Elftes Kapitel

Selten wird die Hoffnung durch einen so vollkommenen Genuß belohnt wie der war, der den jungen Leuten der Garnison am folgenden Tage durch die günstige Witterung bereitet wurde. Es gehört vielleicht mit zu der gewöhnlichen Verkehrtheit des Menschen, daß die Amerikaner gerne auf Dinge ihren Stolz setzen, denen das Urteil einsichtsvoller Personen in Wirklichkeit nur eine untergeordnete Stelle angewiesen haben würde, indes sie Vorteile, die sie in eine gleiche Höhe mit den meisten ihrer Mitgeschöpfe, wo nicht gar über sie, stellen, übersehen oder unter ihrem Wert anschlagen. Unter diese letztere gehört das Klima, das zwar im ganzen kein vollkommenes, aber doch unendlich angenehmer und ebenso gesund ist wie das der meisten Gegenden, die sich hierin am lautesten rühmen.

Die Hitze des Sommers wurde in der jetzigen Zeit am Oswego wenig gefühlt, denn die Schatten des Urwaldes verminderten in Verbindung mit der erfrischenden Seeluft den Einfluß der Sonne so weit, daß die Nächte immer kühl und die Tage selten drückend waren.

Es war im September, wo die starken Küstenwinde oft durch das Land hin bis zu den großen Seen dringen, so daß der Binnenschiffer bisweilen den eigentümlichen Einfluß, der die Winde des Meeres charakterisiert, in der höheren Kraft seines Körpers, der größeren Frische des Geistes und der Steigerung seiner moralischen Kräfte fühlt. Ein solcher Tag war’s, als sich die Garnison versammelte, um Zeuge des von ihrem Kommandanten scherzweise so betitelten »Waffenganges« zu sein. Lundie war ein Gelehrter, wenigstens in militärischen Dingen, und tat sich etwas darauf zugute, die Lektüre und die Gedanken der unter seinem Befehl stehenden jungen Leute auf die mehr intellektuellen Teile ihres Berufes hinzuleiten. Seine Bibliothek war für einen Mann in seiner Lage gut und umfassend und stand jedem, der von den Büchern Gebrauch zu machen wünschte, offen. Unter die anderen seltsamen Einfälle, die durch solche Hilfsmittel ihren Weg zu der Garnison gefunden hatten, gehörte auch der Geschmack an einer Art von Unterhaltung, der man sich heute hinzugeben anschickte. Dabei hatten einige Chroniken aus den Zeiten des Rittertums Anlaß gegeben, der Belustigung einen Anstrich des Paradeartigen und Romantischen zu verleihen, was gerade nicht ungeeignet für den Charakter und die Gewohnheiten von Soldaten war oder für den wilden und isolierten Posten, den diese Garnison besetzt hielt.

Während man jedoch so ernstlich auf das Vergnügen bedacht war, vernachlässigten die Diensthabenden die Sicherheit der Garnison nicht. Wer an den Bollwerken des Forts stand und auf die ungeheure, fast den ganzen nördlichen Horizont begrenzende Wassermasse und von da aus auf den schlummernden, scheinbar endlosen Wald blickte, der die andere Hälfte des Panoramas ausfüllte, der hätte allerdings denken mögen, daß dieser Ort der wahre Aufenthalt des Friedens und der Sicherheit sei. Aber Duncan of Lundie wußte zu wohl, daß diese Wälder im Augenblick Hunderte auszuschicken vermochten, deren einziger Sinn die Zerstörung des Forts und seines ganzes Inhalts war, und daß gerade der trügerische See einen offenen Weg darbot, auf dem seine zwar mehr zivilisierten, aber kaum weniger hinterlistigen Feinde, die Franzosen, leicht nahe kommen und ihn in einem unwillkommenen und unbewachten Moment überfallen konnten. Es wurden Patrouillen unter alten wachsamen Offiziere ausgeschickt, die sich wenig um die Spiele des Tages kümmerten, um durch den Wald zu streifen, und in dem Fort blieb eine ganze Kompagnie stets unter Waffen, mit dem Befehl ebensosehr auf der Hut zu sein als ob gemeldet worden wäre, daß ein übermächtiger Feind im Anzug sei. Unter diesen Vorsichtsmaßregeln überließ sich der Rest der Offiziere und der Mannschaft ohne Besorgnis der Beschäftigung des Morgens.

Die für die Belustigung ausersehene Stelle war ein freier Platz, etwas westlich vom Fort und unmittelbar an dem Damm des Sees. Man hatte ihn von Bäumen und Strauchwerk gelichtet, um sich seiner als eines Exerzierplatzes zu bedienen, da er den Vorteil hatte, im Hintergrund von dem Wasser und auf einer Seite durch die Festungswerke gedeckt zu sein. Es war daher nur von zwei Seiten ein Angriff möglich, und da sich der freie Raum weit nach Westen und Süden hinzog, so mußten die Angreifer das Versteck in den Wäldern verlassen, wenn sie nahe genug kommen wollten, um wirklich gefährlich zu werden.

Obgleich die gewöhnliche Waffe des Regimentes die Muskete war, brachte man bei dieser Gelegenheit doch etliche und fünfzig Büchsen zum Vorschein. Jeder Offizier hatte eine als einen Teil seiner Privatprovision und zu seinem Vergnügen; viele gehörten den Kundschaftern und befreundeten Indianern, deren sich stets mehr oder weniger um das Fort aufhielten; und einige waren das Eigentum des Bataillons, zum Gebrauch derer bestimmt, die zu Ergänzung des Mundvorrates der Jagd oblagen. Unter denen, die eine eigene Waffe führten, waren etwa fünf oder sechs, die in besonderem Ruf standen und sich durch ihre Geschicklichkeit eine Berühmtheit an der Grenze erworben hatten; zweimal soviel mochten für etwas mehr als gewöhnliche Schützen gelten. Dann gab es aber noch manche, die man für gewandt in fast jeder Lage hätte halten mögen, nur nicht gerade in der, in der sie sich eben jetzt hervortun sollten.

Die Zielweite betrug hundert Ellen; ein Auflegen des Gewehrs war nicht üblich. Das Ziel bestand aus einer mit den gewöhnlichen Kreisen versehenen weißgemalten Scheibe, die im Mittelpunkt das Ochsenauge hatte. Die ersten Geschicklichkeitsversuche begannen mit Herausforderungen unter der unedleren Klasse der Bewerber, um ihre Sicherheit und Gewandtheit in einem unbelohnten Wetteifer zu zeigen. Es nahmen jedoch nur die gemeinen Soldaten an diesem Spiel teil, das für die Zuschauer, unter denen noch kein Offizier erschienen war, wenig Interesse hatte.

