Siebzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Da die Soldatenfrau auf ihrem Lager krank lag, befand sich, als Jasper zurückkehrte, nur Mabel Dunham in der äußeren Kajüte, denn der Sergeant hatte ihm die Gunst widerfahren lassen, seinen ihm gebührenden Platz in diesem Teil des Schiffes einnehmen zu dürfen. Als er seinen Sitz neben ihr einnahm und sein ganzes Gesicht die deutlichen Züge seiner Bekümmernis über die Lage des Kutters trug, schwand jede Spur von Verdacht aus ihrer Seele, und sie erblickte in ihm nur den gekränkten Mann.

»Ihr nehmt Euch diese Sache zu sehr zu Herzen, Jasper!« sagte sie hastig mit jener Selbstvergessenheit, mit der die Jüngeren ihres Geschlechts ihre Gefühle zu verraten pflegen, wenn eine lebhafte Teilnahme die Oberhand gewinnt. »Niemand, der Euch kennt, kann oder wird an Eure Schuld glauben. Pfadfinder sagt, er stehe mit seinem Leben für Euch.«

»So betrachten Sie mich also nicht als einen Verräter, Mabel, wie dies Ihr Vater zu tun scheint?« erwiderte der Jüngling mit glänzenden Blicken.

»Vater ist Soldat und muß als ein solcher handeln. Bei meines Vaters Tochter ist das nicht so, und ich will von Euch nicht anders denken, als ich von einem Manne denken muß, der mir bereits soviel Dienste erwiesen hat.«

»Mabel, ich bin nicht gewöhnt, mit Ihresgleichen zu reden oder alles, was ich denke und fühle, auszusprechen. Ich habe nie eine Schwester gehabt, und meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war, so daß ich wenig davon weiß, was Ihr Geschlecht am liebsten hört –«

Mabel hätte die ganze Welt darum geben mögen, wenn sie gewußt hätte, was dem Wort, bei dem Jasper steckenblieb, folgen sollte; aber das wachsame Gefühl weiblicher Schüchternheit, das sich nicht beschreiben läßt, hieß sie ihre Neugier unterdrücken. Sie erwartete daher schweigend die weitere Erklärung.

»Ich wollte sagen, Mabel«, fuhr der junge Mann nach einer Weile der peinlichsten Verlegenheit fort, »daß ich nicht an die Weise und die Ansichten von Ihresgleichen gewohnt bin, und daß sie sich alles, was ich hinzufügen möchte, denken müssen.«

Es fehlte nun allerdings Mabel nicht an Einbildungskraft: Aber es gibt Gedanken und Gefühle, die das weibliche Geschlecht gern ausgedrückt wissen möchte, ehe es seine eigenen Sympathien dagegen gibt, und sie hatte ein dunkles Vorgefühl, daß Jaspers Gedanken gerade in diese Reihe gehören dürften. Sie zog es deshalb vor, mit der ihrem Geschlechte eigentümlichen Gewandtheit dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, als in dieser unbefriedigenden Weise fortzufahren.

»Sagt mir nur eines, Jasper, und ich werde zufrieden sein«, sagte sie mit einer Hastigkeit, die nicht nur ihre Zuversicht zu sich selbst, sondern auch zu ihrem Gefährten bekundete: »Habt Ihr keinen Anlaß gegeben zu dem grausamen Verdacht, der auf Euch lastet?«

»Gewiß nicht, Mabel«, antwortete Jasper und blickte ihr dabei mit einer Offenheit und Einfalt in die Augen, daß dadurch auch ein tiefer haftender Argwohn hätte erschüttert werden mögen, »so wahr ich dereinst auf Gnade hoffe.«

»Ich wußte es – ich hätte darauf schwören wollen«, erwiderte das Mädchen mit Wärme. »Und doch ist mein Vater ein wohlmeinender Mann. – Aber laßt Euch diese Sache nicht beunruhigen, Jasper.«

»Ach, es gibt gegenwärtig so ganz andere Dinge, die mich beunruhigen, daß ich an diese kaum denke.«

»Jasper!«

»Ich möchte Sie nicht in Sorge bringen, Mabel; aber wenn nur Ihr Onkel dahin zu bringen wäre, daß er seine Ansichten über die Handhabung des Scud änderte. Freilich ist er viel älter und erfahrener als ich, so daß er vielleicht mit Recht mehr Vertrauen auf sein eigenes Urteil als auf das meinige setzt.«

»Glaubt Ihr, der Kutter sei in Gefahr?« fragte Mabel mit Gedankenschnelle.

»Ich fürchte so, wenigstens würden ihn alle von diesem See für höchst gefährdet halten. Vielleicht stehen aber einem alten Seemann von dem Ozean besondere Mittel zu Gebote, um ihn zu retten.«

»Jasper, alle stimmen darin überein, daß Ihr volles Vertrauen verdient, was Eure Geschicklichkeit in der Führung des Scud anbelangt. Ihr kennt den See und den Kutter und müßt daher am besten über unsere gegenwärtige Lage urteilen können.«

»Vielleicht, Mabel, macht mich meine Besorgnis um Sie furchtsamer als gewöhnlich. Aber, um mich frei auszusprechen, ich kenne nur einen Weg, zu verhindern, daß der Scud nicht im Laufe der nächsten zwei oder drei Stunden scheitert, und Ihr Onkel weigert sich, ihn einzuschlagen. Doch vielleicht versteh‘ ich’s nicht besser, denn er sagt, der Ontario sei nur Frischwasser.«

»Ihr glaubt doch nicht, daß dies einen Unterschied macht? Denkt an meinen lieben Vater, Jasper! denkt an Euch selbst – an alle, deren Leben von einem Wort abhängt, das Ihr zur rechten Zeit aussprecht.«

»Ich denke an Sie, Mabel, und das ist mehr, viel mehr als alles andere zusammengenommen!« erwiderte der junge Mann mit einer Kraft des Ausdrucks und einem Ernst des Blicks, die unendlich mehr sagten als seine Worte.

Mabels Herz schlug heftig, und ein Strahl zufriedenen Dankes leuchtete aus ihrem errötenden Antlitz. Aber die Beunruhigung war zu lebhaft und ernst, als daß sie glücklicheren Gedanken hätte Raum geben können. Sie versuchte es nicht, einen dankbaren Blick zu unterdrücken, dann kehrte sie aber schnell wieder zu dem Gefühl zurück, das nunmehr die Oberhand gewann.

»Man darf’s nicht zugeben, daß meines Onkels Starrsinn Anlaß zu diesem Unglück gibt. Geht noch einmal auf das Verdeck und ersucht meinen Vater, in die Kajüte zu kommen.«

Während der junge Mann dieser Bitte entsprach, horchte Mabel mit einer Furcht, die ihr bisher fremd geblieben war, auf das Heulen des Sturmes und das Schlagen der Wellen gegen den Kutter. Von Konstitution ein wahrer Matrose, wie die Passagiere die zu nennen pflegen, denen das Wasser nichts anhaben kann, hatte sie bisher nicht im mindesten an eine Gefahr gedacht und die ganze Zeit seit dem Beginn des Sturmes mit weiblichen Beschäftigungen zugebracht, wie sie ihre Lage erlaubte: Seitdem aber ihre Besorgnisse ernstlich geweckt waren, erinnerte sie sich nicht, daß sie früher jemals bei einem solchen Unwetter auf dem Wasser gewesen sei. Die paar Minuten, die vergingen, bis der Sergeant kam, erschienen ihr wie eine Stunde, und als er mit Jasper die Leiter herunterstieg, wagte sie kaum, Atem zu holen. Sie teilte ihrem Vater so schnell wie die Sprache ihren Gedanken folgen konnte, Jaspers Ansicht über ihre gemeinschaftliche Lage mit und beschwor ihn, wenn er sie liebe oder wenn ihm sein eigenes Leben und das seiner Leute teuer sei, gegen ihren Onkel Einrede zu tun und ihn zu veranlassen, daß er die Führung des Kutters wieder in die Hände seines eigentlichen Befehlshabers abgebe.

»Jasper ist treu, Vater«, fügte sie mit Ernst hinzu, »und wenn er auch falsch wäre, so könnte er doch keinen Grund haben, uns, unter Gefährdung des Lebens aller wie auch seines eigenen, in diesem entfernten Teil des Sees scheitern zu lassen. Ich setze mein Leben an seine Redlichkeit.«

»Ja, das ist wohl genug für ein in Furcht gesetztes Weib«, antwortete der phlegmatische Vater; »aber bei einem Mann, der das Kommando für einen Feldzug übernommen hat, möchte es weder klug noch entschuldbar sein. Jasper denkt, vielleicht, daß die Möglichkeit, bei einem Näherkommen an das Ufer zu ertrinken, durch die Möglichkeit, beim Landen zu entspringen, voll aufgewogen werde.«

»Sergeant Dunham!«

»Vater!«

Diese Ausrufe erklangen gleichzeitig, äußerten jedoch in ihrem Ton den Ausdruck verschiedener Gefühle. Bei Jasper trug er vorzugsweise das Gepräge der Überraschung, bei Mabel das des Tadels. Der alte Soldat war übrigens zu sehr gewohnt, seine Untergebenen ohne Umstände zu behandeln, als daß er hierauf geachtet hätte, und fuhr nach einer kleinen Weile des Nachdenkens, als ob nichts gesprochen worden wäre, fort:

»Auch ist Bruder Cap wahrscheinlich nicht der Mann, der sich am Bord eines Schiffes Belehrungen gefallen läßt.«

»Aber, Vater, wenn unser aller Leben in der größten Gefahr ist?«

»Um so schlimmer. Ein Schiff bei gutem Wetter zu kommandieren, hat nicht viel auf sich, aber wenn es drunter und drüber geht, zeigt sich der gute Offizier in seinem wahren Licht. Charles Cap wird wahrscheinlich schon deshalb das Steuer nicht abgeben, weil das Schiff in Gefahr ist. Außerdem, Eau-douce, sagte er, daß Euer Vorschlag gar verdächtig aussehe und mehr nach Verrat als nach Vernunft rieche.«

»Er mag so denken, aber laßt ihn nach dem Lotsen schicken und seine Meinung hören. Man weiß wohl, daß ich diesen Mann seit gestern abend nicht mehr gesehen habe.«

»Das klingt vernünftig, und der Versuch soll gemacht werden. Folgt mir auf das Verdeck, daß alles ehrlich und über Bord hergehe.«

Casper gehorchte, und Mabel nahm an der Sache so lebhaften Anteil, daß sie sich bis an die Kajütentreppe wagte, wo ihre Kleidung hinlänglich gegen die Macht des Windes und sie selbst gegen den Schaum der Wogen geschützt war. Ihre Bescheidenheit erlaubte ihr nicht, weiter zu gehen, und so blieb sie hier, ein verborgener Zeuge dessen, was vorgehen sollte.

Der Lotse erschien bald, und der Blick der Beängstigung, den er auf die Umgebung warf, als er sich in der freien Luft befand, war nicht zu mißverstehen. Allerdings hatten auch schon einige Gerüchte über die Lage des Scud ihren Weg in den unteren Raum gefunden; aber in dem gegenwärtigen Fall hatten sie, statt die Gefahr zu vergrößern, diese eher vermindert. Es wurde ihm gewährt, sich einige Minuten umzusehen, und dann legte man ihm die Frage vor, was er unter diesen Verhältnissen für das klügste halte.

»Ich sehe kein Mittel, den Kutter zu retten, als ihn vor Anker zu bringen«, antwortete er einfach und ohne Zögern.

»Was? hier draußen auf dem See?« fragte Cap, wie er es früher bei Jasper getan hatte.

»Nein, weiter innen; gerade an der äußeren Linie der Brandungen.«

Das Ergebnis dieser Besprechung ließ Cap keinen Zweifel, daß es zwischen Jasper und dem Lotsen im geheimen abgekartet worden sei, den Scud zugrunde zu richten, wobei sie wahrscheinlich zu entspringen hofften. Infolgedessen behandelte er die Ansicht des Lotsen mit derselben Gleichgültigkeit, die er gegen die Jaspers an den Tag gelegt hatte.

»Ich sage dir, Bruder Dunham«, erwiderte er auf die Einwendungen des Sergeanten, der ihn bat, gegen diese von zweien ausgesprochene übereinstimmende Ansicht nicht taub zu bleiben, »daß kein ehrlicher Seemann eine solche Meinung aussprechen kann. An einem Legerwall in einer solchen Kühlte zu ankern, wäre eine Tollheit, die ich gegen keinen Assekuranten zu verantworten wüßte, solang mir nur noch ein Fetzen Segel auszusetzen bleibt. Der allertollste Unsinn wär’s aber, wenn ich dicht an den Brandungen vor Anker gehen wollte.«

»Ihre Majestät ist der Assekurant des Scud, Bruder, und ich bin für das Leben der meinem Kommando anvertrauten Leute verantwortlich. Diese Männer kennen den Ontariosee besser als wir, und ich glaube, daß man ihrer übereinstimmenden Aussage einigen Glauben schenken sollte.«

»Onkel!« rief Mabel mit Ernst; aber eine Bewegung von Jasper veranlaßte das Mädchen, ihre Gefühle zurückzuhalten.

»Wir triften so schnell gegen die Brandungen ab«, sagte der junge Mann, »daß über diesen Gegenstand wenig mehr gesagt zu werden braucht. Eine halbe Stunde wird die Sache auf eine oder die andere Weise ins reine bringen. Aber ich gebe Meister Cap zu bedenken, daß sich selbst der festeste Fuß keinen Augenblick auf dem Verdeck dieses niedrigen Fahrzeugs wird aufrecht erhalten können, wenn wir erst einmal in die Brandung eingetreten sind! Ich zweifle in der Tat keinen Augenblick, daß das Schiff sich füllen und sinken wird, ehe wir noch über die zweite Linie der Rollwogen wegkommen.«

»Und wie könnte uns da ein Ankern helfen?« fragte Cap wütend, als ob ihm Jasper ebenso verantwortlich für die Wirkungen des Sturmes wie für die gerade ausgesprochene Ansicht sei.

»Es würde wenigstens nicht schaden«, erwiderte Eau-douce mit Sanftmut. »Wenn wir den Schnabel des Kutters seewärts bringen, so werden wir die Abtrift vermindern; und sollten wir auch durch die Brandungen geschleppt werden, so wird es doch mit der möglichst geringen Gefahr geschehen. Ich hoffe, Meister Cap, Ihr werdet mir und dem Lotsen erlauben, wenigstens die Vorbereitungen zum Ankerwerfen zu treffen, da eine solche Vorsorge uns zugute kommen und in keinem Fall schaden kann.«

»Überholt Eure Taue, wenn Ihr wollt, und macht die Anker klar – von ganzem Herzen. Wir sind nun mal in einer Lage, daß an solchen Dingen nicht mehr viel liegt. Sergeant, auf ein Wort dahinten, wenn’s gefällig ist.«

Cap führte seinen Schwager außer Hörweite und öffnete ihm nun sein Herz über die wahre Lage mit mehr menschlichem Gefühl in seiner Stimme und seinen Gebärden, als sich von ihm erwarten ließ.

»Das ist eine traurige Geschichte für die arme Mabel«, sagte er mit leichtem Beben und erweiterten Nüstern. »Du und ich, wir sind ein paar alte Gesellen und an die Nähe des Todes gewöhnt, wenn auch nicht an den Tod selbst. Unser Gewerbe hat uns für solche Szenen abgehärtet; aber die arme Mabel! – Sie ist ein liebes und gutherziges Mädel, und ich habe gehofft, sie anständig versorgt und als Mutter lieber Kinder zu sehen, ehe mein Stündlein kommt. Doch, es muß so auch recht sein! Wir müssen das Schlimme wie das Gute auf unsern Reisen hinnehmen, und der einzige ernstliche Kummer, den sich ein alter Seefahrer mit Recht über ein solches Ereignis machen kann, ist der, daß es auf diesem verdammten Fetzen Frischwasser stattfinden soll.«

Sergeant Dunham war ein wackerer Mann und hatte seinen Mut unter Umständen erprobt, die noch weit hoffnungsloser schienen als die gegenwärtigen. Aber bei solchen Gelegenheiten hatte er doch die Macht gehabt, seinen Feinden Widerstand zu leisten, während er hier von einem Gegner gedrängt wurde, zu dessen Bekämpfung ihm die Mittel fehlten. Er war weniger für sich als für seine Tochter bekümmert; denn er fühlte etwas von dem Selbstvertrauen, daß einen Mann selten verläßt, der in der Blüte der Kraft und Gesundheit steht und an persönliche Anstrengungen in Augenblicken der Gefahr gewöhnt ist. Für Mabel sah er aber kein Mittel des Entkommens, und mit der Zärtlichkeit: eines Vaters entschloß er sich, wenn ihr Untergang unvermeidlich sein sollte, zugleich mit ihr zu sterben.

»Glaubst du, daß es so kommen müsse?« fragte er Cap mit Festigkeit, aber mit tiefem Gefühl.

»Zwanzig Minuten werden uns in die Brandungen führen; und betrachte selbst, Sergeant, welche Wahrscheinlichkeit auch der kräftigste Mann unter uns haben kann, aus dem Kessel dort im Lee zu entrinnen.«

Der Anblick war allerdings wenig geeignet, die Hoffnung zu ermutigen. Mittlerweile war der Scud auf eine Meile in die Nähe des Ufers gekommen, auf das der Sturm unter einem rechten Winkel mit einer Heftigkeit blies, daß das Prangen eines weiteren Segels, um vom Legerwall abzuarbeiten, nicht zu denken war. Der beigesetzte kleine Streifen des großen Segels, das jedoch nur dazu diente, das Vorderteil des Scud dem Winde so nah‘ zu halten, daß die Wellen nicht über ihm zusammenbrechen, zitterte unter den Stößen des Sturmes, unter denen die starken Taue, die die komplizierte Maschine zusammenhielten, jeden Augenblick zu zerreißen drohten. Der Regen hatte nachgelassen, aber die Luft war hundert Fuß über der Oberfläche des Sees mit blendendem Gischt erfüllt, der einem funkelnden Wasserstaub nicht unähnlich war, indes über dem Ganzen die Sonne glorreich an dem wolkenlosen Himmel strahlte. Jasper bemerkte diese Vorzeichen und erklärte, daß es ein schleuniges Ende des Sturmes bedeute, obgleich die nächsten paar Stunden über ihr Schicksal entscheiden müßten. Zwischen dem Kutter und dem Ufer war der Anblick noch wilder und niederschlagender.

Die Brandungen erstreckten sich fast auf eine halbe Meile in den See hinein, indes das Wasser innerhalb ihrer Linie wie weißer Schaum erschien und die Luft darüber so hoch mit Dunst und Gischt erfüllt war, daß man das jenseitige Land nur unbestimmt und wie durch einen Nebel erblicken konnte. Stets blieb aber seine steile Ansteigung – eine ungewöhnliche Erscheinung an den Ufern des Ontario – und der grüne Mantel des endlosen Waldes, womit es bedeckt war, zu erkennen.

Während der Sergeant und Cap stillschweigend auf dieses Schauspiel blickten, war Jasper mit seinen Leuten am Backbord beschäftigt. Der junge Mann hatte kaum die Erlaubnis erhalten, sein früheres Geschäft wieder aufzunehmen, so ließ er, da er einige Soldaten zur Handreichung aufgerufen hatte, seine fünf oder sechs Gehilfen antreten, und begann mit allem Ernst eine Vorrichtung auszuführen, die nur zu lange schon verzögert worden war. Auf diesem schmalen Wasserbecken werden weder die Anker in Bord gestaut, noch die für den Dienst bestimmten Kabeln von den Ankerringen losgemacht, was Jasper einen großen Teil der Mühe, die auf dem Meer nötig gewesen wäre, ersparte. Der tägliche Anker und der Teuanker waren bald in dem Zustand, losgelassen zu werden, und der auf dem Deck befindliche Teil der Ankertaue überholt, worauf dann innegehalten und nach weiterer Weisung ausgesehen wurde. Bis jetzt hatte sich noch nichts zum Besseren gekehrt; aber der Kutter trieb langsam weiter, und man gewann mit jedem Augenblick mehr Gewißheit, daß man ihn nicht um einen Zoll weiter windwärts bringen könne.

Nach einem langen und ernsten Blick über den See gab Jasper neue Befehle, in einer Weise, die deutlich bewies, wie drängend ihm der Augenblick vorkommen mochte. Zwei Wurfanker wurden auf das Verdeck gebracht und die dicken Trosse dran befestigt; dann wurden die inneren Enden der Trosse wieder um die Kronen der Anker geschlungen und alles bereitgehalten, um sie in dem geeigneten Augenblick über Bord zu werfen. Als Jasper mit diesen Vorbereitungen zu Ende war, beruhigte sich seine geschäftige Aufregung, obgleich in seinem Blick noch die Sorge lag. Er verließ das Vorderkastell, wo die Wellen bei jeder Schwankung des Schiffes an Bord schlugen und wo das eben erwähnte Geschäft unter häufigen Wassergüssen, die die Arbeiter ganz überschütteten, vollführt worden war, und ging an einen trockenen Platz weiter hinten auf dem Verdeck. Hier traf er den Pfadfinder, der bei Mabel und dem Quartiermeister stand. Die meisten der an Bord befindlichen Personen, mit Ausnahme der bereits genannten, waren in dem unteren Raum und suchten teilweise Linderung ihrer körperlichen Leiden auf ihren Betten, während andere allmählich mit ihrem Gewissen ins reine zu kommen suchten. Es war wahrscheinlich das erstemal, seit dieser Kiel in das klare Wasser des Ontario getaucht hatte, daß der Ton eines Gebetes am Bord des Scud gehört wurde.

»Jasper«, begann der freundlich gesinnte Kundschafter; »ich bin diesen Morgen zu nichts nütze gewesen, denn ich verstehe nun mal von Schiffsdingen nichts. Wenn es aber Gott gefallen sollte, des Sergeanten Tochter lebend das Ufer erreichen zu lassen, so dürfte meine Bekanntschaft mit den Wäldern sie wohl glücklich wieder in die Garnison zurückbringen.«

»Es ist eine schreckliche Entfernung bis dahin, Pfadfinder!« entgegnete Mabel, denn die Gesellschaft stand so nahe beieinander, daß alles, was irgendeiner sprach, auch von den andern gehört werden konnte. »Ich fürchte, daß niemand von uns das Fort lebend erreichen wird.«

»Es würde einen gefährlichen Marsch mit vielen Umwegen abgeben, Mabel, obgleich einige Ihres Geschlechts noch viel mehr in dieser Wildnis durchgemacht haben. Aber, Jasper, Ihr oder ich oder wir beide müssen diesen Rindenkahn bemannen. Mabels Rettung ist nur dadurch möglich, daß wir sie auf diese Weise durch die Brandungen bringen.«

»Ich wollte gern alles tun, um Mabel zu retten«, erwiderte Jasper mit einem trüben Lächeln; »aber keine menschliche Hand, Pfadfinder, vermag den Kahn in einer solchen Kühlte durch jene Brandungen zu führen. Ich verspreche mir übrigens doch noch was vom Ankerwerfen, denn wir haben früher einmal den Scud in einer fast ebenso großen Gefahr auf diese Weise gerettet.«

»Wenn wir ankern müssen«, fragte der Sergeant, »warum geschieht dies nicht gleich jetzt? Jeder Fußbreit, den wir an der Abtrift verlieren, würde wahrscheinlich unserem Fahrzeug vor dem Ankern einen Spielraum geben, wenn er jetzt ausgeworfen würde.«

Jasper näherte sich dem Sergeanten, ergriff mit Ernst seine Hand und drückte sie auf eine Weise, die ein tiefes, fast unwiderstehliches Gefühl verriet.

»Sergeant Dunham«, sagte er feierlich – »Ihr seid ein guter Mann, obgleich Ihr mich in dieser Angelegenheit sehr hart behandelt habt. Ihr liebt Eure Tochter?«

»Ihr könnt das nicht bezweifeln, Eau-douce«, antwortete der Sergeant mit tonloser Stimme.

»Wollt Ihr ihr – wollt Ihr uns allen das einzig wahrscheinliche Mittel, das zur Rettung des Lebens noch übrig ist, zugestehen?«

»Was wollt Ihr von mir, Junge? Was soll ich tun? Ich hab‘ bisher immer nach meiner Einsicht gehandelt – was verlangt Ihr aber jetzt von mir?«

»Unterstützt mich fünf Minuten gegen Meister Cap, und es wird alles geschehen sein, was ein Mensch tun kann, um den Scud zu retten.«

Der Sergeant zögerte, denn er war zu sehr an die Disziplin gewöhnt, um regelmäßigen Befehlen entgegen zu handeln. Auch mißfiel ihm jeder Schein von Wankelmut, und zudem hatte er eine große Achtung vor der Seemannskunst seines Verwandten. Während er so überlegte, kam Cap von seinem Platz, den er seit einiger Zeit an der Seite des Steuermanns eingenommen hatte, und näherte sich der Gesellschaft.

»Meister Eau-douce«, sagte er, als er nahe genug war, um verstanden zu werden; »ich komme, Euch zu fragen, ob Euch nicht in der Nähe ein Ort bekannt ist, wo man den Kutter ans Ufer bringen könnte. Der Zeitpunkt ist gekommen, der zu diesem schweren Entschluß drängt.«

Dieser Augenblick der Unentschlossenheit bei Cap sicherte Jaspers Sieg. Er sah den Sergeanten an, und ein Kopfnicken versicherte den jungen Mann, daß ihm in allem freie Hand gelassen würde. Er zögerte daher nicht, die Minuten, die so kostbar zu werden anfingen, zu benützen.

»Soll ich das Steuer nehmen«, fragte er Cap, »und sehen, ob wir einen Schlupfhafen, der dort im Lee liegt, erreichen können?«

»Macht es so, macht es so«, sagte der andere mit einigem Räuspern, denn er fühlte das Gewicht der Verantwortlichkeit um so schwerer auf seiner Schulter lasten, da er sich seine Unwissenheit eingestehen mußte. »Macht es so, Eau-douce, denn, um frisch von der Leber weg zu reden, ich seh‘ nicht ein, was man Besseres tun könnte. Wir müssen entweder ans Land kommen oder versinken.«

Jasper verlangte nichts weiter. Er eilte nach hinten und hatte bald die Speichen des Steuerrads in seinen Händen. Der Lotse war auf das Folgende vorbereitet, und auf einen Wink seines jungen Gebieters wurde der Fetzen Segel, der noch ausgesetzt war, gestrichen. In diesem Augenblick hob Jasper, der seine Zeit ausnutzte, das Steuer. Der obere Teil eines Stagsegels wurde nach vorn gelöst, und der leichte Kutter fiel ab, als ob er es fühlte, daß er wieder unter der Leitung vertrauter Hände war, und lag bald in dem hohlen Raum zweier Wellen. Dieser gefährliche Augenblick ging glücklich vorüber, und im nächsten Moment flog das kleine Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit gegen die Brandungen nieder, daß man seine plötzliche Vernichtung befürchten mußte. Die Entfernungen waren nun so kurz geworden, daß fünf oder sechs Minuten für alle Wünsche Jaspers genügten, und als die Buge des Scud gegen den Wind aufkamen, was ungeachtet des tobenden Wassers mit der Anmut einer Ente geschah, die ihre Richtung auf einem spiegelglatten Teich verändert – ließ Jasper das Steuer wieder nieder. Ein Zeichen von ihm setzte alles auf dem Backbord in Bewegung, und an jedem Bug wurde ein Wurfanker ausgeworfen. Die furchtbare Natur der Abtrift war nun sogar Mabels Augen anschaulich, denn die zwei dicken Trosse liefen aus wie Bugsiertaue. Sobald man an ihnen eine leichte Spannung gewahr wurde, ließ man beide Anker gehen und gab jedem ein Kabel fast bis zu den Betingschlagenden. Es war kein schwieriges Geschäft, den Gang eines so leichten Fahrzeugs mit einem ungewöhnlich guten Ankertauwerk zu hemmen; und in weniger als zehn Minuten von dem Augenblick an, wo Jasper das Steuer ergriffen hatte, lag der Scud, mit dem Schnabel seewärts, an zwei vorwärts gestreckten Kabeln wie zwischen zwei Eisenbalken vor Anker.

»Das ist nicht wohlgetan, Meister Jasper«, rief Cap mit Ärger, sobald er den Streich, den man ihm gespielt hatte, bemerkte. »Das ist nicht wohlgetan, Herr! Ich befehle Euch, zu kappen und den Kutter ohne den geringsten Verzug ans Ufer zu führen.«

Es schien jedoch niemand geneigt, diesem Befehl Folge zu leisten; denn die Rudermannschaft wollte, solange Jasper das Kommando nicht abzugeben geneigt war, nur ihm gehorchen. Da nun Cap, der das Fahrzeug in der allergrößten Gefahr glaubte, sah, daß die Mannschaft untätig blieb, so wendete er sich stolz gegen Jasper und erneuerte seine Gegenrede.

»Ihr seid nicht auf den angeblichen Schlupfhafen zugesteuert«, fuhr er fort, nachdem er einige Schmähworte ausgestoßen hatte, »sondern auf diesen Vorsprung, wo jede Seele an Bord hätte ersaufen müssen, wenn wir da das Land erreicht hätten.«

»Und Ihr wollt, daß man kappen solle, damit jede Seele an derselben Stelle ans Ufer geworfen werde?« erwiderte Jasper etwas sarkastisch.

»Werft am Schnabel ein Lot über Bord und vergewissert die Abtrift«, brüllte Cap den vornstehenden Matrosen zu.

Ein Zeichen Jaspers unterstützte diesen Befehl, worauf augenblicklich Folge geleistet wurde. Alle auf dem Verdeck versammelten sich um die Stelle und achteten mit fast atemloser Teilnahme auf das Ergebnis dieses Versuchs. Das Blei war kaum auf dem Grund, als sich die Leine nach vorn dehnte, und in ungefähr zwei Minuten sah man, daß der Kutter um seine Länge tot gegen den Vorsprung hin abgetriftet hatte. Jasper sah ernst aus, denn er wußte wohl, daß nichts das Schiff anhalten konnte, wenn es in den Strudel der Brandungen gelangt war, deren erste Linie ungefähr eine Kabellänge gerade unter seinem Stern erschien und verschwand.

»Verräter!« schrie Cap und schüttelte die Faust gegen den jungen Befehlshaber, wobei der ganze übrige Körper vor Wut zitterte. »Ihr sollt mir mit Eurem Leben dafür einstehen!« fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. »Wenn ich an der Spitze dieses Zuges stände, Sergeant, so ließ‘ ich ihn an das Ende des großen Mastes hängen, damit der Milchbart nicht entwischt.«

»Mäßige deine Hitze, Bruder; ich bitte dich, sei ein wenig gelassener. Jasper scheint in der besten Absicht gehandelt zu haben, und die Sache steht vielleicht nicht so schlimm wie du glaubst.«

»Warum steuert er nicht auf die Bucht zu, von der er gesprochen hat? Warum hat er uns hierher gebracht, tot windwärts von diesem Vorsprung, und auf einen Fleck, wo die Brandungen nur die Hälfte der gewöhnlichen Weite haben, als ob er sich nicht genug beeilen könne, um alles an Bord zu ersäufen?«

»Ich lief, gerade weil an dieser Stelle die Brandungen so schmal sind, gegen das Vorgebirge«, antwortete Jasper sanft, obgleich ihm bei diesen Worten seines Gegners die Kehle schwoll.

»Wollt Ihr einem alten Seemann wie ich bin weismachen, daß der Kutter sich in diesen Brandungen halten könne?«

»Nicht doch, Herr. Ich glaube, er würde sich füllen und sinken, wenn er in ihre erste Linie gelangte. Sicherlich würde er das Ufer nicht auf seinem Ziel erreichen, wenn er einmal drinnen wäre. Ich hoffe übrigens, ihn gegen alles das klar zu halten.«

»Mit der Abtrift einer Schiffslänge in der Minute?«

»Die Anker haben noch nicht in den Grund gebissen. Auch hoffe ich nicht einmal, daß sie das Fahrzeug ganz anhalten können.«

»Auf was verlaßt Ihr Euch denn? Soll vielleicht Glaube, Hoffnung und Liebe das Fahrzeug vorn und hinten ankerfest machen?«

»Nein, Herr, ich verlasse mich auf den Unterschlepper. Ich hielt deshalb auf das Vorgebirge ab, weil ich weiß, daß er an dieser Stelle stärker ist als an anderen Orten und weil wir dadurch näher an Land kommen, ohne in die Brandungen einzutreten.«

Jasper sprach diese Worte mit Kraft, ohne jedoch irgendeine Empfindlichkeit blicken zu lassen. Auch machten sie einen augenscheinlichen Eindruck auf Cap, bei dem das Gefühl der Überraschung sichtlich die Oberhand gewann. »Unterschlepper?« wiederholte er, »wer Teufel hat je gehört, daß ein Fahrzeug durch einen Unterschlepper vom Stranden abgehalten wurde?«

»Vielleicht kommt so was auf dem Meer nie vor, Herr«, antwortete Jasper bescheiden; »aber wir wissen, daß es hier schon hin und wieder der Fall war.«

»Der Junge hat recht, Bruder«, warf der Sergeant ein; »denn obgleich ich’s nicht besonders verstehe, so hab ich doch die Schiffer auf diesem See oft von einem solchen Ding reden hören. Wir werden wohltun, Jasper in dieser Klemme zu vertrauen.«

Cap brummte und fluchte, mußte sich aber doch zuletzt wohl oder übel zufriedengeben. Jasper gab nun auf die Frage, was er unter dem Unterschlepper verstehe, die gewünschte Erklärung. Das Wasser, das durch den Sturm an das Ufer getrieben wurde, mußte notwendig zur Herstellung seines Gleichgewichts auf geheimen Wegen wieder in den See zurückfließen. Dieses konnte auf der Oberfläche wegen des Sturms und der Wellen, die es beständig landwärts drängten, nicht stattfinden, woraus denn eine Art Ebbe in der Tiefe gebildet wurde, mittels der das Wasser wieder in sein früheres Bett abfloß. Diese Tiefenströmung hatte den Namen Unterschlepper erhalten; und da sie auf den Kiel eines Fahrzeugs, das so tief wie der Scud im Wasser ging, wirken mußte, so konnte Jasper wohl hoffen, daß diese Beihilfe das Zerreißen der Ankertaue verhindern werde. Mit einem Wort, die obere und die untere Strömung sollten wechselweise einander entgegenarbeiten.

So einfach und sinnreich übrigens diese Theorie war, so blieb doch noch wenig Anschein vorhanden, aus ihr praktischen Nutzen ziehen zu können. Die Abtrift machte fort, obgleich sie sich sichtlich verminderte, da sich die Ketschen und Trosse, mit denen die Anker verkattet waren, ausspannten. Endlich gab der Mann am Blei den erfreulichen Bericht, daß die Anker nicht mehr weitertrieben und das Fahrzeug festliege. In diesem Augenblick war die erste Linie der Brandungen noch ungefähr hundert Fuß von dem Stern des Scud entfernt und schien sogar noch näher zu kommen, wenn der Schaum verschwand und auf den tobenden Wogen zurückkehrte. Jasper eilte vorwärts, warf einen Blick über die Buge und lächelte triumphierend, als er auf die Kabeln zeigte. Statt wie früher die Starrheit von Eisenstangen zu zeigen, beugten sie sich nun abwärts, und ein Seemann konnte deutlich bemerken, daß sich der Kutter mit einer Leichtigkeit auf den Wellen hob und senkte, wie dies auf einem Kanal zur Zeit der Ebbe und Flut der Fall ist, wenn die Macht des Windes durch den Gegendruck des Wassers gemildert wird.

