekten, die das Land bedrängen«, brummte Dunham, dessen Großvater ein Neujerseyquäker und dessen Vater ein Presbyterianer gewesen war, indes er sich selbst, nach seinem Eintritt in das Heer, der Kirche von England angeschlossen hatte.

»Ich vermute, John«, nahm Cap wieder auf, »doch ich glaube, Euer Name ist Jack?«

»Nein, Herr! Ich heiße Robert.«

»Nun also, Robert – es ist fast dasselbe, Jack oder Bob; wir brauchen diese zwei Namen ohne Unterschied. Ich sage, Bob, ist es ein guter Haltegrund da unten an der Station, zu der wir gehen sollen?«

»Gott behüte Euch, Herr! ich weiß davon nicht mehr als einer von den Mohawkern oder ein Soldat vom Fünfundfünfzigsten.«

»Habt Ihr dort nie geankert?«

»Nie, Herr; Meister Eau-douce legt immer selbst am Ufer an.«

»Aber wenn Ihr auf die Stadt zulauft, werft Ihr doch ohne Zweifel das Lot aus; auch müßt Ihr, wie gewöhnlich, getalgt haben.«

»Talg? und noch dazu eine Stadt? Gott sei bei Euch, Meister Cap! – da ist so wenig ’ne Stadt wie auf Euerm Kinn und nicht halb so viel Talg.«

Der Sergeant lächelte sauertöpfisch, aber sein Schwager bemerkte diesen Witz nicht.

»Kein Kirchturm, kein Leuchtturm, kein Fort? Na, es wird doch wenigstens so was um den Weg sein, was Ihr Garnison nennt?«

»Fragt den Sergeanten Dunham, Herr, wenn Ihr das zu wissen wünscht. Die ganze Garnison ist an Bord des Scud.«

»Welchen Kanal haltet Ihr für den geeignetsten zum Einlanden, Bob? den, den Ihr das letztemal fuhrt, oder, oder, oder – ja, oder den anderen?«

»Ich kann das nicht sagen, denn ich weiß von keinem was.« »Wie, Ihr habt doch nicht an dem Steuer geschlafen, Bursche? Habt Ihr das?«

»Nicht am Steuer, Herr, aber unten in meiner Koje, unter der Fockgaffel. Eau-douce schickte die Soldaten und alles hinunter, den Lotsen ausgenommen, und wir wußten von dem Weg nicht mehr, als ob wir nie darüber gekommen wären. So hat er es immer gehalten, wir mochten gehen oder kommen, und ich könnte Euch ums Leben nicht was von dem Kanal oder dem Kurs sagen, nachdem wir erst mal glücklich an den Inseln angelangt waren. Niemand weiß davon als Jasper und der Lotse.«

»Da hast du wieder ein Indiz, Sergeant«, sagte Cap, indem er seinen Schwager etwas beiseite führte. »Es ist niemand an Bord, bei dem was herauszupumpen wäre, denn schon bei dem ersten Zug zeigt sich die Trockenheit ihrer Ignoranz. Wie zum Teufel soll ich nun den Weg zu der Station finden, nach der unser Auftrag geht?«

»Deine Frage, Bruder Cap, ist wahrhaft leichter gestellt als beantwortet. Läßt sich denn dies durch die Schiffahrtskunst nicht herausbringen? Ich glaubte, das sei für Euch Salzwasserschiffer eine Kleinigkeit. Ich hab‘ auch in der Tat oft gelesen, wie sie Inseln entdeckten.«

»Das hat ganz seine Richtigkeit, Bruder; und diese Entdeckung würde die größte von allen sein, da es sich dabei nicht um die Entdeckung einer einzigen Insel, sondern einer aus Tausenden heraus handelt. Ich könnte wohl, so alt ich auch bin, eine einzelne Nadel auf diesem Verdeck auffinde», aber ich zweifle, ob ich sie aus einem Heuschober herauskriegte.«

»Die Schiffer auf diesem See haben aber doch eine Methode, die Plätze zu finden, die sie besuchen wollen.«

»Wenn ich dich recht verstanden habe, Sergeant, so liegt diese Station oder dieses Blockhaus besonders verborgen?«

»So ist’s bei Gott! Man hat die größte Sorgfalt angewendet, daß der Feind keine Kunde von ihrer Lage erhalte.«

»Und du erwartest von mir, daß ich als Fremder auf diesem See jenen Platz auffinden soll ohne Karte, Kurs, Entfernung, Länge, Breite, Tiefe – ja, ich will verdammt sein, nicht mal mit dem Talg? Meinst du denn, ein Matrose brauche bloß seiner Nase nachzugehen wie einer von Pfadfinders Hunden?«

»Nun, Schwager, vielleicht kannst du doch von dem jungen Mann am Steuer noch was durch Fragen herausbringen. Ich kann kaum glauben, daß er so unwissend ist wie er sich stellt.«

»Hm! das sieht wieder einem Indiz ähnlich. In dem ganzen Fall häufen sich die Indizien nachgerade so sehr, daß man kaum weiß, wie man der Wahrheit auf die Sprünge kommen soll. Wir werden aber bald sehen, wie es mit dem Wissen dieses Burschen beschaffen ist.«

Cap und der Sergeant kehrten nun zu dem Steuer zurück, und Cap nahm seine Fragen wieder auf.

»Kennt Ihr vielleicht die Länge und Breite der gesuchten Insel, Junge?«

»Was, Herr?«

»Nun die Länge oder Breite – eins oder beides; ich mach‘ mir zwar nichts daraus, denn ich frage bloß, um zu sehen, wie man die jungen Leute hier auf diesem Frischwasserstreifen erzieht.«

»Ich mach‘ mir auch nichts aus solchen Dingen, Herr, und weiß daher zufällig nicht, was Ihr meint.«

»Nicht was ich meine? – Wie? Ihr wißt nicht, was Breite ist?«

»Nein, Herr!« erwiderte der Steuermann zögernd – »obgleich ich glaube, daß es Französisch von den oberen Seen ist.«

»Hu – hu – hu – uh!« stöhnte Cap mit einem schweren Atemzuge, gleich dem Ton einer zerbrochenen Orgelpfeife; »Breite, Französisch von den oberen Seen! Hört, junger Mann, wißt Ihr, was Länge bedeutet?«

»Ich glaube, ich weiß das Herr – fünf Fuß sechs Zoll, die regelmäßige Höhe für einen Soldaten in des Königs Dienst.«