Die meisten Soldaten waren Schotten. Das Regiment war vor einer Reihe von Jahren in Stirling und dessen Nachbarschaft ausgehoben worden, und nachdem es in den Kolonien angekommen war, hatten sich mit ihm, wie dies auch mit Sergeant Dunham der Fall war, viele Amerikaner vereinigt. Im allgemeinen waren die aus den Provinzen die erfahrensten Schützen, und nach den Proben einer halben Stunde mußte der Ruhm der größten Geschicklichkeit einem in der Kolonie von New York geborenen Jüngling von holländischer Abkunft zugestanden werden, der den wohlklingenden Namen van Valtenburg trug, gewöhnlich aber Follock genannt wurde. Gerade als man sich über diese Ansicht entschieden hatte, erschien der älteste Kapitän, begleitet von den meisten Herren und Damen, in festlichem Aufzug. Ein Schweif von etlichen zwanzig Frauen und Mädchen geringeren Standes folgte, unter denen auch die gewandte Gestalt, das ausdrucksvolle, blühende, lebhafte Gesicht und der zierliche Anzug Mabel Dunhams zu sehen war.

Von Frauen, die offiziell als zur Klasse der Damen von Stand gehörig betrachtet werden mußten, waren nur drei in dem Fort. Diese waren Offiziersfrauen, gesetzte ältere Damen, in deren Benehmen sich die Einfachheit des mittleren Alters zum Teil mit ihren Begriffen von dem Übergewicht ihres Standes, den Rechten und Pflichten der Kaste und der Etikette des Ranges mischte. Die anderen Frauen waren Frauen von Unteroffizieren und Gemeinen, und Mabel war im eigentlichen Sinne, wie bereits der Quartiermeister bemerkt hatte, die einzige sich für den Ehestand eignende Person unter ihrem Geschlecht. Allerdings waren auch noch ein Dutzend anderer Mädchen da; sie gehörten aber noch unter die Kinder, und es war keine darunter, die schon so alt gewesen wäre, um einen geeigneten Gegenstand der Bewunderung abzugeben.

Um die Frauen auf eine passende Weise zu empfangen, war eine niedrige Art Tribüne unmittelbar am Damm des Sees aufgeschlagen worden. In der Nähe waren die Preise an einem Pfahl aufgehängt. Man ließ den Vordersitz des Gerüstes von den drei Ladys mit ihren Kindern einnehmen, indes Mabel und die Frauen der Unteroffiziere den zweiten Platz besetzten. Die Frauen und Töchter der Gemeinen bildeten eine bunte Reihe; einige standen, andere saßen, wie sie eben Platz finden konnten. Mabel, die bereits in einer Art von Gesellschafterin Zutritt in den Zirkel einiger Offiziersfrauen gefunden hatte, wurde von den Damen auf dem Vordersitz, die eine bescheidene Selbstachtung und höfliche, feine Sitte zu schätzen wußten, sehr beachtet, obgleich sie alle den Wert des Ranges, zumal in einer Garnison, hoch anschlugen.

Sobald dieser wichtige Teil des schaulustigen Publikums seinen Platz eingenommen hatte, gab Lundie den Befehl zur Eröffnung der Belustigung in der Weise, wie er es vorher angeordnet hatte. Acht oder zehn der besten Schützen der Garnison nahmen Besitz von dem Stand und begannen nach der Reihe zu feuern. Sie bestanden aus Offizieren und anderen Leuten ohne Unterschied, da auch die Gelegenheitsbesucher auf dem Fort von der Mitbewerbung nicht ausgeschlossen waren. Man konnte von Leuten, deren Belustigung und behaglicher Unterhalt allein von der Geschicklichkeit in Führung des Gewehrs abhing, erwarten, daß sie alle hinreichend geübt waren, das Ochsenauge oder den weißen Fleck im Zentrum des Zieles zu treffen. Dann folgten andere, die weniger sicher waren und mit ihren Kugeln nur in den verschiedenen Kreisen um das Zentrum blieben, ohne es selbst zu berühren.

Nach den Regeln des Tages konnte keiner einen zweiten Schuß tun, wenn er das erstemal gefehlt hatte, und der Platzadjutant, der den Zeremonienmeister oder Marschall des Tages machte, rief die glücklicheren Bewerber bei ihren Namen auf, sich für einen weiteren Versuch bereit zu halten, indem er zugleich ankündigte, daß alle die das Ochsenauge gefehlt hätten, von aller weiteren Mitbewerbung ausgeschlossen sein sollten. Gerade in diesem Augenblick erschienen Lundie, der Quartiermeister und Jasper Eau-douce unter der Gruppe bei dem Stand, indes der Pfadfinder gemächlich über den Platz schritt, ohne seine beliebte Büchse bei sich zu führen. Dies war ein zu ungewöhnlicher Umstand, als daß nicht alle Anwesenden darauf hätten entnehmen sollen, es geschehe nur deshalb, weil er sich nicht als Mitbewerber um die Ehren des Tages betrachte. Alles machte dem Major Duncan Platz, der sich in gutgelaunter Weise dem Stand näherte, seine Stellung einnahm, sein Gewehr sorglos erhob und Feuer gab. Die Kugel fehlte das erforderliche Ziel um mehrere Zoll.

»Major Duncan ist von den ferneren Versuchen ausgeschlossen!« proklamierte der Adjutant mit einer so starken und zuversichtlichen Stimme, daß alle älteren Offiziere und Sergeanten wohl erkannten, wie dieser Fehlschuß vorher verabredet war, indes sich die jüngeren Herren und die Gemeinen durch die augenscheinliche Unparteilichkeit, mit der die Gesetze des Spiels gehandhabt wurden, aufs neue ermutigt fühlten; denn nichts ist für schlichte Menschen so anziehend wie die Verheißung strenger Gerechtigkeit, und nichts ist so selten wie ihre wirkliche Ausübung.

»Nun kommt die Reihe an Euch, Meister Eau-douce«, sagte Muir, »und wenn Ihr den Major nicht überbietet, so werd‘ ich sagen, daß Eure Hand besser mit dem Ruder als mit der Büchse umzugehen weiß.«

Jaspers hübsches Gesicht errötete. Er schritt gegen den Stand zu, warf einen hastigen Blick auf Mabel, deren zierliche Gestalt, wie er sich überzeugte, sich rasch vorwärts beugte, als ob sie auf das Resultat begierig sei – ließ den Lauf seiner Flinte anscheinend mit geringer Sorgfalt auf die Fläche seiner Linken fallen, erhob die Mündung einen Augenblick mit außerordentlicher Fertigkeit und feuerte. Die Kugel drang genau durch das Zentrum des Ochsenauges – der beste Schuß dieses Morgens, da die anderen das Bild nur berührt hatten.