»’s ist der Unterschlepper!« rief Jasper voll Wonne, wobei er das Verdeck entlang gegen das Steuer flog, um es zu stellen und den Kutter noch leichter vor Anker zu legen. »Die Vorsehung hat uns gerade in seine Strömung gebracht, und wir haben keine weitere Gefahr zu befürchten.«

»Ja, ja, die Vorsehung ist ein guter Seemann«, grollte Cap, »und hilft oft dem Unwissenden aus der Not. Unterschlepper oder Oberschlepper – der Wind hat nachgelassen, und zu gutem Glück für uns alle hat das Schiff zugleich einen ordentlichen Haltegrund gefunden. Ah, dieses verdammte Frischwasser hat eine ganz unnatürliche Art an sich.«

Der Mensch ist selten geneigt, mit dem Glück zu hadern, während er gewöhnlich durch das Unglück vorlaut und zänkisch wird. Die meisten am Bord glaubten, daß Jaspers Kenntnisse und Geschicklichkeit den Schiffbruch verhindert hätten, ohne Caps Gegenreden zu berücksichtigen, dessen Bemerkungen jetzt nur noch wenig beachtet wurden. Allerdings verging noch eine halbe Stunde der Ungewißheit und des Zweifels, während das Blei die ängstliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Dann aber bemächtigte sich ein Gefühl der Sicherheit aller Gemüter, und die Ermatteten gaben sich der Ruhe hin, ohne von dem drohenden Tode zu träumen.

Einleitung Coopers

Einleitung Coopers

Der Plan zu dieser Erzählung bot sich dem Autor schon vor Jahren dar, obgleich die Einzelheiten insgesamt von neuer Erfindung sind. Ich teilte einem Verleger die Idee mit, Seeleute und Wilde unter Verhältnissen, die den großen Seen eigentümlich wären, miteinander in Verbindung zu bringen, und übernahm somit gewissermaßen die Verpflichtung, irgendwann das Gemälde auszuführen: eine Verpflichtung, deren ich mich nun hiermit – freilich spät und unvollständig – entledige.

In dem Hauptcharakter dieses Romans wird der Leser einen alten Freund unter neuen Umständen finden. Sollte es sich erweisen, daß die Wiedereinführung dieses alten Bekannten ihn unter den veränderten Verhältnissen in der Gunst der Lesewelt nicht sinken läßt, so wird dies dem Verfasser ein um so größeres Vergnügen gewähren, als er an der fraglichen Person warmen Anteil nimmt – so als hätte sie einmal unter den Lebenden gewandelt. Es ist jedoch kein leichtes Unternehmen, denselben Charakter mit Beibehaltung der bezeichnenden Eigentümlichkeit in mehreren Werken durchzuführen, ohne Gefahr zu laufen, den Leser durch Gleichförmigkeit zu ermüden, und der gegenwärtige Versuch ist ebensosehr infolge derartiger Besorgnisse wie aus irgendeinem andern Grund so lange verzögert worden. Freilich, in diesem wie in jedem andern Unternehmen muß das Ende das Werk krönen.

Der indianische Charakter bietet so wenig Mannigfaltigkeit dar, daß ich es bei der gegenwärtigen Gelegenheit vermied, allzulange dabei zu verweilen; auch fürchte ich, seine Verbindung mit dem des Seemanns wird mehr neu als interessant erscheinen.

Dem Neuling mag es vielleicht als ein Anachronismus auffallen, daß ich schon in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Schiffe auf den Ontario versetze. In dieser Beziehung aber werden Tatsachen die poetische Lizenz hinreichend rechtfertigen. Zwar haben sich die in diesen Blättern erwähnten Fahrzeuge niemals weder auf dem Ontario noch auf einem andern Gewässer befunden; aber ganz ähnliche befuhren dieses Binnenmeer in einer noch viel früheren Zeit, und dies mag als hinreichende Berechtigung gelten, jene in ein Werk der Poesie einzuführen. Man erinnert sich vielleicht nicht allgemein des bekannten Umstands, daß es längs der Linie der großen Seen vereinzelte Stellen gibt, die ebensolange wie viele der ältesten amerikanischen Städte bewohnt sind und die lange, noch ehe der größere Teil selbst der ältern Staaten der Wildnis entrissen wurden, einen gewissen Grad von Zivilisation aufzuweisen vermochten.

Der Ontario ist in unsern Tagen der Schauplatz wichtiger nautischer Entwicklungen gewesen. Wo sich vor einem halben Jahrhundert nur eine öde Wasserfläche zeigte, haben Flotten manövriert, und der Tag ist nicht fern, wo diese Kette von Seen als der Sitz einer Macht und mit allem befrachtet erscheinen wird, dessen die menschliche Gesellschaft bedarf. Ein Rückblick auf das, was diese weiten Räume ehedem waren, und wäre es auch nur durch die farbigen Gläser der Dichtkunst, mag vielleicht einen Beitrag zu der Vervollständigung des Wissens geben, das uns allein zu einer richtigen Würdigung der wunderbaren Mittel führen kann, deren sich die Vorsehung bedient, um dem Fortschritt der Zivilisation über das ganze amerikanische Festland Bahn zu brechen.

Im Dezember 1839.

Neuntes Kapitel

Neuntes Kapitel

Es lag keine leere Prahlerei in dem Versprechen des Sergeanten Dunham. Ungeachtet der abgeschiedenen Lage des Grenzpostens erfreute sich doch seine Besatzung einer Tafel, um die sie in manchen Beziehungen von Königen und Fürsten hätte beneidet werden mögen. Zur Zeit unserer Erzählung und auch noch ein halbes Jahrhundert später war die, ganze weite Gegend, die man damals den Westen nannte und die seit dem Revolutionskrieg den Namen der ›neuen Länder‹ führt, vergleichungsweise unbevölkert und verlassen, obschon sie alle lebenden Naturprodukte, die diesem Klima angehören, mit Ausnahme des Menschen und der Haustiere, in üppiger Fülle hervorbrachte. Die wenigen Indianer, die in den Wäldern umherstreiften, vermochten den Überfluß an Wild nicht sichtlich zu vermindern, und die zerstreuten Garnisonen wie auch die einzelnen Jäger, auf die man hin und wieder traf, übten keinen größeren Einfluß aus als den einer Biene auf das Buchweizenfeld oder den des Kolibri auf ein Blumenbeet.

Die Erzählungen von der wunderbaren Menge der wilden Tiere, Vögel und Fische, die insbesondere an den Ufern der großen Seen gefunden wurden, werden durch die Erfahrung mancher noch lebenden Menschen bestätigt. Besonders war der Oswego geeignet, die Speisekammer eines Epikureers immer reichlich zu versorgen. Fische von verschiedener Art wimmelten in seinem Strom, und der Fischer durfte nur seine Leine auswerfen, um einen Barsch oder ein anderes Glied der mit Flossen versehenen Zunft herauszuholen, die in ebenso großer Menge das Wasser bevölkerte, in der die Luft über den Sümpfen dieser fruchtbaren Breite von Insekten erfüllt war. Unter andern stand der Lachs, eine Varietät der wohlbekannt ten Art, an Leckerhaftigkeit dem des nördlichen Europas kaum nach. Die Wälder und Wasser wimmelten von verschiedenen Zugvögeln, und man sah oft hunderte von Morgen Landes an den großen Buchten, die in die Ufer des Sees einschneiden, von Gänsen und Enten bedeckt. Hirsche, Bären, Kaninchen, Eichhörnchen und verschiedene andere Vierfüßler, unter denen sich auch bisweilen das Elentier befand, halfen die Summe der natürlichen Hilfsmittel vervollständigen, durch die sich die entfernten Grenzbesatzungen für ihre übrigen Entbehrungen mehr oder minder schadlos hielten.

An einem Ort, wo Fleischsorten, die anderswo unter die Luxusartikel gerechnet werden, in solchem Übermaß vorhanden waren, blieb niemand von ihrem Genuß ausgeschlossen. Der Geringste an dem Oswego speiste Wildbret, das den Glanz einer Pariser Tafel ausgemacht haben würde, und es war nur ein heilsamer Kommentar über die Launen des Geschmacks und die Verkehrtheit der menschlichen Begierden, daß die kräftige Diät, die unter andern Umständen ein Gegenstand des Neides und Ärgers gewesen wäre, den Appetit hier bis zum Ekel übersättigte. Die gewöhnliche rauhe Nahrung der Armee, die man wegen der Schwierigkeit des Transportes zu Rat halten mußte, stieg in der Achtung des gemeinen Soldaten, und er würde Wildbret, Enten, Tauben und Lachse mit Freuden verschmäht haben, um bei den Annehmlichkeiten des geräucherten Schweinefleisches, pelziger Rüben und halbgaren Kohls zu schwelgen.

Um auf die Tafel des Sergeanten Dunham zurückzukommen, so trug sie das Gepräge des Überflusses und des Luxus der Grenze wie auch ihrer Entbehrungen. Ein köstlich gebratener Lachs dampfte auf einer unzierlichen Platte, heiße Wildbretstückchen sandten ihre einladenden Düfte aus, und verschiedene Schüsseln kalter Speisen, die alle aus Wildbret bestanden, wurden den Gästen vorgesetzt, um den neuangekommenen Besuch zu ehren und des alten Soldaten Gastfreundlichkeit zu beweisen.

»Du scheinst in diesem Erdwinkel nicht karg gehalten zu werden, Sergeant«, sprach Cap, nachdem er sich in die Geheimnisse der verschiedenen Schüsseln eingeweiht hatte. »Ein solcher Lachs kann deine Schottländer wohl zufriedenstellen.«

»Und doch tut er’s nicht, Bruder Cap; denn unter den zwei- oder dreihundert Burschen, die wir in dieser Garnison haben, gibt’s kaum ein halbes Dutzend, die nicht darauf schwören würden, daß dieser Fisch ungenießbar sei. Selbst solche, die nie Wildbret kosteten, wenn sie’s nicht in ihrer Heimat aus irgendeinem Gehege stahlen, rümpfen ihre Nasen über die saftigsten Hirschkeulen, die wir hier bekommen können.«

»Ja, das ist Christennatur«, warf Pfadfinder ein, »und ich muß sagen, sie gereicht ihnen nicht zur Ehre. Eine Rothaut ist nie unzufrieden, sondern immer dankbar für die Nahrung, die sie findet, mag sie nun fett oder mager, Hochwild oder Bär, die Brust eines wilden Puters oder der Flügel einer Wildgans sein. Zur Schande der Weißen muß man’s sagen, daß wir so unzufrieden mit den Segnungen sind und unbedeutende Übel als Dinge von großer Wichtigkeit betrachten.«

»Es ist so, wenigstens beim Fünfundfünfzigsten, obschon ich von seinem Christentum nicht viel sagen kann«, erwiderte der Sergeant. »Selbst der Major, der alte Duncan of Lundie, pflegt bisweilen zu sagen, ein Haferkuchen sei eine bessere Speise als der Oswegobarsch, und seufzt dabei nach einem Schluck Hochlandwasser, obschon er den ganzen Ontario hat, um seinen Durst zu löschen, wenn es ihn danach gelüstet.«

»Hat Major Duncan Frau und Kinder?« fragte Mabel, deren Gedanken sich in ihrer neuen Lage natürlicherweise zuerst auf ihr eigenes Geschlecht richteten.

»Nein, Mädchen, aber man sagt, er habe eine Verlobte in der Heimat. Die Dame scheint jedoch lieber warten als sich den Beschwerlichkeiten unterziehen zu wollen, die mit einem Dienst in dieser wilden Gegend verbunden sind. Es entspricht das freilich nicht den Begriffen, die ich von den Pflichten eines Weibes habe, Bruder Cap. Deine Schwester dachte anders, und wenn’s Gott gefallen hätte, sie mir zu erhalten, so würde sie wohl in diesem Augenblick auf demselben Lagerstuhl sitzen, der nun ihrer Tochter so gut ansteht.«

»Ich hoffe nicht, Sergeant, daß du dir Mabel je als ein Soldatenweib denken wirst«, erwiderte Cap ernsthaft. »Unsere Familie hat in dieser Beziehung das ihrige schon getan, und es ist hohe Zeit, daß man sich auch das Meer wieder ins Gedächtnis ruft.«

»Ich kann dir versichern, Bruder, daß ich nicht dran denke, ihr einen Mann aus dem Fünfundfünfzigsten oder irgendeinem andern Regiment auszusuchen, obschon ich glaube, daß es für das Mädel wohl Zeit wäre, eine anständige Partie zu treffen.«

»Vater!«

»Es ist ihr nicht lieb, Sergeant, so offen über so was zu sprechen«, sagte der Pfadfinder, »denn ich hab‘ mich aus Erfahrung überzeugt, daß man nicht seine Gedanken laut werden lassen darf, wenn man der Herzensneigung einer Jungfrau nachspüren will. Wir wollen daher, wenn’s beliebt, von was anderem reden.«

»Gut also, Bruder Cap; ich hoffe, daß dieses Stückchen von einem kalten, gerösteten Ferkel nach deinem Sinn ist. Ich glaube, du liebst diese Speise.«

»Ja, ja, gib mir eine zivilisierte Kost, wenn ich essen soll«, erwiderte der hartnäckige Seemann. »Wildbret ist gut genug für Eure Landschiffer, aber wir von dem Ozean lieben das, was wir kennen.«

Hier legte der Pfadfinder Messer und Gabel nieder, brach in sein herzliches, aber stilles Lachen aus und fragte dann etwas neugierig:

»Vermißt ihr nicht die Schwarte, Meister Cap, vermißt Ihr nicht die Schwarte?«

»Ich glaube selber, daß es in seiner Jacke besser gewesen wäre, Pfadfinder; aber ich hielt’s für eine Mode in den Wäldern, die Ferkel so aufzutragen.«

»Nun, nun – man kann um die ganze Erde herumkommen und doch nicht alles wissen. Wenn Ihr die Haut dieses Ferkels hättet abziehen müssen, so möchtet Ihr wohl wunde Hände davongetragen haben. Das Geschöpf ist ein Stachelschwein.«

»Die Pest auf mich, wenn ich’s je für ein ganz natürliches Schwein gehalten habe«, erwiderte Cap. »Aber ich dachte eben, daß sogar ein Spanferkel hier oben in den Wäldern einige von seinen guten Eigenschaften verloren haben könnte. Es schien mir nicht mehr als vernünftig, daß ein Frischwasserschwein nicht ganz so gut sei wie ein Salzwasserschwein. Ich denk‘ aber, Sergeant, daß dir das nichts ausmacht.«

»Wenn nur das Hautabstreifen nicht an mich kommt, Schwager. – Pfadfinder, ich hoffe, Ihr fandet Mabel nicht ungehorsam auf dem Marsch?«

»Gewiß nicht. Wenn Mabel nur halb so zufrieden mit Jasper und Pfadfinder ist wie der Pfadfinder und Jasper mit ihr, Sergeant, so werden wir wohl für den Rest unserer Tage Freunde bleiben.«

Während der Waldläufer sprach, richtete er seine Augen mit dem unschuldigen Wunsch, ihre Meinung zu erfahren, auf das errötende Mädchen; dann aber blickte er mit einem angeborenen Zartgefühl, das über das Verlangen erhaben ist, in das Heiligtum weiblicher Gefühle einzudringen, auf seinen Teller und schien seine Kühnheit zu bereuen.

»Nun, nun – wir müssen uns erinnern, mein Freund, daß Weiber keine Männer sind«, sagte der Sergeant, »und ihrer Natur und Erziehung manches zugut halten. Ein Rekrut ist kein Veteran. Man weiß, daß es länger braucht, einen guten Soldaten als etwas anderes zu bilden, und so muß es auch mehr als gewöhnliche Zeit brauchen, eine gute Soldatentochter zu werden.«

»Das ist eine neue Lehre, Sergeant«, sagte Cap etwas hochmütig. »Wir alten Seeleute halten eher dafür, daß man sechs Soldaten, und dazu Kapitalsoldaten, bilden könne, bis nur ein Matrose seine Schule durchgemacht hat.«

»Ja, ja, Bruder Cap, ich kenne die hohe Meinung ein wenig, die die seefahrenden Leute von sich selbst haben«, erwiderte der Schwager mit einem so milden Lächeln, wie es sich mit seinen ernsten Zügen vertrug, »denn ich habe manche Jahre in einer Hafengarnison zugebracht. Wir haben früher schon über diesen Gegenstand gesprochen, und ich fürchte, wir werden nie drüber einig werden. Wenn du aber den Unterschied zwischen einem wirklichen Soldaten und einem Menschen kennenlernen willst, der sich sozusagen noch in seinem Naturzustand befindet, so darfst du bloß heute nachmittag bei der Parade einen Blick auf ein Bataillon des Fünfundfünfzigsten werfen und dann, wenn du nach York zurückkommst, eines von den Milizregimentern betrachten, wenn es seine größten Anstrengungen macht.«

»Nun, Sergeant, da ist in meinen Augen kein besonderer Unterschied, vielleicht kein größerer als der, den du zwischen einer Brigg und einer Schnaue finden würdest. Mir kommen sie ganz gleich vor; Scharlach und Federn, Pulver und Pfeifenerde.«

»Soweit reicht allenfalls eines Seemanns Verstand«, erwiderte der Sergeant mit Würde; »aber vielleicht hast du noch nicht bemerkt, daß es ein Jahr braucht, um einen rechten Soldaten nur essen zu lehren?«

»Um so schlimmer für ihn. Die Miliz weiß sich im Augenblick drein zu finden, wie sie essen soll, denn ich hab‘ oft gehört, daß sie auf ihren Märschen alles, was ihnen in den Wurf kommt, verspeisen, wenn sie auch sonst nichts weiter tun.«

»Ich denke, sie haben ihre Gaben wie andere Leute«, bemerkte der Pfadfinder in der Absicht, den Frieden zu erhalten, der augenscheinlich durch die hartnäckige Vorliebe der beiden Sprecher für ihren Beruf gefährdet war, »und da der Mensch seine Gaben von der Vorsehung hat, so ist’s gewöhnlich fruchtlos, ihnen zu widerstreben. Das Fünfundfünfzigste, Sergeant, ist ein sehr verständiges Regiment, was das Essen anbelangt, wie ich wohl weiß, da ich solange schon mit ihm umgehe; aber vielleicht findet sich’s, daß es von dem Milizkorps in derartigen Kunststücken übertroffen wird.«

»Onkel«, sagte Mabel, »wenn Ihr gefrühstückt habt, so werd‘ ich’s Euch Dank wissen, wenn Ihr mich wieder auf das Bollwerk hinaus begleitet. Wir haben beide den See noch nicht halb gesehen, und es würde sich doch schlecht ausnehmen, wenn ein junges Mädchen am ersten Tag ihrer Ankunft so ganz allein um das Fort spazieren müßte.«

Cap verstand Mabels Absicht wohl. Da er aber im Grunde gegen seinen Schwager eine herzliche Freundschaft hegte, so war er bereit, den Gegenstand beruhen zu lassen, bis sie länger beisammen gewesen wären; denn der Gedanke, ihn ganz aufzugeben, konnte einem so überklugen und hartnäckigen Mann nicht in den Sinn kommen. Er begleitete daher seine Nichte, während Sergeant Dunham und sein Freund Pfadfinder allein miteinander zurückblieben.

Der Sergeant, der das Manöver seiner Tochter nicht ganz so gut verstanden hatte, wandte sich nach dem Abzug seines Gegners an seinen Gefährten und bemerkte mit einem Lächeln, das nicht ohne Triumph war:

»Die Armee, Pfadfinder, hat sich noch nie in Behauptung ihrer Rechte Gerechtigkeit widerfahren lassen, und obgleich jedem Bescheidenheit ziemt, mag er nun in einem roten oder in einem schwarzen Rock oder gar nur in seinen Hemdärmeln stecken, so laß ich doch nicht gerne eine gute Gelegenheit entschlüpfen, um zu ihren Gunsten ein Wort zu sprechen. – Na, mein Freund«, er legte dabei seine Hand auf die des Pfadfinders und drückte sie herzlich, »wie gefällt Euch das Mädel?«

»Ihr habt Ursache, stolz auf sie zu sein, Sergeant, stolz zu sein, daß Ihr der Vater eines so schönen und wohlgesitteten jungen Mädelchens seid. Ich hab‘ manche ihres Geschlechts gesehen und darunter einige recht hübsche; aber bis jetzt traf ich mit keiner zusammen, bei der, wie ich glaube, die Vorsehung die verschiedenen Gaben in ein solches Gleichgewicht gebracht hatte.«

»Und die gute Meinung – das kann ich Euch versichern, Pfadfinder – ist wechselseitig. Sie erzählte mir in der letzten Nacht alles von Eurer Besonnenheit, Eurem Mut, Eurer Güte – besonders von dieser letzteren, denn Güte zählt bei Weibern mehr als die Hälfte, mein Freund – und die erste Beschauung scheint auf beiden Seiten befriedigend ausgefallen zu sein. Bürstet nur die Uniform aus und verwendet mehr Aufmerksamkeit auf das Äußere, Pfadfinder, und Ihr werdet das Mädchen haben, Herz und Hand.«

»Nein, nein, Sergeant, ich habe nichts von dem vergessen, was Ihr mir gesagt habt, und ich will mich keine vernünftige Mühe reuen lassen, in Mabels Augen so angenehm zu erscheinen, wie sie den meinigen geworden ist. Diesen Morgen, mit Sonnenaufgang, hab‘ ich Wildtod geputzt und aufpoliert, und nach meinem Urteil, hat das Gewehr nie besser als in diesem Augenblick ausgesehen.«

»Das ist so Euren Jägerbegriffen gemäß, Pfadfinder; aber Feuerwaffen müssen schimmern und funkeln in der Sonne, und ich hab‘ nie was Schönes an einem damaszierten Lauf erblicken können.«

»Lord Howe dachte anders, Sergeant, und der galt doch für einen guten Soldaten.«

»Sehr wahr; seine Herrlichkeit hat alle Läufe seines Regiments anlaufen lassen; aber was kam dabei Gutes heraus? Ihr könnt seinen Wappenschild in der englischen Kirche zu Albany hängen sehen. Nein, nein, mein würdiger Freund, ein Soldat muß ein Soldat sein und nie sich schämen oder scheuen, die Zeichen und Symbole seines ehrenwerten Gewerbes an sich zu tragen. Habt Ihr Euch viel mit Mabel unterhalten, als Ihr in dem Kahn miteinander führet?«

»Es gab nicht viel Gelegenheit dazu, Sergeant, und dann fand ich meine Gedanken soweit unter den ihren, daß ich mich scheute, viel mehr, als was in den Bereich meiner Kenntnisse fällt, zu sprechen.«

»Da habt Ihr teilweise recht und teilweise unrecht, mein Freund. Die Frauenzimmer lieben unbedeutende Diskurse, denn sie wollen den größten Teil davon selber führen. Ihr wißt ja, daß ich nicht der Mann bin, der wegen jedes schwindligen Gedankens seine Zunge schießen läßt, und doch gab’s eine Zeit, wo Mabels Mutter nicht geringer von mir dachte, weil ich ein bißchen von meinem männlichen Ernst abfiel. Es ist wahr, ich war damals um zweiundzwanzig Jahre jünger als jetzt, und obendrein, statt der älteste Sergeant im Regiment zu sein, war ich der jüngste. Würde ist allerdings empfehlend und nützlich, und ohne sie macht man keine Fortschritte bei den Männern; wenn Ihr aber auch von den Weibern geschätzt werden wollt, so ist es durchaus nötig, gelegentlich ein bißchen zu ihnen hinunter zu steigen.«

»Ah, Sergeant! ich fürchte bisweilen, daß es nicht gehen wird.«

»Warum denkt Ihr von einer Sache so entmutigend, bei der ich der Meinung war, daß beider Gemüter schon im reinen seien?«

»Wir sind übereingekommen, daß ich – wenn sich Mabel als solche bewähre, wie Ihr sie mir geschildert habt, und sie einen rauhen Jäger und Kundschafter gerne haben könne – daß ich von meinen Wanderzügen etwas ablassen und den Versuch machen solle, meinen Geist für Weib und Kind herab zu humanisieren. Aber seit ich das Mädchen gesehen habe, sind mir, ich muß es gestehen, manche Besorgnisse aufgestiegen.«

»Was soll das?« fiel der Sergeant ernst ein. »Hab‘ ich Euch etwa unrecht verstanden, als Ihr sagtet, sie gefiel‘ Euch? – Und ist Mabel ein Mädchen, um die Erwartung zu täuschen?«

»Ach, Sergeant, nicht Mabel ist’s, der ich mißtraue, sondern meine eigene Wenigkeit. Ich bin weiter nichts als ein armer unwissender Waldmann und vielleicht doch in Wirklichkeit nicht so gut, wie eben Ihr und ich von mir denken mögen?«

»Wenn Ihr auch an der Richtigkeit Eures Urteils über Euch zweifeln mögt, Pfadfinder, so muß ich bitten – zweifelt wenigstens nicht an dem meinen. Sollte ich etwa nicht der Mann sein, eines Mannes Charakter zu beurteilen? Gehört dieses nicht zu meinen besonderen Dienstverrichtungen? Hab‘ ich mich je getäuscht? Fragt den Major Duncan, wenn Ihr noch besonderer Versicherungen bedürft.«

»Aber, Sergeant, wir sind lange Freunde gewesen, haben dutzend Mal Seite an Seite gefochten, und jeder hat dem andern manchen Dienst erwiesen. Unter solchen Umständen kann ein Mann wohl allzu freundlich von einem andern denken, und ich fürchte, daß die Tochter einen einfachen unwissenden Jäger vielleicht nicht mit den wohlwollenden Blicken ihres Vaters betrachtet.«

»Still, still, Pfadfinder, Ihr kennt Euch selbst nicht und mögt Euch deshalb getrost auf mein Urteil verlassen. Einmal habt Ihr Erfahrung, und da diese allen Mädchen abgeht, so wird kein kluges junges Frauenzimmer diese Eigenschaft übersehen. Dann seid Ihr keiner von den Gecken, die sich breit machen, sobald sie in ein Regiment geschmeckt haben, wohl aber ein Mann, der den Dienst gesehen hat und die Merkmale davon an seiner Person und in seinem Gesicht mit herumträgt. Ich darf sagen, daß Ihr etliche dreißig oder vierzig Male im Feuer gestanden seid, wenn ich alle die Scharmützel und Hinterhalte, die Ihr gesehen habt, in Rechnung bringe.«

»Wohl wahr, Sergeant, wohl wahr; aber was wird das helfen bei der Gewinnung des Wohlwollens eines zartherzigen jungen Frauenzimmers?«

»Es wird den Ausschlag geben. Erfahrung im Feld ist so gut für die Liebe wie für den Krieg. Ihr seid ein so ehrenhafter und loyaler Untertan, wie der König – Gott segne ihn! – nur immer einen haben kann.«

»Das mag alles sein, das mag alles sein; aber ich bin – ich fürchte ich bin zu rauh und zu alt und zu wildartig, um für die Phantasie eines so jungen und feinen Mädchens wie Mabel zu passen, die der Weise unserer Wälder zu ungewohnt ist und wohl denken wird, daß die Ansiedlungen ihren Gaben und Neigungen besser zusagen.«

»Das sind wieder neue Zweifel von Euch, Freund, und ich wundre mich, daß sie nie vorher paradierten.«

»Weil ich vielleicht nie meine eigene Wertlosigkeit so erkannte, bis ich Mabel sah. Ich bin wohl mit einigen Schönen gewandert und hab‘ sie durch die Wälder geführt – hab‘ sie in ihren Gefahren und in ihrer Heiterkeit gesehen; aber sie standen immer zu hoch über mir, um sie anders zu betrachten, als wie Wehrlose, die zu beschützen und zu verteidigen ich mich verpflichtet hatte. Der Fall ist nun verschieden. Mabel und ich, wir stehen uns so nahe, daß es mich fast erdrückt, uns so ungleich finden zu müssen. Ich wünschte, Sergeant, daß ich um zehn Jahre jünger, schöner und geeigneter wäre, einem jungen, hübschen Frauenzimmer zu gefallen.«

»Faßt Mut, mein braver Freund, und verlaßt Euch auf einen Vater, der die Weiberart kennt. Mabel liebt Euch bereits halb, und so eine Bekanntschaft von vierzehn Tagen da unten an den Inseln wird die andere Hälfte vollends ganz machen. Das Mädchen hat mir das in der letzten Nacht selbst gesagt.«

»Ist’s möglich, Sergeant?« sagte Pfadfinder, dessen demütige und bescheidene Natur zurückbebte, als er sich selbst in so günstigen Farben erblickte. »Ist’s wirklich möglich? Ich bin nur ein armer Jäger, und Mabel ist dazu gemacht, eine Offiziersfrau zu werden. Glaubt Ihr, das Mädchen werde einwilligen, alle die beliebten Gebräuche der Ansiedlungen zu verlassen, ihre Visiten, ihre Kirchgänge, um mit einem einfachen Waldläufer und Jäger hier oben in den Wäldern zu wohnen? Wird sie nicht am Ende ihre alte Lebensweise und einen besseren Mann begehren?«

»Ein besserer Mann, Pfadfinder, dürfte schwer zu finden sein«, erwiderte der Vater. »Was die Stadtbräuche anlangt, so werden diese bald in der Freiheit der Wälder vergessen sein, und Mabel hat Mut genug, um an der Grenze zu wohnen. Ich hab‘ den Plan zu der Heirat nicht entworfen, ohne vorher darüber, wie ein General bei einem Feldzug, reiflich nachzudenken. Fürs erste dachte ich daran, Euch in das Regiment zu bringen, daß Ihr mein Nachfolger werden könnt, wenn ich mich zurückziehe, was früher oder später geschehen muß; aber das braucht noch Überlegung, Pfadfinder, denn ich glaube kaum, daß Ihr dem Dienst gewachsen seid. Nun, wenn Ihr aber auch nicht gerade ein Soldat im vollen Sinne des Wortes seid, so seid Ihr doch ein Soldat im besten Sinne, und ich weiß, daß Ihr Euch des Wohlwollens aller Offiziere im Korps erfreut. Solang‘ ich lebe, kann Mabel bei mir wohnen, und Ihr werdet immer eine Heimat haben, wenn Ihr von Euren Kundschaftsreisen und Märschen zurückkommt.«

»Ein schöner Gedanke, Sergeant, wenn nur das Mädchen unsern Wünschen mit gutem Willen entgegenkommen kann. Aber ach! Es scheint mir nicht, daß ein Mensch wie ich ihren schönen Augen besonders angenehm sein werde. Wenn ich jünger und schöner wäre, wie zum Beispiel der Jasper Western, so möchte die Sache wohl ein andres Gesicht bekommen; ja, dann – in der Tat, möchte es ein bißchen anders aussehen.«

»Das für den Jasper Eau-douce und für jeden jungen Bursch innerhalb oder außerhalb des Forts!« erwiderte der Sergeant, indem er mit den Fingern schnippte. »Wenn Ihr auch nicht in Wirklichkeit zu den Jungen gehört, so seht Ihr doch wie ein Junger aus und jedenfalls besser als der Scudsmeister –«

»Wie?« sagte Pfadfinder, indem er auf seinen Gefährten mit dem Ausdruck des Zweifels blickte, als ob er seine Meinung nicht verstanden hätte.

»Ich sage nicht gerade jünger an Tagen und Jahren, aber Ihr seht kräftiger und sehniger aus als Jasper oder einer von diesen; und es wird noch in dreißig Jahren mehr an Euch sein als an allen diesen Burschen zusammengenommen. Ein gutes Gewissen macht einen Mann wie Ihr sein ganzes Leben über zu einem Jüngling.«

»Jasper hat ein so reines Gewissen wie irgendein Jüngling aus meiner Bekanntschaft, Sergeant; und er wird sich deshalb wahrscheinlich solange jung erhalten wie nur irgendeiner in den Kolonien.«

»Zudem seid Ihr –«, er drückte dabei die Hand des anderen – »mein erprobter, geschworener und langjähriger Freund.«

»Ja, wir sind nun Freunde, fast an zwanzig Jahre, Sergeant – ehe noch Mabel geboren war.«

»Ganz recht – ehe noch Mabel das Licht erblickte, waren wir schon geprüfte Freunde, und das Weibsbild wird sich doch nicht einfallen lassen, einen Mann auszuschlagen, der schon ihres Vaters Freund war, ehe sie zur Welt kam?«

»Wer weiß, Sergeant, wer weiß. Gleich und gleich gesellt sich. Junge ziehen die Gesellschaft der Jungen und Alte die Gesellschaft der Alten vor.«

»Das ist nicht so bei Weibern, Pfadfinder. Ich hab‘ noch keinen alten Mann gesehen, der was gegen ein junges Weib einzuwenden gehabt hätte. Zudem seid Ihr geachtet und geschätzt von jedem Offizier im Fort, wie ich bereits gesagt habe, und es wird ihr schmeicheln, einen Mann zu lieben, den alle anderen lieben.«

»Ich hoffe, daß ich keine anderen Feinde habe als die Mingos«, erwiderte Pfadfinder, indem er sich die Haare niederstrich und gedankenvoll weitersprach. »Ich hab’s versucht, recht zu handeln, und das muß Freunde machen, obschon es bisweilen auch fehlschlägt.«

»Auch muß man sagen, daß Ihr Euch stets zu der besten Gesellschaft haltet. Der alte Duncan of Lundie freut sich, so oft er Euch sieht, und Ihr bringt oft ganze Stunden bei ihm zu. Von allen Kundschaftern setzt er in Euch das größte Vertrauen.«

»Ja, es sind wohl noch Größere als er ist tagelang an meiner Seite marschiert und haben sich mit mir unterhalten, als ob ich ihr Bruder wäre; aber, Sergeant, ich hab‘ mir nie was auf ihre Gesellschaft eingebildet, denn ich weiß wohl, daß die Wälder oft eine Gleichheit hervorbringen, die man in den Ansiedlungen vergeblich suchen würde.«

»Zudem kennt man Euch als den besten Büchsenschützen, der je in dieser Gegend den Drücker berührt hat.«

»Wenn Mabel um dieser Eigenschaft willen einen Mann lieben könnte, so hätte ich keine besondere Ursache zu verzweifeln; und doch, Sergeant, denk‘ ich bisweilen, daß ich das eher dem Gewehr, als meiner eigenen Geschicklichkeit zuschreiben müsse. Es ist gewiß ein wunderbares Gewehr und würde in den Händen eines anderen wohl dieselben Dienste tun.«

»Das ist wieder die demütige Meinung, die Ihr von Euch selbst hegt, Pfadfinder; aber wir haben mit der nämlichen Waffe zu viele fehlen sehen, und Ihr habt so oft mit den Büchsen anderer gut getroffen, als daß ich da Eurer Meinung sein könnte. Wir wollen in einem oder zwei Tagen ein Wettschießen halten, wo Ihr Eure Geschicklichkeit zeigen könnt, und dann mag sich Mabel ein Urteil über Euren wahren Charakter bilden.«

»Wird das aber auch gut sein, Sergeant? Jedermann weiß, daß der Wildtod selten fehlt. Müssen wir daher einen derartigen Versuch machen, wenn alle schon vorher wissen, was das Resultat sein wird?«

»Still, still da. Ich sehe voraus, daß ich die Werbung für Euch zur Hälfte selbst machen muß. Denn ich hab‘ doch schließlich das Mädel hauptsächlich mit aus diesem Grunde hierher kommen lassen, um ihm einen braven Mann zu geben. Still, still! Für einen Mann, der bei einem Gefecht immer innerhalb des Pulverdampfes stand, seid Ihr der feigherzigste Freier, der mir je vorgekommen ist! Erinnert Euch, daß Mabel aus einer kühnen Familie stammt, und Mabel wird ebensogern einen Mann bewundern, wie ehedem ihre Mutter.«

Hier erhob sich der Sergeant und entfernte sich, ohne sich zu entschuldigen, um seinem Dienst, an dem er es nie fehlen ließ, nachzukommen. Das Verhältnis, in dem der Pfadfinder zu allem in der Garnison stand, ließ diese Freiheit als ganz natürlich erscheinen.

Zehntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eine Woche verging in der gewöhnlichen Weise eines Garnisonlebens. Mabel gewöhnte sich an ihre Lage, die sie im Anfang nicht nur neu, sondern auch ein wenig lästig gefunden hatte. Die Offiziere und Soldaten machten sich der Reihe nach allmählich mit der Anwesenheit eines jungen und blühenden Mädchens vertraut, dessen Anmut und Betragen das Gepräge einer bescheidenen höheren Bildung an sich trug, die sie dem Aufenthalt in der Familie ihrer Beschützerin verdankte. Dabei ließ sie sich wenig beunruhigen durch die schlecht verhehlte Bewunderung dieser Leute, indem sie deren Achtungsbeweise gern auf Rechnung ihres Vaters schrieb, obschon sie ihr lediglich ihres eigenen bescheidenen, aber würdevollen Benehmens willen gezollt wurden.

Bekanntschaften, die in einem Urwald oder unter Umständen von ungewöhnlicher Aufregung gemacht werden, erreichen bald ihre Grenzen. Mabel fand den Aufenthalt einer Woche an dem Oswego hinreichend, ihr alle die zu bezeichnen, mit denen sie einen vertraulichem Umgang wünschen konnte, und auch alle, die sie meiden mußte. Die gewissermaßen neutrale Stellung, die ihr Vater einnahm, da er kein Offizier war und doch so weit über dem gemeinen Soldaten stand, um diese beiden militärischen Klassen von ihr fern zu halten, verminderte die Zahl derer, mit denen sie sich bekannt machen mußte, und machte ihr die Entscheidung verhältnismäßig leicht. Doch bemerkte sie bald, daß es selbst unter denen, die auf einen Sitz an der Tafel des Kommandanten Anspruch machen konnten, einige gab, die nicht abgeneigt waren, um der Neuheit einer gewandten Figur und eines artigen, gewinnenden Gesichtes willen die Hellebarde des Unteroffiziers zu übersehen, und nach den ersten zwei oder drei Tagen hatte sie ihre Bewunderer auch unter den Vornehmeren der Garnison. Besonders war der Quartiermeister, ein Soldat von mittlerem Alter, der schon mehr als einmal die Segnungen des Ehestandes versucht hatte, zur Zeit aber als Witwer lebte, augenscheinlich bemüht, mit dem Sergeanten in ein noch vertrauteres Verhältnis zu treten, als es schon durch die Pflicht des Dienstes bestand. Die Jüngeren seiner Kameraden ermangelten daher nicht, ihre Bemerkungen zu machen, als dieser methodische Mann, der ein Schotte war und of Muir hieß, die Quartiere seines Untergeordneten öfter als bisher besuchte. Ein Gelächter oder ein Scherz zu Ehren der »Sergeantentochter« machte dann gewöhnlich den Schluß ihrer Witzeleien, obgleich »Mabel Dunham« bald ein Toast wurde, den kein Fähnerich oder Leutnant auszubringen Anstand nahm.

Am Ende der Woche ließ Duncan of Lundie nach dem Abendverlesen den Sergeanten Dunham eines Geschäftes wegen rufen, das, wie es hieß, einer persönlichen Besprechung bedurfte. Der alte Veteran wohnte in einer beweglichen Baracke, die er nach Belieben umherschieben lassen konnte, da sie auf Rädern stand, so daß er das eine Mal in diesem, das andere Mal in jenem Teile des innern Raumes der Feste sein Quartier hielt. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit hatte er so ziemlich im Mittelpunkt haltgemacht, und hier fand ihn sein Untergebener, der, ohne lange im Vorzimmer warten zu müssen, eintreten durfte. In der Tat war auch nur ein sehr geringer Unterschied in der Beschaffenheit der Offizierswohnungen und denen der Mannschaft.

Erstere hatten nur den größeren Raum voraus, und Mabel mit ihrem Vater wohnte fast – wo nicht ganz – ebensogut wie der Kommandant des Platzes selbst.

»Herein, Sergeant, herein, mein guter Freund«, sagte der alte Lundie herzlich, als sein Untergebener in respektvoller Haltung an der Tür von einer Art Bibliothek- und Schlafzimmer stehenblieb. »Herein, und nehmt auf diesem Stuhl da Platz. Ich habe nach Euch geschickt, Mann, aber nicht, um diesen Abend von den Zahlungslisten mit Euch zu sprechen. Wir sind nun schon so manches Jahr Kameraden gewesen, und so eine lange Bekanntschaft alter Burschen mag doch für etwas gelten, zumal zwischen einem Major und seiner Ordonnanz, einem Schotten und einem Yankee. Sitzt nieder, Mann, und macht’s Euch bequem. – Es ist ein schöner Tag gewesen, Sergeant.«

»Freilich, Major Duncan«, erwiderte der andere, der sich zwar anschickte, Platz zu nehmen, doch viel zu erfahren war, um nicht zu wissen, welchen Grad von Achtung er zu beobachten habe; »ein sehr schöner Tag ist heute gewesen, Sir, und wir möchten wohl gerne noch mehrere solche in dieser Jahreszeit sehen.«

»Ich hoffe das von Herzen. Die Früchte sehen, gut aus, Mann, und Ihr werdet finden, daß das Fünfundfünfzigste fast ebenso gute Bauern wie Soldaten bildet. Ich sah nie bessere Kartoffeln in Schottland, als die sind, die wir wahrscheinlich von unserem Neubruch kriegen werden.«

»Sie versprechen einen guten Ertrag, Major Duncan, und in dieser Hinsicht einen behaglicheren Winter, als der letzte war.«

»Das Leben ist fortschreitend, Sergeant, in seinen Bequemlichkeiten sowohl als in den Bedürfnissen. Wir werden alt und fangen an, auf den Rückzug und an ein Ruheplätzchen zu denken. Ich fühle, daß meine Arbeitstage bald vorüber sind.«

»Der König, Gott segne ihn, hat noch einen guten Diener in Euer Gnaden.«

»Kann sein, Sergeant Dunham, besonders wenn sich’s zutragen sollte, daß eine Oberstleutnantsstelle für mich übrig bleibt.«

»Das Fünfundfünfzigste wird sich geehrt fühlen an dem Tage, wo das Patent Duncan of Lundie übertragen wird, Sir.«

»Und Duncan of Lundie wird sich geehrt fühlen an dem Tage, wo er’s erhält. Aber wenn Ihr auch nie eine Oberstleutnantsstelle hattet, so habt Ihr doch ein gutes Weib gehabt, und das ist das Nächste nach dem Rang, um einen Mann glücklich zu machen.«

»Ich bin verheiratet gewesen, Major Duncan; aber es ist schon so lange her, daß ich keinen Vorbehalt mehr habe vor der Liebe, die ich für Seine Majestät und meine Pflicht hege.«

»Was, Mann, nicht einmal die Liebe, die Ihr gegen die kleine, fixe und rundliche Tochter hegt, die ich in den letzten paar Tagen im Fort gesehen habe? Pfui, Sergeant! So ein alter Bursch‘ ich bin, so könnt‘ ich doch fast das Mädel selbst lieb haben und die Oberstleutnantsstelle zum Teufel schicken.«

»Wir wissen alle, wo Major Duncans Herz ist; das weilt in Schottland, wo eine schöne Dame bereit ist, ihn glücklich zu machen, sobald es sein eigenes Pflichtgefühl zuläßt.«

»Ach, die Hoffnung liegt immer fern«, erwiderte der Oberst, indes ein Schatten von Melancholie über seine harten schottischen Züge glitt, »und das hübsche Schottland ist ein fernes Land. Nun, wenn wir auch keine Heiden und kein Hafermehl in dieser Gegend haben, so haben wir doch Hochwild zu schießen und Lachse in einer Fülle, wie zu Berwick überm Tweed. Ist’s wahr, Sergeant, daß sich die Mannschaft beklagt, weil sie in der letzten Zeit überwildbretet und übertäubt worden sei?«

»Seit einigen Wochen nicht, Major Duncan, denn weder Hirsche noch Vögel sind in dieser Jahreszeit so häufig wie sonst. Sie fängt zwar an, ihre Bemerkungen über den Lachs zu machen, aber ich denke, wir werden ohne irgend ernsthafte Störung wegen der Kost durch den Sommer kommen. Nur die Schotten in dem Bataillon sprechen mehr als klug ist über den Mangel an Hafermehl und murren gelegentlich über unser Weizenbrot.«

»Ah! das ist die menschliche Natur, Sergeant – reine, unverfälschte schottische Menschennatur. Ein Haferkuchen, Mann, ist wirklich ein angenehmer Bissen, und ich schmachte oft selbst nach einem Mund voll davon.« »Wenn dies Gefühl so beunruhigend wird, Major Duncan – ich meine bei der Mannschaft, Sir, denn ich möchte nicht so respektwidrig von Euer Gnaden sprechen –, wenn die Soldaten so ernstlich nach ihrer natürlichen Nahrung schmachten, so möcht‘ ich untertänig empfehlen, daß etwas Hafermehl für sie eingeführt oder in dieser Gegend bereitet würde. Man würde dann, meines Erachtens, keine Klagen mehr hören. Ein klein wenig möchte wohl für die Kur zureichen.«

»Ihr seid ein Schalk, Sergeant, aber ich will gehangen sein, wenn ich weiß, ob Ihr nicht recht habt. Es mag noch manche angenehmeren Dinge in der Welt geben als Hafermehl. Einmal habt Ihr eine angenehme Tochter, Dunham –-«

»Das Mädchen gleicht ihrer Mutter, Major Duncan, und kann sich wohl sehen lassen«, sagte der Sergeant stolz. »Nirgends gedeiht was besser, als auf echt amerikanischem Boden. Das Mädchen kann sich sehen lassen, Sir.«

»Das kann sie, dafür stehe ich. Nun, ich kann ebensogut auf einmal zur Sache kommen und meine Reserve ins Treffen führen. Da ist David Muir, der Quartiermeister, der geneigt ist, Eure Tochter zu seinem Weib zu machen. Er hat mich eben angegangen, Euch die Sache zu eröffnen, weil er befürchtete, seine Würde zu kompromittieren, und ich möchte dem noch beifügen, daß die Hälfte der jungen Leute im Fort Toaste auf sie ausbringen und von ihr reden vom Morgen bis in die Nacht.«

»Es ist eine große Ehre für uns, Sir«, erwiderte der Vater steif; »aber ich glaube, daß die Herren bald einen würdigeren Gegenstand finden werden, um darüber lange zu sprechen. Ich hoffe, sie als das Weib eines rechtschaffenen Mannes zu sehen, ehe noch einige Wochen um sind, Sir.«

»Ja, Davis ist ein rechtschaffener Mann, und das ist, denk‘ ich, mehr, als man von allen in des Quartiermeisters Departement sagen kann«, entgegnete Lundie mit einem leichten Lächeln. »Nun denn, darf ich dem in Liebe verstrickten jungen Mann sagen, daß die Sache abgemacht ist?«

»Ich danke Euer Gnaden; aber Mabel ist einem anderen verlobt.«

»Zum Teufel, ist’s wahr? Das wird eine Störung im Fort hervorbringen. Doch um frei mit Euch zu reden, Sergeant, es tut mir nicht leid, so was zu hören; denn ich bin kein großer Bewunderer von ungleichen Verbindungen.«

»Ich denke wie Euer Gnaden und trage kein Verlangen danach, meine Tochter als eine Offiziersfrau zu sehen. Wenn sie erreichen kann, was ihre Mutter war, so muß sie als eine vernünftige Person zufrieden sein.«

»Und darf ich fragen, Sergeant, wer der glückliche Mann ist, den Ihr Euch zum Schwiegersohn ausersehen habt?«

»Der Pfadfinder, Euer Gnaden.«

»Der Pfadfinder?«

»Ja, Major Duncan, und indem ich Ihnen seinen Namen nenne, geb‘ ich Ihnen seine ganze Geschichte. Niemand ist an dieser Grenze bekannter als mein ehrlicher, braver, treuherziger Freund.«

»Das ist alles sehr wahr. Ist er aber auch so eine Art Person, die ein Mädchen von zwanzig glücklich machen kann?«

»Warum nicht, Euer Gnaden? Der Mann ist der erste seines Berufs. Es gibt keinen anderen Waldläufer oder Kundschafter bei der Armee, der nur halb soviel Achtung besäße wie der Pfadfinder oder sie nur halb so gut verdiente.«

»Ganz richtig, Sergeant; aber ist die Achtung, die ein Kundschafter genießt, so eine Art Ruf, um die Phantasie eines Mädchens anzusprechen?«

»Von den Phantasien eines Mädchens zu reden, Sir, ist nach meiner untertänigen Meinung, ebensoviel, als wenn man von dem Urteil eines Rekruten sprechen wollte. Wenn wir uns von den Bewegungen einer tölpischen Rekrutenabteilung wollten leiten lassen, so würden wir das Bataillon nie in eine anständige Linie bringen, Major Duncan.«

»Aber Eure Tochter hat nichts Tölpisches an sich, denn ein anständigeres Mädchen in ihrem Stande findet man selbst in Altengland nicht. Teilt sie über diesen Punkt Eure Ansichten? – doch ich denke, sie muß wohl, da Ihr mir sagt, sie sei verlobt.«

»Wir haben noch nicht über diesen Gegenstand miteinander gesprochen, Euer Gnaden; aber ich betrachte sie in ihrem Sinn für so gut als einverstanden, nach mehreren kleinen Umständen, die wohl von Bedeutung sein möchten.«

»Und was sind das für Umstände, Sergeant?« fragte der Major, der an der Sache mehr teilzunehmen begann, als er im Anfang gefühlt hatte. »Ich bekenne, ich bin ein bißchen neugierig, etwas von dem Sinn der Weiber kennenzulernen, da ich, wie Ihr wißt, selbst ein Junggeselle bin.«

»Euer Gnaden, wenn ich von dem Pfadfinder zu dem Mädchen spreche, so blickt sie mir immer voll ins Gesicht, stimmt mit allem überein, was ich zu seinen Gunsten sage, und benimmt sich dabei auf eine freie und offene Weise, die so viel sagt, als ob sie ihn schon halb als ihren Ehemann betrachte.« »Hm – und diese Zeichen, Sergeant, glaubt Ihr, seien die treuen Merkmale ihrer Gefühle?«

»Ja, Euer Gnaden, denn sie sind auffallend genug. Wenn ich einen Mann finde, Sir, der mir frei ins Gesicht sieht, während er einen Offizier lobt – denn, ich bitte Euer Gnaden um Verzeihung, die Soldaten machen bisweilen ihre Bemerkungen über die Vorgesetzten – wenn ich einen Mann finde, der mir in die Augen sieht, wenn er seinen Kapitän lobt, so nehm‘ ich immer an, daß der Bursch‘ ehrlich ist und es auch so meint, wie er sagt.«

»Ist aber nicht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Alter des Bräutigams und dem seiner artigen Braut, Sergeant?«

»Ganz recht, Sir; Pfadfinder steht um die Vierzig, und Mabel hat jede Aussicht auf ein Glück, das ein junges Weib mit Sicherheit durch den Besitz eines erfahrenen Ehemannes erwarten darf. Ich war selbst volle vierzig Jahre alt, als ich ihre Mutter heiratete.«

»Aber wird Eure Tochter geneigt sein, ein grünes Jagdhemd, wie es Euer würdiger Kundschafter trägt, mit einer Fuchsmütze, ebenso zu bewundern wie die blanke Uniform des Fünfundfünfzigsten?«

»Vielleicht nicht, Sir; dafür wird sie aber das Verdienst der Selbstverleugnung haben, die immer ein junges Weib weiser und besser macht.«

»Und Ihr befürchtet nicht, daß sie noch als junges Weib Witwe werden möchte? Immer unter wilden Tieren und noch wilderen Menschen – man kann von Pfadfinder sagen, daß er sein Leben in seiner Hand trage.«

»Jede Kugel hat ihr bestimmtes Ziel, Lundie«, denn so ließ sich der Major in Augenblicken der Herablassung, und wenn es sich nicht um militärische Angelegenheiten handelte, gerne nennen; »und kein Mann im Fünfundfünfzigsten kann sich vor einem plötzlichen Tod sicher halten. In dieser Hinsicht würde also Mabel bei dem Tausch nichts gewinnen. Außerdem, Sir, um über einen solchen Gegenstand von der Leber ‚runter zu sprechen, zweifle ich sehr, ob der Pfadfinder je in einer Schlacht oder unter den plötzlichen Wechselfällen der Wildnis stirbt.«

»Und warum das, Sergeant?« fragte der Major, indem er auf seinen Untergebenen mit jener Art von Ehrfurcht blickte, die ein Schotte jener Zeit, mehr als dies gegenwärtig der Fall ist, vor mysteriösen Einwirkungen hegte. »Er ist ein Soldat und, was die Gefahr anlangt, einer von denen, die ihr mehr als gewöhnlich ausgesetzt sind; und wenn er auch keine Kapitulation hat, warum soll er da zu entrinnen hoffen dürfen, wo es andere nicht können?« »Ich glaube nicht, daß der Pfadfinder sein eigenes Geschick für besser hält als das irgendeines anderen; aber der Mann wird nie durch eine Kugel sterben. Ich hab‘ ihn so oft sein Gewehr mit einer Fassung handhaben sehen, als ob’s nur ein Schäferstecken wäre, mitten im dichtesten Kugelregen und unter so manchen außerordentlichen Umständen, daß ich mir nicht denken kann, es sei die Absicht der Vorsehung, ihn je auf diese Weise fallen zu lassen. Und doch, wenn irgendein Mann in Seiner Majestät Besitzungen einen solchen Tod verdient, so ist’s der Pfadfinder.«

»Wir können das nie wissen, Sergeant«, erwiderte Lundie, mit gedankenvollem Ernst in seinen Zügen; »und je weniger wir davon sprechen, desto besser ist’s vielleicht. Aber wird Eure Tochter – Mabel, glaube ich, nennt Ihr sie – wird Mabel geneigt sein, einen Mann zu nehmen, der im Grunde doch nur ein Anhängsel zu der Armee ist, und nicht lieber einen aus dem Dienst selbst wählen? Es ist keine Hoffnung zum Avancieren für den Pfadfinder vorhanden, Sergeant.«

»Er ist bereits an der Spitze seines Korps, Euer Gnaden. Kurz, Mabel ist darauf vorbereitet, und da sich Euer Gnaden so weit herabgelassen haben, mit mir von Herrn Muir zu sprechen, so hoff‘ ich, daß Sie die Güte haben, ihm zu sagen, daß das Mädchen so gut als einquartiert für ihr Leben ist.«

»Wohl, wohl, das ist Eure eigene Sache, und nun – Sergeant Dunham!«

»Euer Gnaden«, sagte der andere, indem er sich erhob und die übliche Begrüßung machte.

»Man hat Euch gesagt, daß es meine Absicht sei, Euch für den nächsten Monat nach den Tausendinseln zu schicken. All die alten Subalternoffiziere haben ihre Diensttour in diesem Quartier gehabt, wenigstens alle, denen ich vertrauen durfte, und es kommt nun endlich die Reihe an Euch. Es ist zwar wahr, Leutnant Muir macht auf sein Recht Anspruch, aber da er Quartiermeister ist, so lieb‘ ich’s nicht, altherkömmliche Anordnungen aufzuheben. Sind die Leute gezogen?«

»Alles ist bereit, Euer Gnaden. Der Zug ist vorüber, und ich hörte von dem Kahn, der in der letzten Nacht Botschaft brachte, die Meldung, daß die dortige Mannschaft bereits nach der Ablösung aussähe.«

»Es ist so, und Ihr müßt übermorgen, wenn nicht schon morgen nacht abgehen. Es wird vielleicht klug sein, in der Dunkelheit zu segeln.«

»So denkt Jasper, Major Duncan, und ich kenne niemand, auf den man sich in einer solchen Angelegenheit besser verlassen könnte als auf den jungen Jasper Western.«

»Der junge Jasper Eau-douce?« sagte Lundie, indem sich ein leichtes Lächeln um seinen gewöhnlich ernsten Mund zog. »Wird dieser junge Mensch auch von Eurer Partie sein, Sergeant?«

»Euer Gnaden wird sich erinnern, daß der Scud nie ohne ihn ausläuft.«

»Wahr, aber alle Regeln haben Ausnahmen. Hab‘ ich nicht einen Seemann in den letzten paar Tagen um das Fort gesehen?«

»Ohne Zweifel, Euer Gnaden. Es ist Meister Cap, mein Schwager, der mir meine Tochter heraufbrachte.«

»Warum nicht ihn für diesen Kreuzzug in den Scud setzen, Sergeant, und den Jasper zurücklassen? Euer Schwager würde wohl gern zur Abwechslung mal auf dem Frischwasser kreuzen, und Ihr habt doch mehr von seiner Gesellschaft.«

»Ich habe beabsichtigt, Euer Gnaden um die Erlaubnis zu bitten, ihn mitnehmen zu dürfen; aber er muß als Volontär mitgehen. Jasper ist ein zu braver Junge, als daß man ihn ohne Grund des Kommandos entheben sollte, Major Duncan; und ich fürchte, mein Schwager Cap verachtet das Frischwasser zu sehr, um darauf Dienste zu tun.«

»Gut, Sergeant, ich überlasse das alles Eurem eigenen Urteil. Wenn man die Sache weiter überlegt, so muß Jasper sein Kommando behalten. Ihr beabsichtigt wohl, den Pfadfinder auch mitzunehmen?«

»Wenn es Euer Gnaden billigt. Es wird Dienste geben für beide Kundschafter, den Indianer sowohl als den Weißen.«

»Ich glaube, Ihr habt recht. Nun, Sergeant, ich wünsche Euch gut Glück zu der Unternehmung, und denkt daran, daß der Posten zerstört und verlassen wird, wenn Euer Kommando abläuft. Er wird dann seine Dienste geleistet haben oder wir begehen einen großen Mißgriff, denn wir sind dort in einer zu kitzligen Stellung, um die unnötigerweise zu unterhalten. Ihr könnt abtreten.«

Sergeant Dunham salutierte auf die übliche Weise, drehte sich auf seinen Fersen wie auf Spindelzapfen und hatte fast die Tür hinter sich geschlossen, als er plötzlich wieder zurückgerufen wurde.

»Ich hab‘ vergessen, Sergeant, daß die jüngeren Offiziere um ein Wettschießen angesucht haben, und der morgende Tag ist dazu bestimmt. Alle Bewerber werden zugelassen, und die Preise bestehen in einem mit Silber ausgelegten Pulverhorn, einer ledernen Flasche dito« – er las dieses von einem Stückchen Papier ab – »wie ich aus dem gewerbsmäßigen Jargon dieser Liste ersehe, und einem seidenen Damenkopfputz. Bei dem letzteren kann der Sieger seine Galanterie zeigen, indem er ihn seiner Liebsten zum Geschenk macht.«

»Alles sehr angenehm, Euer Gnaden, wenigstens für den, dem’s glückt. Darf der Pfadfinder auch teilnehmen?«

»Ich sehe nicht ein, wie man ihn ausschließen könnte, wenn er kommen will. Ich hab‘ aber in letzter Zeit bemerkt, daß er keinen Teil an solchen Belustigungen nimmt, wahrscheinlich, weil er von seiner eigenen unübertroffenen Geschicklichkeit überzeugt ist.«

»Es ist so, Major Duncan. Der ehrliche Bursche weiß, daß es keinen an der Grenze gibt, der sich mit ihm messen kann, und wünscht nicht, andere ihres Vergnügens zu berauben. Ich denke, wir können uns jedenfalls auf sein Zartgefühl verlassen, Sir. Es möchte vielleicht gut sein, ihn seinen eigenen Weg gehen zu lassen?«

»In diesem Fall müssen wir’s, Sergeant. Ob er in allem anderen so guten Erfolg erlebt, werden wir sehen. Ich wünsche Euch guten Abend, Dunham.«

Der Sergeant zog sich zurück und überließ Duncan of Lundie seinen eigenen Gedanken. Daß diese nicht ganz unangenehm waren, konnte man an dem Lächeln bemerken, das gelegentlich auf seinem Gesicht spielte, das gewöhnlich einen harten soldatischen Ausdruck zeigte, obgleich es auf Augenblicke wieder dem besonnenen Ernst wich. So mochte ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als ein Pochen an der Tür durch die Aufforderung einzutreten beantwortet wurde. Ein Mann von mittlerem Alter in Offiziersuniform, die aber des in diesem Stande gewöhnlichen geputzten Ansehens entbehrte, trat ein und wurde als Herr Muir begrüßt.

»Ich komme auf Ihren Befehl, Sir, um mein Schicksal zu erfahren«, sagte der Quartiermeister mit hartem schottischen Akzent, sobald er den Sitz eingenommen hatte, der ihm angeboten worden war. »Wahrhaftig, Major Duncan, dieses Mädel richtet in der Garnison so viel Zerstörung an wie die Franzosen vor Ty. Ich habe nie in so kurzer Zeit eine so allgemeine Verwirrung gesehen.«

»Sie wollen mich doch sicherlich nicht überreden, David, daß Ihr junges und unverdorbenes Herz in einer solchen Flamme ist, da es erst die Glut einer Woche trägt? Da war‘ noch ein üblerer Umstand als der in Schottland, wo die innere Hitze, wie man sagt, so übermächtig war, daß sie sogar ein Loch durch Ihren kostbaren Körper brannte, durch das alle Mädchen reingucken konnten, um zu sehen, was das entzündliche Material wert sei.«

»Ich sehe nichts so Besonderes dran, wenn junge Leute dem Zug ihrer Neigung folgen.« »Sie sind aber den Ihrigen so oft gefolgt, David, daß man denken sollte, sie hätten nachgerade den Reiz der Neuheit verloren. Einschließlich iener, der nötigen Formalitäten entbehrenden Affäre in Schottland, wo Sie noch ein junger Bursch waren, haben Sie sich schon viermal verheiratet.«

»Nur dreimal, Major, so wahr ich hoffe, noch ein Weib zu bekommen. Ich habe noch nicht meine Zahl; nein, nein, bloß dreimal.«

»Ich glaube, Sie rechnen die erwähnte erste Geschichte nicht mit – ich meine die, wo kein Pfarrer dabei war?«

»Und warum sollt‘ ich, Major? Das Gericht hat entschieden, daß es keine Heirat war, und was braucht ein Mensch weiter? Das Weib zog Vorteile von einer leichten verliebten Neigung, die vielleicht eine Schwäche in meiner Sinnesart sein mochte, und verführte mich zu einem Kontrakt, der als ungesetzlich befunden wurde.«

»Wenn ich mich recht erinnere, Muir, so glaubte man zu jener Zeit, daß diese Angelegenheit zwei Seiten hätte?«

»Es müßte ein sehr gleichgültiger Gegenstand sein, mein lieber Major, der nicht seine zwei Seiten hätte, und ich weiß von manchen, die ihrer drei hatten. Aber das arme Weib ist tot, auch war kein Nachkomme da, und so hatte die Sache keine weiteren Folgen. Dann war ich besonders unglücklich mit meinem zweiten Weib; ich sage zweites, Major, aus Achtung gegen Sie und unter der Voraussetzung, daß hier doch nur von meiner wirklichen ersten Verheiratung die Rede ist; aber erste oder zweite, ich war besonders unglücklich mit Jeannie Graham, da sie in dem ersten Lustrum starb, ohne mir ein Hähnchen oder Hühnchen zurückzulassen. Ich glaube nicht, daß ich, wenn Jeannie am Leben geblieben wäre, je einen Gedanken auf ein anderes Weib gerichtet hätte.«

»Nun sie aber dies nicht tat, so hatten Sie zweimal nach ihrem Tod wieder geheiratet und gehen damit um, es zum drittenmal zu tun.«

»Der Wahrheit kann natürlich nie widersprochen werden, Major, und ich bin immer bereit, sie anzuerkennen. Ich glaube, Lundie, Sie sind melancholisch an diesem schönen Abend?«

»Nein, Muir, nicht gerade melancholisch, aber, ich gesteh’s, ein bißchen in Gedanken. Ich blickte ein wenig zurück auf meine Jugendjahre, wo ich, der Lairdssohn, und Sie, der des Pfarrers, auf unseren heimatlichen Hügeln als glückliche, sorglose Knaben herumstreiften, die sich wenig um die Zukunft kümmerten. Dann kamen mir einige Gedanken, die ein wenig schmerzlicher sind wegen der Folgezeit, wie sie nun geworden ist.« »Sicherlich, Lundie, beklagen Sie sich nicht über den Ihnen beschiedenen Teil? Sie haben es bis zum Major gebracht und werden bald Oberstleutnant werden, wenn man sich auf Briefe verlassen kann, während ich bloß um eine einzige Stufe höher stehe als zur Zeit, wo mir Ihr geehrter Vater meine erste Stelle verschaffte, und ein armer Teufel von einem Quartiermeister bin.«

»Und die vier Weiber?«

»Drei, Lundie; nur drei waren gesetzlich, sogar nach unseren eigenen liberalen und geheiligten Gesetzen.«

»Wohl denn, lassen wir’s drei sein, David«, sagte Major Duncan, indem er unwillkürlich in die Aussprache und den Dialekt seiner Jugend zurückfiel, was auch bei gebildeten Schottländern leicht geschieht, wenn sie über einen Gegenstand warm werden, der ihr Herz näher berührt. – »Sie wissen’s, David, daß meine eigene Wahl schon lange getroffen ist, und wie ich ängstlich und in banger Hoffnung auf die glückliche Stunde gewartet habe, wo ich einmal das Weib, das ich so lange liebte, mein nennen könnte, und Sie haben hier, ohne Vermögen, Namen, Geburt oder Verdienst – ich meine besonderes Verdienst –-«

»Na, na, können Sie so was sagen, Lundie? Die Muirs sind von gutem Blut.«

»Na schön also, ohne was anderes als Blut haben Sie vier Weiber gehabt.«

»Ich sag‘ Ihnen, nur drei, Lundie. Sie werden die alte Freundschaft schwächen, wenn Sie vier sagen.«

»Lassen wir’s bei Ihrer eigenen Zahl, David; auch die ist schon mehr, als Ihnen gebührt. Unser Leben ist sehr verschieden gewesen, im Punkt des Heiratens wenigstens – Sie müssen das zugeben, mein alter Freund.«

»Und wer, meinen Sie wohl, ist dabei der Gewinnende, Major, wenn wir so frei miteinander sprechen wollen, wie wir’s taten, als wir noch Jungens waren?«

»Ich hab‘ nichts zu verhehlen. Meine Tage gingen hin in verzögerter Hoffnung, während die Ihrigen in –-«

»Nicht realisierter Hoffnung, ich geb‘ Ihnen mein Ehrenwort, Major Duncan«, unterbrach ihn der Quartiermeister. »Von jedem neuen Versuch hoffte ich einen Vorteil; aber Täuschung scheint das Los des Menschen zu sein. Ach, es ist eine eitle Welt, Lundie, man muß es zugeben, und in nichts eitler als im Ehestand.«

»Und doch haben Sie keine Furcht, Ihren Nacken zum fünftenmal in die Schlinge zu Stetten?«

»Ich behaupte, daß es das viertemal ist, Major Duncan«, sagte der Quartiermeister mit Bestimmtheit; dann änderte sich der Ausdruck seines Gesichtes plötzlich in den eines knabenhaften Entzückens, und er fuhr fort: »Aber diese Mabel Dunham ist eine rara avis. Unsere schottischen Mädchen sind schön und angenehm, aber man muß zugestehen, diese Kolonialmädchen übertreffen sie an Liebenswürdigkeit.«

»Sie werden wohltun, Ihre Stellung und Ihr Blut nicht aus dem Auge zu verlieren, David. Ich glaube alle Ihre vier Weiber –-«

»Ich wünschte, mein lieber Lundie, daß Sie in Ihrer Arithmetik etwas genauer wären. Drei mal eins macht drei.«

»Alle drei also waren, was man Frauen von Stand zu nennen pflegt?«

»Gerade so ist’s, Major. Drei waren Frauen von Stand, wie ich Ihnen sage, und die Verbindungen waren angemessen.«

»Und die vierte war die Tochter von meines Vaters Gärtner; diese Verbindung war nicht angemessen. Aber fürchten Sie nicht, daß die Verehelichung mit dem Kind eines Unteroffiziers, der noch dazu mit Ihnen bei demselben Korps steht, die Folge haben wird, Ihr Ansehen bei dem Regiment zu schmälern?«

»Das ist gerade mein Leben lang meine schwache Seite gewesen, Major Duncan, denn ich habe immer geheiratet, ohne auf die Folgen Rücksicht zu nehmen. Jedermann hat seinen Fehler, und ich fürchte, der meinige ist das Heiraten. Doch, da wir nun verhandelt haben, was man die Prinzipien der Verbindung nennen könnte, so möchte ich fragen, ob Sie mir die Gunst erwiesen haben, mit dem Sergeanten über diese Kleinigkeit zu sprechen?«

»Ich tat es, David, befürchte aber, daß ich Ihnen wenig Hoffnung zu einem günstigen Erfolg machen kann!«

»Zu keinem günstigen Erfolg? Ein Offizier und Quartiermeister obendrein und kein günstiger Erfolg bei eines Sergeanten Tochter?«

»Das ist’s gerade, David.«

»Und warum nicht, Lundie? Werden Sie wohl die Güte haben, mir das zu beantworten?«

»Das Mädchen ist verlobt. Hand und Wort gegeben, die Liebe verbürgt – nein, ich will gehangen sein, wenn ich das je glaube: Aber sie ist verlobt.«

»Wohl, das ist ein Hindernis, ich geb’s zu, Major, obgleich ich es nur gering anschlage, wenn das Herz frei ist.«

»Ganz wahr; und mir ist es wahrscheinlich, daß das Herz in diesem Falle frei ist. Der beabsichtigte Ehemann scheint eher die Wahl des Vaters als die der Tochter zu sein.«

»Und wer mag das sein, Major?« fragte der Quartiermeister, der die ganze Sache mit der Philosophie und Ruhe eines erfahrenen Mannes überblickte. »Ich kann mir doch keinen passenden Freier denken, der mir im Wege stehen könnte.«

»Nein, Sie sind der einzige passende Freier an der Grenze, David. Der glückliche Mann ist Pfadfinder.«

»Pfadfinder, Major Duncan?«

»Nicht mehr und nicht weniger, David Muir. Pfadfinder ist der Mann. Aber es mag Ihre Eifersucht ein wenig erleichtern, wenn ich Ihnen sage, daß mir der Handel mehr vom Vater als von der Tochter auszugehen scheint.«

»Ich dachte mir’s«, rief der Quartiermeister aus und schöpfte tiefen Atem wie einer, dem eine Last von seiner Brust genommen wird. »Es ist ganz unmöglich, daß mit meiner Erfahrung in der menschlichen Natur –-«

»Besonders in der Weibernatur, David –-«

»Sie wollen Ihren Scherz haben, Lundie, und mag sich auf den einlassen, wer will. Ich kann’s aber nicht für möglich halten, daß ich mich täuschen sollte über die Neigung eines jungen Frauenzimmers, die – ich kann mich wohl kühn darüber aussprechen, da wir unter uns sind – die über den Stand des Pfadfinders hinausgeht. Was den Mann selbst anbelangt – nun, die Zeit wird’s lehren.«

»Sagen Sie mir doch offen, David Muir«, sprach Lundie, indem er eine kurze Weile seinen Spaziergang unterbrach und den anderen ernst und mit einem komischen Ausdruck der Überraschung ins Gesicht faßte, der die Züge des Veteranen in einem spöttischen Ernst erscheinen ließ – »glauben Sie wirklich, daß ‚ein Mädel, wie die Tochter des Sergeanten Dunham, eine ernsthafte Neigung zu einem Mann von Ihren Jahren, Ihrem Aussehen, und – Ihrer Erfahrung, möcht‘ ich hinzusetzen, fassen kann?«