»Das ist eine Höhe nach dem Meßstock, eine, die für dich paßt, Sergeant. – Ihr habt doch hoffentlich einige Kenntnisse von Graden, Minuten und Sekunden?«

»Ja, Herr; unter Grad versteht man einen Vorgesetzten, und Minuten und Sekunden bedeuten die langen und kurzen Loglinien. Wir wissen diese Dinge so gut wie das Salzwasservolk.«

»Ich will verdammt sein, Bruder Dunham, wenn ich denke, daß selbst der Glaube über diesen See weghelfen kann, so viel man auch davon spricht, daß er Berge versetzen kann. So viel ist wenigstens gewiß, daß hier das Amt nicht den Verstand gibt. Nun, mein Bursch, Ihr versteht Euch vielleicht auf das Azimut, das Messen der Entfernungen, und wie man die Punkte des Kompasses in gehöriger Ordnung benennt?«

»Was das erste anbelangt, so weiß ich davon nichts. Die Entfernungen kennen wir alle wohl, da wir sie von einer Landspitze zur anderen messen, und wegen des Kompasses da werde ich keinem Admiral von Seiner Majestät Flotte den Rücken kehren. Nord, Nord zu Ost, Nordnordost, Nordost zu Nord, Nordost; Nordost zu Ost, Ostnordost, Ost zu Nord, Ost –«

»Nun, das geht, das geht. Ihr werdet den Wind ganz herumbringen, wenn Ihr auf diese Weise weiter segelt. Ich sehe deutlich, Sergeant«, sagte er, indem er den Steuermann verließ, mit gedämpfter Stimme, »daß wir von diesem Burschen nichts zu hoffen haben. Ich will noch zwei Stunden auf diesem Gang halten und dann anholen und das Lot auswerfen. Wir müssen uns dann eben nach den Umständen richten.«

Der Sergeant hatte nichts dagegen einzuwenden, und da der Wind, wie gewöhnlich bei fortschreitender Nacht, leichter wurde und sich der Fahrt keine unmittelbaren Hindernisse in den Weg legten, so machte sich Dunham auf dem Verdeck aus einem Segel ein Lager und verfiel bald in den festen Schlaf eines Soldaten. Cap fuhr fort, auf dem Deck auf und ab zu gehen, denn er war ein Mann, dessen eiserner Körper jeder Ermüdung Trotz bot: Er schloß die ganze Nacht kein Auge.

Als Sergeant Dunham erwachte, war es heller Tag. Da er sich aber erhob und umherblickte, entfuhr ihm ein Ausruf der Überraschung, der kräftiger tönte, als es bei einem Mann gewöhnlich war, der so oft veranlaßt wurde, sich hören zu lassen. Er fand das Wetter ganz verändert; die Aussicht war durch einen treibenden Nebel verhüllt, der den sichtbaren Horizont auf einen Kreis beschränkte, der im Durchmesser etwa eine Meile haben mochte. Der See tobte in schäumenden Wellen, während der Scud einen Beilieger machte. Eine kurze Besprechung mit seinem Schwager gab ihm Aufschluß über diesen plötzlichen Wechsel.

Caps Bericht zufolge hatte sich der Wind gegen Mitternacht gelegt und in ein totes Wetter verwandelt, als er gerade beilegen und das Lot auswerfen wollte, weil vor ihm einige Inseln aufzutauchen begannen. Gegen ein Uhr fing er an, aus Nordost zu wehen, und führte einen Nebelregen mit sich; worauf Cap gegen Nord und West seewärts anlag, da er wußte, daß sich die Küste von New York auf der entgegengesetzten Seite befand. Gegen halb zwei Uhr beschlug er den obern Klüver, reffte das Hauptsegel und nahm den Bonnet von dem Klüver. Um zwei Uhr mußte er hinten reffen und um halb drei ein Schunerreff an das Segel legen und einen Beilieger machen.

»Ich kann’s nicht anders sagen, Sergeant, das Boot hält sich gut«, fügte der alte Seemann bei, »aber es bläst Zweiundvierzigpfünder. Ich hätte mir’s nicht gedacht, daß es solche Luftströmungen hier auf diesem Fetzchen Frischwasser gäbe; doch das kümmert mich so wenig wie ein Stümpfchen Garn, denn Euer See erhält dadurch doch ein mehr natürliches Aussehen, und« – er spuckte mit Ekel einen Schaumguß, der gerade sein Gesicht benetzt hatte, aus dem Munde – »und wenn dieses verflixte Wasser einen Salzgeschmack hätte, so könnt‘ man sich recht behaglich darauf fühlen.«

»Wie lange bist du in dieser Richtung vorwärts gefahren, Bruder Cap?« fragte der vorsichtige Krieger – »und mit welcher Geschwindigkeit gehen wir jetzt durch das Wasser?«

»Nun, so etwa zwei oder drei Stunden. In den zwei ersten flog das Schiff wie ein Pferd. Wir haben nun schöne offene See, denn, um die Wahrheit zu gestehen, ich fand an der Nachbarschaft der genannten Inseln wenig Geschmack, obgleich sie windwärts lagen, nahm daher selbst das Steuer und machte mich eine oder zwei Meilen davon weg. Ich wette, sie sind jetzt ziemlich leewärts von uns; – ich sage leewärts, denn wenn man auch wünschen mag, von einer oder auch einem halben Dutzend Inseln windwärts zu sein, so ist es doch besser, wenn mal von Tausenden die Rede ist, sich von ihnen fernzuhalten und so schnell wie möglich unter ihr Lee zu gleiten. Nein, nein; dort drüben sind sie im Nebelduft und mögen da meinetwegen liegenbleiben.«

»Da das Nordufer nur fünf bis sechs Meilen von uns liegt, Bruder, und mir bekannt ist, daß sich dort eine weite Bucht befindet, möcht‘ es da nicht gut sein, einige von dem Schiffsvolk über unsere Lage zu Rat zu ziehen, wenn wir nicht lieber Jasper Eau-douce heraufrufen und ihn darum angehen wollen, uns wieder nach Oswego zurückzuführen? Wir können jetzt unmöglich die Station erreichen, da wir den Wind gerade in unseren Zähnen haben.«