»Brav gemacht, Meister Jasper«, sagte Muir, sobald das Resultat bekannt gemacht war, »und ein Schuß, der einem älteren Kopf und einem erfahreneren Auge Ehre gemacht haben würde. Doch ich denke, es war etwas dummes Glück dabei, denn Ihr wart nicht besonders genau im Zielnehmen. Ihr mögt wohl schnell in der Bewegung sein, Eau-douce, aber Ihr seid nicht wissenschaftlich genug in der Handhabung Eures Gewehrs. Nun, Sergeant Dunham, ich werd‘ es Euch Dank wissen, wenn Ihr die Damen ersucht, etwas mehr als gewöhnlich acht zu haben; denn ich will jetzt einen Gebrauch von der Büchse machen, den man einen intellektuellen nennen kann. Ich geb‘ zu, Jasper würde einen getötet haben; es hätte aber beim Empfang eines solchen Schusses nicht halb so viel Befriedigung stattgefunden, als beim Empfang einer wissenschaftlich abgefeuerten Ladung.«

Diese ganze Zeit über bereitete sich der Quartiermeister auf seinen wissenschaftlichen Versuch vor. Er verschob es jedoch zu zielen, bis er sah, daß sich das Auge Mabels, ebenso wie die Blicke der übrigen weiblichen Zuschauer, neugierig auf ihn richteten. Da ihm die anderen aus Achtung vor seinem Rang Raum ließen und nur der Kommandant in seiner Nähe stand, so sagte er zu diesem in seiner familiären Weise:

»Sie sehen, Lundie, daß etwas zu gewinnen ist, wenn man die weibliche Neugier aufregt, ’s ist ein lebhaftes Gefühl um die Neugier; und zweckmäßig geleitet mag sie am Ende zu etwas besserem führen.«

»Sehr wahr, David; aber Sie lassen uns mit ihren Vorbereitungen nicht zu lange warten, und da kommt Pfadfinder, der etwas aus Ihrer größeren Erfahrung lernen möchte.«

»Wohl, Pfadfinder, Ihr könnt dabei auch einen Begriff von der Philosophie des Schießens bekommen. Ich hab‘ nicht die Absicht, mein Licht unter den Scheffel zu stellen, und Ihr seid immer willkommen, wenn Ihr was von mir lernen wollt. Habt Ihr nicht auch die Absicht, einen Schuß zu versuchen, Mann?«

»Warum sollt‘ ich, Quartiermeister? Ich brauche keinen von den Preisen, und was die Ehre anbelangt, so hab‘ ich deren genug gehabt, wenn’s überhaupt ’ne Ehre ist, besser zu schießen als Sie. Ich bin kein Weib, um einen Kopfputz zu tragen.«

»Sehr wahr; aber Ihr könntet ein Weib finden, das in Euren Augen kostbar genug ist, ihn von Euch zu tragen, wie –«

»Vorwärts, David«, unterbrach ihn der Major, »wir möchten den Schuß oder Ihren Abzug sehen. Der Adjutant wird ungeduldig.«

»Des Quartiermeisters Geschäftskreis und der des Adjutanten vertragen sich selten miteinander, Lundie. Aber ich bin bereit. Geht ein bißchen auf die Seite, Pfadfinder, und nehmt den Damen nicht die Aussicht.«

Leutnant Muir nahm nun seine Stellung mit einem guten Teil studierter Eleganz ein, erhob seine Büchse langsam, senkte sie, erhob sie aufs neue, wiederholte dieses Manöver nochmals und gab Feuer.

»Gefehlt, die ganze Scheibe«, rief der Mann, der die Treffer zu bezeichnen hatte, und wenig Geschmack an des Quartiermeisters lästiger Wissenschaftlichkeit fand. »Die Scheibe verfehlt.«

»Es kann nicht sein«, schrie Muir, und sein Gesicht glühte ebensosehr vor Entrüstung wie vor Scham. »Es kann nicht sein, Adjutant; denn nie begegnete mir in meinem Leben eine solche Ungeschicklichkeit. Ich appelliere an die Damen um ein gerechtes Urteil!«

»Die Damen schlossen ihre Augen, als Sie feuerten«, riefen die Spötter im Regimente. »Ihre Vorbereitungen erschreckten sie.«

»Ich kann solche Schmähung von den Damen nicht glauben und meine Geschicklichkeit nicht auf solche Weise verunglimpfen lassen«, erwiderte der Quartiermeister, der mehr und mehr in sein Schottisch verfiel, je wärmer seine Gefühle wurden, »’s ist ’ne Verschwörung, um einem verdienten Mann das zu rauben, was ihm gebührt.«

»Es ist eben ein Fehlschuß, Muir«, sagte der Major lachend, »und Sie müssen sich in die Laune des Glücks fügen.«

»Nein, nein, Major«, bemerkte endlich Pfadfinder, »der Quartiermeister ist, seine Langsamkeit ausgenommen, auf eine gemessene Entfernung ein guter Schütze, obgleich nichts Außerordentliches für den wirklichen Dienst. Seine Kugel hat die von Jasper bedeckt, wie man bald sehen kann, wenn sich einer die Mühe nehmen will, die Scheibe zu untersuchen.«

Die Achtung vor Pfadfinders Geschicklichkeit und vor der Schnelligkeit und Sicherheit seines Auges war so groß und allgemein, daß in dem Augenblick, als er diese Erklärung gab, die Zuschauer ihren eigenen Meinungen zu mißtrauen anfingen und ein Dutzend davon gegen die Scheibe stürzten, um sich über die Tatsache Gewißheit zu verschaffen. Man fand auch wirklich, daß des Quartiermeisters Kugel durch das von Jasper gemachte Loch, und zwar mit einer Genauigkeit gegangen war, daß es einer sehr scharfen Untersuchung bedurfte, um den Tatbestand außer Zweifel zu stellen; doch lag es am Tage, als man eine Kugel über der anderen in dem Pfahle fand, an dem die Scheibe befestigt war.

»Ich sagt‘ es ja, meine Damen, daß Sie Zeugen des Einflusses der Wissenschaft auf die Kunst zu schießen sein würden«, sprach der Quartiermeister, indem er auf die Tribüne zuging. »Major Duncan verlacht die Idee, daß sich die Mathematik auf das Scheibenschießen anwenden lasse; aber ich sag’s ihm, Philosophie färbt, vergrößert, verbessert, erweitert und breitet alles aus, was zum menschlichen Leben gehört, sei’s nun ein Wettschießen oder eine Predigt. Mit einem Wort, Philosophie ist Philosophie, und das ist alles, was man über diesen Gegenstand zu sagen nötig hat.«

»Ich denke, Sie schließen die Liebe von diesem Katalog aus«, bemerkte die Frau eines Hauptmanns, die die Geschichte von des Quartiermeisters Heiraten kannte und einen weiblichen Widerwillen gegen diesen Monopolisten ihres Geschlechtes hatte – »mir scheint, daß Philosophie wenig gemein hat mit der Liebe.«

»Sie würden das nicht sagen, Madame, wenn Ihr Herz viele Versuchungen erfahren hätte. Ein Mann oder eine Frau, die viele Gelegenheit gehabt haben, ihre Sympathien auszubilden, können am besten über solche Gegenstände sprechen; und, glauben Sie mir, von aller Liebe ist die philosophische die beste, da sie die vernünftigste ist.«