»Bst, ruhig, Lundie; Sie kennen das Geschlecht nicht, und das ist der Grund, warum Sie in Ihrem fünfundvierzigsten Jahre noch unverheiratet sind. Es ist doch ’ne schreckliche Zeit, die Sie als Junggeselle zugebracht haben, Major!«

»Und was mag Ihr Alter sein, Leutnant Muir, wenn man eine so delikate Frage wagen darf?«

»Siebenundvierzig; ich will’s nicht verleugnen, Lundie, und wenn ich Mabel kriege, so kommt gerade auf jedes Jahrzehnt eine Frau. Aber nein, ich kann nicht denken, daß Sergeant Dunham so niedrig gesinnt sein sollte, um sich’s träumen zu lassen, dieses süße Mädel einem Menschen wie dem Pfadfinder zu geben.«

»Er träumt sich nichts dabei, David; der Mann ist so ernsthaft wie ein Soldat, der gepeitscht werden soll.«

»Wohl, wohl, Major, wir sind alte Freunde« – beide kamen in ihr Schottisch oder vergaßen es, je nachdem sie im Gespräch ihre jüngeren Tage berührten oder davon abkamen – »und sollten wissen, wie man außer dem Dienst einen Scherz zu nehmen oder zu geben hat. Es ist möglich, daß der gute Mann meine Winke nicht verstand oder die Sache sich nie so gedacht hat. Der Unterschied zwischen einer Offiziersfrau und dem Weib eines Kundschafters ist so ungeheuer, als der zwischen dem Alter Schottlands und dem Alter Amerikas. Auch bin ich von altem Blut, Lundie.«

»Nehmen Sie mein Wort dafür, David – Ihr Alter wird Ihnen in dieser Angelegenheit nichts nützen, und was Ihr Blut anbelangt, so ist’s nicht älter als Ihre Knochen. Nun gut; Sie kennen des Sergeanten Antwort und werden bemerken, daß mein Einfluß, auf den Sie so viel gezählt haben, nichts für Sie tun kann. Lassen Sie uns ein Glas miteinander leeren, alter Bekanntschaft wegen, und dann werden Sie guttun, sich der Partie zu erinnern, die morgen abgehen soll, und Mabel Dunham, so gut Sie immer können, zu vergessen.«

»Ach, Major! ich hab’s immer leichter gefunden, ein Weib als ein Schätzchen zu vergessen. Wenn ein Paar so recht ordentlich verheiratet ist, so ist alles im reinen, bis der Tod uns am Ende alle trennt; und es scheint mir höchst unehrerbietig, die Hingeschiedenen zu beunruhigen. Dagegen hat man den Mädels gegenüber so viel Angst, Hoffnung und Glückseligkeit in der liebenden Erwartung, daß die Gedanken immer rege erhalten werden.«

»Das ist grade auch meine Ansicht von Ihrer Lage, David; denn ich habe nie vermutet, daß Sie noch eine weitere Glückseligkeit von Ihren Weibern erwarten. Nun, ich hab‘ wohl schon von Burschen gehört, die so einfältig waren, das Glück mit ihren Weibern auch jenseits des Grabes zu suchen. Ich trinke Ihnen zu auf glückliche Fortschritte oder auf baldige Wiedergenesung von diesem Anfall, Leutnant, und ermahne Sie, für die Zukunft vorsichtiger zu sein, da einige solcher heftiger Zufälle Ihnen am Ende den Garaus machen könnten.«

»Schönen Dank, lieber Major, und baldiges Ende einer bekannten alten Freierei. Das ist ein wahrer Bergtau, Lundie, und wärmt das Herz wie ein Strahl aus dem guten Schottland. Was die erwähnten Leute anlangt, so konnten sie nur ein Weib gehabt haben; denn wenn einer einmal einige gehabt hat, so bringen ihn die Weiber selbst durch ihr Benehmen auf andere Gedanken. Ich denke, ein vernünftiger Ehemann muß zufrieden sein, wenn er seine freie Zeit mit einem wunderlichen Weib zubringen kann, das dieser Welt angehört, und soll nicht wegen unerreichbarer Dinge den Kopf hängen lassen. Ich bin Ihnen unendlich verbunden, Major Duncan, für diesen und alle anderen Freundschaftsbeweise, und wenn Sie noch einen weiteren dazufügen wollten, so würde ich glauben, daß Sie den Spielkameraden Ihrer Jugend nicht ganz vergessen hätten.«

»Schön, David, wenn das Gesuch ein vernünftiges ist und so, daß es ein Vorgesetzter zugestehen kann, heraus damit.«

»Wenn Sie nur einen kleinen Dienst für mich da unten an den Tausendinseln ersinnen könnten, so für vierzehn Tage vielleicht. Ich denke, solcher Umstand würde zur Zufriedenheit aller Parteien ausfallen. Es fällt mir eben auch ein, Lundie, daß das Mädel die einzig heiratbare Weiße an dieser Grenze ist.«

»Es gibt immer einen Dienst für einen Mann in Ihrer Stellung auf einem Posten, wenn er auch nur unbedeutend ist; aber dort unten kann er vom Sergeanten ebensogut wie von einem Generalquartiermeister besorgt werden – und wohl noch besser.«

»Aber nicht besser als von einem Regimentsoffizier. Es findet im allgemeinen eine große Verschwendung bei den Ordonnanzen statt.«

»Ich will mir’s überlegen, Muir«, sagte der Major lachend. »Sie sollen morgen meine Antwort haben. Auch wird es morgen für Sie eine schöne Gelegenheit geben, sich vor der Dame zu zeigen. Sie wissen mit der Büchse gut umzugehen, und es gibt Preise zu gewinnen. Machen Sie sich gefaßt, Ihre Geschicklichkeit zu entwickeln, und wer weiß, was geschieht, ehe noch der Scud absegelt.«

»Ich denke, die meisten jungen Leute werden die Sicherheit ihrer Hand bei diesem Spiel versuchen wollen, Major?«

»Das werden sie, und einige von den Alten auch, wenn Sie dabei erscheinen. Um Sie in der Fassung zu erhalten, will ich selbst einen Schuß oder zwei tun, David; und Sie wissen, daß ich in dieser Beziehung einigen Ruf habe.«

»Das weibliche Herz, Major Duncan, ist verschiedenartig empfänglich. Einige verlangen von ihrem Anbeter, daß er gegen sie eine regelmäßige Belagerung eröffne, und kapitulieren bloß, wenn sich der Platz nicht länger halten kann; andere lieben es, wenn sie im Sturm genommen werden, indes wieder andere solche Drachen sind, daß man sie nur fangen kann, wenn man sie in einen Hinterhalt leitet. Das erste ist das anständigste und vielleicht das am meisten für einen Offizier passende Verfahren, obschon ich sagen muß, daß das letztere am meisten Vergnügen macht.«

»Eine Ansicht, die Sie ohne Zweifel Ihrer Erfahrung verdanken. Und wie ist’s mit der Sturmpartie?«

»Die mag für jüngere Leute passen«, erwiderte der Quartiermeister, indem er aufstand und mit den Augen zwinkerte, eine Freiheit, die er sich oft auf Rechnung seiner langjährigen Vertrautheit gegen seinen kommandierenden Offizier herausnahm; »jede Periode des Lebens hat ihre Erfordernisse, und im Siebenundvierzigsten ist’s gerade angemessen, sich ein wenig auf den Kopf zu verlassen. Ich wünsche recht guten Abend, Major Duncan, und gute Besserung mit der Gicht.«

»Danke, Herr Muir. Vergessen Sie morgen das Wettschießen nicht!«

Der Quartiermeister zog sich zurück und überließ es Lundie, in seiner Bibliothek seinen Gedanken nachzuhängen. Langjähriger Umgang hatte den Major Duncan so an den Leutnant Muir und an dessen Weise und Laune gewöhnt, daß ihm sein Betragen nicht mehr auffiel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Fluellen: Die Kinder und den Troß
erschlagen! ’s ist ausdrücklich gegen Kriegs-
gebrauch; ’s ist der schändlichste Schurken-
streich, merkt’s euch, den es auf Erden geben
kann!
König Heinrich V.

So lange ihr Feind und sein Schlachtopfer noch sichtbar waren, blieb die Menge regungslos, als wäre sie von einer dem Huronen günstigen Macht an die Stelle gebannt; sobald er aber verschwand, erschien Alles von wilder Leidenschaft mächtig aufgeregt. Uncas blieb auf seinem erhöhten Standpunkte, Cora im Auge behaltend, bis sich die Farben ihrer Kleidung in dem Laube des Waldes verloren; dann stieg er herab, schritt schweigend durch das Gedränge und verschwand in der Hütte, welche er vor Kurzem erst verlassen hatte. Einige ernstere und aufmerksamere Krieger bemerkten, wie die Augen des jungen Häuptlings im Vorübergehen Blitze des Zornes schoßen, und folgten ihm nach dem Orte, den er zur stillen Ueberlegung sich ausersehen hatte. Jetzt wurde Tamenund und Alice entfernt, den Weibern und Kindern aber befohlen, sich zu zerstreuen. Während der bedeutsamen Stunde, die nun folgte, glich das Lager einem Schwarm aufgestörter Bienen, welche nur das Erscheinen und den Vorgang der Führerin erwarten, um einen wichtigen Flug in die Ferne zu unternehmen.

Ein junger Krieger trat endlich aus Uncas‘ Wohnung; er ging mit ernstem, bedächtigem Schritt auf eine Zwergfichte los, die aus den Spalten der Felsenterrasse wuchs, zog ihr die Rinde ab und kehrte, ohne zu sprechen, wieder dahin zurück, woher er gekommen war. Ihm folgte bald ein zweiter, welcher den Baum seiner Aeste beraubte und den Stamm kahl und entblößt zurückließ. Ein dritter färbte den Pfosten mit einer dunkelrothen Malerei. Alle diese Zeichen von feindlicher Absicht bei den Führern der Nation wurden von den umstehenden Kriegern mit düsterem, bedeutungsvollem Schweigen aufgenommen. Endlich erschien der Mohikaner wieder selbst: er hatte seinen Anzug bis auf den Gürtel und die Beinkleider abgelegt, und die eine Hälfte seiner schönen Gesichtszüge war mit tiefem Schwarz, wie mit einer drohenden Wolke bedeckt.

Langsam und würdevoll näherte sich Uncas dem Pfosten und begann ihn alsbald abgemessenen Schrittes zu umkreisen, nicht unähnlich einem Tanze des Alterthums; während er zugleich seine Stimme zu einem wilden, regellosen Kriegsgesang erhob. Die Töne stiegen zu der äußersten Höhe menschlicher Laute, oft so melancholisch und klagend, daß sie mit dem Gesänge der Vögel wetteiferten; und dann wieder in plötzlichen Uebergängen so tief und kraftvoll, daß die Zuhörer darunter schauerten. Der Worte waren wenige, sie wiederholten sich oft, gingen von einer Art Hymne oder einem Anrufen der Gottheit allmählig darauf über, das Kriegsvorhaben anzukündigen, und schloßen, wie sie begannen, mit der Anerkennung seiner Abhängigkeit von dem großen Geiste. Wenn es möglich wäre, die ausdrucksvolle, melodische Sprache des jungen Kriegers zu übertragen, so möchte die Ode etwa so lauten:

Manitto! Manitto! Manitto!
Du bist groß, du bist gut, du bist weise:
Mannito ! Mannito!
Du bist gerecht!
In den Himmeln, an den Wolken, oh! da gewahr‘ ich
Viele Flecken – viele schwarz, viele roth:
An den Himmeln, oh! da seh‘ ich
Viele Wolken.
In den Wäldern, in der Luft, oh! da hör‘ ich
Kriegsruf, Geschrei und langes Geheul.
In den Wäldern, oh! da hör‘ ich
lauten Kriegsruf!
Manitto! Manitto! Manitto!
Ich bin schwach – du bist stark; ich bin langsam –
Manitto! Manitto!
Leih‘ mir Hülfe!

Am Ende jedes Verses, wie man es nennen konnte, machte er eine Pause, indem er seine Stimme erhob und länger aushielt, wie es den gerade ausgedrückten Gefühlen eben entsprach. Der erste Schluß war feierlich und sollte den Gedanken der Verehrung nahe legen; der zweite beschreibend und an das Aufregende gränzend; und der dritte war das wohlbekannte, schreckliche Kriegsgeschrei, das wie eine Vereinigung all der furchtbaren Klänge einer Schlacht den Lippen des jungen Kriegers entströmte. Der letzte war gleich dem ersten, demüthig, flehend. Dreimal wiederholte er diesen Gesang und ebenso oft umtanzte er den Pfosten.

Am Schluß der ersten Runde folgte ein ernster, hochgeachteter Häuptling der Lenapen seinem Beispiele, selbstgedichtete Worte singend, aber nach einer ähnlichen Weise. Krieger um Krieger schloß sich dem Tanze an, bis Alle, die in einigem Ruf und Ansehen standen, dabei versammelt waren. Das Schauspiel wurde jetzt wild und schreckhaft; die grimmigen, drohenden Gesichter der Häuptlinge erhielten einen noch gewaltigeren Ausdruck durch die grauenerregenden Töne, die sie aus tiefster Kehle ausstießen. Jetzt schlug Uncas seinen Tomahawk tief in den Pfosten und erhob die Stimme zu einem Geheul, das man sein eigenes Schlachtgeschrei nennen konnte. Damit kündigte er an, daß er die oberste Leitung in dem beabsichtigten Kriegszüge übernehme.

Dieses Signal weckte alle schlummernden Leidenschaften des ganzen Stammes. Hundert Jünglinge, die bisher die Scheu der Jugend zurückgehalten hatte, stürzten, Wahnsinnigen gleich, auf das Sinnbild des Feindes, und hieben Splitter um Splitter zusammen, bis von dem Stamme nichts mehr als die Wurzeln in der Erde übrig war. Während dieses Tumults wurden an den einzelnen Ueberresten des Baumes alle Gräuelthaten des Kriegs, wie es schien, mit einer Wuth verübt, als ob sie die lebendigen Opfer ihrer Grausamkeit wären. Die Einen wurden skalpirt, die Andern erhielten Streiche mit der scharfen, blinkenden Axt, wieder Andere erlitten Stöße von dem tödtenden Messer. Kurz, der Eifer und die wilde Freude waren so groß und unzweideutig, daß man wohl erkannte, die Unternehmung werde zu einem Kriege der ganzen Nation werden.

Sobald Uncas den Streich geführt hatte, trat er aus dem Kreise und warf sein Auge nach der Sonne empor, welche eben den Punkt erreichte, wo der Waffenstillstand mit Magua zu Ende ging. Ein entsprechendes Geschrei verkündete den Augenblick, und die ganze tobende Menge verließ unter durchdringenden Freudenrufen ihr mimisches Kampfspiel, um sich für die gefährlichere Wirklichkeit vorzubereiten.

Augenblicklich war das ganze Lager wie umgewandelt. Die Krieger, bereits bewaffnet und bemalt, wurden so stumm, als ob sie keines ungewöhnlichen Ausdrucks ihrer Gemüthsbewegung fähig wären. Dagegen stürzten die Frauen aus ihren Wohnungen, abwechselnd Gesänge der Freude und der Klage erhebend, in so seltsamem Gemisch, daß man schwer sagen konnte, welche Empfindung die Vorherrschende sey. Keine war jedoch müßig. Die Einen trugen ihre kostbarste Habe, Andere ihre Kinder, wieder Andere alte und gebrechliche Personen in den Wald, der wie ein glänzend grüner Teppich die Ansteigung des Berges bedeckte. Hieher begab sich auch Tamenund mit ruhiger Fassung nach einer kurzen und rührenden Unterredung mit Uncas, von welchem sich der Greis mit dem Widerstreben eines Vaters trennte, der ein längst verlorenes, eben wieder gewonnenes Kind verlassen soll.

Mittlerweile hatte Duncan Alice in Sicherheit gebracht und suchte jetzt den Kundschafter auf, mit einem Ausdrucke, welcher deutlich verrieth, wie sehr auch er nach dem nahen Kampfe dürste.

Hawk-eye aber war an den Schlachtgesang und die kriegerischen Bewegungen der Eingebornen zu sehr gewöhnt, um an der Scene um ihn her Theilnahme zu zeigen. Gelegentlich nur warf er einen Blick auf die Zahl und Tüchtigkeit der Krieger, welche von Zeit zu Zeit ihre Bereitwilligkeit, Uncas in den Kampf zu begleiten, kundgaben. Hierin sah er sich bald befriedigt: alle streitbaren Männer der Nation hatten sich, wie wir bereits gesehen haben, schnell um den jungen Häuptling gesammelt. Nachdem er über diesen Hauptpunkt im Reinen war, sandte er einen indianischen Knaben ab, seinen Wildtödter und Uncas‘ Büchse von der Stelle zu holen, wo sie die Waffen bei ihrer Annäherung an das Lager der Delawaren niedergelegt hatten. Diese Vorsicht war doppelt klug gewählt worden: sie schützte ihre Waffen vor gleichem Schicksal, wenn sie selbst als Gefangene zurückgehalten wurden, und gab ihnen den Vortheil, unter den Fremden mehr als Nothleidende denn als Männer zu erscheinen, die Mittel zur Vertheidigung und zum Unterhalte besäßen. Wenn der Kundschafter einen Andern wählte, um seine hochgeschätzte Waffe wieder zu gewinnen, so hatte er damit nur seine gewöhnliche Behutsamkeit gezeigt. Er wußte, daß Magua nicht unbegleitet gekommen war, und ebenso, daß Spione der Huronen dem ganzen Saume der Wälder entlang die Bewegungen ihrer neuen Feinde belauerten. Hätte er selbst den Versuch gemacht, so konnte er ihm Verderben bringen, wie jedem andern Krieger: Gefahr für einen Knaben war aber erst vorauszusehen, wenn man dessen Absicht entdeckte. Als Heyward zu dem Kundschafter trat, erwartete dieser ruhig den Erfolg dieses Versuches ab.

Dem Knaben, der wohl unterrichtet und schlau genug war, schwoll die Brust vor Stolz über das ihm geschenkte Vertrauen und vor jugendlichem Ehrgeiz; er eilte sorgenlos über die Lichtung hin nach dem Walde und betrat ihn in geringer Entfernung von der Stelle, wo die Gewehre verborgen lagen. Sobald er von den Blättern der Büsche gedeckt war, sah man seine dunkle Gestalt einer Schlange gleich, nach dem gewünschten Schatze hingleiten. Er gewann ihn und flog im nächsten Augenblick, in jeder Hand einen Preis seines Muthes, pfeilschnell über die schmale Lichtung hin, welche die Terrasse des Dorfes begränzte. Schon hatte er die Felsen gewonnen und sprang mit unglaublicher Behendigkeit hinan, da fiel ein Schuß aus dem Walde und bewies, wie wahr der Kundschafter geurtheilt hatte. Der Knabe antwortete mit einem leichten, verächtlichen Schrei; und sogleich ward ihm von einer andern Seite des Verstecks eine zweite Kugel nachgesendet. Jetzt erschien er auf der Fläche oben und eilte, seine Büchsen im Triumphe emporhebend, mit der Miene eines Siegers auf den berühmten Jäger zu, der ihn mit einem so ruhmvollen Auftrag beehrt hatte.

Trotz des lebhaften Antheils, den Hawk-eye an dem Schicksale seines Boten genommen hatte, empfing er doch den Wildtödter mit einer Freude, die für den Augenblick alle anderen Gedanken aus seiner Seele verdrängte. Nachdem er das Gewehr mit scharfem Auge gemustert, die Zündpfanne zehen bis fünfzehen Male geöffnet und geschlossen und verschiedene andere wichtige Versuche mit dem Schloß gemacht hatte, wandte er sich an den Knaben und fragte mit vieler Güte, ob er beschädigt sey. Der junge Held sah ihm stolz ins Gesicht, gab aber keine Antwort.

»Ja, ja! Ich seh’s, Junge, die Schufte haben dir den Arm gestreift!« sezte der Kundschafter hinzu, indem er das Glied des standhaften Dulders, welches eine tiefe Fleischwunde von einer der Kugeln erhalten, emporhielt; »aber ein paar gequetschte Erlenblätter werden Wunder darauf thun. Indessen will ich ein Wampum-Stück darauf binden! Frühe hast du das Kriegshandwerk begonnen, wackrer Junge, und wirst ohne Zweifel eine gute Anzahl ehrenvoller Narben mit in dein Grab nehmen. Ich kenne manche junge Männer, die schon Skalpe abzogen und kein solches Zeichen aufzuweisen haben. Geh,« sprach er, nachdem er ihm den Arm verbunden hatte, »aus dir wird dereinst ein Häuptling werden,«

Der Knabe entfernte sich, stolzer auf das Blut, das an ihm herabfloß, als der eitelste Höfling auf sein rothes Band seyn kann, und wandelte unter seinen Gespielen umher, ein Gegenstand des Neides und allgemeiner Bewunderung.

Aber in einem Augenblick, wo so ernste und wichtige Pflichten mahnten, fand dieser einzelne Zug jugendlichen Muthes nicht die Beachtung und das Lob, die ihm in günstigeren Zeiten zu Theil geworden wären. Er hatte jedoch dazu gedient, die Delawaren über die Stellung und die Absichten ihrer Feinde zu unterrichten. Sofort wurde eine Abtheilung von Plänklern, einer solchen Aufgabe besser gewachsen, als der schwache wenn gleich muthvolle Knabe, abgeordnet, um die Laurer zu vertreiben. Dies war bald gethan: denn die meisten Huronen hatten sich von selbst zurückgezogen, sobald sie sich entdeckt sahen. Die Delawaren folgten ihnen eine ziemliche Strecke weit von dem eigenen Lager weg und warteten dann weiterer Befehle, um nicht in einen Hinterhalt geleitet zu werden. Da beide Theile sich verborgen hielten, so wurde der Wald wieder so still und ruhig, als ihn ein milder Sommermorgen und tiefe Einsamkeit nur immer machen konnten.

Der ruhige und doch ungeduldige Uncas versammelte jetzt seine Häuptlinge und vertheilte seine Streitmacht, Er stellte ihnen Hawk-eye als einen oft erprobten Krieger vor, der unbedingtes Vertrauen verdiene. Als er fand, daß sein Freund günstig aufgenommen wurde, stellte er zwanzig Krieger unter seinen Befehl, gleich ihm rüstig, gewandt und entschlossen. Dann erläuterte er den Delawaren Heyward’s Rang bei den Truppen der Yengeese, und bot ihm eine eben so wichtige Stelle an, Duncan aber lehnte den Antrag ab und erklärte sich bereit, an der Seite des Kundschafters als Freiwilliger zu kämpfen. Nach diesen Bestimmungen wies Uncas mehreren eingebornen Häuptlingen ihre Obliegenheiten an, und gab, da die Zeit drängte, das Zeichen zum Marsche. Schweigsam, aber mit Freuden gehorchten mehr denn zweihundert Krieger. Ihr Eintritt in den Wald blieb vollkommen unangefochten: sie begegneten keinem lebenden Wesen, das sie hätte beunruhigen oder innen Aufschluß geben können, bis sie an die Verstecke ihrer eigenen Kundschafter gelangten. Hier wurde Halt gemacht, und die Häuptlinge versammelten sich zu flüsternder Berathung. Verschiedene Operationsplane wurden vorgeschlagen, doch keiner von der Art, daß er mit den Wünschen ihres feurigen Anführers zusammenstimmte. Wäre Uncas dem Drange seiner Neigung gefolgt, so hätte er, ohne einen Augenblick zu zögern, seine Gefährten zum Angriff geführt und den Kampf mit einem Male entschieden: ein solcher Gang aber wäre mit der Gewohnheit und Ansicht seiner Landsleute in zu grellem Widerspruch gestanden. Er war daher genöthigt, eine Vorsicht zu beobachten, die er in seiner jetzigen Stimmung verwünschte, und Rathschläge anzuhören, die seinen feurigen Geist in Entrüstung versezten, wenn er Cora’s Gefahr und Magua’s Uebermuth lebhaft gedachte.

Nach einer unbefriedigenden Berathung von einigen Minuten sahen sie von feindlicher Seite her einen einzelnen Mann scheinbar so eilig an sie herankommen, daß sie glaubten, er könnte ein Bote mit Friedens-Vorschlägen sehn. Als sich der Fremde aber dem Versteck, hinter welchem die Delawaren der Berathung pflogen, auf etwa hundert und fünf und zwanzig Schritte genähert hatte, zögerte er; wie es schien, ungewiß, welchen Weg er einschlagen solle, und blieb endlich stehen. Aller Augen waren jetzt auf Uncas gerichtet, als erwarteten sie von ihm Verhaltungsregeln.

»Hawk-eye,« sprach der junge Häuptling mit leiser Stimme, »er darf nie wieder mit den Huronen sprechen.«

»Sein Stündlein hat geschlagen,« sprach der Kundschafter lakonisch, indem er das lange Rohr seiner Büchse durch die Blätter steckte und bedächtlich sein verhängnisvolles Ziel suchte. Statt aber abzudrücken, senkte er die Mündung und überließ sich einem Ausbruch der ihm eignen Heiterkeit. »Ich nahm den Schelm für einen Mingo, so wahr ich ein armer Sünder bin!« sprach er: »als mein Auge aber an seinen Rippen hinschweifte, um einen Platz für die Kugel zu suchen, da bekam ich – wirst du es glauben, Uncas – unseres Musikers Blasinstrument zu Gesicht! und so ist es, Allem nach, unser Gamut, dessen Tod Niemand nützen, dessen Leben uns aber, wenn seine Zunge anders etwas mehr als singen kann, für viele Zwecke nützlich zu werden vermag. Wenn Töne nicht alle Kraft verloren haben, so will ich alsbald mit dem ehrlichen Burschen ins Gespräch kommen, und das mit einer Stimme, die er angenehmer finden wird als meinen Wildtödter.«

Mit diesen Worten legte Hawk-eye seine Büchse bei Seite, kroch durch die Büsche, bis ihn David hören konnte, und wiederholte jene musikalischen Versuche, welche ihn mit so viel Sicherheit und Glanz durch das Lager der Huronen geführt hatten. Davids verfeinerte Organe ließen sich nicht leicht täuschen (und wirklich wäre es auch jedem Andern, außer Hawk-eye, schwer gefallen, einen ähnlichen Lärm hervorzubringen), und da er solche Töne schon ein Mal gehört hatte, erkannte er, woher sie rührten. Der arme Schelm schien mit einemmale einer großen Noth enthoben: er folgte der Richtung der Stimme – eine Aufgabe, die für ihn nicht viel weniger schwierig war, als wenn er einer Batterie hätte entgegengehen sollen – und entdeckte bald den verborgenen Sänger.

»Ich möchte wohl wissen, was die Huronen hievon denken!« sprach der Kundschafter lachend, indem er seinen Begleiter am Arme nahm und ihn in den Hintergrund zog. »Wenn die Schelme innerhalb Hörweite liegen, so werden sie sagen, statt eines Narren sind nun zwei da. Aber hier sind wir sicher,« fuhr er fort, indem er auf Uncas und seine Krieger deutete, »Nun erzählt uns in gutem Englisch, was die Mingos alles vorhaben, aber ohne Eure Künsteleien mit der Stimme.«

David gaffte die trotzigen und wild aussehenden Häuptlinge in stummer Verwunderung an: aber durch den Anblick bekannter Gesichter wieder ermuthigt, nahm er sich in soweit zusammen, daß er eine verständliche Antwort geben konnte.

»Die Heiden sind in großer Anzahl ausgezogen,« sprach David; »und ich fürchte, sie haben nichts Gutes im Sinne. Seit einer Stunde war ein Geheul, ein gottloses Jauchzen in Tönen, die auszustoßen Sünde ist, unter ihnen, daß ich davon floh, um bei den Delawaren Frieden zu suchen.«

»Eure Ohren hätten bei dem Wechsel nicht viel gewonnen, wenn Ihr schneller zu Fuß gewesen wäret,« antwortete der Kundschafter etwas trocken. »Doch lassen wir das – wo sind die Huronen?«

»Sie liegen zwischen hier und dem Dorfe zahlreich in dem Walde verborgen, so daß es der Klugheit gemäß wäre, sogleich umzukehren.«

Uncas warf einen Blick längs der Baumreihe hin, die seine Schaar verborgen hielt, und fragte:

»Magua?«

»Ist unter ihnen. Er brachte das Mädchen zurück, welches bei den Delawaren gewesen war, ließ sie in der Höhle zurück und stellte sich dann, einem wüthenden Wolfe gleich, an die Spitze seiner Wilden. Ich weiß nicht, was seinen Geist so gewaltig aufgeregt hat!«

»Er hat sie, sagt Ihr, in der Höhle zurückgelassen?« unterbrach ihn Heyward. »Es ist gut, daß wir deren Lage kennen! Können wir nichts thun, sie sogleich zu befreien?«

Uncas sah den Kundschafter ernsthaft an, und fragte dann:

»Was sagt Hawk-eye?«

»Gib mir meine zwanzig Büchsen, dann wend‘ ich mich rechts, dem Wasser nach, geh‘ an den Biberhütten vorbei und nehm‘ den Sagamoren und den Obrist zu mir. Dann sollst du das Schlachtgeschrei von jener Seite hören; bei diesem Winde dringt es schon eine Meile weit. Dann, Uncas, greifst du sie von vorne an, und wenn sie uns in Schußweite kommen, sollen sie eine Salve haben, daß sich, die Ehre eines alten Gränzjägers zum Pfande, ihre Linie wie ein Bogen von Eschenholz biegen soll. Dann gehen wir auf das Dorf los, befreien das Mädchen aus der Höhle und bringen die Sache mit dem Stamme zu Ende, nach europäischer Kampfweise durch einen siegreichen Schlag, oder auf indianische Manier durch List und Hinterhalt. Dieser Plan ist zwar nicht sehr gelehrt, Major, aber mit Muth und Ausdauer läßt sich Alles zu Stande bringen.«

»Er gefällt mir wohl!« rief Duncan, sobald er sah, daß Cora’s Befreiung des Kundschafters Hauptaugenmerk war, »er gefällt mir wohl. Nun sogleich zur Ausführung!«

Nach einer kurzen Besprechung war der Plan zur Reife gelangt und den verschiedenen Partien deutlicher gemacht. Signale wurden verabredet, und die Häuptlinge trennten sich, ein jeder auf den ihm zugetheilten Posten.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Es mehren Seuchen sich und Leichenfeuer,
Bis ohne Lösegeld der große König
Nach Chrysa schickt das Mädchen, schwarz von Augen.
Pope.

Während Uncas seine Streitkräfte auf diese Weise vertheilte, waren die Wälder so still und mit Ausnahme derer, die sich so eben berathen hatten, scheinbar so unbewohnt, als ob sie eben erst aus den Händen des Schöpfers gekommen wären. Das Auge konnte nach allen Richtungen hin durch die langen und schattigen Wölbungen der Bäume blicken, aber nirgends war ein Gegenstand zu sehen, der nicht zu der friedlichen und schlummernden Scene rings umher gestimmt hätte. Hier und da hörte man einen Vogel zwischen den Aesten der Bäume flattern, oder ließ ein Eichhörnchen eine Nuß fallen, deren Geräusch den aufgeschreckten Trupp einen Augenblick nach der Stelle hinblicken ließ. Sobald aber die zufällige Unterbrechung vorüber war, hörte man die Luft wieder leise über die wogende grüne Waldfläche dahinsäuseln, die sich, nur hin und wieder von einem Fluß oder See unterbrochen, über eine so endlose Strecke Landes verbreitete. Der Strich der Wildniß zwischen den Delawaren und dem Dorfe ihrer Feinde schien noch von keinem Fuße eines Menschen betreten, so tief und athemlos war die Stille, die auf ihm ruhte. Aber Hawk-eye, dessen Amt es war, am weitesten vorzudringen, kannte den Charakter seiner Gegner zu gut, um dieser verrätherischen Ruhe zu trauen.

Als der Kundschafter seine kleine Schaar um sich gesammelt sah, warf er den Wildtödter in den Bug des Armes und gab ihr schweigend ein Zeichen, daß sie ihm folgen sollten. Er führte sie einige Ruthen weit rückwärts nach dem Bett eines kleinen Baches, den sie beim Vorrücken überschritten hatten. Hier machte er Halt, bis sich die ernsten und aufmerksamen Krieger alle dicht an ihn angeschlossen hatten, und fragte dann in delawarischer Sprache:

»Weiß einer meiner jungen Männer, wohin dieser Bach uns führt?«

Ein Delaware streckte die Hand aus, hielt zwei Finger auseinander, auf die Stelle deutend, wo sie sich unten wieder vereinigten, und antwortete:

»Ehe die Sonne ihre Bahn durchläuft, wird das kleine Wasser in dem großen seyn. Dann,« setzte er hinzu, nach der Richtung des erwähnten Ortes weisend, »werden die zwei groß genug für die Biber.«

»So dacht‘ ich auch,« versetzte der Kundschafter, sein Auge nach den Oeffnungen der Baumgipfel erhebend, »seinem Laufe nach und der Lage der Berge gemäß. Genossen, wir wollen uns unter dem Schütze seiner Ufer halten, bis wir die Huronen wittern,«

Seine Begleiter ließen den gewohnten kurzen Ausruf des Beifalls hören: als sie aber sahen, daß ihr Anführer sich nun an ihre Spitze stellen wollte, bedeuteten einige durch Zeichen, daß nicht Alles so sey, wie es seyn solle. Hawk-eye verstand ihre Blicke, wandte sich um und gewahrte, daß der Singmeister ihnen bis dahin gefolgt war.