»Ein Seemann hat mehrere wichtige Gründe gegen alle deine Vorschläge, Sergeant. Einmal würde ein Zugeständnis der Unwissenheit von seitens eines Kommandanten alle Subordination aufheben. Nichts davon, Bruder; ich verstehe dein Kopfschütteln: Aber nichts stört die Disziplin mehr als das Bekenntnis, daß man sich nicht zu raten wisse. Ich hab‘ mal einen Schiffsmeister gekannt, der lieber eine Woche auf einem falschen Kurs blieb, als daß er einen Mißgriff zugestanden hätte, und es war überraschend, wie sehr er sich dadurch in der Meinung seiner Leute hob, grade weil sie ihn nicht begreifen konnten.«

»Das mag sich auf dem Salzwasser tun lassen, Bruder Cap, aber schwerlich auf diesem See. Ehe ich mein Kommando an Kanadas Ufer scheitern lasse, halt‘ ich’s für meine Pflicht, Jasper aus seiner Haft heraufzunehmen –«

»Und in Frontenac ans Land zu gehen. Nein, Sergeant; der Scud ist in guten Händen und kann jetzt was von Seemannskunst erfahren. Wir haben schöne offene See, und nur ein Verrückter würde in einer Kühlte wie dieser dran denken, sich einer Küste zu nähern. Ich werde jede Wache vieren, und dann werden wir gegen alle Gefahr sicher sein, das Abtreiben ausgenommen, was jedoch in einem so leichten und niedrigen Fahrzeug, wie diesem ohne Windfang von keinem Belang sein kann. Überlaß nur mir die ganze Sache, Sergeant, und ich stehe mit meiner Ehre dafür, daß alles gutgehen wird.«

Sergeant Dunham mußte wohl oder übel nachgeben. Er hatte ein großes Vertrauen zu der seemännischen Geschicklichkeit seines Schwagers und hoffte, er werde sich bei dem Kutter Mühe geben, diese gute Meinung noch zu erhöhen. Auf der andern Seite war er, da der Verdacht wie die Sorge immer größer wird, je mehr man ihm Nahrung läßt – so besorgt des Verrats wegen, daß er jedem, andern als Jasper gern das Schicksal der ganzen Gesellschaft in die Hände gegeben haben würde. Er hatte übrigens, um die Wahrheit zu gestehen, noch einen weiteren Grund. Der Auftrag, der ihm anvertraut war, hätte eigentlich einem Offizier überlassen werden sollen, und der Umstand, daß Major Duncan das Kommando einem untergeordneten Sergeanten gegeben, hatte unter den Subalternoffizieren eine große Unzufriedenheit erregt. Wenn er nun zurückkehrte, ohne den Ort seiner Bestimmung erreicht zu haben, so mußte dadurch ein Schatten auf ihn fallen, der sich nicht so bald verwischt haben würde, und die unausbleibliche Folge dieser Maßregel war, daß ihm der Befehl abgenommen und ein Offizier an seine Stelle gesetzt wurde.

Sechzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Mit dem fortschreitenden Tag erschienen nach und nach alle, die sich auf dem Schiff befanden und nicht ihrer Freiheit beraubt waren, auf dem Verdeck. Die Wogen gingen noch nicht besonders hoch, woraus man schloß, daß der Kutter noch unter dem Lee der Inseln liege; aber es war alles, die den See kannten klar, daß sie einen der schweren Herbststürme durchzumachen haben würden, die zu dieser Jahreszeit in jener Gegend nicht selten sind. Man sah nirgends Land, und der Horizont bot nach allen Seiten nichts als jene düstere Leere, die der Aussicht auf weiten Wasserflächen den Charakter einer geheimnisvollen Erhabenheit aufdrückt. Die Deinigen, oder, wie man es an Land nennt, die Wogen, waren kurz und kräuselnd und brachen sich notwendigerweise früher als die längeren Wellen des Ozeans, während das Element selbst, statt die schöne Farbe zu zeigen, die mit den tiefen Tönungen des südlichen Himmels wetteifert, grün und zürnend aussah, obgleich ihm der Glanz mangelte, den es sonst den Strahlen der Sonne verdankt.

Die Soldaten hatten an diesem Anblick bald genug und es verschwand einer nach dem anderen, so daß außer den Matrosen zuletzt nur noch der Sergeant, Cap, Pfadfinder, der Quartiermeister und Mabel auf dem Verdeck waren. Es lagerte sich ein Schatten um das Auge des Mädchens, da sie den wirklichen Stand der Dinge erfahren und es vergebens versucht hatte, die Zurückgabe des Kommandos an Jasper zu erwirken. Auch den Pfadfinder schien die Ruhe und Überlegung einer Nacht in seiner Überzeugung von der Schuldlosigkeit des jungen Mannes befestigt zu haben, so daß er gleichfalls mit Wärme, obschon mit demselben ungünstigen Erfolg, zugunsten seines Freundes sprach.

So vergingen einige Stunden, wobei der Wind allmählich immer heftiger wurde und der See sich hob, bis die Bewegung des Kutters auch Mabel und den Quartiermeister zum Rückzug veranlaßte. Cap vierte öfters, und es war nun klar, daß der Scud in die breiteren und tieferen Gegenden des Sees trieb, wobei die Wogen mit einer solchen Wut auf ihn einstürmten, daß sich nur ein Fahrzeug von besserer Form und stärkerem Bau lange gegen sie halten und Widerstand leisten konnte. Doch Cap machte sich nichts aus alledem; denn wie der Jagdhund beim Schmettern des Hornes die Ohren spitzt oder das Kriegsroß beim Wirbeln der Trommeln scharrt und schnaubt, so wurden bei dem Anblick dieser ganzen Szene alle Lebensgeister des Mannes rege, und statt der zanksüchtigen, hochmütigen und absprechenden Tadelsucht, die an jeder Kleinigkeit krittelte und unwesentliche Dinge übertrieb, begann er die Eigenschaften des kühnen und erfahrenen Seemannes zu entwickeln, der er in der Tat war. Die Matrosen hegten bald Achtung vor seiner Geschicklichkeit, und obgleich sie sich wunderten über das Verschwinden ihres früheren Befehlshabers und des Lotsen, dessen Grund ihnen nicht mitgeteilt worden war, so zollten sie doch gern ihrem neuen Gebieter unbedingten Gehorsam.

»Dieses bißchen Frischwasser, Bruder Dunham, hat im Grunde doch einiges Leben, wie ich merke«, rief Cap gegen Mittag und rieb vor lauter Vergnügen die Hände, weil er nun wieder einmal seine Kraft gegen die der Elemente versuchen konnte. »Der Wind scheint eine ehrliche, altmodische Kühlte zu sein, und die Wellen haben eine wunderliche Ähnlichkeit mit denen des Golfstromes. Ich liebe das, Sergeant; ich liebe das und werde Euern See achten lernen, wenn er noch so vierundzwanzig Stunden in der angefangenen Weise fortmacht.«

»Land ho!« rief der Mann, der in der Back aufgestellt war.