»So empfehlen Sie wohl die Erfahrung zur Veredelung der Liebe?«

»Ihr schneller Geist hat diese Idee mit einem Blick erfaßt. Die glücklichsten Heiraten sind die, wo Jugend, Schönheit und Vertrauen auf der einen Seite sich auf den Scharfsinn, die Mäßigung und die Klugheit der Jahre verläßt, des mittleren Alters, meine ich, Madame; denn ich will nicht in Abrede stellen, daß es auch so ein Ding von Ehemann geben kann, das zu alt für eine Frau ist. Hier ist Sergeant Dunhams bezaubernde Tochter, die sicherlich solchen Gefühlen Beifall zollen wird, denn die Besonnenheit ihres Charakters ist in der Garnison bereits vollkommen anerkannt, so kurz auch ihr Aufenthalt unter uns sein mag.«

»Sergeant Dunhams Tochter ist kaum eine geeignete Sprecherin bei einer Unterhaltung zwischen Ihnen und mir, Leutnant Muir«, erwiderte die Kapitänsfrau, die ihrer Würde nichts vergeben wollte; »doch, damit wir auf einen anderen Gegenstand kommen – dort schickt sich Pfadfinder an, sein Glück zu versuchen.«

»Ich protestiere, Major Duncan, ich protestiere!« – schrie Muir, indem er mit erhobenen Armen, um seinen Worten Nachdruck zu leihen, gegen den Stand zurückeilte. – »Ich protestiere in strengster Form, meine Herren, daß Pfadfinder bei dieser Unterhaltung mit seinem Wildtod zugelassen wird, denn, abgesehen von seiner langjährigen Fertigkeit, ist dies ein Gewehr, das bei einem Geschicklichkeitsversuch außer allem Verhältnis mit den Büchsen des Gouvernements steht.«

»Der Wildtod schläft zu Hause, Quartiermeister«, erwiderte Pfadfinder, »und niemand denkt hier dran, ihn zu stören. Ich dachte selbst nicht, heute den Drücker zu berühren; aber Sergeant Dunham überzeugte mich, daß ich seiner schönen Tochter, die unter meinem Schutz hierher kam, keine besondere Ehre erweise, wenn ich bei solcher Gelegenheit zurückbleibe. Ich benütze daher Jaspers Büchse, Quartiermeister, wie Sie sehen, und die ist nicht besser als Ihre.«

Leutnant Muir mußte sich zufriedengeben, und jedes Auge richtete sich auf den Pfadfinder, als er die erforderliche Stellung einnahm. Die Haltung dieses gefeierten Kundschafters und Jägers war äußerst straff, als er seine kühne Gestalt erhob und das Gewehr zurechtsetzte, wobei er eine vollkommene Selbstbeherrschung und eine genaue Kenntnis des menschlichen Körpers sowohl als der Waffe entwickelte. Sein Zielen geschah mit der Schnelle des Gedankens, und als der Rauch über seinem Haupt schwebte, erblickte man schon den Schaft der Büchse auf der Erde, die Hand an den Lauf gelehnt, und sein ehrliches Gesicht leuchtend von seinem stillen herzlichen Lachen.

»Wenn man bei solcher Gelegenheit eine Anspielung machen darf«, rief Major Duncan, »so möcht‘ ich sagen, daß der Pfadfinder auch die Scheibe verfehlt hat!«

»Nein, nein Major«, erwiderte Pfadfinder mit Zuversicht, »das würde eine gewagte Behauptung sein. Ich hab‘ das Gewehr nicht geladen und kann nicht sagen, was darin war; wenn es aber geladen war, so werden Sie finden, daß die Kugel die des Quartiermeisters und Jaspers tiefer hineingetrieben hat.«

Ein Ruf von der Scheibe her verkündete die Wahrheit dieser Versicherung.

»Das ist nicht alles, das ist nicht alles, Jungens«, rief Pfadfinder aus, der nun langsam auf die Tribüne der Damen zuging, »wenn ihr die Scheibe nur im mindesten berührt findet, so will ich verloren haben. Der Quartiermeister hat das Holz gestreift, ihr werdet aber nicht finden, daß es die letzte Kugel angegriffen hätte.«

»Sehr wahr, Pfadfinder, sehr wahr«, antwortete Muir, der sich in Mabels Nähe gemacht hatte, obschon er sich scheute, sie in Gegenwart der Offiziersfrauen anzureden. »Der Quartiermeister hat das Holz ausgeschnitten und hierdurch einen Weg für Eure Kugel geöffnet, die durch das Loch durchgegangen ist, das er gemacht hat.«

»Wohl, Quartiermeister; doch jetzt kommt’s an den Nagel, und wir wollen sehen, wer ihn tiefer hineintreiben kann, Sie oder ich, denn obgleich ich heut‘ nicht zeigen wollte, was eine Büchse leisten kann, so will ich doch, da sie mal in meiner Hand ist, keinen, der Königs Georgs Bestallung hat, den Rücken kehren. Chingachgook ist draußen, sonst könnte mich der zu einigen Feinheiten der Kunst veranlassen; aber was Sie anbelangt, Quartiermeister – wenn Sie der Nagel nicht so zufriedenstellt, so wird’s die Kartoffel tun.«

»Ihr tut diesen Morgen gewaltig dick, Pfadfinder; aber Ihr sollt finden, daß Ihr’s nicht mit einem grünen Burschen, frisch von den Ansiedlungen und Städten weg, zu tun habt; das versichere ich Euch.«

»Ich weiß das wohl, Quartiermeister, und will Ihrer Erfahrung nicht zu nah treten. Sie haben schon viele Jahre an der Grenze gelebt, und ich hab‘ von Ihnen in den Kolonien und selbst unter den Indianern schon vor einem ganzen Menschenalter sprechen hören.«

»Na, na«, unterbrach ihn Muir in seinem breitesten Schottisch; »das ist ’ne Ungerechtigkeit, Mann. Ich bin noch nicht so gar alt, nein.«

»Ich will Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch wenn Sie das beste in dem Kartoffelversuch wegkriegen sollten. Sie haben für einen Soldaten ein gutes Menschenalter an Orten verlebt, wo die Büchse täglich gebraucht wird, und ich weiß, Sie sind ein geachteter und scharfblickender Schütze; aber doch sind Sie kein rechter Büchsenschütze. Was das Prahlen anbelangt, so hoff‘ ich, daß ich nicht als ein eitler Auskrämer meiner eigenen Taten bekannt bin; aber die Gaben eines Menschen sind seine Gaben, und es hieße der Vorsehung Trotz bieten, wenn man sie verleugnen wollte. Des Sergeanten Tochter hier soll zwischen uns Richter sein, wenn Sie Lust haben, sich einem so artigen Richter zu unterwerfen.«