»Wißt Ihr, Freund,« fragte der Kundschafter ernst und vielleicht mit einigem Stolz auf die Anerkenntniß seines Verdienstes, – »daß ihr unter einer Bande von Streitern seyd, zu dem verzweifeltsten Dienste erlesen, und unter den Befehlen eines Mannes, der, wenn auch ein anderer so etwas mit besserer Stirne sagen dürfte, sie nicht müßig gehen lassen wird? Sicher in den nächsten dreißig, vielleicht schon in fünf Minuten, schreiten wir über den Leib eines lebendigen oder todten Huronen weg,«

»Obgleich nicht mit Worten von eurer Absicht unterrichtet,« versetzte David, dessen Gesicht etwas geröthet war, während sein sonst ruhiges, wenig sagendes Auge von ungewöhnlichem Feuer erglänzte, »so haben mich doch Eure Männer an die Kinder Jacobs erinnert, wie sie gegen die Sichemiten zu Felde zogen, weil die ruchloserweise eine Dirne von dem auserwählten Volke des Herrn in die Ehe begehrten. Nun bin ich mit dem Mädchen, das Ihr suchet, weit gewandert, in Freud und Leid mit ihr zusammen gewesen, und obgleich ich kein Kriegsmann bin, der seine Lenden gegürtet und das scharfe Schwert in Bereitschaft hat, so wollte ich für sie doch gerne einen Streich führen.«

Der Kundschafter zögerte, als erwäge er die möglichen Folgen einer so seltsamen Genossenschaft und antwortete dann:

»Ihr wißt ja keine Waffe zu gebrauchen. Ihr habt keine Büchse, und glaubt mir, was die Mingos einnehmen, geben sie auch reichlich wieder heim.«

»Obgleich ich kein prahlerischer, blutdürstiger Goliath bin,« erwiederte David, eine Schleuder unter seiner formlosen, vielfarbigen Kleidung hervorziehend, »so habe ich doch das Beispiel des jüdischen Knaben nicht vergessen. Mit diesem alten Kriegswerkzeug bin ich in meiner Jugend viel umgegangen, und vielleicht hat mich mein Geschick noch nicht ganz verlassen.«

»Nun,« sprach Hawk-eye, den hirschledernen Riemen und das Schurzfell mit kaltem, entmuthigendem Auge betrachtend; »das Ding möchte gegen Bogen und selbst gegen Messer seine Stelle ausfüllen, diese Mengwe’s aber sind von den Franzmännern Mann für Mann mit gutgezogenen Röhren versehen worden. Doch da es Euch einmal gegeben scheint, unversehrt im Feuer zu bleiben, und Ihr bisher so begünstigt wäret – Major, Ihr habt den Hahn gespannt gelassen, ein einziger Schuß vor der Zeit könnte unnützer Weise gerade zwanzig Skalpe kosten – Sänger, Ihr mögt uns begleiten, wir können Euch beim Kriegsgeschrei brauchen.«

»Ich dank‘ Euch, Freund,« entgegnete David, indem er sich gleich seinem königlichen Namensvetter an dem Bache mit Kieselsteinen versah: »obgleich mein Sinn nicht aufs Tödten gerichtet ist, so hätte es doch meinen Geist betrübt, wenn Ihr mich weggeschickt hättet.«

»Merkt’s Euch aber,« setzte der Kundschafter hinzu, an dem eigenen Haupte bedeutungsvoll auf die Stelle deutend, wo Gamut seine Wunde gehabt, »es geht zum Kampfe, nicht zum Musiciren. Ehe das allgemeine Kriegsgeschrei ertönt, darf hier nur die Büchse sprechen.«

David nickte, um seine Zustimmung zu diesen Bedingungen anzudeuten; dann warf Hawk-eye noch einen beobachtenden Blick auf seine Gefährten und gab alsbald das Zeichen weiter zu ziehen. Ihr Marsch ging eine Meile weit dem Bette des Gewässers entlang. Obgleich vor der Gefahr einer Entdeckung durch die steilen Ufer und das dichte Gestrüpp geschützt, das den Bach umgab, versäumten sie dennoch keine Vorsichtsmaßregel eines indianischen Kriegszuges. An jeder Seite ging oder kroch vielmehr ein Krieger, um hie und da verstohlene Blicke in den Wald umher zu werfen. Jede paar Minuten machte der Trupp Halt und horchte nach feindlichen Lauten mit einer Schärfe der Organe, unbegreiflich für Menschen, die dem Naturstande ferne stehen. Ihr Zug blieb jedoch ungestört, und sie erreichten den Punkt, wo sich der kleinere Bach in den größeren verlor, ohne das geringste Zeugniß, daß sie beobachtet worden wären. Hier machte der Kundschafter wieder Halt, um die Zeichen des Waldes zu Rathe zu ziehen,

»Wir werden Allem nach einen guten Tag zum Gefecht haben,« bemerkte der Kundschafter in englischer Sprache gegen Heyward, indem er nach den Wolken aufschaute, welche in breiten Schichten am Firmamente dahinzogen; »’ne glänzende Sonne und ein blinkendes Rohr sind keine Freunde eines richtigen Zielens. Alles begünstigt uns: sie haben den Wind, der uns den Schall von ihnen herweht und den Rauch dazu, was schon an sich von Bedeutung ist, da wir nach jedem Schuß wieder freie Aussicht vor uns haben. Aber hier ist’s am Ende mit unserem Versteck: seit Jahrhunderten haben die Biber hier das Wasser innegehabt, und zwischen ihren Nahrungsplätzen und den Dämmen, wie Ihr sehet, sind wohl manche todte Stämme, aber nur wenig grünende Bäume zu erblicken,«

Hawk-eye hatte wirklich mit diesen wenigen Worten keine üble Beschreibung der Aussicht gegeben, welche jetzt vor ihren Augen lag. Die Breite des Baches war hier sehr ungleich: bald schoß er durch enge Felsenspalten, bald verbreitete er sich über Strecken flachen Landes, kleine Becken oder Teiche bildend. Ueberall an seinen Ufern hin schwammen zerbröckelte Ueberreste abgestorbener Bäume in allen Stufen des Dahinwelkens: solche, welche auf ihren wankenden Stämmen dröhnten, und wieder andere, kaum erst jener rauhen Hülle beraubt, welche auf eine so geheimnißvolle Weise ihre Lebenskraft eingeschlossen hält. Einige lange, niedere, moosbedeckte Holzstücke lagen zerstreut umher, gleich Denkmälern früherer, längst vergangener Geschlechter.

Alle diese kleinen Einzelheiten beachtete der Kundschafter mit einem Ernst und einem Interesse, das ihnen wahrscheinlich noch nie zu Theil geworden war. Er wußte, daß das Huronenlager nur eine kurze halbe Meile an dem Bache hinauf lag, und mit jener charakteristischen Aengstlichkeit, die eine verborgene Gefahr fürchtet, fühlte er große Unruhe darüber, daß er nicht die geringste Spur der Nähe des Feindes finden konnte. Ein paar Male war er versucht, den Befehl zu einem plötzlichen Hervorbrechen zu geben und einen Ueberfall des Dorfes zu wagen; aber seine Erfahrung rief ihm schnell die Gefahr eines so nutzlosen Versuches in’s Gedächtniß. Dann lauschte er angestrengt und mit peinlicher Ungewißheit nach feindseligen Lauten aus der Gegend, wo er Uncas verlassen hatte; aber Nichts ließ sich hören, als das Pfeifen des Windes, welcher in sturmdrohenden Stößen durch das Innere des Waldes daherrauschte. Endlich beschloß er, mehr seiner dringenden Ungeduld folgend, als dem Rathe der Erfahrung, die Sache zu einer Entscheidung zu führen, mit seinen Leuten hervorzutreten und vorsichtigen, aber festen Schrittes an dem Flusse hinaufzuziehen.

Der Kundschafter hatte wahrend dieser Beobachtungen hinter dem Schutze eines Gebüsches gestanden und seine Gefährten befanden sich tief unten noch in der Schlucht, durch welche der kleinere Bach floß. Auf sein leises, aber verständliches Signal schlich dagegen der ganze Trupp an dem Ufer, gleich dunkeln Gespenstern herauf und sammelte sich stillschweigend um ihn. Nach der Richtung, die er gewählt hatte, weisend, ging Hawk-eye voran, der Trupp löste sich in eine Reihe von Einzelnen auf, und Jeder folgte so genau des Führers Fußstapfen, daß es, etwa Heyward und David ausgenommen, nur die Fährte eines einzigen Mannes zu seyn schien. Kaum aber hatten sie sich blosgestellt, als sich in ihrem Rücken eine Salve von einem Dutzend Büchsen hören ließ. Ein Delaware sprang wie ein verwundeter Hirsch hoch in die Luft und stürzte der Länge nach augenblicklich todt zu Boden.

»Ach! Eine solche Teufelei hab‘ ich gefürchtet‘,« rief der Kundschafter englisch, und fuhr mit Blitzesschnelle in seiner eben erst angenommenen Sprache fort: »ins Versteck, Freunde, gebt Feuer!«

Der Trupp zerstreute sich auf sein Wort, und ehe Heyward sich von seiner Ueberraschung hinlänglich erholt hatte, fand er sich mit David alleinstehend. Zum Glück waren die Huronen bereits zurückgewichen und er hatte von ihrem Feuer Nichts zu befürchten. Aber so konnte es offenbar nicht lange bleiben: denn der Kundschafter gab das Beispiel, die Feinde zum Rückzuge zu treiben, indem er seine Büchse losschoß und von Baum zu Baum sprang, dem Feinde nach, der langsam zurückwich.

Der Angriff wurde, wie es schien, nur von einer sehr kleinen Abtheilung der Huronen gemacht: ihre Zahl nahm aber zu, so wie sie sich auf ihre Freunde zurückzogen, bis ihr Feuer beinahe, wo nicht ganz so stark wurde, als das, welches die vordringenden Delawaren unterhielten. Heyward warf sich mitten unter die Kämpfenden und feuerte, die nothwendige Vorsicht seiner Gefährten beobachtend, immer wieder schnell seine Büchse ab. Der Kampf wurde hitzig und blieb auf Einer Stelle. Nur Wenige wurden verwundet, da beide Parteien sich so viel als möglich durch die Bäume gedeckt hielten, und nie, als während des Zielens, irgend einen Theil ihrer Person blosstellten, Hawk-eye kam jedoch mit seinen Leuten allmählig immer mehr in Nachtheil. Der scharfblickende Kundschafter erkannte die Gefahr, kam aber auf kein Hülfsmittel. Er sah größere Gefahr im Rückzuge, als im Bleiben, während er doch bemerken mußte, daß der Feind sie zu überflügeln begann, was den Delawaren sehr schwierig machte, sich gedeckt zu halten und ihr Feuer beinahe verstummen ließ. In dieser Verlegenheit, wo sie bald von dem ganzen feindlichen Stamme eingeschlossen zu werden fürchten mußten, hörten sie mit einem Mal Schlachtgeschrei und das Echo von Waffenklang durch den Wald von der Gegend her erschallen, wo Uncas sich aufgestellt hatte. Dies war eine Niederung, gewissermaßen unter der Fläche gelegen, auf welcher der Kundschafter und seine Genossen kämpften. Dieser Angriff wirkte augenblicklich und erleichterte Hawk-eye und seine Freunde sehr. Es schien, als sey sein eigener Ueberfall vorausgesehen worden und habe deshalb fehlgeschlagen; dagegen mochte der Feind aber in dem Plane desselben und der Zahl der Streitenden sich getäuscht und zu wenig Streitkräfte zurückgelassen haben, um dem ungestümen Anfall des jungen Mohikaners zu widerstehen. Dies war um so klarer durch die Raschheit, mit welcher sich der Kampf aus dem Walde heraus nach dem Dorfe zog, wie durch die augenblickliche Trennung der feindlichen Streitkräfte, von welchen ein Theil zur Behauptung der Fronte eilte. Hier war, wie sich jetzt zeigte, der Hauptpunkt der Vertheidigung.

Mit seiner Stimme und durch eigenes Beispiel die Mannschaft ermunternd, gab jetzt Hawk-eye die Weisung, auf den Feind loszustürzen. Der Angriff bestand bei einer so kunstlosen Weise, Krieg zu führen, allein darin, von Versteck zu Versteck zu springen, näher und näher an den Feind: dies geschah alsbald und mit Glück. Die Huronen mußten sich zurückziehen, und die Scene des Kampfes zog sich reißend schnell von dem offenen Waldgrunde, auf dem sie Anfangs gewesen war, nach einem Dickichte, wo die Angegriffenen sich wieder halten konnten. Hier spann sich der Streit hartnäckig fort: wie es schien, mit zweifelhaftem Ausgang. Von den Delawaren war zwar noch Niemand gefallen, aber ihr Blut floß reichlich, in Folge ihrer unvortheilhaften Stellung.

In diesem bedenklichen Augenblick gelang es Hawk-eye hinter denselben Baum zu schlüpfen, der auch Heyward deckte; die meisten seiner Krieger waren im Bereiche seiner Stimme, etwas zur Rechten, wo sie ein rasches, aber wirkungsloses Feuer auf ihre geschützten Feinde unterhielten.

»Ihr seyd noch ein junger Mann, Major!« sprach der Kundschafter, indem er des Wildtödters Kolben auf die Erde senkte und, von seinen Mühen etwas erschöpft, sich auf das Rohr stützte; »und es kann Euch einmal beschieden werden, Truppen gegen diese Schelme, die Mingos, zu führen. Hier habt Ihr die ganze Philosophie eines Indianerkampfes! Sie besteht hauptsächlich in einer flinken Hand, einem scharfen Auge und einer guten Deckung. Nun, wenn Ihr eine Compagnie königlicher Amerikaner hier hättet, was würdet Ihr sie unter diesen Umständen thun lassen?« –

»Das Bajonett müßte eine Bahn brechen!«

»Ja, als Weißer sprecht Ihr da ganz vernünftig: aber in diesen Wildnissen muß man sich fragen, wie viel Menschenleben man schonen kann. Nein – das Pferd,« fuhr der Kundschafter, wie nachdenklich den Kopf schüttelnd, fort, »das Pferd, fast schäm‘ ich mich’s zu sagen, das Pferd muß früher oder später in diesen Scharmützeln entscheiden. Das Vieh ist da besser als der Mensch, und ans Pferd müssen wir uns am Ende halten. Setzt einen beschlagenen Huf auf den Moccasin einer Rothhaut, und wenn seine Büchse einmal leer ist, wird er nicht mehr inne halten, sie wieder zu laden.«

»Das ist ein Gegenstand, den wir besser ein anderes Mal erörtern,« versetzte Heyward; »wollen wir angreifen?«

»Es widerspricht der Aufgabe eines Mannes nicht, wenn er in Augenblicken der Erholung und frischen Athemschöpfens nützliche Betrachtungen anstellt,« entgegnete der Kundschafter. »Was aber ein Hervorbrechen anlangt: ein solcher Versuch kostet immer ein paar Skalpe. Und doch,« setzte er bei, indem er den Kopf bei Seite neigte, um den Tönen des fernen Kampfes zu horchen, »und doch müssen wir die Schelme vor uns los werden, wenn wir Uncas etwas nützen wollen!«

Hierauf wandte er sich schnell und mit entschlossener Miene ab und rief laut seinen Indianern in ihrer Sprache zu. Seine Worte wurden von einem Geschrei erwiedert, und auf ein gegebenes Zeichen glitt jeder Krieger schnell um den Baum, hinter welchem er stand. Der Anblick so vieler dunkeln Gestalten, die zu gleicher Zeit vor ihren Augen erschienen, veranlaßte die Huronen zu schnellem und deshalb unwirksamem Feuern. Ohne einen Augenblick zu verlieren, sprangen die Delawaren in langen Sätzen dem Walde zu, wie Panther, die sich auf ihre Beute stürzen. Hawk-eye war voran, seine furchtbare Büchse schwingend und die Gefährten durch sein Beispiel ermunternd. Einige der älteren und erfahrenern Huronen hatten sich durch die List, die sie zum Feuern hatte verleiten sollen, nicht bethören lassen und gaben jetzt eine geschlossene und tödtliche Salve. Die Besorgnis des Kundschafters ging in Erfüllung, denn drei seiner vordersten Krieger fielen. Allein dieser Schlag konnte das Ungestüm der Angreifenden nicht aufhalten. Die Delawaren brachen mit gewohnter Wildheit in das Versteck, und die Wuth ihres Anlaufs machte jeden Widerstand unmöglich.

Der Kampf dauerte nur einen Augenblick, Mann gegen Mann, und die Angegriffenen wichen schnell zurück, bis sie den entgegengesetzten Rand des Dickichts erreichten, unter dessen Schuß sie mit einer Hartnäckigkeit sich wieder festsezten, wie man sie bei gehetztem Wilde so oft findet. In diesem entscheidenden Augenblick, wo der Erfolg des Kampfes wieder zweifelhaft wurde, ließ sich ein Flintenknall im Rücken der Huronen vernehmen, eine Kugel pfiff von einigen Biberhütten her, die an der Lichtung im Hintergrunde standen, und gleich darauf ertönte das wilde, Schrecken erregende Schlachtgeheul.

»Hier spricht der Sagamore!« rief Hawk-eye freudig, das Geschrei mit seiner Stentorstimme erwiedernd; »wir haben sie jetzt von vorn und von hinten!«

Der Eindruck auf die Huronen zeigte sich augenblicklich. Entmuthigt durch Angriffe von einer Seite her, die ihnen auch das letzte Versteck abschnitt, stießen sie sämmtlich ein Geschrei der Verzweiflung aus, stoben aus einander und eilten zerstreut über die Lichtung hin, auf nichts als auf die Flucht bedacht. Manche fielen unter diesem Versuche unter den Kugeln und den Streichen der verfolgenden Delawaren.

Wir halten uns nicht dabei auf, das Zusammentreffen des Kundschafters mit Chingachgook, oder das noch rührendere Wiedersehen Duncan’s und Munro’s zu beschreiben. Wenige eilige Worte reichten hin, beide Theile mit dem Stand der Dinge bekannt zu machen: Hawk-eye stellte den Sagamoren seinen Gefährten vor und legte den Oberbefehl in die Hände des Mohikanerhänptlings nieder. Chingachgook übelnahm diese Stellung, für welche ihn Geburt und Erfahrung so besonders berechtigten, mit der Würde und dem Ernste, welche den Befehlen des eingebornen Kriegers stets Ansehen verleihen. Den Fußstapfen des Kundschafters folgend, führte er den Zug durch das Dickicht zurück: seine Krieger skalpirten die gefallenen Huronen und verbargen die Leichen ihrer eigenen Todten, bis ein Punkt erreicht war, wo der Erstere für gut fand, Halt zu machen.

Die Krieger, welche sich nach dem vorangegangenen Kampfe wieder etwas erholt hatten, wurden jetzt auf einer kleinen Fläche aufgestellt, die genugsam mit Bäumen bedeckt war, um ihnen Schutz zu gewähren. Das Land fiel jäh vor ihnen ab, und unterhalb breitete sich ein enges, dunkles Waldthal mehrere Meilen weit aus. In diesem dichten, finsteren Walde war Uncas mit der Hauptmacht der Huronen immer noch im Kampfe begriffen.

Der Mohikaner und seine Freunde traten an den Rand des Hügels vor und horchten mit geübtem Ohr auf das Getöse des Kampfes. Einige Vögel, von ihren einsamen Nestern aufgescheucht, schwebten über dem Blätterteppich des Thales, und hier und da stieg eine leichte Rauchwolke über den Bäumen empor, die sich bereits mit der Atmosphäre zu vermischen schien, und deutete einen Platz an, wo der Kampf hitzig und hartnäckig gewesen seyn mochte.

»Das Gefecht kommt den Abhang herauf,« sagte Duncan, nach einer Richtung deutend, wo sich eben wieder Feuerwaffen hören ließen. »Wir sind zu sehr im Mittelpunkt ihrer Linie, um mit Nachdruck wirken zu können.«

»Sie werden sich nach dem Hohlwege ziehen, wo sie besser geschützt sind,« sagte der Kundschafter; »und dann können wir sie gerade in der Flanke nehmen. Geh‘, Sagamore, es wird Zeit seyn, daß du dein Kriegsgeschrei erschallen lässest und die jungen Krieger voranführst. Ich will in diesem Scharmützel neben Kriegern von meiner eigenen Farbe fechten. Du kennst mich, Mohikaner; kein Hurone von ihnen allen soll über die Anhöhe dir in den Rücken kommen, ohne daß mein Wildtödter dazwischen tritt.«

Der indianische Häuptling zögerte noch einen Augenblick, um die Zeichen des Kampfes zu beobachten, der sich nun schnell den Abhang heraufzog, ein sicherer Beweis, daß die Delawaren triumphirten. Er verließ den Platz nicht früher, als bis er von der Nähe seiner Freunde sowohl als der Feinde durch einige Kugeln überzeugt wurde, welche, von den Ersteren herrührend, in die dürren Blätter auf dem Boden niederschlugen, Hagelkörnern gleich, die dem Ausbruch eines Sturmes vorangehen. Hawk-eye und seine drei Begleiter zogen sich einige Schritte in ein Dickicht zurück und erwarteten den Ausgang mit einer Ruhe, wie sie bei einer solchen Scene nur lange Erfahrung geben konnte. Bald darauf verloren die Flintenschüsse das Echo der Wälder und klangen, als würden sie in die freie Luft gethan. Jetzt wurde hier und da ein Krieger an den Saum des Waldes getrieben, um hier an der Lichtung, als an dem Orte, wo zum letzten Male Stand gehalten werden sollte, wieder Fuß zu fassen. Immer Mehrere sammelten sich, bis sich endlich eine lange Linie schwarzer Gestalten mit der Hartnäckigkeit der Verzweiflung zu diesem letzten Schutzorte drängten. Heyward wurde ungeduldig und wandte sein Auge ängstlich nach Chingachgook. Der Häuptling, von welchem nichts als sein ruhiges Antlitz sichtbar war, saß auf einem Felsen und betrachtete das Schauspiel so bedächtlich, als ob er hier nur um des Zuschauens willen seine Stellung genommen hätte.

»Es ist Zeit für den Delawaren, loszuschlagen,« sagte Duncan.

»Nicht doch, nicht doch!« entgegnete der Kundschafter; »wenn er seine Freunde wittert, wird er sie schon wissen lassen, daß er da ist. Seht! seht! die Schelme schließen sich dort in jene Fichten zusammen, wie Bienen nach dem Schwärmen. Bei Gott, eine Squaw könnte eine Kugel in die Mitte eines solchen Knäuels von dunkeln Häuten jagen!«

In diesem Augenblick erscholl ein Kriegsgeschrei, und ein Dutzend Huronen fielen auf Chingachgooks und seiner Leute Feuer. Das Geschrei, das nun folgte, ward von einem einzelnen Kriegsruf aus dem Walde beantwortet, und ein Geheul erfüllte die Luft, als ob tausend Kehlen sich dazu vereinigt hätten. Die Huronen stutzten, verließen das Centrum ihrer Linie und Uncas brach an der Spitze von hundert Kriegern aus dem Walde in die entstandene Oeffnung hervor.

Mit den Händen rechts und links winkend zeigte der junge Häuptling seinen Gefährten den Feind, und sie trennten sich sofort in der Verfolgung. Der Kampf war jetzt getheilt, beide Flügel der durchbrochenen Huronen-Reihen suchten wieder Schutz in den Wäldern, hart gedrängt von den siegreichen Kriegern der Lenapen. Kaum war eine Minute vergangen, als sich das Getöse schon nach verschiedenen Richtungen hin entfernte, und unter dem Wiederhall der Waldgewölbe allmählig seine Deutlichkeit verlor. Eine kleine Schaar Huronen hatte jedoch verschmäht irgend einen Schutz zu suchen, und zog sich gleich bedrängten Löwen langsam und düster die Anhöhe hinan, welche Chingachgook mit seinem Truppe eben verlassen hatte, um dem Kampfe näher zu rücken. Magua ragte unter diesen durch sein wildes, trotziges Aussehen und die stolze Herrschermiene, die er noch immer behauptete, deutlich hervor.

In seiner Hast, die Verfolgung zu beschleunigen, war Uncas fast allein geblieben; sobald aber sein Auge die Gestalt Le Subtil’s traf, war jede andere Rücksicht vergessen. Er erhob sein Schlachtgeschrei, das sechs oder sieben Krieger an seine Seite rief, und stürzte auf den Feind, der Ungleichheit der Zahl uneingedenk. Le Renard, der diese Bewegungen bemerkt hatte, hielt mit heimlicher Freude. um ihn zu erwarten. In dem Augenblick aber, da er den jungen Gegner durch ein so tollkühnes Ungestüm in seine Hände gegeben glaubte, ertönte ein neues Geschrei, und La longue Carabine eilte, von allen seinen weißen Gefährten begleitet, zur Hülfe herbei. Der Hurone wandte sich alsbald und begann seinen eiligen Rückzug die Anhöhe hinan.

Zu Grüßen oder Glückwünschen war keine Zeit, Uncas sezte mit Windesschnelle die Verfolgung fort, als bemerkte er die Gegenwart seiner Freunde nicht. Umsonst ermahnte ihn Hawk-eye, sich gedeckt zu halten: der junge Mohikaner trotzte dem gefährlichen Feuer seiner Feinde und zwang sie bald zu einer Flucht, die seiner Eile an Schnelligkeit gleich kam. Zum Glück war ihr Rennen von kurzer Dauer und die Weißen wurden durch ihre Stellung sehr begünstigt, sonst hätte der Delaware alle seine Begleiter überholt und wäre ein Opfer seiner Verwegenheit geworden. Aber ehe ein solches Unglück eintreten konnte, hatten Verfolger und Verfolgte das Dorf der Wyandots erreicht, einander so nahe; daß sie handgemein werden konnten. Durch den Anblick ihrer Wohnungen aufgeregt und ermüdet von der Flucht, machten die Huronen Halt und fochten mit der Wuth der Verzweiflung um ihre Versammlungshütte. Anfang und Ende des Kampfes glichen einem zerstörenden Sturmwinde. Uncas‘ Tomahawk, Hawk-eye’s Streiche und selbst Munro’s immer noch kräftiger Arm waren in dem flüchtigen Augenblick gleich thätig, und bald bedeckte sich der Boden mit Feinden. Immer aber entging Magua, obgleich er sich unerschrocken preisgab, allen Angriffen auf sein Leben, als stünde auch er unter jenem Schutze, mit welchem die Sage des Alterthums ihre Lieblingshelden überwacht seyn ließ. Ein Geheul ausstoßend, das seine Wuth und seine Täuschung tausendfach zu erkennen gab, stürzte der arglistige Häuptling, als er seine Genossen gefallen sah, nur von zwei Freunden begleitet, die allein noch am Leben waren, von dem Kampfplatz, und überließ es den Delawaren, die Köpfe der Todten des blutigen Siegeszeichens zu berauben. Uncas, der ihn vergeblich in dem Gewühle gesucht hatte, stürzte fort, ihn zu verfolgen; Hawk-eye, Heyward und David zogen ihm nach. Alles aber, was der Kundschafter thun konnte, war, daß er die Mündung seiner Büchse seinem Freunde vorhielt, dem sie übrigens alle Dienste eines Zauberschildes leistete. Einmal war es, als wollte Magua eine zweite und letzte Anstrengung machen, seine Verluste zu rächen; allein er gab den kaum gefaßten Vorsatz wieder auf, sprang in ein Dickicht von Gebüschen, gefolgt von seinen Feinden, und schlüpfte plötzlich in die Höhle, die unsere Leser bereits kennen. Hawk-eye, welcher bisher nur aus Zärtlichkeit für Uncas nicht gefeuert hatte, erhob jetzt ein Siegsgeschrei und erklärte laut, daß ihr Opfer ihnen jetzt gewiß sey. Die Verfolger stürzten in den langen und engen Gang, noch zeitig genug, um einen flüchtigen Schein von den forteilenden Huronen zu erhaschen. Während sie durch die natürlichen Gänge und unterirdischen Gemächer der Höhle stürmten, flohen unter Geschrei und Geheul Hunderte von Weibern und Kindern vor ihnen her. Der Ort glich in dem ungewissen Dämmerlichte den Schatten-Regionen der Unterwelt, durch welche Schaaren unseliger Geister und wilder Dämonen durcheinander jagten.

Immer aber hielt Uncas, als ob das Leben für ihn nur noch eine Aufgabe hätte, sein Auge auf Magua gerichtet, Heyward und der Kundschafter blieben ihm auf der Ferse, von demselben Gefühle, wenn auch vielleicht nicht in gleich hohem Grade beseelt, Der Weg aber wurde in den düsteren, finsteren Gängen sehr mühevoll seltener und minder deutlich zeigten sich ihnen die fliehenden Krieger und für einen Augenblick glaubten sie sogar die Spur derselben verloren, als an dem fernen Ende eines Ganges, der auf den Berg zu führen schien, ein weißes flatterndes Kleid sichtbar wurde.

»Es ist Cora!« rief Heyward in einem Tone, in welchem sich Entsetzen und Freude seltsam mischten. »Cora! Cora!« wiederholte Uncas, indem er gleich dem Hirsche des Waldes vorwärts stürzte.

»Es ist das Mädchen!« schrie der Kundschafter; »Muth, Lady; wir kommen! wir kommen!«

Die Verfolgung erneuerte sich mit einem Eifer, den der ermuthigende Anblick der Gefangenen verzehnfachte: der Weg aber wurde rauh, unterbrochen, an einigen Stellen beinahe ungangbar. Uncas warf seine Büchse weg und sprang mit Sturmeseile vorwärts, Heyward folgte rasch seinem Beispiel. Beide wurden aber augenblicklich daran erinnert, daß ihr Beginnen Thorheit war: denn sie hörten den Knall einer Flinte, welche die Huronen in den Felsenweg herab losfeuerten, und die Kugel brachte sogar dem jungen Mohikaner eine leichte Wunde bei.

»Wir müssen ihnen auf den Leib!« sprach der Kundschafter, indem er mit einem verzweifelten Sprung seine Freunde hinter sich zurückließ: »in dieser Entfernung schießen uns die Schufte alle weg; und seht, sie halten das Mädchen als einen Schild vor sich!«

Ohne auf diese Worte zu achten, oder vielmehr, ohne sie zu hören, folgten die Begleiter seinem Beispiel und kamen durch unglaubliche Anstrengungen den Fliehenden so nahe, daß sie sehen konnten, wie Cora von zwei Kriegern fortgetragen wurde, während Magua Richtung und Weise ihrer Flucht vorschrieb. In diesem Augenblicke zeichneten sich die vier Gestalten deutlich gegen eine lichte Oeffnung, die in’s Freie ging, und verschwanden dann gänzlich. Fast wahnsinnig über diese Täuschung machten Uncas und Heyward Anstrengungen, die übermenschlich zu nennen waren, und stürzten aus der Höhle an der Seite des Berges, noch zeitig genug, um die Richtung der Verfolgten zu erkennen. Der Weg ging jetzt die Anhöhe hinan und war noch immer mühsam und gefährlich.

Durch seine Büchse gehindert, oder vielleicht nicht von dem tiefen Interesse für die Gefangene getrieben, wie seine Begleiter, ließ der Kundschafter Letztere ein Wenig voraus, und Uncas ließ seinerseits Heywald hinter sich. So kamen sie in unglaublich kurzer Zeit über Felsen und Abstürze weg, und siegten über Gefahren, die zu anderer Zeit und unter anderen Umständen für unübersteiglich gehalten worden wären. Aber das Ungestüm der jungen Männer wurde belohnt: sie fanden, daß die Huronen, durch Cora gehindert, in der Flucht zurückblieben.

»Halte, Hund von Wyandot!« rief Uncas ans, seinen blinkenden Tomahawk gegen Magua schwingend: »ein Delawaren-Mädchen gebietet dir Halt!«

»Ich geh‘ nicht weiter!« rief Cora, indem sie unerwartet an einer Felsenspitze stehen blieb, die über einem tiefen Abgrund nahe dem Gipfel des Berges hing. »Tödte mich, wenn du willst, abscheulicher Hurone: ich geh‘ nicht weiter!«

Die Wilden, welche das Mädchen trugen, erhoben bereitwillig ihre Tomahawks mit jener ruchlosen, teuflischen Freude, die man bösen Geistern zuschreibt, wenn sie Unheil stiften können; aber Magua wehrte ihrem Arme. Der Huronenhäuptling rang seinen Begleitern die Waffen aus der Hand, warf sie über den Felsen hinab, zog sein Messer und wandte sich mit einem Blicke an die Gefangene, in dem sich die widerstrebendsten Leidenschaften malten.

»Weib,« sprach er, »wähle: Le Subtil’s Wigwam oder sein Messer!«

Cora achtete nicht auf ihn: sie warf sich auf die Kniee und erhob Augen und Arme zum Himmel und sprach mit sanfter, aber vertrauensvoller Stimme:

»Dein bin ich! Thu‘ mit mir nach deinem Rathschluß!«

»Weib!« wiederholte Magua mit barscher Stimme, indem er vergeblich einen Blick aus ihrem heiteren, strahlenden Auge zu erhaschen suchte, »wähle!«

Aber Cora hörte oder beachtete nicht, was er sprach. Jede Fiber zitterte an dem Huronen; er hob seinen Arm, ließ ihn aber mit einem Ausdruck der Verwirrung wieder sinken, wie Einer, der noch zweifelhaft ist. Noch einmal kämpfte er mit sich und hob die scharfe Waffe empor – da hörte man aus der Höhe herab ein durchdringendes Geschrei, Uncas erschien und sprang in wahsinnigem Drange von einer furchtbaren Höhe auf die Felsenspitze herab. Magua fuhr einen Schritt zurück und Einer seiner Begleiter benützte diese Gunst, sein Messer Cora in das Herz zu stoßen.

Der Hurone sprang wie ein Tiger auf seinen verwegenen Landsmann, der bereits zurückwich; der herabstürzende Uncas aber trennte die unnatürlichen Gegner. Durch diese Unterbrechung gestört und durch den Mord, dessen Zeuge er eben gewesen war, in Raserei versetzt, stieß Magua dem auf dem Boden liegenden Delawaren das Messer in den Rücken, ein teuflisches Frohlocken über diese feige That ausstoßend. Aber Uncas erhob sich von dem Stoße, wie ein verwundeter Panther auf den Feind stürzt, und streckte mit der letzten Anstrengung seiner sinkenden Kraft Cora’s Mörder zu seinen Füßen nieder. Dann wandte er einen finstern, festen Blick auf Le Subtil, und sein Auge verrieth, was er gethan haben würde, hätten ihn nicht seine Kräfte gänzlich verlassen. Magua ergriff den kraftlosen Arm, des zu jedem Widerstände unfähigen Delawaren und stieß ihm dreimal sein Messer in den Busen; dann erst fiel das Schlachtopfer, den Blick immer noch mit einem Ausdruck der tiefsten Verachtung auf den Feind geheftet, todt zu seinen Füßen nieder.

»Erbarmen! Erbarmen, Hurone!« rief Heyward von oben, in Tönen, die vor Entsetzen beinahe erstickten, »Hab‘ Erbarmen, und du sollst Erbarmen finden!«

Das blutige Messer nach dem stehenden Jünglinge schleudernd, stieß der siegreiche Magua ein so grimmiges, wildes, und zugleich frohlockendes Geschrei aus, daß der Ruf wilden Triumphes sogar bis zu den Ohren der Krieger drang, welche tausend Fuß unter ihm im Thale fochten. Ein Schrei aus dem Munde des Kundschafters antwortete, und seine hohe Gestalt über die gefahrvollen Felsenklippen mit so kühnem, rastlosem Schritte auf Le Subtil zueilte, als ob er die Gabe, in der Luft zu wandeln, besäße. Als aber der Jäger die Scene eines so grausenhaften Mordes erreicht hatte, waren die Todten allein auf der Felsenspitze.

Sein kühnes Auge warf einen einzigen Blick auf die Schlachtopfer und überschaute dann die Schwierigkeiten der vor ihm ansteigenden Felsenhöhe. Auf der Höhe des Berges stand, gerade am Rande des schwindlichen Absturzes, in furchtbar drohender Stellung eine Gestalt mit hoch emporgehobenen Armen. Ohne die Person näher zu betrachten, erhob Hawk-eye seine Büchse; aber ein Felsstück, das einem der Flüchtlinge unten auf den Kopf geworfen ward, zeigte das vor Entrüstung glühende Antlitz des ehrlichen Gamut. Jetzt kam Magua aus einer Felsenspalte hervor, schritt mit gleichgültiger Ruhe über die Leiche seines letzten Gefährten, übersprang einen weiten Felsenriß und klomm an einer Stelle, wo Davids Arm ihn nicht erreichen konnte, den Berg hinan. Noch ein einziger Sprung hätte ihn über den Abgrund gebracht und er wäre in Sicherheit gewesen. Ehe er jedoch den Anlauf nahm, hielt er inne, schüttelte die Hand gegen den Kundschafter und schrie:

»Die Blaßgesichter sind Hunde! Die Delawaren sind Weiber! Magua läßt sie auf den Felsen den Krähen zur Speise!«

Unter heiserem Gelächter that er einen verzweifelten Sprung, erreichte aber das Ziel nicht, obwohl seine Hände im Fallen noch ein Gestrüpp an dem Rande der Höhe zu erreichen wußten. Hawk-eye drückte sich zusammen, wie ein wildes Thier, das im Begriff ist, einen Sprung zu machen, seine ganze Gestalt zitterte so gewaltig vor Hast, daß die Mündung der halberhobenen Büchse wie ein Blatt im Winde spielte. Ohne sich mit fruchtlosen Anstrengungen zu erschöpfen, ließ der kluge Magua seinen Leib der Länge nach herunter gleiten, und fand ein Felsstück, auf dem seine Füße ruhen konnten. Dann bot er alle seine Kräfte zu einem neuen Versuche auf, der ihm auch so weit gelang, daß er sich mit den Knieen auf den Rand des Berges zu schwingen vermochte. Jetzt, da der Leib des Feindes am meisten zusammengekauert war, zog sich die bewegliche Büchse des Kundschafters an die Schulter. Die Felsen rund umher konnten nicht steter seyn, als es die Flinte in dem Augenblick wurde, da sie ihren Inhalt entlud. Die Arme des Huronen verließen ihren Halt, sein Leib fiel ein wenig zurück, während seine Kniee noch in ihrer Lage blieben. Einen unversöhnlichen Blick auf den Feind wendend, schüttelte er in grimmigem Trotze die Hand. Aber sein letzter Halt schwand und einen Augenblick sah man die dunkle Gestalt kopfüber die Luft durchschneiden, bis sie hinter dem Saume von Gesträuch, das den Felsen umgab, verschwand, ein unwiederbringlicher Raub des Todes.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Wie Tapfere sie fochten lang und gut.
Sie thürmten leich‘ auf Leich‘ von Moslemin.
Sie siegten – doch Bozzaris fiel. Sein Blut
Aus jeder Ader rann.
Die kleine Schaar der Kameraden sah
Ihn lächeln, als ihr stolzes Siegshurrah
Durch’s rothe Bluthfeld drang!
Dann sah’n sie, wie zum Tod sein Auge zu
Sich schloß, so milde, wie zur Nachtesruh,
Der Blume gleich, bei Sonnenuntergang.
Halleck.