Cap eilte vorwärts; und wirklich war durch den Nebelregen in der Entfernung einer halben Meile Land sichtbar, auf das der Scud lostrieb. Zuerst wollte der alte Seemann Befehl geben, beizulegen und vom Ufer abzuvieren; aber der besonnene Soldat hielt ihn zurück.

»Wenn wir etwas näher kommen«, sagte der Sergeant, »so erkennen vielleicht einige die Gegend. Die meisten von uns kennen das amerikanische Ufer an diesem Teil des Sees, und wir werden dadurch über unsere Stellung ins klare kommen.«

»Sehr wahr, sehr wahr. Wahrscheinlich wird dieses der Fall sein, und wir wollen darauf anhalten. Was ist das dort, ein wenig vor unserem Luvbug? Es sieht wie ein niedriges Vorgebirge aus!«

»Die Garnison, beim Jupiter!« rief der andere, dessen geübtes Auge die Umrisse des Forts früher erkannte, als das weniger scharfe seines Verwandten.

Der Sergeant hatte sich nicht geirrt. Es war wirklich das Fort, obgleich es in dem feinen Regen nur dunkel und unbestimmt wie im Düster des Abends oder im Morgennebel erschien. Die niedrigen, grünen Rasenwälle, die düstern Palisaden, die im Regen noch dunkler erschienen, die Dächer einiger Häuser, die hohe einsame Wimpelstange, deren Flaggenfälle mit einer Stetigkeit dem Zug des Windes folgten, daß sie wie unbewegliche, krumme Linien in der Luft erschienen – alles dieses wurde nach und nach sichtbar, obgleich sich keine Spur des Lebens entdecken ließ. Selbst die Schildwache war untergetreten, und man glaubte zuerst, daß kein Auge die Annäherung des eigenen Schiffes entdecken würde. Aber die unablässige Wachsamkeit einer Grenzgarnison schlummerte nicht, und wahrscheinlich machte einer der Ausluger die interessante Entdeckung. Bald erschienen einige Männer auf den höheren Standorten, und bald wimmelten alle Wälle in der Nähe des Sees von menschlichen Wesen.

Es war eine der Szenen, deren Großartigkeit noch insbesondere durch den Reiz des Malerischen gehoben wird. Das Wüten des Sturmes war so anhaltend, daß man sich zu der Vermutung geneigt fühlen konnte, es gehöre zu dem beständigen Charakter dieser Gegend. Das Brüllen des Windes tobte in einem fort, und das empörte Wasser begleitete diese gewaltigen, dumpfen Töne mit seinem gischtenden Schaum, der drohenden Brandung, und den steigenden Wogen. Der leichte Regen ließ dem Auge alles wie in einem dünnen Nebel erscheinen, der die Bilder sanfter machte und einen geheimnisvollen Schleier darüber warf, während die erhebenden Gefühle, die ein Seesturm leicht zu erregen imstande ist, die milderen Eindrücke des Augenblicks steigerten. Der dunkle, unabsehbare Wald erhob sich großartig düster aus dem Nebelgrau, während die einsamen eigentümlichen und malerischen Bilder des Lebens, die man bei und in dem Fort entdecken konnte, dem Auge einen Ruhepunkt boten, wenn es die schrofferen Züge der Natur erdrücken wollten.

»Sie sehen uns«, sagte der Sergeant, »und glauben, wir seien wegen des Sturmes zurückgekehrt, der uns zu weit leewärts von unserem Hafen getrieben hat. Ja, dort ist Major Duncan selbst auf dem nördlichen Bollwerk. Ich kenne ihn an seiner Höhe und den Offizieren, die ihn umgeben.«

»Sergeant, es war‘ wohl der Mühe wert, sich ein wenig auslachen zu lassen, wenn wir in den Fluß kommen und einen sichern Ankerplatz gewinnen könnten. Wir würden bei dieser Gelegenheit auch den Meister Eau-douce ans Land setzen und das Boot reinigen.«

»Allerdings; aber so wenig ich auch von der Schiffahrt verstehe, so weiß ich doch, daß sich das nicht tun läßt. Nichts, was auf dem See segelt, kann sich windwärts gegen diese Kühlte wenden, und hier außen ist bei diesem Wetter kein Ankerplatz.«

»Ich weiß es, ich sehe es, Sergeant; und so lieblich auch dieser Anblick für Euch Landratten sein mag, so müssen wir ihm doch den Rücken kehren. Was mich anbelangt, so fühle ich mich nie wohler, als wenn ich gewiß bin, daß in einem rechten Unwetter das Land weit hinter mir liegt.«

Der Scud war nun so nahe gekommen, daß es unumgänglich nötig wurde, seinen Schnabel wieder vom Lande abzuwenden, wozu denn auch die geeigneten Befehle gegeben wurden. Das untere Stagsegel wurde vorwärts losgemacht, die Gaffel herabgelassen, das Steuer aufgestellt, und das leichte Fahrzeug, das wie eine Ente mit dem Element zu spielen schien, fiel ein wenig ab, drückte schnell von vorn um, folgte dem Ruder und flog bald, tot vor der Kühlte, über die Spitzen der Wellen hin. Während es diese schnelle Flucht machte, verschwanden das Fort und die ängstlichen Zuschauergruppen auf den Wällen bald in dem Nebel, obgleich das Land am Backbord noch sichtbar war. Nun folgten die nötigen Schwenkungen, um das Vorderteil des Kutters in die Richtung des Windes zu bringen, worauf er ermattet den schwierigen Weg gegen das Nordufer wieder aufnahm.