Der Pfadfinder hatte Mabel zur Schiedsrichterin gewählt, weil er sie bewunderte und weil der Rang in seinen Augen wenig oder keinen Wert hatte. Aber Leutnant Muir schrak vor einer solchen Berufung in Gegenwart der Offiziersfrauen zurück. Er hätte wohl gern sein Bild beständig vor den Augen und der Seele des Gegenstandes seiner Hoffnungen gewünscht; aber er war doch zu sehr unter dem Einfluß alter Vorurteile und vielleicht zu schlau, um öffentlich als ihr Verehrer aufzutreten, wenn er nicht auf einen sicheren Erfolg hoffen durfte. Zu der Verschwiegenheit des Majors Duncan hatte er volles Vertrauen und fürchtete von dieser Seite aus keinen Verrat. Er mußte aber sehr vorsichtig zu Werk gehen; denn wenn es ruchbar wurde, daß er von der Tochter eines Unteroffiziers zurückgewiesen worden sei, so mochte er bei der Bewerbung um eine andere Frau von Stand – und auf eine solche durfte er vernünftigerweise doch Anspruch machen – wohl große Schwierigkeiten finden. Aber Mabel erschien so hübsch, errötete so niedlich, lächelte so hold und war ein so gewinnendes Bild von Jugend, Bescheidenheit und Schönheit, daß er es, ungeachtet seiner Zweifel und Besorgnisse, für äußerst verführerisch fand, seine Person in ihrer ganzen Erhabenheit von der Phantasie des Mädchens Besitz nehmen zu lassen, weshalb er es über sich gewann, sein Wort frei an sie zu richten.

»Es soll geschehen nach Euerm Wunsch, Pfadfinder«, erwiderte er, sobald er mit seinen Zweifeln ins reine gekommen war; »laßt des Sergeanten reizende Tochter Schiedsrichterin sein, und ihr wollen wir beiden den Preis widmen, den einer oder der andere sicher gewinnen muß. Pfadfinder muß, wie Sie bemerken, meine Damen, eigen gelaunt sein, sonst würden wir ohne Zweifel die Ehre gehabt haben, uns dem Urteil einer Dame aus Ihrer bezaubernden Gesellschaft zu unterwerfen.«

Ein Aufruf an die Bewerber führte nun den Quartiermeister und seinen Gegner hinweg, und in wenigen Minuten begann der zweite Versuch. Ein gewöhnlicher Werknagel, dessen Kopf gefärbt war, wurde leicht in die Scheibe getrieben, und die Schützen mußten ihn treffen, wenn sie nicht ihren Schuß bei den weiteren Proben verlieren wollten. Niemand von denen, die früher das Ochsenauge gefehlt hatten, wurde zugelassen.

Es waren ungefähr ein halbes Dutzend Bewerber um die Ehre dieses Probestückes. Einer oder zwei, die bei dem ersten Schießen den gemalten Fleck nur notdürftig berührt hatten, zogen es vor, ihren Ruf nicht auf Spiel zu setzen, denn sie fühlten, daß bei der schwereren Aufgabe, um die es sich jetzt handelte, nichts für sie zu holen sei. Die drei ersten Schützen fehlten, obschon sie der Marke sehr nahe kamen, ohne sie jedoch zu berühren. Der vierte in der Reihe war der Quartiermeister, der, nachdem er seine gewöhnlichen Stellungen durchgemacht hatte, insoweit glücklich schoß, als seine Kugel ein kleines Stück von dem Kopf des Nagels trennte und an der Seite des Punktes einschlug. Dies wurde als kein außerordentlicher Schuß betrachtet, obgleich er den Bewerber wieder auf die Liste brachte.

»Sie haben Ihre Haut gerettet, Quartiermeister, wie man in den Ansiedlungen von den Kreaturen sagt«, rief Pfadfinder lachend; »aber es würde lang‘ dauern, ein Haus mit einem Hammer zu bauen, der nicht besser als der Ihrige ist. Jasper hier wird Ihnen zeigen, wie man einen Nagel treffen muß, oder der Junge hat was von der Festigkeit seiner Hand und der Sicherheit seines Auges verloren. Sie würden besser getan haben, Leutnant, wenn Sie Ihre Stellungen weniger soldatisch gehalten hätten. Schießen ist eine natürliche Gabe und muß auf natürliche Weise geübt werden.« »Wir werden sehen, Pfadfinder; ich nenne das einen recht artigen Schuß, und ich zweifle, ob das Fünfundfünfzigste einen andern Hammer hat, wie Ihr es nennt, der wieder gerade dahin zu treffen vermag.«

»Jasper ist nicht im Fünfundfünfzigsten, aber da geht sein Schlag hin.«

Als der Pfadfinder sprach, traf Eau-douces Kugel das Viereck des Nagels und trieb den Kopf ungefähr einen Zoll tief in die Scheibe.

»Nietet ihn aus, Jungens«, schrie der Pfadfinder, indem er in die Fußtapfen seines Freundes in dem Augenblick trat, als sie frei wurden. »Laßt es gut sein mit dem neuen Nagel. Ich kann ihn sehen, obgleich die Farbe weggegangen ist, und was ich sehen kann, kann ich auch auf hundert Ellen treffen, und wär’s nur das Auge eines Moskitos. Habt ihr ihn ausgenietet?«

Die Flinte krachte; die Kugel flog ihren Weg, und der Kopf des Nagels wurde in dem Holz begraben, bedeckt von einem Stück plattgedrückten Bleis.

»Nun, Jasper, Junge«, fuhr der Pfadfinder fort, indem er den. Schaft seines Gewehrs zur Erde sinken ließ und das Gespräch wieder aufnahm, als ob er gar nicht an seinen eigenen Schuß dächte. »Ihr verbessert Euch täglich. Noch einige Züge am Land in meiner Gesellschaft, und der beste Schütze an der Grenze wird sich zusammennehmen müssen, wenn er seinen Stand nach Euch nimmt. Der Quartiermeister ist respektabel; aber er wird’s nicht weiter bringen. Dagegen habt Ihr, Jasper, die Gabe, und könnt’s eines Tags mit jedem Schützen aufnehmen.«

»Ho, ho!« rief Muir, »Ihr nennt das Streifen eines Nagelkopfs nur respektabel, da es doch die Vollkommenheit der Kunst ist? Jeder, der nun ein etwas verfeinertes und gebildetes Gefühl hat, weiß, daß die leichten Berührungen den Meister bekunden. Dagegen kommen Eure Schmiedhammerschläge nur aus dem Rohen und Ungebildeten. Wenn’s beim Schießen heißt: Um ein Haar gefehlt ist so gut wie um eine Meile gefehlt, so muß dies doch noch mehr bei einem Treffer gelten, Pfadfinder, ob er nun verwundet oder tötet.«

»Der sicherste Weg, diese Nebenbuhlerschaft zu beruhigen, wird wohl ein anderer Versuch sein«, bemerkte Lundie, »und das soll durch die Kartoffel geschehen. Sie sind ein Schotte, Herr Muir, und möchten vielleicht besser fahren, wenn es ein Kuchen oder eine Distel wäre, aber der Grenzbrauch hat sich für die amerikanische Frucht, die Kartoffel, erklärt.«