Die aufgehende Sonne fand die Lenapen als ein Volk von Trauernden. Die Töne der Schlacht waren verklungen. Ihr alter Haß war reichlich gesättigt und den letzten Strauß mit den Meng-We’s hatten sie durch die Vernichtung einer ganzen Stammgemeinde gerächt. Trüb und düster lag die Atmosphäre über der Gegend, wo das Lager der Huronen gewesen war, und verkündete nur zu gut das Schicksal dieses wandernden Stammes, während Hunderte von Raben, über den bleichen Gipfeln der Berge durcheinander fliegend oder in krächzenden Schwärmen über den endlosen Waldräumen schwebend gräßliche Wegweiser zu dem Schauplatz des Kampfes abgaben. Kurz, jedes Auge, mit der Kriegführung an den Gränzen nur in etwas vertraut, hätte diese untrüglichen Spuren der Gräuel einer Indianerrache leicht erkennen müssen. Und doch fand die aufgehende Sonne das Volk der Lenapen in Trauer. Kein Jubellaut, kein Triumphgesang, den Sieg zu feiern, ward gehört. Der letzte Nachzügler war von seinem gräßlichen Geschäfte heimgekehrt, nur um die schrecklichen Abzeichen seines blutigen Berufes zu entfernen und in die Klagen seiner Landsleute, die sich ein geschlagenes Volk nennen durften, einzustimmen. Stolz und Frohlocken waren der Demüthigung, und die wildesten menschlichen Leidenschaften den Aeußerungen des tiefsten, unzweideutigsten Schmerzes gewichen.

Die Wohnungen waren verlassen: Alles, was Leben hatte, war nach einem Orte in der Nähe gezogen, wo jetzt Alle in tiefem, feierlichem Stillschweigen versammelt waren, ein breiter Gürtel ernsthaft blickender Gesichter. Menschliche Wesen jedes Ranges und Alters, von beiden Geschlechtern und von den verschiedensten Berufsarten waren in dieser lebendigen Mauer versammelt, und doch belebte sie alle ein Gefühl. Aller Augen hefteten sich auf die Mitte des Kreises, wo sich die Gegenstände so lebhafter und so allgemeiner Theilnahme befanden.

Sechs delawarische Mädchen, deren lange, dunkle Haarflechten nachläßig über ihre Brust herabflossen, standen bei Seite und gaben kein anderes Zeichen ihrer Gegenwart, als daß sie von Zeit zu Zeit süßduftende Kräuter und Waldblumen auf eine Sänfte, von wohlriechenden Zweigen bereitet, streuten: sie enthielt unter einem Leichentuche aus indianischen Gewändern die irdischen Ueberreste der feurigen, hochsinnigen, edelmüthigen Cora. Ihre Gestalt war unter vielen Hüllen aus demselben einfachen Stoffe verborgen, und ihr Gesicht für immer dem Anblick der Menschen entzogen. Zu ihren Füßen saß der trostlose Munro. Sein ehrwürdiges Haupt beugte sich beinahe zur Erde nieder, in schmerzlicher Unterwerfung unter die Schickung des Himmels; aber ein verborgener Gram kämpfte um die gefurchte Stirn, die nur theilweise durch graue, nachläßig über seine Schläfe fallende Locken bedeckt wurde. Gamut stand an seiner Seite, sein mildes Haupt war entblößt und den Strahlen der Sonne preisgegeben, während seine Augen, unstät und befangen, ihre Blicke zwischen dem kleinen Buche, das so spitzfindig ausgedrückte und doch so hochheilige Lehren enthielt, und zwischen dem Wesen theilten, dem sein Gemüth gerne Trost gespendet hätte. Heyward stand in der Nähe und lehnte sich an einen Baum, bemüht, die plötzlichen Ausbrüche des Schmerzes darniederzuhalten, zu deren Bekämpfung er seiner ganze Männlichkeit bedurfte.

So traurig und melancholisch man sich auch diese Gruppe denken mag, so war sie doch nicht so ergreifend als eine andere am entgegengesetzten Ende dieser Räume. Dort saß Uncas, wie wenn er noch am Leben wäre, Gestalt und Haltung voll Würde und Anstand, mit den glänzendsten Zierrathen geschmückt, die der Reichthum des Stammes hatte auftreiben können. Reiche Federn rollten von seinem Haupte: Wampum, Hals- und Armgeschmeide, Denkmünzen waren an ihm verschwendet, aber sein erstorbenes Auge und seine leblosen Züge widersprachen zu sehr der stolzen Absicht eines so eitlen Schmuckes.

Gerade vor dem Todten saß Chingachgook, ohne Waffen, ohne Bemalung, ja ohne Verzierung irgend einer Art, das glänzend blaue Stammbild seines Geschlechtes ausgenommen, das der nackten Brust unvertilgbar eingegraben war. Während der langen Zeit, da der Stamm hier versammelt war, schaute der mohikanische Krieger fest und kummervoll auf das kalte, leblose Antlitz seines Sohnes. So unverwandt und innig war dieser Blick, seine Haltung so unverrückt, daß ein Fremder den Lebenden von dem Todten nur an dem gelegentlichen Spiel eines aufgeregten Geistes, das sich auf dem düstern Antlitze des Vaters malte, und an der todtenähnlichen Ruhe, die sich für immer auf den Zügen des Sohnes gelagert hatte, unterschieden haben würde.

Der Kundschafter stand dicht daneben, in nachdenklicher Stellung auf seine todbringende Rächerwaffe gelehnt, während Tamenund, von den Aeltesten seiner Nation unterstützt, einen erhöhten Platz einnahm, von wo er die stumme, von Gram bewegte Versammlung überblicken konnte.

In dem innern Rande des Kreises stand ein Offizier, in der Uniform einer fremden Nation; außerhalb war sein Schlachtroß, von einer Anzahl berittener Diener umgeben, die sich, wie es schien, auf eine ferne Reise bereitet hatten. Der Anzug des Fremden zeigte, daß er in der nächsten Umgebung des Statthalters von Canada eine angesehene Stellung inne habe. Wie es schien, war seine Absicht, Frieden zu stiften, durch das wilde Ungestüm seiner Verbündeten vereitelt worden, und er mußte sich nun begnügen, ein schweigsamer Zeuge der traurigen Früchte eines Streites zu seyn, dem vorzubeugen er zu spät gekommen war.

Der Tag nahte sich dem Ende seines ersten Viertels und immer noch verharrte die Menge in dem athemlosen Schweigen, welches seit dem vergangenen Abende unter ihr herrschte. Nichts hörte man, als etwa einen unterdrückten Seufzer, kein Glied hatte sich die lange Zeit über gerührt, außer um die einfachen und rührenden Opferdienste zu versehen, die von Zeit zu Zeit dem Andenken der Verstorbenen gebracht wurden. Nur die Geduld und Ausdauer indianischer Seelenstärke konnte solch einen Anschein lebendigen Todes ertragen, welcher die dunkeln, bewegungslosen Gestalten in Stein verwandelt zu haben schien. Endlich reckte der Weise der Delawaren einen Arm aus, stützte sich auf die Schultern seiner Begleiter und erhob sich mit einem Ausdruck von Schwäche, als ob auf dem Manne, der gestern noch vor seinem Volke gestanden, heute, da er auf seinem erhabenen Sitze wankte, ein Menschenalter mehr lastete.

»Männer der Lenapen!« sprach er in hohlen Tönen, deren Klang eine Prophezeiung zu verkünden schien; »Manitto’s Gesicht ist hinter einer Wolke! Sein Auge ist von euch gewandt; seine Ohren sind verschlossen; seine Zunge gibt keine Antwort. Ihr seht ihn nicht, und doch sind seine Gerichte vor euern Augen. Eure Herzen seyen offen und eure Geister sprechen keine Lüge! Männer der Lenapen! Manitto’s Antlitz ist hinter einer Wolke!«

Als diese einfache und doch furchtbare Ankündigung in die Ohren der Zuhörer drang, erfolgte eine so tiefe und schauerliche Stille, als ob das hohe Wesen, das sie anbeteten, die Worte ohne Hülfe menschlicher Organe gesprochen hätte: selbst der entseelte Uncas schien belebt im Vergleich mit der demüthigen, unterwürfigen Menge, von der er umgeben war. Jedoch der unmittelbare Eindruck verschwand allmählig, und leise, murmelnde Stimmen begannen eine Art von Gesang zu Ehren der Todten. Es waren weibliche Laute, durchdringend, sanft und klagend. Die Worte hatten unter sich keine regelmäßige Folge: wenn Eine aufhörte, nahm eine Andere den Lobgesang oder die Trauerklage, wie man es nennen mochte, wieder auf und drückte ihre Empfindungen in einer Sprache aus, wie sie ihr das Gefühl und die Verhältnisse eingaben. Dazwischen wurden die Sprecherinnen von lauten und allgemeinen Ausbrüchen des Schmerzes unterbrochen, während welcher die Mädchen um Cora’s Bahre die Pflanzen und Blumen auf ihrem Körper in wilder Hast zerpflückten, als wären sie vor Gram wahnsinnig. In milderen Augenblicken jedoch wurden diese Sinnbilder der Reinheit und süßer Anmuth mit allen Zeichen zärtlicher Theilnahme wieder an ihre frühere Stelle gelegt. Obgleich ihre Worte durch die vielfachen, stärkeren Ausbrüche der Empfindung unzusammenhängend erschienen, so würde eine Uebertragung derselben doch regelmäßig wiederkehrende Wechsel und in ihnen eine Reihenfolge von Gedanken zu Tage gebracht haben.

Ein Mädchen, durch ihren Rang und ihre Eigenschaften hiezu besonders auserlesen, begann mit bescheidenen Anspielungen auf die Verdienste des gefallenen Kriegers, und schmückte ihre Ausdrucksweise mit jenen morgenländischen Bildern, welche die Indianer ohne Zweifel von den äußersten Enden des andern Festlandes mit herübergebracht haben, und die an sich schon ein Gelenk in der Verbindungskette der Geschichte der zwei Welten bilden. Sie nannte ihn den Panther seines Stammes und schilderte ihn als Einen, dessen Moccasin keine Spur auf dem Thaue zurücklasse; dessen Sprung dem des jungen Hirschkalbes gleiche; dessen Auge glänzender als ein Stern in finsterer Nacht sey, und dessen Stimme in der Schlacht so laut klinge, als der Donner des Manitto. Sie erinnerte ihn an die Mutter, die ihn geboren, und verweilte namentlich bei dem Glücke, das diese im Besitze eines solchen Sohnes empfinden müsse. Sie bat ihn, ihr zu sagen, wenn er sie in der Welt der Geister treffe, daß die Delawaren-Mädchen über dem Grabe ihres Kindes Thränen vergossen und sie eine Gesegnete genannt hätten.

Ihr folgten Andere, welche in einer noch milderen, innigeren Weise mit der ihrem Geschlechte eigenen zarten Empfindsamkeit das fremde Mädchen besangen. Sie sey so nahe an Uncas‘ Tode dieser Erde entrückt worden, daß der Wille des großen Manitto mit Beiden sich deutlich offenbare und nicht mißverstanden werden könne. Sie ermahnten ihn, freundlich gegen sie zu sehn und Nachsicht mit ihr zu haben, wenn sie die Fertigkeiten nicht besitze, die einem Krieger, wie er, für seine Bequemlichkeit so nöthig sehen. Sie verweilten bei ihrer unvergleichlichen Schönheit und ihrem entschlossenen Edelsinn, ohne einen Gedanken von Neid, wie etwa Engel an noch höheren Wesen ihre Freude finden mögen. Sie fügten bei, daß diese reichen Gaben kleinere Mängel der Erziehung mehr als ersetzen würden.

Nach ihnen redeten Andere, in wohlbedachter Folge, in der Sprache der Zärtlichkeit und Liebe zu dem Mädchen selbst. Sie ermunterten sie, fröhlichen Sinnes zu seyn und nichts für ihre künftige Wohlfahrt zu fürchten. Ein Jäger werde ihr Gefährte seyn, der ihre kleinsten Bedürfnisse zu befriedigen wisse: ein Krieger ihr zur Seite stehen, der sie gegen jegliche Gefahr zu schützen vermöge. Ihr Pfad, verhießen sie, werde anmuthig, und ihre Bürde leicht seyn. Sie warnten sie vor vergeblicher Sehnsucht nach den Freunden ihrer Jugend, nach den Landen, wo ihre Väter geweilt hätten, mit der Versicherung, die gesegneten Jagdgefilde der Lenapen enthielten so anmuthige Thäler, so klare Ströme und so liebliche Blumen, als der Himmel der Blaßgesichter. Sie riethen ihr, aufmerksam für die Bedürfnisse ihres Gefährten zu seyn und nie zu vergessen, welchen Unterschied Manitto so weislich zwischen ihnen festgestellt habe. Dann besangen sie, ihre Stimmen stärker erhebend, die Sinnesweise des Mohikaners. Sie nannten ihn edel, männlich, großmüthig; Alles vereinige er, was einem Krieger zieme – was ein Mädchen lieben könne. Sie kleideten ihre Gedanken in die entferntesten, gesuchtesten Bilder und gaben zu verstehen, daß es ihnen in der kurzen Zeit ihres Zusammenseyns gelungen sey, seine geheime Neigung mit der ihrem Geschlecht eigenen schnellen Auffassungsgabe richtig zu erspähen. Die Delawaren-Mädchen hätten in seinen Augen keine Gnade gefunden. Er sey von einem Stamme, dessen Glieder einst Herren der Gestade des Salzsees gewesen, und seine Wünsche hätten ihn zurück nach einem Volke geleitet, das um die Gräber seiner Väter wohne. Warum sollte ein solcher innerer Zug nicht begünstigt werden? Aber sie gehöre einem reineren und reicheren Mute an, als Andere ihrer Nation, wie jedes Auge leicht erkennen werde; daß sie den Gefahren und Wagnissen des Lebens in den Wäldern gewachsen sei, habe ihr Benehmen gezeigt. Und jetzt,« fuhren sie fort, »habe ,der Weise der Erde sie an einen Ort versetzt, wo sie ebenbürtige Geister finden und für immer glücklich sein werde.«

In einem zweiten Übergange wechselten sie abermals Ton und Gegenstand und gingen zu der Jungfrau über, die in der nahegelegenen Wohnung weinte. Sie verglichen sie mit den Flocken des Schnees: so rein, so weiß, so glänzend, so leicht schmelzbar in der heftigen Sommerhitze, so leicht dem Gefrieren ausgesetzt in dem Froste des Winters war sie. Sie zweifelten nicht an ihrer Liebenswürdigkeit in den Augen des jungen Häuptlings, dessen Farbe und dessen Schmerz dem ihrigen so ähnlich scheine, wenn sie auch weit entfernt blieben, einen solchen Vorzug deutlich auszusprechen. Doch war es klar, daß sie Alice nicht so hoch stellten, als das Mädchen, um welches sie trauerten. Sie versagten ihr jedoch keinen Ruhm, den ihre seltenen Reize ansprechen durften. Ihre Locken wurden mit den üppigen Ranken der Weinrebe, ihr Auge mit dem blauen Himmelsgewölbe verglichen, und das fleckenloseste Gewölk, von dem glühenden Hauche der Sonne gerötet, war nicht so reizend als die Blüte ihrer Wangen.

Während dieser und ähnlicher Klagelieder hörte man nichts als das Gemurmel des Gesangs, gehoben oder vielmehr furchtbar gemacht durch die gelegentlichen stärkeren Ausbrüche des Grams, die gleichsam ein Chor genannt werden konnten. Die Delaware horchten, wie von einem Zauber gefangen, und das wechselnde Spiel ihrer ausdrucksvollen Mienen gab kund, wie tief und innig ihr Mitleid war. Selbst David lieh willig sein Ohr den Tönen so lieblicher Stimmen, und lange bevor der Gesang zu Ende war, verkündete sein Blick, wie tief sein Gemüt im Hören gefesselt war.

Der Kundschafter, dem allein unter den anwesenden Weißen diese Worte verständlich waren, erhob sich etwas aus seiner nachdenklichen Stellung und neigte sein Haupt beiseite, um den fortlaufenden Sinn derselben aufzufassen. Als sie aber von den künftigen Aussichten Cora’s und Uncas sangen, schüttelte er den Kopf, wie Einer, der die Irrthümer ihres schlichten Glaubens wohl erkannte, und nahm dann wieder seine zurückgelehnte Stellung an, in ihr verharrend, bis die Ceremonie zu Ende war – wenn man Ceremonie eine Handlung nennen darf, die von so tiefem Gefühl zeugte. Heyward und Munro verstanden, zum Glück für ihre Fassung, den Sinn der eben vernommenen wilden Laute nicht,

Chingachgook allein bildete eine Ausnahme unter den so tief ergriffenen übrigen Eingebornen. Sein Blick wechselte nie während tes ganzen Auftrittes, selbst bei den wildesten oder feierlichsten Theilen der Wehklage bewegte sich keine Muskel auf seinem starren Antlitz. Die kalten, leblosen Ueberreste seines Sohnes waren ihm Alles, und jeder andere Sinn, außer dem Gesichtssinn, schien erstorben, während sein Auge zum Letztenmale nach den so lange geliebten Zügen schaute, deren Anblick ihm bald für immer entrissen werden sollte.

Jetzt trat ein Krieger, berühmt durch seine Waffenthaten, besonders aber durch seine Leistungen in dem letzten Kampfe, ein Mann von ernster, würdevoller Haltung, langsam aus der Menge hervor und stellte sich vor den Todten.

»Warum hast du uns verlassen, Stolz der Wapanachki?« sprach er, sich an die tauben Ohren des jungen Mohikaners wendend, als ob die leere Hülle noch die Fähigkeiten des Lebenden besäße; »deine Zeit war die der Sonne, so lange sie hinter den Bäumen ist: dein Ruhm war glänzender als ihr Licht um die Mittagszeit, Du bist dahingegangen, junger Krieger, aber Hunderte von Wyandot’s räumen die Brombeersträuche von deinem Pfade nach der Welt der Geister. Wer sah dich in der Schlacht und glaubte, daß du sterben könntest? Wer vor dir hat Uttawa den Weg in die Schlacht gezeigt? Deine Füße waren gleich Adlerschwingen; dein Arm schwerer als Aeste, die von der Fichte fallen, und deine Stimme glich der Stimme Manitto’s, wenn er in den Wolken spricht. Die Zunge Uttawa’s ist schwach,« fügte er hinzu, indem er mit traurigem Blicke um sich schaute, »und sein Herz wird ihm schwer. Stolz der Wapanachki, warum hast du uns verlassen?«

Ihm folgten der Reihe nach Andere, bis die meisten der hohen und begabten Männer der Nation sprechend oder im Gesang den Mannen des dahingeschiedenen Häuptlings das Opfer ihrer Lobpreisungen dargebracht hatten. Als sie zu Ende waren, herrschte abermals atemlose Stille über die ganze Versammlung,

Jetzt ließ sich ein leiser, tiefer Ton vernehmen, ähnlich der gedämpften Begleitung einer fernen Musik. Er war laut genug, um hörbar zu werden, blieb aber so unbestimmt, daß man so wenig wußte, woher er kam, als was er bedeutete. Er stieg jedoch höher und höher, bis er zuerst in lang ausgehaltenen oft wiederholten Ausrufungen und endlich in Worten deutlich in das Ohr der Hörer drang. Die Lippen Chingachgook’s hatten sich nun so weit geöffnet, daß man erkannte, es sei des Vaters Trauergesang, für Uncas. Obgleich kein Auge sich nach ihm wandte, nicht das geringste Zeichen der Ungeduld laut wurde, so sah man doch an der Weise, wie die Versammelten ihre Häupter erhoben, daß sie die Töne mit einer Aufmerksamkeit verschlangen, so gespannt, wie sie bisher nur Tamemund zu Teil geworden war. Sie horchten aber vergeblich. Der Gesang wurde gerade so laut, um vernehmbar zu werden, dann immer schwächer und zitternder, bis er dem Ohre völlig entschwand, als würde er von einem flüchtigen Windhauch davongetragen. Die Lippen des Sagamoren schlossen sich und er blieb schweigend sitzen, mit seinem starrblickenden Auge und der regungslosen Gestalt einem Wesen gleich, das der Allmächtige nur mit dem Bilde, aber nicht mit dem Geiste eines Menschen begabt hatte. Die Delawaren, welche an diesem Zeichen erkannten, daß ihr Freund noch nicht zu einer so mächtigen Erhebung des Geistes fähig sei, ließen ihre Aufmerksamkeit sinken und schienen in angebornem Zartgefühl alle ihre Gedanken nur auf das Leichenbegängniß des fremden Mädchens zu richten.

Einer der älteren Häuptlinge gab den Frauen ein Zeichen, die in der Nähe von Cora’s Leiche standen. Dem Winke gehorchend, erhoben die Mädchen die Bahre zu der Höhe ihrer Häupter und schritten langsam und regelmäßig vorwärts, einen zweiten Klaggesang zum Preise der Verstorbenen anstimmend. Gamut, welcher ihre ihm so heidnisch dünkenden Gebräuche beobachtet hatte, beugte jetzt sein Haupt über die Schulter des besinnungslosen Vaters und flüsterte:

»Sie nehmen die Ueberreste deines Kindes auf: wollen wir nicht ihnen folgen und auf ein christliches Begräbniß bedacht seyn?«

Munro fuhr auf, als hätte die letzte Posaune in sein Ohr geklungen und warf einen hastigen, ängstlichen Blick um sich her; dann erhob er sich und folgte dem einfachen Zuge mit der Miene eines Soldaten, aber mit dem ganzen Gewichte des Vaterschmerzes. Seine Freunde drängten sich mit einem Ausdrucke des Kummers um ihn her, der zu stark war, um Mitgefühl genannt zu werden. Selbst der junge Franzose schloß sich an, offenbar lebhaft ergriffen von dem frühen und traurigen Ende eines so liebenswürdigen Wesens. Als aber die letzten und niedrigsten Weiber des Stammes dem anscheinend regellosen und doch geordneten Zuge sich angereiht hatten, schlossen die Männer der Lenapen den Kreis um Uncas‘ Leiche wieder so ernst, so würdevoll, so regungslos wie zuvor.

Die Stelle, welche sie zu Cora’s Grab gewählt hatten, war ein kleiner Hügel, wo ein Kreis junger, gesunder Fichten Wurzel gefaßt hatte, deren Schatten nur ein melancholisches, so Wohl geeignetes Dämmerlicht gestattete. An dem Platze angekommen, setzten die Mädchen ihre Last nieder und warteten mit der ihnen eigenthümlichen Geduld und mit angeborner Schüchternheit auf irgend ein Zeichen der Zustimmung von Denen, deren Gefühle bei diesen Anordnungen am meisten betheiligt waren. Endlich sprach der Kundschafter, welcher allein ihre Gebräuche verstand, in ihrer Mundart:

»Was meine Töchter gethan haben, ist gut; die weißen Männer danken ihnen.«

Zufrieden mit diesem Zeugniß, schickten sich die Mädchen an, die Leiche in eine Art Sarg, künstlich und nicht ohne Geschmack aus Birkenrinde gefertigt, zu legen, und senkten sie dann in die finstere, letzte Behausung hinab. In derselben schlichten Weise und ebenso stumm wurde die Leiche bedeckt, und die Spur der frischen Erde mit Blättern und anderen Hüllen, wie sie die Natur und die Gewohnheit an die Hand gaben, verborgen. Als die Arbeit dieser freundlichen Kinder der Natur, die eine so traurige Pflicht so liebevoll erfüllt hatten, vollendet war, zögerten sie, um zu zeigen, daß sie nicht wüßten, wie weiter fortzufahren. Jetzt wandte sich der Kundschafter wieder mit den Worten an sie:

»Meine jungen Weiber haben genug gethan,« sprach er, »der Geist eines Blaßgesichtes bedarf keiner Speise noch Kleidung. Sie haben, was sie in dem Himmel ihrer Farbe bedürfen. Ich sehe,« fuhr er fort, einen Blick auf David werfend, der eben mit seinem Buche beschäftigt war und die Absicht verrieth, einen heiligen Gesang einzuleiten; »daß Einer reden will, der die christlichen Gebräuche besser kennt, als ich!«

Die Mädchen, welche bisher eine Hauptrolle gespielt hatten, traten nun bescheiden bei Seite, ruhige und aufmerksame Zuschauerinnen bei dem, was folgte. Während David auf die angedeutete Weise die frommen Gefühle seines Herzens ergoß, entschlüpfte ihnen kein Zeichen der Ueberraschung, kein Blick der Ungeduld. Sie lauschten vielmehr gleich denen, welche den Sinn der fremden Worte verstanden, und es schien, als ob sie die gemischten Gefühle des Schmerzes, der Hoffnung und der Ergebung mit empfanden, die der Gesang hervorrufen sollte.

Aufgeregt von der Scene, deren Zeuge er gewesen war, und vielleicht in Folge der Bewegung seines Innern, leistete der Singmeister Ungewöhnliches. Seine volle, reiche Stimme litt nicht, verglichen mit den sanften Tönen der Mädchen, und seine kunstgerechten Weisen besaßen wenigstens für die Ohren derer, an welche sie sich vornehmlich wandten, das Uebergewicht leichteren Verständnisses, Er endete das heilige Lied, wie er es angefangen hatte, mitten unter ernstem, feierlichem Schweigen.

Als jedoch der Schluß des Gesanges in den Ohren seiner Zuhörer verhallt war, verriethen die geheimen, schüchternen Blicke der Augen, und die allgemeine, wenn gleich unterdrückte Bewegung unter den Versammelten, daß man von dem Vater der Verstorbenen einige Worte erwartete. Munro schien zu fühlen, daß auch für ihn‘ die Zeit gekommen sey, vielleicht die größte Anstrengung zu machen, deren die Menschennatur fähig ist. Er entblößte sein graues Haupt und schaute fest und mit gefaßter Miene auf die ihn umgebende scheue und ruhige Volksmenge. Dann winkte er dem Kundschafter mit der Hand und sprach:

»Sagt diesen guten, liebreichen Mädchen, daß ein schwacher Greis, dessen Herz gebrochen, ihnen seinen Dank abstatte. Sagt ihnen, daß das Wesen, welches wir alle verehren, wenn auch unter verschiedenen Namen, ihrer Liebe gedenken wird: daß die Zeit nicht mehr ferne seyn kann, wo wir alle ohne Unterschied des Geschlechts, des Ranges oder der Farbe, um seinen Thron versammelt seyn werden.«

Der Kundschafter hörte diese Worte, die der Veteran mit zitternder Stimme sprach, aufmerksam an, und schüttelte, als er zu Ende war, langsam das Haupt, als ob er an ihrer Wirksamkeit zweifelte.

»Ihnen dies mitzutheilen,« sprach er, »hieße so viel, als wenn ich sagte, daß der Schnee nicht im Winter komme, oder die Sonne am wärmsten scheine, wenn die Bäume ihres Laubes baar sind.«

Er wandte sich zu den Weibern und drückte ihnen Munro’s Dankbarkeit aus, wie er es der Fassungskraft seiner Zuhörerinnen für am angemessensten hielt. Munro’s Haupt war wieder auf seine Brust gesunken, und er war nahe daran, sich wieder der früheren Schwermuth hinzugeben, da wagte der junge Franzose seinen Ellbogen leicht zu berühren. Sobald er die Aufmerksamkeit des trauernden alten Mannes gewonnen hatte, wies er auf einen Trupp junger Indianer, welche mit einer leichten, aber dicht verschlossenen Sänfte herannahten, und deutete dann aufwärts nach der Sonne.

»Ich verstehe Sie, mein Herr!« versetzte Munro im Tone erzwungener Festigkeit; »ich verstehe Sie. Es ist der Wille des Himmels, und ich unterwerfe mich. Cora, mein Kind! Wenn die Gebete eines Vaters, dessen Herz gebrochen ist, dir jetzt helfen könnten, wie selig solltest du seyn! – Kommen Sie, meine Herren!« fuhr er fort, mit einer Miene stolzer Fassung um sich blickend, obgleich der Gram, der in seinen gebleichten Zügen bebte, zu gewaltig war, um sich verbergen zu lassen – »Wir haben hier nichts mehr zu thun; laßt uns gehen!«

Heyward gehorchte gerne dem Rufe, der ihn von einem Orte entfernte, wo, wie er wohl fühlte, seine Selbstbeherrschung ihn jeden Augenblick verlassen konnte. Während seine Begleiter aber zu Pferde stiegen, fand er noch Zeit, dem Kundschafter die Hand zu drücken und ihm ihre Uebereinkunft noch einmal ins Gedächtniß zu rufen, sich wieder bei den Posten des brittischen Heeres zu treffen. Dann warf er sich getrost in den Sattel und spornte sein Schlachtroß an die Seite der Sänfte, aus welcher ihm ein leichtes, halbunterdrücktes Schluchzen die Gegenwart Alicens verkündete. Munro senkte wieder das Haupt auf die Brust; Heyward und David folgten in düsterem Schweigen, von Montcalm’s Adjutanten und seiner Bedeckung begleitet; so entschwanden alle Weißen, mit Ausnahme Hawk-eye’s, den Augen der Delaware« und waren bald in den endlosen Wäldern des Landes begraben.

Das Band gemeinschaftlich erlittenen Unglücks aber, welches diese einfachen Waldbewohner mit den Fremden vereinte, die so vorübergehend unter ihnen verweilt hatten, konnte sich nicht so bald lösen. Jahre vergingen, ehe die sagenhafte Überlieferung von dem weißen Mädchen und dem jungen Krieger der Mohikaner aufhörte, den Delawaren lange Nächte und ermüdende Märsche zu verkürzen, oder ihre Jünglinge und ihre Tapferen mit dem Verlangen nach Rache zu erfüllen. Auch Diejenigen, welche in diesen bedeutenden Erlebnissen eine weniger hervorragende Rolle gehabt hatten, wurden nicht vergessen. Durch Vermittlung des Kundschafters, welcher noch Jahre nachher eine Art von Mittelglied zwischen ihnen und der civilisirten Welt bildete, erfuhren sie als Antwort auf ihre Erkundigungen, daß das ,graue Haupt` bald zu seinen Vätern versammelt worden sey, darniedergedrückt, wie sie irrig glaubten, durch sein Unglück im Kriege: und daß die ›offene Hand‹ seine überlebende Tochter weit hinweg nach den Niederlassungen der Blaßgesichter geführt habe, wo ihre Thränen endlich aufgehört hätten zu fließen, dem lieblichen Lächeln weichend, das ihrer heiteren Natur besser ziemte.

Doch diese Begebenheiten fallen in eine Zeit, welche außer dem Bereiche unserer Erzählung liegt. Von allen Gefährten seiner Farbe verlassen, kehrte Hawk-eye an den Ort zurück, wohin ihn seine Neigungen mit einer Gewalt zogen, wie sie kein blos eingebildetes Band der Einigung schaffen konnte. Er kam noch eben zur Zeit, einen Abschiedsblick auf Uncas‘ Züge zu werfen, den die Delawaren bereits in seine letzten Pelzgewänder hüllten. Sie hielten eine Weile inne, um dem beherzten Waidmann seinen zögernden Blick der Sehnsucht nicht zu verkümmern, und der Leib wurde eingehüllt, um nie mehr aufgedeckt zu werden. Dann folgte ein zweiter feierlicher Zug, und die ganze Nation versammelte sich um das vorläufig gewählte Grab des Häuptlings – vorläufig, denn seine Gebeine sollten einst in kommenden Tagen unter denen seines eigenen Volkes ruhen. Die allgemeine Uebereinstimmung der Gefühle brachte auch hier eine Theilnahme hervor, von der sich Niemand ausschloß. Derselbe ernste Ausdruck des Grams, dasselbe strenge Stillschweigen, dieselbe Ehrfurcht gegen den Hauptleidtragenden, die wir bereits einmal zu schildern hatten, war auch um diese Begräbnisstätte zu bemerken. Die Leiche ward in ruhender Stellung niedergelassen, das Gesicht gegen die aufgehende Sonne gerichtet, neben ihm seine Kriegs- und Jagdgeräthe, bereit für die letzte große Reise. In dem Sarge, durch welchen der Körper gegen die unmittelbare Berührung der Erde geschützt war, ließ man eine Oeffnung, damit der Geist, sofern es nöthig wäre, mit seiner irdischen Hülle verkehren könne. Das Ganze ward mit dem den Eingebornen eigenen Scharfsinne gegen den Instinkt und die Verwüstungen der Raubthiere geschützt. Die Gebräuche, bei denen Mehrere thätig zu seyn hatten, waren nun zu Ende, und Aller Sinn wandte sich wieder dem geistigeren Theile der Feierlichkeiten zu.

Chingachgook wurde noch einmal der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. Er hatte noch nicht gesprochen, und doch erwartete man bei einem so wichtigen Anlasse von einem so berühmten Häuptling etwas Tröstliches und Belehrendes zu hören. Die Wünsche des Volkes errathend, erhob der Krieger, seinen Schmerz bezwingend, das ernste Antlitz, das er zuletzt in sein Gewand verhüllt gehalten hatte, und schaute mit festem Auge um sich. Seine festzusammengepreßten, ausdrucksvollen Lippen öffneten sich, und zum Erstenmale während der langen Ceremonie ließ sich seine Stimme deutlich vernehmen.

»Warum trauern meine Brüder?« sprach er, auf die dunkeln Krieger schauend, die mit niedergeschlagener Miene um ihn standen: »warum weinen meine Töchter? weil ein junger Krieger nach den glücklichen Jagdgefilden gegangen ist – weil ein Häuptling seine Zeit mit Ehren erfüllt hat? Er war gut: er war pflichttreu; war tapfer. Wer kann es läugnen? Manitto hatte einen solchen Krieger nöthig, und er hat ihn abgerufen. Was mich betrifft, den Sohn und den Vater eines Uncas, so bin ich eine abgeschälte Fichte in einer Lichtung der Blaßgesichter. Mein Geschlecht ist geschieden von den Gestaden des Salzsees und von den Bergen der Delawaren. Aber wer kann sagen, daß die Schlange seines Stammes ihrer Weisheit vergessen hat? Ich bin allein –«

»Nein, nein,« rief Hawk-eye, welcher bisher mit einem Ausdruck der hingebendsten Theilnahme auf die strengen Züge Chingachgook’s geschaut hatte, und nun seine gewohnte, bisher nur mit Mühe behauptete Fassung sinken lassen mußte: »nein, Sagamore, nicht allein. Unsere Gaben und unsere Farbe mögen verschieden seyn: aber Gott hieß uns auf demselben Pfade mit einander wandeln. Ich habe keinen Verwandten, und kann, gleich dir, sagen, ich habe auch kein Volk. Er war dein Sohn und eine Rothhaut von Natur: und es mag seyn, daß dein Blut näher – aber wenn ich je den Jungen vergesse, der im Kriege so oft neben mir gefochten, im Frieden an meiner Seite geruht hat, so soll Er, der uns alle erschuf, wie auch unsere Farbe oder unsere Natur sein mag – meiner vergessen! Der Junge hat uns für eine Weile verlassen; aber, Sagamore, du bist nicht allein!«

Chingachgook ergriff die Hand, welche der Kundschafter in der Wärme seines Gefühls ihm über die frische Erde hinüber streckte, und in dieser Stellung der Freundschaft neigten die beiden kräftigen, unerschrockenen Waidmänner ihre Häupter zusammen: heiße Thränen rollten auf das Grab nieder und befeuchteten Uncas‘ Ruhestätte, wie fallende Regentropfen.