Stunden vergingen nun, ohne daß eine weitere Veränderung vorgenommen wurde. Die Macht des Windes steigerte sich so sehr, daß endlich selbst der eigensinnige Cap zugeben mußte, es wehe nun eine tüchtige Kühlte. Gegen Sonnenuntergang vierte der Scud wieder, um in der Dunkelheit der Nacht nicht an das Nordufer getrieben zu werden, und gegen Mitternacht glaubte der dermalige Schiffsmeister, der sich durch sein indirektes Ausforschen der Matrosen einige allgemeine Kenntnisse über die Größe und die Gestalt des Sees erworben hatte, daß er sich ungefähr in der Mitte zwischen beiden Ufern befinde. Die Höhe und Länge der Wellen machte diese Vermutung wahrscheinlich, und wir müssen noch beifügen, daß Cap zu dieser Zeit eine Achtung vor dem Frischwasser zu fühlen anfing, die er vierundzwanzig Stunden früher als eine Unmöglichkeit verlacht haben würde. Eben, als der Tag zu grauen begann, wurde die Wut des Windes so heftig, daß sich der Seemann nicht mehr gegen sie zu halten vermochte, denn die Wogen fielen in solchen Massen über das Verdeck des kleinen Fahrzeugs, daß sie es in seinem Innersten erschütterten und ungeachtet seiner Behendigkeit unter ihrem Gewicht zu begraben drohten. Die Matrosen des Scud versicherten, daß sie früher nie einen solchen Sturm auf dem See durchgemacht hätten, was auch richtig war, denn Jasper würde, bei seiner genauen Kenntnis aller Flüsse, Vorgebirge und Hafen, den Kutter lange vorher ans Ufer geführt und auf einen sicheren Ankergrund gebracht haben. Aber Cap verschmähte es noch immer, den jungen Schiffer, der sich fortwährend im unteren Raum befand, um Rat zu fragen, und war entschlossen, wie ein Seemann auf dem großen Weltmeer zu handeln.

Um ein Uhr morgens wurde das untere Stagsegel wieder an den Scud gelegt, der obere Teil des Hauptsegels niedergelassen und der Kutter vor den Wind gebracht. Obgleich nun die Oberfläche der Leinwand dem Wind nur einen Streifen darbot, so machte doch das kleine Fahrzeug seinem edlen Namen Ehre, denn es flog in der Tat acht Stunden lang wie eine Wolke dahin, beinahe mit derselben Geschwindigkeit, mit der die Möwen über ihn wegschössen, augenscheinlich vor Furcht, in den kochenden Kessel des Sees herunterzufallen. Das Aufdämmern des Tages brachte wenig Veränderung. Der Horizont blieb auf den kleinen bereits beschriebenen Nebelkreis beschränkt, in dem die Elemente in chaotischer Verwirrung zu toben schienen. Während dieser Zeit verhielten sich die Matrosen und Passagiere des Kutters in gezwungener Untätigkeit. Jasper und der Lotse blieben unten; als aber die Bewegung des Fahrzeuges leichter wurde, so kamen fast alle übrigen auf das Verdeck. Das Frühstück wurde schweigend eingenommen, und jeder blickte dem anderen ins Auge, als ob sie sich in dieser stummen Weise fragen wollten, wohin dieser Kampf der Elemente wohl noch führen werde. Cap erhielt sich jedoch vollkommen seine Fassung; sein Auge strahlte, sein Tritt wurde fester und seine ganze Haltung zuversichtlicher, als der Sturm zunahm und größere Anforderungen an seine Geschicklichkeit und seinen Mut machte. Er stand mit gekreuzten Armen und mit seemännischem Instinkt seinen Körper wiegend auf der Back, indes seine Augen auf die Spitzen der Wellen achteten, die sich brachen und an dem taumelnden Kutter vorbeischössen, wobei sie in ihrer raschen Bewegung selbst wie zum Himmel steigende Wolken erschienen. In diesem erhabenen Augenblick gab einer der Matrosen den unerwarteten Ruf: »Ein Segel!«

Der Ontario hatte so viel von dem wilden und einsamen Charakter der Wälder, daß man kaum hoffen durfte, auf seinem Wasser mit einem Schiff zusammenzutreffen. Der Scud selbst erschien denen, die er trug, wie ein einzelner Wanderer in der Wildnis, und dieses Zusammentreffen glich dem zweier einsamer Jäger unter dem breiten Blättergewölbe, das damals so viele Millionen Morgen des amerikanischen Festlandes bedeckte. Der eigentümliche Wetterstand diente dazu, das Romantische und fast Übernatürliche dieser Begegnung zu steigern. Cap allein war an derartige Erscheinungen mehr gewöhnt; aber doch bebten auch seine eisernen Nerven unter den Gefühlen, die die wilden Züge dieser Szene erweckten.

Das fremde Schiff befand sich ungefähr zwei Kabellängen vor dem Scud, stand mit seinen Bügen quer gegen den Wind und steuerte in einem Kurs, daß der letztere wahrscheinlich in einer Entfernung von einigen Ellen daran vorbeikommen mußte. Es war vollständig aufgetakelt, und in der stürmischen Nebelluft konnte selbst das geübteste Auge keine Unvollkommenheit in seinem Bau und seiner Takelage erkennen. Die einzige losgemachte Leinwand war das dicht gereffte große Marssegel und zwei kleine untere Stagsegel, das eine vorn, das andere hinten. Doch die Gewalt des Windes drängte das Fahrzeug so heftig, daß es sich fast bis an seine Deckbalkenenden umbeugte, wenn es nicht durch das Steigen der Wellen unter seinem Lee aufgerichtet wurde. Die Spieren waren alle an ihrer Stelle, und an der Bewegung, die mit einer Geschwindigkeit von vier Knoten in der Stunde vonstatten ging, konnte man erkennen, daß es ein wenig frei steuerte.

»Der Bursch muß seine Stellung gut kennen«, sagte Cap, als der Kutter mit einer Geschwindigkeit, die beinahe der des Sturmes glich, auf das Schiff zuflog, »denn er steht so kühn gegen Süden an, daß er dort sicher einen Hafen oder Ankerplatz zu finden weiß. Kein vernünftiger Mensch würde in dieser Weise frei davonfahren, ohne genau zu wissen, wohin er will; es müßte denn sein, daß ihn der Sturm, einer Wolke gleich, vor sich herjagte, wie dies bei uns der Fall ist.«

»Wir haben einen Lauf gemacht, von dem man allen Respekt haben muß, Kapitän«, erwiderte der Mann, an den die vorige Bemerkung gerichtet war. »Dies ist das französische Königsschiff Lee-my Calm (le Montcalm) und segelt nach dem Niagara, wo sein Eigner eine Garnison und einen Hafen hat. Wir haben einen respektabeln Lauf gemacht.«

»Ach, hol‘ ihn der Henker! Wie ein echter Franzose rennt er augenscheinlich dem Hafen zu, sobald er einen englischen Kiel sieht.«

»Es möchte für uns gut sein, wenn wir ihm folgen könnten«, erwiderte der Mann mit zaghaftem Kopfschütteln, »denn wir kommen hier oben am Ende des Sees in eine Bai, und es ist zweifelhaft, ob wir je wieder aus ihr herauskommen.«

»Pah, pah, Mann! Wir haben die offene See vor und einen guten englischen Boden unter uns. Wir sind keine Johnny Crapauds, um uns wegen eines Windstoßes hinter eine Bergspitze oder ein Fort zu verstecken. Vergeßt Euer Steuer nicht, Herr!«

Dieser Befehl wurde wegen des drohenden Näherrückens des feindlichen Schiffes gegeben. Der Scud schoß nun gerade auf die Kielkinnbacke des Franzosen zu, und da sich die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen bis auf hundert Ellen vermindert hatte, so war es einen Augenblick zweifelhaft, ob Raum genug vorhanden sei, um aneinander vorbeizukommen.