Da Major Duncan in seiner Weise einige Ungeduld kundgab, so hatte Muir zuviel Takt, den Fortgang der Belustigung noch länger durch seine Bemerkungen zu unterbrechen, sondern bereitete sich klugerweise für den nächsten Aufruf vor. Der Quartiermeister hatte zwar in der Tat wenig oder kein Vertrauen, daß er den nun folgenden Versuch glücklich bestehen werde, und würde es wohl nicht gewagt haben, sich unter die Bewerber zu mischen, wenn er vorausgesehen hätte, daß er wirklich stattfinden würde. Aber Major Duncan, der etwas humoristisch in seiner ruhigen, schottischen Weise war, hatte – ausdrücklich um ihn zu wählen – insgeheim bereits die nötigen Vorbereitungen treffen lassen; denn da er selbst ein Laird war, so konnte er dem Gedanken keinen Geschmack abgewinnen, daß ein Mann, der als ein Edelmann betrachtet werden wollte, seiner Kaste durch Eingehung einer ungleichen Verbindung Unehre zu machen gedachte. Sobald alles eingeleitet war, wurde Muir aufgefordert, seinen Stand zu nehmen, und die Kartoffel zum Wurf in Bereitschaft gehalten. Bei dem Ruf »auf«, den der Schütze gab, wurde das Gewächs mit einem sanften Stoß in die Luft geworfen, und es war nun des Quartiermeisters Aufgabe, eine Kugel durchzuschießen, ehe es den Boden wieder erreichte. Der Schuß fiel; aber das fliegende Ziel blieb unberührt.

»Rechts um – durchgefallen, Quartiermeister«, sagte Lundie mit einem Lächeln über diesen Erfolg, »die Ehre des seidenen Kopfputzes wird zwischen Jasper Eau-douce und Pfadfinder liegen.«

»Und wie soll der Versuch enden, Major«, fragte dieser. »Soll der mit den zwei Kartoffeln noch dazukommen, oder ist es mit Zentrum und Haut abgetan?«

»Mit Zentrum und Haut, wenn ein bemerklicher Unterschied stattfindet; im andern Fall muß der Doppelschuß folgen.«

»Das ist für mich ein entsetzlicher Augenblick, Pfadfinder«, bemerkte Jasper, und die Gewalt seiner Gefühle trieb alle Farbe aus seinem Gesicht, als er sich gegen den Stand hinbewegte.

Pfadfinder blickte ernst auf den jungen Mann; dann bat er den Major, einen Augenblick Geduld zuhaben, und führte seinen Freund etwas beiseite, so daß sie die nahe Stehenden nicht hören konnten.

»Ihr scheint Euch diese Sache zu Herzen zu nehmen, Jasper?« bemerkte der Jäger, indem er dem Jüngling mit festen Blicken ins Auge sah.

»Ich muß zugeben, Pfadfinder, daß sich meine Gefühle nie vorher so sehr an den Erfolg knüpften.«

»Und verlangt Ihr so sehr, mich auszustechen, einen alten geprüften Freund? – und das, sozusagen, auf meinem eigenen Wege? Schießen ist meine Gabe, Junge, und keine gewöhnliche Hand kann sich mit der meinigen messen.«

»Ich weiß es, ich weiß es, Pfadfinder, aber doch –«

»Aber was, Jasper, Junge? – Sprecht frei, Ihr sprecht mit einem Freund.«

Der junge Mann biß sich in die Lippen, fuhr mit der Hand über das Auge und errötete und erblaßte wechselweise wie ein Mädchen, das seine Liebe gesteht. Dann drückte er des andern Hand und sagte ruhig, und mit einer Männlichkeit, die alle andern Gefühle überwältigte:

»Ich wollte einen Arm drum geben, Pfadfinder, wenn ich diesen Kopfputz Mabel Dunham anbieten könnte.«

Der Jäger ließ seine Augen zur Erde sinken, und als er langsam gegen den Stand zurückging, schien er das, was er eben gehört hatte, tief zu erwägen.

»Es kann Euch nie bei dem Doppelversuch glücken, Jasper!« bemerkte er plötzlich.

»Des bin ich nur zu gewiß, und eben das quält mich.«

»Was für ein Geschöpf ist doch der sterbliche Mensch! Er sehnt sich schmerzlich nach Dingen, die nicht zu seinen Gaben gehören, und behandelt die Wohltaten, die ihm durch die Vorsehung zugewiesen werden, mit Leichtfertigkeit. Macht nichts – macht nichts! Stellt Euch auf, Jasper, denn der Major wartet – und hört, Junge – ich muß die Haut berühren, denn ich könnte mit weniger als so viel mein Gesicht nicht mehr in der Garnison zeigen.«

»Ich glaube, ich muß mich meinem Schicksal unterwerfen«, erwiderte Jasper, wie früher bald errötend, bald erbleichend – »aber ich will mir Mühe geben, als ob’s mein Leben gälte.«

Die Kartoffel wurde geworfen, Jasper feuerte, und das darauf folgende Geschrei leitete die Ankündigung ein, die Kugel sei in das Zentrum oder ihm doch so nahe eingedrungen, daß der Schuß wohl als Zentrumsschuß gelten könne.

»Das ist ein Mitbewerber, der Eurer würdig ist, Pfadfinder«, rief Major Duncan vergnügt, als der erstere seinen Stand einnahm, »und wir werden noch einige schöne Schüsse bei dem Doppelversuch zu sehen bekommen.«

»Was für ein Ding ist der sterbliche Mensch!« wiederholte der Jäger, der so sehr in seine eigenen Betrachtungen vertieft war, daß er kaum auf das, was um ihn vorging, zu achten schien, »Auf!«

Die Kartoffel flog, und die Flinte krachte gerade, als der kleine, schwarze Ball in der Luft zu stehen schien; denn der Schütze nahm augenscheinlich ungewöhnliche Sorgfalt auf sein Ziel. Dann folgte ein Blick der getäuschten Erwartung und Verwunderung unter denen, die das fallende Ziel aufgefangen hatten.

»Zwei Löcher auf einer Seite?« rief der Major aus.

»Die Haut, die Haut«, war die Antwort, »nur die Haut!«

»Was ist das, Pfadfinder? Soll Jasper Eau-douce die Ehre des Sieges davontragen?«

»Der Gewinn ist sein«, erwiderte der andere mit Kopfschütteln und verließ ruhig den Stand.

Da der Pfadfinder seine Kugel nicht durch die Mitte der Kartoffel geschickt, sondern nur die Haut durchschnitten hatte, so wurde der Preis Jasper zugesprochen. Der Kopfputz war in seinen Händen, als der Quartiermeister herzutrat und mit einem glatten Schein von Herzlichkeit seinem glücklicheren Nebenbuhler Glück zu dem Sieg wünschte.