Mitten in dem ehrfurchtsvollen Schweigen, mit welchem ein solcher Ausbruch der Empfindung von Seiten der zwei berühmtesten Krieger jener Regionen aufgenommen ward, erhob Tamenund seine Stimme, das Volk zu zerstreuen:

»Es ist genug!« rief er. »Geht, Kinder der Lenapen, der Zorn Manitto’s hat sich noch nicht gelegt. Warum sollte Tamenund weilen? Die Blaßgesichter sind Herren der Erde, und die Zeit der Rothäute ist noch nicht wieder gekommen. Mein Tag ist zu lang gewesen. Am Morgen sah ich die Söhne des Unamis glücklich und mächtig, und jetzt, bevor die Nacht eingebrochen ist, mußte ich leben, um den letzten Krieger von dem weisen Geschlechte der Mohikaner zu schauen!«

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

Sola, sola, so, sa, so, sola!
Shakespeare.

Während die eine der liebenswürdigen Damen, mit denen wir unsere Leser flüchtig bekannt gemacht, so in Gedanken vertieft war, hatte sich die andere schnell von dem leichten Schrecken erholt, der jenen Ausruf veranlaßte, und über ihre eigene Schwäche lachend, fragte sie den jungen Mann, der ihr zur Seite ritt: –

»Sind solche Gespenster häufig in diesen Wäldern, Heyward, oder ist das ein Schauspiel, das uns zu Lieb‘ gegeben wurde? Wenn Letzteres der Fall ist, so muß uns Dankbarkeit den Mund schließen; im erstern Falle bedürfen Cora und ich eines reichen Vorrathes von jenem ererbten Muthe, dessen wir uns rühmen, selbst ehe wir noch den gefürchteten Montcalm begegnen.«

»Der Indianer dort ist ein Läufer von dem Heere, und kann in der Weise seines Volkes für einen Helden gelten,« versetzte der Offizier. »Er hat sich erboten, uns auf einen nur wenig gekannten Pfade schneller und folglich angenehmer nach dem See zu bringen, als wenn wir den langsamen Bewegungen des Heeres folgten.«

»Der Mensch gefällt mir nicht,« sprach die Lady, von angenommenem, noch mehr aber von wirklichem Schrecken schaudernd. »Sie kennen ihn doch genau, Duncan, sonst würden Sie sich nicht so unbedenklich seiner Führung anvertrauen?«

»Sagen Sie lieber, Alice, ich würde Sie ihm nicht anvertrauen. Ich kenne ihn, sonst würde ich ihm am wenigsten in diesem Augenblicke vertrauen. Man sagt, er sey auch ein Canadier – und doch diente er unsern Freunden, den Mohawks, die, wie Sie wissen, eine der sechs verbündeten Nationen sind. Er wurde, wie ich hörte, durch einen seltsamen Vorfall zu uns gebracht, bei dem Ihr Vater betheiligt war, und wobei der Wilde hart behandelt wurde – aber ich vergaß das Geschichtchen, genug, er ist jetzt unser Freund.«

»Wenn er meines Vaters Feind war, so gefällt er mir noch viel weniger!« rief das nun wirklich erschrockene Mädchen. »Wollen Sie nicht mit ihm sprechen, Major Heyward, daß ich seine Stimme höre. Es ist vielleicht eine Thorheit, aber Sie haben schon oft von mir gehört, daß ich auf den Ton der Menschenstimme gehe.«

»Das würde vergeblich seyn, und höchst wahrscheinlich nur durch einen Ausruf beantwortet werden. Wenn er auch Englisch versteht, so thut er doch, wie die Meisten seines Volkes, als verstünde er Nichts davon, und am wenigsten wird er sich herablassen, jetzt zu sprechen, da der Krieg ihn zur strengsten Behauptung seiner Würde auffordert. Aber er hält inne: der geheime Weg, den wir einschlagen sollen, ist wahrscheinlich hier in der Nähe.«

Die Vermuthung Major Heyward’s war richtig. Als sie zu der Stelle kamen, wo der Indianer stand, wies er auf ein Dickicht zur Seite der Heerstraße, und ein schmaler, unansehnlicher Pfad, der, wenn auch mit einiger Unbequemlichkeit, eine Person aufnehmen konnte, wurde sichtbar.

»Dahin also,« sprach der junge Mann mit gedämpfter Stimme, »geht unser Weg. Zeigen Sie kein Mißtrauen, oder Sie locken selbst die Gefahr herbei, die Sie zu fürchten scheinen.«

»Cora, was denkst Du?« fragte die widerstrebende Schöne. »Wenn wir mit den Truppen reisen, werden wir nicht, obgleich wir ihre Gegenwart lästig finden müßten, über unsere Sicherheit beruhigter seyn können?«

»Da Sie mit den Kunstgriffen der Wilden zu wenig bekannt sind, Alice, so wissen Sie nicht, wo die Gefahr am größten ist,« fiel Heyward ein. »Wenn die Feinde überhaupt schon den Trageplatz erreicht haben, was keineswegs wahrscheinlich ist, da unsre Kundschafter draußen sind, so gehen sie sicherlich darauf aus, die Kolonne zu umzingeln, weil es hier am meisten zu skalpiren gibt. Die Straße des Detachements ist bekannt, während unser Weg, welchen einzuschlagen erst vor einer Stunde beschlossen ward, noch ein Geheimnis seyn muß.«

»Sollen wir dem Mann mißtrauen, weil seine Sitten nicht die unsern find, und seine Haut dunkel?« fragte kaltblütig Cora.

Alice zögerte nicht länger; sie gab ihrem Narraganset einen tüchtigen Schlag mit der Reitgerte, drückte zuerst die dünnen Zweige der Gebüsche bei Seite und folgte dem Läufer den dunkeln, verschlungenen Pfad entlang. Der junge Mann betrachtete die letzte Sprecherin mit unverholener Bewunderung, und ließ ihre schönere, oder zum Mindesten nicht weniger schöne Gefährtin ohne Begleitung, während er eifrig einen Weg für jene bahnte, welche Cora genannt wurden war. Die Diener mußten vorher ihre Weisungen erhalten haben: denn statt mit in das Dickicht einzudringen, folgten sie auf der Heerstraße der Kolonne, eine Maßregel, welche nach Heyward’s Angabe der Scharfsinn ihres Führers angerathen hatte, um nicht zu viel Spuren von sich zu hinterlassen, für den Fall, daß die Canadischen Wilden sich etwa so weit dem Heere voraus in Hinterhalt legten. Mehrere Minuten lang erlaubte der verschlungene Weg keine weitere Unterhaltung. Jetzt aber gelangten sie aus dem breiteren Saume des Unterholzes, das sich die Heerstraße entlang erstreckte, unter das hohe und dunkle Bogendach der Waldbäume. Hier war ihr Vordringen weniger unterbrochen, und sobald der Führer merkte, daß die Damen über ihre Pferde freier verfügen konnten, schlug er einen stärkeren trottartigen Schritt an, der die sicherfüßigen Thiere in einen schnellen, aber leichten Paß versetzte. Der junge Mann hatte sich umgewendet, um mit der schwarzäugigen Cora zu sprechen, als ihn entfernte Hufschläge, die über die Wurzeln des holperigen Weges hinter ihnen daher stampften, veranlaßten, sein Schlachtroß anzuhalten. Auch seine Begleiterinnen hielten in demselben Augenblick ihre Zügel an, die ganze Parthie machte Halt, um Aufschluß über die unerwartete Unterbrechung zu erhalten.

In wenigen Augenblicken sah man ein Füllen wie einen Damhirsch durch die geraden Fichtenstämme schlüpfen und gleich darauf die Person des unbehülflichen Mannes, den wir in dem vorigen Kapitel beschrieben haben, zum Vorschein kommen, wie er sein mageres Thier zu so viel Eile antrieb, als dieses ertragen konnte, ohne daß es zu einem förmlichen Sturze kam. Bis jetzt war diese Persönlichkeit der Beobachtung unserer Reisenden entgangen. Besaß er die Macht, das Auge des Wanderers zu fesseln, wenn er zu Fuß die volle Glorie seiner Körperhöhe entfaltete, so mußte die Grazie des Reiters die gleiche Aufmerksamkeit erregen. Trotz der beständigen Tätigkeit der einen bewaffneten Ferse gegen die Seite seiner Stute, war doch der stärkste Lauf, in den er sie bringen konnte, ein leichter Galopp mit den Hinterbeinen, in welchen die vorderen nur in zweifelhaften Momenten mit einstimmten, gemeinhin aber sich begnügten, einen hüpfenden Trott einzuhalten. Vielleicht brachte der schnelle Wechsel dieser Bewegungen eine optische Täuschung hervor, welche die Kräfte des Thiers scheinbar vergrößerte. Denn so viel ist gewiß, daß Heyward, der doch ein scharfes Auge für die Verdienste der Pferde hatte, bei allem Scharfsinn nicht im Stande war, zu entscheiden, durch welcherlei Bewegung sein Verfolger die Krümmungen des Weges mit so ausdauernder Kühnheit zurücklegte.

Der Eifer und die Bewegungen des reitenden Theils waren nicht minder merkwürdig, als die seines Rosses. Bei jedem Wechsel der Evolutionen des Letztern erhob der Erstere seine hagere Gestalt in den Bügeln, und bewirkte durch die ungebührliche Verlängerung seiner Beine ein so plötzliches Wachsen und Zusammensinken seiner Gestalt, daß jede Vermuthung über seine eigentlichen Dimensionen vereitelt wurde. Fügen wir noch die Thatsache hinzu, daß durch den einseitigen Gebrauch des Sporns eine Seite der Mähre sich schneller zu bewegen schien, als die andere, und daß die mißhandelte Flanke durch unabläßige Schläge mit dem buschigen Schwanze bezeichnet ward, so haben wir das treue Bild von Roß und Mann.

Die Runzeln, welche sich um die schöne, offene und männliche Stirn Heyward’s gesammelt hatten, glätteten sich allmählig und um seine Lippen kräuselte ein leichtes Lächeln, als er den Fremden betrachtete. Alice strengte sich nicht eben an, ihre Heiterkeit zu unterdrücken, und selbst das schwarze, sinnige Auge Cora’s erglänzte von einer Laune, welche mehr Gewohnheit als die augenblickliche Stimmung seiner Gebieterin zu bewältigen schien.

»Suchen Sie Jemand?« fragte Heyward, als der Andere nahe genug gekommen war, um seine Eile zu mäßigen: »ich hoffe, Sie sind kein Unglücksbote.« »Ja gewiß,« erwiederte der Fremde, indem er fleißigen Gebrauch von seinem dreieckigen Castor machte, um eine Circulation in der geschlossenen Luft des Waldes zu bewirken, und seine Zuhörer in Zweifel ließ, auf welche der Fragen des jungen Mannes er antwortete. Als er jedoch sein Gesicht abgekühlt hatte und wieder zu Athem gekommen war, fuhr er fort: »ich höre, Sie reiten nach William Henry, und da ich ebendahin reise, so schloß ich, gute Gesellschaft würde mit den Wünschen beider Parteien zusammentreffen.«

»Sie scheinen das Vorrecht der entscheidenden Stimme zu haben,« erwiederte Heyward;« wir sind unser drei, und Sie haben Niemand, als sich selbst zu Rath gezogen.«

»Gewiß. Das Erste, worüber wir im Reinen seyn müssen, sind wir selbst. Ist man dessen gewiß – und wo Weiber mit im Spiel sind, ist dies nichts Leichtes – so ist das Nächste, dem Entschlusse gemäß zu handeln. Ich suchte beides zu thun und hier bin ich.«

»Wenn Sie nach dem See reisen,« versetzte Heyward stolz, »dann sind Sie nicht auf dem rechten Wege, die Straße liegt wenigstens eine halbe Meile hinter uns.«

»So ist es,« erwiederte der Fremde, durch den kalten Empfang nicht entmuthigt. »Ich habe mich in Edward eine Woche aufgehalten, und müßte stumm seyn, wenn ich mich nicht nach dem Weg, den ich zu nehmen habe, erkundigt hätte; und wäre ich stumm, so hätt’s auch mit meinem Beruf ein Ende.«

Er lächelte vor sich hin, wie Einer, dem die Bescheidenheit verbietet, seine Bewunderung über einen zum Besten gegebenen, den Zuhörern aber unverständlichen Witz offen darzulegen, und fuhr dann fort: »Es ist nicht klug bei Leuten von meinem Beruf, mit denen, welche sie zu unterrichten haben, sich zu gemein zu machen: deshalb folge ich nicht dem Heereszug; zudem glaube ich, daß ein Gentleman Ihres Standes am besten zu reisen weiß, und habe mich daher entschlossen, Ihnen Gesellschaft zu leisten, damit der Weg durch gegenseitige Mittheilung unterhaltender werde.« »Ein äußerst willkürlicher, wo nicht voreiliger Entschluß!« rief Heyward, unentschlossen, ob er seinem steigenden Aerger Luft machen oder dem Sprecher ms Gesicht lachen sollte. »Aber Sie reden vom Unterrichten und von Beruf; sind sie dem Provinzialcorps beigegeben als Lehrer in der edeln Kunst der Vertheidigung und des Angriffs? oder sind sie vielleicht Einer, der Linien und Winkel zieht und vorgibt, die Mathematik auszulegen?«

Der Fremde sah den Frager einen Augenblick verwundert an, dann aber löste er jede Spur von Selbstzufriedenheit in einen Ausdruck feierlicher Demuth auf und antwortete:

»Von Angriff ist, hoffe ich, auf keiner Seite die Rede. Was die Vertheidigung betrifft, so brauch‘ ich mich nicht zu vertheidigen. Mit Gottes Gnade habe ich keine offenbare Sünde begangen, seitdem ich ihn zum letzten Mal um Vergebung gebeten. Ich verstehe Ihre Anspielungen auf Linien und Winkel nicht, und überlasse das Auslegen denen, die besonders zu diesem heiligen Amte berufen sind. Ich mache auf keine höhere Gabe Anspruch, als auf eine geringe Einsicht in die glorreiche Kunst des Lobgesangs und Danksagens wie sie bei dem Psalmsingen dem Himmel dargebracht werden.«

»Der Mann ist offenbar ein Schüler Apollos,« rief die belustigte Alice, »und ich nehme ihn unter meine specielle Protection. Nein, weg mit diesen Runzeln, Heyward, aus Mitleid für meine neugierigen Ohren lassen Sie ihn in unsrem Gefolge reisen. Ueberdies,« fuhr sie in gedämpftem und hastigen Tone mit einem Blick auf die entfernte Cora, welche langsam den Tritten ihres schweigsamen und düstern Führers folgte, fort: »kann er vielleicht als Freund im Falle der Noth unsre Kräfte verstärken.«

»Glauben Sie, Alice, ich würde diejenigen, die ich liebe, auf einen geheimen Pfad führen, wenn ich mir dächte, daß eine solche Noth kommen könnte?«

»Nein, nein, ich denke jetzt auch nicht daran; aber dieser seltsame Mann belustigt mich, und wenn er Musik in seiner Seele hat,‹ so wollen wir ihn nicht lieblos aus unsrer Gesellschaft verweisen.« Sie deutete mit ihrer Reitgerte bittend nach dem Pfade hin, indeß beider Augen in einem Blicke sich begegneten, den der junge Mann gerne verlängert hätte; dann gab er ihrem begütigenden Einfluß nach, stieß seinem Rosse die Sporen ein, und in wenigen Sprüngen war er wieder an Cora’s Seite.

»Es freut mich, Dich zu treffen, Freund,« fuhr Alice fort, dem Fremden mit der Hand winkend, weiter zu reiten, indem sie ihren Narraganset wieder in einen Paß zu bringen suchte. »Parteiische Verwandte haben mich beinahe überredet, daß ich bei einem Duett nicht übel anstehen könne, und wir erheitern uns den Weg, wenn wir unsrer Lieblingsneigung in etwas nachgeben. Es wird einem Wesen, das so unwissend ist, wie ich, zu besonderem Vortheil gereichen, die Meinungen und Erfahrungen eines Meisters in der Kunst zu vernehmen.«

»Es ist erfrischend für Geist und Leib, sich zu seiner Zeit durch Singen von Psalmen zu erquicken,« erwiederte der Meister im Gesang, indem er unbedenklich ihrer Einladung folgte; »und Nichts dürfte dem Gemüth so wohl thun, als eine solche Vereinigung. Aber vier Stimmen sind erforderlich, um eine Melodie gehörig auszuführen. Nach allen Anzeigen besitzen Sie einen sanften und vollen Discant; ich kann, durch absonderliche Gunst des Himmels, einen vollen Tenor auf die höchste Note führen; aber es fehlt uns noch ein Alt und ein Baß! Der königliche Offizier dort, welcher mich nicht in seine Gesellschaft aufnehmen wollte, könnte den letztern übernehmen, wenn ich nach den Intonationen seiner Stimme im gewöhnlichen Gespräche schließen darf.«

»Urtheilen Sie nicht zu voreilig nach flüchtigen und täuschenden Scheinbarkeiten,« entgegnete lächelnd das Mädchen, »wenn Major Heyward auch bei Gelegenheit solche tiefe Töne anstimmen kann, so glauben Sie mir, daß seine natürliche Stimme sich mehr zu einem weichen Tenor, als für den Baß eignet, den Sie gehört haben.« »Ist er also im Psalmsingen besonders erfahren?« fragte ihr schlichter Begleiter.

Alice hätte gerne laut aufgelacht, bezähmte aber ihre Laune, als sie antwortete:

»Ich fürchte, er hält es mehr mit weltlichem Gesang. Das wechselnde Soldatenleben ist wenig geeignet, ernstere Neigungen zu begünstigen.«

»Die Stimme ist dem Menschen, wie andere Talente, zum Gebrauch, nicht zum Mißbrauch gegeben. Mir kann Niemand nachsagen, daß ich je meine Gaben vernachläßigt habe. Ich danke Gott, daß, obgleich ich schon meine Jugend, wie König David, der Musik gewidmet habe, kein profaner Vers jemals meine Lippen entweihte.«

»So haben Sie denn Ihre Kunstversuche auf den heiligen Gesang beschränkt?«

»Ja. Wie die Psalmen Davids jede andere Sprache weit übertreffen, so übertrifft auch die Psalmodie, welche von den Gottesgelehrten und Weisen des Landes ihnen angepaßt worden ist, alle weltliche Poesie. Glücklicher Weise darf ich sagen, daß ich nur die Gedanken und die Wünsche des Königs von Israel selbst ausspreche: denn wenn auch die Zeiten einige unbedeutende Veränderungen erheischen, so übertrifft doch die Uebertragung, deren wir uns in den Kolonien von Neu-England bedienen, jede andere so weit, daß sie durch ihre Fülle, ihre Genauigkeit und ihre geistliche Einfalt dem großen Werke des begeisterten Dichters möglichst nahe kommt. Nie bleibe ich schlafend oder wachend an einem Ort, ohne ein Exemplar dieses hochbegabten Buches bei mir zu haben. Es ist die sechsundzwanzigste Edition, herausgegeben zu Boston Anno Domini 1744 und führt die Aufschrift: Psalmen, Hymnen und geistliche Gesänge des Alten und Neuen Testaments, getreu übertragen in das englische Versmaß, zur Erbauung und zum Troste der Heiligen, zu öffentlichem und Privatgebrauch, besonders in Neu-England.« Während dieser Lobpreisung auf das seltene Produkt seiner heimischen Dichter hatte der Fremde das Buch aus seiner Tasche gezogen, eine in Eisen gefaßte Brille auf seine Nase gesetzt und das Buch mit einer Sorgfalt und Verehrung geöffnet, welche seinen heiligen Zwecken ganz angemessen war. Dann sprach er, ohne weitere Einleitung und Apologie, zuerst das Wort »Standish« aus, setzte das bereits erwähnte unbekannte Instrument an den Mund, und brachte damit einen hohen, schrillen Ton hervor, dem er eine Octave niedriger mit seiner eigenen Stimme folgte. Nun begann er die folgenden Worte in vollen, süßen und melodischen Tönen, welche der Musik, der Poesie und selbst der unbehaglichen Bewegung seines ungezogenen Kleppers Hohn zu sprechen schienen, abzusingen:

O sieh, wie fein und lieblich
Es ist, wie’s Gott gefällt,
Wenn mit dem Bruder treulich
Der Bruder Frieden hält.
Es gleicht der Salben bester,
Die vom Haupt zum Barte floß,
Auf Aarons Bart herunter,
Bis zu des Kleides Schoß.

Die Absingung dieser kunstreichen Reime begleitete der Fremde mit einem regelmäßigen Steigen und Fallen seiner rechten Hand. Beim Senken ließ er seine Finger einen Augenblick auf den Blättern des kleinen Buches ruhen, während er das Steigen mit einem Schnörkelschlag dieses Gliedes begleitete, welchen nachahmen zu können, Niemand als der Eingeweihte hoffen durfte. Es wollte scheinen, als ob lange Angewöhnung diese Begleitung der Hand nothwendig gemacht hätte, denn sie hörte nicht auf, bis die Präposition, welche der Poet für den Schluß seines Verses gewählt hatte, getreulich als ein Wort von zwei Sylben abgesungen war. Eine solche Unterbrechung der Stille des einsamen Waldes konnte nicht verfehlen, sich dem Ohre derer, die nur eine kleine Strecke voraus zogen, bemerklich zu machen.

Der Indianer murmelte einige Worte in gebrochenem Englisch gegen Heyward, welcher seinerseits mit dem Fremden sprach, seine musikalischen Versuche unterbrechend und zugleich beendigend.

»Obgleich wir nicht in Gefahr sind, so räth uns schon die gewöhnliche Klugheit, durch diese Wildniß in möglichster Stille zu reisen. Sie werden mir also verzeihen, Alice, wenn ich Ihre Genüsse beeinträchtige, indem ich diesen Herrn ersuche, seinen Gesang auf eine sicherere Gelegenheit aufzusparen.«

»Das werden Sie in der That,« versetzte das schelmische Mädchen, »nie hörte ich eine unwürdigere Verbindung zwischen Musik und Sprache, als die, der ich so eben lauschte; und ich hatte mich schon in eine Untersuchung über die Ursachen einer solchen Disharmonie zwischen Ton und Sinn vertieft, als Sie den Zauber meiner Träumereien durch ihren Baß zerstörten, Duncan.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen Baß nennen,« entgegnete Heyward, empfindlich über ihre Bemerkung, »aber so viel weiß ich, daß Ihre und Cora’s Sicherheit mir viel theurer ist, als ein Orchester von Händel’s Musik.« Er schwieg, kehrte plötzlich sein Auge gegen das Dickicht und heftete sie dann auf ihren Führer, welcher in ungestörter Gravität den gleichen Schritt einhielt. Der junge Mann lächelte über sich selbst, denn er glaubte, er habe eine glänzende Waldbeere für die glühenden Augäpfel eines herumstreichenden Wilden genommen, und ritt weiter, indem er die Unterhaltung fortsetzte, welche durch jenen flüchtigen Gedanken unterbrochen worden war.

Major Heyward hatte sich nur in sofern getäuscht, als er sich durch seinen jugendlichen und hochsinnigen Stolz von weiterer Nachforschung abhalten ließ. Der Zug war noch nicht lang vorüber, als die Zweige des Gebüsches, welche das Dickicht bildeten, vorsichtig auseinander gebogen wurden, und ein Menschengesicht, so trotzig und furchtbar, als wilde Kunst und ungebändigte Leidenschaften es machen konnten, den sich entfernenden Fußtritten der Reisenden nachblickte. Ein Strahl des Frohlockens schoß über die dunkelbemalten Gesichtszüge des Waldbewohners, als er sah, welche Richtung seine arglosen Schlachtopfer eingeschlagen hatten. Den lichten und anmuthigen Gestalten der Frauen, welche zwischen den Bäumen dahin schwebten, folgte durch die Krümmungen des Weges die männliche Gestalt Heywards, bis schließlich die unförmliche Person des Singmeisters unter den zahllosen Baumstämmen verschwand, die sich in düstern Linien dazwischen erhoben.

Drittes Kapitel.

Drittes Kapitel.

Eh‘ man die Felder noch gepflügt,
Voll bis zum Rand die Flüsse strömten,
Der Wasser Melodie erfüllt‘
Den frischen, weiten Wald, es rauschten
Waldströme, und das Bächlein spielt‘,
Und in dem Schatten sprangen Quellen.
Bryant.

Wir lassen den argwohnlosen Heyward und seine ihm vertrauenden Begleiter noch tiefer in den Wald eindringen, der so verrätherische Bewohner in sich schloß, und bedienen uns der Freiheit des Schriftstellers, die Scene einige Meilen weiter westlich von dem Orte, wo wir sie zuletzt gesehen haben, zu versetzen.

An jenem Tage schlenderten zwei Männer an dem Ufer eines kleinen aber reißenden Stroms, ungefähr eine Tagreise von dem Lager Webbs, als harrten sie der Ankunft eines Dritten, oder der Annäherung eines erwarteten Ereignisses. Das weite Laubdach des Waldes dehnte sich an dem Rande des Flusses aus, indem es das Wasser überhing und seine dunkeln Fluten mit noch tieferem Dunkel überschattete. Die Strahlen der Sonne fingen bereits an schwächer zu werden, und die übermäßige Hitze des Tages sich zu mildern, während kühlere Dünste von Quellen aus ihren Laubbetten emporstiegen und sich mit der Atmosphäre vermischten. Immer noch herrschte in dieser Einsamkeit jene Stille, welche die drückende Schwüle einer amerikanischen Juli-Landschaft charakterisirt, und wurde nur von den leisen Stimmen der Männer, dem gelegentlichen, müden Picken eines Waldspechts, dem unharmonischen Schrei eines bunten Hehers, oder dem dumpfen Rauschen eines entfernten Wasserfalls unterbrochen.

Diese schwachen und abgebrochenen Laute waren jedoch den Waldbewohnern zu vertraut, als daß sie ihre Aufmerksamkeit von dem interessanteren Gegenstand ihrer Unterhaltung abgezogen hätten. Während einer dieser müßigen Wanderer die rothe Haut und den wilden Aufzug eines Eingebornen der Wälder hatte, zeigte der andere unter der Hülle roher und fast wilder Bekleidung die hellere, wenn gleich sonnverbrannte und lang verwitterte Farbe Eines, der auf europäische Abstammung Anspruch machen durfte. Der Eine saß auf dem Rand eines bemoosten Baumstammes in einer Stellung, die ihm vergönnte, die Wirkung seiner ernsten Rede durch die ruhigen und ausdrucksvollen Gebärden des in einem Streitgespräche begriffenen Indianers zu erhöhen. Sein beinahe nackter Leib bot ein schreckhaftes Sinnbild des Todes dar, durch die verschlungene Mischung weißer und schwarzer Farbenzüge. Sein kahl geschorner Kopf, auf dem kein andres Haar, als der wohlbekannte, ritterliche Skalpirschopf belassen worden, war ohne andern Putz, als eine einzige Adlersfeder, die über seinen Scheitel lief und auf die linke Schulter herunter hing. Ein Tomahawk und ein Skalpirmesser von englischer Arbeit stacken in seinem Gürtel, während eine Büchse von der Art, womit die Politik der Weißen ihre wilden Verbündeten bewaffnete, nachläßig über seinen bloßen, sehnigen Knien lag. Die gewölbte Brust, die vollgeformten Glieder und die ernste Haltung dieses Kriegers schienen anzudeuten, daß er sich in der Vollkraft seines Lebens befinde, ohne noch Spuren der Abnahme seiner Mannheit zu fühlen.

Die Gestalt des Weißen glich, nach den Körpertheilen zu schließen, welche er nicht mit dem Kleide bedeckte. Jemand, der seit seiner frühesten Jugend Mühseligkeiten zu ertragen und Anstrengungen zu machen gelernt hatte. Seine Person, obgleich muskulös, war eher mager, als voll; aber jeder Nerv und Muskel schien gedrungen und durch unausgesetzte Anstrengung und Arbeit abgehärtet. Er trug ein waldgrünes Jagdhemd mit verwittertem Gelb besetzt, und eine Sommermütze von geschornem Fell. Auch er trug ein Messer in einem Wampumgürtel, gleich dem, der die ärmliche Bekleidung des Indianers umschloß, aber keinen Tomahawk. Seine Moccasins waren nach der Weise der Eingebornen verziert, während der einzige Theil seiner untern Bekleidung, der unter dem Jagdrock sichtbar war, aus ein Paar bockledernen Kamaschen bestand, die, auf beiden Seiten verbrämt, über dem Knie mit Hirschsehnen befestigt waren. Eine Jagdtasche und ein Pulverhorn vollendeten seinen Anzug, und eine Büchse von großer Länge, welche die Theorie der erfahrneren Weißen die Waldbewohner als die gefährlichste Feuerwaffe betrachten ließ, lehnte an einem benachbarten Bäumchen. Das Auge des Jägers oder Kundschafters, was immer er seyn mochte, war klein, lebhaft, scharf und unruhig, und rollte, während er sprach, in allen Richtungen umher, als ob er ein Jagdwild suchte oder die plötzliche Annäherung eines Feindes besorgte. Trotz tiefer Symptome gewohnten Mißtrauens verrieth sein Gesicht nicht nur keine Tücke, sondern trug in dem Augenblick, da er sprach, sogar das Gepräge offener Rechtlichkeit.

»Selbst eure Ueberlieferungen sprechen für mich, Chingachgook,« entgegnete er in einer Sprache, welche allen Eingebornen, die früher das Land zwischen dem Hudson und dem Potomak bewohnten, bekannt war, und von der wir zu Gunsten des Lesers eine freie Uebersetzung geben, aber zugleich darauf Bedacht nehmen werden, einige Eigenthümlichkeiten, sowohl des Individuums als des Ausdrucks beizubehalten. »Eure Väter kamen von der untergehenden Sonne her, gingen über den großen Fluß, kämpften mit dem Volke des Landes und nahmen dieses weg; die Meinigen kamen vom rothen Morgenhimmel über den Salzsee und thaten ganz nach dem Beispiel, das die Eurigen ihnen gegeben hatten. So laß denn Gott unsere Sache entscheiden, und Freunde darüber keine Worte verlieren.«

»Meine Väter fochten mit dem nackten rothen Mann,« versetzte der Indianer ernst, in der nämlichen Sprache. »Ist kein Unterschied, Hawk-eye (Falkenauge), zwischen dem steingespitzten Pfeil des Kriegers und der bleiernen Kugel, womit ihr tödtet?«

»Ein Indianer hat Verstand, wenn ihm gleich die Natur eine rothe Haut gegeben hat,« sprach der Weiße, den Kopf schüttelnd, gleich einem, bei dem eine solche Berufung auf seine Gerechtigkeit nicht weggeworfen war. Einen Augenblick schien es ihm, als ob er im Nachtheil wäre; dann aber nahm er sich zusammen und beantwortete den Einwurf seines Gegners so gut, als seine beschränkten Kenntnisse ihm gestatteten: »Ich bin kein Schriftgelehrter und scheere mich auch den Henker um ihre Weisheit; wenn ich aber nach dem urtheile, was ich bei meinen Jagden auf die Hirsche und Eichhörnchen von den Burschen da unten gesehen habe, da sollt‘ ich meinen, daß eine Büchse in den Händen ihrer Großväter nicht so gefährlich gewesen wäre, als ein Bogen von Nußbaumholz und eine gute Feuersteinspitze seyn mochten, wenn jener mit indianischer Umsicht gespannt und diese mit einem Indianerauge entsendet wurde.«

»Dir wurde die Geschichte so von deinen Vätern erzählt,« erwiederte der Andere, mit der Hand eine verächtliche Bewegung machend. »Was sagen eure alten Männer? Sagen sie den jungen Kriegern, daß die Blaßgesichter den rothen Männern entgegen getreten sind, die zum Krieg bemalt und mit der steinernen Streitaxt und dem hölzernen Geschoß bewaffnet waren?«

»Ich habe keine Vorurtheile und bin nicht der Mann, der sich natürlicher Vorrechte rühmt, obgleich der schlimmste Feind, den ich habe, und der ist ein Irokese, nicht wagen darf, zu läugnen, daß ich von ächt weißer Abstammung bin,« sprach der Kundschafter, indem er mit geheimem Wohlgefallen die verwitterte Farbe seiner knöchernen und sehnigen Hand überblickte, »und ich gestehe gerne, daß mein Volk manche Wege geht, die ich als ehrlicher Mann nicht gut heißen kann. Es ist eine ihrer übeln Gewohnheiten, daß sie in Bücher schreiben, was sie gethan und gesehen haben, statt davon in ihren Dörfern zu erzählen, wo man einen feigen Prahlhans ins Gesicht Lügen strafen und der brave Soldat seine Kameraden zu Zeugen für die Wahrheit seiner Worte aufrufen kann. In Folge dieser schlechten Sitte kann ein Mensch, der zu gewissenhaft ist, um seine Tage unter Weibern und im Lernen der schwarzen Zeichen zu verschwenden, nie von den Thaten seiner Väter hören, noch einen Stolz darein setzen, sie übertreffen zu wollen. Für meinen Theil glaube ich, daß alle Bumppo schießen konnten: denn ich habe ein natürliches Geschick für die Büchse, das sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt haben muß, da, wie unsre heiligen Gebote uns melden, alle guten und schlimmen Gaben von oben kommen, obgleich ich in solchen Dingen nicht gern für Andere stehe. Aber jedes Ding hat seine zwei Seiten: so frage ich dich, Chingachgook, was begab sich nach den Ueberlieferungen der rothen Männer, als unsre Väter sich zuerst getroffen haben?«

Eine augenblickliche Stille erfolgte, während welcher der Indianer stumm da saß: dann fing er, von der Würde seines Amtes erfüllt, seine kurze Erzählung mit einer Feierlichkeit an, die dazu diente, ihre anscheinende Wahrheit zu verstärken.