»An Backbord, an Backbord das Ruder und hinten vorbei!« rief Cap.

Man sah die Schiffsmannschaft des Franzosen sich windwärts versammeln und einige Musketen anlegen, als ob sie der Mannschaft des Scud befehlen wolle, sich fernzuhalten. Auch wurden noch andere Gebärden bemerkt, aber der See war zu wild und drohend, um irgendeine feindselige Demonstration zuzulassen. Aus den Mündungen der zwei oder drei leichten Kanonen an Bord des Schiffes tropfte Wasser, und niemand dachte daran, sich ihrer in diesem Sturm bedienen zu wollen. Die schwarzen Seiten des Fahrzeugs glänzten, wenn sie aus einer Welle auftauchten, und schienen zu zürnen, während der Wind durch das Takelwerk heulte und in den tausend Tönen eines Schiffes herumorgelte, so daß man davor nicht einmal das auf den französischen Schiffen gewöhnliche Rufen und Schreien vernehmen konnte.

»Mag er sich heiser schreien«, grollte Cap. »Wir haben jetzt kein Wetter, in dem man sich Geheimnisse zuflüstern kann. An Backbord das Ruder, Herr!«

Der Mann am Steuer gehorchte, und der nächste Wogenguß trieb den Scud so nahe gegen die Windvierung des Schiffes hinab, daß selbst der alte Seemann einen Schritt zurückprallte und erwartete, daß, sobald die Wellen den Schnabel wieder in die Höhe brächten, die vordersten Büge gerade in die Planken des Gegners treiben müßten. Dies geschah jedoch nicht; denn als der Kutter sich wieder aus seiner geduckten Stellung aufrichtete, die der eines lauernden Panthers vor dem Sprunge glich, schoß er vorwärts und im nächsten Augenblick an dem Stern des feindlichen Schiffes vorüber, wobei er gerade noch dessen Spenkerspierende mit seiner eigenen unteren Rah klärte.

Der junge Franzose, der den Montcalm befehligte, sprang auf den Hackebord, lüpfte mit jenem zierlichen Anstand, der auch den niedrigsten Handlungen seiner Landsleute eine gewisse Feinheit verleiht, seine Mütze und winkte einen lächelnden Gruß, als der Scud vorüberschoß. Es lag, da die Umstände keine anderen Mitteilungen gestatteten, eine gewisse Leutseligkeit und feine Bildung in diesem Akt der Höflichkeit, die aber bei Cap verlorenging; denn mit dem seinen Leuteschlag eigenen Instinkt schüttelte er drohend seine Faust und brummte vor sich hin: »Ja, ja, es ist ein verflixtes Glück für euch, daß wir kein schweres Geschütz hier an Bord haben, sonst wollte ich euch was ‚rüberschicken, was euch neue Kajütenfenster nötig machen dürfte.«

»Er war höflich, Bruder Cap«, erwiderte der andere, indem er seine Hand sinken ließ, da sein Soldatenstolz ihn veranlaßt hatte, die militärische Begrüßung zu erwidern; »er war höflich, und das ist so viel, wie man von einem Franzosen erwarten kann. Was er damit wirklich meinte, kann wohl niemand sagen.«

»Er setzt sich gewiß nicht umsonst bei diesem Wetter der See aus. Je nun, lassen wir ihn einlaufen, wenn er kann, indes wir uns wie mutige englische Matrosen auf dem Wasser halten wollen.«

Das klang wohl schön, aber Cap blickte doch neidisch auf den glänzenden schwarzen Rumpf des Montcalm, sein flatterndes Segel und die verschwimmenden Spierenkreuzungen, bis sich sein Bild immer mehr und mehr verwischte und zuletzt wie ein wesenloser Schatten im Nebel verschwand. Cap wäre gern seinem Fahrwasser gefolgt, wenn er es hätte wagen dürfen; denn die Aussicht auf eine zweite Sturmnacht mitten auf dem wilden Wasser, das rund um ihn her tobte, hatte in der Tat wenig Tröstliches für ihn. Sein seemännischer Stolz erlaubte ihm jedoch nicht, eine Unbehaglichkeit merken zu lassen, und die seiner Obhut Anvertrauten verließen sich auf seine Kenntnisse und Geschicklichkeit mit dem blinden und unbedingten Vertrauen, das bei Unkundigen so gewöhnlich ist.

Es vergingen nun einige Stunden, und die Finsternis begann wieder, die Gefahren des Scud zu vermehren. Doch hatte ein Nachlassen der Kühlte Cap veranlaßt, wieder einmal in den Wind umzulenken, und der Kutter lag die ganze Nacht über, wie früher, bei, indes er jedoch stets nach vorn trieb und gelegentlich vierte, um vom Lande abzuhalten. Die Ereignisse dieser Nacht waren übrigens so ziemlich dieselben wie bei anderen Kühlten: ein Schwanken des Schiffes, ein Gischen des Wassers, ein Spritzen des Schaumes und Erschütterungen, die das von den Wellen hin und her geschleuderte Fahrzeug zu vernichten drohten; das unablässige Heulen des Windes und die Schrecken erregende Abtrift. Letztere waren am gefährlichsten; denn obgleich der Scud außerordentlich gut Luv unter seinem Segel hielt und durchaus keinen Windfang hatte, so war er doch so leicht, daß ihn die steigenden Wogen bisweilen in reißender Schnelle in ihr Lee hinabzuwaschen schienen.