»Aber nun habt Ihr den Putz gewonnen, Junge, der Euch zu nichts nütze ist«, fügte er bei. »Ihr könnte weder ein Segel noch eine Flagge daraus machen. Ich denke, Eau-douce, daß es Euch nicht leid täte, seinen Wert in gutem königlichem Silber in Eurer Tasche zu sehen?«

»Er ist für kein Geld feil, Leutnant«, erwiderte Jasper, dessen Auge von dem ganzen Feuer des Glückes und der Freude strahlte. »Dieser gewonnene Kopfputz ist mir lieber als fünfzig neue vollständige Segel für den Scud!«

»Ho, ho! Junge! Ihr werdet mir so toll wie all die andern. Ich hab’s eben wagen wollen, Euch eine halbe Guinea für diese Kleinigkeit anzubieten, ’s wär‘ doch besser, als wenn er in der Kajüte Eures Kutters unter den Füßen umherfährt oder am Ende ein Kopfputz für eine Squaw wird.«

Obgleich Jasper nicht wußte, daß der schlaue Quartiermeister ihm nicht die Hälfte des wirklichen Wertes seiner Prämie angeboten hatte, hörte er doch seinen Vorschlag mit Gleichgültigkeit an. Er schüttelte verneinend den Kopf und ging auf die Tribüne zu, wo seine Annäherung eine kleine Bewegung veranlaßte, da sich die Offiziersfrauen samt und sonders entschlossen hatten, wenn Galanterie den jungen Schiffer veranlassen sollte, mit seinem Gewinst ein Geschenk machen zu wollen, es anzunehmen. Aber Jaspers Schüchternheit nicht weniger als seine Bewunderung für eine andere würde ihn gehindert haben, nach der Ehre eines Komplimentes an die, die er so hoch über sich dachte, zu streben.

»Mabel«, sagte er, »dieser Preis ist für Sie, wenn nicht –«

»Wenn nicht was, Jasper?« antwortete das Mädchen, die bei dem natürlichen und großmütigen Wunsch, ihn seiner Verlegenheit zu entheben, ihre eigene Schüchternheit verlor, obgleich beide in einer Weise erröteten, die tiefere Gefühle verriet.

»Wenn Sie ihn nicht für zu unbedeutend halten, da er von einem angeboten wird, der kein Recht haben mag, zu glauben, daß seine Gabe angenommen werde.«

»Ich nehme sie an, Jasper; sie soll mir ein Erinnerungszeichen der Gefahr sein, die ich in Eurer Gesellschaft durchgemacht habe, und der Dankbarkeit, die ich für Eure Sorgfalt um mich fühle für Eure und des Pfadfinders Sorgfalt.«

»Laßt’s gut sein; laßt’s gut sein«, rief der letztere. »Dies ist Jaspers Glück und Jaspers Gabe. Geben Sie ihm vollen Kredit für beides. Die Reihe kann an einem andern Tag an mich kommen, an mich und den Quartiermeister, der wegen des Kopfputzes dem Jungen zu grollen scheint, obgleich ich nicht einsehe, zu was er ihn braucht, da er kein Weib hat.«

»Und hat Jasper Eau-douce ein Weib? oder habt Ihr selbst ein Weib, Pfadfinder? Ich kann ihn brauchen, daß er mir ein Weib kriegen helfe, oder als ein Erinnerungszeichen, daß ich ein Weib hatte, oder als einen Beweis, wie sehr ich dieses Geschlecht bewundere, oder weil er ein Frauenschmuck ist, oder aus irgendeinem anderen gleich achtbaren Grund. Die Nichtreflektierenden sind nicht die Geachtetsten bei den Gedankenvollen, und es gibt, laßt’s euch allen gesagt sein, kein besseres Zeichen, daß ein Mann ein guter Gatte seiner ersten Gefährtin war, als wenn er sich eilig nach einer geeigneten Nachfolgerin umsieht. Die Liebe ist eine schöne Gabe der Vorsehung, und wer wahrhaft geliebt hat, beweist, wie reichlich er diese Wohltat genossen, wenn er sobald wie möglich wieder eine andere liebt.«

»Es mag so sein. Ich bin kein Praktiker in solchen Dingen; aber Mabel hier, des Sergeanten Tochter, wird Ihre Worte voll zu würdigen wissen. Kommt, Jasper! obschon wir nichts dabei zu tun haben, so wollen wir doch sehen, was die andern Jungens mit ihren Büchsen ausrichten.«

Pfadfinder und seine Gefährten zogen sich zurück, denn die Belustigung nahm nun wieder ihren Fortgang. Die Damen jedoch waren nicht so sehr von dem Schießen in Anspruch genommen, um den Kopfputz darüber zu vernachlässigen. Er ging von Hand zu Hand; man befühlte die Seide, krittelte an der Fasson und untersuchte die Arbeit. Dann wagte man auch verschiedene Meinungen zu äußern, ob es auch passend sei, daß ein so schöner Putz in den Besitz einer Unteroffizierstochter gekommen.

»Ihr werdet vielleicht geneigt sein, den Kopfputz zu verkaufen, Mabel, wenn Ihr ihn eine kurze Zeit besessen habt?« fragte die Kapitänsfrau, »denn tragen könnt Ihr ihn doch nie, sollte ich denken.«

»Ich will ihn nicht tragen«, erwiderte unsere Heldin bescheiden, »doch möchte ich mich auch nicht von ihm trennen.«

»Sergeant Dunham versetzt Euch freilich nicht in die Notwendigkeit, Eure Kleider zu verkaufen, mein Kind, es ist aber immer weggeworfenes Geld, einen Putzartikel zu behalten, den Ihr doch nie tragen könnt.«

»Ich würde mich ungerne von der Gabe eines Freundes trennen.«

»Aber der junge Mann wird um so besser von Eurer Klugheit denken, wenn der Triumph dieses Tages vergessen ist. Es ist ein artiger und anständiger Schmuck und sollte nicht weggeworfen werden.«

»Es ist nicht meine Absicht, ihn wegzuwerfen, Madame, und wenn Sie erlauben, will ich ihn lieber behalten.«

»Wie Ihr wollt, Kind; Mädchen in Eurem Alter übersehen oft ihren wahren Vorteil. Doch erinnert Euch, daß er bestellt ist, wenn Ihr Euch entschließt, über ihn zu verfügen, und daß ich ihn nicht nehmen werde, wenn Ihr ihn je einmal selbst aufgesetzt hättet.«

»Ja, Madame«, sagte Mabel mit möglichst demütiger Stimme, obgleich ihre Augen glänzten und ihre Wangen sich röteten, als sie den verbotenen Schmuck eine Minute lang über ihre wohlgeformten Schultern legte, als ob sie versuchen wolle, wie er ihr passe, und ihn dann ruhig wieder abnahm.