»Höre, Hawk-eye, und dein Ohr soll keine Lüge trinken. So haben meine Väter gesagt und die Mohikaner gethan.« Er zögerte einen Augenblick und heftete einen vorsichtigen Blick auf seinen Begleiter. Dann fuhr er auf eine Weise fort, die zwischen Frage und Behauptung getheilt war: »Fließt nicht der Strom zu unsern Füßen dem Sommer zu, bis seine Wasser salzig werden und sein Lauf aufwärts geht?«

»Es kann nicht geläugnet werden, daß eure Ueberlieferungen in diesen beiden Stücken Wahrheit enthalten,« sagte der weiße Mann: »denn ich bin da gewesen und habe sie gesehen: warum aber das Wasser, das so süß im Schatten ist, in der Sonne bitter wird, weiß ich nicht und habe mir’s nie erklären können.«

»Und der Lauf!« fragte der Indianer, welcher seine Antwort mit jener Art von Interesse erwartete, das Jemand bei der Bestätigung eines Wunders fühlt, das er selbst unbegreiflich findet, während er seine Wirklichkeit anerkennt: »die Väter von Chingachgook haben nicht gelogen.«

»Die heilige Bibel ist nicht wahrer, und das ist doch das Wahrste, was es hienieden gibt. Die Leute nennen diesen aufströmenden Lauf die Flut, was bald erörtert und klar genug ist. Sechs Stunden laufen die Wasser hinein und sechs heraus und das kommt daher: wenn das Wasser in der See höher ist, als in dem Fluß, dann läuft es herein, und wenn’s der Fluß gewinnt und wieder höher wird, dann läuft es wieder hinaus.«

»Die Wasser in den Wäldern und an den großen Seen laufen hinab, bis sie so flach da liegen, wie meine Hand,« versetzte der Indianer, indem er diese horizontal vor sich ausstreckte, »und dann laufen sie nicht weiter.«

»Kein ehrlicher Mann wird das bestreiten,« erwiederte der Kundschafter, ein wenig empfindlich über dieses Mißtrauen gegen seine Erklärung des Geheimnisses der Flut, »und ich gebe zu, daß es wahr ist im verjüngten Maßstab, und wo das Land eben ist. Aber alles kommt darauf an, nach welchem Maßstab du die Dinge betrachtest. Nun ist die Erde nach dem verjüngten Maßstab eben; nach dem vergrößerten aber ist sie rund. So mögen Teiche und Weiher und selbst die großen Frischwasserseen still stehen, wie du und ich wissen, weil wir sie gesehen haben; wenn du aber kommst und Wasser über eine große Fläche gießest, wie die See: wie kann da das Wasser vernünftiger Weise ruhig bleiben, wo die Erde rund ist? Eben so gut kannst du erwarten, daß der Fluß an dem Rand der schwarzen Klippen da oben eine halbe Meile über uns ruhig liegen bleibe, während deine eignen Ohren dir sagen, daß er in diesem Augenblick darüber hinwegbraust.«

Wenn auch unbefriedigt von der Philosophie seines Begleiters, so besaß der Indianer doch zu viel Würde, um seinen Unglauben zu verrathen. Er hörte zu, wie Jemand, der sich überzeugen lassen will, und nahm dann seine Erzählung mit der früheren Feierlichkeit wieder auf:

»Wir kamen von dem Orte, wo die Sonne Nachts sich verbirgt, über große Flächen, wo die Büffel leben, bis wir den großen Fluß erreichten. Hier kämpften wir mit den Alligewis, bis der Boden sich von ihrem Blute röthete. Von den Ufern des großen Flußes bis zu den Gestaden des Salzsees war keiner mehr, der es mit uns aufgenommen hätte. Dann folgten in einiger Entfernung die Maquas. Wir sagten, das Land sollte unser seyn, von der Stelle an, wo das Wasser nicht mehr stromaufwärts fließt, bis zu einem Fluße zwanzig Sonnen (Tagreisen) sommerwärts. Das Land, das wir als Krieger eroberten, behaupteten wir als Männer. Wir trieben die Maquas in die Wälder zu den Bären. Sie schmeckten blos das Salz ihrer Thränen und zogen keinen Fisch aus dem großen See: wir warfen ihnen die Gräten zu.«

»All das habe ich gehört und glaube es,« sagte der Weiße, als er bemerkte, daß der Indianer inne hielt; »aber das war lange, bevor die Engländer in das Land kamen.«

»Damals wuchs eine Fichte da, wo jetzt dieser Kastanienbaum steht. Die ersten Blaßgesichter, welche zu uns kamen, sprachen kein Englisch, Sie kamen in einem großen Canoe, als meine Väter das Tomahawk mit den rothen Männern um sie her begraben hatten. Da, Hawk-eye,« fuhr er fort, indem er seine tiefe Bewegung nur dadurch kund gab, daß er seine Stimme zu jenen tiefen Kehltönen herabsinken ließ, die seine Sprache oft so musikalisch machten; »da, Hawk-eye, waren wir ein Volk, und wir waren glücklich. Der Salzsee gab uns seine Fische, der Wald sein Wild und die Luft ihre Vögel. Wir nahmen Weiber, die uns Kinder gebaren; wir beteten den großen Geist an und hielten die Maquas außer dem Bereiche unsrer Triumphgesänge.«

»Weißt du etwas von deiner eigenen Familie zu jener Zeit?«, fragte der Weiße. »Du bist ein gerechter Mann für einen Indianer! und da du, wie ich vermuthe, ihre Eigenschaften geerbt hast, so müssen deine Väter brave Krieger und weise Männer beim Versammlungsfeuer gewesen seyn.«

»Mein Stamm ist der Ahnherr von Nationen, aber ich bin unvermischt geblieben. Das Blut von Häuptlingen rollt in meinen Adern, wo es immer verbleiben soll. Die Holländer landeten und gaben meinem Volke das Feuerwasser; sie tranken, bis Himmel und Erde sich zu berühren schienen, und wähnten in ihrer Thorheit, sie hätten den großen Geist gefunden. Dann mußten sie von ihrem Lande scheiden. Schritt vor Schritt wurden sie zurück von den Gestaden getrieben, bis ich, der ich ein Häuptling und Sagamore bin, die Sonne nie anders als durch die Bäume habe scheinen sehen; und noch nie hab‘ ich die Gräber meiner Väter besucht!«

»Gräber bringen das Gemüth in feierliche Stimmung,« bemerkte der Kundschafter, merklich gerührt von dem ruhigen Leiden seines Begleiters, »und oft helfen sie Einem zu guten Entschlüssen. Ich für mein Theil versehe mich dazu, daß meine Gebeine einstens unbegraben bleiben, um in den Wäldern zu bleichen, oder von den Wölfen zerrissen zu werden. Aber wo finden sich Diejenigen Deines Geschlechtes, welche vor so vielen Sommern zu ihren Verwandten nach dem Delaware gekommen sind?«

»Wo sind die Blüten jener Sommer! – gefallen, Einer nach dem Andern: denn Alle von meiner Familie sind, wie die Reihe an sie kam, in das Land der Geister hinübergegangen. Ich stehe oben auf dem Berg und muß ins Thal hinab; und wenn Uncas meinen Fußstapfen folgt, so ist keiner mehr übrig vom Blut der Sagamoren: denn mein Knabe ist der letzte Mohikaner.«

»Uncas ist da!« sprach eine andere Stimme in denselben sanften Kehllauten, dicht bei ihm; »wer fragt nach Uncas?« Der Weiße fuhr bei dieser plötzlichen Unterbrechung mit seinem Messer aus der ledernen Scheide und machte eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand nach seiner Büchse; der Indianer aber saß ruhig da, ohne den Kopf nach den unerwarteten Tönen umzuwenden.

Im nächsten Augenblick schritt ein junger Krieger mit geräuschlosem Tritt zwischen ihnen durch und setzte sich an das Ufer des reißenden Stromes. Kein Laut der Ueberraschung entfuhr dem Vater, mehrere Augenblicke hiedurch ward keine Frage gethan, noch eine Antwort gegeben, da Jeder den Moment zu erwarten schien, wo er sprechen könnte, ohne weibische Neugierde oder kindische Ungeduld zu verrathen. Der Weiße schien ihr Beispiel nachzuahmen, zog seine Hand von der Büchse zurück und blieb gleichfalls still und in sich gekehrt. Endlich wandte Chingachgook seine Augen langsam nach seinem Sohn und fragte:

»Wagen die Maquas, die Spuren ihrer Moccasins diesen Wäldern einzudrücken?«

»Ich war ihnen auf der Fährte,« antwortete der junge Indianer, »und weiß, daß ihrer so viele sind, als Finger an meinen zwei Händen; aber sie liegen wie Feiglinge verborgen.«

»Die Diebe sind auf der Lauer nach Skalpen und nach Beute?« sprach der Weiße, den wir mit seinen Begleitern Hawk-eye nennen wollen. »Der rührige Franzmann Montcalm wird seine Spione noch bis in unser Lager schicken, aber er soll erfahren, welchen Weg wir nehmen.«

»Genug!« versetzte der Vater, sein funkelndes Auge nach der untergehenden Sonne gerichtet! »sie sollen vertrieben werden, wie das Wild aus den Büschen. Hawk-eye, wir wollen zu Nacht essen und morgen den Maquas zeigen, daß wir Männer sind.«

»Ich bin zu dem Einen, wie zu dem Andern bereit; aber um mit den Irokesen zu kämpfen, muß man sie in ihrem Verstecke finden, und um zu essen braucht man ein Wild – sprich vom Teufel und er ist nicht weit von dir; da bewegt sich ein Paar der stärksten Geweihe, die ich dieses Jahr gesehen habe, hinter den Büschen den Hügel hinab. Nun, Uncas,« fuhr er halb flüsternd fort, indem er vor sich hin lachte, wie Jemand, der gelernt hat, auf seiner Hut zu seyn, »ich wette mein Horn, dreimal mit Pulver gefüllt, gegen einen Wampumfuß, daß ich ihn zwischen den Augen und näher dem rechten als dem linken Auge nehme.«

»Es kann nicht seyn!« sprach der junge Indianer, indem er mit jugendlichem Ungestüm aufsprang; »’s ist ja Alles bis auf die Spitze des Geweihes hinter dem Gebüsch verborgen!«

»Er ist ein Knabe!« sprach der Weiße, den Kopf schüttelnd und sich zum Vater wendend. »Meint er, der Jäger könne, wenn er einen Theil vom Thiere sieht, nicht sagen, wo das Uebrige zu finden ist?«

Er richtete sein Gewehr und war im Begriff, eine Probe der Geschicklichkeit abzulegen, die er so sehr an sich schätzte, da fuhr der Krieger mit der Hand nach der Waffe und sagte:

»Hawk-eye! hast du Lust mit den Maquas zu fechten?«

»Diese Indianer kennen die Wälder wie durch Instinkt!« versetzte der Kundschafter, indem er seine Büchse sinken ließ und sich abwendete wie Einer, der sich eines Irrthums überwiesen steht. »Ich muß den Bock deinem Pfeil überlassen, Uncas, oder wir tödten das Thier, nur um die Diebe, die Irokesen, damit zu füttern.«

Kaum hatte der Vater diese Aufforderung mit einer ausdrucksvollen Bewegung der Hand begleitet, so warf sich Uncas zu Boden und näherte sich mit vorsichtigen Bewegungen dem Thiere. Als er nur noch wenige Klafter von dem Verstecke entfernt war, legte er mit größter Sorgfalt einen Pfeil auf den Bogen, und das Geweih bewegte sich, als ob sein Besitzer Unrath witterte. Im nächsten Augenblick schwirrte der Bogen, ein weißer Streif fuhr in das Gebüsch, und der verwundete Rehbock stürzte aus seinem Schutzorte zu den Füßen des verborgenen Feindes. Dem Geweih des wüthenden Thieres ausweichend sprang Uncas auf die Seite und stach ihm das Messer durch die Kehle, der Rehbock stürzte an den Rand des Flußes und fiel zu Boden, indem er die Wasser mit seinem Blute röthete.

»Das nenn‘ ich Indianergeschick!« sprach der Kundschafter, vor sich hin lachend, mit großem Wohlgefallen; »und ’s war ein artiger Anblick! obschon der Pfeil nur in die Nähe geht und der Nachhülfe des Messers bedarf.« »Ha!« rief sein Begleiter, sich plötzlich wendend wie ein Hund, der die Fährte eines Wildes wittert.

»Bei Gott, da ist ein ganzes Rudel!« rief der Kundschafter, dessen Augen vor Lust zu seiner Lieblingsbeschäftigung funkelten. »Wenn sie in Kugelweite kommen, brenn‘ ich einem eins auf, und wenn alle sechs Nationen auf der Lauer lägen! Was hörst du, Chingachgook? Für meine Ohren sind die Wälder stumm.«

»Hier ist nur ein Reh, und das ist todt,« sprach der Indianer, indem er sich niederbückte, bis sein Ohr beinahe die Erde berührte. »Ich höre Fußtritte!«

»Vielleicht haben die Wölfe den Rehbock in das Versteck getrieben und sind ihm jetzt auf der Spur.«

»Nein, Pferde weißer Männer kommen!« erwiederte der Andere, indem er sich mit Würde erhob und mit der früheren Ruhe seinen Sitz auf dem Stamme wieder einnahm. »Hawk-eye, es sind deine Brüder; sprich mit ihnen!«

»Das will ich und in einem Englisch, auf das der König sich nicht schämen dürfte zu antworten,« versetzte der Jäger in der Sprache, deren er sich rühmte: »aber ich seh‘ Nichts, noch höre ich einen Laut von einem Menschen oder Vieh: ’s ist sonderbar, daß ein Indianer die Laute von Weißen besser kennen soll, als Einer, dem seine Feinde selbst gestehen müssen, daß er kein Falsch in seinem Blute hat, obgleich er lange genug mit den Rothhäuten gelebt haben mag, um einiges Mißtrauen zu erregen. Ha! da kracht etwas, wie dürres Holz, – nun höre ich das Gebüsch sich bewegen – ja, ja, es sind Pferdetritte, die ich für das Fallen des Wassers nahm – und – aber da kommen sie selbst! Gott behüte sie vor den Irokesen!«

Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Wohl! Geh‘ nur deines Wegs,
aus diesem Haine kommst Du nicht,
bis für dein Unrecht ich mich räche.
Sommernachtstraum.

Noch sprach der Kundschafter, als der Führer der Parthie, deren nahende Tritte das wachsame Ohr des Indianers vernommen hatte, sichtbar ward. Ein gebahnter Pfad, wie ihn der gelegentliche Durchzug des Wildes bildet, wand sich durch ein nahes Thälchen und führte an den Fluß auf die Stelle, wo der weiße Mann und seine rothen Genossen Halt gemacht hatten. Auf diesem Wege kamen die Reisenden, welche so unerwartet in der Tiefe des Waldes erschienen, langsam auf den Jäger zu, welcher, vor seinen Genossen stehend, bereit war, sie zu empfangen.

»Wer da?« fragte der Kundschafter, seine Büchse nachläßig über den linken Arm werfend, und den Vorderfinger der Rechten auf dem Drücker haltend, wobei er jedoch allen Schein von Drohung vermied. – »Wer kommt hieher, unter die Thiere und die Gefahren der Wildniß?«

»Gläubige Christen und Freunde von Gesetz und König,« antwortete der vorderste Reiter. »Menschen, welche seit Sonnenaufgang in dem Schatten des Waldes gereist haben, ohne Nahrung und erschöpft von der Anstrengung des Weges.«

»So habt Ihr euch verirrt,« unterbrach ihn der Jäger, »und habt gefunden, wie übel man daran ist, wenn man nicht weiß, ob man sich zur Rechten oder Linken wenden soll.«

»So ist es; der Säugling ist nicht abhängiger von der Amme, als von dem Führer wir, die Erwachsenen, welche jetzt nur die Gestalt, nicht aber den Verstand von Menschen haben. Wißt Ihr, wie weit es nach einem Posten der Krone, genannt William Henry, ist?«

»Wetter!« rief der Kundschafter, indem er laut auflachte, aber bald diese gefährlichen Laute unterdrückte, um seiner Laune auf eine Weise Raum zu geben, die von den lauernden Feinden weniger gehört werden konnte, »Ihr seyd so weit von der Fährte, als ein Hund, wenn der Horican zwischen ihm und dem Wilde liegt! William Henry, Mann! Wenn ihr Freunde des Königs seyd, und ein Geschäft bei dem Heere habt, so thätet ihr besser, am Flusse hinab nach Edward zu gehen, und eure Sache Webb vorzulegen, der dort liegen bleibt, statt in die Engpässe vorzudringen und den frechen Franzmann über den Champlain in sein Nest zurückzutreiben.«

Ehe der Fremde auf diesen unerwarteten Vorschlag etwas erwiedern konnte, sprengte ein anderer Reiter durch das nahe Gebüsch sein Roß auf den Pfad, seinem Begleiter gegenüber.

»Wie weit mögen wir denn von Fort Edward seyn?« fragte der neue Sprecher. »Den Platz, nach dem ihr uns weiset, verließen wir diesen Morgen und unsre Bestimmung geht nach der Quelle des Sees.«

»Dann müßt Ihr euern Gesichtssinn früher als den Weg verloren haben: der Weg über den Trageplatz ist gute zwei Ruthen breit ausgehauen und eine so breite Straße, denk‘ ich, als irgend eine in London, oder selbst vor dem Königspalast.«

»Wir wollen uns jetzt nicht über die Vortrefflichkeit des Weges streiten,« versetzte Heyward lächelnd: denn er war es, wie der Leser bereits entnommen haben wird. »Es ist genug, wenn ich euch sage, daß wir uns einem indianischen Führer anvertrauten, der uns einen nähern, wiewohl geheimeren Weg führen wollte, und daß wir durch seine vermeintliche Ortskenntniß getäuscht worden sind. Mit einem Wort: wir wissen nicht, wo wir uns befinden.«

»Ein Indianer in den Wäldern verirrt!« sprach der Kundschafter, bedenklich den Kopf schüttelnd: »wenn die Sonne auf die Baumgipfel brennt, und die Ströme ihre Bette füllen, und das Moos an jedem Baume ihm sagen muß, in welcher Richtung der Nordstern in nächster Nacht leuchten wird, wenn die Wälder voll von Fährten des Wilds sind, welche zu den Strömen führen, Punkte, die Jedermann kennt! Und noch sind nicht alle Gänse nach den Canadagewässern fort! Es ist seltsam, daß sich ein Indianer zwischen dem Horican und der Krümmung des Flusses verirrt haben soll? Ist er ein Mohawk?«

»Nicht von Geburt, obgleich in diesen Stamm aufgenommen; ich glaube, seine Heimath liegt weiter nördlich, und er ist einer von denen, die ihr Huronen nennt.«

»Hugh!« riefen die zwei Begleiter des Kundschafters, die bis zu diesem Theile des Gesprächs unbeweglich und anscheinend gleichgültig gegen das, was vorging, dagesessen hatten, jetzt aber überrascht mit einem Ungestüm und einer Theilnahme, die offenbar über ihre Zurückhaltung gesiegt hatte, emporsprangen.

»Ein Hurone!« wiederholte der kecke Kundschafter, noch einmal voll Mißtrauen den Kopf schüttelnd; »dies ist ein diebisches Geschlecht, und ich frage nicht viel darnach, von wem er aufgenommen wurde. Ihr könnt ihn zu Nichts als zum Wegelagern und Herumstreichen brauchen. Da Ihr euch der Sorge Eines aus dieser Nation anvertraut habt, so wundert es mich nur, daß Ihr nicht noch mit Mehreren zu thun bekommen!«

»Das hat keine Gefahr, da William Henry so viele Meilen vor uns liegt. Ihr vergesset, was ich euch vorhin sagte; unser Führer ist jetzt ein Mohawk und dient als Freund bei unserm Heer.«

»Und ich sage euch, daß, wer als Mingo geboren wird, als Mingo stirbt,« entgegnete zuversichtlich der Andere. »Nein, da lob‘ ich mir einen Delawaren oder Mohikaner: die sind ehrlich; und wenn sie fechten wollen, wozu jedoch nicht Alle Lust bezeigen, da sie sich von ihren listigen Feinden, den Maquas, zu Weibern machen ließen – aber wenn sie überhaupt fechten wollen, so schaut mir einen Delawaren oder Mohikaner an, wenn Ihr einen Krieger haben wollt.«

»Genug davon,« sprach Heyward ungeduldig, »ich will nicht den Charakter eines Mannes untersuchen, den ich kenne, und dem Ihr fremd seyn müsset, Ihr habt mir noch nicht auf meine Frage geantwortet: wie weit sind wir von dem Hauptheer zu Edward? »Das kommt, scheint mir, darauf an, wer euer Führer ist. Ein Pferd, wie das da, dürfte eine gute Strecke Landes zwischen Sonnenauf- und Untergang zurücklegen, sollte Einer meinen.«

»Ich wünsche keinen Streit mit eiteln Worten gegen euch, mein Freund,« bemerkte Heyward, sein Mißvergnügen unterdrückend, in höflicherem Ton; »wenn Ihr mir die Entfernung von Fort Edward sagt und mich dahin führt, so soll eure Bemühung nicht unbelohnt bleiben.«

»Und wenn ich das thue, wer bürgt mir dafür, daß ich keinen Feind und Spion Montcalm’s nach den Festungswerken des Heeres führe? Nicht Jeder, der englisch sprechen kann, ist darum ein Ehrenmann.«

»Wenn Ihr bei dem Heere dient, von dem Ihr, wie ich schließe, ein Kundschafter seyd, so solltet Ihr das sechzigste Regiment des Königs kennen.«

»Das sechzigste Regiment! Ihr könnt mir wenig von den königlichen Amerikanern sagen, das ich nicht schon wüßte, obgleich ich ein Jagdhemd und seinen Scharlachrock trage.«

»Gut, dann kennt Ihr vielleicht unter Anderem den Major desselben.«

»Seinen Major!« unterbrach der Jäger, sich emporrichtend, wie Einer, der stolz auf das ihm geschenkte Vertrauen ist. »Wenn ein Mann im Lande ist, der Major Effingham kennt, so steht er vor euch.«

»Das Corps hat mehrere Majors. Der von euch genannte ist der älteste; aber ich spreche von dem allerjüngsten, der die Compagnien in William Henry befehligt.«

»Ja, ich habe gehört, daß ein sehr reicher junger Mann, aus einer Provinz weit im Süden, diesen Posten erhalten hat. Er ist jung für einen solchen Rang, wo er über Männern steht, deren Köpfe zu bleichen beginnen, und doch sagen sie, er sey ein geschickter Soldat und ein ritterlicher Herr.«

»Was er auch seyn mag, und wie er für seinen Posten sich eignet, er spricht jetzt mit euch und Ihr habt daher keinen Feind in ihm zu fürchten.« »Der Kundschafter betrachtete Heyward erstaunt, lüpfte dann seine Mütze und antwortete in einem minder freien, obgleich noch immer argwöhnischen Tone –

»Ich habe gehört, daß eine Abtheilung diesen Morgen aus dem Lager nach dem Ufer des Sees abgehen sollte.«

»Da habt Ihr recht gehört, ich wählte lieber einen nähern Weg, wobei ich mich auf den vorerwähnten Indianer verließ.«

»Und er täuschte euch und lief davon.«

»Keines von Beiden, wie ich glaube, wenigstens das letztere nicht; denn er ist in meinem Gefolge.«

»Ich möchte mir diesen Menschen etwas näher ansehen. Wenn es ein ächter Irokese ist, so erkenn‘ ich ihn an seinem schelmischen Blick und an der Farbe seines Gesichts,« sprach der Kundschafter, indem er an Heyward’s Pferde vorbeischritt und den Weg hinter des Singmeisters Stute betrat, deren Füllen den Stillstand benützte, um die Mutter in Kontribution zu setzen. Nachdem er das Gebüsch bei Seite geschoben hatte, traf er einige Schritte weiter auf die Frauen, welche das Ergebniß der Besprechung mit Ungeduld und nicht ohne Furcht erwarteten. Hinter diesen lehnte der Läufer an einem Baum, die genaue Prüfung des Kundschafters mit unveränderter Miene aushaltend, aber mit einem so finstern und wilden Blick, daß schon dieser an sich Furcht erregen konnte. Zufrieden mit dem Resultat seiner Forschungen, verließ ihn der Jäger. Als er an den Frauen vorüberging, hielt er einen Augenblick, um ihre Schönheit zu betrachten, das Lächeln und Nicken Alicens mit augenfälligem Vergnügen erwiedernd. Von da trat er der Stute zur Seite und nachdem er einen Augenblick vergeblich den Charakter des Reiters zu erforschen gesucht hatte, schüttelte er den Kopf und kehrte zu Heyward zurück.

»Ein Mingo ist und bleibt ein Mingo, und da ihn Gott einmal so erschaffen hat, so können ihn weder die Mohawks noch andere Stämme anders machen,« sprach er nachdem er seine frühere Stellung wieder eingenommen hatte, »Wenn wir allein wären und Ihr wolltet das edle Roß der Willkühr der Wölfe überlassen, so könnte ich euch selbst den Weg nach Edward in einer Stunde zeigen: denn weiter ist es nicht von hier entfernt; aber mit den Frauen in eurem Gefolge ist es unmöglich.«

»Warum? Sie sind zwar ermüdet, aber für einen Ritt von ein paar Meilen weiter noch kräftig genug.«

»Es ist eine offenbare Unmöglichkeit!« wiederholte der Kundschafter, »für die beste Büchse in den Kolonien möchte ich in Gesellschaft des Läufers nach Einbruch der Nacht keine Meile in diesen Wäldern machen. Sie sind voll von lauernden Irokesen und euer Zwitter-Mohawk weiß zu gut, wo er sie zu finden hat, als daß ich sein Gesellschafter werden möchte.«

»Seht Ihr die Sache so an?« sprach Heyward, indem er sich in dem Sattel vorneigte und seine Stimme fast zu einem Geflüster sinken ließ: »ich gestehe, ich war auch nicht ohne Argwohn, obgleich ich ihn wegen meiner Begleiterinnen zu verbergen suchte. Eben weil ich Verdacht schöpfte, wollt‘ ich ihm nicht länger folgen, und ließ ihn, wie Ihr seht, hinter mir her gehen.«

»Ich wußte, daß er ein Schelm ist, so bald ich ihn anblickte!« versetzte der Kundschafter, als Zeichen der Vorsicht einen Finger auf die Nase legend. »Der Dieb lehnt am Fuße des jungen Baums, den Ihr über den Büschen weg sehen könnt, sein rechtes Bein steht in Einer Richtung mit der Rinde des Baums und (hier griff er nach seiner Büchse) ich kann ihn von meinem Standpunkt aus zwischen dem Knöchel und dem Knie nehmen, daß ihm nur wenigstens einen Monat das Herumstreichen in den Wäldern vergeht. Ginge ich zu ihm zurück, so würde der Schlaukopf etwas wittern, und wie ein erschrecktes Reh durch die Bäume entschlüpfen.«

»Das geht nicht. Er kann unschuldig seyn und ich liebe diese Handlungsweise nicht. Und doch, wenn ich gewiß wüßte, daß er ein Verräther –« »Auf die Schurkerei eines Irokesen darf man mit Sicherheit rechnen,« sprach der Kundschafter, indem er instinktmäßig nach seiner Büchse griff.

»Halt!« unterbrach ihn Heyward, »es geht nicht –wir müssen auf etwas Anderes denken – und doch, ich habe vielen Grund zu glauben, daß der Schuft mich getäuscht hat.« Der Jäger, welcher bereits seine Absicht, den Läufer lahm zu schießen, aufgegeben hatte, sann einen Augenblick und machte dann ein Zeichen, das seine zwei rothen Begleiter ihm sogleich zur Seite rief. Sie sprachen leise, aber lebhaft in delawarischer Sprache mit einander; aus den Gebärden des Weißen jedoch, der sich häufig gegen den Gipfel des jungen Baumes richtete, ging deutlich hervor, daß er von ihrem verborgenen Feinde sprach. Seine Begleiter hatten seine Wünsche alsbald verstanden, legten ihre Feuergewehre weg, wandten sich nach entgegengesetzten Seiten und vergruben sich mit so vorsichtigen Bewegungen in das Dickicht, daß ihre Tritte nicht gehört werden konnten.

»Jetzt, geht zurück,« sprach der Jäger wieder zu Heyward, »und haltet den Teufelsbalg mit Reden hin, die Mohikaner hier wollen ihn lebendig fangen, ohne ihm die Schminke zu verderben.«

»Nein,« sprach Heyward stolz, »ich will ihn selbst fassen.«

»Pah! was vermöget Ihr zu Pferd gegen einen Indianer in den Büschen?«

»Ich steige ab.«

»Glaubt Ihr, er werde, wenn er sieht, daß Ihr einen Fuß aus dem Bügel habt, warten, bis auch der andere frei ist? Wer in den Wäldern mit den Eingebornen zu thun hat, muß indianische Kniffe brauchen, wenn er etwas ausrichten will. Geht denn, sprecht vertraulich mit dem Bösewicht, und thut, als ob Ihr ihn für euern treuesten Freund auf Erden hieltet.«

Heyward schickte sich an, diesen Rath zu befolgen, obgleich ihm die Rolle, die er zu spielen hatte, nicht behagen wollte. Indeß überzeugte er sich jeden Augenblick mehr, daß er durch sein zu großes Vertrauen seine Schützlinge in eine sehr mißliche Lage versetzt hatte. Die Sonne war bereits untergegangen, und die Wälder, plötzlich ihres Lichtes beraubt, nahmen eine düstere Farbe an, welche ihn ernstlich erinnerte, daß die Stunde, welche die Wilden gewöhnlich für ihre grausamsten und gefühllosesten Akte der Rache oder der Feindseligkeit wählten, mit schnellen Schritten heran rücke. Von Besorgnissen bestürmt, verließ er den Kundschafter, welcher unmittelbar darauf in eine laute Unterredung mit dem Fremden einging, der sich mit so wenig Umständen am Morgen in die Reisegesellschaft eingedrängt hatte. Als er an seinen zarten Begleiterinnen vorbeiritt, sprach er einige Worte der Ermuthigung zu ihnen und fand zu seiner Freude, daß sie, obgleich ermüdet von den Anstrengungen des Tages, keinen Verdacht zu haben schienen, ihre gegenwärtige Verlegenheit sey etwas anderes, als die Folge des Zufalls. Er ließ sie glauben, daß er sich blos über ihre bevorstehende Route bespreche, spornte sein edles Roß und zog die Zügel wieder an, als er in die Nähe der Stelle kam, wo der trotzige Läufer immer noch an den Baum angelehnt stand.

»Du siehst, Magua,« sprach er, indem er eine unbefangene, vertrauliche Miene anzunehmen bemüht war, »daß die Nacht rings umher einbricht, und daß wir William Henry noch nicht näher sind, als da wir Webb’s Lager mit Aufgang der Sonne verließen. Du hast den Weg verfehlt und ich bin nicht glücklicher gewesen. Zum Glück aber sind wir auf einen Jäger getroffen, mit dem du den Sänger sprechen hörst. Er ist mit den Fährten des Wildes und den Fußpfaden der Wälder vertraut, und verspricht, uns nach einem Platze zu führen, wo wir sicher bis zum Morgen ausruhen können.«

Der Indianer heftete seine funkelnden Augen auf Heyward, und fragte in seinem gebrochenen Englisch: »Ist er allein?«

»Allein!« wiederholte zögernd Heyward, dem Täuschung noch zu neu war, als daß er nicht etwas verlegen geworden wäre. »Oh! gewiß nicht allein, Magua: du weißt ja, daß wir bei ihm sind.« »Dann kann le Renard Subtil gehen,« versetzte der Läufer, indem er eine kleine Reisetasche von der Stelle, wo sie zu seinen Füßen lag, kaltblütig aufhob; »und die Blaßgesichter werden nur Leute ihrer eigenen Farbe sehen.«

»Gehen? Wen nennst du le Renard

»Diesen Namen haben seine Canadischen Väter Magua gegeben,« antwortete der Läufer mit einer Miene, welche bewies, daß er auf diese Auszeichnung stolz war. »Nacht und Tag sind für Subtil gleich, wenn Munro auf ihn wartet.«

»Was will le Renard Subtil dem Befehlshaber von William Henry von seinen Töchtern melden? Wird er es wagen, dem hitzköpfigen Schottländer zu sagen, daß er seine Kinder ohne Führer gelassen habe, obgleich Magua ihnen einer zu seyn versprach?«

»Der Graukopf hat eine laute Stimme und einen langen Arm, aber wird jene le Renard in den Wäldern hören, oder diesen fühlen?«

»Aber was werden die Mohawks sagen! Sie werden ihm einen Weiberrock machen und ihn heißen im Wigwam bei den Weibern bleiben: denn nicht länger kann man ihm das Geschäft eines Mannes anvertrauen!«

»Le Subtil kennt den Pfad zu den großen Seen und kann die Gebeine seiner Väter finden,« war die Antwort des unbeweglichen Läufers.

»Genug, Magua,« sprach Heyward, »sind wir nicht Freunde? Warum sollen bittere Worte zwischen uns gewechselt werden? Munro hat dir für deine Dienste ein Geschenk versprochen, und ich werde dein Schuldner für einen andern seyn. So laß deine müden Glieder ausruhen und öffne deine Reisetasche, um zu essen. Wir haben nur wenige Minuten zum Besten, laß sie uns nicht wie zänkische Weiber vergeuden. Wenn die Frauen Erfrischungen zu sich genommen haben, gehen wir weiter.«

»Die Blaßgesichter machen sich zu Hunden ihrer Frauen,« murmelte der Indianer in seiner Muttersprache, »und wenn sie essen wollen, müßen ihre Krieger den Tomahawk bei Seite legen, um ihre Trägheit zu nähren.« »Was sagst du, Renard?«

»Le Subtil sagt, es ist gut.«

Der Indianer heftete jetzt das Auge fest auf das offene Gesicht Heyward’s, als er aber seinem Blicke begegnete, wandte er sich schnell ab, nahm, indem er sich bedächtlich zu Boden setzte, den Rest eines früheren Mahles aus der Tasche und begann zu essen, jedoch nicht ohne langsam und vorsichtig um sich her zu blicken.

»So ist es recht,« fuhr Heyward fort, »und Renard wird morgen neue Kraft des Leibes und der Augen haben, um den Weg zu finden;« er hielt inne, denn Laute wie das Knistern von dürren Reisern und das Rauschen von Blättern ließ sich aus den nahen Gebüschen vernehmen. Plötzlich aber besann er sich und fuhr fort: »wir müssen aufbrechen, ehe die Sonne sich sehen läßt, sonst legt sich uns Montcalm in den Weg und schneidet uns von der Festung ab.«

Magua ließ seine Hand vom Munde zur Seite herabsinken und obgleich seine Augen auf den Boden geheftet waren, bog er dennoch den Kopf seitwärts: seine Nasenlöcher erweiterten sich, und sogar seine Ohren schienen aufrechter zu stehen, als gewöhnlich, indem sie ihm den Anschein einer Bildsäule gaben, welche gespannte Aufmerksamkeit darstellen soll.

Heyward, welcher seinen Bewegungen mit wachsamem Auge folgte, zog nachläßig einen seiner Füße aus dem Bügel, während er mit der Hand über die Bärenhautdecke seiner Pistolenhalfter hinglitt. Jede Bemühung, den Punkt zu entdecken, den der Läufer besonders ins Auge faßte, scheiterte an seinem zitternden Blick, der auf seinem besondern Gegenstande auch nur einen Augenblick ruhte und sich doch auch nicht eigentlich zu bewegen schien. Während Jener noch unschlüssig war, stand le Subtil vorsichtig auf, jedoch mit einer so langsamen und bedächtigen Bewegung, daß diese Veränderung nicht das geringste Geräusch verursachte. Heyward fühlte, daß jetzt gehandelt werden mußte. Er warf sein Bein über den Sattel und stieg ab, entschlossen sich seines verrätherischen Begleiters zu bemächtigen indem er sich auf seine Mannesstärke verließ. Um jedoch unnöthigen Lärm zu verhüten, behielt er immer noch den Anschein der Ruhe und Vertraulichkeit. Le Renard Subtil ißt nicht,« sprach er, indem er sich des Namens bediente, welcher der Eitelkeit des Indianers am meisten zu schmeicheln schien. »Sein Korn ist nicht gut geröstet, es scheint zu trocken. Ich will sehen, vielleicht findet sich etwas unter meinem eigenen Vorrath, was ihm besser mundet.«

Magua hielt die Reisetasche hin, um ihm zuvorzukommen. Er litt es selbst, daß ihre Hände sich berührten, ohne die geringste Aufregung zu zeigen, oder die Stellung der Aufmerksamkeit zu verändern. Kaum fühlte er aber, daß Heyward’s Finger sich leicht über seinen nackten Arm hinbewegten, so schlug er die Hand des jungen Mannes zurück, stieß, unter ihr wegspringend, einen durchdringenden Schrei aus und tauchte mit einem einzigen Sprung in das entgegengesetzte Dickicht. Im nächsten Augenblicke erschien die Gestalt Chingachgook’s vor den Gebüschen, der mit seiner Gesichtsbemalung wie ein Gespenst aussah, und glitt über den Pfad hin, um ihn eiligst zu verfolgen. Einen Augenblick später folgte Uncas‘ Ruf, und die Wälder wurden durch einen plötzlichen Strahl erleuchtet, den ein scharfer Knall von des Jägers Büchse begleitete.