Während dieser Nacht überließ sich Cap einige Stunden einem gesunden Schlaf. Der Morgen dämmerte eben auf, als er sich an der Schulter ergriffen fühlte: Als er sich aufrichtete, sah er den Pfadfinder an seiner Seite stehen. Während des Sturmes hatte sich der Kundschafter wenig auf dem Verdeck gezeigt, denn seine natürliche Bescheidenheit belehrte ihn, daß die Leitung des Schiffes nur in den Bereich der Seeleute gehöre, und er war geneigt, den Führern des Scud dasselbe Vertrauen zu schenken, das er von denen erwartete, die ihm durch die Wälder folgten. Jetzt aber hielt er eine Einmischung für gerechtfertigt und vollführte diese in seiner eigentümlichen, ehrlichen Weise.

»Der Schlaf ist süß, Meister Cap, wie ich aus eigener Erfahrung weiß; aber das Leben ist noch süßer«, sagte er, als sich Caps Augen geöffnet hatten und er sich in seine Lage zu finden begann. »Seht um Euch und sagt mir, ob das nicht ein Augenblick ist, wo ein Befehlshaber auf seinen Beinen sein muß.«

»Wie, wie – Meister Pfadfinder?« brummte Cap in den ersten Augenblicken des wiederkehrenden Bewußtseins. »Habt Ihr Euch auch auf die Seite der Murrenden geschlagen? Auf dem Lande bewunderte ich Eure Klugheit, die Euch über die gefährlichsten Untiefen ohne Kompaß wegführte; und seit wir auf dem Wasser sind, hat mir Eure Mäßigung und Ergebenheit ebensowohl gefallen wie die Zuversicht, mit der Ihr auf Eurem eigenen Boden auftratet. Ich hätte eine solche Aufforderung von Euch am wenigsten erwartet.«

»Was mich angeht, Meister Cap, so fühl‘ ich, daß ich meine Gaben habe, die wohl denen eines andern nicht ins Gehege kommen werden. Mit Mabel Dunham mag es aber ein anderer Fall sein, ’s ist wahr, sie hat auch ihre Gaben; sie sind aber nicht so rauh wie die unsrigen, sondern sanft und weiblich, wie sie sein müssen. Ich spreche daher mehr um ihret- als um meinetwillen.«

»Ja, ja – ich fange an zu begreifen. Das Mädchen ist ein gutes Kind, mein werter Freund; aber sie ist die Tochter eines Soldaten und die Nichte eines Seemanns und sollte daher in einem Sturm nicht zu furchtsam sein. Läßt sie Furcht blicken?«

»Nein, nicht doch. Mabel ist zwar ein Weib, aber vernünftig und schweigsam. Ich hab‘ sie nicht ein Wort über unser Handeln äußern hören, obgleich ich glaube, Meister Cap, daß es ihr lieber wäre, wenn Jasper wieder seine frühere Stellung einnähme und alles in den alten Zustand versetzt würde. Das ist so die menschliche Natur.«

»Das will ich ohne Schwur glauben – ’s ist so ganz nach der Art der Mädels und zumal der Dunhams. Alles ist besser als ein alter Onkel, und jedermann weiß mehr als ein alter Seemann. Das ist menschliche Natur, Meister Pfadfinder, und hol‘ mich der Teufel, wenn ich der Mann bin, der, sei es am Back- oder Steuerbord, um der ganzen Menschennatur willen, die in einem solchen zwanzigjährigen Naseweis steckt, auch nur einen Faden ab- oder angiere; – ja, auch nicht um aller willen« (er dämpfte hierbei seine Stimme ein wenig), »die in seiner Majestät fünfundfünfzigstem Regiment zu Fuß auf die Parade ziehen. Ich hab‘ mich nicht vierzig Jahre auf dem Meer ‚rumgetrieben, um hier auf diesem Fetzen Frischwasser zu lernen, was Menschennatur ist. – Wie diese Kühlte anhält! Sie bläst in diesem Augenblick so kräftig, als ob Boreas selber seine Schläuche quetschte. Und was ist das alles auf der Leeseite?« (er rieb die Augen) – »Land! So wahr ich Cap heiße – und dazu Hochland!«

Der Pfadfinder gab keine unmittelbare Antwort, betrachtete aber mit Kopfschütteln und ängstlicher Sorge den Gesichtsausdruck seines Gefährten.

»Land, so wahr wie dieses der Scud ist!« wiederholte Cap. »Ein Legerwall und noch dazu in der Entfernung von einer Stunde, mit einer so schönen Linie von Brandungen, wie man nur eine an dem Ufer von ganz Long-Island finden kann!«

»Und ist das ermutigend oder niederschlagend?« fragte der Pfadfinder.

»Ah! Ermutigend – niederschlagend! – ’s ist keines von beiden. Nein, nein! Ich kann nichts Ermutigendes daran sehen, und einen Seemann darf nichts niederschlagen. Es schlägt Euch wohl auch nichts nieder in den Wäldern, mein Freund?«

»Ich will das nicht sagen – ich will das nicht sagen. Wenn die Gefahr groß ist, so hab‘ ich die Gabe, sie zu sehen, zu erkennen und den Versuch zu ihrer Vermeidung zu machen, sonst würde wohl mein Skalp schon längst in dem Wigwam eines Mingo trocknen. Auf diesem See aber kann ich keine Spur sehen und muß mich daher unterwerfen, obgleich ich meine, wir sollten uns daran erinnern, daß eine Person wie Mabel Dunham an Bord ist. Doch da kommt ihr Vater und wird ohne Zweifel um sein Kind besorgt sein.«

»Wir sind da, glaub‘ ich, in einer bedenklichen Lage, Bruder Cap, soviel ich von den beiden Matrosen am Backbord entnehmen kann«, sagte der Sergeant, als er bei den beiden angelangt war. »Sie sagen mir, der Kutter könne kein Segel mehr führen, und die Abtrift sei so stark, daß sie uns in einer oder zwei Stunden ans Ufer werfen werde. Ich hoffe, daß ihre Furcht sie täuscht.«

Cap antwortete nicht, sondern blickte nur mit einem kläglichen Gesicht gegen das Land, worauf er sich jedoch mit dem Ausdruck der Entrüstung gegen den Wind kehrte, als ob er gerne mit dem Wetter Händel angefangen hätte.