Der Rest der Belustigung bot wenig Interesse. Man schoß wohl gut, aber in keinem Vergleich mit den eben erzählten Leistungen, und die Bewerber wurden bald sich selbst überlassen. Die Damen und die meisten Offiziere zogen sich zurück, und die übrigen Frauen folgten ihrem Beispiel. Mabel kehrte über die niedrigen Felsenplatten, die das Ufer des Sees bedeckten, heim und ließ den zierlichen Kopfputz auf ihrem noch zierlicheren Finger flattern, als der Pfadfinder zu ihr trat. Er führte die Büchse bei sich, deren er sich an diesem Tage bedient hatte; aber sein Benehmen zeigte weniger von der freien Leichtigkeit des Jägers als gewöhnlich, und sein Auge schien unstet und düster. Nach einigen nichtssagenden Worten über die vor ihnen liegende großartige Wasserfläche wandte er sich mit dem Ausdruck eines großen Anliegens in seinem Gesicht gegen das Mädchen und sprach:

»Jasper erntete diesen Putz für Sie, Mabel, ohne seine Gaben sehr anzustrengen.«

»Er hat sich gut gehalten, Pfadfinder.«

»Kein Zweifel. Die Kugel ging hübsch durch die Kartoffel, und niemand hätte mehr tun können, obgleich andere hätten ebensoviel leisten mögen.«

»Aber keiner leistete ebensoviel«, rief Mabel mit einer Lebhaftigkeit, die sie im Augenblick bereute; denn sie sah aus dem schmerzlichen Blick des Pfadfinders, wie sehr er durch diese Bemerkung sowohl als durch das Gefühl, mit dem sie sprach, gekränkt wurde.

»Es ist wahr – es ist wahr, Mabel, keiner leistete ebensoviel; aber – doch ich sehe keinen Grund, warum ich meine Gaben, die von der Vorsehung kommen, verleugnen sollte – ja, ja; keiner leistete dort so viel, aber Sie sollen sehen, was hier getan werden kann. Sehen Sie die Möwen, die über unsern Köpfen fliegen?«

»Gewiß, Pfadfinder; es sind zu viele, um der Beobachtung zu entgehen.«

»Hier, wo sie quer übereinander hinfliegen«, setzte er hinzu, indem er den Hahn spannte und die Büchse erhob; »die zwei – die zwei: Nun sehen Sie!«

Das Gewehr wurde mit Gedankenschnelle angelegt, als gerade zwei Vögel in eine Linie kamen, obgleich ihre Entfernung voneinander viele Ellen betragen mochte; der Schuß fiel und die Kugel drang durch die Körper der beiden Opfer. Die Möwen waren kaum in den See gefallen, als der Pfadfinder seinen Büchsenschaft fallen ließ und in seiner eigentümlichen Weise auflachte. Jeder Schatten von Unzufriedenheit und gekränktem Stolz hatte sein ehrliches Gesicht verlassen.

»Das ist was, Mabel – das ist was; obgleich ich Ihnen keinen Siegespreis zu geben habe. Aber fragen Sie Jasper selbst; ich will alles Jasper überlassen, denn eine wahrere Zunge und ein treueres Herz ist nicht in Amerika.«

»Es war also nicht Jaspers Verdienst, daß er den Preis gewonnen hat?«

»Nicht doch! Er tat sein Bestes und traf gut. Für einen, der bessere Wassergaben als Landgaben hat, ist Jasper ungemein erfahren, und man kann sich weder auf dem Wasser noch auf dem Land einen bessern Rückhalt wünschen. Aber es war mein Werk, Mabel, daß er gewonnen hat, obgleich es gerade keinen Unterschied macht – es macht keinen Unterschied, denn das Ding ist an die rechte Person gekommen.«

»Ich glaube, ich verstehe Euch, Pfadfinder«, sagte Mabel mit unwillkürlichem Erröten; »und ich betrachte nun den Putz als die vereinte Gabe von Euch und Jasper.«

»Da würden Sie dem Jungen unrecht tun. Er gewann das Kleidungsstück und hatte ein Recht, es wegzugeben. Ich wünsche nur, Mabel, Sie möchten glauben, daß, wenn ich es gewonnen hätte, es an dieselbe Person gekommen wäre.«

»Ich will’s nicht vergessen, Pfadfinder, und Sorge tragen, daß auch andere Eure Geschicklichkeit erfahren, die Ihr in meiner Gegenwart an den armen Möwen erprobt habt.«

»Gott segne Sie, Mabel; aber jedermann weiß, was ich in dieser Beziehung leisten kann, und Ihre Worte wären ebenso verloren wie das Französische bei einem amerikanischen Bären.«

»Ihr denkt wohl, Jasper wisse, daß Ihr ihm den Vorteil verschafft habt, den er auf eine so unschöne Weise benutzt hat?« sagte Mabel, indem die Farbe, die ihren Augen soviel Glanz verliehen hatte, allmählich ihr Gesicht verließ, das nun den Ausdruck eines gedankenvollen Ernstes annahm.

»Ich bin weit entfernt, das zu sagen. Wir alle vergessen Dinge, die wir gewußt haben, wenn wir auf unsere Wünsche sehr erpicht sind. Jasper weiß wohl, daß ich eine Kugel ebensogut durch zwei Kartoffeln schicken kann, wie ich’s eben bei diesen Möwen getan habe, und er weiß, daß dies kein anderer Mann an der Grenze vermag. Aber mit dem Kopfputz von seinen Augen und der Hoffnung, ihn Ihnen zu geben, war der Junge vielleicht gerade in diesem Augenblicke geneigt, besser von sich selbst zu denken, als er hätte tun sollen. Nein, nein; es ist nichts Niedriges oder Verdächtiges an Jasper Eau-douce, denn es ist eine natürliche Gabe aller jungen Leute, sich vor den Augen schöner, junger Frauen auszeichnen zu wollen.«

»Ich will versuchen, alles zu vergessen, mit Ausnahme der Güte, die ihr beide gegen ein armes, mutterloses Mädchen gezeigt habt«, sagte Mabel, indem sie sich bemühte, Bewegungen zu unterdrücken, von denen sie kaum einen Grund anzugeben wußte. »Glaubt mir, Pfadfinder, ich werde es nie vergessen, was Ihr schon alles für mich getan habt – Ihr und Jasper; und dieser neue Beweis Eurer Achtung soll nicht verloren sein. Hier, hier ist eine silberne Busennadel, und ich biete sie Euch an als ein Wahrzeichen, daß ich Euch mein Leben oder meine Freiheit verdanke.«

»Was soll ich damit tun, Mabel?« fragte der Jäger verlegen, als er den einfachen Zierat in seiner Hand hielt. »Ich hab‘ weder Schnalle noch Knopf an mir, denn ich trage nichts als lederne Schnüre, und zwar aus guten Hirschhäuten. Es fällt hübsch ins Auge, aber es ist weit schöner an der Stelle, von der es kam, als an mir.«

»Nein, steckt sie in Euer Jagdhemd; sie wird Euch gut stehen. Erinnert Euch, daß es ein Zeichen unserer Freundschaft ist und ein Merkmal, daß ich Euch und Eure Dienste nie vergessen kann.«

Mabel grüßte lächelnd zum Abschied, und an dem Damm hinhüpfend verlor sich ihre Gestalt bald hinter dem Wall des Forts.