»Es möchte wohl gut sein, Bruder«, fuhr der Sergeant fort, »nach Jasper zu schicken, um mit ihm über das zu beraten, was geschehen muß. Hier sind keine Franzosen zu fürchten, und möglicherweise wird uns der Junge doch vor dem Ertrinken retten.«

»Ja, ja, diese verwünschten Indizien haben uns in all dieses Ungemach geführt. Doch laßt den Burschen kommen, laßt ihn kommen. Einige gut angebrachte Fragen werden ihm wohl die Wahrheit entlocken – ich stehe dafür.«

Sobald die Zustimmung des starrköpfigen Cap erlangt war, wurde nach Jasper geschickt. Der junge Mann erschien sogleich und trug in seiner Miene wie auch seinem ganzen Äußeren den Ausdruck eines gekränkten und gedemütigten Gefühls, den jedoch einige der Beobachter als die Befangenheit der überführten Schuld betrachteten. Kaum war er auf dem Verdeck angelangt, so warf er einen schnellen ängstlichen Blick um sich, als ob er neugierig sei, die Lage des Kutters kennenzulernen, und dieser Blick schien hinreichend zu sein, ihm die ganze Gefahr zu enthüllen. Zuerst blickte er nach Seemannsweise gegen den Wind und sah sich dann rings am Horizont um, bis sein Auge auf dem leewärts gelegenen Hochland haften blieb, von wo aus ihm auf einmal die traurige Wahrheit in lebendigen Zügen vors Auge trat.

»Ich hab‘ nach Euch geschickt, Meister Jasper«, sagte Cap, indem er die Arme kreuzte und mit der ganzen Backbordwürde seines Körpers wiegte, »um was über den Hafen in unserem Lee zu erfahren, denn wir denken, Ihr werdet Euren Unwillen nicht so weit treiben, daß Ihr uns alle ersäuft sehen möchtet, zumal die Weiber. Auch denk‘ ich, Ihr werdet Manns genug sein, uns den Kutter auf ein sicheres Lager bringen zu helfen, bis dieses bißchen Kühlte zu blasen nachgelassen hat.«

»Ich wollte lieber zugrunde gehen, als daß Mabel Dunham ein Leid geschehen sollte«, antwortete der Jüngling mit ruhigem Ernst.

»Ich wußte es – ich wußte es!« rief der Pfadfinder, indem er Jasper freundlich auf die Schulter klopfte. »Der Junge ist so treu wie der beste Kompaß, der je an der Grenze war oder irgend jemanden von einer blinden Fährte half. Es ist eine Todsünde, etwas anderes zu glauben.«

»Hum!« rief Cap, »zumalen die Weiber! Als ob die in einer besonderen Gefahr wären. Doch es macht nichts, junger Mensch; wir werden einander verstehen, wenn wir wie ein paar ehrliche Seeleute miteinander reden. Kennt Ihr irgendeinen Hafen unter unserem Lee?«

»Nein. Es ist eine weite Bucht an diesem Ende des Sees; sie ist uns allen aber unbekannt und die Einfahrt schwierig.«

»Und diese Küste im Lee – sie hat nichts besonders Einladendes, denk‘ ich?«

»Es ist eine Wildnis, die auf der einen Seite bis zur Mündung des Niagara und auf der anderen zum Fort Frontenac reicht. Ich hab‘ mir sagen lassen, daß nördlich und westlich tausend Meilen weit nichts als Wälder und Prärien sind.«

»Gott sei Dank! Dann können doch keine Franzosen da sein. Sind auf dem Lande dort vielleicht viele Wilde um den Weg?«

»Man findet in allen Richtungen Indianer, obgleich sie nirgends sehr zahlreich sind. Man kann zufällig auf eine Partie an irgendeinem Punkt des Ufers stoßen, aber auch monatelang wandern, ohne einen einzigen zu sehen.«

»Nun, was diese Blaustrümpfe anbelangt, so müssen wir’s eben nehmen, wie’s kommt. Aber um offen mit Euch zu reden, Meister Western, wenn dieser kleine, unangenehme Vorfall mit den Franzosen nicht dazwischengekommen wäre – was würdet Ihr jetzt mit dem Kutter anfangen?«

»Ich bin ein viel jüngerer Schiffer als Ihr, Meister Cap«, sagte Jasper bescheiden, »und also kaum geeignet, hier eine Meinung zu äußern.«

»Ja, ja – wir wissen das wohl. In einem gewöhnlichen Fall vielleicht nicht. Aber das ist ein ungewöhnlicher Fall, ein Umstand, und dieses Stückchen Frischwasser hat sozusagen seine Eigentümlichkeiten. Ihr mögt also, wenn man es beim Licht betrachtet, wohl geeignet sein, hier Eure Ansichten auszusprechen, und wenn es gegen Euren Vater wäre. In jedem Falle könnt Ihr sprechen, und ich kann Eure Meinung meiner Erfahrung gemäß beurteilen.«

»Ich denke, Herr, daß der Kutter, ehe noch zwei Stunden vorüber sind, vor Anker gebracht werden sollte.«

»Vor Anker? – Doch nicht hier draußen auf dem See?«

»Nein, Herr, aber dort drinnen, in der Nähe des Landes.«

»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, Meister Eau-douce, daß Ihr bei einer solchen Kühlte an einem Legerwall ankern würdet?«

»Wenn ich mein Schiff retten will, so kann ich nichts anderes tun.«

»Hu, hu-u! Das ist ein verteufeltes Frischwasser. Hört, junger Mensch, ich bin ein seefahrendes Tier gewesen, als Knabe und Mann, einundvierzig Jahre lang, und nie hab‘ ich von so was gehört; auch wollt‘ ich lieber alles Tauwerk über Bord werfen, ehe ich mich eines solchen Schuljungenstreiches schuldig machen würde!«

»Wir handeln so hier auf dem See, wenn wir hart gedrängt werden«, erwiderte Jasper bescheiden. »Vielleicht könnten wir etwas Besseres tun, wenn man’s uns gelehrt hätte.«

»Das möchte in der Tat der Fall sein! Nein, niemand wird mich veranlassen, eine solche Sünde gegen meine Erziehung zu begehen. Ich könnte ja nie wieder mein Gesicht innerhalb Sandy-Hook zeigen, wenn ich mir einen solchen Schülerstreich hätte zuschulden kommen lassen. Da hat sogar der Pfadfinder mehr Seemannslust in seinem Leib. Ihr könnt wieder hinuntergehen, Meister Eau-douce.«

Jasper verbeugte sich ruhig und schied. Als er jedoch die Leiter hinunterstieg, warf er, wie die Zuschauer bemerkten, zögernd einen ängstlichen Blick gegen den Horizont windwärts und gegen das Gestade im Lee, worauf er mit dem Ausdruck schweren Kummers in jedem Zug seines Gesichts verschwand.